Der Tod Gottes Als Lebensgefuhl Der Moderne: Geschichte, Deutung Und Kritik Eines Krisenphanomens (Dogmatik in der Moderne, 50) (German Edition) 3161545680, 9783161545689

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Der Tod Gottes Als Lebensgefuhl Der Moderne: Geschichte, Deutung Und Kritik Eines Krisenphanomens (Dogmatik in der Moderne, 50) (German Edition)
 3161545680, 9783161545689

Table of contents :
Cover
Titel
Vorwort
Einleitungsteil: Fragestellung und Zeitsituation
1 Der Tod Gottes als Lebensgefühl der Moderne?
1.1 Zur Fragestellung, These und Durchführung der Arbeit
1.2 Zur Methode der Arbeit
1.3 Zum Stand der Forschung: Überblick über die Rezeption der Idee vom Tode Gottes vorwiegend in der deutschsprachigen Theologie nach dem Zweiten Weltkrieg
1.3.1 Monographien (Dissertations- und Habilitationsschriften) und Studien
1.3.2 Lexikon- und Handbuchartikel
1.3.3 Beiträge und Berichte in Zeitschriften, Forschungsüberblicke und Einführungen
1.3.4 Monothematische systematische Entwürfe
1.3.5 Lehrbücher der Dogmatik und Entwürfe Systematischer Theologie
1.3.6 Theologiegeschichtliche Darstellungen
1.4 Systematischer Ausgangspunkt und Begriffsklärungen
1.4.1 Die Moderne als gegenwärtiges Zeitalter
1.4.2 Die Sinnkrise der präzisierten Lebenswelt
1.4.3 Der Tod Gottes als epochales Lebensgefühl
1.5 Aufgabenstellung: Geschichte, Deutung und Kritik eines Krisenphänomens
Hauptteil A: Der Tod Gottes als sprachlicher Ausdruck von Sinnkrisen
Teil I: Herkunft und Variationen des Motivs Tod Gottes
2 Mythen sterbender und auferstehender Götter: Der Tod Gottes als Motiv in der Religionsgeschichte
2.1 Erste Motivvariation: Der zerstückelte Gott (Osiris: toter Gott des Totenreichs)
2.2 Zweite Motivvariation: Der Untergang der antiken Götterwelt (Plutarchs Ausspruch „Der große Pan ist tot!“)
2.3 Dritte Motivvariation: Der gekreuzigte Gott (Jesus Christus)
2.4 Fazit und Ausblick: Vom variantenreichen Mythos zum präzisierten Christus
3 Das Gefühl der Gottverlorenheit als Vorahnung des Todes Gottes (Bewusstseinsdiagnostische Deutungsvarianten)
3.1 „... un Dieu perdu“ – Das Aufkommen des schmerzlichen Gefühls der Gottverlorenheit (Blaise Pascal)
3.2 Natur statt Gott: Radikaler Materialismus in der Französischen Aufklärung (Im Salon des Baron d’Holbach)
3.3 Um 1800 – Streit um Gott und Religionskritik (Von der Lessingzeit bis zu Hegels Erben)
3.4 Von der Religion ohne Gott zur Auflösung des Gottesgedankens in den subjektiven Christusglauben (Friedrich Schleiermacher)
3.5 Fazit und Ausblick: Bewusstseinswandel – Plausibilitätsverlust des (Mono-)Theismus und Beginn des christologischen Zeitalters des Christentums
4 Das Erlebnis des Todes Gottes als Ausdruck eines Erfahrungswandels (Literarische Deutungsvarianten)
4.1 „... daß kein Gott sei“: Die Traumvision vom toten Christus als Dekonstruktion des christlichen Diskurses (Jean Paul)
4.2 Jehova, Christus, Pan: Bilder vom „sterbenden Gott“ (Heinrich Heine)
4.3 „When God died I went to Sea with Ishmael ...“ – Überleben nach dem Tode Gottes auf dem offenen Meer (Herman Melville)
4.4 Nachkriegszeit und Trümmerliteratur: Das Begräbnis des lieben Gottes (Wolfdietrich Schnurre)
4.5 Fazit und Ausblick: Dem neuen Erfahrungsraum Sprache geben
Teil II: Den Tod Gottes denken (Philosophische Deutungsvarianten)
5 Der Tod Gottes als Deutungskategorie für die europäische Moderne und als philosophische Denkfigur
5.1 Hegels und Nietzsches Diagnosen der neuen Zeit
5.1.1 Vom Gefühl zum Moment: Religion als Übergangsphänomen und Aufhebung Gottes in den Geist der Gemeinde (G. W. F. Hegel)
5.1.2 „Gott ist todt! Gott bleibt todt! Wir Alle sind seine Mörder“ – Diagnose des „größten neueren Ereignisses“ (Friedrich Nietzsche)
5.2 Radikale Endlichkeit des Daseins
5.2.1 Zur Freiheit verurteilt: Atheistischer Existentialismus (Jean-Paul Sartre)
5.2.2 Zwischen der Flucht der Götter und der Ankunft des letzten Gottes – Zukünftiges Denken: Vom Ereignis (Martin Heidegger)
5.3 Neuansätze Philosophischer Theologie
5.3.1 Das Vonwoher radikaler Fraglichkeit: Philosophische Theologie im Schatten von Atheismus und Nihilismus (Wilhelm Weischedel)
5.3.2 Transzendentalkritisches, existenziales Nachfragen: Philosophische Theologie als Widerruf des Todes Gottes (Wolfgang Janke)
5.4 Fazit und Ausblick: Philosophische Theologie nach dem größten neueren Ereignis
Teil III: Den Tod Gottes denken (Theologische Deutungsvarianten)
6 Der Tod Gottes als Denkfigur in der US-amerikanischen Theologie
6.1 US-amerikanische Death of God Theologies in den ,langen‘ 1960er Jahren
6.2 Das Ereignis des Todes Gottes als Anstoß für die Radical Theology
6.2.1 Radikale Theologie als Literaturwissenschaft (William Hamilton)
6.2.2 Apokalyptische Selbstaufhebung Gottes in die Welt (Thomas J. J. Altizer)
6.3 After (the Death of) God
6.3.1 Kultivierung des komplexen Netzwerks des Lebens (Mark C. Taylor)
6.3.2 Perhaps – Ironische Theologie des Ereignisses (John D. Caputo)
6.3.3 Religiöser Atheismus als Glaube an einen objektiven Wertehimmel (Ronald Dworkin)
6.3.4 The Second Coming of the Death of God: Ein radikaler Gegenentwurf zum religiösen Fundamentalismus
6.3.5 After the Death of God the Father: Feministische Theologie jenseits des Patriarchats
6.4 Fazit und Ausblick: Ideologiekritik kultivieren
7 Der Tod Gottes als Denkfigur in der deutschsprachigen Theologie
7.1 Theologia post mortem Dei?
7.1.1 Mit einem Umweg über England: Zur Debatte um eine nachtheistische Theologie im kulturellen Umbruch der ,langen‘ 1960er Jahre
7.1.2 Post Bultmann Locutum – Entmythisierung des Gottesbegriffes in Existentialbezüge (Herbert Braun)
7.2 Theologie und Christologie nach Auschwitz
7.2.1 Der Tod Gottes als geschichtliches Ereignis und Befreiung zur Verantwortung für die Welt (Dorothee Sölle)
7.2.2 „Theologie im Hören des Todesschreis Jesu“ – Der zukunftseröffnende Kreuzestod in Gott und die Passion Gottes (Jürgen Moltmann)
7.2.3 Bleibende Anfragen einer Post-Holocaust Theology
7.3 Der Tod Gottes als trinitarische Denkfigur
7.3.1 Christologische Heimholung des Todes Gottes (Eberhard Jüngel)
7.3.2 Der Tod der Gottheit Gottes als Anfang der christlichen Religion (Falk Wagner)
7.4 Fazit und Ausblick: Variantenreiche Vereindeutigungsbestrebungen
Hauptteil B: Systematische Perspektiven und kritische Revisionen
8 Dem Lebensgefühl der Moderne neue Reflexionsräume anbieten
8.1 Auf Dauer gestellt: Krise und Kritik der Theologie
8.2 „Dazwischen-Lesen“: Von der bleibenden Angewiesenheit auf intellektuelle Kritik
8.3 Radikale Fraglichkeit als existentialhermeneutisches Verfahren
9 Der Tod Gottes als metaphorisches Ereignis: Ein Deutungsversuch
9.1 Zum innovativen Störpotential der Metapher „Gott ist todt!“
9.2 Zur narrativen Strategie der Metapher „Gott ist todt!“
9.3 Die Metapher „Gott ist todt!“ als semantische Innovation
9.4 Zwischen Verlust und Befreiung: Ambivalenzen und Irritationspotentiale aushalten
10 Anfänglich leben: Kritische Revision des Schöpfungsgedankens
10.1 Zur Krise des Schöpfungsgedankens und zu seiner Transformation in religiöse Endlichkeitsreflexion
10.2 Zum Sinn des Schöpfungsgedankens
10.3 „Du kannst neu anfangen!“: Überlegungen im Anschluss an die Idee der Natalität (Hannah Arendt)
11 Halt in Haltungen: Ethische Perspektiven
11.1 Abschiedlich leben: Zur Haltung der Abschiedlichkeit
11.2 Bildung als Gabe Besonnener Anfang einer Ethik der Selbstsorge
11.3 Die Maßgabe der Besonnenheit als Lebensfülle
Schlussteil
12 Zusammenfassung und typologische Systematisierung der Tod-Gottes-Idee
12.1 Zusammenfassende Betrachtung
12.2 Systematik der Deutungsmotivkreise der Tod-Gottes-Idee
12.2.1 Die Herkunft der Tod-Gottes-Idee aus dem Gewand des Mythos
12.2.2 Präfigurationen des modernen Tod-Gottes-Phänomens
12.2.3 Zeitdiagnostische Konkretionen des modernen Tod-Gottes-Phänomens
12.2.4 Strategien zur Überwindung des Tod-Gottes-Phänomens
12.2.5 Strategien zur Bekämpfung der Tod-Gottes-Idee
12.2.6 Strategien zur Integration der Tod-Gottes-Idee
12.2.7 Strategien des Aushaltens der Gott-ist-tot-Erfahrung
12.3 Ausklang
Literaturverzeichnis
Personenregister
Sachregister

Citation preview

Dogmatik in der Moderne Herausgegeben von

Christian Danz, Jörg Dierken, Hans-Peter Großhans und Friederike Nüssel

50

Philipp David

Der Tod Gottes als Lebensgefühl der Moderne Geschichte, Deutung und Kritik eines Krisenphänomens

Mohr Siebeck

Philipp David, geboren 1973; Studium der Ev. Theologie in Heidelberg, Berlin und Kiel; Promotion und Habilitation in Kiel; akademische Lehrtätigkeit in Kiel, Hamburg, Zürich und Bielefeld; Inhaber der Professur für Systematische Theologie/Ethik an der Justus-LiebigUniversität Gießen/Goethe-Universität Frankfurt am Main. orcid.org/0009-0006-1519-8373

ISBN 978-3-16-154568-9 / eISBN 978-3-16-162062-1 DOI 10.1628/978-3-16-162062-1 ISSN 1869-3962 / eISSN 2569-3913 (Dogmatik in der Moderne) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über https://dnb.dnb.de abrufbar. © 2023  Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwer­tung außer­halb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung sowie die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruck­­papier gedruckt und gebunden. Printed in Germany.



Vorwort Vorliegendes Buch geht auf meine Habilitationsschrift zurück, die im Sommersemester 2015 von der Theologischen Fakultät der Christian-AlbrechtsUniversität zu Kiel angenommen worden ist. Sie war zuerst mit dem Untertitel Philosophische Theologie nach dem größten neueren Ereignis versehen. Für die Übernahme der Gutachten und weiterführende Hinweise danke ich Prof. Dr. Hartmut Rosenau und ganz besonders Prof. Dr. Jörg Dierken (MartinLuther-Universität Halle-Wittenberg). Für die Mitwirkung als externes Mitglied der Habilitationskommission danke ich Prof. Dr. Ralf Konersmann. Für seine anregenden Perspektiven auf Hegel, Kierkegaard und Nietzsche, die er während seiner Kieler Gastprofessur und in den Kiel-Kopenhagener Kierkegaard-Symposien aufgezeigt hat, danke ich Prof. Dr. Arne Grøn (Universität Kopenhagen). Geleitet ist die Studie, die Geschichte, Deutung und Kritik der Tod-Gottes-Idee erforscht, von der Einsicht, dass Theologie nicht an den Vorstellungen vorbeigehen kann, die sich ein Zeitalter von Gott und der Erfahrung seiner Abwesenheit macht. Zumal dann, wenn das Verständnis von Gott und die Erfahrung Gottes – beides ja Kernthemen der Theologie als „Rede von Gott“ – in der neuzeitlichen Welt bedeutungslos geworden zu sein scheinen und diese anhaltende Bedeutungslosigkeit zum Lebensgefühl der Moderne avanciert ist. Die schillernde Rede vom Tod Gottes als mehrdeutiges Krisenphänomen wahrzunehmen und zu reflektieren, gehört daher gegenwärtig zu den unabdingbaren Voraussetzungen, wenn man eine aufgeklärte Nachdenklichkeit in ,Göttlichen Dingen‘ walten lassen und die mit diesem Erfahrungsraum verbundene existenziale Fraglichkeit aushalten will, wie sie Hegel mit seiner Diagnose der Zerrissenheit der Moderne, Heine mit seinen Beschreibungen der großen europäischen Zeitverwandlungen, Nietzsche mit der Heraufkunft des Nihilismus, Heidegger mit der Seinsvergessenheit im fraglosen Zeitalter der Technik und Wolfgang Janke mit der Präzisierung der Welt diagnostiziert haben. Die Folgen einer unzureichenden Wahrnehmung und Reflexion von Genese und Bedeutung dieser Krisengeschichte zeigen die theologischen Deutungsmachtdebatten in den ,langen‘ 1960er Jahren. Zu zeigen, dass diese Konflikte in die Geschichte und Hermeneutik der Systematischen Theologie hineingehören, Krise der Normalzustand der Moderne, Eindeutigkeit in Krisensituationen

VI

Vorwort

nicht zu erzielen und mit Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität kontinuierlich zu rechnen und zu leben ist, ist Anliegen dieses Buches. Für dessen Aufnahme in die Reihe Dogmatik in der Moderne und ihr geduldiges Warten auf das Manuskript danke ich der Herausgeberin und den Herausgebern. Dass das Buch noch den Weg von Kiel über Zürich und Bielefeld nach Gießen angetreten hat, war nicht beabsichtigt, eröffnete aber die Gelegenheit, die ursprüngliche Fassung1 gründlich durchzuarbeiten und die Möglichkeit, die eine und andere Passage zu streichen,2 umzustrukturieren, zu ändern und zu ergänzen sowie zwischenzeitlich erschienene Literatur einzuarbeiten.3 Für die Buchveröffentlichung wurden der Forschungsüberblick (1.3) umgestellt und erweitert, Passagen im gesamten ersten Kapitel ergänzt und Zwischenbetrachtungen (Fazit und Ausblick) am Ende der Kapitel 2 bis 7 angefertigt. Die Kapitel 4.3, 4.4 und 6.3.5 wurden neu verfasst ebenso wie das zwölfte Kapitel als Zusammenfassung der Studie und Systematisierung der Tod-Gottes-Idee. Für die Hilfe bei den Korrekturen, die Erstellung der Druckvorlage und der Register danke ich meinem Wissenschaftlichen Mitarbeiter an der Justus-Liebig-Universität Gießen, Herrn Mag. Theol. Robert Martin Jockel, und meinen studentischen Hilfskräften Frau Maren Madeleine Adler und Frau Kimberly Vollmer. Dem Verlag Mohr Siebeck, namentlich Herrn Dr. Henning Ziebritzki, Frau Dr. Katharina Gutekunst, Herrn Markus Kirchner und Frau Ilse König, danke ich für die angenehme Zusammenarbeit. Für ihre Ermunterung, manchen Hinweis, die Begleitung durch Höhen und Tiefen des Entstehungsprozesses dieser Studie und für das gemeinsame Leben danke ich von Herzen Prof. Dr. Maike Schult (Philipps-Universität Marburg): živaja žizn’. Gießen, im November 2023 Philipp David

1 Im Laufe der Zeit sind im Zuge von Vortrags- und Publikationsanfragen Vorfassungen und Varianten von Abschnitten dieser Arbeit erschienen: PH. DAVID 2007; 2014a–c; 2016; 2017b–d; 2020; 2021a–c; 2022. Das vorliegende Buch enthält in allen seinen Teilen jedoch neue Fassungen der Kapitel und ist eine eigenständige und zusammenhängende Publikation. 2 Ausgesondert erschienen ist PH. D AVID 2017a; u. a. wurden die Abschnitte 5.2.2 und 6.2.1 erheblich gekürzt. 3 Hierzu zählen einige Einzeltitel, die bis zum Jahr 2022 erschienen sind. Besonders betreffen die Ergänzungen Kapitel 1.3 und durch das Erscheinen von W. JANKE 2016 und W. JANKE 2018 auch Abschnitt 5.3.2.



Inhaltsverzeichnis Vorwort............................................................................................................... V

Einleitungsteil: Fragestellung und Zeitsituation 1 Der Tod Gottes als Lebensgefühl der Moderne? .............................. 3 1.1 Zur Fragestellung, These und Durchführung der Arbeit ..................... 14 1.2 Zur Methode der Arbeit ........................................................................ 40 1.3 Zum Stand der Forschung: Überblick über die Rezeption der Idee vom Tode Gottes vorwiegend in der deutschsprachigen Theologie nach dem Zweiten Weltkrieg ................................................................ 45 1.3.1 1.3.2 1.3.3 1.3.4 1.3.5 1.3.6

Monographien (Dissertations- und Habilitationsschriften) und Studien .............................................................................. 47 Lexikon- und Handbuchartikel ................................................ 60 Beiträge und Berichte in Zeitschriften, Forschungsüberblicke und Einführungen ................................................... 64 Monothematische systematische Entwürfe .............................. 75 Lehrbücher der Dogmatik und Entwürfe Systematischer Theologie ........................................................ 77 Theologiegeschichtliche Darstellungen ................................. 100

1.4 Systematischer Ausgangspunkt und Begriffsklärungen ...................... 106 1.4.1 1.4.2 1.4.3

Die Moderne als gegenwärtiges Zeitalter .............................. 106 Die Sinnkrise der präzisierten Lebenswelt ............................ 128 Der Tod Gottes als epochales Lebensgefühl .......................... 133

1.5 Aufgabenstellung: Geschichte, Deutung und Kritik eines Krisenphänomens ............................................................................... 137

VIII

Inhaltsverzeichnis

Hauptteil A: Der Tod Gottes als sprachlicher Ausdruck von Sinnkrisen Teil I: Herkunft und Variationen des Motivs Tod Gottes ............. 143 2 Mythen sterbender und auferstehender Götter: Der Tod Gottes als Motiv in der Religionsgeschichte.................... 144 2.1 Erste Motivvariation: Der zerstückelte Gott (Osiris: toter Gott des Totenreichs) ................................................... 153 2.2 Zweite Motivvariation: Der Untergang der antiken Götterwelt (Plutarchs Ausspruch „Der große Pan ist tot!“) ............................... 161 2.3 Dritte Motivvariation: Der gekreuzigte Gott (Jesus Christus) .......... 173 2.4 Fazit und Ausblick: Vom variantenreichen Mythos zum präzisierten Christus ................................................................... 198

3 Das Gefühl der Gottverlorenheit als Vorahnung des Todes Gottes (Bewusstseinsdiagnostische Deutungsvarianten) ............... 200 3.1 „... un Dieu perdu“ – Das Aufkommen des schmerzlichen Gefühls der Gottverlorenheit (Blaise Pascal) ................................................. 205 3.2 Natur statt Gott: Radikaler Materialismus in der Französischen Aufklärung (Im Salon des Baron d’Holbach)..................................... 208 3.3 Um 1800 – Streit um Gott und Religionskritik (Von der Lessingzeit bis zu Hegels Erben) ......................................... 211 3.4 Von der Religion ohne Gott zur Auflösung des Gottesgedankens in den subjektiven Christusglauben (Friedrich Schleiermacher)....... 220 3.5 Fazit und Ausblick: Bewusstseinswandel – Plausibilitätsverlust des (Mono-)Theismus und Beginn des christologischen Zeitalters des Christentums ................................................................................ 246

Inhaltsverzeichnis

IX

4 Das Erlebnis des Todes Gottes als Ausdruck eines Erfahrungswandels (Literarische Deutungsvarianten) ................... 250 4.1 „... daß kein Gott sei“: Die Traumvision vom toten Christus als Dekonstruktion des christlichen Diskurses (Jean Paul) ............... 254 4.2 Jehova, Christus, Pan: Bilder vom „sterbenden Gott“ (Heinrich Heine)................................................................................. 262 4.3 „When God died I went to Sea with Ishmael ...“ – Überleben nach dem Tode Gottes auf dem offenen Meer (Herman Melville) ..... 277 4.4 Nachkriegszeit und Trümmerliteratur: Das Begräbnis des lieben Gottes (Wolfdietrich Schnurre) ................ 288 4.5 Fazit und Ausblick: Dem neuen Erfahrungsraum Sprache geben ..... 296

Teil II: Den Tod Gottes denken (Philosophische Deutungsvarianten) ................................................... 299 5 Der Tod Gottes als Deutungskategorie für die europäische Moderne und als philosophische Denkfigur ...................................... 300 5.1 Hegels und Nietzsches Diagnosen der neuen Zeit.............................. 302 5.1.1 5.1.2

Vom Gefühl zum Moment: Religion als Übergangsphänomen und Aufhebung Gottes in den Geist der Gemeinde (G. W. F. Hegel) ................................................... 305 „Gott ist todt! Gott bleibt todt! Wir Alle sind seine Mörder“ – Diagnose des „größten neueren Ereignisses“ (Friedrich Nietzsche) ............................................................. 319

5.2 Radikale Endlichkeit des Daseins ...................................................... 338 5.2.1 5.2.2

Zur Freiheit verurteilt: Atheistischer Existentialismus (Jean-Paul Sartre) ................................................................... 338 Zwischen der Flucht der Götter und der Ankunft des letzten Gottes – Zukünftiges Denken: Vom Ereignis (Martin Heidegger) ................................................................ 346

5.3 Neuansätze Philosophischer Theologie.............................................. 378

X

Inhaltsverzeichnis

5.3.1 5.3.2

Das Vonwoher radikaler Fraglichkeit: Philosophische Theologie im Schatten von Atheismus und Nihilismus (Wilhelm Weischedel) ........................................................... 379 Transzendentalkritisches, existenziales Nachfragen: Philosophische Theologie als Widerruf des Todes Gottes (Wolfgang Janke) ................................................................... 399

5.4 Fazit und Ausblick: Philosophische Theologie nach dem größten neueren Ereignis................................................................................. 416

Teil III: Den Tod Gottes denken (Theologische Deutungsvarianten)....................................................... 429 6 Der Tod Gottes als Denkfigur in der US-amerikanischen Theologie .................................................. 430 6.1 US-amerikanische Death of God Theologies in den ,langen‘ 1960er Jahren ...................................................................... 430 6.2 Das Ereignis des Todes Gottes als Anstoß für die Radical Theology .................................................................... 444 6.2.1 6.2.2

Radikale Theologie als Literaturwissenschaft (William Hamilton) ................................................................ 444 Apokalyptische Selbstaufhebung Gottes in die Welt (Thomas J. J. Altizer) ............................................................. 459

6.3 After (the Death of) God ..................................................................... 471 6.3.1 6.3.2 6.3.3 6.3.4 6.3.5

Kultivierung des komplexen Netzwerks des Lebens (Mark C. Taylor) .................................................................... 475 Perhaps – Ironische Theologie des Ereignisses (John D. Caputo) .................................................................... 499 Religiöser Atheismus als Glaube an einen objektiven Wertehimmel (Ronald Dworkin) ........................................... 506 The Second Coming of the Death of God: Ein radikaler Gegenentwurf zum religiösen Fundamentalismus ................. 516 After the Death of God the Father: Feministische Theologie jenseits des Patriarchats ................. 521

6.4 Fazit und Ausblick: Ideologiekritik kultivieren .................................. 529

Inhaltsverzeichnis

XI

7 Der Tod Gottes als Denkfigur in der deutschsprachigen Theologie ..................................................... 533 7.1 Theologia post mortem Dei? .............................................................. 533 7.1.1 7.1.2

Mit einem Umweg über England: Zur Debatte um eine nachtheistische Theologie im kulturellen Umbruch der ,langen‘ 1960er Jahre ............................................................. 538 Post Bultmann Locutum – Entmythisierung des Gottesbegriffes in Existentialbezüge (Herbert Braun) ..................... 557

7.2 Theologie und Christologie nach Auschwitz ...................................... 562 7.2.1 7.2.2 7.2.3

Der Tod Gottes als geschichtliches Ereignis und Befreiung zur Verantwortung für die Welt (Dorothee Sölle) ................. 564 „Theologie im Hören des Todesschreis Jesu“ – Der zukunftseröffnende Kreuzestod in Gott und die Passion Gottes (Jürgen Moltmann) ........................... 571 Bleibende Anfragen einer Post-Holocaust Theology ............ 578

7.3 Der Tod Gottes als trinitarische Denkfigur ....................................... 583 7.3.1 7.3.2

Christologische Heimholung des Todes Gottes (Eberhard Jüngel) ................................................................... 583 Der Tod der Gottheit Gottes als Anfang der christlichen Religion (Falk Wagner) ......................................................... 598

7.4 Fazit und Ausblick: Variantenreiche Vereindeutigungsbestrebungen ...................................................................................... 604

Hauptteil B: Systematische Perspektiven und kritische Revisionen 8 Dem Lebensgefühl der Moderne neue Reflexionsräume anbieten............................................................. 615 8.1 Auf Dauer gestellt: Krise und Kritik der Theologie ........................... 617 8.2 „Dazwischen-Lesen“: Von der bleibenden Angewiesenheit auf intellektuelle Kritik ............................................................................. 622

XII

Inhaltsverzeichnis

8.3 Radikale Fraglichkeit als existentialhermeneutisches Verfahren ...... 630

9 Der Tod Gottes als metaphorisches Ereignis: Ein Deutungsversuch ................................................................................ 639 9.1 Zum innovativen Störpotential der Metapher „Gott ist todt!“........... 639 9.2 Zur narrativen Strategie der Metapher „Gott ist todt!“ .................... 643 9.3 Die Metapher „Gott ist todt!“ als semantische Innovation ............... 646 9.4 Zwischen Verlust und Befreiung: Ambivalenzen und Irritationspotentiale aushalten............................. 651

10 Anfänglich leben: Kritische Revision des Schöpfungsgedankens ................................. 655 10.1 Zur Krise des Schöpfungsgedankens und zu seiner Transformation in religiöse Endlichkeitsreflexion ....................................................... 659 10.2 Zum Sinn des Schöpfungsgedankens .................................................. 664 10.3 „Du kannst neu anfangen!“: Überlegungen im Anschluss an die Idee der Natalität (Hannah Arendt) ........................................ 671

11 Halt in Haltungen: Ethische Perspektiven............................................................................... 688 11.1 Abschiedlich leben: Zur Haltung der Abschiedlichkeit ...................... 691 11.2 Bildung als Gabe Besonnener Anfang einer Ethik der Selbstsorge ................................ 699 11.3 Die Maßgabe der Besonnenheit als Lebensfülle ................................ 717

Inhaltsverzeichnis

XIII

Schlussteil 12 Zusammenfassung und typologische Systematisierung der Tod-Gottes-Idee ......................................................................................... 729 12.1 Zusammenfassende Betrachtung ........................................................ 730 12.2 Systematik der Deutungsmotivkreise der Tod-Gottes-Idee ................ 753 12.2.1 Die Herkunft der Tod-Gottes-Idee aus dem Gewand des Mythos ....................................................... 753 12.2.2 Präfigurationen des modernen Tod-Gottes-Phänomens ........ 756 12.2.3 Zeitdiagnostische Konkretionen des modernen Tod-Gottes-Phänomens.......................................................... 758 12.2.4 Strategien zur Überwindung des Tod-Gottes-Phänomens ..... 760 12.2.5 Strategien zur Bekämpfung der Tod-Gottes-Idee .................. 763 12.2.6 Strategien zur Integration der Tod-Gottes-Idee ..................... 766 12.2.7 Strategien des Aushaltens der Gott-ist-tot-Erfahrung ............ 767 12.3 Ausklang ............................................................................................. 771 Literaturverzeichnis ......................................................................................... 773 Personenregister .............................................................................................. 849 Sachregister ..................................................................................................... 855



Einleitungsteil: Fragestellung und Zeitsituation



1 Der Tod Gottes als Lebensgefühl der Moderne? Der Tod Gottes als Lebensgefühl der Moderne?

(1) Systematische Theologie fragt nach der Herkunft, Entwicklungsgeschichte, existentiellen Symbolik, Hermeneutik und dem maßgeblichen inhaltlichen Geltungsanspruch der zentralen Ideen des Christentums.1 Zu diesen Ideen gehört auch der Tod Gottes.2 Das mythische und metaphysische Denken kennen ebenfalls diese Idee. Diesen Gott und den Menschen essentiell wie existentiell betreffenden Gedanken hat das Christentum vorgefunden, nacheinander und teils nebeneinander eigenständig profiliert, im Laufe der neueren Geschichte vehement als logischen Widerspruch zurückgewiesen, deutungsüberbietend in die christliche Gottesrede integriert, mithin als Idee ursprünglicher und genuin christlicher Gottesrede verstanden und als Tod des metaphysischen Gottes der Philosophen, Tod der Idee des Absoluten und Tod des Gottes des Theismus gedeutet, um unter versuchtem Verzicht auf das Metaphysische das christliche Gottesverständnis als ein unabhängiges und einzigartiges abzuheben. Auch in Zum ideengeschichtlichen Ansatz vgl. J. ROHLS 2012, 1–32, bes. 2.3. Generell findet sich die verwendete Literatur mit vollständiger Angabe im Literaturverzeichnis. In den Anmerkungen werden die bibliographischen Angaben mit abgekürztem Vornamen, vollständigem Nachnamen und dem Jahr der Veröffentlichung verzeichnet. Wenn es für den Kontext wichtig ist, wird vor der aktuellen Auflage in Klammern auch die Jahreszahl der Erstveröffentlichung genannt. Bei Werkausgaben werden in der Regel der Verfassername mit Abkürzung und Bandnummer der jeweiligen Edition verzeichnet. Vollständige Titel werden, wenn es sachdienlich ist, gelegentlich im Haupttext oder in der Anmerkung genannt und sind kursiv gesetzt. Wenn ein Zitat, eine Aussage oder Paraphrase nicht unmittelbar im Anschluss durch eine Anmerkung nachgewiesen wird, ist die im Haupttext oder in der Fußnote folgende Anmerkung darauf zu beziehen. Seitenzahlen werden im Haupttext in runden Klammern genannt und beziehen sich unmittelbar auf das jeweils in den Abschnitten verhandelte Werk. Kursivierungen in den Zitaten sind, sofern nicht anders angegeben, Übernahmen aus dem Original. Bei in Petit gesetzten Zitaten, die zu Beginn der Kapitel und bei längeren Quellentextwiedergaben vorkommen, wird auf Anführungszeichen verzichtet. Fremdwörter und für den Kontext wichtige Begriffe sind kursiv gesetzt. Auf Verweise mit Seitenzahlen innerhalb des Buches wird verzichtet zugunsten von Verweisen auf Abschnitte in Klammern im Haupttext oder in den Anmerkungen. Zu Abkürzungen vgl. IATG3 2014. 2 Auch Jan Rohls rechnet den Tod Gottes zur Ideengeschichte und nimmt „auf das jüngere Phänomen einer positiven Rezeption des Gedankens“ Bezug (J. ROHLS 2014a, VIII). Die Wendung Tod Gottes wird fortlaufend ohne Anführungszeichen gebraucht. 1

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1 Einleitungsteil

der philosophischen Grundlagenreflexion des 20. Jahrhunderts haben die Erste Philosophie – die Metaphysik – und der Gottesgedanke unterdessen ihren Rang eingebüßt.3 Kritisch-philosophisches Denken hat zusammen mit seinem Letztbegründungsanspruch die Idee des Einen oder Absoluten aufgegeben; theologische Behauptungen werden als sinnlos zurückgewiesen. Dieser Bruch mit der metaphysischen und philosophischen Tradition ist fundamental, wenn man bedenkt, dass die abendländische Rationalität von Platon bis Hegel „eine Reflexionskultur im Paradigma des Monotheismus“4 ist. Lebenspraktische Stabilisierungsleistungen und existentielle Wahrheit des Mythos sind zudem positivistischer Weltsicht und historischer Kritik gewichen. Und christliche Theologie – neben dem jüdischen Monotheismus auch hervorgegangen aus der Auseinandersetzung mit diesen beiden von ihr vorgefundenen Weltdeutungsansprüchen von antikem Mythos und griechischer Metaphysik – steckt in einer tiefen Grundlagenkrise und arbeitet an der rationalen Einsichtigkeit des christlich-religiösen Orientierungswissens unter dem umfassenden Deutungsmachtanspruch des wissenschaftlichen Weltbildes und in einer unübersichtlich gewordenen krisenreichen pluralistischen Situation. Als rationale Hermeneutik und Kritik christlich-religiöser Riten, Mythen, Symbole, Texte, Ethos-Gestalten, Praxen und Diskurse ist Theologie ein Deutungs- und Reflexionsgeschehen, das selbst prinzipiell plurale Ausdrucksformen hervorbringt. Thema der vorliegenden Arbeit ist die Genese, Semantik und Kritik der in kontroversen Diskursen aufzuspürenden mythischen, metaphysischen, weltanschaulichen, wissenschaftlichen und christlichen Ideen vom Tode Gottes und ihrer mehrdeutigen und umstrittenen Verwendung vom konventionellen Atheismus bis zur (neo-)orthodoxen Dogmatik, insbesondere vor dem Hintergrund ihrer radikalen Neuformulierung in der neuzeitlichen Kultur-, Sinn- und Ideengeschichte und ihrer säkularen Rezeption. Eine umfassende Geschichte der Idee des Todes Gottes wurde in der evangelischen Theologie bislang nicht vorgelegt.5 Das soll hier in wesentlichen Grundlinien geschehen, um die Breite der Deutungsansätze darzustellen. Natürlich kann es trotz der Fülle des verarbeiteten Materials nicht auf Vollständigkeit ankommen, sondern nur auf exemplarische Tiefenbohrungen und Pointierungen in Auseinandersetzung mit Vgl. J. HABERMAS 1988, 35 sowie J. HABERMAS (1971) 2009a, bes. 48; 50.51. TH. RENTSCH 2005, 5. 5 In Ansätzen haben vor etwa einem halben Jahrhundert unter dem Bann der zeitgeschichtlichen Ereignisse der 1960er Jahre und unter der Prämisse, dass der Tod Gottes ein genuin christologischer (Gottes-)Gedanke sei, H. THIELICKE 1968, 325–379 („Zur Geschichte der Idee des Todes Gottes“) und E. JÜNGEL (1977) 1986, 55–137 („Die Rede vom Tode Gottes als Ausdruck der Aporie des neuzeitlichen Gottesgedankens“) einen geschichtlichen Überblick zur Idee vom Tode Gottes im Rahmen ihrer dogmatischen Hauptwerke skizziert. Eine gewisse wirkungsgeschichtliche Resonanz erreichte jedoch nur Jüngels Entwurf. Vgl. jetzt auch aus katholischer Feder die Studie The Death of God. An Investigation into the History of the Western Concept of God (F. DEPOORTERE 2008). 3 4

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ausgewählten Ansätzen und Konstellationen. Vor dem Hintergrund dieser Interpretationsbreite stehen die Positionen evangelischer Theologie im Fokus, deren Ansätze im Kulturumbruch der „,langen‘ 1960er Jahre“ (Arthur Marwick) ihre wesentliche Prägung erhalten haben. Die historischen und systematischen Analysen werden im Verlauf ihrer Durchführung zeigen, dass die Idee des Todes Gottes ein Phänomen ist, das besonders in krisenhaften Zeiten der Geschichte als lebensweltliche Erfahrung relevant wird und sprachlichen Ausdruck findet.6 Um diese Idee als Krisenphänomen freizulegen, sollen die religions- und kulturgeschichtlichen Phänomene gedeutet, darunterliegende Gestimmtheiten freigelegt und theologische Vereinseitigungen und Vereindeutigungen sowie christologische Vereinnahmungen aufgedeckt und auch die religiös-weltanschaulichen Diskursformationen gezeigt werden, in denen die Idee vom Tode Gottes nicht nur in der Moderne, sondern bereits in der Antike, im Alten Orient und Alten Ägypten im Mythos vom leidenden, sterbenden und (wieder-)auflebenden Gott Verwendung findet. Die Idee des Todes Gottes als Krisenphänomen und Resultat einer langen Entwicklung kommt sodann in der Moderne zunächst als „Gott-ist-totErfahrung“ im Gewande des „Nihilismus“ Einzelner, poetisch in der Romantik bei Ludwig Tieck, Jean Paul und Friedrich Hölderlin, dann bei Heinrich Heine und Charles Baudelaire sowie philosophisch bei Hegel und Nietzsche, schließlich allgemein ab den 1960er Jahren als verbreitetes Lebensgefühl zum Ausdruck, das im 20. und 21. Jahrhundert changiert zwischen der lebensweltlichen Bedeutungslosigkeit Gottes, einer sich verbreitenden religiösen Indifferenz und einem facettenreichen globalen Fundamentalismus, in dem aggressive Gottesvorstellungen und „heilige Einfalt“ gegenwärtig „fröhliche Urständ“ feiern.7 Unsere heutige Situation in der westlichen, nordatlantischen Welt ist „das Ergebnis einer weiteren Entwicklung, die sich auf die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg und genauer auf die 1960er Jahre und deren Nachwehen datieren läßt.“8 In den ,langen‘ 1960er Jahren wird die Formel vom Tode Gottes viel6 Diese Beobachtung nimmt die Studie im Folgenden mit Wolfgangs Jankes systematischer Leitidee der „präzisierten Welt“ auf. Vgl. W. JANKE 1999a und W. JANKE 2011. 7 Vgl. O. R OY 2010. 8 C H. TAYLOR (2007) 2009, 728: „In diesem Rahmen wurden die Konstruktionen des neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhundert, mit denen man auf das frühere Scheitern reagiert hatte, ihrerseits im Zuge einer Entwicklung untergraben, die sich nur als ziemlich ansehnliche Kulturrevolution beschreiben läßt.“ Die große Frage seiner Erzählung der Moderne der nordatlantischen Welt, die mit seiner Erzählung vom Aufstieg der säkularen Option ein anderes Bild als die „Standardtheorie der Säkularisierung“ (a. a. O., 727) zeichnet – „Die Zivilisation der Neuzeit könne gar nicht umhin, den ,Tod Gottes‘ herbeizuführen.“ (A. a. O., 46; vgl. 712.713: Der kanadische katholische Sozialphilosoph Charles Taylor [*1931] meint damit die „übliche Theorie [...,] wonach die Wissenschaft die Religion widerlegt und deshalb zum Verschwinden gebracht hat“) –, lautet: Was ist mit dem religiösen Bewusstsein zwischen 1500 und heute geschehen, dass Gott seinen festen Platz im natur-

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fach und auf verschiedene Weise verwendet. Auch wenn die Proklamation des Todes Gottes heute nicht mehr den Schreckenscharakter wie in vergangenen Zeiten haben dürfte, ja, „[d]ie Suche nach dem verlorenen Gott [...] historisch geworden“9 zu sein scheint, hat „Gottes Tod, der für so viele Menschen unserer säkularisierten Gesellschaft ein Faktum darstellt, [...] ein Sinnvakuum hinterlassen.“10 Der Hinweis auf die existenzielle Gestimmtheit unseres „Zeitalter[s] des Nihilismus“11 bringt nicht zuletzt die programmatische Verbindungslinie des vorliegenden Buches zu einem kritisch verfahrenden existenzialhermeneutischen Ansatz zum Vorschein, der weder die Erfahrung und Idee des Todes Gottes zurückzuweisen noch sie sich einzuverleiben sucht, sondern nach anderen Wegen des Umgangs mit diesem Phänomen und des Aushaltens dieser Erfahrung Ausschau hält. Dazu gehört zuerst die Rekonstruktion der Geschichte des Krisenphänomens und seiner Deutungen, bevor systematische Folgerungen daraus gezogen werden können. Diese kurze konzeptionelle Skizze drängt zur genaueren Explikation des systematischen Ausgangspunkts, zu Begriffsklärungen und zur Fragestellung und These, zur Methode und zum Aufbau, zum Forschungsstand und -auftrag in der Einleitung, zunächst jedoch zu einer ersten Erhellung der Situation der Frage nach Gott in der Moderne, dem Zeitalter von Wissenschaft, Technik und Demokratie. (2) Zum Phänomen der Moderne gehören einschneidende Veränderungen wie der neuzeitliche Rationalisierungsprozess in der okzidentalen Kultur, den Max Weber als fortschreitende „Entzauberung der Welt“ beschrieben und in Zusammenhang mit dem Christentum, präziser mit dem asketischen Protestantismus des Puritanismus, gebracht hat. Für diesen Prozess, der vom „Glauben daran [bestimmt ist,] daß man [...] alle Dinge [...] durch Berechnen beherrschen könne“12, wurde in der Folgezeit der vielfältig verwendete Begriff der Säkularisierung geprägt.13 Mit der Säkularisierung religiöser Gehalte zu Beginn der

wissenschaftlichen Kosmos, im gesellschaftlichen Gefüge und in der alltäglichen Lebenswelt der Menschen verloren hat? (vgl. a. a. O., 47.48; Teil I–IV). 9 B. H ILLEBRAND 1991, 57. 10 E. B ROCK 2015, 4. 11 E. B ROCK 2015, 4; zu den Kennzeichen vgl. a. a. O., 1–58; 387–417; vgl. auch H.-J. GAWOLL 1989, 18.19: „Von Nihilismus ist immer dann die Rede, wenn eine bislang gültige, metaphysische Ausdeutung der Wirklichkeit in eine Krise gerät oder wenn das Ende der Metaphysik erklärt wird, so daß eine Reflexion auf den ontologischen Staus der Welt, die den Ort von Sinnbezügen des menschlichen Lebens bildet, notwendig erscheint.“ 12 M. W EBER 1919, 19. Dass die Formel von der Säkularisierung als „Entzauberung der Welt“, die Weber von Friedrich Schiller übernommen hat, umstritten ist, zeigen z. B. J. LAUSTER 2014b und H. JOAS 2017. 13 Zum Begriff Säkularisation, Säkularisierung vgl. W. C ONZE/H. W. STRÄTZE/H. ZABEL 1984; das vielfältige Material zu dieser Sache versammeln jetzt: CH. FREY/U. HEBEKUS/D. MARTYN 2020; vgl. auch Abschnitt 5.1.1 zu Hegel in diesem Buch.

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Neuzeit und ihrer säkularisierten Verwendung wird das Verhältnis von Christentum und Neuzeit zum Problem. Aus dem Christentum kommt die neuzeitliche Lebenswelt zwar her, aber gleichzeitig emanzipiert sich diese Lebenswelt laut dieser These von ihrer Herkunft, insbesondere von ihrer institutionell verfassten Kirchlichkeit.14 Mit der Säkularisierung war dann auch die These verbunden, dass zwischen der fortschreitenden Modernisierung der Gesellschaft und dem sich weiter ausbreitenden säkularen Bewusstsein der Bevölkerung ein enger Zusammenhang besteht, der zu einer Auflösung der Religion führt. Dahinter stecken zumeist drei Annahmen15: Mit dem wissenschaftlich-technischen Fortschritt sei ein anthropozentrisches und damit ein „entzaubertes“ Weltbild verbunden; Kirchen und Religionsgemeinschaften verlören im Zuge der funktionalen Ausdifferenzierung gesellschaftlicher Subsysteme den Zugriff auf Recht, Politik und öffentliche Wohlfahrt, Kultur, Erziehung und Wissenschaft, womit Religionsausübung zur Privatsache werde; die Entwicklung von der agrarischen zu industriellen und postindustriellen Gesellschaften führe zu einem größeren Wohlstand, zunehmender sozialer Sicherheit und zur Entlastung von Lebensrisiken, was wiederum zu einer wachsenden existentiellen Sicherheit und dadurch zu einem Schwinden von kommunikativen Kontingenzbewältigungspraxen mit jenseitigen oder kosmischen Mächten führe. So haben sich tatsächlich „in den europäischen Wohlstandsgesellschaften ebenso wie in Kanada, Australien und Neuseeland die religiösen Bindungen der Bürger erst allmählich, seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs drastisch gelockert.“16 Auch wenn die Säkularisierungsthese im Blick auf das von ihr prognostizierte Ende der Religion aufgrund einer „weltweiten resurgence of religion“17 inzwischen als umstritten bzw. verfehlt gilt, sind nicht alle Beobachtungen, die sie betont, über Bord zu werfen. So ist wohl kaum zu bestreiten, dass „[m]oderne Gesellschaften westlicher Prägung [...] durch eine Schrumpfung einheitlicher und überschaubarer Sinn- und Legitimationssysteme, ihrer bis dahin bewährten Grundlagen geteilten Wissens und gemeinsamer Orientierung, gekennzeichnet“18 sind.

14 Knapp zusammengefasst hat die Debatte über die „Legitimität der Neuzeit“ (Hans Blumenberg) mit Blick auf M. Weber, E. Troeltsch, R. Bultmann, F. Gogarten sowie H. Lübbe, R. Spaemann und D. Henrich J. ROHLS 1987, 612–616; vgl. auch W. PANNENBERG 1971, 114–128 (Die christliche Legitimität der Neuzeit. Gedanken zu einem Buch von Hans Blumenberg; 1968); ferner W. PANNENBERG 1988c; T. RENDTORFF 1991, 201–233; F. W. GRAF 2003; U. BARTH 2003, 132 ff.; jetzt auch H. DREIER 2018, 35–47. 15 Vgl. zum Folgenden J. H ABERMAS 2009b, 387–394. 16 J. H ABERMAS 2009b, 388. 17 J. H ABERMAS 2009b, 388. 18 H.-G. SOEFFNER 2011, 399; vgl. H.-G. SOEFFNER 2000; vgl. dazu bereits The Invisible Religion: TH. LUCKMANN (am. 1967) 1991.

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Von der Pluralisierung religiöser (Nicht-)Zugehörigkeit und „schwindende[r] Überzeugungskraft“19 traditioneller Sinnpotentiale nicht ausgenommen ist das Christentum, das eng mit dem Glauben an den personalen Gott des (Mono-)Theismus verbunden ist.20 In den theologischen Debatten des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts herrschte noch ein bindungsstarker „universaler Theismus“21, der ein geteiltes Wissen und eine gemeinsame Orientierung war. Es war selbstverständlich, buchstäblich an einen existierenden Gott (im Sinne einer theologia naturalis) zu glauben, der als eine außerweltliche Person vorgestellt wurde, „die unkörperlich, ewig, allwissend, allmächtig, vollkommen gut und Schöpfer der Welt ist“22, während dagegen Christus und die Christologie kritisch hinterfragt wurden. Doch mit dem Eintritt in die Neuzeit verliert die zentrale metaphysische Gottesvorstellung des klassischen Theismus, die für die religiöse Entwicklung der Menschheit und als geistiger und kultureller Raum des jüdisch-christlich-islamischen Monotheismus23 von zentraler Bedeutung gewesen ist, an Plausibilität, auch in der Theologie und Philosophie.24 J. RÜSEN 2011, 539. Vgl. R. SCHÄFER 1973, 63; H. OTT 1969, 5–8; 13–29 (mit Bezügen zur „,Theologie nach dem Tode Gottes‘“); ferner die Beiträge in: W. HÄRLE/R. PREUL 2007; vgl. auch F. V. KUTSCHERA 2000, 193–226. Die global schnell wachsende Pfingstbewegung betont das Wirken des Gottesgeistes, den wörtlichen Bibelglauben sowie rigide Moralvorstellungen und befördert eine entinstitutionalisierte und unaufgeklärte Form des Christentums, die aber durch ihre Verwurzelung im mythischen und vorwissenschaftlichen Denken „die Krise noch vor sich hat“ (F. V. KUTSCHERA 2008, 8). 21 Die Entstehung des Theismus als philosophische Theorie war in der britischen und französischen Aufklärung im 17. Jahrhundert eine Reaktion gegen den aufkommenden Atheismus und Deismus. Vgl. zu Begriff, Geschichte und Problemen des Theismus die Überblicke von I. U. DALFERTH 2002 und U. DIERSE 1998. 22 F. V. K UTSCHERA 1991, 43. 23 Mit seiner Studie Moses der Ägypter (J. A SSMANN [engl. 1997/dt. 1998] 2001) hat der Heidelberger Ägyptologe und Kulturwissenschaftler Jan Assmann eine bis heute anhaltende Kontroverse um die monotheistischen Gottesvorstellungen in den Religionen des westlichen Kulturraums und ihr inhärentes Gewaltpotential angestoßen, in der sich Vertreter aus Theologie, Literatur, Philosophie und Kulturwissenschaften zu Wort gemeldet haben. Nichts weniger als „ein paar Selbstverständlichkeiten der christlichen Theologie [standen bzw. stehen; d. A.] auf der Agenda.“ (K. MÜLLER 2006, 16). Vgl. die Beiträge von Rolf Rendtorff, Erich Zenger, Klaus Koch, Gerhard Kaiser und Karl-Josef Kuschel in: J. ASSMANN 2003b, 193– 286; die Beiträge in: R. SCHIEDER 2014; ferner U. BECK 2008; die Beiträge in: P. WALTER 2011 sowie B. JANOWSKI 2013, 89–116. 24 Genau genommen ist das Ringen um die christliche Gottesvorstellung christentumsund theologiegeschichtlich nicht neu, sondern gehört seit den Anfängen der christlichen Religion zu ihren Kennzeichen. Das Bekenntnis zu Jesus Christus sollte nicht als Bekenntnis zu einem zweiten Gott neben dem einzigen jüdischen Gott verstanden werden. Die Umformungskrise des Gottesverständnisses mit Hilfe der Formulierung der Lehren von der Dreieinigkeit und der christologischen Zwei-Naturen-Lehre in Aufnahme antiker Philosophien und Weltanschauungen bestimmten die theologischen Auseinandersetzungen in der Alten 19 20

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In der Philosophie wird in der Rede vom Tode Gottes ein „Grundzug unseres Zeitalters“25 erkannt. Atheistische Philosophien wie der Existentialismus JeanPaul Sartres oder Martin Heideggers nachmetaphysische Existenzialanalytik stehen für ein Philosophieren nach Nietzsches Proklamation des Todes Gottes und dem Ende der (hegelschen) Metaphysik als Onto-theo-logie,26 entwickeln gleichwohl einen anderen Typ von Metaphysik, wie z. B. Sartre, der eine phänomenologischen Ontologie vorlegt.27 Als Lebensgefühl drückte sich diese Ansicht literarisch verarbeitet beim französisch-algerischen Schriftsteller Albert Camus (1913–1960) aus, wodurch er zum „Mann [wurde], der uns Gott nahm“28 und an nichts glaubte. Auch Phänomenologie, metaphysikkritische Sprachphilosophie, analytische und hermeneutische Philosophie sowie die gesellschaftsorientierte Philosophie der Kritischen Theorie sehen von der Rede vom Absoluten ab. In nachmetaphysischen Entwürfen einer Philosophischen Theologie wird die Reichweite der Denkfigur des Todes Gottes jedoch wieder hinterfragt, aber es wird nicht einfach hinter dieses Phänomen zurückgegangen, wenn die Frage nach dem Sein und nach Gott neu gestellt wird vor dem Hintergrund der Erfahrungen des ausgehenden 19. und extremen 20. Jahrhunderts.29 So prägten im 19. Jahrhundert aufkommende religionsfeindliche Weltanschauungen wie der Marxismus als marxistisch-leninistischer Kommunismus und Stalinismus in ihren politischen Diktaturen im 20. Jahrhundert nicht nur die Menschen im Osten Europas und in Russland, sondern in Abgrenzung oder Anziehung auch die Menschen im Westen, insbesondere auch die 1968erBewegung. Nicht nur das politische Denken der Sozialisten und Kommunisten ist schließlich vor dem Hintergrund des Ersten Weltkriegs zu verstehen, sondern auch das der Faschisten und Nationalsozialisten, was die Zwischenkriegszeit zu einer „,Phase von Experimenten jeglicher Art‘“ machen sollte, deren Nachwirkungen auch in einem demokratisierten Europa bis heute anhalten.30 Kirche und die Modifikationen im Mittelalter sowie im 19. Jahrhundert. Vgl. dazu W. TRILLHAAS 1972, V.VI; 97–132; W. PANNENBERG 1996, 37–128; R. LEONHARDT 2009, 200–238; sowie G. WENZ 2007; 2011a; 2011b; L. MCCULLOUGH 2018. U. BARTH 2021, 74, spricht vorsichtig von einem „unpathetischen Theismus“. 25 W. W EISCHEDEL 2013, I, XIX. 26 Vgl. M. H EIDEGGER, GA 11, 31–67 (Die onto-theo-logische Verfassung der Metaphysik). Vgl. Kapitel 5.2.2 in diesem Buch. 27 Vgl. dazu Kapitel 5.2.1 in diesem Buch. 28 „Der Mann, der uns Gott nahm“. So betitelte die Wochenzeitung Die Zeit zum 100. Geburtstag des Schriftstellers ihre Ausgabe vom 17. Oktober 2013 Nr. 43, 1. Im FeuilletonArtikel von Iris Radisch wird dieser Titel allerdings nicht wieder aufgenommen (I. RADISCH 2013b; vgl. I. RADISCH 2013a). Vgl. zur Rezeption Nietzsches bei Camus in Der Mythos vom Sisyphos (frz. 1942) und Der Mensch in der Revolte (frz. 1951) E. BROCK 2015, 34–41. 29 Vgl. die knappe Skizze bei TH. R ENTSCH 2005, 201–206. 30 So im Anschluss an Paul Ricœur J.-W. M ÜLLER (am. 2011; dt. 2013) 2018, 85–154; zum Faschismus und Nationalsozialismus vgl. a. a. O., 155–210; vgl. zur kommunistischen

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In der Theologie wurde in dieser Zeit die Rede von Gott, dem Allmächtigen in Frage gestellt. Den neuen Herausforderungen versuchte auch die deutschsprachige evangelische Theologie mit ihren Beiträgen zur Rede von Gott und der aktuellen Geltung der Gottesrede gerecht zu werden. Das geschah in einem Variantenreichtum: Man trat dafür ein, „Gott über die Religion wieder hoffähig [zu] machen“31; manche suchten Gott als Gegenstand von der religiösen Erfahrung her zu deuten, andere suchten ihn als transzendentale Idealbildung einer religiösen Anlage im Menschen zu fassen.32 Wieder andere meinten, zuerst die Existenz Gottes beweisen zu müssen, um dann rational von Gott sprechen zu können. Es hieß aber auch, dass man nur von Gott sprechen könne, wenn man von der Existenz des Menschen spreche. In Abgrenzung von all diesen Versuchen, von Gott zu reden, behaupteten wieder andere, von Gott könne man nur reden, wenn man unmittelbar bei der biblischen Gottesrede und seiner Offenbarung einsetzt. Hernach sollte sich der Gedanke, dass Christus uns nahe bleibe, weil in ihm der leidende, ohnmächtige Gott erscheine, der sowohl Gott wie uns selbst in unseren Leiden vertrete, zu einem vieldiskutierten Paradigma in der Theologie des 20. Jahrhunderts entwickeln. Schließlich führte diese Entwicklung zu einer neuen Auseinandersetzung mit den altkirchlichen trinitarischen und christologischen Dogmen und damit zu einer „Renaissance der Trinitätslehre“ und zur vertieften Problematisierung des Verhältnisses von historischem Jesus und dogmatischem Christus. Gegenwärtig werden einflussreiche Programmatiken subjekttheoretischer Begründungsmodelle der Theologie sowie offenbarungstheologischer Metaphorologie und religionstheologischer Symboltheorie diskutiert, aber auch Rückwege zum (klassischen) Theismus und zu einem (vormodernen) Collegium Metaphysicum eingeschlagen.33 Diese Gemengelage führte in der evangelischen Theologie des 20. Jahrhunderts zu einigen Verwerfungen und wechselseitigen Vorwürfen, das Thema „Gott“ im Grunde verfehlt zu haben. Sie führte eine solchermaßen ausgerichtete Theologie dazu, sich den atheistischen Anfragen nicht ernsthaft zu stellen, sondern sich diese Kritik durch kühne Einverleibung oder ignorante Selbstbeschäftigung vom Leib zu halten, was im Grunde mit zu einem Faktor wurde, die eigene Glaubwürdigkeitskrise zu vertiefen. Es ist zwar ein Anfang, reicht aber vermutlich nicht aus, wenn man sagt: „Wer heute von Gott reden, über Gott nachdenken will, muß sich über eines klar sein: Gott ist in unserem ZeitReligionskritik den Ausstellungskatalog „Es gibt keinen Gott!“ Kirche und Religion in sowjetischen Plakaten (K. RUNGE/A. TROFIMOV 2015). 31 N. SLENCZKA 2008. 32 Religion, nicht Gott, Evangelium oder Glaube, fungiert hier als Leitbegriff in Theologien, die sich Schleiermacher, Troeltsch und auch Tillich in ihren (neuprotestantischen) Religionstheorien verbunden fühlen und damit den Gedanken der Umformungskrise und des historischen Bewusstseins in die dogmatische Theologie zurückführen. 33 Vgl. D. EVERS 2015. Einen gewissen Einfluss haben auch die analytische, feministische, transzendentale und liberale Theologie.

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alter frag-würdig geworden.“34 Denn in der modernen Zeit der Wissenschaft, der Technik, der Industrialisierung, des Versicherungswesens, der funktionalen Ausdifferenzierung der Gesellschaft, der Globalisierung und nun der Digitalisierung „scheint sich der Zweifel an Gottes Leben geradezu zu erledigen“35, weil „ein Glaube an Gott vielen Menschen heute offenbar nicht mehr zugänglich ist“36 und „die Gottlosigkeit für zahlreiche Zeitgenossen ihre selbstverständliche Signatur ist.“37 Der Monotheismus ist gesellschaftlich inzwischen sogar zu einem ernsthaften Problem geworden. Dabei liegt die „Schwierigkeit [...] nicht so sehr in der Annahme einer transzendenten göttlichen Wirklichkeit als in ihrer Personalität“38. Mit diesem anhaltenden Plausibilitätsverlust einher geht ein verbreitetes „kulturelle[s] Unbehagen an den monotheistischen Religionen, das sich schon länger unterschwellig ausbreitete und dann durch den 11.9.2001 schlagartig zu einem zentralen Debattenthema aufrückte“39, welches, fokussiert auf den religiös inspirierten Terror, den destruktiven Zusammenhang von Monotheismus und Gewalt herauszustellen sucht. (3) Hinter dieser Entwicklung der Kritik und des fortschreitenden Sinnverlustes des theistischen Gottesglaubens verbirgt sich, so die grundlegende These dieser Arbeit, eine freizulegende existentielle Grundgestimmtheit des gegenwärtigen pluralistischen Zeitalters, die zugespitzt in Friedrich Nietzsches berühmtem Satz „Gott ist todt!“40 aus dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts zum Ausdruck kommt. Die Erfahrungen von unvorstellbaren Grausamkeiten, die auch mit den Deutungen der Gottesferne, der Verborgenheit oder Abwesenheit Gottes und seines Schweigens in Verbindung gebracht wurden, sind nicht allein, aber besonders im 20. Jahrhundert, eine wesentliche Ursache dafür, die den Tod Gottes zu einem Symbol der Zeitgeschichte werden ließen. Die Wahrnehmung und Beschreibung des Wortes vom Tod Gottes als ein vielsagendes wie umstrittenes existentielles Krisenphänomen wahrzunehmen, heißt, theologische, philosophische und literarische Texte durch diese hermeneutische Brille zu lesen und einen radikalen theologischen U-Turn zu vollziehen. Erhellend ist dementsprechend die Funktion der Idee vom Tode Gottes als eine Deutungskategorie, die nicht nur den theologischen und mythologischen sowie den theologischen und metaphysischen, sondern auch den säkularen und religiösen Diskurs miteinander verschränkt. Nietzsches Diagnose des „grös-

H. OTT 1971, 17. K. STOCK 2011, 67. 36 F. V. K UTSCHERA 2008, 128. 37 K. STOCK 2011, 68. 38 F. V. K UTSCHERA 2000, 196. 39 K. M ÜLLER 2006, 20. Zehn Jahre später möchte man das Debattenthema gerne verabschieden. Vgl. CH. SCHWÖBEL 2013, 11.12. 40 F. N IETZSCHE, KSA 3, 481. 34 35

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ste[n] neuere[n] Ereigniss[es], – dass ,Gott todt ist‘“41, ist für die Grundgestimmtheit und Diskursverschränkung wie keine andere zur „Kennmarke der Gegenwart“42 geworden, die sich „tief ins Bewußtsein der Nachwelt eingeschrieben“43 hat. Einher mit der Sinnkrise geht der Plausibilitätsverlust theistischer Gottesvorstellungen, der nicht über Nacht aufgetreten ist, sondern sich über die Zeiten hinweg lange angekündigt hat, verborgen und offen ausgeprägt und vielgestaltig fortwirkend. Anders ausgedrückt: Der Tod Gottes ist eine theologische und säkulare Deutungsfigur, mit der das Lebensgefühl der Moderne zu fassen versucht wird. Er ist Ausdruck dessen, was alle Lebensbereiche existentiell bewusst oder unbewusst durchstimmt, damit auch das mythischpoetische Sagen und metaphysisch-philosophische Fragen durchdringt. Damit meint diese Deutung etwas anderes als die fortschreitende Säkularisierung oder die Ankündigung eines postsäkularen Zeitalters mit einer neuen Aufmerksamkeit für das Religiöse. Sie meint eine tieferliegende existentielle „Sinnkrise des gegenwärtigen Zeitalters“44, die es zu analysieren und zu verstehen gilt, und die hinter der gegenwärtigen pluralistischen Situation von religiöser Indifferenz bis zum religiösen Fundamentalismus gleichermaßen liegt, wie auch hinter vielfältigen Entfremdungsprozessen von traditionellen Überzeugungen durch die Modernisierung gesellschaftlicher Strukturen, sozialer Beziehungsgeflechte und hinter der kulturellen Pluralisierung. In beiden Extremen der gegenwärtig religiös unübersichtlichen Lage wird leichtfertig mit dem Reden von Gott umgegangen. Religiöser Fundamentalismus in allen seinen Facetten redet leichtfertig von Gott, während religiöser Indifferentismus das Reden von Gott leichtfertigerweise vergessen hat. Eine Mitte, die besonnen Mehrdeutigkeiten, radikale Infragestellung und krisenhafte Schwebezustände aushalten kann und kritisch reflektiert, scheint nicht mehr ausgelotet werden zu können. Um diese Mitte zu beleben, eignet sich nun paradoxerweise in ausgezeichneter Weise das subversive Deutungsangebot Tod Gottes, das in seiner mythischen, religiösen, literarischen, soziologischen, metaphysischen, atheistischen, philosophischen und theologischen Pluralität der Deutungen ernst genommen und rekonstruiert werden soll. (4) Diese angerissenen Krisenphänomene und Transformationsprozesse werden in diesem Buch mit dem variantenreichen Begriff Tod Gottes als Nachbeben von Nietzsches Diagnose der Moderne gedeutet und im Modus einer sich bereits vor Nietzsche ankündigenden Veränderung und Verabschiedung F. NIETZSCHE, KSA 3, 573. R. SCHÄFER (1970) 1972, 39.40. 43 E. B ISER 1998, 1242. 44 W. JANKE 2011; vgl. H. E. R ICHTER 1979, der psychoanalytisch das Unbewusste des Zeitgeistes, das sich in neuzeitlichen Philosophien ausdrückt, aufspüren will. Der Mensch habe in seiner Flucht aus der im Mittelalter erfahrenen Ohnmacht den Anspruch auf eine gottgleiche Hoheit und Allmacht erhoben. Die Überwindung des Gottkomplexes werde zur Grunderfahrung der Gesellschaft (a. a. O., 31). 41 42

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von überkommenen Gottesvorstellungen bis in die Nachwirkungen der ,langen‘ 1960er Jahre hinein beschrieben. Dadurch erhellen sich Sinn und Bedeutung dieser Denkfigur, die sich zugleich selber als eine Verschränkungsfigur zeigt, die in sich vermeintlich Widersprüchliches, nämlich Gott und Tod, miteinander verbindet. Ziel der Arbeit ist es, die diagnostische und philosophischtheologische Kraft der Deutungsfigur Tod Gottes gleichermaßen herauszuarbeiten und mittels dieses ,radical‘ theological turns ihre variantenreiche Mehrdeutigkeit gelten zu lassen. Kultur- und religionshermeneutische, literarische, mythische, philosophische und theologische Deutungsangebote erhellen sich wechselseitig. Diese ambiguitätssensible Deutung soll nicht nur dazu verhelfen, die gegenwärtige Krise des religiösen Existenzialismus in ihrem zeitgeschichtlichen Kontext mittels wahrnehmender Analyse, Kritik und Restitution45 zu beschreiben und zu verstehen, sondern auch ein leichtfertiges Reden bzw. Nicht-mehr-Reden von Gott angesichts neuzeitlicher positivistischer Bestreitung, einfältiger fundamentalistischer Remythisierungstendenzen und vermeintlich vernünftiger Reanimationsversuche eines vormodernen metaphysischen Theismus in Theologie und Philosophie, Religion und Kirche durch Einüben radikalen Fragens zu entdecken und zu vermeiden helfen. Um den allmählichen Prozess der Verabschiedung zu plausibilisieren, werden die wesentlichen Etappen der neueren Verabschiedungsgeschichte des Gottesgedankens auf diese Frage hin untersucht. Die Deutungsfigur Tod Gottes vermag aber, wie bereits gesagt, auch noch etwas anderes zu leisten. Sie verschränkt den religiösen mit dem säkularen und den säkularen mit dem religiösen Diskurs, die säkulare Gotteskritik der Moderne mit den philosophisch-theologischen Versuchen, Gott zu denken. Damit trägt sie zur Pluralismusfähigkeit beider Diskurse bei und trägt die kulturhermeneutische Perspektive in die theologische Reflexion der Denkfigur Tod Gottes ein. Nicht zuletzt zeigt auch die Figur Tod Gottes noch einmal auf andere Weise den begriffsgeschichtlichen Ursprung der Theologie und die spannungsreiche Verortung der Theologie zwischen Mythologie und Metaphysik46 sowie die „kulturelle Zwitterstellung“, die dem traditionellen Gottesgedanken im das Abendland bestimmenden Verhältnis von Platonismus und Christentum zu eigen geworden ist, wenn sich Philosophie und Theologie beide um die Reflexion des Gottesgedankens bemühen und der philosophischen Theologie nunVgl. dazu W. JANKE 2014. „Indem der christliche Glaube zu seiner denkenden Verantwortung sich auf den Gebrauch des Wortes ,Theologie‘ einließ, hat er sich damit zugleich auf eine Fragestellung eingelassen, die seine Theologie zwischen Mythologie und Metaphysik stellt und mit beiden kritisch verbunden sein lässt“ (O. BAYER 1994, 20; vgl. zum Theologiebegriff 20–27; zur Geschichte und zur Verwendung des Theologiebegriffs vgl. auch K. STOCK u. a. 2001; zur hermeneutischen Theologie zwischen Mythos und Metaphysik vgl. U. H. J. KÖRTNER 2014). Anders sieht es Ingolf U. Dalferth, der mit der christologischen Transformation der Theologie diese „jenseits von Mythos und Logos“ ansiedelt (I. U. DALFERTH 1993). 45 46

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mehr nach der kantschen Fundamentalkritik der vormodernen Metaphysik die Aufgabe zufällt, zwischen Religion und Gottesgedanken zu vermitteln.47 Theologie ist auch im modernen Zeitalter der Wissenschaft an den spannungsvollen Ort zwischen Mythos-Deutung und (philosophisch-)mythenkritischer Metaphysik verwiesen, mit ihnen kritisch verbunden und ständig herausgefordert, sich von beiden – mythenkritisch und metaphysikkritisch – zu unterscheiden, ohne von den Wahrheitsansprüchen des Mythos und der Metaphysik einfach absehen zu können, sofern diese nach vernünftiger Einsicht in die ,Göttlichen Dinge‘ fragen. Mythologie und Poesie, Religion und Kunst, Philosophie und Theologie suchen aus ihren Perspektiven nach Deutungen des ihnen gemeinsamen Motivs Gott und des Phänomens Tod Gottes.

1.1 Zur Fragestellung, These und Durchführung der Arbeit 1.1 Zur Fragestellung, These und Durchführung der Arbeit

(1) Der „Streit um Gott“48 ist bereits vor über 200 Jahren entfacht worden durch eine angebliche Äußerung von Gotthold Ephraim Lessing (1729–1781) auf seinem Sterbebett: „Die orthodoxen Begriffe von der Gottheit sind nicht mehr für mich; ich kann sie nicht genießen. ἓν ϰαὶ πᾶν! Ich weiß nichts anders.“49 Diese Lessing von Friedrich Heinrich Jacobi (1743–1819) in den Mund gelegte Formel zeigt „einen grundlegenden Plausibilitätsverlust des überlieferten christlichen Gottesgedankens und seiner lehrmäßigen Bestimmungen unter den Gebildeten des späten 18. Jahrhunderts“50 an. Zum Hintergrund der Kritik am Theismus gehört auch David Humes grundlegender Hinweis auf den Anthropomorphismus der Gottesvorstellungen, womit er die modernen Anstrengungen in Gang setzte, Gott den Totenschein auszustellen51: Der „reine Theismus“ biete „zwar die trostvolle Einsicht, daß die Welt [und die Geschöpfe] von einem weisen, guten und verständigen Gott geschaffen ist und gelenkt wird, muß sich aber fragen lassen, ob er der Gottheit nicht menschliche Eigenschaften beilege und damit den Unterschied zwischen dieser und dem Menschen nicht

47 Dem traditionellen Gottesbegriff sei, so Ulrich Barth, eine „kulturelle Zwitterstellung“ eigen, denn er gehöre als abstrakter Gedanke zum klassischen Themenbereich der Philosophie und als konkrete Vorstellung habe er seinen Ort in der realen Welt der Religion. Aufgabe der wissenschaftlichen Theologie sei angesichts vielfältiger Bemühungen in der Geschichte, die Verschränkung der heterogenen Aspekte zu erreichen, den Begriff der Religion mit der Idee des Unbedingten konstruktiv zu vermitteln, um eine philosophische Theologie zu entwerfen: U. BARTH 2005, VII.VIII. 48 Vgl. K. M ÜLLER 2006, 20.21. 49 G. E. LESSING 1996, 563. 50 C H. D ANZ/G. ESSEN 2012, 1. 51 Vgl. R. H JELM 2001, 441.

1.1 Zur Fragestellung, These und Durchführung der Arbeit

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unzulässig verkleinere.“52 Der Plausibilitätsverlust ist nicht aus einer Ursache allein zu erklären. Zu seinem Hintergrund gehört auch, dass seit dem Beginn der Neuzeit in allen Lebensbereichen, in Wissenschaft, Politik, Recht und Wirtschaft, autonome Ordnungen entwickelt worden sind, die nicht über die „Sphäre des Endlichen“ hinauszukommen verlangen.53 Ihr „Universum der Erkenntnis“ bedarf Gottes nicht, liegt außerhalb der Religion, hat mit ihr „direkt nichts zu schaffen“ und für „die andere Seite, die Seite des Unendlichen und Ewigen“, „nichts übrig.“54 Zum Hintergrund gehört weiterhin das „theologische[] Erdbeben“55, das Kant mit seiner Destruktion der vorneuzeitlichen Metaphysik, ihrer traditionellen Gottesbeweise und der rationalen Theologie und seiner Wende zur Transzendentalphilosophie ausgelöst hat.56 Obgleich Gott für ihn unerkennbar ist, bleibt die Idee Gottes für Kant in der theoretischen wie praktischen Philosophie unverzichtbar, wenn die Wirklichkeit als ein sinnvolles Ganzes verstanden werden soll. Am Ende des 18. Jahrhunderts verlor die Vorstellung eines extramundanen göttlichen Wesens, das mit übernatürlicher Kausalität in der Welt wirkt, an Überzeugungskraft, da sich eine derart interventionalistische und substantialistische Gottesvorstellung kaum noch mit dem neuen Selbstund Weltverständnis des Menschen zusammenbringen ließ. Eine Neubestimmung des Gottesgedankens wurde nicht zuletzt durch eine voranschreitende gesellschaftliche Modernisierung und Dynamisierung sowie eine zunehmende Professionalisierung der Wissenschaften unumgänglich. Theologie, Religionsphilosophie und Religionswissenschaft wurden im Gefolge der Aufklärung förmlich als unterschiedliche Wissenschaftsdisziplinen ausdifferenziert.57 Was

52 So U. D IERSE 1998, 1055 die Einsicht von David Hume aus den Dialogues concerning Natural Religion zusammenfassend (vgl. die entsprechenden Passagen aus dem vierten und zwölften Teil in: D. HUME 2016, 44.45; 124.125; 134). 53 Vgl. dazu das 1625 erschienene erste frühaufklärerische System eines umfassenden Völkerrechts De iure belli ac pacis (Über das Recht des Krieges und des Friedens) von dem reformierten Theologen (vgl. seine Schrift von 1608 Christus patiens/Das Leiden Christi) und Rechtsgelehrten Hugo Grotius (Huigh oder Hugo de Groot; 1583–1645), das auf der Grundlage des Naturrechts basiert, das aus der Natur des Menschen ohne religiöse Bezüge abgeleitet wurde. Angesichts der Religionskriege könne nicht mehr behauptet werden, dass das Recht von Gott komme. 54 G. W. F. H EGEL, ThWA 16, 23.24; vgl. a. a. O., 57. 55 H. THIELICKE 1968, 381. 56 Vgl. J. R OHLS 1987, 271–300; U. B ARTH 2005, 263–307; J. D IERKEN 2005a, 207–219. Zur klassischen Metaphysik gehören als metaphysica generalis die Ontologie als Grundlage der Metaphysik; zur metaphysica specialis gehören neben der (rationalen bzw. natürlichen) Theologie (theologia naturalis) die Psychologie und die Kosmologie. Vgl. zur Kosmologie Abschnitt 10.1 und 10.2 in diesem Buch. 57 Vgl. W. JAESCHKE 1992; J. D IERKEN 2014a, 55–78.

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um 1800 in der religionsphilosophischen ,Sattelzeit der Moderne‘58 für einige Gelehrte der kulturellen Elite in den „Diskurskonstellationen“59 der „ganz großen geistesgeschichtlichen Debatten der Philosophie- und Theologiegeschichte“60 – im Pantheismusstreit von 1785, im Atheismusstreit von 1798/99 und im Theismusstreit von 1811/12 – begann, setzte langsam eine unaufhaltsame Lawine der allgemeinen Infragestellung des theistischen Gottes und der damit verbundenen Ausbreitung der säkularen Bewusstseinslage in den Bevölkerungen des Westens in Gang. Die um 1800 ausgetragenen philosophischtheologischen Streitsachen stehen bis heute paradigmatisch für den modernen intellektuellen Diskurs über Gott. Vorlaufende aufgeklärte Religionskritik auf den Britischen Inseln mit der Destruktion der rationalen Theologie, des Deismus und der Physikotheologie durch den schottischen Philosophen David Hume (1711–1776) in seinen 1779 posthum erschienen Dialogues concerning Natural Religion und in Frankreich bei den Philosophen im Salon des Radikalaufklärers und Materialisten Baron Paul-Henri Thiry d’Holbach (1723– 1789) und dann im Positivismus bei Auguste Comte (1798–1857) sowie in religions- und theologiekritischen Weiterführungen der Philosophie Hegels bei Ludwig Feuerbach, Karl Marx und Friedrich Engels begründen die moderne Religionskritik, die mit Sigmund Freuds Entdeckung des Unbewussten und seiner Begründung der Psychoanalyse um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, mit der Debatte um Charles Darwins Evolutionstheorie sowie im Wiener Kreis mit logischem Positivismus, Empirismus und analytischer Sprachphilosophie ihre Zuspitzung erfahren hat und im Materialismus und der gegenwärtig wirkmächtigen philosophischen und weltanschaulichen Bewegung des Naturalismus Gestalt findet. Gott wurde zu einer „bröckligen Hypothese“ (Antony Flew), die Stück für Stück destruiert worden und den „Tod der tausend Qualifikationen“ gestorben ist.61

58 Vgl. W. JAESCHKE, 2012. Den Zeitraum markieren für den deutschsprachigen Raum das Erscheinen der ersten Auflage von Kants Kritik der reinen Vernunft (1781), die Tode Hegels (1831), Goethes (1832) und Schleiermachers (1834) sowie das Erscheinen von Feuerbachs Schrift Das Wesen des Christentums (1841). 59 C H. D ANZ/G. ESSEN 2012, 2. 60 C H. D ANZ/G. ESSEN 2012, 2. 61 Alles, was der Begriff Gott früher geleistet hat, kann nun mit anderen Begriffen genauer gesagt werden. Gott ist funktionslos geworden. Vgl. das klassisch gewordene „Gärtner-Gleichnis“ von Antony Flew (zuerst als Diskussionsbeitrag in University [1950–51] und dann in: New Essays in Philosophical Theology; 1955 von Flew und Alasdair C. MacIntyre herausgegeben). Die Vorstellung von Gott als Gärtner habe sich über die Jahrhunderte abgenutzt, so dass nun nichts mehr übrig, Gott verschwunden sei und der Mensch im 20. Jahrhundert nicht mehr glauben könne (auf Deutsch abgedruckt bspw. in: I. U. DALFERTH 1974, 84–87; vgl. dort auch weitere Diskussionsbeiträge [„Ein Symposium“] a. a. O. 87–95); vgl. dazu auch D. SÖLLE 1971a, 47–52.

1.1 Zur Fragestellung, These und Durchführung der Arbeit

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Politische, industrielle und technologische Revolutionen verändern im 18. und 19. Jahrhundert schlagartig die bekannte Lebenswelt der Menschen in Europa und den Vereinigten Staaten von Amerika. Gleichheit („equality“) und Ausstattung mit bestimmten unveräußerlichen Rechten durch den Schöpfer, (Religions-)Freiheit („freedom“) und Unabhängigkeit („independence“) sowie das persönliche Streben nach Glück („pursuit of happiness“) verheißen für alle Bürger (außer für Frauen und Sklaven) des auserwählten freien Landes („land of the free“; „second chosen people“; „God’s own country“) ein neues Lebensgefühl. Ein wesentliches Merkmal der US-amerikanischen „Zivilreligion“ (Robert Bellah) ist der „Grundgedanke, Amerika sei berufen, die Absichten Gottes zu verwirklichen“62. In den langen 1960er Jahren rückte, „vermittelt durch nordamerikanische Versuche zu einer ,Gott-ist-tot-Theologie‘“, die Rede vom Tod Gottes kurzzeitig „als aufsehenerregendes Schlagwort ins Bewußtsein der Öffentlichkeit“63. Diese vom Verzicht auf jegliches Metaphysische und Theistische begleitete Rede gab dem tief im Allgemeinbewusstsein verankerten Abschied von Gott einen kulturdiagnostischen Ausdruck.64 Die in Theologie und Philosophie in den beiden letzten Jahrhunderten vorherrschende Meinung hat das Zeitalter der Metaphysik für beendet erklärt.65 Mit der Zersetzung des theistischen Gottesgedankens kommt so eine Entwicklung voll zum Vorschein, die um 1800 in Gelehrtenkreisen ihren Anfang genommen hat und sich heute als unübersichtliche Gemengelage zeigt, die deutlich macht: Reflexion des Gottesgedankens in seiner Kontrafaktur als Tod Gottes tut zweifellos not. 62 So pointiert C H. TAYLOR (2007) 2009, 747 zu Bellahs Deutung der Zivilreligion, die als Konzept heute umstritten ist. Die Vereinigten Staaten figurieren für ihn eine besonders in protestantischen Gesellschaften anzutreffende Vorstellung, die Taylor als Mobilisierungstypus fasst, der eng mit dem Begriff des Plans Gottes verbunden ist, den die Menschen in ihrem Gemeinwesen und der Welt als zivilisatorische Ordnung realisieren sollen, samt der Vorstellung, die Amerikaner seien von der Vorsehung erkoren, die Menschheit zur liberalen Demokratie zu bekehren (a. a. O., 743–766). Zum US-amerikanischen Religionssoziologen Robert Bellah (1927–2013) vgl. H. JOAS 2020, 531–554. 63 F. W AGNER 1988, 1264. 64 „Heute kann man nur noch bei wenigen Menschen damit rechnen, daß sie das Dasein des persönlichen Gottes für selbstverständlich halten. Die Vorstellung eines Schöpfers und Lenkers der Welt, die früher in religiösen und irreligiösen Gedankenbildungen gleichermaßen vorausgesetzt war, gehört nicht mehr zu den Bestandteilen des modernen Weltbildes“ (R. SCHÄFER 1970, 39). Schleiermachers Reden Über die Religion waren bereits „der begriffliche Versuch, Religion auch unter den Bedingungen der Moderne als eines nachtheistischen Zeitalters zur Geltung zu bringen“ (U. BARTH 2004, 279). 65 Vgl. zum sog. „Ende der Metaphysik“ J. JANTZEN u. a. 1992, 653–660 und zur kritischen Auseinandersetzung mit den verschiedenen Argumenten, die ein Ende der Metaphysik belegen sollen W. PANNENBERG 1988b, 7–33. Mit seinem Plädoyer für eine neue Zuwendung trifft er sich insbesondere mit den Philosophen Dieter Henrich und Wolfgang Cramer, aber auch mit Michael Theunissen und Wolfgang Janke. Zur neueren Debatte vgl. jetzt auch die Beiträge in I. U. DALFERTH/A. HUNZIKER 2014.

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(2) Zur Besonderheit des neuzeitlichen Denkens der Aufklärung gehört die Autonomie, die sich von der Macht der Kirchen emanzipierte, ohne sich jedoch vom Gottesgedanken abzuwenden.66 Damit begann, historisch bislang einmalig, ein selbständiges und vernünftiges Ringen des menschlichen Geistes um die letzten Fragen. Die Frage nach Gott und die Suche nach Gott lagen nicht mehr im Deutungsmachtmonopol der Kirchen, sondern waren ein universales Anliegen des Menschen als Mensch überhaupt. Das rationale und existentielle Ringen um ein sinnvolles Reden von Gott war mit der Einsicht verbunden, dass nur die freie, innere Zustimmung der autonomen Subjektivität zu einer Wahrheit einen gültigen Zugang zum Glauben eröffnet. In der neuzeitlichen Philosophie wurde jedoch bereits seit René Descartes (1596–1650) das fundamentum inconcussum veritatis nicht mehr länger in Gott als der unmittelbaren Einheit von Wesen und Existenz, Denken und Sein, Subjekt und Objekt gesucht und gefunden, sondern im menschlichen Selbstbewusstsein eines cogito sum. Ausgeweitet wurde diese „Wende zum Subjekt“67 bei Johann Gottlieb Fichte (1762–1814) hin zu einem transzendentalen Ich, das in sich alle Realität setzt („Das Ich setzt sich schlechthin selbst“) und somit den Gottesgedanken mehr und mehr obsolet werden lässt, auch wenn dieser nach Kants Destruktion der vorneuzeitlichen ontologischen Metaphysik und der Kritik der traditionellen Gottesbeweise im Deutschen Idealismus noch einmal eine philosophische Zentralstellung einnimmt.68 Der Gottesgedanke gehört zu den Gegenständen, „die per definitionem nicht zur Erfahrung gehören. Von Gott hat der Mensch zwar einen Begriff, so dass er ihn denken kann, aber eben keine Anschauung.“69 So scheidet mit Kant der Gottesgedanke aus dem Bereich der objektiven Erkenntnisgegenstände aus, für die Vernunftkritik wird Gott zu einem gänzlich nicht erkennbaren Gegenstand. Gottes Existenz lässt sich mit Gründen weder behaupten noch bestreiten. Dass Gott von der menschlichen Vernunft nicht erkannt werden kann, hat für Philosophie und Theologie weitreichende Konsequenzen, denn die gesamte Tradition ging davon aus, dass Gott irgendwie zu erkennen sei, und sei es als der seinem Wesen nach Unerkennbare. So ist der Theologie und der Metaphysik ihr ureigener Gegenstand ent66 Dass die Aufklärung nicht einseitig als „Quelle des Kulturverfalls, Motor der Entchristlichung oder Ursprung einer Welt ohne Gott“ zu deuten sei und auch nicht pauschal religions- und christentumsfeindlich gestimmt sei, sondern ein komplexes ideengeschichtliches Spektrum aufweise und „von Anfang an und ihrem innersten Wesen nach Aufklärung der Religion“ sei, zeigt U. BARTH 2003, 138.139. 67 Vgl. H. FISCHER 2002, 313–316. Die anthropologische Wende, die mit Martin Luthers „Entdeckung der Subjektivität des Glaubens“ begonnen hat und in Kants „Wende zum Subjekt“ weitergeführt wurde, wurde in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts von der Theologie wiederentdeckt. 68 Zur neuzeitlichen Metaphysik und zu den folgenden „Eckdaten“ vgl. J. R OHLS 1987, 173–458. 69 C H. D ANZ 2016, 64; vgl. auch zum Folgenden a. a. O. 64–70.

1.1 Zur Fragestellung, These und Durchführung der Arbeit

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zogen. Auch wenn die Gotteserkenntnis aus der theoretischen Philosophie ausgeschieden wurde, bleibt sie allerdings der praktischen erhalten, wenn für Kant Theologie allein im Horizont der Moral als Ethikotheologie möglich ist. An Kants Zuordnung von Moral und Religion entzünden sich die Kritik und Begründung der Religion bei Schleiermacher, an Hegels Systemdenken das systemkritische Existenzdenken des religiösen Schriftstellers Søren Kierkegaard (1813–1855). Angesichts der Brüchigkeit des Sich-selbst-Setzens ringt er leidenschaftlich um die Frage,70 was es heißt, ein Selbst zu werden, und um die Glaub- und Unglaubwürdigkeit Gottes.71 Der Weg Kierkegaards durch Furcht und Zittern, Angst und Verzweiflung hindurch lässt Anti-Climacus, den pseudonymen Verfasser der Schriften Die Krankheit zum Tode (1848) und Einübung im Christentum (1850), zu einem Vorläufer der Verkündigung des Todes Gottes durch Nietzsches „tollen Menschen“ werden. Anti-Climacus will jedoch Gott „wiederbeleben und ihn in einem neuen Selbstverhältnis zur Existenz gebracht wissen.“72 Gerade die von Kierkegaard inszenierte Idealisierung des Christentums kann aber auch nolens volens Nietzsches epochaler Diagnose zuarbeiten, wenn die entscheidende existenztheologische Voraussetzung unerfüllt bleibt, nämlich, dass der Glaube zu einem lebbaren religiösen Verhältnis zum Unbedingten wird, oder anders ausgedrückt, dass der Einzelne ein absolutes Verhältnis zum Absoluten hat.73 Ist aber nun diese Voraussetzung nicht erfüllt, dann ist Gott tot im Sinne seiner existentiellen Bedeutungs- und Erfahrungslosigkeit. Damit ergibt sich eine tragisch-komische Konsequenz, auf die der Gießener Philosoph Odo Marquard (1928–2015) hingewiesen hat: Kierkegaard habe zwar das Christentum wieder in die Christenheit seiner Zeit Vgl. den Anfang von Die Krankheit zum Tode (1848). In Kierkegaards Abschließende Unwissenschaftliche Nachschrift zu den Philosophischen Brocken (1846) wird die menschliche Existenz so auf den Begriff gebracht, dass sie zum locus classicus für die Existenzphilosophien und Existenztheologien des 20. Jahrhunderts wurde. Existenzdenken macht darauf aufmerksam, dass eine bestimmte Art von Komplikation darin liegt, ein Mensch zu sein. Und für einen Menschen ist es bleibend eine „große Frage an uns“ (K. JASPERS [1964] 1968b, 322), was es heißt, ein Mensch zu sein (vgl. auch K. JASPERS [1955] 1968c). Existenzdenken versteht sich als Reflexion über die Endlichkeit und die Ambivalenzen des individuellen Lebens. Der Höhepunkt dieser philosophischen Haltung ist wohl in den 1920er bis 1950er Jahren zu suchen. Innerhalb des so charakterisierten Denkens lässt sich eine komplexe Vielfalt von existenzphilosophischen und existenztheologischen Ansätzen bei Martin Heidegger und Karl Jaspers bis Jean-Paul Sartre und Paul Ricœur sowie bei Rudolf Bultmann, Gabriel Marcel und Paul Tillich erkennen. Seit den 1960er Jahren wird das existenzphilosophische und -theologische Denken nicht mehr so offenkundig vertreten, wenngleich existenzphilosophische Züge in vielen postmetaphysischen Entwürfen lebendig und relevant bleiben (Ernst Tugendhat, Jacques Derrida, Pierre Bourdieu, Michel Foucault, Wilhelm Weischedel, Michael Theunissen, Wolfgang Janke). 72 A. PIEPER 2000, 139. 73 Vgl. jedenfalls in diesem Sinn die Deutung von O. M ARQUARD 2013, bes. 98–180; vgl. auch O. MARQUARD 2000 und dazu die Konsequenzen auslotend PH. DAVID 2017a. 70 71

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einführen wollen,74 aber gerade auf diese Weise sei er zum Totengräber Gottes geworden. Auch Kierkegaard reagiert insofern auf das „Gefühl der neuen Zeit: Gott ist tot“ (G. W. F. Hegel), findet aber eine andere Zuspitzung durch seinen Versuch, Gottes Transzendenz radikal neu zu denken.75 Mit den Worten von Nietzsches „tollem Menschen“ ist schließlich die sich hierin ankündigende Orientierungskrise des modernen Menschen (deutungs-)offen als Tod Gottes beschrieben worden. Der Tod Gottes wird in der Folgezeit als Ende der Metaphysik und Basis eines neuen Umgangs des weltoffenen Menschen mit seiner eigenen Endlichkeit und seinem In-der-Welt-Sein (M. Heidegger) verstanden. Es war also vor allem Kierkegaard, der „dem Wort Existenz den tiefen Sinn für das Sein des Menschen gab“76 und damit den Weg für das Existenzdenken als Grundlage für ein modernes Philosophieren ebnete. Existenzdenken bezeichnet weniger einen klar umrissenen philosophischen Systementwurf, sondern eher eine Haltung und eine Denkbewegung, die sich zu allen Zeiten in Kierkegaard möchte das Christentum wieder in die Christenheit einführen, stellt aber fest, dass das neutestamentliche Christentum unter den Bedingungen der Moderne verschwunden ist. Man könne zwar wissen, was Christentum heißt und was es heißt, ein Christ zu werden, aber als gelebte Religion sei dieser Glaube unmöglich. 75 So jedenfalls Emmanuel Lévinas. Vgl. zu diesem Hinweis A. PIEPER 2000, 139.140. 76 K. JASPERS (1951) 1968a, 498. Abgeleitet wird der Begriff „Existenz“ von lat. existentia, das wiederum auf griech. hyparxsis zurückgeht. Im Deutschen wird es sowohl mit „Existenz“ als auch mit „Dasein“ übersetzt. Mit den Begriffen „Existenz“ und „Dasein“ wird das Faktum, dass etwas ist, bezeichnet, in Differenz zur Wesensbestimmung (griech. ousía), was es ist. Ihre Verwendung bezieht sich auch auf die Kennzeichnung eines wirklichen Vorhandenseins einer Sache im Gegensatz zu ihrer lediglich denkbaren Möglichkeit. In der Existenzphilosophie werden die Begriffe „Dasein“ und „Existenz“ verwendet, um das Alleinstellungsmerkmal des Menschen gegenüber jedem anderen Seienden herauszustellen. Wenn man Martin Heidegger folgt, meint Dasein eher allgemein den Menschen und die Existenz. Näher qualifiziert: „Das ‚Wesen‘ des Daseins liegt in seiner Existenz“ (M. HEIDEGGER [1927] 1986, 42). Diese begriffliche Abgrenzung des Menschen als Prinzip der Philosophie findet sich erstmals beim späten Schelling sowie bei Kierkegaard (vgl. H. ARENDT 1990, 5; W. JANKE 1982, 5). Kierkegaard gilt als „Vater“ des modernen Existenzdenkens, wobei diese Zuschreibung auch für den späten Schelling (und dann auch für Nietzsche) in Anschlag gebracht werden kann (vgl. H. ARENDT 1990, 5; TH. R. FLYNN 2008, 8; 15, jetzt auch mit Blick auf die Hauptmotive und die beiden Initialfiguren Kierkegaard und Nietzsche und zur Einheitlichkeit und Disparatheit des Existenzialismus resp. der Existenzphilosophie O. VICTOR 2021, bes. 1–24, zu Schelling 12–21; vgl. auch P. TILLICH, GW IV; die existentiale Haltung von Schelling kommt für Tillich in den Abschnitten über den Unterschied der negativen und positiven Philosophie in den Vorlesungen über die Philosophie der Offenbarung [GW II/2] besonders zum Ausdruck). Kierkegaard nutzte seine Mitschriften der Berliner Vorlesungen Schellings für seinen Angriff auf Hegel. Diese Formulierungen sind ein „Urdokument existentialer Philosophie“ (P. TILLICH, GW IV, 136). Auslöser der Wende zur Freiheitslehre und damit zum existentialen Denken war der Tod Carolines (Clara, Über die Unsterblichkeit der Seele). Die endgültigen existentialen Formulierungen finden sich in den Einleitungskapiteln zur Philosophie der Mythologie und Philosophie der Offenbarung. Vgl. auch P. TILLICH, GW IV, 145–173. 74

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Philosophie und Theologie aufspüren lassen,77 insbesondere dann, wenn die Lebenswelt des Individuums vergessen wird und tradierte Denkmuster hinterfragt werden.78 Denn es geht dem Existenzdenken darum, Auskunft über die Situiertheit menschlichen Lebens zu geben. Es nimmt daher seinen Ausgang bei der „fortschreitende[n] Situationserhellung“: Die „Situation kommt aus Früherem und hat geschichtliche Tiefe; sie ist nie fertig, sondern birgt Zukunft in sich als Möglichkeit und Unausweichlichkeit.“79 Auch in der Literatur und Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts finden sich viele Spuren dieser Denkweise.80 Um diese prägende Orientierung klarer zu fassen, sollte man eher von Existenzdeutung oder Existenzialhermeneutik anstatt von den auch synonym verwendeten Termini Existenzialismus, Existenzphilosophie oder Existenztheologie sprechen, auch um dem Charakter einer die Disziplinengrenzen überschreitenden Haltung oder „Leitidee“81 im Denken besser Ausdruck zu verleihen.82 Radikale Existenzialhermeneutik wäre dann der fortlaufende DeutungsVgl. H. ROSENAU 1999; dazu H. ROSENAU 2005b. Auf Kierkegaard insbesondere beriefen sich sowohl die Vertreter der Dialektischen Theologie als auch die der modernen Existenzphilosophie aller Schattierungen. Eine dritte Richtung repräsentiert der umstrittene Theologe Emanuel Hirsch, der die Werke Kierkegaards übersetzte, herausgab und sich in zahlreichen Studien mit dem dänischen Denker befasste. Vgl. dazu M. WILKE 2005. 78 Vgl. daher den Grundsatz: tua res agitur. Hierbei handelt es sich um ein verkürztes Horaz-Zitat: Nam tua res agitur, paries cum proximus ardet (= Dann geht es um deine Sache, wenn die nächste Wand brennt./Um deine Sache handelt es sich, dein Habe steht auf dem Spiele [wenn die Nachbarwand brennt]), das insbesondere durch Kierkegaard (S. KIERKEGAARD 1993, 31; 146 zu Anm. 33a) vermittelt wurde. Zum Begriff der Lebenswelt vgl. dann E. HUSSERL 1954 und dazu K. HELD 2010. 79 K. JASPERS (1932) 1994a, 3. Vgl. auch W. JANKE 1982, 1–8 und W. JANKE 2014. Für den theologischen Existenzialismus vgl. P. TILLICH 1987a, I, 9–12; ferner P. TILLICH, GW X; GW XI. Von römisch-katholischer Seite vgl. jetzt das Projekt einer Existentialen Semiotik bzw. Existenzialpragmatik von H.-J. HÖHN 2017, das Theologie in einer „Gott los gewordenen Zeit“ entwirft. Darin auch weitere Hinweise zu den Arbeiten des Kölner Systematikers; zur Sache H.-J. HÖHN 2008. 80 Vgl. u. a. Fëdor M. Dostoevskij, Henrik Ibsen, August Strindberg, Hugo v. Hofmannsthal, Rainer Maria Rilke, Franz Kafka, Maurice Merleau-Ponty, Jean-Paul Sartre, Albert Camus, Simone de Beauvoir, Friedrich Dürrenmatt, Max Frisch, Ingeborg Bachmann, Alfred Andersch, Alberto Giacometti, Pablo Picasso, Eugène Ionesco und Samuel Beckett. Für die Pädagogik vgl. Otto F. Bollnow. 81 U. THURNHERR/A. H ÜGLI 2007, 11. Vgl. jetzt auch R. LANGTHALER/M. H OFER 2014 und S. MÖBUSS 2015a; 2015b, die zeigt, dass das existentielle Denken eine Konstante der abendländischen Rationalität seit der Spätantike (Augustinus) sei, die als „Korrekturmechanismus“ des philosophischen Diskurses wirke. 82 Der Hermeneutik geht es um das Verstehen von Bedeutungen (vgl. M. JUNG 2018). An die Stelle der Kategorie des Verstehens tritt in einigen neueren Entwürfe theologischer Hermeneutik der Begriff des Deutens (vgl. D. KORSCH 2000, 125–196; D. KORSCH 2005, 219– 382; U. BARTH 2003; J. LAUSTER 2005; U. BARTH 2021, 33.34 macht Nietzsches interpretatorische Erkenntnistheorie, Heideggers Existenzphilosophie und Rudolf Ottos Transformation des Gefühlsbegriffs als entscheidenden Durchbruch des modernen Deutungsbegriffs 77

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prozess und die Reflexion über die situierte Endlichkeit und die Ambivalenzen des Lebens, die nicht nur in der Theologie und Philosophie, sondern auch in der Literatur, Kunst und Pädagogik stattfinden.83 (3) Auf diese skizzierten Entwicklungen haben auch Teile der Protestantischen Theologie mit einer sukzessiven Loslösung von der Dogmatik der altprotestantischen Orthodoxie und ihrem Schriftprinzip reagiert und diese Bewegung als Grundlagen- bzw. Umformungskrise gedeutet.84 Zunächst geschah dies um 1800 mit der Neuformulierung des Religionsbegriffs als „gedankliche[s] Organisationszentrum neuzeitlicher Theologie“85, der an die vormalige Stelle des Schriftprinzips und Gottesgedankens rückt, und der sich daran anschließenden bewusstseinstheoretischen Neufassung der evangelischen Dogmatik durch Friedrich Schleiermacher als Glaubenslehre. Im Medium des neuzeitlichen Begriffs der Religion wird „Gott im Selbstbewußtsein der Moderne“86 thematisiert. Die Entwicklung setzt sich um 1900 fort mit der Debatte um das Historismus-Problem mit der Unterscheidung von Alt- und Neuprotestantismus (Ernst Troeltsch) und um die Modernisierung des Christentums unter Absehung vom konstituierenden Rückgriff auf das Urchristentum und die Reformation (Otto Baumgarten).87 Nach dem Ersten Weltkrieg kulminierte die Entwicklung vorerst in der Renaissance einer offenbarungstheologischen und christologischen Betonung des „Wortes Gottes“ als Aufgabe der Dialektischen Theologie im Gefolge Karl Barths und ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts im Anschluss an subjektivitäts- und bewusstseinstheoretische Konzeptionen. Systematisch-theologische Entwürfe stellen sich in der Folgezeit den in der Evangelischen Theologie verbreiteten Forderungen nach einem nach- oder „non-theistischen Glauben an ,Gott‘“88, fragen existenztheologisch mit Rudolf Bultmann „Welchen Sinn hat es, von Gott zu reden?“89 oder onto-theologisch

aus, der für ihn in einer Duplizität von Erleben und Deuten besteht). Aufgrund seiner Unbestimmtheit und Offenheit ist er hermeneutisch und kulturwissenschaftlich attraktiv. Ihm eignet grundsätzlich Kritik gegen eine Vereindeutigung sprachlicher und nichtsprachlicher Phänomene. „Verstehen“ wird mithilfe des Deutungsbegriffs als „Konstruktionsleistung des menschlichen Geistes interpretiert“ (U. H. J. KÖRTNER 2018, 13): „Deuten heißt demnach, dass im Bewusstsein Bedeutungszusammenhänge hergestellt werden. Sinn und Bedeutung von Phänomenen gibt es nicht an sich, sondern stets nur für ein deutendes Subjekt, das die Dinge deutet und ihnen Bedeutsamkeit zuschreibt“ (a. a. O., 13.14). 83 Vgl. R. G ALLE 2009, 12–14. 84 Vgl. hierzu Emanuel Hirschs Geschichte der neuern evangelischen Theologie (1949– 1954; E. HIRSCH 1968). 85 U. B ARTH 2003, VII. 86 Vgl. die gleichnamige Festschrift für Hans-Walter Schütte U. B ARTH/W. G RÄB 1993. 87 Zu den Debatten um 1900 im deutschen Protestantismus vgl. die Beiträge in F. W. GRAF/H. M. MÜLLER 1996. 88 Vgl. M. K ROEGER (2004) 2011, 75–124. 89 R. B ULTMANN (1925) 1964, 26–37.

1.1 Zur Fragestellung, These und Durchführung der Arbeit

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mit Paul Tillich danach, „was uns unbedingt angeht“90, entwerfen im Anschluss an Karl Barth eine genuin christliche und dezidiert trinitätstheologische Kreuzestheologie (Jürgen Moltmann; Eberhard Jüngel), um den christlichen Gottesgedanken gleichermaßen vom Atheismus wie vom Theismus abzugrenzen, oder nehmen ihren Ausgangspunkt nicht mehr wie in der metaphysischen Tradition beim Sein Gottes, sondern beim „Strittigsein Gottes“ (Gerhard Ebeling) bzw. der „Strittigkeit der Wahrheit“ (Wolfhart Pannenberg) angesichts der Vielfalt der Wahrheitsansprüche, um dann zu versuchen, die Hypothese Gott als „die Alles bestimmende Wirklichkeit“ rational zu plausibilisieren.91 Gegen das in der Evangelischen Theologie nach dem Ersten Weltkrieg wirkmächtige Programm einer offenbarungstheologischen Begründung des Gottesgedankens in der Wort-Gottes-Theologie, das gegen jede natürliche Theologie und vernünftige Gotteserkenntnis auf die exklusive Betonung der gänzlichen Andersheit der Gottheit Gottes und die unendliche Diastase von Gott und Mensch setzte, und ihre Ausprägungen in der hermeneutischen Theologie bei Ernst Fuchs und Gerhard Ebeling in den fünfziger Jahren, die mit der Formel von Gottes Wirklichkeit als Sprachereignis „den [biblischen] Text wieder Wort Gottes werden“92 lassen wollten, erhob sich seit den sechziger Jahren Widerspruch von Seiten der neuen Phase der Rezeption Schleiermachers in der protestantischen Theologie und der Hegel-Renaissance in der neueren IdealismusForschung sowie von Seiten eines religiösen Sozialismus, der durch die 68erBewegung noch einmal Auftrieb bekam und dem christlich motivierten Gedanken einer aktiven politischen Umgestaltung bestehender Verhältnisse in der Friedens- und Umweltbewegung, in der Befreiungstheologie sowie der politischen und feministischen Theologie Ausdruck verlieh.93 Aufgrund der Erfahrungen der beiden Weltkriege, des Totalitarismus und des „Zivilisationsbruchs“ (Dan Diner) des Holocaust kristallisierte sich im Rahmen einer Theologie nach Auschwitz bei Dorothee Sölle, Jürgen Moltmann und Johann Baptist Metz die Problematik heraus, inwiefern Gott überhaupt noch Allmacht, Leidensunfähigkeit und Unveränderlichkeit zugeschrieben werden könne. Geändert haben diese theologischen Anstrengungen und Neuformulierungsversuche wenig daran, dass sich der Abschied von Gott heute tief ins Allgemeinbewusstsein eingeprägt und der „Faktor ,Gott‘ […] keinen gesellschaftsbildenden und

P. TILLICH 1987a, I, 18 u. ö. Vgl. G. EBELING (1979) 1987, I, 169–191. An das „Strittigsein Gottes“ im Gegensatz zur „metaphysischen Orientierung“ am Sein Gottes und „Unumstrittensein Gottes“ knüpft Ebelings Metaphysikkritik an: vgl. dazu R. GÖRNANDT 2016; W. PANNENBERG 1991, 9–13; vgl. zur Strittigkeit der Wirklichkeit Gottes in Pannenbergs Theologie F. NÜSSEL 2011. 92 J. R OHLS 2015b, 17. 93 Zudem werden im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts unerledigte Fragen des 19. Jahrhunderts wieder aufgegriffen (vgl. D. LANGE u. a. 1996, 818). 90 91

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1 Einleitungsteil

gesellschaftsprägenden Einfluß mehr“ hat.94 Im Rückblick wirken diese Konzepte teilweise wie Selbstimmunisierungsstrategien gegen den Verlust des Gottesglaubens. Sie hatten weder Anhalt am Glaubensleben noch waren sie anschlussfähig für die Philosophie oder die Kulturwissenschaften. Obwohl man sich anders als in der Theologie in den (kontinental-europäischen) Diskursen neopositivistischer, (sprach-)analytischer und pragmatischer Philosophien, in Logik und Ästhetik sowie in empirischen und theoretischen Soziologien von Gott als „höchstem Gegenstand“ verabschiedet hat,95 bleibt die Philosophie für die (Systematische) Theologie des Protestantismus auch gegenwärtig eine wichtige Gesprächspartnerin.96 Das ist nicht nur historisch zu legitimieren, sofern in der Philosophie die Anfänge der Theologie im griechischen Denken noch vor dem Entstehen der christlichen Theologie zu finden sind,97 sondern auch systematisch, auch wenn im 20. Jahrhundert das Verhältnis zwischen Philosophie und Theologie überwiegend von wechselseitiger Abgrenzung geprägt ist, während im 19. Jahrhundert in den Philosophien des Deutschen Idealismus Philosophie und Theologie und damit Gott, Welt und Selbst noch im Zusammenhang bedacht worden sind. Auch gegenwärtig ist die Systematische Theologie bleibend auf die Philosophie angewiesen, „insofern die Philosophie die aktuellen Herausforderungen der Theologie auf den Begriff bringt. Und das kann die Philosophie gerade als methodische Reflexion über Weltsichten, über Weisen, von der Welt zu reden.“98 Doch seit mit der Wende zum 21. Jahrhundert absehbar wurde, dass die Religion durch die Säkularisierung nicht an ihr Ende gekommen zu sein scheint, melden sich auch aus der Philosophie wieder Stimmen, die sich „postsäkular“ religiösen Fragen in revidierter Weise zuwenden.99 Auch die Frage nach Gott und dem Göttlichen wird in der Philosophie wieder neu gestellt.100 Die Frage nach einer neuen Zuwen94 H. O TT 1968, 23: „,Gott hat heute aufgehört, ein soziologischer Faktor zu sein.‘“ Vgl. auch M. KROEGER (2004) 2011, 75–124; 183–280 und F. WAGNER 1995c. 95 Vgl. zum „höchsten Gegenstand“ der Geschichte der Philosophie: W. W EISCHEDEL 2013, I, XX. „Gott ist das eigenste Thema der Philosophischen Theologie“ (a. a. O., I, 11). 96 Vgl. W. PANNENBERG 1996. Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts kann die Existenzphilosophie für die Theologie als wichtige Impulsgeberin z. B. für die theologischen Konzeptionen von Rudolf Bultmann und Paul Tillich ausgemacht werden. In der angelsächsischen Welt bleibt die Tradition des Theismus dagegen weiterhin stark. 97 Vgl. W. W EISCHEDEL 2013, I, 13–15; O. B AYER 1994; J. LAUSTER/B. O BERDORFER 2009. 98 A. G RØN 2001, 123. 99 Vgl. z. B. J. H ABERMAS 2012. 100 Vgl. exemplarisch die Beiträge zur vernachlässigten Gottesthematik in den kontinentaleuropäischen Debatten in: H. M. BAUMGARTNER/H. WALDENFELS 1999 und die Beiträge im Philosophischen Jahrbuch 117 (2010) Heft II, 287–350 zum Schwerpunktthema Gott. Philosophische Perspektiven. Dazu M. LUTZ-BACHMANN 2010, 287; als Grundthema der Philosophie führen in die Fragestellung einer Philosophischen Theologie ein: TH. RENTSCH 2005; V. GERHARDT 2014; R. GUTSCHMIDT/TH. RENTSCH 2016; H. TETENS 2020.

1.1 Zur Fragestellung, These und Durchführung der Arbeit

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dung auch zur theologisch-philosophischen „Grenzdisziplin“101 der Religionsphilosophie steht damit im Raum, in der nach plausiblen und vernünftigen Gründen für den Glauben an Gott und nach der Bedeutung der Religion für das Menschensein in der Moderne gefragt wird. Diese Tendenz des Fragens nach rationalen Gründen für den Glauben an Gott kann von der Denkfigur des Todes Gottes nicht absehen und muss eine Theologie in der Moderne gerade als existenzialhermeneutische Theologie nach dem Ereignis des Todes Gottes neu verstehen. (4) Es verwundert vor diesem Hintergrund nicht, dass der Verlust des Gottesglaubens die Diagnose des „lange[n] Abschieds vom Christentum“102 nach sich zieht und von einem „Europa ohne Gott“103 gesprochen wird. Zwar wirke sich die Säkularisierung noch nicht umfassend aus, doch Entchristlichung und Entkirchlichung schreiten voran: Die immer weiter schrumpfenden Kirchenmitgliedschaftszahlen in der Bundesrepublik Deutschland führten zu einer „Gesellschaft ohne Gott“104. Eine religionspädagogische Zeitdiagnose spricht von einer „Gottesverdunstung“105. Die tiefgreifende Krise des Theismus zeige sich daran, dass sich auch bereits viele Kinder und Jugendliche Gott anders als personal und geschichtsmächtig vorstellen: „Sie glauben nicht, dass er allmächtig, barmherzig, gütig und gnädig ist, dass er in die Welt eingreift und die leidverursachenden Bedingungen beseitigt; manche von ihnen sehen Gott dazu gar nicht imstande.“106 Laut einer Jugendstudie brauchen junge Europäer keine Vgl. A. GRØN 2001, 111.112. So eine Studie vom Institut für Demoskopie Allensbach: TH. PETERSEN 2017. Zur Reihe früherer Abgesänge auf das Christentum vgl. H. JOAS 2012, 29–34; eine konsequente Entmythisierung zur Freilegung zentraler Elemente der Botschaft Jesu als Weg aus der in den 1960er Jahren ins allgemeine Bewusstsein getretenen tiefen Glaubenskrise des Christentums, deren Wurzeln er bis in die Zeit der Aufklärung zurückreichen sieht, entwirft F. V. KUTSCHERA 2008. 103 Vgl. dazu C H. SCHWÖBEL 2019. 104 A. PÜTTMANN 2010. 105 W. H. R ITTER 2008; vgl. auch N. M ETTE 2009, der mit Theodor W. Adorno von einer „metaphysischen Indifferenz“ (a. a. O., 9) und mit Johann Baptist Metz von einer „Gotteskrise“ (a. a. O., 11.12) spricht. Zur Frage, ob die ,Frage nach Gott‘ im Mittelpunkt des Religionsunterrichts stehen muss, vgl. B. DRESSLER 2012, für den die Religionstheorie systematisch und sachlich auch für die Religionspädagogik vor die Theologie gehört. Nicht durch die Spekulation über die Existenz Gottes setzen wir uns mit Gott, der in Jesus Christus Mensch geworden ist, in Beziehung, „sondern durch Lob und Dank, Bitte und Klage, d. h. vermittels performativer Sprechakte“ (319). Die (Religions-)Pädagogik habe daher nur die bescheidene Aufgabe, in den religiösen Bildungsprozessen nicht etwa die Gottesbeziehung zu lehren oder gar herstellen zu wollen, sondern „Möglichkeitsbedingungen dafür zu verbessern, Motive der Dankbarkeit für das eigene geschöpfliche Sein zu entdecken“ (325). 106 W. H. R ITTER 2008, 191. In der Praktischen Theologie und Religionspädagogik galt es seit Jahrzehnten als common sense, dass der Glaube an Gott von Kindern und Jugendlichen schwindet, wenn sie in ihrem Leben die Erfahrung von Leid machen und der vermeintlich „liebe Gott“ nicht hilft. Karl Heinz Nipkow hat 1987 mit seiner Studie Erwachsen101 102

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1 Einleitungsteil

Religion und keinen Gottesglauben mehr.107 Falls das Hamburger Nachrichtenmagazin Der Spiegel mit der Folgerung aus seiner Titelfrage der Pfingstausgabe des Jahres 2014: „Ist da jemand?“ Recht haben sollte, dann ist „die Zukunft der Religion“ ein „Glaube ohne Gott“. Auch für Kirchenmitglieder seien dogmatisch fixierte christliche Gottesbilder unglaubwürdig geworden. Diese seien unter modernen Erkenntnisbedingungen nicht mehr plausibel. Statt der Vorstellung eines personalen (Schöpfer-)Gottes finde sich auch in kirchlichen Kreisen häufig die Rede von einer abstrakten Macht, einem Energiefeld oder einem Geist, der in allen Dingen webe und über Allem schwebe (vgl. Apg 17,28). Das Paradigma der „göttlichen Natur“ bestimmt in Zeiten der Klimakrise eine „Spiritualität ohne Gott“108. Auch nach einem „Christentum ohne Gott und ohne Jesus“ wird gefragt109 und „auf der Spur des verlorenen Gottes“ werden ohne Gott? Gotteserfahrung im Lebenslauf die Theodizeeproblematik als erste und vielleicht zentrale „Einbruchstelle[...] für den Verlust des Gottesglaubens“ (K. H. NIPKOW [1987] 2000, 49; 56) bei Heranwachsenden bezeichnet. Doch anders als in der philosophischen und theologischen Fachdiskussion zeigen neuere empirische Untersuchungen (W. H. RITTER 2006), dass die Frage nach der Theodizee nicht mehr so relevant und brisant ist, wie lange angenommen wurde, zumal viele Schülerinnen und Schüler in dieser Untersuchung gar nicht die Verbindung zwischen Leid und Gott hergestellt haben. Weniger sind intellektuelle Auseinandersetzungen für sie interessant als die Integration von Leiden in die eigene Lebensgeschichte. Leid ist somit ein selbstverständlich zu akzeptierendes Element des Lebens. Die Ergebnisse der Studie Gott und Leid (2006) von Werner H. Ritter stehen damit in Spannung zur wirkmächtigen These von Nipkow. Zurückgeführt wird dieser Unterschied auf die veränderte religiöse Ausgangslage, in der Religion zwar nicht verschwunden ist, sich in ihrer Gestalt aber deutlich verändert. Aus den empirischen Ergebnissen folgert Ritter, dass „Gottesfrage und Gottesthematik heute sicher nicht einfach erledigt, wenn auch Tendenzen der Vergleichgültigung Gottes, der ,Gottesverdunstung‘ bzw. des Transzendenzverlustes unübersehbar sind. Zwar spricht nichts für eine totale Säkularisierung im Sinne einer endgültigen Verabschiedung Gottes bei Heranwachsenden, doch es gibt zahlreiche Spuren der Veränderung des überlieferten jüdisch-christlichen Gotteskonzepts und eines handelnd und eingreifend vorgestellten Gottes – diese Vorstellung hat markant an Relevanz verloren“ (W. H. RITTER 2008, 190.191). Die Diskrepanz zwischen den Gottesvorstellungen der Heranwachsenden und dem biblisch-kirchlichen Gottes- und Leidbild sind frappierend. Daher erachtet es Ritter als geboten, nicht einen „inhaltlichen Verlust oder gar eine Krise der christlichen Religion“ zu beklagen, sondern „innerhalb der vielfältigen Vorstellungswelt, die das Christentum selbst aus Bibel, theologischer Tradition und heutiger Spiritualität bereitstellt“ zu versuchen, „Menschen angemessener erscheinende Perspektiven zu entdecken: Schon die Bibel als plurales Buch ist voll von unterschiedlichsten Auffassungen zur Leidproblematik.“ Diese „Vielstimmigkeit der Bibel“ als „vielfaltsfreundliches Schatz- und Schutzhaus“ vermag nach Ritter „die Anschlussfähigkeit des christlichen Glaubens auch in Zeiten des gesellschaftlichen Wandels zu inspirieren“ (W. H. RITTER 2008, 191). 107 So eine Studie zur „Generation What?“, der zufolge 85% der jungen Erwachsenen sagen, dass sie „ohne Glauben an Gott glücklich sein können“. Kein oder wenig Vertrauen in religiösen Institutionen hätten demnach 86% der Befragten. Vgl. KNA 2017. 108 Vgl. S. H EINE 2016. 109 Vgl. F. V. K UTSCHERA 2008, 125–132.

1.1 Zur Fragestellung, These und Durchführung der Arbeit

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nach einem „postmodernen Glauben“, der „,die Kritik Nietzsches und Freuds zu überleben‘“ verdient.110 Der kirchlichen Rede von einem transzendenten personalen Gegenüber werde kaum noch Glauben geschenkt. Dieser gehöre vielmehr ins Reich der Mythen und Märchen.111 Auch Pfarrerinnen und Pfarrer äußern sich in dieser Richtung, wenn sie bekennen, nicht mehr an einen personalen Gott zu glauben.112 Die einstmals wirkmächtige theistische Gottesvorstellung wird damit nun selbst zum ernsthaften Problem für das christliche Gottesbild. Diese Ansicht wäre dann nicht mehr weit entfernt von den Vertreterinnen und Vertretern eines „New Atheism“, die im Oktober 2008 medienwirksam Busse und U-Bahnen durch die Londoner Innenstadt fahren ließen mit der Aufschrift „There’s probably no God. Now stop worrying and enjoy your life!“113 Die britische „Atheist Bus Campaign“ erregte große Aufmerksamkeit und fand 2009 in vielen Ländern der westlichen Welt Nachahmerinnen.114 Allerdings war diese erste atheistische Werbekampagne in Großbritannien als Reaktion auf eine christlich-evangelikale Kampagne entstanden. Diese hatte zuerst öffentliche Verkehrsmittel genutzt, um ihrerseits eine Botschaft zu verbreiten. Wer den auf der Anzeige angegebenen Link zu einer Website anklickte, sollte davon überzeugt werden, dass Nicht-Christen „in der Ewigkeit Höllenqualen erleiden werden“ und „verbrennen werden in einem See aus Feuer“.115 Mit ihrer „gottlosen“ Kampagne wollten die „New Atheists“ auf ein Phänomen aufmerksam machen, das ihrer Meinung nach seit einigen Jahren

110 Vgl. H.-M. SCHÖNHERR-M ANN 2003, 187.188; 199.200; 201–203 im Anschluss an Paul Ricœur und Gianni Vattimo. 111 Vgl. S. B EYER/R. LEICK 2014; ferner die Spiegel-Titelgeschichte „Wer glaubt denn sowas? Warum selbst Christen keinen Gott mehr brauchen“ (20.4.2019): D. PIEPER 2019. 112 Z. B. der Niederländer K. H ENDRIKSE (2007) 2013. Vgl. auch die Diagnose bei J. DIERKEN 2012, 30: „Weil der christliche Theismus mit seiner supranaturalen Wunderkausalität dem naturwissenschaftlich gebildeten und individuelle Freiheit verteidigenden Bewusstsein unglaubwürdig geworden ist, finden buddhistische Formen zunehmend Resonanz – bis in christliche Kernmilieus hinein.“ 113 „Wahrscheinlich gibt es keinen Gott. Nun denn, hör auf, dir Sorgen zu machen, und genieße dein Leben!“. Die Idee zu der Kampagne stammte von der britischen GuardianJournalistin Ariane Sherine. Richard Dawkins, der Verfasser des Bestsellers The God Delusion/Der Gotteswahn (R. DAWKINS [2006] 2007) gehörte zu den prominentesten Unterstützern. Vgl. A. SHERINE 2008. Eine systematische Darstellung und Diskussion der Kritik am Atheimsmus bietet nun W. SCHRÖDER 2021. 114 Vgl. dazu die Links auf http://www.buskampagne.de (abgerufen am 4. Dezember 2014). Auch in deutschen Großstädten fuhren Busse mit der Aufschrift „Es gibt (mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit) keinen Gott. Ein erfülltes Leben braucht keinen Glauben.“ 115 Vgl. A. SHERINE 2008. Zeitgleich mit der Buskampagne der „neuen Atheisten“ fuhren nun wiederum Busse mit einer Werbung für einen christlich-charismatischen „Alpha Course“ durch die britische Hauptstadt, der davon überzeugen wollte, dass „allein der Glaube an Jesus vor der Hölle bewahren“ würde.

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1 Einleitungsteil

die öffentliche Wahrnehmung von Religion leitet: das Phänomen des religiösen Fundamentalismus.116 Mit diesen Aktionen füllt am Beginn des 21. Jahrhunderts nicht nur der sogenannte „neue Atheismus“ mit seinen an frühere Religionskritik anschließenden Thesen alten Wein in neue Schläuche117 und sorgte trotz geringem Neuigkeitswert für eine rege mediale und publizistische Aufmerksamkeit.118 Auch neofundamentalistische, evangelikale und charismatische Christen und Islamisten versuchen, längst durch Aufklärung und Wissenschaft überwunden geglaubte religiöse Vorstellungen öffentlichkeitswirksam zu verbreiten. Doch das Bild von Religion und religiösen Vorstellungen wird in der öffentlichen Wahrnehmung nicht nur von fundamentalistischem Gedankengut bestimmt, sondern auch von der Gewaltbereitschaft fanatischer Gruppen. „Religiös“ motivierte Kriege und terroristische Gewalttaten im „Namen des Islam“ seit dem 11. September 2001 verstärken etwa den Vorwurf der Intoleranz der Religionen und der inhärenten Gewaltbereitschaft der monotheistischen Glaubensweisen. Die Frage nach dem Verhältnis von „Monotheismus und Gewalt“119 wird seit Anfang des 21. Jahrhunderts zwischen Theologie, (religionskritischer) Kulturwissenschaft und Philosophie ebenso diskutiert wie seit Ende des 20. Jahrhunderts der „Lob des Polytheismus“120 und der „Kampf der Kulturen“121, in dem es nicht zuletzt um Identitätsfragen im Blick auf eine Kultur der Differenz und Anerkennung geht. Die Debatte ist längst zu einem „Streit [geworden], der nicht mehr aus der Welt zu schaffen ist“.122 Schließlich melden sich „religiöse Atheisten“ zu Wort, die zur Überwindung von monotheistischen Absolutheitsansprüchen Überlegungen zu einer zukünftigen „Religion ohne Gott“123 vortragen, die nicht mehr auf einem Gottesglauben, sondern auf „ob116 Der englische Literaturwissenschaftler und streitbare Linkskatholik Terry Eagleton entwickelt in seinen 2012 gehaltenen Firth Lectures Culture And The Death of God an der Universität Nottingham die These, dass mit dem religiösen Fundamentalismus das Gewand genäht sei, mit dem der Kapitalismus dem Gott, den der westliche Kapitalismus selber erschlagen habe, zurück ins Leben verhelfe (T. EAGLETON [2014] 2015). 117 Vgl. dazu H. SCHULZ 2010. Vgl. dazu auch die Beiträge der katholischen Theologie unter dem Titel Gottlos? Von Zweiflern und Religionskritikern in: HERKORR.SPEZIAL 2014. Dort findet sich auch weiterführende aktuelle Literatur. 118 Vgl. zuletzt W. ZAGER 2017. 119 Vgl. zur Debatte um Jan Assmann auch J.-H. TÜCK 2015. 120 Vgl. O. M ARQUARD (1978) 1991. 121 Die Formel „Kampf der Kulturen“ wurde durch die Übersetzung von Samuel P. Huntingtons Buch The Clash of Civilizations and the Remaking of the World Order (S. P. HUNTINGTON 1996a) geprägt (S. P. HUNTINGTON 1996b); vgl. M. RIESEBRODT 2000; U. GERBER 2015. 122 R. SPAEMANN 2003. 123 R. D WORKIN (2013) 2014. Das Erscheinen von Religion ohne Gott war ein Anlass der o. g. Spiegel-Titelgeschichte. Das Nachdenken über die „,Paradoxie eines Glaubens ohne Gott‘“ lässt sich in der protestantischen Theologie schon in Schleiermachers Reden Über die

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jektiven Werten“ gründen soll. Spielarten einer Religion ohne Gott bzw. „Religiosität ohne Gott“ oder eines „menschlichen Christentums“, in dem „gottlos von Gott“124 geredet wird, werden ebenso diskutiert wie Formen eines „religiöse[n] Agnostizismus“ , der sich als „eine Position jenseits von Theismus und Atheismus“125 versteht, genauso wie ein „Glauben ohne Gott“126 oder ein „Glauben an einen Gott, den es nicht gibt“127. Gleichzeitig rufen seit den 1970er Jahren Religionsdiagnostiker eine „Rückkehr der Religionen“,128 die „Renaissance des Religiösen“ oder die „Wiederkehr der Götter“129 aus und beobachten, dass für die „bleibende Macht des Religiösen“ sichtbar die Terroranschläge vom 11. September 2001 stünden.130 Damit sei die Säkularisierungsthese widerlegt.131 Nun haben aber auch Befürworter der Säkularisierungsthese längst eingesehen, dass mit der fortschreitenden Modernisierung der Gesellschaft nicht notwendig auch ein ausschließlich säkulares Bewusstsein bei der Bevölkerung entsteht und Religion nicht aus dem Privatleben und der Öffentlichkeit verschwindet, sondern in pluralen Formen präsent bleibt, die jedoch nicht mehr einfach mit der traditionellen Kirchlichkeit gleichzusetzen sind.132 Religion (1799) und bei Tillich identifizieren. Vgl. zu Tillich Abschnitt 1.3.5 (2), zu Schleiermacher Abschnitt 3.4 und zu Dworkin Abschnitt 6.3.3 in diesem Buch. Vgl. hierzu auch das zuerst 1920 und 1922 in zwei Bänden erschienene frühe Hauptwerk Gestaltwandel der Götter (L. ZIEGLER 1922) von Leopold Ziegler (1881–1951), der ausgehend von Nietzsches Gott-ist-tot-Diagnose nachzuweisen versucht, dass die ehemals als zeitloser Kern in den Religionen ausgedrückten geistig-seelischen Energien nun fortleben im „Mythos Atheos der Wissenschaften“ („Fünfte Betrachtung“). Eine zeitgemäße Religiosität sei eine ohne Dogma, ohne Institution, ohne Jenseitsglauben, ohne Gott („Sechste Betrachtung: Die Mysterien der Gottlosen“). 124 U. GERBER 2013. 125 W. D ETEL 2018. Wolfgang Detel möchte in seinem Essay zeigen, „dass wir Gott nicht denken und daher auch nichts über ihn wissen können. [...] (a. a. O., 8). Vgl. bereits A. W. J. HOUTEPEN (1997) 1999, der Gott denken möchte in einer Zeit der Gottvergessenheit und von einem „vielfarbigen Agnosmos“ (a. a. O., 45–68) spricht und damit eine Haltung meint, die ausdrückt: „Gott ist nicht mehr nötig“ (a. a. O., 12). Als Aufgabe der Theologie – sie versteht er als „ein paar Fußnoten zu Gott“ (a. a. O., 10) – begreift es der Niederländer, „ein paar Fenster zum Unendlichen [zu] öffnen“ (a. a. O., 21). Für ihn ist der Tod Gottes „die Proklamation der absoluten Endlichkeit alles menschlichen Lebens und der letztendlichen Sinnlosigkeit alles dessen, was lebt: das Ende der Geschichte“ (a. a. O., 341). Vgl. K. H. MISKOTTE (1956) 1963, 11–58. 126 S. B EYER/R. LEICK 2014. 127 K. H ENDRIKSE (2007) 2013. 128 M. R IESEBRODT 2000. 129 F. W. G RAF (2004) 2007. 130 Vgl. F. W. G RAF (2004) 2007, 9. 131 Vgl. kritisch zur „Widerlegung“ der Säkularisierungsthese D. POLLACK 2009; 2012. 132 Vgl. exemplarisch für die Revision der Gleichsetzung des Modernisierungsnarrativ mit der Säkularisierungserzählung J. HABERMAS 2001. Das nachmetaphysische Denken versteht J. HABERMAS 2009b nun in Zusammenhang mit einem „lernbereiten Agnostizismus“

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Die große „Vielfalt der Angebote auf den religiösen Weltanschauungs- und Sinnstiftungsmärkten der Moderne“133 gehört zum vorfindlichen Kontext des christlichen Lebens. Es melden sich auch Stimmen zu Wort, die diese „Wiederkehr“ der Religion(en) nur als eine verstärkte mediale Aufmerksamkeit deuten, die zwar eine „neue Sichtbarkeit von Religion“134 ausdrücke, aber nicht dafür stehe, dass es tatsächlich ein gesteigertes Interesse an Religion, geschweige denn an traditioneller kirchlicher Frömmigkeit gibt. Vielmehr lasse sich in weiten Teilen der neuen Länder der Bundesrepublik Deutschland – und nicht nur dort – eine große Gleichgültigkeit gegenüber der Frage nach Gott feststellen. Der Osten Deutschlands sei „[s]till the most areligious part of the world“.135 Gleichzeitig sei aber eine nachchristliche Religionskultur in Ostdeutschland zu beobachten, wenn Menschen sich in einer säkular geprägten Gesellschaft (religiös) neu vergewissern wollen und Konfessionslosigkeit zwischen Religiosität und Säkularität oszilliere.136 Diese Entwicklung einer Entkirchlichung und Entchristianisierung macht auch vor anderen Teilen Deutschlands und Europas nicht Halt. Dabei markieren die 1960er Jahre einen „turning point“ in der Geschichte des Christentums, der eine radikale Phase der Dechristianisierung der westlichen Gesellschaften einläutet.137 So lässt sich beispielsweise in Großbritannien ein rasanter Niedergang des Christentums beobachten.138

(vgl. jetzt auch J. HABERMAS 2019a, I, 79.80). Kritisch zur Säkularisierungsthese und Vieldeutigkeit des Säkularisierungsbegriffs mit weiteren Hinweisen zur Debattenlage – bes. zu Charles Taylor (CH. TAYLOR [2007] 2009), der mit der „säkularen Option“ eine achte Bedeutung hinzufügt (zwei der bislang vertretenen sieben Optionen von Säkularisation bzw. Säkularisierung sind rechtlicher Natur: Übergang eines Ordenspriester ins Weltpriestertum und Enteignung von Kirchenbesitz; zwei stellen die genealogischen Zusammenhänge von moderner Kultur und jüdisch-christlicher Tradition heraus, sie verhalten sich entweder affirmativ oder kritisch; drei beziehen sich auf den sozialwissenschaftlichen Diskurs und seine divergierenden Deutungen: Abnahme von Religion; Rückzug der Religion ins Private; Freigabe gesellschaftlicher Bereiche von religiöser Kontrolle; vgl. H. JOAS 2020, 250) und zu Peter L. Bergers (P. L. BERGER [1979] 1992; [1992] 1994) Imperativ der Wahl („Zwang zur Häresie“): H. JOAS 2012, bes. 25–42 und H. JOAS 2020, 250–271. Ferner U. BARTH 2003, 127–165. Vgl. auch die Studie Staat ohne Gott von H. DREIER 2018, bes. 19–62, der zu Recht darauf hinweist, den sozialwissenschaftlichen Sinn von Säkularisierung und die Säkularität im verfassungsrechtlichen Sinne sorgsam auseinanderhalten zu wollen: „,Staat ohne Gott‘ heißt nicht: Welt ohne Gott, auch nicht Gesellschaft ohne Gott, und schon gar nicht: Mensch ohne Gott“ (a. a. O., 9). 133 F. W. G RAF (2004) 2007, 10. 134 R. H OBURG 2010. 135 TH. SCHMIDT/M. W OHLRAB-SAHR 2003. 136 Vgl. die Beiträge in M. D OMSGEN/D. EVERS 2014; M. R OSE/M. W ERMKE 2014. 137 So H. M CLEOD 2006, 327.328. 138 Vgl. bspw. G. D AVIE 1994, die ihre in der soziologischen Diskussion weite Verbreitung gefundene Formel „Believing without Belonging“ im Titel der zweiten Auflage nicht

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Der „europäische[] Sonderweg in Sachen Religion“139 geht weiter und lässt den „gottlosen Westen“ als „säkularisierte Insel im religiösen Meer“ zurück.140 Die religiöse Lage im 21. Jahrhundert zeigt sich damit zwischen Indifferenz und Säkularisierung sowie inmitten eines „return of religion“ und religiösem Fundamentalismus unübersichtlich und komplex. Der Religionssoziologe Peter L. Berger (1929–2017) hat daher ein „neues Paradigma“ für die Untersuchung von Religion in den „multiple modernities“ (Shmuel N. Eisenstadt) vorgeschlagen. Um auf die vielen Implikationen des Phänomens Pluralismus eingehen zu können, unterscheidet Berger „zwei Pluralismen“: „die Koexistenz unterschiedlicher Religionen und [...] die Koexistenz eines säkularen und eines religiösen Diskurses. Diese Koexistenz gibt es sowohl im Denken des Individuums als auch im sozialen Raum.“141 Auch für die Deutungsfigur Tod Gottes gilt diese letztere Koexistenz. Der Tod Gottes ist beispielsweise sowohl eine theologische Denkfigur für die Säkularisierung als auch ein Motiv im säkularen Diskurs für die Deutung der Säkularisierung oder des Atheismus. Beides gilt in individueller und sozialer Hinsicht. Die Deutungsfigur Tod Gottes verschränkt den säkularen und den religiösen Diskurs miteinander. Beide sind in sich wiederum plural und halten eine Vielzahl von Deutungsvarianten parat. (5) Die Herausforderung für die (Systematische) Theologie besteht darin, diese widerstreitenden (gobalen und lokalen, individuellen und sozialen, säkularen und religiösen) Phänomene theologisch zu deuten und über sie erhellend aufzuklären. Dafür wurde z. B. vorgeschlagen, den „Fundamentalismus“ als „Symptom [einer] unverarbeitete[n] Moderne“142 zu interpretieren: „Das religiös und gesellschaftlich Althergebrachte wird, um es gegen die Moderne auszuspielen, totalisiert und soll ohne Beachtung seines ursprünglichen Kontextes jetzt erzwungen werden.“143 Doch umgekehrt stellt sich, unabhängig davon, ob diese Sicht auf den Fundamentalismus als Phänomen der Moderne tatsächlich so zutrifft, auch die Frage, ob die Theologie selber bislang die Moderne „verarbeitet“ hat. Wie hat sie auf die Herausforderungen der Moderne reagiert? Wenn mit der Moderne eine Zeit des Umbruchs gemeint ist, die die Tradition nicht nur kritisiert, sondern radikal mit ihr bricht und so den Verlust von traditionellen Selbstverständlichkeiten einer Gesellschaft anzeigt, dann stellt diese Entwicklung auch die christliche Theologie in Frage, die eine bestimmte religiöse Tradition, nämlich die christliche, reflektiert. Kaum ein anderer Denker hat diesen umfassenden Traditionsbruch in seinen Konsequenzen auch für das

wiederholt, aber modifiziert, wenn sie nun Religion in Britain als „Persistent Paradox“ fasst (G. DAVIE 2015). 139 Vgl. H. LEHMANN 2009. 140 Vgl. A. G ARTH 2017, 44–105. 141 P. L. B ERGER 2015, 7. 142 H. D EUSER 2005, 7. 143 H. D EUSER 2005, 7.

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1 Einleitungsteil

Christentum so radikal bedacht wie Friedrich Nietzsche (1844–1900). Er gilt als „Schlüsselfigur zum Verständnis der Moderne“144, und seine Diagnose ist radikal und mit der Proklamation des „Todes Gottes“ verbunden: „Das grösste neuere Ereigniss, – dass ,Gott todt ist‘, dass der Glaube an den christlichen Gott unglaubwürdig geworden ist – beginnt bereits seine ersten Schatten über Europa zu werfen.“145 Mit der Moderne ist für ihn die Zeit gekommen, in der man auf das Christentum und die philosophische Tradition der Metaphysik zurückblickt und fragt, welche Orientierungsmöglichkeiten sich dem Menschen nun anbieten, nachdem der Glaube an den christlichen Gott unglaubwürdig geworden, das Zeitalter der Metaphysik beendet und Gott tot ist. (6) Den Tod Gottes als ,das größte neuere Ereignis‘ zu denken, ist aus theologischer Perspektive natürlich provokant. Das erfuhren auch deutschsprachige und US-amerikanische Theologinnen und Theologen, die in den 1960er Jahren den Tod Gottes als Thema der Theologie entdeckten. Damals titelte das Time Magazine auf seiner Osterausgabe vom 8. April 1966 in roten Buchstaben auf schwarzem Untergrund: „Is God Dead?“ und verschaffte so dem „God-is-deadMovement“ eine außerordentliche mediale Aufmerksamkeit für ein theologisches Thema. Denn jetzt waren es die Theologen selber, nicht Religionskritiker oder Atheisten, die den Tod Gottes ausriefen und damit in den Augen vieler Glaubender und auch Nicht-Glaubender ein Tabu verletzten. Die damaligen Versuche, in einem „,gottlosen‘ Diskurs“146 Theologie und Christentum in der Moderne neu zu verstehen, haben die beiden bekanntesten Protagonisten jener Richtung, Thomas J. J. Altizer und William Hamilton,147 nicht nur ihre Professuren an theologischen Ausbildungsstätten gekostet, sie wurden auch angefeindet und an Leib und Leben bedroht. Die theologische Auseinandersetzung beschränkte sich in der Regel auf die Zurückweisung und Ablehnung ihrer kritisch-konstruktiven Anliegen, die Theologie zu erneuern und Christsein in der Moderne neu zu deuten. Die US-amerikanische „Death of God Theology“ sorgte zwar kurzzeitig auch in der deutschsprachigen Theologie und Kirche für Furore, stieß aber insgesamt auf Unverständnis und breite Ablehnung und verschwand in der Versenkung. Die paradoxe Rede vom Tode Gottes wurde unversehens als (theo-)logischer Widerspruch in sich selbst verbucht. Ein Gott, der ,wirklich‘ Gott sei, könne doch nicht sterben oder tot sein. Wenn überhaupt, könne der Tod Gottes nur den metaphysischen „Gott der Philosophen“, die „Idee des Absoluten“ und damit den theistischen Gottesbegriff betreffen, nicht aber den biblischen „Gott des Christentums“, den „Gott der Theologen“, der sich in Jesus Christus selbst offenbart habe (Joh 1,14) und seinen Weg in der Geschichte mit dem Volk Gottes gehe. Man bagatellisierte die Bewegung als G. FIGAL 2003, 310. F. NIETZSCHE, KSA 3, 573. 146 R. W ENINGER 2013, 98. 147 Vgl. die Beiträge in: TH. J. J. A LTIZER/W. H AMILTON 1966a. 144 145

1.1 Zur Fragestellung, These und Durchführung der Arbeit

33

Modeerscheinung bzw. Modetorheit und widmete sich schnell wieder der Pflege der eigenen Tradition und verleibte sich den Tod Gottes, präzisiert als Tod des Sohnes Gottes am Kreuz, christologisch und trinitätstheologisch ein. Auf diesem skizzierten Hintergrund wird die These vertreten, dass Theologie und Kirche ein schmales Zeitfenster in den 1960er Jahren haben verstreichen lassen, das mit der Deutungsmachtdebatte um die Gott-ist-tot-Theologie, pointiert durch das Titelbild des Time Magazine „Is God dead?“ aus dem Jahr 1966, offen war, um das Störpotential der Rede vom Tod Gottes konstruktivkritisch in ein aufgeklärtes theologisches Nachdenken über die ‚Göttlichen Dinge‘ und eine pluralitätsoffene, kulturhermeneutische Gegenwartsdiagnostik einzuholen.148 Doch es überwog in den damaligen Deutungsmachtdiskursen aus verschiedenen Gründen und Interessen eine ablehnende Haltung gegenüber der Auseinandersetzung mit der Rede vom Tode Gottes, die bis heute in Theologie und Kirche nachwirkt: „Innerhalb der Kirche herrscht die Überzeugung, es sei sinnlos, vom Tod Gottes zu sprechen. Es überwiegt nämlich die Meinung, mit der ,Theologie des Todes Gottes‘ sei endlich auch die Frage nach dem ,Tod Gottes‘ selbst begraben. Die Rede vom Tod Gottes wird in der Theologie als eine Art Atheismus und theologischer Modernismus betrachtet. [...] Es sei nicht nur sinnlos, vom ,Tod Gottes‘ zu reden, es sei gar nicht empfehlenswert und könne gar gefährlich werden. Bei unaufgeklärten Gläubigen könne es zu Unruhe und zu Misstrauen gegenüber der Kirche führen. Schließlich habe sie nur vom lebendigen, nicht aber vom toten Gott zu reden.“149

148 Dass die „Zeichen der Zeit“ (Mt 16,3b) zu deuten seien, gehört seit den Anfängen des Christentums zur Wahrnehmung der es umgebenden Kultur. Die Geschichte dieser Kulturdeutung ist noch nicht geschrieben worden. Vgl. zu einer praktisch-theologischen Kulturhermeneutik A. KUBIK 2018; ferner den Sammelband Kulturhermeneutik C. ERNST/W. SPARN/H. WAGNER 2008. Dabei ist zu bedenken, dass das Christentum selbst immer Teil der Kultur und Kulturfaktor ist und Welt lange als Gegenbegriff verstanden wurde, den es zu überwinden gilt. Vgl. zur kulturellen Prägekraft des Christentums J. LAUSTER 2014b. 149 T. IVANČIČ 2016, 32. Diese Beobachtung stammt von Tomislav Ivančič, einem langjährigen Mitglied der Internationalen Päpstlichen Theologenkommission (vgl. auch J. B. METZ [2006] 2011, 71), und kann m. E. so auch auf die Evangelische Kirche übertragen werden. Wie anders klang da noch die Einschätzung von Hans Graß in seiner Besprechung von J. BISHOP (1967; 1968) 1970, als er meinte, „daß die katholische Theologie der Gottist-tot-Theologie nicht nur kritisch gegenübersteht, sondern sie im Rahmen der eigenen Auseinandersetzung zwischen Traditionalismus und Aggiornamento zu würdigen weiß“ (H. GRASS 1972, 38). Konstruktiv jedoch zur Thematik Der ,Tod Gottes‘ in der Philosophie vgl. H. MÜHLEN 1968; 1969 (vgl. J. FIGL 1977, 120–124); vgl. bes. auch P. HENRICI 2003. Peter Henrici (*1928) ist ehemaliger Weihbischof und Generalvikar des Bistums Chur in Zürich und war zuvor Professor für Philosophiegeschichte an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom.

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1 Einleitungsteil

Und, so könnte man ergänzen, ,das‘ Evangelium zu kommunizieren.150 Mit einem „Slogan“151, einer „Falschmeldung“152 oder „Mode“153 bzw. „Mode-Torheit“154 sollten Theologie und Kirche sich nicht aufhalten. So ist es kaum verwunderlich, dass die kurze Episode der vielgestaltigen US-amerikanischen Gott-ist-tot-Theologie der 1960er Jahre schnell wieder vergessen wurde, obwohl jene Theologen auf verschiedene Weisen im Anschluss an Hegel, Nietzsche und Dietrich Bonhoeffer155 versuchten, sich dem theologischen Durchdenken des Todes Gottes zuzuwenden, traditionelle christliche Gottesvorstellungen radikal in Frage zu stellen – z. B. indem sie, wie Thomas J. J. Altizer, den Kreuzestod Jesu Christi als Kenosis, als Entleerung Gottes, interpretierten – und in einem offenen Dialog mit der modernen Kultur radikal nach neuen Wegen religiösen Lebens in postchristlicher Zeit zu fragen und neue Antworten zu wagen. Mit der schroffen Zurückweisung von Seiten der Kirche und Theologie wird auf der einen Seite das Deutungspotential verdeckt, das die Rede vom Tode Gottes auch theologisch bereithält. Das konstruktiv-kritische Störpotential der Rede vom Tode Gottes für Theologie und Kirche wird auf der anderen Seite verharmlost, wenn sich Theologie lediglich auf eine christologische Deutung des Todes Gottes beschränkt, wenn sie durch einen Rückzug auf den biblisch vermittelten Offenbarungsglauben dem Tod Gottes ausweichen will,156 und wenn sie sich nicht auf die Mehrdeutigkeit der Rede vom Tode Gottes konstruktiv-kritisch einlassen kann. Dann wird sie nur noch als ihre „eigene Nachlaßverwalterin“157 wirken, wenn ein christologisches Verständnis den Kampf um die innertheologische DeutungsProblematisch an der gegenwärtig inflationär im Anschluss an Ernst Lange verwendeten praktisch-theologischen Programmformel „Kommunikation des Evangeliums“ (vgl. bspw. B. SCHRÖDER/M. DOMSGEN 2014) ist u. a., dass es ,das‘ Evangelium so gar nicht gibt, sondern nur eine Fülle von historischen und systematischen Deutungsoptionen und Interpretationen, die gerade nicht auf einen Nenner zu bringen sind. Vgl. H. KOESTER 1999. 151 H. THIELICKE 1968, 452. 152 S. M. D.[AECKE] 1969b, 187. 153 E. JÜNGEL (1977) 1986, 57. 154 F. W AGNER 1990, 139. 155 Z. B. im Anschluss an D. B ONHOEFFER, DBW 8, 534.535: „Der Gott, der mit uns ist, ist der Gott, der uns verlässt (Markus 15,34)! Der Gott, der uns in der Welt leben lässt ohne die Arbeitshypothese Gott, ist der Gott, vor dem wir dauernd stehen. Vor und mit Gott leben wir ohne Gott. Gott läßt sich aus der Welt herausdrängen ans Kreuz. Gott ist ohnmächtig und schwach in der Welt und gerade und nur so ist er bei uns und hilft uns.“ Zur Kritik der Bonhoeffer-Rezeption durch die US-amerikanische Gott-ist-tot-Theologie („a creative misuse of Bonhoeffer“ [Eberhard Bethge]) vgl. die Hinweise im Bonhoeffer-Handbuch CH. TIETZ 2021, 399; 437.438; ferner bereits H. OTT 1966 und H. OTT 1969, 5–8. 156 Vgl. bereits die ironische Bemerkung über dieses Ausweichmanöver in Kants Der Streit der Fakultäten (1798: „Daß ein Gott sei, beweiset der biblische Theolog daraus, daß er in der Bibel geredet hat [...]“ (SF, AA 07, 23). 157 E. JÜNGEL (1977) 1986, 274. 150

1.1 Zur Fragestellung, These und Durchführung der Arbeit

35

hoheit gewonnen hat und vermeintliche Wahrheit mit dogmatischer Richtigkeit verwechselt. Mit dieser Haltung können Theologie und Kirche ihren eigenen Anteil daran, Gott tot zu reden,158 nicht selbstkritisch überprüfen. Die existentielle Dimension, die sich in der Rede vom Tode Gottes ausdrückt, wird auf diesem Weg nicht thematisiert. Eher werden mit Hilfe einer Unterstellungshermeneutik reflexartig Feindbilder aufgebaut, um sich unangenehme Fragen vom Hals zu halten und so die eigenen Reihen zu schließen. Unterwegs zur sachlichen Auseinandersetzung ist man auf diesem Weg natürlich nicht. Unter dem medialen Eindruck wurde leicht übersehen, dass sich in dieser radikalen Bewegung auch intellektuelle Redlichkeit und Zivilcourage gezeigt haben. Doch vielleicht lässt sich an diesen Reaktionen aus der akademischen Theologie auch ablesen, dass es wirklich um die Grundlagen von Theologie und Christentum in der Moderne gegangen ist. Denen, die diese Fragen ehrlich gestellt haben, wurde in der Debatte selten fair begegnet, und bis heute scheinen ihre Fragen ein tabuisierter Diskussionsgegenstand in Kirche und Theologie zu sein,159 wenn sich etwa ein Theologieprofessor erst am Tag seiner Abschiedsvorlesung öffentlich zur Faszinationskraft der Gott ist tot-Theologien, dem Schein einer „Rückkehr der Religion“ und dem „Denkverbot“ in Sachen Tod Gottes von Seiten der Theologie äußert.160 Wenig verwunderlich ist vor diesem Hintergrund, dass sich die „kognitive Dissonanz“161 zwischen der Welt Kirche und den Alltagserfahrungen vieler protestantischer Kirchenmitglieder in einer sich rasant verändernden Gesellschaft zunehmend vergrößert. (7) Die folgende Studie versteht sich als Beitrag zur Debatte über das Verhältnis von protestantischem Christentum und Moderne und begreift wissenschaftliche Theologie als offenen Diskursraum einer (ideologie-)kritischen Aufklärung über religiöse Dinge und Glaubensvorstellungen. Sie schließt damit an einen philosophisch-theologischen Diskurs an, der in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, nach den Katastrophen zweier Weltkriege und ihrer Folgen, wieder aufkeimte. In dieser Zeitsituation sollte sich das auch religionsgeschichtlich bekannte und philosophisch bereits von Hegel sowie literarisch von Heinrich Heine, und nicht zuerst von Nietzsche verwendete Motiv vom „Tode Gottes“ für einzelnen Theologinnen und Theologen wieder anschlussfähig zeigen. Sie fragten mit Nietzsches „tollem Menschen“ „Wohin ist Gott?“162 und deuteten die geschichtliche Situation des Glaubensverlustes und der existentiVgl. E. JÜNGEL (1977) 1986, XI. Darauf weist J. CH. COOPER [1967] 1988, 7 im Vorwort zur Neuauflage seiner Studie über die US-amerikanische Tod-Gottes-Bewegung mit Recht hin. Dazu passt der Ratschlag eines deutschen Theologieprofessors an mich aus dem Jahr 2013, das Thema sein zu lassen. Allerdings fügte er hinzu: „Gott ist tot! Das ist evident.“ 160 Vgl. C H. M ORGENTHALER 2012 (s. u.); vgl. auch K.-P. JÖRNS 2006. 161 P. L. B ERGER 2015, 17 in Aufnahme des Begriffs von Leon Festinger (The Theory of Cognitive Dissonance; 1957). 162 F. N IETZSCHE, KSA 3, 480. 158 159

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1 Einleitungsteil

ellen Sinn- und Orientierungskrise in der Moderne als Tod Gottes. Diese heute fast vergessene Spur möchte die Studie aufnehmen und fragen: Wie wird in der gegenwärtigen Evangelischen Theologie mit dem Motiv des Todes Gottes umgegangen? Welche Geschichte der Herkunft, Deutung und Kritik ist mit der Idee des Todes Gottes verbunden? Welche Konsequenzen werden aus der Rede vom Tode Gottes für das theologische Nachdenken gezogen? Dahinter steckt die Frage, ob Nietzsches Diagnose wirklich ernst genug genommen worden ist.163 Sollte seine Diagnose der nihilistischen Katastrophe tatsächlich zutreffend sein, müssten wir ernsthaft besorgt sein über das, was Nietzsche das „größte neuere Ereignis“ genannt hat. Was hat Nietzsche gesehen oder was meinte er, gesehen zu haben, was so bedrohlich ist? Und warum werden diese Erfahrungen nicht breiter (in der Theologie) geteilt? Hat sich Nietzsche geirrt? Warum sind die Schockwellen abgeebbt? Oder sind wir blind und taub, das wahrzunehmen, was wirklich vor sich geht? Welche Konsequenzen sind damit für das Menschenbild und das Leben nach dem Abschied von Gott verbunden?164 Geleitet ist diese Arbeit von dem Interesse, Abwehrmechanismen gegenüber der Rede vom Tod Gottes freizulegen sowie Vereinheitlichungs-, Vereinnahmungs- und Vereindeutigungsbestrebungen in der Deutung des Todes Gottes vornehmlich in der evangelischen Theologie aufzuspüren (Einleitungsteil: 1.3 Zum Stand der Forschung: Überblick über die Rezeption der Idee vom Tode Gottes vorwiegend in der deutschsprachigen Theologie nach dem Zweiten Weltkrieg) und mittels einer „Situationserhellung“ zu kontextualisieren (1.4 Systematischer Ausgangspunkt und Begriffsklärungen). In einer phänomenologischen Spurensuche werden nach dieser umfassenden Sichtung ideengeschichtliche Diskurskonstellationen (Hauptteil A: Der Tod Gottes als Ausdruck sprachlicher Sinnkrisen) (wieder-)eingeholt. Damit soll eine neue Aufmerksamkeit für den Variantenreichtum metaphorischer Deutungen erreicht und durch die zeitgeschichtlichen Umstände für die Verwendung der Rede vom Tod Gottes ergänzt werden. Leitend für die Auswahl der Autorinnen und Autoren und Texte ist ihre Wahrnehmung der „schwindenden Überzeugungskraft“165 einheitlicher und überschaubarer Orientierungs-, Sinn- und Legitimationssysteme166, damit also die implizite oder explizite Verwendung des Motivs vom Tode Gottes und seiner mit der Krisenwahrnehmung verbundenen „Verarbeitung in Schriftform“167.

Vgl. F. DEPOORTERE 2008, 1. Vgl. zu einem ähnlich gelagerten Fragenkatalog P. V. TONGEREN (2018) 2021, 1; 130– 156; vgl. Abschnitt 5.1.2 zu Nietzsche und Hauptteil B in diesem Buch. 165 J. R ÜSEN 2011, 539. 166 Vgl. H.-G. SOEFFNER 2011, 399. 167 H. SCHOLTEN 2007b, 7. 163 164

1.1 Zur Fragestellung, These und Durchführung der Arbeit

37

Im ersten Teil des Hauptteils A (Teil I: Herkunft und Variationen des Motivs Tod Gottes) werden unter Rückgriff auf religionsgeschichtliche, ägyptologische, altphilologische und neutestamentlich-exegetische Forschungsbeiträge nach einer motivgeschichtlichen Spurensuche in der Religionsgeschichte des Alten Ägypten und der antiken hellenistischen und frühchristlichen Welt (2 Mythen sterbender und auferstehender Götter in der Religionsgeschichte) zunächst bewusstseinsdiagnostische (Blaise Pascal, radikale Aufklärung, Religionskritik und Schleiermacher) Varianten des Krisendiskurses (3 Das Gefühl der Gottverlorenheit als Vorahnung des Todes Gottes) rekonstruiert und unter Bezugnahme auf literaturwissenschaftliche Studien dann in Form von literarischen Texten (Jean Paul, Heinrich Heine, Herman Melville, Wolfdietrich Schnurre) verarbeitete Wahrnehmungen des Krisenphänomens eines umfassenden Wandlungsprozesses (4 Das Erlebnis des Todes Gottes als Wahrnehmung eines Erfahrungswandels) dargestellt. Der zweite Teil (Teil II: Den Tod Gottes denken – Philosophische Deutungsvarianten) sucht nach philosophischen Ausprägungen (5 Der Tod Gottes als Deutung der europäischen Moderne und philosophische Denkfigur) und setzt sich auseinander mit den entsprechenden (nach)metaphysischen Denkversuchen der Endlichkeit und (des Todes) Gottes bei Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Friedrich Nietzsche, Martin Heidegger, Jean-Paul Sartre, Wilhelm Weischedel und Wolfgang Janke. Theologische Deutungsvarianten des Motivs des Todes Gottes rekonstruiert der dritte Teil (Teil III: Den Tod Gottes denken – Theologische Deutungsvarianten), der zunächst den Blick über den Atlantik lenkt (6 Der Tod Gottes als Denkfigur in der US-amerikanischen Theologie) und die dortige Debatte der ,langen‘ 1960er Jahre um die Gott ist tot-Theologie zum Ausgang nimmt (William Hamilton, Thomas J. J. Altizer), um dann gegenwärtige Entwürfe einer besonders von Jacques Derrida beeinflussten Theologie „After (the Death of) God“ (Mark C. Taylor, John D. Caputo) und eines Plädoyers für eine Religion ohne Gott (Ronald Dworkin) kritisch zu sichten. Schließlich flammt die Frage nach einem „zweiten Auftreten des Todes Gottes“ angesichts eines global erstarkenden (christlichen) Fundamentalismus auf. Theologie, so zeigt sich bei den vorgestellten Entwürfe, wird wesentlich als Ideologiekritik betrieben. Die Debatte um eine nachtheistische Theologie in der deutschsprachigen Theologie der Nachkriegszeit, die Anziehungskraft des Gedankens vom leidenden und sterblichen Gott sowie die Frage nach einer Theologie nach Auschwitz sind der Hintergrund für die Behandlung der Ansätze von Herbert Braun, Dorothee Sölle, Jürgen Moltmann, Eberhard Jüngel und Falk Wagner (7 Der Tod Gottes als Denkfigur in der deutschsprachigen Theologie). Vor allem Sölle und Braun wurden mit ihren radikalen christlich-atheistischen Ausprägungen vehement bekämpft, während auf der anderen Seite Moltmann, Jüngel und Wagner den Atheismus christologisch, trinitätstheologisch und geisttheoretisch in die Theologie reflektierend einzuholen versuchten.

38

1 Einleitungsteil

Auf diese Weise sollen die Anfragen, die mit der Idee vom Tode Gottes zu unterschiedlichen Zeiten jeweils verbunden sind, ernst- und die Mehrdeutigkeiten wahrgenommen werden, die sich in den Deutungen dieses Krisenphänomens zeigen. Sie werden in dieser Untersuchung eingeholt und der Umgang mit ihnen wird kultiviert, wenn abschließend die systematischen Pointen der polymorphen Rede vom Tode Gottes unterstrichen werden (Hauptteil B: Systematische Perspektiven und kritische Revisionen), die nun gerade nicht in ihrer präzisierenden Eindeutigkeit des Todes Gottes liegt, sondern in ihrer Mehrdeutigkeit und Multiperspektivität der Todesarten Gottes168, und damit in der deskriptiven und (de-)konstruktiven Verwendbarkeit der Rede bzw. des Wortes vom Tode Gottes: als Deutungsfigur, Verschränkungsfigur, als Motiv, Vorahnung eines Verlustes, Ausdruck eines Erfahrungswandels, Erlebnis, philosophische und theologische Denkfigur, theologisches Symbol, in dem die Rede von Gott lebendig bleibt, lebendige Metapher, Ereignis im Kommen und epochales Lebensgefühl. In all diesen pluralen Zugangsweisen werden die komplexen theologischen und säkularen Diskurse mithilfe des Deutungsmusters Tod Gottes verschränkt. Der Krise, Kritik und radikale Fraglichkeit zulassende und aushaltende neue Erfahrungsraum (8 Dem modernen Lebensgefühl neue Reflexionsräume anbieten) gibt einem Schwebezustand einen ideologiekritischen Ort, an dem Ambivalenzen, das Dazwischensein zwischen Verlust und Befreiung, exemplarisch durchgespielt werden mit der Methode der semantischen Innovation, die aus der Metaphernforschung stammt (9 Der Tod Gottes als metaphorisches Ereignis: Ein Deutungsversuch), mit einer kritischen Revision des Schöpfungsgedankens mittels des Existenzials „Natalität“ (10 Anfänglich leben) und des Existenzials „Bildung“ (11 Halt in Haltungen: Ethische Perspektiven). Die zusammenfassende Betrachtung (12 Zusammenfassung und typologische Systematisierung der Tod-Gottes-Idee) beschließt das Buch, bündelt überblicksartig seine Forschungsergebnisse und systematisiert die Deutungsvarianten. Die einzelnen Kapitel sind in sich gerundet angelegt – die Kapitel 2 bis 7 sind zudem jeweils mit einer Zusammenfassung (Fazit und Ausblick) versehen, um ihre Intentionen und inhaltlichen Schwerpunktsetzungen zu bündeln –, so dass sie auch für sich gelesen werden können, um sich einen besonderen Zeitabschnitt oder Zugang zu erschließen. Sie verweisen aber durch gelegentliche Wiederholungen oder Bezugnahmen auf Voraussetzungen oder Vertiefungen. (8) Da die Sache mit dem Tod Gottes nicht eindeutig zu bestimmen ist (dualistische Entweder-oder-Strategie), wird im Rückgriff auf eine vernachlässigte Episode der neueren Theologiegeschichte gerade darauf zu achten sein, dass die Mehrdeutigkeit der Idee (pluralistische Sowohl-als-auch-Strategie) und die säkulare und religiöse Diskursverschränkung (komplexe Weder-noch168 Vgl. F. N IETZSCHE, KSA 4, 324: „Wenn Götter sterben, sterben sie immer viele Arten des Todes.“

1.1 Zur Fragestellung, These und Durchführung der Arbeit

39

Strategie) herausgestellt werden.169 Diese Suche könnte nebenbei auch zu der Frage anleiten, welche Motivationen vorherrschten, die, wenn nicht zu ihrer Verdrängung und ihrem Vergessen, so doch zur bewussten Vereindeutigung dieser Idee geführt haben. Pointiert verstanden geht es aber gerade nicht um Eindeutigkeit in der Rede vom Tode Gottes, sei es durch eine christologische Präzisierung oder durch eine strikte Ausblendung der Idee aus dem theologischen Sprachgebrauch, sondern um ihre Mehrdeutigkeit. Angenommen, wir geben Friedrich Nietzsche, der „an das urgermanische Wort [glaubte]: alle Götter müssen sterben“170, und sich mit Dionysos einen Gott jenseits des Christentums wünschte, der von Menschen nicht als Moralinstanz missbraucht werden kann171, mit seiner Ansicht Recht, dass „[d]as grösste neuere Ereigniss, – dass ,Gott todt ist‘, dass der Glaube an den christlichen Gott unglaubwürdig geworden ist – [...] bereits seine ersten Schatten über Europa zu werfen [beginnt]“172, dann hat dieses Ereignis, das noch im Kommen begriffen ist, längst auch seine Schatten auf die Theologie und ihr Reden von Gott gelegt.173 Wenn die etymologische Herleitung stimmt, dann ist ein Ereignis etwas, das vor alle Augen gestellt ist.174 Es zeigt sich damit als etwas, was sich wahrnehmbar, erfahrbar und fühlbar machen kann. Mit dieser Fokussierung kann die Rede vom Tod Gottes nur konsequent ernst genommen und darf nicht vorschnell in theologische Konzeptionen integriert werden, um so den Verlust der Erfahrung Gottes nicht wahrnehmen zu müssen. Es geht nämlich genau darum, diesen Erfahrungs- und Denkraum der Verabschiedung und des Verlustes wahrzunehmen. Es wird im Folgenden zu zeigen sein, dass hiermit für die Theologie ein reiches kulturhermeneutisches und philosophisch-theologisches Deutungspotential des Satzes „Gott ist todt!“ verbunden ist. Dazu wird die Untersuchung Motivverdichtungen und Motivvariationen in der Religions-, Kultur-, Literatur-, Philosophie- und Theologiegeschichte nachspüren, in denen der Tod (eines) Gottes explizit oder implizit wesentliche Bedeutung hat. Theologie stellt sich mit dieser Suchbewegung mitten in das Ereignis des Todes Gottes, das noch im Kommen ist, hinein, um sich nicht davon auszunehVgl. zu diesem Zugang M. C. TAYLOR 2007. F. NIETZSCHE, KSA 7, 125. 171 Vgl. seine Äußerungen in den Nachgelassenen Fragmenten von Sommer 1886 – Herbst 1887: F. NIETZSCHE, KSA 12, 213: „Im Grunde ist ja nur der moralische Gott überwunden.“ 172 F. N IETZSCHE, KSA 3, 573. 173 Für Carlo Gentili hat die Wissenschaft uns „von der Gegenwart Gottes befreit“, sie hat uns aber „noch nicht von seinem Schatten befreit. Das Fortwirken dieses Schattens in der Vorgehensweise der Wissenschaft ist der eigentliche Kontext, in dem die Thematik Nietzsches vom Tod Gottes gesehen werden muss“ (C. GENTILI 2010a, 235). 174 Der Begriff „Ereignis“ bzw. „ereignen“ ist abgeleitet vom althochdeutschen Wort „irougen“. Wörtlich übertragen heißt es: „vor Augen stellen“. Vgl. KLUGE 2002, 253. Für diesen Hinweis danke ich Maike Schult. 169 170

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1 Einleitungsteil

men und auszugrenzen, sondern sich in diesen Denkprozess der Verschränkung von religiösem und säkularem Diskurs hineinzubegeben, um religions- und kulturgeschichtlich zu fragen, was das Spezifische des christlichen Gottesgedankens gewesen ist, wie er sich gewandelt hat und welche Auswirkungen das Lebensgefühl der Moderne auf das Christentum, seine Gottesvorstellung und seine Haltung zur Religion als existentielle Sinnvermutung hat.

1.2 Zur Methode der Arbeit 1.2 Zur Methode der Arbeit

(1) Jede Zeit sucht nach Antworten auf die jetzt – meist angesichts von situativen polymorphen Krisenphänomenen – dringlichen Fragen in den Reflexionen der Denker der vergangenen Zeiten. Insofern hat jedes geschriebene Werk eine zweifache Gegenwart: die Zeit, in der es entstanden ist, und die Zeit des jeweiligen Lesers und Interpreten. Daher bleibt eine bloße historische Rekonstruktion des theologischen und philosophischen Gehalts der geistes- und religionsgeschichtlichen Überlieferung ohne tonangebende systematische Perspektive für ein unserem gegenwärtigen „In-der-Welt-Sein“ Orientierung geben wollendes Denken ohne Gewinn. Deshalb werden im Einleitungsteil im Anschluss an die Erhebung von Forschungsstand und Forschungsdesideraten (1.3) der systematische Ausgangspunkt benannt und Begriffsklärungen vorgenommen (1.4). Die motivisch vorausgesetzten Begriffe Moderne, Krise, und Lebensgefühl werden umrissen und die mehrdeutige Verschränkungsfigur Tod Gottes eingeführt, um dann in einem mehrstufigen Verfahren die Deutungsvielfalt in der Kulturgeschichte zu erschließen, im jeweiligen Kontext zu erhellen und systematisch Bleibendes dieser Denkfigur hermeneutisch-kritisch zu sichten und zu sammeln. Im Verlauf dieser Arbeit kommt es nicht darauf an, lediglich die Gedanken uns vorausgegangener Denker beschreibend zu wiederholen (Hauptteil A), sondern sie fragt danach, wie es sich in (existentieller) Wahrheit mit der fraglichen Sache im Kontext der gegenwärtigen Kulturlage angesichts von unüberschaubaren Transformierungs- und Pluralisierungsprozessen verhalten kann (Hauptteil B). Allerdings bleibt ein rein systematischer Zugang ohne geschichtliche Bezüge wertlos, denn jedes philosophische und theologische Denken ist ein Kind seiner Zeit und durch Geschichtliches und Gewesenes geprägt, das jeder Zeit als neu zu entscheidende Wesensmöglichkeit zugrunde und vor Augen liegt.175 Sofern (systematische) Theologie kritisch und hermeneutisch nach der bleibenden sinnstiftenden Bedeutung vergangenen Geschehens und Gedachtem fragt, ist sie eingebunden in die historische Theologie, wie es Schleiermacher in seiner Theologischen Enzyklopädie

175

Vgl. zu diesem Ansatz W. JANKE 1999, 11–15.

1.2 Zur Methode der Arbeit

41

aufgezeigt hat176 und damit auch in geschichtstheoretische Fragestellungen.177 Überlieferte und in der Vergangenheit geläufige Sinnbildungen sind zwar nicht ohne Weiteres auf die Gegenwart zu übertragen und ermöglichen nicht ohne Weiteres gegenwärtige sinnstiftende Orientierung. Dennoch gilt es, ihr Potential zu bergen, um zu prüfen, ob es nicht wiedereingeholt zur Erhellung, Förderung oder gar Steigerung des gegenwärtigen Lebens dienen kann. Zu beobachten ist auch, dass althergebrachte gesellschaftliche Orientierungsmarken durch erschütternde Ereignisse in Frage gestellt wurden und zum Anlass wurden, nach neuen Orientierungsmöglichkeiten zu suchen, die zum einen aus dem Schatz der eigenen und fremden Überlieferungen stammen können, nicht um einfach repristiniert, sondern um transformiert zu werden. Aber zum anderen können sie auch durch Neuformulierungen und experimentelles Denken von gegenwärtigen Strömungen abgehoben und in den Diskurs mit der eigenen Tradition gebracht werden, um sie daraufhin zu befragen, welche Orientierungsmuster sie bereithalten und um sich durch kritische (Selbst-)Befragung konstruktiv irritieren zu lassen. Auf Phasen der Veränderung und Verflüssigung folgen wieder Phasen der Verfestigung und Beharrung, bis abermals der neu errungene Standpunkt hinterfragt wird. So gehört es zur Aufgabe einer radikalen Existenzialhermeneutik, sich auf diese Bewegungen von Veränderungen und Beharrungen konstruktiv und kritisch einzulassen und dabei nicht Eigenes und Fremdes als Möglichkeitsspielraum aus dem Blick zu verlieren. (2) Seit dem Zeitalter der Aufklärung ist es für das protestantische Christentum in der Moderne ein Ausweis seiner wissenschaftlichen Redlichkeit, mit Mitteln der historischen Kritik und mit der Haltung der Selbstkritik seine wechselvolle Geschichte beschreibend aufzuarbeiten, auch um vergessene oder verschüttete Hintergründe gegenwärtig wieder zum Vorschein zu bringen und um sie kritisch-konstruktiv zu bearbeiten. Der aufgeklärte Protestantismus ist sich des kontingenten Gewordenseins der eigenen Religion bewusst. Doch die kritische Selbstthematisierung ist nicht bloß archivarischer Selbstzweck, sondern verfolgt in kritisch-hermeneutischer Absicht die rationale Rekonstruktion der religiösen Grundeinsichten in der jeweiligen Gegenwart. Keine Religion, und schon gar nicht ihre vermeintliche „ewige Wahrheit“, geht jemals vollständig in einer bestimmten Epoche ihrer Geschichte auf, sondern jede Gestalt von Religion versteht sich unter sich verändernden sozialen, historischen und kulturellen Bedingungen immer wieder anders und aufs Neue und klärt sich auf diese Weise über ihr eigenes Wesen auf. Zwar ist das Zeitalter der Religionsstiftung, das für das Christentum mit dem Auftreten Jesu von Nazareth in Galiläa verbunden ist, historischer Ursprung, aber nicht „reine“ Darstellung der christlichen Religion, die immer auch ihre

176 177

Vgl. F. SCHLEIERMACHER, KGA I/6, 353–365 (§§ 69–102). Vgl. die Studien von E. Troeltsch zum Historismusproblem (KGA 16/1.2; KGA 17).

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1 Einleitungsteil

(Wirkungs-)Geschichte mit im Blick haben muss.178 Auch dort kann die „ewige Wahrheit“ des Fundaments nicht gefunden werden, weil „das Wesen des Christenthums mit einer Geschichte zusammenhängt“179 und ohne diese nicht verstanden werden kann. Auch ein „immer gültiges in geschichtlich wechselnden Formen“180 wird nicht ausfindig zu machen sein. Damit ist die christliche Religionsgeschichte weniger als Fortschritts-181 oder Entwicklungs-182, oder gar als Verfallsgeschichte183 zu verstehen, sondern mehr „als Geschichte der immer neuen Inkulturation des Glaubens“184 in ihren teils positiven, aber auch negativen und sogar destruktiven Zügen, wenn zum Beispiel Religion und Gewaltausübung verbunden auftreten. Das gilt auch für unsere Gegenwart. Keine der monotheistischen Religionen ist vor Fundamentalismen,185 Intoleranz186 oder (terroristischen) Gewaltausbrüchen187 bis zum „Heiligen Krieg“188 im Namen der Religion gefeit. Keine Religion ist vor dem Missbrauch ihrer Inhalte geschützt, keine vor religiöser Gleichgültigkeit. Die politischen Gefahren, die von religiösen Traditionen, Institutionen und Theologien entwurzelter Religionen ausgehen, können massiv sein.189 Theologie als wissenschaftliche Reflexionsform der Religion steht damit in der Moderne stets neu vor der Aufgabe, ihre immer wieder fragwürdig werdenden Inhalte fortwährend von Neuem in die jeweilige Zeitsituation hinein zu übersetzen und sich gegenüber zerstörerischen und fanatischen Ausprägungen abzugrenzen. Fragwürdig sind ihre Inhalte aber in einem doppelten Sinn. Einerseits sind sie nach außen strittig (geworden) und beispielsweise durch (Religions-)Kritik und Atheismus in ihrer Lebensdienlichkeit angefragt. Aber auch innerhalb ihrer internen Selbstverständigung werden die Inhalte in ihren Plausibilitäten mitunter zweifelhaft und fragwürdig, was sie aufgrund ihres selbstkritischen Wissens um die eigene ge178 Vgl. A. V. H ARNACK 2012, 4: Die „Verkündigung Jesu Christi und [... die] Gesamterscheinung der von ihm ausgegangenen Wirkungen.“ Vgl. Abschnitt 2.3 in diesem Buch. 179 F. SCHLEIERMACHER, KGA I/6, 334 (Erläuterung zu § 21). 180 A. V. H ARNACK 2012, 17. 181 Vgl. dazu J. D IERKEN 2012. 182 So theologische Entwürfe im Anschluss an Hegels Geschichtsphilosophie und Whiteheads Prozessphilosophie. Insbesondere Pannenbergs universalgeschichtlicher Entwurf einer teleologisch ausgerichteten Theologie der Offenbarung als Geschichte wäre hier zu verorten. 183 So der Duktus von G. A RNOLD (1729) 1999. 184 A. V. SCHELIHA 2008, 3. 185 Vgl. K. K IENZLER 1996. 186 Vgl. die Beiträge in: C H. SCHWÖBEL/D. V. TIPPELSKIRCH 2002; jetzt auch M. N USSBAUM (2012) 2014. 187 Aus der Fülle der Untersuchungen vgl. H.-G. STOBBE 2010; F. SCHWEITZER 2006. Die Debatte hat sich insbesondere entzündet an Jan Assmanns Kritik am Monotheismus als Religionsform der Gewalt und Intoleranz. 188 Vgl. F. W. G RAF 2014a, 203–236. 189 Vgl. O. R OY (2008) 2010.

1.2 Zur Methode der Arbeit

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schichtliche Relativität und Perspektivität auch werden dürfen und müssen. Andererseits werden die Inhalte der christlichen Religion von ihren Anhängern für fragwürdig gehalten, so dass man sich weiter kritisch und konstruktiv mit den bisherigen Antworten der Tradition auseinandersetzen möchte, um auch gegenwärtig lebensorientierende Antworten auf existentielle Fragen geben zu können. Allerdings fällt es der Theologie prinzipiell schwer, eine eindeutige Orientierung190 in der gegenwärtigen Zeitsituation einer weltanschaulich und religiös pluralistischen Gesellschaft zu geben. Das hängt auch damit zusammen, dass es nicht die Theologie gibt und schon gar nicht eine theologia archetypa191 aus der Perspektive Gottes. Sondern es gibt eine Vielzahl von möglichen Theologien,192 die per se perspektivisch und positionell sind und insofern unterschiedliche Anliegen vertreten. Dieser Grundzug ihrer Deutungskultur ist nicht mit einem radikalen Relativismus oder gar mit einem engstirnigen Fundamentalismus zu verwechseln, sondern gehört zu ihrer Eigenart, die mit Eilert Herms als „Pluralismus aus Prinzip“193 verstanden werden kann. Insofern bilden die Theologien verschiedene Potentiale zur Deutung ,des‘ Evangeliums, von ,gelebter Religion‘ und ,des‘ Christentums, von Selbst, Welt und Gott, zur Erhellung der zeitgeschichtlichen Situation und damit auch zur intellektuellen Auseinandersetzung mit der Infragestellung der Theologie und ihrer Grundlagenkrise im 21. Jahrhundert, die einen Teil ihrer Selbstverständigung ausmachen, wenn sie nicht den Stillstand einer „Selbstghettoisierung“194 und einer „selbstgenügsamen Selbstisolierung“195 pflegen oder gar in einen „Pluralismus der Beliebigkeit“196 verfallen wollen. Für alle diese Entwürfe gilt gleichermaßen: „Die Theologie im evangelischen Sinne kann nur durch die Schaffung einer freien Überzeugung mittels guter Gründe wirken.“197 Theologie muss daher auch die situationserhellende kulturhermeneutische Außenperspektive auf ihre Themenbestände (Gott, Mensch, Welt, Religion, Christentum, Kirche, Glaube, Christliches Leben etc.) mit in ihre Reflexion einbeziehen. Innen- und Außenperspektive bedingen sich aufgrund ihres Gehaltes gegenseitig. Insofern hat Theologie auch immer einen apologetischen, antwortenden Charakter gegenüber der ihr zu beschreiben und zu verstehen aufgegebenen Situation und den Vgl. I. U. DALFERTH 2003, 6–46; 155 ff. Nach Kants Vorlesungen über Metaphysik und Rationaltheologie (FRT, AA 28, 995): „Die Kenntniß alles dessen, was bei Gott statt findet, ist, was wir theologia archetypa nennen, und diese findet nur bei ihm statt.“ 192 Vgl. z. B. die Typisierung in der Einführung des Herausgebers bei D. F. FORD 1993, 8–24 oder F. W. KANTZENBACH 1978. 193 E. H ERMS (1991) 1995, 467–485. 194 M. THEUNISSEN 1996, 350. 195 F. W AGNER 1999a, 57. 196 Vgl. E. H ERMS (1991) 1995, 477. 197 W. TRILLHAAS 1972, 12. 190 191

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1 Einleitungsteil

Fragen der Zeit, die sie im Lichte ihres Existenzverständnisses zu beantworten sucht.198 (3) Der Tod Gottes ist nicht nur ein wiederkehrendes Motiv der Religionsgeschichte, steht nicht nur für die Krise der Theologie selbst als Teil der existentiellen Sinnkrise des gegenwärtigen Zeitalters und damit als Signatur der Moderne, sondern ist auch bleibender Anstoß für die fragwürdige Aufgabe der Theologie in der Moderne. Wenn sie die Impulse der Reformation und der Aufklärung weiterdenken möchte und den Protestantismus als Religion der Freiheit (Hegel) versteht, dann kann sie nur als konstruktiv-kritischer und pluralismusfähiger Gegenentwurf zu religiösen Fundamentalismen und Indifferenzen entworfen werden, die das friedliche Zusammenleben gefährden und durch ihr öffentliches Auftreten die Wahrnehmung von Religion und die Rede von menschlichen Gottesvorstellungen maßgeblich beeinflussen: „It calls us to think more deeply about how we understand ourselves and our experience in relation to whatever it is we deem ultimate.“199 Mit einem eigenen systematisch-theologischen Vorschlag (Hauptteil B: Systematische Perspektiven und kritische Revisionen) zur (de-)konstruktiv-kritischen Revision theologischer Grundbegriffe (Schöpfung und Bildung) stellt sich diese Arbeit den gegenwärtigen Herausforderungen, um ihrerseits mittels der theologischen Deutungsfigur Tod Gottes die Moderne zu „verarbeiten“. In der Überzeugung, dass Religion ein lebendiges Bedürfnis und eine schöpferische Lebensäußerung des Menschseins-in-der-Welt ist, möchte sie mit Religion über Religion aufklären200: „So stark auch unsere Denkweisen in dieser Krise betroffen sein mögen, unsere Denkfähigkeit steht nicht zur Diskussion; wir sind das, was die Menschen immer gewesen sind – denkende Wesen.“201 So verstanden kann Theologie in der Moderne, besonders in ihrer Gestalt als Existenz-Theologie respektive Existenzialhermeneutik, zu einem diskursiven Ort ideologiekritischer Besonnenheit werden.

Vgl. P. TILLICH 1987a, I, 12. D. J. PETERSON 2014, 15. 200 Zum Programm der theologischen Aufklärung über Religion vgl. F. W. G RAF 2015. 201 H. A RENDT (1977/1978) 1998, 21; vgl. auch W. TRILLHAAS 1972, 3: „Die Dogmatik hat [...] heute eine veränderte Aufgabe wahrzunehmen, daß sie das christliche Denken davor bewahrt, bei sich selbst zu bleiben. Zugespitzt ausgedrückt: Es kommt nicht darauf an, ,theologisch denken‘ zu lernen, sondern überhaupt denken zu lernen.“ 198 199

1.3 Zum Forschungsstand: Rezeption der Tod-Gottes-Idee

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1.3 Zum Stand der Forschung: Überblick über die Rezeption der Idee vom Tode Gottes vorwiegend in der deutschsprachigen Theologie nach dem Zweiten Weltkrieg 1.3 Zum Forschungsstand: Rezeption der Tod-Gottes-Idee

„We still lack a study of theological radicalism in the sixties.“202 Ein umfassender wissenschaftlicher Überblick über die Gott-ist-tot-Theologie bzw. die Radical Theology aus (protestantisch-)theologischer Perspektive ist noch nicht vorgelegt worden, weder in der angloamerikanischen noch in der deutschsprachigen Theologiegeschichtsschreibung. Bereits in den 1970er Jahren wurde festgestellt, dass „ein möglichst vollständiger Vergleich zwischen den verschiedenen nichttheistischen-christlichen Positionen“ aus der Bundesrepublik Deutschland, England, Frankreich und den USA203 – „noch besser wäre die Darstellung und Auswertung möglichst aller Voten bei dieser Diskussion um [sic!; den; d. A.] ,Tod Gottes‘ in den 60er Jahren und ihrer Einordnung in weitere gesellschaftliche Prozesse“204 – aufgrund der schier unüberschaubaren Materialfülle „die Möglichkeiten eines Einzelnen [übersteigt] und mehr Sache eines Teams [wäre] – am besten in interdisziplinärer Zusammensetzung, da sich in dieser Diskussion nicht nur Theologen, sondern auch Vertreter anderer Wissenschaften zu Wort gemeldet haben.“205 Nicht zuletzt darum fehlt wohl eine Geschichte der Gott-ist-tot-Kontroverse, die sich mit dieser theologischen Bewegung der 1960er Jahre in ihrem zeitgeschichtlichen Kontext und ihrer TH. J. J. ALTIZER 2006, 10. Gerhard F. Bornés Vorschlag umfasst „Positionen, wie sie in der BRD z. B. bei Herbert Braun, Manfred Mezger, und Dorothee Sölle, oder in England bei J. A. T. Robinson und Werner und Lotte Pelz, oder in Frankreich bei Jean Cardonnel, André Monjardet und Ennio Floris, oder in den USA bei christlichen Theologen wie Thomas Altizer, William Hamilton, Paul van Buren, John Charles Cooper, William Mallard und von jüdischer Seite bei Richard Rubenstein begegnen“ (G. F. BORNÉ 1979, 13). Von den genannten französischen Positionen ist lediglich die Studie des von der Befreiungstheologie beeinflussten „dominicain rouge“ Jean Cardonnel (1921–2009) erwähnt, der seine Schrift Dieu est mort en Jésus Christ (1968) – 1969 erschien diese unter dem Titel Gott in Zukunft. Aufforderungen zu einer menschlichen Welt auf Deutsch – ohne Einwilligung der französischen Bischöfe veröffentlichte („L’affaire Cardonnel“). Cardonnel betont, dass Gott in Jesus Christus gestorben ist (a. a. O., 25–34) und damit die „Absage an alle uns geläufigen Vorstellungen von Gott“ (a. a. O., 29) verbunden sei: Jesus Christus „erschien als der radikale A-theist. Gott, das ist der alltägliche Mensch“ (a. a. O., 31).Vgl. auch D. SÖLLE 1971a, 61–67 und den Nachruf von Stéphanie Le Bars in Le Monde vom 8. Juli 2009. 204 G. F. B ORNÉ 1979, 13.14. 205 G. F. B ORNÉ 1979, 14 weist auf das reichhaltige unerschlossene Material in US-amerikanischen Zeitschriften hin, verzichtet aber auf dessen Auflistung im Literaturverzeichnis. Einiges von diesem Material (K. ROHMANN 1977, 51–56) verzeichnet Klaus Rohmann in seinem Literaturverzeichnis (a. a. O., 427–446); vgl. L. J. FINNEGAN 1976, 372–383 (und bereits TH. J. J. ALTIZER 1967a, 365–374). Borné erwähnt beide Studien nicht, obwohl sie zu den ersten Untersuchungen gehören. Vgl. zu ihnen im folgenden Abschnitt 1.3.1. 202 203

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1 Einleitungsteil

Vor- und Nachgeschichte befasst. Auch ein ausführlicher Forschungsüberblick wurde bislang nicht vorgelegt. Die Nachzeichnung der Debatte um die Gottist-tot-Theologie gehört damit weiterhin zu den unerledigten Kapiteln der neueren Geschichte der evangelischen Theologie in ihrer internationalen Verflechtung. Die vorhandenen Überblicksdarstellungen sind zum größten Teil während der Kontroverse entstanden und überwiegend mit wenig Willen zur sachlichen Auseinandersetzung veröffentlicht worden. Eine umfassende Darstellung der Theologiegeschichte der 1960er Jahre kann auch diese Studie nicht vorlegen.206 Ein solches Unternehmen gehört zu den Forschungsdesideraten der Zeit- und Theologiegeschichtsschreibung für die nächsten Jahre und Jahrzehnte. Die vorliegende Studie versucht lediglich, Schneisen zu schlagen im Blick auf die Rezeption der Idee des Todes Gottes in diesem Zeitraum. Im Kontext der ideengeschichtlichen Konstellationen werden philosophische und theologische Deutungsvarianten des Motivs vom Tode Gottes nachgezeichnet und vor allem wird versucht, die systematischen Anliegen der einzelnen Entwürfe im Abstand der Zeit neu zu bewerten (B. Teil III. Kapitel 6 und 7). An dieser Stelle geht es zunächst darum, den Stand der Forschung wiederzugeben durch eine chronologisch am Erstveröffentlichungsdatum orientierte Sichtung von akademischen Qualifikationsarbeiten, Lexikon- und Handbuchartikeln, Forschungsberichten, Lehrbüchern der Dogmatik sowie Entwürfen Systematischer Theologie und Überblicksdarstellungen der Theologiegeschichte. Auf diesen Wegen rüstet man sich üblicherweise mit ersten wissenschaftlich fundierten Informationen über die Thematik aus. Insbesondere den Formaten Lexikon, Lehrbuch und Überblicksdarstellung kommt in der Rezeptionslenkung der Leser besonderes Gewicht im Kampf um die Deutungshoheit zu.207 Ein erster Zugriff auf das Phänomen über den Begriff fördert keine Klarheit oder gar Eindeutigkeit zutage. Die paradoxe Zusammenstellung von Theologie und Tod Gottes bzw. von Gott und Tod spiegelt sich wider in zahlreichen Bezeichnungen und Schreibweisen. In der schier unübersichtlichen Fülle von Veröffentlichungen wird versucht, diese Strömung und ihre Anliegen in verschiedenen (Bindestrich-)Varianten auf den Begriff zu bringen208: Gott ist totTheologie, Gott-ist-tot-Theologie, sog. Gott-ist-tot-Theologie, die neue Gottist-tot-Theologie, Gott-ist-tot-Theologie, Gott-Ist-Tot-Theologie, Gott-ist-tot„Theologie“, „Gott-ist-tot“-Richtung, „Tod-Gottes“-Theologie, Tod-GottesTheologie, Theologie des Todes Gottes, Theologie „nach dem Tode Gottes“,

Einen Überblick „Ausklang der Nachkriegszeit“ bietet J. ROHLS 1997b, II, 677–859. Erste englisch- und deutschsprachige Überblicks- und Einführungsdarstellungen, die im zeitlichen Kontext der Debatte der 1960er Jahre erschienen sind, finden zudem, bis auf wenige Ausnahmen, in Kapitel 6 und 7 Erwähnung. 208 In den im Folgenden behandelten Studien und Artikeln scheinen diese verschiedenen Begriffsverwendungen auf und können einzelnen Autoren zugewiesen werden. Aufgeschlüsselt finden sie sich auch in Abschnitt 12.5. 206 207

1.3 Zum Forschungsstand: Rezeption der Tod-Gottes-Idee

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Gottestod-Theologie, Tod-Gottes-Idee, neue Theologie, Radikale Theologie, God Is Dead Theology, Death-of-God-Theology, Death-of-God theology, radical theology, God is Dead movement, Death of God movement, death-of-Godmovement, death-of-God phenomenon. Neben dieser Begriffsunschärfe ist es auch nicht einfach möglich, die Anliegen der unterschiedlichen angloamerikanischen und deutschsprachigen Theologinnen und Theologen auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Denn jede dieser Bezeichnungen ist ein „Sammelbegriff [...,] unter dem sich sehr Vielfältiges, ja Widersprüchliches verbirgt.“209 Weit verbreitet ist die Verwendung der Bezeichnung „Gott-ist-totTheologie“, die in der Regel auch hier Verwendung findet. Angemessener wäre die Verwendung eines möglichst deskriptiven Begriffs, wie z. B. „Gott-ist-totKontroverse“, der zum einen die Konflikthaftigkeit des Themas und zum anderen die streitvolle Auseinandersetzung um die verschiedenen theologischen Entwürfe widerspiegelt und nicht die Abwertung ins Zentrum stellt. Schwierig ist es auch, Grenzlinien einzuziehen: Wer kann nun dazu gerechnet werden – und wer nicht: „Die Vertreter der G[ott]-i[st]-t[ot]-T[heologie] unterschieden sich stark voneinander und wurden nur in der Presse und von kirchl[ichen] und politischen Opponenten en bloc angegriffen.“210 Erschwert wird die Beschäftigung mit diesem heterogenen Phänomen dadurch, dass die Bezeichnung überwiegend polemisch und diskreditierend verwendet wurde. Neben der Beurteilung der neuen theologischen Richtung soll in der folgenden Darstellung auch die jeweilige Deutung der Tod-Gottes-Idee herausgestellt werden. Orientierungsmarke ist für das weitere Vorgehen das Erscheinungsjahr der jeweiligen Publikationen. Das ist zwar keine Chronologie der Ereignisse der neueren Gott-ist-tot-Kontroverse, zeigt aber die Heterogenität der Forschungslage, auf die es hier zunächst ebenso ankommt wie auf das eingangs bereits anskizzierte Alleinstellungsmerkmal des hier vorgelegten Beitrags zu diesem durch angloamerikanische und deutschsprachige Diskursformationen weitverzweigten Forschungsfeld. Die Positionen, die nur an diesem Ort der Studie verhandelt werden, werden in der Systematik der Deutungsvarianten der Tod-Gottes-Idee am Ende des Buches entsprechend eingeordnet (12.2). 1.3.1 Monographien (Dissertations- und Habilitationsschriften) und Studien Aufgabe von wissenschaftlichen Qualifikationsarbeiten ist es, in den Dschungel der begrifflichen Unschärfe ordnende Klarheit zu bringen. Als erste Monographien, die an deutschsprachigen Theologischen Fakultäten in den 1970er Jahren entstanden sind, waren fünf römisch-katholische Qualifikationsarbeiten und eine evangelisch-theologische Dissertation aus diesem Themensektor auszumachen. Die in den 1960er Jahren einsetzende Hegel-Renaissance in der 209 210

H. ZAHRNT 1970, 53. D. RITSCHL 1989, 250.

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evangelischen Theologie wird exemplarisch an drei weiteren evangelisch-theologischen Dissertationsschriften und einer Habilitationsschrift gezeigt,211 die im Zuge der Frage nach der Persönlichkeit Gottes, der Konjunktur der futurischen Eschatologie212 und dem Todesverständnis sowie dem Selbstverständnis der Theologie das hegelsche Motiv des Todes Gottes streifen,213 das auch dazu verwendet wird, die Anfragen der Gott-ist-tot-Theologie pauschal zurückzuweisen, da sie sich, so der Vorwurf, nicht umfassend mit Hegel auseinandergesetzt hätten. Umfassend mit Hegel auseinandergesetzt haben sich in zwei Studien Wolf-Dieter Marsch und Christian Link, die hier aus kontextuellen und sachlichen Gründen aufgereiht werden, auch wenn es sich nicht um Qualifikationsschriften handelt. Marsch zieht aus Hegels Dialektik Impulse für eine evangelische Sozialethik und Link will mit Hegels Wort „Gott selbst ist tot“ den metaphysischen „Gegner“ vereinnahmen für eine Theologie, die die neuzeitliche Kluft zwischen Glauben und Wissen schließen will. Auch wenn Hegels Rede vom Tode Gottes „in der neueren theologischen Diskussion eine Schlüsselposition erhalten [hat], [...] blieb ihre theologische Bedeutung um-

211 Neben den fortlaufenden Besprechungen von neueren theologischen Arbeiten zu Hegel in den Hegel-Studien seit ihrem Erscheinen 1961 (vgl. u. a. W. JAESCHKE 1978) und dem Forschungsüberblick bei W. JAESCHKE 1983 sei hier auf M. WENDTE 2007 verwiesen, der einen auf seine Fragestellung zugespitzten Forschungsüberblick zu Hegels Religionsphilosophie und Christologie in ihrer religiösen wie philosophischen Lesart seiner 2006 in Tübingen angenommenen Dissertationsschrift Gottmenschliche Einheit bei Hegel vorschaltet (M. WENDTE 2007, 12–52). Wendte interessiert jedoch nicht mehr der Kontext der Gott-ist-totTheologie oder die Rezeption des Motiv des Todes Gottes in anderen Studien, sondern bei ihm kreuzen sich die Diskurse um das Chalcedonense, Hegels Theorie des Absoluten und die theologische und philosophische Hegel-Kritik, der es nicht zuletzt um die Aufdeckung eines „impliziten Hegelianismus“ in der gegenwärtigen Systematischen Theologie und Trinitätslehre geht (vgl. a. a. O., 1–12), so dass Wendte herausstellt, dass nicht der Tod im Tod Gottes „einen absoluten Triumph über Gott [feiere]“, sondern dass „in Wahrheit der Tod im Tode Gottes getötet“ (a. a. O., 268) werde. Zur Darstellung des Motivs des Todes Gottes in der Religionsphilosophie Hegels vgl. a. a. O., 208.209; 264–288, bes. 264–271. 212 Insbesondere befördert durch die von Ernst Blochs Das Prinzip Hoffnung (1959) inspirierte Theologie der Hoffnung (1964) Jürgen Moltmanns (vgl. auch W.-D. MARSCH 1965; s. u. 1.3.6) und die Gesellschaftstheorie der Frankfurter Schule und ihrer Hegel-Studien (Herbert Marcuse, Georg Lukács, Theodor W. Adorno, Max Horkheimer und Jürgen Habermas). 213 Der Anfang liegt in der Aufdeckung der theologischen Wurzeln von Hegels Dialektik in seinen Jugendschriften durch J. RITTER (1957) 1965 und G. ROHRMOSER 1961. Damit verbunden ist die Bedeutung von Hegels Philosophie im Ganzen und seiner Religionsphilosophie im Besonderen für den letzten großen Versuch, die Moderne mit dem christlichen Erbe zu versöhnen. Vgl. W. PANNENBERG 1971, 78–113 (Die Bedeutung des Christentums in der Philosophie Hegels; 1970). Zur einschlägigen theologischen Literatur bis 1970 vgl. die Hinweise in G. ROHRMOSER 1961, 10–12; W.-D. MARSCH 1965, 13–55; W.-D. MARSCH 1968, 57–63; 69–76; P. CORNEHL 1971, 17.18 samt Anm. 15–17 und Literaturverzeichnis.

1.3 Zum Forschungsstand: Rezeption der Tod-Gottes-Idee

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stritten.“214 Weitere Qualifikationsarbeiten, die das Motiv des Todes Gottes im Zusammenhang mit Studien zu Hans Blumenberg und Friedrich Nietzsche aufgreifen, erschienen seit Beginn des neuen Jahrtausends und beschließen diesen Teil der Forschungsübersicht. Die 1977 veröffentlichte Würzburger Habilitationsschrift des späteren Münchener Fundamentaltheologen Heinrich Döring aus dem Jahr 1971, begutachtet von Josef Hasenfuß und Eugen Biser, untersucht die Abwesenheit Gottes215 als das Hauptproblem „heutiger Theologie“ und findet bei ihren „Fragen und Antworten“ nach Barths Offenbarungstheologie und Bultmanns Entmythologisierungsprogramm in der „Gott-ist-tot-Theologie“216 das „auffallendste Signalement einer theologischen ,Grundlagenkrise‘, die in ursächlichem Zusammenhang steht mit der Kritik der ,Onto-Theo-Logie‘ durch Heidegger.“217 Die in München angefertigte, von Leo Scheffczyk und Heinrich Fries begutachtete, 1973 von der KatholischTheologischen Fakultät der Universität München angenommene und 1976 veröffentlichte englischsprachige Dissertation des Australiers Laurence James Finnegan mit dem Titel Christian Faith in the American Death-of-God Theology218 untersucht die Ansätze von William Hamilton, Thomas J. J. Altizer und Paul van Buren. Im Fokus der zeitgeschichtlich angelegten Untersuchung steht deren neue – gottlose – Interpretation des Glaubensverständnisses: „Christian Faith without God“. Jedem der drei Ansätze wird von einem „Point of Departure“ über einen „Radical Religious Change“ zur jeweiligen Position eines „Faith without God“ gefolgt. Die Ursachen und Motive für die Death-of-God-Theology werden im Fazit auf die Säkularisierung und einen neuzeitlichen Anthropozentrismus zurückgeführt. Gott-ist-tot-Theologie wird als eine Art „Symptom“ verstanden, das auf auszuräumende Missstände hinweist. Tod-Gottes-Theologie ist für Finnegan ein zu überwindendes Problem. Der Missstand zeigt sich als lebensweltliche Irrelevanz bzw. Erfahrungsunzugänglichkeit des Gottesgedankens; das soll gegen Barth mit einer natürlichen Theologie gelöst werden, was Finnegan am Ende aber nur noch mit Rahners Gedanken der „Einweihung in eine ursprüngliche Gotteserfahrung“ andeutet. Die weiteren römisch-katholischen Dissertationen sind: Atheismus als theologisches Problem. Modelle einer Auseinandersetzung in der Theologie der Gegenwart219 von Johann Figl, Gott-Ist-Tot-Theologie erst heute?220 von Albert Gasser und Vollendung im Nichts. Eine Dokumentation der amerikanischen ,Gott-ist-tot-Theologie‘221 von Klaus Rohmann. Johann Figls Untersuchung, vom Fundamentaltheologen Max Seckler betreut, wurde im Wintersemester 1975/76 vom Fachbereich Katholische Theologie der Universität Tübingen als

CH. LINK 1974, 28 mit Verweisen auf J. MOLTMANN 1964, 152 ff. (Theologie der Hoffnung); W.-D. MARSCH 1965, 239 ff.; H. THIELICKE 1968, I, 305 ff.; D. SÖLLE (1968) 1983a, 52 ff.; aber nicht mit Verweis auf P. CORNEHL 1971, 125.126, der fast wortgleich formuliert. 215 H. D ÖRING 1977. 216 H. D ÖRING 1977, 275–353. Dargestellt werden unter der Überschrift „Der ,Tod Gottes‘“ die Ansätze von P. van Buren („Gott – eine nicht verifizierbare Wirklichkeit“), Th. J. J. Altizer („Die totale Kenosis Gottes“) und D. Sölle („Der vermittelte Gott“). 217 H. D ÖRING 1977, 275. 218 L. J. FINNEGAN 1976. 219 J. FIGL 1977. 220 A. G ASSER 1976. 221 K. R OHMANN 1977. 214

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Dissertation angenommen und 1977 veröffentlicht. Sie geht der Frage nach, was der Atheismus für die Theologie bedeutet, und stellt dafür einige der seit 1960 vorliegenden deutschsprachigen Lösungsvorschläge römisch-katholischer und evangelischer Provenienz vor. Im vierten Teil werden die Ansätze von Herbert Braun, Dorothee Sölle („,Tod Gottes‘ als Bedingung der Theologie“) und Jürgen Moltmann als „Versuche zur Überwindung der Alternative von Theimus und Atheismus“ vorgestellt und der „A-Theismus als Voraussetzung“ ihrer Theologie aufgezeigt, wobei Figl sich bei Braun und Sölle auf die Schwierigkeiten des nicht-theistischen Lösunsgversuchs konzentriert und bei Moltmann auf die Probleme einer kreuzestheologischen Verlagerung des Gottesgedankens in die Christologie. Figl verzichtet auf Polemik und ist an einer sachlichen Beschreibung des Phänomens interessiert. Albert Gassers Arbeit wurde von der Theologischen Fakultät der Universität Luzern 1976 als Dissertation angenommen und veröffentlicht. Betreut und begutachtet wurde die Arbeit von Eduard Christen und Nikolaus Wicki. Im Kern ist sie eine Auseinandersetzung mit der Theologie nach dem Tode Gottes von Dorothee Sölle und ebenfalls nicht mit der US-amerikanischen Bewegung. Sie wird aber innerhalb der Theologiegeschichte insgesamt verortet, wenn Gasser davon ausgeht: „Gott-Ist-Tot-Theologie begleitet die Kirche in ihrer Geschichte als immerwiederkehrende Versuchung. In ihr meldet sich ein zeitloses Anliegen. Die Idee bleibt, die Gestalt wechselt.“222 Dazu sucht er nach Parallelen in den Phänomenen der modernen Bewegung mit der mittelalterlichen französischen Sekte der Amalrikaner, die um das Jahr 1200 in Paris und Umgebung auftauchte und eine gewisse Verwandtschaft zur Geschichtsapokalyptik von Joachim von Fiore zeigt.223 Ferner arbeitet Gasser heraus, inwiefern in der neueren Gott-Ist-Tot-Theologie gnostisches Gedankengut der altkirchlichen Zeit weiterlebt und sich im neuen Gewand präsentiert. Abschließend bescheinigt er der Gott-Ist-TotTheologie ein „gestörtes Verhältnis zu Gott und Welt“224 und den drei untersuchten Richtungen ein „Evangelium von der vergotteten Menschheit“225, die nicht mehr angewiesen auf die Schöpfung und Erlösung des dreipersönlichen Gottes sei und dazu beitrage, dass der Mensch heimatlos werde und nicht mehr Mensch bleiben könne, wenn er Gott werden will.226 Die konstruktive Absicht eines zeitlosen Anliegens, das mit der Idee vom Tod Gottes im Laufe der Christentumsgeschichte immer wieder aufflammt, wird in der Arbeit Gassers verurteilt. Die von dem Physiker und Fundamentaltheologen Heimo Dolch angeregte, 1975 vorgelegte und 1977 veröffentlichte römisch-katholische Bonner Dissertationsschrift des Religionslehrers Klaus Rohmann greift die wichtigsten Vertreter der Gott-ist-tot-Theologie heraus und stellt sie in einem „Panaromabild“ kurz vor. Der Leser erhält zunächst Einblick in das theologische Denken von John A. T. Robinson, Dorothee Sölle, Gabriel Vahanian, Paul van Buren, Harvey Cox und William Hamilton, gewinnt aber auch einen Eindruck von der wichtigen Rolle der Presse beim Aufkommen dieser Bewegung und ihrer Wirkung. Die Arbeit ist aber keine Darlegung der Wirkungsgeschichte oder gar eine systematisch-theologische Auseinandersetzung, sondern will lediglich „allgemeinverständlich“ eine „Dokumentation der Aussagen einzelner ,Gott-ist-tot-Theologen‘“227 sein, auch um Missverständnisse und Vorurteile offen zu legen, die sich in einer Vielzahl von Publikationen über die Gott ist totTheologie finden lassen. In einer „Nahaufnahme“ wendet Rohmann sich daher dem bis dato A. GASSER 1976, 2. Vgl. A. GASSER 1976, 3. 224 A. G ASSER 1976, 239. 225 A. G ASSER 1976, 245. 226 Vgl. A. G ASSER 1976, 245. 227 K. R OHMANN 1977, 19. 222 223

1.3 Zum Forschungsstand: Rezeption der Tod-Gottes-Idee

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wenig berücksichtigten jüdischen Theologen Richard L. Rubenstein und dem häufig missverstandenen Thomas J. J. Altizer zu. Zwar sei die „Welle“228 als „Modeerscheinung“ abgeklungen, aber die Anliegen dieser theologischen Bewegung seien noch lange nicht bearbeitet und wirkten untergründig in der römisch-katholischen Theologie weiter.229 Rohmanns Studie ist bis heute die umfassendste zum Thema und bietet ein bis in die Mitte der 1970er Jahre reichendes umfangreiches Literaturverzeichnis. Neben Kierkegaard, der für theologischen Neuaufbrüche der dialektischen Theologie und die „unter dem Kennwort Entmythologisierung von Bultmann vollzogene Umformung der Offenbarungstheologie auf dem Boden der Heideggerschen Analytik des Daseins“230 einflussreich wurde, wurde in der evangelischen Theologie der 1960er Jahre wieder vermehrt auf Hegel zurückgegriffen. Die Hegel-Renaissance lässt sich hier exemplarisch an drei evangelisch-theologischen Dissertationsschriften aufzeigen, die in ihrer unterschiedlichen Themenwahl Hegels Deutung des Todes Gottes, die „in der neuesten theologischen Diskussion wieder eine Schlüsselposition erhalten“ hat, auch wenn „eine Reihe von Interpretationsfragen offen[bleiben]“231, streifen und dieser unterschiedliches Gewicht beimessen. Der Literaturbericht beginnt mit einer als Habilitationsschrift geplanten Studie,232 in der der frühere Wuppertaler Systematische Theologe Wolf-Dieter Marsch (1928–1972) die Möglichkeiten einer evangelischen Sozialethik ausloten will. Die von Ernst Blochs Prinzip der Hoffnung beeinflusste und „Ernst Bloch dem Achtzigjährigen“ gewidmete, von Jürgen Moltmann angeregte und nicht zuletzt Impulse marxistischer Kritik aufnehmende Studie Marschs zu Hegels Dialektik Gegenwart Christi in der Gesellschaft (1965) will „eine dem Christusglauben inhärierende Dialektik – die Dialektik vom Tod Gottes in Christi Kreuz und der Gegenwart des Auferstandenen in der Gemeinde, aber auch der Welt – in ihrer sozialethischen Konsequenz“ bedenken.233 Denn der christliche Glaube, der nicht darauf verzichten will, von der Gegenwart Christi, des Auferweckten und Gekreuzigten zu reden (13), müsse die nachchristlichen Bedingungen der Moderne (14) akzeptieren,234 die Marsch unter dem Begriff der „emanzipierten Gesellschaft“ (18–33) zusammenfasst: „losgelöst von Mächten der Herkunft, bestimmenden historischen Traditionen und heiligen Ordnungen wird der soziale Zusammenhang begriffen als ein in sich funktionierendes, höchstens politisch reglementierbares Ganzes.“ (15) Marschs Hegel sieht, „daß mit der Tradition des Christentums der sich aufklärenden Erfahrung von Welt als Geschichte“ der Gegensatz: „emanziK. ROHMANN 1977, 19. K. ROHMANN 1977, 19 mit Verweis auf Leo Scheffczyk. 230 G. R OHRMOSER 1971, 10: „Der Theologie ist die Auseinandersetzung Kierkegaards mit Hegel zum Schicksal geworden“ (ebd.), insbesondere gelte das für Kierkegaards Vorwurf, Hegel habe das Problem der Subjektivität verfehlt (a. a. O., 12). Vgl. zur zeitgenössischen Kritik Troeltschs an „,Kierkegaards junge[n] Herren‘“ den Beitrag von Friedrich Wilhelm Graf in H. RENZ/F. W. GRAF 1987, 172–192. 231 P. C ORNEHL 1971, 125.126 mit Hinweis auf J. Moltmann, W.-D. Marsch und D. Sölle. 232 Der eigentliche Plan, aus dieser Studie eine Habilitationsschrift anzufertigen, hat sich für Marsch nicht erfüllt (vgl. W.-D. MARSCH 1965, [7]). Vgl. auch W.-D. MARSCH 1967, wieder abgedruckt in: W.-D. MARSCH 1973. 233 W.-D. M ARSCH 1968, 75 in knapper Zusammenfassung von W.-D. M ARSCH 1965, bes. 55; 91–119; 239–271 („Tod Gottes und die Dialektik von Entzweiung und Versöhnung“); zur Kritik seiner Hegel-Interpretation vgl. P. CORNEHL 1971, 106, Anm. 22; 115, Anm. 31; 117, Anm. 23; bes. 125.126. 234 Zur Kritik an dieser Übernahme des Selbstverständnisses der modernen bürgerlichen Gesellschaft vgl. P. CORNEHL 1971, 151. 228 229

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pative Weltbeherrschung und Leiden am Verlust eines sinngebenden Ganzen, technische Weltgestaltung und Gefühl des Todes Gottes“ (239) eingestiftet sei, aber zugleich sei es „die Aufgabe des menschlichen Bewußtseins, sich mit jenem Verlust nicht abzufinden, sondern – wie es in Jesu Leben und Leiden erkennbar geworden ist – in der Zuversicht einer ,Wiedervereinigung des Lebens‘, im Entdecken versöhnender ,Mitten‘ zu denken und zu leben“ (239). Mündige Welt und Tod Gottes gehören zusammen (insbes. 55; 239–271), von Gottes Wirken und seiner sinngebenden Kraft in der „Säkularität der industriellen Zivilisation“ zu reden, sei schwierig (239; 241–245) und nur möglich in der christologischen „Befreiung vom unendlichen Schmerz“ durch die noch ausstehende Hoffnung auf Versöhnung (245; 258–267), die Zukunft des Auferstandenen angesichts des Kreuzes (268–271). Der vom eigenen theologischen Interesse geleiteten Interpretation der Passion Christi im Geist des Christentums als Deutung von Hegels eigener Position (91–129) geht es im Grunde darum, die „Aufgabe einer Übersetzung des Versöhnungsereignisses in die gesellschaftliche Situation der Entzweiung“ (128) als Zuversicht eschatologischer Versöhnung aufrechtzuerhalten. Trotz der hier nur angedeuteten massiven Kritikwürdigkeit dieser Studie bleibt die Einsicht Marschs weiterhin bedenkenswert, dass über „Christi Gegenwart in den kulturellen Bedingungen der Moderne [...] nicht mehr nur in der Rekapitulation biblischer Erkenntnisse und in dogmatischen Setzungen geredet werden [könne]. Zuerst muß ,das Gefühl: Gott selbst ist tot‘ als de(r) unendliche Schmerz, worauf die Religion der neuen Zeit beruht‘, ins Bewußtsein gehoben sein, damit jene Erkenntnisse weitertradiert werden können.“ (303).235 Diese Übersetzungsarbeit stehe vor bislang nicht dagewesenen Herausforderungen und bleibt bei Marsch nur angedeutet. Zu den drei exemplarisch vorgestellten Dissertationsschriften gehört auch die im Sommersemester 1966 von Wolfhart Pannenberg und Hermann Fischer in Mainz begutachtete Arbeit Die Gegenwart des Absoluten und die Zukunft des Eschatons. Untersuchungen zur Eschatologie in der deutschen Aufklärung, bei Hegel und in der Hegelschen Schule des späteren Hamburger Praktischen Theologen Peter Cornehl (1936–2022), die 1971 überarbeitet unter dem Titel Die Zukunft der Versöhnung. Eschatologie und Emanzipation in der Aufklärung, bei Hegel und in der Hegelschen Schule veröffentlicht wurde. Unter der herausgestellten „Dominanz des Inkarnationsmodells“ (133) und seiner „soteriologischen Bedeutung eines stellvertretenden Geschehens pro nobis“ (134) geht es um den Gedanken der Zukunft der Versöhnung („Das Christusgeschehen als Grund der Versöhnung“; 126–145), in der Cornehl mittels einer Würdigung der Theologie der Versöhnung Hegels auch grundsätzliche Kritik an dieser übt,236 die sich insbesondere an Hegels „Eliminierung des noch ausstehenden Eschaton“ (143) festmacht sowie an seiner Aufhebung der Differenz zwischen Christus und den Christen im Geist der Gemeinde. Cornehl will so den Charakter der Hoffnung auf die endgültige Vollendung christologisch als Freiheit vom Tode profilieren, „gerade auch angesichts der perennierenden Todesverhaftetheit menschlicher Existenz“ (142.143). Ebenfalls von Wolfhart Pannenberg begutachtet wurde 1969, nun in München mit dem Korreferat von Trutz Rendtorff, Falk Wagners Dissertationsschrift Der Gedanke der Persön-

235 Zur Debatte um die Christologie in der Dialektischen Theologie und zu den Tendenzen nach 1945 vgl. W.-D. MARSCH 1965, 33–55. 236 Mit T. K OCH 1967, dessen Dissertationsschrift (Differenz und Versöhnung) zu Hegels Theologie nach seiner Wissenschaft der Logik ebenfalls bei Wolfhart Pannenberg in Mainz entstanden und 1964 dort angenommen worden ist. Zur Rezeption von Hegels Religionsphilosophie bei Pannenberg und seinen Schülern vgl. jetzt den Beitrag Prolepse von Gunther Wenz in M. KÜHNLEIN/H. OTTMANN 2021, 111–138.

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lichkeit Gottes bei Fichte und Hegel (1971).237 Bearbeitet werden vor dem Hintergrund des in der evangelischen Theologie vernachlässigten Problems des Gedankens der Persönlichkeit Gottes (13) „Fichtes Kritik des Gedankens der Persönlichkeit Gottes“ (17–131) und Hegels „Versuch der Versöhnung von Objektivität und Subjektivität“ (133–288), in dessen abschließendem Abschnitt „Die christliche Religion als Darstellung der Persönlichkeit Gottes“ der „Tod Gottes als Nahtstelle zwischen Christologie [als Darstellung der Theo-Logie in der Form des vorstellenden Bewußtseins; d. A.] und Ekklesiologie [als Darstellung der Theo-Logie in der Form des selbstbewußten Wissens der christlichen Gemeinde; d. A.]“ zur Sprache kommt 238: Der versöhnende Tod Gottes als Tod (als „Aufhebung“ und „Selbsthingabe Gottes an den Tod“ „Ausdruck der höchsten Liebe“) der „ausschließenden Person“ (270; 273) Jesu bedeute einerseits die „Negation und Kritik des als abstrakt-einzelne Person vorgestellten Gottes“ und andererseits „die Konstitution Gottes als wahrer Persönlichkeit“ (273; 279), nämlich zur Konstitution („Auferstehung“) Gottes als des absoluten Geistes im Selbstbewusstsein der Gemeinde (274; 277) und der Konstitution der christlichen Gemeinde als „die unterschiedlichen Elemente der einen gedoppelten Vermittlung“ (275). Gott ist als Geist (als „unendliche Subjektivität“) in seiner Gemeinde gegenwärtig, da diese „den Tod Gottes als Ausdruck höchster Liebe ergreift und anerkennt“ (276): „Im selbstbewußten Wissen der christlichen Gemeinde kehrt Gott insofern als Persönlichkeit in sich zurück, als die Personen der Gemeinde sich durch den versöhnenden Tod anerkannt wissen, so daß Gott in diesem Wissen der Personen als Persönlichkeit gegenwärtig ist“ (281). Wagner bevorzugt in Bezug auf die Theo-Logie, insbesondere die Trinitätslehre, den „späteren“ Hegel gegenüber dem „jungen ,praxis-bezogenen‘“ Hegel (288) und will mit ihm die systematische Pointe aufzeigen, nämlich, dass im Tod Gottes der Schlüssel zum sachgemäßen Verständnis des Gedankens der Persönlichkeit Gottes steckt. Der spätere Bochumer Systematiker Christofer Frey hat in seiner eine Vielzahl von theologischen Problemen anreißenden, 1973 publizierten Spezialstudie (Reflexion und Zeit. Ein Beitrag zum Selbstverständnis der Theologie in der Auseinandersetzung vor allem mit Hegel) zu Hegels Begriff der Reflexion – sie wurde 1972 von der Heidelberger Theologischen Fakultät als Habilitationsschrift angenommen, die Referenten waren Heinz-Eduard Tödt, Michael Theunissen239 und Albrecht Peters – im Kontext seines Hinweises auf die mitunter verwirrenden Ausführungen Hegels in der Phänomenologie bis zum Satz Hegels, dass die Substanz Subjekt sei (Übersicht: 143–149), den „vielfach diskutierte[n]“ Tod Gottes herausgestellt: „der Gott stirbt mindestens viermal; und wer großzügig rechnet, findet ihn ebensooft [sic!] inkarniert“ (142; 150–161). Denn: Jede Etappe des Werdens des Geistes – zur Substanz durch seine Entäußerung – als Selbst deutet Inkarnation, spekulativen Karfreitag und Auferstehung im Geist neu (vgl. 160).240 Die Option, Hegels Deutung des vierfachen Ereignisses des Todes Gottes für eine „Theologie nach dem Tode Gottes“ in Anschlag zu bringen, wird jedoch strikt abgewiesen; daher „lohnt es kaum“, auf „Vertreter einer solchen ,Theologie‘ [...] nach dem Tode Gottes“ einzugehen, da sie sich nicht wirklich gründlich mit Hegels Deutung des Todes Gottes befasst hätten.241 Frey folgt Roger Garaudy in seiner Deutung, „daß der Tod Gottes bei Hegel weder christlich noch atheistisch gemeint sei, sondern Hegels eigene zentrale Intuition darstelle: das Absolute setzt sich nur, in dem es sich entgegensetzt. Der Tod Christi wird zum Modell und zur geschichtlichen Erscheinung dieses GrundVgl. die Passagen in F. WAGNER 1971, 254–288; vgl. bereits F. WAGNER 1967. Vgl. besonders F. WAGNER 1971, 273–288. 239 Vgl. M. THEUNISSEN 1970. 240 Diese Hinweise werden in Abschnitt 5.1.1 dieses Buches wieder aufgenommen. 241 C H. FREY 1973, 160, Anm. 60. 237 238

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satzes.“242 Im Kontrast zur Phänomenologie findet in der Vorlesung zur „Absoluten Religion“ (ThWA 17, 185–344) der Tod Gottes „nur einmal statt“ (221; 221–225). Vor einer vorschnellen Vereinnahmung des Todes Gottes in die Christologie oder dem Postulat einer „Christlichkeit“ Hegels (gegen E. JÜNGEL 1969a.b) durch die Theologen rät Frey dringend ab (223.224). Da der Tod Gottes und die Negation der Negation bei Hegel „auch Sterben des metaphysischen Gottes in die neuzeitliche Subjektivität und Rehabilitation dieses Gottes durch sie“ seien, müsse die Theologie prüfen, „ob sie eine andere als diese Möglichkeit, von Gott zu reden kennt. Gelingt das oft angestrebte unmetaphysische Reden von Gott?“ (428). Ebenfalls in Heidelberg entstanden ist die Interpretation von Hegels Wort „Gott selbst ist tot“ (1974) von Christian Link (*1938), die sich sachlich an die Fragestellung Freys anschließt und daher hier eingereiht wird, obwohl auch sie wie Marschs Studie keine Qualifikationsschrift ist. Unter der gegen die Metaphysik gewendeten theologischen Prämisse, dass man vom Tode Gottes nur reden könne, „wenn man vom Leben Gottes nicht schweigt“ (5) steht Links profunde Studie, die auf einen Beitrag des damaligen Assistenten von Georg Picht am Heidelberger Seminar für Religionsphilosophie während des „Hinterzartener Gesprächs“ der Evangelischen Studiengemeinschaft über den jungen Hegel im September 1971 zurückgeht.243 Diese Bedingung sei für die Entfaltung des Themas „allein sachgemäß“ (5). Nach Hegel gehe es nun darum, statt auf dem Boden der Metaphysik Glauben und Wissen zu versöhnen, dies auf dem Boden der Theologie als „denkende Verantwortung der Rede von Gott“ (7) zu realisieren (vgl. 9.10). Das Wort vom „Tode Gottes“ versteht Link als „Ausdruck einer ,Aporie‘“ (7), denn der Glaube, den die Theologie ermöglichen solle, soll in der Gegenwart unmöglich gemacht werden; das „Nicht-Selbstverständliche“, das Kreuz, solle dagegen den Blick für diese Aporie schärfen. Seine Studie ist „im Streit um die Wirklichkeit“ (16) von Glaube und Unglaube geleitet von einem Überbietungsgestus der Theologie und ihrer Rede von Gott gegenüber der untheologischen, nämlich der metaphysischen Rede von Gott, die den christlichen Glauben seit seinen Anfängen begleitet hat (8). Das Wort vom „Tode Gottes“ ist für Link auf dem Boden der neuzeitlichen Metaphysik entstanden und nicht auf dem Boden der Theologie (im Unterschied zu E. Jüngel; 32 mit Anm. 59). Damit habe die neuzeitliche Rede vom „Tode Gottes“ ihren theologischen Ort nicht in der Christologie, sondern in der Lehre vom „Nichtigen“, wie sie Karl Barth in seiner Kirchlichen Dogmatik (KD III/3, § 50) entfaltet habe (15 u. ö.). Zwei Wege tun sich Link auf: der Weg der irrtümlichen und unverantwortlichen Gleichsetzung der metaphysischen Gottesvorstellung mit dem Gott der christlichen Offenbarung und der Weg der „offenkundigen NichtErfahrbarkeit und Nicht-Wirklichkeit“ („Tod“) „des biblisch bezeugten Gottes auf dem Boden neuzeitlicher Metaphysik“ (8). Link wählt nicht nur aus Gründen, die die Hegel-Interpretation der Theologischen Jugendschriften, von Glauben und Wissen, der Phänomenologie und der Religionsphilosophie ihm aufnötigt, sondern auch aufgrund des Problems des nichttheologischen Redens von Gott, CH. FREY 1973, 151, Anm. 58 mit Hinweis auf R. GARAUDY 1965, 428.429. Neben Picht erwähnt Link, dass er hilfreiche Anregungen und Kritik von Otto Pöggeler und Eberhard Jüngel erhalten habe (CH. LINK 1974, 5). Vgl. bereits seine „Marginalien zum ,Tode Gottes‘“ als Auftakt zur Studie über theologische Perspektiven nach Marx und Freud (CH. LINK 1971, 9–27); promoviert wurde der spätere Berner (1979–1993) und Bochumer (1993–2004) Systematische Theologe Christian Link 1970 in Heidelberg mit einer 1978 publizierten Arbeit zur Grundlegung der neuzeitlichen Metaphysik durch Descartes, auf die Jüngel im Vorwort zur dritten Auflage von Gott als Geheimnis der Welt nachdrücklich hinweist (E. JÜNGEL [1977] 1986, IX; zu Descartes darin § 9); zur Kritik an Links Hegel-Studie vgl. W. JAESCHKE 1978, 315.316. 242 243

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das sich als „theologisches Problem“ (9) anzeigt, den zweiten, den christologischen Weg, der allerdings die Äquivokation des Begriffs des Todes in Kauf nehme (8.9; 31). Denn, so seine „theologische These“, „der Versuch, Gott ohne und außerhalb seiner Offenbarung in Christus zu denken, d. h. Theologie ohne Christologie zu betreiben […,] ist der Versuch, Gott ohne seine Mensch- und also Fleischwerdung zu begreifen[...][Dies] hat in der Neuzeit zur Rede vom ,Tode Gottes‘ geführt“ (9), zu einem „Karfreitag, auf welchen keine Ostergewißheit folgt“ (13). Der Glaube, das sei die „verborgene theologische Pointe“ (68), finde als „Erfahrung mit der Erfahrung“ (E. Jüngel) für das aufgeklärte Denken nicht mehr statt; es ist die Erfahrung des „Nichts“ (68). Weder meint das Wort „Gott selbst ist tot“ die „Formel des Unglaubens“ noch beschreibt es den „Zustand, daß an den Gott der biblischen Offenbarung nicht mehr geglaubt wird“; es zielt in seiner metaphysischen Gestalt „vielmehr auf die vorgängige Bedingung von beiden: Es benennt den wirklichen Verlust Gottes und das in einer Radikalität, die die apologetischen Versuche, seine untergegangene Wahrheit durch eine theologische Interpretation der bestehenden Welt zu retten, hinter sich läßt“ (67). Aufklärung wäre demnach eine Folge, die das Denken aus der Erfahrung des Verlustes Gottes gezogen und so ins Bewusstsein der Moderne gebracht hätte (67), daher sei der „Grund der Erfahrung des Nichts genau zu erfassen“ (68–71; 71–79). Eingehegt ist Links Hegel-Interpretation („Die Rede vom ,Tode Gottes‘ als Problem der Metaphysik“; 27–90) von Überlegungen zur „Rede vom ,Tode Gottes‘ als Problem der Theologie“ (11–26) und zum „Leben Gottes als Gegenstand der Theologie“ (91–106), die zeigen wollen, dass mit dem Gedanken der Versöhnung der Tod Gottes und der Abgrund des Nichts überwunden ist: „Der ,Tod Gottes‘ überdauert die Proklamation der Auferstehung im System der spekulativen Philosophie“ (89). „Die Selbstvollendung des absoluten Geistes scheitert an der Realität der modernen Welt, die er nicht mehr durchdringt“ (90). Hier sucht Link bemerkenswerte Anschlussmöglichkeiten für eine Erfahrung des verborgenen Gottes in der Welt mithilfe der Fortschreibung der „natürlichen Theologie“ (93–99) in der Auslegung der alttestamentlichen Weisheitstheologie durch Gerhard von Rad,244 um die neuzeitliche Kluft zwischen Glauben und Wissen zu überwinden (99–106). Link schlägt abschließend vor, mittels der Metapher der „Verhüllung“ das „Ereignis der Menschwerdung Gottes“ zu deuten: „Was Gott ins Menschliche übersetzt, das verhüllt ihn zugleich als Gott“ (105). Diese „Ambiguität“ (mit Pascal) der Offenbarung mache Gottes Verborgenheit aus und entziehe Gott dem rationalen Zugriff, denn verborgen sei Gott in seiner „,Selbstdarbietung‘ (Barth), die sich in der alltäglichsten Erfahrung zutragen kann“ (106) und als „Geschenk“ den „Weg der Erkenntnis ,durch leibliche Vorgänge hindurch, nicht über sie hinweg‘“ beschreite (mit Viktor von Weizsäcker; 106). Dieser hier von Link nur anskizzierte sapientiale Weg wird auch gegenwärtig gegangen,245 jedoch bescheidener und skeptisch im Blick auf die exklusive christologische Zuspitzung, mit der Link (mit Barth und Jüngel) meint, dass die Inkarnation dazu verhelfe, nicht an der Realität der modernen Welt zu scheitern. Schließlich ist die von Werner Schultz246 und Hans-Joachim Birkner im Wintersemester 1973/74 begutachtete Kieler Dissertation Die Transformierung der theologischen Deutung des Todes bei G. W. F. Hegel. Ein Beitrag zur Formbestimmung von Paradox und Synthese

244 Ausführlicher in seiner Habilitationsschrift Die Welt als Gleichnis (C H. LINK 1976) zum Problem der natürlichen Theologie. 245 Vgl. M. SAUR 2011; H. R OSENAU 2012b; PH. D AVID 2021a. 246 Vgl. W. SCHULTZ 1964.

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(1976) von Annegrit Brunkhorst-Hasenclever zu nennen.247 Thema der Arbeit ist die religionsphilosophische Auseinandersetzung mit dem Problem des Todes, die auf den theologischen Horizont des Todesverständnisses bei Hegel. Der ,spekulative‘ Karfreitag in seiner Beziehung zum Tod des Menschen (217–255) zuläuft und herausstellt, dass sich „die von Hegel als zusammenfassendes Symbol eingesetzte Begriffsfügung ,Tod Gottes‘“ (219) weder eigne, um atheistische Tendenzen in seinem Denken zu entdecken („Hegelsche Linke“), noch um den Anspruch einer radikalen und endgültigen Kondeszendenz Gottes in die Wirklichkeit der Welt zu erheben (vgl. TH. J. J. ALTIZER 1966a; D. SÖLLE 1965; 219.220), sondern in „unmittelbarem Bezug zu der Konzeption der dialektischen Selbstwerdung des Absoluten“ (220) stehe, die durch die von der „Entäußerung des göttlichen Wesens ermöglichte Rückkehr des Endlichen in seinen Grund“ (202) geleitet sei. Da Hegel auch dort vom Tod Gottes spricht, wo der unmittelbare Bezug zur Person Christi fehlt, etwa als zeitdiagnostische Signatur atheistischer Tendenzen, könne der Tod Gottes „allgemein als Anschauungsform der philosophischen Kategorie der Identität, der Einheit Gottes und des Menschen, der Überwindung der Trennung von Gott und Welt interpretiert werden.“ 248 Das plausibilisiert Brunkhorst-Hasenclever in fünf Abschnitten: „a) Der ,Tod Gottes‘ als allgemeine Dialektik des Absoluten“ (217–226), „b) Hegels Lehre vom ,Tod Gottes‘ in ihrer Beziehung zur Theologie: Die Bedeutung des Leidens für den Gottesbegriff“ (226–234; u. a. in Auseinandersetzung mit E. JÜNGEL [1965] 1976a), „c) Der Tod Christi als Explikation und Vermittlung der gott-menschlichen Einheit“ (234–243), „d) Der Tod Christi und die Gegenwart des Eschaton“ (243–250) und „e) Die Bedeutung der dialektischen Negation für die Struktur der absoluten Synthesis“ (250–255). Angesichts „einer zerstörten Metaphysik“ (254) folgert sie, dass die „Immanentisierung des transzendenten Horizontes, die Hegels Begriff des Absoluten in sich enthält“ (255), Nietzsches „Projektion des Gottmenschen als Surrogat dieser Destruktion“ (254.255) und eine „emanzipierte[] Haltung des Menschen“ zum Absoluten befördere. Die Studie Christlicher Atheismus und Radikales Christentum. Studien zur Theologie von Thomas Altizer im Zusammenhang mit Ketzereien der Kirchengeschichte, der Dichtung von William Blake und der Philosophie von Georg Friedrich Wilhelm Hegel von Gerhard F. Borné wurde 1976 als Dissertationsschrift an der Freien Universität Berlin angenommen und von Helmut Gollwitzer betreut, der der u. a. um ein Nietzsche-Kapitel gekürzten (9) Veröffentlichung 1979 ein „Geleitwort“ 249 beisteuerte, in dem er Bornés wissenschaftliche Leistung der „Rehabilitation“ zwar anerkennt, sich aber zugleich inhaltlich von der Tod-GottesTheologie distanziert. Er gesteht aber auch ein, dass diesem Eindringen solch neuer Ideen nicht mehr mit Lehrzuchtverfahren begegnet werden könne, sondern nur im theologischen Gespräch. Das aber setze voraus, eine genauere Kenntnis der anderen Position jenseits des Plakativen zu haben, ob man diese nun gutheiße oder nicht. Auf einer mehrmonatigen Reise in die USA im Jahr 1970 führte Borné Gespräche mit Vertretern und Kritikern der TodGottes-Theologie (9). Die Untersuchungen Bornés berücksichtigen Veröffentlichungen Altizers bis 1971 (14). Vor allem macht sich Borné auf den Weg einer Rehabilitierung der Anliegen Altizers und seiner Geistesverwandten, wobei er mehr in die „Vertikale der Geschichte als in die Horizontale der Gegenwart“ (13) steuert.250 Deswegen richtet sich sein 247 A. BRUNKHORST-H ASENCLEVER 1976; zur Problematik und Kritik ihrer methodischen Vorentscheidungen und zur von Jaeschke expliziten, aber nicht weiter vertieften Würdigung des hier verhandelten Abschnitt zum Tod Gottes vgl. W. JAESCHKE 1978, 313–315. 248 A. B RUNKHORST-H ASENCLEVER 1976, 220.221 mit Bezug auf W. SCHULTZ 1964. 249 G. F. B ORNÉ 1979, 1–3. 250 Vgl. auch seine Aufsatztitel im Literaturverzeichnis (G. F. BORNÉ 1979, 298.299).

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Blick auf die „traditionsgeschichtliche Erfassung dieser Theologie“ (14) und verzichtet auf eine Darstellung der Gott-ist-tot-Kontroverse.251 Als Bornés Verdienst ist dabei die Rekonstruktion der Vorstellungswelt des englischen Poeten William Blake (95–168) herauszustellen, der für Altizer zu den wichtigsten Impulsgebern zählt. Sein Ziel bleibt jedoch der Aufweis, dass zu einem radikalen Christentum ein christlicher Atheismus gehöre und durch ein „Bündnis von Christentum und Marxismus“ (287–295) die Unterdrückung der ausgebeuteten Klassen zu überwinden sei. Zu diesem Schluss hätte es den Angang über Altizer eigentlich nicht gebraucht. Im Jahr 2000 erschien die in Frankfurt am Main begonnene und dann in Zürich von Ingolf U. Dalferth und Pierre Bühler begutachtete Dissertationsschrift des späteren Rostocker und jetzigen Heidelberger Systematikers Philipp Stoellger Metapher und Lebenswelt,252 der Hans Blumenbergs Metaphorologie als Lebenswelthermeneutik und ihr[en] religionsphänomenologische[n] Horizont untersucht und dessen Arbeit exemplarisch für eine im engen Anschluss an Jüngel und Ricœur für die evangelische Theologie wiederentdeckte und an Blumenberg ausbuchstabierte „Remetaphorisierung der Theologie und Retheologisierung der Metaphorologie“ (325–498)253 als Kritik an der Metaphysik stehen kann. In dessen Konsequenz wird Blumenbergs „Leiden am Tod Gottes“ in der Matthäuspassion (1988)254 als G. F. BORNÉ 1979, 13.14. Vgl. den Beginn von Abschnitt 1.3 in diesem Buch. PH. STOELLGER 2000. Dazu M. BUNTFUSS 2001. 253 Vgl. aus den Veröffentlichungen zur Metaphorologie von Hans Blumenberg insbesondere die Paradigmen zu einer Metaphorologie (jetzt in: H. BLUMENBERG 2013), die Schriftenauswahl H. BLUMENBERG 2001 sowie zur Neuzeitdeutung Die Legitimität der Neuzeit (1965; dreibändige Neufassung 1973–1976; seit 1988 in einem Band; vgl. H. BLUMENBERG 1996) und Die Genesis der kopernikanischen Welt (H. BLUMENBERG 1975). 254 H. B LUMENBERG 1988. Die folgenden Seitenangaben beziehen sich darauf. Der am 13. Juli 1932 in der (damals noch Freien und) Hansestadt Lübeck (28–32) geborene und katholisch getaufte (vgl. zu Blumenbergs katholischen Wurzeln: U. WOLFF 2014; einführend vgl. M. MOXTER 2005) und in Kiel promovierte (1947) und habilitierte (1950) Philosoph Hans Blumenberg (1920–1996) geht von der Einsicht aus, dass auch ein ungläubig gewordener „nachchristlicher Hörer der Matthäuspassion“ von Johann Sebastian Bach in der Geschichte des Evangeliums bleibe (7–20). Dafür stifte ein musikalisch-ästhetisches Werk anders als die traditionelle theologische Dogmatik eine besondere „theologische Großzügigkeit“ (38; vgl. H. BLUMENBERG [1971] 2001, 353), denn es gehöre „zum Wesen einer Theologie, daß in ihr nicht alle Fragen gestellt werden können. [...] Warum erschien Gott so spät? [...] Warum kam das Heil so spät? [...] Warum alles zu spät? Und alles so miserabel, wie es ist?“ (148.149; 152). Daraus folgt für Blumenberg, dass die Geschichte von Gott und Mensch ganz anders erzählt werden müsse, anders als es die Kirche getan hat und anders als es der moderne Atheismus tue, nämlich als Konkurrenzverhältnis zwischen Gott und Mensch, der sein will wie Gott (16; 98; 99–104). Theologie werde so zum „Duell“ (103). Der Mensch sei das „Ärgernis der Schöpfung“ (119), denn „Gott wußte nicht, was er tat, als er die Welt schuf“ (124) – im Blick auf Theodizee, Tod und Schmerz hieße das: „Gott wußte nicht, was bevorstand, weil er es nicht wissen konnte. Wie sollte er wissen können, was der Tod auf das Leben zurückwirkt, da er doch selbst keines Todes gewärtig sein konnte?“ (125). Blumenberg zeichnet so das „Bild des sich selbst preisgebenden, ja aufgebenden Gottes“ (304), der erfahren möchte, was er mit der Schöpfung der Welt angerichtet hat und in der Passion daran scheitert. Beim „Pastorensohn und Bibelvertraute[n] Nietzsche“ (303; – mit dessen These vom Tod Gottes sich Blumenberg bereits seit 1954 befasst hat – [vgl. PH. STOELLGER 2000, 419]), der den Tod Gottes verkündet hat, sei der „Gottestod [...] nur vordergründig die 251 252

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phänomenologische „Arbeit an der ,Wiederkehr Gottes‘ in der Passion im Horizont der Neuzeit“ gedeutet. Diese Deutung wird mit „Jüngels Arbeit an der Sagbarkeit Gottes in der Neuzeit“ (434–478) zusammengedacht, nicht zuletzt um Jüngels Ansatz von einem menschlichen „Gott als Geheimnis der Welt“ weiterbearbeitet zu profilieren. Mit dem nachchristlichen Hörer der Matthäuspassion und Phänomenologen Blumenberg sei auch Nietzsches Version vom Tode Gottes zurückzuweisen, denn auch bei ihm gelte: „strittige Todesursache Gottes ist nicht der ,tolle Mensch‘, sondern die Passion Jesu als das ursprüngliche Scheitern des Theismusgottes [...] längst vor den ,Eskalationen‘ des Begriffs“ (487). Trotzdem bleibe es Aufgabe der Theologie, die Dialektik von Bestimmtheit und Unbestimmtheit auszuhalten, denn: „Eine Theologie, der es tatsächlich gelingen sollte, vollständige und definitive Bestimmungen ihrer ,Gegenstände‘ zu erreichen, ,zerstörte sich selbst‘“ (382). Jüngels Feststellung von Eindeutigkeit im Blick auf die christologische Deutung des Todes Gottes kann nun aber gerade nicht mit der hier geforderten Unbestimmtheit zusammenfallen. Seit dem Jahr 2000, dem 100. Todestag Nietzsches, erschienen Qualifikationsarbeiten, die sich u. a. mit der Rezeption Nietzsches in der evangelischen Theologie und den Konsequenzen von Nietzsches Lebens- oder Sprachphilosophie für die Theologie befassen. Die von Hartmut Kreß und Christoph Schwöbel begutachtete Kieler Dissertationsschrift Ethik der Lebenskunst. Zur Nietzsche-Rezeption in der evangelischen Theologie (2000) von Daniel Mourkojannis zeichnet im Ausgang von Troeltschs Diktum „Ohne Nietzsche geht nichts im intellektuellen Deutschland“255 (19) exemplarisch die philosophische (19–72) und theologische (73–189) Nietzsche-Rezeption von der Jahrhundertwende bis in die Gegenwart eines christlichen Nietzscheanismus (189–200) nach, wie er sich z. B. bei den Vertretern der Gottist-tot-Theologie ausmachen lasse.256 Diese Agenda findet hier eine angemessene kritische Würdigung (191–193) und wird in ihrer Wirkungsgeschichte beim Altizer-Schüler Mark C. Taylor in den USA und bei Don Cupitt in Großbritannien pointiert skizziert (193–198). Mourkojannis stellt aber fest, dass Nietzsches wichtigstes Erbe, das Postulat vom „Tode Mordtat des Übermenschen.“ Das sei die „letzte Eskalation des Gottesbegriffs“: „War Gott tot, so war er es kraft seiner selbst, wie er nur kraft seiner selbst, als causa sui ipsius, existiert hatte.“ Damit führe die Passion an „das Allerheiligste der christlichen Heilsgeschichte“ heran: „Niemand kann Gott morden, es sei denn er ließe sich“ (304). So zeigte sich die „Erhabenheit der Gottesidee [...] erst am festgestellten, unbetrauerten und dennoch unverwundenen Gottestod“ (301). Verbunden damit sei das Auftauchen einer neuen Qualität der Anamnesis: „die unerwartete Vorstellung, erst durch ,Erinnerung‘ ans Verlorene werde die volle ,Realität‘ des Gewesenen erreicht, ,hergestellt‘ und verbürgt.“ (301). Über neuere theologische Interpretationen von Blumenbergs Matthäuspassion (u. a. eben auch die von Philipp Stoellger und Michael Moxter) informiert J. WOHLMUTH 2013. Eine im weiteren Verlauf dieser Untersuchung denkbare ausführliche Auseinandersetzung mit Blumenberg ist in der evangelischen Theologie bereits durch die Arbeit von PH. STOELLGER 2000 und die Arbeiten von Michael Moxter vorgelegt worden und muss hier nicht wiederholt werden. Vgl. zu Bezügen auf Blumenbergs Beiträge zur Metaphorologie die Abschnitte 9.1 und 9.3 in diesem Buch. 255 D. M OURKOJANNIS 2000, [5]. Exemplarisch wird die Rezeption Nietzsches bei Troeltsch, Barth und Hirsch herausgearbeitet. Auf die von Bonhoeffer und Tillich wird hingewiesen (a. a. O., 11, Anm. 1). 256 Die „nietzscheanische Weise einer Theologie und theologischen Ethik der totalen Lebensaffirmation, die sowohl in den Schriften Troeltschs als auch in denen Barths wohl virtuell vorhanden ist, scheint gegenwärtig in einigen theologischen Agenden vorzuliegen“ (D. MOURKOJANNIS 2000, 191). Vgl. dazu auch D. MOURKOJANNIS 2004; 2007.

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Gottes“, bei Troeltsch und Barth im Grunde nicht rezipiert worden ist (190), obwohl sich auch die evangelische Theologie, wie andere Kulturbereiche und Geisteswissenschaften, intensiv mit Nietzsches Ethik der Lebenskunst auseinandergesetzt hat. Diese steht auch im Fokus der von Joachim Ringleben und Christine Axt-Piscalar begutachteten Göttinger Habilitationsschrift Nietzsches Begriff des Lebens und die evangelische Theologie (2003) des jetzigen Kasseler Systematischen Theologen Tom Kleffmann. Er möchte zu einer grundlegenden Klärung des Lebensbegriffs beitragen, der nicht nur im Fokus der bioethischen Debatten stehe, sondern auch in seiner Unbestimmtheit als theologischer Leitbegriff fungiere. Die intensive und detaillierte Deutung von Nietzsches Ansatz steht im Zentrum der Untersuchung (57–331). Kleffmann bietet einen kurzen Überblick über die frühe theologische Nietzsche-Rezeption sowie seine Rezeption bei Albert Schweitzer, Paul Tillich und Karl Barth. Nietzsches Rede vom Tod Gottes wird im Kontext seiner Texte gedeutet, die knappen Hinweise bei Tillich werden angezeigt,257 aber die These, „den Tod Gottes für den Menschen, nun aber im ursprünglich entscheidenden Sinn, daß Gott sich mit diesem Tod identifiziert“258 verstehen zu müssen, sei nicht „zum Ausgangspunkt des theologischen Lebensbegriffs“ zu machen; dieses Feld beackert Kleffmann nicht weiter, da E. Jüngel hier bereits „Wichtiges geleistet“259 habe. Die 2008 erschienene englischsprachige Dissertationsschrift des belgischen römisch-katholischen Theologen Frederiek Depoortere von der Katholieke Universiteit Leuven trägt den Titel The Death of God. An Investigation into the History of the Western Concept of God. Sie hat nicht die Positionen der Gott ist tot-Theologie im Blick, sondern will durch die Brille der Idee des Todes Gottes das abendländische Gotteskonzept neu sehen. Die Leitfrage lautet: „Have we taken Nietzsche seriously enough?“260 Das abendländische Gotteskonzept der Metaphysik von Thales bis Nietzsche wird hier zur „Chronik eines angekündigten Todes“.261 Die Untersuchung erinnert daran, dass Hegel zuerst ein Gefühl („feeling“) beschrieben hat, dass Gott selbst tot ist. Zugleich macht Depoortere mit Recht deutlich, dass dieses Gefühl „still a legitimate starting point for the theological reflection today“ 262 ist, führt aber die systematische Durchdringung des Gedankens nicht wirklich durch. Das ist zugleich ein Kennzeichen der gesamten Studie, die ohne einen wirklich eigenen ausgeführten systematischen Impuls bleibt, auch wenn sie theologiegeschichtlich reichhaltig ist. Der Tod Gottes ist für Depoortere „a powerful and appealing metaphor for the fate which transcendence suffered under the impact of secularisation in the West [... and] still an important challenge to Christianity.“263 In seiner „General Conclusion“ macht er eine dritte Alternative zwischen Heideggers kommendem Gott der Poeten mit einhergehender Wiederverzauberung der Welt und Alain Badious264 radikalem diesseitigen Atheismus auf, der Heideggers Rückwendung T. KLEFFMANN 2003, 413; 459. T. KLEFFMANN 2003, 570. 259 T. K LEFFMANN 2003, 570, Anm. 15. Zur „nordamerikanischen sog. Gott-ist-tot-Theologie“ verweist Kleffmann (a. a. O., 335, Anm. 1) auf D. MOURKOJANNIS 2000, 189 ff. 260 F. D EPOORTERE 2008, 1. Vgl. bereits die Vorarbeit F. D EPOORTERE 2007. D. M OURKOJANNIS 2000 findet in beiden Studien keine Erwähnung. 261 So in Anspielung auf einen Romantitel von Gabriel García Márquez (F. D EPOORTERE 2008, 181: „chronicle of a death foretold“). 262 F. D EPOORTERE 2008, 171. 263 F. D EPOORTERE 2008, 174. 264 A. B ADIOU (1998) 2007; vgl. in anderer Deutung des „dritten Todes Gottes“ auch A. GLUCKSMANN 2000. Der erste Tod Gottes sei der Glaube an den Tod Gottes am Kreuz, der zweite habe in den Büchern von Marx und Nietzsche stattgefunden, während der dritte 257 258

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zum Gott der Poeten ablehnt. Für Badiou ist Heideggers ein nostalgischer Weg. Diese Nostalgie bedeutet für ihn eine Leugnung des Ernstes des Wortes „Gott ist tot“, sofern er nur als temporär abwesend betrachtet wird und die Welt als Beute der Entzauberung zurücklässt.265 Badiou verkündet damit einen Atheismus, der mit jeder Hoffnung bricht. Nur auf diesem Weg werde es gelingen, nach dem Verscheiden des lebendigen Gottes der Religion und der Dekonstruktion des Gottes der Metaphysik den dritten Tod Gottes, den Tod des Gottes der Poeten, zu vollziehen. Erst dieser Tod des dritten Gottes mache eine radikale Diesseitigkeit möglich.266 Zwei Ideen kommen dem römisch-katholischen Theologen Depoortere vor dem Hintergrund dieser Alternative zwischen Heidegger und Badiou in den Sinn: die Rekonstruktion einer sakramentalen Weltsicht augustinischer Provenienz und eine „divine archaeology“, die sich aufmacht, den Gott zu suchen, der vor dem westlichen Theismus da war.267 Doch der Realisierung beider Ideen steht er skeptisch gegenüber, wenn sein Schlusssatz, der zugleich auf die Leitfrage antwortet, lautet: „Maybe[] it will turn out that Nietzsche and Badiou were right after all and that the living God of religion, the Living One who is proclaimed by the Bible, is lost, never to be found again.“268 Die von Philipp Stoellger in Rostock betreute und 2011 angenommene Dissertation von Christian Jung hat Die Sprache im Werk Friedrich Nietzsches (2013) zum Thema und versteht sich als Studie zu ihrer Bedeutung für eine Theologie jenseits von Theologie. Jung stellt die Frage, ob nicht mit dem Ausruf vom „Tode Gottes“ in der Fröhlichen Wissenschaft gleichzeitig auch der Tod der Theologie ausgerufen werde. Weder versteht er Nietzsche als radikalen Atheisten, noch will er ihn religiös überhöhen. Jung setzt sich der Theologiekritik Nietzsches aus, um den Preis, dass die Theologie durch das „Nadelöhr ihrer eigenen Selbstzerstörung schreitet“ (1). Im Nachverfolgen dieses Weges plädiert Jung gegen Nietzsche dafür, dass der Tod Gottes keinen Untergang der Theologie bedeute, sondern das Erscheinen einer tanzenden Theologie jenseits von Theologie (140–158), die in einem „zwanghaften Wechsel von Position und Negation besteht“ (6).269

1.3.2 Lexikon- und Handbuchartikel Der Blick in die Lexikonartikel der einschlägigen theologischen und philosophischen Nachschlagewerke270 bietet folgendes Bild: Benutzer der Theologischen Realenzyklopädie finden keinen eigenen Eintrag zur Got-ist-tot-Theologie oder zur Denkfigur Tod Gottes, aber in den

Glaube an den Tod Gottes auf dem Schlamm der Jahrhunderte, die kommen und gehen, basiere. Im Blick ist speziell das atheistische Europa, das, global betrachtet, als einziger Kontinent dastehe, auf dem Gott nicht existiere. 265 Vgl. A. B ADIOU 2007, 19. 266 Vgl. A. B ADIOU 2007, 23. 267 Das ist der Weg, den Michael Theunissen im Anschluss an Martin Heidegger mit seiner großen Pindar-Studie so weit und eindrücklich gegangen ist. Vgl. M. THEUNISSEN 2008. 268 F. D EPOORTERE 2008, 181. 269 Vgl. zum Tanz als Gottesbegegnung bereits H. C OX (1970) 1977, 42, sowie H. C OX (1969) 1970, 28; vgl. F. NIETZSCHE, KSA 4, 49: „Ich würde nur an einen Gott glauben, der zu tanzen verstünde.“ 270 Die Verfasser der Artikel zur Gott-ist-tot-Theologie in der TRE, im WBC, EKL3 und in The Encyclopedia of Christianity sind evangelisch-theologischer, die der Artikel in der LThK3, im HWPh und in der RGG4 römisch-katholischer Provenienz.

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mehrteiligen Artikeln Atheismus271 (1979) und Gott272 (1984) weiterführende Hinweise, sowie, wie in der TRE üblich, ein umfangreiches Literaturverzeichnis. Der Philosoph Wolfgang Müller-Lauter macht in der systematischen Darstellung des Artikels Atheismus auf die „Uneigentlichkeit des Atheismus der Tod-Gottes-Theologie“273 bei Altizer und Sölle aufmerksam. Dem Religions- und Sozialphilosophen Günter Rohrmoser zufolge haben im Blick auf die philosophischen Aspekte der Geschichte des neuzeitlichen Atheismus die „Gott-isttot-Theologie und die Versuche, Gott als eine bestimmte Weise der Mitmenschlichkeit zu interpretieren, [...] Feuerbach zu einem der maßgebenden Kirchenväter des 20. Jh. werden lassen.“274 Der niederländische Religionsphilosoph Hubertus G. Hubbeling schätzt in seinen Ausführungen über Atheismus und Ethik die damalige Lage so ein, „daß der [...] europäische Atheismus [...] noch im Wirkungsbereich des Christentums steht und inspirierende Momente dieses Glaubens zu übernehmen bereit ist.“275 Im TRE-Artikel Gott weist der norwegische Theologe Inge Lønning darauf hin, dass Nietzsche den „Tod Gottes als die wahrhaft menschliche Freudenbotschaft“ proklamierte, und dass der Atheismus sich der europäischen Christenheit im 19. Jahrhundert so tief ins Bewusstsein geprägt habe, „daß er im weiteren als beunruhigende Herausforderung an alle theologischen Denkbemühungen nicht mehr zu verdrängen ist. Wie man die damit gestellte theologische Aufgabe bewältigt, steht bis heute als eine der am heftigsten umstrittenen, noch nicht in überzeugender Weise beantworteten Fragen der Theologie des 20. Jh. da. Daß die Lösungsversuche weithin durch die Denkvoraussetzungen der Subjektivität, d. h. das vorausgesetzte Entweder-Oder von Freiheit Gottes und Freiheit des Menschen, präfiguriert sind, zeugt jedoch von einer Fragestellung ungewöhnlicher geschichtlicher Tragweite und Durchschlagskraft.“276 Der Tod Gottes als die Frohbotschaft Nietzsches sei aber keine Erfindung des 19. Jahrhunderts, sondern „geistesgeschichtlich nur als Transformation des ureigensten Themas des christlichen Glaubens verständlich.“277 Lønning warnt vor einer „Verharmlosung der Thematik“, macht jedoch zugleich deutlich, dass auch „der christliche Glaube den Tod Gottes als Frohbotschaft“ kenne. Er fügt präzisierend hinzu: „Nicht den Tod Gottes, sondern den Fluchtod des Sünders stirbt Jesus am Kreuz (Gal 3,13), und dadurch wird dem Tod des Menschen von innen her sein Stachel genommen (I Kor 15,55f).“278 Diese hamartiologische Deutung des Kreuzes Christi kommt zum theologisch verbreiteten Schluss, Karfreitag mit dem hermeneutischen Schlüssel von Ostern zu fassen: „Anders als durch die schlichte Feststellung ,Gott selbst ist tot‘ kann die Not des Karfreitags dann auch nicht zur Sprache gebracht werden, wenn die Lebensfreude des Ostertages in ihren Tiefendimensionen freigelegt werden soll.“279 Auch wenn er an anderer Stelle die „Vermittlung von Gotteserfahrung und Welterfahrung“ als „dringliche Aufgabe der theologischen Reflexion auf der Tagesordnung der Ökumene“ sieht, warnt er doch zugleich vor Neugestaltungen der altkirchlichen Trinitätslehre, die sich in der evangelischen und katholischen Theologie abzuzeichnen beginnen, „wenn sie mit einer spekulativen Uni271 F. D EXINGER 1979. Hier finden sich Hinweise zu einer „Theologie“ ohne Gott bei Rubenstein. Ferner M. SCHMIDT 1979; H. G. HUBBELING 1979. 272 I. LØNNING 1984. 273 W. M ÜLLER-LAUTER 1979, 394. I. LØNNING 1984, 689 spricht von einer „sprachliche[n] Mißgeburt einer atheistischen Theologie“. 274 G. R OHRMOSER 1979, 367. 275 H. G. H UBBELING 1979, 378. 276 I. LØNNING 1984, 684. 277 I. LØNNING 1984, 701. 278 I. LØNNING 1984, 701. 279 I. LØNNING 1984, 701.

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versalontologie geschichtsphilosophischer Art verbunden [werden].“ Sie könnten „nochmals zu einer verhängnisvollen Überforderung der Theologie führen.“280 Der Artikel Tod Gottes im Wörterbuch des Christentums (1988) von Falk Wagner (1939– 1998) unterstellt den nordamerikanischen Versuchen (Altizer, Hamilton, Vahanian u. a.) der Wahrnehmung des „Bewußtsein[s] der Funktionslosigkeit Gottes“ eine unzureichende soziologische und theologische Klärung der „funktionalen Differenzierung der modernen Gesellschaft“ und der Bedeutung der Religion als Privatsache. Zu vorschnell hätten sie ihre Deutungen des Todes Gottes getroffen. Geistesgeschichtlich macht Wagner mit Hinweis auf Jüngel auf die Herkunft des Motivs bei Hegel aufmerksam, der, wahrscheinlich durch Luther angeregt, den christologischen Ursprung der Rede vom Tod Gottes thematisiert habe. Mit dieser „Teilhabe Gottes am Leiden und Tod Christi“ werde die „traditionelle Behauptung, Gott könne nicht leiden und sei unveränderl[ich], aufgehoben. Christologie und Trinität werden eng verzahnt.“281 Mit dem reformierten Theologen Dietrich Ritschl (1929–2018) verfasste ein Kenner der Theologie in den neuen Welten282 für die dritte Auflage des Evangelischen Kirchenlexikons 1989 den Artikel Gott-ist-tot-Theologie,283 der darauf aufmerksam macht, dass die Entstehung dieser radikalen Theologie „durch die Empörung über die Leichtfertigkeit des Redens von Gott in amerikan[ischer] Kirche, Kultur und religiös verbrämtem Nationalismus“284 mit veranlasst worden war. Das habe dazu geführt, dass die Publikationen der Gott ist tot-Theologie meist populär gehalten waren: „Sie rief aber auch die Fachtheologen auf, nicht nur die Modernität ihrer Sprache (in Amerika ohnehin ein wichtiges Ziel), sondern bes[onders] die erkenntnistheoretischen Bedingungen des Redens von Gott ernster zu nehmen.“285 Ritschl stellt zu Recht klar, dass weder Gabriel Vahanians barthianisch geprägte Kulturkritik noch Paul van Burens „sprachphilos[ophische] Erkundung der Barrikaden im Sprechen von Gott“286 im eigentlichen Sinne zur radikalen Gott-ist-tot-Theologie gehören. Vielmehr zeige die Selbstauflösung Gottes in die Welt bei Thomas J. J. Altizer einen „echten Atheismus“ und die Verneinung jeglicher Offenbarung Gottes sowie einer an Jesus orientierten Ethik der Zuwendung zum Nächsten von William Hamilton eine „,radical theology‘“. Angezeigt ist auch die Bedeutung von Friedrich Nietzsche, Paul Tillich, Dietrich Bonhoeffer und der Mystik sowie die kritische Rezeption der Gott-ist-tot-Theologie bei Langdon Gilkey, Gordon Kaufman, Paul van Buren, Edward Farley, David Tracey u. a. sowie die Provokation des Atheismus des jüdischen Theologen Richard L. Rubenstein. Hinweise auf Luther, Jean Paul, Hegel, Eberhard Jüngel und Jürgen Moltmann fehlen dagegen in diesem Artikel. Für die englischsprachige Ausgabe des EKL3, der Encyclopedia of Christianity (1999–2008), verfasste der Lutheraner Ralph O. Hjelm (1923–2012), früherer ProI. LØNNING 1984, 690. F. WAGNER 1988. Im Literaturverzeichnis finden sich Hinweise auf die Einführung von Jourdain Bishop, Eberhard Jüngels Werk Gott als Geheimnis der Welt und Jürgen Moltmanns Monographie Der gekreuzigte Gott. 282 D. R ITSCHL 1981a; vgl. bereits D. R ITSCHL 1966. 283 D. R ITSCHL 1989. In diesem Artikel finden sich allerdings zwei Datierungsfehler. Vahanians Buch ist nicht 1957, sondern 1961 erschienen. Bultmanns Artikel in Die Zeit wurde nicht am 17. Mai, sondern bereits am 10. Mai 1963 publiziert. 284 D. R ITSCHL 1989, 250. Die „,God is dead boys‘ […] reagieren so stark gegen das leichtfertige Reden von Gott und dem ,Christian country‘, daß ihnen die ganze Möglichkeit, das Wort ,Gott‘ sinnvoll zu benützen, philosophisch als fraglich oder gar verboten erscheint“ (D. RITSCHL 1981a, 14). 285 D. R ITSCHL 1989, 251. 286 D. R ITSCHL 1989, 250. 280 281

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fessor für Philosophie an der University of Maine (USA), den auf den angloamerikanischen Raum bezogenen Artikel God Is Dead Theology. Ausgangspunkte sind hier der Dialogue Concerning Natural Religion (1779) von David Hume, der „initiated the modern effort to write God’s death certificate“287, und dann die „antitheological literary artistery“ (Thomas Carlye, Matthew Arnold, Thomas Hardy, Edward Gibbon, George Eliot) sowie die Aufklärungsphilosophie und politische wie psychologische Bewegungen. Vor dem gegenwärtigen Hintergrund eines „pluralistic rebirth of religion and the vitalizing of theological symbols, both traditional and popular“ weist Hjelm die Diagnosen der Gott-ist-tot-Theologie als bestenfalls blasse Reflexionen („pale reflections“) eines kreativen modernen atheistischen Denkens zurück, die zur Auflösung („denouement“) der modernen Theologie führten, und zwar durch Gottesmord („deicide“).288 Den knappen, aber soliden Artikel Gott-ist-tot-Theologie (1995) für die dritte Auflage des römisch-katholischen Lexikons für Theologie und Kirche hat der Regensburger Systematiker Adam Seigfried (*1936) verfasst. Die Gott-ist-tot-Theologen „halten Ausschau nach einer diesseitigen Aktualität v[on] dem, was vordem ,Gott‘ genannt wurde“. Die „Unerfahrbarkeit“ des theistischen Gottes und seine „Funktionslosigkeit“ führten zur Rede vom „Tode Gottes“. Seigfried stellt fest, dass im Einzelnen „Begründung“ und „Bedeutung der TodGottes-Rede meist divergent u[nd] ungenau“ blieben. Doch schon „nach einem Jahrzehnt scheint der Versuch, auf atheist[ischen] Grundlagen ein theol[ogisches] Gebäude zu errichten, als gescheitert. Die G[ott-ist-tot-Theologie] ist bereits ein Stück Geschichte geworden.“289 Für das Historische Wörterbuch der Philosophie hat der römisch-katholische Theologe Eugen Biser (1918–2014) den Artikel über den Begriff Tod Gottes (1998) verfasst.290 Über die bereits erwähnten Dichter und Denker hinaus verweist Biser insbesondere auf Heinrich Heine als Quelle für Nietzsches Parabel vom „tollen Menschen“ 291, sowie auf Jean Paul, Karl Barth, Ernst Benz, Martin Heidegger und zudem auf Ernst Jünger, Albert Camus, Jean-Paul Sartre und Martin Buber. Zu den sogenannten Gott-ist-tot-Theologen finden sich knappe Hinweise zu William Hamilton, Thomas J. J. Altizer und Dorothee Sölle, in den Anmerkungen zu Eberhard Jüngel und Wolfhart Pannenberg. Ein umfangreiches Literaturverzeichnis schließt sich an die aufgereihten deskriptiven Skizzen der Positionen an. Der römisch-katholische Theologe Gotthold Hasenhüttl lässt erkennbar seine Vorarbeiten zur Gott ist tot-Theologie in den Artikel für die vierte Auflage des protestantischen Handwörterbuchs Religion in Geschichte und Gegenwart aus dem Jahr 2000 einfließen.292 Hasenhüttl zeichnet den Gedanken vom Tod Gottes und seiner Auferstehung in den religionsgeschichtlich weiten Horizont der Myth(ologi)en der Völker ein. Hier tauchen zusammen mit Nietzsche, Hegel und dem „lutherischen Lied“ sowie Heidegger auch Hinweise auf Plutarch und Pascal auf. Hasenhüttl weist zudem auf das erstmalige Aufkommen einer „atheistischen Massenbewegung“293 im Abendland des 19. Jahrhunderts hin. In diesem Zusammenhang macht er auf den Beitrag der katholisch-dogmatischen Theologie zum Atheismus aufmerksam: „Die Theologie selbst leistete Vorschub, da sie Gott immer mehr vergegenständlichte R. HJELM 2001, 441. R. HJELM 2001, 442. 289 A. SEIGFRIED 1995, 953. 290 E. B ISER 1998 (vgl. bereits E. B ISER 1962) vertritt die These, dass Nietzsche das Christentum nicht zerstören, sondern erneuern wollte. 291 E. B ISER 1998, 1242. 292 G. H ASENHÜTTL 2000; vgl. G. H ASENHÜTTL 1967; 1970; 1980. S. auch Abschnitt 1.3.3 zu Hasenhüttls Einführung in die Gotteslehre (1980). 293 G. H ASENHÜTTL 2000, 1144. 287 288

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(Vaticanum I; DH 3001).“294 Für Hasenhüttl zeigen sich „zwei Tendenzen in der Rede vom Tode Gottes: 1. Die mythische Vorstellung eines sterbenden, werdenden und wieder auferstehenden Gottes und 2. Die Ablehnung eines theistischen, verobjektivierten Gottes, den keine Erfahrung bezeugt.“295 Darin liegen für ihn die Wurzeln der vor allem in den USA verbreiteten Gott ist tot-Theologie. Diese klassifiziert er wie in seiner bereits erwähnten Einführung in sechs konzeptionelle Gruppen, macht aber bei allen „ein gemeinsames Grundanliegen“ aus296: Gott könne nur im Horizont positiv verstandener Zeitlichkeit und Geschichte gedacht werden. Gott müsse erfahrbar sein und individuell oder gesamtgeschichtlich Ereignis werden. Da in unserer heutigen Situation beide Grundbedingungen nicht erfüllt seien, werde Gott als tot erfahren. Doch dies sei nicht nur für uns, sondern auch für Gott selbst ein reales Geschehen. Das führe aber nicht zur Hoffnungslosigkeit, sondern zu einem verschärftem Blick auf die Welt und zu christologisch begründeter tätiger Nächstenliebe. Die „Gottverlassenheit“ solle die Offenheit für eine neue Wirklichkeit ermöglichen. Auffällig ist neben der eigenwilligen Klassifizierung und Systematisierung, dass die Reaktionen der evangelischen Theologie in diesem Artikel und in seinen Literaturhinweisen komplett ausgeblendet werden. Das erstaunt, denn schließlich war Eberhard Jüngel nicht nur Mitherausgeber des Lexikons, sondern seine Beiträge zur Gott ist tot-Theologie sind, wie sich noch zeigen wird, Wegmarken zur Rezeption des Motivs vom Tod Gottes in der evangelischen Theologie und aus der deutschsprachigen (systematisch-)theologischen Debatte nicht wegzudenken.

1.3.3 Beiträge und Berichte in Zeitschriften, Forschungsüberblicke und Einführungen a) Im Jahr 1963 veröffentlichte Rudolf Bultmann (1884–1976), für den Theologie und Exegese, systematische und historische Theologie im Grunde zusammenfallen,297 zwei Beiträge zur neu aufflammenden Debatte um die „Krise des theistischen Gottesbildes“ im Kontext des Erscheinens von John A. T. Robinsons Buch Honest to God. In seinem Artikel Ist der Glaube an Gott erledigt? für die Hamburger Wochenzeitung Die Zeit und in seinem letzten öffentlichen Vortrag Der Gottesgedanke und der moderne Mensch in der Aula der Alten Universität anlässlich des Marburger Universitätsfestes am 21. Juni 1963 wendet sich Rudolf Bultmann298 nach seinem existenzialhermeneutischen Grundsatzartikel Welchen Sinn hat es, von Gott zu reden? (1925) nun fast vierzig G. HASENHÜTTL 2000, 1144. G. HASENHÜTTL 2000, 1144.1145. 296 G. H ASENHÜTTL 2000, 1145. 297 Vgl. R. B ULTMANN (1925) 2002, 34. 298 R. B ULTMANN [1963] 1965a; vgl. dazu auch die Abschnitte 7.1. und 7.1.1 in diesem Buch. Die Rede ist zuerst in: ZThK 60 (1963), 335–348 erschienen und dann wieder abgedruckt im vierten Band von Glauben und Verstehen (R. BULTMANN [1963] 1965b). Vgl. dazu auch K. HAMMANN 2012, 442–457, der notiert, dass Bultmann die Frage, welchen Sinn es habe, von Gott angesichts der Herausforderungen durch den Atheismus zu reden, hernach nicht mehr loslassen sollte. Einer seiner letzten Texte hieß Die protestantische Theologie und der Atheismus (R. BULTMANN 1971). Das „Faktum des sogenannten Todes Gottes“ verstand Butmann als „ein kulturelles Phänomen […], ein geistesgeschichtliches Phänomen, das als solches aber sehr ernst genommen werden müsse“ (H. OTT 1968, 23). 294 295

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Jahre später noch einmal explizit der Gottesfrage in der Moderne zu.299 Er tut dies in kenntnisreicher Auseinandersetzung mit den Büchern von Gabriel Vahanian (The Death of God; 1961), John A. T. Robinson (Honest to God; 1963) im Kontext des Themas „Gott ist tot“ seit Jean Paul, Nietzsche und Heidegger300 und in Auseinandersetzung mit der Atheismus-, Nihilismus- und Säkularisierungsdebatte. Der für die Theologie so wichtige und unverzichtbare Gedanke der Transzendenz müsse neu gefasst werden. Bultmann will über eine vertiefte Reflexion des dialektischen Verhältnisses zwischen Wirklichkeit und Glauben den verlorengegangenen Bezug des modernen Menschen zur Transzendenz wiederherstellen. Das geschieht unter Aufnahme von Dietrich Bonhoeffers fragmentarischen Hinweisen, Gott sei inmitten des Diesseits als unser Jenseits zu erkennen, und der Rede Ernst Barlachs von den „Wandlungen Gottes“, nach denen der Augenblick nur jeweils ein gewandeltes Fragment der Ewigkeit sei.301 Glaube sei nicht die Anerkennung eines Gottesbildes, sondern die Offenheit dafür, dass uns das Ewige in den wechselnden Situationen unseres Lebens auf je unterschiedliche Weise begegnen könne. Auf diese Weise könne sich der moderne Mensch „für die Begegnungen Gottes in der Welt, in der Zeit“ öffnen.302 Bultmann selbst findet als Neutestamentler vor allem in Jesu Gleichnis vom Weltgericht (Mt 25,31–46) „die doppelte zusammengehörige Lehre von den ,Wandlungen‘ Gottes und von der Gegenwart der Ewigkeit in der Zeit“ ausgedrückt.303 So suchte Bultmann den mit der Entmythologisierung verbundenen „Tod des metaphysischen und religiösen Objekts“304 zu verwinden. Über den Transfer der Gott-ist-tot-Theologie nach Deutschland und die sich daran anschließende Debatte geben die ab dem Jahr 1966 erschienenen Übersetzungen der Beiträge von Harvey Cox und William Hamilton aus der US-

In seine Anthologie nimmt Altizer nicht etwa Bultmanns explizite Beiträge zur Gottesfrage auf, sondern Passagen über das Johannesevangelium aus der programmatischen Umsetzung des „radical Demythologizing“ in der Theologie des Neuen Testaments (1953), die Bultmanns These unterstreichen, dass im vierten Evangelium die Göttlichkeit Jesu unsichtbar sei und Jesus als menschgewordener Gottessohn und historischer Mensch nichts anderes offenbare als dies, dass er der Offenbarer sei (vgl. TH. J. J. ALTIZER 1967a, 175– 198). 300 R. B ULTMANN (1963) 1965b, 113. 301 Vgl. R. B ULTMANN (1963) 1965a, 111. Vgl. Anm. 97 in Abschnitt 7.1.1 in diesem Buch. 302 R. B ULTMANN (1963) 1965b, 126; vgl. auch a. a. O., 125.126: „Nur der Gottesgedanke, der im Bedingten das Unbedingte, im Diesseitigen das Jenseitige, im Gegenwärtigen das Transzendente finden, suchen und finden kann, als Möglichkeit der Begegnung, ist für den modernen Menschen möglich.“ 303 R. B ULTMANN (1963) 1965b, 127. 304 P. R ICŒUR 1969, 542. 299

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amerikanischen Debatte in deutschsprachigen theologischen Fachzeitschriften und Sammelbänden Auskunft.305 Die Radikalität des Ansatzes von Hamilton besteht darin, dass für ihn nicht die „Abgötter“ oder der Gott des Theismus tot sind, sondern der Gott der christlichen Überlieferung. Ziel sei es nun, zu formulieren, was christlicher Glaube in der Zeit des Todes Gottes noch sein kann. Dazu dient auch die Auseinandersetzung mit den theologischen Ansätzen von Bonhoeffer, Barth, Bultmann und Tillich sowie mit Nietzsche, Kierkegaard und Hegel. Der Schüler von H. Richard Niebuhr und unter anderem in Princeton und Stanford lehrende Professor of Religious Studies Van Austin Harvey (1926–2021) hielt auf Einladung der „Alten Marburger“ 1966 einen Vortrag zum Thema The Problem of God in Contemporary American Theology, der für die Zeitschrift für Theologie und Kirche übersetzt und 1967 unter dem Titel Die Gottesfrage in der amerikanischen Theologie der Gegenwart veröffentlicht wurde. Amerikanische und deutsche Theologen „leben beide in einem gänzlich verschiedenartigen kulturellen und geistigen Milieu. Das betrifft besonders den Dialog mit der Philosophie.“306 Wer jedoch damals erwartet haben sollte, einen Überblick über die radical theology zu bekommen, wurde enttäuscht. Lediglich Paul van Buren307 findet kurz Erwähnung, wie auch Nietzsche,308 ansonsten werden äußerst ausführlich Ansätze aus der analytischen Philosophie und Prozessphilosophie dargestellt, die auf lange Sicht auch die Debatte im angloamerikanischen Raum bestimmen sollten. Anders als der Artikel von Harvey gibt Frederick Herzogs Artikel Die Gottesfrage in der heutigen amerikanischen Theologie,309 der 1968 in der Zeitschrift Evangelische Theologie veröffentlicht wurde, auch einen Überblick über die Gott-ist-tot-Theologie. Herzog beginnt mit der Einzeichnung der „Tod Gottes Theologie“ in den viel umfassenderen „new look“ der US-amerikanischen Theologie. Im Gegensatz zu Reinhold Niebuhr310 hält Herzog die Debatte der letzten zwei Jahre allerdings nicht für nutzlos, denn sie habe „zunächst den jüngeren Theologen dazu verholfen, sich über ihren theologischen Standort klarzuwerden“ und verhelfe dem liberalen amerikanischen Protestantismus wieder zu einem Durchbruch.311 In den weiteren Passagen seines ansonsten eher oberflächlichen Überblicks zeichnet er Reaktionen auf diese Bewegung nach und fasst sie unter 305 Die Zeitschrift Pastoraltheologie veröffentlichte bereits 1966 einen Aufsatz (Über Ort und Ziel der Theologie) von Harvey Cox (H. COX 1966c). Es handelt sich jedoch nicht um einen Originalbeitrag, sondern um die Übersetzung eines Beitrags aus The Christian Century vom 5. Januar 1966. Wiederabgedruckt wurde er unter dem Titel Das prophetische Ziel des Christentums (H. COX 1968) in dem von Dean Peerman herausgegebenen Band Theologie im Umbruch. Der Beitrag Amerikas zur gegenwärtigen Theologie (D. PEERMAN 1986), der eine Übersetzung von Frontline Theology (D. PEERMAN 1967) ist. 1967 veröffentlichte die Pastoraltheologie aus dem gemeinsamen Sammelband mit Altizer (TH. J. J. ALTIZER/W. HAMILTON 1966) als einen über zwei Ausgaben verteilten Bericht über einen Trend theologischen Denkens in Amerika die Übersetzung des Aufsatzes The Death of God Theologies Today (W. HAMILTON 1966b) von Hamilton (W. HAMILTON 1967). 306 V. A. H ARVEY 1967, 325. 307 V. A. H ARVEY 1967, 331.332. 308 V. A. H ARVEY 1967, 346. 309 F. H ERZOG (1968). Der deutschstämmige Herzog war Professor für Protestantische Theologie an der Duke University. 310 Er bezeichnete die Tod-Gottes-Theologie als „stupid idea“. Der Hinweis findet sich bei F. HERZOG 1968, 134. 311 F. H ERZOG 1968, 134, im Anschluss an K. H AMILTON 1966.

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der Bezeichnung „Neue natürliche Theologie“ zusammen. Darunter rubriziert er vor allem die Prozesstheologie sowie den Ansatz von Harvey Cox, der in einer „Theologie des Wartens Gottes“ von Herzog weiter gedacht wird, auch in Auseinandersetzung mit Samuel Becketts Warten auf Godot (1952). b) Die Einführung in die jüngsten Entwicklungen in Theologie und Kirche des Amsterdamer Theologiehistorikers Jan Sperna Weiland312 (1925–2011) erschien im Jahr 1968 mit dem Titel Orientierung. Neue Wege in der Theologie auf Deutsch. Sie ist im Grunde die ausgewogenste zeitgenössische Einführung, die ihren Anspruch auf Orientierung mit einem sachgerechten Überblick über die theologischen Entwicklungen in Deutschland, England und den USA ansprechend einlöst. Das tut sie mit Hilfe der Metaphern „Landschaft“ („Säkularisation“ und „Verändertes Weltbild“), „Kundschafter“ (Paul Tillich, Rudolf Bultmann, Dietrich Bonhoeffer, Die neue Hermeneutik und die Vertreter der modernen Theologie aus England, Amerika sowie der Tod Gottes Theologie) und „Der Anfang einer neuen Landkarte“, die mit systematischen Überlegungen zu den Hauptthemen der Dogmatik den Band abrunden. Bei seinem Versuch, mögliche Bedeutungen der Formel „Gott ist tot“ zu klären, entdeckt Sperna Weiland, „daß die Bedeutungen ineinander übergehen und daß kein scharfes Bild entsteht.“ (129) So könne erstens ein Bildersturm gemeint sein, der den Tod der von Menschen gemachten zeitbedingten Bilder von Gott meine. Es könne zweitens eine „Theopoesie“ (L. Feuerbach) gemeint sein, die zeige, dass Menschen Gott immer nach ihrem Bild und Gleichnis formen, Theologie also Anthropologie sei und Gott als eine selbstständige Wirklichkeit außerhalb des Menschen und damit als dessen (personales) Gegenüber tot sei. Es könne drittens auch Symbol einer Situation sein, in der der Mensch wesentlich selbst verantwortlich ist für die Welt und die Zukunft und nicht mehr naiv mit einem Eingreifen Gottes als sorgender Vater gerechnet werden kann. Die Formulierung könne sich viertens, hier verortet sich Sperna Weiland im Anschluss an den theologischen Radikalismus eines William Hamilton selbst, auf die Weise beziehen, „in der der christliche Glaube in einer nach-theistischen Epoche neu Gestalt gewinnt und erlebt wird – [...]. Gott gab es, Gott ist nicht mehr, Gott ist tot. Dieser Tod ist nicht das Ende des christlichen Glaubens, er ist das Ende des traditionellen Christentums. Christlicher Glaube wird in Zukunft – und auch schon heute! – etwas ganz anderes sein, als er bis heute gewesen ist, und es gibt keinen Weg zurück.“313 Gott war, er kehrt nicht wieder zurück. Man wartet im Sinne Hölderlins und Heideggers auf den Advent eines neuen Gottes. Eine neue Sprache für die neue Situation ist, wie bei Nietzsche selbst, noch nicht gefunden. Die Unschärfe des Begriffs werde erst dann aufgehoben, wenn alle möglichen Antworten auf die Frage, wann der Tod Gottes geschehen sei, als Einheit zusammengedacht würden: „als Gott in Christus den Himmel verließ und auf die Erde herabkam. [...] Als Jesus gekreuzigt wurde und Finsternis über das Land kam. [...] [I]m 19. Jahrhundert, zwischen der Französischen Revolution und dem 2. Weltkrieg. – Nietzsche nannte den Tod Gottes ,das größte neuere Ereignis‘ und fügt hinzu, daß ein solches Ereignis Zeit braucht, die Menschen zu erreichen. Oder man kann sagen: in dem Augenblick, in dem Menschen erfahren, daß [...] der Himmel schweigt und schweigt und schweigt und undsoweiter [sic!]“ (131). Für Sperna Weiland ist die Unterscheidung wichtig: „Wer oder was ist tot: das Wort ,Gott‘ oder unsere theistische Gottesvorstellung – oder Gott selbst.“314 Auf jeden Fall sei die Epoche des Theismus zu Ende, nicht aber sei der christliche Glaube Die niederländische Ausgabe erschien 1966 unter dem Titel Oriëntatie. Nieuwe wegen in de theologie. Für den Hinweis auf J. SPERNA WEILAND (1966) 1968 danke ich Maike Schult. 313 J. SPERNA W EILAND (1966) 1968, 130. Vgl. dazu auch a. a. O., 144–154. 314 J. SPERNA W EILAND (1966) 1968, 153. 312

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am Ende, denn mit der Theologie, die nach dem Tode Gottes beginnt, sei „eine Stimmung der Erwartung und des Vertrauens“ verbunden. „Auf Gott? Auf den, der ohne Name, ohne Bild, ohne Gestalt, unbekannt, verborgen, mitgeht auf dem Weg nach Emmaus. Unterwegs werden die Schriften ausgelegt. Und in Emmaus wird das Brot gebrochen. ,Ich werde dasein, als der Ich dasein werde.‘“315 Bei Sperna Weiland wird mit dieser an der Tradition orientierten offenen Deutung zwar nicht die Unschärfe überwunden, aber die Konturen, in denen er sich bewegen möchte, werden erkennbar. Der damalige Redakteur (1964–1970) der Evangelischen Kommentare und spätere Aachener Systematische Theologe (seit 1972) Sigurd Martin Daecke (*1932) verfasste für die Ausgaben der Zeitschrift vom März und April 1969 zwei umfangreiche und informative Redaktionsartikel.316 Aus aktuellem Anlass habe sich die Redaktion für diese Überblicksdarstellung entschieden, denn seit „einigen Jahren geistert ein erschreckendes Wort durch den theologischen Blätterwald: der ,Tod Gottes‘.“317 Bislang gebe es nur einige „knappe Übersichten über ihre Hauptthesen aus der Feder von Amerikanern, die Übersetzung des Aufsatzes eines ihrer Vertreter – das ist alles.“318 Flankiert wurde Daeckes zweiteiliger Artikel durch einen ebenfalls als Fortsetzungsartikel publizierten Text Eberhard Jüngels mit dem Titel Das dunkle Wort vom ,Tode Gottes‘319, der eine „Tod-Gottes“-Theologie entwirft, die nicht beim Tod stehenbleibt, sondern mit Gottes Auferweckung weiterdenkt und so zum Leben Gottes fortschreitet. Daeckes erster Artikel stellt die Frage: Welcher Gott ist tot?320 Der zweite: Was kommt nach dem ,Tode Gottes‘?321 Damit ist die Marschrichtung klar: Beide befassen sich mit dem „Wiederaufleben des Gesprächs über Gott“, denn „Gott ist in den letzten fünf Jahren wieder zum Hauptgegenstand der Gotteslehre, der Theologie geworden.“322 Zwei Gottesbilder stünden nun im Fokus: „der tote Gott und der zukünftige Gott.“323 Daecke stellt fest, dass es ausgerechnet die „Gott-ist-tot-Theologie“ gewesen sei, die zum „Wiederaufleben des Gesprächs über Gottt [sic!]“324 entscheidend beitrug. In Deutschland habe allerdings „nur der Begriff ,Tod Gottes‘, nicht aber der damit gemeinte Tatbestand Eingang in das ,ernsthafte‘ theologische Gespräch gefunden“: „Diejenigen, die es aussprechen, nehmen es ernst. Aber in Deutschland werden sie oft nicht ernst genommen, diese vier Amerikaner und diese deutsche Frau. Manchmal scheint es, als trügen sie eine Narrenkappe, als wäre ihr Auftreten ein theologisches Happening, das keinen anderen Sinn hat, als Aufsehen zu erregen und zu schockieren, ja zu düpieren.“325 Daecke macht für die „Herkunft der Erfahrung des Todes Gottes [...] Konzessionen an die ,moderne Denkweise‘“ aus. Das „,moderne Weltbild‘“ werde zum „Kriterium und Maßstab dessen [...], was geglaubt oder auch nicht geglaubt werden könne.“326 Daecke relativiert aber mit Recht den Vorwurf Thielickes, J. SPERNA WEILAND (1966) 1968, 155. S. M. D.[AECKE] 1969a, 1969b. Die beiden Redaktionsartikel erschienen unter der journalistischen Abbreviatur S. M. D. 317 S. M. D.[AECKE] 1969a, 127. 318 S. M. D.[AECKE] 1969a, 127. 319 E. JÜNGEL 1969a, 1969b; vgl. auch E. JÜNGEL 1969c. 320 S. M. D.[AECKE] 1969a. 321 S. M. D.[AECKE] 1969b. 322 S. M. D.[AECKE] 1969a, 127. 323 S. M. D.[AECKE] 1969a, 127. 324 S. M. D.[AECKE] 1969a, 127. 325 S. M. D.[AECKE] 1969a, 127. Gemeint sind William Hamilton, Thomas J. J. Altizer, Harvey Cox und Paul van Buren sowie Dorothee Sölle. 326 S. M. D.[AECKE] 1969a, 131. 315 316

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dass es sich bei der Rede von einer Gott-ist-tot-Theologie um eine „journalistische Masche“ und einen „Verblüffungstrick“ handele und rehabilitiert „diese vier Amerikaner“ (damit aber offenkundig nicht „diese deutsche Frau“!) als „ernsthafte, seriöse Theologen, die bewusst Christen bleiben wollen und mit Gott und erst recht mit seinem Tode keine makabren Scherze treiben. Unsere Zitate haben gezeigt, daß man ihnen intellektuelle Redlichkeit und sogar Glaubensernst nicht absprechen kann. Was man ihnen dagegen leider bescheinigen muß, ist, daß sie die biblische Botschaft zuwenig ernst nehmen und außerdem theologisch einfalls- und phantasielos sind.“327 Das greift Daecke in seinem zweiten Teil auf, der den Gott der Hoffnung und Zukunft thematisiert, wenn er schreibt: „So unterschiedlich die Antworten im einzelnen lauten – in einer Hinsicht sind sich alle einig: der traditionelle ,metaphysische‘, ,übernatürliche‘, ,übergeschichtliche‘, ,ewige‘, im alten Sinne ,jenseitige‘ Gott ist tatsächlich tot. Er ist gestorben an seiner Unweltlichkeit und Überweltlichkeit. Aber Gott lebt! Oder vielmehr: Gott wird leben! Die Transzendenz hat sich gewandelt, der alte Gott ist in neuer Gestalt auferstanden, als die ,Macht der Zukunft‘ (Pannenberg und Moltmann).“328 Aus den beiden Artikeln entstand auch sein kritischer Überblick über die „,Falschmeldung‘ vom Tode Gottes“329, der noch im selben Jahr als Dokumentationsband für die Furche-Stundenbücher erschien und 1970 eine zweite Auflage erreichte. Der Mythos vom Tode Gottes (1969) konnte für ihn „nur durch eine unmythische Rede vom Leben Gottes ersetzt werden.“330. Sein Anliegen in beiden Darstellungen war es jedoch, „nur Information“ zu geben, „aber keine tiefgreifende Auseinandersetzung.“331 Daecke stellt abschließend neuere theologische Entwürfe vor, die insbesondere die Zukünftigkeit Gottes betonen.332 Mit seinen Büchern Die Sache mit Gott (1966)333 und Gott kann nicht sterben (1970)334 bringt sich der evangelische Publizist und Theologe Heinz Zahrnt (1915–2003) in die Debatte ein: „Wider die falschen Alternativen in Theologie und Gesellschaft“ sucht er sich zu positionieren, um das „Gerücht vom ,Tode Gottes‘“335 zu zerstreuen. Doch müsse sich Theologie zunächst „auf diese radikale Deutung der These vom ,Tode Gottes‘ einlassen, wenn sie redlich darüber nachdenken will, wie sie ,zeitgenössisch‘ von Gott zu reden hat.“ 336 In seinem Beitrag „Neu nachdenken über Gott. Überlegungen zur Theologie nach dem ,Tode Gottes‘337 (1968) für die Reihe EZW-Information hat sich Zahrnt, gerahmt von den Gedanken zweier Bultmann-Aufsätze (Welchen Sinn hat es, von Gott zu reden? und Der Gottesgedanke und der moderne Mensch), auf die Thesen der Gott-ist-tot-Bewegung eingelassen und Zustimmungen und Ablehnungen zur deutschsprachigen Debatte um Sölle, Braun, Gollwitzer S. M. D.[AECKE] 1969a, 132. S. M. D.[AECKE] 1969a, 132. 329 S. M. D.[AECKE] 1969b 187. 330 S. M. D AECKE 1969c, 7.8. 331 S. M. D AECKE 1969c, 7. 332 Vgl. ähnlich auch G. H ASENHÜTTL 1980, 207–235. Für ihn treten folgende neue Aspekte der Gottesfrage zutage: Gott als zweideutige Grundwirklichkeit, Gott im Urvertrauen, Gott als Zukunft des Menschen, Gott als Geheimnis, Gott als Sprachproblem, Gott als Aussage vom Menschen. 333 H. ZAHRNT (1966) 1996. In einer „Bilanz der Neuzeit“ gibt Zahrnt einen geistesgeschichtlichen Überblick über das Motiv des Todes Gottes (H. ZAHRNT 1996, 134–143). 334 H. ZAHRNT 1970. Unter diesem Titel ist auch ein von Margot Käßmann herausgegebenes Heinz-Zahrnt-Lesebuch zu seinem 100. Geburtstag erschienen (H. ZAHRNT 2015). 335 H. ZAHRNT 1970, 25–29. 336 H. ZAHRNT 1970, 29. 337 H. ZAHRNT 1968a. 327 328

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und Heinrich Ott formuliert. In seinem Textbuch Gespräch über Gott338 (1968) hat Zahrnt die deutschen Stimmen versammelt, die sich in der Auseinandersetzung um eine „Theologie nach dem Tode Gottes“ zu Wort gemeldet haben und Textpassagen von Gollwitzer, Sölle, Herbert Braun, Manfred Mezger, Ernst Käsemann, Günter Bornkamm, Gogarten, Pannenberg und Tillich angeführt. Auch wenn er auf den logischen Widerspruch339 der These vom Tode Gottes aufmerksam gemacht hat, scheint sich entgegen Zahrnts erster Einschätzung das „Gerücht“ vom Tode Gottes hartnäckig zu halten. Daher hat er es im Buch Gotteswende (1989) wieder als Ausgangspunkt bemüht, um das Christsein zwischen Atheismus und Neuer Religiosität zu begründen,340 obwohl er 1972 (Wozu ist das Christentum gut?) unter der Überschrift „Der Tod des ,Todes Gottes‘ – ein Nachruf“341 dieser Bewegung bereits den Totenschein ausgestellt hatte: „Nachdem sich eine radikale Theologie des Todes Gottes als ebenso unmöglich erwiesen hat wie vorher eine radikale Theologie der Offenbarung Gottes, wird die Theologie sich aufs neue bemühen müssen, verantwortlich von Gott zu reden, und zwar verantwortlich nach beiden Seiten: vor Gott, daß ihr Reden zu den Menschen wirklich eine Rede von Gott sei – vor den Menschen, daß ihre Rede von Gott wirklich ein Reden zu Menschen sei.“342 c) In deutschsprachigen Forschungsüberblicken seit 1970 werden Zeit und Anliegen der Gott-ist-tot-Theologie lediglich kurz skizziert bzw. wird das Motiv des Todes Gottes christologisch bzw. kreuzestheologisch gedeutet. Der frühere Marburger Systematische Theologe Hans Graß (1909–1994) befasst sich 1970 und 1972 in einem zweiteiligen Forschungsüberblick für die Theologische Rundschau ausführlich mit der Gottesfrage in der gegenwärtigen Theologie und nimmt auch die wichtigsten der in die deutsche Sprache übersetzten Monographien und Aufsätze der US-amerikanischen Theologen der Gott-ist-tot-Bewegung referierend mit auf.343 Wesentlich bedingt durch die Debatte um John Robinsons Buch Honest to God und die Gott-ist-tot-Theologie344 stehe nun nicht mehr die Christologie im Mittelpunkt des Interesses, sondern die Gottesfrage.345 Wenn die entscheidende Aufgabe der Kirche die „Kundmachung Gottes“ ist, ist „Gott ist tot“ keine „mögliche theologische und kirchliche Aussage. Die Theologie muss sich zwar disputando damit befassen, aber sie kann erst recht nicht den Tod Gottes proklamieren, da ihre Aufgabe darin besteht, den lebendigen Gott zu verkündigen.“346 Der damals frisch an die Kirchliche Hochschule Wuppertal berufene Systematische Theologe Berthold Klappert (*1939) kommt in seinem 1975 veröffentlichten Forschungsbericht Die Gottverlassenheit Jesu und der gekreuzigte Gott bereits ohne Bezugnahme auf den Gott-ist-tot-Gedanken aus.347 Der Göttinger Systematische Theologe Dietz Lange (*1933) gibt in seinem Forschungsbericht über Tod und Rückkehr Gottes in der Religionsphilosophie aus dem Jahr 2004 Auskunft über neuere religionsphilosophische Konzepte zum Gottesgedanken, ohne allerdings konkret auf die im Titel angezeigte Thematik H. ZAHRNT 1968b, 402–438. H. ZAHRNT 1970, 52–60. 340 H. ZAHRNT 1989, 25–30; 77. 341 H. ZAHRNT 1972, 27–31. 342 H. ZAHRNT 1972, 31. 343 H. G RASS 1970; H. G RASS 1972. 344 Bes. H. G RASS 1970, 232–253; H. G RASS 1972, 12–17; 22–27; 37.38. 345 H. G RASS 1970, 232. 346 So Hans Graß zur Klarstellung in Teil I (Gott in Christo) der Christlichen Glaubenslehre im Zweiten Hauptteil (Die christliche Botschaft in unserer Zeit): H. GRASS 1973, bes. 77; vgl. auch a. a. O., 79. 347 B. K LAPPERT 1975. 338 339

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des Todes Gottes einzugehen.348 In den Monographien zur Lehre von Gott349, die der Dortmunder Systematische Theologe Ernstpeter Maurer in zwei Forschungsberichten von 2006 und 2012 vorstellt, spielt der Begriff des Todes Gottes keine Rolle mehr.350 Die Studien zur Gotteslehre umkreisten „allesamt das Problem [...], wie überhaupt von Gott geredet werden kann“351. Erst mit der Debatte um den neuen Atheismus flackert die Rede vom Tode Gottes auch wieder in Forschungsüberblicken auf, wie zuletzt 2017 in dem Beitrag des Zürcher Privatdozenten Hartmut von Sass mit dem saloppen Titel Oben ohne. Neuere Literatur zum religionskritischen, diagnostischen und religiösen Atheismus,352 der darin an die God-isdead-Theology von Dorothee Sölle erinnert,353 allerdings ohne darauf verzichten zu können, zum Schluss des Beitrags das Ende des Atheismus zu verkünden.354 d) Der liberale Basler Systematische Theologe Fritz Buri (1907–1995) nimmt Mitte der 1940er Jahre gewissermaßen die Positionen einer atheistischen Theologie vorweg. 355 Seine weitere theologische Entwicklung ist geprägt von der Ethik Albert Schweitzers und der Existenzphilosophie Karl Jaspers‘ und steht im ständigen Gegensatz zu seinem Basler Kollegen Karl Barth.356 In seinem Vortrag Wie können wir heute noch verantwortlich von Gott reden? (1967) hält er die „Theologie nach dem Tode Gottes“357 für den „ausgeprägteste[n] Gegensatz zum Offenbarungspositivismus“ 358. Im Rahmen seines zweibändigen theologiegeschichtlichen Werkes Gott in Amerika von 1970 (Amerikanische Theologie seit 1960) und 1972 (Religion, Theologie und Philosophie seit 1969) fällt die Behandlung der US-amerikanischen Gott-ist-tot-Theologie eher knapp aus. Auf wenigen Seiten, eher Gedanken einD. LANGE 2004. E. MAURER 2006a; E. MAURER 2006b; E. MAURER 2012a; E. MAURER 2012b. 350 Vgl. lediglich den Hinweis in E. M AURER 2012b, 321–324 u. a. mit der Besprechung von U. NEUENSCHWANDER 2001. 351 E. M AURER 2012a, 172. 352 H. V. SASS 2017. 353 H. V. SASS 2017, 329. An Sölles Formel erinnert bewusst auch sein theologischer Essay Atheistisch glauben (H. V. SASS 2022, 147), worinn der im Sprachspiel geübte Hartmut von Sass die Rede vom Tod des personalen Gottes effektvoll wiederbelebt. 354 H. V. SASS 2017, 339–342. 355 Buri erinnert daran, dass er in der Phase seiner „Pubertätstheologie“ drei Bücher (Gottfried Kellers Glaube. Ein Bekenntnis zu seinem Protestantismus, 1944; Prometheus und Christus. Größe und Grenze von Carl Spittelers religiöser Weltanschauung, 1945; Kreuz und Ring, 1947) verfasst hat, deren Inhalt „in auffallender Nähe zu der heutigen atheistischen Theologie steht und in verschiedenen Hinsichten – wenn nicht eine Vorwegnahme – so jedenfalls eine Illustration zu deren Positionen darstellt.“ Er hofft hier noch, dass es den heutigen Gottes-Tod-Theologen gelingen möge, „über ein solches Entwicklungsstadium hinaus[zu]kommen“ (F. BURI 1967, 17, Anm. 27), ist jedoch ein paar Jahre später ernüchtert (vgl. unten F. BURI 1972, 11). 356 Vgl. dazu seine Schrift Christlicher Glaube in dieser Zeit (F. B URI 1952), die sich mit den gegenwärtigen Herausforderungen von Atheismus und Nihilismus befasst, sowie ausführlich seine dreibändige Dogmatik als Selbstverständnis des christlichen Glaubens (I: 1956; II: 1962; III: 1978). Zum Neuliberalismus der Albert-Schweitzer-Schule (Martin Werner, Fritz Buri, Ulrich Neuenschwander) als Gegenpol zum Barthianismus vgl. J. ROHLS 1997b, II, 623–632; 2012, 1025–1030; 2014b, 1341–1350. 357 Vgl. das von einer deutlichen Kritik an Jüngels Barth-Paraphase ausgehende Büchlein F. BURI 1967, 3–17. 358 F. B URI 1967, 6. 348 349

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sammelnd als systematisierend, gibt es einige Hinweise auf die „Gottestod-Theologie“359, die auf das Urteil hinauslaufen, dass „diese Theologie keine Fortschritte über ihre von Anfang an vertretenen Positionen hinaus aufzuweisen [hat].“ Für Buri steht fest: „Die Gottestod-Theologie hat sich heute totgelaufen.“360 Sicher auch um seine eigene Position im Anschluss an den Existentialismus herauszustellen, wenn er diesen „in der gegenwärtigen Auseinandersetzung [...in der] Rolle des Prügelknaben der Wort-Gottes- wie der Tod-GottesTheologie“ sieht. Von der einen Seite werde dem Existenzialismus durch seine Zuwendung zum Personalismus „Verrat der Offenbarung an die Welt“ vorgeworfen, von der anderen Seite „Flucht vor der Welt in die Innerlichkeit.“361 Buri selber sieht dagegen „eine verhängnisvolle Verwandtschaft“ der „heutigen protestantischen Orthodoxie [...] mit dem heutigen Nihilismus“362, die er beide mit einer Existenztheologie als Theologie der Verantwortung zu überwinden sucht. Der liberale Berner Systematische Theologe Ulrich Neuenschwander (1922–1977) hat dem „toten Gott“ in seiner zweibändigen Darstellung Gott im neuzeitlichen Denken (1977) ein eigenes Kapitel gewidmet.363 Es blendet die „Schwere der Frage [Nietzsches], wie das ungeheure Vakuum ausgeglichen werden könnte, das der Tod Gottes hinterläßt“364, nicht aus, da Nietzsche wusste, „daß Gott mehr ist als ein leeres Wort“365, und „was es bedeutet, wenn Gott verloren geht“366. Neuenschwander sucht jedoch weder die Darstellung noch eine systematische Auseinandersetzung mit dem Phänomen Tod Gottes und der Gott-ist-tot-Theologie. Gotthold Hasenhüttl hat bereits 1980 eine Zusammenfassung der Gott-ist-tot-Theologie im Rahmen seiner Einführung in die Gotteslehre für die Einführungsreihe Die Theologie der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft Darmstadt vorgelegt.367 Darin ergründet er, welche Bedeutungsmöglichkeiten die Wendung „Gott ist tot“ hat, listet diese auf und gibt einen systematischen Überblick über die verschiedenen Anliegen der dazugehörigen Theologen.368 F. BURI 1970, 63–78. F. BURI 1972, 11. 361 F. B URI 1967, 7. 362 F. B URI 1952, 5. 363 U. N EUENSCHWANDER 1977b, 91–166. Vgl. auch die drei Vorlesungen aus den 1960er Jahren, die nun erschienen sind als U. NEUENSCHWANDER/W. ZAGER 2001 und dazu E. MAURER 2012b, 322–324. 364 U. N EUENSCHWANDER 1977b, 133. 365 U. N EUENSCHWANDER 1977b, 134. 366 U. N EUENSCHWANDER 1977b, 135. 367 Bereits K. R OHMANN 1977, 25 weist darauf hin (Nachweise ebd., Anm. 20), dass G. HASENHÜTTL 1970 lediglich die Darstellung von J. BISHOP (frz. 1967; dt. 1968) 1970 exzerpiert hat, aber ihn nicht als Quelle anführt, was auch für die weitere eingeflossene Sekundärliteratur gelte. Die Auswahl und Beschreibung der Bewegung ändert sich innerhalb von dreißig Jahren bei Hasenhüttl weder in der Einführung von 1980 noch im Lexikonartikel von 2000 (s. o.). 368 G. H ASENHÜTTL 1980, 183–206. „Was genau kann das Wort ,Gott ist tot‘ bedeuten?“ (183). Hasenhüttl listet aus der Vielzahl von Möglichkeiten zehn Deutungsvarianten auf (vgl. dazu bereits die Liste von zehn Typen bei W. HAMILTON/TH. J. J. ALTIZER 1966, xxi) und fasst diese in sechs Rubriken systematisch zusammen (183.184), die hier kursiv verzeichnet sind mit seinen dazugehörenden Erläuterungen: I. Atheistische und monotheistische Interpretationen: „1. Gott ist nie gewesen, Gott ist nichts als eine reine Idee, die aus dem Bedürfnis des Menschen geboren wurde und zur Zeit des mündigen Menschen gestorben ist. 2. Die falschen Götter und Götzen sind endgültig erledigt.“ II. Sprach- und erkennt359 360

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Auf jeden Fall lehne ,die‘ Gott-ist-tot-Theologie das Axiom der abendländischen Überlieferung ab, „daß Gott in seinem Wesen unveränderlich und ewig ist, daher auch nicht sterben kann.“369 Der Systematische Theologe Hans Schwarz (*1939) lehrte von 1967 an am Evangelical Lutheran Theological Seminary in Columbus (Ohio). 1981 folgte er einem Ruf nach Regensburg, wo er bis zum seinem Ruhestandseintritt 2004 wirkte. In seinen Jahren in den USA dürfte er vor Ort direkte Nachwirkungen der Kontroverse um die God is dead-Bewegung miterlebt haben. Sein zuerst im Jahr 1975 (The Search for God) auf Amerikanisch und dann 1984 auf Deutsch veröffentlichter Kurs: Gotteslehre referiert in Band I: Gott oder kein Gott? in Kapitel I: „Lebt Gott?“ im Abschnitt „Bonhoeffers nichtreligiöse Interpretation und der Tod Gottes“ die angloamerikanische Debatte im Ausgang von der Bonhoeffer-Rezeption bei

niskritische Positionen, die nur die Ausdrucksweise von Gott der Veränderung unterwerfen, Gott selbst aber ungeschichtlich sehen: „3. Die bisherigen Gottesvorstellungen sind vergangen und überholt und die Gottesidee muß neu formuliert werden, damit sie die Wirklichkeit Gottes wieder trifft. 4. Das menschliche Sprechen von Gott ist unvollkommen und unzugänglich und kann den lebendigen Gott, wie er ist, nie wirklich adäquat ausdrücken.“ III. Die Gotteserfahrung wird in die Subjektivität eingebunden, so daß außerhalb ihrer Gott tot ist, alle Veränderung geschieht im Individuum: „5. Gott ist stets der verborgene Gott, der sich der menschlichen Sprache verweigert (jenseits der Kategorien des Seins liegt), für sie also tot ist und nur im Schweigen erfahren werden kann. 6. Gott muß in der Welt sterben, denn nur so kann er ins uns geboren werden (Mystik).“ IV. Gott verändert sich in der Heilsgeschichte, der Gott vorausgegangener Perioden ist erledigt: „7. Der alttestamentliche Gott des Tempels und Kultus ist erledigt. Der Gott, der in dem nun abgebrochenen Tempel angebetet worden ist, ist tot.“ V. Gott in seiner Transzendenz hat sich bezüglich der Gesamtgeschichte und -wirklichkeit geändert; als Transzendenz ist er tot: „8. Gott war einmal eine Wirklichkeit, die man zu Recht in ihrer Transzendenz anbeten und preisen konnte, jetzt aber ist dieser Gott gestorben. Weder in unserer Zeit, noch in der Geschichte, noch in unserer eigenen Existenz ist er erfahrbar, d. h. er ist gestorben.“ VI. Postulat einer realen Veränderung Gottes bezüglich der gott-menschlichen Struktur der Wirklichkeit. Die Christologie wird zum Zentrum der Theologie. Außerhalb der christologischen Aussagen ist Gott tot: „9. Der Tod Gottes wird im Namen des lebendigen Gottes verkündet, indem dem modernen Menschen in Jesus Christus gesagt wird, wofür er von der letzten Wirklichkeit (Gott) gebraucht wird. 10. Gott ist in seiner bisherigen Unmittelbarkeit tot und wird von Jesus Christus bei uns Menschen vertreten.“ Die Gott-ist-tot-Theologie hat sich im Wesentlichen mit den letzten drei Fragen beschäftigt, in denen es darum geht, „daß Gott nicht mehr in der bisherigen Weise in der Welt gegenwärtig ist. Die Verkündigung des Namen Gottes eröffnet den meisten Menschen nicht mehr einen neuen Lebensraum. Unsere Zeit ist ,gottlos‘ geworden. Liegt es an uns? Verbirgt sich Gott selbst? Hat er sich gewandelt? Diesen Fragen wollen sich die Gott-ist-tot-Theologen stellen und eine Antwort suchen“ (184). Hasenhüttl systematisiert im Folgenden die verschiedenen Ansätze und ordnet in diesem Zusammenhang die entsprechenden Theologen diesen Rubriken zu (185–206): Kulturkritische Richtung (Gabriel Vahanian, Harvey Cox), Sprachanalytische Richtung (Paul van Buren), Geschichtstheologische Richtung (Th. J. J. Altizer; R. L. Rubenstein, R. J. Nogar), Ethische Richtung (William Hamilton), Christologische Richtung (Dorothee Sölle), Präsentisch-epiphanische Richtung (Leslie Dewart). Diese Einteilung wird auch 20 Jahre später in den RGG-Artikel von Hasenhüttl Eingang finden (G. HASENHÜTTL 2000). 369 G. H ASENHÜTTL 1980, 183.

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John A. T. Robinson, William Hamilton und Paul van Buren.370 Aus der Auseinandersetzung mit Thomas Altizer nimmt Schwarz für die „Handhabung der Gottesfrage“ mit, „dass ein ausschließlich christozentrischer Ansatz, der mit einer streng betonten Dialektik gepaart ist, gewisse Gefahren für den Versuch in sich birgt, sinnvoll von Gott zu sprechen.“371 Denn Jesus Christus werde bei Altizer nur zu Jesus dem Menschen und schließlich nur zu einem Menschen. Der Glaube verliere damit seinen „Anker im Leben und Geschick Jesu als dem Christus und vermischt sich mit anderen Ausdrücken unseres religiösen Erbes.“ Altizers Entdeckung der Kategorie des Heiligen als Antwort auf Bonhoeffers nichtreligiöse Interpretation lässt Schwarz verwundert fragen: „Sollte das vielleicht anzeigen, dass es grundlegende religiöse Elemente im christliche Glauben gibt, die nicht von nur vorrübergehender Dauer sind?“372 Aber auch diese „Konzession an eine allem Glauben gemeinsame Grundreligiosität erklärt nicht das verwirrende Phänomen einer immer mehr zunehmenden Säkularisierung“373, dessen Rätsel sich Schwarz im nächsten Abschnitt zuwendet, um herauszustellen, dass der christliche Glaube weder ein Bündnis mit dem Atheismus noch mit der Säkularität und dem Säkularismus eingehen dürfe, „wenn wir nicht die Andersartigkeit und Besonderheit des Grundes unseres christlichen Glaubens verleugnen wollen.“ 374 In seiner Darstellung der Theologie im globalen Kontext (am. 2005; dt. 2006; 2016),375 die in das christlichen Denken des 19. und 20. Jahrhundert einführt und in Portraits die wichtigsten Theologen dieser Zeit in ihrem sozialen und kulturellen Kontext vorstellt, verhandelt er noch einmal in Kapitel 10: „Die Dialektische Theologie“ im dritten Abschnitt „Von Weiterführung zur Umkehr: Dietrich Bonhoeffer, John A. T. Robinson und die Gott-ist-tot-Theologen“ die Thematik376 und bietet einen zweiseitigen Extrakt (342.343) seiner früheren Darstellung, die dieser weitgehend im verwendeten Material gleicht.377 Darin zeigt er die Gott-ist-tot-Theologie 370 H. SCHWARZ (1975) 1984, 23–29 (Die Seitenzahlen richten sich nach dem Manuskript, das als Download des Instituts für Evangelische Theologie an der Universität Regensburg leicht zugänglich ist). Dorothee Sölle als deutsche Vertreterin blendet er mit dem Argument aus, „ihre Argumentationsweise [münde], im Gegensatz zu den angelsächsischen Vertretern, sehr schnell in eine politische Linie ein[...] und [daher sei] sie eher unter die Befreiungstheologie einzuordnen (a. a. O., 27, Anm. 93). 371 H. SCHWARZ (1975) 1984, 28. Diese Einstellung verhelfe dazu, die „ungeheure Wucht der Säkularisierung in verhältnismäßig optimistischer Weise zu interpretieren“ (a. a. O., 29). Vgl. zum Rätsel der Säkularisierung den folgenden Abschnitt mit der Darstellung der Ansätze von Friedrich Gogarten und Harvey Cox bei H. SCHWARZ (1975) 1984, 29–33. 372 H. SCHWARZ (1975) 1984, 28.29. 373 H. SCHWARZ (1975) 1984, 29. 374 H. SCHWARZ (1975) 1984, 33. 375 Theology in a Global Context: The Last Two Hundred Years (2005) erschien in Übersetzung 2006 zuerst beim Verlag der Liebenzeller Mission mit dem Untertitel Die letzten zweihundert Jahre (H. SCHWARZ 2006) und als Neuauflage 2016, für die die erste deutsche Auflage vom Autor stark überarbeitet und ergänzt wurde, im Brunnen Verlag Gießen mit dem Untertitel Die großen Themen und Personen des 19. und 20. Jahrhunderts (H. SCHWARZ 2016). 376 Vgl. H. SCHWARZ 2005, 316–323; H. SCHWARZ 2006, 420–428 und H. SCHWARZ 2016, 337–344. Nach der Neuauflage von 2016 wird zitiert. 377 In der weiterführenden Literatur verweist H. SCHWARZ 2016, 346 jedoch auch auf die neue Rezeption von Altizer durch L. MCCULLOUGH 2004. Vgl. auch die pointierte Darstellung von L. GILKEY 1969, 383, der die von der Dialektischen Theologie durch ihre Betonung der Andersheit Gottes nur ungenügend herausgearbeitete Relevanz der christlichen Lehren

1.3 Zum Forschungsstand: Rezeption der Tod-Gottes-Idee

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wieder als eine Deutungsoption bei Robinson und Hamilton, die sich an Bonhoeffers Betonung der Ohnmacht und des Leidens Gottes orientiert und die Schwachheit Gottes als Ausgang einer säkularen Interpretation des Evangeliums nimmt (340.342) und die bei Altizer zu einer konsequenten kenotischen Christologie führe, deren Vorwärtsbewegung sich schließlich zum weltweiten Leib der Menschheit weiterbegebe. Hier schließt sich für Schwarz nun aber der Kreis zur Dialektischen Theologie: „Mit dem Verschwinden des Göttlichen als des ganz Anderen, [sic!] erscheint das Göttliche wieder in der menschlichen Person. [...] Diese Erhöhung des Menschen scheint der prominente Gesichtspunkt der Theologie der letzten beiden Jahrhunderte zu sein, den die Dialektische Theologie energisch bekämpfte, um uns eine, wenngleich doch nur zeitlich begrenzte, Ruhepause zu gönnen“ (343).

1.3.4 Monothematische systematische Entwürfe Einen entscheidenden Anstoß, sich eingehend mit dem Wort vom Tod Gottes auseinanderzusetzen, erhielten die systematischen Entwürfe von Eberhard Jüngel, Jürgen Moltmann und Falk Wagner neben Impulsen aus der Hegel-Renaissance vor allem auch aus den Debatten um die Gott-ist-tot-Theologie in den 1960er Jahren.378 In den USA waren der frühe Karl Barth, Paul Tillich, Rudolf Bultmann, Herbert Braun und Dorothee Sölle Impulsgeber für eine Theologie nach dem Tode Gottes.379 (1) Experimentell und auf die gesellschaftspolitische Situation „nach Auschwitz“ bezogen fielen Dorothee Sölles (1929–2003) Buch Stellvertretung. Ein Kapitel Theologie nach dem „Tode Gottes“ (1965)380 und ihre Beiträge zur Theologie (1963–1968) aus, die unter dem Titel Atheistisch an Gott glauben (1968) erschienen sind381 und den Tod Gottes als Verlust der unmittelbaren Erfahrung Gottes in der säkularisierten Moderne deuten.382 Theologie sei nur noch auf „a-theistischer“ Grundlage möglich: „atheistisch an Gott glauben“ heißt, „Glauben hier als eine Art Leben“ zu verstehen, „das ohne die

für das alltägliche Leben bemängelt. Sie habe damit das Einfallstor für die Gott-ist-tot-Theologie geöffnet, die so problemlos von der Bedeutungslosigkeit der Gottessprache habe reden und den Tod Gottes habe verkünden können. 378 Da die Ansätze von Braun, Sölle, Moltmann, Jüngel und Wagner in Kapitel 7 noch ausführlicher zur Sprache kommen, werden sie hier nur knapp eingereiht. Dort findet sich auch weiteres Erschließungsmaterial zu den einzelnen Positionen und zu weiteren Aufsätzen und Beiträgen anderer Theologinnen und Theologen aus der Debatte. 379 Vgl die Anthologie von TH. J. J. A LTIZER 1967a, 121–215. Statt Sölle findet hier der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber (vgl. auch The Eclipse of God; 1952) neben den oben erwähnten evangelischen Theologen Eingang. 380 D. SÖLLE (1965) 2006; vgl. dazu H. G OLLWITZER 1967. 381 D. SÖLLE (1968) 1983a. 382 Dass Hegels vielzitierter Satz über den Tod Gottes in Glauben und Wissen (1802) eher nicht auf den Verlust jeglicher Gottesunmittelbarkeit nach der Aufklärung, sondern auf Fichtes Reflexionsphilosophie der Subjektivität zu beziehen sei, kritisiert F. WAGNER 1967 scharf an Sölles Hegel-Deutung (D. SÖLLE 1965, 12, 40 ff.; 56; 73; 104–110 und D. SÖLLE [1964, 1102–1105] 1983b, 54–58). Daran schließt an W.-D. MARSCH 1968, 57, Anm. 1.

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supranaturale, überweltliche Vorstellung eines himmlischen Wesens auskommt, ohne die Beruhigung und den Trost, den eine solche Vorstellung schenken kann.“383 In ihrem Band Leiden (1973) übt sie Kritik an der christlichen Apathie, deckt die destruktive Macht des Ideals eines leidfreien Lebens sowie die Illusion der Schmerzlosigkeit auf und will damit sensibilisieren für die Wahrnehmung widerfahrenden Leids.384 (2) Kritik am „Theismus“385 und die mit ihr gestellte Aufgabe der „fälligen Revolution im Gottesbegriff“386 ist bereits im Titel von Jürgen Moltmanns (*1926) Monographie Der gekreuzigte Gott. Das Kreuz Christi als Grund und Kritik christlicher Theologie (1972) zu erkennen. Für den reformierten Theologen zeigt sich der Theismus insgesamt als problematisch, vor allem kreuzesvergessen, und damit als für die Entfaltung der christlichen Gotteslehre nicht ertragreich.387 Insbesondere betrifft das die Voraussetzungen des metaphysischen Gottesbegriffs, Tod, Leid und Schmerz auszuschließen, denn ein leidensunfähiger Gott sei liebesunfähig.388 Jesu Tod könne „nicht ,als Tod Gottes‘ verstanden werden, sondern nur als Tod in Gott. Nicht der ,Tod Gottes‘ kann als Ursprung christlicher Theologie verstanden werden, wenngleich das Stichwort auf etwas Richtiges hindeutet, sondern nur der Kreuzestod in Gott und Gott in diesem Tod Jesu.“389 Die Kritik an der Apathie Gottes und dem (häretischen) Gedanken einer Theopathie Gottes nimmt Moltmann zu Beginn seines systematischen Beitrags zur Gotteslehre Trinität und Reich Gottes (1980) wieder auf.390 Ausgehend von der Beobachtung, dass „[d]er christliche Glaube und der neuzeitliche Atheismus [...] von dem Satz: Gott ist gestorben“391 leben, ist es Ziel von Eberhard Jüngels (1934–2021) Hauptwerk Gott als Geheimnis der Welt. Zur Begründung der Theologie des Gekreuzigten im Streit zwischen Theismus und Atheismus (1977), in präzisierender Abgrenzung von den Deutungen des „dunklen Wortes vom ,Tode Gottes‘“ der Gott-ist-tot-Theologie die kreuzestheologische „Heimkehr der Rede vom Tode Gottes in die Theologie“392 zu begründen, um mit einer „theologischeren Theologie“ der Grundlagekrise der D. SÖLLE (1968) 1983c, 79. D. SÖLLE (1973) 1980, bes. „Kapitel II: Zur Kritik der nachchristlichen Apathie“ und „Kapitel V: Leiden und Lernen“. 385 Vgl. J. M OLTMANN (1972) 1976, 236–239. 386 J. M OLTMANN (1972) 1976, 9. 387 J. M OLTMANN (1972) 1976, 236.237. 388 Zur Kritik am Apathie-Axiom vgl. J. M OLTMANN (1972) 1976, 255–267 und E. JÜNGEL (1977) 1986, 86; 508; 511. 389 J. M OLTMANN (1972) 1976, 192. 390 J. M OLTMANN 1980, 36–76 („Die Passion Gottes“). 391 E. JÜNGEL (1966) 1972d, 238. 392 E. JÜNGEL (1968) 1972a, 106 und E. JÜNGEL (1977) 1986, 56 (in Abgrenzung zu Sölle und Gogarten); 72; 74. 383 384

1.3 Zum Forschungsstand: Rezeption der Tod-Gottes-Idee

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Theologie zu begegnen. Der Ausdruck „Gott ist tot“ wird bei ihm als „eine in sich paradoxe Chiffre für den Anfang des Endes der Metaphysik“ gedeutet, „die die Wirklichkeit nicht ohne Gott zu denken und die Einheit von Denken und Sein nicht ohne Gott festzuhalten vermochte – also einer Metaphysik, die sich selber als Theo-onto-logik begriff.“393 Das Krisenphänomen Tod Gottes wird als „Gottesphänomen“394 verstanden und Theismus wie Atheismus gleichermaßen zurückgewiesen, „da sie von vornherein am Wesen Gottes vorbei“ argumentierten.395 Denn lange bevor die Rede vom Tode Gottes zur „Mode“396 im neuzeitlichen Atheismus geworden sei und ihr mehrdeutiger Gebrauch Verbreitung gefunden habe, habe diese ihre genuine Heimstätte als eindeutige Theologie des Gekreuzigten in der Theologie selbst gehabt. (3) Auch Falk Wagners (1939–1998) Entwurf einer „Revolutionierung des Gottesgedankens“ lässt sich auf verschiedene Einflüsse des Gedankens vom Tode Gottes zurückführen.397 Zu diesem Anfangsimpuls seines Denkens der späten 1960er Jahre kommt Wagner jedoch erst Ende der 1980er Jahre zurück, als für ihn die Bedeutung des Todes Gottes im Rahmen seiner „Krisentheorie des Protestantismus“ theologisch wieder zentral wird.398 So ist für ihn in seiner Wiener Antrittsvorlesung Christentum und Moderne (1990) das Bewusstsein der modernen Grundlagenkrise der Theologie, „in der die Theologie selber zum Problem geworden ist“399, „[i]n kurzer und bündiger metaphorischer Sprechweise [...] in dem Satz zusammengefasst: Gott ist tot“400. Vor dem Hintergrund der „Umformungskrise des Protestantismus“401 spricht Wagner die Hoffnung aus, dass „das Bewußtsein der Moderne, Gott sei tot, der christlichen Theologie die Augen öffnet für die Besonderheit ihres eigenen Anfangs.“402 Gemeinsam ist Sölle, Moltmann, Jüngel und Wagner, dass sie den Tod Gottes auf eine je ihr eigenes Anliegen pointierende genuin theologische Interpretation hin zu deuten suchen und so dessen Mehrdeutigkeit ausblenden. 1.3.5 Lehrbücher der Dogmatik und Entwürfe Systematischer Theologie In neueren Dogmatik-Lehrbüchern und Entwürfen Systematischer Theologie ist die Rezeption der Rede vom Tod Gottes in der Regel nur eine Randnotiz

E. JÜNGEL (1977) 1986, 275. E. JÜNGEL (1968) 1972a, 123.124; E. JÜNGEL (1977) 1986, 499. 395 E. JÜNGEL (1971) 1982, 341. 396 E. JÜNGEL (1977) 1986, 57. 397 Ausgeführt finden sich diese Gedanken zuletzt in der posthum veröffentlichten Monographie Metamorphosen des Protestantismus (F. WAGNER 1999a, 149–166). 398 Vgl. F. W AGNER 1998a, 283. Vgl. oben zu F. W AGNER 1971. 399 F. W AGNER 1990, 131. 400 F. W AGNER 1990, 139. 401 Im Anschluss an E. H IRSCH 1968 vgl. F. W AGNER 1999a, 1–74. 402 F. W AGNER 1990, 139. 393 394

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oder implizit und manchmal auch in den Entwurf flankierenden Veröffentlichungen aufzuspüren. Die in der folgenden Darstellung versammelten Umgangsweisen spiegeln gleichwohl einen Kritik- und Deutungskatalog des Motivs in der neueren evangelischen Theologie wider. Sie bieten zum Auftakt mit den „nach-theistischen“ Dogmatik-Entwürfen von Karl Barth und Paul Tillich auch diejenigen Positionen, die für die Gott-ist-tot-Theologen Anknüpfungspunkte bieten sollen und die neben Rudolf Bultmanns Entmythologisierungsprogramm und Friedrich Gogartens Säkularisierungstheologie die Eckpfeiler der theologischen Debattenlage der Nachkriegszeit bilden.403 Nicht nur diese, sondern auch noch die im Folgenden vorgestellten Entwürfe operieren mit einem unterbestimmten Theismus-Begriff, der meist als Negativfolie verwendet wird, um das eigene, „das christliche“, Gottesbild heller strahlen zu lassen. (1) Der Schweizer Pfarrer Karl Barth (1886–1968), der in den 1920er Jahren mit seinem Römerbrief (1919; 21922) die Redeweise von Gott „als der ganz Andere“404 („totaliter aliter“) als wirkmächtiges Schlagwort in die Debatte ein403 Vgl. dazu Abschnitt 7.1.1 in diesem Buch. Knappe Darstellungen von Bultmanns und Gogartens Programmen finden sich bspw. in: J. ROHLS 1997b, II, 452–460; 561–566; 572– 577 und H. SCHWARZ 2016, 294–299; 329–337. 404 Es ist jedoch Rudolf Otto, der zuerst in Das Heilige (1917) die Formel „Das ,Ganz Andere‘“ (Neutrum) zur Beschreibung des Mysteriums, des Numinosen (R. OTTO [1917] 1997, 28–37) verwendet. Sie findet sich dann auch bei Rudolf Bultmann, der das Buch sofort nach seinem Erscheinen las (Otto und Bultmann waren zunächst Kollegen in Breslau und dann in Marburg, wohin Otto 1917 als Nachfolger Wilhelm Herrmanns und Bultmann 1921 – nach einer kurzen Zwischenstation in Gießen – als Nachfolger Wilhelm Heitmüllers berufen wurden, und tauschten sich zur Entstehungszeit 1916 des nachmaligen theologischen Beststeller aus), als Formel für Gott als „das ganz Andere“ und „der Ganz Andere“ (R. BULTMANN [1925] 1964, 28–30), der aber festhält, dass dieser Gedanke nur Sinn mache, wenn Gott „mir als dem Sünder gegenübersteht als der Ganz Andere“ (a. a. O., 30). Karl Barth liest Rudolf Ottos Das Heilige in der Woche vor dem 3. Juni 1919 „mit ziemlicher Freude“, wie er an Thurneysen schreibt (GA V, 529), und notiert „das ,Ganz Andere‘, das Göttliche an Gott“ (ebd.) und verwendet diese Formel dann in der zweiten Auflage des Römerbriefs (vgl. K. BARTH [21922] 2010, 47, Anm. 4). Die Formel wird so etwas wie die Kennmarke seiner dialektischen Theologie, obwohl sie gar nicht oft genannt wird, aber sich gut als Schlagwort eignet: Die „,Heilsbotschaft Gottes‘ hat Paulus auszurichten: [...] Botschaft von einem Gott, der ganz anders ist, von dem der Mensch als Mensch nie etwas wissen noch haben wird und von dem ihm eben darum das Heil kommt“ (K. BARTH [21922] 2010, 47; vgl. a. a. O., 66: „Die Treue Gottes ist es, daß er uns als der ganz andere, als der Heilige mit seinem Nein in so unentrinnbarer Weise entgegentritt und nachgeht.“; vgl. auch a. a. O., 435: Gott, „der Andere, der Fremde“ und a. a. O., 498: „Dieses Gericht besteht aber darin, dass wir Gott nicht fassen, nicht erjagen können, dass er für uns der schlechthin Andere, Fremde, Unbekannte, Unnahbare ist und bleibt“). Barth betont in der zweiten Auflage seines Kommentars zum Römerbrief (auf das Jahr 1922 datiert, aber kurz vor Weihnachten 1921 erschienen) die „Nicht-Identität“ bzw. das Anderssein Gottes – „Immer ist Gott dem Menschen jenseitig, neu, fern, fremd, überlegen, nie in seinem Bereich, nie in seinem Besitz“ (K. BARTH [21922] 2010, 167) –, das den mit Søren Kierkegaard „unendlichen qualitativen

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brachte, betonte die Aktualität der biblischen Botschaft und wies mit seiner Wiederentdeckung der Wort-Gottes-Theologie der Theologie die „kritische“ Aufgabe zu, von letzten Dingen zu reden und nicht von vorletzten; dazu gehöre es, „die Beziehung der Wörter auf das Wort in den Wörtern“ aufzudecken.405 Gegen die Betonung der Religion bei Schleiermacher betonte Barth, „daß von Gott [zu] reden etwas Anderes heißt als in etwas erhöhtem Ton vom Menschen [zu] reden.“406 Von Gott könne nur Gott selber reden, wodurch sich die lebendige Wahrheit selbst bezeuge.407 Auch im Römerbrief gibt es weder Beweise der Existenz Gottes noch sind Beweise der Gottheit Jesu möglich, noch sind historische Wege zu Jesus hilfreich; allein die Auferstehung sei die Offenbarung Gottes, die Entdeckung Jesu als des Christus, die Erscheinung Gottes und die Erkenntnis Gottes in ihm.408 Zu den „merkwürdigsten Tatsachen in der Theologiegeschichte des 20. Jahrhunderts [gehört], dass sich Barth bei seiner Wende zu einer antirationalistischen Offenbarungstheologie“ in seinem Anselm-Buch Fides quaerens intellectum „ausgerecht auf Proslogion 2 und 3 stützt“, worin beansprucht wird, dass „allein durch die Vernunft die Existenz Gottes und die Undenkbarkeit seiner Nichtexistenz zu beweisen“409 seien.410 Unterschied“ zwischen Gott und Mensch markieren soll (a. a. O., 17 [mit weiterem Erschließungsmaterial in den Anmerkungen]; 63; 138 u. ö.). Wenn die Herablassung (Kondeszendenz), Erniedrigung und Menschlichkeit Gottes betont werden soll – „das Geheimnis der ,Gottheit Christi‘“ (K. BARTH 1953, KD IV/1, 193) – wird dieser Gedanke allerdings problematisch, wie das Neue Testament zeige, „daß er nicht dieser Gott ist“ – „eben der ,ganz Andere‘, absolut, erhaben und hoch, der aller Niedrigkeit ferne und fremde Gott“ (KD IV/1, 209). Die Verwendung der Formel von der absoluten Andersheit Gottes erlaube es Barth, so Karen L. Carr, eine Verbindung von Glaube und Nihilismus herzustellen. Seine Annahme, dass Gott in der Welt nicht zu finden sei, ermögliche es ihm, Gnade als totale Transformation des Individuums zu beschreiben, und damit als Negation. Diese Negation wird durch die Gnade, die Liebe Gottes, realisiert: „The dialectical theologians baptized nihilism [...]. The experience of annihilation becomes ,God’s way of saving us‘“ (K. L. CARR 1992, 9.10; vgl. auch 51–84; bes. 66–81). 405 K. B ARTH (1922) 1996, 14. Für Barth, der „[k]ritischer“ als „die Historisch-Kritischen“ arbeiten möchte, heißt krínein: „das Messen aller in ihr [scil. einer historischen Urkunde] enthaltenen Wörter und Wortgruppen an der Sache [...].“ 406 K. B ARTH (1922) 1996, 164. Religion wird bei Barth zum gottlosen Bestreben der Menschheit und damit zum Unglauben (vgl. KD I/2, § 17), da Gott nur auf einem Wege zum Menschen komme, durch Jesus Christus. 407 Vgl. K. B ARTH (1922) 1996, 176. 408 Vgl. K. B ARTH (1922) 1996, 4–54; bes. 46–50 (Auslegung zu Röm 1,4–7). 409 F. H ERMANNI 2017, 46. Die Anselm-Deutung Barths (K. B ARTH [1931] 1986) war von Anfang an heftig umstritten, weniger umstritten ist die Bedeutung des Buches für Barths Weg zur Kirchlichen Dogmatik, auch wenn das Buch wohl nicht, wie lange Zeit angenommen, eine Wende in seiner Theologie bedeutet, wohl aber zur methodischen Klärung für die KD verhalf. Vgl. auch J. ROHLS 1987, 510–527. 410 Polemisch zugespitzt heißt das: „Dieser offenbarungstheologische angepasste Anselm hat mit dem wirklichen Anselm des 11. Jahrhunderts nicht das Geringste zu tun. Er ist ein

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Barths entschiedenes Nein! in seiner scharfen Antwort an Emil Brunner (1934)411 gegen jegliche menschliche Erfahrung von Gott und natürliche Gotteserkenntnis, gegen jegliche philosophische und metaphysische Zugänge zur Gottesfrage zeigt die Verwendung eines weiten Begriffs „natürlicher Theologie“, unter der im Grunde alle Gegenpositionen zum offenbarungstheologischen und christozentrischen Ansatz subsumiert werden können. Zwischen Gott und der Welt gebe es keinen Berührungspunkt, allein das Wort schaffe seinen eigenen Anknüpfungspunkt. Barths These von der Unvereinbarkeit von natürlicher und evangelischer Theologie fand nicht zuletzt durch diese Streitschrift in weiten Teilen des Protestantismus Zustimmung bis weit in die Nachkriegszeit hinein. In den zeitgeschichtlichen Kontext gehörten schließlich die in wesentlichen Zügen von Karl Barth formulierten sechs Thesen und Verwerfungen in der Barmer Theologischen Erklärung (1934) mit ihrer Grundlegung im in Jesus Christus geoffenbarten Wort Gottes und der „Lehre von der Königsherrschaft Christi“. Barth wurde in der Folgezeit auch in Nordamerika hochgeschätzt, besonders wegen seiner Haltung gegen die Nazidiktatur und seiner neoorthodoxen Theologie, weniger wegen seiner Dialektik.412 Auch mit der Gott-ist-tot-Theologie ist Barths Name verbunden, wenn sich Gabriel Vahanians kultur- und religionskritischen Anliegen mit der Theologie Barths trafen,413 oder Thomas J. J. Altizer eine „long obsession with the theology of Karl Barth“414 bescheinigt wird. Für die Gott-ist-tot-Theologien gehört auch der radikale Barth des Römerbriefs, nicht aber der der Kirchlichen Dogmatik, zur Gestalt eines neuen Christentums: Barth „created the possibility of a radical theology proceeding from the total absence of God in human experience.“415 In seiner Transformation der Theologie – Altizer spricht von „collapse“ – in Christologie komme Barths Radikalität zum Ausdruck. An dieser „christologischen Konzentration“ arbeitet der inzwischen zum Theologieprofessor berufene Barth in den Kriegsjahren und dann in der Nachkriegszeit unbeirrt weiter

Produkt der barthschen Phantasie, ersonnen, um den Begründer der rationalen Theologie und alle, die sich auf ihn berufen, zum Schweigen zu bringen“ (F. HERMANNI 2017, 49). 411 Barth antwortet mit dieser Streitschrift auf Emil Brunners Abhandlung Natur und Gnade (1934), der hierin die evangelische Theologie auffordert, sich wieder auf eine recht verstandene natürliche Theologie zu besinnen. Vgl. hierzu W. PANNENBERG 1972, 29–47; CH. GESTRICH 1977. 412 Vgl. H. SCHWARZ 2016, 347. 413 Vgl. G. V AHANIAN (1961) 1967, 4. 414 Vgl. D. JASPER 2004, 192. 415 TH. J. J. A LTIZER 1967a, 123. Abgedruckt sind Passagen (zu Röm 7,7–11 und 3,21– 22a) aus der zweiten Auflage des Römerbriefs (TH. J. J. ALTIZER 1967a, 125–140); vgl. zu den barthianischen Wurzeln der Radical Theology auch J. CH. COOPER (1967) 1988, 120– 125 und P. HESSERT 1968, der in Barth einen Vorläufer dieser US-amerikanischen Richtung sieht. Vgl. dazu auch CH. GESTRICH 1977, 10.11.

1.3 Zum Forschungsstand: Rezeption der Tod-Gottes-Idee

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und legt in über vier Jahrzehnten Band für Band der Kirchlichen Dogmatik (1932–1967) vor.416 Der Basler Theologe weicht jedoch davor zurück, explizit vom „Tode Gottes“ zu reden. Stattdessen spricht Barth in „der Sprache der alten Dogmatik [...] [vom] erniedrigte[n], leidende[n] Gott“ (KD IV/3, 188), von der „Passion Gottes“ bzw. „Gottes Passion“ (vgl. KD IV/1, 271.272) als („Drama“ [KD IV/3, 188] der) Leidensgeschichte Jesu Christi (KD IV/1, § 59) in dem Sinne, dass die „Heilsgeschichte wesentlich Passionsgeschichte ist [... und] nur in dieser Ausrichtung auch Siegesgeschichte“ (KD IV/1, 183)417 – „[e]s gibt ja kein Zurück hinter den Ostermorgen“ (KD IV/1, 379.380) – und „Gottes eigenes Werk ist“ (KD IV/1, 216). Dabei hat er aber für den Gedanken des Leidens Gottes, trotzdem er sagen kann, dass „das eigentliche Sein des einen wahren Gottes in Jesus Christus, dem Gekreuzigten“ (KD IV/1, 218) offenbar ist, im Grunde keinen Platz, wenn er „in der Beschreibung der Passion konsequent dem Leiden Jesu die darin zum Ausdruck kommende souveräne Tat Gottes kontrastiert und überordnet.“418 Denn: „Die Begegnung Gottes mit dem Tode geschieht in Jesus Christus. In Jesu Christi Tod werden Hölle, Tod und Teufel besiegt.“419 Es geht Barth zwar einerseits darum, dass es Gott selbst ist, der sich in Christus erniedrigt und gelitten hat (KD IV/1, 196 ff.; 386–394). Dass Jesus Christus wahrer Gott ist, erweise sich in seinem gehorsamen Weg in die Fremde, in der der Herr zum leidenden Knecht werde (vgl. § 59 Leitsatz; vgl. auch KD IV/1, 179) und zwar im Blick auf die Passion Jesu Christi für uns (KD IV/1, 269; vgl. 341–394). Es finden sich aber andererseits auf den Tod Gottes nur indirekte Hinweise in der Kirchlichen Dogmatik.420 Leiden und Tod treffen letzt416 Nach den ersten beiden Bänden zur Lehre vom Wort Gottes mit Prolegomena, Offenbarungs- und Trinitätslehre (KD I/1 erschien 1932 noch zur Bonner Zeit [1930–1935], KD I/2 dann 1938 zu Beginn der Basler Zeit, wohin er nach seiner Verweigerung des „Treueeides“ auf den Führer 1934 und dem sich anschließenden Lehrverbot, der Dienstentlassung und der Versetzung in den Ruhestand 1935 wechselte und von 1935 bis 1962 [letzte Vorlesung und Ruhestand] bzw. bis zu seinem Tod 1968 als außerplanmäßiger Professor für Systematische Theologie wirkte) erschienen in den Jahren 1940 und 1942 mit KD II/1 und KD II/2 die beiden Bände zur Lehre von Gott und 1947 erschien mit KD III/1 der erste Band der Lehre von der Schöpfung (KD III/2–4 erschienen 1948, 1950 und 1951), 1967 bricht die Lehre von der Versöhnung (1953, 1955 und 1959 erscheinen KD IV/1–3) mit dem Fragment von KD IV/4 ab. Ein Registerband erscheint posthum (1970), eine Studienausgabe als Komplettausgabe in 30 Bänden 1993. Zum Gedankengang der KD vgl. H. FISCHER 2002, 77–96. 417 Vgl. auch K. B ARTH 1953, KD IV/1, 262: „Er siegt, indem er leidet. Seine Aktion wird – ohne aufzuhören Aktion zu sein, vielmehr als Aktion im stärksten Sinn des Wortes: als Gottes zu seinem Ziel kommendes Werk auf Erden – zur Passion.“ 418 So D. LANGE 2001b, II, 186.187 mit Bezug auf KD IV/1, 269–282. 419 So paraphrasierend E. JÜNGEL (1965) 1976a, 93. 420 In der Auseinandersetzung um die lutherische Lehre von der communicatio idiomatum; die Reformierten hätten unterlassen, „etwas mutwillig und ohne biblischen Anlaß ersonnene Sätze wie etwa ,Gott ist gestorben‘ (,O große Not, Gott selbst ist tot!‘) oder ,Der

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lich den Sohn Gottes nicht als Gott, sondern als Mensch.421 Gott gibt sich hin, aber nicht weg, „indem er Geschöpf, indem er Mensch wird. Er hört darin nicht auf, Gott zu sein. [...] und indem er in seiner Einheit mit diesem Menschen stirbt, kann ja der Tod keine Gewalt über ihn gewinnen“ (KD IV/1, 202). Das Argument ist allerdings nicht schlüssig – Gott wird Mensch und bleibt doch Gott und stirbt zusammen mit dem Menschen Jesu und stirbt doch nicht selbst, sondern nur die menschliche Seinsweise Gottes – und der Gedanke nicht zu Ende geführt, sondern als die Behauptung vorgetragen, dass der Tod Gott nichts anhaben könne: „Es geht um die Erniedrigung und Entwürdigung Gottes selbst, um die Frage, neben der die Theodizeefrage völlig blaß wird: ob er, indem er sich solches widerfahren lassen wollte, nicht sich selbst als Gott preisgegeben, verloren haben, ob Gott nicht, kapitulierend vor der Macht der Torheit und Bosheit seines Geschöpfs, auf seine Gottheit (wie etwa 1945 der Kaiser von Japan) verzichtet haben möchte? ob er wohl gar gestorben und tot sein möchte? Und es geht um die Antwort auf diese Frage: daß Gott vielmehr eben in solcher Erniedrigung aufs Höchste Gott, in diesem Tode aufs Höchste lebendig war, daß er seine Gottheit gerade in der Passion dieses Menschen als seines ewigen Sohnes eigentlich bewährt und offenbar gemacht hat“ (KD IV/1, 271).

Unter dem Strich bleiben von Barth die „auffallende[] Tatsache (ein Symptom des Zurückweichens)“422 – „[m]an kann von Gott dem Vater nicht sagen, daß er [...] gestorben [...] ist“ (KD I/1, 418) – und ein Anknüpfungspunkt an die Rede von Gottes Passion für seine Epigonen. Die „eigentliche HinterlassenMensch Jesus Christus ist allmächtig‘ aufzustellen“ (KD IV/2, 83). Zu Barths Auseinandersetzung mit Nietzsche und dem Übermenschen vgl. das Kleingedruckte in: KD III/2, 276– 290 (Die Formel „Gott-ist-tot“ findet sich a. a. O., 284.285 zitiert). Zur Bedeutung Nietzsches, neben der Kierkegaards, Dostoevskijs (vgl. dazu M. SCHULT 2012, 113–167) und Ibsens für die Krisis-Theologen und bes. für Barth zwischen den beiden Fassungen des Römerbriefs und danach in der Ethik und KD mit der Herausbildung einer christlichen Lebenskunst bei Barth vgl. D. MOURKOJANNIS 2000, 119–141; 162–184 und D. MOURKOJANNIS 2004 sowie insbes. zum Römerbrief T. KLEFFMANN 2003, 500–559 und jetzt auch M. BÖGER 2019 (jeweils mit weiterem Erschließungsmaterial). Vgl. auch die Notiz bei M. WALSER 2012, 58, der, wenn er Theologieprofessor wäre, gerne ein Seminar zu Nietzsche und Barth anbieten würde. Vgl. auch die Einschätzung des lebenslang von Barth faszinierten Gott-isttot-Theologen TH. J. J. ALTIZER 1990, 149: „Perhaps the deepest theological response to Nietzsche’s vision of eternal recurrence was the Church Dogmatics of Karl Barth, the first theology which was a theology of the Church and only of the Church, and thus the first Christian theology which effected or intended a total disjunction or chasm between the Church and history, for it was the first theology created in full response to the historical realization of the death of God“. 421 Vgl. dazu auch J. R OHLS 2001, 38.39. 422 G. C. B ERKOUWER (1954) 1957, 286.287; D. LANGE 2001b, II, 187 pointiert: „Aus einer schlechthinnigen Leidensüberlegenheit Gottes folgt jedoch, dass er sich auch nicht in das Leiden seiner Geschöpfe hineinversetzen, sie also auch nicht wirklich lieben kann. Sein Heilshandeln droht dann zu einer aus olympischer Höhe und Unnahrbarkeit geführten Regie eines bloßen Schauspiels zu werden, an der er selbst überhaupt nicht beteiligt ist.“

1.3 Zum Forschungsstand: Rezeption der Tod-Gottes-Idee

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schaft Nietzsches, nämlich sein Postulat vom ,Tode Gottes‘“ hat Barth „nur bedingt angenommen.“423 (2) Konstitutiv und wegweisend für die Aufgabe einer modernen protestantischen Theologie, zwischen der religiösen Deutung der Gegenwart und dem christlich-theologischen Wahrheitsanspruch zu vermitteln, ist die als Systematische Theologie (am. I: 1951; II: 1957; III: 1963; dt. I: 21956; II: 1958; III: 1966) entworfene sinn- und symboltheoretisch grundierte Theologie der Kultur und des Lebens von Paul Tillich (1886–1965).424 Der 1933 aus Deutschland in die Vereinigten Staaten von Amerika emigrierte Tillich hatte die Bedeutung der Wahrnehmung der „Situation“ für die Theologie bereits Ende des Ersten Weltkriegs erkannt und im Diskurs mit der Philosophie und den anderen Wissenschaften den sich wandelnden „geistig-kulturellen Gesamtausdruck[]“, das „schöpferische Selbstverständnis der Existenz, wie es sich in jeder Periode unter den verschiedensten psychologischen und soziologischen Umständen vollzieht“425 und in Literatur, Kunst, Politik, Wirtschaft usw. ausgedrückt wird, in seine existenztheologische Analyse mittels des Sinnbegriffs einbezogen.426 Er sucht mittels der „Methode der Korrelation“427 im „Zeitalter der Angst, des Zweifels und der Sinnlosigkeit“ den Zusammenhang von existentieller Frage und religiöser Antwort, also die paradoxe christliche Symbolik, dem modernen Menschen „apologetisch“428 plausibel zu machen. Den unverständlich gewordenen Ausdruck „Glaube“ interpretiert er durch eine „Analyse des Mutes“ als „das, was uns unbedingt angeht“ (ultimate concern). Den Theismus, der über Gott als Sein und Person verfüge, transzendiert er zu einem eigenschaftslosen „Gott über dem Gott des Theismus“429. Seine in der Systematischen Theologie entfaltete theologische Rede von Gott ruht auf einer metaphysischen, onto-

D. MOURKOJANNIS 2000, 190. Die aus seinem Nachlass edierte Systematische Theologie von 1913 (P. TILLICH, EW IX, 278–434), die den notwendigen Einsatz beim Gottesgedanken („§ 1 Der lebendige Gott“) in jedem Punkt der Dogmatik einschärft (vgl. H. FISCHER 2002, 121.122), verhandelt innerhalb der theologia crucis („§ 11 Das Kreuz Christi als Tat der heiligen Liebe“) den Gedanken vom „Tode Gottes“ (355–357). Doch die Kirche habe sich mit „bewunderungswürdigem Takt gehütet, dies höchste Paradox [„,Gott selbst ist tot‘, das ist unser Leben“] dadurch gewöhnlich zu machen, daß es in die offizielle kirchliche Sprache aufgenommen wird. Sie sagt mit Recht: Christus hat gelitten und ist für uns gestorben. Aber sie weiß auch: Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit ihm selber“ (a. a. O., 357). 425 P. TILLICH 1987a, I, 10; vgl. 77. 426 Vgl. zu Tillich als dem ersten Theologen, der den Sinnbegriff zur Entfaltung des Religionsbegriffs in der Theologie herangezogen hat U. BARTH 2014, 431–451 und bereits U. BARTH 2003, 89–123. 427 Vgl. P. TILLICH 1987a, I, 15; 40; 73–80. 428 P. TILLICH 1987a, I, 23; 12. 429 Vgl. P. TILLICH, GW XI, 134–139; P. TILLICH (1961) 2008, 401–405; 1987b, II, 18.19. 423 424

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logischen Basis.430 Gott ist das „Sein Selbst“ (esse ipsum)431, von dem nur symbolisch geredet werden kann, auch das personale Gottesverständnis ist nur eines dieser Symbole. So möchte Tillich die theistische Symbolik, die „Gott zu einer himmlischen, vollkommenen Person gemacht [hat], die über Welt und Menschheit thront“432, hinter sich lassen, um die „Erfahrung der Leere“ nach dem Zweiten Weltkrieg ernst zu nehmen, deren Grund er im „Verlust der Dimension der Tiefe“433 sieht. Die Einsicht, dass die Dimension der Tiefe verloren gegangen sei, könne für die Existenz des Menschen bereits eine Wendung zu ihr hin bedeuten. Die gegenwärtige Situation des westlichen Menschen deutet Tillich als eine „Zeit, in der Gott für uns der abwesende Gott ist“434, in der es gelte, um diese Abwesenheit zu wissen und sie offen zu halten, in der Hoffnung, dass der Abwesende diese Leerstelle wieder füllen werde. In den USA wurde er mit seiner theologischen Gegenwartsdeutung zu einem wichtigen Impulsgeber und Lehrer für die US-amerikanischen Gott-ist-totTheologen435, ohne selbst Teil dieser Bewegung zu sein. Ihren für immenses Aufsehen sorgenden Band Radical theology and the Death of God (1966) veröffentlichten Thomas J. J. Altizer und William Hamilton „In Memory of Paul Tillich“436. Für Tillich steht zwar Nietzsches Diagnose im Hintergrund seiner 430 Tillich spricht lieber von Ontologie als von Metaphysik, denn es geht ihm in Vermeidung des Missverständnisses darum, nicht spekulativ eine Welt hinter der Welt aufzudecken, sondern, was auch der ursprüngliche Sinn von Metaphysik sei, um die „Analyse jener Strukturen des Seins, die wir in jeder Begegnung mit der Wirklichkeit vorfinden“ (P. TILLICH 1987a, I, 28). Vgl. ferner P. TILLICH 1987a, I, 193–245. 431 Vgl. u. a. P. TILLICH 1987a, I, 29; 78; 79; 193–195; 267–269; 271–280 (hier auch zur Symboltheorie und zur Aussage, dass der „Satz, daß Gott das Sein-Selbst ist, [...] ein nichtsymbolischer Satz“ ist (a. a. O., 277). Zu Tillichs Symboltheorie vgl. auch die entsprechenden Texte in P. TILLICH, GW V. 432 P. TILLICH 1987a, I, 283. 433 Vgl. P. TILLICH, GW V, 43–50 und P. TILLICH 1952. Tillichs Diagnose ist bspw. Anlass für die Vortragsreihe Der Gottesgedanke im Abendland der Wiesbadener Goethe-Gesellschaft im Winter 1962/63 (A. SCHAEFER 1964). 434 P. TILLICH 1964, 87. 435 Vgl. TH. J. J. A LTIZER 1967a, 155–174; J. C H. C OOPER (1967) 1988, 84–93. 436 TH. J. J. A LTIZER/W. H AMILTON 1966a. Tillich hielt im Frühjahr 1963 in Chicago die Vorlesung History of the Protestant Theology in the 19th and 20th Century, die 1967 posthum in den USA und 1972 als EW II erschienen ist. Im Kapitel über Nietzsches „Idee vom ,Tod Gottes‘“ bezeichnet Tillich den Begriff vom „Tod Gottes“ als „ein halb poetisches und halb prophetisches Symbol“ (EW II, 165). Gott sei nicht selbst, sondern im Bewusstsein des Menschen gestorben, der alle Werte umwertend nun an die Stelle Gottes trete. TH. J. J. ALTIZER 2006, 10 erinnert sich in seinen Memoiren an eine spätere Aussage Tillichs: „the real Tillich is the radical Tillich“ (bereits in: TH. J. J. ALTIZER 1967a, 155; vgl. J. CH. COOPER [1967] 1988, 92.93; jetzt auch R. R. MANNING 2015). Er nahm Tillichs frühen Text Justification by Doubt and the Protestant Principle aus The Protestant Era (1948) in seine Anthologie auf (TH. J. J. ALTIZER 1967a, 157–174). Tillich schreckte in seinen frühen radikalen Essays davor zurück, vom Tode Gottes zu reden. Dennoch bezeichneten seine Kritiker

1.3 Zum Forschungsstand: Rezeption der Tod-Gottes-Idee

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Gegenwartsdeutung und seiner Kritik am Theismus,437 denn „[d]er Frage nach dem Sinn und der Verzweiflung über die Sinnlosigkeit im 20. Jahrhundert liegt ein entscheidendes Erlebnis des 19. Jahrhunderts zugrunde, nämlich das Erlebnis, daß Gott tot ist.“438 Aber anders als „Nietzsche, der die beiden Aussagen, daß Gott Geist ist und daß Gott tot ist, gleichsetzte,“ versteht Tillich „Gott als Geist“, den Geist als „Macht, durch die der Sinn lebt“, sieht im „Leben als Geist das alles umfassende Symbol für das göttliche Leben [...]“ und sagt daher, „daß Gott der Lebendige ist, weil er Geist ist.“439 Tillich gehört zu den evangelischen Theologen im 20. Jahrhundert, für die es weiter zu ihrer Aufgabe gehört, den von der christlichen Gotteslehre entwickelten Gedanken von Gott in Auseinandersetzung mit dem philosophischen Gottesbegriff zu entfalten. Mit der Betonung der Relationalität („Gott in Beziehung“) und Bestimmung Gottes als „Name für das, was den Menschen unbedingt angeht“440, als des Schaffenden und Lebendigen, als Geist und Macht des Sinns gab er für die Beschreibung der „Wirklichkeit [des lebendigen] Gottes“ und die Entfaltung einer „Geist-Christologie“441 der neueren evangelischen Dogmatik reichlich aufgegriffene Impulse. Sein dogmatisches Hauptwerk wurde zu einer bis heute faszinierenden Alternative zu den Dogmatiken, die aus der Dialektischen Theologie hervorgegangen sind, denn anders als diese, die seiner Meinung nach in der Wiederholung der „ewigen Wahrheit“ verharrten, beanspruchte er, die Zeitsituation adäquat ernst zu nehmen, auf die hin die theologische Wahrheit ausgesagt werden soll. (3) Im Lehrbuch Dogmatik (1962; 21967; 31972; 41980) des früheren Göttinger Systematischen Theologen Wolfgang Trillhaas (1903–1995) wird eine kritisch verfahrende Dogmatik vorgelegt, die in ihrer Durchführung am neuzeitlichen Wahrheitsbewusstsein orientiert ist.442 „[H]undert Jahre nach Nietzsche“ sei es „eine Unwahrhaftigkeit, so zu tun, als ob man zum ersten Mal von der Idee des ,Todes Gottes‘ und von den Konsequenzen des Nihilismus überrascht worden sei“, denn die „Kritik am Theismus und an den Gottesbeweisen hat in Philosophie wie Theologie eine lange Geschichte.“443 Sie „vermählt sich ihn als den ersten Theologen, der seine Theologie in Annahme und Aufnahme der Idee vom Tode Gottes gegründet habe. 437 Vgl. zu Tillichs Nietzsche-Rezeption bes. in den Frühschriften T. K LEFFMANN 2003, 410–499 sowie die Beiträge in: CH. DANZ/W. SCHÜSSLER/E. STURM 2008. 438 P. TILLICH, GW XI, 108.109. 439 P. TILLICH 1987a, I, 288.289. Zum trinitarischen Monotheismus als qualitativer Versuch, vom lebendigen Gott zu reden und als dessen Bejahung vgl. P. TILLICH 1987a, I, 265. 440 P. TILLICH 1987a, I, 247. Die Formel versteht Tillich als „abstrakte Übersetzung des großen Gebotes“ (P. TILLICH 1987a, I, 19). 441 Vgl. zur Konkretisierung der in Band II („Die Existenz und der Christus“) entfalteten Christologie des „Neuen Seins“ daher bes. P. TILLICH 1987b, III, 165–190. 442 W. TRILLHAAS 1972a, 57–68. 443 W. TRILLHAAS 1980, 1.2.

