Digitale Werkzeuge im Mathematikunterricht integrieren: Zur Rolle von Lehrerüberzeugungen und der Wirksamkeit von Fortbildungen [1. Aufl. 2020] 978-3-658-28694-1, 978-3-658-28695-8

Ausgehend von den Potenzialen und Risiken digitaler Mathematikwerkzeuge stellt Daniel Thurm die Entwicklung und Beforsch

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German Pages XVII, 413 [426] Year 2020

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Digitale Werkzeuge im Mathematikunterricht integrieren: Zur Rolle von Lehrerüberzeugungen und der Wirksamkeit von Fortbildungen [1. Aufl. 2020]
 978-3-658-28694-1, 978-3-658-28695-8

Table of contents :
Front Matter ....Pages I-XVII
Einleitung (Daniel Thurm)....Pages 1-8
Theoretischer Hintergrund (Daniel Thurm)....Pages 9-124
Konzeption und Durchführung der Fortbildung (Daniel Thurm)....Pages 125-143
Fragestellung & Hypothesen der Arbeit (Daniel Thurm)....Pages 145-152
Untersuchungsdesign und Methoden (Daniel Thurm)....Pages 153-185
Entwicklung der Erhebungsinstrumente (Daniel Thurm)....Pages 187-223
Querschnittliche Ergebnisse (Daniel Thurm)....Pages 225-252
Ergebnisse zur Wirksamkeit der Fortbildung (Daniel Thurm)....Pages 253-276
Interpretation und Ausblick (Daniel Thurm)....Pages 277-330
Back Matter ....Pages 331-413

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Essener Beiträge zur Mathematikdidaktik

Daniel Thurm

Digitale Werkzeuge im Mathematikunterricht integrieren Zur Rolle von Lehrerüberzeugungen und der Wirksamkeit von Fortbildungen

Essener Beiträge zur Mathematikdidaktik Reihe herausgegeben von Bärbel Barzel, Essen, Deutschland Andreas Büchter, Essen, Deutschland Florian Schacht, Essen, Deutschland Petra Scherer, Essen, Deutschland

In der Reihe werden ausgewählte exzellente Forschungsarbeiten publiziert, die das breite Spektrum der mathematikdidaktischen Forschung am Hochschulstandort Essen repräsentieren. Dieses umfasst qualitative und quantitative empirische Studien zum Lehren und Lernen von Mathematik vom Elementarbereich über die verschiedenen Schulstufen bis zur Hochschule sowie zur Lehrerbildung. Die publizierten Arbeiten sind Beiträge zur mathematikdidaktischen Grundlagenund Entwicklungsforschung und zum Teil interdisziplinär angelegt. In der Reihe erscheinen neben Qualifikationsarbeiten auch Publikationen aus weiteren Essener Forschungsprojekten.

Weitere Bände in der Reihe http://www.springer.com/series/13887

Daniel Thurm

Digitale Werkzeuge im Mathematikunterricht integrieren Zur Rolle von Lehrerüberzeugungen und der Wirksamkeit von Fortbildungen Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Bärbel Barzel

Daniel Thurm Essen, Deutschland Dissertation der Universität Duisburg-Essen, 2019 Von der Fakultät für Mathematik der Universität Duisburg-Essen genehmigte ­Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades „Dr. rer. nat.“ Datum der mündlichen Prüfung: 1. März 2019 Gutachterinnen: Prof. Dr. Bärbel Barzel, Prof. Dr. Katrin Rolka

ISSN 2509-3169 ISSN 2509-3177  (electronic) Essener Beiträge zur Mathematikdidaktik ISBN 978-3-658-28695-8  (eBook) ISBN 978-3-658-28694-1 https://doi.org/10.1007/978-3-658-28695-8 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Springer Spektrum ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

Danksagung

Mein Dank gilt... ...meiner Betreuerin Bärbel Barzel, die mich in jeglicher Hinsicht unterstützte und mir viel Vertrauen entgegenbrachte. Ihre fachliche Expertise kombiniert mit der Fähigkeit, immer den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen, wird für mich immer Vorbild sein. ...meiner Zweitgutachterin Katrin Rolka für die Begutachtung der Arbeit. ... Andreas Büchter, der immer ein offenes Ohr für Fragen und Probleme hatte. Seine Ideen und Rückmeldungen waren für das Gelingen dieser Arbeit sehr wertvoll. ...der gesamten „Arbeitsgruppe Barzel“ sowie den weiteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Mathematikdidaktik der Universität DuisburgEssen für die stets sehr kollegiale Arbeitsatmosphäre. Besonderer Dank gilt dabei Anne Möller für die vielen fachlichen Diskussionen und das kritische Lesen so mancher Textentwürfe. ...Marcel Klinger. In der Zeit meiner Promotion teilten wir uns nicht nur ein Büro, sondern waren auch in der wissenschaftlichen Arbeit eng verbunden. In den vier Jahren habe ich nicht nur einen fachlich sehr versierten Kollegen an meiner Seite gehabt, sondern auch einen guten Freund gewonnen.

VI

Danksagung

...Okan Kaplan. Uns einten die Begeisterung für die Umsetzung diverser mathematikdidaktischer Hobbys abseits der Promotion sowie viele gemeinsame private Interessen. Auf diese Weise entstand eine enge Freundschaft die meine Promotionszeit maßgeblich bereicherte. ...meiner Familie und meinen Freunden, die mich auf vielfältige Art und Weise unterstützt haben. Besonderer Dank gilt meinen Eltern Marika Thurm (geborene Hatschek) und Siegfried Thurm sowie meinem Bruder Markus Thurm – ihr seid ein Rückhalt, der das Schreiben dieser Arbeit erst ermöglicht hat.

Essen im November 2018

Daniel Thurm

Geleitwort Digitalisierung im Unterricht ist hochaktuell eine der zentralen Herausforderungen in der Bildungslandschaft, doch keineswegs neu. Seit mehr als 25 Jahren wird der Einsatz digitaler Mathematikwerkzeuge wie Computeralgebra und Funktionenplotter diskutiert. Erkenntnisse belegen, dass Medien dieser Art beim Lernen von Mathematik eine effiziente Hilfestellung für den Erwerb konzeptuellen Wissens leisten können. Dabei ist unumstritten, dass dieses Potenzial nur bei adäquater Aufgaben- und Unterrichtsgestaltung zur Entfaltung gebracht werden kann. Deshalb sind Professionalisierungsmaßnahmen für Lehrkräfte von außerordentlicher Bedeutung. Trotz der eindeutigen Forschungslage bleibt der Einsatz digitaler Werkzeuge in der Schulpraxis weit hinter den erhofften Erwartungen zurück. Und dies, obwohl die curricularen Rahmenbedingungen einen durchgängigen Einsatz nun seit mehr als 10 Jahren verbindlich fordern, die technischen Voraussetzungen mit der leichteren Verfügbarkeit der Software deutlich verbessert wurden und die Anzahl entsprechender Unterrichtsvorschläge stetig wächst. Die Gründe für die Diskrepanz zwischen curricularen Anforderungen und tatsächlicher Praxis sind deshalb komplexer als angenommen. Lehrkräfte stehen vor der Herausforderung, die eigenen Routinen beim Vorbereiten, Planen und Durchführen von Unterricht zu reflektieren und zu verändern. Die Komplexität der Ursachen besser zu verstehen, ist ein Anliegen der Arbeit von Daniel Thurm. Er untersucht das Gefüge aus Selbstwirksamkeitsüberzeugungen von Lehrkräften, deren Überzeugungen zum Einsatz von Technologie, ihre epistemologischen Überzeugungen und den Einsatz digitaler Werkzeuge im Unterricht. Neben dieser Querschnittsperspektive ist der Erkenntnisgewinn zur Wirksamkeit von Fortbildungen ein weiteres Ziel der vorliegenden Arbeit. Für diese Längsschnittbetrachtung hat Daniel Thurm eine Fortbildungsreihe zum Einsatz digitaler Mathematikwerkzeuge im Mathematikunterricht der Oberstufe untersucht, die über ein

VIII

Geleitwort

halbes Jahr lang mit vier Präsenztagen und Online-Angeboten als Kooperation des DZLM (Deutsches Zentrums für Lehrerbildung Mathematik) mit dem Ministerium für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen durchgeführt wurde. Herr Thurm baut seine Studie auf einer sehr umfassenden gründlichen theoretischen Fundierung auf, wodurch ihm Weitblick und Tiefenblick zugleich gelingen. Die querschnittliche Untersuchung verweist sehr deutlich auf die hohe Bedeutung der Selbstwirksamkeitsüberzeugungen, die mit einem häufigeren Unterrichtseinsatz digitaler Werkzeuge, stärker konstruktivistischen Lehr-Lern-Überzeugungen und einem dynamischen Bild von Mathematik assoziiert sind. Neben interessanten Einzelerkenntnissen der Untersuchung zur Wirksamkeit von Fortbildungen ist vor allem markant, dass sich aufgrund einer latenten Profilanalyse vier Gruppen von Lehrkräften herauskristallisieren, je nach Ausprägung der beiden Dimensionen „technologieaffin oder – avers“ und „seltener oder häufiger Einsatz“. Insgesamt hat Herr Thurm eine Arbeit auf sehr hohem wissenschaftlichen Niveau vorgelegt mit einer gründlichen theoretischen Fundierung und der Generierung eines Testinstruments auf der Grundlage einer inhaltlich wie statistisch überzeugenden Entwicklungsarbeit, einem systematischen und gewissenhaften Einsatz wissenschaftlicher Methodologie, der Transparenz seines Vorgehens und einer kritischen abschließenden Reflexion. Mit dem entstandenen Testwerk zur Erfassung von Lehrerüberzeugungen im Bereich der Digitalisierung und der Einsatzhäufigkeit digitaler Werkzeuge sowie den Forschungsergebnissen zur Wirksamkeit von Fortbildungen leistet Herr Thurm einen außerordentlich wertvollen und wichtigen Beitrag, um die aktuellen Herausforderungen in der Lehrerprofessionalisierung zum Technologieeinsatz mit fundierten Informationen zu bereichern. Essen im Juli 2019

Prof. Dr. Bärbel Barzel

Inhaltsverzeichnis A)

Einleitung .................................................................................. 1

1 Motivation des Forschungsinteresses ................................................. 1 2 Ziele der Arbeit ................................................................................... 7 3 Struktur der Arbeit .............................................................................. 8 B)

Theoretischer Hintergrund...................................................... 9

4 Chancen und Risiken digitaler Werkzeuge ......................................... 9 4.1 Digitale Mathematikwerkzeuge .................................................. 11 4.2 Unterstützung von Repräsentationswechseln ............................. 12 4.3 Unterstützung entdeckenden Lernens ......................................... 31 4.4 Unterstützung von Modellierungsprozessen............................... 40 4.5 Entlastung von kalkülhaftem Arbeiten ....................................... 45 4.6 Empirische Evidenz zum Einsatz digitaler Werkzeuge .............. 60 5 Zur Rolle von Lehrerüberzeugungen ................................................ 63 5.1 Auf die Lehrkraft kommt es an ................................................... 64 5.2 Zu Begriff und Rolle von Lehrerüberzeugungen........................ 68 5.3 Die Rolle technologiebezogener Überzeugungen ...................... 77 5.4 Die Rolle epistemologischer Überzeugungen ............................ 84 5.5 Die Rolle der Selbstwirksamkeitsüberzeugungen ...................... 92 6 Fortbildungen zu digitalen Werkzeugen ......................................... 100 6.1 Zur Forderung nach Fortbildungen ........................................... 100 6.2 Wirkebenen von Fortbildungen ................................................ 104 6.3 Gestaltungsprinzipien von Fortbildungen................................. 107 6.4 Wirksamkeit von Fortbildungen ............................................... 113 C)

Konzeption und Durchführung der Fortbildung .............. 125

7 Rahmenbedingungen....................................................................... 125 8 Inhaltliche Gestaltung der Fortbildungsmodule.............................. 127 8.1 Modul A – Einstieg ................................................................... 127

X

Inhaltsverzeichnis

8.2 Modul B – Modellieren mit digitalen Werkzeugen ................ 130 8.3 Modul C – Unterrichtsprozesse mit digitalen Werkzeugen.... 133 8.4 Modul D – Digitale Werkzeuge in Prüfungssituationen......... 136 9 Umsetzung der Gestaltungsprinzipien ............................................ 139 D)

Fragestellung & Hypothesen der Arbeit ............................ 145

10 Forschungsfragen .......................................................................... 145 11 Hypothesen ................................................................................... 148 E)

Untersuchungsdesign und Methoden ................................. 153

12 Untersuchungsdesign .................................................................... 153 13 Entwicklung der Erhebungsinstrumente ....................................... 156 13.1 Tests und Testgütekriterien................................................... 157 13.2 Methoden der Testentwicklung ............................................ 160 13.3 Deskriptivstatistische Evaluation.......................................... 163 13.4 Konfirmatorische Faktorenanalyse ....................................... 164 14 Querschnittliche Analyse .............................................................. 167 14.1 Korrelationsanalyse .............................................................. 169 14.2 Latente Profilanalyse ............................................................ 171 15 Bestimmung der Wirksamkeit der Fortbildung ............................ 174 15.1 Das Roy-Rubin-Model zur Bestimmung von Effekten ........ 174 15.2 Propensity-Score-Matching .................................................. 177 15.3 Bestimmung der Treatmenteffekte ....................................... 182 F)

Entwicklung der Erhebungsinstrumente ........................... 187 16 Fragebogen zu Selbstwirksamkeitsüberzeugungen ...................... 188 16.1 Fragebogenentwicklung........................................................ 188 16.2 Empirische Überprüfung ...................................................... 193 17 Fragebogen zu technologiebezogenen Überzeugungen ................ 196 17.1 Fragebogenentwicklung........................................................ 196 17.2 Empirische Überprüfung ...................................................... 202

Inhaltsverzeichnis

XI

18 Fragebogen zur Einsatzhäufigkeit digitaler Werkzeuge ............... 208 18.1 Fragebogenentwicklung .......................................................... 208 18.2 Empirische Überprüfung ........................................................ 211 19 Fragebogen zu epistemologischen Überzeugungen ...................... 215 19.1 Fragebogen der TEDS-M-Studie ............................................ 215 19.2 Empirische Überprüfung ........................................................ 219 G)

Querschnittliche Ergebnisse ................................................ 225

20 Beschreibung der Stichprobe ........................................................ 227 21 Geschlecht und Unterrichtserfahrung ........................................... 229 22 Überzeugungen ............................................................................. 234 22.1 Epistemologische Überzeugungen und Selbstwirksamkeitsüberzeugungen......................................... 234 22.2 Epistemologische und technologiebezogene Überzeugungen ....................................................................... 235 22.3 Technologiebezogene Überzeugungen und Selbstwirksamkeitsüberzeugungen......................................... 238 23 Einsatzhäufigkeit........................................................................... 240 23.1 Selbstwirksamkeitsüberzeugungen und Einsatzhäufigkeit ..... 240 23.2 Epistemologische Überzeugungen und Einsatzhäufigkeit...... 241 23.3 Technologiebezogene Überzeugungen und Einsatzhäufigkeit .................................................................... 243 24 Latente Profilanalyse zum Einsatz digitaler Werkzeuge .............. 245 25 Zusammenfassung......................................................................... 249 H)

Ergebnisse zur Wirksamkeit der Fortbildung ................... 253

26 Beschreibung der Stichprobe ........................................................ 253 27 Durchführung des Propensity-Score-Matchings ........................... 259 28 Bestimmung des Fortbildungserfolges ......................................... 263 28.1 Akzeptanz der Fortbildung ..................................................... 263 28.2 Effekte bezüglich Selbstwirksamkeitsüberzeugungen ........... 264 28.3 Effekte bezüglich technologiebezogener Überzeugungen...... 266

XII

Inhaltsverzeichnis

28.4 Effekte bezüglich epistemologischer Überzeugungen.......... 269 28.5 Effekte bezüglich der Einsatzhäufigkeit ............................... 271 29 Zusammenfassung......................................................................... 274 I)

Interpretation und Ausblick ................................................ 277 30 Zur Entwicklung der verwendeten Erhebungsinstrumente ........... 278 31 Diskussion der querschnittlichen Ergebnisse................................ 281 31.1 Die Rolle des Geschlechts .................................................... 283 31.2 Die Rolle der Unterrichtserfahrung ...................................... 284 31.3 Die Rolle der Selbstwirksamkeitsüberzeugungen ................ 288 31.4 Technologiebezogene und epistemologische Überzeugungen ..................................................................... 295 31.5 Lehrerprofile ......................................................................... 301 32 Diskussion der Ergebnisse zur Wirksamkeit der Fortbildung ...... 305 32.1 Wirkebene 1 – Akzeptanz..................................................... 306 32.2 Wirkebene 2 – Selbstwirksamkeitsüberzeugungen .............. 307 32.3 Wirkebene 2 – technologiebezogene Überzeugungen .......... 308 32.4 Wirkebene 2 – epistemologische Überzeugungen ................ 313 32.5 Wirkebene 3 – Einsatzhäufigkeit digitaler Werkzeuge ........ 314 33 Konsequenzen für die Fortbildungspraxis .................................... 317 33.1 Konsequenzen für die Gestaltung von Fortbildungen .......... 317 33.2 Konsequenzen für die beforschte Fortbildung...................... 320 34 Limitationen .................................................................................. 323 35 Resümee und Ausblick ................................................................. 325

J)

Literaturverzeichnis ............................................................. 331

K)

Anhang................................................................................... 399

Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Potenzblume ...................................................................... 34 Abbildung 2: Folie zum Hintergrund des Werkzeugeinsatzes .............. 128 Abbildung 3: Modellierungsaufgabe zum Erdölverbrauch.................... 131 Abbildung 4: Aufgabenausschnitt zum Ultraschallsensor ..................... 132 Abbildung 5: Folie zu Einsatzmöglichkeiten und Rolle digitaler Werkzeuge ........................................................................ 134 Abbildung 6: Folie zu Wissensfacetten in Anlehnung an Prediger et al. (2011)....................................................................... 135 Abbildung 7: Folie zu Dokumentationen von Schülerlösungen ............ 138 Abbildung 8: Informationsblatt zur Aufgabe „Potenzblume“ ............... 141 Abbildung 9: Übersicht über die untersuchten Merkmale ..................... 147 Abbildung 10: Überblick über den Verlauf der Studie .......................... 154 Abbildung 11: Übersicht über die untersuchten Merkmale ................... 225 Abbildung 12: Kennwerte der latenten Profilanalyse ............................ 246 Abbildung 13: Ergebnis der LPA .......................................................... 247 Abbildung 14: Ergebnisse der querschnittlichen Analyse ..................... 252 Abbildung 15: (Gewichtetes) Histogramm der Propensity-Scores ........ 262 Abbildung 16: Längsschnittliche Entwicklung der Selbstwirksamkeitsüberzeugungen ............................... 265 Abbildung 17: Längsschnittliche Entwicklung der technologiebezogenen Überzeugungen ......................... 267 Abbildung 18: Längsschnittliche Entwicklung der epistemologischen Überzeugungen ............................... 270 Abbildung 19: Längsschnittliche Entwicklung der Einsatzhäufigkeit ........................................................... 273 Abbildung 20: Überblick über die querschnittlichen Ergebnisse .......... 282 Abbildung 21: Identifizierte Lehrerprofile ............................................ 305 Abbildung 22: Mögliche Anregung zur Reflexionsförderung ............... 322

Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Untersuchte Merkmale gegliedert nach Wirkebene.............. 148 Tabelle 2: Übersicht über die erfassten Merkmale ................................ 155 Tabelle 3: Items der Skala „SW_Aufgaben“ ......................................... 192 Tabelle 4: Items der Skala“ SW_Unterricht“......................................... 192 Tabelle 5: Deskriptive Statistiken der Items bzgl. Selbstwirksamkeitsüberzeugungen ...................................... 193 Tabelle 6: Globale Fitwerte der Skalen bzgl. Selbstwirksamkeitsüberzeugungen ...................................... 194 Tabelle 7: Lokale Fitwerte der Skalen bzgl. Selbstwirksamkeitsüberzeugungen ...................................... 195 Tabelle 8: Items der Skala "TÜ_Auslagerungsprinzip"......................... 197 Tabelle 9: Items der Skala "TÜ_Repräsentationswechsel".................... 198 Tabelle 10: Items der Skala "TÜ_Entdecken" ....................................... 199 Tabelle 11: Items der Skala "TÜ_Zeitaufwand" .................................... 200 Tabelle 12: Items der Skala "TÜ_Verlust von Fertigkeiten" ................. 200 Tabelle 13: Items der Skala "TÜ_Unreflektiertes Arbeiten" ................. 201 Tabelle 14: Items der Skala "Erst Mathe, dann DW" ............................ 202 Tabelle 15: Deskriptive Statistiken der Items bzgl. technologiebezogener Überzeugungen ............................... 203 Tabelle 16: Globale Fitwerte der Skalen bzgl. technologiebezogener Überzeugungen............................... 204 Tabelle 17: Globale Fitwerte des modifizierten Modells ...................... 205 Tabelle 18: Lokale Fitwerte der Skalen bzgl. technologiebezogener Überzeugungen ................................................................... 206 Tabelle 19: Korrelationstabelle der Skalen bzgl. technologiebezogener Überzeugungen ............................... 207 Tabelle 20: Items der Skala "U_Repräsentationswechsel" .................... 209 Tabelle 21: Items der Skala "U_Individuelle Zugänge" ........................ 210 Tabelle 22: Items der Skala "U_Reflexion"........................................... 210

XVI

Tabellenverzeichnis

Tabelle 23: Items der Skala "U_Entdecken".......................................... 210 Tabelle 24: Items der Skala "U_Üben“.................................................. 211 Tabelle 25: Deskriptive Statistiken der Items bzgl. Einsatzhäufigkeit ................................................................ 212 Tabelle 26: Globale Fitwerte der Skalen bzgl. Einsatzhäufigkeit.......... 213 Tabelle 27: Lokale Fitwerte der Skalen bzgl. Einsatzhäufigkeit ........... 214 Tabelle 28: Korrelationstabelle der Skalen bzgl. Einsatzhäufigkeit ...... 215 Tabelle 29: Items der Skala "BM_Rules" .............................................. 216 Tabelle 30: Items der Skala "BM_Inquiry" ........................................... 217 Tabelle 31: Items der Skala "LL_Instruction" ....................................... 218 Tabelle 32: Items der Skala "LL_Active Learning" .............................. 219 Tabelle 33: Globale Fitwerte der Skalen bzgl. Epistemologischer Überzeugungen ................................................................... 220 Tabelle 34: Ergebnisse der konfirmatorischen Faktorenanalyse ........... 221 Tabelle 35: Lokale Fitwerte der Skalen bzgl. Überzeugungen zur Natur der Mathematik ........................................................ 222 Tabelle 36: Lokale Fitwerte der Skalen bzgl. Lehr-LernÜberzeugungen ................................................................... 223 Tabelle 37: Übersicht über die Erfassung der untersuchten Merkmale............................................................................ 226 Tabelle 38: Übersicht über die Merkmale der querschnittlichen Stichprobe ........................................................................... 227 Tabelle 39: Korrelationen zwischen Selbstwirksamkeitsüb., Erfahrung und Geschlecht .................................................. 230 Tabelle 40: Korrelationen zwischen techn. Überzeugungen, Erfahrung und Geschlecht .................................................. 231 Tabelle 41: Korrelationen zwischen epistem. Überzeugungen, Erfahrung und Geschlecht .................................................. 232 Tabelle 42: Korrelationen zwischen Einsatzhäufigkeit, Erfahrung und Geschlecht ................................................................... 233 Tabelle 43: Korrelationen zwischen Selbstwirksamkeits- und epistem. Überzeugungen .................................................... 235

Tabellenverzeichnis

XVII

Tabelle 44: Korrelationen zwischen technologiebezogenen und epistem. Überzeugungen .................................................... 237 Tabelle 45: Korrelationen zwischen techn. Überz. und Selbstwirksamkeitsüberzeugungen .................................... 239 Tabelle 46: Korrelationen zwischen Selbstwirksamkeitsüberz. und Einsatzhäufigkeit................................................................. 241 Tabelle 47: Korrelationen zwischen epistem. Überzeugungen und Einsatzhäufigkeit ................................................................ 242 Tabelle 48: Korrelationen zwischen techn. Überzeugungen und Einsatzhäufigkeit ................................................................ 244 Tabelle 49: Verteilung der Experimentalgruppe auf die drei Standorte der Fortbildung ................................................... 254 Tabelle 50: Experimental- und Kontrollgruppe zum Zeitpunkt des Pretests................................................................................ 257 Tabelle 51: Experimental- und Kontrollgruppe nach Durchführung des Matchings...................................................................... 261 Tabelle 52: Bewertung der Fortbildung durch die Experimentalgruppe ............................................................ 264 Tabelle 53: Selbstwirksamkeitsüberzeugungen zu Pre- und Posttestzeitpunkt ................................................................. 265 Tabelle 54: Technologiebezogene Überzeugungen zu Pre- und Posttestzeitpunkt ................................................................. 266 Tabelle 55: Epistemologische Überzeugungen zu Pre- und Posttestzeitpunkt ................................................................. 269 Tabelle 56: Einsatzhäufigkeiten zu Pre- und Posttestzeitpunkt ............. 272 Tabelle 57: Zusammenfassung der Befunde zur Wirksamkeit der Fortbildung .......................................................................... 276 Tabelle 58: Übersicht über die Ergebnisse zur Wirkung der Fortbildung .......................................................................... 306

A) Einleitung

1 Motivation des Forschungsinteresses Digitale Medien halten immer stärkeren Einzug in alle Lebensbereiche. Sowohl in der Arbeitswelt als auch im privaten Lebensbereich werden digitale Medien wie Smartphones, Tablets und Computer mit einer Vielzahl an verschiedenen Anwendungen genutzt. In Anbetracht dieser zunehmenden Digitalisierung spricht die Kultusministerkonferenz in Anlehnung an die industrielle Revolution von einer „digitalen Revolution“ (vgl. KMK 2016, S. 8). Diese betrifft dabei in zweifacher Weise auch den Bildungsbereich. So muss Schule einerseits auf das Leben in einer digitalen Welt vorbereiten (digitale Bildung als Lehr-Lerninhalt), andererseits eröffnen sich durch den Einsatz digitaler Medien auch neue Möglichkeiten Lernprozesse zu unterstützen (vgl. BMBF 2016, S. 10). Zur Unterstützung von mathematischen Lernprozessen spielen dabei insbesondere digitale Mathematikwerkzeuge eine wichtige Rolle. Hierzu gehören etwa Tabellenkalkulationsprogramme, dynamische Geometriesoftware, Funktionenplotter und Computer-Algebra-Systeme. In den vergangenen Jahrzehnten konnte gezeigt werden, dass diese Werkzeuge das Potenzial haben auf vielfältige Art und Weise zu einem verständnisvollen Mathematiklernen beizutragen (vgl. Barzel 2012; Drijvers et al. 2016; Zbiek et al. 2007). Der Vorteil entfaltet sich beispielsweise beim entdeckenden Lernen, da schnell vielfältige Beispiele generiert und diese anschließend auf Muster und Strukturen hin untersucht werden können. Ebenfalls kann durch die Reduktion schematischer Abläufe ein verstärkter Fokus auf den Aufbau konzeptuellen Wissens gelegt werden. Die Möglichkeit der Unterstützung des Wechselns zwischen tabellarischer, © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 D. Thurm, Digitale Werkzeuge im Mathematikunterricht integrieren, Essener Beiträge zur Mathematikdidaktik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-28695-8_1