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[...] mit dem Bewußtsein einer totalen Weltlichkeit der Welt zur ,Theologie nach dem Tode Gottes‘.“444 Solch eine Gelassenheit im Umgang mit dem Phänomen ,Tod Gottes‘ steht im Kontext der gegenwartsbezogenen „hermeneutischen Aufgabe der heutigen Dogmatik“, wie sie Trillhaas formuliert, wenn er in der Dogmatik kritisch die kirchliche Lehrtradition „unter Einsatz unseres historischen Bewußtseins lesen“ will, da die „sich uns immer wieder entziehende Eindeutigkeit des Gegenstands der Dogmatik [...] diese vor besondere Schwierigkeiten“445 stelle. Doch über die Erwähnung in der Einleitung hinaus findet das Phänomen keine weitere Beachtung oder gar Bearbeitung in der Dogmatik.446 Der frühere Hamburger Systematische Theologe Helmut Thielicke (1908– 1986) hat zum Auftakt seines dreibändigen Lehrbuchs Der Evangelische Glaube. Grundzüge der Dogmatik (1968) im ersten Band Prolegomena: Die Beziehung der Theologie zu den Denkformen der Neuzeit den zweiten Teil „Theologie inmitten der in sich selbst gegründeten Wirklichkeit“ ausführlich der „Situation und Aufgabe der Theologie im Zeitalter des angenommenen ,Todes Gottes‘“ gewidmet,447 in dem er sich mit dem „Thema und der Fragwürdigkeit des Slogans ,Tod Gottes‘“ beschäftigt, über „Hemmungen“ nachdenkt, einen „absurden Begriff“ zu verwenden448, und feststellt, „daß die dem Slogan ,Gott ist tot‘ zugrunde liegende Erfahrung dem Glauben selbst inhäriert.“449 Es folgt ein Paragraph „Zur Geschichte der Idee des Todes Gottes“450, um daran anschließend eine „Theologische Auswertung der Tod-Gottes-Idee“ vorzulegen und abschließend sich dem Zielpunkt seines Anliegens, dem theologischen Problem und Wesen des Phänomens der „Säkularisation“, zuzuwenden. Mit den Ansätzen der US-amerikanischen Theologen setzt sich Thielicke nicht näher auseinander, auch wenn die Debatte durch Dorothee Sölle „mit So zuerst im Vorwort zur dritten, verbesserten Auflage W. TRILLHAAS 1972a, V.VI. W. TRILLHAAS 1980, 3. Das umfassende Problembewusstsein kann man exemplarisch in der Darstellung der Gotteslehre („Das Geheimnis Gottes [Spezielle Theologie]“) nachvollziehen (W. TRILLHAAS 1980, 97–132). 446 Auch in seiner Religionsphilosophie (W. TRILLHAAS 1972b) bleibt die Erwähnung knapp. Da „historisches Bewußtsein [...] immer Modernitätsbewußtsein, d. h. Verfremdung der Vergangenheit“ bedeute, könne „man also der Auffassung begegnen, daß Religion zwar früher sinnvoll und lebendig war, daß sie aber heute vergangen ist. In diesem elementar historischen Sinne hat Fr. Nietzsche seine Botschaft vom ,Tode Gottes‘ wohl gemeint. Es ist eine Veränderung der Welt; früher hat Gott gelebt, nun ist er tot“ (20). Nietzsche redete „nicht zufällig in der Sprache des Mythos [...], also in einer Sprache, die selbst mit diesem Gott des vergehenden Mythus untergehen mußte“ (84.85). Der jetzt tot gesagte Gott lebe in der Erinnerung fort und ist „ein gleichsam gegenbildlich fortwirkender Gott“ (85). 447 H. THIELICKE 1968, 305–453. 448 H. THIELICKE 1968, 312. 449 H. THIELICKE 1968, 324. Zu Bedeutungsnuancen vgl. a. a. O., 312. Vor allem: Gott konstituiert das Bewusstsein von sich. 450 H. THIELICKE 1968, 325–379. 444 445

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eigenen Bedeutungsnuancen und in echt deutsche Extreme vorgetrieben auch durch unsere Theologie geistert.“451 Es geht ihm auch nicht um eine „Zeitdiagnose“, sondern um eine „Theologie als Selbstgespräch zwischen dem geistlichen und dem natürlichen Menschen in uns“, die sich im zu missionierenden Gegenüber zu einer „sich von (ihrem neuzeitlichen) Haus aus ,atheistisch‘ verstehende[n] Welt“ und der säkularen Situation befände und sich als „Rückfrage nach dem Woher meines Herausgerufenseins“ versteht.452 Der Umfang der Vertiefung des Themas steht im Kontrast zur Einschätzung des Hamburger Theologen, die ganze Debatte sei ja eigentlich nur ein „Verblüffungstrick“ und der „Slogan“ vom Tode Gottes nicht ernst gemeint gewesen. Doch Theologie und Kirche, so Thielicke nun, machen es sich zu einfach, wenn sie die Schuld an der „Falschmeldung“ vom Tode Gottes auf den „neuzeitlichen, nachkantischen Menschen“ abschieben. Sein „falsches, degeneriertes Bild von Gott“ wurde schließlich von Theologie und Kirche selber jahrhundertelang als der christliche Gott gelehrt.453 Und so sei es durchaus in mehrfacher Hinsicht fruchtbar, sich mit dem Begriff vom Tode Gottes auseinanderzusetzen, wenn er „symbolisch verstanden wird und das Verstummen einer bestimmten Gotteserfahrung oder der Gotteserfahrung überhaupt bedeutet.“454 Thielicke macht aus der Not der Anfragen eine Tugend und stellt dem Christentum die Lernaufgabe, sich selbst säkular zu interpretieren, damit es erfahre, „was es eigentlich meint und mit seinen transzendenten Chiffren schon von jeher gemeint hatte“455, sofern die Erfahrung „Gott ist tot“ eine dem Glauben von jeher inhärente Erfahrung ist,456 die sich „im Rahmen der neuzeitlichen Profanität nur verdichtet und mit neuen Nuancen angereichert“ hätte.457 Das neuzeitliche Krisenphänomen des Todes Gottes zu begreifen, wird hier als eine als Rücker-

451 Vgl. lediglich die eingestreuten Hinweise zu dieser „konfusen theologischen Position dieser Richtung“ H. THIELICKE 1968, 309–317. Aber dann mit der Aufnahme ihrer Einsicht, dass „die Erfahrung Gottes als eines überweltlichen, ,supranaturalen‘ Wesens, das von außen in das kosmische Gefüge hineinfunkt“ (a. a. O., 313) obsolet sei. Sie sei gebannt durch die säkularen Denkvoraussetzungen und könne nur abgleiten in Agnostizismus oder zurück zur Überlieferung gelangen (a. a. O., 315). 452 H. THIELICKE 1968, 308–311. Kriterium der Theologie sei daher das Paradox: „Nicht der Gläubige, sondern der Ungläubige ist das Kriterium für die Glaubwürdigkeit einer Theologie“ (a. a. O., 310). 453 Vgl. Daeckes Kritik an H. THIELICKE 1968, 452, in: S. M. D.[AECKE] 1969b, 187. 454 H. THIELICKE 1968, 312–317, hier 312.313. 455 H. THIELICKE 1968, 317. 456 Leitend ist dabei für Thielicke die Erfahrung der existentiellen Abwesenheit Gottes und der Anfechtung im alttestamentlichen Erfahrungsraum bei Hiob und in der Gottverlassenheit der neutestamentlichen Kreuzestheologie. Vgl. H. THIELICKE 1968, 319–324. 457 So die systematische Leitlinie für den Paragraphen zur Geschichte der Idee des Todes Gottes bei H. THIELICKE 1968, 325.

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innerungsarbeit getarnte Einverleibungsstrategie durchgeführt, um der gegenwärtig geistlich armen Zeit die Verheißungen des Evangeliums anzubieten.458 (4) Das Lehrbuch der Dogmatik von Hans-Georg Fritzsche (1926–1986) gehörte zu den ganz wenigen Dogmatiken, die in der DDR überhaupt gedruckt wurden und von Studenten gekauft werden konnten.459 Das den dogmatischen Stoff in konventioneller Weise der Systematik der altprotestantischen Orthodoxie auf vier Bände verteilende Lehrbuch erschien zwischen den Jahren 1964 und 1988 parallel in der Evangelischen Verlagsanstalt in Berlin (I: 1964; 2 1982; II: 1967; 21984; III: 1975; IV: 1988) und bei Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen. Das Lehrbuch hatte „den Anspruch, wirklich für die Belange der Kirche in der DDR geschrieben worden zu sein“460 und ist vom Duktus einer „Anwendung“461 der Kirchlichen Dogmatik Karl Barths geprägt, lehnt sich aber an die von Schleiermacher herkommende Tradition der Apologetik an und kritisiert die in der Theologie und im Barthianismus vorherrschende Kritik an der

458 Das kann man gut an seiner Darstellung der Geschichte und theologischen Auswertung der Idee des Todes Gottes studieren, die sich auf Jean Paul, Bonaventuras Nachtwachen, Jens Peter Jacobsen, Nietzsche und abschließend auf einen Exkurs zu Hegel und Heinrich Heines Kant-Sicht sowie Anselm konzentriert, um dann Kants Einfluss auf die Theologie u. a. bei W. Herrmann, Schleiermacher und Kierkegaard nachzuzeichnen (H. THIELICKE 1968, 325–453). Als Ergebnis hält er fest: „Der neuzeitliche nachkantische Mensch hat sein falsches, degeneriertes Bild von Gott getötet – auf daß der wahre Gott sich wieder melden möge“ (H. THIELICKE 1968, 452). Im zweiten Band kommt er auf „Die neuzeitliche Krise des Gottesgedankens“ (E. THIELICKE 1973, 73–86; 86–123) zurück und fasst kurz die Einsichten aus Band 1, die er im Weiteren voraussetzt, zusammen. Für die im Folgenden entfaltete Trinitätslehre und Christologie hat dieser Exkurs keine weiterführende Bedeutung. 459 Zu Theologie, Biographie und Rolle („Doppelgesichtigkeit“) von Fritzsche in der DDR als „Geheimer Informator“ („GI Fritz“) des Ministeriums für Staatssicherheit und „Gutachter“ vgl. wie zu den Theologischen Fakultäten in der DDR insgesamt die ausgezeichnete Studie von F. STENGEL 1998, 403–411 u. ö. sowie den Aufsatz von T. BEYRICH 2005 in der Festschrift für den langjährigen Assistenten Fritzsches an der Sektion Theologie der Humboldt-Universität zu Berlin und späteren Greifswalder Systematischen Theologen Bernd Hildebrandt (1940–2020). Vgl. zur vom Barthianismus geprägten Dogmatik in der DDR knapp: J. ROHLS 1997b, II, 594.595; 797.798. 460 T. B EYRICH 2005, 41. So knüpft das Lehrstück der Christologie als Teil der Gesamtdarstellung der Dogmatik weniger an die Dogmengeschichte als an die Systematisierung der Bibel (mit einer Betonung der besonderen Bedeutung des Alten Testaments) selbst und „an den praktisch-theologischen Anlässen der Christusverkündigung wie an der Karfreitags- und Osterpredigtpredigt und auch am Weihnachtsevangelium“ an (H.-G. FRITZSCHE 1975, 9): „Wie jede Theologie, so muß auch eine Theologie des Kreuzes echte und konstruktive Hilfe für die Kirche ihrer Zeit sein wollen“ (a. a. O., 282); so wisse sich in jeder Hinsicht „die heutige Christenheit als Dienst an der Gesellschaft und ihrer Geschichtsentwicklung und bezeugt sie ihr um Christi willen das sich ständig erneuernde Angebot Gottes zu Aufstieg und Fortschritt der Menschheit“ (a. a. O., 298). 461 So Fritzsches eigene Beschreibung, wiedergegeben bei T. B EYRICH 2005, 52. Hier weitere Nachweise dazu. Zur Christologie vgl. bes. H.-G. FRITZSCHE 1975, 285.286.

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Aufklärung, den Verzicht auf Apologetik und nicht zuletzt das bei Karl Barth praktizierte Zurücksetzen der Schöpfungslehre hinter die Christologie.462 Der zunächst als Dozent und nach anderen Stationen dann ab 1966 als Professor an der Humboldt-Universität zu Berlin lehrende,463 in der DDR nach außen hin oppositionell wirkende Fritzsche war der Überzeugung, dass es „bei einiger Kenntnis der Mentalität sowie der Dialektik von Anthropologie und Christologie mit Sicherheit vorherzusagen [... gewesen sei], [d]aß das Wort vom ,Tode Gottes‘ von Theologen in positiver Weise aufgegriffen werden, ja zum Eckstein christlicher Theologie zu machen versucht werden würde.“464 Für Fritzsche gilt dreierlei: (1.) „Wenn es ein Wahrheitsmoment des Wortes vom ,Tode Gottes‘ gibt, dann wäre es der Satz: Zeus ist tot.“465; (2.) „Ist ,Gott tot‘, so ist unser Glaube gegenstandslos.“466; (3.) „,Tod Gottes‘ in ernsthaft theologischem Sinn ist keine Hegelsche Antithese.“467 Die Christologie entwickelt er ausgehend von der Anthropologie und Hamartiologie als Zentrum des Wesens des christlichen Glaubens, mit deren Hilfe er eine metaphysische Christologie durch eine heilsgeschichtliche Christologie zu ersetzen sucht. Im dritten Teil seines Lehrbuchs468 kommt es über den Band verteilt469 gelegentlich zu polemischen Spitzen gegen die im Zusammenhang mit der Gott-Mensch-Rivalität des nietzscheanischen „Entweder-Oder zwischen Gott und Mensch“ stehende Verwendung der „Metapher vom Leiden und ,Tod Gottes‘ zugunsten des Menschen“, die aber bei Nietzsche „nicht das allergeringste zu tun hatte mit dem dogmengeschichtlichen Patripassianismus, von dem her einige heutige Theologen sich von dieser Metapher beeindrucken lassen.“470 Glaubwürdiger, biblischer und theologisch klarer als die „Modeformel vom ,Tode Gottes‘“471 sei der Ausdruck der ,Liebe Gottes‘ im Sinne von Vgl. zu diesen Merkmalen J. ROHLS 1997b, II, 595. Vgl. zu den Hintergründen F. STENGEL 1998, 351–353. 464 H.-G. FRITZSCHE 1978, 894. Diese Versatzstücke entstammen dem Anfang seiner Rezension von E. Jüngels Gott als Geheimnis der Welt, dessen Umgang mit dem Atheismus und dessen christologische Einverleibung des Todes Gottes er scharf verurteilt. Vgl. dazu auch Kapitel 7.3.1 in diesem Buch. 465 H.-G. FRITZSCHE 1975, 220. 466 H.-G. FRITZSCHE 1975, 313. 467 H.-G. FRITZSCHE 1975, 314. 468 Der im Produktionsplan bereits für 1970 vorgesehene dritte Band des Lehrbuchs, die Christologie, musste auf Empfehlung der Gutachten im Rahmen des aufwendigen Druckgenehmigungsverfahrens vollständig umgearbeitet werden und erschien deshalb erst 1975. Man war sich von Seiten des Ministeriums für Staatssicherheit der Bedeutung des dogmatischen Standardwerks für die Prägung der Pfarrerschaft sehr bewusst. Vgl. dazu T. BEYRICH 2005, 47–49. 469 Vgl. H.-G. FRITZSCHE 1975, 24; 40; 210; 220; 260; 273 (Anm. 1 zu Hegels Deutung von Christi Kreuzestod in der Religionsphilosophie Teil III). 286.287; 312–314. 470 H.-G. FRITZSCHE 1975, 40. 471 H.-G. FRITZSCHE 1975, 220. 462 463

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Joh 3,16 und 1Joh 4,9.10.472 Das ,Wort vom Kreuz‘ meine „nicht Niedrigkeit und Leid als zu bejahendes Geschick, sondern die Erwählung der Erniedrigten und Leidenden“473, es sei ein „Glaubenswagnis in der Krisensituation“474. Der „Tod Jesu ist keine Gott oder Gottes ,Plan‘ rettende Maßnahme – sondern ein Gott darstellendes, seine Liebe zum Menschen realisierendes und zum Zuge bringendes Geschehen, strengste Konsequenz des Wesen Gottes (was alsdann, sinnbildlich, vom Tode Gottes selbst bzw. von der Gottheit des sterbenden Menschen zu reden gestattet).“475 Diese Auffassung sei bei Barth begründet im reformierten Theozentrismus und Supralapsarismus, „der fest einschärfen lässt: daß Gott, Gott selbst, Subjekt des Heilsgeschehens in Christus ist.“476 Der Tod Jesu offenbare also nicht in dem Sinne einen Tod Gottes, dass überhaupt von einer wirklichen Gottverlassenheit der Welt oder nur eines einzelnen Menschen gesprochen werden könne, was mit Barths Reserviertheit gegen den Begriff des „verborgenen Gottes“ begründet wird, der die „Eindeutigkeit des Evangeliums und die Heilsgewißheit“ untergrabe.477 Doch Fritzsche ist nicht willens, hier in allen Punkten Barth zu folgen, sondern meint, dass „der Begriff des verborgenen Gottes sehr gut geeignet ist, alles das besser, verantwortlicher und theologisch fundierter (die einschlägigen Vorgänge der Theologiegeschichte seit Cusanus aufnehmend) zu sagen, was die ,Gott-ist-tot‘-Theologie will oder an berechtigten Anliegen in sich birgt.“478 Denn der Tod Christi ist erstens „Offenbarung, d. h. ein aufdeckendes und entlarvendes Geschehen [... für] eine radikale Scheidung und Distanzierung Gottes von der Welt der Sünde, [... zweitens] Antithese Gottes [...] zu den ,Elementen dieser Welt‘[...].“479 Der „Tod Jesu ist [drittens] die Stiftung des Abendmahlssakramentes, von dem die Kraft eines Neuen ausgeht, die Kraft dazu, [...] das möglich Gewordene einfach zu tun.“480 Die abschließende Bewertung hält Fritzsche zunächst in der Schwebe: „Aber einen bzw. den ,Tod Gottes‘ im gewissermaßen objektiven Sinne offenbart der Tod Christi nicht – es sei denn, ,Tod Gottes‘ wird zum Bild und zum Gleichnis dafür, das Wesen Gottes als Liebe und Willen zum Menschen, als Aufkommenlassenwollen des Menschen wie unter eigenem Verzicht und als Selbstopfer zu umschreiben. Aber so kann dieses drastische Bild nur erklärt und gerechtfertigt, kaum mehr empfohlen werden.“481 Denn der Glaube an Vgl. H.-G. FRITZSCHE 1975, 40. H.-G. FRITZSCHE 1975, 271. 474 H.-G. FRITZSCHE 1975, 274. 475 H.-G. FRITZSCHE 1975, 286. 476 H.-G. FRITZSCHE 1975, 286 mit Hinweis auf KD IV/3, 272 ff. 477 H.-G. FRITZSCHE 1975, 286. 478 H.-G. FRITZSCHE 1975, 286. 479 H.-G. FRITZSCHE 1975, 287. 480 H.-G. FRITZSCHE 1975, 288. 481 H.-G. FRITZSCHE 1975, 287. Noch einmal betont zum Schluss a. a. O., 314. 472 473

1.3 Zum Forschungsstand: Rezeption der Tod-Gottes-Idee

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Christus müsse heute „in anderer Richtung das Fides quaerens intellectum üben (geschichtlicher, gesellschaftlicher) als in metaphysischen Spekulationen über ein ,Stirb und werde in Gott“; dabei dürfe aber die „energische Hinwendung heutiger Theologie zu Jesus Christus [...] nicht den ,Vater‘ verlieren – sie würde sich damit selbst annullieren“, denn „Christusglaube [ist] Gottesglaube – denn der Mensch Jesus von Nazareth als solcher kann nicht Gegenstand von ,Glauben‘ sein.“482 Fritzsche stellt zwar die Intentionen der Metapher, den „ernsthaft theologischen Sinn“, deutlich heraus, weicht aber in letzter Konsequenz vor ihr zurück, nicht ohne sich deutlich von einer Christologisierung der posttheistischen Dogmatik zu distanzieren, die dazu neige, über der Konzentration auf den Sohn den Vater zu vergessen, was dann wiederum ein Einfallstor für den Tod Gottes sei, dem Fritzsche so einen Riegel vorschieben will.483 (5) Der in Tübingen (von 1954 bis 1956 und 1965 bis 1968) und Zürich (von 1956 bis 1965 und 1968 bis 1979) lehrende Kirchenhistoriker und Systematiker Gerhard Ebeling (1912–2001) nimmt in der Christologie (§§ 17–28) seiner dreibändigen Dogmatik des christlichen Glaubens (I–III: 1979; 21982; I: 3 1987; II: 31989; III: 31993) die Rede vom Tod Gottes als „des Todes Tod“ im Anschluss an Martin Luther auf und benennt einen umfangreichen Paragraphen „Der Tod Gottes“.484 Seine Deutung ist kreuzestheologisch: Der Tod Gottes sei „nicht ein Ereignis der neuzeitlichen Geistesgeschichte, sondern das Ereignis des Kreuzes Jesu Christi.“485 Durch den Tod Gottes verändere sich im Verständnis des Glaubens nicht Gott, sondern der Tod. Gott wird „des Todes Tod“486 – dieser sei zugleich „ein Gottesname“487. H.-G. FRITZSCHE 1975, 315. Zu Fritzsches Umgang mit dem Atheismus, der antikirchliches Erziehungsziel im SED-Staat gewesen ist, im Rahmen der zweiten Auflage des zweiten Bandes Lehre von Gott und der Schöpfung seines Lehrbuchs (H.-G. FRITZSCHE 1984) vgl. Anm. 407 in Abschnitt 7.3.1 in diesem Buch. 484 G. EBELING (1979) 1989b, II, 128–255 (= § 19). Der folgende § 20 heißt: „Das Leben Gottes“ (256–362). Vgl. bereits G. EBELING 1960; 1966; 1969. Das Umkehrungs-Motiv „Der Tod des Todes“ findet sich auch in Hegels Religionsphilosophie (Dritter Teil: Die absolute Religion; ThWA 17, 291–299). Dass Hegel mit dem Motiv des „Tod des Todes“ auf Luthers mehrfache Verwendung des Ausdrucks rekurriert, der sogar der Sache nach in einem „wirklichen ,Lutherlied‘“ enthalten ist, hat Jüngel gezeigt (E. JÜNGEL [1977] 1986, 122, Anm. 174). 485 G. EBELING (1979) 1989b, II, 203. 486 G. EBELING (1979) 1989b, II, 205; vgl. dazu auch E. JÜNGEL 1971, 145–171. 487 G. EBELING 1995, 622. Des Todes Tod ist denn auch der Titel des Vortrags, den Gerhard Ebeling auf der Akademischen Gedenkfeier für Helmut Thielicke am 4. Dezember 1986 in Hamburg gehalten hat (1954 wurde er Nachfolger Thielickes, der nach Hamburg wechselte, in Tübingen, bevor Ebeling 1956 das erste Mal nach Zürich wechselte) und der 1987 erstmals erschienen ist (G. EBELING [1987] 1995). Ebeling zeigt darin mit „Luthers Theologie der Konfrontation mit dem Tode“ die existentielle Relevanz der Taufe für den Christus-Glauben auf: „Daß in Gott beides widerspruchsfrei vereint ist: der Tod Gottes und 482 483

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Der frühere Mainzer und Heidelberger Systematiker Dietrich Ritschl (1929– 2018) unterstreicht in seiner Kurzen Darstellung der Zusammenhänge theologischer Grundgedanken mit dem Titel Zur Logik der Theologie (1984; 2 1988),488 dass „noch stärker als die Schwierigkeit der Verifikation und Kommunikation der Erfahrungen Gottes [...] die Erfahrung der Sinnlosigkeit der Welt zur Rede vom Tod Gottes gedrängt“489 habe. Für Ritschl gibt es letztlich nur drei Möglichkeiten, den Ort der Sinngebung zu bestimmen: „1. Aller Sinn ruht nur in Gott, 2. Die Welt als Schöpfung ist sinnerfüllt als Abbild von Gottes Sinngebung, und 3. Sinn kann nur in der Welt und nicht in Gott gefunden werden. Am Scheitern der 2. Alternative bricht die Rede vom Tod Gottes auf.“490 Vermieden oder überwunden werden könnten die Schwierigkeiten der Varianten des klassischen Theismus „einzig durch ein trinitarisches Verständnis“, das auch die traditionelle Rede von der Allmacht Gottes einer kritischen Prüfung unterziehen müsse. Denn nur in einem trinitarischen Reden von Gott könne „die allmächtige Liebe Gottes in der Gestalt des leidenden Menschen erzählbar und denkbar werden und […] [so] die theistische Sehnsucht nach dem Erweis einer physikalisch-mechanischen Allmacht Gottes über eine sinnlose, leidende Welt verdrängen.“491 Diese Deutung zeigt eine Stoßrichtung in der evangelischen Theologie an, die sich einer von der Neoorthodoxie initiierten Rückkehr zum Dogma (Karl Barth) und damit einer Renaissance der Trinitätslehre auch in ökumenischer Hinsicht verpflichtet weiß (K. Rahner, J. Ratzinger, G. Greshake, C. Gunton, J. D. Zizioulas, D. Ritschl, J. Moltmann, E. Jüngel, W. Pannenberg, Ch. Schwöbel u. a.). (6) Der umfangreiche Gesamtentwurf einer Systematische[n] Theologie (I: 1988; II: 1991; III: 1993) des früheren Münchner Systematikers Wolfhart Pannenberg (1928–2014), für den es in seiner rational ausgerichteten (sola ratione) Theologie „um die Allgemeinheit der Offenbarungswahrheit und darin um die Wahrheit der Offenbarung und Gottes selbst“492 geht und dessen Referenzpunkt für die Plausibilisierung des Wahrheitsanspruchs der Theologie die außertheologische Anthropologie (Anthropologie in theologischer Perspektive, des Todes Tod, das selbst erlittene Todesgericht über die Sünde und die sieghafte Vernichtung des Todes, das Ja zum Kreuzestod Jesu Christi und die schlechthin lebensbejahende Auferweckung von den Toten, das läßt sich nicht spekulativ erschwingen. Denn wir stehen nicht daneben, befinden uns vielmehr mitten drin, sind durch die Taufe in das Christusgeschehen hineingenommen“ (G. EBELING [1987] 1995, 624.625). 488 D. R ITSCHL (1984) 1988, 193. 489 D. R ITSCHL (1984) 1988, 193. 490 D. R ITSCHL 1988, 193.194. 491 D. R ITSCHL 1988, 194. 492 W. PANNENBERG 1988a, I, 60; vgl. dazu bereits Die Frage nach Gott (1965 = W. PANNENBERG 1967, 361–386) und Der Gott der Hoffnung (1965 = W. PANNENBERG 1967, 387–398). „Der Stoff der Dogmatik wird in allen seinen Teilen als Entfaltung des christlichen Gottesgedankens vorgetragen“ (W. PANNENBERG 1988a, I, 7).

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1983) ist, nimmt zwar von der Erfahrung der „Strittigkeit“493 des Wahrheitsanspruchs der christlichen Lehre und ihres Gottesgedankens seinen Ausgang, sieht auch die ernsten Herausforderungen, vor denen der christliche Glaube in unserer Zeit steht, lehnt aber entschieden eine „Anpassung an das säkulare Wirklichkeitsverständnis“494 ab und vertritt den universalen Anspruch, dass „[i]n ihrem Kern der Inhalt der christlichen Lehre den intellektuellen Moden unserer säkularisierten Kultur weit überlegen“495 sei. In den Anfragen der „sog. ,Theologie des Todes Gottes‘“ sieht Pannenberg von dieser Warte nur die „extreme Form“ des „Schauspiel[s] einer ,Theologie‘, der sich in der Eitelkeit ihrer Reflexion der Gegenstand selber verflüchtigt“496. Sie erliege der Faszination, „die Eigenart der säkularen Kultur in theologischer Sprache zu beschreiben“. Man solle daher in der Formel „Tod Gottes“ nicht „irgendwelchen metaphysischen Tiefsinn suchen“497, denn sie gäbe die Transzendenz Gottes preis, wenn sie den „Tod Gottes“ als Aussage über Gott versteht und nicht als eine über das Wesen der säkularen Kultur. Allenfalls könne die Theologie in biblischer Tradition von einer „Abwesenheit Gottes“ sprechen,498 doch herauszustellen sei: Gottes Gottheit und die des Sohnes stehen im Tode Jesu auf dem Spiel. Doch Gott behauptet seine Gottheit, wie die Gottheit des Sohnes und des Geistes, durch die Auferweckung Jesu499: „Der Tod Jesu am Kreuz ist nicht der Tod Gottes, nicht einmal der Tod des Sohnes im Unterschied zu Vater und Geist. Die dogmatisch korrekte Ausdruckweise der theologischen Tradition ist vielmehr, daß der Sohn Gottes nach seiner angenommenen menschlichen Natur am Kreuz gestorben ist.“500 Die „Freilegung der anthropologischen Basis für die Erörterung der Gottesfrage“ sei für diejenigen nicht „strittig“, die sich den Kopf freizuhalten vermögen von dem „Nebel, den die intellektuell meist anspruchslosen Gags der GottW. PANNENBERG 1988a, I, 59; 62. W. PANNENBERG 1988c, 58. 495 So Pannenberg in einer Passage im Vorwort der spanischen Ausgabe, deren deutsches Original dem Vorwort des Herausgebers Gunther Wenz in der Neuausgabe von Pannenbergs Systematischer Theologie in einem Auszug beigegeben ist (W. PANNENBERG 2015, 1). 496 W. PANNENBERG 1988a, I, 61; vgl. a. a. O., 341 und am Rande (mit Verweisen auf Hegel, dem er vorwirft, die altkirchlichen Unterscheidungen von menschlicher und göttlicher Natur in der Person Christi übersehen zu haben [bes. W. PANNENBERG 1991, II, 481.482]) der Darstellung Stellvertretung als Form des Heilsgeschehens W. PANNENBERG 1991, II, 461–483 (zu Sölle vgl. 477–479; zu Altizer 479) und in Anmerkungen zu Luthers Kreuzestheologie a. a. O., 432.433. Klar zeige die kirchliche Christologie und auch die lutherische Orthodoxie, dass der Sohn Gottes nur nach seiner menschlichen Natur gestorben sei (vgl. W. PANNENBERG 1964). 497 W. PANNENBERG 1988c, 64. 498 W. PANNENBERG 1988c, 62.63. 499 Vgl. zur ausführlichen Begründung W. PANNENBERG 1991, II, bes. 385–405. 500 W. PANNENBERG 1988c, 65. Anerkennung finden aber die jüngsten theologischen Betonungen, dass der ewige Gott nicht unberührt vom Tod Jesu sei. 493 494

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ist-tot-,Theologie‘ [...] erzeugen [...].“501 In Pannenbergs Aufsatzsammlung Grundfragen systematischer Theologie (1967) findet sich der Topos vom Tode Gottes zeitbedingt etwas häufiger in der Darstellung von Nietzsches und Heideggers Umgang mit diesem Wort.502 Dass Pannenberg die Anfrage ernster genommen und für systematisch relevanter gehalten hat, zeigt eine Fußnote: Für eine Theologie, die sich auf den Boden des modernen Bewusstseins begebe, sei die Möglichkeit einer Rechtfertigung des Redens von Gott nicht auszuschließen: „Insofern führt das Schlagwort vom Tode Gottes irre. Aber die darin liegende Wahrheit muß von der Theologie dadurch ernst genommen werden, daß sie jede ihrer Aussagen auf dem Felde der Vernunft ausweist und nicht mehr von unbefragten Glaubensvoraussetzungen her argumentiert.“503 Das Wort vom Tod Gottes dränge zu einer vernünftigen Theologie, die den „positiven Bezug des Glaubens zum Wesen der Vernunft“ herausstelle und in deren „Ausrichtung auf eine letzte, eschatologische Zukunft [...] der Glaube sich als Kriterium für die Vernünftigkeit der Vernunft bewähren“504 könne. Deswegen sind für Pannenberg (Metaphysik und Gottesgedanke, 1988), trotz der modernen Kritik am christlich-theistischen Gottesgedanken, auch das Gespräch der Theologie, als „Wissenschaft von Gott und seiner Offenbarung“505, mit der Philosophie und die „Angewiesenheit auf Metaphysik“ zur Klärung des christlichen Gottesgedankens unerlässlich: Theologische Gotteslehre verfalle „[o]hne das Gegenüber einer Metaphysik entweder einem kerygmatischen Subjektivismus oder der Entmythologisierung [....] und häufig beiden zugleich.“506 Von einem in der Moderne vielfach proklamierten Ende der Meta-

W. PANNENBERG 1972, 5. Vgl. dazu die o. g. Beiträge und den Beitrag Typen des Atheismus und ihre theologische Bedeutung (1963 = W. PANNENBERG 1967, 347–360) sowie die kleine Sammlung von Vorträgen und Texten Gottesgedanke und menschliche Freiheit aus den Jahren 1968 bis 1971 (W. PANNENBERG 1972, 5; 58), aber auch Christentum in einer säkularisierten Welt (W. PANNENBERG 1988c, 58–76), in der er die theologische Thematisierung der Formel „Tod Gottes“ als übermäßige Anpassung der Theologie an den Säkularismus der modernen Kultur zurückweist. Auch die Theologie der Entmythologisierung, der Feminismus in der Theologie, wenn er eine Revision der Anrede Gottes im Gebet als Vater fordert, und die Befreiungstheologie, wenn sie ideologisch geleitet ist, seien übermäßige Anpassungsleistungen der Theologie an die säkulare Kultur, die letztlich nur eine reduzierte Weltsicht ermöglichen und die tiefere und weitere vernünftige Angewiesenheit des Menschen auf das göttliche Geheimnis und damit das Ganze der Wirklichkeit ausblenden würden. 503 W. PANNENBERG 1967, 243, Anm. 10 (Glaube und Vernunft, 237–251). Vgl. dazu auch die Bemerkung zu Hegel bei W. PANNENBERG 1980, 412: „[...] der ,sittliche Atheismus‘ der modernen Gesellschaft, der Tod Gottes in unserer Welt, [sei] die Folge der Erhebung des Subjekts über alle substantiellen Inhalte“. Vgl. auch W. PANNENBERG 1972, 58). 504 W. PANNENBERG 1967, 251. 505 W. PANNENBERG 1988b, 13; vgl. W. PANNENBERG (1973) 1989, 299–348. 506 W. PANNENBERG 1988b, 9; vgl. W. PANNENBERG 1996a. 501 502

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physik will Pannenberg nichts wissen, er braucht sie, um den universalen Wahrheitsanspruch des christlichen Gottesgedankens zu explizieren. (7) In seiner phänomenologisch ausgerichteten und erfahrungsorientierten zweibändigen Glaubenslehre (2001), die ebenfalls die „Strittigkeit Gottes“ zwischen Theologie und Philosophie und innerhalb beider wie in der Außensicht auf das Christentum betont (I, 31–37), kommt der bei Gerhard Ebeling in Zürich promovierte Göttinger Systematische Theologe Dietz Lange (*1933) in seiner „Religionsphilosophischen Grundlegung“ (Einleitung B) auf das Motiv sterbender und auferstehender Götter („Naturkreislauf und Feste“; I, 247–251) sowie am Wendepunkt seiner Darstellung der Christologie „Jesus Christus und die Gottesherrschaft“ (Hauptteil B) vom „Glaube[n] Jesu“ (B.I) zu „Gottes geistiger Gegenwart in Jesus Christus“ (B.II) auf den „Tod Gottes“ zu sprechen.507 Der Ausdruck berühre sich mit der „Tatsache, dass der Gottesglaube im Verlauf der abendländischen Geistesgeschichte für viele Menschen zu einem Stück Vergangenheit geworden ist.“508 Die Vorstellung von sterbenden und auferstehenden Göttern in der Religionsgeschichte widerspreche dem vermeintlichen inneren Widerspruch aber nicht, von einem Tode Gottes zu reden, denn sein regelmäßiges Wiederauferstehen zeige seine Siegesmacht über den Tod. Das Unterliegen von Gottes Liebe am Kreuz Jesu unterscheide sich jedoch von diesem zyklischen Naturprozess von Vergehen und Aufblühen, da er „das irreversible geschichtliche Ereignis eines menschlichen Todes“ sei.509 „Da sich Gott nach Jesu Überzeugung unlöslich an ihn und sein Auftreten gebunden hat, drängt sich hier die Frage nach einem Tod Gottes im eigentlichen Sinn auf.“510 Lange deutet den „,toten‘“ Gott als den „unter seinem Gegenteil, dem Widergöttlichen, Verborgenen“, das sich nicht irgendwie im Nachhinein auflöse, sondern: „Gott hat tatsächlich diesen Tod erlitten; das wird auch der Glaubende sagen müssen, und damit ist seine Verborgenheit zu etwas unwiderruflich Bleibendem gemacht worden.“511 Der Aufweis, dass mit dem Tod Gottes mit Luther der „Tod des Todes“ (mors mortis) gemeint sei, ist Thema des zweiten Teils der Christologie (B.II.), D. LANGE 2001b, II, 128–130. Lange verweist auf den „instruktiven Aufsatz“ von H.-W. SCHÜTTE 1969. 508 D. LANGE 2001b, II, 128; vgl. a. a. O., II, 107–114 und D. LANGE 2001a, I, 364. 509 D. LANGE 2001b, II, 128. 510 D. LANGE 2001b, II, 128.129. Kursiv von mir. Vgl. hier auch den pointierten Abriss zum häretischen Patripassianismus der modalistischen Monarchianer aus dem 2. Jahrhundert mit Blick auf Luthers Lehre von der communicatio idiomatum und Hegels Deutung des Todes Gottes in seiner Religionsphilosophie. Vgl. dazu auch mit Blick auf die Zurückweisung des Leidens Gottes bei Schleiermacher, Hegel und Karl Barth a. a. O., II, 186.187. Brechen könne dieses Tabu jedoch Kazoh Kitamori mit seiner Theologie des Schmerzes Gottes (a. a. O., II, 187). Hinweise auf die US-amerikanische Gott-ist-tot-Theologie der 1960er Jahre fehlen. Zu Sölle vgl. a. a. O., II, 108. 511 D. LANGE 2001b, II, 130. 507

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und meint die durch die geschichtliche Tradition vermittelte Gegenwart des Gekreuzigten. „Nachfolge Jesu“ sei „Teilhabe“ am „Verlust und Gewinn des Lebens“ (II, 211), das nicht mit sich selbst anfange, sondern sich Gottes Liebe verdanke (II, 212). Für Lange gewinnt die Dialektik von Leben und Tod durch die Hingabe Jesu ein „doppeltes Gesicht“ (II, 213): wir seien nicht nur mitten im Leben mit dem Tod umfangen (EG 518), sondern es gelte auch die Umkehrung: mitten im Tod seien wir bereits im Leben. Die an der Soteriologie ausgerichtete Trinitätslehre erhelle (II, 253–261) den in der Breite der neutestamentlichen Überlieferung vorliegenden Sachverhalt, dass Jesus Gott als den Schöpfer der Welt verkündigte und zugleich als den, der in ihm versöhnend gegenwärtig ist.512 Der Schöpfer der Welt erleide am Kreuz den Tod desjenigen Menschen, mit dem er sich zu einer vollkommenen personalen Beziehung verbunden hatte. Indem Gott in dieser Beziehung der Schöpfer bleibe, umgreife er den Tod und besiege ihn (mors mortis). Dieser Sieg der hingebenden Liebe Gottes in Jesus Christus teile sich allen nachfolgenden Jüngerinnern und Jüngern als geistige Herrschaft der versöhnenden Liebe Gottes mit. Das sei die Herrschaft des Gekreuzigten. Das bedeute nach den ältesten Überlieferungsschichten nicht, dass Jesus „als“ Gott herrsche, sondern „dass Gott durch ihn herrscht. Das zeigen Jesu klare Selbstunterscheidung von Gott (Mk 10,18 parr.) sowie die Spuren einer adoptianischen Christologie etwa in der Erzählung von der Taufe Jesu (Mk 1,9–11 parr.)“ (II, 258). Nur ein so weiter Rückgang könne Jesus ohne Beimischung monophysitischer Tendenzen als den Menschen Gottes verstehen. Gott übe seine geistige Herrschaft über Jesus und durch ihn aus, und diese Herrschaft sei eine Herrschaft in der Ohnmacht am Kreuz (II, 258). Mit Hilfe einer neuformulierten dreifachen modalistischen Begegnungsweise Gottes – nicht als zeitliches Nacheinander verstanden, sondern so, dass Gott in Christus auf alle drei Weisen zugleich begegnet – sucht Lange den eigentlichen Gehalt der Lehre von der communicatio idiomatum von ihren substanzontologischen Implikationen zu befreien. Die Liebe Gottes habe die Welt erschaffen, nicht der im metaphysischen Sinne verstandene Schöpfungsmittler Christus: „In der Sicht des Glaubens erleidet Gott in seinem Sein in Jesus Christus die Ohnmacht des Kreuzes, und eben damit richtet er durch Jesus seine Macht der Versöhnung über uns auf“ (II, 261). Diese modernere – lutherisch-liberale – Fassung ermögliche, dass Jesus als Mensch verständlich bleibe; sein Kreuz werde „nicht mehr durch eine substanzhaft verstandene Einheit mit

512 D. LANGE 2001b, II, 258 weist die substanzontologische Begrifflichkeit der klassischen Trinitätslehre zurück, sieht in Gott kein abstraktes Prinzip, sondern im Sinne eines erfahrungstheologischen Denkens einen lebendigen und handelnden Gott. Die Aussageintentionen der neutestamentlichen binitarischen und triadischen Formeln zielten auf die universale Herrschaft Christi. Die Trinitätslehre hat für Lange ihren sachlichen Anhalt nicht am Kreuz oder in der Auferstehung, sondern in der Inkarnation – verstanden als Rückprojektion der Erhöhung ins Leben Jesu (a. a. O., II, 258.259).

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Gott überspielt und damit letztlich außer Kraft gesetzt“ (II, 261). Die so gedeutete Herrschaft Christi entlaste von einem „falschen Schutz theologischen Herrschaftswissens über die Wirklichkeit [und Herrschaft] Gottes“ und entberge den ursprünglichen Sinn der Herrschaft Gottes in Christus, indem sie wieder zu einer Aussage von Menschen werden, „die unter dieser Herrschaft stehen.“ Diese könne man nicht mehr durchschauen, man könne sich ihr nur ausliefern – und dass sie die Herrschaft der erlösende Liebe Gottes ist, „erscheint uns oft unter dem Gegenteil verborgen“ (II, 261). Die Denkfigur vom Tod Gottes führt hier mit Hilfe eines soteriologischen Zugangs zur Trinitätslehre zur Zurückweisung der Substanzontologie und zu einer stärkeren Subordination des Sohnes unter den Vater sowie zu einer stärkeren Identifikation Gottes mit dem Begriff des Geistes als in der Tradition. In Jesus begegne Gott als „Person“ und „Geist“ (beide metaphorisch verstanden): „als der ein persönliches Gottesverhältnis Begründende und als der immer schon gegenwärtige Grund des Seins“ (II, 260). (8) Der frühere Mainzer und jetzige Berliner Systematische Theologe Notger Slenczka (*1960) versammelte unter dem Titel Der Tod Gottes und das Leben des Menschen (2003) eine Reihe von Vorträgen und Aufsätzen, in denen herausgestellt werden soll, dass der Tod Christi, des Sohnes Gottes, das Leben des Menschen bestimmt.513 Die zuletzt in Leipzig lehrende Systematische Theologin Gunda Schneider-Flume (*1941) kommt in ihrem Grundkurs Dogmatik (2004; 22008) auf die umstrittene Denkfigur zu sprechen.514 Luther und Hegel „haben diesen radikalen, provozierenden theologischen Sachverhalt [„Gott im Tode“] gedacht, aber danach ist der Gedanke ausgewandert in die Religionskritik, etwa in die Frage des tollen Menschen bei Nietzsche.“515 Schneider-Flume verweist auf Bonhoeffer und Jüngel, die sich der Thematik angenommen haben. Sie stimmt der Auffassung vom Tod des metaphysischen Gottes zu und sieht in diesem eine Wegbereitung für die christliche Verkündigung von „Gottes lebensschöpferischer Liebesgeschichte“, die im Heilsereignis des Todes Christi am Kreuz begründet liege, „weil Gott in diesem Tod ist und insofern auch das Äußerste an Gottverlassenheit und Lebensfeindschaft nicht außerhalb Gottes ist.“516 Der früher in Gießen und zuletzt in Köln und Bonn lehrende Systematische Theologe Konrad Stock (*1941) verhandelt in seiner Einleitung in die Systematische Theologie (2011) unter der Überschrift „Gott lebt“ auch kurz „[d]as Problem des Atheismus“ , das in der „europäischen Neuzeit [...] mit früher ungekannter Schärfe in einem prinzipiellen und konsequenten Atheismus“517 hervortrete. Weil die „Gottlosigkeit für zahlreiche Zeitgenossen [...] selbstverständliche Signatur“518 dieser neuen Zeit sei, „bewährt sich hier und heute“ für Stock die „theologische Kompetenz, zu der das Studium der Systematischen Theologie beizutragen hat, [...] zuallererst in der Auseinandersetzung mit dem theoretischen Atheismus 513 Vgl. N. SLENCZKA 2003, 9. Ferner das Kapitel „Meditation des Heils. Tod Gottes und Sühne“ (a. a. O., 198–209). 514 G. SCHNEIDER-FLUME (2004) 2008, 234.235. 515 G. SCHNEIDER-FLUME (2004) 2008, 234. 516 G. SCHNEIDER-FLUME (2004) 2008, 235. 517 K. STOCK 2011, 67. 518 K. STOCK 2011, 68.

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der Religionskritik ebenso wie in der Diagnose einer vielgestaltigen Gottvergessenheit, in der sich – wie Hegel scharfsinnig sah – das ,Grundgefühl der neuen Zeit: Gott ist tot‘ kundtut.“519 Stock sucht nach einem Verfahren, das in einem kritischen Dialog, in einem öffentlich zu führenden Streit mit dem neuen Atheismus verwendet werden und auf die „effektvollen Parolen“ von der „Gottesvergiftung“ (Tilmann Moser) oder vom „Gotteswahn“ (Richard Dawkins) antworten kann. Der „Weg der Gottesbeweise“ rufe aber bei den Vertretern des Atheismus nur ein „Schulterzucken“ hervor. Auch „Karl Barths Theologie des Wortes Gottes“ oder „Dietrich Bonhoeffers Projekt einer Theologie der mündig gewordenen Welt“ scheiden für ihn kategorisch aus: „Beide Verfahren geben uns keinen Rat an die Hand, wie wir diskursiv mit den verschiedenen Positionen des Atheismus angemessen umgehen können.“520 Stock kann eingestehen, dass Gleichgültigkeit auch nicht durch einen Diskurs zu erschüttern ist.521 Um aus dieser Lage herauszukommen, greift er auf eine Einsicht der Prinzipienlehre zurück, die lehrt, „im Anschluss an die grundlegende Erkenntnis Friedrich Schleiermachers zwischen der primären Gewissheit des individuellen Freiheitsgefühls und den Erscheinungen der Religionsgeschichte zu unterscheiden, in deren Kontext sich das Offenbarungsgeschehen hervorhebt, das die Grundtatsache des Christentums bildet.“522 Demnach würde es einen Selbstwiderspruch darstellen, wenn man „die in unserem individuellen Freiheitsgefühl mitgesetzte Ursprungsbeziehung [also Transzendenzgewissheit; d. A.] zu bestreiten“ sucht. Stock kommt vor dem Hintergrund der Freilegung von „Sinn und Bedeutung der Gewissheit des Glaubens [...], dass Gottes Sein ein lebendiges Sein sei“, zu dem im Grunde für die Theologie bequemen Schluss, der den anderen Unkenntnis unterstellt: „Die verschiedenen Spielarten eines prinzipiellen und konsequenten Atheismus wollen offensichtlich das Verhältnis von unmittelbarem Selbstbewusstsein und vermitteltem Selbstbewusstsein nicht begreifen.“523 So erübrigt sich der Diskurs von selbst, und die Theologie kann sich wieder ganz auf den „erste[n] fundamentale[n] Satz“ konzentrieren, „der den Gehalt des apostolischen Kerygmas der Heiligen Schrift, der kirchlichen Glaubenslehre, der christlichen Frömmigkeit und ihrer Lebenspraxis charakterisiert (vgl. Mt 22,32 parr.). Wo sich dieser erste fundamentale Satz im Kult einer christlichen Glaubensgemeinschaft, in der Interpretation der kirchlichen Glaubenslehre und demzufolge in der theologischen Reflexion verflüchtigt, verliert der christliche Glaube seine besondere orientierende und motivierende Kraft und seine kritische Zeitgenossenschaft.“524 Schließlich widmet der reformierte Heidelberger Dogmatiker Michael Welker (*1947), ein Schüler Jürgen Moltmanns und prominenter Rezipient der Theologie Karl Barths, in seiner von Dietrich Bonhoeffers doppeltem Vermächtnis („Nur der leidende Gott kann helfen!“525 und „Gott in der ,Polyphonie des Lebens‘“526) und von der bekannten Frage („Wer ist Jesus Christus für uns heute?“527) geleiteten Darstellung der Christologie unter dem Titel

K. STOCK 2011, 67. K. STOCK 2011, 68. 521 Vgl. K. STOCK 2011, 69. 522 K. STOCK 2011, 69. 523 K. STOCK 2011, 69. 524 K. STOCK 2011, 69.70 mit Verweis auf G. V AHANIAN 1967, „das Buch, welches die Bewegung der Death-of-God-Theology inspirierte“ (a. a. O., 69, Anm. 22). 525 M. W ELKER 2012, 17–19. 526 M. W ELKER 2012, 24–28. 527 M. W ELKER 2012, 13–53, hier: 19. 519 520

1.3 Zum Forschungsstand: Rezeption der Tod-Gottes-Idee

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Gottes Offenbarung (2012)528 der „Philosophie nach dem Tode Gottes“ bei Hegel und Nietzsche einen Abschnitt529 in seinem Kapitel über das Kreuz.530 Denn „[g]roße philosophische Denker des 19. Jahrhunderts helfen der Theologie bzw. provozieren sie, die Impulse von Paulus und Luther unter den Bedingungen der späten Moderne neu zu durchdenken.“531 Doch die reformatorische „Theologie des Kreuzes“ Luthers ist für Welker bereits eine „revolutionäre Theologie“, die sich erst „im Licht des Lebens Jesu und im Licht der Macht seiner Auferstehung [...] in ihrem ganzen Ausmaß erfassen“532 lässt. Welker setzt damit die Verzahnung von Tod Gottes und Kreuzestheologie voraus und stellt sich so explizit in die Tradition der von Bonhoeffer initiierten und von Jüngel vollbrachten „Heimkehr der Rede vom Tode Gottes in die Theologie“533, wenn er gleich zu Beginn des Abschnitts über Hegel und Nietzsche den Schluss zieht: „Die Gräuel der Weltkriege und der Völkermorde, aber auch das Vordringen von Atheismus und Agnostizismus, vor allem im kommunistischen Teil der Welt, lassen im 20. Jahrhundert die Frage nach dem ,Tod Gottes‘ und in Verbindung damit die Kreuzestheologie wieder aktuell werden.“534 Neben Hegel, Nietzsche, Jüngel, Moltmann und Dalferths Christologie-Entwurf Der auferweckte Gekreuzigte (1994) kommt Welker auch auf das vor und im Zweiten Weltkrieg geschriebene und 1946 veröffentlichte Buch Theologie des Schmerzes Gottes535 des japanischen Theologen Kazoh Kitamori zu sprechen.536 Um aber eine solche Reduktion auf eine „Grundimpression“ zu vermeiden, betont Welker, dass das Kreuz nicht nur den leidenden, sondern auch den richtenden und rettenden Gott offenbare, der die Macht der Sünde vor Augen stellt. Themen wie Sünde, Sühne und Opfer seien demnach in einer kreuzestheologisch gefassten Christologie mit zu reflektieren.537 Gegen eine existentialistische und subjektivistische Engführung des Glaubensbegriffs (subjectivistic turn), gegen die „Ästhetisierung der Lebenswelt“538 des iconic turn sowie gegen ein „bloße[s] transzendentale[s] Prinzip[...]“ des neuprotestantischen „leeren“ Glaubens stellt Welker einen so genannten multicontextual und pneumatical turn539 und als „Bekenntnis“, „Fundament“540 und „Unterscheidungsmerkmal“ das „Evangelium“ als „eine frohe, befreiende und beglückende Botschaft“ mit dem zentralen, alle Christen – „am Beginn des dritten Jahrtausends mehr als zwei Milliarden Menschen, ein Drittel der Weltbevölkerung“ – verbindenden Satz: „Gott hat sich in Jesus Christus offenbart!“ 541 Das „Bemühen 528 M. W ELKER 2012, 142–159. Das Buch ist eine erweiterte Fassung der Gunning Lectures in Edinburgh aus dem Jahr 2004. 529 M. W ELKER 2012, 142–159. 530 Teil 3 heißt „Das Kreuz“ (M. W ELKER 2012, 135–194). 531 M. W ELKER 2012, 142.143. 532 M. W ELKER 2012, 135. 533 M. W ELKER 2012, 159 nach E. JÜNGEL (1977) 1986, 74. 534 M. W ELKER 2012, 142. 535 Als Übersetzungen des auch für Jürgen Moltmann bedeutenden theologischen Ansatzes liegen vor: K. KITAMORI 1972; K. KITAMORI 1965. Weitere Hinweise bei M. WELKER 2012, 171, Anm. 36; 172, Anm. 38. Kazoh Kitamori (1916–1998) hatte von 1959 bis zu seiner Emeritierung 1984 den Lehrstuhl für Dogmatik am Tokyo Union Theological Seminary inne. 536 Vgl. auch D. LANGE 2001b, II, 186; vgl. bereits D. SÖLLE (1973) 1980, 59–61. 537 Vgl. M. W ELKER 2012, 172. 538 M. W ELKER 2012, 51. 539 Vgl. M. W ELKER 2012, 39–53. 540 M. W ELKER 2012, 47. 541 M. W ELKER 2012, 48.

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um Offenbarungserkenntnis“ ist für Welker gegen einen „,weichen Postmodernismus‘“, eine „diffuse[...] Begeisterung für unbestimmte ,Pluralität‘“ und ein „,anything goes‘“ unverzichtbar: „Die Macht des göttlichen Geistes und das Reich des auferstandenen Christus reichen zwar ungeheuer weit, aber sie sind von einer klar beschreibbaren Verfassung. Diese wird für den christlichen Glauben und die christliche Theologie dann deutlich, wenn Gottes Geist und Gottes Reich als Geist und Reich Jesu Christi wahrgenommen werden.“ 542

(9) Im Blick auf die hier vorgestellten systematischen Entwürfe lässt sich an dieser Stelle knapp festhalten, dass der Tod Gottes im 20. Jahrhundert – wenn er nicht als immer schon zum christlichen Glauben gehörendes Schlagwort (H. Thielicke), in geschichtsbewusster Gelassenheit zu ertragendes Phänomen (W. Trillhaas) oder Anlass für eine Zurückwendung zur unbestreitbaren Ursprungsbeziehung (K. Stock) gedeutet wird, um die mit ihm verbundenen Anfragen zu relativieren – eine bereits zu verzeichnende Bewegung hin zur Kreuzestheologie und Trinitätslehre noch einmal vertieft, die mit einer vehementen Kritik an der metaphysischen Tradition des Theismus verbunden ist. Das kann, um es knapp festzuhalten, in unterschiedlicher Akzentuierung und damit Heranziehung der Denkfigur des Todes Gottes geschehen: als neuzeitliche Erfahrung des Endes des theistischen Gottes und Entfaltung einer Stellvertreter-Christologie (D. Sölle), als Ansporn zur Darlegung der Erfahrung der Christuswirklichkeit (W.-D. Marsch, Ch. Link), als säkulares Wirklichkeitsverständnis (W. Pannenberg), als Tod des Todes (G. Ebeling, D. Lange, E. Jüngel), als christologische Pointierung der Trinitätslehre mit Kritik am metaphysischen Apathieaxiom (J. Moltmann, E. Jüngel; daran anschließend G. Schneider-Flume, M. Welker) oder geisttheoretisch mit Hegels Aufhebung des Geistes Gottes in die Gemeinde (F. Wagner). Der Tod Gottes kann aber auch, wenn er nicht wie in der Tod-Gottes-Theologie dazu führt, Gott als den eigentlichen Gegenstand zu verleugnen, zu einer vernünftigen Theologie drängen, die bleibend auf Metaphysik angewiesen ist. Jedoch ist hier der Tod Jesu am Kreuz nicht der Tod Gottes, sondern allein der Sohn Gottes ist, dogmatisch korrekt, nach seiner angenommenen menschlichen Natur am Kreuz gestorben (so W. Pannenberg). Ob damit schon auf die verbreitete existentielle Erfahrung, dass Gott tot sei, ausreichend reagiert worden ist (wie in Ansätzen bei P. Tillich), sei hier erst einmal dahingestellt. 1.3.6 Theologiegeschichtliche Darstellungen (1) In Entwürfen, die Systematische Theologie bzw. Dogmatik weitgehend als Theologiegeschichte betreiben, sieht der Befund etwas anders aus. Ein so orientierter Entwurf kann in seiner Ausrichtung nicht einfach über einzelne Episoden der Theologiegeschichte hinwegsehen, aber durch die Architektur des Buches den Leser zu leiten versuchen. Der frühere Hamburger Systematische

542

M. WELKER 2012, 53.

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Theologe Hermann Fischer (1933–2012) schiebt in seinem Band Systematische Theologie. Konzeptionen und Probleme im 20. Jahrhundert für den Grundkurs Theologie (1992) ebenso wie in der erweiterten Darstellung Protestantische Theologie im 20. Jahrhundert von 2002 einen informierten wie informativen „Exkurs: Radikale Christologie als atheistische Theologie?“543 ein. Mit seiner Verhandlung dieser theologischen Richtung in einem Exkurs zeigt Fischer zugleich die Ausgrenzung und damit wahrgenommene innere Zusammenhanglosigkeit der Fragen der theologischen Wissenschaft mit den existentiellen Anliegen dieser Bewegung, deren „plakative Rede vom ,Tode Gottes‘ schon nach kurzer Zeit“544 für ihn verstummt ist. Anders verfährt der Münchener Systematische Theologe Jan Rohls (*1949) in seiner zweibändigen Geschichte der Protestantischen Theologie der Neuzeit von 1997.545 Hier kann die Rezeption des Gedankens des Todes Gottes „aufgrund der Erfahrung der zunehmenden Säkularisierung“546 nunmehr unpolemisch nacherzählt werden. Der für Hegel und Nietzsche wichtige Gedanke taucht nach Rohls’ Darstellung erstmals in Gabriel Vahanians Buch The Death of God. The Culture of Our Post-Christian Era (1961) auf und wird von Altizer, Hamilton und van Buren aufgenommen und je eigenständig variiert. Hervorzuheben ist, dass Rohls auch die weitere Entwicklung der Radikalen Theologie bis um 1990 darstellt und damit ein Bild zeichnet, das anders als andere Darstellungen die Gott-ist-tot-Theologie nicht als eine abgeschlossene und zu vergessende Episode der neueren Theologiegeschichte versteht, sondern deren Weiterentwicklung anspricht sowie ihre Bedeutung für eine dekonstruktivistische und postmoderne Theologie (Mark C. Taylor) aufzeigt.547 Diesen gegenüber der „Theologie nach dem Tode Gottes“ unideologischen Faden nimmt Rohls in seinem auf zehn Bände angelegten ideengeschichtlichen Entwurf auf, wenn er in die Themen Gott, Trinität und Geist (Bd. III/1.2) nun „das jüngere Phänomen einer positiven Rezeption des Gedankens, dass Gott tot sei“548 eingliedert und es ebenso zur Ideengeschichte des Christentums (2014) zählt. (2) Der frühere Hamburger Kirchenhistoriker Matthias Kroeger (1935– 2021) plädiert in seiner systematisch orientierten Monographie Im religiösen Umbruch der Welt (2004; 3. Aufl. 2011) dafür,549 dass die Kirchen ihre weitgehende religiöse Transformationsverweigerung aufgeben sollen, denn die innerkirchliche Kritik am Theismus sei bislang nur zögernd und unklar ausgeH. FISCHER 1992, 191–198 und unverändert wieder in: H. FISCHER 2002, 158–163. H. FISCHER 2002, 163. 545 J. R OHLS 1997a; J. R OHLS 1997b. Ein unveränderter Nachdruck ist 2018 erschienen. 546 J. R OHLS 1997b, II, 547; 546–552 („Neoorthodoxie und Gott-ist-tot-Theologie“). 547 J. R OHLS 1997b, II, 731–734 („Radikale Theologie“). 548 J. R OHLS 2014a, VIII; vgl. zur Explikation J. R OHLS 2014b, 1251–1260; 1352–1354; 1429; bereits J. ROHLS 2012, 962–964. 549 M. K ROEGER (2004) 2011, bes. 75–124 (mit den Ausführungen in den Anm. 372– 384); 183–280 (Anm. 398–411). 543 544

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fallen, man bleibe im alten theistischen Paradigma gefangen. Der fällige Ruck in den Köpfen der Kirche, so der weitergehende Titel seiner Studie, sei zwar partiell im Gange, neue Gestalten und Formungen des Christentums aus der Theologie lägen reichlich vor, drohten aber angesichts der Situation einer um sich greifenden „Theologieverlegenheit und -verdrossenheit, ja Theologielosigkeit mitten im Herzen der Kirche, mitten in der TheologInnenschaft, speziell auch bei den ReligionslehrerInnnen“ (9) auf der Strecke zu bleiben. „[D]er gesellschaftliche Zusammenbruch des Theismus als Leitidee“ (75–81) müsse eine grundsätzliche Revision des Gottesbildes nach sich ziehen. Der „Tod Gottes“ sei „mehr als nur der Tod eines Bildes [...]. Denn der alte Glaube und sein Gottesbild waren ein Kraftfeld, eine Lebensform und eine Gewissheit. [...] Es stirbt die Weise der bisherigen religiösen Gewissheit und die Konsistenz des alten Glaubens“ (a. a. O., 81). Es gehe daher um eine non-theistische Fortschreibung christlicher Grundworte („Gott“, „Gnade“, „Gesetz“ usw.) als Grundlage für eine alternative Spiritualität und damit einer grundlegenden Kirchenreform, die sich aus dem Potential der Reformation Luthers speist. Das ist mit dem Untertitel Über Grundriss und Bausteine des religiösen Wandels im Herzen der Kirche gemeint. Aber auch eine „,Religion ohne Gott‘ bedeutet daher ebenso wie die noch immer gültig und wahr gebliebene Formel vom ,Tode Gottes‘ ein wahres weil kritisches Element spiritueller Wirklichkeit und für viele eine notwendige Zugangs- und Eröffnungsformel zur spirituellen Erfahrung.“550 Auch diese Redeweisen mögen zu einem „Umbruch“ verhelfen, den Kroeger als „Ausbruch aus der selbstverschuldeten Kirchlichkeit“ deutet.551 (3) Der Heidelberger Systematische Theologe Wilfried Härle (*1941) mahnt in seinem Aufsatz Spurensuche. Theologie nach 1945 im Ringen mit der Verborgenheit Gottes (2008) über die deutschsprachige Theologiegeschichte in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg ebenfalls an: „Auch wenn inzwischen längst eingetreten ist, was scharfsinnige oder scharfzüngige Kritiker von Anfang an prophezeit hatten, dass nämlich diese Theologie eher tot sein werde als ihr totgesagter Gegenstand, darf doch diese Episode nicht übergangen werden, und zwar schon deshalb nicht, weil aus ihr die Beschäftigung mit theologischen Fragestellungen resultierte, die bis heute die Diskussion mitbestimmen.“552 Diese Spur nimmt, ohne Hinweis auf Härle, der frühere Berner Praktische Theologe Christoph Morgenthaler (*1946) in seiner akademischen Abschieds-

550 So M. K ROEGER 2015, 75.76. Hierbei handelt es sich um Band 6 der von Hubertus Halbfas und Klaus-Peter Jörns herausgegebenen Schriften zur Glaubensreform, in dem Kroeger eine Kurzfassung seines Ansatzes bietet unter dem Titel „Was bleiben will, muss sich ändern“. Zur Legitimität einer Reform in den Herzstücken des christlichen Glaubens. 551 M. K ROEGER 2015, 92. 552 W. H ÄRLE 2008, 337.

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vorlesung aus dem Jahr 2011 auf553: „Gott, um den sich der religiöse Betrieb dreht, ist nur noch da in der wehmütigen Erinnerung an einen Verstorbenen.“554 Erfrischend anders beginnt Morgenthaler mit einem „unfrommen“ und „ironischen“555 Seufzer ,Ach, hätte Gott dies alles noch erleben dürfen ...‘. Dieses theologische „Denkverbot“, Gottes Tod zu denken, kann mittels Ironie aufgehoben und mit den „höchst faszinierende[n] Theologien“556 der Gott-ist-totTheologen angegangen werden. Die Aufgabe der Praktischen Theologie als Poiesis ist schlicht: „Sie soll plausibel machen, dass der abwesende Gott noch immer anwesend ist.“557 Doch es könnte auch sein, „dass der, um den sich hier alles dreht, Gott, nicht mehr lebt[e].“558 Dem „Schein“ einer Wiederkehr der Religion und einer als vergessenes Kapitel der Theologiegeschichte abgeschriebenen Gott ist tot-Theologie möchte Morgenthaler „nicht auf den Leim gehen“559, sondern „den Verdacht [...] hegen“ dürfen, „dass auch dieser Renaissance des Religiösen nicht zu trauen ist.“560 Die Praktische Theologie müsse sich demnach schneller Antworten verweigern, nur so erhalte sie ihre 553 C H. M ORGENTHALER 2012. Die Überschrift ist dem Gedicht Lourdes von Pedro Lenz als Titel für seine Abschiedsvorlesung entnommen; vgl. zur Thematik bereits CH. MORGENTHALER 2011. 554 C H. M ORGENTHALER 2012, 360. Diesen Gedanken verfolgt auch der außerhalb Argentiniens weitgehend unbekannte zeitgenössische Dichter Carlos Velazco, der in seinen Gedichten „the bitter struggle to rid myself of nostalgia for God“ thematisiert. Vgl. hierzu A. GLOVER 2014. 555 „Ironie spricht in höchst lebendiger Weise vom Tod Gottes. [...] Ironie ist eine schockierende Redeform, ein ,slam‘, der durch einen Identitätswechsel überrascht“ (CH. MORGENTHALER 2012, 362; mit Hinweise auf Kierkegaard). Sie weist darauf hin, „dass man der Welt nie ganz vertrauen kann, dass man aber darauf vertrauen kann, dass ihr nicht ganz zu vertrauen ist “ (a. a. O., 2012, 363). 556 C H. M ORGENTHALER 2012, 364. Leider finden sich hier drei sachliche Fehler. Das Zitat „wie ein Museumstück“ findet sich nicht in dem in der Anmerkung angegebenen RGGArtikel der vierten Auflage; Robinsons Buch Honest to God erschien nicht 1960 in England, sondern erst 1963; Sölles Buch Stellvertretung ist nicht ihre Dissertation. Diese schrieb sie über die Struktur der Nachtwachen des Bonaventura (vgl. D. SÖLLE-NIPPERDEY 1959). Nicht nur vergessene Namen wie Vahanian, van Buren und Hamilton tauchen wieder auf, sondern auch Namen von Theologen, über die die Zeit nicht hinweggegangen ist, wie die von Rabbi Richard Rubenstein, David R. Blumenthal, Dorothee Sölle und Thomas J. J. Altizer. Letzterer entwirft seine Theologie als eine Form von Poesie, mittels derer die Kenosis, die göttliche Selbstentleerung, in die Geschichte hinein nachgezeichnet werden kann. Es ist der Entwurf einer Christologie, die Gott als in die Welt hineingestorben verstehen möchte. Die Inkarnation macht es unmöglich, an einen jenseitigen Gott zu glauben. Das Fleisch gewordene Wort erhält als reales und anhaltendes Ereignis das Versprechen und die Möglichkeit der Transformation und Erlösung der Welt. 557 C H. M ORGENTHALER 2012, 363. 558 C H. M ORGENTHALER 2012, 364. 559 C H. M ORGENTHALER 2012, 365. 560 C H. M ORGENTHALER 2012, 365.

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„prophetische Kraft“. Auch Menschen, die wie der britische Schriftsteller Julian Barnes sagen „I don’t believe in God, but I miss him“ oder wie der niederländische atheistische Pfarrer Klaas Hendrikse (Glauben an einen Gott, den es nicht gibt561), haben für Morgenthaler ein Heimatrecht in der Kirche. Von John D. Caputo oder Gianni Vattimo möchte er sich für eine Theologie inspirieren lassen, die an Gottes Tod erinnert.562 Das absolute Sein der klassischen Metaphysik habe abgedankt. Caputo liest die religiösen Traditionen gegen sich selbst neu, denkt eine „religion without religion“ und entwickelt eine Theologie der Schwäche. Diese verbindet ihr Schwachsein mit dem ethischen Imperativ, den Schwachen und Armen zu helfen. Bei Caputo und Vattimo öffnet die ironische Rede den Weg in ein solches schwaches Denken, in einen schonenden Umgang mit der Welt, mit dem Anderen und dem ganz Anderen. In der Schwäche zeigt sich zugleich die Stärke. Damit wäre für Morgenthaler die ironische Rede in ihrem Kern eine theologische Rede563 und „Gott – das Versprechen und die Möglichkeit der Transformation und Erlösung der Welt, in seiner abwesenden Anwesenheit.“564 Die Praktische Theologie entpuppe sich als ein „Zwitter: Sie ist ,poetry‘ und ,slam‘ in einem, ,Poiesis‘ und ,Eironeia‘. Sie erinnert sich daran, dass dieser Gott gestorben präsent ist.“565 Die Ironie würde zur Begleiterin des Glaubens, als subversive Strategie des Bilderverbots und Gegengift gegen den tödlichen theologischen Ernst. Die Ironie befreie die Poiesis aus ihrem Sklavendienst zur Poesie. Die Poiesis verwandelt nach Morgenthaler dann das Schweben der Ironie in das Salz der Erde. Praktische Theologie stehe dafür ein, „dass die Erinnerung an den gekreuzigten Gott nicht stirbt in dieser Zeit.“566 Morgenthaler kann mit dieser Einbeziehung der Ironie als Handwerkzeug der Theologie zu einer Deutungsvielfalt verhelfen und der Denkfigur des Todes Gottes gelassen begegnen, ohne ihr die existentielle Schärfe zu nehmen. Er sucht das subversive Element der Religion und findet es in der Ironie, die er der Poiesis an die Seite stellt. Er erinnert an die faszinierende Bedeutung der Gott ist tot-Theologien, die einen Perspektivwechsel einleiten könnten gegenüber dem Schein einer Wiederkehr der Religion und an eine Theologie der Schwäche, die John D. Caputo entfaltet, wenn er die religiöse Tradition gegen sich selber liest und damit ihre Kraft aufzeigt, die in ihrer Schwäche liegt. (4) Resümee: Wilfried Härle gibt Hinweise auf die gegenwartsbezogene Relevanz der theologischen Fragestellungen, die von der Gott-ist-tot-Theologie aufgeworfen worden sind. Matthias Kroeger hebt mit dem Verlust eines KraftK. HENDRIKSE (2007) 2013. CH. MORGENTHALER 2012, 366. 563 Vgl. C H. M ORGENTHALER 2012, 366. 564 C H. M ORGENTHALER 2012, 369. 565 C H. M ORGENTHALER 2012, 369. 566 C H. M ORGENTHALER 2012, 370. 561 562

1.3 Zum Forschungsstand: Rezeption der Tod-Gottes-Idee

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feldes, einer Lebensform und einer Gewissheit Phänomene heraus, die mit der Formel Tod Gottes verbunden seien und plädiert zugleich für die Eröffnung eines neuen Zugangs zu einem non-theistischen Glauben. Die Darstellungen von Jan Rohls und Christoph Morgenthaler nehmen in Bezug auf die Gott-isttot-Theologien und ihrer subversiven Macht eine Versachlichung der Debatte vor. Das gilt auch für die lebens- bzw. sprachphilosophisch orientierten Studien von Daniel Mourkojannis, Tom Kleffmann und Christian Jung, der gegen Nietzsche für das Erscheinen einer Theologie jenseits von Theologie argumentiert. Diese Zugangsweisen ändern jedoch nichts daran, dass eine umfassende ideen- und theologiegeschichtliche Darstellung noch fehlt. Diese Sachlage hat sich auch nicht mit F. Depoorteres Studie geändert, eben so wenig, wenn nach ersten Publikationen zur Wiederentdeckung der Gott-ist-tot-Theologie in den USA567 (The Death of God Movement and the Holocaust. Radical Theology Encounters the Shoa568; After the Death of God569; Resurrecting the Death of God. The Origins, Influence, and Return of Radical Theology570) nun im Jahr 2018 ein Palgrave Handbook of Radical Theology erschienen ist571, das sich jedoch dezidiert als „a reference work“ und „a starting point for future scholarship“572 versteht. Es steuert zwar mit einer Reihe von Personenartikeln und thematischen Artikeln einen Überblick bei, aber die zwei knappen Einleitungsartikel und eine Zeittafel vermitteln weiterhin nur einen unvollständigen Überblick über die Kontroverse. Gemeinsames Anliegen aller Beiträge ist jedoch, dazu beizutragen, die häufig unfairen und feindlichen Reaktionen auf die Radical Theology zu überdenken. Hier schreiben daher Autorinnen und Autoren, die tatsächlich die Bücher gelesen haben und die theologischen Impulse im Abstand der Zeit noch einmal prüfen wollen, um das Anliegen der Radical Theology für die Gegenwart neu herauszustellen.573 Hierin treffen sie sich mit der vorliegenden Studie und zeigen das Desiderat der genaueren Erforschung des tieferliegenden Anliegens der verschiedenen Richtungen der Gott-ist-totTheologie an, die die Krise des Existenzialismus in der Moderne zugespitzt im Wort vom Tode Gottes sehen und sich im Kampf um die Deutungshoheit auf einen Weg machen, der zur Anerkennung seiner vielfältigen Deutungsvarianten führen soll.

Vgl. dazu Kapitel 6 in diesem Buch. S. R. HAYNES/J. K. ROTH 1999a. 569 J. C APUTO/G. V ATTIMO 2007. Gabriel Vahanian steuerte für diesen von Jeffrey Robbins herausgegebenen Band ein Nachwort bei. 570 D. J. PETERSON/G. M. ZBARASCHUK 2014. Das Nachwort in diesem Band stammt von Thomas J. J. Altizer. 571 C. D. R ODKEY/J. E. M ILLER 2018. 572 C. D. R ODKEY/J. E. M ILLER 2018, 5. 573 Vgl. C. D. R ODKEY/J. E. M ILLER 2018, 5. 567 568

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1 Einleitungsteil

1.4 Systematischer Ausgangspunkt und Begriffsklärungen 1.4 Systematischer Ausgangspunkt und Begriffsklärungen „Was die Theologie der Moderne schuldet, ist das Licht christlicher Aufklärung.“574

In diesem Abschnitt der Einleitung geht es darum, die Begriffe Moderne, Krise und Lebensgefühl, die mit dem Titel der Arbeit und der systematischen Leitthese von der Mehrdeutigkeit des Wortes vom „Tode Gottes“ sowie dem verborgenen weltgeschichtlichen Prozess einer praecisio mundi verbunden sind, in gebotener Kürze zu klären. Das mit diesen Begriffen verbundene philosophisch-theologische Programm einer Verschränkung des religiösen mit dem säkularen Diskurs steht wiederum auf zwei miteinander verschränkten Stützpfeilern, einer an ideengeschichtlichen Konstellationen interessierten aufgeklärten Religionsdiagnostik und einer an systematischen Perspektiven orientierten radikalen Existentialhermeneutik, in denen sich das Anliegen einer existenzphilosophischen Theologie nach dem „größten neueren Ereignis“ als diskursiver Ort ideologiekritischer Besonnenheit durch die Haltung der radikalen Fraglichkeit und Kritik geschichtsbewusst, gegenwartsdeutend und lebensorientierend auszudrücken vermag. 1.4.1 Die Moderne als gegenwärtiges Zeitalter (1) Moderne ist ein „schillernder Begriff“, der allgemein auf eine Phase der „neuen Zeit“ als das „bislang letzte Stadium der Geschichte“ hinweist.575 Als geschichtlicher Einschnitt wird meist die Zeit der Industrialisierung gefasst. Thema der Philosophie wurde die Moderne im späten 18. Jahrhundert insbesondere bei G. W. F. Hegel.576 In einem idealtypisch angelegten Zeit- und Epochenschema (für die europäische Geschichte) in der Geschichtswissenschaft und Kunst, das sich in der Nähe der historischen Datierung der Neuzeit um 1500 verorten lässt, kann man eine Frühmoderne (16.–18. Jahrhundert), eine Hochmoderne (19. und 20. Jahrhundert) und eine Spätmoderne (ab den 1970er Jahren) unterscheiden.577 Doch mit dieser Unterscheidung sind auch Probleme verbunden, wenn man fragt, was denn nach der Spätmoderne oder gar nach der Postmoderne komme. Im Blick auf die These der Arbeit – „Der Tod Gottes als Lebensgefühl der Moderne“ – wird sich aber zeigen, dass in allen diesen Epochenabschnitten das Motiv vom Tode Gottes Ausdrucksgestalten findet, womit sich ein jeweils neues Lebensgefühl gegenüber dem bisherigen verbindet. T. RENDTORFF 1991, 223. Vgl. R. LAUTMANN 2020, 513. Zur Begriffsgeschichte vgl. H. U. GUMBRECHT 1978. 576 Vgl. dazu Abschnitt 5.1.1 in diesem Buch. 577 Zur Moderneforschung insgesamt vgl. F. JAEGER/W. K NÖBL/U. SCHNEIDER 2015 und in diesem Abschnitt unter Ziffer (3). 574 575

1.4 Systematischer Ausgangspunkt und Begriffsklärungen

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Wenn man nämlich die adjektivische Wortbedeutung modernus (lat.) als Ausgangspunkt nimmt, bedeutet das Prädikat „modern“ das jeweils „Gegenwärtige“ und „Aktuelle“ im Gegensatz zum „Vorherigen“.578 Damit ist mit „Modernität“ eine Einstellung verbunden, die von einer grundsätzlichen Wandelbarkeit der Verhältnisse und von einem „provisorischen Charakter gesellschaftlicher Ordnungsmuster“579 ausgeht. Mit Moderne ist also eine Zeit des Umbruchs gemeint, die sich in den Gesellschaften unterschiedlich ausprägt.580 Eng verbunden mit der Moderne und ihrem Geschichtsbewusstsein ist daher der Begriff der Krise. Krise ist ein „Schlüsselbegriff der Philosophie des 20. Jahrhunderts“581, ein „Kulturthema ersten Ranges“582 und zu einem „Leitbegriff in den Kulturwissenschaften geworden.“583 Auch die Theologie kennt und verwendet den Krisenbegriff in semantischer Vielfalt.584 Krise ist jedoch „kein spezifisch modernes Phänomen.“585 So hatte „Krisis“ in der griechischen Antike „relativ klar abgrenzbare Bedeutungen im juristischen, theologischen und medizinischen Bereich […] und forderte harte Alternativen heraus: Recht oder Unrecht, Heil oder Verdammnis, Leben oder Tod.“586 Bis in das 17. Jahrhundert herrschte der medizinische Sinn vor und wurde erst dann metaphorisch ausgeweitet auf die Politik, Psychologie, Ökonomie und Geschichte. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts wurde der Begriff theologisch und religiös verwendet für das Jüngste Gericht, das in säkularer Deutung auf die revolutionären Ereignisse angewendet wurde. In der Politik, Psychologie und in den Sozialund Wirtschaftswissenschaften ist der Begriff gegenwärtig „fest etabliert und klar definiert“.587 Hier stehen Bewältigung, Überwindung und Beendigung der Vgl. H. U. GUMBRECHT 1978, 96. V. KROCH 2020, 514. 580 Das hat der israelische Soziologe Shmuel N. Eisenstadt (1923–2010) mit seinem Konzept der „multiple modernities“ herausgearbeitet, das die jeweilige Moderne aus ihren spezifischen kulturellen, sozialen, politischen und historischen Voraussetzungen heraus als Resultat von Revolutionen verstehen will. Vgl. S. N. EISENSTADT 2000; 2006. 581 E. W. O RTH 2010; vgl. die Darstellung „Krisenszenarien und Verfallsgeschichten in philosophischen Großtheorien des 20. Jahrhunderts“ bei J. HABERMAS 2019a, I, 40–74. 582 A. N ÜNNING 2013a, 118. 583 Krise ist aber „erst in jüngster Zeit im Zuge der weltweiten Banken- und Finanzk[rise]n zu einem Leitbegriff in den Kulturwissenschaften geworden.“ (A. NÜNNING 2013b, 407). 584 In der Theologie wird „Krise“ in verschiedener Hinsicht verwendet: als Lagebeschreibung, in Verbindung mit einer theologischen Richtung, als Disziplinbezeichnung, als Situation des Einzelnen oder als wesentliche Signatur der Moderne. Vgl. CH. GRETHLEIN 2001. 585 C. M EYER/K. PATZEL-M ATERN/G. J. SCHENK 2013b, 14. Vgl. dazu die Beiträge zur Wahrnehmung von Krisenphänomenen anhand von Fallbeispielen von der Antike bis in die Neuzeit bei H. SCHOLTEN 2007a. 586 R. K OSELLECK 1982, 617. 587 Vgl. zur Psychologie J. STRAUB 2013, 27; zu den Wirtschaftswissenschaften M. H ÜLSMANN/PH. CORDES, 2013. Trotz der „großen Bedeutung und Verbreitung von Krisenge578 579

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1 Einleitungsteil

Krise im Vordergrund. Eine Krise herrscht für den Zeitraum einer Umbruchsphase, in dem noch keine Entscheidung (krísis) gefallen ist. Krisen sind daher meist negativ konnotiert, zumal dann, „wenn ein etablierter, gesicherter oder verlässlich erscheinender Sachverhalt fraglich oder instabil zu werden droht.“588 Eine Krise drohe dann, in Anwendung eines soziologischen Zugangs und seiner Verwendung für das hier verhandelte Thema, wenn eine Gefährdung eines institutionalisierten Sinn-Musters (Gottesgedanke) verbunden mit einer grundsätzlichen Infragestellung der Legitimation des Musters (Krise des Gottesgedankens in der Moderne: Tod Gottes) wahrgenommen wird. Diese gesellschaftliche Diagnose, umgemünzt auf die Krise des Gottesgedankens in der Moderne, erhellt die Wahrnehmung einer tiefgreifenden Infragestellung eines etablierten Musters. Ohne eine Lösung der Geltungskrise des Musters wird sich auch an der Krise des institutionalisierten Musters nichts ändern. Die Lösung, die hier durchgespielt werden soll, heißt, sich in den neuen Erfahrungs- und Denkraum der Krise hineinzubegeben und sich darin aufzuhalten, also Krise nicht von ihrer Überwindung her zu denken, sondern als (de-)konstruktiven Dauerzustand wahrzunehmen, um nicht etwa in weit verbreitete Lamentationen über den eigenen Bedeutungsverlust zu verfallen oder weiterhin so zu tun, als könne man am Krisenphänomen Tod Gottes und am Geschichtsbewusstsein vorbei Theologie betreiben.589 Denn der „höchst krisenreiche[] Prozeß der Umformung ihrer Sozial- und Bewußtseinsgestalt“590 ist für die christliche Religion mit einer Reihe von Problemen verknüpft, von denen die Etablierung des modernen historischen Denkens wohl am folgenreichsten ist.591 Der Historismus umfasst mehr als die historische Kritik in der Auslegung von Bibel und Dogmen. Er ist „ein neues Bewußtsein, das […] die Erfahrung einer Realität des fortwährenden Wandels“592 ausdrückt. Das „fundamentale Phänomen des ,Historismus‘, der universalen Historisierung all dessen, was ist“, also auch des Gottesgedankens (und seiner Kritik), gehört damit zu den „bedeutsamsten, konstitutiven Kennzeichen der Moderne überhaupt.“593 Ein solch verändertes Zeitbewusstsein vermochte auch erstmals die prinzipielle Offenheit der Zukunft zu erfassen.

schichten“, mit denen diese Situationen quälender Offenheit beschrieben werden, fehlt es an einer grundlegenden Erforschung des Konzepts der Krise (A. NÜNNING 2013a, 119). 588 J. FRIEDRICHS 2007, 14. Vgl. dort auch die Matrix für das Folgende. 589 Vgl. J. H ABERMAS 2019a, I, 40: „Die Moderne ist die Krise – von hier ist es nur noch ein kleiner Schritt zu Niklas Luhmann, der den Krisenmodus zum Normalzustand der gesellschaftlichen Moderne erklärt (und keine therapeutische Notwendigkeit mehr erkennen kann).“ 590 U. B ARTH 2003, 164. 591 Vgl. K. N OWAK 1995, 15. 592 T. R ENDTORFF 1991, 207; vgl. E. TROELTSCH, GS II, 729–753, bes. 731.732. 593 O. G. O EXLE 1996, 10.11.

1.4 Systematischer Ausgangspunkt und Begriffsklärungen

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(2) Seit etwa 1780 ist Krise „Ausdruck einer neuen Zeiterfahrung, Faktor und Indikator eines epochalen Umbruchs“594, der sich etappenweise in den vergangen 250 Jahren in West- und Mitteleuropa als fundamentaler mentalitätsmäßiger Kulturumbruch vollzogen hat.595 Im Gegensatz zum historischen Epochenbegriff der Neuzeit, der im Unterschied zu Antike und Mittelalter verstanden wird, ist Moderne ein normativ eher ambivalenter Begriff, der für die mit der Zeit der Aufklärung aufkommende „selbstbewusste Kritikfähigkeit und die Traditionsbrüche“596 seit etwa 1800 steht, die in den Gefühlslagen der (Früh-) Romantik bei Jean Paul und Friedrich Schleiermacher, den philosophisch-theologischen Diskursen um Pantheismus, Theismus und Atheismus, im Grundgefühl der Religion der neuen Zeit – Gott selbst ist tot – bei Georg Wilhelm Friedrich Hegel im Anschluss an Blaise Pascal zum Ausdruck gekommen sind sowie in Zeiten revolutionärer Umbrüche in der Rezeption des Plutarch-Wortes „Der große Pan ist tot“ bei Heinrich Heine, der den Begriff der Modernität im heutigen Sinne geprägt hat597. Heine stellt „das ,Projekt der Moderne‘ [...] in seiner ganzen Ambivalenz von Freiheitsjubel und Verlustängsten, von Emanzipation und Entfremdung, von Fortschritt und Katastrophe, von Aufbruch und Zerstörung ästhetisch-reflexiv-gebrochen“598 dar. Die „schmerzhaften Verlusterfahrungen, die die Menschen im Sog beschleunigter Untergänge ihrer Lebensweisen machen mussten“, und die mit den „plötzlichen und gewaltsamen Einbrüchen des Neuen“599 verbunden waren, zeigen von Anfang an die Ambivalenzen der Moderne im westlichen Kulturkreis und seiner Errungenschaften von Rationalität, Säkularität und Pluralität. Die neue Zeit gesamtgesellschaftlicher Transformationsprozesse ist gekennzeichnet durch eine umfassende „Modernisierung“ der Lebensverhältnisse durch kulturrevolutionäre Dynamiken, kapitalistische Industrialisierung und politische Demokratisierung sowie einen lange ungebrochenen Fortschrittsglauben.600 Mit den wissenschaftlichen und technischen Neuerungen verlieren herkömmliche Institutionen, Lebensformen und Maßstäbe ihre ÜberzeugungsR. KOSELLECK 1982, 617. Dieser Wandlungsprozess hat bereits vor der Französischen Revolution 1789 mit der Idee der bürgerlichen Gesellschaft begonnen, mittels derer die alteuropäische Ständeordnung allmählich verabschiedet wurde. Vgl. K. NOWAK 1995, 10; 15. 596 Vgl. H. D EUSER 2009, 9, Anm. 16. 597 Und nicht Charles Baudelaire, wie auch im RGG- und HWPh-Artikel zur Moderne/Modernität angeführt wird. Vgl. G. GROSSKLAUS 2013, 7; 276, Anm. 52. 598 G. G ROSSKLAUS 2013, 9. Zu Heines Prosa der Moderne vgl. grundlegend auch P. BÜRGER 1988. Dort auch zur „Wunde Heine“ (Theodor W. Adorno) und Überlegungen dazu, warum Heine in den großen Entwürfe einer Ästhetik der Moderne fehlt (P. BÜRGER 1988, 80–100). Vgl. dazu G. GROSSKLAUS 2013, 9; 276, Anm. 52; 277. 599 G. G ROSSKLAUS 2013, 7. 600 Vgl. zur Modernisierung TH. N IPPERDEY 1996 und zum Fortschrittsdenken J. D IERKEN 2012, 9–33. 594 595

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kraft.601 Die Folgen der Modernisierung, von Traditionsumbrüchen und Traditionsabbrüchen, sind in allen menschlichen Lebensbereichen – Wissenschaft, Politik, Ökonomie, Kunst, Literatur, Religion – zu spüren.602 Zum komplexen „Aufbruch in die Moderne“ gehören um 1900 auch Massenpolitisierung und Frauenemanzipation,603 aber auch die Ausprägungen von Extremen wie Antisemitismus, Rassismus und Frauenfeindlichkeit.604 (3) In der Literaturwissenschaft wird mit dem Konzept vom Tod des Autors (1967/1968) von Roland Barthes (1915–1980) auf die Denkfigur des Todes Gottes Bezug genommen: „Den ,Tod des Autors‘, sein Verschwinden in der Textur der Sprachen, Intertexte, Diskurse, hat Barthes in seinem berühmten Aufsatz ,La mort de l’auteur‘ in der Tat als radikalisierte Konsequenz aus Nietzsches Proklamation des ,Todes Gottes‘ beschrieben – aber zugleich als ,Geburt des Lesers‘.“605 Der französische Philosoph Michel Foucault (1926– 1984) nimmt diesen Gedanken in seinem Vortrag Was ist ein Autor? (1969) auf und versucht, den endgültigen Abschied vom „Autor“ wie auch der von Barthes vorgeschlagenen Ersatzbegriffe „Werk“ und „Schreiber“ durch sein eigenes textanalytisches Verfahren der „Diskursanalyse“ zu plausibilisieren.606 Der Vordenker der Postmoderne, Jean-François Lyotard (1924–1998), hat vom Ende der großen Erzählungen (grand récits) bzw. Metaerzählungen gesprochen. Darunter fasst er alle Deutungs- und Denksysteme, die die Welt von einem zentralen Punkt aus verstehen beziehungsweise daraufhin auslegen wollen und die Menschen in ihrem ethischen Verhalten einem exklusiven Anspruch unterstellen. Deshalb fallen auch sehr heterogene denkerische Konstrukte unter Metaerzählungen.607 Gegenwartsdiagnostisch werden sie mit den religionssoziologischen Begriffen einer funktional-instrumentellen „Ausdifferenzierung, Entdogmatisierung, Individualisierung, Pluralisierung und Deinstitutionalisierung“608 bezeichnet. Da diese Veränderungen keine Wahlmöglichkeit oder Option darstellen, sondern strukturelle Bedingungen sind, prägen diese religiösen, sozialen, wissenschaftlichen, politischen und ökonomischen Prozesse mit all ihren Ambivalenzen unsere Lebensformen umfassend. Auch im Prozess der Selbstverständigung der Wissenschaften spielt die Denkfigur des Todes Gottes eine Rolle. Vgl. C. GENTILI/C. NIELSEN 2010a. 602 Vgl. zum ganzen Bereich F. JAEGER u. a. 2019. 603 Vgl. zur über 230-jährigen Geschichte des Feminismus und der modernen Frauenbewegung seit der Französischen Revolution mit der Erklärung der Rechte der Frau (1791) von Olympe de Gouges (1748–1793) und dem Plädoyer für die Rechte der Frau (1792) von Mary Wollstonecraft (1759–1797) B. HOLLAND-CUNZ 2018. 604 Vgl. dazu H. R ICHTER 2021. 605 R. G RÜBEL 2005, 401; R. B ARTHES (1967; 1968) 2000; vgl. zur literaturwissenschaftlichen Debatte die Beiträge in: F. JANNIDIS u. a. 1999; H. DETERING 2002; N. VANCE 2013. 606 M. FOUCAULT (1969) 2000. 607 Vgl. J.-F. LYOTARD (1979) 1995. 608 U. B ARTH 2004, 289. 601

1.4 Systematischer Ausgangspunkt und Begriffsklärungen

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Meinte Moderne „[i]hrem Ursprung nach [...] eine Stilrichtung in Literatur, Musik, Kunst oder Architektur, die sich gegenüber dem Bestehenden als das absolut Neue, Präzedenzlose, als radikaler Bruch mit jeglicher Konvention ausgab“609, so zeichnet sich die Kunst und Kultur der Moderne seit den 1880er Jahren durch einen Hang zur ,Häresie‘ aus, der mit einer bedingungslosen Selbsterforschung einhergeht und damit Kennzeichen einer aufbrechenden Orientierungskrise ist. Die moderne Kunst knüpfte an eine seit zwei Jahrhunderten geführte ästhetische Debatte an, die mit den seit der Antike bekannten Stichworten „antiqui/moderni“ geführt wurde.610 Diese erklären auch den Neologismus ,Moderne‘, den es nur im Deutschen gibt611: „Der Begriff brachte offensichtlich das Zeitgefühl einer erreichten Kulturschwelle derart perfekt zum Ausdruck.“612 Erst für die Moderne „hat die Gegenwart unendliche Bedeutung; das gegenwärtige, das jetzige und in diesem Sinne ,Moderne‘ gilt als das dem Vergangenen Überlegene.“613 Mit „Make it New!“ hat Ezra Pound (1885– 1972) das Motto der Moderne benannt,614 denn „das Heutige ist morgen von gestern“615, womit aber nicht nur ein zeitlicher, sondern auch „qualifizierter Unterschied“616 angezeigt ist: „Das Bewusstsein des radikal Neuen gehört unausweichlich zur Moderne“617. In den Diskursen über zeitgenössische Kunst in den 1950er Jahren wurde Moderne zu einem „Kampfbegriff“. In diesem Zuge entstanden auch die alternativen Bezeichnungen „contemporary“ oder „postmodern“, um das jeweils Neue in der Kunst zu kennzeichnen. Das deutet darauf hin, „dass der Zweite Weltkrieg weithin ein neues kulturelles Selbstverständnis hervorbrachte. Nur in Deutschland, das wegen der nationalsozialistischen Kunstpolitik einen Nachholbedarf hatte, erlebte ,modern‘ nach 1945 eine Renaissance. Inzwischen hat sich der Sprachgebrauch synchronisiert, und ,postmodern‘ bestimmt auch hierzulande Kunst und Zeitgefühl.“618 In einer zweiten Hinsicht „meint Moderne die Verbindung von Zeitdiagnose und Weltverhalten: Rationalismus gilt als die wichtigste Errungenschaft der

CH. DIPPER 2018. Vgl. G. FIGAL 2002, 1377. 611 Von lat. modernus ,neu‘ bzw. modo ,jetzt‘; engl. modern times, modernity; franz. temps modernes; ital. eta moderna. Vgl. G. FIGAL 2002, 1376. Der österreichische Schriftsteller Hermann Bahr (1863–1934) verbreitete mit seinem Aufsatz Die Moderne (1890) diese Neubildung, die auf den in Berlin vor dem Literaturverein „Durch!“ gehaltenen Vortrag Die Moderne. Revolution und Reformation der Literatur (1886) des Germanisten Eugen Wolff (1863–1923) zurückgeht. 612 C H. D IPPER 2018. 613 G. FIGAL 2002, 1377. 614 Vgl. P. G AY 2008, 24; ferner J. H ABERMAS 2003a. 615 G. FIGAL 2002, 1377. 616 T. R ENDTORFF 1991, 9. 617 D. POLLACK/G. R OSTA 2015, 25. 618 C H. D IPPER 2018. Vgl. auch W. W ELSCH (1987) 2002. 609 610

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Moderne, nach seinem Rezept soll die Welt umgestaltet werden.“619 In diesem Verständnis, das in der Soziologie, Politologie und Philosophie großen Anklang findet, ist „Moderne eine universal gedachte Norm, ein Wert, der überwiegend positiv besetzt ist.“620 Als „jüngste Bezeichnung“ fungiert Moderne neuerdings als alternativer Epochenbegriff zu „Neuzeit“.621 Der Begriff der Moderne fand Eingang in die verschiedenen Wissenschaften. Dabei kamen eigentlich vorrangig „nur zeitdiagnostisch orientierte Wissenschaften für die Übernahme jenes Neologismus in Frage, der ,fast über Nacht‘ Eingang in den allgemeinen Sprachgebrauch gefunden hatte. Umso mehr mag es überraschen, dass die protestantische Theologie den Begriff zuerst bei sich einbürgerte.“622 Vermutlich geschah das, „um den Reformkatholiken das Feld nicht kampflos zu überlassen, die seit den 1890er Jahren ihre verschiedenen Vorhaben unter dem neuen Begriff ,Modernismus‘ bündelten.“623 So berichtete der Kieler Praktische Theologe Otto Baumgarten (1858–1934) „von derzeit zu beobachtenden vielfältigen Versuchen zur ,Modernisierung‘ des Christentums, die sämtlich die Überzeugung teilten, dass die ,moderne Geisteskultur nicht ohne weiteres dem Christentum entgegengesetzt‘, sondern ,ihm vielmehr kongenial‘ sei.“624 Auch der Theologe und Sozialphilosoph Ernst Troeltsch (1865–1923) arbeitete in vielen Schriften zwischen 1906 und 1913 die „Bedeutung des Protestantismus für die moderne Welt“ heraus.625 Die die theologische Modernisierungsbestrebung von Troeltsch leitende Idee der „Zusammenbestehbarkeit“626 von Christentum und moderner Wissenschaft ist für ihn „immer der Lebensnerv und das eigentliche Geschäft aller Theologie gewesen.“627 Dazu gehört auch die Historisierung des Religionsbegriffs, die einhergeht mit der „relativen Höchstgeltung“628 der christlichen Religion und einer neuen Bestimmung der Beziehung von Christentum und Moderne. Seine von den historischen Kulturwissenschaften, der kritischen Philosophie Kants und vom (religions-)historischen Denken imprägnierte Theologie ist aber nicht bloß von der CH. DIPPER 2018. CH. DIPPER 2018. 621 Vgl. C H. D IPPER 2018; F. W. G RAF 2003 sowie vor allem die zwischen 2005 und 2012 in 16 Bänden veröffentlichte Enzyklopädie der Neuzeit. 622 C H. D IPPER 2018; vgl. auch T. R ENDTORFF 1991, 25 sowie zur Aufnahme und Verwendung des Begriffs, seiner Forschungsgeschichte und Semantik und zu Gegenkonzepten J. ROHLS 2015a. 623 C H. D IPPER 2018. 624 C H. D IPPER 2018. Mit Verweisen auf Otto Baumgartens RGG-Artikel Christentum. Seine Lage in der Gegenwart von 1909. Hier: O. BAUMGARTEN 1909, 1688. 625 E. TROELTSCH, KGA 8; ferner T. R ENDTORFF 1991 und zu den Debatten über die Umstrittene Moderne. Die Zukunft der Neuzeit im Urteil der Epoche Ernst Troeltschs vgl. die Beiträge in: H. RENZ/F. W. GRAF 1987. 626 E. TROELTSCH, GS II, 229. 627 E. TROELTSCH, GS II, 229. 628 So in Die Absolutheit des Christentums und die Religionsgeschichte (1902/1912). 619 620

1.4 Systematischer Ausgangspunkt und Begriffsklärungen

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Historisierung geleitet629, sondern auch von der mit ihr zusammenhängenden Gegenwartsbedeutung des geschichtlich gewordenen Christentums und dem bleibenden normativen Geltungsanspruch des christlichen Glaubens und seiner Ethik in der modernen Welt. Troeltschs Projekt einer „gründliche[n] Umbildung der Theologie“630, die er als therapeutische Reaktion auf diese „schmerzenreiche[] religiöse[] Krisis“631 am Ende des 19. Jahrhunderts empfiehlt, hat eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe der Theologie im Blick. Diese Forderung ist vor dem Hintergrund der verschiedenen theologischen Richtungen im 19. Jahrhundert zu sehen. Die Richtung, die im Anschluss an Hegel und Schleiermacher das Christentum als Vollendung des religiösen Bewusstseins und der Humanität angesehen hat und damit die Durchdringung aller menschlichen Verhältnisse durch das christliche Prinzip, steht auf der Seite einer Modernisierung der christlichen Religion, die mit dem polemischen Begriff des „Kulturprotestantismus“ gefasst wurde.632 Doch die „Zuversicht in eine Synthese von Christentum und Moderne währte [...] nur kurz, denn empirische Befunde schienen das Gegenteil zu besagen. Ein Spannungsverhältnis zwischen beiden ist jedenfalls unübersehbar.“633 (4) In diesem Spannungsverhältnis bewegte sich bereits das „theologische Modernisierungsprogramm“634 Friedrich Schleiermachers, das er in seinen ReVgl. E. TROELTSCH, KGA 16/1.2. E. TROELTSCH, GS II, 326. 631 E. TROELTSCH, GS II, 230. 632 Vgl. F. W. G RAF 2001. 633 C H. D IPPER 2018. Ernst Troeltsch erhoffte sich eine „Zusammenbestehbarkeit“ der christlichen Religion protestantischer Spielart mit dem Leben in einer von autonomen Subsystemen geprägten modernen Gesellschaft. E. TROELTSCH, GS II, 229 u. ö. Wesentlich folgenreicher für den kirchlichen Protestantismus sollte sich das Programm eines restaurativen Konfessionalismus, das als „neulutherische Modernisierung des Protestantismus“ (F. W. GRAF 1991) verstanden werden kann, zeigen, für das der Berliner Professor und Herausgeber der Evangelischen Kirchenzeitung Ernst Wilhelm Hengstenberg (1802–1869) steht und das die Unterschiede zwischen Kirche und Gesellschaft dezidiert als Widersprüche und Gegensätze verstanden hat. Die Grenzmarkierung zeigt sich in der Bestimmung des Christentums, das allein als Christentum der Kirche verstanden wird und zwar allein im Sinne der eigenen Position, die das Wesen des neuzeitlichen Christentums darin gesehen hat, „den Standpunkt der Tradition unverändert affirmativ oder apologetisch gegen alle Kritik und gegen die leitenden Ideen der Epoche zur Geltung zu bringen“ (D. RÖSSLER 1994, 103). Die Christentumsgeschichte betrachtet Hengstenberg als Geschichte der Reduktion bzw. der Konzentration auf die Gemeinde, deren Bekenntnis die Grenze zur „Welt“ und zur unchristlichen Gesellschaft markiert. 634 Vgl. U. B ARTH 2004, 259–289. In Bezug auf Schleiermachers theologisches bzw. religionstheoretisches Modernisierungsprogramm hat Ulrich Barth herausgestellt, dass jedes Modernisierungsprogramm „mehr oder weniger explizit den Versuch einer Zeitdiagnose“ (U. BARTH 2004, 268) verkörpert, in der die „Beschreibung der Einzelphänomene Hand in Hand [geht] mit der Bestimmung übergreifender Tendenzen“ (U. BARTH 2004, 269). Für die Zeitdiagnose eines „nachtheistischen Zeitalters“ heißt das, dass problem629 630

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den Über die Religion (1799)635 durchführte, und damit den Weg bahnte für eine Revision theologischer Grundbegriffe, mit denen er die Errungenschaften der Aufklärung mit Grundeinsichten des romantisch-idealistischen Denkens kritisch zu vertiefen sucht, um so die christliche Glaubenswelt in der Moderne plausibel zu machen.636 Für die Gebildeten und die protestantische Theologie wirkte der „Kirchenvater des 19. Jahrhunderts“ anregend und mit ihm auch der Einfluss der Philosophie durch Kant sowie durch Fichte, Hegel und Schelling. Der klassische Deutsche Idealismus vermochte Antworten zu liefern im Blick auf die Frage des Verhältnisses der Vielfalt geschichtlicher Erscheinungsweisen des Christentums zu seinem Wesen.637 Aber auch im Blick auf die Rekonstruktion der Gehalte der christlichen Tradition für ihre kirchliche Vermittlung und als Beschreibung des Prozesses der Selbstbefreiung der Idee des Christentums von mythischen Formen lieferte er neue spekulative Ausdrucksformen, konnte zu einer Harmonie von Philosophie und Christentum führen, aber auch zu einer radikalen Religionskritik, für die die Gottesvorstellung eine Projektion der Unendlichkeit des Menschen als Gattungswesen darstellt, die ihm sein eigenes Wesen verstelle (Ludwig Feuerbach). Von Hegel und Schleiermacher beeinflusst war auch der eigentliche Begründer der historischen Theologie, der Tübinger Theologe Ferdinand Christian Baur (1792–1860), der durch geduldige wissenschaftliche Arbeit der Textphilologie die Historisierung des Christentums auch unter der gebildeten Öffentlichkeit vorangetrieben hat.638 Spekulative wie historische Theologie blieben für Deutschland charakteristisch, wie auch Teile der Vermittlungstheologie639 und wurden zu Pfeilern der akademischen Liberalen Theologie. Zu deren Grundanliegen gehörten der Entwicklungsgedanke und der Religionsbegriff, mit denen das Christentum in den allgemeinen Zusammenhang der geistig-kulturellen Lebenswelt und der Welt der geschichtlichen Religionen gesetzt wird. Die Deutung des Protestantismus vom Begriff des Wesens bzw. Prinzips des Christentums her ist ein weiterer Grundzug, der sich im Anschluss an Schleiermacher und Hegel herausgebildet hat. Von diesem Prinzip her gewinnt das Christentum seine Einheit angesichts seiner historischen Mannigfaltigkeit.640 Kirchenpolitisch konnte sich die Liberale Theologie in geschichtliche Tendenzen der Theorielage und religionssoziologische zur sozialen Lage der Religion zum Rahmen der inhaltlichen Neufassung gehören. 635 F. SCHLEIERMACHER, KGA I/2, 185–326. 636 Vgl. J. D IERKEN 2005a, 244.245. 637 Die Debatte um das „Wesen des Christentums“ sollte dann zur Jahrhundertwende bei Harnack und Troeltsch noch einmal aufblühen. Vgl. zum. Folgenden D. LANGE/C. SEYSEN/F. H. SHOPHEWER 1996, 777. 638 Vgl. J. O STERHAMMEL 2009, 1273. 639 Zum Begriff und zu ihren Ausprägungen vgl. D. LANGE/C. SEYSEN/F. H. SHOPHEWER 1996, 784–786. 640 Vgl. D. LANGE/C. SEYSEN/F. H. SHOPHEWER 1996, 781.

1.4 Systematischer Ausgangspunkt und Begriffsklärungen

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Deutschland nur sehr eingeschränkt durchsetzen. Ihr entgegen standen Positionen, die mit den Stichworten Erweckung, Restauration und Heilsgeschichte markiert werden.641 Im vielgestaltigen Phänomen der Erweckungsbewegungen in der ersten Hälfte des Jahrhunderts, die als „kritische Erneuerungsbewegung innerhalb des gesamten Protestantismus“ gelten, entwickelten neupietistische Kreise eine gegenüber Rationalismus und radikaler historischer und philosophischer Kritik dezidiert kirchlich-bekenntnisgebundene Frömmigkeit. Stand im 18. Jahrhundert noch die innere Religiosität des Menschen im Fokus der Aufklärung, gewann nun die „äußere Religiosität“ an Bedeutung. Für diese neue Form der Frömmigkeit, die sich ganz auf die „Kirche als den institutionellen und geistigen Raum zentrierte“ etablierte sich in Deutschland um 1800 das Schlagwort „Kirchlichkeit“, das schnell Eingang in die Umgangssprache und ins kirchenpolitische Schrifttum fand.642 Die Frömmigkeits- und Theologiegeschichte des 19. Jahrhunderts zeigt sich ebenso komplex und vielfältig wie die Geschichte des „langen 19. Jahrhunderts“ (Eric J. Hobsbawm) mit ihren vielen Einzelphänomenen und Ereignissen insgesamt.643 Überall auf der Welt im 19. Jahrhundert war Religion „eine Daseinsmacht ersten Ranges, eine Quelle individueller Lebensorientierung, ein Kristallisationspunkt für Gemeinschaftsbildungen und für die Formung kollektiver Identitäten, ein Strukturprinzip gesellschaftlicher Hierarchisierung, eine Antriebskraft politischer Kämpfe, ein Feld, auf dem anspruchsvolle intellektuelle Debatten ausgetragen wurden.“644 Religion bildete „die für das Alltagsleben der Menschen wichtigste Form der Sinnbildung, also das Zentrum aller geistigen Kultur“ und war als einzige Erscheinungsform von Kultur oft „das wichtigste Band“ zwischen „schriftkundige[n] Eliten […][und] illiterate[n], über das gesprochene Wort und über Bilder religiös kommunizierende Massen.“645 Doch diese Sinnbildung wurde allmählich durch neue wissenschaftliche Erkenntnisse brüchiger und das soziale Band poröser. Für diesen hier nur anskizzierten langen Prozess hat der ebenso einflussreiche wie umstrittene Göttinger Systematische Theologe Emanuel Hirsch (1888–1972) den Terminus „Umformungskrise“646 geprägt, der in die Transformation der Gehalte des christlichen Denkens konstitutiv das Bewusstsein ihrer Krise mit einschließt, womit auf Veränderungsvorgänge mit einem ungewissen Ausgang gezielt wird. Denn unter „den Bedingungen der neuzeitlich-modernen Veränderungen Vgl. D. LANGE/C. SEYSEN/F. H. SHOPHEWER 1996, 782. Vgl. L. HÖLSCHER 2005, 181. 643 Vgl. die Darstellungen von J. O STERHAMMEL 2009; E. J. H OBSBAWM 2017 sowie auch L. HÖLSCHER 2005. 644 J. O STERHAMMEL 2009, 1239. 645 J. O STERHAMMEL 2009, 1239. 646 E. H IRSCH (1949) 1968a, 11; 12; vgl. auch E. H IRSCH (1936) 1937, 28.29. Den Begriff der „Umformung“ übernimmt Emanuel Hirsch von Richard Rothe und Ernst Troeltsch. Vgl. ferner A. V. SCHELIHA 2008. 641 642

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von Recht und Politik, Wissenschaft und Philosophie, Wirtschaft und beruflicher Arbeit, Gesellschaft und Kultur sieht sich das christlich-protestantische Denken Umbrüchen ausgesetzt, durch die die biblischen und dogmatischen Grundlagen der altprotestantischen Glaubensüberlieferungen zutiefst erschüttert werden.“647 (5) Seit der Zeit um 1800 fanden Erneuerungsbewegungen und Modernisierungsbestrebungen als Ausdruck des Kulturumbruchs Eingang in die protestantische Frömmigkeit und Theologie.648 Die allgemeine Erfahrung der Krise machte auch vor der traditionellen Gestalt des abendländischen Christentums nicht halt: „Sie äußert sich in einer stetigen Entdogmatisierung, Entkonfessionalisierung und Entkirchlichung des christlichen Lebens“649 und mit dieser „Enttraditionalisierung“ einhergehend in einer „schnelle[n] Pluralisierung der Religionskulturen.“650 Nicht nur das religiöse Krisenbewusstsein wurde durch die „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ (George F. Kennan) noch einmal vertieft. Der Erste Weltkrieg, „der enorme und brutale Bruch in der Kultur der Moderne“651, und die mit seinem Ende verbundenen gesellschaftlichen Neuausrichtungen widerlegten die Hoffnungen darauf, „daß sich Moderne und Christentum synchron gestalten lassen“652, markierten für zwei gegenläufige Modernisierungsbestrebungen des Protestantismus des 19. Jahrhunderts, den Kulturprotestantismus und den restaurativen Konfessionalismus, das Ende653 und bereiteten den Weg für einen theologischen Neuaufbruch in den 1920er Jahren.654 Auch in der deutschsprachigen evangelischen Theologie, wie in der zeitgenössischen Philosophie und Literatur, wird der Weltkrieg als Zusammenbruch der bisherigen Welt und ihres Wertekanons begriffen.655 Nach 1918 herrschte die Stimmung einer allgemeinen Abkehr von der bisherigen Programmatik vor. In diesen Zeiten des Schwundes von Gewissheit, Orientierung und Sinn finden die Romane des russischen Schriftstellers Fjodor M. Dostoevskij und der Existenzialismus Kierkegaards Anklang in Literatur, Philosophie und Theologie. 647 F. W AGNER 1999, 10; vgl. zur Durchführung einer am neuzeitlichen Wahrheitsbewusstsein orientierten Dogmatik W. TRILLHAAS 1972, 57–68. 648 Vgl. M. G RESCHAT 1992. 649 U. B ARTH 2003, 37. 650 F. W. G RAF 2004, 18. 651 D. K ORSCH 2016, 9. 652 D. K ORSCH 2016, 9 653 Der auch in theologiegeschichtlichen Darstellungen leitende Begriff vom „Epochenumbruch“ verdeckt die Weiterentwicklung liberaler Theologie. Vgl. M. WOLFES 1999. 654 Diese „Revolution in der protestantischen Theologie“ umfasste nicht nur die Theologie der Krisis, sondern auch die Luther-Renaissance und den religiösen Sozialismus. Vgl. K. NOWAK 1995, 212–216; für den existentiellen Bezug der Theologie auf die Literatur, insbesondere auf Dostoevskij, in Zeiten der Krise vgl. M. SCHULT 2012. 655 Vgl. J. R OHLS 1997b, II, 244.

1.4 Systematischer Ausgangspunkt und Begriffsklärungen

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„Krise“ gehörte zu den am meisten verwendeten Begriffen der Epoche. Mit Oswald Spenglers kulturkritischer Zeitdeutung vom Untergang des Abendlandes (I: 1918/II: 1922) war eine prägnante Formel für sie gefunden. Neben Spenglers Werk wurde Leopold Zieglers monumentale Abhandlung Gestaltwandel der Götter (11920/31922), das in einem ersten Entwurf Die Krisis der Ideale hieß, ein Nachkriegsbestseller. Edmund Husserl verstand die Sinn- und Orientierungskrise in seiner Schrift Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie (1936)656 als Ausdruck einer radikalen Krise des europäischen Menschentums überhaupt. In polemischer Abgrenzung vom theologischen Modernismus der Liberalen Theologie wurde der eigene theologische Ansatz der Vertreter der Dialektischen Theologie profiliert. Die moderne Theologie des 19. Jahrhunderts, die mit Schleiermacher und seiner Wende zum Religionsbegriff begonnen habe, war an ihr Ende gelangt: „An die Stelle der allgemeinen Bewußtseins-Transzendenz bei Schleiermacher tritt die spezifisch religiöse Transzendenz des Wortes Gottes in der dialektischen Theologie […, die] sich in einem methodisch neuartigen Gebrauch der religiösen Sprache [äußert], mit deren Hilfe diese religiöse Transzendenz eröffnet werden soll“657. Karl Barth (1886–1968) vollzieht mit seiner Römerbrief-Auslegung (11919; 21922) die Wende vom menschlichen Subjekt zum göttlichen Subjekt. In der Theologie müsse nun, so Barth, von Gott her gedacht werden. Die Offenbarung Gottes sei kein historisches Ereignis, daher sei es unmöglich, den christlichen Glauben historisch zu begründen. Die Krise der bürgerlichen Kultur hat im Ersten Weltkrieg ihren Ausdruck gefunden. Damit ist für Barth die Möglichkeit hinfällig geworden, religiöse Traditionsbestände durch ihr kulturelles Versagen hindurch zu retten. Aber auch der traditionalistische Weg bleibt für ihn nicht gangbar. Es ist nicht mehr möglich, einfach in die Zeit vor der Krise zurückzukehren und sich auf antimoderne religiöse Anschauungen zu berufen. Auch ist es für ihn unmöglich, sich um eine modernitätskompatible Version des Christentums zu bemühen, durch die gewisse Auffassungen modifiziert durch die Krise hindurch gerettet werden. Barth geht es stattdessen um den Rückgang auf die Ursprungssituation des christlichen Glaubens, welche für ihn im Hören auf das Wort Gottes besteht, die auf die unmittelbare Rezeption göttlicher Wirklichkeit durch den Menschen zielt.658 Die Betonung des Unterschieds mittels des Begriffs der Diastase wird leitendes „theologisches Credo“ der neuen krisentheologischen Richtung um Karl Barth,659 die als Theologie der Krise, Dialektische Theologie oder Wort-

E. HUSSERL 1954. D. KORSCH 2016, 9 658 Vgl. D. K ORSCH 1996, 86; 115.116. 659 Barths Römerbrief-Auslegung erschien 1919 in erster und kurz vor Weihnachten 1921 (datiert auf 1922) in einer zweiten überarbeiteten Auflage. Vgl. zum Krisis-Begriff 656 657

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Gottes-Theologie in die Theologiegeschichtsschreibung Eingang gefunden hat. Ihr ging es mit ihrem Programm um eine „Generalrevision des Gottesverständnisses“660. Das Anliegen Barths war es, den „unendlichen qualitativen Unterschied zwischen Gott und Mensch“, die Diastase zwischen der göttlichen Offenbarung und der menschlichen Religion und Kultur zu betonen. Der Begriff der Krise fungierte dabei einerseits als Leitbegriff für das Verständnis der eigenen Zeit und des Verhältnisses zu ihr. Die Gegenwart wurde zum Ende der Neuzeit. Man befand sich „Zwischen den Zeiten“.661 Dabei hat sich die Theologie in weiten Teilen vom kulturkritischen Krisenbewusstsein der Zeit leiten lassen und wurde in mancher Hinsicht sogar ihr „Wortführer“662. In der Theologie der Krise kommt dieses Bewusstsein explizit zum Ausdruck. Der Begriff der Krise bezeichnet aber andererseits nicht nur „soziohistorisch und lebensweltlich identifizierbare[] Krisenerfahrungen, sondern [auch] das göttliche Subjekt [...][, das] zum Ursprung der Krise erklärt“663 wird: „Der wahre Gott ist aber der aller Gegenständlichkeit entbehrende Ursprung der Krisis aller Gegenständlichkeit, der Richter, das Nicht-Sein der Welt [...]. Gottes Standpunkt wird gewahrt gegenüber unser aller Standpunkte. Er hat recht und wir alle Unrecht.“664 Da Krise allein mit dem göttlichen Ursprung identifiziert wird, werden bei Karl Barth alle sachlichen, sozialen und zeitlichen Krisenerfahrungen der menschlichen Selbst- und Weltdeutungen relativiert. Allein das Wort Gottes sei die Aufgabe der Theologie und des kirchlichen Handelns: „Die Positivität einer historisch bedingten Wort-Gottes-Konzeption wird mit dem hybriden Anspruch aufgeladen, die Selbstgegebenheit des göttlichen Selbstwortes zu repräsentieren.“665 Mit der „Generalrevision des Gottesverständnisses“ gehen auch in der Theologie der Moderne die Krise normativer Begründungsfiguren der Ethik666 und die Krise metaphysischer Letztbegründungsfiguren einher, die durch das Bekenntnis des Barthianismus zum trinitarischen Gott des Christentums kompensiert werden sollen. Die Umformungskrise des modernen Protestantismus geschieht nicht als wesenhafter Prozess aus sich selbst heraus, K. BARTH (21922) 2010, 86; 118; 128: „Denn im Lichte dieser grundsätzlichen, alles umfassenden Krisis wird Gott als Gott, in seiner Majestät, verstanden.“ 660 K. N OWAK 1995, 213. 661 Vgl. den gleichnamigen Artikel von Friedrich Gogarten, der zuerst 1920 in der Christlichen Welt (1920/34. Jg., Nr. 24, 374–378) erschien und dann namensgebend wurde für das Zeitschriften-Organ der Dialektischen Theologie, das in den Jahren von 1923 bis 1933 erschien. 662 D. R ÖSSLER 1994, 104. 663 F. W AGNER 1999a, 54. 664 K. B ARTH 2010, 118; 457. 665 F. W AGNER 1999a, 55. 666 Die mit der Aufklärung einsetzende Ethisierung der Theologie, die besonders durch Richard Rothe, Albrecht Ritschl, Ernst Troeltsch und Adolf von Harnack vorangetrieben wurde, erhielt von der Dialektischen Theologie eine klare Absage.

1.4 Systematischer Ausgangspunkt und Begriffsklärungen

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sondern wird durch Vorgänge der Kritik von außen ausgelöst und meint einen umfassenden „Prozeß der kritischen Destruktion“667. (6) Der Begriff der Krise668 kann ferner als „die zentrale schul-, positionsund richtungsübergreifende Signatur protestantischer Selbstreflexion“669 gelten. Doch was genau unter Krise verstanden wird, ist ebenso uneinheitlich wie der Umgang mit der Krisendiagnostik und den Konsequenzen, die aus einer diagnostizierten Krise gezogen werden. So kann Krise beispielsweise einen fruchtbaren Ort des Übergangs von einem überholten Zustand in einen neuen meinen; ein Phänomen, das bekämpft werden muss, um Modernisierungsbestrebungen zurückzuweisen; das Gericht Gottes über den Menschen; die „Krise des Schriftprinzips“ oder die Grundlagenkrise der Theologie. All das und noch viel mehr gehört zum Deutungsspektrum des Krisenbegriffs im Protestantismus. Klar ist: Der Begriff der Krise ist ein schillernder Begriff. Seine Offenheit und Vielseitigkeit erlauben es, den Krisenbegriff in verschiedenen Kontexten anzuwenden.670 So gehört Krise zu den Begriffen, die schnell bei der Hand sind, um Veränderungen in Worte zu fassen, über deren Ausgang man noch nichts Konkretes sagen kann. Hier liegt meistens, wie in den geschichts- oder wirtschaftswissenschaftlichen Diskursen, der Fokus auf Krisenbewältigung.671 Die Krise wird als ein Durchgangsstadium verstanden, in dem das Subjekt sich erst konstituiert, und nicht als „Normalzustand“ der conditio humana: „Krisen sind zwar immer schmerzhaft; werden sie erfolgreich überwunden, so wird in ihnen jedoch Identität herausgebildet, reift an ihnen Persönlichkeit.“672 An Krisen entscheidet sich der Fortgang der Entwicklung. Sie markieren genau jenen Wendepunkt, an dem die weitere Entwicklung aufbricht.673 Doch mit der VerF. WAGNER 1999a, 10. Der aus der Jurisprudenz und Medizin stammende Ausdruck „Krise“ wanderte in den 1920er Jahren in die politisch-gesellschaftliche Sprache der bürgerlichen Gesellschaft ein. Vgl. R. KOSELLECK u. a. 1976; R. KOSELLECK 1982; vgl. speziell zur Theologie D. KORSCH 1996, 23–40 („Die Moderne als Krise. Zum theologischen Begriff einer geschichtsphilosophischen Kategorie“). Krise und Kritik leiten sich beide vom griechischen Verb krínein (= sondern, scheiden, auswählen, [be-] urteilen, unter-/entscheiden, prüfen) bzw. vom griechischen Substantiv krísis (= Unterscheidung, Auswahl, Entscheidung, Urteil, Gericht, Entscheidung in Schlacht oder Krankheit) ab. In der deutschen Sprache ist den Substantiven Krise und Kritik das Adjektiv kritisch gemein (vgl. C. V. BORMANN u. a. 1976). Über die Begriffsbestimmung hinaus führen neuere Strategien des Umgangs mit dem Terminus Krise. 669 V. D REHSEN 2002, 218. 670 Vgl. C. M EYER/K. PATZEL-M ATERN/G. J. SCHENK 2013b, 14. 671 Vgl. C. M EYER/K. PATZEL-M ATERN/G. J. SCHENK 2013b, 17. 672 C. M EYER/K. PATZEL-M ATERN/G. J. SCHENK 2013b, 17. Vgl. dazu J. STRAUB 2013. 673 Vgl. A. N ÜNNING 2013a, 124; 131.132: „Wenn eine bestimmte Situation einmal als Krise bezeichnet wird, so impliziert eine solche Situationsdefinition bzw. Diagnose zugleich bestimmte narrative Schemata, die gleichsam unwillkürlich aufgerufen werden. ,Krise‘ meint zunächst einmal große Schwierigkeit und Gefahr, Bedrohung und Unsicherheit. Im Falle einer Krise ist ein Höhe- und Wendepunkt einer gefährlichen Entwicklung erreicht 667 668

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schränkungsfigur Tod Gottes kommt eine Denkmöglichkeit ins Spiel, die es erlaubt, die quälende Offenheit der krisenhaften Situation auf Dauer zu stellen. Krise wäre demnach wie Angst oder Sorge ein Existenzial. (7) Am Beginn und am Ende des 19. Jahrhunderts stehen als Rahmung weitreichende christentumsfeindliche und atheistische Ereignisse, deren Folgen erst im 20. Jahrhundert sichtbar geworden sind: hier die Französische Revolution, da die Proklamation des Todes Gottes durch Friedrich Nietzsche (1844– 1900) als ein Ereignis, das noch im Kommen begriffen ist. Kaum ein anderer Denker hat den krisenhaften Traditionsbruch der Moderne in seinen ambivalenten Konsequenzen so bedacht wie Nietzsche. Auch seine Suche nach einer Überwindung der Krise führte nicht zum Erfolg, sondern verschärfte diese dauerhaft. Nietzsche ist die „phil[osophische] Schlüsselfigur zum Verständnis der Moderne“674. Mit seiner Diagnose vom Ereignis des Todes Gottes hat er das Zeitgefühl zugespitzt und einen Vorgang beschrieben, der sich als Gefühl auf alle menschlichen Lebensbereiche und damit auch auf die Religion gelegt hat. Als „Denker des Übergangs [...] blickt er zurück auf eine durch Christentum und Metaphysik geprägte Gesch[ichte] und lotet aus, welche Möglichkeiten dem Menschen offenstehen, nachdem ,Gott ... todt‘ ist [...] und ,die obersten Werthe sich entwerthen‘ [...]. Sofern für ihn die traditionelle Philosophie und Religion zusammengehören [...], ist der Tod Gottes und der dadurch bewirkte ,Nihilismus‘ letztlich eine Krise der Philosophie.“675

Nietzsches Wirkung auf Schriftsteller, Künstler und Philosophen zeigt, dass er mit seiner Diagnose ein mit der Moderne verbundenes Gefühl ausdrücken konnte, das das Neue auf den Punkt brachte: Gott ist tot. Mit dieser neuen Signatur der Moderne ist wie mit dem Nihilismus keine Eindeutigkeit verbunden. Der „Versuch, neue Orientierungen zu finden, [kann] ebenso freigesetzt werden wie der resignative Rückzug auf das jeweils Gültige, das letztlich Unverbindliche [sic!] Vorübergehende“676. Die Moderne zeigt sich ambivalent bis zum Äußersten „als Zeit der Revolutionen und Lebensreformen, der Versuche, Übersichtlichkeit durch ideologische und fundamentalistische Setzungen zu gewinnen; aber auch [als] die Zeit der Zurücknahme ethischer und rel[igiöser] Gewißheit in Skepsis und Relativismus“677.

oder steht unmittelbar bevor. Eine Krise ist immer auch eine Entscheidungssituation. [...] Die Etikettierung eines Geschehens als ,Krise‘ liefert somit nicht nur eine spezifische Definition und Diagnose der jeweiligen Situation, sondern sie ruft auch bestimmte Erzählschemata und Verlaufsmuster auf. Diese Schemata deuten zum einen das vorausliegende Geschehen in einer bestimmten Weise. Zum anderen handelt es sich bei der Beschreibung einer Situation als ,Krise‘ immer auch um eine Diagnose, aus der bestimmte Therapievorschläge [...] abgeleitet werden.“ 674 G. FIGAL 2003, 310. 675 G. FIGAL 2003, 310.311. Vgl. F. N IETZSCHE, KSA 12, 350. 676 G. FIGAL 2002, 1377. 677 G. FIGAL 2002, 1377.

1.4 Systematischer Ausgangspunkt und Begriffsklärungen

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Der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber (1878–1965) hat die Ansage Nietzsches als pathetisch zusammenfassende Diagnose der Endsituation unseres Zeitalters verstanden678 und sie mit der Metapher „Gottesfinsternis“ in Anlehnung an die Konstellation einer Sonnenfinsternis versehen. Die Sonne (Platos) ist erloschen: „Verfinsterung des Himmelslichts, Gottesfinsternis ist in der Tat der Charakter der Weltstunde, in der wir leben.“679 Der Tod Gottes ist für Buber mithin das Zeichen, „daß der Mensch unfähig geworden sei, eine von ihm schlechthin unabhängige Wirklichkeit zu fassen und sich zu ihr zu verhalten – unfähig heißt [...] auch, sie bildkräftig, in Bildern, die sie für die an sie selbst nicht heranreichende Betrachtung vertreten, vor- und darzustellen. Denn nicht aus der Phantasie, sondern aus wirklichen Begegnungen mit wirklicher göttlicher Macht und Herrlichkeit gehen die großen Gottesbilder des Menschengeschlechts hervor.“680 Buber führt diese Entwicklung einer sich ausbreitenden Gottesfinsternis auf Spinozas Losung „Deus sive Natura“, Kants Postulate der Moraltheologie und Hegels System des absoluten Geistes zurück, die eine existenziale Präzisierung eher beförderten als verhinderten. Denn abgeschnitten werde „die Dialogik zwischen Gott und Mensch, Gottes Anrede in dem, was uns widerfährt, und wirkliche Antwort in dem, was wir tun und lassen.“681 Damit ist der Gott unwirklich geworden, der dem Menschen in seiner existentiellen Verzweiflung und Entzückung begegnet, an ihn herantritt und ihn anspricht in seiner Macht und Herrlichkeit in besonderen Augenblicken wie in den Momenten der großen Offenbarungen, die überliefert wurden und das Gottesbild maßgeblich prägten. Doch dieses große Licht scheint erloschen, wenn die ans Ende gekommene Situation solcher Gottesfinsternis ausspricht: „Gott ist todt! Gott bleibt todt! Und wir haben ihn getödtet!“682 Der von Nietzsche angesagten „Heraufkunft des Nihilismus“ liegt ein weltgeschichtlicher Prozess zugrunde, der über die Erinnerung an die zahlreichen Zuschreibungen und Abgesänge, die unser gegenwärtiges Zeitalter683 erfahren hat, im Folgenden zu einem genaueren Verständnis der Epoche, die mit dem Begriff der Moderne übergreifend bezeichnet worden ist, führen soll. Vorab sei dafür daran erinnert, dass das 18. Jahrhundert wohl „das erste Jahrhundert [war], das sich bewußt als Epoche begriff und sich zugleich einen Namen gab; es nannte sich programmatisch das ,Jahrhundert der Aufklärung‘, ,le siècle philosophique‘ und ähnlich, und es war damit so erfolgreich, das selbst seine Gegner die Bezeichnung übernahmen.“684 Für das 19. Jahrhundert wurde eine BeVgl. M. BUBER 1953, 27. M. BUBER 1953, 31. Vgl. auch den Johannes-Prolog und die Metaphorik von Licht und Finsternis im Johannes-Evangelium. Zur Deutung vgl. H. OTT 1971, 17–33. 680 M. B UBER 1953, 18. 681 M. B UBER 1953, 22.23. Hieraus entfaltet Buber seine Ich-Du-Philosophie. 682 F. N IETZSCHE, KSA 3, 481. 683 Vgl. zum Begriff Zeitalter T. G LOYNA 2004. 684 U. D IERSE/C H. B ERMES 2010, 1. 678 679

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zeichnung erst nach einem zeitlichen Abstand von dreißig Jahren gefunden, die Dolf Sternberger auf die Begriffe „,Entwicklung‘“ und „,natürlich – künstlich‘“ gebracht hat,685 die als leitende Vorstellungen die Epoche markieren können. Viele Historiker bevorzugen die Bezeichnung des ,langen‘ 19. Jahrhunderts des britischen Historikers Eric J. Hobsbawm, das den Zeitraum von der Französischen Revolution im Jahr 1789 bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 umfasst.686 Für das 20. Jahrhundert ist noch keine allgemeine Bezeichnung gefunden worden: „Es hieß und heißt das Zeitalter der Extreme, des Totalitarismus, der Information etc., das technokratische, Atom- oder (in seiner Spätzeit) das postindustrielle Zeitalter der Medien.“687 Auch „Postmoderne“688 und die mit ihr in Verbindung gebrachten „turns“ (linguistic, iconic, pictorial, imagic, cultural, hermeneutic, medial, cinematic, performative, emotional, ethical, biopolitical, temporal, spatial, body, [neuro-] biological, religious etc.), also tatsächliche und angebliche Theoriewenden in der Wissenschaft, werden zur Bezeichnung herangezogen.689 Doch: „Es fällt schwer, seinen Charakter mit nur einem Begriffspaar oder gar nur einem Schlagwort zu umreißen.“690 Zu diesen Bezeichnungen hinzukommend, zum Teil auch das auf das 21. Jahrhundert ausgreifend, wird es in kurzen Worten auch zusammengefasst als wissenschaftliches,691 technisches,692 ökonomisches,693 atomares,694 digitales,695 demokratisches,696 säkulares bzw. postsäkulares oder postreligiöses697 Zeitalter. In philosophischer und theologischer Hinsicht wird es als post- bzw. Vgl. U. DIERSE/CH. BERMES 2010, 1. Vgl. J. OSTERHAMMEL 2009, 85. 687 Vgl. U. D IERSE/C H. B ERMES 2010, 1. Der Begriff „Zeitalter der Extreme“ stammt von Eric J. Hobsbawm. 688 Vgl. zum Begriff W. W ELSCH (1987) 2002, 19–43. 689 Vgl. dazu D. B ACHMANN-M EDICK 2014. 690 U. D IERSE/C H. B ERMES 2010, 1. 691 Vgl. K. H ÜBNER 1984. 692 Vgl. K. JASPERS 1986; A. G EHLEN 1957. 693 Vgl. W. SOMBART 1935. 694 Vgl. R. SPAEMANN 2011. 695 Vgl. P. K EMPER 2012. 696 Vgl. J.-W. M ÜLLER [2011] 2013. 697 Vgl. C H. TAYLOR (2007) 2009. Vgl. auch J. C ASANOVA 1994; ferner D. M ARTIN 1978; 2008. Im Anschluss an die soziologische Wortschöpfung von Jürgen Habermas in seinem Vortrag Glauben und Wissen (J. HABERMAS 2001, 12–15) wird von einer „postsäkularen“ Gesellschaft gesprochen (vgl. I. U. DALFERTH 2010b). Für den Philosophen Herbert Schnädelbach beispielsweise kann man die Tatsache, „dass man immer weniger bereit ist, die Religion ernst zu nehmen, und sich dafür lieber an ihre jeweils verwertbaren Teilaspekte hält, als Anzeichen dafür nehmen, dass wir uns nicht in einer ,postsäkularen‘ (Habermas) Gesellschaft befinden, was eine nennenswerte ,Wiederkehr der Religion‘ bedeutete, sondern dass sich in unseren Tagen ein postreligiöses Zeitalter ankündigt“ (H. SCHNÄDELBACH 2009, 9). Instruktiv sind die Beiträge von H.-J. Höhn zur „Theologie in postsäkularen Konstellationen“ (H.-J. HÖHN 2011). 685 686

1.4 Systematischer Ausgangspunkt und Begriffsklärungen

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nachmetaphysisches698, post- bzw. nachchristliches699 Zeitalter oder als pluralistisches Zeitalter700, als „Zeitalter des Atheismus“701, als „Zeitalter der Anthropologie“702 sowie als „Zeitalter der Freiheit“703 verstanden oder als „Zeitalter der Leere und Angst“704, „Zeitalter der Einsamkeit“705 und „Zeitalter des Nihilismus“706 und jetzt auch als „Zeitalter des Menschen“707. Das offensichtlich nur schwer auf den Begriff zu bringende gegenwärtige Zeitalter kennzeichnen auf jeden Fall noch tiefergehende und grundlegendere Veränderungsprozesse als die im 19. Jahrhundert angestoßenen. (8) Der anhaltende krisenhafte Veränderungsprozess und die Infragestellung bisheriger Vergewisserung können auch als Bedrohung für die Identität von Individuen und Kollektiven aufgefasst werden. Für viele stellt die mit der Moderne einhergehende Dynamisierung auch eine Überforderung dar: „Da, wo Menschen deutlich von der Vielfalt der Wahlmöglichkeiten überfordert sind, werden sie einen Rückzug in autoritäre oder fundamentalistische Strukturen vorziehen.“708 So gehören zu Umbruchszeiten auch „religiöse Revitalisierungsbewegungen“709, die sich kritisch mit der gesellschaftlichen Realität und ihren Veränderungsprozessen auseinandersetzen. Sie „erheben den Anspruch, daß die von ihnen diagnostizierte abgrundtiefe Gesellschaftskrise nur durch eine Rückkehr zu den Grundlagen der jeweiligen religiösen Tradition zu überwinden sei. Revitalisierungsbewegungen artikulieren somit eine Gesellschaftskritik, eine Diagnose der Ursachen der Krise, Rezepte zu deren Überwindung sowie den Entwurf Vgl. J. HABERMAS 2012. Die These Dieter Henrichs lautet: Mit der Moderne ist die westliche Welt in ihr nachchristliches Zeitalter eingetreten: D. HENRICH 1979, 617. Vgl. bereits G. VAHANIAN (1961) 1967; ferner D. CUPITT 1999. 700 P. L. B ERGER (2014) 2015 spricht im amerikanischen Untertitel von „a Pluralist Age“, da „unser Zeitalter am besten als pluralistisch und nicht als säkular beschrieben werden könnte“ (a. a. O., 108) und richtet sich gegen Charles Taylors A Secular Age (CH. TAYLOR [2007] 2009), dessen Titel „irreführend“ sei, da er „dem empirischen Sachverhalt im Großteil der gegenwärtigen Welt kaum gerecht“ (a. a. O., 107) werde. 701 G. EBELING (1963) 1969. 702 W. PANNENBERG (1962) 1995, 5. 703 M. LAUBE 2014, 2. 704 Vgl. das gleichnamige Gedicht von Wystan H. Auden (The Age of Anxiety. A Baroque Eclogue, 1947); dann Leonard Bernsteins Symphonie Nr. 2 für Orchester und Klavier („The Age of Anxiety“) sowie Paul Tillichs Aufnahme des Terminus in Der Mut zum Sein: P. TILLICH, GW XI, 33–69. Jetzt wieder als „Anxious Age“ bei M. NUSSBAUM (2012) 2014. 705 N. H ERTZ 2021. 706 Vgl. hierzu Iwan Turgenevs Roman Väter und Söhne und F. D. Dostoevskijs Roman Die Dämonen. Vgl. W. WEISCHEDEL 2013; E. BROCK 2015, 3 u. ö. 707 Den Begriff Anthropozän („The Anthropocene“) brachten Paul J. Crutzen und Eugen F. Stoermer im Jahr 2000 als Vorschlag zur Benennung einer neuen geochronologischen Epoche, des Erdzeitalters des Menschen, in die seitdem anhaltende Debatte ein. 708 M. K LESSMANN 2004, 80. 709 M. R IESEBRODT 2000, 52. 698 699

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einer künftigen gerechten Sozialordnung; sie sind somit durch die Komplexität und zentrale Bedeutung ihrer Ideologie gekennzeichnet.“710

Die damit gemeinten Bewegungen, die in der Säkularisierung einen Gegensatz zur Religion sehen, werden mit dem Begriff Fundamentalismus711 bezeichnet, der aber nicht einfach mit „antimodernistisch“ gleichzusetzen ist, auch wenn er deutliche Züge einer „Gegenkultur“ trägt, sondern in seiner Differenziertheit als „legalistisch-literarischer“ oder als „charismatischer“ Fundamentalismus beispielsweise im Biblizismus, Evangelikalismus712 oder in den Pfingstbewegungen Ausdruck der säkularisierten Moderne selber ist.713 Als Selbstbezeichnung der evangelikalen Bewegung in den USA an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert fungierte der Begriff Fundamentalismus als Haltung gegen die Infragestellung christlicher Glaubenswahrheiten durch die historische Kritik und die darwinistische Evolutionstheorie. Die Antwort auf diese Bedrohung formulierte sie in „The Five Points of Fundamentalism“714, die sie zu unaufgebbaren theologischen Prinzipien des christlichen Glaubens erklärte. Dabei wird der erste Punkt, die Behauptung der absoluten Irrtumslosigkeit der Bibel, zur Grundlage aller weiteren Fundamentartikel wie der Jungfrauengeburt, dem stellvertretenden Sühnopfer, der leiblichen Auferstehung und der Wiederkunft Christi zur Errichtung seines tausendjährigen Reiches vor dem Jüngsten Gericht. Damit wendet sich der Fundamentalismus im Wesentlichen „gegen die Relativierung der Autorität der Bibel aufgrund der historisch-kritischen Forschung; gegen die Reduzierung Jesu Christi auf eine rein menschliche Ebene; [...] gegen die Infragestellung der Entstehung des Menschen durch Gottes besonderen Schöpfungsakt von Seiten der Darwinisten; [...] andererseits ist der Fundamentalismus bemüht, Seelen zu retten durch die Ankündigung der nahe bevorstehenden Wiederkunft Jesu Christi zur Errichtung seiner Herrschaft auf Erden.“715

Theologie in der Moderne muss auch das Phänomen des Fundamentalismus berücksichtigen, das sich als ein deutlicher soziologischer Faktor hinter dem Phänomen der globalen „Rückkehr der Religion“ verbirgt. Denn diese „Entwicklungen sind als Abwehr der ängstigenden Vielfalt und der raschen Ver-

M. RIESEBRODT 2000, 53. Vgl. K. KIENZLER 1996; M. RIESEBRODT 2000, 35–56 und H. W. SCHÄFER 2008. 712 Vgl. hierzu F. ELWERT/M. R ADERMACHER/J. SCHLAMELCHER 2017. 713 Vgl. zu dieser Unterscheidung M. R IESEBRODT 2000, 54. Hier wird der Zusammenhang von religiösen Revitalisierungsbewegungen in ihren zwei Typen („utopisch“ und „fundamentalistisch“) und gesellschaftlichen Krisen herausgearbeitet sowie ein relativ weit gefasster Begriff von Fundamentalismus (einerseits als „legalistisch-literalistischer“ und andererseits als „charismatischer“ Typ). Vgl. auch M. C. TAYLOR 2007, 258–260. 714 Vgl. K. K IENZLER 1996, 29.30. 715 K. K IENZLER 1996, 30. 710 711

1.4 Systematischer Ausgangspunkt und Begriffsklärungen

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änderungsprozesse zu deuten und entsprechend ernst zu nehmen“716 für die religiöse Thematisierung des Menschseins in der Moderne. Darüber hinaus stellen sie auch den Zugriff wissenschaftlicher Theologie in der Tradition von Reformation und Aufklärung in Frage und initiieren eine eigene „wissenschaftliche“ Gegenwelt, für die der „Kreationismus“ stellvertretend steht.717 Theologie ist daher angehalten, durch eine überzeugende Alternative einen Gegenentwurf zu dieser Tendenz vorzuschlagen, wenn sie selber nicht unkritisch dieser „Rückkehr der Religion“ auf den Leim gehen will.718 Als diskursiver Ort überprüft Theologie daher ihre Grundlagen radikal und ist kritisch gegenüber Ideologien, die Eindeutigkeiten und Sicherheiten mittels schlichter Dualismen eines Entweder/Oder suggerieren, wo eigentlich Komplexitätswahrnehmung und Ambiguitätstoleranz gefragt sind. Hilfreich für die Wahrnehmung des globalen und vielgestaltigen (Neo-)Fundamentalismus ist die inhaltliche Unterscheidung Mark C. Taylors von „Religiosity“ und „Religion“, nicht aber ihre begriffliche, wenn man sie mit „Religiosität“ und „Religion“ übersetzen würde.719 Kennzeichen der Religiosity im Sinne einer fundamentalistischen „Frömmelei“ ist für Taylor der Versuch, den Zweifel zu verbannen durch die Absolutsetzung relativer Normen, die Klarheit, Präzision und Sicherheit vermitteln sollen. Die Welt wird in dualistische Gegensätze eingeteilt wie etwa gut/böse, heilig/profan oder Religion/Säkularität.720 „Religiosity“ ist für Taylor nicht zu verwechseln mit „religion“. In ihrer wohl verstandenen Komplexität bietet Religion nicht einfach sichere Fundamente an, sondern destabilisiert jeden Typ von „religiosity“ durch das Umstürzen ihrer dualistischen Logik eines „Entweder/Oder“ („either/or“) oder der monistischen Logik eines „Sowohl/als auch“ („both/and“).721 „Religion“ wird verstanden als ein Weg, der Komplexität, Unsicherheit und Ungewissheit thematisieren und ein „Weder/Noch“ („neither/nor“) aushalten kann. Das sind für Mark C. Taylor die Kennzeichen des Lebens in einer Welt, die offen für Zukunft ist.722

M. KLESSMANN 2004, 80. Vgl. dazu jetzt F. W. GRAF 2014a, 166–202 („Die kreationistische Internationale“). 718 Vgl. C H. M ORGENTHALER 2012, 365. 719 Problematisch ist bei dieser an die neuzeitliche Wissenschaftslehre angelehnten Unterscheidung eines Zusammenhangs von Religiosität mit gesellschaftlicher Rückständigkeit auch die negative Verwendung des Begriffs „Religiosität“ im Deutschen, wenn z. B. „das Religiöse“ und „das Existentielle“ bzw. die Unterscheidung von Religiosität A und Religiosität B bei Kierkegaard (vgl. PH. DAVID 2017a, 153, Anm. 96) oder die Unterscheidung von Religiosität (Frömmigkeit) als eigene religiöse Haltung oder bestimmter religiöser Glaube in einem fundamentalen Sinn positiv bestimmt wird. Vgl. H. DEUSER 2005, 3; 2009, § 1. Zu Mark C. Taylor vgl. Abschnitt 6.3.1 in diesem Buch. 720 Vgl. M. C. TAYLOR 2007, 4. 721 M. C. TAYLOR 2007, 40. 722 Vgl. M. C. TAYLOR 2007, 4. 716 717

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In dieser Situation darf Theologie nun nicht selbst fundamentalistisch werden. Doch das steht als Gefahr im Raum einer Theologie, die in einer „Wiederbelebung“ des Todes Gottes („Resurrecting the Death of God“) eine notwendige Gegenbewegung zum (Neo-)Fundamentalismus sieht. Auch sie muss ihre Grundlagen selbstkritisch hinterfragen. In der Kultivierung dieser Fähigkeit zur Kritik liegt bereits ein Unterscheidungsmerkmal der Theologie gegenüber einer Haltung, die sich auf fünf „absolute“ Fundamentalartikel beruft und damit ihre Prinzipien unverrückbar festgelegt hat. Hier kann auch an die radikale Skepsis723 erinnert werden, die Wilhelm Weischedel (1905–1975) als Haltung gegenüber Positionen eingenommen hat, die sich auf „unverrückbare“ Dogmen berufen und einem starren Dogmatismus anhängen, wie er gegenwärtig in modernen Formen des Fundamentalismus ebenfalls zu beobachten ist.724 Mit einer Umkehrung von Immanuel Kants berühmter Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? (1784, WA, AA 08, 33–42) kann sich die Theologie vergewissern, ob sie selber fundamentalistisch wird: „Fundamentalismus ist der selbstverschuldete Ausgang aus den Zumutungen des Selbstdenkens, der Eigenverantwortung [...] und der Offenheit aller Geltungsansprüche, Herrschaftslegitimationen und Lebensformen in die Sicherheit und Geschlossenheit selbsterkorener absoluter Fundamente.“725 (9) Als systematischer Ertrag und Überleitung zum nächsten Punkt lässt sich festhalten: Jede dieser Begriffsbildungen will eine Grenzziehung markieren und hebt zugleich das zeitlich Vorangegangene als Gewesenes in sich auf, von dem es sich verabschieden will. Sowohl das metaphysische als auch das christliche Wirklichkeitsverständnis mit ihren Letztbegründungsfiguren sind fragwürdig geworden. Das metaphysische und christliche Reden von Gott, Welt und Mensch wäre demnach an sein Ende gekommen. Zur Erfahrung einer aufgeklärten christlichen Existenz heute gehört, dass religiöse und nichtreligiöse Menschen miteinander in einer säkularen Welt leben. Der Begriff nachchristlich kennzeichnet das Aufgehobensein des christlichen Wirklichkeitsverständnisses in einer Weltsicht, die von diesem ehemals grundlegend beeinflusst war und aus ihm hervorgegangen ist, sich aber gegenwärtig von ihm abgelöst hat und in seine theologische Grundlegung nicht mehr einzustimmen vermag. Mit diesem Prozess korrelierend liegen die Gründe für die Bezeichnung nachmetaphysisch darin, dass die klassische Metaphysik ihre Orientierungskraft für 723 Vgl. auch die Ausführungen zu Skeptizismus und Dogmatismus bei H. C LEMENT 2012, 13–20. Zu den skeptischen Geistesverwandten Pyrrhon, Pascal, Descartes, Spinoza und Nietzsche vgl. H. CLEMENT 2012, 39–61. Pascals Diktum ist denn auch der Buchtitel Der Gott der Philosophen entlehnt, wenn sich Pascal selbst in seinem Ausspruch für den „Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs“ entscheidet. Vgl. zu Pascal auch W. WEISCHEDEL 1960b. Zu Weischedel vgl. Abschnitt 5.3.1 in diesem Buch. 724 Vgl. auch H. C LEMENT 2012, 16. Dort auch die Typisierung von Peter L. Berger und Anton C. Zijderveld von Fundamentalisten als „fraglos Gläubige“. 725 TH. M EYER 1993, 61.

1.4 Systematischer Ausgangspunkt und Begriffsklärungen

127

Wege und Ziele des menschlichen Daseins in der Welt eingebüßt hat. Nach ihrer „dreifachen Vollendung“ in der Philosophie des Deutschen Idealismus726 und ihrer Kritik durch Søren Kierkegaard, Karl Marx, Ludwig Feuerbach und Friedrich Nietzsche habe die Metaphysik demnach ihr Ende erreicht. Marx und Nietzsche sind sich darüber einig, dass das metaphysische Denken keine Zukunft eröffnenden Möglichkeiten mehr bereithält. Auf diese Diagnose reagierte beispielsweise das Denken Martin Heideggers mit der Frage nach dem Sein und der Analytik des Daseins und versuchte, einen wirklichen Einblick zu gewinnen in das Zeitalter, in dem wir leben. Heidegger verbindet mit Nietzsche die Überzeugung, dass die Moderne eine Zeit des Umbruchs darstellt, die zwar einen Abschluss der (metaphysischen) Tradition bilde, der aber zugleich die Möglichkeit innewohne, im reflektierten Umgang mit dieser neue Wege des Denkens zu finden.727 Für diese Methode des philosophischen Denkens ist die Vorstellung grundlegend, dass das gegenwärtige Zeitalter „niemals mit dem gegenwärtig Aktuellen identisch [...,] sondern durch eine lange geschichtliche Herkunft mitbestimmt“728 ist. Es ist klar, dass niemand bei sich allein anfängt und vermutlich keiner Gedanken entwickelt, die einfach nur die eigenen sind. Zu einer Kulturhermeneutik und Religionsdiagnostik der Moderne gehört aus diesem Grunde auch die Besinnung auf die Herkunftsgeschichte des Denkens.729 In der Frage nach den überlieferten Denkprozessen und den ihnen inhärenten vorgängigen Erfahrungen werden daher die Herkunft und die Geschichte im Sinne des Gewesenen wach gehalten, denn nur aus Gewesenem können sich neue sinnstiftende Wesensmöglichkeiten für die Gegenwart erschließen. Aus dem Vorgegebenen und Übernommenen kann gelegentlich unverwechselbar Eigenständiges entstehen. In der Frage nach dem Gewesenen scheint zudem die Perspektivität auf, denn auch die eigene Tradition ist wie alle menschliche Erfahrung geschichtlich geworden und in diesem Sinne immer relativ.730 Im fragenden Blick auf die Zukunft hält sich das Denken in selbstrelativierender und kritischer (Rück- und Selbst-)Besinnung offen für neue Möglichkeiten und Anfänge, um rational plausibel und verbindlich Zukunft zu gestalten. Insofern steht uns auch nicht das Vergangene, sondern das Gewesene jeder Gegenwart als eine neu zu entscheidende Wesensmöglichkeit bevor.731 Nach dieser DeuVgl. W. JANKE 2009. Vgl. dazu Abschnitt 5.2.2 in diesem Buch. 728 K.-H. V OLKMANN-SCHLUCK 1996, 9. 729 Vgl. U. B ARTH 2005, 30. 730 E. TROELTSCH (1898) 2003, 6. 731 Im Anschluss an Martin Heideggers Vortrag Was heißt Denken? (1952) – „So bleibt uns nur eines, nämlich zu warten, bis das zu Denkende sich uns zuspricht. Doch warten besagt hier keineswegs, daß wir das Denken vorerst noch verschieben. Warten heißt hier: Ausschau halten und zwar innerhalb des schon Gedachten nach dem Ungedachten, das sich im schon Gedachten noch verbirgt“ (M. HEIDEGGER, GA 7, 133) – kann man diese abschied726 727

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1 Einleitungsteil

tung befände sich das gegenwärtige Zeitalter in einer Krise, wenn es in ihm um eine kritische Beurteilung des Gewesenen geht, um an einem Wendepunkt einen neuen Anfang zu wagen. 1.4.2 Die Sinnkrise der präzisierten Lebenswelt (1) Im Anschluss an die Phänomenerhellungen des Philosophen Wolfgang Janke (1928–2019) geht diese Studie davon aus, dass gegenwärtig ein verborgener weltgeschichtlicher Prozess der Praecisio mundi im Gange ist,732 der als tiefgreifende Existenzkrise zu verstehen ist und auch das Gottesverständnis radikal betrifft. Präzision ist ein kennzeichnendes Ideal unserer Zeit. Die „Präzisierung der Welt“ ist Grund- und Leitmotiv für eine philosophische Erfassung der „Sinnkrise des gegenwärtigen Zeitalters“733. Jankes These hat gegenüber anderen kurzlebigen Beschreibungen unseres gegenwärtigen Zeitalters den Vorteil, einen Jahrhunderte währenden weltgeschichtlichen Prozess offenzulegen, der alle bewussten und unbewussten Bereiche des menschlichen Lebens und Zusammenlebens maßgeblich bestimmt und durchwirkt: Denken, Wollen, Urteilen, Erkennen, Fühlen, Glauben, Sprechen und Handeln. Janke stellt ein umfassendes Kriterium bereit, das in der Lage ist, die verborgenen und unbewussten Grundstrukturen des gegenwärtigen Zeitalters offenzulegen. Methodisch verbindet Janke eine geistes- und mentalitätsgeschichtliche Phänomenerhellung mit einem leitenden systematischen Interesse. Die Korrelation dieser beiden Aspekte fragt danach, „wie es sich in Wahrheit mit der fraglichen Sache

liche und fragende Haltung auch als „Warten“ bezeichnen (vgl. H. ROSENAU 2012b). Dann wäre die gespannt-gelassene Haltung des Wartens die traditionskritische Pflege von Lehrbeständen, die im Zitat gegenwärtig gehalten werden, trotz divergenter Eigenerfahrung, und die selbstkritische „Erwartung“ ihrer jetzt nicht mehr tragfähigen Wahrheit in einer offen gehaltenen Zukunft möglicher Gottesnähe angesichts gegenwärtig erfahrener Gottesferne. 732 Vgl. die Vorüberlegungen in W. JANKE 1985; 1986; 1990 und besonders die systematische Diagnose der modernen Weltentfremdung W. JANKE 1999a (Kritik der präzisierten Welt). Folgende Darstellung von Wolfgang Jankes Konzept nimmt erste Analysen von PH. DAVID 2007 und 2014b auf und führt diese weiter. 733 W. JANKE 2011. Janke hat seine leitende systematische These zur philosophischen Betrachtung des weltgeschichtlichen Vorgangs der Präzisierung der Welt (praecisio mundi) als systematisches Fundament auch seinen Abhandlungen Das Glück der Sterblichen. Eudämonie und Ethos, Liebe und Tod (W. JANKE 2002), Archaischer Gesang. Pindar – Hölderlin – Rilke. Werke und Wahrheit (W. JANKE 2005), Plato. Antike Theologien des Staunens (W. JANKE 2007a), Die Sinnkrise des gegenwärtigen Zeitalters. Weg und Wahrheit, Welt und Gott (W. JANKE 2011) und zuletzt auch in seinen Systementwürfen einer „neuen Ontologie“ als Wiedereinführung in die Philosophie. Platonismus – Nihilismus – Eksistentialontologie (W. JANKE 2013), Fragen, die uns angehen. Philosophische Traktate über das sterbliche Dasein, die präzisierte Welt und den verborgenen Gott (W. JANKE 2016) und Die Seinsfrage. Grundzüge einer restitutiven Ontologie (W. JANKE 2018) zugrunde gelegt. Vgl. zu diesen Systementwürfen Abschnitt 5.3.2 in diesem Buch.

1.4 Systematischer Ausgangspunkt und Begriffsklärungen

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verhält.“734 Nicht die Unterscheidung in historische und systematische Disziplinen, sondern ihre wechselseitige Durchdringung kommt methodisch einem lebendigen Philosophieren – und eben auch lebendigem theologischem Nachdenken – nahe und damit der grundlegenden Bedeutung der praecisio mundi für das Existieren des Menschen in der Welt: Die Aufdeckung des Untergrundes des gegenwärtigen Zeitalters durch die These einer „präzisierten Welt“ trägt die lebensweltliche Situation des modernen Menschen in seinen Selbst-, Welt- und Gottesbezügen als die eines Berechnens und Verfügbarmachens unter der Vorherrschaft des neuzeitlichen mathematisch-naturwissenschaftlichen Denkens und einer einseitigen, Gott abschneidenden Rationalisierung ins Offene. Mit dem Präzisionsideal verbindet sich die Deutung der Situation, dass wir in einer präzisierten Welt leben, in der nur noch das als wirklich gegeben und wahr zugelassen wird, was präzise berechnet, hergestellt, abgemessen und verfügbar gemacht werden kann.735 Wir leben existenzvergessen und befreit von Mythos und poetischer Fiktion, von Wunder und Aberglaube, Chaos und Geschick, losgelöst von Gott. Entgötterung736 (Friedrich Hölderlin), Entfremdung (Jean-Jacques Rousseau, Karl Marx), Entzauberung (Max Weber), Lebenswelt-Vergessenheit durch die europäische Verwissenschaftlichung (Edmund Husserl) und moderne Technik (Martin Heidegger), Entnoetisierung (Bestreitung der Metaphysik), Positivismus (Auguste Comte) und Entmythologisierung (Rudolf Bultmann) sind die im verborgenen Prozess des weltgeschichtlichen Vorgangs der Präzisierung der Welt zusammenhängenden Kernworte der verwissenschaftlichten Welt.737 Die praecisio mundi steht unter der Vorherrschaft des methodischen Zweifels, der verzweifelt die Wahrheit als Gewissheit sucht und so zur Kunst des Misstrauens geworden ist.738 Eine Rückbesinnung auf den Wortsinn des Adjektivs „präzise“ verhilft zu einer klareren Sichtweise dieser Deutungskategorie739: Im lateinisch-römischen Sprachraum besagt praecidere im pejorativen Sinn „wegschneiden“, „vorne abschneiden“: linguam, manus, caput, naturalia (die Zunge, die Hand, den Kopf, die Genitalien), im tropischen Sinne: spem, amicitias praecidere (die Hoffnung nehmen, die Freundschaftsverhältnisse abbrechen). Durch diese etymologische Rückbesinnung wird das Doppelantlitz der heraufgekommenen Seins- und Sprachpräzisierung aufgeklart. Denn der Anspruch, ein jegliches, was ist, exakt festzulegen, sich auf das Wesentliche zu beschränken, es defi-

W. JANKE 1999a, 11; vgl. W. JANKE 2011, 11. Vgl. W. JANKE 1999a, 12. 736 Vgl. zu diesem Motiv K. S. G UTHKE 1971. 737 Vgl. W. JANKE 1999a, 66–82. 738 Diese geht einher mit dem Verlust der konstruktiven Irritation durch literarische Welten. Vgl. W. JANKE 2006, 423. 739 Vgl. W. JANKE 1999a, 12. 734 735

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nitiv und eindeutig zur Sprache zu bringen, erfordert zugleich, alles andere als Unwesentliches, als Überflüssiges oder gar Sinnloses abzuschneiden, was sich nicht dem Postulat des Präzisen fügt. Die Deutung Jankes, dass wir in einer präzisierten Welt leben, macht damit aufmerksam auf eine Lädierung, Verkürzung, Verstümmelung menschlichen Existierens in der sprachlich, wissenschaftlich, ökonomisch, politisch, technisch-praktisch auskalkulierten Welt.740 Die industrielle Revolution und die Technik zeigen sich als Schicksalsfragen der Moderne.741 „Drücke Dich präzise aus!“ ist die Maßgabe des Präzisionsideals. Der Ausruf steht als Vorzeichen vor der Sprache der neuzeitlichen Verwissenschaftlichung und Technisierung der menschlichen Lebenswelt. Unsere verwissenschaftlichte Welt fordert von uns eine wissenschaftlich genaue Sprache mit verlässlich verifizierbaren bzw. falsifizierbaren Aussagen.742 Steht nun der Bescheid der Präzision vor unserer Sprache, heißt das, dass eine vage, ungenaue, unbestimmte, weitschweifige, vieldeutige Redeweise knapp und genau auf den Punkt gebracht werden soll. Diese Sprache versteht Richtigkeit als Wahrheit. Der Mensch als das mit der Sprache begabte Lebewesen (zōon lógon échon) scheint durch diese Tendenz zur Eindeutigkeit und Festigkeit der Sprache die Brücke zur Vielfalt der sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten abgebrochen zu haben. Doch auch in seinem Gefühlsleben, seinen Denkmöglichkeiten und Handlungsspielräumen scheint er beschnitten zu sein. Aus diesem Grunde trägt das wissenschaftliche Präzisionsideal einen Januskopf: Der Fortschritt in den Wissenschaften und in der Medizin sowie die Zunahme der positiv bestimmbaren Phänomene gehen einher mit Verstümmelungen der sprachlichen Weltzugänge des Menschen. Die wissenschaftliche Konzentration auf den rationalen und positivistischen Zugang zur Erklärung der Welt, in der der Mensch lebt, schneidet andere sprachliche Ausdrucksformen entschieden ab, wenn nur noch diejenige Wirklichkeit als vernünftig und wahr betrachtet wird, die empirisch festgestellt und wissenschaftlich verifiziert werden kann. (2) Im gegenwärtigen Zeitalter findet die praecisio mundi ihren Ausdruck im Wissenschaftspositivismus und im pathologischen Nihilismus.743 Die nihilistische Abwertung ist nach Janke als pathologisch einzustufen, insofern sie zwanghaft fixiert ist auf das Misslingen der christlich-platonischen Weltauslegung und deren Wertsetzungen. Friedrich Nietzsche schreibt in Die fröhliche Wissenschaft (Aphorismus 124): „Wir haben das Land verlassen und sind zu Schiff gegangen! Wir haben die Brücke hinter uns – mehr noch, wir haben das

Vgl. W. JANKE 1999a, 13. Vgl. den für Jankes Denken wichtigen Text Heideggers von 1953 Die Frage nach der Technik (M. HEIDEGGER, GA 7, 7–36). 742 Vgl. W. JANKE 1999a, 12. 743 Vgl. W. JANKE 1999a, 58.59; 92–96. 740 741

1.4 Systematischer Ausgangspunkt und Begriffsklärungen

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Land hinter uns abgebrochen.“744 Der Aufbruch der freien Geister schneidet die Ankertaue (praecidere ancoras) zu den Grundfesten der Väter und alten Autoritäten durch und kappt die Bindungen zu einem jenseitigen Sein. Die praecisio wird im Aphorismus Der tolle Mensch745 noch gesteigert: Das Abschneiden metaphysischer Verstrickungen tötet Gott. Der Gott der Philosophen ist tot, und die Paradoxie eines Gottes am Kreuz ist trostlos geworden. Die platonisch-christliche Zwei-Welten-Theorie liegt tot danieder. Die platonische Differenz von Sinnen- und Ideenwelt und die christliche Unterscheidung von Diesseits und Jenseits sind belanglos geworden. Was einzig wirklich ist, ist diese Erde. Der von Auguste Comte (1798–1857) entfaltete Positivismus versteht sich als Vollendungsgestalt des menschlichen Wissens. Er erhebt den Anspruch, konsequenter Empirismus zu sein und sich in seiner Methodik und seinen Ergebnissen an den Naturwissenschaften zu orientieren. Es werden nur solche Sätze zugelassen, die sich ausschließlich auf Beobachtungen stützen lassen. Alle platonisch-christliche Metaphysik lässt der Positivismus hinter sich. Nach Meinung Comtes durchläuft der Mensch in seinem Selbst- und Welterkennen drei Stadien: erstens das fiktive Stadium der Religion, zweitens das abstrakte Stadium der Metaphysik und drittens das Stadium positiver Wissenschaft. Die sichtbare Welt bestimme alle Gedanken und Ziele der präzisen Wissenschaft. Religion und Metaphysik werden als vorwissenschaftliches und sinnloses Reden ausgeblendet und vom Leben der Menschen abgeschnitten. Das Drei-Stadien-Gesetz Comtes erklärt:746 Nach dem fiktiven Stadium der Religion und der abstrakten Erkenntnisepoche der Metaphysik ist das heile Eschaton der positiven Erkenntnis erreicht. Die „wahre“ Welt ist nichts anderes als das Korrelat der vollendet gedachten und ewigen Frieden stiftenden Hierarchie der positiven Einzelwissenschaften. An deren Spitze steht die Soziologie (physique sociale) als positive Sozialwissenschaft. Der logische Positivismus sieht die therapeutische Aufgabe heutigen Philosophierens darin, das Denken strenger Wissenschaft und dessen adäquaten sprachlichen Ausdruck von metaphysischen Selbstverblendungen und Sprachverwirrungen zu heilen.747 Das Positive ist demnach das Präzise. Der Geist des Positivismus ist überzeugt von der Überlegenheit der wissenschaftlichen Methode über ein abgelebtes theologisches und wissenschaftliches Erkenntnismonopol. Seine Forderung nach Präzision schlägt von der Methode auch auf die Sprache um. Denn wissenschaftlich adäquate Sprache will alles Vage, Unbestimmte, Unexakte weglassen. Sie konzentriert sich auf Urteile, die auf kontrollierbare Aussagen über besondere F. NIETZSCHE, KSA 3, 480. F. NIETZSCHE, KSA 3, 480–482. 746 Vgl. A. C OMTE 1956. 747 Vgl. das Manifest des Wiener Kreises Wissenschaftliche Weltauffassung (1929) und weitere Texte dieser Weltanschauung in CH. DAMBÖCK 2013. 744 745

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oder allgemeine Tatsachen rückführbar sind. Unsere Zunge (lingua) scheint zu ihrem Heile behütet und präzise kontrolliert. Doch praecidere alicui linguam heißt eigentlich: jemandem die Zunge abschneiden. So schneidet die (neo-)positivistische Präzisierung der Erkenntnissprache die Zungen der Religion und Metaphysik ab. Unter Einfluss des empirischen Sinnkriteriums kommt der wachsende Verdacht hinzu, dass die Reden der Religion und Metaphysik nicht bloß unpräzise seien, sondern auch sinnlos. Der Geist des Positivismus bringt nach Jankes Interpretation gerade nicht Klarheit, Nutzen und Frieden in unser Dasein in der Welt, sondern von Grund auf Nichtbesinnung und sprachliche Verworrenheit, weil er transzendentale Reflexionen für fiktive Abstraktionen hält.748 (3) Für Janke hat die Sprache dagegen im altgriechischen Anfang als Lexis und Logos, Mythos und Poiesis eine vierfache Bedeutung gewonnen.749 Der Logos bezeichnet das dialektische In-Beziehung-Setzen unseres Begriffsvermögens, die Poiesis in Gestalt des Epos ist das auf den Zuspruch der Musen hörende Weltgedicht des Dichters und der Mythos die ehrwürdige, im Volksglauben lebendige kosmo- und theogonische Göttergeschichte ebenfalls aus Dichterhand.750 Der logischen, mythischen und poetischen Sprachgestaltung der Welt liegt unser Sprachgebrauch in der Welt der Alltagssprache (léxis) voraus.751 Denn alltäglich reden und sprechen wir miteinander, indem wir uns untereinander und die mitzuteilenden Dinge und Begebenheiten beim Namen nennen: „Dieses Beim-Namen-Nennen (onomázein) macht die Sprache als Informationsmittel brauchbar, indem sie aus einer gebräuchlichen, eingeübten, grammatisch geregelten Wörtersprache (léxis) spricht.“752 Das griechische Wort lógos kann als das wichtigste Wort unserer ganzen abendländischen wissenschaftlichen Tradition ausgemacht werden. Nicht nur in Begriffen wie Logik, sondern auch in Zusammensetzungen wie Theologie, Biologie, Philologie, Soziologie ist der lógos zu finden. Als Grundbedeutung von lógos kann „Sprache“ gelten.753 Für Aristoteles ist der Mensch das zōon lógon échon, das sprach- bzw. vernunftbegabte Lebewesen (lat. animal rationale).754 Doch seit

Vgl. W. JANKE 2007b, 13.14. W. JANKE 2002, 73.74 nennt noch eine dreifache Wurzel der Sprache. In W. JANKE 2013, 267 werden vier Sprachgestalten zugrunde gelegt. Auf diese Weiterführung beziehe ich mich hier. 750 W. JANKE 1999a, 24; 56; 59; 66.67. 751 W. JANKE 2013, 257.258. 752 W. JANKE 2013, 258. 753 Vgl. K. H ELD 2001, 190. 754 Der Topos zōon lógon échon geht wahrscheinlich auf Alkmaion zurück und wurde in der Philosophie- und Theologiegeschichte immer wieder rezipiert. Er besagt, dass sich der Mensch von allen übrigen Lebewesen v. a. dadurch unterscheidet, dass allein er begreifen und denken kann, Verstand, Vernunft, Bewusstsein oder Geist hat. Vgl. CH. GRAWE/A. 748 749

1.4 Systematischer Ausgangspunkt und Begriffsklärungen

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Plato und Aristoteles behauptet der dialektische Logos auch, einzig und allein haltbare und überprüfbare Auskunft über das zu geben, was war, ist und sein wird.755 In diesem Alleinvertretungsanspruch ist der Grund für den weltgeschichtlichen Vorgang der Präzisierung zu finden, der notwendigerweise das mythisch-religiöse und poetische Wort von einem Wissen ausschließt, welches das Wahre in wohlbegründeten, metalogisch überprüfbaren Urteilen definitiv und schlüssig dar- und feststellt. Dichter und (religiöse) Mythenbildner werden zu Lügnern,756 erzählen „fiktionale“ Göttergeschichten und „Ammenmärchen“ und berücken die Seele durch ihren Bild- und Klangzauber.757 Wenn die Annahme stimmt, dass im altgriechischen Anfang die Sprache eine vierfache Bedeutung gewonnen hat, dann wäre Folgendes für den späteren Gedankengang dieser Studie bedenkenswert: Dieser mit einer Reduktion auf die Sprache des (vernünftigen) Logos einhergehende fundamentale Sprachverlust könnte eine der Ursachen sein, warum die Sprache der Religion nicht mehr nachvollziehbar und existentiell angehend ist. Der Rückgang auf die vierfache Wurzel der Sprache erscheint Janke notwendig, um auf die verschütteten Sprachwelten aufmerksam zu machen. Es wird zu prüfen sein, in welcher Weise diese Wiedererinnerung möglicherweise zu einer Restitution sprachlicher Weltbezüge und damit zu einem lebendigen Leben in der ambivalenten und komplexen Fülle der Weltbezüge führen kann. Auf jeden Fall lässt sich die Sinnkrise des gegenwärtigen Zeitalters zuspitzen auf den Begriff der präzisierten Lebenswelt, in der das Gefühl herrscht, dass Gott verlorengegangen und tot ist. 1.4.3 Der Tod Gottes als epochales Lebensgefühl (1) Die Rede vom Tod Gottes zeigt sich in verschiedenen Epochen als sprachlicher Ausdruck von Sinnkrisen (Hauptteil A. Teil I). Bei dieser Vorstellung handelt es sich nicht um eine vorübergehende Modeerscheinung, sondern um einen langen und tiefgreifenden geschichtlichen Prozess, der schließlich zur grundlegenden Signatur der Moderne geworden ist. Mit dem Tod Gottes als epochalem Lebensgefühl steht auch die Theologie vor einem Umbruch. Zu ihren Aufgabenfeldern gehören nicht nur die existentiale Hermeneutik der Religion (Gottesbewusstsein) und die Reflexion menschlicher Gottesvorstellungen, sondern auch die aufgeklärte Kritik der Religion und die Infragestellung des Gottesgedankens. Wenn es Theologie mit menschlichen und damit metaphorischen Gottesvorstellungen zu tun hat, dann sind nicht nur offenbarungstheologische Aussagen wie „Deus dixit“, „Wort Gottes“ (Karl Barth) oder

HÜGLI 1980. Aristoteles verknüpft bekanntlich die Bestimmung als zōon lógon échon eng mit der Vorstellung vom zōon politikón. Vgl. ARISTOTELES, Politik 1253a, ferner 1332b. 755 W. JANKE 1999a, 101. 756 PLATON, Politeia 377b; sowie Buch X. 757 Das ist Untersuchungsgegenstand der Poetik. Vgl. W. JANKE 1999a, 187.

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„Gott lebt“758 Metaphern, sondern eben auch ihre Kontrafaktur „Gott ist tot“. Als menschliche Gottesvorstellung macht die Kontrafaktur der Theologie (Gottesgedanke) nicht ihren „Gegenstand“ streitig, sondern ist ebenfalls Gegenstand der Theologie in der Moderne. (2) Ich schlage daher vor, den Tod Gottes mit einem „Schlüsselbegriff der philosophischen Anthropologie“759 und des „menschlichen In-der-WeltSeins“760 als Lebensgefühl zu verstehen. Das hermeneutische ,als‘ bringt die Auswirkungen der Modernisierung auf das Leben der Menschen und das Signum der (säkularen) Moderne als radikal „nachchristlich“761 auf den Punkt, zumal man weder die „Existenz“ Gottes noch seine „Nichtexistenz“ wissen oder gar beweisen kann und niemand ihn gesehen hat. Mit Lebensgefühl ist dieser neue Erfahrungsraum angemessen zur Sprache gebracht, dessen „Lebensgrundstimmung“762 etsi Deus non daretur mit der Metapher „Gott ist tot“ sprachlich ausgedrückt wird. Die Antwort auf die „Frage nach der Rationalität des Glaubens an den traditionellen Gott des Monotheismus, insbesondere der christlichen Religion [...] ist negativ ausgefallen.“763 Doch das einzige, was „man in diesem Zusammenhang mit einiger Sicherheit sagen kann, ist immerhin dies: Rationale Überlegungen [...] – ganz gleichgültig, ob es sich um Prooder Kontra-Argumente handelt – waren für die breite gesellschaftliche Einstellung zum Gottesglauben bzw. zur Religion schon immer ohne nennenswerte Bedeutung.“764 So trifft wohl auch noch heute die folgende Aussage Sigmund Freuds zu: „Wenn es sich um Fragen der Religion handelt, machen sich die Menschen aller möglichen Unaufrichtigkeiten und intellektuellen Unarten schuldig.“765 Mit dieser Haltung verbunden ist der folgende Satz des Begründers der Psychoanalyse: „Kein vernünftiger Mensch wird sich in anderen Dingen so leichtsinnig benehmen und sich mit so armseligen Begründungen seiner Urteile, seiner Parteinahme zufriedengeben, nur in den höchsten und heiligsten Dingen gestattet er sich das. In Wirklichkeit sind es nur Bemühungen, um sich oder anderen vorzuspiegeln, man halte noch an der Religion fest, während man sich längst von ihr abgelöst hat.“766 Diesen Gefühlen und Einsichten kann nur mit intellektueller Aufrichtigkeit begegnet werden. Vgl. P. TILLICH 1987a, I, 280–290; insbesondere K. STOCK 2011, 66–73. F. FELLMANN 2018, 10. Vgl. zur Begriffsgeschichte auch K. MESCHEDE/RED. 1980 sowie F. FELLMANN 2018, bes. 25–60. 760 F. FELLMANN 2018, 10. 761 Vgl. D. H ENRICH 1979, 617. 762 Vgl. K. M ESCHEDE/R ED. 1980, 120 im Anschluss an den Psychologen Philipp Lersch. 763 N. H OERSTER 2007, 119. 764 N. H OERSTER 2007, 120. 765 S. FREUD (1927) 2007, 135. 766 S. FREUD (1927) 2007, 135. Der Religionskritik Sigmund Freuds und Jacques Lacans wendet sich Thanos Lipowatz in seinem Essay Der ,Fortschritt in der Geistigkeit‘ und der ,Tod Gottes‘ zu, in dem er den Beitrag der Psychoanalyse zu einer Kulturanalyse weiter758 759

1.4 Systematischer Ausgangspunkt und Begriffsklärungen

135

Aus theologischer Perspektive wird allerdings immer wieder befürchtet, dass man zu sehr auf die Mentalität der Zeitgenossen eingeht, wenn man die Säkularität ernst nimmt, um von dort aus das Evangelium zu interpretieren und zum Kriterium von theologischen Aussagen zu machen.767 Empfohlen wurde daher beispielsweise von Helmut Thielicke, die „Solidarisierung mit den Zeitgenossen“768 – insbesondere mit den radikalen Vertretern der Gott ist tot-Theologie – für den Christen als eine nur vorübergehende zu betrachten.769 Diese im Grunde zu einfache Gleichung Thielickes steht ganz im Zeichen einer Haltung, die sich möglichst schnell von den unangenehmen Fragen des Lebensgefühls der Moderne verabschieden möchte. Diese Ansicht zeigt zwar eine vordergründige Zustimmung zur Situation der Moderne, lässt sich aber im Grunde nicht darauf ein, wenn sie diese unmittelbar in den Modus des Vorübergehenden versetzt.770 Wenn wir uns tatsächlich in diesem neuen Erfahrungsraum emotional, epistemisch und rational bewegen, dann bewegt sich darin auch die denken will. Der Tod Gottes ist für ihn eine Metapher, die im Anschluss an Freud (Das Unbehagen in der Kultur; 1930) das „Unbehagen“ in der modernen Kultur benennt (TH. LIPOWATZ 2005). Eher populärwissenschaftlich orientiert wie die Bestseller des „Neuen Atheimus“ ist das Buch des Professors für Clinical Psychology Mick Power aus Edinburgh mit dem Titel Adieu to God. Why Psychology Leads to Atheism, der nun Gott auch aus dem menschlichen Bewusstsein ausschließen will, nachdem dieses Vorhaben für die Biologie durch Richard Dawkins und Daniel Dennett durchgeführt worden sei sowie von Victor J. Stenger und Stephen Hawking für die Kosmologie (MICK POWER 2012). 767 Vgl. H. THIELICKE 1968, 314. 768 H. THIELICKE 1968, 315. 769 H. THIELICKE 1968, 315: „Gerade weil wir Christen sind, empfinden wir uns nicht bloß selbst in statistischer Hinsicht und in unserem Lebensgefühl als Glieder einer säkularen Epoche, d. h. als ,mit euch‘ eingeschlossen in die in sich ruhende Endlichkeit, sondern unsere Botschaft selbst ist es, die von sich aus dieses Diesseits bestätigt und uns zur Absage an die Überwelt veranlaßt. Gerade die Solidaritätserklärung gegenüber der säkularen Zeit scheint denn auch eine vorübergehende, erstaunte Hörbereitschaft zu bewirken: vorübergehend wohl deshalb, weil einmal die Freude an der Selbstbestätigung, die man zu erfahren scheint, nur so lange anhält, wie die Verwunderung über den dauert, von dessen Seite sie ausgesprochen wird; und ferner deshalb vorübergehend, weil die im Grunde konfuse theologische Position dieser Richtung sie entweder in den Agnostizismus oder in die Bahnen der Überlieferung zurückschwenken lassen wird.“ Vgl. auch H. THIELICKE 1973, 76. 770 Anders zeigen sich neue Verhältnisbestimmungen von Lebensgefühl und Glaubenskultur, die der Wiener Praktische Theologe Wilfried Engemann in die Diskussion um die religiöse Praxis des Christentums eingebracht hat (W. ENGEMANN 2013; vgl. auch W. ENGEMANN 2009; zum „kirchlichen Klischee“ des „modernen Menschen“ vgl. W. ENGEMANN 2003): „Mit Lebensgefühl bezeichnen wir alltagssprachlich gemeinhin dasjenige Gefühl, aus dem heraus wir unserer Mitwelt sowohl gegenübertreten als auch mit ihr verbunden sind. Das Gefühl eines Menschen für sich selbst und sein Gefühl für die Welt bzw. die Anderen sind zwei Seiten desselben, umfassenden Lebensgefühls“ (W. ENGEMANN 2013, 231). Dieses Lebens- oder auch „Existenzgefühl“ (a. a. O., 2013, 231) ist quasi ein „gefühltes Fazit gelebten Lebens“, eine Art wertendes „emotionales Resultat“ unseres eigenen Lebens (vgl. W. ENGEMANN 2009, 277).

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1 Einleitungsteil

theologische Reflexion über menschliche Gottesvorstellungen. Dann stört die Metapher „Gott ist tot“ nicht nur das bisherige Gottesbild auf. Sie stört auch das bisherige theologische Menschenbild auf und nötigt die Theologie daher zu einer Revision ihrer Vorstellung von der Geschöpflichkeit und Gottebenbildlichkeit des Menschen, will sie weiterhin ihre Aufgabe wahrnehmen, „Hüterin des Menschseins des Menschen“ zu sein.771 Dafür hat der Lebensphilosoph und Phänomenologe Ferdinand Fellmann (1939–2019) in seinem Buch Lebensgefühle. Wie es ist, ein Mensch zu sein (2018) Vorschläge unterbreitet, die hier aufgenommen und weitergedacht werden. Fellmann fragt nicht mehr nach dem Wesen des Menschen, sondern mit dem Terminus „Lebensgefühl“ als Reflexionsbegriff danach: „Wie ist es, ein Mensch zu sein?“772 Der Begriff „Lebensgefühl“ als „Gewissheit, in der Welt präsent zu sein“ unterscheidet sich als „umfassende Befindlichkeit“ von schnell wechselnden Stimmungen, die das grundlegende Verhalten und Denken kaum beeinflussen, darin, dass es „sich auf alles, was den Menschen umgibt“ bezieht: „es ist Lebensraum und Weltraum, Lebenszeit und Weltzeit zugleich.“773 Der Inhalt des Lebensgefühls ist wie der der Lebenserfahrung „allgemeingültig, und doch muss sie jeder selbst machen.“774 Er ist so etwas wie „die Summe unserer bisherigen Erfahrungen und Erwartungen, die feste Vorstellungen von der Wirklichkeit, in der wir leben, erzeugen. Darin gleicht das Lebensgefühl dem Glauben im Sinne von Überzeugungen (engl. ,belief‘) und bezieht sich auf die Welt als alles, was für den Menschen bedeutsam ist.“775 Mit der individuellen Lebenserfahrung bewegt sich unter der Oberfläche der So eine Formulierung Wilfried Engemanns. Er entsubstantiviert den Wahrheitsbegriff – denn Religion und Theologie sind immer noch auf der Suche nach der „Wahrheit über den Menschen“ –, indem er den Begriff etymologisch bestimmt: Theologie in allen ihren Disziplinen habe einen grundlegend wahrenden Charakter. Sie bewahrt den Menschen, sie wahrt seine Würde, seine Freiheit. Ziel aller kritisch-konstruktiven theologischen Arbeit ist für ihn daher die Begleitung einer Glaubenskultur, „die Menschen [...] mit einem guten Lebensgefühl Mensch sein lässt, d. h. auch nicht mehr und nichts anderes als Mensch. Die Menschwerdung des Menschen bzw. das Nur-Mensch-Sein-Wollen durch Religion ist ein zutiefst emanzipatorischer Akt. Eine religiöse Praxis, die den Menschen immer wieder neu als Menschen zum Vorschein kommen lässt – und darin als Gottes ,Ebenbild‘ und Gegenüber –, steht im Fluchtpunkt evangelischer Theologie“ (W. ENGEMANN 2013, 236). Damit möchte Engemann beitragen zur Überwindung der „grotesken Alternative [...], [...] Mensch oder religiös zu sein“ (a. a. O., 219). Engemann umreißt damit die Aufgaben einer Theologie in der Moderne, die auf die Zusammengehörigkeit von Mensch- und Religiös-sein hinweist und damit Theologie als Anthropologie versteht. Theologie als Anthropologie möchte den Menschen immer wieder neu als Menschen zum Vorschein kommen lassen. 772 F. FELLMANN 2018, 9; bes. 127–130. Die bestechend schlichte Antwort lautet: „Es ist, wie es ist – nicht so einfach, aber einfach so“ (a. a. O., 130). 773 F. FELLMANN 2018, 10 mit Hans Blumenberg. 774 F. FELLMANN 2018, 17. 775 F. FELLMANN 2018, 121. 771

1.5 Aufgabenstellung: Geschichte, Deutung und Kritik eines Krisenphänomens

137

Ereignisgeschichte die Mentalitätsgeschichte, „wo sich subtile Veränderungen des Lebensgefühls vollziehen.“776 Im individuellen wie kollektiven Lebensgefühl kündigen sich prognostisch Veränderungen an.777 Jede Epoche hat ihr eigenes Lebensgefühl, durch das sie sich von der vorhergehenden absetzt. „Epochale Lebensgefühle äußern sich in Sprache, in Bildern, auch immer stärker in der Musik.“778 Für Fellmann dominiert in den säkularisierten Gesellschaften der Gegenwart „die Unbestimmtheit des Lebensgefühls, die verschiedenen Einstellungen Raum gibt. So gesehen, kann man das Lebensgefühl als die am höchsten entwickelte psychische Gegebenheit betrachten, gleichsam das A und O des menschlichen Daseins.“779 Der Unbestimmtheit des Lebensgefühls liegt aber, so meine Weiterführung der These Fellmanns, der Erfahrungsraum des Todes Gottes als Bedingung ihrer Möglichkeit zugrunde, denn zu den Folgeerscheinungen des Todes Gottes gehört mit der pluralen Unbestimmtheit auch das Ende der einen Geschichte und das Ende einer teleologischen Bestimmung, eines Ziels, was Nietzsche mit der Idee einer „ewigen Wiederkehr des Gleichen“ verbindet. Doch sind auch epochale Lebensgefühle nie definitiv zu bestimmen, sondern immer „ein Bewusstsein im Werden.“780

1.5 Aufgabenstellung: Geschichte, Deutung und Kritik eines Krisenphänomens 1.5 Aufgabenstellung: Geschichte, Deutung und Kritik eines Krisenphänomens

Die Untersuchung geht den Weg einer phänomenologischen Spurensuche, um die ideengeschichtlichen Diskurskonstellationen und ihre Krisendeutungen aufzudecken. Die Theologie muss sich auf diesem (de-)konstruktiven Weg die Frage stellen, welchen Anteil sie selber an ihrer eigenen Krise und am Lebensgefühl des Todes Gottes hat. Ihre Krise hat sich nicht nur durch eine Abwertung und Kritik der Religion durch die wissenschaftliche Weltsicht entwickelt, sondern auch durch eine (offenbarungs-)theologische Zurückweisung der Religion als Organisationszentrum der Theologie. Es ist also nicht nur die Säkularisierungsthese allein, die einen Gegensatz zwischen Religion und Säkularisierung konstruiert und damit zu Missverständnissen im Verstehen von Religion geführt hat. Nicht nur über die Verhältnisbestimmung von Religion und Säkularisierung durch die Verschränkung des säkularen mit dem religiösen Diskurs über die Deutungsfigur Tod Gottes sowie von Theologie und Religion muss angesichts des religiösen Fundamentalismus und Fanatismus im Zeichen einer „Renaissance der Religion“ neu nachgedacht werden, sondern grundsätzF. FELLMANN 2018, 96. Vgl. F. FELLMANN 2018, 97. 778 F. FELLMANN 2018, 20. 779 F. FELLMANN 2018, 122. 780 F. FELLMANN 2018, 121. 776 777

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1 Einleitungsteil

lich auch über das Verhältnis von Menschsein und Religion als (de-)konstruktiver Zugang zur Krise der Theologie. Wenn Theologie Religion als Ausdruck einer vitalen Lebenskraft des Menschseins verstehen und mit Religion über Religion aufklären will, wird sie nicht nur auf die im Anschluss an Schleiermacher und Kierkegaard entwickelten Religionstheorien zurückkommen müssen, in denen bestimmte Gottesvorstellungen für das Religions- und Selbstverständnis keine wesentliche Rolle mehr spielen, sondern menschliches Existieren und Religion auch als Thema einer Existentialhermeneutik nach dem größten neueren Ereignis (de-)konstruktiv zu entfalten haben. Der Bezug auf Kierkegaards Existenz-Denken als Einübung in religiöse Ent-täuschung781 macht dabei auf eine Denkfigur aufmerksam, die bis heute maßgeblich für die Frage nach der Bedeutung der Religion für uns (pro nobis) ist, wenn er in seiner Abschließenden unwissenschaftlichen Nachschrift zu den Philosophischen Brocken nicht Religion, sondern das Religiöse diskutiert: „,Sich selbst zu verstehen‘, wobei besonders daran gedacht wird, sich selbst in dem zu verstehen, was man tut.“782 In seiner Rede vom Ethischen und dem Religiösen handelt Kierkegaard vom „elementar Gegebenen“783 des Menschseins, das sich bei ihm „von innen, durch die menschliche Subjektivität hindurch“784 meldet. In dieser Hinsicht ist Theologie in allen ihren Teilen als Anthropologie darzustellen. In diesem neuen anthropologischen Erfahrungsraum fallen die alten Begrenzungen weg. Der Tod Gottes gibt uns nicht eine begrenzte Welt zurück, sondern die Erfahrung einer neuen Unbegrenztheit, einer neuen Offenheit, einer neuen Unendlichkeit (Nietzsche) durch die Abschaffung der (platonischen) Trennung in eine wahre und eine scheinbare Welt.785 Doch wie diese „neue Welt“ aussehen soll, ist fraglich. Dieser neu eröffnete Erfahrungs- und Denkraum der eigenen Endlichkeit ist ernst zu nehmen in seiner existentiell angehenden Relevanz (Adienz), nicht als ein dogmatischer Atheismus, sondern als Bewusstwerden des Bedeutungsverlusts der traditionellen Gottesvorstellungen. Gerade, dass es nichts „hinter“ unserer Endlichkeit gibt, konstituiert diese gewissermaßen als neue Unendlichkeit. Das Ende der herkömmlichen Theologie, Philosophie und Metaphysik bedeutet aber „nicht, daß die Fragen, die so alt sind wie die Menschen selbst, ,sinnlos‘ geworden wären, sondern daß die Art, wie sie gefaßt und beantwortet wurden, nicht mehr einleuchtet.“786 Es bedeutet, dass diese „modernen ,Tode‘ – Gottes, der Metaphysik, der Philosophie und damit auch des Positivismus – [...] erhebliches historisches Gewicht Vgl. dazu PH. DAVID 2017a. A. GRØN 2001, 123. 783 So übersetzt A. G RØN 2001, 124 das, was Kierkegaard „das Primitive“ nennt. Vgl. auch A. GRØN 1999; 2012. 784 A. G RØN 2001, 125. 785 Vgl. F. N IETZSCHE, KSA 6, 80.81 (Wie die ,wahre Welt‘ endlich zur Fabel wurde. Geschichte eines Irrthums). 786 H. A RENDT (1977/1978) 1998, 20. 781 782

1.5 Aufgabenstellung: Geschichte, Deutung und Kritik eines Krisenphänomens

139

erlangt [haben], denn seit Beginn unseres [des 20.; d. A.] Jahrhunderts sind es [sic] nicht mehr bloß Gegenstände der Beschäftigung für eine geistige Elite, sondern ungeprüfte Voraussetzungen für fast jedermann.“787 Wenn das so zutrifft, dann kann man mit Recht vom Tod Gottes als Lebensgefühl der Moderne sprechen und die Wendung „Gott ist tot“ als Sinnbild für einen neuen emotionalen, epistemischen und rationalen Umgang mit der Endlichkeit im Sinne einer radikalen Existentialhermeneutik deuten. Der Ausgangspunkt bei dieser elementaren Erfahrung der Endlichkeit alles Seienden in der Welt unterscheidet sich damit nicht vom Ausgangspunkt der Metaphysik. Leitend bleibt hier, dass die Deutungsfigur vom Tode Gottes hochgradig mehrdeutig und vielschichtig ist. In einem langen und tiefgreifenden geschichtlichen Prozess ist die Rede vom Tode Gottes zum Lebensgefühl der Moderne geworden. Mit der Rede vom Lebensgefühl soll die Unbestimmtheit der Rede vom Tode Gottes als ein vieldeutiges Versprechen der Moderne beschrieben werden: Das Leben aus dem Gefühl heraus, Gott verloren zu haben. Diese Unbestimmtheit hat sich in der Moderne allerdings als äußerst produktiv erwiesen und zeigt sich in der Deutungsvielfalt des Motivs des Todes Gottes in der Theologie, Philosophie, Literatur, Soziologie und Kulturgeschichte. Wenn das Ereignis des Todes Gottes, mit Nietzsche gesprochen, ein Ereignis im Kommen ist, dann haben wir uns erst noch zu befreien von dem langen Schatten des alten Gottes. Diese Aufgabe wird noch die nächsten Jahrhunderte in Anspruch nehmen. Insofern sind auch diese Entwürfe, wie auch diese Arbeit selbst, nur Bestandsaufnahmen eines weltgeschichtlichen Prozesses, der sich in der Verschränkung des säkularen und religiösen Diskurses ausdrückt und dessen Ausgang für den Menschen ungewiss und offen ist. Das führt aber für Entwürfe wie den vorliegenden zu der Einsicht, dass Theologie als kritische Wissenschaft nur noch im Horizont des Unterwegsseins des Ereignisses des Todes Gottes betrieben werden kann. Sie ist damit aber nicht Gott-ist-tot-Theologie oder einfach Theologie nach Gott oder Theologie nach dem Tode Gottes, sondern immer eine Momentaufnahme der Theologie als Ort ideologiekritischer Besonnenheit inmitten des Ereignisses des Todes Gottes selbst, also der „fortschreitenden Situationserhellung“ als immer wieder neu zu erringender „Anfang der Weltorientierung“, der die „Möglichkeiten des Künftigen“788 eröffnet. Theologie in der Moderne heißt Theologie inmitten des Ereignisses des Todes Gottes selber zu sein. Die Wahrnehmungen und Weiterführungen radikaler Theologie zeigen unübersehbar an: sich mit den vielfältigen Varianten der Deutungsfigur des Todes Gottes aus systematisch-theologischer Perspektive zu beschäftigen, ist mehr als zeitgemäß. Es ist theologisch notwendig, sachgemäß und sinnvoll, die mit diesem Krisenphänomen verbundene Deutungspluralität, Ungewissheit und Offenheit auszuhalten. 787 788

H. ARENDT (1977/1978) 1998, 21. K. JASPERS (1932) 1994a, 3.





Hauptteil A: Der Tod Gottes als sprachlicher Ausdruck von Sinnkrisen Wo einer Zeit Gott, wie die Sonne, untergehet; da tritt bald darauf auch die Welt in das Dunkel […].1

1

J. PAUL, SW I/5, 31.





Teil I: Herkunft und Variationen des Motivs Tod Gottes Das Sterben des Gottes tritt geschichtlich in vielen Religionen hervor – in der syrischen Religion der Tod des Adonis, ebenso in der ägyptischen der Tod des Osiris. [...] [U]nd so ist das Moment des Todes hoch zu achten, nicht als Bestimmung des Endlichen als solchen, sondern als Inhalt Gottes selbst, immanent dem Wesen selbst. [...] Damit hängt zusammen die dritte Bestimmung, daß Gott sich wiederherstellt, wieder aufersteht. [...] Der Geist ist das [die] Negation Aufhebende, [das] den Tod – als Negation erscheinend – überwindet, die Sphäre der Negation; der Gott ist damit wiederhergestellt, und so ewig wiederkehrend ist er der Geist.1

Des Menschen Glaube an Tod und Auferstehung Gottes läuft wie ein roter Faden durch die Zeiten und verbindet die Primitiven in Frazers „Golden Bough“ [...] mit dem aufgeklärtesten Gottesdienst einer protestantischen Kirche. Vor Christus dachte man, die Götter stürben in der Schicksalsdämmerung oder im Wahnsinn der Stammes-Ekstase wie Adonis oder Tammuz oder Osiris. Aber die Christenheit zeigte zuerst in der Kreuzigung, dann in der katholischen Messe und im protestantischen Wortgottesdienst, daß Gott durch die unreinen Hände, Sinne und Lippen derer stirbt, die an seiner Auferstehung teilhaben sollen. 2

Der Mythos eines Gottes kann erklären, was seine Dogmatik nicht wahrhaben darf: weshalb nämlich diesem Gotte die Altäre erkalten, die Opfer sich der Schlachtung widersetzen, die Beweise seiner Existenz nicht mehr funktionieren, die Gebete von ihm nicht mehr erhört und die Wunder Vergangenheit werden – weil nämlich dieser Gott tot ist. 3

Wenn man unter die Oberfläche dringt, geht es um etwas Tieferes und Umfassenderes als die zum Teil sensationsbedingte Anwendung einer Metapher. Es geht um ein Denkmotiv, das sich in unterschiedlichen Sprachgewändern und von unterschiedlichen erkenntnistheoretischen Voraussetzungen her in einer bestimmten geistigen Situation unter dem Eindruck eines sich gewaltsam aufdrängenden Dilemmas herausbildet.4

G. W. F. HEGEL 1985a, 269–271. E. ROSENSTOCK-HUESSY 1955, 140. 3 H. B LUMENBERG (1971) 2001, 353. 4 P. LØNNING 1986, 42. 1 2



2 Mythen sterbender und auferstehender Götter: Der Tod Gottes als Motiv in der Religionsgeschichte Der Tod Gottes als Motiv in der Religionsgeschichte

(1) Das Wort vom Tode Gottes ist auf den ersten Blick ein Oxymoron. Es irritiert geläufige Vorstellungen von Gott und Göttern. Bekanntermaßen sind Gottheiten der wirkmächtigen griechischen Vorstellung zufolge unsterblich. Insofern wirft die Rede vom Tode Gottes Fragen auf: Sind Götter sterblich und können sie wie Menschen sterben?1 Gehören die Begriffe „Leben“ und „Gott“ nicht als ursächliche Verbindung untrennbar zusammen?2 Hat sich dieser Zusammenhang nicht in der biblischen Metapher vom ,lebendigen Gott‘3 1 Vgl. unten zu Ps 82; aus der älteren Forschung J. LEIPOLDT 1923, 4; zur Rezeption des Gedankens in der Antike W. JENS (1959) 1962 und dazu B. SEIDENSTICKER 2002. 2 Dieses „Gotteswissen“ der biblischen Überlieferungen vom engen Zusammenhang von Gott und Leben machen die beiden Göttinger Exegeten Reinhard Feldmeier (NT) und Hermann Spieckermann (AT) zum Leitmotiv ihrer nach der einzigen ,Definition‘ Gottes aus dem Munde Jesu benannten biblischen Gotteslehre „Der Gott der Lebendigen“ (R. FELDMEIER/H. SPIECKERMANN 2011, 1), die sie als „Lebenswissenschaft“ (ebd.) verstehen: Gott schafft demnach neues, von Schuld befreites Leben, das nicht ein Leben zum Tod, sondern ein Leben von Gott her zu Gott ist als Partizipation am Leben Gottes. Zum von Jesus verwendeten Syntagma „Gott des Lebens“ bzw. „Gott der Lebendigen“ (Mk 12,27; Lk 20,38; Apk 1,18), das ohne Parallelen in der frühjüdischen Literatur ist, vgl. R. FELDMEIER/H. SPIECKERMANN 2011, 515–546; ferner U. SCHNELLE 2016, 766.767. 3 Erst die alttestamentliche nachexilische Vorstellung vom „lebendigen Gott“ hat das Motiv vom Tode Gottes im Laufe der Religionsgeschichte in den Hintergrund gedrängt bzw. in die Vorstellung von Tod und Auferstehung Jesu Christi im Christentum integriert. Im Alten Testament beispielsweise wird der Gott Israels als Gott (JHWH), der „lebt“ (2 Sam 22,47 = Ps 18,47) oder als „lebendiger Gott“ bezeichnet (Ps 42,3.9; 84,3). Doch die Wirkungsgeschichte dieser Metapher vom „lebendigen Gott“ ist breiter (vgl. nicht zuletzt die liturgische Formel „Wort des lebendigen Gottes“) als der relativ schmale Textbestand. Darauf weist W. H. SCHMIDT 2007, 218 ausdrücklich hin. In ihren verschiedenen Formen kommt diese Wortverbindung auf kaum zehn Belege, die auch noch als fremde Gottesbezeichnungen von außen in das Alte Testament hinein gekommen sind. Schließlich mache das Alte Testament selten Wesensaussagen. Der „lebendige Gott“ sei vielmehr ursprünglich der Gott des Mythos gewesen (a. a. O., 219). Vgl. auch R. FELDMEIER/H. SPIECKERMANN 2011, 521.522. Systematisch-theologisch findet sich bspw. das Symbol „lebendiger Gott“ als Umschreibung der Trinitätslehre bei P. TILLICH, EW IX, 328–333 („§ 1 Der lebendige Gott [Dreieinigkeit]“); vgl. P. TILLICH 1987a, I, 280–290 („Gott als der Lebendige“), E. JÜNGEL (1965) 1976a, VI („Ohne den Mut, die Lebendigkeit Gottes zu denken, wird die Theologie

Der Tod Gottes als Motiv in der Religionsgeschichte

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verdichtet? Nach gängiger Vorstellung hat sich diese monojahwistische bzw. monotheistische Gottesvorstellung in einem langen Prozess aus der polytheistischen Götterwelt der Religionen der vorderorientalischen Umwelt Israels herausgebildet,4 um den israelitischen Gott JHWH als monarchischen Hauptgott von den anderen Göttern des Götterkreises zu unterscheiden.5 Heute wird von den lange vorherrschenden religionsgeschichtlichen Modellen der Dekadenz oder Evolution abgesehen, die den Monotheismus als ,Anfang‘ der Religion oder gar als den End- und Höhepunkt einer linearen Entwicklung sehen. Vielmehr operiert man mit einem dynamischen, „auf Werturteile verzichtende[n] Modell mit den beiden Polen ,Monotheismus‘ und ,Polytheismus‘, zwischen denen sich zahlreiche Konfigurationen und Kombinationen zu unterschiedlichen Zeiten und in unterschiedlichen geographischen Räumen herausbilden.“6 Interessant, aber eher unwahrscheinlich, ist die Annahme des schwedischen Alttestamentlers Tryggve N. D. Mettinger, wenn er den JHWH-Titel ,der lebendige Gott‘ (elohim hayyim) als einen Gegenbegriff zum ugaritischen Gott Baal versteht, den er wie Adonis und den phönizischen Stadtgott von Tyros Melqart im Kontext des Mythos vom sog. ,sterbenden und auferstehenden Gott‘ deutet.7 Zwar wurde der im Alten Orient auf verschiedene Weise erzählte Mythos von der biblischen Exegese aufgegriffen, aber heute ist er zu einer in der Religionsgeschichte umstrittenen Kategorie geworden, da die Exegese in ihrem Bezug darauf sich dem Verdacht ausgesetzt hat, lediglich christlich-apologetisch die Absicht zu verfolgen, die Einzigartigkeit der Auferstehung Jesu Christi herauszustellen. Für den religionsgeschichtlich affinen Systematischen Theologen Paul Tillich wird die „ekstatische Teilnahme am Schicksal des sterbenden Gottes [...] zum Modell, das auch vom monotheistischen Christentum gebraucht wird, um das Teilhaben am Sterben und Auferstehen des Christus

letztlich zu einem Mausoleum der Lebendigkeit Gottes.“) und programmatisch bei J. RINGLEBEN 2018, bes. § 4, der in seiner fast 1000 Seiten umfassenden Gotteslehre keine Auseinandersetzung mit dem „Tod Gottes“ sucht. 4 Vgl. jetzt TH. R ÖMER 2018, der von einer „Erfindung Gottes“ i. S. einer „schrittweise[n] Konstruktion“ spricht, „die aus verborgenen Traditionen entsteht, deren Sedimentlagen die Geschichte so durcheinandergeschoben hat, dass daraus etwas ganz Anderes geworden ist. Und untersucht man, wie sich der Diskurs über diesen Gott entwickelt hat und wie dieser schließlich zu dem einzigen Gott geworden ist, kann man darin eine Art ,kollektiver Erfindung‘ erkennen, die beständig auf bestimmte historische und soziale Zusammenhänge reagiert“ (a. a. O., 19). 5 Vgl. Ps 29; Ps 82. Bereits in diesen Religionen nimmt ein bestimmter Gott eine Vorrangstellung vor allen anderen Göttern ein, die zusammen ein Pantheon bzw. eine Götterversammlung bilden. Vgl. zur theologischen Bedeutung anderer Götter im Alten Testament S. RUDNIG-ZELT 2016. Susanne Rudnig-Zelt danke ich für diesen Hinweis. 6 P. SCHÄFER 2017, 8. 7 Vgl. T. N. D. M ETTINGER 1988, 82–91; 214, Anm. 6; vgl. zum Ganzen W. H. SCHMIDT 2007, 218–226 und J. Z. SMITH 1987.

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2 Mythen sterbender und auferstehender Götter

zum Ausdruck zu bringen.“8 Auf jeden Fall lässt sich das Motiv des sterbenden Gottes durchaus aufspüren, denn in der Religionsgeschichte ist es ein mit dem Naturkreislauf und Festen verbundener Allgemeinplatz und ein wiederkehrendes Motiv, dass Götter sterben und verschwinden, aber auch wiedererstehen und wiedererscheinen können. Dabei ist die Überzeugung leitend, „dass die Gottheit im Naturkreislauf gegenwärtig ist, und zwar so, dass sie als die Macht des Lebens den Tod stets aufs Neue besiegt“9 und neues Leben möglich wird. Die Motivgeschichte soll mithilfe von Forschungsbeiträgen aus der Religionsgeschichte, Ägyptologie, Klassischen Philologie und Neutestamentlichen Wissenschaft dazu beitragen, den christlichen Gottesgedanken, wie er sich in der Vielgestaltigkeit der (neutestamentlichen und frühchristlichen) Überlieferungen zeigt,10 und sich als Basis von allen weiteren Inhalten des christlichen Glaubens verstehen lässt, in einen diskurs- und ideengeschichtlichen Perspektivenreichtum der antiken und jüdischen Deutungs- und Sinnalternativen einzuzeichnen, um sowohl die strukturellen Traditionszusammenhänge als auch die spezifischen Besonderheiten des christlichen Gottesbegriffs im religionsgeschichtlichen und philosophischen Kontext herauszustreichen;11 die christliche Präzisierung des Monotheismus sah in Gott kein abstraktes Prinzip mehr wie die antiken Philosophen,12 sondern ein jedem einzelnen Menschen in Barmherzigkeit zugewandtes Gegenüber.13 Für den christlichen Gottesgedanken erlangte die Vorstellung von der Personalität Gottes zentrale Bedeutung. (2) Der Zugriff über eine Motivgeschichte erinnert an die religionsgeschichtlich außergewöhnliche Leistung des lateinischen Christentums, die sich etwa daran zeigt, dass die Theologie mit den Mitteln historischer Selbstkritik 8 P. TILLICH 1987b, III, 169. Vgl. bereits die Äußerung in seiner Systematischen Theologie von 1913: „Was in der Heidenwelt, besonders in den letzten Zeiten vor Christus geahnt wurde von diesem gewaltigen Paradox des ,leidenden und sterbenden Gottes‘, was in Israel der Prophet weissagte von dem sterbenden Gottesknecht, das findet hier seine Erfüllung und klingt von hier weiter durchs Neue Testament und die ganze Kirchengeschichte, in Predigt und Theologie, in mystischem Wort und im Lied der Gemeinde: ,Gott leidet‘, das ist unsere Seligkeit; ,Gott selbst ist tot‘, das ist unser Leben“ (P. TILLICH, EW IX, 356.357); vgl. auch aus der Berliner Religionsphilosophie-Vorlesung (1920) P. TILLICH, EW XII, 503. 9 D. LANGE 2001a, I, 248 und zum Ganzen vgl. auch a. a. O., 247–251. 10 Vgl. U. SCHNELLE 2016, 762. 11 Vgl. U. SCHNELLE 2016, 757–760. Von Anfang an verbanden sich altorientalische, ägyptische, biblische, jüdische und philosophische Motive im christlichen Gottesverständnis. 12 Wobei auch die von Platon (Kratylos 396a) eingeführte und durch die Stoa verbreitete Etymologie des Namens Zeus als kosmisches Lebensprinzip Erwähnung finden muss. An das „Konzept des permanent Leben schaffenden Weltprinzips der Stoa“ (CH. ZIMMERMANN 2007, 439) schließt sich das hellenistische Judentum in der LXX und in den frühjüdischen Schriften an. Vgl. R. FELDMEIER/H. SPIECKERMANN 2011, 521.522 mit den Anmerkungen 35–37; ferner die Beiträge in J. LAUSTER/B. OBERDORFER 2009. 13 Vgl. J. LAUSTER 2014b, 85.86 im Anschluss an P. V EYNE 2008, 27.

Der Tod Gottes als Motiv in der Religionsgeschichte

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die Transformationsprozesse der Religions-, Kirchen-, Dogmen- und Theologiegeschichte aufarbeiten kann.14 Anders als die katholische Dogmatik ist die historische Erforschung eines nach theologischer Aufklärung über Geschichte und Wesen der eigenen Religion suchenden Protestantismus nicht einem kirchlichen Lehramt verpflichtet. Daher konnte er sich mit aller Schärfe dem kontingenten Gewordensein der christlichen Religion stellen. Diese konstruktivkritische Einsicht des historischen Bewusstseins in das geschichtliche Gewordensein auch der Textüberlieferungen der eigenen Religion ermöglicht eine Sensibilität für die Anerkennung des unhintergehbaren Historismus, der gerade nicht zu einem Relativismus als Beliebigkeit führt, sondern für kulturelle Unterschiede sensibilisiert, und vor der Annahme von übergeschichtlichen Wahrheiten warnt, da er auf die zeitliche und soziale Kontextabhängigkeit von Urteilen und Geschehnissen aufmerksam macht. Diese Einzeichnung in die kultur- und religionsgeschichtliche Entstehung menschlicher Gottesvorstellungen kann zugleich das Werden und Wesen gegenwärtiger Gottesvorstellungen erhellen. In der Motivgeschichte15 werden im „diachronen und interkulturellen Vergleich die Ausprägungen, Überlieferungen und historisch bedingte[n] Modifikationen“16 traditioneller Motive, Stoffe oder Themen aufgespürt, die transformiert über Jahrhunderte und Jahrtausende in den diskursiven Textwelten der Kultur- und Religionsgeschichte wiederkehren. Dieser deskriptive Zugang zeichnet die unterschiedlichen Deutungen und variablen Ausgestaltungen derselben Motive als wiederkehrende Thematisierungen und Stoffvariationen im Wandel der Zeiten nach. Jedes einzelne Motiv kann sich in verschiedene Richtungen entfalten, mehrere Varianten bilden und in unterschiedlichen Motivkomplexen wieder auftauchen.17 Eine komparatistische Suche nach dem Motiv vom Tode Gottes führt zurück zum alten Mythologem sterbender Götter, welches durch die Zeiten hindurch die narrative Flexibilität und Deutungsoffenheit des Motivs zeigt. Aus unterschiedlichen Beweggründen treibt das mythische Motiv immer wieder ein neues Bedenken und Deuten in verschiedenen Kulturen an.18 Herkunft und Grenzen dieses Konzepts von sterbenden und auferstehenden Göttern sowie seine Leistungsfähigkeit für eine Motivgeschichte werden im Folgenden thematisiert. (3) Das Konzept leidender, sterbender und auflebender bzw. auferstehender Götter wurde für die religionsgeschichtliche Erforschung der Religionen des Vgl. A. V. SCHELIHA 2008, 3. Über den Transformationsprozess von einer Stoff- bzw. Motivgeschichte hin zu einer Thematologie, die problemorientiert arbeitet und dabei ist, sich kulturwissenschaftlich neu auszurichten, informiert CH. LUBKOLL 2013. Vgl. auch E. FRENZEL 1966. 16 C H. LUBKOLL 2013, 718. 17 Vgl. dazu im Ganzen G. THEISSEN 2000. 18 Zur kulturhistorischen Untersuchung in Ozeanien, Amerika und Afrika vgl. A. E. JENSEN 1966; vgl. auch E. BLOCH (1959) 1985, 1297–1550. 14 15

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2 Mythen sterbender und auferstehender Götter

Alten Orients und Mittelmeerraumes entwickelt,19 ist aber auch in den germanischen Mythen zu finden.20 In den Mythen der altorientalischen und hellenistischen Kulturregionen finden sich Überlieferungen vom Tode eines Gottes, die eng mit Fruchtbarkeits- und Totenkulten verbunden sind. Hauptsächlich tauchen die im Alten Orient und im Mittelmeerraum vorkommenden Mythen in griechischen und lateinischen Texten der nachchristlichen Spätantike auf und nicht in Überlieferungen der ursprünglichen Herkunftsregionen. Doch auch für das Weltbild früher Hochkulturen in der Alten und Neuen Welt war die Idee einer getöteten Gottheit grundlegend. Das Töten der Gottheit galt als erster Tod überhaupt und wurde im Kultopfer erinnert. Dieser Tod begründet zugleich Leben, da sich die getötete Gottheit, die fast überall mit dem Mond identifiziert wurde, in Nahrungspflanzen verwandelt und das Einsetzen der Zeugungsfähigkeit begründet.21 Im kulturellen Vergleich wurden in der Forschung Übereinstimmungen und Unterschiede herausgearbeitet. Eine strukturähnliche Motivik in der altägyptischen und in der mesopotamischen bzw. altbabylonischen Religionsgeschichte22 führte in der früheren Forschung dazu, dass die Götter Osiris und Tammûz in enger Verbindung gesehen wurden.23 Der schottische Ethnologe und klassische Philologe Sir James George Frazer (1854–1941) hat nicht nur dazu beigetragen, dass Baal aus Ugarit als sterbender und auferstehender Gott charakterisiert wurde, sondern er vermutete in Tammûz den Prototyp eines sterbenden und auferstehenden Gottes, dessen jährlich wiederkehrendes Sterben und Auferstehen von den Toten eine Personi19 Vgl. J. Z. SMITH 1987. Knapp informiert [D. LEEMING] 2005; klassisch aus der religionsgeschichtlichen Schule die Studie Kyrios Christos von W. BOUSSET (1913) 1967, 134– 140 mit Hinweisen auf die ältere Forschungsliteratur. Bousset sieht in diesem „Mythus vom leidenden, sterbenden und auferstehenden Gott“ die „geistige Atmosphäre [...], innerhalb dere[r] das paulinische Mitsterben und Mitauferstehen mit Christus steht“ (a. a. O., 139). 20 Vgl. J. FIGL 2007, 303.304 mit Hinweisen auf den Begründer der Vergleichenden Religionswissenschaft Friedrich Max Müller und auf Friedrich Nietzsche, der an das „urgermanische Wort: alle Götter müssen sterben“ (KSA 7, 125) glaubt, und in den Jahren 1869/70 zahlreiche Exzerpte zum Thema anfertigt. Zum germanischen Mythos von Balders (Baldurs) Tod vgl. R. SIMEK 2014, 150.151. Die alte Deutung des Baldermythos als Tod und Wiederauferweckung eines Vegetationsgottes wird von Simek zurückgewiesen. 21 Vgl. A. E. JENSEN 1966, 125–137; B. G LADIGOW 1993 mit Literaturhinweisen. 22 Vgl. T. N. D. M ETTINGER 2001. 23 Vgl. zum Folgenden B. A LSTER 1999, 828–834. Ausführlich zur Forschungsgeschichte vgl. M. M. FRITZ 2003, 17–45. Dort auch die folgenden Literaturnachweise. Das hebräische Wort Tammûz ist von dem Sumerischen Dumuzi abgeleitet. Übersetzt bedeutet dieses „der gute Sohn“ oder „der rechte Sohn“. In der sumerischen Mythologie wird Dumuzi als Schafhirte vorgestellt, an dem alle Eigenschaften eines Hirten im Gegensatz zum Dasein eines Landwirts abzulesen sind. Dumuzi ist daher keine Vegetationsgottheit. Er gehört auch nicht zu den Hauptgottheiten in den verschiedenen Perioden der mesopotamischen Geschichte, dennoch spielt er eine beträchtliche Rolle im Diskurs über die Religionsgeschichte des Alten Orients.

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fikation des jährlichen Vergehens und Entstehens von Leben sei.24 Für ihn waren Tammûz, der ägyptische Osiris und der phönizische bzw. griechische Adon bzw. Adonis und Attis in Phrygien identisch.25 In ihren jeweiligen Kulten ging es um das Phänomen der Inszenierung des jährlichen Zyklus des pflanzlichen Lebens. Frazer betrachtete Adon bzw. Adonis als Titel für den Gott, dessen wirklicher Name Tammûz war.26 Sein Blick richtete sich auch auf die griechische Mythologie, und er nahm daher auch Dionysos (Bacchus) in seine Kategorie mit auf.27 Die Theorie Frazers enthält im Grunde vier Schlüsselelemente: den göttlichen Status der beteiligten Figuren; ihren Tod und ihre Rückkehr ins Leben; einen Zusammenhang dieses thematischen Zyklus zum Kreislauf der Jahreszeiten und eine Reihe von kultischen Ritualen.28 Problematisch ist, dass er seine komparativen Thesen nicht aus der Verortung in den religiösen Besonderheiten innerhalb der jeweiligen kulturellen Voraussetzungen verstanden hat, sondern sich von Paradigmen zweier nachfolgenden Kulturwelten leiten ließ: vom Christentum und von der Welt des klassischen Altertums, die beide in ihren textlichen Überlieferungen den Religionen des Alten Orients tendenziell negativ gegenüber standen.29 Nicht zuletzt ging es Frazer darum, den Tod und die Auferstehung Christi zu verstehen, ohne sich auf den jüdischen Hintergrund von Apokalypse und Auferstehungshoffnung zu beziehen. Denn zu Beginn der nun über einhundert 24 Frazers Sicht kann bis zur ersten Auflage von The Golden Bough (1890; 2. Aufl. 1900) zurückverfolgt werden und taucht dann in seinem Werk in den zentralen Bänden The Dying God (1912) und Adonis, Attis, Osiris (1906) auf, das als vierter Teil in die dritte Auflage von The Golden Bough (1911–1915) integriert wurde. Sein Werk hatte eine nicht zu unterschätzende Wirkung auch über die wissenschaftlichen Fachkreise hinaus in die Welt der Kulturschaffenden. Thomas Mann hat seine Josephsromane auf dieser Linie komponiert, wenn er den tot geglaubten Joseph mit der Figur des Jahr für Jahr ins Totenreich hinab steigenden Dumuzi, aber auch mit dem altägyptischen Totengott Osiris, mit der Figur des Adonis und mit dem Götterboten Hermes verschmolzen hat und erkennbar Anklänge an Christus aufscheinen lässt. 25 So auch D. M ERESCHKOWSKIJ 1924, 208: „Tammuz und Osiris sind keine zwei Götter, sondern ein Gott der [...] vorbabylonischen und vorägyptischen Urzeit.“ 26 Diese Identifizierung findet sich bereits bei Origenes und ist angelegt in der VulgataFassung von Hesekiel 8,14: „Et introduxit me per ostium portae domus Domini quod respiciebat ad aquilonem, et ecce ibi mulieres sedebant plangentes Adonidem.“ 27 Dionysos, der Sohn des Zeus und der Semele, ist (als Gott des Weines) der vielgestaltigste unter den griechischen Göttern. Auf Heras Befehl hin ergriffen die Titanen den neugeborenen Sohn des Zeus, Dionysos, ein Kind mit Hörnern und einer Schlangenkrone, und rissen ihn in Stücke. Seine Reste wurden in einem Kessel gekocht. An der Stelle, an die sein Blut getropft war, entsprang ein Granatapfelbaum. Aber seine Großmutter Rhea sammelte alle Teile ein und fügte sie wieder zusammen. Dionysos lebte wieder und wurde Persephone anvertraut, die als Naturgöttin jährlich aufersteht. Vgl. EURIPIDES, BAKCAI/Die Mänaden 99–102. Zum Dionysoskult und den Dionysosmysterien vgl. H.-J. KLAUCK 1995, 96–105. 28 Vgl. M. S. SMITH 1998, 262. 29 Vgl. M. S. SMITH 1998, 267–269.

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Jahre andauernden Erforschung von sterbenden und auferstehenden Göttern im Alten Orient und im antiken Griechenland spielte die Frage nach dem Tod Christi und seiner Auferstehung noch eine maßgebliche Rolle.30 Es ging entweder christentumskritisch darum, der christlichen Religion ihren Originalitätsanspruch abzusprechen, oder aufzuzeigen, dass die Vorstellungen von sterbenden und auferstehenden Göttern erst nach dem ersten christlichen Jahrhundert aufkamen, um damit die Einzigartigkeit der Auferstehung Christi zu legitimieren. Doch bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts kam es zur heftigen Kritik an der beschreibenden Terminologie Frazers, so dass in der Folge ein sterbender und auferstehender Gott des Alten Orient nach dem anderen aus seinem Raster herausfiel31 und dieser „Einheitstypus des ,sterbenden und auferstehenden Gottes‘ [...] von der neueren Forschung gründlich zerzaust worden“32 ist. Dennoch gibt es trotz der verbreiteten griechischen Anschauung, dass Götter unsterblich sind, potentiell zwar allen Widrigkeiten des Lebens ausgesetzt sein können, aber letzten Endes nicht sterben, auch das beachtliche Phänomen im Mythos, der den eleusinischen und orphischen Mysterien zugrunde liegt, und der noch mehr in altorientalischen Kulten zu finden ist, dass die Götterwelt vom Angriff des Todes nicht verschont bleibt.33 (4) Zum antiken Glauben an sterbende Götter gehören immer zwei Götter. Eine wichtige ältere weibliche Gottheit betrauert den tödlichen Verlust einer jüngeren Partnergottheit.34 Im Konflikt zwischen Leben und Tod kommt es dann zu einer teilweisen Aufhebung des Todes. Die meisten dieser Gottheiten stammen geographisch aus dem Orient: Inanna und Dumuzi aus Sumer,35 Ischtar und Tammuz aus Mesopotamien, Anath und Baal aus Ugarit, Astarte und Adonis aus Phönikien, Kybele und Attis aus Phrygien sowie Isis und Osiris aus 30 Vgl. T. N. D. M ETTINGER 2004, 373–386. Bei Mettinger finden sich die entscheidenden Wegmarken der Forschungslage nachgezeichnet mit den entsprechenden weiterführenden Literaturhinweisen: „We have surveyed almost a century of research. Some general observations can now be made. To begin with, it seems fairly obvious that the fundamental role of Christ’s death and resurrection in the Christian religion has been important below the surface of the debate. Part of the hidden agenda seems sometimes to have been either to deprive the Christian religion of the claim to uniqueness, or alternatively, to present conclusions that would demonstrate that Christianity could not possibly have been influenced by ideas of a dying and rising god, since the idea of this resurrection was later than the first Christian century“ (a. a. O., 384.385). 31 T. N. D. M ETTINGER 2004, 385: „The order of elimination was first Marduk, then Dumuzi, and finally, Tammuz. [...] and the Lebensraum for the dying and rising god was gradually reduced“. 32 D. ZELLER 1998, 83. Dort finden sich weitere Literaturhinweise. 33 Vgl. zum Folgenden G. THEISSEN 2000, 94–98; D. ZELLER 1993, 42–45. 34 Analogien zur späteren Marienverehrung und Pietà (die Mutter Gottes betrauert den Tod des Sohnes Gottes) liegen auf der Hand. 35 Vgl. zu Inanna und Dumuzi auch die feministisch-theologischen Deutungen bei M. KASSEL 1988, 201–207 und R. RADFORD RUETHER (am. 1983) 1985, 69–74.

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Ägypten. Nur in Eleusis finden wir einen genuin griechischen Kult mit den beiden weiblichen Gottheiten von Mutter und Tochter, Demeter und Persephone.36 Die Götter sterben auf unterschiedliche Weise. Persephone, Tammuz und Baal werden als jüngere Partnergottheiten in die Unterwelt entführt und dort festgehalten. Die anderen drei Götter werden gewaltsam getötet: Osiris wird von seinem Bruder Seth erschlagen oder ertränkt und dann zerstückelt. Attis kastriert sich selbst und stirbt.37 Adonis wird von einem Eber getötet. Die Überwindung des Todes kann allerdings nicht als Auferstehung im christlichen Sinne gedeutet werden: Osiris herrscht als König in der Unterwelt. Persephone muss vier Monate des Jahres in der Unterwelt verbringen. Der Leichnam des Attis verwest nicht, seine Haare wachsen und sein kleiner Finger bewegt sich. Aus dem Blut des Adonis wachsen Blumen. Für den Neutestamentler Gerd Theißen ist es „daher irreführend, von ,sterbenden und auferstehenden Gottheiten‘ zu reden: Es sind sterbende Gottheiten, die dem Tod durch Kompromisse etwas ,Leben‘ abringen.“38 Die von der Unterweltgottheit geraubten Göttergestalten (Persephone, Tammûz und Baal) steigen zwar wieder empor.39 Dafür müssen sie aber Zugeständnisse machen. Nach der sumerischen Version löst Gestinanna/Inanna Dumuzi für ein halbes Jahr im Totenreich ab. Persephone muss vier Monate im Jahr bei ihrem unterirdischen Gemahl verbringen. Der Tod wird in diesen Mythen nicht ,ein für alle mal‘ besiegt wie in der christlichen Auferstehungsvorstellung. Das Leben geht nur im Wechsel mit dem Tod weiter. Bei Adonis und Attis wird im Mythos die Ohnmacht der Großen Göttin betont, die ihren Geliebten trotz aller Klage nicht mehr ins Leben zurückrufen kann. In den jährlichen Wiederholungen jeweils zu den Göttern gehöriger Feste mit Klageriten kommt die Verwurzelung der Mythen und Riten in der jeweiligen Lebenswelt zum Ausdruck, da der Eindruck entsteht, als sei die tödliche Bedrohung, vor allem durch die Vegetation, in Ägypten auch der staatlichen Ordnung, „in die Welt der Götter hineinprojiziert. Im Klagefest nimmt man nun Anteil an der Trauer der vom Tod betroffenen Göttin, wohl um durch solche Sympathie ihre Gunst zu gewinnen und der Erde Fruchtbarkeit zu sichern“40. In der griechisch-römischen Antike gab es vorchristlich vor allem die nach dem Tode vergöttlichten Heroen wie Asklepios und Herakles. Im orientalischen Bereich gab es den Typos des sterbenden Vegetationsgottes, der vor dem völligen Tod gerettet wird. Dionysos partizipiert seinem Typos nach an beiden Möglichkeiten, zumal er an Isis-Osiris angeglichen wurde. Erst nachchristlich entsteht in der Kaiserzeit jener Typos des sterbenden und aufersteZu den Mysterien von Eleusis vgl. H.-J. KLAUCK 1995, 84–95. Zum Attiskult und der Muttergottheit (magna mater) Kybele vgl. H.-J. KLAUCK 1995, 106–111. 38 G. THEISSEN 2000, 96. 39 Vgl. zum Folgenden D. ZELLER 1993, 44. 40 D. ZELLER 1993, 42. 36 37

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henden Gottes, der in der früheren Forschung Modell für die Christologie gestanden hat. Vom „2. Jh. n. Chr. an bildet sich tatsächlich der Typ des leidenden und auferstehenden Gottes heraus, der in Konkurrenz zum auferweckten Gekreuzigten treten kann.“41 (5) In altorientalischen Epen und Mythen sind nicht alle Götter unsterblich. Im Alten Orient und in der Antike gibt es eine Reihe von Erzählungen über sterbliche oder getötete Gottheiten. Göttlichkeit ist nicht notwendig mit Unsterblichkeit verbunden. Ein solcher Hinweis findet sich auch im Alten Testament. In Psalm 82,7 verurteilt der richtende und einzig unsterbliche Gott JHWH als allen anderen Göttern übergeordneter Gott diese zum Tode: Sie werden sterben wie Menschen.42 In der gegenwärtigen altorientalischen und alttestamentlichen Forschung wird von Psalm 82 aus gefragt, wie man den dort verhandelten Ausschluss von Göttern aus dem Götterkonzil als Tod von Göttern mit anderen sterbenden Göttern des Nahen Ostens und des Mittelmeerraumes vergleichen kann. Dieser Vergleich ist nicht so einfach. Dennoch lassen sich mit Peter Machinist drei Kategorien sterbender Götter ausmachen. Das sind zum einen die Fruchtbarkeitsgötter, die Frazer mit dem Terminus ,dying and rising Gods‘43 versehen hatte, und deren Tode mit den Fruchtbarkeitszeiten der Erde verbunden sind und die vor diesem Hintergrund reflektiert werden. Dazu gehören Dumuzi/Tammuz in Mesopotamien und Adonis aus der hellenistischen Welt. Zur zweiten Kategorie zählen Götter, die infolge eines Kampfes um die Kontrolle über den Kosmos sterben. Dazu gehören Apsu, Tiamat und Qingu aus dem babylonischen Mythos Enuma Elish und die Götter des DunnuMythos aus Mesopotamien wie auch Baal und Mot, der als personifizierter Tod gilt, aus der Ugaritischen Mythologie und Osiris aus Ägypten. Drittens sind es Götter wie Ereshkigal und Nergal in Mesopotamien, deren Wohnort in der Unterwelt lokalisiert ist, dem Bereich des Todes. Diese Kategorien seien nun nicht statisch zu verstehen, sondern durchlässig. Eine gewisse Anzahl von Göttern lässt sich auch in verschiedene Kategorien einteilen wie Baal und Mot, deren Tode sowohl die Fruchtbarkeitsthematik als auch die kosmische Herrschaft berühren oder Osiris, der, nachdem er den kosmischen Kampf um die Herrschaft an Seth verloren hat, göttlicher König der Unterwelt wird, und auch Inanna/Ishtar, deren temporäre Gefangenschaft in der Unterwelt ebenfalls der Thematik des Verlustes irdischer Fruchtbarkeit wie auch der kosmischen Herrschaft zuzuschreiben ist. Allen gemeinsam ist, auch im Unterschied zu der in Psalm 82 geschilderten Situation, dass sie durch ihr Sterben nicht ihre Göttlichkeit verlieren. Vielmehr sterben viele dieser Gottheiten auch gar nicht D. ZELLER 1998, 91. Vgl. zur Besonderheit dieses Psalms, die sich in JHWHs Verurteilung von anderen Göttern zum Tode zeigt, die Studien von H.-W. JÜNGLING 1969; P. HÖFFKEN 1983; P. MACHINIST 2011. 43 Vgl. P. M ACHINIST 2011, 219, Anm. 71. 41 42

2.1 Der zerstückelte Gott (Osiris)

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wirklich in dem Sinne, dass sie allesamt ihre Existenz verlören. Einige wie Dumuzi/Tammuz, Baal, Mot und Inanna/Ishtar können wiederbelebt werden, auch wenn sie wie Mot in Stücke gehackt wurden. Andere, wie Ereshkigal, Nergal und Osiris verbleiben verwandelt fortexistierend als Gottheit in der Unterwelt. Am Beispiel des Alten Ägypten lässt sich dann auch ablesen, in welch bedeutsamer Weise der Tod als Initiator von Kultur fungiert und welche Rolle der individuelle Tod für die Sozialität und die Ausprägung religiöser Kultpraktiken und Vorstellungen gespielt hat. Der Tod war Ursprung und Mitte der Kultur des Alten Ägypten, dessen architektonische Zeugnisse in Pyramiden und Grabinschriften seit Jahrtausenden gegenwärtig geblieben sind. Sie weisen offenkundig darauf hin, was in unserer Kultur unter „Ab-, wenn nicht Ausblendung jeglichen Totenkults“44 aus dem Blick verloren gegangen zu sein scheint: der Tod. „Der Tod – das bedeutet die Erfahrung des Todes, das Wissen um die Endlichkeit des Lebens, die rituellen Rahmungen von Sterben und Trauer, die Spur der Gräber, das Weiterleben der Toten, die Gemeinschaft der Lebenden mit den Toten, der symbolische Austausch zwischen den Welten der Lebenden und der Toten, das Streben nach Unsterblichkeit, nach Fortdauer in irgendeiner Form, irgendwelchen bleibenden Spuren und Wirkungen, nach mehr Welt und mehr Zeit.“45 Die Todesvergessenheit unserer Kultur erscheint im kulturgeschichtlichen Vergleich als eine Ausnahme. In der Sprache des Mythos werden Leben und Tod sowie die Restitution des Gottes Osiris darstellbar und erzählbar. Das zeigt religionsgeschichtlich pars pro toto der folgende Hinabstieg in die kosmotheistische Welt des Alten Ägypten.

2.1 Erste Motivvariation: Der zerstückelte Gott (Osiris: toter Gott des Totenreichs) 2.1 Der zerstückelte Gott (Osiris)

(1) In der Kulturwelt des Alten Ägypten46 wird der Tod im Rahmen einer kosmotheistischen Religion imaginiert und erfahren. Todesbilder und Todesriten bestimmen in einem für unsere westeuropäische Kultur unbekannten Ausmaß die gesamte Lebenswelt und das Daseinsverständnis der alten Ägypter. In diesem Kontext entfaltet der Ägyptologe und Kulturwissenschaftler Jan Assmann

J. ASSMANN 2003a, XIII. J. ASSMANN 2003a, 1. 46 Die Welt des Alten Ägypten hat immer wieder eine große Faszinationskraft ausgestrahlt. Insbesondere die kulturwissenschaftlichen Studien des Ägyptologen Jan Assmann haben in den letzten Jahren Kontroversen ausgelöst. Zur „Faszination Ägypten“ aus katholischer Sicht vgl. K. MÜLLER 2006, 38–46. 44 45

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2 Mythen sterbender und auferstehender Götter

seine These, dass der Tod ein Kulturgenerator sei.47 Der Tod wird in den übergeordneten Begriff eines Lebens integriert, das im Tod nicht sein Ende, sondern seine Erneuerung findet. Damit ist der Tod für den einzelnen Ägypter der Durchgang zu einer Fortsetzung des Lebens mit anderen Mitteln. Was für das abendländische Denken als unvereinbar gilt, bedeutet für die ägyptischen Begriffe von Göttlichkeit und Unsterblichkeit keinen Widerspruch: Es besteht hier ausdrücklich die Möglichkeit, dass auch Götter sterben können.48 Sie fallen damit aber nicht aus der kosmischen Symbiose heraus. Dass auch Götter sterben können, bedeutet nicht, dass sie endlich sind. Das kosmische Leben vollzieht sich nämlich in einem Zusammenwirken der unwandelbaren Dauer des Osiris,49 des toten Gottes des Totenreichs, und der unaufhörlichen Erneuerung des Re,50 des sterbenden und auferstehenden Sonnengottes. Auch wenn Osiris nicht der einzige sterbende Gott in der kosmotheistischen Religion der altägyptischen Kulturwelt ist, konzentriert sich die Darstellung auf den OsirisMythos, da sich in ihm bereits solche Motive finden, die für die antike Philosophie, das Christentum und die natürliche Religion der Aufklärung je auf ihre Weise noch Bedeutung erlangen sollten. Dazu gehören vor allem die Vorstellung von der Unsterblichkeit der Seele und der Gerichtsgedanke einer jenseitigen Belohnung oder Bestrafung.51 Mit der Bilderwelt des Osiris-Mythos52 befinden wir uns im innersten Zentrum der ägyptischen Todesvorstellungen.53 Jedoch wird dieser zentrale und

47 Im Wesentlichen bezieht sich die folgende Darstellung auf die Forschungen von Jan Assmann zu den Todesbildern, Todesriten und Jenseitsvorstellungen im Alten Ägypten, wie er sie in seiner Studie Tod und Jenseits im Alten Ägypten (2001) zusammengefasst hat. Sie wird hier nach der unveränderten Sonderausgabe von 2003 zitiert (J. ASSMANN 2003a). Dort finden sich auch ausgewählte Texte der Totenliturgien und weitere zu diesem Themenkreis gehörige Texte, die um der Übersichtlichkeit dieser Darstellung willen hier nicht eigens wieder Erwähnung finden. Vgl. auch J. ASSMANN 2008. Auch für Hegel ist der Tod ein wesentliches Moment der Religionsgeschichte. Am Beispiel von Osiris und Jesus Christus ist es explizit der Tod Gottes. Vgl. zur ägyptischen „Religion des Rätsels“ G. W. F. HEGEL 1985a, 259–281 (Die Bestimmte Religion nach der Vorlesung von 1824), bes. 269–271; 518–532 (Die Bestimmte Religion nach der Vorlesung von 1827); ThWA 16, 409–442; Vgl. auch knapp darstellend M. WENDTE 2007, 208.209 sowie ausführlich zur Darstellung und Kritik der altägyptischen Religion bei Hegel R. LEUZE 1975, 127–144. 48 Vgl. E. H ORNUNG 1971, 143–159. 49 Vgl. M. H. VAN V OS, 1999, 648–651. 50 Vgl. J. A SSMANN 1999, 689–692. 51 Vgl. J. A SSMANN 2003a, XIII. 52 Der Osiris-Mythos wird im Anschluss an die Deutung Assmanns ausführlich geschildert, da sich Motive in der nachzuzeichnenden Kulturgeschichte der Vorstellungen vom toten Gott immer auch wieder auf diesen Mythos (implizit) zurückbeziehen. Die bedeutenden Gottheiten Isis und Osiris treten um 2400 v. Chr. im Alten Reich unvermittelt auf. Vgl. H. ALTENMÜLLER 2001, 248. 53 J. A SSMANN 2003a, 29.

2.1 Der zerstückelte Gott (Osiris)

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fundierende Mythos in den uns erhaltenen altägyptischen Überlieferungen niemals im Zusammenhang erzählt, sondern liegt nur in einer großen Zahl religiöser Texte als gemeinsamer Anspielungsfundus vor. So kann man weniger von einer zusammenhängenden Geschichte sprechen als von einer Szenenfolge, deren Verwurzelung im Totenkult unverkennbar ist.54 Assmann gliedert seine Rekonstruktion des Osiris-Mythos in eine Vorgeschichte und eine Ausgangssituation.55 Seltsamerweise wird die Vorgeschichte in ägyptischen Texten überhaupt niemals erzählt, obwohl sie für die folgende Geschichte einen unabdingbaren Verstehenshorizont bildet: Osiris wurde zum König von Ägypten als Nachfolger seines Vaters, des Gottes Geb. In der ägyptischen Vorstellungswelt herrschten zuerst die Götter über Ägypten. Ägypten steht gleichbedeutend für die geordnete Welt überhaupt. Der erste König war der Schöpfergott selbst. Als Sonnengott56 trat er die Herrschaft über die von ihm geschaffene Welt an. Aufgrund einer schweren Krise, in der sich die Menschen gegen den alt gewordenen Sonnengott auflehnten, trennte sich dieser von der Erde, ließ seinen Sohn, den Luftgott Schu, den Himmel emporstemmen, zog sich zusammen mit den Göttern dorthin zurück und übertrug die Regierung Schu. Auf diese Weise entstand der Raum, die Ausdehnung, die Ferne oder auch die Gottesferne, denn die Götter hatten ja die Erde verlassen. Schu wurde in seiner Herrschaft von seinem Sohn, dem Erdgott Geb, abgelöst, dem Vater des Osiris, der seinerseits sein Nachfolger wurde. Diese vier Göttergenerationen bilden nicht nur eine dynastische Sukzessionskette, sondern auch eine Kosmogonie. Den Anfang bildet Atum,57 der Gott der Präexistenz, der im Übergang zur Existenz als Sonnengott Re erscheint. Atum bringt aus sich selbst Schu und Tefnut hervor, die für Luft und Feuer stehen. Tefnut ist die Gottheit des Urlichts.58 Schu und Tefnut bringen Geb und Nut hervor, die Gottheiten von Erde und Himmel. Damit liegen zugleich drei Elemente vor: das Licht, die Luft und die Erde in Gestalt der drei männlichen Götter und Herrscher Re, Schu und Geb. Es fehlt nur das Wasser. In ägyptischer Vorstellung ist das Wasser präexistent, denn die Welt 54 Die einzigen Texte, in denen der Stoff in fortlaufender Erzählung vorliegt, sind in griechischer Sprache überliefert und stammen aus Diodoros’ (Bibliotheke) Griechischer Weltgeschichte, der die griechischen Götter mit den ägyptischen Gottheiten Isis (Demeter) und Osiris (Dionysos) gleichsetzt (DIODOROS 1992) und von Plutarch. Vgl. PLUTARCH (PERI ISIDOS KAI OSIRIDOS/Über Isis und Osiris [De Iside et Osiride]) 2003, 136–273. In ihrer Bemühung um narrative Kohärenz entfernen sich beide Autoren weit von der ägyptischen Form des Mythos. 55 J. A SSMANN 2003a, 29. 56 Gemeint ist der Kult des Sonnengottes Re zu Heliopolis. Der Sonnengott gewinnt dadurch jeden Morgen neues Leben, dass er aus dem Ozean auftaucht, der die ganze Erde umspült. 57 Vgl. R. L. V OS 1999, 119–124. 58 Das Urlicht entsteht in der biblischen Genesis unabhängig von der Sonne (Gen 1,3: Urlicht; Gen 1,16: großes Licht und kleines Licht: Sonne und Mond).

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ging aus dem Urozean Nun hervor. Doch Wasser gehört ebenso zur existenten Welt. Dieser Aspekt des Wassers findet in Osiris seine Personifikation. Damit ergänzen sich die ersten vier Könige (Re, Schu, Geb, Osiris) zur Vierheit der Elemente (Licht, Luft, Erde, Wasser) und Weltsphären (Himmel, Luftraum, Erde, Unterwelt). Der wesentliche Unterschied von Osiris zu seinen Vorgängern besteht darin, dass er kein Einzelkind ist, sondern einen Bruder hat: Seth,59 der zugleich sein Rivale ist. Das wird Osiris zum Verhängnis. Seine Rettung besteht aber darin, dass er noch zwei Schwestern hat, Isis60 und Nephthys. Hinzu kommt noch Horus,61 der die Kinder der Nut zur Fünfzahl ergänzt, obwohl er streng genommen das Kind des Geschwisterpaares Isis und Osiris ist. Dieser vermeintliche Widerspruch ist jedoch rituell bedingt und entspricht der mythischen Rollenkonzeption, in der das komplexe Phänomen des Todes entfaltet wird. Es treten darin auf: der Mörder (Seth), das Opfer (Osiris), die beiden Klagefrauen (Isis und Nephthys) und der Sohn (Horus). Der Tod wird aufgespalten in diese fünf Rollen. Durch diese besondere Leistung des mythischen Denkens wird eine komplexe Krisenerfahrung konzeptuell bewältigt und rituell behandelbar. Ziel ist es, den mythischen Osiris zum König der Unterwelt und Herrscher der Toten einzusetzen62 und damit wieder in das übergeordnete Prinzip des Lebens des Kosmotheismus einzufügen. (2) In altägyptischen Texten spielt das irdische Königtum des Osiris zwar eine große Rolle, aber in den Überlieferungen geht es so gut wie immer um sein Königtum als Herrscher des Totenreichs, dem Ort der Toten und der Götter. Sein irdisches Königtum hat er als Nachfolger seines Vaters Geb angetreten. Doch seine Regentschaft findet ein gewaltsames Ende. Sein Bruder Seth erschlägt ihn wie Kain den Abel erschlägt (Gen 4,8). Mit diesem (Bruder-) Mord kommt der Tod in die Welt und konfrontiert die Götter mit einem großen Problem. An dieser Stelle endet die Vorgeschichte des Osiris-Mythos, die sich in den bekannten ägyptischen Texten nie in ihrem Zusammenhang erzählt finden lässt. Der eigentliche Mythos, der sich nun anschließt, wird in den ägyptischen Texten ebenfalls nie in Form einer zusammenhängenden Erzählung entfaltet, sondern liegt lediglich als ein Zyklus von Szenen vor. Die erste Szene zeichnet das Bild des erschlagenen Osiris in den krassesten Farben eines zerstörten und vernichteten Lebens. Seth hat Osiris nicht nur erschlagen, sondern ihn auch noch zerrissen und die einzelnen Gliedmaße ins Wasser geworfen, so dass der Nil sie im ganzen Land verstreut hat. Dieses Todesbild der Zerrissenheit63 zeigt nach Assmann die unvermeidliche Ausgangssituation von darauf folgenden Handlungen, deren einzige Intention es ist, die Katastrophe zu beVgl. K. V. D. TOORN 1999, 748.749. Vgl. J. ASSMANN 1999, 456–458. 61 Vgl. M. H. V. V OS 1999, 426.427. 62 Vgl. J. A SSMANN 2003a, 102. 63 J. A SSMANN 2003a, 29–53 („Der Tod als Zerrissenheit“). 59 60

2.1 Der zerstückelte Gott (Osiris)

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wältigen. Als erster Herrscher, der Geschwister hatte, wurde ihm zwar sein einziger Bruder zum Verhängnis, aber seine anderen Geschwister werden ihm zur Rettung. Seine Schwestergattin Isis durchzieht das Land, um die verstreuten Gliedmaße des Osiris einzusammeln, was ihr auch fast vollständig gelingt. Lediglich sein Geschlechtsteil bleibt unauffindbar, wird jedoch findungsreich von einer Attrappe ersetzt. In der posthumen Empfängnis des Horus gipfeln diese Handlungen der Isis. Horus übernimmt als Schützer seines Vaters sofort die Regie in der zweiten Szene, in der es um die Überwindung des Todes als soziale Isolation durch die Wiederherstellung der sozialen Person des Toten geht.64 Der Tod steht in der ägyptischen Vorstellung für das Prinzip des zergliedernden, auflösenden, isolierenden Zerfalls. Leben ist umgekehrt das Prinzip der verknüpfenden, Einheit und Ganzheit stiftenden Beseelung. Das betrifft nicht nur den individuellen Körper, sondern auch das Sozialgefüge im Ganzen. Das Prinzip dieser Verknüpfung ist die ägyptische Idee der Gerechtigkeit (ma’at).65 Das Verbindende ist im ägyptischen Denken zugleich das Bewahrende und Bestand Verleihende. Assmann nennt es den „einbalsamierenden Blick“.66 Im Balsamierungsritual geht es daher nicht nur um die Wiederherstellung des zerrissenen Leichnams, sondern auch um dessen soziale Reintegration. Der Mythos erzählt, wie Seth seinen Bruder Osiris erschlug, seinen Leichnam in viele Teile zerriss und die Glieder über ganz Ägypten verstreute.67 Im Balsamierungsritual wird dieser Mythos für jeden Toten nachgespielt, unabhängig davon, ob er ermordet und zerrissen wurde, und auch dann, wenn er eines friedlichen und natürlichen Todes starb. Im mythischen Denken jedoch gibt es keinen natürlichen Tod. Vielmehr ist jeder Tod ein gewaltsamer Eingriff. Für die in Begriffen der Zergliederung und Konnektivität denkenden Ägypter stellt sich der Tod als ein Zerreißen und Zergliedern dar. Es gibt eine frühere wissenschaftliche Annahme, dass die Toten tatsächlich zergliedert und zerstückelt worden sind.68 Vermutlich, um sie unschädlich zu machen und die Nachwelt vor Wiedergängern zu schützen. Solche Zergliederungsmythen sind weltweit besonders im Kontext schamanistischer Riten belegt. Sie wurden früher als Reflexe derartiger Bestattungssitten gedeutet. Doch inzwischen ist die Forschung zu der Ansicht gekommen, die Rede vom Einsammeln und Zusammenfügen des Zerrissenen und Verstreuten in ägyptischen Texten sei symbolisch zu verstehen. Das mythische Bild des zerrissenen Leichnams stellt die Ausgangslage so dar, dass nun der Mensch aktiv werden kann. Solche mythiJ. ASSMANN 2003a, 54–88 („Der Tod als soziale Isolation“). J. ASSMANN 1990. 66 J. A SSMANN 2003a, 39. 67 Ähnliches wird berichtet über Tammuz und Dionysos. 68 J. A SSMANN 2003a, 542, Anm. 27 verweist hier auf Arbeiten von A. Hermann zur Einbalsamierung und zum Zergliedern und Zusammenfügen. 64 65

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2 Mythen sterbender und auferstehender Götter

schen Bilder haben die Funktion, Lähmung zu überwinden und Handeln zu ermöglichen.69 Der tote Körper als membra disiecta ist als metaphorisches Todesbild zu verstehen, das als Folie dient für das Lebensbild, in das der tote Körper durch den Vollzug der Balsamierungsriten überführt werden soll.70 In den entsprechenden Texten wird erzählt, wie die fehlende Konnektivität wiederhergestellt werden kann. Damit beruht das ägyptische Weltbild auf einem ungewöhnlich festen Glauben an die Bindekraft der Liebe einerseits und der Symbole andererseits.71 Osiris wird wieder zum Leben erweckt, obwohl sein Herz endgültig aufgehört hat zu schlagen. Sein Beiwort ist der „Müdherzige“72 oder der „Herzensmatte“73. Es meint genau dies: Osiris ist der Gott, dessen Herz nicht (mehr) schlägt und der gleichwohl lebt. Denn der Osiris-Mythos überträgt die Leben spendende Konnektivität aus der Sphäre des Natürlichen, Physiologischen und Organischen in die Sphäre der Kultur, der Institutionen und der Symbole. Damit sind es Riten, Bilder und Texte, die Osiris wieder zum Leben erwecken und am Leben erhalten. Denn mit Hilfe der symbolischen Formen wird das Zerrissene wieder zusammengefügt und die Grenze zwischen Leben und Tod, Diesseits und Jenseits überwunden.74 Doch das Geheimnis dieser todüberwindenden Konnektivität liegt nicht in den symbolischen Formen selbst, sondern in der Liebe, die sie in Gang setzt. Denn es ist nicht gleichgültig, wer die Riten vollzieht, die Worte spricht und in den Bildern erscheint. Mit Isis ist es die Schwester und Gattin des Osiris, die hier maßgeblich handelt.75 Die Liebe der Isis verleiht in zauberkräftigen Riten und verklärenden Rezitationen eine Bindekraft, die das nicht mehr schlagende Herz des Osiris ersetzen und den Gott zum Leben erwecken kann: „Diese Verbindung von Liebe und Sprache ist die stärkste Bindekraft, die die Ägypter kennen und zugleich das stärkste Lebenselixir [sic!]“76. Es ist in erster Linie Sache der Isis, der liebenden Schwester und Gattin, den toten Osiris aus dem Zustand der Zerrissenheit zu retten, indem sie den Verschwundenen sucht, seinen Leichnam zusammensammelt und sich schützend J. ASSMANN 2003a, 40–53. Zu den Einzelheiten J. ASSMANN 2003a, 40–53. 71 So J. A SSMANN 2003a, 43. 72 J. A SSMANN 2003a, 36. 73 J. A SSMANN 2003a, 37. 74 J. A SSMANN 2003a, 44. 75 In diesem Punkt entspricht der Mythos von Isis und Osiris dem Mythos von Orpheus und Euridike. In anderen Punkten geht er andere Wege (J. ASSMANN 2003a, 189.190). Die Liebe setzt die verklärende Rezitation und die Riten in Gang, bzw. bei Orpheus ist es die Musik. Der christliche Mythos ist zutiefst geprägt von der ägyptischen Tradition, vom Mythos um Osiris und Isis, in dem es von Anfang an um Erlösung und ewiges Leben geht. Vgl. zu Orpheus und Euridike sowie Maria und Jesus a. a. O., 190. 76 J. A SSMANN 2003a, 44. 69 70

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und belebend um ihn kümmert. Damit verkörpert Isis in dieser ersten Szene der Todesheilung die belebenden Kräfte. Sie kommen aus der Liebesbeziehung, denn ihre Zuwendung wirkt wie eine belebende Sphäre, die den Toten mit Licht und Luft zu erquicken vermag. Das führte dazu, dass Isis gerne auf Sargwänden abgebildet wurde. Denn ihre Gegenwart soll den Sarg in eine Lebenssphäre umwandeln, in der der Tote sehen, atmen und Lust empfinden kann. So ist Osiris im ägyptischen Totenglauben das Vorbild eines jeden Toten: „Jeder will im Tod zu Osiris werden und von Isis belebt werden.“77 Isis ist also die Göttin der leiblichen Wiederherstellung.78 Ihre Handlungen zielen auf den Körper und die Lebenskräfte.79 Die andere Seite bildet die Wiederherstellung der sozialen Person des Toten, seiner Ehre, Würde, Stellung und Anerkennung. Für diese Aspekte der Todesheilung ist der Sohn Horus zuständig. Damit werden in der Rollenverteilung des Mythos die auf die Wiederherstellung der Person in ihrer Leibsphäre zielenden Handlungen mit dem Weiblichen, die auf die Wiederherstellung in ihrer Sozialsphäre zielenden Handlungen mit dem Männlichen verbunden. Auf diese Weise besiegt die Gatten- und Geschwisterliebe zwischen Isis, Nephthys und Osiris den Tod durch Belebung und Beseelung des Körpers, und die Sohnes- und Vaterliebe zwischen Horus und Osiris besiegt den Tod durch die Herausforderung des Feindes, seine Anklage und Verurteilung und die damit verbundene Rechtfertigung und Rehabilitierung des Erschlagenen.80 Der Status, der Name, die Sozialsphäre des Menschen ist durch den Tod ebenso bedroht wie die Unversehrtheit des Leibes.81 Das Ritual der Verklärung durch Umwandlung des Toten in einen verklärten Ahnengeist gilt seiner Leibsphäre (Isis, Nephthys und Anubis) und seiner Sozialsphäre (Horus, Thot). Die Sprache ist hierbei jedoch die wichtigste Waffe, die Isis gegen den Tod ins Felde führen kann. Die Rezitation zauberkräftiger und Wirklichkeit schaffender Sprüche entfaltet eine besondere Macht der Bewältigung des Todes. Denn die Verbindung von Sprache und Liebe hat die Kraft, den Tod zu überwinden. Damit ist es eine Funktion dieser „verklärenden“ Rezitation der Isis, die zerstreuten Gliedmaßen des Körpers in einen Text zusammenzufügen. Im Text werden die Glieder als eine neue Einheit versammelt und Teil einer Totenliturgie des Mittleren Reiches (19. Jh. v. Chr.), in der jedes Körperteil mit einer götterweltlichen Entsprechung bekleidet wird („Gliedervergottung“).82 Man könnte folgern, dass Osiris in einen Text auferstanden ist.83 Die VorstelJ. ASSMANN 2003a, 44. Zum Mythos in der historischen Traumforschung vgl. S. STEPHANOS 1995. 79 J. A SSMANN 2003a, 45. 80 J. A SSMANN 2003a, 46; 54. 81 J. A SSMANN 2003a, 58. 82 J. A SSMANN 2003a, 46. 83 Rudolf Bultmann hat später ähnlich die Auferstehung Jesu von den Toten eschatologisch gedeutet, als er davon sprach, dass Jesus Christus ins Kerygma, ins Wort der Ver77 78

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2 Mythen sterbender und auferstehender Götter

lung eines aus lauter Göttern zusammengesetzten Makro-Corpus wird auf den Mumienleib des Toten übertragen, der dadurch zu Atum wird, dem Gott, der zugleich alle Götter wird.84 Der Mumienleib des Toten wird damit zu einem Pantheon verklärt. Es geht also nicht nur darum, die einzelnen disiecta membra zu einem Text des Leibes zu vereinen, sondern auch darum, diesen Text in die Form einer Göttergemeinschaft zu bringen. Dieser Textualisierungsprozess ist die symbolische Konnektivität, durch die die zerrissenen Glieder wieder zu einem beseelten Körper vereinigt werden sollen. Insofern gilt auch umgekehrt, dass die Götterwelt als ein Körper bzw. eine Körperschaft erscheinen kann.85 Körperbild und Sozialstruktur hängen in Ägypten eng zusammen. (3) Festzuhalten ist aus der Rekonstruktion des Mythos vom toten Gott Osiris die Macht der Sprache und der Liebe. Der Sprache und den Texten, insbesondere in Verbindung mit der Macht der Liebe (vgl. Hld 8,6b), kommen in Bezug auf die Bewältigung des Todes belebende Rollen zu. Der restituierte Leichnam wird als ein Text verstanden, der unter Rezitation der Totenliturgie und vor dem Hintergrund des fundierenden Mythos zugleich die Vergottung und Wiedereingliederung in die soziale Körperschaft bedeutet. Es spielt aber nicht nur die Macht der Liebe eine bedeutende Rolle, sondern auch die Macht der königlichen Herrschaft. Alle Handlungen des Horus für Osiris zielen auf die Wiederherstellung von Ehre, Status und Würde. Horus setzt Osiris an die Spitze der Götter und setzt ihn wieder in die Herrschaft ein. Auch die Demütigung des Feindes gehört zur Wiederherstellung der Ehre.86 Eigentliches Ziel seiner Tätigkeit ist die Wiederherstellung der Sozialbeziehung des Toten, die soziale Konnektivität, die ihn als Person restituiert. Horus verschafft dem Vater Respekt durch das königliche Machtwort, das ihm nach seiner Thronbesteigung zukommt.87 Die Würde des Vaters besteht in der Stellung des Sohnes Horus. Dieser muss im Diesseits bleiben, Osiris kann ihn nicht zu sich in die Unterwelt holen, damit er in der Oberwelt die Stellung hält und stellvertretend für Osiris eintritt.88 In dieser theologisch verstandenen Stellvertretung sind Vater und Sohn aufeinander angewiesen. Man kann dies in soziologischer Perspektive auch als ägyptische Form des Generationenvertrags lesen. Die Grenze zwischen beiden Welten zu überwinden ist das Ziel dieser Handlung, aber auch die Aufteilung der Macht. Um das Geheimnis der Konnektivität, das Leben als

kündigung, auferstanden sei. Vgl. R. BULTMANN 1988, 57–63 sowie R. BULTMANN 1967, 469: „An den im Kerygma präsenten Christus glauben, ist der Sinn des Osterglaubens.“ 84 Vgl. J. A SSMANN 2003a, 48. 85 Vgl. J. A SSMANN 2003a, 48. 86 Vgl. J. A SSMANN 2003a, 60. 87 Vgl. J. A SSMANN 2003a, 64. 88 Vgl. J. A SSMANN 2003a, 66.

2.2 Der Untergang der antiken Götterwelt („Der große Pan ist tot!“)

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Kunst des Zusammenlebens,89 die den Tod überdauert und Unsterblichkeit verheißt,90 zu verstehen, ist noch ein drittes Todesbild heranzuziehen. Im Bild „Der Tod als Feind“91 wird Osiris mit Seth, seinem Mörder, konfrontiert. In der narrativen Entfaltung ordnen sich dieses und die beiden vorhergehenden Todesbilder („Tod als Zerrissenheit“, „Tod als soziale Isolation“) zu sukzessiven Handlungsschritten. Das dritte Bild, gedeutet als Höhepunkt des zweiten, zeigt die gerichtliche Auseinandersetzung mit dem Mörder Seth, aus der Osiris und Horus als Sieger hervorgehen.92 Im Freispruch des Sohnes und in der Bestrafung Seths erreicht Osiris seine volle Lebendigkeit wieder. Der Tod, der ihn zerrissen und seiner Würde beraubt hat, ist nun besiegt. Osiris ist damit zu einer neuen Form von Lebendigkeit auferstanden. Aber er bleibt der Herzensmatte. Und er bleibt in der Unterwelt. Doch er ist nicht tot. Seine Glieder sind wieder zu einem Leib vereinigt, seine Person93 ist wiederhergestellt durch seine Einbindung in die sozialen Konstellationen der Götterwelt, und das Unrecht, das ihm der Tod zugefügt hat, ist dadurch gesühnt, dass Seth als Verkörperung der Todesursache vor Gericht gestellt, abgeurteilt und bestraft wurde.94 Der Tod ist also kein Zustand, sondern erscheint als Person, als Mörder, den man herausfordert, vor Gericht stellt und verurteilt.

2.2 Zweite Motivvariation: Der Untergang der antiken Götterwelt (Plutarchs Ausspruch „Der große Pan ist tot!“) 2.2 Der Untergang der antiken Götterwelt („Der große Pan ist tot!“)

(1) Die zweite Motivvariation führt zurück in die polytheistische Vorstellungswelt der griechisch-römischen Antike. In ihr erschallt zur Zeit des Auftretens Jesu von Nazareth der Ruf „Der große Pan ist tot!“. Pans Altäre erscheinen erloschen, während der Gott des Christentums seinen Siegeszug durch das Imperium Romanum antritt. Zur Wirkungsgeschichte des Pan und seines Todes gehören zahlreiche Deutungsvarianten. Der antike Gott Pan zählte allerdings nicht zum Kreis der Zwölf des olympischen Götterhimmels. Je nach Überlieferung erscheinen Zeus, Hermes, Apollon oder Kronos als Vater und verschiedene Nymphen als Mutter.95 Oft findet er sich im Gefolge des erst spät in den Olymp aufgenommenen Gottes Dionysos.96 Der älteren Tradition zufolge war Vgl. J. ASSMANN 2003a, 78. Vgl. J. ASSMANN 2003a, 77. 91 So heißt auch das dritte Kapitel in J. A SSMANN 2003a, 89–115. 92 Vgl. J. A SSMANN 2003a, 89. 93 Vgl. zum Personbegriff J. A SSMANN 2003a, 116–159. 94 Vgl. J. A SSMANN 2003a, 91. 95 Quellen und Deutungen zu Pan stellt zusammen R. V. R ANKE-G RAVES 1960, 88–90. 96 Dionysos ist der einzige olympische Gott, der aus einer Beziehung des Zeus mit einem Menschen hervorgeht. Der ursprünglich aus der Fremde stammende vorgriechische Vegetationsgott wird im Mythos zum Sohn des Zeus und Thebens Königstochter Semele. Dionysos 89 90

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2 Mythen sterbender und auferstehender Götter

Pan Hirtengott in Arkadia, der jüngeren nach Allgott, dessen Verehrung sich erst in römischer Zeit im 1. Jahrhundert n. Chr. in orphischen Kreisen aufzeigen lässt und zudem in der stoischen Philosophie aufgrund falscher Etymologie eine wichtige Rolle spielt.97 Bereits Platon hatte Pan als Sohn des Hermes im Dialog Kratylos (408c) von Sokrates als pân menúon und aeì polon (Pan Aipolos) bezeichnen lassen, als der „alles Andeutende und immer Wandelnde“,98 und im Homerischen Hymnus auf Pan findet sich die Wendung: „Pan, so nannten sie ihn, weil alle [pâsin] seiner sich freuten.“99 Weder im 8. Jahrhundert v. Chr. in den epischen Dichtungen Homers (Ilias und Odyssee; um 700 v. Chr.) noch in Hesiods (740–670 v. Chr.) Theogonie (um 700 v. Chr.) erwähnt – beide schufen nicht nur den Griechen ihre Götter bzw. schrieben ihre Geschichten auf,100 sondern bildeten zugleich den Ausgangspunkt der europäischen Philosophie –, lässt sich seine Gestalt erst im 5. Jahrhundert v. Chr. ausmachen. Doch auch von da an finden sich nicht mehr als kurze literarische Erwähnungen über seine Abstammung, seine Heimat und Beschreibungen seiner äußeren Gestalt.101 Der arkadische Hirtengott102 hat nicht nur eine relativ harmlose Seite, wenn er seiner Syrinx, einer Hirtenflöte, die er infolge einer liebestollen Verfolgungsjagd mit einer Nymphe, die schließlich zu Schilf verwandelt zu seinem Instrument (Panflöte) wird,103 mehr oder weniger betörende Töne entlockt und mit den Nymphen tanzt und spielt, sondern auch eine gewalttätige, wenn er als zügelloser Gebieter Panik auslöst (panikón deíma, eine Erfahrung aus dem Hirtenleben, wenn die Herden plötzlich in heftigste Unruhe geraten) und als todbringender Jäger durch Arkadien streift. Als Gott des unfassbar Vielen entzieht er sich naturgemäß einem Ordnungsgefüge. Als Gegenspieler Apollons sorgt er für Verwirrung. Herodot erzählt, dass Pan als Schutzgott der Athener diese in die Schlacht von Marathon im Jahr 490 v. Chr. geführt und die Schlacht als Panikauslöser gewendet habe.104 Seinen Höhepunkt jedoch erlebt der Pan-Kult in der römischen Kaiserzeit. wird im Mythos zudem als sterbender und wiederauferstehender Gott vorgestellt. Leben und Tod sind in ihm eng verbunden. Orpheus erzählt als Bote des Dionysos den Mythos vom getöteten Gott, der in den Menschen fortlebt (vgl. J. ROHLS 2014a, 19; 23). Zu Dionysos vgl. U. V. WILAMOWITZ-MOELLENDORFF 1955b, 59–80; 154.155; R. V. RANKE-GRAVES 1960, 91–98. 97 Vgl. F. B ROMMER 1956; R. H ERBIG 1949; J. H OLZHAUSEN 2000; W. H. R OSCHER 1893. 98 Im Phaidros 279b richtet Sokrates das Schlussgebet an Pan, in dessen schattigem Bezirk am Ilissos er seinen Dialog mit Phaidros gehalten hat. 99 G. U ERSCHELN/K. K RÖSCHE 2007, 188. 100 Vgl. H ERODOT, Historien II, 53. 101 Vgl. B. H EDRICH [1770] 2007, 11–16; J. H OLZHAUSEN 2000. 102 G. U ERSCHELN 2007, 17–29. 103 Vgl. PUBLIUS O VIDIUS N ASO, Metamorphosen, Buch I, 698–712. 104 Vgl. H ERODOT, Historien VI, 105.106. Bei den Griechen zählt Pan neben Herakles und Dionysos zu den jüngeren Göttern. Bei den Ägyptern dagegen ist Pan der älteste und

2.2 Der Untergang der antiken Götterwelt („Der große Pan ist tot!“)

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(2) In die Epochenschwelle von Christi Wirken zur Zeit des römischen Kaisers Tiberius (14–37 n. Chr.) ist nun eine merkwürdige Geschichte zu datieren, welche als das älteste Zeugnis des Rufes „Der große Pan ist tot!“ gilt. Aufgeschrieben hat sie Plutarch von Chaironeia (~45–120 n. Chr.). Er gilt als einer der bedeutendsten Repräsentanten des griechischen Geisteslebens um die Wende vom 1. zum 2. Jahrhundert und schrieb ungefähr zu der Zeit, als das frühe Christentum in der Nachfolge des Apostels Paulus sein Evangelium in die hellenistisch-römische Welt hinein vermittelte. Es ist die Zeit der Abfassung eines großen Teils der Texte des Neuen Testaments und der apostolischen Literatur. In Plutarchs Wirken, der neben Platon und Aristoteles als „heidnischer Kirchenvater“105 verehrt wird, verbanden sich eine „schier unglaubliche [...] Gelehrtheit und Belesenheit mit menschlicher Wärme und Humanität, bunt verpackt in die Formen von Dialog, Essay und Biographie“. In diese „unterhaltsame und zugleich lehrreiche Lektüre“ fließen wie nebenbei philosophischethische Botschaften ein. Die Themenkreise Gott und Religion durchziehen Plutarchs gesamtes literarisches Schaffen. Er stand in der Tradition der platonischen Philosophie und suchte in seinen Bíoi parálleloi, den Parallelbiographien großer Griechen und Römer, das versöhnliche Miteinander der beiden Kulturkreise zu befördern: „Die synkrisis, die kreative Zusammenschau, wird so zu einem spezifischen Merkmal seiner literarischen Darstellungsweise wie seiner philosophischen Methode“106. Es ist diese „Mischung von Philosophie und Pädagogik, von Geschichtsschreibung und romanhafter Erzählung“, die Plutarch über Jahrhunderte hinweg „einen Platz am Lager der Feldherren und Staatsmänner wie auf dem Studiertisch der Bürger gesichert“107 und Shakespeare108 wie auch andere Schriftsteller inspiriert hat. Neben Cicero109 (106–43 v. Chr.) gilt Plutarch als der einzige gut überlieferte Zeuge für die religiösen Krisen der graeco-romanischen Zeit. Als Experte für das Orakelwesen, für die Mantik und Prophetie sind sein philosophisches Denken und sein Handeln von einer tiefen Religiosität geprägt. Über zwanzig Jahre lang, noch bis hinein in die ersten Regierungsjahre des Kaisers Hadrian (117–138 n. Chr.), bekleidete er eines der beiden Priesterämter des Pythischen gehört zu der Gruppe der ursprünglichen acht Götter, Herakles erst zur zweiten der zwölf und Dionysos zur dritten. Vgl. HERODOT, Historien II, 46; 145.146. Zum Ganzen: U. V. WILAMOWITZ-MOELLENDORFF 1955b, 174–176. Zum panischen Schrecken vgl. U. V. WILAMOWITZ-MOELLENDORFF 1955a, 248. 105 R. H IRSCH-LUIPOLD 2001, 11–30; hier: 29. Dort die folgenden Zitate im Haupttext. 106 R. H IRSCH-LUIPOLD 2005, 1–10; hier: 3. 107 R. H IRSCH-LUIPOLD 2001, 11. Vgl. ebd. auch 28–30. 108 Plutarchs Lebensbeschreibungen gehörten zu Shakespeares Lieblingswerken und dienten als Hauptquelle für Julius Caesar, Timon von Athen, Coriolanus und vor allem Antonius und Kleopatra. Vgl. S. GREENBLATT 2004, 222. 109 Vgl. De natura deorum, De legibus, De divinatione sowie Ciceros Unterscheidung von religio und superstitio als tugendhaftes bzw. schädliches religiöses Verhalten.

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Apollon in Delphi, wo sich nach griechischer Vorstellung der Nabel der Welt befand.110 Dem panhellenischen Heiligtum um die weissagende Jungfrau Pythia setzte er in seinen Pythischen Dialogen ein literarisches Denkmal. Sie spielen allesamt in Delphi und behandeln Themenkreise, die im Zusammenhang mit dem berühmten Orakel stehen111: Apoll, der Herr des Orakels, Athene, die in einem tiefer am Berghang gelegenen Heiligtum verehrt wurde, Dionysos, der periodisch in Delphi erschien, alle diese Götter sind unwiederbringlich entschwunden. Und doch kann dem Wanderer, der hoch in die Berge über dem Ausgrabungsgelände klettert, vielleicht etwas Seltsames widerfahren. In der Mittagshitze des griechischen Sommers begegnet ihm zwischen den Felsbrocken ein Ziegenbock. Der steht wie versteinert, und es scheint, als ließe der Blick aus den Lidspalten seiner rätselhaften Augen in der flirrenden Luft die Umgebung erstarren. Die Welt ist wie in Bann geschlagen – wovon? Die Antike hätte dafür einen Namen gehabt: den Gott Pan.112

In Plutarchs drittem Pythischen Dialog Über den Niedergang der Orakel kommt der Ruf zur Sprache, der nur hier überliefert ist und eine „Krise des Abendlandes“113 ausruft: „Der große Pan ist tot!“114. Plutarch schreibt, dass diese Geschichte ursprünglich von Epitherses aus Nikaia in Bithynien erzählt worden sei, den er als einen verständigen Mann und besonnenen Grammatiker charakterisiert und der als Passagier auf besagtem Schiff Augen- und Ohrenzeuge des merkwürdigen Ereignisses gewesen sei. Epitherses berichtet vom ausgerufenen und zugleich beklagenswerten wie bestaunten Tod des Großen Pan. Nacherzählt wird dieses Ereignis von Plutarch im dritten Pythischen Dialog, der an dieser Stelle von Philippos von Pruseas mit seinem Dialogpartner Herakleon von Megara geführt wird: Während hierauf Herakleon schweigend nachdachte, sagte Philippos: ,Aber lieber Herakleon, die Existenz böser Dämonen hat ja nicht nur Empedokles, sondern auch Platon, Xenokrates und Chrysippos gelten lassen, ebenso auch Demokritos, wenn er den Wunsch aus110 Vgl. L. B RUIT ZAIDMAN/P. SCHMITT PANTEL 1994, 119–127; W. B URKERT 2011, 172–184. 111 In deutscher Übersetzung heißen sie: Über das E in Delphi, Warum die Pythia nicht mehr in Versen spricht, Über das Verschwinden der Orakel, Über die von der Gottheit spät Bestraften. Auch in seinen vielen Viten versäumt Plutarch es nicht, die historische Bedeutung des delphischen Orakels in einer Vielzahl von Geschichten deutlich zu machen, denn die Orakelsprüche der Pythia sind für ihn eine besondere Quelle göttlicher Offenbarung. Am Ende des 1. Jahrhunderts kam es zu einer erneuten Blüte des Orakels. Einen Beitrag dazu hat sicher auch Plutarch durch sein Wirken geleistet. Vgl. R. HIRSCH-LUIPOLD 2001, 21. 112 K. H ELD 2001, 75. 113 W. JANKE 2011, 205. 114 Vgl. De defectu oraculorum/Die eingegangenen Orakel, Kap. 17. Die Rahmenerzählung verdeutlicht nicht nur den Dialogcharakter der Schrift, sondern auch ihren Kontext: Die Möglichkeit des Todes von Dämonen und die Bestätigung der „Echtheit“ der Geschichte durch die Umstehenden. Im Unterschied zu der Erzählung vom tollen Menschen herrscht hier keine Unkenntnis oder Gleichgültigkeit der Umstehenden. Die Passage wird hier in der Übersetzung von Konrat Ziegler wiedergegeben.

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spricht, glückbedeutender Bilder teilhaft zu werden, womit er deutlich zu verstehen gibt, daß er auch unheilvolle annimmt, die böse Neigungen und Triebe erwecken. Was aber den Tod solcher Wesen angeht, so habe ich von einem Manne, der weder unverständig noch ein Aufschneider war, folgende Geschichte gehört. Der Vater des Redners Aemilianus, den auch einige von euch gehört haben, war Epitherses, mein Landsmann und Lehrer der Grammatik. Dieser erzählte, er habe einmal auf der Reise nach Italien ein Schiff bestiegen, das Handelswaren und viele Fahrgäste an Bord hatte. Eines Abends, als sie schon auf der Höhe der Echinaden-Inseln waren, sei der Wind eingeschlafen und das Schiff sei treibend in die Nähe der Paxos-Inseln gelangt. Die meisten seien noch wach, einige nach beendigtem Mahl beim Trinken gewesen. Plötzlich habe man von der Paxosinsel her eine Stimme gehört, die laut ,Thamus!‘ rief, so daß man sich verwunderte. Thamus war aber ein Ägypter und Steuermann des Schiffes, doch nicht vielen der Fahrgäste mit Namen bekannt. Beim ersten und zweiten Anruf habe er geschwiegen, beim dritten Mal aber dem Rufer geantwortet. Dieser habe nun seine Stimme noch mehr erhoben und gerufen: ,Wenn du auf die Höhe von Palodes kommst, dann melde, daß der große Pan tot ist!‘ Als sie das gehört hätten, so erzählte Epitherses, seien sie alle sehr erschrocken und hätten sich darüber unterhalten, ob es besser sei, den Auftrag auszuführen, oder sich nicht darum zu kümmern, sondern es auf sich beruhen zu lassen, und Thamus habe sich dahin entschieden, wenn Wind wäre, stillschweigend vorbeizufahren, wenn aber Windstille und glatte See in dieser Gegend wäre, das Gehörte auszurichten. Als sie auf der Höhe von Palodes angelangt waren und weder Wind noch Wellengang war, habe Thamus, vom Heck nach dem Land hin blickend, gerufen, wie ihm gesagt worden war: „Der große Pan ist tot!“ Kaum aber habe er diese Worte geendigt, so habe sich, nicht von einer, sondern von vielen Stimmen, ein lautes Wehklagen, vermischt mit Ausdrücken der Verwunderung, erhoben. Da nun viele Menschen dabeigewesen seien, so habe sich die Geschichte schnell in Rom herumgesprochen, und Thamus sei vom Kaiser Tiberius zur Audienz befohlen worden. Tiberius habe daraufhin der Geschichte solchen Glauben beigemessen, daß er Erkundigungen und Untersuchungen über diesen Pan anstellen ließ, und die zahlreichen Gelehrten an seinem Hofe hätten die Vermutung geäußert, es handle sich um den Sohn des Hermes und der Penelope.‘ Die Erzählung des Philippos wurde von einigen der Anwesenden bestätigt, die sie ebenfalls von dem greisen Aemilianus gehört hatten.115

Dieser geheimnisvolle fiktionale Dialog wurde unter dem Titel Der Tod des großen Pan bekannt. Er entwickelte sich zum Ausgangspunkt religiöser Spekulationen,116 wissenschaftlicher Forschungen und literarischer Gestaltung-

PLUTARCH 1952, 125–127. Eine Übersicht bietet der Artikel von G. A. GERHARD 1915a. Dort Hinweise zu PanTeufel, Pan-Christus, zum Hirtenmotiv und zu Tammuz. Die relativierende Einordnung wurde vom jungen Christentum aufgenommen. Von diesem wurde dieser Aufruf als Untergang des Heidentums interpretiert. Eusebios von Caesarea gibt die Passage wortgetreu wieder. Vgl. G. A. GERHARD 1915a, 9. Christus habe durch sein Erscheinen und Verweilen auf Erden dem ganzen Dämonengelichter ein Ende bereitet. Vgl. a. a. O., 10. Zur Gleichsetzung von Pan und Christus vgl. a. a. O., 15. 115 116

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en117 und entzieht sich bis heute abschließenden Deutungen.118 Die Geschichte berichtet, dass kurz nach dem Erschallen des Rufes von Bord eines Schiffes, das von Griechenland nach Italien fuhr, Kaiser Tiberius den ägyptischen Steuermann Thamus anhörte.119 Tiberius erteilte daraufhin an Gelehrte seines Reiches den Auftrag, Nachforschungen anzustellen: „Vielleicht fand er in dem angeblichen Tod eines Gottes doch ein sachlich ernstes Problem“120. Wenn das der paradoxe Fall eines toten Gottes gewesen sein sollte, scheint aber auf der Erzählebene des Textes schnell eine plausible Lösung gefunden worden zu sein. Doch der Text des Plutarch scheint auffällig auf den Wahrheitsgehalt dieser Begebenheit zu insistieren.121 Auch Plutarch selbst scheint den Gott Pan sehr ernst zu nehmen. Ebenso ernsthaft scheint er an seiner Abschaffung interessiert. Eine detaillierte Genealogie von Zeugen vornehmer Herkunft und untadeligen Rufes ist rhetorisch bestens geeignet, um die Glaubwürdigkeit des Ereignisses zu untermauern. Demnach sei der große Pan gar kein Gott gewesen, sondern theogonisch betrachtet lediglich ein großer Daimon. Diese Einordnung in eine anonyme Gruppe von Vielen relativiert seine Bedeutung, und sein Ende bedeutet nicht zugleich das Ende der ganzen Welt. Er sei nicht der All-Herrscher aller Kräfte gewesen, sondern habe als „unheilvolles“ Wesen „böse Neigungen“ und „Triebe“ erweckt. Mit seinem Tod stirbt nun dieses Unheilvolle ab. Doch Plutarch bleibt an dieser Stelle vage und führt nicht weiter aus, was er genau darunter versteht. Allein der Name wird bedeutungsvoll herausgehoben: Pan. Doch es bleibt offen, ob er damit die Beliebigkeit von Allem betonen will oder Pans eigene Universalität im Sinne eines pantheistischen Allgotts. (3) Wurde Pan von der Nymphe Penelope als Sohn des Hermes122 geboren, dann kommen ihm Vergänglichkeit und Sterblichkeit zu. Das zeigen auch die Ergebnisse der Mythenforschung, die Pan als arkadischen Hirten- und Fruchtbarkeitsgott deuten. Durch seine theriomorphe Gestalt sei er mit Ziegenfüßen und Ziegenhörnern ein Mischwesen. Wie der Satyr sei er kein todloser Gott, sondern ein im Wechsel der Jahreszeiten auflebender und absterbender Daimon (eniautòs daímon). Insofern sollte die lokale Kundgabe vom Tode des großen Pan eigentlich kein außergewöhnliches Ereignis darstellen und weder 117 Eine Anthologie findet sich in: G. U ERSCHELN/K. K RÖSCHE 2007, 188–282. Vgl. auch die Studie von M. ADAMI 2000. 118 Vgl. bereits G. A. G ERHARD 1915a, 3. In diesem Aufsatz finden sich zahlreiche weitere Hinweise zu den kirchengeschichtlichen Hintergründen, zur christlichen Rezeption und Interpretation der Sage; ferner: G. A. GERHARD 1915b; 1916. 119 Der Steuermann trug zufällig (?) denselben Namen wie der sterbende und auferstehende Fruchtbarkeitsgott Tammuz (Dumuzi). Vgl. dazu G. A. GERHARD 1915a, 32 ff. 120 G. A. G ERHARD 1915a, 5. 121 Vgl. hierzu und zum folgenden G. U ERSCHELN 2007, 20. 122 Vgl. das Göttergespräch zwischen Vater und Sohn in LUCIAN, Dialogues of the Gods (QEWN DIALOGOI), cap. XXII.

2.2 Der Untergang der antiken Götterwelt („Der große Pan ist tot!“)

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Wehklage noch Erstaunen hervorrufen. Sterbende (und auferstehende) Götter sind religionsgeschichtlich betrachtet Teil des Fruchtbarkeitskultes (Tammuz), aber auch wie im Falle des ägyptischen Osiris des Totenkultes. Jedoch kann der Blick auf den Kontext des dritten Pythischen Dialogs auch zu einer anderen Deutung führen.123 Die zentrale Frage, warum die Orakel verfallen, wird von den Gesprächspartnern unterschiedlich beantwortet. Sie vermuten Sittenverfall, Bevölkerungsrückgang, Schwankungen des begeisternden mantischen Hauchs (pneúma) des Apollon, den die Erde in der Erdspalte unter dem Heiligtum entsende, aber auch die Sterblichkeit der Dämonen oder ihre Auswanderung in andere Kosmoi. Auf diese Deutung weist Kleombrotos hin. Die Dämonen sind den Menschen überlegen, obwohl sie wie die Menschen sterblich und den Wechselfällen des Schicksals unterworfen sind. Dämonische Wesen gehörten unverzichtbar zum Inventar der mythisch-religiösen Weltordnung der Antike.124 Der Ort der Dämonen liegt zwischen den Göttern, den Heroen und Menschen. Im Unterschied zu den Göttern werden sie nach bestimmten nur schwer errechenbaren Umläufen der Jahre dennoch vom Tode eingeholt.125 Wenn nun aber Dämonen, von denen es viele und vielerlei Art gibt – wie beispielsweise Eros,126 von Hesiod ursprünglich als alles hervorbringende Macht und „schönster der unsterblichen Götter“ (Hesiod, Theogonie, 121) folgenreich in die spätere Philosophie als Urgott eingeführt und als dämonische Macht der Liebe in der Rede des Sokrates im Symposion (202d–e) im Rahmen der philosophischen Mythologie Platons vorgestellt –, Mittelwesen sind, deren Aufgabe darin besteht, die Kluft zwischen Menschen und Göttern wechselseitig zu überbrücken (202e), dann würde ihr Tod das unheilvolle Auseinanderbrechen von Sterblichen und Unsterblichen nach sich ziehen. Als Macht der sinnlich das Schöne begehrenden Liebe ist der Eros „mythisch gesprochen ein Sohn der unverlierbaren, ewigen Lebensfülle“127, die der Mensch in seinem Begehren erstrebt. Zugleich zeigt der Eros den Mangel auf, der sich im Begehren meldet. Denn die ewige Lebensfülle besitzen nur die unsterblichen Götter. Das Kennzeichen der Existenz der sterblichen Menschen ist der Mangel. Aus diesem Grund ist der Eros im platonischen Mythos weder Gott noch Mensch, sondern ein Zwischenwesen, eine Wirkungsweise, zwischen Unsterblichen und Sterblichen, zwischen Himmel und Erde. In den platonischsokratischen Worten Diotimas’ ist er „ein großer Dämon“ (Symposion 202d), der dem Menschen seine Mangelhaftigkeit vor Augen führt, ihn aber zugleich

Vgl. W. JANKE 2011, 205. Ferner K. ZIEGLER 1952, 5–45; hier: 30.31. Vgl. W. BURKERT 2011, 276–279. 125 De defectu oraculorum, Kap. 11 mit eigenwilligem Bezug auf Hesiods Werke und Tage, 122–126. 126 Für das europäische Denken sind die von Hesiod als demiurgisches Prinzip eingeführten Dämonen zu einer gewaltigen Schöpfermacht geworden. Vgl. G. FIGAL 1999. 127 K. H ELD 2001, 97. Zu den weiteren Ausführungen zum Dämon vgl. a. a. O., 97.98. 123 124

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zum Schönen treibt. Da nun aber die Orakel vom Wirken der Dämonen abhängig seien, weil sie ihnen vorstünden, so würden, wenn sie stürben, auswanderten oder exiliert würden, auch die Orakel verstummen. Dem Einwand eines Gesprächspartners gegen die Ansicht, die Dämonen seien sterblich und unvollkommen, begegnet der Historiker Philippos mit der Geschichte vom Tod des großen Pan. Sie fungiert somit als Beleg für die Sterblichkeit von Dämonen und für den Unterschied zwischen Dämonen und Göttern. Vor diesem Hintergrund lässt sich auch das unheimliche Wehklagen und das bestürzte Erstaunen über den Tod des großen Pan bei Meeresstille erklären, wenn mit diesem Tod auch das Verstummen der Orakel einhergeht. „Veranschlagt man zudem Plutarchs Widerwillen gegen die Stoa und seine Liebe zum ,göttlichen Plato‘, dann könnte der Todesruf des Pan einen subtilen geistigen Umbruch vermelden: Der All-Gott der Stoiker ist an seiner eigenen Unwahrheit zugrunde gegangen, und die Wahrheit des Delphischen Apollon überlebt im Gott der Platonischen Philosophie“128. Der Verfall und Rückgang der Orakel dürfe daher, so Plutarch, die Menschen nicht dazu verleiten, an der Macht und Güte der Götter bzw. des Gottes zu zweifeln. (4) Ein Vergleich mit dem von Nietzsche beschriebenen Untergang des tragischen Weltalters der Griechen vermag die Bestürzung über den Ruf „Der große Pan ist tot!“ als Ausdruck einer „sinnentleerten Epoche“ zu verdeutlichen: „Mit dem Tode der griechischen Tragödie dagegen entstand eine ungeheure, überall tief empfundene Leere; wie einmal griechische Schiffer zu Zeiten des Tiberius an einem einsamen Eiland den erschütternden Schrei hörten ,der grosse Pan ist todt‘: so klang es jetzt wie ein schmerzlicher Klageton durch die hellenische Welt: ,die Tragödie ist todt! [...‘]“129. Im Chorlied von Aischylos’ „Agamemnon“ (55–56) wurde der große Gott noch als Retter und Rächer angerufen, sei es Apollon, Zeus oder Pan (458 v. Chr.). Ein halbes Jahrtausend später liegt er selbst tot danieder. Es war die Zeit gekommen, dass die antiken Gottesvorstellungen ihre lebensweltlich-existentielle Relevanz einbüßten und man der antiken Götterwelt mit Gleichgültigkeit und Abweisung begegnete. Von Hegel wird geistesgeschichtlich beim Erscheinen von Skeptizismus und Stoizismus in der antiken Welt ein Schmerz diagnostiziert, „der sich als das harte Wort ausspricht, daß Gott gestorben ist. [...] Ebenso ist das Vertrauen in die ewigen Gesetze der Götter, wie die Orakel, die das Besondre zu wissen taten, verstummt. Die Bildsäulen sind nun Leichname, denen die belebende Seele, so wie die Hymne Worte, deren Glauben entflohen ist; die Tische der Götter ohne geistige Speise und Trank, und aus seinen Spielen und Festen kommt dem Bewußtsein nicht die freudige Einheit seiner mit dem Wesen zurück. Den Werken der Muse fehlt die Kraft des Geistes, dem aus der Zermalmung der Götter und Menschen die Gewissheit seiner selbst hervorging. Sie sind nun

W. JANKE 2011, 206. F. NIETZSCHE, KSA 1, 75. Der Ausruf „Pan ist tot“ präfiguriert seine spätere Wendung „Gott ist todt“ in Die Fröhliche Wissenschaft und Also sprach Zarathustra. 128 129

2.2 Der Untergang der antiken Götterwelt („Der große Pan ist tot!“)

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das, was sie für uns sind, – vom Baume gebrochene schöne Früchte, ein freundliches Schicksal reichte sie uns dar, wie ein Mädchen jene Früchte präsentiert; es gibt nicht das wirkliche Leben ihres Daseins, nicht den Baum, der sie trug, nicht die Erde und die Elemente, die ihre Substanz, noch das Klima, das ihre Bestimmtheit ausmachte, oder den Wechsel der Jahreszeiten, die den Prozeß ihres Werdens beherrschten.“130

Die Welt der Götter Griechenlands ist unwiederbringlich vergangen, das Pantheon verwaist und nur noch eine Erinnerung an eine herrliche Kunstwirklichkeit, die in der Geschichte nie wieder erreicht wurde. „Unser Tun in ihrem Genusse ist daher nicht das gottesdienstliche, wodurch unserem Bewusstsein seine vollkommne es ausfüllende Wahrheit würde, sondern es ist das äußerliche Tun, das von diesen Früchten etwa Regentropfen oder Stäubchen abwischt, und an die Stelle der innern Elemente der umgebenden, erzeugenden und begeisternden Wirklichkeit des Sittlichen das weitläufige Gerüste der toten Elemente ihrer äußerlichen Existenz, der Sprache, des Geschichtlichen u. s. f. errichtet, nicht um sich in sie hinein zu leben, sondern nur um sie in sich vorzustellen.“131

So geht über die Jahrhunderte hinweg der Diskurs über den toten Gott Pan nicht verloren. Seinem historischen Kontext enthoben erfährt Pan im 19. und 20. Jahrhundert große Beachtung. In dieser Zeit erscheint der bocksbeinige Pan in nostalgischen wirkungsgeschichtlichen Wendungen und in der darstellenden Kunst und Musik, in Literatur und Philosophie quicklebendig.132 So ist beispielsweise der Husumer Schriftsteller Theodor Storm (1817–1888) vom Mittagsgott Pan gefesselt. Für ihn ist die „Mittagsstunde“ in den Liebesbriefen an Constanze Esmarch „eine Stunde zum Nichtstun der Liebe“, im Gedicht Waldweg (1851) und in der Novelle Im Schloß (1861) die Stunde, in der sich dessen Erzähler in der „Mittagseinsamkeit“ in Zeit und Raum von Mythos und Märchen entrückt. Hier führt Pan seine „Lebenskunststücke“ auf, bläst in seine Flötentöne den „Traum vom Jungbleiben“ und flößt dem Augenblick Unendlichkeit ein.133 Im Begriff „Panik“ und in Ausdrücken wie „panischer Schrecken“134 oder „panische Angst“ ist der Gott Pan im kulturellen Gedächtnis und in der Alltagssprache im Zitat aufbewahrt (griech. panikós: „durch Pan bewirkt“).135 In der „Dialektik der Aufklärung“ hat bei Max Horkheimer und Theodor W. Adorno der „mittägliche panische Schrecken, in dem die Menschen der Natur als Allheit plötzlich innewurden, [...] seine Korrespondenz G. W. F. HEGEL 1988, 490 (GW 9, 401.402). G. W. F. HEGEL 1988, 491 (GW 9, 403). 132 Vgl. H. W ALTER 2001; M. A DAMI 2000; J. R OBERT 2008 mit weiterem Erschließungsmaterial. Allgemein zum Weiterleben der antiken Mythen in nachmythischer Zeit vgl. B. SEIDENSTICKER/M. VÖHLER 2002. 133 Vgl. mit den entsprechenden Nachweisen J. M ISSFELD 2013, 112–117. 134 EURIPIDES, MHDEIA/Medea 1170 ff. Euripides nennt hier den Schrecken des Pan „göttlich“. Vgl. auch die Erwähnung Pans in EURIPIDES, HLEKTRA/Elektra, 701. 135 Auch wenn etymologisch eine mykenische Herkunft abzuleiten ist, die mit lat. pastor („Hirt“) und pasci („weiden“) zu verbinden ist. Vgl. dazu J. HOLZHAUSEN 2000, 221. 130 131

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2 Mythen sterbender und auferstehender Götter

gefunden in der Panik, die heute in jedem Augenblick bereit ist auszubrechen: die Menschen erwarten, daß die Welt, die ohne Ausgang ist, von seiner Allheit in Brand gesetzt wird, die sie selber sind und über die sie nichts vermögen.“136 (5) Von Blaise Pascal (1623–1661) wurde der Spruch vom toten Pan in die „Cartesische Krise des christlichen Weltalters“137 eingebracht. Seine Notizen zu den Prophezeiungen verzeichnen die Wendung Plutarchs „Prophéties – le grand Pan est mort.“138 Nicht auszuschließen ist, dass Pascal diesen Hinweis bei Pierre Charron (1541–1603) gefunden hat, bei dem es heißt, dass zur Zeit des Kaisers Augustus und des Kommens Jesu Christi die Orakel verstummt seien. Damit würden diese Aussagen zu den Prophezeiungen gehören, die den Messias angekündigt haben.139 Der große Pan, der All-Gott einer polytheistischen Mythologie, stirbt, von der paganen Welt beklagt, genau zur Zeit des Tiberius, da der Gottessohn öffentlich in Erscheinung tritt: „,Plutarch berichtet vom Tode des Großen Gottes Pan, der geschah zu Zeiten des Kaisers Tiberius, da Jesus den wahren Gott verkündete, starb und auferstand‘ (PENSÉES, Paris 1595, 166)“140. Offen bleibt allerdings, ob Plutarch selber in seiner existentiellen Leidenschaft für die Fragen der Religion christlich beeinflusst war. Auch, ob er überhaupt etwas vom Christentum erfahren hat, darf als unsicher gelten. Grundzüge des Judentums waren ihm zwar bekannt. Es lassen sich in seinen zahlreichen Schriften aber keinerlei Hinweise auf Christus oder das Christentum finden.141 Pascal jedoch geht das Wagnis ein und deutet den Bericht des Plutarch als Hinweis auf das Erscheinen, den Tod und die Auferstehung Christi. Im Unterschied zu Plutarch verabschiedet er sich vom Gott der Platonischen Philosophie. Die berühmten Worte seines Mémorial142, einer Aufzeichnung über ein religiöses Erlebnis aus dem „Jahr der Gnade 1654“, vorgenommen am 23. November, dem Tag des Martyriums von Papst Clemens, dem ersten Bischof von Rom und anderer Märtyrer, nachts zwischen 22:30 und 0:30 Uhr,143 die nach Pascals Tode in seinem Rocksaum eingenäht gefunden wurden, sprechen unter der Überschrift „Feuer“, mit der auf die Offenbarung Gottes im brennenden Dornbusch angespielt wird, eine schroffe Verwerfung des rationalen Gottes der Philosophen und ein Bekenntnis zum Gott der Bibel aus: „Dieu d’Abraham, Dieu d’Isaac, Dieu de Jacob – non des philosophes et des savants.“144 Pascal verbindet mit dieser radikalen Abkehr von allen mythischen Gottesbildern sowie philosophischen und gelehrten Bemühungen um ein ratioM. HORKHEIMER/TH. W. ADORNO (1947; 1969) 1997, 35. W. JANKE 2011, 206. 138 B. PASCAL 1994, 319 (Pens. Sect. XI 695: „Prophezeiungen. Der große Pan ist tot.“). 139 Vgl. B. PASCAL 1994, 489, Anm. 1 zu 319. 140 W. JANKE 2011, 206. Kapitälchen im Original. 141 Vgl. R. H IRSCH-LUIPOLD 2005, 2, Anm. 5. 142 Vgl. B. PASCAL 1994, 248.249. 143 Vgl. B. PASCAL 1994, 248. 144 Vgl. zu Pascal W. W EISCHEDEL 1960; vgl. auch O. W EISS 2012. 136 137

2.2 Der Untergang der antiken Götterwelt („Der große Pan ist tot!“)

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nale Gotteserkenntnis, die den biblischen Gott der Offenbarung niemals erreicht, das Erlebnis der Offenbarung dieses Gottes der Väter, der mit dem Gott Jesu Christi identifiziert wird, das ihm eine unvergleichlich Empfindung von Freude und Frieden vermittelt.145 (6) In der Zeit der Aufklärung wurde nicht nur der Glaube an den biblischen und theistischen Gott fragwürdiger, sondern auch die christologische Deutung der Ursache für den Tod des Allgotts Pan. Mit dem Projekt einer „neuen Mythologie“, wie es Friedrich Schlegel und Friedrich Hölderlin vorschwebte,146 wird auch Pan um 1800 neu gefasst. An Friedrich Schillers Lob dionysischer Freude in seinem Gedicht Die Götter Griechenlandes (1788)147 setzt auch das philosophische Interesse an der pantheistischen Deutung Pans an, die sich gut mit der zeitgenössischen Rezeption des Spinozismus verbinden ließ. Nach einer angeblichen Verwendung der spinozistischen Formel „Hen kai Pan“ von Gotthold Ephraim Lessing entbrennt der Pantheismusstreit nicht nur zwischen Moses Mendelssohn und Friedrich Heinrich Jacobi im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts.148 Der Begriff Pantheismus wurde 1709 von dem niederländischen Theologen Jacques de la Faye zur Bezeichnung der Ansicht des englischen Philosophen John Toland geprägt. Toland lehnte diese Existenz eines von der Natur unabhängigen göttlichen Wesens ab und bezeichnete die Natur selbst als den „höchsten Gott“.149 In philosophiegeschichtlicher Hinsicht wird Pantheismus zur Kennzeichnung der antiken Philosophie der Eleaten (Xenophanes, Parmenides, Zenon) verwendet, wobei insbesondere Parmenides das statisch gedachte „Sein“ als „Ein und Alles“ (τὸ ἓν ϰαὶ πᾶν) versteht. Vermittelt durch Lessing und Goethe wird der Pantheismus zu einer Religion der Gebildeten. Die Lautgleichheit mit πᾶν („alles“) verführte bereits die Speku-

Vgl. zu Pascal auch Abschnitt 3.1 in diesem Buch. Das älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus (1796/97) ist in der Handschrift Hegels überliefert, ohne dass damit die Autorschaft geklärt wäre. Vgl. G. W. F. HEGEL, ThWA 1, 234–236. Vgl. zur Übersicht J. ROHLS 1997a, I, 320–322. 147 F. SCHILLER, SW I, 163–169. In Reaktion auf zahlreiche Kritiker, die Schiller eine anti-christliche Tendenz vorwarfen, entstand 1793 eine Zweitfassung (F. SCHILLER, SW I, 169–173), die 1800 publiziert wurde (vgl. F. SCHILLER, SW I, 885–886). In seinem ersten Drama Die Räuber (1780) findet sich der französische Fluch Mordbleu (F. SCHILLER, SW I, 544; vgl. dazu 967) eingespielt, eigentlich à la mort de Dieu („bei Gottes Tod“), auch morbleu, zur Vermeidung von Blasphemie verwendet; vgl. zu einer ähnlichen Entstellung auch Parbleu! („nanu!“; „Donnerwetter!“), eigentlich par Dieu („bei Gott“) und parsambleu! bzw. palsambleu!, eigentlich par le sang de Dieu (beim Blut Gottes, zu Deutsch sapperlot von sackerlot [sacre nom, heiliger Name, Sakrament], potztausend, eigentlich Gotts tausend Sakrament, aus dem 16. Jahrhundert). 148 Vgl. zum Folgenden auch die Darstellung bei M. M URRMANN-K AHL 2012. 149 Vgl. W. SCHRÖDER 1989, 59. 145 146

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2 Mythen sterbender und auferstehender Götter

lationen der Orphiker und Stoiker dazu,150 den Hirtengott Πάν zum All-Gott, zum Panto- bzw. Kosmokrator zu erheben. Goethe als maßgeblicher Vertreter des Pantheismus151 setzte sich verschiedentlich mit dem Thema Pan als Allgott auseinander. Am bekanntesten dürfte die Mummenschanzszene in Faust. Der Tragödie Zweiter Teil sein, in der der Chor der Nymphen den großen Pan selbst umschließend singt: „Das All der Welt / Wird vorgestellt / Im großen Pan“152. Goethe versammelte alle Motive der Überlieferung des pantheistischen Pan: die Lebensfreude, die Stunde des Pan am Mittag bzw. den Schlaf des Pan am Mittag, den panischen Schrecken.153 In der deutschen Romantik finden sich nur wenige Spuren des Allgott Pan. Umso bemerkenswerter ist Friedrich W. J. Schellings (1775–1854) ausführliche Erwähnung des Pan in der Urfassung seiner späten Philosophie der Offenbarung (1831/32), in der Pan als „Naturgott“, „das Prinzip der gewordenen, der im Werden beruhigten Natur“, bezeichnet wird.154 In der aus dem Nachlass von 1858 stammenden Vorlesung Philosophie der Offenbarung kehrt dann die christologische Deutung des Pan im Deutschen Idealismus wieder. Schelling paraphrasiert kurz Plutarchs Erzählung und verbindet sie mit dem „Tode Christi“: „unter dem großen Pan, der gestorben sey, wurde Christus selbst verstanden“155. Diese Deutung hält Schelling zwar für „mehr erbaulich als der Sache gemäß“156, aber zugleich verschließt er sich nicht einer christologischen Deutung: „Will man der Geschichte eine Bedeutung zugestehen, so ist der große Pan, der gestorben ist, das blinde, kosmische Princip selbst, das, seiner Natur nach ausschließlich, während der ganzen Zeit des Heidentums insofern herrschte, als es nicht in seinem Grunde aufgehoben war. Zur völligen Expiration wurde es allerdings erst durch den Tod Christi gebracht. In Christi war auch der große Pan gestorben. Der Tod Christi, indem er die Macht aller außergöttlichen kosmischen Gestalten als solche aufhob, war das gemeinschaftliche Ende des Heidentums und des Judentums, welches [...] ebenfalls noch kosmischen Elementen unterworfen war“157.

Nach der griechischen polytheistischen Naturreligion kommt der christliche Monotheismus, der Gott in der Geschichte anschaut. Für Schelling ist Christus der letzte Gott, der Gipfel und das Ende der alten griechischen mythologischen

150 Die Vorstellungen eines „Allgottes“ oder eines Pantheon sind nicht pantheistisch im Sinne des heutigen Gebrauchs des Begriffs. Die Idee der Göttlichkeit der Natur war noch nicht verbreitet. Vgl. B. MAIER 1995, 628.629. 151 Vgl. zu Spinozismus und Pantheismus H. TIMM 1974; W. SCHRÖDER 1989. 152 J. W. V. G OETHE 1986, 181 (1. Akt, v. 5873–5875; vgl. auch v. 5801 ff.). 153 Vgl. J. R OBERT 2008, 541.542. 154 Vgl. F. W. J. SCHELLING 1992, 294–297. 155 F. W. J. SCHELLING 1983, II, 240. 156 F. W. J. SCHELLING 1983, II, 240. 157 F. W. J. SCHELLING 1983, II, 240.

2.3 Der gekreuzigte Gott (Jesus Christus)

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Götterwelt: „das Ende des Heidenthums, wie der Offenbarung“.158 Nach ihm kommt der Geist als das ideale Prinzip.159 Anders deutet Heinrich Heine mit seiner „Exilierung“ der antiken Götter (Die Nordsee, 1826/27). Für ihn haben Die Götter Griechenlandes ihre Unsterblichkeit verloren. In seinen Helgoländer Briefen (1837) deutet er die Erzählung Plutarchs als „Ausdruck eines welthistorischen Dualismus zwischen Christentum und Hellenentum, wobei der refrainartige Ausruf ,Pan ist tot‘ die Hoffnung auf eine dritte Weltzeit symbolisiert, in der sich Sensualismus und Spiritualismus zu einem neuen Pantheismus verbinden.“160

2.3 Dritte Motivvariation: Der gekreuzigte Gott (Jesus Christus) 2.3 Der gekreuzigte Gott (Jesus Christus)

(1) Die Entstehung des christlichen Gottesbegriffs ist eng mit der Deutung von Leben und Wirken, Kreuzestod und Auferstehung des galiläischen Handwerkers Jesus aus der Stadt Nazareth verbunden, der als charismatischer Wanderprediger und Wunderheiler durch die Levante zog und die Menschen von Krankheit und Besessenheit heilte. Vor allem in den Evangelien wird Jesus als „Lehrer“ bezeichnet, dessen „Lehre in Vollmacht“ (Mk 1,22) seine besondere „Gottesunmittelbarkeit“ widerspiegelt.161 An dieses Bewusstsein schließen sich seine besonderen Bildreden an, „in denen ihm die gesamte Wirklichkeit zum Gottesgleichnis wird.“162 Ihm wurde früh, aber wahrscheinlich doch erst post mortem et resurrectionem, auch wenn er kein unmessianisches Leben führte,163 der sein Geschick zusammenfassende griechische Titel Christós (aram. „der Messias“; dt. „der Gesalbte“) als Beiname übertragen.164 Die Namensverbindung „Jesus Christus“ ist die Kurzfassung des Bekenntnisses 158 F. W. J. SCHELLING 1973, II, 348. Vgl. im Kontext der Deutung der Heraklesfabel in der fünfzehnten Vorlesung der Philosophie der Mythologie (1828; 1842; 1845/46) kritisch zum „Gefühl der Endlichkeit“ heidnischer Götter, zum „allgemeinen Göttertod“ in der skandinavischen Edda, auf die Schelling nur ungern eingeht (darüber hinaus zur Lehnübersetzung [18. Jahrhundert] „Götterdämmerung“, die fälschlich abgeleitet wurde von altnordisch røkkr statt rǫk und Gen. Pl. von regin [Gott] ragna [Götter], daher eigentlich: „Götterschicksal“, Schicksal der Götter“ als Untergang der Götter und der Welt in der nordischen Mythologie: Ragnarök; vgl. KLUGE 2002, 366), und besonders zum „Vorgefühl eines künftigen unvermeidlichen Untergangs“ der griechischen Götter (Uranos, Kronos, Zeus) im „mythologischen Bewußtseyn“ vgl. F. W. J. SCHELLING 1973, II, 346–349, ferner P. SLOTERDIJK 2017, 17–30 u. a. zu Richard Wagners Götterdämmerung (1876), dem dritten Tag des Bühnenfestspiels Der Ring des Nibelungen sowie R. SIMEK 2014, 17–19. 159 Vgl. J. R OHLS 2014b, 701f; 745–751. 160 J. R OBERT 2008, 542. Vgl. zu Heinrich Heine Abschnitt 4.2 in diesem Buch. 161 Vgl. R. FELDMEIER/H. SPIECKERMANN 2018, 194. 162 R. FELDMEIER/H. SPIECKERMANN 2018, 196. 163 Vgl. U. SCHNELLE 2016, 142. 164 Vgl. U. SCHNELLE 2016, 141–143.

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2 Mythen sterbender und auferstehender Götter

„Jesus ist der Christus“. Nach diesem Würdenamen wurden auch die Christen benannt (Acta 11,26). Die besondere Gottesnähe des Gottessohnes165 drückte sich in der Verkündigung der anbrechenden Herrschaft Gottes (basileía tou theoú) aus. Zum einen folgt für ihn daraus die Notwendigkeit einer metánoia, eines radikalen Umdenkens (vgl. Mk 1,14f. par. Mt 4,12.17), weil Gott die bestehende Ordnung umkehren wird.166 Zum anderen wird die Gottesherrschaft bei Jesus vom Gedanken der Einzigkeit Gottes getragen.167 Diese Idee hielt die frühen Christen jedoch nicht davon ab, ihn zu vergöttlichen168: In Jesus von Nazareth war Gott so nah,169 dass er für die ersten Christen selbst ein Gott war,170 ohne dass sie sich mit ihrem Bekenntnis, „in dem Menschen Jesus sei Gott unmittelbar erfahrbar geworden“171, von der monotheistischen Gottesvorstellung verabschiedeten. Ganz im Gegenteil: mit dem (nun christologisch präzisierten) Monotheismus war eine Anziehungskraft verbunden, die sich bereits beim Judentum in der Antike zeigte, aber sich dann mit einem neuen Gottesbild gegenüber dem Plausibilitätsverlust der Vielzahl der Götter und (plastischen) Götterdarstellungen in der griechisch-römischen Welt herauskristallisierte und mit der bis dato nicht gekannten Nähe zu einer faszinierenden Erlösergestalt verbunden war.172 Mit dem Übergang von der Verkündigung Jesu zum verkündigten Jesus verbindet sich die erste Transformation in der Erfahrungswelt der ersten Christen: die Entstehung der Christologie.173 Da Jesus das von ihm verkündigte Gottesbild in einzigartiger Weise verkörperte, wurde er selbst schon früh in dieses Gottesbild aufgenommen. Im Rückgriff auf die Schriften Israels und theologische Ideen des antiken Judentums sowie der griechisch-römischen Religiosität fanden die frühen Christen maßgebliche Verstehens- und Interpretationshilfen für die Entstehung der frühen Christologie: „Eine Modifikation der Gottesvorstellung durch die Christologie ist in den Quellen bereits früh und breit angeZur Bezeichnung Sohn Gottes vgl. R. FELDMEIER/H. SPIECKERMANN 2018, 199. Vgl. mit Belegen R. FELDMEIER/H. SPIECKERMANN 2018, 204. 167 Vgl. U. SCHNELLE 2016, 72. 168 Vgl. die Nachzeichnung des Weges zur Vergöttlichung Jesu von der Theozentrik Jesu zur Christozentrik der frühen Christen bei G. THEISSEN 2000, 71–98. 169 Vgl. U. SCHNELLE 2016, 50–152. 170 Die Vergöttlichung Jesu kann auch als Dissonanzverminderung gedeutet werden, mit der die Erfahrung des Scheiterns Jesu am Kreuz durch die Jünger kompensiert wurde. Vgl. G. THEISSEN 2000, 72, Anm. 1. 171 J. SCHRÖTER 2014, 299. 172 Vgl. U. SCHNELLE 2016, 758; kritisch gegenüber der Überzeugungskraft des Monotheismus ist P. VEYNE 2008, 28–30; 153–179, der die Attraktivität der neuen Religion auf die Liebe, die Ausstrahlung des Stifters und ein erhabenes Welt- und Menschenbild zurückführt; vgl. zum „christologischen Monotheismus“ bei Paulus im Anschluss an Samuel Vollenweider R. FELDMEIER/H. SPIECKERMANN 2018, 219–236. 173 Vgl. U. SCHNELLE 2016, 153–181; G. THEISSEN 1996, 447–492; R. FELDMEIER/H. SPIECKERMANN 2018, 191–332. 165 166

2.3 Der gekreuzigte Gott (Jesus Christus)

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legt.“174 Jesu Person war nicht ablösbar von seiner Verkündigung und seinen Taten, und der Glaube an den einen Gott war nicht mehr vom Glauben an Christus und von seinem Handeln zu lösen. Doch wurde er nicht etwa als ein zweiter Gott verehrt, sondern in die theo- bzw. patrozentrische Verehrung des einen Gottes (Röm 3,30) miteinbezogen: „es dominiert ein exklusiver Monotheismus in binitarischer Gestalt.“175 In Jesus begegnet Gott, und Gott wird christologisch bestimmt: „die in sich vielfältige Metaphorik der Sohnschaft Jesu bleibt dabei – bei allen Graden der Variation – immer relational gedacht und wird nicht als metaphysisch-seinshafte Partizipation am Göttlichen verstanden.“176 Da das Auftreten Jesu konfrontativ ausgerichtet war, gesellschaftliche Sprengkraft hatte und Konflikte provozierte (Lk 12,49.51), polarisierte er bis zu seiner Verurteilung zum Tode – und darüber hinaus. Während die Hinrichtung des Endzeitpropheten Jesus und sein Tod am Kreuz in Jerusalem ein gesichertes historisches Faktum ist177 und „als Ausgangspunkt der gesamten neutestamentlichen Theologie“178 gilt, scheiden sich die Geister an der Sinndeutung des Kreuzestodes179 und am Verstehen seiner Auferstehung, auch wenn sich diese bis in die ältesten Schichten des Neuen Testaments quer durch alle Traditionsstränge verfolgen lässt (1Thess 1,9.10; 4,14; 1Kor 15,3–5.7; Röm 10,9; Phil 2,6–11). Ostern wurde dennoch „zur Basisgeschichte der neuen Bewegung“180: „Nicht die Auferstehung selbst, sondern der Auferstehungsglaube ist ein historisch gesichertes Faktum.“181 Doch wie ist das grundlegende Bekenntnis, dass der gekreuzigte Jesus durch Gott von den Toten auferweckt worden ist, zu verstehen?182 Historisch betrachtet war die Kreuzigung die bevorzugte römische Todesstrafe für Sklaven und Aufständische, eine Strafe, die besonders grausam und entehrend war.183 Die Behauptung der Auferweckung eines verurteilten Gotteslästerers musste für Israel der im Gesetz offenbaren R. V. BENDEMANN 2014, 114. U. SCHNELLE 2016, 181. Dass das Judentum sich ebenfalls zwei Götter im Himmel vorstellen konnte zeigt P. SCHÄFER 2017, womit er nicht nur das Klischee der jüdischen und christlichen Theologie zerstört, dass das Judentum die klassische Religion des Monotheismus sei, sondern auch das Verhältnis von Judentum und Christentum nicht als Mutter- und Tochterreligion bestimmt, sondern dynamisch als lebendigen Austausch und Abgrenzung zweier Schwesterreligionen, der schließlich zur Trennung führte (vgl. a. a. O., 7.12). 176 R. V. B ENDEMANN 2014, 114. 177 U. SCHNELLE 2016, 149; 762 datiert die Kreuzigung Jesu auf den 14. Nisan (7. April) des Jahres 30. 178 U. SCHNELLE 2016, 762. 179 Vgl. zur Bestandsaufnahme der Diskussion und zur Pluralität der neutestamentlichen, theologiegeschichtlichen und dogmatischen Deutungsoptionen J. FREY/J. SCHRÖTER 2012a. 180 U. SCHNELLE 2016, 159. 181 J. LAUSTER 2014b, 32. 182 Vgl. auch I. U. D ALFERTH 1994, 52–54. 183 Vgl. U. SCHNELLE 2016, 148. 174 175

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2 Mythen sterbender und auferstehender Götter

Gerechtigkeit Gottes widersprechen. Für Juden und Römer wirkte der christliche Glaube an einen gekreuzigten Gott als Gotteslästerung bzw. atheistische Geschmacklosigkeit, für die sie nichts als Spott (anschaulich im Kruzifix mit Eselskopf vom Palatin) übrighatten.184 Gleichwohl waren der griechisch-hellenistischen und auch der jüdischen Welt die Vorstellung einer Menschwerdung Gottes und die der Gottwerdung eines Menschen geläufig.185 Doch für das Christentum als einer Religion im konfliktreichen Werden in Auseinandersetzung mit seiner jüdischen Herkunft und der religiösen und philosophischen Welt des Imperium Romanum ergaben sich Verstehenshindernisse. Weder war der auferweckte Gekreuzigte als zweiter Gott, noch war er als vergöttlichter Mensch zu denken. (2) Durch die Osterereignisse wurde das Faktum des Todes Jesu nicht entschärft, sondern noch verschärft: „Der, der starb, war nicht irgendein Verbrecher, sondern derjenige, an den sich ,messianische‘ Erwartungen hefteten und der als Messiasprätendent gekreuzigt wurde.“186 Warum dieser nicht von Gott im Tod gelassen, sondern auferweckt und zum ,Herrn‘ (Kyrios) eingesetzt wurde, musste angesichts der österlichen Erscheinungen nun erklärt werden. Wie ist der Kreuzestod des nun von Gott auferweckten ,Herrn‘ zu verstehen?187 Für Paulus, der zunächst die Jesusanhänger wegen der Behauptung verfolgte, ein Gekreuzigter sei der Messias, wurde mit dem ,Damaskuserlebnis‘ der Auferstandene bleibend der Gekreuzigte188: „Paulus thematisiert das besondere Hinrichtungsmittel des Kreuzes vorrangig dort, wo er sich mit Gegnern auseinandersetzt oder Missstände in seinen Gemeinden korrigiert.“189 In seiner Zeit galt die Verehrung eines am Kreuz Hingerichteten als Blasphemie, ein Ärgernis und eine Dummheit (1Kor 1,18–2,5; Gal 3,13; 5,11; Dtn 21,22.23), die nicht mit den gängigen philosophischen Gottesvorstellungen zu vermitteln war und geläufigen Gottesvorstellungen grundsätzlich widersprach (Kol 1,15.19). Der Idee des unbewegten Bewegers und dem Postulat zufolge, das Gleiches nur durch Gleiches (idem per idem) erkannt wird, genügt die Gottheit sich selbst. Daraus folgt seit Aristoteles (385–322 v. Chr.) der metaphysische Vgl. D. ZELLER 1993, 37.38 zum Satiriker Lukian von Samosata und a. a. O., 38 zur Abbildung des Spottbildes. 185 Gegen U. SCHNELLE 2016, 165, der sie für das Judentum bestreitet. Dass solche Äußerungen auch im Judentum des Zweiten Tempels zu finden sind, zeigt P. SCHÄFER 2017, 11. Vgl. auch R. FELDMEIER/H. SPIECKERMANN 2018, die Menschwerdung im doppelten Sinne verstehen: als Weg der Liebe Gottes zur Welt und zu den Menschen sowie als Aufgabe des Menschen, der Menschlichkeit Gottes zu entsprechen. 186 J. FREY 2012, 46. 187 Vgl. zu den Optionen (Kontrastschema, Notwendigkeit, Leiden des Gerechten) J. FREY 2012, 47–49. 188 Vgl. U. SCHNELLE 2016, 226–231. Zu den Verwendungsstrategien der Rede vom Tod am Kreuz bei Paulus vgl. R. V. BENDEMANN 2014, 88.89. 189 R. V. B ENDEMANN 2014, 88. 184

2.3 Der gekreuzigte Gott (Jesus Christus)

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Grundsatz, wie er sich in Buch XII seiner Metaphysik formuliert findet: theos apathes (XII 1073a 11). Gott kann als actus purus und reine Ursächlichkeit nichts widerfahren, das er erleiden müsste (Thomas von Aquin, STh I q.3 a.2). Das göttliche Wesen galt der griechischen Metaphysik als unsichtbar, unvergänglich, unsterblich, unwandelbar und leidensunfähig.190 Dennoch hat Paulus in seiner „theologia moriendi Christi (Theologie, die vom Sterben Christi her qualitativ vollgültig bestimmt ist)“191 sich nicht, anders als viele frühe Christen, abhalten lassen, aus seiner existentiellen Gestimmtheit heraus vom Sterben und Kreuz Christi zu sprechen und die Erniedrigung am Kreuz nicht als unangemessen für einen Gottessohn überwunden, sondern „zum maßgeblichen Bestandteil des Gottesbildes“192 gemacht (1Kor 1,23). Die Vorstellung eines leidenden, sterbenden und gekreuzigten Gottes, der verehrt und angebetet wird und mit dem man „mitgekreuzigt“ ist (Gal 2,19.20; Röm 6,3–11), galt in der antiken Welt als unangemessene Deutung eines Gottes und spielte daher auch keine nennenswerte Rolle in der Verkündigung der frühen Christen.193 Dennoch zeigt sich in diesen paulinischen Texten die Etablierung eines völlig neuen Gottesbildes, das systematisch mit dem Terminus „der gekreuzigte Gott“194 zusammengefasst werden kann. Gott identifiziert sich mit Jesus und damit auch mit seinem Leiden und seinem Tod. Das Paradox Gott und Leiden/Tod wird zusammengedacht, so dass Gott auch im Leiden und Tod gegenwärtig ist. Mit der Vorstellung vom gekreuzigten Gott beginnt „das christliche Projekt der Humanisierung des Gottesbildes/des Gottesgedankens“195: „Jesus Christus ist das menschliche Antlitz Gottes.“196 Das Sterben Jesu erschien nicht sinnlos, sondern wurde von vielen neutestamentlichen Autoren mit der Heilsbedeutung des Todes Jesu verbunden (Gal 6,14; 1Kor 2,2) und als eschatologisches Siegel (Ez 9,4) gesehen, aber auf unterschiedliche Weise gedeutet. Mit Hilfe von unterschiedlichen Narrativen, Symbolen, Begriffen und Metaphern aus israelitisch-jüdischen Schriften oder aus

Vgl. J. MOLTMANN (1972) 1976, 85; 256.257; E. JÜNGEL (1977) 1986, 507; 511 u. ö. R. V. BENDEMANN 2014, 115. 192 U. SCHNELLE 2016, 763. 193 Vgl. zum Folgenden D. ZELLER 1993, 38.39. 194 Vgl. U. SCHNELLE 2016, 762.763. 195 U. SCHNELLE 2016, 763. Udo Schnelle versteht „Neutestamentliche Theologie als Humanisierung des Gottesbildes“ (a. a. O. 774–778) und listet am Ende seiner Theologie des Neuen Testaments zehn Interpretationen des neuen Gottesgedankens des frühen Christentums auf (a. a. O., 762–774): 1) Der gekreuzigte Gott; 2) Der Gott der Auferstehung; 3) Der Schöpfergott; 4) Der inkarnierte Gott; 5) Der Gott des Lebens (und die Vergänglichkeit); 6) Der Gott der Liebe; 7) Der Gott der Gerechtigkeit und der Verantwortung; 8) Der Gott der Freiheit; 9) Der Gott des Du und des Wir; 10) Der eine Gott und die Trinität. 196 U. SCHNELLE 2016, 778. Vgl. R. FELDMEIER/H. SPIECKERMANN 2018, 332: „Die Menschwerdung Gottes als Grund und Ziel der Menschwerdung des Menschen ist deshalb Zentrum jeder biblischen Theologie christlicher Provenienz.“ 190 191

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2 Mythen sterbender und auferstehender Götter

dem paganen griechisch-römischen Bereich wurde der Tod Jesu soteriologisch „als ein Geschehen gedeutet, das über sich hinausweist und eine Heilswirkung für andere Menschen in sich birgt.“197 Die Tendenz der gegenwärtigen Forschung zielt darauf, Vereinheitlichungsbestrebungen vergangener theologischer Deutungen zu vermeiden, auch wenn sie für das „Heil“ zentral sind, und gerade nicht „eine Grund- oder Kernvorstellung zu definieren, das Ganze z. B. im Begriff der Sühne, der Rechtfertigung oder der Versöhnung zu fassen und die anderen Sprachformen dieser einen Grundvorstellung zuzuordnen.“198 Auch Begriffe wie „Kreuzestheologie“, „Stellvertretung“ und „Opfer“ entstammen jeweils bestimmten philosophischen bzw. geistes- und theologiegeschichtlichen Konstellationen, die von ihrem jeweiligen Vorverständnis her den biblischen Befund interpretieren.199 Ein eindeutiges Verständnis des Todes Jesu lässt sich weder für das Urchristentum noch für nachfolgende Generationen ausfindig machen. Der Variantenreichtum der metaphorischen Deutungen für diese entscheidende Herausforderung der Deutung des Todes Jesu bietet jedoch einen Einblick in einen schriftlich festgehaltenen offenen Diskurs, der sich historischer wie systematischer Eindeutigkeit bleibend verschließt. Vielmehr geht es darum, die „Pluralität der Deutungen ernst zu nehmen als Hinweis auf die Zentralität des Todes Jesu für den Glauben an ihn, als Beleg für die Herausforderung, die sein Tod für seine ersten Nachfolger darstellte, zugleich für die Dynamik urchristlichen Nachdenkens hierüber und nicht zuletzt für den Reichtum der neutestamentlichen Gedankenund Bilderwelt, der nicht eingegrenzt, sondern sorgfältig wahrgenommen und in seinen Facetten ausgelotet werden sollte.“200 Ein solcher Zugang entspricht „der für das antike Denken immer wieder festgestellten ,Aspekthaftigkeit‘ bzw. der ,Vielfalt der Annäherungsweisen‘, die wohl ebenso wie für die Christologie auch für das soteriologische Denken des Urchristentums in Rechnung zu stellen ist.“201 Doch nicht zuletzt sind alle Möglichkeiten, den Tod Jesu zu verstehen, „stets gebunden an die jeweiligen Verstehensvoraussetzungen, die sich in der Sprache widerspiegeln“202 und werden durch Übersetzungen noch einmal gesteigert zur Herausforderung. Insofern sind „z. B. die stärker am griechischrömischen philosophischen Diskurs orientierten und in Seins-Kategorien denJ. FREY/J. SCHRÖTER 2012b, XVII. J. FREY/J. SCHRÖTER 2012b, XXII; D. ZELLER 1993, 37–41. 199 Vgl. J. FREY/J. SCHRÖTER 2012b, XVII.XVIII. Dort weitere Literatur und Hinweise auf gegenwärtige Debatten. Statt der älteren Tübinger Sühnopfertheologie wird nun bei Bernd Janowski der Begriff der ,Lebenshingabe‘ theologisch diskutiert und gegenüber den Aspekten von Tod, Opfer und Sühne der Blick auf Liebe, Freundschaft und Zuwendung gelenkt, um dem verbreiteten Bild eines nekrophilen Gottes entgegenzuwirken (a. a. O., XXVI). 200 J. FREY/J. SCHRÖTER 2012b, XXIII. 201 J. FREY 2012, 49.50 mit Verweis auf Martin Hengel. 202 J. SCHRÖTER 2012, 51. 197 198

2.3 Der gekreuzigte Gott (Jesus Christus)

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kenden christologischen Distinktionen der Alten Kirche nicht eo ipso/aus sich selbst als Bruch von ,Athen‘ mit ,Jerusalem‘ zu werten, sondern können als in ihrer Zeit legitime und notwendige Weiterentwicklungen und Transformationen begriffen werden.“203 Die damit verbundenen Denkschwierigkeiten, wie das paradoxe Bekenntnis, dass Jesus Christus wahrer Mensch und wahrer Gott zugleich sei, sollten jedoch die damals noch junge Religion mehrere Jahrhunderte in Atem halten. Die christologischen Kontroversen werden auch vom Koran rezipiert und tradiert, der Jesus als Propheten verehrt, aber die Anbetung des menschgewordenen Sohnes Gottes als häretischen Polytheismus verurteilt. Die Vorstellung, dass der nach Mohammed zweitwichtigste Gesandte des allmächtigen Gottes von den Juden wirklich gekreuzigt wurde, war für den entstehenden Islam jedoch anstößig und unannehmbar, weswegen man eine doketische Interpretation der Kreuzigung übernahm, die auch in gnostischen Kreisen verbreitet gewesen ist (Sure 4,158). Die frühkirchliche Christologie suchte mit ihrer „,Arbeit am Christus‘“204 Antworten auf die Fragen: „Wie kann der unvergängliche Gott zugleich in einem vergänglichen Menschen sein? Wie kann der universale Gott zugleich in einem Individuum sein? Wie kann der unverwandelbare Gott Fleisch ,werden‘? Wie kann der unsterbliche Gott am Kreuz leiden und sterben“?205 In dieser langen Debatte wurde auch nach Lösungen gesucht, die die als unerträglich und unverständlich empfundene Spannung überwinden sollten. Man sucht die Härte des Leidens und Sterbens Jesu abzuschwächen durch die Behauptung, Jesus habe nicht tatsächlich, sondern nur scheinbar gelitten (Doketismus). Auch der Gedanke, dass ein anderer an seiner Stelle gekreuzigt wurde, kursierte. Aber kann tatsächlich behauptet werden, Jesus habe nach seiner göttlichen Natur gelitten? Ist es nicht plausibler, dass nur seine menschliche Natur gelitten habe und die göttliche von Leid und Tod unberührt geblieben sei? Lange wurde um diese Fragen gerungen und schließlich ein christologischer Kompromiss auf dem Konzil von Chalcedon 451 n. Chr. gefunden: Jesus Christus besitzt zugleich (homooúsios) göttliche und menschliche Natur (vere deus et vere homo), beide Naturen Christi sind unvermischt (asynchytos), unverwandelt (atréptos), ungetrennt (adihairétos), ungesondert (achorístos). Zwar kann man schwerlich behaupten, dass mit diesem Kompromiss die Fragen gelöst wurden, aber man hatte einen präzisierenden Deutungsrahmen abgesteckt, der mehr als Bekenntnis denn als philosophischer Erweis dienen konnte. Die seit Anfang mit den Deutungen der Person Jesu und seines Wirkens verbundenen Spannungen blieben damit aber bis heute erhalten.206 Der nach dem Weggang Jesu, seinem Tod und seiner Auferweckung einsetzende, R. V. BENDEMANN 2014, 116. U. SCHNELLE 2016, 757. 205 J. M OLTMANN (1972) 1976, 85. 206 Vgl. J. SCHRÖTER 2014, 302. 203 204

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2 Mythen sterbender und auferstehender Götter

durchaus riskante „Sprachgewinn“ und Deutungsvariantenreichtum in Bezug auf Jesus nach den Ostererscheinungen wurde durch den Konzilsbeschluss von Chalcedon reguliert und durch die kirchlich reglementierte „Sprachreduktion“ zu einem „Sprachverlust“ durch die christologische Präzisierung. Zudem bleibe es „logisch und theologisch fragwürdig, ob überhaupt ein und derselbe Begriff ,Natur‘ (physis) für das ,Göttliche‘ und ,Menschliche‘ synonym hätte verwendet werden sollen.“207 Zur weiteren „Arbeit am Christus“ gehören die Besinnung auf das Symbol des Kreuzes (3), das Ringen um den christlichen Gottesbegriff (4), die Entdeckung der Kreuzestheologie (5), der Rückgriff auf die Verwendung der Rede vom Tod Gottes seit der Zeit der frühen Kirche (6), die Frage nach einem möglichen Atheismus im Mittelalter (7), die Verwendung des Gedankens eines Todes Gottes in der mystischen Tradition, bei Martin Luther und im altprotestantischen Streit um die Lehre von den Ständen Christi (8) sowie im dreißigjährigen Krieg und dann die Wiederentdeckung des Todes Gottes bei Hegel und Nietzsche sowie im 20. Jahrhundert (9). Das ist der Gang der weiteren Übersicht in diesem Kapitel der Motivsuche nach dem gekreuzigten Gott. (3) Das Symbol des Kreuzes ist das Unterscheidungsmerkmal des Christentums gegenüber anderen Religionen und Weltanschauungen,208 dennoch wurde in der religiösen Umwelt der Antike die Trinitätslehre seit den Konzilsentscheidungen von Nizäa (325 n. Chr.) und Konstantinopel (381 n. Chr.) zum Unterscheidungsmerkmal gegenüber Polytheismus, Pantheismus und Monotheismus.209 Auffällig ist der weit verbreitete Befund, dass das Kreuz und der Kreuzestod in der Christentumsgeschichte in den ersten Jahrhunderten der neuen Religion eher ein „Schattendasein“ in Theologie und Frömmigkeit geführt haben.210 Von wenigen Ausnahmen abgesehen, die sich in der nachapostolischen Verarbeitung des Problems der Überwindung der gottfeindlichen Dämonen und Geistermächte,211 der frühkirchlichen Spekulation über Christus, den Gekreuzigten und sein Kreuz mit der religionsgeschichtlich weit verbreiteten und beliebten Vorstellung vom Paradiesbaum (präfiguriert in Gen 2,9; 3,22.24) und (sakramentalen) „Lebensbaum“212 (arbor vitae) sowie im Hades-

D. RITSCHL/M. HAILER 2006, 129; vgl. auch a. a. O., 128–130. Vgl. E. KÄSEMANN 1972, 90: „Das einzige Merkmal, welches die Christenheit und ihren Herrn von andern Religionen und ihren Göttern radikal trennt, ist das Kreuz“; vgl. zu dieser Interpretationslinie I. U. DALFERTH 1994, 38–84; vgl. auch J. LAUSTER 2014b, 34. 209 Nach U. SCHNELLE 2016, 773 drängten die zentralen Elemente des frühchristlichen Gottesbildes zu Vorstellung von der Trinität hin und kulminieren in ihr. 210 M. W ERNER 1954 trägt jedoch Material zusammen, das diesen Befund relativiert. 211 Vgl. M. W ERNER 1954, 238–271. „Das Auftreten des himmlischen Christus in gewöhnlicher Menschengestalt bedeutete demnach eine Verhüllung seines eigentlichen Wesens, durch die die Engelmächte getäuscht, überlistet wurden“ (a. a. O., 238). 212 Vgl. M. W ERNER 1954, 498–511. 207 208

2.3 Der gekreuzigte Gott (Jesus Christus)

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fahrtmythos und in der Descensuslehre (Höllenfahrt Christi; 1 Petr. 3,18–22)213 finden, wurde das Kreuz dann über ein kurzes Aufleuchten in der mittelalterlichen Kreuzesmystik und scholastischen Satisfaktionschristologie in Luthers reformatorischer Theologie und schließlich erst mit der Prägung des Begriffs „Kreuzestheologie“ im 20. Jahrhundert verstärkt in den Blick genommen. In der frühchristlichen Kunst fand das Kreuz zunächst keinen bildlichen Ausdruck,214 während die Gebärde der (Selbst-)Bekreuzigung (signatio crucis) gepflegt wurde. Die antike christliche Ikonographie zeigt Christus in Erlöserbildern als Guten Hirten und als Erfüllung der Sehnsucht der griechisch-römischen Welt als wahren Philosophen. Sein Bild wird gesteigert bis zur Darstellung als Pantokrator, zum Allherrscher in den Apsiden der Basiliken des christlichen Ostens. Erst spät, im 5. Jahrhundert, finden sich Darstellungen des Gekreuzigten. In der ersten bildlichen Darstellung der Kreuzigung an der Holztür von Santa Sabina in Rom um 432 stellte man den Gekreuzigten von Leiden und Tod unberührt dar. In der Kunst lässt sich ein Wandel des Christusbildes von der Majestas Domini zum leidenden Menschen ab dem Spätmittelalter feststellen.215 Bis ins 12. Jahrhundert wurde der Gekreuzigte als Sieger über den Tod mit offenen Augen und Herrscherkrone im Kirchenraum dargestellt. Auf dem Altar wurde seit dem 11. Jahrhundert ein Kruzifix aufgestellt, das den Opfergedanken des Sakraments unterstreicht. Im 12. Jahrhundert kam es zu einem folgenreichen Bedeutungswandel im Verständnis des Kreuzes, das nun von Bernhard von Clairvaux (um 1090–1153) als Ausdruck von Leiden und Schwachheit Jesu gedeutet wurde. Aus dem „fernen“ Gott wird nun der „nahe“

213 Vgl. M. W ERNER 1954, 253–271 mit weiterem Erschließungsmaterial. Die Descensuslehre verbindet sich mit der neu aufkommenden altkirchlichen Kreuzesspekulation (vgl. a. a. O., 261: „Den meisten Ausgestaltungen der altkirchlichen Kreuzesspekulation über das Kreuz liegt die Identifikation des Gekreuzigten mit dem Kreuz zugrunde“). Das Lehrstück Descensus ad inferos (Höllenfahrt Christi) hat seinen „Anhalt am Apostolikum“ und gehört als „articulus stantis et cadentis ecclesiae“ zu den „gegenständlichen Aussagen in den Bekenntnisschriften“, deren metaphorische Wahrheit existenzialhermeneutisch bedacht werden muss. Christologisch geht es um die Frage, ob die Höllenfahrt Christi seiner Erniedrigung (status exinanitionis, Entäußerung) oder seiner Erhöhung (status exaltationis) zuzurechnen sei (vgl. N. SLENCZKA 2020, 601–611). 214 Das Kreuz wird ab dem 4. Jahrhundert in die Kunst über Passionssarkophage bildlich eingeführt und hermeneutisch über den Siegesgedanken im Anschluss an die Vision Kaiser Konstantins auf der Milvischen Brücke (312) und die Auffindung des „Wahren Kreuzes“ durch seine Mutter Helena und nicht über das historische Ereignis auf Golgatha, das jedoch im Zuge der Kreuzesauffindungslegende (inventio crucis; 3. Mai) und der kultischen Verehrung von Kreuzesreliquien und in Kreuzfesten (Kreuzerhöhung: elevatio crucis; 14. September) seit der Einweihung der Kreuzkirche 335 in Jerusalem und ab dem 7. Jahrhundert auch in Rom begangen wurde. Vgl. E. DINKLER-V. SCHUBERT 1989, 1465. 215 Vgl. zum Folgenden U. K ÖPF 2001, 1747–1751; J. LAUSTER 2014b, 260–293; K. WINNEKES 1989.

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Gott, der menschliche Gott.216 Ausgehend von der Deutung des Zisterzienserordens und in vielfachem Bezug auf Gal 6,14 und 1Kor 2,2 gewannen die das Gemüt ansprechenden Züge im Bild Jesu an Einfluss auf die Kreuzesfrömmigkeit, Kreuzestheologie und die Vorstellung vom leidenden Gottesknecht (Jes 53), insbesondere in der franziskanischen, einer vom Gedanken der Nachfolge Christi geprägten Frömmigkeit, aber auch in der dominikanischen und mystischen Frömmigkeit, hier besonders auch von Frauen. Neben Krippendarstellungen und der Anbetung des Kindes steht das Schreckliche seiner Passion im Fokus und findet im Bildtypus der Pietà und des Schmerzenmanns seinen Ausdruck,217 sodann im gotischen Kruzifix mit Dornenkrone, leidendem Gesichtsausdruck, verzerrter Körperhaltung und Verwundungen, unterstützt durch eigenwillige Formen des Kreuzes. Die neue Sicht auf das Kreuz wurde nicht zuletzt durch die Kreuzzüge ins „Heilige Land“ unterstützt. Hinzu kamen die Szenen der Kreuzigung, ihre Vorbereitung und die Folgen, die Entstehung von Passionsliteratur und unterschiedlicher Formen der andächtigen Kreuzesverehrung und des Nachvollziehens des Kreuzweges bis in die gegenwärtige Frömmigkeit des römischen Katholizismus hinein. Im Protestantismus wurde die mittelalterliche Kreuzesfrömmigkeit reduziert und vertieft. Martin Luther spielte in der Heidelberger Disputation von 1518 die theologia crucis als wahre Erkenntnis des Gekreuzigten (in der Malerei etwa bei Matthias Grünewald in der Mitteltafel Kreuzigung [1512–1516] des Isenheimer Altars und bei Rembrandt218) gegen die scholastische theologiae gloriae aus, die sich in der bildenden Kunst des katholischen Südens Europas etwa bei Raffael und Tizian ausdrückt. Die Konzentration von Luthers Predigt zeigt sich ikonographisch in der Predella des Altarbildes von Lucas Cranach dem Älteren in der Wittenberger Stadtkirche.219 Die Konzentration auf den Gekreuzigten, seine Wunde und das von ihm vergossene Blut prägte die Frömmigkeitsgeschichte und Kirchenlieddichtung von der Reformation über die altprotestantische Orthodoxie und den Pietismus bis in die Erweckungsbewegungen des 19. Jahrhundert hinein. Um 1800 kommt es zu einem Bedeutungswandel in religiösen Dingen. Zur Sprache gebracht wird etwa in den Romanen von Dostoevskij (Die Dämonen) die Erfahrung des „Gott ist tot“220, die sich in Dichtung, Literatur und Philosophie und auch in der Kunst, etwa bei Caspar David Friedrich und Vincent van Gogh, durch eine neue Sicht auf die Verwobenheit von Religiosität, Kunst und Natur niedergeschlagen

Vgl. K. WINNEKES 1989, 9. Vgl. A. ZIMMERMANN 1997. 218 Vgl. K. W INNEKES 1989, 36. 219 Vgl. mit Abbildung U. K ÖPF 2001, 1751. 220 Vgl. dazu Anm. 42 in Abschnitt 4.1 in diesem Buch. 216 217

2.3 Der gekreuzigte Gott (Jesus Christus)

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hat.221 Im 20. Jahrhundert zeigt sich der Umgang mit dem Kreuz ambivalent. Neue Erfahrungen suchen einen neuen Ausdruck auch im Christusbild und in der Darstellung des Gekreuzigten und des Kreuzes. Während das Kreuz Teil der Amtstracht wurde und auch das lange verpönte Kreuzeszeichen in evangelischen Gottesdiensten anzutreffen ist, gibt es von Seiten feministischer Theologie, der Befreiungstheologie und einer Theologie nach Auschwitz Kritik am Kreuz und den damit verbundenen Vorstellungen eines christlichen Masochismus und theologischen Sadismus.222 Die Befreiungstheologie sieht angesichts von Unterdrückung und Gewalt im Kreuz kein entleertes Symbol, sondern ein realistisches Ereignis im Leben der Menschen Lateinamerikas.223 In der Literatur, Theologie und Philosophie, aber auch in der Kunst kommt es zu neuen existentiellen Darstellungen des Christusbildes, in denen, etwa bei Herbert Falken, versucht wird, der „Gott-ist-tot-Erfahrung“ zu begegnen.224 (4) Auch wenn der angezeigte Deutungswandel des Kreuzes die Besonderheit des christlichen Gottesglaubens herauszustellen suchte, war das Ringen um den christlichen Gottesbegriff eng mit dem Glauben an den persönlichen Gott des (Mono-)Theismus verbunden.225 Das zeigt der dreifache Ursprung des christlichen Gottesbegriffs: Im alten Israel wurde aus Jahwe, einem ursprünglichen Berg- und Wettergott, der Gott, der aus der Sklaverei in Ägypten herausgeführt hat, um dann schließlich ein transzendenter Schöpfergott zu werden.226 Ohne seine Vorgeschichte im hellenistischen Judentum ist zudem die dem christlichen Gottesbegriff eigentümliche, aber eben nicht explizit neutestamentliche Ausprägung im Gedanken der Trinität nicht zu verstehen. Wie die jüdische Weisheitstheologie und der kaiserzeitliche Platonismus führt die altkirchliche Theologie mit der Lehre vom Logos oder Sohn Gottes eine zweite Größe neben dem jesuanischen Vatergott ein, die dann zur Entwicklung des trinitarischen Dogmas geführt hat. Sie hält an der monotheistischen Überzeugung fest, dass es nur einen einzigen Gott gibt, aber dieser in drei Hypostasen

221 Vgl. dazu mit weiterem Erschließungsmaterial K. W INNEKES 1989, 47–50; vgl. zur Kunstgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert H. SEDLMAYR 1948. 222 Vgl. D. SÖLLE 1980, 17–44. 223 Vgl. D. SÖLLE 1990, 163–177. 224 Vgl. zu den vielfältigen Christusbildern im 20. Jahrhundert G. R OMBOLD/H. SCHWEBEL 1983, darin auch zur Bearbeitung der „Gott-ist-tot-Erfahrung“ in der Kunst nach dem Ersten Weltkrieg bei Ernst Barlach (a. a. O., 25–29) und in den 1960er Jahren angesichts der Sinnlosigkeit der Kreuzigung und des Grauens von Folterungen bei Herbert Falken (a. a. O., 142–147). 225 Vgl. R. SCHÄFER 1973, 62; vgl. zum Folgenden J. R OHLS 2014a und 2014b; vgl. zur Entstehung des Monotheismus jetzt auch TH. RÖMER 2018. 226 Vgl. zur Entstehung des Monotheismus (monotheistische Dynamik) in der Krisenerfahrung des 6. Jahrhunderts v. Chr. als kognitive Dissonanzbewältigung, Intensivierung eines Konsenses und Konkurrenzüberbietung im Sinne eines Überbietungssynkretismus G. THEISSEN 2000, 73.74.

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oder Personen existiert. Diese Sichtweise konnte jedoch erst in der Aufnahme und Auseinandersetzung mit dem Gottesbegriff der griechischen Philosophie in Erscheinung treten. Auf den Kontakt mit der griechisch-römischen Philosophie gehen auch die Ansätze zur methodischen Ausgestaltung verschiedener Wege der Gotteserkenntnis zurück, zu denen auch die bekannten Gottesbeweise zählen, die man in der mittelalterlichen Scholastik formalisiert und die als ontologische, kosmologische und teleologische Argumente, trotz der kritischen Einwände von Hume und Kant, bis in die Gegenwart für Philosophie und Theologie interessant bleiben. Aber auch die Eigenschaften, die man Gott als vollkommenstem Wesen (ens perfectum) zuschreibt, entstammen dem Einfluss der griechischen Philosophie und gelten dieser als unverrückbare Axiome: Allmacht, Absolutheit, Unveränderlichkeit, Leidensunfähigkeit (Apathie): „,was Schmerz empfindet, kann nicht ewig sein‘ (Parmenides, Melissos).“227 Doch die Trinitätslehre musste immer wieder gegen Angriffe verteidigt werden, wie sie beispielhaft die Antitrinitarier und Sozinianer geführt haben. Denn je mehr man Gott als welttranszendentes persönliches Wesen zu fassen suchte, desto komplizierter wurde es, an der Vorstellung festzuhalten, wie er in drei Personen existierte. Mit dem Substanzgott Descartes’ und des Spinozismus wurde es schließlich unmöglich, Gott Welttranszendenz und Persönlichkeit einzuschreiben. Spinoza, Lessing, Herder, Fichte, Schelling, Schleiermacher und die Jenaer Frühromantiker gaben den persönlichen Gott preis. Philosophisch-theologisch zeigte sich dies am Streit um die Göttlichen Dinge um 1800, der die Infragestellung des theistischen Gottes im Spinozismus- bzw. Pantheismus- (1785), im Atheismus- (1798/99) und Theismusstreit (1811/12) thematisiert. Mit der idealistischen Philosophie kam die Vorstellung des trinitarischen Gottes über den Gedanken des Absoluten als Geist zurück. Verstanden als Geist ist das Absolute, also Gott, im Anderen seiner selbst bei sich selbst. In dieser Struktur des Absoluten sahen Hegel und seine philosophischen und theologischen Nachfolger den tieferen Sinn der christlichen Lehre von der Dreieinigkeit. Dank des philosophischen Geistbegriffs erlebte die Trinitätslehre eine Renaissance (auch bei Schelling), die allerdings das Ende der Hegelschule nicht überstand. Nunmehr machte man den Gedanken der Persönlichkeit des welttranszendenten Gottes stark. In der altkirchlichen Lehre sah man eine Verfälschung der jesuanischen Vorstellung von Gott dem Vater und eine hellenistische Überformung des Evangeliums Jesu (Adolf von Harnack). Im 20. Jahrhundert verzichtet eine antimetaphysisch ausgerichtete (analytische) Philosophie ganz auf den Gottesbegriff. Martin Heidegger begreift den Tod Gottes als das Ende des mit Platon beginnenden metaphysischen und christlichen Gottesverständnisses. In diesem Kontext kam es in der Offenbarungstheologie von Karl Barths Kirchlicher Dogmatik erstaunlicherweise zu 227

W. SCHULTZ 1964, 290.

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einer programmatischen Erneuerung der immanenten Trinitätslehre als „unaufhebbare Subjektivität Gottes“228, wodurch dieser in der folgenden Debatte ein prominenter Platz im Streit um den angemessenen christlichen Gottesbegriff eingeräumt wird. Für die deutschsprachige protestantische Theologie stellte Barths trinitarischer Entwurf in Weiterführung und Abgrenzung den maßgeblichen Fluchtpunkt der Debatte dar. Dass aber der theistische Gottesbegriff grundsätzlich in eine Krise geraten ist und auch die Gottesbeweise und die Trinitätslehre immer wieder auf vehemente Kritik stoßen, lässt sich nicht verbergen und wird auch in der Theologie nicht mehr geleugnet:229 „Zugespitzt wird diese Kritik in dem jüngere[n] Phänomen einer positiven Rezeption des Gedankens, dass Gott tot sei.“230 (5) Im 20. Jahrhundert kommt es in der evangelischen Theologie jedoch überwiegend zu einer Reihe von soteriologischen Deutungen des Kreuzestodes Jesu, die auf ein vergessenes traditionsimmanentes Moment rekurrieren, das im Rückblick auf die „Geschichte der aktualisierenden Rezeption der von Paulus und Luther gegebenen kreuzestheologischen Initialimpulse“231 seit dem Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert mit dem terminus technicus Kreuzestheologie bzw. theologia crucis versehen wird. Sie tritt allerdings nur in Gestalt verschiedener kreuzestheologischer Konzepte und Deutungsvarianten auf,232 mit denen man im 20. Jahrhundert die Hoffnung verbindet, „ganz bei der Sache der Theologie überhaupt zu sein.“233 Angestoßen wird diese Debatte, die der Sache nach durch Arbeiten von Adolf Schlatter (1852–1938)234, Martin Kähler (1835–1912)235 und seinem Schüler Bernhard Steffen (1886–?) zu einer Diese Formel ist ein „Leitthema“ der Theologie Barths in verschiedenen Varianten seit 1924 (vgl. E. JÜNGEL 182, 134); Nachweise auch bei M. MURRMANN-KAHL 1997, 55. 229 Vgl. auch zur vorherigen Übersicht J. R OHLS 2014a, 2. 230 J. R OHLS 2014a, VIII. 231 M. K ORTHAUS 2007, 1. 232 Vgl. zu Herkunftsgeschichte des terminus technicus M. K ORTHAUS 2007 mit seinen Untersuchungen zu Martin Kähler, Bernhard Steffen, Hans Joachim Iwand, Karl Barth, Ernst Käsemann, Gerhard Ebeling, Jürgen Moltmann, Eberhard Jüngel, Martin Luther. Bewusst lässt er Hegels und Nietzsches Philosophie außer Acht, da diese Entwürfe nicht explizit theologisch seien (a. a. O. 13.14). Nicht nur im Kontext der paulinischen Theologie wird nach der Kreuzestheologie in der neutestamentlichen Wissenschaft geforscht, sondern auch das Johannes-Evangelium wird in der neueren Forschung kreuzestheologisch gedeutet. Vgl. U. SCHNELLE 2016, 676–685 (dort weiteres Erschließungsmaterial). Ferner W. SCHULTZ 1964; E. THAIDIGSMANN 1983 und P. BÜHLER 2017. Im Anschluss an Hans-Georg Geyer versteht Heinrich Assel Kreuzestheologie als „,Kapitel und Kompendium der theologia trinitatis‘ und darin [werde sie; d. A.] zum ,Kapitel und Kompendium der Versöhnungslehre und der Menschwerdungslehre‘“ (H. ASSEL 2020, 195.196; 195–222 mit weiterem Erschließungsmaterial; zu Martin Kähler vgl. a. a. O., 196–205). 233 M. K ORTHAUS 2007, 2. 234 A. SCHLATTER (1901) 1913. 235 M. K ÄHLER 1911. 228

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„staurozentrischen Theologie“ vorbereitet worden ist,236 durch Walther von Loewenichs (1903–1992) wirkungsgeschichtlich relevante und den Einsichten der dialektischen Theologie verbundene Erlanger Dissertation über Luthers theologia crucis (1929).237 Intensiviert wurde die Debatte um die Kreuzestheologie von Hans Joachim Iwand (1899–1960) durch die Aufnahme des Begriffs in die Dogmatik.238 Mit der zentralen These von Loewenichs, dass es sich bei der Kreuzestheologie Luthers nicht um ein überwundenes Frühstadium seines Denkens handele, „sondern ganz grundsätzlich um ,das Vorzeichen aller Theologie‘“239, nahm die „kreuzestheologische Hochkonjunktur in der evangelischen Theologie des 20. Jahrhunderts ihren Anfang.“240 Bei Gerhard Ebeling ist die metaphysikkritische Kreuzestheologie für sein gesamtes theologisches Werk prägend.241 Auch in neu konzipierten Entwürfen der Trinitätslehre wird das Kreuz eingeschrieben und von Jürgen Moltmann und Eberhard Jüngel dezidiert von einer trinitarischen Kreuzestheologie bzw. Theologie des Gekreuzigten her unter Einbeziehung bzw. Passbarmachung des Motivs vom Tode Gottes verstanden.242 Ihre Initiatoren sehen darin nichts weniger als eine „Revolution im Gottesbegriff“243, die sich von der herkömmlichen Axiomatik des theistischen Gottesbegriffs der klassischen Metaphysik verabschiedet und sich gegen den Atheismus behaupten will, indem man sich diesen in den Karfreitag einverleibt. Mit dieser Wende zum Kreuz und einem christologischen Verständnis des Todes Gottes in der deutschsprachigen protestantischen Theologie werden auch die diesbezüglichen Denkbemühungen seit der Zeit der Alten Kirche, Reformation und frühen Neuzeit wieder aufgespürt, die die Rede vom gekreuzigten Gott und damit auch vom sterbenden Gott bzw. Tode Gottes enthalten.244 Diese greifen auch feministische Annäherungen an die Kreuzes- und Auferstehungstheologie auf und suchen nach neuen Wegen der Gottesrede jenseits des Vatergotts und im Blick auf verlorengegangene weibliche und männliche Gottes- und Göttinnenbilder.245

B. STEFFEN 1920; 1929. W. V. LOEWENICH 1982. 238 Vgl. M. K ORTHAUS 2007, 3; 8–153. Dort auch weiteres Erschließungsmaterial zu den einzelnen Autoren. 239 M. K ORTHAUS 2007, 9 mit Zitat von W. von Loewenich. 240 M. K ORTHAUS 2007, 9. 241 Vgl. dazu M. K ORTHAUS 2007, 173–218; R. G ÖRNANDT 2016. 242 Vgl. J. M OLTMANN (1972) 1976, 186–189; E. JÜNGEL (1977) 1986, 470–505. Vgl. auch G. KOCH 1968, 269 ff. 243 J. M OLTMANN 1976, 189. 244 Zur Wiederaufnahme der in der Alten Kirche umstrittenen Rede vom ,Tode Gottes‘ vgl. E. JÜNGEL (1977) 1986, 85–87. 245 Vgl. C. H EYWARD 1986, 102–108 („Passion“); zur Kritik an Moltmanns Buch Der gekreuzigte Gott vgl. C. HEYWARD 1986, 122.123; M. KASSEL 1988. Vgl. auch Abschnitt 6.3.5 in diesem Buch. 236 237

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(6) „Schon in der Kirche des 2. Jahrhunderts spielt das Problem des ,Todes Gottes‘ eine nicht unerhebliche Rolle.“246 In diesen Kontext gehört auch der folgenreiche antijudaistische Vorwurf des „Gottesmordes“247, der erstmalig von Bischof Melito(n) von Sardes im lydischen Kleinasien in seiner Passahomilie (um 170) verbreitet wurde: „,Der Herr ist geschändet worden! Gott ist ermordet worden. Der König Israels ist beseitigt worden von israelitischer Hand.‘“248 Der lateinische Kirchenvater Tertullian (ca. 160/170– nach 220 n. Chr.) kennzeichnete in seinen fünf Büchern gegen Marcion (Adversus Marcionem; 207–215 n. Chr.) dagegen den Glauben der Christen dadurch, dass Gott gestorben sei und dennoch ewig lebe.249 Er konnte den christlichen Gott gelegentlich auch den „gekreuzigten Gott“ (deus crucifixus) nennen.250 Doch gegen die patripassianische These, Gott der Vater habe selber am Kreuz gelitten und sei demnach selber gekreuzigt worden und gestorben, genüge es zu sagen, dass nur der Sohn gelitten habe und gestorben sei. Das sei aber auch nur so, weil es dementsprechend in der Schrift geschrieben steht. Als Beweis für die Leidensunfähigkeit Gottes wird der Schrei der Gottverlassenheit Jesu am Kreuz (Ps 22,2) bemüht. Der Kirchenvater Hippolyt (ca. 170–235) berichtet von dem kleinasiatischen Patripassianer Noetius, der sagte, „es gebe eine Vater und Gott des Universums [..., der], wenn er sich aber dem Leiden unterziehe, leide und sterbe.“251 Auch der Kleinasiate Praxeas „soll die Lehre vertreten haben, daß ,der Vater geboren und gestorben‘ sei (pater natus et pater passus).“252 Dem griechischen Kirchenvater Athanasius von Alexandrien (um 300–373) kam es W. HARTMANN 1969, 61. Vgl. zur Entstehung des Begriffs und seiner Rezeption u. a. bei Augustinus, Thomas von Aquin und in der Kreuzzugstheologie M. BLUM 2010. Die Vorstellung, dass der Prophet Gottes abgelehnt und gar getötet wird, geht auf eine nachexilische Tradition des Judentums zurück und dient als Hintergrundfolie für die Deutung des Todes Jesus als Prophetenmord und seiner narrativen Entfaltung in den Evangelien. „Das Neue Testament bleibt darin der Logik der Hebräischen Bibel verpflichtet“ (a. a. O., 113). 248 Zit. n. M. B LUM 2010, 113.114. Josef Blank übersetzt: „Der Gott – ist getötet worden“ (MELITON 1963, 128) Ohne (sic!) einen Hinweis auf den Gottesmord-Vorwurf kommt ein Sammelband über Luthers Idiomenkommunikation aus, der mit diesen Passagen aus der Passahomilie sein Motto vorgibt. Vgl. O. BAYER/B. GLEEDE 2007, 1. 249 „Es ist nur gut, dass die Christen an einen gestorbenen Gott glauben, der freilich noch lebt in die Ewigkeiten der Ewigkeiten.“ (Adv. Marc. II, 16; Übers. v. K. A. H. KELLNER). 250 „Gott stellte sich als gering dar, damit der Mensch groß werde. Wer einen solchen Gott verschmäht, von dem weiß ich nicht, ob er, auf dem Grunde des Glaubens stehend, an einen gekreuzigten Gott glauben könne.“ (Adv. Marc. II, 27; Übers. v. K. A. H. KELLNER). E. JÜNGEL 1986, 86, Anm. 26 weist mit dieser Bezeichnung gegen J. MOLTMANN 1976, 49 nach, dass bereits in der Alten Kirche die Rede vom gekreuzigten Gott aufgekommen ist und nicht erst in der mittelalterlichen Kreuzesmystik, auf die Luther dann Bezug nimmt. Entsprechende Nachweise ebd. 251 Zit. bei W. H ARTMANN 1969, 61. 252 Zit. bei W. H ARTMANN 1969, 62. 246 247

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in seiner Auseinandersetzung mit den antiochenischen Anhängern des Arius und des Apollinaris darauf an, pointiert den Gekreuzigten als Gott zu bekennen. Aber auch er entschärfte diese Rede dahingehend, dass Christus „nicht in der Gottheit, sondern im Fleische für uns gelitten“ habe. Auch für ihn galt die soteriologische Stoßrichtung der Christologie: Nur was Gott angenommen habe (sàrx egéneto), könne auch erlöst werden (der Mensch als sàrx). Wäre Christus, in welchem Sinne auch immer, weniger als Gott, dann wäre die durch Christus gebrachte Erlösung nicht vollkommen.253 Apollinaris von Laodicea argumentierte: Der Tod eines Menschen vermag den Tod nicht zu überwinden. Diese Überwindung ist aber im Tode Jesu wirklich erfolgt. Also muss in ihm ein Gott den Tod erlitten haben.254 In der Regel wurde der Tod Gottes in der Alten Kirche nur auf die menschliche Seite des gottmenschlichen Sohnes bezogen, um die soteriologische Bedeutung seines Opfertodes zu betonen. Im Gefolge der chalcedonensischen Zwei-Naturen-Lehre und des bereits in der altkirchlichen Tradition geläufigen Gedankens einer wechselseitigen Mitteilung (communicatio) der Eigenschaften (idiomata) beider Naturen, der im lutherischen Protestantismus in der Lehre von der Idiomenkommunikation (communicatio idiomatum255) aufgenommen und weiterentwickelt wurde, rückt Gott (der Sohn) selber ins Zentrum der theologia crucis: „Der Sohn Gottes ist wahrhaft, real und eigentlich ein Leidender gewesen, gekreuzigt und gestorben. Denn das Leiden wird ihm beigelegt hypostatisch oder persönlich, idiopoietisch oder auf Grund der Aneignung, energetisch oder tätigerweis.“256 Die gesamte altkirchliche orthodoxe Gottesvorstellung ist sich spätestens seit den Alexandrinern Clemens und Origenes einig, das platonische Axiom von der apátheia und impassibilitas festzuschreiben. Die theopaschitische Formel, „Gott hat doch gelitten“, wurde zurückgewiesen. Erst von Luther wurde der darin grundgelegte Angriff auf den platonischen Gottesbegriff zu Ende geführt.257 Mit der soteriologisch ausgerichteten Satisfaktionstheorie bei Anselm von Canterbury (um 1033–1109) rückte zunächst das Kreuz im Mittelalter langsam wieder in das Zentrum der westlichen Frömmigkeit. Gegen die anselmsche Versöhnungslehre und den Gedanken der Notwendigkeit des Opfers des Vgl. zu den Nachweisen J. MOLTMANN 1976, 85; E. JÜNGEL (1977) 1986, 86.87. Vgl. M. WERNER 1954, 250 mit entsprechendem Nachweis. 255 Vgl. zur Aufnahme der Lehre in der altprotestantischen Dogmatik E. H IRSCH 1964, 325–330; jetzt auch den Beitrag von Benjamin Gleede (Vermischt, ausgetauscht und kreuzweis zugesprochen. Zur wechselvollen Geschichte der Idiome Christi in der alten Kirche) in: O. BAYER/B. GLEEDE 2007, 35–94; sowie die systematische Darstellung und Nachzeichnung ihrer Vorgeschichte von H. ASSEL 2020, 88–107; 152–182. 256 David Hollaz bei E. H IRSCH 1984, 327. 257 Vgl. dazu W. ELERT 1950, 196; 204; W. ELERT 1957 und J. R OHLS 2001, 32 und D. LANGE 2001b, II, 129.130; 253–261; O. BAYER/B. GLEEDE 2007, 10–16; H. ASSEL 2020, 125–127. 253 254

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menschgewordenen Gottes durch seinen Kreuzestod interpretierte Peter Abaelard (1079–1142) den Kreuzestod Christi als Darstellung der Liebe Gottes. Beherrscht wurde die mittelalterliche christologische Debatte vom Inkarnationsgedanken, also der Konstruktion des Gottmenschen in seinen beiden Naturen, in den drei Gestalten der Assumptions-, Subsistenz- und Habitustheorie: „Wie kann der unveränderliche Gott etwas werden, ohne dass es zu einer Veränderung oder Wandlung Gottes kommt?“258 (7) Zur Erforschung der Antike und des Mittelalters gehört auch der vieldeutige und umstrittene Begriff des Atheismus.259 Dieser ist allerdings noch nicht konzeptionell gefasst. Sowohl in der scholastischen Theologie als auch im Milieu von Ungebildeten war im Zeitraum zwischen 1100 und 1500 „die These, dass Gott nicht ist [...] sehr wohl denk- und formulierbar“ und zwar im Sinne „paraphrastische[r] Konstruktionen [...,] wie ,ich nehme an, dass Gott nicht ist‘, ,puto Deum non esse‘.“260 Aber auch in der spirituellen Literatur und Seelsorge werden „unterschiedliche Formen des Zweifels an der Existenz Gottes intensiv“ aufgegriffen: „Hier finden sich [...] entfaltete Konzepte von religiöser Entfremdung, von fundamentalen Glaubenszweifeln und vom Gedanken, dass kein Gott sei. [...] Theologen rechneten mit der Möglichkeit, dass Menschen dauerhaft den Bezug zum Glauben verlieren könnten.“261 In den letzten Jahren wurde die Wendung „Deus est mortuus“ häufiger in der Debatte um Atheismus im Mittelalter und in der Renaissance als Bezeichnung für das Nichtsein Gottes zitiert.262 Sie ist einmal in einem Exemplum in der Sammlung zu finden, die als Gesta Romanorum weit verbreitet und bekannt geworden ist. In dieser Geschichte wird im Auftrag des Königs von vier PhiloCH. DANZ 2013, 82. Vgl. die Beiträge in F. NIEWÖHNER/O. PLUTA 1999, die von einem „weiten Atheismusbegriff“ ausgehen; zum Begriff W. MÜLLER-LAUTER 1979; zur Geschichte G. ROHRMOSER 1979; M. SCHMIDT 1979; W. SCHRÖDER 1998; G. MINOIS 2000. Atheismus war jedoch vor 1500 keine Grundlage einer Theorie. Vgl. dazu bes. die aufschlussreiche Studie von D. WELTECKE 2010. 260 D. W ELTECKE 2010, 432 mit Nachweisen. Diese Epoche des lateinischen Christentums zwischen 1100 und 1500, die von einigen Umbrüchen gekennzeichnet ist, erhält „durch spezifische Konstellationen zwischen den monotheistischen Religionen ihr Profil. Außerdem entstand in ihrem Beginn die scholastische Methode als universale rationale Wissenschaftsstrategie. An ihrem Ende wurde sie desavouiert und verlor ihre paradigmatische Gültigkeit. Um 1500 entfaltete sich zudem der Atheismusbegriff, der eine neue Phase einleitete“ (D. WELTECKE 2010, 449). Der Boden war bereitet für den abstrakten Religionsbegriff und die Konzeptualisierung des Atheismusbegriffs. Die Frühe Neuzeit hatte begonnen. Vgl. den Überblicksartikel von F. W. GRAF/W. SPARN 2005. Der Literaturwissenschaftler Björn Spiekermann untersucht in seiner Studie ausführlich das Feindbild des Gottlosen in der Frühen Neuzeit (B. SPIEKERMANN 2020). 261 D. W ELTECKE 2010, 20.21. 262 Vgl. bes. O. PLUTA 1999; 2001a und 2001b. Kritisch dazu und zum Folgenden bes. D. WELTECKE 2010, 432–467. 258 259

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sophen „der gänzlich verkehrte Zustand des Reiches analysiert.“263 Die „wirkmächtige Tradition des Atheismus“ hat allerdings den Erzählkontext ignoriert und behauptet, „ein Autor bringe hier seine persönliche, überdies philosophische These von der Nichtexistenz Gottes zum Ausdruck.“264 Aber „in Wirklichkeit dient diese Geschichte der Erbauung und könnte zudem sehr gut von einem Prediger in der Kirche erzählt worden sein.“265 Auch wenn seine und auch die Behauptungen der anderen Philosophen in diesem fiktionalen Text „einer ganz und gar verkehrten Welt“266 an Absurdität zum Teil kaum zu überbieten sind, haben diese und andere Passagen einen Anhalt an der jetzigen „traurigen Wirklichkeit“, die von einer Vergangenheit abgehoben wird. So führte der Verlust Jerusalems und des Heiligen Grabes der Christen an die Muslime im Jahr 1187 in einer Predigt Gilbert Prévostin von Cremona (um 1150–1210), der für einige Jahre Kanzler der Pariser Universität gewesen ist, zur Klage darüber, dass „das Erbe den Christen aus der Hand genommen wurde. Und nun tanzten Dämonen um das Heilige Grab und höhnten, dass die Sarazenen ihren Gott nicht verloren hätten. Doch der Gott der Juden schlafe, und der Gott der Christen sei ganz und gar tot.“267 Die „Machtlosigkeit“ ihres Gottes wurde für die Christen zu einer echten Gefahr, jedoch teile auch hier der „Prediger [nicht] die Ansicht der Dämonen [...], wenn sie am Heiligen Grab den Spott über Christus am Kreuz wiederholen.“268 Mit dieser Wendung vom Tode Gottes ist der Tod Christi gemeint. Die Wesenseinheit von Gott und Christus ist Grundlage der lateinischen Sakramententheologie seit dem 12. Jahrhundert. Der Tod Christi und damit der Tod Gottes am Kreuz ist zentral für den Erlösungsgedanken der Christen. „So war der Tod Gottes als Tod Christi ein Punkt wiederkehrender Besorgnis auch in der lateinischen Welt. Er bewegte sowohl die hohe Theologie als auch zweifelnde Laien. [...] Verstanden als der Tod Gottes am Kreuz, dem keine Auferstehung folgt, kann die Rede vom Tod Gottes jedoch eine Rede über die Abwesenheit Gottes sein. Dabei entstammt dieser Topos jedoch dem Christentum selbst.“269 Die Denkmöglichkeit stand damit im Raum der Erfahrung des Glaubens und zweifelnde Laien wurden seelsorglich in ihrer Not ernstgenommen. (8) Die mystische Tradition kannte und pflegte ebenfalls den Gedanken eines Todes Gottes. So kann Meister Eckhart (1260–1328) formulieren: „Darum ist Gott gestorben, dass ich sterbe aller Welt und allen geschaffenen Dingen.“270 Johannes Tauler (um 1300–1361) gar kann ausrufen: „Wir essent D. WELTECKE 2010, 433. D. WELTECKE 2010, 433 mit Verweis auf O. PLUTA 2001b, 125–130. 265 D. W ELTECKE 2010, 433. 266 D. W ELTECKE 2010, 434. 267 D. W ELTECKE 2010, 434. Nachweise und weiteres Erschließungsmaterial dort. 268 D. W ELTECKE 2010, 435. 269 D. W ELTECKE 2010, 435. 270 Nachweis bei E. JÜNGEL (1977) 1986, 87, Anm. 31. 263 264

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unseren Gott.“271 In dieser mystischen Vorstellung von der Gegenwart (des leidenden) Gottes im Glaubenden wurde Gott in der Seele der Glaubenden am Beginn des Kirchenjahres stets neu geboren. An der soteriologischen Spitze der Rede vom Tode Gottes ist auch der von der Mystik Taulers beeinflusste Martin Luther (1483–1546) mit eigener pointierter Intention interessiert. Luthers Kreuzestheologie ist von der mystischen Tradition beeinflusst und zeigt eine starke Konzentration auf die Menschheit Christi und auf den Gekreuzigten in der spätmittelalterlichen Frömmigkeit, wie sie vor allem in den Passionsmeditationen zum Ausdruck kamen.272 Luther brachte besonders in der Zeit zwischen 1517–1519 den Begriff theologia crucis in die Debatte ein,273 der sich in der Alten Kirche und im Mittelalter so nicht gefunden hatte: Zuerst findet sich die Formel theologia crucis in den Glossen der Hebräerbriefvorlesung von 1517/18,274 sodann in der Unterscheidung von theologus crucis und theologus gloriae in der Erklärung zur 58. Ablassthese275 und schließlich im Frühjahr 1518 in den Heidelberger Disputationsthesen276 in der programmatischen Unterscheidung von theologia crucis und theologia gloriae. Die Wiederentdeckung des paulinischen Wortes vom Kreuz, vom gekreuzigten Christus und von Gottes Weisheit zeigt sich in den Heidelberger Disputationsthesen in der Verwendung des Begriffs theologicus crucis, der im Gegensatz zum theologicus gloriae die „Rückseite Gottes erblickt, die durch Leiden und Kreuz erblickt wird“ und Gottes „Menschlichkeit, Schwäche, Torheit“ zeigt: „Also ist im gekreuzigten Christus die wahre Theologie und Erkenntnis Gottes“277. Leiden und Kreuz sind somit der einzige Ort wahrer Gotteserkenntnis. Gegen eine natürliche Theologie und spekulative Metaphysik betont Luther den Abstand zwischen Gott und Mensch und erblickt im „Symbol des Kreuzes [...] die Grundform des göttlichen Offenbarungshandelns in einer durch die Macht der Sünde bestimmten Welt.“278 Im Kreuz Christi spricht sich zugleich Gottes Urteil über den Sünder, über die Werke des alten Adam aus.279 Doch das Kreuz ist auch Symbol für die Gnade und Barmherzigkeit Gottes. Gott schafft Heil, er macht aus Sündern gerechte Menschen. Und Glaube ist Teilhabe am Zitiert nach V. LEPPIN 2016, 23. Vgl. zur Kulturgeschichte des Abendmahls die Studie Gott essen von A. SCHUBERT 2018. 272 Vgl. H. B LAUMEISER 1995, 62. 273 Vgl. auch M. K ORTHAUS 2007, 3. Dort weiteres Erschließungsmaterial in Anm. 3. Vgl. auch H. BLAUMEISER 1995, 17, Anm. 12 mit der Zusammenstellung der Belege. Jetzt auch P. BÜHLER 2017, 731.732. Dass Luthers „theologia crucis“ das Produkt einer „denkenden Exegese“ der Heiligen Schrift ist, zeigt U. BARTH 2004, 97–123. 274 Zu Hebr. 12,11: WA 57; 79, 20. 275 WA 1; 613, 21–25; 614, 17–27. 276 21. These: WA 1; 354, 21.22. 277 Vgl. M. LUTHER, LDStA 1, 53 (WA 1; 362, 18.19). 278 U. B ARTH 2004, 122. 279 Vgl. M. LUTHER, LDStA 1, 55 (WA 1; 362, 29–33). 271

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Christusgeschehen. In den Operationes in Psalmos (1519–1521) spielt das Thema des Kreuzes weiterhin eine wichtige Rolle, auch wenn der Begriff theologia crucis in den Hintergrund tritt und die kriteriologische Funktion herausgestellt wird: „Crux probat omnia“280 und „CRUX sola est nostra Theologia“281. Das Bekenntnis zum „gekreuzigten Gott“ gehört zu den christlichen Grundaussagen der Theologie Luthers.282 In seiner Schrift Von der Babylonischen Gefangenschaft der Kirche (1520) geht der Wittenberger Reformator noch einen Schritt weiter und deutet den Tod Gottes im Zuge seiner Erläuterungen gegen den „allerunchristlichsten Missbrauch“283 des Abendmahls im Sakramentsbegriff der römisch-katholischen Kirche: Gott wurde in Christus Mensch, um das Testament zu erfüllen, „dass Gott einst sterben würde“ („deus olim moriturus“).284 Luther verweist nicht nur auf ein altkirchliches Verständnis des gekreuzigten Gottes, sondern drückt zugleich sein eigenes revolutionäres Verständnis des gekreuzigten Gottes285 aus. Dessen Pointe liegt in diesem Text in der Verbindung des Todes Gottes mit dem Herrenmahl.286 Als Verbindungsglied verwendet Luther den Begriff des Testaments, den er hier in Bezug auf den Schriftbefund mit dem Motiv des Todes Gottes deutet287: „Daher jene Begriffe, denen wir in der Schrift allenthalben begegnen: ,Vertrag‘ und ,Bund‘ und ,Testament‘ des Herrn, welche anzeigten, dass Gott einst sterben würde. Denn, ,wo ein Testament ist, da muss der Tod dessen geschehen sein, der das Testament gemacht hat‘, Hebr 9. Gott nun hat sein Testament gemacht: Also musste er notwendigerweise auch sterben. Er konnte aber nicht sterben, wenn er nicht Mensch war. Und so ist in diesem Wörtchen ,Testament‘, als der allerkürzesten Formel, sowohl die Menschwerdung als auch der Tod Christi zusammengefasst.“288

Zurückgelassen hat Christus als Testament das Altarsakrament nicht als solches, sondern damit es an die Gläubigen weitergereicht wird. Luther deutet das Testament als „Versprechen eines Sterbenden, durch das er sein Erbe benennt und seine Erben einsetzt. Daher impliziert ein Testament erstens den Tod des Erblassers, zweitens die Zusage der WA 5; 179, 31 WA 5; 176, 32–33. 282 Vgl. R. W ETH 1971; C H. LINK 1974, 7; Luthers Deutung des gekreuzigten Auferstandenen rückt J. WOLFF 2005 mit der Konzentration auf Luthers Exegese von Psalm 22 ins Zentrum seiner Studie. Zur Rede vom „Tod Gottes“ vgl. a. a. O., 235–445. 283 M. LUTHER, LDStA 3, 213 (WA 6; 512, 7.8). 284 M. LUTHER, LDStA 3, 219 (WA 6; 514, 6). Diese Textstelle ist auch für die USamerikanischen Gott-ist-tot-Theologen von Bedeutung. 285 Vgl. TH. J. J. A LTIZER 2012, 139; ferner F. D EPOORTERE 2007. 286 Vgl. zu dieser Deutung O. B AYER 1973. 287 Im Rückgriff auf seine Galater- und Hebräerbriefvorlesung. Vgl. B. LOHSE 1995, 92.93. 288 M. LUTHER, LDStA 3, 219 (WA 6; 514, 6–10). 280 281

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Erbschaft und die Benennung des Erben. In diesem Sinne handelt Paulus in Röm 4, Gal 3 und 4 sowie Hebr 9 weitläufig vom Testament. Christus testiert seinen Tod, indem er sagt: ,Das ist mein Leib, der dahingegeben wird, das hier mein Blut, das vergossen werden wird‘; die Erbschaft benennt und designiert er, wenn er sagt ,zur Vergebung der Sünden‘; die Erben aber setzt er ein mit den Worten: ,für euch und für viele‘, das heißt, sofern sie das Testament annehmen und dem Versprechen des Erblassers Glauben schenken.“289

Es ist der Glaube, der die Glaubenden zu Erben macht. Reformatorische Testamentsverwaltung in diesem Sinne besagt, dass im Abendmahl der Tod Gottes nicht nur bezeugt, sondern auch verbunden wird mit der soteriologischen Deutung des Todes Gottes als Tod Christi,290 der das Heilsversprechen (,Vergebung der Sünden‘) für die Glaubenden ausdrückt.

M. LUTHER, LDStA 3, 217 (WA 6; 513, 24–32). Für Luther geht es hier im Zusammenhang mit der Deutung der Zweinaturenlehre und des Abendmahls vor allem um die soteriologische Deutung des Todes Gottes. Das spielt auch für seine Wiederaufnahme des Motivs in seiner Schrift Von den Concilijs vnd Kirchen (1539) eine Rolle: „Denn das müssen wir Christen wissen: Wenn Gott nicht mit auf der Waage ist und sein Gewicht einlegt, sinken wir mit unserer Schale zu Boden. Will sagen: Wenn es nicht gelten soll, dass Gott für uns gestorben, und nicht nur ein Mensch, dann sind wir verloren. Aber wenn Gottes Tod und Gestorbensein in der Waagschale liegt, so sinkt er nach unten und wir fahren empor, leicht und ledig in unserer Schale. Freilich kann er wohl auch wieder emporfahren oder aus der Schale springen. Er könnte aber nicht in der Schale sitzen, wenn er nicht ein Mensch wie wir geworden wäre, so dass man sagen kann: Gott ist gestorben, Gottes Marter, Gottes Blut, Gottes Tod. Denn in seiner eigenen Natur kann Gott nicht sterben. Aber nachdem nun Gott und Mensch in einer Person vereinigt sind, heißt es mit Recht Gottes Tod, wenn der Mensch stirbt, der mit Gott ein Ding oder eine Person ist“ (M. LUTHER, DDStA 2, 679 [WA 50; 590, 11–22]). Aufgenommen ist diese Wendung in die Konkordienformel (FC Solid. decl. VIII, 40; BSLK 1030.1031). Vgl. auch die Grundregel der communicatio idiomatum in De divinitate et humanitate Christi/Von der Gottheit und Menschheit Christi (1540; vgl. dazu die Beiträge von Gottfried Seebaß und Paul R. Hinlicky in: O. BAYER/B. GLEEDE 2007, 125–138; 139–185): „2. Aus der Wahrheit von der zweifachen Substanz und aus der Einheit der Person folgt jene sogenannte wechselseitige Anteilhabe der Eigenschaften, 3. so dass das, was dem Menschen zukommt, mit Recht von Gott, und andererseits das, was Gott zukommt, vom Menschen gesagt wird. 4. Wahrheitsgemäß wird gesagt: Dieser Mensch hat die Welt geschaffen, und: Dieser Gott hat gelitten, ist gestorben und begraben worden, usw.“ (M. LUTHER, LDStA 2, 471 [WA 39 II; 93, 4–9]). Vgl. auch D. NGIEN, 2004; A. BRUNKHORST-HASENCLEVER 1976, 228; bes. die Beiträge zu Luthers Christologie als Lehre von der Idiomenkommunkation in O. BAYER/B. GLEEDE 2007. In Luthers christologischer Disputation von 1540 wird schließlich das Problem berührt, „welches vor allem in Gestalt der ,Tod Gottes‘-Theologie die Diskussionslage des 20. Jahrhunderts immens geprägt hat, nämlich die Frage, ob und inwiefern die christliche Theologie jemals in der Lage war, die Herausforderung der paradoxalen christologischen Rede vom getöteten, verendlichten Gott und vom an Gottes Statt erhöhten, verewigten Menschen denkerisch in adäquater Weise wahrzunehmen“ (O. BAYER/B. GLEEDE 2007, 1). 289 290

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2 Mythen sterbender und auferstehender Götter

Im frühen Altprotestantismus kam die Lehre vom zweifachen Stande Christi (De statibus Christi)291 auf, die Lehre von der Erniedrigung bzw. Entäußerung (kénōsis/exinanitio) und Erhöhung (exaltatio). Es war der Versuch, zwei grundsätzlich verschiedene Aspekte miteinander zu verbinden: die dogmatische Zwei-Naturen-Christologie – sie spielt im Zusammenhang der Abendmahlsstreitigkeiten durch die Behauptung einer communicatio idiomatum eine Hauptrolle – und das Bild vom geschichtlichen Jesus Christus der Evangelien auf Basis des reformatorischen Schriftprinzips. Diese Angleichung zweier im Grunde wesensfremder Christologien barg viel Zündstoff und führte zu langwierigen Kontroversen bis ins 19. Jahrhundert hinein. Die Deutung in der altprotestantischen orthodoxen Dogmatik behält also die Lehre von den zwei Naturen Christi bei, systematisiert im Anschluss an Luther und die Konkordienformel die Lehre von der Idiomenkommunikation292 und konzentriert sich in der Verknüpfung der Unterscheidung der Stände Christi mit der Lehre vom dreifachen Amt Christi (de munere Christi triplex), das in beiden Ständen ausgeübt wird, auf das Bedenken des hohepriesterlichen Amtes Christi (munus sacerdotale) und des Versöhnungsopfers Christi,293 das als stellvertretender Opfertod Christi gedeutet wird. Betont wird, dass der „Sohn Gottes [....] wahrhaft, real und eigentlich eine Leidender gewesen, gekreuzigt und gestorben“ ist.294 Der Bezugspunkt bleibt, wie bei Luther, das Abendmahlsverständnis. Aber anders als beim Reformator spielt die Denkfigur des Todes Gottes in den Diskursen der altprotestantischen Theologie keine Rolle,295 dafür aber die Streitigkeiten über die Deutung der sich an Phil 2,7 anschließenden Lehre von der Kenosis im 16. und 17. Jahrhundert zwischen den Gießener und Tübinger Lutheranern, mit der gemeinsamen Ausgangsbasis, dass der Sohn Gottes in seinem irdischen Leben, im Stand der Erniedrigung (status exinanitionis), die Majestätseigenschaften der göttlichen Natur (genus maiestaticum) Allgegenwart, Allmacht und Allwissenheit in seiner menschlichen Natur zwar besessen, aber nicht gebraucht oder aber nur verborgen (in Verhüllung oder Krypsis) ausgeübt habe.296 Im 19. Jahrhundert wurde von den neulutherisch-konfessionellen Erlangener Erfahrungstheologen (Gottfried Thomasius, Johann Christian Konrad von Hofmann und Franz Hermann Reinhold Frank) eine kenotische Christologie entwickelt, nach der es „nicht mehr der bereits menschgewordene, sondern der erst menschwerdende Sohn Gottes [ist], der sich ent-

Vgl. H. SCHMID 1893, 271–293; E. HIRSCH 1964, 321–336; R. LEONHARDT 2009, 292.293. 292 Zur wechselseitigen Gemeinschaft in den Besonderheiten vgl. E. H IRSCH 1964, 325– 333; R. LEONHARDT 2009, 289–292. 293 Vgl. E. H IRSCH 1964, 337–339 (David Hollaz); ferner C H. D ANZ 2013, 93–105. 294 E. H IRSCH 1964, 327. 295 Vgl. R. SCHWARZ 1966. 296 Vgl. E. H IRSCH 1964, 333–336; J. R OHLS 1997a, I, 75; 2001, 34.35. 291

2.3 Der gekreuzigte Gott (Jesus Christus)

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äußert.“297 Die Lehre von der Kenosis spielt heute wieder eine Rolle, wenn die Ohnmacht Gottes betont werden soll298 oder Gottes Eingehen in die menschliche Gestalt als historisches Ereignis endgültig und unumkehrbar und damit Christi Tod als wirklicher Tod Gottes verstanden wird.299 (9) Erst fast dreihundert Jahre nach Luther fand Hegel die Worte vom Tode Gottes in einem „lutherischen Liede“ vor.300 Das von Hegel zitierte Lied stammte jedoch nicht von Luther selbst, sondern aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges. Der Verfasser der ersten Strophe des Liedes (EG 80,1) „O Traurigkeit, / o Herzeleid!“ („O Trawrigkeit! O Hertzeleid!“ [1628]) war der Jesuit und Kirchenlieddichter Friedrich Spee (1591–1635). Der norddeutsche Pfarrer und geistliche Dichter Johann Rist (1607–1667) verfasste 1641 die Strophen zwei bis acht. In der zweiten Strophe von Lied Nr. III. „Klägliches Grab=Lied/ Vber die trawrige Begräbnisse vnseres Heylandes JEsu Christi/ am stillen Freytage zu singen“ aus seinen ersten zehn Himmlischen Liedern heißt es: „O grosse Noth! / GOtt selbst ligt todt/ Am Creutz’ ist Er gestorben | Hat dadurch das Himmelreich | Vns aus Lieb’ erworben.“301 Zeitweilig hat die lutherische Kirche tatsächlich im Karfreitagsgottesdienst die Zeile „O große Not! Gott selbst liegt tot“ so gesungen.302 Doch von Anfang an wurde diese Liedzeile bekämpft und mehrfach modifiziert. An den Universitäten stritten sich dieTheologieprofessoren über den Unterschied zwischen Vater und Sohn im trinitarischen Leben Gottes, über rechte und falsche Lehre, über Orthodoxie und Häresie. Für Gott galten in der metaphysischen Tradition traditionell die Axiome der Absolutheit, Unveränderlichkeit und Leidensunfähigkeit (Apathie). Im Deutschen Evangelischen Kirchen-Gesangbuch (1854) hieß es „Der Herr liegt todt“ (35,2), im Evangelischen Gesangbuch für die Provinz Pommern (1902) „Der Herr ist tot“ (174,2). Auch im Deutschen Evangelischen Gesangbuch (DEG 43,2: „O große Not! Gottssohn liegt tot“) von 1915 und im Evangelischen Kirchengesangbuch (EKG 73,2) seit 1950 erschien der Vers abgeschwächt mit dogmatischer Korrektur. Bis heute heißt es im Evangelischen J. ROHLS 2001, 35; vgl. auch J. ROHLS 1997a, I, 690–692; ferner J. WEBSTER 2001. Vgl. G. VATTIMO 2009; zum Vergleich der lutherischen und anglikanischen Sichtweise D. R. LAW 2014; zu einer handlungsorientierten katholischen Deutung vgl. A. KREUTZER 2011 und zur US-amerikanischen Gott-ist-tot-Debatte C. A. HOLBROOK 1968. 299 Vgl. zur kenotischen Christologie des Todes Gottes von Thomas J. J. Altizer Abschnitt 6.2.2 in diesem Buch. 300 Hegel erklärte in seinen Berliner Vorlesungen über die Philosophie der Religion in den Jahren von 1821 bis 1831 die Herkunft des Motivs ,Gott selbst ist todt‘ aus dem evangelischen Gesangbuch, jedoch als ein Zitat aus einem ,lutherischen Liede‘ (vgl. G. W. F. HEGEL 1984, 249). Vgl. H.-D. UELTZEN 1976; E. JÜNGEL (1977) 1986, 84.85; J. MOLTMANN 1970, 139.140; (1972) 1976, 221; zur reformierten Zurückweisung dieses Gedankens vgl. K. BARTH 1955, KD IV/2, 83. 301 J. R IST/J. SCHOP 2012, 38; vgl. zur Vorlage der ersten Strophe a. a. O., 477. 302 Vgl. E. JÜNGEL (1977) 1986, 84.85; H.-D. U ELTZEN 1976; C H. LINK 1974, 11. 297 298

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2 Mythen sterbender und auferstehender Götter

Gesangbuch (1993) „O große Not! Gotts Sohn liegt tot“ (EG 80,2). Das klingt weniger anstößig. Mit dem Tod des Herrn und des Sohnes kann man leben. Mit dem Tod Gottes, des Vaters, nicht. Die Gotteskrise drückte sich für Hegel aber aus als „das Gefühl [...], worauf die Religion der neuen Zeit beruht – das Gefühl: Gott selbst ist todt“303. Diese verbindet Hegel mit dem Protestantismus („,Der am Kreuz Gestorbene ist zugleich der Gott dieser Religion‘“304), mit dem ein Säkularisierungsprozess in Gang gekommen ist, der schließlich zur Bestreitung der Existenz Gottes und damit zum Tode Gottes führt. Hegel lokalisiert diesen Tod Gottes geistesgeschichtlich in der Religionskritik der französischen Aufklärung als ein Phänomen zur geschichtlichen Realisierung des Absoluten. Daher kann er von einem spekulativen Karfreitag sprechen, dem die spekulative Auferstehung des Absoluten in der idealistischen Metaphysik folgt.305 Der Tod Gottes wird zu einem Moment im Zuge der Selbstrealisierung des absoluten Geistes.306 Die Wendung „Gott selbst liegt tot“ war von Hegel als „zentrales Motiv der Lutherischen Versöhnungslehre begriffen“307 und als „prononcierter Ausdruck lutherischer Theologie“308 ebenso bekannt wie umstritten. Der Bezug zur „ursprünglichen harten Fassung“ und zu seiner Veränderung zeigt deutlich, „welche Problematik in diesem ursprünglichen ontologischen Gottesprädikat für christliches Denken lag.“309 An der Strittigkeit hat sich auch mit seiner Wiederentdeckung im 20. Jahrhunderts nichts geändert. Den entscheidenden Anstoß, sich wieder der Rede vom gekreuzigten Gott und vom Tode Gottes zuzuwenden, hatte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die US-amerikanische Gott-ist-tot-Theologie geliefert. Der reformierte Theologe Gabriel Vahanian verstand die Rede vom Tode Gottes in seinem Buch The Death of God (1961) kulturdiagnostisch. Der über Jahrhunderte theistisch verstandene Gott sei heute als überweltliches Gegenüber nicht mehr erfahrbar, weder in der Zeit noch in der Geschichte, geschweige denn in der eigenen Existenz. Auch die moderne, von den Naturwissenschaften geprägte Weltsicht bedürfe nicht mehr der begründenden und absichernden Rolle des theistischen Gottes. Der moderne Mensch muss „etsi Deus non daretur“ leben (Dietrich Bonhoeffer). Auch Nietzsches Modernediagnose des Todes Gottes spielt in der folgenden KontroG. W. F. HEGEL, GW 4, 414. Zit. n. W. SCHULTZ 1964, 302. 305 Vgl. J. R OHLS 2014b, 722; 736. 306 Johann Georg Hamann (1730–1788) hat von der Schwachheit Gottes gesprochen und damit auf das reale Schwinden des Gottesgedankens aus dem Leben reagiert. Er verlegte den Grund für das Schwinden des Gottesgedankens ebenfalls in Gott selbst: Gott verschwindet durch seine radikale Weltzuwendung. Die Rede vom Tode Gottes ist für ihn jedoch nicht möglich (Vgl. CH. SENKEL 2012, 239). 307 A. B RUNKHORST-H ASENCLEVER 1976, 228. 308 E. JÜNGEL (1977) 1986, 85. 309 A. B RUNKHORST-H ASENCLEVER 1976, 228. 303 304

2.3 Der gekreuzigte Gott (Jesus Christus)

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verse eine zentrale Rolle. Für Nietzsche wurde der Gott am Kreuze zum Zeichen einer Dekadenzreligion, deren Stifter am Kreuz starb und der zugleich der einzige Christ geblieben sei.310 Für Martin Heidegger dagegen ist christliche Theologie Kreuzestheologie und Theologie Erkenntnis des gekreuzigten Gottes: „Das primär für den Glauben und nur für ihn Offenbare und als Offenbarung den Glauben allererst zeitigende Seiende ist für den ,christlichen‘ Glauben Christus, der gekreuzigte Gott.“311 Den entscheidenden Beitrag zu dieser Lesart leisteten Jürgen Moltmann, Eberhard Jüngel und zu seiner Systematisierung auch Gerhard Ebeling.312 Jürgen Moltmann versteht Jesu Tod nicht als Tod Gottes, sondern trinitarisch als Tod in Gott und damit als Tod des Sohnes Gottes, was eine „Revolution im Gottesbegriff“313 bedeute. Eberhard Jüngel arbeitet ebenfalls mit Hilfe der Heimholung des Todes Gottes in die Theologie an einer Neufassung eines genuin christlichen Gottesbegriffs. Beide nehmen auch Impulse der christologischen Konzentration der Theologie Karl Barths auf, führen diese aber trinitätstheologisch weiter. Barth hatte in der Prädestinationslehre und Versöhnungslehre seiner Kirchlichen Dogmatik (KD II/2 und KD IV/ 1–4) in kritischer Abgrenzung zur lutherischen Variante eine theologia crucis entfaltet und vertieft,314 in der er, so Moltmann, „konsequent die Härte des Kreuzes in den Gottesbegriff eingezeichnet“315 hat: „Weil Barth konsequent ,Gott in Christus‘ dachte, konnte er Gottes Sein geschichtlich denken, von Gottes Leiden und Mitleiden am Kreuz des Sohnes fast theopaschitisch sprechen und endlich, wenn nicht wörtlich, so doch der Sache nach vom ,Tod Gottes‘ sprechen.“316 Bei Falk Wagner schließlich wird der Tod Gottes zum durch den absoluten Gott selbst veranlassten Verlust der Gottheit Gottes.317

Vgl. F. NIETZSCHE, KSA 6, 211. M. HEIDEGGER, GA 9, 52. 312 Vgl. G. EBELING (1979) 1989b, II, § 19: „Der Tod Gottes“. 313 Für Moltmann geht es um eine „Revolution im Gottesbegriff“ (J. M OLTMANN [1972] 1976, 145; 185; 189; 214). Der Tod des Sohnes ist nicht der Tod Gottes, „sondern der Anfang jenes Gottesgeschehens, in welchem aus dem Tod des Sohnes und dem Schmerz des Vaters der lebendigmachende Geist der Liebe hervorgeht.“ (J. MOLTMANN [1972] 1976, 239); vgl. Abschnitt 7.2.2 in diesem Buch. Falk Wagner präzisiert zu einer „Revolutionierung des Gottesgedankens“ (F. WAGNER 1999a, 120–166). 314 Vgl. J. M OLTMANN (1972) 1976, 187. P. B ÜHLER 2017, 741, weist dagegen darauf hin, dass Barth (KD IV/1, 622.623) die theologia crucis „mit einer theologia gloriae der Auferstehung kompensiere[]“. 315 J. M OLTMANN (1972) 1976, 187. Mit Hinweis auf Bertold Klappert. 316 So J. M OLTMANN (1972) 1976, 187.188. Vgl. dagegen G. C. B ERKOUWER 1957, 286.287 und die anderslautende Deutung im obigen Abschnitt 1.3.5 (1) in diesem Buch. 317 Vgl. F. W AGNER 1990; 1999a und Abschnitt 7.3.2 in diesem Buch. 310 311

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2 Mythen sterbender und auferstehender Götter

2.4 Fazit und Ausblick: Vom variantenreichen Mythos zum präzisierten Christus 2.4 Vom variantenreichen Mythos zum präzisierten Christus

Das Motiv vom Tode Gottes wird nie einfach wiederholt oder bloß nachgeahmt. Vielmehr kann man von einer Transformation des Motivs sprechen, dessen singulärer Ursprung sich nicht mehr ausmachen lässt. Es handelt sich daher „nicht um eine einfache Doppelung, sondern um Varianten, die durch Änderung der Funktion des Motivs, durch dessen Verbindung mit anderen, dem Stoff bisher fremden Motiven und durch Aufkeimen neuer, der Phantasie des Dichters und seiner Zeit entspringender Motive entstanden sind.“318 Das Phänomen des Todes eines Gottes ist in den verschiedenen Kultur- und Religionskreisen der Menschheit ein wiederkehrendes Motiv. Das Motiv des Todes eines Gottes wird als Variable in den unterschiedlichen Mythen, Kulten, Kosmogonien und Theologien narrativ ausgestaltet. Eingebettet ist das Motiv im Alten Orient und Alten Ägypten in den größeren Rahmen des Fruchtbarkeits- und Totenkultes und bedeutet dort nicht das Ende des Kultes, sondern drückt in je besonderer Weise seine zentralen Gehalte in sich wiederholenden Riten aus. Im Alten Ägypten war die Vorstellung eines toten Gottes eingebettet in den Kontext des rituellen Umgangs mit dem Tod, der Teil der übergreifenden kosmotheistischen Ordnung des Lebens ist, in der nichts verloren geht. Gegen die mit dem Tod des Osiris ausgelöste soziale Krise werden im Mythos mit der Macht der Sprache (Texte) und der Liebe die wichtigsten Waffen gegen den Tod ins Feld geführt. Sie zeigen sich damit auch als Strategien für den Umgang mit der Endlichkeit des menschlichen Lebens. Doch die mythische Vorstellung vom Sterben und Auferstehen des Osiris zeigt ein übergreifendes Zusammendenken, in dem auch der Tod eines Gottes nicht das letzte Wort hat, sondern Motor einer Tod und Leben umfassenden Kultur wird. Bei Osiris geht um die kosmotheistische restitutio in integrum. Dieses Motiv wird im christlichen Narrativ in einen neuen Stoff eingepasst. Bei Christus kommt es gegenüber Osiris zu vertauschten Rollen. Nicht der Vater stirbt, sondern der Sohn stirbt an seiner Stelle, um zu ihm zurückzukehren (Johannesevangelium). Der Vater rechtfertigt den Sohn in seiner Auferstehung und gliedert ihn wieder in das trinitarische Gefüge ein. Das Kreuzesgeschehen kann als Geschehen in Gott gedeutet werden. Beim Gott Pan spielt eine Vater-Sohn-Beziehung keine Rolle. Hier geht es um die All-Einheit, den Pantheismus. Alle drei Motive zeichnen sich dadurch aus, den harten Kontrast zwischen Gott und Tod zu denken. Der Tod Gottes bleibt jeweils nicht endgültig. Osiris lebt nach seinem Tode weiter als toter Gott des Totenreiches und sein Sohn Horus fungiert als sein Stellvertreter im irdischen Königreich. Der rätselhafte Gott Pan ist schwer zu fassen und vieldeutig. Auch er ist nicht endgültig begraben worden, sondern

318

E. FRENZEL 1966, 117.

2.4 Vom variantenreichen Mythos zum präzisierten Christus

199

der Mythos lebt im alltäglichen (Lexis), philosophischen (Logos) und ästhetischen (Poiesis) Zitat weiter. Der gekreuzigte Gott des Christentums wird zusammen mit seiner Auferweckung gedeutet. Der Tod Gottes ist der Tod Christi; dogmatisch genau genommen ist der Sohn Gottes nach seiner angenommenen menschlichen Natur am Kreuz gestorben. Der Osterglaube hält auch die Erinnerung an den Gekreuzigten wach und verheißt Erlösung. Mit Formulierung des altkirchlichen Dogmas vom Gottmenschen wurde der neutestamentliche und frühkirchliche breite Sprachstrom des Redens über Jesus von Nazareth kanalisiert und reglementiert. Mit der kreuzestheologischen Präzisierung des christlichen trinitarischen Gottesbegriffs sind der religiöse und der säkulare Diskurs im 20. Jahrhundert auseinandergedriftet und kulturdiagnostische und theologische Deutungspotentiale der neu entflammten Rede vom Tod Gottes wurden so abgeschnitten. Sie gilt es im Verlauf der weiteren Arbeit wieder zusammenzufügen, um durch die Mehrdeutigkeit der Metapher vom Tode Gottes ihr theologisches und zeitdiagnostisches wie existentialhermeneutisches Potential auszuschöpfen.



3 Das Gefühl der Gottverlorenheit als Vorahnung des Todes Gottes (Bewusstseinsdiagnostische Deutungsvarianten) Bewusstseinsdiagnostische Deutungsvarianten [...] [D]er Leichtsinn wie die Langeweile, die im Bestehenden einreißen, die unbestimmte Ahnung eines Unbekannten sind Vorboten, daß etwas Anderes im Anzuge ist. 1

Jeder weiß es: Die Jahrzehnte um 1800 haben die Welt, Europa und mit ihm Deutschland revolutioniert.2

(1) Das 17. Jahrhundert gilt Ideenhistorikern „als die Schlüsselzeit der beginnenden Moderne“. Nicht nur einzelne unverbundene Erfindungen kennzeichen diesen Zeitabschnitt, sondern in ihm wurde „das Erfinden als allgemeine Methode der Innovation erfunden“3 und damit der Ingenieur4: „Damals rührte die Abenddämmerung Gottes an die Morgendämmerung menschlicher Kreativität […, die] in den folgenden dreihundert Jahren die Welt stärker verändert, als Millionen Jahre natürlicher Evolution es vermocht hatten.“5 Das religiöse Bewusstsein zeigt sich seit der Mitte des 17. Jahrhunderts von der schmerzlichen Grundbefindlichkeit der Gottverlorenheit durchstimmt. Nach dem Westfälischen Frieden von 1648 machte sich in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts eine „religiöse Krise“ bemerkbar, „vielleicht nicht trotz, sondern wegen der Tatsache, daß die protestantische Hochorthodoxie (A. Calov, J. A. Quenstedt, D. Hollaz) gemeinhin in die Zeit zwischen 1630 und 1680 angesiedelt wird. Das Christentum als Weltbild, das alle Lebenskreise des Menschen bestimmt,

G. W. F. HEGEL 1988, 10 (GW 9, 15). TH. NIPPERDEY 1988a, 7 (Kursivierung im Original gesperrt). 3 P. SLOTERDIJK 2017, 27. 4 Auch wenn er dem Namen nach schon zweihundert Jahre zuvor zusammen mit dem Virtuosen aufgetaucht ist. Jenseits von Universitäten und Klöstern generierten Ingenieure, Künstler und Handwerker neues Wissen und neue Techniken. Vgl. P. SLOTERDIJK 2017, 28. 5 P. SLOTERDIJK 2017, 28. 1 2

Bewusstseinsdiagnostische Deutungsvarianten

201

wird fraglich; es wird nicht mehr unreflektiert angenommen und gelebt.“6 Auf diese Wahrnehmung des Verlusts überkommener Sicherheiten reagierte man mit „Zeitkritik“ und der Konstruktion von Feindbildern, als deren sichtbares Zeichen, da „kein realer Gegner für das Zerbrechlich-werden dieses alten Weltbildes verantwortlich gemacht werden konnte“7, eine Flut von antiatheistischapologetischer Literatur von Theologen und Glaubenskämpfern gelten könne, denen im Grunde keine Schriften zum strengen theoretischen Atheismus (negatio Dei existentiae) gegenüberstanden,8 auch wenn das Christentum in der Zeit der Frühaufklärung real von vielen Widersachern und Feinden umgeben war: „andere Religionen, andere Konfessionen, separatistische Gruppen, radikale Individualisten, Freidenker jeglicher Couleur, ,atheistische‘ fremde Völker und Kulturen.“9 Die androhende Gefahr des Atheismus, dem man vorwarf, Gesellschaft, Staat und Moral zu zerstören, die Jugend zu verführen und eigene Laster zu rechtfertigen,10 lebte in ihrer Zeit zwar nur in der Vorstellung der christlichen Apologeten, aber ihre Argumente konnten diesen in the long run nicht abwenden. Zwar wird dann mit dem Erstarken der Aufklärung, die ein alternatives Weltbild entwarf, das „in Rivalität zum christlich-theologischen steht, [...] der Gegner und Feind [...] ein real auszumachender: es ist der Aufklärer qua Freigeist oder Freidenker.“11 Doch auch hier treffen sich das imaginierte Feindbild der theologischen Aufklärungskritik und die konkreten Intentionen der Aufklärungsdenker meistens nicht; ‚die‘ Aufklärung war bei genauerer Betrachtung keinesfalls atheistisch oder religionsfeindlich gestimmt oder gar identisch mit Säkularisierung.12 Der Wahnsinn blutiger Religions- und Bürgerkriege schien vorüber und ein Optimismus an seine Stelle getreten zu sein: „Man setzte Vertrauen in die Welt, hielt die Natur für verlässlich und stellte sich den lieben Gott als einen in Weisheit ergrauten seriösen Geschäftspartner vor.“13 Das Erdbeben von Lissabon (1755) setzt diesem Optimismus ein jähes Ende. Das um 1700 zunächst in England, dann in Frankreich und schließlich in Deutschland einsetzende Zeitalter der Aufklärung verändert die bisherige Wahrnehmung und Erkenntnisordnung von Gott, Welt und Mensch. Ziel der Aufklärungsbewegungen war es, „alle Autoritäten, Traditionen und Hierarchien am Maß einer neu definierten Vernunft kritisch zu prüfen und abzuschaffen, falls sie deren Gesetzen wider6 H. E. STOCKINGER 2011, 1006.1007. Vgl. zum ganzen Themenkomplex Atheismus, Orthodoxie und christliche Apologetik im 17. Jahrhundert das Standardwerk von H.-M. BARTH 1971a; vgl. jetzt auch B. SPIEKERMANN 2020. 7 H. E. STOCKINGER 2011, 1011. 8 Vgl. zu dieser These H. E. STOCKINGER 2011. 9 H. E. STOCKINGER 2011, 997. 10 Vgl. H. E. STOCKINGER 2011, 999. 11 H. E. STOCKINGER 2011, 1011. 12 Vgl. nur U. B ARTH 2003, 127–165 und U. B ARTH 2014, 77–96. 13 H. G ÜNTHER 2005, 10.11.

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3 Das Gefühl der Gottverlorenheit als Vorahnung des Todes Gottes

sprechen sollten, die gesamte Lebenswelt nach diesen Gesetzen neu zu ordnen und möglichst viele Menschen fähig zu machen, kraft dieser Vernunft ein besseres, glücklicheres, selbstbestimmtes Leben zu führen.“14 In den Jahren 1680 bis 1715, der Zwischenzeit der „Krise des europäischen Geistes“ (Paul Hazard), ist „das alte, auf christliche Vorstellungen gestützte und durch die Theologie intellektuell ausgeformte Weltbild im Zerbrechen“15. Damit beginnt eine neue Epoche in Europa.16 Die Zeitspanne zwischen den Toden Lessings (1781), Hegels (1831), Goethes (1832) und Schleiermachers (1834), beziehungsweise zwischen dem ersten Erscheinen von Kants Kritik der reinen Vernunft (1781) und von Feuerbachs religionskritischem Hauptwerk Das Wesen des Christentums (1841), ist auch die Epoche des „Niedergang[s] der natürlichen Theologie und Aufstieg[s] des Religionsbegriffs“17, des „Streits um die Göttlichen Dinge“18 und des Entstehens der Religionsphilosophie19 sowie der neuzeitlichen Religionskritik, die bei den Hegelschülern Ludwig Feuerbach und Karl Marx auf eine Überwindung der (christlichen) Religion zielte. Die mit diesem Zeitraum verbundenen Kontroversen und Transformationen bilden den „Subtext der Moderne“20: „Vieles spricht zudem dafür, dass die aktuellen Religionskonflikte, die wir zeitdiagnostisch mit dem ,11. September 2001‘ in Verbindung bringen, schon seit der Zeit ,um 1800‘ dem Subtext der Moderne eingeschrieben sind. Die religiösen Lebenswelten und deren Semantiken unterliegen seit dem letzten Drittel des 18. Jahrhunderts einem dramatischen Wandel“21, der bis heute nicht abgeschlossen ist. Die gesamtgesellschaftlichen Transformationsprozesse und die sich dramatisch beschleunigenden Modernisierungsprozesse werden erst nach und nach in ihren Auswirkungen bewusst. Die neue Zeit ist gekennzeichnet durch eine umfassende Modernisierung der Lebensverhältnisse und einen noch ungebrochenen Fortschrittsglauben.22 In den drei philosophisch-theologischen Kontroversen finden fundamentale Bedeutungsverschiebungen im Wissenschafts-, Natur- und Gottesbegriff statt. Religiöse Tradition und neuzeitliche Wissenschaft sowie theologisch verantworteter Glaube und philosophisch gesichertes Wissen prallen aufeinander.23 Das ausklingende 18. und das beginnende 19. Jahrhundert waren in

G. WALTHER u. a. 2019; vgl. U. BARTH 2014, 77–96. H. E. STOCKINGER 2011, 1011. 16 Vgl. H. G ÜNTHER 2005. 17 U. B ARTH 2021, 19–23; vgl. U. B ARTH 2005, 145–171; 235–262; 2014, 77–96. 18 Vgl. dazu W. JAESCHKE 1999. 19 Vgl. J. D IERKEN 2014a, 55–78; R. K ONERSMANN 1992; R. LEONHARDT 2009, 110– 131; M. WEINRICH 2012. 20 C H. D ANZ/G. ESSEN 2012, 3. 21 C H. D ANZ/G. ESSEN 2012, 3. 22 Vgl. J. D IERKEN 2012, 9–33. 23 Vgl. C H. D ANZ/G. ESSEN 2012, 3. 14 15

Bewusstseinsdiagnostische Deutungsvarianten

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vielfacher Hinsicht politisch, gesellschaftlich und geistesgeschichtlich ereignisreich.24 Die Wandlung der Welt zeigen die politischen Revolutionen in den englischen Kolonien Nordamerikas (1776), mit der daraus resultierenden Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten von Amerika unter Rückgriff auf den aufgeklärten Gedanken der allgemeinen Menschenrechte, und in Frankreich (1789), sowie die in den 1780er Jahren beginnende industrielle Revolution in England, verbunden mit dessen Aufstieg zur führenden Wirtschaftsmacht, ohne dass das seit der Glorious Revolution (1688/1689) neugeordnete politische System, in dem der Gedanke der Rechtsstaatlichkeit etabliert wurde, dadurch ins Wanken gerät. Vor allem aber die Französische Revolution und ihre Folgen führen zu einer tiefgreifenden geistigen Erschütterung Europas. Stand zu Beginn noch das Ideal einer Vernunftorientierung, das bereits mit Descartes seinen Anfang nahm und mit Kant seinen Gipfel erreichte, wurden dieser Gedanke und die mit der Vernunft verbunden geglaubte Moralität und natürliche Religion des Menschen sowie die aufklärerische Geisteshaltung durch die anschließende terroristische Schreckensherrschaft der Jakobiner unter Robespierre radikal in Frage gestellt. Mit dem 1804 sich selbst zum Kaiser proklamierenden Korsen Napoleon Buonaparte (1769–1821) wurde Frankreich zur Europa beherrschenden Macht. Die Preußischen Reformen des Staates, der Wirtschaft, des Militärwesens und der Bildung sowie die Neuordnung Europas nach den napoleonischen Kriegen auf dem Wiener Kongress (1814/15) schlossen daran an.25 Auf Zeit gesehen blieb Europa im ,langen 19. Jahrhundert‘ (Eric J. Hobsbawm), bis auf vier Ausnahmen (Frankreich, Portugal, Schweiz und San Marino), und trotz Revolutionen und Demokratiebestrebungen bis 1917/18 „,ganz überwiegend ein Verein monarchischer Staaten‘, ein ,dynastisches Familienkartell‘.“26 (2) Entstand um 1800 mit der „Kirchlichkeit“27 eine neue Form von Frömmigkeit, war Religion im 19. Jahrhundert weltweit „eine Daseinsmacht ersten Ranges“28, so ist die Transformation der Religion im 19. Jahrhundert nicht eindeutig als Säkularisierung zu verstehen. Die empirischen Erscheinungen von Religion und religiösen Phänomenen traten höchst vielfältig auf. So fanden in der protestantischen Frömmigkeit und Theologie auch Erneuerungsbewegungen und Modernisierungsbestrebungen seit 1800 Eingang, auch wenn ein Schub an Entkirchlichung einsetzte, als Erblühen der Kulturreligion bzw. romantischen Kunstreligion und im Aufkommen der politischen Religion (Hambacher Fest 1832) und der religiös überhöhten Nation. Postchristliche BilVgl. J. OSTERHAMMEL 2009; J. ROHLS 1997a. Vgl. E. J. HOBSBAWM (1962) 2017. 26 D. LANGEWIESCHE 2013, 6 (Zitat von Heinz Gollwitzer). 27 Vgl. zum 19. Jahrhundert als „Zeitalter der Kirche“ L. H ÖLSCHER 2005, 175–400. 28 J. O STERHAMMEL 2009, 1239. 24 25

204

3 Das Gefühl der Gottverlorenheit als Vorahnung des Todes Gottes

dungs- bzw. Kulturreligion und Romantik wie ein politischer Glaube wirken auf der einen Seite nach und auf der anderen Seite tritt in den 1830er und 1840er Jahren „mit dem Weltschmerz und mit den neuen radikal-rationalistischen Tendenzen das Problem des ,Todes Gottes‘, des Verlustes eines – wie immer gearteten – Gottesglaubens und der nagende Schmerz des Nihilismus hervor; Büchners Danton ist dafür charakteristisch. In der Bildungsgeschichte und den Äußerungen sensibler junger Leute – der Dichter, der abfallenden Pfarrerssöhne und Theologiestudenten zumal – können wir beobachten, wie eine religiöse Krise, der Zweifel am Christentum, die Abkehr von ihm oder eine hinter Kompromißformeln verdeckte Distanz zunehmen.“29

Die Zunahme des Rationalen durch die selbstbewusste Aufklärung, die folgenreiche Umprägung des Verständnisses von Geschichte (in der Neologie) und die Zunahme des pragmatischen bürgerlichen Nützlichkeitsdenkens30 führte zu einer weiteren „Entzauberung der Welt“ (Max Weber) und zu einer stetigen Zunahme des Gefühls der Gottverlorenheit. In vielfältiger und vieldeutiger Weise sind die Gefühlslagen der Romantik um 1800 literarisch, musikalisch und künstlerisch, aber auch politisch, philosophisch und theologisch zum Ausdruck gekommen.31 Im Zeitalter der Romantik und des klassischen Deutschen Idealismus in Philosophie und Theologie beginnt mit Friedrich Schleiermacher die „theologische Moderne“32. Damit wird in diesem Kapitel abschließend eine Stimme zu Gehör gebracht, die in besonderer Weise Weichenstellungen für die Modernisierung und Dekonstruktion des bisherigen christlichen Diskurses geleistet hat. Schleiermacher erfährt im Anschauen des Universums einen neuen Zugang zur Religion, die den bisherigen Diskurs über den theistischen Gottesgedanken transformiert. Die ,Wiederentdeckung‘ von Schleiermachers ungehaltenen Reden Über die Religion führt dazu, dass das Thema „Religion“ in der Protestantischen Theologie des späten 20. Jahrhunderts wieder aufgenommen wird.33 Gleichzeitig erfährt die grundlegende Idee des in Jesus Christus Mensch gewordenen Gottes, die das Christentum als Deutungspotential in die Geschichte eingebracht hat, in der Theologie der Moderne bei Schleiermacher eine weitreichende christologische Zuspitzung, die sich soteriologisch vorgezeichnet bereits bei Martin Luther („solus Christus“) findet und dann im 20. Jahrhundert bei Karl Barth aufgenommen wird (KD IV/3, § 69). Die Gotteserkenntnis wird, sofern sie eine den Einzelnen existentiell betreffende sein soll, an die Person und Geschichte Jesu Christi gebunden.34 Aber auch schon bei TH. NIPPERDEY 1993, 442. Vgl. R. SAFRANSKI 2007, 193. 31 Vgl. R. SAFRANSKI 2007; jetzt auch S. M ATUSCHEK 2021. 32 C.-D. O STHÖVENER 2004, 58. Vgl. dazu ausführlich W. JAESCHKE/A. A RNDT 2013. 33 Vgl. U. B ARTH/W. G RÄB 1993; E. FEIL 2012, 688–878; F. W AGNER 1986; M. W EINRICH 2012, 237–301. 34 Vgl. D. K ORSCH 2020, 103–108. 29 30

3.1 „... un Dieu perdu“ (Blaise Pascal)

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Blaise Pascal wird im Christusglauben das Gefühl der Gottverlorenheit wahrgenommen und aufgehoben. Gleichzeitig wächst der Zweifel am Gottesglauben und die Natur rückt an die Stelle Gottes.

3.1 „... un Dieu perdu“ – Das Aufkommen des schmerzlichen Gefühls der Gottverlorenheit (Blaise Pascal) 3.1 „... un Dieu perdu“ (Blaise Pascal)

(1) Beim französischen Jansenisten Blaise Pascal (1623–1662) findet die existentiell durchlittene Erfahrung des religiösen Bewusstseins von der schmerzlichen Grundbefindlichkeit der Gottverlorenheit einen sprachlichen Ausdruck.35 Es ist später Hegel, der an Pascals Passion erinnert als „dasjenige, was gleichsam nur empirisch ausgesprochen war mit Pascals Ausdrücken: ,la nature est telle, qu’elle marque partout un Dieu perdu et dans l’homme et hors de l’homme‘.“36 Ein Blick in Pascals posthum zusammengetragene Pensées37 untermauert die Beobachtung der Zerrissenheit des Menschen als Zwischenwesen (Pensées Sect. II 72) – Pascal beschreibt die conditio humana als Verortung in der geheimnisvollen Mitte zwischen dem Nichts und dem Unendlichen (le néant et l’infini) – und skizziert das Gefühl der Gottverlorenheit. Für ihn ist diese Aussicht noch nicht, wie im 20. Jahrhundert bei Jean-Paul Sartre, Ausdruck einer Befreiung des Menschen, sondern Pascal macht sich aufgrund der Erfahrung des „Dieu perdu“ auf die Suche nach dem verlorenen Gott. Für Hegel schließlich weisen diese zutreffenden Beobachtungen, die Pascal allerdings ohne spekulativ tiefer gehende Blicke bemerkt, in die religiöse Natur und kritische Situation des Menschen zurück, in die Zeit der Heraufkunft des neuen Cartesianischen Zeitalters des methodischen Zweifels und der Ich-Reflexion.38 Hegel entnimmt dieses Zitat jedoch aus einer längeren Passage in Pascals Gedankengang: „Was mich angeht, so gestehe ich, daß, sobald die christliche Religion diesen Grundsatz enthüllt, daß die Natur des Menschen verdorben und er von Gott verstoßen sei, die Augen geöffnet sind, um die Zeichen dieser Wahrheit überall zu sehen; denn die Natur ist derart, daß sie überall sowohl im Menschen als außerhalb des Menschen auf einen verlorenen Gott hinweist und auf eine verderbte Natur“ (VII 441).39 Für Pascal kommt hiermit der tiefste Grund für die menschliche Gottverlorenheit im Lichte von augustinischen Grundeinsichten der christlichen Religion selbst ins Offene. Und zwar in der Erbsündenlehre (le péché originel), die selbst als Torheit weiser sei als alle Vgl. bereits Abschnitt 2.2 (5) in diesem Buch. G. W. F. HEGEL, GW 4, 414; Zu Hegel und seiner Deutung des mit dem Tod Gottes angezeigten Verlustes vgl. CH. LINK 1974, 27–90 und Abschnitt 5.1.1 in diesem Buch. 37 B. PASCAL 1994. Hieraus auch die in Klammern gesetzten Nachweise im Haupttext. 38 Vgl. G. W. F. H EGEL, ThWA 18, 114. 39 Vgl. C H. LINK 1974, 37–39 und dazu E. JÜNGEL (1977) 1986, 94, Anm. 61. 35 36

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3 Das Gefühl der Gottverlorenheit als Vorahnung des Todes Gottes

Weisheiten menschlichen Wissens (VII 445). Von der Erbsünde her enthülle sich die verdorbene Seinslage des Menschen als Zwischenwesen. Zwischen Größe und Elend, zwischen den Tieren und den Engeln oder Gott, zwischen Adam und Christus. Das Menschenlos, die condition humaine, bestehe darin, zwischen der Größe, Gott liebend erkennen zu können, und dem Elend, Gott in der Finsternis verloren zu haben, zu existieren (vgl. VII 443): „Alles Wahrnehmbare zeigt weder eine völlige Abwesenheit noch eine offenbare Gegenwärtigkeit des Göttlichen, wohl aber die Gegenwart eines Gottes, der sich verbirgt“ (VIII 556). Für Pascal handelt es sich beim verlorenen Gott – diesen Verlust immerhin vermag der Mensch zu erkennen – weder um den deistischen Gott der Aufklärung, noch, was naheliegend wäre, um den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs. Für Pascal kann Gott erst ganz erkannt werden durch Jesus Christus (VII 547): „Das Wissen von Gott ohne Kenntnis unseres Elends zeugt den Dünkel. Das Wissen unseres Elends ohne Kenntnis von Gott zeugt die Verzweiflung. Das Wissen von Jesus Christus schafft die Mitte, weil wir in ihm sowohl Gott als unser Elend finden“ (VII 527). Jesus Christus steht rettend in der Mitte. „Nicht nur Gott kennen wir allein durch Jesus Christus, auch uns selbst kennen wir nur durch Jesus Christus, Leben und Tod kennen wir allein durch Jesus Christus. Ohne Jesus Christus wissen wir weder, was unser Leben, noch was unser Tod, noch was Gott ist, noch, was wir selbst sind. Also ohne die Schrift, die nur von Jesus Christus handelt, wissen wir gar nichts, finden wir nur Finsternis und Verwirrung sowohl im Wesen Gottes als in der eigentlichen Natur“ (VII 548).

(2) Dem tiefer gehenden Blick entgeht nicht, dass es überall Zeichen dafür gibt, mit Hegel ausgedrückt: „empirische Befunde“, dass dieses christologische Gottesverhältnis der christlichen Religion verloren geht. Allenthalben finden sich solche Merkmale der Gottverlorenheit inner- und außerhalb des Menschen, insbesondere in einer vom cartesianischen Geist geprägten rationalen Welt. Pascal war selber Mathematiker und Descartes-Schüler, aber er wandte sich von seinem Lehrer ab: „Das kann ich Descartes nicht verzeihen. Er hätte am liebsten in seiner ganzen Philosophie Gott nicht bemüht; er aber kam nicht umhin, ihn der Welt, um sie in Bewegung zu setzen, einen Nasenstüber geben zu lassen; danach hat er nichts mehr mit Gott zu tun“ (II 77). Mit René Descartes (1596–1650) zog nicht nur der methodische Zweifel in die Philosophie ein, sondern auch die Wende von Gott als Thema der Philosophie hin zum Menschen. Die Aufwertung des Subjekts, des erkennenden Ich, wird zum Kennzeichen des philosophischen Denkens in der Moderne. Am Beginn der Neuzeit wird fraglich, was für das Mittelalter noch feststeht, auch wenn es gelegentlich am Ende dieses Zeitalter bereits erschüttert wird: „daß Gott den Menschen in die Wahrheit, und das heißt in die Sinnhaftigkeit seiner Existenz, gesetzt habe. Damit wird das Wie der Schöpfung problematisch: ob sie nämlich garantiert, daß der Mensch in der Wahrheit existiert, oder

3.1 „... un Dieu perdu“ (Blaise Pascal)

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ob sie ihm die grundsätzliche Verkehrung zum Schicksal gemacht hat.“40 Aus dem Gedanken des möglicherweise täuschenden Gottes gewinnt Descartes die Gewissheit seines ersten Prinzips. Denn „ohne Zweifel [...] bin ich, wenn er mich täuscht“ (VII 25). Mitten im Zweifel wird sich also das Ich seiner selbst gewiss: „Ich zweifle, also bin ich“ (X 523); „ich denke, also bin ich“ (ego sum, ego existo; VI 32). Erst der Zweifel führt zu eindeutig gesicherten und damit unbezweifelbaren Erkenntnissen. Die Hervorhebung der subjektiven Gewissheit als Voraussetzung für das Fürwahrhalten objektiver Gewissheiten zeigt sich in Descartes’ Schlussfolgerung, „daß dieser Satz: Ich bin, ich existiere, sooft er von mir vorgebracht oder im Geiste begriffen wird, notwendig wahr ist“ (VII 25). Gott ist im Menschen verloren. Der Mensch braucht Gott nicht mehr als Gewissheits- und Daseinsgrund. In reflexiver Meditation entdeckt das Ich seine eigene Selbstgewissheit, die nun ein von allem Zweifel freies Fundament bildet. Im weiteren Denken des sich seiner Existenz gewissen Wahrheitssuchers begegnet bei Descartes noch die Idee Gottes (3. Meditation; 1641), die philosophisch als Idee einer unendlichen Substanz bestimmt wird. Keine endliche Substanz kann die Idee einer unendlichen Substanz hervorbringen, vielmehr muss diese ihr voraus liegen. Daraus folgt, dass die Selbstgewissheit und Wahrheitsfähigkeit der endlichen Substanz von der Existenz Gottes, der unendlichen Substanz, abhängt, der man sich im Denken annähern (attingere), aber nicht bemächtigen kann. Die Methode des Zweifels erfordert von unserer wissenschaftlichen Weltvorstellung deutliche und klare Ergebnisse, die alles Zweifelhafte und Verworrene ausscheiden. Damit werden aber auch die Grundbegriffe einer theologischen Metaphysik und die poetischen Bilder des Mythisch-Religiösen abgeschnitten und überflüssig.41 Gott ist auch verloren in der Natur außerhalb unserer selbst. Die mathematisch gewordene Physik und Kosmologie brauchen in der Folgezeit die „Hypothese Gott“ (Laplace) zur präzisen Erklärung des Kosmos und der Naturgesetze nicht mehr. Aber auch die christliche Theologie wollte ihrerseits nie zeigen, dass nichts in der Welt, weder das geometrische Gesetz, noch die Naturgesetze, noch die Geschichte deutlich beweise, dass es Gott gibt. Ebenso wenig werde aus der Welt deutlich, dass es Gott nicht gibt. Die Vernunft vermag Gott nicht zu finden, seinen Schatten hinter den Dingen zu ahnen vermag nur der Mensch, wenn das Herz ihn erkennt.42 Auch die Mitwelt ist von dieser Gottverlorenheit und Verdorbenheit betroffen. Ausdruck dafür ist die Langeweile am Hofe des Sonnenkönigs in Versailles, die, blind für die Wahrheit des Todes, sich in betäubenden Zerstreuungen von Fest und Spiel, Jagd und Krieg, Mode und Liebesspiel flüchtet. Das alles ist nach den

W. WEISCHEDEL 2013, I, 168.169. Dort auch der Nachweis für die Descartes-Zitate. Vgl. W. JANKE 1999a, 84. 42 Vgl. E. W ASMUTH 1994, 548. 40 41

208

3 Das Gefühl der Gottverlorenheit als Vorahnung des Todes Gottes

Deutungen Pascals fruchtbarer Boden für die Grundbefindlichkeit der Religion in der neuen Zeit – das Gefühl: Gott selbst ist todt.43 (3) Vor dem Hintergrund der Auseinandersetzung mit Descartes und der Wendung Plutarchs vom Tode Pans sind somit zwei Grundgedanken Pascals wiederholt: Die christliche Religion, Torheit und Weisheit in eins (1Kor 1,18 ff.), gründet nicht in den Weisungen paganer Propheten, sondern wurzelt in der Situation und Seinslage des Menschen selber. Hinzu kommt, dass in einem Zeitalter der Zerrissenheit und Zerstreuung, das am Prinzip des Ichs hängt, der wahre Gott verborgen bleibt. In einer Verkehrung (Inversion) des Herzens habe sich der moderne Mensch in Selbstgenügsamkeit und Selbstliebe von Gott ab- und sich selbst als dem Mittelpunkt von allem zugewandt. Die alte Geschichte vom Tode des Großen Pan bedeutet einen Einschnitt in der Weltgeschichte. Der falsche Gott sei gestorben und der wahre Gott erschienen. Mit der Logik der Herzens,44 diesem Wirkungszentrum der dynamischen Beziehung des Menschen zur Wirklichkeit, sei dieser Gott in Christus zu schauen. Es entscheidet, ob wir auf die Wirklichkeit der Natur oder auf die Wirklichkeit Gottes bezogen leben. Die Konversion des Herzens wäre demnach die wahre Umkehr. „Daß Gott mich niemals verlassen möge“45 waren Pascals letzte Worte. Das schmerzliche Gefühl der Gottverlorenheit wird bei Pascal aufgehoben in den rettenden Christusglauben.

3.2 Natur statt Gott: Radikaler Materialismus in der Französischen Aufklärung (Im Salon des Baron d’Holbach) 3.2 Natur statt Gott (Im Salon des Baron d’Holbach)

(1) Nach den blutigen Auseinandersetzungen infolge der Konfessionalisierung des europäischen Christentums suchten europäische Aufklärungsdenker in England, Frankreich und Deutschland ab Ende des 17. Jahrhunderts nach einem neuen Verständnis der Religion.46 Mit der Idee der natürlichen Religion (religio naturalis), als deren Vorläufer der englische Deist Sir Edward Herbert of Cherbury (1583–1648) mit seinen fünf allgemeinen Grundsätzen der wahren Religion (notitiae communes verae religionis; De veritate; 1619; gedruckt 1624) gilt, meinte man eine allen Ausprägungen des Christentums, überhaupt der positiven Religionen, zugrundeliegende Gemeinsamkeit eines Gottesbezugs (supremum numen) und vernünftiger moralischer Überzeugungen gefunVgl. W. JANKE 2011, 208. Zur zentralen Rolle des Herzens bei Pascal vgl. W. WEISCHEDEL 1960b und das pathetische Nachwort aus den Pensées: E. WASMUTH 1994, 537–552; vgl. auch H. E. RICHTER 1979, 80–97. 45 E. W ASMUTH 1994, 556. 46 Vgl. zur religionsaffinen Aufklärung U. B ARTH 2014, 77–96 mit weiterem Erschließungsmaterial. 43 44

3.2 Natur statt Gott (Im Salon des Baron d’Holbach)

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den zu haben, die allen Menschen als kulturell und biographisch invariable anthropologische Konstante gleichermaßen zukomme.47 Erschüttert wurde diese Epoche durch das katastrophale Ereignis des Erdbebens von Lissabon am 1. November 1755. Die Fassungslosigkeit, die dieses Ereignis ausgelöst hat, lässt sich an der Reaktion von Voltaire (1694–1778) ablesen, der das Unsichtbarwerden Gottes beklagt, der sich hinter seine Schöpfung zurückgezogen hat48 und seine Bestürzung im Roman Candide (1759) verarbeitet, der sich kritisch mit der Theodicée von Leibniz und seiner These von der „besten allen möglichen Welten“ auseinandersetzt. Doch den Gottesgedanken der menschlichen Vernunft sieht Voltaire weiterhin als ebenso notwendig wie unbegreiflich an. Voltaires aufgeklärte Religionskritik richtete sich mit seinem Aufruf „Écrasez l’infâme“ („Vernichtet die Niederträchtige“) vor allem gegen die kirchliche Institution und ihre Repräsentanten. Sie zeigte sich als Kampf gegen Aberglauben, Korruption, Fanatismus und Intoleranz, aber sie richtete sich nicht gegen die Religion selbst. Voltaire ahnte, dass die alten Formeln nicht mehr tragfähig seien, aber er sah auch die Leere, wenn diese ersatzlos gestrichen würden. So konnte er zwar die Schwierigkeiten der Meinung betonen, dass es einen Gott gibt, aber auch die Absurditäten am Werk sehen, in die die gegenläufige Meinung verstrickt war.49 Das zeigt sich an seiner Kritik am materialistischen Atheismus und Naturalismus des ursprünglich 1770 anonym unter dem Titel Système de la nature, ou, Des loix du monde physique et du monde moral50 erschienenen Hauptwerk des französischen Enzyklopädisten und Materialisten Baron Paul-Henri Thiry d’Holbach (1723–1789), das sich als Weiterführung und Zuspitzung von Voltaires Zweifel an Gott liest.51 Auch wenn diese Thesen des Freundes von Denis Diderot (1713–1784) heute zum „vergessenen Erbe der Aufklärung“52 gehören, übten sie doch auf die damaligen Zeitgenossen eine ungeheure Faszination aus: „Der Umsturz, der hier vorbereitet wurde, zielte auf die Fundamente des abendländischen Denkens.“53 Baron d’Holbach geht von dem radikal materialistischen Axiom aus, „dass der Mensch in einer Frühphase seiner Entwicklung Gott nur als Figur oder Konzept entworfen hätte, um unerklärliche Natur47 Der Minimalbestand von fünf Wahrheiten lautet: 1. Es gibt ein höchstes Wesen; 2. Das höchste Wesen muss verehrt werden; 3. Diese Verehrung äußert sich vorrangig in Tugend, die mit Ehrfurcht verbunden ist; 4. Für begangenes Unrecht muss Buße getan werden; 5. Nach diesem Leben erwarten die Menschen Lohn oder Strafe. 48 Vgl. R. W ENINGER 2013, 82. Dort auch Hinweise auf die entsprechenden Texte Voltaires. Vgl. R. LEONHARDT 2009, 112; U. BARTH 2014, 80. 49 Vgl. zum „skeptischen Theismus“ Voltaires U. B ARTH 2014, 88. 50 Vgl. P. TH. H OLBACH 1978. 51 Darauf macht R. W ENINGER 2013, 81 aufmerksam. Insgesamt zu den radikalen Aufklärern vgl. PH. BLOM 2011; ferner M. WEINRICH 2012, 108–111. 52 So der zweite Teil des Untertitels von PH. B LOM 2011. 53 PH. B LOM 2011, 13.

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3 Das Gefühl der Gottverlorenheit als Vorahnung des Todes Gottes

katastrophen für sich verstehbar zu machen.“54 Sein Pariser Salon zog „viele führende Wissenschaftler, Philosophen, Schriftsteller und Künstler“ an und wurde „so zum vielleicht wichtigsten Raum im intellektuellen Europa.“55 Als Erster, also lange vor Feuerbach und Marx, psychologisierte der „,Chef des Café de l’Europe‘“56 Gott. Die Gewalt der Natur habe den Glauben aus der Bahn geworfen und schließlich ausgetrieben: „Voltaire zweifelt noch, Holbach glaubt schon nicht mehr, für ihn ist Gott nichts als eine Fiktion, ein bloßer Reflex menschlicher Ängste, ja eine Simulation, die von Priesterkasten und Tyrannen zwecks besserer Manipulation ihrer Untertanen am Leben erhalten wird.“57 Die Natur tritt an die Stelle Gottes. (2) D’Holbach und seine materialistischen Freunde stellen sich damit in die Tradition des „materialistischen Manifestes“, das Lukrez (99–55 v. Chr.) mit seinem unvollendetem Gedicht De rerum natura58 aus dem ersten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung hinterlassen hat. D’Holbach selbst hat es ins Französische übersetzt.59 Nach dem Erscheinen des ersten Buches des fünfbändigen Werkes Traité de Mécanique céleste (1799–1825) des Astronomen Pierre-Simon Laplace (1749–1827) soll ein Gespräch zwischen Napoleon und Laplace stattgefunden haben, in dem es angeblich um die Frage nach der Existenz Gottes gegangen sei: „Diese Erklärung der Welt ist großartig, aber ich finde in diesem Buch jedoch kein einziges Mal Gott erwähnt!“60 Laplace entgegnete ungefähr so: „Je n’avais pas besoin de cette hypothèse!“ („Diese Hypothese brauche ich nicht!“).61 Während Isaac Newtons Physik Gott noch eine ordnende Funktion im Universum zugestanden hatte, vollendet Laplace mit seiner R. WENINGER 2013, 82. PH. BLOM 2011, 378. Darunter befand sich auch der schottische Philosoph David Hume (1711–1776) aus Edinburgh, für den es letztlich keine vernünftigen Gründe für die Annahme der Existenz Gottes gab. Jeder Glaube war für ihn irrational. Mit Hume und seiner Kritik an Wunder, Religion und Theologie gewinnen Skeptizismus und Empirismus an Gewicht, während die Stunde der natürlichen Theologie und der Religion des Rationalismus und des Deismus geschlagen hat. Zur Darstellung vgl. jetzt J. HABERMAS 2019b, II, 189–297 sowie H. JOAS 2017, 25–60. 56 PH. B LOM 2011, 85. 57 R. W ENINGER 2013, 83. 58 LUKREZ 2013. A. B ECKERMANN 2013 widmet neben Demokrit und Epikur insbesondere Lukrez und seinem „wunderbaren Lehrgedicht“ seine Einführung in ein Grundthema der Philosophie (a. a. O., V). Für ihn „lehrt gerade eine atheistische Haltung Demut – Demut vor dem, was unserer Verfügung entzogen ist“ (a. a. O., 160). 59 Vgl. PH. B LOM 2011, 197–202. Dort auch zur Bedeutung von Epikurs Ethik für Lukrez, die sich beide vehement gegen die Todesfurcht und die Vorstellung von einem Leben nach dem Tode wandten. Zur Geschichte der Wiederauffindung des Textes von Lukrez vgl. S. GREENBLATT 2012. 60 Die mutmaßliche Begebenheit ist in verschiedenen Varianten überliefert. Hier zit. n. G. HASENHÜTTL 1980, 120. 61 Zit. n. G. H ASENHÜTTL 1980, 120. 54 55

3.3 Um 1800 (Von der Lessingzeit bis zu Hegels Erben)

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Himmelsmechanik das mechanische Weltbild – der Kosmos ist rein gesetzmäßig strukturiert. Dieser Vorgang der Substitution Gottes durch die Natur korreliert mit dem Umbruch im historischen Denken in dieser Epoche, in der sich das Geschichtsdenken aus dem Banne der religiösen Weltanschauung befreit. Mit dem Erdbeben von Lissabon löst sich die Natur von ihrer religiösen Einbindung und verselbständigt sich – das Diskursereignis Geschichte im „Kollektivsingular“ statt Geschichten im Plural entsteht62: „Mit der Entwicklung aber einer Vorstellung von geschichtlicher Progression und der Unumkehrbarkeit des Geschichtsverlaufs wird auch ein nicht von Gott bewirktes Ende der Geschichte im Allgemeinen sowie der Menschheitsgeschichte im Besonderen denkbar.“63 Die sich verbreitende Vorstellung von einer selbständigen Geschichte im Allgemeinen und einer eigendynamischen Geschichte der Natur und der Menschheit im Besonderen lässt die Vorstellung der durch Gott gelenkten und kontrollierten Naturgeschichte verblassen: „Der endgültige Tod Gottes im Bewusstsein des Menschen lässt den endgültigen Tod des Menschen im Bewusstsein des Menschen als möglich erscheinen, denn wo Gott die Menschheit nicht mehr retten kann, wie in der Vorstellung vom Jüngsten Gericht, da tritt die Natur als todbringende Kraft umso maßgeblicher und unwiderruflicher in den Vordergrund.“64 Dies ist nun zu verstehen als der „Paradigmenwechsel, bei dem ein älteres Paradigma durch ein neueres komplementiert statt verdrängt wird und beide je nach psychologischem Bedarf und religiöser Anschauung für den Einzelmenschen verfügbar sind.“65

3.3 Um 1800 – Streit um Gott und Religionskritik (Von der Lessingzeit bis zu Hegels Erben) 3.3 Um 1800 (Von der Lessingzeit bis zu Hegels Erben)

(1) Die Zeitspanne der Jahrzehnte um 1800, die ungefähr die Jahre 1750 bis 1850 betrifft, wurde von Reinhart Koselleck mit dem Terminus „Sattelzeit“ benannt. Die in ihr stattfindenden Prozesse der kulturellen Säkularisierung gehen einher mit einer tiefgreifenden Veränderung im westeuropäischen Zeitbewusstsein. Die jahrzehntelange Übergangsphase änderte auch im Protestantismus nachhaltig grundlegende Denkformen und Zeiterfahrungen. Insbesondere sind die verwirrende Vielfalt der religiösen Aufbrüche und Erweckungen im größeren sozialgeschichtlichen Zusammenhang als Prozess der Modernisierung des Christentums zu verstehen, der sich „auf die Freisetzung sowie eine Vgl. R. WENINGER 2013, 83.84 mit Hinweisen auf R. Koselleck und W. Lepenies. R. WENINGER 2013, 84. 64 R. W ENINGER 2013, 84. 65 R. W ENINGER 2013, 84. Diesen Paradigmenwechsel zeigt der Literaturwissenschaftler Robert Weninger (a. a. O., 85–98) an literarischen Fallbeispielen. 62 63

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3 Das Gefühl der Gottverlorenheit als Vorahnung des Todes Gottes

neue Einbindung des Individuums“ konzentriert.“66 Dennoch war der Bewusstseinswandel für das Christentum mit einer Reihe von Problemen verknüpft, von denen die Etablierung des modernen historischen Denkens wohl am folgenreichsten ist.67 Erinnert sei an dieser Stelle an die Bildung kultureller und geistiger Zentren wie Jena, Weimar und Berlin, aber auch an die literarischen Salons der Romantik, in denen sich die maßgeblichen literarischen und philosophischen Persönlichkeiten der Zeit trafen und den Diskurs in besonderer Weise beförderten. Mit diesen verschiedenen diskursiven Orten verbinden sich bis heute Namen wie Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich Schiller, Johann Gottfried Herder, Friedrich Heinrich Jacobi, Johann Gottlieb Fichte, Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Dorothea Schlegel, Friedrich Hölderlin, Rahel Varnhagen, Henriette Herz, Alexander von Humboldt, Wilhelm von Humboldt, August Wilhelm Schlegel, Friedrich Schlegel und Novalis (Friedrich von Hardenberg). Rein äußerlich besehen war das deutsche 19. Jahrhundert jedoch immer noch ein christlich und kirchlich geprägtes Zeitalter. Für den deutschen Idealismus in Philosophie und Theologie ist der Bezug auf Gott und Religion konstitutiv. Kirche und Religion bestimmen selbstverständlich das Bewusstsein und Verhalten der Menschen.68 Die maßgeblich durch die politische und industrielle „Doppelrevolution“ in der „Sattelzeit“ von 1770 bis 1830 vorangetriebene Entwicklung von Alteuropa zur Moderne hat gezeigt, dass die säkularisierungstheoretische Annahme einer Unvereinbarkeit von kultureller Moderne und Religion empirisch nicht tragfähig ist. Die Säkularisierung des Staates und weiter Bereiche des gesellschaftlichen Lebens ist nicht gleichzusetzen mit dem Verschwinden der Religion aus der Öffentlichkeit und dem Privatleben. Religionskulturell gesehen ist das 19. Jahrhundert nicht nur vor dem Hintergrund des universalen Prozesses der Säkularisierung zu sehen, der im 18. Jahrhundert einsetzte und im 20. Jahrhundert zur „relativen Dechristianisierung unserer Lebenswelt geführt hat.“69 Um 1800 wurden der Protestantismus in Kirche, Frömmigkeit und Theologie von drei großen Bewegungen bestimmt, die für die Transformationsprozesse des protestantischen Christentums in der Moderne stehen: Aufklärung, Orthodoxie und Pietismus.70 Für die intellektuelle Avantgarde der Gelehrtenrepublik wurden die Jahrzehnte um die Jahrhundertwende des „Streits 66 „In beiden Konfessionen zeigte sich die neue Frömmigkeit stark vom subjektiven Erleben bestimmt, […] Inhalte der traditionellen kirchlichen Lehre [wurden] nachdrücklich für die Intensivierung der individuellen Frömmigkeit genutzt“ (M. GRESCHAT 1992, 713). Einen Überblick über den Wandel protestantischer Frömmigkeit bis 1914 bietet L. HÖLSCHER 2005. 67 Vgl. K. N OWAK 1995, 15. 68 Vgl. TH. N IPPERDEY 1993, 403. Vgl. zum Folgenden a. a. O., 403–451. 69 TH. N IPPERDEY 1993, 403. 70 Vgl. T H. N IPPERDEY 1993, 423.

3.3 Um 1800 (Von der Lessingzeit bis zu Hegels Erben)

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um die Göttlichen Dinge“ zur „[r]eligionsphilosophische[n] Sattelzeit der Moderne.“71 (2) In die Zeit um 1800 fallen drei Auseinandersetzungen, die zu den großen geistesgeschichtlichen Kontroversen der Philosophie- und Theologiegeschichte gehören.72 Sie stehen am Übergang der Epochenschwelle von der frühen Neuzeit zur Moderne und markieren die Problematik eines theistischen Gottesverständnisses. Ihnen voraus geht der sog. „Fragmentenstreit“ (1774–1778), der auf Lessings Veröffentlichung der Fragmente eines Ungenannten zurückgeht, hinter denen sich der Hamburger Orientalist und Theologe Hermann Samuel Reimarus (1694–1768) verbarg.73 Der „Streit um Gott“74 wurde entfacht durch eine angebliche Äußerung von Gotthold Ephraim Lessing vom Sommer 1780, die „offenbar das Lebensgefühl seiner Zeit beredt zum Ausdruck“75 brachte: „Die orthodoxen Begriffe von der Gottheit sind nicht mehr für mich; ich kann sie nicht genießen. ἓν ϰαὶ πᾶν! Ich weiß nichts anders.“76 Diese Lessing von Friedrich Heinrich Jacobi in den Mund gelegte Formel zeigt „einen grundlegenden Plausibilitätsverlust des überlieferten christlichen Gottesgedankens und seiner lehrmäßigen Bestimmungen unter den Gebildeten des späten 18. Jahrhunderts“77 an. Der Plausibilitätsverlust ist nicht allein aus einer Ursache zu erklären. Am Ende des 18. Jahrhunderts verlor die Vorstellung eines personalen Gegenüber des Menschen und eines extramundanen göttlichen Wesens, das als freies Gegenüber zur Welt mit übernatürlicher Kausalität in der Welt wirkt, an Überzeugungskraft, da sich eine solch interventionalistische und substantialistische Gottesvorstellung kaum noch mit dem Selbst- und Weltverständnis des Menschen zusammenbringen ließ. Eine Neubestimmung des Gottesgedankens wurde nicht zuletzt durch eine voranschreitende gesellschaftliche Modernisierung und eine zunehmende Professionalisierung der Wissenschaften unumgänglich. Der sog. „Pantheismustreit“ oder „Spinozismusstreit“ von 1785/1786 im Anschluss an die Äußerung Lessings wurde erbittert zunächst zwischen Friedrich Heinrich Jacobi (1743–1819), der an der Rede von einem persönlichen extramundanen Gott festhalten wollte, und Moses Mendelssohn (1729–1786) über die Frage der Denkbarkeit und Denknot-

So im Anschluss an den Begriff Kosellecks W. JAESCHKE 2012, 7–92; vgl. R. KOSEL2000, 302. 72 Diese drei großen philosophisch-theologischen Streitsachen müssen hier nicht umfangreich nacherzählt werden, da dies erst jüngst geschehen ist. Es sei hier verwiesen auf: G. ESSEN/CH. DANZ 2012; J. ROHLS 1997a, I, 291–293; W. JAESCHKE 1999; K. MÜLLER 2006; H. ROSENAU 2007. 73 Vgl. J. R OHLS 1997a, I, 218–225. 74 Vgl. K. M ÜLLER 2006, 20.21. 75 G. ESSEN 2012, 216.217. 76 G. E. LESSING, GW 8, 563. 77 C H. D ANZ/G. ESSEN 2012, 1. 71

LECK

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3 Das Gefühl der Gottverlorenheit als Vorahnung des Todes Gottes

wendigkeit des theistischen Gottes ausgetragen.78 Die pantheistische Ineinssetzung von Gott und Natur (Deus sive natura) bei Spinoza, die ein personales Gottesverständnis ausschloss, blieb in Deutschland nach ihrer späten Rezeption in den 1780er Jahren eine Minderheitenposition, die sich – vermittelt durch Lessing und Goethe – als Religion der Gebildeten (vgl. Heinrich Heine) im 19. Jahrhundert nur außerhalb der Kirche entfaltete. Auch der junge Schleiermacher war von Spinoza und dem Pantheismus angezogen.79 Der sog. „Atheismusstreit“ von 1798/1799 drehte sich um Fichtes apersonale Bestimmung Gottes als Garant der moralischen Weltordnung und endete mit Fichtes Entlassung aus seiner Jenaer Professur.80 Fichtes Aufsatz Ueber den Grund unseres Glaubens an eine göttliche Weltregierung (1798; SW V, 175–189) erschien als weiterführende Erklärung zu Friedrich Karl Forbergs Artikel Entwickelung des Begriffs der Religion (1798). Für Fichte war kein Beweis vom Dasein Gottes für den Glauben nötig, denn unser Glauben an Gott sei ein im Menschen seiendes Faktum, eine Gesinnung, und Philosophie erkläre diese „Facta“ (SW V, 178); auch für die Entstehung der Welt bedarf es vom transzendentalen Standpunkt (SW V, 184) aus gesehen keines Gottes, denn es gibt „keine für sich bestehende Welt: in allem, was wir erblicken, erblicken wir bloss den Wiederschein der eigenen inneren Thätigkeit“ (SW V, 180). Der Glaube an Gott ist ein Glaube an eine übersinnliche oder moralische Welt und diese werde allein durch Freiheit erschlossen. Die „moralische Ordnung ist das Göttliche, das wir annehmen. Er [i. e. der wahre Glaube] wird construirt durch das Rechtthun. Dieses ist das einzig mögliche Glaubensbekenntnis“ (SW V, 185). Fichtes Gott ist weder transzendent noch Schöpfer oder Vater und Sohn, sondern heiliger Geist der Moralität. Gottesidee und moralische Weltordnung fallen ineins (SW V, 186). Fichte reduziert Religion auf Moralität und eliminiert jeden anderen Glauben an Gott, was nicht nur bei orthodoxen Christen zu großen Schwierigkeiten führte. Nicht zu Unrecht wurden von dieser Warte aus beide Aufsätze zusammen als Verneinung des Theismus und darum als Atheismus verstanden, wenn sie Gottes Persönlichkeit, Bewusstsein und Substantialität infrage stellen und Gottesgedanken und moralische Weltordnung identifizieren, wenngleich dabei Fichtes Intention, Gottes Notwendigkeit und Objektivität zu begründen, von ihnen dadurch verfehlt wurde. Auch seine apologetische Schrift Appellation an das Publicum (1799;

78 Die Hauptschriften sind versammelt in H. SCHOLZ 1916. Elise Reimarus, Herder, Goethe, Kant, Hamann, Lavater u. a. waren weitere Protagonisten. Vgl. auch die Einleitung von W. WEISCHEDEL 1967c; H. TIMM 1974 sowie M. MURRMANN-KAHL 2012 und Abschnitt 2.2 in diesem Buch. 79 Vgl. Abschnitt 3.4 in diesem Buch. 80 Vgl. J. D IERKEN 2005a, 221–242; K.-M. K ODALLE/M. O HST 1999; M. K ÜHN 2012, 376–401; F. WAGNER 1971, 20–112; CH. DANZ 2012.

3.3 Um 1800 (Von der Lessingzeit bis zu Hegels Erben)

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SW V, 191–238), in der er die Anklage des Atheismus auf seine Gegner ummünzt (SW V, 219), änderte nichts an seiner Dimission. War der theistische Gottesgedanke im Pantheismusstreit noch die unhintergehbare Voraussetzung, so änderte sich das im Laufe des Atheismusstreits, wenn durch die Identifikation des Gottesgedankens mit der moralischen Weltordnung das Für-sich-Sein Gottes aufgehoben und damit der Theismus selber problematisiert wurde, und zwar in seiner ethikotheologischen Neuformulierung.81 Jacobi suchte daher im „Streit um die ,Göttlichen Dinge‘ oder Theismusstreit“ von 1811/1812 mit F. W. J. Schelling den Theismus, den Glauben an einen lebendigen und freien Schöpfergott, über einen „salto mortale“ in den Glauben und das Gefühl zu legitimieren und gedankliche Vermittlungen der Philosophie und eines rationalen Wissens vom Unbedingten auszuschließen82: „Gott könne nicht gewusst, sondern nur geglaubt werden.“83 Ein Gott, der gewusst werden könne, wäre kein Gott: „Der Glaube an Gott ist keine Wissenschaft, sondern eine Tugend.“84 Schelling dagegen will in seiner Identitätsphilosophie Glauben und Wissen philosophisch erklären. Zwar werden in diesem Streit nicht wirklich neue Themen aufgenommen, dennoch spiegelt sich in dem in ihm verhandelten Verhältnis von Glaube und Wissen „die Tiefe der Gotteskrise in der Moderne“85: Die „moderne Entzweiung von Glaube und Vernunft, Gott und Welt, Religion und Wissenschaft“, die nach dem Zerfall des Deutschen Idealismus, also nach 1831, sich ausweitet, wird hier antizipiert.86 In diesen Diskursen wurden im Horizont von Kants Destruktion der gesamten klassischen Metaphysik, der traditionellen Ontologie, rationalen Gotteslehre, Seelenlehre und Kosmologie, insbesondere seiner Widerlegung des ontologischen und kosmologischen Arguments für das Dasein Gottes, und im Denkraum der kritischen Transzendentalphilosophie Kants der Gottesgedanke und dessen Begründung mit Hilfe des Religionsbegriffs und der Ethik unter den veränderten Erkenntnisbedingungen der Moderne verhandelt. Man kann von einem „moralischen Gottesbeweis“ sprechen, wenn Kant als Gott als PosVgl. CH. DANZ 2012, 212. Jacobi folgt der seit Kant geläufigen Definition des Theismus, wonach der Deist an „einen Gott“ als „Weltursache“ glaubt, „der Theist aber an einen lebendigen Gott (summam intelligentiam)“ als „Welturheber“ (KrV B 661 mit 659.660). Hier ist kursiv gesetzt, was gesperrt im Original ist. Vgl. zur Darstellung G. ESSEN 2012 (mit weiterem Erschließungsmaterial); zur Quellensammlung W. JAESCHKE 1999, wo auch die beiden Hauptschriften von 1811 und 1812, Jacobis Von den Göttlichen Dingen und ihrer Offenbarung (a. a. O., 157– 241) und Schellings Denkmal der Schrift von den göttlichen Dingen ec. des Herrn Friedrich Heinrich Jacobi und der ihm in derselben gemachten Beschuldigung eines absichtlich täuschenden, Lüge redenden Atheismus (a. a. O., 242–314) abgedruckt sind. 83 G. ESSEN 2012, 226; 228. 84 Aus Jacobis Schrift zit. n. W. JAESCHKE 1999, 238. 85 G. ESSEN 2012, 216. 86 G. ESSEN 2012, 217. 81 82

216

3 Das Gefühl der Gottverlorenheit als Vorahnung des Todes Gottes

tulat der praktischen Vernunft versteht.87 In der Theologie zog wohl Friedrich Schleiermacher mit seiner bewusstseinstheoretischen Wende zum Religionsbegriff die entscheidende Konsequenz aus Kants Destruktion der natürlichen Theologie (theologia naturalis).88 Dies ist nicht zuletzt ein Diskurs über die Grundlagen der Deutung menschlichen Lebens in einer sich immer mehr ausdifferenzierenden und pluraler werdenden modernen Gesellschaft. Die gedankliche Kontroverse wurde zwar auf höchstem spekulativen Niveau ausgetragen, aber sie bleibt nur halb verstanden, wenn nicht auch die religiös-existentielle Dimension der Beteiligten Berücksichtigung findet. Denn in dem „Streit um die göttlichen Dinge ging es stets auch um eine Selbstverständigung der Moderne über die Grundlagen des Verstehens sowie des Geltenden, insbesondere im Medium des Verhältnisses zur Religion insgesamt und dem Christentum im Besonderen. Im Medium des Gottesgedankens wurde über die Selbstdeutung des Menschen gestritten.“89 Es ging nicht nur um die inhaltliche Fassung des theistischen Gottesgedankens, sondern auch um „das existentielle Problem, dass der zuvor sicher geglaubte Grund des Glaubens an einen personalen Gott unter den Erkenntnisbedingungen der Moderne hinfällig geworden ist.“90 Mit der neuen Zuordnung der Religion zur Subjektivitätsthematik, also der Grundlegung der Religion ,aus dem Ich‘, stellt das neuzeitliche religiöse Bewusstsein „die Frage des Menschen nach Gott als Frage des Menschen nach sich selbst.“91 Es ging damit im Grunde um die Verschränkung des religiös-theologischen Diskurses („Glaube“) mit dem immer stärker aufkeimenden säkularen Diskurs („Wissen“). (3) Unter Religionskritik wurde zum Ende des 18. Jahrhunderts zunächst ein religionsinternes Kritikverfahren verstanden, das mit Mitteln der Selbstkritik der (christlichen) Religion ihre überlieferten Inhalte vor dem Forum der Vernunft hinterfragt.92 Ins Allgemeinbewusstsein ist dagegen das Verständnis der Religionskritik als Kritik der Religion von einem säkularen Standpunkt aus getreten.93 Was in der französischen Aufklärung und seit dem 19. Jahrhundert auch in Deutschland Gestalt annahm, war eine Kritik der Religion, die auf eine Überwindung der Religion des Christentums zielte. Zurück geht diese Tendenz auf die unterschiedlichen Deutungen der Religionsphilosophie Hegels in seiner Schülerschaft, die sich in der Epoche des deutschen Vormärz zudem mit gegensätzlichen politischen Optionen verbanden. Ludwig Feuerbach (1804– 1872) suchte in kritischer Abgrenzung zu Hegel, der das Gottesbewusstsein Vgl. H. ROSENAU 2012, 41–73, bes. 70–73; ferner F. V. KUTSCHERA 1990, 16–42; U. BARTH 2021, 21–23. 88 Vgl. dazu Abschnitt 3.4 in diesem Buch. 89 C H. D ANZ/G. ESSEN 2012, 2; vgl. zu dieser Hypothese bereits W. SCHULTZ 1957. 90 C H. D ANZ/G. ESSEN 2012, 2; G. ESSEN 2012, 225. 91 G. ESSEN 2012, 227. 92 Vgl. R. LEONHARDT 2009, 127. 93 Vgl. M. W EINRICH 2012. 87

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des Menschen als das Selbstbewusstsein Gottes interpretierte,94 den Gottesglauben in einen Glauben an den Menschen zu transformieren.95 In seiner Schrift Das Wesen des Christentums (1841) stellt Feuerbach der Hegelschen Vergöttlichung des menschlichen Bewusstseins die Vermenschlichung des Bewusstsein Gottes gegenüber.96 Das absolute Wahrheitsverständnis Hegels wird durch ein anthropologisches ersetzt. Das Geheimnis der Theologie liegt für Feuerbach in der Anthropologie: „Es geht Feuerbach um eine konsequente Transformation des Glaubens an Gott in einen Glauben an den Menschen.“97 Der Mensch wird zum Maß aller Dinge und der Wirklichkeit überhaupt. Seine Religionskritik zeigt sich letztlich als „Theismuskritik [...], denn was er beenden will, ist der schädlich eingeschätzte Gottesbezug des Menschen und nicht generell die religiöse Orientierung.“98 Der Philosoph und Ökonom Karl Marx (1818–1883)99 sah in der Einleitung zur Kritik der Hegel’schen Rechts-Philosophie (1844) die Religionskritik im Zuge der Kritik an Hegels Philosophie insbesondere durch Ludwig Feuerbach, aber auch durch David Friedrich Strauß, Bruno Bauer und Max Stirner als abgeschlossen an: „Für Deutschland ist die Kritik der Religion im wesentlichen beendigt, und die Kritik der Religion ist Voraussetzung aller Kritik.“100 Selbstverständlich galt die (christliche) Religion, die Marx als Ideologie, als ein grundlegend falsches Bewusstsein versteht, als fortschrittshemmend und freiheitsfeindlich.101 Die Religionskritik ist im Grunde nur Vorstufe zu einer umfassenden Sozial- und Gesellschaftskritik, die auf eine revolutionäre Veränderung der bestehenden Verhältnisse abzielt.102 In den später sogenannten Thesen über Feuerbach (1845) formuliert Marx: „Feuerbach sieht [...] nicht, daß das ,religiöse Gemüth‘ selbst ein gesellschaftliches Produkt ist u. daß das abstrakte Individuum, das er analysirt, einer bestimmten Gesellschaftsform angehört.“103 Um das Bewusstsein zu ändern, muss die Welt verändert werden: „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kömmt darauf an sie zu verändern.“104 (4) Gegenüber den intellektuellen Auseinandersetzungen blieb der allgemeine Glaube an einen persönlichen Gott auch noch zu Beginn des 19. JahrVgl. R. LEONHARDT 2009, 128. Vgl. M. WEINRICH 2012, 114–120. 96 Vgl. zur Auslegung dieses Klassikers jetzt die Beiträge in A. A RNDT 2020. 97 M. W EINRICH 2012, 115. 98 Vgl. M. W EINRICH 2012, 115. 99 Vgl. M. W EINRICH 2012, 146–149. 100 K. M ARX, MEW 1, 378. 101 K. M ARX, MEW 1, 378: „Die Religion ist ein Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volks.“ 102 Vgl. M. W EINRICH 2012, 148. 103 K. M ARX, MEW 3, 535 (These 7). 104 K. M ARX, MEW 3, 535 (These 11). 94 95

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3 Das Gefühl der Gottverlorenheit als Vorahnung des Todes Gottes

hunderts in Geltung und die „große Masse der Bürger lebt in einer weitgehend noch ungebrochenen Selbstverständlichkeit des Christen- und Kirchenglaubens, wie er durch Sitte und Katechismus (und Gesangbuch) das Leben in der Familie, in Beruf und ,Stand‘, in der Gemeinde bestimmt.“105 Auch wenn das „deutsche 19. Jahrhundert [...] noch immer ein christlich, ein kirchlich geprägtes Zeitalter [ist ...,] ist [es] bewegt vom Kampf um Christentum und Modernität, aber gerade darin behauptet sich das Christentum, formt sich um, erneuert sich, ja gewinnt ganz außerordentlich an öffentlicher Geltung und an Durchsetzungskraft. Die Religion wie die Kirchen ragen nicht als ein Relikt der Tradition in das 19. Jahrhundert hinein, sondern sie sind Produkte und gestaltende Mächte dieses Jahrhunderts zugleich.“106 Doch in der Bildungsschicht, von Aufklärung und Klassik bestimmt, zeigt sich bereits ein anderes Bild. Die Kirchen sind wenig attraktiv und machen in the long run einen wenig vitalen Eindruck. Gut fünfundzwanzig Jahre nach der Französischen Revolution, mit Beginn des Restaurationszeitalters im Jahr 1815, zeigte sich folgendes Bild: „Stimmung und Zeitgeist scheinen wieder religiös, Religion gehört wieder zum Grundgefühl der Zeitgenossen wie zu ihrer Reflexion auf Welt, Leben und Sinn.“107 Die Verheißung im Namen von Freiheit und Vernunft, jenseits der Religion, war in einem Debakel geendet. Die Religionskritik der Aufklärung, die hinter der Revolution stand, wurde nun kritisch hinterfragt. Den neuen antirevolutionären Sinn für die Religion entfaltet die idealistische Philosophie, die sich als Überwindung der Aufklärung verstand und als Neuinterpretation und Erneuerung der Religion zugleich. Das Verhältnis des Endlichen zum Unendlichen wird zu einer zentralen Kategorie des philosophischen Denkens wie seiner Lebensdeutung. Auch Staat und Gesellschaft sollten auf einer religiösen Wiedergeburt gründen. Aber neben der konservativen Linie dieser Zeit kommt auch eine liberale Wendung zur Religion zu stehen, die sich dem Erbe der Aufklärung verschrieben hat. Diese beiden Bewegungen finden sich in der römisch-katholischen wie in der evangelischen Kirche wieder, im Kampf zwischen Traditionalisten und Modernisten. Doch nun geraten Aufklärung und Rationalismus in Verruf. Orthodoxie und Pietismus schließen sich dagegen zum neuen konservativen Flügel zusammen und initiieren eine große Erweckungsbewegung und Bibelfrömmigkeit.108 Diese sind aber kein Relikt der Vorzeit oder eine Zusammenfassung der Traditionskräfte, sondern sie sind im 19. Jahrhundert durchaus neu und insofern auch eine Gestalt der Moderne. Sie haben die Religion neu belebt, Proselyten gemacht und einen neuen Konservativis-

TH. NIPPERDEY, 1993, 403. TH. NIPPERDEY 1993, 403. 107 TH. N IPPERDEY 1993, 404. Dort auch zum Folgenden. 108 Vgl. TH. N IPPERDEY 1993, 424.425. 105 106

3.3 Um 1800 (Von der Lessingzeit bis zu Hegels Erben)

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mus begründet.109 Gegen diese Richtung steht der liberale Protestantismus, der sich aus der idealistischen Umformung des Christentums entwickelt. Fichte wie auch Hegel wollen mit ihrer Philosophie durchaus die Wahrheit des protestantischen Christentums in einer Zeit nach der Aufklärung und nach Kant neu begreiflich machen und interpretieren. Die nachkantische klassische Deutsche Philosophie des Idealismus versucht, die Synthese der Bildungsreligion und des Christentums zu restituieren.110 Für Schleiermacher – „bahnbrechende[r] Denker des modernen Protestantismus“111, „Vater des liberalen Protestantismus“112 und Vertreter der nachkantischen Philosophie, im „Jahrhundert der Aufklärung geboren und an der Schwelle des Industriezeitalters gestorben, war [er] Augenzeuge des Umbruchs der alteuropäischen Ständegesellschaft zur bürgerlichen Gesellschaft“113 –, gibt es keine fertige Lehre, kein fertiges Dogma, keine Fortgeltung zu anderen Zeiten formulierter Sätze, sondern jede Zeit muss aus sich heraus ihre eigene Erklärung und sprachliche Formulierung für die christliche Existenzdeutung und Sinnvermittlung finden. Nicht der Rationalismus allein, sondern ein gegenwartsbezogener Historismus wird das leitende Interpretationsprinzip.114 Das Christentum muss anthropologisch und existential im Lichte der Gegenwart interpretiert werden, ohne es in bloße Welterklärung oder Moral aufzulösen. Der Streit um die Deutung der Religion in der Moderne ging von der Kontroverse mit den Gebildeten über zur Auseinandersetzung mit den Frömmlern und Buchstabengläubigen und war bestimmt von der Furcht, dass das Christentum mit der Barbarei zusammenfallen werde, und dass die Wissenschaft sich mit dem Unglauben verbinden würde.115 Doch zunächst musste die „romantische Weltsicht [...] ihre Deutungskraft auch und gerade an der Religionsthematik erweisen.“116

Vgl. TH. NIPPERDEY 1993, 425. Vgl. TH. NIPPERDEY 1993, 442. 111 K. N OWAK 2001, 7. 112 TH. N IPPERDEY 1993, 427. 113 K. N OWAK 2001, 7. 114 Schleiermacher verortet die Dogmatik in der historischen Theologie: F. SCHLEIERMACHER, KGA I/6, 317–446; 363 (§ 97). 115 Vgl. TH. N IPPERDEY 1993, 428 nach F. SCHLEIERMACHER, KGA I/10, 347: „Soll der Knoten der Geschichte so auseinander gehn? das Christentum mit der Barbarei, und die Wissenschaft mit dem Unglauben?“ 116 G. M ECKENSTOCK 1984, LIV. 109 110

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3 Das Gefühl der Gottverlorenheit als Vorahnung des Todes Gottes

3.4 Von der Religion ohne Gott zur Auflösung des Gottesgedankens in den subjektiven Christusglauben (Friedrich Schleiermacher) 3.4 Auflösung des Gottesgedankens in den Christusglauben (Schleiermacher)

(1) Auch in der Protestantischen Theologie geriet um 1800 vieles in Bewegung: „Die spezifische Gestalt des evangelischen Christentums, die sich aus diesen Wandlungsprozessen herausbildet, ist der von Schleiermacher ganz wesentlich beförderte ,aufgeklärte Protestantismus‘“117, mit dem nichts weniger als „eine neue Epoche in der Geschichte des Verständnisses von Religion und der Theologie eingeleitet“118 wurde, nicht zuletzt um der massiver werdenden Religionskritik entgegenzuwirken. Besondere Aufmerksamkeit erfuhren in dieser dynamischen Entwicklung fünf unter dem Titel Über die Religion (1799) anonym veröffentlichte fiktionale Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern, die mit ihrer eigentümlichen Hermeneutik der Religion bald in den Rang einer ,Programmschrift‘ des neueren Protestantismus gehoben wurden. In ihnen wird ein Begriff von Religion, nämlich Frömmigkeit als wirkliches religiöses Vermögen, ausgeprägt, der als gedankliches Organisationszentrum der modernen Protestantischen Theologie fungiert und damit das bis dahin für die protestantische orthodoxe Dogmatik maßgebende Schriftprinzip und Offenbarungsverständnis ersetzt. Auch ist nicht Gott selbst wissenschaftlicher Betrachtung zugänglich – die klassischen Gottesbeweise werden in der Folge ortlos in der Dogmatik119 –, sondern allein das menschliche Gottesbewusstsein und seine Symbolwelten. Religion ist die sich ereignende Erfahrung („Sinn und Geschmak“) des Unendlichen respektive des Universums im Endlichen. Sie wird als eine Grundform menschlicher Sinnbildung und Deutungskultur unter vielen anderen verstanden,120 die nicht mehr „primär auf der durch kirchliche Tradition und Autorität verbürgten Vorgegebenheit von objektiv dargestellten Inhalten“121 basiert, sondern darauf, „daß sie als Ausdrucksphänomene des religiösen Bewußtseins rekonstruierbar sind.“122 Der nur kurze Zeit anonym verbliebene Autor war bald als Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher (1768–1834) enthüllt.123 Mit seinem „klassischen reli-

C.-D. OSTHÖVENER 2004, 59 mit Bezug auf U. BARTH 2004. F. WAGNER (1984) 2014g, 259. 119 Vgl. die beiden Auflagen der Glaubenslehre: F. SCHLEIERMACHER, KGA, I/7, § 38 und F. SCHLEIERMACHER, KGA, I/13.1, § 33. 120 Vgl. dazu die Studien von U. B ARTH 2003; 2004; 2014; 2021. 121 F. W AGNER (1984) 2014g, 260. 122 F. W AGNER (1984) 2014g, 260. 123 Vgl. jetzt zum Stand der Schleiermacher-Forschung M. O HST 2017. Zur Biographie, Theologie und Wirkung vgl. K. NOWAK 2001. Eine einführende Übersicht bietet J. ROHLS 1997a, I, 327–337. 117 118

3.4 Auflösung des Gottesgedankens in den Christusglauben (Schleiermacher)

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gionstheoretischen Modernisierungsprogramm der Frühromantik“124 – einer Religionstheorie auf der methodischen Grundlage einer subjektivitätstheoretischen Bewusstseinstheorie –, bahnte er den Weg für eine Revision theologischer Grundbegriffe, die er später in den beiden Auflagen seiner Glaubenslehre (11821/22 und 21830/31) fortsetzte,125 indem er sein frühes Verständnis von der Selbständigkeit der Religion als „Anschauung und Gefühl“ des Universums zum „Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit“126 präzisierte, wobei er „Gefühl“ formal mit seinem subjektivitätstheoretischen Leitbegriff „unmittelbares Selbstbewusstsein“ identifizierte und damit als für die Religion charakteristisches mentales Vermögen.127 Mit diesem Präzisierungsvorgang werden ontologische, theologische oder metaphysische Gegenstände der objektivierenden Lehrtradition ausgeschlossen und als solche abgeschnitten. Die innere Erfahrung des frommen Selbstbewusstseins bildet den unmittelbaren Bezugspunkt der Darstellung, die dogmatisches Lehrsystem und fromme Erfahrung zusammenführen will.128 Die Entdeckung des religiösen Stellenwerts der Subjektivität und das persönliche Aneignen des Göttlichen durch den Erlöser sind Schleiermachers Antwort auf die erkenntnistheoretischen und religionskritischen Herausforderungen seiner Zeit. Die in der Herrnhuter Frömmigkeitspraxis eingeübte Innerlichkeitskultur bildet die biographische Basis für seine später pointiert subjektivitätstheoretische Fassung des Religionsbegriffs: „Religion ist vor allen äußeren Objektivationen in Ritus, Institution und Lehre zunächst eine Sache der eigenen inneren Erfahrung.“129 Der Gottesbegriff stellt kein ursprüngliches U. BARTH, 2004, 262. Vgl. auch K. NOWAK 1986. Vgl. zu Aufbau und Durchführung der beiden Auflagen der Glaubenslehre jetzt C.-D. OSTHÖVENER 2017a und 2017b; ferner H. FISCHER 2001, 97–117; K. NOWAK 2001, 267– 281 (zur ersten Auflage) und 419–427 (zur zweiten Auflage) sowie W. PANNENBERG 1997, 62–78. 126 F. SCHLEIERMACHER, KGA I/13.1, § 4. „...Gott sei uns gegeben im Gefühl auf eine ursprüngliche Weise“ (a. a. O., 40). Gott ist kein Gegenstand außerhalb des Gefühls. Der Anschauungsbegriff wird nach Kritik Hegels und Schellings („intellektuelle Anschauung“) bereits in der zweiten Auflage der Reden (1806) der Philosophie überlassen und dem Gefühlsbegriff untergeordnet. Vgl. W. PANNENBERG 1997, 62–69; sowie W. PANNENBERG 1996a, 239–256. 127 Vgl. J. D IERKEN 2014a, 179. Das meint etwas anderes als der moralische oder ästhetische Gebrauch des Wortes „Gefühl“ in der Zeit von Aufklärung und Romantik. Die geschichtliche Epoche der Aufklärung ist nicht nur für die Rationalisierung in Anschlag zu bringen, sondern auch für die Erfindung der Gefühle. Vgl. bes. J. STALFORT 2013; vgl. auch W. PANNENBERG 1983, 237–258. Hegel kritisiert die Theologie für ihre Hinwendung zum Gefühl, zum Praktisch-Populären und gelehrten Historischen und damit für ihre Abwendung von ihrer Rolle als „Bewahrerin der speculativen Mysterien und der […] Metaphysik“ (G. W. F. HEGEL, GW 11, 6). 128 Vgl. U. B ARTH 2021, 23. 129 U. B ARTH 2004, 266. 124 125

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3 Das Gefühl der Gottverlorenheit als Vorahnung des Todes Gottes

Moment religiöser Gewissheit, sondern als eine „religiöse Anschauungsart“ unter anderen ein Produkt einer sekundären theoretischen Reflexion dar. Die folgende Darstellung will zweierlei pointieren: Schleiermachers Entkopplung des Religionsbegriffs von der Gottesvorstellung, die er auf diese Weise grundlegend relativiert, und damit die sich herausbildende präzisierende Auflösung des objektiven metaphysischen Gottesgedankens („Sein Gottes“) in den subjektiven Christusglauben („ein Sein Gottes in ihm“), der das Gefühl der Gottverlorenheit (Sünde, Unlust, Hemmung des Gottesbewusstseins) nur aus der Retrospektive des christlichen Lebens von der Gnadenlehre auf die Sündenlehre notieren und aufheben kann.130 Diese bewusstseinstheoretische Neufassung christlichen Lebens wird beschrieben im Rahmen einer Neufassung der christlichen Dogmatik als Glaubenslehre und in Predigten für die Christusgläubigen, die beide binnenlogisch als religiöse Selbstverständigungsdiskurse angelegt sind, während die Reden dezidiert über die Grenzen der Kirche hinweg kommunizieren, da sie sich an die aufgeklärten Gebildeten unter den Verächtern der Religion wenden. (2) In seiner Schrift Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern131 aus dem Jahr 1799 reagiert Schleiermacher auf die moderne Krise der Gottesvorstellungen und den Plausibilitätsverlust der theistischen Fassung von Religion.132 Doch nicht nur auf die neuen Denkwege („Revolution in der Denkungsart“) Kants, nach der Destruktion der Gottesbeweise und „vormaligen“ Metaphysik sowie der fundamentalen und radikalen Weise nach der „Bedingung der Möglichkeit“ von Aussagen über die Beschaffenheit der Welt überhaupt, über Gott und die Normen unseren Handelns zu fragen – transzentalphilosophisch durchgeführt in der Kritik der reinen Vernunft (A 1781; B 1787), im Postulat von Gott, Freiheit und Unsterblichkeit der Seele in der Kritik der praktischen Vernunft (A 1788), in der Kritik der Urteilskraft (A 1790; B 1793; C 1799) und in seiner Forderung nach einer Religion der Moralität (Religion innerhalb den Grenzen der bloßen Vernunft; A 1793; B 1794) – reagiert Schleiermacher, sondern er nimmt auch Impulse von Baruch de Spinoza (1632–1677) auf, der als „heimliche Leitfigur der ganzen religionsphilosophischen Moderne und vermutlich auch unserer Gegenwart“133 gedeutet wird. Mit seinem Namen verbunden sind auch die wichtigsten Diskurse dieser Zeit, in denen sich die Gelehrtenwelt bewegte: der Pantheismus- oder Spinozismusstreit (1785/86) sowie der während der Abfassungszeit der Reden entflam-

130 Die Verben verlieren und (auf-)lösen, schneiden, sind sprachgeschichtlich eng verwand. Vgl. KLUGE 2002, 954. 131 F. SCHLEIERMACHER, KGA I/2, 185–326. Die Seitenzahlen im Haupttext geben die Seitenzahlen von KGA I/2 wieder. 132 Vgl. U. B ARTH 2004, 279; ferner J. R INGLEBEN 2017. 133 K. M ÜLLER 2006, 20.

3.4 Auflösung des Gottesgedankens in den Christusglauben (Schleiermacher)

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mende und Schleiermacher tief beeindruckende Atheismusstreit (1798/99),134 eine Zeit, in der Fichte in Jena die Ethikotheologie Kants umbildete in den Begriff einer göttlich-moralischen Weltordnung.135 Spinoza übte, wie auf viele Zeitgenossen, auch auf den jungen Schleiermacher eine große Faszination aus136: „Opfert mit mir ehrerbietig eine Loke den Manen des heiligen verstoßenen Spinosa! Ihn durchdrang der hohe Weltgeist, das Unendliche war sein Anfang und Ende, das Universum seine einzige und ewige Liebe, in heiliger Unschuld und tiefer Demuth spiegelte er sich in der ewigen Welt, und sah zu wie auch Er ihr liebenswürdigster Spiegel war; voller Religion war Er und voll heiligen Geistes; und darum steht Er auch da, allein und unerreicht, Meister in seiner Kunst, aber erhaben über die profane Zunft, ohne Jünger und ohne Bürgerrecht“ (213).

Es verwundert daher nicht, dass Schleiermacher sich nach dem Erscheinen der Reden auch Vorwürfen des Spinozismus und Pantheismus sowie des Atheismus ausgesetzt fand,137 da er mit seiner Rede vom Anschauen des Universums die für die natürliche Theologie zentrale theistische Idee (der Personalität) Gottes und der persönlichen Unsterblichkeit aufgab. Im zeitgenössischen Kontext der Berliner Salons und ihren jüdisch-romantischen Kreisen bilden die Reden so etwas wie einen Gegenentwurf zu Kants Schrift Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft (A 1793; B 1794) und der „natürlichen Religion“ der Aufklärung sowie eine indirekte Auseinandersetzung mit dem Atheismusstreit.138 Johann Joachim Spaldings Werk Religion, eine Angelegenheit des Menschen (1797) expliziert diese Verbindung von Religion und Moral. Die Reden sind aber auch Teil eines literarischen Diskurses im Rahmen der spätaufklärerischen Debatte über Religion und der frühromantischen Wendung zur Religion,139 die sich auch in der religiösen Aufladung der Literatur, Bildenden Kunst und Musik zeigt.140 Friedrich Schlegel (1772–1829) strebt eine neue Religion an,141 die das Christentum überbieten 134 Schleiermacher nimmt darauf explizit Bezug. Vgl. die Nachweise bei U. B ARTH 2004, 274; CH. DANZ 2012. 135 Vgl. U. B ARTH 2004, 273.274. 136 Vgl. U. B ARTH 2014, 222–244; J. D IERKEN 2005a, 243–258; zur Spinoza-Renaissance vgl. H. TIMM 1974. 137 Vgl. Schleiermachers Brief an F. S. G. Sack in: H. B OLLI 1980, 270.271. 138 Vgl. K. N OWAK 2001, 98; vgl. auch K. M ÜLLER 2006, 111–122. 139 Vgl. J. R OHLS 2017; ferner E. FEIL 2012. 140 Vgl. die Übersicht von J. R OHLS 2017. 141 In einem Brief an Novalis schrieb Schlegel: „Ich denke eine neue Religion zu stiften oder vielmehr sie verkündigen helfen: denn kommen und siegen wird sie auch ohne mich. Meine Religion ist nicht von der Art, daß sie die Philosophie und Poesie verschlucken wollte. [...] Aber ganz ohne Einbildung betrachtet, finde ich, daß Gegenstände übrigbleiben, die weder Philosophie noch Poesie behandeln kann. Ein solcher Gegenstand scheint mir Gott, von dem ich eine durchaus neue Ansicht habe.“ (Zit. n. A. ARNDT 2004, IX.X).

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3 Das Gefühl der Gottverlorenheit als Vorahnung des Todes Gottes

soll. Und Friedrich von Hardenberg (1772–1801), genannt Novalis, hält in seinem Ende des Jahres 1799 erschienenen Fragment Die Christenheit oder Europa sowie in den Hymnen an die Nacht (1797; 1800) und in seinem Bildungsroman Heinrich von Ofterdingen (1802) am Christentum als der Religion fest. Friedrich Hölderlin (1770–1843) beklagt als „Dichter in dürftiger Zeit“ in der „Nacht der Götterferne“ den Verlust der Götter und entwickelt in Brod und Wein (1800/01) und Patmos (1808) Zeichen und Visionen einer neuen Zeit und Religion, in denen dem remythisierten Christus, der zwar die Erde verlässt, aber Trost der Welt bleibt, eine zentrale Rolle zukommt.142 Gegen die Erfahrung des Atheismus und Nihilismus wendet sich Jean Paul mit der Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, daß kein Gott sei, die er in seinen Roman Siebenkäs (1796/97) einpflegt, und beschreibt literarisch die „durch die aufgeklärte Religionskritik herbeigeführte Situation [...] als Tod Gottes und damit als Sinnlosigkeit [...], und auf diese Situation sucht die Frühromantik eine Antwort.“143 Nach einer Antwort sucht auch Schleiermacher im Kreis der Frühromantik. Kants Destruktion der abendländischen Metaphysik löste ein „Erdbeben“ aus, dessen Nachbeben sich weiter im Pantheismus- und insbesondere im seit November 1798 die Öffentlichkeit erregenden Atheismusstreit um Fichte zeigten. Hinzu kamen die verbreitete „Verachtung“ (198) der Religion und der Glaubwürdigkeitsverlust ihrer Vertreter („Virtuosen derselben“ [190], „Mittler“) bei den Gebildeten, eben bei jenen, die „von der Weisheit des Jahrhunderts durchdrungen sind“ (189), die Dichter und Denker, das Bürgertum und die herrschenden Schichten in der Zeit der Frühromantik.144 Ihre Verehrung der „Sprüche der Weisen und Gesänge der Dichter“ sowie von „Menschheit und Vaterland, Kunst und Wissenschaft“ (189) lässt ihnen keinen Raum mehr im „Gemüthe“ für das „ewige und heilige Wesen, welches [...] jenseit der Welt liegt“, und sie haben „keine Gefühle“ für dasselbe. Das „irdische Leben“ haben sie „so reich und vielseitig“ gemacht, dass sie der „Ewigkeit nicht mehr“ bedürfen. Sie haben sich selbst ein neues „Universum“ geschaffen, so dass sie nicht mehr an „dasjenige zu denken“ brauchen, „welches sie erschuf“ (189). Damit klingen bereits in den ersten Zeilen die leitmotivischen Begriffe an, um die es Schleiermacher in seiner romantischen Religionstheorie geht145: „Gemüt“, „Gefühl“, „Universum“ (189). Etwas später folgt „das Unendliche“ (191) und dann in der zweiten Rede „Anschauung“ (211) als wichtigster komplementärer Leitbegriff zu „Gefühl“, bevor dann direkt im Anschluss an die Worte über Spinoza Schleiermachers religionstheoretisches Motto zur Sprache kommt: Vgl. dazu W. JANKE 1999a, 104–133; W. JANKE 2005, Teil II. J. ROHLS 1997a, I, 316. Vgl. dazu Abschnitt 4.1. 144 Vgl. K. N OWAK 1986. 145 Die Forschungshypothesen zur Religionstheorie verzeichnet CH. A LBRECHT 1994, 107–117. 142 143

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„Anschauen des Universums“ (213). Trotz ihrer offensichtlichen Abwendung sind die gebildeten Kritiker die Adressaten („Hörer“) Schleiermachers, denn sie sind im Unterschied zu den anderen Gesellschaftsschichten fähig, sich „über den gemeinen Standpunkt der Menschen zu erheben“, und sie scheuen sich nicht, „den beschwerlichen Weg in das Innere des menschlichen Wesens [... zu gehen], um den Grund seines Thuns und Denkens zu finden“ (197). Dieser in Redeform146 verfasste literarische Text ist Teil eines zeitgeschichtlichen Diskurses147 und zugleich Lebensthema, das den jungen Schleiermacher seit seiner theologischen und religiösen Krise begleitet, in die er in der herrnhutischen Gemeinschaft und ihrer Ausbildungsinstitution in Barby (1785–1787) geriet, und die seinen Konflikt mit seinem eigenen Vater im Jahr 1787 bestimmt, als er sich von den orthodoxen Lehrmeinungen und Dogmen, insbesondere der altprotestantischen Christologie, verabschiedet148, und ein Studium der Theologie und Philosophie in Halle an der Saale aufnimmt (1787–1789). Seine Verabschiedung beinhaltet die „Einsicht, dass man nicht länger von einer so oder so vorgestellten religiösen Gegenstandswelt, von einem durch Offenbarung vermittelten und zugleich objektiven Wissen von Gott und seinem Handeln ausgehen kann. Konkret äußerte sich das bekanntlich in der Bestreitung der Gottheit Christi, somit der Zweinaturenlehre, und der Bestreitung der Lehre von der stellvertretenden Versöhnung durch Christi Tod. Schleiermacher äußert also Zweifel an der ganzen rechtgläubigen Christologie, die sich ja in den Lehrstücken von Christi Person (Zweinaturenlehre) und Werk (hier im Zentrum die Lehre vom Sühnopfer) entfaltet.“149

Diese an der Christologie versinnbildlichte Krise der theologischen Grundbegriffe sowie die Suche nach einem neuen Religionsbegriff, sowohl in Abgrenzung gegen den dogmatischen Offenbarungsglauben des Altprotestantismus wie des theologischen Supranaturalismus als auch gegen die natürliche Vernunftreligion der Aufklärung wie des theologischen Rationalismus, und einem diesem neuen Religionsbegriff entsprechenden Gottesverständnis lässt sich zusammenfassen in der Frage, „wie ein Christsein möglich ist, das sich nicht

146 „Es ist, da alle Mittheilung der Religion nicht anders als rhetorisch sein kann, eine schlaue Gewinnung der Hörenden, sie in so guter Gesellschaft einzuführen.“ (F. SCHLEIERMACHER, KGA I/2, 211). 147 Vgl. den Überblick in M. O HST 2017, 21–57. 148 Vgl. den Briefwechsel mit seinem Vater (und seiner Schwester); besonders berühmt ist der Brief vom 21. Januar 1781 an seinen Vater, in: KGA V/1, 49–52 (Brief Nr. 53 an J. G. A. Schleyermacher. Barby, Sonntag, 21.1.1787); vgl. weiter auch die Briefe Nr. 24, 25, 27, 45, 46, 54, 55, 59; vgl. dazu weitere Nachweise und Darstellung bei N. SLENCZKA 2008, 145–150; U. BARTH 2004, 263.264. In den Reden findet sich daran die Anspielung „den väterlichen Glauben zu sichten und das Herz zu reinigen von dem Schutte der Vorwelt.“ (F. SCHLEIERMACHER, KGA I/2, 195). 149 R. PREUL 2008, 164.165.

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gegen die zeitgenössische wissenschaftliche Diskussion, das zeitgenössische Wahrheitsbewusstsein und die Gegenwartskultur abschließt.“150 Zum Bildungsweg Schleiermachers151 gehört nicht zuletzt die Einsicht, dass die traditionellen Begründungsmuster der Theologie durch das Erscheinen von Kants Kritik der reinen Vernunft (A 1781; B 1787) fragwürdig geworden sind und die klassische Metaphysik in eine tiefgreifende Krise gestürzt wurde. Gott und Unsterblichkeit sind dem zweifelnden Auge verschwunden (vgl. 195).152 Doch in die „Hülferufe[...] der Meisten über den Untergang der Religion“ (190) stimmt Schleiermacher explizit nicht ein, denn er „wüßte nicht, daß irgendein Zeitalter sie beßer aufgenommen hätte als das gegenwärtige“ (190): das Zeitalter der Romantik.153 Wie jede Zeit bringt auch diese ihre Modernisierungsprogramme und Zeitdiagnosen154 hervor. So zielt Schleiermacher in seinen Reden vor allem darauf ab, „einer offenen Gegenwartssituation Ausdruck zu verleihen, um auf dieser Grundlage an deren kritischer Umgestaltung und produktiver Weiterbildung mitzuwirken.“155 Um auf den Weg der Versöhnung zwischen Christentum und Gegenwartskultur zu gelangen, sprengt Schleiermacher mit seinen Reden die für einen christlich geprägten Kulturkreis traditionell enge Zusammengehörigkeit von „Religion“ und „Gott“ auf.156 Er übt scharfe Kritik an der theistischen Gottesvorstellung und der Personalität Gottes, stellt diesen seine eigene Neufassung des Religionsbegriffs entgegen und bestreitet die prinzipielle Bedeutung des

N. SLENCZKA 2008, 148. Zur Biographie vgl. K. NOWAK 2001; Studien zu seiner Theologie versammeln z. B. H.-J. BIRKNER 1996; J. DIERKEN 1996, 308–416; E. HERMS 2003 und U. BARTH 2004 sowie die Akten der Internationalen Schleiermacher-Kongresse und jetzt das Handbuch M. OHST 2017. 152 Schleiermacher schließt sich der kritischen Erkenntnislehre Kants an, denn auch für ihn sind die ältere metaphysische Wissenschaft und die Grundlage der aufgeklärten natürlichen Religion und Theologie dahingefallen, jedoch nicht seine Vorstellungen über Gott und Unsterblichkeit. Das führt zu einer „Krise“ bei ihm. Vgl. E. HIRSCH 1968b, 493. Es finde sich „ein mit humaner Idealität durchwobner gelassener Skeptizismus. Kein Denken führt über die Erfahrungswelt und die in ihr uns gesetzten Lebensbedingungen hinaus“ (a. a. O., 494). „An der Stelle, wo für Kant Gott und Unsterblichkeit stehen, steht für den jungen Schleiermacher ein unsrer Welt einwohnendes letztes Geheimnis, und alle Verbindungen vom sittlichen Bewußtsein her zu diesem Geheimnis hin sind zerschnitten“ (a. a. O., 495). Ursprung und Bedeutung der Individualität alles Endlichen bleiben ein Rätsel. 153 Zum komplexen Verhältnis von Romantik und Religion, insbesondere von Protestantismus und Romantik sowie Schleiermachers Bildungsgang vgl. U. BARTH 2004, 259–268. 154 Zum Begriff Diagnose und seiner metaphorischen Verwendung im Begriff der Zeitdiagnose vgl. U. BARTH 2004, 268–270. 155 U. B ARTH 2004, 268. 156 Vgl. dazu J. D IERKEN 2005a, 243–258; zur veränderten Einschätzung des Stellenwertes der Gottesvorstellung in der späteren Entfaltung der Glaubenslehre vgl. C.-D. OSTHÖVENER 1996, 12–97; vgl. auch W. PANNENBERG 1997, 46–78. 150 151

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Gottesbegriffs für den Religionsbegriff, auch wenn er ihn „gewiß für den systematischste[n] Gedanken im ganzen Gebiete der Religion“ (201) hält. Dafür muss er ein Vorurteil der Verächter abbauen, dass die „Furcht vor einem ewigen Wesen und das Rechnen auf eine andere Welt [...] die Angel aller Religion“ (198) seien. Zudem sucht er nach einem Religionsbegriff, der nicht auf die Übernahme von wenig einleuchtenden Überzeugungen abzielt, wie beispielsweise die altprotestantische Lehre von der gottmenschlichen Person und dem stellvertretenden Versöhnungswerk durch den Opfertod des Gottessohnes. Er tritt damit innerhalb seines Textes in einen zeitgenössischen Diskurs ein und will auf diese Weise ein weiteres unter den zeitgenössischen Gebildeten gepflegtes Vorurteil aufheben, wonach vom „Wesen der Religion nicht gründlich geredet worden“ sei, wenn „von der Gottheit so gut als nichts gesagt worden ist“ (242.243). Die Gleichung „,kein Gott, keine Religion‘“ (243) löst Schleiermacher auf und trennt sein Religionsverständnis von der Gottesidee ab. „In der Religion“ stehe demnach „die Idee von Gott nicht so hoch“, wie seine Zeitgenossen meinen, auch habe es „unter wahrhaft religiösen Menschen nie Eiferer, Enthusiasten oder Schwärmer für das Dasein Gottes“ gegeben und „mit großer Gelaßenheit haben sie das, was man Atheismus nennt, neben sich gesehn, und es hat immer etwas gegeben, was ihnen irreligiöser schien als dieses“ (245). Für Schleiermacher sind Universum und Unendlichkeit die geeigneteren Begriffe, um die letzte und höchste Wirklichkeit auszudrücken, die das religiöse Gefühl meint (244). An diesen wenigen Auszügen aus den Reden wird deutlich, dass für Schleiermacher im Kontext des Atheismusstreits die Gottesvorstellung letztlich zu einem verzichtbaren Moment des nun maßgeblich werdenden Religionsbegriffs wird. Die Persönlichkeit Gottes ist für die Bestimmung des Wesens der Religion unbedeutend. Die „Gottheit“ sei „nichts anders [...] als eine einzelne religiöse Anschauungsart“ (243), die abhängig sei von der kulturellen Ausprägung des religiösen Bewusstseins: „Das religiöse Bewußtsein bezieht sich nicht auf eine an sich seiende Instanz, sondern hat die Beziehung von göttlicher und endlicher Sphäre zum Inhalt.“157 Die (substantielle) Gottesvorstellung ist nicht konstitutiv für das religiöse Bewusstsein (vgl. 243), sie ist kein Kriterium für das Vorhandensein von Religion (vgl. 244). Nicht eine bestimmte Vorstellung von Gott wirkt, sondern allein die Anschauung und das Gefühl des Universums. Mit dieser kategorialen Relativierung der Gottesidee158 „rettet“ Schleiermacher jedoch zugleich die Gottesidee durch eine Umcodierung und macht den Weg frei für ihre restituierende Revision über den Begriff des Universums. „Statt ,Universum‘ kann auch ,Ein und Alles‘, ,Weltgeist‘, ,das Unendliche‘ oder seltener ,Gott‘ gesagt werden.“159 U. BARTH 2004, 274. Vgl. U. BARTH 2004, 275. 159 U. B ARTH 2014, 222. 157 158

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3 Das Gefühl der Gottverlorenheit als Vorahnung des Todes Gottes

Mit seiner „Enttheologisierung des Religionsbegriffs“ sucht Schleiermacher einen Beitrag zur tiefgreifenden „Umformungskrise des Christentums“ innerhalb der sich konstituierenden Moderne zu leisten und geht den Weg der Emanzipation des Religionsbegriffs von theistischen Gottesvorstellungen, insofern sie als grundlegende Bestimmungen fungieren.160 Die ehemals im Gottesbegriff verorteten Begründungsleistungen werden nun in der menschlich praktizierten Religion lokalisiert. Andernfalls würde sich Religion nicht von Metaphysik und Moral unterscheiden, sondern doch nur wieder aus „Bruchstüken dieser verschiedenen Gebiete bestehen“ (208), und nicht erkennbar werden in diesem „Gemisch von Meinungen über das höchste Wesen oder die Welt, und von Geboten für ein menschliches Leben (oder gar für zwei)“ (209). Als Kompositum von beiden oder als Teil der beiden (204) mache sich die Religion selber überflüssig, wenn sie den „schneidenden Gegensaz“ (211) zur Metaphysik und Moral nicht betone. Dennoch hätten Metaphysik bzw. Transzendentalphilosophie (208), Moral und Religion „denselben Gegenstand“, „nemlich das Universum und das Verhältniß des Menschen zu ihm“ (207), was allerdings in der Geschichte immer wieder zu Verirrungen und Verwechslungen geführt habe. Doch die Religion drücke „ein anderes Verhältniß der Menschen“ (208) zum Universum aus. Sie habe nicht die metaphysische Tendenz, „Wesen zu sezen und Naturen zu bestimmen“, „lezte Ursachen aufzusuchen und ewige Wahrheiten auszusprechen“ (208) oder wie die Moral „aus der Natur des Menschen und seines Verhältnißes gegen das Universum ein System von Pflichten“ zu entwickeln. Religion „darf das Universum nicht brauchen um Pflichten abzuleiten“ (208). „[E]s ist jezt Zeit“, diesen „gemeine[n] Begriff“ von Religion „völlig zu vernichten“ (208). Auch wenn die Religion „nie rein erscheint“ (210), geht es Schleiermacher programmatisch darum, die „begrifflich distinkte Eigenständigkeit“161 zu betonen: Religion „muß doch etwas eigenes sein, was in der Menschen Herz hat kommen können, etwas denkbares, wovon sich ein Begriff aufstellen läßt, über den man reden und streiten kann“ (210). Die Religion entspringe „nothwendig von selbst“ aus dem „Inneren jeder beßern Seele“ und bilde eine „eigne Provinz im Gemüthe, in welcher sie unumschränkt herrscht“ (204). Durch die Vermögen von „Anschauung und Gefühl“ (211) werde diese eigenständige „Sphäre humaner Subjektivität“162 ausgefüllt und die „eigenständige Bewußtseinsform mit spezifischen Bewußtseinsinhalten“163 gebildet. Das schließe die anderen Sphären Metaphysik und Moral, die durch die Vermögen Denken und Handeln gekennzeichnet sind, nicht als Gegensätze aus, sondern als „ihr Vgl. J. DIERKEN 2005a, 244.245. Dort auch die beiden vorangegangenen kursiv gedruckten Formeln. 161 J. D IERKEN 2005a, 245. 162 J. D IERKEN 2005a, 245. 163 U. B ARTH 2004, 271. 160

3.4 Auflösung des Gottesgedankens in den Christusglauben (Schleiermacher)

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natürliches Gegenstük“ (212) ein, insofern sie alle auf die von Schleiermacher mit dem Begriff „Universum“ bezeichnete Totalität des Lebens bezogen werden. „Anschauen“ will die Religion „das Universum, in seinen eigenen Darstellungen und Handlungen will sie es andächtig belauschen, von seinen unmittelbaren Einflüßen will sie sich in kindlicher Paßivität ergreifen und erfüllen laßen“ (211). Metaphysik und Moral „sehen im Universum nur den Menschen als Mittelpunkt aller Beziehung, als Bedingung alles Seins und Ursach alles Werdens;“ die Religion „will im Menschen nicht weniger als in allen andern Einzelnen und Endlichen das Unendliche sehen, deßen Abdruk, deßen Darstellung“ (211.212): „Die Religion lebt ihr ganzes Leben [...] in der unendlichen Natur des Ganzen, des Einen und Allen“ (212). Die „Religion athmet da, wo die Freiheit selbst wieder Natur geworden ist“ (212). So kann Religion ihrem Charakter nach gar ein „nothwendige[s] und unentbehrliche[s] Dritte[s] zu jenen beiden“ sein und deren Einheit mittragen (212). Religion als „Sinn und Geschmak fürs Unendliche“ (212) vergisst nicht, den Menschen selbst zu bilden, sie setzt ihm nicht das Universum gegenüber, sondern betrachtet ihn als einen Teil desselben und als etwas Heiliges (vgl. 212.213). Das Symbol für das Grundgefühl der unendlichen und lebendigen Natur ist „Mannichfaltigkeit und Individualität“ (213): „Alles Endliche besteht nur durch die Bestimmung seiner Gränzen, die aus dem Unendlichen gleichsam herausgeschnitten werden müßten“ (213). Nur auf diese Weise kann das Endliche innerhalb seiner Grenzen unendlich sein und selbständig gebildet werden. Die Religion beseelt die Betrachtung des Menschen mit dem Unendlichen, bildet die Sehnsucht nach ihm aus und lehrt die Ehrfurcht vor ihr. Alles geht vom Anschauen aus (vgl. 213). Schleiermacher greift mit dem Begriff der „Anschauung“ einen Begriff auf, der an die damalige ästhetische Debatte des ausgehenden 18. Jahrhunderts der Zielgruppe seiner Rede klug anknüpft.164 „Anschauen des Universums“ ist das zentrale Anliegen Schleiermachers („der Angel meiner ganzen Rede“; 213).165 Es bringt die „allgemeinste und höchste Formel der Religion“ zum Ausdruck (213). Wesen und Grenzen lassen sich aus ihr genau bestimmen. Hier zeigt sich auch der konstitutiv passive Charakter der religiösen Anschauung („kindliche Paßivität“): „Alles Anschauen gehet aus von einem Einfluß des Angeschaueten auf den Anschauenden, von einem ursprünglichen und unabhängigen Handeln des ersteren, welches dann von dem lezteren seiner Natur gemäß aufgenommen, zusammengefaßt und begriffen wird“ (213.214). Was angeschaut wird, ist nicht die Natur der Dinge, sondern ihr Handeln auf den Anschauenden. Die Religion versteht das Universum „in einer ununterbrochenen Thätigkeit und [es] offenbart sich uns jeden Augenblik“ (214). Anschauen hat keinen bestimmten und notwendigen Gehalt. 164 165

Vgl. CH. ELLSIEPEN 2006, 276. Vgl. CH. ELLSIEPEN 2006; U. BARTH 2014, 222–244.

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Es geht im Anschauen als „unmittelbare Wahrnehmung“ (215) nicht um eine Wesenserkenntnis, eine natürliche Religion oder eine letztgültige Wahrheitserkenntnis, sondern um eine Darbietung eines unbestimmt bleibenden allgemeinen Stoffes, aus dem bald dies, bald jenes von den verschiedenen Individuen ergriffen wird. Religion hat anders als Metaphysik kein Letztbegründungsinteresse, das auf eine höhere Wirklichkeitsstufe zurückgehen will.166 Sie besteht im unmittelbaren, erlebnismäßigen Umgang mit dem Absoluten. Das Gefühl steht im Mittelpunkt und nicht das Wissen, was die Religion zu einem selbständigen anthropologischen Phänomen macht. Mit Hilfe der Religion kann sich das Subjekt „[a]lle Begebenheiten in der Welt als Handlungen eines Gottes vorstellen“ (214). In diesem „als“ wird die Rezeption, das Anschauen, in ein konstruktives Verstehen überführt, das nicht zu verwechseln ist mit einer metaphysischen Spekulation „über das Sein Gottes vor der Welt und außer der Welt“ (214). Der Begriff des Universums ersetzt den Begriff der Gottheit: „Das Universum als Gegenstand religiöser Anschauung steht für diese absolutheitstheoretische Dimension.“167 Der Gedanke des Absoluten wird bei Schleiermacher „nicht der herkömmlichen Dichotomie von transzendenter und immanenter Totalität unterworfen, sondern muß bewußt in der Schwebe gehalten werden.“168 Um die mit der Vorstellung einer welttranszendenten, autoritären Schöpferinstanz und einem substantiellen Gottesbegriff verbundenen Schwierigkeiten von vornherein zu vermeiden, prägt Schleiermacher den Begriff des „Universums“ als Verschränkung der Gottesidee und Weltidee.169 „Weltgeist“ oder „Universum“ als Korrelat der religiösen Einstellung bezeichnen nichts anderes als die „Totalitätsdimension des Kontingenten.“170 Schleiermachers Sicht wird als Synthese des spinozistischen Grundgedankens mit dem religionsphilosophischen Ertrag des Atheismusstreits gedeutet, durch die es zu einer Neufassung des Offenbarungsbegriffs kommt: „Offenbarung ist die intersubjektive Mitteilung ursprünglicher Darstellungen subjektiv-religiösen Erlebens.“171 Vom Gehalt des Absoluten her ist kein supranaturaler Machterweis an einer an sich seienden Instanz auszumachen, sondern „das unableitbare Erscheinen des Unendlichen im Endlichen, das unmittelbare Transparentwerden des Endlichen für das Unendliche.“172 Unter den Begriff der religiösen Anschauung gefasst, in direkter Äquivalenz zu Spinozas dritter Erkenntnisart, der adäquaten Intuition, heißt das: „Religiöses Erleben als Beziehung auf das Absolute ist An-

U. BARTH 2004, 271. CH. ELLSIEPEN 2006, 294. 168 U. B ARTH 2004c, 277. 169 Vgl. U. B ARTH 2004, 277. 170 U. B ARTH 2004, 277. 171 U. B ARTH 2004, 276. 172 U. B ARTH 2004, 277. 166 167

3.4 Auflösung des Gottesgedankens in den Christusglauben (Schleiermacher)

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schauung des Unendlichen im Endlichen und umgekehrt.“173 Alle Gestalten innerweltlicher Erfahrung werden in der Religion in eine Unendlichkeitsperspektive eingerückt: Religion ist „Sinn und Geschmak fürs Unendliche“ (212) und Anschauung des Universums. D. h.: „Religion ist Erfahrung dieses Unendlichen bzw. Universums in aller Endlichkeit.“174 Doch gibt es kein System von Anschauungen: „Anschauung ist und bleibt immer etwas einzelnes, abgesondertes, die unmittelbare Wahrnehmung, weiter nichts; sie zu verbinden und in ein Ganzes zusammenzustellen, ist schon wieder nicht das Geschäft des Sinnes, sondern des abstrakten Denkens“ (215). Daher ist das „unendliche Chaos“ das „schiklichste und höchste Sinnbild der Religion; in ihr wie in ihm ist nur das Einzelne wahr und nothwendig“ (216). Schleiermacher eröffnet damit ein unendliches Reservoir an Deutungsmöglichkeiten, die mit der Individualisierung und Pluralisierung von Religion einhergehen (vgl. 245). Von diesem Gedanken aus kam es in der Theologie zu einer entsubstantialisierten Neufassung des Gottesgedankens, in der die Gottesidee relativiert und zugleich die Bedeutung der Religion für das Individuum herausgestellt wurde. Gegen Ende der zweiten Rede heißt es, ob seine Religion einen Gott hat, das hänge von der Richtung der Phantasie ab (245). Entscheidend für die religiöse Erfahrung des Individuums ist nicht Gott, sondern das Erfassen des Endlichen als Manifestation des Unendlichen, des Universums.175 (3) Schleiermachers Diagnose seiner Zeit macht darauf aufmerksam, dass der allseitige Schwund des religiösen Lebens keinesfalls anthropologische Ursachen hat, sondern kulturell vermittelt ist. Die Krise und der Relevanzverlust der Religion werden übertroffen von „einer Krise der Mitteilung der Religion“, denn die Experten und Amtsträger leiden unter einem wachsenden „Glaubwürdigkeitsverlust“176. Doch mit der unumgänglich gewordenen Destruktion des metaphysischen Welt- und Geschichtsbildes mittelalterlich-christlicher Prägung und der Krise der ethisch-religiösen Grundlagen der Bestimmung des Menschen durch die Vernützlichung des Menschen muss nicht zugleich das Ende der Religion gemeint sein.177 Auch wenn es nur noch um das Ideal geht, verständig zu sein und zu wissen, was nützlich ist (253). Verständig sein heißt: Reduktion des Verstehens auf einen analytischen und empirischen VerstandesU. BARTH 2004, 278. J. RINGLEBEN 2017, 108. 175 Hierauf zielt die Kritik von W. PANNENBERG 1997, 60.61, der mit Gerardus van der Leeuws Religionsphänomenologie betont, dass die geschichtlich primäre Gestalt religiöser Erfahrung die Begegnung mit geheimnisvollen (namenlosen) göttlichen Mächten ist, wogegen Schleiermachers Religionstheorie nur die Dimension für die Begegnung eröffnen würde, die zwar dem säkularisierten Menschen den Zugang zur Dimension religiöser Erfahrung öffnen könne, aber die Bedeutsamkeit des Gottesgedanken für das Verständnis religiöser Erfahrung nicht wahrhaben wolle. 176 U. B ARTH 2004, 280.281. 177 Vgl. U. B ARTH 2004, 282. 173 174

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gebrauch nach dem Ideal einer rationaler Erklärung der Welt (vgl. 253.254). „Nützlichkeit“ ist Ausdruck der instrumentellen Vernunft. Doch die Reduktion der Vernunft auf positivistische Wissenschaftlichkeit und pragmatischen Funktionalismus führt zum Verlust der Totalitätsdimension des Geistes. Die Suche nach dem „ungetheilten Eindruk von etwas Ganzem“, als auch die Selbstzwecklichkeit der Dinge, „was und wie etwas für sich ist“ (254), werden konsequent zum Verschwinden gebracht. Hier ist eine Präzisierung am Werk, die zu einem allseitigen Verlust der Tiefendimension der Kultur führt: „Darum verstümmeln sie alles mit ihrer Scheere, und nicht einmal eine originelle Erscheinung, die ein Phänomen werden könnte für die Religion, möchten sie aufkommen lassen; denn das was von ihrem Punkt aus gesehen und umfaßt werden kann, das heißt Alles, was sie gelten laßen wollen, ist ein kleiner und unfruchtbarer Kreis ohne Wißenschaft, ohne Sitten, ohne Kunst, ohne Liebe, ohne Geist, und wahrlich auch ohne Buchstaben; kurz, ohne Alles, von wo aus sich die Welt entdeken ließe, wenn gleich mit viel hochmüthigen Ansprüchen auf alles dieses. Sie freilich meinen, sie hätten die wahre und wirkliche Welt, und sie wären es eigentlich, die Alles in seinem rechten Zusammenhang nähmen“ (255).

Das Leben geht auf in Arbeit und Spiel, und der Mensch entfremdet sich immer mehr von sich selbst. Anthropologisch richtungsweisend muss diese Entwicklung allerdings nicht sein. Denn Religion als Bestandteil der conditio humana ist für Schleiermacher prinzipiell in allen Menschen vorhanden: „Der Mensch wird mit der religiösen Anlage geboren wie mit jeder andern“ (252). Sie steht aber von Anfang an unter diesem angezeigten präzisierenden Stern der Verständigkeit und Nützlichkeit: „Die Hauptsache aber ist die, daß sie Alles verstehen sollen, und mit dem Verstehen werden sie völlig betrogen um ihren Sinn: denn so wie jenes betrieben wird, ist es diesem schlechthin entgegengesezt“ (253.254). Aus diesem Grund ist ihr der Zugang zur Totalitätsdimension versperrt, für die der Begriff des Universums steht. Die Aufgabe der Religion ist daher die Kultivierung der Unbedingtheitsdimension des Lebens: Selbstwelt, Mitwelt oder Umwelt. Dieses sieht Schleiermacher als Grundvoraussetzung für die Wiedergeburt („Palingenesie“; 260) der Religion in Gestalt des Christentums. Totengräber der Religion sind nicht der Unglaube der Gottlosen oder Atheisten,178 sondern die alltagstüchtigen, erfolgsorientierten Zeitgenossen in ihrer realitätsfixierten Lebensklugheit und in ihrem Aufgehen im Besorgen des Zuhandenen (vgl. Martin Heidegger). Diese Lebensweise lässt keinen Raum mehr für die Unendlichkeits-, Ganzheits- und Transzendenzdimension des Daseins. Eine wirkliche Entwicklung und Kultivierung des religiösen Sinns zur Unmittelbarkeit, Nichtentfremdetheit, Spontaneität und Individualität eigenen Erlebens ist nur in Gemeinschaften möglich, die zum Zweck religiöser Mitteilung existieren. Religiöse Sozialisation vollzieht sich als Prozess intersubjektiver symbolischer Kommunikation. Religion zeigt sich als Ort eines diskursiven Gesche178

Vgl. dazu CG1 § 37.3 und CG2 § 33.2.

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hens. So kann „[e]ine nichttheistische Theorie des Absoluten [...] liberal mit verschiedenen Gottesvorstellungen umgehen und sie im Wissen um ihre religiöse Funktion durchklären und kultivieren.“179 Dies gilt auch für personale (und apersonale) Gottesvorstellungen.180 Hierin reflektiert sich humane Individualität nach ihrer personalen Freiheit hin (vgl. 245).181 Diese Besinnung Schleiermachers kann dazu verhelfen, die religiöse Praxis zu überdenken, um so dem Sinnverlust der Moderne innerlich begegnen zu können, auf den „die in sich ruhende Endlichkeit“182 eines ausschließlich zweckrationalen und empirisch-rationalen Weltumgangs unausweichlich hinauszulaufen scheint.183 In Schleiermachers Programm kommt es damit zu einer Verschränkung der Analyse der Theorielage mit der Analyse der kulturellen Situation.184 Es ist die religiöse Krise der Moderne, die es erforderlich macht, „den Religionsbegriff auf eine subjektivitätstheoretische Grundlage zu stellen und in zunächst nichttheistischer Gestalt zu entfalten, nämlich als diejenige Form menschlicher Deutungskultur, in der es um die Unendlichkeits-, Ganzheits- und Transzendenzdimension der verschiedenen Sinnbezüge der Erfahrung geht.“185 (4) Diesem programmatischen Bedeutungszuwachs des Begriffs der Religion und der damit verbundenen konsequenten Wendung zum Subjekt auf dem Gebiet der Religion entspricht auch Schleiermachers Gründung der Dogmatik –, die zwar ,Glaubenslehre‘ genannt wird, sich aber konsequent als ,Religionstheologie‘ begreift186 –, auf dem Begriff der Religion (CG1 §§ 8–11; CG2 §§ 3– 5), von dem er die Darlegung des Gottesgedankens ableitet.187 Dogmatik als Reflexionsgestalt der (christlichen) Religion und theologische Disziplin in Beziehung auf die christliche Kirche (CG2 § 2) fragt danach, „wodurch Säze christlich religiösen Inhaltes dogmatische werden“ (CG2 § 1.1). Christliche fromme Gemütszustände sollen in „Glaubensäze von der darstellend belehrenden Art“ (CG2 § 16) transformiert werden. Insofern ist es stimmig, dass Schleiermachers Glaubenslehre als Darstellung „protestantischer Religiosität nach der Aufklärung“188 ihr „primäres Thema“ in den „Beschreibungen menschlicher Lebenszustände“ (vgl. bes. CG2 §§ 62–169) findet, um sie vor dem Einschleichen der Metaphysik oder der Naturwissenschaft zu bewahren (CG2 § 30.2; KGA I/13.1, 194). Erst davon abgeleitet kommen Sätze über Gott (Be-

J. DIERKEN 2005a, 258. Vgl. H. ROSENAU 2006a. 181 Vgl. J. D IERKEN 2005a, 258. 182 P. TILLICH, GW X, 37. 183 Vgl. U. B ARTH 2004, 288. 184 Vgl. U. B ARTH 2004, 287. 185 U. B ARTH 2004, 287; vgl. auch U. B ARTH 2003, 3–27. 186 Vgl. U. B ARTH 2004, 351. 187 Vgl. U. B ARTH 2004, 329–351. 188 J. D IERKEN 2014a, 178. 179 180

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griffe von göttlichen Eigenschaften und Handlungsweisen) und Welt (Aussagen von Beschaffenheiten der Welt) zum Ausdruck (CG2 § 30). Anders als in der orthodoxen Dogmatik findet sich insofern in Schleiermachers Unionsdogmatik Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt (11821/22; 21830/31),189 kurz Glaubenslehre genannt, kein an die Prolegomena mit einer ausführlichen Schrift- und Offenbarungslehre sich anschließender expliziter Traktat De Deo.190 Die Trinitätslehre (De Trinitate), „Von der göttlichen Dreiheit“, wird zudem an den „Schluß“ der Dogmatik ausgelagert (CG1 §§ 186–190; CG2 §§ 170–172). Nach der ersten Auflage bildet sie den „wahren Schlußstein der christlichen Glaubenslehre“ (CG1 § 186. Leitsatz). Auch ein Anschluss an den Vorschlag Kants, ein moralisches Postulat der Existenz Gottes an die traditionelle Stelle der spekulativen Gottesbeweise zu setzen, kommt für Schleiermacher nicht in Frage. Explizit bleibt allein die Lehre von den Eigenschaften Gottes, allerdings neujustiert, übrig (CG2 §§ 50–56; §§ 79–85; §§ 164–169). Interessanterweise ein dogmatischer Ort, der mit starken Gefühlen und Affekten der Gottheit zu tun hat, wie Liebe und Barmherzigkeit, aber auch Zorn und Rache, deren menschlich-allzumenschliche Züge mitunter kaum zu verbergen sind. Den „Grundtext der ganzen Dogmatik“191 sieht Schleiermacher in Johannes 1,14 („Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit“), womit die Christologie („Von Christo“; CG2 §§ 86– 105) ins Zentrum der Dogmatik gerückt wird und „die Funktion des spezifisch Theologischen übernimmt.“192 Darin fasst Schleiermacher die traditionelle kirchliche Lehre von der göttliche und menschliche Natur in sich vereinenden Person (De persona Christi; CG2 §§ 95–99) und dem, wie es hier heißt, „Geschäft“, traditionell Amt (De officium resp. munus Christi) – genauer: der drei Die Nachweise im Text beziehen sich auf F. SCHLEIERMACHER, KGA I/13.1.2. Vgl. zum Aufbau das Schema von C.-D. OSTHÖVENER 2017a, 360; vgl. auch das Schema bei H. FISCHER 2001, 105; ferner H.-J. BIRKNER 1996, 119–131. Folgende Darstellung greift auf die Überblicksdarstellung von C.-D. OSTHÖVENER 2017a und 2017b zurück. Der Topos De Scriptura Sacra findet in der materialen Ekklesiologie seinen Ort (§§ 128– 132) und nicht in den Prolegomena. 191 F. SCHLEIERMACHER, KGA I/10, 342. Vgl. zum Inkarnationsgedanken (Joh 1,14; Phil 2,7) auch die fünfte Rede Über die Religionen: „Ich will Euch gleichsam zu dem Gott, der Fleisch geworden ist hinführen; ich will Euch die Religion zeigen, wie sie sich ihrer Unendlichkeit entäußert hat, und in oft dürftiger Gestalt unter den Menschen erschienen ist; in den Religionen sollt Ihr die Religion entdeken“ (KGA I/2, 294). Damit wendet sich Schleiermacher gegen die Vorstellung einer „natürlichen Religion“, da sich das Wesen der Religion nur in positiven Religionen, das Unendliche nur im Endlichen zeige, und stellt den Wert und die Geltung der Religionen in ihrer Pluralität heraus. Die Inkarnation Gottes wird mit wörtlichem Bezug auf Phil 2,7 (KGA I/2, 312) „zum Verstehensmodell der Fleischwerdung unendlicher Religion in der Vielfalt der Religionsgeschichte“ (J. RINGLEBEN 2017, 116). 192 F. W AGNER (1984) 2014, 275. 189 190

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Ämter – Christi (CG2 §§ 102–105) neu (CG2 §§ 93–94 und §§ 100–101) zu einem subjektiven Christusglauben: In diesem ist der Gottesgedanke („Sein Gottes“) durch ein im vom menschengleichen, aber unsündlichen Erlöser gestifteten Gesamtleben („erlösende Thätigkeit“) mittels seiner Aufnahme („lebendige Empfänglichkeit“) der einzelnen Gläubigen („Wiedergeburt“ und „Heiligung“) in eine zwar beständig fortschreitende, aber nur annäherungsweise erreichbare Kräftigkeit des Gottesbewusstseins („ein eigentliches Sein Gottes in ihm“) und in die Aufnahme in die Gemeinschaft seiner ungetrübten Seligkeit („versöhnende Tätigkeit“) aufgegangen. Ohne Christus und seine innerste Grundkraft („das Sein Gottes in ihm“) gibt es kein sich als schöpferisch erweisendes Sein Gottes in der Welt und Menschheit (CG2 § 94.2) und damit keine Erlösung. Die Gotteslehre, das spezifisch Theo-logische der Glaubensweise des Christentums, d. h. die „bestimmte Gestaltung des Gottesbewußtseins“ (KD2 § 1)193, wird von Schleiermacher über die gesamte Glaubenslehre „verstreut“194 und sukzessive angereichert195: Im Vergleich zu den Reden ist die Bedeutung des Gottesgedankens für den Religionsbegriff („Frömmigkeit“) in der Glaubenslehre größer.196 Eingeführt wird der religionsphilosophische Ausdruck ,Gott‘ als Symbol „für das im Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit implizierte ,Woher‘“ (CG2 § 4.4). Präzisiert wird der Gottesgedanke als monotheistisch durch den Aufweis der „Einzigkeit Gottes“ (CG2 § 8.2) –, die sich jedoch nicht auf eine Vorstellung oder „Kundmachung“ eines Gottes „an und für sich“ (CG2 § 10. Zusatz; KGA I/13.1, 92; § 172.1; KGA I/13.2, 528) gründen lässt, sondern sich nur aus dem „Verhältniß [Gottes] zu uns“ (KGA I/13.1, 92) als „ein Mitgeseztsein Gottes als der absoluten ungetheilten Einheit“ (KGA I/13.1, 203.204) aussagen lässt –, und die Ersetzung der traditionellen Gottesbeweise (CG1 § 38; CG2 § 33) mittels des Nachweises der Allgemeinheit des Existenzials des Gefühls schlechthinniger Abhängigkeit und dem darin mitgegebenen Gottesbewusstsein (CG2 § 33), „so daß er das ,Sein Gottes selbst‘ zusammen mit dem Abhängigkeitsgefühl als irreduzible Faktizität voraussetzt“197 (CG2 § 56.2), und schließlich durch die Identifikation des Endlichkeitsbewusstseins mit der Welt und dem damit verbundenen gleichrangigen schlechthinnigen 193 Vgl. F. SCHLEIERMACHER, KGA I/6, 325: „§. 1. Die Theologie in dem Sinne, in welchem das Wort hier immer genommen wird, ist eine positive Wissenschaft, deren Theile zu einem Ganzen nur verbunden sind durch ihre gemeinsame Beziehung auf eine bestimmte Glaubensweise, d. h. eine bestimmte Gestaltung des Gottesbewußtseins; die der christlichen also durch die Beziehung auf das Christenthum.“ 194 C.-D. O STHÖVENER 2017a, 359. 195 Vgl. zu einigen „Stationen der Anreicherung“ C.-D. O STHÖVENER 2017a, 354. Dort auch die folgenden Zitate. 196 Vgl. den Hinweis von W. PANNENBERG 1997, 67. Vgl. a. a. O., 66–70 auch zum Folgenden. 197 F. W AGNER (1984) 2014, 274.

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Abhängigkeitsgefühl (CG2 § 46.2). Frömmigkeit drückt für Schleiermacher „das tiefinnerliche Bewusstsein unserer Abhängigkeit, des radikalen Vorrangs der Rezeptivität gegenüber der Spontaneität in uns aus. Diese Vorherrschaft der Rezeptivität und der Passivität führt zu dem, was man das ,allgemeine[] Endlichkeitsbewußtsein‘“ (KGA I/13.1, 67) nennt, das „von seiner Natur her einen Verweis auf etwas außerhalb der Subjektivität“ impliziert. [...] Das Gefühl der absoluten Abhängigkeit hat eine absolute äußere Wirklichkeit zum Korrelat, nämlich Gott.“198 Da alle Menschen dieses radikale Abhängigkeitsgefühl empfinden, ist in diesem Sinne „das Gottesbewusstsein konstitutiv für das Selbstbewusstsein.“199 Diese Allgemeinheit oder „Apriorität des Gottesbewusstseins befreit den Theologen von der Aufgabe, die Existenz Gottes zu beweisen zu suchen“200 (vgl. KGA I/13.1, 207–212). Der Anreicherungsprozess der Entfaltung der dogmatischen Gotteslehre gipfelt im für Schleiermacher grundlegenden theologischen und religiösen Satz „Gott ist die Liebe“ (CG2 § 167; vgl. 1Joh 4,16). Die Gotteslehre wird beschlossen mit der Beschreibung der göttlichen Weltregierung201 (aus und in „Liebe und Weisheit; CG1 §§ 181–185; CG2 §§ 165–169), die sich in ihrem Innersten als die vollkommene Liebe zu erkennen gibt. Auffallend sachlich und sprachlich behutsam stellt Schleiermacher den Leitsatz zum Lehrstück von der göttlichen Liebe voran, aus dem die christliche Gotteslehre in ihrem Ursprung erkennbar wird: „Die göttliche Liebe als die Eigenschaft, vermöge deren das göttliche Wesen sich mittheilt, wird in dem Werk der Erlösung erkannt“ (CG2 § 166). Die göttliche Liebe besteht ausschließlich in der „Selbstmittheilung Gottes“ (CG2 § 166.2). Gott teilt nicht ,etwas‘ über sich selbst mit, sondern Gott teilt sich selbst mit, und er teilt sich ganz mit. Wenn sich Gott dagegen beweisen ließe, wäre keine Selbstmitteilung Gottes notwendig.202 Gott teilt nun auch nicht das Gottesbewusstsein mit. Dieses wird vom Christen, wenn es zur Mitteilung (der Liebe Gottes) kommt, auf die Mitteilung durch Jesus Christus zurückgeführt (KGA I/13.2, 503). Damit ist schließlich der religionsphilosophische Begriff des Gottesbewusstseins vollständig in die christlich-dogmatische Darstellung überführt worden. Im äußeren Aufbau der ersten203 modernen protestantischen Dogmatik ausgehend von der Bestimmung des „Wesens des Christentums“204 spielen die subjektive Religiosität und der Begriff der Erlösung die entscheidenden Rollen (CG2 § 29). Grundsätzlich führt die Modernisierung der Dogmatik, der es

M. VETŐ 2019, 1005. M. VETŐ 2019, 1005. 200 M. V ETŐ 2019, 1005. 201 Vgl. zum Begriff CG 2 § 164. 202 Vgl. C.-D. O STHÖVENER 2017b, 381. 203 Und im Grunde der bislang einzigen. So jedenfalls C.-D. O STHÖVENER 2004, 89. 204 Vgl. M. SCHRÖDER 1996, 24–48. 198 199

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paradoxerweise mit einer Neuordnung und Neuinterpretation des dogmatischen Stoffes gelingt, „die traditionellen Schemata der protestantischen Orthodoxie fast verlustfrei“205 zu wiederholen, zu einer engen wie prinzipiellen Verknüpfung von Christologie, Soteriologie und Ekklesiologie in der Binnenstruktur der Dogmatik,206 die integral vom Gedanken der „durch Jesum von Nazareth vollbrachte[n] Erlösung“ getragen werden, auf den „alles“ in der teleologischen Richtung der Frömmigkeit der monotheistischen Glaubensweise des Christentums (CG2 § 11. Leitsatz) bezogen wird.207 Mit dem Erlösungsgedanken wird religionstheoretisch das „Wesen des Christentums“ bestimmt. Im Gedanken der durch den Religionsstifter Jesus von Nazareth vollbrachten (vgl. Joh 19,30) Erlösung (CG2 § 11) sieht Schleiermacher das bestimmende Unterscheidungsmerkmal des Christentums gegenüber anderen monotheistischen Glaubensweisen und Religionsgestalten (CG2 § 11.4; KGA I/13.1, 99.100).208 Innerhalb der Dogmatik kommt dem Erlösungsgedanken im Zusammenhang mit der Deutung von Person und Werk Jesu Christi (CG2 § 92–105), in der die religiösen Gehalte der überlieferten Lehre von Person und Werk Jesu Christi bewahrt werden sollen, und der zugleich, nicht ganz einfach zu denken, historischer Stifter des christlichen Gesamtlebens und übergeschichtliches Urbild der christlichen Frömmigkeit ist, sowie in der Ekklesiologie als Theorie der religiösen Vergemeinschaftung (CG2 §§ 14; § 113–163) wiederum besonderes Gewicht zu (vgl. auch CG2 § 29). Erlösung bedeutet bildlich gesprochen ganz allgemein einen Übergang von einem schlechten bewussten Zustand („Gebundensein“; „Sünde“) in einen besseren („Gnade“), der aktiv unterstützt wird von einer ,äußeren‘ Hilfeleistung („dem Erlöser“). Nicht notwendigerweise muss die Herstellung einer Besserung eine Wiederherstellung eines schon gewesenen Zustandes sein. Religionsphilosophisch meint der schlechte Zustand, „daß die Lebendigkeit des höheren Selbstbewußtseins und also fromme Lebensmomente wenig oder gar nicht zu Stande kommen“ (KGA I/13/1, 96). Schleiermacher prüft, ob für diesen Zustand die Begriffe „Gottlosigkeit oder besser Gottvergessenheit“209 zu verwenden seien, möchte sie aber nicht dahingehend verstanden wissen, dass sie absolute Zustände beschreiben, die eine „gänzliche Unmöglichkeit der Belebung des Gottesbewusstseins denken“ lassen. Dieser Mangel an Gottesbe205 C.-D. O STHÖVENER 2017a, 359. Neben der Orientierung an der altprotestantischen Lehrtradition fällt der Bezug auf die Bekenntnisschriften (vgl. M. OHST 1989) auf, die Rückversicherung an Bibelstellen und die Hochschätzung des Johannesevangeliums. Vgl. zu den „konservativen Zügen“ von Schleiermachers Dogmatik U. BARTH 2017, 325. 206 Vgl. C.-D. O STHÖVENER 2017a, 361. 207 Vgl. C.-D. O STHÖVENER 2004, 58–101; hier: 60.61. Vgl. hier auch zum Folgenden. Vgl. KGA I/13.1, 97.98. 208 Vgl. auch CG 2 § 94.2. 209 KGA 13/1, 96 (im Original gesperrt). Vgl. auch die Wiederaufnahme des Begriffs einer dreifachen Gottlosigkeit in § 33.2 (KGA I/13.1, 207–209).

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wusstsein kann kein absoluter Nullpunkt sein, da er sonst nicht als übler Zustand gefühlt werden könne. Eine gänzliche „Umschaffung“ sieht die Vorstellung der Erlösung nicht vor, sondern lediglich eine „Aufhebung“ des Mangels. Sein Vorschlag lautet, diesen Mangel „als eine nicht vorhandene Leichtigkeit zu bezeichnen, das Gottesbewußtsein in den Zusammenhang der wirklichen Lebensmomente einzuführen und darin festzuhalten“ (KGA I/13.1, 96). Dieser „beziehungsweise Gegensaz“ (KGA I/13.1, 97) der Zustände vor und nach der Erlösung ist vor dem zeitgeschichtlichen Hintergrund des Gefühls der Gottverlorenheit auch als „Gefühl einer (fast vollständigen) Gottverlorenheit“ (und danach als „Gefühl der allmählichen Gottentdeckung“ als Bewusstsein der Entwicklung der Gnade) zu fassen, wenngleich für Schleiermacher eine vollständige Gottverlorenheit oder gar eine Gottlosigkeit kein „wesentliches menschliches Lebensmoment“ (KGA I/13.1, 209) sein kann, in der die Erfahrung einer gehemmten Leichtigkeit, die mit dem im Selbstbewusstsein mitgesetzten Gottesbewusstsein, in dem sich gleichursprünglich das belebende innerliche Abhängigkeits- und Freiheitsgefühl ausdrückt, verbunden ist. Dieses „Gefühl (i. S. eines bewussten Zustandes des Subjekts) der Gottverlorenheit“, das Schleiermacher als Sünde, Unlust bzw. Hemmung des Gottesbewusstseins fasst, kann in seiner methodischen und inhaltlichen Anlage der Glaubenslehre – auch hier wird ein orthodoxes Schema verlustfrei eingefügt – aus der Retrospektive von der Erfahrung der Gnade auf den Zustand der Sünde („Zurükksehn auf die Sünde“, CG2 § 63 KGA I/13.1, 396, 16) notiert werden. Zum Bewusstsein der Sünde kann es nur bei einem entwickelten Gottesbewusstsein kommen. Auch wenn die Trennung von Sünde und Gnade in der Darstellung „in keinem christlichen Bewußtsein gegeben [...], sondern nur der reineren Betrachtung wegen willkührlich gemacht wurde“ (CG2 § 64; KGA I/13.1, 398, 27–29) und deren gegensätzliche, aber nie getrennt vorkommenden Gefühlszustände von Unlust und Lust durch die erlösende Einwirkung des Stifters und Anfängers der christlichen Gemeinschaft aufgehoben werden, können sie sich im irdischen Leben der neuen religiösen Persönlichkeit niemals vollkommen auflösen. Der Zustand der Erlösung kann niemals vollkommen, sondern nur annäherungsweise als „Ahndung“ der „ihrer Natur nach absoluten und stetigen Kräftigkeit des Gottesbewusstseins“ (KGA I/13.1, 398) erreicht werden, wodurch die Differenz zwischen dem stets unvollkommenen Zustand des Glaubenden und dem sündlosen bzw. vollkommenen Erlöser niemals aufgehoben werden kann. Die Erlösung von der Sünde durch die Gnade beschreibt einen Übergang in einen Zustand der Seligkeit, der sich „in einem neuen göttlich gewirkten Gesammtleben“ (Leitsatz § 87; KGA I/13.2, 18) ausdrückt. Erlösung geschieht durch die Aufnahme des je einzelnen Gläubigen in die Kräftigkeit des Gottesbewusstseins des Erlösers (Leitsatz § 100; KGA I/13.2, 104; vgl. § 11; § 14), dessen Gottesbewusstsein in ungebrochener Kräftigkeit zu denken sei, der von Geburt an vollkommen und frei von Sünde ist und dessen

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ungehemmte Kräftigkeit des Gottesbewusstseins die mit dem Sein Gottes identische Kraft ist: „alle Thätigkeit des Erlösers [geht] von dem Sein Gottes in ihm aus“ (KGA I/13.2, 107). So ist die Tätigkeit des Erlösers nichts anderes als „die Fortsetzung der schöpferischen göttlichen Thätigkeit aus welcher auch die Person Christi entstand“ (KGA I/13.2, 107; vgl. CG2 § 94.2). Erlösungsbedürftigkeit und Erlöser schließen sich im Glauben zusammen.210 Mit seiner anthropologisch angelegten, auf metaphysische211 und kosmologische Spekulationen verzichtenden Christologie grenzt sich Schleiermacher von Kant ab, wenn er den Begriff des Urbilds nicht mehr als das Ideal moralischer Vollkommenheit, sondern als Urbild der Frömmigkeit versteht. Der eigentliche Gehalt der Urbildlichkeit ist das kontinuierliche und stets kräftige Gottesbewusstsein in Christus. „Von der Art, wie die Erlösung in die Seele aufgenommen wird“ (CG1 §§ 127–132) bzw. „Von der Art, wie sich die Gemeinschaft mit der Vollkommenheit und Seligkeit des Erlösers in der einzelnen Seele ausdrükkt“ (CG2 §§ 106–112), handeln die zentralen Einsichten der Erlösungsidee bei Schleiermacher, für die „das Aufgenommenwerden in die Lebensgemeinschaft mit Christo [...] als verändertes Verhältniß des Menschen zu Gott betrachtet“ wird und der dogmatische Begriff der „Wiedergeburt“ (CG2 § 107) den „Wendepunkt“ (CG2 § 106.2) und „Anfang eines zusammenhängenden Lebens“ (KGA I/13.2, 170) beschreibt. Der darauf folgende „Stand der Heiligung“ (CG2 § 110) ist ein „Fortschreiten“ in der Annäherung an die Gleichheit mit Christo, das nicht mehr durch die Kräfte der Sünde rückgängig gemacht werden kann (KGA I/13.2, 207) – zwar ist Sünde „Widerstreit des Fleisches gegen den Geist“ (CG2 § 66), aber sie ist nie ohne Geist, d. h. nie ohne auch nur ein latentes Gottesbewusstsein, da das göttliche Wohlgefallen als Glaube überwiegt, der verstanden wird als kontinuierliche Aneignung der Unsündlichkeit und Seligkeit Christi (CG1 § 130). – Die Gestalt des Christus kennt keine Sünde, da die Sünde für Schleiermacher nicht zum Wesen der menschlichen Natur gehört, sondern als Störung derselben zu begreifen sei (CG2 § 94 Leitsatz). Heiligung ist kein absoluter Neubeginn des Einzelnen, aber sie zielt auf „eine religiöse Persönlichkeit [...], welche er vorher nicht hatte“. Damit bleibt zwar eine Kontinuität der Person in dem alten und neuen Leben (CG2 § 106.1), aber auch eine Differenz der jeweils auch unterschiedenen einzelnen Christen und der ekklesiologischen Sozialgestalt dieser Lebensgemeinschaft zur Gestalt Christi vorhanden.212 C.-D. OSTHÖVENER 2017a, 358. Problematisch bleibt allerdings der Satz, „daß das ihm [Christus] einwohnende Gottesbewußtsein ein wahres Sein Gottes in ihm war“ (1. Auflage) bzw. ein „eigentliches Sein Gottes“ (2. Auflage), der sich durch die gesamte Glaubenslehre hindurchzieht, um die Kräftigkeit des Gottesbewusstseins des Erlösers und die damit verbundene schöpferische Kraft zu charakterisieren. 212 Vgl. zu Wiedergeburt und Heiligung (CG 2 §§ 107–112) jetzt die Studie von S. SCHMIDTKE 2015. 210 211

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(5) Die Schleiermacher zeitlebens beschäftigende Auseinandersetzung mit der Herrnhuter Jesusfrömmigkeit dient ihm als Basis für die pointiert christozentrische Fassung seines Christentumsverständnisses,213 die sich von seinen frühen Briefen (1787) und den Reden Über die Religion (1799) über das Gespräch Die Weihnachtsfeier (1805/06), seine Predigten (1790–1834) bis hin zu beiden Auflagen der Glaubenslehre (1821/22; 1830/31), beiden Sendschreiben an Lücke (1829) und seinen zur Dogmatik parallel entfalteten vier historischexegetischen Vorlesungen über Das Leben Jesu (seit dem Wintersemester 1819/20 bis zum Sommersemester 1832; SW I/6 [1864]; jetzt KGA II/15)214 nachverfolgen lässt. Wolfhart Pannenberg beurteilt die Entwicklung von Schleiermachers Religionsbegriff auf dem Weg von den Reden zur ersten Auflage der Glaubenslehre gar „als eine Rückkehr zu den pietistischen Anfängen Schleiermachers.“215 Die „gewaltige Aufgabe“216 einer umfassenden Darstellung der Christologie Schleiermachers kann hier nicht geleistet werden.217 Lediglich einige Grundlinien aus der zweiten Auflage der Glaubenslehre können hier knapp herausgestellt werden.218 Die Christologie hat ihren Ort innerhalb der Lehre von der Gnade („Des Gegensazes Andere Seite. Entwiklung des Bewußtseins der Gnade“; CG2 §§ 86–169) und wird der Grundform dogmatischer Sätze zugewiesen. Sie kommt in der Beschreibung menschlicher Lebenszustände zutage: „Von dem Zustande des Christen, so fern er sich der göttlichen Gnade bewußt ist“ (so lautet die Überschrift des Ersten Abschnitts vor CG2 § 91). Die Christologie ist als Gründung eines „Lebenszusammenhangs“ der Frommen mit Christus angelegt. An die Christologie als das erste Hauptstück (CG2 §§ 92–105: „Von Christo“) schließt sich die parallel verlaufende Soteriologie an. Sie beschreibt, wie sich die Gemeinschaft mit der Vollkommenheit und Seligkeit des Erlösers in der einzelnen Seele ausdrückt (CG2 §§ 106–112). Gegenstand der Christologie ist das Leben Christi im Ganzen, nicht bloß sein Tod am Kreuz. Die gesamte Wirksamkeit Christi, sein Leben, Wirken und Sterben, ist als Fortsetzung der schöpferischen göttlichen Tätigkeit, aus welcher auch die Person Christi entstand, zu verstehen. Das Medium, durch das Christus erlöst, ist nicht sein Opfertod. Schleiermacher nimmt seine frühe Verwer-

Vgl. U. BARTH 2004, 267. Vgl. hierzu H. PATSCH 2017, 329; 334–338; H. FISCHER 2001, 128–133 sowie jetzt die Einleitung des Bandherausgebers in KGA II/15. 215 W. PANNENBERG 1997, 77. 216 G. EBELING 1991, 125. 217 Vgl. aus der Fülle der Literatur dazu nur: C H. D ANZ 2013, 118–123 (dort ist weitere Sekundärliteratur verzeichnet); J. DIERKEN 1996, 378–398; G. EBELING 1991; H. GERDES (1960) 1974; E. HIRSCH 1968c; D. LANGE 1975; C.-D. OSTHÖVENER 1999 und 2017b, 365– 367. 218 Vgl. zu diesem Verfahren und zum Folgenden C H. D ANZ 2013, 118–123; G. EBELING 1991. 213 214

3.4 Auflösung des Gottesgedankens in den Christusglauben (Schleiermacher)

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fung der Sühnopfervorstellung aus der religiösen Krise nicht zurück, bewahrt aber sorgsam die dogmatische Tradition in seiner Dogmatik.219 Das Erlösungsmittel ist das in den Evangelien gezeichnete Bild des irdischen Jesus. Besonders das Johannesevangelium zeigt für Schleiermacher einen Menschen, der in unsündlicher Vollkommenheit die Kräftigkeit des Gottesbewusstseins bzw. seine Einheit mit dem Vater lebt (Joh 10,30), „von dem was Gott in ihm war“ (KGA III/2, 148) und „[w]ie alles aus demselben Grunde seines göttlichen Wesens herkam“ (KGA III/2, 152). Dieses Bild gewinnt Macht über die Herzen der Gläubigen und so springt die Kräftigkeit des Gottesbewusstseins, also die Überlegenheit des Gottesbewusstseins über das sinnlich-weltliche Bewusstsein, vom Erlöser auf die Frommen über. Die Christen leben nun in Christus und er in den Gläubigen (Gal 2,20).220 Je länger die Einwirkung dauert, desto stärker wirkt sie, denn das Ergriffensein durch Jesu Gottesbewusstsein setzt einen Prozess der Heiligung in Gang. Das unterstreicht Schleiermacher auch in seinen Predigten. Auch in seinen Predigten geht er vom gesamten Lebenszeugnis Jesu aus. Dem Eindruck, dass der historische Stifter des Christentums hier droht auf eine Bewusstseinstatsache reduziert zu werden, auf einen bloßen Ausdruck des christlichen Selbstbewusstseins, steht allerdings eine externe Einwirkung entgegen221: Die Wirkung von außen ist die Wirkung des Göttlichen in Christo (Joh 1,14). Leiden, Kreuz und Tod Christi sind für Schleiermacher aufgrund der altchristlichen dogmatischen Grundsatzentscheidung der Leidensunfähigkeit Gottes (Apathie) gegen die Häresie des Patripassianismus nicht zentral für das Versöhnungsgeschehen (KGA I/13.2, 88.89; 92.93). Schleiermacher will „nicht einmal vom Gekreuzigten Leiden aussagen [...], sondern [beschreibt] ihn als Triumphator über den Tod.“222 Diese johanneisch-erhabene „,Gemüthsstimmung‘“223 ist Jesus auch am Kreuz eigen, was auch der Blick in die zahlreichen Karfreitagspredigten Schleiermachers illustriert, auf die abschließend eingegangen wird. (6) Schleiermacher hat von seinem Ersten Examen 1790 bis kurz vor seinem Tod im Februar 1834 bei zahlreichen Gelegenheiten öffentlich gepredigt und eine Auswahl von Predigten zu seinen Lebzeiten in Buchform veröffentlicht.224 Vgl. C.-D. OSTHÖVENER 2017b, 366. Vgl. die Leitsätze der §§ 100 und 101. Z. B. in der Predigt über Röm 5,19 vom 5. April 1833 vormittags (KGA III/14, 161–174; 165). 221 So z. B. G. EBELING 1991, 127.128. 222 D. LANGE 2001b, II, 186; dagegen versteht Hayo Gerdes die „Passion Christi“ als „persönlich unmittelbarsten Ausdruck seiner Christusfrömmigkeit“ und „wesentliche[n] Ausdruck für Schleiermachers Grundverständnis des christlichen Gottesbewußtseins“ (H. GERDES [1960] 1974, 75; 78; vgl. 74–79). 223 So SW I/6, 451 zit. nach D. LANGE 2001b, II, 187, Anm. 90. 224 Vgl. zu den 1341 gesammelten Predigten Schleiermachers jetzt die III. Abteilung der KGA in 15 Bänden (zit. als KGA III mit Bandnummer im Haupttext) samt der Einleitungen der Bandherausgeber sowie einführend zur „Kanzelberedsamkeit“ K. NOWAK 2001, 390– 219 220

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3 Das Gefühl der Gottverlorenheit als Vorahnung des Todes Gottes

So veröffentliche der damalige Charité-Prediger bereits im Jahr 1801 eine erste Bestenauslese mit dem Band Predigten kurz nach dem Erscheinen seiner Reden Über die Religion (1799). Sie wurden „das extravagante Probierstück eines neuartigen Typs der religiösen Kommunikation“225 genannt, das er jedoch nicht weiterentwickelt hat. Stattdessen bog er „in die Richtung des Predigers der Kirche“ ab. Die Predigt setzt das christlich-fromme Selbstbewusstsein oder Gefühl beim Hörer voraus und entwickelt es weiter.226 Sie hat „einerseits eine argumentative Struktur [...], [zielt] andererseits aber auf die Erbauung [und Bildung; d. A.] des Hörers.“227 Predigt als „religiöse Rede im Gottesdienst“228 ist „Mittheilung des zum Gedanken gewordenen frommen Selbstbewußtseins.“229 Dogmatik (im heute verbreiteten Sinne also Systematische Theologie) als christliche Glaubenslehre und christliche Sittenlehre (KD2 § 223) ist der „wissenschaftliche Ausdrukk“ (KD2 § 209) „des zum Gedanken gewordenen frommen Selbstbewußtseins.“ Damit bringen Glaubenslehre und Predigt „denselben Gegenstand zur Darstellung, beide sind auf das von der Wirksamkeit des Erlösers ergriffene christliche Subjekt fokussiert.“230 So ist es auch in Schleiermachers Predigten zu beobachten: „Nahezu alle Gedanken, die er als Prediger vorträgt, lassen sich mit seiner Glaubens- und seiner Sittenlehre abgleichen.“231 Und umgekehrt finden fast alle dort formulierten Einsichten ihren Reflex in den Predigten.232 An Schleiermachers Predigten lassen sich seine theologischen Entwicklungen von der jugendlich-frischen romantischen Religionstheorie bis zur kirchlich-dogmatischen Theologie seiner Reifezeit nachempfinden. Daher können sie auch „als Einführung in seine Theologie“ gelesen werden, denn sie pointieren besonders oft seine theologischen Aussagen und 400; H. FISCHER 2001, 133–135; J. DIERKEN 2014a, 98–116 und R. PREUL 2017. Dort auch weiterführende Literatur und reichhaltiges Erschließungsmaterial zu den Werken Schleiermachers und der Forschung zu Schleiermachers Predigttätigkeit. Die von Schleiermacher selbst veröffentlichte Erste bis Siebente Sammlung der Predigten füllen KGA III/1 und III/2. 225 K. N OWAK 2001, 392. 226 Vgl. R. PREUL 2017, 417. 227 R. PREUL 2017, 418. 228 R. PREUL 2017, 415; zu Schleiermachers Verständnis des theologischen Ortes des Gottesdienstes vgl. E. JÜNGEL 2000, 330–350. 229 KD 2 § 280; KGA I/6, 425. 230 R. PREUL 2017, 418. 231 Die Christliche Sittenlehre als „Seitenstück“ (Pendant) der Glaubenslehre hat Schleiermacher nur als Vorlesung vorgetragen und trotz Publikationsplänen nicht mehr veröffentlichen können. Sie ist erst 1843 von seinem Schüler Ludwig Jonas herausgegeben worden (SW I/12). Schleiermachers Formulierung zur Zuordnung von Glaubens- und Sittenlehre lautet: „Die Formel der dogmatischen Aufgabe ist die Frage, Was muß sein, weil die religiöse Form des Selbstbewußtseins, der religiöse Gemüthszustand ist? Die Formel unserer ethischen Aufgabe ist die Frage, Was muß werden aus dem religiösen Selbstbewußtsein und durch dasselbe, weil das religiöse Selbstbewußtsein ist?“ (SW I/12, 23). 232 Vgl. R. PREUL 2017, 420.

3.4 Auflösung des Gottesgedankens in den Christusglauben (Schleiermacher)

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geben „seinen persönlichen Christusglauben hinter den wissenschaftlich abgewogenen und ausgefeilten Formulierungen zu erkennen.“233 Nach dem von Günter Meckenstock zusammengestellten Kalendarium (KGA III/1, 769–1034) hat Schleiermacher in den vierzig Jahren von 1793 bis 1833 (mit den wenigen Ausnahmen oder nicht nachweisbaren Anlässen in den Jahren 1803–1806; 1811; 1814) zu zweiundvierzig Anlässen am Karfreitag im (Vor- und/oder Nachmittags-)Gottesdienst, zu Andachten oder bei anderen Gelegenheiten wie Taufen gepredigt.234 Die meisten Karfreitagspredigten nehmen ihren Ausgang bei einer Bibelstelle. Aufgenommen in seine noch zu Lebzeiten in Buchform veröffentlichten sieben Sammlungen der Predigten von 1801 bis 1833 wurden fünf Karfreitagspredigten, die jeweils mit Überschriften versehen sind.235 Mit den Bänden der III. Abteilung: Predigten der Kritischen Gesamtausgabe liegen nunmehr neunundzwanzig Karfreitagspredigten (davon viele in Nachschriften) publiziert vor (KGA III/15, 45.46). Diese genauer unter die Lupe zu nehmen, wäre eine eigene lohnenswerte Aufgabe, die hier den Rahmen sprengen würde. Nun ist es so, dass Schleiermacher seinen dogmatischen Prinzipien in den Predigten treu bleibt.236 Das betrifft vor allem die Bestimmung aus § 11 der Glaubenslehre von 1830/31, wonach in der christlichen Glaubensweise „alles [...] bezogen wird auf die durch Jesum von Nazareth vollbrachte Erlösung“ (KGA I/13.1, 93) und es „keine andere Art an der christlichen Gemeinschaft Antheil zu erhalten [giebt], als durch den Glauben an Jesum als dem Erlöser“ (CG2 § 14. Leitsatz). Dem entspricht die christologische, soteriologische und ekklesiologische Konzentration der Predigten, „in denen der Sprechende Gemeinschaft mit den Mitchristen – und nur an sie richtet sich die Kanzelrede – R. PREUL 2017, 420 mit Hinweis auf E. HIRSCH 1968. Hierunter fällt auch seine Antrittspredigt (18. April 1794) in Landsberg an der Warthe (poln. Gorzów Wiekopolski). Jetzt in: KGA III/3, 98–115 (in zwei Manuskripten erhalten). 235 Es handelt sich dabei um die Predigt vom 22. März 1799 in der Hof- und Garnisonskirche zu Potsdam über Mk 15,24–41 mit dem Titel Einige Empfindungen des sterbenden Jesu, die auch wir uns für unsere lezten Augenblike wünschen sollen (KGA III/1, 39–52) aus der Ersten Sammlung (1801), die beiden Predigten vom 20. April 1821, die vom Nachmittag in der Dreifaltigkeitskirche zu Berlin über Lk 23,46 mit dem Titel Christi leztes Wort an seinen himmlischen Vater (KGA III/2, 147–155), abgedruckt in der Fünften Sammlung. Christliche Festpredigten. Erster Band (1826) vor der Predigt vom Vormittag des 16. April 1824 in der Dreifaltigkeitskirche zu Berlin über Hebr. 10,8–12 unter dem Titel Der Tod des Erlösers das Ende aller Opfer (KGA III/2, 156–170), und die vom Vormittag des 20. April 1821 in der Domkirche zu Berlin über Lk 23,44–49 mit dem Titel Betrachtung der Umstände welche die lezten Augenblicke des Erlösers begleiteten (KGA III/2, 594–603). Sie kommt nach der Karfreitagspredigt vom Nachmittag des 27. März 1812 in der Dreifaltigkeitskirche zu Berlin über Lk 23,33–34 mit dem Titel Über das Geheimniß der Erlösung in ihrem Verhältniß zur Sünde und Unwissenheit (KGA III/2, 583–593) in der Siebenten Sammlung (1833) Christliche Festpredigten. Zweiter Band zu stehen. 236 Vgl. R. PREUL 2017, 420.421. 233 234

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3 Das Gefühl der Gottverlorenheit als Vorahnung des Todes Gottes

herstellt.“237 Schleiermacher grenzt sich in der dogmatischen und homiletischen Durchführung seiner Christologie konsequent vom aufklärerischen Bild von Jesus als einem Lehrer der Sittlichkeit ab. Dem Theologen geht es nicht um moralische Besserung, sondern um Erlösung, Versöhnung und Seligkeit. Er verabschiedet zu diesem Zwecke zwar die herkömmliche orthodoxe Versöhnungslehre, aber dennoch lassen sich bei genauerer Betrachtung einige ihrer Aussagen über das Heilswerk Christi in seiner Deutung neu verarbeitet identifizieren. Das, was die göttliche Natur Jesu Christi genannt wird, besteht für Schleiermacher in der schlechthinnigen Kräftigkeit seines Gottesbewusstseins als einer Bestimmung seiner Menschlichkeit. „Ich und der Vater sind eins“ (Joh 10,30) kann als Schlüsselsatz von Schleiermachers Christologie gesehen werden.238 Diese umcodierende Verabschiedung der orthodoxen Versöhnungslehre zeigt exemplarisch die frühe „Predigt am Charfreitage“ Einige Empfindungen des sterbenden Jesu, die auch wir uns für unsere lezten Augenblike wünschen sollen (KGA III/1, 39–52) in der christlichen Versammlung zur „Todtenfeier des Heiligen“ (KGA III/1, 39),239 die sich ausdrücklich nicht „dogmatisch [...] auf den Gegenstand des Festes“ (KGA III/1, 6) bezieht – „alle diese besonderen Vorstellungen [...], die ein Jeder von gewißen eigenthümlichen Wohlthaten und Segnungen des Todes Jesu haben mag“ (KGA III/1, 39) –, sondern auf den Tod des Erlösers, „der Vollendung des Heiligen Gottes“ (KGA III/1, 40), der ebenso wie sein Leben ein Vorbild ist, dem alle Frommen in guten Werken (KGA III/1, 51) nachfolgen (vgl. KGA III/1, 40) und ähnlich werden sollen (KGA III/1, 51): Sterben lernen heißt Christus sterben sehen, „Zeugen seines Todes sein“ (KGA III/1, 50). Diesen zentralen Gedanken entfaltet Schleiermacher ausgehend von Mk 15,34–41 in drei Gedankenfolgen. Erstens im Blick auf das Ziel, dass alle Frommen sterben mögen mit demselben Schmerz über unvollendete Taten –, die sie in ihrem Leben hätten noch vollbringen können, wenn sie noch Gelegenheit dazu gehabt hätten –, „der sich in dem traurigen Seufzer des Erlösers: mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlaßen, so deutlich offenbart“ (KGA III/1, 41). Doch der Schmerz hat nicht das letzte Wort, sondern die göttliche Ruhe löst diesen auf. Gott werde auch ohne uns Wege und Mittel zum Guten finden. In seinem Ende müsse dem Frommen Gottes Gnade genügen. Auch im Blick auf das Unvollendete steht am Ende der Satz: „Es ist vollbracht“ (Joh 19,30). Zweitens im Blick auf eine Vergebungsbereitschaft denen gegenüber, die den „Verehrer[n] der Religion“ (KGA III/1, 52) Feindseligkeit entgegenbringen (Lk 23,34). Drittens malt Schleiermacher die Hoffnung vor Augen, dass niemand einen einsamen Tod sterben möge, sondern „so umgeben von liebenden und leidenden Freunden [sei], wie der ErK. NOWAK 2001, 393. So R. PREUL 2009, 178. 239 Vom Karfreitag (22. März 1799) in der Hof- und Garnisonskirche zu Potsdam. 237 238

3.4 Auflösung des Gottesgedankens in den Christusglauben (Schleiermacher)

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löser“ (KGA III/1, 47) am Kreuz (KGA III/1, 48). Schleiermacher spendet Zuversicht und umschifft durch seine auf das christliche Leben bezogene Deutung geschickt die dogmatischen Fahrwasser der Sühnopfervorstellung.240 Auch in späteren Karfreitagsfreitagspredigten im Amt des Berliner Universitätsprofessors und Gemeindepastors an der Dreifaltigkeitskirche verfährt er in seiner „Festbetrachtung“ (KGA III/13, 193) für die „hier versammelten Christen“ (KGA III/14, 162) auf diese Weise, auch wenn er die orthodoxen Vorstellungen („den Tod des Erlösers ansehen als das Ende aller Opfer“; KGA III/2, 157) oder Motive („Gehorsam bis zum Tode am Kreuz“; KGA III/14, 164; „de[r] Tod Christi [...] als die höchste Verherrlichung der Liebe Gottes zu uns“; KGA III/13, 193) fast verlustfrei anzitiert und wiederholt. Er will die „tiefe[] Bedeutung des Todes Christi für das Heil der Menschen“ (KGA III/2, 157) im gemeinsamen Hören des Wortes in „unserer gemeinsamen andächtigen Betrachtung“ (KGA III/2, 147) wachrufen und bei der je „heutigen Feier des Todes Christi uns aufs neue befestigen auf diesem Glaubensgrund unserer Kirche, daß [...] das vollkommene Opfer Christi einmal am Kreuze geschehen“ (KGA III/2, 161) ist. Auch das johanneische Jesusbild ist durchgehend leitend, insbesondere „dieses große Wort[] Es ist vollbracht“ (KGA III/2, 147) wird häufig zitiert, und das menschliche und göttliche Leben in der Person Christi immer zusammengesehen. Da Christus in den Gläubigen lebt (Gal 2,20), teilt Christus das geistige Leben mit, das der lebendige Glaube ist (vgl. KGA III/14, 165.166). Eigentliche Ursache des erlösenden Leidens Jesu (vgl. KGA III/2, 583–589) und des Todes des Erlösers ist die Sünde der Welt, „eine Macht gegen die Befolgung des göttlichen Willens“ von der im Erlöser selbst „nicht die leiseste Spur zu finden gewesen ist“ (KGA III/14, 166.167), der „sein ganzes Leben damit zugebracht das Verlorene zu suchen auf daß er es selig mache“ (KGA III/14, 172.173): „Christi Tod [ist] das höchste des Lebens, weil von ihm aus das Leben sich verbreitet, er ist seine Verklärung, weil darin der Gipfel ist seines vollkommenen Gehorsams; und darum ist der Erlöser am Kreuz die gemeinschaftliche Fahne der Christen, unter welche sie sich sammeln, und sie wird es bleiben bis ans Ende der Tage“ (KGA III/14, 173). Dadurch, dass der Erlöser auf Erden erschienen ist und „in seinem göttlichen Beruf auftrat“ (KGA III/2, 583), ist die Welt aus Unwissenheit und Finsternis geführt worden. Eine lebendige Erkenntnis Gottes ist nun möglich, auch wenn der Ewige Gott sich schon vorher den Menschen gezeigt habe und es auch dann unmöglich gewesen sei, „irgend etwas wahrhaft menschliches zu denken oder zu thun, ohne daß dabei das Bewußtsein des ewigen Wesens mit wirkte, so entschieden, daß dieses nie ganz kann verloren gegangen sein, weil sonst die menschliche Natur völlig hätte herabsinken müssen zur thierischen“ (KGA III/2, 589). In der vorchristlichen Zeit, und selbst im auserwählten Volk, habe der Mensch sich Gott nach seinem Bilde geschaffen (KGA III/2, 589). Doch seit „der Zeit des Er240

Vgl. auch KGA III/2, 156–170 und KGA III/2, 583–593.

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3 Das Gefühl der Gottverlorenheit als Vorahnung des Todes Gottes

lösers“ (KGA III/2, 590) sei die „Zeit der Unwissenheit [...] für alle Ewigkeit“ (KGA III/2, 590) vorüber, doch der „immerwährende Kampf der Diener des Herrn mit der Sünde der Welt“ gehe weiter, auch nachdem der Herr „den Grundstein gelegt hat zur Erlösung der Welt“ (KGA III/2, 590). Auch der „Haufe Kurzsichtiger“, „Verblendeter“, „Feigherziger“ und „Böser“ (KGA III/2, 590.591) ist „beschienen von dem Licht des Evangeliums“ und hat keine Entschuldigung mehr für sein Treiben. Das Wirklichwerden der Erlösung und des Guten sei, trotz aller Leiden, auch durch die Sünde Anderer, aufgrund den „ohnfehlbar öfter wiederkehrenden Augenblikken eines helleren Bewußtseins“ (KGA III/2, 591) nicht mehr von einer „allgemeine[n] traurige[n] Verfinsterung des menschliches Geistes“ (KGA III/2, 596) aufzuhalten. Die christliche Aufklärung über die Sünde durch den göttlichen Geist schreitet für Schleiermacher „allmählig“ (KGA III/2, 591) voran und hebt das Gefühl der Gottverlorenheit in den subjektiven Christusglauben vom „Reich Gottes auf Erden“ (SW I/12, 12–14) auf, der getragen ist im vom Erlöser gestifteten neuen Gesamtleben, das den Kampf gegen das „Gesammtleben der Sünde und der darin entwikkelten Unseligkeit“ aufnimmt (CG2 § 87).

3.5 Fazit und Ausblick: Bewusstseinswandel – Plausibilitätsverlust des (Mono-)Theismus und Beginn des christologischen Zeitalters des Christentums 3.5 Bewusstseinswandel

Schleiermachers theologische Neukonzeption bedeutet einen Wendepunkt in der Protestantischen Theologie. Er übernimmt die kantische Kritik in sein Denken, grenzt sich aber scharf von Kants Entwurf einer Moraltheologie auf Basis der praktischen Vernunft ab. Durch seine vermögenstheoretische Unterscheidung der drei „Provinzen im Gemüthe“ Metaphysik, Moral und Religion erliegt Schleiermacher auch nicht der Versuchung, Religion auf Moral zu gründen. Vielmehr sucht er die Errungenschaften der Aufklärung, denen er durchaus kritisch gegenübersteht, mit Grundeinsichten des romantisch-idealistischen Denkens kritisch zu vertiefen, ohne ihre Strittigkeit zu leugnen,241 um so die christliche Glaubenswelt in der Moderne plausibel darzustellen. Anders als sein Zeitgenosse Hegel verwendet Schleiermacher in den herangezogenen Texten nicht direkt die Formel vom Tode Gottes, auch das „lutherische Lied“ von Johann Rist taucht nicht in den von ihm verwendeten Liederverzeichnissen auf. Dennoch ist das religiöse Gefühl einer Gottverlorenheit auch ihm nicht unbekannt. Er kompensiert die Verlusterfahrung durch die Überzeugung, dass in Christus das vollkommene Bewusstsein der Einheit mit Gott herrscht und damit die göttliche Idee des Menschen als Urbild des Menschseins realisiert ist. 241

Vgl. F. SCHLEIERMACHER, KGA I/7, § 5.

3.5 Bewusstseinswandel

247

Er betrachtet zwar „das traurige und schmerzliche Schauspiel des Todes Christi“ und „die Umstände, von denen die lezten Augenblike des Erlösers begleitet waren“ (KGA III/2, 594.595), deutet aber dessen Tod im Lichte des neutestamentlichen Evangeliums als entscheidenden „Sieg des Lichts über die Finsterniß“ (KGA III/2, 597), denn „indem der Erlöser verschied“, brach die Sonne augenblicklich wieder hervor, die zuvor auf eine „ungewöhnliche Weise ihren Schein verlor“ (KGA III/2, 596). Nicht die Vision einer gottlosen Zeit treibt Schleiermacher um, sondern für ihn war vielmehr die Zeit gekommen, den verlorenen Gott neu zu sehen als eine Vorstellung davon, „wo Jeder in Christo freien Zutritt habe zu Gott, wo Alle Gläubigen Priester des Höchsten wären, Alle von Gott gelehrt und gegenseitig jeder des andern Diener in dem Herrn“ (KGA III/2, 598).242 Im Gehorsam bis zum Tode am Kreuz vollendet und erhöht sich Christus als „der Ort der vollen Gegenwart Gottes“ (KGA III/2, 598). Wie Blaise Pascal hebt Schleiermacher durch die Christus-Gestalt die Gottverlorenheit des Zeitalters auf, und zwar im Rückblick auf die Zeit seiner Menschwerdung. Erlösender Glaube als Aufgenommensein in die Kräftigkeit von Jesu Gottesbewusstsein und somit in das Sein Gottes in Jesus von Nazareth ist identisch über alle Zeiten „derselbe Eindrukk“ (CG2 § 14; KGA I/13.1, 117), d. h. der über den „Totaleindruk“ (CG1 119 Zusaz 3; KGA I/7.2, 62) im Gefühl vermittelte Zugang jedes einzelnen Gläubigen zu Jesus von Nazareth, nicht nur seiner Zeitgenossen, sondern auch der Gläubigen zu allen Zeiten, da Christus der Einzige ist, der Erlösung erwirken kann. Damit gewinnt die religiöse Bedeutung und Anschauung der Person Jesu Christi eine neue Dimension in Bezug auf seine individuelle Gestalt, an die die Gotteserkenntnis eng angeknüpft wird. Man kann die Moderne als „das christologische Zeitalter des Christentums“243 verstehen. In einer Zeit der Umbruchskrise und des religiösen und kulturellen Bewusstseinswandels sucht man Halt bei der Ursprungsgestalt des christlichen Glaubens, obwohl – oder gerade weil? – der „Plausibilitätsverlust der überlieferten Christologie“ zunimmt.244 Von einem „Untergang der Religion“ (KGA II/2, 190) kann in der Perspektive einer Theorie des religiösen Bewusstseins keine Rede sein. Dennoch muss dieses im 19. und 20. Jahrhundert im Neuprotestantismus einflussreiche Theologieverständnis Abstriche im Theo-logischen machen, die sich in den Reden Über die Religion abzeichnen mit der Relativierung des Gottesgedankens und sich fortsetzen im Aufgehen des Seins Gottes im Erlöser Christus. Das im Existenzial des schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühls mitgesetzte Gottesbewusst242 Vgl. KGA I/13.1, § 24 Leitsatz; ferner die Vierte Rede (vgl. etwa KGA I/2, 272), die als Brücke zwischen dem frühen religiösen Redner und dem späteren kirchlichen Dogmatiker dienen könnte (so jedenfalls der Vorschlag von C.-D. OSTHÖVENER 2017b, 382.383). 243 So D. K ORSCH 2020, 103. 244 C H. D ANZ 2013, 106. Die Gründe dafür sind freilich „vielschichtig“. Vgl. dazu C H. DANZ/M. MURRMANN-KAHL 2010.

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3 Das Gefühl der Gottverlorenheit als Vorahnung des Todes Gottes

sein (CG2 § 4.4.) zeigt an, dass „Gott als Grund des frommen Selbstbewußtseins [...] zugleich durch dieses, das zu Begründende, begründet“245 ist. Damit steht der Verdacht im Raum, dass Schleiermacher es nicht vermag, „das spezifisch Theologische adäquat zu fassen.“246 Die aus dem im Abhängigkeitsgefühl mitgegebenen Gottesbewusstsein entfaltete inhaltlich-dogmatische Gottesvorstellung könne nur als Ausdrucksphänomen des Abhängigkeitsgefühls begriffen werden (§ 51.1) und nicht als Aussage über den grundlosen „Gott an und für sich“ (§ 10 Zusaz; § 54 Zusaz). Auch die Aussagen über das Sein Gottes in Christo bleiben fragwürdig. Zwar ist in Christus „der einzige ursprüngliche Ort dafür [...], in welchem es ein eigentliches Sein Gottes giebt, sofern wir nämlich das Gottesbewußtsein in seinem Selbstbewußtsein als stetig und ausschließlich jeden Moment bestimmend, folglich diese vollkommene Einwohnung des höchsten Wesens als sein eigenthümliches Wesen und sein innerstes Selbst sezen“ (KGA I/13.2, 56). Damit unterscheidet sich das Sein Gottes in Christus, sein vollkommenes und urbildliches Gottesbewusstsein, vom unvollkommenen christlich-frommen Selbstbewusstsein durch die bleibende Differenz in der Kräftigkeit des Gottesbewusstseins, mit dem das Sein Gottes identifiziert wird. Aufgrund des Ausgangs beim frommen Selbstbewusstsein bleibt unklar, immanent-trinitarisch gesprochen, „aufgrund welcher Eigenstruktur Gott sich dazu bestimmt, in anderen zu sein.“247 So kann mit Recht gefolgert werden, dass „die christologische Spitzenformel ,Sein Gottes in Christo‘ eine bloße Metapher [ist], die dem mit ihr ausgesagten Bedeutungsgehalt nicht entspricht.“248 Der Verdacht bleibt bestehen, dass das mit der Kräftigkeit des Gottesbewusstseins identische Sein Gottes in Christo bloß „projizierter Ausdruck des Gottesbewusstseins“249 ist, was herabgestuft auch für das christlich-fromme Selbstbewusstsein gilt. Das Gottesbewusstsein Christi bleibt an die Grenzen des frommen Selbstbewusstseins gebunden, das sich wiederum jeglicher Überprüfbarkeit entzieht, „weil es als nicht begründbares Faktum sich selbst genügt.“250 Die Differenz zwischen subjektiven Gottesvorstellungen und objektivem Gottesgedanken wird aufgehoben.251 Das hätte zur Folge, dass die subjektive Gottesvorstellung als Ausdruck des frommen Selbstbewusstseins nicht nur der radikalen Religionskritik Tür und Tor öffne, sondern auch die Theologie in Abhängigkeit von der Frömmigkeit gerate,252 deren Aufgabe es eigentlich sein sollte, die Krise des religiösen Bewusstseins zu bearbeiten und diese nicht dadurch zu verschärfen, dass sie den Grund der göttlichen Ursprungsmacht F. WAGNER (1984) 2014, 273. Vgl. die Analyse von Falk Wagner auch im Folgenden. F. WAGNER (1984) 2014, 273. 247 F. W AGNER (1984) 2014, 276. 248 F. W AGNER (1984) 2014, 276. 249 F. W AGNER (1984) 2014, 276. 250 F. W AGNER (1984) 2014, 277. 251 Vgl. F. W AGNER (1984) 2014, 277. 252 Vgl. F. W AGNER (1984) 2014, 278.279. 245 246

3.5 Bewusstseinswandel

249

selber nicht begründen kann. So bleibt Hegels Kritik, dass der Gottesgedanke in Schleiermachers bewusstseinstheoretischem Ansatz verschwinde, eine bleibende Anfrage.253 Bei Schleiermacher ist Gott als Symbol „für das im Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit implizierte ,Woher‘“ (CG2 § 4.4) abhängig von dem Bewusstsein, das sich wiederum von Gott abhängig fühlt. Die mit dem philosophischen Gottesbegriff verbundene absolute Idee Gottes darf nicht abhängig von Anderem sein, sondern muss absolut selbstbezüglich sein. Doch ob der hier angedeutete ,Tod Gottes‘ wirklich durch eine andere Deutung als durch eine solche, die „im Banne des religiös-frommen Bewußtseins“254 steht, nämlich als eine, die den Gottesgedanken theologisch begründen kann, überwunden werden kann, sei an dieser Stelle dahingestellt.255 Dass sie jedoch den in der ökonomisch gestimmten bürgerlichen Gesellschaft maßgeblichen Trend zu einem gelebten Atheismus nicht aufhalten konnte, ist evident.

Vgl. Abschnitt 5.1 in diesem Buch. F. WAGNER (1984) 2014. 255 Vgl. dazu Abschnitt 7.3.2 in diesem Buch. 253 254



4 Das Erlebnis des Todes Gottes als Ausdruck eines Erfahrungswandels (Literarische Deutungsvarianten) Literarische Deutungsvarianten Es ist übrigens nicht schwer zu sehen, daß unsere Zeit eine Zeit der Geburt und des Übergangs zu einer neuen Periode ist. Der Geist hat mit der bisherigen Welt seines Daseins und Vorstellens gebrochen, und steht im Begriffe, es in die Vergangenheit hinab zu versenken, und in der Arbeit seiner Umgestaltung.1

Es gibt keinen Gott.2

Das 18. und 19. Jahrhundert sind das Zeitalter der Revolutionen.3 In den wenigen Jahrzehnten der „Sattelzeit“ (Reinhart Koselleck) von 1750 bis 1850 wird aus unterschiedlichen Perspektiven ein beschleunigter „Erfahrungswandel“4 wahrgenommen und artikuliert.5 Die Zeitgenossen nehmen an der Jahrhundertwende „die in immer kürzeren Zeitabständen sich ereignenden Wechselfälle in der Folge von Kriegen, politischen und technisch-industriellen Revolutionen als Daten eines welthistorischen Epochenwandels wahr.“6 Die industrielle und politische „Doppelrevolution“ (Eric J. Hobsbawm) setzt ihre unumkehrbaren Zeichen des Fortschritts insbesondere mit der „physischen Verwandlung des Planeten [durch] die Industrie.“7 Mit der Erfindung der Eisenbahn und Dampfschiffe als „de[n] neuartigen Bewegungsmaschine[n] ereignet sich eine ganz andere Revolution als Vorahnung eines ganz anderen Sieges – dem über die Begrenzungen des natürlichen Raums und der natürlichen Zeit durch einen technischen Apparat, in dem sich prometheischer Erfindergeist und menschG. W. F. HEGEL 1988, 9.10 (GW 9, 14). G. BÜCHNER, Dantons Tod, 3. Akt (1835). Vgl. zu Georg Büchner B. HILLEBRAND 1991, 37–52. 3 Vgl. zu den Revolutionen J. O STERHAMMEL 2009, 736–817; zum theologischen Umgang mit den Umbrüchen vgl. die Artikel in: D. WHISTLER 2018. 4 G. G ROSSKLAUS 2013, 11. 5 Vgl. zur Perspektivenvielfalt J. O STERHAMMEL 2009, 13–22; 102–116. 6 G. G ROSSKLAUS 2013, 11. 7 J. O STERHAMMEL 2009, 909; vgl. auch a. a. O., 909–1009. 1 2

Literarische Deutungsvarianten

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liche Arbeit objektivieren.“8 In dieser Zeit des Wandels ist es Heinrich Heine, der bereits 1826 den Begriff der ,Modernität‘ prägt und im heutigen Sinne verwendet.9 Unter anderem „bezeichnet der Begriff jene schmerzhaften Verlusterfahrungen, die die Menschen im Sog beschleunigter Untergänge ihrer Lebensweisen machen mussten“, die mit den „plötzlichen und gewaltsamen Einbrüchen des Neuen“10 verbunden sind. Dieses führt auch zu einer Produktionssteigerung der Selbstbeobachtungen und Selbstbeschreibungen im Vergleich zu früheren Zeiten. Die Umwälzungen bringen neuartige Verhältnisse und damit auch neuartige Themen für die Literatur hervor11: „Bevor es die wissenschaftliche Disziplin der Soziologie gab (Auguste Comte prägte diese Bezeichnung 1838), waren die Dichter die wahren Spezialisten für das Gesellschaftliche, und sie standen auch später in produktivem Wettbewerb mit den Soziologen.“12 So gehören beispielsweise die Schriftsteller des „Literarischen Realismus“ (u. a. Henry James, Charles Dickens, Gustave Flaubert, Émile Zola, Ivan Turgenev, F. M. Dostoevskij, Lev Tolstoj und Theodor Fontane) zu den „Zeugen der Gesellschafts-, Geselligkeits- und Mentalitätsgeschichte des Jahrhunderts.“13 Den „Nihilismus des Gemüts und des Glaubens“ als „fundamentale Existenzerfahrung“ in der Folge der Französischen Revolution und der Destruktion der traditionellen Metaphysik durch Kant bemerkten die Dichter der deutschen Romantik als erste. Sie standen „dem akuten Auslöser dieser ebenso metaphysischen wie existentiellen Erfahrung am nächsten, dem philosophischen Idealismus.“ Doch dessen „absolut gedachte[r] Sinnhorizont“ brach in sich zusammen, „alles war ins Wanken geraten.“14 Das sich verändernde Lebensgefühl spiegelt sich im „poetischen Nihilismus“ (Jean Paul) der Frühromantik.15 Mit dem Erscheinen der Nachtwachen von Bonaventura wird 1804 literarisch der Höhepunkt der „Inszenierung des Nihilismus“ erreicht.16 Karl Immermann (1796–1840) erzählt in seinem zwischen 1823 und 1835 verfass-

G. GROSSKLAUS 2013, 12; vgl. J. OSTERHAMMEL 2009, 1010–1029. Und damit noch bevor Charles Baudelaire Modernität nach 1849 zum Programmwort einer neuen Ästhetik erhoben hat. Vgl. G. GROSSKLAUS 2013, 7; 276, Anm. 52. 10 G. G ROSSKLAUS 2013, 7. 11 Vgl. J. O STERHAMMEL 2009, 45. 12 J. O STERHAMMEL 2009, 48. Vgl. a. a. O., 55–57. 13 J. O STERHAMMEL 2009, 48. 14 B. H ILLEBRAND 1991, 3. 15 Erstmals war der Begriff 1799 in einem Brief Jacobis an Fichte aufgetaucht, der die Begriffe „Idealismus – Atheismus – Nihilismus“ ineinander rückte (Vgl. B. HILLEBRAND 1991, 11; J. PAUL, SW I/5, 31–34 [„§ 2 Poetische Nihilisten“]; D. ARENDT 1974, 6.10; 351: „Nihilismus [...] ist die umgekehrte Seite des Idealismus“; vgl. dazu W. MÜLLER-LAUTER 1975 sowie C. STRUBE 1994, 524–526). Vgl. hierzu einschlägig D. ARENDT 1972a.b. Vgl. darin bes. die Interpretation von Ludwig Tiecks Briefroman William Lovell (D. ARENDT 1972b, 317–385); vgl. auch B. HILLEBRAND 1991, 18–36 und M. RIEDEL 1978. 16 B. H ILLEBRAND 1991, 31. 8 9

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ten Roman Die Epigonen (1836)17 die Geschichte der um 1800 geborenen Generation, die nach Freiheitskriegen und Wartburgfest desillusioniert und nihilistisch gestimmt ist. In seinem Roman Die Europamüden (1838) greift der Pfarrerssohn Ernst Willkomm (1810–1886) eine 1828 geprägte Wendung aus den Reisebildern von Heinrich Heine auf18 und zeichnet ein „modernes Lebensbild“, in dem „die Erfahrung des ,Nichts‘ in den Willen zur Zerstörung um[schlägt] […]. Der Verkündigung, daß Gott tot sei, folgt die Botschaft vom Tatmenschen, der sich an die Stelle Gottes setzt und zur schöpferischen Zerstörung fortschreitet“19: „In geistigem Todtschlage liegt die neue Zeugung.“20 In den folgenden Kapiteln kommen exemplarisch mit Jean Paul, Heinrich Heine und Herman Melville zunächst jene Schriftsteller in den Blick, die „jenes kollektive Bewusstsein, sich auf der Schwelle zu einer neuen Welt zu befinden“21 in ihren jeweiligen kulturgeographischen Kontexten, in Deutschland, England, Frankreich und den Vereinigten Staaten von Amerika als Zeitzeugen der fundamentalen „Verwandlung der Welt“ (Jürgen Osterhammel) artikuliert haben und diese für weite Teile des 19. Jahrhunderts literarisch widerspiegeln und dabei auf religiöse Deutungsmuster zurückgreifen und sie mit dem neuen säkularen Diskurs verschränken. Die „Mythologie der entgötterten Welt“ zieht sich als literarisches Thema von der Aufklärung bis zur Gegenwart.22 Die damit verbundenen Gefühle changieren zwischen Bedrückung über den „leeren Himmel“ und Erleichterung wie Befreiung.23 Im Roman zeigt sich „das Spiegelbild einer Welt, die aus den Fugen geraten ist.“24 Georg Lukács prägt dafür in seiner Theorie des Romans (1916; 1920) den Ausdruck der „transzendentalen Obdachlosigkeit“25 bzw. der „transzendentalen Heimatlosigkeit“26 als „Verlassenheit der Welt von Gott“27, sieht darin „das Apriori der Moderne“28 und veranschaulicht dieses mit seiner Deutung von Miguel de Cervantes (1547–1616) Roman Don Quixote (I: 1605; II: 1615), der „am Anfang der Zeit [steht], wo der Gott des Christentums die Welt zu verlassen beginnt; wo der Mensch

K. IMMERMANN 2019. Vgl. H. HEINE, HHW 2, 485. 19 M. R IEDEL 1978, 391. 20 E. W ILLKOMM 1838, 176. Zur Motivgeschichte des Gottesattentats vgl. F. R EITINGER 1997. Für diesen Hinweis danke ich Martin Leutzsch. 21 G. G ROSSKLAUS 2013, 12. 22 Vgl. zur literarischen Bearbeitung der Erfahrung, dass die den Sinn verbürgenden Götter aus der Welt entschwunden sind, die einschlägige literaturhistorische Studie von K. S. GUTHKE 1971. Für diesen Hinweis danke ich Martin Leutzsch. 23 Vgl. K. S. G UTHKE 1971, 10. 24 G. LUKÁCS (1916; 1920) 2009, 12 (Vorwort 1962). 25 G. LUKÁCS (1916; 1920) 2009, (24.25) 30. 26 G. LUKÁCS (1916; 1920) 2009, (52) 47. 27 G. LUKÁCS (1916; 1920) 2009, (96) 73. 28 Vgl. A. O ESTERHELT 2021, 135 (bes. 134–136) mit Bezug auf Georg Lukács. 17 18

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einsam wird und nur in seiner, nirgends beheimateten Seele den Sinn und die Substanz zu finden vermag; wo die Welt [...] ihrer immanenten Sinnlosigkeit preisgegeben wird [...].“29 Die „[n]achmetaphysische Wohnungsnot“30 nach den Verlusten der Katastrophe des Ersten Weltkriegs wiegt schwer: „Das Wissen um die Heimatlosigkeit vermag selbst keine Heimat zu geben.“31 So werden „in der Epoche, die den Tod Gottes ausruft“ in Analogie zu der christlichen Heimatlosigkeit aller Menschen, die zu Gott heimkehren wollen, „alle wieder zu Heimatlosen.“ Ohne Hoffnung auf „metaphysische Erfüllung ihres Heimatbedürfnisses.“32 Der abschließende Sprung von den großen Sprachkunstwerken des 19. Jahrhunderts hin zu der in Trümmern liegenden Sprache in der deutschen Nachkriegszeit ist literaturgeschichtlich auch eine Entwicklung vom Roman zur Short Story, in diesem Fall zur kleinen Form der Kurzgeschichte Das Begräbnis von Wolfdietrich Schnurre, in dem sich die Verwandlung der Welt nun nach den Schreckenserfahrungen der beiden Weltkriegen und des Holocaust literarisch widerspiegelt. Gleichzeitig zeigt sich im Rückblick die atheistische und nihilistische Schreckensvision von Jean Paul als fiktionales Vorspiel zum 20. Jahrhundert, das nun greifbare Realität geworden ist. Gemeinsam ist ihnen, dass sie in Form von literarischen Texte ihre je spezifischen Wahrnehmungen von Krisenzeiten verarbeiten, bewusst oder unbewusst, während oder nach der Krisenzeit, und damit in „Schriftform [...] ein Bild, eine Konstruktion der Krisensituation“33 vorlegen. Das „moderne Lebensgefühl“, der „praktische Atheismus“ und die Erfahrung des Todes Gottes, „artikulier[en] sich besonders deutlich in der modernen Dichtung.“34

G. LUKÁCS (1916; 1920) 2009, (105) 78. Zeichensetzung wie im Original. A. BEELMANN 2014, 555–557; vgl. auch B. HILLEBRAND 1991, 6. 31 A. B EELMANN 2014, 559. 32 A. O ESTERHELT 2021, 563. 33 H. SCHOLTEN 2007b, 7. 34 H. G. PÖHLMANN 1975, 103. Vgl. Samuel Becketts Warten auf Godot (En attendent Godot; Waiting for Godot, 1952). Einige „Zeugen der Abwesenheit Gottes“ (Françoise Sagan, Samuel Beckett, Albert Camus) in der Literatur macht ausfindig K. H. MISKOTTE (1956) 1963, 33–37. L. MCCULLOUGH 2018 zeigt, dass der Gottesbegriff im langen 19. Jahrhundert wiedererfunden, transformiert und pervertiert worden ist. Paradoxerweise „rettete“ so das 19. Jahrhundert Gott vor seinem Tod, indem es intensiv (sie verweist nicht nur auf Hegel und Nietzsche) den Tod Gottes in der Poesie (W. Blake), im Roman (F. M. Dostoevskij), in der Musik (H. Berlioz), in der Philosophie (M. Maimonides; F. W. J. Schelling), Historiographie (F. Overbeck) und im politischen Atheismus (M. Stirner; M. A. Bakunin) zu denken unternahm. Denn das 19. Jahrhundert habe Gott nicht getötet, sein Tod habe sich bereits im mittelalterlichen Nominalismus des 13. Jahrhunderts ereignet; seit dem sei er bereits unterwegs (vgl. a. a. O., 8). 29 30

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4.1 „... daß kein Gott sei“: Die Traumvision vom toten Christus als Dekonstruktion des christlichen Diskurses (Jean Paul) 4.1 „... daß kein Gott sei“ (Jean Paul)

(1) Die Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, daß kein Gott sei35 bildet in dichterischen Worten den „dramatische[n] Höhepunkt“36 der Bewusstseinslage der Zeit. Sie ist noch eine „Art [nur geträumte] Vorübung“, „ein Experiment des Als-ob in heuristischer Absicht“ zur neuzeitlichen Bewusstwerdung der Idee des Todes Gottes.37 Am 10. November 1793 wurde in der Kathedrale Notre-Dame de Paris auf dem Hochaltar die „Göttin der Vernunft“ auf den Thron gehoben. In England verfasste William Blake (1757– 1827) seine Gedichte über den Tod Gottes in Jesus und identifizierte Gott mit dem Satan. In Frankreich begannen Baron Paul-Henry Thiry d’Holbach, Pierre Bayle und Julien Offray de La Mettrie ihre atheistischen Gedanken zu veröffentlichen. Die politischen Revolutionen in den englischen Kolonien Nordamerikas (1776) und insbesondere in Frankreich (1789) sowie die Industrielle Revolution in England begannen Europa zu prägen,38 als der frühromantische39 Dichter und Pfarrerssohn Paul Friedrich Richter (1762–1825), besser bekannt als Jean Paul, 1796 einen Traum vom Tod Gottes des Vaters als einen Abschnitt seines humoristischen Romans Siebenkäs veröffentlichte.40 Er konstruierte diese Passage in der fiktiven Form eines (Alb-)Traums, in dem der tote Christus selber die Botschaft des Atheismus als eine Schreckensnachricht in der Stunde des Jüngsten Gerichts verkündet: „Es ist kein Gott!“ Damit machte dieser aus seinem Kontext herausgelöste Text zugleich auf das Grauen der JEAN PAUL, SW I/2, 270–275. CH. DANZ/G. ESSEN 2012, 2; 225. 37 Vgl. zu dieser Deutung, dass im Gegenbild des Atheismus studiert werde, was Gott bedeutet: H. THIELICKE 1968, 331–343; B. HILLEBRAND 1991, 27–31; bes. 30: „Getarnt als Angsttraum bewahrt sich das Wissen des Unterbewußten vor dem akuten Eingeständnis. Aber Jean Paul wußte, wovon er sprach, nämlich gezielt und wörtlich vom Nihilismus.“ 38 Vgl. auch zur weiteren Kontextualisierung in den Zusammenhang von globalen Ereignissen J. OSTERHAMMEL 2009, 84–128. 39 A. M EIER 2008, 383–409 bezeichnet Jean Paul mit Heinrich von Kleist und Hölderlin als „Problemfälle“ der Epochen-Zuordnung. 40 Zur Interpretation vgl. G. M ÜLLER, 1999. Der Text als „Schilderung des Atheismus“ hat verschiedene Vorfassungen und geht auf die sagenhafte Überlieferung einer Teufelsmesse zurück (vgl. dazu G. MÜLLER 1999, 35). Aus diesem Rahmen einer Totenversammlung entstand 1789 ein Text mit dem Titel „Des todten Shakespear’s Klage unter den todten Zuhörern in der Kirche, daß kein Gott sei“ („Übung im Experimentalnihilismus“). Ende 1795 wurde Christus selbst der Prediger des Dysangeliums (a. a. O., 36). Damit erfolgte eine theologische Rochade. Jean Paul ging es nicht nur um Bekehrung von Atheisten. Es ging ihm auch um die Vertreibung des eigenen Skeptizismus (a. a. O., 36) sowie um die Auseinandersetzung mit der Neologie (a. a. O., 37) und deren Preisgabe fundamentaler Glaubenslehren, die die Neologie als einzigen Weg der Vereinbarung von christlicher Religion mit aufgeklärtem Denken ansah. 35 36

4.1 „... daß kein Gott sei“ (Jean Paul)

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Sinnlosigkeit des Daseins angesichts der unendlichen Einsamkeit nach dem Tod des Menschen aufmerksam. Der Tod Gottes des Vaters bedeutet, dass die Welt ihren Sinn verliert, da es für den Menschen keine orientierende Richtung mehr gibt und keinen Adressaten für sein Gebet. Die Rede will mit den Mitteln erhabener Poesie „Schrecken erregen, um die philosophischen Atheisten – und sich selbst – heftig zu rühren und zu erschüttern.“41 Mit diesem literarischen Text malte Jean Paul die Wahrheit einer gottlosen Welt vor Augen und wirkte durch seine Experimente mit dem absoluten Nichts auf den romantischen Nihilismus der Moderne ein.42 Der tote Christus selber malt in seiner Rede die Konsequenzen für das Dasein der Menschen aus: G. MÜLLER 1999, 47. Vgl. D. ARENDT 1972a, 8–50. Spuren des romantischen Nihilismus finden sich u. a. deutlich in Anspielung auf Jean Paul bei Bonaventura (Der anonyme Verfasser ist bis heute unbekannt; Jean Paul nahm an, dass die Schrift von Schelling stammte; vermutlich geht der Text auf Ernst August Friedrich Klingemann [1771–1831] zurück; Thielicke geht von Friedrich Gottlieb Wetzel als Verfasser aus: H. THIELICKE 1968, 343–350; Dorothee Sölles literaturwissenschaftliche Dissertation von 1954 zu den Nachtwachen [D. SÖLLE-NIPPERDEY 1959] findet bei Thielicke keine Erwähnung; vgl. auch D. ARENDT 1972b, 483–536) in den Nachtwachen (1804; BONAVENTURA 1986), bei Jens Peter Jacobsen, Adalbert Stifter, Gottfried Keller, Friedrich Schlegel, Heinrich Heine, Artur Schopenhauer und Friedrich Nietzsche sowie bei Fëdor M. Dostoevskij. Vgl. zur Nihilismus- und Atheismusthematik, neben dem Poem Der Großinquisitor innerhalb seines letzten Romans Die Brüder Karamasov, die Figur des Ivan Karamasov sowie bereits in Die Dämonen (Besy) die Figur des Kirillov, der von der religiösen Idee besessen ist, mit seinem eigenen Suizid die Nichtexistenz Gottes (des Gottmenschen) beweisen zu wollen, um die Menschheit von dieser Illusion zu befreien und selbst Gott (Menschen-Gott) zu werden. Aus diesem Grund wurde in verschiedenen Zuschreibungen versucht, ihn als „Gottesattentäter“, „Gottesleugner“, „Nihilist“ und „Atheist“ eindeutig zu fassen. Vgl. die Passage aus F. M. DOSTOJEWSKIJ 1977, 134.135: „Das Leben ist Schmerz, das Leben ist Angst, und der Mensch ist unglücklich. Jetzt ist alles Schmerz und Angst. Jetzt liebt der Mensch das Leben, weil er Schmerz und Angst liebt. Und so hat man es gemacht. Das Leben wird jetzt für Angst und Schmerz gegeben, und hierin liegt der ganze Betrug. Jetzt ist der Mensch noch nicht jener Mensch. Es wird einen neuen Menschen geben, einen glücklichen und stolzen. Wem es ganz einerlei sein wird, ob er lebt oder nicht, der wird ein neuer Mensch sein. Wer Schmerz und Angst überwindet, wird selber ein Gott sein. Aber jener Gott wird nicht sein.“ Ferner auch die Auseinandersetzung in Die Brüder Karamasov mit dem Satz: „Wenn Gott nicht existiert, ist alles erlaubt.“ (Für JeanPaul Sartre ist dieser Satz der Ausgangspunkt des Existentialismus. Vgl. J.-P. SARTRE 2012, 154.155; vgl. auch A. CAMUS 1959, 9, für den der Selbstmord das einzig wirklich ernste philosophische Problem ist. Zu Kirillov vgl. a. a. O. 87–93; ferner bereits zur „Logik des Atheismus“ [„keine größere Idee als die Leugnung Gottes“] F. NIETZSCHE, N 1887/1888 11[334], KSA 13, 143.144). Zur Interpretation vgl. die Studie von W. REHM (1947) 1962 und M. SCHULT 2000, die den methodischen Fehler theologischer Interpretationen im Zugang zur Idee Kirillovs aufdeckt: „Die Figur wird aus ihrer fiktiven Welt herausgerissen und auf ihre Idee reduziert“ (a. a. O., 16). Sie kommt daher zu dem Schluss: „Dostoevskij hat uns mit Kirillov eine Figur geschenkt, die die verzweifelte Suche nach Eindeutigkeit aufzeigt – und sich selbst gegen eindeutige Zuschreibungen sperrt. Eine Figur, die uns mahnt, das 41 42

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[...] Ich suchte im ausgeleerten Nachthimmel die Sonne, weil ich glaubte, eine Sonnenfinsternis verhülle sie mit dem Mond. Alle Gräber waren aufgetan [...]. Oben am Kirchengewölbe stand das Ziffernblatt der Ewigkeit, auf dem keine Zahl erschien und das sein eigner Zeiger war; nur ein schwarzer Zeiger zeigte darauf, und die Toten wollten die Zeit darauf sehen. Jetzo sank eine hohe edle Gestalt mit einem unvergänglichen Schmerz aus der Höhe auf den Altar hernieder und alle Toten riefen: „Christus! ist kein Gott?“ Er antwortete: „Es ist keiner.“ [...] „Ich ging durch die Welten, ich stieg in die Sonnen und flog mit den Milchstraßen durch die Wüsten des Himmels; aber es ist kein Gott. Ich stieg herab, soweit das Sein seine Schatten wirft, und schauete in den Abgrund und rief: ,Vater, wo bist du?‘ aber ich hörte nur den ewigen Sturm, den niemand regiert, und der schimmernde Regenbogen aus Wesen stand ohne eine Sonne, die ihn schuf, über dem Abgrunde und tropfte hinunter. Und als ich aufblickte zur unermesslichen Welt nach dem göttlichen Auge, starrte sie mich mit einer leeren bodenlosen Augenhöhle an; und die Ewigkeit lag auf dem Chaos und zernagte es und wiederkäuete sich. – Schreiet fort, Mistöne, zerschreiet die Schatten; denn Er ist nicht!“ [...] Da kamen, schrecklich für das Herz, die gestorbenen Kinder, die im Gottesacker erwacht waren, in den Tempel und warfen sich vor die hohe Gestalt am Altare und sagten: „Jesus! haben wir keinen Vater?“ – Und er antwortete mit strömenden Thränen: „wir sind alle Waisen, ich und ihr, wir sind ohne Vater.“ Da kreischten die Mißtöne heftiger – die zitternden Tempelmauern rückten auseinander – und der Tempel und die Kinder sanken unter – und die ganze Erde und die Sonne sanken nach – und das ganze Weltgebäude sank mit seiner Unermeßlichkeit vor uns vorbei – und oben am Gipfel der unermeßlichen Natur stand Christus und schauete auf das mit tausend Sonnen durchbrochene Weltgebäude herab, gleichsam in das in die ewige Nacht gewühlte Bergwerk, indem die Sonnen wie Grubenlichter und die Milchstraßen wie Silberadern gehen. Und [...] Christus [...] sagte: „Starres, stummes Nichts! Kalte, ewige Notwendigkeit! Wahnsinniger Zufall! Kennt ihr das unter euch? Wann zerschlagt ihr das Gebäude und mich? – Zufall, weißt du selber, wenn du mit Orkanen durch das Sternen-Schneegestöber schreitest und eine Sonne um die andere auswehest, und wenn der funkelnde Tau der Gestirne ausblinkt, indem du vorübergehest? – Wie ist jeder so allein in der weiten Leichengruft des Alls! Ich bin nur neben mir – O Vater! o Vater! wo ist deine unendliche Brust, daß ich an ihr ruhe? – Ach, wenn jedes Ich sein eigener Vater und Schöpfer ist, warum kann es nicht auch sein eigener Würgeengel sein?..... Ist das neben mir noch ein Mensch? Du Armer! Euer kleines Leben ist der Seufzer der Natur oder nur sein Echo – ein Hohlspiegel wirft seine Strahlen in die Staubwolken aus Totenasche auf euere Erde hinab, und dann entsteht ihr bewölkten, wankenden Bilder. – Schaue hinunter in den Abgrund, über welchen Aschenwolken ziehen – Nebel voll Welten steigen aus dem Totenmeer, die Zukunft ist ein steigender Nebel, und die Gegenwart ist der fallende. Erkennst du deine Erde?“ Hier schauete Christus hinab, und sein Auge wurde voll Tränen, und er sagte: „Ach, ich war sonst auf ihr: da war ich noch glücklich, da hatt’ ich noch meinen unendlichen Vater und blickte noch froh von den Bergen in den unermeßlichen Himmel und drückte die

unperfekte Leben zu bejahen, ja vielleicht zu begreifen, daß das angefochtene Leben letztlich das reichere ist“ (a. a. O., 28); vgl. auch M. SCHULT 2005 sowie grundlegend M. SCHULT 2012; zum Nihilismus-Begriff vgl. W. MÜLLER-LAUTER 1984; H.-J. GAWOLL 1989 und speziell zum Nihilismus-Begriff in Russland W. GOERDT 1984; ferner C. STRUBE 1994, 529–531; zu Gottfried Keller vgl. U. AMREIN 2002.

4.1 „... daß kein Gott sei“ (Jean Paul)

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durchstochne Brust an sein linderndes Bild und sagte nach im herben Tode: ,Vater, ziehe deinen Sohn aus der blutenden Hülle und heb’ ihn an dein Herz!‘ ... Ach ihr überglücklichen Erdenbewohner, ihr glaubt Ihn noch. Vielleicht gehet jetzt euere Sonne unter, und ihr fallet unter Blüten, Glanz und Tränen auf die Knie und hebet die seligen Hände empor und rufet unter tausend Freudentränen zum aufgeschlossenen Himmel hinauf: ,Auch mich kennst du, Unendlicher, und alle meine Wunden, und nach dem Tode empfängst du mich und schließest sie alle.‘ ... Ihr Unglücklichen, nach dem Tode werden sie nicht geschlossen. Wenn der Jammervolle sich mit wundem Rücken in die Erde legt, um einem schönern Morgen voll Wahrheit, voll Tugend und Freude entgegenzuschlummern: so erwacht er im stürmischen Chaos, in der ewigen Mitternacht – und es kommt kein Morgen und keine heilende Hand und kein unendlicher Vater! – Sterblicher neben mir, wenn du noch lebest, so bete Ihn an: sonst hast du Ihn auf ewig verloren.“ Und als ich niederfiel und ins leuchtende Weltgebäude blickte: sah ich die emporgehobenen Ringe der Riesenschlange der Ewigkeit, die sich um das Welten-All gelagert hatte – und die Ringe fielen nieder, und sie umfaßte das All doppelt – dann wand sie sich tausendfach um die Natur – und quetschte die Welten aneinander – und drückte zermalmend den unendlichen Tempel zu einer Gottesacker-Kirche zusammen – und alles wurde eng, düster, bang – und ein unermeßlich ausgedehnter Glockenhammer sollte die letzte Stunde der Zeit schlagen und das Weltgebäude zersplittern ....43

Doch bleibt diese Vision am Ende „bloß“ ein (Alb-)Traum, denn die erlösende Rettung naht: Der Träumende, der die Schrecken einer Welt ohne Gott durchlitten hat, erwacht und fasst die neue Sicht auf die Wirklichkeit in die Worte: „Meine Seele weinte vor Freude, daß sie wieder Gott anbeten konnte – und die Freude und das Weinen und der Glaube an ihn waren das Gebet.“44 Doch den philosophisch-theologische Debatten um 1800 war eine nicht einfach zu übertünchende existentielle Relevanz eingeschrieben, für die Jean Pauls Rede „der dramatische Höhepunkt des Ringens der religiösen Existenz mit der Frage [war], ob der überlieferte christliche Glaube auch gewiss, ob er denn noch wahr sei.“45 Jean Paul brachte nichts weniger als „die existentielle Angst zum Ausdruck, die den Menschen erfasst, wenn er den Atheismus entdeckt.“46 Seine Romanpassage leistet aber noch mehr. Sie enthüllt auch „die große Unschlüssigkeit der Intellektuellen des 18. Jahrhunderts angesichts der nunmehr glaubhaften Perspektive einer Welt ohne Gott.“47 Damit ist auf eines der „zentralen Probleme des Zeitalters der Aufklärung“ aufmerksam gemacht worden: mit Mitteln der Vernunft wurde nachgewiesen, dass es Gott nicht gibt und nicht geben kann. Vor den existentiellen Konsequenzen schreckt man indes zurück. Eine „neue Ära des Atheismus“48 schließt sich zwar an, aber nur die radikalen Aufklärer des französischen Materialismus (Diderot, d’Holbach) gehen diesen J. PAUL, SW I/2, 272–275. J. PAUL, SW I/2, 275. 45 G. ESSEN 2012, 225. 46 G. M INOIS 2000, 389. 47 G. M INOIS 2000, 390. 48 G. M INOIS 2000, 390. 43 44

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Weg und scheinen „die Schlacht um die Nachwelt verloren zu haben.“49 Ihre Werke sind in dem „Krieg um die Träume unserer Zivilisation, die soviel großzügiger, luzider und humaner sein könnte, als sie heute ist, [...] Inspiration und Warnung zugleich.“50 (2) Die Vernunftkritik Kants und die auf sie folgende kritische Philosophie waren in den Augen Jean Pauls für dieses unermessliche religiöse „Erdbeben“51 verantwortlich,52 die mit ihrer „Grubenzimmerung“ das „Dasein Gottes so kaltblütig und kaltherzig“ erwägen, „als ob vom Dasein des Kraken und Einhorns die Rede wäre.“53 Kants und Fichtes Transzendentalphilosophien,54 denen es um die notwendigen Bedingungen der Möglichkeit der Erkenntnis von Gegenständen geht, um die Realität rational zu erfassen, waren für Jean Paul nun aber nicht der einzige Zugang zur Realität. Vielmehr schuf er selbst mit seiner Metaphorik die Möglichkeit, Realität „diaphan“ wahrzunehmen, die diese poetisch und uneindeutig zugleich macht: „Eine solche vielfältige Realität, die Gefühle und Ahndungen einschließt, lässt sich mit den begrifflichen Möglichkeiten der Transzendentalphilosophie Kants und Fichtes nicht fassen; die eigene Leiblichkeit und die Erfahrung des Anderen sind Jean Pauls Beleg für diese philosophische Defizienz. Er klagt die Dimensionen der Empfindungen ein, die über die kritische Philosophie hinausgehen. Gerade deshalb hat seine Welt, die den Durchblick zur Transzendenz offenhält, Sinndimensionen, die der Schulphilosophie fehlen.“55 Wenn nun aber die Vernunft außerstande ist, die Realität des Leibes und der Anderen zu fassen, bleibt nur das Gefühl

PH. BLOM 2011, 25. PH. BLOM 2011, 25. Vgl. Abschnitt 3.2 in diesem Buch. 51 „Über mir hört’ ich den fernen Fall der Lauwinen, unter mir den ersten Tritt eines unermeßlichen Erdbebens. Die Kirche schwankte auf und nieder von zwei unaufhörliche Mißtönen, die in ihr mit einander kämpften und vergeblich zu einem Wohllaut zusammenfließen wollten.“ (J. PAUL, SW I/2, 272). 52 So die von Müller kritisch gesehene Interpretation von Helene Decke-Cornill in ihrer Hauptthese. Zur Kritik an der Kant-Deutung vgl. G. MÜLLER 1999, 40. 53 J. PAUL, SW I/2, 271. 54 „Die Realität des ,ich denke‘, das alle meine Vorstellungen muss begleiten können (Kant, Kritik der reinen Vernunft), ist eine geistige. Ob man damit schon weiß, was die Realität ist? Ist das Ich eigentlich sichere Realität? Setze ich mich selbst, indem ich denke, als Setzender und damit Seiender? Ist die ,Thathandlung‘ eine Implikation von Fichtes Satz ,Ich = Ich‘, dass ich mich in dem Moment, wo ich mich denke, selbst konstituiere? Oder habe ich mich längst leiblich empfindend vorausgesetzt, ehe ich mich selbst denke? In Jean Pauls Terminologie: Bin ich, indem ich mich denke, auch mein eigener Leibgeber? Und was weiß ich, wenn ich erkenne, dass meine Erkenntnis nur ihren eigenen Geist erkennt? Ist mein Leib vom Geist abhängig? Diesem idealistischen Ich, das sich selbst denkt und sonst nichts kann, fehlt zweierlei: der Leib und der Andere.“ (W. SCHMIDT-BIGGEMANN 2013, 181.182). 55 W. SCHMIDT-B IGGEMANN 2013, 177. 49 50

4.1 „... daß kein Gott sei“ (Jean Paul)

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als Indikator.56 Jean Paul verfolgt damit nicht den Gedanken einer rationalen Selbstkonstitution wie das idealistische Ich, sondern den Gedanken eines Glaubens, der auf Gefühl beruht: „,Glaube ruht nicht auf vereinzelten Beweisen wie auf Pfählen oder Füßen, die man nur umzubrechen brauchte, um ihn umzustürzen, sondern er wurzelt mit tausend unsichtbaren Fasern auf dem breiten Boden des Gefühls.‘“57 Daher sind auch rationale Gottesbeweise für Jean Paul sinnlos, „aber es bleibt die Sehnsucht, denn ,ohne eine Gottheit gibts für den Menschen weder Zweck, noch Ziel, noch Hoffnung, nur eine zitternde Zukunft, ein ewiges Bangen vor jeder Dunkelheit und überall ein feindliches Chaos unter jedem Kunstgarten des Zufalls.‘“58 Die apokalyptische Furcht vor der nihilistisch-sinnlosen und sich schließlich selbst auflösenden Welt hat Jean Paul in seiner Rede als Kontrafaktur der christlichen Heilsbotschaft konstruiert.59 Christus selbst ist der Verkünder der kontrafaktischen Botschaft, die mit Nietzsches späteren Worten durchaus als Dysangelium bezeichnet werden kann.60 In Jean Pauls Text finden sich Metaphern, die auch in anderen Diskursen wiederzufinden sind, die den Tod Gottes thematisieren, um die Lage des modernen Menschen zu beschreiben. So finden sich die später von Nietzsche verwendeten Metaphern bereits in Jean Pauls Text angelegt, auch wenn Nietzsche keine hohe Meinung von Jean Pauls ästhetischen Fähigkeiten an den Tag gelegt und ihn als „Verhängniss im Schlafrock“61 bezeichnet hat, der seine „Leser gerade durch seine Witzlosigkeit zur Verzweiflung treibt.“62 (3) Folgende eigene Beobachtungen lassen sich an dieser Stelle zusammenfassen: Der Untergang der Sonne Platos und die Suche nach ihr am ausgeleerten Nachthimmel finden sich in Varianten dennoch bei Nietzsche wieder. Die Metapher der „Sonnenfinsternis“ wird bei Martin Buber zur „Gottesfinsternis“ transformiert.63 Der „Schmerz“, der für Hegels Umgang mit dem Motiv des Todes Gottes leitend ist, wird später bei Sölle, Moltmann und Metz wieder aufgenommen.64 Die biblischen Textwelten werden kontrafaktisch herangezogen. Die Frage Gottes an Adam („Wo bist du?“; Gen 3,9) wird zur Frage der verwaisten Kinder Gottes an Gott selber: „Vater, wo bist du?“ Das Schweben des Geistes Gottes (Gen 1,1) wird zu einem willenlosen Sturm und die ungezügelte Macht des Chaos zerbricht die schöpferische Ordnung. Der Regen56 Darauf haben schon Johann Georg Hamann und Friedrich Heinrich Jacobi aufmerksam gemacht. 57 J. PAUL, SW I/6, 1164 (Selina) zit. n. W. SCHMIDT-B IGGEMANN 2013, 182. 58 W. SCHMIDT-B IGGEMANN 2013, 183 (mit Zitat aus Selina: SW I/6, 1155). 59 Insbesondere in der Variante von Klopstocks Messias. 60 F. N IETZSCHE, KSA 6, 211. 61 F. N IETZSCHE, KSA 2, 597. 62 F. N IETZSCHE, KSA 2, 596.597. 63 M. B UBER 1953, 31. Vgl. zu Martin Buber Abschnitt 1.4.1 (7) in diesem Buch. 64 Vgl. Abschnitt 7.2 in diesem Buch.

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bogen verblasst ohne die Licht gebende Sonne, und seine Farben tropfen den Abgrund herunter. Der ewige Bund zwischen Gott und den Nachkommen Noahs sowie allem lebendigen Getier (Gen 9,9–17) wird ein Bund ohne göttlichen Partner und damit aufgehoben. Der allwissende Gott, dargestellt durch das Auge als klassisches Symbol der Allwissenheit Gottes, ist nicht (mehr).65 Nur noch eine „leere bodenlose Augenhöhle“ starrt uns an. Die Ewigkeit liegt wieder auf dem Chaos, denn der Gott ist nicht mehr, sein Schöpfungsmittler Christus vermag nur noch die Sinn gebende Schöpfung zurückzunehmen. Die von ihm im Vaterunser gelehrte Anrede Gottes als Vater läuft ins Leere. Alle sind zu Waisen geworden. Der Zufall herrscht anstelle göttlicher Vorsehung. Die Zukunft ist nur ein steigender Nebel, der die Undurchsichtigkeit und Aussichtslosigkeit symbolisiert. Auch die apokalyptische Endzeiterwartung mit der Auferstehung der Toten und dem Kommen des ewigen Lebens wird kontrafaktisch aufgelöst. Christus verkündet keine Auferstehung und kein ewiges Leben66 und ist selber auch nicht auferstanden von den Toten: „Der tote Christus, der den Tod Gottes so lange vor Christus verkündet, zerstört die Hoffnungen des Christentums: Die Wunden werden nach dem Tod ,nicht geschlossen‘, es kommt kein Morgen und keine heilende Hand und kein unendlicher Vater!‘ [...]. Gott wird nicht alle Tränen abwischen und den Tod aufheben (Apk. 21,4). Ex negativo fordert der Text nichts weniger als das ganze orthodoxe Erlösungsprogramm.“67 Die „Negation einer eschatologisch geprägten Religiosität“ ist damit ausgesprochen. Es bleibt nur die Unendlichkeit des Alls und seine erschreckende Leere, die durch keinen Gott erträglich gemacht wird.68 (4) Die „Dekonstruktion des christlichen Diskurses“69 findet durch einen nicht auferstandenen Christus aus der Ortlosigkeit des unendlichen Weltalls heraus statt, der die Zurücknahme des Schöpfungsprozesses und die Nichtigkeit der Heilsbotschaft auf sich nimmt, um mit allen Toten für immer im Nichts zu verschwinden und den noch Lebenden die Illusion zu nehmen, dass sie über das irdische Leben hinaus noch etwas zu erwarten hätten, was ihnen eine endgültige Erfüllung in Aussicht stellen würde. Für die heilsgeschichtliche Nich-

Vgl. G. MÜLLER 1999, 42. Vgl. G. MÜLLER 1999, 41. 67 G. M ÜLLER 1999, 41. 68 Vgl. G. M ÜLLER 1999, 51. 69 G. M ÜLLER 1999, 46. 65 66

4.1 „... daß kein Gott sei“ (Jean Paul)

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tigkeit tritt insofern ein „fiktiver Christus“ ein, ein Protagonist, der ohne ein literarisches Vorbild70 agiert und die Illusionen und Projektionen entlarvt.71 Doch das Erwachen bleibt ambivalent, denn die Sonne scheint nur noch im Abendrot. Auch wenn dem Erzähl-Ich eine Erleichterung über sein eigenes Erwachen aus diesem Traum eingeschrieben wird, bleibt durch die gegen Nietzsches Jean-Paul-Deutung doch festzustellende ironisch-komische Tonart des Textes ein Zweifel, ob sich die religiöse Deutung ohne Bruch wieder den traditionellen Vorstellungen zuwenden kann und ob diese Vision eher eine Vorwegnahme des Kommenden ist, das jetzt schon seine langen Schatten vorauswirft. Damit ist auch hier die Krise durch eine religiöse Umbruchssituation markiert, die gegen die kritische Philosophie Ahndung und Gefühl wiederzugewinnen sucht, denn „[b]ewiesen werden kann nichts, weder Gott noch die äußere Realität, sei sie sinnlich oder übersinnlich; aber unsere Empfindung, das Organ unserer Seele, ist Moment der Teilhabe an Wahrheiten, die geahnt, nicht demonstriert werden können, so dass wir ,unbewußt Gott vielleicht inniger lieben als wir wissen und daß ein stiller Instinkt für die zweite Welt in uns arbeite.‘“72 Obwohl die Nichtexistenz Gottes hier im Mittelpunkt zu stehen scheint, ist die Überwindung des Atheismus nicht Jean Pauls vorrangige Absicht.73 Sein Ziel ist vielmehr ein anthropologisches: die Unsterblichkeit der Seele außertheologisch philosophisch und anthropologisch plausibel zu machen.74 Die Heilsgeschichte spielt in dieser Sicht keine Rolle: „Christus war und blieb wie Sokrates oder Epiktet für Jean Paul ein außerordentlicher Mensch, ein Vorbild und ein historisches Ereignis, nicht jedoch der Erlöser, der Mittler, der Bürge der Unsterblichkeit.“75 Vielmehr befindet sich der Mensch auf dem Weg zur Vervollkommung, da es zum einen keine Erbsünde geben darf, und zum anderen der Mensch nie seine Gottebenbildlichkeit verloren hat. So bleibt am Ende dieser Deutung zwar die Negation einer eschatologisch geprägten Religiosität,

70 Natürlich hat es Dichtungen, in denen Christus auftrat, schon vorher gegeben. In den mittelalterlichen Passionsspielen, in den Passionen der Kirchenmusik, im 17. Jahrhundert in John Miltons Epos Paradise Lost und im 18. Jahrhundert in Klopstocks Messias. Vgl. dazu G. KAISER 1963. Jean Pauls Rede ist als Kontrafaktur des Messias von Friedrich Gottlieb Klopstock zu lesen, dessen Grundthema die „Restitution der Erde durch die Passion Christi [ist], die Rückholung aller gefallenen Kreatur ins Reich göttlicher Gnade – das volle Programm einer von der Apokalypse her interpretierten Bibel“ (G. MÜLLER 1999, 44). G. MÜLLER 1999, 40–46: Klopstocks Weltraumdichtung bietet die Folie für Jean Pauls Rede: „Der Messias poetisiert eine betont eschatologische Version des christlichen Diskurses, die Jean Paul pervertierend und negierend dekonstruiert“ (G. MÜLLER 1999, 46). 71 Vgl. G. M ÜLLER 1999, 41. 72 W. SCHMIDT-B IGGEMANN 2013, 183 (mit Zitat aus Selina, SW I/6, 1190). 73 Vgl. G. M ÜLLER 1999, 46. 74 So G. M ÜLLER 1999, 39. 75 G. M ÜLLER 1999, 39.

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aber nicht die des aufgeklärten Gottesglaubens.76 Auch wenn die Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, daß kein Gott sei nur selten als Teil des Romans gelesen wird und sie ihre Wirkung vornehmlich als Einzeltext entfaltet hat,77 ergeben sich im close-reading des Werkes und seiner Handlungsebene noch andere Deutungen. Es zeigt sich vor allem die Rolle des Humors, der als eine Umkehrung und Verkehrung der unendlichen Idee fungiert. Die dadurch erwirkte Mehrfachcodierung scheint den postmodernen Diskurs vorwegzunehmen. Am Ende ist nichts „mit sich selbst verrückbar identisch, keine Bedeutung die einzig mögliche, nichts ist das letzte Wort, alles ist in Bewegung.“78

4.2 Jehova, Christus, Pan: Bilder vom „sterbenden Gott“ (Heinrich Heine) 4.2 Bilder vom „sterbenden Gott“ (Heinrich Heine)

(1) In den Schriften von Heinrich Heine79 (1797–1856) finden sich Intonationen des Motivs vom Tode Gottes, die auf Nietzsches Deutung des Todes Gottes als einem Ereignis im Kommen vorausweisen und auf Plutarchs Sage vom Tod des Großen Pan zurückgreifen.80 Für kurze Zeit wird Heine zu einem eindrucks- und mitleidvollen Mythologen des nazarenischen Gottes seiner Väter und Jesu – wie er es später für die hellenistischen Götter im Exil aus der griechisch-römischen Antike geworden ist –, um dann aber wieder aus dem Archiv Vgl. G. MÜLLER 1999, 40. Das gilt sowohl theologisch und philosophisch wie auch für literaturwissenschaftliche Untersuchungen. 78 G. M ÜLLER 1999, 55. Vgl. zu dieser Dynamik auch Abschnitt 4.3 in diesem Buch. 79 An Heinrich Heine, eigentlich Harry Heine, in Düsseldorf geboren als Sohn jüdischer Eltern, lassen sich nicht nur anhand der Rezeptionen des Plutarch-Spruchs die philosophischen und theologischen Bewegungen seiner Zeit gut ablesen. Zugleich bietet er einen eigenständigen Umgang mit dem Phänomen der Religion und der Frage nach Gott in der Moderne. Die Werke Heines werden hier in den Abkürzungen der verschiedenen Ausgaben auch im Haupttext in Klammern (z. B. HHW = Heinrich Heine Werke) aufgeführt. Sie finden sich entschlüsselt im Literaturverzeichnis. In der Regel wird auf die leicht zugängliche Leseausgabe zurückgegriffen, aber auch die Säkularausgabe und die historisch-kritische Gesamtausgabe (Düsseldorfer Ausgabe; DHA) werden konsultiert. Für weitere Kommentare zur Textund Werkgeschichte u. a. vgl. die jeweiligen Kommentarbände zu den einzelnen Werken. 80 Das Motiv vom Tode Gottes findet sich an verschiedenen Stellen im Werk Heinrich Heines. Im XXXIX. Gedicht des Heimkehr-Zyklus im Buch der Lieder ist der Tod Gottes Signum einer allgemeinen Verkehrung der Welt in neuester Zeit: „Gestorben ist der Herrgott oben, / Und unten ist der Teufel tot.“ (HHW 1, 53). Auch die Götterdämmerung (Buch der Lieder) handelt vom Ende des christlichen Gottes: „Auf seinem Throne sitzt der bleiche Gott, / Reißt sich vom Haupt die Kron’, zerrauft sein Haar – / Und näher drängt heran die wilde Rotte.“ (DHA I/1, 305). Vorbereitungen finden sich im Gedicht Die Götter Griechenlands und im Nordsee-Zyklus und schließlich in dem Werk Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland. 76 77

4.2 Bilder vom „sterbenden Gott“ (Heinrich Heine)

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der Religionsgeschichte den Gott der Bibel hervorzuholen als Horizont, Kulisse und Dialogpartner, und zwar mit Hilfe seines Gottesbeweises ex depravatione: Gott fehlt81 ihm in seiner Not, also muss es ihn geben.82 Der existentiell erfahrene „große Weltriß“83 umschreibt nicht nur metaphorisch die innerliche Zerrissenheit des Dichters und intellektuellen Kritikers84 in seinem Zeitalter „zwischen den Zeiten“, sondern ist auch das Ergebnis langer politischer, sozialer, industrieller, ökonomischer und ideologischer Umbruchsprozesse und von „großen europäischen Zeitverwandlungen“85. Anders als viele seiner deutschen poetischen Zeitgenossen hatte Heine im Jahr 1827 Gelegenheit, auf einer mehrmonatigen Reise London und England zu besuchen.86 Die Macht des Wandels, den der neue „Industrialismus“ in „,Merry Old England‘“ mit sich bringt und „den epochalen Charakter der neuen Beschleunigungs-Verhältnisse“87, mit denen es sich ins neue Maschinenzeitalter hineinbewegt, sieht Heine mit eigenen Augen und hält seine Eindrücke literarisch in den Englischen Fragmenten (1827/28) fest.88 1831 geht er ins französische Exil und lässt sich nieder „in jenem zweiten Zentrum der ,Moderne‘: in ,der Hauptstadt der zivilisierten Welt‘, in der Metropole der politischen Revolutionen von 1789, 1830 und 1848.“89 Von Paris aus erkundet er die Signaturen des neuen Zeitalters und stellt „das ,Projekt der Moderne‘ [...] in seiner ganzen Ambivalenz von 81 Ähnlich jetzt auch der Schriftsteller Martin Walser (M. W ALSER 2012, 33). Zum „Fehl Gottes“ bei Hölderlin vgl. Abschnitt 5.2.2.a) über Martin Heidegger in diesem Buch. Vgl. auch die lapidare naturalistische Sichtweise bei A. BECKERMANN 2013, 160: „Mir scheint, es ist möglich, auch ohne den Glauben an übernatürliche Wesen und Kräfte und ohne den Glauben an einen christlich verstandenen Gott zu leben. Sicher, es fehlt etwas. Es fehlt ein Wesen im Hintergrund, dem wir grenzenlos vertrauen können, das uns Halt gibt, das immer seine schützende Hand über uns hält, das am Ende alles zum Guten wendet. Aber, wie gesagt, was fehlt, fehlt. Wir können die Welt in diesem Punkt nicht nach unseren Wünschen gestalten; wir müssen sie so akzeptieren, wie sie ist. Das ist der Preis des Erwachsenseins.“ 82 J. A. K RUSE 2000, 153. Vgl. auch die Vorrede zur zweiten Auflage der Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland in: HHW 4, 49. 83 HHW 2, 318: „Ach, teurer Leser, wenn du über jene Zerrissenheit klagen willst, so beklage lieber, daß die Welt selbst mitten entzweigerissen ist. Denn da das Herz des Dichters der Mittelpunkt der Welt ist, so mußte es wohl in jetziger Zeit jämmerlich zerrissen werden. Wer von seinem Herzen rühmt, es sei ganz geblieben, der gesteht nur, daß er ein prosaisches weitabgelegenes Winkelherz hat. Durch das meinige ging aber der große Weltriß, und eben deswegen weiß ich, daß die großen Götter mich vor vielen anderen hoch begnadigt und des Dichtermärtyrtums würdig geachtet haben.“ Vgl. auch HHW 4, 99. 84 Vgl. J. H ABERMAS 2003. 85 G. G ROSSKLAUS 2013, 11–16. 86 Zur Mobilität von Heine in den Jahren zwischen 1815/16 und 1831 vgl. G. G ROSSKLAUS 2013, 47. 87 G. G ROSSKLAUS 2013, 8. 88 Vgl. HHW 2, 429–496; vgl. auch G. G ROSSKLAUS 2013, 47–72: „London: Schauplatz der Widersprüche – Chronotopologie der Metropole“. 89 G. G ROSSKLAUS 2013, 7; 73–127.

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Freiheitsjubel und Verlustängsten, von Emanzipation und Entfremdung, von Fortschritt und Katastrophe, von Aufbruch und Zerstörung ästhetisch-reflexivgebrochen“90 dar. Doch Heine bereist nicht nur die „urbanen Zentren“ London und Paris, sondern auch die „,naturalen‘ Peripherien des Harzgebirges, des Meeres und der Inseln“, wo er „ein Netzwerk der Orte und Stätten, eine kulturelle Topographie der geschichtlichen Schauplätze der Umbruchszeit“ und damit ein übergreifendes Bild der „,fundamentalen ,Verwandlung der Welt‘ durch die industriell-technische und mediale Revolution“91 entwirft. „In allen Formen, in philosophischen, poetischen, essayistischen oder publizistischen Texten „erscheint durchgängig das Moment der Zäsur, des Bruchs mit der ,alten Zeit‘, des Epochen-Endes sowie des Übergangs in eine ,neue Welt‘.“92 Die Doppelgesichtigkeit der „unerfreulichen Modernität“93 spiegelt sich im „Epochen-Stichwort der ,Zerrissenheit‘“94 als der Denkweise der Zeit95 wider. „Im schmalen Zeitfenster der Jahrzehnte zwischen ca. 1825 und 1850 entwirft Heine ein Panorama der ,großen ... Zeitverwandlungen‘, die das Gesicht Europas verwandeln werden.“96 Diese umstürzenden Entwicklungen zeigen sich im Abschied von den alten Gottheiten der Restauration sowie von den nationalen Begrenztheiten und markieren den Aufbruch hin zu Liberalismus und Kosmopolitismus. Friedrich Nietzsche97 sah rückblickend in „l’adorable Heine“ einen „Europäer der Zukunft“98. Der Riss mitten durch seine geistige Existenz läßt den vielseitig begabten Heine – „außer um einen nichtpraktizierenden Juristen,

90 G. G ROSSKLAUS 2013, 9. Zu Heines Prosa der Moderne vgl. grundlegend auch P. BÜRGER 1988, 80–100. Vgl. zu seiner von ihm unterschiedenen Herangehensweise G. GROSSKLAUS 2013, 9; 276, Anm. 52; 277. 91 G. G ROSSKLAUS 2013, 8. 92 G. G ROSSKLAUS 2013, 11. 93 HHW 2, 171. 94 G. G ROSSKLAUS 2013, 14. 95 Vgl. HHW 2, 151. 96 G. G ROSSKLAUS 2013, 15. 97 Nietzsche verehrte den Lyriker Heine, dessen Umgang mit der deutschen Sprache er bewunderte: „Den höchsten Begriff vom Lyriker hat mir Heinrich Heine gegeben. Ich suche umsonst in allen Reichen der Jahrtausende nach einer gleich süssen und leidenschaftlichen Musik. Er besass jene göttliche Bosheit, ohne die ich mir das Vollkommne nicht zu denken vermag, – ich schätze den Werth von Menschen, von Rassen darnach ab, wie nothwendig sie den Gott nicht abgetrennt vom Satyr zu verstehen wissen. – Und wie er das Deutsche handhabt! Man wird einmal sagen, dass Heine und ich bis weitem die ersten Artisten der deutschen Sprache gewesen sind – in einer unausrechenbaren Entfernung von Allem, was blosse Deutsche mit ihr gemacht haben“ (F. NIETZSCHE, KSA 6, 286). 98 Nietzsche zählt „l’adorable Heine“ (F. N IETZSCHE, KSA 6, 427) neben „Napoleon, Goethe, Beethoven, Stendhal“, „Schopenhauer“ und auch „Richard Wagner“ nicht nur unter die „Europäer der Zukunft“ (F. NIETZSCHE, KSA 5, 202), sondern in der kurzen Passage spielt er auch auf Pan in Gestalt des Satyr an. Doch galt es, sich zuvor vom „alten Gotte“ zu befreien.

4.2 Bilder vom „sterbenden Gott“ (Heinrich Heine)

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erfolgreichen Lyriker, Prosaisten, Journalisten, Literaturhistoriker und politischen Kommentator [handelt es sich bei ihm] obendrein um einen, wenn auch eigenwilligen, selbsternannten oder von den Lesern so interpretierten Theologen“99 – zeitlebens nicht los.100 (2) In den fingierten und auf die Monate Juli und August des Jahres 1830,101 dem Jahr der französischen Julirevolution, zurückdatierten Helgoländer Briefen des zweiten Buches der Denkschrift Ludwig Börne (1840),102 sowie in deren viertem und fünftem Buch geht Heine dem Verhältnis von Mythos und Moderne nach, das er bereits in seinen Essays Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland (1834/35)103 und Elementargeister (1837)104 zur Sprache gebracht hatte. In dem für eine französische Leserschaft verfassten Text über die Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland konstruiert er einen direkten Zusammenhang von Mythos und Revolution, von ,altgermanischem‘ und künftigem Pantheismus.105 In seinen fingierten Helgoländer Briefen erinnert er daran und greift das Problem jener Schrift wieder auf: „Wann wird die Harmonie wieder eintreten, wann wird die Welt wieder gesunden von dem einseitigen Streben nach Vergeistigung, dem tollen Irrthume, wodurch Seele wie Körper erkrankten!“ (HHW 4, 372). In diesen Zusammenhang gehört auch seine Erinnerung an die vielinterpretierte Dämonen- und Göttergeschichte, an Plutarchs Sage vom Tod des Großen Pan.106 Genauso rätselhaft wie die Sage selbst und ihre zahlreichen Varianten in Volkssagen107 ist Heines narrative Integration der Sage in die Helgoländer Briefe. Vorbereitet durch das Bild des Meeres am Schluss des Ersten Buches kehrt die Sage dort leitmotivisch in vier verschiedenen Kontexten wieder. Ihre jeweiligen Bedeutungen widersprechen sich. Doch ihre Relevanz für die Briefe lässt sich bereits daran erkennen, dass sie jeweils den Schlussabschnitt von vier der acht Briefe bilden. Dass die Beziehung zwischen Mythologie und moderner Kultur problematisch geworden ist, spiegelt sich bereits im ersten Brief vom 1. Juli 1830, der eine Identitätskrise des Erzählers thematisiert. Diese im Kern J. A. KRUSE 2000, 149. Zur folgenden Interpretation vgl. M. WINKLER 1995, 160–179. 101 Der Schriftsteller erfährt während seines Helgoland-Aufenthalts, „,unter dem Schutz und Schirm des komfortablen britischen Gouverneurs des einsamen Eilandfelsens‘“ (G. GROSSKLAUS 2013, 73), wo er das Badeleben genießt, von der Julirevolution. Enthusiastisch reist er nach Paris, wo er am 19. Mai 1831 ankommt. 102 HHW 4, 366–389. 103 HHW 4, 44–165. 104 HHW 2, 653–707. 105 Vgl. M. W INKLER 1995, 162. 106 Über Plutarch: „Schon als Knabe, wenn ich den Plutarch las – und ich lese ihn noch jetzt alle Abend im Bette und möchte dabei manchmal aufspringen, und gleich Extra-Post nehmen und ein großer Mann werden [...].“ (HHW 2, 403.404). 107 Vgl. M. W INKLER 1995, 164. 99

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religiöse Krise108 trägt in sich die Hoffnung auf eine Umwendung in der Zukunft: „Ich trug an Bord meines Schiffes die Götter der Zukunft“ (HHW 4, 366). Daher macht er sich auf, um eine Lösung zu finden. In einem Zustand „bleiernder Langeweile“ griff der Erzähler an einem Sonntag „aus Verzweiflung zur Bibel“ (HHW 4, 370), wie er in einem auf den 8. Juli datierten Brief berichtet, und gesteht verwundert, „trotz dem, daß ich ein heimlicher Hellene bin, hat mich das Buch nicht bloß gut unterhalten, sondern auch weidlich erbaut.“109 Die bereits im ersten Buch der Denkschrift eingeführten gegensätzlichen Begriffe „Hellene“ und „Nazarener“110, letzterer steht für Judentum und Christentum, sollen „den kulturgeschichtlichen Aspekt des Gegensatzes von Sensualismus und Spiritualismus [...] akzentuieren und die griechische Mythologie anstelle der ,altgermanischen‘-deutschen zum Modell der nicht-spiritualistischen Religionen [...] machen.“111 Nach dieser Auffassung sind „[...] alle Menschen [...] entweder Juden oder Hellenen, Menschen mit asketischen, bildfeindlichen, vergeistigungssüchtigen Trieben, oder Menschen von lebensheiterem, entfaltungsstolzem und realistischem Wesen“ (HHW 4, 350). Heine verleugnet an dieser Stelle zwar nicht seine Polemik gegen den Spiritualismus und seinen Einsatz für den Sensualismus, dessen Position er noch in der Schrift über Religion und Philosophie in Deutschland einnimmt, aber er bereitet zugleich eine Revision vor, in der eine „kulturrevolutionäre Wiederherstellung“112 der „Harmonie“ (HHW 4, 372) von Geist und Materie die „Gesundung“ der Kultur herbeiführen soll. Offen bleibt allerdings die Art und Weise der Realisierung seiner Idee. Seine angestrebte restitutio in integrum bleibt ein Desiderat, ohne einen konkreten Weg aufzuzeigen. Jedoch werden sowohl die Napoleonische politische Bewegung als auch die Goethesche Kunst als „großes Heilmittel“ angepriesen, „woran wir uns, wie an marmornen Götterbildern, festklammern können, um nicht unterzugehen im Nebelmeer des absoluten Geistes...“ (HHW 4, 372). Die Kunst erscheint als Erbin der klassischen Mythologie. Doch die Frage bleibt offen, wie sich das Verhältnis von Politik und Mythologie auch in Bezug auf die Antike denken lässt. Eine Antwort bleibt auch der auf den 18. Juli datierte Brief schuldig, in welchem Plutarchs Sage zitiert wird. Vgl. M. WINKLER 1995, 165. Heine fährt fort (HHW 4, 370): „Welch ein Buch! groß und weit wie die Welt, wurzelnd in die Abgründe der Schöpfung und hinaufragend in die blauen Geheimnisse des Himmels... Sonnenaufgang und Sonnenuntergang, Verheißung und Erfüllung, Geburt und Tod, das ganze Drama der Menschheit, Alles in diesem Buche... Es ist das Buch der Bücher, Biblia.“ Zu Heines ironischem Umgang mit der Bibel vgl. auch HHW 2, 410.411. 110 „Ich sage nazarenisch, um mich weder des Ausdrucks ,jüdisch‘ noch ,christlich‘ zu bedienen, obgleich beide Ausdrücke für mich synonym sind und von mir nicht gebraucht werden, um einen Glauben, sondern um ein Naturell zu bezeichnen.“ (HHW 4, 350). 111 M. W INKLER 1995, 165. 112 M. W INKLER 1995, 166. 108 109

4.2 Bilder vom „sterbenden Gott“ (Heinrich Heine)

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Anknüpfend an die religionsgeschichtliche Thematik des Briefes vom 8. Juli greift der Erzähler den Gedanken auf, Jesus Christus habe im welthistorisch richtigen Moment „seine Brüder vom Zeremonialgesetz und der Nationalität“ (HHW 4, 371) befreit und den „Kosmopolitismus“ eingestiftet, denn „er berief alle Völker der Erde zur Teilnahme an dem Reich Gottes, das früher nur einem einzigen auserlesenen Gottesvolke gehörte, er gab der ganzen Menschheit das jüdische Bürgerrecht [...]“ (HHW 4, 371). Die Aufhebung des Judentums im Christentum bedeutet für Heine einen kulturellen Fortschritt: „Welche süße Gestalt dieser Gottmensch! Wie borniert erscheint in Vergleichung mit ihm der Heros des alten Testaments! Moses [...]“ (HHW 4, 375). In der Weitung des Horizonts über diesen Transformationsprozess hinaus bringt der Erzähler den Sieg des Christentums über das antike Heidentum zur Sprache: „Welch ein Heilquell für alle Leidenden war das Blut, welches auf Golgatha floß!... Die weißen marmornen Griechengötter wurden bespritzt von diesem Blute, und erkrankten vor innerem Grauen, und konnten nimmermehr genesen! Die meisten freilich trugen schon längst in sich das verzehrende Siechtum und nur der Schreck beschleunigte ihren Tod. Zuerst starb Pan“ (HHW 4, 375). Diese mythosartige Erzählung kommt bereits in anderer Form im sechsten Kapitel von Die Stadt Lucca (1831) zur Sprache, wenn der Untergang des olympischen Pantheon durch das Eintreten des Gekreuzigten besiegelt wird: Jener schenkte nunmehr auch der übrigen Götterversammlung, / Rechtshin, lieblichen Nektar dem Mischkrug emsig entschöpfend. / Doch unermeßliches Lachen erscholl den seligen Göttern, / Als sie sahn, wie Hephästos im Saal so gewandt umherging. / Also den ganzen Tag bis spät zur sinkenden Sonne / Schmausten sie; und nicht mangelt’ ihr Herz des gemeinsamen Mahles, / Nicht des Saitengetöns von der lieblichen Leier Apollons, / Noch des Gesangs der Musen mit holdantwortender Stimme. / Vulgata Da plötzlich keuchte heran ein bleicher, bluttriefender Jude, mit einer Dornenkrone auf dem Haupte, und mit einem großen Holzkreuz auf der Schulter; und er warf das Kreuz auf den hohen Göttertisch, daß die goldnen Pokale zitterten, und die Götter verstummten und erblichen, und immer bleicher wurden, bis sie endlich ganz in Nebel zerronnen. / Nun gab’s eine traurige Zeit, und die Welt wurde grau und dunkel. Es gab keine glücklichen Götter mehr, der Olymp wurde ein Lazarett, wo geschundene, gebratene und gespielte Götter langweilig umherschlichen, und ihre Wunden verbanden und triste Lieder sangen. Die Religion gewährte keine Freude mehr, sondern Trost; es war eine trübselige, blutrünstige Delinquentenreligion. / War sie vielleicht nötig für die erkrankte und zertretene Menschheit? Wer seinen Gott leiden sieht, trägt leichter die eignen Schmerzen. Die vorigen heiteren Götter, die selbst keine Schmerzen fühlten, wußten auch nicht wie armen gequälten Menschen zumute ist, und ein armer gequälter Mensch könnte auch, in seiner Not, kein rechtes Herz zu ihnen fassen. Es waren Festtagsgötter, um die man lustig herumtanzte, und denen man nur danken konnte. Sie wurden deshalb auch nie so ganz von ganzem Herzen geliebt. Um so ganz von ganzem Herzen geliebt zu werden – muß man leidend sein. Das Mitleid ist die letzte Weihe der Liebe, vielleicht die Liebe selbst. Von allen Göttern, die jemals gelebt haben, ist daher

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4 Das Erlebnis des Todes Gottes als Ausdruck eines Erfahrungswandels

Christus derjenige Gott, der am meisten geliebt worden. Besonders von den Frauen – – / Dem Menschengewühl entfliehend, habe ich mich in eine einsame Kirche verloren [...]. 113

Vor diesem Hintergrund fügt der Erzähler nun den Satz vom Tode des Gottes Pan in seinen eigenen Text ein und führt dadurch den intertextuellen Diskurs weiter. Er gibt im Folgenden Plutarchs „höchst merkwürdig[e]“ „Schiffersage des Altertums“ in leicht komprimierter und modifizierter Übersetzung wieder unter Auslassung des komplizierten narrativen Rahmens und seines Wahrheitsbeweises sowie der Auskunft der von Tiberius berufenen Gelehrten zur Identität des großen Pan: Zur Zeit des Tiberius fuhr ein Schiff nahe an den Inseln Parä, welche an der Küste von Ätolien liegen, des Abends vorüber. Die Leute, die sich darauf befanden, waren noch nicht schlafen gegangen, und viele saßen nach dem Nachtessen beim Trinken, als man auf einmal von der Küste her eine Stimme vernahm, welche den Namen des Thamus (so hieß nämlich der Steuermann) so laut rief, daß alle in die größte Verwunderung gerieten. Beim ersten und zweiten Rufe schwieg Thamus, beim dritten antwortete er; worauf dann die Stimme mit noch verstärktem Tone diese Worte zu ihm sagte: ,Wenn du auf die Höhe von Palodes anlangst, so verkündige, daß der große Pan gestorben ist!‘ Als er nun diese Höhe erreichte, vollzog Thamus den Auftrag und rief vom Hinterteil des Schiffes nach dem Lande hin: ,Der große Pan ist tot!‘ Auf diesen Ruf erfolgten von dort her die sonderbarsten Klagetöne, ein Gemisch von Seufzen und Geschrei der Verwunderung, und wie von vielen zugleich erhoben. Die Augenzeugen erzählten dies Ereignis in Rom, wo man die wunderlichsten Meinungen darüber äußerte. Tiberius ließ die Sache näher untersuchen und zweifelte nicht an der Wahrheit.114

Der Leser wird durch die Stellung der Sage am Ende des Briefes darauf gelenkt, die Nachricht vom Tode des Gottes Pan typologisch auf den Untergang des Heidentums zu beziehen. Damit greift der Erzähler ein Deutungsmuster auf, das seit der Zeit der Kirchenväter vertraut ist. Bereits Eusebius von Caesarea (vor 265–339/340) zitiert den Text Plutarchs in seiner Praeparatio evangelica (V, 17) wortgetreu.115 In diesem apologetischen Text deutet Euseb allerdings den Tod des Pan anders als Plutarch. Er identifiziert die unsterblichen Götter mit den bösen Dämonen und versteht ihren bei Plutarch belegten Tod als Folge des Erscheinens des Erlösers, denn der Heiland habe gegen Ende seines Aufenthaltes bei den Menschen aus deren Leben das ganze Dämonengeschlecht ausgetrieben: „Die Typologie fungiert hier als Instrument, das es erlaubt, heidnische Sagen der christlichen Heilsgeschichte zu assimilieren und die heidnischen Götter zu dämonisieren – ein Verfahren, das Heine im sechsten Kapitel der Stadt Lukka umkehrt und in den Essays Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland und Elementargeister aus kulturkritisch-

HHW 2, 393.394. HHW 4, 375.376. 115 Vgl. EUSEBIUS, Praeparatio Evangelica, 252–255. 113 114

4.2 Bilder vom „sterbenden Gott“ (Heinrich Heine)

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er Perspektive beschreibt.“116 Für Euseb und die ihm nachfolgenden Autoren117 wird die Sage Plutarchs „zum figurativen Text, der sich in dem allegorischen Praetext ,Untergang des Heidentums als Erlösungstat Christi‘ faktisch erfüllt.“118 Im Brief vom 29. Juli regen sich aus ästhetischer Perspektive Bedenken darüber, ob der Mythos im Namen des heils- und menschheitsgeschichtlichen Fortschritts aufgegeben werden kann. Am Ende des Briefes vom 1. August kommt eine zweite Variation von Plutarchs Sage zu Wort, die nun das traditionelle Deutungsmuster Eusebs durchbricht und zu einer Neubesetzung des allegorischen Prätextes führt: Ich wandelte einsam am Strand in der Abenddämmerung. Ringsum herrschte feierliche Stille. Der hochgewölbte Himmel glich der Kuppel einer gotischen Kirche. Wie unzählige Lampen hingen darin die Sterne; aber sie brannten düster und zitternd. Wie eine Wasserorgel rauschten die Meereswellen; stürmische Choräle, schmerzlich verzweiflungsvoll, jedoch mitunter auch triumphierend. Über mir ein luftiger Zug von weißen Wolkenbildern, die wie Mönche aussahen, alle gebeugten Hauptes und kummervollen Blickes dahinziehend, eine traurige Prozession... Es sah fast aus, als ob sie einer Leiche folgten. ,Wer wird begraben? Wer ist gestorben?‘ sprach ich zu mir selber. ,Ist der große Pan tot?‘119

Der Spaziergang am Strand „in der Abenddämmerung“ und der „Zug von weißen Wolkenbildern“ erinnern den Heine-Kundigen an die Kulissen des Nordsee-Essays und der Nordsee-Gedichte aus seinem Buch der Lieder, insbesondere an Die Götter Griechenlands (HHW 1, 82–85). Im Schlussabschnitt des Briefes sehen die Wolken wie traurige Mönche aus und werden nicht mehr gleichgesetzt mit den untergegangenen paganen Göttern. Der Himmel ist nicht mehr der Raum der entmachteten Götter, sondern Veranstaltungsort einer christlichen Leichenprozession. Die am Schluss gestellte Frage „,Ist der große Pan tot?‘“ lenkt den Blick auf den möglichen Untergang des Christentums, lässt aber offen, ob sich am Ende dieses Briefes nicht auch ein neues Bündnis zwischen alter Mythologie und politischer Revolution gegen die spiritualistische Kultur abzeichnet.120 Wenn diese Deutung zutrifft, scheint der Satz vom Tod des großen Pan als wiederkehrender Fragesatz gemeint. Eine Antwort findet sich in der dritten Variation der Plutarch-Sage im Schlussabschnitt des Briefes vom 6. August, der mit einer enthusiastischen Aufnahme der Nachricht von der Julirevolution in Frankreich beginnt. Für den Erzähler erscheint dieses Ereignis wie „die utopische Wiederversöhnung von Mythos und Moderne, von Hellenen- und Nazarenertum, die sich als Ziel der Kultur herausstellte.“121 Es

M. WINKLER 1995, 167. Vgl. G. A. GERHARD 1915a; ferner R. V. TIEDEMANN 1978. 118 M. W INKLER 1995, 167.168. 119 HHW 4, 380. 120 Vgl. M. W INKLER 1995, 171. 121 M. W INKLER 1995, 171. 116 117

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4 Das Erlebnis des Todes Gottes als Ausdruck eines Erfahrungswandels

sieht aus wie die Renaissance des Heidentums und die Rückkehr der verdrängten und dämonisierten Götter: Lafayette, die dreifarbige Fahne, die Marseillaise... Ich bin wie berauscht. Kühne Hoffnungen steigen leidenschaftlich empor, wie Bäume mit goldenen Früchten und wilden, wachsenden Zweigen, die ihr Laubwerk weit ausstrecken bis in die Wolken... Die Wolken aber im raschen Fluge entwurzeln diese Riesenbäume und jagen damit von dannen. Der Himmel hängt voller Violinen, und auch ich rieche es jetzt, die See duftet nach frischgebackenen Kuchen. Das ist ein beständiges Geigen da droben in himmelblauer Freudigkeit, und das klingt aus den smaragdenen Wellen wie heiteres Mädchengekicher. Unter der Erde aber kracht es und klopft es, der Boden öffnet sich, die alten Götter strecken daraus ihre Köpfe hervor, und mit hastiger Verwunderung fragen sie: ,Was bedeutet der Jubel, der bis ins Mark der Erde drang? Was gibt’s Neues? dürfen wir wieder hinauf?‘ – Nein, ihr bleibt unten in Nebelheim, wo bald ein neuer Todesgenosse zu euch hinabsteigt... – ,Wie heißt er?‘ – Ihr kennt ihn gut, ihn, der euch einst hinabstieß in das Reich der ewigen Nacht... Pan ist tot!122

Ungenannt bleibt zwar der „neue Todesgenosse“, aber für den Leser ist er leicht zu enträtseln: Es ist Christus.123 Mit den alten Heidengöttern, die fragen, ob sie wieder hinauf dürfen, sind aber nicht nur die „schönen Wesen der griechischen Fabelwelt“ (HHW 4, 378) gemeint, sondern auch die hässlichen Götter und Dämonen des Nordens, worauf die Bezeichnung „Nebelheim“ für die Unterwelt schließen lässt, oder vergötterte Herrscher wie der in den Kyffhäuser entrückte Friedrich Barbarossa, auf dessen Wiederkehr als Messias das deutsche Volk jedoch vergeblich hofft, wie Heine im vierten Buch über Börne versichert (HHW 4, 443). In diesem mythosartigen Bild kommt es zu einer neuartigen Kombination der drei Motive, die Heines mythologischen Synkretismus und sein mythisches Denken strukturieren124: „Götterdämmerung“, „Götter und Dämonen im Exil“ und „Götter und Dämonen als rebellische Wiedergänger“. Die Neuartigkeit kommt darin zum Ausdruck, dass nun ein Ende des Kreislaufs erreicht ist, das im Ausruf „Pan ist tot!“ festgeschrieben wird. Als letzter Satz des Briefes folgt dieser Satz auf den Dialog zwischen den aufbegehrenden Göttern und der nicht identifizierten Stimme dessen, der das finale Wort spricht. Anders als erwartet beantwortet der Brief die Frage des vorangegangenen Briefes positiv: Christus und der Deismus, die beiden ehemaligen Sieger im Kampf gegen das Heidentum, liegen nun tot danieder, wie es Heine in der Schrift über die Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland mit dem Bild vom „sterbenden Gotte“ (HHW 4, 120) prophezeit hat. Aber die dort wiederkehrenden besiegten Heidengötter, die am Untergang des Christentums und der pantheistischen Revolution der Deutschen teilhaben, bleiben ihrerseits tot. Die typologische Beziehung der Nachricht vom Tode Pans auf den

HHW 4, 382. Vgl. HHW 4, 120. Vgl. zu Heines Christusbild B. WIRTH-ORTMANN 1995. 124 Vgl. M. W INKLER 1995, 172. 122 123

4.2 Bilder vom „sterbenden Gott“ (Heinrich Heine)

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Tod Christi ist aus der Tradition bekannt und wird in den Rahmen der Heilsgeschichte eingefügt.125 Heine gebraucht sie hier für die Loslösung der Revolution von Christentum und Heidentum. Die Julirevolution und der im französischen Volk siegreiche Kollektivgedanke erscheinen als langersehnte „neue Offenbarung“ (HHW 4, 374), die auf die alte heidnische Götter- und Dämonenwelt verzichten kann und sich auf die „Götter der Zukunft“ ausrichtet, von denen bereits am Ende des ersten Buches geschrieben steht. Es sind die politisch und religiös, vom Absolutismus und von der Sünde, aber auch von der alten Mythologie befreiten Menschen selber, die nun göttlich sind. Es sind jene Menschen, deren künftige Göttlichkeit bereits das Volk der Julirevolution offenbart hat.126 Das alte mythologische und biblische Welt- und Götterbild spielte für diesen revolutionären Umsturz keine Rolle mehr und soll dies auch in Zukunft nicht mehr tun. Auch das vormals siegreiche Christentum soll besiegt und fremd werden. Doch dieser radikale Bruch mit der Kulturgeschichte, der im Gewande des Mythos einer neuen Zeit, einer neuen Mythologie und neuer Götter daherkommt, ist fragwürdig. Die alten Vorstellungen bleiben noch präsent, auch wenn sie zurückgewiesen werden. Das zeigt auch die weitere Verwendung der Rede vom „großen Pan“. (3) Traditionell wurde der Name „großer Pan“ auch zur Bezeichnung historischer Persönlichkeiten herangezogen.127 Man kann auch für die im Brief vom 6. August zur Sprache kommende Abdankung Karls X. von Frankreich vermuten, dass sich der Satz hier auf dieses politische Ereignis bezieht. In Anknüpfung daran ist die vierte Variation über Plutarchs Sage komponiert, die den Schlussabschnitt des Briefes vom 10. August bildet. Hierbei handelt es sich um eine an Jean Pauls Vision erinnernde Traumerzählung, die den Leser dahin lenken soll, den Untergang des Christentums mit dem Untergang des Ancien régime zu identifizieren.128 Der im Traum beschriebene Flug in den Himmel zeigt Züge des unterdessen entmachteten Ancien régime: Kam auch in den Himmel. Tür und Tor stand offen. Lange, hohe, weithallende Säle, mit altmodischen Vergoldungen, ganz leer, nur daß hie und da, auf einem samtnen Armsessel, ein alter gepuderter Bedienter saß, in verblichen roter Livree und gelinde schlummernd. In manchen Zimmern waren die Türflügel aus ihren Angeln gehoben, an andern Orten waren die Türen fest verschlossen und obendrein mit großen runden Amtssiegeln dreifach versiegelt, wie in Häusern, wo ein Bankrott oder ein Todesfall eingetreten. Kam endlich in ein Zimmer, wo an einem Schreibpult ein alter dünner Mann saß, der unter hohen Papierstößen kramte. War schwarz gekleidet, hatte ganz weiße Haare, ein faltiges Geschäftsgesicht und frug mich mit gedämpfter Stimme, was ich wolle. In meiner Naivität hielt ich ihn für den lieben Herrgott, und ich sprach zu ihm ganz zutrauungsvoll: ,Ach, lieber Herrgott, ich möchte donnern lernen, blitzen kann ich... ach, lehren Sie mich auch donnern!‘ – ,Sprechen Vgl. G. A. GERHARD 1915a, 14–17. Vgl. M. WINKLER 1995, 174. 127 Vgl. G. A. G ERHARD 1915a, 26; 1915b, 338 ff.; 1918, 368 ff. 128 Vgl. W. W EISS 1962, 16. 125 126

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Sie nicht so laut‘, entgegnete mir heftig der alte dünne Mann, drehte mir den Rücken und kramte weiter unter seinen Papieren. ,Das ist der Herr Registrator‘ flüsterte mir einer von den roten Bedienten, der von seinem Schlafsessel sich erhob und sich gähnend die Augen rieb... Pan ist tot!129

Die Ähnlichkeit des Registrators mit den Darstellungen von Maximilien de Robespierre, dem jakobinischen „Terroristen“, und mit dem philosophischen „Alleszermalmer“ (Moses Mendelssohn) und Liquidator Gottes Kant ist in der Schrift über die Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland evident.130 In der Figur des Registrators wird der maßgebliche Anteil deutlich, den die Bourgeoisie daran hat, dass sowohl der politische als auch der religiöse Absolutismus endgültig untergegangen sind. Beide sind abgebucht und zu den Akten gelegt. Auf diesen Untergang zielt hier der Ausruf „Pan ist tot!“. Denn die Revolution bedeutet nicht die Wiederkehr der paganen Götter- und Dämonenwelt. Darauf weist der letzte der Helgoländer Briefe vom 19. August hin, der von der Überfahrt des Erzählers nach Cuxhaven berichtet und von seiner „Seekrankheit“ und den „Visionen“, die er währenddessen erlebt hat: „Aber allmählich schwindelt es mir im Kopfe, und allerlei fabelhafte Gesichte umschwirren mich. Aus den dunklen Meeresstrudeln steigen die alten Dämonen hervor, in scheußlicher Nacktheit bis an die Hüften, und sie heulen schlechte unverständliche Verse, und spritzen mir den weißen Wellenschaum ins Antlitz“ (HHW 4, 385).

Am Ende dieser grotesken und vom Erzähler als unwirklich erkannten seekranken Träume bildet er sich ein, ein Wal zu sein, in dessen Bauch der schimpfende Prophet Jona so lange rumort, bis er ihn endlich ausspuckt (HHW 4, 385.386). In diesem Bild kommt der Wunsch zum Ausdruck, nach den Dämonen der Mythologie nun auch das Nazarenertum der Bibel loszuwerden. In der Konsequenz dieser Darstellung liegt auch das Ende der utopischen pantheistischen Synthese, die den großen Gegensatz zwischen dem bildfeindlichen Spiritualismus und dem mythologischen Naturdienst überwinden sollte. In den Helgoländer Briefen erwähnt Heine den Pantheismus zwar nicht direkt, unterzieht aber sein in der Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland vertretenes Konzept eines mythischen Pantheismus einer Revision, in die die leitmotivisch wiederkehrenden Variationen über den Tod des großen Pan einbezogen sind. Denn außer drei traditionellen Deutungen der Sage (der Tod des Pan ist eine Typologie für das untergehende Heidentum, den Kreuzestod Christi oder eine Bezeichnung von historischen Persönlichkeiten) entfaltet Heine noch eine weitere Deutungstradition. Es handelt sich um die HHW 4, 384.385. H. THIELICKE 1968, 380–397 nimmt Kants kopernikanische Wende in der Sicht Heinrich Heines als Ausgangspunkt für seine theologische Auswertung der Tod-Gottes-Idee, denn Heine stelle „die Verbindung zwischen der Tod-Gottes-Idee und der durch Kant initiierten ,Diesseitigkeit‘ unseres allgemeinen Bewußtseins her“ (a. a. O., 381). 129 130

4.2 Bilder vom „sterbenden Gott“ (Heinrich Heine)

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Vorstellung, Pan sei der Allgott. Diese aus der Orphik und Stoa stammende Vorstellung beruhte vermutlich auf einem folgenreichen etymologischen Irrtum oder Verwechslungsspiel von pân (πᾶν, all, ganz; pl. alles), mit dem gleichlautenden Namen des Naturdämons Pán (Πάν). Die Vorstellung, Pan sei der Allgott, hielt sich lange in der Rezeption der Mythen und führte in der Goethezeit zum Pantheismusstreit und bei Heine zu einer eigenen pantheistischen Utopie, die sich jedoch als Illusion entpuppte. In diesen Zusammenhang gestellt, kann der vierte Ausruf des Todes des Gottes Pan als Tod des Pantheismus gedeutet werden. Der Gang der Revision des mythischen Pantheismus geht über die Beziehung zwischen Mythologie und Politik, mythischem Denken und revolutionärem Handeln sowie über kulturhistorische Überlegungen hin zu der Einsicht, dass vom mythischen Pantheismus kein Weg zur politischen Utopie führt. Doch die Hoffnung, dass die Revolution zu einer neuen Offenbarung würde, hat sich für Heine in der Rückschau nicht erfüllt. Das radikal Neue und ganz Andere dieser Offenbarung sollte auch eine ganz neue Mythologie begründen, die sich nicht in die traditionellen mythischen Bilder bannen ließ. Obwohl die Julirevolution nicht die erhoffte neue Offenbarung einer menschlichen Göttlichkeit war, lässt Heine den Erzähler die traditionellen Deutungen und seine eigene Transformation der Plutarch-Sage zitieren, um den Blick für eben diese neue, retrospektiv aber enttäuschende Offenbarung frei zu machen. Durch die einander widersprechenden Deutungen der Plutarch-Sage gewinnt diese ihre Rätselhaftigkeit zurück, „die sie als Ausdruck von verstörender Fremderfahrung bei Plutarch und in den Volkssagen hat“131, und ist keine „unernste Spielerei“132. Doch zeigt sie auch die existentielle Sinnkrise und verzweifelte Suche nach neuen Orientierungsmarken in einer Zeit der politischen, religiösen und sozialen Umbrüche in Europa. (4) In den beiden großen Schriften Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland (1834/35) und Die romantische Schule (1835)133 ist Heines Enthusiasmus für die Synthese der Philosophie Hegels noch ungebrochen.134 Viele seiner Ausführungen sind Hegel bis in Formulierungen hinein verpflichtet. Heine gibt das Geheimnis der deutschen Philosophie preis: die Entthronung Gottes. Sein Kant-Bild ist zugleich das des terroristischen Henkers Robespierre. Kant schickt den Vater-Gott nicht ins Exil, sondern lässt ihn enthaupten: „Es ist der in die Hände des Rationalismus geratene Gott, der durch die von einem tiefen Mißtrauen durchstimmte scharfsichtige Selbstkritik der Vernunft hingerichtet wird.“135 Der Himmel ist nur noch von einem kantischen M. WINKLER 1995, 179. G. A. GERHARD 1915b, 388. 133 HHW 4, 166–300. 134 Vgl. H. SCHANZE 1968, 588. 135 W. JANKE 2007, 21. 131 132

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Registrator besetzt, Gott ist tot.136 Die „große Gottesfrage“ steht für Heine aber nicht isoliert da, sondern im Zusammenhang mit ihrer „sozialen Konsequenz“137: „Gott ist, nach Kant, ein Noumen. Infolge seiner Argumentation ist jenes transzendentale Idealwesen, welches wir bisher Gott genannt, nichts anders als eine Erdichtung“ (HHW 4, 129). In Heine löst diese Gottesvorstellung eine unheimliche Angst aus, wenn er weiter schreibt: „,Gott ist alles, was da ist‘, und der Zweifel an ihm ist Zweifel an das Leben selbst, es ist der Tod“ (HHW 4, 130). Doch von der Heraufkunft dieses Ereignisses bemerkt er sarkastisch: „Diese betrübende Todesnachricht bedarf vielleicht einiger Jahrhunderte, eh sie sich allgemein verbreitet hat“ (HHW 4, 131). Dieser Gedanke findet sich dann bei Nietzsche wieder (KSA 3, 481). Heine selbst hatte kein Rezept für die Zukunft, nur eine düstere Prophezeiung, die sich zwischen den Jahren 1933 und 1945 bewahrheiten sollte: „Es wird ein Stück aufgeführt werden in Deutschland, wogegen die französische Revolution nur wie eine harmlose Idylle erscheinen möchte“ (HHW 4, 164). In seinem Werk Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland schätzt Heine den Pantheismus noch hoch ein. Seine Sicht der Religions- und Philosophiegeschichte mündet dort ein in „das große Projekt einer ,Rehabilitation der Materie, die Wiedereinsetzung derselben in ihre Würde, ihre moralische Anerkennung, ihre religiöse Heiligung, ihre Versöhnung mit dem Geiste‘ (B III, 568).“138 Doch dafür wäre eine Reformulierung der Geschichte als Buch Gottes vonnöten, die Heine in der romantischen Schule im Anschluss an die Spinozianische Formel „Gott ist Alles“ ausführt: „Gott manifestiert sich in den Dingen mehr oder minder, er lebt in dieser ständigen Manifestation, Gott ist in der Bewegung, in der Handlung, in der Zeit, sein heiliger Odem weht durch die Blätter der Geschichte, letztere ist das eigentliche Buch Gottes. (B III, 394f)“139. Das „Bewußtseyn“ von der „Göttlichkeit des Menschen“, das sich im Pantheismus ausdrückte, und die Zuversicht, dass die Gottheit nun im Menschen zum Selbstbewusstsein gekommen sei und dass die Deutung der Erscheinungswelt in den göttlichen Ideen der zu sich selbst gekommenen menschlichen Vernunft grundgelegt sein möchte, blieb eine hybride Illusion. Die sich daran ausrichtende Auslegung der Phänomene, gleich ob moralischer, physikalischer, politischer oder sozialer Art, dass Gott sich im Verlauf der Weltgeschichte im 136 Vgl. H. SCHANZE 1968, 588. Der mit Karl Marx bekannte Heine konnte vier Jahre vor dem Kommunistischen Manifest (1848) im Fragment Briefe über Deutschland schreiben: „Die Vernichtung des Glaubens an den Himmel hat nicht bloß eine moralische, sondern auch eine politische Wichtigkeit: Die Massen tragen nicht mehr mit christlicher Geduld ihr irdisches Elend und lechzen nach Glückseligkeit auf Erden. Der Kommunismus ist die natürliche Folge dieser veränderten Weltanschauung, und er verbreitet sich über ganz Deutschland.“ (Zit. n. H. SCHANZE 1968, 595). 137 H. SCHANZE 1968, 595. 138 S. W EIGEL 2000, 267. 139 S. W EIGEL 2000, 267.

4.2 Bilder vom „sterbenden Gott“ (Heinrich Heine)

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Menschen inkarniert, wurde zur Chimäre. Der außerweltliche Gott des Christentums, der „alte Jehova“, war nur eine geschichtliche Erscheinung, die sich von Ägypten über Palästina und Assyrien bis nach Rom ausbreitete. Er war die Phantasie eines Gottes, der sich nun „zum Tode bereitet“. Es ist die Geschichte von „einem sterbenden Gotte“. Auch angesichts der im menschlichen Bewusstsein nach und nach zu sich selbst kommenden All-Einheit waren auch die jüngsten Verwandlungen Jehovas vergeblich: „es konnte ihm alles nichts helfen – “140. [...] es ist der alte Jehova selber, der sich zum Tode bereitet. Wir haben ihn so gut gekannt, von seiner Wiege an, in Ägypten, als er unter göttlichen Kälbern, Krokodilen, heiligen Zwiebeln, Ibissen und Katzen erzogen wurde – Wir haben ihn gesehen, wie er diesen Gespielen seiner Kindheit und den Obelisken und Sphinxen seines heimatlichen Niltals Ade sagte und in Palästina, bei einem armen Hirtenvölkchen, ein kleiner Gott-König wurde, und in einem eigenen Tempelpalast wohnte – Wir sahen ihn späterhin, wie er mit der assyrisch-babylonischen Zivilisation in Berührung kam, und seine allzumenschliche[n] Leidenschaften ablegte, nicht mehr lauter Zorn und Rache spie, wenigsten nicht mehr wegen jeder Lumperei gleich donnerte – Wir sahen ihn auswandern nach Rom, der Hauptstadt, wo er aller Nationalvorurteile entsagte, und die himmlische Gleichheit aller Völker proklamierte, und mit solchen schönen Phrasen gegen den alten Jupiter Opposition bildete, und so lange intrigierte bis er zur Herrschaft gelangte und vom Kapitole herab die Stadt und die Welt, urbem et orbem, regierte – Wir sahen, wie er sich noch mehr vergeistigte, wie er sanftselig wimmerte, wie er ein liebvoller Vater wurde, ein allgemeiner Menschenfreund, ein Weltbeglücker, ein Philanthrop – es konnte ihm alles nichts helfen – Hört Ihr das Glöckchen klingeln? Kniet nieder – Man bringt die Sakramente einem sterbenden Gotte.141

Heine zeichnet in seiner Darstellung die Unterzeichnung der Todesurkunde Gottes durch Kant nach. Kants Kritik der reinen Vernunft ist „das Schwert, womit der Deismus hingerichtet worden in Deutschland“ (HHW 4, 122). Gott wird zu einer singulären Idee der Vernunft reduziert. Das Ende der philosophischen Theologie des modernen Rationalismus und der drei klassischen Gottesbeweise war mittels Heines Kant-Deutung besiegelt: „Zuletzt steht ein halbes Jahrhundert vor Nietzsche der buchstäbliche Tod Gottes, das vorläufige Ende seiner Biographie, das Ende seiner Geschichten als Geschichte, als Mythe: ,Hört ihr das Glöckchen klingeln? Kniet nieder – Man bringt die Sakramente einem sterbenden Gotte.‘ Jehovah verbürgerlicht: er stirbt den Tod eines Bürgers im katholischen Frankreich.“142 Doch damit nicht genug: „Es sind in Deutschland die Theologen, die dem lieben Gott ein Ende machen – on n’est jamais que par les siens‘“143 – verraten wird man nur von seinen Freunden. Vgl. R. HÄFNER 2006, 193. HHW 4, 120. 142 M. K ÜPPERS 1994, 48. 143 H. H EINE 1962, 401. Die Notiz stammt aus einer Sammlung von Aphorismen und Fragmente[n] (361–432; zuerst 1869 unter der Überschrift Gedanken und Einfälle veröffentlicht; a. a. O., 541), die im Einzelnen nicht leicht zu datieren sind (vgl. DHA 8/2, 140 141

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4 Das Erlebnis des Todes Gottes als Ausdruck eines Erfahrungswandels

(5) Von Heine wird das mythische Wort vom Tode des Pan im Gewande eines neuen Mythos weitererzählt, ohne dass am Ende eine „neue Offenbarung“ steht. Der Plutarch-Spruch fungiert für ihn als Metapher für die poetische Destruktion des traditionellen Gottesgedankens. Mit der vierten Deutung des Ausrufs „Der große Pan ist tot!“ in der Börne-Denkschrift kommt auch die pantheistische Gottesvorstellung zu ihrem Ende, die von einigen Gebildeten der Goethezeit als tragfähiger Gottesgedanke angesehen wurde, um den existentiellen Weltriss zu überwinden. Von Heine selber wird der Pantheismus als „die verborgene Religion Deutschlands“ (HHW 4, 102)144 bezeichnet, bevor er sich von dieser Vorstellung später wieder verabschiedet. Doch die Offenheit bleibt, wie auch die innere Zerrissenheit des Dichters, der nicht auf eine restitutive Zusammenfügung wie bei Osiris hoffen kann. Ironie fungiert bei ihm als Stil- und Überlebensmittel. Sie symbolisiert den existentiellen Weltriss nicht nur in Heines „literarischer Religionskritik“145, die den Tod Gottes in der Sprache des Mythos erzählt,146 sondern drückt auch das religiöse Grundgefühl der Zeit „Gott ist für uns verloren“ und den damit verbundenen Plausibilitätsverlust des Gottesgedankens aus, wie er sich in den drei großen philosophischtheologischen Streitsachen um 1800 zeigt und von Heine variantenreich in Schriftform durchgespielt wird. Alles zusammen zeigt die Bewusstseinslage des massiven Erfahrungswandels durch die modernen Umbrüche in der Zeit der politischen und industriellen Doppelrevolution in Europa in existentieller Dramatik. 994.995). Wörtlich übersetzt heißt das französische Sprichwort: „man kann niemals verraten werden, es sei denn durch die Seinen“ (a. a. O., 547). Die Sammlung von 1869 endet mit der Notiz: „Gott wird mir die Torheiten verzeihen, die ich über ihn vorgebracht, wie ich meinen Gegnern die Torheiten verzeihe, die sie gegen mich geschrieben, obgleich sie geistig so tief unter mir standen, wie ich unter dir stehe, o mein Gott!“ (a. a. O., 432). Die Säkularausgabe ordnet die Reihenfolge anders und platziert den Ausspruch an Nummer 280 von 405 Aphorismen und Fragmenten aus den Nachlass (H. HEINE, HSA 12, 185–251). Ein Kommentarband steht noch aus. Anders verfährt die Düsseldorfer Ausgabe, die den Nachlass möglichst chronologisch den veröffentlichten Schriften Heines zuordnen will. Daher findet sich dieser Aphorismus nun im Anhang (DHA 8/1, 457 zu a. a. O., 67,17 ff. [HHW 4, 108–120]) zur historisch-kritischen Ausgabe von Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland (DHA 8/1, 9–120). 144 „Denn Deutschland ist der gedeihlichste Boden des Pantheismus; dieser ist die Religion unserer größten Denker, unserer besten Künstler, und der Deismus [...] ist dort längst in der Theorie gestürzt. [...] Man sagt es nicht, aber jeder weiß es; der Pantheismus ist das öffentliche Geheimnis in Deutschland. In der Tat, wir sind dem Deismus entwachsen. Wir sind frei und wollen keinen donnernden Tyrannen. Wir sind mündig und bedürfen keiner väterlichen Vorsorge. Auch sind wir keine Machwerke eines großen Mechanikus. Der Deismus ist eine Religion für Knechte, für Kinder, für Genfer, für Uhrmacher.“ (HHW 4, 101.102). Vgl. auch W. SCHRÖDER 1989. 145 Zum Begriff vgl. W. G ÖSSMANN 1990, 134–142; 153–168. 146 Vgl. H. B LUMENBERG 2001, 353.

4.3 „When God died I went to Sea with Ishmael ...“ (Herman Melville)

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4.3 „When God died I went to Sea with Ishmael ...“ – Überleben nach dem Tode Gottes auf dem offenen Meer (Herman Melville) 4.3 „When God died I went to Sea with Ishmael ...“ (Herman Melville)

(1) An Biographie und Werk des US-amerikanischen Schriftstellers Herman Melville (1819–1891)147 lassen sich eine Reihe von Transformationsprozessen in der „Neuen Welt“ ablesen: Etwa an theologischen Suchbewegungen im nordamerikanischen Calvinismus,148 am Zusammenbruch der romantischen Weltsicht des Transzendentalismus, an soziopolitischen Umwälzungen in der US-amerikanischen Gesellschaft149 oder am „Programm zur politischen und geo-strategischen Situierung der noch jungen Vereinigten Staaten von Amerika.“150 In der Zeit zwischen Melvilles Romanepos Moby-Dick (1851) und der epischen Dichtung Clarel (1876) hat sich das Gesicht der jungen nordamerikanischen Nation nicht nur durch die besiedelnde Kolonialisierung des „Wilden Westens“151 (ab ca. 1840–1890) und den Bürgerkrieg (1861–65) verändert: „America had gone through a period of war, reconstruction, and economic exploitation, in which an unregulated capitalism used self-justifying language about Christian democracy. During this period, Melville himself went through a period of exhaustion and depression“.152 Mit dieser Deutung der geistigen Lage seiner Zeit und seinen Erinnerungen an eine frühere Reise nach Ägypten und in den Mittleren Osten (1856/57) klappt der Hintergrund für Clarel. A Poem and Pilgrimage in the Holy Land (1876) auf: „Clarel is a portrait of America in the gap, between the old agrarian optimism and the industrialism and disillusion of the century’s end. It records a final loss of innocence of both author and author’s nation.“153 Das Epos bringt die religiöse Vergangenheit mit der säkularen Gegenwart zusammen, um zu prüfen, ob beide zusammenbestehen können. In den letzten Jahren ist Clarel für das Verständnis des Schriftstellers, seine religiöse Entwicklung und seine Behandlung des interkulturellen Kontakts („,intersympathy of creeds‘“) sowie der kulturellen Differenz („clashes among Zur Biographie vgl. A. DELBANCO 2009; knapp berichtet über Melville J. LAUSTER 2014b, 593–595. Eingeflossen in diesen Abschnitt sind Passagen aus meinem auf Isländisch erschienenen Aufsatz: PH. DAVID 2017c. Ein Kapitel über Moby Dick hätte Guthke gern noch seiner Studie zur „entgötterten Welt“ beigefügt (K. S. GUTHKE 1971, 9.10). 148 Vgl. TH. W. H ERBERT 1977; 1986. 149 W. H AMILTON 1974, 248. 150 R. D ÜKER 2010, 74 mit Verweis auf Melvilles Reisetagebuch White-Jacket. Zu Geschichte und Selbstverständnis der USA jetzt J. LEPORE (2018) 2019. 151 Vgl. zur Geschichte der nordamerikanischen Frontier als „eine Geschichte kontinuierlichen und irreversiblen Landverlustes der Indianer“ J. OSTERHAMMEL 2009, 465–500. 152 W. H AMILTON 1974, 250. 153 W. H AMILTON 1985, 26. Zur Interpretation von Clarel vgl. W. H AMILTON 1985, 24– 40 sowie K. J. HAYES 2007. 147

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creeds“; „religious violence“) von großer Bedeutung geworden.154 Das Gedicht erzählt möglicherweise auch von Melvilles eigenem Glaubensverlust in Gestalt der Geschichte des nordamerikanischen Theologiestudenten (a young divinity student tormented by doubts) Clarel, der sich auf eine Reise ins Heilige Land begibt, dort auf Christen, Muslime und Juden sowie Exilanten, europäische Revolutionäre und amerikanische Bürgerkriegsveteranen trifft, also auf Gläubige, die unterschiedliche Religionen und Weltanschauungen verkörpern, und die allesamt ihre Heimat verlassen haben. In ihrer Unterschiedlichkeit sind sie durch ihre individuellen Verlusterfahrungen auf ihrer Pilgerreise durch das Heilige Land vereint.155 Damit gelingt es Melville, zugleich die mentalen biblischen Geschichten und konkreten Landschaften mit Ereignissen der modernen Geschichte in den Figuren so zu verschränken, um zu fragen, ob beide koexistieren können156: „Is religion still valid in the age of science and technology, an era when engineers, not priests, have assumed the responsibility for solving man’s problems? Is sacred history relevant in the face of scientific fact?“157 Diese und viele anderen Themen verarbeitet Clarel auch mittels seines Protagonisten, der die Vereinigten Staaten symbolisiert und die epistemologische Unsicherheit, der Träumer und Zweifler zugleich ist, der sich in die Jüdin Ruth verliebt, die am Ende stirbt. Auch seine von Skepsis und Glaubensverlust geprägte und veranlasste Suche endet in einer Verlusterfahrung. Clarel ist eine Idealfigur moderner Existenz, die die Unsicherheit der modernen Zeit verkörpert und deren Gemeinschaft gekennzeichnet ist von Abwesenheit, Entfremdung, Exil und Verlust.158 Diese Reise durch das Heilige Land zu den versteinerten Relikten der Antike steht unter den Vorzeichen: Gibt es nicht doch noch einen verbliebenen heiligen Ort in Palästina? Ist da nicht doch noch ein Jesus oder etwas menschliche Liebe zwischen den Ruinen der toten Götter und Glaubensweisen, zwischen „primitivism“ und „transcendentalism“? Die Antwort heißt nun nicht einfach „Nein“. Die Suche nach Jesus und einem Leben nach dem Tode Gottes gestaltet sich in dem Gedicht aber überaus steinig. Gott ist nicht einfach tot. Wieder und wieder wird behauptet, dass der christliche Gott verschwunden sei, auch wenn die Hoffnung ausgesprochen wird: „Perhaps He may return“159. Doch am 154 Vgl. B. Y OTHERS 2018, 64; 70. In diesem Artikel finden sich weitere Informationen zur Bedeutung von The Holy Land im 19. Jahrhundert für US-amerikanische Protestanten und für Melvilles Werk: „For Melville, the Holy Land functioned as a backdrop for a host of questions about religious faith and doubt, the nature of American nationalism and imperialism and the meaning and function of art“ (B. YOTHERS 2018, 70). 155 Die ungleiche Reisegruppe konstituiert zugleich einen Mikrokosmos der weiten jüdisch-christlichen Welt. Vgl. K. J. HAYES 2007, 96. 156 Vgl. K. J. H AYES 2007, 94. 157 K. J. H AYES 2007, 94.95. 158 Vgl. K. J. H AYES 2007, 97. 159 W. H AMILTON 1974, 254.

4.3 „When God died I went to Sea with Ishmael ...“ (Herman Melville)

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Ende des Gedichts bleibt kein heiliger Ort, keine Überlieferung, keine Liebe übrig, wenn die Angebetete stirbt: „The death of Ruth is Clarel’s Good Friday. On Easter, nothing happens.“160 Am Ende bleibt nur ein verzweifelter Schrei – doch niemand antwortet. Clarels Traum von Eden hat sich in Gethsemane verwandelt. Seine Suche bleibt erfolglos. Die Verzweiflung am eigenen Glauben bleibt bestehen. Die Frage nach der Relevanz des Glaubens für die moderne Welt auch. Doch Melville schwankt und sucht einen dritten Weg zwischen Verzweiflung und Hoffnung, zwischen Glauben und Unglauben: [T]he clash between faith and scepticism [...] was reaching a crisis point during the second half of the nineteenth century.“161 (2) Diesen dritten Weg eines Überlebens zwischen Glaube und Zweifel kann man bereits in der Figur des Ishmael162 aus dem Romanepos Moby-Dick finden.163 Der Roman Moby-Dick; or, The Whale164 (1851) ist in einer Zeit entstanden, in der sich die Vereinigten Staaten von Amerika massiv gewandelt haben. Als der lange Gang nach Westen, der mit der Landung der Pilgrim Fathers 1620 begonnen hatte, sein Ende fand; als die Weite und Freiheit der Neuen Welt endlich wurde, „die Räume erträumter Möglichkeiten“165 enger, und es nach den Entdeckungen und Eroberungen der nordamerikanischen Frontier166 daran ging, das Zusammenleben zwischen Menschen unterschiedlicher Herkünfte zu organisieren sowie die Herausforderungen des industriellen Zeitalters zu meistern. Die Vereinigten Staaten von Amerika lösten sich aus dem Kolonialverbund des Britischen Empires und wurden zu einer Nation unter anderen Nationen. Ein Zeuge dieser Umwälzungen war Melville, der mit seinem großen Epos einen anspielungs- und deutungsreichen Roman, gespeist aus umfangreichem Bibel- und Bibliothekswissen, über Amerika und eine Reise durch die unendlichen Weiten von Raum und Zeit, Mythologien, Philosophien und Religionen geschaffen hat. Mit seiner fiktiven Figur Ahab, dem W. HAMILTON 1985, 38. K. J. HAYES 2007, 93. 162 Ausführlich mit biographischen Bezügen und Verweisen auf eine Entwicklung dieser Figur vor und nach Moby-Dick vgl. W. HAMILTON 1985, 1–48. 163 So deutet es auch für sich selber W. H AMILTON 1985, 40. Vgl. bereits W. H AMILTON 1974, 255: „[P]erhaps we should take the survivor, Ishmael, as our modest model, eschewing both the splendid Ahab on his mythic journey and the admirable American innocent, Billy Budd.“ 164 Moby-Dick in kursiver Schrifttype weist auf den Roman hin, Moby Dick in recte und ohne Bindestrich auf den Wal. An einigen Stellen im Text wird auf Passagen im Roman durch Hinweise auf das entsprechende Kapitel (Kap. 1–135 und Epilog) verwiesen. Der Roman erscheint exakt 200 Jahre nach Thomas Hobbes’ staatstheoretischer Schrift Leviathan (1651), in der das Tier (Hiob 3,8; 40,25–41,26; Ps 74,14) das Staatswesen symbolisiert. Die Melville Society veröffentlicht seit 1999 ein Journal Leviathan zur Erforschung von Melvilles Werk. 165 J. O STERHAMMEL 2009, 465. 166 Vgl. dazu J. O STERHAMMEL 2009, 486–500. 160 161

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Kapitän des Walfängers Pequod, erschuf Melville den „tollen Menschen“ Amerikas.167 Er war verrückt, weil er glaubte: an Gott, an Mythen, Metaphern und den Symbolismus sowie an Wale, die nicht wirklich Wale waren, sondern Zeichen für eine tiefere Bedeutung sind. Realgeschichtlich war der Walfang symbolische „Speerspitze“ der „maritime[n] Expansion der USA in den Pazifik [...] als Voranschieben einer Frontier über die Landesgrenzen hinaus.“168 Der Walfang, „ein globales Geschäft mit einer komplizierten Geographie und Chronologie“169 gehört zu den „großen Epen des 19. Jahrhunderts und war dennoch eine Art Industrie.“170 Die nordamerikanischen Walfänger stiegen im Jahr 1715 von Nantucket in Massachusetts aus zunächst in den Pottwalfang im Atlantik ein, drangen dann 1789 in den Pazifik vor und machten die USA 1812 zur wichtigsten Walfangnation der Welt.171 Den Höhepunkt seiner internationalen Bedeutung erreichte der Walfang etwa zwischen 1820 und 1860, also genau zu der Zeit, als Melvilles Roman entstanden und erschienen ist. Aus den untereinander konkurrierenden Häfen Neuenglands wie Nantucket und New Bedford lief die US-Walfangflotte bevorzugt aus. Im Jahr 1846 zählt die Flotte insgesamt 722 Walfangschiffe. Im Visier der Handharpunen der Hälfte der Flotte war besonders der Pottwal (Physeter catodon und Physeter macrocephalus), der in der Ordnung der Waltiere (Cetacea) zur Unterordnung der Zahnwale (Odontoceti) gehört und auf Englisch bis heute sperm whale heißt. Ziel des Begehrens war die seinem riesigen Kopf zu findende Körperflüssigkeit „Walrat“ (spermaceti), die zu Öl verkocht wurde, mit dem Haushaltskerzen, Straßenlaternen, Leuchttürme und Lokomotivscheinwerfer beleuchtet wurden. (3) Für den Theologen und Literaturwissenschaftler William Hamilton zeigt sich Melville als ein Theologe, der sich radikal an einen neuen Anfang seines theologischen Denkweges stellt und fragt: „Can Ishmael become a model for the Christian theological enterprise? Survival may be asking too little of our times; if it is, then Ishmael will appear too tame, too liberal. But it may be a valuable beginning for those still committed to theological work after the death of God and in the presence of the religious revolution.“172 Hamiltons Lektüre Vgl. W. HAMILTON 1974, 240. J. OSTERHAMMEL 2009, 480 mit weiterem Erschließungsmaterial zu dieser These. 169 J. O STERHAMMEL 2009, 557. 170 J. O STERHAMMEL 2009, 556. 171 Vgl. J. O STERHAMMEL 2009, 556.557. 172 W. H AMILTON 1974, 255. Für William Hamilton ist sein „theological return to Melville“ (vgl. W. HAMILTON 1974, 248) eine Wegmarke seines Denkens. Er gehört zu jenen Theologen, die in vorderster Reihe der US-amerikanischen Gott-ist-tot-Bewegung gestanden haben und der als konsequente Folge daraus seine Theologie in Literaturwissenschaft transformiert hat. Seine Untersuchungen zu Melville, Dostoevskij, Camus u. a. zeichnen ihn als einen „insightful interpreter[] of modern literature“ (L. STEFFEN 1989, 847) aus. Vgl. aus den Werken von Hamilton Reading Moby-Dick and Other Essays; A Quest for the Post167 168

4.3 „When God died I went to Sea with Ishmael ...“ (Herman Melville)

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von Melvilles „dark teaching of the wicked book“173 bildet die Hintergrundfolie der folgenden Deutung des Romans Moby-Dick,174 die den Tod Gottes als Leitmotiv seiner Interpretation herausstellt175: „The death of God, in a complex way, is at the center of my understanding of this novel.“176 Melville ist für Hamilton ein Meister der Täuschung. So können wir nicht wirklich sagen, was er persönlich über Religion dachte. Er verbarg sich hinter seinen Texten, seinen fiktiven Figuren, seiner Autorschaft, seiner Prosa, seiner Poesie, seinen Briefen und seinen Essays. Er neckte und schreckte das real existierende Christentum mit der Bedeutungslosigkeit von Jesus für das Leben, mit der unerträglichen Theodizee sowie der unleugbaren Dunkelheit des menschlichen Herzens.177 Die christliche Frömmigkeit seiner Zeit war für ihn einfach nicht tauglich für das wirkliche Leben. Persönlich wurde Melville durch sein religiös auseinanderstrebendes Elternhaus geprägt. Auf der einen Seite stand der strenge calvinistische Vorsehungsglaube seiner Mutter aus der reformierten Orthodoxie der Dutch Reformed Church und auf der anderen Seite der liberale und optimistische Unitarismus seines Vaters: „From the father came Jesus, from the mother came God. (A nice inversion of the usual Protestant pattern.)“178 Der religiösen Richtung des amerikanischen Transzendentalismus seiner Zeit stand er ablehnend gegenüber. Die Figur des Ahab kann als Personifizierung dieser Richtung gedeutet werden. Doch ,Melville‘ meint für Hamilton weniger die Person des Autors als vielmehr eine Chiffre für das literarische Werk. Hamilton beschreibt die Ausgangslage für seine Interpretation so: „What Melville had to say about religion is so fascinating, so moving, that it doesn’t matter that he, like the rest of us but with much more skill, hid behind his words.“179 In seiner Studie Melville and the Gods hat Hamilton eine Sammlung von drei Texten vorgelegt, die das Religionsthema unter den Titeln Ishmael, Ahab und The Inhuman Sea behandeln. Das Thema, das den Theologen Hamilton bei seinem Versuch begleitet, einen Weg jenseits von Glauben und Unglauben zu finden, ist eingangs durch eine Äußerung Nathaniel Hawthornes über Melville als Leitgedanke für seine Interpretation eingespielt: „He can neither believe, nor be comfortable in his unbelief; and he is too honest and courageous not to Historical Jesus; Shakespeare, God, and Me. Vgl. zu William Hamilton auch Abschnitt 6.2.1 diesem Buch. 173 W. H AMILTON 1974, 249. 174 Vgl. W. H AMILTON 1985. 175 W. H AMILTON 1989b. „The title essay is in the form of a reader’s or study guide, which means it can be read before, during, and after (but never instead of) the reading of the novel itself“ (W. HAMILTON 1989a, ix). 176 W. H AMILTON 1989a, ix. 177 W. H AMILTON 1985, 8. 178 W. H AMILTON 1985, 8. 179 W. H AMILTON 1985, xi.

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try to do one or the other. If he were a religious man, he would be one of the most truly religious and reverential, he has a very high and noble nature, and is better worth immortality than most of us.“180 Im Kapitel Ishmael untersucht Hamilton, was Melvilles Schriften zum Thema Religion, Götter und Christentum sagen. Die hervorstechenden Motive sind Pilgerschaft, Suche und Flucht. Die Entdeckung der Figur Ahab bedeutete für Melville einen explosiven Höheund Wendepunkt in seiner religiösen Suche und zwar: „something like the experience of the death of God.“181 Anhand der Monologe Ahabs wird dem Wesen dieser Explosion nachgegangen. Das Kapitel The Inhuman Sea befasst sich nun nicht mit Gott oder Jesus, sondern mit dem Meer, das schließlich selbst zum Gott wird. Hamilton macht sich in seiner Lektüre des Romans gemeinsam mit Ishmael auf, das offene Meer zu besegeln: „When God died, I went to sea with Ishmael, and have gladly remained there.“182 Melvilles lebenslange literarische und lebensweltliche Begegnung mit dem Christentum kann als Suche und Flucht zugleich bezeichnet werden. Dafür steht in Moby-Dick die Figur Ishmael: „Call me Ishmael.“ – So stellt sich der Ich-Erzähler in den ersten Worten des Romans vor. Wie sein Name wirklich lautet, bleibt offen. Doch in dieser Figur zeigt sich ein komplexes synkretistisches Netzwerk. Ishmael ist ein spiritueller Abenteurer, der aus (einer ironisch gespielten?) Verzweiflung und Depression das Land verlassen will, um auf See Erlösung zu suchen. Der im biblischen Mythos in die Wüste ausgestoßene uneheliche Sohn Abrahams (Gen 16; 25,9) sucht hier nun auf dem Meer nach Erlösung, und wir besegeln mit ihm „verbotene Meere“ und landen an „barbarischen Küsten“ (Kap. 1). Am Ende der Geschichte überlebt er als Einziger dadurch, dass er sich im offenen Meer an den Sarg seines geliebten Freundes, des Polynesiers und Harpuniers Queequeg, klammern kann, bis seine ‚Rettungsboje‘ von dem Schiff Rachel aufgefischt wird. Als Waise aufgenommen in den „Mutterleib“ der Lieblingsfrau seines Neffen Jakob, die später einen anderen aus der Gemeinschaft Ausgestoßenen gebären sollte, der jenseits der Wüste und fernab der Heimat für seine Leute die Not wenden wird: der Träumer im bunten Kleid, Joseph. Doch das ist eine andere Geschichte vom Überleben.183 (4) Moby-Dick ist unter vielen verschiedenen Deutungsmöglichkeiten184 auch ein Dokument einer religiöse Suche im 19. Jahrhundert, für die die beiden Zit. n. W. HAMILTON 1985, v. W. HAMILTON 1985, xi. 182 W. H AMILTON 1985, xii. Nietzsche verwendet dann 1887 ebenfalls das offene Meer als Metapher für die neue Morgenröthe nach dem größten neueren Ereignis. Vgl. F. NIETZSCHE, KSA 3, 573.574. 183 Vgl. hierzu PH. D AVID 2011. 184 W. H AMILTON 1989b, 1–3, zählt drei Wege auf, Moby-Dick zu lesen: den poetischen, den politischen und den theologischen. Poetisch wird der Roman verstanden als sprachliches Verweissystem, politisch als Suche nach dem sichtbaren Amerika. Ahab ist vorgestellt als 180 181

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Hauptfiguren Ishmael (Gen 16; 25,9) und Ahab (1. Kön 16,28–22,40) auf unterschiedliche Weise stehen. Die religiösen Anspielungen des Romans sind von Anfang an vielfältig und (be-)deutungsreich.185 Sie finden sich bei den Namensgebungen, den wiederkehrenden Motiven aus der Geschichte von Jona, über die eingangs in der Walfängerkapelle in New Bedford von Father Mapple gepredigt wurde (Kap. 7–9), bis zur Rückkehr des Propheten Elias (Kap. 19) vor dem Auslaufen des Schiffes am Weihnachtstag (Kap. 22), um das Kommen (die Geburt) des Messias anzukündigen, und am Ende beim Versinken der Pequod im Pazifik. Vielleicht bedeutet dieses Ende eine invertierte Auferstehung,186 ein neues Eden oder eine neue Sintflut mit Ishmael als ‚Noah redivivus‘? Der Anfang der Geschichte auf dem Walfänger liegt am Weihnachtstag mit der Geburt Jesu, aber die Deutung des Endes bleibt offen und ist mit einer Ernüchterung über bisherige Ideale versehen. Hamilton warnt den Leser vor einer Täuschung: „Moby-Dick must, at all costs, be deprived of any hint of a happy ending in which evil at last is defeated.“187 Am Ende (Epilog) steht das Überleben (mit Hinweis auf Hiob 1,19) gepaart mit der Erinnerung an eine zwischen Menschen mögliche Liebe: „At the end of Moby-Dick, Ishmael is alone in the water. That false redeemer that he hoped would quiet his despair has proved to be a killer. The true redeemer [i.e. Queequeg; d. A.] he had come to love was killed by the false one, as Ishmael stays afloat by virtue of the coffin and death of his friend. Perhaps alone in the water, Ishmael sensed the theological patterns of his adventure. Men who would make themselves God in order to kill God become mad and become killers. Whales, even when they are only whales, can kill when spurred on by monomaniac men. Man is alone, with but the memory of human love, in a dark place.“188

korrupter Unternehmer und die Besatzung als unterdrückte Arbeiter. Für die Schiffseigner ist die Religion eines, die Welt ein anderes. Sie zahlt Dividenden. Moby-Dick steht für das Ende der neuen Welt. Eine theologische Lektüre stellt Fragen nach den verschiedenen Glaubensweisen von Ishmael. Melville selber plagte eine tiefe Erschöpfung und Verzweiflung, als er an diesem Buch arbeitete, das er als „Entwurf eines Entwurfes“ (W. GÖSKE 2001, 891) bezeichnete. Die Besatzung der Pequod – das Schiff ist nach einem ausgerotteten Indianerstamm aus Massachusetts benannt – spiegelt auch die verschiedenen ethnischen und religiösen Bevölkerungsgruppen des damaligen Amerikas. Vgl. W. HAMILTON 1989b, 23. Es ist auch ein Roman voller Doppelgängergeschichten (vgl. knapp R. DÜKER 2010, 74; 77). Nicht nur ähneln sich Moby Dick und die Pequod bis zur Ununterscheidbarkeit, als Leviathan gleicht die Pequod dem Staat der USA. Ahab war ehemals ein König in Israel. Amerika erschien Melville als das Israel seiner Zeit mit einem globalen Sendungsbewusstsein. 185 Die biblischen Textwelten der King James Version sind für Melvilles Werk insgesamt eine reiche Fundgrube. Hinter seinem Roman öffnet sich zudem ein schier unendliches literarisches Universum. Vgl. W. GÖSKE 2001, 899.900. 186 W. H AMILTON 1985, 9. 187 W. H AMILTON 1989b, 76. 188 W. H AMILTON 1985, 15.