2

A) Einleitung

grafischer und algebraischer Darstellung etwa im Bereich der Funktionenlehre bietet zudem die Möglichkeit, mathematische Begriffsbildungsprozesse zu unterstützen (vgl. z.B. Laakmann 2013; Rieß 2018). In Anerkennung dieser Potenziale wird der Einsatz digitaler Werkzeuge sowohl von Seiten der Wissenschaft als auch von Seiten der Lehrerverbände gefordert (vgl. GDM & MNU 2010; NCTM 2015). Dem folgend ist in Deutschland die Nutzung digitaler Werkzeuge in den Bildungsstandards sowohl für den mittleren Schulabschluss (vgl. KMK 2004) als auch für die allgemeine Hochschulreife (vgl. KMK 2015) fest verankert: „Die Entwicklung mathematischer Kompetenzen wird durch den sinnvollen Einsatz digitaler Mathematikwerkzeuge unterstützt“ (KMK 2015, S. 13). Trotz der allgegenwärtigen Forderung nach dem Einsatz digitaler Mathematikwerkzeuge ist jedoch festzustellen, dass der Einsatz bisher weit hinter den erhofften Möglichkeiten zurückbleibt (vgl. Bretscher 2014, S. 43; Lorenz et al. 2017; Schmidt-Thieme & Weigand 2015, S. 482). Anfangs wurde als Grund hierfür vor allem die mangelnde Verfügbarkeit entsprechender Geräte im Schulalltag angeführt und erhofft, dass mit zunehmender Verbreitung der Werkzeuge diese auch verstärkt Einzug in den Unterricht halten. Dies hat sich jedoch nicht bewahrheitet. So bleibt trotz der zunehmenden schulischen Verfügbarkeit digitaler Werkzeuge die unterrichtliche Nutzung gering. Exemplarisch sei etwa die Studie von Bretscher (2014) genannt, in der nur 2% der Lehrkräfte den grafikfähigen Taschenrechner mindestens einmal die Woche nutzten, während 30% angaben, ihn gar nicht einzusetzen. Das Phänomen der geringen unterrichtlichen Nutzung gilt dabei nicht nur für digitale Mathematikwerkzeuge. So bezeichnet etwa bereits Cuban im Jahre 2001 Computer als „oversold and underused“ (Cuban 2001, S. 1) und spielt darauf an, dass Schulen zwar zunehmend mit Computern ausgestattet werden, die Nutzung dieser jedoch nur marginal ist. An dieser Situation scheint sich bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt wenig geändert zu haben. So stellt beispielsweise der Länderindikator 2017 in einer repräsentativen Befragung fest, dass der MINT-Unterricht nicht

1 Motivation des Forschungsinteresses

3

die erhoffte Vorreiterrolle bei der Verwendung digitaler Medien einnimmt und „digitale Medien weiterhin auf insgesamt eher niedrigem Niveau im schulischen Kontext verankert sind“ (Deutsche Telekom Stiftung 2017, S. 29). Es ist in Anbetracht dessen natürlich zu fragen, worauf die geringe Nutzung digitaler Mathematikwerkzeuge zurückzuführen ist. Als Grund lässt sich einerseits die dem Schulsystem innewohnende Innovationsträgheit (vgl. Gräsel 2010, S. 9) anführen. Andererseits muss festgestellt werden, dass die Komplexität der Einführung digitaler Werkzeuge deutlich unterschätzt wurde (vgl. Schmidt-Thieme & Weigand 2015, S. 482). Diese Komplexität ergibt sich insbesondere daraus, dass der Einsatz digitaler Mathematikwerkzeuge nicht nur technische Bedienkenntnisse erfordert, sondern Lehrkräfte vor neue unterrichtliche Herausforderungen stellt. So bedingt der Einsatz dieser Werkzeuge etwa eine Veränderung methodischdidaktischer Unterrichtsplanung und erfordert veränderte Aufgabenformate, welche die Potenziale digitaler Werkzeuge ausnutzen. Die Lehrkraft benötigt daher spezifische Kompetenzen, um einen didaktisch sinnvollen Einsatz zu realisieren: „There is general agreement in the research that the teacher’s ability to integrate digital tools in mathematics teaching is a crucial factor when working in a classroom where technology is available“ (Drijvers et al. 2016, S. 6). Diese Kompetenzen umfassen dabei neben entsprechendem fachdidaktischem Wissen vor allem auch entsprechende Überzeugungen (vgl. Ertmer et al. 2014; Hegedus et al. 2017a, S. 581). So ist klar, dass Überzeugungen zu digitalen Werkzeugen, welche zum Beispiel in den folgenden Aussagen von Lehrkräften zum Ausdruck kommen, einen großen Einfluss darauf haben wie digitale Werkzeuge genutzt werden:

4

A) Einleitung

„Der [Schüler, Anmerkung des Verfassers] hat bis jetzt nur Mathematik gemacht mit einem Computeralgebra System. Der Junge kann in Mathe nichts. Wenn das Ding ausgeschaltet ist, ist der fertig, ist der erledigt.“ (Rögler 2014, S. 983) „Die grafikfähigen Taschenrechner-Stunden waren deutlich schülerzentrierter, die Schüler haben sich gegenseitig viel erklärt. Durch den Einsatz des grafikfähigen Taschenrechners blieb auch mehr Zeit für Vertiefungen.“ (Äußerung einer Lehrkraft in der vorliegenden Studie) Während das erste Zitat den Verlust von wichtigen Kompetenzen aufgrund des Werkzeugeinsatzes hervorhebt, spiegelt das zweite Zitat positive Überzeugungen zum digitalen Werkzeugeinsatz wider, da nach Überzeugung der Lehrkraft die Lernprozesse durch den Werkzeugeinsatz unterstützt werden. Diese unterschiedlichen Überzeugungen werden im Allgemeinen nicht ohne Konsequenzen für den Unterricht bleiben. So ist zu vermuten, dass die erste Lehrkraft als Konsequenz ihrer Überzeugungen den Werkzeugeinsatz eher restringiert, während die zweite Lehrkraft einen stärkeren Einsatz realisiert. Positive Überzeugungen zum Werkzeugeinsatz werden dementsprechend als wichtige Gelingensbedingung der unterrichtlichen Integration digitaler Werkzeuge angesehen. In der Breite scheinen bei Lehrkräften jedoch vielfach negative Überzeugungen zu digitalen Werkzeugen zu dominieren. So sehen etwa nur 14,4 % der MINT-Lehrkräfte im digitalen Medieneinsatz ein Potenzial für den Aufbau und das Vertiefen von Fachwissen (vgl. Deutsche Telekom Stiftung 2017, S. 28). In Anbetracht dieser Befunde ist es nicht verwunderlich, dass der Werkzeugeinsatz noch hinter den Erwartungen zurückbleibt. Neben positiven Überzeugungen zum Werkzeugeinsatz sind zusätzlich auch weitere Überzeugungsfacetten von Bedeutung. So wird etwa Überzeugungen bezüglich der eigenen Kompetenz, sogenannten Selbstwirksamkeitsüberzeugungen, eine wichtige Rolle zugesprochen (vgl. Ertmer &

1 Motivation des Forschungsinteresses

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Ottenbreit-Leftwich 2010, S. 261 ff.). Lehrkräfte, die sich nicht zutrauen die Anforderungen der unterrichtlichen Integration bewältigen zu können, werden digitale Werkzeuge wohl nur bedingt einsetzen, selbst wenn sie von den Vorteilen der Werkzeuge überzeugt sind. Darüber hinaus werden epistemologische Überzeugungen zur Mathematik und zu mathematischen Lehrprozessen als bedeutsam angesehen (vgl. Ertmer & Ottenbreit-Leftwich 2010, S. 262 ff.). Hier wird beispielsweise angenommen, dass stärker konstruktivistische Lehr-Lern-Überzeugungen zu einem anderen digitalen Medieneinsatz führen, als wenn die Lehrkraft eher die Überzeugung hat, dass Lernen ein einseitiger Transferprozess von Wissenselementen von einem Lehrenden zu einem Lernenden ist. Insgesamt legt der gegenwärtige Wissensstand somit nahe, dass ein mehrdimensionales Bündel an Überzeugungen für den erfolgreichen Werkzeugeinsatz im Mathematikunterricht bedeutsam ist. Allerdings ist das Beziehungsgefüge zwischen den beschriebenen Überzeugungsfacetten sowie dem Einsatz digitaler Werkzeuge vor allem quantitativ bisher nur unzureichend aufgeklärt. Differenzierte Ergebnisse wären hier jedoch wünschenswert, um relevante Ansatzpunkte zur Unterstützung von Lehrkräften, etwa im Rahmen von Fortbildungen, zu identifizieren. Dies ist insbesondere daher von Relevanz, da Fortbildungen zum digitalen Werkzeugeinsatz eine große Bedeutung zugesprochen wird. So wird sich von Fortbildungen zu digitalen Werkzeugen erhofft entsprechende Kompetenzen auf- und auszubauen und so die Integration digitaler Werkzeuge in den Unterricht zu unterstützen. Beispielsweise hebt die Kultusministerkonferenz hervor: „Mit Blick auf das lebenslange Lernen und auf die rasante technologische und konzeptionelle Entwicklung im Bereich der digitalen Medien kommt der Lehrerfortbildung eine besondere Bedeutung zu“ (KMK 2016, S. 29). In Anbetracht der Tatsache, dass der Lehrerbildung so große Bedeutung zugemessen wird, stellt sich natürlich die Frage, wie entsprechende Angebote gestaltet werden müssen und ob diese die gewünschte Wirkung entfalten. Die Auseinandersetzung mit diesen Fragen

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A) Einleitung

ist jedoch noch relativ jungen Datums. So stellt etwa Törner (2015) in seiner Übersicht über die Entwicklung der Forschung zur Lehrerbildung in Deutschland fest, dass diese in der deutschsprachigen Literatur „grundsätzlich wie auch fachspezifisch erst in den letzten fünfzehn Jahren hierzulande angekommen zu sein“ (Törner 2015, S. 200) scheint. Aber auch international ist der Forschungsbedarf noch groß. So konnten zwar mittlerweile generische Merkmale erfolgreicher Fortbildungen, wie etwa eine hinreichend lange Fortbildungsdauer und eine Anregung von Reflexionsprozessen, identifiziert werden (vgl. z.B. Barzel & Selter 2015), es wird jedoch insbesondere ein Mangel an quantitativen Studien zur Effektivität von Fortbildungen hervorgehoben (vgl. Sztajn et al. 2017, S. 816). Dieser Mangel an Forschungsergebnissen betrifft dabei insbesondere auch Fortbildungen zum digitalen Werkzeugeinsatz. So fehlen konkretere Hinweise zur Gestaltung von Fortbildungen zum digitalen Werkzeugeinsatz sowie Studien, welche untersuchen, ob die Fortbildungen die erhoffte Wirkung entfalten (vgl. Driskell et al. 2015; Hegedus et al. 2017b, S. 28). Driskell et al. (2015) stellen dementsprechend fest: „Limited published professional development research impairs the ability to advance the field of mathematics educational technology professional development“ (Driskell et al. 2015, S. 661). Zusammengefasst können somit die folgenden zwei Forschungslücken ausgemacht werden. Zum einen wird den Überzeugungen bei der Integration digitaler Werkzeuge zwar eine wichtige Rolle zugesprochen, der Zusammenhang zwischen Selbstwirksamkeitsüberzeugungen, Überzeugungen zu digitalen Werkzeugen, epistemologischen Überzeugungen und unterrichtlichem Einsatz der Werkzeuge ist bisher jedoch nur in Ansätzen empirisch untersucht. Zum anderen fehlen Studien, welche die Wirksamkeit von Fortbildungsmaßnahmen zu digitalen Werkzeugen untersuchen.

2 Ziele der Arbeit

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2 Ziele der Arbeit Das vorliegende Forschungsprojekt setzt bei diesen Forschungsbedarfen an. Die Arbeit hat dabei zwei Ziele: •

Zum einen soll das Beziehungsgefüge zwischen Selbstwirksamkeitsüberzeugungen, Überzeugungen zu digitalen Werkzeugen, epistemologischen Überzeugungen und dem unterrichtlichem Werkzeugeinsatz weiter aufgeklärt werden. Auch soll der Zusammenhang dieser Merkmale mit dem Geschlecht und der Vorerfahrung mit digitalen Werkzeugen eruiert werden. Die Untersuchung dieses Beziehungsgefüges ist vor allem deshalb bedeutsam, um relevante Ansatzpunkt für die Unterstützung von Lehrkräften im Rahmen von Fortbildungen zu identifizieren.



Das zweite Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, Erkenntnisse zur Wirksamkeit von Fortbildungen zu digitalen Werkzeugen zu generieren. Hierzu soll untersucht werden, inwieweit sich durch eine Fortbildung zu digitalen Werkzeugen die Überzeugungen und die Einsatzhäufigkeit digitaler Werkzeuge bei den Lehrkräften verändern. Auch aus diesen Ergebnissen sollen dann Rückschlüsse für die Gestaltung von Professionalisierungsmaßnahmen gezogen werden. Als Forschungsgegenstand dient dabei die Fortbildung „GTR kompakt“ zum Einsatz des grafikfähigen Taschenrechners in der Einführungsphase der gymnasialen Oberstufe, welche in Zusammenarbeit vom Deutschen Zentrum für Lehrerbildung Mathematik (DZLM), dem Ministerium für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen und der Westfälische Wilhelms-Universität Münster entwickelt wurde. Die Fortbildung umfasste vier eintägige Präsenzveranstaltungen und wurde im Rahmen der verpflichtenden Einführung grafikfähiger Taschenrechner in der gymnasialen Oberstufe in Nordrhein-Westfalen zum Schuljahr 2014/2015 an drei verschiedenen Standorten in NRW durchgeführt.

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A) Einleitung

3 Struktur der Arbeit Die Struktur der Arbeit stellt sich insgesamt wie folgt dar: In Teil B) wird der theoretische Hintergrund der Arbeit dargelegt wobei in Kapitel 4 zunächst die Potenziale aber auch die möglichen Risiken des Werkzeugeinsatzes skizziert werden. Dies ist vor allem daher von Relevanz, da sich die Überzeugungen von Lehrkräften zu digitalen Werkzeugen in der Regel auf diese Potenziale und Risiken beziehen und sich andererseits die inhaltliche Gestaltung der Fortbildung an den Potenzialen und Risiken des Werkzeugeinsatzes orientierte. Kapitel 5 nimmt die Lehrkraft und ihre Überzeugungen bei der Integration digitaler Werkzeuge in den Blick, bevor in Kapitel 6 Erkenntnisse zur Gestaltung und Wirkung von Fortbildungen zu digitalen Werkzeugen betrachtet werden. In Teil C) wird beschrieben, wie die beforschte Fortbildung „GTR kompakt“ unter Berücksichtigung der zuvor dargelegten theoretischen Grundlagen konzipiert wurde. In Teil D) werden die Forschungsfragen und entsprechende Hypothesen formuliert, bevor in Teil E) das methodische Vorgehen erläutert wird. Teil F) stellt die Entwicklung der Erhebungsinstrumente dar, mit denen die Forschungsfragen beantwortet werden sollen. Teil G) der Arbeit widmet sich schließlich der Beantwortung der ersten Forschungsfrage nach den Zusammenhängen zwischen epistemologischen Überzeugungen, technologiebezogenen Überzeugungen, Selbstwirksamkeitsüberzeugungen und unterrichtlichem Werkzeugeinsatz. Teil H) beantwortet anschließend die Frage nach der Wirksamkeit der beforschten Fortbildung. In Teil I) werden die Ergebnisse diskutiert und Konsequenzen für die Gestaltung von Fortbildungen zum digitalen Werkzeugeinsatz abgeleitet.

B) Theoretischer Hintergrund Die Beforschung der Integration digitaler Mathematikwerkzeuge bedingt zunächst eine Auseinandersetzung mit dem Werkzeug an sich. So bilden die Potenziale und Risiken digitaler Mathematikwerkzeuge das Fundament und den Bezugspunkt sowohl für die Einordnung der Überzeugungen der Lehrkräfte zum Werkzeugeinsatz als auch für die Gestaltung der in dieser Arbeit beforschten Fortbildung. Dementsprechend werden in Kapitel 4 zunächst die in der Literatur benannten Potenziale und Risiken in den Blick genommen. Klar ist jedoch, dass eine Realisierung dieser Potenziale ganz entscheidend von der Lehrkraft abhängt. In diesem Zusammenhang haben sich vor allem die Lehrerüberzeugungen als ein wichtiger Faktor herausgestellt. Aus diesem Grund wird in Kapitel 5 die Rolle von technologiebezogenen Überzeugungen, Selbstwirksamkeitsüberzeugungen und epistemologischen Überzeugungen und deren Rolle bei der Werkzeugintegration diskutiert. Kapitel 6 nimmt schließlich die Professionalisierung der Lehrkräfte in den Blick und stellt dar, welche Erkenntnisse zur Gestaltung und Wirksamkeit von Fortbildungen zu digitalen Werkzeugen vorliegen.

4 Chancen und Risiken digitaler Werkzeuge Der Einsatz digitaler Werkzeuge im Mathematikunterricht sollte, genau wie der Einsatz jedes Mediums, nicht bloßer Selbstzweck sein. Vielmehr sind Medien Mittler im Lernprozess, um aufbauend auf bestimmten Vorstellungen von erfolgreichem Lernen den Wissenserwerb zu unterstützen. Der Einsatz digitaler Werkzeuge muss somit immer mit den zugrundeliegenden Vorstellungen von erfolgreichem Lehren und Lernen von Mathematik in Verbindung gebracht werden. Dies bringen Windschitl & Sahl (2002) wie folgt treffend auf den Punkt:

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 D. Thurm, Digitale Werkzeuge im Mathematikunterricht integrieren, Essener Beiträge zur Mathematikdidaktik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-28695-8_2

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B) Theoretischer Hintergrund

„[...] there can be no individual or institutional vision of technology use’ that exists separately from beliefs about learners, beliefs about what characterizes meaningful learning, and beliefs about the role of the teacher within the vision.“ (Windschitl & Sahl 2002, S. 202) Im folgenden Kapitel soll daher erläutert werden, wie sich der Einsatz digitaler Werkzeuge basierend auf fachdidaktischen Grundlagen und Vorstellungen eines zeitgemäßen Mathematikunterrichts begründen lässt. Da sich die vorliegende Arbeit auf den Einsatz digitaler Werkzeuge in der Einführungsphase der gymnasialen Oberstufe bezieht, und hier vor allem der Funktions- und Ableitungsbegriff im Mittelpunkt steht, werden die Ausführungen dabei vor allem im Hinblick auf diesen Bereich fokussiert. Die zentralen Potenziale die sich hier in der Literatur identifizieren lassen (vgl. z.B. Pierce & Stacey 2010), sind einerseits die Unterstützung von Repräsentationswechseln (Abschnitt 4.2), eine Förderung von entdeckendem Lernen (Abschnitt 4.3), die Unterstützung von Modellierungstätigkeiten (Abschnitt 4.4) sowie die Reduzierung einer einseitigen Kalkülorientierung (Abschnitt 4.5). Für die Betrachtung anderer Inhaltsbereiche und weiterer Potenziale, sei hingegen auf entsprechende Übersichtsarbeiten und Reviews verwiesen (vgl. z.B. Barzel 2012; Burrill et al. 2002; Clark-Wilson et al. 2014; Dunham & Dick 1994; Drijvers et al. 2016; Ellington 2003, 2006; Ferrara et al. 2006; Hegedus et al. 2017b; Heid & Blume 2008; Hoyles & Lagrange 2010; Lagrange et al. 2001; Penglase & Arnold 1996; Zbiek et al. 2007). Ziel des vorliegenden Kapitels ist es einerseits die inhaltliche Gestaltung der Fortbildung (vgl. Teil C) theoretisch zu fundieren. Anderseits beziehen sich Überzeugungen von Lehrkräften zu digitalen Werkzeugen häufig auf die Chancen und Risiken des Einsatzes, so dass die Darstellungen in diesem Kapitel weiterhin auch wichtige Bezugspunkte für Kapitel 5 liefern, in welchem die Rolle der Lehrerüberzeugungen bei der Integration digitaler Werkzeuge beleuchtet wird.

4 Chancen und Risiken digitaler Werkzeuge

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4.1 Digitale Mathematikwerkzeuge Da sich die in der vorliegenden Arbeit beforschte Fortbildung mit dem Einsatz digitaler Werkzeuge befasst, ist zunächst zu klären, was im Folgenden unter „digitalen Werkzeugen“ verstanden werden soll. Dies ist vor allem daher notwendig, da in diesem Zusammenhang eine Vielzahl unterschiedlicher Begriffe wie „digitale Medien“, „neue Medien“, „Technologieeinsatz“ oder „Computereinsatz“ Verwendung finden. Einen Zugang für eine mögliche Systematisierung der unterschiedlichen Begriffe, welche sich für die vorliegende Arbeit als hilfreich erweist, bietet die Unterscheidung zwischen Lernumgebungen und Werkzeugen (vgl. Barzel et al. 2005). Unter dem Begriff Lernumgebung wird nach Barzel et al. (2005) alles gefasst, „was den Lernenden von außen instruiert. Dazu gehören Inhalte, Ziele, Kommunikationsformen u. a., die durch die Lehrperson oder die Lernenden vorstrukturiert bzw. festgelegt sind und die den Rahmen bieten für die Lernprozesse der Einzelnen oder der Gruppe“ (Barzel et al. 2005, S. 30). Lernumgebungen verfolgen also ein bestimmtes fachliches Ziel in einem Themenbereich. Somit können im Rahmen dieser Definition zum Beispiel Applets sowie interaktive Arbeitsblätter als Lernumgebung bezeichnet werden. Werkzeuge werden im Unterschied zu Lernumgebungen als „universell einsetzbare Hilfsmittel zur Bearbeitung einer breiten Klasse von Problemen“ (Barzel et al. 2005, S. 30) beschrieben. Werkzeuge lassen sich dabei weiter in klassische Werkzeuge (z.B. Zirkel und Geodreieck), allgemeine digitale Werkzeuge, die fächerübergreifend einsetzbar sind (z.B. Textverarbeitungsprogramme wie MS-Word), und digitale Mathematikwerkzeuge, die eine besondere Relevanz für die Mathematik haben,

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B) Theoretischer Hintergrund

unterteilen.1 Zu diesen digitalen Mathematikwerkzeugen zählen Heintz et al. (2014, S. 507) dynamische Geometrie-Software, Tabellenkalkulationsprogramme, Funktionenplotter, Computeralgebra-Systeme (CAS) sowie Multirepräsentationswerkzeuge, welche die Funktionen der zuvor genannten Werkzeuge vereinen und vernetzen (siehe auch Heintz et al. 2017, S. 15 ff.). Diese Vernetzung zeichnet sich insbesondere durch einen einfachen Wechsel und die dynamische Verknüpfung der unterschiedlichen Repräsentationsformen wie Term, Tabelle und Graph aus. Der Einsatz dieser digitalen Werkzeuge ist, anders als der Einsatz von digitalen Lernumgebungen, für den langfristigen Einsatz über mehrere Jahrgangstufen und in unterschiedlichen Unterrichtssequenzen geeignet. Wenn in dieser Arbeit von digitalen Werkzeugen gesprochen wird, sind digitale Mathematikwerkzeuge in obigem Sinne darunter zu verstehen. Für den Schulunterricht in der gymnasialen Oberstufe in Nordrhein-Westfalen ist die Nutzung des grafikfähigen Taschenrechners verpflichtend vorgeschrieben, wobei die auf dem Markt befindlichen Handheld-Geräte zwar nicht notwendigerweise über ein CAS verfügen, jedoch alle den einfachen Wechsel und die dynamische Verknüpfung der unterschiedlichen Repräsentationsformen ermöglichen. 4.2 Unterstützung von Repräsentationswechseln Nachdem geklärt wurde, was in der vorliegenden Arbeit unter digitalen Werkzeugen verstanden wird, werden in den folgenden Kapiteln die Potenziale und Risiken dieser Werkzeuge erläutert. Als erstes wird dabei in diesem Kapitel darauf eingegangen, wie digitale Werkzeuge das Arbeiten mit verschiedenen Repräsentationsformen im Bereich der Funktionenlehre unterstützen können.

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Zu beachten ist, dass die Unterscheidung zwischen Lernumgebungen und Werkzeugen nicht als trennscharf anzusehen ist. So sind zum Beispiel digitale Lernumgebungen häufig in Form interaktiver Arbeitsblätter in digitale Werkzeuge eingebettet.

4 Chancen und Risiken digitaler Werkzeuge

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Mathematikdidaktische Fundierung Die Potenziale digitaler Werkzeuge zur Unterstützung von Repräsentationswechseln lassen sich vor allem dann nachvollziehen, wenn klar ist, warum der Einbezug verschiedener Repräsentationsformen für das Mathematiklernen als bedeutsam angesehen wird. Repräsentationen mathematischer Objekte sind dabei insbesondere deshalb relevant, da aufgrund der Abstraktheit mathematischer Objekte nur durch Repräsentationen ein Zugang zu diesen Objekten möglich wird: “[...] there is an important gap between mathematical knowledge and knowledge in other sciences such as astronomy, physics, biology, or botanic. We do not have any perceptive or instrumental access to mathematical objects, even the most elementary, as for any object or phenomenon of the external world. We cannot see them, study them through a microscope or take a picture of them. The only way of gaining access to them is using signs, words or symbols, expressions or drawings.” (Duval 2000, S. 61) Demzufolge gibt es zum Beispiel keinen direkten Zugriff auf den Begriff der Funktion, erst über die Repräsentation etwa als Funktionsterm oder Funktionsgraph wird es möglich einen Zugang zu gewinnen. Die Repräsentationen sind jedoch niemals mit dem mathematischen Begriff identisch (vgl. Duval 2002, S. 313). Aus kognitionspsychologischer Sicht wird angenommen, dass die sogenannten externalen Repräsentationen in Form von Sprache, Symbolen, Bildern oder physikalischen Objekten auf mentale (auch internal genannte) Repräsentationen einwirken. Weiterhin wird angenommen, dass die internalen Repräsentationen verknüpft werden können und diese Verknüpfungen dadurch stimuliert werden, dass Beziehungen zwischen den externalen Repräsentationen hergestellt werden. In diesem Sinne kann der Aufbau von mathematischem Verständnis als Prozess des Bildens von Netzwerken mentaler Repräsentationen aufgefasst werden. Repräsentationen werden hinzugefügt, neu angeordnet, neue

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B) Theoretischer Hintergrund

Verknüpfungen werden erstellt und alte Verknüpfungen werden angepasst oder aufgegeben (vgl. Hiebert & Carpenter 1992; Pape & Tchoshanov 2001). Duval (2006, S. 111) geht sogar so weit, jegliches mathematische Arbeiten als eine Transformation von Repräsentationen aufzufassen und misst dementsprechend der Fähigkeit des Wechsels zwischen den unterschiedlichen semiotischen Repräsentationen (Zahlen, geometrische Figuren, algebraische Symbole, Graphen, Sprache) eine besondere Bedeutung für die Entwicklung von mathematischem Verständnis zu: „Changing representation register is the threshold of mathematical comprehension for learners at each stage of curriculum. It depends on coordination of several representation registers and it is only in mathematics that such a register coordination is strongly needed.“ (Duval 2006, S. 128) Dabei unterscheidet Duval den Wechsel innerhalb einer Repräsentationsform (treatment) und den Wechsel zwischen verschiedenen Repräsentationsformen (conversion). So wäre das Darstellen eines Graphen in verschiedenen Achsenskalierungen ein treatment, während die Erzeugung eines Funktionsterms zu einem gegebenen Graphen als conversion anzusehen ist. Die Ausbildung der Fähigkeit von Lernenden, im Sinne von treatments und conversions die Repräsentationsform zu wechseln, sieht Duval als die große Herausforderung für den Mathematikunterricht an: „The true challenge of mathematics education is first to develop the ability to change representation register“ (Duval 2006, S. 128). Die Wichtigkeit des Einbezugs vielfältiger Repräsentationsformen wurde in den vergangenen Jahrzenten in empirischen Studien belegt. So lässt sich etwa zeigen, dass Lernende, welche mit Hilfe multipler Repräsentationen unterrichtet wurden, ein tieferes mathematisches Verständnis entwickeln und bessere Problemlösefertigkeiten aufweisen (vgl. Brenner et al. 1997;

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Brenner et al. 1999; Cramer et al. 2002; Greeno & Hall 1997; Porzio 1999). In Anbetracht dieser Befunde gilt die Bedeutung des Einbezugs vielfältiger Repräsentationsformen und des Repräsentationswechsels für die Mathematikdidaktik mittlerweile als gesichert (vgl. Acevedo Nistal et al. 2009; Greeno & Hall 1997; Heinze et al. 2009; Keller & Hirsch 1998; Prediger 2013). Dies spiegelt sich konsequenterweise auch in den Bildungsstandards wider. So ist in den Bildungsstandards für den mittleren Schulabschluss (KMK 2004, S. 8) sowie für die allgemeine Hochschulreife (KMK 2012, S. 11) die Kompetenz „mathematische Darstellungen verwenden“ als allgemeine mathematische Kompetenz verankert. Diese umfasst insbesondere auch die Teilkompetenzen „verschiedene Formen der Darstellung von mathematischen Objekten und Situationen anwenden, interpretieren und unterscheiden“ (KMK 2004, S. 8) und „unterschiedliche Darstellungsformen je nach Situation und Zweck auswählen und zwischen ihnen wechseln“ (KMK 2004, S. 8). Trotz der großen Bedeutung, die dem Repräsentationswechsel zugesprochen wird, lässt sich jedoch für den deutschsprachigen Mathematikunterricht beobachten, dass Lernende die Repräsentationsformen noch nicht in wünschenswertem Maß vernetzen können (vgl. z.B. Klinger 2018). Dies lässt sich auch darauf zurückführen, dass der Aufbau dieser Kompetenz für Lernende oftmals mit großen Hürden und vielfältigen Schwierigkeiten verbunden ist (vgl. Arcavi 2003; Duval 2006; Schoenfeld et al. 1993). So beschreibt etwa Arcavi (2003) das Erlernen von Repräsentationswechseln als einen “long-winded, context dependent, nonlinear and even tortuous process for students“ (Arcavi 2003, S. 235). Als Grund für die Schwierigkeiten stellt Duval (2006) insbesondere die hohe Komplexität von Repräsentationswechseln heraus: „But the root of the troubles that many students have with mathematical thinking lies in the mathematical specificity and the cognitive complexity of conversion and changing representation“ (Duval 2006, S. 127). Diese Komplexität spiegelt sich etwa in den vielen unterschiedlichen Aktivitäten wider, die beispielsweise der

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B) Theoretischer Hintergrund

Wechsel zwischen der numerisch-tabellarischen, der graphisch-visuellen, der formal-symbolischen und der situativ-sprachlichen Repräsentation einer Funktion erfordert. So sind bei diesen Repräsentationsformen 12 Wechsel möglich, die ganz unterschiedliche Anforderungen an die Lernenden stellen (vgl. Klinger 2018, S. 66 ff.) Die oben beschriebene Theorie von Duval betont die wichtige Rolle von Repräsentationswechseln bei der Begriffsbildung. Die Begriffsbildung sollte jedoch auch den Vorstellungsaufbau als sinnstiftendes Element umfassen. Ziel sollte „ein verständiger Umgang mit mathematischen Begriffen sein, der sich durch tragfähiges inhaltliches Denken auszeichnet“ (Wessel 2015, S. 12). In diesem Zusammenhang hat im deutschsprachigen Raum vor allem das Konzept der Grundvorstellungen große Bedeutung gewonnen. Nach vom Hofe (1992) beschreiben Grundvorstellungen „Beziehungen zwischen mathematischen Inhalten und dem Phänomen der individuellen Begriffsbildung“ (vom Hofe 1992, S. 347). Grundvorstellungen ermöglichen, dass Lernende fachliche Aspekte mit Bedeutung versehen können und bilden somit die Basis für inhaltliches Denken (vgl. vom Hofe 2003). Beispiele, worauf sich Grundvorstellungen beziehen können, sind etwa Grundvorstellungen zum Bruchbegriff oder Funktionsbegriff. Grundvorstellungen lassen sich dabei deskriptiv wie auch normativ auffassen. Deskriptiv findet der Begriff der Grundvorstellungen Verwendung, wenn beschrieben wird, welche individuellen Grundvorstellungen ein Lernender zu einem bestimmten Aspekt eines Begriffes ausgebildet hat. Allerdings müssen diese Vorstellungen nicht immer tragfähig sein. Daher beschreiben normative Grundvorstellungen diejenigen Grundvorstellungen, die Lernende ausbilden sollten, um verständig mit mathematischen Objekten umgehen zu können. Bilden Lernende keine tragfähigen Grundvorstellungen aus so besteht „die Gefahr, dass lediglich formales, rezeptives Wissen erworben wird, das in heuristischen Prozessen nicht adäquat genutzt werden kann und wenig transferfähig ist“ (Greefrath et al. 2016, S. 20).