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(5) Der falsche Erlöser, gottähnlich und ungöttlich sowie Gottmensch und Gottesmörder in einer Person, ist Ahab.189 Er verkörpert ebenfalls eine religiöse Suche. Doch diese geht mit totaler Zerstörung einher. Vierzig Jahre jagt er auf den Weltmeeren nach Walen (Kap. 28). Damit tritt die explosive Seite der Auseinandersetzung Melvilles und auch Ishmaels mit dem christlichen Gott ans Licht: Ahab „is both a committed god-killer and a man divinizing himself in preparation for the kill. God both dies and doesn’t die in Moby-Dick; it is the function of Ahab to demonstrate what happens when one heroic American, larger than life, takes seriously the meaning of God: madness and death.“190 Ahab entpuppt sich in einem Gespräch mit seinem Steuermann Starbuck (Kap. 36) als Anhänger der Transzendentalisten aus New England und hält die ganze Natur für göttlich und damit auch den Weißen Wal.191 Nichts Physisches ist wirklich das, als was es für die Sinne erscheint. Die Dinge tragen ‚Masken‘, und wir müssen diese Masken entfernen, um die darunter liegende Wirklichkeit zu sehen. Und diese Wirklichkeit ist nicht entmythisiert, sondern voller Mythen. Der Mythos ist die Realität und der Rest bedeutungslos, sei es die Moral oder der Walfischmarkt in Nantucket.192 Für Ahab ist die Unergründlichkeit der Dinge unerträglich.193 Daher ist er darauf aus, das zu zerstören, was er nicht verstehen kann. Doch nicht Ahab ist in seiner eigenen Sicht der Auslöser des Hasses, sondern er hat beschlossen, und darin liegt der Grund für seinen Wahnsinn, dass Moby Dick ihn hasst, wofür aber für Ahab überhaupt kein Anlass besteht. Denn schließlich hat der Wal ihm sein Bein genommen (Kap. 28). Das wiederum verpflichtet Ahab dazu, die Götter zu ermorden und alle metaphysischen Vorstellungen, die über ihm stehen194: „God is that ‚being than which none greater can be thought.‘ Ahab is being driven mad, becoming himself divinized, by means of a simple

W. HAMILTON 1985, 49. W. HAMILTON 1985, 49. 191 Mit dem Begriff Transzendentalismus wird eine religiös-soziale Bewegung bezeichnet, die den Protestantismus wiederzubeleben suchte, nachdem sich das Christentum etlichen religionskritischen und skeptischen Angriffen ausgesetzt gesehen hatte. Zu dieser idealistischen Gruppe nordamerikanischer Romantiker in New England (Concord, Massachusetts) um 1835 bis 1860 gehörten u. a. Ralph Waldo Emerson, Henry David Thoreau, Margret Fuller als Editorin ihrer Zeitschrift The Dial u. a. Sie rebellierten im Anschluss an den deutschen Idealismus, die englische Romantik (Samuel Taylor Coleridge), Platon und orientalische Literatur in Wort und Tat gegen die Herrschaft des Rationalismus im öffentlichen Leben. Sie lehnten jede Dogmatik ab, die sich gegen die Intuition und die freie Gewissensentscheidung stellte. Damit eröffneten sie der nordamerikanischen Kunst und Literatur neue Wege, die bis heute begangen werden. Auch Gandhi und Martin Luther King waren vom amerikanischen Transzendentalismus beeinflusst. Vgl. zur Übersicht R. LUNDIN 2005. 192 W. H AMILTON 1985, 52. 193 W. H AMILTON 1985, 53. 194 W. H AMILTON 1985, 54. 189 190

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meditation on the ontological argument.“195 Der calvinistische Gott ist für ihn die Ursache von allem und damit auch für seine ihn zerstückelnde Verwundung. Ein Sturz vor der Abreise der Pequod hatte dazu geführt, dass das aus dem Kiefernknochen eines Pottwals gefertigte Bein ihn zusätzlich noch so gut wie katastriert hat. Diese ‚doppelte Kastration‘ Ahabs verwandelt ihn nun selbst in einen göttlichen bösen Killer des bösen Göttlichen, nicht, weil er nicht glauben würde, sondern vielmehr, weil er glaubt. Er hat die calvinistische Lehre von der Vorherbestimmung Gottes (providentia Dei), dass alles innerweltliche Geschehen auf die Allursächlichkeit der göttlichen Vorsehung zurückgeführt werden muss, quasi mit der Muttermilch aufgesogen.196 Moby Dick hat ihm sein Bein ausgerissen. Und Gott ist die Ursache von allem. So verschmelzen Gott und Moby Dick zu einem einzigen Feind. Beide sind böse, und weil sie böse sind, müssen sie ermordet werden. Moby Dick zu töten, heißt darum den protestantischen Gott zu töten. Die Suche der Pequod ist also eine religiöse Suche, und zwar eine Suche nach Gott.197 Ahabs Glaube zeigt sich so als eine gefährliche Mixtur aus Transzendentalismus und puritanischem Calvinismus. Als Transzendentalist vergöttlicht er jedes einzelne Stück der Natur, auch einen einzelnen Pottwal.198 Als Calvinist sieht er sein eigenes Leid und Elend im Licht der Vorsehung Gottes. Und diese Gottheit ist am Leben, böse und würdig, zerstört zu werden.199 Melville zeigt mit Ahab, wohin der Glaube an den christlichen Gott auch führen kann, vor allem dann, wenn er zudem mit einer theologischen Reflexion gepaart ist200: „Becoming God to kill God becomes madness, suicide, and murder.“201 Bevor die tödliche Jagd beginnt, zerstört Ahab den Quadranten. Nicht nur die Wissenschaft wird damit zurückgewiesen, auch jegliche Ordnung und jegliches Augenmaß (Kap. 118). Ahab wird zum Sonnengott Apollo (Kap. 124) und zum Christus202 (Kap. 133). Der heftige Taifun lässt die Wache staunend fragen, ob die Erde wohl irgendwo mit Ankertauen befestigt sei (Kap. 121).203 Am Ende geht die Pequod nach dreitätigem Kampf mit dem Wal (Kap. 133– W. HAMILTON 1985, 54. Vgl. J. CALVIN, Unterricht in der christlichen Religion, I, 16: „Gott erhält und schützt die von ihm erschaffene Welt und regiert sie bis ins einzelne mit seiner Vorsehung.“ 197 W. H AMILTON 1985, 55. 198 W. H AMILTON 1985, 77: „Romantic transcendentalism received no more decisive rejection in the nineteenth century than in this story of Ahab and his sea.“ 199 W. H AMILTON 1985, 55. 200 Vgl. W. H AMILTON 1985, 59. 201 W. H AMILTON 1985, 59. 202 Vgl. W. H AMILTON 1989b, 74.75. 203 Gut dreißig Jahre nach Moby-Dick empfand Nietzsches „toller Mensch“ als eine Konsequenz der Erfahrung des Todes Gottes, dass die Ankertaue zertrennt sind, die die Erde an die Sonne banden. Losgekettet von der Sonne taumelt die Erde nun orientierungslos durch die unbekannten Weiten. Vgl. F. NIETZSCHE, KSA 3, 480–482. 195 196

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135) in einem Strudel unter wie in den Zeiten der Sintflut, als Gott seinem Zorn freien Lauf ließ und die von ihm geschaffene Welt zerstörte (Gen 7). Am Ende, als Ishmael allein im Ozean an den Sarg geklammert treibt, mystisch vereint mit der Weite des Meeres (Epilog), ist der gefährliche Gott-Mensch Ahab tot, von eigener Hand umgebracht durch das Seil der Harpune. Ahab konnte es nicht ertragen, selbst kein Gott zu sein, wenn es Götter gibt.204 Und Moby Dick hat sich als das erwiesen, was er ist: als ein Pottwal. Er lebt. Doch anders als zum Schluss seiner Rede (Kap. 36) winkt Ahab, gebunden an den Weißen Wal, in der Romanvorlage nicht noch einmal mit seinem freien Arm der Mannschaft zu, wie er es in der Verfilmung des Romans von 1956 tut,205 die ihm darauf bereitwillig in den Tod folgt. Moby Dick lebt, und Ahab ist im blinden Glauben für immer in mystischer Einheit an ihn angetaut.206 (6) Die Erschaffung Ahabs war der große Akt, durch den Melville den Tod Gottes bekräftigte. Der Tod des Killer-Gottes des calvinistischen Christentums führte zu einer neuen Intensität der Betrachtung des Meeres.207 Das Meer ist alles, was das Land nicht ist, was Amerika nicht ist. Das Meer ist für Melville zu einem Gott geworden, den er nicht mehr leugnen muss wie einst den christlichen, der ihm wegen der Theodizeefrage unglaubwürdig geworden war. Es ist der Gott, der jenseits von Glaube und Unglaube ist. Das Meer hat für den vor der Stadt (New York City) und dem Land fliehenden Ishmael Heilungskraft: „Not only does sea heal the landsman’s depression, not only is it the dangerous symbol of life ungraspable; now it is related to freedom, heroism, the idealized American character.“208 Etwas im Meer bringt das Menschliche ans Licht: die tragische Einzigartigkeit jedes einzelnen Menschen.209 Damit wird auch das amerikanische Ideal des Landes auf den Kopf gestellt, wenn das Meer nun zum Sinnbild von allem menschlich Möglichen wird.210 Am Schluss, im Stillen Ozean, wird das Meer zur anima mundi, zum Leben schaffenden Prinzip selbst, ruhelos wie das Leben selbst, sanft und tödlich zugleich. Der Pazifik ist zum Gott geworden (Kap. 111). Das Meer war in der Vorstellung Ishmaels am Anfang noch der kleine Gott Narziss, der gebeugt über sein 204 205

Vgl. W. HAMILTON 1985, 60; vgl. F. NIETZSCHE, KSA 4, 110. John Houston verfilmte den Roman 1956 mit Gregory Peck in der Rolle des Kapitän

Ahab. Vgl. W. HAMILTON 1989b, 77. Vgl. W. HAMILTON 1989b, 61; 68.69. Meer: Welt des Geistes, offener Raum, Freiheit, Gefahr, das Herz, Hingabe, Güte, Gott und Wahnsinn. Das Land, die Stadt: geschlossener Raum, Familie, sklavisches Verhalten, Sicherheit, der Kopf, Rationalität, Selbstsucht, die Welt (vgl. W. HAMILTON 1985, 68). Der zeitgenössischen ,modernen‘ Entdeckung des Meeres als Gegenwelt der Natur verdanken die Inseln, die für Heinrich Heine bedeutsam waren, ihre Bedeutung. Vgl. G. GROSSKLAUS 2013, 47. 208 Vgl. W. H AMILTON 1985, 69.70. 209 W. H AMILTON 1985, 70. 210 W. H AMILTON 1985, 71. 206 207

4.3 „When God died I went to Sea with Ishmael ...“ (Herman Melville)

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Spiegelbild im Teich dagestanden hatte. Am Schluss ist es der mächtige Pazifik, der für Ishmael zum Symbol des gesamten Universums, von Himmel und Erde, wird. Es ist nun der große Pan und nicht mehr der kleine Narziss, vor dem alle die Knie beugen müssen. Melville war nicht mehr in der Lage, den christlichen Gott zu loben, dieser war ja zum Grund des Bösen geworden. Das Meer ist nun sein neuer Gott, der seine Göttlichkeit nicht aufgrund seiner bösen Natur verliert.211 Melville flieht vom Grund und Boden des Landes auf das offene Meer und ruft vierzig Jahre nach Moby-Dick in Pebbles (1891) aus: „‚Healed of my hurt, I laud the inhuman Sea –‘.“212 Diesen Gott muss er nicht mehr hassen, nicht mehr fliehen. (7) Melvilles religiöse Pilgerschaft begann mit einem relativ intakten christlichen Gottesverständnis und einem säkularen, nicht-symbolischen Verständnis des Meeres. Der christliche Gott konnte aufgrund seiner dunklen, bösen Seite nicht mehr angebetet werden. Aber das Meer konnte, Anbetung und Böses in sich vereinigend, angebetet werden. Die quälende Theodizeefrage war für ihn damit erledigt: „When God dies, or is finally killed, other gods sometimes mercifully appear if you need them.“213 Das unmenschliche Meer hielt für Melville eine Theologie bereit, die Erlösung verspricht: „The Pequod’s voyage is one of the great mystical pilgrimages in literature. The story of one man’s attempt to kill the Christian God. Ahab did not pull it off; Melville nearly did.“214 Die Geschichte eines religiösen Fanatikers läuft parallel mit der politischtheologischen Suche nach Amerika und einer vertrauenswürdigen Gottheit, einem demokratischen Gott.215 Es ist damit nicht bloß die Geschichte einer historischen oder literarischen Vergangenheit, sondern auch bleibender Ausdruck eines Mythos über zerstörerischen Stolz, einen gegenwärtig aufflammenden religiösen Fanatismus und damit der Frage nach einem friedlichen Zusammenleben und einer maßvollen religiösen Gemeinschaft mit menschlichem Antlitz. Für Melville liegt die Alternative zu Ahabs theologischem und egomanischem Wahnsinn nicht in einer neuen Orthodoxie, im Atheismus oder der Vergöttlichung des Menschen, sondern in einer religiösen, post-christlichen Vision einer menschlichen und demokratischen Solidarität, die die Grenzen zwischen den Ethnien überschreitet.216 Ishmael, die Figur des Ausgestoßenen, ist der Träger dieser Verheißung. Einer gefährdeten Verheißung, wie sich immer wieder zeigt. Denn das Böse ist nicht ein für allemal besiegt – Ishmael treibt es

W. HAMILTON 1985, 74. W. HAMILTON 1985, 85. 213 W. H AMILTON 1985, 84. 214 W. H AMILTON 1985, 57. 215 Vgl. W. H AMILTON 1989b, 64. 216 Vgl. W. H AMILTON 1989b, 76. 211 212

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4 Das Erlebnis des Todes Gottes als Ausdruck eines Erfahrungswandels

wieder an den Anfang der Geschichte zurück.217 Den Verlorenen zieht es immer noch und immer wieder auf „verbotene Meere“, „um sich die Trübsale zu vertreiben“ (Kap. 1). Vielleicht geht er eines Tages sogar wieder an Bord eines Walfängers. Dieses Mal als Kapitän. Und sein Schiff nennt er Ahab.218 Es ist nicht leicht, die Fesseln der Vergangenheit, die Grammatik, loszuwerden.

4.4 Nachkriegszeit und Trümmerliteratur: Das Begräbnis des lieben Gottes (Wolfdietrich Schnurre) 4.4 Nachkriegszeit und Trümmerliteratur (Wolfdietrich Schnurre)

(1) Den philosophisch-theologischen Debatten um 1800 war eine nicht einfach zu übertünchende existentielle Relevanz eingeschrieben, für die Jean Pauls Rede „der dramatische Höhepunkt des Ringens der religiösen Existenz mit der Frage [war], ob der überlieferte christliche Glaube auch gewiss, ob er denn noch wahr sei.“219 Jean Paul brachte nichts weniger als „die existentielle Angst zum Ausdruck, die den Menschen erfasst, wenn er den Atheismus entdeckt.“220 Doch seine Romanpassage leistet noch mehr. Sie enthüllt auch „die große Unschlüssigkeit der Intellektuellen des 18. Jahrhunderts angesichts der nunmehr glaubhaften Perspektive einer Welt ohne Gott.“221 150 Jahre nach seinem ersten Erscheinen schien das in Jean Pauls Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, daß kein Gott sei geschilderte Schreckensszenario unentrinnbare Realität geworden zu sein. Sein Text wirkt nun wie ein „Präludium zum 20. Jahrhundert“222. Der Atheismus war kein Gedankenexperiment mehr, den man literarisch durchspielen konnte, um ihn anschließend zu verwerfen. Die grausamen Erfahrungen zweier Weltkriege und des Holocaust stellten die Mensch-

Vgl. auch W. GÖSKE 2001, 903. Vgl. W. HAMILTON 1989b, 77. 219 G. ESSEN 2012, 225. 220 G. M INOIS 2000, 389. 221 G. M INOIS 2000, 390. 222 So E. JÜNGEL (1977) 1986, 69; vgl. auch H. G OLLWITZER 1970, 105.106. In welchem Ausmaß die Rede des toten Christus noch „ein direkter Bezugspunkt modernen Leidens“ (D. WELTECKE 2010, 15) in ihren Ambivalenzen zwischen Traum und Albtraum sein kann, zeigt sich beispielsweise an der musikalischen Umsetzung dieses Textes durch den Komponisten Wolfgang Rihm (vgl. D. WELTECKE 2010, 15, Anm. 13: „Wolfgang Rihm, Lange Schatten, Musikalische Szene für Soli, gemischten Chor und Orchester, Uraufführung in Frankfurt am Main, 9.6.1985.“), aber auch an einem weiteren Ereignis, nach dem nichts mehr war, wie zuvor (vgl. dazu M. SCHULT 2014): Nach den Anschlägen am 11. September 2001 in New York und Washington „zitierten Internetseiten diesen Text in voller Länge und stellten ihn neben Fotos der in Nebel gehüllten Stahlgerippe.“ (D. WELTECKE 2010, 15. In Anm. 14 finden sich die entsprechenden Hinweise). Text und Bild korrespondieren hier als Ausdruck eines Lebensgefühls und lassen angesichts des Unbeschreiblichen Interpretationen und weitere Texte nicht zu. 217 218

4.4 Nachkriegszeit und Trümmerliteratur (Wolfdietrich Schnurre)

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lichkeit des Menschen in Frage, legten endgültig die alte Welt in Trümmern und beförderten religiöse Indifferenz und Massenatheismus. Im Jahr 1946 wurde Jean Pauls Gedankenexperiment in einer Flugschrift verbreitet, zu der der Heidelberger Neutestamentler Günther Bornkamm (1905–1990) ein Nachwort verfasst hatte.223 Sein Text ist eine der wenigen Ausnahmen in der deutschsprachigen Protestantischen Theologie nach 1945, in der Klage, Verzweiflung und Schreien nach dem verborgenen Gott deutlich ausgesprochen werden: „Ungezählte Menschen unserer Tage sind heute in eben der Lage, die Jean Paul in seiner Dichtung als bedrohliche Möglichkeit über seinem Leben heraufziehen sieht. Ihr Herz ist ,so unglücklich und ausgestorben, daß in ihm alle Gefühle, die das Dasein Gottes bejahen, zerstört‘ sind. Wir alle kennen heute dieses ,Aussterben‘ des Herzens, das unter der erdrückenden Last und Fülle des Erlebten schier nichts mehr erlebt, so arm geworden, daß es nicht einmal mehr trauern kann [...].“224

Für Bornkamm ist „der Atheismus [...] von seinem Grunde her nicht eine weltanschauliche Theorie [...], sondern Anfechtung und Verhängnis unseres menschlichen Daseins überhaupt“225: „Das Verhängnis der Vernichtung brütet über unseren Erinnerungen und erdrückt unsere Hoffnungen, die fahle Maske des Nichts starrt uns tausendfach aus den Gesichtern der Menschen und Trümmern unserer gestürzten Welt an. In dem gierigen Strudel des Nichts droht alles zu versinken: Leben und Tod, Welt und Gott.“226 Denn der „Atheismus ist nicht zu einer Bedrohung Gottes, sondern unseres eigenen Daseins geworden.“227 Doch für Bornkamm kann die Überwindung des Atheismus nicht wie in Jean Pauls Text durch die „Erfahrung seiner eigenen Unerträglichkeit“228 geschehen, um dann, in gut romantischer Manier, die Existenz Gottes zu beweisen,229 wenn mit dem Erhaben-Schrecklichen die Atheisten zur Umkehr bewegt werden sollen und dafür die stärksten Mittel zugleich die besten sind.230 Für Bornkamms Deutung des Textes ist die christologisch-dogmatische Überzeugung leitend, dass die Schrecken des Atheismus einzig durch das Wort des lebendigen Gottes, Jesus Christus, außer Kraft gesetzt werden können: „Der Glaube hat für sie [sc. die Wirklichkeit Gottes] keine andere Bürgschaft als den, der die Liebe des Vaters selbst ist und über Lebendigen und Toten das Licht der Hoffnung entfacht, Jesus Christus.“231 Der Glaube darf am Ende nicht ent-

G. BORNKAMM 1959, 250–252. G. BORNKAMM 1959, 250. 225 G. B ORNKAMM 1959, 250. 226 G. B ORNKAMM 1959, 250. 227 G. B ORNKAMM 1959, 251. 228 G. B ORNKAMM 1959, 250. 229 Vgl. G. M INOIS 2000, 389. 230 Vgl. G. B ORNKAMM 1959, 251. 231 G. B ORNKAMM 1959, 250. 223 224

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4 Das Erlebnis des Todes Gottes als Ausdruck eines Erfahrungswandels

täuschen,232 wenn Jean Paul diesen „sinnverwirrende[n] Rollentausch“233 in seiner „an d[er] Grenze der Lästerung rührenden Fassung“234 vollzieht, und froh ist, den Traum als Traum hinter sich lassen zu können. Trotz seiner Wahrnehmung des erschütternden Lebensgefühls seiner Zeit stellt Bornkamm diese letztlich als Unwirklichkeit dar, ohne zunächst in den Trümmern den Schrecken auszuhalten.235 Diese bekenntnisartige Argumentation ist vor dem Hintergrund der kirchenpolitischen Frage zu verstehen, die mit dem ersten Artikel der Barmer Theologischen Erklärung (1934)236 und der christozentrischen Theologie Karl Barths gegeben war, als nun erkennbar wurde, wer im Rückblick Recht behalten hat: Nicht die deutsch-christliche Deutung der nationalsozialistischen Machtergreifung und der nationalen Bewegung als einer normgebenden Gottesoffenbarung, sondern die christozentrische Linie der Bekennenden Kirche. Diese Engführung der theologischen Wahrnehmung der Zeitgeschichte zeigt sich in der selektiven Forschungslage der Zeit: „Die Verarbeitung der politischen Geschichte reduziert sich auf die Erforschung des Kirchenkampfes, und dies mit der erkennbaren Tendenz, die Bedeutung und das Recht der Theologie K. Barths auch historisch abzusichern. Aber die politischen, gesellschaftlichen, kulturellen und geistigen Hintergründe des Zweiten Weltkriegs werden theologisch kaum reflektiert.“237 Damit war auch nicht die Frage nach dem verborgenen oder gar als tot verstandenen Gott für die Theologie leitend, die in der Tradition der Bekennenden Kirche verstanden wurde, denn für diese war klar, dass Gott nur in Jesus Christus zu finden ist: „nirgends sonst!“238 Dass – so eine verbreitete Einschätzung – im Rückblick richtig gehandelt wurde, wurde allerdings als verhängnisvoller Auftrag gesehen, diesen Weg weiterzugehen.239 Aus späterer Warte, vor dem Hintergrund der Enthüllung des ganzen Ausmaßes der Schreckenserfahrungen des Zweiten Weltkriegs und des Holocaust, erwies sich dieser Weg als Weg in die Selbstisolation. Vgl. G. BORNKAMM 1959, 251. G. BORNKAMM 1959, 252. 234 G. B ORNKAMM 1959, 252. 235 In dieser Lesart steht auch noch Oswald Bayers schöpfungstheologisch motivierte Deutung, wenn er meint, dass Jean Paul gegen die Schrecken des Nihilismus gerade die Schöpfergüte Gottes beschwört. Vgl. O. BAYER 1985, 107. 236 „Jesus Christus, wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt wird, ist das eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und im Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben. Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne und müsse die Kirche als Quelle ihrer Verkündigung außer und neben diesem einen Worte auch noch andere Ereignisse und Mächte, Gestalten und Wahrheiten als Gottes Offenbarung anerkennen“ (zit. n. A. BURGSMÜLLER/R. WETH 1983, 34). 237 H. FISCHER 1992, 139. 238 Vgl. W. H ÄRLE 2008, 330.331. 239 Vgl. zum Umgang mit der Schuldfrage im Protestantismus nach 1945 H. LEHMANN 2012, 105–118. 232 233

4.4 Nachkriegszeit und Trümmerliteratur (Wolfdietrich Schnurre)

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Diese Entwicklung ist mit einem langen Ausblenden der zeithistorischen Aufarbeitung und der seit dem Ende des Ersten Weltkriegs fortschreitenden Abgrenzung von einer liberalen sowie kulturwissenschaftlich und lebensweltlich orientierten Theologie nur stichwortartig erfasst. Die existentielle Relevanz der erfahrenen Verborgenheit Gottes, der Gottesferne oder des Todes Gottes wirkte langfristiger in den Traumatisierungen der Kriegsheimkehrer, Vertriebenen und Überlebenden der Konzentrationslager und damit auch in Kirche und Gesellschaft nach, als es sich eine auf sich bezogene Theologie vorzustellen vermochte, die so weiter machte, als wäre nichts geschehen.240 Nicht nur die Schrecken des Nazi-Terrors und des Krieges waren zu begreifen, sondern auch die Schrecken des Holocaust. „Wo warst du, Gott?“ (Wolfgang Borchert) war die existentielle Leitfrage, und die war nicht mit der einfachen Antwort, dass Gott in Jesus Christus zu finden sei, aus der Welt zu schaffen. Eben das aber versuchte Bornkamm, wenn er die Metaphorik des religiösen Erwachens samt eines in Jean Pauls literarischer Vorlage nicht erwähnten biblischen Zitats (Joh 14,18) als christliches Deutungsmuster über den Text legte: „Der Erwachte hört das Wort des Lebendigen: ,Ich will euch nicht als Waisen lassen, ich komme zu euch.‘“241 (2) Die Tradition bot keine Antwort mehr für die zertrümmerte Nachkriegswelt. Das spricht der Hamburger Schriftsteller Wolfgang Borchert (1921– 1947) in seinem Heimkehrer-Drama Draußen vor der Tür (1947) aus. Das Stück um den aus Krieg und Kriegsgefangenschaft heimgekehrten Beckmann entstand vermutlich zwischen Herbst 1946 und Januar 1947. Es wurde am 13. Februar 1947 zuerst als Hörspiel im Nordwestdeutschen Rundfunk ausgestrahlt und einen Tag nach dem Tod Borcherts in Basel am 21. November 1947 an den Hamburger Kammerspielen uraufgeführt. Im beginnenden Schulddiskurs der frühen Nachkriegszeit war die Inszenierung keine Selbstverständlichkeit. Stellvertretend bringt er die Frage unzähliger Soldaten und Opfer des Krieges zu Gehör und fasst ihr Lebensgefühl in folgende Worte: „Wann bist du eigentlich lieb, lieber Gott? [...] Warst du in Stalingrad lieb, lieber Gott, warst Du da lieb, wie? Ja? Wann warst du denn eigentlich lieb, Gott, wann? Wann hast du dich jemals um uns gekümmert, Gott? [...] Wir haben dich gerufen, Gott! Wir haben nach dir gebrüllt, geweint, geflucht! Wo warst du da, lieber Gott? [...] Wo bist du? [...] Wo ist denn

240 Vgl. dazu die wirkmächtige Äußerung Karl Barths im Kontext der politischen Ereignisse des Jahres 1933, die Aufgabe der Theologie allein darin zu sehen, „nach wie vor und als wäre nichts geschehen – vielleicht in leisen erhöhtem Ton, aber ohne direkte Bezugnahmen – Theologie und nur Theologie zu treiben.“ (K. BARTH 1933, 3). Barths indirekte politische Dimension dieser meist unpolitisch verstandenen Äußerung wurde meist übersehen. 241 G. B ORNKAMM 1959, 252.

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4 Das Erlebnis des Todes Gottes als Ausdruck eines Erfahrungswandels

der alte Mann, der sich Gott nennt? Warum redet er denn nicht!! [...] Gibt denn keiner, keiner Antwort???“ 242

Weder die Gesellschaft, die längst wieder zur Tagesordnung übergegangen war und die Vergangenheit verdrängt hatte, noch Theologie und Kirche hatten eine Antwort. Ihr „Märchenbuchliebergott“ hat sich „in den schönen alten Kirchen eingemauert“, die Theologen haben ihn „unmodern [... und] alt werden lassen“, sein Blut mit „Theologentinte“ verdünnt und den Notschrei der Menschen überhört, weswegen an ihn „keiner mehr glaubt“243: „Du bist tot, Gott.“244 Denn „die politische Katastrophe des Zweiten Weltkriegs [hat] im Unterschied zu der des Ersten nicht zu einer der ,Theologie der Krisis‘ vergleichbaren theologischen Aufbruchsbewegung mit dem entsprechenden Kairos-Bewußtsein geführt. [...] Anscheinend hatte sich das geistige Potential zur Verarbeitung von Katastrophen innerhalb der evangelischen Theologie nach dem Ersten Weltkrieg weithin erschöpft.“245 Materielle Bedrängnis, Desorientierung und das Wissen um den Zivilisationsbruch prägten die Nachkriegszeit, aber auch das Verdrängen der Schuld. Mit Nelly Sachs’ Gedicht Chor der Tröster (1944/1947)246 und Paul Celans (1920–1970) Todesfuge, die zwischen 1944 und Anfang 1945 entsteht, thematisieren jüdische Stimmen mit lyrischen Mitteln die nationalsozialistische Judenvernichtung: „Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts | wir trinken dich mittags der Tod ist ein Meister aus | Deutschland“247. (3) Die Ausgangsposition der deutschen Nachkriegsliteratur verdankt sich der Katastrophe des Krieges. Für die deutsche Literatur zwischen 1945 und 1952 sind eine Reihe von Begriffen geprägt worden wie Kriegs-, Heimkehrerund Trümmerliteratur, Literatur der Stunde Null oder Kahlschlag-Literatur.248 Den Schriftstellern nach 1945 ging es um das existentiell „grundlegende Problem, ihre Erlebnisse von Krieg, Faschismus und Trümmern literarisch darzustellen“; dieses „ließ sie zu einem reduzierten Stil greifen.“249 Zu den Autoren zählten jene, die ihre Arbeiten in der Zeitschrift Der Ruf: Unabhängige Blätter der jungen Generation publizierten, welche von August 1946 bis April 1947 erschien. Neben den beiden Herausgebern Alfred Andersch (1914–1980) und Hans Werner Richter (1908–1993) kann man Heinrich Böll, Wolfgang Borchert, Günter Eich, Walter Hilsbecher, Walter Jens, Thilo Koch, Walter Kol-

242

W. BORCHERT 1991, 148. Vgl. zum Dialog von Beckmann und Gott a. a. O., 148–

150. W. BORCHERT 1991, 149. W. BORCHERT 1991, 149. 245 H. FISCHER 1992, 137–139. 246 Vgl. dazu die Interpretation des Gedichts von M. SCHULT 2022. 247 Vgl. dazu TH. SPARR 2020 mit dem Text der Todesfuge (a. a. O., 5.6; hier: 6). 248 Vgl. M. A DELHOEFER 1990, 9. 249 M. A DELHOEFER 1990, 14. 243 244

4.4 Nachkriegszeit und Trümmerliteratur (Wolfdietrich Schnurre)

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benhoff, Horst Lange, Walter Mannzen, Wolfdietrich Schnurre und Wolfgang Weyrauch als ‚junge‘ Autoren bezeichnen. Entscheidendes Kriterium für das Schreiben dieser ‚jungen‘ Schriftsteller war ihre persönliche Betroffenheit. Das trifft in besonderem Maße auf Wolfdietrich Schnurre (1920–1989) zu, der die Jahre 1939 bis 1945 als Soldat erlebt hat. In vielen Gesprächen hat er immer wieder „betont, wie er nach den furchtbaren Kriegs- und Nachkriegserlebnissen mit sich gerungen hat, um sein Schuldgefühl in produktives Schreiben zu verwandeln.“250 Es war die ganz konkrete Not, mit seinen Albträumen ,fertig‘ zu werden, die ihn schreiben ließ. Die Kurzgeschichte wurde die Form, mit der das Erzählen nach dem Krieg neu möglich schien. Ihr Vorbild hatte sie in der US-amerikanischen Short Story, in der knapp, konzentriert und zugleich komplex ein Ausschnitt aus der Wirklichkeit wiedergegeben werden konnte. Schnurres erste Kurzgeschichten entstanden in den Jahren 1945 bis 1950. Mit ihnen versuchte er „aus der zertrümmerten Sprache wieder ein brauchbares Instrument zu machen“ und sich der „jüngsten Vergangenheit“ zu stellen.251 Wie auch andere Schriftsteller sah Schnurre im Jahr 1945 eine Zäsur, mit der die alten Formen unbrauchbar geworden waren und die eine neue Literatur verlangte. 1947 gründete sich darum die Gruppe 47 als ein lockerer Verbund von jungen Autorinnen und Autoren, die „ebenfalls erst nach dem Krieg zu schreiben begonnen hatten.“252 Man hatte sich nicht vorgenommen, Schriftsteller zu werden: „Man schrieb, weil man nicht anders konnte. Man schrieb aus Erschütterung, aus Empörung. Man schrieb, weil einem die furchtbaren Kriegserfahrungen eine Lehre auszwangen. Man schrieb, um zu warnen. Es war kein einfaches Schreiben. Es gab keinen ethischen Rückhalt. Es gab kein literarisches Vorbild. Es gab keine Tradition. Es gab nur die Wahrheit. Nicht einmal die Sprache war zu gebrauchen; die Nazijahre und die Kriegspropaganda hatten sie unrein gemacht. Sie mußte erst mühsam wieder Wort für Wort abgeklopft werden.“253

Schnurre war Mitbegründer der Gruppe 47. Er eröffnete ihre erste Tagung in einem Haus am Bannwaldsee im Allgäu mit seiner Kurzgeschichte Das Begräbnis.254 Sie handelt vom Begräbnis Gottes, dessen Tod unter der Rubrik M. ADELHOEFER 1990, 15. W. SCHNURRE 2005, 76. 252 W. SCHNURRE 2005, 76. 253 W. SCHNURRE 1960, 9.10. Kursiv im Original. 254 Den Hinweis auf Wolfdietrich Schnurre verdanke ich Maike Schult. Vgl. dazu jetzt M. SCHULT 2020. Dort auch zur Biographie Schnurres. Zur Interpretation vgl. auch G. HELMES 2004 sowie mit Einordnung in die theologischen Debattenlage I. U. DALFERTH 1992, 79–85. Zur Werkgeschichte vgl. K. BLENCKE 2003. Zuerst veröffentlicht wurde die Kurzgeschichte 1948 in: Ja. Zeitung der jungen Generation (Berlin) 1948, 2. Jg. H. 3 vom 1. Februar 1948, 5. Sie wurde hier als Traueranzeige gesetzt (vgl. G. HELMES 2004, 12, Anm. 2). Schnurre hat die Kurzgeschichte „nachts auf einer umgedrehten Krippe“ (so Schnurre in M. ADELHOEFER 1990, 97) „zwölf, dreizehn Male geschrieben“ (so Schnurre in M. ADELHOEFER 1990, 102). Wiederveröffentlicht wurde sie in einigen Erzählbänden, u. a. auch im 250 251

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4 Das Erlebnis des Todes Gottes als Ausdruck eines Erfahrungswandels

Sonstiges „klitzeklein“ publik gemacht wird: „VON KEINEM GELIEBT, VON KEINEM GEHASST, STARB HEUTE NACH LANGEM, MIT HIMMLISCHER GEDULD ERTRAGENEM LEIDEN: GOTT.“255 Die Nachricht wird gleichgültig („,Armer Deubel. Kein Wunder.‘“) und mit Schulterzucken aufgenommen („,Hat er davon.‘“). Selbst der Pfarrer auf dem Friedhof kennt nicht seinen genauen Namen („,n gewissen Klott oder Gott oder so ähnlich.‘“). Bei der nächtlichen Beisetzung „in aller Stille“ (25) auf dem St.-Zebedäus-Friedhof ist außer dem Erzähler, der in seiner Küche Hammer und Nagel aus der Hand legt als er die Traueranzeige erhält, dem Pfarrer und zwei Totengräbern kaum jemand dabei, nur noch ein „Straßenfeger“ („n blauen Kittel an“) und zwei Heimkehrer aus einem Lager in speckigen Feldblusen und mit Schildmützen auf. Am Grab steht eine Frau mit einem aufgespannten durchlöcherten Schirm und in einem Rock aus Sackleinen, worauf „STÄDTISCHE STICKSTOFFWERKE“ (30) aufgenäht ist, deren Inspektorin sie ist. Es regnet ununterbrochen („,Mistwetter‘“). Auf dem Weg zum Grab rutscht ihnen der Sarg von der Schulter: „Der Deckel fliegt ab. Haben sie die Bescherung. Der Pfarrer hinkt; hat die Kiste auf n Fuß gekriegt. Der Tote ist rausgefallen. Liegt da bleich. Die Azetylenlampen vom Lager leuchten ihn an. n graues Hemd trägt er, ist hager, und an seinem Mund und im Bart ist etwas Blut festgetrocknet. Er lächelt.“ (29.30) Sie drehen die Kiste wieder um, heben den Toten, der nun dreckig geworden ist, wieder herein, schließen den Deckel und marschieren zum Grab, wo die Kiste beim Absetzen zur Erde „rumpelt“ und „n Blechkreuz mit ner Nummer drauf“ auf die Identität des Toten hinweist: „H. Gott ist drangeschrieben mit Kreide. Drunter n Datum; schon verwischt aber.“ (30) Kaum beginnt der Pfarrer mit der Traueransprache, endet auch schon das Begräbnis und die Totengräber schippen das Grab zu. Der Pfarrer verlässt den Friedhof durch das quietschende Tor und hinkt. Schnurres kurzer Text ist sachlich und lakonisch erzählt, Anspielungen auf Nietzsches Aphorismus vom tollen Menschen sind sicher nicht zufällig. Einen Sinnzusammenhang vermag man in dem betont saloppen und am Berliner Jargon orientierten Berichtsstil nicht zu erkennen,256 eher ist es eine „Allegorie auf eine Gesellschaft [...], die die von ihr begangenen Gräuel durch wirtschaftliches Wachstum, durch Lust und Spektakel [‚WALDEMARS BALLSÄLE‘] hinter sich lassen will, die mit einem Gott, der solche Verbrechen nicht verhindert hat, nichts anzufangen weiß und die aus allen Traditionen herausgefallen ist. Nichts hat hier mehr Bedeutung. Nichts kann provozieren. Nichts berühren.

Berliner Jargon als ’t Bejräbnis sowie im Geschichtenband Man sollte dagegen sein (W. SCHNURRE 1960, 23–34; die Seitenzahlen im Haupttext beziehen sich auf diese Ausgabe.) und in Band 1 der Erzählungen Blau mit goldenen Streifen (W. SCHNURRE 1979). Mit der erneuten Lesung der Kurzgeschichte dreißig Jahre später, in Saulgau im September 1977, löst sich die Gruppe 47 auf. Das Begräbnis markiert somit Anfang und Ende der Gruppe 47. 255 W. SCHNURRE 1960, 27 (Kapitälchen im Original). 256 Vgl. I.-R. W ARG 1993, 190, Anm. 14.

4.4 Nachkriegszeit und Trümmerliteratur (Wolfdietrich Schnurre)

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Auch der Tod Gottes nicht, der umstandslos von den Menschen beerdigt und, in Umkehrung des Schöpfungsaktes, mit feuchtem Lehm ins Grab hinein verabschiedet wird.“257 So trug die deutschsprachige Literatur der Nachkriegszeit stellvertretend Gott in Anwesenheit eines Pfarrers zu Grabe. Wo kein Gott mehr ist, ist der Mensch allein auf sich gestellt. Der „bloßen instrumentellen Vernunft in Gestalt von Technik und Industrie“ kommt in dieser Gesellschaft ein „hohe[r] Stellenwert“ zu, der in der Kurzgeschichte durch leitmotivische Hinweise auf die „Stickstoff-Fabrik“ markiert wird, die „[i]m Unterschied zu anderen zivilen Bereichen, die sämtlich einen hoffnungslos versehrten Eindruck machen, [...] auf ,Hochtouren‘“ läuft.258 Innerhalb des Textes stellt niemand die Frage, worauf diese Nachkriegsgesellschaft hin arbeitet und lebt: „Doch fragt es sich, zu welchem Zwecke und in wessen Auftrag denn dort was mit solcher Intensität produziert wird, können doch Stickstoffverbindungen sowohl als Düngemittel (Aufbau, Ernährung, Friede) als auch in der Sprengstoffindustrie (Zerstörung, Krieg) verwendet werden.“259 Hier klingt die sozialgeschichtlich völlig neue Bedeutung des Systems Wirtschaft für die deutsche Gesellschaft nach 1945 an: Nach dem Zusammenbruch aller politischen und weltanschaulichen Ideale gibt „ein Gemeinwesen mit rein ökonomischer Identität [ethische Orientierung]; ein Gemeinwesen, das de facto seine Identität nicht mehr in seinen politischen Institutionen, erst recht nicht mehr in seinen angestammten kulturellen [und religiösen] Institutionen sucht, sondern zuerst und zuletzt in der Leistung seiner wirtschaftlichen Institutionen.“260 Die Ökonomik wird in den Folgejahren zur „Leitwissenschaft“ der Gesellschaft der BRD.261 Das freie Spiel des Marktes und das Geld werden die neuen Götter. Die Frage nach der eigenen Schuld klammerte man aus. So richten sich Schnurres kürzere und längere Erzählungen im „ethischen Niemandsland“262 gegen Verdrängung von Schuld, gesellschaftliche Enge und restaurative Tendenzen, gegen Wiederbewaffnung und Militarismus, gegen Verfolgung alles Fremden und Diskriminierung263: Man sollte dagegen sein (1947).264

M. SCHULT 2020, 439. G. HELMES 2004, 20.21. 259 G. H ELMES 2004, 21. 260 E. H ERMS 1995, 283. 261 Vgl. E. H ERMS 1995, 285. 262 So die Kontextbeschreibung im Klappentext von W. SCHNURRE 1960. 263 Vgl. K. B LENCKE 2003, 199. 264 Vgl. den gleichnamigen Titel der Kurzgeschichtensammlung W. SCHNURRE 1960. 257 258

296

4 Das Erlebnis des Todes Gottes als Ausdruck eines Erfahrungswandels

4.5 Fazit und Ausblick: Dem neuen Erfahrungsraum Sprache geben 4.5 Dem neuen Erfahrungsraum Sprache geben

Die Katastrophenerfahrungen der beiden Weltkriege im 20. Jahrhundert und die revolutionären Umbrüche in Gesellschaft und Industrie im 19. Jahrhundert spiegeln sich auch in der Literatur Europas und der Vereinigten Staaten von Amerika auf je spezifische Weise wider. Mit der Aufklärung und dem Aufkommen der Religionskritik nehmen auch die Tendenzen hin zum Materialismus und Atheismus zu, und damit zum Nichts, zu Zufall und Notwendigkeit. Die Erfahrung des Nihilismus findet ihren literarischen Niederschlag in der Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, daß kein Gott sei, die Jean Paul in seinen Roman Siebenkäs (1796/97) eingefügt hat: „Die durch die Aufklärung herbeigeführte Situation wird hier als Tod Gottes beschrieben.“265 Was in den philosophisch-theologischen Diskursen um die Göttlichen Dinge ausgetragen wurde, nimmt hier in der literarischen Form einer Vision als Ausdruck des nihilistischen Zeitgefühls Gestalt an. Mit den Mitteln der Vernunft wurde nachgewiesen, dass es Gott nicht gibt und nicht geben kann. Nur vor den existenziellen Konsequenzen des Atheismus schreckte man noch zurück: Ein atheistisches Zeitalter der Hoffnungslosigkeit und sinnlosen Diesseitsorientierung durchstimmt von einer „Melancholie der Endlichkeit“266 stand bevor. Auf diese bevorstehende Krise des Existenzialismus hat Jean Paul hingewiesen, aber auch auf die Gefahr einer einseitigen rationalen Auslegung und der Vernachlässigung von Gefühlen im Blick auf die religiösen Dinge. Nicht zuletzt ging es ihm um das Offenhalten von Mehrdeutigkeiten durch die Anwendungen entsprechender literarischer Strategien wie des Humors. Bleibend ist wohl darüber hinaus Jean Pauls Erschaffung eines fiktiven Christus, der seine eigene Botschaft verfremdend auf den Kopf stellt und den bisherigen christlich-heilsgeschichtlichen Diskurs dekonstruiert. Zugleich werden die neuen säkularen Deutungsmuster mit religiösen verschränkt, um durch die Deutungsfigur Tod Gottes in das gegenwärtige Zeitalter zu sprechen. Im Rückgriff auf den Mythos vom Tod des Gottes Pan wird die radikale Umbruchsituation der Moderne bei Heinrich Heine beschrieben, der seinerseits den Begriff der Modernität geprägt hat, um die schmerzhaften Verlusterfahrungen zu beschreiben. Der Europäer Heine ist ein feiner Beobachter der rasanten Entwicklungen in London und Paris, die er in seine verschiedenen literarischen Texte einarbeitet. Der existentiell erfahrene „große Weltriß“ ist das Ergebnis langer politischer, sozialer, industrieller, ökonomischer und ideologischer Umbruchsprozesse und großer Zeitverwandlungen in Europa. Die Macht des Wandels durch die industrielle Revolution in England sah Heine mit eigenen Augen. Von Paris aus, dem zweiten Zentrum der Moderne neben Lon265 266

J. ROHLS 2017, 51. J. LAUSTER 2014b, 590.

4.5 Dem neuen Erfahrungsraum Sprache geben

297

don, erkundet er die Signaturen des neuen Zeitalters und stellt das „Projekt der Moderne“ in seiner ganzen Ambivalenz von Freiheitsjubel und Verlustängsten, von Emanzipationsversprechen und Entfremdungsprozessen, von Fortschrittsoptimismus und Katastrophenerfahrungen, von Aufbruch und Destruktion dar. Seine Texte sind von der Erfahrung der Zerrissenheit und dem unabänderlichen Eindruck, in einer Zeit des radikalen Bruchs mit der alten Zeit und Welt zu leben, durchstimmt. In Heines Deutung von Kants kritischer Philosophie war das Ende der klassischen Gottesbeweise sowie der philosophischen Theologie des modernen Rationalismus besiegelt. Ein halbes Jahrhundert vor Nietzsches Ruf des ,tollen Menschen‘ „Gott ist todt!“ (1882) nimmt das Ereignis des Todes Gottes in einer Zeit des unaufhaltsamen Wandels mit den Bildern des „sterbenden Gottes“ im Polytheismus, Christentum, Deismus und Pantheismus an Fahrt auf. Der Plutarch-Ausspruch „Der große Pan ist tot!“ fungierte für Heine als Metapher für die poetische Destruktion des traditionellen Gottesgedankens. Der Tod Gottes symbolisiert den existentiellen „Weltriß“ und drückt das religiöse Grundgefühl der Zeit „Gott ist für uns verloren“ und den damit verbundenen Plausibilitätsverlust des Gottesgedankens aus. Alles zusammen zeigt die Bewusstseinslage des massiven Erfahrungswandels durch die modernen Umbrüche in der Zeit der politischen und industriellen Doppelrevolution in Europa in existentieller Dramatik. In der Neuen Welt des 19. Jahrhunderts und ihrem unaufhaltsamen Drang nach Westen als einer auf Dauer gestellten Expansion ist nicht mehr das „Land“, sondern die „Frontier“, die „bewegliche Grenze der Ressourcenerschließung“ das „extreme Gegenteil der Stadt“.267 An Biographie und Werk des US-amerikanischen Schriftstellers Herman Melville (1819–1891) lassen sich zahlreiche geistige, religiöse und soziopolitische Umwälzungen der jungen Nation in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ablesen, die die Härte des Wandels dadurch reflektieren, dass sie den neuen säkularen Diskurs mit der religiösen Tradition verschränken, die für den Gründungsmythos der Vereinigten Staaten von Amerika durch ihr Selbstverständnis als „auserwähltes Volk“ von essentieller Bedeutung gewesen ist, und so nach einem dritten Weg suchen. Clarel ist die Idealfigur moderner Existenz, der die Unsicherheit der modernen Zeit verkörpert, und deren Suche von Skepsis und Glaubensverlust geprägt ist. Die Erfahrungen von Abwesenheit, Entfremdung, Exil und Verlust prägen seine Pilgerreise im Heiligen Land, die nach der Vereinbarkeit von Tradition und Moderne und nach neuer Orientierung sucht. Einen dritten Weg zwischen Verzweiflung und Hoffnung, zwischen Glauben und Unglauben sucht Melville auch in seinem Romanepos Moby-Dick. In einer komplexen und anspielungsreichen Weise wird hierin eine religiöse Suche durchgespielt. Die beiden Hauptfiguren Ishmael und Ahab dienen auf unterschiedliche Weisen als Personifikationen des radikalen Erfahrungswandels. Während für Ahab der 267

Vgl. J. OSTERHAMMEL 2009, 465.

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4 Das Erlebnis des Todes Gottes als Ausdruck eines Erfahrungswandels

calvinistische Gott der Vorsehung und der Weiße Wal Moby Dick zu einem einzigen Feind verschmelzen, der ermordet werden muss, wird Ishmael zum Symbol des Überlebens auf dem offenen Meer. Dahinter liegt die Frage nach der Zusammenbestehbarkeit der traditionellen jüdisch-christlichen Weltsicht mit dem modernen Fortschritts- und Expansionsglauben der jungen US-amerikanischen Nation. Das Meer war in der Vorstellung Ishmaels am Anfang noch der kleine Gott Narziss, der gebeugt über sein Spiegelbild im Teich gestanden hatte. Am Schluss ist es der mächtige Pazifik, der für Ishmael zum Symbol von Himmel und Erde wird. Es ist nun der große Pan und nicht mehr der kleine Narziss, vor dem sich alle Knie beugen müssen. Melville war nicht mehr in der Lage, den christlichen Gott zu loben, dieser war ja zum Grund des Bösen geworden. Das Meer ist für Melville zu einem Gott jenseits von Glaube und Unglaube geworden. Etwas im Meer bringt das Menschliche ans Licht: die tragische Einzigartigkeit eines jeden Menschen. Damit wird auch das US-amerikanische Ideal des Landes auf den Kopf gestellt, wenn das Meer nun zum Sinnbild von allem menschlich Möglichen wird. Zu welchen unmenschlichen Gräueltaten der Mensch im Stande ist, zeigt sich in den faschistischen Massenbewegungen des 20. Jahrhunderts, in denen das einzelne Leben nichts zählt. Nach dem Zweiten Weltkrieg liegen weite Teile Europas in Schutt und Asche. Auch die Welt der Sprache liegt in Trümmern, aus denen einige jüngere Schriftsteller in der Nachkriegszeit versuchen, wieder ein brauchbares Instrument zu machen. Der wirtschaftliche Wiederaufbau wirkt gesellschaftlich sinnstiftend nach den schuldhaften Verstrickungen unzähliger Deutscher in der nationalsozialistischen Diktatur und dem Zivilisationsbruch des millionenhaften Mordes an der jüdischen Bevölkerung. Der alte Gott wird nebenbei und gleichgültig zu Grabe getragen, während im Hintergrund die Schlote der Fabriken unablässig qualmen. Der Satz „Gott ist tot“ wird zunehmend zu einer verbreiteten Existenzerfahrung. Die Zäsur der Nachkriegszeit und der Zeit des Wiederaufbaus führt auch dazu, dass „[d]as Thema ,Tod Gottes‘ […] eine ganze Zunft von Philosophen und Theologen ernährt.“268 Doch in der Retrospektive wird auch mithilfe der Literatur die Frage gestellt, wie das einmal angefangen hat mit dem „lieben Gott“ – und wohin es in der gegenwärtigen Zeit mit ihm gelangt ist.269 Der Ende des 18. Jahrhunderts noch alptraumhaft geahnte „Tod Gottes war im 19. Jahrhundert allmählich zur Gewißheit geworden“270 und das „halb poetische[] und halb prophetische[] Symbol“271 des Todes Gottes wurde nach den Schreckenserfahrungen der beiden Weltkriege und des Holocaust zu einem wirkmächtigen Symbol für die Geschichte des 20. Jahrhunderts. F. REITINGER 1997, 368, Anm. 36. Vgl. dazu die Kapitel 5 bis 7 in diesem Buch. Vgl. dazu die Anthologien von H. NITSCHKE [1967]; 1976. 270 F. REITINGER 1997, 368. 271 P. TILLICH, EW II, 165. 268 269

Teil II: Den Tod Gottes denken (Philosophische Deutungsvarianten) […] das Gefühl […], worauf die Religion der neuen Zeit beruht […]: Gott selbst ist todt[…].1

Dasjenige, was […] Metaphysik hieß, ist […] mit Stumpf und Styl ausgerottet worden, und aus der Reihe der Wissenschaften verschwunden. Wo lassen, oder wo dürfen sich Laute der vormaligen Ontologie, der rationellen Psychologie, der Kosmologie oder selbst gar der vormaligen natürlichen Theologie noch vernehmen lassen? […] – Indem so die Wissenschaft und der gemeine Menschenverstand sich in die Hände arbeiteten, den Untergang der Metaphysik zu bewirken, so schien das sonderbare Schauspiel herbeygeführt zu werden, ein gebildetes Volk ohne Metaphysik zu sehen; – wie einen sonst mannichfaltig ausgeschmückten Tempel ohne Allerheiligstes.2

Wohin ist Gott? 3

Mit der Gott-ist-tot-Idee hängt […] auch die Umwertung der Werte zusammen.4

G. W. F. HEGEL, GW 4, 413. G. W. F. HEGEL, GW 11, 5.6. 3 F. NIETZSCHE, KSA 3, 480. 4 P. TILLICH, EW II, 165. 1 2

5 Der Tod Gottes als Deutungskategorie für die europäische Moderne und als philosophische Denkfigur 5 Der Tod Gottes als Deutungskategorie und philosophische Denkfigur Es ist übrigens nicht schwer, zu sehen, daß unsere Zeit eine Zeit der Geburt und des Übergangs zu einer neuen Periode ist.1

Zwei Jahrhunderte beinahe und nicht ein einziger neuer Gott!2

Mit dem philosophisch-theologischen „Streit um Gott“3 einiger Gelehrter setzte sich eine unaufhaltsame Lawine der Infragestellung Gottes in Gang, die sich heute tief im Allgemeinbewusstsein verankert hat und die die Außensicht auf Religion und Christentum wesentlich mitbestimmt.4 Das Denken Gottes und seines Todes bewegt die Wandlungsprozesse des geistes- und zeitgeschichtlichen Bewusstseins, die zu einschneidenden erkenntnistheoretischen, technologischen und soziokulturellen Umformungen der Moderne, der „Neuen Zeit“ und der „neuesten Zeit“ des industriegesellschaftlichen Kapitalismus geführt haben: Dazu gehören die nachwirkenden Impulse der Reformation (M. Luther), der Aufklärung (D. Hume, Voltaire, I. Kant) und der Französischen Revolution, der sog. „Pantheismusstreit“ (F. H. Jacobi/M. Mendelssohn), Atheismusstreit (J. G. Fichte) und Theismusstreit (F. H. Jacobi/F. W. J. Schelling), die religions- und subjektivitätstheoretische Modernisierung der Theologie (F. D. E. Schleiermacher), der Deutsche Idealismus (J. G. Fichte, G. W. F. Hegel, F. W. J. Schelling), der romantische Nihilismus (J. Paul, Bonaventura) und der religiöse Existenzialismus (F. W. J. Schelling, S. Kierkegaard), der Siegeszug des Materialismus (K. Marx) und Positivismus (A. Comte) und die neuzeitliche Religionskritik (D. Hume, H. v. Kleist, J. W. v. Goethe, L. Feuerbach, H. Heine, K. Marx, A. Schopenhauer, F. Nietzsche, S. Freud) ebenso wie die Phänomenologie, analytische Philosophie und der Wiener Kreis. Die InG. W. F. HEGEL 1988, 9 (GW 9, 14). F. NIETZSCHE, KSA 6, 185. 3 Vgl. K. M ÜLLER 2006, 20.21. 4 Vgl. die Einleitung und die beiden vorangegangenen Kapitel in diesem Buch. 1 2

5 Der Tod Gottes als Deutungskategorie und philosophische Denkfigur

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fragestellung des bislang selbstverständlichen Theismus der klassischen Metaphysik und ihrer Onto-Theologie nimmt in diesen Diskurskonstellationen rasant an Fahrt auf.5 Der „Geist wissenschaftlicher Weltauffassung“ ist empiristisch und positivistisch, kennt „keine unlösbaren Rätsel“, denn er beruht allein auf Erfahrungserkenntnis des unmittelbar Gegebenen, und sucht mit Hilfe logischer Analyse eine Einheitswissenschaft zu erreichen, die die „Scheinprobleme der Metaphysik“ hinter sich lässt, da er „den metaphysischen und theologischen Schutt der Jahrtausende aus dem Weg zu räumen“ gedenkt.6 Trotz verschiedener Überwindungsversuche des Gottesbegriffs knüpften zunächst sowohl Schleiermacher als auch Hegel an die produktive Funktion der Vernunft für die Entfaltung des Gottesbegriffs an. Sie gaben damit der theologischen Diskurslage der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Richtung vor. Mit der weiteren Entwicklung verbunden ist das verbreitete Vorurteil, der „Gott der Vernunft“ habe im Protestantismus „keine Heimat.“7 Die „fehlende Verankerung des Gottes der Vernunft im Protestantismus ist maßgeblich auf die Einschätzung zurückzuführen, dass die Auflösung der klassischen Metaphysik in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Kategorien der Vernunft aus der Gotteslehre verbannt habe.“8 Doch der Abschied von ‚der‘ Metaphysik bleibt – ebenso wie in der nachtheistischen Religionsphilosophie der Gottesbegriff nicht einfach verschwindet – in der Theologie ‚unvollendet‘, auch wenn ‚die‘ Metaphysik (und Philosophie) in ihrer substanzontologischen und philosophisch-theologischen Gestalt dann in Teilen der evangelischen (Offenbarungs-)Theologie des 20. Jahrhunderts zum ‚Hauptgegner‘ avanciert, um ‚das eigentlich Christliche‘, das „Christozentrische“ (K. Barth), in Abgrenzung von anderen philosophisch-weltanschaulichen Positionen zu profilieren, ohne aber selbst ganz auf metaphysisches bzw. ontologisches Denken verzichten zu können. Auf jeden Fall kulminierte – für Philosophie und Theologie – das proklamierte Ende der Metaphysik in Nietzsches Diagnose des Todes Gottes, die zugleich die tiefsinnige Ambivalenz dieses Wandels ausdrückt: „Nun aber starb dieser Gott! Ihr höheren Menschen, dieser Gott war eure grösste Gefahr. Seit er im Grabe liegt, seid ihr erst wieder auferstanden.“9 Der Tod Gottes kann so verstanden werden als ein ,vor aller Augen‘ stattfindendes definitives Ereignis in der Neuzeit, das den Menschen, der Gott getötet hat, zwingt, nun selbst als „Übermensch“ dessen Rolle einzunehmen und zu gestalten10: Es geht um nichts

Vgl. zur Metaphysik und Metaphysikkritik J. JANTZEN u. a. 1992. Vgl. zu den Nachweisen die Programmschrift des Wiener Kreises Wissenschaftliche Weltanschauung (1929), jetzt abgedruckt in CH. DAMBÖCK 2013, 7–32. 7 J. LAUSTER/B. O BERDORFER 2009, XI. 8 J. LAUSTER/B. O BERDORFER 2009, XII. 9 F. N IETZSCHE, KSA 4, 357. 10 Vgl. F. N IETZSCHE, KSA 4, 14; 102; 110. 5 6

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5 Der Tod Gottes als Deutungskategorie und philosophische Denkfigur

Geringeres als die „Neubestimmung des menschlichen Daseins nach dem Tode Gottes“11. Viele Wege der Philosophie im 20. und 21. Jahrhundert, vor allem der des logischen Empirismus, des Positivismus, des geschichtlichen Denkens (W. Dilthey) und der der analytischen Philosophie, werden die metaphysische Gottesfrage hinter sich lassen und sich damit vom „höchsten Gegenstand des Denkens“12 verabschieden. Es steht die Frage im Raum: „Wie ist eine philosophische Seinslehre von Gott nach dessen Tod – wenn überhaupt – möglich?“13 Ihre Antwortmöglichkeiten sind in nachmetaphysischen Entwürfen einer Philosophischen Theologie im Schatten des Atheismus und Nihilismus der europäischen Moderne aufzuspüren. Damit steht das folgende Kapitel in der langen Tradition der Theologie seit der Antike, in der Philosophie die wichtigste Gesprächspartnerin zu sehen zur Beantwortung der Frage nach der Geltung religiöser Lebensorientierung14 und für die vernünftig nachvollziehbare Formulierung des Gottesgedankens in der neuen Situation. Endlichkeit ist nachmetaphysisch zu denken, denn die metaphysischen Fragen gehen weiterhin existentiell an und haben sich nicht erledigt.15 Die mit der Zeitdiagnose verbundene säkulare Rede vom Tod Gottes stellt sie neu und verschränkt metaphysisches und nachmetaphysisches Denken und Fragen.

5.1 Hegels und Nietzsches Diagnosen der neuen Zeit 5.1 Hegels und Nietzsches Diagnosen der neuen Zeit

Zu Beginn und zum Ende des 19. Jahrhunderts erfährt das sich verbreitende Gefühl der Gottverlorenheit bzw. des Verlustes der Erfahrung Gottes und des radikalen Erfahrungswandels nun explizit mittels der Redeweise vom Tod Gottes als philosophische Denkfigur eine vertiefende Deutung. Hegel, der die Erosion der überlieferten frühbürgerlichen sozialen Bindungskräfte aufgrund der politischen, industriegesellschaftlichen und kapitalistischen Umwälzungen wahrnimmt16 und „als Erster ein philosophisches Interesse an der Entstehung der europäischen Moderne“17 entwickelt, enthüllt 1802 die Grundstimmung seiner Zeit als Gefühl der Religion der neuen Zeit: „Gott selbst ist todt“. Das Gefühl vom Tode Gottes ist die Erfahrung des Abgrunds des Nichts, die alle rationale und moralische Metaphysik hinter sich gelassen hat. Dieses Gefühl reduziert Hegel im Weiteren unter Rückgriff auf die orthodoxe dogmatische Christologie spekulativ zu einem Moment im Leben Gottes und vollendet die W. PANNENBERG 1996a, 315. W. WEISCHEDEL 2013, I, XX; vgl. auch W. PANNENBERG 1988b, 9–33. 13 W. JANKE 2018, 202. 14 Vgl. W. PANNENBERG 1996a; J. R OHLS 2002; J. LAUSTER/B. O BERDORFER 2009. 15 Vgl. W. JANKE 2009; M. V ETŐ 2019. 16 Vgl. J. H ABERMAS 2019b, II, 474.475. 17 J. H ABERMAS 2019b, II, 473. 11 12

5.1 Hegels und Nietzsches Diagnosen der neuen Zeit

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Religion durch ihre Säkularisierung in der wahren Philosophie als zeitgemäße Theologie: „Es gibt in der Moderne keinen religiös-philosophischen Denker, der so deutlich wie Hegel die religionskritischen Konsequenzen für den Fall aufzeigt, daß das Denken es unterläßt, das Selbstsein Gottes zu explizieren, um stattdessen allein das menschliche Gottesbewußtsein zu thematisieren.“18 So zeigt Hegel, dass ein symmetrisches Verhältnis von Gott und Mensch grundlegend für seine Theorie von Religion und Theologie ist, die sich mit der Formel „Selbstbewußtsein des absoluten Geistes“ komprimiert als Verhältnis von religiös-subjektivem Gottesbewusstsein und objektivem Gottesgedanken fassen lässt und mit der Formel „Gott als Geist“ pointiert werden kann.19 Theologische Konsequenz dieses philosophischen Gottesgedankens ist das religiöse Wissen von Gott als „Geist in seiner Gemeinde“.20 Nietzsche nun greift den Idealismus an und zeigt auf den Menschen: „,wo ihr ideale Dinge seht, sehe ich – Menschliches, ach nur Allzumenschliches!‘...“21 Er lässt 1882 seinen „tollen Menschen“ einen nachhaltigen Ausruf tätigen: „Gott ist todt!“. Mit einem kurzen Wort erklärte der Philologe, Philosoph und Aphoristiker eine lange metaphysisch-platonisch-christliche und gesellschaftlich-moralische Geschichte für beendet22: „Im Gegensatz zur Meinung einiger seiner kirchlichen Kritiker hat Nietzsche nicht den Plan gefaßt, Gott zu töten. Er fand ihn tot in der Seele seiner Zeit.“23 Er stellt fest und fragt: „Der Nihilismus steht vor der Thür: woher kommt uns dieser unheimlichste aller Gäste? –“24 Mit seiner „Botschaft tiefgreifender Lebensbejahung“25 trägt er zu gründlicheren Erkenntnis über „[d]ie Heraufkunft des Nihilismus“26 und seines Wesens bei. Sieht er vor seiner Streitschrift Zur Genealogie der Moral (1887; KSA 5, 245–412) den Nihilismus noch als Folge des Todes Gottes an, so vertieft er seine Diagnose dahingehend, „daß das Christentum und sein Gott schon vom Ursprung her nihilistisch sind.“27 Nietzsche ist „[i]n jeder Hinsicht [...] der Höhepunkt, wenn es um die Geschichte des Nihilismus geht. Alles kulminiert in ihm: die Trauer des Abschieds, die Klage der Heimatlosigkeit, die Analyse der Kultursituation und die Vision eines europäischen Gipfelglücks.“28 J. DIERKEN 1996, 205; vgl. J. HABERMAS 2019b, II, 480.481. Vgl. J. DIERKEN 1996, 209. 20 Vgl. J. D IERKEN 1996, 243. 21 F. N IETZSCHE, KSA 6, 322. 22 F. N IETZSCHE, KSA 5, 410: „Alle grossen Dinge gehen durch sich selbst zu Grunde, durch einen Akt der Selbstaufhebung [...].“ 23 A. C AMUS (1951) 2009, 83. 24 F. N IETZSCHE, N 1885/1886 2[127], KSA 12, 125. 25 B. H ILLEBRAND 1991, 94; vgl. F. N IETZSCHE, KSA 6, 366. 26 F. N IETZSCHE, N 1887/1888 11[123], KSA 13, 59. 27 W. PANNENBERG 1996a, 321 mit Anm. 66. 28 B. H ILLEBRAND 1991, 68. 18 19

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5 Der Tod Gottes als Deutungskategorie und philosophische Denkfigur

In der von Nietzsche gemeinten Metaphysik steht „,Gott‘ an der Spitze als gegebene Wahrheit.“29 Aber nach dem „Zusammenbruch jenes metaphysischen Kraftfeldes, das über zwei Jahrtausende hin der Wirklichkeit Kontur und Halt gegeben hatte“30, führen keine „Schleichwege [mehr] zu Hinterwelten und falschen Göttlichkeiten“31, die „,wahre Welt‘ [wird] endlich zur Fabel.“32 Doch dieses Ende von Platonismus und Christentum geschehe nicht mit einem Male, sondern vollziehe sich, so Nietzsche sich selbst 1887 präzisierend, als ein Ereignis, das noch eine lange Zeit benötige, um bei den Menschen anzukommen.33 Was er zu erzählen gedenke, „ist die Geschichte der nächsten zwei Jahrhunderte... [..., in denen] wir keinen Gott wiederfinden“34 werden und „die Moral [von nun an] zu Grunde [geht]“; es ist „jenes grosse Schauspiel in hundert Akten, das den nächsten zwei Jahrhunderten Europa’s aufgespart bleibt, das furchtbarste, fragwürdigste und vielleicht auch hoffnungsreichste aller Schauspiele ...“ (KSA 5, 410.411). Hinüberzusehen „in das neue Land, in die Zukunft ohne Gott“, eine „Morgenröte“, „einen neuen Sonnenaufgang“ zu erleben, „ein neues Bewußtsein, eine ganz und gar neue Lebenskonzeption“ zu finden, das war sein Antrieb.35 Die Deutungen des Todes Gottes als Ankündigungen einer neuen Zeit im philosophischen und zeitdiagnostischem Denken Hegels und Nietzsches sind für die philosophischen und theologischen Debatten im 20. Jahrhundert wegweisend.36 Beide Ansätze werden daher in den folgenden zwei Abschnitten dargestellt und ihre systematischen Pointen herausgearbeitet. Es zeigt sich, dass Hegel und Nietzsche auf unterschiedliche Weise den religiöstheologischen und philosophisch-säkularen Diskurs miteinander verschränken und so mittels der Denkfigur des Todes Gottes jeweils neue Diskursformationen in Philosophie und Theologie anregen.

F. NIETZSCHE, N 1887 10[150], KSA 12, 540. B. HILLEBRAND 1991, 12. 31 F. N IETZSCHE, N 1887/1888 11[99], KSA 13, 48. Mit Hinterweltlern meint Nietzsche die Metaphysiker. 32 F. N IETZSCHE, KSA 6, 80.81. 33 Wie bereits in Abschnitt 4.2 (4) bemerkt, hat Heinrich Heine in Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland (1834/35), ein halbes Jahrhundert bevor Nietzsche den Tod Gottes buchstäblich aussprach, von einem zeitlich ausgedehnten Realisierungsprozess dieses Ereignisses gesprochen (vgl. HHW 4, 131). 34 F. N IETZSCHE, N 1887/1888 11[119]; N 1887/1888 11[122], KSA 13, 57; 58. 35 B. H ILLEBRAND 1991, 68. 36 Vgl. die Kapitel 6 und 7 in diesem Buch. 29 30

5.1 Hegels und Nietzsches Diagnosen der neuen Zeit

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5.1.1 Vom Gefühl zum Moment: Religion als Übergangsphänomen und Aufhebung Gottes in den Geist der Gemeinde (G. W. F. Hegel) (1) Die von Georg Wilhelm Friedrich Hegel37 (1770–1831) zunächst in seiner Schrift Glauben und Wissen (1802)38 enthüllte Grundstimmung seiner Zeit der 37 Zu Hegels Denken und seiner Rezeption in Philosophie und Theologie vgl. die Übersicht bei J. SIMON 1985; aus den Studien vgl. insbes. K. LÖWITH (1941) 1964; J. RITTER (1957) 1965; G. ROHRMOSER 1961; M. THEUNISSEN 1970; W. PANNENBERG 1996a, 257– 293; W. JAESCHKE 1986 und 2010 sowie die entsprechenden Beiträge und Rubriken in den Hegel-Studien (seit 1961); ferner W. JANKE 2009, 109–172, der die alte These vom Dreischritt des Deutschen Idealismus, beginnend in Fichtes Jenaer Wissenschaftslehre, in Schellings Naturphilosophie übergehend und sich vollendend in Hegels System, auflöst zugunsten der Formulierung einer Gegenthese, dass der Deutsche Idealismus die Begründung der Vernunftwissenschaft im Widerstreit von drei Vollendungsansprüchen sei, deren Höhepunkt Fichtes ungeschriebene Lehre bilde; vgl. jetzt auch auf seinen bisherigen Hegel-Studien basierend: J. HABERMAS 2019b, II, 468–589 und M. VETŐ 2019, 529–765; vgl. exemplarisch von evangelischer Seite sowohl Wolfhart Pannenberg (vgl. u. a. etwa W. PANNENBERG 1972, 78–113; 1997, 260–289; vgl. dazu a. a. O., 260.261, Anm. 46 die Nennung einschlägiger Studien aus Theologie und Philosophie sowie weiterer Studien Pannenbergs zu Hegel) als auch Eberhard Jüngel (E. JÜNGEL [1977] 1986, 83–132); ferner W. SCHULTZ 1964; W.-D. MARSCH 1965; T. KOCH 1967; H. THIELICKE 1968, 372–379; H.-W. SCHÜTTE 1969; P. CORNEHL 1971, 126–145, CH. FREY 1973, CH. LINK 1974; A. BRUNKHORST-HASENCLEVER 1976, 217–255; P. LØNNING 1986. Der Pannenberg-Schüler Falk Wagner hat sein Verständnis der Theologie im Anschluss an Hegel als eine religionsbegründende Theorie des Absoluten, um mittels der Spekulation theologisch der Religionskritik zu begegnen, dargelegt in: F. WAGNER 1986, 555–589; vgl. F. WAGNER 1999a, 75–119; ferner die Beiträge zu Hegel in F. WAGNER 1996 und 1971; vgl. insbes. auch die Arbeiten von Jörg Dierken: J. DIERKEN 1996, 203–307 und J. DIERKEN 1989; 1991; 2005a, 259–280; 2012, 80–89 sowie die Studie von Martin Wendte zur „Gottmenschlichen Einheit bei Hegel“ (M. WENDTE 2007 mit Hinweisen auf weitere Studien). Von katholischer Seite vgl. u. a. Karl Rahner und Hans Urs von Balthasar; ferner H. KÜNG (1970) 1989; X. TILLIETTE (1990) 1998, 252–277; P. HENRICI 2009. 38 Die Schrift erschien zuerst in der von Schelling und Hegel herausgegebenen Zeitschrift Kritisches Journal der Philosophie ohne Angabe des Verfassers unter dem Titel Glauben und Wissen oder Reflexionsphilosophie der Subjectivität, in der Vollständigkeit ihrer Formen, als Kantische, Jacobische und Fichtesche Philosophie. Die verschachtelte Schlusspassage sei hier angefügt. Die Zitate bzw. Bezüge im Haupttext darauf werden nicht im Einzelnen erneut nachgewiesen: „Der reine Begriff aber, oder die Unendlichkeit, als der Abgrund des Nichts, worinn alles Seyn versinkt, muß den unendlichen Schmerz, der vorher nur in der Bildung geschichtlich und als das Gefühl war, worauf die Religion der neuen Zeit beruht, das Gefühl: Gott selbst ist todt, dasjenige, was gleichsam nur empirisch ausgesprochen war, mit Pascals Ausdrücken: la nature est telle qu’elle marque partout un Dieu perdu et dans l’homme et hors de l’homme, rein als Moment, aber auch nicht als mehr denn als Moment, der höchsten Idee bezeichnen, und so dem, was etwa auch entweder moralische Vorschrift einer Aufopferung des empirischen Wesens oder der Begriff formeller Abstraction war, eine philosophische Existenz geben, und also der Philosophie die Idee der absoluten Freyheit, und damit das absolute Leiden oder den speculativen Charfreytag, der sonst historisch war,

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revolutionären Umwälzungen und Beschleunigung des sozialen Wandels, deren Verluste sich im Gefühl „Gott selbst ist todt“39 kundtun, suchte er durch eine groß angelegte philosophische Spekulation zu überwinden, in der das landläufige Gefühl einer entgötterten und zerrissenen Welt mittels einer christologischen Denkfigur auf ein maßgebliches Moment im Leben Gottes reduziert wird. Von dort aus nimmt seine neue Philosophie des Geistes ihren Ausgang. An deren Ziel steht das Ende der Religion und Theologie als ihre Aufhebung in die Philosophie: die Verwirklichung und Verweltlichung bzw. Säkularisierung40 als Vollendung der Religion. Mit seiner überraschend versöhnlichen Schlusspassage angesichts der scharf geübten Kritik an den Reflexionsphilosophien von Kant, Jacobi und Fichte,41 von denen er behauptet, dass sie „den Tod Gottes verkündigen [...], dessen ungeachtet, daß ihre Philosophien religiös ausmünden“42, und auch an Schleiermachers Reden Über die Religion43, möchte Hegel nicht nur eine Grundstimmung ausdrücken, die allen und ihn selbst in der ganzen Wahrheit und Härte seiner Gottlosigkeit wiederherstellen, aus welcher Härte allein – weil das Heitere, Ungründlichere und Einzelnere der dogmatischen Philosophieen, sowie der Naturreligionen verschwinden muß, die höchste Totalität in ihrem ganzen Ernst und aus ihrem tiefsten Grunde, zugleich allumfassend, und in die heiterste Freyheit ihrer Gestalt auferstehen kann, und muß.“ (G. W. F. HEGEL, GW 4, 413.414). Kursiv erscheint in dem Zitat, was gesperrt und im Fettdruck im Original erscheint. Zum PascalZitat Hegels vgl. CH. LINK 1974, 37–39; zur Interpretation der Passage vgl. a. a. O., 68–79. 39 Hegel erklärte in seinen späteren Berliner Vorlesungen über die Philosophie der Religion von 1821 bis 1831 die Herkunft des Motivs „Gott selbst ist tot“ aus dem Evangelischen Gesangbuch, jedoch als ein Zitat aus „einem lutherischen Liede“ (G. W. F. HEGEL 1984, 249). Vgl. E. JÜNGEL (1977) 1986, 84.85; vgl. auch H.-D. UELTZEN 1976 und J. FIGL 2000. 40 Vgl. zur ersten Andeutung des Verhältnisses von Protestantismus („Princip des Nordens“) und Säkularisierung W. JAESCHKE 2010, 138; vgl. W. JAESCHKE 2003, 84: „Das Prinzip der Entgötterung ist die protestantische Innerlichkeit, die [...] eingeführt [wird] als ,Prinzip des Nordens‘“ und beibehalten als „Prinzip der Subjektivität“; ferner J. DIERKEN 2005a, 49–68. 41 Vgl. G. W. F. H EGEL, GW 4, 316: „Nach Kant ist Übersinnliches unfähig, von der Vernunft erkannt zu werden, die höchste Idee hat nicht zugleich Realität; nach Jacobi schämt sich die Vernunft zu betteln, und zu graben hat sie weder Hände noch Füße, dem Menschen ist nur das Gefühl und Bewußtsein seiner Unwissenheit des wahren, nur Ahndung des Wahren in der Vernunft, die nur etwas allgemein Subjektives, und Instinkt ist, gegeben. Nach Fichte ist Gott etwas Unbegreifliches und Undenkbares, das Wissen weiß nichts, als das es Nichts weiß, und muß sich zum Glauben flüchten.“ 42 M. SOBOTKA 2003, 34. 43 „Obschon sie in der Entgegensetzung von Endlichkeit und Unendlichkeit befangen bleibe, mache sie doch die Unendlichkeit zu ihrem Absoluten, und solche ,Philosophie der Unendlichkeit‘ stehe ,der Philosophie des Absoluten näher als die des Endlichen‘“ (W. JAESCHKE 2010, 143.144). Vgl. zum Thema sowie zur Diskussion über das Verhältnis von Endlichkeit und Unendlichkeit W. JAESCHKE 2010, 136–144. Zur spitzen SchleiermacherKritik Hegels vgl. a. a. O., 141.142. Zum Verständnis des Gefühls bei Schleiermacher und Hegel und besonders zu ihren Unterschieden vgl. U. HÖRWICK 1998, 47–57. Zwar ist der „Ausgangspunkt“ bei beiden derselbe, „das Gefühl. Die Reflexion, die Hegel betont. [sic!]

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religiösen Menschen gemeinsam ist, sondern auch eine, die im Grunde alle Menschen im tiefsten Inneren ergriffen hat. Es ist die Ankunft einer „neuen Zeit“, einer Zeit nach der Aufklärung, nach der Französischen Revolution, nach den „neuen Mythologien“ der Romantik, nach dem Christentum, nach den Naturreligionen und nach der sittlichen Welt des Griechentums. Der „glorreiche Sieg“ der Aufklärung über den Glauben zeigt sich für Hegel hier als eine Niederlage, da die Vernunft „nur Verstand“ geworden ist und damit „das Bessere“, „das Absolute“, „als ein Jenseits in einem Glauben außer und über sich setzt.“44 Damit wird für Hegel der Sieg der Vernunft über den Glauben zu einer Beschränkung der Vernunft: „und dieser unendliche leere Raum des Wissens [kann] nur mit der Subjektivität des Sehnens und Ahndens erfüllt werden“45, was zur Beliebigkeit führt. Der Sieg der Vernunft hat nichts weniger als den „Tod der Philosophie“46 zur Folge, was Hegel zu einer Neubelebung von Philosophie und „Vernunft als versöhnende Selbsterkenntnis eines absolutes Geistes“47 motiviert. Mit dem Ausdruck „Religion der neuen Zeit“48, in dem Religion als das „,Selbstbewusstsein des Geistes‘ [...] als Resultat der gesamten Religionsgeschichte verwirklicht sei“49, stellt Hegel die Reflexion über die Aufgabenstellung der Philosophie nicht nur in einen zeitdiagnostischen, sondern auch in einen religionsgeschichtlichen Kontext.50 Denn „das Heitere, Ungründlichere und Einzelnere der dogmatischen Philosophieen, sowie der Naturreligionen“ enthält nicht die Tiefe der Negativität, die Vernichtung des Endlichen. Daher muss es verschwinden. Aber auch eine solche Philosophie muss überwunden werden, die diese auch von der Religion ausgesprochene, aber nur als Moment ausgesprochene Negativität zwar erkennt, jedoch an ihr in absoluter Entgegensetzung gegen das Endliche festhält. Wenn nun aber die neue Philosophie den unendlichen Schmerz in einen Moment der höchsten Idee verwandelt, geht sie nicht allein über die dogmatische und kritische Philosophie hinaus. Sie knüpft eben auch an die Religion an. Doch sie transformiert den historischen Karfreitag in einen „speculativen Charfreytag“. So wird er zu einer Vorbedingung der Auferstehung der Totalität in der „heitersten Freyheit ihrer Gestalt.“ ist die Ebene der Gottesbeweise. Für Schleiermacher ist das Gefühl höchster Abhängigkeit von Gott die höchste Stufe unmittelbaren Selbstbewußtseins.“ (U. HÖRWICK 1998, 52); vgl. zur Kritik Hegels an einer das Gefühl isolierenden privatistischen Gefühlsreligion als „Idioten-Religion“ auch F. WAGNER 1999a, 83–85. 44 G. W. F. H EGEL, GW 4, 315. 45 G. W. F. H EGEL, GW 4, 316. 46 G. W. F. H EGEL, GW 4, 316. 47 J. H ABERMAS (1985) 1991, 105. 48 Vgl. die obige Anmerkung zu Glauben und Wissen. Dort auch die entsprechenden Nachweise der folgenden Zitate. 49 J. D IERKEN 2012, 81. 50 Vgl. W. JAESCHKE 2010, 144; zur Religionsphilosophie Hegels W. JAESCHKE 1983.

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(2) Hegel stimmt dem „unendlichen Schmerz“ bejahend zu.51 Doch er bleibt nicht bei dem empirisch wahrnehmbaren Schmerz über ein geschichtliches Ereignis stehen und lässt sich auch nicht von ihm bannen. Hegel nimmt die gegebene Lage nicht einfach so hin, sondern versucht ihren Sinn zu ergründen. Anders als Blaise Pascal oder sein Berliner Kollege Schleiermacher sucht der Protestant Hegel jedoch nicht die Antwort beim Christus des Glaubens, auch wenn die Figur der irdischen Verkörperung Gottes als Menschwerdung für seine philosophische Christologie bedeutsam und untrennbar mit dem Topos vom Tod Gottes verbunden ist.52 Ihn leitet vielmehr die Entdeckung, dass das diagnostizierte „Gefühl“ nur ein „Moment“ ist. Denn die mit Blick aufs Ganze gesehen richtige Zeitdiagnose ist für ihn doch nur ein Moment, eben ein vorübergehender Zustand. So schockierend diese Erscheinung des Verlustes zu sein scheint, sie bedeutet doch nichts Endgültiges. Genau betrachtet zeigt sich innerhalb dieses Momentes der tiefere Tag der wahren Philosophie. Nach der Seite ihrer höchsten Vollkommenheit, der „Idee der absoluten Freyheit“, ist dieser Tag nun gekommen. Damit bleibt das Gefühl „Gott selbst ist todt“ nicht ein historisch unveränderliches Faktum, sondern ist nur der „speculative Charfreytag“ der Philosophie. Das bedeutet, dass der spekulative Karfreitag nicht der christliche Karfreitag ist, nicht die Kreuzigung und Grablegung Christi, sondern die Grablegung einer dogmatischen Philosophie. Das Gefühl vom Tode Gottes ist die Erfahrung des Abgrunds, die alle rationale und moralische Metaphysik hinter sich gelassen hat. Die „Unendlichkeit“ (oder der „reine Begriff“) ist bei Hegel der „Abgrund des Nichts, worin alles Sein versinkt.“ In diesem Gefühl erleidet die Philosophie ihren schwärzesten Tag, an dem sie in ganzer „Härte“ und in vollem Ernst die „Gottlosigkeit“ erlebt und ins Grab steigt, aus dem aber die wahre Philosophie auch wieder entsteigt als die zur „wirklichen Wissenschaft“ erhobene Philosophie. Die Philosophie hat nicht mehr Kenntniswissen von irgendetwas, sondern ist „wirkliches Wis-

„Es ist das ,absolute Leiden‘ der aufgeklärten Epoche, der ,unendliche Schmerz‘, der den ,Tod Gottes‘ in der Welt bezeugt“ (CH. LINK 1974, 57). Die theologische Rezeption verstand das Wort vom „unendlichen Schmerz“ mit der Religionsphilosophie Hegels und mit einer christologischen Hermeneutik als „Ausdruck des Schmerzes ,über den Verlust oder den Tod Gottes‘“ (CH. LINK 1974, 57, Anm. 126 mit Verweis auf H. KÜNG 1970, 214), jedoch deute Glauben und Wissen darauf hin, dass der „unendliche Schmerz“ bereits vor seinem Begreifen als Verlust Gottes durch die spekulative Philosophie „in der Bildung geschichtlich“ vorhanden gewesen sei. In dieser geschichtlichen Manifestation wurde er zur „Basis der ,Religion der neuen Zeit‘“ (CH. LINK 1974, 57.58, Anm. 126). 52 Vgl. W. JAESCHKE 1983, 64; vgl. zu Hegels bildungsgeschichtlichem, geschichtsphilosophischem und politischem Begriff des Protestantismus und deren Entwicklung und Verflechtung in seinem Denken W. JAESCHKE 2003; zur Eigenart von Hegels Christologie vgl. J. DIERKEN 1996, 267–284; auch M. WENDTE 2007. 51

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sen“.53 Sie ist nunmehr das Wissen des Wissens. Das ist das Wissen des sich wissenden Weltgeistes, das „in die heiterste Freyheit ihrer Gestalt auferstehen kann, und muß.“ So ist es offenbar, dass Hegel seine Zeit als „eine Zeit der Geburt und des Übergangs zu einer neuen Periode“54 begreift. Die „Erhebung der Philosophie zur Wissenschaft“ sei „an der Zeit.“55 Es herrsche die „unbestimmte Ahnung eines Unbekannten.“ Sie sei Vorbote, „daß etwas Anderes im Anzuge ist. Dies allmähliche Zerbröckeln, das die Physiognomie des Ganzen nicht veränderte, wird durch den Aufgang unterbrochen, der, ein Blitz, in einemmale das Gebilde der neuen Welt hinstellt.“56 Der „Anfang des neuen Geistes ist das Produkt einer weitläufigen Umwälzung von mannigfaltigen Bildungsformen.“57 So sucht Hegel die überlieferte Religion (des Christentums) in eine neue vernünftige Gestalt zu transformieren. Die Epoche sowohl der moralischen als auch der poetisch-mythologischen Religion („neue Mythologien“) lässt Hegel hinter sich.58 Die Religion soll dazu durch die Philosophie in eine reflexiv-begriffliche Form überführt werden, in den Zusammenhang eines übergreifenden Systementwurfs, in dem die Religionsphilosophie weiter in Richtung einer philosophischen Theologie entwickelt wird.59 Mit anderen Worten: Hegel sucht „Gott durch wissenschaftliches Denken zu erfassen.“60 Doch nicht Gott als solcher, sondern die Religion zeigt sich für ihn als Inhalt der Religionsphilosophie, in die der Gottesgedanke als objektiver Gedanke und höchster Gegenstand „thematisch in Relation zu der Subjektivität von Religion“ eingeführt wird, die ihrerseits in einer spekulativen Theologie grundgelegt wurde, nicht etwa in der Moral.61 In der Phänomenologie des Geistes (1807) findet sich noch eine weitere Hinsicht für das vertiefte Verstehen der Denkfigur des Todes Gottes. Für Hegel ist dort nämlich „das schmerzliche Gefühl des unglücklichen Bewußtseins, daß Gott selbst gestorben ist“62, der „harte Ausdruck“ dafür, daß das Bewusstsein nun „in die Tiefe der Nacht des Ich = Ich“ zurückgekehrt ist, in eine Nacht,

53 Vgl. dazu die Vorrede zur Phänomenologie des Geistes in: G. W. F. H EGEL 1988, 6 (GW 9, 11). Zitiert wird im Folgenden nach der Meiner-Ausgabe der Philosophischen Bibliothek (G. W. F. HEGEL 1988). Angegeben werden zudem in Klammern die Seitenzahlen der Ausgabe der Phänomenologie in den Gesammelten Werken von 1980 (GW 9). 54 G. W. F. H EGEL 1988, 9 (GW 9, 14). 55 G. W. F. H EGEL 1988, 6 (GW 9, 11). 56 G. W. F. H EGEL 1988, 10 (GW 9, 15). 57 G. W. F. H EGEL 1988, 10 (GW 9, 15). 58 Vgl. F. W AGNER 1999a, 85–93. Zu Hegels Konzeption der Religionsgeschichte knapp J. ROHLS 1997a, I, 441–443. 59 Vgl. W. JAESCHKE 2012, 83. 60 J. D IERKEN 1989, 48. 61 J. D IERKEN 1989, 48.49. 62 G. W. F. H EGEL 1988, 512 (GW 9, 419).

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„die nichts außer ihr mehr unterscheidet und weiß.“63 Wenn nun aber das Bewusstsein auf diese Weise sein Gegenüber verliert („Verlust der Substanz“), kommt es gerade dadurch zum vollen Bewusstsein seiner selbst und wird wirkliches Selbst-Bewusstsein. Der „speculative Charfreitag“ der Philosophie ist für Hegel im „Gefühl: Gott selbst ist todt“ nur eine Durchgangsstufe für die Auferstehung der wahren Philosophie. Sie ist „die Darstellung Gottes, wie er in seinem ewigen Wesen vor der Erschaffung der Natur und eines endlichen Geistes ist.“64 In Entsprechung hierzu ist das „Bewußtsein, daß Gott selbst gestorben ist“ ein wichtiger zeitlicher Moment und zugleich ein wichtiges sachliches Moment innerhalb dieses Prozesses, in welchem der Geist sich selbst erkennt, wirkliches Bewusstsein seiner selbst, Selbstbewusstsein wird. Alles läuft in Hegels Philosophie auf Gott hinaus.65 Wenn es auf etwas ankommt, dann nicht auf den Menschen, sondern auf „Gott als Geist“.66 Für Hegel ist aber das „Leben Gottes“, verstanden als „Spielen der Liebe mit sich selbst“, nur eine Idee, die zur „Erbaulichkeit und selbst zur Fadheit“ herabsinkt, denn es fehlt ihr so „der Ernst, der Schmerz, die Geduld und die Arbeit des Negativen.“67 Doch die Philosophie „muß sich hüten, erbaulich sein zu wollen.“68 Sie ist vielmehr als wissenschaftliches System die wahre Gestalt, in welcher die Wahrheit existiert.69 (3) Christofer Frey hat in der Phänomenologie des Geistes vier Bedeutungsvarianten des Todes Gottes unterschieden, von denen die erste vom griechischen Gott und dem Ende der Naturreligion als realem Verlust handelt, während die folgenden drei Bezug auf die dogmatische Christologie nehmen70: Der Tod Gottes ist erstens der Untergang des Gottes der griechischen Kunstreligion; zweitens der Tod des Gottmenschen als Entäußerung Christi in den Geist der Gemeinde; drittens der Tod der abstrakten Idee des absoluten Wesens und des ebenso abstrakten isolierten menschlichen Daseins und viertens der Tod Gottes als Selbstentäußerung Gottes im täglichen Sterben und Leben der Gemeinde, das zur lebendigen Allgemeinheit des Geistes führt. Walter Jaeschke G. W. F. HEGEL 1988, 512 (GW 9, 419). G. W. F. HEGEL, ThWA 5, 43. Band 1 der Wissenschaft der Logik erschien 1812. Band 2 folgte 1816. 65 Vgl. den programmatischen Satz: „Das Wahre ist das Ganze. Das Ganze aber ist nur das durch seine Entwicklung sich vollendende Wesen. Es ist von dem Absoluten zu sagen, daß es wesentlich Resultat, daß es erst am Ende das ist, was es in Wahrheit ist; und hierin besteht seine Natur, Wirkliches, Subjekt, oder sich selbst Werden, zu sein.“ (G. W. F. HEGEL 1988, 15 [GW 9, 19]). 66 Vgl. zu dieser Formel J. D IERKEN 1989. 67 G. W. F. H EGEL 1988, 14 (GW 9, 18). 68 G. W. F. H EGEL 1988, 9 (GW 9, 14). 69 Vgl. G. W. F. H EGEL 1988, 6 (GW 9, 11). 70 Vgl. C H. FREY 1973, 152; 132–161. Vgl. die Referate bei W. JAESCHKE 1983, 65 und CH. LINK 1974, 29.30; vgl. auch L. DE VOS 2003. 63 64

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ergänzt im Blick auf die frühen Jenaer Schriften noch drei weitere Bedeutungen des Todes Gottes: Der Tod Gottes meint dann fünftens den Tod Gottes in den Mysterien; sechstens die eingangs verhandelte zeitdiagnostische Bedeutung: Auf dem „Gefühl: Gott selbst ist todt“ beruhe die neue Zeit. Siebtens wird in der Philosophie der unendliche Schmerz, dem dieses Gefühl Ausdruck verleiht, als ein Moment der höchsten Idee begriffen.71 Bei Hegel lässt sich zwar einerseits ein breites Bedeutungsspektrum der Rede vom Tod Gottes aufspüren, aber dieses bedeutet nicht einfach, dass mit Hegel aktualisierend atheistisch der Tod Gottes proklamiert werden könnte.72 Mit Martin Heidegger gesprochen, ist die „Wissenschaft der Phänomenologie des Geistes [...] die Theologie des Absoluten hinsichtlich seiner Parusie im dialektisch-spekulativen Karfreitag. Hier stirbt das Absolute. Gott ist tot. Das sagt alles andere, nur nicht: es gibt keinen Gott.“73 Gegen Anknüpfungen an Hegels Deutungen des Todes Gottes durch die Gott-ist-tot-Theologie als einer nach-atheistischen Theologie wendet Walter Jaeschke ein, dass „bei Hegel der Tod Gottes als Moment in die Christologie aufgehoben sei.“74 Christian Link dagegen warnt in seiner Studie davor, die zeitdiagnostische Deutung in die christologische aufzulösen.75 Die kritische Zeitdiagnostik herrscht in Glauben und Wissen noch vor, während in der Phänomenologie des Geistes und in den religionsphilosophischen Vorlesungen die christologische Motivverwendung in den Mittelpunkt rückt. Es ist wohl kein Zufall gewesen, dass der 1818 nach Berlin berufene Hegel, entgegen seiner ursprünglichen Absicht, just zu dem Zeitpunkt erstmals Religionsphilosophie an der neuen Berliner Universität las, als der erste Band von Schleiermachers Glaubenslehre 1821 erschien,76 um mit seiner Vorlesung zu einem „kritischen Schlag“77 gegen die Gefühlstheologie des Sturm und Drang und der Romantik auszuholen. Hegel zielte mit ihr auch darauf, Schleiermachers Gründung des Religionsbegriffs auf dem Gefühl der Abhängigkeit auszuhebeln, da Gefühle nichts über die Wahrheit ihres Inhalts aussagen.78 Auch ging es ihm darum, Schleiermachers These von der prinziVgl. W. JAESCHKE 1983, 65. So W. JAESCHKE 1983, 65–68 auch gegen CH. LINK 1974 und mit F. WAGNER 1967 gegen Dorothee Sölle. 73 M. H EIDEGGER, GA 5, 202.203. 74 W. JAESCHKE 1983, 65. An Hegel anknüpfen können aber „nach-theistischen Theologien, sofern [...] das Bewußtseinsverhältnis für den Theismus konstitutiv bleibt“ (W. JAESCHKE 1983, 68). 75 Vgl. C H. LINK 1974, 27–37. 76 Vgl. W. JAESCHKE 1983, 73. 77 K. N OWAK 2001, 413. Vgl. zu Schleiermacher und Hegel jetzt auch J. H ABERMAS 2019b, II, 482–488. 78 Diese Zuweisung der Religion an die Sphäre des Gefühls führt zu heftigen Angriffen Hegels gegen Schleiermacher. Für den Hegel aus der Jenaer Zeit stellt Schleiermacher „das Jacobische Princip“ in der „höchsten Potenzierung“ dar (G. W. F. HEGEL, GW 4, 385). In 71 72

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piellen Unbegreiflichkeit Gottes zu verwerfen.79 Für Hegel muss die in die Philosophie aufgehobene Religion als Bewusstsein von Gott identisch mit dem Bewusstsein wahrer Freiheit sein. Das Prinzip der Freiheit ist in besonderer Weise mit der christlichen Religion verknüpft, die es geschichtlich verwirklicht hat. (4) In der Vorlesung zur Philosophie der Religion von 1827 verwendet Hegel den Begriff Tod Gottes folgendermaßen pointiert: Diese Menschlichkeit in Gott, und zwar die abstrakteste Weise der Menschlichkeit, die höchste Abhängigkeit, die letzte Schwäche, die tiefste Stufe der Gebrechlichkeit ist aber der natürliche Tod. ,Gott selbst ist tot‘ heißt es in einem lutherischen Liede; damit ist das Bewußtsein ausgedrückt, daß das Menschliche, Endliche, Gebrechliche, die Schwäche, das Negative göttliches Moment selbst sind, daß es in Gott selbst ist, daß die Endlichkeit, das Negative, das Anderssein nicht außer Gott ist und als Anderssein die Einheit mit Gott nicht hindert. Es ist das Anderssein, das Negative gewußt als Moment der göttlichen Natur selbst. Die höchste Idee des Geistes ist hierin enthalten. Das Äußerliche, Negative schlägt auf diese Weise in das Innere um. Der Tod hat einerseits diesen Sinn, diese Bedeutung, daß damit das Menschliche abgestreift wird und die göttliche Herrlichkeit wieder hervortritt – er ist ein Abstreifen des Menschlichen, des Negativen. Aber zugleich ist der Tod selbst auch das Negative, diese höchste Spitze dessen, dem der Mensch als natürliches Dasein ausgesetzt ist: Dies ist hiermit Gott selbst. 80

Diese Passage erweckt den Anschein, dass Hegel die christliche Lehre philosophisch transformiert, ohne dass er die Herkunft des Motivs aus der Versöhnungslehre der lutherischen Orthodoxie verleugnet.81 Hegel verwendet statt der korrigierten Formulierung des Liedes „Gottes Sohn liegt todt“ die Rede vom Tod Gottes. Dieses „Gott selbst ist tot“ muss wie eine Provokation auf die Zeitgenossen gewirkt haben, die sich nach Hegel in den atheistischen Philosophien von Feuerbach und Marx sowie bei Nietzsche artikulieren und schließlich in einen sich weit ausbreitenden Atheismus einmünden.

seinen Berliner Kollegs zur Religionsphilosophie (G. W. F. HEGEL 1987) stellte Hegel ins Zentrum seiner Auseinandersetzung mit der Glaubenslehre die Frage, ob Religion Freiheit oder Abhängigkeit stifte. 1822 holt Hegel im Vorwort zum Buch seines Schülers Hermann Friedrich Wilhelm Hinrichs (Die Religion im inneren Verhältnis zur Wissenschaft) zum berühmt-berüchtigten „kynologischen“ Schlag aus: „,Gründet sich die Religion im Menschen nur auf ein Gefühl, so hat solches richtig keine weitere Bestimmung, als das Gefühl seiner Abhängigkeit zu seyn, und so wäre der Hund der beste Christ, denn er trägt diese am stärksten in sich, und lebt vornehmlich in diesem Gefühle. Auch Erlösungsgefühle hat der Hund, wenn seinem Hunger durch einen Knochen Befriedigung wird‘“ (zit. n. F. D. E. SCHLEIERMACHER, KGA I/7.1, LVII. Dort auch der Quellennachweis und die Reaktionen Schleiermachers). Vgl. auch W. JAESCHKE 2010, 451. 79 Vgl. hier und zum Folgenden J. R OHLS 1997a, I, 437–447; C H. LINK 1974, 79–90; ferner J. HABERMAS 2019b, II, 498–504. 80 G. W. F. H EGEL 1984, 249.250. 81 Vgl. A. B RUNKHORST-H ASENCLEVER 1976, 226–230.

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Für Hegel ist das Christentum aufgrund seiner zentralen Idee der Menschwerdung Gottes die „vollendete“ Religion. Mit seiner religionsphilosophischen Deutung der christologischen Denkfigur der Menschwerdung Gottes nimmt Hegel einen modern-subjektiven und spekulativen Standpunkt ein und entfernt sich von der theologischen Orthodoxie: Die Wahrheit, zu der die Menschen vermittels dieser Geschichte gelangt sind – das, was in dieser ganzen Geschichte ihnen zum Bewußtsein gekommen ist, ist dies, daß die Idee Gottes für sie Gewißheit hat, daß der Mensch die Gewißheit der Einheit mit Gott erlangt hat, daß das Menschliche unmittelbar präsenter Gott ist, und zwar so, daß in dieser Geschichte, wie sie der Geist auffaßt, selbst die Darstellung des Prozesses ist, was der Mensch, der Geist ist: an sich Gott und tot – diese Vermittlung, wodurch das Menschliche abgestreift wird, andererseits das Ansichseiende zu sich zurückkehrt und so erst Geist ist.82

Mit Formulierungen wie „daß der Mensch die Gewißheit der Einheit mit Gott erlangt hat, daß das Menschliche unmittelbar präsenter Gott ist“ greift Hegel zwar auf christologische Motive zurück, verwendet sie aber für eine neue Deutung des christlich-religiösen Bewusstseins. Die Pointe liegt für Hegel in der in Gott, im Absoluten, selbst angelegten unendlichen Negation, die sich darin äußerlich manifestiert, dass in dieser besonderen Person Gott selbst gestorben ist.83 (5) Religion bildet für den Lutheraner Hegel eine Kultur der diskursiven Verständigung von Subjektivität, die er als in der Spannung zwischen ihrer Endlichkeit und Unendlichkeit befindlich begreift.84 Zu dieser Einsicht gelangt Hegel auch mittels seiner Zeitdiagnose, in der er feststellt, dass die subjektiv praktizierte Religion zwischen dogmatischer Autoritätshörigkeit und frömmlerischer Eitelkeit zerrieben wird, wenn sie nicht in einem gedanklich fassbaren Absoluten wurzelt, zu dem sich das fromme Bewusstsein im Durchmessen der „Grenzdialektik“ seiner Endlichkeit „erhebt“.85 Doch das Absolute existiert nicht für sich losgelöst im Jenseits. Vielmehr fungiert es als Inbegriff möglicher Relationen, die theologisch als Gott-Welt/Mensch-Verhältnisse ihren Ausdruck finden. In der Religion geht es dementsprechend um das Wechselverhältnis von objektivem Gottesgedanken und menschlichem Gottesbewusstsein. Hegels Gotteslehre ist vor diesem Hintergrund nur als Lehre von der Religion zu fassen, und Geist ist Gott, konstituiert durch den Tod Christi als Tod Gottes gedacht, nur insofern, als er in seiner Gemeinde gegenwärtig ist und subjektiv angeeignet wird: „lebt, in ihr täglich stirbt und aufersteht.“86 Religion G. W. F. HEGEL 1984, 250; 286; 301. Vgl. J. HABERMAS 2019b, II, 501–504 mit weiterem Erschließungsmaterial. 84 Vgl. J. D IERKEN 2009, 51. In einem Brief an August Tholuck vom 3. Juli 1826 heißt es: „Ich bin ein Lutheraner und durch Philosophie ebenso ganz im Luthertum befestigt“ (zit. n. CH. LINK 1974, 10, Anm. 6). 85 Vgl. J. D IERKEN 2009, 56. 86 G. W. F. H EGEL 1988, 511 (GW 9, 418). 82 83

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ist also das Selbstbewusstsein des Geistes. Sie konkretisiert sich in dem zwiefältigen Geist-Verhältnis von Gottesgedanke und Gottesbewusstsein. In dessen Vollzügen ist die Bestimmtheit des Gottesgedankens präsent. Doch Religion ist in einem undogmatischen Sinn Menschwerdung Gottes, gipfelnd als Geist als dem durch Anerkennung des Mensch gewordenen Gottes sich überschreitenden Selbstbewusstsein, in dessen Dynamik eine gegenläufige Einheit von Göttlichem und Menschlichem, von Unendlichem und Endlichem liegt.87 Hegel hat das Religionsthema in seinen Berliner Kollegs 1821, 1824, 1827 und 1831 in je veränderter Fassung ausführlicher als Vorlesungen über die Philosophie der Religion vorgetragen.88 Religion ist für ihn nicht als Moral, die in Beziehung zu einem göttlichen Gesetzgeber steht, zu denken (Fichte), aber auch nicht romantisch als Unterart von Poesie oder Mythos zu begreifen oder gar vermögenstheoretisch als Anschauung und Gefühl im Schleiermacherschen Sinne zu verstehen, um das Eigenrecht der Religion in der Moderne zu bewahren.89 Vielmehr ist sie Vorstellung eines Allgemeinen, und zwar des Geistes als dem Allgemeinen: „Deshalb ist Religion auch nicht ein Verhältnis des Menschen zu einem außer ihm für sich bestehenden göttlichen Wesen, sondern ein Verhältnis des einzelnen Geistes zum Geist als dem Allgemeinen, zu derjenigen durch den einzelnen Geist vermittelten, aber über ihn hinausgehenden Wirklichkeit des Geistes, deren Moment der einzelne Geist ist.“90 Seine Ausführungen sind deutlich von einem christlichen Verständnis von Religion geleitet. Denn in der christlichen Religion, der „absoluten Religion“, wird das alle Religionen verbindende allgemeine Sichwissen des Geistes nochmals vertieft: „zum Wissen, dass Gott nicht ein äußeres, für sich bestehendes Wesen ist, an das der Mensch sich mit seinen Beschwörungen oder Gebeten wenden 87 Vgl. J. D IERKEN 2009, 57: „Hegel versteht die Menschwerdung als Ausdruck der kulturgeschichtlich errungenen Letztgeltung des Individuums. Der Tod Christi wird dezidiert als Tod Gottes gedacht; er verkörpert, mit einer nachträglich in die Immanenz Gottes projizierten ,trinitarischen‘ Vorgeschichte der Gewaltenteilung im Absoluten, Opfer und Ende einer suisuffizient herrschenden göttlichen Substanz mit irdischen Repräsentanten. Zudem konstituiert dieser Tod Gott als Geist, der in subjektiver Aneignung durch die selbstbewusste Subjektivität der Gemeinde vollzogen wird. Sie steht dafür, dass das allgemeine Anerkanntsein des Individuums in vielfältigen Anerkennungsvorgängen von und unter Einzelnen realisiert wird.“ Vgl. zu dieser Deutung auch F. WAGNER 1999a, 75–119. 88 Vgl. die Vorlesungen über die Philosophie der Religion in den früheren Ausgaben der auf der vom Verein der Freude des Verewigten (Bd.e 11 und 12: 1832, 2. Aufl. 1840) basierenden Editionen von G. Lasson (Bd.e 12–14: 1921; 1927), H. Glockner (Bd.e 15 und 16 in der Jubiläumsausgabe 1927–1940) und E. Moldenhauer (Bd.e 16 und 17 in der Theoriewerkausgabe) und jetzt auch die Neuedition in: G. W. F. HEGEL 1983; 1984; 1985a; 1985b sowie G. W. F. HEGEL, GW 17. Vgl. zu den verschiedenen Editionen und den Intentionen: W. JAESCHKE 2010, 450–477; ferner zu den Vorlesungen F. WAGNER 1989, 233–255; 1996, 157–180; eine knappe Einführung bietet G. ZÖLLER 2020, 106–112. 89 Vgl. W. JAESCHKE 2012, 84. 90 W. JAESCHKE 2012, 84.85.

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kann, sondern dass das Göttliche im Geiste selber ist.“91 Für Hegel ist auch klar, dass Religion nur in der Geschichte Realität gewinnt. In seiner Religionsphilosophie hat Hegel deshalb das geschichtliche Moment des Geistbegriffs systematisch klar herausgearbeitet.92 Religion – das Selbstverhältnis des Geistes – konkretisiert sich in bestimmten Gestalten, die als geistige wesentlich geschichtlich sind. Eine philosophische Betrachtung muss diese geschichtliche Verfassung des religiösen Bewusstseins in den Blick nehmen. Hegels Interesse an der Religion richtet sich also auf ihre Erkenntnis als eine Gestalt des Selbstbewusstseins des Geistes. Sie ist für das Verständnis seiner Philosophie des Geistes insofern ein unverzichtbarer Teil, als sich die Religionsphilosophie als ihre letzte abschließende Disziplin erweist. Denn ihre Aufgabe ist darin beschrieben, analog zur Ästhetik und Geschichte der Philosophie, Religion als eine der Formen des Geistes zu begreifen, in denen der Geist sich auf sich zurückwendet, sein Bewusstsein über sich selbst gewinnt und eben darin absoluter Geist ist. Und zwar: Selbstbewusstsein des absoluten Geistes.93 Für Hegel ist offenbar – und eschatisch-jesuanisch angespielt –, dass jetzt „die Zeit erfüllet ist, daß die Rechtfertigung durch den Begriff Bedürfnis geworden ist.“94 Frühere Legitimationsformen des absoluten Inhalts – Inspiration, Tradition und Schrift – greifen nicht mehr. Sie haben durch die Aufklärung ihre verbindende, verbindliche und rechtfertigende Kraft eingebüßt. Die „Fülle der Zeit“ enthüllt die eigentliche „Leere der Zeit“95. Hegel sieht als Ausweg aus dieser für die Religion bedrohlich gewordenen Lage allein die Rechtfertigung durch das begreifende Denken und empfiehlt der geistphilosophisch verstandenen und somit mit der Philosophie identischen Religion eine „Flucht in den Begriff“96. Es geht ihm nicht um eine Ersetzung der Religion durch Philosophie, sondern um eine neue Grundlegung: „An die Stelle der zusammengebrochenen Stützen Tradition, Schrift, Inspiration und Historie oder gar gesellschaftlicher Nützlichkeit tritt die in einer Geistphilosophie entfaltete Vernunft.“97 Eine Religion, die vor der Flucht in den Begriff zurückschreckt, die sich weiterhin historisch oder offenbarungspositivistisch legitimiert, bleibt in einem Missverständnis ihrer selbst gefangen. Sie gibt sich einer doppelten Illusion hinsichtlich ihres Fundaments und ihres Inhaltes hin. Mit dem Fundament verliert sie auch ihren Inhalt und schrumpft zur Subjektivität. Dies ist berechtigt und unverzichtbar, wenn bedacht wird, dass diese den Inhalt immer aus sich selbst erzeugen und ihn zugleich als etwas Objektives an und für sich W. JAESCHKE 2012, 85. Vgl. W. JAESCHKE 2010, 453. 93 Vgl. W. JAESCHKE 2010, 474. 94 G. W. F. H EGEL, ThWA 17, 343. 95 Vgl. W. JAESCHKE 2010, 474. 96 Vgl. auch die Beiträge in F. W. G RAF/F. W AGNER 1982 (mit ausführlicher Bibliographie); vgl. auch F. WAGNER 1989, 204–232. 97 W. JAESCHKE 2010, 474.475. 91 92

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anerkennen muss.98 Dies aber ist nun für Hegel nicht mehr Aufgabe der Religion, sondern der Philosophie. Damit einher geht ein weiterer Grund für eine Flucht in den Begriff: „das Ende, das sie an der Philosophie als begreifendem Denken und somit als höherer Gestalt des Geistes findet.“99 Damit wird die spannungsvolle Ambivalenz von Hegels Religionsbegriff noch einmal deutlich. Zwar spricht er der Religion eine große geschichtliche Bedeutung und einen hohen, nicht aber den höchsten Wahrheitsgehalt zu, denn sie bleibt ja unauflöslich an die Vorstellung gebunden. Daher kann für ihn abschließend nur die Diagnose und Prognose vom Übergangscharakter der Religion, ihre „Aufhebung“, ja das „Ende der Religion“ stehen.100 Die Religion vermag nicht mehr, wie schon vorher die Kunst, das höchste Bedürfnis des Geistes zu befriedigen, wenn erst die Philosophie als die Erfassung des Geistes in Begriffsform ausgebildet ist und den „absoluten Inhalt“ in der „absoluten Form“ fasst. Nur die philosophische Form bleibt als freie Form des Selbstbewusstseins des Geistes.101 Mit der ,Flucht in den Begriff‘ will Hegel den nun zeitbedingt („Leere der Zeit“) gebotenen Fortschritt im Verständnis dessen, was Religion eigentlich ist, vollziehen. Dazu ist es geboten, auch die radikale Wendung Hegels in seinen drei letzten Religionskollegs hinzuzuziehen, die für das Verhältnis von Religion, Philosophie und gesellschaftlicher Wirklichkeit von grundlegender Bedeutung sind. Es geht nicht mehr um eine Flucht aus der Welt, sondern um das Programm einer „Realisierung des Geistigen der Gemeinde“102. Statt der resignativen Grundstimmung am Ende des ersten Kollegs kommt nun der Entwurf bei einer progressiven Realisierung des geistigen Gehalts der Religion, seiner Ein-Bildung in die Weltlichkeit zu stehen.103 Hegel interpretiert Religion unter Rückgriff auf das christliche Verständnis von Gemeinde. Denn als Geist macht Gott „,sich selbst das Gegenbild einer Gemeinde und die Tätigkeit einer Gemeinde in Beziehung auf ihn‘ [...]. Gemeinde steht hier für die Subjektivität des religiösen Wissens von Gott, das ebenso von Gott erzeugt ist, wie es selbsttätig sich auf Gott bezieht. Der als Geist gefaßte Gott erfüllt sich mithin im Vollzug der Selbsttätigkeit des ihm ,gegenbildlich‘ gegenüberstehenden Anderen, der als Gemeinde namhaften, von Gott konstituierten religiösen Sub-

Vgl. G. W. F. HEGEL 1984, 267.268. W. JAESCHKE 2010, 475. 100 Aufhebung bzw. Aufheben hat für Hegel einen dreifachen Aspekt: Aufheben ist ein Negieren und ein Aufbewahren zugleich, erhalten und ein Ende machen, heißt überschreiten und aufbewahren; hinzu kommt ein „erheben“ im Sinne von würdigen oder ehren. Vgl. G. W. F. HEGEL, ThWA 20, 56. 101 Vgl. W. JAESCHKE 2012, 475. 102 G. W. F. H EGEL 1984, 262–270. 103 Vgl. W. JAESCHKE 2012, 476. 98 99

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jektivität. Sich in ihr zu wissen, genauer: sich selbst in ihrem Wissen von Gott zu wissen, charakterisiert die Bestimmung Gottes als des Geistes.“104 Dieser Entwurf verdeutlicht, was mit dem „Ende der Religion“ gemeint ist. Sie kann zwar nicht mehr als eigene Gestalt das höchste Bedürfnis des Geistes befriedigen, wohl aber ihre „Substanz“, ihren geistigen Gehalt, wie schon die Kunst, an die Philosophie weitergeben, und so auch in die gesellschaftliche Wirklichkeit eingebildet werden.105 Diese „Verweltlichung“ bzw. „Säkularisierung“106 muss nicht als kirchengeschichtliche Verfallskategorie gesehen, sie kann auch als kulturgeschichtliche Kategorie verstanden werden: „als Verwirklichung des christlichen Prinzips“107. Mit „Säkularisierung“ ist hier nun nicht eine Entfremdung oder Entwendung der religiösen Substanz gemeint, sondern ihr Eingehen in die Wirklichkeit und ihr Aufgehen in dieser.108 Der „speculative Charfreytag“ vollendet sich kulturgeschichtlich betrachtet somit nicht in den stets partikularen Vollzügen der konfessionellen Kirchengemeinden, sondern in den säkularen Institutionen der Moderne und damit in der durch subjektive Freiheit vermittelten Sittlichkeit109: Familie, bürgerliche Erwerbsund Wirtschaftsgesellschaft und ausdrücklich der durch die reformatorische Kirchenspaltung ermöglichte konstitutionelle Rechtsstaat, der „über“ den Konfessionen steht. Der kategorialen Aufhebung der Religion in den philosophischen Begriff entspricht politisch und praktisch der Übergang der christlichprotestantischen Religion in die autonome Sittlichkeit. Im besten Fall sind die religiösen Vollzüge der symbolischen Kommunikation und der innerlichen Gehalte in „Herz und Gewissen“ Bindeglieder der Bildung für das Leben in den sittlichen Institutionen angesichts permanenter Gefährdung durch dieselbe Subjektivität, auf der sie beruhen. Natürlich können die religiösen Vollzüge auch in hohles Meinen oder in fundamentalistischen Fanatismus abdriften, „als subjektive[] Trotzhaltung gegen die Moderne“110. Deren Folgen wäre dann mit der Festigkeit des Rechts zu begegnen. Doch um solche Realisierung der Religion als autonome Sittlichkeit weiß letztlich nur die Philosophie, die unter staatlicher Obhut steht. „Der vom Systemkonzept geforderten Aufhebung der

J. DIERKEN 1989, 50.51. Dort auch der Zitatnachweis. Vgl. W. JAESCHKE 2012, 476. 106 So erstmals Richard Rothe. Vgl. W. JAESCHKE 2010, 476. Mit der Säkularisierung steht ein kulturgeschichtlicher Begriff dem staatsrechtlichen Begriff der Säkularisation gegenüber. Diesen Gedanken nimmt auch M. C. TAYLOR 2007 in seiner Theology of Culture auf und führt ihn in seiner Religionstheorie weiter. Vgl. Abschnitt 6.3.1 in diesem Buch. 107 W. JAESCHKE 2012, 476. 108 Vgl. W. JAESCHKE 2001. 109 Vgl. zum Folgenden J. D IERKEN 2009, 51.52. Im Anschluss an die Schlussparagraphen der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften (1830) des Dritten Teils Die Philosophie des Geistes §§ 483–552, bes. §§ 513–552 aus G. W. F. HEGEL 1991. 110 G. R OHRMOSER 2009, 51. 104 105

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Vorstellung in den Begriff entspricht institutionell Ort und Funktion der Philosophie im Übergang von Religion in Sittlichkeit.“111 (5) Inmitten einer „zerrissenen Moderne“112 sucht Hegel mit Hilfe einer „zeitgemäßen Theologie“, die „den kultischen Kern aller Religionen auf ihren christlichen Begriff bringen“ soll, „die Wiederherstellung der Integrität eines versöhnten Zusammenlebens [zu] lehren“ 113, damit das „soziale Band nicht reißt.“114 Während Schleiermacher die Religion als eigenständigen Bezirk in der ausdifferenzierten Gesellschaft verortet, „stellt Hegel die Weichen für einen absoluten Idealismus, der die Menschwerdung Gottes zum Leitfaden für die prozessuale Auflösung des offengebliebenen Problems fruchtbar macht.“115 Sein Interesse gilt auch der Frage, wie der soziale Zusammenhalt „in Begriffen der Subjektphilosophie“ gewährleistet werden kann. Doch weder die kirchliche Praxis des Gottesdienstes noch die Religion allein haben noch die Kraft zur Versöhnung. Sie vermögen weder zwischen den Zersplitterungen in pietistische Frömmigkeit, Orthodoxie und Aufklärungskritik zu vermitteln noch vermag das philosophische Denken tröstend in der historischen Welt zu wirken. Es hält vielmehr den Gedanken der Versöhnung abgesondert von der Welt und unfähig, in ihr zu wirken, im Geist wach.116 Auch die angenommene teleologische Veränderungsfähigkeit zum Besseren als vernünftige Fortschritte im Bewusstsein der Freiheit, die als Spuren des Weltgeistes gelesen werden können, bleiben zu abstrakt, um allgemein zu wirken, auch wenn es gelungene historische, wenngleich notwendigerweise fragmentarisch bleibende Beispiele wie das antike Griechenland gibt. Auch wenn Hegel in seiner Krisendiagnose der bürgerlichen Gesellschaft ein Sensorium für die ausbalancierten Bedingungen gelingenden gesellschaftlichen Zusammenlebens hatte, liegt mit der Verabschiedung des absoluten Geistes und der damit einhergehenden veränderten Behandlung der Frage nach der Vernunft in der Geschichte unter den Bedingungen des nachmetaphysischen Denkens der Schüler Hegels die Zeit des Deutschen Idealismus mit ihrem transzendentalen und spekulativen Systemdenken wie abgeschnitten hinter uns.117 Es waren dann die radikalen philosophischen Bewegungen eines Feuerbach, Marx und Nietzsche sowie die weltgeschichtlichen Ereignisse des 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts, welche nachhaltig die Welt, das Lebensgefühl der Menschen und ihre sprachlichen Zugänge zur Welt verändert haben: „Die epochalen transzendentalen und spekulativen Grundlegungen des neu-

J. DIERKEN 2009, 51.52. J. HABERMAS 2019b, II, 479 und 504. 113 J. H ABERMAS 2019b, II, 479. 114 J. H ABERMAS 2019b, II, 474. 115 J. H ABERMAS 2019b, II, 481. Hier auch das folgende Zitat. 116 Vgl. J. H ABERMAS 2019b, II, 504. 117 Vgl. J. H ABERMAS 2019b, II, 535–555. 111 112

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zeitlichen Idealismus und deren systematische Vollendung in der geistigen Hochkultur der Fichte-, Schelling- und Hegelzeit liegen tot und verdunkelt im Schatten des Nihilismus.“118 Kurz vor seinem Tode hatte Hegel selbst am Schluss seiner Vorrede zur zweiten Ausgabe seiner Wissenschaft der Logik (1831) bereits Zweifel darüber angemeldet, „ob der laute Lärm des Tages und die betäubende Geschwätzigkeit der Einbildung, die auf denselben sich zu beschränken eitel ist, noch Raum für die Teilnahme an der leidenschaftslosen Stille der nur denkenden Erkenntnis offen lasse.“119 Es war der scharfsinnige Dichter und Denker (und der im Grunde Hegel-Unkundige120) Friedrich Nietzsche, der wie „niemand tiefer“ den „antichristlichen und atheistischen Sinn der nachhegelschen Wende zum Menschen [...] erfaßt und auf seine Konsequenzen hin bedacht“121 und den Advent des europäischen Nihilismus vorausgesagt hat, in dem die Tatsachenphilosophie des Positivismus und die Ideenfeindschaft des Materialismus erklärt sind: „Der Gott der Philosophen ist tot. Die Sonne Platos, die absolute Idee Hegels sind im Schatten des Nihilismus scheinbar endgültig und unwiederholbar kraft- und trostlos untergegangen.“122 5.1.2 „Gott ist todt! Gott bleibt todt! Wir Alle sind seine Mörder“ – Diagnose des „größten neueren Ereignisses“ (Friedrich Nietzsche) (1) Der grelle Schrei „Gott ist todt!“ (KSA 3, 481) ruft ein epochales Ereignis aus,123 welches die Welt aus den Fugen geraten und die Sonne verfinstern lässt.124 Es ist ein unfassliches Ereignis, das „seine ersten Schatten über Europa zu werfen beginnt“ (KSA 3, 573), „ein Stelldichein [...] von Fragen und Fragezeichen“ (KSA 5, 15). Das „seit Luther [...] größte deutsche Sprachgenie“, Friedrich Nietzsche (1844–1900), selber von Gottfried Benn als „das Erdbeben W. JANKE 2009, 1. G. W. F. HEGEL, ThWA 5, 34. 120 Für Nietzsche reicht es daher nur für einen ironischen Nachtrag: „Von den berühmten Deutschen hat vielleicht Niemand mehr esprit gehabt, als Hegel, – aber er hatte dafür auch eine so grosse deutsche Angst vor ihm, dass sie seinen eigenthümlichen schlechten Stil geschaffen hat. Dessen Wesen ist nämlich, dass ein Kern umwickelt und nochmals und wiederum umwickelt wird, bis er kaum noch hindurchblickt [...] – aber in jenen Umwickelungen präsentirt es sich als abstruse Wissenschaft selber und durchaus als höchst moralische Langeweile!“ (F. NIETZSCHE, KSA 3, 166.167). 121 W. PANNENBERG 1996a, 315. 122 W. JANKE 2009, 4. 123 Die Werke Friedrich Nietzsches werden nach der von Giorgio Colli und Mazzino Montinari besorgten fünfzehnbändigen Kritischen Studienausgabe (Neuausgabe 1999) mit dem Kürzel KSA, der jeweiligen Bandnummer und Seitenzahl in der Regel im Haupttext zitiert. Bei Zitaten aus den Nachgelassenen Fragmenten wird das Sigel N (Jahr, Mappe, Notat, Band und Seite der KSA) verwendet. Im Original gesperrte Wörter werden in kursiver Schreibweise wiedergegeben. 124 Vgl. hier und zum Folgenden auch W. JANKE 2011, 199–203. 118 119

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der Epoche“125 bezeichnet, sucht dem in diesem Ausmaß in der Geschichte der abendländischen Menschheit bislang nicht Erlebten eine Sprache zu geben. Von dieser existentiell katastrophalen Erschütterung und „Quelle unsäglicher Gefahren“126 erzählt erstmals im Jahre 1882 die Parabel vom „tollen Menschen“ im Dritten Buch des Werkes Die fröhliche Wissenschaft.127 Bereits im Titel des Werkes zeigt sich, dass hier mit Konventionen und Traditionen gebrochen wird. Nicht im Großen und Ganzen, mit präzisierender Logik, mathematischer Genauigkeit oder metaphysischer Spekulation ist die Welt in langen Abhandlungen zu erfassen, sondern im Kleinen und im Bruchstück zeigt sich, wie es um uns steht. Solche Bruchstücke des Kleinen, Fragmente, sind Nietzsches Aphorismen.128 Sie bewegen sich im Zwischenraum von Literatur und Philosophie. Sie erkunden ausgewählte Aspekte der Kultur. Aphorismen begrenzen ihr Thema, reißen bekannte Motive kurz an, legen neue Spuren und geben so zu denken. Sie spielen mit dem Unerwarteten, dem Paradoxen. Sie reißen aus der gewohnten Erfahrung heraus, stellen Konventionen und den Sinngehalt des bisher Gedachten infrage und wollen (religiöse und metaphysische) Illusionen entzaubern.129 Der vielfach, nicht nur von der atheistischen 125 Vgl. G. B ENN 1991, 199. Vgl. zu Gottfried Benns Nietzsche-Sicht B. H ILLEBRAND 2000, 9–48. Zur Nietzsche-Interpretation im 20. Jahrhundert und ihren (zum Teil äußerst unheilvollen) Wendungen knapp W. STEGMAIER 2012, V.VI. 126 E. H ELLER 1992, 22; vgl. J. FIGL 2000, 82–88 zur existentiellen Dimension und frühen biographischen Erfahrungen des sächsischen Pfarrerssohns Nietzsche mit der Formel ,Gott ist tot‘ als Wort christlicher Karfreitags-Frömmigkeit. O. PLUTA 1999; 2001a; 2001b meint zeigen zu können, dass Nietzsche das Wort „Deus est mortuus“ in einer Geschichte der Gesta Romanorum, die gegen Ende des 14. Jahrhunderts verfasst wurden, aufgelesen hat. In einer historischen Reihe mit Nietzsches Formel stehen aber Michail A. Bakunins (1814–1876) Diktum „Wenn Gott wirklich existierte, müßte man ihn beseitigen“ (1871) und Pierre-Joseph Proudhons (1809–1865) Wendung „Dieu, c’est le mal“ (zit. n. F. REITINGER 1997, XX.XXI). 127 „,Die fröhliche Wissenschaft‘. (Sanctus Januaris) | Dies ist kein Buch: was liegt an Büchern! | An diesen Särgen und Leichentüchern! | Vergangenes ist der Bücher Beute: Doch hierin lebt ein ewig Heute. (F. NIETZSCHE, N 1882 1[104], KSA 10, 35). Eine um ein Fünftes Buch ergänzte Auflage erschien 1887: F. NIETZSCHE, KSA 3, 343–651; hier: 480–482 (Aphorismus 125). Dass Nietzsche sich bereits in der Basler Zeit als Professor für Klassische Philologie (1869–1879) mit dem „Sterben von Göttern“ und dem „Sterben von Religion“, insbesondere des Christentums, auseinandergesetzt hat, zeigt J. FIGL 2007, 301–328 (vgl. bereits J. FIGL 2000, 88–92). Dort findet sich auch weiteres Erschließungsmaterial aus dem Nachlass der Jahre 1869/70 bis 1873 zu Vorformulierungen der Formel vom „tollen Menschen“ und vom „Tod Gottes“: „Der absterbende Wille (der sterbende Gott)“, „der todte Zeus“, „Tod des Pan“, „Tod Odins und der anderen Götter“ (vgl. J. FIGL 2007, 306). Als Vorfassung gilt der Aphorismus 84 Die Gefangenen aus Der Wanderer und sein Schatten (1880), dem zweiten Nachtrag zu Menschliches, Allzumenschliches II (KSA 2, 590.591). 128 Vgl. einführend zu der seine zweite Schreibphase (1876–1881) bestimmenden Form M. STINGELIN 2011. Einen Überblick über fünf Phasen seines Schaffens bietet K. V. TONGEREN (2018) 2021, 21–26. 129 Vgl. Aphorismus 54: Das Bewusstsein vom Scheine (F. N IETZSCHE, KSA 3, 416.417).

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Religionskritik, sondern auch literaturwissenschaftlich130, psychoanalytisch131, philosophisch132 und theologisch, und zwar von evangelischer133 und katholischer134 Seite, interpretierte und zitierte Aphorismus 125 soll hier nun vorangestellt und anschließend in seinem zeitdiagnostischen Potential ausgelotet werden.135 Er stellt dabei nichts Geringeres als den Versuch dar, etwas Unfassbares in Worten fassbar zu machen. Denn es verbirgt sich in diesen Worten das Ausmaß der Sinn- und Orientierungskrise unseres gegenwärtigen Zeitalters, das hier in poetischer Sprache und im Gewand der Metapher seinen Ausdruck findet. Nietzsche bleibt nicht stehen bei seiner „unzeitgemäßen“ Diagnose des Zuletzt H. DETERING 2010; ferner: H. DETERING 1998. H. E. RICHTER 1979, 32–60; 98–126. 132 Hier sei besonders hingewiesen auf Heideggers einflussreiche Nietzsche-Deutung: M. HEIDEGGER, GA 6.1/2; ferner bereits L. ZIEGLER (11920) 31922, dessen Gestaltwandel der Götter bereits im Erscheinungsjahr 1920 mit dem Nietzsche-Preis ausgezeichnet wurde und der Nietzsches Wort vom „Tod Gottes“ ernst nimmt und den Menschen als Erbe des toten Gottes versteht: „Die Götter sind tot, Gott selber ist tot. So leben denn die Götter, die Mensch-Gebildeten; so lebe denn Gott, der Mensch-Gebildete, der Mensch-Gott!...“ (L. ZIEGLER 1922, II, 818); K. JASPERS (1936) 1981, 245–253; vgl. 426: Das Denken des Todes Gottes als „Wille[n] zur reinen Diesseitigkeit“; K. JASPERS 1947; zur Deutung bei Emmanuel Lévinas vgl. E. ZWIERLEIN 2013. Vgl. zur folgenden Interpretation besonders W. JANKE 1999a; 2011 sowie 2013 und A. GRØN 2006 sowie P. V. TONGEREN (2018) 2021, 70– 73; 131–154. Ferner D. HENKE 1981. Für die US-amerikanische Gott-ist-tot-Theologie war besonders einflussreich Erich Heller mit seinem Essay The Importance of Nietzsche aus dem Jahr 1965 (E. HELLER 1988, 1–17); vgl. auch die deutschsprachige Ausgabe E. HELLER 1992, 19–41; ferner A. CAMUS (1951) 2009. Neuere Interpretationen fassen zusammen K. ALBERT 2002, 127–137 und E. BROCK 2015, 261–287. 133 Vgl. zur Nietzsche-Rezeption in der evangelischen Theologie (z. B. bei A. v. Harnack, E. Troeltsch, P. Tillich, A. Schweitzer, K. Barth u. a.) D. MOURKOJANNIS 2000; T. KLEFFMANN 2003, 333 ff. (Hier findet sich weiteres Erschließungsmaterial mit zahlreichen Literaturhinweisen – vgl. auch die Einleitung 1.3.1 in diesem Buch –) und die Beiträge in: D. MOURKOJANNIS/R. SCHMIDT-GRÉPÁLY 2004; sowie H. GOLLWITZER 1970, 83–90; 114– 122; W. PANNENBERG 1996a, 315–325; ferner die Sammlung von Aufsätzen aus einem Zeitraum von fast dreißig Jahren von P. KÖSTER 2003 sowie jetzt knapp CH. JUNG 2013, 4.5, der zwei Stränge der theologischen Nietzsche-Forschung ausmacht. Einerseits werde die Philosophie Nietzsches als atheistische Bedrohung angesehen, die eine Zersetzung der theologischen Tradition intendiere und daher bekämpft werden müsse. Anderseits werden spezifische Einzelaspekte von Nietzsches Denken theologisch überhöht und in althergebrachte Theologiekonzepte (wie z. B. bei Tillich) integriert. Beide streben aber nach einer unbedingten Erhaltung der Theologie und vermeiden deren Infragestellung. 134 Vgl. z. B. E. B ISER 2002; vgl. bereits E. B ISER 1962. 135 Vorstufen zu Aphorismus 125 und auch 108 finden sich bereits im Herbst 1881 (N 1881 12[77], KSA 9, 590: „Gott ist todt – wer hat ihn denn getödtet? Auch dies Gefühl den Heiligsten Mächtigsten getödtet zu haben, muß noch über einzelne Menschen kommen – jetzt ist es noch zu früh! Zu schwach! Mord der Morde! Wir erwachen als Mörder! Wie tröstet sich ein solcher? Wie reinigt er sich? Muß er nicht der allmächtigste und heiligste Dichter selber werden?“). Vgl. J. FIGL 2000, 94–97. 130 131

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Traditionsabbruchs unseres Zeitalters, sondern bedenkt auch die kulturellen Konsequenzen, ohne dabei das Vergangene zu verklären oder eine Utopie für eine bessere Zukunft zu entwickeln.136 So kommt „das abendländische Philosophieren an einen neuralgischen Punkt, der alles vorher Dagewesene neu zu überdenken zwingt und allem Späteren im Nacken bleibt“137: Der Tod Gottes ist der „Tod zweier Götter: des Gottes der jüdisch-christlichen Offenbarungsreligion und der obersten Idee der abendländischen Metaphysik.“138 (2) Als Denker des Übergangs blickt Nietzsche „Am Sterbebette des Christenthums“ (KSA 3, 85) zurück auf eine durch Christentum und Metaphysik geprägte Geschichte und fragt nach den nun offenstehenden Möglichkeiten139 des Menschen, nachdem der jüdisch-christliche und theistische Gott unter das „urgermanische Wort: alle Götter müssen sterben“ (N 1870/1871 5[115], KSA 7, 125) eingezeichnet worden und „Gott [...] todt“ ist (KSA 3, 481) und „die obersten Werthe sich entwerten“ (N 1887 9[35], KSA 12, 350). Da für Nietzsche Christentum und Platonismus, „jener Christen-Glaube, der auch der Glaube Plato’s war, dass Gott die Wahrheit ist, dass die Wahrheit göttlich ist...“ (KSA 5, 401), als „ein Jahrtausende alter Glaube“ (KSA 3, 577) eng zusammengehören (KSA 3, 577; vgl. „Christentum ist Platonismus für’s ,Volk‘“; KSA 5, 12), und er den Platonismus auf den Kopf stellt, ist für ihn der nun aufkommende Nihilismus Ausdruck einer Krise der Frage nach Gott in Philosophie und Theologie („Zweitausend Jahre beinahe: und nicht ein einziger neuer Gott!“; N 1888 17[4], KSA 13, 525; KSA 6, 185).140 Zumal Nietzsche das Christentum und seine Moralvorstellungen mitverantwortlich dafür macht, dass die platonische, metaphysische, christliche und moralische Rede, wie sie Jahrhunderte lang vorherrschte, nun bedeutungslos geworden ist (vgl. N 1886/1887 5[71], KSA 12, 213). Seine Entplatonisierung und Entchristlichung betrifft alle Werte, Normen und Ideale, die auf dem Boden der antik-christlichen Überlieferung entstanden sind. Trotzdem lässt Nietzsche den „tollen Menschen“ als verrückten Gottsucher unter lauter Indifferenten und Atheisten, aus dem aufgeklärtem Bürgertum ebenso wie aus dem in seiner Zeit weit verbreiteten seichten Populäratheismus, auftreten und „schildert das Schauerliche Vgl. G. FIGAL 2003. H. VERWEYEN 2005, 372. 138 E. B ROCK 2015, 266. 139 Vgl. A. G RØN 2006, 149–151; vgl. auch J. FIGL 2007, 307–312. 140 Vgl. zur Nihilismus-Deutung bei Nietzsche auch W. W EISCHEDEL 2013, I, § 82; H.-J. GAWOLL 1989; E. KUHN 1992; B. HILLEBRAND 1991, 68–137; C. STRUBE 1994, 526.527; W. STEGMAIER 2003 und E. BROCK 2015; zu Begriff und Geschichte des Nihilismus als „geistige Situation“ vgl. W. MÜLLER-LAUTER (1963) 1971; 1984; M. RIEDEL 1978 und M. GROSSHEIM 2003 mit weiteren Literaturhinweisen und besonders W. STEGMAIER 2016, 28–42, der die Forschungen zum Nihilismus und zu Nietzsche des Niederländers Paul van Tongeren in den deutschsprachigen Kontext transferiert. Vgl. jetzt P. V. TONGEREN (2018) 2021. 136 137

5.1 Hegels und Nietzsches Diagnosen der neuen Zeit

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als den Erz-Mord der Menschheit, mit allen Anzeichen jenes namenlosen Entsetzens, wenn einem die Welt entzweibricht“141: Der tolle Mensch. – Habt ihr nicht von jenem tollen Menschen gehört, der am hellen Vormittage eine Laterne anzündete, auf den Markt lief und unaufhörlich schrie: „Ich suche Gott! Ich suche Gott!“ – Da dort gerade Viele von Denen zusammen standen, welche nicht an Gott glaubten, so erregte er ein grosses Gelächter. Ist er denn verloren gegangen? sagte der Eine. Hat er sich verlaufen wie ein Kind? sagte der Andere. Oder hält er sich versteckt? Fürchtet er sich vor uns? Ist er zu Schiff gegangen? ausgewandert? – so schrieen und lachten sie durcheinander. Der tolle Mensch sprang mitten unter sie und durchbohrte sie mit seinen Blicken. „Wohin ist Gott? rief er, ich will es euch sagen! Wir haben ihn getödtet, – ihr und ich! Wir Alle sind seine Mörder![“] (KSA 3, 480.481).

Doch wer verbirgt sich hinter diesem aufgebrachten, empörten und unbeherrschten Menschen, der in diesem Sinne, toll und verrückt geworden, den Tod Gottes ausruft? Eine Ähnlichkeit mit Diogenes von Sinope (~400–323 v. Chr.) ist leicht auszumachen, der intertextuelle Bezug evident.142 Die Tradition wird im Zitat gegenwärtig und zugleich fiktional transformiert. Der Anekdote nach zündete der Kyniker am helllichtem Tage ein Licht an, lief mit ihr durch die Stadt und sprach „Ich suche einen Menschen.“143 Der „tolle Mensch“ zündet am hellen Vormittag eine Laterne an und schreit unaufhörlich „Ich suche Gott!“144 Sein Schrei ist jedoch nicht zynisch gemeint, sondern Ausdruck einer 141 H. D ETERING 2010, 7. Der Gottsucher Nietzsche kann auch hin und her gerissen sein zwischen der Sehnsucht nach Gott und dem Verlangen nach seiner Vernichtung. So findet sich in Nietzsches Nachgelassenen Fragmenten auch die Notiz zur präzisierenden Deutung des ,Todes Gottes‘: „Im Grunde ist ja nur der moralische Gott überwunden.“ (N 1886/1887 5[71], KSA 12, 213). Vgl. bereits: „Ihr nennt es die Selbstzersetzung Gottes: es ist aber nur seine Häutung: – er zieht seine moralische Haut aus! Und ihr sollt ihn bald wiedersehen, jenseits von gut und böse.“ (N 1882 3[1], KSA 10, 105). Nietzsche wünscht sich einen anderen Gott, der über die Moralisierung erhaben ist: „Gott, gedacht als das Freigewordensein von der Moral, die ganze Fülle der Lebensgegensätze in sich drängend und in göttlicher Qual erlösend, rechtfertigend: – Gott als das Jenseits, das Oberhalb der erbärmlichen Eckensteher-Moral von ,Gut und Böse‘.“ (N 1887 10[203], KSA 12, 581). Dieser Gott ist im Rahmen des Christentums nicht möglich. Das wusste Nietzsche und hat ihn Dionysos genannt. 142 Andere sehen den Autor Nietzsche selber als tollen Menschen an. In erster Linie ist die Parabel eine fiktionale Erzählung, die mit Paul Ricœur auch in ihrer Länge als Metapher verstanden werden kann und die nicht nur auf Diogenes von Sinope anspielt, sondern auch auf Platos Sonnengleichnis, sich also auf die abendländische Philosophie intertextuell bezieht. Auch dieser Text ist ein Diskurs. Vgl. zum schöpferischen und systematischen (Stör-)Potential der Metapher des Ereignisses „Gott ist todt!“ Kapitel 9 in diesem Buch. 143 „Er zündete bei Tage ein Licht an und sagte: ,Ich suche einen Menschen.‘“ (D IOGENES LAERTIUS 1967, VI, 41). Für E. HELLER 1992, 24, könnte die Parabel „ebensogut ,Der neue Diogenes‘ überschrieben sein.“ 144 In der Präzisierung „am hellen Vormittag“ bereitet Nietzsche die Rede vom „hohen Mittag“ Zarathustras vor, der in einem früheren Entwurf selber als Protagonist fungierte. Darauf weist H. DETERING 2010, 8, hin. Vgl. auch den Kommentar zu Aphorismus 125 in: F. NIETZSCHE, KSA 14, 256.257; vgl. auch F. NIETZSCHE, N 1881 12[157], KSA 9, 603.

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tiefen Verzweiflung und eines vergeblichen Suchens, denn der Suchende weiß längst, was den gleichgültig umherstehenden Anderen noch verborgen ist: „Gott ist todt!“145 Das ist etwas anderes als eine verklärte Entrückung in den Himmel oder ein einfaches Versinken in das Nichts, denn Gott wurde ermordet, und zwar auch von den aufgeklärten modernen Menschen und den freien Geistern: „Wir Alle sind seine Mörder!“. Der Ernst des Ereignisses wäre schnell in Abrede gestellt, wenn man sich dem Anschein hingäbe, der tolle Mensch selbst sei ein Atheist, für den es keinen Gott gibt.146 Er ruft etwas anderes aus als „Es existiert kein Gott!“. Insofern gehört er nicht zu den Vielen, die einfach nicht mehr an Gott glauben, für die er bedeutungslos geworden ist und die für ihn nur noch Hohn und Spott übrig haben. Die Vielen leben und denken einfach so, wie es in einem vermeintlich aufgeklärten Zeitalter üblich geworden ist, und drücken die öffentliche Meinung des Unberührt- und Unbewegtseins von diesem Ereignis auf dem Markt aus „in der Verfallsform gedankenlosen atheistischen Geredes.“147 Blasphemischer Spott und gotteslästerliches Gelächter ergießen sich über den Gott-Sucher, als hätte Gott sich verlaufen, versteckt oder sich als Auswanderer auf ein Schiff begeben. Doch im Gegensatz zu den Spöttern, die in ihrer Indifferenz nicht das Ausmaß seiner Botschaft erfassen, weiß der „tolle Mensch“, was mit Gott geschehen ist.148 In „durchbohrender Kraft des Wahnsinns“149 sieht er seine Zuhörer an und enthüllt sich und sie („– ihr und ich!“) als das, was „Wir Alle“ sind: die Mörder Gottes. Unerträglich scheint dem „tollen Menschen“ diese Tat. Er unterscheidet sich damit von den „freien Geistern“, die nach Nietzsche den neuen Menschentyp heiteren Wagemutes repräsentieren, den er am Beginn des in der zweiten Auflage zugefügten Fünften Buchs mit dem Titel Wir Furchtlosen vorstellt (FW 343. „Was es mit unserer Heiterkeit auf sich hat“150; KSA 3, 573).151 Dieses 145 „[...] [E]in Wahnsinniger – wahnsinnig geworden womöglich um der Nachricht willen, die er zu bringen hat, vielleicht auch wegen des Unverständnisses seiner Zeitgenossen für die Tragweite dieses Ereignisses, das sie längst unter dem Altbekannten verbucht, erledigt haben.“ (H. DETERING 2010, 8). 146 Vgl. dazu bereits die Deutung von K.-H. V OLKMANN-SCHLUCK 1968. 147 W. JANKE 2011, 199. 148 Hier genau setzt Aphorismus 343 der Fröhlichen Wissenschaft an: „In der Hauptsache aber darf man sagen: das Ereigniss selbst ist viel zu gross, zu fern, zu abseits vom Fassungsvermögen Vieler, als dass auch nur seine Kunde schon angelangt heissen dürfte; geschweige denn, dass Viele bereits wüssten, was eigentlich sich damit begeben hat [...]“ (KSA 3, 573). 149 W. JANKE 2011, 200. 150 Heiterkeit ist hier in bewusster Doppeldeutigkeit des Vorgangs des Erhellens und der Freude im Grunde eine Metapher für (eine neue) Aufklärung. 151 Zur Interpretation des Fünften Buches, das nach Also sprach Zarathustra entstanden ist, vgl. W. STEGMAIER 2012; vgl. auch P. V. TONGEREN (2018) 2021, 70–102. Ursprünglich endet das Buch in seiner ersten Auflage mit dem Aphorismus 342 Incipit tragoedia und Zarathustras Untergang (KSA 3, 571).

5.1 Hegels und Nietzsches Diagnosen der neuen Zeit

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Buch handelt von der „Befreiung des Denkens“152 von dem, was mit der Formel vom Tod Gottes in den ersten Büchern vorbereitet worden ist153: „Wenn wir nicht aus dem Tode Gottes eine großartige Entsagung und einen fortwährenden Sieg über uns machen, so haben wir den Verlust zu tragen“ (N 1881 12[9], KSA 9, 577). Den „freien Geistern“ öffnet sich der Horizont einer neuen Welt, die nicht mehr von den Traditionen beengt wird. „In der That, wir Philosophen und ,freien Geister‘ fühlen uns bei der Nachricht, dass der ,alte Gott todt‘ ist, wie von einer neuen Morgenröthe angestrahlt“ (KSA 3, 574)154 und erkunden, wo sich der Nihilismus in Religion, Moralität und Philosophie bzw. Wissenschaft ankündigt.155 Diese Eröffnung neuer Sinn- und Orientierungsmöglichkeiten jenseits einer lebensfeindlichen Moral und eines moralisch gewordenen Gottes kann der „tolle Mensch“ im Unterschied zu den befreiten Geistern nicht sehen. Er wird nicht von der Morgenröte eines neuen Tages in der Geschichte der Menschheit angestrahlt. Er bricht zusammen unter der Last, der größte aller Mörder zu sein. Da das Unvorstellbare nicht anders auszudrücken ist, zeichnet er die Botschaft vom Tode Gottes in die Geschichte der Metaphysik ein, wenn er sich ihrer Metaphorik (Meer, Horizont, Sonne, Unendlichkeit) bedient, die im Sinne einer „Dialektik der Umkehrung“156 auf grundlegende Bild- und Begriffsbestimmungen vor allem der platonischen Philosophie und Metaphysik zurückgeht: [„]Aber wie haben wir diess gemacht? Wie vermochten wir das Meer auszutrinken? Wer gab uns den Schwamm, um den ganzen Horizont wegzuwischen? Was thaten wir, als wir diese Erde von ihrer Sonne losketteten? Wohin bewegt sie sich nun? Wohin bewegen wir uns? Fort von allen Sonnen? Stürzen wir nicht fortwährend? Und rückwärts, seitwärts, vorwärts, nach allen Seiten? Giebt es noch ein Oben und ein Unten? Irren wir nicht wie durch ein unendliches Nichts? Haucht uns nicht der leere Raum an? Ist es nicht kälter geworden? Kommt nicht immerfort die Nacht und mehr Nacht? Müssen nicht Laternen am Vormittage angezündet werden? Hören wir noch Nichts von dem Lärm der Todtengräber, welche Gott begraben? Riechen wir noch Nichts von der göttlichen Verwesung? – auch Götter verwesen! Gott ist todt! Gott bleibt todt! Und wir haben ihn getödtet! Wie trösten wir uns, die Mörder aller Mörder? Das Heiligste und Mächtigste, was die Welt bisher besass, es ist unter unseren Messern verblutet, – wer wischt diess Blut von uns ab? Mit welchem Wasser könnten wir uns reinigen? Welche Sühnfeiern, welche heiligen Spiele werden wir erfinden müssen? Ist nicht die Grösse dieser That zu gross für uns? Müssen wir nicht selber zu Göttern werden, um nur ihrer würdig zu erscheinen? Es gab nie eine grössere That, – und wer nur immer nach

W. STEGMAIER 2012, 91. „Das erste Buch“ der Fröhlichen Wissenschaft sollte eine „Grabrede auf den Tod Gottes. –“ werden (F. NIETZSCHE, N 1881 12[21], KSA, 9, 579). Vgl. W. STEGMAIER 2012, 91, Anm. 152. Zu „Gottes Todtenfest“ vgl. F. NIETZSCHE, N 1885/1886 2[129], KSA 12, 128. 154 Wer nicht dazugehört: vgl. F. N IETZSCHE, KSA 5, 398.399. Vgl. auch F. N IETZSCHE, N 1886 4[9], KSA 12, 182.183; N 1885 40[59], KSA 11, 657–660. 155 Vgl. P. V. TONGEREN (2018) 2021, 70–87. 156 W. R IES/K.-F. K IESOW 2011, 115; vgl. auch E. B ROCK 2015, 266–273. 152 153

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uns geboren wird, gehört um dieser That willen in eine höhere Geschichte, als alle Geschichte bisher war!“ – Hier schwieg der tolle Mensch und sah wieder seine Zuhörer an: auch sie schwiegen und blickten befremdet auf ihn. Endlich warf er seine Laterne auf den Boden, dass sie in Stücke sprang und erlosch. „Ich komme zu früh, sagte er dann, ich bin noch nicht an der Zeit. Diess ungeheure Ereigniss ist noch unterwegs und wandert, – es ist noch nicht bis zu den Ohren der Menschen gedrungen. Blitz und Donner brauchen Zeit, das Licht der Gestirne braucht Zeit, Thaten brauchen Zeit, auch nachdem sie gethan sind, um gesehen und gehört zu werden. Diese That ist | ihnen immer noch ferner, als die fernsten Gestirne, – und doch haben sie dieselbe gethan!“ – Man erzählt noch, dass der tolle Mensch des selbigen Tages in verschiedene Kirchen eingedrungen sei und darin sein Requiem aeternam deo angestimmt habe. Hinausgeführt und zur Rede gesetzt, habe er immer nur diess entgegnet: „Was sind denn diese Kirchen noch, wenn sie nicht die Grüfte und Grabmäler Gottes sind?“ – (KSA 3, 481.482).157

(3) Damit stellt sich die Frage nach dem Gott, der dieser Parabel nach getötet worden sein soll. Welcher Gott ist tot? Wie wurden „wir“, die wir uns nun selbst genügen wollen, eigentlich seine „Mörder“? Aus dem Blick verloren haben wir bereits die Götterdämmerung der olympisch-dionysischen Welt und ihre Rettung aus der Krise im tragisch-komischen Kunstwerk. Denn der Geist der Tragödie, die sokratische Gleichsetzung von Glück, Tugend und Wissen und die platonische Gottesvorstellung von der Idee des Guten sind unwiederholbar zugrunde gegangen.158 In der Neuzeit steht der Mensch nun mit dem platonisch-christlichen absoluten Gott in einem Kampf auf Leben und Tod. Denn der neuzeitliche Mensch, der sein Ich als Selbstbewusstsein, Selbstgewissheit und Selbstbestimmung versteht, steht vor der Alternative: „Entweder geht Gott als das Absolute am Absolutheitsanspruch des Ich zugrunde, oder das Ich und unbedingte freie Subjekt gibt seinen Anspruch, oberstes Prinzip und Anfangsgrund von Sein und Erkenntnis zu sein, auf.“159 Diese Alternative ist eine Folge des aufgeklärten Verstandesdenkens seit Descartes. Alles Seiende führte es auf die Ichheit des absoluten Subjekts zurück als Objekt des menschlichen Erkenntnisvermögens und als Projekt (Entwurf) seiner frei entworfenen Willensziele. Auf diese Weise ist Gott überflüssig geworden und der unendliche Horizont jenseits des menschlich-endlichen Weltkreises „ausgewischt“ worden.160 Doch wenn der Tod Gottes das größte „Ereignis“ der Gegenwart ist, das seinen Schatten auf das Kommende wirft (FW 343), dann stürzt es auch die Hypothese eines absoluten Ich-Subjekts von Descartes bis Fichte sowie die spekulative Umgestaltung des platonisch-christlichen (trinitarischen) Gottes

157 Diese Einsicht nimmt der niederländische Augustiner und Theologe Robert Adolfs 1966 auf: Wird die Kirche zum Grab Gottes? (R. ADOLFS [1966] 1967). 158 So W. JANKE 2011, 200, im Rückblick auf Nietzsches Die Geburt des tragischen Gedankens (KSA 1, 579–599). 159 W. JANKE 2011, 200. 160 Vgl. M. H EIDEGGER, GA 5, 209–267.

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durch Hegel um. Das radikale nihilistische Misstrauen von Nietzsches Philosophie tritt an die Stelle der Offenbarung Gottes und der Selbstgewissheit des Ich. Doch sind es nach Nietzsche bislang erst Wenige, welche die „Kunst des Misstrauens“ (KSA 11, 487) ausüben, die die metaphysische Wahrheit als lebensfeindliche Lüge entlarven. Der freie Geist ist noch unterwegs zwischen einem Heute und einem Morgen. Sein gedanklicher Ort ist der Zwischenraum. Er lebt in einem Zeitalter des Übergangs: „Das grösste neuere Ereignis, – dass ,Gott todt ist‘, dass der Glaube an den christlichen Gott unglaubwürdig geworden ist – beginnt bereits seine ersten Schatten über Europa zu werfen. Für die Wenigen wenigstens, deren Augen, deren Argwohn in den Augen stark und fein genug für dies Schauspiel ist, scheint eben irgendeine Sonne untergegangen, irgend ein altes tiefes Vertrauen in Zweifel umgedreht: ihnen muss unsere alte Welt täglich abendlicher, misstrauischer, fremder, ,älter‘ scheinen“ (KSA 3, 573). Das Ereignis in seinen Konsequenzen zu begreifen, übersteigt das Fassungsvermögen Vieler. Die Meisten haben das Ereignis noch gar nicht realisiert. Die Konsequenzen für das Weltbild, unsere Sprache und Lebensorientierung sind noch gar nicht bedacht worden. Eingeübt in das Hinterfragen und Zweifeln wurden „wir“ selbst zu (Doppel-)Mördern des Gottvertrauens. Platos Gott der Philosophen, die Idee des Guten, die im Sonnengleichnis (Politeia VI 506a–509b) mit einer illuminativen und lichtmetaphysichen Analogik in Gleichnisrede vorgetragen wurde, und Hegels im spekulativen Karfreitag restituiertes Absolutes erliegen beide dem zum nihilistischen Misstrauen geschärften Zweifel. In ihm wird die nun zur „längste[n] Lüge“ (KSA 5, 401) gewordene Lebensdienlichkeit dieser Gotteshypothese aufgedeckt: „Die Messerstiche also, welche die alte Gottheit töten, sind bohrende Zweifel an der Wahrhaftigkeit solchen Gottglaubens und schneidende Verzweiflung an der Gottverlorenheit.“161 Das Misstrauen erstickt das Vertrauen darauf, Gott sei Anfang und Grund einer von Vernunft durchstimmten Welt und ihrer Geschichte. Die alte Philosophie erhält von Nietzsche in einem zwischen April und Juni 1885 verfassten Aphorismus einen neuen Namen: „Hier kommt eine Philosophie – eine von meinen Philosophien – zu Worte, welche durchaus nicht ,Liebe zur Weisheit‘ genannt sein will, sondern sich, aus Stolz vielleicht, einen bescheidneren Namen ausbittet: einen abstoßenden Namen sogar, der schon seinerseits dazu beitragen mag, daß sie bleibt, was sie sein will: eine Philosophie für mich – mit dem Wahlspruch: satis sunt mihi pauci, satis est unus, satis est nullus. – Diese Philosophie nämlich heißt sich selber: die Kunst des Misstrauens und schreibt über ihre Haustür: μέμνησ’ άπιστειν.“ ([sei darauf bedacht, Misstrauen zu hegen]; N 1885 34[196], KSA 11, 487). Nietzsche erdenkt sich noch viele weitere Namen für ein antiplatonisches Philosophieren und versucht mit diesen neuen Betitelungen die Zeit des Übergangs zu fassen. Sie lauten: „Das was kommt“, „Philosophie des Dionysos“, 161

W. JANKE 2011, 201.

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„Philosophie der Wiederkunft“ (N 1882 1[70], KSA 10, 27), „Mittag und Ewigkeit“ (N 1882 1[83], KSA 10, 31), „Neue unzeitgemäße Betrachtung“ (N 1885 41[2], KSA 11, 669), „Philosophie der Zukunft“ (N 1883 14[1], KSA 10, 475) und später, wirkungsgeschichtlich fatal, „der nicht ungefährliche Titel“ (N 1885 40[50], KSA 11, 653) „Der Wille zur Macht. Versuch einer neuen Auslegung alles Geschehens“ (N 1885 39[1], KSA 11, 619) oder mit dem Untertitel „Versuch einer Umwerthung aller Werthe“ (N 1888 18[17], KSA 13, 537). Dennoch zeigt diese „Experimental-Philosophie“ (N 1888 16[32], KSA 13, 492) im Vergleich mit den anderen Projekten ein für unser gegenwärtiges Zeitalter radikalisierendes zweifelndes Hinterfragen an („,Es muß besser gezweifelt werden als Descartes!‘“; N 1885 40[25], KSA 11, 641), in dem die alten Grundentscheidungen der platonischen Philosophie zerstört werden sollen, indem es das Vertrauen in sie zu untergraben sucht. Die Kunst des Misstrauens untergräbt letztlich das Gott-Vertrauen: „So viel Misstrauen, so viel Philosophie“ (KSA 3, 580). (4) Nietzsches Aphorismus 125 endet nun nicht mit dem Bekenntnis zu dieser Wahnsinnstat. Er spricht vielmehr durch den Mund des tollen Menschen die Sinn- und Orientierungskrise aus, welche durch den Tod Gottes auf Erden ausbricht. Es kommt zur Sprache, wohin uns diese unfassliche Tat führt, was das Ereignis bewirkt, und bringt die Lage des modernen Menschen unverstellt ins Offene. Der Bezug zu einem transzendenten, platonisch-christlichen Gott ist aufgelöst. Reszendent kann er sich nun auf die Bemächtigung der Erde konzentrieren: „[...] Brüder, bleibt der Erde treu und glaubt Denen nicht, welche euch von überirdischen Hoffnungen reden!“ (KSA 4, 15). Was allein wirklich ist, ist einzig diese Erde. Dass es um das Leben in dieser Welt geht, nicht in einer jenseitigen, daran erinnert auch emphatisch dieser Ausruf aus Also sprach Zarathustra (1883–1885).162 Wenn der Gott des Jenseits tot ist, wird das Leben im Diesseits frei: „Gott [ist] die Formel für jede Verleumdung des ,Diesseits‘, für jede Lüge vom ,Jenseits‘“ (Der Antichrist; KSA 6, 185). War bislang Gott das jenseitige Subjekt der Geschichte, so wird es nunmehr der Mensch in radikaler Einsamkeit und Selbstverantwortlichkeit. In der metaphorischen Sprache des Aphorismus findet sich die Lage als Taumel ausgedrückt: Was thaten wir, als wir diese Erde von ihrer Sonne losketteten? Wohin bewegt sie sich nun? Wohin bewegen wir uns? Fort von allen Sonnen? Stürzen wir nicht fortwährend? Und rückwärts, seitwärts, vorwärts, nach allen Seiten? Giebt es noch ein Oben und ein Unten? Irren wir nicht wie durch ein unendliches Nichts? Haucht uns nicht der leere Raum an? Ist es nicht kälter geworden? Kommt nicht immerfort die Nacht und mehr Nacht? (KSA 3, 481).

Diese Passage schildert eindrücklich in antiplatonischer Richtung die Situation des modernen Menschen in einem Gleichnis. Wir haben selber unsere Erde von der alten Sonne losgekettet. Damit ist auch unsere Stellung im Kosmos ge162

Vgl. zu geplanten Passagen dieses Buches für Alle und Keinen J. FIGL 2007, 308–312.

5.1 Hegels und Nietzsches Diagnosen der neuen Zeit

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meint. Die Erde gilt längst nicht mehr als Zentrum des Sonnensystems und bildet nicht mehr die Sinnmitte des Universums. Aus ihrer Zentralstellung verrückt, bewegt sie sich durch das unendliche Nichts einer leeren, kalten, seelenlosen Raumunendlichkeit. Das alte Koordinatensystem vermag keine moralische Lebensorientierung mehr zu geben. Die bisherigen Fixpunkte unserer Welt, die Wärme und Licht spendende Sonne oben, der bestirnte Himmel über uns und die festgefügte Erde unter uns, bieten keinen Halt mehr. Jetzt stürzt die Erde aus dem Mittelpunkt des Alls. Von der Nacht und Kälte des gottentleerten Universums wird die Erde aufgesaugt. Der moderne Mensch steht sprachlos vor der Aufgabe, dieses Ungeheuere der unfasslich gewordenen Welten abermals zu vergöttlichen und den Schauder vor der entgötterten Welt und dem unendlichen Nichts in Ehrfurcht vor dem Unbekannten und in einen verborgenen personalen Gott zu verwandeln. Doch diese Möglichkeit ist durch den eingestandenen Mord an Gott verbaut. Dennoch, die Frage wird noch einmal aufgeworfen und lässt die Antwort bewusst offen: „Noch einmal fasst uns der grosse Schauder – aber wer hätte wohl Lust, dieses Ungeheure von unbekannter Welt nach alter Weise sofort wieder zu vergöttlichen? Und etwa das Unbekannte fürderhin als ,den Unbekannten‘ anzubeten?“ (KSA 3, 627).163 (5) Nicht nur die Orientierungskrise des modernen Menschen ist in dieser Parabel vom „tollen Menschen“ metaphorisch beschrieben. Sie verweist auch auf die Ordnung der Welt, die aus den Fugen geraten ist. Die Situation nach dem „Tode Gottes“ stellt sich zweideutig dar. Unter erschwerten Bedingungen erfordert sie eine Rechtfertigung von Mensch und Welt, wenn nicht allein der christliche Gott, sondern zugleich der Gott der Philosophen, also das Orientierungsaxiom und der Seinshorizont der abendländischen Metaphysik, hinfällig geworden sein soll. Es droht das gesamte Gefüge der Moral wie auch der politischen und sozialen Verhältnisse auseinanderzubrechen. Nietzsche, bei dem Nihilismus und seine Idee vom Tod Gottes miteinander verschmolzen zu sein scheinen,164 strengt im Horizont des seinen Zeitgenossen noch verborgenen 163 Hier findet sich eine Anspielung auf den unbekannten Gott, den die Griechen verehrten, der in die Apostelgeschichte (Acta 17,23) Eingang gefunden und den der lukanische Paulus mit dem in Jesus Christus offenbarten Gott identifiziert hat. 164 Vgl. P. V. TONGEREN (2018) 2021, 87. Dieser Verschmelzung gehen zwei Phasen des Nihilismus voraus, die Phase der „Hypothese der christlichen Moral“ mit dem nihilistischen Konstrukt „Gott“, der der erste Nihilismus, der Pessimismus der Griechen, vorausging. Nietzsche, der sich selbst in der wenig hoffnungsvollen vierten Phase einer bewussten existentiellen Erfahrung verortet („Dieser Antagonismus, das was wir erkennen, nicht zu schätzen und das, was wir uns vorlügen möchten, nicht mehr schätzen zu dürfen: – ergiebt einen Auflösungsprozeß“; N 1887 5[71] § 2, KSA 12, 212), skizziert insbesondere die dritte Phase, die „Geschichte des Europäischen Nihilismus“ (N 1887/1888 11[150], KSA 13, 71), die zusammengefasst ist mit der Formel „Tod Gottes“. Für diese Phase unterscheidet Nietzsche vier Perioden: „Die Periode der Unklarheit“, „Die Periode der Klarheit“, Die Periode der drei großen Affekte“ und „Die Periode der Katastrophe“ (recte: Fettdruck i. O.). Vgl. hierzu

330

5 Der Tod Gottes als Deutungskategorie und philosophische Denkfigur

Nihilismus die Frage an, wie der Verlust des höchsten Wertzentrums eigentlich zu kompensieren sei. Diese „Periode der Unklarheit“ ist der seit dem Ende des 19. Jahrhunderts anhaltende Zustand – „die Geschichte der nächsten zwei Jahrhunderte“ –, in dem wir im 21. Jahrhundert stehen, noch am Vorabend des Ereignisses, das Nietzsche heraufziehen sah. Das könnte auch ein Zeichen dafür sein, warum die schreckliche Bedrohung, die mit diesem Ereignis verbunden ist, noch gar nicht als existentielles Anliegen realisiert worden ist.165 Wenn „der Nihilismus hier eine Bewußtseinserhellung, die aus dem Ereignis des Todes Gottes hervorgeht“166 ist, geht es um unser Sein in der Welt, da Gott tot ist und seine Wahrheit, sein Licht und sein Leben durch „uns“ umgebracht worden sind. Die Welt lässt sich „auf keinen allgemeinen Sinn mehr auslegen [...], sie [erscheint] wert- und sinnlos: ein unendlicher Raum, der von keinem vorgegeben Ordnungssystem zusammengehalten wird.“167 Ordnungslos geworden ist der Rang des Menschen in der Seins-Pyramide durch das Ableben des theistischen Gottes. Denn der Tod Gottes bedeutet das Ende aller ultimativen Fundierungen der natürlichen Ordnung. Das Universum vermag zwar Ordnungsstrukturen aufzuzeigen wie den Wechsel von Tag und die Nacht, Licht und Dunkelheit, den Zug der Wolken, den Wechsel der Jahreszeiten, aber diese Ordnung kann nicht länger auf einen intelligenten Schöpfer zurückgeführt werden, wie noch im (Schöpfungs-)Ordnungsdenken der biblischen Weisheitstheologie. Der Kosmos wird entzaubert und entleert und geht seiner ultimativen Bedeutung verlustig. Der Tod Gottes bedeutet damit nichts anderes als dies, dass wir in einem kalten Universum allein gelassen worden sind. Auf diese existentielle Einsamkeitserfahrung angesichts des grenzenlosen Universums verweist bereits eindrücklich Pascal: „Das ewige Schweigen dieser unendlichen Räume macht mich schaudern“ (Penseés, 206).168 Der Mensch selber entpuppt sich als zufälliges Ergebnis eines blinden und willkürlichen Prozesses (KSA 3, 467–469). Einleuchtend stellt Nietzsche zu Beginn des Dritten Buches von Die fröhliche Wissenschaft fest, dass die Schatten Gottes auch nach seinem Tod noch lang (Aphorismus 108), und dass diese Schatten erst nach einer langen Zwischenzeit zu besiegen sind (KSA 3, 467), um „die Wirklichkeit ohne jenen Grund neu denken [zu] lernen.“169 Die Menschen in der Moderne leben auch

ausführlich P. V. TONGEREN (2018) 2021, 87–102, 100: „Nihilism is (4) the conscious experience of an antagonism, that is the result of (3) the decline of (2) the protective structure that was built to hide (1) the absurdity of life and world.“ 165 Vgl. P. V. TONGEREN (2018) 2021, 88; vgl. a. a. O., 1; 87–102; 131–157. 166 H.-J. G AWOLL 1989, 148; vgl. P. V. TONGEREN (2018) 2021, 72. 167 H.-J. G AWOLL 1989, 148. 168 Caspar David Friedrichs Gemälde Der Mönch am Meer (1808–1810) kann man auch als eine solche Einsamkeitserfahrung interpretieren. 169 W. STEGMAIER 2012, 102.

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nach dem Tod Gottes noch unter seinem langen Schatten.170 Wir leben in einem Zeitalter metaphysischer Nostalgie. Auch wenn Gott gestorben ist, verharren wir noch im Modus des alten Denkens und Handelns: „Ich fürchte, wir werden Gott nicht los, weil wir noch an die Grammatik glauben ...“ (KSA 6, 78): Überall wo verehrt, bewundert, beglückt, gefürchtet, gehofft, geahnt wird, steckt noch der Gott, den wir todt gesagt haben – er schleicht sich allerwegen herum und will nur nicht erkannt und bei seinem Namen genannt sein. Da nämlich erlischt er wie Buddha’s Schatten in der Höhle – und er lebt fort unter der seltsamen und neuen Bedingung, daß man nicht mehr an ihn glaubt. Aber ein Gespenst ist er geworden! Freilich! (N 1881 14[14], KSA 9, 626; vgl. KSA 3, 87.88 und KSA 3, 467).

Das lässt sich an der Methodik der Wissenschaft zeigen: „Wenn die Wissenschaft uns also von der Gegenwart Gottes befreit hat, hat sie uns noch nicht von seinem Schatten befreit. Das Fortwirken dieses Schattens in der Verfahrensweise der Wissenschaft ist der eigentliche Kontext, in dem die Thematik Nietzsches vom Tod Gottes gesehen werden muss.“171 Es lässt sich aber auch noch an den zahlreichen Substituierungen des alten Gottes durch Ideologien und Technologien demonstrieren, von denen wir Heil und Erlösung erwarten wie einst von Gott.172 Es ist denn auch nicht verwunderlich, wenn sich die Folgen des Ereignisses des Todes Gottes als „Ereignis einer tiefgreifenden Umorientierung über die Schatten der Erkenntnis“ für die Gegenwart und Zukunft erst langsam entfalten. Diese Einsicht, verbunden mit einer Licht-Metapher, findet sich bereits in einer Aufzeichnung aus dem Herbst 1881 vorgezeichnet: Noch sehen wir unsren Tod, unsere Asche nicht, und dies täuscht uns und macht uns glauben, daß wir selber das Licht und das Leben sind – aber es ist nur das alte frühere Leben im Lichte, die vergangene Menschheit und der vergangene Gott, deren Strahlen und Gluthen uns immer noch erreichen – auch das Licht braucht Zeit! Und zuletzt, wir Lebenden und Leuchtenden: wie steht es mit dieser unserer Leuchtkraft? verglichen mit der vergangener Geschlechter? Ist es mehr als jenes aschgraue Licht, welches der Mond von der erleuchtenden Erde erhält? (N 1881 14[25].14[26], KSA 9, 631.632).

Auch wenn Mythos und Ritus in ihren äußeren Formen weiterhin wiederholt und vollzogen werden, verblasst zusehends die zugrundeliegende Instanz verbindlicher innerer Sinnstiftung. „,Ich weiss nicht aus, noch ein; ich bin Alles, was nicht aus noch ein weiss‘ – seufzt der moderne Mensch“ (KSA 6, 169). Der „moderne Mensch“ weiß dem Text nach wortwörtlich nicht mehr, wo ihm der Kopf steht. Ist damit 170 Vgl. zu Nietzsches „Gegen-Philosophie des Schattens“ W. STEGMAIER 2012, 102.103. „Diese Philosophie des Schattens macht deutlich, warum Nietzsche in FW 343 nicht mehr wie in FW 108 von dem Schatten des toten Gottes, sondern von den Schatten des Todes Gottes spricht.“ (a. a. O., 105). Zur Schattenmetapher vgl. a. a. O., 101–105. 171 C. G ENTILI 2010, 235. Vgl. KSA 3, 577. 172 Vgl. W. JANKE 2013, 61–87; vgl. B. H ILLEBRAND 1991, 69.

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unsere Lage umfassend beschrieben in der Nacht des immer dunkler werdenden Nihilismus, der mit der wachsenden Angst einhergeht: alles ist sinnlos, alles ist umsonst? Aber genau das hatte Nietzsche doch mit dem Untergang des Gottes des Idealismus und der Heraufkunft des vielköpfigen pathologischen Nihilismus diagnostiziert. In einem Aphorismus aus der Zeit zwischen Ende 1886 und Frühjahr 1887 lesen wir: „Der ganze Idealismus der bisherigen Menschheit ist im Begriff, in Nihilismus umzuschlagen – in den Glauben an die absolute Werthlosigkeit das heißt Sinnlosigkeit...“ (N 1887 7[54], KSA 12, 313). Die Folge dieser Transformation in der gottentleerten und präzisierten Welt ruft eine große Angst hervor. Diese Angst ist keine Furcht vor natürlichen oder menschlichen Katastrophen, Krankheiten oder Klimawandel, sondern die Sinnlosigkeit allen Geschehens: „...die eigentliche große Angst ist: die Welt hat keinen Sinn mehr“ (N 1885 39[15], KSA 11, 626). Mit Gott ist auch die bisherige Moral und Sinnstiftung weggefallen. (6) Doch es lassen sich auch „Merkwürdigkeiten“ am Text vom „tollen Menschen“ und dem „Tode Gottes“ beobachten, die diese Interpretationslinien erweitern. Während Wolfgang Janke den destruktiven Schrecken des Ereignisses und seine bodenlosen Folgen herausstellt, arbeitet der Kopenhagener Religionsphilosoph Arne Grøn (*1952) das (de-)konstruktiv Faszinierende dieses unfasslichen Ereignisses heraus.173 Er reklamiert für sich damit auch die Lage der „freien Geister“, wenn er wie sie eine transformierte Dankbarkeit als einen Grund der Religion anführt (vgl. KSA 3, 574).174 Die destruktive und die konstruktive Seite stehen in wechselseitigem Zusammenhang. Grøn sieht im Text „eine doppelt indirekte Rede vom Tod Gottes“175, wenn der Aphorismus erstens eine Erzählung vom tollen Menschen ist, der Gott sucht, und zweitens der tolle Mensch vom Tod Gottes als einem Ereignis erzählt. Die indirekte Redeweise mache darauf aufmerksam, dass ein Gott, der sterben kann, ein von Menschen geschaffener Gott ist. Nur als solcher könne er vom Menschen getötet werden. Doch der Tod Gottes sei nichtsdestoweniger ein ungeheures Ereignis im Leben des Menschen, wenn man sein Leben mit dem Hinweis auf einen Gott lebt, der seine Bedeutung verloren hat. Die Bedeutung des Gottesbegriffs werde gerade in dem Abschnitt deutlich, der mit der Frage beginnt: „Aber wie haben wir diess gemacht?“. Wiederum geschehe dieses auf eine indirekte Weise, wenn hier über elementare Lebensorientierungen geredet wird. Denn der Gottlosigkeit als radikaler Orientierungslosigkeit entspricht im Blick zurück die menschliche Grundorientierung durch den Gottesbegriff, was nichts anderes bedeute, als „dass die Vorstellung eines Jenseits eine Weise ist, diese Zum Folgenden vgl. A. GRØN 2006, 148 ff. „Ein Volk braucht einen Gott nicht nur, um das Dasein zu ertragen. Religion kann auch eine Form der Dankbarkeit sein. Beides gehört zusammen: Um das Dasein, an dem man leidet, in Dankbarkeit zu ertragen, braucht man einen Gott.“ (A. GRØN 2006, 156.157). 175 A. G RØN 2006, 148. 173 174

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Welt hier zu ordnen. Die Transzendenz wirkt im Leben, indem sie in die elementaren Lebensorientierungen eingreift.“176 Dieses diene der Verdeutlichung dessen, was es bedeutet, dieses „Ereignis“ radikal ernst zu nehmen und sich bewusst zu machen, was man im Leben und Denken tut, wenn man vom Gottesbegriff Abschied nimmt. Doch der Prozess der Bewusstmachung stellt sich kompliziert dar. Denn es ist bemerkenswert, dass trotz der radikalen Bedeutung des Ereignisses des Gottestodes die Menschen, die am Ereignis der Proklamation seltsam unbeteiligt wirken, die immense Bedeutung gar nicht fassen können. Man lebt zwar bereits so, als ob Gott tot wäre, aber man denkt darüber nicht nach. Die Menschen haben vergessen, dass Gott tot ist und was dieses Ereignis in seiner Radikalität bedeutet. Ereignis und Denken fallen hier weit auseinander. Doch Nietzsche selber hat dieses Verhältnis von Ereignis und Bewusstsein bereits in Aphorismus 108 „Neue Kämpfe“ von Die fröhliche Wissenschaft vorgezeichnet: Wir leben in und mit dem Schatten des toten Gottes. Da „diess ungeheure Ereignis“ noch unterwegs ist, gehört die Bewusstwerdung selbst zum Ereignis hinzu.177 Die neue Situation des Denkens wird mittels einer Seefahrer- und Meeresmetaphorik178 reflektiert. Die Ausfahrt aus dem Hafen auf das offene Meer ruft das herrliche Bild eines abenteuerlichen Aufbruchs hervor, der auch einen dunklen Horizont in Kauf zu nehmen bereit ist: „[...] endlich erscheint uns der Horizont wieder frei, gesetzt selbst, dass er nicht hell ist, endlich dürfen unsre Schiffe wieder auslaufen, auf jede Gefahr hin auslaufen, jedes Wagniss des Erkennenden ist wieder erlaubt, das Meer, unser Meer liegt wieder offen da, vielleicht gab es noch niemals ein so ,offenes Meer‘. –“ (KSA 3, 574: Aphorismus 343). Auf dieses Seefahrer-Bild bereitet Nietzsche bereits in Aphorismus 124 vor als Eingang zur Rede vom Tode Gottes in Aphorismus 125. Nach vorne geblickt entsprechen der radikalen Orientierungslosigkeit die radikal neuen Möglichkeiten. Der Horizontlosigkeit in Aphorismus 125 entspricht der endlich wieder freie Horizont in Aphorismus 343. Das „Wagnis des Erkennenden“ darf auf „jede Gefahr“ hin eingegangen werden. Doch es gibt „nichts Furchtbareres [...] als Unendlichkeit“ (KSA 3, 480). In der Spannung von Faszinosum und Tremendum findet sich der Mensch ins Offene gestellt: „Das Ungewisse vielmehr, das Wechselnde Verwandlungsfähige Vieldeutige ist unsere Welt, eine gefährliche Welt –:“ (N 1885 40[59], KSA 11, 658). Gerade diese Offenheit, die hier mit der Metapher des offenen Meeres aufgeschlossen wird, symbolisiert beides: die radikale Orientierungslosigkeit, aber auch die radikal neuen Möglichkeiten, die sich in dieser Lage zeigen.179 A. GRØN 2006, 148. Vgl. A. GRØN 2006, 149. 178 Vgl. dazu allgemein R. K ONERSMANN 2006; speziell zu Nietzsche H. H UFNAGEL 2008. 179 Vgl. dazu A. G RØN 2006, 149 ff. 176 177

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„Unser neues ,Unendliches‘“ (KSA 3, 626) steht dann auch für die unhintergehbare Perspektivenvielfalt, denn mit Gott fällt die Universalperspektive der metaphysischen Gottesvorstellung weg. Nun ist die Welt im Blick: „Die Welt ist uns vielmehr noch einmal ,unendlich‘ geworden: insofern wir die Möglichkeit nicht abweisen können, dass sie unendliche Interpretationen in sich schließt“ (KSA 3, 627). Mit der Heraufkunft des „europäischen Nihilismus“ (N 1886/1887 5[71], KSA 12, 211–217) ist die Zeit gekommen,180 in der das Übersinnliche und dessen Gott verdämmern, die Moral als „Gegenmittel gegen den praktischen und theoretischen Nihilismus“ (N 1886/1887 5[70], KSA 12, 211), und damit der „moralische Gott“ (N 1886/1887 5[71], KSA 12, 213), nicht mehr wirkt und das Jenseits seine tröstende und erlösende Kraft verliert. Der Nihilismus ist der „Untergang einer Gesammtwerthung (nämlich der moralischen) es fehlen die neuen interpretativen Kräfte“ (N 1886/1887 5[70], KSA 12, 210). Die neue Lage, das ist entscheidend, fängt bereits mit der Erfahrung an, dass wir dieses Fehlen der neuen kraftvollen Interpretationen, die Orientierungslosigkeit in den unendlichen Weiten des Weltalls ernst nehmen und aushalten müssen. Dieses Bewusstwerden ist Teil des Ereignisses. Die radikale Orientierungslosigkeit, das ist die radikale Bedeutung des Todes Gottes, eröffnet erst den hermeneutischen Blick für die ebenfalls radikale Bedeutung der neuen Möglichkeiten, die mit der neuverstandenen Unendlichkeit metaphorisch ausgedrückt werden. Der Mensch ist in dieser Relation nicht mehr als ein Staubkorn. Doch die neue Orientierung in unserem Leben heißt: Zurück zum Diesseits, zur Welt, zum Leben. Das sind die neuen hermeneutischen Möglichkeiten, uns in ihr zu orientieren. Es heißt aber auch, nicht zu vergessen, was man mit dem Gottesgedanken verloren hat und welche elementare Bedeutung und lebensorientierende Kraft er zu schaffen in der Lage gewesen ist. Doch kann es keine bloße Wiederherstellung der überkommenen metaphysischen Gedankenwelt geben. Es gilt zugleich, nicht zu vergessen, dass Gott bedeutungslos 180 Am Ende von Zur Genealogie der Moral (1887) kündigt Nietzsche eine Ausarbeitung „,Zur Geschichte des europäischen Nihilismus‘“ in einem Werk (– „Der Wille zur Macht, Versuch einer Umwerthung aller Werthe“ [KSA 5, 408–411], recte: Fettdruck i. O) an, das er vorbereite, das aber so nie erschienen ist; jedenfalls nicht von Nietzsche selbst, sondern in erster Auflage 1901 und in erheblich erweiterter Auflage 1906 kompiliert, eigenmächtig ergänzt oder gekürzt und „korrigiert“ von seiner Schwester Elisabeth Förster-Nietzsche und Peter Gast sowie einigen Mitstreitern; vgl. dazu den Kommentar in KSA 14, 383–400. Zu Nietzsches Texten zum Nihilismus und zu deren Deutung vgl. die Studie von E. KUHN 1992 und jetzt P. V. TONGEREN (2018) 2021; darin besonders (vgl. a. a. O., 47–99) zu dem auf den 10. Juni 1887 datierten und in der Lenzer Heide verfassten Text Der europäische Nihilismus (N 1886/1887 5[71], KSA 12, 211–217), der aber von Nietzsche nicht publiziert wurde, und weiteren Texten aus seinem Nachlass zum Nihilismus. Der Begriff tauchte bei Nietzsche zuerst 1880 in Notaten auf und fand häufige Verwendung in den Jahren zwischen Herbst 1885 und Herbst 1888 (vgl. P. V. TONGEREN [2018] 2021, 26–41; 42–102).

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geworden ist. Als Antwort auf die neue Situation lehrt Zarathustra den ÜberMenschen,181 der über das bisherige Menschsein hinausweisen solle, sowie die ewige Wiederkunft des Gleichen (bereits in KSA 3, 467–469; 570: „Die ewige Sanduhr des Daseins wird immer wieder umgedreht“)182: „,Todt sind alle Götter: nun wollen wir, dass der Übermensch lebe.‘ – diess sei einst am grossen Mittage unser letzter Wille! – Also sprach Zarathustra“ (KSA 4, 102). Sokrates und Christus liegen bedeutungslos hinter uns. Die Rede vom Menschen als Geschöpf Gottes scheint entzaubert. Radikal offen liegt ein neues Verstehen des Menschen vor uns. Nötig ist, dass der Mensch sich neu erfindet.183 Zwischen Heute und Morgen liegt eine lange Wegstrecke, und es gibt nur wenige metaphorische Haltepunkte und Zeichen, an denen die Radikalität deutlich vor Augen liegt, wenn der Schatten des toten Gottes kaum mehr zu sehen ist: „Gott ist todt, dies ist die Ursache der größten Gefahr: wie? Sie könnte auch die Ursache des größten Muths sein!“184 (7) In Nietzsches Proklamation tritt nach einer vorherrschenden Auslegungstradition der Mensch ganz die Nachfolge Gottes an. Nicht mehr mit Blick auf Gott, sondern mit Blick auf den „Über-Menschen“.185 Damit wird Hegels Selbstbegegnung Gottes mit sich selbst ins Gegenteil verkehrt. Der Mensch ist nun davon überzeugt, die Vorstellung von Gott als Betrug, Fiktion und Illusion durchschaut zu haben. Er kann nur noch sich selbst begegnen. Damit ist er endgültig frei, um zum wesentlichen Menschen zu werden. Das ist der „über“ den orientierungslos gewordenen modernen Menschen und Christenmenschen hinausgehende „Übermensch“. Ohne das Gegenüber eines Gottes, aber auch ohne selbst ein Gott zu sein, vermag der Mensch, sich selbst zu übersteigen. Anders als in Hegels „speculativem Charfreytag“ bleibt für Nietzsche der „alte Gott“ tot und begraben. Sein Karfreitag ist endgültig und dauert als Karsamstag, dem Tag der Grabesruhe Gottes, ewig. Er bedeutet aber die Auferstehung des Menschen als Überwindung des Menschen hin zum Übermenschen. Es ist die Morgenröte des neuen Tages, die hier zu lichten wagt und das offene Meer morgendlich anleuchtet: „Der Übermensch macht ernst mit einem Leben auf „Der Tod Gottes, für den Wahrsager das furchtbarste Ereigniß, ist das Glücklichste und Hoffnungsreichste für Zarathustra.“ (F. NIETZSCHE, N 1885/1886 N 2[129], KSA 12, 129); vgl. F. NIETZSCHE, KSA 4, 14: „Ich lehre euch den Übermenschen. Der Mensch ist Etwas, das überwunden werden soll. Was habt ihr gethan, ihn zu überwinden?“ In Nietzsches Vision vom Übermenschen und der „dahintersteckenden Überkompensationsdynamik“ sollten sich ganze Generationen des Bürgertums wiederfinden, um wenigstens so „eine gewisse phantasierte Entschädigung für den Bedeutungsschwund des Individuums im heraufdämmernden Zeitalter der Vermassung, der Bürokratisierung, der Verwertung des Menschen als Ware“ zu haben (H. E. RICHTER 1979, 58). 182 Vgl. dazu E. B ROCK 2015, 351–376. 183 Vgl. E. B ROCK 2015, 341–351. 184 F. N IETZSCHE, N 1885/ 1886 N, KSA 12, 2[129], 128. 185 Vgl. auch W. W EISCHEDEL 2013, I, 455–457. 181

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hoher See“186, bleibt aber eine Idealvorstellung einer „postmetaphysischen Lebensform der Selbstbestimmung“187, die nur im (unendlichen) Modus „fortgesetzte[r] Selbstüberwindung“188 einlösbar ist. Das Ereignis des Todes Gottes zeigt sich zunächst als Wendepunkt für den Menschen. Nach dem Abtreten des alten Schöpfers der Werte kann nun begonnen werden, die alten Werte zu entwerten, und dem Menschen wird möglich, sein eigentliches Wesen als Schöpfer zu erkennen, um so die überkommenen Werte umzuwerten. Damit hat die „Umwertung der Werte“ begonnen. Erst nach dem Umsturz aller Werte und nach der Überwindung des Nihilismus kann die Geburt des wahren Menschen erfolgen, des Über-Menschen, der seine Herkunft als Vernunftwesen (animal rationale) und Ebenbild Gottes (imago Dei) hinter sich lässt. Der wesentlich gewordene, „seine Zufriedenheit mit sich erreiche[nde]“ (KSA 3, 530.531) Mensch ist der Über-Mensch, der den Nihilismus überwunden hat und nicht mehr das Geschöpf oder Kind Gottes, auch nicht eine Stufe im Sinne Hegels auf dem Weg zur Selbstdarstellung Gottes ist. Der Mensch der Zukunft vollendet sich in der Hervorbringung des Über-Menschen und seiner Moral nun vollends selbst. Doch kann der Übermensch der Sinn der Erde sein (KSA 4, 14) und der Sinn des menschlichen Daseins nur in ewiger Sinnlosigkeit bestehen: „[...] das Dasein, so wie es ist, ohne Sinn und Ziel, aber unvermeidlich wiederkehrend, ohne ein Finale ins Nichts: ,die ewige Wiederkehr‘. Das ist die extremste Form des Nihilismus: das Nichts (,das Sinnlose‘) ewig!“ (N 1886/1887 5[71], KSA 12, 213)? Kann wirklich das Sinnlose zum Sinn des Lebens werden, wie in der polemischen Schrift Der Antichrist. Fluch auf das Christentum (1888; KSA 6, 165–254) behauptet: „So zu leben, dass es keinen Sinn mehr hat, zu leben, das wird jetzt zum ,Sinn‘ des Lebens…“ (KSA 6, 217)? Oder verkehrt sich der Übermensch zum listigsten (KSA 6, 180) und besseren „Raubthiere“ (KSA 4, 263), das mitleidslos und grausam alles schwaches Leben als unwert ansieht und verschlingt und das „Tor zum Abgrund der Unmenschlickeit mitten im christlichen Abendland unter Moralgeboten kritischer Aufklärung geöffnet“189 hat?190 (8) Der Tag einer solchen Philosophie beginnt am Mittag191 als dem letzten Stadium der Götterdämmerung und soll „Fingerzeige zu einem neuen Leben“ (N 11[195], KSA 9, 519) enthalten, in dem das Wort „Gott ist todt!“ im engen Zusammenhang mit der Formel von der „Ewigen Wiederkehr“ als nicht-

E. BROCK 2015, 345; Vgl. F. NIETZSCHE, KSA 3, 331 (Aphorismus 575 Wir LuftSchifffahrer des Geistes! aus Morgenröthe). 187 E. B ROCK 2015, 348. 188 E. B ROCK 2015, 350. 189 W. JANKE 2016, 52. 190 Zu den Irrwegen des „Übermensch“-Konzepts im Nationalsozialismus vgl. W. JANKE 2016, 46–56. 191 Vgl. K. SCHLECHTA 1954. 186

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theistischer Konzeption steht und damit a-theistische Religiosität bedingt.192 Der Mittag ist der schwebende Augenblick zwischen den beiden Hälften des Tages. Am Mittag wird der kürzeste Schatten geworfen. Es ist zugleich die Stunde, in der mehr als sonst irgendwann, es sei denn in der Tiefe der Mitternacht, alles rätselhaft wird. Es ist nach antiker Vorstellung die Stunde der Erscheinung des Gottes Pan.193 Alles scheint auf eine stille und rätselhafte Weise ins Unwirkliche hinabzugleiten. Man fühlt sich aus der Welt der reißenden Zeit herausgehoben. An der Epochenschwelle des Entstehens des Christentums wird in der Zeit des Kaisers Tiberius der Tod des großen Pan verkündet. Am Mittag der Moderne um 1900 steht mit Nietzsches Wendung „Gott ist todt!“ auch eine transformierte Variation des Motivs „Der große Pan ist tot!“194 am Eingangstor der künftigen Zeit, der „Post-Moderne“, in der ein durch die Zeiten immer mitlaufendes untergründiges Existenz-Denken aufersteht und als Existentialismus in verschiedenen Spielarten das neue Verhältnis des Menschen zu seiner Endlichkeit durchprobiert, wobei es nicht nur um ein Kulturereignis geht, sondern angesichts des Todes des platonischen und christlichen Gottes zugleich um die öffentlich proklamierte existentielle Erfahrung eines krisenhaften und folgenreichen (Vertrauens-)Verlustes,195 der zu einer – noch ausstehenden (die „grosse Gesundheit“ [KSA 5, 336; KSA 6, 338] und die „Überwindung des Nihilismus [...] mittels der Zauberformel Leben“196, die genaugenommen nur eine „Selbstüberwindung“ [KSA 6, 11] des Nihilismus sein kann,197 jedenfalls „vielleicht“,198 und das Kommen eines „Jüngeren“, eines „,Zukünftigeren‘“, eines „Stärkeren, als ich bin, – [...] Zarathustra[s] de[s] Gottlosen ...“ [KSA 5, 337], stehen noch aus: „[...] dieser Antichrist und Vgl. J. FIGL 2000, 94–98. Vgl. W. WEISCHEDEL 2013, II, 182. 194 Nietzsche, der Hölderlins Empedokles liebte, plante im Herbst 1870 ein Drama mit dem antiken griechischen Philosophen Empedokles als Helden (vgl. F. NIETZSCHE, KSA 7, 125.126), den er als „die tragische Personifikation seines Zeitalters sah, als einen Menschen, der sich der verborgenen Konflikte der Epoche bewußt und so zum lebenden und untergehenden Opfer unauflösbarer Spannungen wurde [...]“ (E. HELLER 1992, 23). Eine Szene beim Pantempel war geplant. „,Der große Pan ist todt‘“ (F. NIETZSCHE, KSA 7, 125; vgl. auch KSA 7, 138: „Motto: ,der große Pan ist todt‘“) steht dazu im Entwurf ebenso wie eingangs, dass Empedokles den Pan „stürzt“ (KSA 7, 125). 195 Vgl. J. FIGL 2000, 94; W. STEGMAIER 2012, 92. 196 B. H ILLEBRAND 1991, 73. 197 Vgl. W. STEGMAIER 2016, 39–42. 198 Vgl. P. V. TONGEREN (2018) 2021, 102–122: Heidegger spricht von der „Verwindung“ des Nihilismus als „Verwindung der Metaphysik“ und damit der „Seinsvergessenheit“ (GA 9, 414; zunächst als Beitrag zur Festschrift für Ernst Jünger unter dem Titel Über „Die Linie“ [1955], dann erweitert als Zur Seinsfrage [GA 9, 385–426]). Vattimo nimmt den Begriff der Verwindung auf, um nach Wegen zu suchen, sich im Nihilismus zu orientieren, wodurch die Geschichte des Nihilismus zur Rettungsgeschichte einer schwachen Ontologie werden kann (G. VATTIMO 2002; 2004; vgl. W. MÜLLER-LAUTER 2000, 301–348). 192 193

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Antinihilist, dieser Besieger Gottes und des Nichts – er muss einst kommen ...“; KSA 5, 336) – tiefgreifenden Umorientierung führt, die im Grunde ein erst am Anfang stehendes philosophierendes „Arbeiten am Ungewissen“199 ist und mehr über den Mensch als über Gott sagt, nämlich über den Menschen, der den Glauben an Gott hinter sich gelassen und dies nun entdeckt hat.200 Damit wird klar: „Den Weg nämlich – den giebt es nicht!“ (KSA 4, 245). Dazu müsse man, wenn „uns nichts anderes übrig bleibt, als das Leben als offenes Experiment zu begreifen“201, statt den Nihilismus „überwinden zu wollen, [...] ihm standhalten und damit Halt im oder sogar am Haltlosen finden.“202

5.2 Radikale Endlichkeit des Daseins 5.2 Radkale Endlichkeit des Daseins (Sartre und Heidegger)

Die Tendenzen zum „heutigen Massenatheismus in Westeuropa“203 haben erst mehr als einhundert Jahre nach dem Tod Hegels eingesetzt. Für viele der sich in der Zeit zwischen den Weltkriegen entwickelnden Gestalten der Existenzphilosophie bildete der Beschreibungskontext für diese Entwicklung die von Nietzsche beschriebene Situation des Nihilismus.204 Nach dem Abschied vom Schöpfergott führt die nun behauptete Sonderstellung menschlichen Existierens in einer Welt ohne Gott in der Zeit des weltgeschichtlichen Epocheneinschnitts nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zu einer Kontroverse zwischen Jean-Paul Sartre und Martin Heidegger. Beide Denker drücken nicht nur auf ihre Weise einen neuen radikalen Umgang mit dem Motiv vom Tod Gottes aus, sondern sind mit ihren philosophischen Weltanschauungen auch heillos in die großen mörderischen und totalitären Ideologien des 20. Jahrhunderts verstrickt, deren Nachwirkungen in Europa bis heute zu spüren sind. 5.2.1 Zur Freiheit verurteilt: Atheistischer Existentialismus (Jean-Paul Sartre) (1) Auf die Frage der zu seinem Empfang am Genfer Flughafen im Mai 1946 versammelten Journalisten: „Was gibt’s Neues?“, erklärte der französische Philosoph und Schriftsteller Jean-Paul Sartre (1905–1980) von der Gangway W. STEGMAIER 2012, 416. Vgl. P. V. TONGEREN (2018) 2021, 134.135. 201 W. STEGMAIER 2016, 31, Anm. 18 mit Paul van Tongeren. 202 W. STEGMAIER 2016, 34. Vgl. dazu die Kapitel 8 bis 11 in diesem Buch. 203 J. H ABERMAS 2019b, II, 494. Habermas will mit dem soziologischen Begriff „Massenatheismus“ „allein auf den [...] quantitativen Aspekt der nachlassenden Bindungskraft der Kirchen hinweisen, den wir heute vor allem in den west- und mitteleuropäischen Gesellschaften beobachten. Sie spießen aber eine Einstellung auf, die ich selbst mit dem kritisch gebrauchten Ausdruck ,säkularistisch‘ bezeichnen würde“ (J. HABERMAS 2020). 204 Vgl. W. PANNENBERG 1996a, 325; W. JANKE 1982. 199 200

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eines Flugzeugs herab: „,Voilà, meine Herren, Gott ist tot!‘“205 Mitten im Zweiten Weltkrieg veröffentlichte er unter deutscher Besatzung in Frankreich sein philosophisches Hauptwerk L’être et le néant (1943), das schnell zur „Bibel des Existentialismus“ avancierte, aber seinem Gehalt nach eine anspruchsvolle phänomenologische Ontologie ist, die einen neuen Typos von Metaphysik als Ontologie darstellt. Durch seine Inszenierung als „Nietzsche redivivus“ suchte Sartre dem „gegenwärtigste[n] aller Zeitgenossen“206 seinen Respekt zu zollen. Denn er brachte mit diesen geliehenen Worten, aus dem modernen Himmel der Luftfahrt kommend, das Lebensgefühl der Moderne auf den Punkt: Der Mensch ist frei! Und: Gott ist tot! Die Ankunft am Flughafen erinnert so nicht nur an die Szenerie in Nietzsches Aphorismus vom tollen Menschen, sondern sie zeigt auch, was Flughäfen noch sind: globale Marktplätze, also Medienorte des technischen Zeitalters. Doch sie sind auch Ausdruck der Mobilität der Moderne und zugleich ihrer Gefährdung. Sie sind nicht nur „Drehscheiben“207 der internationalen Luftverkehrswege und der Tourismusindustrie. Sie werden auch zu Bühnen der feierlichen Ankünfte, wenn Staatsoberhäupter oder Fußballmannschaften nach sportlichen Erfolgen empfangen werden oder Papst Johannes Paul II. den Boden der Rollbahn seines Gastgeberlandes küsst. Sie werden zu Orten des trauernden Empfangs, wenn getötete Soldaten aus Kriegen zum letzten Mal in die Heimat zurückkehren. Sie werden zu Orten von Flügen ins Ungewisse, wenn Flugzeuge in die Hände von Terroristen gelangen, wie am 11. September 2001, wenn sie zur Zielscheibe im Kriegsgebiet werden, wie am 18. Juli 2014 über der Ostukraine, oder technisches bzw. menschliches Versagen zum Unglück führt. Längst ist der Himmel nicht mehr nur wie noch bei Heinrich Heine den Engeln und den Spatzen überlassen,208 seit es dem Menschen ab 1957 technisch auch noch möglich geworden ist, in den Weltraum zu fliegen, wo ihm die „unendliche Weite der Räume“ ewig schweigend begegnet. Allein die Vorstellung eines horror vacui hatte einen Blaise Pascal209 noch

205 Zit. n. H. FRIES/R. STÄHLIN 1968, 9. So hat es auch der französische katholische Philosoph und Vertreter eines christlichen Existentialismus Gabriel Marcel (1889–1973) überliefert bekommen und tradiert (G. MARCEL 1992, 213), jedoch ohne „,Voilà‘“. Vgl. Sartres Satz: „,wir berühren bloß noch seine Leiche‘“ (zit. n. K. H. MISKOTTE [1956] 1963, 52). 206 G. M ARCEL 1992, 207. Anders versteht es Marcel: „Unter diesen Umständen ausgesprochen, verliert die alte Behauptung ihre ursprüngliche Würde und fällt zurück auf die Bon-Mots von Kino-Stars, deren bunte Porträts die Titelseiten der Illustrierten verschönern.“ (G. MARCEL 1992, 213). 207 Die Metapher der „Drehscheibe“ verwendet Jürgen Habermas übrigens für Nietzsche, weil er die Diskurse über das Subjekt, über Sprache und Wahrheit, ihre Metaphorisierungen usw. angeregt habe (J. HABERMAS [1985] 1991, 104–129: „Eintritt in die Postmoderne. Nietzsche als Drehscheibe“). Gregor Maria Hoff nimmt diese Metapher für die Rolle Sartres als „philosophische Drehscheibe der theologischen Moderne“ auf: G. M. HOFF 2005. 208 Vgl. H. H EINE, HHW 1, 425. 209 Vgl. B. PASCAL 1994, 114.115 (Pensées Fragment 205.206).

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erschaudern und den „Raumfahrer“ Jean Paul das Universum („Weltgebäude“) vom toten Christus in seiner gnadenlosen Leere durchmessen lassen. (2) Das hier im Fokus stehende Thema ist die Endlichkeit als „Sinnganzheit“210 des Daseins und der Umgang des freien Menschen mit ihr. Da der Existentialismus nun auf dem Boden der modernen Tatsachen gelandet ist, möchte er auch seinen Beitrag zur „Neubegründung des Menschen“211 leisten. Diese radikal neue Sichtweise hat selbstredend nicht nur Konsequenzen für den christlichen Schöpfungsgedanken, sondern sie wirft auch die Frage nach dem Menschsein des Menschen nach dem Abschied vom Schöpfergott auf. Mit der Neuzeit ist der Mensch „maître et possesseur de la nature“ geworden“ (Descartes). Seit dem 18. Jahrhundert haben Rationalismus und Vernunftkritik (d’Holbach, Diderot, Voltaire, Kant, Fichte) den Schöpfungsglauben des Christentums in eine Krise gestürzt. Die klassischen Seinsvorstellungen der Schöpfungsmetaphysik wurden außer Kraft gesetzt: Alles Seiende, insbesondere der Mensch als Geschöpf und Ebenbild Gottes, wird, nach einer mittelalterlichen Unterscheidung, durch sein wesenhaftes Wassein (essentia) in seinem Dasein (existentia) bestimmt. Gott ist der klassischen Ontologie nach das höchste Seiende. Nach Kant und Fichte könne Gott nicht mehr mittels der Kategorie der Substanz gedacht werden, die nun auf räumlich Gegebenes beschränkt bleibt. Zwar wurde durch die Kritik der Aufklärung die Idee des Schöpfergottes eingeklammert (Kant hielt am Schöpfungsglauben in teleologischer Perspektive fest),212 aber der ontologische Grundsatz von der Priorität der Essenz vor der Existenz wurde theoretisch und praktisch weitergedacht. Unser Existieren und Verhalten richtet sich, unabhängig von der Sozialisation, weiterhin nach einer vorgegebenen Bestimmung des Menschen, sei es in Kants Teleologie oder Fichtes Bestimmung des Menschen (1800). Dabei ist es wichtig, auf die zweifache Bedeutung von Bestimmung zu achten. Sie ist Wesensumgrenzung (definitio) dessen, was der Mensch ist, wie auch Sinn- und Zweckangabe (destinatio) dessen, wozu der Mensch bestimmt ist.213 Damit bleiben Existieren und Selbstwerden des Menschen von dem durchwirkt, was er von seiner Wesensbestimmtheit her immer schon war: animal rationale bzw. sociale oder Geschöpf und Ebenbild Gottes (imago Dei) oder persona moralis. Die Revision der ontologischen Grundrelation hat erst der atheistische Existentialismus vollzogen mit seinem Grundsatz: „L’existence précède l’essence.“ Es ist die „Tatsache, daß [...] die Existenz dem Wesen vorausgeht oder, [...] daß man von der Subjektivität ausgehen muß.“214 Nur der Mensch existiert, denn er findet sich 210 In Aufnahme von Wilhelm Diltheys Konzept für Heideggers „Sein zum Tode“ (vgl. W. PANNENBERG 1996a, 331). 211 R. G ALLE 2009, 11. 212 Vgl. dazu jetzt die Beiträge in M. H OFER u. a. 2013. 213 Vgl. W. JANKE 2013, 138. 214 J.-P- SARTRE (1946) 2012a, 148.

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in der Möglichkeit eines offenen Selbstentwurfs vor. Jeder ist nichts als das, wozu er sich macht. Das Programm eines atheistischen Existentialismus setzt radikal mit der Frage ein: „Welche Konsequenzen hat es, wenn Gott nicht existiert?“ Und macht in seinen Antworten ernst damit, wenn er behauptet, dass ein Wesen gibt, den Menschen, für das die Existenz der Essenz vorausgehe. Es war Jean-Paul Sartre, der in seinem Aufsehen erregenden Vortrag L’existentialisme est un humanisme215 vom 29. Oktober 1945 auf diese weitreichende Inkonsequenz aufmerksam gemacht und sich damit gegen jede (metaphysische) Philosophie und vor allem gegen die christliche Schöpfungsmetaphysik gestellt hat: „Der atheistische Existentialismus, den ich vertrete, ist kohärenter. Er erklärt: wenn Gott nicht existiert, so gibt es zumindest ein Wesen, bei dem die Existenz der Essenz vorausgeht, ein Wesen, das existiert, bevor es durch irgendeinen Begriff definiert werden kann, und dieses Wesen ist der Mensch oder, wie Heidegger sagt, das Dasein.“216 Dieses Wesen bzw. Seiende ist der Mensch. Und der Mensch ist eben schlicht das, wozu er sich selbst macht. Es ist also der atheistische Existentialismus, der ernst macht mit der Frage: Mit welchen Konsequenzen müssen wir leben, wenn Gott nicht existiert?217 Oder ontologisch gefragt: Was folgt aus dieser Hypothese für das Rangverhältnis essentia (wesenhaftem Wassein) und existentia (wirklichem realem Dasein)? Damit revolutioniert Sartres These den gesamten Essentialismus und ruft einen Existentialismus ursprünglicher Selbstbestimmung und totaler Freiheit aus. Denn im Weltbild der Schöpfungsmetaphysik und auch in der vom 215 J.-P. SARTRE (1946) 2012a. Eine der ersten Einführungen zu Sartres Existenzphilosophie in der Nachkriegszeit ist Egon Viettas kritischer Essay Theologie ohne Gott. Versuch über die menschliche Existenz in der modernen französischen Philosophie (E. VIETTA 1946). Für diesen Hinweis danke ich Martin Leutzsch. Vgl. zum Folgenden W. JANKE 2013, 137– 152; ferner TH. EBINGER 2010, 118 ff.; H. ROSENAU 1996, 29–36; G. M. HOFF 2005. 216 J.-P. SARTRE (1946) 2012a, 149. Als Vertreter eines christlichen Existentialismus sieht Sartre Karl Jaspers und Gabriel Marcel (J.-P. SARTRE 2012a, 148), als Vertreter eines atheistischen Existentialismus Heidegger, die französischen Existentialisten und sich selbst. 217 J.-P. SARTRE (1946) 2012a, 174 erklärt: „aber da ich Gottvater beseitigt habe, braucht es ja wohl jemanden, die Werte zu erfinden.“ Ferner J.-P. SARTRE 2012a, 176: „Der Existentialismus ist nicht so sehr Atheismus in dem Sinn, daß er sich in dem Beweis erschöpfte, Gott existiere nicht. Er erklärt vielmehr: selbst wenn Gott existierte, würde das nichts ändern; das ist unser Standpunkt. Nicht, daß wir glauben, Gott existiere, doch wir meinen, das Problem ist nicht seine Existenz; der Mensch muß sich selbst wiederfinden und sich davon überzeugen, daß nichts ihn vor sich selbst retten kann, und sei es auch ein gültiger Beweis der Existenz Gottes.“ Auch das 1951 auf die Bühne gebrachte Stück Der Teufel und der liebe Gott (Le Diable et le bon Dieu) nimmt sich der religionsphilosophischen Fragestellungen nach der Existenz Gottes, der (innerlichen) Freiheit des Menschen und der Frage nach gut und böse an. Damit ist die Frage nach der Rechtfertigung Gottes aufgeworfen, die der Ritter Götz der Stadt Worms entgegenruft. Doch wie die Welt nach dem Tode Gottes aussehen wird, bleibt am Ende bewusst offen, wenn Götz sagt: „Wenn Gott existiert, ist der Mensch ein Nichts; wenn der Mensch existiert ...“ (J.-P. SARTRE 1951, 132).

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Menschen geschaffenen und technisch hergestellten Welt geht die Essenz ausnahmslos universalontologisch der Existenz voraus. Wenn Gott als Schöpfergott oder platonisch als Demiurg angenommen und dieser via eminentiae als unübertrefflicher, staunenswerter Urheber und Weltbaumeister betrachtet wird, dann legt sich auch eine analogia proportionis nahe: Gott verhält sich zu allem Seienden wie der Handwerker zu seinem Werk. Sartre veranschaulicht das am Beispiel eines Brieföffners, bei dem die Wesensursachen, Form und Zweck, also das Konstruktionsgesetz, dem Verwirklichtsein vorausgehen. Wie im Verhältnis des Handwerkers zum Hergestellten, so geht im Schöpfungsverhältnis Gottes zum Geschöpf die Essenz, d. h. die Idee als Gedanke Gottes, dem faktischen Existieren voraus. Das gilt insbesondere auch für die Existenz des Menschen, den Gott nach seinem Bilde schuf. Wenn ein Gott existiert, so die Prämisse des platonisch-christlichen Weltalters, geht die Essenz durchgängig der Existenz voraus. (3) Wenn allerdings der „freigeistige Nihilist eines atheistischen Existentialismus“218 ernst macht mit der Revision der ontologischen Grundstellung, dann überwindet er nicht nur die unerledigten Aufgaben der Aufklärung, sondern es fällt auch der Glaube an einen existierenden Gott der Autarkie absoluter Freiheit des Menschen zum Opfer. So ist wenigstens bei einem Seienden die Revolution zu vollziehen: „L’existence précède l’essence.“ Damit ist die einzigartige Sonderstellung und Seinsverfassung des Menschen herausgestellt. Nur der Mensch existiert im strengen Sinn des Wortes. Allein der Mensch findet sich in der Möglichkeit eines offenen Selbstentwurfs vor. Der Mensch, nicht der Stein, Tisch oder Blumenkohl ist in seiner Einzigartigkeit und Freiheit indefinibel und undestiniert.219 Jeder ist nichts als das, wozu er sich macht:220 „L’homme est d’abord un projet, qui se vit subjectivement“ – „Der Mensch ist zunächst ein sich subjektiv erlebender Entwurf [projet], anstatt Schaum, Fäulnis oder ein Blumenkohl zu sein; nichts existiert vor diesem Entwurf; nichts ist am intelligiblen Himmel, und der Mensch wird zuerst das sein, was er zu sein entworfen haben wird.“221 Er lebt sich, für sich seiend, als Subjekt in selbstverantwortlicher, entschlossener Urwahl aus: „So bin ich für mich selbst und für alle verantwortlich, und ich schaffe ein bestimmtes Bild vom Menschen, den ich wähle; mich wählend wähle ich den Menschen.“222 Als Entwurf ist er anfänglich und ursprünglich. Der Mensch entwirft die zu verwirklichenden Lebensmöglichkeiten in jedem Moment selbst. Und so ist er das, wozu er sich selbst macht: „Das ist das erste Prinzip des Existentialismus. Das ist es auch, was man die Subjektivität nennt und uns unter diesem Namen vorW. JANKE 2013, 138. Vgl. W. JANKE 2013, 139 mit Bezug auf J.-P. SARTRE (1946) 2012a, 150. 220 Vgl. J.-P. SARTRE (1946) 2012a, 150. 221 J.-P. SARTRE (1946) 2012a, 150. 222 J.-P. SARTRE (1946) 2012a, 151. 218 219

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wirft.“223 Der Mensch entwirft sich seine eigene Zukunft, beansprucht aber für den eigenen Freiheitsentwurf die ganze Menschheit. Hier liegt wohl „die Brücke zu Sartres späterer Identifikation mit dem revolutionären Kommunismus.“224 Mit diesem Grundsatz, die Existenz sei ein ursprünglicher Entwurf, ist Sartres atheistischer Existentialismus festgelegt. Das Entwerfen dieses Entwurfs ist die Leistung der Subjektivität. Durch nichts und niemanden, auch nicht durch einen Gott, ist diese Leistung des Subjekts vorbestimmt und vorgesehen. Es ist der Entwurf allein seiner selbst. Zuerst existiert der Mensch in einem Sein für sich, um dann seine je eigene Wesensbestimmung selbstverantwortlich zu erfinden. Der Existentialismus ist in dieser Weise ein Humanismus, „weil wir den Menschen daran erinnern, daß es keinen anderen Gesetzgeber als ihn selbst gibt und daß er in der Verlassenheit über sich selbst entscheidet; und weil wir zeigen, daß der Mensch sich menschlich verwirklicht nicht durch Rückwendung auf sich selbst, sondern durch die ständige Suche eines Ziels außerhalb seiner – wie diese Befreiung oder jene konkrete Leistung.“225 (4) Heideggers Replik auf Sartres berühmten Programmvortrag ist zunächst ein Antwortschreiben vom 10. November 1946 auf die Frage des französischen Philosophen und Germanisten Jean Beaufret: „Auf welche Weise lässt sich dem Wort Humanismus ein Sinn zurückgeben?“ Dieses erschien 1947 als Brief über den „Humanismus“ und war zugleich Heideggers erste veröffentlichte Schrift nach dem Zweiten Weltkrieg und nach seinem Lehrverbot.226 Dieser Text zeigt sich nicht nur als diskursive Bilanz in eigener Sache im Blick auf sein unvollendet gebliebenes Hauptwerk Sein und Zeit (1927), sondern zugleich als Dokument eines sich steigernden denkenden Weitermachens. Es ist der Versuch, das eigene Denken zu rekonstruieren und seinen gegenwärtigen Ort zu bestimmen, als Eröffnung eines Horizontes, worin bestimmte Probleme des Lebens in unserer Zivilisation sichtbar werden. Hier scheint bereits in nuce seine gesamte Spätphilosophie auf. Heidegger versucht in diesem „Brief“ zu zeigen, dass der Humanismus selbst das Problem ist, für dessen Lösung er sich hält. Er fragt: Warum muss das Denken über den Humanismus hinausgehen? Denn für ihn ist klar: Das Denken hat genug damit zu tun, sich selbst für die Sache des Denkens zu engagieren. Begriff wie „Humanismus“, „Logik“, „Ethik“ oder „Physik“ kämen erst auf, wenn das ursprüngliche Denken zu Ende geht, sind also Verfallserscheinungen (vgl. GA 9, 315.316). Heidegger bleibt Sartre gegenüber distanziert, übt aber deutliche Kritik an seinem Programm. Nur oberflächlich betrachtet lasse sich Sartres Titelsatz „L’existence précède l’essence“ auf den kursiv geschriebenen Satz in ParaJ.-P. SARTRE (1946) 2012a, 150. So W. PANNENBERG 1996a, 332. 225 J.-P. SARTRE (1946) 2012a, 176. 226 Jetzt in M. H EIDEGGER, GA 9, 313–364. Im Haupttext zitiert als GA 9 mit Seitenzahl. 223 224

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graph 9 von Sein und Zeit zurückführen: „Das ,Wesen‘ des Daseins liegt in seiner Existenz“227, denn der Satz weist eigentlich auf einen späteren Einblick voraus, der mit Sartres Schlussfolgerung nichts zu tun habe: „der Mensch west so, daß er das ,Da‘, das heißt die Lichtung des Seins, ist. Dieses ,Sein‘ des Da, und nur dieses, hat den Grundzug der Ek-sistenz, das heißt des ekstatischen Innestehens in der Wahrheit des Seins. Das ekstatische Wesen des Menschen beruht in der Ek-sistenz, die von der metaphysisch gedachten existentia verschieden bleibt“ (GA, 9, 325). Das hat in der Tat nichts mit Sartres Leitsatz zu tun. Vielmehr bleibt Sartres Hauptsatz des Existentialismus tief in der Metaphysik verhaftet. In seinem revolutionären Umsturz des Seinsverständnisses von Wesen und Sein und seiner Umkehrung des Obersten zum Untersten bleibt die Korrelation von Existenz und Wesenheit intakt. Insofern bleibt der Existentialismus nur eine Scheinrevolution. Er berührt nicht die Grundfrage, woher die Differenz von Wesenheit und Existenz entspringt, und meidet den Durchbruch zu einem Einblick in ein Wahrheitsgeschehen, das sich seinsgeschichtlich öffnet oder versagt: „Sartre spricht dagegen den Grundsatz des Existentialismus so aus: die Existenz geht der Essenz voran. Er nimmt dabei existentia und essentia im Sinne der Metaphysik, die seit Plato sagt: die essentia geht der existentia voraus. Sartre kehrt diesen Satz um. Aber die Umkehrung eines metaphysischen Satzes bleibt ein metaphysischer Satz. Als dieser Satz verharrt er mit der Metaphysik in der Vergessenheit der Wahrheit des Seins“ (GA 9, 328). Die Umkehrung des metaphysischen Seinsverhältnisses bleibt metaphysisch. (5) Dennoch gilt der Existentialismus als pathetische Herausstellung einer totalen individuellen Freiheit, die mit Sartres phänomenologischer Ontologie in L’être et le néant ihren anspruchsvollen Ausdruck gefunden hatte.228 Auch in seinen Theaterstücken thematisiert Sartre das Pathos der totalen Freiheit. Es durchstimmt ein Bewusstsein, das sich loslöst von der unterdrückenden Ordnungsmacht ohnmächtiger Götter. Das zeigt das 1943 auf die Bühne gebrachte mythische Stück Die Fliegen (Les Mouches), wenn es ein Geheimnis, das die Menschen eigentlich nicht wissen dürfen, enthüllt, nämlich, „[d]as schmerzliche Geheimnis der Götter und Könige: daß nämlich die Menschen frei sind.“229 Orest weiß, dass er frei ist, und das weiß auch der machtvolle Gott Jupiter, doch er zeigt sich in einer Hinsicht als machtlos: „Wenn einmal der Funke der Freiheit in einer Menschenseele aufgebrochen ist, können die Götter nichts mehr gegen diesen Menschen.“230 Sartres Mensch ist zur Freiheit verdammt: „Zwar kann ich mich frei wählend und wertend entscheiden, aber ich kann nicht nicht-wählen. Auch der Indifferentist, der sich dazu entscheidet, nicht zu M. HEIDEGGER (1927) 1986, 42. Zur ersten Orientierung vgl. W. JANKE 2013, 140–152. 229 J.-P. SARTRE 1965, 54. Maskiert hinter antiken Stoffen wendet sich Sartre den Fragen und Problemen der Gegenwart zu. 230 J.-P. SARTRE 1965, 56. 227 228

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wählen und alles für gleichgültig zu halten, vollzieht eine Wahl.“231 Jeder Einzelne muss die faktische Last totaler Freiheit allein tragen – und zwar für alle. In der ethischen und in der existenzialen Angst kommt diese Last zweifach zu Bewusstsein. Der moderne Mensch hat die Bürde alleiniger Selbstverantwortung auf sich genommen. Es gibt keine ewigen Werte an sich, keine ethischen und keine heiligen. Dieser Himmel ist abgeschafft. Die sich entwerfende Existenz ist in die offene Entscheidungssituation geworfen. Die eigene Freiheit allein begründet Werte, wenn Gott nicht mehr existiert. Unsere Freiheit wird so zum tragenden Fundament der Welt. Jeder ist dazu verurteilt, für sich selbst verantwortlich zu sein. Die existenziale Angst lässt sich an der Zukunftsangst (angoisse devant l’avenir) zeigen: „In das Innere der Beziehung unserer Freiheit zum Zukünftigsein hat sich nämlich ein Nichts geschlichen.“232 Doch das angsterregende Nichts lässt sich nicht mehr abschütteln. Das eigene Nichtmehr-sein liegt als Möglichkeit zukünftig voraus. Der verzweifelte Versuch des Existentialismus einer Entängstigung scheitert. Der Mensch ist nicht von Gott zu seinem Bilde geschaffen, sondern er erschafft sich selbst zu dem, was er ist. Unter der Last der totalen Selbstverantwortung und der Angst vor dem Nichts versucht er, das Nichts loszuwerden, um selbst Gott zu werden.233 In dieser Aporie verfangen, führt Sartres Existenzontologie zum Scheitern der totalen Freiheit: „Jede menschliche Realität ist direkter Entwurf, ihr eigenes Für-sich in An-sich-Für-sich umzuwandeln, und zugleich Entwurf zur Aneignung der Welt als Totalität von An-sich-sein in der Art einer grundlegenden Qualität. Jede menschliche Realität ist eine Passion, insofern sie entwirft, zugrunde zu gehen, um das Sein zu begründen und zugleich damit das An-sich zu konstituieren, das als sein eigener Grund der Kontingenz entgeht, das ens causa sui, das die Religionen Gott nennen. So ist die Passion des Menschen die Umkehrung der Passion Christi, denn der Mensch geht als Mensch zugrunde, damit Gott geboren werde. Aber die Gottesidee ist widersprüchlich, und wir gehen umsonst zugrunde; der Mensch ist eine nutzlose Passion.“234

Was am Schluss bleibt, ist der Mensch, der als das Seiende in seinem Existieren einen sinnlosen Leidensweg durchläuft. Die Anmaßung menschlicher Existenz, hybrid an die Stelle Gottes zu rücken, scheitert. Doch auch das Nichts in sich selbst zu nichten, ist dem Menschen unmöglich. Jedermann ist zum Scheitern verurteilt: „alle menschlichen Tätigkeiten [sind] äquivalent […] – denn sie zielen alle darauf ab, den Menschen zu opfern, um die causa sui auftauchen zu lassen – und daß alle grundsätzlich zum Scheitern verurteilt sind. So läuft es auf dasselbe hinaus, ob man sich einsam betrinkt oder Völker lenkt.“235 Um W. JANKE 2013, 143. W. JANKE 2013, 145. 233 Vgl. W. JANKE 2013, 146. 234 J.-P. SARTRE (1943; 1952) 2008, 1052. 235 J.-P. SARTRE 2008, 1071. 231 232

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diesem solipsistischen Existentialismus zu entgehen, hat Sartre sich eng an den Marxismus der Sowjetunion angelehnt,236 wobei er die Massenmorde der totalitären Diktatur ausblendete, um den Marxschen Marxismus durch eine methodische Reintegration des Existentialismus in diesen zu restituieren und so Entfremdung und Ausbeutung durch die bestehenden kapitalistischen Produktionsverhältnisse verstehbar zu machen. Damit löst sich diese Philosophie in eine verhängnisvolle Weltanschauung auf. 5.2.2 Zwischen der Flucht der Götter und der Ankunft des letzten Gottes – Zukünftiges Denken: Vom Ereignis (Martin Heidegger) Die Darstellung des Denkens von Martin Heidegger (1889–1976) ist von der Problematik begleitet, dass er sein Denken in immer neuen Anläufen modifiziert hat, nicht nur einen Weg kennt, sondern verschiedene Wege geht – und sich auch verirrt und heillos verstrickt. Heideggers Denken – sein wegweisendes Denken und seine Irrwege – ist nicht ohne seine Eingebundenheit in seine Zeit, seine Verstrickungen mit der nationalsozialistischen Bewegung zu verstehen. Die Rekonstruktion seiner Denk-Wege („Wege – nicht Werke“; GA 1, IV) wird zudem durch eigentümliche sprachliche Wendungen erschwert. Der offene Charakter seines Denkens, das an den Phänomenen des faktischen Lebens interessiert ist, das sich in seinen Lebenswelten seinem Fraglichkeitscharakter nicht entziehen kann, führt von den seinsgeschichtlichen Analysen der Existenzialität des Daseins (5.2.2.a) in Sein und Zeit (1927) zu einer „Kehre“,237 die er durch einen Neuansatz beim „Ereignis“ in seinem lange verVgl. dazu W. JANKE 2013, 147–152; ferner zu den vier Phasen der Transformation des dialektischen Materialismus auf dem Weg zur totalitären Weltanschauung a. a. O., 77– 87. Vgl. dazu die Schriften Sartres: Marxismus und Existentialismus. Versuch einer Methodik (Marxisme et existentialisme, 1960): J.-P. SARTRE 1964; Materialismus und Revolution (Matérialisme et révolution, 1946): J.-P. SARTRE 2012b. 237 Ausgangspunkt für ihn ist die Frage nach dem Sein des Seienden, die er vom Dasein her zu stellen sucht. Seine Grundfrage ist die Frage nach dem Sein/Seyn. (Es ist nicht mehr Gott oder ein Weltgrund. Es ist für Heidegger wesenhaft weiter und dem Menschen in seiner Nähe am fernsten [vgl. GA 9, 331].) Diese Unterscheidung bleibt für Heideggers Denken vor und nach der sogenannten „Kehre“ konstitutiv (vgl. W. V. REIJEN 2009, 95), so dass seine späten Schriften als eine kontinuierliche Entwicklung von Themen seiner früheren Schriften zu lesen sind. Heidegger erläutert seine Sicht auf die „Kehre“ im Brief über den „Humanismus“. Als Ergänzung ist das Vorwort aus dem Jahre 1962 für Pater William J. Richardson zu lesen (GA 11, 143–152). Im Haupttext werden die Werke Heideggers in der Regel mit der Abkürzung GA und entsprechender Band- sowie Seitenzahl angegeben. Einen Überblick über Forschung und Werke bietet D. THOMÄ 2013. Als Einführungen eignen sich W. JANKE 1982, 172–222 sowie P. TRAWNY 2003 und insbesondere seine im Licht des Erscheinens der Schwarzen Hefte neu verfaste kritische Einführung von 2016 (bes. 92–201). Zum „offenen Geheimnis“ Heideggers, seinen Verstrickungen in die Ideologie des Nationalsozialismus und seinem Antisemitismus vgl. auch R. WOLIN 2022. Zur philosophischpolitischen Problemdimension seit der Veröffentlichung der Schwarzen Hefte und des ge236

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borgen gebliebenen zweiten Hauptwerk Beiträge zur Philosophie: Vom Ereignis (1936–1938) als Ereignis einer neuen Wahrheits-gründung, nämlich als kommende, ungewisse Seinslichtung und Ankunft eines „letzten Gottes“ vollzieht (5.2.2.b) [11]–[18]), und dann in einer gelassenen Besinnung auf die Gefahren im gegenwärtigen Zeitalter der Technik durch das Denken als Fragen in Vorträge[n] und Aufsätze[n] nach dem Zweiten Weltkrieg öffentlich illustriert. Die Wirkung von Heideggers Denken hält bis heute an, wie die verschiedenen Spielarten eines sich auf Heidegger berufenden oder sich von ihm kritisch abgrenzenden „nachmetaphysischen Denkens“238 anzeigen. Aus der neueren Philosophie-239 und auch Theologiegeschichte ist Heidegger nicht wegzudenken: „Seit Kant und Hegel hat kein anderer Philosoph die Theologie so beeinflusst wie er.“240 genwärtig sich nach rechts verschiebenen politisches Diskurses vgl. die Beiträge in: M. HEINZ/S. KELLERER 2016. Zu seiner Eingebundenheit in seine Zeit gehören nicht nur ein „intellektueller Antimodernismus“, sondern bei Heidegger auch viel verbreiteter aufzulesende Ressentiments: „antirömischer Affekt und Antichristentum, Antibolschewismus und Antiamerikanismus, Nationalismus, Revanchismus und Chauvinismus, Regionalismus und Provinzialismus, Anti-Urbanismus […] Anti-Akademismus“ (R. MEHRING 2016, 291.292). 238 Das „nachmetaphysische Denken“ ist für ihn die einzige Weise, heute noch philosophisch zu denken. Er verwendet den Begriff zum einen gegen eine „Rückkehr zur Metaphysik“ und zum anderen für ein nach der Metaphysik noch mögliches, aber nicht gänzlich metaphysikfreies philosophisches Denken. Vgl. zur Verwendung des Begriffs auch J. HABERMAS 1988; 2012; ferner G. FIGAL 2009b. 239 Von den Philosophen, die von Heidegger beeinflusst worden sind, sind u. a. HansGeorg Gadamer, Jean-Paul Sartre, Hannah Arendt, Hans Jonas, Karl Löwith, Herbert Marcuse, Wilhelm Weischedel, Jürgen Habermas, Jacques Derrida, Michel Foucault, Gianni Vattimo, Richard Rorty und Emmanuel Lévinas zu nennen. Vgl. D. THOMÄ 2013, 341–540; P. TRAWNY 2003, 170–177; R. WOLIN 2001. 240 E. JÜNGEL 1977, 40. Der Grund für die breite Rezeption liegt in der daseinsanalytischen Kraft von Sein und Zeit, aber auch in der Zuwendung zur Sprache und zum Ereignis im späten Denken, trotz Heideggers antichristlicher, antisemitischer und antitheologischer Haltung. Es gehört zum zeitgeschichtlich informierten und hermeneutisch versierten Auftrag der evangelischen Theologie, sich über ihre Herkünfte und Verirrungen selbst- und ideologiekritisch aufzuklären. Sich auf diesen Weg zu begeben, ist vor dem Hintergrund der neueren Debatten um Heidegger ein dringendes Desiderat der theologischen Forschung. Zur Debatte in der Mitte des letzten Jahrhunderts in der evangelischen Theologie vgl. aus der Fülle der Literatur die Beiträge in G. NOLLER 1967; J. M. ROBINSON/J. B. COBB JR. (1963) 1964; vgl. H. OTT 1959 und A. JÄGER 1978 sowie den Überblick bei W. PANNENBERG 1996a, 325–337; vgl. jetzt auch E. CH. HERZIG 2022, der theologische Spuren in Heideggers Spätphilosophie sucht und ihren Rezeptionsversuchen bei Eberhard Jüngel und Heinrich Ott nachgeht. Aus Anlass der Veröffentlichung des Briefwechsels zwischen Bultmann und Heidegger äußert sich kritisch I. U. DALFERTH 2011: Rudolf Bultmanns existentiale Interpretation des Neuen Testaments wäre ohne die Begegnung mit Heidegger in Marburg und ohne seine Auseinandersetzung mit Sein und Zeit ebenso wenig denkbar wie die verschiedenen Richtungen der Existenztheologie und der Hermeneutischen Theologie (Ernst Fuchs, Gerhard Ebeling, Eberhard Jüngel); vgl. zum Verhältnis von Theologie und Philosophie bei

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a) Analytik der Existenzialität des Daseins (1) Die Radikalität der Diagnose des Todes Gottes241 und die Herausstellung der Bedeutung der Endlichkeit vor dem Hintergrund eines sich vollendenden abendländischen Geschicks im Nihilismus und einer Kritik der Moderne hat Heidegger klar und deutlich benannt. Zwar war Heidegger bereits lange mit Nietzsche vertraut, hat sich aber erst seit den späten zwanziger Jahren, nach dem Erscheinen von Sein und Zeit (1927), auf Nietzsches Begriff des Nihilismus berufen, deutet diesen anfangs als Folge des Todes Gottes242 und überholt schließlich Nietzsches Nihilismus-Deutung, indem er ihn als Kulminationspunkt in die Geschichte des Nihilismus einzeichnet.243 „Aber das Unumgänglichste und Schwerste in dieser Überwindung ist das Wissen vom Nihilismus“ („daß alle Ziele weg sind“; GA 65, 138), dessen Wesen die „Seinsverlassenheit“ ist (GA 65, 141): „in dieser lärmenden ,Erlebnis‘-Trunkenboldigkeit[] ist der größte Nihilismus, das organisierte Augenschließen vor der Ziel-losigkeit des Menschen [...]. Die Angst vor dem Seyn war noch nie so groß wie heute“ (GA 65, 139). „In der Grunderfahrung, daß der Mensch als Gründer des Daseins gebraucht wird von der Gottheit des anderen Gottes, bahnt sich die Vorbereitung der Überwindung des Nihilismus an“ (GA 65, 140.141).244 Heidegger geht in eine ganz andere Richtung als Nietzsche, nämlich zurück zu „einem

Heidegger auch M. JUNG 1990; O. PÖGGELER 2009 und bereits O. PÖGGELER 1963. Auch im katholischen Bereich wird die Gottesfrage im Denken Heideggers thematisiert. Vgl. jetzt die Beiträge zur Gottesfrage im Denken Heideggers in N. FISCHER/F.-W. V. HERRMANN 2011; ferner bereits N. FISCHER/F.-W. V. HERRMANN 2007. 241 M. H EIDEGGER, GA 5, 209–267. 242 Vgl. P. TRAWNY 2003, 138: „Dieses Irren ,durch ein unendliches Nichts‘ ist der ,Nihilismus‘. Mit dem Tod Gottes bricht der ,Nihilismus‘ auf, in dem nichts mehr verbindlich und alles ,jenseits von Gut und Böse‘ möglich ist.“ 243 Vgl. W. PANNENBERG 1996a, 326; zur Bedeutung Nietzsches für Heidegger vgl. O. PÖGGELER 1963, 104–135; E. BROCK 2015, 20–26; sowie die Studien von W. MÜLLERLAUTER 2000. 244 Dass Nietzsche den Nihilismus überwinden wolle, gehört zu den verbreiteten Allgemeinplätzen, hängt aber mit der Nietzsche-Interpretation Heideggers zusammen, der die Rede von der Überwindung des Nihilismus eigentlich prägte, in dem er „ganz selbstverständlich und laufend von ihr spricht“ (W. STEGMAIER 2016, 33, Anm. 26). Der Nihilismus sei, so Stegmaier weiter, bei Nietzsche aber vielmehr als „ein normaler Zustand“ (N 1887 9[35], KSA 12, 350) zu verstehen, und „nichts, das zu ,überwinden‘ wäre, wie es gern angenommen wird“ (W. STEGMAIER 2016, 33, Anm. 26 u. a. mit Verweis auf E. BROCK 2015). Für die Rede von der Überwindung gebe es bei Nietzsche keinerlei Beleg, wie Stegmaier auch mit Hinweis auf die niederländische Studie Het Europese nihilisme. Friedrich Nietzsche over een dreiging die niemand schijnt te deren (2012) von Paul van Tongeren (jetzt in englischsprachiger Übersetzung als P. V. TONGEREN [2018] 2021) zeigt, wonach der Europäische Nihilismus eher eine Bedrohung sei, die niemanden zu stören scheint (vgl. auch W. STEGMAIER 2016, 30.31, Anm. 18).

5.2 Radkale Endlichkeit des Daseins (Sartre und Heidegger)

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neuen, im Übrigen durchaus nicht unmetaphysischen,“245 anfänglichen Denken, das aber Zukünftiges bereit hält, und eben nicht „zu neuen Meeren“ gelangen will wie Nietzsche. Denn: „Das Ende der Metaphysik ist erst der Beginn ihrer ,Auferstehung‘ in abgewandelten Formen“ (GA 48, 267). Heidegger geht davon aus, dass der Mensch nicht von sich aus in der Lage ist, die nihilistische Lebensweise des an Arbeit und Konsum orientierten Menschen hinter sich zu lassen; das könne nur ein aus der Ferne kommender Gott. Heidegger fragt in seiner systematischen Nietzsche-Interpretation, die aber im Grunde dazu dient, sein eigenes Denken der Philosophie des Sein zu präsentieren,246 angesichts des Stückes vom „tollen („ver-rückten“247) Menschen“, „ob Nietzsche hier nicht eher das Wort ausspricht, das innerhalb der metaphysisch bestimmten Geschichte des Abendlandes immer schon unausgesprochen gesagt wird“ (GA 5, 213). Aber Nietzsche habe „das Wesen des Nihilismus nie erkannt, sowenig wie je eine Metaphysik vor ihm“ (GA 5, 264). Denn „das nihil des Nihilismus [bedeute], daß es mit dem Sein nichts ist“ (GA 5, 264) und dieser Entzug des Seins nehme seinen Ausgang in den Anfängen der Metaphysik bei Platon und Aristoteles.248 Heidegger schärft einen Weg zur Besinnung darüber ein: „Das Wort Nietzsches nennt das Geschick von zwei Jahrtausenden abendländischer Geschichte“ (GA 5, 213).249 Dieses Geschick nennt er „Seinsverlassenheit“ oder „Seinsvergessenheit“, womit „die Frage nach dem Sinn E. BROCK 2015, 20. Heidegger hat sich vordergründig ausführlich mit dem Dichter und Denker Nietzsche auseinandergesetzt und wurde zu einem seiner einflussreichsten Interpreten im 20. Jahrhundert. Vgl. M. HEIDEGGER, GA 5, 209–267; GA 6/1.2 sowie GA 48. Vgl. dazu W. STEGMAIER 2003; P. V. TONGEREN (2018) 2021, 104–114. 247 Heidegger stellt am Schluss seines Beitrags die bei anfänglicher Lektüre leicht überlesbare Suche des tollen Menschen nach Gott heraus. Diesen Schrei zu überhören, vermag nur ein Denken, solange es im Banne der seit Jahrtausenden verherrlichten Vernunft stehen bleibt. Der „tolle Mensch“ ist für Heidegger „toll“ im folgenden Sinne: „Er ist ver-rückt. Denn er ist aus der Ebene des bisherigen Menschen ausgerückt, auf der die unwirklich gewordenen Ideale der übersinnlichen Welt für das Wirkliche ausgeben werden, indes ihr Gegenteil sich verwirklicht. Dieser ver-rückte Mensch ist über den bisherigen Menschen hinausgerückt [... Die] öffentlichen Herumsteher [...] können nicht mehr suchen, weil sie nicht mehr denken.“ (GA 5, 266.267). 248 Mit dieser Einzeichnung Nietzsches als Gipfel und Abschluss der metaphysischen Tradition der europäischen Philosophie bliebe es nicht die Ansicht eines schließlich wahnsinnig gewordenen Denkers, sondern wäre ein allgemeiner Ausdruck eines untergründigen weltgeschichtlichen Prozesses, den Wolfgang Janke als praecisio mundi gefasst hat. 249 Heidegger verwendete in seiner Nietzsche-Interpretation eine reduktionistische Methode, wenn er Nietzsches Denken auf wenige formelhafte Grundlehren (Tod Gottes, Wille zur Macht, Umwertung aller Werte, ewige Wiederkehr des Gleichen, Nihilismus, Übermensch) zusammenstrich, diese Gedanken aus ihren Kontexten isolierte, auf ihrem Zusammenhang in einem traditionellen System beharrte und auch die Formensprache von Nietzsches schriftstellerischer Tätigkeit ausblendete. Vgl. W. STEGMAIER 2012, 69, sowie W. STEGMAIER 2003 und 2005. 245 246

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von Sein“ in das Zentrum seines Denkens gestellt sei. Aber vorher gehe es darum, „allererst wieder ein Verständnis für den Sinn dieser Frage zu wecken“250, die durch einen „Vorrang des Daseins“251 markiert wird. Die radikale Revision der Grundbegriffe der Philosophie252 und der damit gestellten Aufgabe einer Destruktion der Geschichte der Ontologie (Sein und Zeit § 6) „auf die ursprünglichen Erfahrungen“253 hin kennzeichnet Heideggers Philosophie, die eine Kritik der Moderne ist, und einen neuen Anfang im Denken ergründet, das den ursprünglichen Sinn der Grundbegriffe freizulegen sucht.254 (2) Zur Analytik des Daseins in seinem ersten Hauptwerk Sein und Zeit (1927) lassen sich viele Zugänge finden.255 Sie zeigen sich in der Verfallenheit an das Man (§§ 25–38), in der Darlegung der Jemeinigkeit im Sein zum Tode (§§ 46–53) und in der Entdeckung der Grundbefindlichkeit der Angst (§ 40), die vielleicht nicht so sehr Todesangst, sondern eher Angst vor dem Leben ist, „vor einem Leben, das einem plötzlich in seiner ganzen Kontingenz gegenwärtig wird. Die Angst macht offenbar, daß alltägliches Leben auf der Flucht vor seinen Kontingenzen ist.“256 Dennoch bilden diese nicht das Zentrum und Ergebnis der Fundamentalontologie, sondern das Existenzial der Weltlichkeit: „Diese Seinsbestimmungen des Daseins müssen nun aber a priori auf dem Grunde der Seinsverfassung gesehen und verstanden werden, die wir das Inder-Welt-Sein nennen. Der rechte Ansatz der Analytik des Daseins besteht in der Auslegung dieser Verfassung“ (§ 12). Das In-der-Welt-Sein ist durch den Charakter der „Sorge“ gekennzeichnet, deren ontologischer Sinn die Zeitlichkeit ist. Beide zusammen bilden eine Struktureinheit. Wenn nun aber Weltlichkeit als Struktur des In-der-Welt-Seins verstanden wird, löst diese Sicht den herkömmlichen kosmologisch verstandenen Weltbegriff ab.257 Weltlichkeit, in der Dasein existiert, ist verstanden als ermöglichende Bedingung des besorgenden Umgangs (griech. praxis) mit der Seinsart desjenigen Innerweltlichen (§ 15), das alltäglich als Zeug (griech. prágmata) begegnet (Kraftfahrzeug,

250 Vgl. M. H EIDEGGER (1927) 1986, 1. Die Paragraphen im Text beziehen sich auf Sein und Zeit. 251 M. H EIDEGGER (1927) 1986a, 8–15. 252 M. H EIDEGGER (1927) 1986a, 9. 253 M. H EIDEGGER (1927) 1986a, 30. 254 Die damals von Heidegger faszinierte junge Philosophiestudentin Hannah Arendt fasste es, auf die Marburger Zeit zurückblickend, in die treffenden Worte: „Das Gerücht sagte es ganz einfach: Das Denken ist wieder lebendig geworden [...]. Es gibt einen Lehrer; man kann vielleicht das Denken lernen.“ (H. ARENDT 1989, 174.175). Vgl. auch ihren Briefwechsel in H. ARENDT/M. HEIDEGGER 2002, (180).191.192. 255 Vgl. die Darstellung von Thomas Rentsch in: D. THOMÄ 2013, 48–74; zum Folgenden bes. W. JANKE 2013, 152–167. 256 R. SAFRANSKI 1997, 188. 257 Der Begriff „Welt“ ist in Heideggers Texten seit Das Umwelterlebnis (1919; GA 56/57, 70–75) immer wieder durchdacht worden.

5.2 Radkale Endlichkeit des Daseins (Sartre und Heidegger)

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Werkzeug, Nähzeug, Schreibzeug, Flugzeug, Spielzeug, Bettzeug, Messzeug, Schuhzeug) und eine neue Begegnungsweise mit dem Innerweltlichen hervorbringt, die Umsicht genannt wird und sich auf die Handhabung des Zuhandenen versteht in seinem Um-zu (Verweisung). Darin zeigt sich seine Relationalität bzw. sein Verweisungszusammenhang: „Welche Bewandtnis es mit einem Zuhandenen hat, das ist je in der Bewandtnisganzheit vorgezeichnet“ (§ 18). Das letzte Um-zu des Weltlichseins ist kein verwendbares Zeug, sondern das menschliche Wohnen in der Welt. Das ist um seiner selbst willen da. Doch völlig enthüllt sich das Dasein erst als Sorge (§ 41), als Rücksicht nehmende Fürsorge und als Selbstsorge, in der das Dasein seine eigenen Seinsmöglichkeiten berücksichtigt: „Im Sich-vorweg-sein als Sein zum eigensten Seinkönnen liegt die existenzial-ontologische Bedingung der Möglichkeit des Freiseins für eigentliche existenzielle Möglichkeiten“ (§ 41). In dieses Strukturganze wird der im Besorgen von Zeug erschlossene Bewandtniszusammenhang der Weltlichkeit des Daseins eingegliedert (§ 39). Heidegger fasst die formal existenziale Ganzheit des ontologischen Strukturganzen des Daseins in folgender Struktur, in der sich Sorge als Einheit von Faktizität, Verfallen und Existenzialität zeigt: „Das Sein des Daseins besagt: Sich-vorweg-schon-sein-in-(der-Welt-)als Sein-bei (innerweltlich begegnendem Seienden). Dieses Sein erfüllt die Bedeutung des Titels Sorge, der rein ontologisch-existenzial gebraucht wird. Ausgeschlossen bleibt aus der Bedeutung jede ontisch gemeinte Seinstendenz wie Besorgnis bzw. Sorglosigkeit“ (§ 41).

So vorbereitet kommt die Sorge als Existential des Daseins in seiner Zeitlichkeit zum Vorschein (§§ 45–83): „Zeitlichkeit enthüllt sich als der Sinn der eigentlichen Sorge“ (§ 65). Und: „Die ursprüngliche Einheit der Sorgestruktur liegt in der Zeitlichkeit“ (§ 65). (2) Auf diese Weise ist das menschlich-endliche Existieren nun noch tiefer grundiert. Die Zeitlichkeit des Daseins macht die formal-strukturelle Auffächerung der Sorge in das Sich-vorweg, das Schon-sein-in und das Sein-bei nachvollziehbar, „ermöglicht die Einheit von Existenz, Faktizität und Verfallen und konstituiert so ursprünglich die Ganzheit der Sorgestruktur“ (§ 65). Sie stellt sich gegen ein „vulgäres“ Zeitverständnis und ruft ein ekstatisches Zeitverständnis hervor: „Zeitlichkeit ist das ursprüngliche ,Außer-sich‘ an und für sich selbst“ (§ 65). Die Ekstasen der Zeitlichkeit sind die gleichursprünglichen, wenngleich im Modus der Zeitigung verschiedenen Phänomene der Zukunft („Auf-sich-zu“), Gewesenheit („Zurück-auf“) und Gegenwart („Begegnenlassen von“). Das Sich-vorweg gründet in der Ankunft der Zukünftigkeit. Damit ist nicht das Noch-nicht-jetzt des Futurs gemeint. Das Schon-sein-in der Welt als Existenzial der Faktizität (Vorfindlichkeit in einer Welt, die das Dasein in seiner Endlichkeit nicht geschaffen, nicht gewählt, nicht entworfen hat) bekundet sich im Zeitmodus der Gewesenheit. Das meint nicht das Nicht-mehr-jetzt des Imperfekts. Das Sein-bei wird ermöglicht durch das besorgende Gegen-

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wärtigen. Das ist nicht das Jetzt des Präsens. Heidegger prägt einen Vorrang der Zukünftigkeit aus: Die primäre Ausrichtung der Existentialität ist die Zukunft. „Zukünftigkeit ist derjenige primäre Zeitcharakter des Daseins, der das Sich-vorweg der Sorge und damit den Lastcharakter unserer Existenz offenhält. Das zeigt eben die Grenzerfahrung des Todes. [...] Das entschlossene Vorlaufen der angstbereiten Sorge nun kann sich dem Tod stellen, weil die Zukünftigkeit diese abschließende Grenze aller weiteren Lebensmöglichkeiten auf uns zukommen lässt.“258 Doch existenziale Zukünftigkeit korreliert mit der Gewesenheit, nicht mit Vergangenheit, und ist mit ihr existentiell gleichgewichtig. Nur als Übernahme des Gewesenseins kann das vorlaufend-zukünftige Dasein eigentlich auf sich zurückkommen.259 Doch das Dasein existiert endlich: „Die eigentliche Zukunft, die primär die Zeitlichkeit zeitigt, die den Sinn der vorlaufenden Entschlossenheit ausmacht, enthüllt sich damit als endliche“ (§ 65). Mit der These von der Endlichkeit der Zeitlichkeit ist nicht bestritten, dass die Zeit weitergeht bzw. weiter vergeht, „sondern sie soll lediglich den phänomenalen Charakter der ursprünglichen Endlichkeit der Zeitlichkeit festhalten, der sich im Entworfenen des ursprünglichen existenzialen Entwurfs des Daseins selbst zeigt“ (§ 65). Zur Phänomenerhellung der Zeit des Daseins legt Heidegger eine Ergänzung in Gestalt einer Phänomenologie der Weltzeit als Bedingung der Mitwelt vor. Weltzeit ist nicht kosmologisch zu verstehen als Dauer der Welt vom Urknall bis zum Wärmetod, sondern die Weltzeit zeitigt sich in Datierbarkeit als ursprünglichste Zeitangabe, Gespanntheit als Eröffnung des Horizonts einer Zeitspanne und Veröffentlichung als gemeinsames Jetzt, Dann, Damals des Miteinanders in der Mitwelt. Von der Phänomenologie der Zeitlichkeit her lassen sich Eigenart und Herkunft der vulgären Zeit klären: Tempus fugit.260 „Der vulgäre Zeitbegriff verdankt seine Herkunft einer Nivellierung der ursprüng-

W. JANKE 2013, 160. Vgl. M. HEIDEGGER 1986, 325 (§ 65): „Formal existenzial gefaßt, ohne jetzt ständig den vollen Strukturgehalt zu nennen, ist die vorlaufende Entschlossenheit das Sein zum eigensten ausgezeichneten Seinkönnen. Dergleichen ist nur so möglich, daß das Dasein überhaupt in seiner eigensten Möglichkeit auf sich zukommen kann und die Möglichkeit in diesem Sich-auf-sich-zukommenlassen als Möglichkeit aushält, das heißt existiert. Das die auszeichnende Möglichkeit aushaltende, in ihr sich auf sich Zukommenlassen ist das ursprüngliche Phänomen der Zukunft. Wenn zum Sein des Daseins das eigentliche bzw. uneigentliche Sein zum Tode gehört, dann ist dieses nur möglich als zukünftiges in dem jetzt angezeigten und noch näher zu bestimmenden Sinn. ,Zukunft‘ meint hier nicht ein Jetzt, das, noch nicht ,wirklich‘ geworden, einmal erst sein wird, sondern die Kunft, in der das Dasein in seinem eigensten Seinkönnen auf sich zukommt. Das Vorlaufen macht das Dasein eigentlich zukünftig, so zwar, daß das Vorlaufen selbst nur möglich ist, sofern das Dasein als seiendes überhaupt schon immer auf sich zukommt, das heißt in seinem Sein überhaupt zukünftig ist.“ 259 Vgl. W. JANKE 2013, 161. 260 Vgl. W. JANKE 2013, 163. 258

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lichen Zeit“ (§ 78). Heidegger stellt mit seiner Darstellung der Herkunftsgeschichte der vulgären Zeit fest (§ 81): „Was ihr als Nacheinander purer Jetzte abgeht und was die Momente der Jetzt-Zeit gleichförmig einebnet, ist eine abschneidende Präzisierung. Diese schneidet die Bezüge und Verweisungen der Weltzeit ab. Abgeschnitten ist die Bedeutsamkeit des Jetzt-damals als, des Jetzt-da, das jetzt-ab wann bis wann. Das Jetzt der vulgären Zeit deutet nicht mehr verweisend auf einen Bewandtniszusammenhang, und das heißt: die Weltlichkeit der Welt. [...] Indem dem Jetzt Datierbarkeit, Bedeutsamkeit und Weltlichkeit überhaupt abgehen, erscheint uns die Zeit als das Nacheinander von ankommenden, vorhandenen und vergehenden puren Momenten.“261

Jetzt zeigt sich abschließend der Zusammenhang von Heideggers Grundkonzept des Vorrangs der Zukünftigkeit des Daseins, vom Vorlaufen zum Tode, vom Verfallen in die Uneigentlichkeit und von der angsterfüllten Flucht ins Man. Unser alltägliches Dasein wendet sich ab von der eigenen Endlichkeit und von der abschließenden Zukünftigkeit des Todes. Gerade diese zu erhellen war das Ziel der Hermeneutik des Daseins als Analytik der Existenz in Sein und Zeit. Als „Seinssinn der Sorge offenbarte sich die Zeitlichkeit“ (§ 83). Doch offen bleibt die Frage: „Führt ein Weg von der ursprünglichen Zeit zum Sinn des Seins? Offenbart sich die Zeit selbst als Horizont des Seins?“ (§ 83). Der dritte Abschnitt (Zeit und Sein), der sich dieser Frage zuwenden wollte, ist nicht mehr erschienen. Gleichwohl genügt es, auf das ,zweite Hauptwerk‘ lediglich hinweisend vorblickend, im „Zeitalter der völligen Fraglosigkeit von allem [...], die Frage aller Fragen“ – die „Frage nach dem ,Sinn des Seyns‘“ – „erst einmal zu fragen“ (GA 65, 11). (3) Mit seiner Daseinsanalytik eines angstbereiten Vorlaufens oder „Seins zum Tode“ radikalisierte Heidegger in Sein und Zeit die abendländische philosophische Tradition des Bedenkens der Mortalität und des Todes des Menschen.262 Der platonisch-christliche Hintergrund verschwindet so in einer Philosophie, die sich ganz auf das Fundament des menschlichen Daseins gründet. Denn die Darlegung der Jemeinigkeit im „Sein zum Tode“ ermöglicht „das Ganzsein diesseitigen Daseins“. Der Tod ist das „,Ende‘ des Daseins“, das heißt des „In-der-Welt-seins“. Dessen Analyse lässt alle Spekulation über das, was möglicherweise nach dem Tode sein wird, unentschieden und außen vor. Die Analyse des Todes bleibt rein „diesseitig“ (Sein und Zeit § 49). Es geht Heidegger nicht mehr um die christliche Erwartung eines jenseitigen Lebens, die orphisch-pythagoreischen und sokratischen Vorstellung einer Unsterblichkeit der Seele oder die platonische Auffassung, Philosophie sei Streben nach W. JANKE 2013, 163. M. HEIDEGGER (1927) 1986, 263: „Der Tod ist eigenste Möglichkeit des Daseins. [...] Die im Vorlaufen verstandene Unbezüglichkeit des Todes vereinzelt das Dasein auf es selbst.“ Das Todeskapitel „Das mögliche Ganzsein des Daseins und das Sein zum Tode“ findet sich in Sein und Zeit §§ 46–53. 261 262

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dem Sterben und Tode (Platon, Phaidon 64a–b), die wir neben den beiden anderen Grundformeln platonischen Philosophierens finden: Angleichung (homoíosis theo) an Gott/das Göttliche (Platon, Theaitetos 176b) und Streben nach dem Wissen dessen, was immer ist (Ps.-Platon, Definitionen 414b).263 Eine philosophische Thanatologie im Sinne Heideggers hat keine Hoffnung über den Tod hinaus, sprengt die enge Verbindung der Wirklichkeit des Todes mit der Wirklichkeit Gottes und lässt auch die Erinnerung an den „Tod als Kulturgenerator“ (Jan Assmann) im Alten Ägypten verblassen, wo die hier vorgenommene Spurensuche nach dem toten Gott Osiris ihren Anfang genommen hatte und der isolierende Tod des Einzelnen mit einer kosmotheistischen Restitution in die Sozialgestalt einherging.264 In unserem Zeitalter der „Todesvergessenheit“ – und „Gottvergessenheit“ – sind Besinnungen auf den Tod als Grundphänomen des menschlichen Lebens verschwunden: „Der Tod ist kein Ereignis des Lebens. Den Tod erlebt man nicht.“265 Doch dieser aus Ludwig Wittgensteins schwer zu entschlüsselnder Schlusspassage des Tractatus logico-philosophicus entnommene Satz wiederholt auch die stoische Gleichgültigkeit gegenüber dem Tod wie zugleich die Einsicht aus dem Menoikeus-Brief des von Lukrez so hoch geschätzten Epikur266: „Das Schauerregendste aller Übel, der Tod, betrifft uns überhaupt nicht; wenn ,wir‘ sind, ist der Tod nicht da; wenn der Tod da ist, sind ,wir‘ nicht.“267 Angst vor dem Tode zu haben oder sich mit der Ungewissheit eines Lebens danach zu beschweren, ist nichtig. Wenn Heidegger nun das menschliche Dasein von seiner wesentlichen Zeitlichkeit her denkt, dann ist damit bei ihm in erster Linie das menschliche Zeitbewusstsein, das Bewusstsein der eigenen Endlichkeit und Sterblichkeit, gemeint. Für Heideggers spätes Denken gehört die Möglichkeit einer die Endlichkeit transzendierenden Offenheit konstitutiv hinzu, die er durch den Bezug auf die „Götter“ (GA 65, 437) illustriert, in Hinsicht auf die er aber nicht von dem „Vorhandensein einer Vielzahl gegenüber einem Einzigen“ (GA 65, 437) ausgeht, sondern von einer „Unentschiedenheit“ (GA 65, 437), die offen lässt, wie diese Götter sein werden, wie der „letzte Gott“ (GA 65, 405) Hölderlins sein wird. Heidegger hat mit Hölderlin und gegen Nietzsche die Möglichkeit einer Rückkehr des Göttlichen in die Welt nicht ausgeschlossen. Denn ein Ausblenden der Dimension dieser Offenheit der Endlichkeit würde zu einem unterbestimmten Endlichkeitsbegriff führen. Der Mensch könnte sich seiner eigenen Endlichkeit gar nicht bewusst sein, wenn es eine die Endlichkeit transzendierende Möglichkeit nicht gäbe. In dieser Offenheit für die Ankunft des kommenden Gottes vermag der Mensch eingedenk seiner eigenen AbschiedVgl. W. JANKE 1996, 532; vgl. auch W. JANKE 2007. Vgl. Abschnitt 2.1 in diesem Buch. 265 L. W ITTGENSTEIN, WA 1, 84. 266 Vgl. dazu W. JANKE 2002b. 267 EPIKUR 1993 (Brief an Menoikeus), 45 (125). 263 264

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lichkeit und Gottes Abschiedlichkeit in endlicher Freiheit zwischen Geburt und Tod zu existieren. Heideggers existenzialer Begriff des Todes bleibt nicht ohne Widerspruch. Auch für Sartre enthüllt der Tod uns nur etwas über uns selbst, und zwar von einem menschlichen Gesichtspunkt aus268: „Man muß also alle Hoffnung aufgeben, den Tod, selbst wenn er an-sich ein Übergang zu einem nicht-menschlichen Absoluten wäre, als eine Luke zu diesem Absoluten hin betrachten zu können.“269 Für Sartre kommt es aber nicht in Frage, den Sinn des Lebens auf die Todeserwartung auszurichten, wie es auch „christliche Weisheit“ in ihrer Transformation des Todes in den „,erwarteten Tod‘“ angeraten hat (memento mori). Für ihn ist es absurd, den Sinn des Lebens auf ein „Warten“ zum Tode zu reduzieren.270 Sartre widerspricht der Gleichsetzung von Tod und Endlichkeit und möchte diese Ideen radikal auseinander halten, wenn er den Tod als kontingentes Faktum versteht, das zur Faktizität gehört, und Endlichkeit als eine „ontologische Struktur des Für-sich, von der die Freiheit bestimmt wird und die nur in dem freien Entwurf und durch den freien Entwurf des Zwecks existiert, der mir mein Sein anzeigt. [...] Der Freiheitsakt selbst ist also Übernahme und Schaffung der Endlichkeit.“271 Auch die jüdische Philosophin Hannah Arendt (1906–1975) richtet den Blick auf die Faktizität des Geboren-seins des Menschen und entwickelt mit ihrer Idee der „Natalität“ einen Gegenentwurf zu Heideggers Rede von der „Geworfenheit“ des Daseins und des fraglichen „Seins zum Tode“. Tiere werden geworfen, Menschen werden geboren. Indem sie die Geburtlichkeit an die Stelle der Sterblichkeit setzt, revolutioniert Arendt die 2500 Jahre alte philosophische und religiöse Tradition des Bedenkens des Sterbens und Todes des Menschen und weckt diese nach dem Zweiten Weltkrieg aus ihrer „Geburtsvergessenheit“272. In den Jahren nach dem Erscheinen von Sein und Zeit (1927) wurde der „Tod ein Meister aus Deutschland“ (Paul Celan). Doch ein anderer „Meister aus Deutschland“273, Martin

268 Vgl. die Auseinandersetzung mit der Phänomenologie von Sein und Zeit bei J.-P. SARTRE 2008, 914–950. 269 J.-P. SARTRE 2008, 917. 270 Vgl. J.-P. SARTRE 2008, 920. Denn „die Eigenart des Todes ist es eben, daß er diejenigen, die ihn für dieses oder jenes Datum erwarten, jederzeit vorzeitig überraschen kann“ (a. a. O., 922). Der Tod sei „keineswegs meine eigene Möglichkeit, sondern ein kontingentes Faktum [...], das mir als solches grundsätzlich entgeht und ursprünglich zu meiner Faktizität gehört. [...] Der Tod ist ein reines Faktum wie die Geburt; er geschieht uns von draußen und verwandelt sich uns in Draußen. Im Grunde unterscheidet er sich in keiner Weise von der Geburt, und die Identität von Geburt und Tod ist das, was wir Faktizität nennen“ (a. a. O., 937). 271 J.-P. SARTRE 2008, 938. 272 P. SLOTERDIJK 1988, 142. Vgl. zur Natalität Abschnitt 10.3 in diesem Buch. 273 So nennt R. SAFRANSKI 1997 seine Heidegger-Biographie; vgl. P. TRAWNY 2003, 166–169.

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Heidegger, blieb für die todbringenden Verirrungen seiner Zeit zeitlebens blind. (4) Martin Heideggers Denken gilt Vielen als anstößig, und zwar nicht weil es unzeitgemäß wäre,274 sondern weil er in seiner Zeit den Verführungen des Nationalsozialismus nicht widerstanden hat und mit der Veröffentlichung der Schwarzen Hefte (GA 94–102) inzwischen auch sein zwar bislang nicht unbekannter, meist aber ungenannter Antisemitismus offen angezeigt ist. Allein diese Tatsache stellt sein Denken und seine politischen Verstrickungen in ein anderes Licht und wirft einen Schatten auf die neuen Wege, die gerade sein Denken und Wirken für das 20. Jahrhundert bedeutet haben. So kommt in ihm die Widersprüchlichkeit und Verstrickung einer ganzen Generation zutage. Zugleich zeigt sich bei ihm die berechtigte Unzeitgemäßheit und Aktualität seines Denkens als Kritik der Moderne, ihrer Kultur und der Technik, die eng verbunden ist mit der Aufgabe der Philosophie seit Sokrates, genau die Fragen zu stellen, die eine Gesellschaft lieber ungefragt lassen möchte. Denn der Philosoph stellt alles in Frage. Und er weiß, dass er nichts weiß – jedenfalls vorläufig. Doch die Fraglichkeit wendet sich nun auch gegen den Fragesteller selbst. Mit Recht. Das kann man mit Blick auf Sein und Zeit und auf die Beiträge zur Philosophie: Vom Ereignis auch differenzieren.275 Doch ohne diesen Schatten kann man sich Heideggers in vielfacher Hinsicht außerordentlichem Denken nicht mehr zuwenden. Es deswegen aber aus dem philosophisch-theologischen Diskurs auszublenden und mit einer Damnatio memoriae zu belegen, ist unmöglich. Aus der neueren Theologie- und Philosophiegeschichte ist das Denken und Werk Heideggers nicht wegzudenken, auch wenn der „braune Schatten“ des Freiburger Philosophen länger geworden ist und die Rezipienten sich dessen bewusst sein müssen. Nur das erinnernde Wachhalten und das nichts und niemanden Beschönigende oder Schonende halten dem Vergessen der menschenverachtenden Gräueltaten der Ideologien des 20. Jahrhunderts stand. Letztlich spiegelt sich in Heidegger zugleich das nebulöse Nicht-sehen(-wolVgl. auch zum Folgenden A. DENKER 2011, 9. Vgl. zum Versuch einer differenzierenden Betrachtungsweise W. JANKE 2013, 152– 157 („,Sein und Zeit‘ im Aufbruch der NS-Bewegung“). Janke unterscheidet sachlich sicher richtig, aber mit einem heftigen Widerwillen gegen einen ebenso verbrämten Menschen wie genialen Denker: „So enttäuschend und beschämend die kurze, vehemente Parteinahme des Philosophen für den Aufbruch der ,Bewegung‘ war und so kläglich der Versuch scheiterte, den ,Führer‘ führen zu wollen – Originalität und Tragweite des außerordentlichen Seinsentwurfs von ,Sein und Zeit‘ fünf Jahre vor Hitlers Machtergreifung, sind davon, allen Diskriminierungen (Lukácz, Adorno, Hühnerfeld, Goldschmidt, Farías u. a.) zum Trotz, unbeeinträchtigt“ (W. JANKE 2013, 156); vgl. zu den „Entgleisungen“ bei gleichzeitiger „bahnbrechende[r] Kraft“ von Heideggers Denken auch W. JANKE 2018, 164.165. Zur Debatte um die Schwarzen Hefte vgl. aus der Fülle der Sammelbände H. H. GANDER/M. STRIET 2017 sowie jetzt R. WOLIN 2022, der eine deutlichere Verzahnung von Antisemitismus und Seinsdenken herausstellt. 274 275

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len) vieler und das hellsichtige Hin-sehen weniger Einzelner. Zu letzteren kann man ihn in politischer und weltanschaulicher Hinsicht nicht rechnen. (5) Umso wichtiger ist vor diesem Hintergrund die Besinnung darauf, unsere alltäglichen Auffassungen zu hinterfragen. Üblicherweise sehen wir die Welt so, wie man sie sehen soll. Wir sehen sie durch eine neuzeitliche wissenschaftliche Brille, die durch ihre berechnenden Erklärungen das ursprüngliche Staunen über die Welt um uns entzaubert hat. Wir haben verlernt, darüber nachzudenken, ob wir die Welt auch anders sehen und wahrnehmen könnten. Nur Wenige noch hinterfragen die Selbstverständlichkeiten, suchen ihre Grenzen auf und gehen, wenn möglich, über sie hinaus. Aber erst in dieser Grenzüberschreitung (Transzendenz) vollzieht sich menschliche Existenz aus Freiheit. Philosophieren heißt: zuerst fragen und dann sich in diesem Fragen frei machen, um schließlich in dieser Schwebe der unheimlichen Freiheit und Offenheit heimisch zu werden. Fragen ist genau das, was Heideggers Denken lehren will. Für ihn ist Fragen die Frömmigkeit des Denkens.276 Philosophieren hieße dann, sich auf den Weg des nie enden wollenden Fragens zu machen, auch um den nach Heidegger falschen Weg einer Verwissenschaftlichung und Systematisierung der Philosophie zu vermeiden. Der Mitvollzug der Denkbewegung heißt, selber denken zu lernen. Indem wir selbst zu denken lernen, lassen wir das Denken des Philosophen hinter uns und befreien uns. Sich auf den Mitvollzug des fragenden und besinnenden Denkens Heideggers und seine zeitgeschichtlich bedingten erschütternden Ambivalenzen einzulassen, heißt einzustimmen in die unzeitgemäße Annahme: Der Anfangsgrund liegt nicht verschüttet hinter uns, sondern er steht als ein Künftiges vor uns, umhüllt vom europäischen Nihilismus und in der Gefahr totaler Seinsverlassenheit.277 Doch diese „dürftige Zeit“ ist mit der Seinsvergessenheit in der Geschichte der Metaphysik noch nicht umfassend beschrieben. Auch die Gottverlassenheit findet ihren sprachlichen Ausdruck in Hölderlins „Fehl Gottes“, den Heidegger als „gedoppelten Mangel und Nicht“ (GA 4, 47) deutet: Die Flucht der Götter und des Gottes versteht er als ihr Nichtmehr und das

276 „Je mehr wir uns der Gefahr nähern, um so heller beginnen die Wege ins Rettende zu leuchten, um so fragender werden wir. Denn das Fragen ist die Frömmigkeit des Denkens“ (GA 7, 36). „Fromm“ sei hier in einem alten Sinn gemeint, so erläutert Heidegger an anderer Stelle, als „fügsam, hier nämlich dem, was das Denken zu denken hat“. Genauer sei die „eigentliche Gebärde des Denkens das Hören der Zusage dessen“, „wobei alles Fragen dann erst anfragt, indem es dem Wesen nachfragt“ (Das Wesen der Sprache, GA 12, 175.176). Ein aufmerksames Hören auf das Wesen der Technik zeigt uns, dass es im wörtlichen Sinne ein zwei-deutiges Wesen ist (GA 7, 34), nämlich ein in zweierlei Richtung deutendes Wesen. Es deutet zurück in das Geschick der Seinsverlassenheit und Seinsvergessenheit, und es deutet vor in die Möglichkeit eines neuen und anderen Anspruchs, eines neuen Entbergens. Vgl. U. GUZZONI 2009, 60. 277 Vgl. W. JANKE 2013, 155.

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Nochnicht des Erscheinens des letzten Gottes.278 Wir leben so im Zwischenraum der Flucht der Götter und der Ankunft des letzten Gottes. Heideggers Aufdeckung der Seinsvergessenheit in der abendländischen Metaphysik geht einher mit der Rezeption von Nietzsches Wort „Gott ist tot“, das als höchster Ausdruck einer Gottvergessenheit gedeutet wird. Doch der Tod Gottes ist nicht deshalb so tragisch, weil ein Gott gestorben ist, sondern weil eine ganze Dimension und damit eine Vielfalt an Möglichkeiten menschlichen Existierens verlorengegangen sind. Nicht nur der christliche Gott ist „getödtet“ worden, auch Gott als „der Name für den Bereich der Ideen und Ideale“ (GA 5, 216). Ohne die Sphäre des Übersinnlichen, Gott und Religion wird die Welt ärmer bzw. anders werden: „Irren wir nicht durch wie durch ein unendliches Nichts?“ (KSA 3, 481). Von diesem Verlust oder Vergessen her kann man sehen, was möglicherweise fehlt oder auch nicht. Daher ist auch in einer fundamentalontologischen Analytik der Endlichkeit eine Offenheit eingeschrieben, die Seiendes überschreitet, um menschliches Dasein neu und anders zu verstehen. Doch es bleibt die Begleitfrage: „Wenn wir schon den ,Tod‘ in seinem Äußersten so wenig begreifen, wie wollen wir dann schon dem seltenen Wink des letzten Gottes gewachsen sein?“ (GA 65, 405). (6) Heidegger machte in seinen Passagen aus Sein und Zeit neben dem „Sein zum Tode“ auch noch auf einen anderen wichtigen phänomenologischen Aspekt aufmerksam: die „Stimmungen“. Dahinter verbirgt sich ebenfalls eine Kritik der Moderne. Das Dasein ist in die Offenheit der Welt versetzt. Es stellt sich in unverfügbar befallenden Stimmungen oder „Befindlichkeiten“ ein. In Sein und Zeit geht es um die „Grundbefindlichkeit“ Angst,279 die das „In-derWelt-sein als solches“280 offenbar macht. Noch eingehender wird die Bedeutung der Stimmungen in den phänomenologischen Analysen der Vorlesung Die Grundbegriffe der Metaphysik: Welt – Endlichkeit – Einsamkeit (1929/1930)281 aufgezeigt. Hier geht es nicht mehr um die Faktizität des „In-der-Welt-seins“, sondern um die „Weltbildung“ ermöglichende Offenheit der Welt. Der Wandel der Stimmungen bestimmt das „Wie unseres Miteinander-Daseins“ und damit unseres „Weg-seins“ (GA 29/30, 100.101; vgl. GA 65, 301.302). Neben DenVgl. hierzu knapp einführend auch P. TRAWNY 2003, 126–142. M. HEIDEGGER (1927) 1986, 184–191. 280 M. H EIDEGGER (1927) 1986, 186. 281 M. H EIDEGGER, GA 29/30. Die folgenden Seitenzahlen im Text beziehen sich auf diese Ausgabe der Vorlesung aus dem Wintersemester 1929/30 über Die Grundbegriffe der Metaphysik. Welt – Endlichkeit – Einsamkeit. Vgl. auch Heideggers Freiburger Antrittsvorlesung Was ist Metaphysik? vom 24. Juli 1929 in: M. HEIDEGGER, GA 9, 103–122; bes. 110– 112, in der er eine „bestimmte metaphysische Frage“, die „aus der wesentlichen Lage des fragenden Dasein gestellt werden muss“ (a. a. O., 103), erörtert: „Wie steht es um das Nichts?“ (a. a. O., 106; 112). Mit der „Grundstimmung der Angst [... wird] das Geschehen des Daseins erreicht, in dem das Nichts offenbar ist und aus dem heraus es befragt werden muß“ (a. a. O., 112). 278 279

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ken und Wollen ist das Fühlen als Erlebnis des Menschen damit von Heidegger eingeholt (GA 29/30, 98). Stimmungen sind keine Begleiterscheinungen, sondern ihr Wesen besteht darin, in den Grund des Daseins zurückzuleiten. Doch bleibt dieses Wesen verborgen und verstellt (GA 29/30, 102). Die Stimmung, die Heidegger deswegen nun denkend in den Blick nimmt, ist die „Grundstimmung der Langeweile“. Ausgehend von der alltäglich vertrauten Langeweile kommt Heidegger auf „die fragwürdige tiefe Langeweile“ zu sprechen. Diese Stimmung ist an keinen bestimmten Anlass mehr gebunden. Sie ist nichts als die Offenheit der währenden Zeit. Es ist eine Offenheit jenseits von Enttäuschung oder Erfüllung. Doch Heidegger bleibt nicht bei diesen Beschreibungen und Analysen stehen, sondern verfolgt das Ziel, mit diesen Ausführungen auch die beschriebene und analysierte Grundstimmung zu „wecken“. Dabei zeigt sich die tiefe Langeweile als „ein Verhältnis zur Zeit, eine Art, wie wir zur Zeit stehen, ein Zeitgefühl“ (GA 29/30, 120). Die tiefe Langeweile ist aber nicht nur ein Zeitproblem, sondern zugleich auch ein „Heimweh“, das als „das Philosophieren“ selbst gedacht ist (GA 29/30, 120; 7). Der Vollzug des Denkens soll ins „Offene“ versetzen. Für Heidegger ist die Offenheit des Daseins „das einzig Verbindliche“ (GA 29/30, 116) und damit Haltgebende. Kulturdiagnosen und -prognosen verhelfen nicht dazu, sich selbst zu finden (GA 29/30, 111–116). Einzig die Offenheit gilt es zuzulassen und so in die Möglichkeit eines „Waltenlassens“ (GA 29/30, 530) der Welt im Entwurf zu gelangen. Der Mensch ist ein „Übergang“ (GA 29/30, 531). Er kann nicht bleiben, doch kann er auch nicht von der Stelle kommen. Der Übergang ist das Grundwesen des Geschehens: „Der Mensch ist Geschichte, oder besser, Geschichte ist der Mensch. Der Mensch ist im Übergang entrückt und daher wesenhaft ,abwesend‘. Abwesend im grundsätzlichen Sinne – nicht und nie vorhanden, sondern abwesend, in dem er weg-west in die Gewesenheit und in die Zukunft, ab-wesend und nie vorhanden, aber in der Abwesenheit existent. Versetzt ins Mögliche, muß er ständig versehensein des Wirklichen. Und nur weil so versehen und versetzt, kann er sich entsetzen. Und nur, wo die Gefährlichkeit des Entsetzens, da die Seligkeit des Staunens – jene wache Hingerissenheit, die der Odem alles Philosophierens ist, und was die Größten der Philosophen den ἐνθουσιασμός nannten, den der Letzte der Großen – Friedrich Nietzsche – in jenem Lied des Zarathustra gekündet hat, das er das ,trunkne Lied‘ nennt, und darin wir zugleich erfahren, was die Welt sei [...]“ (GA 29/30, 531.532).282 Nicht nur die tiefe Bedeutung Nietzsches für Heideggers Denken wird augenscheinlich, auch die Möglichkeit der Transformation des endlichen Menschseins, seines wesentlichen Fühlens und die Ambi282 Heidegger zitiert das „trunkene Lied“ als Schluss seiner Vorlesung, das auch kurz vor dem Ende des vierten und letzten Teiles von Also sprach Zarathustra zu stehen kommt als Das Nachtwandler-Lied bzw. als Rundgesang des Zarathustra, F. NIETZSCHE, KSA 4, 404: „[...] ,Doch alle Lust will Ewigkeit –, / , – will tiefe, tiefe Ewigkeit!‘“.

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valenz des Staunens (tremendum et fascinans) als Anfang des Philosophierens als fragendes Denken, welches das einzig Verbindliche und Halt gebende – die Offenheit des Daseins – aufzeigt. b) Vom Ereignis: Ungewisse Seinslichtung und Ankunft des letzten Gottes (7) In seinem späteren Denken ab der Mitte der 1930er Jahre, das mit dem neuen Grundwort „Ereignis“ verbunden ist und mit einer Zuwendung zur Technik und Dichtung,283 insbesondere Hölderlins, einhergeht (GA 4),284 hat Heidegger die von Nietzsche aufgezeigte Offenheit (KSA 3, 573.574) abermals vertieft aufgegriffen, sich aber Anfang der 1940er Jahre verstärkt Hölderlins Dichtung zugewandt, um mittels der Hymne Andenken („Was bleibet aber, stiften die Dichter“) jenen „anderen Anfang“ des Philosophierens freizulegen, in dem sich das Rettende aus der „Gefahr“ (vgl. Hölderlins Hymne Patmos) zeigt.285 Hölderlin halte auch die Möglichkeit der „Bereitschaft der Erwartung“ eines „künftigen Gottes“ bzw. „letzten Gottes“ offen bzw. bereite diese vor (GA 16, 671). In diesem Warten auf den „göttlichen Gott“ erinnert Heidegger in seiner Rede vom Welt-Geviert an das schonende Wohnen der einigen Vier – Sterbliche und Göttliche, Erde und Himmel –, in dem sich das endliche Leben des Menschen in „dürftige[r]Zeit“ unweigerlich in einem „gedoppelten Mangel und Nicht“ abspielt, nämlich dem „Nichtmehr“ der abwesenden und geflohenen alten Götter und der bislang ausgebliebenen Ankunft und dem „Nochnicht“ eines kommenden Gottes (GA 4, 47, im Anschluss an Hölderlin). Sein inszeniertes „Vermächtnis“ als eine überraschende Wendung seiner Spätphilosophie wird Heidegger im posthum veröffentlichten Spiegel-Gespräch286 mit Rudolf Augstein vom 23. September 1966 (GA 16, 652–683) in die Worte fassen: „Nur noch ein Gott kann uns retten!“ (GA 16, 671). Nietzsches „grösstes neueres Ereigniss“, der „Tod Gottes“, soll von einem „Er-eignis“ (Da-sein, Götter, Welt, Erde) abermals von ganz neuer Qualität übertroffen werden: in der Geschichte als „Zusammenspiel“, als das sich ereignende Spiegel-Spiel im Geviert, von handelnden Menschen und Göttern und dem Erscheinen des „letzten Gottes“ als „Gott der Götter“.287

283 Vgl. die Texte Der Ursprung des Kunstwerks (1935/1936); Beiträge zur Philosophie (Vom Ereignis) (1936–1938); Nietzsches Wort ,Gott ist tot‘ (1943); Erläuterungen zu Hölderlins Dichtung (1944); Brief über den „Humanismus“ (1946); Das Ding (1950); Bauen Wohnen Denken (1951); ,... dichterisch wohnet der Mensch ...‘ (1951); Die Frage nach der Technik (1953); Gelassenheit (1959); Unterwegs zur Sprache (1959); Die Technik und die Kehre (1962). 284 M. H EIDEGGER, GA 4, 2012. 285 Zitiert in dem Bremer Vortrag Die Kehre (1949) und später im Vortrag Die Frage nach der Technik (1953). 286 Vgl. zu den Umständen L. H ACHMEISTER 2014. 287 Vgl. P. TRAWNY 2003, 184.

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Wie Serpentinen auf einer Bergwanderung erscheinen die nachmetaphysischen Kehren des weiteren Denk-Weges Heideggers.288 Er wendet sich von seiner vorläufigen Fundamentalontologie her einem zukünftigen Denken zu, das in der Not der Seins- und Gottesverlassenheit dem (Wahrheits-)Ereignis des Seyns entgegen denkt: „Das In-der-Welt-sein verdichtet sich zur Inständigkeit, in welcher der Mensch zur Lichtung der Wahrheit und zum Zuruf des Seyns gehört.“289 In solch einer denkerischen Besinnung des Übergangs leuchtet die Frage nach dem „letzten Gott“ auf. Es blitzt wieder auf, was in seinen Nietzsche-Studien angezeigt war, nämlich: Bleibt „[...] zu bedenken [...], ob der Gott nicht göttlicher ist in der Frage nach ihm oder dann, wenn er gewiß ist [...]“ (GA 6.1, 324). In der Frage nach Gott wird die Göttlichkeit Gottes gewahrt und nicht in seiner Erkenntnis im Glauben oder philosophischem Denken. (8) Zunächst zeigt sich das zukünftige Denken in seinem zweiten Hauptwerk Beiträge zur Philosophie – angezeigt nur als nichtssagender öffentlicher Titel für die in Klammern gesetzte, aber „gemäße Überschrift“ (GA 65, 3) und den „wesentlichen Titel“ (GA 65, 80) des Buches: „Vom Ereignis“ (GA 65, [3])290 als ein gewagter Versuch, „im Zeitalter des Übergangs von der Metaphysik in das seynsgeschichtliche Denken [...] aus der ursprünglicheren Grundstellung in der Frage nach der Wahrheit des Seyns zu denken“ (GA 65, 3). Um diesem neuen Anspruch gerecht zu werden, kann es sich auch nicht um ein „,Werk‘ bisherigen Stils“ oder um ein wissenschaftliches „System“ im hegelschen Sinne handeln,291 sondern das „künftige Denken ist Gedanken-gang, durch den der bisher überhaupt verborgene Bereich der Wesung des Seyns durchgangen und so erst gelichtet und in seinem eigensten Ereignischarakter erreicht wird“ (GA 65, 3). Die Wesung des Seyns nennt Heidegger das Er-eignis (GA 65, 7; 470: „Das Seyn ist das Er-eignis“). Es geht in diesem künftigen Denken nicht mehr darum, „,über‘ etwas zu handeln und ein Gegenständliches darzustellen,

Zu dieser Deutung vgl. W. JANKE 2013, 165. W. JANKE 2013, 167. 290 In Grundzügen stand der Plan seit dem Frühjahr 1932 fest, ausgeführt wurde er in den Jahren 1936 bis 1938. Die in der Zeit des Nationalsozialismus entstandenen Texte Beiträge zur Philosophie (Vom Ereignis) blieben zu Heideggers Lebzeiten unveröffentlicht. Sie wurden erst 1989 im Rahmen der Gesamtausgabe (GA 65) veröffentlicht. Vgl. W. JANKE 2013, 171: „Heideggers Einblick in das Ereignis des Seyns radikalisiert diese antisystematische Tendenz. Er schließt mindestens drei Grundverfassungen des Systemgedankens aus. Die Zukünftigkeit des kommenden Seyns verhindere die Abgeschlossenheit, die Abhängigkeit inständigen Daseins setze eine Allesvermittlung außer Kraft, und die Verborgenheit im Entbergen des Seyns verweigere die vollständige Durchsichtigkeit des Wahrheitsbegriffs.“ 291 Bereits Kierkegaard und Nietzsche haben die philosophische Vernunftwissenschaft und ihren Systemanspruch kritisiert: „Ich misstraue allen Systematikern und gehe ihnen aus dem Wege. Der Wille zum System ist ein Mangel an Rechtschaffenheit“ (F. NIETZSCHE, KSA 6, 63). 288 289

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sondern dem Er-eignis übereignet zu werden, was einem Wesenswandel des Menschen aus dem ,vernünftigen Tier‘ (animal rationale) in das Da-sein gleichkommt“ (GA 65, 3). Die festschreibende Substanzontologie soll im Umdenken verabschiedet werden. Statt ontologisch von der Substanz auszugehen als einem immerwährenden Anwesen einer Idee, steht nun das Ereignis im Zentrum des Frageinteresses. Doch fremd und fern für unsere Ohren klingt noch, wie die Beiträge insgesamt,292 die abschließende Klärung und der Eingang zu den Beiträgen: „Vom Ereignis er-eignet ein denkerisch-sagendes Zugehören zum Seyn und in das Wort ,des‘ Seyns“ (GA 65, 3). Klarer wird es, wenn erkannt wird, dass das künftige Denken als anfängliches Denken gedacht ist und von einem anderen Anfang als dem platonischen Anfang der Philosophie und Metaphysik herkommt. Es muss als „Wunder des Fragens im Vollzug erfahren und zur Weckung und Stärkung der Fragekraft wirksam gemacht werden“ (GA 65, 10). Denn im Fragen293 „waltet das Übersichhinausfahren in das uns Überhöhende“ (GA 65, 10). Diesem Versuch eines Weges, der erst im Gehen entsteht, kann hier nur in Umrissen nachgegangen werden. Doch er kann auch nicht umgangen werden. Zwar führt er hinein in einen dunklen Wald neuer Zuschreibungen, die sich erst im Zusammenspiel lichten und sich erst am Ende des Durchgangs zu einer Stimmigkeit fügen, aber Heideggers Ereignis-Denken zeigt sich so auch als ein wesentlicher Beitrag zu einem Denken nach dem größten neueren Ereignis und ebnet diesem relativierend einen Weg für andere einzelne Versuche, in denen Zukünftiges aufblitzen kann, wenn es wesentlich um das Menschsein des Menschen geht. Für Heidegger gilt es im „Zeitalter des Übergangs“ (GA 65, 83), „das Menschsein in die Wahrheit des Seyns zu gründen und diese Gründung im Erdenken des Seyns und des Da-seins vorzubereiten“ (GA 65, 86). Sobald das ganze Menschenwesen ins Da-sein gegründet wird, ist es seinsgeschichtlich, nicht ontologisch, umzudenken (vgl. GA 65, 103). Im Übergang zum anderen Anfang muss die Philosophie ein Wesentliches geleistet haben: „den Entwurf, d. h. die gründende Eröffnung des Zeit-Spiel-Raumes der Wahrheit des Seyns“ (GA 65, 5). Diese Vor-bereitung will den Weg bahnen und wesentlich stimmen. Das denkerische Werk muss ein „Gang“ sein in der zweifachen Bedeutung des Wortes: „ein Gehen und ein Weg zumal, somit ein Weg, der selbst geht“ (GA 65, 83). Doch den Weg dieses Erdenkens des Seyns kann keine festgelegte Einzeichnung in eine Landkarte nachweisen: „Das Land wird ja erst durch den Vgl. W. JANKE 2013, 167–188 mit Hinweisen auf die Forschungsresonanz auf dieses weitere „Hauptwerk“ Heideggers; vgl. jetzt auch W. JANKE 2018, 204–208; ferner G. FIGAL 2009a. Auch in der Theologie wird der Ereignis-Begriff jetzt aufgenommen: vgl. I. U. DALFERTH 2013. Hier auch Hinweise zu A. N. Whitehead, Ch. Hartshorne, A. Badiou und M. Heidegger sowie zum Sprach- und Existenz-Ereignis der Hermeneutischen Theologie; H. V. SASS 2013. Vgl. bereits J. CAPUTO 2006 und J. DERRIDA (1997) 2003. 293 Vgl. zur Nachzeichnung der verschiedenen Etappen des fragenden Denkens T. EILEBRECHT 2008. 292

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Weg und ist an jeder Wegstelle unbekannt und nicht zu errechnen. [...] Das Land, das durch den Weg und als Weg des Er-denkens des Seyns wird, ist das Zwischen, das er-eignet das Da-sein dem Gott, in welcher Er-eignung erst der Mensch und der Gott sich ,erkennbar‘ werden, zugehörig in der Wächterschaft und Notschaft des Seyns“ (GA 65, 86.87). Das Wesen des Seyns ist nun aber nicht den Göttern nachgeordnet, sondern ist als der Ursprung zu begreifen bzw. zu erfragen, „der erst Götter und Menschen ent-scheidet und er-eignet“ (GA 65, 87; vgl. 95). „Die Entscheidung muß jenen Zeit-Raum, die Stätte für die wesentlichen Augenblicke schaffen, in der der höchste Ernst der Besinnung in eins mit der größten Freudigkeit der Sendung zu einem Willen des Gründens und Bauens aufwächst [...]. Nur Da-sein, nie ,Lehre‘, kann die Wandlung des Seienden von Grund aus bringen“ (GA 65, 98). Entscheidung meint bei Heidegger nicht eine Wahl treffen, sondern „Gründen und Schaffen, vorweg und über sich hinaus Verfügen bezw. [sic!] Aufgeben und Verlieren“ (GA 65, 100). Sie ist die „notwendige Vollzugsform der Freiheit“ (GA 65, 103). (9) Dieser „Vorblick“ (GA 65, 1–103) des „vorbereitenden Denkens“ auf das „anfängliche Denken“, das im „Humanismus“-Brief „Kehre“ (GA 9, 328) genannt wurde, kann sich nun nicht mehr in den Bahnen eines Systems bewegen (GA 65, 88–90), sondern bildet ein eigenes „Gefüge“ aus und nennt seinen Aufbau „Fuge“: „Die Fuge ist etwas wesentlich anderes als ein ,System‘“ (GA 65, 81). Darin zeigt sich die „Kehre“ nicht nur als eine Kennzeichnung des Um-Denkens, sondern zuerst als „Kehre im Ereignis“ (GA 65, 95), d. h. als jener Gegenschwung, worin die Wahrheit des Seyns und das Da-sein zusammengehören (GA 65, 261). Die Ordnungsstruktur des Aufbaus zeigt „Verfügungen über einen Weg, den ein Einzelner bahnen kann“ an (GA 65, 81). Im Verlassen der Bahnen der Metaphysik tritt an ihre Stelle die in sechs Fügungen gegliederte „Fuge“ im Versuch eines anfänglichen Denkens: „Die sechs Fügungen der Fuge stehen je für sich, aber nur, um die wesentliche Einheit eindringlicher zu machen. In jeder der sechs Fügungen wird über das Selbe je das Selbe zu sagen versucht, aber jeweils aus einem anderen Wesensbereich dessen, was das Ereignis nennt“ (GA 65, 81.82). Diese in den jeweiligen Fugen wiederholten Fügungen schwingen verborgen ineinander und können nur so „eröffnendes Gründen der Entscheidungsstätte für den wesentlichen Übergang in die noch mögliche Wandlung der abendländischen Geschichte“ (GA 65, 82) werden. Sie sind ein „Vorriß des Zeit-Spiel-Raumes, den die Geschichte des Übergangs als ihr Reich erst schafft“ (GA 65, 6) und nennen sich: „Der Anklang“, „Das Zuspiel“, „Der Sprung“, „Die Gründung“, Die Zukünftigen“, „Der letzte Gott“ (GA 65, 6; 9). In den sechs Fugen des Ereignisses zeigt sich ein achtfaches Gepräge des Seyns mit dem Ziel, im Ausblick auf das fragliche Ende der Philosophie und der Aufgabe eines zukünftigen Denkens die Fuge des letzten Gottes und das Rettende zu erwägen (GA 65, 419–510). Das Seyn als Er-eignis zeigt sich in achtfacher Ausprägung (GA 65, 470.471):

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„Ereignis meint immer Ereignis als Er-eignung, Ent-scheidung, Ent-gegnung, Ent-setzung, Entzug, Einfachheit, Einzigkeit, Einsamkeit. Ungegenständlich ist die Einheit dieser Wesung und nur zu wissen in jenem Denken, das das Ungewöhnliche nicht als Besonderheit des Auffälligen, sondern als die Notwendigkeit des Unscheinbarsten wagen muß, in dem sich der abgründige Grund der Grund-losigkeit der Götter und der Gründerschaft des Menschen sich öffnet und Jenes dem Seyn zugewiesen wird, was die Metaphysik nie wissen konnte, das Da-sein“ (GA 65, 471.472).

Selbstverständlich ist das Wesen des Seyns nie endgültig und nur vorläufig im Denken sagbar. Auch darin zeigt sich der Vorrang des Da-seins. Das ist allerdings kein Mangel, sondern erweist sich in den Bahnen negativen, ja mystisch anklingenden Denkens im Gegenteil als abgründige Fülle: „das nichtendgültige Wissen hält den Abgrund und damit das Wesen des Seyns gerade fest. Dieses Festhalten des Abgrundes gehört zum Wesen des Da-seins als der Gründung der Wahrheit des Seyns“ (GA 65, 460). Damit zeigt sich die Ortschaft des Seyns als Er-eignis zwischen dem Gott und dem Menschen: „Festhalten des Abgrundes ist zugleich das Einspringen in die Wesung des Seyns dergestalt, daß dieses selbst seine Wesensmacht entfaltet als das Er-eignis, als das Zwischen für die Notschaft des Gottes und die Wächterschaft des Menschen“ (GA 65, 460). Abermals zeigt sich der Vorrang des Seyns vor den Göttern und dem Menschen.294 Christliche Gottesrede wäre damit als partikular eingezeichnet in einen größeren universalen Kontext des Seyns als Er-eignis: „Das Erdenken des Seyns, die Nennung seines Wesens, ist nichts anderes als das Wagnis, den Göttern hinaus zu helfen in das Seyn und dem Menschen bereit zu stellen die Wahrheit des Wahren“ (GA 65, 460). (10) Doch nur den „Wenigen“ und „Seltenen“ (GA 65, 11–20) ist dieses anfängliche Denken vergönnt. Auch für dieses sind wiederum „Stimmungen“ ausschlaggebend, nicht aber die „Angst“ wie zuerst in Sein und Zeit und in Was ist Metaphysik?, aber auch nicht die „Langeweile“ wie in der Vorlesung Die Grundbegriffe der Metaphysik. Heidegger macht vielmehr in den Beiträgen eine Grundstimmung des Denkens im anderen Anfang aus, die in den Stimmungen – das Erschrecken, die Verhaltenheit, zusammen genannt „Die Ahnung“, und die Scheu – entfernt schwingt (GA 65, 14). Doch für die zusammenstimmende Einheit dieser Stimmungen fehlt das Wort. Heidegger stellt mit der Betonung des Erschreckens einen meist weniger beachteten Aspekt der Grundstimmung des ersten Anfangs der Philosophie heraus: Das Erstaunen (thaumázein), das Platon (Theaitetos 155d) und Aristoteles (Metaphysik I c. 1 982b11) übereinstimmend als Anfang des Philosophierens angesehen haben (GA 65, 15), bietet faszinierend Erhellendes und furchterregend Erschreck-

294 Das würde in theologischer Perspektive auch die Wirkung einer Relativierung der dogmatischen Rede von Gott anzeigen, wie es beispielsweise Tillich mit seiner Rede vom „Gott über Gott“ vorgeschlagen hat, um den Aporien des Theismus und des personalen Gottesverständnisses des christlichen Glaubens zu entgehen. Vgl. P. TILLICH, GW XI, 134–139.

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endes. Heidegger findet sich damit ungesagt in der Nähe von Rudolf Ottos Benennung der Begegnung mit dem Heiligen als Faszination und Erschrecken (mysterium fascinans et tremendum). Doch stimmt sie wirklich, oder wird sie nur vorgestellt? Es ist für Heidegger jedenfalls das Erschrecken, das zurückfahren lässt aus dem geläufigen Verhalten im Vertrauten. Es versetzt wieder „zurück in die Offenheit des Andrangs des Sichverbergenden, in welcher Offenheit das bislang Geläufige als das Befremdliche und die Fesselung zugleich sich erweist. Das Geläufigste aber und deshalb Unbekannteste ist die Seinsverlassenheit“ (GA 65, 15). Doch das Erschrecken weicht nicht bloß zurück oder gibt gar ratlos auf, sondern in diesem tut sich sein eigener ,Wille‘ kund, „weil gerade das Sichverbergen des Seyns sich auftut und das Seiende selbst und der Bezug zu ihm bewahrt sein will.“ Und das wird „die Verhaltenheit“ genannt: „Sie ist der Stil des anfänglichen Denkens nur deshalb, weil sie der Stil des künftigen Menschseins, des im Da-sein gegründeten, werden muß, d. h. diese Gründung durchstimmt und trägt“ (GA 65, 33; vgl. 15). Die Verhaltenheit ist die stimmende Mitte für das Erschrecken und die Scheu. Beide dienen sie nur dazu, ausdrücklicher zu kennzeichnen, was ursprünglich zu ihr gehört. Scheu ist nicht mit Schüchternheit zu verwechseln. Der Scheu entspringt die „Notwendigkeit der Verschweigung, und sie ist das alle Haltung inmitten des Seienden und Verhaltung zum Seienden durchstimmende Wesenlassen des Seyns als Ereignis“ (GA 65, 15.16). Noch einmal anders gewendet: „Die Verhaltenheit, die stimmende Mitte des Erschreckens und der Scheu, der Grundzug der Grundstimmung, in ihr stimmt sich das Da-sein auf die Stille des Vorbeiganges des letzten Gottes. Schaffend in dieser Grundstimmung des Daseins wird der Mensch zum Wächter für diese Stille“ (GA 65, 17). Damit wird das einzige Ziel unserer Geschichte gesetzt, „das Suchen selbst, das Suchen des Seyns“ (GA 65, 17). Der geschichtliche Mensch, d. h. der Mensch, der „zugehörig der Wesung des Seyns selbst“ (GA 65, 421) ist, wird zum „Wahrer der Wahrheit des Seyns, zum Wächter für jene Stille“, was dahingehend zu deuten ist, wenn das Suchen des Seyns geschieht, und es selbst der tiefste Fund ist (GA 65, 17; vgl. 398 mit Blick auf die Zukünftigen: „Suchen ist in sich zukünftig und ein In-die-Nähe-kommen zum Sein.“). „Sucher, Wahrer, Wächter sein – das meint die Sorge als Grundzug des Daseins“ (GA 65, 17). So zeigt sich die Verhaltenheit als „Grund der Sorge“ (GA 65, 35), nicht einer Sorge als Trübsinn, Beklemmung oder quälende Bekümmernis, sondern „als Beständnis des Da-seins [ist sie] die vorgreifende Entschiedenheit zur Wahrheit des Seyns“ (GA 65, 35). Dass der Mensch nichts dazu kann, ist aus sich heraus verständlich, auch die Grundstimmung kann selbstverständlich nicht durch Bestimmungen oder Definitionen vorbereitet werden. Es gibt nichts, was man festhalten könnte, in diesem wesentlichen Denken. Gedanken und Sätze müssen jedes Mal neu klingen. Nur in diesem Erklingen gibt es Halt in der Schwebe. Das ist gegen eine Philosophie gewendet, die festschreiben, verobjektivieren und substantiali-

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sieren möchte und Richtigkeit mit Wahrheit verwechselt sowie in Stimmungen den Ausdruck für das Schwächliche und Unklare sieht (GA 65, 21). Dagegen wird gehalten: „Allein die Grundstimmung stimmt das Da-sein und damit das Denken als Entwurf der Wahrheit des Seyns im Wort und Begriff“ (GA 65, 21). In der Stimmung wird das Seyn als Ereignis im Da-sein bewahrt. Die Grundstimmung des anderen Anfangs, und auch der Übergang zu ihr, kann nicht mit einem Namen benannt werden, sondern drückt in ihrer Vielnamigkeit das Unbegreifliche alles Einfachen aus. Eine Namensgebung mit einem überlieferten Wort würde ihren Reichtum und ihre Befremdlichkeit nicht ausdrücken können: „Die Grundstimmung heißt uns: das Erschrecken, die Verhaltenheit, die Scheu, die Ahnung, das Er-ahnen“ (GA 65, 21.22). Die Ahnung lebt die anfängliche Inständigkeit in das Da-sein und ist in sich Schrecken und Begeisterung zugleich. Der stimmende Einfall der Grundstimmung bleibt aber Zu-fall und kann nicht erzwungen werden. Eine Kehre im Nachfragen nach dem anderen Anfang tut sich auf: das Geschick der Wahrheit als Entbergung und Lichtung eines Verborgenen wird sich ereignen. Die Grundstimmung des ersten Anfangs war das Er-staunen, die Grundstimmung des anderen Anfangs vielnamig: das Er-ahnen. Die Stimmungen tauchen nach dem „Vorblick“ wieder dasselbe jeweils akzentuiert sagend am Beginn der sechs Fugen auf. (11) Der Wesensbereich der Fuge des Anklangs des Seyns als der Verweigerung eröffnet einen eigentümlichen Entzug und eine radikale Enteignung. Der Anklang dieser Verweigerung ist gestimmt im Erklingen einer Leitstimmung. Das ist das Ahnen eines noch Fernen, das Erahnen von Zukünftigem, aber auch das Erschrecken angesichts der übermächtigen Enteignung und eine Scheu vor dem unverfügbaren Seyn: „Die Leitstimmung des Anklangs ist der Schrecken in der sich enthüllenden Seynsverlassenheit und zugleich die Scheu vor dem anklingenden Ereignis. Schrecken und Scheu in einem erst lassen den Anklang denkerisch vollziehen“ (GA 65, 396). Diese Befindlichkeit entspringt aus Verhaltenheit, die den ersten Anklang der Verweigerung erfährt, ohne in Verzweiflung zu verfallen, weil sie inständig zugehörig wird zum aufklingenden Zuruf des Seyns. Im „Zuspiel“ des Fragens nach dem Seyn ist die „Leitstimmung: Die Lust der fragenden wechselweisen Übersteigung der Anfänge“ (GA 65, 169): „Anklang und Zuspiel sind Boden und Feld für den ersten Absprung des anfänglichen Denkens zum Sprung in die Wesung des Seyns“ (GA 65, 82). Der „Sprung“, genannt das Gewagteste im Vorgehen des anfänglichen Denkens, ist nicht rücksichtslos, sondern gestimmt von der Leitstimmung der Scheu: „Der Sprung ist das Wagnis eines ersten Vordringens in den Bereich der Seinsgeschichte“ (GA 65, 227). Der Sprung ins Rettende ist notwendig, um der Gefahr des rechnenden Denkens und der Verfügbarmachung zu entkommen. Nun wird das Da-sein in den Streit zwischen Flucht und Ankunft der Götter eingefügt. Um aber die Nacht der Götterferne zu bestehen, muss vorher die Fügung der „Gründung“ eröffnet worden sein. Denn nachmetaphysisch geht es ereignisgeschichtlich um eine Gründung des Da-seins. Die rettende

5.2 Radkale Endlichkeit des Daseins (Sartre und Heidegger)

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Gründung glückt nur, wenn Inständigkeit (vormals „In-der-Welt-sein“) befestigt wird, in welcher das Da-sein inmitten des Ereignisses innesteht, so dass es ihm wesenhaft und notwendend zugehört. Menschliches Da-sein (GA 65, 293– 326) gehört dem Seyn wesenhaft und notwendend hinzu, wenn es auf den Zuruf des Seyns hört und auf den Vorbeigang der Götter achtet. (12) Diese Ausführungen fasst Heidegger noch einmal zusammen und zeigt, wie sich die Fugen in einer Welt, die aus den Fugen geraten ist, zusammenfügen: „Anklang und Zuspiel, Sprung und Gründung haben je ihre eigene Leitstimmung, die aus der Grundstimmung ursprünglich zusammenstimmen“ (GA 65, 395). Nicht zu nennen mit einem Wort, aber durch den Namen Verhaltenheit, aber nur wenn dieses Wort „in der ganzen Ursprungsfülle“ genommen wird, „die seinem Bedeuten aus dem Erdenken des Ereignisses geschichtlich zuwächst. Die Grundstimmung enthält das Zumutesein, das Gemüt des Mutes als des gestimmt-wissenden Willens des Ereignisses“ (GA 65, 396). Im ursprünglichen Einklang der Leitstimmungen, der nun nur in der Grundstimmung voll angestimmt wird, „sind die Zukünftigen, und als die so gestimmten werden sie vom letzten Gott be-stimmt“ (GA 65, 396). Die Fügungen weisen am Ende auf den Wesensbereich der vorbeigehenden Götter und, dunkler und ahnungsvoller noch, auf die Ankunft des „letzten Gottes“. Hier kommen nun die absonderlichen „Fremdlinge gleichen Herzens“ zur Sprache, die von Heidegger „Die Zu-künftigen“ genannt werden (GA 65, 393–402). Sie gilt es vorzubereiten: „Solcher Vorbereitung dient das anfängliche Denken als Erschweigung des Ereignisses“ (GA 65, 395). Doch das Denken ist hier nur eine Weise, in der der Sprung in das Seyn von einigen Wenigen gewagt wird. Hier kommt wieder die Grundstimmung der Verhaltenheit ins Spiel. In ihr sind die Zukünftigen vom letzten Gott be-stimmt. Die Zukünftigen kommen vor die Winke des letzten Gottes zu stehen (GA 65, 82). Doch hier sei dazwischen gefragt: Wie können die so Ausgezeichneten ihr deutendes Andenken und ereignisgeschichtliches Entgegendenken vollbringen? Die Zukünftigen sind keine Historiker, die kundig Quellenkunde betreiben, Fakten katalogisieren und tatsächliche Zusammenhänge ausmachen.295 Sie sind kein Kollektiv, wie Völker oder Staaten (GA 65, 398.399; vgl. 42.43; bes. 414), Religionsgemeinschaften („Kulte“) oder „abgelebte“ Kirchen (GA 65, 39; 416). Es sind auch nicht die moderne Technik oder wissenschaftliche Weltanschauungen (GA 65, 36–41), die hier gefragt sind. Vielmehr sind wahre Zukünftige Wenige, Vereinzelte und Einsame. Sie nur achten auf die transitorischen Winke der Götter und harren in der Stille der Ankunft des letzten Gottes (GA 65, 400; 414). Ihre Befähigung, das Kommen des rettenden Gottes zu hüten, empfangen sie aus der Inständigkeit und der wohlgestimmten scheuen Verhaltenheit des Gemüts des Mutes (GA 65, 396).

295

Vgl. W. JANKE 2013, 174.

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(13) In dieser Stunde des Zeitalters des Untergangs ist keine Öffentlichkeit anwesend. „Alle Anderen müssen den Unter-gang fürchten und ihn deshalb leugnen und verleugnen. Denn ihnen ist er nur Schwäche und ein Ende“ (GA 65, 397). Hier sind die Zugehörigen Unter-gehende: Der „Gang zur verschwiegenen Bereitung des Künftigen, des Augenblicks und der Stätte, in denen die Entscheidung über Ankunft und Ausbleib der Götter fällt“ (GA 65, 397). Die Zukünftigen sind auch die immer Fragenden mit der Entschlossenheit zur äußersten Besinnung: „Die Un-ruhe des Fragens ist keine leere Unsicherheit, sondern die Eröffnung und Hegung jener Ruhe, die als Sammlung auf das Fragwürdigste (das Ereignis) die einfache Innigkeit des Zurufs erharrt und den äußersten Ingrimm der Seinverlassenheit besteht“ (GA 65, 397). Das Fragen zeigt sich hier derart in der „Verhaltenheit des Suchens, wo und wie die Wahrheit des Seins sich gründen und bergen lasse“ (GA 65, 398). Und mit einem ungesagten Anklang an Kierkegaards Besinnung in Die Krankheit zum Tode über das Selbst und die das Selbst setzende Macht, in der sich das Selbst durchsichtig gründet, finden wir den Satz, der die Passage über die Zukünftigen abschließt: „Das Selbst-sein ist der schon im Suchen liegende Fund, die sichere Leuchte, die aller Verehrung voranleuchtet, kraft deren allein wir offen sind für den Anklang des Einzigsten und Größten“ (GA 65, 398). Ausgemacht ist nun, dass „Verhaltenheit und Verschwiegenheit [...] die innigste Feier des letzten Gottes sein [werden] und die eigene Weise des Zutrauens zur Einfachheit der Dinge und die eigene Strömung der Innigkeit der berückenden Entrückung ihrer Werke sich erringen, die Bergung der Wahrheit wird das Verborgenste verborgen sein lassen und ihm so die einzige Gegenwart leihen“ (GA 65, 399.400). Die Zukünftigen sind heute schon wenige, und ihr Ahnen und Suchen ist ihnen selbst kaum kenntlich und noch verborgen. Doch sie alle „gründen das Da-sein, durch das der Einklang der Gottnähe schwingt, die sich nicht überhebt und auch nicht versinkt, sondern die Festigkeit der innigsten Scheu sich zum einzigsten Schwingungsraum genommen. Da-sein – Durchrückung aller Bezüge von Fernung und Nähe (Anfall) des letzten Gottes“ (GA 65, 400). Sie haben die Freiheit des verhaltenen Wartens und Erwartenkönnens einer Begegnung und eines Winks. Hölderlin296 hat zu seiner Zeit einen weiten Rückweg in den Untergang des griechischen Göttertags und ein Eintauchen in die Nacht der Götterferne auf sich genommen und ist daher in Heideggers Augen „zukünftigster Dichter“ (GA 65, 401). Als Zukünftigster ist er vorbereitender Vorläufer des Zukünftigen, „weil er am weitesten herkommt und in dieser Weite das Größte durchmißt und verwandelt“ (GA 65, 401). Zu Hölderlin vgl. neben den Erläuterungen zu Hölderlins Dichtungen (GA 4) und Wozu Dichter? (GA 5, 269–320) auch die Vorlesungen Heideggers in GA 39, GA 52 und GA 53. Zur Interpretation Hölderlins auch W. JANKE 2005, 77–195. Für Hölderlin kommt als „Einziger“ nachher allerdings Christus zu stehen. Vgl. W. JANKE 1999a, 104–133; 2005, 98–106. 296

5.2 Radkale Endlichkeit des Daseins (Sartre und Heidegger)

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Entscheidend für die Zukünftigen des letzten Gottes ist nun, dass diese vorbereitet werden durch jene, „die den Rückweg aus der erfahrenen Seinsverlassenheit finden, ausmessen und bauen. Ohne das Opfer dieser Rückwegigen kommt es nicht einmal zu einer Dämmerung der Möglichkeit des Winkens des letzten Gottes“ (GA 65, 411). Winke sind von alters her die Sprache der Götter.297 „Diese Rück-wegigen sind die wahren Vor-läufer der Zukünftigen“ (GA 65, 411). Wir sind damit in den Entscheidungs-Zeit-Raum des Seinsgeschicks über die Flucht und die Ankunft der Götter hineingerückt (GA 65, 405). (14) Heidegger gibt der sechsten Fuge einen klar sich abgrenzenden Vorblick, der lautet: „Der ganz Andere gegen | die Gewesenen, zumal gegen | den christlichen“ (GA 65, 403). Mit der hier ebenfalls ungenannt von Rudolf Otto entlehnten Rede vom Heiligen („Das ,Ganz Andere‘“) und der von Karl Barth in seiner dialektischen Theologie aufgegriffenen Wendung macht Heidegger für den letzten Gott das Merkmal „der ganz Andere“ geltend im Zusammenhang seiner Rede vom anderen Anfang.298 „Anders“ ist dieser Gott Heideggers in folgender Hinsicht: Der ganz Andere, der letzte Gott, gehört nicht zum Wesensbereich des Theismus, der Gott innerhalb des Seienden sucht und glaubt (GA 65, 400) und dessen Leugnung und Nihilierung Atheismus heißt. Er weist dem letzten Gott eine Sonderstellung zu, „seine einzigste Einzigkeit“, die „außerhalb jener verrechnenden Bestimmung“ steht, die mit den Titeln „,Monotheismus‘, ,Pan-theismus‘ und ,A-theismus‘“ (GA 65, 411) gemeint ist. Heidegger macht an dieser Stelle auch noch einmal deutlich, dass es den „,Monotheismus‘ und alle Arten des ,Theismus‘“ erst seit „der jüdisch-christlichen ,Apologetik‘, die die ,Metaphysik‘ zur denkerischen Voraussetzung hat“, gibt (GA 65, 411). Doch „[m]it dem Tod dieses Gottes fallen alle Theismen dahin“ (GA 65, 411). Damit ist der letzte Gott nicht monotheistisch, polytheistisch oder pantheistisch vorverstanden. Das käme der Anmaßung des rechnenden Denkens gleich, das für die neuzeitliche Wissenschaft, Metaphysik und Technik steht: „Weil auf Nietzsches Wort vom ,Tod Gottes‘ hingewiesen wird, erklärt man solches Tun für Atheismus. Denn was ist ,logischer‘ als dies, daß derjenige, der den ,Tod Gottes‘ erfahren hat, ein Gott-loser ist?“ (GA 9, 347). Diese Kritik an Heideggers Denken geht an seinem Vorhaben vorbei und entspricht nicht dem ganz anderen anfänglichen Denken. Der „letzte Gott“ waltet ereignisgeschichtlich rettend in befremdlicher Einzigkeit und Unausrechenbarkeit. Dieser Gott ist nicht berechenbar, nicht verfügbar, nicht präzisierbar. Er ist keine Erfindung des Menschen und keine Projektion. Er offenbart sich nicht in einem Menschen. Auch die Götter haben den Menschen nicht erschaffen.299 Doch „das Letzte“ bedeutet „nicht das Aufhören, sondern den tiefsten Anfang, der am weitesten ausgreifend am schwersten sich einholt“ (GA 65, 405). Vgl. W. JANKE, 1985. Vgl. zu Karl Barth Abschnitt 1.3.5 (1) in diesem Buch. 299 Vgl. Heidegger, Besinnung, GA 66, 235. 297 298

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Damit ist auch die Berechenbarkeit des Endes aufgehoben: „Das Letzte entzieht sich deshalb aller Rechnung und muß deshalb die Last der lautesten und häufigsten Mißdeutungen ertragen können“ (GA 65, 405). Die Götter sind aus der Welt der wissenschaftlichen Aufklärung geflohen, aber sie kehren wieder zur rechten Zeit. Damit ist Heideggers Kritik an den wesentlichen Erscheinungen der Neuzeit angezeigt: der Wissenschaft und der Technik (GA 5, 75). Heidegger sieht in ihnen die ins äußerste gesteigerte Gefahr, in der sich das Abendland befindet, „da überall die Entwurzelung und, was noch verhängnisvoller, weil die Entwurzelung bereits dabei ist, sich zu verhüllen – der Beginn der Geschichtslosigkeit schon da“ ist (GA 65, 100).300 Eine „Erscheinung der Neuzeit ist die Entgötterung. Dieser Ausdruck meint nicht die bloße Beseitigung der Götter, den groben Atheismus. Entgötterung ist der doppelseitige Vorgang, daß einmal das Weltbild sich verchristlicht, insofern der Weltgrund als das Unendliche, das Unbedingte, das Absolute angesetzt wird, und daß zum anderen das Christentum seine Christlichkeit zu einer Weltanschauung (der christlichen Weltanschauung) umdeutet und sich so neuzeitgemäß macht. Die Entgötterung ist der Zustand der Entscheidungslosigkeit über den Gott und die Götter. An seiner Heraufführung hat das Christentum den größten Anteil. Aber die Entgötterung schließt die Religiosität so wenig aus, daß vielmehr erst durch sie der Bezug zu den Göttern sich in das religiöse Erleben abwandelt. Ist es dahin gekommen, dann sind die Götter entflohen. Die entstandene Leere wird durch die historische und psychologische Erforschung des Mythos ersetzt“ (GA 5, 76).

Dieser Substitution kann nur mit einem Umbesinnen begegnet werden, das den Blick auf den Wesensbereich der Verweigerung lenkt: „Das ist weder Flucht noch Ankunft, auch nicht sowohl Flucht als auch Ankunft, sondern ein Ursprüngliches, die Fülle der Gewährung des Seyns in der Verweigerung. Hierin gründet der Ursprung des künftigen Stils, d. i. der Verhaltenheit in der Wahrheit des Seyns“ (GA 65, 405). Die Ambivalenz des Wesensbereichs der Verweigerung zeigt sich weiter darin: „Die Verweigerung ist der höchste Adel der Schenkung und der Grundzug des Sichverbergens, dessen Offenbarkeit das ursprüngliche Wesen der Wahrheit des Seyns ausmacht. So allein wird das Seyn die Befremdung selbst, die Stille des Vorbeigangs des letzten Gottes“ (GA 65, 406). Der letzte Gott ist also nicht rechnerisch zu denken als das Ende oder Aufhören von etwas, sondern als „die äußerste und kürzeste Entscheidung über das Höchste“ (GA 65, 406.407). Da alles Wissen von ihm unmöglich ist, bleibt nur das Umbesinnen zu einem Ansinnen auf „die Gefahr eines Befremdlichen und Unberechenbaren“ (GA 65, 407). Entscheidend für die Annahme der Ankünftigkeit des letzten Gottes in der ganzen Weite und Tiefe neuer Lebensmöglichkeiten ist die innere „Kehre“ des Vgl. dazu „Hölderlin – Kierkegaard – Nietzsche[.] Keiner sei heute so vermessen und nehme es als bloßen Zufall, daß diese drei, die je in ihrer Weise zuletzt die Entwurzelung am tiefsten durchlitten haben, der die abendländische Geschichte zugetrieben wird, und die zugleich ihre Götter am innigsten erahnt haben, frühzeitig aus der Helle ihres Tages hinweg mussten“ (GA 65, 204). 300

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Ereignisses (GA 65, 407–409: „Die Kehre im Ereignis“). In ihr und durch sie kehrt sich das Ereignis des Seyns dem Da-sein als offene Mitte der Wahrheit gründenden Selbstheit zu und wird zum Selbst (GA 65, 407). Mit der „Kehre“ klingen auch die religiösen Termini „Um-kehr“, „Bekehrung“ oder „Ein-kehr“ an und damit die metánoia bzw. periagogé, der Sinnes-wandel, das Um-denken als Ausdruck der Freiheit des Menschseins des Menschen: „In der Kehre spielen die Winke des letzten Gottes als Anfall und Ausbleib der Ankunft und Flucht der Götter und ihre Herrschaftsstätte. In diesem Winken wird das Gesetz des letzten Gottes zugewunken, das Gesetz der großen Vereinzelung im Dasein, der Einsamkeit des Opfers, der Einzigkeit der Wahl der kürzesten und steilsten Bahn“ (GA 65, 408). Es ist jedoch offen und bleibt offen, ob „dieser Zuruf des äußersten Winkens, die verborgenste Ereignung, je noch offen geschieht oder ob die Not verstummt [...] und ob, wenn der Zuruf geschieht, er dann noch vernommen wird“ (GA 65, 408). Darin entscheidet sich nichts weniger als die Zukunft des Menschen: „Er mag noch jahrhundertelang mit seinen Machenschaften den Planeten ausrauben und veröden [...]. Nur noch Verrechnung des Gelingens und Misslingens der Machenschaften werden verrechnet. Dieses Rechnen erstreckt sich in eine angemaßte ,Ewigkeit‘, die keine Ewigkeit ist, sondern nur das endlose Undsoweiter des ödesten Flüchtigsten“ (GA 65, 409). Hier setzen Heideggers Besinnungen über das Wesen der Technik ein,301 die den Umgang mit der modernen Technik als einen wesentlichen Grundzug der Krise der Moderne offenlegen.302 In der Beschäftigung mit der Technik hat Heidegger die Einsicht gewonnen, dass sich in ihr nichts weniger als das abendländische Denken überhaupt und mit ihm die Philosophie als Metaphysik vollende.303 Eine „Kehre“ des Denkens war für Heidegger „not-wendig“ geworden. (15) Doch wie würde das Ereignis der Rettung aussehen, wenn es eintreten würde? Wie würde es sein, wenn wir „die volle Kehre des Seyns ermessen

Vgl. zu Heideggers Vortrag Die Frage nach der Technik (1953) PH. DAVID 2014c. Analyse und Deutung neuzeitlicher Technik und Technikkritik, wie auch die Hinwendung zur Kunst und zur Dichtung Hölderlins, stehen für Heidegger insbesondere nach dem Scheitern seines Rektorats 1933/1934 im Fokus seines Interesses. Nach A. DENKER 2011, 160, hat sich Heidegger aus zwei Gründen nach seinem Rektorat – in das er fast einstimmig am 21. April 1933 gewählt worden war und das er am 12. April 1934 mit seinem Rücktrittsgesuch beendete – so dezidiert der Kunst zugewandt: „1. Durch den Misserfolg mit seinem Rektorat hatte Heidegger sein Vertrauen in die Möglichkeit verloren, eine politische Umwälzung des ganzen deutschen Daseins zu bewirken, und er suchte nach einem anderen Ausweg aus der Krise der Moderne. 2. In dieser Zeit begann er die Geschichte der Metaphysik als die Entfaltung des Nihilismus zu interpretieren. In seinen etwas späteren Nietzsche-Vorlesungen deutete er dann dessen Philosophie als Vollendung der Metaphysik und des Nihilismus (vgl. M. HEIDEGGER, GA 6.2, 360). Die erste Nietzsche-Vorlesung im Wintersemester 1936/1937 trug den Titel ,Nietzsche: Der Wille zur Macht als Kunst‘.“ 303 M. H EIDEGGER, GA 5, 75. Vgl. A. LUCKNER 2008, 93; W. V. R EIJEN 1998, 184–203. 301 302

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haben, um darin das Maß des Da-seins zu finden“ (GA 65, 412)? Darauf geht Heidegger nun abschließend in seiner Fuge über den letzten Gott ein, der seine Wesung im Wink hat, der für den gleichzeitigen „Anfall und Ausbleib der Ankunft sowohl als auch der Flucht der gewesenen Götter und ihrer verborgenen Verwandlung“ steht (GA 65, 409). Wichtig ist hier der Satz, der den letzten Gott relativiert und der theologisch übersehen wird, wenn (der christlich-trinitarische) Gott als das Ereignis des Seins verstanden wird. Denn: „Der letzte Gott ist nicht das Ereignis selbst, wohl aber seiner bedürftig als jenes, dem der Dagründer zugehört. Dieser Wink als Ereignis stellt das Seiende in die äußerste Seinsverlassenheit und durchstrahlt zugleich die Wahrheit des Seins als innigstes Leuchten“ (GA 65, 409.410). Im Wink des letzten Gottes enthüllt sich die innerste Endlichkeit des Seyns (GA 65, 410). In der Wesung des Winkes als Reife verstanden, d. h. als Bereitschaft, eine Frucht zu werden und eine Verschenkung (eine Gabe oder, religiös gewendet, Gnade), liegt zugleich „das verborgenste Wesen des Nicht, als Noch-nicht und Nicht-mehr“ (GA 65, 410). Betreten werden kann dieser Wesensbereich des letzten Gottes nur durch die Vorbereitung einer langen Ahnung des letzten Gottes. So ist der letzte Gott nicht das Ende, „sondern der andere Anfang unermeßlicher Möglichkeiten unserer Geschichte. Um seinetwillen darf die bisherige Geschichte nicht verenden, sondern muß zu ihrem Ende gebracht werden“ (GA 65, 411). Oder, anders gewendet, ist der letzte Gott nicht das Ende, sondern „das Insicheinschwingen des Anfangs und somit die höchste Gestalt der Verweigerung“ (GA 65, 416)? So ist die Verweigerung des letzten Gottes nicht als bloße Abwesenheit zu missdeuten: „Die Verweigerung als die Nähe des Unab-wendbaren macht das Da-sein zum Überwundenen, das will sagen: schlägt es nicht nieder, sondern reißt es hinauf in die Gründung seiner Freiheit“ (GA 65, 412). Das Ende hat keinen Sinn für das Letzte, das das Anfänglichste von allen ist (GA 65, 416). Das Ereignis der Rettung in der Sprache einer nachmetaphysischen Soteriologie kann für Heidegger nur so lauten: Es geschieht keine „Er-lösung, d. h. im Grunde Niederwerfung des Menschen, sondern die Einsetzung des ursprünglicheren Wesens (Da-seinsgründung) in das Seyn selbst: die Anerkennung der Zugehörigkeit des Menschen in das Seyn durch den Gott, das sich und seiner Größe nichts vergebende Eingeständnis des Gottes, des Seyns zu bedürfen“ (GA 65, 413). Abermals relativiert Heidegger die Rede von Gott, sieht in dieser aber keine Verlustrechung, sondern einen Zugewinn für das Menschsein des Menschen. Das lässt ihn fortfahren und ausführen: „Jene Zugehörigkeit zum Seyn und dieses Bedürfen des Seyns enthüllt erst das Seyn in seinem Sichverbergen als jene kehrige Mitte, in der die Zugehörigkeit das Bedürfen übertrifft und das Bedürfen die Zugehörigkeit überragt: das Seyn als Ereignis, das aus diesem kehrigen Übermaß seiner selbst geschieht und so zum Ursprung wird des Streites zwischen dem Gott und dem Menschen, zwischen dem Vorbeigang des Gottes und der Geschichte des Menschen“ (GA 65, 413). In diesem geschichtlichen und unerrechenbaren Augenblick wird kein „,Ideal-

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zustand‘“ erreicht, denn dieser steht jedes Mal dem Wesen der Geschichte zuwider. Sondern: „dieser Augenblick ist die Ereignung jener Kehre, in der die Wahrheit des Seyns zum Seyn der Wahrheit kommt, da der Gott das Seyn braucht und der Mensch als Da-sein die Zugehörigkeit zum Sein gegründet haben muß. Dann ist, für diesen Augenblick, das Seyn als das innigste Zwischen gleich dem Nichts, der Gott übermächtigt den Menschen und der Mensch übertrifft den Gott, unmittelbar gleichsam und doch beides nur im Ereignis, als welches die Wahrheit des Seyns selbst ist“ (GA 65, 415).

Da wir noch zu sehr von der überlieferten Metaphysik herkommen und das Andere für unsere Ohren noch allzu fremd klingt, sind wir noch nicht bereit für die wesentliche Bereitung des Zusammenstoßes des Gottes und des Menschen in der Mitte des Seyns, denn die Wahrheit des Seyns muss zuerst noch gegründet werden, und zwar auf den Einsprung des Menschen in das Da-sein (GA 65, 416.417). Da aber diese Bereitung verborgen ist, hat es nur den Anschein, als würde der Mensch auf Gott warten. Doch hier zeigt sich nur der lange Schatten des toten Gottes, wenn Heidegger dieses unbesonnene Warten als „die verfänglichste Form der tiefsten Gottlosigkeit“ bezeichnet (GA 65, 417). Diese findet ihren Ausdruck darin, dass immer noch geglaubt wird, dass die Götter aus der Religion entstünden oder „Vorhandenes“ wären oder „ein Not-behelf des Menschen“. Nicht daraus sind die Götter, „sondern aus dem Seyn, sondern als dessen Entscheidung, künftig in der Einzigkeit des Letzten“ (GA 65, 508).304 (16) Der letzte Gott setzt den Menschen in seine höchste Würde ein: als Hirte und Wahrer des Seyns.305 Diese Einsetzung eröffnet einen neuen Einblick in das Grundverhältnis von Erde und Himmel, in das Widerspiel von Göttlichen und Sterblichen, in das Wesen von Technik und Kunstwerk, in die Versammeltheit wahrer Dinge, in die Sprache als Haus des Seyns. Es geht Heidegger in seinem späten Denken, das von hier aus seinen Ausgang nimmt und auch in vielen Vorträgen ausgebaut wird, darum, mittels Sprache und Denken wesentliche Erlösung aus verödeter, entstellter, entgöttlichter, entfremdeter, totalitär verheerter Welt zu suchen. Eingedenk des Hölderlin-Spruches: „,Wo aber Gefahr ist, wächst | Das Rettende auch‘“ (GA 7, 29). Der Anfang steht dem Menschen immer noch zukünftig bevor. Wie in Sein und Zeit angedacht, kam nun zur Ausfugung: Zukünftiges Denken will Zukünftiges denken als Entgegendenken dessen, was auf einen zukommt. Vom Ereignis der Seynslichtung gedacht, kommt ein neues, ganz anderes Grundverhältnis ins Offene. Der künftige Gott erkennt das Da-sein des Men304 Vgl. auch: „Ob der Gott lebt oder tot bleibt, entscheidet sich nicht durch die Religiosität der Menschen und noch weniger durch theologische Aspirationen der Philosophie und der Naturwissenschaft. Ob Gott Gott ist, ereignet sich aus der Konstellation des Seyns und innerhalb ihrer. Solange wir nicht denkend erfahren, was ist, können wir nie dem gehören, was seyn wird“ (Die Kehre, GA 79, 77). 305 Vgl. M. H EIDEGGER, GA 9, 331.

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schen in seiner Seinswürde an, die dem Wiedererscheinen des Göttlichen und Heiligen in nichts nachsteht. Durch die Grundstellung des Seyns gelangt Heidegger zu einer Depotenzierung Gottes und zu einer Potenzierung des Menschen im Verhältnis zum Seyn, das in sich neue unermessliche Daseinsmöglichkeiten birgt. Die Erde entgeht ihrer Entstellung durch das rechnende Denken, indem sie in das Geviert von Erde und Himmel, Göttlichen und Sterblichen eingeht, das Welt genannt wird (GA 79, 12; 17–19). Im „Ding“ (GA 79, 5–21) sieht sie die Versammlung des Gevierts als „das Angehende“ (GA 79, 14) aufscheinen als Kostbarkeit (vgl. griech. kósmos: Ordnung, Schmuck, Weltall) und ist bereit zum schonenden Wohnen in der Welt: „Erst die Menschen als die Sterblichen erwohnen Welt als Welt“ (GA 79, 21). (17) Heideggers Rede vom „letzten Gott“ regt immer wieder zu Anknüpfung und Widerspruch an. Sahen einige in Heideggers Erwartung einer Theophanie den Grund für einen eigenen „theological turn“306, verwarfen andere den poetischen Gott als Rückkehr zum romantisch-nostalgischen Mythos, mit dem der Tod des metaphysischen Gottes überwunden werden sollte.307 Auf jeden Fall liegt in Heideggers spätem Denken neben der Hinwendung zu den Dichtern auch eine Zuwendung zu einer Theologie des „letzten Gottes“, die in verschiedener Weise Anlass zur Rezeption und Kritik geboten hat. Ihre Ausblendung käme einem Verlust der Mitte dieses Denkens gleich. Obgleich es in seiner 306 Mit der Interpretation Martin Heideggers von Nietzsches Wort „Gott ist tot“ als Ende der Onto-Theologie und dem Kommen eines letzten Gottes verbanden viele Denker im 20. Jahrhundert auch die Möglichkeit einer Rückkehr des Gottes der Religion. Die Suche nach einem post-metaphysischen Gott beschäftigte insbesondere französische Philosophen. Für den „theological turn“ stehen Emmanuel Lévinas (1906–1995), Jean-Yves Lacoste (*1953) und Jean-Luc Marion (*1946; vgl. dazu L. B. PUNTEL 2010). Auch beim Denker der Dekonstruktion Jacques Derrida (1930–2004) sowie bei John D. Caputo ist ein „religious turn“ zu beobachten. Für den narrativen Charakter von religiösen Traditionen stehen die Arbeiten von Richard Kearney (The God Who May Be. A Hermeutics of Religion, 2001; Anatheism. Returning to God After God, 2011). Gianni Vattimo sieht nach dem Ende der Onto-Theologie gar eine neue Chance für das Christentum aufkommen. Mit dem Kenosis-Gedanken und dem „schwachen Denken“ verbindet er eine Neubelebung des Glaubens an den Gott der Bibel. Was bleibt, ist der biblische Begriff der Schöpfung, also die Rede von der Kontingenz und Geschichtlichkeit unserer Existenz (G. VATTIMO 2004, 13). 307 Doch die Frage bleibt: Kommt ein Gott (zurück) nach der Abkunft des Gottes des westlichen Theismus? Nach Heidegger kann uns nur noch ein Gott retten. Nicht der christliche Gott, aber ein Gott der Poeten. Für den französischen Philosophen Alain Badiou (*1937) ist das ein nostalgischer Weg. Diese Nostalgie bedeutet für ihn eine Leugnung des Ernstes des Wortes „Gott ist tot“, wenn Gott nur als temporär abwesend betrachtet wird und die Welt als Beute der Entzauberung zurücklässt (A. BADIOU 2007, 19). Badiou verkündet damit einen Atheismus, der mit jeder Hoffnung bricht. Doch Badiou ist der Meinung, dass es nur auf der Basis von diesem gelingen wird, nach dem Verscheiden des lebendigen Gottes der Religion und der Dekonstruktion des Gottes der Metaphysik den dritten Tod Gottes, den Tod des Gottes der Poeten, zu vollziehen. Erst dieser Tod des dritten Gottes mache eine radikale Diesseitigkeit möglich (A. BADIOU 2007, 23).

5.2 Radkale Endlichkeit des Daseins (Sartre und Heidegger)

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Philosophie offen bleibt, ob Heidegger an eine „,Endzeit‘“ denkt, „in welcher die Menschen und Dinge zerstörenden Totalisierungen des 20. Jahrhunderts in einer ,völlig anderen Ortschaft‘ (GA 7, 133) verschwunden sein werden? Oder pocht der Philosoph ,nur‘ auf die philosophische Notwendigkeit, den Gedanken an eine andere Möglichkeit des Menschseins immer wieder zu prüfen [...]?“308 Auf jeden Fall traut Heidegger wohl dem Menschen nicht mehr zu, seine Lage aus eigener Kraft zu verändern.309 Seine Erwartung einfach als „Legende einer romantisierenden Nostalgie“ aufzufassen, könnte daher auch zu kurz greifen, denn es geht nicht mehr um „eine bloße ,Veränderung‘, sondern um eine ,Rettung‘.“ Die ihm „in Hölderlins Dichtung begegnenden Lebensmöglichkeiten im Sinne eines von Totalitarismen freien Daseins [hat Heidegger; d. A.] niemals verloren gegeben. Er hat jedoch zugleich in den Verbrechen des 20. Jahrhunderts die Möglichkeit eines völligen Verlustes positiver Existenzalternativen erkannt.“310 Zentrales Thema des späten Denkens ist die Frage, „wie der Mensch in einer total technisierten Welt leben kann.“311 Als prägend für sein gesamtes Denken über die Ambivalenz der Technik sollte sich das Standlied des Chores in Sophokles Tragödie Antigone erweisen, beginnend mit den Worten in Heideggers eigener Übersetzung: „Vielfältig das Unheimliche, nichts doch über den Menschen hinaus Unheimlicheres ragend sich regt“ (GA 40, 155).312 Um in einer komplexen Welt beheimatet zu sein, die für Heidegger vom totalisierenden Anspruch der Technik und dem „rechnenden Denken“313 beP. TRAWNY 2003, 140.141. So bereits Ernst Jüngers Deutung des späten Heidegger. Vgl. P. TRAWNY 2003, 141. Zu Heideggers Jünger-Rezeption vgl. a. a. O., 143–160. 310 P. TRAWNY 2003, 141.142. Vgl. M. H EIDEGGER, GA 16, 652–683. 311 P. TRAWNY 2003, 143. 312 Vgl. P. TRAWNY 2003, 151–160. 313 In Gelassenheit (M. H EIDEGGER 1959a) unternimmt Heidegger eine „Besinnung auf das gegenwärtige Zeitalter“ (a. a. O., 19): Der „Mensch als Mensch [ist] ein denkendes, d.h. ein sinnendes Wesen“ (a. a. O., 16), das nicht nur das rechnende als kalkulierendes Denken ausmacht, sondern auch das besinnende Denken (a. a. O.,14.15). Vgl. M. HEIDEGGER 1959b, 267: „Alles sinnende Denken ist ein Dichten, alle Dichtung aber ein Denken. Beide gehören zueinander aus jenem Sagen, das sich schon dem Ungesagten zugesagt hat, weil es der Gedanke ist als der Dank.“ In einem Zeitalter, das von der Herrschaft der Rationalität und einer Welt von Technik und Wissenschaft bestimmt ist, entdeckt Heidegger die Gefahr (M. HEIDEGGER 1959a, 27) einer Flucht vor dem Denken, die der Grund für die „Gedankenlosigkeit“ des planenden und forschenden Denkens ist (a. a. O., 14). Heideggers Besinnung wendet sich nicht grundsätzlich gegen die Notwendigkeit eines solchen rechnenden Denkens, sondern bedenkt es in seinem Wesen und warnt vor seiner Verabsolutierung, die eines Tages der Fall sein könnte. Das wissenschaftlich-technische Denken ist eine eingeschränkte, bloß einseitige Möglichkeit des In-der-Welt-Seins. Im Vortrag Der Satz vom Grund (M. HEIDEGGER 1957, 189–211; hier: 198–202) arbeitet Heidegger die „Gewalt des Anspruchs“ der Nutzung der Atomenergie heraus, die zu unabsehbaren Einschaltungen von Sicherungen zur 308 309

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5 Der Tod Gottes als Deutungskategorie und philosophische Denkfigur

stimmt ist und in der „Vergessenheit des Seins“ wurzelt, weist Heidegger einen Weg dahin, im Sprechen der Sprache einen Halt zu finden. Der Mensch ist durch die Sprache zurückgebunden an etwas ihm Zuvorkommendes, das ihm zugleich ein besonnenes und maßvolles Zurückhalten ermöglicht. Diese Besonnenheit weiß auch: „Nur wo Sprache, da ist Welt“ (GA 4, 38).314 In der ihm zuvorkommenden Sprache ist für den Menschen ein nachmetaphysisches schonendes Wohnen in der Welt möglich. Mit seinem Kunstwort „Geviert“ im theoretischen Gepäck begegnet Heidegger nicht nur der Seinsverlassenheit, sondern auch der neuen Architektur in der industriellen Moderne. In seinem Vortrag Bauen Wohnen Denken315 (1951) stellt er die ontologischen Verhältnisse nach seiner Sicht klar. Zunächst sind die Menschen die Wohnenden, darum bauen sie Behausungen, nicht andersherum.316 „Mensch sein heißt: als Sterblicher auf der Erde sein, heißt: wohnen“ (GA 7, 149). Der Grundzug des Wohnens ist das Schonen. Im Wohnen beruht das Menschsein und „zwar im Sinn des Aufenthalts der Sterblichen auf der Erde“ (GA 7, 151). Damit ist für Heidegger ein vierfaches Beziehungsgeflecht aufgerufen, denn „,auf der Erde‘ heißt schon ,unter dem Himmel‘. Beides meint mit ,Bleiben vor dem Göttlichen‘ und schließt ein ,gehörend in das Miteinander der Menschen‘. Aus einer ursprünglichen Einheit gehören die Vier: Erde und Himmel, die Göttlichen und die Sterblichen ineins“ (GA 7, 151). Dieses existenziale Wohnen ist „keine Verhaltensweise des Menschen neben vielen anderen, sondern vielmehr dessen grundsätzliche Art zu sein.“317 Nun ist es das Wort des Dichters, das diese „Sicherstellung des Lebens“ (a. a. O., 202) führt. Die Berechenbarkeit führt letztendlich ins Unberechenbare. Die Veröffentlichung der Notathefte führen antisemitische Äußerungen im Zusammenhang mit dem seinsgeschichtlichen Denken zutage. Ein Eintrag (1939) über „die Juden“ handelt von „ihrer betont rechnerischen Begabung“ (GA 96, 56). Verstörend sind die Notate vom Juni 1941 im unmittelbaren Kontext des deutschen Überfalls auf Rußland (22. Juni 1941) und mit Äußerungen über England, den Amerikanismus, den Bolschewismus und die „Rolle des Weltjudentums“ am Schluss der Überlegungen XIV (GA 96, 242.243). Diese Rolle sei „keine rassische, sondern die metaphysische Frage nach der Art von Menschentümlichkeit, die schlechthin ungebunden die Entwurzelung alles Seienden aus dem Sein als weltgeschichtliche ,Aufgabe‘ übernehmen kann“ (GA 96, 243). Man kann Peter Trawny nur zustimmen: „Die Passagen, die Heidegger ihm [dem „Weltjudentum“; d. A.] widmet, gehören zum Schrecklichsten, aber auch zum Dümmsten, was der Denker je geschrieben hat“ (P. TRAWNY 2016, 13). 314 „Der Mensch [...] ist nicht nur ein Lebewesen, das neben anderen Fähigkeiten auch die Sprache besitzt. Vielmehr ist die Sprache das Haus des Seins, darin wohnend der Mensch eksistiert, indem er der Wahrheit des Seins, sie hütend, gehört“ (GA 9, 333). In dem metaphorischen Ausdruck der Sprache als „Haus des Seins“ kommt ans Licht, was Sprechen heißt: „Die Sprache spricht“ (GA 12, 10). 315 M. H EIDEGGER, GA 7, 145–164. 316 M. H EIDEGGER, GA 7, 148–150. 317 Vgl. A. B EELMANN 2014, 558 mit Bezug auf M. H EIDEGGER, GA 7, 189–208 („,... dichterisch wohnet der Mensch ...‘“; 1951), hier: 192.193.

5.2 Radkale Endlichkeit des Daseins (Sartre und Heidegger)

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Seinsweise bekräftigt und ihr Eigenes ausdrückt: „Dichten ist, als Wohnenlassen, ein Bauen“ (GA 7, 193). In der Dichtung „ereignet sich das Nehmen des Maßes“, Dichten ist eine „Maß-Nahme“, die in nicht verrechnendem Sinne gemeint ist, wenn sich für Heidegger in der großen Dichtung „die Vermessung des Menschenwesens vollzieht“ (GA 7, 200). Darin empfängt der Mensch erst das Maß für die Weite seines Wesens als Sterblicher, der den Tod als Tod vermag. Durch das Maß der Endlichkeit wird das Leben übersichtlich. Damit sind die Dichter, wenn ihnen das Dichten gelingt und sie die Zeichen der Zeit wie Hölderlin hellsichtig und maßgebend zu deuten in der Lage sind, „solche, die das Maß nehmen für die Architektonik, für das Baugefüge des Wohnens“ (GA 7, 206.207), wenn sie den Menschen in das Geviert von Erde und Himmel, Göttlichen und Sterblichen fügen, wovon das je Eine auf die je anderen drei im Sagen verweist. Diese Ordnungsgefüge zeigt eine Eingebundenheit des endlichen Lebens des Menschen in ein Ganzes.318 Die „Erde ist die dienend Tragende, die blühend Fruchtende, hineingebreitet in Gestein und Gewässer, aufgehend zu Gewächs und Getier“ (GA 7, 151). Der Himmel überwölbt die Erde mit Sonnengang, Mondlauf, Sternenzelt, Jahreszeiten, Licht und Dunkelheit spendend, Wolkenzug und Regenschauer. „Die Göttlichen sind die winkenden Boten der Gottheit“ (GA 7, 151). Sie kann sich den Sterblichen zeigen oder entziehen. Die Menschen heißen die Sterblichen, weil sie „den Tod als Tod vermögen“, denn sie wissen um ihn, da sie fortwährend tagtäglich auf der Erde, unter dem Himmel und vor den Göttlichen sterben (GA 7, 152). Diese Einfalt heißt das Geviert, und die Sterblichen sind im Geviert, indem sie wohnen. (18) „Die Sterblichen wohnen in der Weise, daß sie das Geviert in sein Wesen schonen“ (GA 7, 152). Denn sie „retten“319 die Erde („Die Sterblichen wohnen, insofern sie die Erde retten“; GA 7, 152), indem sie sie nicht ausbeuten oder sie sich untertan machen; sie lassen sie in ihr eigenes frei, indem sie „den Himmel als Himmel empfangen. Sie lassen der Sonne und dem Mond ihre Fahrt, den Gestirnen ihre Bahn, den Zeiten des Jahres ihren Segen und ihre Unbill, sie machen die Nacht nicht zum Tag und den Tag nicht zur gehetzten Nacht“ (GA 7, 152). Die Sterblichen wohnen, insofern sie die Göttlichen als die Unverhofften erwarten und nicht Götzendienst üben. Die Sterblichen wohnen, indem sie den eigenen Tod vermögen. In dieser Weise ereignet sich das Wohnen als das vierfältige Schonen des Gevierts. „Schonen heißt: das Geviert in seinem Wesen hüten“ (GA 7, 153). Doch die Menschen wohnen in diesem Geviert, wenn sie die Sprache, die das Haus des Seins ist, bewohnen, die von

Vgl. dazu Abschnitt 10.2. Verstanden als: etwas in sein eigenes Wesen freilassen, die Erde, im Empfangen des Himmels, im Erwarten der Göttlichen, im Geleiten der Sterblichen ereignet sich das Wohnen als vierfältiges Schonen des Gevierts. 318 319

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5 Der Tod Gottes als Deutungskategorie und philosophische Denkfigur

den „Denkenden und Dichtenden“ bewacht wird, um der Bedrohung durch das Verkommen der Sprache entgegenzutreten. Doch ob die Dichter, und insbesondere Hölderlin, der das Wesen der Dichtung neu gestiftet hat, da er die Zeichen der neuen Zeit Heidegger zufolge mit seiner Wendung vom „Fehl Gottes“ richtig gedeutet hat als „dürftige Zeit, weil sie in einem gedoppelten Mangel und Nicht steht: im Nichtmehr der entflohenen Götter und im Nochnicht des Kommenden“ (GA 4, 47), noch in der Lage sind, die Sprache zu hüten, wie sie um 1800 herum gesprochen wurde, um wieder die eigene und angehende Sprache zu werden, ist mehr als fragwürdig. Auch Heideggers Rede von einem kommenden Gott der Poeten im Anschluss an Hölderlin nimmt den Tod Gottes letzten Endes – anders als Nietzsche – nicht radikal ernst und lässt – nicht unbegründet – ein seinsgeschichtliches „Vielleicht“ offen.320 Doch davon unbenommen ereignet sich Sprechen immer noch, und auf die Sprache als zuvorkommende zu hören, ist dem Nach-Denken über die Sprache auch dann mitgegeben, wenn sie sich der Gefahr bewusst ist, in ihrem präzisierenden Gebrauch vernutzt zu werden und nicht mehr anzugehen. Unbenommen ist eine über die Endlichkeit zu erfahrende Ordnungsstruktur vorgegeben als Eingebundensein in das Ganze. Diesen von Heidegger eingeschlagenen Weg über die Dichter ist auch Wolfgang Janke mit seinen sprachphilosophischen, existenzialontologischen und postnihilistischen Restitutionen der Seinsfrage weitergegangen. Doch ob sich aus seiner Freilegung eines Sprach-Gevierts321 aus Logos, Mythos, Lexis und Poiesis eine wieder existentiell angehende religiöse Sprache über die Sprache der Dichter wiedergewinnen lässt, wird sich ebenfalls als fragwürdig und im Grunde mythischromantisierend erweisen. Dennoch zeigt sich Jankes Sprach-Geviert zunächst als Wiederherstellung menschlicher Zungenfertigkeit und Sprachfähigkeit, die sich wieder neu in der Fülle der Weltzugänge auszudrücken vermögen, um darauf aufbauend neue Wege zu gehen. Das ist Thema des nächsten Abschnitts.

5.3 Neuansätze Philosophischer Theologie 5.3 Neuansätze Philosophischer Theologie (Weischedel und Janke)

Martin Heideggers fragendes Denken hat Wilhelm Weischedel und Wolfgang Janke zu eigenen nachmetaphysischen Konzeptionen einer Philosophischen Theologie angeregt. Auch für sie ist die Auseinandersetzung mit Nietzsche und dem Nihilismus maßgeblich. Die Gottesfrage der Metaphysik ist für sie unaufgebbarer Teil der Philosophie, aber sie kann nicht einfach wiederholt werden, sondern muss neu gefasst werden. Das geschieht bei Weischedel und Janke in 320 Vgl. auch H.-J. G AWOLL 1989, 284, der zwar dem berechtigten Anliegen Heideggers zustimmt, „dem nihilistischen Weltzerfall zu begegnen“, aber seinen „Versuch, den Tod Gottes rückgängig zu machen“, wenig überzeugend findet. 321 Die Bezeichnung ist hier im Anschluss an Heideggers „Welt-Geviert“ gebildet.

5.3 Neuansätze Philosophischer Theologie (Weischedel und Janke)

379

je eigener Weise im Rahmen ihrer Entwürfe von nachmetaphysischen Wiedereinführungen in die Philosophische Theologie. Ihr Umgang mit der philosophischen und diagnostischen Denkfigur des Todes Gottes wird im Folgenden diskutiert. 5.3.1 Das Vonwoher radikaler Fraglichkeit: Philosophische Theologie im Schatten von Atheismus und Nihilismus (Wilhelm Weischedel) (1) Eine Philosophische Theologie im Schatten des Todes Gottes und des Nihilismus hat der Berliner Philosoph Wilhelm Weischedel (1905–1975) entworfen. In seinem zweibändigen Werk Der Gott der Philosophen. Grundlegung einer Philosophischen Theologie im Zeitalter des Nihilismus322 behandelt er im ersten Band Wesen, Aufstieg und Verfall der Philosophischen Theologie (1971, I, 1–516), um dann im zweiten Band eine Abgrenzung und Grundlegung der Philosophischen Theologie vorzunehmen (1972, II, 1–277).323 Dem verbreitet322 W. W EISCHEDEL 2013. Die beiden Bände von 1971 und 1972 sind in der fünften Auflage von 2013 in einem Band zusammengefasst worden. Während die Paragraphen (§§ 1– 146) durchgängig gezählt werden, trifft dies auf die Seitenzahlen nicht zu. Daher wird unterschieden in W. WEISCHEDEL 2013, I und W. WEISCHEDEL 2013, II mit entsprechender Seitenzahl. 323 Sein eigener Entwurf, den er über einige Jahre vor der Veröffentlichung seines philosophischen Hauptwerks in verschiedenen Aufsätzen (W. WEISCHEDEL 1960a und W. WEISCHEDEL 1967a) zur Diskussion gestellt hat, führte in den 1960er und 1970er Jahren zu aufgeregten und hitzigen Auseinandersetzungen, die ähnlich emotionalisiert waren wie die Debatte um die Gott-ist-tot-Theologien. Hinter seinem programmatischen Titel Der Gott der Philosophen steht damit auch eine Absage an eine Theologie, die sich auf den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs beruft und eine Offenbarungstheologie entwirft, die in schroffer Ablehnung zur „natürlichen Theologie“ steht. Nicht nur die Dialektische Theologie und eine Reihe von Barth-Rezipienten, die ihrerseits den Anspruch der Philosophie, sich mit der Frage nach Gott zu beschäftigen, zurückwiesen, kritisierten darum Weischedels Entwurf: Helmut Gollwitzer (Vgl. H. GOLLWITZER/W. WEISCHEDEL [1964]; H. GOLLWITZER 1975; vgl. auch H. GOLLWITZER 1970), Wolfgang Trillhaas (W. TRILLHAAS 1973; W. WEISCHEDEL 1973; W. TRILLHAAS 1975), Eberhard Jüngel (E. JÜNGEL 1975), Gerhard Noller, HansGeorg Geyer, Wolfhart Pannenberg, Robert W. Jenson (vgl. die Beiträge in: J. SALAQUARDA 1971), aber auch Philosophen wie Wolfgang Müller-Lauter (W. MÜLLER-LAUTER [1963] 1971; 1975; 1976), der neben Michael Theunissen und den Politikwissenschaftlern Alexander und Gesine Schwan zu Weischedels bekanntesten Schülern gehört, fühlten sich von Weischedels Denken herausgefordert. Zwar wurde Der Gott der Philosophen immer wieder als reiche Fundgrube herangezogen, wie auch seine Philosophische Hintertreppe, die mittlerweile in 40. Auflage erschienen ist (W. WEISCHEDEL [1966] 2012) – über sie führte der Weg so mancher Philosophie- und Theologiestudierender ansprechend und anekdotenreich in die gelehrten Gefilde und privaten Räume prominenter Philosophen –, aber nach seinem Tod 1975 wurde es stiller um seine Philosophische Theologie. Posthum erschien 1976 noch seine Skeptische Ethik (W. WEISCHEDEL 1980). Nur wenige (philosophische und katholische) Dissertationen (vgl. die Zusammenstellung bei H. CLEMENT 2012, 181.182 sowie H. CLEMENT 2010) erschienen seitdem zu seinem Werk, und eine systematisch-theologische Aus-

380

5 Der Tod Gottes als Deutungskategorie und philosophische Denkfigur

en philosophischen Atheismus im 20. Jahrhundert kann er wenig abgewinnen. Weischedel macht dagegen die verlorenen Themen der Metaphysik und die Frage nach Gott wieder zum Gegenstand der Philosophie. Er tut dies unter dem starken Eindruck von Friedrich Nietzsche324 und Martin Heidegger325 und nimmt die gegenwärtige Situation ernst, wenn er im „Atheismus“ (II, 156–160) und „Nihilismus“ (II, 160–165) Ausgangspunkte seines Denkens sieht. Weischedel holt damit unzeitgemäß Gott wieder als angestammtes Themenfeld in die Philosophie zurück und macht zugleich der Theologie offen ihren „Gegenstand“ streitig. Er bestreitet den Alleinvertretungsanspruch einiger protestantischer Theologen, die behaupteten, dass allein der Glaube von Gott wissen könne (I, XIX). Dass für einen Philosophen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, nach Nietzsches Proklamation des Todes Gottes und nach der Verabschiedung der Metaphysik und damit auch der Philosophischen Theologie in der Philosophie, Gott wieder zum höchsten Gegenstand des philosophischen Denkens werden konnte, ist erstaunlich. Dass sich dieser Philosoph aufmachte und das kontroverse Gespräch mit der Theologie suchte, ist für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts ebenfalls nicht selbstverständlich. Dass sich die Theologie, insbesondere in Gestalt von Helmut Gollwitzer, nicht wirklich auf die Argumente Weischedels einlassen und nur die ,alten‘ offenbarungstheologischen und theistischen Vorstellungen wiederholen konnte, ist zum Teil auch der zeit- und theologiegeschichtlichen Situation der beginnenden 1960er Jahre zuzuschreiben. Es ist aber zugleich auch Kennzeichen dessen, was der Weischedel-Schüler Michael Theunissen als „Selbstghettoisierung“326 der Theologie bezeichnet hat. Der Traditionsabbruch und die Umbrüche in Gesellschaft, Politik, Kirche und religiösem Leben waren in vollem Gange. Die alten Antworten sollten auch in der Theologie nicht mehr lange tragfähig sein. Es war der Vorabend in einandersetzung in der fachlichen Diskussion der Evangelischen Theologie fand darüber kaum noch statt (vgl. jedoch H. KRESS 1991). Vgl. jetzt die Einführung von H. CLEMENT 2012 (vgl. dazu PH. DAVID 2014e). 324 Vgl. zu Nietzsche W. W EISCHEDEL 2013, I, 429–457, mit dem Fazit: „Im Tode Gottes bleibt doch die Möglichkeit offen, daß noch einmal eine Deutung der Wirklichkeit von einem Gotte, also eine Art Philosophischer Theologie, möglich werde. [...]: Nietzsches Überwindung der Philosophischen Theologie ist noch nicht radikal“ (W. WEISCHEDEL 2013, I, 457). 325 Vgl. zu Heidegger W. W EISCHEDEL 2013, I, 458–494. Weischedel geht die „Kehre“ Heideggers nicht mit: „Heideggers Gedanken über die Möglichkeit eines künftigen Gottes oder künftiger Götter verschwimmen ins Vage einer unbestimmten Erwartung. An die Stelle der so energisch abgewiesenen Onto-theologie der metaphysischen Tradition tritt ein eschatologischer Mythos vom Erscheinen kommender Gottheiten, der jeglicher Ausweisbarkeit entbehrt. Das Problem einer Philosophischen Theologie im Sinne eines im Denken begründbaren Redens von Gott aber wird dadurch in keiner Weise gelöst“ (W. WEISCHEDEL 2013, I, 494). 326 M. THEUNISSEN 1996, 350.

5.3 Neuansätze Philosophischer Theologie (Weischedel und Janke)

381

der Theologie, bevor nach der Deutungshoheit der Wort-Gottes-Theologie ab Ende der 1960er Jahre langsam wieder an die liberalen Traditionen von Schleiermacher, Harnack und Troeltsch angeknüpft wurde. Man begann auch zu fragen, ob die zeitbedingte offenbarungstheologische Engführung in den Debatten seit dem Ersten Weltkrieg und das Ausschließen der „natürlichen Theologie“ nicht zumindest noch einmal kritisch überdacht werden sollten.327 (2) Der Blick in die Geschichte der Philosophie deckt auf, was Weischedel anspornt und warum er den Gottesgedanken für so wichtig erachtet, dass er ihn nicht allein der Theologie überlassen will: die „Frage nach Gott bildet ja, mit wenigen Ausnahmen, die gesamte Geschichte der Philosophie hindurch den höchsten Gegenstand des Denkens“ (I, XX). Der griechische Begriff der theología habe seinen Ursprungsort im Bereich der Philosophie (I, 13–25). Theologie wäre demnach lediglich ein Teil eines weitgespannten Fragens nach Gott und müsste ihren Alleinvertretungsanspruch nicht nur kritisch überdenken, sondern auch selbst in einem größeren philosophischen Ganzen aufgehoben werden. Von dieser Warte aus betrachtet wäre eine enggeführte exklusive Offenbarungstheologie ein Beitrag zu einer Präzisierung Gottes (praecisio Dei), die einen relativen Anspruch absolut setzt und andere (existentielle und philosophische) Zugänge zum Göttlichen einfach abschneidet, indem sie ihren Zugang zum einzig wahren erklärt. Wer jedoch nach dem Gott der Philosophen fragend sucht, muss von der Engführung auf einen Gott der Offenbarungstheologie Abschied nehmen (II, 59). Denn im Wesen des Philosophierens selber komme es zur Frage nach Gott, wenn die Philosophie sich nicht selbst aufgeben will (I, XX). Die christliche Theologie ist für Weischedel, den Pfarrerssohn aus einem streng pietistischen Elternhaus und ehemaligen Marburger Studenten der Philosophie bei Heidegger und der Evangelischen Theologie bei Bultmann,328 „nicht etwa Unwahrheit; sie ist jedoch die Wahrheit in ihrer vorläufigen Gestalt“, und der philosophisch-theologische Begriff „Gott“ macht ihr gegenüber darauf aufmerksam, was Kriterium dafür ist, „was allein verantwortlich über Gott gesagt werden kann“ (II, 245). Einen Konsens darüber, was unter „Gott“ oder unter „Theologie“ allgemeinverbindlich zu verstehen ist, gibt es aber nicht (I, 12). Das gilt im Übrigen auch für ‚die‘ Philosophie. Der Gott der Philosophen ist für Weischedel trotzdem „zuhöchst des Fragens würdig“, sogar wenn er sich dadurch als „ein bleibend Fragwürdiges herausstellte“ (I, XXII). Das ist eine Konsequenz der Haltung des „offenen Atheismus“ und zugleich „das unvermeidliche Wagnis jedes ernstlichen Philosophierens und damit auch jedes ehrlichen Versuchs einer Philosophischen Theologie. Wer weiß denn, ob es nicht in die Antwortlosigkeit führt, wenn man auf dem Weg des radikalen Fragens nach Gott fragt?“ 327 Vgl. dazu aber die Debatte von Wolfhart Pannenbergs Ansatz bei E. JÜNGEL 1975 in der Festschrift für Weischedel. 328 Vgl. die biographischen Hinweise bei H. C LEMENT 2012, 21–38; 177.178.

382

5 Der Tod Gottes als Deutungskategorie und philosophische Denkfigur

(I, XXII). Dieses radikale Fragen geht durch ein kontinuierliches Hinterfragen seiner Voraussetzungen und Folgerungen ohne das Netz und den doppelten Boden eines Glaubens ein echtes Wagnis ein, ständig in der Gefahr stehend, in Aporien verhaftet zu verbleiben. Der Zwischenraum der „Schwebe“ wird zum Aufenthaltsort des menschlichen Daseins, wenn es sich auf das Philosophieren als radikales Fragen eingelassen hat. Weischedels Philosophische Theologie zeigt sich damit auch als Aufnahme existenzphilosophischer und atheistischer Fragestellungen, die seit Kierkegaard und Nietzsche im 19. Jahrhundert und vor allem durch Martin Heidegger, Karl Jaspers329 und Jean-Paul Sartre im 20. Jahrhundert Verbreitung in Philosophie, Literatur, Psychologie und Theologie gefunden haben. (3) Weischedel stellt für den Atheismus heraus, dass es immer darauf ankomme, wie der Gott verstanden werde, der jeweils geleugnet wird (II, 156). Er unterscheidet den „eingeschränkten Atheismus“ und den „extremen Atheismus“ als Hauptformen des philosophischen Atheismus. Der „eingeschränkte Atheismus“ lehne nur den christlichen Gott ab, also den persönlichen Gott, nicht aber den Gedanken Gottes überhaupt (II, 157). Doch es sei der „extreme Atheismus“ („Es gibt keinen Gott“; „Gott ist tot“), den es seit der Antike gibt, der bei Descartes aufschien, bei den radikalen Aufklärern (Diderot, d’Holbach) wieder durchdrang und der „weithin das Selbstverständnis des modernen Menschen“ (II, 159) bestimme. Dieser Form des Atheismus kommt Weischedels Philosophische Theologie insoweit entgegen, als er nicht von vornherein die Existenz eines Gottes annimmt. Wenn jedoch die Nichtexistenz eines Gottes als Wahrheit behauptet würde, dann käme es zu einem „dogmatischen Atheismus“ (II, 159), vor dem sich ein skeptisches Philosophieren hüten müsse: „Insofern ist es zwar atheistisch, aber es hält sich dafür frei, ob sich im Fortgange seines radikalen Fragens die Notwendigkeit aufdrängt, einen Gott anzunehmen, oder ob dies nicht geschieht. So kann man das Philosophieren als einen offenen Atheismus bezeichnen“ (II, 160). (4) In der offenen Frage nach Gott stehe der Fragende selbst mit seiner ganzen Existenz auf dem Spiel, denn er gehöre ja selber zum Ganzen des Seienden, mit dem Vorteil, nicht nur das Ganze in Frage stellen zu können, sondern auch nach sich selber als Teil des Ganzen zu fragen (I, XX). Für das Selbstverständnis des Menschen sei es von immenser Bedeutung, wie dieses Ganze begriffen werden kann und welche Aussagen unter menschlich-endlichen Bedingungen über Gott als den Grund des Seienden gemacht werden können, oder ob sich solche dem menschlichen Denken verwehren. Der Mensch stehe also vor der unausweichlichen Situation, die „Gottverlassenheit“ begeistert zu preisen, sie nüchtern auszuhalten, schmerzlich zu beklagen oder zu erleben, dass auch heute noch das „De profundis“ möglich sei (I, XX). So gehe Philosophische Theologie das Wagnis ein, in ihrer existentiellen Frage nach Gott nicht bei 329

Vgl. K. JASPERS (1935) 1973, 7–34.

5.3 Neuansätze Philosophischer Theologie (Weischedel und Janke)

383

diesem anzugelangen, sondern beim Nichts der völligen Bodenlosigkeit (I, 36).330 Aller Halt werde brüchig und alle Gewissheit fragwürdig. Dafür stehe der „Nihilismus“331, dessen Schatten die Philosophische Theologie nicht loswerden könne. Im Anschluss an Nietzsche und Heidegger versteht Weischedel den Nihilismus als „signum“ des gegenwärtigen Zeitalters, das für den „Untergang aller Gewißheit“ (I, XXI) steht.332 Doch nur aus diesem „Nullpunkt“ könne, wenn überhaupt, „im Verlust aller Gewißheit in einer neuen Weise Wahrheit erwachsen“ (I, XXI). Zwischen diesen beiden Positionen, zwischen Sein und Nichts, zwischen Sinnhaftigkeit und Sinnlosigkeit, findet Weischedel den Ort des Philosophierens und geht ein echtes Wagnis ein, wenn er sich bewusst ist, dass sein Weg auch scheitern und in der Antwortlosigkeit enden kann. Weischedels Philosophie tut dies im Fragen, im radikalen Fragen.333 Nur so komme das Philosophieren zu sich selber und zugleich zu seiner Wurzel (lat. radix). Es gehöre zum „unvermeidlichen Wagnis“ eines jeden Philosophierens, dass sich der Gott der Philosophen als „ein bleibend Fragwürdiges“ herausstellen könnte (I, XXII). Damit verhindert Weischedel vorschnelle Festschreibungen in der Gottesfrage und schließt die fraglose Übernahme traditioneller Gottesbegriffe durch die Gegenwart aus. Er stellt nicht nur ihre Geschichtlichkeit und Relativität heraus, sondern auch ihre Transformationsfähigkeit und Umformungsbedürftigkeit. Anders als mancher Vertreter der Gott-ist-tot-Theologie möchte Weischedel Gott nicht einfach abschaffen, sondern hegt aufgrund einer langen philosophischen Tradition die Hoffnung, dass sein existentieller Zugang zur Gottesfrage nicht in einen beunruhigenden Fundamentalismus oder eine Ideologie münden wird. Vielmehr solle dieser sich durch seine dialektische Dynamik von solchen abgrenzen und die Schwebe wahren.

330

Die Rede von der Bodenlosigkeit oder Heimatlosigkeit findet sich schon bei Heideg-

ger. 331 Weischedel unterscheidet zwischen einem ontologischen und einem noologischen Nihilismus und entscheidet sich für das Philosophieren als offenen Nihilismus (§ 117). 332 H. C LEMENT 2010, 1–25, stellt die These auf, dass die einzige tragfähige Alternative zum Nihilismus („das Grundproblem der gegenwärtigen Philosophie“) der Gott der Philosophen ist, den Weischedel „das Vonwoher der Fraglichkeit“ nennt und der zugleich das Geheimnis ist, das der Mensch abschiedlich als Geheimnis zu wahren habe. Diese (zirkulären) Grundzüge der Philosophischen Theologie Weischedels („Die radikale Fraglichkeit“; „Das radikale Fragen“; „Das Vonwoher“) arbeitet Clement in Kapitel II seines Buches heraus (vgl. dazu PH. DAVID 2014f). 333 Durch die Aufnahme des Fragens als Modus des Philosophierens steht Weischedel in einer alten philosophischen Tradition, die für Martin Heidegger wieder zentral wurde („Fragen ist die Frömmigkeit des Denkens.“). Radikal ist dieses Fragen nicht nur, weil es sich zur Aufgabe gemacht hat, alles zu hinterfragen, sondern weil es der Sache auf den Grund gehen will und nach dem Grund der Gründe fragt, also nach den Wurzeln, den „radices“.

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5 Der Tod Gottes als Deutungskategorie und philosophische Denkfigur

a) Radikales Fragen durch die Erfahrung radikaler Fraglichkeit (5) Um seinen eigenen Ansatz zu profilieren, zeichnet Weischedel im ersten Band Wesen, Aufstieg und Verfall der Philosophischen Theologie nach, die in unserem Zeitalter in eine „tödliche Krisis“ geraten sei (I, XXIII). Damit ist Philosophische Theologie für ihn nicht nur fragwürdig und am Rande eines möglichen Scheiterns angesiedelt, sondern auch noch unzeitgemäß zwischen Offenbarung und Glauben auf der einen und Atheismus und Nihilismus auf der anderen Seite verortet. Die einzige Möglichkeit sieht Weischedel darin, das Reden von Gott als „wesentliches Problem der Philosophie“ (I, 494) gegenüber diesen beiden Extrempositionen aufrechtzuerhalten durch eine Verwandlung der traditionellen metaphysischen Rede von Gott. Philosophische Theologie könne nur noch als Philosophieren, also als Tätigkeit, als Vollzug verstanden werden. Diesen Vollzug nennt Weischedel „radikales Fragen“ (I, 25). In diesem Begriff von Philosophie sei sowohl die Metaphysik als auch die Kritik an ihr aufgehoben (I, 26). Philosophieren vollziehe sich als Fragen und Infragestellen, weil es Selbstverständlichkeiten und Fraglosigkeiten nicht einfach stehen lassen kann. Das Staunen (thaumázein bei Platon und Aristoteles) als Ursprung des Philosophierens fragt, „ob es sich [in Wirklichkeit] so verhält“. In diesem dem Staunen eigentümlichen Fragen steckt für Weischedel der Keim des Fragens (I, 27). Standhalten könne dem radikalen Fragen nur, was zuvor auch in Frage gestellt wurde. Konsequent wäre nun ein auf Dauer gestelltes Fragen, ein unendliches Fragen. Weischedels konstruktiver Skeptizismus kommt als radikales Fragen nur dann zu einem Stillstand, wenn eine stichhaltige Antwort auf die radikale Fraglichkeit gefunden wird. Doch soll in seinem „offenen“ Skeptizismus (§ 115), im Gegensatz zu einem „dogmatischen“, der Weg zur Wahrheit möglichst lange offen bleiben, aber nicht vollkommen verborgen, wie es bei einem „totalen“ Skeptizismus der Fall wäre.334 In diesem Skeptizismus liegt auch die Wurzel für Weischedels Ethik.335 Das radikale Fragen geht, von der Sache selbst geleitet, auf die Wurzeln (radices) des Seienden zurück (II, 28). So ist radikales Fragen zugleich Wurzel der Metaphysik und Wurzel der Kritik an der Metaphysik (I, 28–30). Im Fragen sich selbst auszuhalten, sei eine Sache höchster Anspannung (I, 31). Der Philosophierende befinde sich zwischen dem „offenen Himmel der Fraglichkeit“ und der „Hölle des Zusammenbruchs aller Gewißheit“ (I, 37). Doch wie kann die „aufgebrochene Bodenlosigkeit zu einem neuen Boden werden?“ (I, 496). Weischedels Antwort lautet: Nur als „Rede von einem der Tradition gegenüber in der Wurzel verwandelten ,Gott‘“ (I, 496). Der Gott der Philosophen – das Vonwoher unserer Fraglichkeit – wird transformiert in das Wagnis der absoluten Schwebe. 334 335

Vgl. auch H. CLEMENT 2012, 87.88. Vgl. H. CLEMENT 2012, 90–123.

5.3 Neuansätze Philosophischer Theologie (Weischedel und Janke)

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(6) Beachtenswert ist nun, dass Weischedel den philosophischen Grundentschluss als eine freie Entscheidung des Menschen zum Philosophieren betrachtet, der aber gleichursprünglich einen Entschluss des Philosophierens zu sich selbst darstellt. Das Philosophieren macht sich damit zum Boden seiner selbst. Diese im Grunde zirkuläre Voraussetzung ist für Weischedel die einzige Weise, „wie sich der Mensch angemessen zu der im radikalen Fragen aufbrechenden Fraglichkeit von allem verhalten kann“ (II, 180). Der Mensch müsse „die Verwegenheit besitzen, sich dieser Fraglichkeit auszusetzen, entschlossen, alles infrage zu stellen und sich im absoluten Wagnis aufzuhalten“ (II, 180). Das Aushalten der offenen Fraglichkeit sei im Grunde auch der Entschluss gegen den Selbstmord, der nach Camus (Der Mythos des Sisyphos) das einzig wirkliche philosophische Problem darstelle, denn mit dem Suizid würde sich das Philosophieren seine eigene existentielle Möglichkeit abschneiden und sich letztlich auf die Flucht vor der Fraglichkeit begeben, die aber für Weischedel als Flucht zugleich „die tapferste aller Fluchten“ (II, 183) ist. Der freie Grundentschluss zum Philosophieren ist für Weischedel zudem die „voraussetzungsloseste ,Voraussetzung‘“ (II, 182), da sie keine inhaltliche oder dogmatische Behauptung ins Zentrum stelle, wie sie der Glaube oder der Nihilismus bilden (I, 181). Doch im Philosophieren stürze alles in den Abgrund hinab. Dazu gehöre auch das eigene Selbst: „Der Fragende selber wird fraglich, und zwar gerade in seinem radikalen Fragen“ (II, 186). Die Fraglichkeit sei aber nicht bloß das Resultat des radikalen Fragens, sondern der ursprüngliche Anlass und Anstoß zu diesem. Die Fraglichkeit müsse erfahren worden sein, damit es überhaupt zum Fragen komme. Die Fraglichkeit ist dem radikalen Fragen vorgängig. Radikales Fragen werde also durch eine Erfahrung der radikalen Fraglichkeit möglich. Radikales Fragen erweise sich als Antwort auf eine Herausforderung: die vorhergehende Erfahrung der radikalen Fraglichkeit. Diese sei in der Verwirklichung des Philosophierens oder durch andere Existenzmöglichkeiten zu ergreifen (II, 186.187). Weischedel unterscheidet also zwischen einer Voraussetzung als Ursprung und einer Voraussetzung als Anlass (II, 188). Achtet man auf den Ursprung, dann wäre das Philosophieren aus dem freien Grundentschluss entsprungen, achtet man auf den Anstoß, dann zeigt sich, dass dieser aus der zuvor erfahrenen radikalen Fraglichkeit entspringt. Durch dieses komme das Philosophieren in Gang. Die Situation wird eröffnet, in der es sich aus sich selber heraus in Freiheit verwirklichen könne (II, 188). Als Erfahrungen der Fraglichkeit macht Weischedel das Misslingen, den Verrat und die Langeweile aus. In der Langeweile löse sich aller Bestand auf. Auch man selber gerate in ein eigentümliches Schweben. Auch in der Mittagsstille, der Stunde des Pan,336 vollziehe sich eine unmittelbare Erfahrung der 336 „In einer ganz anderen, einer lautlosen Weise kann man die Erfahrung der Fraglichkeit machen, wenn man etwa einen sommerlichen Mittag erlebt. Da kann das geschehen, was die

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5 Der Tod Gottes als Deutungskategorie und philosophische Denkfigur

schwebenden Fraglichkeit alles Wirklichen (II, 193). Die Grunderfahrung der Fraglichkeit offenbare sich also als „schwebende Erfahrung der Fraglichkeit von Sein und Sinn“ (II, 201). Schweben besage, sich in der Mitte zwischen extremen Möglichkeiten zu halten. Eben dieses gehöre zum Wesen der Grunderfahrung hinzu (II, 201). Positive wie negative Setzungen werden in dieser Erfahrung ins Schweben gebracht (II, 202). In einer seltsamen dialektischen Weise werde man hin und her bewegt. Die fragliche Wirklichkeit begegne einem selber als schwebend zwischen Sein und Nichtsein, zwischen Sinn und Sinnlosigkeit.337 Dass die Welt fraglich ist, verschaffe dem Menschen eine absolute Distanz zu ihr (§ 124). Denn nun könne er sich durch die fragliche Weltwirklichkeit hindurch und diese hinter sich lassend zu dem in ihr vorgehenden und sie ermöglichenden Vonwoher selber verhalten (II, 251). Die absolute Distanz verschaffe dem Menschen ein wirklich freies und selbständiges Dasein, wodurch er nicht im Bestehenden gefangen bleibe, sondern sich philosophisch-theologisch in seiner Fraglichkeit vom Vonwoher aus erfassen könne und sich so von der Welt löse, um, in der Beziehung zum Vonwoher sich haltend, der Welt gegenüber er selbst zu sein. So ermögliche die philosophischtheologisch erfahrene Fraglichkeit der Weltwirklichkeit die wesenhafte Freiheit des Menschen, die sich in der Haltung der von der Welt distanzierten Freiheit ausdrücke. (7) Wie kann in diesem Zwischenraum angemessen von Gott im gegenwärtigen Zeitalter geredet werden? Dieses Reden von Gott ist ebenso ein geschichtlich gewordenes wie jedes vorausgehende Reden von Gott. Damit beansprucht Weischedels Philosophische Theologie nicht, eine philosophia perennis oder theologia archetypa zu sein, sondern sie ist in der Lage, ihre eigene Fraglichkeit zu relativieren. Vergangenes Reden von Gott werde in diesem aufgehoben und weitertransportiert, zukünftiges Reden von Gott als Möglichkeit offen gehalten. Das radikale Fragen fragt hinter die Fraglichkeit in ihrer schwebenden Erscheinung zurück in den Bereich der Bedingung ihrer Möglichkeit. Die radikale Fraglichkeit wurde von Weischedel auch als „Sich-Halten in der Haltlosigkeit“ beschrieben. Sein und Sinn seien zwar ohne Halt, verfallen aber nicht dem Nichtsein oder der Sinnlosigkeit. Daher sei zu fragen: Was ist die Bedingung der Möglichkeit des haltlosen Sich-Haltens? (II, 207). Griechen die Erscheinung des Pan nannten, was aber über die Antike hinaus eine gültige Erfahrung ist. Es ist die Stunde, in der, mehr als sonst irgendwann, es sei denn in der Tiefe der Mitternacht, alles rätselhaft wird. [...] In einer solchen Stunde der Mittagsstille, in der man sich aus der Welt der reißenden Zeit herausgehoben fühlt, vollzieht sich eine unmittelbare Erfahrung der schwebenden Fraglichkeit alles Wirklichen.“ (W. WEISCHEDEL 2013, II, 192.193). 337 Der Einwand Jüngels, dass Weischedels Schweben die Gegensätzlichkeit von Sein und Nichtsein zu verharmlosen drohe und das Nichts neutralisiert werde, dürfte wohl eher auf die Theologie Barths und Jüngels zutreffen, die von der Überwindung des Todes und des Nichts ausgehen, als auf Weischedel. Vgl. E. JÜNGEL (1977) 1986, 294.295, Anm. 63.

5.3 Neuansätze Philosophischer Theologie (Weischedel und Janke)

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Die rein formale Bezeichnung der „Bedingung der Möglichkeit der Fraglichkeit“ strebe danach, zu klären, was der Sache nach gemeint ist. Dazu müsse eine möglichst adäquate sprachliche Benennung gefunden werden. Diese frage nach dem, was ursprünglicher ist als die fragliche Wirklichkeit im Ganzen (II, 209). Weischedel geht im Folgenden die traditionellen metaphysischen Begriffe durch (Grund, Ursprung, Herkunft) und bevorzugt gegenüber einer substanzmetaphysischen Deutung eine dynamische, die er ausgedrückt findet in einer Herkunft, die als Vorgang, als processus verbal verstanden wird als Herkommen des Schwebens (II, 210). Um den reinen Geschehensausdruck zu unterstreichen, verwendet Weischedel anstelle der drei Begriffe „Grund“, „Ursprung“, „Herkunft“ den etwas unglücklichen Ausdruck „Vonwoher“ (II, 210).338 Er zeige trotz seiner substantivierten Form kein Seiendes an. Er deute lediglich in eine Richtung, von der her etwas geschehe. Die Fraglichkeit von allem habe zur Bedingung ihrer Möglichkeit ein Vonwoher. Das Vonwoher sei transzendentalphilosophisch verstanden das, was die Fraglichkeit ins Schweben versetze und im Schweben halte, was ihre haltlose Gehaltenheit ermögliche und ihre Hinfälligkeit bedinge (II, 211). Gott als das Vonwoher sei damit strukturell bestimmt als Halt in der Schwebe. Gott sei die Bedingung der Möglichkeit der haltlosen Gehaltenheit. Ein so bestimmtes Vonwoher kann natürlich kein unmittelbarer Gegenstand der Erfahrung sein. Primär erfahren werde das fragwürdige Seiende im Ganzen und zugleich damit die Fraglichkeit als solche. Das Vonwoher ist nicht unmittelbar erfahrbar. Es werde als spekulative Bedingung der Möglichkeit vorausgesetzt (II, 212). Für Weischedel gipfeln im Begriff des Vonwoher alle bisherigen Bemühungen um die Gottesfrage in der Geschichte der Philosophischen Theologie (II, 216). Seine These lautet dementsprechend: „Das Vonwoher der radikalen Fraglichkeit ist der einzige Begriff, der in der Situation des offenen Nihilismus [...] noch verwendet werden kann, wenn von Gott geredet werden soll“ (II, 217). Situation und Rede von Gott bedingen sich also wechselseitig. Damit sind den „nachdenklichen Menschen der Gegenwart“ (II, 217) auch die Redeweisen des „höchsten Seienden“, des „absoluten Geistes“ oder einer „absoluten Person“ durch das radikale Fragen ‚verbrannt‘. Mit den traditionellen Gottesbegriffen könne man nicht mehr operieren. Sie seien nicht mehr tragfähig. Sie böten keinen Halt mehr in der Haltlosigkeit. Dieser Gott ist tot. Etwas verwegen formuliert Weischedel: „Mit dem Wort ,Vonwoher‘ ist die uns heute noch zugängliche Wahrheit des Ausdrucks ,Gott‘ getroffen. Damit ist der im Zeitalter des Nihilismus einzig mögliche Begriff des Gottes der Philosophen ausgeEine explizite sowie inhaltliche Beziehung zur Theologie der Mitmenschlichkeit von Herbert Braun ist hier zwar nicht anzuzeigen, aber auf die Verwendung einer ähnlichen Begrifflichkeit soll aufmerksam gemacht werden: Für Braun ist Gott das Woher meines Geborgen- und Verpflichtetseins vom Mitmenschen her. Für Weischedel ist Gott das Vonwoher der Fraglichkeit. Vgl. zu Braun Abschnitt 7.1.2 in diesem Buch. 338

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5 Der Tod Gottes als Deutungskategorie und philosophische Denkfigur

sprochen“ (II, 217). Es handelt sich aber um keinen Gottesbeweis, wie Weischedel ausdrücklich betont. Damit grenzt er sich von einem ursprünglichen Verfahren der natürlichen Theologie ab, macht aber zugleich deutlich, dass es im Zeitalter des Nihilismus nur noch eine Philosophische Theologie geben könne, die sich in einem neuen Gewand als „Theologie des Vonwoher“ präsentiert und Konsequenz und Krönung des Philosophierens ist, weil sie aus diesem selber entspringt: „Denn das Philosophieren wird, wenn es sein fragendes Wesen sich ausschwingen läßt, von sich selber her zur Philosophischen Theologie als der Theologie des Vonwoher“ (II, 218). Jedes Eingreifen von außen wird damit zurückgewiesen.339 (8) Damit stehe die Theologie des Vonwoher nicht nur vor dem Problem, sich in einem Zirkel zu bewegen, sondern auch kenntlich zu machen, wie dieser in der üblicherweise von Erfahrung geprägten Sprache ausgedrückt werden kann, wenn sie einer der Erfahrung nicht zugänglichen Seinsebene angehört (II, 218). Liegt da nicht der Gedanke nahe, auf alle weitere Rede von Gott zu verzichten und von nun an das Schweigen über ihn auszubreiten? Das Schweigen wertet Weischedel auch als respektable Haltung, die am Ende zu stehen kommen könnte, solange es nicht ein Aufsichberuhenlassen ausdrückt, sondern ein ehrfürchtiges Verstummen (II, 219). Ansonsten widerspreche ein solches Schweigen der Intention des menschlichen Denkens. Das gelte auch dann, wenn das Wissen um das Vonwoher dieses vorschnell in ein unartikuliertes Gefühl entlässt. Es bedürfe daher einer gesonderten Sprache und neuer Worte, die aber an das Bekannte anknüpfen müssen. Eine solche Transformation könne nicht ohne Anknüpfung an das Bekannte angegangen werden, „um das noch Unbekannte verständlich zu machen“ (II, 219). Sie müsse auf die Worte der gewohnten Sprache zurückgreifen, auch wenn dieses Werkzeug unzulänglich bleibt. Das müsse dem Redenden bewusst bleiben. Die Schwebe der Fraglichkeit bedürfe einer Sprache, die diese respektiert. Die „schwebende Sprache“ könne daher auch nicht eine völlig neue sein, denn sonst bliebe sie unverständlich. Sie könne aber in modifizierter Interpretation der traditionellen Begriffe bewirken, dass die schwebende Sprache plötzlich etwas Neues zum Ausdruck bringt. Das Moment des Schwebens müsse sich auch im relational verstandenen Wesen des Vonwoher finden, wenn dieses das Vonwoher der radikalen Fraglichkeit ist. Für das Wesen des Vonwoher sei also eine Sprache zu suchen, die die so gemeinte Sache im aufgehobenen Zustand des Schwebens bewahrt (II, 220). Eine eigene Sprache erfinden sich auch andere neu entdeckte Erfahrungsbereiche wie die Liebe oder die Trauer oder das Glück oder die Verzweiflung. 339 Auch Jüngel versteht im Anschluss an Heidegger Fragen als Denken, meint aber, dass die Rede von Gott die Frage nach Gott wecke, „weil und insofern sich Gott selbst als Wort erschlossen hat“ (E. JÜNGEL [1977] 1986, 339). Hier stehen sich philosophischer und theologischer Zirkel bleibend unversöhnlich gegenüber.

5.3 Neuansätze Philosophischer Theologie (Weischedel und Janke)

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Die Auflösung der substanzmetaphysischen Sprache gehöre zur Betonung des Prozessualen und des Beziehungscharakters, wenn statt vom Grund verbal vom Gründen, statt vom Ursprung vom Entspringenlassen und statt von Herkunft vom Herkommen gesprochen wird. Bislang statisch Verstandenes werde in den Fluss oder eben in die Schwebe gebracht, wenn aus Bestand Geschehen und getrenntes Sein in seiner Relation verstanden werde. Durch das Verfahren der Analogie (Reden von etwas im Hinblick auf ein anderes) will Weischedel diese Momente ins Schweben übersetzen und versteht Philosophische Theologie zugleich als überschwängliche (via eminentiae) und negative (via negationis) Theologie (II, 222). Doch am deutlichsten werde das Schweben mittels einer dritten Form der Analogie, im dialektischen Reden. Dialektik ist der Gegensatz und Widerspruch zweier Momente, die doch eben dadurch aneinander gebunden sind. Doch anders als bei Hegel lösen sich diese nicht mittels einer postulierten absoluten Gewissheit in einer absoluten Synthesis auf, sondern bleiben in ihrer Differenz bestehen. Denn nur auf diese Weise könne die Sprache in Entsprechung zur radikalen Fraglichkeit in der Schwebe bleiben (II, 222). Doch damit stellt sich das Problem, dass der auf Dauer gestellte Ort der Schwebe „absolut gesetzt“ wird.340 (9) Da das Vonwoher dem menschlichen Erkennen nicht unmittelbar zugänglich ist, verwendet Weischedel den Begriff des Geheimnisses, der analog verstanden gewisse Momente im Wesen des Vonwoher zu erhellen vermag.341 Der Begriff des Geheimnisses scheint ihm jenes Schweben auszudrücken, das dem Vonwoher der radikalen Fraglichkeit eigen ist (II, 223). Weischedel macht acht Wesensmomente des Geheimnisses aus: das Unverstehbare, die Dimension der Tiefe, die Fähigkeit, in eine eigentümliche Unruhe zu versetzen, die Faszination, das Miteinander von Offenbarkeit und Verborgenheit, die fließende Grenzverschiebung zwischen diesen letzten beiden, seine wesensmäßige Nichtenträtselbarkeit und das Schweben. Das Schweben des Geheimnisses drückt aus, dass es sich immer zu entziehen scheint und doch zugleich zum Begreifen auffordert. Von diesem Moment kann die Verwendung des Begriffs „Geheimnis“ zur Kennzeichnung des Vonwoher der radikalen Fraglichkeit seinen Ausgang nehmen (II, 224), die Weischedel anhand der acht Momente nochmals daraufhin überprüft, ob sich das Wesen des Geheimnisses und des Vonwoher in analoger Weise miteinander vergleichen lassen. Das Geheimnis Vgl. zu diesem Einwand E. JÜNGEL (1977) 1986, 336, Anm. 3. Auch Eberhard Jüngel, der diesbezüglich die Nähe zu Weischedels korrigiertem Geheimnisbegriff (W. WEISCHEDEL 1976, 28.29) herausstellt (E. JÜNGEL [1977] 1986, 339, Anm. 6), wird den christologisch enggeführten und vom Rätsel unterschiedenen Begriff des Geheimnisses, gewonnen aus dem Begriff der Offenbarung (vgl. den Beitrag von Dirk Evers in: D. EVERS/M. D. KRÜGER 2020, 135–147), den Weischedel wiederum zurückweist, als Zentralbegriff seiner Theologie des Gekreuzigten zwischen (!) Atheismus und Theismus verwenden: Gott als Geheimnis der Welt (E. JÜNGEL [1977] 1986; bes. 339–347; 355–357; 518.519). 340 341

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5 Der Tod Gottes als Deutungskategorie und philosophische Denkfigur

besitzt eine unverstehbare Tiefe, die das Denken zugleich beunruhigt und fasziniert (II, 226). Die fragliche Wirklichkeit weist auf das Geheimnis zurück, das ihr Vonwoher ist. Doch bleibt der Begriff des Geheimnisses unzureichend, wenn der volle Begriff des Wesens des Vonwoher zum Ausdruck gebracht werden sollte. Er vermag zwar das Schweben im Vonwoher wiederzugeben, drückt aber nicht aus, dass es sich um ein Schweben zwischen den Extremen handelt. Der Begriff des Geheimnisses lässt den Begriff des Vonwoher im Vagen verharren. Um den Begriff zu vervollständigen, zieht Weischedel noch andere Analogien heran. Doch auch die Rede vom deus absconditus bringt keine weitere Erhellung als diese, dass er dem unmittelbaren Blick entzogen ist (II, 228). Dass man an diesem Punkt aber nicht stehen bleiben kann, zeigt Weischedel, wenn er nach dem Ort der Präsenz des Vonwoher fragt (II, 228). Das Vonwoher trifft den nachdenklichen Menschen nicht in religiösen oder mystischen Erlebnissen, sondern in der Erfahrung der fraglichen Wirklichkeit. Hier ist der Ort des Erscheinens des Vonwoher. Es zeigt eine Richtung an, aus der etwas kommt: „Das Vonwoher kommt auf die fragliche Wirklichkeit zu, und zwar eben insofern, als es deren Fraglichkeit hervorruft“ (II, 228). Das geschieht aber nicht in ausgewählten Augenblicken, sondern ständig, da die Fraglichkeit das durchgängige Charakteristikum der Wirklichkeit ist. Die Analogie des Vorgehens vermeidet auch statische Missverständnisse. Sie ist vom Vonwoher hervorgerufen, kommt ständig auf die fragliche Wirklichkeit zu und ständig bei dieser an. Daher wird dieser Aspekt als Vorgehen bezeichnet. Vorgehen gehört zu den gesuchten analogen Begriffen. Das Vonwoher ist vom Wesen her Vorgehen in die fragliche Wirklichkeit und diese in ihre Fraglichkeit bringend. Dieses Vorgehen und Präsentwerden hat den Charakter eines Geschehens. Es ereignet sich etwas mit dem Vonwoher und mit dem von ihm Hervorgerufenen. Denn das Vonwoher bleibt nicht in seiner reinen Geheimnishaftigkeit verborgen. Und doch behält es in seinem Präsentwerden den Charakter des Geheimnisses.342 Auch wo es offenbar wird, geschieht dies in mittelbarer Weise durch die fragliche Wirklichkeit hindurch (II, 229). Wenn nun aber das Vonwoher die Fähigkeit besitzt, alles in die Fraglichkeit zu werfen, dann eignet diesem eine gewisse Macht, die aber wiederum verbal verstanden werden muss, um nicht in Personalitätsverständnisse, Allmachtsvorstellungen oder statische Wesensbestimmungen zurückzufallen. Diese Macht, verbal verstanden als Vorgehen eines mächtigen Wirksamseins, äußert sich darin, dass sie das Schweben der fraglichen Wirklichkeit erwirkt. Das geschieht in dreifacher Weise. Die Macht führt das fragliche Wirkliche an den 342 Hier spricht Weischedel nicht nur analog zu Heideggers Ereignisdenken, sondern auch analog zu den Strukturmomenten eines Offenbarungsgeschehens. Natürlich verwendet er hier Umschreibungen, um nicht den Anschein zu erwecken, in die Nähe einer Offenbarungstheologie zu kommen.

5.3 Neuansätze Philosophischer Theologie (Weischedel und Janke)

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Rand des Nichtseins. Zugleich hält sie es im Ausgeliefertsein an das Nichtsein doch im Sein. In beidem bringt sie es ins Schweben. Vor dem Hintergrund dieser Macht werden das sich auf sich selbst gründen wollende Seiende und der sich auf sich selbst gründen wollende Mensch machtlos. (10) Die drei Momente der radikalen Fraglichkeit sind das Sein, das Nichtsein und das Schweben zwischen beiden. Ins Schweben gerät das Seiende einschließlich des menschlichen Daseins (II, 231). Es ist das, was ins Nichtsein hinabsinkt, und zugleich das, was sich über dem Nichtsein hält. Der Absturz bringt alles Feste, Beständige ins Schwanken. In Wahrheit ist das Selbstverständliche unselbstverständlich, das Unerschütterbare erschüttert, das Seiende dem Nichtsein ausgeliefert. Alles zerbricht, alles vergeht. Das Vonwoher macht offenkundig, dass die Wirklichkeit der Dinge und des Selbst keineswegs die ihr unmittelbar zugeschriebene Gewissheit und Sicherheit, Festigkeit und Beständigkeit besitzt. Das Vonwoher enthüllt, dass die Wirklichkeit die Fraglichkeit ist (§ 127). Als erstes Moment gehört zum Wesen des Vorgehens des Vonwoher das Erschüttern (II, 231), als zweites das Im-Sein-Halten. Letzteres verschafft dem vom Nichtsein bedrohten Seienden die Möglichkeit seines Seins (II, 232). Das impliziert aber gerade keine Trennung eines schaffenden Prinzips auf der einen und eines Geschaffenen auf der anderen Seite, wie es etwa im christlichen Schöpfungsgedanken (creatio ex nihilo; creatio prima) gedacht wird. Das Vonwoher ist vielmehr im Sein als dem einen Moment der fraglichen Wirklichkeit anwesend. Das Sein des Seienden als des Seienden ist nichts anderes als diese Präsenz selber (II, 232). Es muss sich damit von der traditionellen Metaphysik unterscheiden, von Kausalität oder Teilhabe. Denn zum Vonwoher als Vorgehen gehört das Sein nur als eines seiner Momente hinzu. Das Vonwoher ist nicht das Sein selbst, sondern es hält das Sein des Wirklichen und ermöglicht es. Was ist das Vonwoher selber? Es erscheint nur in seinem Vorgehen und darf nicht von diesem getrennt werden, um zu einem möglichen „hinter“ zu gelangen. Das Vonwoher ist kein Ding, keine Person. Dem Vonwoher ist ein die Weltwirklichkeit in ihrem Sein haltendes und in ihr Sein bringendes Sein zuzuschreiben (II, 235). Insofern ist das erste Moment des Vonwoher das Sein, das Sein schlechthin. Es ist ein mächtiges Sein, verstanden aber nicht als summum ens der traditionellen Metaphysik. Erfassbar für den menschlichen Geist ist nur, dass das Vonwoher mächtig ist und damit Sein ermöglichend vorgeht und dass ihm insofern selber Sein zukommt. Das Sein des Vonwoher kann philosophisch gedeutet nur als mächtiges Vorgehen in die fragliche Wirklichkeit verstanden werden.343 Doch das Wirkliche ist ständig vom Absturz in das Nichtsein bedroht. Das Vonwoher ist der Abgrund für die Weltwirklichkeit. Es muss ein Moment angenommen werden, das sein Wirken als Abgrund 343 Auch wenn Weischedel Heideggers eschatischen Mythos zurückweist, sind doch Strukturanalogien zum Neu-Ereignen des Göttlichen erkennbar.

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5 Der Tod Gottes als Deutungskategorie und philosophische Denkfigur

ermöglicht: eine innere Abgründigkeit, ein mächtiges Nichtsein. Nichtigkeit, als Ergebnis des Nichtseins, ist das zweite Moment im Wesen des Vonwoher. Es gibt eine ursprüngliche Nichtigkeit im Wesen des Vonwoher selbst (II, 236). Das Vonwoher ist in seinem Vollzug zu begreifen. Die Weltwirklichkeit ist vom ständigen Nichtsein bedroht. Allein die radikale Fraglichkeit ist die Basis für analoge Aussagen über die Nichtigkeit im Wesen des Vonwoher. Das Vonwoher ist Sein, das Vonwoher ist Nichtsein. Vermittelt wird diese scheinbare Zerrissenheit durch eine weitere vorsichtige Analogie. Schwebend hält das Vonwoher seine beiden Momente, das Sein und die Nichtigkeit, zusammen. Es ist ein ständiges Auseinandertreten und Vereinen der beiden gegensätzlichen Momente seines Wesens (II, 237), ein dialektischer Dynamismus oder eine dialektische Dynamik, die hier zu beschreiben versucht wird, um nicht auf die eine oder andere Seite zu fallen und so die Spannung synthetisch aufzuheben. (11) Das Schweben des Weltwirklichen ist seine Fraglichkeit. Das Schweben des Vonwoher ist das, woraus diese Fraglichkeit entspringt, das, was in letzter Hinsicht fraglich macht. Da es die Bedingung der Möglichkeit für die umfassende Fraglichkeit ist, kann es nicht mehr in demselben Sinne fraglich sein wie die Weltwirklichkeit. Der Mensch kann zwar nach dem Vonwoher fragen, aber in dem Augenblick, wo er des Vonwoher gewiss [sic!] geworden ist, ist es für ihn das aller Fraglichkeit entrückte, das Unfragliche über aller Fraglichkeit (II, 237). Der Gott der Philosophen ist kein unmittelbarer und kein erdachter Gott. Der Gott der Philosophen – das Vonwoher – ist das absolute Schweben. Gott ist umfassender als das, was der menschliche Geist von ihm begreifen kann: Unsagbares. Ans Ende des Redens tritt das Schweigen. Das Schweben zwischen Sinn und Sinnlosigkeit gründet in der schwebenden Zwiespältigkeit des Vonwoher (II, 239). Ob das Vonwoher in sich selber vor allen seinen vorgehenden Erscheinungen west, muss offen bleiben (II, 241). Wirklichkeit ist nicht selbstverständliches Bestehen, sondern Fraglichkeit. Das Vonwoher bringt nicht ein anderes, als es selbst ist, in eine selbständige Existenz. Dass Vonwoher selber geht ermöglichend vor und ist in solchem Vorgehen in dem Ermöglichten anwesend. (12) Nicht notwendig, aber in Freiheit entspringt das radikale Fragen aus dem Menschen als fragendem Wesen (II, 253) als sachgemäße Antwort auf die erfahrene radikale Fraglichkeit. Aus dem Vonwoher entspringt das radikal fragende Wesen des Menschen. Das Vonwoher kann als Ruf in die radikale Frage verstanden werden. Vom Fragen im weitesten Sinn bis hin zum philosophischtheologischen Fragen nach dem Vonwoher selber. Der Ruf des Vonwoher ist keine persönliche Anrede im christlichen Sinne, etwa Gottes an den Menschen. Der Ruf vollzieht sich ganz und gar durch die Erfahrung der Fraglichkeit der Weltwirklichkeit und des eigenen Selbst hindurch. Der Ruf des Vonwoher in die Frage ist nichts anderes als dessen Vorgehen in die Fraglichkeit, die das Fragen hervorruft. Als Ruf in die Frage ist das Vonwoher das, was überhaupt die fragende Existenz ermöglicht. Würde es nicht als fragliche Wirklichkeit

5.3 Neuansätze Philosophischer Theologie (Weischedel und Janke)

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vorgehen, dann gäbe es niemals Fragen oder radikales Fragen. Das Vonwoher ist die Gewährung der fragenden Existenz. Das Vonwoher ermöglicht es dem Menschen, im wesentlichen Sinne er selbst zu sein und in seiner Wahrheit zu existieren. Das Fragenkönnen ist das „signum“ der menschlichen Freiheit. Nur wenn der Mensch fragend in Distanz zur Weltwirklichkeit und sich selber steht, ist er wahrhaft frei. Der Ruf in die Frage ist zugleich Ruf in die Freiheit. Von ihm her ist der Mensch das in seine Freiheit gerufene Wesen, das zugleich vor das Vonwoher gerufen ist. Dadurch ist angezeigt, das Rufende zum Gegenstand des ehrfürchtigen Denkens zu machen (II, 254). Der Mensch steht in der Verantwortung vor dem Rufenden (II, 255). Er ist deshalb aufgefordert, das Fragen nach dem Vonwoher selber zu verwirklichen: „[E]in solches Fragen muss in der Intention des Vonwoher selber liegen“ (II, 255).344 Indem der Mensch in das Geheimnis des Vonwoher hineinfragt, fragt dieses nach sich selber. Der Mensch, der sich philosophisch-theologisch verhält, kann sich als Sprache Gottes verstehen. Das ist seine äußerste menschliche Möglichkeit (II, 255). Philosophieren als radikales Fragen scheint alle positiven Ansätze zu verschlingen. Es hält sich im Schweben zwischen den extremen Standorten und steht vor der entscheidenden Frage, wie es dann überhaupt in der Lage sein soll, einen gesicherten Standort für eine Philosophische Theologie zu gewinnen. Doch voreilig wäre es nun, an dieser Schwebe sein Scheitern bekunden zu wollen oder gar dem Vorhaben Unmöglichkeit zu unterstellen. Es ist mit dem Entschluss zum radikalen Fragen und seinem Ursprung aus der Freiheit noch mehr vorausgesetzt. Das Schweben selber ist das Maß, die Mitte, die Besonnenheit. Für Weischedel ist Gott das Vonwoher der Fraglichkeit. Gott hält uns in der Schwebe des Daseins, vermeidet Extreme, fördert Maß und Besonnenheit. Das radikale Fragen geht von dieser Wurzel aus an diese Wurzel zurück. Das Schweben zeigt sich als Differenzbewusstsein (II, 222). Gott ist das Zwischen, das Geheimnis, warum weder das Sein noch die Sinnlosigkeit übermächtig werden kann. Hier in der Auseinandersetzung mit der Gottesfrage und dem Nihilismusproblem kann der abgebrochene Gesprächsfaden zwischen Theologie und Weischedels Philosophischer Theologie wieder aufgenommen werden. Doch ob dieses Reden von Gott in der Lage sein wird, die Rede von Gott überhaupt zu revitalisieren, muss ganz im Sinne des hier verhandelten Skeptikers fraglich bleiben. Auf jeden Fall ist seine in dieser Lage aufgezeigte Möglichkeit eines Halts in Haltungen für die Anfänge einer Ethik der Selbstsorge weiter zu bedenken und die Fraglichkeit als Wesen des Menschseins im Rahmen einer ideologiekritischen Grundhaltung, die Weischedel im Rahmen seines offenen Skeptizismus als Wagnis der Schwebe vorführt, eine unermessliche Bildungserfahrung für den Einzelnen im kreativen und besonnenen 344

kann.

Hier stellt sich die Frage, ob das nicht-personale Vonwoher eine Absicht verfolgen

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5 Der Tod Gottes als Deutungskategorie und philosophische Denkfigur

Umgang mit der eigenen Endlichkeit, der Sprache, dem bestimmenden Lebensgefühl und dem Ausbilden und Einüben dieser Haltungen. b) Grundeinstellungen skeptischer Ethik: Offenheit, Abschiedlichkeit und Verantwortlichkeit (13) Wilhelm Weischedels Philosophische Theologie der „radikalen Fraglichkeit“345 führt zu den Haltungen der Offenheit und des Abschieds, die in der Skeptischen Ethik (1976) weitergedacht werden.346 Eine zeitgemäße Philosophische Ethik ist für ihn nur als skeptische Ethik möglich.347 Die scheinbar widersprüchlichen Begriffe sind notwendige Momente heutigen Menschseins. Doch weder kann der Mensch von der ethischen Problematik, noch von der ihm von der „geschichtlichen Situation auferlegten skeptischen Haltung“ absehen. Wie kann das Widersprüchliche vereinbart werden? Muss der Mensch in innerer Zwiespältigkeit heillos in sich selber zerfallen? Aus dem Skeptizismus als Prinzip werden aber nicht in logischer Deduktion moralische Maßstäbe gefolgert. Es genügt für Weischedel, zu zeigen, dass der Skeptizismus nicht ausweglos jede Ethik unmöglich macht und alles Handeln der Gleichgültigkeit überlässt. Im ἦθος kommen objektiv Gewohnheit, Sitte und Brauch zum Ausdruck. Sie beziehen sich auf das Miteinander von Menschen in der Polis (Aristoteles). Im ἦθος kommt subjektiv eine Sinnesart, Gesinnung, Haltung zum Ausdruck.348 Der Skeptizismus als radikales Fragen reißt notgedrungen alle Setzungen von Prinzipien in die radikale Fraglichkeit hinein. Damit kann der Skeptizismus als solcher nur die Basis (das Prinzip) einer skeptischen Ethik bilden, ohne selber absolute Verbindlichkeit beanspruchen zu können, wie es die theologische oder metaphysische Ethik suchen349: Der Gedanke an ein Absolutes lässt sich mit einer skeptischen Ethik nicht vereinbaren. Der endliche Mensch kann an keiner absoluten Sphäre teilhaben. Die bleibende Widerrufbarkeit bleibt der skeptischen Ethik eingeschrieben.350 Der Skeptizismus lässt sich nun nicht abstrakt betrachten, sondern nur so, wie er auftritt: als Haltung eines konkreten Menschen, eben eines Skeptikers, der ebenfalls in der Welt in einer geschichtlichen Situation unter Mitmenschen lebt.351 Dieser konkrete Skeptiker in seinem Denken, Handeln und Verhalten wird auf das Problem der Möglichkeit einer Philosophischen Ethik hin be-

W. WEISCHEDEL 2013, II, 255–257. W. WEISCHEDEL (1976) 1980. 347 Vgl. zum Folgenden W. W EISCHEDEL (1976) 1980, 7.8; 179: „Die allein heute mögliche Philosophische Ethik ist Ethik aus dem Geiste des Skeptizismus.“ 348 Vgl. W. W EISCHEDEL (1976) 1980, 17. 349 Vgl. W. W EISCHEDEL (1976) 1980, 180. 350 Vgl. W. W EISCHEDEL (1976) 1980, 180. 351 Vgl. W. W EISCHEDEL (1976) 1980, 180. 345 346

5.3 Neuansätze Philosophischer Theologie (Weischedel und Janke)

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fragt.352 Die Momente, die die Existenz des Skeptikers kennzeichnen, können dann zu Prinzipien einer Skeptischen Ethik werden. Muss nicht auch der eigene Skeptizismus dem Skeptiker fraglich werden, wenn er alles in Frage stellt? Um nicht in einen endlosen Strudel zu geraten, muss der Skeptiker sich entschließen, diesen Skeptizismus trotz aller Fraglichkeit zum Ausgangspunkt seines Denkens und Handelns zu machen. Auf diesem „Grundentschluß“ als eigenster Möglichkeit des Skeptikers, der zugleich die Freiheit des Menschen bejaht, baut alles Weitere auf. Auch wenn das Fundament dieser Ethik brüchig ist, ist sein Handeln damit Ausdruck der Freiheit des Menschen. Auch der Grundentschluss zum Dasein gehört neben den beiden anderen zur Möglichkeit einer skeptischen Ethik. Der Skeptiker zieht die echte philosophische Möglichkeit des Suizids in einer Zeit der radikalen Fraglichkeit in Erwägung, verharrt aber im Dasein und in der offenen Fraglichkeit. „Wer in dieser Situation sich das Leben nimmt, der tut es aus höchster Besonnenheit; ihm ist daher auch der Respekt nicht zu versagen.“353 Doch in seiner unwiderruflichen Entscheidung bejaht er die Sinnlosigkeit und das Nichts und damit einen dogmatischen Nihilismus. Der Skeptiker darf sich aber nicht der einen oder anderen Seite hingeben, sondern muss sich „in der Schwebe zwischen Sein und Nichts, und das heißt eben: in der offenen Fraglichkeit halten.“354 Der vierte Grundentschluss besteht in der Gestaltung des Daseins und nicht im gleichgültigen ironischen Spiel des ästhetischen Stadiums (Kierkegaard).355 Aus diesen vier Grundentschlüssen entstammt nicht die absolute, sondern die auf die Existenz des Skeptikers bezogene relative Verbindlichkeit einer Skeptischen Ethik.356 Ethische Forderungen entspringen nun nicht aus der Existenz, sondern aus der Berührung mit der Wirklichkeit, mit der faktischen Situation, die Möglichkeiten von Haltungen vorgibt, die skeptisch geprüft werden, ob sie in einer vom Skeptizismus bestimmten Haltung zu verwirklichen oder zu verwerfen sind. Darin wird die skeptische Ethik konkret.357 (14) Weischedel macht nun an der skeptischen Existenz Haltungen ausfindig, in denen sich der Skeptiker in der Wirklichkeit darstellt.358 Sie wären in dem Maße verbindlich für den denkenden Menschen der Gegenwart, der die von der Skepsis bestimmte Situation der Zeit ebenso ernst nimmt wie die ethische Aufgabe. Dazu unterscheidet Weischedel in der Grundeinstellung des radikalen Fragens die drei Grundhaltungen Offenheit, Abschiedlichkeit und

Vgl. auch zum Folgenden W. WEISCHEDEL (1976) 1980, 181. W. WEISCHEDEL (1976) 1980, 184. 354 W. W EISCHEDEL (1976) 1980, 184. 355 Vgl. W. W EISCHEDEL (1976) 1980, 185. 356 Vgl. W. W EISCHEDEL (1976) 1980, 186. 357 Vgl. W. W EISCHEDEL (1976) 1980, 186.187. 358 Vgl. W. W EISCHEDEL (1976) 1980, 188. 352 353

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5 Der Tod Gottes als Deutungskategorie und philosophische Denkfigur

Verantwortlichkeit, die wiederum in einzelne Haltungen aufgefächert werden.359 Dieses „offene System“ beruht wiederum auf den vier Grundentschlüssen. Zwischen den ethischen Grundhaltungen und Einzelhaltungen können Gegensätzlichkeiten bestehen, denn das menschliche Leben geht in keinem einheitlich konstruierten ethischen Gesamtentwurf auf.360 Situativ muss der Skeptiker also in bestimmten Augenblicken zwischen den Haltungen wählen. „Der Skeptiker weiß, daß er offen zu sein hat, und er weiß zugleich, daß er abschiedlich zu existieren hat.“361 Aus der Grundeinstellung des Skeptikers folgt unmittelbar die Grundhaltung der Offenheit als ethisches Postulat, mit der sich der Mensch aus seiner Verborgenheit und Verschlossenheit lösen kann.362 Das heißt aber auch, dass nicht in jeder Situation alles offen gelegt werden muss. Ein gewisses Maß an Verborgenheit gehört zum Menschsein dazu. Doch in einer Abkapselung von anderen Menschen schließt er sich starr und unerschütterlich in seine gedanklichen Verfestigungen ein. Er wird dogmatisch, fundamentalistisch. Er verliert das Offensein seinen Möglichkeiten gegenüber, unwillentlich und willentlich. Eine solche ausdrückliche Abkehr führt zur Selbstisolation. Darin besteht die eigentliche ethische Schuld. Denn das Postulat der Offenheit gilt gleichermaßen in seinem Verhältnis zu sich selbst wie in seiner Beziehung zu anderen. Offenheit verwirklicht sich in grundsätzlicher Zuwendung zu den anderen,363 im Dialog und Zusammenwirken. Es liegt ihm daran, dass der Partner zur Offenheit findet, die Weite der Möglichkeiten sieht, die die Gestalt eines offenen Lebens bereithält. Die Offenheit für größere Zusammenhänge erfordert Mut364 und eben Offenheit für Revisionen.365 Das meint aber keine abstrakte Offenheit, denn es handelt sich immer um konkrete Menschen in konkreten Situationen. Es reicht nicht aus zu sagen: alles ist fraglich. Doch Handlungen und Entschließungen können nicht absolut sein. Eine Freiheit gegenüber eigenen Festlegungen ist ebenso zu wahren wie eine Offenheit für den Widerruf. Diese Offenheit richtet sich aber auch vorzüglich auf Zukunft aus,366 als Offensein für künftige Möglichkeiten. Für das Kommende offen zu sein, meint keine Utopie, Träumerei oder das Eschaton, sondern in politischer Hinsicht mit Ernst 359 Zur Offenheit gehören für ihn: Wahrhaftigkeit, Sachlichkeit, Geltenlassen, Toleranz und Mitleid; zur Abschiedlichkeit: Entsagung, Selbstbescheidung, Demut und Selbstaufgabe, Selbstbeherrschung und Besonnenheit, Tapferkeit und Freimut, Großmut und Güte, Gelassenheit und Geduld; Verantwortlichkeit schließt für ihn Solidarität, Gerechtigkeit und Treue ein. Vgl. W. WEISCHEDEL (1976) 1980, 202–220. 360 Vgl. W. W EISCHEDEL (1976) 1980, 189. 361 W. W EISCHEDEL (1976) 1980, 189. 362 Vgl. W. W EISCHEDEL (1976) 1980, 190. 363 Vgl. W. W EISCHEDEL (1976) 1980, 192. 364 Vgl. W. W EISCHEDEL (1976) 1980, 192. 365 Vgl. W. W EISCHEDEL (1976) 1980, 193. 366 Vgl. W. W EISCHEDEL (1976) 1980, 194.

5.3 Neuansätze Philosophischer Theologie (Weischedel und Janke)

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Zukunft zu gestalten, um so die Welt zu verändern. Ein Revolutionär zu sein, ohne die Revolution zum Dogma zu erheben.367 Als zweite Grundhaltung, die aus der Grundeinstellung des Skeptikers folgt, macht Weischedel die Abschiedlichkeit aus. Abschiedlichkeit meint die zur Haltung gewordene Tätigkeit des Abschieds.368 „Wer abschiedlich existiert, der nimmt ständig von dem Abschied, worin er sich aufhält: von der Situation, in der er fraglos der Welt und sich selber verhaftet ist.“369 Es ist eine durchgängige Distanz gegenüber der Welt. Auf das Selbst, nicht auf die Welt kommt es nach Gott an. Seine innere Abständigkeit bewirkt, dass keine Macht der Welt über das Selbst herrschen kann.370 Hier kommt es zur Kollision mit der Aufgabe der Zuwendung zum Mitmenschen, die aus der Haltung der Offenheit entspringt. Zwischen diesen gegensätzlichen Verbindlichkeiten existiert der Skeptiker in verantwortlicher Reflexion und unter Erfordernissen des Augenblicks. Abschiedlichkeit heißt auch, den Mut zur Selbstdistanz und Selbstaufgabe in sich wach zu halten. Hier kommt die radikale Fraglichkeit an sich selbst zum Ausdruck. Diese Abschiedlichkeit von sich selbst und von der Welt drückt für den Skeptiker innerste Freiheit aus. Weder an sich selbst, noch an der Welt soll er hängen. Alle Bindungen bleiben vorläufig: „Die Abschiedlichkeit ist die gemäße Antwort des Skeptikers auf den Anblick der Vergänglichkeit, die alles Wirkliche bestimmt und durchherrscht. Er sieht: Nichts bleibt, nichts ist beständig.“371 Die Vergänglichkeit nimmt er unter Schmerzen auf sich. Keine Träume von Ewigkeit und Unsterblichkeit kann er mehr träumen.372 In seiner ganzen Existenz trägt er der Vergänglichkeit Rechnung. In jedem Verschwinden der Zeit, in jedem Älterwerden ist sie gegenwärtig. Abschiedlich ist er für den immer anwesenden Tod offen. Der Gewinn dieser Haltung ist eine wesentliche Anweisung für das Leben. Der Skeptiker weiß sich vor die große Aufgabe gestellt, mit dem Tod einig zu werden, schon im Leben das Sterben zu lernen. Daher ist von der Abschiedlichkeit her „die Existenz des Skeptikers von einer Grundstimmung einer leise schwebenden Trauer durchzogen“, die Weischedel eine „stille Melancholie“ nennt.373 Auch in Augenblicken der Freude und des Glückes bleibt er unter dem Eindruck der Vergänglichkeit und des Todes. Dieses Wissen um die Abschiedlichkeit ist radikal ernst zu nehmen und kann nur durch den Grundentschluss, sich für die Gestaltung des Daseins zu entscheiden, ausgehalten werden. Doch mit der Haltung der Abschiedlichkeit ist nicht nur ein resignativer

Vgl. W. WEISCHEDEL (1976) 1980, 194. Vgl. W. WEISCHEDEL (1976) 1980, 194. 369 W. W EISCHEDEL (1976) 1980, 194. 370 Vgl. W. W EISCHEDEL (1976) 1980, 195. 371 W. W EISCHEDEL (1976) 1980, 196. 372 Vgl. W. W EISCHEDEL (1976) 1980, 196. 373 W. W EISCHEDEL (1976) 1980, 196.197. 367 368

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5 Der Tod Gottes als Deutungskategorie und philosophische Denkfigur

Zug verbunden angesichts der uns umgebenden und uns selbst betreffenden Vergänglichkeit. Der Tod ist nämlich auch der Grund der Möglichkeit, Wandlungen und Veränderungen im Leben auszuhalten, Abbrüche und Abschiede in sein eigenes Leben zu integrieren und mit ihnen leben zu lernen. Er treibt uns ständig an, uns zu wandeln. Doch Wandlungen sind ambivalent, faszinierend und erschreckend zugleich, denn der Preis der Wandlung ist die Trennung und der Verlust. Die Emotion, die diesen Wandlungsprozess begleitet, ist die Trauer, die erst lehrt, wirklich Abschied zu nehmen und den Menschen bereit macht für neue Beziehungen.374 In der dritten Grundhaltung der Verantwortlichkeit375 kommt dieser Grundentschluss zum Ausdruck, in der Selbstverantwortlichkeit und Verantwortlichkeit für die anderen. „Wer wirklich selbstverantwortlich existieren will, der muß für sein ganzes Tun und Sein Verantwortung übernehmen. In dieser Absicht muß er sein ganzes Tun und Sein durchsichtig machen.“376 Nur im Vollzug ist sein Dasein zu gestalten. Die Selbstverantwortlichkeit wurzelt im radikalen Fragen. Sie ist nicht nur für sich selber, sondern auch vor sich selbst verantwortlich. Auch die Instanz des Selbst ist fraglich. In der Mitverantwortlichkeit377 zeigen sich die Bezüge von selbstverantwortlicher Gemeinschaft, auch im öffentlichen Leben: „Auch hier kommt es darauf an, daß Selbstverantwortlichkeit herrsche: im Betrieb wie in Schule und Hochschule, in Gemeinde und Staat wie in der Kirche und schließlich in der Menschheit überhaupt.“378 Bestenfalls sind diese Orte wie auch die Demokratie Ausdruck eines Zusammenwirkens aller Selbstverantwortlichen.379 Dabei ist es allerdings zur Orientierung des Individuums notwendig, dass Institutionen dem Einzelnen Entscheidungen abnehmen, sonst würde der Anarchie freien Lauf gelassen. Ein Ordnungsgefüge, ein Rahmen bleibt nötig, denn „ein menschliches Leben ohne solche festen Prägungen, wie sie Institutionen darstellen, ist unvollkommen.“380 Ein bloßes Hinnehmen dieser Institutionen widerspricht allerdings der Haltung des Skeptikers. Daher bringt er seine selbstverantwortliche Existenz auch in der Gestaltung der Institutionen ein. (15) Diese offene und abschiedliche Haltung gründet im philosophischtheologischen Grundgedanken des Vonwoher, das Gott als das Geheimnis versteht, das der Mensch abschiedlich zu wahren hat. Die „abschiedliche Existenz“ kennzeichnet die radikale Fraglichkeit von allem und ruft von daher zu

Vgl. V. KAST 1982, 164. Vgl. W. WEISCHEDEL (1976) 1980, 197. 376 W. W EISCHEDEL (1976) 1980, 198. 377 Vgl. W. W EISCHEDEL (1976) 1980, 199. 378 W. W EISCHEDEL (1976) 1980, 199. 379 Vgl. W. W EISCHEDEL (1976) 1980, 200. 380 W. W EISCHEDEL (1976) 1980, 200. 374 375

5.3 Neuansätze Philosophischer Theologie (Weischedel und Janke)

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einer Gelassenheit381 gegenüber den Dingen und den wechselvollen Schickungen des Daseins auf. Mit den skeptischen Grundhaltungen der Offenheit, Abschiedlichkeit und Verantwortlichkeit wird der radikale Abschied philosophisch auf- und ernst genommen. Diese radikalen Haltungen halten in der Schwebe und sind Haltungen der besonnenen Mitte. Einen Halt nach Gott kann man nur noch in Haltungen finden, in den ethischen Grundhaltungen der Offenheit, Abschiedlichkeit und Verantwortlichkeit.382 Die Einübung in die Abschiedlichkeit in eine postmetaphysische und postnihilistische Besonnenheit ist zugleich eine Möglichkeit der Freiheit für Neuanfänge. Den Ursprung des Fragens kann die abschiedliche Existenz in der Aporie entdecken, deren Wurzel letztlich im freudigen und sich entsetzenden Staunen (thauma fascinans et tremendum) selber liegt. Damit fängt das philosophisch-theologische Fragen an, das den Menschen dahin führen kann, sich in Besonnenheit (wieder) auf das Wesentliche für sein eigenes Leben als abschiedliches Dasein in seinen vielfältigen Weltbezügen zu konzentrieren. Diesem Weg ist ein anderes philosophisches Denken im konstruktiven Anschluss an Martin Heideggers „Kehre“ gefolgt, das nun dargestellt werden soll.383 5.3.2 Transzendentalkritisches, existenziales Nachfragen: Philosophische Theologie als Widerruf des Todes Gottes (Wolfgang Janke) Die mit der Heraufkunft des Positivismus und Europäischen Nihilismus verbundene These der Präzisierung der Welt (praecisio mundi), wie sie in der Einleitung (1.4.2) ausgeführt wurde, steht als Grundthese dieser Arbeit im Hintergrund der Ausführungen. Sie muss hier nicht wiederholt werden. Wolfgang Jankes Präzisionsanalyse als Ausdruck einer Sinnkrise eröffnet noch einen weiteren Blick auf das gegenwärtige Zeitalter.384 Seine Analysen der Zeit381 Vgl. Heideggers Rede von der Gelassenheit (Abschnitt 5.2.2 b] [17] in diesem Buch) und W. WEISCHEDEL 1967b. 382 Vgl. W. W EISCHEDEL (1976) 1980, 188–220. 383 Anders als Wilhelm Weischedel nimmt Wolfgang Janke die „Kehre“ in sein nachmetaphysisches Philosophieren auf und führt sie weiter. Vgl. W. JANKE 2013, 164–167 und 2018, 163–166; 208. 384 Der am 8. Januar 1928 in Oberschlesien geborene Wolfgang Janke ist geprägt von Erfahrungen des nationalsozialistischen Weltanschauungsunterrichts in der Hitler-Jugend und den Erlebnissen in der russischen Kriegsgefangenschaft. Nach dem Notabitur in Wolfenbüttel nahm er 1947 im zerbombten Köln das Studium der Germanistik, Geschichte, lateinischen Sprache und Philosophie auf. Prägende Lehrer in Köln wurden Heinz Heimsoeth (1886–1975) und Karl-Heinz Volkmann-Schluck (1914–1981) aus dem Heidegger- und Gadamer-Kreis, bei dem Janke auch 1953 (Anagnorisis und Peripetie. Studien zur Wesensverwandlung des abendländischen Dramas) promoviert wurde und sich mit einer Arbeit über die Emendation der Metaphysik bei Leibniz (erschienen 1963) habilitierte. Wolfgang Janke war nach Staatsexamen (1953) und Promotion zunächst Lektor an der University of Rochester, New York (1954–1955) und dann wissenschaftlicher Assistent (1955–1962) bei

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situation in Kritik der präzisierten Welt (1999) und Die Sinnkrise des gegenwärtigen Zeitalters (2011) bleiben nicht bei diagnostischen Beobachtungen stehen, sondern bieten auch einen transzendentalkritischen und existenzialontologischen Systementwurf einer nachmetaphysischen Philosophischen Theologie, deren Summen nun mit der Wiedereinführung in die Philosophie (2013) und mit Die Seinsfrage. Grundzüge einer restitutiven Ontologie (2018) vorliegen. Jankes „Wiedereinführung in die ,überwundene‘ Erste Philosophie (Metaphysik)“385 verfolgt vor dem Hintergrund der „Erfahrungen des Zeitzeugen, welche die Gefahr von pseudowissenschaftlichen Weltanschauungen und Pseudomythologien als philosophisches Generalthema vor Augen stellten – seit der Zehnjährige im ,Jungvolk‘ der ,Hitler-Jugend‘ und der Siebzehnjährige in russischer Kriegsgefangenschaft ,weltanschaulich geschult‘ wurde“386 – ein zweifaches Ziel: „den abendländischen Platonismus gegen den Antiplatonismus des Europäischen Nihilismus wiederherzustellen (restituere in integrum) und den Weltanschauungsverfall in seinen Abgründen aufzudecken.“387 Der Entwurf einer Restitutionssynthese ist keine bloße Restauration eines überkommenen Platonismus oder gar die einer Neomythologie, sondern methodischer Ansatzpunkt ist ein postmetaphysisches und „postnihilistisches Fundament“ einer grundlegend verwandelten Welt, in der der Mensch als nach Sinnerfüllung fragendes Zwischenwesen zwischen Sein und Nichts, Zeit und Ewigkeit, Endlichkeit und Unendlichkeit, Leibhaftigkeit und Geist existiert.388

Volkmann-Schluck in Köln. Nach der Habilitation (1962) war er dort als Privatdozent und ab 1968 als außerplanmäßiger Professor tätig. 1975 wurde Janke Ordinarius an der Bergischen Universität Wuppertal. Im Bereich der Philosophie Fichtes im Kontext des Deutschen Idealismus, in der Existenzphilosophie und in der Metaphysik sind seine Forschungsschwerpunkte zu verorten. Seine zahlreichen Abhandlungen eröffnen v. a. neue Einblicke in die Spätphilosophie Fichtes (u. a. Vom Bilde des Absoluten. Grundzüge der Phänomenologie Fichtes [W. JANKE 1993]; vgl. auch Johann Gottlieb Fichtes ,Wissenschaftslehre 1805‘ [W. JANKE 1999b]). Zuletzt findet sich der Ertrag seiner umfassenden Forschungsarbeit zum Deutschen Idealismus in der Studie: Die dreifache Vollendung des Deutschen Idealismus. Schelling, Hegel und Fichtes ungeschriebene Lehre (W. JANKE 2009). Der Gründungspräsident (1977) und seit seiner Emeritierung 1993 Ehrenpräsident der Internationalen FichteGesellschaft, Mitherausgeber der Fichte-Studien und Fachherausgeber Philosophie der Theologischen Realenzyklopädie hat seine leitende systematische These zur philosophischen Betrachtung des weltgeschichtlichen Vorgangs der Präzisierung der Welt (praecisio mundi) als systematisches Fundament (vgl. W. JANKE 1990; 1999a) nicht nur seiner großen Idealismus-Studie zugrunde gelegt, sondern auch weiteren Abhandlungen (W. JANKE 2002; 2005; 2007a; 2011; 2013; 2016; 2018). Eine (unvollständige) Bibliographie Jankes bietet die Festschrift zu seinem 90. Geburtstag (H. TRAUB/A. SCHNELL/CH. ASMUTH 2018, 257–265). Am 5. Juni 2019 ist Wolfgang Janke verstorben. 385 W. JANKE 2013, 13. 386 W. JANKE 2013, 13. 387 W. JANKE 2013, 13. 388 Vgl. W. JANKE 2018, 185 im Anschluss an und in Weiterführung von Kierkegaard.

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Während der Weg der Wiedereinführung in die Philosophie in sprachphilosophische Restituierungen einer „Eksistentialen Glossologie“ mündet, fragt die Restitutive Ontologie anfänglich in ihren „Prolegomena. Ist die Frage nach dem Sein überhaupt noch wiederherstellbar?“ und schließlich in ihren „Epilegomena. Ist die Seinsfrage nach Gott überhaupt noch wiederherstellbar?“389 und setzt sich damit ernsthaft den Konsequenzen des „weltverrückenden Ruf des ,tollen Menschen‘“390 aus. Komplexes und verwickeltes Ziel ist es, „das Existieren des Daseins postmetaphysisch neu darzulegen“391, indem gefragt wird: „Wie unheilbar ist die Nihilierung der metaphysischen Theologie durch den Tod Gottes?“392 Wir folgen zuerst der Restitution der Sprache und dann der Restitution der Seinsfrage nach Gott. a) Restituere in integrum: Wiedergewinnung der vierfachen Gestalt der Sprache (1) Wolfgang Janke hat in seiner Wiedereinführung in die Philosophie. Platonismus – Nihilismus – Eksistentialontologie einen lange vorbereiteten und verschiedentlich variierten Versuch einer Restitution der vielfachen Sprachgestaltung der Welt vorgelegt,393 der nicht nur die radikale Fraglichkeit wieder aufnimmt, sondern auch um die poietische Kraft von Sprache weiß, aber ebenfalls um deren Gefährdungen und Ambivalenzen – und um das Schweigen. Jankes nachmetaphysischer philosophisch-theologischer Entwurf erhebt den Anspruch, eine „neue Ontologie“394 zu entfalten, deren gegenwärtige Bedeutung er nicht nur einfach wiederholt, sondern im Horizont der „Sinnkrise unseres gegenwärtigen Zeitalters“395 neu einholt und nach den antimetaphysischen Wendungen von Nietzsches Proklamation des „Todes Gottes“ und Heideggers Verkündigung des „Endes der Philosophie“ in eine „Wiedereinführung in die ,überwundene‘ Erste Philosophie (Metaphysik)“396 münden lässt. Dabei hat er das Ziel im Blick, einem gegenwärtigen Bedürfnis nach Antworten auf unausweichliche (metaphysische) Seinsfragen (15.16) intellektuell wie existentiell anregend zu begegnen. Der Weg zu einer Überwindung der praecisio mundi et entis mittels einer Entpräzisierung der Sprache verläuft über einen Zugang zur Geschichte der abendländischen Philosophie und ihrer heillosen Verstrickung in die politischen und humanitären Katastrophen des 20. Jahrhunderts. Das W. JANKE 2018, 11; 201 (Überschriften im Original in Kapitälchen). W. JANKE 2018, 202. 391 W. JANKE 2018, 163. 392 W. JANKE 2018, 201. 393 Die Seitenangaben im Text verweisen auf W. JANKE 2013; vgl. PH. D AVID 2014a. 394 W. JANKE 2013, 13. Vgl. zur Vorbereitung die Monographien W. JANKE 1990; 1993; 1996; 1999; 2005; 2007; 2009; 2011. 395 W. JANKE 2011. 396 W. JANKE 2013, 13. 389 390

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geschieht auch unter der Maßgabe: Wie auch immer die offene Seinsfrage weiterverhandelt wird, es wird unsere Sprache verraten und offenlegen, was uns wirklich betroffen macht (16). (2) Im Rückgang (19–35) auf die antiken Bestimmungen von Philosophie als „Liebe-zur und Suchen-nach Weisheit“ meldet sich der platonische Vorbehalt, dass absolutes Wissen (Hegel) nicht erreichbar sei. Darin klärt Janke auf über das Staunen (thaumázein) als den durchherrschenden und sich immer mitvollziehenden Anfangsgrund platonischen Philosophierens. Schließlich erinnert er an sokratische Weisungen und ihre lange Rezeptionsgeschichte, sich im Philosophieren ins Sterben und Totsein einzuüben und eine Angleichung an Gott anzustreben. In Nietzsches antiplatonischer „Kunst des Misstrauens“ ist eine „Umwertung aller Werte“ vorgenommen, an deren Ende der Untergang der Metaphysik und der Übergang zu pseudowissenschaftlichen Weltanschauungen der Unmenschlichkeit stehen. Auf diese Weise erzählt Janke (Irr-)Wege der Philosophie nach, die in den totalitären Weltanschauungen ihren mörderischen und menschenverachtenden Ausdruck gefunden haben („Teil I: Beachtung von Zerstörung und Verfall der abendländischen Philosophie. Platonismus – Nihilismus – Weltanschauung“). Diese „Riesenschlacht“ um die Seinsfrage („Bestimmt das Bewusstsein das Sein oder das Sein das Bewusstsein?“) zwischen Ideen- und Materiefreunden ist in Platos Dialog Sophistes präludiert und durchzieht die weitere Philosophiegeschichte als einen weltanschaulichen Verfall bis hinein in die nationalsozialistische Ideologie und die des dialektischen Materialismus zur totalitären Weltanschauung (Engels, Marx, Lenin, Stalin). Vor dem Hintergrund dieser tiefsten Krise in der Geschichte der abendländischen Philosophie (89) kommt Janke zu dem Schluss, die Seinsfrage der Ersten Philosophie sei postnihilistisch grundlegend neu zu fassen (68). Dazu dienen die drei folgenden Teile des Buches: In Teil II („Wiederaufnahme philosophischer Präzisierungen. Erste Philosophie – Ontologie – Kategorienlehre“) geht es Janke um eine Analyse, „welche die zu heilenden Nihilierungen und Entstellungen der Ersten Philosophie diagnostiziert“ (89), um darauf aufbauend mittels des Methodenweges einer Restituierung der Ersten Philosophie, „die Erforschung des ursprünglichen und wesenhaften Seins, auf neuem Grund wiederherzustellen (in integrum restituere)“ (89). Dabei macht er nicht Halt davor, „bedenkliche Präzisierungen aufzudecken, welche die Platonische Philosophie selber vollzieht“ (90). Dazu gehört auch der folgenreiche Epochenwechsel im abendländischen Denken vom Mythos zum Logos, der archaische Weisheit abgeblendet hat (93). Der aristotelische Primat der Ersten Philosophie, die Aufstellung und Herstellung von Kategorien (120–136) sowie der Aufstieg der Einzelwissenschaften haben diesen Graben weiter vertieft und durch Seinspräzisierungen zur grundlegenden Verwissenschaftlichung der Welt beigetragen: „unsere präzisierte Welt ist wissenschaftsgläubig verwissenschaftlicht“ (103). Die Metapher der praecisio mundi et entis dient Janke auch hier, wie in den vorangegangenen Werken, als

5.3 Neuansätze Philosophischer Theologie (Weischedel und Janke)

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hermeneutischer Schlüssel, um einen weltgeschichtlichen Vorgang einsichtig aufzuschließen. Sie bezeichnet das Abschneiden (lat. praecidere) von Seinsverständnissen, die nicht den wissenschaftlich-positivistischen Idealen der Berechenbarkeit, Beherrschbarkeit und Exaktheit entsprechen. Dieser heillose Vorgang einer abendländischen Präzisierungsgeschichte verstümmelt die Vielbezüglichkeit menschlichen Seinsverständnisses (90), die ursprünglich in der vielfachen Sprachgestaltung der Welt als angemessener Ausdruck angelegt war. So nimmt es nicht Wunder, das am Ende des Werkes sprachphilosophische Restituierungen stehen (257–280), die den Streit zwischen den vier Sprachgestalten (Mythos, Logos, Lexis, Poiesis) zu schlichten suchen. In Teil III („Durchgang durch Umkehrwege. Existentialismus – Fundamentalontologie – Ereignisfügung“) wird Sartres atheistischer Existentialismus in seinem scheiternden Verfallen an die marxistische Weltanschauung nachgezeichnet und Heideggers Fundamentalontologie von Sein und Zeit sowie sein Bedenken des „Seyns-Ereignisses“ in den Beiträgen zur Philosophie (Vom Ereignis) hellsichtiger Durchsicht unterzogen, um schließlich die Kehren von Heideggers Denkwegen und Seinsverstehen hinter sich zu lassen, die für Janke im dunklen Ungesagten und Unwegsamen einsam steckenbleiben. Mit „Einführungen in die Restitutionsphilosophie“ (Teil IV) wird nun ein eigener Weg in die beseitigte Seinsfrage über die Wege Heideggers hinaus angebahnt, der „auf einen neuen Anfangsgrund der alten Seinsfrage aus“ ist und den „ungewohnten Titel einer [eksistentialen] Hyparchelogie“ (191) annimmt, die den Zwist um die Vorrangstellung von essentia oder existentia zu überwinden sucht. Dieser Weg ist in der von Heidegger aufgenommenen Rede von der Ec-sistentia,397 die die Sonderstellung der Seinsoffenheit des Menschen betont, auch in der Lage, hinter moderne Existenzphilosophien („L’existence précède l’essence.“) zurückzugehen. Denn der „Mensch ist das einzige Seiende, welches ec-sistiert, d. h. über sich und sein In-der-Welt-sein hinausragt“ (193). Das griechische Wort einer Hyparchelogie ist anfänglich deutungsoffen und entfaltet die vorgegebenen „vier Aufbaumomente der menschlichen Daseinsverfassung: das an sich selbst interessierte Zwischensein menschlichen Daseins (Interesse), den Herausstand ins Offene des Seins (Eksistenz), den unser besorgtes Interesse betreffenden Angang (Adienz), die Modi der Annahme des Angangs (Attinenz/Retinenz)“ (191). Um diese Vorgaben zu verdeutlichen und den Vorrang der Eksistenz zu betonen, wendet sich Janke auf neue (nachmetaphysische) Weisen den alten metaphysischen Fragen zu: nach der Wahrheit (Komplementäre Alethelogie), den Kategorien (Eksistentiale Kategorienlehre), nach Sein und Haben (Restitutive Ktematologie), Leiden (Eksistentiale Pathologie), Zeit (Chronologie), Raum (Topologie), Fügung und Schicksal (Tychologie) und abschließend der Sprache (Restitutive Glossologie).

397

Vgl. M. HEIDEGGER, GA 9, 324–327; 332; 334; 350.

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(3) Die Sprachlehre („Eksistentiale Glossologie. Sprachphilosophische Restituierungen“) beginnt mit der Ausführung der vierfachen Sprachgestaltung der Welt und stellt fest, dass die im Vorfeld „wiederhergestellte Vergemeinschaftung der auseinandergefallenen Logo-, Mytho- und Poetikokategorien [...] auf einen gemeinsamen Wurzelgrund“ (257) hinweist: „[D]ie Sprache, die der Mensch spricht, die er regelt und gebraucht, die er verdichtet, auf die er hört. Es ist die Sprache, die dem Eksistierenden sein In-der-Welt-sein vielgestaltig zur Anzeige bringt und verstehbar macht“ (257). Die Sprache ist in ihren vier Hauptgestalten mit griechischen Namen versehen.398 Der lógos bildet für die metaphysische Ausbildung abendländischer Welterschließung das Grundwort und bezeichnet die dialektisch-syllogistische Folgerichtigkeit von urteilenden Aussagen über das, was notwendig entweder richtig oder falsch ist. Dieser Alleinvertretungsanspruch des Logos im Namen der Sprachmetaphysik auf die ganze Wahrheit hin weist den Wahrheitsanspruch der Weltdarstellungen der großen mythischen Erzählungen (mythólogos) zurück. Sie seien Ammenmärchen, Fabeln oder gar Ausdruck heidnischen Götzentums. Im Durchgang durch die Restitution wahrt die Sprachgestalt des Mythos allerdings in einem eigentümlich kategorialen Seinsverständnis sinnvolle Vorstellungen vom kosmogonischen Anfang und theogonischen Geschick unserer Welt. Die Aufklärungen des Logos überdauert auch die Kundgabe des kérygma, das in der griechischen Welt die Verkündung von Geboten für das Volk durch Herolde meint. In christlicher Zeit ist das Kerygma die Verkündigung der frohen Botschaft (euangélion) als neue Welteröffnung gegen den heidnischen Mythos. Auch die poetische Sprache und Weltstiftung, die poíesis, ringt um ein eigenes Ansehen. Im episch-tragischen Gedicht vom dramatischen Widerspiel der Götter, Menschen und Heroen flammt der alte Streit zwischen Philosophen und Dichtern wieder auf. Doch in Gestalt ihrer Restitution bringt die Macht der dichterischen Sprache die Welt zum Scheinen, damit sie noch eindrücklicher, beziehungsreicher, bedeutungsvoller als der Logos Bleibendes stiftet.399 Diesen logischen, mythischen (kerygmatischen), und poetischen Sprachgestalten der Welt liegt unser Sprachgebrauch in der Welt der Alltagssprache voraus. In der alltäglichen Begegnung reden wir miteinander und unterreden uns. Die Unterredung geschieht in der Weise, dass wird die Dinge und Begebenheiten, die wir uns mitzuteilen haben, beim Namen (ónoma) nennen. Durch dieses Beim-Namen-nennen (onomázein) wird die Sprache als Informations- und Verständigungsmittel brauchbar, indem sie aus einer gebräuchlichen, eingeübten, grammatisch geregelten Wörtersprache (léxis) spricht. Als Wurzel dieser vier unterschiedlichen und in ihrem Eigenrecht wiederherzustellenden Sprachbildungen von Logos, Mythos/Kerygma, Poiesis und Lexis (Onoma) macht Janke das griechische Grundwort glôssa aus. Es ist die Zunge als Organ des 398 399

Vgl. dazu W. JANKE 2013, 257.258. Vgl. bereits M. HEIDEGGER, GA 7, 189–208.

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menschlichen Sprechens, die Mund-Art und Zungenfertigkeit (cháris glóssas). Das ist für ihn die weitreichendste elementare Kennzeichnung menschlichen Sprechens: „als reden und nachreden, Wörter gebrauchen und missbrauchen, als schmähen und höhnen ,mit spitzer Zunge‘ (kertomíois glóssas), als verstehen und missverstehen, als übersetzen und entfremden“ (258). Mit dieser philosophischen Glossologie sucht Janke nun die gravierenden Sprachvorkommnisse aufzuhellen: „die systematische Entfaltung der menschlichen Zungenfertigkeit, die Präzisierungen, da der Sprachwelt von Mythos und Poesie, aber auch dem Logos der Sprachmetaphysik die Zunge abgeschnitten wird, und zum Abschluß die systematische Wiederherstellung aller Weltbekundungen, welche uns Menschen auf der Zunge liegen“ (258). In den „Vorbemerkungen über das Schweigen“ (259.260) erinnert Janke daran, dass sich die Sprache aus dem Schweigen hervorbringt oder ins Schweigen versinkt. Das Schweigen kann in der Alltagssprache ausbrechen, wenn es nichts mehr zu sagen oder zu fragen gibt oder sich betretenes Schweigen ausbreitet, wenn Taktloses oder Unkonventionelles geäußert wird (259). Es kann sich im Verschweigen zeigen, wenn man nicht mit der Sprache herausrücken will. Wo es einem die Sprache verschlägt und die Worte fehlen, kommt die Alltagssprache an ihre Grenzen. Mit der Paarung „schweigen hat seine Zeit, reden hat seine Zeit“ (Koh 3,7) fing Kohelet dieses Beziehungsgeflecht ein. In Abkehr von der Alltagssprache machte sich die philosophische Seinsfrage seit ihrem platonischen Anfang auf, die Fraglichkeit der Dinge zu ergründen, um postmetaphysisch bei Heideggers Wegen zur Sprache zu enden. Hier erschien der Ursprung der Worte im „Geläut der Stille“. In neopositivistischen Präzisierungen einer metaphysikfeindlichen Sprachlogik wurden die metaphysischen Aussagen methodisch bedeutungslos und die Stimme der Philosophie zum Schweigen gebracht. Es zählte die Unterscheidung zwischen wissenschaftlich und logisch klar Sagbarem sowie empirisch Nachweisbarem und dem mystisch Unsagbaren und dem Unbewiesenen. Janke folgert vor diesem Hintergrund, dass das Schweigen zu restituieren ist, „weil der Mensch in vielfachen Modi eksistiert zwischen Reden und Schweigen, Verschweigen und Kundgeben, hemmungslosem Gerede und stillem Sichversammeln“ (260). Damit sollte für ihn auch eine Einsicht vorbereitet sein: „Das Fragen nach dem Sinn von Sein kommt in differenzierten Weltauslegungen zur Sprache, in der Alltagssprache anders als in der Ideenlogik, in mythischer Erzählung anders als im stiftenden Wort der Dichter“ (260). (4) Dieser vierfachen Differenz der Sprachwelten geht Janke näher nach, wenn er von ihrer Veranlassung ausgeht: den sprachlichen Entfaltungen kategorialen Fragens. Hierbei kommt die labile Fraglichkeit menschlichen Eksistierens in den Blick, insofern „unsere sprachlichen Verlautbarungen kategorialen Seinsfragen entsprechen, solche Entsprechungen aber im Zwischensein menschlichen Eksistierens wurzeln“, wo „auf das Schwanken menschlicher

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Bekundungen zu achten“ ist, „zwischen Durchgestaltung und Verunstaltung400 der Welt“ (261). Solche Entsprechungen als differentes kategoriales Fragen bilden die vielfachen Sprachweisen aus (260–263): „die im funktionalen Sprachgebrauch verständliche Alltags- und Sorgewelt, die apriori vernehmbare, dialektisch durchzusprechende Ideen- und Vernunftwelt und die geheiligte, im Kult gepflegte Götterwelt, die im Gebet, Hymnus und in der Sage des Mythos zur Sprache kommt“ (263). Eine Sonderstellung im Bezug zur Sprache beanspruchen die Weltstiftungen der Dichter (264–267). Dem Zusammenhang kategorialen Fragens mit der poetisch-weltstiftenden Entsprechung wird nun nachgegangen. Während die poetiko-kategoriale Wer- oder Was-Frage nach einer untrennbaren Einheit von Einzel- und Allgemeinwissen, von Gehalt und Gestalt fragt und beispielsweise einen historischen Bericht liefert, um zu klären, wer Antigone und Kreon, Hamlet oder Richard III. gewesen sind, oder um einen Ideengehalt in Begriffe zu fassen, wie es die Philosophie versucht, scheinen in der Poesie die Idee und der Bedeutungsgehalt in sinnlicher Gestalt als „ein wesenhaftes Was im Wie seiner Charakterdarstellung“ (264) auf.401 Der tragische Widerstreit dieser Figuren findet seine „Bewahrheitung in unserem unfesten Eksistieren zwischen Liebe und Haß, Maß und Maßlosigkeit, menschlicher Satzung und göttlichem Gesetz“ (265). Auch die poetische Entsprechung zur Frage nach dem „Woher und wodurch?“ kann nicht unter Rückgriff auf empirische Daten oder philosophische Grundsätze beantwortet werden. Die poetische Entsprechung zur Menschheitsfrage nach dem „Ersten Woher“ bietet exemplarisch die dichterische Fassung der Kosmogonie, wie sie bei Hesiod überliefert ist, der vier Urmächte zu Wort kommen lässt: Chaos, Gaia, Eros und später vor allem Nyx. Mit Chaos ist etwas anderes angezeigt als das Tohuwabohu der Genesis oder die Leere des Weltraumes der Physiker. „Chaos (griech. cháskein – klaffen) ist anschaulich der sich öffnende Schlund, aus dem alles ins Offene und Helle herauskommt“ (266). Als Gegenüber zu dieser Urmacht gesellt sich Gaia, „die alles mütterlich nährende, ewig festen Wohnsitz gewährende göttliche Macht“ (266) hinzu. „Sie bereitet den Ort der unsterblich Olympischen wie den Ort der ewig Verdammten“ (266). Eros in seiner archaischen Gestalt tritt auf in „Gestalt als überwältigende Macht zeugender Vereinigung getrennter Geschlechter“ (266). Nyx, die Urmacht der Nacht, entbirgt aus sich selbst unberührt den Tag und den Himmelsglanz (267). Doch Kinder Phänomenologisch zeigen sich Verunstaltungen der Umgangssprache in der informierenden Mitteilung, die zu Verkürzungen und bloßem Hinzeigen tendiert, aber auch ausarten kann zu weitschweifigem Klatsch und Tratsch und bösartiger, übler Nachrede oder zum Befehlen und Anordnen pervertiert sich zeigt als Herumkommandieren und Anschnauzen. Schließlich verkommt im Verhör die Umgangssprache ins Unmenschliche, wenn es unter Folter Geständnisse erpresst (W. JANKE 2013, 261). 401 Das verdeutlicht Janke an der sophokleischen Antigone. Vgl. W. JANKE 2013, 264.265. 400

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der Nacht sind auch Moros, das Todesschicksal, Ker, die Todesgöttin, und Thanathos, der Totengott selbst. Aus all diesen Urmächten ist alles, was ist, entstanden und in Urzeugungen hervorgekommen und hat sich in grausigen Abfolgen zur Lichtherrschaft des Zeus durchgerungen (267): „Das ist dichterisch gesprochen [und nicht halbphilosophisch; d. A.] bedeutungsvoller als das klägliche Bild vom ,großen Knall‘ (big bang), mit dem die wissenschaftliche Forschung am Ende ihres Lateins die Weltentstehung beschreibt“ (267). (5) Über die Zeiten hinweg kann das dichterische Wort in seinen unvergleichlichen Entsprechungen zu kategorialen Leitfragen durch seine außerordentlichen sprachlichen Weltstiftungen rein als dichterisches angenommen, den Angang philosophisch unerklärbarer Lebensmächte und die „Winke der Götter“ unerschöpflich ausdeuten: „Was bleibt aber, stiften die Dichter“ (Hölderlin). Damit ist ein gewisser Vorrang der Dichtersprache in dieser eksistentialen Glossologie und ihrem vierfachen Sinn von Glotta als Lexis und Logos, Mythos und Poiesis eingeschrieben (267). Die vier Sprachformierungen der Welt wurden von Janke als Entsprechungen kategorialer Leitfragen deduziert: Die Welt der Alltagssprache, die Welt der Ideendialektik, die Welt religiös-kultischer Göttermythen, die Weltstiftungen der Dichter. Im abendländischen Denken liegen diese vier sprachlichen Gestaltungen miteinander im Streit. Jeder der vier Weltzugänge reklamiert den Vorrang oder das Alleinvertretungsrecht der Wahrheit und Wirklichkeit für sich. Jankes Restitutionsphilosophie setzt sich nun das Ziel, diesen alten und immer wieder aufflammenden Streit zu schlichten. Die Alltagssprache ist angemessen einzuschätzen als meist funktionierender Gebrauch von eingeübten Sprachmustern und von gemeinsamer Mundart. Das bleibt unaufhebbar, „weil der Mensch gebürtlich Bürger und Mitglied einer bestimmten versprachlichten Sorgewelt ist, die uns geschichtlich im variierenden Ernst der Lebenssorge leibhaft angeht“ (268). Eine pragmatische Versprachlichung hat aber immer die Tendenz in sich, andere, auch ungewohnte und unerhörte Kundgebungen als unnütz und überflüssig aus der Welt zu schaffen, wie es sich philosophisch zugespitzt hat in der radikalen Kritik der positivistischen Sprachlogik von Wittgenstein gegen die Sprachmetaphysik. Die Sprache sollte, von der Missdeutungen der Metaphysik geheilt, wieder zu den alltäglichen Bedeutungen zurückgeführt werden. Doch einfach die Sprachmetaphysik abzuschneiden, würde verkennen, dass wir auch Bürger der intellektuellen Welt (Kant) sind und, eksistential gesprochen, Sein verstehendes Da-sein (Heidegger). Es sei eine nach Nietzsche postnihilistisch wieder in ihr Recht eingesetzte Sprachmetaphysik, die den mit der radikalen Nihilierung der ontologisch aufgebauten Grammatik einhergehenden vollständigen Sprachverlust zur wort- und sprachlos zeigenden Geste überwinde (269). Für die hier vorgeschlagene Überwindung der Präzisierungen und Alleinvertretungsansprüche ist es wichtig, dass auch die Sprachmetaphysik ihrerseits andere Sprachgestaltungen nicht rigoros bestreitet, wie es die Ideenlogik im Fortschritt menschlicher Erkenntnis mit der begriffslosen Weisheit von

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Mythos, Religion und Poesie getan hat (269). Daher lautet der weise Schlichterspruch des Restitutionsphilosophen: „Alle vier sprachlich ausgeprägten Weltansichten widersprechen einander nicht, sie schließen sich widerspruchsfrei zusammen. Ihr gleichzeitiger Anspruch auf dasselbe, auf wirkliche Wahrheit, gründet in unterschiedlicher Hinsicht auf das menschliche Dasein. Der Mensch ist eben mit gleichem Recht und gleichberechtigtem Vermögen ,Bürger‘ vierer Welten“ (270). Die Vielfalt sprachlicher Weltbezüge scheint in eksistentialer Hinsicht wiederherstellbar zu sein. (6) In der „Eksistentialen Alethologie“ (197–208) hat Janke aufgedeckt: „Wahr und wirklich ist das, was uns in unserer Eksistenz unmittelbar angeht, betrifft, ergreift und erschüttert. Eksistential unwahr und unwirklich heißt alles, was uns gleichgültig lässt und uns nichts angeht, so richtig, allgemeingültig und verifiziert es auch sein mag“ (271). Dieser Prüfstein kann ihm zufolge zeigen, „inwiefern eksistentiale Wahrheit alle vier Sprachwelten ausprägt“ (271). So sind es denn Krisenerfahrungen, die uns aus der Gleichgültigkeit rufen und nach eksistentieller Orientierung verlangen und den logischen Erklärungen der Vernunftwissenschaft ihre Grenzen aufzeigen, wenn diese die Zeit als Messproblem und nicht als maßgebliche Eksistenzfrage im Blick auf ein nahendes Ende eines Sterbenskranken definieren will. Auch der Zufall ist eksistentiell keine akzidentielle Ursache, sondern eine Lebensmacht, welche heillos unser Zielvorhaben zerstören kann und unser Eksistieren in seiner Fraglichkeit aufrührt (272). Krisenerfahrungen können uns auch zur eksistentialen Wahrheit und Wirklichkeit der göttlichen Dinge zurückbringen: „Es sind Befindlichkeiten unserer Kreatürlichkeit und Ohnmacht in Erfahrungen des Numinosen, welche die Wahrheit des Mythos bezeugen“ (272). Werden Göttergestalten als abstrakte Personifikation und rationale Allegorien gesehen und nicht als Lebensmächte in Krisen unserer Lebenswirklichkeit erfahren, gehen sie eksistential nicht an und betreffen nicht einschneidend unsere Existenz. Alle vier differenten Sprachwelten sind für Janke einheitlich eksistential wahr, weil sie unsere Fraglichkeit betreffen und die ganze Spannweite unserer das Dasein erschließenden Befindlichkeit durchstimmen, zwischen Höhen und Tiefen. Der gemeinsame Ursprung unserer sprachlichen Weltbildungen ist damit geöffnet worden: „Die Wahrheitskriterien von Indifferenz und Kontingenz entspringen der Sorge-Eksistenz des Menschen. Da liegt der gemeinsame Ursprung aller Sprachformulierungen, in der Eksistenz des sprachbegabten Menschen als Bürger vierer Welten“ (272.273). Die Wiederentdeckung des eksistentialen Sprach-Gevierts kann dann als Ausdruck der Fülle des Daseins verstanden werden, die sich in einem Wieder-ansprechbar-sein für diese Weltzugänge zeigt. (7) Die Krise des modernen Menschen ist aber nicht nur in der totalen Orientierungslosigkeit ausfindig zu machen, sondern auch in einer Krise der Sprachformen. Doch ob der verlorene Sprachgrund auf Jankes Weise postnihilistisch wiederzufinden sei, bleibt fragwürdig. Dennoch wird abschließend ein neuer Prüfstein von Janke angeführt, wenn er auf die jüngste Geschichte des

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Sprachverfalls hinweist. Für ihn ist nämlich deutlich, dass ein Sprachverfall sich da ausbreitet, wo Sprachwelten der Tradition in Trümmer gelegt wurden. Eindringlich erinnert er an die demagogische Sophistik und die Einführung neuer Schlagworte in den Sprachgebrauch der Alltagssprache in der Zeit der NS-Diktatur, die sich bis heute zum Teil durchgehalten haben. Unter der Diktatur unduldsamer, fanatischer Weltanschauungen verfiel die Sprache unter dem Zugriff politischer Macht und einer alles gleichschaltenden Zensur (278). Die geistigen Zerstörungen des Nihilismus schufen einen Leerraum, in dem sich Pseudomythen, Pseudoideen und Pseudokult widerstandslos ausbreiteten. Die Sprachbegabung des Menschen wurde zu einer abgründigen und menschenverachtenden Gefahr. Darauf weist Janke zum Abschluss seiner Glossologie hin und erinnert an Hölderlin, der seinerseits um 1800 auf die Sprache als der „Güter Gefährlichstes“ hinwies. Mit dieser beschließenden Hinwendung zur Dichtung Hölderlins und damit der Aufnahme des Impulses von Heidegger schließt sich auch der Kreis der Besinnungen über die Sprache als schöpferisches Ereignis mit Blick auf ihren Gabecharakter, ihr Gutsein und Gefahrenpotential. (8) Mit Hölderlin macht Janke darauf aufmerksam, dass die Sprache eine Gabe ist, eine Gabe des Seins, die allein dem Menschen gegeben wurde und kein vom Menschen selbst geschaffenes Organ und Werkzeug ist. „Das Erwachen des Seins (der Natur) hat den Dichter Hölderlin erweckt: ,Das Heilige sei mein Wort!‘“ (278). Die Sprache ist ein Gut des Menschen, damit er bezeuge, was er sei. Sprache ist so gesehen nicht etwas Nützliches wie ein Beil zum Holzhacken, sondern sie gehört zu jenen menschlichen Gütern, die ihren Wert an sich selbst haben, wie der gute Wille, das reine Schöne, die wahre Liebe. Doch eine Eigenschaft eignet der Sprache, sie ist der „Güter Gefährlichstes“. Ihre Gefahr ist zumeist verhüllt. Sie ermächtigt den Menschen darin, zu „fehlen“. Der Mensch fehlt, verfehlt darin, „Zeuge des wahren Seins zu sein“ (279). Damit verfehlt „die unrechte Sprachbemächtigung [...] den Sinn menschlichen Daseins. Das ist die Gefahr aller Gefahren“ (279). Dem sprachbegabten Dichter ist in der Nacht der Götterferne und in der Krise seines Untergangs darum aufgegeben: zum göttlich schönen Ursprung der Sprache zurückzukehren. Das Göttliche ist hier die allerhaltende Liebe. Doch weil wir inmitten der Krisenund Grenzerfahrungen des Europäischen Nihilismus in präzisierender Sprache leben und auf vielen Wegen fehl gehen, betrifft uns die Sprache als abgründige Gefahr. Denn wir Sprachbegabten eksistieren inmitten der Gefahr, die Entsprechungen unserer Fraglichkeit zu verfehlen, aber auch der Gunst, die sprachliche Darlegung unserer Welt umfassend und eksistential wahr zu vollbringen. Dieser Gefahr und Gunst will Janke nun durch die Lebensmacht der Liebe begegnen, der er wieder Gehör zu verschaffen sucht (280). Dem Angang der allerhaltenden Liebe entspricht der Mensch durch die alles durchstimmende Annahme: ich liebe und bin geliebt. Durch Liebe wird er vom Hass entbunden und der Gleichgültigkeit enthoben. Die erlösende Grundannahme verändert

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alle vier Sprachgewalten der Welt durch die Macht der Liebe. Wie Isis den toten Osiris im Text restituiert hat durch die Sprache und die Macht der Liebe, so erliegt auch Janke durch die Zungenfertigkeit der Dichter der eksistential angehenden Macht der Liebe. Doch ist die Sprache der Dichter (Hölderlin) überhaupt die angehende Sprache, oder ist sie eine Sprache, die niemand mehr spricht? Darin könnten die Begrenzungen des Entwurfs liegen. Ob und inwiefern diese Sprache – jenseits von Banalisierung, Verkitschung und Romantizismen – noch verstanden, gesprochen und gehört werden kann, ist Thema des folgenden Abschnitts. b) Postnihilistische Restituierung der philosophischen Frage nach Gott durch Resakralisierung von Ehrfurcht, Vertrauen und Liebe (9) Gegen die Verabschiedung des Systemgedankens bei Kierkegaard, Nietzsche und Heidegger will Janke wieder einen einenden Systemgrund für die Seinsfrage gewinnen.402 Das könne aber nur gelingen, wenn dieses neue System getragen werde von der radikalen Fraglichkeit unseres Daseins403 und von einem Interesse, dem es um einen Ausgleich berechtigten Zwischenseins zwischen sprachlichen Weltentstehungen geht.404 Janke stellt nun seinen Entwurf selber auf den Prüfstand, wenn er sich den Grenz- und Krisenerfahrungen des modernen Menschen zuwendet. Das Krisenbewusstsein des modernen Menschen spricht sich nach dem Tode Gottes in Nietzsches Parabel als totale Orientierungslosigkeit aus (KSA, 6, 169; KSA 3, 481). Die Krisenerfahrung „Gott ist tot“ wertet alle Wertmaßstäbe um. Das zieht unter sprachphilosophischem Gesichtspunkt das Bedenken der Konsequenzen für Legende, Gebet und Kult nach sich. Die ausgesprochene Krisenerfahrung „Gott ist tot“ des „tollen Menschen“, der sich als Gottsucher präsentiert, ruft in einem Schrei der Verzweiflung: „Wohin ist Gott? rief er, ich will es euch sagen! Wir haben ihn getödtet, – ihr und ich! Wir Alle sind seine Mörder!“ (KSA 3, 481). Diesem Aphorismus folgt ein Wandel im „Werth des Gebetes“ (KSA 3, 483.484). Im Gebet zeigt sich der krisengeschüttelte Mensch als Frömmster unter denen, die Gott und alle Götter umbrachten: „in jeder Religion ist der religiöse Mensch eine Ausnahme“ (KSA 3, 484). In seiner Sprache drängt er auf Trost und Vergebung. Doch wird er sie erlangen? Es ist ein neues Beten und Anbeten, nicht mehr ein formelhaftes Nachplappern, das den Glauben an Gott nicht mehr einschließt. Es ist ein gottloses Beten, das nach dem Tode Gottes übrig bleibt und nach der Überwindung der Metaphysik eine Neuformierung der Sprache in Kultus und Ritus nach sich zieht, die erst noch gefunden werden muss (KSA 3, 481).

Vgl. W. JANKE 2013, 273. Vgl. W. JANKE 2013, 210.211. 404 Vgl. W. JANKE 2013, 273. 402 403

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Für Nietzsche ist die Sprache der Metaphysik eine lang anhaltende Täuschung über das irdische Sein und das göttliche Nichts.405 Wissenschaftlich begründbar ist für ihn nur die ewige Wiederkehr des Gleichen. Der Nihilismus eröffnet jener damit die Sprachwelt des Mythos. Wahr und lebenssteigernd sind für Nietzsche die Göttergeschichten des Dionysos. Sie wahren die rauschhafte Innigkeit von Leben und Tod. Der tanzende Gott (KSA 4, 49) tritt auf gegen den Heiland, den Gott der Kranken. Doch auch dieser Rückgriff auf die Sprachgewalt des Mythos, der die Welt des Dionysos wiederzubeleben sucht, scheitert am „furchtbarsten, unumkehrbaren Ereignis der Weltgeschichte: Gott ist tot“406. Die Aufklärung hat den Gott der Philosophen zertrümmert und das nihilistische Misstrauen den Gott des Christentums erstickt: „Tot sind alle Götter, nun wollen wir, daß der Übermensch lebe“ (KSA 4, 102). Dieser „ist nun der Sinn der Erde“ (KSA 4, 14). Janke deutet diese Reszendenz, diese Umkehr der platonisch-christlichen Transzendenz, als ungeheuren Präzisierungsprozess, der eine geistige Sprachleere schaffe, da er die Sprachwurzeln zum Göttlichen hin abschneide. Die radikal neuen Möglichkeiten, die diese Offenheit nach sich zieht, sind für Janke bedrohlich. Daher fordert er eine Rückkehr zu einer existenzial angehenden Metaphysik nach ihrer Überwindung. Dazu nötigen nicht zuletzt die politischen Konsequenzen und nachhaltigen Wirkung einer ideologischen Nietzsche-Deutung. Jankes Nietzsche-Interpretation, so wird sich zeigen, bleibt jedoch in einer anderen Hinsicht problematisch, wenn sie den Tod Gottes als Nihilismus deutet und nicht das schöpferische Potential der radikal neuen Deutungsmöglichkeiten aufnimmt.407 Das Land war nach der Ausfahrt aus dem Hafen wieder schnell in Sicht und das rettende Ufer wird, zwar mit neu sortierter Fracht, aber doch zielsicher angesteuert (KSA 3, 574). (10) Einen abschließenden Anlauf zur Restitution der Seins- und Gottesfrage unternimmt Janke in seinen letzten beiden Werken Fragen, die uns angehen (2016) und Die Seinsfrage (2018) unter der Frage: „Ist die Seinsfrage nach Gott überhaupt noch wiederherstellbar?“408 Janke zieht hier die Bilanz seines transzendentalkritischen, existenzialen Nachfragens. Das erste Werk versucht in sechzehn Traktaten, eine „Phänomenologie unaufhebbarer Fraglichkeit ecsistentialer Daseinsinteressen“ wiederherzustellen, indem es „diejenigen Grund- und Grenzfragen zu restituieren [sucht], die uns Menschen in unserer ursprünglichen Fraglichkeit seit dem Tode des wunderlichen Sokrates in Atem halten und die uns heute, da die Sonne Platos erloschen und die Moraltheologie Kants zuschanden geworden ist, dringender angehen denn je.“409 Restitutionsphilosophisch werden Ehrfurcht, Vertrauen und Liebe als „GrundVgl. W. JANKE 2013, 275. Vgl. W. JANKE 2013, 276. 407 Vgl. zu dieser Deutungsmöglichkeit Kapitel 8 in diesem Buch. 408 W. JANKE 2018, 201–227. 409 W. JANKE 2016, 16. 405 406

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verhaltungen menschlicher Ecsistenz, die unmittelbar Zugänge zu Ehrfurchtsgebietendem [sic!], Vertrauenswürdigem und Liebenswürdigem offenhalten“, postmetaphysisch als „Dreiweg zum verborgen Gott“, als „Sakralgefüge“, wieder zusammengeführt, „verflochten“ als „privilegierte[r] Zugang zu Gott“410, der explizit als „Heilsmethode“411 verstanden wird, wozu nicht zuletzt „mythische Kunde“ als Korrektiv für die Lädierung dienen soll, um die „Vermessenheit und Hybris eines modernen, Gott entsetzenden Totalitarismus wieder zu überwinden.“412 Dieser Weg sei nicht wirklichkeitsfremd oder remythisierend, sondern nehme die moderne Krise nihilistischer Sinnlosigkeit ernst und möchte den methodologischen Positivismus durch eine neue Suche nach dem verborgenen Gott überwinden. (11) In seinem letzten Werk Die Seinsfrage. Grundzüge einer restitutiven Ontologie413 geht es Janke noch einmal um die Wiederherstellung der Seinsfrage angesichts ihrer neuzeitlichen prinzipiellen Infragestellung. In fünf Teilgebieten der Restitution – als Seinslehre zwischen Sein und Nichts (25–47), als Kategorienlehre zwischen Substanz und Akzidenz (50–93), als Wesenslehre zwischen Idee und Materie (95–118), als Transzendentalienlehre zwischen Einheit und Vielheit, Wahrheit und Schönheit (119–161), als Existenzlehre zwischen existentia und Existenzialität (163–200) – geht es Janke bei der Suche nach unausgeschöpften Traditionsbeständen „mitthematisch“ um „eine sachlich, methodisch und philosophiegeschichtlich tiefreichende Umdeutung der Existenz“, die darauf abzielt, in sachlich angemessener Auseinandersetzung mit Heideggers seinsgeschichtlicher Kehre „substanzontologische Vereinseitigungen aufzudecken“ und „das Existieren des Daseins postmetaphysisch neu darzulegen“ (163) auf „Grundlage des Zwischenseins [– zwischen Sein und Nichts –] unseres principial fraglichen Daseins“ (201). Die in diesem fünffachen Rückgang abgeblendete „Frage nach Gott, vorzüglich nach der Erfaßbarkeit oder Unerforschlichkeit seines Wesens, der Beweisbarkeit oder Unbeweisbarkeit seiner Existenz, der Rationalität einer Verstandesmetaphysik oder einer Logik des Herzens“ (201), ist nun aufgerufen, denn „Ontologie und Metaphysik, d. h. philosophische Seins- und Gottesforschung, schließen einander nicht aus, sondern ein“ (201). Mit Nietzsches zeitdiagnostischem Ruf „Gott ist todt!“ sind, so Jankes Hypothese, „drei ungeheure[] Umwertungen“ (203) verbunden: Das „Umschlagen des Gottvertrauens in nihilistisches Mißtrauen“, der „Entzug der Gottesfurcht in Ehrfurchtslosigkeit“ und die „Nichtung der Gottesliebe in Gotteshaß“ (203). Die Antwort auf die Frage, wie wir es vermochten, Gott zu töten, heißt daher: „Gott ist tot, wenn ihm das rechte Vertrauen entzogen, die Ehrfurcht versagt W. JANKE 2016, 182.183. W. JANKE 2016, 22–24. 412 W. JANKE 2016, 188. 413 W. JANKE 2018. Die Seitenzahlen im Haupttext beziehen sich auf dieses Werk. 410 411

5.3 Neuansätze Philosophischer Theologie (Weischedel und Janke)

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und die Liebe vorenthalten wird“ (204). Die Entsakralisierung von Ehrfurcht, Liebe und Vertrauen führt zum Tod Gottes. Wenn diese „dreifache Abkehr von Gott unumkehrbar“ ist, „dann dürfte die Wiederherstellung einer philosophischen Theologie im Schatten des Nihilismus unmöglich sein.“ (204) Aber Janke bleibt nicht bei einer „vielgestaltige[n] Gott-ist-tot-Theologie“414 stehen, sondern fragt seinerseits „krisenlösend[]“ (204) und daseinsanalytisch in kritischer Sichtung von Martin Heideggers Vorschlag vom „letzten Gott“ als „de[m] ganz andere[n]“ (204–208) und im „Durchkreuzen“ zweier von Heideggers Denkwegen beeinflussten und zu seiner „Kehre“ oppositionellen „postnihilistischer Theologien“ (212) – Walter Bröckers415 Vorschlag einer poetischen Theologie als erinnerndes Andenken an Gott (208–210) und Wilhelm Weischedels Vorschlag des „Vonwoher radikaler Fraglichkeit“, der letztlich zum Verzicht auf und zum Schweigen von Gott führe (210–212) –: „Kann im Riesenschatten des Europäischen Nihilismus irgendeine haltbare Theologie nach dem Tod Gottes philosophisch wiederhergestellt werden?“ (204). (12) Es ist für Janke nicht die radikale Fraglichkeit Weischedels und auch nicht „die initiale Streitfrage, ob Gott primär im Herzen oder im Denken ist“ (214), sondern „die principiale Fraglichkeit menschlichen Daseins [...], welche unentwegt das Sein Gottes und der Götter ins Fragliche hält“ (212), um „die aufzubringenden Resakralisierungen im einzelnen wie in ihrer Vergemeinschaftung aufzuweisen“ (214). Das geschieht in der Wiedergewinnung der phänomenologischen Ehrfurcht als Lebensmacht, die, in mythologischer Vorgabe (214–216), davor bewahrt, sich dem Numinosen und Göttlichen spekulativ zudringlich und existenzvergessen in der affirmativen Theologie des Hegelschen Systems zu nähern und so wieder (mit Goethe) lehrt, „das Unerforschliche ruhig zu verehren“ (216). Das erhellt das Paradox: „Je tiefer die Erforschung des Erforschbaren fortschreitet, desto offener kommt das Unerforschliche zu Tage. Je ruhiger das Unerforschliche verehrt wird, desto näher geht uns das Göttliche als ein wahrhaft zu verehrendes an.“ (216). Die „Abwehr atheistischer, schändlicher Verunglimpfungen“ (217) lenkt weder einfach auf die negative Theologie eines Deus absconditus und einer Unerforschlichkeit des namenlosen Gottes zurück (216.217) noch auf eine philosophische Mystik, sie mündet auch nicht in einem Schweigen, sondern: „Es bleibt vielmehr die Unruhe eines Fragens, welches das Sein des unerforschlichen Gottes ehrfurchtsvoll gegen abschätzige Zudringlichkeiten abschirmt“ (217). Dieser so angedeuteten Resakralisierung der Ehrfurcht vor dem GöttlichUnerforschlichen folgt eine des Vertrauens als Wagnis (217–220). Zwar könne eine postnihilistische Resakralisierung nicht einfach auf die alttestamentliche 414 W. JANKE 2018, 204.205 verweist auf Leonardo Boff, Thomas J. J. Altizer und Dorothee Sölle, deren „christologischen Neudeutungen [...] die Zuständigkeit einer philosophisch-ontologischen Verwindung“ (a. a. O., 205) überschritten hätten. 415 W. B RÖCKER 1980.

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Weisheit verweisen, die das fragliche Vertrauen „vermenschlicht“ (218), noch auf lutherisches „Gottvertrauen des Christenmenschen“ (218), doch sie traue sich zu, „ein Wagnis des Gottvertrauens wiederherzustellen“ in Opposition zu einem vulgären Misstrauen gegen ein kultisch-religiöses Gottvertrauen, das letztlich „das Mitsein mit anderen in der Welt zur Hölle gegenseitiger Verdächtigungen, niederträchtiger Unterstellungen, trostloser Treulosigkeiten“ (219.220) mache: „Vertrauen lebt eben vom Wagnis, sich ohne Rückversicherung in die Hände dessen zu begeben, dem man vertraut“ (220) – heute jedoch überragen „Türme der Versicherungsgebäude [...] die Dome der Christenheit“ (220) –, eben in die Hände eines Gottes, „der als getreuer Gott ein ewiges Vertrauen vor nihilistischem Mißtrauen bewahrt“ (220). (13) Auf dem von Janke eingeschlagenen Restitutionsweg fehlt zur Wiederherstellung der philosophischen Frage nach dem Sein Gottes noch die Resakralisierung der Liebe im Schatten des Nihilismus (220–223), die er in der Wiederherstellung der Heiligung des Zeugungsaktes als „Angang der Ewigkeit“ sieht, „da uns das Fortwähren in den Nachkommen aufscheint und unser Gewesensein im Andenken am Leben hält. Die Sakralisierung der Geschlechtervereinigung drückt sich ehrfurchtsgebietend als Pietät gegenüber den Ahnen aus“ (221). Hier scheint unzeitgemäß der mythisch-theologische Horizont einer sich kosmogonisch und theogonisch erstreckenden heiligen Hochzeit (hieròs gámos) in der Moderne auf (221), die die „Liebe radikal profaniert“ (220), das Lustprinzip, die libido sexualis und nicht zuletzt das „Wunder der Liebe“ entromantisiert und zu Verführungsstrategien und zum „Geschlechterkrieg“ (220) verunstaltet hat. Für Janke zeichnet sich eine Resakralisierung ab, „wenn es um die existenziale Struktur der Liebe anläßlich des Todes des geliebten Du geht“ (222) und sich „unbedingte Liebe zum Du und absolutes Vertrauen zu einem Einklang verbinden“ (222). Trost biete das Hölderlin-Wort „,und alles Getrennte findet sich wieder‘“ (223). Diese drei Resakralisierungen von Gottes(ehr)furcht, Gottesliebe und Gottvertrauen verweisen aufeinander und gehen miteinander eine Vergemeinschaftung ein (223). Jankes Hypothese heißt nun: „Erweisen sich nun Ehrfurcht, Liebe und Vertrauen als Dreiweg zum verborgenen Gott, dann zeichnet sich eine ,sakrales‘ Geviert als Grundriß einer restitutiven Theologie im Schatten des Nihilismus ab“ (223). Die Darlegung der Verflechtung der drei Grundbefindlichkeiten (Existenzialien) dient dem Ermessen ihrer Reichweite als Zugang zum uns angehenden und doch unfasslichen und unantastbaren Göttlichen und Heiligen (Numinosen). Resakralisierte Ehrfurcht sucht das Göttliche und Heilige als Unerforschliches und damit als „ein Rettendes“ zu wahren. Diese Restitution soll nicht zuletzt vor einem grenzenlosen Forschergeist bewahren, der sich als „ehrfurchtslose Maßlosigkeit“ (223) zeige. Die Resakralisierung der Liebe dient der Wiederherstellung der Hingabe menschlichen Seins an die Gottesliebe (224). So laufen Ehrfurcht und Liebe zusammen zum verborgenen Gott, einerseits als Abwehr der Übersteigerungen der spekulativ-affirmativen

5.3 Neuansätze Philosophischer Theologie (Weischedel und Janke)

415

Theologie wie der Abwertungen der nihilistischen Antitheologie und andererseits (mit Augustinus [Confessiones I, 1]) als „innige Vereinigung der unruhevoll aufsteigenden Liebe menschlichen Daseins zu Gott und der herabsteigenden Liebe Gottes (caritas Dei) zum menschlichen Dasein“ (224). Unvollständig bleibt diese Resakralisierung, da sie keinerlei Vergewisserung bietet, sondern fragender Verunsicherung ausgesetzt bleibt (KSA 3, 489). Hier bleibt für Janke nur das „Wagnis, über den Abgrund der Ungewißheit zu springen“ (224). Diesen Wagnischarakter hat das Vertrauen. Es ist ein Wagnis, ein absolutes Vertrauen, sein ganzes Existieren auf die Liebe Gottes zu setzen. So schließen sich für Janke die Ehrfurcht vor dem unerforschlichen Gott, Gottesliebe und Gottvertrauen „im resakralisierten Da-sein“ zu einem „sakralen Geviert“ zusammen (224). (14) Die restitutive Theologie schließt sich am Ende an die in Grundzügen ausgearbeitete Ontologie an. Doch bleibt sie nur zusammenhanglos angehängt oder schließt sie sich auch mit der Ontologie zusammen (224)? Für Janke dringen die Resakralisierungen im Grunde darauf, „die principiale Fraglichkeit menschlichen Daseins in die Anliegen des Zwischenseins zwischen Sein und Nichts aufzunehmen“ (224). Dass diese philosophisch-theologischen Ausführungen zur Wiederherstellung der Seinsfrage keine wirklichkeitsfremde Debatte um Begriffe oder ein bloß innerakademischer Schulstreit über die Möglichkeit oder Unmöglichkeit von Metaphysik und philosophischer Theologie sind, macht Janke zum Abschluss klar und holt damit seine Ausgangsfrage wieder ein.416 Für ihn stehen wir „philosophisch [...] heute in der Not einer Sinnkrise von Gottverlorenheit und Seinsvergessenheit, da es noch unentschieden ist, ob totalitärer Haß oder resakralisierte Liebe unser Schicksal auf dieser Erde bestimmt und entweder das Sein unseres Daseins rettet oder das Nichts, Vernichtung und Tod den Weltenbrand bereitet“ (225). Die Situation bleibt offen, das Dasein als Zwischensein gehalten und die existentiell abgründige Krisensituation dieser Fragestellung klar herausgestellt. Die philosophische Gegenwartsanalyse des gegenwärtigen Zeitalters als präzisierter Welt leistet einen zeitgeschichtlich und systematisch relevanten Beitrag zur Phänomenerhellung in existenzialhermeneutischer Absicht. Sie ist in ihrer diagnostischen Kraft auch für eine Theologie in der Moderne unverzichtbar. Ob allerdings der Weg einer mitunter mythisierenden und romantisierenden Restitution tatsächlich einen Ausweg aus dem Schatten des Nihilismus bietet, ist zu hinterfragen, bleibt aber systemimmanent plausibel, wenn es um die Wiedereinsetzung gleichberechtigter sprachlicher Zugänge zur Welt geht. Mit dem zum Dasein unhintergehbar gehörenden Aushalten von Ambivalenzen im Zwischensein unseres Existierens ist eine existenziale Denkfigur aufgerufen, die systematisch-theologisch anschlussfähig ist. So schließt Janke sein letztes Werk mit einem hellsichtigen Andenken an zwei restituierbare 416

Vgl. Abschnitt 5.3.2 und W. JANKE 2013, 13.

416

5 Der Tod Gottes als Deutungskategorie und philosophische Denkfigur

sakrale Liebesverheißungen gegen vernichten wollende Hassentladungen als Signatur unseres Zeitalters (225–227). Die „zwei Gipfelworte“ finden sich aufgezeichnet bei Sophokles in der Tragödie Antigone – „Nicht mitzuhassen, mitzulieben bin ich da“ – und im Neuen Testament im Wort Jesu in der lukanischen Feldrede (Lk 6, 27) – „Liebet eure Feinde, tut Gutes denen, die euch hassen.“ In der sophokleischen sinnstiftenden Sentenz der Antigone und im jesuanisch-christlichen Gebot der Feindesliebe sieht Janke in „hermeneutischer Welthorizontdurchlässigkeit“ (226) einen auch gegenwärtig in einer Welt des zunehmenden Hasses unverminderten Angang der „unerhörten Stimmen der Vergangenheit“ (227). Sie sind bei ihm verbunden mit der Einsicht der Moderne, dass metaphysische Aussagen existentiell angehendes sinnhaftes Orientierungswissen sind.

5.4 Fazit und Ausblick: Philosophische Theologie nach dem größten neueren Ereignis 5.4 Philosophische Theologie nach dem größten neueren Ereignis

(1) Im Rückblick auf dieses Kapitel über die philosophischen Denk- und Deutungsvarianten des Todes Gottes zeigen sich die Reichweite und die Grenze von Hegels umstrittenem und reizvollem Wort „Philosophie [ist] ihre Zeit in Gedanken erfaßt“ (ThWA 7, 26). Hegel bindet im Vorwort zur Rechtsphilosophie (1821) die Philosophie als Wissenschaft an die geschichtliche Wirklichkeit ihrer jeweiligen Zeit: „Das was ist zu begreifen, ist die Aufgabe der Philosophie, denn das was ist, ist die Vernunft“ (ThWA 7, 26). Die Philosophie ist gedanklicher, in den Begriff und in den Gedanken erhobener Ausdruck ihres Zeitalters. Seine Zeit deutet Hegel als „neue Zeit“ und wird damit zum ersten Denker und Deuter der Moderne. In der Phänomenologie des Geistes charakterisiert er die „epochale Krisensituation“417 seiner Gegenwart als „eine Zeit der Geburt und des Übergangs zu einer neuen Periode“418; mit der Französischen Revolution beginne eine neue Zeit, eine ganz neue Epoche in der Weltgeschichte, in deren Zerrissenheit und Krise Hegel Antike und Moderne, Substanz und Subjekt im Geist versöhnen will. Dazu nimmt er die erfolgte Trennung von Metaphysik und Geschichte zurück, restauriert aber nicht einfach die alte Metaphysik, sondern entwickelt diese unter ihrer Aufnahme zu einer neuen Gestalt.419 Das bedeutet also weiterhin, dass die prima philosophia, also die Metaphysik, ihrer Aufgabe nachkommen kann, zu ergründen und zu begreifen, was im Grunde und in Wahrheit ist, also nach den Ideen oder dem Vernunftgebenden G. ROHRMOSER 2009, 135. G. W. F. HEGEL 1988, 9 (GW 9, 14). Zu Hegels Diagnostik seiner eigenen Zeit vgl. G. ROHRMOSER 2009, 44–57. 419 Vgl. G. R OHRMOSER 2009, 137.138. 417 418

5.4 Philosophische Theologie nach dem größten neueren Ereignis

417

zu fragen, die aber kein Außer- oder Überweltliches sind. Für Hegel arbeitet die Vernunft in der Geschichte, der Weltgeist, daran, sich selbst hervorzubringen im dialektischen Fortschreiten vom despotisch-orientalischen über das aristokratisch-griechische bis zum gegenwärtigen christlich-germanischen Weltalter. In diesem ist die Idee der Freiheit aller Menschen allgemeines Bewusstsein geworden. Für Hegel bildet die christliche Welt die Welt der Vollendung. Im Zeitalter der sich gänzlich durchsichtig gewordenen Vernunft vermag es die Philosophie, alle Wahrheiten und Ideen abschließend in einem vollständigen System des absoluten Geistes zusammenzuschließen. Das Prinzip hat sich in der Zeit, in der Endlichkeit, erfüllt. Doch Hegels System vermag nicht mehr das unsere gegenwärtige Zeit Bestimmende, die geschichtliche Epoche des Positivismus, Nihilismus, Historismus und Relativismus in Gedanken zu fassen; der Glaube an die absolute Aussöhnung von Vernunft und Wirklichkeit ist vergangen und verloren. Das gegenwärtige Zeitalter ist eine Epoche der „präzisierten Welt“ (W. Janke). Das macht Nietzsches weltverrückender Ruf „Gott ist todt!“ unwiederbringlich klar. In den modernen Gesellschaften der Gegenwart scheint „die Sehnsucht nach dem dürftigen Gefühl des Göttlichen“ nicht mehr präsent zu sein, nur noch „ein fast rest- und bruchlos mit dem Endlichen in Affirmation übereistimmendes Bewusstsein, so dass sogar das Bewusstsein des Verlustes verlorengegangen ist, dass das Absolute verlorengegangen ist.“420 Für Hegel war das Bewusstsein, dass das Absolute verlorengegangen ist und die Sehnsucht noch da ist, der Anknüpfungspunkt. Hiermit ist die Differenz von Hegels Diagnose zu Nietzsches markiert: Das Bewusstsein vom Verlust ist verloren gegangen. Mit Hegels Worten aus der Vorrede zur ersten Ausgabe der Wissenschaft der Logik (1812/1813), einer „Onto-theo-historico-Logik“421, die als Gegenprogramm zum Verlust entworfen wurde, formuliert: „Indem so die Wissenschaft und der gemeine Menschenverstand sich in die Hände arbeiteten, den Untergang der Metaphysik zu bewirken, so schien das sonderbare Schauspiel herbeygeführt zu werden, ein gebildetes Volk ohne Metaphysik zu sehen; – wie einen sonst mannichfaltig ausgeschmückten Tempel ohne Allerheiligstes.“422 Ein gebildetes Volk ohne Metaphysik stellt „keine Grundfragen von der Art ,Was ist das Sein? Was ist das Nichts? Was ist Wesen? Was ist die Idee? Was ist Geist?‘.“423 Die Grundstimmung seiner Zeit brachte Hegel 1802 mit dem Satz „Gott selbst ist todt“ auf den Punkt. Das Gefühl vom Tode Gottes ist die Erfahrung des Abgrunds des Nichts, die alle rationale und moralische Metaphysik hinter sich gelassen hat. Dieses Gefühl reduzierte Hegel unter Rückgriff auf die orthodoxe dogmatische Christologie spekulativ zu einem Moment im Vgl. G. ROHRMOSER 2009, 67.68. W. JANKE 2009, 125; vgl. auch zur Kritik des Programms a. a. O., 125–172. 422 G. W. F. H EGEL, GW 11, 5. 423 W. JANKE 2009, 125. 420 421

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5 Der Tod Gottes als Deutungskategorie und philosophische Denkfigur

Leben Gottes und suchte so die Religion durch ihre Säkularisierung in der wahren Philosophie als zeitgemäße Theologie zu vollenden. Anders als Fichte, der im Atheismusstreit eine „selbstbewußte Personhaftigkeit göttlichen Seins als Verendlichung und Vermenschlichung ausschloß, hält Hegel im Geiste der offenbaren (christlichen) Religion an der trinitarischen Personhaftigkeit Gottes fest.“424 In Gott, den er durch wissenschaftliches Denken zu erfassen sucht, im Absoluten selbst, ist die unendliche Negation angelegt, die dadurch ausgedrückt wird, dass in dieser besonderen (zweiten) Person Gott selbst gestorben ist. Hegels Gotteslehre und Lehre von der Religion sind eng miteinander verflochten, wenn es in der Religion als Selbstverhältnis des Geistes um das Wechselverhältnis von objektivem Gottesgedanken und menschlichem Gottesbewusstsein geht und Gott als Geist nur in seiner Gemeinde gegenwärtig ist. Das christliche Prinzip der Versöhnung „säkularisiert“ sich, es geht ein in die Wirklichkeit und geht in dieser auf, damit das „soziale Band“ in der Moderne nicht zerreißt.425 Doch seit der Französischen Revolution haben sich die sich entwickelnden modernen Gesellschaften von der bisherigen von Platonismus und Christentum bestimmten Geschichte gelöst. (2) Bei der von Hegel angestrebten versöhnenden Vermittlung von Metaphysik und Geschichte geht Nietzsche nicht mit. Was mit Gott verloren gegangen ist, lässt die Vielen, denen der „tolle Mensch“ mit seiner Frage „Wohin ist Gott?“ und seinem weltverrückenden Ausruf „Gott ist todt!“ entgegentritt, unbeeindruckt. Nietzsches mit diesem Wort ausgedrückte Entplatonisierung und Entchristlichung betrifft alle Werte, Normen, Ideale, die auf dem Boden der antik-christlichen Tradition entstanden sind. Nietzsche sieht die Metaphysik kritisch und will ihren abstrakten Dualismus der Zwei-Welten-Theorie als eine Philosophie, die nach zeitlosen und ewigen Wahrheiten (Ideen) fragt, destruieren, bleibt aber in seiner Diagnose des Unvorstellbaren der Metaphorik der Metaphysik verhaftet und zeichnet so den Tod Gottes in dialektischer Umkehrung in die Geschichte der Metaphysik ein. Nietzsche diagnostiziert als Denker des Übergangs einen bisher nicht dagewesen Traditionsabbruch, dessen Folgen erst in den nächsten zwei Jahrhunderten sichtbar werden würden. Die Heraufkunft des europäischen Nihilismus ist durch das Christentum und seine Moralvorstellungen mitbefördert worden. Nietzsches neue Philosophie, die Kunst des Misstrauens, kennt jedoch kein Zurück („,Gott‘ ist heute bloß ein verblichenes Wort, nicht einmal mehr ein Begriff!“ [gegen Hegel; d. A.]; KSA 12, 346), sondern will die Sinn- und Orientierungskrise nach dem größten neueren Ereignis des Todes Gottes als Verlust des höchsten Wertzentrums aushalten. Die beschriebene Heraufkunft des pathologischen Nihilismus zeigt in massiver Zurückweisung des transzendentalen Idealismus die große Angst der Moderne an, die Sinnlosigkeit von allem. Das radikal Offene („,offenes Meer‘“) ist 424 425

W. JANKE 2009, 145. Vgl. J. HABERMAS 2019b, II, 474; vgl. G. ROHRMOSER 2009, 135–140; 143–146.

5.4 Philosophische Theologie nach dem größten neueren Ereignis

419

ambivalent, es symbolisiert die radikale Orientierungslosigkeit („Irren wir nicht wie durch ein unendliches Nichts?“) und die radikal neuen Möglichkeiten („Unser neues ,Unendliches‘“). Die Welt „hat keinen Sinn hinter sich, sondern unzählige Sinne ,Perspektivismus‘“426 (KSA 12, 315); „Nihilismus als der „interpretative Charakter des Lebens“ bedeutet „,Ziellosigkeit‘“ (KSA 12, 316), die Geschichte ist nach dem Tod Gottes ohne télos. Auch ein neues Verstehen des Menschen („Über-Mensch“) verhilft nicht zur Überwindung des Nihilismus. Es ist eher die Morgenröthe einer neuen Zeit, in der das Sinnlose zum ,Sinn‘, „Halt im oder sogar am Haltlosen“ gesucht wird und in der ein „Arbeiten am Ungewissen“ (W. Stegmaier) erst am Anfang steht. Eine Überwindung des Nihilismus liegt nicht in Nietzsches Interesse, vielmehr muss man sich im Nihilismus orientieren. Eine Umwertung aller Werte bleibt von ihm unausgeführt. Die Welt ist bleibend aus den Fugen geraten. (3) Der westeuropäische Weg zum Massenatheismus hat erst mehr als einhundert Jahre nach dem Tod Hegels eingesetzt. Nach dem Abschied vom Schöpfergott führt die nun behauptete Sonderstellung menschlichen Existierens in einer Welt ohne Gott in der Zeit des weltgeschichtlichen Epocheneinschnitts nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zu einer Kontroverse zwischen Jean-Paul Sartre und Martin Heidegger. Beide Denker drücken nicht nur auf ihre Weise einen neuen radikalen Umgang mit dem Motiv vom Tod Gottes aus, sondern sind mit ihren philosophischen Weltanschauungen auch heillos in die großen mörderischen und totalitären Ideologien des 20. Jahrhunderts verstrickt. Sie sind bleibende Warnung und Mahnung, unsere eigenen Positionen immer wieder ideologiekritisch mit dem nicht enden wollenden Fragen zu überprüfen. Mit dem Existenzialismus wird eine radikale Neubegründung des Menschen gesucht, die nicht mehr mit der Unterscheidung von Schöpfer und Geschöpf operiert. Die Existenz gehe dem Wesen voraus („L’existence précède l’essence.“) und man müsse mit der Subjektivität beginnen. Die Möglichkeit eines offenen Selbstentwurfs heißt: Der Mensch ist nichts als das, wozu er sich macht („L’homme est d’abord un projet, qui se vit subjectivement.“). Heidegger weist im „Humanismus“-Brief Sartres Bezug auf Sein und Zeit (§ 9) als oberflächliche Scheinrevolution gegen die Metaphysik zurück, denn die Umkehrung eines metaphysischen Satzes bleibe ein metaphysischer Satz. Schließlich bleibt der atheistische Existenzialismus mit seiner Herausstellung der totalen individuellen Freiheit eine nutzlose Passion, denn sein Begehren, sich an die Stelle Gottes zu setzen, scheitert. Um diesem solipsistischen Existentialismus zu entkommen, sympathisierte Sartre mit dem sowjetischen Marxismus, blendete aber die Massenmorde der totalitären Diktatur aus, um den Marxschen Marxismus durch eine methodische Reintegration des Existentialismus in diesen zu restituieren und so Entfremdung und Ausbeutung durch die bestehenden kapi426

Vgl. hierzu Kapitel 9 in diesem Buch.

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5 Der Tod Gottes als Deutungskategorie und philosophische Denkfigur

talistischen Produktionsverhältnisse verstehbar zu machen. Damit löst sich Sartres Philosophie in eine verhängnisvolle Weltanschauung auf. (4) Auch bei Martin Heidegger ist eine verhängnisvolle Verstrickung durch seine Nähe zur nationalsozialistischen Weltanschauung und seine antisemitische Haltung als eine Hintergrundfolie seines Denkens nicht auszublenden. In Zeiten der politischen Umbruchssituation nach dem Ersten Weltkrieg und nach 1933 hat sich auf Nietzsches Begriff des Nihilismus berufen, deutete ihn aber selbständig um und aus. Er sah den Nihilismus als Folge des Todes Gottes an und bemühte sich um seine Überwindung. Nietzsche spreche zwar aus, was in der abendländische Geschichte der Metaphysik als Geschichte der Seinsvergessenheit immer schon unausgesprochen gesagt worden sei – Gott ist tot –, stelle aber nicht die notwendige Frage nach dem Sinn von Sein. Denn Heidegger sucht anders als Nietzsche nach der Überwindung des Nihilismus, wenn er diesen als Seinsvergessenheit und Angst vor dem Leben deutet, und die Überwindung in einem neuen Andenken ursprünglichen Denkens möglich sieht, das das Erscheinen einer neuen Metaphysik und das Kommen eines letzten Gottes nicht ausschließt. Dieses anfangende Denken will Zukünftiges denken als Entgegendenken dessen, was sich-ereignend auf einen zukommt. Erste Denkwege führen zu seiner diesseitsorientierten Daseinsanalyse des Seins zum Tode und seiner Deutung der wesentlichen Zeitlichkeit als Endlichkeits- und Sterblichkeitsbewusstsein. Heideggers philosophische Thanatologie in Sein und Zeit kennt keine Hoffnung mehr über den Tod hinaus; mit der christlichen Eschatologie ist es hier aus. Nach dem Schöpfergott ist auch der Vollendergott erledigt. Doch Heideggers spätes Denken spricht wieder von der Möglichkeit einer die Endlichkeit transzendierende Offenheit für die Ankunft eines kommendes Gottes der Poeten. Dieser Anfangsgrund liegt nicht verschüttet hinter uns, sondern er steht als ein Künftiges vor uns, umhüllt in „dürftiger Zeit“ vom europäischen Nihilismus und in der Gefahr totaler Seinsverlassenheit. Der „Fehl Gottes“ (Hölderlin) meint ein zweifaches: die Flucht der Götter und des Gottes als ihr Nichtmehr und das Nochnicht des Erscheinen des „letzten Gottes“. Dafür sucht Heidegger eine Grundstimmung zu wecken und entdeckt sie in der tiefen Langeweile als ein philosophisches Heimweh und Versetzen ins Offene im Vollzug des Denkens. Der Mensch als Offenheit des Daseins befindet sich wesentlich im Übergang in die Gewesenheit und Zukunft, versehen und versetzt in die Ambivalenz des Staunens. Mit der Freilegung jenes anderen Anfangs der Philosophie in der Dichtung, in der sich das Rettende aus der Gefahr zeigt („,Wo aber Gefahr ist, wächst | Das Rettende auch‘“), bleibt er zwar der Offenheit von Nietzsches Denkens verbunden, fokussiert diese aber (mit Hölderlin) nunmehr auf das Warten auf den rettenden „göttlichen Gott“ und erinnert mit seiner Rede vom Welt-Geviert an das schonende Wohnen der einigen Vier, der Sterblichen und Göttlichen und der Erde und des Himmels. Bleibt „[...] zu bedenken [...], ob der Gott nicht göttlicher ist in der Frage nach ihm oder dann, wenn er gewiß ist [...]“ (GA 6.1, 324). In der

5.4 Philosophische Theologie nach dem größten neueren Ereignis

421

Frage nach Gott wird die Göttlichkeit Gottes gewahrt und nicht in seiner Erkenntnis im Glauben oder philosophischem Denken. In den Beiträgen zur Philosophie Vom Ereignis liegt ein gewagter Versuch vor, der „im Zeitalter des Übergangs von der Metaphysik in das seynsgeschichtliche Denken [...] aus der ursprünglicheren Grundstellung in der Frage nach der Wahrheit des Seyns zu denken“ (GA 65, 3) sich anschickt, und Gedankengänge zu beschreiten sucht, die im Denken des Ereignisses die Substanzontologie verabschieden, um Stimmungen und das Er-eignis ins Zentrum des Frageinteresses zu rücken. Klarer wird hier, dass das künftige Denken als anfängliches Denken von einem anderen Anfang herkommt als der platonische Anfang der Philosophie und Metaphysik. Er ereignet sich im Vollzug des Wunders des Fragens, im Gehen und im Weg. Nur auf diesem Weg entsteht das Land als das Zwischen, das das Dasein dem Gott er-eignet. In der Stimmung wird das Seyn als Ereignis im Da-sein bewahrt. Die Grundstimmung des anderen Anfangs, und auch der Übergang zu ihr, kann nicht mit einem Namen benannt werden, sondern drückt in ihrer Vielnamigkeit das Unbegreifliche alles Einfachen aus. Eine Namensgebung mit einem überlieferten Wort würde ihren Reichtum und ihre Befremdlichkeit nicht ausdrücken können. Die Grundstimmung des ersten Anfangs war das Er-staunen, die Grundstimmung des anderen Anfangs ist vielnamig: das Er-ahnen von Zukünftigem. Aus der Grundstimmung fügt sich in neuen Fügungen die aus den Fugen geratene Welt, um die Nacht der Götterferne zu bestehen und für die Ankunft des letzten Gottes gestimmt zu sein. Doch nur vereinzelte Zukünftige kommen vor dem Wink der letzten Gottheit zu stehen. Fern jeder Öffentlichkeit wird Verhaltenheit und Verschwiegenheit die Feier für den letzten Gott sein. Die Deutung des letzten Gottes bleibt umstritten; ist es eine theologische Wende im Denken Heideggers oder eine nostalgische Rückkehr zum romantischen Mythos mit dem Ziel, den Tod des metaphysischen Gottes zu überwinden? Auf jeden Fall steht hier „der ganz Andere“ gegen die gewesenen Götter und den christlichen Gott. Der ganz andere Gott gehört nicht in den Wesensbereich des Theismus, der nur Gott innerhalb des Seienden zu suchen und zu glauben vermag, und dessen Leugnung und Nihilierung Atheismus heißt. Jenseits einer verrechnenden mono-, pan- oder a-theistischen Bestimmung weist Heidegger dem letzten Gott eine unvergleichbare Sonderstellung zu. Alle Theismen fallen mit dem Tod Gottes dahin. Der letzte Gott waltet ereignisgeschichtlich rettend in befremdlicher Einzigkeit und Unausrechenbarkeit. Dieser Gott ist nicht berechenbar, nicht verfügbar, nicht präzisierbar, ist keine Erfindung oder Projektion und offenbart sich nicht in einem Menschen. Auch die Götter haben den Menschen nicht erschaffen. Zur rechten Zeit kehren die aus der Welt der wissenschaftlichen Aufklärungen geflohenen Götter zurück. In der neuzeitlichen Wissenschaft und Technik liegt für Heidegger der Grund der Entgötterung und des rechnenden Denkens; hier setzen Heideggers Besinnungen über das Wesen der Technik ein.

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5 Der Tod Gottes als Deutungskategorie und philosophische Denkfigur

Das Ereignis der Rettung in der Sprache ist keine Restitution christlicher Erlösung, sondern eine Einsetzung des ursprünglicheren Wesens (Da-seinsgründung) in das Seyn selbst: die Anerkennung der Zugehörigkeit des Menschen zum Seyn durch den Gott. Auch die Götter sind aus dem Seyn, nicht aus der Religion; sie sind nicht einfach Vorhandenes oder ein Not-Behelf des Menschen. Die Götter sind aus dem Seyn als der Entscheidung, zukünftig in der Einzigkeit des letzten Gottes. Der letzte Gott setzt den Menschen in seine höchste Würde als Hirte und Wahrer des Seyns ein. Das eröffnet einen neuen Einblick in das Grundverhältnis von Erde und Himmel, von Göttlichen und Sterblichen, in das Wesen der Technik und die Sprache als Haus des Seyns. In diesem Haus ek-sistiert der Mensch wohnend, in dem er der Wahrheit des Seins, indem er sie hütet, gehört. Vom Ereignis der Seynslichtung gedacht, kommt ein neues, ganz anderes Grundverhältnis ins Offene – ermöglicht durch den Tod Gottes und ahnend den Wink des letzten Gottes. Betreten werden kann dieser Wesensbereich des letzten Gottes nur durch die Vorbereitung einer langen Ahnung des letzten Gottes. So ist der letzte Gott nicht das Ende, „sondern der andere Anfang unermeßlicher Möglichkeiten unserer Geschichte. Um seinetwillen darf die bisherige Geschichte nicht verenden, sondern muß zu ihrem Ende gebracht werden“ (GA 65, 411). In diesem Zwischenraum wartet der Mensch, unfähig, sich selbst aus den Verstrickungen der Moderne zu retten: „Nur noch ein Gott kann uns retten!“ Heideggers letzter Gott ist nicht das Ereignis selbst, er gehört nur zu diesem hinzu und ist selber an das Ereignen des Ereignisses des Seyns verwiesen. Unklar bleibt, wie Heidegger sich diese „Endzeit“ vorstellt; eine lediglich remythisierende und romantisierende Deutung seines Anliegen eines „schonenden Wohnens“ greift wohl zu kurz. (5) Nietzsches Wort vom Tod Gottes als „grösstes neueres Ereignis“ und Heideggers fragendes Denken sowie seine Destruktion der Bestimmung Gottes als des Grundes alles Seienden haben Wilhelm Weischedel und Wolfgang Janke zu eigenen nachmetaphysischen Konzeptionen einer Philosophischen Theologie angeregt und fragen lassen: Was kann heute noch ,Gott der Philosophen‘ genannt werden? Die metaphysische Gottesfrage ist für sie unaufgebbarer höchster Gegenstand der Philosophie, aber sie kann nicht einfach wiederholt, sondern muss neu gefasst werden. Sie wird entworfen im Schatten des Todes Gottes, des Atheismus und des Nihilismus. Doch Nietzsches Überwindung der Philosophischen Theologie war für Weischedel nicht radikal genug und Heideggers eschatischer Mythos künftiger Gottheiten bleibt für ihn zu vage. Auf der einen Seite sei ein im Denken begründbares Reden von Gott mit diesem Ansatz nicht möglich. Auf der anderen Seite könne der Offenbarungsglaube nicht behaupten, allein in ihm sei ein wahres Wissen von Gott möglich. Von einer solchen Engführung will Weischedel Abschied nehmen. Vielmehr sei der philosophisch-theologische Begriff „Gott“ Kriterium dafür, was allein

5.4 Philosophische Theologie nach dem größten neueren Ereignis

423

und verantwortlich von Gott gesagt werden könne,427 ohne dass in Theologie und Philosophie ein Konsens darüber erzielt werden könne, was allgemeinverbindlich unter „Gott“ zu verstehen sei. Trotzdem sei Gott im höchsten Maße des Fragens würdig, auch wenn er sich als bleibend Fragwürdiges herausstellen würde oder man in einem ehrfürchtigen Verstummen verbleiben müsste.428 Denn im Wesen des Philosophierens selber komme es zum radikalen Fragen nach Gott. Dieses radikale Fragen geht durch ein kontinuierliches Hinterfragen seiner Voraussetzungen und Folgerungen ohne das Netz und den doppelten Boden eines Glaubens ein echtes Wagnis ein, ständig in der Gefahr stehend, in Aporien verhaftet zu bleiben. Der Zwischenraum der „Schwebe“ wird zum Aufenthaltsort des menschlichen Daseins, wenn es sich auf das Philosophieren als radikales Fragen eingelassen hat. Im Anschluss an Nietzsche bleibt für Weischedel „im Tode Gottes die Möglichkeit offen, daß noch einmal eine Deutung der Wirklichkeit von einem Gotte, also eine Art Philosophischer Theologie, möglich werde.“ Denn „Nietzsches Überwindung der Philosophischen Theologie ist noch nicht radikal.“429 Das führt dazu, dass Weischedel einen „eingeschränkten Atheismus“ von einem „extremen Atheismus“ als Hauptformen des philosophischen Atheismus unterscheidet. Der „eingeschränkte Atheismus“ lehne nur den christlichen Gott ab, also den persönlichen Gott, nicht aber den Gottesgedanken überhaupt.430 Doch es sei der „extreme Atheismus“ („Es gibt keinen Gott“; „Gott ist tot“), den es seit der Antike gibt, der bei Descartes aufschien, bei den radikalen Aufklärern (Diderot, d’Holbach) wieder durchdrang und der „weithin das Selbstverständnis des modernen Menschen“431 bestimme. Dieser Form des Atheismus kommt Weischedels Philosophische Theologie einen großen Schritt entgegen: er nimmt nicht von vornherein die Existenz eines Gottes an. Wenn jedoch die Nichtexistenz eines Gottes als Wahrheit behauptet würde, dann käme es zu einem „dogmatischen Atheismus“, vor dem sich ein skeptisches Philosophieren hüten müsse: „Insofern ist es zwar atheistisch, aber es hält sich dafür frei, ob sich im Fortgange seines radikalen Fragens die Notwendigkeit aufdrängt, einen Gott anzunehmen, oder ob dies nicht geschieht. So kann man das Philosophieren als einen offenen Atheismus bezeichnen.“432 Im Philosophieren steht in der offenen Frage nach Gott der Fragende selbst mit seiner ganzen Existenz auf dem Spiel. Ob er bei Gott oder beim Nichts angelange, das bleibe offen. Den Schatten des Nihilismus könne die Philosophische Theologie nicht mehr loswerden. Der Untergang aller Gewissheit sei das Kennzeichen des W. WEISCHEDEL 2013, II, 245. W. WEISCHEDEL 2013, II, 219. 429 W. W EISCHEDEL 2013, I, 457. 430 W. W EISCHEDEL 2013, II, 157. 431 W. W EISCHEDEL 2013, II, 159. 432 W. W EISCHEDEL 2013, II, 160. 427 428

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5 Der Tod Gottes als Deutungskategorie und philosophische Denkfigur

gegenwärtigen Zeitalters. Der Ort zwischen Sinnhaftigkeit und Sinnlosigkeit sei der Ort des Philosophierens als radikales Fragen, das mit seiner dialektischen Dynamik davor bewahren soll, dass der Gottesgedanke vom Offenbarungsglauben vereinnahmt oder eine Substanzmetaphysik wiederbelebt wird. Möglichst lange und umfassend soll der skeptische Frageprozess offen, in der Schwebe, bleiben. Eine Antwort könne daher auch nicht in der Tradition gefunden werden, sondern in der Situation des „offenen Nihilismus“ allein in einem gegenüber der Wurzel und Tradition („Grund“, „Ursprung“, „Herkunft“, „höchstes Seiendes“, „absoluter Geist“, „absolute Person“) verwandelten ,Gott‘ als das „Vonwoher“ unserer Fraglichkeit. Die Fraglichkeit von allem habe zur Bedingung ihrer Möglichkeit ein Vonwoher. Das Vonwoher wird transzendentalphilosophisch verstanden als das, was die Fraglichkeit ins Schweben versetzt und im Schweben hält, was ihre haltlose Gehaltenheit ermöglicht und ihre Hinfälligkeit bedingt. Der freie Grundentschluss zu einem solchen Philosophieren ist die formale „voraussetzungsloseste ,Voraussetzung‘“, denn sie dürfe keine inhaltliche oder dogmatische Bestimmung ins Zentrum stellen, vielmehr solle man sich in der Mitte zwischen den extremen Möglichkeiten aufhalten. Es ist ein „Sich-Halten in der Haltlosigkeit“. Um nicht in einem Zirkel zu verbleiben, müsse sich die Fraglichkeit nach einer dialektischen Sprache der Analogie umschauen, die nicht ohne Anhalt an gewohnten Redeweisen bleiben kann, wenn sie verständlich von einem dynamischen Geschehen („Vorgehen“) im Blick auf die Relation zum Geheimnis des Vonwoher sprechen möchte und die bleibende Differenz nicht in einer hegelschen Synthese auflösen will. Weischedels Philosophieren als radikales Fragen bleibt ohne die in der Skeptischen Ethik vorgestellten Grundeinstellungen der Offenheit für künftige Möglichkeiten, Abschiedlichkeit als durchgängige Distanz, Schmerz und Trauer gegenüber der Welt und ihrer Vergänglichkeit und Verantwortlichkeit gegenüber sich selbst und anderen unvollständig ausgeführt. Eine Ethik, die vom Skeptizismus geleitet ist, orientiert sich nicht an abstrakten absoluten Setzungen, sondern an den Haltungen konkreter Menschen in geschichtlichen Situationen und einer relativen Verbindlichkeit. Sie drücken die innerste Freiheit des Menschen aus. Die von Weischedel profilierte „abschiedliche Existenz“ kennzeichnet die radikale Fraglichkeit von allem und drückt sich in einer Gelassenheit gegenüber den Dingen und dem Dasein aus. Ein Halt nach Gott ist nur noch in den Haltungen zu finden. Die Einübung in die Abschiedlichkeit in eine postmetaphysische und postnihilistische Besonnenheit ist zugleich eine Möglichkeit der Freiheit für Neuanfänge und der Offenheit für ein neues Gottesverständnis. Die Radikalität des Todes Gottes wird bei Weischedel aufgehoben in die Radikalität des offenen Nihilismus als bleibende Möglichkeit, aber durch den offenen Atheismus und den offenen Skeptizismus gleichzeitig

5.4 Philosophische Theologie nach dem größten neueren Ereignis

425

relativiert, wenn Gott als das „Herkommen der radikalen Fraglichkeit“433 gedeutet wird. (6) Dem transzendentalkritischen, existenzialen Nachfragen Wolfgang Jankes geht es im Zeichen des Nihilismus und Pessimismus nicht mehr um die Idee der in der Onto-Theologik vollendeten absoluten Vernunft, sondern darum, in einer präzisierten Welt die Aufgaben einer restitutio in integrum systematisch mit transzendentaler Besonnenheit ins Werk zu setzen. Auf diese Weise vermag ein „unzeitgemäßes“ Philosophieren ideologische, technik- und wissenschaftsgläubige Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters im Gedanken der praecisio mundi zu erfassen, um deren Lebensweltvergessenheit freizulegen. Als restitutio entis könne es auf die Bedenken der Existenz- und Seinsvergessenheit und auf die Rede vom Tode des Subjekts wie vom Tode Gottes antworten. Dazu müsse es an den Anfang zurückgelangen, aus dem alle Philosophie entsteht, einst wie jetzt: Zum staunenden Betrachten dessen, was im Grunde und in Wahrheit ist. Dazu muss Janke fragen, ob die Seinsfrage nach Gott überhaupt noch wiederherstellbar und postmetaphysisch und post-nihilistisch zu überdenken ist. Auf den Weg zur Antwort gehört die ernsthafte Auseinandersetzung mit den Konsequenzen des „weltverrückenden Ruf des ,tollen Menschen‘“434 Nietzsches. Komplexes und verwickeltes Ziel von Janke ist es, „das Existieren des Daseins postmetaphysisch neu darzulegen.“435 Dazu muss gefragt werden: „Wie unheilbar ist die Nihilierung der metaphysischen Theologie durch den Tod Gottes?“436 Mit der Restitution einer ursprünglichen vierfachen Gestalt der Sprache will Janke offenlegen, was den Menschen existentiell betrifft. Explizit kritisiert wird der folgenreiche Epochenwechsel im abendländischen Denken vom Mythos zum Logos, der die archaische Weisheit abgeblendet und das Abschneiden (lat. praecidere) von Seinsverständnissen, die nicht den wissenschaftlich-positivistischen Idealen der Berechenbarkeit, Beherrschbarkeit und Exaktheit entsprechen, befördert hat. Die Vielbezüglichkeit menschlichen Seinsverständnisses, die ursprünglich in der vielfachen Sprachgestaltung der Welt als angemessener Ausdruck angelegt war, soll daher sprachphilosophisch restituiert werden, um den Streit um den Vorrang oder das Alleinvertretungsrecht der Wahrheit und Wirklichkeit zwischen den vier Sprachgestalten (Mythos, Logos, Lexis, Poiesis) zu schlichten, da der Mensch Bürger vierer existentiell angehender Sprachwelten ist. Daher sei mitgenommen: die Wiedergewinnung der gleichberechtigten und gleichursprünglichen Zungenfertigkeiten des Menschen, um sich in der Welt behaust zu fühlen, die sich wechselseitig ihr Eigenrecht belassen und sich gelassen relativieren. Eine Sonderstellung in Bezug zur Sprache W. WEISCHEDEL (1962) 1971, 46. W. JANKE 2018, 201. 435 W. JANKE 2018, 163. 436 W. JANKE 2018, 201. 433 434

426

5 Der Tod Gottes als Deutungskategorie und philosophische Denkfigur

beanspruchen die Weltstiftungen der Dichter. Insbesondere ist es Hölderlin, der auf die Ambivalenz der Sprache als Gabe und Gefahr aufmerksam macht. Die Krise des modernen Menschen ist nicht nur in der totalen Orientierungslosigkeit nach dem Tod Gottes ausfindig zu machen, sondern auch in einer Krise der Sprachformen. Die postnihilistische Restituierung der philosophischen Seinsfrage nach Gott durch Resakralisierung von Ehrfurcht, Vertrauen und Liebe will Janke gegen die Verabschiedung des Systemgedankens bei Kierkegaard, Nietzsche und Heidegger in einem einenden Systemgrund für die Seinsfrage wiedergewinnen. Das könne aber nur gelingen, wenn dieses neue System getragen werde von der radikalen Fraglichkeit unseres Daseins und von einem Interesse, dem es um einen Ausgleich berechtigten Zwischenseins zwischen sprachlichen Weltentstehungen geht. Restitutionsphilosophisch werden Ehrfurcht, Vertrauen und Liebe als „Grundverhaltungen menschlicher Ecsistenz“ und postmetaphysisch als „Dreiweg zum verborgen Gott“, als „Sakralgefüge“, wiederzusammengeführt, „verflochten“ als „privilegierte[r] Zugang zu Gott“ 437, der explizit als „Heilsmethode“438 verstanden wird, wozu nicht zuletzt „mythische Kunde“ als Korrektiv für die Lädierung dienen soll, um die „Vermessenheit und Hybris eines modernen, Gott entsetzenden Totalitarismus wieder zu überwinden.“439 Dieser Weg sei nicht wirklichkeitsfremd oder remythisierend, sondern nehme die moderne Krise nihilistischer Sinnlosigkeit ernst und suche den methodologischen Positivismus durch eine neue Suche nach dem verborgenen Gott zu überwinden. Für Janke sind mit Nietzsches zeitdiagnostischem Ruf „Gott ist todt!“ drei beispiellose Umwertungen verbunden: Das „Umschlagen des Gottvertrauens in nihilistisches Mißtrauen“, der „Entzug der Gottesfurcht in Ehrfurchtslosigkeit“ und die „Nichtung der Gottesliebe in Gotteshaß“. Die Antwort auf die Frage, wie wir es vermochten, Gott zu töten, heißt daher: „Gott ist tot, wenn ihm das rechte Vertrauen entzogen, die Ehrfurcht versagt und die Liebe vorenthalten wird.“440 Die Entsakralisierung von Ehrfurcht, Liebe und Vertrauen führt zum Tod Gottes. Wenn diese „dreifache Abkehr von Gott unumkehrbar“ ist, „dann dürfte die Wiederherstellung einer philosophischen Theologie im Schatten des Nihilismus unmöglich sein.“ Nach der Prüfung vorgängiger Überwindungsvorschläge sieht Janke die Lösung in der „principiale[n] Fraglichkeit menschlichen Daseins [...], welche unentwegt das Sein Gottes und der Götter ins Fragliche hält“441, um die aufeinander verweisenden Resakralisierungen von Gottes(ehr)furcht, Gottesliebe und Gottvertrauen im einzelnen wie in ihrer W. JANKE 2016, 182.183. W. JANKE 2016, 22–24. 439 W. JANKE 2016, 188. 440 W. JANKE 2018, 204. 441 W. JANKE 2018, 212. 437 438

5.4 Philosophische Theologie nach dem größten neueren Ereignis

427

Vergemeinschaftung im ,sakralen‘ Geviert als Grundriß einer restitutiven Theologie im Schatten des Nihilismus abzubilden. Das geschieht in der Wiedergewinnung der phänomenologischen Ehrfurcht als Lebensmacht, die davor bewahrt, sich dem Numinosen und Göttlichen spekulativ zudringlich und existenzvergessen in der affirmativen Theologie des Hegelschen Systems zu nähern und so wieder (mit Goethe) lehrt, „das Unerforschliche ruhig zu verehren“442 und das unfassliche und unantastbare Göttliche und Heilige (Numinose) als „ein Rettendes“ zu wahren. So schließen sich für Janke die Ehrfurcht vor dem unerforschlichen Gott, Gottesliebe und Gottvertrauen „im resakralisierten Da-sein“ zu einem „sakralen Geviert“ zusammen,443 das ein postnihilistisches und postreligiöses Gottvertrauen stiften soll. Als letzter Entwurf eines nachmetaphysischen Denkens ist hier Jankes Systementwurf einer neuen Ontologie ins Zentrum gerückt worden, der die existentialen Anfragen der Metaphysikkritik konstruktiv aufnimmt und nach neuen Antworten sucht und sie in einer bedeutsamen Restitution der Sprache findet, während seine Resakralisierungssynthese, wie auch die vorangegangen Lösungen nicht überzeugend das radikal Neue von Nietzsches Diagnose aushalten können. Das systematisch verbindende Moment der vorgestellten philosophisch-theologischen Entwürfe ist der herrschende Nihilismus in der von Zerrissenheit bedrohten europäischen Moderne. In allen diesen Lösungsvorschlägen geht es daher auch um „eine Selbstverständigung der Moderne über die Grundlagen des Verstehens“ sowie über den verblassenden Geltungsanspruchs der Religion und des Christentums. Deutlich wird die hypothetische Annahme, dass „[i]m Medium des Gottesgedankens [...] über die Selbstdeutung des Menschen gestritten“444 wird. Es gehe nicht nur um die inhaltliche Fassung des Gottesgedankens und seine Verabschiedung, sondern auch um „das existentielle Problem, dass der zuvor sicher geglaubte Grund des Glaubens an einen personalen Gott unter den Erkenntnisbedingungen der Moderne hinfällig geworden ist“445 und Metaphysik als berechtigtes und sinnvolles philosophischtheologisches Nachdenken über existentiell angehende Fragen abgeblendet wird. Der positivistische Präzisierungsvorgang macht auch vor dem christlichen Gottes-, Welt- und Geschichtsglauben nicht Halt.446 Dazu die nächsten beiden Kapitel.

W. JANKE 2018, 216. W. JANKE 2018, 224. 444 C H. D ANZ/G. ESSEN 2012, 2. 445 C H. D ANZ/G. ESSEN 2012, 2. 446 Vgl. W. JANKE 1999a, 56.57. 442 443

Teil III: Den Tod Gottes denken (Theologische Deutungsvarianten)

6 Der Tod Gottes als Denkfigur in der US-amerikanischen Theologie ‘God is dead’ offers a finality that seems to allow us the opportunity to put an entire mode of thinking and being behind us and move forward to create new ideas and expressions.1

6.1 US-amerikanische Death of God Theologies in den ,langen‘ 1960er Jahren 6.1 US-amerikanische Death of God Theologies in den ,langen‘ 1960er Jahren

(1) „Is God dead?“.2 In roten Buchstaben auf schwarzem Grund leuchtete diese Frage am 8. April 1966 auf dem Cover des US-amerikanischen Nachrichtenmagazins Time.3 Die ausgerechnet am Karfreitag veröffentlichte Titelgeschichte Is God dead? Toward a hidden God4 von John T. Elson (1931–2009) verschaffte einer theologischen Bewegung in den USA kurzeitig eine große mediale Aufmerksamkeit.5 In der wohl schillerndsten und zugleich kurzlebigsten Debatte der neueren Theologiegeschichte haben ausgerechnet Theologen – und nicht etwa Säkularisierungsbefürworter, Religionskritiker, Agnostiker, Existenzialisten oder Atheisten – in God’s own country den Tod Gottes proklamiert. Bereits Ende 1965 entdeckten Journalisten diese neue theologische Bewegung eines christlichen Atheismus, die sie mit der Bezeichnung „The

T. GREENFIELD 2006, 30. Eine Abbildung ist online einsehbar unter CONTENT TIME 2020. 3 Nach einer Liste der Los Angeles Times aus dem Jahr 2008 gehört das Cover zu den zwölf Zeitschriftentitelseiten, die die Welt nachhaltig bewegt haben. Vgl. LOS ANGELES TIMES 2008 und L. E. SCHMIDT 2016. Im April 2017 erlebte das ikonische Cover eine passende typographische Hommage, um eine Titelgeschichte über den gegenwärtigen US-amerikanischen Präsidenten zu illustrieren. Diesmal mit dem zeitgemäßen Titel Is Truth dead?. 4 [J. T. ELSON] 1966. Wiederabgedruckt ist der Artikel in: S. R. H AYNES/J. K. R OTH 1999, 3–14. 5 Vgl. TH. J. J. A LTIZER 2006, 12: „The truth is that journalists read the new theology more responsibly than did many, if not most, theologians, and for two years radical theology was at the forefront of the mass media; it was as though the country itself was possessed by a theological fever, and a radical theological fever, one in which the most religious nation in the industrial world had suddenly discovered its own deep atheism.“ Vgl. auch K. ROHMANN 1977, 51–56. 1 2

6.1 US-amerikanische Death of God Theologies in den ,langen‘ 1960er Jahren

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‚God is Dead‘ Movement“ versahen: „that set off the flurry.“6 Das Time Magazine veröffentlichte im Oktober 1965 einen Artikel mit dem Titel Christian Atheism. The ‘God is Dead’ Movement.7 Daraufhin erschienen über „the deathof-God brouhaha“8 einige weitere Berichte, aber erst nach dem „buzzworthy topic“ der Titelgeschichte von 1966 berichteten über diese „Sensation“ landesweit Rundfunk und Fernsehen, Kommentare, Predigten und kirchliche Zeitschriften. Von dieser Debatte wurde beispielsweise auch die Country-Sängerin und Songwriterin Loretta Lynn (*1932) inspiriert und nahm im Juni 1967 den Gospel-Song Who Says God Is Dead! auf Schallplatte auf.9 Im Rückblick heißt es kurz gesagt: „Nineteen sixty-six was a difficult year for God.“10 Über dieses mediale Ereignis erschien in der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre zwar eine Fülle von „quickie books“,11 aber eine umfassende theologiegeschichtliche Aufarbeitung der ,Gott-ist-tot-Theologie‘ und ihrer Rezeptionsgeschichte fehlt bis heute.12 Es handelt sich um eine fast vergessene Episode aus der TheologieL. MCCULLOUGH 2004, xxvii. [J. T. ELSON] 1965. 8 Vgl. L. E. SCHMIDT 2016. Vor der Titelstory unter anderem in The New Yorker (V. MEHTA, 1965) und in The New York Times (J. COGLEY 1966). Auf die Welle sprangen dann Newsweek, U.S. News and World Report und im Sommer 1966 u. a. auch das Magazin Playboy auf (W. HAMILTON 1966g). 9 Das gleichnamige Studioalbum erschien im Januar 1968. Über die Entstehung des Songs berichtet die bekannte Sängerin in ihrem Buch Honky Tonk Girl. My Life in Lyrics: „At the time I wrote the song, there was lots of talk about God being dead. I don’t know why, ’cause even if you were out of your mind, how could you say God is dead? It was in the late ’60s when it seemed the whole world was doing their thing. I thought, ‚How sick can one get? ’Cause all I can say is the God I worship is very much alive.‘ ,Who says God is dead?‘ Not me!“ (L. LYNN 2012, 52 ff.). Für den Hinweis danke ich Maria-Louise Seipel. 10 D. J. PETERSON 2014, 1. 11 Vgl. G. D ORRIEN 2006, 215. In den USA erschien in den 1960er Jahren zwar eine Reihe von schnell geschriebenen Überblicken und Sammelbänden, die noch gebannt von den Ereignissen waren, aber keine wirklich weiterführenden wissenschaftlichen Debatten anstießen. Sie sammelten lediglich Material, um zu informieren, (scharf) zu kritisieren, oder um einfach vom medialen Interesse zu profitieren. Daher kann auf sie lediglich verwiesen werden. Die meisten dieser Einführungen wurden nicht ins Deutsche übersetzt. Es handelt sich um Radical Theology. Phase Two (C. W. CHRISTIAN/G. R. WITTIG 1967); Foi vivante et morte de Dieu (A. GOUNELLE 1969); God is Dead. The Anatomy of a Slogan (K. HAMILTON 1966); The Death of God Debate (J. LEE ICE/J. J. CAREY 1967; dt. 1971); Radical Christianity (L. D. KLIEVER/J. H. HAYES 1968); The New Christianity (R. W. MILLER 1967); The Meaning of the Death of God. Protestant, Jewish and Catholic Scholars Explore Atheistic Theology (B. MURCHLAND 1967); The Death of God Controversy (TH. W. OGLETREE 1966); The Roots of the Radical Theology (J. CH. COOPER [1967] 1988). L. MCCULLOUGH 2004, xxvi, weist auf eine nicht publizierte Untersuchung hin von Deborah Scerbicke mit dem Titel A History of the ‘Death of God’ Theology in America 1955–1969 (doctoral dissertation, Bowling Green State University, Department of History). 12 TH. J. J. A LTIZER 2006, 10: „We still lack a study of theological radicalism in the sixties.“ Über eine erste Sichtung Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre ist die Re6 7

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6 Der Tod Gottes als Denkfigur in der US-amerikanischen Theologie

geschichte des 20. Jahrhunderts, die erst seit einigen Jahren von wenigen USamerikanischen Theologinnen und Theologen wiederentdeckt wird. Diese Debatte zeigt auch, dass und wie die deutschsprachige Theologie in den USA gelesen wird. Neben einer Zuwendung zu Thematiken des 19. Jahrhunderts entfalteten insbesondere die kerygmatische Theologie Karl Barths, Rudolf Bultmanns neutestamentliche Studien zur Entmythologisierung und vor allem Dietrich Bonhoeffers Briefe und Aufzeichnungen aus dem Jahr 1944 besondere Wirkung. Die Situation in der Neuen Welt ist in dieser Hinsicht keine andere als im alten Europa: „,Wir leben zwischen den Zeiten: zwischen der Zeit der Theologie, die keine Bedeutung mehr für uns hat, und der Zeit der Theologie, die noch keine deutliche Gestalt angenommen hat. Die Theologie, die in dieser Zeit geschrieben wird, ... muß wohl fragmentarisch sein und sogar chaotisch.‘“13 Die Theologen, die damals mit ihren Texten die Debatte ausgelöst haben, wurden von der rasanten Entwicklung überrollt. Obwohl sie sich untereinander kaum kannten, wurden so unterschiedliche Theologen wie Gabriel Vahanian, William Hamilton, Thomas J. J. Altizer, Harvey Cox, Paul M. van Buren und auch Rabbi Richard L. Rubenstein von den Medien als Gruppe mit der Fremdbezeichnung „Death of God Theology“ oder „‚God is dead‘-movement“ versehen. Doch ihre Anliegen waren vielfältiger als die journalistischen Bezeichnungen vermuten lassen. Gestimmt waren sie alle in besonderer Weise von der Wahrnehmung des mit dem Säkularisierungsprozess einhergehenden Verlustes des traditionellen theistischen Gottesglaubens. Das öffentliche Interesse an dieser „,Gott-ist-tot-Welle‘“14 hielt jedoch nicht lange an. Heute sind ihre Namen und theologischen Anliegen kaum noch bekannt.15 Alle Protagonisten wurden überrascht davon, dass nun gerade ihre Forschungen und Gedankenexperimente in das Rampenlicht der medialen Öffentlichkeit der Vereinigten Staaten von Amerika gerückt wurden. Einige fühlten sich zu Unrecht von dieser Welle erfasst, wie der französisch-amerikanische Theologe Gabriel Vahanian (1927–2012), dessen bereits 1961 veröffentlichtes Buch The Death of zeption bislang nicht hinausgekommen. Das steht in Kontrast zur Einschätzung: „It will be remembered as the last major reform movement in Protestant theology that was articulated by white academic males [...]. They are, as we say, gone but not forgotten.“ (J. J. CAREY 1999, 89). Auch das Handbook of Radical Theology (C. D. RODKEY/J. E. MILLER 2018) bietet nicht mehr als eine erste Sammlung und Sichtung der Protagonisten und Fragestellungen. J. TURNER 1985 bietet lediglich eine intellektuelle Geschichte des Unglaubens in den USA bis 1890. Die ideengeschichtlichen Wurzeln der Radical Theology legt John Charles Cooper (1933–2000), der bei Paul Tillich studierte und zeitweise als sein Sekretär arbeitete, in seinem Überblick von 1967 frei: J. CH. COOPER (1967) 1988. 13 So Carl Michalson (1915–1965) zit. n. J. SPERNA W EILAND 1968, 108; zu Michalsons Buch The Rationality of Faith (1963) vgl. a. a. O., 116–119. 14 K. R OHMANN 1977, 51–56. 15 Vgl. die Beiträge in TH. J. J. A LTIZER 1967a.

6.1 US-amerikanische Death of God Theologies in den ,langen‘ 1960er Jahren

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God. The Culture of Our Post-Christian Era16 eigentlich nur für Fachkreise vorgesehen war. Hierin griff er auf Friedrich Nietzsches Diagnose der Moderne zurück, die radikal mit dessen Proklamation des Todes Gottes in der Fröhlichen Wissenschaft (1882/1887) verbunden ist. Vahanian kam im Jahre 1961 zu der Einsicht, dass unser Zeitalter nur noch in einer postchristlichen Weise als religiös zu bezeichnen sei.17 Der Untergang des Christentums in der Moderne stehe bevor, „weil es das Problem nicht erfasst hat, die Wahrheit des christlichen Glaubens in Korrelation zu bringen mit den empirischen Wahrheiten, in denen das menschliche Leben verläuft.“18 In einem von der wissenschaftlichen Weltsicht geprägten Zeitalter post mortem Dei werde Gott nicht länger als notwendig erachtet.19 Das Selbstverständnis des modernen Menschen führe zu einer „Kultur ohne Gott“20. Vahanian ist jedoch nicht zum radikalen Kern der Gott-ist-tot-Bewegung zu rechnen und wurde vor allem wegen seines Buchtitels mit ihr in Verbindung gebracht.21 Vor allem unterstrichen William Hamilton (1924–2012) und Thomas J. J. Altizer (1927–2018), deren Band Radical Theology and The Death of God22

16 G. V AHANIAN (1961) 1967. Durch seinen Verleger kam das Buch zu seinem Untertitel, der ursprünglich A Cultural Analysis lauten sollte. 17 Vgl. G. V AHANIAN [1961] 1967, xxxiii. Rudolf Bultmann wies bereits 1963 auf Vahanians Buch hin. Dessen Studie war für ihn „[...] das erregendste theologische Buch [...], das ich in den letzten Jahren gelesen habe. Es ist eine gewisse Parallele zu Karl Barths ,Römerbrief‘. Wie einst Barth Schleiermacher und die Erlebnis-Theologie bekämpft hat, so kämpft Vahanian gegen die Religiosität als den eigentlichen Feind des christlichen Glaubens.“ (R. BULTMANN [1963] 1965, 111). 18 So zusammenfassend R. B ULTMANN (1963) 1965a, 111. 19 G. V AHANIAN (1961) 1967, xxxii. 20 So lautet der Titel der deutschen Übersetzung Kultur ohne Gott? Analysen und Thesen zur nachchristlichen Ära (G. VAHANIAN 1973). Trotz des Lobes von Bultmann erschien erst 1973 eine Auswahl aus Vahanians Werken The Death of God (1961) und No other God (1966) auf Deutsch. Sie wurden vom Kieler Praktischen Theologen, Pastoralpsychologen und Psychoanalytiker Joachim Scharfenberg und dem badischen Pfarrer und jungianischen Psychotherapeuten Raimar Keintzel ins Deutsche übersetzt und unter dem Titel Kultur ohne Gott? Analysen und Thesen zur nachchristlichen Ära veröffentlicht. In der deutschen Ausgabe findet sich auch ein ausführlicher Brief Bultmanns (ohne Angabe eines Datums) an Vahanian über sein Buch, „dessen Bedeutung außergewöhnlich ist“ (G. VAHANIAN 1973, 155–160; hier: 160). 21 Zwar blieb sein Name mit dieser theologischen Richtung verbunden, aber seine kulturund religionskritischen Anliegen trafen sich mit der Theologie Karl Barths (Vgl. G. VAHANIAN [1961] 1967, 4). 22 TH. J. J. A LTIZER/W. H AMILTON 1966. Sie versammeln in diesem gut zweihundert Seiten umfassenden Buch einige ihrer Aufsätze, die in den Jahren 1959 bis 1965 in verschiedenen US-amerikanischen Fachzeitschriften zu unterschiedlichen Anlässen und Themen veröffentlicht worden waren.

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6 Der Tod Gottes als Denkfigur in der US-amerikanischen Theologie

im Jahr 1966 „In Memory of Paul Tillich“23 erschien, mit ihrer Datierung des Vorworts auf „January 1, 1966“ ihren programmatischen Anspruch, dass sie mit ihrer „radical theology“24 eine neue Zeitrechnung anbrechen sahen: Den Tod Gottes verstehen sie im Anschluss an Nietzsche als ein weitreichendes kulturgeschichtliches Ereignis („category of ,event‘“), das sich im 19. Jahrhundert im Zentrum der menschlichen Erfahrung eingenistet habe.25 Sie konzentrieren sich auf die Suche nach einer Antwort, warum der einstige Gott, der verehrt, angebetet und dem vertraut wurde, nun nicht mehr ist, und fragen, warum dieser Sinneswandel eingetreten ist, wann er stattgefunden hat und wer dafür verantwortlich ist: „If the death of God is an event of some kind, when did it happen and why?“26 Dazu müsse sich die radical theology als death of God theology von der Französischen Revolution bis zu Sigmund Freud mit „the intellectual history and literary criticism“ auseinandersetzen, um „the ,when‘ question“ zu beantworten, und mit „philosophy and behavioral science“, um „the ,why‘ question“ zu beantworten.27 Ihren Entwurf einer radical theology verstehen Altizer und Hamilton als „an attempt to set an atheist point of view within the spectrum of Christian possibilities“ und als „a whole new way of theological understanding.“28 Für Thomas J. J. Altizer29 treffen sich in der paradoxen Rede vom Tode Gottes das einzigartige christliche Symbol der Kreuzigung als Quelle der Erlösung und der ebenfalls einzigartige moderne Atheismus als Verabschiedung des Christentums.30 Die Herausforderung im Verstehen des Todes Gottes liegt 23 TH. J. J. A LTIZER 2006, 10 erinnert sich in seinen Memoiren an eine Selbstbezeichnung Paul Tillichs: „the real Tillich is the radical Tillich.“ Vgl. den Band Retrieving the Radical Tillich. His Legacy and Contemporary Importance (R. R. MANNING 2015). 24 Vgl. W. H AMILTON 1966a, 5. Aber a. a. O., 6: „The name I prefer for theological radicalism is the death of God theology.“ 25 Vgl. W. H AMILTON/ TH. J. J. A LTIZER 1966, x.xi. Hier findet sich auch eine Aufzählung von zehn möglichen Deutungen des Todes Gottes „from conventional atheism to theological orthodoxy“. 26 Vgl. W. H AMILTON/TH. J. J. A LTIZER 1966, x. 27 Vgl. W. H AMILTON/TH. J. J. A LTIZER 1966, xi. 28 W. H AMILTON/TH. J. J. A LTIZER 1966, ix.x. 29 In den USA zeigt sich ein neues Interesse an Altizers Denken. Vgl. den Band Thinking through the Death of God. A Critical Companion to Thomas J. J. Altizer von Lissa McCullough und Brian Schroeder (L. MCCULLOUGH/B. SCHROEDER 2004). Für Brian Schroeder ist Altizer „the most visionary thinker of the death of God” (B. SCHROEDER 2004, ix). Dabei ist und bleibt er Theologe, sonst nichts – wie David E. Klemm herausstellt: „Thomas J. J. Altizer is nothing if he is not a theologian. [...] Altizer is the successor to the great theologians of the Protestant biblical tradition represented by Karl Barth and Rudolf Bultmann, among others.“ (D. E. KLEMM 2012, ix). Auch Philosophen wie Mark C. Taylor, Gianni Vattimo und Slavoj Žižek wurden von Altizers Denken beeinflusst. Vgl. auch die Dissertation von R. L. FEERO 1993. 30 Vgl. TH. J. J. A LTIZER 2002, 1.

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für Altizer darin, wie dieser Tod der Tod Gottes sein kann. Im Fokus seines theologischen Interesses bleibt lebenslang Gott, der aber untrennbar gedacht werden muss von seinem Gegenteil: dem Nichts.31 Erst im Durchgang durch diese Dichotomie kann für Altizer etwas absolut Neues entstehen. Neben diesem Sammelband wurde sein Buch The Gospel of Christian Atheism32, das 1968 mit dem Titel ... daß Gott tot sei. Versuch eines christlichen Atheismus ins Deutsche übersetzt wurde,33 wesentlicher Bezugspunkt der anschließenden Debatten. Vor allem sorgte die missverständliche Selbstbezeichnung Altizers als „Christian Atheist“ für anhaltende Irritationen. Dagegen ist für William Hamilton nur noch eine Theologie ohne Gott möglich. Er weigert sich daher, sich in den Reigen der Theologen einzureihen, die den konservativen Gottesbegriff immer wieder neu zu beschreiben versuchen. Gegen solche „,redefiners‘“ grenzt er sich ab und schließt sich den radikalen Theologen, den „,doers without‘“, an.34 Für seine bald darauf in Angriff genommene Transformation der Theologie in Literaturwissenschaft35 gilt daher: „God is dead. We are not talking about the absence of the experience of God, but about the experience of the absence of God.“36 Von Anfang an ist diese neue theologische Richtung, die sich mit der tief verwurzelten Gottlosigkeit und Religionslosigkeit ihrer Zeit auseinander gesetzt hat, eine in sich plurale Bewegung, deren Anliegen nicht auf einen Nenner gebracht werden können, und deren Deutungen des Todes Gottes sich voneinander unterscheiden. Umgehend distanziert von der Gruppenbezeichnung „God is dead-theology“ hat sich dagegen Paul M. van Buren (1924–1998). In seinem von Wittgensteins Sprachphilosophie inspirierten Werk The Secular Meaning of the Gospel. Based on an Analysis of its Language37 geht es dem Schüler Karl Barths um die „weltliche Bedeutung des Evangeliums“, wonach „Gott“ zwar tot sei, was aber nicht dazu führen müsse, explizit vom Tod Gottes zu reden, da „die Erkenntnisse der analytischen Philosophie alles Reden von Gott unmöglich gemacht haben.“38 Auch Harvey Cox (*1929), der Verfasser des Longsellers The Secular City. Secularization and Urbanization in Theological Perspective,39 distanziert sich von dieser Zuschreibung. Für ihn besteht das Problem darin, „daß die Menschen Gott nicht ,erfahren‘, ihm nicht ,begegnen‘. Vgl. TH. J. J. ALTIZER 2003. TH. J. J. ALTIZER 1966a. 33 TH. J. J. A LTIZER 1968. 34 W. H AMILTON 1974, 31. 35 Vgl. W. H AMILTON 1985; 1993. 36 W. H AMILTON 1966b, 28. 37 P. M. V. B UREN 1963; das Buch erschien 1965 in deutscher Übersetzung von Karl Huber unter dem Titel Reden von Gott – in der Sprache der Welt. Zur säkularen Bedeutung des Evangeliums im Zwingli Verlag (P. M. V. BUREN 1965). Vgl. dazu E. JÜNGEL (1969) 1972b. 38 S. M. D.[AECKE] 1969a, 129. 39 H. C OX 1965 (dt. H. C OX [1966] 1971). 31 32

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Die religiöse Sprache einschließlich des Wortes ,Gott‘ wird erst wieder einen Sinn gewinnen, wenn die verlorengegangene Erfahrung, auf die solche Worte verweisen, wieder zu einem empfundenen Sachverhalt in der menschlichen Wirklichkeit wird. Wenn Gott wiederkommt, dann müssen wir ihm möglicherweise zuerst im Tanz begegnen, ehe wir ihn in der Lehre definieren können.“40 Cox macht damit auf unüberbrückbare Gegensätze von Lehre und Leben, Dogmatik und Erfahrung aufmerksam sowie auf das Problem der religiösen Sprache und das Verständnis von Offenbarung. Für ihn ist die „Gott-isttot-Bewegung“ auch ein Erbe der Theologien von Paul Tillich und Karl Barth und zeigt den „Bankrott der Kategorien, die wir zu verwenden suchten.“41 Daher handele es sich bei ihr „mehr um das Symptom eines ernstlichen Versagens der Theologie als um einen Beitrag zu ihrer nächsten Phase.“42 Denn die allgemeine Krise des theistischen Gottesbegriffs, die Dietrich Bonhoeffer vorhergesehen hatte, lasse sich nun nicht mehr aufhalten. In der Existenztheologie Rudolf Bultmanns und in der dialektischen Theologie Karl Barths, der theologischen Kritik des Theismus, wurde Gott daher zum „Ganz Anderen“ jenseits menschlicher Erfahrung ontologisiert. Das verschärfte jedoch die Kluft zwischen Gott und Welt, „indem sie die absolute Freiheit Gottes gegenüber der Welt betonen und damit das notwendige Band zwischen Schöpfer und Geschöpf weitestgehend lösen.“43 Der Gott ist tot-Theologie explizit angeschlossen hat sich Rabbi Richard L. Rubenstein, der mit seinem Buch After Auschwitz. Radical Theology and Contemporary Judaism 1966 die Debatte um eine Theology after Auschwitz angestoßen hat.44 Der Verbindung der Gott ist tot-Theologie mit der post-Holocaust-theology geht erst 1999 der Band The Death of God Movement and the Holocaust. Radical Theology Encounters the Shoah explizit nach.45 In Erinnerung an Paul M. van Buren dokumentiert der Band eine Konferenz der „Religion, Holocaust, and Genocide Group“ der American Academy of Religion H. COX [1970] 1977, 42. Vgl. H. COX [1969] 1970, 28. H. COX 1969a, 23. Seine Beiträge sind erschienen unter den Titeln Stirb nicht im Warteraum der Zukunft. Aufforderung zur Weltverantwortung (1969a; am. On Not Leaving it to the Snake [1967]), bes. 21–40, und Das Fest der Narren. Das Gelächter ist der Hoffnung letzte Waffe (1970; 1977), bes. 41–67 (am. The Feast of Fools A Theological Essay on Festivity and Fantasy [1969b]). Vgl. W. PANNENBERG 1972, 32, für den ebenfalls „die amerikanischen ‚Death of God‘-Theologen […] die Erben Barths und Bultmanns“ sind. 42 H. C OX 1969a, 23; aus der „,Gott-ist-tot‘-Krankheit“ herausführen würden die „intellektuellen Vagabunden“ Ernst Bloch und Teilhard de Chardin (a. a. O., 26). 43 A. B ÖHLER 1996, 723; vgl. W. PANNENBERG 1972, 29–47. 44 R. L. R UBENSTEIN 1966. 1992 erschien eine zweite Auflage mit dem veränderten Untertitel: History, Theology, and Contemporary Judaism. Zum Verhältnis von Death-of-God Theology and Judaism vgl. R. L. RUBENSTEIN 1966, 247–264. Vgl. ferner I. ANDERSON 2018. Aus der Fülle der Literatur zur Debatte vgl. die in einem Reader zur Holocaust Theology zusammengestellten Beiträge in D. COHN-SHERBOK 2002. 45 S. R. H AYNES/J. K. R OTH 1999. 40 41

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(AAR), die 1996 in New Orleans ausgerichtet wurde, dreißig Jahre nach der Time-Magazine-Titelgeschichte. Die Beiträge erinnern daran, dass die Konsequenzen der Katastrophe der Shoah bis heute ihre Schatten auf das moralische, politische und religiöse Leben der Welt werfen.46 Es zeigt sich bei diesem Zugang zur Gott ist tot-Theologie, dass vier ihrer maßgeblichen Vertreter in ihrem Denken zutiefst vom Holocaust berührt sind,47 wenn beispielsweise für Thomas J. J. Altizer der christliche Gott der Vorsehung im Holocaust gestorben ist. Wenn Gott Ursprung jedes Ereignisses ist, dann war er auch Ursprung des Holocaust: „The simple truth is that it is no longer possible to affirm a providential God unless one affirms that God wills or effects ultimate evil, and this is clearly a consequence of the Holocaust.“48 Ansonsten müssten wir fragen: Oder war der Gott, den wir gekannt haben, eigentlich Satan? Schließlich: Wollten wir das Böse leugnen, würden wir den Holocaust leugnen.49 Die Erfahrung der Abwesenheit Gottes in den Extremen des Holocaust und in der säkularen Lebenswelt der Nachkriegszeit in den 1950er und 1960er Jahren führte zu einem facettenreichen theologischen Durchdenken des Todes Gottes. Die Konzeptionen von Hegel und Nietzsche, Dietrich Bonhoeffer, Rudolf Bultmann, Karl Barth und besonders Paul Tillich dienten auf unterschiedliche Weise als Sprungbrett für ein experimentelles Denken, das sich als Suchbewegung verstand und keine schnellen Lösungen herbeiführen wollte. Darauf machte William Hamilton bereits in seinem Buch The New Essence of Christianity (1961) aufmerksam, das im selben Jahr wie Vahanians Kulturdiagnose erschien. Hierin entdeckt Hamilton das „Fragment“ als die Form, die der Theologie gegenwärtig adäquat sei. Denn derzeit gebe es nur wenig theologische „Sicherheit“ für große Systementwürfe.50 Seine Überlegungen kreisen um den Gedanken, dass wir mit der Leerstelle, die der Tod Gottes hinterlassen habe, einfach leben müssen. Nichts könne Gottes Abwesenheit füllen. Wir hätten nur die Möglichkeit, auf Gott zu warten oder Jesus nachzufolgen. Über Gott zu reden sei nutzlos, wohl aber könne Jesus der Weg sein, ein Modell eines radikalen Lebens zu entwerfen, das als ein Kriterium für authentisches Handeln gelten kann.51 So die Reihenherausgeber im Series Foreword zu S. R. HAYNES/J. K. ROTH 1999, ix. Hier wird nun auch neben Altizer, Hamilton und Rubenstein Paul van Buren hinzugerechnet. S. R. HAYNES/J. K. ROTH 1999, xvi. 48 TH. J. J. A LTIZER 1999, 19. 49 Vgl. TH. J. J. A LTIZER 1999, 19–22. 50 Vgl. W. H AMILTON 1966b, 11–20. 51 1966 erschien eine überarbeitete Auflage von The New Essence of Christianity mit einem Vorwort von John Woolwich (= John A. T. Robinson Bishop of Woolwich) (W. HAMILTON [1961] 1966f, 11–20), der 1963 mit seinem Buch Honest to God (J. A. T. ROBINSON 1963) eine ähnliche mediale Welle in Großbritannien und Westdeutschland ausgelöst hatte. Sie war ein „forerunner“ (J. CH. COOPER [1967] 1988, 5) der US-amerikanischen Debatte um die Gott ist tot-Theologie. Vgl. Ehrlich gegenüber Gott. Eine Diskussion über die Gottesfrage zum Buch Honest to God von Bischof Dr. John A. T. Robinson (H.-W. BARTSCH 46 47

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(2) Die Debatten führten zum Erscheinen von zahlreichen Überblicksdarstellungen, die im Folgenden kurz in ihren Kernanliegen dargestellt werden. Bereits 1966 legten Kenneth Hamilton mit God is dead. The anatomy of a slogan52 und Thomas W. Ogletree mit The Death of God Controversy53 je einen von Neugier („curiosity“) geleiteten Überblick über die jüngsten Ereignisse vor. Kenneth Hamilton sieht in seinem „interim report“ (7) zur Anatomie des Slogans „God is dead“ starke Parallelen der „young radicals“ zum US-Amerikanischen Liberalismus der 1930er Jahre, zum Social Gospel Movement einerseits und zur varientenreichen wissenschaftskompatibeln Religionsphilosophie andererseits (79.80) und warnt die neue Bewegung vor der Gefahr, sich, wie es der liberale Flügel der Theologie getan hat, dem modernen Gedankengut unterzuordnen statt dessen Herausforderungen klar anzugehen (85). Der Methodist Ogletree weiß um die Vorläufigkeit der bisher publizierten Texte und um die damit verbundene Schwierigkeit, eine Darstellung zu nicht ausgereiften theologischen Positionen zu bieten. Er sieht aber durch diese drei unterschiedlichen Theologen die weiter zu verfolgenden Problemkreise aufgeworfen: „[...] the concern to interpret Christian faith in terms of wordly responsibility; the attempt to analyze more precisely the way the language of Christian theology functions; the conviction that more attention needs to be paid to the relation of Christian theology to studies in the history of religions; the renewal of interest in the significance of the nineteenth century for theological construction; the reappraisal of the notion of immanence as a necessary counterbalance to the emphasis of transcendence in a previous generation of theology; and finally, continued attention to the relation of Christian faith to history and historical process.“54

Im Jahr 1967 erschien mit Frontline Theology55 ein Sammelband, der ein Jahr später unter dem Titel Theologie im Umbruch56 in deutscher Übersetzung erschien und durch vierundzwanzig „Selbstdarstellungen“ einen breiten Überblick über neuere Entwicklungen in den USA bot. Der Vorteil dieses Bandes 1963; vgl. auch den englischsprachigen Band The Honest to God Debate: D. L. EDWARDS 1963). Die Anklänge an Feuerbachs Das Wesen des Christentums (1841) und Harnacks gleichnamige Vorlesung von 1899/1900 sowie Troeltschs Replik darauf Was heißt ,Wesen des Christentums‘? sind von Hamilton bewusst eingespielt (W. HAMILTON [1961] 1966f, 15–20). 52 K. H AMILTON 1966. „God is dead“ wird vom Eerdmans-Verlag in Grand Rapids auf dem Buchrücken als „new popular press-slogan“ bezeichnet, die Gott-ist-tot-Theologie als „one of the most explosive ,movements‘ the Church has seen for a long time“. Die folgenden Seitenzahlen im Haupttext beziehen sich auf dieses Buch. 53 TH. W. O GLETREE 1966. 54 TH. W. O GLETREE 1966, 111. 55 D. PEERMAN 1967. 56 D. PEERMAN 1968. Der deutsche Band wurde um fünf Beiträge erweitert, u. a. um einen Beitrag von G. Vahanian. Aufgenommen in den deutschen und US-amerikanischen Band wurde auch der Beitrag Das prophetische Ziel der Theologie (H. COX 1968) von Harvey Cox, der 1966 in der Zeitschrift Pastoraltheologie unter dem Titel Über Ort und Ziel der Theologie erschienen ist (H. COX 1966c).

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ist, dass er die theologischen Konzepte der so genannten Gott ist tot-Theologen in den Kontext anderer neuerer Entwürfe (Prozesstheologie, Theologie der Revolution etc.) und der damaligen Problemlagen (Vietnam, Rassentrennung, Hungersnot etc.) stellt und damit den Entwurfscharakter der verschiedenen Theologien unterstreicht. Auf dem Weg zu einem neuen Christentum (Toward a New Christianity57) brachte Thomas J. J. Altizer 1967 eine Anthologie von Texten von Schriftstellern, Theologen und Philosophen heraus, die sich mit dem Motiv des Todes Gottes auseinandergesetzt haben, denn sie würden „the only new or even revolutionary theology“ vertreten, die nicht nur zu einer „gradual but decisive transformation of faith“ führen solle, sondern auch „the end of most if not all of the established religious forms of the West“58 bedeuten werde. Der von Jackson Lee Ice und John J. Carey herausgegebene Sammelband The Death of God Debate59 zeichnete die Debatte bis zu diesem Zeitpunkt nach. Leserbriefe an Hamilton und Altizer dokumentieren die breite Resonanz, die diese Debatte in der Öffentlichkeit gefunden hat. Der Jesuit Charles N. Bent veröffentlichte 1967 über „the currently popular death-of-God motif“60 eine kleine Studie The Death-of-God-Movement, um „an introduction to critical analysis“61 der vier Ansätze von Gabriel Vahanian, William Hamilton, Paul van Buren62 und Thomas J. J. Altizer zu geben. Es sei jedoch „very difficult to discover any systematic or chronological development of the so called ,death-of-God TH. J. J. ALTIZER 1967a. Altizer stellt jedem Autor eine kurze Einführung voran, in der die Bedeutung der jeweiligen Texte für die Death of God theology herausgestellt wird. Es finden sich Texte von William Blake, Hegel, Kierkegaard, Dostoevskij, Nietzsche, Simone Weil (= The Death of God in the Modern World), Karl Barth, Martin Buber, Paul Tillich, Rudolf Bultmann, Herbert Braun (= Radical Expressions of European Theology), Jacob Taubes, John Cobb Jr., Gabriel Vahanian, W. Hamilton, Paul van Buren, Altizer, William Mallard und Maynard Kaufman (= The Death of God Theology in America). Eine Selected Bibliography beschließt den Band. 58 TH. J. J. A LTIZER 1967a, 1. 59 J. L. ICE/J. J. C AREY 1967. Dieser Band erschien vier Jahre später beim Theologischen Verlag Zürich in deutscher Übersetzung unter dem fast flehenden deutschen Titel: daß Gott auferstehe. Debatte um den Tod Gottes (J. L. ICE/J. J. CAREY 1971). Er war vom Verlag als Antwort gedacht auf die im Zwingli Verlag Zürich erschienene deutsche Übersetzung von Altizers The Gospel of Christian Atheism (TH. J. J. ALTIZER 1966a): ... daß Gott tot sei. Versuch eines christlichen Atheismus (TH. J. J. ALTIZER 1968). Im Zwingli-Verlag erschien ebenfalls die Übersetzung der Artikelserie The New Theologian (V. MEHTA 1966) des Journalisten Ved Mehta aus The New Yorker von 1965 unter dem Titel Theologie zwischen Tür und Angel. Porträt einer Avantgarde (V. MEHTA 1968), das die drei Teile I. Ecce Homo, II. Die Ekklesia und III. Dietrich Bonhoeffer umfasst. 60 C H. N. B ENT 1967, 1. Das Copyright für das Buch liegt in kirchlicher Hand: bei The Missionary Society of St. Paul the Apostle in the State of New York. 61 C H. N. B ENT 1967, 4. 62 C H. N. B ENT 1967, 3: Bent verweist darauf, dass Paul van Buren den Begriff nicht verwendet und sich auch öffentlich von dieser Richtung distanziert hat. 57

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movement.‘“63 Für ihn stellt sich die Situation so dar, „that there are presently two rather clearly defined foci – atheistic or secular humanism and Christian theism – both claiming to offer a final solution to the problem of God.“64 Trotzdem zeige sich der Versuch eines „Christian Atheism“ als einer gangbaren „via media“ für Bent als „a serious but unsuccessful attempt to present a viable mode of Christian belief for the secular man of the 20th century.“65 Dennoch dienten solche Bemühungen dem „reflective Christian to refine and clarify his religious thinking.“66 Bleibt aber für den Menschen des 20. Jahrhunderts „the truth of Christianity“ noch „relevant, meaningful, and wholly contemporary“?67 Bent warnt vor einer Überbetonung der Relevanzfrage,68 denn „the excessive demand for relevance has made relevance an end in itself. The result is that pragmatic truth has sometimes replaced religious truth.“69 Diese religiöse Wahrheit sieht er für das Christentum in der Auferstehung und verweist auf den Apostel Paulus (1Kor 15,16–19). John Charles Cooper versucht 1967 The Roots of the Radical Theology70 freizulegen und macht in seiner 1988 erneut aufgelegten Studie deutlich, dass „there was intellectual substance and moral courage involved in the Radical movement in, with and under the media hype and the swaggering showmanship to which the movement quickly descended. Real questions were raised. Whether they were ever faced squarely [...] is still a moot issue.“71 In seiner Einleitung zur Neuauflage erinnert Cooper an den Fall des Hamburger Pastors Paul Schulz,72 der ebenfalls öffentlich den Glauben an einen persönlichen Gott und ein Jenseits in Frage gestellt, durch ein vier Jahre währendes Lehrzuchtverfahren schließlich seine Ordinationsrechte verloren hatte und danach aus der Kirche ausgetreten war. Cooper ordnet diesen Fall in die Wirkungsgeschichte der Theologie nach dem Tod Gottes ein,73 deren ebenso berechtigte wie unerledigte Anfragen nicht durch solche kirchenrechtlichen Maßnahmen oder Denkverbote nachhaltig beantwortet werden könnten.

CH. N. BENT 1967, 1. CH. N. BENT 1967, 201. 65 C H. N. B ENT 1967, 201. 66 C H. N. B ENT 1967, 202. 67 C H. N. B ENT 1967, 204. 68 „Relevance has become a shibboleth in current discussions of religious questions.“ (CH. N. BENT 1967, 204). 69 C H. N. B ENT 1967, 204. 70 J. C H. C OOPER (1967) 1988; vgl. Auch J. C H. C OOPER 1968: Radical Christianity and Its Sources. 71 J. C H. C OOPER (1967) 1988, 7. 72 Vgl. Ist Gott eine mathematische Formel? Ein Pastor im Glaubensprozeß seiner Kirche (P. SCHULZ 1977) und Der Fall Paul Schulz. Die Dokumentation des Glaubensprozesses gegen den Hamburger Pastor (H. V. KUEHNHEIM 1979). 73 Vgl. J. C H. C OOPER (1967) 1988, 5; 7. 63 64

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(3) In neueren Darstellungen wird der Gedanke vom Tode Gottes weitergedacht. Der Politikwissenschaftler und US-amerikanische Sozialist Michael Harrington hat 1983 in seinem Buch The Politics at God’s Funeral. The Spiritual Crisis of Western Civilization darauf hingewiesen, dass das Ereignis des Todes Gottes nicht einfach ein theologisches Ereignis sei. Vielmehr sei es auch von politischem Ausmaß, wenn sich mit dem Sterben Gottes „one of the most important political figures in Western history“74 von der Weltbühne langsam, aber sicher verabschiedet und die westliche Zivilisation in einer geistigen Krise zurücklässt. Die vielgestaltigen und dynamischen Gestalten von Religion in America Since 1945 (2003)75 in ihren wesentlichen Trends und bedeutenden Ereignissen stehen im Fokus der Geschichte zwischen dem US-amerikanischen Atombombenabwurf über den japanischen Städten Hiroshima und Nagasaki im August 1945 bis zum Terroranschlag auf das New Yorker World Trade Centre und das Washingtoner Pentagon am 11. September 2001 („Religion at Ground Zero“), die der Historiker Patrick Allitt nacherzählt: „Postwar America [...] was simultaneously a highly religious and a highly secular place. This is the paradox around which the book is organized.“76 In seiner Darstellung der Zeit zwischen 1960 und 196977 kommt Allitt zu einem bedenkenswerten dreifachen Fazit über die radical theology: „The ,death of God‘ affair quickly passed into history, but beneath the froth of publicity it had raised important questions, while its capacity to infuriate evangelicals had further distanced the two halves of American Protestantism.“78 Nicht die evangelikal überhitzte Hälfte des Protestantismus, sondern die wohltemperierte des liberalen Protestantismus steht im Fokus des umfangreichen zweihundert Jahre Theologiegeschichte beschreibenden Werkes The Making of American Liberal Theology (2001; 2003; 2006),79 das der US-amerikanische Sozialethiker und Theologiehistoriker Gary Dorrien vorgelegt hat. Er widmet darin dem „death-of-God phenomenon“80 nur wenige Zeilen und verbindet dieses zum einen mit der Darstellung der Prozesstheologie John B. Cobbs im Anschluss an Alfred North Whitehead81 und zum anderen mit den Reaktionen von Langdon M. HARRINGTON 1983, 1. Kursiv von mir. Im Original Kapitälchen. Ein Hauptanliegen dieser Studie ist die Kritik an Peter L. Bergers Gesellschaftsanalyse (Vgl. P. L. BERGER (1969) 1990) und Thomas Luckmanns und Bergers Theorie von der sozialen Konstruktion unserer Lebenswirklichkeit, in die ihre Mitglieder auch den religiösen Glauben einzeichnen können, sofern dessen „structure of plausibility“ mit der Realitätsauffassung der Gläubigen übereinstimmt. Vgl. P. ALLITT 2003, 76–79. 76 P. A LLITT 2003, xii. 77 P. A LLITT 2003, 72–79. 78 P. A LLITT 2003, 79. 79 Die Untertitel der drei Bände von The Making of American Liberal Theology lauten: Imagining Progressive Religion 1805–1900 (G. DORRIEN 2001), Idealism, Realism, and Modernity 1900–1950 (G. DORRIEN 2003) und Crisis, Irony, and Postmodernity 1950–2005 (G. DORRIEN 2006). 80 Vgl. G. D ORRIEN 2006, 31; 215–220; 280–289; 413. „In the early 1960s Syracuse University sociologist of religion Gabriel Vahanian, Colgate Rochester Divinity School theologian William Hamilton, Temple University theologian Paul van Buren, and Emory University theologian Thomas J. J. Altizer variously proclaimed that idea of an objective divine being was not credible to modern people and that modern religion needed to get along without it.“ (G. DORRIEN 2006, 215). „[... A]ll of them conceived the death of God as a historical event that reflected the ‚coming of age‘ of modern humanity and society.“ (G. DORRIEN 2006, 215). 81 G. D ORRIEN 2006, 215–220. 74 75

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Gilkey.82 Die verschiedenen Vertreter hätten zu wenige Gemeinsamkeiten, um eine Bewegung zu bilden: „Hamilton a Feuerbachian humanist, van Buren an analytical positivist, Altizer an ecstatic Nietzschean romanticist, and Rubenstein a post-Holocaust Jewish pagan.“83 Der Prozesstheologe John B. Cobb Jr., ein Freund von Altizer aus Chicagoer „graduate days“, begrüßte die Entwicklung und suchte seinerseits den Christlichen Theismus durch einen „process theism“ zu überwinden.84 Langdon Gilkey85 setzte sich 1969 in seinem Buch Naming and Reaping the Whirlwind ebenfalls mit dem Tod-Gottes-Phänomen auseinander, denn „[...] they [die Vertreter der Bewegung; d. A.] represented something worth naming, the possibility of a secular theology that rejected every existing form of Christian or Jewish theism.“86 Er begrüßte, dass sie das Thema „Säkularisierung“ forcierten („Pressed the issue of secularization“): „Gilkey wanted theologians to take seriously the cultural triumph of secular consciousness.“87 Das Phänomen wird in Dorriens Darstellung zu einer Fußnote der US-amerikanischen Theologiegeschichte, zeigt aber zugleich mit den Hinweisen auf Cobb und Gilkey, dass diese beiden nicht zuletzt ihre Anregungen zu theologischen Transformationen aus dieser angefeindeten theologischen Richtung erhalten haben. In seiner Gobal Introduction in The Doctrine of God (2004) kommt der finnische Theologe Veli-Matti Kärkkäinen auf die Herausforderungen des klassischen Theismus durch die „Death-of-God Theologies“ zu sprechen und unterscheidet sie im Anschluss an Eric C. Meyer in zwei Richtungen: „,soft‘ (theistic and panentheistic views) and ,hard‘ (agnostic and atheistic views).“88 Im Jahre 2006 hat Richard Grigg An Introduction to Contemporary Radical Theologies mit dem Titel Gods after God vorgelegt, in der er das weite Spektrum der Entwürfe radikaler Theologien darstellt und kritisch beleuchtet, um von Spinoza an insbesondere ihre Vereinbarkeit mit dem gegenwärtigen naturwissenschaftlichen Weltbild herauszuarbeiten.89 Der Professor für Religious Studies an der Sacred Heart University in Fairfield, Connecticut, definiert „a ,radical‘ religious perspective as one in which traditional views of the divine as a transcendent consciousness, who created the world and intervenes within it for special purposes, along with the institutional accompaniments of suchs views, including adherence to sacred scriptures and traditional authorities, are abandoned.“ 90 Es finden sich in dem Band Einführungen zur radikalen feministischen Theologie von Mary Daly, zur dekonstruktiven Theologie von Mark C. Taylor, dem religiösen Naturalismus von G. DORRIEN 2006, 280–289. G. DORRIEN 2006, 280. 84 Vgl. A Christian Natural Theology. Based on the Thoughts of Alfred North Whitehead (J. B. COBB JR. 1965; Second Edition 2007); auf Deutsch erschien 1971 von John B. Cobb die Aufsatzsammlung God and the World unter dem Titel Christlicher Glaube nach dem Tode Gottes. Gegenwärtiges Weltverständnis im Licht der Theologie (J. B. COBB 1971). Thomas J. J. Altizer hat den Text From Crisis Theology to the Post-Modern World (1964) von Cobb, der bei Charles Hartshorne studierte und Whiteheads Prozessphilosophie weiterdenkt, in seine Anthologie zur Gott-ist-tot-Theologie aufgenommen (TH. J. J. ALTIZER 1967a, 239–252). 85 L. G ILKEY 1969; vgl. auch seinen Handbuchartikel Idea of God since 1800 (L. G ILKEY 1973). Darin bes. 363–366. 86 G. D ORRIEN 2006, 280. 87 G. D ORRIEN 2006, 280. 88 V.-M. K ÄRKKÄINEN (2004) 2007, 171–178. 89 R. G RIGG 2006, 148. Vgl. dazu auch seine Studie Beyond the God Delusion. How Radical Theology Harmonizes Science and Religion (R. GRIGG 2008). 90 R. G RIGG 2006, ix.x. 82 83

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Ursula Goodenough und Donald Crosby, den pragmatischen Entwürfen einer „Metaphorical Theology“ und „nonrealist God-language“ von Sallie McFague91 und eines „Projects of Theological Construction“ von Gordon Kaufman, aber auch die taoistische Interpretation von Jesus als Zen-Meister von Stephen Mitchell und der feministische neue Polytheismus von Naomi Goldenberg. In diesem Spektrum werden die Herausforderungen der radikalen Theologie in der amerikanischen Gesellschaft herausgearbeitet und abschließend im Kapitel über „The Future of Radical Theology“ als Bestandteil der Debattenlage dargestellt. John H. Smith, Professor für Neuere Deutsche Literatur an der University of California in Irvine, hat 2011 eine Studie mit dem Titel Dialogues between Faith and Reason. The Death and Return of God in Modern German Thought92 vorgelegt. Seine Darstellung von Luther und Erasmus bis zu Benedikt XVI. arbeitet die lange Geschichte der Interdependenzen zwischen dem modernen religiösen und dem philosophischen Denken heraus und geht von der Prämisse aus, dass im säkularisierten Westen der Tod Gottes eine fundamentale Tatsache unter den Bedingungen der Moderne ist. Auch wenn unsere Zeit als „post-secular“ bezeichnet werde, heiße das noch nicht, dass wir vor einem „return of religion“ stehen. Vielmehr werde vor diesem Hintergrund erst die Bedeutung der Religion innerhalb der Geschichte der Moderne deutlich. Für Smith zeigt sich der Tod Gottes als Teil der inneren Logik der christlichen Tradition, was aber nicht ausschließe, dass Gott immer wieder zurückkehren wird, wenn auch in neuen Formen. Der Historiker Stephen Kern von der Ohio State University erkundet in seiner Studie Modernism After the Death of God. Christianity, Fragmentation, and Unification (2017) die Kritik an den christlichen Sexualmoral-Vorstellungen von Friedrich Nietzsche, James Joyce, D. H. Lawrence, André Gide, Martin Heidegger, Sigmund Freud und Virginia Woolf heraus.93 Alle sieben arbeiteten daran, den Verlust oder die Abwesenheit der christlich begründeten Einheitskultur durch nichtchristliche Einheitsprojekte in ihren je spezifischen Feldern der Philosophie, Psychoanalys oder Literatur zu ersetzen. Als gemeinsame Struktur ihres wesentlichen Beitrags zur Kultur der Moderne arbeitet Kern ihre dynamische Interaktion radikaler Fragmentierung heraus, die zwar der Zusammenführung bedarf, aber nach dem Tod Gottes als Garant der Einheit nun dauerhaft prozesshaft und unvollendet verbleibt.

(4) Den an der Bewegung der Gott ist tot-Theologie maßgeblich beteiligten Theologen William Hamilton (6.2.1) und Thomas J. J. Altizer (6.2.2) ging es darum, sich je auf ihre Weise auf den Weg zu machen, um sich im Anschluss an Hegel, Nietzsche, Dietrich Bonhoeffer, Karl Barth und Paul Tillich dem theologischen Durchdenken des ,Todes Gottes‘ zuzuwenden und in einem offenen Dialog mit der modernen Kultur radikal nach neuen Wegen religiösen Lebens und Christseins in postchristlicher Zeit zu fragen. So zeigte sich von Anfang an in der Gott-ist-tot-Bewegung eine Mehrdeutigkeit in der Verwendung der Rede vom „Tode Gottes“. Diese gilt es nun nachzuzeichen, bevor auf die Entwürfe von Mark C. Taylor (6.3.1), John D. Caputo (6.3.2), Ronald Dworkin (6.3.3) und die neuere Debatte im Zusammenhang mit der „Wiedererweckung“ der Gott-ist-tot-Theologie in den USA (6.3.4)94 (The Death of God S. MCFAGUE 1982. J. H. SMITH 2011. 93 S. KERN 2017. 94 Vgl. dazu Abschnitt 1.3.6 in diesem Buch. 91 92

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Movement and the Holocaust. Radical Theology Encounters the Shoa95; After the Death of God96; Ressurecting the Death of God. The Origins, Influence, and Return of Radical Theology97; The Palgrave Handbook of Radical Theology98) eingegangen wird. Einen anderen Weg zur Überwindung der Gott-isttot-Erfahrung schlägt die in den späten 1960er Jahren aufkommende Feministische Theologie mit ihrer Dekonstruktion der Rede von Gott als Vater ein (6.3.5).

6.2 Das Ereignis des Todes Gottes als Anstoß für eine Radical Theology 6.2 Der Tod Gottes als Anstoß einer Radical Theology (Hamilton und Altizer)

Die Initiatoren der Death of God Theology, William Hamilton und Thomas J. J. Altizer, gehen beide davon aus, dass der Tod Gottes ein Phänomen der Moderne ist, das mit der Kategorie des Ereignisses möglichst weit zu fassen sei.99 Sie unterscheiden sich aber in ihren Ansätzen einer radical theology, wie dieser Verlust Gottes zu deuten sei, erheblich voneinander. Das ist bereits an den Programmtexten von Radical Theology and the Death of God abzulesen. Während Hamiltons radikale Theologie eher eine ethisch-weisheitlich orientierte Theologie ist, die Theologie als Literaturwissenschaft („theology as literary criticism“100) versteht, verläuft Altizers philosophisch-theologisches Denken in den Bahnen der biblischen und modernen Apokalyptik und epischen Geschichtstheologie, in denen Gott kenotisch gedacht wird. Dass sie nach der Hochphase der Gott-ist-tot-Theologie ihre Entwürfe vertieft haben, ist kaum bekannt und das späte Denken der beiden nordamerikanischen Theologen bislang nicht in die deutschsprachige Theologie transferiert worden. Hierauf soll daher der Akzent der folgenden Darstellung liegen. 6.2.1 Radikale Theologie als Literaturwissenschaft (William Hamilton) (1) William Hamiltons (1924–2012) Überlegungen kreisen um den Gedanken, dass wir mit der Leerstelle, die der Tod Gottes hinterlassen habe, schlicht und einfach leben müssen. Es gibt nichts, was Gottes Abwesenheit ersetzen kann: „God is dead. We are not talking about the absence of the experience of God,

S. R. HAYNES/J. K. ROTH 1999a. J. CAPUTO/G. VATTIMO 2007. Gabriel Vahanian steuerte für diesen von Jeffrey Robbins herausgegebenen Band ein Nachwort bei. 97 D. J. PETERSON/G. M. ZBARASCHUK 2014. Das Nachwort in diesem Band stammt von Thomas J. J. Altizer. 98 C. D. R ODKEY/J. E. M ILLER 2018. 99 V GL. W. H AMILTON/TH. J. J. A LTIZER 1966, x. 100 Diese Wendung stammt von L. STEFFEN 1989. 95 96

6.2 Der Tod Gottes als Anstoß einer Radical Theology (Hamilton und Altizer)

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but about the experience of the absence of God.“101 Hamilton weigert sich, den herkömmlichen Gottesbegriff weiter zu verwenden und den Weg der „redefiners“ zu gehen, die den konservativen Gottesbegriff neu zu beschreiben versuchen.102 Theologie in unserer Zeit ist für ihn nur noch ohne Gott möglich. Er gehört zu den „doers without“.103 Das Christentum sei neu zu definieren als eine Religion ohne Gott. Wir haben natürlich die Möglichkeit, neu auf Gott zu warten oder Jesus nachzufolgen. Über Gott zu reden erweise sich dabei als nutzlos, die Suche nach einem post-christlichen Jesus könne dagegen ein Weg sein für ein radikales Lebensmodell und also ein Symbol für ein authentisches Handeln in einem Leben ohne Gott. Die Darstellung seines weiteren Denkens versucht nun, Hamiltons Suchbewegungen nach einem neuen Christentum nachzuzeichnen, die erst langsam eigenständige theologische Konturen gewinnen mit der Hinwendung zum Werk Hermann Melvilles und schließlich zum „post-historischen“ Jesus. Nach dem Verlust seiner Theologieprofessur104 widmete sich Hamilton in zahlreichen Veröffentlichungen weiterhin der Frage eines Lebens nach dem Tode Gottes – „We must learn to do without God“105 –, die in seinem späteren Denken besonders auf Herman Melvilles Romanepos „Moby-Dick“ (1851) theologisch Bezug nehmen106, aber auch das Gespräch mit anderen SchriftW. HAMILTON 1966f, 28. Vgl. W. HAMILTON 1974, 31 und bereits 18. 103 W. H AMILTON 1966a, 6. 104 Durch die öffentlichen Ereignisse um das Erscheinen der Time-Magazine-Titelgeschichte sah sich die Baptist Colgate Rochester Divinity School nicht in der Lage, William Hamiltons Stiftungsprofessur zu verlängern. Seit 1953 hatte er dort unterrichtet. In der örtlichen Presbytarian Church waren er und seine Familie nun unerwünscht. Mehrere Morddrohungen gingen bei ihm ein. Insofern sah sich der als Baptist in Evanston, Illinois, aufgewachsene William Hughes Hamilton genötigt, 1967 ein Angebot des frisch gegründeten New College in Sarasota, Florida, anzunehmen, bevor er 1970 zum Dean of Arts and Letters an der Portland State University in Oregon berufen wurde. Seit 1976 bis zu seinem Ruhestand 1984 unterrichtete er dort als University Professor. Hamilton hatte zunächst am Oberlin College, Ohio, bis 1943 studiert, wurde dann Soldat der U.S. Navy im Zweiten Weltkrieg, danach studierte er bis 1949 am Union Theological Seminary in New York insbesondere bei Reinhold Niebuhr und Paul Tillich. Von der St. Andrews University in Schottland wurde er 1952 unter Donald M. Baillie zum Ph.D. in Systematischer Theologie promoviert mit einer Arbeit über das Thema The Christian Doctrine of the Body in Twentieth Century British Theology (W. HAMILTON 1952). Seine erste Stelle als Dozent trat er am Hamilton College in Clinton, New York an (1951–1953). Für CBS moderierte er TV-Sendungen über Religion und Theologie. Zu seinem Tod wurden in regionalen und überregionalen Tageszeitungen und Nachrichtenmagazinen seine Beträge zur Debatte um die radikale Theologie neu bewertet. Nachrufe veröffentlichten u. a. ABC News, The Oregonian, New York Times, Los Angeles Times, USA Today und Time Magazine (March 26, 2012, 21). Sie sind zum Teil noch im Internet einsehbar. Vgl. G. M. ZBARASCHUK 2014; 2018. 105 W. H AMILTON 1989h, 180. 106 Vgl. Abschnitt 4.3 in diesem Buch. 101 102

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stellern wie F. M. Dostoevskij,107 Albert Camus, Norman Mailer und Ignazio Silone suchen. 1974 erscheint eine Sammlung von Essays, die den Charakter einer Selbstvergewisserung über den eigenen weiteren theologischen Weg trägt. In Anspielung auf eine briefliche Äußerung Melvilles an Nathaniel Hawthorne vom 16. April 1851 („Take God out of the dictionary, and you would have Him in the street.“108) benennt Hamilton sein Buch mit dem ironischen Titel On Taking God Out of the Dictionary. Er versucht in neun Fragekreisen („Interview“; „God“; „Fragments“; „Death“; „Mailer“; „Jesus“; „Self“; „A.D. 2000“; „Revolution“) zu entschlüsseln, was dieses alte Wort „Gott“ in sich verborgen hält und auf welche Weise es neu gesagt werden kann. Denn vom Tode Gottes auszugehen, bleibe eine zutiefst theologische und monotheistische Position (7). Das Gottesproblem bleibe das interessanteste für die religiös Interessierten im westlichen Kulturkreis (7). Hamilton differenziert zwischen der „death of God theology“ und der „radical theology“. Der Tod Gottes sei nicht der Inhalt der radikalen Theologie, wohl aber ihr Ursprung, ihre Veranlassung. Sie sei eine Theologie für diejenigen, die ihr Leben im weitgehend noch unentdeckten Erfahrungszeitraum des Todes Gottes leben (5). Erst einige Wenige verstünden diese neue Erfahrung als eine christliche und ließen sich auf ein experimentelles Denken ein: „one tries to see if it is possible to make it as a Christian without the Christian God“ (6). Der Wert der radikalen Theologie werde sich erst im lebensweltlichen Vollzug erweisen. Hamilton nimmt sich auf unkonventionellen Wegen des voranschreitenden Sprach-, Selbst- und Gottesverlustes seiner Zeit an. Für ihn ist die Universität nicht nur ein gefährdeter Ort der Klärung der eigenen religiösen Identität (229), sondern auch ein diskursiver Ort für ethische und religiöse Fragestellungen der Zeit. In den verschiedenen Kapiteln zeigen sich sein zeitdiagnostisches Gespür und kreatives Potential, das nicht auf den Bahnen verweilt, auf denen üblicherweise theologische Auseinandersetzungen ausgetragen werden. Hamiltons Ausführungen stehen ganz im Zeichen der umwälzenden zeitgeschichtlichen Ereignisse der ,langen 1960er Jahre‘, in denen die USA vor vielen gegenläufigen gesellschaftlichen Bewegungen standen, mit deren Folgen sie bis heute zu leben haben und die schlagwortartig einzuholen sind mit: Vietnam, Wood107 W. H AMILTON 1989e. Vgl. bereits W. H AMILTON 1966c (Banished from the Land of Unity. Dostoevsky’s Religious Vision through the Eyes of Dmitry, Ivan and Alyosha Karamasov) und W. HAMILTON 1993, 75–85, über Prinz Myschkin als Christus-Figuration in dem Roman Der Idiot. 108 W. H AMILTON 1974, 1. Vgl. W. H AMILTON 1985, 9. Die Seitenzahlen im Haupttext beziehen sich auf W. HAMILTON 1974. Eine deutsche Übersetzung liegt nicht vor. Das gilt im Übrigen für das gesamte Werk Hamiltons. Nur zwei Aufsätze von ihm liegen in deutscher Übersetzung vor: W. HAMILTON 1967 (,Death-of-God-Theology’ in den Vereinigten Staaten. Bericht über einen Trend theologischen Denkens) und W. HAMILTON 1968 (Die Gestalt einer radikalen Theologie). Die Einführungen und Qualifikationsarbeiten, die sich mit dem frühen Hamilton auseinandersetzen, sind bereits im Forschungsüberblick genannt.

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stock, Watergate und der tiefen Spaltung des Landes in liberale und konservative Bevölkerungsteile. Auch das Projekt einer post-rassistischen Gesellschaft ist bis heute ein Traum geblieben. Die Lage der Afroamerikaner hat sich seit Martin Luther King wenig verbessert. Nicht die Suche nach dogmatischer Richtigkeit, sondern nach existentieller Aufrichtigkeit steht für Hamilton darum im Vordergrund seiner nach wie vor aktuellen Studien. Wahrheit wird hier nicht mit orthodoxer Rechthaberei verwechselt, sondern drückt das aus, was einen unbedingt angeht. Sie muss daher auch nicht im theologischen Traktat entwickelt werden, sondern kann verschiedene Text-Formen annehmen, mitunter auch ironisch sein und trotzdem religiöse Themen ernsthaft verhandeln.109 Sei es in einem langen Selbst-Interview, wo der bisherige theologische Denkweg hinterfragt wird, in einer short story, in kleinen Theaterstücken, einer Meditation über Norman Mailer oder als gewagter Blick in die Zukunft des Jahres 2000 mittels eines „futurological exercise“. Das alles sind Wege einer Theologie, den fragmentarischen und experimentellen Charakter der radikalen Theologie herauszustellen, die selber poetische und literarische Ausdrucksformen ausprobiert wie eine weisheitliche Theologie, um das Überleben als wesentliches religiöses Motiv ausfindig zu machen im Rückgriff auf einen von der Gesellschaft Ausgestoßenen und religiös Suchenden: Melvilles Ishmael. Diese Motive werden in den Studien Melville and the Gods (1985), Reading Moby-Dick and Other Essays (1989) und in A Quest for the Post-Historical Jesus (1993) aufgenommen und fortgeführt. Hamiltons lebenslanges Interesse an der Literatur zeigt sich schließlich in seinem Buch Shakespeare, God, and Me110 (2000). (2) Hamilton unterscheidet methodisch zwei Arten der Erfahrung des Todes Gottes.111 Die eine verlangt nach einem Detektiv: eine Leiche wird gefunden, die Suche nach dem Täter kann beginnen; die andere verlangt nach einem Mörder: ein Tod ist notwendig geworden. Nahm Hamilton in seiner ersten Phase noch die Rolle des Detektivs ein, der sich auf die Spurensuche nach dem Motiv des Todes Gottes in der Literatur- und Geistesgeschichte aufgemacht hatte, so sieht er mit Beginn der 1980er Jahre durch das Erstarken fanatischer politischer und religiöser Kräfte eine große Gefahr heraufziehen. Nicht mehr das schreckliche Schweigen Gottes sei es, was uns erschaudern lässt, sondern die noch schrecklichere Aussicht, dass Gott nicht mehr schweigt oder doch nicht ganz tot ist, sondern plötzlich sehr lebendig, sehr gefährlich, sehr mordlustig sei und

109 Vgl. auch seine Erfindung eines neuen Genres theologisch-kritischen Schreibens in einem Essay über Augustinus (W. HAMILTON 1989f), das er als „,serious spoof‘“ bezeichnet und die Leseanweisung gibt: „it is either to be taken seriously or not“ (W. HAMILTON 1989a, x) „Spoof“ meint „Parodie“, „Burleske“. 110 W. H AMILTON 2000. 111 Zum Folgenden vgl. W. H AMILTON 1989h. Dieser kurze, aber programmatische Aufsatz ist wegweisend für Hamiltons weiteres Denken.

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daher der Auftrag nun heißt, vom Detektiv- in den Killer-Modus umzuschalten und Gott unbedingt zu töten.112 Den Tod Gottes heutzutage zu erfassen, heißt also nicht mehr, die detektivische Spurensuche aufzunehmen, sondern zu begreifen und zu verstehen, dass nun die Beseitigung einer gefährlichen Ideologie des 20. Jahrhunderts auf der Tagesordnung stehe. Gott, der einmal geboren worden war als Gegenentwurf zur Idolatrie, sei in unserer Kultur selber zum Götzen geworden. Gott, der ehemals als Gegenentwurf zu einer korrupten politischen Administration diente, sei heute selber Teil dieser reaktionären Klasse. In dieser Lage sei es unsere Pflicht, zivilen Ungehorsam zu leisten. Das zweite Kommen des Todes Gottes bedeute, dass der zum Mörder gewordene Gott nun umgebracht, entblößt, weggeschlossen oder auf jeden Fall in ein Kabelfernsehstudio verbannt werden muss, dem Sinnbild von Habgier und Dummheit in unserer Zeit. Die Gefahren des Monotheismus scheinen zu groß, um sie noch bannen zu können.113 Vor Gott als der größten Gefahr für das Zusammenleben zu warnen, ist natürlich für einen US-Amerikaner keine Selbstverständlichkeit, zumal klar sei, dass der Nicht-Glaube an einen monotheistischen Gott keinen intellektuellen, sondern einen moralischen Defekt bedeute.114 Denn er impliziere einen Besitzanspruch, einen Einmaligkeitsstatus, einen Ausschließlichkeitsstatus bzw. Sonderstatus mit einem Überlegenheitsanspruch gegenüber denen, die nicht dazu gehören. „Ja“ zu Gott zu sagen, heiße „Nein“ zu sagen zu den Neinsagern zu Gott. Gott zu besitzen, heiße heutzutage, das mächtigste Instrument der Selbstbestätigung zu besitzen und damit über andere zu richten. Dieser Gott der westlichen christlichen bürgerlichen Welt transformiere seine Anhänger in selbstgerechte und gefährliche Sünder. Doch mögliche Revisionen hin zu moderaten, dezenten Gottesvorstellungen hält Hamilton im Grunde für hoffnungslos. Eine Religion ohne Gott sei nur für diejenigen eine Überraschung, die den Buddhismus vergessen haben.115 Eine Arbeit an dezenteren Fällen benötige jedoch keinen Glauben mehr und bewahre nicht vor der Verwandlung in selbstgerechte Feindeshasser, die man allüberall in Amerika antreffe. Nur eine radikale Strategie werde helfen, um uns und andere vor diesen Fanatikern zu schützen. Hamilton wiederholt sein radikales „Credo“: „We must learn to do without God. [...] This is the second death of God.“116 Gott mache Menschen im Grunde eher schlecht und böse als gut. Wir müssten uns selbst von Gott befreien und lernen, skeptisch gegenüber denen zu sein, die dazu (noch) nicht in der Lage sind. Es könnte sein, dass wir einsamer werden, oder auch nicht. Sinnentleerter, oder auch nicht. Wir werden auf alle Fälle menschlicher, vorsichtiger, zögernVgl W. HAMILTON 1989h, 177.178. Vgl. W. HAMILTON 1989h, 178. 114 Vgl. W. H AMILTON 1989h, 179. 115 Vgl. W. H AMILTON 1989h, 179. 116 W. H AMILTON 1989h, 180. 112 113

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der („tentative“), es könnte uns leichter fallen, mit Gegnern und Freunden zu leben. Bonhoeffers Satz, vor Gott ohne Gott zu leben, heißt neu gedeutet: „Before God we once were, and may be again; now, it is imperative that we are without.“117 (3) Neben diesem Aufruf zu einem zweiten Kommen des Todes Gottes sucht Hamilton nach Wegen – beyond belief and unbelief – der Fortschreibung von Bonhoeffers christologischer Deutung von Jesus als Mensch für andere. Doch die Christologie in der Moderne scheint gegenwärtig in eine Sackgasse geraten zu sein, wenn die neuere historische Forschung uns einen historischen Jesus präsentiert, der letztlich unerkennbar bleibt, und einen Christus des Glaubens, der bedeutungslos für unser Leben (geworden) ist. Was bleibt dann noch von Jesus übrig? Wie kann man in einer postchristlichen Welt noch über Jesus sprechen, die nicht an ihn glaubt, ja nicht einmal mehr an ihn zu glauben braucht? Diesen Fragen stellt sich Hamilton in seinem Buch über den post-historischen Jesus. Er nennt es in Anspielung an die verschiedenen „quests“ der modernen Jesus-Forschung A Quest for the Post-Historical Jesus.118 Wie bereits in seiner theologischen Deutung von Melvilles Moby-Dick finden wir hier ein weiteres Beispiel, Theologie nach dem Tode Gottes als Literaturwissenschaft zu betreiben, nicht ohne an der einen oder anderen Stelle eine Prise wohltuender Ironie einzustreuen. Hamilton geht vor dem Hintergrund der Krise des Schriftprinzips davon aus, dass die historisch-kritische Methode uns alles gegeben hat, was sie zu geben vermochte. Hinter ihre Errungenschaften können und dürfen wir nicht zurück. Doch genau betrachtet war es im Endeffekt nicht sehr viel, was sie in ihren kritisch-konstruktiven Destruktionen zutage fördern konnte. Theologen und Historiker hätten uns heutzutage immer weniger über Jesus zu erzählen. Daher fühlt sich Hamilton legitimiert, zu den traditionellen Halb-Wahrheiten, die wir bereits durch die historische Forschung meinen kennengelernt zu haben, nun auch die nicht-traditionellen Halb-Wahrheiten der Poeten hinzuzufügen. Er fühlt sich wohl mit der Definition, die einst Shakespeare in A Midsummer Night’s Dream für die Poeten gegeben hat und die kurz zusammengefasst heißt: Sie sehen das, was bis jetzt noch nicht da ist.119 Er fragt in existentieller Hinsicht danach, ob die Poeten und Schriftsteller mit ihrem fiktionalen Zugang zu Jesus diesem helfen können, einen Platz jenseits des Glaubens („beyond W. HAMILTON 1989h, 180. 1994 erschien es in New York, bereits im Dezember 1993 in London. Zitiert wird nach der britischen Ausgabe. Die Seitenzahlen im Haupttext verweisen auf W. HAMILTON 1993. 119 Vgl. W. H AMILTON 1993, 289; „I have already said that I am using ‚poet‘ in a very broad sense here, to cover almost anyone writing fictions (including fictionalized lives) about Jesus, even when they may not be fully aware that they are doing fiction: poets proper, novelists both popular and distinguished, imaginative biographers, journalists, advertising men, and even Protestant professors and Islamic physicians using the fictional mode.“ (W. HAMILTON 1993, 133.134). Dass die Gattungen, aber auch die Motive, über Jesus zu schreiben, ganz unterschiedlicher Natur bei den „poets“ sind, zeigt Hamilton hier auch auf. 117 118

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belief“) zu finden, der die alte theologische Unterscheidung von Glaube und Unglaube aufsprengt (1). Dazu unterzieht er eine Reihe von fiktionalen modernen Jesus-Darstellungen von Theologen, Dichtern, Schriftstellern, Dramatikern, Filmemachern und Journalisten einer eingehenden Analyse, die hier natürlich nicht im einzelnen nachgezeichnet werden kann, und liest ihre Werke als Quelle einer reichen post-historischen Vorstellungswelt und Einbildungskraft („imagination“), die ihrerseits Einbildungskraft, Intelligenz und Handeln ihrer Leserinnen und Leser bestimmen können.120 Noch einmal wird deutlich, was Hamilton seit Beginn seines Entwurfs einer radikalen Theologie und der Lektüre von Bonhoeffers Gefängnisbriefen tief beschäftigt121: Jesus ist der Mensch für andere. Von Jesus kann und will er nicht loskommen (28). Das zeigt auch sein eindrückliches Schlusskapitel, in dem Hamilton eine eigene Geschichte voller Ironie und Tiefsinn präsentiert, die ein „wirkliches“ Gespräch beim Strandspaziergang, vermutlich am Rande des Pazifischen Ozeans, mit einem Jesus zwischen seinem ersten und zweiten Kommen aufzeichnet: „Jesus comes back: Between the First and the Second“ (274–288). Hamilton erlaubt aber nicht einfach, dass Jesus die Leere füllt, die Gott nach seinem Tod hinterlassen hat. Das gilt auch für Gott, der nicht die Lücke füllen kann, die die vergebliche Suche nach Jesus hinterlassen hat. Hamilton resigniert nicht, sondern zeigt auf, was dennoch zu haben ist. Und das sei nicht wenig: Nämlich die fiktionale Literatur über Jesus. Und dazu zählen für ihn auch die Evangelien selbst, die kanonischen wie apokryphen. Fiktionen, Dichtungen sind das, was moderne Historiker als Erbe hinterlassen haben. Solche Fiktionen können Wegweiser sein, aber sie sind wie die Evangelien selber immer auch ideologische Porträts von Einzelnen. 120 Im Einzelnen analysiert er neben den im Text genannten Beispielen auch Werke von George Shaw, die politische Dogmatik von Jens Glebe-Møller, den politischen Jesus der Befreiungstheologien von Segundo und Boff, Milan Machovecs marxistischen Blick auf Jesus, Pasolinis Film Das Evangelium nach Matthäus (W. HAMILTON 1993, 30–72). In einem Zwischenstopp macht Hamilton bei zwei US-amerikanischen Schriftstellerinnen und zwei russischen Schriftstellern aus dem 19. Jahrhundert Halt, die sich auf je eigene Weise mit Jesus beschäftigt haben: F. M. Dostoevskij, L. Tolstoj, Harriet Beecher Stowe und Emily Dickinson (a. a. O., 73–132). „Novelists, Journalists, Playwrights and Others“ (a. a. O., 133– 220) zeigt einen Querschnitt durch das 20. Jahrhundert mit Analysen der Werke von M. Kamel Hussein, Gerd Theißen (Der Schatten des Galiläers), Upton Sinclair, Jim Bishop, Gore Vidal, F. Mauriac, Shusaku Endu, D. H. Lawrence, Nikos Kazantzakis u. a. m. Die Dichter im engeren Sinne erhalten ein eigenes Kapitel („The Poets“) mit Interpretationen von Gedichten von Thomas A. Dorsey, Ezra Pound, W. H. Auden, Countee Cullen, Rilke u. a. m. (a. a. O., 221–252). „Jesus comes back“ (a. a. O., 253–273) blickt auf William Faulkner, Upton Sinclair u. a. m. Hamilton schließt mit einer eigenen Geschichte. 121 Vgl. zur resümierenden Bedeutung von Bonhoeffers Widerstand und Ergebung und insbesondere seinen Überlegungen zur religionslosen Zeit und zu Jesus Christus Bonhoeffer revisited in: W. HAMILTON 1993, 23–30. Vgl. auch den früheren Aufsatz anlässlich eines Vortrags im Rahmen des 20. Todestages des deutschen Theologen (W. HAMILTON 1966d).

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Um diese Schlussfolgerungen nachzuvollziehen, sind ein paar wenige Einblicke hilfreich, die Hamilton zum Hintergrund des Buches und zu seinem methodischen Vorgehen preisgibt (4). Sie knüpfen an das an, was er als notwendiges Zweites Kommen des Todes Gottes („The Second Coming of the Death of God“) am Ende der 1980er Jahren inmitten der sich vollendenden konservativen Revolution der Reagan-Ära und dem weiteren Vormarsch der fundamentalistischen Strömungen in den monotheistischen Religionen schon angedeutet hat. Nicht überraschend ist daher der Bezug auf den indisch-britischen Schriftsteller Salman Rushdie (Satanic Verses; 1988) in Zeiten des Erstarkens des religiösen Fanatismus, der dem 11. September 2001 und der Assmann-Debatte vorausläuft. 1989 hatte der damalige iranische Revolutionsführer Ayjatollah Khomeini mittels einer „Fatwa“ den Schriftsteller zum Tode verurteilt. In seiner Herbert Read Memorial Lecture Is Nothing Sacred? (1990) versteht Rushdie die Aufgabe der großen Religionen heute darin, so Hamilton, uns dazu zu verhelfen, von der Religion loszukommen (4). Gerade als religiöser Schriftsteller betont er die freie und kritische Position der Literatur auch gegenüber der eigenen religiösen Tradition. Aber selbstverständlich ist für ihn natürlich auch, dass der Roman nicht das Leben entsakralisieren oder gar die Religion ersetzen kann. Religion kann er sich nur ohne Dogma und Hierarchie vorstellen. Für Rushdie ist und bleibt die Religion in dreifacher Hinsicht weiter wichtig für unser Leben. Denn wir brauchen einen Ort, wo wir unsere unvollkommenen Erfahrungen des Staunens („wonder“) und der Ehrfurcht („awe“) verarbeiten können. Wir brauchen Antworten auf nicht zu beantwortende Fragen. Wo kommen wir her (Schöpfung)? Wo gehen wir hin (Eschatologie)? Und wir brauchen einen Ort, der uns eine Antwort auf die Frage liefert, wie wir unser Leben leben sollen. Rushdies Lecture ist das eine bedeutende Erlebnis Hamiltons des Sommers 1990. Das andere ist der kanadisch-französische Film Jésus de Montréal (1989). In diesem sieht Hamilton einen bewundernswerten Beitrag eines begabten Künstlers (Denys Arcand) über Jesus in einer Welt, in der das nicht-fundamentalistische (!) Christentum kollabiert (4). An dem Tag, als Jesus nach Montreal kam, am Ende des 20. Jahrhunderts, noch quicklebendig und doch flüchtig, wurde er umgebracht, und jedermann blieb durch sein Kommen entweder unverändert oder wurde schlechter (8). Zwei Hinweise zu einer weiteren Selbstbeschreibung schließen sich an. Da ist zum einen Nietzsches „toller Mensch“, den Hamilton als Gott-Sucher und zutiefst religiösen Menschen (10) deutet, der durch sein Auftreten als „neuer Diogenes“ die säkulare Sicherheit irritiert. Nietzsche ruft nicht dazu auf, Gott zu töten, vielmehr hat er ihn bereits tot im Herzen seiner Zeitgenossen vorgefunden. Nicht nur der tolle Mensch in seiner Suche und die Umstehenden in ihrem Unglauben haben Gott jeweils getötet, sondern alle gemeinsam. Zum anderen ist für Hamilton die Passage aus Lewis Carrolls Through the LookingGlass, and What Alice Found There (1871) von immenser Bedeutung, in der Alice im Gespräch mit Humpty-Dumpty (10) die Grenzen des Projekts der

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„redefinition“ bzw. „reinterpretation“ eines Wortes aufzeigt. Alice vertritt gegen Humpty die Meinung, dass man nicht einfach ein Wort so verwenden könne, wie man es nun gerade bestimmen möchte. Vielmehr gilt es die Vergangenheit und Geschichte des Wortes zu respektieren, wie es verwendet wurde (12). Entweder man muss ohne es leben oder gänzlich neue Wörter erfinden, die aber nicht beanspruchen dürfen, einfach Interpretationen der alten zu sein, wie es z. B. mit Gott geschehen ist, der mit immer neuen Annahmen verbunden wurde: Hoffnung, Zukunft, Kraft der Liebe. Hamilton bekennt sich zu Alice. Er weiß sich demütig der Sprache verpflichtet und damit dem Auftrag, immer wieder die Revisionisten und Neuinterpreten, zu denen er auch die feministischen Theologinnen zählt, wenn auch mit einem Fragezeichen, vor der Gefahr zu warnen, die hinter einem Humpty-artigen Imperialismus lauert. Hamilton befindet sich somit weiterhin auf der Suche nach dem, was jenseits des Dualismus von Glaube und Atheismus, von Glaube und Unglaube liegt. Denn Radikale Theologie gründe nach wie vor in der Erfahrung einer Abwesenheit, einer Leere. Wo Gott einst war, ist nun ein Loch, eine Leerstelle. Und es ist Aufgabe dieser Theologie, dieses Loch zu erkunden und zu erforschen, mit einer Loyalität zum Christentum oder auch ohne. Radikale Theologie erweist sich damit in ihren Grundzügen als konservativ und progressiv religiös zugleich: denn sie sucht immer wieder nach den Bedingungen, unter denen das Christentum weiterhin intellektuell und moralisch möglich ist (12). Doch der Raum jenseits von Glaube und Unglaube ist nicht so leicht erreichbar. Hamilton selber gibt zu, dass er es wohl nicht erleben wird, in diesem neuen Raum zu leben, auch wenn er gefunden werden sollte. Daher denkt er, dass er sowohl ein Glaubender als auch ein Unglaubender ist und immer beides sein wird. Damit steht er im Prinzip unausgesprochen ganz auf der Linie der Rechtfertigungslehre: simul iustus et peccator. Diese „Grenze“ hat sich für den ehemaligen Studenten von Paul Tillich als fruchtbarer Ort erwiesen. Theologie findet sich wieder auf der Grenze von Glauben und Unglauben. Hamilton räumt an diesem Punkt noch zwei für ihn wichtige Selbstverständlichkeiten ein: Natürlich ist der Tod Gottes eine Metapher, die in enger Beziehung zu den traditionellen Metaphern steht, die vom Kommen und Gehen Gottes handeln (13). Und natürlich können auf den Tod, auch von Göttern, Auferstehungen folgen, nicht zuletzt auch im Bereich der Sprache. Aber die Erwartung einer solchen Rückkehr mittels Auferstehung ist verschwindend gering, und nicht ausdrücklich ersehnt oder gar gewünscht (13). (4) Es sind für Hamilton drei Aspekte, die die Wiederentdeckung der Metapher vom Tode Gottes aus dem 19. Jahrhundert so plausibel und unausweichlich für die Beschreibung der Situation des 20. Jahrhunderts machen. Erstens: Die Erfahrung des Todes Gottes sei etwas, das einfach passiert, mitunter ganz allmählich fortschreitend sich ereignet, wenn wir zum vollständigen Verstehen dessen kommen, welchen Einfluss die Industrialisierung und vor allem die modernen Technologien auf unser Verhältnis zur Natur, auf unseren Geist und

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unsere Vorstellungen insgesamt haben (13.14). Zweitens: Die einzigartige Erfahrung des Bösen im 20. Jahrhundert verändere nachhaltig die traditionelle religiöse Sprache.122 Über Gottes Vorsehung, Allmacht oder Souveränität könne vor dem Hintergrund der Weltkriege und vor allem des Holocaust nicht mehr wie vorher gesprochen werden. Es stelle sich die Frage, ob Gott, wenn er alles in seiner Hand hat, auch hinter den Verbrechen der Nationalsozialisten, also hinter dem radikal Bösen stand. Auch wenn er es nicht tat, dann könne er auf jeden Fall nicht mehr in den traditionellen sprachlichen Ausdrucksformen Gott genannt werden. Aber wenn Gott hinter dem Morden stand, dann wäre er selbst ein Mörder. Für etliche habe der Weg von den Todeslagern zum Tode Gottes geführt, manchmal in unaussprechlichem Schmerz, manchmal als unsagbare Befreiung. Drittens: Aktuell führe eine dritte Beobachtung zur Erfahrung der Abwesenheit Gottes. Es sei das gegenwärtige Verhalten (vermeintlich) religiöser Menschen. Hamilton macht zunehmend die Erfahrung, dass zuletzt auch der monotheistische Glaube auf Männer und Frauen eher einen schlechten als einen guten Einfluss ausübe. Monotheisten brächten sich gegenseitig um. Eine besondere Logik verschärfe diese schlimme Vorstellung. Wenn ich an einen Gott glaube, glaube ich an eine Wahrheit, und ich glaube, dass ich diese eine Wahrheit besitze. Dieser Wahrheitsbesitz und die damit verbundene Zurückweisung der Anderen (vgl. Ps 139,21.22123) führe letztlich zu einer selbstgerechten Umgangsweise. Der Gott der westlichen Tradition verführe die Menschen und lasse sie zu selbstgerechten und gefährlichen Sündern mutieren (15). Doch weder andere Ideologien noch Religionen würden dem Christentum in nächster Zeit so schwer zu schaffen machen wie die Kritiker, die auf den latenten und offensichtlichen Antisemitismus und Sexismus innerhalb der christlichen Tradition gnadenlos hinweisen werden: „How will mainstream Christianity withstand the feminist critics? Is the gender of God negotiable? Is there a hospital, perhaps in Sweden, to which he may be sent? Is it enough to ordain the women, fix up the pronouns, get rid of all the father- and brother-language? Or will the feminist sword prove to be a mortal one, suggesting that a degendered God may well have to give way to an absent one? Antisemitism seems to be as adherent to Christian Scripture and tradition as sexism. How was it that the proper Jewish self-criticism of an Amos, an Isaiah, a Jesus, became the tortured Jewish self-hatred of a Paul? And what are we to make of the troubling questions raised by the Synoptics?“ (15).

Zu der Herausstellung dieser beiden Themen gehöre eine bedeutende methodologische Überlegung, die Hamilton im Anschluss an Charles Davis so fasst: „,the critique of Christian ideology exemplified in the critique of anti-Semitism and anti-feminism of the Bible [...] makes it impossible to use historical criticism of the Bible theologically to establish norms of Christians belief and 122 123

Vgl. auch W. HAMILTON 1999. Vgl. die ausführliche Interpretation bei W. HAMILTON 1999, 28–31.

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practice‘“ (16). Mit dem Zeitpunkt, als die öffentliche Kritik der Schrift zur kulturellen Errungenschaft wurde, seien große Teile des vertrauten theologischen Territoriums aufgegeben worden. Es gebe damit auch kein Zurück mehr zur Sicherheit der Schrift. Die Schrift sei nicht das Wort Gottes, und sie enthalte auch nicht das Wort Gottes. Freilich gebe es weiterhin die Bibel, aber nicht mehr das Wort oder Gott. Am Ende dieses autobiographischen Settings der christologischen Erkundungen steht für Hamilton die Frage: „If Christianity has become intellectually and morally suspect – even to its advocates and friends – and belief in God either unnecessary or dangerous, how can Jesus of Nazareth – neither Lord nor Son – be re-inserted into our language and culture?“ (16). Hinter seinem Interesse an einem post-historischen Jesus liegt für ihn ein Konsens, dem nicht jeder zustimmen muss, der sein Verständnis von Jesus von Nazareth prägt (17). Er ist zurückzuführen auf die Ergebnisse der Leben Jesu Forschung Albert Schweitzers (Geschichte der Leben Jesu Forschung; 1906; 2 1913) und die eloquente Schlussfolgerung von E. P. Sanders im besten Schweitzerischen Sinne: „,The Gospels ... were not written to answer our questions ...‘“ (17). Der historische Jesus, den sich das 19. Jahrhundert erdacht hat, war damit als Illusion entlarvt. Er war kein Jesus objektiver Erforschung, sondern ein Jesus der persönlichen Bedürfnisse (18). Dennoch waren für Schweitzer die historischen Methoden nicht machtlos. Der historische Jesus ist für unsere Forschung erreichbar, aber wir finden eben ein Rätsel, einen Fremden, einen, der nicht gekommen ist, um unsere Probleme zu lösen. Historische Forschung befreit Jesus vom Dogma und entlässt ihn in die endzeitlich gestimmte Welt seiner Zeit. Trotzdem kann Jesus für Schweitzer eine geistige Macht bleiben, geistig auferstanden in Menschen. Seine Ferne und Bedeutungslosigkeit aufgrund der Eschatologie kann trotzdem noch unser Leben formen. Mit etwas Wahrscheinlichkeit wissen wir sogar etwas über Jesus, doch das Problem bleibt, wir können nicht sicher sein, was genau das ist. Der post-historische Jesus ist für Hamilton nun das, was übrig bleibt, wenn wir zugeben, dass wir im Grunde nichts sicher über den historischen Jesus wissen bzw. wissen können: „If history gives us a Jesus either invisible or irrelvant, what are we to do?“ (20). Über lange Zeit haben wir zugegeben, dass die Evangelien niemals beansprucht haben, Geschichtsschreibung im modernen Sinne zu sein. Als solche können sie auch nicht gelesen und verstanden werden. Aber wir sind, abgesehen davon, dass ihr Inhalt als „Evangelium“ oder „Kerygma“ bezeichnet wurde, noch nicht dahin gelangt, sie als das zu benennen, was sie wirklich sind: Die Evangelien sind Fiktionen, Dichtungen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger erlaubt Hamiltons angenommener christologischer Konsens über die Evangelien zu sagen. Er möchte mit dieser Einsicht erreichen, dass wir lernen, zu akzeptieren, dass die Evangelien keine privilegierte Sonderstellung mehr besitzen. Das gilt auch für alle anderen kanonischen Schriften. Wenn nun die Evangelien als Fiktionen gelesen werden

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können, bedeutet das nicht nur eine erneuerte Bedeutung des apokryphen Schrifttums. Es bedeutet auch, dass die zeitgenössische fiktionale Literatur über Jesus eine neue Rolle und Bedeutung erlangt. Mit dem post-historischen Jesus meint Hamilton eine Wende zu einem Jesus, die uns zeigt, dass die historisch-kritische Methode und ihre ‚Cousine‘, die theologische Interpretation auf ihrer Basis und im Rahmen ihrer Möglichkeiten, uns alles gegeben hat, was sie konnte. Es bedeutet, dass die Bibel in die Literaturgeschichte eingezeichnet wird und dort ihren genuinen Ort hat. Hamiltons Aufmerksamkeit gilt daher den überwiegend aus dem angloamerikanischen Sprachraum stammenden Schriftstellern und Dichtern, Dramatikern und Journalisten, Filmemachern und den übrigen Amateuren, die über Jesus lobend oder tadelnd geschrieben haben (20). Zwar möchte er nicht über Christus-Figurationen in der Literatur schreiben, doch Dostoevskijs Prinz Myschkin und einige Figuren aus dem modernen Britischen Drama hat er nicht umgehen wollen. Alle seine ausgewählten Poeten erheben nicht den Anspruch darauf, einen Jesus zu zeigen, wie er „wirklich“ war. Doch sind damit ihre fiktiven Werke nicht auch bloß Ideologien,124 wie die von Schweitzer kritisierten Jesus-Darstellungen, die geschaffen wurden, um dem eigenen Glauben oder Unglauben Ausdruck zu verleihen (21)? Wie dem auch sei, für Hamilton beginnt neben der weiteren Arbeit der Theologen und Historiker nun das post-historische Zeitalter, das von den Poeten begleitet wird, die anders als die anderen davon überzeugt sind, dass Wahrheit eher konstruiert als gefunden wird. Hamilton vertraut hier mit Rorty und Dewey der moralischen Kraft der Imagination und Kunst mehr als dem, was Moralvorstellungen zu bieten haben. So kommt Hamilton zu dem Schluss: „Jesus fictions say [...] something about the authors, about the readers, and about Jesus“ (273). (5) Dieses Panorama über den post-historischen Jesus kann man nun in die verschiedenen aufgezeigten gesellschaftlichen und theologischen Debattenlagen einzeichnen, die Hamilton in den letzten Dekaden des 20. Jahrhundert beschäftigt haben. Er leistet mit seinem „Quest“ einen möglichen Beitrag zur Überwindung der christologischen Krise und der Krise des Schriftprinzips, wenn er die Bibel von ihrer Sonderrolle befreit und so nebenbei die Christologie als Ausdrucksmittel klerikaler Selbstbehauptung und geltungssüchtiger Selbstaffirmation entlarvt (290). Die normativ überfrachteten Texte können nur so zu dem werden, was sie sind: deutungsoffene Textwelten und Diskurse. Gerade auch im Kontext einer Zunahme der religiösen Fundamentalismen und Fanatismen, die sich hinter der „Rückkehr der Religion“ auch verbergen und sich ebenfalls auf „Heilige Schriften“ berufen oder ideologisch fragen: „What would Jesus do?“, wird die gelassene Selbstrelativierung und Selbstkritik zu 124 So das Resümee am Ende des Kapitels über die Erfindung des politischen Jesus: „There is no Jesus as he really was. What we find, wherever we look, is always fiction, and usually ideology“ (W. HAMILTON 1993, 72).

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einer Haltung, die es gerade im Raum der Religion einzuüben gilt. Religion kann sich so auf sich selbst hin befreien. Sie kann dann wieder der Ort werden, der für Hamilton zwei Dinge bedeutet: „a way of articulating the mystery that surrounds us, and a way of defining the most productive way of being in the world“ (276). Um diesen Weg wieder gehen zu können, steht ihr ein Kampf gegen einen religiös übersteigerten Fanatismus bevor, der auch die amerikanische Gesellschaft in ihren bürgerlichen und politischen Schichten erreicht und gegen den sich auch die radikale Theologie Hamiltons in ihren verschiedenen Phasen gewendet hat. Die Auseinandersetzung mit ihr fördert zu Tage, dass schon lange vor dem 11. September 2001 von einigen Wenigen die Diskussion über eine Religion ohne den gefährlich gewordenen monotheistischen Gott angestoßen wurde, die heute wieder aufgenommen wird. So muss Hamilton auch fragen: „Has monotheism truly become in our time an ideology of death, in spite of Chartres and the St. Matthew Passion? Defunct, like those other dying ‚isms‘ of the late twentieth century: fascism, communism, capitalism, socialism? If so, then a primary function of radical theology – Christian, Jewish, Islamic (I’m thinking, of course, of Salman Rushdie) – is to explore the ways to bear witness to the danger of belief in a single god.“125 Auf jeden Fall ist der noch zu wenig erforschte Zusammenhang zwischen Monotheismus und mörderischer Gewalt ein verpflichtender Forschungsauftrag für eine radikale Theologie.126 Eine Entsakralisierung der Bibel und eine Enttheologisierung des Christentums sind nun aber nicht als Verlustrechnung abzutun. Im Gegenteil, diese Transformationen können sich als ein Zugewinn an Religion erweisen, als ein produktiver und kreativer Zugewinn an einer reichhaltigeren Sprachfähigkeit. Religion kann auf diese Weise mehr und mehr zu sich selber kommen und eine ideologiekritische Haltung und einen besonnenen zivilen Ungehorsam einüben. Die Bibel als fiktionales Werk zu lesen, führt zu einem gelassenen Umgang mit der eigenen Tradition, der in der Lage ist, eigene und fremde ideologische Verstrickungen aufzudecken. Hamilton nimmt für sein Verständnis von Ideologie Gedanken von Erik Erikson und Václav Havel auf (290), an die sich das hier vertretende Verständnis von Ideologie anschließen kann. Ideologie ist mit Erikson demnach zu beschreiben als eine unbewusste Tendenz, die jedem religiösen, wissenschaftlichen und politischen Gedanken zugrunde liegt. Diese Tendenz macht zu einem bestimmten Zeitpunkt Fakten zugänglich für Ideen und andersherum Ideen für Fakten mit der Absicht, ein Weltverständnis zu schaffen, das in der Lage ist, genügend andere davon zu überzeugen, dass gerade allein dieses den kollektiven und individuellen Sinn für Identität fördert. Der tschechische Dichter und langjährige Präsident Václav Havel spitzt diesen Gedanken zu: „‚Ideology is a specious way of relating to the world. It offers 125 126

W. HAMILTON 1999, 28. Vgl. W. HAMILTON 1999, 31 im Anschluss an die Interpretation von Psalm 139.

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human beings the illusion of an identity, of dignity, and of morality ... ‘“ (290). Und genau das meint nun eine ideologiekritische theologische Haltung, diesen trügerischen und fadenscheinigen Weg nicht nur der Ideologien des 20. Jahrhunderts aufzudecken und den vielen „Ismen“, die sich als menschenverachtend herausgestellt haben, entgegenzutreten. Es sind auch die notwendigen Destruktionen der Illusionen über sich selbst, des Glaubens, der Gottesvorstellungen, der Politik, der Moral. Und daher sagen die literarischen Werke nicht nur etwas über die Ideologie des Autors oder über Jesus, sondern auch über die Leserinnen und Leser, über ihre Ideologien und Illusionen, und nicht zuletzt über den unschätzbaren Wert von Dichtungen: „Fiction is all you have, and you must be playful, not earnest, with fiction. They teach as art teaches, not history. In part what you get from fiction is what you bring: your own passion and sorrow and need“ (282). Durch diese ideologiekritische Haltung der Theologie befreit sich auch die Religion immer mehr zu sich selbst und erinnert sich an ihre eigene prinzipielle Individualität und Pluralität, die Schleiermacher ihr ins Stammbuch geschrieben hat. Das kann denn auch ein Ort zwischen Glauben und Unglauben werden, der Hamilton als eine „healing community“ vorschwebte, am liebsten am diskursiven Ort der Universität. In Hamiltons Vision ist dies ein Ort, an dem man auch politische Vorherrschaft ausschalten kann, wo Vergebung wertgeschätzt wird als ein Mittel, die unvermeidlichen Tränen, die in menschlichen Beziehungen fließen können, zu trocknen, ohne ein oberflächliches „forgive and forget“ zu sein. Und ein Ort, wo Egozentrismus und selbstgerechte Selbstgefälligkeit entblößt werden bei jenen, die wissen, was sie tun (285.286). Es ist zudem ein Ort, wo die Enteschatologisierung bewerkstelligt werden kann, die mit einem „Mehr“ an Eigenverantwortung für das eigene Leben einhergeht. Wenn es kein Leben nach dem Tod gibt, ist das noch kein Grund zur Verzweiflung. Ganz im Gegenteil: „It is really good news, for it means that you and I have to make our own meaning and sense. It will not be given to us, for there is nothing to give, and no one is able to give it. This frees the mind considerably, for it means that much of what seems to matter doesn’t. You cannot find meaning, but you can make it for yourself and for the people and things you love.“127 Dieses so transformierte „Evangelium“ ist kein Grund zur Verzweiflung oder zu ethischer Indifferenz in Zeiten gravierender sozialer Unterschiede, der allgemeinen Gleichschaltung (Homogenisierung), des Rückzugs ins Private (Fernsehen) und der Umwandlung des Individuums in den Konsumenten: „Real ethical action is possible today, and it will always be in the form of rebellion against such pressures.“128 Das im Grunde unausgesprochen an die Weisheit Kohelets anschließende Gegenmittel ist, wieder auf seine eigene Wahrnehmungsfähigkeit, sein Können und Wissen zu vertrauen. Dieses 127 128

W. HAMILTON 1989g, 171.172. W. HAMILTON 1989g, 172.

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„Evangelium“ lässt den Dualismus von Glaube und Unglaube hinter sich, es entlastet von allen irdischen und eschatischen Heilsversprechungen und spricht sich gegen wechselseitige Bevormundungen aus.129 In diesem von Jesus so entfachten rettenden Feuer (Lk 12,49), das kein Aufruf zu einer sklavischen Nachfolge ist, zeigt sich durch eine Theologie als Literaturwissenschaft die Möglichkeit, die metaphorische Kraft der Literatur zu entzünden: „We are to be this fire [...]“130, wenn wir uns darauf besinnen, dass wir nicht alles vollbringen können. Wir können nicht Lob und Erfolg erwarten. Das Einzige, was wir tun können, ist, die ein oder zwei Dinge, die wir gut können, gut zu machen. Allein damit kann eine ganze Menge frei schwebender Angst abgemildert werden.131 (6) Wenn Theologinnen und Theologen oder Kirchenvertreterinnen und Kirchenvertreter Toleranz und Selbstrelativierung von anderen fordern, müssen sie es auch in Bezug auf ihre eigene Tradition vormachen. Sie müssen sich dann auch von absoluten Wahrheitsansprüchen verabschieden und die Sonderstellung ihrer Grundlagen aufgeben. Das „Evangelium“ und die Evangelien als Fiktionen anzuerkennen, kann diese von einer dogmatistischen Überfrachtung befreien und so zu einem neuen und lebensdienlicheren Zugang zu den Texten und vor allem zu der nun auf Augenhöhe stehenden künstlerischen und literarischen Rezeptionsgeschichte führen. Diese heilsame Relativierung der biblischen Textwelten kann zugleich positivistische und präzisierende Missverständnisse biblischer Aussagen revidieren und durch die Fiktionalität der diskursiven Texte auch ihre Metaphorizität wieder betonen. Theologie als Literaturwissenschaft ist nicht rückwärtsgewandte Orthodoxie oder destruktiv auf eine radikale Zerstörung ihrer Grundlagen aus, sondern (de-)konstruktiv auf ein behutsames und tastendes Weiterdenken im offenen Blick nach vorn inmitten einer fragilen Gesellschaft, um nach und nach von dem Glauben an die Gottes-Grammatik (vgl. F. NIETZSCHE, KSA 6, 78) loszukommen, die uns zwischen Ahab und Ishmael, zwischen Fanatismus und Überleben hält und uns in der Lektüre von fiktionalen Texten einen Spiegel vorhält, um zu sehen, wer man ist (durch sich selbst oder andere) oder sein will, und zu überprüfen, ob man bereit ist, der zu werden, der man ist. Diese Religion hat für Hamilton nichts zu tun mit Einsamkeit, mit mystischer oder sinnlicher Weltflucht, sondern bringt uns in diese Welt (277). Zu uns selbst und zu unserem Nächsten. Und das heißt: post-historisch und nach dem Tod Gottes leben zu lernen mit Ambivalenzen und Unsicherheiten (278), mit der bleibenden Bedeutungslosigkeit von Jesus (280) und ohne seine unmöglichen ethischen Ideale (281), die

„So, if you don’t have a god or gods, fine; don’t patronize those who do. If you have god or gods; don’t patronize those who don’t. You are both right, or wrong, or both.“ (W. HAMILTON 1989g, 172). 130 W. H AMILTON 1989g, 174. 131 Vgl. W. H AMILTON 1993, 286.287. 129

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sich als Konstruktionen der frühen Christen herausgestellt haben. „We are to be this fire ...“ 6.2.2 Apokalyptische Selbstaufhebung Gottes in die Welt (Thomas J. J. Altizer) (1) Für Thomas Jonathan Jackson Altizer132 (1927–2018) ist der Tod Gottes eine gute Nachricht: Seine neue Deutung des „Evangeliums“ nach dem Tod Gottes nennt er in weiterführender Anspielung auf seine frühere Veröffentlichung von 1966 The Gospel of Christian Atheism nun The New Gospel of Christian Atheism (2002). Gott müsse nun nicht mehr länger aus der Sicht eines priesterlichen Glaubens als ein transzendentes Anderes angesehen werden, das, von der Welt entfremdet, zum Objekt religiöser Verehrung wurde und als Vater und Richter unendlich weit entfernt von der Welt handelt. Doch durch die kenotische Verwirklichung seines Todes könne Gott nun durch einen prophetischen Glauben in unserer Mitte mehr und mehr inkarniert erfahren werden als das „Fleisch“ – als die aktive Verkörperung (Inkarnation) oder der aktualisierte Ereignisreichtum der Welt selber.133 Diese Idee, sich „in the direction of a fully kenotic or self-emptying theology“134 zu bewegen, habe er von William Hamilton erhalten. Für Altizer ist die Apokalypse in seinen zahlreichen Studien Ausgangspunkt für sein radikales philosophisch-theologisches Denken. Der Nihilismus ist für ihn im vollständigen Durchdenken des Todes Gottes die größte Bedrohung unserer Tage, aber auch das Zentrum unseres Denkens und 132 Thomas Jonathan Jackson Altizer wurde in Charleston, West Virginia, geboren. Seine südstaatlichen Vorfahren stammen von Thomas Jonathan Jackson (1824–1863), genannt „Stonewall Jackson“, ab. Nach dem Besuch des St. John’s College in Annapolis, Maryland studierte er an der University of Chicago von 1947 bis 1954 und erhielt dort die B.A.-, M.A.und Ph.D.-Abschlüsse. Seine Doktorarbeit befasste sich mit C. G. Jungs Religionsverständnis. Dort erhielt er grundlegende Anregungen von den Religionswissenschaftlern Joachim Walch und Mircea Eliade für seine Arbeit an der Geschichte der Religionen sowie von dem ebenfalls in Chicago lehrenden Paul Tillich. Seine Sicht auf das Christentum und auf den Tod Gottes als kulminierendes Ereignis in der Religionsgeschichte war immer begleitet von einer fundierenden Sicht einer komparativen Perspektive auf die Religionen des Westens und Ostens. Vgl. TH. J. J. ALTIZER 1961; 1963. Die Bedeutung des Buddhismus für Altizers Theologie ist noch herauszuarbeiten. Von 1954 bis 1956 unterrichtete er am Wabasch College in Crawfordsville, Indiana. Es schlossen sich dann zwölf Jahre an der Emory University in Druid Hills an, einem Vorort von Atlanta, Georgia, wo er Englische Literatur unterrichtete. Nach den Turbulenzen um die Veröffentlichungen im Time Magazine erhielt er 1968 eine Anstellung an der State University of New York at Stony Brook und unterrichtete dort als Professor for Religious Studies. Seit seinem Eintritt in den Ruhestand lebte er zurückgezogen in den Bergen, in Mount Pocono, Pennsylvania, etwa einhundert Meilen von Manhattan entfernt. Vgl. zu weiteren biographischen und theologischen Einschnitten jetzt ausführlich seine „theologischen Memoiren“ (2006) und den Werkbericht von G. WITTIG 2018. 133 Vgl. L. M CC ULLOUGH 2004, xvii. 134 TH. J. J. A LTIZER 2006, 12.

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Bewusstseins, wenn für ihn dichotomisch Gottheit und das Nichts in Gott untrennbar zusammengehören und in einer coincidentia oppositorum wechselseitig aufgehoben werden (Godhead and the Nothing; 2003). Mit seiner „apocalyptic vision“ steuert Altizer einen theologischen Entwurf bei, der Geschichte als immer wiederkehrende Apokalypse (History as Apocalypse; 1985; Genesis as Apocalpyse; 1993) versteht.135 Mit diesem Programm möchte Altizer die Systematische Theologie radikal erneuern,136 um sie so von der Bindung an die Kirche und von ihren tradionellen Gottesvorstellungen zu befreien. Durch das aufscheinende Ende des ChrisFür das Verständnis des frühen Altizer vgl. die Beiträge in The Theology of Altizer. Critique and Response (J. B. COBB JR. 1970). In diesem Diskussionsband wird Altizer als „the most original and creative American theologian“ seiner Zeit beschrieben. Sein ,Einfluss‘ auf die theologische Debatte zeigte sich aber im wesentlichen als Ablehnung seines theologischen Projekts, das sich zu stark von einem ethischen Christlichen Humanismus unterscheidet, wie er in der US-amerikanischen Theologie verschiedentlich vertreten wurde. Für Altizer hat sich eine ethische Theologie gänzlich vom Verstehen Gottes verabschiedet, ja sie könne nicht einmal mehr als genuine Theologie bezeichnet werden (vgl. TH. J. J. ALTIZER 2003, xii). Die deutschsprachigen Auseinandersetzungen mit Altizer enden mit seinen Publikationen um 1970 herum. Die einschlägigen Einführungen sind bereits im Forschungsüberblick dargestellt worden. Zuletzt erschienen K. ROHMANN 1977 und G. F. BORNÉ 1979. Für das spätere Denken Altizers liegt noch keine umfassende deutschsprachige Untersuchung vor. Anders als in der deutschsprachigen Theologie lässt sich unterdessen in den USA ein neues Interesse an Altizers Denken dokumentieren. Im Jahr 2004 wird ein Kompendium zu seiner Theologie veröffentlicht, das sich mit dem späteren Denken („mature thinking“) kritisch auseinandersetzt (vgl. die Beiträge in: L. MCCULLOUGH/B. SCHROEDER 2004). Darin findet sich auch eine von Lissa McCullough zusammengestellte umfangreiche Bibliographie der Werke und Aufsätze Altizers sowie eine Auswahlbibliographie kritischer Studien und Beiträge zu Altizers Theologie. Eine sehr gute Orientierung bietet die Historical Introduction Lissa McCulloughs. Für den Mitherausgeber Brian Schroeder ist der Theologe Altizer „the most visionary thinker of the death of God“ (B. SCHROEDER 2004a, ix), der seinen Ansatz einer in Theologie und Kirchen fast ganz marginalisierten Radikalen Theologie auch über die aufgeregte Zeit des Death of God movement hinaus weiter entwickelt habe. Die vertiefende Anregung („vocation“) erhielt er dabei durch eine Frage Mircea Eliades, der in Heideggers Holzwege gelesen hatte: „Hier stirbt das Absolute. Gott ist tot. Das sagt alles andere, nur nicht: es gibt keinen Gott.“ (M. HEIDEGGER, GA 5, 202.203). Dieser Hinweis findet sich bei L. MCCULLOUGH 2004, xviii. Dabei ist und bleibt er Theologe, sonst nichts, wie David E. Klemm in seinem Beitrag zum Kompedium herausstellt: „Thomas J. J. Altizer is nothing if he is not a theologian. [...] Altizer is the successor to the great theologians of the Protestant biblical tradition represented by Karl Barth and Rudolf Bultmann, among others.“ (D. E. KLEMM 2012, ix). Auch wenn es gegenwärtig immer noch als unzeitgemäß gelte, sich dem Durch-Denken des Todes Gottes zuzuwenden, entdeckten doch einige Wenige, dass der gegenwärtige Zustand der Theologie ein Erwachen („awakening“) erfordere, „even a ‚rude awakening‘ [...] from our current cultural slumber, induced by an uncritical conservatism.“ (B. SCHROEDER 2004a, x). Genau dazu könne diese dezidiert theologische Theologie des Todes Gottes verhelfen. 136 Vgl. TH. J. J. A LTIZER 2012b. 135

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tentums seit dem 16. Jahrhundert und dann vor allem durch die Französische Revolution mit der gewaltsamen Zurückdrängung der Kirche von der politischen Macht, sei der Raum weit geöffnet für die Frage, wer jetzt die „Autorität“ habe, von Gott zu sprechen. Altizers Bücher, die auf wissenschaftliche Anmerkungsapparate verzichten, verstehen sich als genuin theologische Bücher, die in ihrer eigenen Sprachwelt ihre eigensinnige theologische Bedeutung haben.137 Es geht ihm nicht um existentielle Bedürfnisse, die soziale Situation der Gesellschaft oder um einen ethischen christlichen Humanismus, sondern allein darum, was Gott in der Geschichte, verstanden als immer wiederkehrende Apokalypse, getan hat. Das ist für Altizer zugleich die Antwort auf die Frage, was Theologie in unserer Zeit noch sein kann.138 Mit diesem Universalitätsanspruch seiner apokalyptischen Theologie verkörpert sich für Altizer das Handeln Gottes wahrhaft in jedem Einzelnen, direkt oder indirekt, bewusst oder unbewusst.139 Altizers Ziel ist eine Erneuerung des Christentums im Rückgriff auf seine ursprüngliche prophetische und apokalyptische Form: „Christianity begins with apocalypse, with the proclamation and enactment of the advent of a new eon or new world which can only be the end of an old eon and an old creation.“140 Im Anschluss an die trinitarische Lehre der drei Zeitalter von Joachim von Fiore versteht Altizer das gegenwärtige Zeitalter als Zeitalter des Heiligen Geistes.141 In ihm zeige das Christentum nun wieder sein ursprüngliches und wahres Gesicht als apokalyptisches Christentum. Denn im Christentum, das als apokalyptische Bewegung begonnen habe, erscheine eine religionsgeschichtlich einmalige, reine und totale coincidentia oppositorum als vollkommener Zusammenfall von radikal dichotomen Gegensätzen, deren Ergebnis eine absolut neue Welt (novitas mundi) gegenüber der alten sei: Neuschöpfung ist das Wesen der Apokalypse, die sich in der Geschichte manifestiere. Die apokalyptische Veränderung zeigt sich für Altizer weltgeschichtlich in den modernen politischen Revolutionen, die für ihn ihrem Kern nach religiöse Reformationen sind: in England in der Mitte des 17. Jahrhunderts, in den Vereinigten Staaten von Amerika 1776, in Frankreich 1789, in Russland 1917 und in China 1949. Sie sind alle Vollzüge (enactments) der Apokalypse. Mit diesem Verständnis geht für Altizer eine Rehabilitierung der Apokalypse einher. Sie ist für ihn keine sektiererische Angelegenheit, sondern genau das Gegenteil von Phantasie und Illusion: Die Apokalypse ist überwältigender als alles andere, was wir uns vorstellen könnten. Genuine Apokalypse und genuine Revolution seien nicht voneinander zu trennen. So steht für ihn im Zentrum der Aufklärung die Französische Revolution, in deren Zentrum wiederum die Vgl. TH. J. J. ALTIZER 1993, 3. Vgl. TH. J. J. ALTIZER 2014, 187. 139 Vgl. TH. J. J. A LTIZER 2006, ix. 140 Th. J. J. A LTIZER 1985, 1. 141 Vgl. TH. J. J. A LTIZER 2012c, 1–3; 47.48; 58.59. 137 138

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Realisierung des Todes Gottes stehe.142 Die Spätmoderne zeige sich auf diese Weise als Zeitalter des Todes Gottes und zugleich als ein Zeitalter, in dem eine Geburt von etwas absolut Neuem ansteht, eine Geburt, die allein ermöglicht wird durch den Tod Gottes. (2) Der Tod Gottes ist für Altizer das neue Evangelium des christlichen Atheismus. Altizer ist mit dieser Auffassung nun nicht einfach als Atheist zu verstehen, sondern eher als ein Posttheist, für den die metaphysische Realität Gottes (Theismus) dialektisch und geschichtlich unverzichtbar ist. Denn es ist wahrhaftig Gott, der durch sein absolutes Selbst-Opfer vom Tod überwältigt und verwandelt (transfiguriert) wurde. Gott hebt sich selber apokalyptisch in der Welt auf. Nur eine Selbst-Entleerung (,self-emptying‘) bzw. eine SelbstAnnihilierung (,self-annihilating‘) Gottes hat den Effekt eines tatsächlichen Todes Gottes. Solch eine Kenosis ist nach Altizer erst mit dem Maler und Dichter William Blake (1757–1827),143 für den „Self-Annihilating“ der wahre Name Gottes war, und dem Denken Hegels von Selbst-Negation bzw. SelbstEntleerung ermöglicht worden und seitdem das radikalste trinitarische Denken in der Geschichte.144 Hier liegt das apokalyptische Zentrum der Theologie Altizers. Was aber bedeutet nun der ,Tod‘ in der Rede vom ,Tode Gottes‘? Und was trägt er dazu bei, das ,Evangelium‘ oder die ,frohe Botschaft‘ in ein Wort des Lebens und des Lichtes zu transformieren? Den Tod Gottes zu kennen, heißt für Altizer, die Kreuzigung und die Höllenfahrt145 zu kennen. Die Höllenfahrt bedeutet die Begegnung mit dem in der Welt so äußerst gegenwärtigen zerstörenden Nichts, das wir antreffen in seiner Dunkelheit und seinem Übel, in seinem ungöttlichen Holocaust, seinen brutalen und unzählbaren Formen der Opfer. Theologie muss nun gerade die Kraft haben, diese Ausdrücke des Bösen in der Welt zu beleuchten und sie davon zu erlösen. Ansonsten wäre sie keine Theologie, sondern eine Form von Weltflucht oder Illusion und damit eine Flucht vor der Realität.146 Eine (calvinistische) Theologie der Vorsehung (providentia Dei) ist für Altizer nach dem Holocaust nicht mehr möglich. Denn sie mache den Holocaust zum Teil der Vorsehung des allmächtigen und allwissenden Gottes und damit Gottes selbst. Damit sei der Gott des Christentums selber im Holocaust gestorben – oder zumindest seien die traditionellen Gottesvorstellungen undenkbar und unvorstellbar geworden. Das bedeutet auch, dass der Gott einer jeden kirchlichen Dogmatik ab diesem Zeitpunkt undenkbar werde. Die selbstkritische theologische Frage unserer Zeit lautet daher, ob die Theologien, die derzeit entworfen werden, in ihrer Tiefe nicht eine Auslöschung des Holocaust implizieren. Das gilt nach den Standards Altizers für jede Theologie, Vgl. TH. J. J. ALTIZER 2012c, 149. Vgl. TH. J. J. ALTIZER 1967b. 144 Vgl. TH. J. J. A LTIZER 2012c, 104. 145 Vgl. TH. J. J. A LTIZER 1970. 146 Vgl. zum Folgenden TH. J. J. A LTIZER 1999, 20–22. 142 143

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die im Grunde die vollständige Realität des Bösen leugnet und sich schnell in die Erlösung oder den Himmel flüchtet. Der Tod am Kreuz ist für Altizer daher das einzigartige Schema, um das Opfer Gottes absolut und endgültig zu verstehen. Sein dialektisches Denken geschieht nun in der Absicht, der Wirklichkeit des Bösen in der Welt gerecht zu werden und die bleibende theologische Sprachlosigkeit in Bezug auf ‚das Nichts‘ und ‚das Böse‘ zu überwinden.147 Das Böse zu deuten, habe die theologische Tradition zwar immer wieder unternommen (Augustinus, Karl Barth, Paul Tillich), aber die Sprachlosigkeit der theologischen Tradition bleibe bestehen,148 während in der philosophischen Tradition das Denken des Nichts im Zentrum steht (Nietzsche, Heidegger, Sartre). Doch nur mit einer radikalen Zuwendung zum Nichts könne die Theologie wieder aus ihrem Schlummer erweckt und als Theologie zur Sprache gebracht werden: Das Nichts sei das Gegenteil von dem, was wir einst unter dem Namen ,Gott‘ gekannt haben. Das Nichts sei nicht zu trennen von der modernen Verwirklichung des Todes Gottes.149 Das Nichts sei zudem ultimativ untrennbar an die Gottheit selbst gebunden. Der Nihilismus als größte Bedrohung unserer Tage sei ein Nihilismus als Konsequenz des Christentums selber, für den noch keine adäquate Theologie entworfen worden sei.150 Zugleich sei der Nihilismus auch das Zentrum unseres Denkens und Bewusstseins. Denn im vollständigen Durchdenken des Todes Gottes gehören für Altizer die Gottheit und das Nichts untrennbar zusammen. Man könne hier von einer ‚Dichotomie Gottes‘ sprechen,151 also von einem komplementären oder dualistischen Begriffspaar Gott und Nichts, das in einer coincidentia oppositorum als echte absolute Gegensätze zusammenfällt.152 Das habe zwar bereits die mystische Tra147 „Not until Barth does a major theologian speak of the Nihil or the Nothing, a language only possible after the collapse of scholasticism, and this occurs in a new world in which there is an ultimative epiphany of evil and nothingness, one realizing itself in the Holocaust, and in the wake of the Holocaust could it be anything but a pure blasphemy to speak of evil as the privation of the good?“ (TH. J. J. ALTIZER 2012a, 67.68). 148 Vgl. TH. J. J. A LTIZER 2003, ix. 149 TH. J. J. A LTIZER 2003, x.xi: „to center upon its deepest ,other‘, one which can be understood as the Nothing itself, a Nothing which is surely the opposite of everything which we once knew as God, and a Nothing whose full advent is inseparable from a uniquely modern realization of the death of God. [...] This new nihilism is one in which the Nothing is fully embodied, and so fully embodied that the Nothing has ceased to be manifest as the Nothing and the Nothing alone.“ 150 Im Anschluss an Nietzsche: TH. J. J. A LTIZER 2002, ix. 151 Von Blakes Identifikation des Satans mit Gott stammt die Anregung der Dichotomie Gottes. Vgl. TH. J. J. ALTIZER 2003, 184–190. 152 Diese cusanische Denkfigur ist ein unentbehrlicher hermeneutischer Schlüssel zu Altizers dialektischer Theologie. In Godhead and the Nothing geht er die Frage nach dem absoluten Nichts und dem absoluten Bösen an, um im Grunde mit der traditionell undenkbaren Figur von zwei widerstreitenden Absoluta, Gottheit und Nichts, zu denken. „Coincidentia

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dition der antiken und mittelalterlichen Welt gewusst, aber vollständig verwirklicht worden sei diese ‚Dichotomie‘ erst im reinen Denken und in den imaginären Visionen seit dem Anbruch der modernen Welt.153 In der Moderne unserer Tage bestehe daher nun die Möglichkeit, dass gerade das genuin theologische Denken das ‚Andere‘ unserer Welt entschleiern kann. Bislang hätten nur William Blake und Friedrich Nietzsche eine vollständig gefallene Gottheit gekannt, eine Gottheit, die ein absolut fremdes Nihil ist. Aber die vollständige Aufhebung des Nichts sei die Apokalypse selbst, eine Apokalypse, die eine absolute Freude ist,154 die aber ihrerseits untrennbar vom absoluten Abgrund („absolute abyss“) ist. Jede genuine Theologie sei darum in Wahrheit negative Theologie.155 So kann Altizer seine eigene ‚theologische Berufung‘ nur in diese Worte fassen: „[A] theological calling is a calling to an ultimative darkness, and a darkness truly visible in our new world.“156 Erlösung sei dann die Quelle der unbedingten Freude. Die Freude und der Geschmack der Erlösung können aber nicht stellvertretend erfahren werden, da eine Stellvertretertheologie („vicarious theology“) niemals wirkliche Theologie sein könne. Sie könne es nur als Freude der Erlösung geben, die durch die absolute Dunkelheit hindurchgegangen ist: „Yes, a genuinely theological thinking is a tasting of redemption, that is the source of its ultimate joy, but this is a joy only realizable through an absolute darkness and abyss.“157 Um diese aus einer Höllenfahrt entstandenen Erfahrung in Worte zu fassen, macht sich Altizer auf die Suche nach neuen sprachlichen Gestaltungsformen für seine apokalyptische Trinitätstheologie. (3) Der Tod Gottes kündigt für Altizer eine historische Transformation des Bewusstseins an, die das Ende des Christentums und seines Gottes markiere, allerdings nicht das Ende der Gottheit als unbedingte Wirklichkeit. Die Aufgabe der Theologie sei es nun, die nun erwachende Gottheit im und durch den Tod Gottes zur Sprache zu bringen. Und zwar in der Hoffnung, dass, dank einer dialektischen coincidentia oppositorum am Ende des Prozesses der Entsakralisierung der Welt, der neuen radikalen Wahrnehmung ihrer profanen Natur und der menschlichen Existenz, die Gründung einer neuen Weise religiöser Eroppositorum is practically synonymous with Altizer’s concept of atonement, a concept that lies not only at the heart of his philosophical theology as divine self-sacrifice but at the center of most world religious expressions in the form of sacrificial action.“ (B. SCHROEDER 2004b, 69) Einen expliziten Hinweis auf Nikolaus von Kues habe ich bei Altizer allerdings nicht ausfindig machen können. 153 Nur im Deutschen Idealismus wurde eine großangelegte Philosophische Theologie wiedergeboren, die die Welt der Theologie auf den Kopf gestellt habe. Vgl. TH. J. J. ALTIZER 2003, xi. 154 Vgl. TH. J. J. A LTIZER 2003, xiii. 155 Vgl. TH. J. J. A LTIZER 2012a, 5.6. 156 TH. J. J. A LTIZER 2012a, 6. 157 TH. J. J. A LTIZER 2012a, 7.

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fahrung erscheine. Die vollkommenste Sprache entstehe aus dem tiefsten Schweigen, aus dem Schweigen des Todes. Nur so könne sie eine wirklich neue Sprache sein. Es gebe keinen anderen Weg aus der Krise, als sich zuerst der Krise selbst bewusst zu werden. Je tiefer unser Sinn für die Krise wird, umso radikaler oder umfassender werde diese Wende der Sprache als Aufgabe für unsere Zeit. Der Glaube sei die Fülle der Sprache bzw. des Sprechens („fullness of speech“). Sie sei die Fülle, in der ihr eigener Grund aktualisiert und verkörpert wird. Glaube werde identifiziert mit einer Sprache, die zugleich Sprechen und Hören ist.158 Die dialektische Selbst-Aktualisierung Gottes werde so zum Zentrum und Grund unseres Sprechens und Schweigens.159 Radikal heißt die Theologie Altizers, weil ihre Autorität (Vollmacht) allein in einer visionären Zeugenschaft besteht, die keiner Bestätigung einer institutionellen Autorität oder des etablierten Mandats der Tradition bedarf. Radikale Theologie ist damit voll und ganz freie Zeugenschaft einer lebendigen Ahnung des Heiligen und sich selbst autorisierend. Es ist eine Zeugenschaft, die jeden etablierten theologischen Grund verlässt, um den fundamentalen Grund der Theologie neu zu denken. Doch gleichzeitig weigert sich radikale Theologie auch, als festgelegter Grund gedacht zu werden. Vielmehr verweist sie auf ihre intrinsische Autorität. In ihrem Wesen als freies Zeugnis und Bekenntnis kann diese Autorität nicht in eine übertragbare Form gefasst oder in dogmatische Behauptungen versiegelt werden. Der apokalyptische Jesus ist daher das Vorbild für diese radikale Zeugenschaft, denn wenn in ihm der Geist spricht, spricht auch Jesus im Geist. Diese intrinsische Autorität kann gehört werden, wenn sie sprachlich transformiert wird in eine andere Form, die sich, wie die apokalyptischen Gleichnisse Jesu von der Königherrschaft Gottes, als eine universale und gemeinsame Sprache herausstellt, die zugleich biblisch und zeitgenössisch ist,160 und die es ermöglicht, von Gott zu sprechen wie in der Zeit der Propheten und in den Gleichnissen des Neuen Testaments.161 Diese in der Gleichnisrede verkörperte eschatische Anwesenheit ist die vollkommene Einheit von Gott, Selbst und Welt. Im Wort des Gleichnisses spricht die Welt mit ihrer Stimme in einer Sprache, worin und wodurch die Welt vollkommen wirklich und unmittelbar zuhanden ist: „Then speech is world and world is speech at once.“162 Entscheidend für diese Einsichten ist nun, dass die Sprache Jesu die Sprache von Heute ist, und dass die Sprache von Heute die Sprache des Hier und Jetzt ist. Diese Unmittelbarkeit des Hier und Jetzt im Sprechen löscht jeden Weg aus, der ins Jenseits weist. Die Abwesenheit des Jenseits verwirklicht die totale Vgl. TH. J. J. ALTIZER 1977, 3. Vgl. TH. J. J. ALTIZER 1977, 6. 160 Vgl. TH. J. J. A LTIZER 1977, 6. 161 Vgl. TH. J. J. A LTIZER 1977, 2. 162 TH. J. J. A LTIZER 1980, 8. 158 159

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Anwesenheit des Königreiches Gottes im Hier und Jetzt. Sie kommt zustande dadurch, dass im Sprechen als Sprechen die reine Anwesenheit Wirklichkeit wird. Doch Altizer muss zugeben, dass diese Anwesenheit ein Konstrukt bleiben muss, da das reine, gleichnishafte Sprechen Jesu niemals in geschriebenen Texten des Neuen Testaments gegenwärtig sein kann. Doch innerhalb dieses dialektischen Schemas, das die Transformation des Sprechens in Schrift offen legt, zeigt sich der Sündenfall, der die Geschichte in Gang setzt. In dieser Interpretation kann die Sprache Jesu daher als Sprache von Heute verstanden werden. Doch nur die Literatur ist für Altizer in der Lage, als Sprache von Heute die Aufhebung der ursprünglichen Sprache Jesu in den biblischen Text aufzulösen. Genau genommen verkörpert daher die westliche epische Tradition die Gleichnissprache Jesu im Hier und Jetzt. Die wahre moderne Literatur ist literarisch und nichtliterarisch zugleich.163 Sie birgt in sich eine vollkommene Sprache ebenso wie eine vollkommene Alltagssprache. Ein Text ist zugleich immer ein Antitext, der eine Schrift voraussetzt, die ,wahres‘ Sprechen ist.164 Für Altizer zeigt sich die vollkommenste Verwirklichung eines solchen nichtschriftlichen Antitextes im Roman Finnegans Wake (1939) des irischen Schriftstellers James Joyce (1882–1941), in dem das gefallene Wort als Stimme des reinen Sprechens wiederaufersteht.165 Damit wurde die ultimative apokalyptische Sprache vollkommen und endgültig in Finnegans Wake geboren.166 Wenn dieses Werk die Inkarnation des Wortes ist, kann die Stimme des Autors nicht allein die des Dubliner Schriftstellers sein. Denn wenn die Stimme vollkommen anwesend ist, transzendiert sie seine Individualität und gründet in einer universalen Anwesenheit, die vollkommen anonym ist. Doch damit geht die Geburt eines universalen Menschseins mit der Unmöglichkeit des individuellen Selbst einher. Jede Differenz, jede Andersheit und jede Negation verschwindet im vollkommenen Sprechen.167 Dieses Selbstopfer des Subjekts verlängert das christliche Drama von Inkarnation, Kreuzigung und Auferstehung durch seine Wiederholung. Erst der Tod des individuellen Selbst vervollständigt den Tod des transzendenten Gottes, der allein Gott ist. Das Göttliche hat Das versucht Altizer durch seine beeindruckenden Untersuchungen der epischen Tradition des Christentums zu zeigen. In ihnen verbindet er historische, literaturwissenschaftliche und theologische Zugänge. Erstmals bringt diese großangelegte Bewusstseinsgeschichte die christlichen Epen (Dante, Milton, Blake und Joyce) seit der homerischen und der biblischen Revolution als organisches und geschichtliches Ganzes zur Darstellung. Darin zeigt sich für ihn auch, wie tief sich die christliche Welt(-sicht) in den gegenwärtigen historischen Prozess eingeprägt hat. Vgl. TH. J. J. ALTIZER 1985, 1. 164 Vgl. TH. J. J. A LTIZER 1980, 18. 165 Zur Erstinformation z. B. über Anlage und Mehrdeutigkeiten (z. B. des Titels) des sich als „umfassendes Epos der Menschheitsgeschichte“ verstehenden, zwischen den Jahren 1923 und 1938 verfassten Werkes vgl. J. DREWS 1996. 166 Vgl. TH. J. J. A LTIZER 1985, 219. 167 Vgl. TH. J. J. A LTIZER 1977, 82. 163

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sich selbst entleert in das Menschliche, und das Menschliche hat sich in das Göttliche entleert. Dieser doppelte kenotische Prozess kann abstrakt gefasst werden als die Negation der Negation, die die absolute Versöhnung hervorbringt, und konkret als Tod des Todes, der das ewige Leben bringt. Wenn nun die Negation negiert ist und der Tod dem Leben überantwortet wurde, wendet sich der offenkundige Verlust in einen gegenwärtigen Gewinn. Die totale und wirkliche Anwesenheit der Auferstehung setzt die Aufhebung des Untergangs des Sprechens in die Schrift voraus. Diese Aufhebung kann nicht geschehen außerhalb eines Auftretens einer Form von Schreiben bzw. Schrift, die wesentlich Sprechen ist.168 Genau diese Art des Sprechens findet sich für Altizer in der „liturgical language“ von Finnegans Wake: „[S]acrifice and even […] liturgical sacrifice is present only in the words of this text. It is in and by these words, and these words alone, that a primordial and divine sacrifice is now actual and real. But these words are the most prosaic words in ours and any language, just as they are the dirtiest and most pornographic words which have ever passed into a text, for not only is this night language a wholly wordly or fleshly language, it is also a language which at least by intention never strays from an actually spoken speech. Writing or scripture finally ends in Finnegans Wake, for this is a text in which a written or writable language has wholly disappeared as such, and disappeared to make way for or to awake that primal and immediate speech which is on the other side of writing or text, and on the infinitely other side of that writing which is Scripture or sacred text.“169

Doch nicht Joyce behält das letzte Wort, sondern Altizer selbst. Die Literatur zeige einen Weg zu einer Theologie im Sprechen auf, das aber im Grunde ein Schreiben bleibt. So werden Altizers theologische Texte zur Selbst-Verkörperung Gottes. Diese Worte sind demnach nicht seine eigenen, sondern auch die von allen anderen (also auch von Milton, Blake, Hegel, Joyce, Altizer etc.), die wiederum in jedermann inkarniert sind. Lesen ist Hören, und Hören ist wahrhaftiges Hören der reinen Stimme, die einst präsent war in der Sprache der Gleichnisse Jesu und jetzt wiedergekehrt ist in der Sprache von James Joyce. Zwar wiederholen die Worte von Finnegans Wake nicht einfach die ursprüngliche Sprache von Jesus, aber sie erweitern die Inkarnation durch ein gegenwärtiges Re-präsentieren der Präsenz des Göttlichen im Menschlichen, die im eucharistischen Fest des Leichenschmauses von Finnegan kulminiert („funeral“; „fun for all“), in dem die wirklichen und widerstreitenden Gegensätze vereinigt seien in einer radikal neuen und unmittelbaren coincidentia, in der die totale Anwesenheit der universalen Menschheit präsent sei, die vollkommen, göttlich und inkarnierte Gottheit ist und damit gleichzeitig vollkommener Mensch.170 Inkarnation, Kreuzigung und Auferstehung fallen in eins. Vgl. zum Folgenden auch M. C. TAYLOR 2004. TH. J. J. ALTIZER 1985, 237. 170 Vgl. TH. J. J. A LTIZER 1985, 234. 168 169

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Die Rede vom Tode Gottes zeigt sich bei Altizer nun nicht als das Ende der Religion oder als das Ende des Glaubens, sondern im Gegenteil als deren Veredelung und Wiederbelebung jenseits einer Kirche und Theologie, die nicht willens seien, den Tod Gottes in ihrem Denken zuzulassen. Durch die Einzeichnung des Christentums in die Religionsgeschichte der Menschheit und die Herausarbeitung seiner kulturellen Kraft und seines Einflusses außerhalb der Grenzen der traditionellen christlichen Institutionen und Lehren missachtet Altizer daher bewusst den Einflussbereich der Kirche. Denn keine kirchliche Theologie wäre jemals in der Lage, den Tod Gottes als ein intrinsisches Ereignis innerhalb der christlichen Geschichte zu deuten. Dazu sei die Kirche selber zu konservativ und unbeweglich. Die Radikale Theologie dagegen nehme ihren Standpunkt in der säkularen Welt ein. Sie könne den Tod Gottes als Teil der modernen Kultur nach 1789 verstehen, der in ihr breit bezeugt ist durch Blake,171 Hegel, Nietzsche, Dostoevskij, Heidegger, Sartre, James Joyce und Samuel Beckett. Und zwar als die Verkörperung einer revolutionären neuen theologischen Bedeutung und als Motiv innerhalb der christlichen Geschichte selbst: Die Bedeutung des Motivs des Todes Gottes ist unentrinnbar manifest geworden in den kreativsten kulturellen Entwicklungen der späten Moderne. Die Rede vom Tode Gott habe in der Moderne immens viele kreative Energien und Visionen freigesetzt. Für Altizer steht die Theologie damit vor der Alternative: Macht sie sich angesichts ihrer Krise und der Krise des Gottesgedankens auf den Weg in die unerforschten Regionen der Heterodoxie und begreift das Werden als einen Akt Gottes, der die Gottheit selbst transformiert, oder verschanzt sie sich hinter einer konservativen orthodoxen Reaktion, die sich weiterhin an die traditionellen Gottesvorstellungen der absoluten Transzendenz, Unveränderlichkeit und Leidensunfähigkeit klammert und meint, mit der Sicherheit von 2000 Jahren (Kierkegaards „1800 Jahre“) den transzendenten Gott der Christenheit konservieren und die Radikalität des Bösen und des Nihilismus ausklammern zu können?172 (4) Altizer versucht den Tod Gottes als Tod Gottes radikal ernstzunehmen, indem er ihn als genuin christlich und genuin modern zugleich versteht. Dafür greift er nicht nur die philosophische Rede vom Nichts und vom Bösen auf, sondern auch auf die apokalyptische Tradition des frühen Christentums zurück. Altizer bietet durch seine Denkfigur der apokalyptischen Dichotomie Gottes eine Aufhebung der Alternative von Macht und Ohnmacht, die nicht auf eine Rede von Gottes schwacher Macht hinausläuft, sondern auf die apokalyptische Macht der Neuschöpfung Gottes durch seinen Tod. Sein Verständnis der Blakes Gedicht America von 1793 dokumentiert für Altizer die erste moderne Vision des Todes Gottes. Vgl. TH. J. J. ALTIZER 1985, 184–190. 172 Diese Weggabelung machte Altizer bereits am Schluss von The Gospel of Christian Atheism im Kapitel The Wager in der Form einer transformierten Pascal’schen ‚Wette‘ auf (vgl. TH. J. J. ALTIZER 1966a, 132–157). 171

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Selbst-Inkarnation und Selbst-Annihilation Gottes ist damit ein eigenständiger Beitrag zur Aufhebung der Alternative von Allmacht und Ohnmacht Gottes durch die Denkweise der coincidentia oppositorum: der Zusammenfall der Gegensätze von Gott und Nichts in einer neuen, apokalyptischen trinitarischen Gottheit.173 Aus dem christlichen Symbol und dem modernen Atheismus entsteht so etwas radikal Neues. Altizers Theologie zeigt sich so als eine Theologie, die den Versuch unternimmt, den Tod Gottes radikal ernstzunehmen und bis in die letzten Konsequenzen hinein Gottes Dichotomie, seine Selbst-Inkarnation und Selbst-Annihilation wieder und wieder zu durchdenken. Die Herausforderung im Verstehen des Todes Gottes liegt für Altizer darin, wie dieser Tod der Tod Gottes sein kann. Im Fokus seines theologischen Interesses bleibt Gott, der aber untrennbar gedacht werden muss von seinem Gegenteil: dem Nichts. Erst im Durchgang durch diese Dichotomie kann für Altizer etwas absolut Neues entstehen. In dieser andauernden Wiederholung des Durchdenkens des Todes Gottes in der Moderne liegt aber zugleich die Fragwürdigkeit und Begrenztheit seiner apokalyptischen Theologie. Seine Suche nach einer neuen theologischen Sprache scheint rückwärtsgewandt, wenn er sie lediglich in einer literarischen Hochkultur der europäischen Moderne wiederzuentdecken vermag und andere populär-kulturelle Erscheinungen nicht berücksichtigt. Altizer bleibt als christlicher ‚Atheist‘ und Denker des Nihilismus zudem genuin Theologe, in dessen Zentrum Gott und nichts anderes steht. Und so wird man die Frage nicht los: Bleibt der Tod Gottes nicht unvollständig gedacht, wenn Altizer immer wieder neu anhebt, um den Tod Gottes immer wieder aufzuheben?174 Oder liegt hierin gerade die anstößige Pointe seiner Theologie, dass wir von Gott auch angesichts seines Todes nicht loskommen können, weil die apokalyptische Macht des Todes Gottes letztlich auch uns selbst aufhebt und deshalb hier als Lebensversicherung zwischen Glauben und Zweifel gilt? Es hat einige Jahrzehnte gedauert, bis die theologische Theologie des Todes Gottes von Thomas J. J. Altizer erneut diskutiert wurde.175 Seine Theologie gilt als Beleg dafür, dass die radical theology, trotz ihrer öffentlichen Demontage, gar nicht vergangen war, sondern „im Untergrund“ quicklebendig weitergedacht wurde. Philosophen wie Mark C. Taylor, Gianni Vattimo und Slavoj Žižek wurden von Altizer nachhaltig beeinflusst. Es bleiben aber gravierende Zweifel, ob wir in dem Jetzt der coincidentia oppositorum Altizers tatsächlich unser Heute und in der Sprache von Joyce tatsächlich die Sprache unserer Welt finden. Mark C. Taylor wirft Altizer daher vor, als radikaler Theologe nicht weit genug gegangen und in kultureller Hinsicht ein Konservativer geblieben zu sein, der sich nostalgisch auf die religiös verpflichtete Hochkultur der Vgl. TH. J. J. ALTIZER 2012c. Vgl. M. C. TAYLOR 2004, 27. 175 Vgl. neben L. M CC ULLOUGH/B. SCHROEDER 2004 jetzt auch J. L. PEARL/C. D. R ODKEY 2018 und G. WITTIG 2018. 173 174

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Europäischen Moderne beruft. Hinzu komme noch, dass Altizer davon überzeugt ist, dass die Wahrheit dieser Kultur nur angemessen in der Sprache einer von Hegels Dialektik beeinflussten christlichen Theologie ausgedrückt werden kann. Medienkultur und populare Kultur, wie zum Beispiel Andy Warhol, auf den Taylor sich hier bezieht, bleiben bei Altizer außen vor, und damit wird im Grunde die Verbundenheit von Altizers Theologie mit der modernen Welt aufgelöst: „This is one of the reasons his theology can never be truly American.“176 Taylor führt seine Kritik auf die ironische Spitze, wenn er in Betraying Altizer weiter schreibt: „his obsessive writing and rewriting enact an endless work of mourning for the impossibility of faith as well as theology. It is as if contemporary culture is too nihilistic for this self-proclaimed nihilist.“177 Die Aussicht auf ein Nichts, das wirklich und bloß Nichts ist, ist für Altizer nicht auszuhalten. Als überzeugter Christ bleibt für ihn eine Kreuzigung ohne Auferstehung undenkbar. Nichts beherbergt immer Sein – und ist dann nicht wirklich Nichts. Für Taylor kann es nur eine abschließende Bewertung der bekenntnisartigen und verkündigenden Theologie Altizers geben: „This is not the language of today but the language of a bygone era. No one thinks like this; no one speaks like this, no one writes like this here and now – no one, that is, but Altizer, and he cannot do otherwise. The ‚Christian Atheist‘ whose name is synonymous with the death of God is actually our most God-possessed theologian.“178 Sein unbändiger dialektischer Drang zu glauben und nicht zu glauben, seine enge Verbindung mit Hegels Philosophie und seine „long obsession with the theology of Karl Barth“179 führen Altizer immer wieder dazu, in neuen zirkulären Anläufen das eine Thema zu wiederholen, Gottes apokalyptische Dichotomie, seine Selbst-Inkarnation und Selbst-Annihilation, um in seiner selbst gewählten Einsamkeit der Berge nicht für andere zu schreiben, sondern eigentlich nur, um sich selbst zu überzeugen.180 Aus diesem Grund kann ihn Mark C. Taylor auch den „letzten Theologen“181 nennen. Sein Beitrag zur Umformungskrise der Theologie ist im Grunde wie der von Karl Barths dialektischer Theologie und Eberhard Jüngels „theologischerer Theologie“ eine Vertiefung ihrer Grundlagenkrise. Das nimmt für Taylor auch tragische Züge an und evoziert M. C. TAYLOR 2004, 20. M. C. TAYLOR 2004, 26. 178 M. C. TAYLOR 2004, 27. 179 Vgl. D. JASPER 2004, 192. Hier findet sich auch der Hinweis auf Genesis and Apocalypse (TH. J. J. ALTIZER 1990, 149: „Perhaps the deepest theological response to Nietzsche’s vision of eternal recurrence was the Church Dogmatics of Karl Barth, the first theology which was a theology of the Church and only of the Church, and thus the first Christian theology which effected or intended a total disjunction or chasm between the Church and history, for it was the first theology created in full response to the historical realization of the death of God“). 180 So M. C. TAYLOR 2004, 27. 181 M. C. TAYLOR 2006, xi–xviii. 176 177

6.3 After (the Death of) God

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den Vergleich mit Ahab182: „It is without question the American epic MobyDick that Altizer embodies theologically, and of that book’s characters, it is the theology of the coincidence of Ahab and the great white whale (Moby Dick) that Altizer gives voice.“183 Wie Ahab dem Weißen Wal verfallen ist, ist der Gott ist tot-Theologe Altizer dem Gott dieser neuen Theologie verfallen und übt doch andauernd Verrat an sich selber.184 Für einen dekonstruktiven A/Theo-logen wie Mark C. Taylor kann die Theologie aber nur zu einem Ende kommen, wenn Altizers Vision verraten und tatsächlich ernst mit dem gemacht wird, was Altizer mit seiner Theologie endlos immer wieder selbst aufhebt: „The death of God remains incomplete as long as theology continues. Theology does not end when it is no longer written but when it is forgotten. More precisely, theology ends when we forget that we have forgotten God.“185

6.3 After (the Death of) God 6.3 After (the Death of) God

In den letzten Jahren lässt sich eine erneute Auseinandersetzung in der USamerikanischen Theologie und Religionsphilosophie mit der Denkfigur des Todes Gottes beobachten. So verfasste Mark C. Taylor, der aus dem AltizerKreis stammt, als einer der ersten mit Deconstructing Theology (1982) und mit Erring186 (1984) eine Postmodern A/theology, in der er im Anschluss an Jacques Derridas hermeneutische Methode die Dekonstruktion als Hermeneutik des Todes Gottes versteht: „deconstruction is the ‚hermeneutic‘ of the death of God.“187 Taylor verneint substantielle oder personale Gottesverständnisse

182 Altizer zieht diesen auch selbst nach tragischen familiären Kindheitserfahrungen. Vgl. M. C. TAYLOR 2006, xi: „Later I could respond to Melville’s Captain Ahab as the very soul of America, and an embodiment of its destiny as well.“ 183 Vgl. R. L. H ART 2004, 62. 184 So sind es auch die Barthianer, die der Theologie Barths „verfallen“ sind. Dessen unvollendete Kirchliche Dogmatik wurde von den Basler Studierenden wegen des Umfangs und ihrer in weißes Leinen gebundenden dreizehn Bände „Moby Dick“ genannt. Da Karl Barth aber Humor hatte, nahm er diese Bezeichnung für die KD auf und konnte sich sogar selbst als Walfisch bezeichnen. Vgl. die vielen Hinweise auch zu Moby-Dick bei J. SCHREIBER 1973. 185 M. C. TAYLOR 2004, 27. 186 M. C. TAYLOR 1984. 187 M. C. TAYLOR 1984, 6. Anders als bei Martin Heidegger und Emmanuel Lévinas lässt die Dekonstruktion Jacques Derridas (1930–2004) keine Ersetzung Gottes durch einen gänzlich neuen, einen ganz anderen Gottesbegriff zu. Dennoch befänden sich jene beide Quellen der Religion, die Quelle des Heilens, Heiligen (im Anschluss an Heidegger) und die Quelle des Glaubens, des Vertrauens (im Anschluss an Lévinas) in der Wüste, welche der Tod bzw. die Tode Gottes hinterlassen hat. Derrida zielt aber nicht darauf, eine neue Oase zu entdecken, sondern die Wüste als Wüste offen zu legen. Vgl. J. DERRIDA 2001; ferner J. DERRIDA

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und jegliche teleologische Sicht auf die Geschichte der Menschheit. Mit After God188 (2007) stellt er nicht nur die komplexe gegenwärtige Bedeutung der Religion heraus, sondern legt mit einer von Paul Tillich beeinflussten „Theologie der Kultur“ auch eine radikale Neukonzeption einer Religion nach Gott und einer globalen Ethik ohne Absolutheitsansprüche für unser gegenwärtiges Zeitalter vor. Säkularisierung wird als genuin religiöses Phänomen verstanden, die grundlegende Bedeutung des Protestantismus für das Aufkommen von Moderne und Postmoderne herausgestellt. Insbesondere wird auf die revolutionäre Rolle hingewiesen, die Martin Luthers „turn to the subject“ dabei gespielt hat. Für Taylor ist in dieser Situation nur noch ein Glaube möglich, der das Risiko eingeht, Ungewissheit und Unsicherheit als die Bedingungen einer nach dem Verschwinden Gottes aufscheinenden göttlichen emergenten Kreativität zu begreifen. Seinen theologischen Entwurf hat er insbesondere auch vor dem Hintergrund einer „Rückkehr der Religion“ verfasst, die er vor allem im Erstarken des christlichen Neofundamentalismus sieht. Während Mark C. Taylor und Ronald Dworkin produktiv von einer „Religion ohne Gott“ ausgehen, gehört für die römisch-katholischen Philosophen Gianni Vattimo und John D. Caputo Gott wesentlich zur Religion dazu. Caputo spricht dabei im Anschluss an Derrida von einer „religion without religion“189 und sieht die Ursache für die Probleme der Religionen insbesondere in den Überzeugungen ihrer fundamentalistischen Anhänger.190 In dem Jacques Derrida gewidmeten Band After the Death of God191 von 2007 werden die Aufsätze Toward a Nonreligious Christianity192 von Gianni Vattimo und Spectral Hermeneutics. On the Weakness of God and the Theology of the Event193 von John D. Caputo sowie ein Gespräch des Herausgebers Jeffrey W. Robbins mit Caputo an der Villanova University und mit Vattimo in Rom dokumentiert. Der Band macht sich nach dem „return of religion“194 auf die Suche nach einer neuen „Philosophy of Religion“.195 Gerahmt von Dostoevskys Erzählung Der Großinquisitor im Roman Die Brüder Karamazov, in dem zwar die Tragik der zutiefst existentiellen spirituellen Krise aufgearbeitet, aber auch eine Geschichte antizipiert werde, nämlich unsere Geschichte einer postmodernen Rückkehr der Religion, die auf der Liebe Christi gründet,196 geht es in dem (1995; 1997) 1999. Vgl. zu Derridas Gott und dem Anfang des Denkens auch K. RUHSTORFER 2004 mit weiterem Erschließungsmaterial. 188 M. C. TAYLOR 2007. 189 J. D. C APUTO 1997; 2001. 190 J. D. C APUTO 2007b, 151. 191 J. D. C APUTO/G. V ATTIMO 2007. 192 G. V ATTIMO 2007a. 193 J. D. C APUTO 2007a. 194 Vgl. dazu bereits J. D ERRIDA/G. V ATTIMO 2001. 195 J. W. R OBBINS 2007, 24. 196 J. W. R OBBINS 2007, 24. Wieder aufgenommen von J. D. C APUTO 2007b, 159.160.

6.3 After (the Death of) God

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Band um die Leitfrage: „How do we get from the Post-Christian, post-Holocaust, and largely secular death of God theologies of the 1960s to the postmodern return of religion?“197 Insbesondere Philosophen und Kulturwissenschaftler hätten die „Rückkehr der Religion“ diagnostiziert, nicht Theologen, meint Robbins. Wie kam es zu einem postmodernen Glauben, der durch die Kritik des Todes Gottes hindurchgegangen ist? Welche Inhalte tragen ihn, und in welchen Gestalten findet er Ausdruck? Dazu haben sich Vattimo198 und Caputo in den letzten Jahren in verschiedenen Publikationen geäußert. Gemeinsam ist ihnen das Interesse an einer hermeneutischen Philosophie,199 einerseits radikalisiert im Anschluss an Derridas Dekonstruktion und andererseits in positiver Aufnahme des Nihilismus für den Prozess der säkularen Emanzipation. Vattimo hat gezeigt, dass für ihn Nihilismus und Emanzipation Hand in Hand gehen, denn „it is the dissolution of foundations [...] that brings freedom.“200 Beide Denker stammen aus einem römisch-katholischen Kontext. Sie verbindet das Interesse an einem „schwachen Denken“ (pensiero debole). Bei Caputo findet dieses Denken Ausdruck im Entwurf einer „postcritical religion“ und einer „weak theology of the event“, die für ihn ironisch gesprochen auch als „theology without theology“ zu denken ist.201 Mit dem „schwachen Denken“, der schwachen Ontologie bzw. der Ontologie für die Schwäche des Seins ist Vattimos genuiner Beitrag zum philosophischen Diskurs der Gegenwart benannt. Das Konzept des „schwachen Denkens“ hat er aus seiner Auseinandersetzung mit Nietzsche, Heidegger und der Postmoderne gewonnen.202 Der metaphysische griechische Gottesgedanke, dessen Kennzeichen Gewalt ist, habe nichts mit dem Gott des Christentums zu tun, der am Kreuz gestorben ist.203 Nach eigenen Angaben hat sich Vattimo nicht mit der US-amerikanischen theologischen Debatte auseinandergesetzt, sieht aber in seinem „schwachen Denken“ einen Beitrag zur Vergewisserung, dass die Wurzeln dieser Bewegung bei Nietzsche und Heidegger liegen und in den Kontext des Endes der Metaphysik eingezeichnet werden.204 In einem postmetaphysischen Zeitalter gibt es keine absoluten Wahrheiten mehr, sondern nur Interpretationen.205 Daher kann auch die Kategorie des Glaubens wieder ernst genommen werden als ein Konstitutivum unserer gelebten TraJ. W. ROBBINS 2007, 12.13. Zu Vattimo gibt es bereits eine Reihe von wissenschaftlichen Untersuchungen, besonders aus dem katholischen Raum (vgl. u. a. J. H. DEIBL 2013), und von evangelischer Seite vgl. F. D. RASS 2017, 9–63. 199 J. W. R OBBINS 2007, 14. Vgl. J. D. C APUTO 1987; 2000. 200 G. V ATTIMO 2004, xxvi. 201 Vgl J. W. R OBBINS 2007, 16. Vgl. dazu ausführlich J. D. C APUTO 2006. 202 Vgl. G. V ATTIMO 1997: Glauben – Philosophieren (ital. Credere di credere). 203 Vgl. G. V ATTIMO 2007b, 92.93. 204 Vgl. G. V ATTIMO 2007b, 91.92. 205 G. V ATTIMO 2004, 17–32. 197 198

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ditionen.206 Die dritte Gemeinsamkeit besteht in der Vorstellung von der Möglichkeit einer postmodernen Religion. In der Religion geht es für Caputo im Anschluss an Derrida wesentlich um die Liebe Gottes. Damit ist postsäkular auch der Tod des Todes Gottes zu verzeichnen. Für Vattimo ist die Moderne auf eine wesentliche Weise an ihr Ende gekommen, da seiner Meinung nach das lineare, eurozentrische Geschichtsdenken und der Fortschrittsglaube der Aufklärung nicht mehr tragen. Doch der Begriff der Postmoderne bleibt für Vattimo unterbestimmt, wenn nicht berücksichtigt wird, dass unsere „transparente Gesellschaft“207 eine Gesellschaft der Massenkommunikation ist. Die Gesellschft werde durch die Massenmedien nicht transparenter, sondern komplexer und chaotischer. In diesem Chaos vielfältiger Weltanschauungen („Babel-like pluralism“) finde sich aber auch die Hoffnung auf Emanzipation, die sich des postmetaphysischen Perspektivismus und der historischen Kontingenz des eigenen Wertesystems bewusst ist. Das findet sich ausgedrückt im Prozess der Säkularisierung, die für den Verlust einer einzigen religiösen Autorität und Institution steht und damit die spirituelle Wiedergeburt der Religion ermöglicht hat,208 denn Vattimo versteht unter Säkularisierung nicht die Auflösung Gottes, sondern Gottes immerwährendes Eingehen in die Welt und die Geschichte. Die beiden Prozesse des Nihilismus und der Kenosis verlaufen streng parallel. Vattimo unterbreitet eine Interpretation des Todes Gottes und des modernen Prozesses der „Säkularisation“ als einer Wiederherstellung eines kenotischen Christentums und einer Wiederorientierung am eigentlichen Wesen des christlichen Glaubens, der agápē: „Nur ein kenotischer Gott kann uns retten“209. Auch wenn der Tod des Todes Gottes für Vattimo und Caputo mit dem „theological turn“ und der „Rückkehr der Religion“ angezeigt ist, so macht doch der Herausgeber des Bandes, Jeffrey W. Robbins,210 deutlich, dass es gerade die Vertreter der „Death of God Theology“ waren, die eine kritische und prophetische Stimme erhoben inmitten einer Kultur und eines Glaubens in einer Krise, die dadurch gekennzeichnet war, dass alte religiöse Gewissheiten und Versicherungen nicht mehr getragen haben. Die Gott-ist-tot-Theologen machten sich auf, eine transformierte religiöse Sensibilität zu entwickeln. Bis heute sei die Gott-ist-tot-Theologie damit vielleicht die wesentliche Theologie für einen christlichen Glauben, der aufwacht und die neue kulturelle Situation, die sich im Schatten der Christenheit ausgebreitet hat, konstruktiv zur Kenntnis nimmt. Sie habe aber nicht nur dazu beigetragen, die postmoderne Kritik am moralisch-metaphysischen Gott der Onto-Theologie zu entfalten, sondern auch Vgl. J. W. ROBBINS 2007, 14. G. VATTIMO 1992. 208 Vgl. G. V ATTIMO 2007b, 95. 209 Vgl. G. V ATTIMO 2009. 210 J. W. R OBBINS 2007, 9.10. 206 207

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geholfen, einen am biblischen Glauben orientierten Gott des Leidens und der Liebe zu entdecken. Damit führte der Weg vom Sein Gottes zur Geschichte von Gottes Sein für die Armen, die Hungrigen und die Außenseiter. John D. Caputo entwirft dezidiert eine ironische „Theologie des Ereignisses“ nach dem Tode Gottes, die dem Tod Gottes nicht das letzte Wort überlässt, sondern dem Ereignis, das einmal den Namen „Gott“ getragen hat, ein neues „Vielleicht“ eröffnen möchte (6.3.2). Mark C. Taylor interessiert Religion nach Gott besonders dort, wo man sie am wenigsten vermutet. Denn dort sei sie am einflussreichsten. Mit der Formulierung eines weiten Religionsbegriffs schließt er sich an Paul Tillichs Entwurf einer Theologie der Kultur an, der in der gesamten Kultur eine religiöse Dimension entdeckt hatte (6.3.1). Ihre beiden von Jacques Derridas dekonstruktivistischem Denken beeinflussten Entwürfe werden im Folgenden genauer unter die Lupe genommen. Einen davon unabhängigen Weg ist der kürzlich verstorbene US-amerikanische Rechtsphilosoph Ronald Dworkin gegangen, dessen Umdenken im Blick auf die Wertefrage und das Recht auf Religionsfreiheit im Horizont der Herausforderungen des religiösen Fundamentalismus sich daran anschließt (6.3.3). 6.3.1 Kultivierung des komplexen Netzwerks des Lebens (Mark C. Taylor) (1) Für den US-amerikanischen Religionsphilosophen Mark C. Taylor211 ist theologisches Denken, wie es Altizer als „letzter Theologe“ betreibt, in unserer 211 Mark C. Taylor (*1945) war bis 2015 Chair of the Department of Religion an der Columbia University in the City of New York. Von der Universität Kopenhagen hat er 1981 einen Doktorgrad (Philosophie) erhalten, den Ph.D. in Religionsphilosophie erhielt er von der Harvard University im Jahr 1973 für eine Arbeit über Kierkegaard (Kierkegaard’s Pseudonymous Authorship. A Study of Time and the Self, Princeton 1975). Den B.A.-Grad verlieh ihm 1968 das Wesleyan College in Middletown, Connecticut. Weitere Veröffentlichungen sind u. a. Journeys to Selfhood. Hegel and Kierkegaard (1980); Deconstructing Theology (1982); Erring. A Postmodern A/theology (1984); Altarity (1987); Tears (1990); Nots (1993); Disfiguring. Art, Architecture, Religion (1994); Hiding (1997); About Religion. Economies of Faith in Virtual Culture (1999); The Moment of Complexity. Emerging Network Culture (2001); Confidence Games. Money and Markets in a World Without Redemption (2004); Mystic Bones (2007); Last Works. Lessons in Leaving (2018) und Abiding Grace. Time, Modernity, Grace (2018). Als Herausgeber fungierte er für Critical Terms for Religious Studies (1998). Doch nicht nur das Verfassen von Büchern gehört zu seinem wissenschaftlichen Œuvre, sondern auch eine CD-ROM (mit José Marquez): The Réal: Las Vegas, Nevada, sowie eine Kunstausstellung im MASS MoCA (Massachusetts Museum of Contemporary Art) als Begleitung zu seinen Studien Grave Matters (2002; mit Dietrich Christian Lammerts). Ferner hat sich Taylor lange Jahre dafür eingesetzt, neue Technologien in Seminarräumen einzuführen. Er gehört 1998 zu den Mitbegründern der Gesellschaft Global Education Network, die sich dafür einsetzt, hochqualitative online education in arts, sciences and humanities jedermann und überall auf der Welt zugänglich zu machen. Sein reformerisches Engagement für eine Neuausrichtung der US-amerikanischen Hochschulbildung zeigt sich in seinem Buch Crisis on Campus. A Bold Plan for Reforming Our Colleges

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Zeit schlichtweg anachronistisch geworden: „‚Death of God theology‘ appears to be an oxymoron – if, after all, God is dead, how can theology continue?“212 Trotzdem unternahm Taylor selbst den Versuch, eine neue Theologie der Kultur zu entwerfen. Damit stellte er sich ebenfalls der außerordentlich schwierigen Frage nach der Sprache und dem Stil eines solchen Unterfangens. Sicher führten Altizers und Taylors Vorhaben in verschiedene Richtungen, doch sahen sich beide einer Theologie nach dem Tode Gottes verpflichtet.213 Viele Theologen hatten mit dem Finger auf Taylor gezeigt und in ihm jemanden erkannt, der den Pfad der Theologie verlassen habe, was sich an den unterschiedlichen Reaktionen auf sein Buch Erring. A Postmodern A/theology (1984) ablesen ließ. Auch wenn für Altizer selber vieles an dem, was Taylor vorschwebt, fremd ist und mit seinem Theologieverständnis nicht übereinstimmt, sieht er in dieser „Postmodern A/theology“ seines langjährigen Weggefährten und schärfsten Kritikers „a genuinely theological work, and it is most creative in its new language.“214 Taylor machte sich nach seiner Arbeit über Kierkegaards pseudonyme Verfasserschaften und der Befassungg mit der Frage nach Zeit und Selbst215 auf, im Anschluss an Derrida die Theologie zu dekonstruieren: „[...] deconstruction is the ,hermeneutic‘ of the death of God.“216 Denn: „it provides a possible point of departure for a postmodern a/theology.“217 Aber: „We are in a time between times and a place which is no place. Here our reflection must ‚begin.‘ In this liminal time and space, deconstructive philosophy and criticism offer rich, though still largely untapped, resources for religious reflection.“218 An seinem frühen Entwurf einer A/theology kann man schon ablesen, inwiefern dekonstruktivistisches Denken die Theologie analytisch und

and Universities (2010). Autobiographische Züge trägt das Buch über seine schwere Erkrankung im Jahre 2005 Field Notes from Elsewhere. Reflections on Dying and Living (2009). Die Zuwendung zur zeitgenössischen Kunst zeigt Refiguring the Spiritual. Beuys, Barney, Turrell, Goldsworthy (2012). Neben seinem wissenschaftlichen Arbeiten schreibt Taylor auch regelmäßig für die New York Times, die Los Angeles Times und andere überregionale Organe. Vgl. einführend jetzt G. M. SCHMIDT 2018. Vgl. auch die knappen Einführungen noch vor dem Erscheinen von After God: C. RASCHKE 1996; R. GRIGG 2006, 25–36 („Language as Divine Milieu: Mark Taylor and Deconstruction“) und die Debatte nach dem Erscheinen von After God: T. ROBERTS 2009; M. C. TAYLOR 2009. 212 M. C. TAYLOR 2007, 200. 213 Wechselseitig haben Altizer und Taylor sich in ihren theologischen Denkwegen begleitet und Vorworte für die Werke des jeweils anderen beigesteuert. 214 TH. J. J. A LTIZER 2006, 55. 215 Vgl. M. C. TAYLOR 2008. Eine graphische Darstellung seines Denkwegs findet sich in M. C. TAYLOR 2018, 247–250. 216 M. C. TAYLOR 1984, 6. 217 M. C. TAYLOR 1984, 6. 218 M. C. TAYLOR 1984, 6.

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konstruktiv bereichern kann.219 Mit diesen kurzen Hinweisen ist angezeigt, aus welcher Denktradition Taylor kommt, um erneut die Frage nach der Religion zu stellen. Die Denk-Wege Kierkegaards, Hegels, Heideggers, Derridas und Altizers sind hier nur die wichtigsten Ankerplätze. Hegel ist der bedeutendste unter ihnen.220 Die Gottesfrage ist für Taylor dabei nicht mit der Frage nach Religion zu vermischen, auch wenn die westliche Tradition Religion und Gott eng miteinander verbunden hat.221 Doch für ihn führt ein netzwerkliches-theologisches Denken nach Gott zu einer Religion ohne Gott. Taylor hat in seinen zahlreichen Monographien offen und verdeckt das Religionsthema verhandelt.222 Worum es in der Religion dabei geht, ist aber nicht leicht zu beschreiben. Es ist vielmehr ein äußerst komplexes Unterfangen, das es fachkundig aufzuschlüsseln gilt. Voraussetzung für Taylor ist aber, dass es nicht möglich sei, unsere heutige Welt ohne Religion zu verstehen. In About Religion (1999) behauptete er noch: „religion is, I believe, most interesting where it is least obvious.“223 In After God (2007) lässt sich eine leichte, aber bedeutungsvolle Akzentverschiebung feststellen, wenn er Religion nun nicht mehr nur als „most interesting“ beschreibt, sondern als „most influential where it is least obvious.“224 Taylor will so unter anderem auf die Gefahr aufmerksam machen, die von einem weiten Spektrum religiöser Fanatismen, Fundamentalismen und Orthodoxien ausgeht, die er unter den Begriff eines „worldwide rise of neofoundationalism“ fasst, den er als „a symptom of and response to the Das von ihm durchgespielte Netzwerk umfasst vier Begriffe, die die neuen Koordinaten des neuen a/theologischen Netzwerks bilden: „God, self, history, and book“: „Bound in an intricate relationship in which each mirrors the other. No single concept can be changed without altering all of the others. As a result of this thorough interdependence, the news of the death of God cannot really reach our ears until its reverberations are traced in the notions of self, history, and book. The echoes of the death of God can be heard in the disappearence of the self, the end of history, and the closure of the book.“ (M. C. TAYLOR 1984, 7.8). 220 Taylor wurde von Dieter Henrichs Hegel-Lecture und einem Seminar über Hegels Wissenschaft der Logik 1972 in Harvard nachhaltig geprägt. Vgl. M. C. TAYLOR 2007, 389. 221 Doch diese Frage geht Taylor nicht in Auseinandersetzung mit zeitgenössischen Theologen an, sondern mit „the most important writer America has yet produced – Herman Melville.“ Insbesondere zeigen sich die Schwierigkeiten des Glaubens in der Moderne sowie das komplexe Zusammenspiel von Religion, Ökonomie und Semiotik in Melvilles kaum bekanntem Werk The Confidence-Man. His Masquerade. Vgl. M. C. TAYLOR 1999, 7–28 („Discrediting God“). 222 Pars pro toto: M. C. TAYLOR 1999, 1: „Religion is about a certain about. What religion is about, however, remains obscure for it is never quite there – nor is it exactly not there. Religion is about what is always slipping away. It is, therefore, impossible to grasp what religion is about – unless, perhaps, what we grasp is the impossibiblity of grasping. Even when we think we have it surrounded, religion eludes us. This strange slipping away is no mere disappearence but a withdrawal that allows appearence to appear. Though never here, what religion is about is not elsewhere.“ 223 M. C. TAYLOR 1999, 1. 224 M. C. TAYLOR 2007, 3. 219

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process of globalization“ versteht.225 Es gibt für Taylor also nicht nur eine religiöse Dimension in allen kulturellen Ausdrucksformen, sondern auch eine politische Dimension in jeder Religion in einer Welt, die sich radikal verändert hat. In After God226 bringt er nun die verschiedenen Stränge seiner theologischen Argumentationen und kulturellen Analysen systematisch in einem Gesamtentwurf einer „Theologie der Kultur“ als radikaler Neukonzeptualisierung von Religion zusammen, die er im Verlauf seiner vierzigjährigen Forschungstätigkeiten in verschiedenen Variationen durchgespielt hat. Zudem laufen bei ihm auch die verschiedenen, im Verlauf dieser Studie aufzeigten Fäden zusammen – Hegels Aufhebung der Religion, Schleiermachers Religionstheorie und Kierkegaards Reflexion des Selbst, Paul Tillichs Kulturtheologie, Heideggers Technikdeutung und Derridas Ereignisdenken sowie die Gott-ist-totTheologie Altizers – und binden sich zurück an Martin Luthers revolutionäre Entdeckung der Subjektivität227 und seinen Begriff vom Tode Gottes. Nicht nur für die Proklamation des Todes Gottes durch den lutherischen Pfarrerssohn Nietzsche war Luthers Begriff vom Tode Gottes eminent wichtig, sondern auch für Taylors Denken selbst (122). Heidegger dagegen habe Hegels Bezugnahme auf Luther nicht erkannt (45). Taylor spricht an dieser Stelle im Anschluss an Hegel („it was Luther in one of his hymns, rather than Nietzsche, who first declared the death of God“) und übersieht, dass es sich um ein Lied von Johann Rist gehandelt hat, auf das Hegel Bezug nimmt.228 Taylor betont zwar die Bedeutung des Begriffs des Todes Gottes bei Luther, geht aber durch seine Betonung des „turn to the subject“ bei Luther nicht weiter auf christologische oder soteriologische Implikationen von dessen „theologia crucis“ ein. Die Bedeutung Luthers und der von ihm angestoßenen Reformation zeigt sich für Taylor als der entscheidende Schlüssel zur Moderne, wie sich im Zuge dieser Darstellung noch herausstellen wird. Sein Buch versteht sich als erste „Theologie der Kultur“ seit Paul Tillichs Pionierarbeit.229 Selbstredend ist das kritische Verstehen unserer Situation maßgeblich für dieses eindrucksvolle Lebenswerk. Dieser Entwurf einer Theologie der Kultur ist Religionstheorie, KulM. C. TAYLOR 2007, 3. M. C. TAYLOR 2007. Die Seitenzahlen im Text beziehen sich auf dieses Buch. 227 Vgl. zu dieser von Hegel eingeführten und von Karl Holl weitergeführten subjektivitätstheoretisch orientierten Luther-Deutung nun auch die eines aufgeklärten Protestantismus mit den Leitbegriffen „Freiheit, Subjektivtät, Kritik“ von U. BARTH 2004, 51: „Mit seiner Entdeckung der Subjektivität des Glaubens hat Luther den Grundstein dafür gelegt, was wir eingangs als [Denkungsart des; d. A.; vgl. U. BARTH 2004, VI] aufgeklärten Protestantismus bezeichnet haben.“ 228 Vgl. E. JÜNGEL (1977) 1986, 84.85. 229 Vgl. die für die US-amerikanische Rezeption wichtige Aufsatzsammlung P. TILLICH 1959. Die kulturtheologischen und -philosophischen Schriften finden sich auch in: P. TILLICH, GW X; GW IX; MW 2. Vgl. zur neueren deutschsprachigen Rezeption CH. SCHWÖBEL 1996 und die Beiträge in: CH. DANZ/W. SCHÜSSLER 2011. 225 226

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turanalyse, Theologie-, Philosophie- und Kulturgeschichte, philosophischtheologische Problemgeschichte und Ethik in einem. Taylor macht sich in dieser Monographie erneut auf, die Frage „Was ist Religion?“ zu stellen. Sie erweist sich als komplizierter und komplexer, als Kritiker oder Apologeten der Religion sich dieses Phänomen gemeinhin vorstellen. Zudem sei Religion viel einflussreicher, als bislang gedacht wurde. Unsere Welt sei von Religion geformt, insbesondere dort, wo diese am wenigsten sichtbar ist. Religion aufzuspüren, die sich an diesen unerwarteten Orten jenseits ihrer manifesten Gestalten latent zeigt, hat Taylor immer wieder gereizt (XIII). Auch After God ist analytisch und konstruktiv zugleich angelegt, gerade weil es den Gedanken des Todes Gottes konsequent zu Ende und erst so weiter denken kann. Ihm geht es schließlich in diesem Werk darum, aufzuzeigen, wie Zukunft angesichts der massiven Probleme möglich ist, die wir unseren Kindern und Kindeskindern als Erbe hinterlassen werden. Auch wenn unsere Zeit kurz ist, ist die Hoffnung für ihn eine wichtige Antriebskraft (XI.XII; XIV). Ebenso wie Hamilton geht es ihm um eine Ethik des Lebens, aber die Impulse und theologischen Begründungsfiguren sind, wie sich zeigen wird, andere. Vier Aspekte aus Taylors Entwurf einer Theologie der Kultur sollen im Folgenden genauer dargestellt werden: Seine Definition von Religion und seine dialektische Religionstheorie (2), seine Herausstellung der Bedeutung Martin Luthers für die (post-)moderne Welt (3), die Frage nach einer Religion ohne Gott (4) und schließlich die Frage nach einer globalen Ethik ohne Absolutheitsansprüche (5). (2) Im ersten Kapitel „Theorizing Religion“ (1–42) entwirft Taylor eine grundlegende Rahmentheorie („interpretive framework“) für das gesamte Werk, die er mit einer Reihe von Schaubildern („figures“) illustriert. Damit wird der Diskurs über den Tod Gottes schließlich auf eine umfassende Theorieebene gestellt und kann konstruktiv weiter gedacht werden. Taylor geht es einerseits darum, analytisch zu zeigen, wie und warum Religion in der modernen und postmodernen Welt weiterhin solch eine wichtige Rolle spielt. Andererseits geht es ihm gleichermaßen um die konstruktive Vorbereitung einer adäquateren religiösen Vision und einer ethischen Rahmentheorie für die Bewältigung der Komplexitäten und Widersprüchlichkeiten des Lebens am Beginn des 21. Jahrhunderts (42). Hier kommen die Grundeinsichten seines analytischen und konstruktiven Religionsverständnisses zur Sprache: Religion sei nie zuvor so mächtig und gefährlich gewesen wie zu unserer Zeit: „No longer confined to church, synagoge, and mosque, religion has taken to the streets by filling airways and networks with images and messages that create fatal conflicts, which threaten to rage out of control“ (XIII). Diese Entwicklung war in den 1960er Jahren noch nicht abzusehen, als man davon ausging, dass Modernisierung und Säkularisierung unzertrennlich und unwiderruflich Hand in

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Hand gingen.230 Doch Taylor behagte schon damals diese Analyse nicht, war er doch überzeugt davon, dass das komplizierte Beziehungsgefüge zwischen Säkularität („secularity“) und der westlichen theologischen und religiösen Tradition nicht befriedigend gedeutet werde, wenn Religion und Säkularität als Gegensätze verstanden werden. Für Taylor ist die westliche Säkularität durch und durch ein religiöses Phänomen. Hinzu komme, dass sowohl Säkularisierungstheoretiker Religion wie auch Religionsbefürworter Säkularisierung missverstehen: „Religion is not a separate domain but pervades all culture and has an important impact on every aspect of society“ (XIII). Es geht Taylor darum,231 diesen Einfluss der Religion nicht nur in ihren expliziten Manifestationen zu betrachten, sondern auch in ihren latenten in Philosophie, Literatur, Kunst, Architektur, Politik, Ökonomie sowie Wissenschaft und Technologie: „To the tutored eye, religion is often most influential where it is least obvious“ (XIII). Offensichtlich ist für Taylor, dass die religiösen Kriege, die die Welt am Beginn des 21. Jahrhunderts bedrohen, letztlich ihre Wurzeln in den „kulturellen Kriegen“ der 1960er Jahre haben, die auch für die bis heute andauernde tiefe Spaltung der Vereinigten Staaten von Amerika mitverantwortlich sind. Das Jahr 1968 sei, mit einem Buchtitel von Mark Kurlansky, „The Year That Rocked the World“ (243) gewesen. Die verschiedenen Gruppen – Hippies, Radikale, Evangelikale und Pfingstler – suchten alle nach authentischer persönlicher Erfahrung, die ihnen dazu verhelfen sollte, zentralisiert organisierten politischen und ökonomischen Systemen sowie hierarchischer Macht zu widerstehen (XVII). Das habe in den letzten Jahrzehnten zur Entwicklung einer politischen Agenda geführt, die auf den Prinzipien der Privatisierung, Dezentralisierung und Deregulierung basiere. Die neofundamentalistische Gesinnung der „New Religious Right“ bzw. „Christian Right“ unterstreiche den Kurs des Neokonservativismus und Neoliberalismus als herrschende Ideologie, die manifest geworden sei in der Regierungszeit von Präsident George W. Bush. Gerade ihr Aufkommen in den 1960er Jahren, neben den Gott-ist-tot-Theologien Taylor bezieht sich eingangs auf den hier schon des Öfteren erwähnten Time-Magazine-Artikel der Osterausgabe („Is God Dead?“) von 1966 und stellt den Unterschied heraus zu dem in Newsweek zehn Jahre später erschienenen Artikel, der über das religiöse Phänomen der 1970er Jahre berichtet: den Zulauf zu den evangelikalen christlichen Bewegungen. Taylor fragt im Anschluss an Newsweek: „Why did this apparent reversal occur in such a short span of time?“ (M. C. TAYLOR 2007, 1.2). 231 Die Anklänge an Paul Tillichs Programm einer Theologie der Kultur und den zentralen Begriff der „Theonomie“ sind hier evident: „Religion ist die Substanz der Kultur, und Kultur ist die Form der Religion.“ (P. TILLICH, GW IX, 101.102). Vgl. auch: „Eine theonome Kultur jedoch drückt in ihren Schöpfungen etwas aus, das uns unbedingt angeht, einen transzendenten Sinn, nicht als etwas ihr Fremdes, sondern als ihren eigenen geistigen Grund. Religion ist die Substanz der Kultur und Kultur die Form der Religion. Dies war die präziseste Formulierung der Theonomie.“ (a. a. O., 84). 230

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und der Geburt einer Gegenkultur, sei das lange unentdeckt gebliebene religiöse Phänomen jener Zeit. Über die Konfessionsgrenzen und Lehrdifferenzen hinweg haben sich Protestanten und Katholiken zusammengeschlossen, nicht nur um gegen die in ihren Augen verderblichen Auswirkungen dieser sozialen und kulturellen Revolution zu kämpfen, sondern auch um zu grundlegenden Werten und fundamentalen Glaubenssätzen („basic values and foundational beliefs“) zurückzukehren. Diese Bewegung232 sei aber nun weniger als Rückkehr in vormoderne Glaubensvorstellungen zu verstehen, sondern am besten als „neofoundational religion“ und damit „as a distinctively postmodern phenomenon that is inseparably related to the process of globalization“ (2). Innerhalb weniger Jahre kam es in den USA nach den revolutionären 1960er Jahren, an deren Spitze der Tod Gottes stand, zu einer konservativen Gegenrevolution, die alle Bereiche der Gesellschaft umfasst und mit US-Präsident Ronald Reagan am Anfang der 1980er Jahre (272.273) und mit der Bush-Administration am Beginn des 21. Jahrhunderts ihren politischen Ausdruck gefunden habe.233 Der Zulauf zu den evangelikalen und pfingstlerischen Bewegungen, nicht nur in den USA, sondern auch in Afrika, Asien und Südamerika verleitet Taylor zu der Frage: „How could so many intelligent people have been so wrong about religion and the modern world?“ (2). Eine kurze Antwort findet er in dem Missverstehen des Verhältnisses von Religion und Säkularität vieler Kommentatoren, Kritiker und Theoretiker. Ihnen sei das komplexe Verhältnis zwischen Religion, Moderne und Säkularität nicht deutlich, weil sie weiterhin davon ausgehen, dass Religion und Säkularität voneinander abhängige Gegensätze sind. Wenn das eine wächst, vergehe unvermeidlich das andere. Durch die Modernisierung einer Gesellschaft werde diese zwangsläufig säkularer. Dieser Prozess sei unumgänglich und nicht rückgängig zu machen. Viele meinen auch, dass die Säkularisierung den Untergang der Religion bedeuten würde, andere wiederum ihre vollständige Verwirklichung. Einige Wenige zweifelten daran, dass die Religion der Zukunft weniger einflussreich sein würde auf das Leben der Individuen und Gesellschaften. Der Konflikt zwischen Glaubenden und Säkularisten ist im Grunde nicht neu. Er hat seine Wurzeln in der Gründungsgeschichte der Vereinigten Staaten. Aber die gegenwärtige Debatte kranke daran, dass sich keine der beiden Seiten daran erinnert, dass Säkularität ein religiöses Phänomen ist, das geradewegs aus der jüdisch-christlichen Tradition erwachsen ist und sich aus dem Protestantismus entwickelt hat (2.3). Unsere moderne und postmoderne Welt hat sich für Taylor direkt aus der „Protestant Revolution“ (43–83) des 16. Jahrhunderts Vgl. ausführlich zur „New Religious Right“ Kapitel 6: „Recovering the Real“ (M. C. TAYLOR 2007, 241–312). Vgl. hierzu auch Mark Lewis Taylors Studie Religion, Politics, and the Christian Right. Post-9/11 Powers and American Empire (M. L. TAYLOR 2005). 233 Über das Eingreifen von Kardinal Ratzinger in den US-amerikanischen Wahlkampf vgl. M. C. TAYLOR 2007, 273.274. 232

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entwickelt, wie er die Reformation auch nennt, um sie als Vorläufer der Amerikanischen und Französischen Revolution hervorzuheben. Diese Behauptung durchdenkt Taylor in den folgenden Kapiteln seines Buches und nimmt dafür die Spur Hegels auf, um zu zeigen, dass eine bislang unbeachtete religiöse Dimension zur Globalisierung geführt hat, die nicht einfach irgendwie religiös ist, sondern durch und durch protestantisch (3). Um diese These zu entfalten, entwickelt Taylor einen weiten Religionsbegriff, der die Mauern der Kirchen, Synagogen, Moscheen und Tempel verlässt und Religion in der gesamten Kultur aufspürt. Nur so könne der durchdringende Einfluss von Religion auf alle Lebensbereiche des Menschen offenkundig werden. Es gilt, Sichtbares und Unsichtbares zu berücksichtigen. Auf diese Weise werde der simplifizierende Gegensatz von Religion und Säkularität aufgehoben (3). Die neokonservative und neofundamentalistische Revolution könne daher als ein Sympton des Globalisierungsprozesses und eine Antwort auf ihn verstanden werden (3). Wie die Industrialisierung zur Moderne („modernism“) gehört, so sei die postindustrielle Netzwerk-Kultur untrennbar mit der Postmoderne („postmodernism“) verbunden. Damit ist eine weitere wichtige Dimension von Taylors Religionsbegriff angesprochen. Nach dem Tod Gottes sind die bisherige stabile Deutung der Welt und ihre festgelegten Strukturen eingegangen in eine radikale Unbestimmtheit und Fluidität, die aber für Taylor nicht zu verwechseln ist mit einer Welt, die ihrer Bedeutung beraubt oder bar jeder Strukturen wäre. Vielmehr stellt sich für ihn die Struktur der Wirklichkeit als ein relationales Gewebe von Netzwerken dar (127.128), wie es schon das Coverdesign des Buches zeigt, das eine Art Karte des Internets darstellt.234 Taylor sieht im Internet ein Modell für ein nicht-totalitäres System des Ganzen. Dieses relationale Gewebe von Netzwerken ist in Gang gesetzt von einer „nonabsent absence“235, einem Mangel oder einer Lücke im Sein oder einer ,An-archie‘, die den Dingen erlaubt, sich umzugestalten und Kreativität hervorzubringen. Im Kern dieser Wirklichkeit findet sich ein dialektisches Geschehen, das sich nicht in einem summierenden System synthetisch zusammenschließt, sondern in altarity. Dieser Neologismus Taylors enthält drei wichtige Implikationen: „First, altarity specifies the endless alternation through which binary and dialectical differences are articulated in such a way that their oppositions are overcome. Second, altarity names the unnamable ‚outside‘ that is ‚inside‘ every system, structure, and schema as its

234 Die Cover-Illustration zeigt aus „The Opte Project“ (2003–2014), einem „free opensource project“, das das Ziel verfolgt, metaphysische Räume visuell darzustellen, „Mapping the Internet“ (2003) von Barrett Lyon, blyon.com und creativecommons.org, das vom 28. Juli bis 16. November 2014 im Rahmen der Ausstellung „Netz. Vom Spinnen in der Kunst“ in der Kunsthalle zu Kiel zu sehen war, das Ausstellungsplakat schmückt und zu einem Blick in ferne Galaxien einlädt. 235 M. C. TAYLOR 1990, 105–122.