4 Chancen und Risiken digitaler Werkzeuge

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In Bezug auf den Funktionsbegriff lassen sich Grundvorstellungen nach Vollrath (1989; 2014) und Malle (2000) in Kovariationsvorstellung, Zuordnungsvorstellung und Objektvorstellung ausdifferenzieren. Bei der Zuordnungsvorstellung steht die Vorstellung im Vordergrund, dass jedem Element der Definitionsmenge genau ein Element einer Wertemenge zugeordnet wird. Die Kovariationsvorstellung dagegen bezieht sich auf das Änderungsverhalten der Funktionswerte, wenn das Argument der Funktion, die unabhängige Größe, variiert wird. Hier steht also die Beeinflussung der zweiten, abhängigen Größe durch die erste, unabhängige Größe im Zentrum der Betrachtung. Bei der Objektvorstellung wird die Funktion als ein eigenständiges Objekt betrachtet, welches zum Beispiel auch mathematischen Operationen wie etwa Addition und Subtraktion unterzogen werden kann. Für einen verständnisvollen Umgang mit Funktionen ist es wichtig, die Ausbildung von allen drei Grundvorstellungsaspekten anzustreben (vgl. Malle 2000; vom Hofe 2003). Einen etwas anderen Ansatz um das Verstehen mathematischer Konzepte zu beschreiben verfolgt die in der internationalen Literatur stark verbreitete Prozess-Objekt-Theorie von Sfard (1991), welche häufig als Theorierahmen für Studien zum Einsatz digitaler Werkzeuge verwendet wird. Nach Sfard können mathematische Objekte aus operationaler und struktureller Perspektive entweder als Prozess oder Objekt wahrgenommen werden, wobei sich diese Sichtweisen nicht gegenseitig ausschließen. Sfard beschreibt den Objektaspekt dabei wie folgt: „Seeing a mathematical entity as an object means being capable of referring to it as if it was a real thing - a static structure, existing somewhere in space and time. It also means being able to recognize the idea ‚at a glance‘ and to manipulate it as a whole, without going into details.“ (Sfard 1991, S. 4) Für den Funktionsbegriff lässt sich der Objektaspekt nach Sfard somit im Wesentlichen dem Objektaspekt der Grundvorstellungstheorie zuordnen

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B) Theoretischer Hintergrund

(vgl. vom Hofe et al. 2015, S. 162). Das Prozessverständnis nach Sfard betont hingegen „processes, algorithms and actions“ (Sfard 1991, S. 4). Eine Funktion wird in dieser Sichtweise als ein Prozess wahrgenommen, welcher ausgehend von einem bestimmten Ausgangswert aufgrund eines Musters einen neuen Wert generiert (vgl. Klinger 2018, S. 57). Diese operationale Perspektive lässt sich demnach nur in Teilen der Kovariationsund der Zuordnungsvorstellung aus der Grundvorstellungstheorie zuordnen (vgl. vom Hofe et al. 2015, S. 162). Anders als bei der Grundvorstellungstheorie, in der die unterschiedlichen normativen Grundvorstellungsaspekte in der Regel gleichwertig nebeneinanderstehen, wird in der Theorie von Sfard zudem eine gewisse Stufung postuliert. So entwickelt sich das Verständnis nach Sfard ausgehend von einer operationalen Perspektive zunehmend in Richtung einer strukturellen Perspektive (vgl. Sfard 1994, S. 53). Die Theorie von Sfard betont somit stärker den Aneignungsprozess von mathematischen Konzepten als die Grundvorstellungstheorie. Gerade für den Aufbau von Grundvorstellungen und die zunehmende Ausbildung der strukturellen Perspektive auf mathematische Objekte wird der Verwendung vielfältiger Repräsentationsformen eine wichtige Rolle zugesprochen. So können zum Beispiel die Repräsentationsformen Term, Tabelle und Graph einer Funktion aus der Perspektive jeder Grundvorstellung betrachtet werden (vgl. vom Hofe et al. 2015, S. 164). Beispielweise kann die Zuordnungsvorstellung über eine zeilenweise Zuordnung in der Tabelle, über die Zuordnung eines Wertes auf der x-Achse des Graphen zu einem Wert auf der y-Achse im Graphen oder beim Berechnen des zugehörigen y-Wertes zu einem bestimmten x-Wert im Term zum Tragen kommen. Allerdings betonen unterschiedliche Repräsentationsformen auch unterschiedliche Grundvorstellungsaspekte. So akzentuieren Graphen eher den Objektaspekt, wohingegen Tabellen den Zuordnungsaspekt betonen (vgl. Fest & Hoffkamp 2013, S. 179). Für einen verständnisvollen Umgang mit Funktionen ist es somit wichtig die Ausbildung von allen drei

4 Chancen und Risiken digitaler Werkzeuge

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Grundvorstellungsaspekten durch den Einbezug vielfältiger Repräsentationen zu unterstützen. Unterstützung des Einbezugs von verschiedenen Repräsentationsformen durch digitale Werkzeuge Die vorherigen Ausführungen bilden den Ausgangspunkt um im Folgenden zu erläutern, wie digitale Werkzeuge den Einbezug und das Arbeiten mit vielfältigen Repräsentationen unterstützen können. Die Vorteile digitaler Werkzeuge entfalten sich zunächst vor allem aufgrund der Möglichkeit, einfach und schnell verschiedene Repräsentationsformen erstellen und bearbeiten zu können. So ist zum Beispiel das von Hand sehr aufwendige Erstellen von Graphen und Wertetabellen mit digitalen Werkzeugen um ein Vielfaches leichter. Weiterhin bietet die problemlose Verfügbarkeit der verschiedenen Repräsentationsformen auch die Möglichkeit einen verstärkten Fokus auf die Interpretation von und Kommunikation über diese Repräsentationsformen zu legen (vgl. Peschek & Schneider 2002, S. 192; Schneider 2002, S. 201). Dörfler (1991) betont zudem, dass durch die einfachere Verfügbarkeit vielfältiger Repräsentationsformen auch die beobachtbare Dominanz der formal-symbolischen Repräsentation aufgehoben werden kann und so ein ausgewogenerer Einsatz der Repräsentationsformen im Unterricht ermöglicht wird (vgl. Dörfler 1991, S. 70). Ebenso hebt Dörfler hervor, dass viele aufgrund des großen Aufwands meist nur mental durchführbaren Operationen mit Hilfe digitaler Werkzeuge externalisiert werden können. Soll etwa ein Funktionsgraph als Ganzes in y-Richtung verschoben werden, so lässt sich beim klassischen Arbeiten ohne digitale Werkzeuge nur das Ausgangs- und Endprodukt visuell betrachten. Der eigentliche Prozess des Verschiebens kann nicht beobachtet werden, sondern nur mental visualisiert werden. Mit digitalen Werkzeugen hingegen kann die Funktion mit dem Cursor im Koordinatensystem bewegt und die vorher nur mental verfügbare Operation externalisiert werden.

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B) Theoretischer Hintergrund

Dynamische Verknüpfung von Repräsentationsformen mit digitalen Werkzeugen Ein weiterer Vorteil digitaler Werkzeuge liegt überdies in der Möglichkeit, verschiedene Repräsentationsformen dynamisch zu verknüpfen. Hierbei werden Änderungen in einer Repräsentationsform direkt auf eine oder mehrere andere Repräsentationsformen eines mathematischen Objektes übertragen. Hierzu stellt bereits Kaput (1986) fest: „[...] information technology will have its greatest impact in transforming the meaning of what it means to learn and use mathematics by providing access to new forms of representation as well as providing simultaneous access to multiple, linked representations.“ (Kaput 1986, S. 188) So können beispielsweise graphische, tabellarische und algebraische Repräsentationen einer Funktion simultan dargestellt und interaktiv miteinander verknüpft werden. Im zuvor beschriebenen Beispiel, bei welchem der Funktionsgraph mit Hilfe des Cursors im Koordinatensystem bewegt wird, ermöglichen digitale Werkzeuge, dass Lernende simultan die Auswirkungen der Verschiebung des Graphen auf die tabellarische und algebraische Darstellung beobachten können. Auf diese Weise können Lernende gleichzeitig mit unterschiedlichen Repräsentationsformen arbeiten und die Zusammenhänge zwischen diesen dynamisch erkunden, was ohne den Einsatz digitaler Werkzeuge kaum umsetzbar ist: „[…] it is only with graphing technology that working simultaneously with representations is truly possible“ (Ford 2008, S. 16; vgl. auch Kaput 1989, S. 177; Leinhardt et al. 1990). Heugl et al. (1996), die auf die Arbeiten von Dörfler (1991) Bezug nehmen, bezeichnen dieses gleichzeitige interaktive Arbeiten mit unterschiedlichen Repräsentationen als „Window-Shuttle-Technik“ (Heugl et al. 1996, S. 196) und betonen, dass sich die Begriffsbildung „durch mehrmaliges Hin- und Herpendeln (,Shutteln‘) zwischen verschiedenen Darstellungsformen, das heißt zwischen verschiedenen Fenstern des CAS, entwickelt“ (Heugl et al. 1996, S. 200). Kaput (1992) spricht in diesem

4 Chancen und Risiken digitaler Werkzeuge

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Zusammenhang von einem „Hot-Link“ (Kaput 1992, S. 530) zwischen den Repräsentationsformen. Aus kognitionspsychologischer Sicht ergibt sich der Vorteil der dynamischen Verknüpfung von Repräsentationsformen vor allem deshalb, da so eine Reduzierung der Belastung des Arbeitsgedächtnisses („cognitive load“) erreicht werden kann. In der cognitive load theory (Chandler & Sweller 1991; Van Merrienboer & Sweller 2005) wird davon ausgegangen, dass das Arbeitsgedächtnis in seiner Kapazität begrenzt ist und nur eine bestimmte Informationsmenge verarbeiten kann. Dadurch, dass Lernende bei dynamisch verknüpften Repräsentationsformen die Repräsentationswechsel nicht händisch vornehmen müssen und sich somit nicht in zeitraubenden und fehleranfälligen Berechnungen verlieren, werden kognitive Ressourcen für die Beobachtung der Zusammenhänge zwischen den Repräsentationsformen frei (vgl. Kaput 1992, S. 530; Martin 2012). Constrained-Support-Structure von digitalen Werkzeugen Weiterhin kann durch digitale Werkzeuge das Arbeiten mit den unterschiedlichen Repräsentationsformen besser gelenkt werden. So spricht Kaput (1992) davon, dass digitale Werkzeuge eine „constraint–supportstructure“ (Kaput 1992, S. 526) bereitstellen. Supports unterstützen bestimmte Aktionen automatisch, während constraints bestimmte Aktivitäten einschränken. Eine Realisierung eines supports zeigt sich beispielweise, wenn durch das Werkzeug eine automatische Skalierung des Koordinatensystems beim Plotten eines Graphen vorgenommen wird (vgl. Kaput 1992, S. 526). Die Skalierung wird dabei vom Werkzeug so gewählt, dass die wesentlichen Merkmale des Graphen gut erkennbar sind, ohne dass eine explizite Einstellung durch den Nutzer nötig wäre. Ein constraint wäre beispielsweise dann gegeben, wenn die Manipulationen einer Funktionsgleichung auf einen bestimmten Parameter beschränkt ist, so dass nur die graphische Veränderung des Funktionsgraphen in Abhängigkeit dieses

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B) Theoretischer Hintergrund

Parameters beobachtet werden kann. Durch den Einbezug von supports und constraints können Lernprozesse besser in die intendierte Richtung gesteuert werden. Unterstützung des Aufbaus von Grundvorstellungen mit digitalen Werkzeugen Der Einbezug vielfältiger Repräsentationen, möglicherweise unterstützt von supports und constraints, kann dann dazu beitragen die unterschiedlichen Grundvorstellungsaspekte zu Funktionen besser auszubilden. Wird etwa ein Funktionsgraph im Grafikfenster mit einem Cursor aufgenommen und bewegt, so geht damit eine Betonung des Objektaspekts einher (vgl. Schoenfeld et al. 1993, S. 63). Confrey & Smith (1994) und Confrey & Maloney (2008) zeigen, wie die Kovariationsvorstellung durch das einfache Erstellen und Erkunden von Wertetabellen mit Hilfe einer Tabellenkalkulation unterstützt werden kann und folgern: „The ready access that the software provides for students to create and explore various patterns in tables broadens the opportunities for them to develop a rich covariational concept of function that would be much more time-consuming and difficult with paper and pencil“ (Confrey & Smith 1994, S. 161). Ebenso bieten digitale Werkzeuge auch die Option, verschiedene Grundvorstellungen an ein und derselben Repräsentationsform zu betonen. So kann an der tabellarischen Darstellung einer Funktion mit Hilfe der Tabellenkalkulation nicht nur die Zuordnungsvorstellung, sondern auch die Objektvorstellung einer Funktion akzentuiert werden: „For example, a spreadsheet allows one to focus on local changes in cell contents while recalculation of all cells can provide the basis for a more global view of the impact of those changes“ (Heid & Blume 2008, S. 63). Neben Grundvorstellungen zu Funktionen lassen sich zudem etwa auch Grundvorstellungen zur Ableitung mit Hilfe digitaler Werkzeuge verdeutlichen. So kann etwa die Grundvorstellung der Ableitung als Tangentensteigung durch die einfache Visualisierung des Übergangs von der Sekanten- zur

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Tangentensteigung unterstützt werden (vgl. Roth & Siller 2016, S. 6). Auch ist es möglich mit digitalen Werkzeugen eine sogenannte „Funktionenlupe“ zu realisieren, bei welcher der Bereich um einen Hochpunkt eines Funktionsgraphen immer weiter vergrößert werden kann, während in einem zweiten Fenster der globale Blick weiterhin erhalten bleibt. Auf diese Weise kann die Grundvorstellung der Ableitung als lokale lineare Approximation unterstützt werden, da der vergrößerte Ausschnitt des Graphen immer „linearer“ wird (vgl. Elschenbroich et al. 2014; Roth & Siller 2016, S. 6 ff.). Risiken beim Einsatz digitaler Werkzeuge zur Unterstützung von Repräsentationswechseln Neben den bisher beschriebenen Vorteilen, die digitale Werkzeuge bei der Integration multipler Repräsentationsformen haben können, sind allerdings auch Aspekte in den Blick zu nehmen, die sich unter Umständen nachteilig auf das Lernen auswirken können. Zum einen ist zu beachten, dass digitale Werkzeuge zwar einerseits den cognitive load verringern können, dieser sich aber auch stark erhöhen kann, da verschiedene Repräsentationen und deren Verknüpfung gleichzeitig verarbeitet werden müssen. Wird der cognitive load zu hoch, kann dies dazu führen, dass Lernende sich nur auf eine der Repräsentationsformen konzentrieren und so die angestrebte Verknüpfung der Repräsentationsformen nicht stattfindet (vgl. Seufert et al. 2007, S. 1057). So stellen zum Beispiel Boers & Jones (1994) in ihrer Studie fest, dass genau diese Überforderung ein wesentliches Hindernis im Lernprozess sein kann: „The capacity of the students to deal simultaneously with graphical and algebraic information from two independent sources, seemed to be the main obstacle to effective use“ (Boers & Jones1994, S. 491). Andere Studien wie etwa die von Yerushalmy (2000) finden dagegen keine negativen Auswirkungen auf den cognitive load:

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B) Theoretischer Hintergrund

„It is often argued that multiple representations create a cognitive load that eliminates meaningful uses of representations [...], but Gal and Roni [Namen der Lernenden ,Anmerkung des Verfassers], kept all components connected.“ (Yerushalmy 2000, S. 135) Insgesamt gibt es bisher noch keine systematischen Untersuchungen, inwieweit dieses Risiko unter welchen Bedingungen entsteht. Ebenso ist zu beachten, dass Lernende durch die auf Knopfdruck verfügbaren Repräsentationsformen und die dynamische Verknüpfung lediglich zu passiven Beobachtern der Translation zwischen den Repräsentationsformen werden könnten, ohne über den Prozess der Erstellung der Repräsentationsformen und die Translationsprozesse nachzudenken (vgl. Ainsworth 1999, S. 133). Diese Passivität würde dann insbesondere einem konstruktivistischen Verständnis des Lernens widersprechen, in dem die Lernenden eine aktive Rolle im Lernprozess einnehmen. Weiterhin wird die Gefahr gesehen, dass durch dynamisch verknüpfte Repräsentationen und die damit häufig gleichzeitige Verfügbarkeit der Repräsentationsformen die grafische Repräsentationsform bevorzugt von den Lernenden wahrgenommen wird: „The graphical window is likely to be the winner among different displays. I predict the algebraic forms will come to be seen as merely descriptive, suggesting that, […], the ‘meaning’ is the screen graphical representation, rather than maintaining two different, independent-but-linked representations.“ (Pimm 2002, S. 102) Weigand (1999) beobachtet zudem, dass Lernende durch die einfache Möglichkeit, viele Graphen zu erzeugen, zu einem ständigen Produzieren neuer Graphen neigen. Er führt dies darauf zurück, das Lernende durch die hohe Dynamik „nicht die Ruhe und Muße aufbringen, Bildschirmdarstellungen zu lesen, zu interpretieren und darüber zu reflektieren.“ (Weigand

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1999, S. 47) Die von den Lernenden erzeugten Darstellungen werden dann insbesondere nicht mehr als Repräsentation mathematischer Objekte, sondern nur noch optisch als Bilder wahrgenommen. Aus diesem Grund kann gerade beim Arbeiten mit digitalen Werkzeugen eine „Kultur der Langsamkeit“ (Henn 2002, S. 53) hilfreich sein. Neben den bisher beschriebenen Risiken besteht zudem die Gefahr, dass durch die dynamisch verknüpften Repräsentationsformen auch der Aufbau von Fehlvorstellungen unterstützt wird. So ist es zum Beispiel möglich, dass Lernende bei der dynamischen Veränderung des Parameters a in der Funktionsgleichung f(x)=ax2 eine Verschiebung der Punkte in horizontaler Weise entlang der x-Richtung wahrnehmen, statt die Vorstellung zu entwickeln, dass sich die y-Koordinate eines jeden Punktes um einen bestimmten, immer gleichen Faktor, ändert (vgl. Goldenberg 1988, S. 158). Ebenso kann eine Verschiebung von f(x)=x2+c um den Parameter c bei gleichbleibendem Grafikfensterausschnitt so gedeutet werden, dass der Graph nicht nur verschoben, sondern auch gestaucht beziehungsweise gestreckt wird (vgl. Pinkernell & Laakmann 2014, S. 3; Pinkernell 2015). Diese Fehlvorstellungen können von Lernenden natürlich auch ohne das Vorhandensein digitaler Werkzeuge entwickelt werden, die hohe Dynamik der grafischen Repräsentation kann den Aufbau dieser Fehlvorstellung jedoch besonders begünstigen. Weitere Fehlvorstellungen, welche zum Beispiel im Zusammenhang mit der Skalierung von Koordinatensystemen beim Arbeiten mit digitalen Werkzeugen auftreten können, werden in Cavanagh & Mitchelmore (2000), Mueller & Forster (1999), Mitchelmore & Cavanagh (2000), Tuska (1992) und Williams (1993) aufgezeigt. In Anbetracht der dargestellten Risiken des Einsatzes digitaler Werkzeuge ist es wichtig, dass der Werkzeugeinsatz nicht ohne kritische Reflexion bleiben kann und dass Lehrkräfte sich dieser Risiken bewusst sind. So kann die Diskussion über mögliche Fehlvorstellungen sowie technische Grenzen digitaler Werkzeuge eine wertvolle Lernerfahrung für Lernende aber

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B) Theoretischer Hintergrund

auch Lehrende sein, welche im Endeffekt auch das mathematische Verständnis stärken kann (vgl. Klinger & Thurm 2016). Empirische Studien zur Unterstützung von Repräsentationswechseln im Bereich der Funktionenlehre Inwieweit sich die beschriebenen Vorteile der Unterstützung von Repräsentationswechseln tatsächlich auf ein verbessertes Verständnis auswirken, wurde in vielen Studien in unterschiedlichen Inhaltsbereichen untersucht. Im Folgenden sollen exemplarisch die Ergebnisse einiger Studien widergegeben werden, die den Inhaltsbereich der Funktionenlehre betreffen. Für weitere Studien, die insbesondere auch andere Inhaltsbereiche abdecken, sei an die zu Beginn des vorliegenden Kapitels (S. 10) aufgeführten Arbeiten verwiesen. Dass digitale Werkzeuge tatsächlich zu einer verbesserten Vernetzung der verschiedenen Repräsentationsformen führen kann, wird etwa in der Studie von Hollar & Norwood (1999) deutlich. Es zeigt sich, dass Lernende, die mit einem grafikfähigen Taschenrechner unterrichtet wurden, signifikant besser zwischen den verschiedenen Repräsentationsformen einer Funktion wechseln können als Lernende in einer Kontrollgruppe, die ohne den grafikfähigen Taschenrechner arbeiteten. In einer weiteren Studie stellt Ruthven (1990) insbesondere Vorteile beim Wechsel vom graphischen zum algebraischen Register fest und folgert: „Regular use of a graphic calculator is likely to rehearse specific relationships between particular symbolic and graphic forms, as it is through such relationships that the calculator itself is operated [...]“ (Ruthven 1990, S. 447). Zu positiven Schlüssen kommen auch Huntley et al. (2000), die den Einsatz digitaler Werkzeuge im Rahmen des „Core-Plus Mathematics Project“ (vgl. Schoen & Hirsch 2003) untersuchen, welches insbesondere multiple Repräsentationen im Rahmen von Anwendungskontexten betont. Es zeigt sich, dass Lernenden, die mit digitalen Werkzeugen unterrichtet wurden, der Repräsentationswechsel leichter fällt, wobei sich insbesondere beim Wechsel

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zwischen tabellarischem und grafischem Register signifikante Unterschiede zu einer Kontrollgruppe zeigen. Auch Barzel (2006) kommt zu dem Ergebnis, dass Lernende, die mit digitalen Werkzeugen unterrichtet wurden, eine bessere Graphen- und Termerkennung zeigen und flexibler zwischen algebraischer und graphischer Repräsentation einer Funktion wechseln können als Lernende einer Kontrollgruppe. Die Unterstützung von vielfältigen Repräsentationsformen durch digitale Werkzeuge kann weiterhin auch positive Einflüsse auf die von den Lernenden verwendeten Lösungsstrategien beim Problemlösen haben. So zeigen Harskamp et al. (2000), dass Lernende, die über einen längeren Zeitraum mit dem grafikfähigen Taschenrechner unterrichtet wurden, häufiger algebraische und graphische Lösungsstrategien einsetzten, während die ohne den grafikfähigen Taschenrechner unterrichtete Kontrollgruppe eher auf die Verwendung algebraischer Repräsentationsformen beschränkt blieb. Diese erhöhte Flexibilität in der Verwendung von Repräsentationsformen spiegelte sich auch in einem Abschlusstest wider, bei dem die Experimentalgruppe signifikant besser abschnitt als die Kontrollgruppe. Auch in einer Studie von Yerushalmy (2000), die die Problemlösestrategien eines Schülerpaares im Inhaltsbereich der Funktionenlehre über drei Jahre hinweg untersuchte, zeigte sich, dass die Nutzung dynamisch verknüpfter Repräsentationsformen im Problemlöseprozess eine entscheidende Rolle spielt. Zu ähnlichen Ergebnissen kommen auch Santos et al. (2003). Weiterhin zeigt sich in Studien, dass die Unterstützung multipler Repräsentationsformen durch digitale Werkzeuge positive Auswirkungen auf das konzeptuelle Verständnis der Lernenden haben kann. So untersucht O'Callaghan (1998) den Einfluss digitaler Werkzeuge auf das konzeptuelle Verständnis von Funktionen, welches er in die vier Bereiche modelling, interpreting, translating und reification ausdifferenziert. Der Bereich reification bezieht sich dabei auf die Theorie von Sfard (1994; vgl. S. 17) und

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B) Theoretischer Hintergrund

umfasst den Übergang von einer operationalen hin zu einer objektorientierten Sichtweise eines mathematischen Objektes. In der Studie zeigen sich signifikante Vorteile einer mit dem grafikfähigen Taschenrechner unterrichteten Experimentalgruppe im Vergleich zu zwei Kontrollklassen, die ohne den grafikfähigen Taschenrechner unterrichtet wurden. Die Vorteile zeigen sich allerdings nicht im Bereich reification. Die bereits oben zitierte Studie von Hollar & Norwood (1999) baut auf dem Ansatz von O'Callaghan (1998) auf findet jedoch auch im Bereich reification signifikante Vorteile für die Experimentalgruppe. Hollar & Norwood führen diesen Unterschied auf die unterschiedliche Verfügbarkeit digitaler Werkzeuge in den beiden Studien zurück. Während in der Studie von O'Callaghan die Lernenden nur zu ausgewählten Stunden digitale Werkzeuge nutzten, hatten die Lernenden in der Studie von Hollar & Norwood durchgängig einen grafikfähigen Taschenrechner zur Verfügung. In einer weiteren Studie untersucht Adams (1997) die Auswirkungen des grafikfähigen Taschenrechners auf das konzeptuelle Verständnis im Bereich der Funktionenlehre, wobei der Unterricht unter Berücksichtigung der conceptualchange-Theorie (vgl. Posner et al. 1982; Vosniadou & Verschaffel 2004) gestaltet ist. Die conceptual-change-Theorie geht davon aus, dass Lernende bereits bestimmte Vorstellungen und Konzepte zu einem Lerngegenstand mitbringen. Im Unterricht sollen die Lernenden dann die Limitationen ihrer Vorstellungen erkennen und gegebenenfalls erweitern oder umstrukturieren. Im Rahmen dieses Ansatzes entwickeln Lernende, die mit einem CAS unterrichtet werden, in der Studie von Adams ein signifikant besseres konzeptuelles Verständnis des Funktionsbegriffs als Lernende in einer Kontrollgruppe. Besonders hervorzuheben sind zudem die im Rahmen des SimCal Projektes (vgl. Hegedus & Roschelle 2013) durchgeführten Studien. In randomisierten Kontrollgruppenstudien, welche die Auswirkungen des Einsatzes von Multirepräsentationssystemen in einem Large-Scale-Setting untersuchen, werden mit Hilfe von Multilevelanalysen signifikante Auswirkungen