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necessary condition. As such, it is the irreducible trace that marks and remarks the openess and incompletion of seemingly closed systems. And third altarity suggests a dimension of sacrality, which is neither simply transcendent nor immanent but is an immanent transcendence that disrupts and dislocates systems, structures, and schemata that seem to be secure“ (127).

Diese im Buch immer wieder auftauchende Denkfigur altarity transformiert durch ihre immanente Transzendenz menschliche Handlungsträger („agents“) in Medien eines kreativen Prozesses, der umgreifender ist als ihre individuelle Handlungsfähigkeit. Nietzsche sieht den Künstler noch als das Medium an, durch den das wahre Subjekt seine Erlösung zelebriert – „This True Subject is the incarnation of the transcendent Creator who dies and is reborn in the creative imagination of the artist“ (127) – während Schlegel davon ausgeht, dass jeder Mensch ein Künstler ist, dessen zentrale Lebensaufgabe darin besteht, seinen Intellekt zu bilden. Bildung ist Kultivierung des Selbst. Und in Schlegels Fortführung im englischen Zitat bei Taylor: „‚Every good human being is always progressively becoming God. To become God, to become human, to cultivate oneself are all expressions that mean the same thing.‘ Cultivation occurs through the imagination“ (127). Diese hier nur kurz angerissene relationale Netzwerk-Theorie und die Vorstellung von der Welt als Kunstwerk (122–129) ist von Bedeutung für Taylors Religionstheorie und für die wichtige Unterscheidung von „religiosity“ und „religion“. Der globale und vielgestaltige Neofundamentalismus ist für ihn eine Form von „religiosity“, die „simplicity, security, and certainty over complexity, insecurity, and uncertainty“ (4) stellt. Eine solche „religiosity“ versucht, den Zweifel durch die Absolutsetzung von relativen Normen zu verbannen, und teilt die Welt dualistisch in einander ausschließende Gegensätze ein „(good/evil, sacred/profane, religion/secularity, West/East, white/black, Christianity/Islam, etc.). Its premise is that reality is solid – everything is clear, neat, pure, precise, and, thus, nothing remains subtle, ambiguous, uncertain“ (4). Neben dem Neofundamentalismus zählt auch der essentialistische und logozentristische Biologismus für Taylor zu dieser Kategorie (11). „Religiosity“ ist damit nicht zu verwechseln mit „Religion“. In ihrer wohlverstandenen Komplexität biete Religion nicht einfach sichere Fundamente an, sondern destabilisiere jeden Typ von „religiosity“ durch das Umstürzen ihrer dualistischen Logik eines Entweder/Oder („either/or“) oder eines monistischen „both/and“ (40): „This shade (of difference) can be thought only through an elusive neither/nor, which makes it possible to imagine religion in a way that embraces the complexity, uncertainty, and insecurity that are the marks of life in a world where the future remains open“ (4). Mit diesem Religionsverständnis nimmt Taylor die Situation nach dem größten neueren Ereignis radikal ernst und bietet sogleich die religionstheoretische Basis für ein Verständnis von Religion, das sich auch dadurch auszeichnet, den Ambivalenzen und Herausforderungen des

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menschlichen Lebens in der Moderne angesichts einer offenen Zukunft zu begegnen. Komplexität, Ungewissheit und Unsicherheit sind für Taylor die Kennzeichen eines Verständnisses von Religion, das auch noch in der Moderne tragfähig ist und sich wehrt gegen ideologische Simplifizierungen, Monismen oder Dualismen. Wieder zusammengeführt mit der für ihn eminent wichtigen „network culture“ sowie nach dem Durchgang durch verschiedene Religionstheorien liefert Taylor seine Definition von Religion: „Religion is an emergent, complex, adaptive network of symbols, myths, and rituals that, on the one hand, figure schemata of feeling, thinking, and acting in ways that lend life meaning and purpose and, on the other, disrupt, dislocate, and disfigure every stabilizing structure“ (12; vgl. 32). Wichtig zu sehen ist nun, dass sich in dieser Definition von Religion zwei miteinander verbundene Momente identifizieren lassen: eines, das strukturiert und stabilisiert, und eines, das destrukturiert und destabilisiert. Diese beiden Momente sind untrennbar und alternierend verbunden in einem quasi-dialektischem Rhythmus, der nicht synthetisch aufgehoben wird. Eine Religionstheorie, die sich nur auf eines der beiden Momente stützt oder monistisch bzw. dualistisch ist (37–40), bleibe unbefriedigend und unterkomplex (13). Taylors komplexe relationale bzw. „virtual“ Religionstheorie führt Hermeneutik und Kritik der Religion zusammen und versucht, die Rolle der Religion in der gegenwärtigen Gesellschaft zu verstehen und zu kritisieren, um zu einer alternativen religiösen Vision zu gelangen, der eine globale Ethik des Lebens (348–377) vorschwebt (32; 40). „Always betwixt and between, it is neither immanent nor transcendent – neither here and now nor elsewhere and beyond. To the contrary, the virtual is something like an immanent transcendence, which is inside as an outside that cannot be incorporated. [...] Nothing remains stable, secure, or certain; rather than forces to be repressed, instability, insecurity, and uncertainty are the conditions of creativity. [...] the aim of life is to embrace the infinitely creative process whose purpose is nothing other than itself“ (41). Doch diese Religionstheorie liegt nicht auf einer linearen Zeitschiene vor dem ersten und zweiten Typ von Religion und wäre dann das „Nach“ („after“) als das „Zuvor“ („before“), sondern „Nach“ Gott zu denken ist das Denken „Nach“ („after“) als ein Aussein-auf, als ein Auf-etwas-hinDenken, das uns immer „voraus“- („before“) liegt.236 Am Schluss seiner Entfaltung der Religionstheorie und dann wieder zum Abschluss des Kapitels „Religion without God“ (313–347) lichtet Taylor seinen doppeldeutigen Buchtitel: „But how is after to be understood? On the one hand, to come after is to be 236 Im amerikanischen Englisch ist das Wortspiel besser wiedergegeben: „While surely impossible within the framework of linear time, the third schema is nonetheless the after that is before the first and second types. To think after God is to think the after that is forever before us.“ (M. C. TAYLOR 2007, 41).

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subsequent to what previously has been, and on the other hand, to be after is to be in pursuit of what lies ahead. Betwixt and between past and future, after is never present as such but is the approaching withdrawal and withdrawing approach that allow presence to be present. [...] Far from simply destructive, disfiguring is the condition of the possibility of creative emergence“ (345). (3) Die Bedeutung der Reformation und von Luthers „turn to the subject“ für die Entstehung der modernen Welt ist ein weiteres wichtiges Kennzeichen von Taylors Kulturtheologie. Die Deutung der Reformation und die besondere Rolle Martin Luthers entwickelt Taylor in einer theologischen Genealogie, die ihresgleichen sucht. Die faszinierende These, dass mit der Reformation die mediale, industrielle und politische Revolution der Moderne ihren Ausgangspunkt („tipping point“) genommen und dass Luthers „turn to the subject“ maßgeblich zum bleibenden Einfluss des Protestantismus in der Moderne beigtragen habe, ist nun ausführlicher darzustellen. Wie keine andere Religion sei der Protestantismus mit der Moderne und der Postmoderne untrennbar verbunden. Die bekannte These Max Webers über den Zusammenhang von Calvinismus und Kapitalismus wird hier transformiert mit Blick auf Luther und die Globalisierung und nennt sich nun „The Protestant Ethics and the Spirit of Globalization“ (XIV). Die bekannte Geschichte der Bedeutung des Calvinismus in seinen verschiedenen Spielarten für die Entwicklung Amerikas wird nicht geleugnet, doch weitererzählt im Blick auf den fortschreitenden Einfluss, den der Protestantismus bis heute hat. Dieser ist nun aber nicht auf Calvin, sondern insbesondere auf Luther zurückzuführen, dessen „turn to the subject“ (XV) Taylor für die Emergenz von Modernität und Postmodernität herausstellen möchte (Chapter 2: „The Protestant Revolution“ und Chapter 3: „Subjectivity and Modernity“). Durch seine Privatisierung, Deregulierung und Dezentralisierung der Beziehung zwischen Glaubendem und Gott habe Luther eine Revolution entfacht, die nicht nur die Religion betraf, sondern sich ausgeweitet hat auf Politik und Ökonomie (73–83), aber auch auf die Informationsverbreitung und Kommunikation der kommenden Jahrhunderte: „The Reformation was an information and communications revolution that effectively prepared the way for the information, communications, and media revolution at the end of the twentieth century“ (XVI). Ausgangspunkt für seine Zusammenschau von Religion und Säkularität ist daher, dass die Moderne237 eine theologische Erfindung sei: „Modernity is a Taylor unterscheidet modernity von modernism und modernization: modernity bezeichnet eine historische Periode (zu den in Frage kommenden Anfängen vgl. M. C. TAYLOR 2007, 44), modernism bezieht sich auf die kulturellen Entwicklungen, die für gewöhnlich, aber nicht nur, mit Kunst und Literatur verbunden werden. Dagegen bezeichnet modernization die sozialen, politischen und ökonomischen Prozesse, denen die Gesellschaften in den letzten zweihundert Jahren ausgesetzt waren. Auf den kulturellen modernism geht Taylor in Kapitel 3 ein, auf die Bedeutung der modernization in Kapitel 4 (M. C. TAYLOR 2007, 382). „To be modern“ heißt, sich zu unterscheiden vom Vorherigen und verschieden (different) zu 237

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theological invention“ (43). Ohne die Widerständigkeit Luthers auf dem Reichstag zu Worms gegenüber dem Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation wäre die Französische Revolution nicht ausgebrochen und Amerika nicht entstanden.238 Auch wenn diese Einschätzung für Taylor selbst historisch natürlich äußerst fragwürdig ist, bleibt für ihn doch der Umstand überzeugend, dass die Moderne („modernity“) im Westen und dann in die ganze Welt nicht ohne die Reformation emergiert wäre. Es ist für ihn auch keine Übertreibung zu sagen, dass Luther und die von ihm beeinflussten Philosophen und Theologen die ersten Modernen („modernists“) waren (43): „What began as a theological revolution became a social, political, and economic revolution that continues to transform the world today. The distinctive institutions of the modern world – democracy, the nation-state, and the free market – are inseparable from Protestantism and its history“ (43). Doch in den gegenwärtigen politischen und religiösen Konflikten bleibe diese theologische Ursprungsgeschichte der Moderne unverstanden und wird von Taylor im Anschluss an Weber zur Erzählung von der Protestantischen Ethik und dem Geist der Globalisierung transformiert (44). Dazu erinnert er zunächst an die zentrale Aussage der „Revolution“, die mit Luther begonnen hat, nämlich an den radikalen Begriff des Selbst oder der menschlichen Subjektivität (44). Seine radikal existentielle Einsicht239 erzielte Luther durch eine Reinterpretation der paulinischen Briefe, insbesondere des darin entfalteten Rechtfertigungsgedankens im Römerbrief (61.62), und der Theologie des Augustinus (47.48), die beide zusammen ein „turning point“ (48) in seinem Leben wurden und ihn zu einer neuen Interpretation von Selbst, Welt und Gott führten, die für die Moderne maßgeblich wurde. Den Gedanken der Subjektivität verfolgt Taylor durch das späte 18. und das 19. Jahrhundert bei Theologen, Philosophen und Künstlern und sieht diese direkten und indirekten Entwicklungen als Vorbereitungen für den Aufstieg der Postmoderne am Ende des 20. Jahrhunderts („Subjectivity and Modernity“; 84–129). Im Laufe der Analyse stellt er immer mehr heraus, warum er annimmt, dass die Reformation im Endeffekt eine Informations- und Kommunikationsrevolution gewesen ist, die nicht nur die heutige globale Informations- und Kommunikationsrevolution antizipiert, sondern sie überhaupt erst in Gang gesetzt hat (44). Auch ein noch so kleines Ereignis könne gravierende Auswirkungen in sein: „The word modern derives from the Latin modo, which means ‚just now.‘“ (M. C. TAYLOR 2007, 45). 238 M. C. TAYLOR 2007, 43 im Anschluss an eine Behauptung des schottischen Philosophen Thomas Carlyle, die er in der Geschichte der Reformation von Patrick Collinson (2004) ausfindig gemacht hat. 239 „Luther’s theology is radically existential – it grows out of his tortured personal experience. He did not initially set out to break with the Catholic Church.“ (M. C. TAYLOR 2007, 47). Für Taylor ist Erik Eriksons Studie über den jungen Martin Luther immer noch die beste Darstellung seiner Persönlichkeit (M. C. TAYLOR 2007, 383).

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einem komplexen nicht-linearen emergenten System haben, wenn Netzwerke die Bedingung der selbst-organisierenden Kritizität erreicht haben (48). Im Anschluss an Tillichs Periodisierung der drei Zeitalter in The Courage to Be kommt Taylor zu dem Schluss: „What made Luther’s ideas resonate at the time was the fact that his experience embodied the uncertainties and anxieties of his era“ (48.49). Äußere Instabilität und Verfallserscheinungen führten bei Luther zur innerlichen Suche nach Gewissheit und Sicherheit (60). Für diese steht nun der Begriff des „gespaltenen Subjekts“ („divided subject“), mit dem Luther das identifiziert, was das moderne Selbst werden sollte. Die weitreichenden Implikationen seiner revolutionären Einsicht für die moderne Subjektivität zeigten sich in mehreren Aspekten: „First and foremost, faith is a personal relationship between an individual self and the individual God (ens singularissimum). The relation to God, therefore, does not need to be mediated by the church hierarchy of pope, bishops, and priests but can be direct. [...] God works through his Word, which is present in but not limited to scripture and sermon. In contrast to later Protestant scholastics and today’s Fundamentalists, who tend to subscribe to biblical literalism, Luther never limits the freedom of God by restricting divine activity to the purportedly literal words of scripture. God acts whenever, wherever, and however he wills – where the Spirit is active, the Word is present. Bound by neither church nor book, God can act through anyone or anything. As a result of God’s freedom, the priesthood is not limited to the ecclesiastical hierarchy but can extend to anyone. This belief is the basis of the Protestant doctrine of ‚the priesthood of all believers‘“ (62.63).

Da der Geist offenbar weht, wo er will, kann Gott durch jeden sprechen. Diese zentrale Lehre führe zur „deregulation and decentralization“ zuerst der religiösen und schließlich der politische Autorität. Autorität sei nicht mehr durch eine „top-down“-Hierarchie garantiert, sondern entstehe („emerges“) durch eine „bottom-up“-Struktur, die sich nach allen Seiten verteile (65). Diese strukturelle Transformation sei untrennbar mit der Informations- und Kommunikationsrevolution des 16. Jahrhunderts verbunden, die den Weg für die Netzwerkrevolution in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bereitet hat. Mit dieser Demokratisierung der Religion werde die Beziehung zu Gott nicht nur individuell, sondern auch privat bzw. subjektiv. Ein basales Kennzeichen von Luthers Denken sei sein ausgeprägter Dualismus. Der theologische Gegensatz zwischen Tranzendenz und Immanenz werde bei ihm reflektiert im anthropologischen Gegensatz von innen und außen. Je tiefer nun das Selbst seine innerlichen Tiefen auslotet, desto paradoxer werde die Subjektivität. Anders als Descartes’ „turn to the subject“, der die Durchsichtigtkeit des ego und die Klarheit des Selbstbewusstseins herausstellt, führe Luthers Wende zu einem widersprüchlichen Subjekt, das irredizibel undurchsichtig bleibt („obscure“). Auch wenn Luther weit davon entfernt ist, den Glauben in Frage zu stellen, mache doch die Undurchsichtigkeit diese Frage unvermeidlich. Kein anderer als Kierkegaard habe diesen Aspekt der theologischen Anthropologie

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Luthers besser verstanden.240 Das paradoxe Subjekt des Glaubens reflektiere das absolute Paradox, das sein Objekt ist: Wie Jesus Christus vollkommener Mensch und vollkommener Gott ist, ist der Glaubende gleichermaßen Sünder und Gerechtfertigter. Im Moment des Glaubens bekennt der Glaubende: Ich bin, was ich nicht bin (63). Taylor deutet diese Behauptung nun in zwei Richtungen: erstens, durch meine freien Tathandlungen habe ich gesündigt, daher bin ich nicht wirklich („actually“), was ich wesentlich („essentially“) bin; zweitens, obwohl ich ein Sünder bin, bin ich trotzdem gerechtfertigt. Es gibt keine äußerlichen Zeichen oder objektiven Kriterien, wodurch diese Glaubensinhalte verifiziert werden können. Während Kierkegaard das Wesen der Lutherischen Glaubensvorstellung in seinem bekannten Diktum „‚truth is subjectivity‘“ (bei Kierkegaard in der „Unwissenschaftlichen Nachschrift“ eigentlich „die Subjektivität ist die Wahrheit“) erfasst hat, wurde von Luthers anderem modernen Erben, Hegel, das kritische Prinzip in der Lutherischen Theologie identifiziert und in der „Philosophie der Geschichte“ die Bedeutung der Reformation für die moderne Zeit herausgearbeitet (63). Wenn die Wahrheit Subjektivität ist, ist Subjektiviät Wahrheit. Die Einsichten von Kierkegaard und Hegel weisen darauf hin, dass die Reduktion der Wahrheit auf die (Selbst-)Gewissheit nicht mit dem Cartesischen Rationalismus beginnt, wie es Heidegger behauptet hat und wie es auch für Janke leitend ist, sondern mit Luther, der die Subjektivität der Wahrheit und die Wahrheit der Subjektivität als innere Paradoxie und Widersprüchlichkeit eines Selbst entdeckt hat, das niemals einfach es selbst ist, sondern immer zugleich etwas anderes als es selbst. Nach dieser Herleitung kommt Taylor zu dem folgenreichen Schluss: „This divided self becomes the infinitely restless subject of modernity. Even though Lutheran subjectivity is inseparable from divine ‚altarity‘ and, therefore, remains inwardly heteronymous, this inward turn eventually leads to the self-legislating autonomous subject without which the political revolutions of the modern era would have been impossible“ (64). Luthers Verhältnis zur Welt, dargestellt an der Lehre von den zwei Reichen/Regimenten (64), bleibe durchweg ambivalent. Gleichgültig, wie machtvoll auch die dunklen Mächte in der Welt werden, Luther beharre darauf, dass Christen Verantwortung für das Leben in der Welt tragen (65). Obwohl der Christ diesen Verpflichtungen und Verantwortungen in der äußeren Welt nachkomme, bleibe doch der Glaube eine private Angelegenheit (66). Der im Namen der lutherischen Freiheit geführte Bauernkrieg (1524/1525) wurde zwar zur wichtigsten Erhebung gegen den Adel vor der Französischen Revolution, doch stellte sich Luther auf die Seite der Fürsten und insistierte auf eine innere Freiheit des Glaubens, die niemals einen sozialen Aufstand legitimieren würde (66). Von dieser verhängnisvollen Kapitulation im Anschluss an Römer 13,1.2 habe sich das Luthertum in der Folgezeit nicht mehr erholt. Doch: „The revo240

Vgl. dazu auch M. C. TAYLOR 2008.

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lution that Luther began in a remote corner of Germany became global in Calvinism“ (66). Für die Emergenz der Moderne wären nun weniger die relativ geringen theologischen Differenzen241 zwischen Luther und Calvin ausschlaggebend gewesen, als ihre gegensätzlichen Interpretationen der sozialen, politischen und ökonomischen Konsequenzen ihrer jeweiligen religiösen Vorstellungen (67). Ohne Luther gäbe es keine Revolution, ohne Calvins Transformationen hätte der Protestantismus nicht das Gesicht der Welt verändert (66–73). Während Luther noch den kaufmännischen Unternehmergeist und den „Wucher“ als Werk des Teufels brandmarkte, sieht Calvin im Kapitalismus einen Teil der „unsichtbaren Hand“ der Vorsehung Gottes (70; 73). Gott ist niemals wirklich gegenwärtig, aber auch niemals in seiner Schöpfung abwesend. Durch die von der Reformation initiierte Bildungsbewegung (74.75) ermöglichte der Protestantismus nicht nur die Alphabetisierung der Bevölkerung, sondern auch das Erlernen von vielen anderen Fähigkeiten, die für die frühe Moderne ausschlaggebend wurden. Von Beginn an waren Protestantismus und Kapitalismus nicht nur untrennbar miteinander verbunden (75), sondern auch Protestantismus und Revolution, was sich am Ende des 18. Jahrhunderts schließlich zeigt, wenn die beiden Stränge des Protestantismus, der Rationalismus und der Spiritualismus, zusammenfließen in der Amerikanischen (1776) und Französischen Revolution (1789) und sich nicht nur Religion und Säkularität in ihrer Zusammenghörigkeit zeigen (73), sondern auch Moderne und Revolution (84): „If, as Hegel argues, the essence of the Reformation is that man in his very nature is destined to be free, then what began in Wittenberg in the sixteenth century continued in Philadelphia and Paris in the eighteenth century“ (83). Luthers gespaltenes Subjekt wird das ruhelose Subjekt der Moderne, das sich selbst in den beiden charakteristischen Institutionen der Moderne realisiert: Demokratie und freie Marktwirtschaft (84). Aus der theologischen Revolution wird eine politische, die wiederum die philosphische und ästhetische inspiriert, die schließlich in der Säkularität242 des 20. Jahrhunderts kulminiert (84). Diese im Anschluss an Hegel entwickelte These von der Aufhebung des Protestantismus in die Moderne ist die Vollendung der Religion in der Säkularität. Der Tod Gottes wird hier konsequent zu Ende gedacht und kann als „rite de passage“ des Protestantismus verstanden werden, der nicht Zum Abendmahlsstreit vgl. M. C. TAYLOR 2007, 71–73. Zur „Religious Secularity“ vgl. das gleichnamige Kapitel in M. C. TAYLOR 2007, 130– 185. In „Eclipse of the Real“ (186–240) stellt Taylor die Theologiegeschichte von der liberalen Theologie über die Neoorthodoxie zur Gott-ist-tot-Theologie im Zusammenhang mit der Kulturgeschichte dar. In „Recovering the Real“ (241–312) behandelt er die moderne Geschichte des Fundamentalismus und die konservative Gegenrevolution der in sich noch zu differenzierenden „New Religious Right“. Die „counter-counterculture“ der „neofoundationalists” umfasst: „Antimodernists, Antisecularists, Anticommunists, Antisocialists, Antihumanists, Antiliberals, Antiscience, Antirelativists, Antifeminists, Antigays, Antielitists.“ (M. C. TAYLOR 2007, 259). 241 242

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nur die Moderne ermöglicht hat, sondern auch als Religion in der Moderne aufgehoben wird. Religion und Säkularität gehören untrennbar zusammen. Die Bewegung der Reformation wird hier prozessual weitergeführt und nicht als abgeschlossene Zeitepoche oder zu konservierende orthodoxe Theologie gedeutet, die zeitlose Gültigkeit beansprucht. Durch dieses Verständnis der Reformation bleibt Religion als komplexes und dynamisches emergentes kreatives Geschehen vielmehr gegenwärtig wirksam und trägt dem postreformatorischen Grundsatz der ecclesia semper reformanda wirklich Rechnung. Dieses Verständnis kann zudem dazu verhelfen, einen in der Moderne entstehenden destruktiven Nihilismus zu überwinden, der sich dieser religiösen Dimension verschließt. Dazu ist es nach Taylor notwendig, emergente Kreativität in komplexen lernfähigen Netzwerken zu kultivieren, „that figure, disfigure, and refigure what once was believed to be the substance of things seen and unseen. Always after God, the endless restlessness of the Infinite is the eternal pulse of life“ (312). Wie dieses „after God“ als „vision of life“ aussehen soll, zeichnen die beiden folgenden Abschnitte nach. (4) Nach dem Tod Gottes heißt es nun, das Leben neu zu betrachten. Für Taylor wird in diesem Zusammenhang einer „Religion without God“ (313– 347) die Denkfigur der „Emergent Creativity“ eminent wichtig, die er in ausführlicher Auseinandersetzung mit naturwissenschaftlichen Theorien entfaltet und die meines Erachtens nichts anderes als eine transformierte Schöpfungslehre im Sinne einer zur „creatio emergentia“ gewandelten „creatio continua“ und Ethik des Lebens darstellt (329–347). Was in der „Introduction“ angezeigt wurde, kommt nun ausführlicher zur Sprache: „After God the divine is not elsewhere but is the emergent creativity that figures, disfigures, and refigures the infinite fabric of life. A religion without God issues in ethics without absolutes to promote and preserve the creative emergence of life across the globe“ (XVII.XVIII). Taylor ist nun darauf aus, zu zeigen, wie das Leben als emergentes komplexes lernfähiges Netzwerk verstanden werden kann, in welchem natürliche, soziale, kulturelle und technologische Systeme zusammenhängen, um das unendliche Gewebe des Lebens zu bilden. Das Wechselspiel von Kunst und Leben – beide sind autopoietisch (317) – bildet und entstellt das göttliche Milieu, in welchem alles entsteht und vergeht (314).243 Seit die neuere naturwissenschaftliche Forschung nachgewiesen hat, dass die Evolution eher ein unumgängliches Faktum als eine spekulative Theorie ist, geht die für viele Protestanten so wichtige biblische Schöpfungsgeschichte 243 „[...] an understanding of life as an emergent complex adaptive network in which natural, social, cultural, and technological systems interrelate to form the infinite fabric of life. The interplay of art and life figures and disfigures the divine milieu in which everything arises and passes away.“ (M. C. TAYLOR 2007, 314). Taylor entwickelt diesen Gedanken in weiterem Bezug auf Kants dritte Kritik und die dort verhandelten Prinzipien der inneren Teleologie und der „Einbildungskraft“.

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als Tatsachenbericht und damit auch die Irrtumslosigkeit der Schrift zugrunde (329). Mehr noch, wenn der Kosmos ein sich selbst-organisierendes System ist, dann werden auch das klassische teleologische Argument für seine Existenz wie seine gegenwärtige Reformulierung in der sogenannten „intelligent design“-Theorie überflüssig (329). Ordnung emergiert damit innerhalb interagierender Systeme und Netzwerke, deren Strukturen und Operationen durch rationale Untersuchung und empirische Erforschung entziffert werden können (329). Emergenz ist nicht nur das Anwesendsein als die Bedingung der Möglichkeit des Daseins eines jeden Organismus. Im Gegensatz zu Mustern („patterns“) oder Schemata ist es nicht möglich, das Ereignis der Emergenz in einem Gesetz zu fassen: „This is a very important point because it means that emergence is always in some way aleatory. The aleatory event disturbs, disrupts, and dislocates patterns to create different figures that constitute new organisms. In this way, the event of emergence is the moment of creativity, which is never possible apart from a certain destruction“ (342). Die Auswirkungen auf Darwins Verständnis der Evolution und neodarwinistische Theorien liegen auf der Hand. Evolution kann nicht mehr als ein kontinuierlicher linearer Prozess gedeutet werden, in welchem die Wirkungen proportional zu ihren Ursachen auftreten. In den nichtlinearen komplexen adaptiven Netzwerken, in denen die Wirkungen disproportional zu ihren Ursachen sein können, geht die Entwicklung nicht immer kontinuierlich vonstatten, sondern sie ist durch punktuelle Gleichgewichtszustände charaktierisiert: „In punctuated equilibrium, periods of relative stability are interrupted by phase shifts that occur [...] as ‚a cascade of symmetry-breaking bifurcations.‘ The breakdown of symmetry and, correlatively, equilibrium creates instability, which eventually self-organizes to form new patterns“ (342; vgl. 27). Solche Muster, Formen und Figuren konstituieren Leben. Sie sind koemergent und somit koabhängig und notwendigerweise koevolutionär. Koevolution ist nicht begrenzt auf biologische Systeme. Alle lebendigen Systeme sind immer eingebettet in komplexe soziale, kulturelle und technologische Milieus, die aus multiplen Netzwerken bestehen.244

244 „All of these networks as well as their interrelations are, in different ways, information-processing systems, which, when fully deployed, are global: everything – absolutely everything – is entwined, enmeshed, interrelated, interconnected. Within these coevolving networks, different systems codetermine each other. Cultural systems, for example, condition natural systems as much as natural systems influence cultural systems. Religious attitudes shape values, which issue in political and economic policies that literally transform the fabric of life. These changes, in turn, provide the parameters of constraint for human activity. Far from being a simple biological force, life is a complex global network of natural, social, economic, political, and cultural relations [...]. To sustain life it is necessary to cultivate all these relations. As connections proliferate and relations multiply, the network of life becomes increasingly complex. This complexity produces instabilities that are the condition of the infinite restlessness of life itself“ (M. C. TAYLOR 2007, 343).

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Das Leben ist für Taylor in seiner ganzen Fülle als komplexes ruheloses Gewebe zu verstehen. Dieses Verständnis des Lebens führt er wieder zurück zu der These, dass sich Religion und Kunst im Leben begegnen. Kunst ist ein kreativer Prozess, der das Gestalten und Entstellen von Schemata umfasst, die die Erfahrung formen und die Welt ordnen. Der Prozess der Imagination (Einbildungskraft) umfasst nicht nur das schöpferische Subjekt, sondern auch die kreative Emergenz, durch welche die objektive Welt ins Sein kommt. Wie Kant bereits gesehen hat, sind die Strukturen des Kunstwerks gleichgestaltig mit biologischen Systemen, beide sind selbstzweckhafte und selbststeuernde Systeme. Weil das Ereignis der Emergenz aleatorisch ist, sind diese Strukturen eher offen als abgeschlossen und damit notwendig koabhängig. Wie das Kunstwerk nun beides ist, Produkt und Prozess, so verkörpert auch das Leben gleichzeitig partikulare Organismen und einen Prozess, in und durch welchen partikulare Lebewesen geschaffen und zerstört werden. Um das Leben zu verstehen, muss es als Kunstwerk begriffen werden. Mit Hegel („Hegel had argued that art, religion, and philosophy are three versions of one truth“) und dann mit dem US-amerikanischen Dichter Wallace Stevens stimmt Taylor überein, wenn er anführt, „that poetry refigures religion: ‚After one has abandoned a belief in god, poetry is that essence which takes its place as life’s redemption. ‘“ Taylor führt diesen trinitarischen Gedanken weiter: „After God – art; after art – life. Three-in-one – One-in-three“ (345). An dieser Stelle kommt nun die bereits am Ende der Darstellung der Religionstheorie erwähnte Erklärung des Buchtitels, die aber noch weitere Dimensionen impliziert, die hier angeführt werden: „[...] how is after to be understood? On the one hand, to come after is to be subsequent to what previously has been, and on the other hand, to be after is to be in pursuit of what lies ahead. Betwixt and between past and future, after is never present as such but is the approaching withdrawal and withdrawing approach that allow presence to be present. Neither here nor there, neither present nor absent, after is the trace of that which gives and takes being. God is not the ground of being that forms the foundation of all beings but the figure constructed to hide the originary abyss from which everything emerges and to which all returns. While this abyss is no thing, it is not nothing – neither being or nonbeing, it is the anticipatory wake of the unfigurable that figures every figure as if from within. Far from simply destructive, disfiguring is the condition of the possibility of creative emergence. Even when expected, emergence is surprising – without surprise, there is no novelty; without novelty, there is no creativity; without creativity, there is no life“ (345).

Die unverfügbare kreative Emergenz ist grundloser Grund der Möglichkeit für die Offenheit des Lebens. Die Ruhelosigkeit muss nicht zur Melancholie des unglücklichen Bewusstseins führen, sie kann auch die Vitalität hervorrufen, die Kreativität in Gang setzt: „The Inifinite is not God but is always after the God who is after it. Neither simply immanent nor transcendent, after comes before to allow every god to be god. Regardless of how powerful they appear, gods are always finite“ (345). Um den (selbst-)zerstörerischen Dualismus zu überwinden, der unvermeidlich zur Theo-Logik des „Entweder/oder“ gehört

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und nur dazu führt, das Selbst zu verteidigen, indem der Andere negiert und zerstört wird, kann man sich auch nicht auf einen Monismus berufen, der die Differenzen einfach auf eine ursprüngliche Identität reduziert, in welcher alles und jeder eins wird. Das Auslöschen der Differenzen ist genauso destruktiv wie das gewalttätige Aufeinandertreffen der unterschiedlichen Parteien. Die nicht-synthetische Lösung für das Unendliche sieht Taylor daher in einem dritten Weg, der im ganzen Werk vorbreitet wurde und immer wieder anklang: „The true Infinite is neither dualistic nor monistic but is the creative interplay in which identity and difference are codependent and coevolve. As such, the Infinite is an emergent self-organizing network of networks that extends from the natural and social to the technological and cultural dimension of life“ (346). Die operationale Logik des Unendlichen ist immer triadisch bzw. trinitarisch: „creativity emerges at the edge of chaos between alternative states of order that tend to drift toward disorder. Disorder is the noise without which the new cannot be heard. Far from unique, human creativity is but a moment in this infinite process“ (346). Bei aller Relativierung des menschlichen Seins in der Beziehung zur Welt ist es doch der Mensch, in dem der kreative Prozess sich seiner selbst bewusst wird. In der Logik Taylors muss natürlich dieses Bewusstsein immer unvollständig bleiben und immer wieder refiguriert werden. Emergenz ist zwar aleatorisch, aber etwas wie ein Geist oder Logos ist doch in dem Prozess am Werk: „Neither external nor transcendent, this mind or Logos emerges through the self-organization of the autopoietic process of life. Never fixed or stable, this is a nonlogocentric Logos that is figured, disfigured, and refigured through the dynamic morphogenesis of the constitutive networks from which it emerges and, in turn, shapes“ (346). Dieser prozessimmanente Logos ist die kreative Kraft in den Netzwerken. Er setzt kein Selbst-Bewusstsein voraus, sondern beinhaltet Informationsprozesse, die verteilt werden auf natürliche, soziale, kulturelle und technologische Netzwerke: „The buzz of noise is the murmur of life emerging. Though this murmur can never be figured, there is no art-iculation apart from its echo“ (346.347). Abschließend betrachtet Taylor noch einmal das Verhältnis zwischen Unendlichem und Endlichem und ihre Beziehung zur Religion. Das Unendliche ist durch zwei koabhängige Rhythmen gekennzeichnet: „finitizing the infinite and infinitizing the finite. As such, the Infinite is neither above nor below, neither behind nor beyond, the finite but is the divine milieu in which everything is relative because all is related.“ (347) Es zeigt sich als das „divine milieu“, in dem alles miteinander in Beziehung steht. Die beiden Rhythmen stehen wiederum in Beziehung zu den beiden Momenten der Religion. Die endlichen Begrenzungen des Unendlichen bilden die Schemata ab, die dem Leben Sinn und Zweck geben. Diese Funktion schafft Ordung in einem Chaos und verschafft der Welt eine vorübergehende Stabilität. Gefährlich werden solche Schemata, wenn ihre Sicherheit eine Gewissheit ausbrütet, die destruktiv wird. Wenn Religion in fundamentale „religiosity“ degeneriert oder das Endliche verabso-

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lutiert wird durch Fundamente, an denen nicht gerüttelt werden darf. Feste Strukturen sind nicht lernfähig gegenüber sich wandelnden Umständen. Das Unendliche des Endlichen unterbricht, disloziert und entstellt jede stabilisierende Struktur. Alles bleibt im Spiel. Diese relationale Netzwerkstruktur ist die Konsequenz aus der protestantischen Revolution. Sie ist eine Möglichkeit, die komplexe Struktur des Lebens und der Religion in der Moderne aufzuzeigen: „Since emergence is aleatory, change is episodic and evolution is discontinuous. Gaps in time as well as space mark the edge of the abyss that is the groundless ground of everything that is and is not. Life is lived along this unfigurable edge“ (347). Nur auf dieser Basis kann ein Vertrauen riskiert werden, das Ungewissheiten und Unsicherheiten als Bedingungen kreativer Emergenz einschließt und zugleich im Weiterdenken der Tradition des Wittenberger Reformators steht: „This absolutely paradoxical faith is the consummation of the revolution Luther began“ (XVIII). (5) Taylor hatte angesichts des rasanten Wachsens neofundamentalistischer „religiosity“ gefragt, wie es möglich sei, dass so viele intelligente Menschen in der Moderne in religiöser Hinsicht so daneben liegen können (2). In Anspielung an den „Führer der Unschlüssigen“ von Maimonides beginnt Taylor mit einem „Guide for the Perplexed“ (348–359) sein abschließendes Kapitel. Auch für Taylor ist die „Krise“ die Signatur unserer Zeit: „A sense of crisis pervades the world today“ (348). Die Strukturen, die die Welt bislang formten, verändern sich rasant. Dieser Wandel provoziert Gefühle der Unsicherheit und Ungewissheit. Wie zu Luthers Zeiten bewegt sich der Boden unter unseren Füßen, und die Menschen suchen nach einem sicheren Grund, der wieder Bedeutung und Sinn in ihrem Leben aufscheinen lässt. Die unsicheren Zukunftsaussichten verleiten viele dazu, Antworten in der Vergangenheit zu suchen. Doch alte Landkarten taugen nicht zur Wegfindung in neuen Territorien (348), und ein Schwarz-Weiß-Denken übersieht die Grautöne (352). Das Ende des Kalten Krieges und der zeitgleiche Beginn der Emergenz der Netzwerkkultur hat die gegenwärtige Landschaft unerwartet und radikal verändert. Die zunehmende Konnektivität brachte eine intensivere Ungewissheit und eine größere Instabilität hervor als bisher. Der damit einhergehende Kontrollverlust führt bei vielen Menschen zu einer Sehnsucht nach Einfachheit, Gewissheit und Stabilität, die eben mit einer Vergangenheit in Verbindung gebracht wird, die es so nie gegeben hat (348). So werden die aktuellen persönlichen und sozialen Probleme mit einer „crisis of values“ verbunden, die ihre Ausgang in der „decadent decade“ der 1960er Jahre genommen haben, als die bisherigen Standards über Bord gingen und plötzlich alles erlaubt war. Die Lösung liegt für viele darin, durch einen Absolutismus den Relativismus zu überwinden (349). Das Argument, sofern man es als solches bezeichnen kann, ist die Rückkehr zu lang erprobten Wahrheiten und einer Basis aus fundamentalen Werten. Doch die Anwendung dieses regressiven Programms zeigt sogleich seine Begrenzungen auf: „Morality is reduced to the questions of God, guns,

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and gays and the evil empire is replaced by the axis of evil, which it is our mission to dominate or destroy. This simplistic agenda is nothing less than irresponsible in today’s complex and rapidly changing world“ (349). Tatsächlich gibt es so etwas wie eine Krise der Werte, aber sie wurde gerade von militanten Moralisten verursacht, die einen rückwärtsgewandten Kreuzzug führen und einen weltanschaulichen Dualismus mit seiner Logik des „Entweder-oder“ propagieren. Letztendlich sind dieser gegenwärtige Moralismus und die Religiosität, die dieses Programm und diese Politik befürworten, eine gefährliche Bedrohung für das Leben auf der Erde: „Nothing is more dangerous today than the growing devotion to dualistic either/or ideologies in a neither/nor world“ (349). Um dieses selbstzerstörende Desaster der neofundamentalistischen Ideologien zu vermeiden, schlägt Taylor eine Umwertung der Werte vor, in der beides reflektiert wird: die globale Komplexität und das Voranbringen einer Ethik des Lebens (349). Diese These entfaltet Taylor vor dem Hintergrund der Analysen zum Neofundamentalismus und insbesondere der „New Religious Right“ als Sammelbecken für die Befürworter einer „konservativen Revolution“, die einhergeht mit der Emergenz einer neokonservativen Politik und neoliberalen Ökonomie (350). Auch diese miteinander zusammenhängenden Entwicklungen haben ihre Wurzeln in der Reformation und ihrer Privatisierung, Deregulierung und Dezentralisierung der Beziehung zwischen Gott und dem individuellen Subjekt (353). Luther hat mit seinem „turn to the subject“ den Weg bereitet für die politischen und ökonomischen Transformationen, die bis heute unsere Welt formen. Auch Neofundamentalismus, Neokonservativismus und Neoliberalismus haben eine Sicht auf das menschliche Subjekt, die sich auf Luther zurückführen lässt, wenngleich jede ihrer Ausprägungen das Subjekt nur auf ihre Weise vereinfacht zum Ausdruck bringen kann. Doch ihre Betonung der Bedeutung der Wahlmöglichkeit und der individuellen Verantwortung übersieht die Komplexitäten der Subjektivität, die Luthers Analyse ihren Reichtum und ihre bleibende Bedeutung verleihen. Die vereinfachende Betonung einer dualistischen Logik eines Absolutismus, der durch die Alternativstruktur eines „Entweder-oder“ dargestellt wird, sowie der Akzent auf der Entscheidungsfreiheit des Einzelnen übersehen die Bedeutung der Anderen und der sozialen Institutionen für das relationale Zusammenleben. In dieser Hinsicht wird Autonomie zur Freiheit von Beziehungen statt zur Freiheit in Beziehungen (350). Die vollständige Ausbreitung eines „market state“ führt zur Übertonung der individuellen Kompetenzen gegenüber den sozialen Kooperationen und staatlichen Regulierungsmaßnahmen. „This theology of the market leads directly to policies of privatizations, decentralization, and deregulation. What previously had been social obligations (e.g., education, health care, and retirement) now become individual responsibilities“ (351). Ein besonderes Feld, auf dem diese politische und ökonomische Agenda sich fatal auswirkt, ist der Umweltschutz, auf den sich Taylors Ethik des Lebens dann auch konzentriert, nicht ohne zuvor

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auf die Abtreibungsdebatte einzugehen, in der sich eine so genannte „culture of life“ und eine „culture of death“ unversöhnlich gegenüberstehen (351–354), um dann in Vorbereitung einer „ethics without absolutes“ marktwirtschaftliche Prinzipien zu beleuchten. Denn vornehmlich ökonomische Interessen und ökologische Herausforderungen stehen sich konträr gegenüber. Und die Kultur des Lebens ist umfassender zu begreifen, als es militante Abtreibungsgegner verstehen. Um aus einem verbreiteten Dualismus auszubrechen, entwickelt Taylor „a global ethic [sic!] of life that can guide individual decisions and inform social policy from the local to the international level“ (354). Einfach das Gegenteil zu tun ist letztlich eine Form von Imitation, die in dem dualistischen Muster verhaftet bleibt, wie Taylor in Bezug auf Kierkegaard herausstellt: „What is required is a thoroughgoing reframing of the issues by articulating a new vision of the world that not only helps us understand our place in it but also provides guiding principles for negotiating conflicts that often seem nonnegotiable“ (354). Die praktischen Implikationen des alternativen Schemas sehen für Taylor nun so aus: Mit der verschleierten Transformation eines Satzes, der eigentlich Kants Ästhetik charakterisiert („Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind.“), und mit der damit nicht ganz korrekten Bezugsquelle erläutert Taylor sein Verhältnis von Theorie und Praxis: Theorie ohne Praxis ist leer, und Praxis ohne Theorie ist blind.245 Theorie und Praxis hängen demzufolge untrennbar zusammen und bedingen sich wechselseitig (354; 356). Doch im Laufe der westlichen Geistesgeschichte haben sich Theorie und Praxis zu konflikthaften Gegensätzen entwickelt. Doch in einem unendlichen Netz des Lebens ist nichts absolut, weil alles miteinander verbunden ist. Durch die etymologische Herleitung vom Lateinischen absolutus und solvere wird klarer, was absolut ursprünglich bedeutet, aber auch, dass solche Losgelöstheit oder Beziehungslosigkeit letztlich selbst-negierend ist (356). Wenn aber das Leben ein komplexes adaptives Netzwerk ist, in dem alles koabhängig und koevolutionär ist, dann muss die Absolutheit zugunsten eines Relationalismus aufgehoben werden (355.356). Solch ein Relationalismus führt alles und jeden aus der Isolation in ein Gefüge von kreativer Ko-Abhängigkeit: „Relationalism provides the contours within which an ethic of global life adequate for emerging network culture can be articulated“ (356). Dem Unschlüssigen gibt Taylor nun vier leitende Prinzipien an die Hand, die ihm helfen sollen, Strategien und Programme in einer emergierenden Netzwerkkultur zu formulieren, die Vielfalt und Einheit nicht als exklusive Gegensätze verstehen, sondern als koabhängig. Die vier Prinzipien heißen: „1. Embrace complexity; 2. Promote cooperation as much as competition; 3. Accept volatility; 4. Cultivate uncertainty“ (357.358). Denn Gewissheit ist ein 245 Diese Formel geht zurück auf Kant, der in der Kritik der reinen Vernunft (KrV, A 51, B 75) schreibt: „Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind.“

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Symptom des Todes, Ungewissheit aber der Puls des Lebens (358). Diese Verzweiflung („de-sperare“) heißt, ohne Hoffnung zu sein. Zwar sei sie flüchtig, aber für die Offenheit der Zukunft lebenswichtig: „Hope is the fleeting trace of the inexhaustible openness of the systems and structures without which life is impossible. Apart from uncertainty, there is no future, and without a future, there is no hope“ (358). Ungewissheit zeigt sich so als Therapie gegenüber jeder Art von Absolutheitsanspruch. Diese vier Prinzipien zusammen bilden für Taylor die Grundlage für die einzig adäquate Ethik in einer emergierenden Netzwerk-Kultur, die nur „an ethics without absolutes“ (358) sein kann. Relationalität („Relationalism“) überwindet den „Entweder-oder“-Dualismus in einer „Weder-noch“-Komplexität. Die Fundamentierung („Foundationalism“) wird überwunden durch einen grundlosen Grund, aus dem alles emergiert und in den alles zurückfließt, ohne einen vollständigen Kreislauf abzubilden: „The absence of ground issues in the endless restlessness of life, in which everything is in motion and (the) all is in flux“ (358). In Abwehr der nietzscheanischen Wiederkunft des Ewiggleichen und in ungenannter Erinnerung an Heraklits pánta rheī möchte Taylor mit einer dritten Überlegung die wuchernden Wahlmöglichkeiten („proliferating choices“) eindämmen, die außer Kontrolle geraten sind. Denn die Situation des ungebremsten Konsums erfordert begrenzende Alternativen, die durch vernünftige Parameter für Beschränkungen tatsächlich wiederum Kreativität fördern können (359). Viertens („regulation and deregulation“) gibt er Luther Recht: „deregulate the private and, when necessary, regulate the public“ (359). Doch in der neokonservativen und neoliberalen Ideologie ist durch den Markt-Fundamentalismus der allwissende, allmächtige und allgegenwärtige Markt an die Stelle des transzendenten Gottes gerückt. Der Markt weiß, was am besten ist, daher muss man ihn nur laufen lassen. Doch was nützt der sich selbst regulierende Markt für ein Land, wenn es dadurch das Leben selbst verliert? (374). Daher stellt sich die Frage, welche Prinzipien die Regulierung leiten sollen. Am Beispiel des ethischen Problems des Wassers („fluid dynamics“; 359– 377), das in Zukunft wertvoller sein wird als Öl (360), verdeutlicht Taylor nun abschließend seine abstrakten Überlegungen für eine Ethik des Lebens. Das ist in mehrfacher Hinsicht eine interessante Themenauswahl, die Taylor fünffach begründet: Wasser spielt in fast allen religiösen Tradtionen eine immens wichtige Rolle; Wasser wird in naher Zukunft eines der vordringlichsten globalen Probleme darstellen; Wasser wirft nicht nur sehr schwierige ethische Fragen auf, sondern ruft auch komplexe wissenschaftliche, technologische, politische und ökonomische Aspekte hervor; Wasser kann nicht abseits von komplexen nonlinearen Systemen verstanden werden, durch die es zirkuliert; Wasser bildet wirkungsvoll das Zusammenspiel von Stabilisierung und Destabilisierung der unendlichen Komplexität des Lebens ab (359.360). Doch für Wasser gibt es anders als für Öl keinen Ersatzstoff. Schnell kann sich aus dieser Krise ein Kampf um Leben und Tod entwickeln, der globale Konflikte hervorruft. Was-

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ser kann immer beides sein: kreativ und destruktiv (367.368). Leben kann nur erhalten werden, wenn nicht zu viel und nicht zu wenig Wasser vorhanden ist. Das gilt gleichermaßen für Kreativität: „Creativity emerges between too much and too little order“ (357). Der Ambiguität des Wassers wird auch in symbolischer Hinsicht in den verschiedenen Traditionen und Schöpfungs- und Flutgeschichten wie der Genesis Rechnung getragen. Auch im Neuen Testament, in der Taufe, spielt das Wasser für das Leben und seine Erneuerung („Bad der Wiedergeburt“) durch ein (mit Christus) Sterben eine wichtige Rolle. Welche Rolle das Wasser für die Literatur gespielt hat, wurde an Hamiltons „MobyDick“-Deutung und Melvilles Vergöttlichung des Meeres aufgezeigt. Auch wenn Wasser in der Philosophie eine eher marginale Rolle gespielt hat, sieht es doch schon Thales von Milet als „arché“ von allem an. Für Hegel ist das Wasser die absolute Essenz von allem. Thales macht das Wasser zum Gott über, vielleicht auch unter allem (363). Für Hegel stellt sich Thales’ Wasserkunde als Prototyp für seine eigene Philosophie des Geistes dar. Hegel transformiert Thales’ materialistisches Prinzip in ein idealistisches. Für Thales ist Wasser formlos und alles auflösend. Für Hegel zeigt die Idee das Wasser als komplexe Einheit, die unterschiedliche Identitäten bewahrt (363). (6) Zusammenfassung: Mark C. Taylors Philosophische Theologie als Religionstheorie, Kulturhermeneutik und Ethik nimmt sich der gegenwärtigen globalen Herausforderungen an und entwirft eine umfassende ideologiekritische und ethische Perspektive auf das Leben, das sich als globales Netzwerk zeigt, in dem die wechselseitigen Zusammenhänge zur Verbindung von Kooperationen und Kompetenzen führen müssen, um die lebenswichtige offene Zukunft zu erhalten. Nur durch eine radikal veränderte Sichtweise, die einen Glauben riskiert, der Ungewissheiten und Unsicherheiten als Grundpfeiler kreativer Emergenz begreift, sieht Taylor eine kultivierte Möglichkeit, den nihilistischen und apokalyptischen neofundamentalistischen Weltanschauungen entgegenzutreten: „Nothing is absolute because everything is related“ (376). Die Auflösung des Absolutheitsgedankens und damit einhergehend die Betonung der Relationalität sind nur zwei Eckpfeiler der zukunftsweisenden Religionstheorie Taylors. Durch die Betonung der Ungewissheit, Unsicherheit und Komplexität des Lebens, die sich zugleich als Bedingungen der Möglichkeiten von Kreativität zeigen, begegnet Taylor der neofundamentalistischen Engführung der Religion in der Moderne. Statt über Traditionsabbruch, Wertekrise und Bedeutungsverlust zu lamentieren, unterbreitet er eine konstruktiv-kritische Geschichte des Protestantismus, insbesondere mit Luthers „turn to the subject“ sowie dessen bleibender Bedeutung für die Moderne. Auf diese Weise zeigt er, was protestantische Freiheit im 21. Jahrhundert heißt: Freiheit, in Beziehungen zu leben in einer globalen Netzwerk-Kultur, die offen ist für Zukunft und das lebendige Leben in der Fülle der Weltbezüge kreativ leben kann. Das zeigt sich in der Überwindung des Nihilismus von Religiosität und Moralität. Dass beide nihilistisch sein können, hatte bereits Nietzsche aufgezeigt (377). Das Leben

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auf der Erde nur als Vorbereitung für das ewige Leben zu verstehen, verstärkt eine Haltung, dass nach dem Ende dieser Welt das Reich Gottes auf Erden entstehen werde.246 Das motiviert den Raubbau an den Ressourcen durch die technologischen Möglichkeiten und die ökonomische Nutzenmaximierung. Doch das Göttliche ist weder das zugrundeliegende Eine, welches alle Differenzen auflöst, noch ist es das transzendente „Ganz Andere“, das mehr trennt als zusammenführt. Vielmehr ist das Göttliche inkarniert im ewigen ruhelosen Werden. Nur auf diese Weise kann das Leben in dieser Welt als ein unendlich wertvolles verstanden werden (377). Die Erscheinung („figure“) dieses unendlichen Lebens ist das Wasser. Nicht als das Wasser,247 das Chaos und Unordnung repräsentiert und destruiert werden muss, um den Kosmos und die Ordnung herzustellen, sondern als das Wasser, dessen flüssige Dynamik die Virtualität ist, in und durch welche alles gestaltet, entstellt und wiedergestaltet wird (377). Taylor gebraucht den Begriff der „virtuality“ als konstruktiv-kritische Irritation der Wirklichkeit, in der wir leben, und kommt damit dem Perspektivwechsel nach, der der Religion inhärent ist: „To think virtuality is to think reality differently.“ 248 Doch unser endlicher Standort ist immer nur einer unter vielen zwischen zwei Polen. Nichts anderes ist uns möglich. Nirgendwo anders ebenso. Weder das Eine noch das Andere. Sich zu täuschen im Windschatten des Virtuellen heißt, nach Gott zu sein – für immer nach Gott: „To err in the wake of the virtual is to be after God – forever after God“ (377). 6.3.2 Perhaps – Ironische Theologie des Ereignisses (John D. Caputo) (1) Wie Mark C. Taylor ist auch der US-amerikanische Philosoph John D. Caputo249 von Derridas Ereignisdenken beeinflusst. Doch Caputo betreibt keine Religionsphilosophie oder Religionstheorie, sondern ausdrücklich den Versuch einer Theologie, die er als Theologie des Ereignisses („A Theology of the Event“) versteht. Er verfolgt damit eine Theologie der Schwäche Gottes („The Weakness of God“), die in der Schwäche Gottes dessen Stärke sieht. Caputos Theologie macht sich mit den Mitteln der Ironie250 auf die Suche nach einem neuen Reden von Gott nach dem Ende der Onto-Theologie der Metaphysik und beteiligt sich auch an einem „turn to the scriptures“. Inwiefern eine Theologie 246 M. C. TAYLOR 2007, 39, zeigt schon, dass der Tod Gottes die Unmöglichkeit und nicht die Verwirklichung der Parusie ist. 247 Das Wasser ist vor Gott vorhanden. Gottes Geist schwebte auf dem Wasser. Vgl. M. C. TAYLOR 2007, 391; 135; 138. 248 M. C. TAYLOR 1997, 267. 249 John D. Caputo (*1940) ist emeritierter Thomas J. Watson Professor of Religion an der Syracuse University sowie ebenfalls emeritierter David R. Cook Professor of Philosophy an der Villanova University. Vgl. zu Biographie und Werk K. S. MOODY 2018; ferner J. SCHMIDT 2006, 52–79 und bes. F. D. RASS 2017, 64–138. 250 Vgl. C H. M ORGENTHALER 2012, 366.

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der Schwäche eine Möglichkeit ist, neu von Gott zu reden, zeigt der Versuch von Caputo, der dezidiert eine Theologie des Ereignisses entwirft, die dem Tod Gottes nicht das letzte Wort überlässt, sondern dem Ereignis, das einmal den Namen Gott getragen hat, ein neues Vielleicht („Perhaps“251) eröffnen möchte. Das Ereignis des Todes Gottes soll durch eine Besinnung auf das Ereignis, das mit dem Namen „Gott“ belegt wurde, aufgehoben werden. Diese doppelte Dekonstruktion, die des Ereignisses des Todes Gottes und die des Namens Gottes, führte den Philosophen Caputo überhaupt erst zur Theologie. Er interessiere sich nicht für Religionstheorie („religion without religion“252), Frömmigkeit oder Ethik („against piety and ethics“253). Caputo sieht die Ursache für die gegenwärtigen Probleme der Religionen insbesondere in den Überzeugungen ihrer fundamentalistischen Anhänger,254 aber auch in der Redeweise von „many religious leaders“ über Gott, die sich angesichts von sprachlos machenden Begebenheiten wie dem Tsunami am Tag nach Weihnachten 2004 in die „mystery of God’s ways“ flüchten als sei diese Naturkatastrophe etwas, was zu Gottes Vorsehung gehöre. Oder aber sie behaupteten, diese schreckliche Katastrophe sei etwas gewesen, das uns alle darin erinnere, dass wir Sünder seien, und auch in ihrem monströsen Ausmaß eine gerechte Strafe für die Menschheit.255 Auf diese blasphemische Weise möchte Caputo nach seinem „theological turn“ nicht von Gott reden, denn sie sei der deutliche Ausdruck für den Bankrott einer Theologie, die Gott als eine starke Macht denkt, die nach Belieben in das Weltgeschehen eingreifen kann. Doch wie sieht der Versuch Caputos aus, Gott auf andere Weise im Rahmen einer postkritischen Religion zu denken? Caputos Texte sind von der kierkegaardschen Ironie eines Johannes Climacus durchdrungen.256 Caputo erinnert zudem an den „tollen Mensch“, der unter Tränen nach dem Tod Gottes um ein neues Ereignen dessen betet, das einst den Namen Gott trug. Mit Derrida („St. Jacques“257) kann er die religiöse Tradition gegen sich selber lesen und damit ihre Kraft aufzeigen, die in ihrer subversiven Schwäche liegt. Auch hier werden Wege aufgeschlossen, die eine moderne Philosophische Theologie bedenken muss, wenn sie nach dem größten neueren Ereignis noch Theologie sein möchte. In Caputos Fall ist dies nur im ironischen Bruch mit der eigenen Tradition möglich.258 J. D. CAPUTO 2013. Vgl. J. D. CAPUTO 1997; 2001; 2006, 273–277. 253 J. D. C APUTO 2006, 8. 254 J. D. C APUTO 2007b, 151. 255 Vgl. J. D. C APUTO 2006, Preface. 256 J. D. C APUTO 2006, 1. Vgl. zu Kierkegaard PH. D AVID 2017a. 257 J. D. C APUTO 2006, 12.13. 258 J. D. C APUTO 2006, 9: „A theology of the event is in part a second-order act that maintains a certain ironic distance from strong theologies, which in a certain sense are the only theologies that ,exist‘, that are found in concrete historical communities. I love the 251 252

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(2) Mit seiner „Theology of the Event“ als einer „Theology of the Weakness of God“259 schließt Caputo an Vattimos Idee eines schwachen Denkens an,260 geht aber in der Ausarbeitung und in seinen Schlussfolgerungen über das Konzept des italienischen Philosophen hinaus und grenzt sich von einer „Theology of the Death of God“ ab: „We weak theologians of the event, who pray and weep for the coming of the event, have found the death of God to be a dead end. We are subscribers to a new Enlightenment, one that is enlightened about Enlightenment, one in which we have acquired a renewed appreciation for the dark and have learned something about the dangers of overexposure to the sun.“261

Im Rahmen dieser „neuen Aufklärung“ sieht Caputo im postmodernen Denken die Aufgabe, die klassische Differenz zwischen Theologie und Philosophie sowie zwischen Glauben und Wissen zu schwächen.262 Maßgeblich für seine radikale Theologie263 sind das Verständnis von „event“ (Ereignis) und seine damit einhergehende wichtige und folgenreiche Unterscheidung von „Ereignis“ und „Name“264: „My subject is theology and the event, a theology of the event, and a prayer for the event of theology.“265 Ein Ereignis bezeichnet für ihn nicht präzise, was passiert ist, sondern etwas, was vorgeht in dem, was sich ereignet, was versucht, sich fühlbar zu machen in dem, was gegenwärtig geworden ist.266 Der Name ist lediglich eine provisorische Bestimmung des Ereignisses, seine vorübergehende Herberge. Ein Ereignis ist auch keine Sache, sondern das, was in einer Sache in Bewegung ist, „its inner energy of life“.267 Im Gegensatz zu Namen, Worten oder Sachen sind Ereignisse als Provokationen und Aussichten strong theologies that I know the way I love great novels, but I maintain an ironic distance from them occasioned not only by the fact that they are invariably in league with power but also by my conviction that the event that is astir in the name of God cannot be contained by the historical contigency of the name I have inherited in my tradition. There are many traditions, many forms of life, and on Pauline grounds I hold that God is not partial. On this point, I dare to expand the teaching of Johannes Climacus on the question of the historical point of departure for eternal happiness: not only is it possible, but there may be several such points.“ 259 Vgl. J. D. C APUTO 2006, 7–9. 260 Zur konstruktiven Kritik an Vattimo, insbesondere an seinem unterkomplexen Verständnis des Judentums vgl. J. D. CAPUTO 2007a, 70–85. 261 J. D. C APUTO 2006, 291. 262 J. D. C APUTO 2007b, 143. 263 J. D. C APUTO 2007a, 51; vgl. J. D. C APUTO 2013, 59–86 („Theopoetics as the Insistence of a Radical Theology“). 264 Vgl. J. D. C APUTO 2006, 2–7. 265 J. D. C APUTO 2006, 2. 266 „An event is not precisely what happens, which is what the word suggests in English, but something going on in what happens, something that is being expressed or realized or given shape in what happens; it is not something present, but something seeking to make itself felt in what is present.“ (J. D. CAPUTO 2007a, 47). 267 J. D. C APUTO 2007b, 156.

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(„provocations and promises“)268 durch ihre eigene Zeitlichkeit des Nicht-Präsent-Seins und durch ihre unvorhersehbare Struktur (à venir) nicht dekonstruierbar. Ereignisse sind wie „an anarchic interruption that refuses to allow being to settle firmly in place. The name of God is the name of an event transpiring in being’s restless heart, creating confusion in the house of being, forcing being into motion, mutation, transformation, reversal. The name of God is the name of what can happen to being, of what being would become, of what rising up from below being pushes being beyond itself, outside itself, as being’s hope, as being’s desire. The name of God is being’s aspiration, its aeration, for God is not being or a being but a ghostly quasi being, a very holy spirit.“269

Da Ereignisse „fragil“ und „verletztlich“, anfänglich und im Entstehen begriffen sind, ist die Aufgabe des postmodernen Denkens die schützende Hege und Pflege des Ereignisses und sein Bedenken als eines kleinen Geschenks, um es vor großen Vereinnahmungen zu bewahren.270 In einer postmodernen Theologie wird das Ereignis im Namen Gottes beherbergt271 und beschützt.272 Caputo möchte jedoch das im Namen verborgene Ereignis wieder freilegen,273 um mit Gilles Deleuze aufmerksam zu machen auf das Ereignis als das, was auf uns zukommt: amor venturi statt Nietzsches amor fati.274 Die Wahrheit des unbedingten Ereignisses ist sein Versprechen, dass es wahr wird.275 Seine ewige Wahrheit ist sein ruheloses nomadisches Durchstreifen der Wüste. Gastfreundschaft276 ist unsere Möglichkeit, es nicht nur willkommen zu heißen, sondern auch um seine Ankunft zu beten und über sie zu weinen: „the name of God is the name of an event, of an event that comes calling at our door, which can and must be translated into the event of hospitality.“277 Religion wird damit zum Bund zwischen dem Ereignis und uns.278 Sie beginnt und endet mit Gebet und Tränen.

J. D. CAPUTO 2007a, 48. J. D. CAPUTO 2006, 9. 270 Im Anschluss an Slavoj Žižek J. D. C APUTO 2007a, 48.49. 271 J. D. C APUTO 2007a, 50. 272 J. D. C APUTO 2007a, 53. 273 J. D. C APUTO 2007a, 53. 274 J. D. C APUTO 2007a, 51. 275 J. D. C APUTO 2007a, 55. 276 Vgl. J. D. C APUTO 2006, 259–278 („The Event of Hospitality: On Being Inside/Outside the Kingdom of God“); auch J. D. CAPUTO 2013, 39–55 („Insistence and Hospitality: Mary and Marta in a postmodern world“). 277 J. D. C APUTO 2006, 269. 278 J. D. C APUTO 2007a, 52. 268 269

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(3) Das Gebet279 versteht Caputo als Hören, Aufmerksamsein und Horchen auf eine Herausforderung, die uns aus uns selbst herauszieht.280 Neben der Literatur ist die Theologie der Ort, an dem wir träumen können von dem, was kommt, wo wir beten können und weinen über das, was kein Auge je gesehen und kein Ohr je gehört hat, wo wir das Wagnis eingehen können, dasjenige als besondere Provinz postmoderner Theologie auszumachen, was jenseits dessen liegt, was erreichbar ist oder existiert.281 Damit wird auch das Gebet im Anschluss an Augustins Confessiones die Geburtsstätte der Theologie, wenn sie in dem Raum geboren wird, der zwischen dem liegt, was existiert, und dem Ereignis.282 Doch von unseren Tränen und Gebeten zu sprechen, ist eine andere Art von Sehnen (desire), das situiert ist in dem Raum zwischen dem, was existiert und was nicht existiert, und was daher unbedingt mit dem Ereignis zusammengehört.283 Seit undenkbarer Zeit wird mit dem Namen Gott ausgedrückt, wonach wir innerlich verlangen, obwohl es genaugenommen nicht der Name ist, nach dem wir uns sehnen, sondern das, was in dem Ereignis aufscheint. Der Name aber hält die Sehnsucht danach wach und lebendig.284 Das Ereignis, nach dem sich gesehnt wird, ist das, was die Welt aufrüttelt:285 die heilige Anarchie („Sacred Anarchy“) des Reiches Gottes.286 „The kingdom that Jesus called for was a kingdom ironically, one that was itself mocking the business-as-usual of the powers that be, one in which a divine madness reigned, even as it was, from the point of view of the Roman Empire, of the brutality of the world, simple foolishness, outright stupidity.“287 Dieser subversive Charakter der heiligen Anarchie findet sich nun nicht in der Ewigkeit, sondern in den schwachen Kräften wie Geduld und Vergebung. Der ethische Imperativ ist darin zu finden, dass den Armen und Schwachen geholfen werden soll:288 „The kingdom is found whenever war and aggression are met with an offer of peace. The kingdom is a way of living, not in eternity, but in time, a way of living without why, living for the day, like the lilies of the field – figures of weak

279 Vgl. auch J. D. C APUTO 2006, 283–299 („A Concluding Prayer – for Theology, for the Truth, for the Event“); hier: 283: „I am praying not to be lost, praying because I am already lost, praying not to get any more lost than I already am, praying that my prayer does not make things worse. I am trying to think while praying, to pray while thinking, praying like mad – for theology, for theology’s truth, for the event. The event for me is not an object but a matter for prayer.“ 280 J. D. C APUTO 2007a, 57. 281 J. D. C APUTO 2007a, 56. 282 J. D. C APUTO 2007a, 58. 283 J. D. C APUTO 2007a, 57. 284 J. D. C APUTO 2007a, 58. 285 J. D. C APUTO 2007a, 59. 286 J. D. C APUTO 2007a, 61; vgl. 2006, 13–17. 287 J. D. C APUTO 2006, 15. 288 Vgl. J. D. C APUTO 2007b, 151.

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forces – as opposed to mastering and programming time, calculating the future, containing and managing risk.“289 Die mit der heiligen Anarchie und ihrem subversiven Charakter verbundenen körperlichen Metamorphosen und sozialen Transformationen sind am besten ausgedrückt in dem Wort: metánoia, das nun nicht verstanden wird im klassischen Sinne als „Buße“, sondern im Anschluss an Hannah Arendt als „being of a new mind and heart“.290 Doch dieser Schock der Welt geht nicht aus von einer starken, sondern von einer schwachen Macht, die, im Anschluss an Paulus („St. Paul“),291 ihren Ausdruck im Kreuz Christi findet. Insofern geht es Caputo um den Tod des allmächtigen Gottes der klassischen Onto-Theologie, mit dem er die Geschichte von Einschüchterung, Unterdrückung und Gewalt im Namen Gottes verbindet.292 In schroffer Ablehnung von Thomas J. J. Altizers Immanentismus und Mark C. Taylors Verständnis der Dekonstruktion als Hermeneutik eines endgültigen Todes Gottes versteht Caputo seinen Entwurf einer Theologie des Ereignisses als eine Hermeneutik der Sehnsucht nach Gott,293 die nicht der Versuchung erliegt, einer neuen, im Falle der Tod-Gottes-Theologie endgültigen grand récit zu erliegen, sondern sich die Möglichkeit offen hält für neue Namen und Ereignisse, für Sehnsucht, für Liebe, für Bejahung.294 Für Caputo steht mit dieser Unterscheidung lediglich die Möglichkeit einer Theologie des Ereignisses als Theologie des Todes des Namens Gottes im Raum. Der Name ist dekonstruierbar, aber nicht das Ereignis. Anselms ontologisches Argument („Etwas, über das hinaus nichts Größeres gedacht werden kann“) ist denn auch Caputos unausfüllbares Formular des unabschließbaren Sehnens nach Gott.295 Für ihn war Religion daher nie lebendiger als heute.296 Nach dem Tod Gottes erleben wir das Comeback Gottes297 und müssen feststellen: die Religion ist nicht am Ende.298 Wer das nicht mitbekommen hat, liege noch im Koma der Tod GottesTheologie der 1960er Jahre und habe auch den „theological turn“ in der Phänomenologie und Dekonstruktion der kontinentalen Philosophie der Religion nicht mitbekommen,299 so Caputos abschließendes Pauschalurteil.300 Der befände sich damit auch nicht am Ort der schwachen Theologie, der rufenden J. D. CAPUTO 2006, 15. J. D. CAPUTO 2007a, 62; vgl. 2006, 19 sowie a. a. O., 127–154 („Metanoetics: The Seventh Day, or Making all Things New“). 291 J. D. C APUTO 2006, 12.13; vgl. auch 2009. 292 J. D. C APUTO 2007a, 67. 293 J. D. C APUTO 2007a, 67.68. Vgl. zu Mark C. Taylor auch J. D. C APUTO 2006, 290.291. 294 J. D. C APUTO 2007b, 147. 295 J. D. C APUTO 2007b, 147. 296 J. D. C APUTO 2007a, 83. 297 J. D. C APUTO 2007b, 145. 298 J. D. C APUTO 2007b, 159. 299 J. D. C APUTO 2007b, 142. 300 J. D. C APUTO 2007a, 83. 289 290

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Stimme, betend und weinend: der Wüste.301 Nur hier aber sei der Ort, an dem deutlich wird, dass alles, was wir glauben, einen zutiefst kontingenten und geschichtlichen Charakter hat.302 Was uns verbindet, ist die Einzigartigkeit unserer Differenz.303 Die dekonstruktive Macht ist das Offenhalten für das auf uns Zukommende (à venir).304 (4) Caputo macht mit einer engagierten Nacherzählung der biblischen Gotteserfahrungen und dem hermeneutischen Schlüssel des Ereignisses auf die wichtige Differenz zwischen Name und Ereignis aufmerksam. Er kann so die überkommene onto-theologische Tradition hinter sich lassen und Gott als Ereignis denken. Ob dieses Ereignis aber wieder eintritt, bleibt offen und kann nur mit einem „Vielleicht“ beantwortet werden. Damit dekonstruiert und relativiert Caputo die Rede von Gott in einer Weise, die jeden Herrschaftsanspruch fundamentalistischer Rechtgläubigkeit unterläuft. Doch seine Ironie dürfte auch dieser Ideologie unverständlich bleiben, da Ideologien Ironie nicht aushalten können. Ihnen fehlt es an der Toleranz für Komplexitäten und Ambivalenzen. Caputos Offenhalten für das Ereignis, das er mit dem schwachen Vielleicht („Perhaps“) in der Schwebe lässt, ist die Stärke seiner Besinnungen. Nicht mehr und nicht weniger, denn weder zu Religionstheorie noch zur Ethik leistet Caputo einen Beitrag, abgesehen von dem ethischen Imperativ, den Armen und Schwachen zu helfen, der aus der Theologie der Schwäche entfaltet wird. Wenn man seine Texte lesen würde, ohne die Ironie zu bemerken, bliebe er mit seinem Entwurf wie Altizer ebenfalls ein letzter Vertreter einer Offenbarungstheologie. Doch seine Theologie ist nur als Karnevaleske sachgemäß zu verstehen, die in der ereignisarmen Latenzphase der Krise nach dem größten neueren Ereignis unzeitgemäß den Raum öffnen möchte für ein neues Vielleicht des Ereignisses, das einst den Namen Gott trug. Anders als ironisch ist auch Caputos „Gebet“ am Schluss seiner „Theology of the Event“ nicht zu verstehen: „Rather than a secularization of theology, our post-secular theological project undertakes a theologization of the secular. We come after secularization breaks down or breaks open, in a time that is torn open and torn apart by the desire for God, and we treat deconstruction as a hermeneutics of the name of God. The death of God simpliciter would represent another failed try at pure and perfect presence, at a closure and a totalization every bit as exclusionary as the closure sought by the strongest theocratic advocates of high theology. But that closure would spell the death of desire. The death of God simpliciter would mean the death of every possible God, the death of the unconditional event that is astir in the name of God, in a name like God. That would spell the death of prayer, the death of what we love and desire with a desire beyond desire, the death of everything that makes our beliefs and practices tremble,

J. D. CAPUTO 2007a, 85. J. D. CAPUTO 2007b, 128. 303 J. D. C APUTO 2007b, 129. 304 J. D. C APUTO 2007b, 159. 301 302

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making them open like an abyss whenever they come in contact with the event, with something, I know not what.“305

Diese fast schon anrührende Flucht ins Gebet und das nostalgische Festhalten an dem Ereignis, das einst den Namen Gott trug und Symbol unseres Verlangens ist, ist zwar einerseits eine wichtige entmythisierende Dekonstruktion der philosophisch-theologischen Gottesvorstellung durch die Unterscheidung des Namens und des Ereignisses. Dennoch bleibt Caputos Denken andererseits im Grunde eine meditative Selbstberuhigung, die, wenn sie ernst gemeint sein sollte, in den Raum der Utopie gehört. Ansonsten kann seine Theologie des Ereignisses nur ironisch verstanden werden, was durchaus erfrischend sein kann, aber den Tod Gottes nicht radikal ernst nimmt. Es sei denn, sie würde ihn auf diese ironische Weise radikal ernst nehmen. Denn nur auf diese Weise vermeidet sie, unzeitgemäß, Gott zu denken. Aber auch die paradoxe Kraft der Schwachheit bleibt eine „ver-kehrte“ Deutung Gottes. Das kann natürlich Ironie sein oder auch Selbstironie. Doch ohne Ironie bliebe auch eine schwache Theologie, wie ihr Pendant einer starken Theologie, lediglich nostalgisch verklärte l’art pour l’art für esoterische religiöse Virtuosen. Nur auf diese ironische Weise kann es Caputo gelingen, die subversive Kraft der (politischen) Botschaft von Jesus von Nazareth wieder zur Sprache zu bringen. Und das ist wiederum die Stärke dieser „schwachen Theologie“. 6.3.3 Religiöser Atheismus als Glaube an einen objektiven Wertehimmel (Ronald Dworkin) (1) Der US-amerikanische Rechtsphilosoph Ronald Dworkin306 (1931–2013) hat in seinen Einstein Lectures an der Universität Bern vom Dezember 2011 einen Vorschlag unterbreitet,307 warum er eine Religion ohne Gott für besser

J. D. CAPUTO 2006, 291. Ronald Dworkin war Professor für Philosophie und Recht an der New York University sowie Professor für Recht am University College in London. Zur Religion als interpretativem Begriff hat sich Dworkin zuvor in R. DWORKIN (2010) 2012, Kap. 8 geäußert. Sein Vorhaben, die zunächst frei vorgetragenen Überlegungen noch erheblich zu erweitern, konnte Dworkin nicht mehr in Angriff nehmen, da er im Sommer 2012 erkrankte und im Februar 2013 starb. 2013 erschienen die noch von ihm bis dato bearbeiteten Vorlesungen auf Amerikanisch bei Harvard University Press und 2014 dann unter dem Titel Religion ohne Gott auf Deutsch bei Suhrkamp. 307 Albert Einstein bezeichnete sich selber als zutiefst religiös, obwohl er Atheist war: „Das Wissen um die Existenz des für uns Undurchdringlichen, der Manifestationen tiefster Vernunft und leuchtendster Schönheit, die unserer Vernunft nur in ihren primitivsten Formen zugänglich sind, dies Wissen und Fühlen macht wahre Religiosität aus; in diesem Sinn und nur in diesem gehöre ich zu den tief religiösen Menschen“ (R. DWORKIN 2014, 13; Zitatnachweis dort). „Einstein glaubte fest daran, dass das Universum von einem transzendenten und objektiven Wert durchdrungen ist, der weder ein Naturphänomen noch eine sub305 306

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hält als eine Religion mit Gott. Zwar geht es bei ihm nicht direkt um den Gedanken, dass Gott tot sei, oder um eine explizite Kritik an den monotheistischen Religionen, aber seine Überlegungen gehören in den Kontext, den Geltungsbereich der Religion zu beleuchten.308 Gleich zu Beginn von Religion without God macht er seine These und Pointe klar: „Religion ist etwas Tieferes als Gott [...].“309 Das Buch hat medial für Furore gesorgt und veranlasste das Nachrichtenmagazin Der Spiegel in seiner Pfingstausgabe („Ist da jemand?“) von 2014, auf seine Überlegungen Bezug zu nehmen.310 Seine tiefe religiöse Haltung, in der Gott keine Rolle mehr spielt, wird wohl nicht zu einer kontroversen Debatte führen wie damals 1966. Die programmatische Schrift wurde in den großen Tages- und Wochenzeitungen311 mit Respekt und Anerkennung besprochen. Die Besprechungen begrüßten einhellig den überraschenden Argumentationsgang des religiösen Atheisten, der einen Weg beschreitet nicht nur jenseits von evangelikalem Fundamentalismus und militantem „Neuen Atheismus“, sondern auch jenseits von traditionellen Glaubensvorstellungen und der Trennung von Glauben und Wissen. In dieser Resonanz spiegelt sich die gegenwärtige Suche nach einem Religionsbegriff, der von dogmatischen Glaubenssätzen und theologischen (Wahrheits-)Ansprüchen entlastet ist. Dieser Weg ist in der deutschsprachigen Theologie seit Schleiermacher bekannt, als Religion „gottlos“ im „Anschauen des Universums“ (Schleiermacher) verstanden wurde. Doch nicht nur im US-amerikanischen Kontext bedürfen diese religionstheoretischen Überlegungen weiterhin der Aufklärungsarbeit über die Verhältnisbestimmung des Religions- und Gottesbegriffes. Der von Dworkin vorgeschlagene Weg soll hier nun angemessen nachgezeichnet und auf die Frage nach einem religiösen Leben ohne Gott hin bejektive Reaktion auf ein Naturphänomen ist. Deshalb bestand er darauf, sich als religiös zu bezeichnen. Er hielt das für die treffendste Beschreibung seines Glaubens“ (a. a. O., 15.16). 308 „Sie werden in diesem Buch keine Argumente gegen die wissenschaftlichen Aussagen der traditionellen abrahamitischen Religionen finden. Es geht mir nicht darum zu zeigen, dass es keinen personalen Gott gibt, der den Himmel geschaffen hat und seine Geschöpfe liebt. Ich behaupte lediglich, dass es für die Wahrheit religiöser Werturteile irrelevant ist, ob es einen solchen Gott gibt. Wenn er existiert, kann er womöglich Menschen in einen Himmel oder eine Hölle schicken. Aber er ist nicht imstande, richtige Antworten auf moralische Fragen zu kreieren oder das Universum mit einer Herrlichkeit auszustatten, die ihm ohne sein Zutun abgehen würde“ (R. DWORKIN 2014, 32). 309 R. D WORKIN 2014, 11. Die folgenden Seitenzahlen im Text verweisen auf dieses Werk. 310 Vgl. S. B EYER/R. LEICK 2014. 311 In der Wochenzeitung Die Zeit Nr. 22/2014 vom 28. Mai 2014 (Thomas Assheuer), in der Frankfurter Rundschau vom 6. Juni 2014 (Dirk Pilz), in der taz (Die Tageszeitung) vom 12. Juli 2014 (Christof Forderer), in der F.A.Z. vom 24. Juli 2014 (Friedrich Wilhelm Graf) und der NZZ vom 30. Juli 2014 (Uwe Justus Wenzel). Auch in Rundfunksendungen des SWR und des Deutschlandfunks fand das Buch Beachtung. Vgl. auch J. H. CLAUSSEN 2015; vgl. auch seine Äußerungen in S. BEYER/R. LEICK 2014.

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leuchtet werden. Im Unterschied zu Pascal führt für Dworkin die Unendlichkeit der galaktischen Räume nicht zu einer Zuwendung zum christlichen Glauben und zu einer Wette auf Gott. Es geht ihm auch nicht um einen neuen Pantheismus oder Panentheismus im Anschluss an Spinoza. Nicht ein Gott werde uns retten, so könnte man im Anschluss an Heidegger ergänzen, sondern nur die „,leuchtendste Schönheit‘ des Universums“ (50) vermag zu heilen, wenn Gläubige, Nicht- und Andersgläubige doch nur gemeinsam in den nächtlichen Sternenhimmel schauen würden, um zu erkennen, was sie verbindet: objektive Werte.312 Doch dazu müssten die einen ihren Gott und die anderen ihre Gottlosigkeit weniger wichtig nehmen, um zu erkennen, dass sie einen gemeinsamen tiefen religiösen Impuls teilen, der sich ihnen als Gefühl des Staunens über das Erhabene mitteilt – als Ehrfurcht gegenüber einer äußeren wirklichen Wirklichkeit. Dass die Sache weniger einfach ist, als es scheint, ist auch Dworkin klar. Nach seiner Werte-Theorie in Gerechtigkeit für Igel (2012) entfaltet er nun seine Idee und fragt: Welche Werte spenden dem Leben einen Sinn? Dabei kommt er zu überraschend unzeitgemäßen Einsichten. (2) Dworkin geht nämlich konstruktiver als andere Atheisten mit der Frage um, warum eine Haltung, in der Gott keine Rolle mehr spielt, gerade eine religiöse Haltung sein kann. Für ihn stellt sich Religion als eine Sicht auf die Welt dar, die von einem Glauben an objektive Werte getragen wird.313 Das ist nicht zufällig, sondern an sich wichtig, unabhängig davon, ob wir so denken oder nicht (19). Diese Werte zeigen sich daran, dass Geschöpfe eine Würde haben, dass ein Leben erfüllt oder verfehlt sein kann oder dass Schönheit, die uns schlicht den Atem raubt, nicht eine Täuschung oder nur das Produkt unserer Sinnesorgane sein kann. Sondern sie sind transsubjektiv wirklich wahr als innere Vorstellungen einer äußeren Wirklichkeit, die es nur zu entdecken gilt. Eine Weise, dies sprachlich auszudrücken, ist der (theistische) Glaube an Gott oder Götter. Aber dieses sei nicht die einzige Weise. Insofern umgeht Dworkin den Fehler vieler religiöser und auch atheistischer Absolutheitsansprüche, die neben ihrer eigenen Position andere nicht gelten lassen. Dieser Weg wäre auch das Ende einer liberalen Grundordnung und des menschlichen Rechts auf Religionsfreiheit. Dworkin spannt einen weiten Bogen von der Physik über die Politik bis hin zum Recht und erkundet in diesen menschlichen Bereichen den Perspektiv312 Der Anklang an Kants Beschluss der Kritik der praktischen Vernunft ist unüberhörbar: „Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: Der bestirnte Himmel über mir, und das moralische Gesetz in mir. Beide darf ich nicht als in Dunkelheiten verhüllt, oder im Überschwenglichen, außer meinem Gesichtskreise, suchen und bloß vermuten; ich se|he sie vor mir und verknüpfe sie unmittelbar mit dem Bewußtsein meiner Existenz“ (KpV, AA 05, A 289.290). 313 Auch die Mathematik und die Naturwissenschaften beruhen auf einem Glauben. Auch diese empfinden eine Gewissheit, die sie für unumstößlich halten (R. DWORKIN 2014, 26).

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wechsel, der mit solch einem gottlosen Verständnis von Religion verbunden ist. Das ist, wie der Blick in die problemgeschichtliche Darstellung gezeigt hat, kein neues Unternehmen und in der religionstheoretischen Debatte nicht so originell, wie es Verlagsprospekte oder Medien gerne darstellen. Doch es ist wieder, wie 1966, ein Zeichen dafür, dass komplexe theologische oder religionstheoretische Diskurse nur schwer den Weg aus ihrem Binnenmilieu finden und aktiv in die öffentlichen Debatten eingebracht werden. Zugleich ist es ein Zeichen dafür, dass im allgemeinen Verständnis Religion und theistischer Gottesglaube immer noch untrennbar zusammengehören. Diese Sicht will Dworkin im Blick auf den US-amerikanischen Kontext aufsprengen und unterscheidet sich dabei von Vertretern des „New Atheism“ wie Richard Dawkins durch einen grundsätzlich konstruktiven Zugang zur Religion, der in seinem weiten Religionsbegriff und in seinem Plädoyer für einen religiösen Atheismus zum Ausdruck kommt. In drei Fragestellungen entfaltet Dworkin seinen Gedankengang. Er fragt zunächst danach, wie ein religiöser Atheismus aussieht (11–46). Im Zusammenhang mit der Beschreibung der Suche der Astrophysik nach einer „Grand Unified Theory“ blickt er auf das „Universum“ (47–94). Und schließlich geht es ihm um die komplexe verfassungsrechtliche Frage des Rechts auf „Religionsfreiheit“ (95–131) im Blick auf die Verfassungen, die Gottesfrage und die neuen Religionskriege. Er muss feststellen, dass mit einer Weitung des Religionsbegriffs und der Loslösung vom Gottesglauben das Problem jedoch noch größer wird. Mit einer Reflexion über „Tod und Unsterblichkeit“ (132– 140) schließt das Vermächtnis des religiösen Atheisten ab. (3) Für Dworkin ist Religion etwas Tieferes als Gott. Schon mit dieser Gott relativierenden Umkehrung des traditionellen Verhältnisses von Gott und Religion unterscheidet er sich von den Religionsvertretern, Gläubigen und Theologen, für die Gott selbstverständlich etwas Tieferes als Religion und Religion synonym mit Unglauben ist. Doch sein Ziel als Jurist ist dabei eine liberale Gesellschaftsordnung, in der sich gottesfürchtige und gottlose Religiöse friedlich begegnen können. Mit Hilfe seines weiten Begriffs von Religion möchte Dworkin dazu beitragen, die weit verbreitete „Überzeugung besser zu verstehen, dass Menschen ein besonderes Recht auf Religionsfreiheit haben“ (29). Das Recht auf Religionsfreiheit (115–122) begreift Dworkin nicht mehr als „spezielles Recht“, das sich durch einen besonderen Schutz gegen staatliche Eingriffe auszeichnet, sondern als „allgemeines Recht“, das eine Art „ethische Unabhängigkeit“ (118.119) garantiert. Das würde dem Staat mehr Möglichkeiten bieten, die Freiheit der Religionsausübung in bestimmten Fällen einzuschränken (118), wenn andere Rechtsgüter schwerer wiegen (117).314 Religion versteht Dworkin daher als „sehr grundlegende, spezifische und umfassende Weltsicht, die besagt, dass ein inhärenter, objektiver Wert alles durchdringt, dass das Universum und seine Geschöpfe Ehrfurcht gebieten, dass das 314

Zu den Beispielen vgl. R. DWORKIN 2014, 115–122.

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menschliche Leben einen Sinn und das Universum eine Ordnung hat. Der Glaube an einen Gott ist nur eine der möglichen Manifestationen oder Konsequenzen dieser tieferen Weltsicht“ (11). Zwar haben Götter im Laufe der Geschichte zahlreiche Zuschreibungen erfahren und damit menschlichen Zwecken gedient: „Sie versprachen ein Leben nach dem Tod, boten eine Erklärung für Stürme und Unwetter und standen uns zur Seite im Angesicht unserer Feinde. Aber zentral für ihre anhaltende Beliebtheit ist die ihnen unterstellte Fähigkeit gewesen, der Welt Wert und Sinn zu verleihen“ (11). Für Dworkin hat dieser Glaube an Gott oder Götter eine Voraussetzung, der er in seinen Überlegungen nachgehen will: „Die Überzeugung, dass Werte auf einen Gott gründen, setzt jedoch voraus [...], sich zuvor auf die unabhängige Wirklichkeit von Werten festgelegt zu haben. Und diese Festlegung steht auch Nichtgläubigen frei. Das bedeutet, dass die Theisten mit manchen Atheisten in etwas übereinstimmen, das grundlegender ist als alles, was sie trennt, und vielleicht den Ausgangspunkt für eine bessere Verständigung zwischen ihnen bilden könnte“ (11). (4) Mit dieser Weitung der Perspektive öffnet Dworkin auch für die Theologie den Blick über den interreligiösen Dialog hinaus auf den Dialog mit Atheisten oder Konfessionslosen. Dieser Dialog wird für die Zukunft des Christentums und seine Institutionen von maßgeblicher Bedeutung sein. Theologisch hat er bislang wenig Aufmerksamkeit erhalten.315 Gegenseitige Berührungsängste können zugunsten einer gesellschaftlichen Wohlordnung abgebaut werden. Auch die Unterscheidung zwischen Glauben und Unglauben wird hier in einer bestimmten Weise transzendiert, die nicht zu einer herkömmlichen Degradierung der „Ungläubigen“ führt, sondern zu einem Dialog auf Augenhöhe, der die Gemeinsamkeiten angesichts der globalen und lokalen Herausforderungen herausstellt. Damit weitet diese Sicht wiederum den Diskursraum der Theologie, insofern sie den vielgestaltigen Atheismus konstruktiv in die Religionshermeneutik einbezieht. Auch für Dworkin ist die geläufige Unterscheidung zwischen religiösen und nichtreligiösen Menschen zu grob. Sie kann nicht differenziert wahrnehmen, dass auch die vielen Millionen Menschen, die sich als Atheisten bezeichnen, Erfahrungen machen oder Überzeugungen anhängen, die aus der Perspektive von Gläubigen als „religiös“ eingestuft werden (12). Das kann die Überzeugung von einer „Macht“ im Universum sein, die größer ist als wir, aber nicht mit einem personalen Gott gleichgesetzt wird. Im Blick auf ihr eigenes Leben verspüren viele eine unausweichliche Verantwortung, ihr Leben auf eine gute Weise zu führen und die Leben anderer Menschen entsprechend zu achten. Auch ein aus ihrer Sicht gelungenes Leben erfüllt

315 Vgl. aber M. D OMSGEN/D. EVERS 2014; M. R OSE/M. W ERMKE 2014 und jetzt auch den Grundlagentext der Kammer der EKD für Bildung und Erziehung, Kinder und Jugend: Religiöse Bildung angesichts von Konfessionslosigkeit (2020).

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diese Menschen mit Stolz. Manche von ihnen können auch untröstlich sein, wenn sich das eigene Leben im Rückblick als ein vertanes herausstellt. Auch Atheisten sind beim Anblick des Grand Canyon (47) nicht nur einfach beeindruckt, sondern sie verspüren in dieser Begegnung etwas Atemberaubendes, das sie als fast schon unheimliches Wunder der Natur begreifen. Ebenso stoßen die neuen Erkenntnisse der Kosmologie nicht nur auf ihr sachliches Interesse, sondern bannen sie existentiell. All diese Begegnungen mit den Wundern der Natur und den unendlichen Weiten des Universums sind für sie mehr als eine unmittelbare und nicht weiter erklärbare Reaktion der Sinnesorgane: „Sie verleihen der Überzeugung Ausdruck, dass die Kraft oder Macht und das Wunderbare, das sie wahrnehmen, ebenso wirklich sind wie Planeten oder Schmerzen, und dass moralische Wahrheiten und die Wunder der Natur nicht nur Achtung und Ehrfurcht in uns hervorrufen, sondern fordern“ (12). Diese vielschichtige Grundhaltung dient nicht nur als Grundlage für weitere poetische Beschreibungen,316 sondern auch als Basis für Dworkins Religionsverständnis, das sich anschließt an Theorien religiöser Erfahrung, die Raum für einen religiösen Atheismus lassen.317 Die Verantwortung, ein gutes Leben zu führen, ist für den Atheisten in nichts verankert, was noch grundlegender wäre (13). Auch Atheisten haben „das starke Gefühl, dass das Leben Wert, Sinn und etwas Geheimnisvolles hat“ (29). Statt den Religionsbegriff für Theisten zu reservieren, plädiert Dworkin dafür, das „Hoheitsgebiet der Religion“ zu erweitern und Atheisten einzubeziehen. Nur auf diese Weise tritt hervor, wie bedeutsam die Gemeinsamkeiten sind (15). Für Dworkin ist klar, dass sich hinter jeder Begriffsbestimmung eine (subjektive) Interpretation versteckt. Der Hintergrund für ihn, sich mit Religion zu befassen, liegt im Fluch der religiösen Auseinandersetzungen, die „wie Krebs“ (17; 123–131) auf unserer Spezies lasten. Diese Streitigkeiten können zu militärischen Auseinandersetzungen führen, mit dem Ergebnis, dass Menschen andere Menschen umbringen, weil sie deren Götter hassen. In den USA werden religiöse Auseinandersetzungen auf allen Ebenen der Politik ausgefochten. Von den Präsidentschaftswahlen bis hinunter zu den lokalen Schulbehörden. Hier wird der Streit aber nicht zwischen den Anhängern verschiedener Kon316 Dworkin nennt hier das o.g. Einstein-Zitat und den englischen Dichter Percy Bysshe Shelley. Auf Schleiermachers Religionsbegriff („Anschauen des Universums“) geht Dworkin nicht ein. Neben Einstein setzte er sich mit William James, Rudolf Otto, Paul Tillich und Spinoza auseinander. Zu den beiden Letztgenannten vgl. den Abschnitt „Nichtpersonale Götter: Tillich, Spinoza und der Pantheismus“ (R. DWORKIN 2014, 36–46). Klarer wären nach Dworkin Pantheisten, die nicht an einen personalen, dafür aber an einen nichtpersonalen Gott glauben, als religiöse Atheisten zu bezeichnen (a. a. O., 46). 317 Der Oberste Gerichtshof der USA hat bereits 1965 entschieden, dass die Gewissensentscheidung, den Kriegsdienst zu verweigern, auch für Atheisten gilt. Vgl. R. DWORKIN 2014, 14, Anm. 4. Ferner gilt die freie Religionsausübung für den Buddhismus, den Taoismus, die Ethische Bewegung und den säkularen Humanismus. Vgl. a. a. O., 14, Anm. 5.

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fessionen gottesfürchtiger Religionen ausgetragen, sondern strenggläubige Menschen und von ihnen als unmoralische Heiden betrachtete Atheisten stehen sich unversöhnlich gegenüber. In ihrer wachsenden Zahl sehen die Strenggläubigen in den Atheisten eine Gefahr für die moralische Gesundheit und Integrität der politischen Gemeinschaft (17). Religionskriege zeigen sich hier als Kulturkriege (18). Wie schon in den verschiedenen Abschnitten dieses dritten Kapitels über die US-amerikanische Lage zeigt sich auch hier wieder die Gefahr, die in den USA von religiösen Eiferern und ihrem großen politischen Einfluss ausgeht („New Religious Right“). Da die Vereinigten Staaten immer noch der wichtigste global player sind, hat diese Situation immer auch weltpolitische Dimensionen. Der militante „Neue Atheismus“ dagegen ist zwar politisch machtlos, aber dennoch kommerziell ziemlich erfolgreich, was vor wenigen Jahren in den USA noch undenkbar gewesen wäre. (5) In diesem Kontext sucht Dworkin danach, Religion und Gott konstruktiv auseinander zu dividieren (18). Er möchte zu fassen bekommen, worin die religiöse Haltung wirklich besteht und warum sie ein übernatürliches Wesen weder erforderlich macht noch voraussetzt. Dazu unterscheidet er zwischen „wissenschaftlichen“ Fragen „orthodoxer theistischer Religionen“ und ihren Wertkomponenten (18). Der Bereich der Werte hängt nicht von der Existenz oder Wirkungsgeschichte eines Gottes ab. Er kann es auch gar nicht. Die Einsicht in diese Unterscheidung würde zu einem Ende der Kulturkriege führen. Doch die Hassgefühle sitzen wohl zu tief, um eine Aufgeschlossenheit für philosophische Argumente zu erwirken: „Aber vielleicht kann ein bisschen Philosophie doch helfen“ (19). Vielleicht. Nicht mehr – und auch nicht weniger (131). Und so macht sich Dworkin auf, die Grundlagen dieser religiösen Haltung zu klären. Diese Haltung erkennt die „vollständige und eigenständige Wirklichkeit von Wert(en) an“ (19). Unhintergehbare Voraussetzung für diese religiöse Haltung ist die Anerkennung von zwei grundlegenden Werturteilen als objektiv wahr. Erstens: Das menschliche Leben hat einen objektiven Sinn oder eine objektive Bedeutsamkeit. Jeder Einzelne hat eine angeborene und unausweichliche Verantwortung, danach zu streben, sein Leben zu einem erfolgreichen zu machen. Ein gutes Leben zu führen heißt, anzuerkennen, dass man sich selbst gegenüber in ethischer Hinsicht und Anderen gegenüber in moralischer Hinsicht verpflichtet ist. Das ist nicht zufällig, sondern an sich wichtig, unabhängig davon, ob wir so denken oder nicht (19). Am Ende des Buches lässt Dworkin durchblicken, dass er der romantischen Idee, wonach die Sterblichkeit die Menschen herausfordere, aus ihrem Leben ein Kunstwerk zu machen und etwas Gutes zustande zu bringen (139), einiges abgewinnen kann. Es müssen daher nicht unbedingt die großen Lebenskunstwerke sein, die uns Unsterblichkeit verleihen und mit Gelassenheit auf den Tod blicken lassen, wenn wir eine solche Leistung als erstrebenswert empfinden:

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„Wenn man etwas Kleines meistert, wenn es uns gelingt, einer Melodie, einer Rolle oder den Spielkarten, die wir auf der Hand haben, gerecht zu werden, wenn wir jemanden mit einem Trick oder einem Kompliment überraschen, wenn wir einen Stuhl zimmern, ein Sonett schreiben oder lieben –, dann fühlen wir eine Zufriedenheit, die in sich abgeschlossen ist. Alle diese Leistungen gehören zum Leben dazu. Warum sollte nicht auch ein Leben selbst als eine solche eigenständige Leistung begriffen werden können, deren spezifischer Wert darin zum Ausdruck kommt, ob man sozusagen ein guter Lebenskünstler ist?“318

Zweitens: Das Universum, also das, was umgangssprachlich als „Natur“ bezeichnet wird, ist in seinem Ganzen und in allen seinen Teilen nicht nur ein Tatsachenzusammenhang, sondern selbst erhaben: „intrinsisch wertvoll und ein Wunder“ (19). Inhärente Werte finden sich so in beiden Dimensionen des menschlichen Lebens, dem biologischen und biographischen. Als körperliche Wesen mit einer begrenzten Lebensdauer sind wir Teil der Natur. Doch als Gestalter unseres Lebens stehen wir außerhalb der Natur. Die Summe unserer Entscheidungen gibt Auskunft darüber, was wir aus unserem Leben gemacht haben. Auch wenn für viele Menschen zur Religion noch mehr als diese beiden Werte gehören, wie zum Beispiel gottesdienstliche Rituale, der Bundesgedanke, die Theodizeefrage oder die Gottebenbildlichkeit, sieht Dworkin dieses beides, den intrinsischen Sinn des Lebens und die intrinsische Schönheit der Natur, als paradigmatisch für eine im vollem Sinne religiöse Einstellung zum Leben an (20). Diese beiden Werte berühren die gesamte Persönlichkeit eines Menschen und prägen unser Leben umfassend. Zu dieser religiösen Einstellung gehört es, den Naturalismus abzulehnen, der nur das als real anerkennt, was von den Naturwissenschaften, inklusive Psychologie, untersucht wird. (6) Dworkin lehnt wie Janke eine praecisio mundi ab, die genau genommen so etwas wie ein gutes Leben, Gerechtigkeit, Grausamkeit oder Schönheit als nicht wirklich ansehe (21). Für manchen Naturalisten und Nihilisten sind Werte bloße Illusionen. Andere denken, dass Werte zwar in einem gewissen Sinne existieren, aber eben vollkommen abhängig von menschlichen Gedanken oder Reaktionen (21.22). Für Dworkin sind Werte ebenso wirklich wie Bäume und Schmerzen (22). Die religiöse Einstellung und ihre Metaphysik der Werte steht damit quer zu allen Spielarten des Naturalismus, aber sie steht auch gegen die Varianten eines Begründungsrealismus oder bedingten Realismus („grounded realism“) wie dem Theismus. Dworkin lehnt deren Annahme ab, dass es Werturteile nur dann geben kann, wenn es einen unabhängigen Grund zu der Annahme gibt, dass Menschen zu stichhaltigen moralischen Urteilen in der Lage sind. Werte werden so zu einer Geisel der Biologie oder Metaphysik (23). Doch die religiöse Haltung beharrt auf der vollen Unabhängigkeit der Werte (24). Die Welt der Werte ist autark und selbst beglaubigend. Daher kommt für Dworkin der Konsens auch nicht als externe Validierung in Frage (25): „Wenn Werte etwas Objektives sind, dann ist es für die Wahrheit eines 318

R. DWORKIN 2014, 139 zitiert sich hier selbst aus 2012, 336.

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bestimmten Werturteils oder dafür, ob wir eine Verantwortung haben, es für wahr zu halten, irrelevant, ob wir uns hinsichtlich dieses Urteils einig sind. Die Erfahrung zeigt wohl oder übel, dass die Menschheit in der Lage ist, enorme Meinungsverschiedenheiten im Hinblick auf moralische, ethische oder ästhetische Wahrheiten zu überleben.“ Für die religiöse Haltung ist „Dissens kein wirkliches Problem“ (26). Diese religiöse Haltung beruht letztlich auf Glauben. Im speziellen Fall der Werte müssen sich diese auch richtig anfühlen, uns emotional überzeugen und uns als ganze Person ergreifen (27). Wertüberzeugungen sind komplexe, emotionale Erfahrungen sui generis. Und gerade deswegen verbinden sie die gottlose und die gottesfürchtige Religiosität (35). Die theistische Vorstellung eines unbedingten und ahistorischen Realismus, dass ein Gott einen Sensus für Werte, sei es die für die Verantwortlichkeiten im Leben, sei es für die Wunder im Universum, habe und diese beglaubige, ist für Dworkin noch in weiterer Hinsicht nicht überzeugend. Für seinen weiten Religionsbegriff muss er die klassische theistische Religion in zwei Komponenten teilen: in einen wissenschaftlichen Teil und einen Werteteil. Im „wissenschaftlichen Teil“ werden Antworten auf die wichtigsten Tatsachenfragen gegeben. Über die Entstehung und Geschichte des Universums, den Ursprung des menschlichen Lebens und über das Leben nach dem Tod. Zwar ist Dworkin selber klar, dass diese Antworten nicht im Sinne ihrer Begründung wissenschaftlich sind, wenn sie besagen, dass ein allmächtiger und allwissender Gott das Universum erschaffen hat, über die Leben der Menschen richtet, ein Leben nach dem Tod zusagt und auf Gebete reagiert, sondern sie sind Aussagen vieler Religionen über das, was für sie der Fall hinsichtlich historischer und aktueller Ursachen und Wirkungen ist. Unter den Gläubigen gibt es solche, die ihre Behauptungen mit Argumenten untermauern, die sie für wissenschaftlich halten, und solche, die sich auf Glaubenssachen oder heilige Schriften berufen. Aber Dworkin nennt diese Aussagen „wissenschaftlich“ in Bezug auf ihren Inhalt und ihren Anspruch (30). Im Wertebereich einer konventionellen theistischen Religion gibt es eine Vielfalt von Überzeugungen, wie das Leben zu gestalten sei und was wir wertschätzen sollten. Manche sind direkt auf Gott bezogen wie Gottesdienst, Gebete oder Gehorsam gegenüber Gott. Doch daneben macht Dworkin religiöse Wertvorstellungen aus, die nicht formal vom Glauben an einen (Schöpfer-)Gott abhängig sind. Das gilt für die beiden Werturteile, die Dworkin als paradigmatisch für eine religiöse Haltung beschrieben hat. Zu ihnen führt kein Weg über Gott. Religiöse Atheisten glauben nicht an einen Gott und lehnen daher den wissenschaftlichen Teil der konventionellen Religionen ab, aber auch die sich daraus ergebenden auf Gott bezogenen Verpflichtungen. Sie stimmen zu, dass es objektiv wichtig ist, wie man sein Leben führt, und denken, dass jeder Mensch von Haus aus eine unveräußerliche ethische Verantwortung hat, ein den Umständen entsprechend möglichst gutes Leben zu führen. Daneben glauben sie auch, dass die Natur nicht nur eine Zusammensetzung von irgendwelchen Teil-

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chen ist, die über eine sehr lange Zeit hinweg irgendwie zusammengewürfelt wurden, sondern etwas intrinsisch Wunderbares und Schönes (31). Für diese objektiven Werturteile ist es irrelevant, ob es einen Gott gibt oder nicht. Als Philosoph geht Dworkin auf das Gespräch mit der Astrophysik ein und teilt ihre Behauptung, dass das Universum von überirdischer Schönheit sei (61): „Es ist Teil jenes Traumes, dass die endgültige Theorie diese Schönheit ausstrahlen wird“ (61). Der Glaube vieler Physiker entspricht damit „jener gefühlten Überzeugung, dass das Universum wirklich von erhabener Schönheit ist, die keines Gottes als ihren Grund oder Urheber bedarf. Auch wenn viele Physiker diese Bezeichnung zweifellos ablehnen würden, handelt es sich bei dieser Einstellung um ein Beispiel für religiösen Atheismus“ (63). Dieses Staunen von Wissenschaftlern ist Ausdruck eines Glaubens der Zwangsläufigkeit, der davon überzeugt ist, dass die empfundene Schönheit des Kosmos ebenso real ist wie Elektronen, Kopfschmerzen oder Galaxien (90). Trotz Rätselhaftigkeit erscheint uns in Kunst, Musik, Dichtung und Wissenschaft vieles als zwangsläufig schön: „Für diejenigen unter uns, die Schönheit für etwas Reales halten, geht die wissenschaftliche Annahme, das Universum sei letzten Endes vollständig verstehbar, mit der religiösen Überzeugung einher, dass es vor wirklicher Schönheit erstrahlt“ (94). Aus dieser kosmischen Schönheit leitet Dworkin unsere (Selbst-)Verantwortung ab.319 (7) Dworkin meint mit seinem platonisch-kantisch anmutenden „Wertehimmel“ zeigen zu können, dass unsere moralischen Überzeugungen nichts Erfundenes sind, sondern etwas Objektives und von uns Entdecktes.320 Unsere ethischen Überzeugungen könnten wir nicht haben, ohne zu denken, dass sie objektiv wahr sind. Hier zeigt ein Platonismus der Kalokagathie gegenüber postmoderner Beliebigkeit seine bleibende Überzeugungskraft. Doch ob dieser Himmel auch auf die Erde kommt, bleibt fraglich. Denn in der Zustimmung zu oder Ablehnung von Dworkins „objektivem Wertehimmel“ zeigt sich die Praktikabilität seiner Ausführungen, die in ihrer Intention hier geteilt werden, aber nicht in ihren Annahmen und Ausführungen. Zwar handelt es sich bei Dworkins Religionsbegriff nicht um die natürliche Religion der Aufklärung – ihm fehlt der Gottesgedanke –, aber auch der religionstheoretische Grundsatz Schleiermachers, dass Religion nur in den Religionen wirklich ist, d. h. dass es keine abstrakte Religion hinter oder jenseits der konkreten Wirklichkeit historisch gewordener Religionen gibt,321 wird von Dworkin aufgehoben. Die Hal-

Das habe, so TH. ASSHEUER 2014, schon lange kein Philosoph mehr behauptet. Darauf macht ebenfalls TH. ASSHEUER 2014 aufmerksam. 321 Vgl. F. SCHLEIERMACHER, KGA I/2, 294: „[...] ich will Euch die Religion zeigen, wie sie sich ihrer Unendlichkeit entäußert hat, und in oft dürftiger Gestalt unter den Menschen erschienen ist; in den Religionen sollt Ihr die Religion entdeken; in dem was irdisch und verunreinigt vor Euch steht die einzelnen Züge derselben himmlischen Schönheit aufsuchen, deren Gestalt ich nachzubilden versucht habe.“ 319 320

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tung des religiösen Atheismus ist deswegen aber nicht abstrakt, individualistisch oder areligiös, sondern durch Selbstverantwortung und Verantwortung für den Anderen in einer Gemeinschaft von Menschen geprägt, die an Gott glauben, und von Menschen, die nicht an Gott glauben, die sich über das sie Trennende den objektiven Werten verpflichtet wissen. Damit liegt mit Dworkins Religion ohne Gott ein beachtlicher Versuch vor, nicht nur im US-amerikanischen Kontext über diesen weiten Religionsbegriff aufzuklären, sondern auch das Recht auf Religionsfreiheit einem Perspektivwechsel zu unterziehen. Es zeigt sich zudem bis heute als eine Seltenheit und akademische Besonderheit, wenn Religion und Gott auseinanderdividiert werden und zudem kosmologische, verfassungsrechtliche und eschatologische Fragestellungen zusammen verhandelt werden.322 Dworkins Werk ist daher als Beitrag zu einer Aufklärung über Religion zu würdigen, um eine erhitzte Debatte zwischen militanten Atheisten und strenggläubigen oder fundamentalistischen Christen aus einem tiefsitzenden hasserfüllten Antagonismus zu befreien und zur Befriedung dieser Kulturkriege über das Trennende hinweg auf die Gemeinsamkeiten hinzuweisen. 6.3.4 The Second Coming of the Death of God: Ein radikaler Gegenentwurf zum religiösen Fundamentalismus (1) In den bislang dargestellten Entwürfen wurde ausdrücklich auf die Gefahr aufmerksam gemacht, die vom globalen Aufstieg des Neofundamentalismus für das Verstehen von Religion und der Rede von Gott ausgeht. In diesem Kontext stehen auch eine Reihe von US-amerikanischen Theologinnen und Theologen, die eine „Wiederbelebung des Todes Gottes“ als Gegenentwurf zum Fundamentalismus fordern. Nachdem die Gott-ist-tot-Theologie in den 1960er Jahren für medialen Aufruhr gesorgt und heftige theologische Abwehrreaktionen erzeugt hatte, wird gegenwärtig die radical theology in den USA unter anderen Vorzeichen wiederentdeckt. Die beiden Bände Resurrecting the Death of God. The Origins, Influence and Return of Radical Theology323 und The Palgrave Handbook of Radical Theology324 fassen dieses neue Interesse zusammen.325 Fast ein halbes Jahrhundert nach der Veröffentlichung der Time-Magazine-Titelstory vom April 1966 wurde die Rede vom Tode Gottes in den 322 Weitere gegenwärtige Beispiele hat Dirk Pilz zusammengetragen D. PILZ 2014: Darunter Herbert Schnädelbachs „frommer Atheismus“ (H. SCHNÄDELBACH 2009) und HansMartin Barths Frage, wie man „konfessionslos glücklich“ (H.-M. BARTH 2013) sein kann. 323 D. J. PETERSON/G. M. ZBARASCHUK 2014. 324 C. D. R ODKEY/J. E. M ILLER 2018. Darin bes. Part I: „Background and Introduction“. Part II stellt 27 prominente Personen der Radikalen Theologie und Part III 25 Themenfelder vor. 325 Zum neuen Interesse im angelsächsischen Bereich vgl. bereits T. G REENFIELD 2006 und S. BRUCE 2002.

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USA wiederentdeckt. Mit dem ebenfalls in roter Schrift auf schwarzem Grund gedruckten Titel Resurrecting the Death of God326 geht es den beiden Herausgebern des Bandes, den lutherischen Theologen Daniel J. Peterson und G. Michael Zbaraschuk, und den Autorinnen und Autoren nun aber nicht nur darum, die Beweggründe und Konstellationen der Gott-ist-tot-Theologien der 1960er Jahre freizulegen, sondern es geht ihnen vor allem um eine konkrete Wiederbelebung der radical theology als eine Option für einen zeitgemäßen Glauben,

326 Vgl. die Beiträge in D. J. PETERSON/G. M. ZBARASCHUK 2014. In einem ersten Teil bietet der Band einen historischen Überblick (The Modern Death of God. Origins and Influence), der insbesondere den Leserinnen und Lesern, die wenig mit der Debatte vertraut sind, einen hilfreichen Einstieg vermittelt. Rosemary Radford Ruether (The Death of God Revisited. Implications for Today) erinnert sich an die Bedeutung der Radikalen Theologie für die Feministischen Theologien und Befreiungstheologien (23–41). John K. Roth stellt in einem wiederabgedruckten (vgl. J. K. ROTH 2012), immer noch wichtigen Beitrag die Aftereffects and Aftershocks of the Holocaust dar (43–57). Auch John B. Cobb Jr. greift auf seinen Debattenbeitrag von 1970 über Altizer zurück, den er mit wenigen, aber kaum weiterführenden Ergänzungen versieht (59–69). Der Mitherausgeber G. Michael Zbaraschuk versucht das verlorene Erbe von William Hamilton (God Is Still Dead. Retrieving the Lost Legacy of William Hamilton) wiederzugewinnen und zeichnet in knappen Zügen drei sich überlappende Phasen („the detective“, „the assassin“, „the artist“) der Entwicklung Hamiltons bis zum Erscheinen des Buches über den posthistorischen Jesus nach (71–82). Bemerkenswert ist Zbaraschuks Vermutung, warum Hamiltons Theologie nach dem „medialen Gegenschlag“ nicht weiter rezipiert worden ist, obwohl sich Befürworter seines Weges gefunden haben. Der institutionelle Druck sei für sie einfach zu hoch gewesen und die individuelle, aber auch die institutionelle Feigheit zu groß: „There is the question of the institutional commitments, which Hamilton himself cites, among those who might perhaps share his views but still needed a seminary job and therefore could not alienate their more conservative supporters. This last point can always be coupled with a critique of the personal and institutional cowardice of some who believe that we are living in the time of the death of God yet fail to proclaim that fact as the most important religious one of the last century.“ (G. M. ZBARASCHUK 2014, 78). Sarah K. Pinnock liefert einen sehr feinsinnigen autobiographischen und theologisch behutsamen Zugang zur Bedeutung von Dorothee Sölles Theologie: Holocaust, Mysticism, and Liberation after the Death of God (83–102), der aus allen Beiträgen des ersten Teils heraussticht und neben einer kulturellen Transferleistung eine sehr gute Einführung in Sölles Denken liefert – von der Stellvertretungstheologie bis zur Wende hin zur Mystik. Im zweiten Teil The Second Coming of the Radical Theology (103–191) des Bandes soll die radikale Theologie als Alternative zu den biblischen Fundamentalismen systematisch weitergedacht werden im Blick auf die Wurzeln der US-amerikanischen Demokratie (Jeffrey W. Robbins: The Death of God and the Politics of Democracy), die Konstitutionsbedingungen der Kirche im Horizont der Akzeptanz des Todes des kenotischen Gottes (Christopher Demuth Rodkey: Extraordinary Ecclesiology. Radical Theology in Practice), den Zusammenhang des Todes Gottes mit der Auferstehung (Clayton Crockett: The Death of God, Death, and Resurrection), die Frage nach einer Rückkehr Gottes nach seinem Tod im Prozess der Schöpfung als Ort göttlicher Relativität (Andrew W. Hass: Becoming) oder die Dämmerung der sich nun dem Ende zuneigenden Zäsuren der Achsenzeit (Lissa McCullough: Twilight of an Axial God).

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und zwar explizit vor dem Hintergrund einer zeitgeschichtlich veränderten Lage. Es handelt sich nicht mehr um die säkulare Gesellschaft der 1950er und 1960er Jahre, deren Glaubensverlust die damaligen radikalen Theologen zu ihren Einsichten einer postchristlichen ,Kultur ohne Gott‘ führte,327 sondern um eine Gesellschaft, die sich, trotz strikter Trennung staatlicher und religiöser Institutionen, durch und durch als religiös versteht.328 Die Beiträge des Bandes wenden sich gegen eine aus ihrer Sicht gefährliche Ideologie,329 in der der Glaube an einen männlichen und gewaltbereiten Gott Präventivkriege billigt und den US-amerikanischen Nationalismus gutheißt. Dieser Glaube sei heutzutage zur Norm in US-amerikanischen Kirchen, im Militär und unter konservativen Politikern geworden.330 In dieser Situation sei die Rückkehr der radikalen Theologie nun das Gebot der Stunde, um dem Leben eines solchen Gottes ein Ende zu bereiten.331 Die Herausgeber schließen sich damit auch an Mark C. Taylors Analyse an,332 für den die amerikanische und globale Rückkehr der Religion in besonderem Maße ein Aufstieg des Fundamentalismus ist: „It is the rise of Christian fundamentalism in America that concerns us (the editors of this volume) specifically.“333 Aber nicht nur im US-amerikanischen Kontext benötigen die ,Rückkehr der Religion‘ in ihrem (neo-)fundamentalistischen Gewand und das Erstarken der evangelikalen Form des Christentums das aktive Gegengewicht einer radical theology mit ihrer religions- und kulturkritischen Deutungskraft der Rede vom Tode Gottes. Durch das Erstarken der religiösen Fundamentalismen und insbesondere des fundamentalistischen protestantischen Christentums sehen die neuen radikalen Theologinnen und Theologen bürgerliche Freiheitsrechte, kritisches Denken, wissenschaftlichen Fortschritt und nicht zuletzt demokratische Prinzipien massiv bedroht.334 Insbe327 D. J. PETERSON 2014, 5 stellt die besondere Bedeutung von Tillichs Terminus „God above God“ für Altizer und Hamilton, für Mary Daly, Rosemary Radford Ruether und J. A. T. Robinson heraus, der bleibt, wenn der Gott des Theismus sich verabschiedet hat. 328 Zehn Jahre später berichtet Newsweek über den Zulauf zu den evangelikalen christlichen Bewegungen. Das führt zu der Frage: „Why did this apparent reversal occur in such a short span of time?“ (M. C. TAYLOR 2007, 1.2). 329 Im Anschluss an W. H AMILTON 1989h. 330 Vgl. D. J. PETERSON 2014, 2. 331 D. J. PETERSON 2014, 3: „Radical theology may have been crucified and abandoned by popular culture shortly after its inception, but its return today is absolutely imperative.“ 332 Vgl. M. C. TAYLOR 2007, 131. Taylor spricht für die Vereinigten Staaten seit den 1970er Jahren auch von „the Fourth Great Awakening“ (vgl. M. C. TAYLOR 2007, 130). 333 D. J. PETERSON 2014, 17. 334 Instruktiv dazu der Beitrag von Jeffrey W. Robbins, Professor of Religion und Chair of the Department of Religion and Philosophy sowie Director of American Studies am Lebanon Valley College in Annville, Pennsylvania, verheiratet mit Noëlle Vahanian, der Tochter von Gabriel Vahanian. Sein programmatischer Aufsatz behandelt die Korrelation der politischen bzw. demokratischen Revolution und die Bedeutung der Religion. Robbins untersucht die theologischen Implikationen von Alexis de Tocquevilles berühmtem Satz über die

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sondere der christliche Fundamentalismus sei eine destruktive Kraft in der Kultur, die die ungerechte Macht der Unterdrücker heiligt, die Anhäufung persönlicher Reichtümer auf Kosten anderer gutheißt, den göttlichen Vorsehungsgedanken gegen alle wissenschaftlichen Erkenntnisse herausstellt, die ,Dritte Welt‘ ignoriert und ,das‘ Evangelium und weltliche Reichtümer allein für sich reklamiert.335 (2) Schweigen oder Indifferenz seien angesichts dieser Lage keine Optionen mehr. Die progressive und liberale Theologie in den USA solle nicht noch einmal in der Versenkung verschwinden und biblizistischen, fundamentalistischen und evangelikalen Theologien kampflos das Feld überlassen, die zudem Eigenarten der amerikanischen Demokratie. Fast ein halbes Jahrhundert vor Nietzsches Proklamation des Todes Gottes sieht Tocqueville die Demokratie bereits als politischen Ausdruck des Todes Gottes („political instantiation“) an: „,The people reign over the American political world like God over the universe. It is the cause and aim of all things, everything comes from them and everything is absorbed in them.‘“ (Zit. n. J. W. ROBBINS 2014, 105). Die Demokratie, also die Übernahme der Herrschaft durch das Volk, ist nicht nur das Ende der göttlichen Rechte der Könige, sondern bedeutet auch den Tod eines Gottes, der als überweltliche Autorität verstanden wurde, die über die irdischen menschlichen Angelegenheiten geherrscht oder diktatorisch regiert hat. In einem demokratischen Zeitalter zu leben, heißt auch, dass es keinen Gott mehr gibt, der uns retten kann (J. W. ROBBINS 2014, 105). Doch die Gefährdung der Demokratie ist gleichermaßen evident in der westlichen politischen Geschichte, wie Robbins im Anschluss an Jacques Rancières formuliert, der einen „Haß auf die Demokratie“ („hatred of democracy“) herausgearbeitet hat. Robbins’ These lautet nun: „With Tocqueville as our case in point, we might say that to understand and to embrace more fully and truthfully the politics of democracy, we must first be prepared to profess the theology of the death of God. Anything less belongs to the logic of the hatred of democracy“ (J. W. ROBBINS 2014, 106). Ausgangspunkt ist Tocquevilles Analyse, dass die amerikanische demokratische Revolution den Tod Gottes evoziert hat durch die Übertragung der göttlichen Regierungsgewalt, die einst die Macht des Königs über das Volk legimiert hat, auf das Volk selber. Das bedeutet, dass die Demokratie, soziopolitisch gesehen, Gott seiner göttlichen Macht enthebt, durch die Aufteilung dieser in einem „Leib“ von Bürgern, die sich nun selbst regieren. Diese kenotische Annihilation Gottes als des Herrn über die Welt, ein zentrales Anliegen der Theologie Altizers, zeigt sich damit bereits an den Wurzeln der amerikanischen Demokratie. Für Tocqueville selber war diese Entwicklung nicht erfreulich. Doch für Robbins zeigt sie sich im Rückblick als eine gute Nachricht. Denn der Tod eines Gottes, der „über“ uns Macht hat und sich als Konstrukt erweist, befreit uns dazu, die Welt in politischer, religiöser oder anderer Sicht als das zu sehen, was wir aus ihr machen (J. W. ROBBINS 2014, 115). Und dazu zählt auch, dass die demokratische Revolution für eine freie, gerechte und gleiche Gesellschaft niemals vollendet ist, sondern immer wieder neu in Angriff genommen werden muss (J. W. ROBBINS 2014, 116). Diesen Prozess im Sinne eines Priestertums aller Gläubigen, der Anerkennung einer nicht-restriktiven bzw. nicht-doktrinären freien Religionsausübung sowie der (Re-)Integration von entgrenzter maßloser Religiosität kritisch-konstruktiv zu begleiten, kann der Beitrag der Religion sein zu einer demokratischen Wohlordnung der Gemeinschaft (J. W. ROBBINS 2014, 120). Vgl. auch J. W. ROBBINS 2003; 2004; 2007 und jetzt zu einer radical political theology J. W. ROBBINS 2016. 335 D. J. PETERSON 2014, 3.

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ein massives ökonomisches und politisches Interesse hegen.336 In der Wiederbelebung der Rede vom ,Tode Gottes‘ sehen die neuen radikalen Theologen eine gewichtige Möglichkeit, die destruktiven Ideologien unserer Zeit herauszufordern.337 Die Radikale Theologie stehe jetzt vor der Aufgabe, den ,Tod Gottes‘ in Zeiten des Glaubenszuwachses zu verkünden. Kurz gefasst heißt ihre Aufgabe: ,Gottesmord‘. Gemeint ist mit dieser Kampfansage der Mord an dem Gott des konventionellen Theismus, dem personalen Gott, der sich, je länger er lebt, als gefährlicher denn je herausstellt.338 Damit einher geht eine Aufforderung zu einer Neubesinnung339 über die künftige Aufgabe lutherischer Theologie angesichts des „current cultural slumber“, der von einem unkritischen Konservativismus ausgelöst wurde340 und sich als „a culture of misguided faith“341 zeigt. William Hamiltons Theologie gilt hier als Vorbild, den Fundamentalismus zu bekämpfen,342 und Altizers Theologie der Selbstentäußerung Gottes in die Welt und der Anerkennung der dunklen Seiten Gottes bietet eine theologische Rahmentheorie, um den „bad faith“ (Altizer) der Fundamentalisten zu verstehen, die die Augen vor der irdischen Realität verschließen und auf einen imaginierten Gott in einem selbsterschaffenen Himmel schauen.343 Die neue Radikale Theologie versteht sich vor diesem Hintergrund als aktive Kampfansage, um die Götter der fundamentalistischen Christen „auszurotten“ („eradicate“),344 insofern sie die bürgerlichen Freiheiten bedro336 Vgl. D. J. PETERSON 2014, 2: „Megachurches thrive. Christian radio bombards America with preaching that calls for the ,personal acceptance‘ of Jesus Christ, and popular ministers [...] reach millions of people through television, the internet, and other forms of media. Even the appearance of the new atheism and with it a plea to reject faith in the name of reason presupposes the ubiquiety of belief. To say, then, that ,religion is making a comeback‘ as the New York Times did in 1997, would now be passé. Religion at the dawn of the third millenium has arrived, and it is big business.“ 337 D. J. PETERSON 2014, 14.15: „Those in our culture who speak on behalf of such gods demand the sacrifice of free and critical thinking. They call their listeners to deny the claims of science, to turn a deaf ear to climate change, and to ignore people of the third world (as evident in the prosperity gospel) who suffer so that their audiences can heap up mounds of material wealth in their god’s name for themselves. Many justify violence and war, and they do so – without flinching – in the name of God, Family Values, and Jesus Christ. Resurrecting the death of God marks one way to challenge the idols of our age.“ 338 Im Anschluss an W. H AMILTON 1989h; zur Motivgeschichte vgl. F. REITINGER 1997. 339 Vgl. D. J. PETERSON 2014, 15: „It calls us to think more deeply about how we understand ourselves and our experience in relation to whatever it is we deem ultimate.“ 340 Vgl. B. SCHROEDER 2004a, x: „even a ,rude awakening‘ [...] from our current cultural slumber, induced by an uncritical conservatism.“ 341 D. J. PETERSON 2014, 3. 342 Vgl. G. M. ZBARASCHUK 2014. 343 Doch leider, so Altizer, sei dieser Himmel leer, und dieser Gott existiere nicht. Vgl. D. J. PETERSON 2014, 8.9. 344 D. J. PETERSON 2014, 3. Die martialische Sprache an dieser Stelle zeigt die Fassungslosigkeit der Autoren über die massive Bedrohung durch den Fundamentalismus, darf aber

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hen, das kritische Denken, den wissenschaftlichen Fortschritt und die demokratischen Prinzipien. Das ist ein mutiges Signal an die (liberale) Theologie, sich dieser massiven Herausforderung und dieser religiös fehlgeleiteten Gegenbewegung zur Moderne zu stellen und Aufklärungsarbeit über Religion über die universitären und kirchlichen Grenzen hinaus zu leisten. Doch die Radikale Theologie könne nur im Untergrund agieren. Sie habe in Amerikas Politik und Kultur an Boden verloren gegenüber einer biblizistisch und evangelikal orientierten Theologie. Mit der Rede vom Tod Gottes möchte sie einen Kampfbegriff etablieren, um die destruktiven Ideologien der Gegenwart herauszufordern. Der Band macht auf zweierlei aufmerksam: Auf die unerledigten Anfragen der Gott-ist-tot-Theologie und auf die Herausforderung des Fundamentalismus für die Errungenschaften der Moderne: Kritik, Freiheit und Demokratie. Darüber hinaus plädiert er für die Notwendigkeit einer systematischtheologischen Entfaltung einer neuen radikalen Theologie. Der Band ist aber nicht bloße Fortschreibung von Altizers Theologie, Kampfansage an den Fundamentalismus oder an einen oberflächlichen Neuen Atheismus, sondern auch eine Aufforderung zu einer schöpferischen Selbstbesinnung in den Bahnen radikaler Theologie. Er sucht neue Wege eines gottoffenen und gottlosen Diskurses zu gehen, der, wie auch immer, seinen Ausgang für eine theologische Reflexion beim Schweigen Gottes nimmt.345 6.3.5 After the Death of God the Father: Feministische Theologie jenseits des Patriarchats (1) Eine andere und neue Theologie, die Ende der 1960er Jahre erscheint, an deren Spitze eine Reihe von Nordamerikanerinnen gestanden hat und die bis heute weltweit weiterentwickelt wird, ist die Feministische Theologie. Sie findet in ihrer Blütezeit in den 1980er Jahren auch Eingang in die westeuropäische Diskussion und entfaltet mit ihrer ideologischen Kritik am Wahrheitsgehalt der herrschenden Tradition, anders als die Gott-ist-tot-Theologie, von der sie zum Teil mitgeprägt ist, eine breite Wirkungsgeschichte, die jedoch auch zu heftigen Kontroversen mit der universitären Theologie und kirchenleitenden Stellen geführt hat.346 Das Verlangen nach Befreiung und selbstbestimmtem Leben, nicht nur antagonistisch bleiben, sondern muss auch einen Weg aus diesem Gegensatz in die Zukunft weisen. 345 Vgl. D. J. PETERSON 2014, 16. 346 Vgl. für Westdeutschland exemplarisch nur das 1987 von der Württembergischen Landessynode angefragte sog. Tübinger Gutachten zur Feministischen Theologie (1990; 1991) und die Stellungnahme der nordelbischen Bischöfe [Peter Krusche, Karlheinz Stoll und Ulrich Wilckens] zum Thema „Feministische Theologie“ vom 1. Juli 1985, in der sie die Gefahr einer Verkürzung und Verflachung der Theologie sehen, „wo die patriarchale religiöse Symbolik gerechtfertigt wird als ,unveränderbares Zeugnis von Gott, dem es gefallen hat, sich so und nicht anders zu offenbaren‘ (These 7)“. So die Deutung von Dorothee Sölle in

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das die Frauenbewegung antrieb, zeigt sich ebenso in der ungefähr zeitgleich zum Vorschein kommenden Black Power-Bewegung und Black Theology of Liberation in den USA347 und in der Befreiungstheologie in Lateinamerika, Afrika und Asien. Wie diese gesellschaftskritischen politischen Theologien ist auch die Feministische Theologie durch eine Vielfalt von Ansätzen gekennzeichnet, die sich in Grundsätzen unterscheiden können, aber auch von Gemeinsamkeiten und Überschneidungen gekennzeichnet sind.348 Sie erstreckt sich von radikalen christentumskritischen Vertreterinnen, die sich von der normativen Geltung der jüdisch-christlichen Tradition verabschieden und sich anderen Religionen und mystisch-paganen Naturfrömmigkeiten zuwenden, die die lebenspendende Kraft von Göttinnen betonen, bis zu Theologinnen, die auf der Suche sind nach Reformen für die Kirche oder radikalen feministischen Transformationen des Christentums sowie nach neuen exegetischen Erkenntnissen unter Aufnahme religionswissenschaftlicher und ethnologischer Forschungen und eine feministisch-biblische Hermeneutik (des Verdachts, der Verkündigung, des Erinnerns und der kreativen Aktualisierung) entwickeln.349 ihrer Einleitung zu C. HEYWARD 1986, 7 mit Anm. 2 auf Seite 209. Die zwölf Thesen sind abgedruckt in: CH. SCHAUMBERGER/L. SCHOTTROFF 1988, 26–28, Anm. 23. Ähnlich wie bei der Gott-ist-tot-Theologie arbeitet man von Seiten der Amtskirche konfessionsübergreifend, bei mancher sicher berechtigten Kritik, zunächst auch mit einer pejorativen Unterstellungshermeneutik, bevor sich die Feministische Theologie mittlerweile auf evangelischer Kirchenleitungsebene und auch an den Theologischen Fakultäten etabliert hat. 347 Einen kurzen Überblick zu den Protagonisten James H. Cone, Deotis Roberts und Cornel West und weiteres Erschließungsmaterial bietet H. SCHWARZ 2016, 503–506. 348 Vgl. zur Orientierung den Feminist Reader in Religion. Womanspirit Rising C. P. CHRIST/J. PLASKOW (1979) 1992 und Weaving the Visions. New Patterns in Feminist Spirituality J. PLASKOW/C. P. CHRIST 1989 sowie den Überblicksartikel Feminismus/Feministische Theologie (H. MEYER-WILMES u. a. 2000). Zum Folgenden, zu den Themen und Protagonistinnen vgl. neben der Studie Jenseits des Patriarchats von S. JÄGER 2021 auch den Rückblick von Rosemary Radford Ruether in: D. J. PETERSON/G. M. ZBARASCHUK 2014, 23–41. Das Wörterbuch der Feministischen Theologie (E. GÖSSMANN u. a. [1991] 2002 spiegelt in seiner ersten Auflage den Forschungsstand der 1980er Jahre und dokumentiert in der zweiten Auflage, vor dem Hintergrund der Etablierung der Frauen- und Genderstudien an vielen Universitäten, die Fortschreibung der Debatte und die Weitung des Themenspektrums; vgl. dazu u. a. die Artikel Gott/Göttin [a. a. O., 244–265], Patriarchat [a. a. O., 440– 444] und Vater [567–570], dazu auch D. SÖLLE [1982] 1987 und ausgeführt in D. SÖLLE 1990; ferner CH. AXT-PISCALAR 1994 zur „trinitarischen Entzauberung des patriarchalen Vatergottes“; vgl. zur vielgestaltigen Feministischen Theologie J. CH. JANOWSKI 1988 sowie auch den Bericht über die hier nicht weiter erwähnten deutschsprachigen Vertreterinnen der Feministischen Theologie bei J. ROHLS 1997b, II, 794–797 und bei H. FISCHER 2002, 199–206). 349 Vgl. die Einführung in eine feministisch-biblische Hermeneutik Zur ihrem Gedächtnis (am. 1983: In Memory of Her; dt. 1988, hier 49–58) von Elisabeth Schüssler-Fiorenza. Ferner im deutschsprachigen Bereich u. a. auch die Arbeiten von Luise Schottroff und Elisabeth Moltmann-Wendel.

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Grundsätzlich geht es der Feministischen Theologie darum, „die Erfahrungen (von Frauen) sicht- und hörbar zu machen und ins Gespräch mit der Theologie zu bringen, um so nach Befreiungsperspektiven zu suchen.“350 Ein Hauptanliegen der Theorie, Praxis und Bewegung des Feminismus, der in der Nachkriegszeit Teil der zweiten Welle der Frauenbewegung war,351 ist die Kritik des Bildes von Gott als Vater. Dazu gehört die Ablehnung der Herrschaftsform des Patriarchats und von dessen Metaphorik. Mit den Metaphern von Gott als Vater, König und Richter werde die männliche Unterdrückung der Frauen und der Natur in Familie, Gesellschaft, Politik, Kirche und Theologie gerechtfertigt.352 Das bedeutet nicht, dass alle anthropomorphen Vorstellungen über und von Gott „tot“ sind, sondern die feministische Dekonstruktion des Vatersymbols führt im „Abschied vom Männergott“353 und von andromorphen Götterbildern der „Selbstvergottung des Mannes“ zu einer Suche nach vergessenen und (wieder) zu entdeckenden (weisheitlichen) Gottesbildern in der Bibel sowie nach (frauen-)gerechteren und lebensspendenden Symbolen für das Göttliche und seine Transzendenz.354 Zu den maßgeblichen feministischen Theologinnen, die S. JÄGER 2021, 9; vgl. R. RADFORD RUETHER (am. 1983) 1985, 30. Zum Feminismus als „,Tochter‘ der Moderne“ vgl. B. HOLLAND-CUNZ 2018 (hier findet sich weiteres Erschließungsmaterial) und knapp auch S. JÄGER 13.14: Für die gesamtgesellschaftliche und politische Frauenbewegung lassen sich drei Wellen unterscheiden: Nach den Anfängen in der Zeit der Französischen Revolution entsteht eine erste Welle im 19. und frühen 20. Jahrhundert mit den Anliegen Frauenwahlrecht, Möglichkeiten zur Erwerbstätigkeit, Recht auf Bildung und Diskussion über die sittlichen Grundlagen der Gesellschaft. Auch erste theologische Überlegungen zum Zugang von Frauen zu höheren Bildungseinrichtungen oder Forderungen nach Öffnung des Pfarrberufs werden angestellt. Die zweite Welle der Frauenbewegung in den 1960er Jahren war wesentlich gekennzeichnet von Fragen der Emanzipation und Selbstbestimmung. Fragen nach Recht und Gerechtigkeit bestimmen die theologischen Entwürfe. Im deutschsprachigen Römischen Katholizismus erlangen die nachkonziliaren Laienbewegungen und die ökumenische Bewegung große Bedeutung. In den 2000er Jahren formiert sich eine dritte Welle, die mehr postfeministisch und dekonstruktivistisch ausgerichtet ist. Geschlecht wird als Konstrukt infrage gestellt und auf fortbestehende Formen des Sexismus hingewiesen. Jäger unterscheidet drei Typen der feministischen Theologie (a. a. O., 16–19): den Gleichheitsfeminismus, den Differenzfeminismus und den dekonstruktivistischen Feminismus im Anschluss an Judith Butler (Gender Trouble. Feminism and the Subversion of Identity; 1990). 352 Vgl. das Metaphern-Verständnis von M. D ALY (1978) 1988, X. 353 Vgl. die gleichnamige Festschrift für die erste Inhaberin des römisch-katholischen Lehrstuhls für Feminismus und Christentum in den Niederlanden in Nijmegen (1983 bis 1986), die niederländische römisch-katholische Feministische Theologin Catharina J. M. Halkes (1920–2011): J. JÄGER-SOMMER 1995. Halkes Buch Gott hat nicht nur starke Söhne. Grundzüge einer feministischen Theologie (1980) erschien 1988 auch bei der Evangelischen Verlagsanstalt in der DDR. Zu den Motiven für den Protest in der Feministischen Theologie gegen Gott den Vater vgl. C. HALKES 1981. 354 Z. B. entdeckt Virginia Mollenkott in ihrem Buch Gott eine Frau? die Gottheit als gebärende Frau, Gott als stillende Mutter, Gott als Geliebte u. a. m. Vgl. V. R. MOLLENKOTT 350 351

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sich von der patriarchalischen und maskulinen Rede von Gott verabschieden, gehören aus dem US-amerikanischen Bereich u. a. Virginia Ramey Mollenkott (1932–2020), Mary Daly (1928–2010), Rosemary Radford Ruether (*1936), Carol P. Christ (1945–2021) und Isabel Carter Heyward (*1945) sowie Judith Plaskow (*1947), die Begründerin der jüdisch-feministischen Theologie. Bei Daly und Christ führte der Weg der Dekonstruktion des Redens über Gott aus dem Christentum hinaus zu einem paganen Ökofeminismus. (2) Die radikale postchristliche Differenzfeministin Mary Daly355 stammt aus einer irisch-amerikanischen Familie mit römisch-katholischem Hintergrund. Sie wurde wie viele Frauen ihrer Generation von Simone de Beauvoirs (1908–1986) zum Standardwerk avanciertem Buch Le Deuxième Sexe (1949) und dem existentialistischen Freiheitsprogramm eines Lebens als authentischem Entwurf inspiriert.356 Sie machte die Diskriminierung von Frauen und den Sexismus in den als patriarchalisch charakterisierten Institutionen der Kirche, Universität und Gesellschaft öffentlich und setzte sich für die Frauenordination im römischen Katholizismus ein (The Church and the Second Sex; 1968). Ihr zweites Buch Beyond God the Father. Towards a Philosophy of Women’s Liberation357 (1973) ist zu einem maßgeblichen Grundlagenwerk Feministischer Theologie und Kritik des Androzentrismus geworden: „Wenn Gott männlich ist, muß [...] das Männliche Gott sein.“358 Der Tod Gottes des Vaters ist für Daly die Vorbedingung dafür, dass sich eine spezifisch weibliche Identität und Subjektivität bilden kann, die die Unterdrückungsmuster von männlichem Verlangen und Bedürfnis hinter sich lässt.359 Der patriarchale Gott und die patriarchale Christologie360 – zusammen mit der aristotelisch geprägten

(am. 1983) 1984 und die Beiträge in den Sektionen Our Heritage is Our Power und Naming the Sacred in J. PLASKOW/C. P. CHRIST 1989. 355 The Mary Daly Reader informiert über Leben und Werk der Theologin: M. D ALY 2017; vgl. zum Folgenden auch S. JÄGER 2021, 21–28 und D. J. PETERSON/G. M. ZBARASCHUK 2014, 30.31. 356 S. DE B EAUVOIR (1949; dt. 1951; 1992) 1994. Vgl. auch Abschnitt 5.2.1 zu Simone de Beauvoirs Lebensgefährten Jean-Paul Sartre in diesem Buch. Vgl. auch V. BARKER 1999. 357 M. D ALY (1973) 1986; auf Deutsch erschien es 1978 unter dem Titel: Jenseits von Gottvater, Sohn & Co. und erreichte bis 1988 fünf Auflagen; vgl. bereits M. DALY 1968 und 1971 sowie M. DALY 1974. Die englischsprachigen Begriffe und Überschriften im Folgenden stammen aus M. DALY [1973] 1986. 358 M. D ALY (1978) 1988, 33 (M. D ALY [1973] 1986, 19: „If God is male, then the male is God“). 359 Vgl. V. B ARKER 1999, 314. 360 Vgl. zum „Kyriarchat“ und zur Debatte um die Männlichkeit Jesu: „Kann ein männlicher Erlöser Frauen erlösen?“ auch R. RADFORD RUETHER (am. 1983) 1985, 145–170, die hinter kirchen- und theologiegeschichtliche Fehlentwicklungen zurückgeht auf die Verkündigung und das Wirken Jesu, seine Kritik an hierarchischen Strukturen und Zuwendung zu den Marginalisierten und Frauen, und zu der Sicht führt, nach der aufgrund der unvoll-

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Anthropologie, wonach „nur der Mann [...] die menschliche Natur in ihrer ganzen Fülle [repräsentiert], wohingegen die Frau physisch, moralisch und geistig unvollkommen ist“361 – unterdrücke weibliche Gotteserfahrungen und sei destruktiv für Frauen und die gesamte Natur: Daly spricht von der „,most unholy trinity of rape, genocide and war‘“362 als zentralen Eigenschaften des patriarchalen Gottes. Das Ableben dieses so gedeuteten Vatergottes führt bei Daly zur Aufgabe, „,Gott‘ zu entdinglichen [de-reifying God], das heißt, die Konzeption/Wahrnehmung von Gott als ,dem höchsten Wesen‘ [the supreme Being] in Sei-en [Be-ing] zu verwandeln.“363 Ziel Dalys ist die Wiedervergöttlichung Gottes als intransitives Verbum „Be-ing“, das keines Objekts bedarf: „God is a verb“.364 Die „schöpferische Anziehungskraft des Guten“ ist „das Verbum, aus dem, in dem und mit dem sich alle echten Bewegungen bewegen.“365 In diesem Zusammenhang gehört für sie auch die Zurückweisung der klassischen Christologie („Jenseits der Christolatrie. Eine Welt ohne Vorbilder“); so wäre es für sie „logisch gewesen, wenn das weithin publizierte Phänomen des Todes Gottes‘ im 20. Jahrhundert auch einen ,Tod Jesu‘ nach sich gezogen hätte, jedenfalls so, daß die christliche Fixierung auf die Person Jesu transzendiert worden wäre.“366 Daly kommt für sich zum Schluss, dass das Christentum und alle patriarchalen Religionen keine frauengerechten Reformen ermöglichen. Vielmehr habe das Christentum die Ideologie der patriarchalen Herrschaft über Frauen so verinnerlicht, dass nur der Ausweg bleibe, das Christentum hinter sich lassen und zusammen damit alle patriarchalen Ideologien, um durch die „Umwertung aller Werte“ („Transvaluation of Values: The End of Phallic Morality“) in „nachchristlicher Raum/Zeit“367 in antikirchlicher Schwesternschaft („Sisterhood as Antichurch“) in einem kosmischen Bund („Cosmic Covenant“) zu leben.368 Am 14. November 1971 rief sie in einer Predigt in der Harvard kommenen Geschichte der menschlichen Befreiung und Erlösung auch Jesus erlösungsbedürftig sei. Vgl. auch C. HEYWARD 1986, 109–126. 361 R. R ADFORD R UETHER (am. 1983) 1985, 156. 362 Zit. n. R. Radford Ruether in: D. J. PETERSON/G. M. ZBARASCHUK 2014, 31. 363 M. D ALY (1978) 1988, VIII. 364 Vgl. M. D ALY (1978) 1988, VIII–XI. 365 M. D ALY (1978) 1988, XXI; vgl. a. a. O., 220. 366 M. D ALY (1978) 1988, 88–117; hier: 89. Diese „fast universelle Verbreitung dieser Fixierung auf Jesus [...] und das anscheinend zwanghafte Bedürfnis, religiöses Denken, und zwar auch noch das ,radikalste‘, ,christlich‘ zu taufen und zu legitimieren“ sieht sie durch alle theologischen Schulen und Seminare hindurch und bei Altizer. Die christologische „Geisteshaltung“ diagnostiziert sie bei Bultmann, Barth, Brunner, Reinhold Niebuhr und Bonhoeffer sowie bei Tillich, „der anscheinend voll mit Nietzsches Ankündigung von Gottes Tod übereinstimmte [...]“ (a. a. O., 89 mit Verweis auf das Buch Jesus is dead (1971) des „jungen schwarzen Theologen Henry Nicholson“). 367 M. D ALY (1978) 1988, 5. 368 Vgl. die entsprechenden Kapitel 4 bis 6 in M. D ALY (1978) 1988.

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6 Der Tod Gottes als Denkfigur in der US-amerikanischen Theologie

Memorial Chapel alle Frauen und Männer dazu auf, den Exodus aus dem Christentum anzutreten. Als sie die Gemeinde aufforderte, ihr beim Auszug aus der Kirche zu folgen, schlossen sich die meisten Frauen und nur wenige Männer an.369 Ihr schwebte in ihrer wortspielreichen postchristlichen Philosophie der Frauenbefreiung eine alternative feministische Gemeinschaft jenseits von Unterdrückung und Gewalt, Sexismus, Rassismus und Nationalismus eines wahren Lebens im Einklang mit der Natur vor, das mit der ursprünglichen matriarchalen Lebensform übereinstimme, wie sie in C. G. Jungs Lehre von den Archetypen Ausdruck findet (Gyn/Ecology. The Metaethics of Radical Feminism; 1978; Pure Lust. Elemental Feminist Philosophy; 1984).370 Auch bei der „feminist thealogian“ Carol P. Christ führte der radikal christentumskritische Ansatz zu einem Abschied vom Christentum. Sie sah im Christentum eine sexistische und antisemitische Ideologie und setzte zahlreiche Impulse, auch inspiriert durch die Prozesstheologie Alfred N. Whiteheads und Charles Hartshornes, zu einer Goddess-Spiritualität und einem Ecofeminism als Schubkraft für ein gutes Leben im Einklang mit dem Kosmos, den sie als kontinuierlichen Kreislauf von Geburt, Wachstum, Zerfall, Tod und Neugeburt deutet.371 Der mit der Wiederbelebung der Göttinnen auch einhergehende Antagonismus von männlichen und weiblichen Wesensmerkmalen, von Matriarchat und Patriachat, ruft auch grundsätzliche Kritik an der Vorstellung einer mutmaßlich ursprünglichen mythisch-matriarchalischen Gesellschaftsform als vermeintliches „verlorenes Paradies“372 auf den Plan und fordert, die Annahmen der Feministischen Theologie selbstkritisch zu hinterfragen und mittels systematischer Reflexion plausible Urteile zu ermöglichen.373 (3) Die Anglikanerin und Systematische Theologin Carter Heyward, die wie auch Dorothee Sölle von der „offenen Wunde Auschwitz“ und der Tod-GottesTheologie geprägt ist,374 entwirft unter Rückbezug auf den Personalismus des

Vgl. R. Radford Ruether in: D. J. PETERSON/G. M. ZBARASCHUK 2014, 31. Unter dem Titel Gyn/Ökologie. Eine Metaethik des radikalen Feminismus ist das Buch 1981 auf Deutsch erschienen und erreichte bislang fünf Auflagen (M. DALY [1981] 1991). 1986 erscheint ebenfalls im Verlag Frauenoffensive die Übersetzung von Pure Lust als Reine Lust. Elemental-feministische Philosophie. Eine Bibliographie bietet M. DALY 2017, 415– 420. 371 C. P. C HRIST 1979. Vgl. initialgebend zu den Mythen von sterbenden und auferstehenden Göttern (s.o. Kapitel 2 und darin bes. Abschnitt 2.1 in diesem Buch) und zu Göttinnen S. DE BEAUVOIR (frz. 1949; dt. 1951; 1992) 1994, 190–258 sowie R. RADFORD RUETHER (am. 1983) 1985, 69–82; M. KASSEL 1988. 372 Vgl. S. H EINE 1987 (am. 1989), 86–117. 373 Vgl. S. H EINE 1987, 7–16; 163–182. 374 Vgl. dazu ihre Ausführungen zu Elie Wiesel in C. H EYWARD 1986, 131–164; 171– 196. Carter Heyward schrieb ihre Abschlussarbeit am College über „,Die radikalen Christologien von Altizer, Hamilton und van Buren‘“ (a. a. O., 50). Zu Dorothee Sölle, die auch wichtige Impulse für die Theologie nach dem Tode Gottes lieferte (vgl. dazu auch den 369 370

6.3 After (the Death of) God

527

jüdischen Religionsphilosophen Martin Buber eine feministische Theologie der Beziehung (The Redemption of God. A Theology of Mutual Relations; 1982), in der die Realisierung von Gleichheit (equality) und Gegenseitigkeit (mutuality) eine tragende Rolle spielt.375 Heyward versteht die Chiffre des Todes Gottes gegen die „Langeweile“ einer „theologische[n] Fachsprache ohne existentielle Substanz“ in den „Lehren Karl Barths und seiner neo-orthodoxen Kollegen“ als „den Tod eines teilnahmslosen, gänzlich spirituellen und unberührten Gottes, der der ,ganz Andere‘ ist und als solcher ein Quell unirdischer Reinheit“ bedeutet: „Ich nahm den Tod Gottes sehr ernst, nicht etwa als ein metaphysisches Ereignis, sondern als eine Bestätigung dessen, was schon die ganze Zeit über wahr war: daß es keine teilnahmslose, gänzlich andere Gottheit gibt, die die Verantwortung für die Welt trägt.“376 In Gott sieht sie die Macht, die uns zur Transformation in gerechte Beziehungen verhilft, die von gegenseitiger und gerechter Kommunikation bestimmt sind. Gott sei keine extramundane Macht außerhalb, über oder gegen uns, sondern im „Prozeß eines bildhaften Entwerfens“377 wieder gebildet (re-imagined) sei Gott der Grund für gelingende Beziehungen und damit der Grund zur Gottes-, Nächsten- und Selbstliebe: „Mit uns, von uns, durch uns lebt Gott, wird Gott, wandelt sich Gott, spricht Gott, handelt Gott, leidet Gott und stirbt Gott in der Welt.“378 In diesen wechselseitigen Prozessen und Ambiguitäten des Lebens existiert Gott, wird Gott geboren und wächst dadurch. Wir verhelfen Gott zu seiner Geburt und Gott verhilft uns zu unserer Geburt. Heyward verwendet für die reziproken Relationen zwischen Menschen und Gott eine von ihr geprägte Verbalisierung des Gottesbegriffs, den Terminus „Godding“. Mit der Verb-Wortschöpfung „to god“ bzw. „godding“ soll die Tätigkeit des Verwirklichens Gottes als leibhafte Kraft der Beziehung bezeichnet werden: „Göttlich handeln (to god) heißt lieben.“379 Mit der Verbalisierung Gottes zu einer Beziehungsmacht, die Gott als Prozess und Aktivität statt als Entität zu denken erlaubt, nimmt sie die Anregung von Mary Daly auf und führt sie eigenständig weiter. Das Göttliche er-

Beitrag von S. K. Pinnock in D. J. PETERSON/G. M. ZBARASCHUK 2014, 83–102) vgl. die Abschnitte 7.2 und 7.2.1 in diesem Buch. 375 I. C. H EYWARD (1982) 2010. Ihre 1979 fertiggestellte und 1980 vom Union Theological Seminary New York angenommene Dissertation erschien 1982 und wieder 2010 in einer Jubiläumsausgabe. Erstmals auf Deutsch erschien eine gekürzte Auswahl aus dem Buch 1986 unter dem Titel Und sie rührte sein Kleid an. Eine feministische Theologie der Beziehung als Kompilation mit Texten aus Our Passion for Justice. Images of Power, Sexuality and Liberation (1984). 376 C. H EYWARD 1986, 50.51. Vgl. hier auch zu D. Bonhoeffer. 377 C. H EYWARD 1986, 72. Vgl. zu diesem „neuen Entwurf“, seiner Nähe zu Sölles Theologie und dessen Durchführung a. a. O., 73–108. 378 C. H EYWARD 1986, 52. 379 C. H EYWARD 1986, 97.

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6 Der Tod Gottes als Denkfigur in der US-amerikanischen Theologie

eigne sich leibhaftig zwischen jedem Einzelnen und Seienden. Gott ist ein radikal immanentes Beziehungsgeschehen, dass sich immer neu vollzieht.380 (4) Zwar wird gelegentlich auf Nietzsches Diktum vom Tode Gottes Bezug genommen, um die Erfahrungs- und Beziehungslosigkeit eines extramundanen Wesens zu beschreiben, mehr aber auf die Formel von der „Umwertung aller Werte“. Sie kommt den ideologiekritischen Interessen der Feministischen Theologie besser entgegen, anders als das radikale Motiv des Todes Gottes jenseits seiner plakativen Verwendung für den Tod des Vatergottes. Denn es geht um die postpatriarchale Dekonstruktion des Todes Gottes, nämlich darum, neue Gotteserfahrungen zu ermöglichen, lebendige Gottesbilder zu vergegenwärtigen und neu den Variantenreichtum von dem, was verloren ging, von Metaphern und Modellen in der Sprache von Gott und der Beziehung zwischen Göttlichem und Menschlichem auszuloten.381 Faktisch treffen sich die verschiedenen Richtungen der Feministischen Theologie mit ihrer kontextuellen, experimentellen und antidogmatischen Kritik am traditionellen Gottesverständnis mit der christologisch und trinitätstheologisch veranlassten Infragestellung des traditionellen Theismus, wofür insbesondere das Apathie-Axiom und Allmachtsproblem stehen. Vor diesem Hintergrund geht es ihnen speziell jenseits von patriarchalen Gottesbildern um die Dekonstruktion von Grundbegriffen feministischer Kritik wie Sexismus, Rassismus, Patriarchat und Androzentrismus in sozioökonomischer, ekklesiologischer, politischer und symbolischer Ordnung, um bislang verborgene und neue weibliche Gotteserfahrungen in das Gottesbild und die Gottesbeziehung einzuzeichnen, um hierarchische, dualistische und asymmetrische Strukturen zu zerbrechen und Aufmerksamkeit für die Ambivalenzen geschlechterdifferenzierter Erfahrungen zu erlangen. Dabei gilt auch für die Feministische Theologie, wie für jede Ideologiekritik, dass sich die Ansätze stets selbstkritisch hinterfragen müssen, ob sie nicht selbst zur Ideologie geworden sind. Solch kritische Selbstreflexion verhilft auch dazu, ihre gesellschaftspolitische Aufgabe glaubwürdig und (de-) konstruktiv durchzuführen.382 Gerade „die populären Varianten der feministischen Theologie“, wozu die Wiener Praktische Theologin Susanne Heine „nicht nur die christlichen Positionen“ zählt, erweisen sich als „politisch gefährlich. Die falschen Synthesen erwecken falsche Hoffnungen, indem sie die Wirklichkeit verfälschen. Täuschungen, Illusionen und Schematisierungen sind allemal eine beliebtere Konsumware, als der hartnäckige Kampf auf dem Boden der verwirrenden Realität.“383 Da Frauen sich „allzulange selbst aufgegeben haben, [...] stehen sie nun in Gefahr, sich irgendwo außerhalb der wirkVgl. zu dieser posttheistischen relationalen Denkfigur „Gott geschieht“ auch Herbert Braun (Abschnitt 7.1.2) und Dorothee Sölle (Abschnitt 7.2.1 in diesem Buch). 381 Vgl. S. M CFAGUE (1975) 1982. 382 Vgl. in diese Richtung schon S. H EINE 1987, 9. 383 S. H EINE 1987, 177. 380

6.4 Ideologiekritik kultivieren

529

lichen Welt zu suchen und damit an ihr solipsistisches Selbst zu verlieren.“384 Eine solche Entwicklung jedenfalls würde den Impulsen der gleichermaßen für alle Menschen geltenden aufklärenden Freiheitsbewegungen, nämlich dem Streben nach Gerechtigkeit, der Fähigkeit zur Selbstbestimmung und einem Leben in Freiheit, zuwiderlaufen.

6.4 Fazit und Ausblick: Ideologiekritik kultivieren 6.4 Ideologiekritik kultivieren

(1) In den USA machten sich in den 1960er Jahren verschiedene Theologen auf je eigene Weise auf den Weg, im Anschluss an Hegel, Nietzsche, Dietrich Bonhoeffer, Karl Barth und Paul Tillich dem Tod Gottes theologisch nachzudenken. In einem offenen Dialog mit der säkularen Kultur, als deren Kennzeichen sie den Tod Gottes diagnostizierten, fragten sie radikal nach neuen Wegen religiösen Lebens in postchristlicher Zeit. Das sorgte für einigen medialen und theologischen Wirbel. Diese in ihren Anfängen erstaunlich vielseitige Bewegung wurde mit dem Etikett „Death of God Theology“ versehen. So kam Gabriel Vahanian im Rückgriff auf Nietzsches Diagnose der Moderne zu der Einsicht, dass unser Zeitalter nur noch in einer postchristlichen Weise als religiös zu bezeichnen sei. Das von der wissenschaftlichen Weltsicht berherrschte Selbstverständnis des modernen Menschen führe zu einer „Kultur ohne Gott“. Für Thomas J. J. Altizer treffen in der paradoxen Rede vom Tod Gottes das christliche Symbol der Kreuzigung als Quelle der Erlösung und der moderne Atheismus als Verabschiedung des Christentums zusammen. Die theologische Herausforderung im Verstehen des „Todes Gottes“ liegt für ihn darin, wie dieser Tod der Tod Gottes sein kann. Für William Hamilton ist nur noch eine Theologie ohne Gott möglich, denn die Erfahrung der Abwesenheit Gottes beherrsche nun das allgemeine Bewusstsein. Paul M. van Buren geht es um die weltliche Bedeutung des Evangeliums, wonach Gott zwar tot sei, was aber nicht dazu führen müsse, explizit vom Tod Gottes zu reden, da die Erkenntnisse der analytischen Philosophie alles Reden von Gott unmöglich gemacht hätten. Für Harvey Cox besteht das Problem darin, dass die Menschen Gott nicht erfahren, ihm nicht begegnen. Die religiöse Sprache einschließlich des Wortes „Gott“ werde erst wieder einen Sinn gewinnen, wenn die verlorengegangene Erfahrung wieder zu einem empfundenen Sachverhalt in der menschlichen Wirklichkeit werde. Rabbi Richard L. Rubenstein stieß die Debatte über eine jüdische Theologie nach Auschwitz an. (2) Der US-amerikanische Diskurs über die Denkfigur des Todes Gottes hat in allen seinen dargestellten Beiträgen auf die Herausforderungen für das Religions- und monotheistische Gottesverständnis hingewiesen, vor die der globale Aufstieg des Neofundamentalismus die Theologie stellt. Das weite neo384

S. HEINE 1987, 177.

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6 Der Tod Gottes als Denkfigur in der US-amerikanischen Theologie

fundamentalistische Spektrum religiöser Fanatismen, Fundamentalismen und Orthodoxien versteht Mark C. Taylor als ein Symptom und als eine Antwort auf den Prozess der Globalisierung. In einer Welt, die sich radikal verändert, gebe es nach Taylor aber nicht nur eine religiöse Dimension in allen kulturellen Ausdrucksformen, sondern in jeder Religion auch eine politische Dimension. In diesem Zusammenhang geht es Taylor darum, das komplexe Verhältnis von Religion, Moderne und Säkularisierung neu zu bestimmen. Religion und Säkularisierung will er nicht mehr als Gegenbewegungen verstehen, sondern als einen zusammengehörenden Prozess, der in der Reformation seinen Anfang genommen hat und sich gegenwärtig in der relationalen Netzwerkkultur ausdrückt. Die westliche Säkularisierung ist für ihn in allen ihren Fasern ein religiöses Phänomen. Der globale „return of religion“ ist durch den „worldwide rise of neofoundationalism“ entzaubert als Erstarken des religiösen Fundamentalismus in allen Weltreligionen. Religiöse Fundamentalismen zeigen sich mittlerweile als politische Machtfaktoren. Nicht nur der islamische Fundamentalismus, sondern auch der christliche Fundamentalismus in den Vereinigten Staaten von Amerika, aber ebenso in Asien, Afrika, Südamerika und Europa, offenbaren sich für die radikalen Theologen als Bedrohung des Friedens und der freiheitlich-demokratischen Grundordnungen der modernen Welt. Vor diesem Hintergrund können sich Kirche und Theologie nicht mittels einer „Rückkehr der Religion“ über einen gestoppten Relevanzverlust hinwegtrösten, sondern stehen vor nie dagewesenen Herausforderungen, die ihre eigene Grundlagenkrise in einen neuen Rahmen stellen. Die Verführung, sich diesem (fundamentalistischen) „Wiedererstarken“ von Religion anzuschließen, ist groß, um sich über den eigenen Relevanzverlust und den Traditionsbruch hinwegzutrösten. Doch die größere theologische Herausforderung ist es, ein religiöses Gegengewicht gegen diese alle gesellschaftlichen und akademischen Schichten umfassende Bewegung zu bilden, um mit Religion über Religion kritisch aufzuklären. Doch die Zurückdrängung der Religion ins Private und die Tendenz, in der Öffentlichkeit nicht mehr in moderater Weise über Religion reden zu können, sondern Religion mit Fundamentalismus und infantiler Ungebildetheit gleichzusetzen, hat einen wesentlichen Beitrag zur verzerrten Wahrnehmung von Religion in der (Medien-)Gesellschaft geleistet. Der religiöse Fundamentalismus ist auf dem Weg, mit seinen manipulativen Strukturen die ideologische Bedrohung des beginnenden 21. Jahrhunderts zu werden. Er ist einerseits eine öffentliche Erscheinung, aber auch eine unsichtbare, wenn seine Anhänger unerkannt politische, gesellschaftliche und kirchliche Institutionen unterwandern und sich wechselseitig fördern, um an die entsprechenden Machthebel zu gelangen. Noch sind die Verhältnisse in Deutschland nicht mit den kulturkriegerischen Strukturen in den USA vergleichbar. Der dortige Fundamentalismus scheint weit weg. Doch in Zeiten der Globalisierung ist das eine trügerische Vermutung. Eine verbreitete Unaufgeklärtheit in Religionsdingen auch unter Ge-

6.4 Ideologiekritik kultivieren

531

bildeten oder politisch und ökonomisch Verantwortlichen und eine Vertiefung des dualistischen Weltbildes lassen sich bereits beobachten. Welche Möglichkeiten hat eine theologisch aufgeklärte Religion vor dem Hintergrund der von ihr prinzipiell gutgeheißenen religiösen Individualisierung und Pluralisierung und vor dem Hintergrund der massiven Verbreitung von ideologischem Gedankengut über alle Kanäle des medialen Zeitalters? (3) Mit dem Aufkommen des Neofundamentalismus steht für William Hamilton die Beseitigung einer gefährlichen Ideologie des 20. und 21. Jahrhunderts auf der Tagesordnung: Gott, der einmal gestartet war als Gegenentwurf zur Idolatrie, ist in unserer Kultur selbst zum Götzen geworden. Gott, der ehemals als Gegenentwurf zu einer korrupten politischen Administration diente, ist heute selbst Teil von ihr geworden. Seinen Aufruf zu einem „zweiten Kommen des Todes Gottes“ versteht Hamilton in dieser Lage als Pflicht, zivilen Ungehorsam zu leisten. Der Glaube an Gott ist für ihn mittlerweile zur größten Gefahr für ein friedliches Zusammenleben geworden, denn er impliziert für ihn einen Besitzanspruch, einen Einmaligkeitsstatus, einen Ausschließlichkeitsstatus und Sonderstatus mit einem Überlegenheitsanspruch gegenüber denen, die nicht dazugehören. „Ja“ zu Gott zu sagen, heißt „Nein“ zu sagen zu den Neinsagern zu Gott. Gott zu besitzen, heißt heutzutage, das mächtigste Instrument der Selbst-Bestätigung zu besitzen und damit über andere zu richten. Dieser Gott der westlichen christlichen bürgerlichen Welt transformiert seine Anhänger in selbstgerechte und gefährliche Sünder. Doch mögliche Revisionen hin zu moderaten, dezenten Gottesvorstellungen hält Hamilton im Grunde für hoffnungslos. Ein Leben ohne Gott und eine Religion ohne Gott sind für ihn daher die einzigen Alternativen zu einem pervertierten Gottesglauben. In gewisser Weise schließt Dworkins Religion ohne Gott hier in religionsrechtlicher und religionstheoretischer Hinsicht weiterführend an, wenn er der erregten Debatte zwischen militanten Atheisten und strenggläubigen oder fundamentalistischen Christen aus einem tiefsitzenden hasserfüllten Antagonismus zu einem Perspektivwechsel verhelfen will und über das Trennende hinweg auf die Gemeinsamkeiten eines „objektiven Wertehimmels“ hinweist, um diesen Kulturkrieg im Sinne des Gemeinwohls zu befrieden. Ideologiekritisch patriarchale religiöse und gesellschaftliche Strukturen aufzudecken ist das Anliegen Feministischer Theologien, um wieder in der Tradition verloren gegangene weibliche Gotteserfahrungen und Gottesbilder aufzuspüren, die zu einem gegenwärtig gerechteren, Frauen und Männer gleichberechtigt und differenzbewusst gelten lassenden gesellschaftlichen Umgang untereinander führen sollen. (4) Radikale Theologie kann für diejenigen zu einer Theologie werden, die ihr Leben im größtenteils noch unentdeckten Erfahrungsraum des Todes Gottes leben. Dieser neue Raum sprengt für Hamilton die bisherigen Alternativen zwischen Glaube und Unglaube auf und sucht nach Wegen, Christ zu sein ohne die traditionellen christlichen Gottesvorstellungen. Doch für Hamilton zeigt sich der Wert der radikalen Theologie erst im lebensweltlichen Vollzug. Denn

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6 Der Tod Gottes als Denkfigur in der US-amerikanischen Theologie

wie für alle anderen theologischen Aussagen gilt auch für diese, dass sie letztlich nicht zu beweisen sind, auch nicht mit den Kriterien von Schrift und Tradition. Für Hamilton ist und bleibt das Gottesproblem dennoch das interessanteste Problem für die religiös Interessierten auch im westlichen Kulturkreis. Vom Tod Gottes auszugehen, bleibe eine zutiefst theologische und monotheistische Position, die rein gar nichts mit einem antitheologischen Klima zu tun habe. Denn die Gott-ist-tot-Theologie könne dazu beitragen, sich darüber klar zu werden, in welcher Weise Menschen über beziehungsweise von Gott reden. Die Denkfigur des Todes Gottes hilft auch zu klären, was es eigentlich einmal bedeutet hat, einen Gott oder einen Gottesglauben zu haben. Sie kann helfen zu entdecken, was möglicherweise fehlt oder vergessen wurde. Und sie kann helfen, uns über unsere Selbsttäuschungen aufzuklären. Vielleicht aber, so Hamilton, ist eine Annäherung an Gott nur möglich in der Weise seines Todes. Wenn das Ereignis des Todes Gottes, mit Nietzsche gesprochen, ein Ereignis im Kommen ist, dann haben wir uns erst noch zu befreien von dem langen Schatten des alten Gottes. Diese Aufgabe wird Nietzsche zufolge die Menschheit noch in den nächsten Jahrhunderten beschäftigen. Insofern sind auch diese Entwürfe nur Bestandsaufnahmen eines weltgeschichtlichen Prozesses, dessen Ausgang für den Menschen ungewiss und offen ist. Das führt aber für sie zu der Einsicht, dass Theologie nur noch im Horizont des Unterwegsseins des Ereignisses des Todes Gottes betrieben werden kann. Sie ist damit aber nicht Gott-ist-tot-Theologie oder einfach Theologie nach Gott oder Theologie nach dem Tode Gottes, sondern immer Theologie inmitten des Ereignisses des Todes Gottes selbst. Theologie in der Moderne heißt Theologie inmitten des Ereignisses des Todes Gottes selbst. Die Weiterführungen der Radikalen Theologie von Altizer und Hamilton, die religiöse Kultivierung des komplexen Netzwerks des Lebens bei Taylor, die Theologie des Ereignisses von Caputo, der atheistisch-religiöse objektive Wertehimmel von Dworkin, die neue Bewegung Resurrecting the Death of God und auch die feministische Dekonstruktion ideologischer und patriarchalischer Gottesbilder zeigen unübersehbar an: sich mit der Denkfigur des Todes Gottes theologisch zu beschäftigen, ist mehr als zeitgemäß. Es ist theologisch notwendig und sinnvoll, um religiöser Einfalt und gefährlichen religiösen Vereinfachungsstrategien entgegenzutreten. Theologie kann in diesem Diskurs ihr ideologiekritisches Potential (wieder-) entdecken.

7 Der Tod Gottes als Denkfigur in der deutschsprachigen Theologie In Wahrheit kehrt die Rede vom Tode Gottes in unseren Jahren nicht allererst in die Theologie ein; sie kehrt vielmehr in die Theologie heim.1

[N]ur der leidende Gott kann helfen.2

[…] Gottes recht verstandene Göttlichkeit schließt ein: seine Menschlichkeit. Von woher ist dieser Satz erlaubt und geboten? Er ist ein christologischer, vielmehr: ein von der Christologie her begründeter und zu entfaltender Satz.3

Es sind in Deutschland die Theologen, die dem lieben Gott ein Ende machen – […]4

7.1 Theologia post mortem Dei? 7.1 Theologia post mortem Dei?

(1) Der Zeitraum der ,langen‘ 1960er Jahre war in den Vereinigten Staaten von Amerika, Großbritannien, Westeuropa und Westdeutschland geprägt von der fortschreitenden Säkularisierung und einem kulturrevolutionären Umbruch der Gesellschaft, der durch die Studentenunruhen auch die Universitäten erfasste.5 Im Blick auf die Frage nach Gott stellte sich im Rahmen einer zunehmenden Glaubwürdigkeits- und Relevanzkrise des (kirchlichen) Christentums die Alternative, entweder Gott wieder (neu) zu denken oder den Gottesglauben völlig zurückzuweisen.6 Der Blick auf die Ideengeschichte des Christentums zeigt, dass die Frage nach Gott in ihrer Geschichte immer von Kontroversen und

E. JÜNGEL (1977) 1986, 72. D. BONHOEFFER, DBW 8, 534. 3 K. B ARTH 1956, 10. 4 H. H EINE 1962, 401. 5 Vgl. C H. TAYLOR (2007; 2009) 2012, 728; P. EITLER 2009: „Gott ist tot – Gott ist rot“. 6 Vgl. D. H ERZOG, 2006, 434; 437; H. ZAHRNT 1968b. 1 2

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7 Der Tod Gottes als Denkfigur in der deutschsprachigen Theologie

Konflikten bestimmt gewesen ist.7 So wurde im antiken Christentum der Gott Israels mit dem philosophischen Gott der Griechen verbunden und durch Aneignung und Kritik des Platonismus zum trinitarischen Gott transformiert. Dieser Gottesbegriff geriet in der Neuzeit in die Krise. Mit dem Zeitalter der Aufklärung und spätestens seit Kants Destruktion der Beweise des Daseins Gottes steht die protestantische Theologie vor der Herausforderung, die Theologie und die Gotteslehre erkenntnistheoretisch und ontologisch auf einen neuen Grund zu stellen. In diesen Zusammenhang gehört auch die Kritik des Pietismus an der altprotestantischen Orthodoxie und ihrer Schulmetaphysik. Zur Metaphysikkritik gehört nach der Aufklärung auch die Dogmenkritik. Die Vorstellung von der Dreieinigkeit Gottes erschien dieser als widervernünftig und unbiblisch. Theologen des 19. Jahrhunderts wie Friedrich Schleiermacher, Albrecht Ritschl und Wilhelm Herrmann stellten die Trinitätslehre an den Rand ihrer Entwürfe, während sie bei Karl Barth in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts programmatisch am Anfang der Dogmatik verhandelt wird. Vertreter der liberalen Theologie forderten als Ausdruck ihrer Metaphysikkritik dagegen ein undogmatisches Christentum. Diese Gemengelage führte in der Neuzeit einerseits zu atheistischen Positionen bis hin zur Diagnose des Todes Gottes, andererseits auch zu höchst unterschiedlichen Versuchen in der evangelischen Theologie, den Gottesbegriff umzubilden. Den Hintergrund bildete eine zunehmende antirationalistische und antimetaphysische Tendenz, wie sie sich ungefähr ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts insbesondere beim einflussreichen Albrecht Ritschl abzuzeichnen begonnen hatte, der die griechische Metaphysik aus der Theologie aussonderte.8 Zu dieser theologischen Infragestellung der traditionellen Gotteslehre gehörte auch die durch die evangelische Dogmengeschichtsschreibung um 1900 (Friedrich Loofs, Adolf Harnack) verbreitete Auffassung, dass die christlichen Apologeten im zweiten Jahrhundert den philosophischen Gottesgedanken in die frühchristliche Theologie prinzipiell übernommen und damit dem Wesen des Christentums fremde Vorstellungen in dieses eingeführt hätten. Diese übernommenen Aussagen über Wesen und Eigenschaften Gottes stellten, mit der berühmten Parole Harnacks gesprochen, den Beginn der „Hellenisierung“ des Christentums dar, womit „aus dem Christentum eine deistische Religion für alle gemacht wurde.“9 Harnacks These von der Hellenisierung des Christentums hatte entscheidend dazu beigetragen, dass sich im Protestantismus die Einsicht verbreitet hatte, zwischen christlicher Theologie und Metaphysik bestehe ein unaufhebVgl. zu den folgenden Fragen auch J. ROHLS 1988; 2014a und 2014b sowie G. MECKEN2008. 8 Vgl. zu A. Ritschl R. G ÖRNANDT 2016, 15–60 und zu W. Herrmann a. a. O., 62–129. 9 Vgl. W. PANNENBERG 1967, 296–346 (Die Aufnahme des philosophischen Gottesbegriffs als dogmatisches Problem der frühchristlichen Theologie), der a. a. O., 296 aus Harnacks Dogmengeschichte zitiert (Band I, 546). 7

STOCK

7.1 Theologia post mortem Dei?

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barer Gegensatz. Mit der Ablehnung der Metaphysik verbunden war die Kritik an jeglicher natürlichen Theologie. Diese hatte bereits Schleiermacher im Namen der Selbstständigkeit der Religion geübt, indem er sein Religionsverständnis scharf von der Aufhebung der positiven Religion im deistischen Rationalismus abgrenzte. Karl Barth war es schließlich, der alle noch verbleibenden „Anknüpfungspunkte“ abschnitt, denn seiner Meinung nach war Gottes Offenbarung nur im Glauben zugänglich und Theologie habe mit Gott anzufangen. Mit Barth erreicht „die theologische Kritik der Metaphysik ihrer Höhepunkt.“10 Die Metaphysik wird aus der Theologie entfernt und Theologie wird „zur rein thetischen Offenbarungstheologie.“ Hinter dieser antirationalistischen Position Barths steckt die fundamentale Kritik am abendländischen Rationalismus und an der Metaphysik, die seit dem ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert Verbreitung gefunden hatte. Doch diese Krise der Vernunft führt nicht allein in der Theologie, sondern auch in der Philosophie zu einer folgenreichen Dekonstruktion der Metaphysik, die als Ausdruck des abendländischen Rationalismus gilt. „Der Triumph der antirationalistischen Offenbarungstheologie verdankt sich nicht zuletzt der philosophischen Fundamentalkritik des Rationalismus“11, wie sie sich in Heideggers Deutung der Geschichte der Metaphysik als Seinsvergessenheit ebenso zeigt wie in Horkheimers und Adornos Dialektik der Aufklärung als Auslöschung des Individuums durch die instrumentelle Vernunft. Unter dem Strich dieser nur knappen Skizze kann man sagen, auch wenn „überhaupt kein einhelliger Metaphysikbegriff vor[liegt]“, „dass unter dem Thema ,Theologie und Metaphysik‘ im Grunde das Problem der Legitimität der Neuzeit erörtert wird, d. h. aber auch das Verhältnis der Theologie zur Moderne.“12 (2) Während sich die Philosophie in weiten Teilen von der Gottesfrage verabschiedet hatte, standen für die Theologie nun folgende Fragen im Zentrum des neuen, nachtheistischen Nachdenkens über Gott: Ist Gott transzendent oder immanent, unveränderlich und leidenslos oder werdend und leidend, Person oder Geist, durch Vernunft oder Offenbarung zugänglich? Den geglaubten Gott vernünftig zu denken, ist dabei die bleibende Herausforderung, der sich der neuzeitliche Protestantismus stellen musste und stets auf Neue gestellt hat.13 In den 1960er Jahren sollte sich die seit dem Ersten Weltkrieg anhaltende Debatte um die „Sache mit Gott“14 noch einmal zuspitzen. So war die deutschsprachige Theologie zu jener Zeit Schauplatz einer ganzen Reihe von Debatten um die Gottesfrage und die Säkularisierung, die sich nicht zuletzt im Gefolge der Entwürfe von Karl Barth, Friedrich Gogarten und Rudolf Bultmann entzündet J. ROHLS 1988, 10. J. ROHLS 1988, 10. 12 U. H. J. K ÖRTNER 2014, 109; vgl. U. B ARTH 2003, 127–165. 13 Vgl. J. LAUSTER/B. O BERDORFER 2009. 14 H. ZAHRNT (1966) 1996. 10 11

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hatten. Insbesondere die konsequente Christologisierung der Theologie mit der schroffen Ablehnung der natürlichen Theologie und der „scharfe[n] Verwerfung jeder theologischen Funktion des vernünftigen Gottesgedankens im Namen der souveränen Selbstoffenbarung Gottes“15, wie sie Karl Barth mit seiner Betonung der Christologie in seiner Kirchlichen Dogmatik (I–IV; 1932–1967) betrieben hat, sollte sich folgenreich auf die Durchführung einer post-theistischen Dogmatik in der evangelischen Theologie auswirken. Hinter diesen Diskursen steckte die fortschreitende Zersetzung des traditionellen Theismus, die zusammen mit der Krise des Schriftprinzips zu den Kennzeichen der Grundlagenkrise des modernen Protestantismus zählt. Wenn man nun auf die sozialgeschichtlichen Verhältnisse blickt, änderten die sozialdemokratische Austrittskampagne aus der Staatskirche in den Jahren 1878 bis 1914 und eine zweite massive Kirchenaustrittswelle nach 1918 in der Weimarer Republik vordergründig zunächst noch nichts an der weitgehend unhinterfragten Geltung des Theismus bei einer sich gleichzeitig ankündigenden Erosion der gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse.16 Obwohl die Zahl der Christen nicht unter die 95-Prozent-Marke der Gesamtbevölkerung sank,17 fühlten sich die Volkskirchen von freidenkerischen und „gottlosen“ Weltanschauungsgruppierungen massiv bedroht, wie die Fülle kirchlicher Kampfliteratur („Wider die Front des Gottlosentums“) belegt. „Das Gespenst des Säkularismus“ zeigte sich „sowohl in der utilitaristischen und pragmatischen Zivilisation der westlichen (kapitalistischen) Welt wie auch im militanten Atheismus der kommunistischen Weltbewegung.“18 Es „sollte die Geschichte des Christentums in Deutschland bis in die 1950er Jahre begleiten [... und] hinderte viele Christen daran, sich unvoreingenommen in der modernen Gesellschaft zu bewegen.“19 Theologisch machte man sich nach dem Ersten Weltkrieg daran, in einer Zeit, in der der umfassende religiös-weltanschauliche Rahmen wegbrach, das Verhältnis von europäischer Kulturwelt und christlichem Gottesglauben, und damit den Gottesbegriff, in radikaler Abgrenzung gegenüber der zur modernen Kulturwelt hin offenen liberalen Theologie des Kulturprotestantismus neu zu fassen, wenn in der dialektischen Theologie Karl Barths Gott als „der ganz Andere“20 und damit das radikale Anderssein (der unverfügbaren 15 J. LAUSTER/B. O BERDORFER 2009, XI. Vgl. dazu die Debatte zwischen Pannenberg (W. PANNENBERG 1967, 223–251; 1988a, I, 73–133 u. ö.) und Jüngel (E. JÜNGEL [1975] 1980b; 1980c). Zur Problemlage vgl. H.-J. BIRKNER 1961; CH. GESTRICH 1977; H. FISCHER 1983. 16 Vgl. mit weiterem Erschließungsmaterial zu Motiven, Statistiken und zeithistorischem Hintergrund J.-CH. KAISER (1982) 2008 und TH. NIPPERDEY 1988b, 118–123; ferner M. KROEGER (2004) 2011, 77–80. 17 K. N OWAK, 230. Dort auch folgende Nachweise. 18 K. N OWAK 1995, 231. 19 K. N OWAK 1995, 233. 20 Vgl. dazu bereits die Darstellung von Karl Barth in Abschnitt 1.3.5 (1).

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Gnade) Gottes neu gedacht wurde und alle Versuche menschlichen Redens von Gott im Grunde zum Scheitern verurteilt werden. Aufgrund der Erfahrungen der beiden Weltkriege, des Totalitarismus und Holocaust-Schocks, steigerte sich die Problematik erneut und man stand vor der Frage, inwiefern ein unter diesen Voraussetzungen glaubwürdiger Gottesbegriff entwickelt werden könne. Infrage steht damit, ob Gott überhaupt noch die klassischen metaphysischen und philosophisch-theologischen Theoreme Vollkommenheit21 und Allmacht und damit Leidensunfähigkeit und Unveränderlichkeit zugeschrieben werden können.22 Der Gedanke eines leidenden Gottes, der seit der altchristlichen Dogmatik (Patripassianismus) als Häresie verurteilt wurde, avancierte als Kritik am Apathieaxiom23 nach den Weltkriegserfahrungen zu einem gewissermaßen orthodoxen Leitbegriff der Theologie des 20. Jahrhunderts.24 Doch auch mit dieser Wende zur Passio Dei (meist im Sinne einer Passio Iesu Christi) war der allgemeine Glaubwürdigkeitsverlust des (theistischen) Gottesbegriffs, der sich mit dem Ende des Ersten Weltkriegs zugespitzt hatte, nicht mehr aufzuhalten,25 obwohl eine „Hermeneutik des Leidens“26 und das Wachhalten „gefährlicher Erinnerung“, die memoria passionis (Johann Baptist Metz), zu den gesellschaftspolitisch und theologisch bedeutsamen christlichen Grundkategorien und kirchlich-seelsorglichen Aufgaben im technologischen Zeitalter gehören dürften. Demoskopische Befragungen in den ersten dreißig Jahren der Bundesrepublik zeigen noch einen relativ großen Zuspruch zum persönlichen und theistischen Gottesglauben. Mit Beginn der 1960er Jahre setzte „die wichtigste Zäsur für die Kirchen im 20. Jahrhundert“27 ein, deren Vorboten einer nachlassenden Bindungskraft der Kirchen aber bereits in die Mitte der fünfziger Jahre sowie in die Jahre weit vor 1945 zurückreichen.28 Die Ursachen für den religiösen Wandel in den ,langen‘ 1960er Jahren lassen sich jedoch nur mehrdimensional

Vgl. klassisch den ontologischen Gottesbeweis von Anselm von Canterbury. „Wahre Theisten“ legen der Gottheit „vollkommene Unveränderlichkeit und Einfachheit“ bei. Vgl. D. HUME 2016, 44. 23 Zur Kritik am Apathieaxiom vgl. exemplarisch aus evangelischer und katholischer Theologie H. KÜNG (1970) 1989, „Exkurs II: Kann Gott leiden?“ (622–637); J. MOLTMANN (1972) 1976, 255–267; D. SÖLLE (1973) 1980, 45–78; E. JÜNGEL (1977) 1986, 86; 508; 511; J. B. METZ (2006) 2011. 24 Vgl. dazu die Beiträge und das Vorwort in: P. K OSLOWSKI/F. H ERMANNI 2001. 25 Als kleinsten gemeinsamen Nenner der Theologie nach 1945 macht Härle die Spurensuche nach dem verborgenen Gott aus: „Wenn es so etwas wie ein gemeinsames Merkmal oder ein verbindendes Element zwischen den verschiedenen Theologien seit 1945 und in diesem Sinne nach 1945 gibt, dann ist es die ,Spurensuche‘ nach Gott, die sich darstellt als ein ,Ringen mit der Verborgenheit Gottes‘.“ (W. HÄRLE 2008, 327). 26 C H. LINK 1974, 96 mit Bezug auf Johann Baptist Metz (a. a. O., 97). 27 K. N OWAK 1995, 10. 28 Vgl. TH. G ROSSBÖLTING 2013, 99; D. POLLACK 2012, 10; C H. TAYLOR 1996; 2007. 21 22

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beschreiben.29 Es war wohl ein Trugschluss katholischer und evangelischer Theologen, die 1968 der Überzeugung waren, diese „Glaubenskrise“ meistern zu können.30 Zu tief war bereits der Graben der Entfremdung, wie sich seit den 1980er Jahren offen zeigt, als die weltanschauliche Voraussetzung eines persönlichen und theistischen Gottesglaubens immer mehr in Zweifel gezogen wird.31 Mit der Auflösung des theistischen Gottesgedankens und dem Versuch einer Profilierung biblisch-offenbarungstheologischer Gottesrede als Gegenentwurf in der Theologie kommt zudem eine tiefgreifende Denkbewegung und existentielle Gestimmtheit ans Ziel, die literarisch mit Jean Paul und den philosophisch-theologischen Streitsachen begonnen hatte und von Nietzsche aphoristisch pointiert wurde. Die zeitgenössischen Philosophien der analytischen Sprachphilosophie, Phänomenologie und Existenz sehen von der Rede vom Absoluten ab. Mit dem Ende des traditionellen metaphysischen Theismus scheint sich der Gottesgedanke der Theologie in den neuzeitlichen Atheismus aufzulösen. 7.1.1 Mit einem Umweg über England: Zur Debatte um eine nachtheistische Theologie im kulturellen Umbruch der ,langen‘ 1960er Jahre (1) Die 1960er Jahre markieren einen „turning point“ in der Geschichte des Christentums. Mit ihnen beginne, so meinen einige Zeithistoriker, eine radikale Phase der Dechristianisierung der westlichen Gesellschaften.32 Der fortschreitende Prozess der Säkularisierung, so der schottische Historiker Callum G. Brown, führe zusammen mit dem kulturrevolutionären Umbruch der 1960er Jahre zu einer grundlegenden Veränderung des religiösen und kirchlichen Lebens. Die Entwicklung sei als Wegbereiter für „The Death of Christian Britain“33 zu deuten. Nun haben zwar auch längst Befürworter der Säkularisierungsthese eingesehen, dass mit der fortschreitenden Modernisierung der Gesellschaft nicht notwendig auch ein ausschließlich säkulares Bewusstsein bei der Bevölkerung entsteht und Religion nicht aus dem Privatleben und der Öffentlichkeit verschwindet, sondern in pluralen Formen präsent bleibt, dass diese jedoch nicht mehr einfach mit der traditionellen Kirchlichkeit gleich-

29 Der Münsteraner römisch-katholische Historiker Thomas Großbölting bietet eine kontextuell eingebettete knappe Nachzeichnung dieser Zeit mit Blick auf die „Gott ist tot“-Theologie an, die den Wandel des Gottesbildes im Zusammenhang mit dem Wandel der Jenseitsvorstellungen beschreibt. Vgl. TH. GROSSBÖLTING 2013, 168–175 („Das ,Ende der Hölle‘ und die ,Gott ist tot‘-Theologie. Neue Konzepte und Formen von Kirche und religiösem Leben“). 30 Vgl. D. POLLACK 2012, 9. 31 Vgl. M. K ROEGER 2014, 77. 32 So H. M CLEOD 2006, 327.328; vgl. H. M CLEOD 2009 und A. M ARWICK 1998; dazu H. LEHMANN 2012, 118–129; auch L. HÖLSCHER 2003; TH. GROSSBÖLTING 2013, 95–179. 33 C. G. B ROWN 2009.

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zusetzen sind.34 So zeigt der Blick auf die Entwicklung in Großbritannien für Brown ein derart tiefgreifendes Verschwinden der christlichen Religion aus dem Bewusstsein der Bevölkerung, dass er nur die Möglichkeit einer radikalen Veränderung für das Christentum sieht, um überhaupt überleben zu können.35 Auch der britische Kirchenhistoriker Hugh McLeod sieht in der religiösen Krise der „,langen‘ 1960er Jahre“36 eine „revolutionary era“37, die mit ihrem gesellschaftlichen Modernisierungsschub und anhaltendem Wandlungsprozess einschneidend für das Christentum im modernen Europa,38 in Großbritannien und in den Vereinigten Staaten von Amerika gewesen sei: „The ,1960s‘ were an international phenomenon. The Civil Rights Movement and the Vietnam War were of course central to the history of the United States in this period, but the impact of the Vietnam War, in particular, was felt throughout the Western world. The same is true of the events of May 1968 in Paris; of the contraceptive pill, which became available in the United States in 1960 and in Europe in 1961; and the developments in pop music, fashion, or the use of drugs which started in Britain or the United States, but were quickly adopted in many other countries. The religious history of the decade is equally international. This is most obviously true of the Second Vatican Council, an event with enormous implications for Catholics everywhere. But it is also true of books such as Honest to God, John 34 Vgl. J. H ABERMAS 2001; P. L. B ERGER (1979) 1992; C H. TAYLOR (2007) 2009. Zur Debattenlage vgl. H. JOAS 2012, bes. 25–42 und H. JOAS 2020, 250. Dass Säkularisierung nicht identisch ist mit dem Prozess der Aufklärung zeigt U. BARTH 2003, 127–165 und fragt: „Geht es um Entdogmatisierung, Entkonfessionalisierung, Entkirchlichung, Entchristlichung, Verweltlichung, Transzendenzverlust oder das Ende von Religion überhaupt?“ (U. BARTH 2003, 139). 35 C. G. B ROWN 2009, 233. „What I did write is that ,the culture of Christianity has gone in the Britain of the new millennium. Britain is showing the world how religion as we have known it can die‘. The emphasis here is upon ,religion as we have known it‘, and should not be taken as a statement that the rest of world will follow Britain or that religion itself is ending. From what even my most strident critics are saying, based on the present evidence, mutation is precisely the best the Christian faith can hope for in the circumstances of British secularisation.“ (C. G. BROWN 2009, 232.233). Vgl. auch S. BRUCE 2002, 74: „The Church of England will by then [i. e. 2031] be reduced to a trivial voluntary association with a large portfolio of heritage property. Regular churchgoers will be too few to show up in representative national survey samples. Perhaps then the critics of the secularization paradigm will recognize that, however convincing our explanations of decline, decline is not a sociological myth.“ Dass das nicht der erste Abgesang auf das Christentum ist, zeigt H. JOAS 2004, 2012, 29–34; vgl. auch H. MCLEOD/W. USTORF 2003. Zur Auseinandersetzung mit Steve Bruce, der am Ende des Säkularisierungsprozesses die Verbreitung von Indifferenz gegenüber der Religion sieht, Vgl. CH. TAYLOR (2007) 2009, 709–726; zur Entwicklung in England vgl. a. a. O., 631–688. 36 H. M CLEOD 2009. Im Anschluss an Arthur Marwicks (A. M ARWICK 1998) „concept of a ,long‘ 1960s, lasting from about 1958 to 1974“ (H. MCLEOD 2009, 1). Vgl. die Beiträge zu Religion und Lebensführung im Umbruch der langen 1960er Jahre in C. LEPP/H. OELKE/D. POLLACK 2016. 37 H. M CLEOD 2009, 5. 38 Vgl. auch H. M CLEOD 2007, 35–50.

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Robinson’s theological bestseller, published in England in 1963 and soon translated into numerous languages. Other religious trends of the decade, such as the drop in church-going and the movement of resignations from Catholic priesthood, were also remarkably international, though of course there are differences from country to country in their scale.“39

Die Grenzen überschreitende Kontroverse um das Buch von John Robinson erregte nicht nur in England die Gemüter,40 sondern erreichte auch Westdeutschland und traf auf eine Evangelische Kirche, die sich in einer Relevanzund Glaubwürdigkeitskrise befand, sowie eine wissenschaftliche Theologie, die sich inmitten einer Umformungs- und Grundlagenkrise verortete.41 EntH. MCLEOD 2009, 3.4. Zur „dritten Welle“ der Säkularisierung vgl. auch H. JOAS 2012, 80–85 mit Kritik an Hugh McLeods Fokussierung auf Großbritannien im Vergleich Europas mit den USA. 40 In Großbritannien zeigt sich in der Folgezeit eine eigenständige Auseinandersetzung mit der Gott ist tot-Theologie, die im britischen Kontext auch mit den Begriffen Radical Theology und Post-Christianity bezeichnet wird. Sie wird auf John A. T. Robinson (The Honest to God Debate dokumentiert D. L. EDWARDS 1963; eine prägnante Zusammenfassung findet sich bei J. SPERNA WEILAND 1968, 92–102) und John Hick (The Myth of God Incarnate, 1977) zurückgeführt. Gegenwärtig ist sie besonders mit dem ehemaligen Priester der Church of England und Life Fellow am Emmanuel College Cambridge Don Cupitt verbunden. Von ihm selbst stammt eine John A. T. Robinson gewidmete Aufsatzsammlung, die den Titel Radical Theology trägt (D. CUPITT 2006). Eine Einführung in seinen Ansatz bietet der Artikel post-Christianity (D. CUPITT 1999, 218–232; vgl. dazu auch D. MOURKOJANNIS 2007). Cupitt hat auch das Vorwort zu einer neueren Einführung in die Radical Theology. The Death and the Resurrection of God verfasst, die Trevor Greenfield vorgelegt hat (T. GREENFIELD 2006). Darin bietet er einen Überblick über die verschiedenen Strömungen der Radical Theology und kennzeichnet diese mit Recht als „heterogeneous phenomenon“ (28). Die allgemeinverständlich geschriebene Einführung bietet in Anlehnung an Cupitts NonRealist Philosophy of Religion/Theology (vgl. D. CUPITT 2002) und Abschied von Gott (Taking Leave of God; vgl. D. CUPITT 1980; vgl. auch D. CUPITT 1997; auf Deutsch erschienen als Nach Gott. Die Zukunft der Religionen; [D. CUPITT 2004], das im religionsgeschichtlichen Vergleich den Wandel von Gottesvorstellungen und den Tod von Göttern nachzeichnet) ein evolutionäres Verständnis des Gottesgedankens („The God of the Mountain“; 9–30) und bietet abschließend eine interessante Verknüpfung der biblischen Weisheitstradition mit der radikalen Theologie (161–177: „God is Love, God is Dead; Radical Theology as Wisdom Literature“), die er als gegenwärtigen Ausdruck eines auf menschliche Erfahrung gründenden weisheitlichen Denkens versteht und dabei ihre Internationalität und Kulturen übergreifende Kraft herausstellt. Vgl. zu dieser Verknüpfung jetzt auch: PH. DAVID 2021a. 41 E. H IRSCH 1968 möchte mit dem Konzept der Umformung bzw. Umformungskrise reformatorisches Christentum und neuzeitliches Wahrheitsbewusstsein verbinden. W. PANNENBERG (1962) 1967b diagnostiziert die „Krise des Schriftprinzips“, die als „fundamentaltheologische Dauerkrise“ (vgl. zum Folgenden J. LAUSTER 2014a, 180; zur Deutungsoffenheit der Texte und hermeneutischen Methodenpluralität im Alten Testament M. SAUR 2014 und im Neuen Testament G. THEISSEN 1995) die Evangelische Theologie seit über 200 Jahren vor zwei elementare Fragen stellt, von deren Beantwortung entscheidende Weichenstellungen für das jeweilige Theologiekonzept abhängen. Es geht um die grundlegende Frage, warum eine Religion in ihrer Wahrheitsgewissheit auf vergangene Texte zu gründen sein 39

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stand um 1800 mit der „Kirchlichkeit“42 eine neue Form von Frömmigkeit, war Religion im 19. Jahrhundert weltweit „eine Daseinsmacht ersten Ranges“43 und förderte die Allianz von Thron und Altar den hegemonialen Anspruch des Protestantismus im Kaiserreich, so kommt um 1900 ein „komplexe[r] Prozess von Entkirchlichung und Verkirchlichung, religiöser Pluralisierung und Individualisierung, aber auch Säkularisierung [in Gang], der statistisch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts jedoch kaum abbildbar ist.“44 In der Zeit nach 1945 kommt es in der Folge zu einem beispiellosen Traditionsabbruch, der sich dann Ende der 1960er Jahre offen zeigt in einer fortschreitenden Entchristlichung und Entkirchlichung.45 In den späten 1960er und frühen 1970er Jahren führt diese Entwicklung zu einer „,Normalisierung der säkularen Option‘ auf allen gesellschaftlichen Ebenen und [zu] einer damit schleichend einhergehenden soll und die Frage, wie über die subjektive Auslegungswillkür hinaus verbindliche Gehalte aus der Bibel erhoben werden können. Anders als zur Zeit der Reformation im 16. Jahrhundert, in der noch der normative Charakter des Kanon gegolten hat und die Schrift als alleinige Richtschnur für den Glauben und die Lehre gegenüber menschlichen Lehrtraditionen (Papst, Konzilien, Lehramt) in Geltung stand, wurden diese Fragen durch die Historisierung der Bibel zum Problem für die Begründung einer sich auf die Bibel gründenden Religionsgemeinschaft und Theologie, die sich nicht mehr naiv als Schriftauslegung verstehen kann, will sie nicht in den Verdacht von Nostalgie, Fundamentalismus oder Naivität geraten. Dieses führte dazu, dass in der ersten modernen Dogmatik des Protestantismus, Schleiermachers Glaubenslehre (11821/22; 21830/31), nicht mehr vom Schriftprinzip in den Prolegomena gehandelt, sondern der systematische Ausgang beim frommen Selbstbewusstsein genommen wurde, womit er sein religionstheoretisches Modernisierungsprogramm der Reden Über die Religion (1799) in die Dogmatik überführte. Vgl. Abschnitt 3.4 in diesem Buch. 42 Vgl. zum 19. Jahrhundert als „Zeitalter der Kirche“ L. H ÖLSCHER 2005, 175–400. 43 J. O STERHAMMEL 2009, 1239. 44 C H. G ÄRTNER 2021, 34. Die Religionssoziologin Christel Gärtner benennt „vier Entwicklungslinien, die sich um 1900 beginnen abzuzeichnen“ (a. a. O., 33.34 mit weiterem Erschließungsmaterial): 1. eine Differenzierung und Pluralisierung innerhalb der traditionellen Religionsgemeinschaften; 2. ein stillschweigendes, implizites Auswandern aus den Kirchen, insbesondere von intellektuellen, männlichen, bürgerlichen Eliten und Teilen der Fabrikarbeiterschaft im Zusammenhang mit der Norm der Individualisierungsforderung und der Subjektivierung der religiösen Gehalte der christlichen Tradition, die besonders vom Kulturprotestantismus angestoßen wurde; 3. die Entstehung neuer Formen nichtchristlicher Religiosität (z. B. Anthroposophie, esoterische und mystische Sekten, Lebensformbewegungen, völkische Religiosität u. a. m.), inklusive gegenkirchlicher und atheistischer Bewegungen; 4. im Laufe des 20. Jahrhunderts werden die säkularen Sinnoptionen wie Arbeit, Familie, politischer Glaube, aber auch Bildungs- und Kunstreligion wichtiger. Hierzu gehört auch der Typus einer Wissenschaftsreligion, die auf Erfahrungen der entfesselten Marktwirtschaft und der durch sie erzeugten Krisen reagiert und sich an den Positivismus anschließt (vgl. a. a. O. 34, Anm. 11 im Anschluss an die Religionssoziologie von Wolfgang Eßbach); vgl. hierzu auch die Darstellung von TH. NIPPERDEY 1988b, 67–153. 45 Vgl. TH. G ROSSBÖLTING 2013. Dass „die Geschichte der Säkularisierung immer auch eine Geschichte der Schuld und der verweigerten Verantwortung von Christen ist“ (H. JOAS 2012, 85) ist für das 19. und 20. Jahrhundert besonders zu bedenken.

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Exotisierung der Gläubigen.“46 Weite Kreise werden vom neuen „Wert expressiver Selbstverwirklichung“47 ergriffen. Im späteren 20. Jahrhundert zeigt sich das religiöse Feld in Deutschland äußerst vielschichtig. Herrschte in den theologischen Debatten des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts noch ein „universaler Theismus“48 – der Glaube an einen existierenden Gott, der als Person vorgestellt wird, „die unkörperlich, ewig, allwissend, allmächtig, vollkommen gut und Schöpfer der Welt ist“49 –, der als Matrix die Streitfragen um den historischen Jesus, Offenbarung und Christologie bestimmte, so kommt es unter dem Einfluss von Rudolf Bultmanns Entmythologisierungsprogramm50 und Friedrich Gogartens Säkularisierungstheologie51 innerhalb der deutschsprachigen Theologie der Nachkriegszeit zu einem Streit um den theistischen Gottesbegriff, der gewisse Parallelen zur US-amerikanischen Theologie des Todes Gottes aufweist, und vor allem im neoorthodoxen Barthianismus, der am Bekenntnis zum trinitarischen Gott festhält, auf entschiedene Ablehnung stößt.52 Die langen 1960er Jahre wurden in der Theologie zu einer Zeit „of rethinking God as much as rejecting God“53, in der auf unterschiedliche Weise nach einer Neubestimmung des christlichen Gottesgedankens gesucht wurde, inmitten der Geltungskrise der Theologie und des sich ausbreitenden Gedankens, „dass Gott H. JOAS 2012, 81. H. JOAS 2012, 82. 48 Vgl. R. SCHÄFER 1973, 63. Die Entstehung des Theismus als philosophischer Theorie war in der britischen und französischen Aufklärung im 17. Jahrhundert eine Reaktion gegen den aufkommenden Atheismus und Deismus. Vgl. I. U. DALFERTH 2002 und U. DIERSE 1998. Bereits um 1800 geriet diese Vorstellung jedoch in den philosophisch-theologischen Streitsachen um die göttlichen Dinge (vgl. G. ESSEN/CH. DANZ 2012) und auch bei Schleiermacher in die Kritik (vgl. J. DIERKEN 2005a, 243–258). 49 F. V. K UTSCHERA 1990, 43. 50 Die „Entmythologisierung“ als „existentiale Interpretation“ mythologischer Texte will „die eigentliche Intention des Mythos zur Geltung bringen, nämlich die Intention, von der eigentlichen Wirklichkeit des Menschen zu reden (R. BULTMANN [1963] 1965c, 134). 51 Für die Evangelische Theologie hatte sich daran anschließend die Einsicht etabliert, dass die Säkularisierung ein Prozess sei, der sich konsequent aus dem Wesen des christlichen Glaubens ergebe. Vgl. F. GOGARTEN 1953 und H.-H. SCHREY 1981. 52 Vgl. J. R OHLS 1997b, II, 655. Schleiermachers „religionstheoretisches Modernisierungsprogramm“ in den Reden über die Religion (1799) formierte die Religion als neuzeitliches Organisationszentrum der Theologie (U. BARTH 2004, 259–289), das dazu führte, dass sich Offenbarung als Protestbegriff im 19. Jahrhundert etabliert. Wirksam werden sollte der Protest mit der dialektischen Theologie Karl Barths nach dem Ersten Weltkrieg. Für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg diagnostiziert Paul Tillich für die deutschsprachige Theologie eine fatale Abwendung vom Neuprotestantismus und einen „neoorthodoxen Fundamentalismus“, vor allem aus der barthianischen Bruderratsfraktion der Bekennenden Kirche. Vgl. mit entsprechenden Nachweisen J. ROHLS 2015b, 13–15. 53 D. H ERZOG 2006, 434; 437. Zur Gottesfrage in der US-amerikanischen Theologie vgl. F. HERZOG 1968. Eine Übersicht über die Debatte bieten die Forschungsberichte von H. GRASS 1970 und 1972. 46 47

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tot sei“. Die bei Gogarten anzutreffende Unterscheidung einer „theologisch legitimen und einer theologisch illegitimen Verweltlichung“ wird von der „sogenannten ‚Theologie nach dem Tode Gottes‘ (van Buren, Cox, Sölle), wo das Säkularisierungsmodell – im Interesse einer radikalen Politisierung des Christentumsverständnisses – [zurückgewiesen und; d. A.] zur Beseitigung jedweder Art von Transzendenz gesteigert.“54 Während die zeitgenössischen Philosophien, die Phänomenologie, Existenzphilosophie und metaphysikkritische Sprachphilosophie sowie die analytische, hermeneutische und marxistische Philosophie, von der Rede vom Absoluten absahen,55 wurde in der evangelischen Theologie um Gottes Sein und Existenz heftig gestritten. Vorbereitet war diese Kontroverse durch die Arbeiten von Karl Barth, Rudolf Bultmann und Friedrich Gogarten in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg. Leitend war einerseits Bultmanns Frage Welchen Sinn hat es, von Gott zu reden? (1925)56 und andererseits beherrschte in der evangelischen Theologie nach dem Ersten Weltkrieg das wirkmächtige Programm einer offenbarungstheologischen Begründung des Gottesgedankens der WortGottes-Theologie, das gegen jede natürliche Theologie und vernünftige Gotteserkenntnis auf die exklusive Betonung der gänzlichen Andersheit der Gottheit Gottes und die unendliche Diastase von Gott und Mensch setzte, den Diskurs. Karl Barth fragt „unter der Voraussetzung, daß Rede von Gott sinnvoll und möglich ist als ,menschliche Rede von Gott aufgrund der alle menschliche Veranlassung grundsätzlich transzendierenden und also menschlich nicht zu begründenden, sondern faktisch sich ereignenden und zu anerkennenden Anweisung Gottes selber‘“57: „in welchem Sinn von Gott geredet werden muß, damit von Gott die Rede ist.“58 Die hermeneutische Wort-Gottes-Theologie von Ernst Fuchs, Gerhard Ebeling und Eberhard Jüngel schloss in den fünfziger und sechziger Jahren daran in unterschiedlicher Pointierung und Weiterführung an. Sie verstand nur das als wirklich, „was als gegenwärtig [...] zur Sprache gebracht werden kann“59 und reagierte mit der Formel, Gottes Wirk-

U. BARTH 2003, 132 mit Bezug auf H. H. SCHREY 1981, 201–252. Eine Ausnahme war Wilhelm Weischedels Programm einer Philosophischen Theologie. Vgl. Abschnitt 5.3.1 in diesem Buch. 56 R. B ULTMANN (1933) 1964, 26–37: Das persönliche Beteiligtsein ist für Bultmann der rechtfertigende Glaube (vgl. a. a. O., 36). Daher ist seine zentrale These, „will man von Gott reden, so muß man offenbar von sich selbst reden“ (a. a. O., 28), als Bejahung dessen zu verstehen, was Gott zu unserem Heil an uns tut, ausgedrückt im Satz seines Marburger Lehrers Wilhelm Herrmann aus Die Wirklichkeit Gottes (1914; 43): „,Von Gott können wir nur sagen, was er an uns tut‘“ (a. a. O., 36; vgl. R. BULTMANN 1965d, 181). 57 So E. JÜNGEL (1965) 1976, 1.2 mit Zitat aus K. B ARTH, KD I/1, 92. 58 E. JÜNGEL (1965) 1976, 1. 59 E. FUCHS 1954, 130. 54 55

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lichkeit als „Sprachereignis“60 zu verstehen, um so „den [biblischen] Text wieder Wort Gottes werden“61 zu lassen, auf die aufkommenden Anfragen. Innerhalb der Theologie wurde dieser Ansatz bald fragwürdig.62 Von Seiten des sich neu formierenden theologischen Liberalismus wird eine dezidiert theologische Begründung der Theologie zurückgewiesen. Inspiriert durch die Schleiermacher-Renaissance und Hegel-Rezeption steht seit den 1960er Jahren (wieder) die Forderung im Raum, den Gottesgedanken philosophisch grundzulegen.63 Widerspruch auf andere Weise kam auch von einem religiösen Sozialismus, der durch die 68er-Bewegung noch einmal Auftrieb bekam, und von der Friedens- und Umweltbewegung, die dem christlich motivierten Gedanken einer aktiven politischen Umgestaltung bestehender Verhältnisse nachhing. In der Befreiungstheologie sowie in der politischen und feministischen Theologie wurde ebenfalls um einen neuen Gottesbegriff gerungen, um für ein „praktisches Christentum“ zu streiten.64 Aufgrund der Erfahrungen der beiden Weltkriege, des Totalitarismus und des Holocaust kristallisierte sich im Rahmen einer Theologie nach Auschwitz bei Dorothee Sölle, Jürgen Moltmann und Johann Baptist Metz die Problematik heraus, inwiefern Gott überhaupt noch Allmacht zugeschrieben werden könne. Damit kommt es erst in den 1960er Jahren zu vielfältigen theologischen und gesellschaftlichen Aufbruchsbewegungen: „die politische Katastrophe des Zweiten Weltkriegs [hat] im Unterschied zu der des Ersten nicht zu einer der ,Theologie der Krisis‘ vergleichbaren theologischen Aufbruchsbewegung mit dem entsprechenden Kairos-Bewußtsein geführt“65, vielmehr ist eine erstaunliche Kontinuität von Positionen und Personen auffallend.66 Durch Krieg und nationalsozialistische Diktatur fehlten in den 1930er und 1940er Jahre für ausgiebige Debatten die nötigen Freiräume. Auch wenn erste kritische Stellungnahmen bereits 1942 auftauchten, begann die Kontroverse um Bultmanns

60 Vgl. E. FUCHS (1951) 1965a, 128–131; (1959) 1965b; 1968, 242–245; E. JÜNGEL 1972b, 85. Zur Kritik vgl. exemplarisch Fritz Buri, der in der Theologie des Sprachereignisses bzw. Sprachgeschehens von Ernst Fuchs, Gerhard Ebeling und Eberhard Jüngel keine Begründung, sondern „eine Gefährdung verantwortlichen Redens von Gott“ (vgl. F. BURI 1967, 11 und für das Zitat: a. a. O., 35, Anm. 43) sieht. 61 J. R OHLS 2015b, 17. 62 Vgl. zur Darstellung und Kritik I. U. D ALFERTH 2010a, 83–171: „Sofern ihr Ansatz theologisch interessant ist, stellt er hermeneutisch keine echte Alternative dar, sofern er eine solche bieten könnte, scheint er theologisch mehr Probleme aufzuwerfen, als er zu lösen verspricht“ (a. a. O., 155); vgl. zu einem produktiven Zugang auch H. V. SASS 2013. 63 Vgl. U. B ARTH/W. G RÄB 1993. 64 Dass zudem im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts weitere unerledigte Fragen des 19. Jahrhunderts wieder aufgegriffen werden zeigen D. LANGE u. a. 1996, 818. 65 H. FISCHER 2002, 110. Vgl. auch J. R OHLS 1997b, II, 511.512. 66 Vgl. auch J. R OHLS 1997b, II, 511.

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Entmythologisierungsvortrag von 1941 erst in den Nachkriegsjahren.67 Der Streit wurde heftig ausgetragen und war in den 1950er und 1960er Jahren mit massiver Kritik aus kirchlichen Kreisen verbunden.68 In Theologie und Kirche reduzierte sich die „Verarbeitung der politischen Geschichte […] auf die Erforschung des Kirchenkampfes […].“69 Zur Symbolfigur des Widerstands der Evangelische Kirche gegen die nationalsozialistische Diktatur wurde Dietrich Bonhoeffer (1906–1945), dessen Manuskripte zur Ethik (1949), sowie vor allem die von Eberhard Bethge posthum herausgegebenen Briefe, Texte und Gedichte aus der Haftzeit (April 1943 bis Februar 1945) mit dem Titel Widerstand und Ergebung (1951) auf weltweite Resonanz stießen70: Seine Frage, „was das Christentum oder auch wer Christus heute für uns eigentlich ist“71; seine Fragment gebliebenen Gedanken zu „Christus und einer mündig gewordenen Welt“72, von denen her er eine nicht-religiöse Interpretation biblischer Begriffe fordert, und die Entdeckung, dass der in Christus offenbare Gott keine Arbeitshypothese für den autonomen Menschen sei, sondern nur der ohnmächtige und „leidende Gott […] helfen“73 könne, in dieser Welt ohne Gott zu leben (etsi Deus non daretur), wirkte auf vielfältige Weise anregend. Denn, so lautet Bonhoeffers Diagnose: „Unserem ganzen bisherigen ,Christentum‘ wird das Fundament entzogen [...].“ Sollte dies zutreffend sein, müsste man die Situation der „westliche[n] Gestalt des Christentums [...] nur als Vorstufe einer völligen Religionslosigkeit beurteilen [...].“74 Aus der Formulierung, „daß Christus nicht hilft kraft seiner Allmacht, sondern kraft seiner Schwachheit, seines 67 Die Wiederveröffentlichung des Vortrags von 1941 (in: H.-W. B ARTSCH [1948] 1957) sorgte für heftige und anhaltende Kontroversen (vgl. H.-W. BARTSCH 1954 und die einleitenden Bemerkungen zur „kleinen hermeneutischen Grundsatzerklärung“ in: R. BULTMANN [1941] 1988, 7–9), obwohl Bultmann darin nur wiederholte, was er bereits seit den 1920erJahren umgesetzt hatte, z. B. in seinem Buch über Jesus (1926). Vgl. dazu K. HAMMANN 2012, 421–441. Vgl. auch den ersten Band von Glauben und Verstehen (1933), der Martin Heidegger gewidmet ist. Zu weiteren theologischen Programmen, die in den 1930er und 1940er Jahren vorangebracht wurden vgl. H. FISCHER 2002; J. ROHLS 1997b, II, 349–676. 68 Vgl. K. H AMMANN 2012, 421–432. 69 H. FISCHER 1992, 139. 70 Vgl. D. B ONHOEFFER, DBW 8, 9–12. 71 D. B ONHOEFFER, DBW 8, 402 (Brief vom 30.4.1944 an Eberhard Bethge). 72 D. B ONHOEFFER, DBW 8, 479. 73 D. B ONHOEFFER, DBW 8, 534 (Brief vom 18.7.1944 an Eberhard Bethge). Vgl. dazu E. JÜNGEL (1977) 1986, 79–83, J. MOLTMANN (1972) 1976, 365–367 und D. SÖLLE 1965 („Schluß: Die Ohnmacht Gottes in der Welt“). Vgl. bei Jüngel auch den Abschnitt „Bonhoeffers Beitrag zur Heimkehr der Rede vom Tode Gottes in die Theologie“ (E. JÜNGEL [1977] 1986, 74–83). Jüngel deutet Bonhoeffers Gedicht Christen und Heiden (8. Juli 1944) so, dass darin „faktisch vom Tod Gottes geredet wird“ (E. JÜNGEL [1977] 1986, 80). Ergo: „Bonhoeffer [hat] für die Heimkehr der Rede vom Tode Gottes in die Theologie den Boden bereitet“ (E. JÜNGEL [1977] 1986, 73). 74 D. B ONHOEFFER, DBW 8, 403.404.

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Leidens“75, erwuchs mit der „Ohnmacht und dem Leiden Gottes“ als Reaktion auf die Diagnose ein neuer Leitbegriff in der Theologie. Kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs veröffentlichte der Erlanger Lutheraner Werner Elert (1885–1954) in der Theologischen Literaturzeitung einen Artikel mit dem Titel Die Theopaschitische Formel (1950) und stellt zu Beginn fest: „Die theopaschitische Formel ,Gott hat gelitten‘ kommt in der modernen Dogmatik, der protestantischen wie der katholischen, wenn überhaupt, nur noch als dogmengeschichtliches Kuriosum vor.“76 Im Rückblick muss dieses Urteil umgedreht werden, denn in der Theologie der Nachkriegszeit wird die Rede vom leidenden Gott nahezu in allen dogmatischen Entwürfen verwendet, so dass man sich über frühere Epochen wundern muss, die die Leidenslosigkeit Gottes herausgestellt haben.77 Es waren jedoch nicht die Erlanger Werner Elert und Paul Althaus (1888–1966), die die neuere Diskussion in der deutschen Theologie, ob das Leiden Jesu als Leiden Gottes zu interpretieren sei, und über die Gültigkeit des platonischen Axioms der wesenhaften Apathie Gottes ausgelöst haben, sondern, wie Jan Rohls herausgestellt hat, die US-amerikanische Theologie des Todes Gottes.78 Nicht nur an dieser Debatte, sondern auch auf zahlreichen Feldern der gegenwartssensiblen Kontextualisierung der Theologie wird für Wilfried Härle exemplarisch deutlich, „in welchem Maße sie dazu beigetragen hat, die 1945 noch kaum gestellte Frage nach der Verarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit ins Bewusstsein zu rücken, und in welchem Maße sie – insbesondere in Gestalt der Befreiungstheologie – die Sensibilität für das Elend und Leiden der sog. Dritten Welt geweckt und gestärkt hat. [...] In beiden Zusammenhängen gewann jetzt ein Gedanke Bedeutung [...]: der Gedanke vom leidenden und mitleidenden Gott, der in die Ohnmacht der Welt eingeht, um das Los der Leidenden, Unterdrückten und Schwachen zu teilen, um also mit ihnen solidarisch zu werden.“79

Neben Bonhoeffer, auf den sich „[n]icht zufällig [...] die Vertreter der Gott-isttot-Theologie in aller Welt“80 beriefen, mit seiner Betonung der Schwachheit Gottes, trägt der 1933 aus Deutschland in die USA emigrierte Paul Tillich (1886–1965) mit seiner Kritik am Theismus wesentlich zur Umstrukturierung des herkömmlichen Gottesgedankens in der protestantischen Theologie der D. BONHOEFFER, DBW 8, 534. W. ELERT 1950, 195. 77 Vgl. zu dieser Beobachtung auch J. R OHLS 2001, 31. 78 Vgl. J. R OHLS 2001, 46. 79 W. H ÄRLE 2008, 338. Dass Moltmann (J. M OLTMANN [1972] 1976, 200; 214–216) bei seiner Pointierung der Rede vom leidenden und mitleidenden Gott auf Werner Elert verweist, findet Wilfried Härle bemerkenswert (vgl. W. HÄRLE 2008, 338). Härle verweist aber nicht auf Elerts Aufsatz von 1950, sondern auf die aus dem Nachlass veröffentlichte Studie Der Ausgang der Christologie. Eine Untersuchung über Theodor von Pharan und seine Zeit (W. ELERT 1957). Vgl. zur Nachzeichnung der lutherischen Positionen von Elert und Althaus J. ROHLS 2001, 31–36; vgl. auch D. SÖLLE (1973) 1980. 80 E. JÜNGEL (1977) 1986, 74. Vgl. exemplarisch W. H AMILTON 1966d. 75 76

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Nachkriegszeit bei. Tillich geht es um die symboltheoretische Überwindung der theistischen Gottesvorstellung, an deren Stelle der „,Gott über Gott‘, die Macht des Seins“ tritt.81 Sein Versuch, den Theismus zu überwinden und so den Glauben des Menschen durch eine überspitzte Abstraktion Gottes zu retten, trifft sich in der Sache mit dem Anliegen des Mainzer Neutestamentlers Herbert Braun, dessen Vortrag Die Problematik einer Theologie des Neuen Testaments im Bultmann-Schülerkreis der Alten Marburger im Herbst 1960 es letztlich gewesen ist, der den maßgeblichen Anstoß zur intensiven Debatte um ein (nach-)theistisches Reden von Gott gegeben hat.82 Mit der sich verbreitenden Einsicht vom Ende der traditionellen theistischen Metaphysik83 schien sich der Gottesgedanke der Theologie in den neuzeitlichen Atheismus aufzulösen und die traditionellen christlichen Gottesvorstellungen gerieten in eine weitreichende Plausibilitätskrise, die Wolfhart Pannenberg (1928–2014) so pointierte: „Das Leben und Denken ohne Gott, der säkulare Atheismus, ist der selbstverständlich gegebene Boden, auf dem auch die Frage nach Gott sich heute stellt.“84 P. TILLICH 1987b, II, 18.19. Vgl. zu Tillich Abschnitt 1.3.5 (7) in diesem Buch. So M. HONECKER 1968, 156, Anm. 1; vgl. J. ROHLS 2015b, 25. Hierbei handelt es sich ursprünglich um einen Vortrag, der auf einer Tagung der ,Alten Marburger‘ – den Schülern Rudolf Bultmanns, einem Kreis, zu dem Rudolf Bultmann seit 1927 seine ehemaligen Schüler sowie seine gegenwärtigen Doktoranden zu einem jährlichen Treffen Ende Oktober einlud – am 18. Oktober 1960 in Bethel gehalten wurde und zuerst in ZThK Beiheft 2 (1961), 3–18 erschienen ist (jetzt in: H. BRAUN [1961] 1962c). 83 Vgl. die Darstellung über den Gott der neuzeitlichen Metaphysik bei W. SCHULZ 1957. 84 W. PANNENBERG 1967, 361. Mit seinem universalgeschichtlichen Programm Offenbarung als Geschichte (W. PANNENBERG 1961; vgl. zum Pannenberg-Kreis G. WENZ 2018) setzte er sich von der Wort-Gottes-Theologie Karl Barths und Rudolf Bultmanns ab und hält trotz der Krise der Metaphysik am metaphysischen Gottesbegriff fest, fordert eine Erneuerung der Tradition metaphysischen Denkens (W. PANNENBERG 1988) und entwirft eine Theologie der Vernunft (vgl. J. ROHLS 2015b, 19–23; vgl. auch Abschnitt 1.3.5 [6] in diesem Buch). Bereits in Heilsgeschehen und Geschichte (1959 = W. PANNENBERG 1967, 22–78) hatte er sich gegen die existentiale Theologie und die heilsgeschichtliche Theologie gestellt, um die theologischen Probleme der vorangegangenen Generationen, die durch die historisch-kritische Forschung aufkamen, mit einer universalen Theologie der Geschichte zu bewältigen. Gott erweist sich für ihn, anders als für Herbert Braun, nicht in der menschlichen Existenz, sondern in der Geschichte (W. PANNENBERG 1967, 22: „Geschichte ist der umfassendste Horizont christlicher Theologie. Alle theologischen Fragen und Antworten haben ihren Sinn nur innerhalb des Rahmens der Geschichte, die Gott mit der Menschheit und durch sie mit der ganzen Schöpfung hat, auf eine Zukunft hin, die vor der Welt noch verborgen, an Jesus Christus jedoch schon offenbar ist.“). Die ganze Geschichte sei eine Geschichte Gottes, deren Ende in der Auferweckung Jesu von den Toten bereits vorweggenommen worden sei. In seinen Aufsätzen Typen des Atheismus und ihre theologische Bedeutung (1963 = W. PANNENBERG 1967, 347–360) und Die Frage nach Gott (1965 = W. PANNENBERG 1967, 361–386) sowie in Der Gott der Hoffnung (1965 = W. PANNENBERG 1967, 387–398) nimmt Pannenberg auf die gegenwärtigen Debatten Bezug und versteht den „säkularen Atheis81 82

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(2) Unter der Überschrift Our Image of God Must Go veröffentlichte die englische Sonntagszeitung The Observer am 17. März 1963 eine Zusammenstellung der Thesen des anschließend in viele Sprachen übersetzten und weltweit millionenfach verkauften Buches Honest to God85: „Das Erscheinen dieses Buches war ein Ereignis. Das lag nicht allein an der BBC und dem Observer, es lag auch an dem Buch selbst.“86 Das Titelbild zeigt die Bronzeskulptur des tief im Nachsinnen und stillem Schmerz versunkenen Sitzenden Jünglings (1916–1917) von Wilhelm Lehmbruck (1881–1919). Trauer und Gebrochenheit sind der Cantus firmus, mit dem der anglikanische Bischof von Woolwich (1959–1969), einem Stadtteil im Südosten Londons, John Arthur Thomas Robinson (1919–1983), vormalig als Neutestamentler Fellow und Dean am Clare College Cambridge und nach seiner Zeit als Bischof Dekan des dortigen Trinity College, auf eine aufrichtige „transposition“ des Gottesgedankens zielt, da „der Supranaturalismus der orthodox-kirchlichen Tradition dem modernen Menschen nicht mehr glaubwürdig ist.“87 Damit hat bereits am Anfang der britischen Kulturrevolution in den 1960er Jahren ein ranghoher Kirchenvertreter

mus“ als Selbstverständlichkeit: „Wer es heute unternimmt, von Gott zu reden, kann nicht mehr auf unmittelbares Verständnis rechnen. Jedenfalls dann nicht, wenn er damit den lebendigen Gott der Bibel als die alles bestimmende Wirklichkeit, als den Schöpfer der Welt meint“ (W. PANNENBERG 1967, 361). Pannenberg stellt heraus: „Was diese Situation für die christliche Verkündigung und für die Theologie bedeutet, das ist bis heute strittig, und gerade in den letzten Jahren ist das Problem durch das Buch von Robinson, Honest to God, und innerhalb der deutschen Theologie durch die Diskussion um Herbert Brauns Entmythologisierung des Gottesgedankens in seiner Unausweichlichkeit allgemein bewußt geworden“ (W. PANNENBERG 1967, 362). Das Dilemma der Theologie gegenüber der atheistischen Kritik zeichnet Pannenberg anhand der Kontroverse zwischen Herbert Braun und Helmut Gollwitzer nach (W. PANNENBERG 1967, 365; vgl. auch W. PANNENBERG 1972, 29–47). 85 Die sich daran anschließende Kontroverse wurde zu einem „forerunner“ (J. C H. COOPER 1988, 5) der Debatte um die Gott-ist-tot-Theologie. Robinson selbst ist fasziniert von W. HAMILTON 1961 und verfasst für die zweite Auflage von W. HAMILTON 1966f ein Vorwort. Die Rede vom Tod Gottes nimmt er auf in J. A. T. ROBINSON 1965b, 122–130. Tiefergehend auf die Radikalität der Botschaft Jesu bezogen (vgl. besonders die Ästhetik des Schöpferischen und Schönen, die als Schlüssel zum Verständnis der Gestalt und der Worte Jesu dient; W. u. L. PELZ 1965, 64–86) war jedoch das weitaus weniger verkaufte Buch von Werner und Lotte Pelz, die für ihren Titel God is no more (W. u. L. PELZ 1963; dt. 1965: Gott ist nicht mehr... Von der Hoffnung des Menschen) auf ein Blake-Zitat aus The Everlasting Gospel, in dem Gott mit seinem Sohn redet („If Thou humblest Thyself, Thou humblest Me. | Thou also dwell’st in Eternity. | Thou art a Man: God is no more: | Thy own Humanity learn to adore, | For that is My spirit of life.“), zurückgegriffen haben: „The general opinion in religious circles is that it bites far deeper than the Bishop of Woolwich’s Honest to God“ (R. AVERILL 2012, Chapter 10); vgl. auch das Vorwort des Übersetzers Rudolf Stählin zu W. u. L. PELZ 1965, 7–10. 86 J. SPERNA W EILAND 1968, 94. 87 So R. B ULTMANN (1963) 1965a, 107.

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der Church of England, ein „,guardian and defender of the Faith‘“88, versucht, mit einer Kritik des traditionellen theistischen Gottesbegriffs neue theologische Wege zu gehen. Robinson berief sich dabei auf Paul Tillichs Begriff des „ultimate concern“, Dietrich Bonhoeffers Prognose eines „religionslosen Christentums“ und Rudolf Bultmanns existentiale Hermeneutik der „Entmythologisierung“. Ziel Robinsons ist es, ein großes Publikum über die Folgen der Entmythologisierung für den christlichen Glauben aufzuklären. Mit dem bevorstehenden Erscheinen der deutschen Übersetzung von Robinsons Honest to God89 mit dem „unglücklichen Titel“90 Gott ist anders nahm die öffentliche Debatte Fahrt auf. Sie traf auf eine gereizte Stimmung in Kirche und Theologie. Notabene: „Es entbehrt nicht der Ironie, daß die heutige deutsche Theologie erst nach England gehen und dort in eine klare, jedem verständliche Sprache übersetzt werden mußte, um vielleicht nun auch hier anzukommen.“91 Die „,Revolution wider Willen‘“92, die nun auch die evangelische und auch römisch-katholische93 Theologie und Kirche erreichte, wurde ab dem 12. April 1963 (Karfreitag) unter der Überschrift „Sind unsere Vorstellungen von Gott veraltet?“ in der Hamburger Wochenzeitung Die Zeit ausgetragen.94 Rudolf J. SPERNA WEILAND 1968, 94. Das Buch erschien im Oktober 1963 auf Deutsch. Die deutschsprachige Debatte dokumentiert H. W. AUGUSTIN 1964; vgl. auch das „Hörbild“ des Süddeutschen Rundfunks von Sigurd Daecke in G. HEIDTMANN u. a. 1964, 157–169. 90 J. SPERNA W EILAND 1968, 93. 91 D. SÖLLE 1964, 287. 92 D. SÖLLE 1964, 287. 93 Auf die Debatte in der römisch-katholischen Theologie und Kirche, die zum Umfeld des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962–1965) zählt, kann hier nur hingewiesen werden: Karl Rahner deutete (K. RAHNER [1958] 1960, 146: „der Tod des unsterblichen Gottes“) den Tod Jesu als Tod Gottes (vgl. K. RAHNER 1968, 951.952: „Dieser Tod Gottes in seinem Sein und Werden am anderen der Welt muß dann offenbar aber zum Gesetz der Geschichte des neuen und ewigen Bundes gehören, den wir zu leben haben. Wir haben das Schicksal Gottes an der Welt zu teilen. Nicht indem wir in modischer Gottlosigkeit erklären, Gott sei nicht oder wir hätten mit ihm nichts zu tun, sondern indem unser ,Haben‘ Gottes immer wieder durch die Gottverlassenheit [Mt 27,46; Mk 15,34] des Todes, in der Gott allein radikal uns entgegentritt, darum hindurchgeht, weil Gott sich selbst in Liebe und als die Liebe preisgegeben hat und diese in seinem Tod real wird und zur Erscheinung kommt.“) als „Selbstaussage Gottes“ (vgl. dazu den Exkurs bei J. MOLTMANN [1972] 1976, 186.187). Hans Urs von Balthasar sah den „Tod Gottes als Quellort von Heil, Offenbarung und Theologie“ an (H. U. V. BALTHASAR 1969); Hegels Karfreitag Gottes interpretiert Hans Küng als „,christliche Aufhebung des Atheismus‘“ und als ein „,nach-atheistisch an Gott glauben‘“ (H. KÜNG 1978, 170; vgl. auch seine Hegel-Studie H. KÜNG [1970] 1989). Für Joseph Ratzinger ist der Karsamstag der „Tag des Todes Gottes“ (J. RATZINGER [1968] 2005, 277.278). Vgl. zur Theologie des Karsamstags mit Bezug auf die „Höllenfahrt Christi“ (descensus ad inferos) auch H. U. V. BALTHASAR 1969, 227–255 („Der Gang zu den Toten“). 94 In der Wochenzeitung Die Zeit Nr. 14 von 1963 (5. April) wurde von dem aufsehenerregenden Buch Honest to God des anglikanischen Bischofs Robinson berichtet, das im 88 89

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Bultmann kommt in seinem Debattenbeitrag Ist der Glaube an Gott erledigt? nach seiner kritisch-wohlwollenden Darstellung von Robinsons Anliegen auf „zwei Bundesgenossen Robinsons“95 zu sprechen, die den Ansatz seiner Meinung nach noch gut unterstützt hätten: Gabriel Vahanian96 und Ernst Barlach97. Mit dem Hinweis auf Vahanians Buch The Death of God. The Culture of Our Post-Christian Era (1961) nahm Bultmann explizit die Formel „Tod Gottes“ auf,98 noch bevor Dorothee Sölle verbunden mit dem Stellvertretungsgedanken diese 1964 und 1965 titelgebend für Ein Kapitel Theologie nach dem „Tode Gottes“ verwendete99 und Jürgen Moltmann dem Thema ein Kapitel in seiner Theologie der Hoffnung widmete.100

Oktober 1963 auf Deutsch im Chr. Kaiser Verlag München erschien. Allein die erste Auflage von Robinsons Buch wurde daraufhin in 300.000 Exemplaren gedruckt und verkauft. Der Bericht schloss mit den Worten: „Das Wort haben die Theologen.“ Das Wort ergriff nach dem Dominikaner-Pater Rochus Spiecker Gott richtet sich nicht nach uns (Die Zeit Nr. 15) und dem Hamburger Theologieprofessor Helmut Thielicke Ist unser Gottesbild veraltet? (Die Zeit Nr. 16) Rudolf Bultmann (Die Zeit Nr. 19 = R. BULTMANN [1963] 1965a, 107– 112). Bultmanns letzte öffentliche Rede am 21. Juni 1963 auf dem Marburger Universitätsfest widmete sich dem Thema Der Gottesgedanke und der moderne Mensch (R. BULTMANN [1963] 1965b, 113–127). Vgl. dazu K. HAMMANN 2012, 442–457. 95 R. B ULTMANN (1963) 1965a, 110. 96 Vgl. R. B ULTMANN (1963) 1965a, 111. 97 R. B ULTMANN (1963) 1965b, 123. In Ernst Barlachs Wendung von den „Wandlungen Gottes“ (zuerst 1922 im Paul Cassirer Verlag als Blattfolge erschienen: 1. Der erste Tag / 2. Die Dome / 3. Der göttliche Bettler / 4. Totentanz / 5. Gott Bauch / 6. Die Felsen / 7. Der siebente Tag; erneut aufgelegt E. BARLACH 1954; vgl. die Zusammenfassung bei J. ROHLS 2014b, 1077.1078) kann „der Glaube an die transzendente Gegenwart Gottes Ausdruck finden“, wenn „die Paradoxie der Gegenwart Gottes im Diesseits in stets neuer Form Gestalt gewinnt.“ Für Bultmann findet sich die „eindrücklichste Predigt von den ,Wandlungen‘ Gottes“ im Neuen Testament, und zwar „in dem Bild, das Jesus vom Weltgericht entwirft (Mt. 25, 31–46). [...] ,Was ihr nicht getan habt unter diesen Geringsten, das habt ihr auch mir nicht getan“ (R. BULTMANN [1963] 1965b, 127). Mit „Wandlungen Gottes“ ist gemeint, „daß Gott sich für uns (nicht in sich) wandle, daß er uns in neuer Weise begegne, daß er sich uns in gewisser Weise entzieht, sich uns verbirgt […], daß er sich gewissermaßen in den Nächsten hineinverwandelt und uns im Nächsten anspricht“ (H. OTT 1968, 23.24). D. SÖLLE (1964) 1983b, 54 greift ebenfalls Barlachs Wendung auf und verweist auf R. BULTMANN [1963] 1965b, der den Begriff seinerseits von Gogarten vermittelt bekommt (so C. H. RATSCHOW 1986, 128 mit Hinweisen auf die Verwendung des Begriffs bei M. Luther und Troeltsch; vgl. E. TROELTSCH, KGA 16/1, 376.377). Auch bei H. ZAHRNT 1970, 71–89 findet der Gedanke Eingang und wird auf Barlach und Troeltsch zurückgeführt. Bultmann und Sölle werden nicht erwähnt. Vgl. auch G. OTTO 1970, 61–80 und H. OTT 1971, 35–42. 98 Vgl. auch R. B ULTMANN (1963) 1965a, 113–115. Hier findet sich ein kurzer Abriss zum Tod-Gottes-Motiv und zum Atheismus u. a. bei Jean Paul, Nietzsche und Heidegger. 99 D. SÖLLE (1964) 1983b; (1965) 1982. 100 J. M OLTMANN (1964) 1997a, 150–155 („§ 5 Der ,Tod Gottes‘ und die Auferstehung Christi“).

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Bald rückte, „vermittelt durch nordamerikanische Versuche zu einer ,Gottist-tot-Theologie‘“, die Rede vom Tod Gottes „als aufsehenerregendes Schlagwort ins Bewußtsein der Öffentlichkeit“101. Es gab dem tief im Allgemeinbewusstsein verankerten Abschied von Gott einen kulturdiagnostischen Ausdruck. Im Oktober 1965 und dann vor allem im April 1966 verbreitete das USamerikanische Nachrichtenmagazin Time die Schlagzeile vom Tode Gottes, die kurz darauf von der damaligen Wochenzeitung für Deutschland „,Christ und Welt‘ [...] an [ihre] erstaunte deutsche Leserschaft“102 weitergegeben wurde. In der Auseinandersetzung um das marxistische und christliche Weltverständnis schlug der Wiener Systematische Theologe Wilhelm Dantine (1911–1981) 1966 vor, „a-theistisch“ von der Schöpfung Gottes zu reden.103 Die Zeitschrift Pastoraltheologie veröffentlichte 1967 William Hamiltons längeren Bericht über einen Trend theologischen Denkens in den Vereinigten Staaten.104 Radikal ist sein Verständnis des Todes Gottes, weil er darunter nicht nur den Tod des theistischen Gottes des Supranaturalismus subsumiert, sondern auch sämtliche gegenwärtige theologische Gottesvorstellungen. Am Ende des Jahres erschien die Titelgeschichte des Nachrichtenmagazins Der Spiegel (18. Dezember 1967) mit den Ergebnissen der Umfrage Was glauben die Deutschen? des Meinungsforschungsinstituts Emnid. Am Anfang des Artikels stand der Satz: „Für jeden dritten Deutschen in der Bundesrepublik ist Gott tot“105. In der deutschsprachigen Theologie und Kirche avancierte die Bezeichnung „Gott-ist-tot-Theologie“ in den 1960er Jahren schnell zu einem „Kampfbegriff [...] für theologische Gegner aller Art.“106 Die Vertreter des theologischen und kirchlichen ,Establishments‘ platzierten in ihren Ausführungen absichtlich und wirkmächtig „eher Zerrbilder einer ihnen nicht genehmen Theologie“107 als sachorientierte Auseinandersetzungen. Auf diese Weise suchte beispielsweise der prominente Hamburger Theologieprofessor Helmut Thielicke (1908– 1986)108 die neuen Deutungen der Transformationsprozesse der modernen Lebenswelt als vorübergehende „Modeerscheinung“ zu bagatellisieren, sah im „Tod Gottes“ einen „Slogan“109 und ein „Reizwort atheistischer, vornehmlich durch Nietzsche bestimmter Philosophie“, um sich mittels einer „journalistischen ,Masche‘“, ja mittels eines „Verblüffungstrick[s]“, Aufmerksamkeit zu verschaffen für ein „heiß umkämpfte[s] Diskussionsthema“, die man selber mit den eigenen Themen nicht erlangte. Man wünschte sich offensichtlich nichts F. WAGNER 1988, 1264. H.-M. BARTH 1968, 885. 103 W. D ANTINE 1966; vgl. dazu J. FIGL 1977, 125–132. 104 W. H AMILTON 1967 ist eine gekürzte Übersetzung von W. H AMILTON 1966b. 105 [N. N.] Diesseits und Jenseits, 38. 106 D. M OURKOJANNIS 2007, 210. 107 D. M OURKOJANNIS 2007, 210. 108 H. THIELICKE 1968, 305–453; vgl. zu Thielicke Abschnitt 1.3.5 (3) in diesem Buch. 109 Die folgenden Zitate stammen aus H. THIELICKE 1968, 311. 101 102

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sehnlicher, als sich schnell wieder der Verwaltung der eigenen Tradition zuzuwenden, um solche kritische Anfragen auszublenden.110 Experimenteller und auf die gesellschaftspolitische Situation bezogen fielen dagegen Dorothee Sölles Beiträge zur Theologie nach dem Tode Gottes aus.111 Helmut Gollwitzer (1908–1993), von Karl Barths Theologie geprägt und in zahlreichen gesellschaftspolitischen und theologischen Debatten der jungen Bundesrepublik engagiert, suchte das Gespräch mit Dorothee Sölle (1967) über den Stellvertretungsgedanken.112 Im Auditorium Maximum des Henry-Ford-Baus der Freien Universität Berlin veranstaltete Gollwitzer im Wintersemester 1963/64 zusammen mit dem Philosophen Wilhelm Weischedel eine Reihe von Doppelvorlesungen unter dem Titel Denken und Glauben über das Verhältnis von Theologie und Philosophie unter den gegenwärtigen Bedingungen von Nihilismus und Atheismus.113 Im Mainzer Streitgespräch114 (13. Februar 1964) führte er mit Herbert Braun eine kontroverse Debatte über Die Existenz Gottes im Bekenntnis des Glaubens (1963), in der Gollwitzer daran festhielt, den biblischen Gottesglauben seinem Wesen nach als gegenständlich-theistisch zu verstehen, und daher ein vom Menschen unabhängiges ,An-sich-sein‘ und ,Für-uns-sein‘ Gottes als Personsein Gottes behauptete, also Gott – im Sinne des klassischen Substanzbegriffs – als eine dem Menschen gegenüberstehende Wirklichkeit verstand, um so der Gefahr eines vermeintlichen Subjektivismus zu entkommen.115 Mit Atheismus im Christentum erschien 1968 nach Das Prinzip Hoffnung (1959) der zweite epochale Beitrag des Philosophen Ernst Bloch (1885– 1977), dessen Beschreibung verschiedenartiger Ausdrucksgestalten der Hoffnung – als „noch ungelungene Heimat“ – auf nicht entfremdete soziale und politische Verhältnisse Religionsphilosophie und Theologie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts maßgeblich beeinflussen sollte.116 Vgl. Daeckes Kritik (S. M. D.[AECKE] 1969b, 187) an H. THIELICKE 1968, 452. D. SÖLLE 1964; (1969) 1971; (1965) 1982; (1968) 1983a. 112 H. G OLLWITZER 1967. 113 Vgl. H. G OLLWITZER/W. W EISCHEDEL [1964]. 114 Die Protokolle wurden in zwei Bänden unter dem Titel Post Bultmann Locutum veröffentlicht (H. SYMANOWSKI 1965; H.-W. BARTSCH 1966). 115 Vgl. H. G OLLWITZER 1963, 175. Das daraus folgende Dilemma zeigt E. JÜNGEL 1965, 103–122. Zur Debatte um Braun und Gollwitzer vgl. auch E. JÜNGEL (1965) 1976, VII.VIII; 1–8; vgl. ferner C. H. RATSCHOW (1966) 1968, der mit seiner Studie Gott existiert angesichts der „ganze[n] Diskussion um Gottes Existenz, die in letzter Zeit z. B. zwischen Helmut Gollwitzer und Herbert Braun geführt wurde“ (a. a. O., 4), darauf hören wollte, was die lutherische Philosophie und Theologie vor Descartes zu der umstrittenen Frage der Existenz Gottes zu sagen haben. Eine Zusammenfassung der Debatte (Gottes Sein als Thema der Theologie) hat Hans-Georg Geyer für die Zeitschrift Verkündigung und Forschung verfasst (H.-G. GEYER 1966); vgl. W. PANNENBERG 1967, 361–386. 116 Vgl. E. B LOCH 1968. Die provokanten Spitzensätze lauten: „das Beste an der Religion ist, daß sie Ketzer schafft […]. Nur ein Atheist kann ein guter Christ sein, gewiß aber: nur ein Christ kann ein guter Atheist sein“ (23.24); E. BLOCH (1959) 1985, 1087–1628; 8. 110 111

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In den Jahren 1968 und 1969 erschienen zur „Frage unserer Zeit“117 eine Reihe von publizistischen Beiträgen,118 Anthologien mit Texten von Schriftstellern und Theologen,119 Rundfunksendungen120, Fernsehinterviews121 und erste Überblicksartikel sowie kürzere Überblicksdarstellungen.122 Auch auf dem Evangelischen Kirchentag 1969 wurde die „Gottesfrage“ diskutiert.123 Der Publizist und Theologe Heinz Zahrnt124 versuchte durch den Hinweis auf den „logischen Widerspruch“ der Rede vom Tode Gottes das „Gerücht vom ,Tode Gottes‘“125 zu zerstreuen. Zahrnt erkannte allerdings auch anders als viele andere, dass sich die Theologie zunächst „auf diese radikale Deutung der These H. J. SCHULTZ (1969) 1979a, 9. Vgl. die Auflistung bei K. ROHMANN 1977, 51–56; 427–446. 119 H. N ITSCHKE [1967]; H. ZAHRNT 1968b. 120 Die Rundfunkvorträge Jüngels auf SWF 2 vom April 1968 sind publiziert als Karfreitag – Das dunkle Wort vom ,Tode Gottes‘ (E. JÜNGEL 1976c). Gekürzt abgedruckt erschienen sie in Evangelische Kommentare (E. JÜNGEL 1969a; E. JÜNGEL 1969b) und Zeichen der Zeit (E. JÜNGEL 1969c). H. J. SCHULTZ (1969) 1979a versammelt vorwiegend katholischtheologische Beiträge für eine Sendereihe des Süddeutschen Rundfunks, die die Frage Kurt Tucholskys Wer ist das eigentlich – Gott? zum Ausgangspunkt nehmen. 121 So führte Günter Gaus mit Dorothee Sölle ein Gespräch, das am 13. Juli 1969 im Rahmen der Sendung Zu Protokoll: Günter Gaus im Gespräch mit Dr. Dorothee Sölle vom Südwestfunk (SWF) im Deutschen Fernsehen ausgestrahlt und im Magazin Monat Nr. 252 im September 1969 erstmals abgedruckt wurde. Wiederabgedruckt ist es unter dem Titel Theologie ohne Gott. Im Gespräch mit Günter Gaus in D. SÖLLE 1971a, 115–129. 122 Vgl. die deutschsprachigen bzw. ins Deutsche übersetzten Übersichten, Sammelbände und Entwürfe, die zugleich die internationale Debatte widerspiegeln. In Klammern wird das Jahr der ersten Veröffentlichung in der Originalsprache genannt: H. COX (1965; 1966a) 1966b; H. COX 1966c; F. BURI 1967, 3–17; V. A. HARVEY 1967; H. WULF 1967; TH. J. J. ALTIZER (1966a) 1968; J. BISHOP (1967) 1968; J. DANTINE 1968; H. FRIES/R. STÄHLIN 1968; F. HERZOG 1968; F. LEBOEUF (1967) 1968; V. MEHTA (1965) 1968; H. OTT 1968; D. PEERMAN (1967) 1968; R. RÖHRICHT 1968; J. S. WEILAND (1966) 1968; J. CARDONNEL (1968) 1969; S. M. DAECKE 1969c; U. GERBER 1969; W. HARTMANN 1969 (vgl. W. HARTMANN 1970); F. MILDENBERGER 1969; H. COX (1967) 1969a, 23–35. Ferner W. u. L. PELZ (1963) 1965; G. KOCH 1968 (vgl. dazu die Besprechung von H. GOLLWITZER 1970a); F. BURI 1970, 63–78; H. COX (1969) 1970; H. GRASS 1970; H. ZAHRNT 1970; J. B. COBB (1969) 1971; J. L. ICE/J. J. CAREY (1967) 1971; H. EBERT 1971; H. OTT 1971, 7–33; F. BURI 1972; H. GRASS 1972; J. KOPPERSCHMIDT 1973 (mit Beiträgen von S. Daecke, H. Figl, G. Kongehl, J. Kopperschmidt, R. Spaemann); G. VAHANIAN (1961) 1973. Vgl. ergänzend das ausführliche Verzeichnis der Veröffentlichungen zur Gott-ist-tot-Theologie bei TH. J. J. ALTIZER 1967a, 365–374; K. ROHMANN 1977, 427–450; L. J. FINNEGAN 1976, 372–383. 123 Es wurde nach Antworten auf die Fragen „Wie wird in der heutigen Welt nach Gott gefragt?“ (Heinrich Fries, Kurt Lüthi, Milan Machovec, Otto Rodenberg), „Wie kann heute glaubwürdig von Gott geredet werden?“ (Wolfhart Pannenberg) und „Wie kann man heute mit Gott leben?“ (Frank Benseler, Rolf Schäfer) gesucht (DOKUMENTE 1969, 124–180). 124 H. ZAHRNT (1966) 1996, 134–143; 1968a; 1968b, 402–438; 1970. Der Gott-ist-totBewegung stellte er 1972 („Der Tod des ,Todes Gottes‘ – ein Nachruf“) den Totenschein aus (1972, 27–31), aber das „Gerücht vom Tode Gottes“ (1989, 25–30; 77) hielt sich wacker. 125 H. ZAHRNT 1970, 52–60 und a. a. O., 25–29. 117 118

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vom ,Tode Gottes‘ einlassen [muss], wenn sie redlich darüber nachdenken will, wie sie ,zeitgenössisch‘ von Gott zu reden hat.“126 In akademischen Antrittsvorlesungen jüngerer Professoren und Privatdozenten spielte das Thema eine prominente Rolle: Es sind zwischen 1967 und 1971 die Systematischen Theologen Eberhard Jüngel,127 Hans-Walter Schütte (1932–2004),128 Jürgen Moltmann,129 Uwe Gerber (*1939),130 Hans-Martin Barth (*1939)131 und Oswald H. ZAHRNT 1970, 29. Eberhard Jüngels Antrittsvorlesung im Sommersemester 1967 in Zürich (Gott – als Wort unserer Sprache, am 8. November 1968 an der Universität Bonn als Vortrag wiederholt, erschien 1969 in der Zeitschrift Evangelische Theologie [29. Jg, 1–24] und ist in der erweiterten Fassung Helmut Gollwitzer zum 60. Geburtstag gewidmet (E. JÜNGEL 1972, 80– 104). Zu Jüngel vgl. Abschnitt 7.3.1 in diesem Buch. 128 Hans-Walter Schütte (1972 zum apl. Professor für Systematische Theologie in Göttingen ernannt, wo er eine breite Wirkung entfalten konnte, die dokumentiert ist in: U. BARTH/W. GRÄB 1993) hielt seine Öffentliche Probevorlesung vor der Göttinger Theologischen Fakultät am 12. Februar 1968 über Tod Gottes und die Fülle der Zeit (H.-W. SCHÜTTE 1969) und sieht beide titelgebenden Motive als „Geburtsstätte der christlichen Religion“ (71). Schüttes Ausführungen über Hegels Deutung des Christentums („Philosophie als Entfaltung der Wahrheit des Christentums“; 72) erschienen 1969 und sind E. Hirsch zum 80. Geburtstag gewidmet. Schütte zufolge sieht Hegel „mit großartiger Gelassenheit den Tod Gottes als nichts anderes als das Sichdurchsetzen der Erkenntnis von der Unwahrheit des gegenständlichen Gottes“ (70). 129 Jürgen Moltmanns Tübinger Antrittsvorlesung vom 19. Juni 1968 hatte den Titel Gott und Auferstehung. Auferstehungsglaube im Forum der Theodizeefrage (J. MOLTMANN 1968, bes. 46–55 zum „Tod Gottes“ und zu „Gott im gekreuzigten und auferweckten Christus“). Zu Moltmann vgl. Abschnitt 7.2.2 in diesem Buch. 130 Uwe Gerber (außerordentlicher Professor für Systematische Theologie an der Universität Basel und Akademischer Oberrat an der TU Darmstadt) fragte in seiner Basler Antrittsvorlesung Ein Kapitel Theologie nach dem „Tode Gottes“ zu D. Sölles Buch „Stellvertretung“ (1965) vom 12. Dezember 1968 mit Bonhoeffer vor dem Hintergrund der Theologie nach dem Tode Gottes: „Wer ist Christus eigentlich für uns heute in ,nicht-religiöser‘ Aussageweise?“ (U. GERBER 1969, 51–80). 131 Hans-Martin Barth (von 1979–1982 Professor für Systematische Theologie in Gießen und von 1982–2005 in Marburg) stellt in seiner Erlanger Habilitationsvorlesung Tod-GottesChristologie. Der christologische Ansatz der nordamerikanischen Tod-Gottes-Theologie vom 16. Januar 1970 (H.-M. BARTH 1971b) heraus, dass der Tod Gottes den Raum markiere, in dem die Tod-Gottes-Theologie Theologie treibt und „etwas“ von Jesus von Nazareth sagen will. Deshalb verstehe sie sich „als radikale und extreme Christologie, als – ,Tod-GottesChristologie‘“ (259). Sie zeige sich bislang in dreifacher Gestalt der Entwürfe von Altizer, Hamilton und van Buren, die von Barth eingehend systematisch dargestellt und untersucht werden. Trotz fehlender und wohl auch ausbleibender Vertiefung stellt Barth anerkennend heraus: „Dennoch sollten die Impulse, die ihre Bemühung hinterlassen hat, aufgenommen und verarbeitet werden. [...] Das Umarrangement der Glaubensartikel genügt allein nicht. Es kommt in der Situation des Todes Gottes vielmehr darauf an, gültig zum Ausdruck zu bringen, was der Glaube an Jesus Christus für den Menschen und sein Schicksal wie für die Welt und ihr Schicksal bedeutet“ (271). Hans-Martin Barth lässt sich als einer der wenigen deutschsprachigen Systematischen Theologen konstruktiv auf die Anfragen der US126 127

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Bayer (*1939),132 die das Thema auf dem Katheder verhandeln. Im Jahr 1968 erschien von Eberhard Jüngel der Aufsatz Vom Tod des lebendigen Gottes. Ein Plakat133 und Dorothee Sölles Beiträge zur Theologie wurden unter dem Titel Atheistisch an Gott glauben veröffentlicht.134 Zu dieser Diskurskonstellation gehören auch Hans-Georg Geyers Aufsatz Atheismus und Christentum von 1970135, Helmut Gollwitzers Monographie Krummes Holz – aufrechter Gang136 und 1971 Falk Wagners Münchener Dissertation Der Gedanke der

amerikanischen Theologen ein, stellt ihre Heterogenität positiv heraus (259) und sieht, bei allen berechtigten und fair vorgetragenen Anfragen, dass die von der Tod-Gottes-Christologie „angesprochenen Probleme [...] keineswegs erledigt“ (272) seien. Barth gründete während seiner Assistentenzeit in Erlangen einen Arbeitskreis zur Gott-ist-tot-Theologie (vgl. D. STOLLBERG 2001, 54). In seiner Dogmatik sieht er die partikulare und einseitige abendländische Theologie auf einem „Holzweg“ angelangt, denn „[d]er Versuch, Gott primär rational zu erfassen oder gar seine Existenz zu ,beweisen‘, hat in gewisser Weise der These vom Tod Gottes und dem Atheismus die Bahn bereitet“ (H.-M. BARTH 2001, 259). 132 Oswald Bayer (von 1974–1979 Professor für Systematische Theologie in Bochum und von 1979–2005 in Tübingen) sucht in seiner Bonner Antrittsvorlesung Tod Gottes und Herrenmahl (O. BAYER 1973) zum Abschluss der Habilitation vom 23. Januar 1971 ausdrücklich nicht danach, „was die Formel vom ,Tode Gottes‘ zur Erhellung und Veränderung der gegenwärtigen Weltsituation zu leisten vermag“ (347), sondern nach dem „Kriterium, nach dem man sich in der Wirrnis gegenwärtiger Inanspruchnahmen der Formel ausrichten kann“ (347). Seine These lautet, „daß das Kriterium zur Bestimmung der theologischen Rechtmäßigkeit des Gebrauchs der Formel vom ,Tode Gottes‘ sich in ausgezeichneter Weise aus dem Herrenmahl ergibt“ (349). Die Frage nach dem Ursprung von Luthers reformatorischer Christologie zeige, „daß bei ihm die Rede vom ,Tod Gottes‘ ihren Sitz im Leben im Abendmahl hat, speziell im Brotwort und Becherwort, die als Zusage und Gabe genommen werden“ (349). Gott habe durch die Auferweckung Jesu von den Toten, „den Tod selber in sich aufgenommen, in sich selbst hineingenommen, weil er eben den auferweckte, der an seiner Stelle zu reden und zu handeln beansprucht hatte und deshalb den Tod erfuhr“ (359). In der „strenge[n] Beachtung der, in der Sprache des Dogmas geredet, communicatio idiomatum der göttlichen und menschlichen Natur Christi innerhalb der unio personalis“ (360) erkennt Bayer aber nicht nur „de[n] springende[n] Punkt der Christologie, sondern auch der Lehre von Gott als einer Relationalität, d. h. der Trinitätslehre“ (360). Mit der Rückbesinnung auf „die concreta der bestimmten Geschichte Jesu Christi“ und auf den „Karfreitag sub Pontio Pilato“ möchte er der „Hegelschen Spekulation und allen ihren gegenwärtigen Ausformungen und Abwandlungen“ und „ihrem ungeduldigen Greifen nach den abstracta“ der Menschheit und ihrem „spekulativen Karfreitag“ entgegenwirken und mittels eines performativen Sprachverständnisses (359, Anm. 24) zeigen, dass „,Christus‘ zu Wort kommen will, also nicht zur Idee werden kann“ (363). Das Herrenmahl als „Urmodell der Verkündigung“ markiere dabei genau die Stelle, an der sich das „kommunikative Christusgeschehen gleichsam ,überspringt‘ und die Gemeinde Jesu Christi entsteht“ (363). 133 E. JÜNGEL (1968) 1972a. 134 D. SÖLLE (1968) 1983a. 135 H.-G. G EYER 1970. 136 H. G OLLWITZER 1970b, bes. 9–14.

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Persönlichkeit Gottes bei Fichte und Hegel137, 1972 Jürgen Moltmanns Monographie Der gekreuzigte Gott138 und 1974 Christian Links Studie Hegels Wort ,Gott selbst ist tot‘139, bevor 1977 mit Gott als Geheimnis der Welt das Hauptwerk des nunmehr Tübinger Dogmatikers Eberhard Jüngel erschien, dessen Inhalt er seit 1968 in Vorlesungen wiederholt vorgetragen hat, und mit dem die Debatte aus den ,langen‘ 1960er Jahren ihren Höhe- und Endpunkt erreicht.140 In der Dogmatik des christlichen Glaubens (1979) des Zürcher Systematikers Gerhard Ebeling ist der Tod Gottes kein „Ereignis der neuzeitlichen Geistesgeschichte, sondern das Ereignis des Kreuzes Jesu Christi.“141 Die ‚Heimholung‘ der Tod-Gottes-Idee in die Theologie war vollbracht. Die akademische Theologie hat in ihren Augen damit zwar die orthodoxe Deutungshoheit über die Rede vom Tode Gottes heimgeholt und wieder an sich gezogen, aber die berechtigten Fragen und Anliegen der Gott-ist-tot-Theologie nach Möglichkeiten eines modernen Glaubensverständnisses nach den vieldeutigen Erfahrungen des Todes Gottes in postchristlicher Zeit blieben weitgehend unbeantwortet. Es wurde herausgestellt, dass die Gott-ist-tot-Theologien den Gottesgedanke ganz zugunsten des Menschen und seines moralischen Engagements (Nächstenliebe), seiner politischen Praxis (social gospel) oder theoretischen Selbstdurchsichtigkeit ersetzten. Das kulturhermeneutische Deutungspotential dieser Ansätze wurde jedoch vom kirchlich-theologischen Establishment bekämpft, um ein kirchlich-konservatives Gottesverständnis zu bewahren, und zwar vor allem mittels der vormals häretischen Formel vom „leidenden Gott“ und im Rückgriff auf Luthers Interpretation der Idiomenkommunikation, die es ermöglicht, zu verstehen, dass Gott selbst gelitten hat und gestorben ist.142 Doch am Anfang der neuen Debatte in den ,langen‘ 1960er Jahren um ein nachtheistisches Reden von Gott steht die vollendete Entmythisierung des Gottesbegriffs, die Aufhebung der Theologie in Anthropologie.

Vgl. zum Tod Gottes bei Hegel F. WAGNER 1971, 254–288. J. MOLTMANN (1972) 1976. 139 C H. LINK 1974; vgl. auch die Studien aus dem marxistisch-kommunistischen Spektrum von R. GARAUDY (1962) 1965. Mit einer Einleitung von Jürgen Moltmann erschien die original auf Tschechisch verfasste Studie von Vitezlav Gardavsky Gott ist nicht ganz tot. Betrachtungen eines Marxisten über Bibel, Religion und Atheismus (V. GARDAVSKY [1968] 1969. Zu Hegels Bedeutung für die Theologie bereits H.-W. SCHÜTTE 1969 und H.-G. GEYER 1970; ferner W.-D. MARSCH 1968 sowie die in Abschnitt 1.3.1 behandelten Studien. 140 E. JÜNGEL (1977) 1986, XVIII. Einen Nachhall bildet P. LØNNING 1986. 141 G. EBELING (1979) 1989b, II, 203. Vgl. § 19 „Des Todes Tod“ G. EBELING (1979) 1989b, II, 128–255. Der folgende § 20 heißt: „Das Leben Gottes“ (256–362). Vgl. G. EBELING 1966 und 1969. Vgl. ferner bereits Abschnitt 1.3 (7) zu Ebeling. 142 Vgl. Abschnitt 2.3 in diesem Buch. 137 138

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7.1.2 Post Bultmann Locutum – Entmythisierung des Gottesbegriffes in Existentialbezüge (Herbert Braun) Der Mainzer Neutestamentler Herbert Braun (1903–1991),143 der in die unmittelbare Vorgeschichte der Gott-ist-tot-Theologie gehört,144 radikalisiert Rudolf Bultmanns Existentialhermeneutik. Mit der vom Marburger Neutestamentler noch ausgesparten „Entmythologisierung“ des Gottesbegriffs führt er das Programm Bultmanns zum Abschluss.145 Während Bultmann noch vom „Handeln Gottes“ und „Wort Gottes“146 sprach und damit einem „mythologischen Rest“147 verhaftet blieb, entmythisiert Braun auch die Vorstellung eines handelnden personalen Gottes sowie den dinglichen Charakter der Heilsteilgabe im Sakrament.148 Der traditionelle Theismus ist, so Brauns Grundthese, zum Verstehen des Neuen Testaments nicht notwendig. Die Entmythisierung des theistischen Gottesbegriffs führt er durch als Auflösung des göttlichen Gegenübers in Existentialbezüge, die er als bestimmte Art der Mitmenschlichkeit versteht. In dieser anthropologischen Zuspitzung, die konsequent davon absieht, „den Glauben durch Fakten historischer Art, durch Tradition, zu sichern“149, sahen viele deutschsprachige Theologen und Kirchenvertreter „das Ende der

143 Herbert Braun studierte in den Jahren 1922–1926 an den Universitäten Königsberg, Tübingen und Rostock Evangelische Theologie. Mit der von Ernst von Dobschütz betreuten Arbeit Gerichtsgedanke und Rechtfertigungslehre bei Paulus wurde er 1929 in Halle an der Saale promoviert. Von 1930 bis 1945 arbeitete er als Pfarrer in Ostpreußen und wurde in der NS-Zeit Mitglied der Bekennenden Kirche. 1946 wurde er Pfarrer in Magdeburg, von 1947– 1952 war er Dozent und ab 1949 Ordentlicher Professor an der Kirchlichen Hochschule Berlin, von 1952–1971 Ordentlicher Professor an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Mainz. Vgl. zur Biographie Herbert Brauns W. SCHOTTROFF 1991. Vgl. zu diesem Abschnitt auch PH. DAVID 2022, 151–156 sowie die Hinführungen zur Debatte um Braun im vorigen Abschnitt 7.1.1 und darin die Anmerkungen 53 und 84. 144 So hat TH. J. J. A LTIZER 1967a Brauns Aufsatz über die Theologie des Neuen Testaments in seine Anthologie Toward a New Christianity als Radical Expression[] of European Theology aufgenommen: H. BRAUN 1967. 145 Zwar hat sich die auf Hans Jonas zurückgehende und von Bultmann selbst verwendete Bezeichnung „Entmythologisierung“ durchgesetzt (vgl. zum Begriff und Programm wie zur Kontroverse darüber D. FERGUSSON 1999), doch geht es genauer besehen nicht um die Befreiung von der Mythologie, also der Wissenschaft vom Mythos, sondern um die Befreiung und Deutung von den mythischen Elementen des christlichen Glaubens. Auf diese Unterscheidung weist zu Recht hin F. V. KUTSCHERA 2008, 121. 146 R. B ULTMANN (1963) 1965c, 135. 147 R. B ULTMANN (1963) 1965d, 172. 148 Vgl. H. B RAUN 1962d. 149 H. B RAUN (1957) 1962a, 278.

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Theologie“150 und „die Auflösung der Theologie in Humanismus“151 gekommen, während Brauns religionsgeschichtlich eingebettete neutestamentliche Hermeneutik des Gottesgedankens von den US-amerikanischen Gott-ist-totTheologen,152 aber auch von seiner Schülerin Luise Schottroff und von Dorothee Sölle konstruktiv aufgenommen wurden. Sie scheuten sich nicht, Neuland in der Theologie zu betreten. Insbesondere in seinen Aufsätzen Vom Verstehen des Neuen Testaments153 (1957) und vor allem in Die Problematik einer Theologie des Neuen Testaments154 (1961) sowie dann in seiner Antwort an Gollwitzer155 Gottes Existenz und meine Geschichtlichkeit im Neuen Testament (1964)156 wird Brauns neues, gänzlich unmetaphysisches Verständnis der „Vokabel ,Gott‘“157 deutlich. Er selbst hat sein hermeneutisches Anliegen, „das die Situation des fragenden modernen Menschen im Blick hat“158, als einen „radikalen Abbau von Positionen“ beschrieben, der sich vollzogen habe wie bei einer „Zwiebel, die ihre Hüllen eine nach der anderen abstieß.“159 Für ihn war damit klar: „Wenn ,Gott‘ Lebenkönnen und Gewissheit meint, so findet man ihn nicht im Solo mit dieser ,Überperson‘, sondern gerade in der welthaft verbindenden Gemeinschaft mit anderen Menschen. Und ich meine damit jetzt nicht die fromme Gemeinschaft der Kirche oder des religiösen Zirkels.“160 Anders als das Neue Testament oder die alttestamentliche, jüdische und auch die hellenistische Literatur rechnet Braun nicht mehr „naiv mit der Exis-

150 Vgl. z. B. den Hamburger Bischof Hans-Otto Wölber, der in der Debatte eine „theologische Tragödie“ (H.-O. WÖLBER 1967, 100) erblickt. Zur Bedeutung von H. BRAUN 1969 vgl. L. GOPPELT 1980, 38: „Dieses Jesusbuch geht den Weg des Historismus zu Ende, in ihm gibt sich die Ntl. Theologie selbst auf; Brauns Schüler [u. a. Luise Schottroff] gehen von seiner individualistischen Liebes-Humanität weiter zu einer politischen ,Gott-ist-totTheologie‘ der Humanität. Brauns Jesus-Buch bleibt beachtlich als Protest gegen jedes billige Reden von ,Gott‘, ,Auferstehung‘ und ,Gottesherrschaft‘; forschungsgeschichtlich aber signalisiert es das Ende einer Epoche“. Vgl. auch G. SAUTER 1973. 151 H. G OLLWITZER 1963, 39; auch J. FIGL 1977, 210–228 schließt sich dieser Kritik an. 152 Vgl. TH. J. J. A LTIZER 1967a, 199. 153 H. B RAUN (1957) 1962b. Die „beträchtlichen Schwierigkeiten des Verstehens“ des Neuen Testaments seien auch für „gutwillige, nicht-theologische Leser“ nicht mehr zu übersehen. Zum Theismus vgl. H. BRAUN (1957) 1962b, bes. 291–298. 154 H. B RAUN (1961) 1962c. 155 H. G OLLWITZER 1963. Vgl. auch die Protokolle der Mainzer Diskussion unter dem Titel Post Bultmann Locutum von H. SYMANOWSKI 1965 und H.-W. BARTSCH 1966. Vgl. auch die Kurzfassung in: G. HEIDTMANN u. a. 1964, 144–149. 156 H. B RAUN 1964. Diese Antwort führte zum endgültigen Bruch zwischen den beiden Verbündeten aus der Zeit der Bekennenden Kirche. 157 H. B RAUN (1957) 1962b, 297; vgl. auch in seinem Jesus-Buch das Kapitel „Gott“ H. BRAUN 1969, 159–170. 158 H. BRAUN (1957) 1962b, 291. 159 H. B RAUN 1976, 117. 160 H. B RAUN 1976, 8.9; vgl. zum Kirchenverständnis auch H. B RAUN 1984, 176.177.

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tenz einer Gottheit“161 als „Gegebenheit.“162 Vielmehr sei in der Mitmenschlichkeit das Heil Gottes zu finden163: „Die rechte Mitmenschlichkeit ist der vielfach variierte Inhalt neutestamentlicher Weisungen.“164 Bereits im Neuen Testament sei „der dingliche Charakter der Heilsteilhabe [...] vielerorts durchbrochen; Gott wird verstanden nicht als heilige Gegebenheit, sondern im Koordinatensystem des ,Ich darf‘ und ,Ich soll‘.“165 Dennoch ist es für Braun ein „Akt der wagenden Interpretation“, wenn hier der nicht gegenständliche Gottesgedanke herausgestellt wird. Damit stellt sich die Frage: „Was ist letztlich im Sinne des Neuen Testaments Gott?“166 Für Braun ist Gott nicht „der für sich Existierende“, sondern relational gedacht „das Woher meines Umgetriebenseins“167: „Mein Umgetriebensein aber ist bestimmt durch das ,Ich darf‘ und ,Ich soll‘; bestimmt durch Geborgensein und durch Pflicht.“168 Es kommt aber nicht aus dem Jenseits oder dem Weltall, „sondern vom Anderen her, vom Mitmenschen.“169 Das trifft auch zu für das Wort der Verkündigung und die Tat der Liebe. Nur vom Mitmenschen her erreichen sie einen wirklich: „Gott ist das Woher meines Geborgen- und Verpflichtetseins vom Mitmenschen her.“170 Die Rede von Gott wird für Braun dann aber nicht sinnlos oder nichtig, denn: „Ich kann von Gott nur reden, wo ich vom Menschen rede; also anthropologisch [...]: der Mensch als Mensch, der Mensch in seiner Mitmenschlichkeit, impliziert Gott. Vom Neuen Testament her wäre das immer neu aufzudecken. Gott wäre dann eine bestimmte Art der Mitmenschlichkeit.“171 Doch sei dieses nicht die Auflösung der Theologie in den Humanismus oder Atheismus, sondern eine bestimmte, eine qualifizierte Art der Mitmenschlichkeit, die sich

H. BRAUN (1961) 1962c, 325. H. BRAUN (1961) 1962c, 333. Im Neuen Testament gibt „dieser an sich existierende Gott [seinen] Willen kund, der dann vom Menschen heteronom hinzunehmen ist; er erstellt den verschieden benannten Heilsbringer; er richtet in seiner Welt das Endheil zu; er setzt die Zeitpunkte und das Ende im Zeitenverlauf fest; er mit seiner jenseitigen Welt wird dinglich faßbar im Sakrament. Sich dies alles klarmachen heißt zugleich, die Unmöglichkeit dieser Betrachtung und dieses Gottesgedankens für uns erkennen.“ (H. BRAUN [1961] 1962c, 334). 163 Vgl. H. B RAUN (1961) 1962c, 336. 164 H. B RAUN (1961) 1962c, 337. 165 H. B RAUN (1961) 1962c, 340. 166 H. B RAUN (1961) 1962c, 340. 167 In H. B RAUN 1964, 408 gesteht er ein, dass „Woher“ missverständlich sei, und erklärt es mit Bultmanns Begriff der ,Unverfügbarkeit‘: „Ich wähle die Vokabel ,Woher‘, um auszudrücken, daß ich über das in Frage stehende Geschehen nicht verfüge; ich meine damit aber nicht kausales Folgern über die Welt hinaus auf Gott hin.“ 168 H. B RAUN (1961) 1962c, 341. 169 H. B RAUN (1961) 1962c, 341. 170 H. B RAUN (1961) 1962c, 341. 171 H. B RAUN (1961) 1962c, 341. 161 162

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7 Der Tod Gottes als Denkfigur in der deutschsprachigen Theologie

sowohl von anderen religionsgeschichtlichen Ethosgestalten als auch von Kants kategorischem Imperativ unterscheidet.172 Braun gelingt mit seinem „Nicht-wörtlich-Nehmen“ der neutestamentlichen Texte und ihrem Reden von Gott „secundum homines recipientes“173 letztlich die Durchführung einer nicht positivistischen theologisch-skeptischen Hermeneutik. Sie lässt sich in einem existentiellen Hören, das sich ganz im lutherischen Sinne auf das Gewissen in der Begegnung mit dem Wort berufen kann,174 radikal auf die Texte ein – ist also im Grunde das, was der Begriff Dekonstruktion auf den ersten Blick bezeichnet: „eine gewisse Praxis der Genauigkeit im Lesen“175 –, um „zu einem nicht wörtlichen, zu einem sich selber in das Gehörte verrechnenden, zu einem produktiven Verstehen“176 zu gelangen. Die Texte des Neuen Testaments sind Menschenworte vom Mitmenschen her und werden erst im Verstehen für uns zu Gottes Wort. Es bleibt dahingestellt – also: unverfügbar –, ob es bei einem solchen Hören und Lesen geschieht, „daß ich gewissensmäßig merke: das und das soll ich tun, das und das soll ich lassen. Ich werde dann sagen: hier liegt ein mich unbedingt angehendes Soll vor, Gott will es“, auch wenn ich es nicht angemessen tun kann. „,Ich darf‘ und ,ich soll‘ geschieht, und damit geschieht Gott, im Hören und Tun des Wortes.“177 Das ist das „neue Existieren“178: „ich lebe, ich existiere glaubend und liebend; d. h. Gott geschieht ja in diesem Leben und Existieren [...]. In diesem Geschehen [i. S. eines Selbstverständnisses, das nicht Selbstauslegung, sondern Begegnungsauslegung ist] vollzieht sich das Neue.“179 Gott hört auf, ein Gegenstand zu sein, der seinen festen, durch eine konservative Weltanschauung garantierten Platz in einer Metaphysik des Jenseits hätte und behielte. Nun heißt es: „Gott wird ,mein‘ Gott; das Woher meines ,Ich soll‘ und meines ,Ich darf‘.“180 Gott ist auch nicht personal zu verstehen, sondern er „geschieht vielmehr in diesem ,ich darf‘ und ,ich soll‘.“ Dieses kommt nicht aus mir selbst, sondern widerfährt mir: „So kann ich Gott denken in diesem Widerfahrnis; gerade so wird Gott

172 H. B RAUN 1964, 408: „Man sage statt ,Humanismus‘ ,Liebe, die vom ›ich darf‹ lebt‘, dann sitzen wir dem Neuen Testament mitten im Schoße. Der große Königsberger hat recht, aber nur halb: er weiß um Gott als das Subjekt des kategorischen Imperativs; er erkennt aber nicht, daß ich zu dem ,ich soll‘ entbunden werde nur durch das ,ich darf‘. Es ist also nicht gemeint, Gott sei die der sittlichen Forderung entsprechende Art der Mitmenschlichkeit. Er ist die Art von Mitmenschlichkeit, die von der Begegnung her zum Lieben ermächtigt wird.“ Vgl. zum Humanismus-Vorwurf auch H. BRAUN 1969, 165–170. 173 H. B RAUN 1964, 405. 174 H. B RAUN 1964, 410. 175 C. PROSS/G. W ILDGRUBER 2005, 409. 176 H. B RAUN 1964, 406; 1984, 139–144 („Wie lese ich das Neue Testament?“). 177 H. B RAUN 1964, 407; vgl. (1961) 1962c, 335: „Jesus geschieht“. 178 H. B RAUN (1957) 1962b, 298. 179 H. B RAUN 1964, 409. 180 H. B RAUN (1957) 1962b, 298.

7.1 Theologia post mortem Dei?

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konkret sagbar.“181 Gott als Woher meines Umgetriebenseins kommt durch Geborgensein und Pflicht allein vom anderen, vom Mitmenschen her. Von daher ist Gott als eine bestimmte Art der Mitmenschlichkeit zu verstehen.182 Jenseits von einem theistischen und gegenständlichen biblischen Gott183 denkt Braun Gott als „Beziehungsbegriff“, bei dem es aber „um Beziehung zum Wort, nicht zu einer gegenständlichen Person“184 geht. Das Neue Testament knüpft diese „Anderswerdung Gottes“ an Jesus von Nazareth. Denn in der Jesustradition wird mit Gott eine Haltung ausgedrückt. Es kommt nicht auf den rechten Gebrauch des Wortes Gott an oder die autoritäre Instanz, „sondern der Vorgang, dieser Weg und diese Art, sich selber zu beurteilen und von da aus zu leben“185, seien existentiell entscheidend und böten nach allen Häutungen der theologischen Zwiebel „als letztes keine Luft“, sondern „Getrostheit“186 in einem sich vollziehenden Geschehen: „Erst, wo ich mich selber annehme, habe ich es mit dem Phänomen zu tun, das Gnade und Vergebung Gottes heißt.“187 Der so entmythisierte Gott ist ,um Gottes willen‘ in eine existentialontologische Haltung aufgehoben.188 Das zeigt sich für Braun, „faßt man die Stellung des Menschen vor Gott beim historischen Jesus ins Auge“, nicht zuletzt daran, dass das glaubende Selbstverständnis des Menschen die Konstante des Neuen Testaments ist, während die christologisch-metaphysische Verschlüsselung wechselt: „die Anthropologie ist […] die Konstante; die Christologie dagegen ist die Variable.“189 Da mit dem Abschied von einer „Zwei-Welten-Metaphysik“ Gott keine gegenständliche Person außerhalb der Welt, quasi als vorweggenommene und absolute Gewissheit seiner Existenz, ist, könne der moderne Mensch Gott allein immanent in seiner eigenen Existenz erfahren, – davon abgesehen überhaupt nicht.190

H. BRAUN 1964, 416; vgl. H. BRAUN 1984, 155–159 („Entscheidung zur Solidarität“). Auch „dankbar sein“ im bedenkenden Beten ist für Braun Gegenwart Gottes und das „seufzende Herz“ ist die Wohnung Gottes: „Jedes Besinnen und Bedenken des Wesentlichen ist ja die Gegenwart Gottes.“ (H. BRAUN 1970, 77). 183 Zur Differenz der Gottesvorstellungen im Alten und Neuen Testament wie zur Abgrenzung von der Formel „Gott lebt“ oder „der lebendige Gott“ vgl. H. BRAUN 1964, 399– 405. 184 H. B RAUN 1964, 413. 185 H. B RAUN 1969, 170. 186 H. B RAUN 1976, 117. 187 H. B RAUN 1969, 168.169. Das sei keine einfache Sache, eher ein Weg der getrosten Verzweiflung: „Sich selber annehmen kann bitter, unter Umständen sehr bitter sein.“ (169). 188 Vgl. in Weiterführung dazu Kapitel 11 in diesem Buch. 189 H. B RAUN (1957) 1962a, 272. 190 Das ist bereits die Pointe von Bultmanns Programmschrift Welchen Sinn hat es, von Gott zu reden? (1925). 181 182

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7 Der Tod Gottes als Denkfigur in der deutschsprachigen Theologie

7.2 Theologie und Christologie nach Auschwitz 7.2 Theologie und Christologie nach Auschwitz (Sölle und Moltmann)

Mit dem „Zivilisationsbruch“ (Dan Diner) des Holocaust, der Shoah, ist unter den Augen von Gesellschaft und Kirche im nationalsozialistischen Deutschland etwas Unvergleichbares und noch nie Dagewesenes zum „Ausmaß des Schrecklichen und Entsetzlichen, was Menschen anderen Menschen antun können“191 hinzugefügt worden. Die Folgen millionenfach ausgelöschten menschlichen Lebens wirken bis heute über Generationen hinweg traumatisch nach. Mit „dem Geschehen, das den Namen ,Auschwitz‘ trägt [... und], das auch die unmündigen Kinder verschlang“, verfangen die alten Antworten aus der kollektiven Erinnerung „tausendjähriger Leidensgeschichte“ der Juden nicht mehr. Was für ein Gott konnte dies geschehen lassen? ,Auschwitz‘ stellt „selbst für den Gläubigen den ganzen überlieferten Glaubensbegriff in Frage.“192 Die alten Antworten im Blick auf die Allmacht Gottes tragen nicht mehr, wie es der 1928 bei Martin Heidegger und Rudolf Bultmann in Marburg promovierte Philosoph Hans Jonas (1903–1993) in seiner Tübinger Rede anlässlich der Verleihung des Dr. Leopold-Lucas-Preises 1984 eindrücklich ausgeführt und damit der Debatte um den leidenden Gott, um die Entäußerung und Kenose Gottes noch einmal einen weiteren Anstoß gegeben hat193: Der Gottes191 H. JONAS 1984, 64. Ende der 1950er Jahre griff Elie Wiesel (1928–2016) auf den Begriff Holocaust (gr. holókauton, „Brandopfer“; Gen 22,2) zur Beschreibung des Genozids am europäischen Judentum zurück (vgl. zum Begriff und zur Problematik des Begriffs N. FREI 1992; D. BANKIER u. a. 2000; zur Deabtte D. DINER 1988), der in der Breite erst ab dem Jahr 1979 durch die Ausstrahlung des US-amerikanischen Doku-Dramas Holocaust – Die Geschichte der Familie Weiss (am. 1978) im deutschen Fernsehen im deutschsprachigen Raum Verwendung gefunden hat. In weiten Teilen des Judentums hat sich der Terminus Shoah („großes Unheil“, „Katastrophe“; Jes 10,3) durchgesetzt, der ebenfalls durch einen Film, den Dokumentarfilm Shoah (1985) von Claude Lanzmann, in den deutschen Sprachraum Eingang gefunden hat (vgl. G. WAGENSOMMER 2009, 49–52). Theodor W. Adorno stieß mit seinem, später von ihm korrigierten und revidierten, Diktum, „nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch“, im im Jahr 1949 geschriebenen und 1951 publizierten Essay Kulturkritik und Gesellschaft (TH. W. ADORNO, GS 10.1, 11–30; auch abgedruckt in: P. KIEDAISCH 2012, 27–49; Zitat: 49) eine kontroverse Debatte an (zur Debatte P. KIEDAISCH 2012). Er verlieh damit auch den NS-Verbrechen einen einprägsamen Namen und verband sie mit einem konkreten historischen Ort, Auschwitz-Birkenau, der bis in die Gegenwart synonym für die industriell vollzogene Ermordung in den nationalsozialistischen Konzentrations- und Vernichtungslagern verwendet wird. Die Ortsmetapher Auschwitz etablierte sich dann um 1960 als Terminus für den millionenfachen Mord am jüdischen Volk (vgl. N. FREI 1992) vor allem durch das große Interesse am Frankfurter Auschwitz-Prozess von 1963. In der Theologie fand sie wahrscheinlich Eingang durch die von Rabbi R. L. Rubensteins Buch After Auschwitz (1966) angestoßene Debatte und wurde dann zum Begriff als „Theologie nach Auschwitz“ (vgl. N. RECK 1995). Vgl. Abschnitt 7.2.3 in diesem Buch. 192 H. JONAS 1984, 65. 193 Vgl. dazu J. R OHLS 2001, 46.47 und zur kritischen Auseinandersetzung mit Hans Jonas’ „hypothetischem Mythos“ vom leidenden Sein Gottes (vgl. H. JONAS 1963, 44–72) vgl.

7.2 Theologie und Christologie nach Auschwitz (Sölle und Moltmann)

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begriff nach Auschwitz könne Gott nicht mehr allmächtig denken,194 sondern nur in seiner völligen Selbstentäußerung zugunsten der Welt im Bild eines leidenden Gottes, eines werdenden Gottes und eines sich sorgenden Gottes: „Nach Auschwitz können wir mit größerer Entschiedenheit als je zuvor behaupten, daß eine allmächtige Gottheit entweder nicht allgütig oder (in ihrem Weltregiment, worin allein wir sie erfassen können) total unverständlich wäre.“195 Die Vorstellung vom Gutsein Gottes könne nach Auschwitz nur durch die Absage an den Allmachtsgedanken als „Machtentsagung“196, die im „bloßen Zulassen menschlicher Freiheit [... als] ein Verzicht der göttlichen Macht“197 begründet ist, erhalten werden: „nicht weil er nicht wollte, sondern weil er nicht konnte, griff er nicht ein.“198 Mit der jüdischen Stimme von Hans Jonas, dessen Mutter in Auschwitz ermordet wurde, steht die Frage im Raum, die auch Teile der christlichen Theologie nach 1945 ergriffen und für die in den 1960er Jahren in der evangelischen Theologie besonders Dorothee Sölle und Jürgen Moltmann stehen.

E. JÜNGEL (1965) 1976a, 98, Anm. 98 und E. JÜNGEL (1986) 1990c. Der Text war Teil der Vorlesung zur Schöpfungslehre (Sommersemester 1984) und wurde zuerst in der Festschrift für Jürgen Moltmann zum 60. Geburtstag veröffentlicht. Jüngel argumentiert gegen Jonas kreuzestheologisch für eine Ohnmacht Gottes und eine alles ertragende Allmacht der Liebe, die im Tod den Tod überwindet. Das „einzig und allein“ muss für Jüngel die Antwort christlicher Theologie sein (a. a. O., 160). Ob diese Antwort allerdings Jonas und andere existentiell mit der Gottesfrage nach Auschwitz Ringende überzeugt, darf bezweifelt werden. 194 Vgl. H. JONAS 1984, 72–86. 195 H. JONAS 1984, 80. 196 H. JONAS 1984, 85. 197 H. JONAS 1984, 83. 198 H. JONAS 1984, 82.

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7 Der Tod Gottes als Denkfigur in der deutschsprachigen Theologie

7.2.1 Der Tod Gottes als geschichtliches Ereignis und Befreiung zur Verantwortung für die Welt (Dorothee Sölle) (1) Die Germanistin und Theologin Dorothee Sölle (1929–2003)199 sorgte mit ihren Beiträgen zu einer „Theologie nach dem ,Tode Gottes‘“200 in den 1960er Jahren in der deutschsprachigen Theologie und Kirche für reichlich Zündstoff.201 Angestoßen hatte sie die Debatte um eine eigenständige deutschsprachige Theologie nach dem Tode Gottes in einer nichttheologischen Zeitschrift.202 Nachdem Sölle sich bereits mit dem Artikel Aufklärung über den Glauben im Merkur in die Kontroverse um Robinsons Buch eingebracht

199 Zu Leben und Werk vgl. die Autobiographie Gegenwind (D. SÖLLE 1995) und die knappe Darstellung („Absolut furchtlos – grenzenlos glücklich – immer in Schwierigkeiten: Dorothee Sölle“) bei S. JÄGER 2021, 41–46. Dorothee Nipperdey, jüngere Schwester des Historikers Thomas Nipperdey (1927–1992), studierte ab 1949 zunächst Philosophie und alte Sprachen in Köln und Freiburg im Breisgau und wechselte 1951 zur Evangelischen Theologie nach Göttingen, wo sie u. a. bei Friedrich Gogarten studierte. 1954 erfolgte dort die literaturwissenschaftliche Promotion. Es schlossen sich Anstellungen als Religions- und Deutschlehrerin, beim Rundfunk und an den Universitäten in Aachen und Köln an. In Köln initiierte sie mit Fulbert Steffensky, Marie Veit, Heinrich Böll u. a. das „Politische Nachtgebet“ (1968–1972). 1971 habilitierte sie sich an der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln und wurde zur apl. Professorin ernannt (für diesen Hinweis aus dem Kölner Universitätsarchiv danke ich Konstantin Sacher), von 1971–1974 hatte sie Lehraufträge an der Universität Mainz inne (vgl. E. KOBEL 2021/22), bevor sie von 1975 bis 1987 als Professorin für Systematische Theologie am Union Theological Seminary in New York wirkte. In Deutschland (Kassel) und in der Schweiz (Basel) war sie als Gastprofessorin tätig. Eine Berufung, so das gepflegte Narrativ, auf eine ordentliche Professur in Deutschland erhielt sie nicht: „,Links und eine Frau, das geht zu weit‘“ (D. SÖLLE 1995, 135; vgl. E. KOBEL 2021/22). Die Universität Hamburg ernannte sie 1994 zur Ehrenprofessorin. Zur Bibliographie vgl. D. SÖLLE 1995, 316–319. 200 Vgl. zum Folgenden insbesondere D. SÖLLE 1965; 1982; wieder abgedruckt in: D. SÖLLE, 2006, 9–140. Nach dieser Ausgabe der Gesammelten Werke wird überwiegend zitiert. Als 1965 ihr Buch Stellvertretung im Stuttgarter Kreuz-Verlag erschienen ist, hatte zuvor „ein angesehener wissenschaftlicher Verlag in Göttingen“, in dem bereits ihre literaturwissenschaftliche Dissertation Untersuchungen zur Struktur der Nachtwachen von Bonaventura erschienen war (D. SÖLLE-NIPPERDEY 1959), die Veröffentlichung ihres Buches wegen seines provozierenden Untertitels Ein Kapitel Theologie nach dem „Tode Gottes“ abgelehnt. Vgl. D. SÖLLE 1995, 61. 201 Vgl. z. B. dazu H. G OLLWITZER 1967; U. G ERBER 1969; O. R EIDINGER 1969. In ihrem Nachwort 1982 zählt sie selber die Rezensionen ihres Buches auf. Vgl. SÖLLE (1965) 1982, 133. Heftig kritisiert wurde ihre Hegel-Interpretation von F. WAGNER 1967. Vgl. auch W.-D. MARSCH 1968. Einen Hinweis auf beide Kritiker gibt sie in D. SÖLLE (1965) 1983a, 128, Anm. 3. Vgl. ferner die Studie zu Hegels Dialektik von W.-D. MARSCH 1965, bes. 239– 271. Vgl. auch jetzt auch die Auseinandersetzung bei W. JANKE, 2011, 211–219. 202 Zur Bedeutung und Rezeption von Sölle in der US-amerikanischen Gott-ist-tot-Theologie vgl. S. K. PINNOCK 2014.

7.2 Theologie und Christologie nach Auschwitz (Sölle und Moltmann)

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hatte,203 verfasste sie 1964 einen weiteren Beitrag zur Thematik für diese Zeitschrift unter dem Titel Theologie nach dem Tode Gottes.204 Für sie und viele andere ihrer Generation waren die Gottesvorstellungen der kirchlichen Tradition nach den Schrecken von Auschwitz und des Zweiten Weltkriegs nicht mehr glaubwürdig. Diese Erfahrungen, und auch die voranschreitenden sozialen Veränderungen, motivierten die von Friedrich Gogarten und Rudolf Bultmann mitgeprägte Sölle zur Suche nach einem neuen ,nach-theistischen‘ Gottesbild unter der Leitfrage, was Christus nach dem Tode Gottes heute noch für unser Leben bedeutet.205 Doch die Aufnahme des Motivs vom Tode Gottes ist bei Sölle selbst nicht eindeutig, sondern zeigt sich, das ist auch ihren „sprachlich beeindruckenden Formulierungen und kühnen Gedanken“206 geschuldet, vor allem in zwei Bedeutungsvarianten, die aufeinander aufbauen: einer erfahrungsbezogenen sozialhistorischen und einer christologisch-ethischen. Die geschichtlich-phänomenologische Deutung dient dabei als Sprungbrett für die in der Monographie Stellvertretung. Ein Kapitel Theologie nach dem „Tode Gottes“ ausgearbeitete christologisch-ethischen Deutung des Todes Gottes. Sölle deutet in dieser als „Selbstklärung“207 verfassten Studie die Herausforderung durch den „Tod Gottes“ nicht als Zeichen für die gegenwärtige „Abwesenheit Gottes“ oder als Grund für die Suche nach einem „Ersatz“ für Gott, sondern sie versteht Gottes „Abwesenheit als eine Möglichkeit seines Seins-für-uns. Unbesetzt bleibt die Rolle Gottes in keinem Falle.“208 Es ist Christus, der vorläufig den abwesenden Gott vertritt, solange er sich nicht bei uns sehen lässt: „Gott muss vertreten werden heißt: Gott ist – jetzt – nicht da.“209 Theologie wird zur „nachdenkende[n] Beschreibung bestimmter Erfahrungen.“210 Zu diesem Schluss kommt Sölle über die erfahrungsbezogene Deutung des „Todes Gottes“ als „ein geschichtliches Ereignis“211, das der christologischen Deutung vorausgeht: „es ist der ,Tod Gottes‘, jenes alles bestimmende Ereignis, das sich innerhalb der letzten zweihundert Jahre europäischer Geschichte D. SÖLLE 1964. Zwischen März 1964 und September 1981 erschienen über zwanzig Artikel von Sölle im Merkur. 204 D. SÖLLE (1964) 1983b (= Merkur. Zeitschrift für europäisches Denken 28 [1964], Nr. 201, 1101–1117). In D. SÖLLE 1983a finden sich auch die Beiträge aus Merkur: Atheistisch an Gott glauben ([1966] 1983a, 77–96) und Auferstehung – nach dem ,Tode Gottes‘ ([1968], 1983a, 97–102); vgl. auch Gibt es ein atheistisches Christentum? aus Merkur 249 (1969), wieder abgedruckt in: D. SÖLLE 1971a, 42–60. 205 Vgl. D. SÖLLE 2006, 10. Zur Bedeutung des durch ihre Religionslehrerin Marie Veit vermittelten Kontakts zu Bultmann vgl. D. SÖLLE 1995, 54–60 und zur Auseinandersetzung mit Bultmann vgl. D. SÖLLE 1971b. 206 H. FISCHER 2002, 162. 207 Vgl. dazu knapp ihre Erinnerungen D. SÖLLE 1995, 61–64. 208 D. SÖLLE 2006, 114. 209 D. SÖLLE 2006, 115. 210 D. SÖLLE 2006, 11. 211 D. SÖLLE 2006, 11. 203

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7 Der Tod Gottes als Denkfigur in der deutschsprachigen Theologie

begeben hat. Es ist ein geschichtliches Ereignis und lässt sich als ein solches nicht ablösen vom Horizont von Schicksal und Handeln, Schuld und Chance, Versagung und Entsagung.“212 Im Zuge der „westeuropäischen Aufklärung [werde] die Selbstverständlichkeit Gottes für die ganze Welt zerstört.“ Unmöglich geworden sei ein „naive[r] Theismus, das unmittelbare kindliche Verhältnis zum Vater droben im Sternenzelt, unmöglich [sei] auch die unmittelbare religiöse Gewißheit“213. Für den neuzeitlichen Menschen sei der Glaube, dass man Gott direkt in der Welt begegnen könne, verloren gegangen. Dadurch, dass Gott als unmittelbares Gegenüber verlorengegangen sei, könne im nachtheistischen Zeitalter „der Gedanke, daß Christus den abwesenden Gott bei uns vertritt, sein Gewicht gewinnen.“ Das „Wunder Jesu von Nazareth“ leuchtet auf: „daß ein Mensch Gott für andere in Anspruch nimmt, indem er ihn vertritt.“214 Unangemessen erscheint Sölle darum hierfür die Bezeichnung „Atheismus“, weil dieser die „Erfahrung vom Tode Gottes“ nicht gemacht habe, da seine Befürworter grundsätzlich von der „Nichtexistenz eines höheren Wesens“ ausgehen.215 Auch denen ist Gott nicht gestorben, die über ihn reden mit der Wendung ,es gibt ihn nicht‘. Das gilt für Sölle im Übrigen auch für diejenigen, die theistisch annehmen, ,es gibt ihn‘216: „Beide haben die neue Erfahrung mit Gott, die unsere Lage bestimmt, nicht gemacht, vielleicht auch nicht verstanden oder verdrängt, diese neue Erfahrung, in der sich der einzelne in einer vollständig verwandelten Welt und Gesellschaft verunsichert und auf sich gestellt vorfindet.“217 Sölle deutet „die Rolle vom ,Tode Gottes‘ als Erfahrung vom Ende einer objektiven, allgemeinen, oder subjektiven, privaten, jedenfalls aber unmittelbaren Gewissheit. Den Menschen, die im Horizont dieser Erfahrung vom Tode Gottes bleiben, sei das vorgegeben, was Hegel den ,unendlichen Schmerz‘ nannte, nämlich ,das Gefühl: Gott selber ist tot‘.“218 Für Sölle bedenkt „Hegel [nämlich ...] die Geschichte Gottes nach der Aufklärung als eine Geschichte des Schmerzes. Ihre Härte liegt im versagten Unmittelbaren, im Verlust der unter dem Licht des Bewusstseins zerspaltenen Einheit“219. Nicht das metaphysische „Wesen Gottes“, sondern die geschichtlichen „Wandlungen

D. SÖLLE 2006, 11. D. SÖLLE 1965, 176; vgl. D. SÖLLE 1971a, 42–60. 214 D. SÖLLE 1965, 177. 215 Vgl. D. SÖLLE 2006, 11.12. 216 Vgl. D. SÖLLE 2006, 12. 217 D. SÖLLE 2006, 12. 218 D. SÖLLE 2006, 13. 219 D. SÖLLE (1964) 1983b, 75. 212 213

7.2 Theologie und Christologie nach Auschwitz (Sölle und Moltmann)

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Gottes“220 und „der Gott ohne Eigenschaften“ wie „allgütig[221], allmächtig, allwissend“ können sich dann für Sölle als „das wahre Thema einer Theologie heute“ zeigen und darin auch der diesem entsprechende „homo absconditus“, wenn sich die Theologie für die „noch nicht erwachten Möglichkeiten Gottes“222 und damit für „seine Zukunft“223 öffne. Der Begriff „Tod Gottes“ bedeutet also für Sölle nicht das Ende aller Erfahrung Gottes überhaupt. (2) Die nicht unerhebliche Bedeutung dessen, dass dieses Buch „nach Auschwitz“ geschrieben wurde, und zwar „jede Zeile“, stellt Sölle 1982 in ihrem Nachwort retrospektiv heraus: „Was für eine Theologie ist nach diesem Ereignis möglich?“224: Wie kann nach Auschwitz und angesichts des Leides von Millionen Menschen überhaupt noch von Gott geredet werden? Wie ist den Erfahrungen der „Abwesenheit Gottes“ in Auschwitz225 und der „Gottesfinsternis“ (Martin Buber) theologisch standzuhalten? Die Metapher vom „Tod Gottes“ bedeutet für Sölle, „den Gedanken der Allmacht Gottes bewußt als theologisch und ethisch unmöglich aufzugeben. Angesichts von Auschwitz schien – und scheint! – mir die Annahme der Omnipotenz eine Häresie, ein Mißverständnis dessen, was Gott bedeutet.“226 Für Sölle ist die Rede vom Tode Gottes damit keine modische Philosophie über die Existenz einer gottlos gewordenen Welt. Der Tod Gottes als Anstoß für den Wandel des Gottesbildes ist für sie vielmehr ein soziologischer Ausdruck der Erfahrung und der bitteren Realität des Verlustes der unmittelbaren Gotteserfahrung vieler Menschen. Als ein soziologisches Phänomen sei der Tod Gottes ein Ereignis, das die Geschichte des Westens nachhaltig bestimmt.227 Doch bei dieser Diagnostik, dass der „Tod Gottes“ der „theologische Ausdruck solcher veränderten psychosozialen Bedingtheiten“228, sei, bleibt Sölle nicht stehen, sondern wendet diese 220 D. SÖLLE (1964) 1983b, 54. Sie greift hier die Wendung von Ernst Barlach mit Hinweis auf R. BULTMANN (1963) 1965b, 123, auf. Vgl. auch D. SÖLLE (1968) 1983a, 128, Anm. 2. Vgl. dazu auch oben Anm. 97 in Abschnitt 7.1.1 in diesem Buch. 221 „Ein einziges gefoltertes Kind genügt, um die Bezeichnung ,allgütig‘ für immer verstummen zu lassen.“ (D. SÖLLE [1964] 1983b, 75). 222 D. SÖLLE (1964) 1983b, 75. 223 D. SÖLLE (1964) 1983b, 76. 224 D. SÖLLE 2006, 136; vgl. D. SÖLLE 1995, 35.36. In den 1960er Jahren etablierte sich die Ortsmetapher ,Auschwitz‘ (vgl. oben Anm. 191 in Abschnitt 7.2 in diesem Buch). Sölle verwendet diese aber in ihrem Buch von 1965 nicht, sondern spricht an einer Stelle von der langen und blutigen Geschichte des Antijudaismus: „Was wir für die Ermordeten tun können, ist: für sie angesichts ihrer, den christlichen Glauben neu zu denken“ (D. SÖLLE 1965, 145). Am Schluss des Buchs („Die Ohnmacht Gottes in der Welt“; 202–205) verweist sie mit dem Satz, „[d]aß Gott in der Welt beleidigt und gefoltert, verbrannt und vergast wurde und wird […]“ auf die Gaskammern von Auschwitz. 225 D. SÖLLE 2006, 136. 226 D. SÖLLE 1990, 244. 227 Vgl. dazu auch S. K. PINNOCK 2014, 90. 228 D. SÖLLE 2006, 13.

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konstruktiv um. Aus der geschichtlichen Erfahrung stellt sich für sie die Frage, ob das „Unternehmen Jesu“ und damit die Frage, „was Christus für uns tut“229 erledigt seien, „seitdem Gott tot ist?“, oder ob es jetzt darauf ankäme, „andere Namen für Christus zu finden, die seine Sache in der Welt vielleicht angemessener zu benennen vermöchten.“230 Dazu möchte Sölle unter den neuen ,nachtheistischen‘ Bedingungen „einen der ältesten Namen Christi von neuem durchbuchstabieren: den des Stellvertreters.“231 Die „ethisch geprägte Reflexion“ setzt für sie nicht ein beim heilsgeschichtlichen Gedanken der „Selbstoffenbarung Gottes“ und seines Erlösungswerkes, sondern bei der „Verantwortlichkeit als Geschichtlichkeit“232: Christus hat „zur Verantwortung für die Welt befreit“233. Jesus von Nazareth deutet sie als „wahren Lehrer“234 und „Vorbild“, der als Stellvertreter des leidenden Gottes auf Erden nun den Staffelstab an die ihm Nachfolgenden übergeben hat. Seine Nachfolger sollen dem toten Gott seinen Platz in der Welt freihalten: „Christus lebt – das heißt, er ist gegenwärtig, wo immer Gott vertreten wird. In der Stellvertretung wird Gottes Reich bezeugt, aber als hier nicht erbautes. Die Erinnerung an die Identität, die Christus uns leistet, ist das als Schmerz wachgehaltene Bewusstsein von dem nicht erschienenen Reich.“235 Leid, Ungerechtigkeit und Ohnmachtserfahrungen dienen Sölle als sozialethischer Ansporn zur Nachfolge und zum die Welt verändernden Engagement.236 Der christliche Glaube wird unter Bezugnahme auf die marxsche Religions- und Kapitalismuskritik zum moralischen Appell und gehorsamen Aktionismus transformiert: „,Der Mensch wird aufgerufen, das Leiden Gottes an der gottlosen Welt zu teilen.‘“237 Dass Gott tot ist, bedeutet für Sölle also nicht, dass Gott entbehrlich ist. Christus tritt auf Zeit als Stellvertreter für den abwesenden Gott auf. Ohne Christus wäre Gott ganz tot. Gottes Stelle ist durch Christus offen gehalten, repräsentiert, aber nicht von ihm ersetzt238, und daher auch seinen Nachfolgern als „Mitarbeiter Gottes auf Erden“239 möglich, denn

D. SÖLLE 2006, 15. D. SÖLLE 2006, 13. 231 D. SÖLLE 2006, 13. 232 D. SÖLLE 2006, 16. 233 D. SÖLLE 2006, 15. 234 Vgl. D. S ÖLLE 2006, 197–107. 235 D. SÖLLE 2006, 129.130. 236 Vgl. dazu auch ihr wohl wichtigstes Buch Leiden (D. SÖLLE [1973] 1980), das gegen die Apathie und für die Leidensfähigkeit im Christentum plädiert. 237 D. SÖLLE 2006, 130. Hierbei handelt es sich um ein Zitat von D. Bonhoeffer aus Widerstand und Ergebung. 238 Vgl. D. S ÖLLE 2006, 120. 239 D. SÖLLE 2006, 90. 229 230

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Christus vertritt uns als „Vorläufer“240, „in dem, was wir eigentlich sind“241 und lässt dem an seiner Ohnmacht leidenden Gott242 selbst Zeit, um in eschatischer Zukunft zu erscheinen.243 Wie Nietzsche, so gehe es auch ihr „um Gott, der für uns und mit uns lebt. Der tolle Mensch beklagt die evidente Unwirksamkeit Gottes und denkt nicht daran, seine Unwirklichkeit festzustellen.“244 Gott ereigne sich nun dort („Gott geschieht. God happens“245), wo der eine Mensch dem anderen Menschen hilft: „Theologie nach dem ,Tod Gottes‘ [...] wird Christologie als Anthropologie betreiben, weil Gott sich zwischen Menschen ereignen kann, in jenem ,das habt ihr mir getan‘.“246 Gott hat sich gewandelt,247 als er Christus seine Rolle unter den veränderten Bedingungen übertragen hat. Gott setzte sich selbst aufs Spiel und identifizierte sich mit dem Nichtidentischen: Er wurde Mensch. Er machte sich abhängig von den Menschen und hat „keine anderen Hände als unsere“248. Doch nun sind die Menschen an der Reihe, wenn es heißt: „Es ist nunmehr an der Zeit, etwas für Gott zu tun.“249 Diese Konsequenz erweist sich theologisch als fragwürdig, da sie einen moralischen Appell formuliert. Das hängt grundlegend mit Sölles Glaubens- und Christusverständnis zusammen. Die Preisgabe des transzendenten theistischen Gottes rechtfertigt keine atheistische Grundhaltung, sondern soll zur christologischen Selbstbesinnung in einer entfremdenten Welt führen, um gegen ungerechte gesellschaftliche Strukturen zu kämpfen. Mit dieser christologischen Konzentration kommt es bei ihr zu einer Vereindeutigung des Gottesverständnisses, die andere Gotteserfahrungen außerhalb Christi ausschließt.250 Für Sölle bedeutet der „Glaube an Christus […] nicht mehr und nicht weniger als dieses: in seinem Entwurf [zu] leben“, d. h. zu „leben, wie er gelebt hat [… und so] seinen Traum zu realisieren.“251 Jedoch wäre es wohl im Blick auf ihr Konzept einer „Theologie nach dem ,Tode Gottes‘“ präziser gewesen, von der Erfah-

Vgl. D. SÖLLE 2006, 92–97. D. SÖLLE 2006, 86. 242 Vgl. D. S ÖLLE 2006, 130–132. 243 Vgl. D. S ÖLLE 2006, 119. 244 D. SÖLLE 2006, 116. 245 D. SÖLLE 1990, 242; vgl. zu diesem Gedanken bereits H. B RAUN (1961) 1962c, 335; H. BRAUN 1964, 407. 246 D. SÖLLE (1964) 1983c, 75. 247 Vgl. D. S ÖLLE 2006, 122.123. 248 D. SÖLLE 2006, 136; vgl. 1971a, 67. Diese Wendung geht auf ein Gebet aus dem 14. Jahrhundert zurück, das die Mystikerin Teresa von Avila (1515–1582) aufgreift. 249 D. SÖLLE 2006, 136. 250 Vgl. W. JANKE 2011, 217–219. 251 D. SÖLLE 1971a, 43; 45. In ihrem Beitrag Gibt es ein atheistisches Christentum? (1969 im Merkur erschienen und wiederabgedruckt in D. SÖLLE 1971a, 42–60) sieht Sölle den „Sinn des christlichen Atheismus“ darin, „,Gott und das Göttliche zu leben‘“ (a. a. O., 57). 240 241

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rung der „Abwesenheit Gottes“ statt von seinem „Tod“ zu sprechen.252 Insofern vertritt sie im Grunde auch keine „Theologie ohne Gott“253, sondern eher eine spezifische Form einer Theologie nach dem „Ende des Theismus“254, die von dem in der Stellvertreter-Christologie begründeten „atheistischen“ Glauben aus entfaltet wird. Den „Glauben an Christus, der der Glaube Jesu ist“ sieht Sölle, den Gedanken vom ,Im-Entwurf-Christi-leben‘ weiterdenkend, als eine „Utopie vom wirklichen Leben, die Christus in der Bergpredigt entwarf“, als „dialektische Einheit von Theorie und Praxis“, die den Anspruch hat, eine „weltverändernde, also praktische Theorie“ zu sein und sich „als realer Humanismus“ versteht, der sich vom nichtchristlichen Humanismus gerade durch seine „,überspitzten Maßstäbe‘“ absetzt.255 Die Rede vom „Tode Gottes“ löst sich bei Sölle schließlich auf in den Entwurf einer „politischen Theologie“.256 Es bleibt Sölles Verdienst, die Theologie der Gegenwart auf eine Reihe bis heute unerledigter Probleme aufmerksam gemacht und die Erfahrung des Todes Gottes nicht bagatellisiert zu haben. Auch ihre Anstöße für eine feministische Befreiungstheologie haben eine breite Wirkung entfaltet, die sich (im Anschluss an Freud) auf das Vatersymbol fokussiert, um machtvolle und destruktive Unterdrückungsstrukturen in der (patriarchalen) Gesellschaft aufzudecken.257 Insbesondere bleibt ihr theologischer Ansatz einer „Theologie nach Auschwitz“ bedeutsam, mit dem sie eine „,christliche Kultur des Gehorsams‘“ im Blick auf ihren Beitrag zur nationalsozialistischen Barbarei ideologiekritisch hinterfragt. Mit Blick auf die Erfahrung des Leidens und des Schmerzes hat sie die existentielle Relevanz der nachtheistischen Gottesfrage herausgestellt: „Es ist eine existentielle Frage, wie man in der Geschichte unseres Jahrhunderts von Gott reden kann [...]. Wenn mich täglich etwas neu zu Christus zieht und nach Gott Ausschau halten lässt, dann sind es die Erfahrungen des Schmerzes. Daran hat sich nichts geändert, und dieses Jahrhundert, das man vielleicht einmal das der Folterer nennen wird, hat viele

In dieser Fluchtlinie steht auch Kapitel 3 des Buches Stellvertretung (D. SÖLLE 1965; 2006). Darauf verweist auch bereits H. FISCHER 2002, 161.162, der ihr daher den Untertitel „Ein Kapitel Theologie nach der ,Abwesenheit Gottes‘“ vorschlägt (a. a. O., 162). 253 Vgl. D. SÖLLE 1971a, 115–129. 254 D. SÖLLE 1990, 223–237; 238–254. 255 D. SÖLLE ([1966] 1983a, 93. 256 Vgl. D. SÖLLE 1971a; 1971b. 257 Vgl. D. SÖLLE 1968; 1987. Hier liegen nicht nur die Wurzeln für Sölles Sensibilität für die Lage in den Ländern der sogenannten Dritten Welt: Hunger, Unterdrückung, Folter und Armut („Option für die Armen“), sondern auch für eine Befreiungstheologie und feministische Theologie, die patriarchale Strukturen in Theologie, Kirche und Gesellschaft aufbrechen will und den schon bei Sigmund Freud angezeigten Tod des (Ur-)Vater(gotte)s erneut diskutiert. Vgl. dazu Abschnitt 6.3.5 in diesem Buch. 252

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von uns um der Schmerzen willen zu Christen gemacht. Zu Nachfolgern des Armen aus Nazareth, der immer noch Gott für uns spielt.“258

7.2.2 „Theologie im Hören des Todesschreis Jesu“ – Der zukunftseröffnende Kreuzestod in Gott und die Passion Gottes (Jürgen Moltmann) Als Jürgen Moltmanns Theologie der Hoffnung 1967 in den Vereinigten Staaten von Amerika erschien,259 wurde die Theology of Hope von der New York Times auf der ersten Seite mit den Worten begrüßt: „Die Gott-ist-tot-Theologie verliert den Boden an die Theologie der Hoffnung.“260 Der Blick scheint auf jeden Fall nach vorn gerichtet zu sein, wenn Jürgen Moltmann (*1926)261 angesichts der vielfältigen Problemlagen der christlichen Theologie nur ein „wirkliches Problem“ ins Stammbuch schreibt: „das Problem der Zukunft.“262 Damit versteht er die Eschatologie nicht als Lehre von den letzten Dingen, sondern qualifiziert sie als „Lehre von der christlichen Hoffnung“263. Das Christentum ist für ihn „ganz und gar und nicht nur im Anhang Eschatologie, Hoffnung [...], Aussicht und Ausrichtung nach vorne, darum auch Aufbruch und Wandlung der Gegenwart.“264 Diesen Gott des Exodus und der Auferstehung könne man nicht in sich oder über sich haben, sondern immer nur vor sich, da er immer nur in seinen Zukunftsverheißungen begegne. Diesen Gott könne man auch nicht „haben“, sondern nur tätig hoffend erwarten.265 Theologie würde daher recht verstanden von ihrem Zukunftsziel her bedacht. Am

D. SÖLLE 2006, 139.140. J. MOLTMANN 1967. Die deutsche Ausgabe erschien 1964. 260 Das vermerkt Jürgen Moltmann in seinem Vorwort: Dreiunddreißig Jahre ,Theologie der Hoffnung‘ (J. MOLTMANN [1964] 1997a, 2; vgl. E. B. FISKE 1968). Am 2. Mai 1969 fragt in diesem Zusammenhang auch das Time Magazine ,Is God Dead?‘ 261 Vgl. zu Leben und Werk R. B AUCKHAM 1993; 1995 und G. M ÜLLER-FAHRENHOLZ 2000 (mit Werkverzeichnis). Geboren in Hamburg und in einem nichtkirchlichen Umfeld aufgewachsen, geriet der junge Luftwaffenhelfer am Ende des Zweiten Weltkriegs in britische Kriegsgefangenschaft und begann in Schottland, zum Glauben gekommen, das Studium der Evangelischen Theologie, das er 1948 an der Universität Göttingen fortsetzte (vgl. J. MOLTMANN 1970, 7–14). Hans Joachim Iwand, Gerhard von Rad und vor allem der reformierte Systematiker Otto Weber, bei dem er auch seine Dissertation über den reformierten Bremer Theologen Christoph Pezel verfasste, sollten ihn dort prägen. Nach Tätigkeiten als Gemeindepastor in Bremen und als Studentenpfarrer erhielt er zusammen mit dem Abschluss seiner Habilitation 1957 einen Ruf auf eine Professur an der Kirchlichen Hochschule in Wuppertal, wechselte 1963 nach Bonn und lehrte von 1967 bis zu seiner Emeritierung 1994 an der Universität Tübingen. 262 J. M OLTMANN (1964) 1997a, 12; vgl. die Gliederung in S. M. D.[AECKE] 1969b. 263 J. M OLTMANN (1964) 1997a, 12. 264 J. M OLTMANN (1964) 1997a, 12. Ernst Bloch hat mit seinem Werk Das Prinzip Hoffnung (1959) Moltmann maßgeblich beeinflusst (vgl. a. a. O., 313–334). 265 Vgl. J. M OLTMANN (1964) 1997a, 25. 258 259

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Anfang einer Theologie des „adventus Christi“266 stünde die Eschatologie und nicht an ihrem Ende. Da der christliche Glaube zentral von der Auferweckung des gekreuzigten Christus lebe,267 sich nach den „Verheißungen der universalen Zukunft Christi“ ausstrecke und Eschatologie das „Leiden und die Leidenschaft, die am Messias entstehen“268, sei, kommt Moltmann auch in seiner Theologie der Hoffnung auf den „Tod Gottes“269 zu sprechen. Für Moltmann ist es kein Zufall, dass diese schwer auf einen Nenner zu bringende „Situation in der Auslegung des Satzes von Hegel und Nietzsche gedeutet wird: ,Gott ist tot.‘ Denn das ist nicht nur ein philosophisch-metaphysischer Satz, sondern dieser Satz scheint auch in den Fundamenten neuzeitlicher Welt- und Selbsterfahrung den methodischen Atheismus der Wissenschaften abzugeben.“270 Moltmann stellt diesen abstrakten neuzeitlichen Erfahrungen den konkreten Gott der Auferstehung entgegen: „Nur wenn der ,Gott der Auferstehung‘ zusammen mit der Erkenntnis der Auferstehung Jesu an dem aus der Geschichte aus der Welt und aus der eigenen Existenz bekannt gewordenen ,Tod Gottes‘ als ,Gott‘ erwiesen werden kann, ist die Verkündigung der Auferstehung, sind Glaube und Hoffnung auf den Gott der Verheißung etwas Notwendiges, etwas Neues und etwas real-objektiv Mögliches.“271

In seiner Christologie Der gekreuzigte Gott. Das Kreuz Christi als Grund und Kritik christlicher Theologie272 behandelt Moltmann ausführlicher die DenkJ. MOLTMANN (1964) 1997a, 26. J. MOLTMANN (1964) 1997a, 150: „Das Christentum steht und fällt mit der Wirklichkeit der Auferweckung Jesu von den Toten durch Gott.“ Vgl. J. MOLTMANN (1964) 1997a, 12. 268 J. M OLTMANN (1964) 1997a, 12. 269 J. M OLTMANN (1964) 1997a, 150–155 („§ 5 Der ‚Tod Gottes‘ und die Auferstehung Christi“). 270 J. M OLTMANN (1964) 1997a, 152. Zu Hegels Deutung des Todes Gottes vgl. auch J. MOLTMANN (1972) 1976, 240–243. 271 J. M OLTMANN (1964) 1997a, 152. Dafür gibt die „Genesis des Eindrucks ,Gott ist tot‘ [...] einige Hinweise“, denen Moltmann in einer knapp über drei Seiten kleingedruckten Passage nachgeht. Moltmann verweist dafür unter anderem auf Walter Rehms Studie (a. a. O., 152, Anm. 24) zu Jean Paul und F. M. Dostoevskij, kommt auf Hegels (mit Verweisen auf Günter Rohrmoser und Karl Löwith) neue Auslegung des Karfreitags und die Bezeichnung des Todes Gottes als Grundgefühl der Religion der Neuzeit zu sprechen sowie auf den „unvergeßlichen“ Schluss, „daß Auferstehung und Zukunft Gottes sich nicht nur an der Gottverlassenheit des gekreuzigten Jesus, sondern auch an der Gottverlassenheit der Welt zeigen müssen“ (J. MOLTMANN [1964] 1997a, 153). Es folgen Skizzen zu Kierkegaard, Nietzsche, Feuerbach und Bonhoeffer. Er schließt mit dem Satz: „Die Welt wird nicht im ewigen Sein stabilisiert, sondern im Noch-nicht-Sein einer zukunftsoffenen Geschichte ,gehalten‘.“ (a. a. O., 155); vgl. u. a. die Beiträge in Umkehr zur Zukunft (J. MOLTMANN 1970). 272 J. M OLTMANN (1972) 1976, 184–267; (1973) 1977; vgl. die Rekonstruktion und katholische Kritik bei P. F. MOMOSE 1978, den Diskussionsband M. WELKER 1979 und die Studie M. KORTHAUS 2007, 218–302; ferner den Rückblick in J. MOLTMANN 1989, 173 266 267

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figur des Todes Gottes und stellt die Frage, ob sie als „Ursprung christlicher Theologie“ gelten könne. Im Kreuzestod Christi zeige sich der gekreuzigte Gott jenseits von Theismus und Atheismus als „Gott der Freiheit“ und als „menschlicher Gott“. In neuen theologischen Konzeptionenen werde der Fokus der „Frage und Erkenntnis Gottes auf den Tod Christi am Kreuz“273 gerichtet. Es werde versucht, „Gottes Sein aus dem Tod Jesu zu verstehen.“274 An dieser Entwicklung habe „jene etwas pathetisch klingende ,Gott-ist-tot-Theologie‘“ maßgeblichen Anteil, da „sie dazu nötigte, in der Theologie mit der Christologie zu beginnen und also um Jesu willen von Gott zu reden, und d. h. konkret, Theologie im Hören des Todesschreis Jesu zu entfalten“275, da der „Kreuzesschrei Jesu“ den „tiefste[n] Fragehorizont nach Gott“276 für die christliche Theologie darstelle: „In Jesu Leiden leidet Gott, in seinem Tod schmeckt Gott selbst Verdammnis und Tod.“277 Die soteriologische Konzentration der Kreuzestheologie reiche nicht mehr aus, vielmehr sei die Frage zu stellen: „Was bedeutet das Kreuz Jesu für Gott selbst?“278 Denn mit Paul Althaus betont Moltmann: „Jesus starb für Gott, ehe er für uns starb.“279 Damit stehe die Christologie vor der Frage: „Wie aber kann der ,Tod Jesu‘ eine Gottesaussage sein? Bedeutet das nicht eine Revolution im Gottesbegriff?“280 Denn: „Je mehr man das ganze Kreuzesgeschehen als Gottesgeschehen versteht, um so mehr zerbricht der einfache Gottesbegriff“281 und mit der Entzweiung Gottes durch den Tod Jesu ein abstrakter Monotheismus. Man verlässt die „Außenseite des Geheimnisses, das ,Gott‘ genannt wird“ und „kommt in seinen Innenraum, der trinitarisch ist. Das ist die ,Revolution im Gottesbegriff‘, die der Gekreuzigte offenbart.“282 Die mit der Frage „Wer ist Gott im Kreuz des gottverlassenen Christus?“283 verbundene grundsätzliche Kritik am theistischen Gottesbegriff der philosophischen Metaphysik284 und die damit gestellte Aufgabe der „fälligen Revolution im Gottesbegriff“285 ist für Moltmann programmatisch. Für den reforsowie J. MOLTMANN 1980, Kap. III und bereits J. MOLTMANN 1970, 133–147 („Gott im Kreuz Jesu“; 1969). 273 J. M OLTMANN (1972) 1976, 185; 274 J. M OLTMANN (1972) 1976, 185. 275 J. M OLTMANN (1972) 1976, 185 und Anm. 2 mit Verweis auf ein ähnlich gelagertes Anliegen E. Jüngels. 276 J. M OLTMANN 1968, 41. 277 J. M OLTMANN 1968, 47. 278 J. M OLTMANN (1972) 1976, 185. 279 J. M OLTMANN (1972) 1976, 185 mit Anm. 4. 280 J. M OLTMANN (1972) 1976, 185. 281 J. M OLTMANN (1972) 1976, 189. 282 J. M OLTMANN (1972) 1976, 189. 283 J. M OLTMANN (1972) 1976, 9. 284 Vgl. J. M OLTMANN (1972) 1976, 236–239. 285 J. M OLTMANN (1972) 1976, 9.

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mierten Theologen zeigt sich der Theismus, der „Gott auf Kosten des Menschen als ein übermächtiges, vollkommenes und unendliches Wesen“ denkt und den Menschen als „ein ohnmächtiges, unvollkommenes und endliches Wesen“286 erscheinen lässt, insgesamt als problematisch, vor allem kreuzesvergessen, und damit für die Entfaltung der christlichen Gotteslehre nicht ertragreich.287 Insbesondere betrifft das die Voraussetzungen des metaphysischen Gottesbegriffs, Tod, Leid, Sterblichkeit und Schmerz auszuschließen, denn ein leidensunfähiger Gott sei liebesunfähig.288 Die „theologische Reflexion [sei] lange Zeit nicht in der Lage [gewesen], Gott selbst mit dem Leiden und dem Tod Jesus zu identifizieren.“289 In ihrer traditionellen Ausprägung geriet die Christologie von daher immer wieder an den Abgrund des Doketismus: Jesus habe nur scheinbar, nicht wirklich gelitten und sei daher nur scheinbar und nicht wirklich von Gott verlassen gestorben. Moltmann macht als Grund für die verstellte Wahrnehmung des Kreuzes Christi den philosophischen Gottesbegriff aus. Es herrschte eine „geistige Sperre“, seine onto-theologischen Voraussetzung zu hinterfragen, der zufolge „Gottes Sein unvergänglich, unveränderlich, unteilbar, leidensunfähig und unsterblich; das menschliche Sein hingegen vergänglich, veränderlich, teilbar, leidensfähig und sterblich“ sei.290 Von der Überwindung der asymmetrischen Ausgangslage des Theismus her deutet Moltmann nun das Kreuz neu: Jesus leidet an der Verlassenheit des Vaters, und der Vater leidet daran, dass er seinen Sohn in den Tod gibt. Aus diesem beiderseitigen Schmerz entsteht der verbindende und lebendigmachende Geist der Liebe.291 Damit wird Gott zu einem Geschehen, das Moltmann im Rückgriff auf die traditionelle Trinitätslehre ausführt: Damit könne Jesu Tod „nicht ,als Tod Gottes‘ verstanden werden, sondern nur als Tod in Gott. Nicht der ,Tod Gottes‘ kann als Ursprung christlicher Theologie bezeichnet werden, wenngleich das Stichwort auf etwas Richtiges hindeutet, sondern nur der Kreuzestod in Gott und Gott in diesem Tod Jesu.“292 Für Moltmann stehen nicht „,Kreuz und Auferweckung‘“ im „Zentrum der ganzen christlichen Theologie“, sondern „die Auferweckung des Gekreuzigten, die seinen Tod als für uns geschehen qualifiziert, und das Kreuz des Auferweckten, das seine Auferweckung von den Toten den Sterbenden offenbart und zugänglich macht.“293 Eine neu zu entwerfende Christologie – als „Trinitarische Kreuzestheologie“ –, „die ,Jesu Tod als Tod Gottes‘ zu denken sich bemüht, muß darum die Wahrheits286 J. M OLTMANN (1972) 1976, 236; vgl. auch 193–204 („Theismus und Kreuzestheologie“) und 205–214 („Kreuzestheologie und Atheismus“). 287 J. M OLTMANN (1972) 1976, 236.237. 288 Vgl. J. M OLTMANN (1972) 1976, 255–267. 289 J. M OLTMANN (1972) 1976, 214. 290 J. M OLTMANN (1972) 1976, 214. 291 Vgl. J. M OLTMANN (1972) 1976, 239. 292 J. M OLTMANN (1972) 1976, 192. 293 J. M OLTMANN (1972) 1976, 189.

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momente der Kenotik (der Lehre von der Entäußerung Gottes) aufnehmen.“294 Damit geht eine Auflösung der Dialektik von menschlichem und göttlichem Sein einher und die Konsequenz, „das Kreuzesgeschehen im Sein Gottes trinitarisch und personal [zu] verstehen.“295 Moltmann kommt zum Schluss, dass nicht der Tod Gottes als Ursprung christlicher Theologie bezeichnet werden kann, „sondern nur der Kreuzestod in Gott und Gott in diesem Tod Jesu.“296 Der traditionelle Gottesbegriff297 sei zu verlassen, und es sei in den trinitarischen Raum einzutreten, der dann „Gott“ genannt werden kann. Aus dem trinitarischen Leben, „das den Tod Jesu in sich hat, geht dann hervor, wer Gott ist und was seine Gottheit bedeutet. Den bisherigen Aussagen über das spezifisch christliche Verständnis der Rede vom ,Tod Gottes‘ fehlt meistens eine Dimension, nämlich die trinitarische.“298 Um eine „Selbstisolation der Theologie“ zu vermeiden, sucht Moltmann „den Gott des Kreuzes mit allen Konsequenzen nicht nur im theologischen Bereich, sondern auch im Bereich der Sozialität und der Personalität des Menschen, im Bereich der Gesellschaft und der Politik und endlich im Bereich der Kosmologie zu denken.“299 Die Theologie erkennt „eine Revolte in Gott selbst“: „Gott selbst liebt und leidet an seiner Liebe den Tod Christi.“300 In einer Trinitarischen Kreuzestheologie, die sich jenseits des Streits und der Alternative von Theismus und Atheismus verortet und das alte metaphysische Apathieaxiom in der Gotteslehre zu überwinden sucht,301 ist Gott „nicht nur jenseitig, sondern auch diesseitig, er ist nicht nur Gott, sondern auch Mensch, er ist nicht Herrschaft, Autorität und Gesetz, sondern das Geschehen der leidenden, befreiende Liebe. Umgekehrt ist der Tod des Sohnes nicht der ,Tod Gottes‘, sondern [als ,Tod in Gott‘] der Anfang jenes Geschehens, in welchem aus dem Tod des Sohnes und dem Schmerz des Vaters der lebendigmachende Geist der Liebe hervorgeht.“302

Für den eschatologischen Glauben an das trinitarische Kreuzesgeschehen sei die Gottesgeschichte darum eschatologisch zukunftsoffen und zukunftseröff-

294 J. M OLTMANN (1972) 1976, 190.191. Moltmann weist hier auf Paul Althaus und ebenso wie Jüngel auf Werner Elert (a. a. O., 214–216) und durchgehend auf Karl Barth hin. 295 J. M OLTMANN (1972) 1976, 191. 296 J. M OLTMANN (1972) 1976, 192. 297 „Das Christentum kann daher nicht länger als ,monotheistische Glaubensweise‘ (Schleiermacher) dargestellt werden. Christlicher Glaube ist nicht ,radikaler Monotheismus‘. Als Kreuzestheologie ist christliche Theologie die Kritik und Befreiung vom philosophischen und politischen Monotheismus.“ (J. MOLTMANN [1972] 1976, 201). 298 J. M OLTMANN (1972) 1976, 192. 299 J. M OLTMANN (1972) 1976, 202. 300 J. M OLTMANN (1972) 1976, 214. 301 J. M OLTMANN (1972) 1976, 214–222. 302 J. M OLTMANN (1972) 1976, 239. Zur Fortsetzung in einer apokalyptischen Theologie der apokalyptischen und göttlichen Leiden Christi vgl. J. MOLTMANN 1989, 172–234.

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nend.303 Vor dem Hintergrund der Suche nach einem Gottesbegriff nach Auschwitz, der in der Formel vom „leidenden Gott“ gefunden wurde, war die konsequente Christologisierung der Dogmatik im Anschluss an Karl Barth neben der US-amerikanischen Theologie des Todes Gottes Impuls für Moltmann, um einen Weg aus „der doppelten Krise“ der christlichen Existenz von Theologien, Kirchen und Menschen zu weisen: „der Relevanzkrise und der Identitätskrise“304. Ob die aktive oder passive Teilnahme („wo immer wir lieben und beten und hoffen“) am „Leiden Gottes“ und der „Freude Gottes“ und damit am „zukunftsoffenen und zukunftseröffnenden […] trinitarischen Geschichtsprozeß Gottes“305, der „[j]enseits von theistischer Unterwürfigkeit und atheistischem Protest [...] die Geschichte des Lebens [ist], weil es die Geschichte der Liebe ist“306, aus dieser Krise herausführt, sei hier dahingestellt. Im ersten Band seiner systematischen Beiträge zur Theologie Trinität und Reich Gottes307 verfolgt Moltmann das angezeigte Ziel, im Unterschied zu den „Feindpositionen“308 der Substanztrinität und Subjekttrinität der idealistischen neueren Theologie ein soziales trinitarisches Denken zu entwickeln und einzuüben. Dafür gelte es auch, das „Paradox“ vom „,Leiden des leidensunfähigen Gottes‘“, das durch die Addition des Apathieaxioms der metaphysischen Tradition der griechischen Philosophie und der Passionsgeschichte Christi entstanden sei, zu überwinden, um einen „konsequent christlichen Gottesbegriff“ zu entwickeln (37), in dem Gott mit der Passion Christi zu identifizieren sei. Dem Apathieaxiom stellt Moltmann eine Lehre von der Theopathie entgegen.309 Dafür geht er vom Axiom der Leidenschaft Gottes aus, „um das Leiden Christi als das Leiden des leidenschaftlichen Gottes zu verstehen“ (38). Zunächst verweist Moltmann auf die Behandlung des Themas vom Leiden Gottes in der jüdischen Theologie bei Abraham Joshua Heschel, der das Pathos Gottes in der alttestamentlichen Prophetie als Wesensmerkmal des israelitischen Gottverständnisses entdeckt. Gott der Allmächtige geht in seiner Freiheit in seinem Pathos aus sich heraus, wendet sich als Bundespartner seinem Volk zu und wird von Israels Erfahrungen selbst betroffen und leidensfähig. Die theologische Diskussion über die Passibilität Gottes wurde breit im 19. und 20. Jahrhundert in der angelsächsischen Theologie geführt (45.46) als Antwort auf Vgl. J. MOLTMANN (1972) 1976, 241.242. J. MOLTMANN (1972) 1976, 12. 305 J. M OLTMANN (1972) 1976, 241.242. Moltmann übernimmt hier A. N. Whiteheads Begriff von Gott als „fellow-sufferer“ (Leidensgefährte) des Menschen. 306 J. M OLTMANN (1972) 1976, 243. 307 J. M OLTMANN 1980, 36–76 („Die Passion Gottes“); zur Konzeption seiner Beiträge zur Theologie vgl. a. a. O., 11–16; zur „Umkehr zum trinitarischen Denken“ vgl. a. a. O., 17–35. Seitenzahlen im Haupttext verweisen auf dieses Werk. 308 D. R ITSCHL 1981b, 469. Vgl. zum Ganzen und zur Kritik auch diese Besprechung Dietrich Ritschls zu Moltmanns Trinitätslehre. 309 J. M OLTMANN 1980, 40; vgl. auch J. R OHLS 2001, 49.50. 303 304

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Darwins Evolutionstheorie, um Gottes Allmacht mittels der Allmacht der leidenden Liebe Gottes in Christus darzulegen.310 Der Grundgedanke der gesamten anglikanischen Theologie setze bei der Eucharistie ein, komme von hier auf das historische Kreuz auf Golgatha und schließe von dort auf das ewige Wesen Gottes zurück: „am Kreuz auf Golgatha ist das ewige Herz der Trinität offenbar geworden. [...] Selbstopfer ist Gottes Wesen“ (47). Die im Ersten Weltkrieg von G. A. Studdert Kennedy (The Hardest Part, 1918) entworfene „Theologie vom leidenden Gott“ hält Moltmann für „wichtiger als die [dialektische] Theologie des ,ganz-anderen‘ Gottes. Was auf den Schlachtfeldern Flanderns standhielt und Glauben mitten in diesen Höllen schuf, war die Erkenntnis des gekreuzigten Gottes“ (50). Diese beiden Positionen dienen exemplarisch als „Schützenhilfe“311 für die eigene christologische These oder Einsicht in die „Selbstdifferenzierung“ Gottes. Im Leiden entstehe die Frage des Menschen nach Gott, da das unbegreifliche Leiden den Gott des Menschen in Frage stelle (63–68). Da die Theodizeefrage die „offene Wunde des Lebens in dieser Welt“ (65) sei, sei es die wirkliche Aufgabe des Glaubens und der Theologie, „das Überleben mit dieser offenen Wunde zu ermöglichen“ (65). Die universale Bedeutung des Gekreuzigten auf Golgatha werde durch die Theodizeeproblematik wirklich verstanden, denn die „Leidensgeschichte Christi gehört in die Leidensgeschichte der Menschheit kraft der leidenschaftlichen Liebe, die Christus offenbart“ (67). So führt für Moltmann die Theologie der Passion Gottes zu einer „Selbstunterziehung Gottes unter die Leiden“, zwischen der und dem „Gedanken der eschatologischen Selbsterlösung Gottes“ die „Geschichte der tiefen Gemeinschaft Gottes und der Menschen im Leiden, im Mitleiden miteinander und der leidenschaftlichen Liebe füreinander“ liege (76). Der in der Monographie über den gekreuzigten Gott aufgezeigte Gedanke, dass der Gegensatz zwischen Gott und Tod zu einem Gegensatz in Gott werde, also Gott, der Vater, unsterblich, Gott, der Sohn, sterblich sei,312 wird hier durch eine Theologie der Passion vertieft. Der Leitgedanke, was es mit dem Tode Gottes auf sich habe, lasse sich, so Moltmann, jedenfalls nur trinitarisch als Differenz in Gott verstehen, andere Verstehensmöglichkeiten seien unqualifiziert, den menschlichen, gekreuzigten Gott voll wahrzunehmen (91– 99).313 Mit dieser Präzisierung im Behauptungsmodus bleibt Moltmann, wie noch gezeigt wird, in der evangelischen Theologie nicht allein. Das gilt auch für den Versuch, den Tod Gottes mittels der Formel vom leidenden Gott und

310 J. M OLTMANN 1980, 45–51: Es finde sich aus dieser Zeit nichts Vergleichbares in der deutschsprachigen Theologie. Erst Karl Barth und Hans Urs von Balthasar hätten das Sein Gottes und das Kreuz Christi zusammengedacht. Vgl. J. MOLTMANN 1980, 46, Anm. 30. 311 D. R ITSCHL 1981b, 469. 312 J. M OLTMANN (1972) 1976, 231.232. 313 Vgl. J. M OLTMANN (1972) 1976, 228: „Kreuzestheologie [muss] Trinitätslehre und Trinitätslehre Kreuztheologie [sein].“ Vgl. J. ROHLS 2001, 50.

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des Kreuzestodes des Sohnes Gottes zu deuten, und nicht zuletzt für die Verwaltung des „ungute[n] Erbe[s] Barths, durch überspitze Polemik [gegen Hauptfeinde] die eigene Position um so profilierter klarstellen zu wollen“ und mit „positiven Vermerken über ähnlich denkende Autoren sparsam zu sein und das Abgrenzende vorherrschen zu lassen.“314 7.2.3 Bleibende Anfragen einer Post-Holocaust Theology Dorothee Sölle und Jürgen Moltmann stehen in der deutschsprachigen evangelischen Theologie in besonderer Weise dafür, dass Theologie „nach Auschwitz“, das als Ortmetapher Ausdruck für das unfassbare Grauen des nationalsozialistischen Terrors ist, betrieben wird. Zur „Holocaust Theology“ bzw. „Post-Holocaust Theology“ oder „Theology after Auschwitz“ liegen zahlreiche Untersuchungen und Sammelbände sowie Textsammlungen vor, in denen die maßgeblichen Stimmen versammelt sind.315 Dennoch findet man das Thema nur selten oder meist gar nicht in verbreiteten Gesamtdarstellungen der evangelischen Dogmatik oder der Theologiegeschichte. Es fehlen überwiegend und auffällig die Begriffe Antisemitismus, Auschwitz, Holocaust, Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg. Dass dieser Diskurs immer noch einen Randbereich darstellt, unterstreicht die Beobachtung: „Anscheinend hatte sich das geistige Potential zur Verarbeitung von Katastrophen innerhalb der evangelischen Theologie nach dem Ersten Weltkrieg weithin erschöpft.“316 Sich allerdings weiter hinter dieser Beobachtung zu verstecken, ist wenig glaubwürdig – die zeitgeschichtliche Aufarbeitung der Verstrickungen ist auch für die Systematische Theologie angezeigt, die dazu neigt, geschichtsenthobene Entwürfe mit universalem Anspruch vorzulegen. In den 1960er Jahren leisteten Jürgen Moltmann,317 Dorothee Sölle und von römisch-katholischer Seite Johann Baptist Metz Pionierarbeit und rückten die Opfer des nationalsozialistischen Terrors und die Dimensionen des Massenmords am jüdischen Volk in den Mittelpunkt ihrer theologischen Überlegungen. Sie beriefen sich in ihrem Reden von Gott nach Auschwitz318 auch auf Dietrich Bonhoeffer, der 1944 in der Gestapo-Zelle für sich entdeckte: „nur der leidende Gott kann helfen.“319 Nicht kraft seiner Allmacht, sondern kraft seines D. RITSCHL 1981b, 468. Vgl. u. a. M. BROCKE/H. JOCHUM (1982) 1993; D. COHN-SHERBOK 2002; S. T. KATZ/S. BIDERMAN/G. GREENBERG 2007. Zum Zusammenhang der US-amerikanischen Gott-ist-tot-Theologie und der Post-Holocaust-Theology vgl. S. R. HAYNES/J. K. ROTH 1999a. Vgl. auch Abschnitt 6.1 in diesem Buch. 316 H. FISCHER 1992, 139. 317 Vgl. u. a. J. M OLTMANN 2007. Dem entstammen auch die folgenden Zitate. Der hier gekürzt abgedruckte Artikel wurde zuvor veröffentlicht als J. MOLTMANN 1997b. 318 E. K OGON u. a. (1977) 1979. 319 D. B ONHOEFFER, DBW 8, 534 (Brief vom 18.7.1944 an Eberhard Bethge). 314 315

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Leidens und seiner Ohnmacht hilft Christus.320 Die Debatte „After-Auschwitz“ wurde wahrscheinlich erst durch Richard L. Rubenstein und sein Buch After Auschwitz (1966)321 angestoßen, der sich der Gott ist tot-Bewegung anschloss und sich dafür heftiger Kritik ausgesetzt sah.322 Rubenstein sah im Nationalsozialismus „eine Art jüdisch-christliche Häresie“ und entschied sich dafür, „lieber in einem sinnlosen Kosmos zu leben, als an einen Gott zu glauben, der seinem Volk Auschwitz zufügt.“323 Doch Kritiker wie Emil Fackenheim (God’s Presence in History. Jewish Affirmations and Philosophical Reflections, 1970) haben ihm geantwortet: „Wer nach Auschwitz Gott für ,tot‘ erklärt und den jüdischen Glauben verlässt, der gibt Hitler posthum den Sieg über die Juden und den Gott Israels, den Hitler in seinem Leben nicht erringen konnte.“ Er beschwört: „Wenn wir aufhörten, Juden zu sein (und jüdische Kinder aufzuziehen), hieße das, unsere Jahrtausende alte Zeugenschaft für den Gott der Geschichte aufzugeben. [...] Es ist den Juden verboten, Hitler nachträglich siegen zu lassen. Es ist ihnen geboten, als Juden zu überleben, damit das jüdische Volk nicht untergehe [...]. Schließlich ist es ihnen verboten, am Gott Israels zu verzweifeln, damit das Judentum nicht untergehe.“324

Die Shoah ist quasi für alle jüdische Philosophie und Theologie ein Thema, dass sich aber „den Versuchen denkerischer Verarbeitung genauso wie denen der Wiedergutmachung“325 entzieht: „Die Vernichtung des europäischen Judentums birgt ungeheure Probleme für die jüdische Religionsphilosophie. Denn wo war Gott in Auschwitz? Wie konnte er die Vernichtung zulassen? Welchen Stellenwert hat Auschwitz in der jüdischen Geschichte? Ist nach dem Zivilisationsbruch der Shoah jüdische Geschichtsphilosophie noch möglich? Oder ist die Shoah eine Leerstelle der jüdischen Geschichte und Philosophie, Ort einer Gottesfinsternis? Auch hier gibt es keine abschließenden Antworten, aber die Shoah bleibt eines der bewegenden Grundprobleme aller jüdischen Philosophie heute. Vielleicht ist die Katastrophe nicht zu denken, aber sie wird, anders als im nichtjüdischen Philosophiebetrieb unserer Tage, zumindest erinnert. Der nach Kanada emigrierte deutsch-jüdische Philosoph Emil L. Fackenheim aus Halle in Sachsen-Anhalt hat die 613 Gebote und Verbote der Tora darum unorthodox durch ein 614. ergänzt: Juden sollen jüdisches Leben fortsetzen und so Hitler

Zur weiteren Verwendung der Formel vom Leiden Gott vgl. J. ROHLS 2001. R. L. RUBENSTEIN 1966; vgl. R. L. RUBENSTEIN 1988. 1992 erschien eine zweite Auflage mit dem Untertitel: History, Theology, and Contemporary Judaism. Zum Verhältnis von „Death-of-God Theology and Judaism“ vgl. R. L. RUBENSTEIN 1992, 247–265. 322 In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts prägten zwei Ereignisse das jüdische Denken: Die Shoah und die Gründung des Staates Israel. Vgl. CH. SCHULTE 2018, 333. 323 Zit. n. J. M OLTMANN 2007, 154. 324 Zit. n. J. M OLTMANN 2007, 154.155. 325 C H. SCHULTE 2018, 333. 320 321

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keine postumen Siege gewähren. Fast ein kategorischer Imperativ, nicht nur der jüdischen Philosophie unserer Tage.“326

Der Holocaust und die Protestanten ist die immer wieder ins Gedächtnis zu rufende Geschichte einer „Verstrickung“, die mit einem tiefgreifenden Antisemitismus und Antijudaismus verbunden ist,327 der nach dem Krieg durch Märtyrermythen und Widerstandslegenden verschleiert werden sollte.328 Die Christologie nach Auschwitz329 wird von römisch-katholischer Seite als „Streitfall“ ins Gespräch gebracht.330 Mit Memoria passionis331 legt Johann Baptist Metz 2006 die Summe seiner Überlegungen zu einer theodizeesensiblen Politischen Theologie vor, in der nicht nur die Leidensgeschichte der Welt und die Fragen nach einer Christologie nach Auschwitz verhandelt werden, sondern in der auch die „Gotteskrise“ als „Menschheitskrise, als Kulturkrise und auch als Krise der Sprache der Menschen“332 als Signatur unserer Zeit erkannt wird, aus der das provozierende christliche Gottesgedächtnis und die „anamnetische 326 C H. SCHULTE 2018, 333.334. Mit Bezug auf E. L. FACKENHEIM 1994; vgl. zu dieser Einsicht W. JANKE 2013, 16: „Philosophieren nach Auschwitz ist niemals mehr ein folgenloses intellektuelles Spiel mit hochabstrakten Begriffen in Vorspiegelung spekulativen Tiefsinns. Es ist Ernst, es geht um leidenschaftliche Entscheidungen über Sein und Nichtsein unseres Existierens in einer menschlichen Welt.“ 327 Vgl. J.-C H. K AISER/M. G RESCHAT 1988; S. SCHÜLER-SPRINGORUM 2018; zur differenzierten Betrachtung von Luthers „Judenschriften“ vgl. TH. KAUFMANN 2013; 2014. 328 Die deutschsprachigen theologischen Antworten einer Post-Holocaust Theology hat der jüdische Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik als Beitrag für den Band Betrayal. German Churches and the Holocaust gesammelt (M. BRUMLIK 1999) zusammengefasst. Wie Protestanten den Holocaust erinnern hat K. H. HOLTSCHNEIDER 2001 untersucht. Mit Birte Petersens Studie Theologie nach Auschwitz? Jüdische und christliche Versuche einer Antwort (B. PETERSEN [1996] 2004) liegt eine mehrfach aufgelegte Hamburger Qualifikationsschrift zu diesem Themenfeld vor. Die Verbindung einer feministischen Theologie und einer Theologie nach Auschwitz hat Britta Jüngst in ihrer Berliner Dissertation Auf der Seite des Todes das Leben. Auf dem Weg zu einer christlich-feministischen Theologie nach der Shoa untersucht (B. JÜNGST 1996). Eine Theologie nach Auschwitz mit dem Titel Im Angesicht der Zeugen hat der römisch-katholische Theologe Norbert Reck (N. RECK 1998; vgl. auch N. RECK 2003, 49–67) vorgelegt. Der Forschungsüberblick Judentum und Christentum. Verhältnisbestimmungen am Ende des 20. Jahrhunderts von Marianne Grohmann fasst die weitere Debatte zusammen (M. GROHMANN 2004). Unter anderem Bertold Klappert (Miterben der Verheißung; B. KLAPPERT 2000), Friedrich Wilhelm Marquardt mit seiner siebenbändigen Dogmatik, die zwischen 1988 und 1996 erschienen ist (Von Elend und Heimsuchung der Theologie; vgl. auch Christsein nach Auschwitz [F.-W. MARQUARDT 1980]), Martin Stöhr, Rolf Rendtorff und Peter von der Osten-Sacken haben sich von evangelischer Seite her intensiv dem Thema angenommen und Impulse für den christlich-jüdischen Dialog geliefert. Weitere Hinweise bei M. GROHMANN 2004, 167–175. 329 Vgl. H. H OPING/J.-H. TÜCK 2005; J. B. M ETZ (2006) 2011, 50–62; J.-H. TÜCK 2016. 330 Vgl. jetzt auch die Beiträge in: C H. D ANZ/K. EHRENSPERGER/W. H OMOLKA 2020. 331 J. B. M ETZ (2006) 2011. 332 J. B. M ETZ (2006) 2011, 71.

7.2 Theologie und Christologie nach Auschwitz (Sölle und Moltmann)

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Vernunft“ den Menschen zu retten vermag. Jüngere katholische und evangelische Theologinnen und Theologen fragen nach einer neuen Perspektive (2007),333 wenn sie anders als Metz, Moltmann und Sölle, die vor allem den Blick auf die Opfer lenkten und den ohnmächtigen und leidenden Gott herausstellten, nun die Frage nach den Tätern und der Macht Gottes in den Fokus rücken. Denn die Frage „,Wo war Gott damals? Warum hat er die Verbrechen zugelassen?‘ [...] entlastet die Täter, indem sie alles Gott anlastet.“334 Gott wird zu einem kraftlosen Etwas, das mitleidet, aber weder rettet noch richtet. Mit den beiden Bänden335 Von Gott Reden im Land der Täter. Theologische Stimmen der dritten Generation nach der Shoah (2001) und Mit Blick auf die Täter. Fragen an die deutsche Theologie nach 1945 (2006) nehmen von evangelischer Seite Björn Krondorfer und Katharina von Kellenbach sowie Norbert Reck von katholischer Seite die Frage Elie Wiesels auf, warum die Mörder Christen waren. Sie wollen mit dem Blick auf die konkrete Theologiegeschichte eine Theologie nach Auschwitz von idealtypischen Konstrukten des Christentums befreien und „stattdessen zur Auseinandersetzung mit der konkreten christlichen Theologiegeschichte [führen] und somit zur Verantwortungsübernahme für das real existierende Christentum.“336 Von den fundamentaltheologischen Arbeiten zu dieser Frage wird nun der Blick auf ethische Aufarbeitungen gerichtet. Statt sich klagend an Gott zu wenden, stehen die Fragen unbeantwortet im Raum, wenn Gott als gegenwärtig angenommen wird und im Handeln der Menschen machtvoll wirksam werden will: „Warum lassen wir das Unrecht zu? Warum gab es nicht genügend Menschen, die Gott im Angesicht der Verfolgten erkannt und ihnen geholfen haben? Warum haben sich so viele dem Ruf Gottes entzogen? Warum haben die Menschen nicht zusammen mit Gott gekämpft, sondern gegen ihn?“337 Der kurze Überblick gibt nicht nur diese theologische Einsichten mit auf den Weg, sondern auch die Frage, die John K. Roth gestellt hat: If God was silent, absent, dead, or nonexistent, what about philosophy and theology?338 Roth erinnert in seinem Beitrag daran: „No example of mass murder other than Eine Sammlung mit Texten von Schriftstellern, jüdischen und christlichen Theologen, Historikern, von Kardinal Lehmann und Papst Benedikt XVI. hat der Publizist Tobias Daniel Wabbel in dem Band Das Heilige Nichts. Gott nach dem Holocaust (T. D. WABBEL 2007) zusammengestellt. Die bleibende Aktualität einer Theologie nach Auschwitz (R. BOSCHKI 2009) unterstreicht weiterhin ein Kreis von Schülern des römisch-katholischen Theologen Johann Baptist Metz. Diskutiert wird auch die Frage „Kann Gott leiden?“, deren positive Beantwortung mit Bonhoeffers Bemerkung „nur ein leidender Gott kann helfen“ Ausgangspunkt von Sölle, Moltmann und Metz gewesen ist. Vgl. J.-H. TÜCK 2016, 159–191. 334 N. R ECK 2007, 27. 335 B. K RONDORFER/K. V. K ELLENBACH/N. R ECK 2001; 2006. 336 N. R ECK 2006, 13. 337 N. R ECK 2007, 28. 338 J. K. R OTH 2012, 139–151. 333

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the Holocaust has raised so directly or so insistently the question of whether it was an expression of Heilsgeschichte, that is, God’s providential involvement in history.“339 Im Fokus seines Beitrags steht die Plausibilitätskrise des Vorsehungsgedankens und Gottes Gegenwart in der Geschichte bei jüdischen Denkern. Alle diese Gedanken zu sortieren und zu beantworten, braucht eine lange Zeit, um einen sprachlichen oder auch schweigenden Ausdruck zu finden. Mit Blick auf Rubensteins Interview am 17. August 1961 in Berlin mit dem prominenten evangelischen Kirchenmann Heinrich Grüber, der den Holocaust als „Plan Gottes“340 verstand, Fackenheims religiös und existentiell problematischer Reaktion auf Rubensteins Buch After Auschwitz und Lévinas’ Aufsatz Useless Suffering (1982) mit seiner Zurückweisung aller Formen einer Theodizee folgert Roth daher: „What would be lamentable is failure to keep asking and pursuing the questions that the Holocaust raises – sometimes in word(s), sometimes in silence(s). The Holocaust’s place in history was not fixed at the time of its happening or its short-term aftermath. The philosophical and religious quandaries evoked during and after the Shoah have no easy closure, if they allow any closure at all. No defining terms encompass them all. Nor does a response made at one time suffice for all times. Inevitably, the Holocaust’s place, its presence, is still in the making, with aftershocks that will continue to require the recognition and reconsideration, the contesting and breaking of silence, particularly with regards to God’s death, reality, power, and relationship to history.“341

Dieses mitzudenken wäre auch bleibender Auftrag einer christlichen Theologie, die sich in besonderer Weise im 20. Jahrhundert dem am Kreuz leidenden Gott zugewendet hat, um mit dieser Formel auf die Erfahrungen von Schrecken, Gewalt und den Glaubwürdigkeitsverlust des theistischen Gottesbegriffs zu reagieren. Der Verweis auf die Christologie mag in diesem Kontext theologisch richtig sein, scheint aber nicht existentiell zu treffen. Damit stößt die Christologisierung der Theologie hier an ihre Grenzen, wenn in ihr die Antworten auf unvergleichliche Erfahrungen verborgen liegen sollen. Diese Präzisierung führt dann, wie man auch an anderen Diskursen ablesen könnte, zu einer zeitenthobenen Selbstabschottung342 und „selbstgenügsamen Selbstisolierung“343 gegenüber neuen lebensweltlichen Erfahrungsräumen und trägt so zur Vertiefung der Glaubwürdigkeitskrise bei. J. K. ROTH 2012, 139. J. K. ROTH 2012, 142.134. 341 J. K. R OTH 2012, 149. Für den aus Litauen stammenden jüdischen Philosophen Emmanuel Lévinas (1912–1995) ist eine Ethik (als prima philosophia) nach Auschwitz nur noch als „Alteritätsethik“ (vgl. E. LÉVINAS [1961] 1971, 277–365; 442; 1995, 117–131) denkbar. Das Trauma der Verfolgung und der Shoah, diese über alle Erfahrung gehende und doch wirklich erfahrene Erfahrung des Unmenschlichen, ist der bleibende Hintergrund des Denkens von Lévinas. Vgl. H.-M. SCHÖNHERR-MANN 2003, 166–175; R. EAGLESTONE 2019. 342 Vgl. zur „Selbstghettoisierung“ der Theologie M. THEUNISSEN 1996, 350. 343 F. W AGNER 1999a, 57. 339 340

7.3 Der Tod Gottes als trinitarische Denkfigur (Jüngel und Wagner)

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7.3 Der Tod Gottes als trinitarische Denkfigur 7.3 Der Tod Gottes als trinitarische Denkfigur (Jüngel und Wagner)

Mit Jürgen Moltmanns Deutung des Todes Gottes als ein innertrinitarisches Geschehen ist eine „Revolution im Gottesbegriff“ in der evangelischen Theologie in Gange, die mit Hilfe der Trinitätslehre – entgegen aller bisherigen (metaphysischen) Tradition – Geschichtlichkeit, Veränderlichkeit, Vergänglichkeit, und vor allem Leidensfähigkeit in den Gottesbegriff hineindenken will.344 So soll das Eigentliche des christlichen Gottesgedankens vor dem Hintergrund seiner neuzeitlichen Infragestellung und in Abgrenzung zur philosophischen Metaphysik herausgestellt werden. Hierzu gehören auch die ungefähr zeitgleich mit Moltmann entstehenden trinitarischen Konzeptionen von Eberhard Jüngel und in anderer Akzentuierung von Falk Wagner. Sie zeichnen den Tod Gottes über die Christologie bzw. die Pneumatologie in die Trinitätslehre ein. Besonders mit den Axiomen Geschichtlichkeit und Veränderlichkeit werden zugleich Phänomene, die mit dem Begriff der Moderne eng verbunden sind, in den Gottesgedanken integriert. Mit der Betonung der Vergänglichkeit und vor allem der Leidensfähigkeit werden auch die zeitgeschichtlichen Extrem-Erfahrungen in den Gottesbegriff eingetragen. 7.3.1 Christologische Heimholung des Todes Gottes (Eberhard Jüngel) (1) In besonderer Weise herausgefordert von der Debatte um die Gott-ist-totTheologie sah sich Eberhard Jüngel (1934–2021).345 Die Faszination an der Zur Ideengeschichte von Gott, Trinität und Geist vgl. J. ROHLS 2014a und 2014b. Eberhard Jüngel wurde am 5. Dezember 1934 in Magdeburg geboren, wo er auch aufwuchs und zur Schule ging. Einen Tag vor seinem Abitur wurde er als „Feind der Republik“ von der Schule verwiesen, studierte dann dank der Kirche in den Jahren 1953–1960 Evangelische Theologie am Katechetischen Oberseminar Naumburg an der Saale und an der Kirchlichen Hochschule (Sprachenkonvikt) in Berlin, wo Heinrich Vogel und vor allem der Bultmann- und Heidegger-Schüler Ernst Fuchs seine Lehrer wurden, war im Wintersemester 1957/58 auch zum illegalen Studium in Zürich bei Gerhard Ebeling und in Basel bei Karl Barth, von dem er die Bände der bis dato erschienenen Kirchlichen Dogmatik mit der doch recht seltsamen Widmung „Eberhard Jüngel auf den Weg in Gottes geliebte Ostzone“ geschenkt bekommen hat (E. JÜNGEL 1998, 191). In Freiburg hörte er in dieser Zeit bei Martin Heidegger. 1961 wurde er mit einer von Ernst Fuchs, der währenddessen nach Marburg wechselte, betreuten Arbeit über Paulus und Jesus. Eine Untersuchung zur Präzisierung der Frage nach dem Ursprung der Christologie (E. JÜNGEL 1962) promoviert. Anschließend lehrte Jüngel zunächst Neues Testament und dann Systematische Theologie am Sprachenkonvikt in Ost-Berlin, einem 1950 gegründeten Ableger der Kirchlichen Hochschule (Berlin-Zehlendorf), der seit dem Mauerbau 1961 organisatorisch eigenständig war. 1962 folgten Ordination in Magdeburg und Habilitation an der Berliner Humboldt-Universität (Zum Ursprung der Analogie bei Parmenides und Heraklit; 1964, ebenfalls Teil der Habilitationsleistung, aber bereits 1962 in der Zeitschrift Evangelische Theologie veröffentlicht, war: Die Möglichkeit theologischer Anthropologie auf dem Grunde der Analogie. Eine Untersuchung zum Analogieverständnis Karl Barths; wieder abgedruckt in: E. JÜNGEL 1982, 210–232). Im 344 345

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7 Der Tod Gottes als Denkfigur in der deutschsprachigen Theologie

philosophischen Rede vom Tode Gottes bei Friedrich Nietzsche geht ebenso auf sein Theologiestudium zurück wie die Kritik am Theismus und Atheismus.346 Sein eigenes theologisches Programm,347 das systematisch entfaltet vorliegt in seinem Hauptwerk Gott als Geheimnis der Welt (1977),348 ist maßgeblich von dieser zeitgeschichtlichen Diskursformation beeinflusst.349 Doch der in der sozialistischen Diktatur der DDR aufgewachsene Jüngel reagierte damit nicht nur auf den theoretischen und lebensweltlich-praktischen Atheismus, sondern auch grundlegend auf den umfassenden Plausibilitätsverlust des christlichen Glaubens in der Neuzeit (16–44), als der „Zeit, in der der Mensch sich als Beziehungspunkt alles Seienden neu entdeckt“ (16). Mit seiner Metaphysikkritik und Neuzeitdeutung beansprucht Jüngel zu zeigen, dass der in der Moderne sich zeigende „Grund für die ,Gottlosigkeit‘ vieler Menschen in der Wintersemester 1966 folgte er einem Ruf auf die Nachfolge von Gerhard Ebeling an die Universität Zürich (vgl. zu seiner Zeit in der DDR und u. a. der Rolle Hans-Georg Fritzsches im Blick auf Jüngel: F. STENGEL 1998, 423–427; 432–437; für die Ausreise nach Zürich erhielt er die Genehmigung der DDR-Regierung, Richtung Tübingen verließ er 1969 die DDR „illegal“). Seit 1969 bis zu seiner Emeritierung 2003 war er Ordinarius für Systematische Theologie und Religionsphilosophie und Direktor des Instituts für Hermeneutik an der Universität Tübingen. In dieser Zeit leitete er das Tübinger Evangelische Stift. Am 28. September 2021 verstarb Jüngel in Tübingen. Vgl. zu diesem Abschnitt auch PH. DAVID 2020; 2022, 156–163; ferner auch die weiteren Beiträge zur Theologie Eberhard Jüngels in D. EVERS/M. D. KRÜGER 2020. Zur Biographie vgl. darin (a. a. O., 69–73) den Beitrag von Martin Jockel und Anna Niemeck sowie eine Beobachtung von Michael Murrmann-Kahl (a. a. O., 41 mit Anm. 1 mit Hinweis auf E. JÜNGEL 1997. Autobiographische Erinnerungen finden sich auch in seiner Abschiedsvorlesung vom 12. Februar 2003: E. JÜNGEL 2003a); ferner E. JÜNGEL 1998, bes. 189–193 (der nachfolgende Teil ist ein Wiederabdruck von E. JÜNGEL [1985; 1988] 1990a), allerdings reicht die biographische Skizze nur bis 1969. Zum Verhältnis von Theologie und Lebensgeschichte vgl. die Bemerkung in: E. JÜNGEL 1998, 195. Jetzt auch die Würdigung anlässlich seines Todes von I. U. DALFERTH 2021. 346 Vgl. die autobiographische Notiz und zu seiner Beeinflussung durch die TheismusKritik in der dialektischen Theologie Karl Barths in E. JÜNGEL (1977) 1986, 55–57. 347 Der von Karl Barth angeregte programmatische Kernsatz lautet: „Gott vom Ereignis seiner Offenbarung, das heißt vom Ereignis seines Zur-Welt-Kommens her zu denken: mithin also einen Gott, der uns immer tiefer noch in die Welt hineinführt – als einen Gott, dem nichts Menschliches fremd und der der Menschheit in der Person Jesus Christus näher gekommen ist, als die Menschheit sich selber nahe zu sein vermag.“ (E. JÜNGEL 1998, 191). Vgl. auch E. JÜNGEL (1975) 1980c. 348 E. JÜNGEL (1977) 1986. Die Seitenzahlen im Haupttext beziehen sich als Zitatnachweis oder Verweis ausnahmslos auf dieses Werk. 349 Vgl. z. B. Eberhard Jüngels Zürcher Antrittsvorlesung (Sommersemester 1967) Gott – als Wort unserer Sprache (E. JÜNGEL [1969] 1972b, bes. 86–95, wo er sich mit P. V. BUREN 1965 auseinandersetzt): „Wir wollen uns diesem Streit stellen, indem wir uns auf die Auseinandersetzung mit einer bestimmten Position jener Gott-ist-tot-Theologie für diesmal beschränken, nämlich auf die sprachanalytische These, daß der Gebrauch des Wortes ,Gott‘ innerhalb der Grenzen unserer Sprachen nicht verifizierbar sei“ (E. JÜNGEL [1969] 1972b, 86).

7.3 Der Tod Gottes als trinitarische Denkfigur (Jüngel und Wagner)

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europäischen Kultur [... als] eine konzeptionelle ,Menschenlosigkeit‘ Gottes zu bestimmen“ sei.350 Diese Deutung treibt seinen Denkweg an, „von innen nach außen, von der spezifisch christlichen Glaubenserfahrung zu einem universale Geltung beanspruchenden Gottesbegriff“ zu gelangen, also „allein aus“ der „inneren Kraft“ der christlichen Wahrheit heraus sie „in ihrer allgemeinen Geltung als die eine Wahrheit zu erweisen“ (XII).351 „[A]us der Erfahrung der Menschlichkeit Gottes“ heraus ist es das Ziel Jüngels, „die Möglichkeit der Rede von Gott zu erhellen und aufgrund eindeutiger Rede von Gott diesen wieder denken zu lernen“ (XI). In der Kraft des Heiligen Geistes tritt „Gottes Menschlichkeit als stets neu zu erzählende Geschichte der menschlichen Vernunft“ (415) gegenüber: „Der Menschlichkeit Gottes vermag der Mensch sprachlich nur dadurch zu entsprechen, daß er sie stets aufs neue erzählt“ (415), wodurch die Unabgeschlossenheit der Erzählung von Gottes Menschlichkeit garantiert werden soll und die Aufgabe einer „narrativen Theologie“ (534) beschrieben ist. Mit der präzisierenden Eindeutigkeit der christlichen Gottesrede und des Todes Gottes will Jüngel den exklusiven Anspruch der christlichen Wahrheit untermauern und zeigen, dass der wahre Ursprung der Rede vom Tod Gottes nicht der „Atheismus der Neuzeit“ sei, sondern diese „einen älteren Ursprung hat als die neue Zeit“352, nämlich „das geschichtliche Ereignis des Todes Jesu von Nazareth.“353 Dafür muss Jüngel sich vom metaphysischen Allmachts- und Apathie-Axiom verabschieden, das für die christliche Gotteslehre der orthodoxen Tradition konstitutiv gewesen ist, wodurch er, zugespitzt formuliert, zum Häretiker wird, und zwar „von einer höhern Ordnung“,354 wenn er mit rhetorisch bestechender Argumentation meint nachweisen zu können, dass die heimgeholte Häresie die eigentliche und ursprüngliche Orthodoxie ist,

350 Vgl. dazu auch E. JÜNGEL (1971) 1982. Zum Zitat Michael Schulz mit seinem Beitrag Metaphysikkritik und Neuzeitdeutung in D. EVERS/M. D. KRÜGER 2020, 77. Vgl. zum Kontext und zum Folgenden auch H. FISCHER 2002, 223–238; M. D. KRÜGER 2009 und B. DAHLKE 2020 und in D. EVERS/M. D. KRÜGER 2020 die Beiträge in I. Teil: Kontexte. 351 Explizit gegen Wolfhart Pannenberg gerichtet. 352 E. JÜNGEL (1968) 1972a, 110.111 (mit Bezug auf Hegel und explizit gegen Sölle gewendet. Vgl. a. a. O., 107, Anm. 3). 353 E. JÜNGEL (1968) 1972a, 116. 354 Die Anspielung (KGA V/5, 393) auf den „großen Schleiermacher“ (E. Jüngel) sei für den „Schleiermacher-Amateur“ Jüngel hier gestattet (E. JÜNGEL 2000, 253), da er selbst mit Schleiermacher das Wort Häresis wieder in seiner ursprünglichen Bedeutung (hairéo, wählen; hairésis, eine freie Wahl haben) zu Ehren zu bringen beabsichtigte und seine Vermittlung von orthodoxen und heterodoxen Elementen in der Dogmatik betonte. So in dem Festvortrag zur Eröffnung des Hallenser Schleiermacher-Kongress 1999: Häresis – ein Wort[,] das wieder zu Ehren gebracht werden sollte. Schleiermacher als Ökumeniker (1999) jetzt in: E. JÜNGEL 2000, 252–278; vgl. jetzt auch den Beitrag Das Bild Schleiermachers von Michael Moxter in: D. EVERS/M. D. KRÜGER 2020, 23–30.

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und die Rede vom Tode Gottes „für eine rechte Theologie eigentlich unentbehrlich ist“355 und zum „Wesen des Christentums“ gehört.356 Die Grundprobleme der Neuzeit seien allesamt anthropologische, weil der Mensch zuvor nur – von Gott dort platziert – „im Zentrum“ gestanden und sich jetzt selbst eigenmächtig „zum Zentrum“, zum „Maß aller Dinge“ gemacht habe (16.17). Im naturwissenschaftlichen Weltbild spiele die Annahme eines für das Selbst und die Welt jenseitigen Wesens, die damit zur Behauptung eines bloß Überflüssigen wird, keine Rolle mehr: „Gott ist weltlich nicht notwendig“ (19). Die These von der „weltlichen Nicht-Notwendigkeit Gottes“ habe sich bereits im Hochmittelalter entwickelt und trete dann im Laufe der Neuzeit als deren wesentlicher Grundzug zutage (23). Descartes’ metaphysischer Neuansatz am Beginn der Neuzeit, Gott noch einmal als notwendiges Wesen (ens neccessarium) zu beweisen, stehe dem nicht entgegen, denn dieser sei „der Geburtshelfer des neuzeitlichen Atheismus“ (23). Der vernünftige Selbstentwurf des Menschen als Selbstvergewisserung des „Ich denke“ im Gottesgedanken enthalte bereits den Schritt zur „Infragestellung der Notwendigkeit Gottes“ (23.24), weil diese von der menschlichen Selbstbegründung im Cogito aus behauptet und so performativ selbstwidersprüchlich wird. Zwar habe die Einsicht in die weltliche Nicht-Notwendigkeit Gottes faktisch zum Plausibilitätsverlust des christlichen Gottesglaubens geführt, doch sie müsse nicht zwangsläufig dazu führen. Aus Jüngels Sicht könne sie nämlich dazu verhelfen, etwas genuin Christliches zu entdecken. Denn durch die in seinen Augen problematische Verknüpfung des Gottesgedankens mit der Metaphysik wurde übersehen, dass Gott nicht weniger, sondern mehr als notwendig sei. Weil Gott über den innerweltlichen Gegensätzen stehe, könne er sich in ihnen als er selbst erweisen. Was als dialektische Selbstrelativierung erscheint, ist der eigentliche analogische Selbsterweis des göttlichen Wesens: das Wort vom Kreuz. Um diese Behauptung zu untermauern, entwickelt Jüngel eine dezidiert am Menschen Jesus von Nazareth orientierte Gotteslehre, in der „,Christus, der gekreuzigte Gott‘“357 zentral ist (409–543). Dadurch, dass Jesus, der Sohn Gottes, den Tod erleide und auferweckt werde, erschließe sich Gott als der im Tod Jesu sich selbst entsprechende Lebendige (497) und als Liebe (499). Die Auslegung der schlichten Aussage von 1Joh 4,8 (XIII), Gott ist Liebe, und der Trinitätslehre

E. JÜNGEL (1978) 2000, 101, Anm. 35. E. JÜNGEL (1994) 2000, 20.21; vgl. E. JÜNGEL (1985; 1988) 1990a, 8. 357 Auch am Anfang des abschließenden Teil steht, wie zu Beginn des Buches, ein Heidegger-Zitat E. JÜNGEL (1977) 1986, 409, Anm. 1; vgl. a. a. O., XIII, Anm. 1 (vgl. auch E. JÜNGEL 1977). Gefolgt von einer Anmerkung zu K. Barth und dem zentralen Begriff des Geheimnisses. Während in Vorwort, Einleitung und Teil E Heidegger, K. Barth und R. Bultmann als zentrale Referenzgrößen in den Anmerkungen eingeführt werden, werden in den Teilen B, C und D mit Sölle, Schleiermacher und Kant pars pro toto die Entwürfe werkkompositorisch platziert, von denen sich Jüngel abgrenzt. 355 356

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als Ausdruck der Lebendigkeit Gottes (470–505) ist Thema von Gott als Geheimnis der Welt.358 (2) Mit seiner Barth-Paraphrase Gottes Sein ist im Werden hat Jüngel den Grundstein für sein substanzmetaphysikkritisches kreuzestheologisches Trinitätsverständnis gelegt, für das „Gottes Passion“ zentral ist, wie sie in Karl Barths Versöhnungslehre (KD IV) entfaltet wird,359 um sich der Frage zu stellen, wie das „Theologumenon vom ,lebendigen Gott‘ theologisch gedacht werden könne.“360 Sie bildet zusammen mit der Zürcher Antrittsvorlesung Gott – als Wort unserer Sprache361, dem Rundfunkbeitrag Karfreitag – Das dunkle Wort vom „Tode Gottes“362, dem „Plakat“ Vom Tod des lebendigen Gottes363, dem programmatischen Aufsatz ... keine Menschenlosigkeit Gottes ... Zur Theologie Karl Barths zwischen Theismus und Atheismus364 und dem Beitrag Metaphorische Wahrheit. Erwägungen zur theologische Relevanz der Metapher als Beitrag zur Hermeneutik einer narrativen Theologie365 einschlägige Vorarbeiten zu seinem Hauptwerk Gott als Geheimnis der Welt. Zur Begründung der Theologie des Gekreuzigten im Streit zwischen Theismus und Atheismus, das stillschweigend sich selbst korrigierend oder jedenfalls präzisierend die Formel Gottes Sein ist im Kommen (521–543) verwendet: Gottes ungewordenes Sein soll sich als ein dynamisches, zum Menschen kommendes Sein erweisen, das sich zum Heil kehrt (430). Den entscheidenden Anstoß, sich eingehend mit dem Wort vom Tode Gottes auseinanderzusetzen, erhielt Jüngel von den „Gott-ist-tot“-Theologien, die seiner Meinung nach nicht eindeutig (univok), sondern vieldeutig (äquivok) von

358 Vgl. zur Deutung der nachmetaphysischen Dreifaltigkeit bei Barth und Jüngel auch H. V. SASS 2014. 359 E. JÜNGEL (1965) 1976a, VII.VIII; 97–103. In der Barth-Paraphrase findet sich auch der Versuch, die hermeneutische Theologie Bultmanns und seiner Schule, besonders Ernst Fuchs, dem Lehrer Jüngels, zusammenzufügen. Vgl. dazu die knappe Ausführung von Michael Murrmann-Kahl in: D. EVERS/M. D. KRÜGER 2020, 42.43 und E. JÜNGEL (1985) 1990b. Jüngels Versuch, mithilfe von Barths Gotteslehre verantwortlich von Gott zu reden, verfalle, einer zeitgenössischen Einschätzung liberaler Theologie nach, „einer theologischen Arteriosklerose [...], in der man nur noch epigonenhaft paraphrasieren kann“ (F. BURI 1967, 17, Anm. 27). 360 A. B RUNKHORST-H ASENCLEVER 1976, 231. 361 E. JÜNGEL (1969) 1972b. 362 E. JÜNGEL 1968 und als Wiederabdruck E. JÜNGEL (1968) 1972a. Nach dieser Ausgabe wird zitiert. 363 Die mehrteilige Rundfunksendung für den SWF 2 vom April 1968 wurde vollständig abgedruckt in E. JÜNGEL 1976c. Ein erster zweiteiliger und gekürzter Abdruck erfolgte als E. JÜNGEL 1969a, ein weiter als E. JÜNGEL 1969b. 364 E. JÜNGEL 1971b. 365 E. JÜNGEL 1974 (= E. JÜNGEL 1980a).

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Gott redeten366 und damit „nichtssagend“367. Mit der (berechtigten) Verabschiedung vom Absolutheitsaxiom hätten sie auch Gott den (unberechtigten) Abschied gegeben (54). Das Wort vom Tode Gottes ist für Jüngel „Ausdruck der Aporie des neuzeitlichen Gottesgedankens“ (55–137).368 Aber für Jüngel steht nicht die Frage einer Theologie nach Auschwitz, oder wie für Sölle das christologisch motivierte soziale Handeln,369 sondern ein an Martin Heidegger geschultes Denken im Vordergrund seiner theologischen Konzeption, Gott und den Gekreuzigten zusammenzudenken.370 Mit seinem Versuch, den christlichen Gottesgedanken dezidiert theologisch zu begründen, gehört Jüngel zu einer breiten Bewegung in der Theologie des 20. Jahrhunderts, die die vormalige häretische Formel vom „leidenden Gott“ zur Kritik an geläufigen Vorstellungen von „Gott, dem Allmächtigen“ verwendet, um herausarbeiten, dass nur die Liebe Gottes allmächtig sei.371 Diese der christlichen Theologie gestellte Aufgabe nötige dazu, „das metaphysische Verständnis der Allmacht Gottes ebenso wie das metaphysische Apathie-Axiom von Grund auf zu problematisieren.“372 Ziel seiner dogmatischen Auseinandersetzung mit den Deutungen des „dunklen Wortes vom ,Tode Gottes‘“ ist die „Heimkehr der Rede vom Tode Gottes in die Theologie“373. Auf diese Weise möchte er dieser Rede ihren „guten christologischen Sinn zurück[...]geben“374, der mittelbar in dem ,lutherischen Lied‘ von Johann Rist „O große Not! / Gott selbst liegt tot. / Am Kreuz ist er gestorben“ zum Ausdruck komme,375 das heute gesungen wird als „O große Not!/Gotts Sohn liegt tot“ (EG 80,2). Jene in Hegels metaphysischer Rede vom Tode Gottes hervorgehobene Zeile zeige dessen Bewusstsein für den christlichen Ursprung, da lange bevor die Rede vom Tode Gottes zur „Mode“376 im neuzeitlichen Atheismus wurde, diese ihre genuine Heimstätte in der Theologie gehabt habe: „Der christliche Glaube und der neuzeitliche Atheismus leben von dem Satz: Gott ist gestorben.“377 Die Theologie sei vor diesem HinterVgl. E. JÜNGEL (1968) 1972a, 107. E. JÜNGEL (1968) 1972a, 116. 368 Vgl. zum Gottesgedanke den Beitrag Substanz oder Subjekt? von Jörg Dierken in: D. EVERS/M. D. KRÜGER 2020, 83–90. 369 Für E. JÜNGEL (1977) 1986, XVI.XVII lässt sich „in der Konzentration auf die Aufgabe, Gott denken zu lernen, mehr als genug von der politischen und gesellschaftlichen Relevanz des christlichen Glaubens an den gekreuzigten Gott entdecken.“ 370 Vgl. E. JÜNGEL (1977) 1986, XIII; 2. 371 Vgl. E. JÜNGEL (1977) 1986, 26. Vgl. dazu J. R OHLS 2001. 372 E. JÜNGEL (1986) 1990, 158. Jüngel gibt hier eine pointierte Übersicht über die Intention seines theologischen Programms zwischen 1965 und 1977 (a. a. O., 158.159). 373 E. JÜNGEL 1972a, 106 und E. JÜNGEL (1977) 1986, 56 (in Abgrenzung zu Sölle und Gogarten); 72; 74. 374 E. JÜNGEL (1977) 1986, XV. 375 Vgl. E. JÜNGEL (1977) 1986, 84.85; H.-D. U ELTZEN 1976; s. o. Abschnitt 2.3(9). 376 E. JÜNGEL (1977) 1986, 57. 377 E. JÜNGEL (1966) 1972c, 238. 366 367

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grund, jetzt, da die Zeit des dunklen Wortes vom Tode Gottes gekommen sei,378 herausgefordert, Gott wieder zur Sprache zu bringen, indem sie konsequent theologisch von Gott redet: im Streit zwischen Atheismus und Theismus, die beide „Gottes Göttlichkeit und damit auch des Menschen Menschlichkeit“379 verfehlten. Es gelte daher, in Erarbeitung des Sinns der Rede vom Tode Gottes, diese wieder in das sachliche Zentrum der Theologie einzuführen und ihren atheistischen Sinn als ‚Folgeerscheinung‘ ihres christologischen Sinns zu erweisen und so zu relativieren. Dabei sei die entscheidende Frage, ob sich die Theologie die Rede vom Tode Gottes zu eigen machen könne, ohne aufzuhören, Theologie zu sein. Gleichzeitig müsse sich die Theologie fragen, ob sie an dem Wort vom Tode Gottes vorbei noch Theologie sein könne (57). Das könne sie dann, wenn sie dieses Wort „nicht so sehr [als] eine Problematisierung der Existenz Gottes [..., sondern] vielmehr [als] eine Problematisierung des Wesens Gottes“ (132) verstehe. In diesem Zuge könnten auch Theismus wie Atheismus gleichermaßen zurückgewiesen werden, „da sie von vornherein am Wesen Gottes vorbei“ argumentierten.380 Wie diese Heimkehr „im Zeitalter der sprachlichen Ortlosigkeit Gottes“381 aus Sicht der evangelischen Theologie geschehen sollte, steht im Zentrum von Jüngels Versuch, den christlichen Gottesgedanken dezidiert theologisch neu „als Geheimnis der Welt zu denken und zu erzählen“ (XIII). Gegen einen gesellschaftspolitisch engagierten christlichen Sozialismus und die liberalprotestantische Meinung, die Theologie solle sich nicht theologisch begründen, will Jüngel neuzeitkritisch „das unterscheidend Christliche“382 theologisch zur Sprache bringen. Deswegen begreift er die Grundlagenkrise der Theologie als Chance, Gott radikal christlich und genuin theologisch zu denken: als ,Gott ist 378 E. JÜNGEL (1977) 1986, 59: „Das Wort vom Tode Gottes ist ein dunkles Wort. Und es wird dunkel bleiben, solange es nicht aus seiner Herkunft verstanden ist. Um seine Herkunft zu verstehen, wird man auf die Zeit achten müssen, in der es gebräuchlich wurde. Es gehört ja zum Eigentümlichen dieses Wortes, daß es nicht immer an der Zeit war. Seine Zeit ist erst gekommen. Die Wahrheit, die sich in diesem dunklen Wort verbirgt, kann nicht unabhängig vom Geschehen der Geschichte begriffen werden.“ 379 E. JÜNGEL 1971b, 385; vgl. seine neutestamentliche Dissertation Paulus und Jesus (E. JÜNGEL 1962). 380 E. JÜNGEL 1971, 385. 381 E. JÜNGEL (1977) 1986, 2. § 1 der Einleitung ist eine „Problemanzeige“, die ihren Ausgang nimmt beim Zustand einer „peinlichen Verlegenheit“ und einer „peinlichen Berührtheit“, wenn die Theologie außerhalb des religiösen Rahmens und im Haus der Wissenschaften Gott als allgemeinverständliches Wort verständlich machen will. Aufgenommen wird Bultmanns Frage „Welchen Sinn hat es, von Gott zu reden?“, um dann mit einer „theologischeren Theologie“ der Grundaporie des Redens von Gott in der Neuzeit zu begegnen, die ihren doppelten Ausgang bei Tode Gottes hat (E. JÜNGEL [1977] 1986, 16). Am Anfang der Einleitung steht ein Zitat Bultmanns aus Welchen Sinn hat es, von Gott zu reden? (a. a. O., 2, Anm. 1). 382 Vgl. E. JÜNGEL (1971) 1972c.

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für uns‘ statt bloß als ,Gott ist an und für sich‘, die sich in Jüngels Theologie dann entsprechen. Denn der christliche Glaube verdanke sich keiner Theorie, sondern dem Ereignis, dass sich Gott mit dem gekreuzigten Jesus von Nazareth identifiziert habe. Mit der christologischen Rede vom Tode Gottes könne der neuzeitliche Atheismus innerhalb der Theologie besser verstanden werden als er sich selbst versteht: Der letzte Gedanke der theistischen Metaphysik und ihrer atheistischen Erben sei der Tod Gottes (275.276). Der neuzeitliche Atheismus zeige sich als zu Ende gedachter Theismus. Doch der Tod dieses leidensunfähigen und unveränderlichen Gottes sei theologisch richtig, denn das Christentum bekenne einen gekreuzigten, leidenden, veränderlichen und menschlichen Gott. Damit erkenne der Atheismus ‚nur‘ die negative Kehrseite einer positiven christologischen Wahrheit. Gott existiere für den christlichen Glauben nicht unveränderlich und leidensunfähig jenseits der Welt. Die Vergänglichkeit zersetze den metaphysischen gedachten Gottesgedanken (276). Vielmehr sei das Leben Gottes die trinitarisch zu explizierende Liebe, die sich im gekreuzigten Jesus von Nazareth frei und vorbehaltlos auf den vergänglichen Menschen einlasse.383 Mit dem Entwurf einer kreuzestheologischen Trinitätslehre will Jüngel „den Gekreuzigten als [wahren] Gott“ (46; [50]) neu denken lernen und lehren,384 denn in der Tradition sei die Bedeutung des Todes Jesu für den Gottesbegriff nicht beziehungsweise nur unzureichend herausgestellt worden (51). Hierzu könne die Rede vom Tode Gottes anleiten, um vorab das Verhältnis von christlichem und neuzeitlichem Gottesverständnis zu bestimmen und die traditionelle Identifikation von christlichem Gott und metaphysischem Gottesbegriff zu überwinden (54). Dazu müsse die Rede vom Tode Gottes das Ereignis des Todes Gottes voraussetzen, da der wahre Ursprung der Rede vom Tode Gottes das geschichtliche Ereignis des Todes Jesu von Nazareth sei, das diese theologisch erst legitimiere. Im Kirchenjahresfestkreis zeige dies die Sonderstellung des Karfreitags an: Der „herrliche Gott“, der gefeiert werde, „ist und bleibt der gekreuzigte Gott“385. Im Anschluss an die paulinische Theologie386, Theologen der Alten Kirche (85–87), Martin Luther (51–54; 122–128), Hegel (83–132),387 383 Jüngel hebt im Anschluss an Karl Rahner die klassische Unterscheidung zwischen immanenter und ökonomischer Trinität auf. Vgl. E. JÜNGEL (1977) 1986, 507; E. JÜNGEL (1975) 1980d; ferner 2003b zum Verhältnis von theologia crucis und Trinitätslehre. 384 Vgl. zu Diskussionsstand, werkgeschichtlicher Verortung, Grundzügen, Problemen und Perspektiven von Eberhard Jüngels kreuzestheologischer Trinitätslehre den Beitrag Gott ist die Liebe von Malte Dominik Krüger in: D. EVERS/M. D. KRÜGER 2020, 121–133. 385 E. JÜNGEL 1976b, 6. 386 Vgl. E. JÜNGEL (1966) 1972d, 237.238. 387 Jüngels selektive Hegel-Rezeption (vgl. E. JÜNGEL [1977] 1986, 83–132) kritisiert M. WENDTE 2007, 328–330; vgl. bereits A. BRUNKHORST-HASENCLEVER 1976, 232–234 und F. WAGNER 1996, 182 der Jüngel pauschal vorwirft, Hegel als einen „Steinbruch“ zu verwenden.

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Karl Barth388 (XIII; XV–XVII; 51; 56.57) und Dietrich Bonhoeffer (74–83) betont Jüngel den christologischen Ursprung des Gedankens vom Tode Gottes (84.85). Mit Barth sieht er „die eigentliche Radikalität der Theismus-Kritik im christlichen Glauben selber begründet“, weshalb er sich „zu einer Neuformulierung des Gottesgedankens“ verpflichtet weiß (56). Indem er zwischen „Sinn und Unsinn der Rede vom Tode Gottes“ (55–58) unterscheidet und sich vom Atheismus und Theismus verabschiedet (274), möchte er den „großzügigen Gebrauch [der] syntaktischen Verbindung“ (55) der Worte ,Gott‘ und ,Tod‘ reduzieren, so dass Gottes Sein von selber die Möglichkeit hergeben muss, unter Absehung von Metaphysik (276) „Gott und die Vergänglichkeit als Einheit zu denken“ (270; 274; 270–306). Jüngel bleibt nicht beim Tod Gottes stehen, sondern schlägt vor, mit „dem Einfachsten“ im Blick auf Gott anzufangen: „Gott lebt“389. Der Tod Jesu Christi ist für ihn „dasjenige Ereignis, in dem sich Gottes Leben für uns ereignet, um sich als Gottes Leben für uns österlich zu offenbaren“390. Ostern heiße konkret: „Gott lebt für uns“.391 Um die Theologie als Theologie zu behaupten, müsse sie vom Tod des lebendigen Gottes reden. Darin liege die Pointe von Hegels Erinnerung, dass das Wort vom Kreuz nicht von Christus, sondern von Gott selber rede und damit den wahren Ursprung des Satzes vom Tode Gottes enthülle, der „als prononcierter Ausdruck lutherischer Theologie bekannt und umstritten“ (85) gewesen sei. Das zu realisieren, sei eine noch zu lernende theologische Denk-Aufgabe,392 denn es heiße, „aus der Begegnung mit Gott diesen selbst und damit das Denken neu zu denken“ (205): „An der Möglichkeit, den sich ereignenden Gott zu denken, muß sich für die christliche Theologie entscheiden, was denken heißt“ (205). Dafür steht das Programm einer „theologischeren Theologie“ (3): Der dreieinige Gott habe sich mit dem gekreuzigten Jesus von Nazareth identifiziert, und „Gott ist die Liebe (1Joh 4,8)“393. Eine diesem Ereignis der Identifikation von Gott und Liebe nachdenkende Dogmatik sei „konsequente Exegese“ (XVI), die Jüngel – Bultmann, Barth und Luther nachfolgend – hermeneutisch, offenbarungstheologisch und kreuzestheologisch entfaltet.

388 Vgl. die versammelten Barth-Studien in: E. JÜNGEL 1982 und dazu den Beitrag Eberhard Jüngel als Erbe Karl Barths? von Michael Murrmann-Kahl in: D. EVERS/M. D. KRÜGER 2020, 41–48. 389 E. JÜNGEL (1968) 1972a, 105; vgl. E. JÜNGEL (1977) 1986, 470.471. 390 E. JÜNGEL (1968) 1972a, 105. 391 E. JÜNGEL (1968) 1972a, 106: „Keine theologische Rede von Gott kann, will sie verantwortlich sein, davon abstrahieren, daß Gott lebt und daß er für uns lebt. [...] Vom Tod des toten Gottes reden, hieße von gar nichts reden.“ 392 E. JÜNGEL (1968) 1972a, 110. 393 E. JÜNGEL (1977) 1986, XV; 284; 298.299; 409; 430–470; 496–505; E. JÜNGEL (1965) 1976a, 101. Im Anschluss an Karl Barth bestimmt Jüngel Gott als Liebe. Wichtig ist, dass Subjekt und Prädikat des Satzes aus 1Joh 4,8 nicht vertauscht werden dürfen.

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Der Untertitel Zur Begründung der Theologie des Gekreuzigten im Streit zwischen Theismus und Atheismus weist auf das Programm einer theologia crucis in neuer Gestalt als theologia cruxifixi mit dem Zielbegriff „Liebe“ hin. Analog zu Luther gewinnt Jüngels christologische Ausrichtung auf den Gekreuzigten die „argumentative Funktion einer kritischen Destruktion des metaphysischen Gottesbegriffs mit seiner Vorstellung von der Omnipotenz Gottes.“394 Die traditionelle Redeweise von der (abstrakten) Allmacht Gottes werde durch die Konzentration auf die definitive Selbsterschließung Gottes im Gekreuzigten aufgebrochen.395 Damit meint Jüngel, das christliche Gottesverständnis jenseits der Alternative von Theismus und Atheismus ansiedeln zu können (274), weil es nicht von einem uns absolut überlegenen Gott ausgehe, sondern von dem Gott, der in der Seinsweise eines gekreuzigten Menschen unter uns sei. Der „Ort Gottes“ sei seine Einheit mit dem vergänglichen Menschen, dem gekreuzigten Jesus von Nazareth (409). „Da aber ,Einheit von Tod und Leben zugunsten des Lebens‘ eine Umschreibung für das Wesen der Liebe ist, wird mit der christologisch begriffenen Menschlichkeit Gottes Gott als Liebe zu denken sein“ (409). Die Liebe (vgl. 1Joh 4,16) ist im vom Vater und Sohn ausgehenden Heiligen Geist trinitarisch als Geschehen zwischen Vater und Sohn zu denken (513). Die Trinitätslehre, von Jüngel zu verstehen gefordert als „soteriologisches Lehrstück schlechthin“ (471), sei unerlässlicher, aber auch unerlässlich schwieriger Ausdruck der einfachen Wahrheit, dass Gott lebe und dem Tod die Macht genommen habe (470; 498–511).396 Zu bewähren habe sich diese Gewissheit am Tode dieses zu Gott gehörenden Menschen (471). Hierbei schimmert jedoch immer wieder ein personales Gottesverständnis und eine heimliche Gleichsetzung Gottes mit der Person des Vaters durch, die auch für Jüngels präzisierende Interpretation des Todes Gottes leitend ist, wenn sich Gott selbst definiere, indem er sich mit dem toten Jesus identifiziere.397 Im Anschluss an Hegel gehört für Jüngel der Tod Jesu am Kreuz als Tod Gottes notwendig zum Lebenslauf Gottes hinzu. Wenn Gott sich im Tode Jesu als Gott definiert habe, dann habe der Tod ontologische Relevanz für das Sein Gottes und für das Leben Jesu Christi.398 Diese christologische, präziser: kreuzestheologische Begründung der Trinitätslehre besage, dass „Gott sich in Tod und Auferstehung Jesu Christi als Gott definiert hat“399. Damit werde die Vorstellung einer simplicitas und apathia Gottes kritisiert. Insofern erweise sich Gott als lebendig, als er den Tod Jesu in seine Wesensbestimmung aufzunehmen vermag: „Es gilt, Gottes Sein als eine Einheit von Leben und Tod H. FISCHER 2002, 235. Vgl. H. FISCHER 2002, 235. 396 Vgl. E. JÜNGEL (1968) 1972a, 122–125. 397 Vgl. U. H. J. K ÖRTNER 2018, 224. 398 Vgl. E. JÜNGEL (1968) 1972a, 119. 399 E. JÜNGEL (1975) 1980d, 267. 394 395

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zugunsten des Lebens zu begreifen“400. Die Auferweckung Jesu von den Toten besage daher, dass Gott sich mit dem toten Menschen Jesus, seiner Gottverlassenheit und seinem gelebten Leben identifiziert habe (497). Diese Identifizierung impliziere ein Vermögen zur „Selbstunterscheidung Gottes“ (498). Damit gehe es in der Auferweckung Jesu „nicht nur um ein göttliches Handeln, sondern um das göttliche Sein“ (499). Nicht der Tod habe Gott überwunden, sondern Gott als Liebe den Tod.401 Damit verändere Gott den Tod. Doch genügt die christologische Ummünzung des Todes Gottes, den Nietzsche als „grösstes neueres Ereigniss“ behauptet hat?402 Kann der als „Gottesphänomen“403 gedachte Tod tatsächlich eine echte Verneinung Gottes sein? Sind die Anfragen des Atheismus durch ihre theologische Einverleibung tatsächlich erledigt? (3) Hier kommt Jüngels theologische Argumentationslogik in der Tat an ihre Grenzen: Im Blick auf die Auseinandersetzung mit dem Atheismus, der Formel vom leidenden Gott und der Rede vom Tod Gottes. Mithilfe der Verwendung der vormals häretischen Formel vom leidenden Gott und des Einspielens der lutherisch-orthodoxen Formel vom Leiden und Tod der menschlichen Natur Christi versucht Jüngel dem Atheismus die Rede vom Tode Gottes zu entwenden und der dogmatischen Theologie einzuverleiben, in dem er ihre ursprüngliche Heimat in der Christologie behauptet. Damit übe sich – m. E. ganz im Sinne des von Heidegger leitmotivisch interpretierten Hölderlin-Spruchs „,Wo aber Gefahr ist, wächst | Das Rettende auch‘“ (GA 7, 29) –, „die prophetische Kraft, aus der Katastrophe selbst die Rettung abzulesen.“404 Dazu kann man Jüngels doppelte binnentheologisch ausgerichtete Einverleibungsstrategie zählen, nämlich den Gekreuzigten von vornherein in den Gottesbegriff hinzudenken. Das führt aber zum einen bei Jüngel dazu, wie Hans-Georg Fritzsche bereits bemerkt hat, dass man den „Widerspruch [des Atheismus] als echten Anstoß von außen (und in dem, was er meint und will) [nicht] ganz ernst nimmt und [...] nur als Verfremdung des ursprünglich Eigenen oder als Fehlentwick-

E. JÜNGEL (1975) 1980d, 265; vgl. wieder 2003b, 245–252. E. JÜNGEL (1975) 1980d, 270. 402 Jüngel kommt 1999 in seinem EKD-Synodenvortrag Mission und Evangelisation noch einmal auf diese Deutung zurück und beklagt seinerseits die nietzscheanische Ummünzung einer christlichen Einsicht: E. JÜNGEL (1999) 2003c, 116.117: „Was Friedrich Nietzsche vom Tode Gottes als dem angeblich größten neueren Ereignis behauptet hat, das gilt in Wahrheit vom Tode dessen, der für alle Menschen gestorben und um ihrer Rechtfertigung willen auferweckt worden ist: ,Diess ungeheure Ereigniss ist noch unterwegs und wandert.‘ Ein Christ ist von allen anderen Menschen nicht zuletzt dadurch unterschieden, er ist vor aller Welt dadurch ausgezeichnet, daß er darauf hinzuweisen, daß er dies zu bezeugen hat: Der Gekreuzigte und Auferstandene ist noch unterwegs und wandert. Eigentlich müßte dieses die Geschichte der Welt wendende Ereignis in aller Welt Munde sein. Eigentlich!“ 403 E. JÜNGEL (1968) 1972a, 123. 404 H.-G. FRITZSCHE 1978, 895. 400 401

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lung der Theologiegeschichte wertet.“405 Es führt zum anderen auch dazu, dass man meint, so den Atheismus überwinden zu können, indem man, statt von der Glaube und Unglaube verbindenden existentiellen Frage nach Gottes Existenz zu reden, das Wesen Gottes „perfekt christologisch“ zu begreifen sucht.406 Dass man sich im Rahmen des Umgangs mit dem Atheismus dem Verdacht des „Mangels an ,intellektueller Redlichkeit‘“ aussetzt und wohl „die kühnste vorstellbare ,Flucht nach vorn‘“407 antritt, kann man mit recht so sehen, dass „man den Atheismus als Korrektiv unseres Redens von Gott doch nicht ernst nimmt“, sondern meint zeigen zu können, „daß die These vom ,Tode Gottes‘ eigentlich recht gut zur Predigt des Karfreitages paßt, wenn man dieser (in Überbietung der Patripassianer) das Gewicht gibt, daß ,Gott selbst‘, der in Christus war, am Kreuz gestorben ist“408, ist mehr als gewagt. Doch nicht, dass Gott wirklich tot sei, ist das Sachanliegen der Theologie Jüngels, sondern dass Jesus Christus Gott ist. Die Rede vom Tode Gottes ist Mittel zum Zweck dieser These. Damit ist an die Stelle abstrakter Gottesmetaphysik der Gott in Jesus Christus getreten. Dafür greift diese christologische Rekonstruktion der christlichen Lehre von Gott auf eine „Repristinierung der christologischen Dogmen“ zurück und denkt unter Einbeziehung der neuen göttlichen Eigenschaften Geschichtlichkeit, Veränderlichkeit und Leidensfähigkeit die Zwei-Naturen-Lehre und die (immanente) Trinität neu. Mit dieser Konzentration auf das „Gott war in Christus“ zahlt Jüngel (vermutlich bereitwillig) einen hohen Preis: „Man bleibt im intern-theologischen Gespräch und wirkt esoterisch.“409 Dass der Atheismus als „unerläßliches Korrektiv an all unserem Reden von Gott“ einfach beiseite geschoben wird, um eine exklusive eindeutige Rede von Gott zu behaupten, ist

H.-G. FRITZSCHE 1984, 64; vgl. bereits in diesem Sinne die Rezension H.-G. FRITZ1978, 897. 406 Vgl. H.-G. FRITZSCHE 1978, 897. 407 H.-G. FRITZSCHE 1984, 62. Vgl. a. a. O., 47–64 zu zehn Gestalten und Motiven des Atheismus (Der im Vergleich zur ersten Auflage [vgl. H.-G. FRITZSCHE 1967, 41–55] neu hinzugefügte zehnte Typ „Der christologisch reflektierte Atheismus [Atheismus als Implikation der ,Theologie des Kreuzes‘ oder als Häresie der christlichen Dogmengeschichte]“ in „§ 7 Die Wirklichkeit Gottes“ der vierbändigen Dogmatik geht auf die zwischenzeitlichen Veröffentlichungen von J. Moltmann und insbesondere E. Jüngel zur Thematik des Todes Gottes zurück. Vgl. dazu auch H.-G. FRITZSCHE 1978). Gegenüber einer Flut von Publikationen zur Thematik in den Nachkriegsjahrzehnten steht, dass in westdeutschen DogmatikLehrbüchern der neuzeitliche Atheismus, wenn überhaupt, eher knapp verhandelt wird. Vgl. z. B. G. EBELING (1979) 1987a, I, 177–179; H. G. PÖHLMANN 1975, 100–106; K. STOCK 2011, 67–69; ferner auch die Analysen bei W. PANNENBERG 1967, 347–360 und H.-G. GEYER 1970. Das verwundert, wenn die Auseinandersetzung mit ihm zur theologischen Kompetenz gehören soll, wie Konrad Stock zu Recht fordert (K. STOCK 2011, 67). 408 H.-G. FRITZSCHE 1984, 62. 409 H.-G. FRITZSCHE 1984, 63. 405

SCHE

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im Grunde Ideologie und steht selber in der Gefahr, „gottloses Geschwätz“ zu werden410 und damit Gott tot zu reden.411 Jüngel will Gott ausschließlich von seiner Offenbarung in Jesus Christus her verstehen und schneidet damit andere Deutungen der Selbstentäußerungen und Selbstbegrenzungen Gottes ab, die nicht die innertrinitarische Differenzierung voraussetzen.412 Mit dieser Christologisierung der Gottesrede steht er im Mainstream der post-theistischen evangelischen Dogmatik nach Karl Barth. Er will Gott und den Gekreuzigten zusammendenken. Das führt zur Kritik am Aseitäts-, Allmachts- und Apathieaxiom, die Jüngel alle drei als metaphysisch versteht.413 Jüngel nimmt nicht nur den vormals häretischen Gedanken des leidenden Gottes und erklärt diesen zum alleinigen Maßstab einer genuin christlichen Gottesrede. Von der Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus her kritisiert er auch den von ihm als metaphysisch bezeichneten Gottesbegriff. Jüngel verbindet die christliche Rede vom Tode Gottes nun auch mit der Trinitätslehre. So möchte er zeigen, dass die christliche Rede vom Tode Gottes einen christologischen Ursprung hat und „vor allem durch Luthers Interpretation von der Idiomenkommunikation ermöglicht“ wird.414 Denn Luther zeigt, wie bereits dargestellt,415 dass Gott selbst in der Person Jesu Christi gelitten hat und gestorben ist. Das zeige die Differenz zwischen dem Gott der theistischen Metaphysik und dem Gott der Offenbarung, der „nicht reiner Akt [ist], sondern er erleidet den Tod und erträgt die Negation.“416 Aus dieser Einsicht ergibt sich für Jüngel die „Notwendigkeit, Gott in Einheit mit der Vergänglichkeit zu denken.“417 Die (neuzeitliche) Rede vom Tode Gottes „ist die strengste Form der Erinnerung an diese Aufgabe.“418 Voraussetzung dafür ist „eine in Gottes Sein selbst liegende Möglichkeit, diese Einheit zu denken.“419 Da, so behauptet Jüngel, der metaphysische Gottesgedanke – bzw. sogar „die“ Metaphysik überhaupt420 – Vergänglichkeit nur negativ bewerte, der christliche Gottesgedanke diese in Gott selbst aber integrieren könne, könne Gott als leidender gedacht

F. BURI 1952, 43. Vgl. E. JÜNGEL (1977) 1986, XI. 412 Vgl. oben die Auseinandersetzung mit Hans Jonas in E. JÜNGEL (1986) 1990c. 413 Vgl. J. R OHLS 2001, 47. 414 J. R OHLS 2001, 47. Vgl. dazu knapp E. JÜNGEL (1977) 1986, 126–128. 415 Vgl. die Darstellung der Rezeption der Kreuzestheologie in der Motivgeschichte in diesem Buch in Abschnitt 2.3. 416 J. R OHLS 2001, 47. 417 Zur Denkmöglichkeit, Gottes Einheit mit der Vergänglichkeit (Tod Gottes) christologisch mittels des Wortes vom Kreuz zu denken vgl. E. JÜNGEL (1977) 1986, 270–306, hier: 270. 418 E. JÜNGEL (1977) 1986, 275. 419 J. R OHLS 2001, 47. 420 Jüngel fordert deswegen geradezu eine „Entplatonisierung“ des Christentums. Vgl. E. JÜNGEL 1971, 73. 410 411

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werden: „Als der unendliche Leidende ist Gott [...] der für andere Seiende.“421 Weil Gott als er selbst Liebe ist, wirke er dem Nichts entgegen. So bringt Jüngel den Karfreitag zusammenfassend auf den Begriff.422 Die Rede vom Tod Gottes wird von Kreuz und Auferstehung Jesu und Gott von daher als der verstanden, der sich in der Weise des Kampfes auf das Nichts, den Tod, eingelassen hat und dem Nichts einen Ort im Sein gibt, indem Gott das Nichts auf sich nimmt und ihm so seine Macht entzieht: „An sich selber die Vernichtung ertragend, erweist Gott sich als der Sieger über das Nichts, beendet er die nichtige Attraktion von ,Hölle, Tod und Teufel‘.“423 Gott könne also in seinem Sein die vernichtende Kraft des Nichts, damit auch die Negation des Todes, ertragen, ohne dabei selbst vernichtet zu werden. Die Identifikation Gottes mit Jesus, der am Kreuz die Gottverlassenheit erleidet, könne aber als Explikation des Satzes „Gott ist Liebe“ nur trinitarisch verstanden werden. Sie erfordere eine Selbstunterscheidung Gottes: „Indem Gott sich von sich selber unterscheidet und so, in Einheit mit dem gekreuzigten Jesus, als Gott der Sohn die Verlassenheit von Gott dem Vater erleidet, ist Gott der Versöhner.“424 Durch die am Gekreuzigten orientierte Unterscheidung zwischen Gott und Gott sei die klassische Gotteslehre nun „erheblich korrigiert“ und das Absolutheitsaxiom und mit ihm das Apathieaxiom und das Unveränderlichkeitsaxiom „als für den christlichen Gottesbegriff untaugliche Axiome destruiert worden.“425 So kommt der theologische Auftrag, Gott neu denken zu lernen, an sein Ende: „Der wahre Gott [als der mit dem Gekreuzigten identifizierte] ist aber laut dem Wort vom Kreuz nicht apathisch. Schon seine vor allem im Alten Testament zur Sprache gebrachte Leidenschaftlichkeit bezeugt sein Leidensvermögen.“426 Auch hiermit wird der eigentliche Ursprung dieser Idee im jüdisch-christlichen Gottesverständnis identifiziert. Jüngel denkt damit die Aussage ,Gott ist tot‘ nicht konsequent zu Ende. Das hat Falk Wagner in einem frühen, erst posthum publizierten Text Die Bedeutung der Theologie für die inhaltliche Gestaltung des Religionsunterrichts (1969) aufgezeigt.427 In Jüngels Inkonsequenz, weiterhin Wesen und Erscheinung zu unterscheiden, könne der Tod Gottes der Gottheit Gottes nichts anhaben. Jüngel nehme den Tod Gottes und das Ereignis des Todes Gottes aufgrund E. JÜNGEL (1977) 1986, 298. Vgl. E. JÜNGEL (1977) 1986, 301. 423 E. JÜNGEL (1977) 1986, 297.298. 424 E. JÜNGEL (1977) 1986, 504. 425 E. JÜNGEL (1977) 1986, 511. Mit Verweisen auf W. ELERT 1957 und H. M ÜHLEN 1969. 426 E. JÜNGEL (1977) 1986, 511, Anm. 21 mit weiteren Bemerkungen zum Apathieaxiom. 427 Der Text befasst sich mit E. JÜNGEL 1968 und wurde posthum veröffentlicht in F. WAGNER (1969) 2014b, 15–120; vgl. bes. 110–115; ferner auch M. MURRMANN-KAHL 1997, 108–134 und jetzt seinen Beitrag in: D. EVERS/M. D. KRÜGER 2020, 41–48; M. KORTHAUS 2007, 302–321. 421 422

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seiner abstrakten Vorordnung der Lebendigkeit Gottes und eines nur behaupteten, nicht aber aus der Argumentationslogik immanent entfalteten Auferstehungsgedankens überhaupt nicht ernst.428 Übrig blieben daher lediglich argumentativ sinnlose „blanke Behauptungen und pure Versicherungen“429, wodurch die Rede vom Tode Gottes zur „erbaulichen Phrase“430 werde. Jüngels Gottesgedanke verbleibe damit in den Bahnen der metaphysischen Tradition, Gott als reine Tätigkeit zu denken (actus purissimus; omnino simplex esse), die er vorgibt verlassen zu haben. Dieses „,Katz-und-Maus-Spiel‘“431 um den Tod Gottes wirft die Frage auf, ob Jüngel mit seiner binnentheologisch orientierten Aufforderung zu einer ,theologischeren Theologie‘ der Theologie tatsächlich einen Weg aus der Grundlagenkrise gewiesen hat oder ob seine christologische Einverleibung der Rede vom Tode Gottes nicht eher einen Beitrag zu ihrer Verschärfung darstellt? Jüngel wollte mit seinem Ansatz einer „theologischeren Theologie“, die sich auf „das genuin Christliche“ besinnt, dazu verhelfen, die Grundlagenkrise der Theologie zu überwinden und das Gespräch mit der Philosophie angesichts des Streites zwischen Theismus und Atheismus zu suchen. Das ist jedoch vermutlich auch wegen der binnentheologisch ausgerichteten Sprache der Studie ausgeblieben.432 Im Grunde vermittelt er, gegen seinen eigenen Anspruch, gar nicht seinen Ansatz mit dem Problem- und Wahrheitsbewusstsein des neuzeitlichen Denkens,433 sondern behauptet im Anschluss an Karl Barth lediglich eine offenbarungstheologische Denkweise gegen die Selbständigkeit der Vernunft.434 Mit dem Durchdenken der christologischen Heimkehr des Motivs vom Tod Gottes als Geheimnis seiner kreuzestheologisch grundierten trinitarischen Gotteslehre setzt Jüngel jedoch einen theologischen Schlusspunkt unter die deutschsprachige Debatte über die Gottist-tot-Theologie. Für viele Theologinnen und Theologen war mit dieser ontologisch positiven435 Interpretation des Wortes vom Tode Gottes, die Gottes Teilhabe am Leiden, Kreuz und Tod Christi aussagte, trotz benannter Aporien die Frage nach dem theologischen Umgang mit dem Tode Gottes abschließend beantwortet und die Debatte erledigt. Dass mit der christologischen Heimholung des Todes Gottes und der traditionell häretischen Lehre vom leidenden Gott in die Trinitätslehre nicht nur die atheistischen Anfragen durch AufheVgl. F. WAGNER (1969) 2014b, 115. Vgl. F. WAGNER (1969) 2014b, 112. 430 F. W AGNER (1969) 2014b, 114. Ähnlich auch schon die Kritik von A. B RUNKHORSTHASENCLEVER 1976, 232–234 an Jüngels Hegel-Deutung und Vorschaltung des „durch die Gnade gesicherten Standort[s] absoluter Souveränität“ (a. a. O., 233). 431 M. K ORTHAUS 2007, 319. 432 Ein echter Dialog scheint von beiden Seiten nicht wirklich intendiert. Vgl. dazu das aufschlussreiche ‚Aneinandervorbeireden‘ von E. TOPITSCH/E. JÜNGEL 1978. 433 Vgl. E. JÜNGEL (1977) 1986, 2; ferner H. FISCHER 2002, 237. 434 Vgl. M. M URRMANN-K AHL 1997, 112. 435 Vgl. E. JÜNGEL (1977) 1986, 270; 274; 270–306. 428 429

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bung und Überbietung kassiert wurden und das Ende der Metaphysik unterstellt wurde, sondern auch die kulturdiagnostische Kraft und theologischen Denkmöglichkeiten des Gedankens, dass Gott tot sei, nicht ausgeschöpft worden sind, zeigt der Blick auf die weitere Entwicklung. 7.3.2 Der Tod der Gottheit Gottes als Anfang der christlichen Religion (Falk Wagner) Für Falk Wagner (1939–1998)436 steht in den 1960er Jahren ebenfalls fest, „daß die Rede vom Tod Gottes in das Zentrum des christlichen Gottesgedankens gehört.“437 Doch Wagner stellt sich mit seiner Deutung weder auf die Seite der deutschsprachigen Universitätstheologie, die den ,Tod Gottes‘ christologisch heimholen wollte, noch auf die von Dorothee Sölles438 Interpretation des ,Todes Gottes‘ als Verlust jeder unmittelbaren Gotteserfahrung und schon gar

436 Falk Wagner studierte zunächst Philosophie und Soziologie in Frankfurt a. M. (u. a. bei Theodor W. Adorno, Bruno Liebrucks, Jürgen Habermas, Wolfgang Cramer) und dann Evangelische Theologie in Mainz (1961–1964) und zwar bei Hans Walter Wolff, Herbert Braun, Gert Otto und Wolfhart Pannenberg. Vgl. F. WAGNER 1998a, 280. 1969 wurde er mit einer Arbeit über den Gedanken der Persönlichkeit Gottes bei Fichte und Hegel bei Pannenberg in München promoviert. 1972 habilitierte er sich dort mit einer Arbeit über Schleiermachers Dialektik. Von 1972 bis 1988 war er in München als Privatdozent, Wissenschaftlicher Rat und schließlich als Professor für Systematische Theologie tätig. Von 1988 bis 1998 war er o. Professor für Systematische Theologie A.B. in Wien. Vgl. zu diesem Abschnitt auch PH. DAVID 2022, 164–170. Während die religionssoziologischen Aspekte seines Denkens schon Gegenstand der Forschung waren, wurde sein umstrittenes „Wiener Vermächtnis“ noch wenig rezipiert. Vgl. die Studien von R. DAHNELT 2009; K. METTE 2013 mit einem Forschungsüberblick bis 2012, an den jetzt auch M. SCHNURRENBERGER 2019 anschließt und diesen ergänzt um nachfolgende Forschungen und auch einen „Exkurs zur Rede vom Tod Gottes“ (a. a. O., 229–251) anführt. Bei Mette (a. a. O., 258–296) findet sich ein „Kommentiertes Verzeichnis der Publikationen Wagners“, das nun zu ergänzen ist durch die 21 bislang unveröffentlichten Texte aus dem Nachlass: F. WAGNER 2014a. Dort auch weitere Hinweise in der Einleitung der Herausgeber CH. DANZ/M. MURRMANN-KAHL 2014. Zur Bibliographie CH. DANZ/M. MURRMANN-KAHL 2014, 4, Anm. 7 und zur umstrittenen Einschätzung des Wandels seiner Theologie a. a. O., 12, Anm. 26. Jetzt auch die Beiträge, die anlässlich des Gedenkens an seinen 75. Geburtstags am 25.2.2014 entstanden sind in: CH. DANZ/M. MURRMANN-KAHL 2015, darin bes. M. MURRMANN-KAHL 2015 und J. ROHLS 2015b. Vgl. auch einführend H. FISCHER 2002, 255–271; J. DIERKEN/CH. POLKE 2014, die eine Auswahl aus seinen Texten vorgelegt haben in: F. WAGNER 2014f. Weitere Forschungsbeiträge zu verschiedenen Aspekten des Denkens Wagners sind u. a. versammelt in: M. BERGER/M. MURRMANN-KAHL 1999; CH. DANZ/J. DIERKEN/M. MURRMANN-KAHL 2005 (darin J. DIERKEN 2005b); CH. DANZ/M. MURRMANN-KAHL 2010. Darin auch Falk Wagners Wiener Vorlesung über Christologie aus dem Wintersemester 1989/90 (F. WAGNER 2010, bes. „§ 11 Menschwerdung, Tod und Auferstehung Gottes“). 437 F. W AGNER (1969) 2014b, 110. 438 Vgl. dazu F. W AGNER 1967.

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nicht auf die Seite der „Mode-Torheit“439 der US-amerikanischen „,Gott-IstTot-Theologie‘“, die zum Ausdruck bringen wollte, „daß der mündige Christ in der säkularen gesellschaftlichen Wirklichkeit auch ohne ,mythologische Verbrämung‘ den Forderungen der Nächstenliebe und des social gospel nachkommen könne.“440 Auch die historisch und systematisch ungerechtfertigte Trennung zwischen biblischem („Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs“) und metaphysischem („Gott der Philosophen“) Gott, die auf Pascal zurückgeht, ist für Wagner „theologisch [...] überholt“441 wie auch die damit verbundene Betonung der Lebendigkeit des biblischen Gottes der Wort-Gottes-Theologie gegenüber dem Tod des Gottes der Philosophen. Zu diesem Anfangsimpuls seines Denkens der späten 1960er Jahre kommt Wagner Ende der 1980er Jahre zurück, als für ihn die Bedeutung des Todes Gottes im Rahmen seiner „Krisentheorie des Protestantismus“ theologisch wieder zentral wird.442 So ist für ihn das Bewusstsein der modernen Grundlagenkrise der Theologie, „in der die Theologie selber zum Problem geworden ist“443, „[i]n kurzer und bündiger metaphorischer Sprechweise [...] in dem Satz zusammengefasst: Gott ist tot“444. Mit seinem Wechsel von München nach Wien 1988 verfestigte sich immer mehr ein theologischer Veränderungsprozess bei Wagner. Dieser zeigte sich schon in der Wiener Antrittsvorlesung Christentum und Moderne445 vom 13. Januar 1989 und führte zur retrospektiven Selbstauskunft: „Ich habe damals wieder stärker auf die Figur des Todes Gottes zurückgegriffen, was damit zusammenhing, daß sich bei mir bereits gegen Ende der Münchener Zeit gewisse Zweifel angemeldet hatten an bestimmten Begründungsversuchen namentlich der Hegelschen Philosophie.“446 Für die „Revolutionierung des Gottesgedankens als logischer Anfang der christlichen Religion“447 steht für Wagner der Tod Gottes – ein Gedanke, der ihm in seiner Münchner Zeit durch den Philosophen Peter Reisinger nahe gebracht worden ist und der sich nun als produktiv

F. WAGNER 1990, 139. F. WAGNER (1969) 2014b, 110. 441 F. W AGNER (1969) 2014b, 110; vgl. auch F. W AGNER 1990, 133.134. 442 Vgl. F. W AGNER 1998a, 283. Seine Wende von einer spekulativen Theologie zur Sozialtheorie beschreibt U. BARTH 2003, 167–199, bes. 190–196. Wagner sieht im „,massendemokratischen Individualismus‘“ (Panajotis Kondylis) den Modernisierungs- und Differenzierungsschub, „der – verstärkt durch die Folgen der Kulturrevolution der 1960er- und 1970er-Jahre – zur Durchsetzung einer durch die Verwertungsmechanismen des kapitalisierten Geldes allerwärts durchwirkten Markt- und Konsumgesellschaft geführt“ (F. WAGNER 1999a, 175) habe. 443 F. W AGNER 1990, 131. 444 F. W AGNER 1990, 139. 445 F. W AGNER 1990. 446 F. W AGNER 1998a, 293. 447 F. W AGNER 1999a, 149–166. 439 440

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und folgenreich für seine umfangreiche Transformation der Theologie erweisen sollte.448 Vor dem Hintergrund der „Umformungskrise des Protestantismus“449 spricht Wagner die Hoffnung aus, dass „das Bewußtsein der Moderne, Gott sei tot, der christlichen Theologie die Augen öffnet für die Besonderheit ihres eigenen Anfangs.“450 Diesen wiederum versteht er theo-logisch im hegelianischen, nicht im nietzscheanischen Sinne451, als „Revolutionierung des Gottesgedankens“452, die in geisttheoretischer und sozialethischer Zuspitzung zu begreifen sei „als logischer Anfang der christlichen Religion“, in dem der „Geist des Christentums“ hervortrete. Diese Umformung zielt auf das „Kernsymbol des religiösen Gottesbewußtseins“453, das radikal entsupranaturalisiert, entsubstantialisiert und depersonalisiert wird zu einem Reflexionsort eines Differenzbewusstseins von personalem Selbstsein und sozialem Anderssein: „Für ein religiöses Gottesbewußtsein erscheint daher der sprachliche Ausdruck ,Gott‘ als ein funktionaler Ausdruck der Selbst- und Sinndeutung seiner individuellen Lebensführung.“454 Die Funktion des in seiner Geltung aufgelösten Gottesgedankens wird durch die „Verhältnisweise der Freiheit“ ersetzt: „Die Religion der Moderne wird […] zur Moderne der Religion übergehen, wenn sich die Verhältnisweise der Freiheit für die Thematisierung der Funktion der Religion als konstitutiv erweist.“455 Damit lässt sich die Religion der Moderne als sozialer Ort individueller Freiheit von der praktischen Idee der Freiheit leiten, weiß sich also dem Projekt der Moderne verpflichtet und kann zur Bildung eines 448 Zur Herkunft wesentlicher philosophisch-theologischer Gedanken (insbesondere für die „anerkennungslogische Rekonstruktion über den christologisch gewendeten Topos des ,Gottesmordes‘“) bei Peter Reisinger vgl. F. WAGNER 1998a, 283 und F. WAGNER 2010, 349–355; jetzt auch CH. DANZ/M. MURRMANN-KAHL 2014, 10, Anm. 23. Das verdeutlicht der 2014 erstmals vollständig abgedruckte sog. DIPF-Text von 1969, in dem Wagner maßgebliche Weichenstellungen für das eigenständige Programm einer Philosophischen Theologie vorgenommen hat (F. WAGNER 2014b). Vgl. auch die Zusammenfassung der Gedanken aus dem gemeinsamen Philosophiestudium bei P. REISINGER 1999. 449 Im Anschluss an E. H IRSCH 1968 vgl. bes. F. W AGNER 1999a, 1–74; zur Diagnose der Krise des deutschsprachigen Protestantismus vgl. auch F. WAGNER 1995a. Die Wort-GottesTheologie und ihre Betonung der Offenbarung Gottes und Zurückweisung des Religionsbegriffs bezeichnet Wagner als „neuevangelische Wendetheologie“. 450 F. W AGNER 1990, 139. 451 Vgl. F. W AGNER 1998a, 283. 452 Vgl. F. W AGNER 1998a, 294.295, wo er sich gegen eine „Verknüpfung des alttestamentlich-frühjüdischen Gottesverständnisses mit dem christlich-neutestamentlichen, als auch gegen einen Haupttopos der philosophischen Tradition, nämlich gegen den Grundgedanken des absolut selbstständigen allmächtigen Gottes“ richtet. Zur Absage an den Schöpfergott vgl. F. WAGNER 1995c; vgl. auch F. WAGNER 1999a, 149–166. 453 F. W AGNER 1999a, 171. Vgl. F. W AGNER 1999a, 120–125. 454 F. W AGNER 1999a, 125. 455 F. W AGNER 1999a, 165.

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sozialen Freiheitsbewusstseins beitragen, das den von der dominanten Ökonomie und dem Geldmechanismus ausgehenden Entdifferenzierungstendenzen sowie individuellen Enttäuschungen aufgrund übersteigerter Selbstverwirklichungsansprüche entgegenwirken will,456 und realisiert, dass wir „als menschliche Individuen […] eigentlich nichts anderes als gelebte Fragmente und Brüche“457 sind. Für Wagner ist die Rede vom ,Tode Gottes‘ nur dann konsequent gedacht und führt nur dann über Halbheiten und inkonsequentes Denken hinaus, wenn der Tod Gottes wirklich den Tod der Gottheit Gottes meint. Indem nämlich Gott sich als dieser Jesus offenbare, bestehe keine Differenz mehr zwischen Wesen und Erscheinung bzw. zwischen Gott und Jesus.458 Man könne nicht zwischen Gott und Gott unterscheiden. Wagner kritisiert von daher Jüngels unzureichende Deutung des Todes Gottes, da er Gott als einen anderen, nämlich Jesus Christus als Sohn Gottes und zweite Person der Trinität, sterben und auferstehen lässt.459 Aus dieser theologischen Inkonsequenz und Verkehrung des theologischen Sinnes der Rede vom Tode Gottes ins Gegenteil ergibt sich für Wagner ein dreifaches Fazit, das er als Forderung für ein theologisches Denken versteht, das nun seinerseits die christologisch verankerte Rede vom Tode Gottes logisch und konsequent durchdenkt: Gott muss erstens konsequent als der gedacht werden, der sich als Mensch Jesus offenbart habe und als solcher Mensch geworden und gestorben sei. Die Rede vom Tode Gottes muss zweitens wirklich den Verlust Gottes meinen, ansonsten bleibe sie eine Floskel. Gott muss als christlicher Gott, der am Kreuz wirklich gestorben sei, gedacht werden und nicht metaphysisch als actus purus und leidenslos. Gott sei ein absolut anderer geworden. Er habe sich durch seine Menschwerdung zum Schwächsten gemacht und habe so von Menschenhand getötet werden können (,Gottesmord‘). Die Auferstehung wäre dann drittens nicht als neutestamentliche Vorstellung hinzuzufügen, sondern immanent aus dem Gang der systematischen Erörterung heraus zu entfalten. Nur auf diese Weise komme der Rede von Gottes Auferstehung Einsichtigkeit und Notwendigkeit zu. Das meine die Auferstehung Gottes als Geist und die Verwirklichung der Freiheit des Menschen in wechselseitigen Anerkennungsverhältnissen.460 Indem der Sohn Gottes stirbt, leidet auch Gott selber. Die Rekonstruktion des Anfangs des Christentums wird aus dem spekulativen Karfreitag als der Erfahrung der Moderne, dass Gott tot sei, nur dann neue Einsichten gewinnen können, wenn sie die theologische Rede vom Tode Gottes wirklich beim Wort Vgl. F. WAGNER 1999a, 167–190. F. WAGNER 1998a, 299. 458 Vgl. F. W AGNER 2014b, 115. 459 Für Wagner ist Jüngel ein „Gralshüter der ,Wort-Gottes-Theologie‘“ (F. W AGNER 1999a, 299, Anm. 71). 460 Vgl. F. W AGNER (1969) 2014b, 118–120; vgl. auch a. a. O., 154. 456 457

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nimmt. Das führe zur Umkehrung der bislang dominanten soteriologischen Deutung zur theo-logisch fundamentalen Frage: „Was bedeutet die mit dem Tod Gottes ausgesagte Negation für Gott selber?“461 Die Inkarnation, die Menschwerdung Gottes, schließe notwendigerweise eine Veränderung Gottes mit ein. Veränderung und Negation seien nicht gleichgültig für das Wesen Gottes, sondern aus diesem selber begreiflich zu machen. Das heißt zugleich, dass dieses Wesen falsch und aporetisch sei, andernfalls wäre die Rede von Negation und Veränderung des Wesens Gottes sinnlos. Mit der Denkfigur vom Tode Gottes wird nun die Konsequenz aus einer bestimmten aporetischen Verfasstheit des Gottesgedankens gezogen. Über Jahrhunderte war man sich in metaphysischer Hinsicht einig, dass Gott als solcher als das allmächtige Wesen zu bestimmen sei. In seiner Aseität war er souveränes Subjekt. Doch dieses Konzept sei zum Scheitern verurteilt. Denn die mit den Vorstellungen der Menschwerdung und des Todes Gottes ausgesagte Veränderung und Negation ziele auf die Aufhebung des Gottesgedankens, durch den Gott als unmittelbar selbstbestimmend-allmächtiges Wesen konzipiert wird. Für Wagner ist die Aufhebung eines bestimmten Gottesverständnisses allerdings nicht mit dem endgültigen Verlust Gottes zu verwechseln, auch nicht als Ersetzung der göttlichen Macht durch die menschliche Eigenmacht.462 Dennoch ist der in der Metapher der Auferstehung enthaltene Gedanke nicht der der Wiederkehr des alten Gottes der selbstbestimmenden Allmacht, sondern der der Neuformulierung Gottes als Geist der christlichen Gemeinde: Gott als Geist ist in seiner Gemeinde gegenwärtig.463 Für Wagner, der an die idealistische Geistphilosophie anknüpft, münden die „subjektivitätstheoretische Entfaltung des Freiheitsgedankens und die begriffslogische Entfaltung des Gottesgedankens gemeinsam ein in jene geisttheoretische Struktur der Anerkennung“464, zu deren „Hintergrund die spekulative Aufhebung des klassischen Gottesgedankens in die pneumatologische Figur symmetrisch-vermittelter Selbstbestimmung“ gehört: „Der Geist verwirklicht sich in der Etablierung wechselseitiger Anerkennungsverhältnisse in den sozialen Ordnungsformen von Kultur und Gesellschaft.“465 Damit fällt die „Revolutionierung des Gottesgedankens […] mit der Revolutionierung der Freiheit […] zusammen.“466 Der Geist Gottes sei der Geist der Freiheit. Das Göttliche erscheine nunmehr in der Gestalt freier und symmetrischer Anerkennungsverhältnisse, die auf dem Gleichgewicht von Selbstständigen beruhen: Wenn seine Botschaft der Aner-

F. WAGNER 1990, 141. Vgl. F. WAGNER 1999a, 163.164. 463 Vgl. bereits F. W AGNER 1971, 273–288. 464 U. B ARTH 2003, 193. Vgl. auch zum Geist als Struktur- und Realisierungsprinzip menschlicher Freiheit und Selbständigkeit J. DIERKEN 2014b. 465 M. LAUBE 2020, 328. 466 F. W AGNER 1995a, 146. 461 462

7.3 Der Tod Gottes als trinitarische Denkfigur (Jüngel und Wagner)

603

kennung akzeptiert wird, dann werde zugleich ihr göttlicher Charakter anerkannt und der metaphorische Gehalt der Auferstehungsbotschaft transformiert: „Jesus der Christus ist somit als der Geist Christi und des Christentums präsent, aufgrund deren der menschliche Selbst- und Weltumgang entsprechend der Logik freier Anerkennungsverhältnisse gestaltet wird. [...] [Ü]berall dort, wo seine Botschaft der Anerkennung anerkannt und folglich realisiert wird, bestimmt der göttliche Geist seiner Botschaft den menschlichen Selbst- und Weltumgang: Dann existiert Christus als der seiner Anerkennungsbotschaft entsprechende Geist des Christentums, der einzig und allein dann präsent ist, wenn der menschliche Selbst- und Weltumgang entsprechend der Logik freier Anerkennungsverhältnisse gestaltet wird.“467 Für Wagner ist der allmächtige Gott tatsächlich durch seine Inkarnation Mensch geworden und als Mensch am Kreuz gestorben. Der Tod Gottes ist hier als Tod der Gottheit Gottes radikal ernst genommen. Der entdogmatisierte, entsubstantialisierte, entsupranaturalisierte und entmythisierte Gott468 ist durch seinen Geist übergegangen (auferstanden) in den göttlichen Charakter der als Anerkennungsbotschaft interpretierten Botschaft Jesu, die soteriologisch entlastet und pneumatisch realisiert wird. Gott als Geist ist in seiner Gemeinde präsent, insofern der menschliche Selbst- und Weltumgang entsprechend der Logik freier Anerkennungsverhältnisse gestaltet wird, die nicht zu erzwingen sind. In der gedanklichen Konsequenz von Wagners religionstheologischer Modernisierung scheint die radikale Entmythisierung des theistischen Gottes durch, die Herbert Braun vollzogen hat, bei dem Wagner in Mainz „sein methodisches Rüstzeug“ erhalten und „sehr viel gelernt“ habe.469 Diese Rückkehr zu einem der Impulsgeber der Gott-ist-tot-Theologie wäre in der Tat ein überraschendes, aber zugleich auch konsequentes Ergebnis von Wagners theologischem Denkweg.470 Das wirft aber auch die Frage auf: Kommen die spekulativ entfaltete geisttheoretische und sozialethische Anerkennungslogik der Liebe und Freiheit und ihre immanent entwickelte Auferstehung als Geistpräsenz in der Gemeinde strukturell über die exegetisch erschlossene Mitmenschlichkeit und Liebe als „Geschehen Gottes“ von Herbert Braun hinaus? Ist Brauns Auflösung des göttlichen Gegenübers in Existentialbezüge strukturell, nicht begrifflich, tatsächlich etwas anderes als Wagners pneumatisch ermöglichte und sozial realisierte personale Relationalität von relativer Freiheit und relativer Abhängigkeit? Auch hier kommt Gott nicht anders zum Ausdruck als durch eine bestimmte Art des Gelingens von Mitmenschlichkeit. Der Geist Gottes zeigt sich nur dort, wo die Anerkennungsbotschaft des getöteten Botschafters gelingend realisiert und als ,göttlich‘ erkannt wird. Wagner hat den GottesF. WAGNER 2000, 340. Vgl. F. WAGNER 1999a, 165. 469 Vgl. F. W AGNER 1998a, 280.281. 470 Auch J. R OHLS 2015, 25.26; 42 kommt jetzt zu dieser Schlussfolgerung. 467 468

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7 Der Tod Gottes als Denkfigur in der deutschsprachigen Theologie

gedanken der christlichen Religion radikal umgeformt und enttheologisiert. Der Ertrag ist ebenso ambivalent wie anregend. Mit der weitreichenden Umformung der christlichen Glaubensgehalte durch eine Religionstheologie, die die gesellschaftlichen und kulturellen Veränderungen diagnostisch in sich aufnimmt und dadurch auf eine Wiedergewinnung von Relevanz für die ganze Gesellschaft hofft, geht die Gefahr einher, die Inhalte des christlichen Glaubens total zu destruieren, wenn sich die Theologie nur von einer empirisch bestimmbaren Akzeptanz religiöser Aussagen von Seiten der modernen Gesellschaft bestimmen lässt,471 aber gleichzeitig wird auch der Impuls gesetzt für eine moderne Religion als „deutende[] Endlichkeitsreflexion […], die zugleich am Freiheitscharakter des stets im Schnittfeld von Individuum und Gesellschaft geführten Lebens festhält.“472

7.4 Fazit und Ausblick: Variantenreiche Vereindeutigungsbestrebungen 7.4 Variantenreiche Vereindeutigungsbestrebungen

(1) Als ein verbreiteter Konsens in der evangelischen Theologie lässt sich festhalten, dass der Tod Gottes als Tod des Sohnes und als Tod des Todes zu verstehen sei (E. Jüngel, J. Moltmann, G. Ebeling, W. Pannenberg, D. Lange). Man bleibt damit in den Bahnen der orthodoxen Lehre und sucht die Infragestellung des Christlichen durch den Atheismus durch dessen Integration abzuwehren. Dass sich mit diesen Vereindeutigungsbestrebungen und Atheismusabwehrstrategien auf Dauer neue Probleme eingehandelt werden, wird nicht überraschen. Dazu gehört, dass man sich mit einer Stereotypisierung von Metaphysik und Theismus einen Feind aufgebaut hat, von dem man sich dann allerdings nur halbherzig verabschieden konnte.473 Zwar sucht die Theologie seit Friedrich Schleiermacher und Albrecht Ritschl in Zeiten des zunehmenden Plausibilitätsverlusts der theologischen und philosophischen Behandlung der Gottesfrage und angesichts des Erstarkens des Positivismus „eine Eigensphäre der religiösen Erfahrung zu wahren“474, aber auffällig ist dabei, dass damit bei Ritschl ähnliche Interessen wie im naturwissenschaftlichen Positivismus

Vgl. H. FISCHER 2002, 271. J. DIERKEN/CH. POLKE 2014, 20. Vgl. F. WAGNER 1999a, 120; 176–190. Wagner sieht die „Quintessenz des Christentums in dem richtig verstandenen Doppelgebot der Liebe“, also ausgelegt „im Sinne des sozialen Freiheitsverhältnisses“ (F. WAGNER 1998a, 299). 473 Vgl. zum Verhältnis von Theologie und Metaphysik im 19. Jahrhundert die Beiträge von Albrecht Ritschl und die Studie von Wilhelm Herrmann Die Metaphysik in der Theologie (1876). Als Schlagwort dient die These von der sog. „Hellenisierung des Christentums“ und der Überfremdung des schlichten Evangeliums Jesu (Adolf von Harnack). 474 W. PANNENBERG 1967, 296. 471 472

7.4 Variantenreiche Vereindeutigungsbestrebungen

605

verfolgt werden.475 Der religiöse Gottesbegriff sollte nicht mit dem metaphysischen Gedanken des Absoluten oder der obersten Ursache identifiziert werden.476 Die der Kritik des Positivismus ausgesetzten metaphysischen Elemente der Überlieferung sollte von der Theologie beseitigt werden und zwar „im Namen der Reinheit der mit dem Welterkennen nicht zu vermischenden religiösen Erfahrung.“477 Bemerkenswert ist, dass Ritschls Theologie und die positivistischen Anschauungen der Zeit über die theoretische Welterkenntnis sich hier zu decken scheinen, wenn sich beide von der traditionellen metaphysischen Gotteslehre wie von der Ontologie und Kosmologie abgrenzen, wodurch Ritschl die Interessen des genuin religiösen Lebens herausstellen will. Religion und Metaphysik bildeten einen Gegensatz, der dann auch durch Wilhelm Herrmann weitere Vermittlung fand. Diese Reserve gegen eine weit gefasste natürliche Theologie wirkte bis weit ins 20. Jahrhundert nach und ist darin vor allem verbunden mit dem Namen Karl Barth. Doch auch eine Theologie, die sich im Anschluss an Barth und Bultmann den Herausforderungen neuzeitlicher Religionskritik durch eine offenbarungstheologische Präzisierung stellt, um auf diese Weise der metaphysischen Tradition zu entrinnen, ist sich darüber im Klaren, „[d]aß ein möglicher Abschied der christlichen Theologie von der Metaphysik jedoch nicht einfach zu einer ,metaphysikfreien‘ Theologie führen kann.“ Das theologische Denken könne aber seine Freiheit nur dann wahren, so Eberhard Jüngel weiter, „wenn es von den metaphysischen Traditionen kritisch Gebrauch zu machen sich nicht weigert.“478 Diese Ambivalenz im Verhältnis der Theologie zur metaphysischen Tradition will Jüngel durch einen Abschied von der Metaphysik überwinden, obwohl, um hier eine Wendung Jüngels aufzunehmen, „kritischem und selbstkritischem theologischen Bewußtsein nicht verborgen bleiben“479 dürfte, dass der bleibende kritischen Gebrauch der metaphysischen Tradition wohl kaum ihre Verabschiedung meint, sondern vielmehr einen sie fortschreibenden kritischen und problembewussten Gebrauch ihrer existentiell angehenden Fragestellungen. Klar ist, dass das metaphysische Denken der abendländischen Tradition in der Moderne in eine andauernde Krise geraten ist, die auch die Theo475 Auch das Entmythologisierungsprogramm Bultmanns, für den mythisches Denken „der Gegenbegriff“ zum wissenschaftlichen Denken ist (H.-W. BARTSCH 1954, 180), ist dem Geist des Positivismus verpflichtet, wenn es das naturwissenschaftliche Weltbild zum Maßstab objektiv nachvollziehbarer Wirklichkeit macht (vgl. zur Debatte die knappe Zusammenfassung bei W. JANKE 1999a, 87.88, Anm. 37). 476 Vgl. J. R OHLS 1997a, I, 785. 477 W. PANNENBERG 1967, 296. A. a. O., 296.297 auch zum Folgenden. 478 E. JÜNGEL (1977) 1986, 62.63. Vgl. auch Hans-Georg Geyers Aufsatz Metaphysik als kritische Aufgabe der Theologie (1968), der Karl Barths Vortrag Das Wort Gottes als Aufgabe der Theologie (1922) als Ausgangspunkt nimmt, um die Rolle der Metaphysik für die Rede von Gott in der evangelischen Theologie kritisch auszuloten (H.-G. GEYER 1968). 479 E. JÜNGEL (1977) 1986, 62.

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7 Der Tod Gottes als Denkfigur in der deutschsprachigen Theologie

logie erschüttert hat, zumal dann, wenn sie mithilfe von metaphysischen Kategorien denkt und „Aussagen über Gott, Welt und Menschen formuliert, die nur unter Voraussetzung einer Metaphysik möglich sind.“480 Zwar ist die Annahme vom Ende der Metaphysik in Theologie und Philosophie weit verbreitet. Aber ähnlich wie in der neueren metaphysikkritischen Philosophie, in der das „,Ende der Metaphysik‘ [...] immer nur eine bestimmte, nie die Metaphysik“481 ereilen kann, kommt es dann auch in der evangelischen Theologie nur zu einem unvollendeten Abschied von der Metaphysik,482 gepaart mit expliziten Aufforderungen, Metaphysik und Gottesgedanke in der Theologie (W. Pannenberg) neu zu denken, um mit ihnen eine überzeugende Basis für die rationale Reflexion der Glaubensgehalte zu haben.483 Hinter diese Frage steht, wie sich christliche Theologie zur philosophischen Metaphysik verhält und wie das Verhältnis der Theologie zur Moderne aussieht.484 (2) Vor dem Hintergrund relativer Verabschiedungsstrategien der Metaphysik im 20. Jahrhundert bleibt im Blick auf das Motiv des Todes Gottes festzuhalten, dass die metaphysikkritischen Heimholungsaktionen nicht zu seinem eindeutigen Gebrauch führen. Der Tod Gottes bleibt auch in der evangelischen Theologie mehrdeutig. Das zeigen die in diesem Kapitel genauer vorgestellten theologischen Programmentwürfe von Herbert Braun, Dorothee Sölle, Jürgen Moltmann, Eberhard Jüngel und Falk Wagner aus den langen 1960er Jahren. Sie nehmen allesamt die Krise des Gottesgedankens in der Moderne radikal ernst, beziehen sich in verschiedener Hinsicht auf die Idee vom Tode Gottes und entdecken die neutestamentliche Botschaft Jesu für ihr Konzept neu. Die Erfahrungen zweier Weltkriege, der nationalsozialistischen Diktatur und des Massenmordes am jüdischen Volk haben im geteilten Nachkriegsdeutschland eine mehr oder weniger explizite Rolle für die Theologie gespielt. Auf jeden Fall stand die Vorstellung eines allmächtigen und allgütigen Gottes in Frage, die sich nicht mehr mit dieser alles bisher Dagewesene in den Schatten stellenden Wirklichkeit zusammendenken lassen konnte. Gemeinsam ist den Genann480 W. PANNENBERG 1988b, 9. Jedoch fehle bei Paul Tillich und Karl Barth die methodische Reflexion dieses Sachverhalts, da sie ihre Aussagen als Auslegung des christlichen Glaubensbewusstseins entwickelten und so nur ein „subjektives Engagement des Theologen“ ausdrückten. Zu den Typen der Verhältnisbestimmung: W. PANNENBERG 1996, 20–36. 481 J. JANTZEN u. a. 1992, 659. 482 Vgl. dazu die Beiträge in: J. LAUSTER/B. O BERDORFER 2009 und U. BARTH 2005. Angesichts der angenommenen Einheit der Erfahrungswelt, wie sie für das leibhafte PersonSein des Menschen erkennbar ist, vermisst man nun auch das metaphysische Denken neu, denn von einem Ende der Metaphysik könne in sachlicher Hinsicht keine Rede sein: K. STOCK 2017, I, 305–318. 483 Vgl. zur kritischen Auseinandersetzung mit den Argumenten, die ein Ende der Metaphysik belegen sollen W. PANNENBERG 1988b; vgl. zur Debatte auch die Beiträge in I. U. DALFERTH/A. HUNZIKER 2014. 484 Vgl. U. H. J. K ÖRTNER 2014, 109.

7.4 Variantenreiche Vereindeutigungsbestrebungen

607

ten auf jeden Fall die Kritik am „theistischen“ Gottesbild und besonders bei Sölle, Moltmann, Jüngel und Wagner die Betonung des Leidens und der Ohnmacht Gottes; nur bei Braun spielt dieser Gedanke keine Rolle. Doch Moltmann und besonders Jüngel und Wagner wollen ihre Theologie nicht bloß als Reaktion auf die Gewalt- und Leidensgeschichte des 20. Jahrhunderts verstehen, sondern sie suchen das genuin Christliche im Gottesbegriff herauszuarbeiten. Dazu gehört eine neue Verhältnisbestimmung von Gott und Leid, von Allmacht und Ohnmacht, von Vater, Sohn und Geist. Das Kreuz und der Gekreuzigte werden zum Ausgangspunkt dieser Neubestimmung und die Aufnahme der Rede vom Tode Gottes in ihre theologischen Konzeptionen dient dazu, das eigentlich Christliche am Gottesgedanken freizulegen. Eine solche Theologie kann sich auf Martin Luthers Kreuzestheologie und damit auf eine neutestamentlich orientierte Theologie berufen. Mit der Freilegung des Ursprungs soll der gegenwärtigen Krise begegnet werden. So stellen sie allesamt Angebote für die Überwindung der religiösen Krise bereit, die sich auf von ihnen identifizierte neutestamentliche Deutungsmuster berufen und sich explizit vom theistischen Gottesgedanken der metaphysischen Tradition abgrenzen, aber auch von alttestamentlichen und andersreligiösen Gottesvorstellungen. Gott wird für Braun zum „Woher meines Umgetriebenseins“, für Sölle ist Christus Stellvertreter des abwesenden und ohnmächtigen Gottes bei den Menschen, für Moltmann wird Gott zur offenen und eröffnenden Zukunft des trinitarischen Geschichtsprozesses, für Jüngel zum „Sein im Kommen“ und für Wagner zum „Geist des Christentums“. Dabei macht es formal keinen Unterschied, ob nun die Anthropologie, Christologie, Eschatologie, Kreuzestheologie oder Pneumatologie zum materialen Leitkonzept erhoben wird, denn für das eigene Konzept wird der Theismus je zu einer Denkfigur, von der sich einhellig abgegrenzt wird, um einerseits einer Vergegenständlichung eines allmächtigen und überweltlichen Gottes zu entgehen und andererseits den (trinitarischen) Gottesgedanken mit Hilfe von Rückbezügen auf hermeneutische Einsichten des Anfangs des Christentums – der jesuanischen Botschaft der Liebe, der Teilhabe am Leiden der Welt, der Zukunft Gottes im Zeichen des Gekreuzigten, der durch das Wort vom Kreuz ermöglichten „Erfahrung mit der Erfahrung“485 von Tod und Auferstehung des Menschen Jesus oder des theo-logischen Neubegreifens des Anfangs des Christentums als „Revolutionierung des Gottesgedankens“ – neu zum Vorschein zu bringen durch die Betonung seines immer wieder neu zu verwirklichenden Ereignischarakters in der je eigenen Existenz („pro me“), sei es als qualitative Mitmenschlichkeit, als Einweisung zu Gottes Mitarbeitern in der Welt, als Teil485 E. JÜNGEL (1977) 1986, XIII; 40.41 u. ö. Alle gemachten und noch zumachenden Erfahrungen des Wirklichen würden so noch einmal in diesem Lichte erfahren und auch das Erfahren selbst werde noch einmal neu erfahren. Vgl. zur Herkunftsgeschichte dieser Formel jetzt den Beitrag von Laura-Christin Krannich in D. EVERS/M. D. KRÜGER 2020, 107–120.

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7 Der Tod Gottes als Denkfigur in der deutschsprachigen Theologie

habe am Geschehen der leidenden, befreiende Liebe, narrative Entsprechung oder wechselseitige Anerkennung. Doch die Programme tun dies mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen, Intentionen und Schlussfolgerungen, die sich aus ihren Diagnosen der Situation ergeben. Bei Herbert Braun stehen die Probleme beim Lesen und Verstehen des Neuen Testaments im Vordergrund. Die Fremdheit der Texte wird durch ihre Einordnung in den religionsgeschichtlichen Kontext und die Betonung der Andersartigkeit der antiken Welt herausgestellt. Vor diesem Hintergrund und unter den veränderten modernen Verstehensbedingungen zeigt sich die hermeneutische Brille des theistischen Gottesgedankens als ungeeignet. Statt einer dinglichen sakramentalen Soteriologie geht es Braun um die Betonung des göttlichen Liebesgedankens, durch den er in der Verwirklichung der Mitmenschlichkeit das Heil aufscheinen sieht. Der entmythisierte Gott scheint innerhalb von Existenzialbezügen auf, in der Mitmenschlichkeit des Menschen und von dieser her. Dass bei Braun Theologie in Anthropologie aufgehoben wird und die Christologie zu einer Variablen wird, erscheint vor dem Hintergrund von Max Schelers Diagnose nach dem Ersten Weltkrieg, dass das Christentum seine Ausrichtung auf die Liebes- und Friedensbotschaft verloren haben müsse, wenn es Kriege und Blutvergießen zuließ oder sogar förderte,486 nach dem Zweiten Weltkrieg noch einmal in einem neuen Licht. Brauns Impulse wurden für die Betonung des sozialen Engagements des Glaubens in einer aufkommenden politischen Theologie in den 1960er Jahren relevant, wofür in unterschiedlicher Weise exemplarisch Dorothee Sölle und Jürgen Moltmann stehen, die beide explizit ihre Entwürfe in die Frage nach einer Theologie nach Auschwitz stellen: Was für eine Theologie ist nach diesem unvergleichbaren Ereignis möglich? Nach Robinsons Honest to God und Herbert Brauns Radikalisierung des Bultmannschen Entmythologisierungsprogramm setzte die Gogarten-Schülerin Dorothee Sölle eigenständige Impulse mit ihrem paradoxen Schlagwort „Atheistisch an Gott glauben“. Der „Tod Gottes“ ist für sie jenes alles bestimmende geschichtliche Ereignis des nachtheistischen Zeitalters. Mit diesem Ereignis einher geht die Erfahrung des Verlusts der unmittelbaren Erfahrung Gottes, der erst die vollkommene Wahrnehmung der Stellvertretung des abwesenden Gottes durch Christus ermögliche. Es geht Sölle nicht um das Wesen Gottes, sondern um die „Wandlungen Gottes“ und damit um die Zukunft der noch nicht erwachten Möglichkeiten Gottes. In ihrer Theologie nach dem „Tod Gottes“ will sie die Entäußerung Gottes beschreiben und Christologie als Anthropologie betreiben. Dass Gott tot ist, bedeutet für Sölle nicht, dass Gott entbehrlich ist. Christus tritt als Stellvertreter für den abwesenden Gott auf. Ohne Christus wäre Gott ganz tot. Gottes Stelle ist durch Christus offen gehalten und daher auch seinen Nachfolgern möglich. Gott ereignet sich dort, wo der eine 486

Vgl. dazu H. JOAS 2012, 85.

7.4 Variantenreiche Vereindeutigungsbestrebungen

609

Mensch dem anderen Menschen hilft. Mitmenschlichkeit wird wie bei Braun zum Ort Gottes in der Welt, zu dem Geschehen, in dem Gott gegenwärtig ist. Gott hat sich gewandelt, als er Christus seine Rolle unter den veränderten Bedingungen übertragen hat. Gott setzte sich selbst aufs Spiel und wurde Mensch. Er machte sich abhängig von den Menschen. Doch nun sind diese an der Reihe, etwas für Gott zu tun. Theologie nach dem „Tode Gottes“ zeigt sich hier als Theologie nach der „Abwesenheit Gottes“ und wandelt sich in der Folgezeit zur „politischen Theologie“. Jürgen Moltmann suchte einen Weg aus der Relevanz- und Identitätskrise des Christentums in der Moderne. Um eine „Selbstisolation der Theologie“ zu vermeiden, will Moltmann den Gott des Kreuzes nicht nur theologisch, sondern umfassend, also auch im Bereich der Sozialität und der Personalität des Menschen, im Bereich der Gesellschaft und der Politik und im Bereich der Kosmologie denken. Der Tod des Sohnes ist für ihn nicht der Tod Gottes, „sondern der Anfang jenes Geschehens, in welchem aus dem Tod des Sohnes und dem Schmerz des Vaters der lebendigmachende Geist der Liebe hervorgeht“487. Für den eschatologischen Glauben sei die Gottesgeschichte darum zukunftsoffen und Zukunft eröffnend.488 Programmatisch ist die mit der Frage „Wer ist Gott im Kreuz des gottverlassenen Christus?“ verbundene Kritik am Theismus und die damit gestellte Aufgabe der fälligen Revolution im Gottesbegriff. Für den reformierten Theologen zeigt sich der Theismus insgesamt als problematisch, vor allem kreuzesvergessen, und damit für die Entfaltung der christlichen Gotteslehre nicht ertragreich. Insbesondere betrifft das die Voraussetzungen des metaphysischen Gottesbegriffs, Tod, Leid und Schmerz auszuschließen, denn ein leidensunfähiger Gott sei liebesunfähig. Von dieser Ausgangslage her deutet Moltmann das Kreuz: Jesus leidet an der Verlassenheit des Vaters, und der Vater leidet daran, dass er seinen Sohn in den Tod gibt. Aus diesem beiderseitigen Schmerz entsteht der verbindende und lebendigmachende Geist der Liebe. Damit wird Gott zu einem Geschehen, das Moltmann im Rückgriff auf die traditionelle Trinitätslehre ausführt: Damit könne Jesu Tod „nicht ,als Tod Gottes‘ verstanden werden, sondern nur als Tod in Gott“. Nicht der ,Tod Gottes‘ kann als Ursprung christlicher Theologie gelten, sondern nur der Kreuzestod in Gott und Gott in diesem Tod Jesu. Deshalb sei Christologie – als „Trinitarische Kreuzestheologie“ – neu zu entwerfen. Sie müsse sich bemühen, Jesu Tod als Tod Gottes zu denken und darum die Wahrheitsmomente der Kenotik berücksichtigen. Was es mit dem Tode Gottes auf sich habe, lasse sich, so Moltmann, jedenfalls nur trinitarisch und personal im Sein Gottes und damit theopaschitisch verstehen: Der Tod Gottes wird für Moltmann als Tod in Gott aufgehoben.

487 488

J. MOLTMANN (1972) 1976, 239. Vgl. J. MOLTMANN (1972) 1976, 241.242.

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7 Der Tod Gottes als Denkfigur in der deutschsprachigen Theologie

Eberhard Jüngel geht es angesichts einer diagnostizierten Grundlagenkrise der sprachlichen Ortlosigkeit Gottes darum, die Theologie wieder zu ihrer Sache, Rede von Gott zu sein, zu rufen und in dieser wieder sprachfähig zu werden. Dies soll durch eine „konsequente Exegese“ und „theologischere Theologie“ erreicht werden, die eine kreuzestheologische Trinitätslehre als Soteriologie entfaltet, in der das genuin Christliche des Gottesgedankens im Unterschied zum metaphysischen Gottesgedanken, der die Allmacht, Unveränderlichkeit und Leidensunfähigkeit Gottes betont, herausgestellt wird. Durch die Identifikation Gottes mit dem Gekreuzigten würden nämlich die Ohnmacht, Veränderlichkeit und Leidensfähigkeit Gottes und damit seine Menschlichkeit und Liebe zum Thema einer noch zu entfaltenden narrativen Theologie, die dieses Ereignis nacherzählt. Die Rede vom Tode Gottes habe eine genuin christologische Bedeutung, gehöre zum Wesen des Christentums und sei damit unentbehrlich für das theologische Nachdenken über Gott. Falk Wagner sieht im Bewusstsein der Moderne, dass Gott tot sei, den Grund für Hoffnung, dass die christliche Theologie ihre Augen öffnet für die Besonderheit ihres eigenen Anfangs, um damit ihre Grundlagenkrise zu überwinden. Mit einer Fortführung des Umformungskonzepts von Emanuel Hirsch will Wagner die „Stagnationskrise“, in die der Protestantismus durch die „neuevangelische Wendetheologie des Wortes Gottes“ geraten sei, überwinden. Mittels einer radikalen Umformung des Gottesgedankens durch Ent-theologisierung, Ent-substantialisierung sowie Depersonalisierung und mithilfe einer symmetrischen Anerkennungslogik von Liebe und Freiheit verknüpft Wagner Sozialtheorie und Geistphilosophie zur Betonung des Geistes des Christentums als Illustration des protestantischen Freiheitsgedankens in der Religion der Moderne als sozialer Ort individueller Freiheit. Die Versuche, die Idee vom Tode Gottes in die christliche Theologie zu integrieren, lassen sich mit der dialektischen Figur der Aufhebung als Aufhebung des Tod-Gottes-Gedankens in kategorisieren: in ein neues Existieren, in die Stellvertreter Christi und seine Nachfolger, in das trinitarische Geschehen, in die Menschlichkeit Gottes oder in Anerkennungsverhältnisse, in deren Geschehen, Mitarbeit, Teilnahme, Ereignis oder Gelingen „Göttliches“ sich vollzieht, zur Welt kommt oder erkennbar realisiert wird. Mit der je spezifischen Betonung des Ereignischarakters ist der Gottesgedanke neu formuliert, die traditionellen „theistischen“ Bahnen, wie von Robinson und in der Gott-ist-tot-Theologie angemahnt, sind durchbrochen. Mit Hilfe dieser Denkmodelle kann potentiell die religiöse Krise des theistischen Gottesgedankens binnentheologisch plausibel überwunden werden; ob damit prinzipiell auch die (Glaubwürdigkeits-)Krise der Theologie nach außen hin überwunden wird, bleibt fraglich. Die Konzepte unterstreichen aber die Einsicht von Jan Rohls in seiner Ideengeschichte des Christentums: „Dass die Gottesbeweise ebenso wie die Trinitätslehre auch immer wieder auf vehemente Kritik stießen, gehört ebenso zur Ideengeschichte des Christentums wie das jüngere Phänomen einer positiven

7.4 Variantenreiche Vereindeutigungsbestrebungen

611

Rezeption des Gedankens, dass Gott tot sei.“489 Die hier vorgestellten theologischen Rezeptionen des Todes Gottes als Depotenzierungen des theistischen Allmachtgottes vermögen aber nicht darüber hinwegzutäuschen, dass das Potential des Deutungsmusters des Todes Gottes noch reicher ist, als es hier entfaltet wurde. Der hermeneutische Streit um seine wahre anthropologische, christologische, soteriologische und theo-logische Bedeutung verdeckt ein immer noch zu bergendes kulturdiagnostisch mehrdeutiges Potential, das in den Deutungsmachtkonflikten der langen 1960er Jahre von Theologie und Kirche meist übersehen wurde. (3) Ausstehend ist daher ein Programm, dass sich nicht den Atheismus einzuverleiben sucht, sondern Mehrdeutigkeit auszuhalten vermag. Aus der Kritik der vorgestellten Programme kann man mitnehmen, dass die systematische Pointe der Rede vom Tode Gottes nicht (ausschließlich) in einer zu präzisierenden christologischen Eindeutigkeit der Rede vom Tode Gottes als Denkfigur liegt, sondern (auch) in ihrer Mehrdeutigkeit und damit in ihrer deskriptiven kulturhermeneutischen Verwendbarkeit als Motiv, Deutungsmuster, Verlusterfahrung, Erfahrungswandel, Metapher, Symbol, Ereignis oder Lebensgefühl für eine tiefer liegende existentielle Sinnkrise des gegenwärtigen Zeitalters. Mit diesem Bedeutungsspektrum wäre nicht das Ende der Theologie verbunden, sondern das klare Einlassen der Theologie auf den „gottlosen“ Erfahrungsraum. Diese radikale Endlichkeitsreflexion wäre jedoch kein aktionistisches Reformprogramm oder ein menschlich, allzumenschliches Überwindungsprogramm einer Krise, sondern sie würde die Krise auf Dauer stellen und so dazu anleiten, die quälende Offenheit der Situation ernst zu nehmen und auszuhalten. Die Theologie würde selbst innehalten und von ihrer strukturimmanenten Denkfigur, von der österlichen Überwindung her den Karfreitag zu denken, selbstkritisch Abstand nehmen und ideologiekritische Mehrdeutigkeitsschulung kultivieren.

489

J. ROHLS 2014, VIII.

Hauptteil B: Systematische Perspektiven und kritische Revisionen Seit Nietzsche wird es immer lauter: Gott ist tot.1

Unsere Frage: Was ist Metaphysik?, hat sich gewandelt zur Frage: Was ist der Mensch?2 […] Die Krone der Schöpfung oder ein Irrweg, ein großes Mißverständnis und ein Abgrund?3 […] Ein Übergang, eine Richtung, ein Sturm, der über unseren Planeten fegt, eine Wiederkehr oder ein Überdruß den Göttern? Wir wissen es nicht. Aber wir sahen, daß in diesem rätselhaften Wesen die Philosophie geschieht.4

Theologie kann zu einem diskursiven Ort ideologiekritischer Besonnenheit werden, wenn sie sich dem vielschichtigen Krisenphänomen „Tod Gottes“ stellt, dessen Möglichkeitsräume erkennt und in der Lage ist, selbstkritisch ihre Gehalte zu überprüfen und sie zu transformieren. Auf diese Weise kann Theologie zu einer „kritischen Instanz“ auch für Kirche, Staat und Gesellschaft werden.5 Dafür muss sie dem Lebensgefühl der Moderne Reflexionsräume anbieten. Es braucht solche diskursiven, theologisch aufgeklärt-kritischen Orte jenseits von fundamentalen, evangelikalen oder indifferenten Angeboten, um sprach- und handlungsfähige Wege aufzuzeigen, die Orientierungswissen, Sinndeutungen und Halt in Haltungen angesichts der auszuhaltenden krisenhaften Ambivalenzen der Moderne bieten können. Überlegungen, wie ein solches existenzialtheologisches Deutungsangebot ausgehend von dem beschriebenen verbreiteten Lebensgefühl aussehen könnte, finden sich in den folgenden vier Kapiteln dieses Abschnitts.6

K. JASPERS (1949) 1962, 23. M. HEIDEGGER, GA 29/30, 10. 3 M. H EIDEGGER, GA 29/30, 6. 4 M. H EIDEGGER, GA 29/30, 10. 5 Vgl. F. W AGNER 1989, 166–180 („Theologie – eine kritische Instanz?“). 6 Vorausgesetzt sind die Überlegungen aus der Einleitung 1.4 und aus Hauptteil A.

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8 Dem Lebensgefühl der Moderne neue Reflexionsräume anbieten 8 Dem Lebensgefühl der Moderne neue Reflexionsräume anbieten Fragen ist die Krise, durch die ich mich löse aus einem Dasein, in dem ich meine Welt wie selbstverständlich schon weiß, ohne zu reflektieren.1

(1) Die Moderne ist das Zeitalter der Wissenschaft, Technik und Demokratie. Ihr Kennzeichen ist die auf Dauer gestellte Krise, die selbstbewusste Kritikfähigkeit und die prozesshafte Umgestaltung und fortschreitende Entledigung von Traditionen. Sie umfasst vielschichtige Prozesse eines gesellschaftlichen Wandels, die seit dem Zeitalter der Aufklärung, in den Gefühlslagen der (Früh-)Romantik bei Jean Paul und Schleiermacher, in Zeiten revolutionärer Umbrüche in der Rezeption des Plutarch-Wortes „Der große Pan ist tot!“ bei Heinrich Heine sowie im „Grundgefühl der Religion der neuen Zeit“ – „Gott selbst ist tot“ – bei Hegel im Anschluss an Pascal zum Ausdruck gekommen sind. Die Deutung des Todes Gottes als Lebensgefühl der Moderne und das Wort „Gott ist todt!“ stören die Theologie auf und machen ihre Grundlagenkrise an ihrem wundesten Punkt sichtbar. Zwar ist mit dieser Metapher der Rückgang der Bedeutung der Rede von Gott für verschiedene Lebensbereiche des Menschen in der Moderne benannt, aber den Tod Gottes muss man „keineswegs als das Ende seiner geschichtlichen Herrschaft und nicht als die endlich freigesetzte Feststellung seiner Nichtexistenz verstehen [...], sondern [...] als den nunmehr beständigen Raum unserer Erfahrung ansehen.“2 Theologie als Reflexionsgestalt von religiösen und Göttlichen Dingen im Bewusstsein der geschichtlichen Veränderungsprozesse zeigt sich damit selber als Teil des im Kommen begriffenen Ereignisses des Todes Gottes und kann sich ideologiekritisch positionieren, Ambivalenzen wahrnehmen und vermeintliche Eindeutigkeiten relativeren. Was heißt es für eine radikale Existenzialhermeneutik, wenn Onto-Theologie, Philosophie, Metaphysik und klassische Formulierungen des christlichdogmatischen Gottesgedankens an ihr Ende gekommen sind und der Tod Gottes zum beständigen Raum unserer Erfahrung geworden ist? Zunächst heißt es, 1 2

K. JASPERS (1932) 1994a, 72. M. FOUCAULT 2007a, 9.

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8 Dem Lebensgefühl der Moderne neue Reflexionsräume anbieten

dass man darüber „daß Gott gestorben sei, [...] ebensowenig wissen [kann] wie über die Existenz Gottes (und das ist so wenig, daß schon das Wort ,Existenz‘ fehl am Platze ist), sondern, daß die Art, wie man sich Gott seit Jahrtausenden vorgestellt hat, nicht mehr überzeugt; wenn etwas tot ist, dann kann es nur die herkömmliche Vorstellung von Gott sein.“3 An dieser Entwicklung sind die Träger der Institution Kirche, Theologen und Gläubige selbst nicht unbeteiligt, zumal dann, wenn sie einen „Jargon der Betroffenheit“4 und eine „blutleere Sprache“ des „Phrase Unser“5 pflegen, zu „,Gottesstalkern‘“6 werden und einem „Kuschelgott“7 huldigen. Die herkömmliche Gottesvorstellungen, insbesondere die zur „Endlosschleife“ geratenen Wiederholungen der Rede vom „lieben Gott“ wurden „zu Tode geglaubt“ 8 und „totgeredet“9, der „Wert des Wortes ,Gott‘ [... ist] aufgebraucht“10, wodurch nicht zuletzt auch mit religiöser Unterstützung Atheismus und Gleichgültigkeit sowie theologische Sprachlosigkeit forciert worden sind. Theologie und Kirche folgten in Teilen einem unseligen Trend, ,unliebsame‘ Vorstellungen von Gott – dazu gehört die Rede vom Tode Gottes – aus dem Sprachgebrauch zu tilgen, in der vermeintlich ‚guten Absicht‘, sie dadurch aus der Welt zu schaffen, um dann wieder glaubwürdig von Gott und einer frohen Botschaft sprechen zu können. Deutlicher kann man die eigene Bedeutungslosigkeit kaum zur Sprache bringen. Dabei liegt die bleibende Faszinationskraft der biblischen Überlieferungen und religiösen Symbolwelten gerade in ihrer bleibenden Dissonanz, Komplexität und Deutungsoffenheit. Darin liegt ihrer Stärke für den Umgang mit den bleibenden Ambivalenzen und Relativitäten des endlichen Lebens. (2) Die herkömmlichen Gottesvorstellungen vor diesem Hintergrund der Kritik zu unterziehen, ist natürlich auch Aufgabe jeder dogmatischen und philosophischen Darstellung der Gotteslehre. Theologie weiß um die Ambivalenz ihres Gegenstandsbereichs: Religion kann zur ideologiekritischen Aufklärung und zum religionskritischen Freiheitsbewusstsein des Menschen beitragen, sie kann aber diesen Emanzipationsprozessen auch im Wege stehen.11 Kritik will aber nicht einfach niederreißen und zerstören bzw. entlarven und misstrauisch hinterfragen, sondern im Unterscheiden sichtbar machen, was daseinsmäßig tragfähig ist – und was nicht. Eine moderne Theologie kann sich daher nicht einfach an (autoritative) Rückwendungen zu biblischen oder dogmatischen H. ARENDT 1998, 20. E. FLÜGGE 2016. 5 J. FEDDERSEN/PH. G ESSLER 2020. 6 H.-J. H ÖHN 2019, 311. 7 F. W. G RAF 2011, 38. 8 Vgl. H.-J. H ÖHN 2019. 9 Vgl. E. JÜNGEL (1977) 1986, XI. 10 H.-J. H ÖHN 2011, 195. 11 Vgl. zur Ideologiekritik als Dimension kritischer Analyse G. O TTO 1986, 180–198; R. ENGLERT 2015. 3 4

8.1 Auf Dauer gestellt: Krise und Kritik der Theologie

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(trinitarischen) Gottesvorstellungen anschließen. Sie würde sich damit einem Ideologieverdacht aussetzen, also einem selbstreferentiellen „durchschaubaren Vorurteilszusammenhang“12. Sie kann sich aber im Anschluss an eine Haltung, die in den biblischen Überlieferungen aufzufinden und darin vor allem mit dem skeptischen Denken von Kohelet bleibend verbunden ist, als radikale Existenzialhermeneutik verstehen. Kohelet machte sich seinerzeit auf den Weg, seine eigene Tradition im Lichte der von ihm so gedeuteten Situation einer Erfahrung der Gottesferne einer radikalen und mitunter ironischen Betrachtung zu unterziehen.13 Der Prediger Salomo (Kohelet) konnte eine kritische Haltung einnehmen, skeptisch und ergebnisoffen prüfen (sképtesthai), besonnen und teilweise auch ironisch fragen, was vom Überlieferten noch trägt und was nicht mehr trägt. Er hat in „einer fundamentalen Krise im religiösen Leben Israels“14 nicht den Weg zurück zu den Antworten der Vergangenheit gesucht, sondern sich aufgemacht, neue Antworten zu sichten, die ihn gegenwärtig unbedingt angingen. Auf diese Weise stellt der skeptische Prediger ein „bedenkenswertes Evangelium, eine frohe Botschaft der Lebensfreude bereit, wenn auch in der Verhaltenheit eines bloß andenkenden Fragens“15. In diesem Sinne wagte er etwas Neues und war auf seine Weise ,modern‘. Auch hier bleibt es nicht bei einer differenzierten Diagnostik, sondern es soll der Versuch gewagt werden, einige systematische Perspektiven und kritische Revisionen anzudenken. Sie wollen nicht einfach einreißen, ohne aufzubauen, sondern sich exemplarisch, ideologiekritisch und andenkend-fragend in die neu ermöglichten Reflexionsräume wagen und kritisch-(de-)konstruktiv neue Deutungsoptionen ausloten, ohne den Anspruch auf eindeutige Lösungen zu erheben.

8.1 Auf Dauer gestellt: Krise und Kritik der Theologie 8.1 Auf Dauer gestellt: Krise und Kritik der Theologie

(1) Maßgeblichen Anstoß von außen hat die Religion zu einer Revision ihrer Grundbegriffe immer auch aus der Kritik der Religion erhalten. So ist auch „Kritik an der Religion [...] so alt wie die Religion selbst.“16 Religion existiert R. ENGLERT 2015, 127. Vgl. B. WILLMES 2000. Verborgenheit Gottes (absconditas Dei) meint hier also nicht Gottes absolute Abwesenheit, sondern die gegenwärtige Uneindeutigkeit und Abwesenheit seiner Erfahrbarkeit. 14 H. R OSENAU 2012a, 129. Dort weitere Hinweise zur theologischen Verortung Kohelets und zur Forschungslage. Zur konstruktiven Aufnahme von Kohelets Skepsis und der Weisheitstheologie vgl. die neueren systematisch-theologischen Studien H. ROSENAU 2005c; 2012b. 15 H. R OSENAU 2012a, 131. Vgl. auch TH. K RÜGER 2000; L. SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER 2004; A. SCHELLENBERG 2013; M. KÖHLMOOS 2015. 16 F. W AGNER 1989, 168; vgl. auch die Beiträge in: I. U. D ALFERTH/H.-P. G ROSSHANS 2006. 12 13

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also nie ohne die Kritik an ihren Inhalten und Anhängern. Kritik – als Beurteilungskunst verstanden – erfährt die Religion aber nicht nur von außen, sondern auch von innen.17 Dabei ist jede Art interner oder externer Religionskritik perspektivisch und interessengeleitet. Jedoch scheint die Ansicht weit verbreitet, dass Religionskritik eine vom nichtreligiösen Standpunkt aus vorgetragene Kritik an den inhaltlichen Überzeugungen der bestehenden Religion(en) sei. An die Adresse der Glaubenden richtet sich der Vorwurf, dass sie die Unsicherheiten des Lebens bzw. menschliche Unzulänglichkeiten nicht aushalten könnten und daher die Flucht in religiöse, jenseitige Welten anträten. Religion wird von dieser Warte aus als Verkörperung menschlicher Wünsche und Projektionen verstanden (Ludwig Feuerbach). Sie gilt es, als Illusion zu entlarven und damit zu überwinden und abzuschaffen (Friedrich Nietzsche, Karl Marx, Sigmund Freud). Religion wird verstanden als „Musterbeispiel für falsches Bewusstsein und illusionäre Wahrheitsansprüche.“18 Der Naturalismus etwa sieht die gesamte Realität nur aus natürlichen Dingen bestehend, religiöse Vorstellungen seien daher irrational. Nicht zuletzt werde Religion häufig als Instrument politischer Machtinteressen missbraucht. Weniger bekannt ist dagegen, dass es sich bei Religionskritik auch um ein religionsinternes Verfahren einer theologia ektypa handelt, als Selbstkritik der christlichen Religion einschließlich ihrer überlieferten inhaltlichen Aussagen – heute vor dem Forum der neuzeitlichen Vernunft.19 Der so verstandenen Kritik der Religion geht es einerseits um eine Reformulierung der christlich-religiösen Inhalte in Entsprechung zur menschlichen Vernunftautonomie. Das Ziel dieser Art von Religionskritik ist die auf rational nachvollziehbaren Grundsätzen basierende ‚natürliche Religion‘. Andererseits empfindet die interne Kritik das Verständnis der eigenen Religion als unzureichend, wie zum Beispiel im Zeitalter der Reformation und ihren Wirkungsgeschichten: In diesem Zusammenhang werden bestimmte Schriften kanonisiert, Dogmen und Glaubenswahrheiten als alleingültig ausgeformt und die rechte Lehre („Orthodoxie“) von der falschen („Häresie“) unterschieden. Dieser Versuch der Selbstimmunisierung von Religion gegenüber der Hinterfragbarkeit der eigenen Glaubensinhalte trägt den Keim des Scheiterns in sich. Bei der Kritik an der ,falschen‘ Religion definiert der Kritiker, was ‚richtige‘ Religion ist. Dafür muss er Kriterien nennen, von denen aus er die anderen verurteilt. Diese Kriterien sind Vgl. zur Begriffsgeschichte K. RÖTTGERS 1982. R. ENGLERT 2015, 127. 19 Vgl. M. W EINRICH 2012. Interne Religionskritik kann in Gestalt drastischer Polemik, aktiver Destruktion und radikaler Selbstkritik auftreten – man denke an die Götzenpolemik des Propheten Jeremia, oder die Kultkritik Jesu, aber auch die Tradition der christlichen negativen und mystischen Theologie, die Theologie- und Kirchenkritik Luthers und der Reformatoren insgesamt sowie an die Dialektische Theologie, die „sehr tapfer versucht hat, die Religionskritik von Feuerbach, Marx und Nietzsche gleichsam vorauseilend auf den wahren Gott zu integrieren“ (TH. RENTSCH 2005, 4). 17 18

8.1 Auf Dauer gestellt: Krise und Kritik der Theologie

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aber relativ und müssen einer Selbst- und Fremdüberprüfung standhalten, sollen sie noch Geltung beanspruchen können. Religionskritik kann aber auch Erscheinungsformen von Religionen untersuchen und ihre Antworten auf existentielle Fragen des Menschen kritisch hinterfragen. Die Wahrnehmung unterschiedlicher Vorstellungen, divergierender Wahrheitsansprüche und der damit zum Teil zusammenhängenden Gewalt zwischen Anhängern unterschiedlicher Religionen kann auch zur Forderung der Abschaffung von Religion führen. Anderseits können auch erklärtermaßen „religiös unmusikalische“ Denker bzw. „lernbereite Agnostiker“ die Kraft der Religion positiv beschreiben, ohne selber religiös zu sein (wie etwa Jürgen Habermas im Anschluss an Max Weber): „Subjektive Religiosität oder gelebter Glaube sind keine notwendigen Bedingungen, um Religion verstehen zu können. Die theoretisch anspruchsvolle Aufgabe, Religion zu deuten, setzt aber mehr als nur elementare Religionsbildung und religionsanalytische Unterscheidungsfähigkeit voraus. Gefordert ist auch die Kompetenz, soweit theoretisch überhaupt möglich, Binnenperspektiven religiösen Bewußtseins nachzuvollziehen. Dazu muß man bereit sein, sich auch auf die Nachtseiten der Vernunft zu begeben und die eigene Deutungskraft von Mythen, Symbolen und Riten zu erschließen versuchen.“20

Jede dieser religionskritischen Dimensionen zeigt unterschiedliche Zielrichtungen der Kritik. Je nach persönlicher Interessenlage und religiös-weltanschaulicher Perspektive des Kritikers geraten andere Aspekte des Religiösen ins Blickfeld. Auch wenn von einem perspektivischen Standpunkt immer wieder Gesamturteile über die Religion gefällt werden, ist ihre Kritik meistens nur partiell berechtigt. An vielen Punkten kann man den klassischen Vertretern der Religionskritik durchaus zustimmen. Diese erreichen zuweilen eine intellektuellere Tiefe als manch gegenwärtige Religionskritiker, die Argumente ihrer Vorgänger heranziehen, aber wohl nicht so genau wissen, dass sie von diesen stammen. Doch alle religionskritischen Einwände und theologische Abwehrversuche, die sich auf Nur-Sätze oder Nichts-als-Sätze berufen, sind im Sinne einer „Hermeneutik des Verdachts“ (Paul Ricœur mit Nietzsche) mit Misstrauen zu betrachten. Das heißt nicht, dass sie nicht partiell Recht haben können, aber der Anspruch von umfassenden Totalerklärungen geht an einer perspektivischen Weltklärung vorbei. Insofern kann eine religiöse Perspektive, die sich kritisch reflektiert, in der Lage sein, ideologisch geleiteten Absolutheitsansprüchen kritisch entgegenzutreten. Genau vor dieser Aufgabe steht eine kritisch verfahrende Existential-Theologie, die sich als Ort ideologiekritischer Besonnenheit versteht. (3) Für diese anskizzierte Haltung steht zu Beginn das „Zeitalter der Kritik“21, das uralte Grundsätze von Grund auf überprüft. Dieser Kritik wird auch F. W. GRAF 2004, 17. „Es ist eine Periode, wie der berühmte Kant sagt, wo die Kritik sich alles unterwirft – wo alles gesichtet wird wie der Weizen, so man nicht mehr auf Glauben annimmt, sondern 20 21

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der Gottesgedanke in der Moderne unterzogen – mit der Konsequenz, dass ganz anders von Gott geredet wird als bislang in der Religions-, Kultur-, Theologie- und Philosophiegeschichte von menschlichen Gottesvorstellungen geredet wurde, da sich in Kants Erkenntniskritik eine Aufhebung des bisherigen kirchlich-dogmatischen und metaphysischen Gottesgedankens sowie der Gottesbeweise abgezeichnet hatte, die im weltverrückenden Ausruf des Todes Gottes bei Nietzsche kulminierte. Von Gott wird nur mehr in seiner Negation, nach seiner Verabschiedung, oder gar nicht mehr geredet. Diese Tendenz ist zugleich Ausdruck der Religion der neuen Zeit und Bewährungsprobe für die Theologie, die diese Krise und Kritik in ihre Hermeneutik menschlicher Gottesvorstellungen und der Folgen ihrer bedenkenlosen Verabschiedung einbezieht. Kritische Theologie, wie sie im Rahmen dieser Studie verstanden wird, richtet sich an den Errungenschaften der Aufklärung aus.22 Kritik ist das Grundwort der Aufklärung und damit Grundwort eines aufgeklärten Protestantismus, der der Überlieferungsgeschichte der eigenen religiösen Tradition historische und hermeneutische Kritik zumutet und damit einen Beitrag leistet für das denkerische Aushalten von Ambivalenzen und Unverfügbarkeiten des menschlichen Lebens. Kant schließt in seiner kritischen, d. h. eigentlich in seiner transzendentalen Phase, an das Verständnis der Kritik an, das in ihr eine Fähigkeit der gründlichen Prüfung sieht, die Wahres vom Falschen und Gutes vom Schlechten unterscheidet.23 Doch Kritik bezeichnet nicht die umgangssprachliche negative Weise des Tadelns, der Ablehnung oder Entlarvung, sondern vielmehr die auch in der Kunst- und Literaturkritik bis heute übliche richterliche Form, die judikative Kritik24: Zur sachgerechten Ausführung ist das Selbstdenken wesentliche Voraussetzung, denn wer selber denkt, bedient sich des eigenen Verstandes, statt sich fremden Autoritäten zu unterwerfen, und öffnet sich hin zur eigenen Kritik- und Urteilsfähigkeit. Unter diese Kritik muss auch die theologische Rede von Gott fallen, sofern sie dahin geführt hat, dass dem Grunde oder Urgrunde aller subsistierenden Dinge nachforscht; wo Meinungen, die Jahrhunderte lang als unbezweifelbare Grundsätze galten, nicht länger ungeprüft bleiben; wo die grauesten Possessionen und uralte Observanzen angefochten und umgeworfen werden.“ (Das Zitat von August Friedrich Cranz findet sich bei K. NOWAK 1995, 15). 22 Anders verstand sie Karl Barth in seinem Vorwort zur zweiten Auflage des Römerbriefkommentars (K. BARTH 2010, 5–24), der seine Theologie im Gegensatz zu den historisch-kritischen Theologen, die seiner Meinung nach kritischer sein müssten („Kritischer müssten mir die Historisch-Kritischen sein!“; a. a. O., 14), als eine kritische Theologie (a. a. O., 16) verstand. Doch sein Kritik- und Krisen-Verständnis entsprach nicht dem kritischen Potential der Aufklärung, sondern bezog sich auf die Offenbarung Gottes, die im Anschluss an ein enggeführtes Kierkegaard-Verständnis von dem „unendlichen qualitativen Unterschied“ zwischen Gott und Mensch ausgeht (a. a. O., 17). 23 Vgl. O. H ÖFFE 2012, 28. 24 Vgl. O. H ÖFFE 2012, 29.

8.1 Auf Dauer gestellt: Krise und Kritik der Theologie

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Nietzsche der christlichen Moral und dem Christentum selber eine Verantwortung für den Tod Gottes zuzuschreiben vermochte. Diese These verlangt eine kritische Prüfung und Selbstprüfung der theologischen Reaktionen und des theologischen Umgangs mit ihr. Dabei steht natürlich die wissenschaftliche Theologie nicht allein da, sondern auch die Kirche und die Gläubigen haben ihren Anteil an dieser Situation. Auch eine theologische Neubesinnung wird nicht grundsätzlich etwas an der derzeitigen Situation ändern, aber sie kommt mit ihrer kritisch-konstruktiven Aufgabe der Beschreibung dieser nach, ohne dass sie sich in ihren Elfenbeinturm oder hinter die Kirchenmauern zurückzieht. Aber wie auch immer sich eine Krise im einzelnen zeigt, in ihr kann es zu einer Urteilsbildung kommen, die zu einer Transformation des bisherigen Denkens führen kann. ‚Krise‘ kann damit auch verstanden werden als eine Krise des Denkens, die durch den Tod Gottes und den durch ihn bewirkten Nihilismus als Erfahrung der Sinnlosigkeit des endlichen menschlichen Lebens in der Welt ausgelöst wurde. Sie wäre dann nicht nur eine Krise der Philosophie und der Theologie, sondern auch der menschlichen Existenz überhaupt. Der Krisenbegriff zielt damit auf Vorgänge der Veränderung mit ungewissem Ausgang.25 Diese Krise kann den Übergang zu einem neuen Denken markieren, das sich noch zwischen Abschied und Neubeginn befindet. ‚Kritik‘ bedeutet dann ‚Scheidekunst‘ und beansprucht das Vermögen, durch Unterscheiden etwas Verdecktes und Verstelltes sichtbar zu machen und zu scheiden, was richtig und förderlich an der Einrichtung einer präzisierten Welt ist und was es zu überwinden bzw. restituieren gilt, weil es die prinzipielle Offenheit der endlichen Möglichkeiten des Menschen beschneidet. Kritische Aufgabe einer Theologie in der Moderne wäre es demnach, zu beschreiben und zu begründen, welche Möglichkeiten dem Menschen in seinem Dasein offen stehen und welche Grenzen er zu akzeptieren hat, wenn er sich in der Situation der konstruktiv-kritischen Neubesinnung befindet, zumal es einer theologia viatorum im Grunde um das Selbstverständnis und -verhältnis des Menschen und damit um den existenztheologischen Grundsatz geht: tua res agitur. Religion als (inter-)subjektive Ausdruckskultur kann kulturtheoretisch nicht nur als eine mögliche „Form menschlicher [Erlebnis- und] Deutungskultur“26 verstanden werden, die eine bestimmte „Sinnperspektive“ oder „Sinnvermutung“ im Horizont von Alltagserfahrung, kultureller Situation und Unbedingtheitsrelation eröffnet,27 die Denn unter „den Bedingungen der neuzeitlich-modernen Veränderungen von Recht und Politik, Wissenschaft und Philosophie, Wirtschaft und beruflicher Arbeit, Gesellschaft und Kultur sieht sich das christlich-protestantische Denken Umbrüchen ausgesetzt, durch die die biblischen und dogmatischen Grundlagen der altprotestantischen Glaubensüberlieferungen zutiefst erschüttert werden“ (F. WAGNER 1999a, 10). 26 U. B ARTH 2014, 242 und U. B ARTH 2021, 34; vgl. U. B ARTH 2021, 38: „Religiöse Deutungskultur ist immer symbolische Deutungskultur.“ 27 U. B ARTH 2014, 243. 25

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sich von Atheismus und Nihilismus abhebt, sondern für sie gehört Religionskritik auch konstitutiv zur Religionshermeneutik hinzu. Kritik an der Religion ist Begleiterin der Religion seit ihren Anfängen in der Menschheitsgeschichte. Der Konflikt bleibt so nicht außen vor, sondern wird als produktive Kraft in den religionshermeneutischen Diskurs hineingeholt.

8.2 „Dazwischen-Lesen“: Von der bleibenden Angewiesenheit auf intellektuelle Kritik 8.2 „Dazwischen-Lesen“

(1) In diesem Abschnitt geht es um die besondere Rolle der intellektuellen Kritik der Religion, die sich zwar schon in den verschiedenen Phasen der Suche nach dem Motiv vom Tod Gottes implizit gezeigt hat, aber hier noch einmal gebündelt werden soll im Anschluss an Überlegungen Falk Wagners, der selber auf den Vortrag Die Religion und ihre intellektuellen Kritiker von Paul Tillich aus dem Jahr 1954 zurückgreift. Im Rahmen seines Aufsatzes Die gebildeten Verächter der Religion oder Kirchen und kritische Intellektuelle28 beschreibt Wagner zunächst das Verhältnis von Bildung und Kirche,29 bevor er die Bedeutung der intellektuellen Kritik der Religion im Anschluss an Tillich herausstellt und die Tragweite des Verlustes dieser beschreibt.30 Diese Situationsanalyse führt Wagner dazu, wie seinerzeit Schleiermacher nun auch nach den gebildeten Verächtern der Religion und ihrem Verhältnis zum (kirchlichen) Christentum zu fragen. Je höher das Bildungsniveau, desto größer sei die Distanz und Kritik, was zu einer wechselseitigen Exklusion von Gebildeten und Kirchenmitgliedern führe.31 Dieser Trend hat sich seit den 1990er Jahren fortgesetzt. Ein „lernbereiter Agnostizismus“ (Jürgen Habermas), der die Geschichte von Glauben und Wissen aus der Christentums- und Theologiegeschichte in die Philosophie übersetzt, stellt eher die Ausnahme als die Regel dar.32 Natürlich, so Wagner weiter, setze das Recht auf Religionsfreiheit eine Entscheidungsfreiheit voraus und beinhalte auch das Recht zur öffentlichen Kritik der Religion. Voraussetzung dafür sei die Trennung von Staat und Kirche, von Religion und Recht. Doch erst im Zuge der europäischen Aufklärung konnte sich Religionskritik unbehelligt von staatlichen Zensurmaßnahmen und F. WAGNER 1995d. Vgl. dazu Abschnitt 11.2 in diesem Buch. 30 Wagner stellt mit Blick auf die Situation der 1990er Jahre fest, dass Mitgliedschaftsumfragen die Lage einer Diskrepanz zwischen hoher formaler, aber überwiegend distanzierter Mitgliedschaft zeichnen, die das „chronisch gewordene ,Bildungsdilemma‘ der Kirchen zum Ausdruck“ bringt: „Religiöse Bildungs- und Aufklärungsanstrengungen scheinen den Trend zu verstärken, daß mit der Steigerung des formalen und beruflichen Bildungsgrades der Mitglieder deren kirchliche Distanz zunimmt.“ (F. WAGNER 1999a, 173). 31 Vgl. F. W AGNER 1995d, 180. 32 Vgl. J. H ABERMAS 2019a, I, 79.80 u. ö. 28 29

8.2 „Dazwischen-Lesen“

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Sanktionen öffentlich äußern.33 Lange sei der Begriff „Intellektueller“ ein Schimpfwort gewesen.34 Schließlich wurden die Intellektuellen als „sozial freischwebend“35 (Alfred Weber, Karl Mannheim) bezeichnet, wodurch sie in der Lage gewesen seien, die perspektivische Partikularität jeder bestimmten Ideologie bzw. Weltanschauung zu durchschauen. Kritik wurde als ihr Beruf ausgemacht.36 Häufig seien sie „Angehörige von Intelligenzberufen“ (M. Rainer Lepsius) wie Schriftsteller, Publizisten, Journalisten oder Wissenschaftler, nähmen die Rolle eines sozialen Störfaktors ein und nutzten die Macht des geschriebenen oder gesprochenen Wortes und heute auch die Macht des Bildes.37 Wagner macht für den Neuprotestantismus Schleiermachers Schrift Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern (1799) als „Geburtsstunde der Wahrnehmung intellektueller Kritik“38 aus. Um für sein Programm der Selbstständigkeit der Religion zu werben, wendet sich Schleiermacher dezidiert an die gebildeten Verächter der Religion. Gebildete seien nämlich fähig, sich ein eigenständiges Urteil über religiöse Angelegenheiten zu bilden und die nötige Distanz gegenüber fragwürdigen Erscheinungsweisen der Religion zu bewahren. So werden die gebildeten Verächter ebenso als Kritiker der Religion wie als mögliche Initiatoren einer neuen Art von Religion und Frömmigkeit angesprochen. Auch wenn Schleiermacher mit vielen Arten der Kritik der Gebildeten sympathisiert, entzieht sich doch sein Religionsverständnis, das konstituiert wird durch einen geheimnisvollen Augenblick des ursprünglichen Einsseins von Anschauung und Gefühl, der intellektuellen Kritik, da Religion im Kern unbegreiflich wie unbeschreiblich sei.39 „Die dem inneren Gemüt angehörende individuelle Bildung und Selbstbildung der an Anschauung und Gefühl gebundenen Religion entzieht sich ihrer Kommunizierbarkeit. [...] So klafft ein weder hintergehbarer noch überbrückbarer Hiatus zwischen dem religiösen Gefühlserlebnis und seiner sprachlichen Kommunikation. Das individuelle Gefühlserlebnis gehört zum Privatbesitz einer singulären Subjektivität, so daß es sich der Kontrolle durch eine gebildete Kritik entzieht.“40

So erging es noch Kant mit seiner Religionsschrift und Fichte im Zuge des Atheismusstreites, der zu seiner Entlassung führte. Vgl. F. WAGNER 1995d, 181.182. 34 Vgl. F. W AGNER 1995d, 183. Zur Geschichte der Bezeichnung „Intellektueller“ vgl. auch die Überlegungen von Michel Foucault, die zusammengefasst sind in S. RAFFNSØE/M. GUDMAND-HØYER/M. S. THANING 2011, 333–336; vgl. jetzt auch F. W. GRAF 2011 und insbes. die Beiträge in C. GANSEL/W. NELL 2015. 35 F. W AGNER 1995d, 184. 36 Vgl. F. W AGNER 1995d, 185. 37 Vgl. F. W AGNER 1995d, 186. Wagner nimmt Bezug auf den Beitrag von Habermas über Heinrich Heine und die Rolle des Intellektuellen in Deutschland (J. HABERMAS 2003b). 38 F. W AGNER 1995d, 187. 39 Vgl. F. W AGNER 1995d, 188. Dort auch die Nachweise zu Schleiermacher. 40 F. W AGNER 1995d, 188. 33

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Der „innerste Nerv der Religion bleibt ein Geheimnis, das nur ein religiöser Virtuose auf unteilbare und nicht mitteilbare Weise besitzen kann.“41 Über die inhaltliche Bestimmtheit solch einer gefühlsgeleiteten Religiosität ist für den gebildeten Verächter so gut wie nichts in Erfahrung zu bringen. Zum Nachvollzug dessen müsste er selber unter dem „Opfer seines Intellekts“ (Max Weber) zum religiösen Virtuosen konvertieren, wogegen aber seine gebildete Verachtung gegenüber der Religion spricht. Doch auch wenn Schleiermachers Religionstheorie nicht in der Lage ist, „die individuell-gefühlsmäßige Eigenart der Religion auf verständliche Weise zu kommunizieren, so trägt er gleichwohl der intellektuellen Kritik an der dogmatisch-lehrhaft verengten Theologen-Religion ausdrücklich Rechnung.“42 Auch wenn bereits der Heidelberger Theologe Richard Rothe Mitte des 19. Jahrhunderts in einer Erneuerung der Kirchlichkeit kein geeignetes Mittel gesehen hat, die Zukunft des Christentums zu sichern und mit der Anerkennung des Prinzips der Subjektivität auch der intellektuellen Kritik der Gebildeten an der dogmatisch-kirchlichen Positivität des Christentums zustimmte, blieb seine Sichtweise eine Ausnahme, die davon ausging, dass die Kirche auch schärfste Gegensätze in sich vertragen könne.43 Doch in der Folge haben Verkirchlichungs- und Redogmatisierungstendenzen die wechselseitige Entfremdung zwischen Religion und Bildung vertieft, wie Wagner an der „Bildungskatastrophe“44 und dem „Bildungsmonopolanspruch“ der neuevangelischen Wendetheologie von Emil Brunner und Karl Barth nachzeichnet, die zu einer Abschottung und Selbstisolierung des Glaubens und der Kirche gegenüber Bildungsanstrengungen sowie zu einer Sicht des Glaubens geführt habe, die mehr auf übermenschliche Gnadeneingriffe vertraut als auf menschliche Bildung. Im selbst gewählten bildungslosen Ghetto ist Jesus Christus der einzig gebildete Mensch: „Das Evangelium fungiert zugleich als ,die radikale Krisis aller menschlichen Bildungspläne, Bildungsmächte und Bildungsversuche‘, so daß nur die menschliche Bildung als ,wirklich‘ und ,echt‘ akzeptiert werden kann, die sich dem Sohn Gottes als ,Bildner und Bild‘ und Jesus Christus als ,Subjekt und Träger‘ der Bildung gehorsam und vorbehaltlos fügt.“45

Mit dieser Selbstisolierung und Selbstghettoisierung der Kirche ist der Weg zur ideologischen Gleichschaltung nicht mehr weit: „Diese – vom Menschen aus gesehen – subjekt- und trägerlose Bildung gleicht einer autoritären Schulung, die von einer frommen ,Gehirnwäsche‘ kaum noch unterscheidbar ist.“46 F. WAGNER 1995d, 189. F. WAGNER 1995d, 190. 43 Vgl. F. W AGNER 1995d, 190–192. Nachweise zu Richard Rothe ebd. 44 Vgl. F. W AGNER 1995d, 196–199. Ähnliche „Bildungskatastrophen“ aus der Zeit der 1920er und 1930er Jahre beschreibt jetzt auch R. PREUL 2013, 59–68. 45 F. W AGNER 1995d, 197.198. 46 F. W AGNER 1995d, 198. 41 42

8.2 „Dazwischen-Lesen“

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Bildung findet nicht mehr „innerhalb der Grenzen der Vernunft, sondern innerhalb der gesetzten Grenzen eines Dogmatik-Systems statt, in dem ,Bildung‘ auf die Parallel- und Gleichschaltung mit einem christologischen Gedankenkonstrukt reduziert wird.“47 Doch solche Dogmatik-Konstrukte verabschieden sich selbst aus Bildungsprozessen, wenn Bildung auf Glaubensgehorsam reduziert wird. Solch eine „Halbbildung“ sei durch ihre Komplexitätsreduktion schlimmer als überhaupt nicht gebildet zu sein. Doch statt dieser Situation entgegenzutreten, wurde die Auswanderung der Bildung aus den Kirchen noch beschleunigt. Habe man in der Zeit des Neuprotestantismus diese noch als „offene Wunde“ des kirchlichen Christentums angesehen, herrsche nun ein „dogmatisch-hybrider Bildungsalleinvertretungsanspruch“. Die Konsequenz heißt: „Intellektuelle Bildung, die über das professionelle Wissen von Berufstheologen hinausgeht, ist in hohem Maße aus den Kirchen ausgewandert.“48 Das hat auch zur Folge, dass der Theologie mehr und mehr die intellektuelle Fähigkeit abhanden kommt, Religion wieder zum Thema eines Bildungsprozesses werden zu lassen. (3) Zur Wiederbesinnung auf die unverzichtbare intellektuelle Kritik der Religion nimmt Falk Wagner nun Impulse von Paul Tillich auf, die hier zugespitzt werden auf die zwar bei Tillich zu findende, aber bei Wagner nicht aufgenommene Metapher des „Dazwischen-Lesens“49. Klar gestellt werden muss hier zudem noch, dass Bildung nichts mit „Verkopfung“ zu tun hat.50 Dieses tief sitzende Vorurteil ist sicher auch in den dogmatisch-lehrhaften und normativ gewendeten Gedankengebilden der Berufstheologen begründet. Doch kann die Antwort der Kirchen sicher nicht sein, sich der Theologie als kritischer Instanz zu entledigen und so eine „Flucht in die Entkopfung“ anzutreten. Für Kirche wie Theologie gilt vielmehr angesichts der Komplexität des Lebens ein Mehr an denkendem Fragen zu wagen und sich mittels intellektueller Kritik und Umformung der kirchlich fixierten Schrift- und Dogmatik-Gehalte radikal auf die Umformungskrise einzustellen. Von außen an Theologie und Kirche herangetragen blieben diese kritischen Transformationen wirkungslos. Sie müssen von innen als legitim und berechtigt anerkannt werden. In dieser Hinsicht hat Paul Tillich bedenkenswerte Vorschläge in seinem Vortrag Die Religion und ihre intellektuellen Kritiker gemacht.

F. WAGNER 1995d, 198. F. WAGNER 1995d, 199. Die Skepsis gegenüber dem Christentum und aller Religion, gegenüber der Wissenschaft Theologie und dem institutionellen Rahmen Kirche ist bis heute im intellektuellen Leben nicht allein Deutschlands weit verbreitet. Vgl. H. JOAS 2017, 8. 49 P. TILLICH, GW XIII, 337. Paul Tillich hielt am 25. Januar 1954 eine Ansprache an die Studentinnen des „Union Theological Seminary“ mit dem Titel Die Religion und ihre intellektuellen Kritiker (GW XIII, 336–343), auf die in diesem Abschnitt Bezug genommen wird. 50 F. W AGNER 1995d, 200. 47 48

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8 Dem Lebensgefühl der Moderne neue Reflexionsräume anbieten

Selbstverständlich ist intellektuelle Kritik nur eine von vielen Arten der Kritik. Der kritische Intellektuelle verkörpert auch nur eine Form von Bildung.51 Doch auch die sonst von Tillich so geschätzte prophetische Kritik, zu der er auch die der Reformatoren zählt, kann von ihrem Standpunkt der „unbedingten Kraft und Wahrheit“52 der von ihr kritisierten Religion aus nicht leisten, was die intellektuelle Kritik zu leisten vermag. Denn diese greift mit Argumenten und Gründen den Wahrheitsanspruch der Religion selber an. Sie wurzelt in der „Kraft des Verstandes“53. Tillich bedient sich zum Verständnis der intellektuellen Kritik zuerst eines Rückgriffs auf die wörtliche Bedeutung von Intelligenz: „Intelligenz bedeutet wörtlich ,zwischen‘ den Tatsachen und Erfahrungen unseres täglichen Lebens zu ,lesen‘. Dieses ,Dazwischen-Lesen‘ bedeutet: von den Tatsachen auszugehen, jedoch ihren Sinn, ihren inneren Zusammenhang, ihre Ursachen und Wirkungen zu verstehen. ,Intellektuell‘ heißt also, sich auf Tatsachen zu stützen, aber sie gleichzeitig zu überschreiten, nämlich zu erkennen, das Erkannte einzuordnen, es als gewiß anzuerkennen und in ihm einen Teil des Sinnganzen zu finden. Ein Intellekt, der auf diese Weise ,zwischen‘ den Tatsachen ,liest‘, ist immer kritisch. Kritik gehört zu seinem eigensten Wesen. Wenn er sich selbst treu bleibt, erkennt er niemals etwas an, ohne es auf sein Wesen und seine Geltung hin befragt zu haben. In dieser Weise richten sich die kritischen Fragen des intellektuellen Kritikers auch auf die Religion.“54

Doch zur intellektuellen Kritik gehört zudem die Grundhaltung des Intellektuellen, der „alles, was ihm begegnet, in Frage“55 stellt. Nichts wird einfach so hingenommen. Alles wird radikal hinterfragt: „Die menschliche Fähigkeit, Fragen zu stellen, sollten wir nicht verachten. Denn Fragen ist wesentlicher Ausdruck menschlicher Freiheit, ein Ausdruck dafür, daß wir mit der Wirklichkeit, die wir sind, in der wir stehen und die uns umgibt, nicht übereinstimmen.“56

Für Tillich ist das Fragen als Ausdruck der Freiheit des Menschen „zugleich das Einfachste und Tiefstes in aller Wirklichkeit.“57 Auch wenn es allgemein zum menschlichen Wesen dazu gehört, zu fragen, gehört es zum Intellektuellen in besonderer Weise: „es formt seinen Charakter, es beherrscht sein geistiges Leben.“58 Damit birgt er in sich einen unvermeidbaren Konflikt zwischen seiner anti-autoritären Haltung des skeptischen Fragens und der Gewissheit des

51 Darauf weist R. PREUL 2013, 73 hin, für den Bildung gerade nicht elitär ist, sondern zur Bildung ist jeder Mensch bestimmt, weil Bildung ein Existential ist (a. a. O., 75). Dieser Gedanke wird in Abschnitt 11.2 wieder aufgegriffen. 52 P. TILLICH, GW XIII, 336. 53 P. TILLICH, GW XIII, 336. 54 P. TILLICH, GW XIII, 337. 55 P. TILLICH, GW XIII, 337. 56 P. TILLICH, GW XIII, 337.338. 57 P. TILLICH, GW XIII, 338. 58 P. TILLICH, GW XIII, 338.

8.2 „Dazwischen-Lesen“

627

Glaubens und seinen Erfahrungen, Traditionen und Symbolen. In der Folgerichtigkeit und Schärfe seines Denkens und Urteilens kommt allein die kritische Haltung gegenüber dem eigenen Intellekt oftmals zu kurz.59 Tillich hat insofern ein ganz einfaches Rezept im Umgang mit dem intellektuellen Kritiker. Das Beste nämlich, was die Kirche tun kann, ist ihn in sich selbst aufzunehmen. Und mit dem Theologen hat sie auch die entsprechende Person zur Hand. Tillich erwartet damit von den Berufstheologen, dass sie zugleich Intellektuelle sind und sich am kirchlichen Leben beteiligen: „Der Theologe ist zugleich beides: intellektueller Kritiker und Repräsentant dessen, was er kritisiert. Er trägt in sich selbst den ganzen Konflikt aus [...] zwischen dem radikalen Fragen und der unmittelbaren Glaubensgewißheit.“60 So wird die intellektuelle Kritik zum integralen Moment der theologischen Profession. Auf diese Weise will Tillich der intellektuellen Kritik ein legitimes Recht innerhalb von Theologie und Kirchen verschaffen. Es ist zum einen die ideologiekritische Funktion von Theologie und ihrem radikalen Fragen, auf die Tillich aufgrund seiner Erfahrung mit dem Nationalsozialismus aufmerksam macht: „Denn es ist die faschistische Art, die sich immer – ich spreche aus eigener Erfahrung mit dem Nationalsozialismus – zuerst gegen die Intellektuellen wendet, weil sie die radikalen Fragen nicht verträgt.“61 Für Tillich ist jedoch die geistige Gefahr noch gefährlicher als die politische, die solch ein Kampf mit sich bringt, wenn der Glaube zum Aberglauben wird: „Jede Religion [...], die das radikale Fragen ihrer intellektuellen Kritiker letztlich nicht vertragen kann, ist Aberglaube.“62 An der Kritikverträglichkeit zeige sich die Bedeutung der Religion und die Glaubwürdigkeit ihrer Vertreterinnen und Vertreter. Tillich legt damit den Finger in die ,offene Wunde‘ des kirchlichen Christentums und macht es darauf aufmerksam, welches Potential mit einem gebildeten Theologen bzw. einer gebildeten Theologin in eine Kirche als Bildungsort kommen würde. Auch Michel Foucault, der zwischen universalen und spezifischen Intellektuellen unterscheidet, sieht die Aufgabe der spezifischen Intellektuellen gegenwärtig nicht so sehr darin, „,prophetische Wahrheiten über die Zukunft auszusprechen. Vielleicht kann der Diagnostiker der Gegenwart [...] versuchen, die Leute begreifen zu lassen, was sich gerade auf jenen Gebieten ereignet, auf denen die Intellektuellen eine gewisse Kompetenz haben. Durch eine kleine Verschiebung des Blicks macht er sichtbar, was gesehen werden kann, und bringt das Allernächste, Unmittelbarste, so eng mit uns Verbundene, dass wir es deshalb nicht sehen, zum Vorschein.‘“63 Foucault verkündigte einst eine bis heute noch gültige Hoffnung: Vgl. P. TILLICH, GW XIII, 339. P. TILLICH, GW XIII, 343. Vgl. auch F. WAGNER 1995d, 200. 61 P. TILLICH GW XIII, 344. 62 P. TILLICH GW XIII, 344. 63 Zit. n. S. R AFFNSØE/M. G UDMAND-H ØYER/M. S. THANING 2011, 336. 59 60

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„,Ich träume von dem die Evidenzen und die Universalitäten zerstörenden Intellektuellen, dem Intellektuellen, der in den Trägheiten und Zähigkeiten der Gegenwart die Schwachstellen, die Öffnungen, und die Kraftlinien [...] entdeckt und anzeigt, dem Intellektuellen, der unaufhörlich seinen Platz wechselt, der nicht genau weiß, wo er morgen sein wird oder was er morgen denken wird, denn er achtet zu sehr auf die Gegenwart [...].‘“64

Auch wenn der Traum vielleicht fern von der (kirchlichen und gesellschaftlichen) Realität liegt, vermag Foucaults Beschreibung des Intellektuellen als „eye-opener“ für die Gegenwart gerade für die Theologin oder den Theologen weiterführend zu sein, insofern sie selber bereit sind, mit offenen Augen die Gegenwart zu diagnostizieren. Es geht bei der intellektuellen Kritik nicht nur um die wichtige Unterscheidung zwischen Innen- und Außensicht. Es geht auch um die Akzeptanz des Verfahrens des kritischen und skeptischen Fragens. Es geht um die Unterscheidung zwischen Anspruch und Faktizität der kirchlichen Religion. Es geht um das Fragen nach Gründen, die für oder gegen den Geltungsanspruch kirchlich-religiöser Gehalte und Aussagen sprechen. Es geht darum, den unvermeidbaren Konflikt zwischen unmittelbarer Glaubensgewissheit und kritischer Distanzierung und Infragestellung auszuhalten, der sich daran entzündet, dass die intellektuelle Kritik keine von den Kirchen aufgebaute Autorität ungeprüft akzeptieren kann. Auch schriftlich fixierte Autoritäten sind historisch bedingt und können nur aufgrund ihrer sachlichen Argumente und ihrer Plausibilität überzeugen oder eben nicht.65 Doch wie sind die Ambivalenzen für die Berufstheologen auszuhalten, fragt wiederum Falk Wagner abschließend, so dass sie nicht doch den Intellekt zugunsten des Glaubens opfern oder in eine gespaltene Bewusstseinshaltung fliehen, die zwischen sachlicher und sozialer Dimension des Berufsfeldes unterscheiden muss, um zu „überleben“? (4) Die einzige Möglichkeit, diese Last der Doppelfunktion des Theologen zu entschärfen, sieht Wagner in der zeitlichen Dimension, womit für ihn die alte Vorstellung einer theologia viatorum, also einer sich auf dem Weg befindliche Theologie, eine „radikalisierte Aktualität“ erhält: „Die Religion des kirchlichen Christentums und ihre intellektuellen Kritiker lassen sich ihrer unaufhebbaren Differenz zum Trotz dann miteinander verknüpfen, wenn sie sich auf die Notwendigkeit einer gegenwärtigen und zukünftigen Umformung des Christentums in und außerhalb der Kirchen einlassen.“66 Und zwar auf den Prozess der dauerhaften Umformung. Auf diese Weise wird die intellektuelle Kritik das den Umformungsprozess leitende Medium sein. Gegenüber dem kirchlichen Christentum zeichnet sie sich durch einen höheren Komplexitätsgrad und die Fähigkeit zur Selbstkritik aus, durch die doppelte Unterscheidung von Innen- und Außenperspektive und von Anspruch und faktischer Geltung Zit. n. S. RAFFNSØE/M. GUDMAND-HØYER/M. S. THANING 2011, 336. Vgl. F. WAGNER 1995d, 202. 66 F. W AGNER 1995d, 203.204. 64 65

8.2 „Dazwischen-Lesen“

629

der Religion: „Die Entpositivierung und Entdogmatisierung der christlich-religiösen Gehalte wird daher ihre Entmythologisierung, Entsupranaturalisierung und Entsubstantialisierung einschließen.“67 Die kritisch orientierte Umformung des Christentums erfolgt im Interesse des christlich-religiösen Bewusstseins und dient damit der Frage, „welche Gehalte auf welche Weise dem Selbstaufbau und der Selbstauslegung des christlich-religiösen Bewußtseins tauglich und dienlich sind.“68 Für Wagner sind das folgerichtig „insbesondere die funktional interpretierten Gehalte, die an die Differenz von Personalität und Sozialität, von Individuum und Gesellschaft anschließbar sind – also an die Schnittstelle, die die Reflexion als den das christlich-religiöse Bewusstsein auszeichnenden sozialen Ort erkennt.“69 Um diesen sozialen Ort zu verwirklichen, schlägt Wagner eine Relativierung der dogmatisch-lehrhaften Gestalt der Berufstheologen vor, um die verschiedenen Bewusstseinslagen der institutionellen Mitglieder in gleichberechtigter Weise zu berücksichtigen. Erst durch diese Polyperspektivität zeichne sich ein jeweils individueller Umgang mit religiösen Gehalten und Symbolen aus. Gerade die intellektuelle Kritik kann die einseitig berufstheologisch und kerngemeindlich orientierte Kommunikation der christlichen Religion zugunsten anderer, aber ebenso legitimer Kommunikationsmöglichkeiten allgemein religiöser, ethischer, ästhetischer oder biographischer Art relativieren.70 Sollte diese Möglichkeit nicht ernsthaft erwogen werden, wird sich die Kluft zwischen Kirche und Bildung noch weiter vertiefen und die Selbstisolierung der Kirche durch die Gefahr einer Selbstberuhigungsstrategie mittels einer auf die Kirchen bezogenen „Renaissance der Religion“ zu einer weiteren Fundamentalisierung fortschreiten, was auch eine weitere Verabschiedung einer weiterhin kirchlich orientierten Theologie aus dem Wissenschaftsdiskurs nach sich ziehen würde: „Dann gibt das kirchliche Christentum der Versuchung nach, eine Mentalität zu kultivieren, die sich von einem fundamentalistischen Sektierertum nur noch in soziologischer Hinsicht insoweit unterscheiden läßt, daß die Kirchen ihre Bestände als finanziell und verwaltungstechnisch stabile Organisation zu sichern wissen.“71 Von solchen Selbsterhaltungsimperativen aber gehen kaum noch geistig-intellektuelle Impulse aus, um die Religionskulturen innerhalb und außerhalb der Kirchen und des Christentums konstruktiv-kritisch wahrzunehmen. Und genau in solchen Impulsen läge die Kraft der über sich selbst aufgeklärten Religion, die ihren Bildungsauftrag ernst nimmt, die Individuen reflexiv in die Brüche und Fragmentarizität des Lebens einübt und als sozialer Ort gegenwärtig ist: F. WAGNER 1995d, 204. F. WAGNER 1995d, 204. 69 F. W AGNER 1995d, 204. Vgl. Abschnitt 7.3.2 in diesem Buch. 70 Vgl. F. W AGNER 1995d, 204.205. 71 F. W AGNER 1995d, 205. 67 68

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als „Gottesdienst im Alltag der Welt“ (vgl. Röm 12,1) in Jugendarbeit, Seelsorge, Akademie, Schule, Diakonie, sozialen Berufen und in der Theologie an der Universität. Durch das Einzeichnen des Konflikts in die Religion selbst und ihre Vertreterinnen und Vertreter wird auch der Komplexität und Ambivalenz des Lebens in der Moderne Rechnung getragen. Nur wenn Theologie und Kirche sich konstruktiv intellektueller Kritik aussetzen und der strukturellen Gefahr eines ‚fundamentalistischen Sekterierertum‘ nicht erliegen, können sie sich selber auch der Moderne und ihren existentiellen und intellektuellen Anforderungen stellen.

8.3 Radikale Fraglichkeit als existentialhermeneutisches Verfahren 8.3 Radikale Fraglichkeit als existentialhermeneutisches Verfahren

(1) Wenn epochale Lebensgefühle immer im Werden und Vergehen begriffen sind und Theologie in der Moderne ein diskursiver Ort ideologiekritischer Besonnenheit sein soll,72 dann wirft dieses Projekt mehr Fragen als Antworten auf. Nicht nur dadurch ermuntert die aufgeklärte Religionsdiagnostik zum religiösen Selbstdenken. Sie kann zu einem vertieften aufgeklärten Bewusstsein über bestimmte Problemstellungen führen. Doch diese Herangehensweise hat nicht nur das Ziel, zum Selbstdenken anzuleiten, sondern verfolgt gleichzeitig auch die Intention, die kritischen Fragen zu stellen, die theologisch zu wenig Beachtung finden. Damit setzt sie einen etwas anderen Akzent als eine auf die Situation antwortende, apologetische Theologie, wie sie Paul Tillich in seiner Systematischen Theologie mit Hilfe der „Methode der Korrelation“73 vorschwebt. Auch Tillich, der sogar das Menschsein selbst als Frage verstehen kann,74 geht es zunächst um die Frage, die aus der Situation heraus entsteht, aber diese war im Grunde schon von der Antwort der „ewigen Botschaft“ des

Zu ersten Vorüberlegungen vgl. bereits: PH. DAVID 2014d. P. TILLICH 1987a, I, 15; 73–80. Nach Tillich bewege sich die Theologie zwischen den beiden Polen der „ewigen Wahrheit“ des „Fundaments“ der „christlichen Botschaft“ einerseits und der komplexen gegenwärtigen „Situation“ andererseits. Die spannungsvolle Dynamik des Ortes der Theologie drückt sich noch besser im englischen Text aus: „Theology moves back and forth between two poles, the eternal truth of its foundation and the temporal situation in which the eternal truth must be received“ (P. TILLICH 1967, 3). Ihr Pendel soll weder zur einen noch zur anderen Seite zu weit ausschlagen, sondern in der Spannung, im Da-Zwischen-Sein, gehalten werden. Um eine Balance zwischen den beiden Polen herzustellen, wendet er die „Methode der Korrelation“ an, die dazu verhelfen soll, dass die christliche Botschaft weder als „ewige Wahrheit“ noch als „Antwort auf die Fragen zu verstehen [ist], die ihrer und jeder menschlichen Existenz zugrunde liegen“ (P. TILLICH 1987a, I, 15). 74 P. TILLICH 1987a, I, 76: „Der Mensch ist die Frage nach sich selbst, noch ehe er eine Frage gestellt hat.“ 72 73

8.3 Radikale Fraglichkeit als existentialhermeneutisches Verfahren

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Evangeliums, zumindest implizit, beeinflusst.75 Dagegen ist der hier vorgelegte theologische Ansatz einer Theologie des radikalen Fragens geleitet von der Frage der Situation und der Fraglichkeit der Antworten der theologischen Tradition selbst. Im Hintergrund steht das Denken Martin Heideggers, das die Bedeutung des Fragens für das eigene Denken herausgestellt hat, das hier nach einer Wendung Tillichs als „schöpferisches Selbstbesinnen“76 verstanden wird: Eine nachdenkende Theologie nach der Aufklärung wirft mehr Fragen auf, als sie Antworten zu geben vermag. Jede Frage birgt in sich viele Antwortmöglichkeiten, die wiederum hinterfragbar sind. Das schließt orientierende Antworten nicht aus, aber sie müssen auch korrelieren mit den Fragen, die gestellt werden, um nicht sinnlos oder irrelevant zu sein. (2) Methodisch verfolgt eine so konzipierte Theologie das Ziel, eine Anleitung zu sein für die Fähigkeit, kritische Fragen zu stellen, und kann damit als „alternative Form christlicher Hermeneutik“77 gelten. Sie steht in einer weit verzweigten Frage-Tradition, die sich seit der sokratischen Mäeutik durch Antike (Seneca, Augustinus) und Mittelalter (Thomas von Aquin) bis in die Gegenwart zieht.78 Die Bereitschaft des Menschen, zu fragen, versteht Karl Jaspers als jene „Haltung des Wissenwollens [...,] die unerlässliche Bedingung des Menschseins“79 ist. Diese Methode verfolgte bereits Petrus Abaelardus (1079–1142) in seiner Schrift Sic et Non. In einer Kompilation von 158 Kapiteln mit theologischen und ethischen Inhalten, deren Thesen und auch Antithesen durch das Zeugnis von Autoritäten von der Heiligen Schrift bis zur Vor75 Das wird auch in seinem Aufsatz Theologie der Erziehung (engl. 1959) deutlich, in dem er zwar die Bedeutung des Fragens für die Schülerinnen und Schüler herausstellt und darin den humanistischen Geist am Werk sieht. Doch das Fragen und der Zweifel sind für Tillich im umfassenden Glauben aufgehoben. Vgl. P. TILLICH GW IX, 236–245. 76 P. TILLICH 1987a, I, 10: „Die Situation, zu der die Theologie sprechen muss, ist die schöpferische Selbstbesinnung des Menschen in einer besonderen Geschichtsperiode.“ Die Bedeutung der Situation, verstanden als „radikale Teilnahme an der Situation, an der Existenzdeutung des modernen Menschen“ (P. TILLICH 1987a, I, 12) hat Tillich (vgl. P. TILLICH 1959; GW IX; GW X) für die Theologie erkannt und die Einbeziehung der „religiösen Deutung der Gegenwart“ in das existenztheologische Denken vollzogen. Den genuinen Ort seiner Philosophischen Theologie hat er auf der spannungsvollen Grenze gesehen. Vgl. P. TILLICH (1936) 1987c, 13: „‚Die Grenze ist der eigentlich fruchtbare Ort der Erkenntnis.‘“ Die Metapher der Grenze findet auch bei Karl Jaspers in den menschlichen Grenzsituationen (Tod, Leiden, Kampf, Schuld) Anwendung (K. JASPERS [1932] 1994b, 201–254). Auch die Religionsphilosophie wird von A. GRØN 2001, 111 als „Grenzdisziplin“ verstanden. Vgl. zur Praktischen Theologie auch H. LUTHER 1992 und zur Systematischen Theologie E. JÜNGEL (1973) 1980e. 77 TH. K OBUSCH 2011, 44, der Abaelards Schrift Sic et Non so bezeichnet, da sie in ihrem Prolog eine neue Lehre vom Verstehen vorgegebener Texte enthält. Vgl. auch G. EBELING 1960; H.-D. BASTIAN 1969; U. H. J. KÖRTNER 2006. 78 Vgl. K. ZILLOBER 1972. 79 K. JASPERS (1932) 1994c, 72; vgl. auch K. JASPERS (1932) 1994a, 72.

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scholastik untermauert werden, will Abaelard seine Studenten durch die Widersprüchlichkeit der Aussagen zum Fragen anregen. So erhielten sie den ersten Schlüssel zur Weisheit, „denn das beständige Fragen schürt das Feuer des Zweifels, der die Suche nach Wahrheit anregt.“80 Dass „Fragen die Frömmigkeit des Denkens“ ist, wird schließlich für Martin Heideggers eigene DenkWege maßgeblich.81 Für ihn ist Philosophieren begreifendes Fragen aus einer wesenhaften Ergriffenheit des Daseins heraus, das ursprünglich „Staunen“ (thaumázein) genannt wurde. Eigentliches Denken ist Fragen, eigentliches Fragen ist Denken. Eine solche Ergriffenheit des Daseins ist aber nur möglich aus einer Grundstimmung des Daseins, die das Dasein in seinem Wesen durchstimmt: der Grundstimmung der Langeweile.82 Weitergeführt hat diesen Gedanken Wilhelm Weischedel, der von der „radikalen Fraglichkeit“83 spricht, die zu einer philosophisch-theologischen Haltung der Offenheit und des Abschieds führt. Diese abschiedliche Haltung gründet in seinem philosophisch-theologischen Grundgedanken des Vonwoher, das Gott als das Geheimnis versteht, das der Mensch abschiedlich zu wahren hat. Die „abschiedliche Existenz“ kennzeichnet die radikale Fraglichkeit von allem und ruft von daher zu einer Gelassenheit84 gegenüber den Dingen und den wechselvollen Schickungen des Daseins auf. Die Einübung in die Haltung der Abschiedlichkeit in Besonnenheit ist zugleich eine Möglichkeit der Freiheit für Neuanfänge, wie sie Hannah Arendt mit ihrem Natalitätskonzept angesprochen hat. Sie entdeckt den Ursprung für das Fragen in der Aporie, deren Wurzel letztlich im freudigen und entsetzenden Staunen (thauma fascinans et tremendum) selber liegt. Damit fängt philosophisches und theologisches Fragen an. Diese Aufnahme der Fraglichkeit in das theologische Denken spielt auch in den Kriterien Paul Tillichs für den existentiellen Charakter der Systematischen Theologie eine implizite Rolle und hat auch für eine radikale Existenzialhermeneutik grundlegende Bedeutung. Tillichs erstes Kriterium lautet: „Der Gegenstand der Theologie ist das, was uns unbedingt angeht. Nur solche Sätze TH. KOBUSCH 2011, 45. Dieser hier wiederholte Grundsatz, dass der Widerspruch die Bedingung der Möglichkeit der kritischen Frage ist, findet sich bereits bei Boethius. 81 Vgl. M. H EIDEGGER, GA 7, 36. Vgl. Abschnitt 5.2.2 in diesem Buch. 82 M. H EIDEGGER, GA 29/30, 199. Der späte Heidegger freilich räumt dem Hören diese Rolle ein, um die Radikalität des Fragens noch zu überbieten, ohne aber das Fragen aus dem Blick zu verlieren. Denn, so seine Beobachtung, wer fragt, redet zumeist zuerst, daher gehört dem „Zuspruch“ der Primat des Redens: „Daß das Fragen nicht die eigentliche Gebärde des Denkens ist, sondern – das Hören der Zusage dessen, was in Frage kommen soll“ (M. HEIDEGGER, GA 12, 165). 83 W. W EISCHEDEL 2013, II, 255–257. Vgl. Abschnitt 5.3.1 in diesem Buch. Diese Wendung findet sich auch bei G. EBELING 1960, 364.365: „Das Verstehen dessen, was das Wort ,Gott‘ besagt, hat seinen Ort im Horizont radikaler Fraglichkeit.“ 84 Vgl. M. H EIDEGGER 1959; W. W EISCHEDEL (1964) 1967. 80

8.3 Radikale Fraglichkeit als existentialhermeneutisches Verfahren

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sind theologisch, die sich mit einem Gegenstand beschäftigen, sofern er uns unbedingt angeht.“85 Der Theologe soll sich nach Tillich den Fragen des unbedingten Betroffenseins, des Angehens, des Angangs, der Adienz widmen und nicht über den wissenschaftlichen Wert einer physikalischen oder historischen Theorie urteilen. Er soll also genau hinsehen, was uns wirklich, existentiell, radikal angeht, was also in der Lage ist, in uns den eigenen Horizont zu klären und zu erweitern. Das zweite Kriterium soll den Inhalt dessen bestimmen, was uns unbedingt angeht: „Das, was uns unbedingt angeht, ist das, was über unser Sein oder Nichtsein entscheidet. Nur solche Sätze sind theologisch, die sich mit einem Gegenstand beschäftigen, sofern er über unser Sein und Nichtsein entscheidet.“86 Dieses zweite Kriterium vertieft die radikale Fraglichkeit durch einen prinzipiellen Anspruch, nämlich den der Lebensdienlichkeit in Beziehung zu ihrem extremsten Antagonisten, dem Tod. In diesen Kontext gehört, das ließe sich auch bei Tillich zeigen,87 auch die Rede vom Tod Gottes als Lebensgefühl der Moderne. Die Rede von Gott ist in der Moderne fragwürdig geworden. Gott geht nicht mehr unbedingt an. Er ist bedeutungslos geworden. Eher geht die Kontrafaktur der Rede von Gott an: sein Tod. Das Wort „Gott“ gibt in unserem Zeitalter mehr zu denken und zu fragen auf als zu reden.88 Diese Beobachtung findet ihren zugespitzten Ausdruck nicht bloß in der grundsätzlichen Strittigkeit Gottes, sondern vor allem in der Rede vom „Tode Gottes“. Genauso wenig wie die metaphorische Rede von Gott ist auch die metaphorische Rede vom Tode Gottes eindeutig und fassbar. (3) Doch wenn diese Lebenswirklichkeit gewordene Erfahrung nicht einfach von Seiten der Theologie ignoriert werden und insofern unbedacht bleiben soll, muss ihr radikal auf den Grund gegangen werden. Das „Gerücht von Gott“89 wachzuhalten, wird immer fragwürdiger. Die Rede von Gott ist außerhalb, aber auch innerhalb religiöser Gemeinschaften nicht mehr (selbst-)verständlich und plausibel.90 Das über einen langen Zeitraum entwickelte begriffliche Instrumentarium der theologischen und kirchlichen Tradition und die Sprache des christlichen Redens haben den Boden der Erfahrung verloren und führen zur religiösen Indifferenz oder fundamentalistischen Vereinfachungen. Weltanschauliche und fundamentalistische Ideologien stellen erfahrungsbezogene Erklärungsmuster bereit und gründen sich auf vermeintlich sichere Prinzipien, die mit einer einfachen Sprache einfache Antworten anbieten. Diese offensichtlichen Veränderungen klar, aber kritisch wahrzunehmen und anzuerken-

P. TILLICH 1987a, I, 19.20. P. TILLICH 1987a, I, 21. 87 Vgl. dazu das in der Einleitung (1.3.5 [2]) Ausgeführte. 88 Vgl. H.-J. H ÖHN 2008, 15. 89 P. L. B ERGER 2006, 16; vgl. auch R. SPAEMANN 2007. 90 Vgl. hierzu H. R OSENAU 2010. 85 86

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nen, statt über Werteverfall, Traditionsabbruch oder Relativismus zu lamentieren, gehört zu den Kernaufgaben einer Theologie in der Moderne. Dazu gehört die Möglichkeit der Destruktion und Revision vorgängiger Überlieferungen. Dafür stehen beispielhaft Jacques Derridas postmodernes Programm einer Dekonstruktion, Heideggers Destruktion der abendländischen Metaphysik sowie Kants Destruktion der Gottesbeweise und Revolution der Denkungsart. Aber auch Martin Luther ist in diese Tradition einzuzeichnen, sofern sich seine Destruktionsbestrebungen gegenüber den alten Bildungsinstitutionen und der Römischen Kirche genauso zeigen lassen wie seine Restitutionsvorschläge: „Ich bin schlechterdings der Überzeugung, daß die Kirche unmöglich zu reformieren ist, wenn nicht von Grund auf die Kanones, die Dekretalen, die scholastische Theologie, die Philosophie, die Logik, so wie sie jetzt betrieben werden, mit der Wurzel ausgerissen und andere Fächer unterrichtet werden. Und in dieser Überzeugung gehe ich so weit, täglich den Herrn zu bitten, es möchte doch sofort geschehen, daß das völlig gereinigte Studium der Bibel und der heiligen Väter wiederhergestellt werde.“91 Zurück zum Ursprung (ad fontes) oder zu den Wurzeln (ad radices) wollten nicht nur der Humanismus oder die Reformation, um die gegenwärtige Lage radikal zu erneuern. Radikalität gehört mittlerweile auch zu den großen Faszinationen der Moderne.92 Radikalität bzw. Radikalismus93 kann gegenwärtig in vielfacher Weise verstanden werden. Ursprünglich wurde der Begriff in seiner politischen Bedeutung für die Anhänger der Demokratie verwendet. Im 20. Jahrhundert dann für die politischen Ideologien der extremen Positionen, links wie rechts. Etymologisch stammt „radikal“ aus dem lateinischen radix: Wurzel. Es meint auch das, worin etwas seinen Ursprung hat. Radikal vorgehen heißt somit, eine Sache auf ihren Ursprung hin zu verfolgen. Eine solche Unternehmung ist insofern (de-)konstruktiver Art, als sie sowohl Möglichkeiten weiterführenden religiösen Um-Denkens als auch kritische Restitutionsüberlegungen mit einbezieht. Beide Zugänge schließen nicht aus, dem Neuen und Unerwarteten einen Weg zu öffnen. Das kann aber nur geschehen, wenn man diesen Weg beschreitet. In irgendeiner Weise gehören Destruktion und Restitution auch in den großen philosophischen Entwürfen immer zusammen:

91 So Martin Luther in einem Brief vom 9. Mai 1518 an seinen Lehrer Jodokus Trutfetter, der zitiert wird von: R. KONERSMANN/D. WESTERKAMP 2012, 259. Der ursprünglich auf Latein verfasste Brief findet sich in: Luther an Jodokus Trutfetter in Erfurt. Erfurt, 9. Mai 1518, in: WA Br 1, 169–171; hier: 170, 33–38: „[...] ego simpliciter credo, quod impossibile sit ecclesiam reformari, nisi funditus canones, decretales, scholastica theologia, philosophia, logica, ut nunc habentur, eradicentur et alia studia instituantur; atque in ea sententia adeo procedo, ut cotidie Dominum rogem, quatenus id statim fiat, ut rursum Bibliae et S. Patrum purissima studia revocentur.“ 92 Vgl. R. K ONERSMANN/D. W ESTERKAMP 2012, 259; M. SEEL 2012. 93 Vgl. E. ELLING 1992; W. G OERDT 1992.

8.3 Radikale Fraglichkeit als existentialhermeneutisches Verfahren

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„Den radikalen Gedanken der großen Philosophen folgt eine moderate Auslegung auf dem Fuß. Sie folgt aber nicht, weil diese Denker Angst vor der eigenen Courage hätten. Sie folgt, weil sie den Mut zu ihr haben: weil sie konsequent genug sind, das zu entfalten, was aus den wildesten Gedanken folgt; weil sie genug Einbildungskraft haben, um auch das zu erkunden, was jenseits ihrer Linie liegt [...]. Jede wirklich radikale Philosophie verhält sich an den entscheidenden Stellen moderat.“94

Wenn das Radikale und Moderate in bestimmter Hinsicht zusammengehören, muss das auch für die Transformation der christlichen Gehalte gelten, die durch die Grundlagenkrise der Protestantischen Theologie notwendig geworden sind. Die Theologie steht insofern vor einer doppelten Herausforderung: Der Grund ihrer Grundlagen ist der Theologie durch die vielfältigen Errungenschaften und Veränderungen der Moderne nicht nur selber fragwürdig geworden, sondern die kontrafaktische Vorstellung ihres Grundes, der Tod Gottes, kann durch die (de-)konstruktiv-kritische Revision des bisherigen christlichen Diskurses als umfassende Beschreibung des Lebensgefühls der Moderne plausibel gemacht werden. In dieser Lage bleibt der Theologie nur der Weg, ihre Grundlagenkrise sowie das Lebensgefühl des Todes Gottes radikal ernst zu nehmen und damit ihre eigene Fraglichkeit in ihren theologischen Konsequenzen (de-)konstruktiv zu durchdenken und zu verstehen. Die philosophische Besinnung auf die Grundlagen der gelebten Religion übernimmt der Sache nach seit den Anfängen der Philosophie die Philosophie der Religion. (4) Zur Religionsphilosophie gehört aber neben der Religionshermeneutik und der Religionskritik traditionell auch die begrifflich ausgerichtete philosophische (rationale oder natürliche) Theologie als Teil der Metaphysik (metaphysica specialis).95 Unter der Bezeichnung Religionsphilosophie kommt sie allerdings erst seit der Zeit der Aufklärung um 1770 als eigene Disziplin zum Vorschein, als die Begründungskrise der Religion und der Plausibilitätsverlust des (theistischen) Gottesgedankens virulent wurden.96 Sie „fragt in Orientierung am Selbstverständnis religiöser Menschen [...] kritisch nach dem Sinn und der Wahrheit ihres Gehalts einschließlich seiner theoretischen wie auch praktischen Implikationen.“97 Auf diese Weise trägt Religionsphilosophie zur Selbstverständigung der Theologie über die Fraglichkeit ihrer Grundlagen und ihres Verständnisses von Religion (Anthropologie und Ethik) maßgeblich bei. Theologie kann sich in kritisches Fragen und in ihre Selbstrelativierung einüben, wenn sie darum weiß, dass auch die Religionsphilosophie letztlich „weder Religion [...] apriori als notwendige Ausprägung menschlichen Geistes konstruieren noch ihre Wahrheitsansprüche beweisen wollen kann.“98 Fragen als

M. SEEL 2012, 264. Vgl. F. V. KUTSCHERA 1991, 1–85; vgl. auch H. TETENS 2020. 96 Vgl. W. JAESCHKE 1992; 2012; vgl. auch J. D IERKEN 2014a, 55–78. 97 H. R OSENAU 1997, 752. 98 H. R OSENAU 1997, 752. 94 95

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8 Dem Lebensgefühl der Moderne neue Reflexionsräume anbieten

„Frömmigkeit des Denkens“99 zeigt sich an dieser Stelle als Leitmotiv einer nachmetaphysischen Religionsphilosophie.100 Mit Nietzsches Diagnose des Todes Gottes und des Endes der platonischen Zwei-Welten-Theorie101 als Heraufkunft des europäischen Nihilismus ist eine seit der Zeit um 1800 anhaltende Krise der Metaphysik in Gestalt einer OntoTheologie als fundamentaler Kritik der philosophischen Rationalität zu einer bleibenden Herausforderung für eine gegenwärtige philosophische Theologie geworden, die sich an den metaphysischen Fragestellungen der Tradition (Gottesbeweise, Theodizee) orientiert.102 So kann eine philosophische Theologie nach dem Tod Gottes sich nur radikal als nachmetaphysische philosophische Theologie verstehen. Eine einfache „Rückkehr zur Metaphysik“ in Theologie103 oder Philosophie104 kann sie auch durch die Anfragen der Religionskritik nicht mehr mitgehen und muss daher auch den Entwurf einer „restitutiven Eksistentialontologie“ kritisch, z. B. im Blick auf möglich Remythisierungstendenzen, hinterfragen, den Wolfgang Janke zur Überwindung des weltgeschichtlichen Prozesses der Präzisierung der Welt (praecisio mundi) vorgelegt hat.105 Positiv gewendet steht das „Nach“ für ein philosophisch-theologisches Denken, das in der Folge des Todes Gottes noch möglich ist und den vernunftgeleiteten, lebensorientierenden und aufgeklärten wie aufklärenden Anspruch von Religion in der Moderne nicht aufgibt sowie die metaphysischen Leitfragen in ihrem Fragecharakter nicht für überholt oder sinnlos hält. Denn die drei metaphysischen Leitfragen Kants „1. Was kann ich wissen? 2. Was soll ich tun? 3. Was darf ich hoffen?“ (KrV, B 833.834; A 805.806) beziehen sich auf die Grundfrage „Was ist der Mensch?“ (Log, AA 9, 25; RGV, AA, 11, 429) und knüpfen unausweichlich bei dem fragenden und denkenden Wesen an, dessen Freiheit sich in der Fähigkeit zum Um-Denken (metánoia) zeigt. Das kann aber nur über eine „anthropologische Fundierung der Religionsphilosophie im Sinne einer ,radikalen Fraglichkeit‘ (W. Weischedel) angesichts von Pluralismus, Relativismus, Skeptizismus und Nihilismus als Kennzeichen unserer Zeit M. HEIDEGGER, GA 7, 36. Vgl. auch H. ROSENAU 1997, 758. 101 Platon hatte mit seiner Entdeckung der Ideen durch den nun aufgedeckten Dualismus von Zeit und Ewigkeit die bisherige griechische Tradition gesprengt und der Philosophie eine metaphysische Neuorientierung auf eine transzendente Dimension, die Ewigkeit, gegeben. Das tragische Bewusstsein ist gebrochen (Nietzsche). Platon begründet ein neues Lebensgefühl, das in Europa vorgeherrscht hat, solange die Metaphysik (Aristoteles) und die daran anschließenden kirchlichen Gottesvorstellungen nicht von Grund auf in Frage gestellt wurden, also bis weit in die Neuzeit. Vgl. dazu K. HELD 2001, 113. 102 Vgl. H. R OSENAU 1997, 751. 103 Vgl. W. PANNENBERG 1988. 104 Vgl. D. H ENRICH (1985) 1987; dagegen J. H ABERMAS (1985) 1988b. 105 W. JANKE 2013; 2016, 140; 2018. Vgl. Abschnitt 5.3.2 in diesem Buch. 99

100

8.3 Radikale Fraglichkeit als existentialhermeneutisches Verfahren

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[... geschehen,] die sich so als geeignet erweisen [könnte], um die Bedeutung von Religion überhaupt [...] philosophisch zumindest offenzuhalten, auch wenn ihre konkreten Inhalte als solche nicht (mehr, wie noch bis zu und vor allem bei Hegel) in den philosophischen Begriff eingehen sollten.“106 Auf diese selbstkritische Weise kann eine religionsphilosophisch orientierte Existenzialhermeneutik nach dem Verlust des metaphysischen Einheitsgrundes religiöse Selbst- und Weltdeutung als Möglichkeit offen halten und ihr kritisches Potential gegenüber dogmatistischen und ideologischen Positionen entfalten.107 Die Fragen Kants stehen auch unter den initialen Konsequenzen, die das „grösste neuere Ereigniss“ mit sich bringt. Nietzsche nimmt die Metapher der Aufklärung verfremdet als Heiterkeit auf und erklärt: „Was es [im Horizont des unglaubwürdig gewordenen Glaubens an den christlichen Gott; d. A.] mit unserer Heiterkeit auf sich hat.“ (KSA 3, 573). Im fünften Buch der Fröhlichen Wissenschaft geht es um diejenigen, die realisieren, dass der Nihilismus, der eng mit Nietzsches Idee vom Tod Gottes verwoben ist, vor der Tür steht und damit um die Frage, wie man sich im Nihilismus orientiert. Diese neue Orientierung betrifft genau die kantischen Fragen nach Glauben, Wissen und Handeln, also nach Religion, Philosophie bzw. Wissenschaft und nach Moral. Nietzsche wiederholt diese Fragen und gibt ihnen seine eigene Wendung. In den ersten drei Aphorismen (343–345), thematisiert er Glauben, Wissen und Handeln.108 Sie alle schließen mit einer Referenz an „uns“: „unser Meer“ (KSA 3, 574), „unsre längste Lüge“ (KSA 3, 577) und „unser Werk“ (KSA 3, 579). Diese drei Bereiche fasst Nietzsche im folgenden Aphorismus (346) zusammen: „Unser Fragezeichen“ (KSA 3, 579). Nietzsche fragt nicht „Was ist der Mensch?“, er fragt: „Wer sind wir?“ (KSA 3, 579). Genau genommen beantwortet er nicht diese Frage, sondern er zeigt, was der Nihilismus für „uns“ bedeutet in Bezug auf den Glauben, das Wissen und das Handeln und in Bezug auf die Frage, wer wir sind, genaugenommen das Fragezeichen, das wir sind. Welche neue Orientierung ist möglich, wenn man versucht, die alten Traditionen von Religion, Erkenntnis und Moral hinter sich zu lassen? „Wie aber?“ (KSA 3, 581) soll das möglich sein, wenn wir immer wieder in die alten Schemata verfallen (KSA 6, 78), von denen wir dachten, dass wir sie hinter uns gelassen hätten, sodass wir uns nun von den Indifferenten und Fanatikern unterscheiden würden?109

H. ROSENAU 1997, 751. Vgl. H. ROSENAU 1997, 758.759. 108 Darauf weist P. V. TONGEREN (2018) 2021, 72–77 hin, dem ich hier folge, indem ich seine Rahmendeutung und Frage aufnehmen, aber im Folgenden einen anderen Antwortweg einschlage. Glauben, Wissen und Handeln erscheinen noch einmal in variierender Reihenfolge in den Aphorismen 348–352 und 357–359. 109 Vgl. P. V. TONGEREN (2018) 2021, 94. 106 107

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8 Dem Lebensgefühl der Moderne neue Reflexionsräume anbieten

Es gibt kein Entrinnen aus dem „furchtbare[n] Entweder-Oder“, das ausnahmslos alle, auch die Kritiker des Nihilismus, ausweglos im Europäischen Nihilismus und seinen Schrecken gebannt hält, wenn man nicht erkennt, dass „wir“ das Problem sind, dass „wir“ die Frage oder, genaugenommen, dass wir das „Stelldichein [...] von Fragen und Fragezeichen“ sind.110 Die als „wir“ im fünften Buch der Fröhlichen Wissenschaft Identifizierten enthüllen sich als Personifikationen des Problems des vielgestaltigen Nihilismus (vgl. Aphorismus 370111), die aber nicht mit dem Nihilismus zusammenfallen, sondern ihn ans Licht bringen und sich in der nihilistischen Alternative zwischen Befreiung und Verlust bewegen.112 Damit wird der sich selbst und seine Annahmen kritisch befragende „Denker“ (KSA 3, 471), die eigene Existenz, zur Arena: „[...] indem ich zum Schluss dieses düstere Fragezeichen langsam, langsam hinmale und eben noch Willens bin, meinen Leser die Tugenden des Lesens – oh was für vergessene und unbekannte Tugenden! – in’s Gedächtniss zu rufen“ (KSA 3, 637). „[D]ie Frage“, „das Experiment“ (KSA 3, 471) Nietzsches wird existenzial,113 der „grosse Ernst“ hebt an, „das eigentliche Fragezeichen“ [wird] gesetzt [...], das Schicksal der Seele [...] wendet [sich], der Zeiger rückt, die Tragödie beginnt ...“ (KSA 3, 637). Die Lösung kann nicht mehr in Allgemeinbegriffen ausgedrückt werden, sondern geht aus von der Praxis der Einzigartigkeit des je eigenen Lebens. Doch die Geschichte dieser Erfahrung ist längst kein Einzelfall mehr, betrifft nicht allein Nietzsche selbst, sie betrifft jeden Leser, seine Bücher waren nur Vorworte.114 In den nun folgenden Kapiteln wird das „[p]erspektivische“ (KSA 5, 12) Experiment angegangen: Mit der Deutung des Todes Gottes als metaphorisches Ereignis (9), der Besinnung auf das Existenzial der Natalität (10) und das Existential der Bildung (11).

Vgl. P. V. TONGEREN (2018) 2021, 75. Vgl. P. V. TONGEREN (2018) 2021, 77–87 und Abschnitt 5.2.1 in diesem Buch. 112 P. V. TONGEREN (2018) 2021, 77. 113 Vgl. P. V. TONGEREN (2018) 2021, 149. 114 Vgl. P. V. TONGEREN (2018) 2021, 149–154. Zu Nietzsches Vorworten in den Jahren (1885–1887) seines „existential turn“ (a. a. O., 150) und dem im Folgenden auch wichtigen Verhältnis von Autor, Leser und Text vgl. P. V. TONGEREN 2000; 2012. 110 111

9 Der Tod Gottes als metaphorisches Ereignis: Ein Deutungsversuch Denn in jedem solchen Kontext ist die Metapher zunächst eine Störung. 1

Das folgende Kapitel bietet einen eigenen Deutungsversuch, der im Anschluss an aktuelle Theorien der Metapher entfaltet wird. Er trägt der Einsicht Rechnung, dass Sprache in ihrer grundlegenden Bedeutung für das menschliche Leben – und damit auch für eine religiöse Existenzialhermeneutik – die notwendige Bedingung der Möglichkeit von Wirklichkeitserkenntnis überhaupt ist.2 Sprache als das „alles umfassende Ausdrucksmedium jeder Situation“3 ist auch die entscheidende notwendige Bedingung der Möglichkeit des ganzen Menschseins. Als unhintergehbare, transzendentale Bestimmung des Menschen ist Sprache eine Transzendentalie, ein Existenzial,4 das allem Sein, Reden und Handeln voraus liegt und sich ausdrückt in grundlegenden Symbolen, Metaphern, Geschichten, Lyrik, Begriffen usw., in den Sprachgestalten Logos, Mythos, Poeisis und Lexis.5

9.1 Zum innovativen Störpotential der Metapher „Gott ist todt!“ 9.1 Zum innovativen Störpotential der Metapher „Gott ist todt!“

(1) Nachdem lange Zeit eine Hochschätzung klar definierbarer Begriffe den philosophischen und theologischen Diskurs beherrscht hatte, die mit einer vorrangigen Hochschätzung des Denkens (lógos) verbunden war, ist es erst in den H. BLUMENBERG 2001, 194. Vgl. dazu Kapitel 4 in diesem Buch. 3 P. TILLICH 1987a, I, 14. 4 Mit „Existenzial“ bezeichnet Heidegger, wie oben bereits erwähnt, wesentliche Bestimmungen des menschlichen Daseins. Sie sind mit Kants entwickelten Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrung („Transzendentalien“) verwandt, da sie das Gefüge struktureller Eigenschaften bilden, in denen sich der Mensch auf seine Welt bezieht. Kant hatte sich auf das Erkennen als primäres Weltverhalten konzentriert. Heideggers Analysen legen ihr Augenmerk auf die menschliche Alltagspraxis. Deren Grundstruktur bilden die Existenzialien. Heidegger unterscheidet Existenzialien als Seinscharaktere des menschlichen Daseins von Kategorien als grundlegenden Bestimmungen von Gegenständen. 5 Vgl. dazu Abschnitt 5.3.2. a) in diesem Buch. 1 2

640

9 Der Tod Gottes als metaphorisches Ereignis

letzten Jahrzehnten (linguistic turn) zu einer Zuwendung zur Sprache6 und Wertschätzung der Metapher gekommen, die die Vorherrschaft von Vernunft und Logik sowie die Widerspruchsfreiheit der Wissenschaft herausgefordert hat (lógos). Das Interesse an der Metapher zeigt sich als unübersichtlich gewordenes interdisziplinäres Forschungsfeld in der (Sprach-)Philosophie,7 Literatur- und Kulturwissenschaft,8 aber auch in der Theologie.9 Mit der Hinwendung zur Metapher ist aber nicht automatisch eine Abwertung der Begriffe (oder der grundlegenden religiösen Symbole) verbunden.10 Vielmehr macht sich die Einsicht breit: „Begriffs- und Metapherngeschichte stehen in einem Verhältnis wechselseitiger Ergänzung, nicht in einem Verhältnis der Konkurrenz oder der Alternative.“11 Ihre Wiederentdeckung hat dazu geführt, das Vorurteil, Metaphern seien lediglich Substitute, ein uneigentliches Bild für einen eigentlich gemeinten Begriff, zu destruieren und ihre ästhetische, kognitive, rationale, rhetorische, religiöse und ethische Funktion neu zu bedenken. Damit wird auch der Anfang gemacht, die Präzisierung der Sprache in Frage zu stellen. Sprache ist nicht nur die präzise Abbildung von eindeutigen SachverVgl. zum linguistic turn (Richard Rorty) knapp D. BACHMANN-MEDICK 2016, 21–23. In der abendländischen Philosophie ist der Mensch das mit Sprache begabte Lebewesen (zōon lógon échon). Die Wirkungsgeschichte hat sich allerdings wesentlich auf die Vernunftbegabung (lógos) des animal rationale konzentriert. Sprache hat eine grundlegende Bedeutung für das menschliche Leben. Mit ihr verständigen wir uns über die Wirklichkeit und die Symbolwelten, in denen wir leben. Sprache ist im Sprechen ein Ausdrücken innerer Gemütsbewegungen, eine menschliche Tätigkeit und ein bildhaft-begriffliches Darstellen (Vgl. M. HEIDEGGER, GA 12, 13). Dennoch war Sprache lange kein vorrangiges Thema der Philosophie oder Theologie, auch wenn sich grundsätzliche Überlegungen zur Sprache bei Platon (Kratylos), Aristoteles und Augustinus (De magistro) sowie dann bei Johann Georg Hamann, Johann Gottfried Herder und Wilhelm von Humboldt finden lassen, denen jetzt eine erneute Aufmerksamkeit zuteil wird. Hingewiesen sei auf die Vorstellung des Sprachphilosophen und Architekten Ludwig Wittgenstein (Philosophie als Sprachkritik; Sprachspieltheorie), auf die Existenzphilosophien bei Martin Heidegger, Karl Jaspers, Jean-Paul Sartre sowie auf die hermeneutischen Theologie des Sprachereignisses (E. Fuchs, G. Ebeling, E. Jüngel). Vgl. R. KONERSMANN 2010; I. U. DALFERTH 1996, 425–434; 2010a, 83– 97; U. GERBER/R. HOBERG 2009; M. KAEMPFERT 1983; A. GRÖZINGER 1991; vgl. bereits über Symbol und Sprache P. TILLICH GW V, 213–222 (Das Wesen der religiösen Sprache; 1959); ferner W. JANKE 2011, 41–58. 7 Die wichtigsten Beiträge sind versammelt in A. H AVERKAMP (1983) 1996; jetzt auch R. KONERSMANN 2014a, wo der „figurative Bestand“ des philosophischen Denkens erstmals in einem Wörterbuch der philosophischen Metaphern zusammengetragen wird. 8 Einführend H. SKIRL/M. SCHWARZ-FRIESEL 2013; grundlegend sind die Beiträge zur Metapher von H. WEINRICH 1976. 9 Vgl. z. B. M. B UNTFUSS 1997; PH. STOELLGER 2000. 10 Vgl. die religionstheoretische Einsicht: „Symbole konstituieren, Metaphern erweitern die Sprach-, Bild- und Vorstellungswelt der Religion“ (U. BARTH 2021, 38; zur Debatte: a. a. O., 34–38). 11 R. K ONERSMANN 2014b, 13. 6

9.1 Zum innovativen Störpotential der Metapher „Gott ist todt!“

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halten, Namen oder Dingen. Von Gott kann nur in metaphorischer Redeweise („Vater“; „Hirte“; „König“) gesprochen werden, die aber zugleich als adäquate Redeweise für Gott gilt.12 Die neueren Forschungen zu den Gleichnissen, zur Metapher und Bildersprache im Neuen Testament sowie in der Hermeneutik religiöser Symbole in der Systematischen Theologie und Religionspädagogik haben ihrerseits die Disziplingrenzen überschritten.13 Nicht nur ein Wort oder eine kurze Wortverbindung eines Subjekts und eines Prädikats, sondern auch ganze Gleichnisse werden als Metaphern verstanden. Metaphern können aus mehr als einem Wort bestehen und daher auch Gleichniserzählungen im Ganzen, Aphorismen oder Parabeln sein. Die Parabel ist eine Metapher, deren Prädikat aus einer ganzen Erzählung bzw. Geschichte besteht.14 Metaphern lassen sich auch nicht in begriffliche Formeln übersetzen, sondern werden in den Beiträgen zum Wörterbuch der philosophischen Metaphern15 verbalisiert und in Geschichten (Narrativen) dargestellt. Damit wird der Einsicht Rechnung getragen dass „Kontextoffenheit und Interpretationsoffenheit [...] die Tugenden des Sprachbildforschers“16 sind. Die Funktion von Sprachbildern in der Entfaltung des Denkens und des Wissens ist auf diese Weise zurückzugewinnen.17 Und dann öffnet sich „[e]rst in der Metapher des Begriffs [...] ein Ding/ein Ereignis/eine Sache (als solche) dem Denken, dem Verstehen.“18 Doch um zu diesem Denken und Verstehen zu kommen, müssen Metaphern als solche erkannt werden. (2) Das werden sie, wenn Metaphern als das erkannt werden, als das sie sich zeigen: als Signalwörter, hinter denen sich Narrative verbergen. Doch sie zeigen sich zuallererst meist daran, dass sie einfach stören19: „Metaphern erkennen wir [auch] daran, dass sie stören, daran also [...], daß sie ,normalerweise falsch‘ sind.“20 Dadurch dass „Metaphern irritieren, in dem sie konventionelle Erwartungen gezielt verletzen“, erzeugen sie ein „Umverstehen“, um die „Unstimmigkeiten“ zu überwinden.21 Damit wäre die Metapher als ein „schöpferisches Ereignis“ zu verstehen, „das, statt endgültige Einsichten zu verbreiten,

Vgl. z. B. P. RICŒUR/E. JÜNGEL 1974; D. RITSCHL 2008. Vgl. z. B. R. ZIMMERMANN 2000; sowie die Aufsätze zur Metapher in G. SELLIN 2011a. 14 So R. ZIMMERMANN 2000. 15 R. K ONERSMANN 2014a. 16 R. K ONERSMANN 2014b, 18. 17 Falls Nietzsche Recht haben sollte, ist alles Sprechen metaphorisch und jedes Wort und jeder Begriff eine Metapher. Vgl. F. NIETZSCHE, KSA 1, 873–890 (Über Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinn); 878.879. 18 T. B ORSCHE 2014, 394. 19 Vgl. H. B LUMENBERG 2001, 194. 20 Mit Bezug auf Donald Davidson: R. K ONERSMANN 2014b, 14. 21 R. K ONERSMANN 2014b, 14.15. 12 13

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9 Der Tod Gottes als metaphorisches Ereignis

immer neue Formen und Wirkungen hervorbringt.“22 Hans Blumenberg spricht hier von „absoluten Metaphern“, die nicht auf den Begriff gebracht werden können, sondern immer neue Deutungsmöglichkeiten evozieren.23 So verstandene Metaphern regen zu einem Um-Denken und Um-Verstehen an (metánoia bzw. periagogé). Sie stören bisherige Erwartungen auf und laden durch ihre konstruktiv-kritische Irritation der Wirklichkeit zur Interpretation ein.24 Die vorigen Kapitel haben gezeigt, dass sich der Tod Gottes als Symbolisierung für die Deutung der kulturellen Situation als geeignet herausgestellt hat, da er die Wirklichkeitserkenntnisse des säkularen und religiösen Diskurses miteinander zu verschränken vermag. In heuristischer Weise hat er sich in vielfacher Hinsicht im Laufe der dargestellten schriftlich fixierten Diskurse als geeignete zeitdiagnostische Charakteristik bewährt: Als zugespitzte Beschreibung der Grundlagenkrise der Theologie, die in den Kontext von Sinnkrisen der Menschheitsgeschichte (praecisio mundi) eingezeichnet wurde. Als konstruktiv-kritisches Gegengewicht gegen ein neofundamentalistisches Reden von Gott. Aber auch inhaltlich als theologische Metapher für die Entmythisierung des Gottesbegriffs, die Selbst-Inkarnation und Selbst-Annihilation Gottes in die Welt sowie als „Revolutionierung des Gottesgedankens“ durch die Realisierung des Scheiterns der ursprünglich-selbständigen Selbst- und Allmacht Gottes und seiner Ersetzung durch ein symmetrisch-egalitäres Verhältnis der Korrespondenz von selbständigem Selbstsein und selbständigem Anderssein. In diesem systematischen Teil geht es nun um die „semantische Innovation“, die in inhaltlicher Hinsicht mit der (absoluten) Metapher des Todes Gottes als R. KONERSMANN 2014b, 18. Hans Blumenberg geht es um die Aufdeckung der Metaphorizität der Begriffe (vgl. die Schriften in H. BLUMENBERG 2001, 137–249). In der Tradition der Begriffsgeschichte steht das von Joachim Ritter initiierte und herausgegebene Historische Wörterbuch der Philosophie (HWPh), in dessen Umfeld Blumenbergs Text Paradigmen zu einer Metaphorologie entstanden und erstmals 1960 im Archiv für Begriffsgeschichte 6 publiziert worden ist (jetzt in H. BLUMENBERG 2013, 7–189; vgl. dazu a. a. O., 191–535 den Kommentar von Anselm Haverkamp). „[D]ie Metaphorologie sucht an die Substruktur des Denkens heranzukommen, an den Untergrund, die Nährlösung der systematischen Kristallisationen“ (H. BLUMENBERG 2013, 16.17). Gegenüber dem terminologischen Anspruch von Klarheit und Bestimmtheit resistent erweisen sich absolut genannte Metaphern. Sie können zwar nicht in Begrifflichkeit aufgelöst werden, aber absolute Metaphern können durch eine andere ersetzt, vertreten oder korrigiert werden: Absolute Metaphern „haben Geschichte in einem radikaleren Sinn als Begriffe, denn der historische Wandel einer Metapher bringt die Metakinetik geschichtlicher Sinnhorizonte und Sichtweisen selbst zum Vorschein, innerhalb deren Begriffe ihre Modifikationen erfahren.“ (H. BLUMENBERG 2013, 16). Blumenbergs Schrift Schiffbruch mit Zuschauer (H. BLUMENBERG 1979a) endet mit einem „Ausblick auf eine Theorie der Unbegrifflichkeit“ (vgl. H. BLUMENBERG 2001, 193–209), die den Text Paradigmen zu einer Metaphorologie weiterentwickelt, aber in ihrer Ausführung erst posthum veröffentlicht worden ist (vgl. dazu H. BLUMENBERG 2007). 24 Vgl. R. K ONERSMANN 2014b, 14. 22 23

9.2 Zur narrativen Strategie der Metapher „Gott ist todt!“

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einem neuen Verhältnis des Menschen zu seiner Endlichkeit ausgedrückt wird. Den vorgestellten Entwürfen wird nun ein eigener Deutungsvorschlag an die Seite gestellt, der ihre Impulse aufnimmt und weiterführt.25 Mit dieser Unterscheidung einer heuristischen Funktion, die die Bedeutung der Metapher herausgearbeitet hat, und einer „semantischen Innovation“, die die Sinnebene der Metapher in den Blick nimmt,26 nehme ich eine Anregung von Paul Ricœur auf: „Metaphern sind jene vereinbarten Diskursstrategien, die uns ermöglichen, das Prinzip der semantischen Innovation zu beschreiben und dessen fruchtbare Dynamik explizit zu machen.“27 Um zu dieser semantischen Innovation der Metapher „Gott ist todt!“, deren Signalfunktion durch ein Ausrufezeichen noch einmal herausgehoben wird, zu gelangen, erweist sich ein Blick auf die narrative Diskursstrategie als hilfreich.

9.2 Zur narrativen Strategie der Metapher „Gott ist todt!“ 9.2 Zur narrativen Strategie der Metapher „Gott ist todt!“

(1) Für Nietzsche ist der Tod Gottes nicht nur eine Metapher, die das Deuten des Erlebens des in der Moderne unglaubwürdig gewordenen Glaubens an den christlichen Gott und die christlichen Moralvorstellungen ermöglicht, sondern als „ungeheure[s] Ereigniss“ (KSA 3, 481) auch das „grösste neuere Ereigniss“, das bereits begonnen hat, seine „Schatten über Europa zu werfen“ (KSA 3, 573). Die situationsbedingte Ausdrucksweise und die Aufdeckung der Erlebensstruktur, die dieses Ereignis beim „tollen Menschen“ und den Umstehenden evoziert, ermöglichen eine „radikale Teilnahme an der Situation, an der Existenzdeutung des modernen Menschen.“28 Der Tod Gottes ist für Nietzsche kein abgeschlossenes Faktum, sondern ein Phänomen, dessen Wirklichwerden im Horizont der abgenutzten Denkweisen und Wertorientierungen noch im Kommen und Sich-Entfalten begriffen und noch nicht überall offenbar geworden ist: „Diess ungeheure Ereigniss ist noch unterwegs und wandert, – es ist noch nicht bis zu den Ohren der Menschen gedrungen. Blitz und Donner brauchen Zeit, das Licht der Gestirne braucht Zeit, Thaten brauchen Zeit, auch nachdem sie gethan sind, um gesehen und gehört zu werden. Diese That ist ihnen immer noch ferner, als die fernsten Gestirne, – und doch haben sie dieselbe gethan!“ (KSA 3, 481). In etymologischer Hinsicht bezeichnet ein „Ereignis“ etwas, das vor aller Augen gestellt ist.29 Vergleichbare Ereignisse, die nur mit einer Verzögerung 25 Vorausgesetzt ist insbesondere Abschnitt 5.1.2. Einige Passagen dieses Deutungsvorschlags sind eingeflossen in: PH. DAVID 2021b. 26 Vgl. P. R ICŒUR (1975) 1991, II; 50. 27 P. R ICŒUR 2011, 98. 28 Mit einer Formulierung von P. TILLICH 1987a, I, 12. 29 Vgl. K LUGE 2002, 253.

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9 Der Tod Gottes als metaphorisches Ereignis

wahrgenommen werden können, sind Blitz und Donner. Sie brauchen Zeit, um gesehen und gehört zu werden. Der Tod Gottes ist ein Ereignis, dessen folgenreicher Taumel in dialektischer Umkehrung in einem Fragenkatalog antimetaphysischer Metaphysik beschrieben und symbolisch mit der zersplitterten Laterne mit den Augen gesehen werden kann, um zu zeigen, dass eine personal und moralisch vorgestellte Wirklichkeit, die mit dem Begriff Gott bezeichnet wurde, für viele Menschen in Europa bedeutungslos geworden ist. Der „tolle Mensch“ verkündet eine Nachricht über bereits Geschehenes, das weitreichende Konsequenzen für das Existieren der Menschen in der Welt hat und dessen Realisierungsprozess erst begonnen hat. Auch wenn diese Tat jegliche Vorstellungskraft übersteigt, haben die Menschen sie begangen, entweder aber in ihren Folgen nicht verstanden oder sie verdrängt, weil diese Tat ein solch unbegreifliches Ereignis darstellt, dass es aufgrund seiner Ausmaße nicht verbalisiert, sondern nur ignoriert werden kann. Es ist damit aber in verschiedener Hinsicht ein Ereignis, das zu einer Sinnes- bzw. Zustandsänderung führt. Ob nun vor Augen gestellt oder zu Gehör gebracht, ein Ereignis birgt in sich die Möglichkeit einer „Zustandsveränderung“. (2) Mit dem Hamburger Slavisten Wolf Schmid muss ein solches Ereignis in narratologischer Hinsicht besondere systematische Kriterien erfüllen, um als Ereignis bezeichnet werden zu können.30 Die beiden notwendigen Bedingungen sind mit der „Faktizität oder Realität“ der Veränderungen in der fiktiven Welt sowie ihrer „Resultativität“ benannt, die ein gewisses mentales Ergebnis des Ereignisses darstellt. Damit ein Ereignis „Ereignis“ genannt werden kann, reichen diese beiden notwendigen Grundbedingungen noch nicht aus, sondern werden um fünf Merkmale erweitert, die die beiden notwendigen Bedingungen voraussetzen, um die „Zustandsveränderung“ zu bestimmen. Es ist die wesentliche Relevanz der „Zustandsveränderung“, die sich gegen die normale Erwartungshaltung paradoxal und ihre mangelnde Vorherseh- bzw. Vorhersagbarkeit (Imprädikabilität) richtet. Die Ereignishaftigkeit steigt in dem Maße, in dem die Folgen für das Denken und Handeln der Subjekte steigen, die sich nicht nur auf den persönlichen Zustand auswirken, sondern auch auf den Zustand der Welt (Konsekutivität bzw. Folgenlastigkeit). Damit zeigt sich die Irreversibilität bzw. Unumkehrbarkeit des aus der Veränderung entstandenen neuen Zustands. Das Umdenken als mentales Ereignis schließt einen Rückfall aus. Eine Revision der neuen Haltung ist nicht mehr möglich. Schließlich ist es die Einmaligkeit des Ereignisses, die es von sich regelmäßig wiederholenden Vorgängen abhebt (Non-Iterativität). Ein mit diesen Kategorien übereinstimmendes Ereignis ist nicht wiederholbar. (3) Diese beiden Grundbedingungen und diese fünf Merkmale können auch auf die fiktive Textwelt von Friedrich Nietzsche übertragen werden, in der der 30 Vgl. zum Folgenden W. SCHMID 2014, 14–20. Für den Hinweis auf Wolf Schmid danke ich Maike Schult.

9.2 Zur narrativen Strategie der Metapher „Gott ist todt!“

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Tod Gottes als „grösstes neueres Ereigniss“ bezeichnet wird. Welt und Wirklichkeit zeigen sich für die Protagonisten (der „tolle Mensch“ und die „freien Geister“) durch die Einmaligkeit des Todes Gottes irreversibel verändert. Eine Revision ist nicht mehr möglich. Die Zukunft gestaltet sich offen jenseits der bislang gültigen Werte der platonisch-christlichen Überlieferungsgeschichte der Rede von Gott, die Denken, Glauben und Moral der Menschen in Europa über Jahrhunderte bestimmt haben und die nun bedeutungslos geworden sind. Eine solche Tradition geht jedoch nicht von jetzt auf gleich unter, sondern es braucht eine lange Zeit, bis auf ihrem Boden Neues entstehen und eine Umorientierung der Menschen eintreten kann. Die Fiktion ist hier der Realität einen Schritt voraus und schildert die vor aller Augen liegende gewaltige Aufgabe. In seiner provokativen Kraft erkannt werden kann dieses Ereignis aber nur jeweils subjektiv, denn es ist nicht objektiv nachweisbar wie umwälzende historische Ereignisse. Doch findet es einen inneren Ausdruck im Lebensgefühl der Individuen. Dieser Prozess der Umformungskrise der Moderne ist als das hier nun dynamisch gefasste Resultat des „grössten neueren Ereignisses“ weiterhin im Gange. Doch die Hauptverantwortung tragen gerade nicht Religionskritik und Atheismus, sondern das Christentum mit seinen Moralvorstellungen. Der Tod Gottes wird von Nietzsche als ein Ereignis beschrieben, das noch im Kommen begriffen ist. Doch mit ihm ist auch eine abendländische Tradition an ihr Ende gekommen und der Anfang von etwas Neuem aufgerufen. Wir befinden uns dieser Deutung zufolge in einem Zeitalter des Übergangs; die Ungewissheit über die Endgültigkeit und die Folgen der Grenzüberschreitung steht noch im (fiktiven) Raum.31 Die neuen Menschen („Philosophen und freie Geister“) leben zwischen Heute und Morgen (KSA 3, 574). Sie sind die Erstlinge und Frühgeburten des kommenden Jahrhunderts, das noch von großen Unsicherheiten begleitet ist. Die alten Verbindlichkeiten tragen nicht mehr. Das Gefühl des Verlustes forciert das Gefühl einer Melancholie und einer Nostalgie für die nun verlorenen vermeintlichen Sicherheiten früherer Zeitalter. Die Welt und das eigene Leben erscheinen komplexer, unsicherer und ungewisser. Der Tod Gottes ist für Nietzsche eine ernste Angelegenheit, die nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Es ist ein überwältigendes Ereignis mit weitreichenden Konsequenzen. So stehen wir nach Nietzsche vor der Frage: Müssen wir nicht selber zu Göttern werden, um Herr der Lage zu sein? Nietzsche proklamiert jedoch keinen naiven Atheismus. Der Tod Gottes ist vielmehr ein radikaler Bruch, nach dem nichts mehr ist, wie es einmal war. Die kommende Zeit liegt jenseits von Theismus („christlichen Monotono-theismus“ [KSA 6, 185]) und Atheismus. Das Ereignis des Todes Gottes heitert (klärt) auf: Wenn der Himmel am neuen Morgen aufheitert, erscheint eine neue „Morgenröthe“, ein neuer Anfang, eine neue Heiterkeit (KSA 3, 573). Dieses Ereignis ist ein Beitrag zur Aufklärung des Menschen über sich selbst. Der 31

Vgl. im Anschluss an Jurij M. Lotman W. SCHMID 2014, 13–20.

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9 Der Tod Gottes als metaphorisches Ereignis

Horizont ist klar, und das Meer liegt offen. Es ist eine gute Nachricht, dass die freie Menschheit endlich geboren wird. Der Tod Gottes impliziert die Geburt einer neuen Menschheit – ein transformiertes humanes Subjekt, das den alten Menschen transzendiert, und das Nietzsche als „Über-Menschen“ beschreibt („,Todt sind alle Götter: nun wollen wir, dass der Übermensch lebe.‘“; KSA 4, 102), der aber noch nicht Realität geworden ist. Zunächst gilt weiterhin, die Befreiung von dem langen Schatten des unvollziehbar gewordenen Glaubens an den alten Gott zu realisieren. Diese Aufgabe werde die Menschheit in den nächsten Jahrhunderten beschäftigen und daher wird die Metapher „Gott ist todt!“ auf ihre semantische Innovation hin zu befragen sein.

9.3 Die Metapher „Gott ist todt!“ als semantische Innovation 9.3 Die Metapher „Gott ist todt!“ als semantische Innovation

(1) Die Metapher „Gott ist todt!“ kann im Sinne der Rede von der „absoluten Metapher“ Blumenbergs als „schöpferisches Ereignis“ verstanden werden, „das, statt endgültige Einsichten zu verbreiten, immer neue Formen und Wirkungen hervorbringt.“32 Die schöpferische Freiheit des Menschen drückt sich in seinem schöpferischen Umgang mit der Sprache aus, in der die innovative Neubeschreibung der Wirklichkeit zum Ausdruck kommt.33 Die Metapher „Gott ist todt!“ ist als Bestandteil eines bestimmten Ordnungsgefüges, der abendländischen Metaphysik, entwickelt worden, um sich auf die Suche nach einem neuen komplexen Ordnungsgefüge zu machen. Das hängt mit der Struktur der Metapher zusammen, die eine Ordnung nur auflöst, um eine neue zu finden.34 Die Metapher hat damit eine ordnungskritische bzw. destabilisierende, eine wirklichkeitserhellende und -erstellende und eine ordnungskreative bzw. strukturierende Funktion. Die Metapher stört die semantische Kohärenzbildung, deckt eine andere Dimension der Wirklichkeit auf und setzt eine neue Deutung der Welt und unseres Selbst frei.35 Da Metaphern vorwiegend in fiktionalen Texten Verwendung finden und in ihrer Deutung von ihren Kontexten abhängig sind, geschieht die spezielle Vermittlung zwischen der Welt des fiktionalen Textes zur wirklichen, von den Menschen bewohnten Welt im Lesen. Ausgerechnet die „Fiktion“36 zeigt sich als „der ausgezeichnete Weg der

R. KONERSMANN 2014b, 18. Vgl. P. RICŒUR (frz. 1975; dt. 1986) 1991, II; 50. Vgl. die Anregung von Paul Ricœur: „Metaphern sind jene vereinbarten Diskursstrategien, die uns ermöglichen, das Prinzip der semantischen Innovation zu beschreiben und dessen fruchtbare Dynamik explizit zu machen“ (P. RICŒUR [1984] 2011, 98). 34 Vgl. R ICŒUR (frz. 1975; dt. 1986) 1991, 28. 35 Vgl. R ICŒUR (frz. 1975; dt. 1986) 1991, VII. 36 Vgl. den Überblick in T. K LAUK/T. K ÖPPE 2014. 32 33

9.3 Die Metapher „Gott ist todt!“ als semantische Innovation

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Neubeschreibung der Wirklichkeit.“37 Im Akt des Lesens38 kommt es zur Begegnung der autonomen Welt des Textes39 mit der Welt des Lesers. Im Lesen wird ein neuer Diskurs mit dem Diskurs des Textes verbunden.40 Der Text löst sich im Akt des Lesens aus seinem ursprünglichen Kontext heraus, „um sich in einer neuen Situation wieder in einen neuen Kontext einfügen zu lassen.“41 Manchmal verschmelzen die Welten miteinander, manchmal kann die Begegnung auch zum Konflikt führen.42 Da Metaphern eine affektive Wirkkraft haben, setzen sie Gefühle frei und fordern den Leser in seiner ganzen Existenz heraus.43 Das Lesen erweist sich hier als Ort der Krise und Kritik, aber darin auch der kreativen Sinnbildung. Die semantische Offenheit der Metapher ruft in einem besonderen Maße die Deutungsaktivität der Rezipienten hervor. Metaphern ziehen die Leserin und den Leser in einen umfassenden Verstehensprozess hinein, der eine Rekonstitution des Selbst bewirken kann. Mit Paul Ricœur gesprochen: Es ist ein „Sich-Verstehen vor dem Text. Es heißt nicht, dem Text die eigene begrenzte Fähigkeit des Verstehens aufzuzwingen, sondern sich dem Text auszusetzen und von ihm ein erweitertes Selbst zu gewinnen, einen Existenzentwurf als wirklich angeeignete Entsprechung des Weltentwurfs.“44 Die Pointe bei Ricœur ist nun, dass „die Textwelt nur in dem Maße wirklich ist, als sie fiktiv ist.“45 Ebenso „gelangt die Subjektivität des Lesers zu sich selbst nur in dem Maße, als sie in Schwebe versetzt, aus ihrer Wirklichkeit gelöst und in eine neue Möglichkeit gebracht wird, wie die Welt selbst, die der Text entfaltet.“46 Für die Interpretation von Texten heißt das, „daß die Bedeutung eines Textes nicht hinter dem Text ist, sondern vor ihm. Sie ist nichts Verborgenes, sondern etwas, was entdeckt und offen ist.“47 Damit sprechen Texte „von möglichen Welten und von möglichen Weisen, sich in diesen Welten zu orientieren.“48 Sie liegen offen vor uns, kommen auf uns zu und ermöglichen einen neuen Anfang, der im Widerspruch zu den bisherigen Selbst- und Weltdeutungen steht. P. RICŒUR 1974, 32. Vgl. auch O. BREIDBACH 2014. 39 P. R ICŒUR (1972) 2005b, 123.124: „Ein Text ist nämlich ein autonomer Bedeutungsraum, den die Intention seines Autors nicht mehr belebt. [...] Ein Text ist nicht nur etwas Geschriebenes, er ist ein Werk, das heißt, ein einzigartiges Ganzes [...]: eine Art Individuum wie ein Lebewesen oder Kunstwerk.“ 40 Vgl. P. R ICŒUR (1970) 2005a. 41 P. R ICŒUR 1974, 28. 42 Vgl. P. R ICŒUR (frz. 1975; dt. 1986) 1991, VIII. Mit Verweisen auf die Forschung von Wolfgang Iser zum Akt des Lesens und der von Hans Robert Jauß zur Textrezeption. 43 Vgl. R. ZIMMERMANN 2000, 127. 44 P. R ICŒUR 1974, 33; vgl. auch P. R ICŒUR (1972) 2005b, 129.130. 45 P. R ICŒUR 1974, 33. 46 P. R ICŒUR 1974, 33. 47 P. R ICŒUR (1972) 2005b, 127. 48 P. R ICŒUR (1972) 2005b, 127. 37 38

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9 Der Tod Gottes als metaphorisches Ereignis

(2) Die Metapher lebt, anders als der (theo-)logische Begriff, vom Widerspruch. Darauf hat der Linguist Harald Weinrich aufmerksam gemacht49: „Die Metapher ist eine widersprüchliche Prädikation.“50 Damit ist gesagt, dass ein Wort allein noch keine Metapher ausmacht, sondern nur ein Wort im Zusammenhang mit einem Satz. Jeder Satz besteht aus einer Prädikation, einer Aussage aus Subjekt und Prädikat. Subjekt und Prädikat sind semantisch widersprüchlich. „Die kühne Metapher ist dann eine Prädikation, deren Widersprüchlichkeit nicht unbemerkt bleiben kann.“51 In einer zweiten Definition wird das Prädikat durch den Kontext ersetzt. „Die Metapher ist definierbar als ein Wort in einem konterdeterminierenden Kontext.“52 Die erste Definition wird damit erweitert, nicht aber aufgehoben, von der Prädikation auf den Kontext, das bedeutet vom Satz auf ganze Texte, die auch aus mehreren Sätzen bestehen können. In einer dritten Definition wird die Metapher vom Kontext auf die Situation ausgedehnt: „Die Metapher ist ein Text in einer konterdeterminierenden Situation.“53 Die Metapher ist nun nicht mehr auf das Wort begrenzt, sondern auf die größte sprachliche Einheit, einen Text, ausgeweitet.54 Eine Metapher kann aus einer ganzen Geschichte bestehen. (3) Eine Metapher ist also kein einzelnes Wort, das erst durch ein anderes eigentlich verstanden werden kann.55 Die analytische Sprachphilosophie und die neuere Textlinguistik haben gegen eine lange vorherrschende anders lautende Metapherntheorie herausgearbeitet, dass eine Metapher aus mindestens zwei Elementen besteht, die in einer „semantischen Spannung“ zueinander stehen. Der erste Eindruck löst den Verdacht aus, dass sich ein Wort, ein Satz oder ein ganzer Text (eine Erzählung oder Parabel etc.) in eine fremde Umgebung, einen fremden Kontext verirrt hat. In diesem Kontext hat sich eine bestimmte Sinnebene aufgebaut, die dann durch ein Element aus einer fremden semantischen Welt, aus einer anderen Sinnebene gestört wird. Sowohl das „Ich suche Gott“ wie der Satz „Gott ist todt!“ des „tollen Menschen“ in Nietzsches Parabel bedeuten je eine semantische Störung innerhalb des narrativen Kontextes der Gleichgültigkeit, Verständnislosigkeit und Blasphemie der Umstehenden, die sowohl vergessen haben, dass einst ein Gott war, als auch, dass dieser nun tot ist, tot bleibt und sie seine Mörder gewesen sind. Doch auch in der Begegnung der Welt des Textes und der Welt des Lesers führt diese semantische Störung der Metapher „Gott ist todt!“ zu vielfältigen Reaktionen 49 Darauf verweist auch G. SELLIN 2011c, 243. Sellin nennt die drei aufeinanderfolgenden Aufsätze (Semantik der kühnen Metapher, 1963; Die Metapher, 1968; Streit um Metaphern, 1976), in denen Harald Weinrichs Definition jeweils erweitert wurde. 50 H. W EINRICH (1963) 1996, 330. 51 H. W EINRICH (1963) 1996, 330. 52 H. W EINRICH 1968, 100. 53 H. W EINRICH 1976, 341. 54 Das sei auch entscheidend für die Exegese der Gleichnisse: G. SELLIN 2011c, 243. 55 Vgl. zum Folgenden G. SELLIN 2011a, 212–215.

9.3 Die Metapher „Gott ist todt!“ als semantische Innovation

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und Deutungsmöglichkeiten. In der Metapher „Gott ist todt!“ stehen sich zwei logisch widersprüchliche Aussagen gegenüber. Denn wenn Gott tatsächlich tot ist, war er nicht Gott. Dann sind es nur unsere Vorstellungen und Bilder von Gott, die bedeutungslos geworden und daher tot sind. Doch diese theologischen Strategien nehmen nicht radikal ernst, was hier gesagt wird, nämlich, dass Gott „todt“ ist. Sie stellen den Wahrheitsanspruch des Logos und der Begriffssprache als alleinigen heraus und schneiden andere Zugänge einfach ab, wenn sie (existentielle) Wahrheit mit (mathematisch-präziser) Richtigkeit verwechseln.56 Sie nehmen den beständigen Erfahrungsraum unseres Denkens, Fühlens und Handelns nicht ernst und damit auch nicht das schöpferische Potential der Metapher, die den Umgang des Menschen mit seiner Endlichkeit radikal neu zu bedenken veranlasst.57 Das Subjekt („Gott“) erfährt durch das fremde Wort („todt“) eine Ausweitung, eine Aufsprengung. Im Prädikativum („todt“) erfährt das Subjekt eine Gleichsetzung („ist“), die sich unmittelbar auf das Subjekt („Gott“) bezieht. Zwischen dem Subjekt und dem Prädikativum besteht aber eine semantische Spannung, die sich durch die gesamte Parabel zieht, wenn die Folgen dieses größten neueren Ereignisses wiederum metaphorisch im Untergang der Sonne Platos und damit der Zwei-Welten-Theorie ausgemalt werden und in der menschlichen Existenz, die erkennt, dass sie in den unendlichen Räumen allein ist.58 Zwischen den beiden Elementen entsteht eine Interaktion, die zwar die noch nicht realisierten Folgen des Todes Gottes aufzeigen kann, denn „Gott bleibt todt!“, er wird nicht wiederauferstehen – diese Einsicht ist durch das Signal des Ausrufezeichens festgehalten –, aber durch ihre Sprachgestalt ist die gesamte Parabel von Metaphern durchzogen, ja sie ist als Ganzes eine Metapher, die anklingen lässt, dass zwar Gott tot ist, aber nicht die Dichter. Denn ohne die Sprache der Dichter, ohne die Sprache der Metaphern wäre die Welt tot. Das geschähe, wenn die entpoetisierte, digitale, präzisierte Sprache allein übrig bleiben würde59 und das rechnende Denken das besinnende Denken bzw. dichtende Denken und die Dichtung ganz verdrängt hätte, die vor dem Vergessen des Todes Gottes zu schützen versucht.60 (4) Die semantische Spannung der Metapher kann nicht einfach in eine begriffliche Sprache aufgehoben werden. Denn das mit dem Tod Gottes angeVgl. W. JANKE 1999a, 11–15. Vgl. M. FOUCAULT (frz. 1963) 2007a, 9. 58 Vgl. zu dieser existentiellen Einsamkeitserfahrung (horror vacui) angesichts des grenzenlosen Universums Blaise Pascal: „Das ewige Schweigen dieser unendlichen Räume macht mich schaudern” (B. PASCAL 1994, 114.115 [Pensées Fragment 205.206]) und Jean Pauls Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, daß kein Gott sei von 1796 (J. PAUL 1971, 270–275). Vgl. dazu die Abschnitte 3.1 und 4.1 in diesem Buch. 59 Vgl. G. SELLIN 2011b, 213; ferner W. JANKE 2013, 257–280. 60 Vgl. dazu den Text Gelassenheit (1955) von M. H EIDEGGER, GA 16, 517–529 sowie die Ausführungen zu Heidegger und Janke in diesem Buch. 56 57

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9 Der Tod Gottes als metaphorisches Ereignis

zeigte Neue trägt noch kein Etikett. Die Interpretation zeigt sich als unabschließbare Arbeit des Verstehens. Doch wenn plötzlich das Verstehen aufleuchtet auf dieser dritten Ebene „kommt es zur Geburt einer aufleuchtenden neuen Erkenntnis, einer Entdeckung. Das ganze ist ein kreativer Prozess, ein Zeugungsvorgang, eine Gedankengeburt.“61 Metaphern tragen durch ihre semantische Dissonanz dazu bei, die Sprache zu erneuern und das Verstehen unseres Seins in der Welt immer wieder zu überprüfen. Die Metapher legt durch die Neubeschreibung der Subjekte und Themen neue Dimensionen der Wirklichkeit frei.62 Sie wird zum Mittel neuer Entdeckungen und Erkenntnisse, schafft aber diese neuen Dimensionen der Wirklichkeit auch erst. Damit ist sie sogleich Sprache der Religion. Denn sie versucht das Ungesagte, das ganz Andere zur Sprache zu bringen. Da in der Religion das Unsagbare immer wieder sagbar werden soll,63 das Unbestimmte bestimmt, wird auch unser Sprachverständnis durch die Widersprüchlichkeit der metaphorischen Prädikation zur Kreativität gefordert, die zu einem Ausweichen auf eine dritte Ebene führt.64 In dieser Hinsicht entfaltet die Metapher ihre Funktion als heuristisches Modell: „Die Metapher ist ein Modell – sie modelliert etwas, das wir zunächst noch nicht hinreichend kennen. Deshalb ist sie kein Abbild, sondern eher ein Vorausbild auf einen verborgenen Sinn.“65 Die vorausliegende und zu-künftige Sinnbildung hat Rückwirkungen und Konsequenzen für die Welt des Menschen: „Die Dinge des Lebens, der Welt werden aufgrund besonderer Erfahrungen versuchsweise neu arrangiert, um Erfahrung präziser auszudrücken und neue Erfahrungen zu ermöglichen.“66 Die Sinnbildung der Metapher wie auch des Textes insgesamt liegen immer noch offen vor uns. Doch solange wir Gott und den langen Schatten des toten Gottes nicht loswerden, weil wir noch an die Grammatik glauben (KSA 6, 78), solange folgen wir unseren gewohnten Kategorien. Wir sind dann nicht in der Lage, den Sinn von Worten oder Begriffen, die an sich miteinander unvereinbar sind, metaphorisch zu entschlüsseln, wenn sie miteinander in Verbindung gebracht werden und eine bislang ungekannte Bedeutung erzeugen könnten. Dazu müssen wir nämlich wissen, wie sich dieser Vorgang des Vorausbildens vollzieht, in dem etwas auf einen zukommt und das Nach sich als ein Zuvor zeigt. Dazu hat Paul Ricœur drei Bedingungen freigelegt: „Erstens muß das Ungewöhnliche an der Aussage – das Ungeheuerliche – trotz der Entstehung einer neuartigen Bedeutung immer noch bemerkt werden können.“67 Semantische Ungeheuer-

G. SELLIN 2011c, 245. Vgl. G. SELLIN 2011a, 214. 63 Vgl. G. SELLIN 2011c, 247. 64 Vgl. G. SELLIN 2011c, 245. 65 G. SELLIN 2011c, 245. 66 G. SELLIN 2011a, 214. 67 P. R ICŒUR (1984) 2011, 98. 61 62

9.4 Zwischen Verlust und Befreiung

651

lichkeiten können etwa die Rede von einem „finsteren Licht“, einem „lebendigen Tod“ oder eben, das sei hier hinzugefügt, „Gott ist todt!“ sein. Das zweite Merkmal muss als das „eigentlich schöpferische Moment der Metapher im Auftreten eines neues Geltungsbereiches auf den Trümmern der ungeheuerlichen Aussage bestehen. Begriffe, die im logischen Raum weit voneinander entfernt liegen, erscheinen mit einem Mal als ,eng verwandt‘.“68 Schließlich ist es der „neue Geltungsbereich, der auf der Ebene des Satzes als Ganzes erzeugt wird, welcher Bedeutungserweiterung auf der Ebene isolierter Wörter ermöglicht.“69 Die Metapher „Gott ist todt!“ erfüllt diese Kennzeichen einer „lebendigen Metapher“, die in der wörtlichen Ungeheuerlichkeit, einem neuen prädikativen Geltungsbereich, der „semantischen Innovation“ und einer Wortverdrehung bestehen. Mit der semantischen Innovation ist die produktive Einbildungskraft angesprochen, die nicht „von etwas Abwesendem einen gegenwärtigen Eindruck zu vermitteln“ sucht, „sondern vielmehr neue bildliche Zusammenfügungen vorzunehmen“70 wagt.

9.4 Zwischen Verlust und Befreiung: Ambivalenzen und Irritationspotentiale aushalten 9.4 Zwischen Verlust und Befreiung

(1) Das Wagnis der Metapher „Gott ist todt!“ erfüllt damit auch entscheidende Bedingungen für die Rezeption einer Metapher in einer Kommunikationsgemeinschaft. Sie ist mittlerweile in das umgangssprachliche Repertoire aufgenommen, in dem das Lebensgefühl des Todes Gottes zum Ausdruck kommt. Ebenso hat sich der Reiz und Kühnheitsgrad dieser metaphorischen Wendung wie auch ihre Verankerung in einer vorhandenen Metapherntradition und ihre Übereinstimmung mit den Erkenntnisinteressen, den Erfahrungen und der enttheologisierten Lebenspraxis (etsi deus non daretur) der Kommunikationsgemeinschaft gezeigt.71 Diese drei Aspekte treffen auf die Metapher „Gott ist todt!“ in jeder Hinsicht zu. Der Tod Gottes ist Ausdruck des nun beständigen lebensweltlichen Erfahrungsraumes. Daher ist es auch intellektuell aufrichtig für eine Theologie in der Moderne, sich der nietzscheanischen Metapher „Gott ist todt!“ in einer kritischen Revision des bisherigen Umgangs mit ihr erneut zuzuwenden. Die bisherigen (vorwiegend an Hegel orientierten offenbarungstheologischen und kreuzestheologischen) Integrationsversuche in die Trinitätslehre, Christologie oder Pneumatologie haben sich noch von traditionellen P. RICŒUR (1984) 2011, 98. P. RICŒUR (1984) 2011, 98. 70 P. R ICŒUR (1984) 2011, 98.99 im Anschluss an Kants Unterscheidung von reproduktiver und produktiver Einbildungskraft. In der Verbindung von Metapher und Kants Schematismus liegt der Schlüssel zur semantischen Innovation einer lebendigen Metapher. 71 Vgl. R. ZIMMERMANN 2000, 128 im Anschluss an Wilhelm Köller. 68 69

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9 Der Tod Gottes als metaphorisches Ereignis

dogmatischen Gottesvorstellungen und ihrer Autorität leiten lassen. Sie alle gehören in eine erste Phase der Reaktion auf die theologische Besinnung über die paradoxe Wendung „Gott ist todt!“, wie sie sich vor allem in der Auseinandersetzung mit der US-amerikanischen Gott-ist-tot-Kontroverse in den 1960er und 1970er Jahren gezeigt hat und sich bis in neuere theologische Werke nachzeichnen lässt. Ein gegenwärtiger systematisch-theologischer Zugriff auf die Denkfigur des Todes Gottes kann nicht über die Wiederholung alter orthodoxer Gewissheiten verlaufen, sondern sollte durch ein neues Verständnis der Endlichkeit und Diesseitigkeit des menschlichen Daseins hindurchgehen, das mit der semantischen Innovation der Metapher „Gott ist todt!“ eng verbunden ist. Die Offenheit des Ausganges dieses durch die irreversible Zustandsveränderung ausgelösten kreativen Prozesses ist der Preis der Freiheit, den eine glaubwürdige christliche Religion in der Moderne zu zahlen bereit sein muss. Der Tod Gottes gibt keine begrenzte Welt vermeintlicher Sicherheit oder den alten Jenseitsglauben zurück, sondern die Erfahrung einer neuen Unbegrenztheit, einer neuen Offenheit, einer neuen Unendlichkeit (Nietzsche). Wie diese Welt der unendlichen Interpretationsmöglichkeiten (KSA 3, 626.627) nach dem Verlust der Generalperspektive aussehen soll, ist allerdings noch offen. Mit dem historischen Phänomen der Modernität verbunden ist eine expansive Ausweitung von (Wahl-)Möglichkeiten, die dem menschlichen Leben offenstehen.72 Die mit der Modernität einhergehende strukturelle Individualisierung und Pluralisierung hat der Religionssoziologe Peter L. Berger mit dem griffigen Schlagwort „Zwang zur Häresie“73 zu fassen versucht. Mit Häresie meint Berger nicht mehr eine falsche religiöse Lehre, sondern er geht auf die Bedeutung des griechischen Verbs αἱρεῖν zurück, das so viel wie „(aus-)wählen“ bedeutet. Ursprünglich bedeutete eine αἵρεσις durchzuführen ganz einfach, eine Wahl zu treffen.74 Auch der Häretiker wählte aus der von der Autorität bestimmten Tradition aus und bildete sich eine abweichende Meinung. Anders als in prämodernen Zeiten, als die Häresie eine abwegige Möglichkeit in einer Welt religiöser Sicherheit gewesen ist, wird für den modernen Menschen die Häresie zur universellen Notwendigkeit, da sich der gesellschaftliche Grundkonsens und die religiöse Grundordnung aufgelöst haben. Die Menschen müssen nun aus vervielfachten Wahlmöglichkeiten, nicht nur in Bezug auf Konsumartikel, sondern auch in puncto Lebensstil und Glaubensüberzeugung aussuchen und auswählen, bis dahin, dass in der Spätmoderne dezidiert das Singuläre75 gesucht und eine „Kultur der Authentizität“76 gepriesen wird, mit der einhergeht, dass Vgl. auch A. GRØN 2006. P. L. BERGER (am. 1979; dt. 1980) 1992.; vgl. auch P. V. TONGEREN 2018, 131–156. 74 P. L. B ERGER (am. 1979; dt. 1980) 1992, 40. 75 P. L. B ERGER (am. 1979; dt. 1980) 1992, 41–43. Vgl. A. R ECKWITZ 2017. 76 C H. TAYLOR (2007) 2009, 507 u.ö. 72 73

9.4 Zwischen Verlust und Befreiung

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die eigene gewählte Lebensform, als nur eine unter unzählig möglichen, angesichts der Multioptionalität bleibend in Frage gestellt wird. Eine Überforderung, hier überhaupt wählen zu können bzw. zu müssen, ist nicht ausgeschlossen, zumal dann, wenn man sich alle Optionen offen halten möchte und so daran verzweifelt, nicht man selbst sein zu können.77 (2) Die mittels der literarischen Fiktion beschriebene (de-)konstruktive Irritation der Wirklichkeit der mehrdeutigen Metapher „Gott ist todt!“ hat eine weltverrückende Wirkung entfaltet. Nietzsche hat mit seinem kurzen Text eine existentielle Sinnkrise der Gegenwart freigelegt, die er als Unterwegsseins des Ereignisses des Todes Gottes bezeichnet. In der fiktiven Welt des Textes wird diese Wirklichkeit in ihren Konsequenzen radikal bedacht und ist (damals) der Realität noch weit voraus. Nietzsche wusste um die Folgen, die das gesellschaftliche Wirklichwerden und die individuelle Realisierung dieses Prozesses mit sich bringen würden. Er wusste um die Gefahr, die mit einer vorschnellen Substitution Gottes durch den (Über-)Menschen verbunden war. Er warnte nicht nur vor einer erneuten Vergöttlichung des Unendlichen, sondern auch, und das ist die bleibende Strahlkraft seines kurzen fiktionalen Textes, vor einem leichtfertigen Vergessen des Todes Gottes. Mit dem Erstarken des religiösen Fundamentalismus und der gleichzeitigen Zunahme religiöser Gleichgültigkeit sind diese beiden Phänomene gegenwärtig zu beobachten. Entscheidend und bleibend störend für ein zu bequemes Einrichten in der Welt ist jedoch, das Zwischenphänomen wahrzunehmen, das der Text für den Leser bereithält. Der Text ermöglicht die Wahrnehmung der anhaltenden Ambivalenz der ungeheuren Verlust- und Befreiungserfahrung und hält mit seinem schöpferischen Potential im Offenen. Das metaphorische Ereignis „Gott ist todt!“ hat sich in der Darstellung nicht nur als Signalwort erwiesen, hinter dem sich Narrative verbergen, sondern auch als semantisches Störpotential78 für die Kulturgeschichte der Menschheit im Allgemeinen und für die Theologie und Anthropologie im Besonderen. Die Metapher „Gott ist todt!“ wäre damit als ein ebensolches „schöpferisches Ereignis“ zu verstehen, dass keine endgültigen Einsichten aussendet, sondern in der Lage ist, immer neue Formen und Wirkungen zu erzeugen.79 Die schöpferische Freiheit des Menschen drückt sich in seinem schöpferischen Umgang mit der Sprache aus, in der die innovative Neubeschreibung der Wirklichkeit zum Ausdruck kommt.80 Es handelt sich hierbei keinesfalls um eine creatio ex nihilo, sondern, wie gezeigt worden ist, ist die Metapher „Gott ist todt!“ als Bestandteil eines bestimmten Ordnungsgefüges entwickelt worden, um sich auf die Suche nach einem neuen komplexen relationalen Ordnungsgefüge zu Vgl. dazu bereits Die Krankheit zum Tode (1848) von Søren Kierkegaard. R. KONERSMANN 2014b, 14.15. 79 Vgl. R. K ONERSMANN 2014b, 18. 80 Vgl. P. R ICŒUR (1975) 1991, 50. 77 78

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9 Der Tod Gottes als metaphorisches Ereignis

machen. Die Metapher entzieht sich immer wieder einer begrifflichen Fixierung einer vorschnellen Neubeschreibung der werdenden Wirklichkeit und wahrt somit deren schwebenden und fiktionalen Charakter. Das hängt mit der Struktur der Metapher zusammen, die eine Ordnung nur auflöst, um eine neue zu finden.81 Die Metapher stört die semantische Kohärenzbildung, deckt eine andere Dimension der Wirklichkeit auf und setzt eine neue Deutung der Welt und unseres endlichen Selbst frei,82 die zu einer kritischen Revision des Schöpfungsgedankens veranlasst.

81 82

Vgl. P. RICŒUR (1975) 1991, 28. Vgl. P. RICŒUR (1975) 1991, VII.

10 Anfänglich leben: Kritische Revision des Schöpfungsgedankens 10 Anfänglich leben Die astrale Ordnung, in der wir leben, ist eine Ausnahme; diese Ordnung und die ziemliche Dauer, welche durch sie bedingt ist, hat wieder die Ausnahme der Ausnahmen ermöglicht: die Bildung des Organischen. Der Gesammt-Charakter der Welt ist dagegen in alle Ewigkeit Chaos, nicht im Sinne einer fehlenden Nothwendigkeit, sondern der fehlenden Ordnung, Gliederung, Form, Schönheit, Weisheit, und wie alle unsere ästhetischen Menschlichkeiten heissen.1

Die Moderne weist den Menschen in die Welt zurück, nicht über sie hinaus. 2

Wir sind selbst dieses Unterwegs, dieser Übergang, dieses ‚Weder das Eine noch das Andere‘. Was ist dieses Hin- und Herschwingen zwischen dem Weder-Noch? Nicht das Eine und ebenso nicht das Andere, dieses ,Doch und doch nicht und doch‘. Was ist diese Unruhe des Nicht? Wir nennen es die Endlichkeit. Wir fragen: Was ist das – Endlichkeit? Endlichkeit ist keine Eigenschaft, die uns nur anhängt, sondern die Grundart unseres Seins. Wenn wir werden wollen, was wir sind, können wir diese Endlichkeit nicht verlassen oder uns darüber täuschen, sondern wir müssen sie behüten.3

(1) Aus der Sicht theologischer Anthropologie gilt der Grundsatz: „Wie es um den Menschen steht, zeigt sich an dem Gott, an den er glaubt.“4 In umgekehrter Perspektive findet sich diese Einsicht bei Theodor Fontane: „... an ihren Göttern erkennt man den Menschen ...“5 Umgemünzt auf die hier verhandelte Deutung des Todes Gottes als Lebensgefühl der Moderne und insbesondere im Anschluss an die Nietzsche-Deutung lässt sich dieser Satz noch einmal anders formulieren: Im (Nicht-)Erinnern an seinen toten Gott und im Umgang mit diesem erkennt man die Situation des Menschen in seiner radikalen Endlichkeit. F. NIETZSCHE, KSA 3, 468 (aus Aphorismus 109: Hüten wir uns!). H.-J. HÖHN 2011, 195. 3 M. H EIDEGGER, GA 29/30, 8. 4 M. M OXTER 2018, 183. 5 [TH.] FONTANE 2017, 54. 1 2

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10 Anfänglich leben

Denn die Metapher „Gott ist todt!“ stört nicht nur das bisherige Gottesverständnis auf. Sie stört auch das bisherige theologische Verständnis vom Menschen auf und nötigt die Theologie daher zu einer Revision ihrer Vorstellung von der Geschöpflichkeit (Freiheit und Sünde) und Gottebenbildlichkeit (Bild und Bildung) des Menschen. Diesem modernen Lebensgefühl eines durch den Tod Gottes gesteigerten radikalen Endlichkeitsbewusstseins müssen Reflexionsräume angeboten werden, um diese Erfahrung existentiell und kritisch zu besprechen und zu bedenken. Als erhellende Kontrastfolie dient hier der mit der Grundlagenkrise der Theologie ebenfalls in die Krise geratene Schöpfungsgedanke, dessen posttheistischer Gehalt nach verbreiteter Ansicht in religiöser Endlichkeitsreflexion liegt. Die mit dem Symbol der Geschöpflichkeit ausgesagte Endlichkeit, Unverfügbarkeit und Verletzlichkeit des Daseins verbindet so den religiösen mit dem säkularen Diskurs und stellt die bleibende anthropologische Bedeutung des eingebetteten In-der-Welt-Seins heraus, das sich in einer Ethik der Selbstsorge (11.2) zeigt, die nicht absehen kann von einer umfassenden Welt-Sicht (10.2), wenn es ihr tatsächlich besonnen um die Bildung des Selbst geht. (2) Vor dem Hintergrund des in der Einleitung (1.4.2) skizzierten Verständnisses der Metapher der Krise ist es an dieser Stelle angeraten, sich nicht nur der destruktiven, sondern auch der konstruktiven Seite, nämlich der Chance der Krise zuzuwenden, sofern sie selbst Ausdruck von Ambivalenzen und einer Zustandsveränderung ist. Die alltagssprachlich verstandene Krisen-Metapher führt häufig zu der Einsicht, dass eine Krise per se etwas Schlechtes oder zu Vermeidendes ist. Genau besehen aber sind Krisen in existentieller und öffentlicher Art immer Chance und Risiko zugleich, gerade wenn sie eine Phase der Latenz und quälenden Offenheit beschreiben. Daher soll im Folgenden überlegt werden, ob die Krise der Theologie nicht nur von außen als Sinnkrise des gegenwärtigen Zeitalters zu betrachten ist, sondern ob bei genauerer Betrachtung die Krise nicht auch wesentlich zur Theologie (und zur Kirche6) hinzugehört und damit zu allen ihren religiösen Gehalten (und Handlungsfeldern). Wenn nun die Metapher der Krise wesentlich zur Theologie hinzugehört und verstanden werden kann als Erläuterung einer theologia viatorum – denn das theologische Denken, verstanden als ein unabschließbarer Prozess, steht immer in der Spannung zwischen zwei oder mehreren Polen, Problemen, Herausforderungen –, dann hat Theologie diesen Zwischenraum inhaltlich nachvollziehbar und lebensdienlich zu füllen, dessen Gehalt existentiell angehend und zukunftsweisend sein kann. Wenn sie Krise als ihr Wesen erkennt und sieht, dass Krisen wesentlich zum Menschsein dazugehören, dann wäre auch die Theologie in der Lage, Krise in dieser mehrfachen Hinsicht als „schöpferische Selbstbesinnung der Existenz“7 zu erkennen und Lebenskrisen zu begleiten: „Das Le6 7

Vgl. H. ROSENAU 2005a. P. TILLICH 1987a, I, 10.

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ben ist der Boden der Krisen.“8 Theologie kann darauf aufmerksam machen, dass Krisen nicht nur möglich sind, sondern wesentlich zum Menschsein dazugehören. So kann auch die theologische Kritik, Reflexion und das religiöse Symbolverständnis zu einem Ort werden, an dem diese Ambivalenzen thematisiert werden können. Das heißt nicht, dass jede Krise gelöst werden und sich ,zum Guten‘ wenden muss. Den ungewissen Ausgang aushalten zu müssen, gehört zur Krise und auch zur Religion wesentlich dazu. Eine allgemeingültige inhaltliche Bestimmung kann mit diesem Verständnis natürlich nicht getroffen werden. Diese muss offen bleiben und der gebildeten religiösen Selbstdeutungskompetenz des Individuums überlassen werden. Um dies theologisch zu einer Denkmöglichkeit werden zu lassen, müsste allerdings auch der Prozess der Umformung in die Theologie als wissenschaftliche Reflexionsgestalt von Religion Einzug halten. Damit unterzieht sich die Theologie einer Selbstkritik, in der sie nach ihren Grundbegriffen fragt: Dynamik kommt in diese Selbstkritik hinein, wenn man sich daran erinnert, dass die „eigentliche ,Bewegung‘ der Wissenschaften [...] sich ab[spielt] in der mehr oder minder radikalen und ihr selbst nicht durchsichtigen Revision der Grundbegriffe. Das Niveau einer Wissenschaft bestimmt sich daraus, wie weit sie einer Krisis ihrer Grundbegriffe fähig ist.“9 Revision wird hier in zweifacher Hinsicht verstanden: als Aufzeigen der strukturellen Intention der Grundbegriffe mit historisch-genetischem Blick auf ihr Gewordensein und ihren Ursprung sowie als mögliche Neu- bzw. Reformulierung, wie es mit der Formel von der „Umformungskrise“ der Protestantischen Theologie angezeigt wurde. Der eine methodische Weg muss den anderen nicht ausschließen. Beide können auch Hand in Hand gehen. Denn aus der ursprünglichen Bedeutung kann es zu einer Neuformulierung kommen und diese somit zu einer Umformung der Grundbegriffe beitragen. Der Begriff der Destruktion bei Martin Heidegger bzw. Dekonstruktion bei Jacques Derrida10 ist ja nicht als bloße Zerstörung von E. W. ORTH 2010, 152. M. HEIDEGGER (1927) 1986, 9. Bereits 1765 hat der „vorkritische“ Kant von einer „Krise der Gelehrsamkeit“ gesprochen und von einer daraus erwachsenen Hoffnung auf eine „große Revolution der Wissenschaften“. In einem Brief erklärt Kant: „Ehe wahre Weltweisheit aufleben soll, ist es nötig, daß die alte sich selbst zerstöre; und wie die Fäulnis die vollkommene Auflösung ist, die jederzeit vorausgeht, wenn eine neue Erzeugung anfangen soll, so macht die Krisis der Gelehrsamkeit, zu einer solchen Zeit, da es an guten Köpfen gleichwohl nicht fehlt, die beste Hoffnung, daß die so längst gewünschte Revolution der Wissenschaften nicht mehr weit entfernt sei.“ Zit. n. E. W. ORTH 2010, 154. 10 Heidegger hat den Begriff der Destruktion in den 1920er Jahren in die Philosophie eingeführt. Sachlich vorbereitet wurde er von Nietzsche, wenn es in Die Geburt der Tragödie (KSA 1, 3. Kap. 34) heißt, man müsse das „kunstvolle Gebäude der apollinischen Cultur gleichsam Stein um Stein abtragen“, um „die Fundamente“ zu erblicken, „auf die es begründet ist.“ Sachlich weitergeführt wurde der Begriff der Destruktion in der französischen Phänomenologie u. a. bei Derrida, der die zerstörerische Konnotation Heideggers vermeiden wollte und daher von „Dekonstruktion“ spricht (vgl. G. FIGAL 1999). Erstmals erwähnt Hei8 9

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herkömmlichen Bindungen misszuverstehen, sondern in einem archäologischen Sinne als Freilegung verschütteter Schichten, in der Hoffnung, von dort aus die Begriffe neu konstruieren zu können, wenn ihr ursprünglicher Bedeutungsgehalt wieder erfasst worden ist. In dieser Hinsicht müsste man versuchen, die wesentlichen religiösen Gehalte in ihrer ursprünglichen Intention aufzuspüren, um sie konstruktiv-kritisch von ihren Verkrustungen zu befreien. Solche theologische Archäologie, der es um die arché, den Ursprung der Religion geht, ist allerdings nicht frei von Gefahren, denn aufgrund unserer eigenen Perspektivität werden wir nie in der Lage sein, uns vollständig in andere Perspektiven hineinzuversetzen, auch wenn es möglich ist, sie bis zu einem gewissen Grad theoretisch nachzuvollziehen. Doch wenn es gelingt, in unserer eigenen Perspektivität diese Spurensuche aufzunehmen, wird diese Archäologie nicht zu einer Erkundung von etwas vollends Fremdem, sondern zu dem Fremden, was wir am Eigenen zu entdecken vermögen. Erst in der Wiederholung der Ursprünge kann überhaupt die eigene (Rezeptions-)Geschichte nachvollziehbar und die Umformung der Grundbegriffe in Angriff genommen werden. Nicht nur die radikale Bedeutung der Situation bleibt damit gewahrt, sondern auch das radikale Potential der umzuformenden religiösen Gehalte. (3) Die Transformation des Schöpfungsgedankens in religiöse Endlichkeitsreflexion wird in diesem Abschnitt am Beispiel des schöpferischen Potentials von Hannah Arendts Idee der Natalität durchgeführt. Hatte bereits Paul Tillich in der Geschöpflichkeit den „Sinn von Endlichkeit“11 erblickt, wird seine Deutung im Rahmen dieser Überlegungen aufgenommen und vertieft, indem hier der Sinn der Schöpfung im Existenzial der Natalität erblickt und entfaltet wird. Der Blick auf dieses Entfaltungspotential nimmt dann in einem zweiten Schritt den Ausgang bei einem überraschenden Befund innerhalb der biblischen Tradition, in der Geburt und Geburtlichkeit des Menschen eine wichtige, aber in der Wirkungsgeschichte vernachlässigte Rolle spielen.

degger den Begriff Destruktion in der Vorlesung Phänomenologie der Anschauung und des Ausdrucks. Theorie der philosophischen Begriffsbildung (GA 59), die er im Sommersemester 1920 in Freiburg gehalten hat. Ausführlich erläutert wird er in seiner Programmschrift Phänomenologische Interpretation zu Aristoteles (1923). Mit Destruktion ist der „Abbau“ der Tradition und ihrer selbstverständlichen Vorstellungen und Redeweisen gemeint. Ziel ist es, die ursprünglichen philosophischen Erfahrungen als die Fundamente des Tradierens freizulegen und zu wiederholen. In der Schrift von 1923 hat Heidegger die freizulegende Erfahrung noch in der praktischen Philosophie des Aristoteles gesehen. In Sein und Zeit (1927) vertritt er die Überzeugung, dass man im Sinne einer erfolgreichen Destruktion auf das Sein des menschlichen Daseins selbst zurückgehen müsse. Das Programm der Destruktion wird darin von einer als Analyse des menschlichen Daseins vollzogenen Fundamentalontologie abhängig gemacht. 11 P. TILLICH 1987a, I, 291.

10.1 Zur Krise des Schöpfungsgedankens und zu seiner Transformation

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10.1 Zur Krise des Schöpfungsgedankens und zu seiner Transformation in religiöse Endlichkeitsreflexion 10.1 Zur Krise des Schöpfungsgedankens und zu seiner Transformation

(1) Zur Illustration der umfassenden Krise der Theologie wird der Schöpfungsgedanke herangezogen, wie er im ersten Artikel des Apostolischen Glaubensbekenntnisses zum Ausdruck kommt: „Ich gläube an Gott Vater Allmächtigen, Schöpfer Himmels und der Erden.“ (BSLK 21). An ihm lassen sich mindestens vier gegenwärtige Problemlagen der Umformungskrise verdeutlichen.12 Erstens: Das Ende der Schöpfungsvorstellung als Welterklärungstheorie. Zweitens: Das größte neuere Ereignis „Gott ist todt!“ als Kontrafaktur der Rede von Gott, dem Allmächtigen, der „Alles bestimmenden Wirklichkeit“.13 Drittens: Die Endlichkeit des Subjekts („Ich“) und die (neue) Frage nach dem bleibenden Sinn der Vorstellung von der Geschöpflichkeit des Menschen. Viertens: Die Personalität Gottes in der Anrede Gottes als „Vater“, die religionsgeschichtlich auch bei Zeus zu finden ist, in der psychoanalytischen Kulturtheorie Freuds eine wichtige Rolle spielt14 und für die feministische Theologie Ausdruck des Patriarchats ist. Schon an dieser Deutung des Bekenntnissatzes zeigt sich die Spannung, die mit der Deutung des gegenwärtigen Zeitalters als praecisio mundi et Dei in ihrer radikalen Bedeutung für die Theologie aufzeigbar wird. Ihr in der Kontrafaktur deutlich sichtbar werdender, alle Bezüge miteinander verbindender Leitbegriff ist Endlichkeit. Endlichkeit steht sowohl für die ursprüngliche Erfahrung aller vier Aspekte der Deutung des Apostolikumssatzes als auch für die Kontrafaktur seiner gegenwärtigen Bedeutung. Die Transzendierung der eigenen Endlichkeit und ihre In-Beziehung-Setzung mit der Unendlichkeit konnte diese alten Worte sprechen und ihre existentielle Relevanz verstehen. Diese ist in der Neuzeit nach und nach abgeschnitten worden. Die radikale Besinnung auf die Endlichkeit ist die Signatur der Moderne, auf die Heidegger nachdrücklich aufmerksam gemacht hat. Endlichkeit wird losgelöst von Unendlichkeit als positive Bestimmung des menschlichen Daseins verstanden. Transzendenz ist von ihrer räumlichen Verortung (Diesseits/Jenseits; Transzendenz/Immanenz; außerweltlich/innerweltlich) gelöst. Erst vor diesem Hintergrund kann gefragt werden, wie die Umformung der Gehalte einer christlichen Religion aussehen kann, wenn Schöpfung radikal als religiöse Endlichkeitsreflexion15 gedeutet wird. (2) Die Theologie in der Moderne steht damit vor der Aufgabe einer kritischen Revision ihrer Grundbegriffe, die hier exemplarisch an der Frage nach Passagen des Kapitels sind eingeflossen in PH. DAVID 2021c. Der Terminus wurde von Rudolf Bultmann eingeführt und von Wolfhart Pannenberg, Wilfried Härle u. a. aufgenommen. 14 Vgl. S. FREUD (1913) 1991, 194–217. Vgl. dazu auch P. R ICŒUR 1969. 15 Vgl. U. B ARTH 2003, 401–426. 12 13

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dem gegenwärtigen Sinn des Schöpfungsgedankens durchgespielt werden soll. Der Weg des Gedankengangs systematisch-theologischer Reflexionen der religiösen Inhalte des Christentums steht nicht nur in der Spannung zwischen zwei Polen, sondern vollzieht sich auch im Wissen um seine umfangreiche offene und verborgene Herkunfts-, Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte. Ursprungssituation, geschichtliche Transformationsprozesse und gegenwärtige Lage sind Wegmarken einer philosophisch-theologischen Denkungsart der Revision der Grundbegriffe des protestantischen Christentums. Die Komplexität der Aufgabe kann mit Schleiermacher formuliert werden: „es [ist] der lezte Zwekk aller Theologie, das Wesen des Christenthums in jedem künftigen Augenblik reiner darzustellen.“16 Dass diese teleologische Aufgaben- und Zweckbestimmung der Theologie unter endlichen Bedingungen weder in ihren einzelnen Teilen noch im Großen und Ganzen jemals abgeschlossen werden kann, versteht sich von selbst. Jedoch ist die Funktion der Theologie in zureichender Genauigkeit erfasst, wenn bedacht wird, dass es sich um eine Aufgaben- und Zweckbestimmung handelt, die mit wissenschaftlichen Mitteln zu erfüllen ist.17 Insbesondere eine kritisch fragende Theologie versteht sich als wissenschaftliche Reflexion der wesentlichen Inhalte und Grundbegriffe des Christentums. Sie beansprucht, eine aufgeklärte, eigenständige und selbstkritische Deutung zur Erhellung der conditio humana in der kulturellen Situation des gegenwärtigen Zeitalters zu leisten. Die Situation, in die die Theologie sprechen muss, ist nach Paul Tillich die schöpferische Selbstbesinnung des Menschen im gegenwärtigen Zeitalter, die im Zeichen der (Sinn-)Krise steht. In ihr geht es um die eigene Sprach- und Urteilsfähigkeit, die „im Bilden einer eignen Ueberzeugung“18 besteht und sich in Haltungen kundtut. Die Fähigkeit zum Selbstdenken besteht darin, eigenständig neue Fragestellungen auszuprobieren und sie mit überkommenen Antworten zusammenzustellen, um deren Plausibilität zu überprüfen; das schließt ein Scheitern nicht aus.19 Das schöpferische Selbstverständnis der Existenz ist geschichtlich, psychisch, sozial und kulturell geprägt.20 Eine schöpferische Selbstbesinnung kann durch bestimmte äußere oder innere Ereignisse, bewusst oder unbewusst, veranlasst werden. Dazu kann gehören, die wesentlichen religiösen Gehalte in ihrer ursprünglichen Intention F. SCHLEIERMACHER, KGA I/6, 268; ferner KGA I/6, 358. Vgl. W. HÄRLE (1995) 2000, 32. 18 F. SCHLEIERMACHER, KGA I/6, 403. 19 Schleiermacher weist noch ausdrücklich darauf hin, dass „der Ausdrukk im Bilden der Ueberzeugung begriffen sein […] keineswegs einen skeptischen Zustand ein[schließt], sondern nur das dem Geist unserer Kirche wesentliche innere Empfänglichbleiben für neuere Untersuchungen [...].“ F. SCHLEIERMACHER, KGA I/6, 403. Eine Theologie in der gegenwärtigen Situation kann sich jedoch einer weitergehenden Skepsis nicht mehr verschließen und muss über die Kirchenmauern hinaus blicken und auch das Risiko des Scheiterns in Kauf nehmen. 20 Vgl. P. TILLICH 1987a, I, 10. 16 17

10.1 Zur Krise des Schöpfungsgedankens und zu seiner Transformation

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freizulegen oder aber der Geschichte ihrer Kontrafaktur nachzugehen, die möglicherweise zu einem neuen Verständnis wesentlicher Inhalte anleiten kann. Doch kann es dabei nicht um die Aufgabe einer bloßen Anpassungsleistung an die moderne Welt gehen,21 sondern um das Aufzeigen eines Bewusstseins für ein Lesen des Zwischenraums, in dem Wesensmöglichkeiten offen gehalten werden und die Zukunft nicht als mit der Gegenwart konform gilt. Die Gegenwart ist vielmehr ein Zwischenraum, der immer wieder transzendiert wird, damit aus der Krise Zukunft entstehen kann. Der Zwischenraum der Gegenwart weist zugleich auf seine Vergangenheit als Gewesenheit hin und auf seine Zukunft als Eröffnung neuer Wesensmöglichkeiten. Das Da-zwischenLesen kann sich möglicherweise nicht nur als Ort der Krise, sondern auch als ein kreativer Umgang mit der Krise erweisen. Ihre Haltung kann zwar als Schwebe verstanden werden,22 ihre Folgerungen aus dem Umformungsprozess bleiben aber nicht im Vagen. Theologie in ihrer wissenschaftlich-systematischen Gestalt kann dazu in der Lage sein, wenn sie sich dieser Situation der Krise stellt und zugleich als konstruktiv-kritische Irritation und Dekonstruktion der Wirklichkeiten, in denen wir leben, fungiert. Dazu muss sie sich der Aufgabe widmen, das eigene Denken zu schulen und Zutrauen zu der eigenen Sprach- und Urteilsbildung über die vielfältigen Meinungen (dógmata23) und zu der faktischen Mehrdeutigkeit der menschlichen Rede in den theologischen und religionsphilosophischen Texten der Überlieferungen wiederzugewinnen, die in historisch kontingenten Bedingungen der Textentstehung begründet liegen und zur Ambiguitätsschulung dienen.24 Es geht ihr dabei darum, Möglichkeiten des Denkens zu beschreiben und diesen Prozess nachvollziehbar zu reflektieren. Ob diese Denkmöglichkeiten auch Wirklichkeit werden, liegt nicht in der Hand des Autors oder der Denkerin, aber sie liegen als Möglichkeit vor den menschlichen 21 Vgl. J. SCHARFENBERG 1985, 16: Theologie „ist unter anderem auch eine Anpassungsleistung an eine sich wandelnde Welt. Sie versucht es immer wieder (mit mehr oder weniger gutem Erfolg), die alte Botschaft mit den Denk- und Sprachmitteln einer immer neuen geschichtlichen Situation zu versöhnen, ohne dabei ihre eigentliche Substanz zu verlieren.“ 22 Vom Phänomen des Schwebens her hat der Gadamer-Schüler und Tübinger Philosoph Walter Schulz (1912–2000), der einen Ruf auf die Heidegger-Nachfolge in Freiburg ablehnte, in seiner Geschichte der Ästhetik die Chancen einer Kunst bedacht, die im Sinn der klassischen Metaphysik ortlos geworden ist (Metaphysik des Schwebens. Untersuchungen zur Geschichte der Ästhetik). Vgl. W. SCHULZ 1985. 23 Vgl. auch die ursprüngliche vorchristlich-religiöse Bedeutung des griechischen Wortes dógma („das, was als richtig erschienen ist“), wie sie auch die philosophischen Schulen der Antike verstanden haben. Vgl. K. STOCK 2005, 214. Zugleich dienen diese Meinungen als notwendige Voraussetzung allen ethischen Verhaltens (vgl. M. ELZE 1972, 275) und damit des guten Lebens und machen so bereits auf den bis heute unverzichtbaren Zusammenhang von Dogmatik und Ethik, also von einem grundlegenden Wirklichkeitsverständnis für die Theorie der menschlich guten Lebensführung aufmerksam. 24 Vgl. TH. B AUER 2018, 31–40; 61; 95–97.

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Deutungs- und Urteilsfähigkeiten. Damit begibt sich Systematische Theologie an einen Ort auf der Grenze zwischen der Tradition und der Situation, wenn sie neue Möglichkeiten des Denkens und Redens von Gott, Mensch und Welt auslotet. Dieser Zwischenraum als das Da-zwischen-Lesen der Krise ist die grundlegende Signatur von Theologie, deren Ziel die schöpferische Selbstbesinnung des Menschen darstellt, bei der Krise und Kritik Hand in Hand gehen. (3) Neben der Krise des Schriftprinzips gehört die Krise der Vorstellung von Gott als Schöpfer der Welt und der Menschen zur Grundlagenkrise der Protestantischen Theologie in der Moderne.25 Der moderne Protestantismus hat den Schöpfungsglauben in der biblischen Schöpfungstheologie, dogmatischen Lehrtradition und christlichen Frömmigkeitsgeschichte vorgefunden, eigenständig angeeignet, modifiziert und umgeformt sowie vor dem Hintergrund der jeweiligen Situation nach dessen Sinn gefragt.26 Zu den vorgefundenen traditionellen Ausprägungen religiöser Weltdeutungen gehörte eine grundlegende Totalitätsvorstellung. Im Christentum findet sich diese im biblischen Schöpfungsglauben, der Auskunft über das Gottes- und Weltverhältnis des Menschen gibt. Die Spannung gegenüber modernen naturwissenschaftlichen Theorien und Anthropologien wird dadurch verstärkt, dass mit der Durchsetzung des naturwissenschaftlichen Weltbildes und einem Wandel von Welt- und Menschenbildern der Schöpfungsglaube in die Schusslinie gerät und sein maßgeblicher Sinn, Menschsein zwischen Geburt und Tod als „endliche Freiheit“27 in der Welt religiös zu deuten, verschüttet wird. Da aber der Schöpfungsglaube „mit dem unhintergehbaren Sich-Gegebensein alles sich selbst bestimmenden Lebens zugleich seine Kontingenz, ohne die es vollständig determiniert und mithin zu keinem Freiheitsakt fähig wäre“28, symbolisiert, lässt sich am Beispiel des alle Religionen tragenden Schöpfungsglaubens gut illustrieren, ob es einer religiösen Tradition gelingen kann, kulturgeschichtliche Veränderungen und Wandlungen im Weltbild religionshermeneutisch produktiv zu verarbeiten und überkommene Traditionsbestände neu zu interpretieren, so dass das eigene Dasein in der Welt sinnvoll zu deuten ist.29 Die Frage nach dem Sinn des christlichen Schöpfungsglaubens fordert besonders eine protestantische Religiosität heraus, deren Nachdenklichkeit sich auf der Basis von Struktur und Merkmalen 25 Vgl. exemplarisch W. PANNENBERG 1967, 11–21; J. LAUSTER 2014a zur Krise des Schriftprinzips und F. WAGNER 1995c zur Krise der Schöpfervorstellung. 26 Der von Israel in der mesopotamischen Umwelt vorgefundene und in die Verehrung Jahwes integrierte Schöpfungsmythos von Welt und Mensch steht zwar in zwei Varianten am Anfang der Tora (Gen 1–2), hat aber gegenüber dem für „die Identität des von Gott aus Ägypten herausgeführten Gottesvolkes“ fundierenden „Gründungsmythos“ nur sekundäre Bedeutung im Prozess religiöser Sinnstiftung. Primär ist der im Exodusgeschehen begründete Befreiungs- bzw. Freiheitsgedanke der israelitischen Religion. 27 Zum Leitkonzept der „endlichen Freiheit“ vgl. J. D IERKEN 2014a, 135. 28 J. D IERKEN 2014a, 150. 29 Vgl. U. H. J. K ÖRTNER 2018, 260.

10.1 Zur Krise des Schöpfungsgedankens und zu seiner Transformation

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neuzeitlicher Rationalität bewegt und damit eine spezifische aufgeklärte Reflexivität des religiösen Bewusstseins darstellt, wenn sie sich auf der einen Seite gegen religionskritische Einwände zur Wehr setzen muss und auf der anderen Seite von fundamentalistischer Simplifizierung und pseudowissenschaftlichem Kreationismus herausgefordert wird.30 Um die Problemlage zu erhellen, kann man im Rückblick zwei Transformationen des Schöpfungsgedankens in der Neuzeit ausmachen.31 Zu Beginn der Neuzeit beseitigte das Erklärungsmodell der präzisen mathematischen Naturwissenschaften alle bis dahin in Geltung stehenden religiösen Weltentstehungserklärungen. Die religiöse Kosmologie wurde auf die Rolle „transzendenter Sinnstiftung“ begrenzt. Doch diese Restfunktion des Schöpfungsglaubens wurde wiederum von Seiten der technologischen Weltinterpretation grundlegend in Frage gestellt: „Die religiöse Strukturierung der Welt als eines von Gott geordneten sinnhaften Ganzen wird überlagert von einem Deutungsmodell, das die Wirklichkeit in nahezu allen Bereichen unter dem Aspekt ihrer Herstellbarkeit und Machbarkeit sehen lehrt.“32 Das Präzisionsideal schneidet die religiösen Vorstellungen und ihre mythisch-existentiellen Sprachwelten ab. Der Protest von Seiten eines letzten Aufbäumens kosmologischer Schöpfungsvorstellungen gegenüber den Gefahren der modernen Technologien wird zum „unfreiwilligen Beleg“ für „die zweite Grundlagenkrise des Schöpfungsglaubens und aller religiösen Kosmisierung überhaupt.“33 Der Abschied von der Kosmologie führt zu einer theologischen Neuorientierung des Schöpfungsglaubens in existentialhermeneutischer Hinsicht. Im Anschluss an Martin Luthers Katechismusauslegung und Friedrich Schleiermachers Glaubenslehre kann Schöpfungsdenken nun als „religiöse Endlichkeitsreflexion“34 verstanden werden. In der Existenztheologie Bultmanns,35 in Tillichs Deutung des Gehalts des Schöpfungsgedanken als „Sinn von Endlichkeit“36 sowie in systematischen Rekursen auf die Weisheitstheologie37 ist dieser Umformungsprozess des Schöpfungsglaubens schon im Gange, der als Fortführung des Abschieds von der Kosmologie auch zum Abschied von der Vorstellung von Gott als Schöpfer führen kann.38

J. DIERKEN 2014a, 3. Vgl. zum Folgenden U. BARTH 2003, 152.153. 32 U. B ARTH 2003, 152. 33 U. B ARTH 2003, 152.153. 34 U. B ARTH 2003, 401–426; vgl. zur Kritik an Schleiermachers Schöpfungsgedanken W. PANNENBERG 1996b. 35 R. B ULTMANN 1936. 36 P. TILLICH 1987a, I, 291. 37 H. R OSENAU 2006b. 38 So im Anschluss an Fichte bei F. W AGNER 1995a. 30 31

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10 Anfänglich leben

10.2 Zum Sinn des Schöpfungsgedankens 10.2 Zum Sinn des Schöpfungsgedankens

(1) Die Krise des biblisch-christlichen Schöpfungsgedankens ist ein wesentlicher Aspekt der Grundlagenkrise der Theologie. Der „Abschied von der Kosmologie“39 hat in weiten Teilen der protestantischen Theologie eine Revision des Schöpfungsglaubens eingeläutet, die bereits in Martin Luthers existentieller Auslegung des ersten Glaubensartikels im Kleinen Katechismus angezeigt war40 und in der Glaubenslehre Friedrich Schleiermachers sowie in der Dialektischen Theologie und im theologischen Existenzialismus ihren Ausdruck gefunden hat. Schleiermachers Ausführungen in seiner Glaubenslehre und im Zweiten Sendschreiben an Herrn Dr. Lücke gelten als moderne Weichenstellungen für einen Rückzug der Theologie aus der Kosmologie.41 Damit „die Wissenschaft uns nicht den Krieg zu erklären braucht“42, weist er in seiner Lehre von der Schöpfung und Erhaltung alle naturwissenschaftlichen Erwägungen als „Fremdartiges aus dem Gebiet des Wissens“ zurück.43 Schleiermacher berücksichtigt den Naturzusammenhang der Schöpfung, insofern er sich im religiösen Selbstbewusstsein in der Form des Gefühls schlechthinniger Abhängigkeit meldet. Eine christliche Schöpfungslehre hat ihren eigentlichen Gegenstand im individuellen Bewusstsein der Abhängigkeit seiner selbst und alles Endlichen von Gott.44 In Schleiermachers Reden Über die Religion heißt 39 U. B ARTH 2003, 401–426 (Abschied von der Kosmologie. Welterklärung und religiöse Endlichkeitsreflexion). Vgl. jetzt auch die Deutung des Symbols der Schöpfung mit der Lebenssituation der „Verdanktheit des Lebens“ (mit Viktor von Weizsäcker, Trutz Rendtorff und Martin Luther [vgl. folgende Anm.]) bei U. BARTH 2021, 79–169; vgl. dazu auch B. DRESSLER 2012. 40 BSLK 545–733; hier: 647–650. Vgl. dazu O. B AYER 1986, 80–108. Für W. H ÄRLE 2000, 418–420 stellt Luthers Interpretation der Schöpfungsaussagen gegenüber der traditionellen Gleichsetzung von Schöpfung mit Weltentstehung oder Weltverursachung in zweierlei Hinsicht einen „revolutionierenden Neuansatz“ dar (vgl. aber bereits 2 Kor 5,17; Röm 4,17; Joh 3,3–5): Schöpfung wird auch als ein in der Gegenwart noch stattfindendes Geschehen verstanden (creatio continua); der Begriff Schöpfung wird angewendet auf etwas, das einen „natürlichen“ Anfang in der Zeit hat und dessen Entstehungsbedingungen bekannt oder naturwissenschaftlich erklärbar sind. So ist für Luther klar, dass wir durch Zeugung und Empfängnis unserer Eltern entstanden sind. Damit ist die Geburtlichkeit des Menschen klar herausgestellt. Ebenso klar sind die Entstehungsbedingungen der Güter des täglichen Bedarfs. Entscheidend ist für Luther der Gabecharakter (das „Gegebensein des Lebens“; vgl. T. RENDTORFF 2011, 80–98) unseres Daseins und unserer Güter. 41 Vgl. U. B ARTH 2003, 424. 42 F. SCHLEIERMACHER (1829) 1983, 149. 43 F. SCHLEIERMACHER, KGA I/13.1, § 39. Lapidar zu der neu aufflammenden Debatte um Schöpfungsglaube und Naturwissenschaft stellt Ulrich Barth fest: „Seit Schleiermacher – dies kann ohne Übertreibung festgehalten werden – ist der Streit zwischen Theologie und Naturwissenschaft um Fragen der Kosmologie im Grunde kein Thema mehr“ (U. BARTH 2003, 424); vgl. jetzt auch U. BARTH 2021, 90–109. 44 F. SCHLEIERMACHER, KGA I/13.1, § 38.

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es: „Geboren werden und sterben sind solche Punkte, bei deren Wahrnehmung es uns nicht entgehen kann, wie unser eignes Ich überall vom Unendlichen umgeben ist“45. Mit diesem Gefühl des individuellen Eingebundenseins in ein tätiges „Universum“ erteilt Schleiermacher auch der Hochschätzung des Schöpfergottes im Deismus als anfänglichem Wirkprinzip eine Absage, in dessen Umfeld die schöpfungstheologische Kosmologie „in eine Lehre von den natürlichen Bedingungen des moralisch guten Lebens umgeschmolzen“ wird.46 Neben Schleiermacher wird insbesondere Karl Barth für den Abbruch des theologischen Gesprächs mit den Naturwissenschaften verantwortlich gemacht. Die Dialektische Theologie war getrieben von der Angst vor einer Vorherrschaft der natürlichen Theologie gegenüber der Offenbarungstheologie des Wortes Gottes. Die Folge ihrer strengen Unterscheidung von Gott und Mensch war jedoch, dass die Gegenwart Gottes in der Welt, die Beziehung zu den Mitmenschen und Mitgeschöpfen unbedacht geblieben ist.47 Gott als der „ganz Andere“ blieb in seinem welterhaltenden Handeln nicht erfahrbar, bedeutungslos und tot. In Karl Barths Kirchlicher Dogmatik geht die Schöpfungslehre daher in Anthropologie auf.48 Eine Konsequenz aus diesen Entwicklungssträngen in der evangelischen Theologie ist die Abwendung von einer umfassenden Welterklärung hin zu einem neuzeitlichen Schöpfungsglauben als religiöse Selbstreflexion endlicher Freiheit. Religion und Naturwissenschaft hätten ihren je eigenen Kompetenzbereich und wahren diese Unterscheidung nicht nur strikt inhaltlich, sondern auch methodisch,49 so dass mit dieser religiösen Themenreduktion kein Verlust zu verzeichnen sei, sondern vielmehr ein Ausdruck der strukturellen Entwicklung fortschreitender Ausdifferenzierung der Kultursphären und ihrer Symbolwelten samt ihren Institutionen in der Neuzeit.50 Diese Einschätzung von Ul-

F. SCHLEIERMACHER, KGA I/2, 256. J. DIERKEN 2001, 256. 47 Ausschließlich betont wurde mit Rückgriff auf Kant und Kierkegaard sowie auf den Personalismus Martin Bubers, „daß mich Gott geschaffen hat“. Die konstitutive Relationalität, die durch das „samt allen Kreaturen“, also auch der Tiere und Lebewesen, nicht nur der Mitmenschen, ausgedrückt wird, blieb ausgeblendet und unbegriffen. Vgl. O. BAYER 1985, 1. 48 Vgl. zu Barths Anthropologie PH. D AVID 2016, 18–21. Karl Barths Vorwort zum ersten Teil der vierteiligen Schöpfungslehre im dritten Band seiner Kirchlichen Dogmatik (K. BARTH [1947] 1970 = KD III/1), mit dem zentralen Gedanken des Bundes (KD III/1, 258– 277: „Der Bund ist der innere Grund der Schöpfung.“ KD III/1, 261; „Die Schöpfung ist der äußere Grund dieses Bundes.“ KD III/1, 105), wird häufig als eine Weigerung verstanden, sich auf die naturwissenschaftliche Debatte von Seiten der Dogmatik einzulassen. 49 Vgl. U. B ARTH 2003, 424. 50 Eine andere Spur verfolgt die Hochschätzung des Schöpfungsglaubens in der Aufklärungsepoche, die sich nicht nur in der Würdigung des Schöpfungsgedanken als „Endzwecke des Daseins einer Welt“ (§ 84) und Physikotheologie (§ 85) in Kants Kritik der Urteilskraft 45 46

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10 Anfänglich leben

rich Barth scheint zwar für weite Teile der modernen Theologie zu stimmen, aber es gibt auch prominente Ausnahmen, die sich dem Dialog zwischen Theologie und Naturwissenschaften weiterhin und mit guten Gründen verpflichtet fühlen.51 Das seit den 1960er und 1970er Jahren zunehmende gesellschaftliche Bewusstsein für Umweltschutz und Ökologie, auch in der kirchlichen Friedens- und Umweltbewegung in der DDR und BRD, trug seinen Teil zur neuen Frage in Theologie und Kirche nach der sog. „Bewahrung der Schöpfung“ bei.52 Zudem lässt sich in der alttestamentlichen Wissenschaft eine engagierte Debatte über Sinn und Bedeutung der Schöpfungserzählungen nachzeichnen,53 wobei insbesondere die Weisheitstheologie nach ihrer Rehabilitation durch Gerhard von Rad und Hermann Timm auch systematisch-theologisch in den Blick gerät.54 Mit ihr sind aber auch wieder (tendenziell übergeschichtliche) Ordnungsstrukturen (Ehe, Familie, Eigentum und Staat) aufgerufen, die im Rahmen einer traditionalistischen Ordnungstheologie im konservativen Luthertum entfaltet wurden und sich insbesondere in Zeiten der nationalsozialistischen Diktatur als verhängnisvoll erwiesen haben. Diese Ambivalenzen sind bei einer dogmatischen Rezeption weisheitlicher Schöpfungsordnungen im Blick zu behalten.55 Zu den gegenwärtigen Herausforderungen der Schöpfungstheologie gehört neben den ökologischen Fragestellungen auch das freiheitsgefährdende Auftreten eines biblizistisch-fundamentalistischen Schöpfungsglaubens als „Kreationismus“.56 Ein aufgeklärter und selbstkritischer Schöpfungsglaube hat hier eine bleibende Aufgabe, wenn die vertretenen Positionen in einer vorreflexiven Phase stehen geblieben zu sein scheinen, es zu einer Vermengung von Weltentstehungstheorien und Schöpfungsglauben kommt und sich ein Verlangen nach (fundamentalistischer) Eindeutigkeit in einer unübersichtlichen und verunsichernden Postmoderne stärker ausprägt. Mit diesem vielstimmigen Bild bleibt die Schöpfungsthematik auch für eine über ihre Erkenntnisbedingungen aufgeklärte Dogmatik virulent und bleibender geltungstheoretischer Auftrag im Prozess religiöser Sinnstiftung. Ein „Abschied von der Kosmologie“ führt zwar zu (KU, AA 05, A 1790; B 1793; C 1799) ablesen ließe. Vgl. M. SCHMIDT 1979, 358; M. HOFER u. a. 2013. 51 Dazu zählen u. a. Alfred North Whitehead, Teilhard de Chardin oder Karl Heim sowie insbesondere Wolfhart Pannenberg, John Polkinghorne, Ian Barbour, Michael Welker, Christian Link und Dirk Evers. 52 Vgl. etwa J. M OLTMANN (1985) 2002; C H. LINK 1991b. Überarbeitet erschienen als Schöpfung. Ein theologischer Entwurf im Gegenüber von Naturwissenschaft und Ökologie (CH. LINK 2012); ferner: CH. HARDMEIER/K. OTT 2015. 53 Vgl. C H. LINK 2012, 32–108; vgl. auch die Beiträge in: K. SCHMID 2012. 54 Vgl. H. R OSENAU 2006b; 2012b, 87–102. 55 Vgl. U. H. J. K ÖRTNER 2018, 314–315. 56 Vgl. B. JANOWSKI/F. SCHWEITZER/C H. SCHWÖBEL 2010; F. W. G RAF 2013; 2014a, 166–202; 237–245.

10.2 Zum Sinn des Schöpfungsgedankens

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einer theologischen Neuorientierung des Schöpfungsglaubens, in dem Geschöpflichkeit als endliche Freiheit thematisiert wird, zu der aber unverrückbar die „Verwicklungen von Selbstbestimmung der Lebensführung unter den Bedingungen eines nicht selbsterzeugten Daseins“57 gehören. Das heißt aber auch, dass durch eine individuelle Zuspitzung eine umgreifende Perspektive nicht vollständig auszublenden ist,58 die mit dem Tod Gottes weggebrochen zu sein scheint. Dieser transformierte Zugang zur existentiellen und universalen Perspektive, die man existenzanalytisch als „eingebundenes Dazwischensein“ verstehen kann, drückt auch aus, „daß Selbstbestimmung sich nicht selbst gesetzt hat, sondern sich selbst in ihrem inneren Vollzug bereits gegeben ist, und […], daß das um seine Endlichkeit wissende Bewußtsein sich zu einem anderen Ort hindenkt, von dem es weiß, daß es selber an ihm nicht mehr sein wird.“59 Dieser Ort ist jedoch durch den Verlust der herkömmlichen Vorstellung eines Schöpfergottes weggebrochen und wird offengehalten. (2) Schöpfung kann nach dem Abschied von der Kosmologie und Welterklärung sowie dem Abschied vom Schöpfergott nur noch als religiöse Endlichkeitsreflexion entfaltet werden, die als Zugewinn für eine so immer mehr zu sich selbst kommende Religion gedeutet werden kann.60 Das heißt aber nicht, dass in diesem transformierten Schöpfungsgedanken durch eine individuelle Engführung nun die universale oder kosmische Perspektive auszublenden ist. Damit würde man nur den Fehler der dialektischen Theologie wiederholen, aus Angst vor der natürlichen Theologie die Welt zu vergessen und sich auf den Einzelnen vor Gott zu konzentrieren. Dennoch geht der transformierte Zugang zur universalen Perspektive über die radikal neu verstandene Endlichkeit des Daseins. Die universale Perspektive meint hier das „Eingebunden-Sein in das Ganze“61. In den letzten Jahrzehnten lässt sich eine nachhaltig veränderte Aufmerksamkeitshaltung zum Eingebunden-Sein in ein Ganzes in der Moderne der westlichen Kultur beobachten. Die Emanzipation von der Natur mit dem Ziel einer weitgehenden Naturbeherrschung ist im 20. Jahrhundert zwar vorangeschritten und die Welt wurde mehr und mehr zum Objekt der Erkenntnis (praecisio mundi) reduziert. Aber ein Ergebnis der wissenschaftlichen Forschung ist auch, dass die Menschen ihrer Zugehörigkeit zur materiellen Welt nicht entrinnen können. Sie sind auf Gedeih und Verderb mit dem Schicksal der Erde J. DIERKEN 2001, 257. Vgl. etwa J. DIERKEN 2014a, 1–19 und J. DIERKEN 2001, 257–260; 259: Denn das religiöse Differenzbewußtsein, das sich „im Horizont eines Unbedingten deutet und […] gleichwohl bleibend an den empirisch-partikularen Ort seines lebensweltlichen Vorkommens zurückgebunden bleibt“, ermöglicht gerade auf diese Weise „eine freiheitseröffnende Deutung der Differenzerfahrungen.“ 59 J. D IERKEN 2001, 257.258. 60 Vgl. U. B ARTH 2003, 425. 61 Vgl. zum Folgenden insbesondere A. FELDTKELLER 2006, 193–247. 57 58

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10 Anfänglich leben

verbunden, wie es auch Mark C. Taylor mit seiner relationalen Ethik am Beispiel des Wassers eindrücklich herausgestellt hat (6.3.1). Doch ein ökologisches Bewusstsein ist nicht gleichzusetzen mit einem ausgereiften Bewusstsein für ein Eingebundensein in ein Ganzes, in dem es zunächst um eine grundlegende Besinnung auf elementare menschliche Lebenswirklichkeiten geht, wie sie der Berliner Religionswissenschaftler Andreas Feldtkeller vorgeschlagen hat. Das Menschsein ist ohne ein Eingebundensein in das Ganze (Kosmos) nicht zu denken: „Eine grundlegende Besinnung auf elementare menschliche Lebenswirklichkeiten hat zu vergegenwärtigen, dass menschliches Eingebunden-Sein in das Ganze ein Aspekt des Mensch-Seins ist, der gleich ursprünglich neben Bewusstsein, Leiblichkeit und Gemeinschaft steht.“62 Menschsein ist ohne dieses Eingebundensein nicht zu denken. Menschen sind ein Teil des Ganzen. Jedes Verständnis vom Menschen braucht einen Hintergrund, vor den gestellt der Mensch gezeichnet wird. Wie bereits herausgestellt, gehört hierher auch die wesentliche Einsicht der Religionstheorie, dass nicht unbedingt ein Gottesverständnis im Zentrum oder am Anfang der Religion stehen muss. Vielmehr geht es für Religion im Wesentlichen um die menschliche Wirklichkeit als Ganze sowie im Zusammenhang eines Ganzen.63 Dazu gehört die „Erdgebundenheit“64 der leiblichen Existenz des Menschen: Die Erde ist der nicht austauschbare Lebensraum. Ferner der Aufenthaltsraum des Menschen, dessen Bedingungen der Mensch ausgesetzt ist, in den „Welt-Räumen“65 zwischen Beheimatung und Mobilität sowie in den „Welt-Zeiten“66 von Tageslauf, Mondzyklus und Jahreslauf. Menschliches „Leben im Zusammenhang“67 zeigt sich ambivalent: „Unsere Beziehung zum Ganzen ist eine Beziehung von unmittelbarer und nicht zu unterbrechender Abhängigkeit. Menschliches Leben ist geborgen darin, im Zusammenhang des Lebendigen und Materiellen auf der Erde alles Nötige zu finden – aber es ist auch ungeborgen darin, mit jedem Entzug von etwas aus dem Zusammenhang in seiner Existenz bedroht zu sein.“68 Zu diesem Leben im Zusammenhang gehört das Angewiesensein auf Atemluft und sauberes Trinkwasser, organische Nahrung und Mineralstoffe, Gebundenheit an die Bedingungen des Planeten und der Atmosphäre, Wasserkreislauf, Vielfalt des Lebendigen, Temperaturbereich, Rhythmus eines Wechsels von Tag- und Nachtphasen, Wach- und Schlafphasen.

A. FELDTKELLER 2006, 193. Vgl. A. FELDTKELLER 2006, 194; 9–25. 64 A. FELDTKELLER 2006, 195–199. 65 A. FELDTKELLER 2006, 199–216. 66 A. FELDTKELLER 2006, 217–229. 67 A. FELDTKELLER 2006, 229–236. 68 A. FELDTKELLER 2006, 229. 62 63

10.2 Zum Sinn des Schöpfungsgedankens

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In diesem Kontext stellt sich die Frage nach der Ordnung und dem Sinn im Ganzen.69 Hierüber verständigen sich Menschen mit anderen Menschen, wenn sie sich über eine Welt verständigen, in der sie Ordnung vorfinden. Das muss aber nicht heißen, dass alles aus menschlicher Sicht „in Ordnung“ wäre. Es ist für Menschen nicht möglich, die Welt in Worte zu fassen, ohne dass sie damit auch schon begonnen haben, an der Welt Strukturen zu erkennen, die es überhaupt lohnen, dafür Worte zu vereinbaren. Die Ordnung stellt sich durch die bereits angezeigten elementaren Lebenswirklichkeiten dar. Durch die gegenseitige Angewiesenheit des Lebendigen aufeinander, durch die Zeitzyklen des Tages, des Monats, des Jahres. Durch die aus dem Sonnenlauf ableitbaren Himmelsrichtungen. Durch die Schwerkraft ist der Mensch an das Biotop Erde gebunden. Auf diese Weise erfahren sich Menschen als eingebunden in die Ordnung der Welt. Dieser Gedanke findet sich bereits im weisheitlichen Ordnungsdenken. In der Vorstellung der creatio continua geht es um die Sinnhaftigkeit der Ordnung sowie um verlässlich wiederkehrende Rhythmen bzw. Ordnungsstrukturen für das Leben der Menschen. In ihnen findet sich der Mensch vor. In ihnen kann sich der Mensch einrichten. Metaphorisch ausgedrückt heißt es: „Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.“ (Gen 8,22) Nach dem Ende der Sintflut und damit nach der Neuschöpfung hat sich gezeigt, dass die Welt, wie Gott sie sich vorgestellt hat (Gen 1 und 2), nun durch eine tatsächlich mögliche Welt der nachsintflutlichen Neuschöpfung ersetzt wurde (Gen 6–9). Damit geht es im Schöpfungsgedanken nicht so sehr um einen ersten Anfang, sondern auch um die Möglichkeit, einen neuen Anfang machen zu können. Neuschöpfung kann damit biblisch auch als Sinn von Schöpfung verstanden werden. Auch das Denken der alttestamentlichen Weisheit ist nicht rückwärts zum Anfang ausgerichtet, auf den Beginn von Zeit und Raum der Schöpfung, sondern auf Zukunft hin. Schöpfung wird als eine in der Gegenwart andauernde Tätigkeit verstanden, die in ihrer Erhaltung auf Zukunft ausgerichtet ist. Doch die Moderne machte es sich zum Programm, das Menschsein aus seinem Weltzusammenhang herauszulösen, damit es in der Lage ist, seine Lebensbedingungen frei zu wählen. Aber die ökologische Krise zeigt auf, dass ein Entrinnen nicht möglich ist. Feldtkeller macht an dieser Stelle auf den bedeutsamen Umstand aufmerksam, dass keine Religion der Menschheitsgeschichte die Einbindung des Menschen in das Weltganze so detailliert analysiert, wie es heute für das Überleben der Menschheit erforderlich wäre.70 Kein Rezept einer Strategie ist aus einer oder aus einer Kombination mehrerer religiöser Traditionen herauszulesen. Umso mehr zeigt diese Einsicht, dass der 69 A. FELDTKELLER 2006, 236–247. Diese elementaren vorgefundenen Lebenswirklichkeiten beschreibt auch der Schöpfungsmythos, der das Hier und Jetzt des Menschen thematisiert. Vgl. dazu jetzt U. BARTH 2021, 109–119; 157–169. 70 A. FELDTKELLER 2006, 237.

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Schritt in Richtung einer Ethik ohne Absolutheitsansprüche, wie ihn Mark C. Taylor anfänglich gegangen ist, noch einen weiten interreligiösen und interkulturellen Weg vor sich hat. Auch in dieser universalen Perspektive bietet sich der Begriff der Endlichkeit an. Doch auch in dieser Hinsicht wird die integrative Kraft der Natalität hinsichtlich individueller und universeller Perspektiven noch aufzuzeigen sein. (3) In der Philosophie des 20. Jahrhunderts wurde bereits durch Heidegger in Sein und Zeit der Weg gebahnt, Endlichkeit als eine positive und von ihrem Gegenbegriff Unendlichkeit gelöste Bestimmung des menschlichen Daseins zu verstehen. Heideggers radikaler Zugang zur Endlichkeit wurde schon herausgestellt und wird nun im philosophiegeschichtlichen Kontext verortet.71 Das Endliche wird in der philosophisch-theologischen Tradition prinzipiell als das Begrenzte oder Beschränkte verstanden.72 Dabei bildet Endlichkeit mit Unendlichkeit (griech. peîras échōn/ápeiron; lat. finitum/infinitum) seit der Antike ein Gegensatzpaar, das in Philosophie, Mathematik, Physik (Kosmologie) sowie Theologie reflektiert wird. Für das theologische Denken ist die Unterscheidung von unendlich und endlich insofern konstitutiv, als sie den Unterschied von Schöpfergott und Geschöpf markiert. Die Betonung menschlicher Endlichkeit bezieht sich daher direkt oder indirekt immer auf die Gottesidee. Spielte lange Zeit die Unendlichkeit als spekulativer Grenzbegriff und Grund der Möglichkeit von Endlichkeit eine wichtige Rolle, so findet sich seit Martin Heidegger eine von ihrem Gegenbegriff gelöste positive Bestimmung des menschlichen Daseins als Endlichkeit. Vorbereitet wurde diese bereits bei René Descartes, dem Endlichkeit als eine Wesensbestimmung menschlichen Seins und Erkennens diente. Kant diskutierte im Anschluss an Descartes und den Empirismus, ausgehend vom endlichen erkenntnisfähigen Subjekt, ausführlich das menschliche Erkenntnisvermögen, obgleich er dem Gegensatz von Endlichem und Unendlichem verpflichtet blieb. Trotzdem musste sich seine kritische Philosophie von den Denkern des Deutschen Idealismus (Fichte, Schelling, Hegel) den Vorwurf gefallen lassen, auf dem Standpunkt bloßer Endlichkeit geblieben zu sein. Sie suchten ihrerseits in unterschiedlicher Weise das Verhältnis des Unendlichen und des Endlichen im Sinne einer Einheit zu verstehen.73 Schleiermacher sieht den Menschen spekulativ als endliche Darstellung des Unendlichen.74 In der christlichen Erlösungslehre gründet sich die Hoffnung des Heils Vgl. Abschnitt 5.2.2 in diesem Buch. Vgl. zum Folgenden H. TEGTMEYER 2010; N. FISCHER 2011. 73 Fichte versuchte in seiner Wissenschaftslehre (1794; 1802) die Endlichkeit der Vernunft aufzuheben, die ihm in Kants Philosophie begegnet war. An ihn anschließend bestimmt er es als Aufgabe, „den absolut-ersten, schlechthin unbedingten Grundsatz alles menschlichen Wissens aufzusuchen. Beweisen oder bestimmen lässt er sich nicht, wenn er absoluterster Grundsatz seyn soll.“ (J. G. FICHTE, SW I, 91). Vgl. W. JAESCHKE 2010, 137. 74 Für Schleiermacher drückt sich im Endlichkeitsbewusstsein eine inhaltliche Näherbestimmung des für ihn zentralen schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühls aus: „Der Einzelne 71 72

10.3 „Du kannst neu anfangen!“ (Hannah Arendt)

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auf die Transzendierung der „Tragik“, die „allem Endlichen“ immanent ist (Karl Rahner). Doch der Sinn der Transzendierung des Geistes liegt nicht allein im Überstieg zum Unendlichen, sondern erkenntnistheoretisch wie existentiell in der Hinwendung zum Geschaffenen. So verstanden gilt der Glaube als „Doppelbewegung“ (Kierkegaard). In einem ersten Schritt löst sich der sich seiner selbst bewusste Mensch in einer „unendlichen Resignation“ von der Endlichkeit, um sie dann „kraft des Absurden“ zurückzugewinnen. An dieser Stelle ist nun zu fragen, was eine radikal verstandene Endlichkeit des Menschen nach dem Ereignis des Todes Gottes im Grunde ausmacht und wie damit religiöse Endlichkeitsreflexion inhaltlich ausgestaltet werden kann. Hierfür greift diese erste schöpferische Besinnung auf ein in der christlichen und philosophischen Tradition lange vernachlässigtes Thema zurück, auf das erst Hannah Arendt nach der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs wieder aufmerksam gemacht hat: die Geburtlichkeit des Menschen oder, wie Hannah Arendt sagt: die Natalität. Durch diese Dynamisierung des Begriffs der Endlichkeit soll versucht werden, der Komplexität, Ungewissheit, Unsicherheit und Widersprüchlichkeit des Lebens in der Moderne Rechnung zu tragen. Der transformierte Begriff der Schöpfung bietet sich dafür an, weil mit ihm die Situation nach dem größten neueren Ereignis radikal ernst genommen wird und der offenen Zukunft begegnet werden kann. Im Metaphernfeld der Geburt als Gegenbegriff zum Tod kommt die „emergent creativity“, auf die Mark C. Taylor hingewiesen hat, zum Ausdruck. In die Denkfigur der Natalität können einerseits sowohl Kreativität als auch die Freiheit des Menschen integriert werden und andererseits die strukturierenden und stabilisierenden wie auch die destrukturierenden und destabilisierenden Momente zum Ausdruck kommen, ohne dass ihre Dialektik aufgehoben werden könnte oder sollte.

10.3 „Du kannst neu anfangen!“: Überlegungen im Anschluss an die Idee der Natalität (Hannah Arendt) 10.3 „Du kannst neu anfangen!“ (Hannah Arendt)

(1) Die Aufmerksamkeit der abendländischen Geistes- und Philosophiegeschichte galt in den letzten 2500 Jahren dem Sterben und dem Tod als Ende des menschlichen Lebens.75 Im antiken Griechenland wurde dies mythisch[sezt] seine schlechthinnige Abhängigkeit als ganz dieselbige [...] mit der jedes andern endlichen Seins.“ (KGA I/13.1, 215 [§ 34.3]). Das bedeutet, dass „unser Selbstbewußtsein die Endlichkeit des Seins im Allgemeinen vertritt“ (KGA I/13.1, 205 [Leitsatz § 33]). Die Aufnahme des Weltbewusstseins in das schlechthinnige Abhängigkeitsgefühl ist demnach die Erweiterung unserer individuellen Endlichkeitserfahrung „zum allgemeinen Endlichkeitsbewußtsein“ (KGA I/13.1, 67 [§ 8.2]). So begreift das individuelle Subjekt seine kontingente menschliche Endlichkeit als Ausdruck der Endlichkeit der Welt. Vgl. U. BARTH 2004, 349. 75 Vgl. jetzt dazu C H. SCHÜES (2008) 2016.

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10 Anfänglich leben

poetisch dadurch unterstrichen, dass die Menschen im Unterschied zu den unsterblichen Göttern (athánatoi) „die Sterblichen“ (oi thnētoí) und nicht etwa „die Geburtlichen“ genannt wurden. Die vom griechischen Pessimismus beeinflusste Tragödie und Philosophie antiplatonischer Existenzverwünschung war leitmotivisch durchstimmt von der Sententia Theognis: „Nicht geboren zu sein, sei das Beste, das Zweitbeste aber, so schnell wie möglich zu sterben.“76 Wenn man sich nicht materialistisch, wie Epikur, auf das Glück (hēdonḗ) im kurzen, lust- und freudenreichen Leben konzentriert und die Angst vor dem Tod entschieden zurückweist (Brief an Menoikeus 124–127),77 zeigen sich auch Wege auf, sich in der Einübung in das Sterben zu üben und die Philosophie als ein Streben nach dem Tode zu betreiben (Phaidon 64a.b). Denn die endgültige Trennung der Seele vom Körper ist für den Philosophen ein ersehntes Glück. Aber die vor allem in Platons Dialogen überlieferte sokratische Philosophie bewegt sich „zwischen [Ideen-],Himmel‘ und ,Höhle‘[n-Gleichnis]“ und bedient sich Geburtsmetaphern.78 Sokratische Philosophie als Lebensform und als auf Erkenntnis ausgerichteter Diskurs versteht sich als Mäeutik, als Hebammenkunst (maieutikḗ [téchnē]), und der Sohn einer Hebamme, Sokrates, wird selber zum Geburtshelfer für junge, philosophische Orientierung suchende Männer aus Athen, damit sie sich um die Kenntnis der Seele bemühen, in der Seelenbildung die Sorge um sich einüben und selbst denken lernen (Apologie 36c). Doch auch für die christliche Theologie und ihre Vorstellung von der Geschöpflichkeit und Sündhaftigkeit des Menschen galt und gilt: Sie hat viel über Sterben und Tod, Auferstehung und das ewige Leben nachgedacht79 und wenig über die Geburt,80 W. JANKE, 2002a, 93. Vgl. dazu W. JANKE 2002b. 78 Vgl. C H. SCHÜES 2016, 31–94; H. B LUMENBERG 1979b. 79 Vgl. z. B. E. JÜNGEL 1971. 80 Vgl. G. SAUTER 2011, 205. Dass sich die Theologie bislang erstaunlich wenig dem Thema des Geborenseins des Menschen gewidmet hat, zeigt eine Sichtung der einschlägigen Werke und Lexika. Das Ergebnis bietet ein ernüchterndes Bild. Die TRE, die verschiedenen Auflagen des EKL und die ersten drei Auflagen der RGG verfügen über keinen eigenen Artikel zum Themenfeld Geburt. Die 4. Auflage der RGG enthält einen knappen religionsgeschichtlichen Artikel: F. STOLZ 2000. Monographien vorgelegt haben: K. ULRICH-ESCHEMANN 2000 und M. GROHMANN 2007; Beiträge zur Geburtsthematik finden sich in D. DIECKMANN/D. ERBELE-KÜSTER 2006. Vgl. ferner u. a.: U. H. J. KÖRTNER, 2008; S. HEUSER 2006; E. MOLTMANN-WENDEL 1998; jetzt auch im Rahmen eines Entwurfs einer theologischen Anthropologie bei G. SAUTER 2011, 205–227 („Geboren werden und neu geboren werden“). Die Geburtsvergessenheit spiegelt sich auch in der Frage nach dem Gedenken des eigenen Geburtstags. Der Mensch wurde für das Christentum erst durch die Neugeburt durch die Taufe zum Christen, vorher lebte er als natürlicher Mensch und Heide (vgl. auch Joh 3), bzw. sein Tod als Eintritt in den Himmel war seine eigentliche, wahre Geburt. Die Juden kennen den Geburtstag nicht, wohl aber das Gedenken an den Todestag der Verstorbenen. Der ursprünglich paganen Geburtstagsfeier setze das Christentum ausdrücklich seit Ter76 77

10.3 „Du kannst neu anfangen!“ (Hannah Arendt)

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den Beginn des menschlichen Lebens.81 Dabei wusste schon Kohelet, dass die Gegensätze von Geburt und Tod das menschliche Leben umspannen, „aus denen sich das Gefüge alles Erlebens und Handelns ergibt“82: „geboren werden hat seine Zeit, sterben hat seine Zeit“ (Koh 3,2). Die Geburtsvergessenheit mag vor dem Hintergrund noch mehr erstaunen, dass die Geburt des Gottessohnes und damit die Inkarnation, die Menschwerdung Gottes qua Geburt durch eine Frau zentraler Aspekt des christlichen Glaubens ist. Doch durch die Zentralstellung der Auferweckung Jesu Christi von den Toten und der Verheißung eines ewigen Lebens sowie der Taufe als zweite und eigentliche (Neu-)Geburt, die von der Erbsünde erlöst, wurde der Leibfeindlichkeit und der negativen Konnotation der menschlichen Sexualität und Geburt seit Augustinus nachhaltig bis in die heutige Zeit hinein Vorschub geleistet. Gerade vor dem Hintergrund gegenwärtiger (bio-, medizin- und gen-)ethischer Debatten um die Frage nach dem Beginn des Lebens und der Würde des Menschen aber sind Überlegungen zu diesem bislang vernachlässigten anthropologischen Thema angezeigt. Denn im Grunde geht es bei der Frage nach der Geburt des Menschen um die Frage nach dem Verständnis vom Menschen. Diesen Streit um ,das‘ Verständnis vom Menschen tragen Theologie, Philosophie, Naturwissenschaften, Medizin, Religionen und Weltanschauungen untereinander aus. Die Anthropologie als Lehre vom Menschen wird von einer Reihe von Einzelwissenschaften bearbeitet und stellt in gewisser Weise das gemeinsame Projekt aller Wissenschaften dar. Es kann auch als das die verschiedenen Fächer der Theologie verbindende Thema verstanden werden. Damit ist dieses „große interdisziplinäre Forschungsprojekt letztlich aller Wissenschaften“83 der Austragungsort der unterschiedlichen Verständnisse vom Menschen. Für eine theologische Anthropologie stellen sich in diesem Zusammenhang die Fragen: Welche Konsequenzen für das christliche Verständnis vom Menschen hat es, dass der Mensch ein Geborener ist? Wie verhält tullian die Feier des Todestages eines Christen entgegen als Geburtstag für den Himmel. Das Sterben ist auch für Martin Luther eine neue Geburt „durch die enge Pforte des Sterbens und des Todes hindurch“, und der Gedenktag der Verstorbenen solle „Natale“, ein Tag ihrer Geburt, heißen (WA 2, 685, 20 ff.). Aufgrund spätantiker Leibfeindlichkeit lehnten auch Ambrosius und Augustinus die Geburtstagfeier eines Menschen ab. Jedoch wird der Märtyrergedenktag als Geburtstag bezeichnet (natalis martyrium). Erst durch die Geburtstagsfeier Mariens im Osten und von Jesus und Johannes, (der Agnes und Soteris) im Westen wird der Geburtstag positiv bewertet. Das Aufkommen der Erbsündenlehre führt zu einer Verschiebung der Feier vom Geburtstag hin zum Gedenken an den in der Taufe erhaltenen Namen. Der Namenstag verdrängte im katholischen Bereich bis in die jüngste Zeit hinein die Feier des Geburtstages. Vgl. W. GEERLINGS 2000. Die Feier des Geburtstags hat gegenwärtig wiederum die Feier des Namenstags, der Taufe und die Erinnerung an den Todestag aus dem sozialen Gedächtnis weitgehend verdrängt. 81 Vgl. zur Debatte V. G ERHARDT 2001. 82 G. SAUTER 2011, 205. 83 So H.-M. B ARTH 2001, 482.

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sich dieser Aspekt zu der zentralen Rede von der Geschöpflichkeit des Menschen und der Gottebenbildlichkeit des Menschen und seines von der Sünde bestimmten Daseins zum Tode? (2) Der Umstand der „Geburtsvergessenheit“ ist umso merkwürdiger, wenn man bedenkt, dass die religiösen Urerzählungen in Geburtserzählungen narrative Gestalt gewonnen haben, welche zugleich auch Reiseerzählungen sind.84 Denn in ihnen spiegelt sich die religiöse Erfahrung der eigenen Freiheit sowie die Verantwortlichkeit und Beziehung zur Freiheit anderer. In den großen religiösen Traditionen zeigen sich diese Erfahrungen in den Metaphern des Weges, des Pfads, der Umkehr (metánoia), des Fahrzeugs, der Reise. „Auf dieser Reise geht es um eine Suche, ein Abenteuer mit Möglichkeiten und Gefahren, Flucht und Gastfreundschaft, Begegnungen mit Rivalen und Geliebten, festen Rhythmen und Konjunkturen. Nomadische Muster von Kultur gehen über in seßhafte Gesellschaften, aber die letzten können ohne Mobilität und Transport, Kommunikation und Austausch nicht bestehen. Darum lebt die Stadt vom Hin und Her von Gütern, Dienstleistungen und Menschen, und so ist der Markt der Begegnungsort von Siedlern und Handlungsreisenden.“ 85

Der religionsgeschichtliche Rückblick untermauert diese Beobachtung, wenn nachvollziehbar ist, dass sich die Religionen über die großen Handelsstraßen verbreitet haben, auf denen auch die Propheten und Missionare von Stadt zu Stadt zogen. In vielen Religionen galt auch der Gott der Wege, der Reisenden und Händler (Hermes, Hekate, Kybele) als beliebteste Gottheit zusammen mit dem Gott der Fruchtbarkeit und der Liebe.86 „Mobilität und Natalität sind jedenfalls die höchsten Ausdrücke unserer Freiheitserfahrung und unserer menschlichen Würde und zugleich die höchste Herausforderung mit den meisten Gefahren.“87 Doch die Kehrseite dieser Freiheitserfahrung der Mobilität sind die großen Flucht- und Vertreibungserfahrungen und ihre Folgen im 20. und 21. Jahrhundert. Wenn die damit einhergehenden Gefahren religiös thematisiert werden, kann dies auch nicht unter Absehung von gegenwärtig erlebten Fluchterfahrungen aus Kriegs- und Krisengebieten und der damit verbundenen existentiellen Angst, Heimatlosigkeit und Ungewissheit von Millionen von Menschen geschehen. Die jüdisch-christliche Tradition bildet hier keine Ausnahme und weiß um solche Erfahrungen, sieht sie aber häufig ‚gut‘ ausgehen. Seit dem Aufbruch Abrahams drehen sich die biblischen Geschichten um Natalität und Mobilität, um die der Verheißung folgende Suche nach fruchtbarem Land, großer Nachkommenschaft und Segen. Es geht um Gefährdungen und Rettungen, um Unterdrückung und Befreiung (Exodus). Immer wieder steht das Schicksal der Darauf macht A. W. J. HOUTEPEN (1997) 1999, 338 aufmerksam. Hieran knüpfen auch die folgenden Überlegungen an. 85 A. W. J. H OUTEPEN 1999, 338. 86 So bei A. W. J. H OUTEPEN 1999, 338. 87 A. W. J. H OUTEPEN 1999, 338. 84

10.3 „Du kannst neu anfangen!“ (Hannah Arendt)

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Erstgeborenen im Fokus. In diesem Glaubenserlebnis wird der „Gott, der mit den Menschen auf ihrem Lebensweg mitzieht“88, zum Kern der Gottesidee Abrahams. Das Thema Fruchtbarkeit wird vom priesterschriftlichen Schöpfungsbericht programmatisch an den Anfang gesetzt (Gen 1,11.12.22.28.29). Geburten bilden den roten Faden in den Erzelterngeschichten.89 Die Heilsgeschichte Gottes mit Israel knüpft immer wieder an Geburtsankündigungen wichtiger Männer an, und Schwangerschaften werden zu Heilszeichen (Jes 7,14; 1Sam 2; Lk 1 u. ö.). Das Geborenwerden eines Kindes wird in die Verheißung göttlichen Handelns eingefasst. Im Buch Hiob erinnert die formelhafte Verwendung „der Mensch, von der Frau geboren“ an die Vergänglichkeit, Kürze und Schuldverhaftung menschlichen Lebens (Hi 14,1; vgl. Gal 4,4) sowie an die Grenzen allen Strebens (Hi 15,14; 25,4; Koh 5,14). Dennoch: Geboren worden zu sein ist ein Grund zur Freude über das Geheimnis des Lebens und über seinen Schöpfer. Nur in Situationen äußerster Verzweiflung verfluchen Jeremia (Jer 20,14–18) oder Hiob (Hi 3,3–12) den Tag ihrer Geburt. Kohelet ordnet das Geborenwerden in sein Zeitgedicht ein und schreibt ihm seinen eigenen Kairos zu (Koh 3,2). Eine Parallele des Geborenwerdens und Sterbenmüssens sieht er darin, dass man nackt und ledig allen Besitzes zur Welt kommt und ebenso, trotz aller Mühe (Koh 3,9; 3,22), wieder aus ihr heraus geht (Koh 5,14). Diese kurze Spurensuche zeigt die zentrale Bedeutung des Ereignisses der Geburt, die sich durch alle biblische Textwelten zieht, denn „von der ,Natalität‘ geht alles Nachdenken über die Stellung des Menschen in der Welt aus.“90 Der Einzelne beruft sich in seiner Not auf göttlichen Beistand und Schutz in seinem eigenen Leben, nicht auf geschichtliche Rettungstaten JHWHs, denn „[s]ein Vertrauen zu Gott beruht gar nicht auf der Geschichte Israels, sondern auf seiner Geburt, d. h. seiner Erschaffung durch Gott. [...] Die Gottesbeziehung des einzelnen hat einen eigenen [...] unabhängigen Grund: Sie ist tief im Kreatürlichen, in der Schöpfung verankert und deshalb auf die geschichtlichen Gotteserfahrungen Israels gar nicht angewiesen.“91 Diese religionsgeschichtliche Einsicht in die Bedeutung der Geburt für den Einzelnen kann auch für eine philosophisch-theologische Anthropologie nach dem Tode Gottes nicht unbedacht gelassen werden, wenn sie sich um die Transformation des Schöpfungsgedankens in eine religiöse Endlichkeitsreflexion sorgt, deren Sinn sie in der Natalität neu erblickt. Spiegelt sich in diesen mythischen Geschichten des Weges ins Ungewisse und Offene noch ein Vertrauen auf Gottes Wegbegleitung, so erlebt der Mensch in der Moderne auf dem Weg ins Ungewisse und Offene A. W. J. HOUTEPEN 1999, 338. Dass für eine biblische Anthropologie „Zeugen“ und „Gebären“ einen zentralen Stellenwert haben, zeigen S. SCHROER/R. ZIMMERMANN 2009. Vgl. DIES. auch zum Folgenden. 90 S. SCHROER/R. ZIMMERMANN 2009, 186. 91 R. A LBERTZ 1992, 146. 88 89

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nach dem Tode Gottes Natalität und Mobilität nun als höchsten Ausdruck seiner Freiheitserfahrung und Unbestimmtheit individueller Existenz. Welche Bedeutung hat das Geborensein des Menschen für seine Selbst- und Weltdeutung? Dazu hat Hannah Arendt mit ihrer integrativen Idee der Natalität wegweisende Impulse geliefert. Auch sie greift auf Geprägtes zurück und transformiert dieses in einem schöpferischen Selbstbesinnen in Neues, das zu weiterem Besinnen anregen will,92 um sich auf die Suche zu begeben nach einem (Aus-)Weg zwischen Relativismus und Universalismus. (3) Die von Hannah Arendt (1906–1975) in die Philosophie eingeführte Metapher der Natalität läutet einen Perspektivwechsel93 in der Philosophiegeschichte ein und weckt Philosophie und Theologie aus ihrer „Geburtsvergessenheit.“94 Natalität steht zugleich für die denkerische Innovation Hannah Arendts im Blick auf eine politische Anthropologie,95 die im Anschluss an Aristoteles den Bereich des Politischen für die Philosophie wieder bergen möchte.96 Vor dem Hintergrund der Erfahrung des Totalitarismus und seiner Vernichtungsmaschinerie setzt sie auf einen neuen Anfang, den sie als „das eigentliche Versprechen des Endes an uns“ versteht und für den die Geburt eines jeden Menschen steht. Mit dieser Hoffnung endet bereits ihre große Studie The Origins of Totalitarianism aus dem Beginn der Nachkriegszeit: „Initium ut esset, creatus est homo –, damit ein Anfang sei, wurde der Mensch geschaffen‘, sagt Augustin. Dieser Anfang ist immer und da und bereit. Seine

Vgl. H. ARENDT 2010, 12. Vgl. die sehr exegetisch angelegte Studie von P. BROWN-MOORE 1989; über die Geburt in der Philosophiegeschichte gibt Auskunft CH. SCHÜES (2008) 2016; über problematische Züge der Metapher der Geburt bzw. des Gebärens informiert CH. BEGEMANN 2014. 94 Interessanterweise geht Peter Sloterdijk in seiner Vorlesung nicht auf Hannah Arendt ein und entbirgt den Jaspers-Schüler Hans Saner (Geburt und Phantasie. Von der natürlichen Dissidenz des Kindes; H. SANER 1987) als Entdecker der Geburtlichkeit des Menschen. Vgl. P. SLOTERDIJK 1988, 142. 95 Vgl. H. A RENDT 2010, 18 u. ö.; H. B RUNKHORST, 2000, 188: „The essential innovation of Arendt’s political anthropology was her idea of natality. ,Natality‘ is the existential condition of the possibility of freedom, and it gives a new and striking twist to Arendt’s reconstruction of the classical republican idea of freedom. [...] [N]atality signifies the new beginning inherent in human life and human action, as well as the contingency (of time and place) in which life and action unfold. Ontologically speaking, natality implies both activity and passivity: we can never choose the time, the place, or the circumstances of our birth and life; nevertheless, we must make our own decisions and lead our own lives.“ 96 H. A RENDT 2010, 22–25 u. ö. Dazu gehört auch eine Freilegung der Intention der aristotelischen Definition des Menschen als zōon politikón und zōon lógon échon, die ursprünglich keine Definitionen waren, sondern „nur die artikulierte und begrifflich geklärte Wiedergabe der geläufigen Meinung der Polis über das Wesen des Menschen, sofern er ein Polisbewohner und politisch ist.“ Vielmehr geht es Aristoteles um die „nous“, „die Fähigkeit der Kontemplation, die gerade dadurch ausgezeichnet ist, daß ihr kein Reden oder Sprechen entspricht.“ (H. ARENDT 2010, 37). 92 93

10.3 „Du kannst neu anfangen!“ (Hannah Arendt)

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Kontinuität kann nicht unterbrochen werden, denn sie ist garantiert durch die Geburt eines jeden Menschen.“97 Mit diesem hoffnungsvollen Initialsatz des Kirchenvaters aus Buch XII von De civitate Dei setzt Hannah Arendt die Anfänglichkeit nicht nur als Gegengewicht gegen den Totalitarismus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, sondern auch als ontologische und existenzphilosophische Grundlegung ihres Entwurfs einer Politischen Philosophie. Diese verlorengegangene, ursprünglich theologisch gebundene Einsicht in das Geborensein des Menschen98 hat sie in ihren weiteren Werken (Vita activa, Über die Revolution, Vom Leben des Geistes) und in ihrem Denktagebuch immer wieder zitiert und philosophisch ausgelegt, aber nicht systematisch im Zusammenhang entfaltet. Doch die grundlegende Bedeutung der Natalität ist davon unberührt und kann im jeweiligen Kontext entfaltet werden, wie auch ein Eintrag im Denktagebuch vom November 1953 zeigt: „Es ist, als haben die Menschen seit Plato das Faktum des Geborenseins nicht ernst nehmen können, sondern nur das des Sterbens. Im Geborensein etabliert sich das Menschliche als ein irdisches Reich, auf das hin sich ein Jeder bezieht, in dem er seinen Platz sucht und findet, ohne jeden Gedanken daran, daß er selbst eines Tages wieder weggeht. Hier ist seine Verantwortung, Chance etc. Vorausgesetzt ist dabei die Ewigkeit des Menschengeschlechts im Gegensatz zu der Sterblichkeit der Menschen. Sobald man wie im Christentum und aller Eschatologie auch nur die Möglichkeit des Todes des Menschengeschlechts denkt, wird der ganze irdisch-politische Bereich sinnlos.“99

Eschatologie steht hier für die christliche Entwertung des diesseitigen Lebens und der politischen Existenz des Menschen, die zu einem Weltverlust führt, der die gesamte Moderne gefährdet.100 Die christliche Hoffnung ist auf das Ende der Welt und die Neuschöpfung dieser und der Menschen gerichtet. Der Tod bietet einen ersten Ausweg aus dem Jammertal des Diesseits, bestärkt durch die eschatische Hoffnung auf die Auferstehung von den Toten. Dieser angebliche Ausweg führt zu einem Verlust an politischer Weltverantwortung, zu einer resignativen Weltflucht und dem Verlust an politischer Widerstandsfähigkeit und damit zu einer Ideologie des Todes, die das geburtliche Leben nicht in der Fülle der Weltbezüge leben lässt. Angesichts des Zusammenbruchs des Imperium Romanum im Jahre 410 wandte sich Augustinus von dieser Welt ab, um sich der Civitas Dei zuzuwenden. Hannah Arendt zog 1933 in den düsteren Zeiten ihres Lebens eine andere 97 H. A RENDT (am. 11951; dt. 1955) 1962, 699. Das Augustin-Zitat aus De Civitate Dei, Buch XII, stammt nicht aus Kapitel 20, wie es bei Hannah Arendt immer wieder angegeben und von ihren Rezipienten übernommen wird, sondern aus Kapitel 21. Dort heißt es: „qui profecto crescere et ad suae quantitatis terminum pervenire sine aliquo non posset initio, quod initium eo modo antea numquam fuit. Hoc ergo ut esset, creatus est homo, ante quem nullus fuit.“ (AUGUSTINUS, De civitate Dei, Buch XII, Kap. 21). 98 H. A RENDT 2002, 114.115. 99 H. A RENDT 2002, 463 (Unterstreichung im Original). Vgl. auch H. A RENDT 1998, 343. 100 Vgl. H. A RENDT 2010, 318–329.

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Konsequenz als die Zentralgestalt ihrer Doktorarbeit.101 Sie wollte sich politisch in der Welt engagieren und einen Neuanfang nach dem „Weltuntergang“ (Th. W. Adorno) suchen. In der Hoffnung auf einen neuen Anfang in der Welt traf sie sich wieder mit Augustinus. Die Geburt als der immer wieder neue Anfang des Lebens ist für den Kirchenlehrer eine wichtige philosophische Kategorie, die sich aus der zentralen Rolle der Geburt Jesu und der neutestamentlichen Vorstellung von der Inkarnation ergibt. Die Geburt eines Menschen ist die stets präsente Möglichkeit eines neuen Anfangs in der Welt. Augustinus war als Römer und Christ Bürger zweier Welten. Er sah die alte untergehen und hoffte auf das Kommen der neuen. Das beinhaltet der Begriff des initium: „Weil der Mensch ein Anfang ist, meint Augustinus, kann der Mensch etwas Neues anfangen, also frei sein; und damit es so etwas wie Anfangen in der Welt überhaupt gebe, habe Gott den Menschen erschaffen.“102 Jedes Geboren-Werden ist ein Neuanfang, auch für alle, die es miterleben und daran wie auch immer beteiligt sind. Diesen Neuanfang hat Hannah Arendt als Natalität bezeichnet. Die Geburtlichkeit als Pendant zur Sterblichkeit begründet menschliche Freiheit und Spontaneität in dem Sinne, dass es dem Menschen als Geborenem immer wieder möglich ist, neu anzufangen.103 Dieses rätselhafte Vermögen, etwas überhaupt neu beginnen zu können, bildet den Ausgangspunkt des Denkens von Hannah Arendt, das um das „Rätsel des Anfangs“104 kreist. Sie ergänzt die philosophische Reflexion über die Sterblichkeit (Mortalität) durch ein Denken des Anfangs, das zugleich die Politikvergessenheit der Philosophie überwinden will. Denn „noch keine Philosophie, auch keine politische Philosophie, [hat] sich dazu vermocht [sic!], den Menschen auf seine ,Gebürtlichkeit‘ hin anzusprechen, nämlich darauf hin, daß mit jedem von uns ein Anfang in die Welt kam und daß Handeln im Sinne des Einen-Anfang-Setzens nur die Gabe eines Wesens sein kann, das selbst ein Anfang ist.“105 Für Hannah Arendt ist die Fähigkeit des Neuanfangenkönnens ein Existenzial, eine ontologische Voraussetzung,106 und damit eine Möglichkeitsbedingung menschlichen Handelns überhaupt. Der Zuspruch „Du kannst neu beginnen!“ ist ausdrücklich kein Gebot oder moralischer Imperativ.107 Es heißt nicht: „Du sollst neu beginnen!“ Die Möglichkeit zum Neuanfang zu

101 Die bei Karl Jaspers in Heidelberg angefertigte Doktorarbeit setzte sich mit dem Liebesbegriff bei Augustinus auseinander: H. ARENDT 1929. 102 H. A RENDT 1994, 220. 103 Die Freiheit des Anfangs ermöglicht auch, zu verzeihen und dadurch einen Neuanfang für andere zu erreichen. Vgl. G. SAUTER 2011, 206. Zum Verzeihen vgl. H. ARENDT 2010, 300–311. 104 H. A RENDT 1963 (am. On Revolution, 1963), 263. 105 H. A RENDT 1963, 276. 106 Vgl. H. A RENDT 2010, 316. 107 Vgl. auch zum Folgenden: O. M ARCHART 2005, 18.