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auf das konzeptuelle Wissen der Schülerinnen und Schüler nachgewiesen, wobei die Effektstärken zwischen 0.5 und 0.63 liegen (vgl. Roschelle et al. 2010). Eine Besonderheit in diesem Projekt stellt die enge Verzahnung des Einsatzes digitaler Werkzeuge mit einem angepassten Curriculum und entsprechend abgestimmten Lehrerfortbildungen dar, welche von den Autoren auch als zentrale Gelingensbedingung identifiziert wird (vgl. Roschelle et al. 2010, S. 874). Neben diesen Studienergebnissen, die exemplarisch aufzeigen, dass durch die Multirepräsentationsfähigkeit digitaler Werkzeuge mathematische Lernprozesse unterstützt werden können, gibt es jedoch ebenso Studien, welche keine oder nur eingeschränkte positiven Auswirkungen auf das Lernen finden. So stellt Slavit (1994) fest: „Many of the students failed to objectify the concept of function from a relational perspective [...]. Specific function classes were objectified, but the general notion of function as an object possessing a variety of properties was not made“ (Slavit 1994, S. 32). Vasquez (1991) findet keine Unterschiede bei der Fähigkeit von Lernenden lineare Funktionen graphisch darzustellen. Allerdings macht hier eine signifikante Differenz im Vorwissen der Lernenden zu linearen Funktionen eine Interpretation der Daten schwierig. Die Studie von Giamati (1990) findet keine Vorteile des Einsatzes des grafikfähigen Taschenrechners bezüglich einer verbesserten Fähigkeit der Translation von Funktionsgraphen. Auch in der Studie von Kwon & Kim (2000) finden sich keine signifikanten Vorteile einer Experimentalgruppe, welche mit dem grafikfähigen Taschenrechner unterrichtet wurde. Die ohne digitale Werkzeuge unterrichtete Kontrollgruppe erweist sich bezüglich der Interpretation von Funktionstermen, der Fähigkeit zwischen den Repräsentationsformen zu wechseln und dem konzeptuellen Verständnis von Funktionen nach der Intervention als gleichwertig. Auch die Studie von Martinez-Cruz (1993) zeigt auf, dass der Einsatz digitaler Werkzeuge nicht automatisch zu Lernzuwächsen führt. So stellen Lernende trotz der Verfügbarkeit des grafikfähigen Taschenrechners keine Beziehung zwischen algebraischer und

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B) Theoretischer Hintergrund

graphischer Darstellung von Funktionen her und es erfolgt keine Weiterentwicklung bezüglich des konzeptuellen Verständnisses von Funktionen. Martinez-Cruz führt dies auf eine mangelnde didaktische Ausnutzung der Möglichkeiten des grafikfähigen Taschenrechners zurück: „The teacher did not model the use of technology or provide an environment and tasks where the students could explore and recognize the power of the calculator“ (Martinez-Cruz 1993, S. 352). In Anbetracht dieser Ergebnisse wird somit deutlich, dass die alleinige Verfügbarkeit digitaler Werkzeuge nicht automatisch zu einem verbesserten Lernen führt. Vielmehr hängen die Auswirkungen des Werkzeugeinsatzes wohl stark von der Art und Weise der unterrichtlichen Implementierung ab (vgl. Drijvers et al. 2015, S. 15). Zusammenfassung Insgesamt lässt sich festhalten, dass digitale Werkzeuge die Möglichkeit bieten, unterschiedliche Repräsentationsformen leichter in den Unterricht zu integrieren und diese dynamisch zu verknüpfen wodurch mathematische Lernprozesse unterstützt werden können. So folgern Graham & Thomas (2000): „The value of the graphing capability of graphic calculators is well established and research has shown that it can help build relationships with other representations, such as symbolic forms, which can have a significant influence on attainment […]“ (Graham & Thomas 2000, S. 268) Es ist jedoch zu beachten, dass die Unterstützung des Einbezugs vielfältiger Repräsentationen durch digitale Werkzeuge auch Risiken mit sich bringt. Insbesondere wird die alleinige Verfügbarkeit digitaler Werkzeuge nicht automatisch einen erhofften Mehrwert liefern. Vielmehr stellen digitale Werkzeuge neue Möglichkeiten für den Einbezug und die Vernetzung der unterschiedlichen Repräsentationsformen bereit, die durch die Lehrkraft in einer entsprechenden Lernumgebung realisiert werden müssen. Pierce et al. (2011) halten diesbezüglich treffend fest: „Technology offered

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the ability to link representations and the teaching challenge was to use this ability effectively“ (Pierce et al. 2011, S. 95). 4.3 Unterstützung entdeckenden Lernens Nachdem das vorhergehende Kapitel die Unterstützung von Repräsentationswechseln durch digitale Werkzeuge fokussierte, wird im folgenden Kapitel dargelegt, inwiefern digitale Werkzeuge einen Beitrag zur Unterstützung von entdeckendem Lernen2 liefern können. Mathematikdidaktische Fundierung Bei der Frage, wie mathematische Lernprozesse gestaltet werden sollen, wird in der aktuellen Forschung meist von einer sozial-konstruktivistischen Sicht des Lernens ausgegangen. Anders als beim sogenannten „Transmissionsparadigma“ (Blömeke et al. 2008, S. 227), bei welchem Lernen als ein Vermittlungsprozess von einem aktiven Lehrenden zu einem rezeptiven Lernenden hin betrachtet wird, wird Lernen hierbei als individueller und sozialer Konstruktionsprozess aufgefasst (vgl. Ufer et al. 2015, S. 418). Bei der Gestaltung entsprechender Lernumgebungen wird angestrebt Lernsituationen zu kreieren, bei denen die Lernenden eine aktive Rolle beim Wissensaufbau haben. Wittmann (1992) spricht in diesem Zusammenhang vom „Lernen und Üben nach den Prinzipien des aktiven und entdeckenden Lernens“ (Wittmann 1992, S. 157), welches dadurch charakterisiert ist, dass sich Lernende unter Anleitung der Lehrkraft bestimmte Fertigkeiten, Wissenselemente und Lösungsstrategien eigenständig erarbeiten. Dies bedingt insbesondere einen Rollenwechsel der Lehrkraft vom Vermittler von Wissen hin zu einem Gestalter von Lern2

Neben dem Begriff „entdeckendes Lernen“ finden sich in der Literatur eine Vielzahl weiterer Begriffe wie zum Beispiel „aktiv-entdeckendes Lernen“, „experimentelles Arbeiten“ oder „exploratives Lernen“, die meist synonym oder ohne explizite Abgrenzung nebeneinander verwendet werden (vgl. Schneider 2002, S. 210).

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B) Theoretischer Hintergrund

umgebungen beziehungsweise Moderator von Lernprozessen (vgl. Gerstenmaier & Mandel 1995, S. 883; Krauthausen & Scherer 2007, S. 114). Lernumgebungen und Lernprozesse sind dabei kognitiv aktivierend zu gestalten (vgl. z.B. Baumert & Köller 2000; Krauss et al. 2008; Ufer et al. 2015, S. 419 ff.). Damit ist gemeint, dass „die Lernenden zu eigenen elaborierenden Gedankengängen über den Unterrichtsgegenstand angeregt werden“ (Ufer et al. 2015, S. 419). Als Indikatoren für einen kognitiv aktivierenden Unterricht werden zum Beispiel das Niveau der Aufgaben, die Aktivierung von Vorwissen und ein evolutionärer Umgang mit Schülervorstellungen genannt (vgl. Hugener et al. 2007, S. 113; Ufer et al. 2015, S. 420). Kognitiv aktivierende Aufgaben sind zum Beispiel offene Aufgaben, die vielfältige Lösungswege erlauben und bei denen die Lernenden argumentieren, vergleichen oder analysieren müssen (vgl. Ufer et al. 2015, S. 420). Es konnte empirisch gezeigt werden, dass ein solcher kognitiv aktivierender Unterricht zu größeren Lernfortschritten und zu einem höheren Abstraktionsniveau bei den Lernenden führt (vgl. Lipowsky 2007, S. 28). Dementsprechend wird die kognitive Aktivierung als eine wichtige Basisdimension guten Unterrichts betrachtet (vgl. Kunter et al. 2005, S. 508; Lipowsky 2007, S. 28). Im Rahmen des entdeckenden Lernens lässt sich zudem ein genetisches Lernen realisieren, welches „an den natürlichen erkenntnistheoretischen Prozessen der Erschaffung und Anwendung von Mathematik ausgerichtet ist“ (Wittmann 1981, S. 130). Ausgangspunkt genetischer Lernprozesse sind authentische inner- und außermathematische Problemsituationen, anhand derer die Lernenden mathematische Konzepte selbst konstruieren und die Genese von mathematischem Wissen selbst erfahren (vgl. Leuders et al. 2011, S. 5; Leuders & Holzäpfel 2011, S. 225). Lernen in diesem Sinne beinhaltet als elementare Komponente, dass Lernende sich mit Problemen und Hindernissen auseinandersetzen und diese durchdenken und überkommen (vgl. vom Hofe et al. 2015, S. 160). Entdeckendes und genetisches Lernen bilden die Möglichkeit, ein vertieftes mathematisches Verständnis

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zu entwickeln und fördern zudem die Ausbildung eines angemessenen Mathematikbildes, da Lernende Mathematik nicht nur als fertiges Produkt, sondern auch als Prozess erfahren (vgl. Leuders & Holzäpfel 2011, S. 223). Die Umsetzung dieses Prinzips wurde beispielsweise im Forschungsprojekt KOSIMA für die Inhalte der Sekundarstufe I realisiert und beforscht (vgl. Hußmann et al. 2011; Leuders et al. 2012; Neumann et al. 2017). Unterricht, der dem Prinzip des entdeckenden Lernens folgt, bedingt letztlich auch, dass dem Üben im Unterricht eine neue Rolle zukommt. Statt einer tradierten Trennung in Lernen sowie einschleifendem, repetitiven Üben werden beim sogenannten produktiven Üben (vgl. Winter 1984; Wittmann 1992) Lernen und Üben nicht mehr als getrennt voneinander angesehen. Vielmehr wird hierbei das Üben als wesentlicher Teil des Lernprozesses aufgefasst (vgl. Krauthausen & Scherer 2007, S. 112). Dabei besteht das Grundprinzip des produktiven Übens aus „der kombinierten Anregung automatisierender, reflektierender und entdeckender mathematischer Tätigkeiten“ (Leuders & Holzäpfel 2011, S. 225). Die vorherigen Ausführungen bilden den Ausgangspunkt um im Folgenden zu erläutern, wie digitale Werkzeuge dazu beitragen können, Elemente des entdeckenden Lernens und produktiven Übens verstärkt im Unterricht zu verankern. Unterstützung entdeckenden Lernens mit digitalen Werkzeugen Digitale Werkzeuge unterstützen entdeckendes Lernen durch die Übernahme von Routinetätigkeiten, der hohen Interaktivität und der einfachen Verfügbarkeit dynamisch verknüpfter Repräsentationsformen (vgl. Schneider 1999, S. 292). Digitale Werkzeuge bieten hier die Möglichkeit, dass Lernende mit Unterstützung des Werkzeuges eine Vielzahl an Beispielen generieren, um selbst nach entsprechenden Mustern, Strukturen und Zusammenhängen in den Beispielen zu suchen (vgl. Barzel &

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B) Theoretischer Hintergrund

Greefrath 2015, S. 153). So können beispielsweise Funktionsgraphen schnell erzeugt und auf Zusammenhänge hin untersucht werden. Ein Beispiel hierfür stellt die Aufgabe „Potenzblume“ dar (vgl. Barzel & Möller 2001; siehe Abbildung 1). Hierbei sollen Lernende eine durch Potenzfunktionen erzeugte „Blume“ mit Hilfe digitaler Werkzeuge zeichnen und herausfinden, welche Zusammenhänge zwischen den Funktionsgraphen bestehen. Im Zuge dessen können Entdeckungen bezüglich des Verlaufs von Potenzfunktionen (z.B. charakteristische Punkte) oder bezüglich der Spiegelung von Funktionsgraphen gemacht werden.

Abbildung 1: Potenzblume

Ein weiteres Beispiel ist die Aufgabe „Tangente an den Mittelpunkt“ (vgl. Henn 2002). Hier sollen die Lernenden mit Hilfe digitaler Werkzeuge verschiedene Funktionen 3. Grades generieren und jeweils die Tangente an der Stelle des arithmetischen Mittels von zwei Nullstellen betrachten. Durch Beobachtungen lässt sich die Hypothese formulieren, dass diese Tangente immer durch die dritte Nullstelle verläuft. Solche Aufgabenformate wären ohne digitale Werkzeuge aufgrund des dann entstehenden hohen operativen Aufwandes nur schwer umzusetzen.

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Ebenfalls können mit Hilfe digitaler Werkzeuge auch grundlegende mathematische Regeln entdeckt werden, indem etwa die Fähigkeit zum symbolischen Rechnen bei einem Computer-Algebra-System ausgenutzt wird. So beschreiben etwa Heintz et al. (2017, S. 17), wie die Funktion des CAS zum symbolischen Ableiten genutzt werden kann, um anhand der Analyse von abgeleiteten Exponentialfunktionen die Kettenregel zu entdecken. Die Möglichkeiten des entdeckenden Lernens mit digitalen Werkzeugen entfalten sich weiterhin insbesondere auch im Rahmen des Problemlösens und Modellierens, da hier die experimentelle Suche nach geeigneten Modellen und Lösungswegen vereinfacht wird und Strategien, wie etwa das systematische Probieren, einfacher umsetzbar werden (vgl. Barzel & Greefrath 2015, S. 153). Digitale Werkzeuge stehen den Lernenden dabei als individuelles heuristisches Werkzeug zur Verfügung, mit dessen Hilfe verschiedene Lösungsansätze variiert und aufgrund der Rückmeldung des Werkzeuges modifiziert werden können. Genauso wie in einem werkzeugfreien Unterricht ist es in allen Fällen jedoch wichtig, die Entdeckungen im Anschluss mit einer Reflexion und Generalisierung der gemachten Beobachtungen zu verknüpfen (vgl. Drijvers 2000, S. 193). Produktives Üben mit digitalen Werkzeugen Das Prinzip des entdeckenden Lernens umfasst wie zuvor beschrieben, auch das Üben im Sinne eines produktiven Übens. Digitale Werkzeuge bieten hier die Möglichkeit, produktive Aufgabenformaten auf vielfältige Weise zu unterstützen. So lassen sich etwa solche Übungsformate einfacher realisieren, bei welchen nicht nach dem Ergebnis einer bestimmten Aufgabe gefragt wird, sondern zu einem gegebenen Ergebnis Beispiele gefunden werden müssen, welche das jeweilige Ergebnisse produzieren (Prinzip des Umkehrens von Aufgabenstellungen; vgl. Leuders 2009, S. 137). Statt beispielsweise die

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B) Theoretischer Hintergrund

händische Bestimmung von Nullstellen zu vorgegebenen linearen Funktionen von den Lernenden zu verlangen könnte die Aufgabe gestellt werden, mehrere lineare Funktionen anzugeben, welche jeweils die Nullstelle bei x=2 haben und die generierten Funktionsgleichungen anschließend auf ein gemeinsames Muster hin zu untersuchen. Digitale Werkzeuge ermöglichen hier durch die einfache Verfügbarkeit und dynamischen Verknüpfung der Repräsentationsformen unterschiedliche Zugänge zu der Aufgabe und unterstützen die Generierung von vielfältigen Beispielen. So kann etwa durch Einbezug eines Schiebereglers die Vermutung gewonnen werden, dass sich alle linearen Funktionen mit der Nullstelle bei x=2 in der Form f(x)=a(x-2) darstellen lassen. Ein weiteres Format produktiver Übungsaufgaben, welches durch den Einbezug digitaler Werkzeuge bedeutend einfacher realisiert werden kann, sind Aufgaben, bei denen bestimmte Aussagen auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu untersuchen sind (vgl. Leuders 2009, S. 138). So könnten etwa für den Bereich der Potenz- und Exponentialfunktionen die folgenden Aussagen hinsichtlich ihrer Gültigkeit untersucht werden: • • • • •

Exponentialfunktionen sind entweder monoton fallend oder wachsend. Potenzfunktionen verlaufen durch den Ursprung. Exponentialfunktionen verlaufen durch den Ursprung. Exponentialfunktionen können die x-Achse genau einmal oder gar nicht berühren oder gar schneiden. Potenzfunktionen mit ungeradem Exponenten haben immer einen punktsymmetrischen Graphen.

Der Einsatz digitaler Werkzeuge ermöglicht hier, dass schnell Beispiele generiert werden können, um die Aussagen zu widerlegen oder die Vermutung zu gewinnen, dass eine Aussage wahr ist. Ein weiteres Beispiel für die Unterstützung des Einbezugs von produktiven Übungsaufgaben, bei welchem vor allem die Entlastung von kalkülhaften

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Berechnungen durch digitale Werkzeuge zum Tragen kommt, ist die einfache Realisierung von sogenannten „Was wäre wenn... – Fragen“ (vgl. Small & Hosack 1986, S. 147). Hierbei wird die Frage gestellt, was passiert, wenn bestimmte Aspekte der ursprünglichen Aufgabenformulierung variiert werden. So kann zum Beispiel im Anschluss an die händische Bestimmung eines bestimmten Integrals untersucht werden, welche Auswirkungen eine Variation der Integrationsgrenzen oder der Funktionsparameter auf den Wert des Integrals hat. Bei Verfügbarkeit digitaler Werkzeuge können aufwendige repetitive Berechnungen vermieden werden und Lernende können sich auf inhaltliche Begründungen fokussieren. Natürlich wären die dargestellten produktiven Übungsformate prinzipiell auch ohne digitale Werkzeuge zu realisieren. Allerdings begünstigen die Entlastung von zeitraubenden und aufwendigen Routineberechnungen und die einfache Verfügbarkeit verschiedener Repräsentationsformen ganz wesentlich die Fokussierung auf die Festigung von Vorstellungen, die Förderung von Reflexions- und Transferprozessen, sowie auf die Entwicklung von prozessbezogenen Kompetenzen. Barzel (2006) spricht daher davon, dass digitale Werkzeuge die Möglichkeit bieten, sich „von der bloßen Ergebnisorientierung zu befreien und ein variantenreiches Üben mit vielfältigen Aufgaben zu realisieren“ (Barzel 2006, S. 104). Dementsprechend können digitale Werkzeuge ein Katalysator sein, um Übungsaufgaben produktiv zu gestalten (vgl. Weigand & Weth 2002, S. 35). Herausforderungen beim entdeckenden Lernen mit digitalen Werkzeugen Neben den zuvor beschriebenen Potenzialen sind jedoch auch bestimmte Risiken im Blick zu behalten. So warnen etwa Weigand & Weth (2002, S. 57) davor, dass Lernende aufgrund der Möglichkeit schnell eine Vielzahl an Beispielen generieren zu können, möglicherweise in blinden Handlungsaktivismus mitsamt unreflektiertem Versuch-und-Irrtum-Verhalten

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B) Theoretischer Hintergrund

verfallen können. Schneider (2002) befürchtet, dass Lernende über ein „phänomenologisches Begriffsverständnis nicht hinauskommen“ (Schneider 2002, S. 240) und auch keine Notwendigkeit für eine Weiterführung und theoretische Reflexion der gemachten Beobachtungen sehen. Weigand (1999) stellt in einer Studie in drei 11. Klassen fest, dass es dementsprechend nötig ist, Lernende „über die Stufe des experimentellen heuristischen Arbeitens hinaus auf die Stufe einer theoretischen Reflexion über ihre Aktivitäten zu bringen“ (Weigand 1999, S. 50). Somit kommt der Lehrkraft eine besondere Bedeutung zu, da diese den Werkzeugeinsatz so gestalten muss, dass entdeckendes Lernen mit digitalen Werkzeugen eben nicht auf der Stufe oberflächlicher Beobachtungen verbleibt. Weiterhin bedingt ein stärker konstruktivistisch orientierter entdeckender Unterricht mit digitalen Werkzeugen auch die Notwendigkeit, Aspekte der methodischen Gestaltung des Unterrichts zu überdenken (vgl. Barzel 2012, S. 58). So wird sich ein entsprechender Unterricht eher weniger durch einen lehrerzentrierten Frontalunterricht realisieren lassen, sondern muss vielmehr in einem Wechsel zwischen individuellen Lernphasen, kooperativen Partner- und Gruppenarbeitsphasen und gelenkten Phasen des Systematisierens und Sicherns realisiert werden, in dem Wert auf Eigenständigkeit und Selbstverantwortung gelegt wird. In diesem Fall „wird der Lehrer zum einen zum individuellen Berater für unterschiedlich schnell lernende Arbeitsgruppen und zum anderen zum Koordinator dafür, dass in der gesamten Klasse auch eine Basis für gemeinsame Gespräche vorhanden bleibt“ (Weigand & Weth 2002, S. 38). Heid et al. (1990, S. 195) heben hervor, dass diese Rollen natürlich nicht neu sind und auch in einem technologiefreien Unterricht wünschenswert sind. Sie stellen jedoch fest, dass für eine wirkliche Nutzung der Potenziale digitaler Werkzeuge zur Unterstützung entdeckenden Lernens ein solcher Rollenwechsel unumgänglich ist. Insbesondere für Lehrkräfte mit einem eher traditionellen, lehrerzentrierten Unterrichtsstil bedeutet diese methodisch-didaktische Umstellung jedoch häufig eine große Herausforderung. Dies ist etwa darin

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begründet, dass Lehrkräfte die Kontrolle über das Unterrichtsgeschehen viel stärker abgeben müssen, als dies zum Beispiel in einem engen geführten Unterricht der Fall wäre. Kombiniert mit der erhöhten Vielfalt an Lösungsansätzen, die beim experimentellen Arbeiten mit digitalen Werkzeugen möglich werden, kann es daher zu einem von Lehrkräften empfundenen Kontrollverlust kommen (vgl. Dunham & Dick 1994, S. 443; Zbiek & Hollebrands 2008, S. 291). Empirische Studien zum entdeckenden Lernen mit digitalen Werkzeugen Trotz der beschriebenen Risiken kommen verschiedene Studien, welche den Einsatz digitaler Werkzeuge zur Unterstützung von experimentellem Arbeiten untersuchen jedoch zu grundsätzlich positiven Ergebnissen. So zeigt Barzel (2006), wie entdeckendes Lernen mit einem CAS im Rahmen einer Lernwerkstatt zu ganzrationalen Funktionen umgesetzt werden kann. Sie kommt bei der Evaluation der Lernwerkstatt zu dem Schluss, dass Lernende durch die angeregten kommunikativen und kognitiven Aktivitäten erkennbare Fortschritte in mathematischen Begriffsbildungsprozessen vollziehen. Vom Hofe (1999) stellt fest, dass experimentelles Arbeiten mit digitalen Werkzeugen die Lernenden zu theoretischen Überlegungen führte, aber auch theoretische Überlegungen von den Lernenden experimentell überprüft wurden (vgl. vom Hofe 1999, S. 217). Heugl et al. (1996) stellen in der Zusammenfassung des österreichischen Derive-Projektes fest, dass „die signifikanteste Veränderung beim Methodeneinsatz die Verschiebung zu einem mehr schülerzentrierten, experimentellen Unterricht“ (Heugl et al. 1996, S. 22) war. Auch Hentschel & Pruzina (1995) kommen zu der Schlussfolgerung, dass durch digitale Werkzeuge exploratives Arbeiten möglich wurde, welches ohne den Werkzeugeinsatz nur schwer realisierbar gewesen wäre. Sie heben dabei hervor, dass sich der Einsatz des grafikfähigen Taschenrechners beim experimentellen Arbeiten insbesondere positiv auf die Begründungskompetenz der Lernenden auswirkte.

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B) Theoretischer Hintergrund

Auch Ingelmann (2009) stellt bei der Evaluation des niedersächsischen Schulversuchs zum CAS-Einsatz fest, „dass tatsachlich häufig mit dem Rechner ausprobiert und experimentiert wurde“ (Ingelmann 2009, S. 201). Dementsprechend kommen etwa auch Penglase & Arnold (1996) in ihrem Review zum Einsatz des grafikfähigen Taschenrechners zum Schluss: Approaches to teaching and learning which emphasise problem solving and exploration, and within which students actively construct and negotiate meaning for the mathematics they encounter, find in this new technology a natural and mathematically powerful partner.“ (Penglase & Arnold 1996, S. 85) Zusammenfassung Zusammenfassend lässt sich sagen, dass digitale Werkzeuge durch die einfache Verfügbarkeit der unterschiedlichen Repräsentationsformen, die hohe Interaktivität und die Übernahme von Routineoperationen die Möglichkeit bieten, einen entdeckenden Unterricht zu unterstützen. Allerdings müssen auch Risiken, wie etwa ein Verbleib auf einer oberflächlichen Beobachtungsebene aufgrund der großen Dynamik der bereitgestellten Repräsentationen, beachtet werden. Zudem ergeben sich für Lehrkräfte aufgrund der notwendig werdenden methodisch-didaktischen Veränderungen, der sich ändernden Lehrer- und Schülerrolle sowie durch die größere Offenheit und geringere Planbarkeit des Unterrichts vielfältige Herausforderungen. 4.4 Unterstützung von Modellierungsprozessen In den vorgehenden Kapiteln wurde dargelegt, wie Lernprozesse durch den Einbezug vielfältiger Repräsentationen in stärker konstruktivistisch orientierten Lernumgebungen mit Hilfe digitaler Werkzeuge realisiert werden können. Im folgenden Kapitel wird dargelegt, warum Lernprozesse nicht

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nur innermathematisch erfolgen sollten und wie der Einsatz digitaler Werkzeuge zu einem verstärkten Einbezug von Realitätsbezügen beitragen kann. Mathematikdidaktische Fundierung Die Bedeutung des Modellierens von realen Sachsituationen mit Hilfe der Mathematik wird einerseits vom pragmatischen Standpunkt betont, nachdem die Fähigkeit zur Bearbeitung von Anwendungsproblemen im späteren privaten wie auch beruflichen Kontext benötigt wird. Weiterhin geht es jedoch auch um das Ermöglichen der Grunderfahrung, „Erscheinungen der Welt um uns, die uns alle angehen oder angehen sollten, aus Natur, Gesellschaft und Kultur, in einer spezifischen Art wahrzunehmen und zu verstehen“ (Winter 1995, S. 37). Darüber hinaus kommt Modellierungstätigkeiten auch deshalb eine große Bedeutung zu, da sie einen wichtigen Beitrag zum Verständnis von mathematischen Konzepten leisten können (vgl. Blum & Niss 1991, S. 43). So ist etwa der Aufbau von Grundvorstellungen eng mit einer Anknüpfung an bekannte Sach- und Handlungszusammenhänge verbunden (vgl. vom Hofe 1996, S. 6). Dies zeigt sich etwa dann auch darin, dass Grundvorstellungen zu mathematischen Begriffen insbesondere dann unverzichtbar sind, „wenn zwischen Realität und Mathematik übersetzt werden soll, das heißt, wenn Realsituationen mathematisiert bzw. wenn mathematische Ergebnisse real interpretiert werden sollen“ (Blum et al. 2004, S. 146). Dementsprechend ist Modellieren auch als allgemeine Kompetenz in den Bildungsstandards der Kultusministerkonferenz (KMK 2004; 2015) verankert. Es lässt sich jedoch feststellen, dass Realitätsbezügen im Mathematikunterricht noch nicht die große Bedeutung zukommt, welche im Rahmen der mathematikdidaktischen Diskussion gefordert wird (vgl. Kaiser 2006, Blum 2015, S. 83). So werden etwa häufig wenig realistische Aufgaben in Form von Einkleidungen mathematischer Inhalte verwendet, während authentische Realprobleme vermieden werden (vgl. Blum 2015, S. 83; Henn & Kaiser 2001, S. 370).

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B) Theoretischer Hintergrund

Einbezug realistischer Modellierungskontexte durch digitale Werkzeuge Sollen im Unterricht realistische Modellierungsaufgaben Verwendung finden, so bedingt dies insbesondere die Auseinandersetzung mit realistischen Daten. Realistische Daten-sätze sind jedoch oftmals sehr umfangreich und machen eine händische Bearbeitung im Unterricht aufgrund des hohen Rechenaufwandes sehr schwierig. Digitale Werkzeuge ermöglichen hingegen die Verarbeitung größerer Datenmengen und die Durchführung von aufwendigen Berechnungen, wodurch realistischere Modellierungsaufgaben im Unterricht behandelt werden können. So ist etwa ohne die Verfügbarkeit von digitalen Werkzeugen das Arbeiten mit größeren Matrizen, wie sie etwa häufig bei ökonomischen Fragestellungen auftauchen, kaum möglich. Mit Hilfe digitaler Werkzeuge können hingegen auch Modellierungsaufgaben, welche die mehrfache Multiplikation von Matrizen oder das Lösen größerer Gleichungssysteme erfordern, im Unterricht eingesetzt werden. Auch die Bearbeitung realistischer Zeit-Geschwindigkeits-Datensätze, in denen die Geschwindigkeit in kleinen Zeitabständen erfasst wurde, wird erst durch digitale Werkzeuge handhabbar. Ähnliche Vorteile ergeben sich durch das einfache Lösen, Ableiten und (partielle) Integrieren von Funktionstermen sowie das Lösen von Gleichungen (vgl. Greefrath & Weitendorf 2013). Ein Beispiel ist etwa die Suche nach der optimalen Verpackung für eine Milchtüte (vgl. Boer 2018). Hier treten schnell gebrochen-rationale Funktionsterme auf, deren Nullstellen sich mit der in der Schule verfügbaren mathematischen Mitteln ohne digitale Werkzeuge nicht bestimmen lassen (vgl. Greefrath & Weitendorf 2013, S. 182). Digitale Werkzeuge ermöglichen somit echte Realitätsbezüge im Unterricht zu verankern und nicht auf künstlich erstellte oder stark vereinfachte Datensätze und Beispiele zurückgreifen zu müssen (vgl. Galbraith & Stillman 2006, S. 145).

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Einsatz von Messwertsensoren Der Einbezug echter Realitätsbezüge kann zudem durch den Einsatz von Messwertsensoren stark unterstützt werden. So lässt sich zum Beispiel mit Hilfe eines Temperatursensors die Abkühlung einer Flüssigkeit durch eine Exponentialfunktion modellieren, wodurch sich Newtons Abkühlungsgesetz untersuchen lässt. Auch können mit Hilfe von GPS-Trackern oder gängigen Smartphones physikalische Größen wie Geschwindigkeit, Beschleunigung, Höhe, Luftdruck sowie eine Vielzahl an weiteren Daten erhoben werden. Riemer (2014) spricht in diesem Zusammenhang von einem „‘Quantensprung‘ in Richtung Authentizität und Überprüfbarkeit von Modellbildungsprozessen“ (Riemer 2014, S. 111). Gerade für eine engere Verzahnung des mathematischen und naturwissenschaftlichen Unterrichts kann die Verfügbarkeit von digitalen Werkzeugen und entsprechenden Messwertsensoren somit ein starker Katalysator sein: “A breakthrough in teaching and designing learning opportunities that graphical technologies make possible is the use of graphs to describe, in real time, data from scientific experiments. This may help math teachers facilitate experiences that interconnect with science” (Leinhardt et al. 1990, S. 7) Messwertsensoren ermöglichen dabei nicht nur den Einbezug realistischer selbst erhobener Daten, sondern können etwa durch die Echtzeiterfassung auch dazu beitragen, dass Lernende ein besseres Verständnis der Zusammenhänge zwischen einer Realsituationen und dem entsprechenden Funktionsgraphen ausbilden. So können Lernende mit Hilfe eines Ultraschallsensors, welcher die Entfernung oder Geschwindigkeit eines Objekts in Echtzeit aufzeichnet, einen vorgegebenen Zeit-Weg-Graphen laufen, indem sie sich auf den Sensor zubewegen und sich wieder entfernen. Auf diese Weise wird der Zusammenhang zwischen Realsituation und Funktionsgraph direkt erfahrbar. Kwon (2002) stellt in seiner Studie, in welcher n=590 Lernende in 18 Klassen mit Hilfe eines solchen Sensors unterrichtet wurden, fest, dass sich die Modellierungskompetenzen der Lernenden

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B) Theoretischer Hintergrund

hierdurch deutlich verbessern und folgert: „In summary, the present study demonstrates that CBR [Ultraschallsensor, Anmerkung des Verfassers] activities are pedagogically promising for enhancing students' graphing ability- interpreting, modeling, and transforming“ (Kwon 2002, S. 63). Weiterhin können durch den Einsatz eines Ultraschellsensors im Rahmen von Modellierungskontexten auch Fehlvorstellungen zu Funktionen wie etwa dem Graph-als-Bild-Fehler3 begegnet werden (vgl. Hale 1996; Hale 2000). Fokus auf Modellbildung mit Hilfe digitaler Werkzeuge Neben dem Vorteil, realistischere Modellierungskontexte im Unterricht zu nutzen, lässt sich durch den Einsatz digitaler Werkzeuge der Fokus auch stärker auf den Modellierungsprozess und das Ausarbeiten einer Lösungsstrategie legen, da zeitraubende kalkülhafte Berechnungen vom Werkzeug übernommen werden können. Zusätzlich lassen sich durch die einfache Verfügbarkeit vielfältiger Repräsentationsformen und den unproblematischen Wechsel zwischen diesen Repräsentationsformen auch unterschiedliche Herangehensweisen an die Bildung eines Modells realisieren. So können in kurzer Zeit verschiedene Modelle erstellt, revidiert oder neu konzipiert und auf ihre Passgenauigkeit überprüft werden. Dieses Potenzial wird etwa in der Studie von Geiger et al. (2010) sichtbar, in der sich zeigt, dass Lernende digitale Werkzeuge eben nicht nur zur Vereinfachung von Berechnungen beim mathematischen Arbeiten innerhalb eines Modells verwenden, sondern digitale Werkzeuge schon im Vorfeld bei der Konzeptualisierung des Modells nutzen. Die Autoren folgern daher: „Consequently, this assigns a role to technology in the conceptualisation of the model rather than simply as a tool which is used to solve a mathematical problem after it has been abstracted“ (Geiger et al. 2010, S. 64). Dass digitale Werkzeuge in vielen verschiedenen Phasen des Modellierens von 3

Beim Graph-als-Bilder Fehler werden Funktionsgraphen „als fotografische Abbilder von Realsituationen angesehen“ (vgl. Schlöglhofer 2000, S. 16).

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Vorteil sind zeigt sich auch in der Studie von Confrey & Malony (2007), die feststellen, dass insbesondere das Erkunden, das Schlussfolgern und das Systematisieren im Modellierungsprozess durch den digitalen Werkzeugeinsatz stark unterstützt werden. Zusammenfassung Insgesamt bieten digitale Werkzeuge die Möglichkeit, den Einbezug von Modellierungskontexten im Unterricht zu unterstützen. Aufwendige Berechnungen können schneller durchgeführt werden, wodurch realistischere Aufgaben möglich werden. Durch den Einbezug von Messwertsensoren können Daten selber erhoben und direkt ausgewertet werden. Die schnell verfügbaren unterschiedlichen Repräsentationsformen unterstützen zudem verschiedene Zugänge im Modellbildungsprozess. 4.5 Entlastung von kalkülhaftem Arbeiten Die in den vorherigen Kapiteln beschriebenen Potenziale digitaler Werkzeuge haben das Ziel, den Aufbau mathematischer Kompetenz zu unterstützen, welche häufig in prozedurales und konzeptuelles Wissen ausdifferenziert wird. In diesem Kapitel wird dargelegt, wie durch digitale Werkzeuge eine bessere Balance und Verknüpfung von prozeduralem und konzeptuellem Wissen unterstützt werden kann. Mathematikdidaktische Fundierung Es lässt sich zunächst feststellen, dass eine genaue definitorische Abgrenzung zwischen prozeduralem und konzeptuellem Wissen schwierig ist, was sich darin zeigt, dass sich in der Literatur viele Definitionen mit unterschiedlichen Bedeutungsvariationen finden lassen (vgl. z.B. Byrnes & Wasik 1991, S. 777; Haapsalo & Kadijevich 2000, S. 141; Hiebert & Lefevre 1986, S. 3; Rittle- Johnson & Alibali 1999, S. 175; Rittle-Johnson & Siegler 1998, S. 77; Rittel-Johnson et al. 2001, S. 346). In der

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B) Theoretischer Hintergrund

vorliegenden Arbeit wird auf die Definition von Rittle-Johnson et al. (2001) Bezug genommen. Diese beschreiben prozedurales Wissen als „[…] the ability to execute action sequences to solve problems” (RittelJohnson et al. 2001, S. 346), wohingegen konzeptuelles Wissen als “implicit or explicit understanding of the principles that govern a domain and the interrelations between units of knowledge in a domain“ (Rittel-Johnson et al. 2001, S. 346) definiert wird. Konzeptuelles Wissen kann somit als vernetztes Wissen aufgefasst werden, welches als Grundlage inhaltlichen Verständnisses dient, während prozedurales Wissen als die Fähigkeit der Durchführung einer Abfolge von Schritten zur zielgerichteten Lösung von Problemen aufgefasst werden kann (vgl. Rittle-Johnson & Schneider 2015, S. 1120). Schneider (2006) betont, dass prozedurales Wissen insbesondere die Menge von Regeln beschreibt, „deren sequenzielle Anwendung die zielgerichtete Lösung von Problemen ermöglicht“ (vgl. Schneider 2006, S. 53). Dabei sollte jedoch nicht automatisch angenommen werden, dass prozedurales Wissen ausschließlich von oberflächlicher Qualität ist, während konzeptuelles Wissen stets tief vernetztes Wissen ist. Vielmehr hebt Star (2005) hervor, dass zwischen Art des Wissens auf der einen Seite und Qualität des Wissens auf der anderen Seite unterschieden werden muss. So können sowohl prozedurales Wissen als auch konzeptuelles Wissen oberflächlich oder aber von großer Tiefe sein. So umfasst tiefes prozedurales Wissen etwa die Flexibilität mit der die Prozeduren durchgeführt werden können und die Fähigkeit zur kritischen Beurteilung der Prozeduren (vgl. Star 2005, S. 408). Prediger et al. (2011) und Barzel et al. (2013) konkretisieren die Begriffe prozedurales und konzeptuelles Wissen für die Mathematikdidaktik. Konzeptuelles Wissen differenzieren die Autoren in die Bereiche Konzepte und Zusammenhänge, während beim prozeduralen Wissen zwischen mathematischen und handwerklichen Verfahren unterschieden wird. Zu jedem dieser Bereiche werden auf einer zweiten Dimension die folgenden vier Facetten des Wissens unterschieden: explizite Formulierungen,

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konventionelle Festlegungen, Konkretisierung und Abgrenzungen, Bedeutungen und Vernetzung. Insbesondere in den letzten beiden Facetten spiegelt sich wider, dass für die Autoren in Einklang mit Star (2005) auch prozedurales Wissen von reichhaltiger Natur sein kann und nicht nur die oberflächliche Fähigkeit der Durchführung von Prozeduren umfasst. Aus wissenschaftlicher Sicht hat sich die Auffassung durchgesetzt, dass sowohl konzeptuelles als auch prozedurales Wissen zum Aufbau mathematischer Kompetenz wichtig sind (vgl. Kilpatrick et al. 2001, S. 5; RittleJohnsen & Siegler 1998, S. 77; Rittle-Johnson & Schneider 2015, S. 1129). So hat sich vor allem gezeigt, dass gerade die Verknüpfung von beiden Wissensarten dazu beiträgt „Prozeduren durch Anwendung konzeptuellen Hintergrundwissens adaptiv und flexibel anwenden zu können und Konzepte durch prozedurales Hintergrundwissen schnell und effizient verwenden zu können“ (Schneider 2006, S. 103). Bezogen auf den deutschsprachigen Raum scheint es jedoch, dass eine solche Verknüpfung von prozeduralem und konzeptuellem Wissen noch zu selten geschieht. So lässt sich in der mathematikdidaktischen Diskussion etwa beobachten, dass eine einseitige Kalkülorientierung4 kritisiert wird (vgl. z.B. Borneleit et al. 2001, S. 79; Grefrath et al. 2016, S. 203; Henn & Kaiser 2001, S. 368; Prediger 2009; Weigand 2015, S. 262; vom Hofe 2003, S. 4). Bei dieser liegt der Unterrichtsschwerpunkt auf einer schematischen Anwendung von Verfahren und Algorithmen, während ein tragendes inhaltliches Verständnis nicht ausgebildet wird (vgl. Glade 2016, S. 5). Die Gefahr hierbei liegt nicht nur im fehlenden Aufbau von inhaltlichem Verständnis, sondern auch darin, dass Lernende ein einseitiges Mathematikbild entwickeln:

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Jung (2006) definiert ein Kalkül als „Regeln, die es erlauben, aus Aussagen [...] durch rein symbolische Manipulationen neue Formeln zu gewinnen“ (Jung 2006, S. 35).

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B) Theoretischer Hintergrund

“Time spent on an activity is often viewed as an indication of the importance of that activity. Since students spend most of their ‘mathematics time’ carrying out routine algorithmic manipulations, their tendency is to view mathematics as the memorization of formulas and ‚to do mathematics‘ is to compute. (‚I can do the math, it's just the theorem that I don't understand.‘)” (Small & Hosack 1986, S. 148) Um der starken Kalkülorientierung entgegen zu wirken, formuliert Prediger (2009) das didaktische Prinzip „Inhaltliches Denken vor Kalkül“. Nach diesem Prinzip wird ausgehend von einer Sachsituation solange beim Inhaltlichen verweilt, bis Lernende selbst ein Bedürfnis nach denkentlastenden Abkürzungen durch Kalküle empfinden. Im Prozess der Entwicklung des Kalküls und nach Einführung des Kalküls wird im Weiteren darauf geachtet, stets die Bezüge zum inhaltlichen Denken aufrechtzuerhalten. Die vorherigen Ausführungen bilden den Ausgangspunkt, um im Folgenden zu erläutern, wie digitale Werkzeuge dazu beitragen können, der übermäßigen Kalkülorientierung zu begegnen. Auslagerung von Rechenverfahren an digitale Werkzeuge – Freiräume für konzeptuelles Arbeiten Das Aufkommen digitaler Werkzeuge wurde von Beginn an mit der Hoffnung verknüpft, eine Akzentverschiebung in Richtung eines stärker verständnisorientierten Unterrichts zu erreichen (vgl. z.B. Fey 1989, S. 238). Die Hoffnung liegt vor allem darin begründet, dass digitale Werkzeuge bestimmte operative Tätigkeiten, wie zum Beispiel das Zeichnen eines Graphen oder das Lösen einer Gleichung, übernehmen können, wodurch mehr Zeit zum Durchdringen der mathematischen Konzepte bleibt (vgl. Small & Hosack 1986, S. 145). Nach Schneider entstehen hierdurch insbesondere „Freiräume für die Entwicklung von Grundwissen und Grundvorstellungen, für Darstellung, Reflexion und Interpretation“ (Schneider

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2002, S. 32). Die Forderung nach einer verstärkten Auslagerung von operativen Routinefertigkeiten an den Rechner wird dabei auch dadurch begründet, dass operative Routinefertigkeiten aufgrund der Verfügbarkeit von Rechnern von nachlassender gesellschaftlicher Relevanz sind und stattdessen verstärkt Fähigkeiten zur Reflexion und Interpretation benötigt werden (vgl. Hefendehl-Hebeker & Rezat 2015, S. 144; Peschek 1999, S. 265). Peschek (1999) hebt hervor, dass die Auslagerung von operativen Anteilen an digitale Werkzeuge nicht als ein neues Paradigma anzusehen ist. So wird etwa auch ohne Verfügbarkeit digitaler Werkzeuge bestimmtes Wissen in Form von Regeln und Formeln als Bausteine ausgelagert. Beispielsweise wird etwa die Lösungsformel zur Lösung von quadratischen Gleichungen als fertiger Baustein angewandt, ohne dass die einzelnen Schritte der Herleitung der Formel bei jeder Anwendung bedacht werden (vgl. Weigand & Weth 2002, S. 37). Peschek (1999) beschreibt diese Bausteine als „’Black Boxes’ [...] in denen operatives Wissen so materialisiert ist, dass es als Ganzes aufrufbar und einsetzbar wird, ohne dass ihre innere Funktionsweise verstanden werden oder auch nur bekannt sein muss“ (Peschek 1999, S. 1). Schneider betont, dass die Auslagerung in solche Bausteine „der Mathematik genuin“ (Schneider 2002, S. 142) ist und als wesentlicher Grund für deren Leistungsfähigkeit und Effizienz angesehen werden kann. In diesem Sinne erweitern und vereinfachen digitale Werkzeuge mit den auf Knopfdruck verfügbaren vielfältigen Funktionen lediglich die Möglichkeiten der Auslagerung von operativen Fertigkeiten. Auslagerung von Rechenverfahren an digitale Werkzeuge - Gefahr für verständnisvolles Arbeiten? Kritische Stimmen sehen in der Auslagerung von operativen Fertigkeiten an digitale Werkzeuge jedoch die Gefahr, dass die dahinterliegenden mathematische Konzepte nicht mehr wirklich verstanden werden und

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B) Theoretischer Hintergrund

befürchten, dass der Mathematikunterricht zu einem bedeutungslosen „Knöpfedrücken“ verkommt (vgl. Pimm 2002; Ralston 2004; Risser 2011; Tobin & Weiss 2016; Wu 1997). So wird etwa befürchtet, dass Lernende nicht mehr verstehen, wie der angezeigte Graph einer Funktion entsteht, wenn das Erstellen von Funktionsgraphen vermehrt von digitalen Werkzeugen übernommen wird (vgl. Leinhardt et al. 1990, S. 7). Diese Befürchtung spiegelt sich etwa bei Schwenk-Schellschmidt wider: „Das mathematische Konzept [...] verkümmert zu einer von vielen Tasten auf dem Taschenrechner, die eigentliche Bedeutung tritt in den Hintergrund” (Schwenk-Schellschmidt 2013, S. 27). Mackey spricht in diesem Zusammenhang davon, dass digitale Werkzeuge als „substitute for thinking“ (Mackey 1999, S. 3) genutzt werden und befürchtet ein „blackbox paradise of mindless button pushing merely for the sake of being on the cutting edge of the mathematics reform movement“ (Mackey 1999, S. 3). Als Folge eines solchen verständnislosen Arbeitens wird dann auch vor einer Autoritätsverschiebung gewarnt. Die neue Autorität im Unterricht ist das Werkzeug, die ausgegebenen Ergebnisse werden nicht hinterfragt und unreflektiert im Sinne einer blinden Rechnergläubigkeit übernommen (vgl. Leinhardt et al. 1990, S. 7). Bandelt et al. (2017) sehen im Einsatz digitaler Werkzeuge gar die Gefahr für einen „vollständigen Ersatz mathematischer Argumente durch stumpfen Rechnereinsatz, wo immer es möglich ist; de facto also Mathematikvermeidung“ (Bandelt et al. 2017). Ralston (2004, S. 407) kritisiert zwar, dass die geäußerten Befürchtungen häufig auf anekdotischer Evidenz basieren, Beobachtungen in verschiedenen Studien zeigen jedoch, dass die Befürchtungen nicht unbegründet sind. So stellen Cavanagh & Mitchelmore (2000, S. 166) fest, dass die vom Rechner ausgegebenen Graphen oder Ausdrücke von den Lernenden häufig nicht hinterfragt werden und dem Rechner eine größere Autorität bezüglich der Korrektheit der Ergebnisse zugeschreiben wird als dem eigenen Urteilsvermögen. Ward (2000, S. 30) stellt in einer Studie mit 18 Schülern, welche über einen Zeitraum von drei Monaten bei der Arbeit mit

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grafikfähigen Taschenrechnern beobachtet wurden, bei 70% der Lernenden das Auftreten einer „press and pray“-Strategie fest, bei welcher die Lernenden auswendig gelernte Befehlsfolgen eintippen und sich darauf verlassen, dass die vom Werkzeug angezeigte Lösung richtig ist. Auch Steele (1991) kommt in seiner Studie zum Einsatz digitaler Werkzeuge zum Schluss: „There seemed to be a blind acceptance of whatever the calculator produced“ (Steele 1991, S. 1). Lagrange (2003, S. 271) betont daher folgerichtig, dass die Auslagerung von operativen Anteilen an digitale Werkzeuge keinen Automatismus hin zu einem verständnisvolleren, auf konzeptuelles Wissen fokussierten Mathematikunterricht darstellt. Auf der anderen Seite können digitale Werkzeuge aber auch nicht per se als Grund für verständnisloses Arbeiten angeführt werden, da dies ebenso in einem hilfsmittelfreien Mathematikunterricht auftreten kann (vgl. Tobin & Weiss 2016, S. 39). So können etwa auch die Schritte der Kurvendiskussion ohne inhaltliches Verständnis rezeptartig abgearbeitet werden. Insgesamt ergibt sich vielmehr die Situation, dass es nicht der Werkzeugeinsatz per se ist, welcher zu einem verständnisfördernden oder verständnislosen Unterricht führt, sondern dass die Art und Weise der Implementation des Werkzeugeinsatzes durch die Lehrkraft entscheidend ist. Auslagerung von Rechenverfahren an digitale Werkzeuge - Gefahr für händische Fertigkeiten? Neben einer Gefahr für das Verstehen wird bei einer Auslagerung von operativen Anteilen an den Rechner befürchtet, dass elementare händische Fertigkeiten wie etwa das Lösen von Gleichungen oder das händische Ableiten verlorengehen oder erst gar nicht ausgebildet werden (vgl. Heid & Blume 2008, S. 75; Tall et al. 2008, S. 238). In der Tat kommen manche Studien zum Schluss, dass bestimmte händische Fertigkeiten beim Einsatz digitaler Werkzeuge nicht mehr beherrscht werden (vgl. z.B. Huntley et al. 2000). Hier ist jedoch differenziert nach den Gründen zu fragen. So wird in vielen Studien der Einsatz digitaler Werkzeuge gleichzeitig mit einem

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B) Theoretischer Hintergrund

auf den Werkzeugeinsatz abgestimmten Curriculum verbunden. Dabei wird in der Regel oftmals ein geringerer Fokus auf händische Fertigkeiten und dafür ein größerer Schwerpunkt auf die Ausbildung von konzeptuellem Verständnis gelegt. In den Kontrollgruppen wird demgegenüber oftmals ein traditionell orientierter Unterricht realisiert, in dem händischen Fertigkeiten eine große Bedeutung zugemessen wird. Diese unterschiedliche Akzentuierung wird dann in der Regel auch Auswirkung auf die erworbenen Kompetenzen haben. So zeigt etwa in der Studie von Huntley et al. (2000) die Experimentalgruppe, welche mit digitalen Werkzeugen unterrichtet wird, signifikant schlechtere Leistungen in allen getesteten Bereichen des händischen Arbeitens als die Kontrollgruppe, welche keine digitalen Werkzeuge nutzt. Die Autoren stellen diesbezüglich fest: „We were not surprised that […] students, whose program does not focus on symbolic manipulation by paper and pencil, attained lower scores than traditional students whose program consisted of symbolic manipulation almost exclusively.“ (Huntley et al. 2000, S. 348) Dass jedoch kein Automatismus zwischen dem Einsatz digitaler Werkzeuge und dem Verlust händischer Fertigkeiten existiert legen diverse Reviewarbeiten (vgl. Ellington 2006; Tall et al. 2008) nahe. So kommen etwa Tall et al. (2008) zum Schluss:

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„Results from quantitative comparison studies indicate that, in general, students in the various types of experimental sections, in general, did as well as students in traditional sections on questions examining procedural skills. More time spent on development of understanding of concepts, whether through resequencing of material or not, does not affect typical procedural skill development and indicates that less time could be spent on skill development.“ (Tall et al. 2008, S. 249) Einsatz digitaler Werkzeuge zur Unterstützung des Zusammenspiels zwischen prozeduralem und konzeptuellem Wissen? Vor dem Hintergrund der Erkenntnis, dass händische Fertigkeiten nicht per se durch den Einsatz digitaler Werkzeuge gemindert werden, ist ein differenzierterer Blick auf das Zusammenspiel zwischen konzeptuellem und prozeduralem Wissen beim Einsatz digitaler Werkzeuge von Bedeutung. So formuliert bereits Kaput im Jahre 1992 die Forschungsfrage: „How do different technologies affect the relation between procedural and conceptual knowledge, especially when the exercise of procedural knowledge is supplanted by (rather than supplemented by) machines?“ (Kaput 1992, S. 549) Einen ersten theoretischen Rahmen für die Beantwortung dieser Frage stellt die Task-Technique-Theory (vgl. Artigue 2002) dar, welche auf die Arbeiten von Chevallard (1992; 1999) zurückgeht. Techniques beschreiben sowohl händische Fertigkeiten als auch syntaktisches Arbeiten mit dem digitalen Werkzeug und werden als wichtige Verknüpfung zwischen Aufgaben und konzeptuellem Verständnis aufgefasst. Weiterhin wird betont, dass Techniken einerseits eine pragmatische Rolle haben, wenn sie zum Beispiel dazu dienen, eine bestimmte Aufgabe zu lösen, und andererseits eine epistemologische Rolle haben, indem sie zum Verständnis beitragen. Die Task-Technique-Theory stellt das Zusammenspiel von händischen Techniken und Werkzeugtechniken sowie der jeweiligen pragmatischen und epistemologischen Rolle in den Mittelpunkt. Insbesondere sollte

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B) Theoretischer Hintergrund

ein mathematischer Inhalt als ein konsistentes Gefüge aus Aufgaben, Techniken und konzeptueller Reflexion im Unterricht existieren (vgl. Lagrange 2003, S. 273). Lagrange (2003) zeigt, dass durch den Einbezug von digitalen Werkzeugen zwar die pragmatische Rolle von händischen Fertigkeiten in Frage gestellt wird, der epistemologische Aspekt händischer Fertigkeiten jedoch durch digitale Werkzeuge unterstützt werden kann. Ebenso kann werkzeugspezifischen syntaktischen Techniken neben einer pragmatischen Rolle auch eine epistemologische Rolle zukommen. Die Studien von Hitt & Kieran (2009), Kieran & Drijvers (2006), Kieran & Damboise (2007) sowie Lagrange & Erdogan (2009) zeigen exemplarisch, wie ein solches Zusammenspiel von händischen Fertigkeiten, syntaktischem Arbeiten mit digitalen Werkzeugen und konzeptueller Reflexion aussehen und zu produktiven Ergebnissen führen kann. So kann etwa das Faktorisieren von Termen der Form xn-1 einerseits händisch vollzogen und andererseits mit Hilfe des CAS vorgenommen werden. Gerade die Verknüpfung und das in Beziehung setzen der beiden Resultate kann dann sehr wertvoll sein: In all, the confrontation of students’ paper-and-pencil factors with the CAS factors led to the development of new theoretical ideas. In the process of making sense of the CAS factors, the students extended their view of the range of the difference-ofsquares technique. They also came to see that exponents that have several divisors can generally be factored in more than one way. They began to look at expressions in terms of multiple possible structures." (Kieran & Drijvers 2006, S. 250) Zu ähnlich positiven Schlüssen kommen auch Kieran und Damboise:

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„[...] we found that the students’ paper-and-pencil technical work actually benefited from the interaction with CAS. The CAS provided insights that transferred to their paper-andpencil algebraic work and enhanced their learning." (Kieran & Damboise 2007, S. 111) Es scheint somit Hinweise zu geben, dass durch den Einsatz digitaler Werkzeuge die Verknüpfung von prozeduralem und konzeptuellem Wissen unterstützt werden kann. Allerdings ist auch zu beachten, dass der Wechsel zwischen unterschiedlichen Medien, wie Papier und Bleistift und digitalen Werkzeugen, möglicherweise auch zu Diskontinuitäten im Lernprozess führen kann und so kohärente fachliche Lernprozesse behindert werden (vgl. Lindmeier 2018, S. 7). Da bisher nur wenige exemplarisch untersuchte Beispiele vorhanden sind, wären noch weitere Forschungsarbeiten wünschenswert, um die von Kaput (1992) aufgeworfene Frage bezüglich der Rolle digitaler Werkzeuge für das Zusammenspiel von prozeduralem und konzeptuellem Wissen weiter aufzuklären. Auslagerung von Rechenverfahren an digitale Werkzeuge – aber was? Die Diskussion im Rahmen der Auslagerung von operativen Anteilen an den Rechner wird im Weiteren auch bezüglich der Inhalte geführt: „The simple fact is that if concept, application and problem solving are to become more of a focus, then manipulation and computation must be reduced. But what should be removed?“ (Mayes 1994, S. 26) In der Debatte lassen sich dabei zum Teil sehr extreme Positionen ausmachen. So prognostiziert Steen, dass sämtliche händische Fertigkeiten wie etwa das Umstellen von Gleichungen in Zukunft komplett bedeutungslos werden und komplett an digitale Werkzeuge ausgelagert werden: „What can be said with certainty, however, is that the era of paper and pencil

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mathematics is over.“ (Steen 1988, S. 232). Solche extremen Ansichten sind jedoch mittlerweile weitgehend einem differenzierteren Bild gewichen, in welchem die Notwendigkeit des Beherrschens bestimmter operativer Fertigkeiten auch von Befürwortern einer Auslagerung nicht in Frage gestellt wird (vgl. z.B. Arcavi et al. 2017, S. 107; Bruder et al. 2015, S. 115 ff.; Heintz et al. 2017, S. 30; Lagrange 2003, S. 274-275; Peschek 1999, S. 265). So fordert etwa Peschek (1999) nur diejenigen operativen Fertigkeiten auszulagern, die für einen verständigen Aufbau und den tragfähigen Umgang mit mathematischen Konzepten nicht unbedingt notwendig sind. Peschek (1999) formuliert dies als eigenes didaktisches Prinzip, indem er fordert: „Die mathematische Ausbildung sollte sich bei der Einführung wie auch bei der Anwendung mathematischer Konzepte zeitgemäßer Mittel bedienen; sie sollte insbesondere auch versuchen, operatives Wissen und operative Fertigkeiten an diese auszulagern, soweit dies didaktisch sinnvoll möglich ist. [...] Ich nenne dieses didaktische Prinzip Auslagerungsprinzip.“ (Peschek 1999, S. 269, Hervorhebung durch den Verfasser) Die Frage, welche Inhalte didaktisch sinnvoll ausgelagert werden sollen, ist jedoch nicht einfach zu beantworten. Herget et al. (2000) geben eine Auflistung von Fertigkeiten an, die ihrer Meinung nach nicht mehr händisch beherrscht werden müssen und an digitale Werkzeuge ausgelagert werden können. Dabei zählen sie zum Beispiel das Lösen von einfachen quadratischen Gleichungen wie x2-4x=0 zu den noch zu beherrschenden Fertigkeiten, während das Lösen einer allgemeinen quadratischen Gleichung mit Hilfe der p-q-Formel nicht mehr zu den notwendigen händischen Fertigkeiten gezählt wird. Pinkernell & Greefrath (2011) diskutieren das Problem am Beispiel der Lösungsverfahren linearer Gleichungssysteme. Hier ist eine Spanne von der händischen Beherrschung aller Verfahren bis zur vollständigen Auslagerung des Lösungsprozesses an digitale Werkzeuge denkbar. Die Autoren betonen, dass bei der Entscheidung

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welche Inhalte ausgelagert werden können, neben den Zielen des Mathematikunterrichts auch Fragen des mathematischen Wissensaufbaus und die Struktur des Curriculums zu berücksichtigen sind. Insgesamt besteht zur Frage nach den relevanten operativen Fertigkeiten, die noch rechnerfrei beherrscht werden sollen, kein Konsens (vgl. Hefendehl-Hebeker & Rezat 2015, S. 144; Schmidt-Thieme & Weigand 2015, S. 486). Für Lehrkräfte bedeutet diese Unklarheit eine Herausforderung. So muss im Endeffekt die Lehrkraft entscheiden welche Fertigkeiten sie im Unterricht akzentuiert: „Today, teachers must examine on a case-bycase basis which paper-and-pencil arithmetic and algebraic manipulation procedures should still be emphasized in the curriculum“ (Waits & Demana 2000, S. 7). Dies kann jedoch dazu führen, dass Lehrkräfte in ihrer Unterrichtspraxis sehr unterschiedliche Schwerpunkte setzen (vgl. Stacey et al. 2002). Zumindest für die Bundesländer, in denen hilfsmittelfreie Prüfungsteile verpflichtend sind, bieten die hierzu veröffentlichten Hinweise und Beispielaufgaben jedoch eine gewisse Orientierung. Ebenso wird durch den gemeinsamen Abituraufgabenpool der Kultusministerkonferenz eine Orientierung geboten, welcher zwischen Aufgaben die hilfsmittelfrei zu lösen sind und Aufgaben, die mit Unterstützung von digitalen Werkzeugen bearbeitet werden sollen, unterscheidet. Auslagern an digitale Werkzeuge - aber wann? Ein weiterer Aspekt der im Zusammenhang mit der Auslagerung von operativen Anteilen an digitale Werkzeuge diskutiert wird, ist der Zeitpunkt zu dem dies im Unterrichtsverlauf geschehen sollte. So formuliert Buchberger (1990) das sogenannte White-Box/Black-Box-Prinzip. White-BoxPhasen stellen Phasen dar, in denen die mathematischen Konzepte, Begriffe oder Verfahren zunächst ohne Unterstützung von digitalen Werkzeugen erlernt werden. Die erlernten Verfahren und Operationen sollen also insbesondere zunächst händisch ausgeführt werden können (vgl.

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B) Theoretischer Hintergrund

Drijvers 1995, S. 4; Heugl et al. 1996, S. 36). Im weiteren Verlauf können diese Verfahren, welche verstanden und händisch beherrscht werden, an den Rechner ausgelagert werden und als „Black-Box“ genutzt werden5. Dadurch, dass die bereits gelernten Verfahren im weiteren Lernprozess vom Werkzeug übernommen werden, kann der Lernende sich dann verstärkt auf das Verstehen neuer Inhalte konzentrieren. Heugl et al. (1996, S. 160) sehen bei diesem Prinzip den Vorteil, dass der Einsatz digitaler Werkzeuge nicht dafür verantwortlich gemacht werden kann, dass bestimmte Verfahren durch Lernende nicht mehr verstanden werden, da sie zuvor ja werkzeugfrei erlernt werden. Peschek (1999) betont zudem, dass dieses Prinzip gerade für weniger technologieaffine Lehrkräfte einen einfachen Einstieg in das Unterrichten mit digitalen Werkzeugen bietet, da kaum Änderungen aus curricularer und methodisch-didaktischer Sicht vorgenommen werden müssen. Er kritisiert jedoch, dass dieses Prinzip die „Rückwirkung des Werkzeugs auf dessen Einsatzbereich oder auf die Vermittlungs- und Lernprozesse“ (Peschek 1999, S. 264) nicht mitberücksichtigt. Peschek hält dieses Prinzip aus didaktischer Sicht daher „für eine unnötige Einengung, ja geradezu für eine Sackgasse“ (Peschek 1999, S. 264). Vor allem ist bei diesem Prinzip die Möglichkeit zur Reduzierung der Dominanz des Operativen eher begrenzt. Alle prozeduralen Verfahren müssen ja immer noch zuerst rechnerfrei beherrscht werden, erst in späteren Arbeitsphasen ergibt sich dann eine Erleichterung (vgl. Peschek 1999, S. 264). Ausgehend von diesen Kritikpunkten wurde eine Umkehrung des Prinzips als Black-Box/White-Box-Vorgehen thematisiert (Drijvers 1995; Heugl et al. 1996, S. 176; Peschek 1999). In der Black-Box-Phase nutzt der Lernende bestimmte Funktionen des digitalen Werkzeuges, ohne dass die zugrundeliegenden mathematischen Konzepte und Verfahren notwendiger5

Da diese Black-Box jetzt von den Lernenden verstanden wird schlägt Drijvers (1995, S. 6) die Bezeichnung „Transparent Box“ oder „Glass Box“ vor.

4 Chancen und Risiken digitaler Werkzeuge

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weise vollständig transparent sind oder händisch beherrscht werden. Digitale Werkzeuge werden hierbei zum Beispiel zum experimentellen Arbeiten, zum Entdecken von Zusammenhängen und Generieren von Hypothesen genutzt: With technology, students can solve quadratic equations using technological factoring commands before they learn to factor those polynomials by hand, and they can find approximate solutions to quadratic equations in the absence of the quadratic formula by producing calculator-generated graphs." (Heid 2005, S. 347) In der anschließenden White-Box-Phase werden die gewonnenen Erkenntnisse begründet und theoretisch abgesichert, so dass neue Konzepte entwickelt werden (vgl. Drijvers 1995, S. 5). Auf diese Weise wird die BlackBox dann allmählich zur White-Box. Barzel (2012, S. 50) hebt hervor, dass das Black-Box/White-Box-Prinzip einen entdeckenden und genetischen Zugang zur Mathematik unterstützen kann. Die Lernenden können das Werkzeug nutzen, um Beziehungen und Zusammenhänge zu erkunden und Hypothesen zu generieren. Mathematik wird anders als bei einem fachsystematischen Zugang nicht als fertiges Produkt, sondern als Prozess erfahren. Zusammenfassung Im Zusammenhang mit der Möglichkeit der Auslagerung von Prozeduren an digitale Werkzeuge stellen sich viele Fragen, welche teilweise immer noch sehr kontrovers diskutiert werden. So ist zum Beispiel zu klären, welche händischen Fertigkeiten bei Verfügbarkeit digitaler Werkzeuge noch beherrscht werden sollen und wie das Zusammenspiel von händischem Arbeiten und digitalem Werkzeugeinsatz gewinnbringend gestaltet werden kann. Es lässt sich zusammenfassend jedoch sagen, dass digitale Werkzeuge die Möglichkeit bieten, bestimmte operative Fertigkeiten zu übernehmen und so die Chance bieten die häufig kritisierte einseitige

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B) Theoretischer Hintergrund

Kalkülorientierung zu verringern und einen stärkeren verständnisorientierten Unterricht zu unterstützen. 4.6 Empirische Evidenz zum Einsatz digitaler Werkzeuge In Anbetracht der in den vorhergehenden Abschnitten dargestellten Potenziale und Risiken digitaler Werkzeuge stellt sich natürlich die Frage, inwiefern sich aus der Gesamtheit der in den letzten Jahrzehnten durchgeführten Studien zum Einsatz digitaler Werkzeuge empirische Evidenz ableiten lässt, dass digitale Werkzeuge tatsächlich eine positive Auswirkung auf den Lernerfolg haben. Diese Frage nach der „Wirksamkeit“ wird dabei erfahrungsgemäß auch immer wieder von Lehrkräften in Rahmen von Fortbildungen aufgeworfen. Eine Beantwortung ist jedoch aus mehreren Gründen schwierig. Zum einen gibt es zwar eine Vielzahl an Studien zum Einsatz digitaler Werkzeuge, diese wurden jedoch in der Regel in sehr unterschiedlichen Settings durchgeführt. So unterscheiden sich Studien zum Beispiel erheblich bezüglich der eingesetzten digitalen Werkzeuge, der untersuchten Stichprobengrößen, der behandelten Inhalte, der Länge der Interventionen sowie der untersuchten und kontrollierten Variablen. Ein Synthetisieren dieser heterogenen Studien zu einer einheitlichen Gesamtaussage ist daher problematisch. Zudem gibt es zu durchgeführten Studien so gut wie keine Replikationsstudien, welche die gefundenen Ergebnisse bestätigen (vgl. Drijvers 2016, S. 6). Eine weitere Schwierigkeit ist es, Veränderungen in den Lernerfolgen allein auf den Einsatz digitaler Werkzeuge zurückzuführen, da in diesem Falle sämtliche andere Variablen kontrolliert werden müssten. Barton (2000, S. 5) stellt heraus, dass die Studien, die versuchen alle Variablen außer dem Werkzeugeinsatz zu kontrollieren, jedoch meistens keine Effekte des Werkzeugeinsatzes finden. Dieser Befund deutet jedoch nicht

4 Chancen und Risiken digitaler Werkzeuge

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darauf hin, dass der Einsatz digitaler Werkzeuge wirkungslos ist, vielmehr wird hierdurch deutlich, dass sich die Potenziale digitaler Werkzeuge erst bei einem auf den Werkzeugeinsatz abgestimmten Unterricht entfalten. Dementsprechend unterscheiden sich Experimental- und Kontrollgruppe in den meisten Interventionsstudien nicht nur durch den Einsatz digitaler Werkzeuge, sondern auch in der inhaltlich-methodischen Gestaltung des Unterrichts (vgl. Dunham & Dick 1994, S. 441). Infolgedessen lassen sich die Auswirkungen auf den Lernerfolg nicht mehr eindeutig dem Werkzeugeinsatz zuschreiben, sondern es ist die spezielle Kombination aus Werkzeugeinsatz und entsprechendem didaktischen Rahmen, der untersucht wird (vgl. Heid & Blume 2008, S. 85). Es wird somit deutlich, dass sich allgemeine Fragen nach der Wirksamkeit des Einsatzes digitaler Werkzeuge kaum beantworten lassen. Vielmehr ist nicht so sehr das Werkzeug alleine sondern die unterrichtliche Implementation entscheidend: “[…], the type and extent of the gains are a function of how the technology is used in the teaching of mathematics” (Drijvers et al. 2015, S. 15). Dies verdeutlicht insbesondere auch die bedeutende Rolle, die der Lehrkraft bei der Realisierung der Potenziale des Werkzeugeinsatzes zukommt. Als weiteres Problem erweist sich, dass Studien zum Einsatz digitaler Werkzeuge zum Teil methodische Schwächen aufweisen. So kritisieren etwa Burrill et al. (2002, S. 35), dass entsprechende Publikationen häufig keine oder nur eine sehr oberflächliche Beschreibung der verwendeten Erhebungsinstrumente, der Methoden der Datenanalyse, der Studienteilnehmenden sowie des Unterrichts in Interventions- und Kontrollgruppe geben. Bei quantitativen Studien fehlen insbesondere randomisierte Kontrollgruppenstudien mit größeren Stichproben. Weiterhin wird kritisiert, dass die verwendeten Untersuchungsinstrumente oftmals nicht gängigen methodischen Standards entsprechen: „The majority of the instruments used by researchers were self designed and untested with no reliability statistic provided“ (Burrill et al. 2002, S. 35). Lindmeier (2018, S. 9) hebt hervor, dass

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B) Theoretischer Hintergrund

häufig nur wenige Referenzkriterien erfasst werden und Schwächen im Design der Studien die Aussagekraft mindern. Ronau et al. (2014) fordern daher strengere Qualitätsstandards bei Forschungsarbeiten zum Einsatz digitaler Werkzeuge anzulegen: „The mathematics education technology research community must in turn begin to demand greater quality in its published studies, through both how researchers write about their own studies and how they review the works of other” (Ronau et al. 2014, S. 1002; vgl. auch Drijvers 2016, S. 6; Ronau et al. 2015). Allerdings muss auch gesagt werden, dass sich die Situation verglichen mit den Anfängen mittlerweile stark gebessert hat. So gibt es mittlerweile randomisierte Kontrollgruppenstudien mit großen Stichproben (vgl. Hegedus & Roschelle 2013) und auch für den deutschsprachigen Raum sind qualitativ hochwertige Studien zum digitalen Werkzeug-einsatz im Mathematikunterricht verfügbar (vgl. z.B. Barzel 2006; Bichler 2010; Ingelmann 2009; Laakmann 2013; Rieß 2018). Trotz dieser beschriebenen Herausforderungen versuchen Meta- und Reviewarbeiten die Vielzahl an Ergebnissen zum Einsatz digitaler Werkzeuge zu synthetisieren (vgl. z.B. Barton 2000; Barzel 2012; Burrill et al. 2002; Cheung & Slavin 2013; Ellington 2003, 2006; Hembree & Dessart 1992; Li & Ma 2010; Rakes et al. 2010). Bei den Metastudien, die Effektstärken für die Auswirkungen des Werkzeugeinsatzes auf die Leistungen der Lernenden berechnen (vgl. z.B. Cheung & Slavin 2013; Ellington 2003, 2006; Li & Ma 2010; Rakes et al. 2010), sind diese zwar signifikant positiv, allerdings sind die Effektstärken in der Größenordnung von ca. d=0.2 eher als gering anzusehen. Drijvers et al. (2016) folgern daher: „From the perspective of experimental studies, the benefit of using technology in mathematics education does not appear to be very strong“ (Drijvers et al. 2016, S. 6). Allerdings ist die Aussagefähigkeit solcher Metaanalysen in Anbetracht der zuvor beschriebenen Probleme begrenzt. Insgesamt lässt sich somit feststellen, dass das innovative Potenzial digitaler Werkzeuge zwar fachdidaktisch herausgearbeitet werden konnte,

5 Zur Rolle von Lehrerüberzeugungen

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erfahrbare Verbesserungen auf praktischer Ebene in der Breite jedoch noch nicht abschließend nachgewiesen wurden (vgl. Lindmeier 2018, S. 10). Drijvers (2016) fordert daher weitere Studien, welche vor allem relevante Faktoren identifizieren, die zur erfolgreichen Realisierung der Potenziale digitaler Werkzeuge beitragen: „What we need on our research agendas are studies (including replication studies) that focus on the identification of decisive factors that determine the eventual benefits“ (vgl. Drijvers 2016, S. 7).

5 Zur Rolle von Lehrerüberzeugungen Im vorhergehenden Kapitel wurde dargelegt, wie digitale Werkzeuge auf verschiedene Art und Weise das Lernen unterstützen können. Diese Potenziale entfalten sich jedoch nicht automatisch, vielmehr wurde bereits im vorherigen Kapitel an verschiedenen Stellen deutlich, dass die Art und Weise der Integration letztlich entscheidend von der Lehrkraft abhängt (vgl. auch Barzel 2012, S. 61; Drijvers et al. 2016, S. 6; Ertmer 2005, S. 27). Dementsprechend wird im folgenden Kapitel die Rolle der Lehrkraft bei der Integration digitaler Werkzeuge fokussiert. Hierzu wird in Abschnitt 5.1 zunächst die unterrichtliche Integration digitaler Werkzeuge als komplexer, multifaktorieller Prozess skizziert und die besondere Rolle der Lehrkraft und die zentrale Bedeutung der Lehrerüberzeugungen herausgestellt. Im Folgenden wird nach einer allgemeinen Betrachtung von Lehrerüberzeugungen (Abschnitt 5.2) konkret auf die Rolle von Überzeugungen zu digitalen Werkzeugen (Abschnitt 5.3), die Rolle epistemologischer Überzeugungen (Abschnitt 5.4) und die Rolle der Selbstwirksamkeitsüberzeugungen (Abschnitt 5.5) beim Einsatz digitaler Werkzeuge eingegangen.

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B) Theoretischer Hintergrund

5.1 Auf die Lehrkraft kommt es an Der Qualitative & Quantitative Gap Mit dem Aufkommen digitaler Werkzeuge wurde zunächst eine Revolution in dem Sinne erwartet, dass digitale Werkzeuge schlagartig in großem Umfang in den Mathematikunterricht Einzug halten und das Lehren und Lernen massiv verändern. Man sah Potenziale, um mathematische Lernprozesse zu unterstützen, den Mathematikunterricht stärker verstehensorientiert zu gestalten und konstruktivistische Lernformen stärker zu akzentuieren (vgl. Kapitel 4). Exemplarisch sei hier ein Beitrag von Waits & Demana aus dem Jahre 1995 angeführt. Im Artikel mit dem Titel „TI-92, the hand-held revolution in computer enhanced maths teaching and learning“ prognostizieren die Autoren einen radikalen Umbau des Mathematikcurriculums: „Powerful new hand-held technology tools for enhancing mathematics teaching and learning, like the TI-92, will change the mathematics curriculum forever” (Waits & Demana 1995, S. 9). Ein Blick auf die Entwicklung des Mathematikunterrichts in den letzten 20 Jahren macht jedoch schnell klar, dass sich diese hochgesteckten Erwartungen nicht erfüllt haben. So stellt etwa der Länderindikator 2017 (Lorenz et al. 2017) in einer repräsentativen Umfrage von Lehrkräften der Sekundarstufe I fest, dass digitale Medien in den MINT-Fächern im Allgemeinen nur wenig genutzt werden. In der Studie von Eickelmann et al. (2014) geben 70% der Lernenden der Jahrgangsstufe 8 an, überhaupt nicht mit Computern im Mathematikunterricht zu arbeiten. Auch der Einsatz grafikfähiger Taschenrechner und Computer-Algebra-Systeme verbleibt gering. So geben in der Studie von Kuntze & Dreher (2013) ca. 70% der Lehrkräfte an, dynamische Geometriesoftware, CAS und Funktionenplotter weniger als einmal im Monat zu nutzen. In der Studie von Bretscher (2014) liegt der Anteil der Lehrkräfte, die den grafikfähigen Taschenrechner mindestens einmal wöchentlich nutzen sogar bei nur 2%. Bretscher (2014) spricht in Anbetracht der großen Potenziale, aber der nur geringen Nutzung der

5 Zur Rolle von Lehrerüberzeugungen

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Werkzeuge von einem „widely perceived quantitative gap and qualitative gap between the reality of teachers’ use of ICT and the potential for ICT suggested by research and policy“ (Bretscher 2014, S. 43; siehe auch Heid et al. 2013, S. 599; Weigand 2014, S. 5). Die genauen Gründe hierfür sind immer noch Gegenstand aktueller Forschung, es lässt sich jedoch feststellen, dass die Komplexität der erfolgreichen Integration digitaler Werkzeuge massiv unterschätzt wurde (vgl. Schmidt-Thieme & Weigand 2015, S. 482; Weigand 2014, S. 5). Intrinsische und extrinsische Faktoren Die große Komplexität spiegelt sich etwa darin wider, dass sich herauskristallisiert hat, dass eine Vielzahl unterschiedlicher Faktoren bei der Integration digitaler Werkzeuge eine Rolle spielen. Diese Faktoren werden in der Regel in intrinsische und extrinsische Faktoren unterschieden (vgl. z.B. Thomas & Palmer 2014). Extrinsische Faktoren umfassen zum Beispiel die Verfügbarkeit von geeignetem Unterrichtsmaterial für den Einsatz mit digitalen Werkzeugen, die Benutzerfreundlichkeit des Werkzeugs, die der Lehrkraft zur Verfügung stehende Zeit, um eine erfolgreiche Integration zu realisieren, die kollegiale Zusammenarbeit oder die kohärente curriculare Verankerung digitaler Werkzeuge (vgl. Heid et al. 2013, S. 630; Thomas & Palmer 2014, S. 72). Intrinsische Faktoren lassen sich hingegen der professionellen Handlungskompetenz von Lehrkräften zuordnen, welche sich nach dem von Baumert & Kunter (2006) diskutierten gängigen Kompetenzmodell aus motivationalen Orientierungen, professionellen Werten und Überzeugungen, selbstregulativen Fähigkeiten sowie dem Professionswissen zusammensetzt (vgl. Baumert & Kunter 2006, S. 482). Diese Faktoren sind deshalb so bedeutsam, da die Potenziale digitaler Werkzeuge „nur durch die einzelne Lehrkraft entfaltet werden sowie durch die entsprechende inhaltliche und methodische Gestaltung des Unterrichts“ (Barzel 2012, S. 61). Die hohe Bedeutung, die der Kompetenz der Lehrkraft bei der Integration digitaler Werkzeuge zugemessen wird, zeigt

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B) Theoretischer Hintergrund

sich dabei etwa auch daran, dass für das fachdidaktische Wissen als Teil des Professionswissens in den vergangenen Jahren technologiespezifische Theorien vorgelegt wurden. Hierzu zählen etwa das Konstrukt des „pedagogical technology knowledge” (PTK, Thomas & Hong 2005) oder das „technological pedagogical content knowledge” (TPACK; Mishra & Koehler 2006), welche zum Ausdruck bringen sollen, dass die Lehrkraft ganz spezifisches Wissen bezogen auf den Technologieeinsatz benötigt, um die in Kapitel 4 skizzierten Potenziale zu realisieren. Überzeugungen als wichtiger intrinsischer Faktor Für eine Arbeit, welche das Ziel verfolgt, die Integration digitaler Werkzeuge zu untersuchen und die Effekte einer Fortbildung zum digitalen Werkzeugeinsatz zu erfassen, stellt diese Vielzahl an intrinsischen und extrinsischen Einflussfaktoren natürlich eine große Herausforderung dar. Insbesondere können in der vorliegenden Studie nicht alle intrinsischen und extrinsischen Variablen erfasst und kontrolliert werden, so dass eine Fokussierung notwendig ist. In der vorliegenden Arbeit wird in einem ersten Schritt daher eine Fokussierung auf intrinsische Faktoren vorgenommen. Dies lässt sich dadurch begründen, dass diesen Faktoren ein bei weitem größerer Einfluss auf die unterrichtliche Integration zugesprochen wird als den extrinsischen Faktoren (vgl. Mumtaz 2000, S. 337; Norton et al. 2000; Zhao & Frank 2003, S. 809). Bei den intrinsischen Faktoren wird oftmals vor allem den Überzeugungen der Lehrkraft eine wichtige Rolle zugesprochen wie etwa in folgendem Zitat deutlich wird:

5 Zur Rolle von Lehrerüberzeugungen

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“[…] teachers who have few school resources, are not well supported by their head of department, and who do not have strong personal GC skills can do quite well in implementing GC use. Our attitude questionnaire seems to point to the fact that the teacher’s personal attitudes and beliefs, if strong enough, will override these other negative constraints and obstacles. (Hong & Thomas 2006, S. 242). Auch verschiedene Reviews heben die große Bedeutung der Lehrerüberzeugungen für die Integration von digitalen Medien hervor. So konstatiert etwa Mumtaz (2000): „The review highlights the role of pedagogy and suggests that teachers’ beliefs about teaching and learning with ICT are central to integration” (Mumtaz 2000, S. 319). Hegedus et al. (2017a) betonen: „Teachers’ choices, views and norms seem to play a crucial role for a successful integration“ (Hegedus et al. 2017a, S. 581.). Zwar wird auch das Wissen der Lehrkraft als wichtige Facette der Lehrerkompetenz für eine erfolgreiche Integration von Technologie in den Unterricht angesehen, allerdings wird Überzeugungen in der Regel eine stärkere handlungsleitende Wirkung zugesprochen, da sie als „Brücke zwischen Wissen und Handeln“ (vgl. Felbrich et al. 2010, S. 297) angesehen werden können. Zudem betonen auch Erkenntnisse der Implementationsforschung die Wichtigkeit von Überzeugungen bei der Verbreitung von Innovationen, wie sie in diesem Fall die Nutzung digitaler Werkzeuge darstellt: „Generell ist es in der Implementationsforschung unbestritten, dass Einstellungen der Lehrkräfte gegenüber der Innovation und Überzeugungen für die Umsetzung der Veränderung entscheidend sind“ (vgl. Gräsel & Parchmann 2004, S. 204). Aus den genannten Gründen erfolgt in der vorliegenden Arbeit eine Fokussierung auf die Überzeugungen der Lehrkraft. Trotz dieser Fokussierung darf jedoch insbesondere bei der Interpretation der Ergebnisse nicht vergessen werden, dass die Überzeugungen der Lehrkräfte zwar enorm wichtig sind, aber immer in ein komplexes Ökosystem aus intrinsischen und extrinsischen Faktoren eingebettet sind (vgl. Levin & Wadmany 2008, S. 256, S. 237; Zhao & Frank 2003, S. 808).