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einem moralischen Imperativ zu machen, würde der Intention dieses Existenzials widersprechen. Es folgt kein Sollen aus dem Können. (4) Die Maxime „Neu beginnen“ ist radikal in ihrem erstaunlichen anthropologischen Optimismus in Bezug auf das politische Handeln des Menschen. Natalität ist damit nichts anderes als die als Existenzial gefasste Bedingung der Möglichkeit von Handeln überhaupt, die dazu verhelfen kann, eine negative Anthropologie der Sündhaftigkeit des Menschen zu überwinden, ohne dass sie die Ambivalenzen ausblendet. Sie markiert die kategoriale Stelle in Arendts Denken, die ein Handeln in Freiheit zu ermöglichen vermag und zugleich die Stelle der Abwesenheit eines ultimativen Grundes markiert. Natalität ist ein Existenzial, das dazu dient, menschliches Leben in der Welt an seine Fähigkeit zu erinnern, dass ein neuer Anfang möglich sein kann. Das Leben ist kein Vorlaufen zum Tod, sondern ein Herlaufen von der Geburt. Es soll von vorne gelebt werden, nicht zum Ende. Es steht uns bevor und kommt auf uns zu. Das Leben ist zukünftig zu gestalten. Ein neuer Anfang ist jederzeit möglich. Das zukünftige Denken als anfängliches Denken von Heidegger ist bei Hannah Arendt politisch transformiert aufgenommen worden. Damit trägt die Metapher der Natalität auch dazu bei, den Ruf zur Sinnesänderung (metánoia) als Existenzial des menschlichen Wesens zu verstehen, das in der Fähigkeit zum Umdenken seine Freiheit zum Ausdruck bringt. (Auch ‚das‘ Evangelium wäre insofern radikaler gedacht, weil es nicht mehr als übergriffiger Imperativ eines „Du musst“, sondern als ein „Du kannst“ verstanden werden kann.) Natalität drückt eine eigenverantwortliche Möglichkeit und eine Ermutigung aus, zu der sich der autonome Mensch offen und frei verhalten kann, indem er kritisch und fragend prüft, ob er bereit ist, sich mit Mut und Besonnenheit von seinem bisherigen Leben zu verabschieden, um neu zu beginnen. Im Phänomen der Revolution verwirklicht sich die existenziale (bzw. transzendentale) Bestimmung der Natalität und damit des Anfangenkönnens im Bereich des Politischen.108 Das Handeln, wie das Denken des Neubeginnens, nimmt seinen Ausgang von Ereignissen. Es antwortet auf Ereignisse. Als unvorhersehbares Ereignis wird für Hannah Arendt die Revolution zum Paradigma für den freien Neubeginn.109 In dieser Hinsicht nimmt es nicht wunder, dass auch das Ereignis des Todes Gottes im Zusammenhang mit der Amerikanischen und Französischen Revolution im Gefolge von William Blake und anderen datiert wurde. Die Revolution ist eine auf die Gründung von Freiheit gerichtete Form politischen Handelns, die von der Pluralität110 von Handelnden getragen wird. Hannah Arendts politische Theorie ist ein Denken des NeubeVgl. O. MARCHART 2005, 63. H. ARENDT 1963, 23. 110 Zum ursprünglichen „Faktum der Pluralität, nämlich die Tatsache, daß nicht ein Mensch, sondern viele Menschen auf der Erde leben und die Erde bevölkern“ vgl. H. ARENDT 2010, 17. 108 109

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ginns und als Denken ein Neubeginnen.111 Die Denkfähigkeit des Menschen ist vom Tod Gottes unbeeinträchtigt geblieben.112 Damit ist nicht nur ein anderer Blick auf diese Welt möglich, sondern auch eine andere Welt.113 Ein revolutionäres Ereignis reißt zudem eine Lücke in die Zeit.114 Es errichtet eine NichtZeit des Zwischen und suspendiert vorübergehend das Alte und das Neue, bevor es zu einer Neuordnung kommt.115 Jedem Anfang wohnt eine Ratlosigkeit inne.116 Der Mensch kann aufgrund seines Geborenseins Initiative ergreifen und einen Neubeginn schaffen. Menschen werden nicht geboren, um zu sterben, sondern „um etwas Neues anzufangen.“117 Damit zeigt sich die lineare Bewegung der menschlichen Lebensspanne als Ausnahme im ewig-gleichen Kreislauf der Natur, die sich wie ein Kuriosum oder Wunder ausnimmt. Das Wunder, das den Lauf der Welt und den Gang menschlicher Dinge immer wieder durchbricht und unterbricht und vor dem Verderben rettet, ist die Tatsache der Natalität: „Das ,Wunder‘ besteht darin, dass überhaupt Menschen geboren werden, und mit ihnen der Neuanfang, den sie handelnd verwirklichen können kraft ihres Geborenseins.“118 Darin liegt auch der Grund dafür, Vertrauen in die Welt und Hoffnung für die Welt haben zu können. Im Kern drückt das für Hannah Arendt die frohe Botschaft der Weihnachtsoratorien aus: „Uns ist ein Kind geboren.“119 In dem Kind, der Liebe zweier Menschen ureigenstes Erzeugnis, meldet sich bereits wieder eine neue Welt. Doch es geht nicht um die Geburt eines göttlichen Heilands.120 Es geht ihr um die Göttlichkeit einer jeden

Vgl. O. MARCHART 2005, 23. Vgl. H. ARENDT 1998, 21. 113 Vgl. O. M ARCHART 2005, 26.27. 114 Vgl. H. A RENDT 1963, 263; ferner O. M ARCHART 2005, 64. 115 Vgl. H. A RENDT 1998, 431. 116 Vgl. H. A RENDT 1998, 436. 117 H. A RENDT 2010, 316. 118 H. A RENDT 2010, 317. 119 Aufschlussreich dazu ist ihr Eintrag in das Denktagebuch nach einer Aufführung von Händels Messias vom Mai 1952 (H. ARENDT 2002, 208): „Händels Messias. Das Halleluja nur zu verstehen aus dem Text: Es ist uns ein Kind geboren. Die tiefe Wahrheit dieses Teils der Christuslegende: Aller Anfang ist heil, um des Anfangs willen, um dieses Heiles willen, hat Gott den Menschen in die Welt hinein geschaffen. Jede neue Geburt ist wie eine Garantie des Heiles in der Welt, wie ein Versprechen der Erlösung für die, welche nicht mehr Anfangs sind.“ Vgl. auch den Brief vom 18. Mai 1952 an Heinrich Blücher (H. ARENDT/H. BLÜCHER 1996, 270): „Mir wurde zum ersten mal klar, wie großartig das: Es ist uns ein Kind geboren, ist. Das Christentum war doch nicht so ohne.“ 120 Das macht Hannah Arendt in einer Auslegung von Vergils Vierter Ekloge deutlich, die von der Wiederkehr des Goldenen Zeitalters handelt, das durch die Geburt eines göttlichen Knaben anbreche und die Verwandlung des ganzen Erdkreises in ein Friedensreich ermögliche. Vgl. H. ARENDT 1998, 438. 111 112

10.3 „Du kannst neu anfangen!“ (Hannah Arendt)

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Geburt als solcher.121 Das Neugeborene zeigt an, dass sich in die bestehende Welt ein neues Weltliches einzuschalten im Begriff steht.122 Es ist also nicht nur die Hoffnung auf einen möglichen neuen Anfang im Leben eines jedes Menschen, die mit dem Begriff der Natalität gemeint ist. Natalität drückt ebenso die radikale Kontingenz des je neuen Lebens aus. Jede Geburt ist nicht nur ein Kuriosum oder Wunder als ein unendlich Unwahrscheinliches, sondern auch ein unverfügbares Ereignis,123 das einen neuen Anfang für die jeweilige soziale Gemeinschaft bedeutet. Es handelt sich somit nicht nur um den Anfang eines neuen Lebens, sondern es ist die Geburt eines Menschen, der als denkendes Wesen zugleich ein sprechendes und handelndes ist. Deshalb verwendet sie auch nicht Heideggers Begriff der „Geworfenheit“. Geworfen werden Ferkel und Welpen. Der Mensch wird geboren. Sein Dasein steht unter den Bedingungen der Natalität. In der Natalität liegt demnach die Tatsache begründet, „daß wir alle durch Geburt in die Welt gekommen sind und daß diese Welt sich ständig durch Geburt erneuert.“124 (5) Aber auch der Verlust der Transzendenz hat den Menschen nicht diesseitiger und weltlicher gemacht. Der Glaubensverlust hat den Menschen nicht auf die Welt und das Diesseits zurückgeworfen, sondern vielmehr auf sich selbst.125 Gegen die Flucht von der Erde in das Universum, die innerweltliche

Vgl. H. ARENDT 1998, 439. Vgl. H. ARENDT 2010, 309.310. Hier bezeichnet Arendt auch die Liebe als „mächtigste aller antipolitischen Kräfte“. 123 Vgl. zum Ereignis-Begriff H. A RENDT 2002, 326 (Unterstreichung im Original): „Ereignis – Geschehen – Tatsache: Jedes Ereignis ereignet sich in einem Geschehenszusammenhang, dessen routinemäßigen, ,notwendigen‘, nämlich unvorhersehbaren alltäglichen Ablauf es unterbricht. Ohne solche Ereignisse ist der Ablauf des Geschehens (,nothing ever happens to me‘) schlechthin unerträglich in seiner Langeweile und Sinnlosigkeit. Ereignisse werden, wenn sie vergangen sind, zu Tatsachen. Als solche werden sie dem Geschehen assimiliert und verlieren gerade ihren Ereignischarakter. Als Tatsachen gliedern die Ereignisse den bloßen Ablauf des Geschehens, das ohne sie unerzählbar, unerinnerbar und sinnlos bliebe. Ereignisse sind letztlich garantiert durch Geburt und Tod, durch das Hinzukommen neuer Menschen und durch das Weggehen derer, mit denen der Geschehenszusammenhang rechnet.“ Vgl. auch H. ARENDT 2002, 352.353: „Jedes Ereignis stellt sich also historisch als Ende eines bis dahin verborgenen Anfangs dar. Um seinen Anfangscharakter wiederum zu enthüllen, bedarf es eines neuen Ereignisses. Dieses ist das Prinzip des Fortgangs der Geschichte. Im Moment, da sich etwas ereignet, ist sein Anfangscharakter gerade verhüllt. Unserem Verstehen stellt es sich immer als Ende, als Höhepunkt, als Kulmination, als die ,Erfüllung der Zeiten‘ dar.“ 124 H. A RENDT 1994, 276. Natalität ist insofern die ständig präsente Möglichkeit des Handelns, initiativ zu werden und eine neue Welt zu schaffen. Dem Neugeborenen, mit seinem „von keiner Überlieferung getrübte[n] Blick“ wird schließlich offenbar, dass die menschliche Welt im Handeln immer wieder von vorn angefangen hat und deshalb auch jederzeit erneuert werden kann (H. ARENDT 1994). 125 H. A RENDT 2010, 324.325. 121 122

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Weltentfremdung126 und die Flucht vor der Welt in das Selbstbewusstsein setzt Hannah Arendt auf eine politisch motivierte Weltvertrautheit. Die Welt wäre für die „Hineingeborenen“ das „schlechthin Fremde“, wenn sie nicht zugleich „das durch Verwandtschaft in der generatio immer schon Vertraute und ursprünglich Zugehörige“ wäre.127 Nebenbei geht Arendt mit dieser Hochschätzung der generatio auf deutliche Distanz zur augustinischen Erbsündenlehre. Aus der Verwandtschaft mit dem menschlichen Prototyp Adam resultieren nicht Erlösungsbedürfnis und schlechthinnige Abhängigkeit von der göttlichen Gnade, sondern Weltvertrautheit.128 Doch auch unter diesen vertrauten Umständen muss die Kreatur aus der Welt noch ihre Heimat machen, die sie so in ihrer Vorgegebenheit nicht ist. Die Möglichkeit der Weltvertrautheit gründet in der Generativität, aber der Weg dorthin führt wiederum über die Natalität, denn das Faktum Natalität begründet alles menschliche Zusammensein und gehört wiederum eng zusammen mit Sprechen und Handeln. Im Sprechen und Handeln des Menschen enthüllt sich die ganze Person,129 nicht im Arbeiten oder Herstellen, wie Hannah Arendt in Vita activa herausgearbeitet hat. Darin geht es ihr um nichts weniger als darum, darüber nachzudenken, „was wir eigentlich tun, wenn wir tätig sind.“130 Diese schlichte Frage enthüllt zugleich, dass wir nur indem wir tätig sind überhaupt wissen, wer wir sind. Die Natur, das Wesen des Menschen liegt in nichts anderem als in dieser seiner Tätigkeit. Doch das Tätigsein ist kein Vorgang absoluter Selbstschöpfung. Der Mensch bleibt in seiner tätigen Selbsterzeugung an Bedingungen gebunden, die Hannah Arendt als fest gegeben bezeichnet. Diese gegebenen Grundbedingtheiten der menschlichen Existenz sind die elementaren Voraussetzungen menschlichen Lebens überhaupt, die wir dort, wo wir auf der Erde leben, vorfinden. Dazu gehören Luft, Nahrung, Feuchtigkeit, Licht, Ruhe, Abwechslung, Reize, eigene Bewegungsmöglichkeiten. Diese existentielle Grundbedingtheit nennt Hannah Arendt „Weltlichkeit“131. In der Welt zu han-

H. ARENDT 2010, 322. H. ARENDT 1929, 115. 128 Vgl. L. LÜTKEHAUS 2006, 32.33. 129 Zur Darstellung kommt diese Einzigartigkeit bei H. A RENDT 2010, 214 in den Tätigkeiten Sprechen und Handeln: „Sprechend und handelnd unterscheiden Menschen sich aktiv voneinander, anstatt lediglich verschieden zu sein; sie sind die Modi, in denen sich das Menschsein selbst offenbart. Dieses aktive In-Erscheinung-Treten eines grundsätzlich einzigartigen Wesens beruht, im Unterschied von dem Erscheinen des Menschen in der Welt durch die Geburt, auf einer Initiative, die er selbst ergreift.“ 130 H. A RENDT 2010, 14. 131 Vgl. H. A RENDT 2010, 16–19. Auch diesen Begriff hat Hannah Arendt nie wirklich systematisch entfaltet. Es lassen sich aber verschiedene Hinsichten des Weltbegriffs unterscheiden. Die Welt als Resultat eines Herstellungs- bzw. Verdinglichungprozesses, damit als geschaffene Welt von Menschen (Dingwelt). Von konstitutiver Bedeutung sind die Aspekte der Künstlichkeit als Überwindung der Naturabhängigkeit, der Beständigkeit der Welt 126 127

10.3 „Du kannst neu anfangen!“ (Hannah Arendt)

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deln heißt, dass man das Leben ändern kann (metánoia; periagogé). Im Handeln müssen wir aus eigener Kraft die Situation, in der wir uns vorfinden, modifizieren und so die Welt, in die wir ohne unser Zutun hineingeboren sind, neu erfinden. Auf diese Weise will Hannah Arendt auf den totalitären Weltverlust und die neuzeitliche Weltentfremdung reagieren.132 Die beiden Grundtätigkeiten – Sprechen und Handeln – stellen den Menschen in den Raum des Politischen. Daher ist mit der eigenen Geburt das jeweilige Zur-Welt-Kommen nicht abgeschlossen: „Sprechend und handelnd schalten wir uns in die Welt der Menschen ein, die existierte, bevor wir in sie geboren wurden, und diese Einschaltung ist wie eine zweite Geburt, in der wir die nackte Tatsache des Geborenseins bestätigen, gleichsam die Verantwortung dafür auf uns nehmen.“133 Hannah Arendt nimmt den augustinischen Initialsatz wieder auf und interpretiert seinen weiteren Gedankengang: „Weil jeder Mensch auf Grund des Geborenseins ein initium, ein Anfang und Neuankömmling in der Welt ist, können Menschen Initiative ergreifen, Anfänger werden und Neues in Bewegung setzen. [Initium] ergo ut esset, creatus est homo, ante quem nullus fuit – ,damit ein Anfang sei, wurde der Mensch geschaffen, vor dem es niemand gab‘.“ 134

Dieser Anfang, der der Mensch ist, insofern er Jemand ist, fällt keineswegs mit der Erschaffung der Welt zusammen. Das, was vor dem Menschen da war, ist nicht Nichts, sondern Niemand. Augustinus unterscheidet principium und initium für die Erschaffung der Welt und die Erschaffung des Menschen. Die Erschaffung des Menschen ist nicht der Beginn von etwas, „sondern das Anfangen eines Wesens, das selbst im Besitz der Fähigkeit ist, anzufangen: es ist der Anfang des Anfangs oder des Anfangens selbst. Mit der Erschaffung des Menschen erscheint das Prinzip des Anfangs, das bei der Erschaffung der Welt noch gleichsam in der Hand Gottes und damit außerhalb der Welt verblieb, in der Welt selbst und wird ihr immanent bleiben, solange es Menschen gibt; was natürlich letztlich nichts anderes sagen will, als daß die Erschaffung des Menschen als eines Jemands mit der Erschaffung der Freiheit zusammenfällt.“135

(6) Mit der anthropologischen Kehre von den Sterblichen hin zu den Gebürtlichen ist noch ein weiterer Aspekt verbunden. Die alte metaphysische Frage nach dem Wesen des Menschen („Was ist der Mensch?“) wird wiederum augustinisch (Confessiones X, 6) transformiert in die Frage: „Wer bist Du?“ („tu, quis es?“).136 Jedem Neuankömmling wird diese Frage gestellt, die wohl nicht umsonst an die Frage Jesu an seine Jünger anklingt: „Wer sagen die Leute, dass gegenüber der Unbeständigkeit der Natur, der Welt als offenem Entscheidungsraum („Beziehungsgewebe menschlicher Angelegenheiten“) sowie der Welt als gemeinsamer Welt. 132 Vgl. H. A RENDT 2010, 325. 133 H. A RENDT 2010, 215. 134 H. A RENDT 2010, 215.216. 135 H. A RENDT 2010, 216. 136 Vgl. H. A RENDT 2010, 20.21; 217; 223.

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ich sei?“ (Mk 8,27). Aufschluss darüber, wer jemand ist, geben implizit sowohl Worte als auch Taten: „Handelnd und sprechend offenbaren die Menschen jeweils, wer sie sind, zeigen aktiv die personale Einzigartigkeit ihres Wesens, treten gleichsam auf die Bühne der Welt, auf der sie vorher so nicht sichtbar waren, solange nämlich, als ohne ihr eigenes Zutun nur die einmalige Gestalt ihres Körpers und der nicht weniger einmalige Klang der Stimme in Erscheinung traten.“137 Das eigentlich personale Wer-jemand-jeweilig-ist ist unserer Kontrolle entzogen, weil es sich unwillkürlich in allem mitoffenbart, was wir sagen oder tun. Diese anthropologisch Aufschluss gebende Qualität des Sprechens und Handelns kommt eigentlich nur da ins Spiel, wo Menschen miteinander, und weder für- (tatkräftige Güte, Selbstopfer) noch gegeneinander (Verbrechen, Selbstsucht) sprechen und agieren. In der selbstlosen Fürsorge versteckt sich im Grunde jeder vor jedem. Das Risiko, sich selbst im Sprechen und Handeln zu enthüllen, ist zu groß, weil niemand weiß, wen er offenbart, wenn er sich im Sprechen und Handeln selbst mitoffenbart. „Dies Risiko, als ein Jemand im Miteinander in Erscheinung zu treten, kann nur auf sich nehmen, wer bereit ist, in diesem Miteinander auch künftig zu existieren, und das heißt bereit ist, im Miteinander unter seinesgleichen sich zu bewegen, Aufschluß zu geben darüber, wer er ist, und auf die ursprüngliche Fremdheit dessen, der durch Geburt als Neuankömmling in die Welt gekommen ist, zu verzichten.“138

Die philosophische Unmöglichkeit, das Wesen des Menschen zu bestimmen, wird transformiert in die Unverwechselbarkeit des einmaligen Wer-einer-ist. Das Jemand-sein kann nicht definiert und nicht verglichen werden. Daher ist der gesamte Bereich menschlicher Angelegenheiten auch nicht zu handhaben wie Sachen, die uns wesentlich zur Verfügung stehen und über die wir verfügen, indem wir sie benennen. Leider zeigt sich das „Wer“ in vieldeutiger und unnennbarer Ungewissheit. Diese Ungewissheit bedingt alle Politik und alle Angelegenheiten des menschlichen Miteinanders. Sie ist Ausdruck der Komplexität und Offenheit des Lebens in der Moderne. Handeln und Sprechen bewegen sich in einem Bereich, der zwischen Menschen als Menschen liegt. In diesem Zwischenraum bewegen sich Menschen, wenn sie ihren objektiv-weltlichen Interessen nachgehen. Dieses Interesse, das „,inter-est‘“, stellt die Bezüge her, die Menschen miteinander verbinden und zugleich voneinander scheiden. Doch dieses Sprechen-über im objektiven Zwischenraum ist von einem ganz und gar anderen Zwischen durchwachsen und überwuchert, nämlich dem Bezugssystem, das aus Taten und Worten selbst, aus dem lebendigen Handeln und Sprechen entsteht, in dem Menschen sich direkt, über die Sachen, welche den jeweiligen Gegenstand bilden, hinweg

137 138

H. ARENDT 2010, 219. H. ARENDT 2010, 220.

10.3 „Du kannst neu anfangen!“ (Hannah Arendt)

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aneinander richten und sich gegenseitig ansprechen.139 Dieses „zweite Zwischen, das sich im Zwischenraum der Welt bildet, ist unangreifbar, da es nicht aus Dinghaftem besteht und sich in keiner Weise verdinglichen oder objektivieren läßt. Handeln und Sprechen sind Vorgänge, die von sich aus keine greifbaren Resultate und Endprodukte hinterlassen. Aber dies Zwischen ist in seiner Unangreifbarkeit nicht weniger wirklich als die Dingwelt unserer sichtbaren Umgebung.“140 Diese Dingwelt als eine Welt zwischen Menschen und Natur ist die eigentliche menschliche Heimat des Menschen. Diese Weltwirklichkeit nennt Hannah Arendt das „Bezugsgewebe menschlicher Angelegenheiten“.141 Die Metapher des relationalen Gewebes, die bei Mark C. Taylor wiederkehrt, versucht hier die physische Ungreifbarkeit des Phänomens auszudrücken. Die objektiv-gegenständliche Dingwelt und das Gewebe menschlicher Bezüge sind beide weltlich nachweisbar. Dieses Bezugssystem menschlicher Angelegenheiten als „Zwischenraum“ und „Welt“ (mundus, nicht terra als Globus und Erde) findet sich überall dort, wo Menschen zusammenleben. Menschen werden nicht von ungefähr in die Welt geworfen, sondern von Menschen in eine schon bestehende Menschenwelt geboren.142 Daher geht das Bezugsgewebe menschlicher Angelegenheiten allem einzelnen Handeln und Sprechen voraus. Die Enthüllung des Neuankömmlings durch das Sprechen wie der Neuanfang, den das Handeln setzt, sind wie Fäden, die in ein bereits vorgewebtes Muster eingeflochten werden und das Gewebe auf diese Weise verändern, wie diese neuen Fäden ihrerseits alle Lebensfäden, mit denen sie innerhalb des Gewebes in Berührung kommen, auf einmalige Weise affizieren. Sind die Fäden zu Ende gesponnen, so ergeben sich wieder klar erkennbare Muster bzw. sind sie als Lebensgeschichten erzählbar.143 Handeln und Sprechen sind die beiden Tätigkeiten, die am Ende eine Geschichte ergeben. Geburt und Tod sind keine natürlichen, sondern weltliche Ereignisse. Insofern umfassen sie das In-der-Welt-Sein des Menschen von seinem Anfang bis zu seinem Abschied. Die condition humaine (Leben, Weltlichkeit, Pluralität) ersetzt den metaphysischen Begriff der Natur bzw. des Wesens durch einen politischen Begriff, der der menschlichen Pluralität Rechnung trägt: „Politisch zu sein, in einer Vgl. H. ARENDT 2010, 225. H. ARENDT 2010, 225. 141 H. A RENDT 2010, 225. 142 Vgl. H. A RENDT 2010, 226. 143 Vgl. H. A RENDT 2010, 225. Dass die Spanne menschlichen Lebens zwischen Geburt und Tod schließlich zu einer erzählbaren Geschichte formiert mit Anfang und Ende, ist die vorpolitische und prähistorische Bedingung dessen, dass es überhaupt so etwas wie Geschichte im Dasein der Menschheit gibt: „Wer jemand ist oder war, können wir nur erfahren, wenn wir die Geschichte hören, deren Held er selbst ist, also seine Biographie; was immer wir sonst von ihm wissen mögen und von den Werken, deren Verfasser er ist, kann uns höchstens darüber belehren, was er ist oder war.“ (H. ARENDT 2010, 231.232). 139 140

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Polis zu leben, das hieß, daß alle Angelegenheiten vermittels der Worte, die überzeugen konnten, geregelt werden und nicht durch Zwang oder Gewalt.“144 Ausdruck einer Art „politischer Freundschaft“ ist der Respekt. Der Respektverlust dagegen ist Zeichen für die fortschreitende Entpersonalisierung des öffentlichen und gesellschaftlichen Lebens.145 Damit werden die Gefährdungen menschlichen Zusammenlebens konstruktiv-kritisch in den Blick genommen. Die Menschlichkeit des Menschen ist an ein fragiles Gefüge von strukturierenden und stabilisierenden Bedingungen gebunden. Es genügt, diese zu zerstören, um das Menschliche zum Verschwinden zu bringen oder zu verändern, um das Menschliche wieder neu zum Vorschein zu bringen. Das geschieht mittels Handeln und Sprechen. Doch in der Sprache zeigt sich die Besonnenheit des menschlichen Daseins: „Denn was immer Menschen tun, erkennen, erfahren oder wissen, wird sinnvoll nur in dem Maß, in dem darüber gesprochen werden kann. [...] Sofern wir im Plural existieren, und das heißt, sofern wir in dieser Welt leben, uns bewegen und handeln, hat nur das Sinn, worüber wir miteinander oder wohl auch mit uns selbst sprechen können, was im Sprechen einen Sinn ergibt.“146 Eine angehende Sprache begleitet das Neuanfangenkönnen und bietet im Zwischenraum der Welt einen Raum diskursiver Besonnenheit. Auch das Denken ist im zwiespältigen Ort der Gegenwart, der Lücke, im Riss zwischen Vergangenheit und Zukunft zu lokalisieren.147 Dieser enttheologisierte Schöpfungsgedanke, der in der Integrationsfigur der Natalität seinen Ausdruck findet, trägt der Relationalität und Komplexität des Lebens Rechnung und sieht in der fragilen Realisierung von Respekt und Anerkennung, dass Weltverantwortung Selbstverantwortung des Wesens ist, dessen (Um-)Denk- und Sprachfähigkeit Ausdrücke seiner Freiheit sind. (7) Die Idee der Natalität ist damit nicht nur als Existenzial verstanden, sondern auch als Integrationsfigur, die die Kreativität und Fähigkeit zur Freiheit umfasst, der Relationalität und Komplexität und Widersprüchlichkeit des Lebens Rechnung trägt sowie das „Wagnis der Öffentlichkeit“ auf sich nimmt, wenn man anfängt, als Person sprechend und handelnd seinen Faden in das Netz von Beziehungen zu schlagen in der Ungewissheit, was daraus wird, aber doch im „Vertrauen in das Menschliche aller Menschen. Anders könnte man es nicht.“148 Ihre optimistische Anthropologie vermag Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten zu geben, ohne dass sie sich aufdrängt oder die Gefährdungen verdrängt. Es geht nicht darum, den Menschen zu überwinden, wie Nietzsche es mit dem Über-Menschen angedacht hat, sondern der zu werden, der man ist. Eine übergriffige Forderung einer imperativ verordneten Sinnesänderung im H. ARENDT 2010, 36.37. Vgl. H. ARENDT 2010, 310. 146 H. A RENDT 2010, 12. 147 H. A RENDT 1998, 30. 148 H. A RENDT (2006) 2013, 263. 144 145

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Sinne eines „Du musst“ oder „Du sollst“ ist hier transformiert in eine eigenverantwortliche Möglichkeit und eine Ermutigung zu einem „Du kannst“, zu der sich der autonome Mensch offen und frei verhalten kann, indem er kritisch und fragend prüft, ob er bereit ist, sich von seinem bisherigen Leben zu verabschieden. Denn wenn der Mensch geschaffen wurde, damit überhaupt etwas beginnen konnte149 und mit dem Menschen der Anfang in die Welt kam, dann ist er auch etwas Neues im Zeitkontinuum der Welt, das der ewigen Wiederkehr des Gleichen entrinnen kann.150 Dann würde sich die Gottesebenbildlichkeit auch nicht ausdrücken in der Rede vom Menschen als dem Geschaffenen, sondern als dem Schaffenden, dessen Selbstseinkönnen im schöpferischen Immer-wieder-neu-anfangen-Können aufscheint, das sich des zeitlich Kontingenten durch die mit dem Anfangenkönnen untrennbar verbundene Fähigkeit zum Abschiednehmen bewusst ist.

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Vgl. H. ARENDT 2002, 66. Vgl. H. ARENDT 1998, 442.

11 Halt in Haltungen: Ethische Perspektiven 11 Halt in Haltungen Umbildung setzt Bildung voraus.1

(1) Der philosophisch-theologische Diskurs um den Plausibilitätsverlust des Gottesgedankens wird um 1800 von einem poetischen Diskurs flankiert, in dem der Abschied eine radikal neue Gestalt annimmt.2 Das hat der Literaturtheoretiker Karl Heinz Bohrer (1932–2021) anhand von verschiedenen literarischen Formen des Abschieds durch die Interpretation von Motiven und Motivkomplexen in der Weltliteratur nachgewiesen. Diese Abschiedsdeutung weist jede Art von Trost, sei er theologisch, heilsgeschichtlich oder geschichtsphilosophisch, zurück. Der Abschieds-Diskurs zeigt sich damit implizit auch als ein literarischer Ausdruck des Todes Gottes als Lebensgefühl der Moderne, wenn göttlicher oder jenseitiger Trost abgewiesen wird und die moderne Trauer vom Wissen um den Verlust geprägt ist, sodass bereits die Gegenwart gar nicht erfahrbar, sondern immer schon entschwunden ist. Die radikale Melancholie des Abschieds hat bei Charles Baudelaire (1821–1867) einen literarischen Standard erreicht, der jede Form von Versöhnung hinter sich lässt. In der ästhetischen Erfahrung Baudelaires ist der Verlust in keiner Weise mehr einzuholen. Dieses ver-störende Potential einer Theorie der Trauer ist zu einer Signatur der Moderne geworden, hinter die es kein Zurück mehr gibt. Das sich parallel einstellende Gefühl der Gottverlorenheit steht ex aequo für einen Abschied und einen neuen Anfang. Endlich leben heißt: anfänglich und abschiedlich leben. Durch die Dynamisierung des Begriffs der Endlichkeit wird hier versucht, der Komplexität des Lebens in der Moderne Rechnung zu tragen. Schöpfungsdenken wird als religiöse Endlichkeitsreflexion verstanden, deren Sinn in einem Anfangenkönnen (ars incipiendi) und Abschiednehmen (ars discedendi) enthüllt wird. Die schöpferische Möglichkeit eines neuen Anfangs wurde im vorigen Abschnitt über das Existenzial der Natalität entfaltet. Der zweite Aspekt eines transformierten Schöpfungsgedankens hängt mit der vorherrschenden philosophischen und religiösen Tradition der Mortalität oder der ars moriendi zusammen, geht aber nicht in ihr auf, wenn durch die Haltung 1

2

T. RENDTORFF 1998, 34. K. H. BOHRER (1996) 2014, 10.

11 Halt in Haltungen

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der Abschiedlichkeit das Abschiednehmen in die alltäglichen Lebensvollzüge und damit in die Realisierungsform der Endlichkeit selbst eingebettet wird (11.1). In der Haltung der Abschiedlichkeit können Ent-täuschungen und Scheitern, Verlust, Trennung und Tod eingeübt werden und Strategien gegen vermeintliche Eindeutigkeiten, Sicherheiten und Gewissheiten, wie sie in der neofundamentalistischen Religiosität suggeriert werden, ausprobiert werden, wenn Ungewissheit kultiviert wird in einem Bildungsprozess, der sich aufgrund der kreativen Emergenz entfalten kann. Die „Verlustgeschichte“ wird im Wachstumsprozess des Ich gerne unterschlagen: „Wir sind immer zugleich auch [...] Ruinen unserer Vergangenheit, Fragmente zerbrochener Hoffnungen, verronnener Lebenschancen, verworfener Möglichkeiten, vertaner und verspielter Chancen. Wir sind Ruinen aufgrund unseres Versagens und unserer Schuld ebenso wie aufgrund zugefügter Verletzungen und erlittener und widerfahrener Verluste.“3 Damit ist nach Sprache (9) und Natalität (10) das dritte Existential der Bildung aufgerufen, das hier eine Scharnierfunktion zwischen Anthropologie und Ethik einnimmt und als Bedingung der Möglichkeit des besonnenen Anfangs einer Ethik der Selbstsorge verstanden wird (11.2). Das Existenzial der Bildung zeigt sich als Bedingung der Möglichkeit für eine Haltung, die (de-)konstruktive Umgangsweisen mit den Ambivalenzen und Unwägbarkeiten des Lebens einzuüben vermag. Der besonnene Anfang einer Ethik der Selbstsorge macht sich nämlich die beiden alttestamentlichen Hauptsätze der jüdisch-christlichen Religion von der Nächsten- und Gottesliebe im Grunde kontrafaktisch zu eigen und transformiert diese, indem er den Blick nach dem Tod Gottes auf den zwar genannten, aber häufig überlesenen und vernachlässigten Aspekt lenkt, der das Selbst betrifft: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt“ (Dtn 6,5; Mt 22,37). Und: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ (Lev 19,18; Mt 22,39). Standen bislang die Gottesbeziehung sowie die Nächstenliebe im Zentrum des christlichen Glaubens und seiner Liebesethik, geht es hier um das Selbst, sein Herz, seine Seele, sein Gemüt (Gefühl, Verstand, Vernunft, Gesinnung, Willen, Verlangen, Streben) und seine Fähigkeit zu lieben.4 Selbstliebe und Selbstsorge gehören zusammen, um ein Selbst sein zu können. Doch die Gebote des Evangeliums sind imperativisch als Soll-Bestimmung verfasst und können daher nicht ihr inhärentes ermutigendes und zutrauendes Potential entfalten. Das wurde bereits im Rahmen der optimistischen Anthropologie Hannah Arendts am Beispiel des Gedankens der Natalität gezeigt, wenn es, trotz des Bewusstseins um die KomH. LUTHER 1991, 267. Vgl. dazu auch R. PREUL 2013, 368–374, der die „Herzensbildung“ als wesentlichen Aspekt des gebildeten Christseins in der Gegenwart herausarbeitet; ferner zur Selbstliebe W. ENGEMANN 2009, 285.286. 3 4

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11 Halt in Haltungen

plexität und Ungewissheit des Lebens und eines elementaren Eingebettseins in das Ganze, einladend zu einem Um-denken (metánoia) heißt: „Du kannst neu anfangen!“ (2) Wie wesentlich die Haltung der Abschiedlichkeit ist, zeigt sich in drei Schritten: Erstens in der Einzeichnung als Haltung der Besonnenheit in einen freizulegenden poetischen, philosophischen und religiösen Diskurs über den Abschied, der einen neuen Umgang des Menschen mit seiner neu erfahrenen Endlichkeit aufdeckt. Dieser Gedanke wird dann zweitens in der Transformation der Vorstellung von der Gottebenbildlichkeit des Menschen weitergeführt mit Blick auf das Existenzial der Bildung. Dabei geht es nicht um Bildungsinhalte, sondern um eine Haltung, die jedem Menschen zukommt und ernsthaftes Nachdenken, Infragestellen sowie die Fähigkeit zur Selbstkritik beinhaltet. Schließlich nimmt drittens die Rede von der Sorge um das Selbst Heideggers Sorgestruktur des Daseins, Nietzsches „freie Geister“ und Kierkegaards Versuche, das Selbst zu verstehen, auf und sucht im Anschluss an Michel Foucaults Überlegungen zur Selbstsorge diesen in der Ethik vernachlässigten Aspekt zu bedenken. In diesen Anfängen einer Ethik der Selbstsorge soll versucht werden, die Fäden der systematischen Perspektiven und kritischen Revisionen zusammenzubinden. Doch sind diese Abschnitte des schöpferischen Selbstbesinnens bereits in ihrem Durchdenken ethische Sorge um sich selbst im kosmischen Rahmen eines Eingebundenseins in das elementar gegebene Ganze, im schöpferischen Potential der Metapher „Gott ist todt!“, das das Selbst auf sich selbst und seine Endlichkeit radikal zurückwirft, in der Natalität als Existenzial, das für die Möglichkeit eines Anfangenkönnens steht, in der zuvorkommenden Sprache, mit der der Mensch sich in der ambivalenten Fülle des Daseins in seinem Dazwischensein schöpferisch zu orientieren sucht, um sich in der Welt beheimatet zu fühlen. Schließlich im Abschiednehmen, das die Grundhaltung anzeigt, die allem Anfangen vorausgeht und in der Metapher „Gott ist todt!“ eingeschrieben steht, in der Sprache ihren Ausdruck findet und neue Diskurse ermöglicht. Wie in diesen Abschieden besonnen zu handeln ist, versucht eine Ethik der Selbstsorge in allen diesen Teilen zu ergründen, wenn sie zur Kultivierung des neuen, noch mit Ungewissheiten behafteten Lebensgefühls vorschlägt, Halt in Haltungen zu suchen, ja mitunter angesichts des Standhaltens gegenüber (der Angst vor) dem Nihilismus, „Halt im oder sogar am Haltlosen“ zu suchen.5 Das Leben zeigt sich ermöglicht durch die emergent creativity, und als solches ist es anfänglich und abschiedlich zugleich und damit: zu-künftig.

5

W. STEGMAIER 2016, 34.

11.1 Abschiedlich leben: Zur Haltung der Abschiedlichkeit

691

11.1 Abschiedlich leben: Zur Haltung der Abschiedlichkeit 11.1 Abschiedlich leben: Zur Haltung der Abschiedlichkeit

(1) Die Krise des Schöpfungs- und Gottesgedankens hat gezeigt, dass sich unter den Erkenntnisbedingungen der Moderne von einigen gängigen Vorstellungen der Tradition verabschiedet werden muss. In dieser Lage der kritischen Revision ihrer Grundbegriffe ist die Theologie vor die Aufgabe gestellt, zu prüfen, welchen Sinn ihre Rede von der Geschöpflichkeit und Gottebenbildlichkeit des Menschen noch haben kann. Wie am Beispiel der Transformationen des Schöpfungsgedankens gezeigt wurde, scheidet es aus erkenntnistheoretischen Gründen aus, den Schöpfungsgedanken mit naturwissenschaftlichen Zugängen zu harmonisieren oder eine Kosmologie in Analogie zu Weltentstehungstheorien mit Gott als kausalem Urheber zu entwerfen.6 Der hier nun in dieser Arbeit vorgeschlagene Weg einer religiösen Endlichkeitsreflexion übersieht aber nicht die kosmische Dimension eines Eingebundenseins des Individuums in ein Ganzes (einer relationalen Netzwerk-Kultur des Lebens), wenn er sich um eine neue Selbstdeutung des Menschen in der Welt bemüht, in der Selbstsorge und Weltsorge sich wechselseitig bedingen. Der Abschied von der Vorstellung eines allmächtigen Schöpfergottes, der Abschied von der Rede vom ‚lieben‘ Gott und damit der Abschied von Gott selber stehen zur Debatte, wenn die Grundlagenkrise der Theologie ihren zugespitzten Ausdruck in der Metapher „Gott ist todt!“ findet. Daher werden Anknüpfungspunkte für eine transformierende Annäherung an den Gedanken der Geschöpflichkeit nicht in der Gotteslehre, sondern in der menschlichen Erfahrung des In-der-Welt-Seins gesucht und in den Existenzialien gefunden. Der Sinn des Schöpfungsgedankens findet sich in der Anfänglichkeit (ars incipiendi) und in der Abschiedlichkeit (ars discedendi) des menschlichen Daseins und ist damit zu-künftig. Mit der Verwendung des Terminus „Abschiedlichkeit“ setze ich die bereits rekonstruierten Überlegungen von Wilhelm Weischedel (5.2.1) voraus, nehme aber auch Gedanken aus literaturwissenschaftlichen und ästhetischen Diskursen auf und setze diese zueinander in Beziehung.7 Zugespitzt hieße es dann: Abschiedlichkeit und Anfänglichkeit sind der Sinn von Endlichkeit, von endlich leben, und drücken damit strukturell aus, was vormals Geschöpflichkeit hieß. Abschiedlichkeit hat ihren Platz bewusst in der Anthropologie (und nicht mehr erst in der Eschatologie als Lehre von den letzten Dingen), weil das menschliche irdische Leben der Ort ist, an dem diese Abschiedlichkeit eingeübt und erfahren wird, wenn Vergänglichkeit, Begrenztheit der eigenen MögVgl. die entsprechenden Ausführungen bei Falk Wagner und Ulrich Barth. Vgl. aus dem theologischen Kontext K.-P. JÖRNS 2006; ferner auch die (tiefenpsychologischen) Beiträge zu Flucht, Trennungen, Trauerprozessen etc. in P. M. PFLÜGER 1991 und von V. KAST 1982, 139–164 („Sterben ins Leben hinein – Die ,abschiedliche‘ Existenz“); insbesondere die literaturwissenschaftliche Studie von K. H. BOHRER 2014; vgl. auch die philosophischen Studien von H. EBELING 1989; G. VATTIMO 2003 und PH. DAVID 2016. 6 7

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11 Halt in Haltungen

lichkeiten und Fähigkeiten sowie Trauer, Schmerz, Scheitern, Schuld, Abschied, Trennungen und Tod die Fülle des ambivalenten und komplexen menschlichen Daseins in der Welt offenlegen. In Raum und Zeit werden Abschiede erfahren und verarbeitet. Jeder von uns kennt diese Situationen auf individuelle Weise, die in der eigenen Erlebniszeit und im inneren Erleben in besonderem Maße privilegiert zu sein scheinen. (2) Mit Abschied begegnet uns insofern ein Phänomen der Alltagssprache (léxis). Wir nehmen täglich Abschied von jemandem oder von etwas. Worte des Abschieds sind: „Auf Wiedersehen“, die aus dem „Ad Deum“ entstandenen Abschiedsgrüße „Ade“, „Adieu“ und „Tschüß“ sowie „Mach’s gut“, „Leb wohl“, „Bis bald“ oder „Bis später“. Wir verabschieden uns, wenn wir unsere Wohnung verlassen, von ihr oder von den Menschen oder Tieren, mit denen wir zusammenleben, in der Erwartung, dass wir sie bei unserer Rückkehr wiedersehen. Wir verabschieden uns, wenn wir eine Reise antreten. Wir verabschieden uns von Besuchern, die zu Gast waren, oder von Orten und Menschen, die wir besucht haben. Wir nehmen aber auch Abschied von Menschen, die gestorben sind, persönlich und in Trauerritualen. Hier ist ein Wiedersehen unter irdischen Bedingungen nicht mehr möglich. Die eigene Vergänglichkeit, das eigene Sterbenmüssen und der eigene Tod werden uns am Anderen bewusst. Doch ob wir selber in der Todesstunde bereit für den Abschied sind, können wir nicht wissen. Wir wissen in der Regel nicht, wie uns der eigene Tod begegnen wird, es sei denn, wir beenden unser Leben selbst, im Suizid oder mit Sterbehilfe. Ausgedrückt in variantenreichen und laufend wiederkehrenden Abschieden ist Abschiednehmen als Vorstellung und Bild so etwas wie eine „Urszene des Menschen“8. Dass dem Abschied ein so großes Maß an Symbolkraft innewohnt, liegt auch an seinem korrespondierenden Gegenüber, der Ankunft. Insofern kann das Wort Abschied auch als „Codewort einer Lebenstotalität“9 verstanden werden, wie es das Omega zum Alpha symbolisiert. Dem würde dann auch seine Metaphorisierung für unterschiedliche finale Handlungen entsprechen, die als Abschiednehmen von etwas verstanden werden. Abschied ist als ein semantisches Zeichen für ein komplexes psychisches Erfahrungsfeld erkannt, aber eben als ein primäres. Sigmund Freud10 verstand in diesem Sinne den Abschied als urvordenkliche Erfahrung des Kindes, in der es den Schmerz über das „Verschwinden“ der Mutter in einer symbolischen Handlung des „Wiederkommens“ sublimiert. Einüben in das Abschiednehmen gehört damit zu den Lernaufgaben des Menschen von Kindesbeinen an. Als Kind lernen wir, Abschied zu nehmen von den Eltern. Wir lernen auch, damit zu rechnen, dass sie nicht einfach ohne Wiederkehr verschwinden. Der Abschied impliziert in K. H. BOHRER 2014, 9. Dort auch zum Folgenden. K. H. BOHRER 2014, 7. 10 Vgl. S. FREUD (1920) 1975, 224–226. 8 9

11.1 Abschiedlich leben: Zur Haltung der Abschiedlichkeit

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der Regel ein Wiedersehen, auch wenn dieses unverfügbar ist. Doch mit der Zeit erfahren wir, dass nicht jeder Abschied ein Wiedersehen implizieren muss, auch wenn man sich nichts sehnlicher wünscht. Die Hoffnung wird enttäuscht. Der Abschied zeigt sich als Ende einer Täuschung und als Ausdruck von Ungewissheit, Unsicherheit und der Komplexität des Lebens. Mit dieser primären Rolle des Abschieds hängen aber auch seine produktions- und rezeptionsästhetische Bedeutung sowie die Semantik des Abschieds zusammen. Seit ihrem Beginn sind die Worte Abschied und Trauer poetische Zentralworte und Strukturelemente11 der literarischen Tradition12: „Das Thema ,Abschied‘ bzw. ,Abschiednehmen‘ ist ein Kardinalthema der Literatur von jeher: Es enthält schon das Bewußtseinsmoment verschwindender Präsenz von etwas, das lange anwesend gewesen ist. Und die Erinnerung, abermals ein literarisches Kernmotiv, erreicht ein Stadium, wo dieser Verlust nicht mehr eingeholt werden kann.“13 In diesem um 1800 aufkommenden poetischen Diskurs über den Abschied zeigen sich für Karl Heinz Bohrer zwei Zentralperspektiven, die er in seiner Theorie der Trauer ausführlich entfaltet, wenn er die literarischen und poetischen Zentralworte „Abschied“ und „Trauer“ gleichzeitig versteht als „Begriffe einer Reflexion über Zeitlichkeit in der Zeit“14, die hier nur kurz angezeigt werden: „Was passiert, wenn der Verlust von Gegenwärtigkeit (der Zeit, einer Idee, des Ich) nicht mehr geschichtsphilosophisch vermittelt werden kann, wie es Ende des 18. Jahrhunderts deutlich wird (Goethe versus Schiller15)? Zweitens: Was wird aus der in dieser Leerstelle eingetretenen existentiellen Ausfüllung, wenn sie auf keiner selbstverständlichen Subjektidentität mehr aufruhen kann (Baudelaire / Nietzsche)?“16 – „Anstelle der Trauer um den Verlust einer zivilisatorischen Epochenidee und deren Rettung tritt die Trauer um einen Augenblick des Subjekts, der nicht mehr rettbar ist.“17 Für Bohrer wird Baudelaires Abschiedsdiskurs zum Kriterium, an dem jede andere Abschiedsrede hinsichtlich der Alternative von Versöhntsein und Un-

Vgl. K. H. BOHRER 2014, 10. K. H. BOHRER 2014, 11 unterscheidet drei Typen: „A: Der Typus des mythischen oder heilsgeschichtlichen Abschieds. B: Der Typus des Abschieds als ein Zeichen der Tragödie. C: Der Typus des Abschieds als komplexes psychisches Reflexionsgeschehens.“ 13 K. H. B OHRER 2014, II. 14 K. H. B OHRER 2014, XII. 15 K. H. B OHRER 2014, V: „An die Stelle des historischen Unterschieds von Damals und Heute ist bei Goethe die Sinnlichkeit eines Zeitmoments getreten, die ausschließlich ,Gegenwart‘ impliziert. Als solche, ausschließlich sinnliche, ist Gegenwart aber immer durch ihr Verschwinden gefährdet. Diese Bedrohung impliziert jedoch auch die Sicherheit, das Verschwinden als moderne Kategorie zu erzwingen, als unausweichliches Kriterium gegen teleologische Absicherung der Existenz zu erhalten. Daraus entspringt die darstellerische Potenz des Vergegenwärtigens.“ 16 K. H. B OHRER 2014, II. 17 K. H. B OHRER 2014, V. 11 12

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11 Halt in Haltungen

versöhntsein sich messen lassen muss.18 Abschied zeigt sich für Bohrer in Auseinandersetzung mit Baudelaire als etwas prinzipiell anderes als Klage, die sich in den traditionellen Motiven der Weltliteratur ausfindig machen lässt. Denn bei Baudelaire sind alle Augenblicke der Erinnerung an gelebte Augenblicke des Glücks entleert. „Der Augenblick von damals ist nicht bloß verschwunden, sondern die Erinnerung (,souvenir‘), ein Zentralwort der Fleurs du mal, leistet keine Gegenwärtigkeit mehr, verschärft vielmehr den leeren Zustand.“19 Die Reflexionsfigur des Abschieds als Bewusstseinsform (Reflexionsfigur des je schon Gewesenen) moderner Trauer weiß schon immer um das Verschwinden von Gegenwart, und zwar unter Reflexion von deren diskursiver Bedingung.20 Wird im mythisch-heilsgeschichtlichen Typus A von Abschied, beispielsweise in den Abschiedsreden Jesu im Johannesevangelium, der Abschied nicht als endgültiger vorgestellt, sondern als Voraussetzung und Beginn einer Wiederkehr, zeigt das, dass die heilsgeschichtliche Zeit „gar keinen Abschied im Sinne eines endgültigen Bruchs zwischen zwei Zeitphasen“ kennt: „das Präsens wird nie zur endgültigen Vergangenheit, sondern ihm entspringt immer die Zukunft.“21 Der Typus B des Abschieds als ein Zeichen in der Tragödie bedeutet ein Abschiednehmen, „das heroisch-stoizistische Tugendideal des untergehenden Helden zu statuieren: der Ruhm des Republikaners wird Zukunft haben.“22 Die Zeit wird nicht als verlorene Zeit verworfen.23 Das transzendierende Bewusstsein hat die verschiedenen Abschiedsphantasien der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts24 ermöglicht und ihnen „immer die zeitliche Perspektive vom Abschied als einem Versprechen auf Wiederkehr gegeben. Man nimmt Abschied von jemand oder etwas, um so emphatischer den Wiedergewinn des Verabschiedeten zu erfahren.“25 Das Diskursargument der transzendenten Zukünftigkeit bleibt für die Romantik ausschlaggebend, auch wenn sich das absehbare Vergangensein gegenwärtiger Existenz als Voraussetzung für das Aufkommen des Abschieds als Reflexionsfigur des je schon Gewesenen herauszubilden beginnt.26 Doch der Typus des romantisch empfindsamen AbVgl. K. H. BOHRER 2014, 7. K. H. BOHRER 2014, VI. 20 Vgl. K. H. B OHRER 2014, 10. 21 K. H. B OHRER 2014, 12. 22 K. H. B OHRER 2014, 14. 23 Vgl. K. H. B OHRER 2014, 15. 24 K. H. B OHRER 2014, 15 listet eine Reihe von Beispielen von Goethe, Jean Paul (dem „Erfinder der Abschiedsstimmung“; a. a. O., 19), Hölderlin und Heinrich von Kleist auf, in denen es mehrheitlich um den Abschied vom Leben geht, um den Abschied als Bewusstsein des nahen Todes, und klärt darüber auf, dass sich die Häufigkeit des Abschiedstopos in der Literatur des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts aus der Verbindung der Empfindsamkeitsrede und des Transzendenzdiskurses bzw. Palingenesiegedankens erklären lässt. 25 K. H. B OHRER 2014, 15. 26 Vgl. K. H. B OHRER 2014, 20. 18 19

11.1 Abschiedlich leben: Zur Haltung der Abschiedlichkeit

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schieds hat sich in der späteren Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts vor allem in populären Gattungen, in Unterhaltungsromanen und Filmen fortgesetzt.27 (3) In der frühen Lyrik des 20. Jahrhunderts zeigen sich Beispiele (G. Trakl, R. M. Rilke,28 G. Benn) einer Abschiedsreflexion, die vom Entschiedensein des Abschiedgenommenhabens ausgehen29: „Die Trauer, die sich dabei einstellt, ist in dem Maße absolut und von theoretischer Natur, also nicht bloß lyrische Stimmung, als die metaphysische Deutung des Abschieds, die seit Platos Erklärung des Todes als eine Trennung der Seele vom Leib, auf sie [sic!] sich das Leben vorzubereiten hat und die dem Tod seinen Schrecken nimmt, nicht mehr gilt.“30 Vielmehr ist nun eine „radikale Form des Verabschiedens eingetreten, weil nun Zukunft in keiner Weise mehr denkbar wird und die ,Einsamkeit‘ des Subjekts der Modus solcher Reflexion ist.“31 In Beziehung zur theoretischen Relevanz der Zeitthematik im Kontext der zeitgenössischen Existenzphilosophien Sartres und Heideggers zeigt sich, dass die Philosophie offensichtlich „den Gedanken des Verschwindens“ nicht duldet, „den die Literatur als denkbaren vorgibt, weil der ihr kein Gedanke, sondern ein Gefühl ist: d. h., er ist ihr nur als subjektiver verständlich.“32 Damit ist aus der „Zeitphilosophie des frühen 20. Jahrhunderts [...] für die Reflexionsfigur des Abschieds nichts zu gewinnen.“33 Auch in der Lyrik des frühen 20. Jahrhunderts zeigt sich nur eine schwache Form der Abschiedsfigur, die sich des Verschwundenen immer wieder vergewissern muss.34 So lässt sich ein Versuch der Philosophie und der mit ihr verbundenen Literatur aufzeigen, der „den radikalen Modus des Abschiedgenommenhabens zu vermeiden“ sucht.35 Lediglich in Baudelaires Werk ist die „starke Form des Abschieds als Reflexionsfigur des je schon Gewesenen [...] in stolzer Einsamkeit“ gegeben.36 Für Baudelaire ist selbst der „Augenblick“ verloren, „den die Romantik eigens für dieses Rettungsunternehmen erfunden hatte.“37 Alle diese Versuche „sind vor allem geblendet von dem ,langen Schatten‘, den die ,untergehende Sonne der Theologie‘ noch immer auf diesen Diskurs wirft.“38 Das betrifft, wie gesehen, Heidegger und an ihn anschließend Janke. Genau diese „,Soleil couchant‘“ hat Baudelaire „brutal Vgl. K. H. BOHRER 2014, 22. Vgl. neben Heideggers Analysen zu Rilkes Abschiedsgedichten auch W. JANKE 2005, 274–277. 29 Vgl. K. H. B OHRER 2014, 32. 30 K. H. B OHRER 2014, 32. 31 K. H. B OHRER 2014, 32. 32 K. H. B OHRER 2014, 35. Hervorhebung von mir. 33 K. H. B OHRER 2014, 37. 34 Vgl. K. H. B OHRER 2014, 37. 35 Vgl. K. H. B OHRER 2014, 38. 36 Vgl. K. H. B OHRER 2014, 38. 37 K. H. B OHRER 2014, 39. 38 K. H. B OHRER 2014, 39 mit Zitat von Niklas Luhmann. 27 28

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entromantisiert, und nur einer gewissen intellektuellen Harmlosigkeit, die dem theoretischen Versöhnungsdenken eigentümlich ist, kann dies entgehen.“39 Das Interesse an Baudelaires Ästhetik des Abschieds ist kein kunstphilosophisches, sondern ein ästhetisch-theoretisches. „Diesem erscheint Baudelaires Abschiedsbewusstsein als Analyse der verlorenen Zeit, die durch nichts mehr wiederzugewinnen ist: als eine Theorie der Trauer, die sich dem MelancholieDiskurs ebenso entzieht: Baudelaires Zeitbewußtsein als das Bewußtsein verlorener Zeit ist exklusiv subjektiv, ohne geschichtsphilosophische Objektivierungstendenz.“40 Durch die Radikalisierung des Abschieds ist nicht nur die Trennung von Philosophie und Literatur ausgesprochen, sondern auch die Behauptung endgültig widerlegt, „Kunst sei das Andere der Philosophie.“41 Damit ist nicht nur der Kunstphilosophie (Hegels) eine Absage erteilt, sondern auch einem literarischen Diskurs, der den konventionellen Abschiedstopos aufrecht erhält, den Abschied, der ein Wiedersehen verspricht und in einem fiktionalen Präsens von Glück beschlossen liegt.42 Selbst in modernen literarischen Diskursen lässt sich ein Glücksversprechen ausmachen, das auf Ewigkeit hinweist. Es ging seit Dantes Weg durch die Hölle hinauf ins Paradies in der modernen europäischen Literatur immer wieder um Verlust und Wiedergewinn der Ewigkeitsperspektive, unabhängig davon, ob in sakraler oder säkularer Form. Ewigkeit hat einen „Projektcharakter“ angenommen, Literatur wurde als „Rede wider den Tod“, also als „Verewigung von Zeitlichkeit“ ausgelegt. „Man kann das auch die Verabredung mit dem Unendlichen nennen, das zur Obsession der literarischen Moderne (Proust, James Joyce, Virginia Woolf, André Breton, Aragon, Bataille, Musil) geworden war, die formal gestern zu Ende gegangen ist.“43 Sie alle haben übersehen, dass „Baudelaire und die Reflexionsfigur des Abschieds [...] für die Unendlichkeit aber schon vor hundertdreißig Jahren keine Worte mehr gefunden [haben], weil sie keine Zeit mehr entdecken konnten, in der diese Worte sinnvoll gewesen wären.“44 (4) Baudelaire konnte dem poetischen Zeitbewusstsein, das Ewigkeit garantiert und dem Dichter Erinnerung poetologisch aufgibt, nicht mehr folgen. „Hölderlin war das poetische Zeitbewusstsein mit einer Gültigkeit selbstverständlich, die nach konventioneller Ansicht gewissermaßen bis heute andauert. Er fasste es in den hymnischen Satz: ,bis in den Tod / Kann aber ein Mensch auch / Im Gedächtnis doch das Beste behalten, / Und dann erlebt er das Höchste.‘ Baudelaire hat dieses Diktum aufgehoben.“45 Baudelaire machte die

K. H. BOHRER 2014, 39. K. H. BOHRER 2014, 39.40. 41 K. H. B OHRER 2014, 42. Entsprechende Nachweise ebd. 42 Vgl. K. H. B OHRER 2014, 603. 43 K. H. B OHRER 2014, 603. 44 K. H. B OHRER 2014, 603. 45 K. H. B OHRER 2014, 603.604 mit Zitat aus Hölderlins Der Rhein. 39 40

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„Ewigkeitsverweigerung“ im 19. Jahrhundert emphatisch zu seinem Thema: „Die Erkenntnis aus der Baudelaireschen Ewigkeitsverweigerung ist der seither nicht mehr ausgeräumte Verdacht, daß literarische Verheißungen des Glücks als Zeiterfahrung seit 1800 nicht mehr recht überzeugen.“46 Bei Goethe war in seinem Zeitmaß der höchste Augenblick nicht mehr allein, sondern gepaart mit seinem Verschwinden. „Dazu bedurfte es bei ihm nicht der expliziten Absage an Gott: Wem die Sonne subjektiv so endgültig untergehen kann, der kann die objektiven Kategorien der Theologie gedacht haben.“47 Dennoch war Nietzsches Absage an die Ewigkeit als Absage an die Theologie und Philosophie in aller Deutlichkeit notwendig, damit „die Reflexionsfigur des Abschieds diskursiv wahrgenommen werden kann.“48 Für Nietzsche hatten die Metaphern Abschied und Abschied nehmen neben der eigenen Krisis, die mit dem Abschied von Richard Wagner verbunden gewesen ist, als er sich einem christlichen Romantizismus zuwandte, auch die Bedeutung eines kulturkritischen, geschichtstheoretischen und existentiellen Begriffs bekommen.49 „Von hier aus gesehen erscheint Baudelaires Bewusstsein der verlorenen Zeit, der radikalste Ausdruck des europäischen Nihilismus, nicht bloß als etwas Neues, sondern etwas Notwendiges.“50 Der Diskurs bei Walter Benjamin und anderen zeigt weiter, wie unerträglich und ungemütlich die Vorstellungen Baudelaires, Goethes und Nietzsches waren und sind.51 Im geschichtsphilosophischen Diskurs wurde seit Ende des 19. Jahrhunderts versucht, den Nihilismus, den die Reflexionsfigur des Abschieds zwischen Goethe und Nietzsche bereitstellte, wieder aufzuheben.52 „Gegenüber den Ekstasen der gläubigen Intelligenz nimmt sich die Theorie der Trauer als eine Ethik aus, die mehr zu tun haben könnte mit der kontingenten Skepsis Montaignes. Oder: Baudelaire hat im Unterschied zu Hölderlin und Trakl Heidegger nicht weiterhelfen können. Es ist nicht möglich, Baudelaire in seinen Abgrund zu folgen. Man kann seine Texte aber als Bewusstseinslage dahingehend verstehen, dass er eine, wenn auch unsichtbare, Grenze gezogen hat zwischen Literatur und Gemütsstärkung.“53 Die damit verbundene Aporie löst eine geläufige Theorie in Literatur, Theologie und Philosophie seit langer Zeit mit der „Ausflucht in die Negation“ auf: „Das Abwesende wird in einer negativen Fassung wieder zum Anwesenden. Negation des Glücks oder Negation der Vergangenheit wäre

K. H. BOHRER 2014, 604. K. H. BOHRER 2014, 604. 48 K. H. B OHRER 2014, 604. 49 Vgl. K. H. B OHRER 2014, 419. 50 K. H. B OHRER 2014, 419. 51 K. H. B OHRER 2014, 605. 52 Vgl. K. H. B OHRER 2014, 419. 53 K. H. B OHRER 2014, 605.606. 46 47

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dann genauer eine heimliche Affirmation des Glücks bzw. der Vergangenheit, wie eine negative Theologie noch immer von Gott spricht.“54 Die Pointe von Baudelaires Melancholie ist, dass sie nicht elegisch genossen werden kann. Es gibt keine Ausflucht mehr in die Idee vom Vorschein eines doch noch geretteten Augenblicks. „Nirgends in der Literatur hat die Subjektivität mit solcher gedanklichen Konsequenz die Idealismen unterhöhlt.“55 Die poetische Trauer als Abschiedsbewusstsein ist in einem poetischen Diskurs um 1800 phänomenal erfasst. Als letztes Datum der poetischen Bewusstseinsgeschichte zeigt sich keine historische Theorie, sondern die Kategorie der Intensität, die per definitionem nur einmal erscheint, „um nicht mehr hintergehbar, wiederholbar oder übersteigbar zu sein.“56 Die Einmaligkeit dieses Ereignens ist nicht wiederholbar. Der Prozess des Verstehens dieses Ereignisses dauert noch an wie das Verstehen des Ereignisses des Todes Gottes, das als darunter liegendes Ereignis dieses poetischen Diskurses ausfindig zu machen ist. Die neue Bewusstheit des „Sich-verabschieden-Müssens“ von der Illusion der idealistischen Geschichtsphilosophie ist bei Baudelaire an einem literarischen Ort ausfindig zu machen und bei Nietzsche an einem gedanklichen Ort. Der Tod Gottes ist wie das Abschiednehmen die „grosse Loslösung“ (KSA 2, 15.16), nicht als Abschied von etwas Begehrtem, dem ein Wiedersehen verheißen wird, sondern als Abschied für etwas Neues.57 Diese „grosse Loslösung“ ist als Erschütterung zugleich eine „Neugierde nach einer unentdeckten Welt“ (KSA 2, 16). Damit bezeichnet das „Wort ,Abschiednehmen‘ [...] ein intellektuelles Ethos anstelle einer seelischen Leistung contre cœur, denn es geht ja um die Revision von etwas einmal für unumstößlich wahr und existenzsichernd Angenommenen.“58 Dieses Verständnis des Abschieds ohne Wiedersehen nimmt den Abschied radikal ernst, wie die Rede vom Tod Gottes nur ernst genommen wird, wenn Gott in ihr auch wirklich als tot verstanden ist. Das hat Heidegger nicht vermocht, wenn er auf den kommenden Gott gewartet hat. Das hat Kierkegaard nicht vermocht, sofern er Gott als unbestimmbare Macht, in der sich das Selbst gründet, beschreibt. Das hat Hegel nicht vermocht, sofern er den Tod Gottes als einen Moment im Leben Gottes bezeichnet hat. (5) Die traditionelle Theologie steht noch im Schatten des Typos A, der den Abschied in Jesu Abschiedsreden als Beginn seiner Wiederkehr deutet. Auch wenn die (biblische) Literatur, wie das Kind, das Wiedersehen nach dem Abschied liebt, gibt es Abschiede ohne Wiedersehen. Das Verschwinden ist endgültig, „denn diese Abschiede transzendieren das psychologisch Zumutbare.“59 K. H. BOHRER 2014, 606. K. H. BOHRER 2014, 607. 56 K. H. B OHRER 2014, 607. 57 Vgl. K. H. B OHRER 2014, 446. 58 K. H. B OHRER 2014, 446. 59 K. H. B OHRER 2014, 9. 54 55

11.2 Bildung als Gabe: Besonnener Anfang einer Ethik der Selbstsorge

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Dieser Abschied ist trostlos und radikal. Der Tod eines geliebten Menschen ist das Erlebnis einer Grenzsituation, die uns unvertretbar selbst trifft und in der uns der Abschied als endgültiger entgegentritt. Dieser Abschied bedeutet einen Riss in der Erfahrung der Endlichkeit. Doch dieser Abschied und insbesondere der eigene Abschied durch den eigenen Tod scheinen nicht mehr bedacht zu werden. Vor dem Faktum des Todes pflegt der Mensch im Alltag die Augen zu verschließen. Die Weisen des Umgangs mit dem Tod haben sich seit dem Alten Ägypten im Laufe der Kulturgeschichte des Menschen immer wieder verändert. Zwar weiß der Mensch um den bevorstehenden Tod, aber er will den Tod als den ihn selber betreffenden nicht wahrhaben. Mit der Haltung der Abschiedlichkeit wird der radikale Abschied existenzialhermeneutisch aufund ernst genommen. Er hält keine geschichtsphilosophische Dialektik mehr bereit. Doch bleibt die Abschiedshaltung in ihrer herrschenden Skepsis hinter der von Nietzsches großem Loslassen zurück, wenn das intellektuelle Ethos einer Revision der Grundbegriffe nicht mit einer „Neugierde nach einer unentdeckten Welt“ (KSA 2, 16) verbunden wird, die im Existential der Bildung wach gehalten wird. Nur durch sie kann die in der Offenheit und Abschiedlichkeit ausgedrückte ethische Perspektive überhaupt ihre Orientierung und Irrtumsanfälligkeit reflektieren und die Komplexität, Unsicherheit und Ungewissheit des Lebens in Freiheit aushalten. Im Existenzial der Bildung liegt der besonnene Anfang einer Ethik der Selbstsorge. Der Vergänglichkeit können wir nur die schöpferische Gestaltung unserer Lebenszeit entgegensetzen.60

11.2 Bildung als Gabe: Besonnener Anfang einer Ethik der Selbstsorge 11.2 Bildung als Gabe: Besonnener Anfang einer Ethik der Selbstsorge

(1) Der Begriff der Endlichkeit hat sich als Leitbegriff zur Umschreibung der dadurch ausgelösten Krise des theologischen Verständnisses des Menschseins in der Welt als tragfähig erwiesen und zu einer Revision des Gedankens der Geschöpflichkeit geführt, die im Existenzial der Natalität ihren Sinn erblicken kann. Vorausgesetzt werden Möglichkeiten und Grenzen der Bestimmung des Menschen als sprachbegabtes Wesen. Herausgestellt wird zudem Abschiedlichkeit als zur Anfänglichkeit korrelierende Komponente des transformierten Schöpfungsgedankens. Nach diesen dynamisierten Deutungen steht nun eine Revision der Vorstellung von der Gottesebenbildlichkeit des Menschen an. Das theologische Verständnis des Menschen als Bild Gottes setzt die Klärung voraus, wer oder was Gott ist, als dessen Bild der Mensch verstanden werden soll. Im Alten Testament findet sich im Wesentlichen nur eine Selbstvorstellung Gottes, und zwar im Zusammenhang der Berufung des Mose am bren-

60

Vgl. V. KAST 1982, 164.

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11 Halt in Haltungen

nenden Dornbusch (Ex 3,1–4; 17), in der sich Gott rätselhaft vorstellt als „Ich bin der Ich-bin-da“ (Ex 3,14). Die Vieldeutigkeit der Selbstvorstellung kann als Wahrung der Unverfügbarkeit Gottes verstanden werden. Gott ist und bleibt als das Heilige, als das mysterium fascinosum et tremendum (Rudolf Otto), unverfügbar. Wenn von der Gottesebenbildlichkeit des Menschen gesprochen wird, liegt es nahe, auch ihm Unverfügbarkeit zuzuschreiben, aus der sich in ethischer Hinsicht die Freiheit und Würde des Menschen ergibt. Eine Vorhersehbarkeit und insofern eine Verfügbarkeit des menschlichen Handelns und Entscheidens ist nicht möglich. Auch Schöpfung ist daher nicht zu verstehen als ein einmaliges Ereignis, das in der Vergangenheit stattgefunden hat und naturwissenschaftlich zu erklären wäre, sondern als eine Verstehenshilfe für die gegenwärtige Situation des Menschseins in der Welt zwischen Unverfügbarkeit und Unberechenbarkeit. Schöpfung wäre damit in dieser Hinsicht ein religiöser Ausdruck für einen Sinn für die Endlichkeit und Zeitlichkeit des Menschen und dessen kreative und destruktive Möglichkeiten, die sich in unterschiedlichen Kulturleistungen und Kulturzerstörungen ausdrücken. Diese unauflösbare Spannung und Zusammengehörigkeit zwischen Produktion und Destruktion ist dem Lebensprozess unweigerlich eingeschrieben. Es ist aber ein bleibendes Dilemma der Bestimmung des Menschen als Ebenbild Gottes, dass es nicht nur durch die Projektionsthese (Feuerbach, Freud) vielen nicht erst heute (vgl. schon Xenophanes, Euhemeros) eher einleuchtet, „daß die Menschen sich Götter nach ihrem Bilde gemacht haben, als daß der Mensch nach dem Bilde eines Gottes geschaffen ist.“61 Um diesem Dilemma zu entgehen, hat der Wiener Praktische Theologe Wilfried Engemann darauf hingewiesen, dass das „Beste, was durch religiöse Praxis geschehen kann, ist, dass ein Mensch als Mensch zum Vorschein kommt, mit allem, was zu seinem Menschsein gehört: Nicht als Gutmensch, nicht als Allesversteher, sondern als Mensch, der mit einem geheimnisvollen Faible für Freiheit und Liebe ausgestattet ist und deswegen seit Jahrtausenden den Verdacht hegt, in dieser Hinsicht Gottes Ebenbild zu sein.“62 Der Hang zur Freiheit und Liebe wird bei Engemann zum Verdachtsmoment für die Gottesebenbildlichkeit des Menschen. Ein solch transformiertes Verständnis von Geschöpflichkeit und Gottesebenbildlichkeit soll wiederum zu einer Wiederbesinnung auf das Verhältnis von Menschsein und Religion führen. Das wäre dann zugleich ein Beitrag zu einer philosophisch-theologischen Wiederbesinnung auf die Frage nach dem Menschsein, das letztlich Vorgabe und Zweck auch der religiösen Praxis des Christentums ist. Wodurch kann die seltsame Alternative überwunden werden, ob man denn nun entweder Mensch sei oder religiös? Diese Kuriosität beschäftigt nicht nur Engemann, sondern der Sache nach bereits auch Kierkegaard: „Wenn man vergessen hatte, was es heißt, religiös zu existieren, dann 61 62

W. PANNENBERG (1968) 2000b, 149. W. ENGEMANN 2013, 219.

11.2 Bildung als Gabe: Besonnener Anfang einer Ethik der Selbstsorge

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hatte man wohl auch vergessen, was Menschlich-Existieren heißt; dies mußte also aufgedeckt werden.“63 Um dieses aufzudecken, wird kurz auf die Genese des Gedankens der Gottesebenbildlichkeit eingegangen, um mittels einer Dynamisierung auch hier zu einem transformierten Verständnis zu kommen, das sich im Existenzial der Bildung und dynamisiert in der Metapher „Bilden“ ausdrücken soll. Auf dem Weg der Prüfung wird sich zeigen, dass es bereits in der mittelalterlichen Mystik und dann in der Aufklärung zu Transformationen des Gedankens der Gottebenbildlichkeit gekommen ist, die mit dem Begriff der Bildung verbunden sind. Allerdings spielt der Begriff der Bildung trotz seiner theologischen Wurzeln in der Dogmatik und Ethik nur eine marginale Rolle.64 Dagegen hat der Begriff der Würde bzw. Menschenwürde eine wichtige Bedeutung in der Geschichte der Transformation der Gottesebenbildlichkeitsvorstellung gewonnen.65 Innerhalb der Theologie wurde insbesondere von der Praktischen Theologie der Begriff der Bildung aufgegriffen.66 Hieran soll im Folgenden systematisch-theologisch angeknüpft werden. Der biblische Gedanke, dass der Mensch, Mann und Frau, ein (Eben-)Bild (hebr. tzäläm) Gottes sei (Gen 1,27),67 ist eng verbunden mit dem Herrschaftsauftrag des Menschen über die Welt (dominium terrae), der ihm von Gott erteilt wurde (Gen 1,28.29). Anders als der Auftrag im zweiten Schöpfungsbericht, die Erde mit Kulturarbeit zu bebauen (lat. colere; kultivieren) und zu bewahren (Gen 2,7; 15), zeigt sich im ersten Bericht eine martialische Sprache („Niedertrampeln“). Auch wenn sie wohl zeitgeschichtlich mit den extremen Schwierigkeiten der Bodenbeschaffenheit zu erklären ist, mit denen die Landwirtschaft in den klimatischen Regionen der Umwelt der Texte zu kämpfen hatte, ist sie bis in die heutige Zeit mit erheblichen Missverständnissen verbunden.68 S. KIERKEGAARD, GW 16, 242. Vgl. jedoch R. PREUL 1998; T. RENDTORFF 1998; J. OCHEL 2001; F. W. GRAF 2011, 49–64 sowie E. HERMS 2017 und RAT DER EKD 2003; vgl. jetzt auch die Beiträge in: B. SCHRÖDER 2021. 65 Vgl. dazu z. B. U. B ARTH 2003; jetzt auch U. B ARTH 2021, 126–157 mit Hinweisen auf weiteres Erschließungsmaterial zur Debattenlage. Auch für den Praktischen Theologen Henning Luther drückt die Gottesebenbildlichkeit die Würde des Menschen aus, aber diese „besteht nicht – wie der Mythos sagt – in seiner ursprünglichen Ganzheit und Vollkommenheit, sondern gerade in seiner Unvollkommenheit“ (H. LUTHER 1991, 270). 66 Vgl. bes. R. PREUL 2013. 67 Es bezeichnet das plastische wie das gemalte Bild, das Abbild und Kultbild anderer Götter. Vgl. K.-P. JÖRNS 2006, 218. 68 Wie im Zusammenhang mit der Darstellung von Mark C. Taylors Kulturtheologie After God aufgezeigt wurde, zeigt sich diese damit verbundene Haltung der Ausbeutung der Erde nicht zuletzt in der neofundamentalistischen Bewegung der New Religious Right. Dass keine der (Welt-)Religionen das Rüstzeug besitzt, der gegenwärtigen ökologischen Krise zu begegnen, hat der Berliner Religionswissenschaftler Andreas Feldtkeller herausgestellt (s. o. Abschnitt 10.1). Vgl. A. FELDTKELLER 2006, 236. 63 64

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(2) Der Praktische Theologe Klaus-Peter Jörns möchte sich auch aus diesen Gründen von der Vorstellung einer wechselseitigen Ebenbildlichkeit von Gott und Menschen verabschieden.69 Er zeigt auf, dass die Rede von der Gottesebenbildlichkeit des Menschen erst sekundär gegenüber der Vorstellung von der Menschenebenbildlichkeit Gottes bzw. der Göttinnen und Götter und daher im Zusammenhang mit diesem religionsgeschichtlichen Phänomen zu sehen ist70: „,Das Bilden des Menschen aus Lehm oder Ton ist wahrscheinlich das häufigst [sic!] begegnende und am weitesten verbreitete Schöpfungsmotiv überhaupt. Wir treffen es in den primitiven Kulturen, aber genauso auch in den großen Hochkulturen.‘ Der andere, ganz häufig begegnende Zug betrifft die Art, nach welchem ,Modell‘ die Menschen vom Schöpfer gemacht werden: nach seinem eigenen göttlichen Vorbild.“71

Den Sinn der Aussage von der Gottebenbildlichkeit sieht Jörns darin, dass sich der Mensch nicht allein aus sich selbst versteht. Daher greift er zu einer Aussage über die eigene Herkunft und das eigene Selbstverständnis. Sie „beide reflektieren den Schöpfer.“72 Doch wenn die Rolle des Herrschens in der Geschichte von Judentum, Christentum und Islam analog zu der Gottes verstanden wird als eine „funktionale Gottebenbildlichkeit“73, dann ist der Weg nicht weit dahin, „daß den Menschen ihre Gottebenbildlichkeit so wichtig geworden ist, weil Gott das Recht hat, Menschen und Tiere zu töten. [...] Denn im Töten ist der Mensch Gott.“74 Auch wenn in der deutschsprachigen Theologie die besondere Würde und Spitzenposition des Menschen mit einer Erwählungstheologie begründet wird, ergeben sich aus dieser „Selbst-Privilegierung des Menschen“75, für die auch die menschliche Sprache herangezogen wird, etliche Probleme, wie der Anthropozentrismus, Ethnozentrismus, Geozentrismus oder die Heilsgeschichte – als Geschichte Gottes mit den Menschen –, die das Verstehen der Universalität Gottes behindern.76 Das ließe sich auch an der Festlegung auf personale Kategorien für Gott nachzeichnen.77 Daher plädiert Jörns dafür, „die Mensch-Gott-Beziehung zurückzubringen in den Gesamtzusammenhang des Lebens. Dazu gehört es, die Bedeutung der Wortebene zurückzufahren und uns in der Theologie auch anderen Kommunikations-, Wahrnehmungs- und Erkenntniswegen zuzuwenden.“78 Für Jörns ist angesichts des

Vgl. K.-P. JÖRNS 2006, 217–241. Vgl. K.-P. JÖRNS 2006, 217.218. 71 K.-P. JÖRNS 2006, 219 mit Zitat von Claus Westermann. 72 K.-P. JÖRNS 2006, 220. 73 K.-P. JÖRNS 2006, 221. 74 K.-P. JÖRNS 2006, 221.222. 75 K.-P. JÖRNS 2006, 232. 76 Vgl. K.-P. JÖRNS 2006, 234. 77 Vgl. K.-P. JÖRNS 2006, 235–237. 78 K.-P. JÖRNS 2006, 233. 69 70

11.2 Bildung als Gabe: Besonnener Anfang einer Ethik der Selbstsorge

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Missbrauchs der Vorstellung die Zeit gekommen, „daß wir in der Ethik Abschied nehmen davon, uns am Gottesbild zu messen, das unsere Idealbilder repräsentiert. Es ist Zeit, daß wir das Menschenmaß akzeptieren, mit dem Jesus Christus die Gottebenbildlichkeit korrigiert hat.“79 Im „Gegenentwurf zur Schöpfungsgeschichte“ einer neuen „Schöpfungserzählung“ in den Evangelien ist „Jesus Christus [...] kein statisches, sondern ein bewegtes Bild des unsichtbaren Gottes: Gottes Wahrnehmungsgestalt. Ein lebendiges Bild ist er, das in der Bewegung seines Lebensweges die Wahrheit des Lebens erzählbar – und für Gläubige in der Nachfolge erfahrbar gemacht hat.“80 Die Imitatio Christi war bereits in den ersten Jahrhunderten maßgeblich geworden und für die Mönchsbewegung vorbildlich gewesen. Sie durchkreuzte das alttestamentliche Bilderverbot. Jesus fungierte als konkretes Bild Gottes, dem die Menschen nacheifern konnten. Doch auch die pneumatische Einwirkung des Bildes Christi auf unsere Subjektivität spielte vor allem für die Christologie Schleiermachers eine wichtige Rolle.81 Mit dieser Sichtweise ist die Tradition des Gedankens aufgerufen, dass erst durch Jesus die Bestimmung des Menschen, seine wahre Menschlichkeit, voll verwirklicht würde. Diese Sicht wurde in der Tradition des Christentums bereits bei Irenäus von Lyon ausgeprägt. In den biblischen Überlieferungen finden sich sowohl Aussagen über eine von der Schöpfung her kontinuierlich gegebene Ebenbildlichkeit als auch eine durch Erlösung neu zu erlangende Ebenbildlichkeit. Diese beiden Vorstellungen verband Irenäus, indem er zwischen imago und similitudo Dei unterschied. So bleibt das Bild Gottes als Schöpfungsstruktur im Menschen erhalten. Der Sünder bleibt imago Dei (hebr.: tzäläm elohim; griech.: eikōn tou theoú), aber seine Ähnlichkeit mit Gott (hebr.: demût; griech.: homóiōsis; lat.: similitudo Dei) ging verloren. Seine similitudo Dei muss durch Erlösung wieder hergestellt werden. Dazu wurde Gott Menschensohn, damit der Mensch Sohn Gottes wird. Die Restitution der Ebenbildlichkeit ist das Ergebnis der heilsgeschichtlichen Bildungsarbeit Gottes. (4) In der neueren Systematischen Theologie wurde dieser Gedanke von Wolfhart Pannenberg entfaltet.82 Erst Jesus ist das vollendete Ebenbild und Ausdruck wahrer Humanität, das den Maßstab für die göttliche Schöpfung von Anfang an bildet.83 In der Personalität kann Pannenberg einen komplementären Ausdruck für die Gottesebenbildlichkeit finden, der strukturelle Gemeinsamkeiten und geistesgeschichtliche Verbindungen zur Personwürde aufweist.84 Das Personsein ist nicht auf das Sichtbare eingeengt und der Mensch mehr als K.-P. JÖRNS 2006, 241. K.-P. JÖRNS 2006, 223. 81 Vgl. R. PREUL 2013, 144. 82 W. PANNENBERG 2000b. 83 Vgl. W. PANNENBERG 2000b, 145.146. 84 Vgl. W. PANNENBERG 2000b, 144. 79 80

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ein vernünftiges Wesen (animal rationale).85 Doch der Mensch ist nicht von Anfang an fertig als Gottes Ebenbild. Er hat vielmehr eine Geschichte, die hinläuft auf die Gewinnung seiner Bestimmung, auf die Verwirklichung wahrer Humanität in Verbundenheit mit Gott. „Das Ziel dieser Geschichte der Menschwerdung des Menschen ist in Jesus schon erschienen, und dadurch ist aller folgenden Geschichte das Thema gestellt: Alle Menschen sollen der hier erschienenen wahren Humanität teilhaftig werden.“86 Den von Engemann erwähnten Verdacht, dass es gerade die Freiheit und die Liebe sind, die die Ebenbildlichkeit ausmachen, hat bereits Pannenberg ausgesprochen: „Gerade in seiner Freiheit ist der Mensch das Ebenbild Gottes, der aus nichts alles schafft.“87 Der Mensch repräsentiert die Gegenwart des abwesenden Gottes und seine Herrschaft in der von ihm geschaffenen Welt. Pannenberg betont die Sonderstellung des Menschen. Der Gedanke der Freiheit hat aber nicht nur mit der Gottesbeziehung zu tun, sondern auch mit dem Verhältnis zu sich selbst, zu den Mitmenschen und zur Gesellschaft. Doch bedarf die Freiheit nach Pannenberg einer religiösen Basis, sie bliebe sonst blass und formal. Freiheit wächst für ihn nur aus der Teilhabe an der absoluten Wahrheit, aus der Verbundenheit des Menschen mit dem göttlichen Geheimnis seines Lebens: aus der Gottebenbildlichkeit.88 Christliche Theologie versteht Freiheit demnach inhaltlich als Teilnahme an der Wahrheit und am Leben Gottes. Das macht die Gottebenbildlichkeit aus als Freiheit, die aus der Gemeinschaft mit Gott lebt. Abgeleitet daraus wird für das Miteinander der Menschen: „In jedem einzelnen Menschen seine Bestimmung zu dieser Freiheit achten, heißt das Ebenbild Gottes in ihm ehren und das Persongeheimnis des Menschen respektieren.“89 Der Gehalt nun, aus dem die Freiheit lebt, ist die Liebe. Pannenberg versteht Liebe als „freie schöpferische Zuwendung“ und legt sie mit Nietzsche als „schenkende Tugend“ aus, die sich frei machen kann von gegenwärtigen Zuständen und nach Veränderungen und Verbesserungen sucht. In Jesus erblickt er das Urbild der Humanität, das sich in der liebevollen Hinwendung zum Mitmenschen zeigt.90 Der Mensch ist nicht von Natur aus Ebenbild Gottes, vielmehr kommt ihm diese Bestimmung von Gott her zu und ist noch unverwirklichte Zukunft. „Die Sehnsucht und das Ringen um die Menschwerdung

Vgl. W. PANNENBERG 2000b, 147. W. PANNENBERG 2000b, 146. 87 W. PANNENBERG 2000b, 147. Pannenberg weist auf Nikolaus von Kues hin, dem hier eine besondere Rolle zukommt, wenn er die Freiheit des Menschen als Gottähnlichkeit im schöpferischen Hervorbringen, in gedanklichen Entwürfen und technischen Modellen hervorhebt. Und auf Hegel, der die neuzeitliche Freiheit als Frucht des Inkarnationsglaubens deutet, die in der Reformation durch den Glauben nun allgemein geworden war. 88 Vgl. W. PANNENBERG 2000b, 148. 89 W. PANNENBERG 2000b, 148. 90 Vgl. W. PANNENBERG 2000b, 149. Ähnlich William Hamilton und Herbert Braun. 85 86

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des Menschen bildet das verborgene Thema der Religionsgeschichte.“91 Doch in dieser werden Mensch und Gott immer gemeinsam offenbar. Das zeigt sich im Menschen im Lichte seiner Gotteserfahrung, die jetzt im Lebensgefühl des Todes Gottes kontrafaktisch offenbar wird. Damit steht dieser Gedanke vom Menschen als Ebenbild Gottes zur Disposition. Die inhaltliche Begründung der Ebenbildlichkeit, in ihr die von Gott aus Liebe als freie schöpferische Zuwendung geschenkte Freiheit des Menschen zu erblicken, wird damit hinfällig. Mit der (ethischen) Hinwendung zu Jesus bei William Hamilton, Herbert Braun und Jörns wurde schon versucht, einen Ausweg zu finden, auch um über den Bezug zu Jesus in den Bahnen der christlichen Theologie zu bleiben. (5) Einen anderen Weg zeigt der historische Ursprung des Bildungsbegriffs auf, der auf seinen Zusammenhang mit der Gottebenbildlichkeit des Menschen verweist, wie er in der Mystik Meister Eckharts zu finden ist.92 Auch auf diese Weise wurde bereits versucht, den Gedanken der Gottebenbildlichkeit zu transformieren. Der Aufstieg des klassischen Bildungsgedankens im 18. und frühen 19. Jahrhundert hat sich zwar als früher Protest gegen die Sinnentleerung der modernen Lebenswelt infolge der Neutralisierung und Privatisierung der Religion dargestellt, aber seine intendierte Wirkung blieb aus und führte zu keiner religiösen Neubestimmung, Sinngebung und Transformation der öffentlichen Strukturen der Gesellschaft.93 Zwar wurde das Thema „Bildung und Religion“ bei Schleiermacher und Hegel klassisch behandelt, aber in der Folge wurde es in der Theologie vernachlässigt. Die Theologie hat sich in der Folgezeit des Bildungsbegriffs zu wenig angenommen und in der Bildung eine Angelegenheit der Beschäftigung des Menschen mit sich selber gesehen, die als säkulare Angelegenheit verstanden wurde. Die Bequemlichkeit der neuzeitlichen Theologie in ihrer „Ghettoexistenz“ verführte sie dazu, sich aus diesem Diskurs auszuklinken.94 So war Karl Barth der Überzeugung, dass allen menschlichen Bildungsbestrebungen „das Evangelium“ entgegenzusetzen wäre.95 Dahinter verbarg sich der Anspruch: Nur in Christus ist die Lösung der Bildungsaufgabe gegeben. Jesus Christus sei der einzig gebildete Mensch. Diese damit einhergehende fatale „Selbstghettoisierung“ hat für die Theologie nicht nur das Versäumnis zur Folge gehabt, konstruktiv an der Bildungsdebatte mitzuwirken, sondern die weitergeführte Debatte hat auch vergessen, dass der Begriff der Bildung nicht nur säkular ist. Denn die Wurzel des theologischen Begriffs der Bildung liegt in der Lehre von der Gottebenbildlichkeit des Menschen. Dieses

W. PANNENBERG 2000b, 149. Vgl. zur Geschichte des Bildungsbegriffs aus theologischer Sicht W. PANNENBERG (1977) 1980. 93 Vgl. W. PANNENBERG 1980, 209. 94 Vgl. W. PANNENBERG 1980, 210. 95 Vgl. K. B ARTH (1938) 1947. 91 92

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theologische Versäumnis wirkte sich schließlich fatal auf die Konzeptionen der evangelischen Religionspädagogik aus.96 Die begriffsgeschichtliche Wurzel der neuzeitlichen Bildungsdiskussion geht auf die deutsche Mystik des Mittelalters („Bildung der Seele“) zurück. Doch die etymologische Rückbesinnung allein reicht nicht aus, um an den gegenwärtigen Diskurs anzuknüpfen, in dem die Theologie Anregungen aus der Philosophie und Pädagogik aufnehmen muss und diese wiederum in einer theologischen Anthropologie nicht außen vor lassen kann. Mit dem Rückgriff auf die Imago-Lehre holt man sich allerdings die bereits angezeigten Probleme ins Haus und unter dem Vorzeichen des Lebensgefühls des Todes Gottes stellt sie keine weiterführende Lösung dar, um den Bildungsbegriff herzuleiten. Schließlich hat sich der klassische Bildungsdiskurs in Differenz zur Mystik entfaltet und den Bildungsgedanken als Selbstentfaltung verstanden. Der Weg zum modernen Bildungsgedanken zeigt sich als Säkularisierungsprozess. Der Weg zur Wiederherstellung der Ebenbildlichkeit des Menschen wird anders als im heilsgeschichtlichen Prozess zur Aufgabe des Menschen selber. Durch Bildung soll der Mensch das verwirklichen, was die Natur in ihm angelegt hat.97 Eine transformierte Deutung des Bildungsbegriffs fragt zunächst nach den Reichweiten und Grenzen des Bildungsbegriffs, um zu ergründen, welchen Beitrag Bildung zu einer Ethik der Selbstsorge leisten kann. Es wurde schon angedeutet, dass der Bildungsbegriff in den Konzeptionen der Dogmatik und Ethik vernachlässigt wurde, „obwohl immer wieder Anlaß bestand, einerseits unter der Frage nach den Konstitutionsbedingungen und Qualitäten des Handlungssubjekts und andererseits im materialethischen Zusammenhang von Erziehung, Generationenverhältnis und Traditionsvermittlung darauf Bezug zu nehmen.“98 Der Praktische Theologe Reiner Preul schlägt für eine dem christlichen Wirklichkeitsverständnis gemäße theologische Fassung des Bildungsbegriffs vor, in zwei Hinsichten eine systematisch-theologische Engführung zu vermeiden und sich einerseits nicht „auf ein bestimmtes inhaltliches B[ildungs]verständnis im Sinne irgendeines in der B[ildungs]geschichte entwickelten ,B[ildungs]ideals‘ oder bestimmter Kulturgüter, ohne deren Aneignung B[ildung] angeblich nicht möglich sei, [zu] fixieren. Sie darf andererseits den B[ildungs]begriff aber auch nicht auf sein christl[iches] oder dogmatisches Spezifikum reduzieren.“99 Denn Bildung ist als Grundbegriff der Pädagogik ein „lebensgeschichtlicher Prozeß“ und eine „personale Qualität“100. Der

96 Vgl. R. PREUL 2013, 59–68; B. D RESSLER 2018; vgl. jetzt auch B. SCHRÖDER 2021, 1–16; 165–192; 221–235. 97 Vgl. R. PREUL 2013, 155–253; zur Geschichte der Bildung vgl. W. SANDER 2018. 98 R. PREUL 1998, 1582. 99 R. PREUL 1998, 1582.1583. 100 R. PREUL 1998, 1583.

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Bildungsbegriff ist eine mit dem Menschen in der Welt als solche mitgesetzte Kategorie. Bildung ist ein Existential.101 Preul plädiert somit für einen fundamentalanthropologischen Begriff von Bildung, der für die Systematische Theologie mehrere Aufgaben bereit hält: „Unter religionsphilos[ophischem] und fundamentaltheol[ogischem] Aspekt ist die formale Allgemeinheit und damit Kommunikabilität und zugleich die Angewiesenheit auf Konkretisierung durch einen je individuell zu verantwortenden rel[igiös] weltanschaulichen Inhalt herauszustellen. [...] Der Dogmatik obliegt es, in Anknüpfung an den Prozeßaspekt und den Zielaspekt von B[ildung] die Grundstrukturen und transsubjektiven Bedingungen der B[ildung] eines Christenmenschen zur Freiheit [...] und die Differenzen gegenüber anderen inhaltlichen Vorgaben von Menschenb[ildung] herauszuarbeiten.“102 Sozialität tritt dabei nicht als etwas Zweites zur Bildung des Ich hinzu, sondern die Relationalität des Lebens als Menschsein in Beziehungen ist mitgesetzt: „In deskriptiver und normativer Absicht thematisiert die Ethik das Handeln der zur Freiheit gebildeten Christen und dessen Wirkungen, wie sie in individueller Lebensgestaltung einerseits und gemeinschaftlicher Gestaltung der gesellschaftlichen Wirklichkeit andererseits zutage treten.“103 Der interdisziplinäre Austausch ist auch für die Ethik unverzichtbar. Wenn Preul in seiner Evangelischen Bildungstheorie die Aufgabe angeht, „einen kategorialen bzw. existenzialen Bildungsbegriff zu entwickeln“104, will er einerseits die theologische Bildungsvergessenheit und Abwertung des Bildungsbegriffs zurückweisen105 und andererseits den Bildungsbegriff (rechtfertigungs-)theologisch positiv neu bestimmen,106 um „Konturen eines gebildeten Christseins in der Gegenwart“ in den Blick zu nehmen.107 Bildung ist mehr als das, was durch das Bildungswesen bewirkt wird. Auch die Unwägbarkeiten des Lebens und damit der Umgang mit der Endlichkeit sind im Bildungsbegriff selber herauszustellen.108 Preul geht dafür von der begrifflich weiten formalen Bestimmung von „Bildung als anthropologische Kategorie“ aus, wenn der Mensch sich vom Anfang seines Lebens bis zum Ende in einem je individuellen und einmaligen Bildungsprozess vorfindet: „Bildung ist [...] der Inbegriff aller Veränderungen und Entwicklungen, denen ein neugeborenes Exemplar der Gattung Mensch im Verlauf seines Lebens unterliegt, allerdings so, dass er sie auch mitbestimmt.“109 Damit stellt Preul heraus, dass der Mensch als Vgl. R. PREUL 2013, 75. R. PREUL 1998, 1583. 103 R. PREUL 1998, 1584. 104 R. PREUL 2013, 37; vgl. auch 346. 105 Vgl. R. PREUL 2013, 62. 106 Vgl. R. PREUL 2013, 69–107. 107 R. PREUL 2013, 345–399. 108 Vgl. R. PREUL 2013, 69. 109 R. PREUL 2013, 74. 101 102

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Mensch zur Bildung bestimmt ist, weil „Bildung ein Existenzial“110 ist. Für Preul geht es insofern „um nichts Geringeres als um die Realisierung der Bestimmung des Menschen am Ort des Individuums“111, das immer zugleich als soziales Wesen (zōon politikón) seine Bestimmung auch auf andere Weise realisiert, durch Entwicklung und Gestaltung von Gesellschaft.112 Der Mensch ist das zur Freiheit bestimmte Wesen.113 Daher ist Bildung auch im Kern „Selbstbildung“ des Individuums im Kontext der Kulturtradition und gesellschaftlichen Lebenswelt.114 Deswegen muss „die Freiheit und Selbständigkeit des sich entwickelnden Subjekts beachtet werden [...]. Denn Bildung ist als Prozess wie als Qualität menschlicher Reife Umgang mit der Freiheit des Menschen.“115 In der Selbstbildung geht es um die aufgeklärte Einübung in die Unwägbarkeiten des Lebens, das sich ernsthaftem Nachdenken und Selbstkritik nicht verschließt. Daher kann es auch in einer systematisch-theologischen Behandlung des Themas Bildung nicht um unumstößliche Bildungsinhalte gehen, sondern um die Herausstellung der Haltungen bzw. Dispositionen einer gebildeten Person,116 die jedem Menschen zukommt und nicht elitär ist, wenn Bildung ein Existenzial ist. Sie kann damit Ausdruck des Allgemeinen Priestertums aller Glaubenden sein.117 Insofern zeigt sich Bildung auch als Handlungsfähigkeit, die über sich selbst aufgeklärt ist: „Bildung ist gesteigerte und über sich selbst aufgeklärte Handlungsfähigkeit.“118 Den Grund für unser Handeln entdeckt Preul im „Sachverhalt der Schöpfung sowie, auf theologischer Reflexionsebene, [in der] Schöpfungslehre“119: „Der Mensch als handlungsfähiges Wesen einschließlich aller welthaften Handlungsbedingungen und -möglichkeiten verdankt sein Dasein dem schöpferischen Handeln Gottes, er existiert Deo creante samt der Welt, von der er ein Teil ist und deren Gesetzen, deren materiellen, räumlichen und zeitlichen Bedingungen und Einschränkungen er unterworfen ist. Abhängig vom schöpferischen Willen und Wirken Gottes ist der Mensch aber auch hinsichtlich seiner Emotionalität und geistigem Vermögen, die ebenso begrenzt und bemessen sind wie die Gegebenheiten seiner physischen Existenz. Gott ist Schöpfer und Seinsgrund ,all dessen, was sichtbar und unsichtbar ist‘ [...].“120

Preul sieht im Gegensatz zu Wagner und Jörns keinen Grund, Abschied vom Gedanken des Schöpfergottes, des kausalen Handlungsschemas und des HerrR. PREUL 2013, 75. R. PREUL 2013, 75. 112 Vgl. R. PREUL 2013, 75.76. 113 Vgl. R. PREUL 2013, 81. 114 R. PREUL 2013, 100 („bildungstheoretisches Dreieck“; vgl. auch a. a. O., 38.39). 115 R. PREUL 2013, 69. 116 R. PREUL 2013, 17. 117 Vgl. R. PREUL 2013, 346. 118 R. PREUL 2013, 83. 119 R. PREUL 2013, 142. 120 R. PREUL 2013, 142. 110 111

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schaftsauftrags (dominium terrae) zu nehmen,121 zumal er kausal in ihm die inhaltliche Bestimmung menschlichen Handelns für die ethische Bildung in einer von Technik und Industrie bedrohten Umwelt sieht.122 Die Ausführungen laufen zu auf Überlegungen zu „Gott als ,Bildner‘“123. Durch Wort, Geist und Walten bildet Gott den Menschen. Das Gebet zeigt sich als Ausdruck des Vertrauens auf Gott und der Hingabe an Gott. Preul erläutert in einer Fußnote knapp, dass Gott nicht als Gegenstand einer „alltäglichen Ontologie“ missverstanden werden darf. Gott „gibt“ es nicht. Doch Preul landet bei einem Überbietungsgestus desjenigen, der von Gott redet: „Wer mit ,Gott‘ rechnet, vertritt eo ipso ein zur Alltagsontologie alternatives, sie überbietendes Wirklichkeitsverständnis.“124 So kann der Gottesglaube zwar mit klarem Denken intellektuell redlich vereinbart werden, allerdings um den Preis, im christlichen Wirklichkeitsverständnis den Absolutheitsanspruch des Christentums und seiner Offenbarung weiterzutransportieren und das Lebensgefühl des Todes Gottes nicht zu berücksichtigen. Preul geht von der kriteriologischen Funktion der Rechtfertigungslehre für die evangelischen Theologie aus, und sein Vorschlag einer Bildungstheorie kann dann auch Dogmatik und Ethik „als christliche Bildungslehre“125 verstehen. Der Aufgabe der Transformation der christlichen Gehalte kann diese Bildungstheorie allerdings nicht nachkommen, weil sie in ihnen unaufgebbare Grundgehalte eines christlichen Wirklichkeitsverständnisses sieht und mit dem Handlungsbegriff im Kausalschema des Schöpfungsgedankens verhaftet bleibt. Das liegt vor allem auch daran, dass sich die Systematische Theologie nicht dem Thema der Bildung angenommen hat und die Transformation ihrer schöpfungstheologischen Gehalte noch aussteht.126 Dennoch leistet diese Bildungstheorie einen bedeutenden Beitrag zur Wiedergewinnung des Bildungsgedankens als Existenzial, der für ein theologisches Nachdenken über Bildung nach dem Tode Gottes wichtige Einsichten bietet, die nun im Blick auf ein transformiertes Bildungsverständnis aus der Pädagogik weitergedacht werden sollen. (6) Überraschend ist zunächst der Befund, den der Artikel Bilden im Wörterbuch der philosophischen Metaphern verzeichnet. Mit Blick auf die bisherige Darstellung scheint es so, dass in der Moderne der Weg vom Ebenbild zum Selbstbildner abgeschritten wurde. Doch nach einem Durchgang durch antike Schöpfungsvorstellungen, die Vorstellung von der Gottebenbildlichkeit und die Imago-Dei-Tradition in der mittelalterlichen Philosophie und Mystik kommt der Artikel zu dem Schluss, dass die Spuren der ursprünglichen Gabe Vgl. R. PREUL 2013, 142. R. PREUL 2013, 143. 123 R. PREUL 2013. 150–153. 124 R. PREUL 2013, 359, Anm. 23. 125 R. PREUL 2013, 141. 126 Vgl. jetzt aber die Übersicht von Dorothee Schlenke in B. SCHRÖDER 2021, 105–138. 121 122

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Gottes im Bildungsbegriff nicht gänzlich verwischt worden sind.127 Diesem Befund eines Denkens der Gabe gilt es abschließend nachzuspüren, um den Bildungsbegriff als schöpferischen und (de-)konstruktiven Kern der hier angedachten Anthropologie und Ethik herauszustellen, der sich mit der von Kierkegaard herausgestellten religiös-existentiellen Aufgabe verbindet, ein Selbst zu werden. Insofern zeigt sich Bildung als notwendige Bedingung der Möglichkeit der Einübung in religiös-existentielle Ent-täuschung. Käte Meyer-Drawe und Egbert Witte machen im besagten Wörterbuchartikel darauf aufmerksam, dass es im Verlauf der Geschichte bei Bildung immer „um das grundsätzliche Verhältnis von Sichtbarem und Unsichtbarem [geht], also um die Frage, wie sich etwas, das nicht zu sehen ist, im Sichtbaren ausdrückt.“128 Wie schon herausgestellt, versucht die christliche Tradition durch die Imitatio Christi dieses Verhältnis zu veranschaulichen, während die jüdische Tradition an der Unverfügbarkeit und Unsichtbarkeit des Schöpfers festhält, von dem der Mensch seine Ebenbildlichkeit empfängt. Die Unmöglichkeit, Gott abzubilden, bleibt damit gewahrt. Die Ebenbildlichkeit ist mit einem strengen Bilderverbot verknüpft. Das Bilderverbot steht für die Unverfügbarkeit Gottes. Gott bleibt nur in seinem Entzug präsent. Doch kann Gott durch seinen Entzug gleichfalls als abwesend, als irrelevant und damit als tot erfahren werden. Das Bilderverbot trägt somit auch immer einen Januskopf. Es deutet nicht nur Präsenz als Entzug, sondern Entzug auch als Abwesenheit, Verborgenheit oder Tod. Diese erste Struktur findet nun in der konkreten menschlichen Existenz ihre Entsprechung: „Menschen ist nämlich weder der Beginn noch das Ende ihres Lebens in unmittelbarer Erfahrung gegeben und ebenso der direkte Anblick insbesondere ihres eigenen Gesichts verwehrt. Das bedeutet auf der einen Seite die Versagung absoluter Evidenz und begründet gleichzeitig das Begehren nach Kompensation und damit die Möglichkeit des Bildens, das stets die engen Grenzen des Abbildens übersteigt.“129 Die Möglichkeit des Bildens ist durch die Vorgabe von wesentlich Unsichtbarem gegeben, die uns kreativ erst in unseren Bildern (Spiegelbilder, gemalte Bilder, Sprachbilder, technische Reproduktionen, Hörbilder) werden lässt, die auf den elementaren Selbstentzug reagieren.130 Doch können wir uns letztlich niemals vollständig selbst erkennen, nicht nur weil wir durch versagte Erfahrungen (Geburt, Tod) bestimmt sind, sondern auch „durch den Rückzug des Gewohnten und des Vertrauten ins Selbstverständliche, das wir in Anspruch nehmen, ohne es zu bemerken. Für uns selbst sind wir als Erkennende stets zu spät. Gerade deshalb müssen wir gebildet werden in einem Prozess, welcher das Selbst als Effekt hinterlässt, der in eigener Gestaltung übernommen K. MEYER-DRAWE/E. WITTE 2014, 77. K. MEYER-DRAWE/E. WITTE 2014, 64. 129 K. M EYER-D RAWE/E. W ITTE 2014, 64. 130 Vgl. K. M EYER-D RAWE/E. W ITTE 2014, 64. 127 128

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wird.“131 Die produktive Spannung von Sichtbarem und Unsichtbarem findet sich auch hier wieder. Angeregt durch die jüdische Tradition des Bilderverbots haben Jacques Lacan, Jacques Derrida und Emmanuel Lévinas sowie Jean-Luc Nancy diese Tradition für ein spätmodernes Denken wieder fruchtbar machen wollen.132 An sie schließt sich der Hamburger Erziehungswissenschaftler Michael Wimmer an, wenn er „Bildung als Gabe“133 bezeichnet. Doch dieses Verständnis von Gabe ist nur vordergründig mit dem theologischen Motiv der Gabe134 verbunden,135 das wie das ökonomische auf Reziprozität beruht und leicht mit einem Kausalschema verbunden werden kann. Die Gabe des Gebers ruft beim Empfänger Schuld bzw. Dank hervor.136 Doch damit wird der Gabecharakter zerstört, den die Theologie gerne betont und auf den die Gläubigen in Dank, Gebet und Lobgesang antworten sollen. Die Gabe als Gabe zu bewahren, stellt sich als unmögliche Aufgabe heraus. An diesen vergessenen Aspekt der Gabe erinnern die folgenden Überlegungen. (7) Vor dem Hintergrund der ungeklärten Situation, welchen Ort und welche Funktion der Bildungsbegriff heute noch hat, wenn über Bildung nicht mehr „im Horizont einer Ontologie“ zu sprechen ist „als etwas, das als Idee und/oder als Wirklichkeit bestimmbar wäre“137, ist der Bildung als Gabe nachzugehen. Bildung ist im neueren Diskurs nicht mehr eine Bestimmung des Menschen oder seine Vervollkommnung, auch keine „Sache von Doktrinen und inhaltlichen Festschreibungen dessen [...], was und wie eine Person sein oder werden soll.“138 Michael Wimmer stellt in seiner „Neubestimmung des Bildungsbegriffs“ heraus: „Es geht nicht mehr darum, weltanschaulich geprägte Menschenbilder zu entwerfen, sondern darum, den Bildungsbegriff gegen seine Festlegung in Weltanschauungen und Menschenbildern zu wenden, die einen solchen Bildungsgedanken mumifiziert und zu Recht der Kritik verfallen lassen haben.“139 Denn nach dem Ende der humanistischen und anthropologischen Bildungsidee ist „Bildung als etwas zu denken, das sich verändert, verschoben und vielleicht erschöpft hat in der Form, in der sie gedacht wurde. Etwas ist mit dem als Bildung verstandenen Sachverhalt geschehen, daß sie als etwas gedacht werden muß, was sich gewandelt hat.“140 Dazu greift Wimmer auf die

K. MEYER-DRAWE/E. WITTE 2014, 76. K. MEYER-DRAWE/E. WITTE 2014, 77. Vgl. J.-L. NANCY 2008; 2012; vgl. zu JeanLuc Nancy F. D. RASS 2017, 139–211. 133 M. W IMMER 1996, 127–162. 134 Vgl. dazu O. B AYER 2000. 135 Vgl. M. W IMMER 1996, 148; 153. 136 Vgl. M. W IMMER 1996, 146. 137 M. W IMMER 1996, 128. 138 M. W IMMER 1996, 129. 139 M. W IMMER 1996, 129. 140 M. W IMMER 1996, 129. 131 132

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vergessenen Voraussetzungen des Bildungsgedankens zurück und auf dessen Implikationen und Komplikationen.141 Diese Neubestimmung des Bildungsbegriffs bezieht sich auf die gesellschaftliche und politische Gegenwart, also die geschichtliche Situation, die uns gebildet hat. Die Komplexität solcher ausdifferenzierten Gesellschaften in der westlichen Moderne zeigt sich bestimmt von „existentieller und diskursiver Pluralität, von einer Vielheit unterschiedlicher Lebensformen, moralisch-ethischer Orientierungen, religiöser und weltanschaulicher Überzeugungen sowie heterogenen Selbstverständnissen und Zielbestimmungen des eigenen Lebens sowie den damit zusammenhängenden Problemen einer Gesellschaftsordnung, die diese Pluralität nicht reduziert [sic!] sondern ermöglicht und selbst zu ihrer Bedingung hat.“142 Mit dem Zerfall eines verbindenden und verbindlichen Allgemeinen, der Erosion eines kollektiv bzw. kulturell oder national auf Tradition gegründeten allgemeingültigen Sittengesetzes und von für den Einzelnen mehr oder weniger unhinterfragt gültigen Lebens- und Moralvorstellungen und Verhaltensnormen ist es nicht mehr möglich, den Bildungsbegriff einheitlich zu formulieren.143 Mit dem Zerfall des Allgemeinen und der „Wiederkehr einer radikal verstandenen Pluralität [...] gewinnt der Einzelne eine neue Bedeutung, die nicht mehr in der individuellen Aneignung des Allgemeinen besteht bzw. in der Identitätsfindung unter dem Dach einer allgemeinen Sittlichkeit. Dadurch sind die begegnenden Anderen nicht Besonderungen eines Allgemeinen (Individuationsbegriff), sondern singulare Existenzen, deren Erfahrung nicht apriori geordnet ist durch universell gültige Kriterien, Urteilsmaßstäbe etc.“144 Damit sind die Voraussetzungen geschaffen, ein transformiertes Bildungsverständnis herauszuarbeiten, das auch die Anliegen von Kierkegaards Existenz-Denken aufgreift, wenn es die Besonderheit des Einzelnen herausgreift und damit der Intention einer Ethik der Selbstsorge entgegenkommt, die aber, wie sich zeigen wird, nicht ohne Intersubjektivität und damit den Anderen (Alterität) und Sozialität gedacht werden kann, worauf Hannah Arendt in ihrer politischen Anthropologie ebenfalls aufmerksam gemacht hat.145 In diesen Anderen wird aber nicht Allgemeinheit erblickt, sondern singuläre Existenz. Der Bezug zum Anderen ist notwendige Bedingung der Möglichkeit, die Reduktion der Selbstbildung auf das Selbst als Erfahrungsraum zu überwinden, in der keine Veränderung durch Bildung stattfinden könnte, „die dem Neuen eine Möglichkeit gibt, also dem, was noch nicht da ist, statt einer virtuellen Anwesenheit, die sich entbergen ließe. Es ist also eine unvorhersehbare Veranderung zu Vgl. M. WIMMER 1996, 130. M. WIMMER 1996, 131. 143 Vgl. M. W IMMER 1996, 131.132. 144 M. W IMMER 1996, 133; vgl. jetzt A. R ECKWITZ 2017. 145 Vgl. Abschnitt 10.3 in diesem Buch. 141 142

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denken, eine Veränderung in, mit, durch die Beziehung zum Anderen, in der das Subjekt auch sich selbst ein anderes wird in einer heteronomen Erfahrung. Diese Beziehung zum Anderen ist immer die zu einem singularen Anderen, vor dem ich unvertretbar verantwortlich bin, der, umgekehrt, auch mich gerade dadurch singularisiert, daß ich meine Verpflichtung, ihm zu antworten, nicht abtreten kann und folglich unvertretbar werde.“146

(8) Der Zerfall des Allgemeinen durch den Tod Gottes gibt wieder frei, was den Bildungsbegriff, der bislang durch das metaphysische Paradigma der Selbst-Bildung147 und durch seine Verpflichtung auf das Allgemeine verstellt gewesen ist, auszeichnet: „Daß es sich weniger um Wissen, Kompetenzen, Normen und Regeln handelt, die es sich anzueignen gilt, daß es sich also weniger um einen Prozeß der Aneignung handelt, damit man (autonomes) Subjekt sein und dann frei und rechtmäßig handeln und urteilen kann, sondern daß es eher um die ,unvertretbare und geheimnisvolle Einzigartigkeit des verantwortlichen Ich‘ geht, das selbst urteilen, frei entscheiden und verantwortungsvoll handeln kann, ohne nur dem Wissen oder dem Recht genüge zu tun oder Regeln und Prinzipien zu befolgen. Im gerechten Urteilen, freien Entscheiden und antwortenden Handeln angesichts der Singularität des Anderen wird gerade jedes Wissen, jede Regel oder Norm im entscheidenden Moment suspendiert, weil die Singularität des Anderen Anerkennung fordert und dazu verpflichtet, ihr gegenüber gerecht zu sein.“148

Damit ist eine Wegmarke erreicht, die es zu berücksichtigen gilt, wenn heute über den Begriff der Bildung diskutiert wird: Die „Verschiebung von der allgemeinen Subjektivität hin zur Singularität des Ich und unendlichen, d. h. jeden Begriff übersteigenden Andersheit des Anderen [...]. Sie gibt uns die Chance, das, was der Bildungsbegriff beanspruchte, nämlich die Einzigartigkeit des Individuums gegen seine Indienstnahme durch gesellschaftliche Funktionen und die Gewalt des Allgemeinen zu wahren.“149 Das würde auch zu einem neuen Verständnis der Individualisierung führen, die als Kennzeichen der Moderne gilt, aber auch als Ursache von Indifferenz und Gewalttätigkeiten ausgemacht wird. Wimmer sieht dagegen die Ursachen dafür in der „Nivellierung und Neutralisierung der geheimnisvollen Singularität des Ich.“150 Deswegen „impliziert die Idee der Bildung die Forderung nach einem Bezug zum Außen, der die Singularität nicht nivelliert“ und die Wimmer im Anschluss an Derrida M. WIMMER 1996, 134. Vgl. M. WIMMER 1996, 138: „Überspitzt gesagt hat in dieser Tradition Bildung nichts mit Begabung, alles dagegen mit aktiver Arbeit und Lernen, nichts also mit Gabe, alles dagegen mit Habe zu tun, wie dialektisch dieses jeweils auch mit seiner Negation verwoben gedacht wurde. Bildung wurde als Prozeß der Selbsthervorbringung, Selbstverwirklichung, als Selbstvollzug, als Eigentum seiner Selbst, kurz: als Selbst-Bildung gedacht, die sich aus eigenem Antrieb vollzieht und in der sich Freiheit und Autonomie von Anfang an manifestieren und nicht erst als Resultat oder Ergebnis in Erscheinung treten.“ 148 M. W IMMER 1996, 135 mit Zitat von Jacques Derrida. 149 M. W IMMER 1996, 136. 150 M. W IMMER 1996, 136. 146 147

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artikuliert als „,Forderung nach einer Gabe ohne Austausch‘, [...] einer Gabe, die also nicht vermittelt, der nicht die Kraft der Vermittlung eignet, die das Subjekt also nicht mit dem Allgemeinen vermittelt und als Singularität aufhebt, sondern in Bezug zum Anderen und damit zur Forderung nach Gerechtigkeit bringt.“151 Diese Revision des Bildungsbegriffs geht davon aus, dass die Beziehung zum Anderen etwas ist, was nicht nachträglich, also nach der Selbst-Bildung (Autopoiesis), hinzutritt, „sondern [...] Selbstbildung, um Bildung des Ich in seiner Singularität sein zu können, des Bezugs zum Anderen von Anfang an bedarf, ohne diesen Bezug als eine Aneignungsbeziehung [zu] denken.“152 Hier kommt nun der im modernen Bildungsgedanken unbedacht gebliebene Gedanke der Gabe zum Anschlag. Damit hängt natürlich die Frage zusammen „Was aber wird gegeben und wer gibt?“153 Bildung kann nicht mehr verstanden werden als „innere Selbstdurchdringung des Menschen“, die „vom Vermögen und Wollen des einzelnen abhängt.“154 So betont Wimmer im Anschluss an Pestalozzi die alte aporetische Einsicht der Pädagogik: „Bildung kann man nicht herstellen, und will man Bildung, kann man sie nicht einmal wollen.“155 Bildung lässt sich nicht erzwingen, direkt bewirken, doch ist Bildung immer schon ein Bezug zum Außen eingeschrieben und impliziert einen Veränderungsprozess.156 Damit kann Bildung als ein Geschehen verstanden werden und nicht mehr als „abstraktes, idealistisches, transzendentes Ziel.“157 Als Geschehen ist es „an das Ereignis der Erfahrung eines Anderen [...] gebunden.“158 Damit markiert das „Neudenken der Bildungsidee“ drei wesentliche Aspekte: Erstens „die Öffnung auf eine Alterität [...], die das Subjekt nicht der Gewalt des Allgemeinen ausliefert oder annulliert, sondern zur Selbstdistanzierung bringt“, zweitens „die Öffnung auf eine Sozialität [...], die nicht vereinheitlicht, sondern im unendlichen Abstand bzw. die in der irreduziblen Differenz zwischen singularen Subjekten besteht.“ Drittens besteht „die Gabe“ nicht in einem weitergegebenen Wissen, „sondern in der Wiederholung eines Gestus, d. h. der Gabe selbst, ohne daß dies eine Rückgabe wäre.“159 Dieses Verständnis der Gabe durchbricht die überkommene Vorstellung einer zirkulären Rückkehr zum Ausgangspunkt, die einer Aneignung, einem Austausch oder einer Rückgabe und ebenfalls dem „Gesetz der Bildungs-

M. WIMMER 1996, 137. M. WIMMER 1996, 140. 153 M. W IMMER 1996, 144. 154 M. W IMMER 1996, 147. 155 M. W IMMER 1996, 149. 156 Vgl. M. W IMMER 1996, 150. 157 M. W IMMER 1996, 150. 158 M. W IMMER 1996, 150. 159 M. W IMMER 1996, 153. 151 152

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Ökonomie“ entspricht.160 Damit wird die Gabe mit Derrida „,das Unmögliche‘“, das uns verpflichtet, und etwas, was wir nicht ausschlagen können.161 Dadurch „wird sofort klar, daß nicht jede Gabe gut ist, wie das englische ,gift‘ deutlich macht, da sie als Gutes zugleich böse sein kann, wenn sie den anderen zum Schuldner macht oder wenn geben bedeutet, Böses zu tun. Wie ein Geschenk, so kann man auch Ohrfeigen, das Leben oder den Tod geben.“162 Derridas Verständnis von Gabe will den Kreislauf der Rückkehr durchbrechen. Eine Gabe ist nur eine Gabe und kann es nur geben, „wenn es keine Reziprozität gibt, keinen Tausch, keine Gegengabe, keine Schuld als aufgeschobene Rückgabe, denn eine Rückgabe annulliert die Gabe.“163 Daher darf der Empfänger „nicht schuldig sein/werden, der Geber darf nicht mit Anerkennung rechnen, wie der Empfänger ,die Gabe nicht einmal als Gabe an-erkennen‘ darf, da die Anerkennung bereits ein symbolisches Äquivalent zurückgibt. ,Es genügt also, daß der andere die Gabe wahrnimmt, ..., den intentionalen Sinn der Gabe, damit dieses bloße Erkennen der Gabe als Gabe, noch bevor es zu einer Anerkennung als Dankbarkeit wird, die Gabe als Gabe annulliert. Die bloße Identifikation als Gabe scheint sie zu zerstören.‘ Sie dürfte also nicht als Gabe erscheinen. Es kann sie nur geben, ,wenn sie nicht als Gabe präsent ist.‘“164 Damit es die Gabe überhaupt gibt, darf sie dem Gabenempfänger und dem Geber nicht bewusst sein, sie müssen sie augenblicklich absolut vergessen,165 ohne dass sie aber eine bloße „Nicht-Erfahrung“ würde.166 Die Unverfügbarkeit der Gabe soll so gewahrt bleiben, indem die Unmöglichkeit der Gabe herausgestellt wird. Dennoch hat dieses mit Derrida entwickelte Denken der Unmöglichkeit der Gabe Konsequenzen für den Bildungsbegriff. Es ermöglicht nämlich, an die „Vergessenheit des Anderen zu erinnern, also [an] das, was der Selbst-Bildung vorausgeht, sie ,anstößt‘ und das Subjekt singularisiert. Singularisieren kann es sich aber nur, wenn niemand es bilden will, wenn ihm niemand die Gabe geben will, da dieses Wollen die Gabe gerade vernichtete.“167 Bildung ist aber nicht eine Gabe, „mit der das Subjekt seine Selbst-Bildung bewerkstelligen kann, z. B. mit Wissen, Werten, Normen o. ä., sondern Bildung ist dann selbst die Gabe, die sich im Bezug zum Anderen ereignet.“168

Vgl. M. WIMMER 1996, 153. Vgl. M. WIMMER 1996, 154. 162 M. W IMMER 1996, 154. 163 M. W IMMER 1996, 155. 164 M. W IMMER 1996, 155 mit Zitat von J. Derrida. Auslassungszeichen wie im Original. 165 Anders B. D RESSLER 2012, 325, der über das Gefühl der kreatürlichen Dankbarkeit gerade wieder auf den Geber (Gott) aufmerksam machen will. Vgl. A. GRØN 2006, 156.157. 166 Vgl. M. W IMMER 1996, 156. 167 M. W IMMER 1996, 158. 168 M. W IMMER 1996, 159. 160 161

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(9) Mit diesem Verständnis ist es möglich, einen Begriff von Bildung zu denken, „der die Einzigartigkeit des Ich und die Sozialität nicht als Gegensatz versteht, sondern als Pluralität ohne Einheitszwang und ohne Vereinzelung, eine Pluralität der Singularitäten mithin, die durch ein Band verbunden sind, das aus lauter Unterbrechungen geknüpft ist, die ebenso viele (Gaben-)Ereignisse darstellen.“169 Mit dieser Revision des Bildungsbegriffs gelingt es Wimmer, die Aporien der klassischen Bildungskonzepte zu umgehen und gleichzeitig an die Vergessenheit des Anderen in der Selbst-Bildung zu erinnern. Mit der Revision des Gabedenkens wird nicht nur der Blick auf die nicht-epistemische Dimension gerichtet, sondern auch der ethische Bezug des Denkens von Bildung als Gabe herausgestellt.170 Jeder Selbstbildungsprozess setzt eben (de-)konstruktive Ereignisse voraus, für die das Subjekt selber nicht verantwortlich gemacht werden kann. Zudem überwindet dieses Konzept die Ausgrenzung des Anderen in der Identitätssuche des modernen Selbst durch die Erinnerung an seine konstitutive Bedeutung für den Bildungsprozess. Gerade diese „Unbestimmtheit von Bildung“171 zeigt sich als Vorteil eines revidierten Bildungsbegriffs gegenüber der empirisch verwertbaren Rede von „Kompetenzen“, „Schlüsselqualifikationen“ und „Informationsverarbeitungsprozessen“, die unter dem Druck gesellschaftlicher Veränderungen und ökonomischer Interessen den Bildungsbegriff diskreditieren, wenn wir an einem Ort in einer Zeit leben, in der nur zählt, was berechnet werden kann (praecisio mundi).172 Die Unbestimmtheit der Bildung macht ihr ideologiekritisches Potential aus und zeigt so ihre individuelle schöpferische Kraft und ihren (de-)konstruktiven Freiraum. Zugleich ist in dieser Unbestimmtheit der Bildung strukturell die Unbestimmtheit der Offenbarung des Namens Gottes („Ich bin, der ich bin“) aufgehoben (Ex 3,14), die analog auch für den nach dem Bilde Gottes geschaffenen Menschen gilt. Das Bilderverbot gilt nicht nur für Gott, sondern auch für den Menschen. Auch vom Menschen, von sich selber und dem Anderen, sollen wir uns kein Bild machen, das uns oder den Anderen festlegen würde: „Wir sind nie ganz und nur das, als was wir erscheinen.“173 Die Anerkennung von Unbestimmtheit hat sich gerade im Anschluss an Kierkegaard für die Lebensverständigung als überaus konstruktiv gezeigt, die nur dann gelingen kann, wenn der Einzelne sein Leben als sein Leben zu deuten und zu verstehen weiß. Wobei es dabei auch nicht um einen bestimmten Inhalt oder eine Allgemeinheit geht, sondern um die Einsicht, dass man sein Leben versteht. Wie das zu geschehen hat, ist die große Frage an uns selbst: als Einzelne, denn existieren kann man nur als einzelner Mensch. M. WIMMER 1996, 159. Vgl. K. MEYER-DRAWE/E. WITTE 2014, 77. 171 K. M EYER-D RAWE/E. W ITTE 2014, 77. 172 Vgl. K. M EYER-D RAWE/E. W ITTE 2014, 78. 173 H. LUTHER 1991, 270. 169 170

11.3 Die Maßgabe der Besonnenheit als Lebensfülle

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(10) Bildung ist unverfügbar und fördert das kritische Bewusstsein. Bildung bietet als Haltung Halt in den Unwägbarkeiten des Lebens und fördert das gedeihliche Miteinander, wenn sie an das Vergessenwordensein des Anderen erinnert. Die Haltung der Abschiedlichkeit kann durch Bildung kultiviert werden. Sie kann als Weise des Umgangs mit der radikalen Fraglichkeit (Weischedel) auch als Sich-Halten in der Haltlosigkeit beschrieben werden. Bildung als über sich selbst aufgeklärte Handlungsfähigkeit gibt besonnenen Halt im Ungewissen und bereitet vor auf ein Leben mit Unwägbarkeiten. Der Einzelne gewinnt zugleich eine neue Bedeutung in der Pluralität von singulären Existenzen. Die unvertretbare und geheimnisvolle Einzigartigkeit des verantwortlichen Ich, selbst urteilen, frei entscheiden und verantwortungsvoll handeln zu können, kommt so zum Vorschein. Wer jemand ist, zeigt sich in seiner Bildung, die ihm als Haltung ermöglicht, sich in die Unwägbarkeiten und Komplexitäten des Lebens und die Ent-täuschungen einzuüben und (unvorhersehbare) Veränderungen zu denken, wie es das Lebensgefühl des Todes Gottes ausdrückt, die dem Neuen wirklich eine Möglichkeit einräumen. In diesem Umgang zeigen sich personale Reife im Denken, Fühlen und Wollen (Handeln) sowie ein intellektuelles Profil, das fähig ist, Hermeneutik und Kritik zusammenzulesen. So kann mit einer Bildungssprache das formuliert und artikuliert werden, worin sich gedeuteter Lebenssinn mitteilt.174 Bildung meint mehr als Wissen und Fertigkeiten. Zur Bildung gehört ein Wille zur Veränderung (metánoia). Sie bringt Unruhe und Dynamik ins Leben. Bildung macht aufmerksam auf die Frage, was es heißt, als Mensch zu existieren (Kierkegaard) und damit als jemand zum Vorschein zu kommen (Hannah Arendt). Bildung ist insofern etwas anderes als Gewissheit, Sicherheit und Einfachheit. Vielmehr kann mit ihr der Komplexität und Kontingenz, Unsicherheit und Ungewissheit der eigenen und anderen Lebenszeit abschiedlich, neu anfangend und (de-)konstruktiv-kritisch begegnet werden, denn in der Bildung drückt sich das alle Menschen Verbindende aus: die Aufgabe, ein Selbst zu werden.

11.3 Die Maßgabe der Besonnenheit als Lebensfülle 11.3 Die Maßgabe der Besonnenheit als Lebensfülle

(1) Wie soll ich die Zeit meines Lebens nach dem größten neueren Ereignis füllen? Das kann natürlich nicht inhaltlich und allgemeingültig bestimmt werden, sondern nur formal und strukturell. Mit der Unbestimmtheit der Bildung als Gabe, in der Haltung der Abschiedlichkeit, mit dem Mut, neu anfangen zu können, mit Gelassenheit und Besonnenheit – so lauten die Maßgaben einer Ethik175 der Selbstsorge, die sich auf Kierkegaards ethische Grundfrage nach dem Misslingen und Gelingen des (eigenen) Lebens beziehen und die er mit 174 175

Vgl. R. PREUL 2013, 348. Franz Vonessen hat eine Ethik nach dem Tod Gottes vorgelegt: F. VONESSEN 1988.

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dem nachmetaphysischen Begriff des „Selbstseinkönnens“ beantwortet hat. Aus dieser Aufgabe entsteht die aufgeklärte Freigabe für die Maßgaben, die die Lebenszeit füllen können. Die Gabe soll als Gabe erkennbar bleiben und muss als solche deswegen vergessen werden. Sie erfordert keinen Dank und keine Schuld, doch zeigt sich ein Zustand, der nicht mehr mit dem vorherigen identisch ist. Das illustriert das Verständnis von Bildung als Gabe und ist nun auf ein Leben nach dem Tode Gottes auszuweiten. Der Gabecharakter des Lebens ist davon unbenommen, doch mit der Anerkenntnis der Unbestimmtheit der Macht, die das Selbst gesetzt hat, bleibt, im Anschluss an Kierkegaard, der Gabecharakter dadurch gewahrt, dass er weder via ementiae noch via negationis genannt werden kann und nicht in einen Kreislauf von Gabe und Rückgabe eingeht, der den traditionellen Gottesgedanken ausmacht und damit den Gabecharakter zerstört. Zugespitzt und über Kierkegaard hinaus kann man sagen, dass der Tod Gottes paradoxerweise den Gabecharakter des Lebens bewahrt, weil er keine Rückgabe und keinen Dank mehr an den Geber fordert bzw. nötig macht.176 Auch Kierkegaards Einsicht „Ich habe nichts als mein Leben“177 ruft nicht nur zur Überwindung der Selbstvergessenheit auf, sondern bewahrt auch das endliche Leben als Gabe. Ein möglicher Geber („die Macht, die das Selbst gesetzt hat“) bleibt unbestimmt. Er bewahrt damit die Gabe als Gabe und verweist auf die Anerkennung von Unbestimmtheit, die darauf hinweist, dass sich der Einzelne in seinem Leben nicht auf eine allgemeine Bestimmung berufen kann. Nur so ist das Selbst Freiheit. Die theologische Rede von Gott als Geber des Lebens hat dagegen nicht dazu beigetragen, den Gabecharakter zu bewahren, wenn von Theologie und Kirche immer wieder verlangt wurde, auf den Ruf des Wortes eine Antwort ertönen zu lassen. Dadurch wurde die Aufgabe, die alle Menschen verbindet, nämlich ein Selbst zu werden, nicht gefördert, sondern verhindert, wie die folgenden Ausführungen zeigen werden, und Theologie und Kirche haben damit wiederum selbst zum Lebensgefühl des Todes Gottes beigetragen. Die Gabe wurde zur Habe, und was unhaltbar ist, sollte haltbar gemacht werden, obwohl es nur Halt in Haltungen gibt, insbesondere in der Haltung der Abschiedlichkeit, in der nur die Besonnenheit Maßgabe sein kann für ein Leben in Fülle, das sich auch in einem Lebensgefühl des Todes Gottes als umfassendes Daseinsverständnis zeigen kann. (2) Durch die Überbetonung der Rede von Gott als Liebe und insbesondere die Überbetonung der Nächstenliebe im Christentum ist die Selbstliebe ver-

176 Das wäre im Paradigma des Todes Gottes dann z. B. denkbar, wenn man annimmt, dass Gott sozusagen „Suizid begeht“, um den Gabecharakter zu wahren. Für diesen Hinweis danke ich Robert Martin Jockel. Ähnlich denkt auch Hans Jonas, in dessen Schöpfungsmythos sich Gott der Welt ganz anheim gibt. Vgl. H. JONAS 1984 und bereits H. JONAS 1963, 55–62. 177 S. K IERKEGAARD, GW 10, 6. Vgl. dazu PH. D AVID 2017a.

11.3 Die Maßgabe der Besonnenheit als Lebensfülle

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nachlässigt worden,178 was meiner Ansicht nach fatale Folgen für ein Leben in Freiheit und Liebe als „Quintessenz des Evangeliums“179 hat. Diese Art, von Liebe zu reden, zeigte sich als billiger Trost und unvereinbar mit den Erfahrungen der Komplexitäten des Lebens. War die Selbstliebe noch in der Antike eine hochgeschätzte Tugend und in neutestamentlicher Zeit selbstverständliches Maß für den Umgang mit anderen, ist sie derzeit unterwickelt,180 aber zugleich notwendiger Bestandteil der Selbst- und Fremdwahrnehmung als singuläre Existenz in Beziehung zu anderen. Selbstliebe ist nicht zu verwechseln mit Narzissmus oder Egozentrik. Diese Steigerung des Selbstbezugs, die gerne als Individualisierung gebrandmarkt wird, zeigt sich als unterentwickelt. Selbstliebe ist vielmehr relational zu verstehen. Die Transformation des Bildungsbegriffs als Gabe hat exemplarisch gezeigt, dass Selbst-Bildung nicht ohne den Anderen möglich ist und beide eng zusammengehören. In der Restituierung sprachlicher Vielfalt bei Wolfgang Janke wurde die Liebe als Einheitsgrund wieder entdeckt und in dieser Analyse zurückwiesen, weil sie dem Verdacht des Kitsches, der Remythisierung und Romantisierung ausgesetzt ist. Nur wenn es gelingt, ihre eigentliche – wichtige und richtige – subversive Macht, die alle Grenzen und Konventionen sprengen kann, sachgemäß zur Geltung zu bringen, eignet sie sich für eine theologische Entfaltung. Denn die unterentwickelte Selbstliebe ist „vielleicht die stärkste Blockade für ein in Liebe und Zuwendung gebettetes Lebens- und Selbstgefühl.“181 Einen Zugang zu einer transformierten Selbstliebe kann die ebenfalls vernachlässigte Selbstsorge bieten, zumal Theologie und Kirche die Seelsorge als eines ihrer wesentlichen Anliegen entdecken sollten, wenn es ihnen darum geht, Menschen auf ihrem Lebensweg durch Komplexitäten und Kontingenzen, Unsicherheiten und Ungewissheiten im Alltag und in Grenzsituationen (Geburt, Trauer, Tod etc.) konstruktiv-kritisch zu begleiten und von falschen Sicherheiten zu befreien, um sie einzuüben in religiöse und weltanschauliche Ent-täuschungen und deren Bearbeitung. So kann das individuelle Gegebensein der individuellen Freiheit, das sich in Sprechen und Handeln ausdrückt, eingeübt werden und in Zukunft Gestalt gewinnen. (3) Martin Heidegger hatte in seiner existenzialen Analyse des als „Dasein“ interpretierten menschlichen Selbst- und Weltbezug die Sorge als die „Frage nach der ursprünglichen Ganzheit des Strukturganzen des Daseins“182 gefasst. Dabei ist für Heidegger die Sorge nicht ein Seelenzustand des Subjekts, sondern der existenziale Sinn des Selbst des Daseins.183 Sorge ist damit die konDarauf weist auch W. ENGEMANN 2009, 285 hin. W. ENGEMANN 2009, 286. 180 Vgl. W. ENGEMANN 2009, 285, Anm. 29. 181 W. ENGEMANN 2009, 285. 182 M. H EIDEGGER (1927) 1986, § 39. 183 Vgl. M. H EIDEGGER (1927) 1986, 123. 178 179

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stitutive Grundstruktur des Daseins in der Welt. Sie enthüllt sich als Rücksicht nehmende Fürsorge und als Selbstsorge, in der das Dasein seine eigenen Seinsmöglichkeiten berücksichtigt. Das Dasein (als Entwurf) ist nie abgeschlossen und hat immer Neues vor sich, es ist „sich-vorweg“ und darin frei „für eigentliche existentielle Möglichkeiten.“184 Sorge als Existenzial des Daseins kommt in seiner Zeitlichkeit zum Vorschein,185 wobei, wie gezeigt worden ist, Heidegger der Zukünftigkeit einen Vorrang einräumt.186 Den primären Sinn der Existentialität entdeckt er in der Zukunft, wobei er dann im zu-künftigen Denken ein anfängliches Denken ausmacht, das sich erst im Gehen des Weges ereignet. Dabei zeigt sich wiederum die Sorge nicht als Trübsinn, Beklemmung oder quälende Bekümmernis oder gar Haltung und Stimmung unter anderen, sondern „als Beständnis des Da-seins [ist sie] die vorgreifende Entschiedenheit zur Wahrheit des Seyns.“187 Auch wenn man Heideggers Denkwege im Anschluss an die Überwindung der Seinsvergessenheit nicht mitgehen möchte, zeigt sich doch seine Betonung der Sorge als Existenzial strukturell anschlussfähig und als ein wesentlicher Beitrag zu einem besonnenen Anfang einer Ethik der Selbstsorge (griech.: epiméleia heautoū; lat.: cura sui), deren Bedeutung für die Antike Michel Foucault herausgearbeitet hat und dessen Interessen sich dabei „von der antiken Sorge um das Selbst zur christlichen Hermeneutik des Selbst“188 verschoben haben. Mit seinen Studien macht er darauf aufmerksam, „dass das Verhältnis von Subjekt und Wahrheit im entscheidenden Sinne vom Frühchristentum geprägt worden ist.“189 Denn er entdeckt in dieser Geschichte der antiken und christlichen Selbsttechniken – wie bereits Nietzsche vor ihm – einen „,großen Reichtum‘“ und betont, „dass sie überhaupt erst eine interessante Subjektivität im Inneren des Menschentieres entstehen ließen.“190 So handelt es sich bei dieser Geschichte des Selbst auch nicht um einen „unheilbaren Verfall, sondern vielmehr um eine komplexe und heikle Entwicklung“191, die es auch von der M. HEIDEGGER (1927) 1986, 193. M. HEIDEGGER (1927) 1986, §§ 46–83. 186 Vgl. zu Sein und Zeit Abschnitt 5.2.2.a in diesem Buch. 187 M. H EIDEGGER, GA 65, 35. 188 S. R AFFNSØE/M. G UDMAND-H ØYER/M. S. THANING 2011, 269. 189 S. R AFFNSØE/M. G UDMAND-H ØYER/M. S. THANING 2011, 277. 190 S. R AFFNSØE/M. G UDMAND-H ØYER/M. S. THANING 2011, 277 mit Bezug auf F. NIETZSCHE, KSA 5, 266: „Bei den Priestern wird eben Alles gefährlicher, nicht nur Kurmittel und Heilkünste, sondern auch Hochmuth, Rache, Scharfsinn, Ausschweifung, Liebe, Herrschsucht, Tugend, Krankheit; – mit einiger Billigkeit liesse sich allerdings auch hinzufügen, dass erst auf dem Boden dieser wesentlich gefährlichen Daseinsform des Menschen, der priesterlichen, der Mensch überhaupt ein interessantes Thier geworden ist, dass erst hier die menschliche Seele in einem höheren Sinne Tiefe bekommen hat und böse geworden ist – und das sind ja die beiden Grundformen der bisherigen Überlegenheit des Menschen über sonstiges Gethier!..“ 191 S. R AFFNSØE/M. G UDMAND-H ØYER/M. S. THANING 2011, 277. 184 185

11.3 Die Maßgabe der Besonnenheit als Lebensfülle

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Seelsorge wahrzunehmen gilt und aus der gegenwärtig eigene theologische Schlüsse zu ziehen sind. Eine „ungeheure ,Lust an der Analyse‘“192 und ein „Bedürfnis der Introspektion und Selbstanalyse“193 zeigt sich gegenwärtig, und der Blick in die Vorgeschichte der Selbstsorge kann zeigen, „dass sich alles auch anders hätte entwickeln können, um uns zu verdeutlichen, dass unsere Selbstverständlichkeiten nicht notwendigerweise auch Notwendigkeiten darstellen.“194 Auf diese Weise möchte Foucault „uns einen reflektierteren Umgang mit der Welt und den damit verbundenen praktischen Problemen ermöglichen.“195 So wird sich zeigen, dass das Vergessen der Selbstliebe und Selbstsorge in der Geschichte des Christentums selber und in seiner Abgrenzung von der paganen Philosophie und ihren Selbsttechniken eine ihrer Ursachen hat. Daher lässt sich gegenwärtig auch ein gesteigertes Bedürfnis beobachten, „in unserer Seele, in den innersten Regungen unseres Bewusstseins nach einer Wahrheit über uns selbst zu suchen, [es ist] unser Bedürfnis, den Geheimnissen der Psyche auf den Grund zu kommen, [es ist] unser Bedürfnis, unsere Aufmerksamkeit auf uns selbst zu richten, um näher zu untersuchen, was wir unmittelbar nicht verstehen – und das alles mit dem Ziel der Befreiung und Selbstverwirklichung.“196 All dies findet jenseits des Christentums statt, wenn die Kirche sich nicht als ein Ort anbietet, der die Unwägbarkeiten des Lebens diskursiv begleitet und Selbstliebe und Selbstsorge als Grundstrukturen menschlichen Daseins wiederentdeckt. Dazu der folgende kurze historische Rückblick. (4) Für Platon ging es im Dialog Alkibiades I noch um die enge Verbindung von Selbstsorge und Sorge ums Politische. Die Voraussetzung dafür, sich um Gerechtigkeit zu kümmern, liegt in der Praxis der Selbstsorge, um, nicht nur von der allgemeinen Meinung belehrt oder fehlgeleitet, sich Einsicht in das Wesen der Gerechtigkeit zu verschaffen.197 In den christlichen Formen der Beschäftigungen mit dem Selbst wird zwar auch nach einer verbindlichen Wahrheit über das Selbst gesucht, doch erfahren die antiken Techniken eine wesentliche Umdeutung: „Während die Askese in den stoischen Techniken darauf abzielte, dass das Individuum seine optimale Verfassung und damit den Endzweck seines Lebens erreichte, ging es bei der Askese in der christlichen Selbsttechnik um die Entsagung von der Welt und die Aufopferung des Selbst.“198 Gegen die stoische Charakterfestigung wurden die Entsagung und der Verzicht auf verschiedene Teile des Seins und der Existenz gestellt. In dem

S. RAFFNSØE/M. GUDMAND-HØYER/M. S. THANING 2011, 284. S. RAFFNSØE/M. GUDMAND-HØYER/M. S. THANING 2011, 284. 194 S. R AFFNSØE/M. G UDMAND-H ØYER/M. S. THANING 2011, 284. 195 S. R AFFNSØE/M. G UDMAND-H ØYER/M. S. THANING 2011, 284. 196 S. R AFFNSØE/M. G UDMAND-H ØYER/M. S. THANING 2011, 284. 197 Vgl. S. R AFFNSØE/M. G UDMAND-H ØYER/M. S. THANING 2011, 270. 198 S. R AFFNSØE/M. G UDMAND-H ØYER/M. S. THANING 2011, 270. 192 193

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Suchen nach der Wahrheit über sich selbst unter dem Gesetz Gottes geht es damit um den radikalen Verzicht auf das Selbst. „Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir“ (Gal 2,20a). Dieser findet im Leben des Klosters im Prinzip des Gehorsams als „andauernde Aufopferung des Eigenwillens“199 seinen lebensweltlichen Ausdruck. In der stoischen Philosophie stellte zudem die maßvolle Selbstherrschaft das höchste Gut dar, während es für die christliche Gemeinschaft die kontemplative Betrachtung Gottes war.200 Allein auf Gott ist diese Kontemplation gerichtet. Welt und Selbst sind ausgeblendet. In der ausgeübten Praxis der Buße, die Analogien zum Martyrium aufweist, geht es darum, „sich als Sünder zu bekennen, um so seiner Sünden frei zu werden.“201 Foucault beschreibt die Selbsterforschung als Buße, mit der Luther metánoia übersetzt hat, im christlichen Zusammenhang folgendermaßen: „Buße ist der Affekt des Wandels, des Bruchs mit dem Selbst, mit der Vergangenheit und der Welt. Man bezeugt damit, dass man fähig ist, auf das Leben, auf sich selbst zu verzichten, dem Tod standzuhalten, ihn zu akzeptieren. Das Ziel der Buße ist nicht Herstellung von Identität; sie dient vielmehr dazu, die Abkehr vom Ich zu demonstrieren. ,Ego non sum, [sic!] ego.‘ [...] Sie steht für den Bruch mit der eigenen Identität. [Mit] ostentativen Gesten soll die Wahrheit des Zustandes bekundet werden, in dem der Sünder sich befindet. Selbstenthüllung ist zugleich Selbstzerstörung.“202

Diese Hermeneutik des Misstrauens gegenüber sich selbst und der bedingungslose Gehorsam gegenüber der Autorität sollten den Eigenwillen des Mönchs brechen.203 Dagegen geht es in der stoischen Selbstsorge eines Epiktet darum, dass ein Individuum alle seine eigenen Vorstellungen überprüft, mit dem Ziel, die innere Wahrheit des Selbst zu erkennen. Doch erscheint hierbei das Problem, „zu unterscheiden, welche Vorstellungen sich kontrollieren lassen und welche nicht [...], da das Bewusstsein unablässig von flüchtigen Vorstellungen durchkreuzt wird [...] So kann man lernen, sich nicht von den Dingen beherrschen zu lassen, auf die man ohnehin keinen Einfluss hat.“204 Diese historische Skizze zeigt den Hintergrund für die Vernachlässigung von Selbstliebe und Selbstsorge in der christlichen Tradition auf und macht zugleich klar, warum sich in ihr bis heute eine Abwehr der (Religions-)Psychologie und Psychoanalyse durchgehalten hat. Sie zeigt andererseits auch einen konstruktiven Weg auf, wenn sie in einer Gelassenheit zu den Dingen einen Weg der Selbstsorge zu erkennen vermag, der nicht nur in der mittelalterlichen Mystik entdeckt wurde, sondern auch von Heidegger, wie schon gezeigt worden ist. Heidegger möchte den Weg zu einem gelassenen Wohnen im Geviert der Welt weisen S. RAFFNSØE/M. GUDMAND-HØYER/M. S. THANING 2011, 271. S. RAFFNSØE/M. GUDMAND-HØYER/M. S. THANING 2011, 271. 201 S. R AFFNSØE/M. G UDMAND-H ØYER/M. S. THANING 2011, 272. 202 S. R AFFNSØE/M. G UDMAND-H ØYER/M. S. THANING 2011, 272.273. 203 Vgl. S. R AFFNSØE/M. G UDMAND-H ØYER/M. S. THANING 2011, 274.275. 204 S. R AFFNSØE/M. G UDMAND-H ØYER/M. S. THANING 2011, 276. 199 200

11.3 Die Maßgabe der Besonnenheit als Lebensfülle

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und nimmt dabei die Bedeutung von Ethos (ἦθος) auf, doch eine Ethik – „Ethik heißt wörtlich, ,das, was mit dem Ethos zu tun hat; was das Ethos betrifft‘“205 – wollte er nicht verfassen, wie er im Humanismusbrief dargestellt hat.206 „Ethos heißt Wohnung, Wohnsitz, Wohnort, natürlicher Aufenthaltsort; im besonderen auch Standort (einer Pflanze), Weideplatz (eines Tieres) und Aufgangsort (eines Gestirns). Demnach wäre die Grundbedeutung: Ort, und zwar im Sinne von Ursprung, Herkunft, Heimat.“207 Das Ethos bezeichnet damit den „,Ort‘ [...] alles ethischen Fragens und Forschens.“208 (5) In der Haltung der Gelassenheit zum Fragwürdigen wird die Maßgabe der praecisio mundi in Frage gestellt. Dadurch wird dem rechnenden Denken das besinnende Denken beigesellt. Denn der Mensch ist eben auch ein sich besinnendes, ein nachdenkendes Wesen. Diese Nachdenklichkeit können Theologie und Religion befördern und den Menschen darin einüben, seine Fähigkeit zum Nach- und Umdenken sowie seine Fähigkeit zur kritischen Selbstreflexion seines Fühlens, Denkens und Handelns nicht zu vergessen. Mit dieser Besinnung auf die Möglichkeit, Neues zu denken, geht das Menschsein nicht in den technischen Berechnungen und Verfügbarmachungen auf, sondern der Mensch kann sich gelassen die ihm zugedachte individuelle Freiheit bewahren, die sich in der Maßgabe der Besonnenheit ausdrückt und zukünftig Gestalt finden will unter den sozialen und geschichtlichen Bedingungen. Doch inwiefern diese Maßgabe der Besonnenheit, die das Präzisionsideal relativieren kann, nun strukturell zu verstehen ist, soll abschließend herausgearbeitet werden. Maßgabe einer solchen Ethik der Selbstsorge kann nur ein Mittelweg zwischen Gehaltlosigkeit und konkreten Rezepten oder Anweisungen sein.209 Damit erweist sich der radikale Ansatz im Grunde als ein moderater,210 insofern er von einem „hohen Maß an Freiheit und einem Recht auf Differenz“211 geleitet ist. Besonnenheit meint im Anschluss an Michel Foucault: die Arbeit des Menschen an sich selbst. Sie meint nicht, dass man frei von Affekten (Zorn, Ärger, Empörung, Liebe etc.) wäre.212 Das wäre gefühllos und F. VONESSEN 1988, 50. Vgl. M. HEIDEGGER, GA 9, 353–362. 207 F. V ONESSEN 1988, 50.51. Vonessen macht aber gleichzeitig auf eine bedenkenswerte Doppelsinnigkeit von Ethos aufmerksam: Ethos meint nicht nur die natürliche Wohnung, sondern in einer weiteren Bedeutung auch den erzwungenen Aufenthaltsort. 208 F. V ONESSEN 1988, 52. 209 Vgl. O. H ÖFFE 2007, 139. 210 Vgl. Abschnitt 8.3 in diesem Buch. 211 O. H ÖFFE 2007, 100. 212 In einer neueren Debatte um Emotionstheorien wird dem Spektrum des Gehalts und der Gestalt von Gefühlen nachgegangen: C. DEMMERLING/H. LANDWEER 2007; S. A. DÖRING 2009; auch in der Theologie zeigt sich eine Wiederbesinnung auf diese vergessene Dimension des Menschseins auch für die Wahrnehmung und Beschreibung von Menschsein und Religion sowie für die Seelsorge; vgl z. B. J. LAUSTER 2010; W. ENGEMANN 2009. 205 206

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selbstverachtend. Besonnen ist der, „dessen ,Vergeltungsimpulse‘ [sich nur] entzünden [...] bei berechtigtem Anlaß, und auch dann lebt er sie nur in angemessener Weise aus, also nicht in maßlosem Zorn oder mitleidloser Rache.“213 Besonnenheit ist auch nicht negativ gesprochen Selbstkontrolle oder Selbstbeherrschung, sondern eher ein zur „positiven Grundhaltung gewordene[s] Selbstverhältnis zur eigenen Emotionalität, das sowohl der wuchernden Affektivität und maßlosen Begierde als auch ihrer Ausschaltung entgegentritt.“ Besonnenheit bringt niemand von Geburt an mit. Vielmehr entwickelt sie sich in einem (Bildungs-)Prozess, in dem sich das Selbstverhältnis von machtvollen Vorgaben löst: „durch fortgesetztes Einüben“214: „Biographisch beginnt dieses Lernen schon vor dem Lernen, nämlich in frühkindlichen Phasen der Zuwendung und Fürsorge, die die emotionalen Grundlagen für ein Selbst- und Weltvertrauen legen, das die spätere Entwicklung entschieden erleichtert.“215 Mit Besonnenheit kann eine Metaperspektive und Reflexivität des eigenen Lebens in der Haltung der Abschiedlichkeit eingeübt werden, die zu einer gelassenen Selbst-Relativierung auch im Sinne einer Relationalität führen kann, worin sich das Leben immer schon gegeben vorfindet. „Die Besonnenheit bewahrt die für jede Tugend maßgebliche Offenheit. [...] Als ein praktisches Selbstverhältnis zu Lust und Unlust definiert, ist die Besonnenheit ein hochformaler Begriff. Sie gibt keinen Lebensstil vor, sondern überläßt ihn den Menschen in ihren unterschiedlichen Temperamenten, Umständen und Interessen.“216

Dieser Freiraum ist die Maßgabe für ein transformiertes Verständnisse eines „Lebens in Fülle“ (Joh 10,10b): „Die Erfahrung der Geschichtlichkeit des Lebens ist eine Erfahrung der Fülle des Lebens, weil das geschichtliche Bewußtsein die Verschiedenartigkeit menschlicher Handlungsstile präsent hält.“217 Ein „Leben in Fülle“, das dem strukturellen Anliegen „des“ Evangeliums entspricht, nämlich ein Um-denken (metánoia) anzuregen und als Möglichkeit („Du kannst neu anfangen!“) in den beständigen Raum der Erfahrung des Todes Gottes zu stellen, zeigt auf, Abschied (ars discedendi) und Neubeginn (ars incipiendi) leben zu können und zu vollbringen: „Vollbringen heißt: etwas in die Fülle seines Wesens entfalten“218. Die Fülle des Lebens ist nicht Glück im Überfluss, Reichtum im Übermaß oder das eschatische Heil, sondern das besonnene Maß, das eine vom anderen zu unterscheiden und Ambivalenzen des Lebens zwischen Schrecken und Faszination, Leiden und Freude auszuhalten. O. HÖFFE 2007, 141; 142: „Zur Lebenskunst gehört die Fähigkeit, sich auch von etwas, das einem angetan worden ist, zu lösen.“ 214 O. H ÖFFE 2007, 142. 215 O. H ÖFFE 2007, 142.143. 216 O. H ÖFFE 2007, 141. 217 T. R ENDTORFF 2011, 122.123. Auf einer Theorie der Fülle als angestrebter „Ort der Belebung“ basiert auch CH. TAYLOR (2007) 2009, 18–35 u. ö. 218 M. H EIDEGGER, GA 9, 313. 213

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Im Ereignis des Verabschiedens und Neuanfangenkönnens leuchtet das Leben in Fülle auf.219 Die Besonnenheit zeigt sich aber nicht nur als individualethische Herausforderung, sondern auch als globale im Blick auf den Zuwachs der Weltbevölkerung und die knapper werdenden Ressourcen, die die komplexe Relationalität des Lebens auf dem Globus aufzeigen.220 Analog dazu geschieht ein Raubbau an den eigenen Ressourcen,221 wenn ein Bewusstsein für die eigene Endlichkeit fehlt, wie auch „die rechte Balance zwischen dem privaten und dem öffentlichen Gebrauch der Lebenszeit [...] und über den Dienst am Gemeinwesen nicht die ,Eigenzeit‘ zu vergessen [ist], die man für sich [...] braucht.“222 In der Vielstimmigkeit von Arten der Besonnenheit fordert der Tübinger Philosoph Otfried Höffe „wegen der Gefahr der Überbeanspruchung seiner selbst eine (relativ) ,neue Besonnenheit‘. Sie besteht in der Entwicklung von Widerstandsreserven: in der Fähigkeit, gegen eigene Wünsche nein zu sagen und auf gewisse Anreize zu verzichten; ferner die Fähigkeit, sich nicht zu viel aufzuladen, also der Kunst, anderen nein zu sagen, ohne sie zu verletzen. Manches Ja, das man anderen gibt, zeugt weniger von Großmut als von einer Feigheit, die aus Angst, unbeliebt zu werden, es allen recht machen will.“223 Genau das meint mittels der Einübung in religiöse Ent-täuschung ein Selbst zu werden und Selbstsorge einzuüben. Die besonnene Aufgabe, ein Selbst zu werden, verbindet nicht nur alle Menschen aus der Gabe des Lebens heraus, sondern ist ein jeweils eigener Weg. Diesen Weg der Krise einzuschlagen, geht nicht frei von inneren Konflikten, zu der die Religion den Einzelnen führt. Die Konflikte können im besten Fall durchaus auch (de-)konstruktiven und aufklärerischen Charakter für das Selbstverhältnis und Selbstverständnis haben. Das im Anschluss an Kohelets skeptisch prüfende Haltung (sképtesthai) durchgeführte Nach-Denken des (de-)konstruktiven (Stör-)Potentials der Metapher „Gott ist todt!“ für eine existenzialhermeneutische Neuinterpretation der Gehalte der christlichen Religion zur Kultivierung des Um-Denkens als Ausdruck der endlichen Freiheit des Menschen hat in allen seinen Teilen vor dem Vergessen des Todes Gottes – und Gottes – bewahrt und damit vor dem Vergessen der erst dadurch ermöglichten Gabe der Bildung des Selbst. Sie stellt die Frage: „tu, quis es?“ So erweist sich ausgerechnet die paradoxe und deutungsvariantenreiche Idee vom Tod Gottes und ihre Verschränkung des säkularen mit dem religiösen Diskurs für die Theologie als lebendige Metapher und kreatives größtes neueres Ereignis. 219 Für Kohelet im Genuss der Liebe und in der Freude am Essen und am Wein, womit ihr Charakter des Nichtselbstverständlichen herausgestellt wird. Vgl. Koh 9,7–9. 220 Vgl. dazu M. C. TAYLOR 2007, 348–377. 221 Vgl. W. ENGEMANN 2009, 285; O. H ÖFFE 2007, 143. 222 O. H ÖFFE 2007, 143. 223 O. H ÖFFE 2007, 144.

Schlussteil

12 Zusammenfassung und typologische Systematisierung der Tod-Gottes-Idee 12 Zusammenfassung und typologische Systematisierung der Tod-Gottes-Idee

Die Frage nach Genese und Semantik der Tod-Gottes-Idee führt zu dem Befund, dass sich dieses Motiv als facettenreiches und heterogenes Krisenphänomen in der Religions- und Kulturgeschichte nicht eindeutig fassen lässt, sondern in seinem Variantenreichtum, in seiner Vielfalt und Widersprüchlichkeit wahrzunehmen, zu verstehen und auszuhalten ist. Das Motiv wird flexibel eingesetzt, an jeweilige zeit- und kulturbedingte Erfordernisse angepasst und unterstreicht mit seiner Verwendung eine „Zeitverwandlung“ und damit den Anfang von etwas im Vergleich zum Alten unterschiedenem Neuen, dessen Entwicklung offen bleibt. Seine Variabilität leistet Widerstand gegen Versuche, die Tod-Gottes-Idee abschließend zu präzisieren und zu vereinnahmen, um andere Verwendungsweisen auszublenden und zurückzuweisen, auch wenn es dazu immer Versuche gegeben hat, besonders in der evangelischen Theologie. Doch auch in der Theologie ist die Idee des Todes Gottes nicht eindeutig fassbar, nicht nur in der sog. „Gott-ist-tot-Theologie“, sondern auch in der von ihr angestoßenen Deutungsmachtdebatte in Theologie und Kirche in den ‚langen‘ 1960er Jahren. Deswegen wird gefragt: Wie wird in der gegenwärtigen (evangelischen) Theologie und Philosophie mit dem Motiv des Todes Gottes umgegangen? Welche Geschichte der Herkunft, Deutung und Kritik ist mit der Idee des Todes Gottes verbunden? Welche Konsequenzen werden aus der Rede vom Tode Gottes für das theologische Nachdenken gezogen? Die Tod-Gottes-Idee ist gerade in ihrer mehrdeutigen Verwendbarkeit produktiv. Ihre systematischen Pointen liegen erstens in der Verschränkung der Widersprüche ‚Gott‘ und ‚Tod‘; zweitens in der Markierung einer krisenbehafteten Zeitenwende und ihrer alle Lebensbereiche umfassenden Grundgestimmtheit, in der etwas bislang umfassend Tragendes seine Orientierungskraft verloren hat; drittens in der Verschränkung des theologischen mit dem mythischen und metaphysischen sowie des religiösen mit dem säkularen Diskurs der Moderne; viertens im Wahrnehmen und ambiguitätssensiblen Aushalten des religiösen und säkularen Deutungsspektrums in präzisierter Lebenswelt und fünftens in dem Auftrag, das Spektrum der Deutungsvarianten kreativ und konstruktiv theologisch auszuschöpfen und theologische Ideologiekritik durch Einüben in radikales Fragen und Pluralismusfähigkeit zu kultivieren. Die zusammenfassende Betrachtung des Schlussteils wird diese Deutungsvielfalt auf

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12 Zusammenfassung und typologische Systematisierung der Tod-Gottes-Idee

zwei Weisen im Überblick darbieten.1 Der erste Abschnitt (12.1) folgt als zusammenfassende Betrachtung der Reihenfolge der Darstellung und bietet eine ergebnisorientierte Zusammenfassung wesentlicher Aspekte der jeweiligen Kapitel. Der zweite Abschnitt unternimmt eine zusammenstellende typologische Systematisierung der Hauptmotivkreise der Tod-Gottes-Idee (12.2). Das Buch schließt mit einem Ausklang (12.3).

12.1 Zusammenfassende Betrachtung 12.1 Zusammenfassende Betrachtung

Der Einleitungsteil gibt Auskunft über die Fragestellung und Suche nach einer Situationserhellung über die Gestimmtheit des gegenwärtigen Zeitalters und des theologischen Umgangs mit ihr (1). Hier wird der Grund für die Annahme gelegt, dass der Tod Gottes eine theologische und säkulare Deutungsfigur ist, mit der das Lebensgefühl der Moderne fassbar wird. Dafür wird zum einen davon ausgegangen, dass zu den zentralen Ideen des Christentums auch die Idee des Todes Gottes gehört, die das Christentum vorgefunden und transformiert hat und durch die es mit dem mythischen und metaphysischen Denken verbunden ist. Untersucht werden daher Genese, Deutung und Kritik der in kontroversen Diskursen aufzuspürenden mythischen, metaphysischen, philosophischen, wissenschaftlichen, weltanschaulichen und christlichen Idee vom Tode Gottes. Die historischen und systematischen Analysen arbeiten heraus, dass die Idee des Todes Gottes ein Phänomen ist, das besonders in krisenhaften Zeiten der Geschichte als lebensweltliche Erfahrung erkennbar relevant wird und sprachliche Ausdrucksgestalten findet. Um diese Idee als Krisenphänomen kenntlich zu machen, werden religionsund kulturgeschichtliche Phänomene gedeutet, Gestimmtheiten freigelegt und theologische Vereinseitigungen und Vereindeutigungen sowie christologische Vereinnahmungs- und theologische Abwehrstrategien aufgedeckt und auch die religiös-weltanschaulichen Diskursformationen gezeigt, in denen die Idee vom Tode Gottes nicht nur im Atheismus, Nihilismus und der Religionskritik der Moderne, sondern bereits in der Antike, dem Alten Orient und im Alten Ägypten im Mythos vom leidenden, sterbenden und (wieder-)auflebenden Gott Verwendung findet. Die Idee des Todes Gottes als Krisenphänomen und Resultat

Hier wird das im Verlauf des Buches Erarbeitete knapp zusammengefasst. Überschneidungen mit den Zusammenfassungen in Hauptteil A am Ende der Kapitel 3 bis 7 (Fazit und Ausblick) sind nicht ausgeschlossen, da hier nichts erstmalig genannt wird, jedoch fallen die Resümees in Abschnitt 12.1 deutlich knapper aus. Auf Zusammenfassungen der entsprechenden Resümees wird verzichtet. Auch auf Nachweise, auch für manche in Anführungszeichen gesetzte Begriffe, Zitate und Deutungen, wird weitgehend verzichtet; ihre Erstnennungen können über die Angaben im Begriffs- oder Namensregister und über die Hinweise zu den einzelnen Kapiteln und Abschnitten entsprechend leicht erschlossen werden. 1

12.1 Zusammenfassende Betrachtung

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einer langen Entwicklungsgeschichte kommt sodann in der Moderne zunächst als Gott-ist-tot-Erfahrung Einzelner und schließlich als verbreitetes Lebensgefühl zum Ausdruck. Im Tod Gottes als Lebensgefühl der Moderne wird gleichermaßen eine Krise des Existenzialismus offenkundig. So gehört zu den grundlegenden Thesen dieser Arbeit (1.1) erstens, dass die Idee des Todes Gottes ein Phänomen ist, das besonders in krisenhaften Zeiten der Geschichte als eine lebensweltliche Erfahrung relevant wird und sprachlichen Ausdruck findet; zweitens, dass damit ein untergründiger weltgeschichtlicher Prozess der Präzisierung der Welt aufgedeckt wird, und drittens, dass in den ,langen‘ 1960er Jahren (A. Marwick), als die Rede vom Tode Gottes explizit aufgekommen ist, im theologischen und kirchlichen Deutungsmachtdiskurs ein schmales Zeitfenster nicht genutzt wurde, um das Störpotential der Rede vom Tode Gottes kritisch und konstruktiv in ein aufgeklärtes theologisches Nachdenken über die göttlichen Dinge und eine pluralitätsoffene, kulturhermeneutische Gegenwartsdiagnostik einzuholen (1.1[4]). Auch wenn die Rede vom Tode Gottes gegenwärtig wohl ihren Schrecken verloren haben dürfte und gleichzeitig die Überzeugungskraft traditioneller (christlicher) Sinnpotentiale weiter schwindet, ist das Symbol des Todes Gottes für viele Menschen unserer säkularisierten Gesellschaft zu einem Faktum geworden, das ein Sinnvakuum hinterlässt. Dieser Hinweis auf die existenzielle Gestimmtheit unseres Zeitalters bringt die programmatische Verbindungslinie des vorliegenden Buches zu einem kritisch verfahrenden existenzialhermeneutischen Ansatz zum Vorschein, der weder die Erfahrung und Idee des Todes Gottes zurückzuweisen noch sie sich einzuverleiben sucht, sondern nach anderen Wegen des Umgangs mit diesem Phänomen und des Aushaltens dieser Erfahrung sucht. Dazu gehört methodisch das Bedenken der fragwürdigen Aufgabe der Theologie in der Moderne, bevor zur Rekonstruktion der Geschichte des Krisenphänomens und seiner Deutungen übergegangen und bevor systematische Folgerungen daraus gezogen werden können (1.2). Vorgeschaltet wird ein bislang so nicht gebotener Überblick über die Rezeption der Idee vom Tode Gottes vorwiegend in der deutschsprachigen (evangelischen) Theologie nach dem Zweiten Weltkrieg (1.3), der über den Stand der Forschung zur verhandelten Thematik und über Forschungsdesiderate Auskunft gibt – im Horizont der einsetzenden Hegel- und NietzscheRenaissance – und dafür in Qualifikationsschriften und Studien (1.3.1) sowie in den gängigen wissenschaftlichen Formaten des Handbuch- und Lexikonartikels (1.3.2), des Fachzeitschriftenartikels und Forschungsüberblicks sowie der Einführungswerke (1.3.3), der monothematischen systematischen Entwürfe (1.3.4), Lehrbücher, umfassender systematischer Entwürfe (1.3.5) und theologiegeschichtlicher Darstellungen (1.3.6) nach Rezeptionslenkungen und Deutungsweisen des Motivs des Todes Gottes sucht. Dieser chronologisch aufbereitete Kritik- und Deutungskatalog in der neueren evangelischen Theologie findet Eingang in die systematische Typologie (12.2).

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12 Zusammenfassung und typologische Systematisierung der Tod-Gottes-Idee

An die Sichtung des Forschungsstandes anschließend werden Begriffsklärungen der motivisch vorausgesetzten Leitbegriffe Moderne, Krise, und Lebensgefühl geboten (1.4). Der schillernde Begriff der Moderne, eng verbunden mit dem Geschichtsbewusstsein und der vielfach Verwendung findenden Metapher der Krise als Ausdruck einer neuen Zeiterfahrung und Indikator eines epochalen Umbruchs, wird als Deutungskategorie für das gegenwärtige Zeitalter, das von unzähligen Veränderungsprozessen gekennzeichnet ist, gewählt (1.4.1). Sich in diesen neuen Erfahrungs- und Denkraum der Krise hineinzubegeben und sich darin aufzuhalten, also Krise nicht von ihrer Überwindung her zu denken, sondern als (de-)konstruktiven Dauerzustand wahrzunehmen, wird zum Aufenthaltsraum einer theologischen Existenzialhermeneutik. Mit Wolfgang Jankes Programmwort praecisio mundi wird die Sinnkrise des gegenwärtigen Zeitalters in ihrer Tiefendimension auf einen adäquaten Begriff gebracht (1.4.2). Kritisiert wird das Abschneiden existentiell relevanter sprachlicher Weltzugänge mittels der vorherrschenden Maßgabe des rationalen Präzisionsideals. Pointiert wird diese Diagnose in der Studie mit der Verbindung der Redeweise vom Tod Gottes und mit einem Schlüsselbegriff der philosophischen Anthropologie, dem Lebensgefühl, womit sich nicht zuletzt jede Epoche von einer (vorhergehenden) anderen unterscheidet (1.4.3). In säkularisierten Gesellschaften der Gegenwart dominiert eine in der Gott-ist-tot-Erfahrung grundgelegte Unbestimmtheit des Lebensgefühls, die verschiedenen Einstellungen und einer Offenheit für ein neues Bewusstsein Raum gibt, zu dem auch die kritisch-(de-)konstruktive Selbstbefragung der Theologie nach dem eigenen Anteil an der Sinnkrise der Moderne und dem Lebensgefühl des Todes Gottes gehört (1.5). Das führt zu der Einsicht, dass Theologie als kritische Wissenschaft kaum noch plausibel an dem am Horizont aufscheinenden Unterwegsseins des Ereignisses des Todes Gottes vorbei betrieben werden kann. Es kommt daher nicht allein darauf an, lediglich die Gedanken uns vorausgegangener Denker beschreibend zu wiederholen (Hauptteil A), sondern auch darauf, danach zu fragen, wie es sich in (existentieller) Wahrheit mit der fraglichen Sache im Kontext der gegenwärtigen Kulturlage angesichts von unüberschaubaren Transformations- und Pluralisierungsprozessen verhält (Hauptteil B). Ein rein systematischer Zugang ohne geschichtliche Bezüge bliebe blind und unfruchtbar, denn jedes philosophische und theologische Denken ist ein Kind seiner Zeit und durch Geschichtliches und Gewesenes geprägt, das jeder Zeit als neu zu entscheidende Wesensmöglichkeit zugrunde und vor Augen liegt. (Hauptteil A) Der erste Hauptteil der Studie wird gefasst unter der Überschrift Der Tod Gottes als sprachlicher Ausdruck von Sinnkrisen und ist in drei Teile gegliedert. Teil I (Kapitel 2 bis 4) nimmt die Herkunft und Variationen des Motivs Tod Gottes in den Blick, Teil II (Kapitel 5) die Denkfigur des Todes Gottes in ihren philosophischen Deutungsvarianten und Teil III ihre theologischen Deutungsvarianten in der US-amerikanischen (Kapitel 6) und in der deutschsprachigen Theologie (Kapitel 7).

12.1 Zusammenfassende Betrachtung

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(Teil I: 2) Das Motiv des Todes eines Gottes ist in den verschiedenen Kulturund Religionskreisen der Menschheit ein wiederkehrendes Phänomen. Es zeigt sich sehr variabel und wird in den unterschiedlichen Mythen, Kulten, Kosmogonien und Theologien narrativ ausgestaltet. Eingebettet ist das Motiv im Alten Orient und Alten Ägypten in den größeren Rahmen des Fruchtbarkeits- und Totenkultes und bedeutet dort nicht das Ende des Gottes oder Kultes, sondern drückt in je spezifischer Eigenheit dessen zentrale Gehalte in sich wiederholenden Riten aus. Die phänomenologische Spurensuche nach dem Motiv Tod Gottes in der Religions- und Kulturgeschichte führt unter Wahrung der religiös-kulturellen Besonderheiten zu den Mythen leidender, sterbender und auferstehender Götter, die im Kontrast stehen zur griechisch-antiken Vorstellung der Unsterblichkeit der Götter und der biblischen vom lebendigen Gott. Das Töten der Gottheit galt in frühen Hochkulturen als erster Tod überhaupt und wurde im Kult reinszenierend erinnert. Das Mythologem sterbender Götter aus dem Alten Ägypten, Alten Orient und aus der Spätantike zeigt durch die Zeiten hindurch narrative Flexibilität und Deutungsoffenheit. Maßgebliches Motiv altorientalischen und antiken Glaubens an sterbende Götter ist die Dualität von zwei (Partner-)Göttern (Ischtar und Tammuz, Anat und Baal, Astarte und Adonis, Kybele und Attis, Isis und Osiris, Demeter und Persephone). Die mit ihnen verbundene Überwindung des Todes ist von unterschiedlichen Vorstellungen geprägt und unterscheidet sich von der christlichen Auferweckungsvorstellung. Drei (durchlässige) Kategorien lassen sich ausmachen: Das Leben der Götter geht nur im regelmäßigen Wechsel mit dem Tod weiter. Es gibt aber auch Gottheiten, die infolge eines kosmischen Kampfes sterben oder deren Wohnort in der Unterwelt, dem Bereich der Toten, lokalisiert wird. Gemeinsam ist ihnen, dass sie in der Regel ihre Göttlichkeit behalten und mit dem Sterben und Tod nicht ihre Existenz verlieren. Im Durchgang durch die Mythen zeigt sich eine Entwicklung vom variantenreichen Mythos zum präzisierten Christus (2.4). Im Rahmen des Durchgangs durch die Motivgeschichte stellt sich heraus, dass das Motiv des Todes Gottes in sprachlicher Form besonders dann auftritt, wenn sich Sinnkrisen in Zeiten von Umbrüchen in der Kulturund Religionsgeschichte zeigen. Vor diesem Hintergrund ist es zu Revisionen in Gottesvorstellungen und Menschenbildern gekommen. An Schwellen, Umbrüchen und Übergängen bricht etwas Neues an. (2.1) In der Sprache des Mythos werden Leben und Tod sowie die Restitution des zerstückelten Gottes Osiris darstellbar und erzählbar. In der altägyptischen Götterwelt sind auch Götter sterblich, fallen aber nicht aus der kosmotheistischen Symbiose der unwandelbaren Dauer des Osiris, des toten Gottes des Totenreiches, und der unwandelbaren Erneuerung des Re, des sterbenden und auferstehenden Sonnengottes, heraus. Von der Macht der Liebe (von Isis) gespeiste symbolische und sprachliche Formationen (Riten, Bilder und Texte) erwecken den zerrissenen (disiecta membra) und durch den Tod sozial isolierten und angefeindete Osiris wieder zum Leben, stellen ihn leiblich, so-

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zial und rechtlich wieder her (restitutio in integrum) und erhalten ihn so am Leben. (2.2) In Plutarchs rätselhaftem Ausspruch „Der große Pan ist tot!“ begegnet mitten in einer tiefgreifenden religiösen Krise die Idee vom Tode Gottes als Symbol für den Untergang der polytheistischen Vorstellungswelt der griechisch-römischen Antike und ihrer Riten und Mythen. Der als Flöte spielender Hirtengott, All-Gott oder Dämon variantenreich gedeutete Pan markiert den Unterschied zwischen Menschen, dämonischen Wesen und Göttern und zeigt durch den Tod der Mittelwesen den unheilvollen Verlust der Beziehung zwischen Sterblichen und Unsterblichen an. Mit der unwiederbringlich vergangenen Welt der Götter Griechenlands bricht eine neue Epoche an, in der das Pantheon verwaist ist und die Vergangenheit nur noch als einzigartige Kunstwirklichkeit erinnert wird (Hegel). Der Diskurs über den toten Pan geht über die Jahrhunderte bis ins 17. (Pascal), 18. (Spinoza-Rezeption, Lessing, Hölderlin, Schiller, Goethe, Schleiermacher, Mendelssohn, Jacobi), 19. (Heine, Schelling, Storm) und 20. Jahrhundert (Horkheimer, Adorno) nicht verloren, wird transformiert und in Kunst, Musik, Literatur und Philosophie (Pantheismus; Panentheismus) sowie in der Alltagsprache (panisch; Panik) und in der Bewusstwerdung der Latenz eines möglichen massenhaften Ausbruchs von Panik angesichts katastrophaler Entwicklungen aufgehoben. (2.3) Jesus Christus als gekreuzigter Gott wird als dritte Motivvariation vorgestellt, die im Deutungsspektrum eigene Akzente setzt, es erheblich erweitert und gleichzeitig präzisiert. Die Entstehung des christlichen Gottesbegriffs hängt eng mit der Deutung von Leben und Wirken, Leiden, Sterben und Tod am Kreuz des galiläischen Handwerkers Jesus aus Nazareth zusammen, der als charismatischer Wanderprediger und Wunderheiler in der Levante umherzog und in dessen Lehre und Leben sich eine besondere Gottesnähe ausdrückt. Die Deutung von Jesus als Messias und Gottessohn hängt eng zusammen mit visionären Erfahrungen seiner Auferstehung bei seinen Jüngern und dem faktischen Auferstehungsglauben, der die Frage klären musste, wie der Kreuzestod des nun von Gott auferweckten Kyrios Christos zu verstehen sei. Die monotheistische Gottesvorstellung wird christologisch präzisiert. Die so gedeutete neue Erlösergestalt übte im pluralen Götteruniversum der griechisch-römischen Welt eine Faszinationskraft aus. An der Sinndeutung des Todes Jesu am Kreuz scheiden sich die Geister ebenso wie am Verständnis seiner Auferstehung. Zwar waren die Menschwerdung eines Gottes und die Gottwerdung eines Menschen geläufige religiös-kulturelle Vorstellungen dieser Zeit; die Behauptung der Auferweckung eines als Gotteslästerer verurteilten und als Aufrührer gegen die Dii populi Romani Gekreuzigten sowie der Glaube an einen leidenden, gekreuzigten, sterbenden Gott aber sind für Juden und Römer eine Gotteslästerung und atheistische Geschmacklosigkeit. Weder ist der auferweckte Gekreuzigte für sie als zweiter Gott noch als vergöttlichter Mensch zu denken oder mit den geläufigen philosophischen Gottesvorstellungen der aris-

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totelischen Metaphysik eines perfekten göttlichen Wesens vereinbar. Ein eindeutiges Verständnis des Todes Jesu, auch gedeutet als Tod Gottes, lässt sich weder für das Urchristentum noch für nachfolgende Generationen ausfindig machen. Der Variantenreichtum der metaphorischen Deutungen für diese entscheidende Herausforderung der Deutung des Todes Jesu bietet jedoch einen Einblick in einen schriftlich festgehaltenen offenen Diskurs, der sich historischer wie systematischer Eindeutigkeit bleibend verschließt. In der neutestamentlichen Wissenschaft wird daher dafür plädiert, die Deutungspluralität und den Reichtum der neutestamentlichen Gedanken- und Bilderwelt in ihrer „Aspekthaftigkeit“ bzw. der „Vielfalt der Annäherungsweisen“ für die urchristliche Christologie und Soteriologie ernst- und wahrzunehmen. Die in den folgenden Jahrhunderten vorgenommenen legitimen und notwendigen Weiterentwicklungen und christologischen und trinitätstheologischen Transformationen des christlichen Gottesbegriffs kreisen besonders um die paradoxe Vorstellung, in welchem Sinne Jesus Christus wahrer Mensch und wahrer Gott zugleich sei. Diese Spannungen und Denkschwierigkeiten sind bis heute virulent. Mit der mittelalterlichen Kreuzesfrömmigkeit, in der Kunst und in Luthers theologia crucis kommt es in der Folgezeit zu einer neuen Besinnung auf das Symbol des Kreuzes und einem folgenreichen Bedeutungswandel. Das zeigen die Erkundungen des Kreuzessymbols, die Entwicklung der Trinitätslehre, die Entdeckung der Kreuzestheologie im 20. Jahrhundert und die Wiederentdeckung der bereits in der Alten Kirche, Mystik, bei Martin Luther und im Dreißigjährigen Krieg, bei Hegel („lutherisches Lied“) und Nietzsche sowie dann im 20. Jahrhundert vorkommenden Rede vom Tod Gottes. Die Gott-ist-tot-Erfahrung zeigt sich in ästhetischen, literarischen, philosophischen und theologischen Diskursen der Moderne in neuer Vielfalt. Die Grundlagenkrise des theistischen Gottesbegriffs, der Gottesbeweise und der Trinitätslehre ist offenkundig, führt zu einer „Revolution im Gottesbegriff“ und zeichnet das Phänomen des Todes Gottes in die Geschichte des christlichen Gottesbegriffs ein. (3) Kirche, christliche Religion und Frömmigkeit bestimmen bis weit in das 19. Jahrhundert hinein das Bewusstsein und Verhalten der Menschen in Europa. Aber: Das sich seit der Mitte des 17. Jahrhunderts verbreitende religiöse Bewusstsein, dass sich die bislang tragfähige theistische Gottesvorstellung und ihre kulturelle, religiöse und existenzielle Prägekraft aufzulösen beginnen, prägt den literarischen Diskurs einer kleinen, von Aufklärung, Klassik und Romantik bestimmten Gruppe von Intellektuellen, deren gemeinsames Motiv angesichts des Wahnsinns blutiger Religions- und Bürgerkriege und der sich rasant vollziehenden Modernisierung der Lebensverhältnisse eine sich verdichtende Vorahnung des Verlustes Gottes und einer Bewusstseinsveränderung ist. Die bisherige Wahrnehmungs- und Erkenntnisordnung von Gott, Welt und Mensch wurde von Kant einer kritischen Prüfung unterzogen, der sie nicht standhielt. Daneben gehörte die Etablierung des modernen historischen Den-

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kens zum folgenreichsten Bewusstseinswandel. Die Zeitspanne der europäischen „Sattelzeit“ zwischen 1781 und 1841 zeigt sich als Epoche des „Streits um Gott“, die den „Subtext der Moderne“ und ihrer religiösen Semantiken und säkularen Lebenswelten bildet. In der protestantischen Theologie reagiert Schleiermacher darauf mit einer Präzisierung des subjektiven Christusglaubens, der alle lehrhaften Objektivationen Gottes hinter sich lässt und den verlorenen Gott in das „Sein in Christo“ auflöst. (3.1) Angesichts des sich ausbreitenden neuzeitlichen Rationalismus (seit Descartes), des mit ihm forcierten Dualismus von Körper und Geist sowie des Elends des Menschen ist die Erkenntnis Gottes und des Menschen nur durch Christus möglich. Das mit dem Rationalismus verbundene Aufkommen des schmerzlichen Gefühls der Gottverlorenheit (Dieu perdu) wird bei Pascal tröstend in den rettenden Christusglauben aufgehoben. (3.2) Im Zeitalter der Aufklärung und der damit verbundenen Vernunftorientierung zeigt sich die Verwendung des an Tragfähigkeit verlierenden Gottesgedankens der natürlichen Theologie, des Offenbarungsglaubens und der Vorstellung von der Personalität Gottes in vielerlei Gestalt – auch im Bewusstsein der Problematik der ersatzlosen Streichung Gottes: im Mantel der Idee einer natürlichen Religion, der Theodizeefrage, der Kirchenkritik, im materialistischen Atheismus und Naturalismus und darin in der radikalen Aufklärung in der Psychologisierung und Substituierung Gottes durch die Natur. (3.3) Der mit der „Sattelzeit“ der Moderne verbundene Bewusstseinswandel, um 1800 ausgetragen in den philosophisch-theologischen Kontroversen auch über das Problem der Personalität Gottes, führte mit dem Verfall der natürlichen Theologie und des Aufstiegs des Religionsbegriffs zu einer Freisetzung und neuen Einbindung des Individuums. Das Christentum müsse anthropologisch und in seinem existentiellen Angang im Lichte der gegenwärtigen Situation interpretiert werden, ohne es in (metaphysische) Welterklärung oder Moral aufzulösen. Der Streit um die Deutung der Religion in der Moderne geht in der Theologie von der Kontroverse mit den Gebildeten über zur Auseinandersetzung mit den Frömmlern und Buchstabengläubigen und ist bestimmt von der nicht unberechtigten Furcht Schleiermachers, dass das Christentum mit der Barbarei zusammenfallen und Wissenschaft sich mit dem Unglauben verbinden werde. (3.4) Die Neuorientierung der Theologie am Religionsbegriff ist eng mit der Religionstheorie und dem sich daran anschließenden religionstheologischen Dogmatikprogramm von Friedrich Schleiermacher verbunden. Seine Bestreitung der Gottheit Christi in der orthodoxen Zwei-Naturen-Lehre und der Lehre vom stellvertretenden Sühnopfer Christi sind Kennzeichen der Krise der theologischen Grundbegriffe. Die von ihm entfaltete subjektive Bewusstseinstheorie führt von der Annahme, dass eine Religion ohne Gott besser sein könne als eine mit Gott, zur Aufsprengung des traditionell engen Zusammenhangs von Religion und Gott. Die „Enttheologisierung des Religionsbegriffs“ führt zur

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scharfen Kritik an der theistischen Gottesvorstellung und der Personalität Gottes und damit zur Auflösung des metaphysischen, objektiven und substantiellen Gottesgedankens („Sein Gottes“). Diese „Entsubstanzialisierung des Gottesbegriffs“ geschieht zunächst durch Umcodierung in den Begriff des Universums, ermöglicht eine Liberalität im Umgang auch mit nichttheistischen Gottesvorstellungen und kulminiert schließlich im subjektiven Christusglauben („ein Sein Gottes in ihm“). Gottes Sein löst sich „in Christo“ auf. In Schleiermachers Programm kommt es zu einer Verschränkung der Analyse der Theorielage mit der Analyse der kulturellen Situation, die zu einer pointiert christozentrischen Fassung des Christentums führt, das als Erlösungsmittel anstelle des Opfertodes am Kreuz das in den Evangelien gezeichnete Bild des irdischen (johanneischen) Jesus anbietet und einen Prozess der Heiligung in Gang setzt. Nicht die Vision einer gottlosen Zeit treibt Schleiermacher um, sondern für ihn war vielmehr die Zeit gekommen, den verlorenen Gott neu zu sehen, wie Blaise Pascal es durch die Christus-Gestalt tat, die die Gottverlorenheit des Zeitalters auflöst. Damit gewinnt zwar die religiöse Bedeutung und Anschauung der Person Jesu Christi (Urbild) eine neue Dimension in Bezug auf seine individuelle Gestalt, an die die Gotteserkenntnis eng angeknüpft wird, aber das spezifisch Theo-logische wird relativiert zugunsten einer Suche nach Halt bei der Ursprungsgestalt des christlichen Glaubens in einer Zeit der Umbruchskrise und des religiösen und kulturellen Bewusstseinswandels. Nicht zu Unrecht kann man von dieser Warte aus, in der der Gottesgedanke sich in Schleiermachers bewusstseinstheoretischen Ansatz auflöst, die Moderne angesichts des Plausibilitätsverlust des Theismus als „das christologische Zeitalter des Christentums“ bezeichnen (3.5). An die Metaphysikkritik und nachtheistische Hochschätzung der Christologie schließen sich (trinitarische) Deutungen der Denkfigur des Todes Gottes der deutschsprachigen Theologie in den ‚langen‘ 1960er Jahren an (7). Sie werden durch die US-amerikanischen Diskurse um die Gott-ist-tot-Theologie nicht von diesem Weg abgebracht (6), greifen aber dafür in Abgrenzung von ihnen auf philosophisch-theologische Umgangsweisen mit dieser Denkfigur zurück (5) und versuchen den mit ihr verbundenen krisenhaften Bewusstseins- und Erfahrungswandel (4) der eigenen Konzeption einzuverleiben. (4) Das Erlebnis des Todes Gottes als Ausdruck eines beschleunigten Erfahrungswandels in der Zeit der industriellen und politischen Doppelrevolution findet Eingang in die Literatur, in der die krisenhaften gesellschaftlichen Veränderungen im Schreibprozess bearbeitet und in Texten beschrieben werden. Schriftsteller wie die hier exemplarisch ausgewählten Jean Paul, Heinrich Heine und Herman Melville werden zu Zeugen der Gesellschafts-, Geselligkeits- und Mentalitätsgeschichte des Jahrhunderts, der fundamentalen „Verwandlung der Welt“ im „langen 19. Jahrhundert“ und greifen dabei auf religiöse Deutungsmuster zurück, die sie mit dem neuen säkularen Diskurs verschränken. Nach dem Zweiten Weltkrieg liegen Welt und Sprache in Trüm-

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mern. Mit Wolfdietrich Schnurre wird exemplarisch die Gott-ist-tot-Erfahrung angesichts der Schreckenserfahrungen der beiden Weltkriege und des Holocaust gezeigt. Im Rückblick zeigt sich Jean Pauls Schreckensvision als fiktives Vorspiel zum 20. Jahrhundert, das nun greifbare Realität geworden ist. Ein Verweis auf Christus als Antwort reicht angesichts der Kriegserfahrungen nicht mehr aus. Das moderne Lebensgefühl der Haltlosigkeit, der praktische Atheismus, das nihilistische Grundgefühl und die Gott-ist-tot-Erfahrung finden in der modernen Literatur ästhetische Ausdrucksformen. (4.1) Jean Pauls Traumvision vom toten Christus zeigt sich als Dekonstruktion des christlichen Diskurses und versprachlicht die dramatische Bewusstseinslage der Zeit nach der Französischen Revolution. Die begrifflichen Mittel der neuen transzendentalphilosophischen Entwürfe reichen Jean Paul nicht aus, um die diaphane Realität eines Glaubens, der auf Gefühl und Ahndungen beruht, wahrzunehmen. Die Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab ist vor diesem Hintergrund das fiktionale Durchspielen einer begründeten Vorausahnung der neuzeitlichen Bewusstwerdung der Idee des Todes Gottes, wenn mit den Mitteln der Vernunft gezeigt wurde, dass es Gott nicht geben kann. Im Gegenbild des Atheismus wird studiert, was Gott bedeutet und was sein Verlust für Folgen hätte. Es ist hier der tote Christus selber, der die Botschaft des Atheismus als eine Schreckensnachricht in der Stunde des Jüngsten Gerichts verkündet: „Es ist kein Gott!“ Damit macht dieser Text mittels der Kontrafaktur der christlichen Heilsbotschaft auf das Grauen der Sinnlosigkeit des Daseins angesichts der unendlichen Einsamkeit in der Ewigkeit, die ohne Hoffnung auf ewiges Leben nach dem Tod des Menschen bleibt, aufmerksam. Der Tod Gottes des Vaters bedeutet, dass die Welt ihren Sinn verliert, da es für den Menschen keine orientierende Richtung mehr gibt und keinen Adressaten für sein Gebet. Der Text malt die Wahrheit einer gottlosen Welt vor Augen und wirkt durch seine Experimente mit dem absoluten Nichts auf den romantischen Nihilismus der Moderne ein. Für die heilsgeschichtliche Nichtigkeit tritt ein „fiktiver Christus“ ein, der ohne ein literarisches Vorbild ist und die Illusionen und Projektionen entlarvt. Ein Zurück zum orthodoxen Erlösungsprogramm ist ausgeschlossen. Die Erfahrung, daß kein Gott sei, greift Raum. (4.2) Im schmalen Zeitfenster (zwischen 1825 und 1850) „der großen europäischen Zeitverwandlungen“ war es Heinrich Heine, der bereits 1826 den Begriff der ,Modernität‘ geprägt und im heutigen Sinne verwendet hat. Das Projekt der Moderne stellt Heine in seiner Ambivalenz von Freiheitsjubel und Verlustängsten, von Emanzipation und Entfremdung, von Fortschritt und Katastrophe, von Aufbruch und Zerstörung literarisch dar. In allen Formen, in philosophischen, poetischen, essayistischen oder publizistischen Texten, findet sich das Moment der Zäsur, des Bruchs mit der alten Zeit, des Epochen-Endes sowie des Übergangs in eine neue Welt. Die Doppelgesichtigkeit der „unerfreulichen Modernität“ spiegelt sich im „Epochen-Stichwort der ,Zerrissenheit‘“ als der Denkweise der Zeit. Doch die neuen Götter der Zukunft lassen sich

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nicht einfach herstellen. Auch der Pantheismus der Goethezeit vermag Zerrissenes nicht wieder zusammenzufügen, die offene Wunde nicht zu heilen. Die allgemeine Verkehrung der Welt in neuester Zeit zeigt sich im Sturz der alten Gottheiten der Restauration vom Thron sowie in den nationalen Begrenztheiten und markiert den Aufbruch hin zu Liberalismus und Kosmopolitismus. Der Intellektuelle und Schriftsteller Heine entwirft mit Jehova, Christus und Pan variantenreiche Bilder vom „sterbenden Gott“, die auf Nietzsches Proklamation vorausweisen und auf Plutarchs Sage zurückgreifen, um angesichts des „großen Weltrisses“ zu illustrieren, dass „Gott fehlt“. Heines Umgang mit dem Motiv ist nicht eindeutig, sondern variiert in seinen Ausdeutungen. Der Plutarch-Spruch und seine vier verbreiteten Deutungsmöglichkeiten fungieren für Heine als Metapher für die poetische Destruktion des traditionellen Gottesgedankens. Auch die pantheistische Utopie eines neuen allgemeinen Bewusstseins der Göttlichkeit des Menschen bleibt eine Illusion. Das religiöse Grundgefühl der Zeit, „Gott ist für uns verloren“, zeigt die Bewusstseinslage des massiven Erfahrungswandels durch die modernen Umbrüche in der Zeit der politischen und industriellen Doppelrevolution in Europa in existentieller Dramatik: Der politische und religiöse Absolutismus ist abgeschafft. Der außerweltliche Gott des Christentums, der „alte Jehova“, ist nur eine geschichtliche Erscheinung gewesen, die sich von Ägypten über Palästina und Assyrien bis nach Rom ausgebreitet hat. Er ist die Phantasie eines Gottes, der sich nun „zum Tode bereitet“. Seine Geschichte ist die Geschichte von „einem sterbenden Gotte“. Das Geheimnis der deutschen Philosophie ist die Entthronung und Enthauptung Gottes durch die kantische Guillotine des Rationalismus, die das Ende der rationalen Theologie und der drei klassischen Gottesbeweise besiegelt: – „Diese betrübende Todesnachricht bedarf vielleicht einiger Jahrhunderte, eh sie sich allgemein verbreitet hat“ (HHW 4, 131). (4.3) Ein Zeuge der gewaltigen Umwälzungen in der „Neuen Welt“ war Herman Melville, der mit seinem großen Epos Moby-Dick (1851) einen anspielungs- und deutungsreichen Roman, gespeist aus umfangreichem Bibel- und Bibliothekswissen, über Amerika und eine Reise durch die unendlichen Weiten von Raum und Zeit, Mythologien, Philosophien und Religionen geschaffen hat. Mit seiner fiktiven Figur Ahab, dem Kapitän des Walfängers Pequod, erschafft Melville den „tollen Menschen“ Amerikas. Er ist verrückt, weil er glaubt, und zwar an Gott, an Mythen, Metaphern und den Symbolismus sowie an Wale, die nicht wirklich Wale sind, sondern Zeichen für eine tiefere Bedeutung. Ahab ist der falsche Erlöser, gottähnlich und ungöttlich sowie Gottmensch und Gottesmörder zugleich, der die ganze Natur, und damit auch den Weißen Wal, für göttlich hält. Gott und Moby Dick verschmelzen zu einem einzigen Feind. Weil beide böse sind, müssen sie ermordet werden. Moby Dick zu töten, heißt darum, den calvinistischen Gott zu töten. Die Walfangfahrt der Pequod zeigt sich als religiöse Suche, und zwar als eine Suche nach Gott, um ihn zu töten. Das Symbol des Todes Gottes ist zentrales Deutungsmotiv für Melvilles Roman.

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Das Überleben nach dem Tode Gottes auf dem offenen Meer fungiert in der Figur Ishmael als dritter Weg eines Überlebens zwischen Glaube und Zweifel. Am Schluss ist es das Meer als großer Gott Pan, der mächtige Pazifik, der für Ishmael zum Symbol des gesamten Universums, von Himmel und Erde wird und damit zum neuen Gott jenseits von Glaube und Unglaube. (4.4) In der Nachkriegszeit zeigt sich Jean Pauls Schreckensszenario als unentrinnbare Realität, in der sich eine sich exklusiv auf Christus berufende Theologie und die Trümmerliteratur gegenüberstehen. Die Tradition bot keine Antwort mehr für die nach Krieg und Holocaust in Trümmern liegende Welt und Sprache der Nachkriegszeit. Die Gott-ist-tot-Erfahrung dieser Zeit drückt sich aus in Wolfgang Borcherts Heimkehrer-Drama Draußen vor der Tür im Bild des „Märchenbuchliebergottes“, an den angesichts von Stalingrad keiner mehr glaubt. Im reduzierten Stil der Kurzgeschichte werden die Kriegs- und Nachkriegserfahrungen ausschnittartig dargestellt. Wolfdietrich Schnurre versucht aus der zertrümmerten Sprache wieder ein brauchbares Instrument zu machen. Mithilfe dessen gibt die deutschsprachige Literatur dem neuen Erfahrungsraum neue sprachliche Ausdrucksmöglichkeiten und trägt Gott in Anwesenheit eines Pfarrers zu Grabe. Umstandslos und gleichgültig vollzieht sich Das Begräbnis des lieben Gottes. Wo kein Gott mehr ist, ist der Mensch allein auf sich gestellt, der im wirtschaftlichen Aufschwung sein neues Heil erblickt. Diesem neuen Erfahrungsraum des Erlebnisses des Todes Gottes als Wahrnehmung eines Erfahrungswandels muss Sprache gegeben werden, damit diese Erfahrungen nicht vergessen werden (4.5). (Teil II: 5) Die existentiellen Krisenerfahrungen des sich verbreitenden Gefühls des Verlustes Gottes spiegeln sich auch als „Melancholie der Endlichkeit“ in den literarischen Diskursen seit dem 17. Jahrhundert, verdichten sich im poetischen Nihilismus der Romantik und werden auch in der Philosophie des frühen 19. Jahrhunderts bei Hegel und am Ende des 19. Jahrhunderts bei Nietzsche (an Heine anschließend) explizit als Tod Gottes aufgenommen und in ihren Konsequenzen weitergedacht, kulminieren im „Ende der Metaphysik“ bei Heidegger und Sartre, werden schließlich im Modus der Fraglichkeit bei Weischedel und Sprache und Sein restituierend bei Janke nachmetaphysisch reflektiert. Der Tod Gottes wird zur Deutungskategorie für die europäische Moderne und zur philosophischen Denkfigur. (5.1) Zu Beginn und zum Ende des 19. Jahrhunderts erfährt das sich verbreitende Gefühl der Gottverlorenheit, des Verlustes der Gotteserfahrung und des radikalen Bewusstseins- und Erfahrungswandels nun explizit mittels des Begriffs vom Tod Gottes als philosophische Denkfigur eine vertiefte Deutung. Hegel nimmt die Erosion der überlieferten frühbürgerlichen sozialen Bindungskräfte aufgrund der industriegesellschaftlichen und kapitalistischen Umwälzungen wahr und zeigt ein philosophisches Interesse an der Entstehung der europäischen Moderne und ihren gravierenden Auswirkungen. Nietzsche lässt 1882 seinen „tollen Menschen“ einen nachhaltigen Ausruf tätigen: „Gott ist

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todt!“. Mit diesem kurzen Wort erklärt er eine lange metaphysisch-platonischchristliche und gesellschaftlich-moralische Geschichte für beendet. Doch dieses Ende von Platonismus und Christentum vollziehe sich nicht schlagartig, sondern als ein „Ereigniss“, das noch eine lange Zeit benötige, um bei den Menschen anzukommen (1887). Nietzsche macht sich auf den Weg, die Geschichte der nächsten zwei Jahrhunderte zu erzählen, in denen kein Gott wiedergefunden wird und die vom Nihilismus geprägt sein werden. (5.1.1) Hegel, dessen Rede vom Tode Gottes in der neueren theologischen Diskussion eine Schlüsselrolle eingenommen hat, obwohl ihre theologische (und christologische) Bedeutung umstritten geblieben ist, enthüllt zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Grundstimmung seiner Zeit als Gefühl der Religion der neuen Zeit: „Gott selbst ist todt“. Das Motiv des Todes Gottes findet sich bei Hegel in mindestens sieben Variationen mit unterschiedlichen Bedeutungsspektren (vgl. 5.1.1[3]; 12.2.7[21.]). So ist beispielsweise das Gefühl vom Tode Gottes die Erfahrung des „Abgrunds des Nichts“, die alle rationale und moralische Metaphysik hinter sich gelassen hat. Das Gefühl reduziert Hegel in weiterer Verwendung des Motivs Tod Gottes unter Rückgriff auf die orthodoxe dogmatische Christologie spekulativ zu einem Moment im Leben Gottes und vollendet die Religion durch ihre Säkularisierung in der wahren Philosophie als zeitgemäße Theologie, die er mit der Formel „Selbstbewußtsein des absoluten Geistes“ komprimiert als Verhältnis von religiös-subjektivem Gottesbewusstsein und objektivem Gottesgedanken fasst. Der als Tod Gottes verstandene Tod Christi konstituiert Gott als Geist. Theologische Konsequenz dieses philosophischen Gottesgedankens ist sein religiöses Wissen und seine subjektive Aneignung als Geist in seiner Gemeinde. Religion wird bei Hegel zu einem Übergangsphänomen und Gottes Sein wird in den Geist der Gemeinde aufgehoben. (5.1.2) Friedrich Nietzsches Wort vom Tode Gottes als „grösstes neueres Ereigniss“ betrifft alle Werte, Normen und Ideale, die mit Platonismus und Christentum auf dem Boden der Antike entstanden sind und die Entwicklungen der europäischen Moralvorstellungen maßgeblich mitgeprägt haben. Nietzsche sieht mit der Heraufkunft des europäischen Nihilismus keine Rückkehrmöglichkeiten zu den überkommenden Gottesvorstellungen. Der Sinn- und Orientierungskrise nach dem Tod Gottes als Verlust des höchsten Wertzentrums gilt es angesichts der großen Angst der Moderne, dass alles sinnlos sei, standzuhalten. Die sich dadurch eröffnenden radikal neuen Möglichkeiten sind in ihren Ambivalenzen auszuhalten, bieten höchstens „Halt im und sogar am Haltlosen“ und zeigen, dass die „Arbeit am Ungewissen“ erst am Anfang steht. Mit Nietzsche ist fragend auszuhalten: Was heißt: sich im Nihilismus orientieren? (5.2) Nach dem Abschied vom Schöpfergott führt die nun behauptete Sonderstellung menschlichen Existierens in einer Welt ohne Gott in der Zeit des weltgeschichtlichen Epocheneinschnitts nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zu einer Kontroverse zwischen Jean-Paul Sartre und Martin Heidegger.

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Sartres atheistischer Existenzialismus führt aus, was es für das menschliche Existieren bedeutet, wenn Gott nicht mehr existiert (5.2.1). Der Mensch ist nicht von Gott zu seinem Bilde geschaffen, sondern er erschafft sich selbst zu dem, was er ist. Die eigene Freiheit allein begründet Werte, und unsere Freiheit wird zum tragenden Fundament der Welt. Jeder ist dazu verurteilt, für sich selbst verantwortlich zu sein. Unter der Last der totalen Selbstverantwortung und der Angst vor dem Nichts versucht er, das Nichts loszuwerden, um selbst Gott zu werden. Doch die Anmaßung menschlicher Existenz, hybrid an die Stelle Gottes zu rücken, scheitert. Statt zur Freiheit befreit, ist der Mensch zur Freiheit verurteilt. Heidegger (5.2.2) greift Nietzsches Nihilismus-Begriff nach der Analyse der Seinsvergessenheit und seiner enteschatisierenden Analytik der Endlichkeit des Daseins in Sein und Zeit auf (a) und deutet ihn für sein Programm einer Überwindung des Nihilismus als „Verwindung der Metaphysik“ um. Er sieht Nietzsche als das Ende der abendländischen Geschichte der Metaphysik an, die selbst zur Seinsvergessenheit beigetragen und den Sinn von Sein verdeckt habe. Die Überwindung des Nihilismus als Gefahr totaler Seinsverlassenheit und Lebensangst in der total verwissenschaftlichten und technikdominierten Welt sieht Heidegger in seinem Ereignis-Denken in der Möglichkeit des einen entgegenkommenden Ereignisses des Seins, dem neuen Andenken eines anfänglichen, nicht unmetaphysischen Denkens, das das Kommen eines letzten Gottes (der Poeten) nicht ausschließt (b). Im Aufenthalt in „dürftiger Zeit“ zwischen dem „Fehl Gottes“ (Hölderlin), der Flucht der Götter und des Gottes, verstanden als ihr Nichtmehr und das Nochnicht des Erscheinens des „letzten Gottes“, sucht Heidegger eine Grundstimmung für das Erstaunen und die Ahnung des Rettenden aus der Gefahr zu erzeugen, die im schonenden Wohnen der einigen Vier, der Sterblichen und Göttlichen, des Himmels und der Erde ihr Ziel hat. Alle Theismen fallen mit dem Tod Gottes dahin, der Gott, den Heidegger erwartet, ist „der ganz Andere“ gegen die gewesenen Götter und den christlichen Gott. Das Ereignis der Rettung in der Sprache ist keine Restitution christlicher Erlösung, sondern eine Einsetzung des ursprünglicheren Wesens in das „Seyn“ selbst, zu dem auch die Götter gehören. Der letzte Gott setzt den Menschen in seiner höchsten Würde als Hirte und Wahrer des „Seyns“ ein. Vom Ereignis der „Seynslichtung“ gedacht, kommt ein neues, ganz anderes Grundverhältnis ins Offene, das ermöglicht wird durch den Tod Gottes und ahnend durch den Wink des letzten Gottes. Betreten werden kann dieser Wesensbereich des letzten Gottes nur von den Wenigen durch die Vorbereitung einer langen Ahnung des letzten Gottes. So ist der letzte Gott nicht das Ende, sondern der andere Anfang unermesslicher Möglichkeiten unserer Geschichte. Unfähig, sich selbst aus den Verstrickungen der Moderne zu retten, wartet der Mensch in der Zwischenzeit auf Rettung aus der Not, aus der uns „[n]ur noch ein Gott [...] retten [kann]!“ Heideggers letzter Gott ist nicht das Ereignis selbst, er gehört nur zu diesem hinzu und ist selbst an das SichEreignen des Ereignisses des „Seyns“ verwiesen.

12.1 Zusammenfassende Betrachtung

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(5.3) Nietzsches Wort vom Tod Gottes als größtes neueres Ereignis und Heideggers fragendes Denken sowie seine Destruktion der Bestimmung Gottes als Grund alles Seienden haben Wilhelm Weischedel und Wolfgang Janke zu eigenen nachmetaphysischen Konzeptionen einer Philosophischen Theologie angeregt, die den Tod Gottes widerrufen wollen und fragen lassen: Was kann im Schatten von Nihilismus und Atheismus neu gefasst „Gott der Philosophen“ genannt werden? Für Weischedel ist Nietzsches Überwindung der Philosophischen Theologie nicht radikal genug, und Heideggers eschatologischer Mythos künftiger Gottheiten bleibt für ihn zu vage (5.3.1). Ein im Denken begründbares Reden von Gott ist mit diesem Ansatz nicht möglich. Aber auch der christliche Offenbarungsglaube könne nicht behaupten, allein in ihm sei, wie einige evangelische Theologien seiner Zeit behaupteten, ein „wahres Wissen“ von Gott möglich. Vielmehr komme es im Wesen des Philosophierens selber zum radikalen Fragen nach Gott, dem „Vonwoher“ radikaler Fraglichkeit (a). Hier stehe in der offenen Frage nach Gott der Fragende selbst mit seiner ganzen Existenz auf dem Spiel. Ob er bei Gott oder beim Nichts angelangt, das bleibe offen. Den Schatten des Nihilismus könne die Philosophische Theologie nicht mehr loswerden. Der Untergang aller Gewissheit sei das Kennzeichen des gegenwärtigen Zeitalters. Der Ort zwischen Sinnhaftigkeit und Sinnlosigkeit sei der Ort des Philosophierens als radikales Fragen, das mit seiner dialektischen Dynamik davor bewahren soll, dass der Gottesgedanke vom Offenbarungsglauben vereinnahmt oder eine Substanzmetaphysik wiederbelebt wird. Dieses radikale Fragen gehe durch ein kontinuierliches Hinterfragen seiner Voraussetzungen und Folgerungen ohne das Netz und den doppelten Boden eines Glaubens ein echtes Wagnis ein. Der Zwischenraum der „Schwebe“ wird zum Aufenthaltsort des menschlichen Daseins, wenn es sich auf das Philosophieren als radikales Fragen eingelassen hat. Die von Weischedel profilierte „abschiedliche Existenz“ kennzeichnet die radikale Fraglichkeit von allem und drückt sich in der skeptischen Ethik in einer Gelassenheit gegenüber den Dingen und dem Dasein aus (b). Einen Halt nach Gott ist nur noch in Haltungen zu finden. Die Radikalität des Todes Gottes wird bei Weischedel aufgehoben in die Radikalität des offenen Nihilismus als bleibende Möglichkeit, aber durch den offenen Atheismus und den offenen Skeptizismus gleichzeitig relativiert, wenn Gott als das „Herkommen der radikalen Fraglichkeit“ gedeutet wird. Dem transzendentalkritischen, existenzialen Nachfragen Wolfgang Jankes geht es im Zeichen des Nihilismus und Pessimismus nicht mehr um die Idee der in der Onto-Theologik vollendeten absoluten Vernunft, sondern darum, in präzisierter Welt die Aufgaben einer restitutio in integrum systematisch in transzendentaler Besonnenheit ins Werk zu setzen (5.3.2). Mit der Restitution einer ursprünglichen vierfachen Gestalt der Sprache will Janke offenlegen, was den Menschen existentiell betrifft (a). Die Vielbezüglichkeit menschlichen Seinsverständnisses, die ursprünglich in der vielfachen Sprachgestaltung der Welt als angemessener Ausdruck angelegt war, soll daher sprachphilosophisch

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restituiert werden, um den Streit um den Vorrang oder das Alleinvertretungsrecht der Wahrheit und Wirklichkeit zwischen den vier Sprachgestalten (Mythos, Logos, Lexis, Poiesis) zu schlichten, da der Mensch Bürger vierer existentiell angehender Sprachwelten sei. Eine Sonderstellung im Bezug zur Sprache beanspruchten die Weltstiftungen der Dichter. Die postnihilistische Restituierung der philosophischen Seinsfrage nach Gott durch Resakralisierung von Ehrfurcht, Vertrauen und Liebe will Janke gegen die Verabschiedung des Systemgedankens bei Kierkegaard, Nietzsche und Heidegger in einem einenden Systemgrund für die Seinsfrage wiedergewinnen (b). Angesichts moderner Irrwege von Wissenschaft, Technik, Nihilismus und totalitären Ideologien will Janke restitutionsphilosophisch Ehrfurcht, Vertrauen und Liebe als „Grundverhaltungen menschlicher Ecsistenz“ postmetaphysisch und postchristlich als heilenden „Dreiweg zum verborgenen Gott“ wieder zusammenführen. Jankes Resakralisierungssynthese, wie auch die vorangegangenen Lösungen, weichen letzten Endes vor dem radikal Neuen in Nietzsches Diagnose zurück, indem sie es in ihren jeweiligen Entwurf einhegen (5.4). (Teil III: 6) Große mediale Aufmerksamkeit erfuhr das Thema „Tod Gottes“ in den ‚langen‘ 1960er Jahren in den Vereinigten Staaten von Amerika und in Westeuropa. Ikonischen Rang erlangte das Titelbild des Time Magazine vom Karfreitag 1966 „Is God dead?“. In der wohl schillerndsten theologischen Debatte der Nachkriegskriegszeit haben US-Theologen Hegels, Nietzsches und Bonhoeffers Diagnosen sowie die theologischen Neuansätze von Barth, Bultmann und Tillich aufgegriffen, um eigenständig nach neuen theologischen Wegen zu suchen und zu fragen, wie Christsein in der säkularisierten Moderne noch möglich ist. Der experimentelle Charakter ihrer unterschiedlichen Ansätze wurde übersehen, die Bewegung schnell etikettiert mit dem Label Gottist-tot-Theologie und von Seiten der etablierten Theologie und Kirche vehement bekämpft. Eine umfassende theologiegeschichtliche Aufarbeitung liegt bislang nicht vor. In diesem Kapitel wird versucht, das Deutungsspektrum, die Referenzen und die Intention der Ansätze sowie ihre Rezeption und Wiederentdeckung einzufangen und damit akkurater in die deutschsprachige Theologie zu transferieren (6.1). In diesem Kapitel werden einige Stationen und Positionen der Radical Theology herausgehoben (6.2), die ihren Ansatz auch nach der medialen Welle weitergedacht (William Hamilton und Thomas J. J. Altizer) und damit auch nachfolgende Generationen (Mark C. Taylor; John D. Caputo) beeinflusst haben (6.3.1 und 6.3.2), was nicht zuletzt dazu geführt hat, dass mit einer zweiten Welle der Tod-Gottes-Theologie im 21. Jahrhundert nun ein Gegenentwurf zum religiösen Fundamentalismus vorliegt (6.3.4), der das Ansinnen dieser Bewegung aufnimmt, theologische Ideologiekritik zu kultivieren (6.4). Der Entwurf eines religiös-atheistischen Wertehimmels (6.3.3) und die Kritik der Feministischen Theologie an überkommenen (patriarchalen) Gottesvorstellungen (6.3.5) zeichnen noch zwei weitere Richtungen in das Kapitel ein.

12.1 Zusammenfassende Betrachtung

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(6.2.) Die Protagonisten der Radical Theology, William Hamilton und Thomas J. J. Altizer, gehen beide davon aus, dass der Tod Gottes ein Phänomen der Moderne ist, das mit der Kategorie des Ereignisses möglichst weit zu fassen sei. Wie der Verlust Gottes zu deuten ist, unterscheidet sich bei ihnen. Während Hamiltons radikale Theologie eher eine ethisch-weisheitlich orientierte Theologie ist, die Theologie als Literaturwissenschaft versteht, verläuft Altizers philosophisch-theologisches Denken in den Bahnen der biblischen und modernen Apokalyptik und epischen Geschichtstheologie, in denen der Denkfigur der Kenosis eine tragende Rolle zukommt. (6.2.1) William Hamiltons Überlegungen kreisen um den Gedanken, dass wir mit der Leerstelle, die der Tod Gottes hinterlassen habe, schlicht und einfach leben müssen. Theologie in unserer Zeit ist für ihn nur noch ohne Gott möglich. Das Christentum sei daher neu zu definieren als eine Religion ohne Gott. Die Suche nach einem posthistorischen und postchristlichen Jesus könne nun ein Weg sein für ein radikales Lebensmodell und zu einem Symbol für ein authentisches Handeln in einem Leben ohne Gott werden. Hamiltons Suchbewegungen nach einem neuen Christentum sind von der Hinwendung zur modernen Literatur gekennzeichnet, insbesondere zum Werk Hermann Melvilles (vgl. 4.3), und fragen radikal danach, was es bedeutet, wenn Gott nicht mehr im Wörterbuch des Lebens zu finden ist. Die Frage ist nun, was jenseits des Dualismus von Glaube und Atheismus, von Glaube und Unglaube liegt. Der Ort zwischen Glauben und Unglauben, der Hamilton als eine „healing community“ vorschwebte, war eng mit dem diskursiven Ort der Universität verbunden. Mit seinem „Quest for the post-historical Jesus“ leistet er einen möglichen Beitrag zur Überwindung der christologischen Krise und der Krise des Schriftprinzips, wenn er die Bibel von ihrer Sonderrolle befreit, der Kunst, Literatur und Fiktion ihr Eigenrecht nicht bestreitet und so nebenbei die Christologie als Ausdrucksmittel klerikaler Selbstbehauptung und geltungssüchtiger Selbstaffirmation entlarvt. Die normativ überfrachteten Texte könnten literaturgeschichtlich verortet nun zu dem werden, was sie sind: deutungsoffene Textwelten und Diskurse. Mit seiner ethisch ausgerichteten Theologie als Literaturwissenschaft will Hamilton die metaphorische Kraft der Literatur entzünden. (6.2.2) Thomas J. J. Altizer verfolgt in immer wieder neuen Anläufen eine Erneuerung des Christentums im Rückgriff auf seine ursprüngliche prophetische und apokalyptische Form. Im Anschluss an die trinitarische Lehre der drei Zeitalter von Joachim von Fiore und Hegels Dialektik versteht Altizer das gegenwärtige Zeitalter als Zeitalter des Heiligen Geistes. Im Christentum, das als apokalyptische Bewegung begonnen habe, erscheine eine religionsgeschichtlich einmalige, reine und totale coincidentia oppositorum als vollkommener Zusammenfall von radikal dichotomen Gegensätzen, deren Ergebnis eine absolut neue Welt (novitas mundi) gegenüber der alten sei: Neuschöpfung sei das Wesen der Apokalypse, die sich in der Geschichte manifestiere. Die apokalyptische Veränderung zeigt sich für Altizer weltgeschichtlich in den modernen

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politischen Revolutionen, die für ihn ihrem Kern nach religiöse Reformationen sind. So steht für ihn im Zentrum der Aufklärung die Französische Revolution, in deren Zentrum wiederum die Realisierung des Todes Gottes stehe. Die Spätmoderne zeige sich als Zeitalter des Todes Gottes und zugleich als ein Zeitalter, in dem die Geburt von etwas absolut Neuem ansteht, eine Geburt, die allein ermöglicht werde durch den Tod Gottes. Dieser ist für Altizer das neue Evangelium des christlichen Atheismus. Altizer ist mit dieser Auffassung nun nicht einfach als Atheist zu verstehen, sondern eher als ein Posttheist, für den die metaphysische Realität Gottes (Theismus) dialektisch und geschichtlich unverzichtbar ist. Denn es sei wahrhaftig Gott, der durch sein absolutes Selbst-Opfer vom Tod überwältigt und verwandelt (transfiguriert) wurde. Gott hebt sich selber apokalyptisch in der Welt auf. Nur eine kenotische Selbst-Entleerung (,self-emptying‘) bzw. eine Selbst-Annihilierung (,self-annihilating‘) Gottes habe den Effekt eines tatsächlichen Todes Gottes. Für Altizer, der das Nichts theologisch radikal durchdenken will, ist das Nichts nicht zu trennen von der modernen Verwirklichung des Todes Gottes. Das Nichts sei ferner ultimativ untrennbar an die Gottheit selbst gebunden. Der Nihilismus als größte Bedrohung unserer Tage sei, mit Nietzsche gesprochen, als Konsequenz des Christentums selber zu sehen. Aufgabe sei es, eine adäquate Theologie des Nihilismus zu entwerfen, für die Altizer auch Anleihen an der „liturgischen Sprache“ der Literatur macht, wie er sie in Finnegans Wake von James Joyce vorfindet. (6.3) In den letzten Jahren lässt sich eine erneute Auseinandersetzung in der US-amerikanischen Theologie und Religionsphilosophie mit der Denkfigur des Todes Gottes beobachten. Dargestellt werden die Ansätze des aus dem Altizer-Kreis stammenden und von Tillichs Kulturtheologie und Jacques Derrida beeinflussten dekonstruktivistischen A/Theologen Mark C. Taylor (6.3.1) und die postmoderne ironische Theologie des Ereignisses des Namens Gottes als Theologie der Schwäche Gottes von John D. Caputo (6.3.2). Nach dem Tod Gottes stehe nun das Ereignis der Rückkehr Gottes an. Diese stehe aber im Zeichen des „Vielleicht“. Die dekonstruktive Macht sei das Offenhalten für das auf uns Zukommende. Zu verdanken sei dieser „theological turn“, so Jeffrey W. Robbins, den Vertretern der Death of God Theology, die eine kritische und prophetische Stimme erhoben hätten inmitten einer Kultur und eines Glaubens in einer Krise, die dadurch gekennzeichnet ist, dass alte religiöse Gewissheiten und Versicherungen nicht mehr tragen (6.3.4). Losgelöst vom Gottesgedanken plädiert Ronald Dworkin im Namen der Religionsfreiheit und der alle verbindenden Ehrfurcht vor der Schönheit des Universums für eine Religion ohne Gott (6.3.3). Feministische Theologinnen suchen dagegen „after the death of God the father“ nach neuen „divine milieus“ (6.3.5). (6.3.1) Mark C. Taylor entwirft eine postmoderne Theologie der Kultur und Ethik, die auf einer umfassenden Religions- und Netzwerktheorie basiert. In der Moderne zeige sich Religion komplizierter und komplexer, als Kritiker oder Apologeten der Religion sich dieses Phänomen gemeinhin vorstellen.

12.1 Zusammenfassende Betrachtung

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Unsere Welt sei umfassend von Religion geformt und durchstimmt, insbesondere dort, wo diese am wenigsten sichtbar ist. Zudem sei Religion viel einflussreicher, als bislang gedacht wurde. Lange unentdeckt geblieben sei das Aufkommen einer neofundamentalistischen Gegenkultur als religiöses Phänomen. Diese Gesinnung habe sich zeitgleich mit den Gott-ist-tot-Theologien in den 1960er Jahren entwickelt und zeige bis heute einen immensen Einfluss auf die US-amerikanische Politik („New Religious Right“ bzw. „Christian Right“). Taylor geht es darum aufzuzeigen, wie Zukunft angesichts massiver Umweltprobleme möglich ist. Ebenso wie Hamilton geht es ihm um eine Ethik des Lebens, aber die Impulse und theologischen Begründungsfiguren sind andere. Vier Aspekte aus Taylors Entwurf werden genauer dargestellt: Neben seiner dialektischen Religionstheorie sind es seine Herausstellung der Bedeutung Martin Luthers für die (post-)moderne Welt, die Frage nach einer „Religion ohne Gott“ und schließlich die Frage nach einer globalen Ethik ohne Absolutheitsansprüche. Diese relationale Ethik nach Gott hat das Ziel, das Leben als emergentes, komplexes und lernfähiges Netzwerk zu beschreiben, das zerstörerische Dualismen zu verhindern sucht, indem es Komplexität annimmt, Kooperation und Wettstreit gleichermaßen unterstützt, Volatilität akzeptiert und Unsicherheit kultiviert. (6.3.2) Wie Mark C. Taylor ist auch John D. Caputo von Jacques Derridas Ereignisdenken beeinflusst. Doch der US-amerikanische katholische Philosoph betreibt keine Religionsphilosophie oder Religionstheorie, sondern entwirft eine Theologie, die er als Theologie des Ereignisses (A Theology of the Event) versteht. Seine Theologie der Schwäche Gottes (The Weakness of God) sieht, im Anschluss an Gianni Vattimo, in der Schwäche Gottes dessen Stärke. Als Mittel wählt Caputo die Ironie, mit deren Hilfe er sich auf die Suche nach einem neuen Reden von Gott nach dem Ende der Onto-Theologie der Metaphysik macht, und Caputo beteiligt sich auch an einem „turn to the scriptures“. Er sieht hierin eine Möglichkeit, dem Tod Gottes nicht das letzte Wort zu lassen, sondern dem Ereignis, das einmal den Namen Gott getragen hat, ein neues „Vielleicht“ („Perhaps“) zu eröffnen, um so neu von Gott zu reden. (6.3.3) Für Ronald Dworkin ist „Religion […] etwas Tieferes als Gott“. Als Rechtsphilosoph geht es ihm um die lebensweltlich praktikable Begründung der Religionsfreiheit im unversöhnlichen Kulturkrieg zwischen religiös-fundamentalistischen und liberalen Positionen in den USA. Dazu müssten die einen ihren Gott und die anderen ihre Gottlosigkeit weniger wichtig nehmen, um zu erkennen, dass sie einen gemeinsamen tiefen religiösen Impuls teilen, der sich ihnen als Gefühl des Staunens über das Erhabene mitteilt – als Ehrfurcht gegenüber einer äußeren wirklichen Wirklichkeit. Eine alle verbindende Gemeinsamkeit ist diese Wahrnehmung der Schönheit des Universums, in der Dworkin einen objektiven Wertehimmel erblickt, der als Grundlage seines religiösen Atheismus firmiert.

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(6.3.4) Unter dem Titel The Second Coming of the Death of God kommt hier eine neuere Bewegung zur Sprache, die sich im Anschluss an Hamilton, Altizer und Taylor als radikaler Gegenentwurf zum religiösen Fundamentalismus versteht. In seinem Erstarken und insbesondere in der Heraufkunft des fundamentalistischen protestantischen Christentums sehen die neuen radikalen Theologinnen und Theologen bürgerliche Freiheitsrechte, kritisches Denken, wissenschaftlichen Fortschritt und nicht zuletzt demokratische Prinzipien massiv bedroht. Insbesondere der christliche Fundamentalismus sei eine destruktive Kraft in der Kultur, die die ungerechte Macht der Unterdrücker heiligt, die Anhäufung persönlicher Reichtümer auf Kosten anderer gutheißt, den göttlichen Vorsehungsgedanken gegen alle wissenschaftlichen Erkenntnisse herausstellt, die sog. „Dritte Welt“ ignoriert und ,das‘ Evangelium und weltliche Reichtümer allein für sich reklamiert. In der Wiederbelebung der Rede vom Tode Gottes sehen die neuen radikalen Theologen eine gewichtige Möglichkeit, die destruktiven Ideologien der Gegenwart herauszufordern. Die Radikale Theologie stehe jetzt vor der Aufgabe, den Tod Gottes in Zeiten des „Glaubenszuwachses“ zu verkünden. Kurz gefasst heißt ihre Aufgabe: „Gottesmord“. Damit zeigt sich: sich mit der Denkfigur des Todes Gottes theologisch zu beschäftigen, ist mehr als zeitgemäß. Es ist theologisch kreativ, notwendig und sinnvoll, um religiöser Einfalt und gefährlichen religiösen Vereinfachungsstrategien entgegenzutreten. Theologie kann in diesem Diskurs ihr ideologiekritisches Potential (wieder-)entdecken. Das zeigen die Weiterführungen der radikalen Theologie von Altizer und Hamilton, die religiöse Kultivierung des komplexen Netzwerks des Lebens bei Taylor, die Theologie des Ereignisses von Caputo, der religiöse Atheismus als Glaube an einen objektiven Wertehimmel von Dworkin und die Bewegung Resurrecting the Death of God. (6.3.5) Einen eigenständigen Weg gehen die aus Nordamerika emergierenden feministischen Theologinnen der Befreiung mit ihrer Kritik an Sexismus, Gewalt und Unterdrückung in Kirche und Gesellschaft und ihren Dekonstruktionen patriarchaler und maskuliner Gottesbilder, um einerseits den Tod des Vatergottes (M. Daly) zu proklamieren, aber andererseits auch verlorengegangene weibliche biblische Tradition (wieder) zu entdecken (E. Schüssler Fiorenza; R. Radford Ruether; C. J. M. Halkes u. a.) oder eine weibliche Göttinnen-Spiritualität zu erwecken (C. P. Christ), die zu einer gleichberechtigteren und differenzbewussteren und damit gerechteren Gesellschaft beitragen möchte. Mit ihren ideologiekritischen Interessen geht es den feministischen Theologinnen jenseits des Todes des Vatergottes um Reformulierungen von weiblichen und relationalen Gottesbildern („Godding“; I. Carter Heyward) und die Reform des Christentums und der Kirche. (7) Auch in der deutschsprachigen Theologie kommt es mit der Kontroverse um die Gott-ist-tot-Theologie zu Auseinandersetzungen mit dieser Denkfigur. Geprägt ist diese Zeit von der fortschreitenden Säkularisierung und einem kulturrevolutionären Umbruch der Gesellschaft, der durch die Studentenunruhen

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auch die Universitäten erfassten (7.1). Im Protestantismus findet durch die fundamentale Kritik am abendländischen Rationalismus und an der Metaphysik seit dem 19. Jahrhundert vermehrt die Einsicht Verbreitung, dass zwischen christlicher Theologie und Metaphysik ein unaufhebbarer Gegensatz bestehe. Mit der Ablehnung der Metaphysik verbunden ist die Kritik an der natürlichen Theologie. Diese Krise der Vernunft führt in der Theologie zur Ausarbeitung einer Offenbarungstheologie und in der Philosophie zu einer folgenreichen Dekonstruktion der Metaphysik. Während sich die Philosophie in weiten Teilen von der Gottesfrage verabschiedet hat, stehen für die Theologie nun diese Fragen im Zentrum des neuen, nachtheistischen Nachdenkens über Gott: Ist Gott transzendent oder immanent, unveränderlich und leidenslos oder werdend und leidend, Person oder Geist, durch Vernunft oder Offenbarung erkennbar? Ist das Motiv des Todes Gottes als Atheismus zu bekämpfen oder wiederzuentdeckender Kernbestand christlichen Glaubens? Wie verhält es sich mit einem christlichen Atheismus? Welche Rolle spielt das Motiv des Leidens Gottes in dieser Debatte? Wie weit trägt die Christozentrik? In den ‚langen‘ 1960er Jahren ist die deutschsprachige Theologie Schauplatz einer ganzen Reihe von Debatten um die Gottesfrage und Säkularisierung, die sich nicht zuletzt im Gefolge der Entwürfe von Karl Barth, Dietrich Bonhoeffer, Friedrich Gogarten und Rudolf Bultmann entzündet haben. Insbesondere die konsequente Christologisierung der Theologie mit der schroffen Ablehnung der natürlichen Theologie und der heftigen Verwerfung jeder theologischen Funktion des vernünftigen Gottesgedankens sollte sich folgenreich auf die Durchführung einer nachtheistischen Dogmatik in der evangelischen Theologie auswirken. Die Debatte kommt vor allem durch die Veröffentlichung des Buches Honest to God des anglikanischen Bischofs John A. T. Robinson in Gang (7.1.1). Sie ist eine Vorläuferdebatte der US-amerikanischen Gott-ist-tot-Theologie, die auch in der Bundesrepublik für reichlich Zündstoff in Gesellschaft, Kirche und Theologie sorgt. Der Sache nach hatte diese Debatte schon vorher in der deutschsprachigen Theologie insbesondere mit Herbert Brauns Radikalisierung von Bultmanns Existentialhermeneutik an Fahrt aufgenommen (7.1.2). Der Mainzer Neutestamentler zählt mit seinem Programm einer Entmythisierung des Gottesbegriffs selbst zu den Impulsgebern der US-amerikanischen Gott-ist-tot-Theologie. Deutschsprachige Theologen und Kirchenvertreter sehen in seiner Auflösung des gegenständlichen Heils und göttlichen Gegenübers in relationale Existentialbezüge das Ende der Theologie und ihre Auflösung in einen Humanismus gekommen. Für Braun dagegen ist der so entmythisierte Gott – um Gottes willen – in eine existenzialhermeneutische Haltung, „eine bestimmte Art der Mitmenschlichkeit“, aufgehoben. (7.2) Mit dem Zivilisationsbruch des Holocaust, der Shoah, ist unter den Augen von Gesellschaft und Kirche im nationalsozialistischen Deutschland mit dem organisierten millionenfachen Mord am jüdischen Volk etwas Unvergleichbares und noch nie Dagewesenes geschehen. Die mit dem Namen Theo-

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logie bzw. Christologie nach Auschwitz versehenen Versuche stellen einen eigenen christlichen und auch jüdischen Zugang zur Infragestellung des überlieferten Glaubens- und Gottesbegriffs dar. In den Blick genommen wird zuerst der theologische Entwurf von Dorothee Sölle (7.2.1) und dann von Jürgen Moltmann. Jede Zeile von Sölles Theologie sei von diesem unfassbaren Ereignis begleitet und auch von der Frage, welche Theologie hiernach überhaupt noch möglich sei. Ihre „Theologie nach dem ,Tode Gottes‘“ sucht eine christlich-moralische Begründung für eine Befreiung zur Verantwortung für diese Welt zu erarbeiten, in der der Christus, dem Stellvertreter des abwesenden Gottes, nachfolgende Mensch aufgerufen ist, das Leiden Gottes an der gottlosen Welt zu teilen und aktiv an sozialen Veränderungen zu arbeiten. Ihre Theologie der „Abwesenheit Gottes“ wird zur „politischen Theologie“. Moltmanns Theologie der Hoffnung wurde mit seiner eschatologischen Zukunftsorientierung als Gegenentwurf zur Gott-ist-tot-Theologie gelesen (7.2.2). In seiner Christologie Der gekreuzigte Gott steht die Frage des Kreuzestodes Jesu als trinitarische Gottesaussage und die Frage nach dem ohnmächtigen und leidenden Gott im Zentrum. Die Anfragen einer post-Holocaust-theology werden die Theologie weiterhin begleiten. Darauf und auf die veränderte Debattenlage und Desiderate macht der beschließende Teil dieses Abschnitts (7.2.3) aufmerksam. (7.3.) Den Tod Gottes als trinitarische Denkfigur bedenkt ungefähr zeitgleich neben Jürgen Moltmann auch Eberhard Jüngel. Beide wollen auf je eigene Weise das Eigentümliche des christlichen Gottesgedankens vor dem Hintergrund seiner neuzeitlichen Infragestellung und in Abgrenzung zur philosophischen Metaphysik herausstellen. Jüngel hat mehrfach dargelegt, dass die Rede vom Tode Gottes eine genuin christologische Bedeutung habe, die in die Theologie „heimgeholt“ werden müsse und für eine rechte Theologie unentbehrlich sei (7.3.1). Mit dem Entwurf einer kreuzestheologischen Trinitätslehre will Jüngel den Gekreuzigten als wahren Gott neu denken, denn in der Tradition sei die Bedeutung des Todes Jesu für den Gottesbegriff nicht herausgestellt worden. Falk Wagner, der Jüngel vorwirft, den Tod Gottes nicht zu Ende gedacht zu haben, sieht vor dem Hintergrund der Grundlagenkrise der Theologie und des Bewusstseins der Moderne – Gott ist tot – die Möglichkeit für das Christentum, im Tod der Gottheit des allmächtigen Gottes den Anfang der christlichen Religion zu sehen, um so seine „Revolutionierung des Gottesbegriffs“ geisttheoretisch und sozialethisch zu begreifen (7.3.2). Unabhängig von Wagners Deutung zeigt sich der Umgang mit der Denkfigur des Todes Gottes in der evangelischen Theologie in variantenreichen Vereindeutigkeitsbestrebungen als eine Tendenz zur Vereinnahmung des Motivs des Todes Gottes bei gleichzeitiger Abwehr atheistischer Anfragen und Banalisierung nihilistischer Erfahrungen im verbreiteten Konsens, den Tod Gottes als Tod des Sohnes und Tod des Todes zu verstehen (7.4). (Hauptteil B) An die vorgängigen religions-, literatur-, philosophie- und theologiegeschichtlichen Orientierungen knüpfen im zweiten Hauptteil Syste-

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matische Perspektiven und kritische Revisionen an. Der zunächst in der Literatur aufgeworfenen Frage (Kapitel 3 und 4), wie neu anzubietende Reflexionsräume einer radikalen Existenzialhermeneutik, die die Gott-ist-tot-Erfahrung als Lebensgefühl der Moderne ernstnimmt, aussehen könnten, geht dieses Kapitel (8) der auf Dauer gestellten Krise und Kritik der Theologie nach (8.1), stellt unter Rückbesinnung auf Heinrich Heine mit Paul Tillich und Falk Wagner heraus, dass Theologie bleibend auf intellektuelle Kritik angewiesen ist (8.2), und sieht in der radikalen Fraglichkeit das situationsangemessene existentialhermeneutische Verfahren (8.3). Die Fähigkeit, (selbst- und ideologie-) kritische Fragen zu stellen, wird als alternative Form christlicher Hermeneutik in ihrem Potential im Rückgriff auf die traditionelle Fragetradition als Einübung in eine sich neu orientierende Lebenswelt und Lebenssicht entfaltet. (9) Mit dem an die neuere Metaphernforschung angelehnten und im Anschluss an die vorangegangenen Analysen (Kapitel 5 bis 7) hier präsentierten Deutungsversuch des Todes Gottes als metaphorisches Ereignis wird das innovative Störpotential der Metapher „Gott ist todt!“ (9.1), ihre narrative Strategie mithilfe einer literaturwissenschaftlichen Interpretation des Ereignis-Begriffs (9.2) sowie ihre semantische Innovation ergründet (9.3). Die in der Deutung Nietzsches grundgelegte Offenheit soll hier an ihrem Ort zwischen Verlust und Befreiung in ihren Ambivalenzen und Irritationspotentialen ausgelotet werden (9.4). Dabei wird noch einmal das eigentümliche Profil des Gedankens des Todes Gottes herausgestellt, dessen (kultur-)hermeneutische und theologische Potentiale gerade nicht in einer präzisierenden Vereindeutigung und Vereinnahmung liegen, sondern in seiner Mehrdeutigkeit und Ideologiekritik. (10) Das im Lebensgefühl des Todes Gottes zum Ausdruck kommende Zurückgeworfensein des Menschen auf sich selbst in der Moderne wird in diesem Kapitel zum Anlass genommen, eine kritische Revision des Schöpfungsgedankens vorzunehmen. Denn die Metapher „Gott ist todt!“ stört nicht nur das bisherige Gottesverständnis auf, sondern auch das bisherige theologische Verständnis vom Menschen. Daher nötigt sie die Theologie zu einer kritischen Revision ihrer Vorstellung von der Geschöpflichkeit (Freiheit und Sünde) und Gottebenbildlichkeit (Bild und Bildung) des Menschen. Diesem modernen Lebensgefühl eines durch den Tod Gottes gesteigerten radikalen Endlichkeitsbewusstseins müssen Reflexionsräume angeboten werden, um diese Erfahrung existentiell zu bedenken und zur Sprache zu bringen. Als erhellende Kontrastfolie dient hier der mit der Grundlagenkrise der Theologie ebenfalls in die Krise geratene Schöpfungsgedanke, dessen posttheistischer Gehalt nach verbreiteter Ansicht in religiöser Endlichkeitsreflexion liegt (10.1). Durch die Dynamisierung des Begriffs der Endlichkeit wird versucht, der Komplexität des Lebens in der Moderne Rechnung zu tragen. Die mit dem Symbol der Geschöpflichkeit ausgesagte Endlichkeit, Unverfügbarkeit und Verletzlichkeit des Daseins verbindet so den religiösen mit dem säkularen Diskurs des Verlustes und stellt die bleibende anthropologische Bedeutung des eingebetteten

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In-der-Welt-Seins heraus, das sich in einer Ethik der Selbstsorge (vgl. 11.2) zeigt, die nicht absehen kann von einer umfassenden Welt-Sicht (10.2), wenn es ihr wirklich besonnen um die Bildung des Selbst geht. Mit Überlegungen im Anschluss an die Idee der Natalität von Hannah Arendt ist der abschiedlichen Existenz (vgl. 11.1 und 5.3.1[b]) gleichursprünglich ein ebenso rätsel- wie hoffnungsvolles Vermögen der Anfänglichkeit gegeben, mit dem die schöpferische Möglichkeit eines neuen Anfangs und der Ruf zur Sinnesänderung (metánoia) als Existenzial des Menschseins ebenso aufscheinen wie die bleibenden Gefährdungen der Freiheit und des menschlichen Zusammenlebens (10.3). Der Sinn des Schöpfungsgedankens findet sich in der Anfänglichkeit (ars incipiendi) und in der Abschiedlichkeit (ars discedendi) des menschlichen Daseins und ist damit zu-künftig und fragt: „tu, quis es?“ (11) Mit dem ethisch orientierten Kapitel Halt in Haltungen wird abschließend herausgestellt, dass der Tod Gottes als Lebensgefühl der Moderne gleichermaßen für einen Abschied und einen neuen Anfang steht. Endlich leben heißt: anfänglich und abschiedlich leben. Der zweite Aspekt eines transformierten Schöpfungsgedankens hängt mit der vorherrschenden philosophischen und religiösen Tradition der Mortalität und der ars moriendi zusammen, geht aber nicht in ihnen auf, sofern durch die Haltung der Abschiedlichkeit das Abschiednehmen in die alltäglichen Lebensvollzüge und damit in die Realisierungsform der Endlichkeit selbst eingebettet wird. Wie wesentlich die Haltung der Abschiedlichkeit ist, zeigt sich in drei Schritten: Zunächst in der Einzeichnung als Haltung der Besonnenheit in einen freizulegenden poetischen, philosophischen und religiösen Diskurs über den Abschied, der einen neuen Umgang des Menschen mit seiner neu erfahrenen Endlichkeit aufdeckt (11.1). Dieser Gedanke wird dann in der Transformation der Vorstellung von der Gottebenbildlichkeit des Menschen weitergeführt mit Blick auf das Existenzial und die Gabe der Bildung (11.2). Dabei geht es nicht um Bildungsinhalte, sondern um eine Haltung, die jedem Menschen zukommt und ernsthaftes Nachdenken sowie die Fähigkeit zur Selbstkritik und Ideologiekritik beinhaltet. Schließlich wird in diesen Anfängen einer Ethik der Selbstsorge versucht, die Fäden der systematischen Perspektiven und kritischen Revisionen zusammenzubinden (11.3). Wie in diesen Abschieden besonnen zu handeln und die alle Menschen verbindende Aufgabe, ein Selbst zu werden, zu denken ist, versucht eine Ethik der Selbstsorge in allen diesen Teilen zu ergründen, wenn sie zur Kultivierung des neuen, mit Ungewissheiten behafteten Lebensgefühls vorschlägt, Halt in Haltungen, ja mitunter angesichts des Standhaltens gegenüber dem Nihilismus „Halt im oder sogar am Haltlosen“ zu suchen und in der Maßgabe der Besonnenheit Lebensfülle zu erblicken.

12.2 Systematik der Deutungsmotivkreise der Tod-Gottes-Idee

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12.2 Systematik der Deutungsmotivkreise der Tod-Gottes-Idee 12.2 Systematik der Deutungsmotivkreise der Tod-Gottes-Idee

Abschließend wird eine Systematisierung der Idee des Todes Gottes in sieben Motivkreisen geboten.2 Innerhalb der skizzierten Kreise werden 27 Variationen des Motivs aufgezeigt, die die verschiedenen Verstehensmöglichkeiten der Tod-Gottes-Idee zeigen. Jede Motivvariation – „der Tod Gottes als ...“ – wird kurz erläutert. Verweise auf eine ausführliche Kontextualisierung und Thematisierung der Positionen in den Kapiteln dieses Buches finden sich am Ende der einzelnen Abschnitte. Der Intention der Studie entsprechend geht es um die Aufdeckung des Deutungsvariantenreichtums der Tod-Gottes-Idee. Diese fördert neben deutlichen Explikationen des Motivs auch implizite Andeutungen und Vorfassungen zutage. Allen Deutungsmustern gemeinsam ist das Ausfließen aus der Grundgestimmtheit der je gegenwärtigen Situation, die in Worte gefasst das Moment der existentiellen Krisenerfahrung ausdrückt und das Ende von etwas Vorangegangenem und die Erwartung von etwas Anderem, Neuem, anzeigt. Differenzen lassen sich in den Wegen dorthin und in ihren Intentionen ausmachen. 12.2.1 Die Herkunft der Tod-Gottes-Idee aus dem Gewand des Mythos Die drei unter diesem Typus subsumierten Motivkreise kennzeichnet der harte Kontrast zwischen Gott und Tod. Der Tod des jeweiligen Gottes behält allerdings nicht das letzte Wort, sondern ist Motor einer Tod und Leben umfassenden (mythischen) Deutung, mit der neues Leben ermöglicht werden soll. Die Deutung von Jesus Christus als gekreuzigter Gott nimmt mythische Motive auf, unterscheidet sich jedoch auch von den zyklischen Naturprozessen durch die Betonung der Einzigartigkeit des Ereignisses und variiert sie eigenständig in weiterführender Auseinandersetzung mit Mythos, Dichtung und Logos. 1.) Tod und Wiederkunft leidender, sterbender und auferstehender Götter Das Töten der Gottheit gilt in frühen Hochkulturen als erster Tod überhaupt. Durch Reinszenierung im Kult wird an das Sterben und Wiederauferstehen von Göttern im festlichen Begehen der Naturkreisläufe wiederkehrend erinnert. Das Mythologem sterbender Götter findet sich u. a. im Alten Ägypten, Alten 2 Auch in diesem Abschnitt wird auf Nachweise verzichtet. Diese und genauere Ausführungen finden sich in den jeweils bei den Motiven angezeigten Hinweisen auf Namen und Buchkapitel. Diese Systematik revidiert vor dem Hintergrund der Forschungserträge dieser Studie vorgängige Vorschläge für eine Typologie: Die Liste von zehn Typen bei W. HAMILTON/TH. J. J. ALTIZER 1966, x.xi; die Aufzählung von drei Versionen bei H. COX 1969a, 21–31, von vier Typen des theologischen Umgangs mit dem Abschied vom Theismus bei J. SPERNA WEILAND (1966) 1968, 151–155 (Sprechen oder Schweigen); die Ordnung in sechs Rubriken mit insgesamt zehn Interpretationsmöglichkeiten bei G. HASENHÜTTL 1980, 183.184 (vgl. auch G. HASENHÜTTL 2000).

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Orient und in der graeco-romanischen Welt der Spätantike sowie auch in altgermanischen Mythen. Es zeigt durch die Zeiten hindurch narrative Flexibilität, Variabilität und Deutungsoffenheit. Maßgebliches Motiv altorientalischen und (spät-)antiken Glaubens an sterbende Götter ist die Dualität von zwei (Partner-)Göttern (Ischtar und Tammuz, Anat und Baal, Astarte und Adonis, Kybele und Attis, Isis und Osiris, Demeter und Persephone). Die mit ihnen verbundene Überwindung des Todes in einem neuen Leben ist von unterschiedlichen Vorstellungen geprägt. Drei (durchlässige) Kategorien lassen sich ausmachen: Das Leben der Götter geht nur im regelmäßigen Wechsel mit dem Tod weiter. Es gibt aber auch Gottheiten, die infolge eines kosmischen Kampfes sterben oder deren Wohnort in der Unterwelt, dem Bereich der Toten, lokalisiert wird. Gemeinsam ist ihnen, dass sie in der Regel ihre Göttlichkeit behalten und mit dem Sterben und Tod nicht ihre Existenz verlieren. Diese Motivvariationen stehen im Kontrast zur griechisch-antiken Vorstellung der Unsterblichkeit der Götter und der biblischen vom lebendigen Gott und unterscheiden sich von der christlichen Auferweckungsvorstellung. (2; 2.1; 2.4) 2.) Tod des großen Pan In Plutarchs rätselhaftem Ausspruch „Der große Pan ist tot!“ begegnet mitten in einer tiefgreifenden religiösen Krise einer „sinnentleerten Epoche“ der griechisch-römischen Welt die Idee vom Tode Gottes. Doch auch dieses Symbol erweist sich, wie die Gestalt des Pan selbst, als narrativ flexibel und mehrdeutig. Es lassen sich drei traditionelle Deutungen der Sage zeigen, die sich über die Jahrhunderte herauskristallisiert haben: Der Tod des großen Pan wurde erstens gedeutet als Symbol für den Untergang der polytheistischen Vorstellungswelt der griechisch-römischen Antike, ihrer Riten, Mythen und des olympischen Pantheon; zweitens in der Alten Kirche mit Verweis auf den Kreuzestod Christi als Besiegelung des Untergangs des Heidentums (vgl. Pascal; Schelling), und drittens fungierte der große Pan als Bezeichnung historischer Persönlichkeiten und für den Absolutismus. Pans Tod kann viertens aber auch auf den möglichen Untergang des Christentums verweisen, auch auf den Abstieg Christi in das Totenreich der vergangenen Götter sowie auf den Tod des Deismus und die poetische Destruktion des traditionellen Gottesgedankens. Die politische Revolution müsse sich vom Heidentum wie vom Christentum lösen. Die politisch und religiös befreiten Menschen sind selbst göttlich. Pans Tod dient hier als Metapher für den Untergang des alten Regimes und ihrer religiösen und politischen absolutistischen Autoritäten. Verbunden mit der Vorstellung, Pan sei der Allgott, lässt sich eine fünfte Deutungsvariante ausmachen, die bei Heine das Ende der in der Goethezeit von einigen Gebildeten bevorzugten pantheistischen Gottesvorstellung markiert und als Tod des Pantheismus gedeutet werden kann. Der von Heine variabel verwendete Plutarch-

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Spruch findet sich auch bei Nietzsche als Präfiguration für seine spätere Rede vom Tode Gottes. Auch die Götter sind sterblich. (2.2; 4.2; 5.1.2) 3.) Tod Jesu Christi, des gekreuzigten Gottes Auch wenn die christologische Präzisierung mit dem Tod Jesus Christi, des Deus crucifixus, eine kirchenpolitisch motivierte reglementierte theologische Eindeutigkeit herstellen möchte, bleibt auch diese Motivvariation in sich flexibel und mehrdeutig. Die Verbindung des Namens Jesus mit dem Hoheitstitel Christus nimmt frühe Erfahrungen der besonderen Gottesnähe von Jesus von Nazareth und seiner Botschaft von der Gottesherrschaft auf, die auch zu einer Vergöttlichung der faszinierenden Erlösergestalt Jesus führten, ohne dass der Sohn Gottes als zweiter Gott verehrt wurde und man sich von einer monotheistischen Gottesvorstellung verabschiedet hätte; stattdessen präzisierte man nun den Monotheismus christologisch als „exklusiven Monotheismus in binitarischer Gestalt“ (U. Schnelle). Über die Sinndeutung des schmachvollen Kreuzestodes wurde jedoch keine Einigkeit erzielt, durch die Ostereignisse – Ostern wurde durch den Auferstehungsglauben zur Basisgeschichte der neuen, sich auf den Christus berufenden Bewegung – wurde das Faktum des Todes Jesus, des Messiasprätendenten, noch verschärft. Die Vorstellung eines auferstandenen Gekreuzigten war weder mit den geläufigen antiken noch mit philosophischen Gottesvorstellungen zu verbinden, wurde aber von Paulus zum maßgeblichen Bestandteil eines neuen Gottesbildes gemacht (theologia moriendi Christi), das mit dem Terminus der gekreuzigte Gott zusammengefasst werden kann, um so Leiden und Tod in ein soteriologisch ausgerichtetes und humanisiertes Gottesbild einfließen zu lassen, in dem Jesus Christus als das menschliche Antlitz Gottes, der „Spiegel des väterlichen Herzens“ (M. Luther), gesehen wurde. Der Patripassianismus bzw. Theopaschismus wurde jedoch bereits in der Alten Kirche zur Untermauerung der Leidensunfähigkeit Gottes zurückgewiesen. Erst im Hochmittelalter hat sich eine besondere Passionsfrömmigkeit entwickelt, von der auch Luthers theologia crucis (mit der Lehre von der Idiomenkommunikation) beeinflusst wurde und die unter neuem Vorzeichen als Kreuzestheologie im 20. Jahrhundert einige Resonanz als Symbol konfessioneller Prägnanz erlangt hat. Da der Tod am Kreuz nicht als sinnlos erscheinen sollte, wurde ihm eine Heilsbedeutung zugeschrieben, die wiederum zu einer unübersichtlichen Vielzahl von soteriologischen, christologischen und trinitarischen Deutungen, auch der paradoxen Spannung von Jesus Christus als vere Deus et vere homo, geführt hat, deren Dynamik auch die neuere Forschung nicht mehr zu vereinheitlichen sucht, sondern den Sprachgewinn der Pluralität der Deutungen und Vielfalt der Annäherungsweisen in der „Arbeit am Christus“ ernst nehmen will und gelten lässt. Auch wenn der hier angezeigte Deutungswandel des Kreuzes die Besonderheit des christlichen Gottesglaubens herauszustellen suchte, war das Ringen um den christlichen Got-

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tesbegriff eng mit dem Glauben an den persönlichen Gott des (Mono-)Theismus verbunden, der in der Moderne zu nachhaltigen philosophisch-theologischen Streitigkeiten über die Göttlichen Dinge, einer Destruktion der Gottesbeweise und schließlich einer umfassenden Kritik an der Gottesvorstellung geführt hat, die mittels der Gedanken, dass nur ein leidender Gott helfen könne oder gar, dass Gott tot sei, gedeutet werden. (2.3; 7) 12.2.2 Präfigurationen des modernen Tod-Gottes-Phänomens Die Vorahnungen eines Verlusts Gottes gehen einher mit einem neuen Verständnis einer Zentralstellung des Menschen im Kosmos und der Reflexion seiner Subjektivität. 4.) Schmerzliches Gefühl der Gottverlorenheit Das cartesische Zeitalter des methodischen Zweifels, der Aufwertung des Subjekts und der Ich-Reflexion führt bei Blaise Pascal zur hamartiologischen Analyse der conditio humana als Gottverlorenheit (dieu perdu), die Hegel aufnimmt für die Grundbefindlichkeit der Religion der neuen Zeit: „Gott selbst ist tot.“ Schmerz ist eine Grundempfindung in den literarischen Beschreibungen der „Zeitverwandlungen“ seit dem 19. Jahrhundert. Unter dem Vorzeichen von Zweitem Weltkrieg und Auschwitz bekommt Hegels Metapher vom „unendlichen Schmerz“ eine neue Dimension eingeschrieben (D. Sölle, J. Moltmann; J. B. Metz: memoria passionis). (3; 3.1; 4; 5.1.1; 7.2.1; 7.2.2; 7.3) 5.) Plausibilitätsverlust der Vorstellung eines extramundanen göttlichen Wesens Der Vorgang der Substitution Gottes durch die Natur, des Verlustes der Vorstellung eines extramundanen und personal vorgestellten göttlichen Wesens, das mit übernatürlicher Kausalität in der Welt wirkt, korreliert mit dem Wandel hin zu einem enttheologisierten Geschichtsdenken. Mit der Destruktion der vorneuzeitlichen Metaphysik, ihrer drei klassischen Gottesbeweise und der rationalen Theologie, Kosmologie und Psychologie vollzieht Kant eine Wende zur Transzendentalphilosophie. Gott wird zu einer singulären Idee der (praktischen) Vernunft reduziert. Die transzendentalkritische Wende zum Subjekt kann Gott zwar als Begriff denken (J. G. Fichte), aber mit einer „göttlichen Weltregierung“ keine Erfahrung, Anschauung oder Personalität verbinden. Die Unerfahrbarkeit des theistischen Gottes führt zur Rede vom Tod des Gottes des Christentums und seiner eschatologischen Geschichtsdeutung und Moralvorstellungen (F. Nietzsche) oder wird zur Basis einer ‚ehrlichen‘ Analyse des christlichen Gottesbildes (J. A. T. Robinson; H. Braun, D. Sölle; R. Bultmann u. a.), die auch zur These vom Tod des allmächtigen Schöpfergott als kausale

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Handlungsmacht führt (F. Wagner im Anschluss an J. G. Fichte). (3.2; 3.3; 5.1.2; 6.2.1; 7; 7.1; 7.1.1; 7.1.2) 6.) Verlust des existentiellen Sinns durch die Nichtexistenz Gottes Die existentielle Dramatik einer nihilistisch-sinnlosen Bewusstseinslage im Zeichen der großen politischen Revolutionen und der Folgen der Aufklärung als einer sich schließlich apokalyptisch selbst auflösenden Welt hat Jean Paul mit der Rede des toten Christus als Kontrafaktur der christlichen Heilsbotschaft noch literarisch-fiktional als Alptraum verfasst. Was in den philosophischtheologischen Streitsachen um die Göttlichen Dinge ausgetragen wurde, nimmt in der Form eines Visionsberichts als Ausdruck des nihilistischen Zeitgefühls literarische Gestalt an, wenn mit den Mitteln der Vernunft nachgewiesen wird, dass es Gott nicht gibt und nicht geben kann. Die Position des klassischen Atheismus schillert durch: Es gibt keinen Gott, und es hat ihn nie gegeben. Jean Pauls Inszenierung des Nihilismus und Atheismus erscheint als fiktives Vorspiel zum 20. Jahrhundert, in dem die Vision der sinnlosen und leidenden Welt Realität wurde und die Welt in Trümmern lag, der Atheismus sich massenhaft verbreitete, der empiristische und positivistische Geist wissenschaftlicher Weltauffassung (praecisio mundi) sich allein auf Erfahrungserkenntnis des unmittelbar Gegebenen beruft und „Scheinprobleme der Metaphysik“ hinter sich lässt, da er „den metaphysischen und theologischen Schutt der Jahrtausende aus dem Weg zu räumen“ gedenkt. Mit Gott ist auch die bisherige Moral und Sinnstiftung weggefallen. (1.4.2; 4; 4.1; 4.4; 4.5; 5.2; 5.3; 6.2; 7.2) 7.) Ausdruck eines krisenhaften Erfahrungswandels Die revolutionären Umbrüche in Politik, Gesellschaft und Industrie im 19. Jahrhundert und die Katastrophenerfahrungen der beiden Weltkriege im 20. Jahrhundert spiegeln sich auch in der Philosophie und in den Literaturen Europas und der Vereinigten Staaten von Amerika auf je spezifische Weise wider. Inmitten einer „zerrissenen Moderne“ sucht Hegels „zeitgemäße“ philosophische Theologie unter Rückgriff auf das Grundgefühl der Religion der neuen Zeit „Gott selbst ist todt“ den kultischen Kern aller Religionen auf ihren christlichen Begriff zur Wiederherstellung der Integrität eines versöhnten Zusammenlebens zu bringen. Modernität wird bei Heine mit schmerzhaften Verlusterfahrungen unter variantenreichem Rückgriff auf den Tod des großen Pan (12.2.1 [2.]) und des sterbenden Gottes und aller seiner „Ismen“ als „großer Weltriß“ und große Zeitverwandlung beschrieben. Der Tod Gottes wird in der Folge zur Deutungskategorie für die Nichterfahrbarkeit Gottes und den säkularen Epochenumbruch in der europäischen Moderne. Melville macht sich in seinem Romanepos Moby-Dick im Schatten weitreichender Umbrüche auf die Suche nach einem dritten Weg zwischen Glaubensverlust und Hoffnung und erschafft mit Ahab den „tollen Menschen“ Amerikas, der mit dem Weißen Wal

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den calvinistischen Gott der Vorsehung töten will. Der Gott Pan feiert als friedliches Meer (Mare Pacificum) Wiederauferstehung als Leben schaffendes Prinzip (anima mundi). (1.4; 2.2; 3.; 3.5; 4; 4.2; 4.3; 4.4; 5.1.1; 6.2.1) 12.2.3 Zeitdiagnostische Konkretionen des modernen Tod-Gottes-Phänomens Die Konkretionen schließen an die Präfigurationen und Vorahnungen an und verbinden das Gefühl der Krise mit greifbaren zeitdiagnostischen Deutungen des Erscheinens von etwas Anderem, Neuem. Das moderne Tod-Gottes-Phänomen wird zu einem Motiv für den Untergang der alten Zeit und zum Symbol für Neues, für das vom Alten losgelöste (säkulare) Moderne. Mit Nietzsches „Umwertung aller Werte“ kommt eine verbindliche Werte-Ethik an ihr Ende. Einen Bedeutungswandel erfährt das Phänomen durch die Erfahrungen des 20. Jahrhunderts, durch die es zu einem zeitgeschichtlichen Symbol für die Gräuel der Weltkriege und Völkermorde wird. 8.) Anbruch einer neuen (säkularen) Zeit und Kultur; Sinnvakuum und Grundlagenkrise Hegel begreift seine Zeit als „eine Zeit der Geburt und des Übergangs zu einer neuen Periode“, nimmt die Erosion der überlieferten frühbürgerlichen sozialen Bindungskräfte aufgrund der politischen, industriegesellschaftlichen und kapitalistischen Umwälzungen wahr, sieht im Gefühl vom Tode Gottes die Erfahrung des Abgrunds, die alle rationale und moralische Metaphysik hinter sich gelassen hat, und will die überlieferte Gestalt der christlichen Religion in eine neue philosophische Gestalt überführen. Heine sieht im Pantheismus der Goethezeit und in der Revolution eine Vision für eine neue Offenbarung, die aber enttäuscht wird. Für Nietzsche bricht mit dem Tod des christlichen, moralischen und platonischen Gottes eine neue „Morgenröthe“ an, die alles umwertet. Mit der Entwertung aller obersten Werte geht der Verlust der Möglichkeit allgemein verpflichtender Werte einher. Weite Verbreitung findet die inzwischen umstrittene Säkularisierungsthese, nach der zwischen der fortschreitenden Modernisierung der Gesellschaft und dem sich weiter ausbreitenden säkularen Bewusstsein der Bevölkerung ein enger Zusammenhang besteht, der zu einer Auflösung der Religion führe („entzaubertes“ Weltbild; Religionsausübung als Privatsache; Schwinden von kommunikativen Kontingenzbewältigungspraxen mit jenseitigen oder kosmischen Mächten). Die Überzeugungskraft traditioneller (christlicher) Sinnpotentiale schwindet. Der Begriff des Todes Gottes als „halb poetisches und halb prophetisches Symbol“ (P. Tillich) ist zum umfassenden Symbol für das Sinnvakuum für viele Menschen unserer säkularisierten Gesellschaft und zu einem soziologischen Faktum geworden (H. Ott). Die Idee vom Tode Gottes als „Wesen der säkularen Kultur“ (W. Pannenberg) wird zu einer Deutungskategorie, die nicht nur den theologischen und mythologischen sowie den theologischen und meta-

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physischen, sondern auch den säkularen und religiösen Diskurs im nachchristlichen Zeitalter miteinander verschränkt. An die säkularen und religiösen Zeitdiagnosen schließen Deutungen in Literatur, Kunst, Philosophie und Theologie in kulturkritischer (G. Vahanian: „Kultur ohne Gott“), existenzialhermeneutischer (R. Bultmann: „kulturelles und geistesgeschichtliches Phänomen“), sprachanalytischer (P. v. Buren: Das Wort „Gott“ ist tot), geschichtstheologischer (Th. J. J. Altizer; R. L. Rubenstein) oder jesuanisch-ethischer (H. Braun; W. Hamilton; D. Sölle) Richtung variantenreich an. Man spricht von der „Gott los gewordenen Zeit“ (H.-J. Höhn), verwendet für die Folgen der Erfahrung der fortschreitenden Säkularisierung Deutungsbegriffe wie „Gottlosigkeit als selbstverständliche Signatur zahlreicher Zeitgenossen“ (K. Stock), „Beseitigung jedweder Art von Transzendenz“ (U. Barth), religiöser Indifferentismus, der leichtfertig das Reden von Gott vergessen hat – „metaphysische Indifferenz“ (Th. W. Adorno), „atmosphärischer Atheismus“ (H. Gollwitzer), „Bedeutungslosigkeit“, „Vergleichgültigung“ oder „Gottesverdunstung“ (W. H. Ritter; N. Mette) – und „Gottesferne“ (H. Rosenau); der Tod Gottes wird als „säkulares Wirklichkeitsverständnis“ (W. Pannenberg), „Grundzug unseres Zeitalters“ (W. Weischedel) oder als „Bewusstsein der Funktionslosigkeit Gottes“ (F. Wagner; A. Seigfried) gedeutet. Auch der Beitrag von Predigt, Kirche und Theologie zur Erfahrung des Todes Gottes wird in den Blick genommen. Gott wurde hierin totgeredet (E. Jüngel) und zu Tode geglaubt (H.-J. Höhn). „Plausibilitätsverlust“, „Glaubwürdigkeitskrise“ und „Relevanzverlust“ von kirchlicher Gottesrede halten an (M. Kroeger u. a.). Der Tod Gottes wird schließlich auch als Signalwort und Metapher für die „Grundlagenkrise“ der Theologie verstanden (H. Döring; F. Wagner). (1[2.3.4]; 2.3[3]; 4.2; 4.4; 5; 5.1; 5.1.1; 5.1.2; 5.2; 5.2.1; 5.2.2; 5.3.1; 5.3.2; 6; 6.1; 6.2; 6.3.1; 7; 7.1) 9.) Ereignis der modernen Geschichte (Neuzeit) Der Tod Gottes wird zur Geschichtsdeutung herangezogen und im „langen 19. Jahrhundert“ zwischen der Zeit der Französischen Revolution und dem Zweiten Weltkrieg datiert (W. Hamilton; Th. J. J. Altizer). Er wird, wenn man ihn nicht mit der Kenosis oder der Finsternis nach dem Kreuzestod Christi gleichsetzt (Th. J. J. Altizer), als „jenes alles bestimmende Ereignis“ gedeutet, das sich innerhalb der letzten zweihundert Jahre europäischer Geschichte zugetragen hat: seit der westeuropäischen Aufklärung und der Religionskritik L. Feuerbachs und S. Freuds, die die Selbstverständlichkeit Gottes für die ganze Welt zerstört haben. Als geschichtliches Ereignis lässt es sich nicht trennen von „Schicksal und Handeln, Schuld und Chance, Versagung und Entsagung“ (D. Sölle). Fast ein halbes Jahrhundert vor Nietzsches Proklamation des Todes Gottes sieht A. de Tocqueville die amerikanische Demokratie als politischen Ausdruck des Todes Gottes (so J. W. Robbins). Die Übernahme der Herrschaft durch das Volk ist nicht nur das Ende der göttlichen Rechte der Könige, son-

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dern bedeutet auch den Tod eines Gottes, der als überweltliche Autorität verstanden wurde, die über die irdischen menschlichen Angelegenheiten herrscht. Der Anbruch einer „neuen Zeit“ ist damit besiegelt. (1.4; 5.1; 5.1.1; 5.1.2; 6; 6.1; 6.2; 6.2.1; 6.2.2; 6.2.4; 7.1.1; 7.2.1) 10.) Symbol für das „Jahrhundert der Extreme“ Die Erfahrungen der unvorstellbaren Grausamkeiten der Weltkriege und des millionenfachen Mords im Holocaust im „Jahrhundert der Extreme“ stellten das Motiv des Todes Gottes in einen nie zuvor dagewesenen Kontext. Eine Theologie nach Auschwitz fragte anfangs mit Blick auf die Opfer, wie man vor diesem Hintergrund noch von der Allmacht Gottes reden könne. In das Spektrum der Deutungen gehören auch Varianten der Infragestellung des bisherigen Gottesbegriffs und der Rückgriff auf die Rede vom Schweigen Gottes, von der Abwesenheit Gottes, der Verborgenheit Gottes, vom Leiden Gottes, von der Kenose (H. Jonas; R. L. Rubenstein; D. Sölle; J. Moltmann; J. B. Metz; Th. J. J. Altizer; P. v. Buren) sowie die Rede von der „Gottesfinsternis“ (M. Buber). Vor dem Hintergrund der Leidens- und Katastrophengeschichte dieser Zeit ist die „Signatur der Zeit“ die „Gotteskrise“ (J. B. Metz) im Sinne einer umfassenden Menschheitskrise, aus der das provozierende leidsensible Gottesgedächtnis (memoria passionis) und die anamnetische Vernunft den Menschen zu retten vermögen. (1.1[3.]; 2.3[3]; 4.4; 6.1; 6.2; 6.3.2; 7.2; 7.2.1; 7.2.2; 7.2.3) 12.2.4 Strategien zur Überwindung des Tod-Gottes-Phänomens Mit dem Plausibilitätsverlust überkommener Gottesvorstellungen gehen variantenreiche nachtheistische Neusetzungen und Neudefinitionen Gottes nach dem Tod des alten Gottes einher, von einer Religion ohne Gott bis zur Christologisierung des Gottesgedankens, vom Erwarten eines neuen Gottes oder dem Tod des patriarchalen Vatergottes bis zur bleibenden Fragwürdigkeit Gottes oder der Resakralisierung ehrfürchtigen gottoffenen Staunens. 11.) Religion ohne Gott Auf den Plausibilitätsverlust des traditionellen Gottesgedankens durch Kants Destruktion der Metaphysik, den Entwurf einer Moraltheologie und das Selbstverständnis der Aufklärung als Aufklärung über Religion reagiert F. Schleiermacher mit einer Neuformulierung des Religionsbegriffs, in den der Gottesgedanke als eine Anschauungsform unter vielen möglichen Anschauungsformen eingeordnet wird. Religion wird zum „Organisationszentrum“ neuzeitlicher Theologie. Gott wird im Selbstbewusstsein der Moderne verankert bzw. in diesem aufgelöst, und die autonome Subjektivität wird unterstrichen. Neben der Relativierung des Gottesgedankens steht auch die Entwicklung zur konsequenten Ausblendung seiner theistischen Fassung (H. Braun; darauf zielen

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auch Konzepte wie „atheistisch an Gott glauben“ [D. Sölle], die sich allerdings christologisch auf einen nicht-theistischen Gott beziehen und nicht auf gar keinen Gott), wenn Religion z. B. bei R. Dworkin als etwas „Tieferes als Gott“ verstanden wird oder ein „Glaube ohne Gott“ (W. Hamilton), auch verstanden als „Mitmenschlichkeit“ (H. Braun) oder als freie und soziale Anerkennungsverhältnisse (F. Wagner), als zukunftsweisend erscheint. (1.1; 1.4.1[4]; 3.4; 3.5; 6.3.1; 6.3.3; 7.1.2; 7.3.2) 12.) Auflösung in den Christusglauben In der präzisierenden Auflösung des objektiven metaphysischen Gottesgedankens („Sein Gottes“) in den subjektiven Christusglauben („ein Sein Gottes in ihm“) als nachtheistische Strategie der Rede von Gott wird das Gefühl der Gottverlorenheit in den subjektiven Christusglauben aufgelöst, um den theologischen Preis, dass der Gottesgedanke im Selbstbewusstsein ,verschwindet‘ und vom Sein Gottes nur als Sein Gottes in Christo gesprochen werden kann, das sich aber wiederum mehrdeutig zeigt. Zu dieser Deutung gehören in der Folge auch Variationen der Rede von der Schwäche, Ohnmacht, dem Leiden oder der Kenosis Gottes: „Nur ein kenotischer Gott kann uns retten“ (G. Vattimo; J. Caputo; Th. J. J. Altizer; R. R. Ruether). (1.3; 3.1; 3.4; 3.5; 6.2.2; 6.3; 6.3.2; 7.1; 7.1.1; 7.2; 7.3.1) 13.) Anstoß zur radikalen Neuformulierung von Gottes Transzendenz Kierkegaard startet den Versuch, über ein neues Selbstverhältnis zur Existenz Gottes Transzendenz radikal neu zu denken. Die dialektische Spannung des „unendlich qualitativen Unterschieds“ zwischen Gott und Mensch betont die Unmöglichkeit menschlicher Gotteserkenntnis qua Natur und damit die Angewiesenheit auf Gottes Offenbarung. Die in der Zeit des Ersten Weltkriegs von Rudolf Otto entwickelte Formel von Gott als das bzw. der „ganz Andere“, die von K. Barth, R. Bultmann (Gott als die „alles bestimmende Wirklichkeit“) und auch M. Heidegger variiert und akzentuiert wird, soll bei Barth die Souveränität und jenseitige Gottheit Gottes, das Ende jeder menschlichen Vorstellungen von Gott betonen (Deus dixit) und jegliche natürliche und liberale Theologie des 19. Jahrhunderts zurückweisen. So führt diese Überwindungsstrategie zur Verschärfung der Kluft zwischen Gott und der diesseitigen Welt, während Otto die Begegnung mit dem Heiligen, dem mysterium fascinosum et tremendum, jenseits des rationalen Theismus betont. (1.1[2]; 1.3.5[1]; 5.2.2.b) 14.) Zukünftige Erwartung (eines neuen) Gottes Unter dieser Rubrik lassen sich Heideggers Deutung des Todes Gottes als Ende und damit auch Teil der Metaphysik und seine eschatische Hoffnung (mit Hölderlin) auf einen letzten Gott der Poeten („Nur noch ein Gott kann uns

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retten!“) als Verwindung von Nihilismus und Metaphysik ebenso subsumieren wie die Überwindungsstrategien von Weischedels offenem Atheismus einer skeptischen Philosophie, die Gott als das Vonwoher als Frage offenhält, und Jankes nachmetaphysischer Widerruf des Todes Gottes in der postnihilistischen Restitution gottoffenen Staunens und der Resakralisierung von Ehrfurcht, Vertrauen und Liebe. Diese Deutung eines Gottes der Poeten erfährt im Lichte radikaler Diesseitssorientierung als nostalgische Leugnung des Ernstes des Todes Gottes jedoch vehemente Ablehnung (A. Badiou). Auch die theologischen Programme, Gott als Macht der Zukunft zu verstehen, gehören in diese Rubrik der Situation des Advent und der zukünftigen Erwartung Gottes (J. Moltmann, W. Pannenberg, E. Jüngel, J. Sperna Weiland u. a.), wie auch die einer radikalen Neuformulierung der Idee Gottes mithilfe von neuen Termini einer religiösen Symbolsprache („Gott über Gott“, „Sein-Selbst“; P. Tillich) oder auch solche Typen, die den Tod Gottes als Metapher für das Erscheinen einer „tanzendenden Theologie jenseits von Theologie“ deuten (H. Cox; Ch. Jung) oder sich ein neues „Vielleicht“ Gottes ironisch offenhalten (J. D. Caputo). (1.3.1; 1.3.3; 1.3.5; 5.2.2.b; 5.3; 5.4; 6.1; 6.3.2; 7.2.2; 7.3.1) 15.) Feministische Dekonstruktion patriarchaler und maskuliner Gottesbilder Die Revolte gegen den allmächtigen Vatergott (Patrem omnipotentem) nahm in den USA in den späten 1960er Jahren ihren Ausgang und erreichte in den 1980er Jahren auch in Westdeutschland ihren Höhepunkt. In der entstehenden Feministischen Befreiungstheologie wird (z. T. im Anschluss an S. Freud, F. Nietzsche und/oder [dekonstruktivistische] Feminismus- und Gender-Theorien) der Tod des theistischen Gottes als Tod Gottes des Vaters gedeutet (M. Daly; D. Sölle u. a.), um nach dem Tod des Vatergottes neue relationale Gottesund Göttinnenbilder zu ermöglichen (C. P. Christ; I. Carter Heyward u. a.), als Vorbedingung der Emergenz einer spezifischen weiblichen Identität, um durch Zurückweisung der traditionellen maskulinen und patriarchalen Bilder Gottes und ihrer Unfähigkeit, das Transzendente zu repräsentieren, die existentielle Entfremdung von Gott und der Natur aufzudecken und den Variantenreichtum von Metaphern und Modellen von Gott und der Beziehung zwischen Göttlichem und Menschlichem zu entdecken (S. McFague). In diesem Zuge wird auch die Männlichkeit Jesu (de-)konstruktiv diskutiert: „Kann ein männlicher Erlöser Frauen erlösen?“ (R. Radford-Ruether u. a.). Die Dekonstruktion des Todes Gottes wird auch verwendet, um autoritäre (patriarchale) Strukturen in Kirche und Gesellschaft zu bekämpfen, die Hierarchien zwischen Mann und Frau, Vater und Kindern zu überwinden, atheistisch zu glauben (D. Sölle) und ein neues christliches Gerechtigkeitsbewusstsein zu realisieren. (6; 6.1; 6.2; 6.2.1; 6.3.4; 6.3.5; 7.2.1)

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16.) Wiederkehr Gottes durch Erinnerungsstiftung ans Verlorene Mit der Passion und der Selbstaufgabe Gottes in seinem Tod ist eine neue Qualität der Anamnesis verbunden. Nietzsches toller Mensch kommt zu spät, Todesursache Gottes ist Jesu Passion und Kreuzestod. Durch die durch das Leiden am Tod Gottes initiierte Erinnerung an das Gewesene wird seine volle Realität erreicht. Das Wiedererscheinen Gottes in der Passion im Horizont der Neuzeit gilt auch für den nachchristlichen Hörer der Matthäuspassion J. S. Bachs, der dadurch Teil der Geschichte des Evangeliums werde. Dem musikalisch-ästhetischen Werk und dem Mythos eignet gegenüber der traditionellen dogmatischen Gotteslehre eine „theologische Großzügigkeit, die Fragen im Blick auf das Konkurrenzverhältnis zwischen Gott und Mensch ermöglicht, die über die Dogmatik hinausweisen.“ (H. Blumenberg; daran anschließend Ph. Stoellger; M. Moxter). (1.3.2) 12.2.5 Strategien zur Bekämpfung der Tod-Gottes-Idee Strategien der Integration der Tod-Gottes-Idee (vgl. 12.2.6) suchen nach Wegen der Vereinnahmung des Tod-Gottes-Gedankens für die eigene Konzeption. Dagegen sind Strategien zur Bekämpfung der Tod-Gottes-Idee häufig mit einem scharfen Widerspruch gegen alternative Deutungen verbunden und erheben einen exklusiven Deutungsanspruch. Deswegen werden diese hier zunächst eigens verhandelt. Ihnen liegt zum einen an der bleibenden Unschärfe eines Sammelbegriffs, mit dem die jüngere positive Rezeption des Motivs „Gott ist tot“ zu fassen gesucht wird, und zum anderen an der radikalen Abwertung der Anliegen der neuen Gott-ist-tot-Bewegung, nicht zuletzt um mittels Brandmarkungen und Banalisierungen die eigene Position profilierend herauszustellen. 17.) Etablierung eines Kampfbegriffs Aufgezählt handelt es sich um folgende Reihe unscharfer Begriffsbildungen, die vor allem Fremdzuschreibungen für die neue Bewegung sind, mitunter bis heute als „Kampfbegriff [...] für theologische Gegner aller Art“ dienen und „Zerrbilder einer [...] nicht genehmen Theologie“ pflegen (D. Mourkojannis), um das „Denkverbot, Gottes Tod zu denken“ (Ch. Morgenthaler), zu untermauern3: Gott-ist-tot-Theologie (J. Bishop; D. Ritschl; A. Seigfried u. a.), Gott ist tot-Theologie (G. Hasenhüttl u. a.), sog. Gott-ist-tot-Theologie (T. Kleffmann u. a.), die neue Gott-ist-tot-Theologie (G. Hasenhüttl), Gott-ist-tot-Theologie (S. M. Daecke), Gott-Ist-Tot-Theologie (A. Gasser; F. Wagner), Gott-ist-

3 Hier werden exemplarisch Namen in Klammern hinter dem Begriff angeführt, bei denen sich die Begriffe nachweisen lassen. Über die Darstellungen in Abschnitt 1.3, Kapitel 6 und 7 sowie über das Literaturverzeichnis sind die Nachweise zu entschlüsseln.

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12 Zusammenfassung und typologische Systematisierung der Tod-Gottes-Idee

tot-„Theologie“ (W. Pannenberg), Tod-Gottes-Theologie (F. Buri; R. L. Rubenstein; H.-M. Barth), Gottestod-Theologie (F. Buri), Gottes-Tod-Theologie (F. Buri), Theologie nach dem Tode Gottes (F. Buri), sog. Theologie des Todes Gottes (W. Pannenberg), radikale Theologie des Todes Gottes (H. Zahrnt), Tod-Gottes-Idee (H. Thielicke), Tod-Gottes-Rede (A. Seigfried), Evangelium vom Tode Gottes (S. M. Daecke), God Is Dead Theology (R. Hjelm), Deathof-God-Theology, Death-of-God theology (W. Hamilton), The death of God theologies (W. Hamilton), Death-of-God Theologies (V.-M. Kärkkäinen), Theology of the Death of God (Th. J. J. Altizer), God is Dead movement (J. T. Elson), God Is Dead Debate (J. Cogley), ‚God is dead‘ Doctrine (E. B. Fiske), Death of God Movement (J. J. Carey), death-of-God phenomenon (G. Dorrien). Als Selbstbeschreibungen für die eigenen Suchbewegungen während der Gottist-tot-Kontroverse (vgl. Deutungsvariante 26) fungierten dagegen Radikale Theologie bzw. radical theology (W. Hamilton, Th. J. J. Altizer; J. W. Robbins, C. D. Rodkey/J. E. Miller), Gospel of Christian Atheism (Th. J. J. Altizer), neue Theologie (Altizer; M. C. Taylor) oder Theologie nach dem „Tode Gottes“ (D. Sölle). (1.3; 6; 6.1; 6.2; 7; 7.1; 7.1.1; 7.1.2; 7.2.1) 18.) Pejorative Behauptung Mit diesen tendenziös behafteten Sammelbegriffsbestimmungsversuchen gehen von Beginn der neueren Gott-ist-tot-Kontroverse an pejorative Deutungsvarianten aus der etablierten Theologie einher, die mit einer Unterstellungshermeneutik und Feindbildern arbeiten. Zwar sei die Gott-Ist-Tot-Theologie „ein immerwiederkehrendes Anliegen“ (A. Gasser), aber im Grunde sei sie ein „Symptom“, das auf vorübergehende Missstände hinweise (Säkularisierung, neuzeitlicher Anthropozentrismus usw.), die zu überwinden seien (L. J. Finnegan), zumal sie auf ein „gestörtes Verhältnis zu Gott und Welt“ (A. Gasser) hinweise. Daher werde diese Theologie, wie früh kritisch angemerkt worden ist (vgl. den Hinweis von W. Härle), eher tot sein als ihr totgesagter Gegenstand und als theologischer Widerspruch in sich selbst entlarvt: „Gott kann nicht sterben“ (H. Zahrnt). So sei die Rede vom Tod Gottes ein „spezifisch modernes Phänomen“ (H. Ott), ein „Slogan“ (K. Hamilton; H. Thielicke), eine „stupid idea“ (R. Niebuhr), eine „blasse Reflexion“ (R. Hjelm), eine „,Gott-isttot‘-Krankheit“ (H. Cox), ein „heiß umkämpfte[s] Diskussionsthema“ (H. Thielicke), ein „absurder Begriff“ (H. Thielicke), eine „journalistische Masche“ (H. Thielicke), ein „Verblüffungstrick“ (H. Thielicke), eine „Falschmeldung“ (S. M. Daecke), ein „Mythos“ (S. M. Daecke), ein „Gerücht“ (H. Zahrnt), eine „Mode“ (E. Jüngel), „Modeformel“ (H.-G. Fritzsche), „ModeTorheit“ (F. Wagner), „Welle“ und „Modeerscheinung“ (K. Rohmann), „theologische Tragödie“ (H.-O. Wölber), „sprachliche Missgeburt einer atheistischen Theologie“ (I. Lønning), ein „dunkles Wort“ (E. Jüngel), der „Ausdruck eines Karfreitags ohne Ostergewissheit“ (Ch. Link), ein „erschreckendes

12.2 Systematik der Deutungsmotivkreise der Tod-Gottes-Idee

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Wort“ (S. M. Daecke), „Schlagwort“ (W. Pannenberg; H. Ott), eine „plakative Rede“ (H. Fischer) mit „suggestiver Kraft“ (P. Lønning), die „teils mythische, teils poetische Formel, Gott ist tot“ habe „nur ideenpolitische Funktion[..., sie] solle[] pointieren“ und sei ein „Säkularismus“ (H.-O. Wölber), „eine Art Atheismus und theologischer Modernismus“ und daher „sinnlos“ und gefährlich“ für „unaufgeklärt Glaubende“ (T. Ivančič über die Einstellung der römischkatholischen Kirche), eine „extreme Form“ des „Schauspiel[s] einer ,Theologie‘, in der sich in der Eitelkeit ihrer Reflexion der Gegenstand selber verflüchtigt“ (W. Pannenberg), „Ausdruck einer Aporie“ (Ch. Link), „das Ende der Theologie“ (H.-O. Wölber), „die Auflösung der Theologie in Humanismus“ (H. Gollwitzer), die „Beseitigung jedweder Art von Transzendenz“ (U. Barth), oder sie meine nur den Tod des objektiven Gottes der Metaphysik und „die Passion als das ursprüngliche Scheitern des Theismusgottes“ (Ph. Stoellger). Die Gott-ist-tot-„Theologie“ „einer amerikanischen Theologengruppe“ (M. Honecker) erzeuge mit „intellektuell meist anspruchslosen Gags“ bloß „Nebel“ (W. Pannenberg), „vieles [werde sich] von selbst erledigen“ (H.-O. Wölber), die Gottestod-Theologie habe sich „totgelaufen“ (F. Buri), sei nach kurzer Zeit „gescheitert“ und „ein Stück Geschichte geworden“ (A. Seigfried), und es bleibe nur noch die Aufgabe, einen „Nachruf“ auf den Tod des Todes Gottes (H. Zahrnt) zu verfassen. (1.3; 6; 6.1; 6.2; 7; 7.1; 7.1.1; 7.1.2) 19.) Tod des Gottes der Onto-Theologie, Metaphysik und des Theismus Die Ablehnung eines theistischen, verobjektivierten Substanzgottes der Metaphysik, den keine Erfahrung mehr bezeugt, führt zur Deutung des Todes Gottes als Tod des Gottes des Theismus, des Gottes der Metaphysik, der Onto-Theologie (M. Heidegger), des Gottes der Philosophen, des Absoluten, zum Tod des metaphysischen und religiösen absoluten Subjekts. Die übersinnliche Welt des Platonismus ist ohne Wirkung und spendet kein Leben mehr. Die Transzendenz scheint beseitigt. Hiermit verbunden ist die verbreitete theologische Strategie der Zurückweisung der Behauptung, dass der Tod Gottes den lebendigen und personalen Gott des Christentums betreffe. Damit einher geht der Versuch eines nachtheistischen Redens von Gott, der aber nicht zu einem vollständigen Abschied von der Metaphysik führt. Die klassischen Axiome der Allmacht, Aseität, Apathie und Unveränderlichkeit werden überdacht (D. Sölle, E. Jüngel; J. Moltmann; Th. J. J. Altizer u. a. m.). Das Ende der Epoche des Theismus ist nicht gleichbedeutend mit dem Ende des christlichen Glaubens (H. Cox; J. Sperna Weiland, W. Hamilton; D. Sölle; C. Heyward u. a.), sondern man redet z. B. von einem „Gott über Gott“ (P. Tillich). Der Gottesgedanke muss jetzt aber neu gedeutet werden; z. B. nötigte „jene etwas pathetisch klingende ,Gott-ist-tot-Theologie‘“ dazu, „in der Theologie mit der Christologie zu beginnen“ (J. Moltmann; E. Jüngel) oder das befreiungstheologische Paradigma zu entfalten (D. Sölle; I. C. Heyward; J. B. Metz u. a.). Das Wort vom Tod

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12 Zusammenfassung und typologische Systematisierung der Tod-Gottes-Idee

Gottes kann andererseits auch zu einer vernünftigen Theologie führen, die Gottesgedanke, Metaphysik und Anthropologie neu verknüpft (W. Pannenberg) oder aber zu einem (atheistischen) Denken Gottes als „Ereignis“ (des Seins) im Anschluss an M. Heidegger (E. Jüngel, I. U. Dalferth, H. v. Sass; J. D. Caputo). (1.3; 2.3; 3.1; 3.2; 3.3; 5.2.2; 6.2.2; 6.3.2; 7.1.1; 7.2; 7.21; 7.2.2; 7.3.1) 12.2.6 Strategien zur Integration der Tod-Gottes-Idee Der Widerspruch des Atheismus und der Lebensweltdeutung mittels des Motivs Tod Gottes wird nicht als echter Anstoß von außen gefasst. Trotzdem wird der Impuls der Rede vom Tod Gottes aufgenommen, um die christliche Idee von Gott, auch mithilfe der orthodoxen Tradition, zu reformulieren und das Wort Gott neu zu bestimmen. Das führt meistens dazu, dass man meint, den Widerspruch überwinden zu können, indem man diesen mittels perfekter binnentheologisch ausgerichteter Aufhebungs-, Einverleibungs-, Vereindeutigungs- und Atheismusabwehrstrategien in die Theologie zu integrieren versucht, um sich der Anfragen auf diese Weise zu entledigen. Als ein verbreiteter Konsens in der evangelischen Theologie lässt sich dann ausmachen, dass der Tod Gottes als Tod des Sohnes gedeutet wird oder mit Luther als Tod des Todes. 20.) Jesu Christi Tod am Kreuz als Gottesgeschehen Die Entdeckung des Todes Gottes als ureigenstes Thema des christlichen Glaubens, als eine dem Glauben von jeher inhärente Erfahrung (H. Thielicke) und eine christologische Heimholung des Todes Gottes (E. Jüngel) mittels einer Theologie des Gekreuzigten bzw. Theologie des Kreuzes (M. Luther), die von der mittelalterlichen (Kreuzes-)Mystik geprägt ist, die die Idee des Todes Gottes kannte, und von der Passionsfrömmigkeit, verweist auf die „Not des Karfreitags“ (I. Lønning): „O grosse Noth! Gott selbst ligt todt | Am Creutz’ ist Er gestorben“ (J. Rist), für die auch Hegels Rezeption der dogmatischen Christologie in Anspruch genommen wird, die als „Frohbotschaft“ (I. Lønning) gedeutet, trinitarisch als Tod in Gott (J. Moltmann) interpretiert („Revolution im Gottesbegriff“ und „Negation des traditionellen Gottesbildes“) wird und den Tod des Sohnes als Tod Gottes versteht (E. Jüngel; G. Schneider u. a. m.), so dass mit der christologischen Qualifikation der Rede vom Tod Gottes auch der neuzeitliche Atheismus innerhalb der Theologie besser verstanden werden kann, als er sich selbst versteht (E. Jüngel). Diese Integration bleibt nicht ohne theologische Kritik, erntet den Vorwurf einer „erbaulichen Phrase“ (F. Wagner) und steht im Widerspruch zur „dogmatisch korrekten Ausdrucksweise“ der theologischen Tradition, nach der ,,der Sohn Gottes nach seiner angenommenen menschlichen Natur am Kreuz gestorben ist“ (W. Pannenberg). (1.3.4; 1.3.5; 2.3[5–9]; 5.1.1; 7.2.2; 7.3.1)

12.2 Systematik der Deutungsmotivkreise der Tod-Gottes-Idee

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21.) Leiden in Gott Unter dieser Rubrik lassen sich Motive des Zurückweichens vor der direkten Rede vom Tod Gottes fassen, die zwar als „Passion Gottes“ (K. Barth) aufscheinen, jedoch Leiden und Tod letztlich nur den Sohn Gottes als Mensch treffen lassen. Der Gedanke eines ohnmächtigen, schwachen und leidenden Gottes, der seit der altchristlichen Dogmatik (Patripassianismus/Theopaschitismus) als Häresie verurteilt wurde, avanciert als Kritik am Apathieaxiom nach den Weltkriegserfahrungen zu einem gewissermaßen orthodoxen Leitbegriff der Theologie des 20. Jahrhunderts, in dessen Horizont auch die Theodizeeproblematik eingezeichnet wird. Man beruft sich nach Auschwitz auf Bonhoeffers allmachtskritischen Satz „nur ein leidender Gott kann helfen“ (vgl. H. Jonas; D. Sölle u. a.) als einen Motor für die Integration dieses Motivs in die Christologie und Trinitätslehre („In Jesu Leiden leidet Gott“; J. Moltmann) oder in die politische Befreiungstheologie (D. Sölle; R. Radford Ruether; M. Daly u. a), in der das Kreuz Christi zum Symbol des Mitleidens wird. (1.3.4; 1.3.5; 2.3[4–9]; 6.3.5; 7.1; 7.2.1; 7.2.2; 7.2.3; 7.3.1) 22.) Tod des Todes Die Vorstellung von sterbenden und auferstehenden Göttern in der Religionsgeschichte widerspricht der Rede vom Tod Gottes nicht, sondern sein regelmäßiges Wiederauferstehen zeigt seine Siegermacht über den Tod. Der Tod Gottes ist kein Ereignis der neuzeitlichen Geistesgeschichte, sondern das Ereignis des Kreuzes Christi. Durch den Tod Gottes verändere sich im Verständnis des Glaubens nicht Gott, sondern der Tod. Gott wird „des Todes Tod“ (mors mortis) – dieser sei zugleich „ein Gottesname“. Die Identifikation Gottes mit dem Tod (im Anschluss an Luther bei G. Ebeling, E. Jüngel, D. Lange, T. Keffmann u. a.) schafft neues Leben. Hierin liegt der ursprünglich entscheidende Sinn des Todes Gottes. (1.3.4; 1.3.5; 5.1.1 7.2.2; 7.3.1) 12.2.7 Strategien des Aushaltens der Gott-ist-tot-Erfahrung Abgesehen von den religionskritischen Projektionstheorien (L. Feuerbach; S. Freud), dem extremen Atheismus jeglicher Ablehnung Gottes und der naturalistischen Weltanschauung, für die allesamt die Rede von Gott obsolet ist, und der Unzulänglichkeit jeder menschlichen Erkenntnis und Rede von Gott lassen sich Strategien des Aushaltens der Erfahrung des Todes Gottes ausmachen. Sie schließen an Hegel und Nietzsche an, greifen gegenwärtige Herausforderungen nachtheistisch, geisttheoretisch und sozialethisch auf oder suchen ethisch nach Halt in der Nachfolge Jesu oder im Haltlosen in der anhaltenden Krise des Existenzialismus angesichts nihilistischer Sinnlosigkeitserfahrungen.

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23.) Aufhebung Gottes in den Geist der Gemeinde Wie bei Heine und Nietzsche lassen sich auch bei Hegel einige Deutungsvarianten in der Verwendung des Motivs vom Tode Gottes unterscheiden. In den frühen Jenaer Schriften verwendet Hegel das Motiv für den Tod Gottes in den Mysterien, für die Zeitdiagnostik hat es Bedeutung (auf dem „Gefühl: Gott selbst ist todt“ beruhe die Religion der neuen Zeit) und für die Philosophie, in der der unendliche Schmerz, dem dieses Gefühl Ausdruck verleiht, als ein Moment der höchsten Idee begriffen wird. Es kann auch für den realen Verlust des griechisch-römischen Pantheon und des Endes der Naturreligion stehen. Hegel nimmt auch Bezüge auf die dogmatische Christologie, wenn mit dem Tod Gottes der Untergang des Gottes der griechischen Kunstreligion, der Tod des Gottmenschen als Entäußerung Christi in den Geist der Gemeinde oder der Tod der abstrakten Idee des absoluten Wesens und des ebenso abstrakten isolierten menschlichen Daseins gemeint ist. Und schließlich: Der Tod Gottes als Selbstentäußerung Gottes im täglichen Sterben und Leben der Gemeinde, das zur lebendigen Allgemeinheit des Geistes führt. Hegel, dessen Gotteslehre als Lehre von der Religion zu begreifen ist, denkt Gott als Geist. Konstituiert wird der Geist durch den Tod Christi als Tod Gottes, aber nur insofern, als er in seiner Gemeinde gegenwärtig ist, subjektiv angeeignet und so ausgehalten wird, „lebt, in ihr täglich stirbt und aufersteht.“ Religion ist Selbstbewusstsein des Geistes. Sie konkretisiert sich in dem zwiefältigen Geist-Verhältnis von Gottesgedanke und Gottesbewusstsein. In dessen Vollzügen ist die Bestimmtheit des Gottesgedankens präsent. Doch Religion ist in einem undogmatischen Sinn Menschwerdung Gottes, gipfelnd als Geist als dem durch Anerkennung des Mensch gewordenen Gottes sich überschreitenden Selbstbewusstsein, in dessen Dynamik eine gegenläufige Einheit von Göttlichem und Menschlichem, von Unendlichem und Endlichem liegt. (1.3.1; 5.1.1; 6.3.1; 6.3.5; 7.3.2) 24.) Tod der allmächtigen Gottheit (des Vater-)Gottes Diese Umformung zielt auf das „Kernsymbol des religiösen Gottesbewußtseins“, das radikal entsupranaturalisiert, entsubstantialisiert, entdogmatisiert, entmythisiert und depersonalisiert wird zu einem Reflexionsort eines Differenzbewusstseins von personalem Selbstsein und sozialem Anderssein. Für F. Wagner ist die Rede vom Tode Gottes allein dann konsequent gedacht, wenn der Tod Gottes wirklich den Tod der Gottheit Gottes meint. Gott muss konsequent als der gedacht werden, der sich als Mensch Jesus offenbart hat und als solcher Mensch geworden und gestorben ist. Die Rede vom Tode Gottes muss wirklich den Verlust Gottes meinen. Gott muss als christlicher, nicht metaphysischer Gott am Kreuz wirklich gestorben sein. Der in der Metapher der Auferstehung enthaltene Gedanke ist nicht der der Wiederkehr des allmächtigen Gottes der selbstbestimmenden Allmacht, sondern der der Neuformulierung Gottes (mit Hegel) als Geist der christlichen Gemeinde: Gott als Geist ist in

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seiner Gemeinde gegenwärtig. Das Bewusstsein der Moderne, Gott ist tot, öffnet der christlichen Theologie die Augen für die Besonderheit ihres eigenen Anfangs, der in der „Revolutionierung des Gottesgedankens“ liegt. Gott ist durch seinen Geist übergegangen (auferstanden) in den göttlichen Charakter der als Anerkennungsbotschaft interpretierten Botschaft Jesu, die soteriologisch entlastet und pneumatisch realisiert wird. Gott als Geist ist in seiner Gemeinde präsent, insofern der menschliche Selbst- und Weltumgang entsprechend der nicht erzwingbaren Logik freier Anerkennungsverhältnisse gestaltet wird. Das Ende der Allmacht Gottes, aber im Sinne einer Überwindungsstrategie (vgl. 12.2.4) des Bildes vom mächtigen Vatergott und asymmetrischer (patriarchaler) gesellschaftlicher Strukturen ist auch das Anliegen des befreiungstheologischen Paradigmas feministischer Theologien (D. Sölle; M. Daly; C. P. Christ; I. Carter Heyward; R. Radford Ruether u. a.; vgl. Typ 15). (1.3.4; 5.1.1; 6.3.5; 7.2.1; 7.3.2; 8.2; 10.1; 11.1) 25.) Jesuanisch-sozialethischer Handlungsauftrag Hierunter sind Deutungen versammelt, die konsequent ohne theistische (Allmachts-)Vorstellungen auskommen, auch keine Neudefinition alter Vorstellungen anstreben, sondern den Tod des theistischen Gottes als geschichtliche Lebenswirklichkeit nach den neuzeitlichen Revolutionen und nach Auschwitz radikal ernst nehmen, in der Jesustradition einen gegenwärtigen und rein immanenten gesellschaftspolitischen Handlungsimpuls entdecken, Christologie als Anthropologie betreiben und sich auch auf E. Barlachs Wendung von den „Wandlungen Gottes“ berufen (R. Bultmann; D. Sölle). In der Jesustradition wird mit Gott eine Haltung ausgedrückt, die zu einem Humanismus der Mitmenschlichkeit führt (H. Braun). Die leidsensible Wahrnehmung ungerechter (patriarchaler) Gesellschaftsstrukturen und das zeitlich begrenzte Auftreten Christi als Stellvertreter für den abwesenden Gott begründet die Nachfolge Christi in der Übernahme der Verantwortung für die Welt: Gott ereignet sich dort, wo der eine Mensch dem anderen Menschen hilft (D. Sölle). „Das FürAndere-Dasein Jesu“ als „Transzendenzerfahrung“ (D. Bonhoeffer) und die literarische Suche nach einem posthistorischen und postchristlichen Jesus sind Wegmarken für ein radikales Lern-, Lebens- und authentisches Handlungsmodell, das mit der unersetzbaren Leerstelle, die der Tod Gottes hinterlassen hat, schlicht und einfach leben muss (W. Hamilton). (6.2.1; 7.1.2; 7.2.1; 11.2) 26.) Radikale Kampfansage gegen Ideologien Das Symbol des Todes Gottes fungiert für eine neue radikale Theologie gegenwärtig nicht mehr als die Diagnostik des Glaubensverlusts der säkularen Gesellschaft der 1950er und 1960er Jahre, sondern in Zeiten der „Rückkehr der Religion“ als Aufruf, religiös-fundamentalistischen und gewaltbereiten fanatischen Ideologien, die sich in der US-amerikanischen Gesellschaft, in ihren

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Kirchen, in der Politik und im Militär ausgebreitet haben, ein Ende zu bereiten. Um diese große Gefahr für das gesellschaftliche Zusammenleben abzuwenden, ist ein „zweites Kommen des Todes Gottes“ mit dem Auftrag „Gottesmord“ (vgl. H. Melville) vonnöten: der nun selbst zum Mörder gewordene Gott muss nun seinerseits umgebracht werden (W. Hamilton; Th. J. J. Altizer; M. C. Taylor). Gemeint ist mit dieser Kampfansage der Mord an dem Gott des konventionellen Theismus, dem personalen Gott, der sich, je länger er lebt, als gefährlicher denn je herausstellt. Endgültig muss man nun lernen, ohne Gott zu leben und theologische Ideologiekritik kultivieren (W. Hamilton; J. W. Robbins; D. J. Peterson; G. M. Zbaraschuk u. a.). Das Vorhaben weist zwar Strukturanalogien zur feministisch-theologischen Dekonstruktion des patriarchalen Vatergottes und der patriachalen Gesellschaft auf, doch mit der Suche nach neuen weiblichen göttlichen Milieus wird das Göttliche nicht verabschiedet, sondern als Grund der Möglichkeit für ein gerechtes und friedliches Zusammenleben plausibilisiert. (1.4.1[8]; 4.3; 6; 6.1; 6.2; 6.2.1; 6.2.2; 6.3; 6.3.1; 6.3.4; 6.3.5; 6.4; 8; 8.1; 8.2; 8.3; 11.2) 27.) Unumkehrbarer Realisierungsprozess Die Bedeutung der Konsequenzen des Todes des Gottes Platos und des Christentums in Bezug auf die Geltung der antik-christlichen Werte, Normen und Ideale ist noch nicht begriffen. Für H. Heine und F. Nietzsche ist der Tod Gottes eine „betrübende Todesnachricht“, deren allgemeine Verbreitung allerdings noch einiger Jahrhunderte bedarf. Zwar beginnt das „größte neuere Ereignis“ seine „ersten Schatten über Europa zu werfen“, aber sein vollständiges Ausmaß ist noch nicht erfasst. Die Konsequenzen für das Weltbild, unsere Sprache und Lebensorientierung müssen noch ausführlich bedacht werden. Das Ereignis des Todes Gottes ist ein fortschreitendes „Ereignis einer tiefgreifenden Umorientierung“. Das radikal Offene der „neuen Meere“ zeigt die Ambivalenz von Verlust und Befreiung. Die Suche nach einem Halt im Haltlosen und Ungewissen oszilliert zwischen radikaler Orientierungslosigkeit und radikal neuen (transzendenten) Möglichkeiten. Sie greift die sich immer wieder aufdrängenden Deutungspotentiale der „absoluten Metapher“ (H. Blumenberg) auf, lässt sich auf das Stör- und Innovationspotential der „lebendigen Metapher“ (P. Ricœur) „Gott ist todt!“ ein und stellt die Krise mit der „Arbeit am Ungewissen“ (W. Stegmaier) auf Dauer. Nur langsam heitert es sich auf, schwindet die Angst vor dem Nihilismus. Die fortwährende Aufgabe dieser Situationserhellung heißt: sich im Nihilismus orientieren (vgl. Koh 1, 2–11). (1.4.1–3; 5; 5.1; 5.1.2; 5.2.2.b; 5.4; 9; 9.1; 9.2; 9.3; 9.4; 10; 10.; 10.2; 10.3; 11; 11.1; 11.2; 11.3)

12.3 Ausklang

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12.3 Ausklang 12.3 Ausklang

Die historischen Präfigurationen und zeitdiagnostischen Konkretionen des modernen Tod-Gottes-Phänomens speisen sich aus der mythischen Herkunft der Tod-Gottes-Idee und den Erfahrungen eines krisenhaften Wandels, die je sinnbildlich für die Moderne als Zeitalter des fortschreitenden Verlustes von traditionellen Selbstverständlichkeiten stehen. Die neue Unbestimmtheit der Situation und die Versuche, sie mittels der Gott-ist-tot-Erfahrung zu deuten, rufen einerseits präzisierende Strategien zur Überwindung, zur Bekämpfung und zur Integration der Tod-Gottes-Idee hervor und andererseits Strategien, die diese Unbestimmtheit und Offenheit der Gott-ist-tot-Erfahrung auszuhalten versuchen. In der Zusammenschau zeigen sich die Deutungsvarianten als Spielarten der Tod-Gottes-Idee, die sich wechselseitig beeinflussen und infrage stellen (können), aber sich selten wechselseitig gelten lassen. Gemeinsam ist allen Deutungsvarianten, dass sie aus der Grundgestimmtheit des gegenwärtigen Zeitalters breit ausströmen und eine unbestimmte existentielle Erfahrung in unterschiedlichen sprachlichen Weisen auszudrücken und zu fassen versuchen. Aus dieser Grundgestimmtheit und diesem grundlegenden Lebensgefühl fließen die vielfältigen Deutungen nicht nur aus. Sie kehren auch wieder in diese zurück und wirken auf sie ein, um wiederum neu und anders gedeutet zu werden. So ist der zum Vorschein gekommene weltgeschichtliche Präzisierungsprozess zum Motor einer pluralistischen Diskursformation geworden, die den religiösen und säkularen Diskurs miteinander verschränkt. Gekennzeichnet von Offenheit und Unbestimmtheit wird in ihm das Neuartige und Umstürzende der radikalen Zeitverwandlungen zu fassen versucht. Der Deutungsprozess ist nicht abgeschlossen, die Erinnerung an Gott und seinen Tod noch nicht erloschen. Die existentiell angehende Gott-ist-tot-Erfahrung wird keine Theologie mehr einfach ausblenden können. Um etwas anderes als bloße Nachlassverwalterin des Gottesgedankens sein zu können oder etwa unbeeindruckt von den ,großen Zeitverwandlungen‘ eine „Rückkehr Gottes“ zu behaupten, muss Theologie beides plausibel leisten: die Tod-GottesIdee und die Idee (des lebendigen) Gottes ambig wachhalten und in diesen beiden Spuren denken. – Das sind die beiden Seiten der Medaille dieses „theological turns“, dessen variantenreiche Wendungen und ,U-Turns‘ in dieser Studie umfassend verhandelt worden sind. – Beide sind gedeutete Erfahrungen des Menschen mit Gott. Eindeutig zu fassen sind beide nicht, weder die metaphorische Rede von Gott noch die von seinem Tod. Es ist aber ironischerweise gerade die Heraufkunft der Tod-Gottes-Idee, die auch das Denken über Gott neu anregen kann. Vom Toten nur Gutes? Erkennt man im (Nicht-)Erinnern an Gott und seinen Tod und im Umgang mit diesem mehr als die Situation des Menschen in seiner radikalen Endlichkeit? Sind wir seit der Antike Teil des kreativen Prozesses einer fortwährenden Re-naissance als Wiedergeburt der

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sterblich-unsterblichen Götter in neuer, verwandelter, menschlicher Gestalt?4 Oder kommen wir zu spät? Sind wir nur nachgeborene Epigonen? Ist es nicht an der Zeit, die göttliche Fülle zu ertragen? Sind Brot und Wein heilige Zeichen, Andenken an Vergangenes und Zukünftiges?5 Kann die heilende Wiedereinsetzung in den früheren Stand (restitutio in integrum) noch gelingen?6 Führt noch ein Weg aus dem „moderne[n] Phänomen einer metaphysischen Langeweile“7 heraus? Es ist längst nicht ausgemacht, welche „Möglichkeiten des Künftigen“8 sich eröffnen, ob die „,stille[] Kraft des Möglichen‘“9 des Sein selbst sich wieder – noch einmal und „ganz anders“ als mysterium tremendum et fascinans10 – zeigt, ob das moderne Lebensgefühl „die Identifizierung mit der göttlichen Allwissenheit und Allmacht“11 nicht mehr loslässt, ob „der Mensch verschwindet wie am Meeresufer ein Gesicht im Sand“12, ob sich in der Beziehung zum Anderen die Beziehung zum Unendlichen, zu Gott verbirgt und ein Gott sich im Gesicht, im Antlitz, des anderen Menschen offenbart13 … Wie es in dieser Situation mit dem Menschen weitergeht, ist offen. Die Orientierung des Lebens im Nihilismus steht noch – und immer wieder neu – am krisenhaften Anfang; genau wie eine kritische und existenzialhermeneutische Theologie als freier Ort radikaler Fraglichkeit, aufgeklärter Selbstbesinnung und ideologiekritischer Besonnenheit inmitten des Ereignisses des Todes Gottes als Lebensgefühl der Moderne.

Vgl. W. JENS (1959) 1962, 150.151 (mit Ernst Bloch). Vgl. zu Hölderlins Elegie Brod und Wein W. JANKE 2005, 93–97; 153–170. 6 Vgl. W. JANKE 2018. 7 TH. NIPPERDEY 1988b, 142. 8 K. JASPERS 1994a, 3. 9 M. H EIDEGGER, GA 9, 317. 10 Vgl. R. O TTO [1917] 1997, 28–37. 11 H. E. R ICHTER 1979, 23. 12 M. FOUCAULT 1974, 462. 13 Vgl. E. LÉVINAS (1961) 1987, 267–365. 4 5





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Personenregister Abaelard, Peter 189, 631 Adorno, Theodor W. 169, 535 Allitt, Patrick 441 Althaus, Paul 546, 573 Altizer, Thomas J. J. 32, 34, 49, 56, 62 f., 65, 74, 84, 103, 432 f., 435, 437, 439, 442–444, 459–471, 476 f., 520, 532, 744–746, 748, 759, 761, 765, 770 Anselm von Canterbury 79, 188, 504 Arendt, Hannah 347, 350, 355, 504, 632, 671–687, 689, 712, 717, 752 Aristoteles 132 f., 163, 176, 349, 364, 384, 394, 640, 658, 676 Assmann, Jan 8, 28, 42, 153–157, 354, 451 Athanasius 187 Augustinus 21, 415, 463, 486, 631, 640, 673, 677 f., 683 Bach, Johann Sebastian 57, 763 Badiou, Alain 59, 374, 762 Balthasar, Hans Urs von 305, 549, 577 Barlach, Ernst 65, 550, 567, 769 Barth, Hans-Martin 201, 516, 554, 764 Barth, Karl 22, 49, 54 f., 59, 63, 66, 75, 78–83, 88, 90, 98, 117 f., 184, 197, 290, 432 f., 436 f., 463, 470 f., 529, 534, 536, 543, 584, 587, 591, 595, 597, 605, 624, 665, 705, 744, 749, 761, 767 Barth, Ulrich 14, 113, 664, 666 Barthes, Roland 110 Baudelaire, Charles 5, 109, 251, 688, 693, 695–697 Baumgarten, Otto 22, 112 Baur, Ferdinand Christian 114 Bayer, Oswald 290, 555 Beckett, Samuel 67

Bellah, Robert N. 17 Benjamin, Walter 697 Benn, Gottfried 319, 695 Bent, Charles N. 439 Berger, Peter L. 31, 652 Bernhard von Clairvaux 181 Biser, Eugen 49, 63 Blake, William 56 f., 254, 462, 464, 679 Bloch, Ernst 51 Blumenberg, Hans 49, 57 f., 642, 646, 763 Bohrer, Karl Heinz 688, 693 Bonaparte, Napoleon 203 Bonaventura 251 Bonhoeffer, Dietrich 34, 65 f., 74 f., 97 f., 196, 432, 436 f., 449 f., 529, 545 f., 549, 578, 749, 767 Borchert, Wolfgang 291 f., 740 Bornkamm, Günther 70, 289–291 Braun, Herbert 37, 69, 75, 547, 552, 557–561, 603, 606–608, 705, 749, 756, 759, 761 Brown, Callum G. 538 Brunkhorst-Hasenclever, Annegrit 56 Brunner, Emil 80, 624 Buber, Martin 63, 121, 259, 527, 760 Büchner, Georg 204 Bühler, Pierre 57 Bultmann, Rudolf 22, 49, 51, 64–67, 69, 75, 78, 129, 159, 347, 381, 432 f., 436 f., 535, 542–544, 549 f., 557, 562, 565, 591, 605, 608, 663, 744, 749, 756, 761, 769 Buren, Paul van 49 f., 62, 66, 74, 101, 432, 435 f., 439, 442, 529, 759 f. Buri, Fritz 71, 764 Camus, Albert 9, 63, 385, 446

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Personenregister

Caputo, John D. 37, 104, 374, 443, 472– 475, 499–506, 532, 744, 746–748, 761 f. Cardonnel, Jean 45 Carroll, Lewis 451 Celan, Paul 292, 355 Christ, Carol P. 524, 526, 748, 762, 769 Clemens von Alexandrien 188 Cobb Jr., John B. 441 f., 517 Coleridge, Samuel Taylor 284 Comte, Auguste 16, 129, 131, 251, 300 Cooper, John Charles 440 Cornehl, Peter 52 Cox, Harvey 65, 67, 432, 435, 529, 762, 765 Cramer, Wolfgang 17 Cupitt, Don 58, 540 Cusanus, Nikolaus / Nikolaus von Kues 90, 464, 704 D’Holbach, Paul Henri Thiry 16, 209 f., 254, 257, 340, 382, 423 Daecke, Sigurd Martin 68 f., 763 f. Dalferth, Ingolf U. 13, 57, 99 Daly, Mary 442, 524 f., 527, 748, 762, 767, 769 Dantine, Wilhelm 551 Darwin, Charles 16, 124, 491, 577 Dawkins, Richard 98, 135, 509 Deleuze, Gilles 502 Depoortere, Frederiek 59 f., 105 Derrida, Jacques 37, 374, 471–478, 499 f., 634, 657, 711, 713, 715, 746 f. Descartes, René 18, 184, 203, 206, 208, 326, 340, 382, 423, 487, 586, 670, 736 Detel, Wolfgang 29 Diderot, Denis 209, 257, 340, 382, 423 Dilthey, Wilhelm 302 Diner, Dan 23 Döring, Heinrich 49, 759 Dorrien, Gary 441 f., 764 Dostoevskij, Fedor M. 255, 468 Dreier, Horst 30 Dworkin, Ronald 37, 443, 472, 475, 506–516, 746–748, 761 Eagleton, Terry 28

Ebeling, Gerhard 23, 91, 95, 100, 186, 197, 543, 556, 604, 767 Eckhart, Meister 190, 705 Eisenstadt, Shmuel N. 31, 107 Elert, Werner 546 Elson, John T. 430, 764 Engels, Friedrich 16, 402 Engemann, Wilfried 135, 700, 704 Epiktet 261, 722 Epikur 354, 672 Erasmus von Rotterdamm 443 Erikson, Erik 456 Eusebius von Caesarea 268 Fackenheim, Emil 579, 582 Farley, Edward 62 Faye, Jacques de la 171 Feldtkeller, Andreas 668 f. Fellmann, Ferdinand 136 Feuerbach, Ludwig 16, 61, 67, 114, 127, 202, 210, 216 f., 300, 312, 318, 618, 700, 759, 767 Fichte, Johann Gottlieb 18, 114, 184, 212, 214, 219, 223 f., 258, 300, 305 f., 314, 319, 326, 340, 400, 418, 670, 756 Figl, Johann 49 f. Finnegan, Laurence James 49, 764 Fischer, Hermann 52, 101, 570, 765 Flew, Antony 16 Fontane, Theodor 251, 655 Foucault, Michel 110, 627 f., 690, 720– 723, 772 Frazer, James George 148–150, 152 Freud, Sigmund 300, 434, 570, 618, 692, 700, 762, 767 Frey, Christofer 53 f., 310 Friedrich, Caspar David 182, 330 Fritzsche, Hans-Georg 88–90, 593, 764 Fuchs, Ernst 23, 543 Gasser, Albert 49, 763 f. Gentili, Carlo 39 Gerber, Uwe. 554 Geyer, Hans-Georg 555, 605 Gilkey, Langdon 62, 74, 442 Goethe, Johann Wolfgang von 171 f., 202, 212, 214, 266, 300, 413, 427, 693, 697, 734

Personenregister Gogarten, Friedrich 70, 78, 535, 542 f., 565, 749 Gogh, Vincent van 182 Goldenberg, Naomi 443 Gollwitzer, Helmut 56, 69, 380, 552, 555, 558, 765 Goodenough, Ursula 443 Graß, Hans 33, 70 Greshake, Gisbert 92 Grigg, Richard 442 Grøn, Arne 332 Grotius, Hugo 15 Gunton, Colin E. 92 Habermas, Jürgen 29, 338 f., 619, 622 Hamann, Johann Georg 196 Hamilton, Kenneth 438, 764 Hamilton, William 32, 37, 49 f., 62 f., 65, 67, 74 f., 84, 101, 279–283, 432– 435, 437, 439, 442–459, 479, 498, 517, 520, 529, 531 f., 551, 705, 744 f., 747 f., 759, 761, 764 f., 769 f. Härle, Wilfried 102, 104, 537, 546, 664, 764 Harnack, Adolf von 184, 381, 534 Harrington, Michael 441 Hartshornes, Charles 526 Hasenhüttl, Gotthold 63, 72, 763 Havel, Václav 456 Hawthorne, Nathaniel 281, 446 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 5, 16, 19 f., 34 f., 37, 44, 48, 51–53, 56, 59, 62 f., 66, 75, 89, 91, 97–101, 106, 109, 113 f., 121, 154, 168, 180, 184, 195 f., 202, 205 f., 212, 216, 219, 246, 249, 259, 273, 300 f., 305–319, 338, 347, 389, 402, 416–418, 427, 437, 462, 467 f., 470, 477 f., 482, 488 f., 492, 498, 529, 566, 572, 588, 590–592, 615, 637, 651, 670, 696, 698, 705, 734 f., 740 f., 744 f., 756– 758, 766– 768 Heidegger, Martin 9, 19 f., 37, 49, 51, 59, 63, 65, 67, 94, 127, 129, 184, 197, 232, 311, 321, 337 f., 341, 343, 346– 378, 380–383, 399, 401, 403, 405, 407, 409 f., 412 f., 419–422, 426, 463, 468, 471, 473, 477 f., 488, 508, 535, 562, 588, 593, 631 f., 634, 639,

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657, 659, 670, 679, 681, 690, 695, 697 f., 719, 722, 740–744, 761, 765, 772 Heine, Heinrich 5, 35, 37, 63, 109, 173, 214, 251 f., 262–276, 286, 296 f., 300, 304, 339, 615, 734, 737–739, 751, 754, 757 f., 768, 770 Henrich, Dieter 17 Herbert of Cherbury, Edward 208 Herder, Johann Gottfried 184, 212 Herms, Eilert 43 Herrmann, Wilhelm 534, 543, 605 Heschel, Abraham Joshua 576 Hesiod 162, 167, 406 Heyward, (Isabel) Carter 524, 526 f., 748, 762, 765, 769 Hippolyt 187 Hirsch, Emanuel 21 f., 115, 610 Hitler, Adolf 356, 579 Hobsbawm, Eric J. 115, 122, 250 Höffe, Otfried 725 Höhn, Hans-Joachim 122, 759 Hölderlin, Friedrich 5, 67, 129, 171, 212, 224, 354, 357, 360, 368, 371, 373, 375, 377 f., 407, 409 f., 414, 420, 426, 593, 696 f., 734, 742, 761 Homer 162 Horkheimer, Max 169, 535, 734 Houtepen, Anton W. J. 29, 674 Hume, David 14, 16, 63, 184, 210, 300 Huntington, Samuel P. 28 Husserl, Edmund 117, 129 Irenäus von Lyon 703 Ivančič, Tomislav 33, 765 Iwand, Hans Joachim 186 Jacobi, Friedrich Heinrich 14, 171, 212 f., 215, 251, 300, 306, 311, 734 Jaeschke, Walter 310 f. Janke, Wolfgang 37, 128, 305, 332, 378, 399–417, 422, 425 f., 488, 513, 636, 695, 719, 732, 740, 743 f., 762 Jaspers, Karl 71, 382, 631, 772 Joachim von Fiore 50, 461, 745 Jonas, Hans 557, 562 f., 718, 760, 767 Jörns, Klaus-Peter 702, 705, 708 Joyce, James 466–469, 696, 746 Jung, Christian 60, 105, 762

852

Personenregister

Jüngel, Eberhard 4, 23, 37, 54 f., 57–59, 63 f., 68, 75–77, 91 f., 97, 99 f., 186, 197, 386, 388, 470, 543, 545, 554– 556, 563, 583–598, 601, 604–607, 610, 750, 759, 762, 764–767 Kant, Immanuel 15, 18 f., 112, 114, 121, 126, 184, 202 f., 215 f., 219, 222– 224, 226, 234, 239, 246, 251, 258, 272–275, 297, 300, 306, 340, 347, 407, 411, 492, 496, 534, 560, 620, 634, 636 f., 639, 657, 670, 735, 756, 760 Kärkkäinen, Veli-Matti 442, 764 Kaufman, Gordon 62, 443 Kellenbach, Katharina von 581 Kierkegaard, Søren 19 f., 51, 66, 78, 116, 127, 138, 300, 361, 368, 382, 395, 410, 426, 468, 476, 478, 487 f., 496, 671, 690, 698, 700, 710, 712, 716–718, 744, 761 King, Martin Luther 284, 447 Kitamori, Kazoh 95, 99 Klappert, Berthold 70 Kleffmann, Tom 59, 105, 763 Koselleck, Reinhart 211, 250 Kroeger, Matthias 101, 104, 759 Krondorfer, Björn 581 Küng, Hans 549 Lacan, Jacques 711 Lange, Dietz 70, 95 f., 100, 604, 767 Lange, Ernst 34 Laplace, Pierre-Simon 207, 210 Lessing, Gotthold Ephraim 14, 171, 184, 213 f., 734 Levinas, Emmanuel 374, 471, 582, 711, 772 Link, Christian 48, 54 f., 100, 311, 556, 764 Loewenich, Walther von 186 Lønning, Inge 61 Luckmann, Thomas 441 Lukács, Georg 252 Lukrez 210, 354 Luther, Martin 18, 62, 91, 95, 97, 99, 102, 180–182, 185 f., 188, 191 f., 194, 204, 300, 443, 472, 478 f., 485– 489, 494 f., 498, 556, 590 f., 595,

607, 634, 663 f., 673, 722, 735, 747, 755, 766 Lyotard, Jean-François 110 Machinist, Peter 152 Mann, Thomas 149 Marcel, Gabriel 339, 341 Marquard, Odo 19 Marsch, Wolf-Dieter 48, 51, 54, 100 Marx, Karl 16, 127, 129, 202, 210, 217, 300, 312, 318, 402, 618 Maurer, Ernstpeter 71 McFague, Sallie 443, 762 McLeod, Hugh 539 Melville, Herman 37, 252, 277–288, 297 f., 445, 447, 449, 477, 498, 737, 739, 745, 757, 770 Metz, Johann Baptist 23, 25, 259, 537, 544, 578, 580, 760, 765 Mitchell, Stephen 443 Mollenkott, Virginia Ramey 524 Moltmann, Jürgen 23, 37, 51, 69, 75–77, 92, 100, 186, 197, 259, 544, 546, 550, 554, 556, 563, 571–578, 581, 583, 604, 606–609, 750, 760, 762, 765– 767 Morgenthaler, Christoph 102, 104 f., 763 Moser, Tilman 98 Mourkojannis, Daniel 58, 105, 763 Müller-Lauter, Wolfgang 61 Nancy, Jean-Luc 711 Neuenschwander, Ulrich 72 Newton, Isaac 210 Nietzsche, Friedrich 5, 9, 11 f., 19, 32, 34 f., 37, 39, 56, 58, 60–63, 65–67, 72, 83, 85 f., 89, 94, 97, 99, 101, 105, 120 f., 127, 130, 137 f., 168, 180, 196, 259, 264, 274 f., 294, 297, 300 f., 303 f., 312, 318–338, 348 f., 354, 359, 360 f., 369, 378, 382 f., 402, 410–412, 417 f., 420, 422 f., 425 f., 433 f., 437, 451, 463, 468, 473, 478, 483, 498, 502, 528 f., 532, 538, 551, 569, 572, 584, 593, 613, 618, 621, 636–638, 641, 643–645, 652 f., 686, 690, 693, 697–699, 720,

Personenregister 735, 740–744, 751, 755 f., 758, 762, 767 f., 770 Nipkow, Karl Ernst 25 Novalis (Friedrich von Hardenberg) 212, 224 Ogletree, Thomas W. 438 Origenes 149, 188 Osterhammel, Jürgen 252 Ott, Heinrich 70, 758, 764 f. Otto, Rudolf 78, 365, 369, 700, 761 Pannenberg, Wolfhart 23, 42, 52, 63, 69 f., 92–95, 100, 240, 547, 604, 606, 703, 758 f., 762, 764,–766 Parmenides 171, 184 Pascal, Blaise 37, 55, 63, 109, 126, 170, 205–208, 247, 308, 330, 339, 508, 599, 615, 649, 734, 736 f., 754, 756 Paul, Jean (Johann Paul Friedrich Ritter) 5, 37, 63, 65, 109, 224, 251–262, 271, 288–291, 296, 300, 340, 538, 615, 737 f., 740, 757 Paulus 99, 163, 176, 185, 193, 440, 504, 755 Peterson, Daniel J. 517, 770 Plaskow, Judith 524 Platon 4, 146, 162–164, 167, 184, 349, 354, 364, 384, 636, 672, 721 Plutarch 63, 109, 155, 161–173, 208, 262, 265 f., 268 f., 271, 273, 297, 615, 734, 754 Pound, Ezra 111 Preul, Reiner 706–708 Rad, Gerhard von 55, 666 Radford Ruether, Rosemary 524, 748, 762, 767, 769 Rahner, Karl 49, 92, 549, 671 Ratzinger, Joseph 92, 549 Reck, Norbert 580 f. Rendtorff, Trutz 52 Richter, Horst Eberhard 772 Ricœur, Paul 57, 619, 643, 647, 650, 770 Rilke, Rainer Maria 695 Ritschl, Albrecht 534, 604 Ritschl, Dietrich 62, 92, 763 Ritter, Werner H. 26, 759

853

Robbins, Jeffrey W. 472, 474, 518 f., 746, 759, 764, 770 Robinson, John A. T. 50, 64 f., 70, 74 f., 540, 548, 550, 564, 608, 610, 749, 756 Rohls, Jan 3, 101, 105, 546, 610 Rohmann, Klaus 49 f., 72, 764 Rohrmoser, Günter 61 Rorty, Richard 455 Roth, John K. 517, 581 Rothe, Richard 624 Rousseau, Jean Jacques 129 Rubenstein, Richard L. 51, 62, 432, 442, 529, 579, 582, 759, 760, 764 Rushdie, Salman 451, 456 Sachs, Nelly 292 Sartre, Jean-Paul 9, 37, 63, 205, 255, 338–346, 355, 382, 403, 419, 463, 468, 695, 740 f. Sass, Hartmut von 71 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 20, 114, 172, 184, 212, 215, 300, 670, 734, 754 Schiller, Friedrich 171, 212, 693, 734 Schlatter, Adolf 185 Schleiermacher, Friedrich 19, 22 f., 37, 40, 79, 88, 98, 109, 113 f., 117, 138, 184, 202, 204, 212, 214, 216, 219, 226–246, 300 f., 307 f., 311, 318, 381, 457, 478, 507, 515, 534, 585, 615, 622–624, 660, 663–665, 670, 703, 705, 734, 736 f., 760 Schmid, Wolf 644 Schneider-Flume, Gunda 97, 100 Schnurre, Wolfdietrich 37, 253, 288– 295, 738, 740 Schottroff, Luise 558 Schulz, Paul 440 Schütte, Hans-Walter 554 Schwarz, Hans 73, 75 Schweitzer, Albert 59, 71, 454 f. Schwöbel, Christoph 58, 92 Shakespeare, William 163, 449 Slenczka, Notger 97 Smith, John H. 443 Sokrates 162, 167, 261, 335, 356, 411, 672

854

Personenregister

Sölle, Dorothee 23, 37, 50, 63, 69, 71, 75, 77, 86, 100, 259, 526, 544, 550, 552, 555, 558, 564–571, 578, 581, 588, 598, 606–608, 750, 756, 759, 760, 762, 764 f., 767, 769 Spalding, Johann Joachim 223 Spengler, Oswald 117 Sperna Weiland, Jan 67, 762, 765 Spinoza, Baruch de 121, 184, 214, 222, 224, 230, 442, 508 Steffen, Bernhard 185 Stock, Konrad 97, 100, 759 Stoellger, Philipp 57, 60, 763, 765 Storm, Theodor 169, 734 Tauler, Johannes 190 Taylor, Mark C. 37, 58, 101, 125, 442 f., 469–472, 475–499, 504, 518, 530, 532, 668, 670 f., 685, 744, 746–748, 764, 770 Tertullian 187, 673 Theißen, Gerd 151 Theunissen, Michael 53, 60, 380 Thielicke, Helmut 68, 86, 100, 135, 551, 764, 766 Thomas von Aquin 177, 631 Tieck, Ludwig 5 Tillich, Paul 23, 59, 62, 66 f., 70, 75, 78, 83–85, 100, 145, 364, 436 f., 443, 463, 472, 475, 478, 487, 529, 546, 549, 622, 625–627, 630–633, 658, 660, 663, 744, 751, 762 Timm, Hermann 666 Tocqueville, Alexis de 518, 759

Toland, John 171 Tracey, David 62 Trakl, Georg 695, 697 Trillhaas, Wolfgang 85 f., 100 Troeltsch, Ernst 22, 58, 112 f., 381 Vahanian, Gabriel 50, 62, 65, 80, 101, 196, 432, 437, 439, 529, 550, 759 Vattimo, Gianni 104, 337, 374, 469, 472–474, 501, 747, 761 Voltaire (François-Marie Arouet) 209, 340 Wagner, Falk 37, 52, 62, 75, 77, 100, 197, 305, 555, 583, 596, 598–604, 606 f., 610, 622 f., 625, 628 f., 697, 708, 750 f., 757, 759, 761, 763 f., 766, 768 Weber, Max 6, 129, 204, 485 f., 619, 624 Weinrich, Harald 648 Weischedel, Wilhelm 37, 126, 378–399, 413, 422–424, 552, 632, 636, 691, 717, 740, 743, 759, 762 Welker, Michael 98 f. Whitehead, Alfred North 441, 526 Wiesel, Elie 581 Wimmer, Michael 711, 713, 716 Wittgenstein, Ludwig 354, 407, 435 Zahrnt, Heinz 69, 553, 764 Zbaraschuk, G. Michael 517, 770 Ziegler, Leopold 117 Žižek, Slavoj 469 Zizioulas, John D. 92





Sachregister 9/11 / 11. September 2001 28 f., 29, 202, 339, 441, 451, 456 Abschiedlichkeit 355, 424, 632, 689 f., 699, 717 f., 724, 752 Absolutheit (Gottes) 184, 195, 326, 496, 498, 588, 596 Absolutismus 271 f., 494 f., 739, 754 Adonis 143, 145, 149–152, 733, 754 Agnostizismus 29, 99, 622 Ägypten 5, 37, 151–153, 155, 157, 160, 183, 198, 275, 277, 354, 699, 730, 733, 739, 753 Allmacht / Omnipotenz 8, 23, 25, 92, 179, 184, 194, 390, 453, 462, 469, 497, 504, 514, 528, 537, 542, 544 f., 562 f., 567, 577 f., 585, 588, 592, 595, 602 f., 606 f., 610 f., 642, 691, 750, 756, 760, 762, 765, 768 f. Altprotestantische Orthodoxie 22, 88, 116, 182, 194, 225, 534 Analytische (Sprach-)Philosophie 9, 16, 24, 66, 184, 300, 302, 435, 529, 538, 543, 648, 759 Anath 150 Anthropologie 18, 67, 89, 92 f., 123, 134, 136, 138, 209, 217, 219, 230, 232, 239, 261, 487, 525, 556 f., 559, 561, 569, 586, 608, 636, 653, 655 f., 662, 665, 673, 675, 676, 679, 683 f., 686, 689, 691, 706 f. 710–712, 732, 736, 751, 766, 769 Anthropomorphismus 14, 523 Antijudaismus siehe Antisemitismus Antisemitismus 110, 187, 356, 453, 526, 578, 580 Apathie siehe Leidensunfähigkeit Apokalyptik 50, 259 f., 444, 459–471, 498, 745 f., 757

Aseität 595, 602, 765 Astarte 150, 733, 754 Atheismus 4, 9 f., 12, 23, 28, 31, 33, 37, 42, 56 f., 59, 61–63, 65, 70 f., 74–76, 97, 99, 104, 109, 120, 123, 176, 184, 186, 189, 201, 209, 223 f., 227, 249, 253 f., 257, 261, 288 f., 296, 302, 311 f., 319, 322, 324, 338–346, 369 f., 379–383, 403, 413, 419, 421– 424, 430, 434, 440, 462, 469, 506– 516, 529, 532, 534, 536, 538, 547, 551 f., 566, 570, 572, 584 f., 588, 590, 593f., 597, 604, 611, 616, 645, 736, 738, 742 f., 746–749, 757, 764, 766 Atheismusstreit 16, 214 f., 223 f., 227, 230, 300, 418, 623 Attis 149–151, 733, 754 Aufklärung 15, 18, 41, 44, 89, 109, 114 f., 121, 125, 171, 196, 201, 204, 208–212, 216, 218, 223, 225, 246, 257, 296, 300, 307, 315, 340, 342, 411, 421, 461, 474, 515, 534, 566, 615, 620, 622, 631, 635, 701, 736, 746, 757, 759, 760 (Theologie nach) Auschwitz 23, 37, 183, 436, 529, 544, 562–582, 588, 608, 750, 760 Befreiungstheologie 23, 183, 522, 544, 546, 570, 762, 765, 767, 769 Besonnenheit 44, 106, 139, 376, 393, 399, 424, 613, 619, 630, 632, 686, 690, 717–725, 743, 752, 772 Bilderverbot 104, 703, 710 f., 716 Calvinismus 277, 281, 285 f., 298, 462, 485, 489, 758 Cartesianismus 205 f.

856

Sachregister

charismatisch(e Bewegung) 28, 124 Christologie 5, 8, 10, 22, 33 f., 39, 54 f., 58, 62, 70, 75, 80, 85, 89, 95 f., 98, 100, 152, 171 f., 174, 179, 181, 188, 194, 204, 206, 225, 234, 237, 239 f., 244, 247 f., 289, 302, 308, 310 f., 313, 417, 449, 454 f., 524 f., 536, 554, 561, 565, 569, 573 f., 576 f., 580, 582–598, 601, 608 f., 611, 625, 703, 730, 734 f., 737, 741, 745, 749 f., 755, 760, 765 f., 768 f. Deismus 16, 208, 270, 275, 297, 534, 665, 754 Demeter 151, 733, 754 der ganz Andere 78, 369, 421, 536, 742 Descensuslehre siehe Höllenfahrt Christi Dialektik 48, 51, 56, 58, 65, 74, 89, 96, 132 f., 169, 311, 313, 325, 383, 386, 389, 392, 402, 406 f., 417 f., 424, 463 f., 466, 470, 482, 484, 570, 575, 586, 610, 644, 671, 699, 743, 745– 747, 761 Dialektische Theologie 23, 51, 72, 75, 79 f., 85, 117 f., 186, 369, 381, 436, 470, 536, 543, 577, 599, 664 f., 667 Dionysos 39, 149, 151, 161, 164, 327, 411 Doketismus 179, 574 Dumuzi 148, 150–152 Ekklesiologie siehe Kirche Empirismus 16, 131, 302, 670, 757 Endlichkeit 20, 22, 37, 138 f., 153, 198, 231, 235, 296, 302, 312 f., 337–378, 394, 400, 417, 420, 611, 643, 649, 652, 655, 658–664, 667, 670 f., 675, 688–691, 699 f., 707, 725, 740, 742, 751 f., 772 Erbsünde(nlehre) 205, 261, 673, 682 Ereignis (Heidegger) 346–378 Eros 167, 406 Erster Weltkrieg 9, 22 f., 83, 116 f., 122, 253, 291 f., 381, 535–537, 543, 577 f., 608, 761 Erweckungsbewegung(en) 115, 182, 218 Eschatologie 48, 52, 94, 177, 260, 420, 451, 454, 457, 571, 575, 607, 609, 677, 691, 743, 750

Ethik 59, 62, 71, 113, 118, 215, 343, 384, 394–399, 424, 472, 479, 484, 486, 490, 495, 497 f., 500, 635, 656, 668, 670, 688–725, 743, 746 f., 752, 758 Evangelikalismus 27 f., 124, 480 f., 507, 518 f., 521, 613 Evolution(stheorie) 16, 124, 145, 490 f., 577 Eksistentialontologie siehe Existenzialontologie Existenzial 38, 120, 235, 247, 350 f., 638 f., 658, 678 f., 686, 688–690, 699, 701, 708 f., 720, 752 -hermeneutik 6, 21, 25, 41, 44, 64, 415, 615, 632, 637, 639, 699, 725, 731 f., 749, 751 -ontologie 401, 561, 636 Existenzialismus 13, 21, 72, 105, 116, 296, 300, 419, 664, 731, 742, 767 Faschismus 9, 292, 298, 627 Feminismus 186, 453, 523, 526, 762 Feministische Theologie 23, 183, 442, 452, 521–529, 531 f., 544, 570, 659, 746, 748, 762, 769 f. Fiktion 129, 133, 210, 335, 450, 454, 456, 458, 645 f., 653, 696, 745 Fraglichkeit 379–394, 630–638, 772 Fragmentenstreit 213 Französische Revolution 67, 120, 122, 203, 251, 274, 300, 416, 418, 461, 482, 486, 488 f., 679, 738, 746, 759 (Neo-)Fundamentalismus 5, 12, 28, 31, 37, 124–126, 137, 383, 472, 475, 480, 497, 507, 516–521, 530, 653, 744, 748 Geheimnis 58, 158, 160, 217, 344, 389 f., 393, 398, 424, 573, 587, 589, 597, 632, 704 Geist 52 f., 55, 85, 93, 97, 100, 143, 173, 184, 196, 214, 223, 239, 246, 250, 259, 303, 305–319, 387, 417 f., 424, 461, 465, 487, 493, 498, 535, 574, 585, 592, 601–603, 607, 609 f., 671, 709, 741, 745, 749, 768 (End-)Gericht 107, 119, 124, 154, 211, 254, 738

Sachregister Geviert 360, 374, 376–378, 408, 414, 420, 427, 722 Globalisierung 11, 482, 485 f., 530 Gnosis 50, 179 Gottebenbildlichkeit 136, 261, 336, 340, 513, 656, 674, 687, 690 f., 699, 701– 705, 709, 751 f. Gottesbeweis 10, 15, 18, 79, 85, 98, 134, 143, 184 f., 214 f., 220, 222, 234– 236, 259, 263, 275, 289, 297, 412, 534, 586, 610, 620, 634, 636, 735, 739, 756 Gottesfinsternis 121, 259, 567, 579, 760 Gottesherrschaft siehe Reich Gottes Hellenismus 37, 148, 152, 163, 176, 183 f., 262, 534, 558 Historischer Jesus 10, 449, 454, 542, 561 Historismus 22, 108, 147, 219, 417 Höllenfahrt Christi 181, 462, 464 Holocaust 23, 253, 288, 290, 437, 453, 462, 537, 544, 562, 579 f., 582, 738, 749, 760 Horus 156, 159–161, 198 Humanismus 343, 440, 461, 558 f., 570, 634, 711, 749, 765, 769 (Deutscher) Idealismus 18, 23 f., 114, 127, 172, 204, 212, 215, 219, 300, 303, 305, 318, 332, 418, 670 Ideologie 124 f., 217, 331, 338, 356, 402, 448, 453, 455 f., 480, 495, 497, 505, 518, 520 f., 525 f., 528, 531, 595, 623, 633 f., 677, 744, 748, 769 Ideologiekritik 37 f., 393, 419, 456, 528, 531, 616, 729, 744, 751 f., 770, 772 Ikonographie 181 Inanna 150 f., 153 Industrialisierung 11, 106, 109, 263, 452, 482 Ischtar 150, 733, 754 Isis 150 f., 156, 158 f., 410, 733, 754 Israel 145, 174 f., 183, 187, 576, 617, 675 Kenosis 34, 75, 194 f., 444, 459, 462, 467, 474, 575, 609, 745 f., 759, 761

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Kirche 7, 18, 33, 35, 53, 70, 101, 115, 187, 218, 233, 237, 239, 326, 367, 460, 468, 536 f., 540, 576, 616, 624 f., 627–629, 634, 721, 735 Klimakrise 26, 332 Klimawandel siehe Klimakrise Kohelet 405, 457, 617, 673, 675, 725 Kommunismus 9, 99, 343, 536 Koran 179 Kosmogonie siehe Schöpfung Kosmologie 184, 207, 215, 239, 350, 511, 516, 575, 605, 609, 663–667, 670, 691, 756 Kreationismus 125, 663, 666 Kulturhermeneutik 13, 33, 39, 43, 127, 498, 556, 611, 731 Kulturprotestantismus 113, 116, 536, 541 Kybele 150, 674, 733, 754 Lebensgefühl 5, 9, 12, 17, 38, 40, 106, 133–137, 139, 213, 251, 253, 290 f., 318, 339, 394, 611, 613, 615, 630, 633, 635, 645, 651, 655, 688, 690, 705 f., 709, 717 f., 730–732, 738, 751 f., 772 Leidensfähigkeit 574, 576, 583, 594, 610 Leidensunfähigkeit 23, 76, 100, 177, 184, 187, 195, 241, 468, 528, 537, 546, 574–576, 585, 588, 590, 595 f., 609, 755, 765, 767 Liberale Theologie 66, 71 f., 114, 117, 219, 291, 438, 441, 519, 521, 534, 536, 589, 761 Linguistic Turn 640 Logos 132 f., 183, 199, 402, 404, 425, 493, 649, 753 Marxismus 9, 51, 57, 346, 403, 419, 543 Materialismus 16, 208–211, 257, 296, 300, 319, 402, 498, 672, 736 Metapher 10, 36, 38, 55, 57, 67, 77, 89, 91, 97, 107, 121, 133 f., 136, 144, 158, 175, 177 f., 199, 248, 258 f., 263, 276, 291, 297, 321, 325, 328 f., 331, 333 f., 402, 452, 458, 523, 567, 587, 602, 611, 615, 625, 633, 637, 639–654, 656, 669, 671 f., 674, 676,

858

Sachregister

685, 690–692, 697, 701, 725, 732, 735, 739, 745, 751, 754, 759, 762, 768, 770 Metaphorologie siehe Metapher Metaphysik 3 f., 8 f., 13–15, 17 f., 20, 23, 32, 37, 48, 54, 56 f., 59, 65, 76 f., 80, 89, 94, 97, 100, 104, 120, 126 f., 131 f., 138 f., 176, 184, 186, 191, 196, 207, 215, 224, 226, 228, 230 f., 246, 251, 253, 301 f., 304, 308, 322, 325, 327, 331, 334, 339, 341, 344, 349, 357, 361, 364, 369, 371, 373, 378, 380, 384, 391, 400, 402, 404 f., 407, 410, 415–419, 421 f., 427, 473, 499, 513, 534 f., 538, 547, 560 f., 573, 576, 583, 586, 590 f., 594 f., 597–599, 602, 604–606, 609, 634– 636, 644, 646, 683, 713, 730, 735, 740–742, 746 f., 749, 756–758, 760 f., 765 Moby-Dick 277, 279, 281–284, 286 f., 297 f., 445, 449, 471, 498, 739, 757 Moderne 5 f., 12, 30 f., 35, 41 f., 44, 51, 77, 94, 106–128, 130, 133–135, 139, 202, 204, 206, 212 f., 215 f., 218, 233, 246 f., 252, 263, 296 f., 300, 302, 314, 317, 330, 337, 339, 348, 356, 358, 371, 376, 415 f., 418, 422, 427, 433, 443 f., 449, 464, 468 f., 472, 474, 478, 482, 484–486, 489, 498, 521, 529, 532, 535, 583 f., 600 f., 605 f., 609 f., 613, 615, 620 f., 630, 633–635, 645, 651 f., 655, 659, 662, 667, 669, 671, 675, 677, 684, 688, 691, 696, 709, 712 f., 730,–732, 736– 738, 740–742, 744, 746, 750–752, 756 f., 760, 769, 772 Monotheismus 4, 8, 11, 28, 42, 134, 145 f., 172, 174, 183, 235, 237, 369, 446, 448, 451, 453, 456, 529, 532, 573, 734, 755 Mystik 62, 180, 182, 190, 287, 413, 458, 463, 701, 705 f., 709, 722, 735, 766 Mythos 4 f., 14, 132, 143, 145, 151–154, 156–160, 167, 198 f., 265, 267, 269, 271, 276, 282, 284, 287, 296, 331, 370, 374, 402, 404 f., 408, 411, 421, 730, 733, 743, 753, 763 f.

Nachmetaphysisch 9, 123, 126, 302, 318, 347, 361, 366, 372, 376, 378, 400 f., 403, 422, 427, 636, 718, 740, 743, 762 Natalität 38, 355, 632, 658, 670 f., 671– 690, 699, 752 Nationalsozialismus 9, 290, 292, 298, 356, 402, 453 f., 562, 570, 578, 606, 627, 666, 749 Naturalismus 16, 209, 442, 513, 618, 736, 767 Natürliche Theologie 23, 49, 55, 67, 80, 191, 202, 216, 223, 381, 388, 535 f., 543, 605, 635, 665, 667, 736, 749, 761 Naturwissenschaften 131, 196, 233, 442, 490, 513, 586, 604, 662–666, 673, 691, 700 Negative Theologie 389, 413, 464, 698 482 f., 494 f., 498, 516, 529, 531, 642, 689, 747 Neokonservativismus 480, 482, 495, 497 Neoliberalismus 480, 495 Neologie 204, 254 Nephthys 156, 159 New Atheism 27, 509 New Religious Right 480, 489, 495, 512, 701, 747 Nihilismus 5 f., 36, 72, 85, 120 f., 123, 130, 204, 224, 251, 255, 296, 300, 302 f., 319, 322, 325, 329 f., 332, 334, 336–338, 342, 348 f., 357, 378, 380, 383 f., 387, 395, 399 f., 409, 411–415, 417 f., 420, 422–424, 426 f., 459, 463, 468 f., 473 f., 490, 498, 513, 621, 636–638, 690, 697, 738, 740–743, 746, 752, 757, 762, 770, 772 Offenheit 138, 354, 358, 360, 365, 394, 396, 399, 403, 420, 424, 492, 611, 632, 652, 699, 751, 771 Ökologie 496, 666, 668 f. (Sühn-)Opfer 99, 143, 178, 188, 194, 227, 240, 245, 462 f., 737, 746 Osiris 143, 148–161, 167, 198, 276, 354, 410, 733, 754

Sachregister Pan 109, 161–173, 198, 208, 262, 265– 270, 272, 276, 287, 296–298, 337, 385, 615, 734, 739 f., 754, 757 Panentheismus 442, 508, 734 Pantheismus 109, 166, 171–173, 180, 198, 214, 223, 265, 270, 272, 274, 276, 297, 508, 734, 739, 754, 758 Pantheismusstreit 16, 171, 184, 213, 215, 222, 224, 273, 300 Passibilität siehe Leidensfähigkeit Patripassianismus 89, 187 f., 197, 241, 537, 546, 594, 609, 755, 767 Persephone 151, 733, 754 Phänomenologie 9, 36, 53 f., 58, 95, 136 f., 300, 309–311, 339, 344, 352, 358, 411, 413, 416, 427, 504, 538, 543, 565, 733 Platonismus 13, 130 f., 163, 167 f., 170, 183, 188, 304, 322, 325 f., 328, 337, 342, 353, 362, 400, 402, 405, 411, 418, 515, 534, 546, 636, 645, 741, 758 Pluralismus 4, 11–13, 31, 38, 43, 123, 474, 541, 636, 652, 729 Pneumatologie siehe Geist Polytheismus 28, 145, 161, 170, 172, 179 f., 297, 443, 734, 754 Positivismus 4, 13, 16, 129–132, 138, 232, 300, 302, 319, 399, 403, 407, 412, 417, 425–427, 442, 458, 560, 604, 757 Postmoderne 27, 100 f., 106, 110, 111, 122, 262, 472–474, 476, 479, 481, 485 f., 501–503, 515, 634, 666, 746 Postsäkular 12, 24, 122, 474 Prädestination(slehre) 197 Praecisio mundi 106, 128–130, 349, 399, 401 f., 425, 513, 636, 642, 659, 667, 716, 723, 732, 757 Prediger Salomo siehe Kohelet Projektionsthese 700, 767 Prozesstheologie 67, 439, 441, 526 Psychoanalyse 16, 134, 659, 722 Radical Theology 45, 47, 62, 66, 70, 80, 101, 105, 139, 430, 434 f., 440 f., 443 f., 446, 450, 452, 456, 465, 468 f., 501, 516–518, 520 f., 530– 532, 744 f., 748, 764, 769

859

Radikale Theologie siehe Radical Theology Rationale Theologie 15 f., 739, 756 Rationalismus 6, 111, 115, 204, 218 f., 225, 273, 275, 297, 340, 488 f., 535, 736, 739, 749 Rechtfertigung(slehre) 159, 178, 315, 452, 486, 709 Reformation 22, 44, 99, 102, 125, 181 f., 186, 192–194, 300, 317, 478, 482, 485 f., 488 f., 494 f., 530, 618, 634 Reich Gottes 100, 124, 174, 246, 267, 499, 503, 568, 755 Religionsbegriff 22, 112, 114, 117, 202, 215, 221, 225–227, 233, 235, 240, 311, 316, 475, 482, 507, 509, 511, 514 f., 736, 760 Religionsfreiheit 475, 508 f., 516, 622, 746 f. Religionskritik 16, 28, 37, 80, 97 f., 114, 196, 202, 209, 216–218, 220 f., 224, 248, 276, 296, 300, 303, 321, 605, 616, 618 f., 622, 635 f., 645, 663, 730, 759, 767 Religionstheorie 138, 221, 224, 237, 242, 478 f., 483 f., 492, 498–500, 505, 507, 509, 515, 531, 624, 668, 736, 746 f. Religiöser Sozialismus 23, 116, 544 Romantik 5, 109, 114, 172, 184, 204, 212, 219, 221, 224, 226, 242, 246, 251, 255, 277, 289, 307, 311, 374, 615, 694, 740 Säkularisierung 6, 12 f., 16, 24 f., 29–31, 38, 40, 49, 52, 74 f., 78, 86, 93, 101, 106 f., 109, 122, 124 f., 135, 137, 196, 201, 203, 211 f., 216, 252, 277, 303, 306, 317, 418, 432, 437, 442 f., 451, 468, 472–474, 479, 481, 485, 489, 518, 529 f., 533, 535 f., 538, 541 f., 547, 599, 656, 705, 725, 729– 732, 736 f., 741, 744, 748 f., 751, 757 f., 764, 769 Säkularität siehe Säkularisierung Sattelzeit 16, 211 f., 250, 736 Schöpfung 89, 92, 96, 124, 155, 206, 260, 340, 342, 391, 404, 406, 419, 436, 451, 490, 551, 655–671, 675,

860

Sachregister

686, 688, 691, 699–703, 708, 710, 751 f. Schriftprinzip 22, 119, 194, 220, 449, 455, 536, 745 Schwaches Denken 104, 473, 501 (Unsterblichkeit der) Seele 124, 154, 191, 222, 239 f., 261, 353, 638, 672 Selbstmord siehe Suizid Selbstsorge 351, 393, 656, 689–691, 699, 706, 712, 717, 719–722, 725, 752 Seth 151 f., 156 f., 161 Sexismus 453, 524, 526, 528, 748 Shoah siehe Holocaust Skeptizismus 168, 384, 393–395, 424, 636, 743 Soteriologie 96 f., 178, 185, 188, 191, 193, 204, 237, 240, 372, 573, 592, 602 f., 608, 610, 735, 755, 769 Sozialismus 9, 23, 441, 544, 584, 589 Spinozismusstreit siehe Pantheismusstreit Spiritualität 26, 102, 173, 266, 272, 472, 526, 748 Sprachereignis 23, 544 Stellvertretung 75, 100, 160, 178, 194, 225, 227, 464, 550, 552, 568, 570, 607 f., 610, 736, 750, 769 Stoa siehe Stoizismus Stoizismus 146, 168, 273, 694 „Streit um Gott“ 14, 213 f., 300 Subjektivität 18, 53 f., 61, 94, 99, 138, 185, 216, 221, 228, 233, 236, 307, 309, 313, 315–317, 340, 342 f., 419, 478, 486–488, 495, 524, 552, 602, 623 f., 647, 698, 703, 713, 720, 756, 760 Suizid 255, 385, 395, 692, 718 Symbol(theorie) 10 f., 56, 83–85, 87, 158, 180, 191, 235, 249, 260, 287, 434, 469, 523, 529, 547, 616, 629, 641 f., 656, 692, 731, 734 f., 739, 751, 754, 758, 762, 767, 769

Tammûz 148 f., 151 Theismus 3, 8, 10–14, 16 f., 25, 27, 32, 58, 60, 63 f., 67, 76, 78, 83, 85, 92, 100 f., 171, 185 f., 196, 204, 213– 217, 222 f., 228, 301, 330, 369, 432, 436, 442, 462, 508, 514, 520, 528, 536–538, 542, 546 f., 549, 551, 557, 561, 566, 573 f., 582, 589–591, 595, 603 f., 607–610, 645, 735, 737, 746, 756, 765, 769 f. Theopaschismus siehe Patripassianismus Tod des Autors 110 Totalitarismus 23, 122, 375, 412, 426, 537, 544, 676 f. Transzendentalismus 277, 281, 284 f. Transzendentalphilosophie 15, 215, 228, 258, 387, 424, 756 Trinität(slehre) 10, 23, 53, 61, 92, 96 f., 100, 180, 183 f., 186, 197 f., 234, 418, 462, 464, 492, 534, 542, 573– 577, 583, 586, 590, 592, 594 f., 597, 601, 607, 609 f., 735, 750, 767 Umformungskrise 22, 77, 115, 118, 228, 470, 600, 625, 645, 657, 659 Undenkbarkeit Gottes 462 Unveränderlichkeit (Gottes) 23, 73, 184, 189, 195, 468, 535, 537, 574, 590, 596, 610, 749, 765 Verantwortlichkeit 328, 396, 398 f., 424, 514, 568, 674 Weisheitstheologie 55, 183, 663, 666 Wiener Kreis 16, 300 Wort-Gottes-Theologie siehe Dialektische Theologie Zweiter Weltkrieg 5, 7, 23, 35, 67, 84, 99, 102, 111, 253, 288, 290, 292, 296, 298, 338 f., 343, 347, 355, 419, 453, 537, 544, 546, 565, 578, 606, 608, 671, 731, 737 f., 741, 757–759