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B) Theoretischer Hintergrund

5.2 Zu Begriff und Rolle von Lehrerüberzeugungen Bevor in den folgenden Abschnitten spezifischer auf verschiedene, beim digitalen Werkzeugeinsatz relevante Facetten von Überzeugungen eingegangen wird, soll im vorliegenden Abschnitt zunächst eine definitorische Eingrenzung des Begriffs „Überzeugung“ vorgenommen werden. Ebenfalls werden im vorliegenden Abschnitt grundlegende Beziehung zwischen Überzeugungen und unterrichtlichem Handeln beleuchtet. Der Begriff der Überzeugung Zunächst lässt sich feststellen, dass sich keine einheitliche Definition des Begriffs der „Überzeugung“ oder des englischen Begriffs „belief“ herausgebildet hat (vgl. Philipp 2007, S. 265). In einer Arbeit, welche die Untersuchung von Überzeugung fokussiert, ist daher klarzustellen, was in dieser Arbeit unter dem Begriff der Überzeugung verstanden werden soll. Dies ist insbesondere daher wichtig, da neben dem Begriff der Überzeugung in der Literatur noch viele weitere Begrifflichkeiten verwendet werden. So werden im deutschsprachigen Raum zum Beispiel auch die verwandten Begriffe „Subjektive Theorien“ und „mathematische Weltbilder“ gebraucht, während im internationalen Raum die Begriffe „attitudes“, „values“, „dispositions“, „implicit theories“ und „conception“ Verwendung finden (vgl. Pajares 1992, S. 309). Um für die vorliegende Arbeit eine klare Begriffsbasis zu schaffen, wird im Weiteren der Begriff „Überzeugung“ verwendet, wobei die weit verbreitete Definition von Philipp (2007) zu Grunde gelegt wird. Dieser bezeichnet Überzeugungen als

5 Zur Rolle von Lehrerüberzeugungen

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„psychologically held understandings, premises, or propositions about the world that are thought to be true. Beliefs are more cognitive, are felt less intensely, and are harder to change than attitudes. Beliefs might be thought of as lenses that affect one’s view of some aspect of the world or as dispositions toward action. Beliefs, unlike knowledge, may be held with varying degrees of conviction and are not consensual. Beliefs are more cognitive than emotions and attitudes.” (Philipp 2007, S. 259) Überzeugungen werden in dieser Definition vor allem als kognitives Konstrukt konzeptualisiert. Dies grenzt sie insbesondere von „attitudes“ ab, welche einen höheren affektiven Anteil aufweisen und auch leichter veränderbar sind (vgl. Philipp 2007, S. 259). Ein wesentlicher Aspekt von Überzeugungen ist zudem der individuelle Wahrheitsgehalt, der diesen in unterschiedlich starker Ausprägung zugesprochen wird, wodurch sich auch einer der wesentlichen Abgrenzungspunkte zum Wissen ergibt (Philipp 2007, S. 259; Thompson 1992, S. 130). Hervorzuheben ist zudem, dass sich Überzeugungen immer auf bestimmte Objekte beziehen: „Beliefs are always attached to objects of belief. To address a belief, one has to identify the corresponding belief object, for instance, ‘the philosophy of mathematic’ or ‘the role of the integral’" (Goldin et al. 2009, S. 3). So können sich etwa Überzeugungen zu digitalen Mathematikwerkzeugen stark von Überzeugungen zu anderen digitalen Medien wie etwa digitalen Whiteboards unterscheiden. Überzeugungssysteme In der Regel wird angenommen, dass Überzeugungen nicht isoliert existieren, sondern in Beziehungen zu anderen Überzeugungen stehen. In diesem Sinne lässt sich dann von einem sogenannten Überzeugungssystem sprechen, welches nach Thompson (1992) als „a metaphor for examining and describing how an individual’s beliefs are organized“ (Thompson 1992,

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B) Theoretischer Hintergrund

S. 130) beschrieben werden kann. Für Überzeugungssysteme werden dabei in der Regel drei Annahmen betont: (1) Es gibt Überzeugungen, die als Basis für andere Überzeugungen angesehen werden können (sogenannte „primary beliefs“ und „derivate beliefs“; vgl. Philipp 2007, S. 260). Dabei können derivative beliefs quasi als Schlussfolgerung aus den primary beliefs angesehen werden (vgl. Heinrichs 2015, S. 29). So könnte etwa die Überzeugung, dass digitale Werkzeuge im Unterricht eingesetzt werden sollten, von der Überzeugung stammen, dass es wichtig ist, die Forderungen in den Lehrplänen umzusetzen. (2) Eine weitere Dimension beschreibt die Stärke, mit der bestimmte Überzeugungen im Überzeugungssystem existieren. So wird zwischen „central beliefs“, besonders starken Überzeugungen, welche dementsprechend auch schwer veränderbar sind, und „peripheral beliefs“, eher schwachen Überzeugungen, welche dementsprechend auch leichter veränderbar sind, unterschieden (vgl. Philipp 2007, S. 260). Green (1971) beschreibt central beliefs als „a belief held with all the ferocity and seriousness that any important and truly fundamental belief deserves“ (Green 1971, S. 53). Rokeach (1968) führt als weitere Facette der Zentralität die Anzahl der Verknüpfungen mit anderen Überzeugungen auf. So weisen zentrale Überzeugungen besonders viele Verknüpfungen zu anderen Überzeugungen auf und können daher als besonders einflussreich angesehen werden: „[…] the more a given belief is functionally connected or in communication with other beliefs, the more implications and consequences it has for other beliefs and, therefore, the more central the belief” (Rokeach 1968, S. 5). (3) Es wird angenommen, dass Überzeugungen in Überzeugungsclustern organsiert sind, wobei diese Cluster mehr oder weniger isoliert

5 Zur Rolle von Lehrerüberzeugungen

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voneinander existieren können. Philipp (2007, S. 260) hält fest, dass aus diesem Grunde Lehrkräfte durchaus sich widersprechende Überzeugungen haben können, wodurch die Überzeugungssysteme für Beobachtende inkonsistent erscheinen können. So können Lehrkräfte einerseits etwa überzeugt sein, dass konstruktivistische Lernmethoden lernförderlich sind, aber gleichzeitig die Überzeugung halten, dass bei schwachen Lerngruppen vor allem ein kleinschrittiger, eng geführter Unterricht am wirksamsten ist. Die angenommene Clusterung von Überzeugungen begründet auch, dass Überzeugungssysteme von Lehrkräften in der Regel in verschiedene Bereiche ausdifferenziert werden. So werden etwa die berufsbezogenen Überzeugungen von Lehrkräften in Überzeugungen zu Wesen und Struktur von Fächern, Lerngegenständen und Lernmedien sowie in personenbezogene und kontextbezogene Überzeugungen unterteilt (vgl. Reusser & Pauli 2014, S. 650). Personenbezogene Überzeugungen beziehen sich beispielsweise auf Selbstwirksamkeitsüberzeugungen, welche die subjektive Einschätzung der eigenen Fähigkeiten darstellen. Kontextbezogene Überzeugungen beziehen sich zum Beispiel auf Überzeugungen zur Aufgabe und Funktion von Schule oder auf Überzeugungen bezüglich der Stellung des Lehrerberufs in der Gesellschaft (vgl. Reusser & Pauli 2014, S. 651). Diese Überzeugungen werden in der vorliegenden Arbeit nicht näher betrachtet, was darin begründet liegt, dass kontextbezogene Überzeugungen in der Regel nicht als entscheidender Faktor für die Integration digitaler Werkzeuge benannt werden. Handlungsleitende Funktion von Überzeugungen Die große Bedeutung, die Überzeugungen zugesprochen wird, ergibt sich vor allem aus ihrer handlungsleitenden Funktion. So sorgen Überzeugungen etwa dafür, dass Wissen in Handlungssituationen transferiert werden kann und dienen als Filter und Orientierungshilfe (vgl. Blömeke et al.

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B) Theoretischer Hintergrund

2008, S. 220; Leder et al. 2002). Auch in empirischen Studien wird die enge Bindung zwischen Überzeugungen und unterrichtlichem Handeln dementsprechend häufig beobachtet: “Empirical studies have yielded quite consistent findings: A teacher’s beliefs tend to be associated with a congruent style of teaching that is often evident across different classes and grade levels” (Kagan 1992, S. 66). So stellt beispielsweise Rolka (2006) fest, dass „der im Rahmen der Fallstudie untersuchte Lehrer in weiten Teilen in seinen professed und attributed beliefs übereinstimmt“ (Rolka 2006, S. 151). „Professed beliefs“ sind dabei die von der Lehrkraft explizierten Überzeugungen, während „attributed beliefs“ die Überzeugungen sind, die dem unterrichtlichen Verhalten der Lehrkraft zugeordnet werden (vgl. Schoenfeld 1998). Dabei ist der Zusammenhang zwischen Überzeugungen und unterrichtlichem Handeln jedoch nicht als einfache Ursache-Wirkungs-Kette anzusehen, sondern muss eher als bidirektional aufgefasst werden (vgl. Buehl & Beck 2015, S. 70 ff.; Thompson 1992, S. 140). Richardson (1996, S. 104) beschreibt dieses komplexe reziproke Zusammenspiel dahingehend, dass Überzeugungen zwar das Handeln beeinflussen, aber gleichzeitig auch Erfahrungen aus dem Handeln sowie Reflexionsprozesse zu Änderungen oder Neubildungen von Überzeugungen führen können. Dieses bidirektionale Verhältnis gilt insbesondere auch für den Technologieeinsatz im Unterricht: „[...] it is important to note that learning to teach with technology is an iterative process: beliefs lead to actions, which, in turn, lead to the development of reconstructed or reaffirmed beliefs […]“ (Tondeur et al. 2017, S. 569; vgl. auch Philipp 2007, S. 281). Inkonsistenzen zwischen Überzeugungen und Handeln Auch wenn, wie beschrieben, oftmals ein enger Zusammenhang von Überzeugungen und entsprechendem unterrichtlichem Handeln festgestellt wird, so werden auch immer wieder Inkonsistenzen zwischen den Überzeugungen und dem unterrichtlichen Handeln der Lehrkräfte beobachtet (vgl. Chen 2008; Ertmer 2005, S. 29; Judson 2006; Liljedahl 2008; Philipp

5 Zur Rolle von Lehrerüberzeugungen

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2007, S. 271; Raymond 1997; Skott 2015, S. 21; für einen aktuellen Überblick zu der Problematik siehe auch Buehl & Beck 2015). So stellt etwa Chen (2008) fest: „All participants reported high levels of agreement on constructivist concepts, but the participants’ instruction remained teacher centered and lecture based, and their technology use was to support such instruction” (Chen 2008, S. 72). Philipp (2007) plädiert dafür, solche Inkonsistenzen durch ein besseres Verständnis der spezifischen Situation aufzuklären: „I propose that as a research stance in studying teachers and their beliefs, we researchers assume that contradictions do not exist. Taking this stance when we observe apparent contradictions, we would assume that the inconsistencies exist only in our minds, not within the teachers, and would strive to understand the teachers’ perspectives to resolve the inconsistencies. Inconsistencies should still present problems, but for researchers instead of teachers.“ (Philipp 2007, S. 276) Auch Buehl & Beck (2015, S. 71) betonen, dass es nicht nur Ziel sein kann zu klassifizieren, ob Überzeugungen und Handeln kongruent sind oder nicht, sondern vielmehr darauf fokussiert werden sollte, das Ausmaß der Kongruenz beziehungsweise Inkongruenz zu bestimmen und die Gründe und Konsequenzen zu diskutieren. Zur Aufklärung von Inkonsistenzen zwischen Überzeugungen und Lehrerhandeln lassen sich dabei unterschiedliche Ansätze hervorheben. So ist es einerseits möglich, dass Lehrkräfte widersprüchliche Überzeugungen in ihrem Überzeugungssystem haben. In diesem Fall kann es dann zum Beispiel sein, dass diejenigen Überzeugungen, die im individuellen Überzeugungssystem der Lehrkraft eine wichtigere Rolle einnehmen, das Handeln bestimmen: „Sometimes, participants’ other conflicting beliefs had a greater effect on instruction and technology use than did the participants’ expressed pedagogical beliefs” (Chen 2008, S. 72). Eine Lehrkraft könnte etwa die Überzeugung haben, dass digitale Werkzeuge dafür genutzt werden sollten, entdeckendes Lernen zu fördern, aber dann im Unterricht nur „drill-and-practice“-

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B) Theoretischer Hintergrund

Übungen durchführt, da die Überzeugung, dass die Lernenden grundlegende händische Fertigkeiten erlernen müssen, um Mathematik zu verstehen, eine zentralere Stellung im Überzeugungssystem der Lehrkraft einnimmt. Das Aufklären von Inkonsistenzen kann in solchen Fällen nur dadurch erfolgen, die zentrale handlungsleitende Überzeugung zu identifizieren (vgl. Ertmer 2005, S. 29). Ebenso können Inkonsistenzen auch durch andere Facetten der Lehrerkompetenz erklärt werden. So kann die Lehrkraft etwa die Überzeugung haben, dass der digitale Werkzeugeinsatz für das Lernen förderlich ist, während ihr gleichzeitig das Wissen fehlt, entsprechend dieser Überzeugung zu handeln. Ein weiterer Ansatz zur Aufklärung von Inkonsistenzen besteht darin, kontextuelle Faktoren als Erklärungsvariablen mit einzubeziehen. So können etwa ein Mangel an Zeit und Ressourcen, das Schülerverhalten oder die Schulkultur Gründe dafür sein, dass eine Lehrkraft nicht entsprechend ihrer Überzeugungen handelt: “[...] the relationship of one's philosophy to one's practice is one of negotiation between what one assumes and believes to be true about teaching and the contextual factors (students, institution, and societal assumptions and beliefs) which serve as enablers or constrainers to playing out these assumptions and beliefs.“ (Scott et al. 1994, S. 23) Insgesamt beeinflusst somit ein ganzes Bündel an Faktoren, inwiefern Überzeugungen auch zu entsprechendem Handeln führen. Insbesondere wird deutlich, dass die Überzeugungen der Lehrkraft nur als notwendige, aber nicht als hinreichende Bedingung für eine entsprechende Unterrichtsgestaltung gesehen werden können. Veränderung von Überzeugungen Aufgrund der handlungsleitenden Funktion von Überzeugungen sind diese auch ein wichtiger Ansatzpunkt von Lehrerfortbildungen. So stellt etwa das DZLM heraus, dass „die Förderung einer stärker prozess- und

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anwendungsorientierten (= dynamischen) Perspektive, in der das Potenzial der Mathematik als Mathematiktreiben, kreatives Problemlösen und Werkzeug zur Lösung von Alltagsproblemen erkannt wird“ (DZLM 2015, S. 7) ein Ziel der angebotenen Fortbildungen ist. Solche Veränderungen von Überzeugungen zu erreichen ist jedoch nicht einfach.6 Dies gilt insbesondere für Überzeugungen, die früh geformt wurden und somit schon länger bestehen. Die schwere Veränderbarkeit von Überzeugungen lässt sich damit begründen, dass neue Informationen und Erfahrungen präferiert so verarbeitet werden, dass die bereits bestehenden Überzeugungen verstärkt werden: [...] individuals tend to turn conflicting evidence into support for already held beliefs, using whatever cognitive tricks are necessary, even when their evidence base is totally discredited“ (Pajares 1992, S. S. 317; vgl. auch Tillema 1995, S. 292). Insbesondere wirkt dieser Mechanismus auch bei der Aufnahme von Fortbildungsinhalten: „[...] teachers filter new information delivered through professional development programs through their belief systems before they assimilate it into existing knowledge structures“ (Ertmer & Ottenbreit-Leftwich 2010, S. 263; siehe auch Fives & Buehl 2012, S. 478 ff.). Um trotzdem Veränderungen in den Überzeugungen von Lehrkräften zu erreichen, sind demnach besondere Anstrengungen nötig. Als Mittel der Wahl wird in der Regel die Bewusstmachung und Reflexion der eigenen Überzeugungen herausgestellt (vgl. Buehl & Beck 2015, S. 81; Philipp 2007, S. 281). Kagan (1992, S. 77) hält fest, dass bereits existierende Überzeugungen in Frage gestellt werden müssen und die Adäquatheit hinterfragt werden muss. Pajares (1992) hebt dabei insbesondere die Rolle des kognitiven Konfliktes hervor: „Beliefs are unlikely to be replaced unless they prove unsatisfactory, and they are unlikely to prove unsatisfactory unless they are challenged and one is unable to assimilate them into 6

Auch stellen sich Fragen hinsichtlich ethischer Gesichtspunkte (vgl. Raths 2001; Fives & Buehl 2012, S. 489).

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B) Theoretischer Hintergrund

existing conceptions“ (Pajares 1992, S. 321). In Anbetracht dessen, dass eine bidirektionale Beziehung zwischen Überzeugungen und Handeln postuliert wird (siehe S. 71), wird jedoch auch gefordert, nicht nur über die Überzeugungen zu reflektieren, sondern gleichzeitig auch das Handeln der Lehrkräfte in den Blick zu nehmen, um über verändertes Unterrichtshandeln eine Veränderung von Überzeugungen zu erreichen (vgl. Buehl & Beck 2015, S. 69 ff.; Guskey 2002; Philipp 2007, S. 281). Guskey (2002) betont etwa, dass Veränderungen in den Überzeugungen vor allem dann eintreten, wenn Lehrkräfte selbst wahrnehmen, dass ein verändertes Unterrichtshandeln sich positiv auf das Lernen der Schülerinnen und Schüler auswirkt. Auch Reusser & Pauli (2014) stellen heraus, dass die Reflexion von Überzeugungen alleine nicht genügt, sondern diese „durch situierte, problem- und handlungsorientierte [...] Fortbildungsformate ergänzt werden muss“ (Reusser & Pauli 2014, S. 655). Solche Formate umfassen etwa die videobasierte Arbeit mit Aufnahmen des eigenen Unterrichts sowie Coaching-Ansätze. Ziel ist es dabei, die in den Handlungsroutinen verankerten Überzeugungen nachhaltig zu verändern. Zusammenfassung Insgesamt lässt sich feststellen, dass Überzeugungen als eine wichtige Facette der Lehrerkompetenz ganz entscheidend mit dem unterrichtlichen Handeln verknüpft sind. Überzeugungen existieren dabei niemals isoliert, sondern lassen sich in einem Überzeugungssystem verorten. In diesem können Überzeugungen als Folgerungen aus anderen Überzeugungen entstehen sowie in unterschiedlicher Stärke vorkommen. Werden Inkonsistenzen zwischen Überzeugungen der Lehrkraft und unterrichtlichem Handeln beobachtet, so bieten beispielsweise die Struktur des Überzeugungssystems oder externe Faktoren mögliche Erklärungsansätze zur Aufklärung dieser Inkonsistenzen.

5 Zur Rolle von Lehrerüberzeugungen

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5.3 Die Rolle technologiebezogener Überzeugungen Nach der vorgenommenen allgemeinen Betrachtung von Überzeugungen wird im folgenden Abschnitt spezifisch auf technologiebezogene Überzeugungen eingegangen. Dabei werden unter technologiebezogenen Überzeugungen diejenigen Überzeugungen verstanden, welche sich direkt auf digitale Werkzeuge als Überzeugungsobjekt beziehen. Qualitative Studien Bei der Erfassung und Beschreibung von Lehrerüberzeugungen dominieren in der Regel qualitative Ansätze (vgl. Philipp 2007, S. 271), so dass sich auch bezüglich technologiebezogener Überzeugungen mehr qualitative als quantitative Studien finden lassen. In qualitativen Studien zu technologiebezogenen Überzeugungen werden dabei meist die Überzeugungen einzelner Lehrkräfte detailliert beschrieben und teilweise auch mit dem unterrichtlichen Handeln in Verbindung gebracht (vgl. z.B. Doerr & Zangor 1999a; Doerr & Zangor 1999b; Doerr & Zangor 2000; Duncan 2010; Erens & Eichler 2015; Handal et al. 2011; Hennessy et al. 2001; Jost 1992; Karadeniz 2015; Kendal & Stacey 2001; Kendal & Stacey 2002; Misfeldt et al. 2016; Özgün-Koca 2010; Patterson & Norwood 2004; Pierce et al. 2009; Simmt 1997; Simonsen & Dick 1997; Stacey et al. 2002; Thomas & Hong 2005). In diesen Studien wird eine Vielzahl an Aspekten technologiebezogener Überzeugungen bei den Lehrkräften sichtbar. So werden etwa Überzeugungen zur Unterstützung von Repräsentationswechseln durch digitale Werkzeuge (vgl. z.B. Duncan 2010; Patterson & Norwood 2004), zum Zeitaufwand bei der Integration digitaler Werkzeuge (vgl. z.B. Simonsen & Dick 1997, S. 251; Simmt 1997; Thomas & Hong 2005, S. 259), bezüglich der Vorteile der Auslagerung von operativen Anteilen an digitale Werkzeuge (vgl. z.B. Hennessy et al. 2001, S. 272), bezüglich der Gefahr des Verlustes händischer Fertigkeiten aufgrund des Einsatzes digitaler Werkzeuge (vgl. z.B. Erens & Eichler 2015, S. 141; Handal et al. 2011, S. 353; Simmt 1997, S. 282), zur Gefahr des unreflektierten

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B) Theoretischer Hintergrund

Arbeitens aufgrund des Einsatzes digitaler Werkzeuge (vgl. z.B. Handal et al. 2011, S. 353; Pierce et al. 2009, S. 1150; Simonsen & Dick 1997, S. 454), zum passenden Zeitpunkt des Einsatzes digitaler Werkzeuge (vgl. z.B. Özgün-Koca 2010) oder zum entdeckenden Lernen mit digitalen Werkzeugen (vgl. z.B. Doerr & Zangor 1999a) bei den Lehrkräften beschrieben. Es lässt sich somit erkennen, dass viele der für Lehrkräfte relevanten Aspekte eng mit den in Kapitel 4 diskutierten Potenzialen und Risiken in Verbindung stehen. Erens & Eichler (2015) sowie Misfeldt et al. (2016) stellen fest, dass Überzeugungen zum Einsatz digitaler Werkzeuge zwischen unterschiedlichen Lehrkräften in unterschiedliche Cluster eingeteilt werden können. So haben nach Erens & Eichler (2015) Lehrkräfte, die dem Bereich „the old school“ (Erens & Eichler 2015, S. 142) zuzuordnen sind, starke Zweifel, dass digitale Werkzeuge das Lernen unterstützen können. Lehrkräfte, die hingegen der Kategorie „technology supporters“ (Erens & Eichler 2015, S. 142) zugeordnet werden, haben positive Überzeugungen zum Einsatz digitaler Werkzeuge und nutzen digitale Werkzeuge intensiv für einen problemorientierten Unterricht. Den technologiebezogenen Überzeugungen wird somit eine handlungsleitende Wirkung attestiert, wie auch in der Studie von Doerr & Zangor (1999a) deutlich wird:

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„The teacher [...] believed that it [der grafikfähige Taschenrechner, (Anmerkung des Verfassers)] could be a helpful tool for the students to use in finding meaningful responses to problem situations. She also believed that the tool presented certain technological and mathematical limitations. As a consequence of these beliefs, as they were enacted in her interactions with the students and the mathematical problem situations of the curriculum, the graphing calculator became a particular kind of tool in this classroom.“ (Doerr & Zangor 1999a, S. 271; Hervorhebungen durch den Verfasser) Qualitative Studien zum Einsatz digitaler Werkzeuge geben somit Hinweise, welche technologiebezogenen Überzeugungen bei verschiedenen Lehrkräften existieren und zeigen, dass diese Überzeugungen handlungsleitende Wirkung haben können. Da jedoch bei qualitativen Studien nur einzelne Fallbeispiele beschrieben werden, bleibt die Frage nach generalisierbaren Aussagen unbeantwortet: „The intent in qualitative research is not to generalize the information […] but to elucidate the particular, the specific’’ (Creswell 2007, S. 126). Für generalisierbare Aussagen sind quantitative Studien mit größeren Stichproben nötig, die auch die Ausprägung der Überzeugungen quantifizieren (vgl. auch Philipp 2007, S. 268). Quantitative Studien Quantitative Studien zu Überzeugungen zu digitalen Werkzeugen (vgl. z.B. Chan 2015; Coffland & Strickland 2004; Dewey et al. 2009; Fleener 1995; Goos & Bennison 2008; Kuntze 2011; Kuntze & Dreher 2013; Milou 1999; Molenje 2012; Pierce & Ball 2009; Tharp et al. 1997; Tobin et al. 1999) finden sich im Gegensatz zu qualitativen Studien seltener. Bei den vorhandenen Studien lässt sich feststellen, dass vor allem Überzeugungen hinsichtlich der Rolle händischer Fertigkeiten beim Einsatz digitaler Werkzeuge (vgl. Abschnitt 4.5, S. 51) sowie Überzeugungen bezüglich des Einsatzzeitpunktes digitaler Werkzeuge (vgl. Abschnitt 4.5, S. 57) eine besondere Rolle spielen. So findet Fleener (1995) in einer Studie mit n=94

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B) Theoretischer Hintergrund

Lehrkräften, dass 49% der Lehrkräfte die Überzeugung haben, dass digitale Werkzeuge erst dann eingesetzt werden sollen, wenn die mathematischen Konzepte gut verstanden worden sind, während 51% genau der entgegengesetzten Meinung sind. Zusätzlich stellt Fleener heraus, dass Lehrkräfte mit der ersteren Überzeugung auch eher die Überzeugung haben, dass händische Fertigkeiten beim Einsatz digitaler Werkzeuge verloren gingen und dass Mathematik besser verstanden würde, wenn mathematische Probleme händisch gelöst würden. Es zeigt sich weiterhin, dass diese Überzeugungen relativ robust sind und sich auch mit zunehmender Erfahrung im Unterrichten mit digitalen Werkzeugen nicht ändern (vgl. Fleener 1995, S. 67). Auch Molenje (2012) stellt in seiner Studie mit n=81 Lehrkräften eine große Heterogenität der Überzeugungen bezüglich des Einsatzzeitpunktes von grafikfähigen Taschenrechnern fest: „There was lack of consensus on whether students should only be allowed to use a graphing calculator to create a graph after they have learned to create the graph by hand“ (Molenje 2012, S. 147). Die Unsicherheit von Lehrkräften bezüglich der Rolle händischer Fertigkeiten im Rahmen des Einsatzes digitaler Werkzeuge zeigt sich ebenfalls in der Studie von Goos & Bennison (2008): „[...] a substantial proportion of teachers was unsure whether technology erodes students’ basic mathematical skills“ (Goos & Bennison 2008, S. 116). Milou (1999) kommt in Anbetracht ähnlicher Ergebnisse in seiner Studie zu dem Schluss, „that algebra teachers are unsure of how to use the graphing calculator in instruction. Do concepts and procedures still need to be mastered first?“ (Milou 1999, S. 137). Die Überzeugung, dass digitale Werkzeuge erst dann eingesetzt werden sollten, wenn die Mathematik händisch beherrscht wird, scheint im Weiteren auch mit der Überzeugung zum Zeitaufwand des Einsatzes digitaler Werkzeuge verknüpft zu sein. So finden sich in der Studie von Pierce & Ball (2009) signifikante Zusammenhänge zwischen der Überzeugung, dass die Lernenden zunächst händisch arbeiten sollen, bevor digitale Werkzeuge eingesetzt werden, und der Überzeugung, dass sonst die Kursinhalte

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zeitlich nicht geschafft werden. Pierce & Ball führen dies darauf zurück, dass Lehrkräfte digitale Werkzeuge eben nicht als Entlastung, sondern als zusätzliche Belastung wahrnehmen: „They may see using technology as an addition to the previous curriculum that has already occupied all of the allotted class time“ (Pierce & Ball 2009, S. 314; siehe auch Tobin et al. 1999, S. 506). Zum Zusammenhang zwischen technologiebezogenen Überzeugungen und unterrichtlichem Einsatz digitaler Werkzeuge gibt es bisher kaum quantitative Studien. Eine der wenigen Studien, welche den Zusammenhang zwischen Überzeugungen und unterrichtlichem Einsatz quantitativ in den Blick nimmt, ist die Studie von Goos & Bennison (2008). Technologiebezogene Überzeugung werden in dieser Studie mit vier Einzelitems erhoben, wobei zwei dieser Items signifikante Zusammenhänge mit der Einsatzhäufigkeit digitaler Werkzeuge zeigen. So werden digitale Werkzeuge häufiger eingesetzt, wenn Lehrkräfte die Überzeugung haben, dass digitale Werkzeuge das Verstehen von mathematischen Konzepten unterstützen und wenn Lehrkräfte davon überzeugt sind, dass digitale Werkzeuge dabei helfen können, unbekannte Probleme zu explorieren. Allerdings bedarf es weiterer Studien um den genauen Beziehungsmechanismus aufzuklären: „It is not clear whether frequent use of graphics calculators in the classroom led teachers to develop these beliefs, or teachers already convinced of the benefits of technology simply embraced graphics calculators when they became available“ (Goos & Bennison 2008, S. 124). Problematisch an der Studie ist, dass die Nutzungshäufigkeit nur in drei Stufen - „oft“, „manchmal“ und „selten“ - operationalisiert wurde, was deswegen kritisch zu betrachten ist, da Lehrkräfte unter diesen Begriffen komplett unterschiedliche Häufigkeiten verstehen können. Besser wäre hier eine Operationalisierung über absolute Zahlen, die weniger subjektiv ausgelegt werden könnte. Auch lassen sich aufgrund der fehlenden Angabe der Stichprobengröße keine Effektstärken berechnen, so dass unklar bleibt, wie groß der Zusammenhang zwischen technologiebezogenen

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B) Theoretischer Hintergrund

Überzeugungen und der Werkzeugnutzung letztlich ist. Eine weitere Studie, in der der Zusammenhang zwischen Überzeugungen und Unterricht in den Blick genommen wird, ist die Studie von Coffland & Strickland (2004). Diese finden keinen Zusammenhang zwischen den Überzeugungen zum Computereinsatz und der Nutzung von Computern im Inhaltsbereich der Geometrie. Allerdings werden in der Publikation die Erhebungsinstrumente nicht beschrieben, so dass nicht genauer gefolgert werden kann, was die Autoren unter Überzeugungen zum Computereinsatz genau verstehen und wie diese genau erhoben wurden. Entwicklungsbedarf bezüglich quantitativer Erhebungsinstrumente Die Aussagekraft der zuvor beschriebenen quantitativen Studien ist jedoch dadurch limitiert, dass Überzeugungen zu verschiedenen Aspekten des Einsatzes digitaler Werkzeuge bis auf wenige Ausnahmen (vgl. z.B. Kuntze 2011; Kuntze & Dreher 2013) nur über einzelne Items, sogenannte „single item measures“ (Gliem & Gliem 2003, S. 83) erfasst werden. Die Nutzung solcher Items zur Erhebung von Überzeugungen birgt jedoch vielfältige methodische Probleme und es wird in der Regel empfohlen Skalen bestehend aus mehreren Items (sogenannte „multi-item scales“) zu verwenden. Dies ist zum einen darin begründet, dass Skalen bestehend aus nur einem einzelnen Item in der Regel eine geringere Reliabilität aufweisen als Skalen, welche aus mehreren Items bestehen. Besonders problematisch ist dabei, dass keine Möglichkeit besteht die Größe des Messfehlers abzuschätzen und dadurch die Reliabilität zu beurteilen. Gliem & Gliem (2003) stellen daher fest: “With a single measure of each variable, one can remain blissfully unaware of the possibility of measurement [error], but in no sense will this make his inferences more valid” (Gliem & Gliem 2003, S. 83). Zum anderen sind Einzelitems zur Erfassung der Überzeugungen häufig unpräzise. Werden die Überzeugungen etwa mit einer fünfstufigen Likert-Skala erfasst, so lassen sich die Überzeugungen von Lehrkräften damit auch nur auf fünf Stufen ausdifferenzieren. Im Gegensatz dazu ist es

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mit Skalen bestehend aus mehreren Items möglich eine weitaus genauere Differenzierung vorzunehmen. Als weiterer Grund gegen die Verwendung einzelner Items wird angeführt, dass sich Überzeugungen zu einem bestimmten Aspekt mit Hilfe eines Items kaum in ihrer ganzen Bandbreite erfassen lassen (vgl. McIver & Carmines 1981, S. 15). Aus den genannten Gründen wird die Erhebung und Auswertung vieler Einzelitems stark kritisiert: „[...] the practice of analyzing ‘Likert scale’ questions item-byitem and presenting the results the same way, and as an unorganized laundry list and fuzzy jumble (whether done quantitatively or qualitatively) must simply stop as a research and reporting practice […]” (Carifio & Perla 2007, S. 115). Insbesondere wird gewarnt, Schlussfolgerung aus Ergebnissen zu ziehen, die mit Hilfe dieser Instrumente gewonnen wurden und stattdessen empfohlen Multi-Item Skalen zu verwenden (vgl. Carifio & Perla 2007; Gliem & Gliem 2003, S. 82). Es lässt sich somit ein Bedarf ausmachen, Instrumente zu entwickeln, die geeignet sind um technologiebezogene Überzeugungen differenziert und valide zu erheben (vgl. z.B. Chen 2008, S. 74; Hoffmann & Seidel 2015, S.122) um belastbarere Erkenntnisse zu technologiebezogenen Überzeugungen gewinnen zu können. Zusammenfassung Insgesamt lässt sich festhalten, dass Lehrkräfte differenzierte Überzeugungen zu Vorteilen und Nachteilen digitaler Werkzeuge besitzen und diese eine handlungsleitende Wirkung haben können. Quantitative Studien zeigen, dass insbesondere Überzeugungen bezüglich der Rolle händischer Fertigkeiten beim Einsatz digitaler Werkzeuge sowie Überzeugungen zum Zeitpunkt des Einsatzes digitaler Werkzeuge für Lehrkräfte besonders relevant sind. Studien, die den Zusammenhang zwischen technologiebezogenen Überzeugungen und unterrichtlichem Einsatz digitaler Werkzeuge quantitativ genauer untersuchen, sind jedoch bisher kaum vorhanden. Es ist daher weitgehend offen, inwiefern positive Überzeugungen auch mit einer intensiveren Werkzeugnutzung korrespondieren. Zudem müssen die

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B) Theoretischer Hintergrund

bisher vorliegenden quantitativen Ergebnisse mit einer gewissen Vorsicht betrachtet werden, da die Überzeugungen meist über Einzelitems anstatt über Skalen erhoben wurden. Weitere Studien mit verlässlicheren Erhebungsinstrumenten wären daher wünschenswert, um belastbare Schlussfolgerungen ziehen zu können. 5.4 Die Rolle epistemologischer Überzeugungen Nachdem im vorhergehenden Abschnitt die Rolle technologiebezogener Überzeugungen beleuchtet wurde, wird im vorliegenden Abschnitt auf die Rolle epistemologischer Überzeugungen beim Einsatz digitaler Werkzeuge fokussiert. Diese Überzeugungen werden im Zusammenhang mit dem Technologieeinsatz von daher als relevant erachtet, da wie in Kapitel 4 (S. 10) beschrieben, die Potenziale digitaler Werkzeuge eng mit dem zugrunde liegenden Lehr-Lern-Verständnis assoziiert sind. Epistemologische Überzeugungen Epistemologische Überzeugungen beziehen sich „auf die Inhalte und Prozesse des Wissens, Erkennens, Lehrens und Lernens in einem disziplinärfachlichen oder fachübergreifenden Sinne“ (Reusser & Pauli 2014, S. 650). Diese Überzeugungen können weiter in die zwei folgenden Bereiche ausdifferenziert werden (vgl. Blömeke et al. 2008, S. 222; Schmotz et al. 2010): (1) Überzeugungen über die Natur der Mathematik als Wissenschaft Überzeugungen in diesem Bereich spiegeln wider, inwiefern Mathematik eher als abgeschlossenes System oder als Aktivität aufgefasst wird, und werden dementsprechend meist in eine statische und eine dynamische Sichtweise unterteilt (vgl. Blömeke et al. 2008; Grigutsch et al. 1998; Schmotz et al. 2010). Die statische Sichtweise besteht aus formalen und schematischen Aspekten und beschreibt Mathematik als

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ein System von Axiomen, Regeln, Fakten und Prozeduren. Prozessund anwendungsbezogene Aspekte bilden die dynamische Sichtweise, bei der Mathematik als ein kreativer Prozess gesehen wird und einen praktischen Nutzen hat. Es gilt jedoch nicht notwendigerweise, dass sich dynamische und statische Sichtweisen gegenseitig ausschließen. Stattdessen können Lehrkräfte beide Sichtweisen gleichzeitig in unterschiedlicher Ausprägung haben (vgl. Grigutsch et al. 1998). (2) Überzeugungen zum Erwerb mathematischen Wissens Überzeugungen bezüglich der Genese mathematischen Wissens werden häufig in eine transmissionsorientierte und eine konstruktivistische Perspektive ausdifferenziert (vgl. z.B. Blömeke et al. 2008; Staub & Stern 2002). Bei der transmissionsorientierten Perspektive sind die Überzeugungen bezüglich des Lernprozesses dahingehend charakterisierbar, dass dieser eher einen direktiven Charakter hat und ein gerichteter Prozess von der Lehrkraft zu den Lernenden ist. Bei der konstruktivistischen Perspektive wird demgegenüber Lernen als aktiver Prozess aufgefasst, bei dem die Lernenden ihr Wissen selbst konstruieren. Ein dynamisches Bild von Mathematik sowie konstruktivistisch orientierte Überzeugungen bei Lehrkräften werden dabei in der Regel als lernförderlich angesehen (vgl. Reusser & Pauli 2014, S. 652). So zeigt sich beispielsweise in der Studie von Dubberke et al. (2008), dass „Klassen von Lehrkräften mit stark transmissiven Überzeugungen weniger kognitiv herausgefordert und in ihrem Lernprozess unterstützt wurden als Klassen von Lehrkräften mit weniger transmissiven Überzeugungen“ (Dubberke et al. 2008, S. 193). In der Studie von Staub & Stern (2002) wird zudem nachgewiesen, dass sich die Wirkung von konstruktivistischen Lehr-LernÜberzeugungen über den Unterricht bis auf die Schülerebene entfalten kann, was sich dadurch zeigt, dass konstruktivistische Überzeugungen von Lehrkräften auch mit höheren Schülerleistungen assoziiert sind. Dementsprechend werden epistemologische Überzeugungen auch als wichtige

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B) Theoretischer Hintergrund

Ansatzpunkte für intendierte unterrichtliche Veränderungen gesehen (vgl. Dubberke et al. 2008, S. 204; DZLM 2015; Fives et al. 2015, S. 257). Die Rolle epistemologischer Überzeugungen beim Einsatz digitaler Werkzeuge Vor dem Hintergrund der großen Bedeutung, die den Lehr-Lern-Überzeugungen und dem Mathematikbild für die Unterrichtsgestaltung und die Lernleistungen von Schülerinnen und Schülern zugesprochen wird, ist natürlich zu fragen, inwieweit diese Überzeugungen auch bei der Integration digitaler Werkzeuge eine Rolle spielen. Bevor spezifisch auf digitale Mathematikwerkzeuge eingegangen wird, soll aufgrund der besseren Studienlage der Blick zunächst etwas geweitet werden und auf fächerübergreifende Befunde im Rahmen des Einsatzes digitaler Medien eingegangen werden. Vielfältige Forschungsergebnisse zeigen dabei, dass Lehrkräfte mit einer konstruktivistischen Auffassung vom Lehren und Lernen digitale Medien eher in ihren Unterricht integrieren als Lehrkräfte mit transmissionsorientierten Überzeugungen. So kommen etwa Tondeur et al. (2017) in ihrem Review zum Schluss: „Evidence suggests that teachers who hold constructivist beliefs tend to be highly active technology users […]“ (Tondeur et al. 2017, S. 558; vgl. auch Ertmer et al. 2014, S. 408 ff.; Hermans et al. 2008; Kim et al. 2013). Ertmer & Ottenbreit-Leftwich (2010) stellen zudem heraus, dass konstruktivistisch orientierte Lehrkräfte nicht nur häufiger digitale Werkzeuge nutzen, sondern dies auch in einer Weise tun, die mehr mit konstruktivistischen Prinzipien vereinbar ist:

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„In general, teachers with more traditional beliefs will implement more traditional or ,low-level’ technology uses, whereas teachers with more constructivist beliefs will implement more student-centered or ,high-level’ technology uses [...].“ (Ertmer & Ottenbreit-Leftwich 2010, S. 262) Als Erklärung für diesen Zusammenhang wird darauf verwiesen, dass Lehrkräfte Technologie in einer Art und Weise integrieren, wie es mit ihrem bisher existenten Überzeugungssystem am besten vereinbar ist (Ertmer & Ottenbreit-Leftwich 2010, S. 262; Ertmer et al. 2014, S. 408). So wird zum Beispiel eine Lehrkraft mit stärker ausgeprägten transmissionsorientierten Überzeugungen zum Lehren und Lernen eher die Überzeugung entwickeln, dass ein digitales Whiteboard ein gutes Medium sei, um einen Vortrag zu halten, als die Überzeugung zu entwickeln dass ein digitales Whiteboard entdeckendes Lernen fördern kann. Diese Überzeugungen zum Medium führen in Folge dann auch zu einem entsprechenden Medieneinsatz. So stellen etwa Windschitl & Sahl (2002) fest: “Teachers imagined the affordances and constraints of technology […] to create learning conditions that were congruent with their beliefs about learners and their needs, were consistent with images of what counted as legitimate learning activities […]” (Windschitl & Sahl 2002, S. 201) Insbesondere führt der Einsatz digitaler Werkzeuge in der Regel nicht dazu, dass Lehrkräfte ihre präexistierenden grundsätzlichen Lehr-LernÜberzeugungen durch die Verfügbarkeit und Nutzung von digitalen Medien anpassen: „They [die Lehrkräfte, Anmerkung des Verfassers] did not change their beliefs and attitudes but adapted the use of computers to their existing teaching routines. When the use of computers and software made the teachers deviate too much, they decided not to use them at all“ (Veen 1993, S. 1).

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B) Theoretischer Hintergrund

Spezifische Ergebnisse bezogen auf den Einsatz digitaler Mathematikwerkzeuge sind zwar vergleichsweise selten, deuten jedoch darauf hin, dass auch hier epistemologische Überzeugungen eine wichtige Rolle spielen. So stellen zum Beispiel Tharp et al. (1997) in einer quantitativen Studie mit n=261 Lehrkräften fest, dass Lehrkräfte mit einer statischen Sichtweise auf die Mathematik eher die Überzeugung haben, dass der grafikfähigen Taschenrechner keinen Mehrwert für den Lernprozess darstellt oder für diesen sogar hinderlich ist. Im Vergleich hierzu sehen die Lehrkräfte mit einer dynamischen Sichtweise den grafikfähigen Taschenrechner eher als integralen Bestandteil des Unterrichts an. Weiterhin stellte sich in dieser Studie heraus, dass Lehrkräfte mit einer statischen Sichtweise den Erfolg des grafikfähigen Taschenrechner-Einsatzes an den emotionalen Reaktionen der Lernenden festmachten, während die Lehrkräfte mit dynamischer Sichtweise stärker auf das konzeptuelle Verständnis der Lernenden fokussierten. Sinclair & Wideman (2009) beobachten in einer qualitativen Studie, dass die erfolgreiche Integration digitaler Werkzeuge nicht so sehr mit der persönlichen Technologieaffinität der Lehrkraft zusammenhängt, sondern vor allem mit einem dynamischen Mathematikbild und konstruktivistische Lehr-Lern-Überzeugungen assoziiert ist. Jost (1992) stellt in einer qualitativen Studie mit n=5 Lehrkräften fest, dass Lehrkräfte mit eher konstruktivistischen Überzeugungen den grafikfähigen Taschenrechner häufiger im Unterricht einsetzen und diesen eher als ein Werkzeug zum Gestalten des Lernprozesses nutzen. Lehrkräfte mit eher rezeptivem Verständnis des Lernprozesses nutzen dagegen den grafikfähigen Taschenrechner im Wesentlichen nur als Rechenhilfe. Auch Simmt (1997) stellt in einer qualitativen Studie mit n=6 Lehrkräften fest, dass die grundlegenden epistemologischen Überzeugungen den Werkzeugeinsatz maßgeblich bestimmen. Insbesondere regt der Einsatz digitaler Werkzeuge die Lehrkräfte nicht, wie so oft erhofft, zu einer Veränderung ihrer Lehr-Lern-Überzeugungen und ihres Unterrichts an. Stattdessen wird die bisherige Unterrichtsphilosophie beibehalten beziehungsweise sogar verstärkt und der

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grafikfähigen Taschenrechner so integriert, dass der Einsatz mit dem existierenden Überzeugungssystem kompatibel ist: „The teachers’ philosophies were not changed as a result of the introduction of graphing calculators. Instead, their existing beliefs, attitudes, and conceptions were reinforced and in some cases strengthened. [...] The availability of the graphing calculator simply provided teachers with an opportunity to further live their philosophies of mathematics education.” (Simmt 1997, S. 286) Auch in der Studie von Stacey et al. (2002) wird deutlich, dass epistemologische Überzeugungen die Art und Weise des Werkzeugeinsatzes stark beeinflussen. Die Lehrkraft mit konstruktivistischen Überzeugungen zum Lehren und Lernen führt einen schülerzentrierten Unterricht durch und nutzt das CAS zum Aufbau von konzeptuellem Verständnis. Die Lehrkraft mit der Überzeugung, dass vor allem das Beherrschen von Regeln und Verfahren für das Lernen relevant ist, nutzt in einem lehrerzentrierten Unterricht den CAS vorwiegend, um Ergebnisse zu erhalten. In dieser Studie wird jedoch auch deutlich, dass transmissionsorientierte Lehr-Lern-Überzeugungen und ein statisches Bild von Mathematik nicht automatisch zu einer selteneren Nutzung digitaler Werkzeuge führen müssen. Stattdessen begrüßt die Lehrkraft mit der Fokussierung auf Regeln und Verfahren die Einführung des CAS und nutzt dieses sehr intensiv, da sie mit dessen Hilfe den Fokus noch stärker auf das Ausführen von Routineprozeduren legen kann: „CAS enabled Andre to extend his teaching and his students’ skills with a new set of routine procedures of using CAS, and the use matched his usual lecture/demonstration style of teaching, for teaching rules“ (Stacey et al. 2002, S. 120). Die Lehrkraft mit der Fokussierung auf konzeptuelles Verständnis schränkt die Nutzung der symbolischen Funktionalität des CAS hingegen ein, da sie davon überzeugt ist, dass konzeptuelles Verständnis im Bereich der Algebra durch händisches Arbeiten aufgebaut wird: „He [der Lehrer, Anmerkung des Verfassers] strongly believed that

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B) Theoretischer Hintergrund

doing algebra by hand was extremely important for understanding and that if he allowed his students to do algebra with CAS he would be depriving them of an opportunity to understand“ (Stacey et al. 2002, S. 115). Es scheint somit nicht notwendiger so zu sein, dass konstruktivistisch orientierte Lehrkräfte digitale Werkzeuge in allen Bereichen häufiger einsetzen als transmissionsorientierte Lehrkräfte. So halten auch Ertmer et al. (2014) fest: „Labeling teachers as traditional or constructivist greatly oversimplifies the complex nature of the relationship between beliefs and practice and in many cases, carries negative connotations“ (Ertmer et al. 2014, S. 413). Mögliche Erklärungsansätze Als Erklärung für den starken Einfluss der epistemologischen Überzeugungen kann die Stellung dieser Überzeugungen im Überzeugungssystem der Lehrkraft herangezogen werden. Überzeugungen zum Lehren und Lernen von Mathematik, wie etwa Überzeugungen, was einen guten Mathematikunterricht ausmacht, oder Überzeugungen zur Rolle der händischen Fertigkeiten beim Verstehen von Mathematik, haben sich über viele Jahre hinweg, beginnend mit der eigenen Schulzeit der Lehrkraft, ausgebildet und stellen im Überzeugungssystem der Lehrkraft dementsprechend zentrale Überzeugungen dar. Diese zentralen Überzeugungen beeinflussen die Bildung der Überzeugung zum digitalen Werkzeugeinsatz und die Art und Weise der Nutzung digitaler Werkzeuge. So kann etwa der Überzeugung, dass digitale Werkzeuge erst eingesetzt werden sollten, wenn die Mathematik auch händisch beherrscht wird, die zentrale Überzeugung zugrunde liegen, dass händische Fertigkeiten besonders stark zum Verstehen von Mathematik beitragen. Verstärkt wird die Bedeutung epistemologischer Überzeugungen beim Werkzeugeinsatz zudem dadurch, dass Lehrkräfte in ihrer eigenen Schulzeit meist keine Erfahrungen mit dem Einsatz von digitalen Werkzeugen gemacht haben und daher bei der Integration von digitalen Werkzeugen auf ihre existierende Lehr-Lern Überzeugungen

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zurückgreifen (vgl. Chen 2008, S. 67; Ertmer 2005, S. 30). Im Überzeugungssystem der Lehrkraft können Überzeugungen zu digitalen Werkzeugen dementsprechend zu einem bestimmten Anteil als aus den zentralen Lehr-Lern-Überzeugungen abgeleitete Überzeugungen angesehen werden. Diesen Zusammenhang fassen Dewey et al. (2009) wie folgt treffend zusammen: „[...] perceptions and attitudes regarding technology are not so much aimed at the technology itself, but rather stem from teachers’ personal philosophies and views of mathematics“ (Dewey et al. 2009, S. 384). Dieser Erklärungsansatz wird auch von den Befunden von Erens & Eichler (2015, S. 143) gestützt, die feststellen, dass oftmals tief verankerte epistemologische Überzeugungen der Ablehnung des Einsatzes digitaler Werkzeuge zugrunde liegen. Zusammenfassung Befunde zum Einsatz allgemeiner digitaler Medien legen nahe, dass Lehrkräfte mit konstruktivistischen Lehr-Lern-Überzeugungen dem Technologieeinsatz positiver gegenüberstehen und digitale Medien häufiger im Unterricht einsetzen. Spezifische Befunde zu der Frage, inwiefern dies auch für den Einsatz digitaler Mathematikwerkzeuge zutrifft, sind selten, deuten jedoch darauf hin, dass Lehrkräfte mit konstruktivistischen Lehr-LernÜberzeugungen und einem dynamischen Bild von Mathematik digitale Werkzeuge häufiger nutzen und eher im Sinne der in Kapitel 4 beschriebenen Potenziale integrieren. Insgesamt muss allerdings festgestellt werden, dass vor allem quantitative Studien fehlen, welche die Zusammenhänge zwischen epistemologischen Überzeugungen, technologiebezogenen Überzeugungen und unterrichtlichem Einsatz digitaler Mathematikwerkzeuge weiter aufklären.

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B) Theoretischer Hintergrund

5.5 Die Rolle der Selbstwirksamkeitsüberzeugungen Nachdem die Rolle epistemologischer und technologiebezogener Überzeugungen bei der Integration von digitalen Werkzeugen betrachtet wurde, wird im vorliegenden Abschnitt auf die Rolle von Selbstwirksamkeitsüberzeugungen eingegangen. Definitorische Eingrenzung von Selbstwirksamkeitsüberzeugungen Die Theorie der Selbstwirksamkeitsüberzeugungen7 basiert auf der sozialkognitiven Theorie von Bandura (1977). Selbstwirksamkeitsüberzeugungen werden von Bandura als „beliefs in one's capabilities to organize and execute the courses of action required to produce given attainments“ (Bandura 1997, S. 3) beschrieben. Selbstwirksamkeitsüberzeugungen beschreiben also die Überzeugung eine Aufgabe oder Situation gezielt bewältigen zu können. Somit stellen Selbstwirksamkeitsüberzeugungen die persönliche Einschätzung der eigenen Fähigkeiten dar, bilden aber insbesondere nicht die tatsächliche Fähigkeit ab (vgl. Schulte 2008, S. 5; Bandura 1977; Schwarzer & Warner 2011). Abgegrenzt werden Selbstwirksamkeitsüberzeugungen von sogenannten Handlungs-Ergebnis-Erwartungen: „Perceived self-efficacy is a judgement of one’s ability to organize and execute given types of performances, whereas an outcome expectation is a judgement of the likely consequence such performances will produce” (Bandura 1997, S. 21). Handlungs-Ergebnis-Erwartungen spiegeln somit die Überzeugung wider, dass ein bestimmtes Verhalten zu einem bestimmten Ergebnis führt, während 7

Die Begriffe „Selbstwirksamkeit“, „Selbstwirksamkeitserwartung“, „Selbstwirksamkeitsüberzeugung“ sowie „self-efficacy“ und „self-efficacy beliefs“ werden in der Literatur häufig synonym verwendet (vgl. Schulte 2008, S. 5). Auch findet in der englischen Literatur häufig der Begriff „confidence“ Verwendung. Allerdings spricht sich Bandura (1997) gegen die Verwendung dieses Begriffs aus: „Confidence is a catchword in sports rather than a construct embedded in a theoretical system“ (Bandura 1997, S. 382).

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Selbstwirksamkeitsüberzeugungen die Überzeugungen widerspiegeln, ob ein Individuum glaubt die notwendigen Handlungen effektiv ausführen zu können. Es ist durchaus möglich, dass Individuen überzeugt sind, dass ein bestimmtes Handeln ein bestimmtes Ergebnis produziert, aber nicht unbedingt davon überzeugt sind, diese Handlungen durchführen zu können. Selbstwirksamkeitsüberzeugungen können in unterschiedlicher Spezifität konzeptualisiert werden (vgl. Schwarzer & Warner 2011, S. 497 ff.). So wird zum Beispiel zwischen allgemeinen und bereichsspezifischen Selbstwirksamkeitsüberzeugungen unterschieden. Unter allgemeiner Selbstwirksamkeitsüberzeugung wird ein „Aggregat über eine Vielzahl von Selbstwirksamkeitsüberzeugungen unterschiedlicher Bereiche verstanden“ (Schwarzer & Jerusalem 1999, S. 13). Ausgehend von allgemeinen Selbstwirksamkeitsüberzeugung lassen sich auf einem Kontinuum immer spezifischere Selbstwirksamkeitsüberzeugungen betrachten. So können zum Beispiel bereichsspezifische Selbstwirksamkeitsüberzeugungen, wie die Lehrerselbstwirksamkeit (z.B. Tschannen-Moran & Hoy 2001), aber auch situationsspezifische Selbstwirksamkeitsüberzeugungen unterschieden werden. Die hohe Bedeutung von Selbstwirksamkeitsüberzeugungen wird dadurch deutlich, dass Selbstwirksamkeitsüberzeugungen einen selbstständigen Beitrag zu Leistungsergebnissen liefern. So zeigt sich, dass bei gleichen Fähigkeiten, Menschen mit höheren Selbstwirksamkeitsüberzeugungen bessere Leistungen erzielen und größere Anstrengungen zur Zielerreichung unternehmen (vgl. Bandura 1997). Ebenfalls weisen Personen mit höheren Selbstwirksamkeitsüberzeugungen mehr Ausdauer auf und zeigen ein effektiveres Arbeitszeitmanagement (vgl. Schwarzer & Warner 2011, S. 663). Insbesondere für die Umsetzung innovativer Unterrichtspraxis, wie etwa die Integration digitaler Mathematikwerkzeuge, spielen Selbstwirksamkeitsüberzeugungen eine wichtige Rolle, da wenig selbstwirksame Lehrkräfte stärker dazu tendieren „einfache aber sichere Unter-

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B) Theoretischer Hintergrund

richtsaktivitäten zu bevorzugen, da sie sich durch innovative oder komplexe Planungen leicht überfordert fühlen“ (Schwarzer & Jerusalem 2002, S. 40). Einflussfaktoren auf Selbstwirksamkeitsüberzeugungen Eine Stärkung von Selbstwirksamkeitsüberzeugungen ist insbesondere durch direkte Erfahrungen möglich (vgl. Schwarzer & Jerusalem 2002, S. 42). Bewältigt eine Person eine Aufgabe erfolgreich, kann dies die Selbstwirksamkeitsüberzeugungen stark erhöhen: „Successes build a robust belief in one's personal efficacy. Failures undermine it, especially if failures occur before a sense of efficacy is firmly established” (Bandura 1997, S. 80). Dementsprechend werden auch Selbstwirksamkeitsüberzeugungen bezüglich des Einsatzes digitaler Werkzeuge im Mathematikunterricht maßgeblich von den eigenen unterrichtlichen Erfahrungen bestimmt. Sollen im Rahmen von Fortbildungsmaßnahmen die Selbstwirksamkeitsüberzeugungen gestärkt werden, so müssen Lehrkräften unterstützt werden eigene positive Erfahrungen zu machen. Dies kann etwa durch das selbständige Bearbeiten von Aufgaben mit digitalen Werkzeugen oder das Planen und Erproben von Unterrichtsgängen beim Einsatz mit digitalen Werkzeugen geschehen. Hierbei ist es insbesondere wichtig, dass positive Erfahrungen durch die Reflexion des eigenen Handelns auch bewusst gemacht werden. In diesem Zusammenhang wird zudem die große Bedeutung von Nahzielen betont, da Lehrkräften durch das sukzessive Erreichen von Teilzielen bewusst wird, dass eine bestimmte Fertigkeit beherrscht wird, was dann dazu führt, dass Selbstwirksamkeitsüberzeugungen aufgebaut und stabilisiert werden (vgl. Bandura 1997, S. 217 ff.; Schwarzer & Warner 2011, S. 503). Eine weitere Möglichkeit, die Selbstwirksamkeitsüberzeugungen zu steigern, ergibt sich dadurch, dass Lehrkräfte die entsprechenden Erfahrungen zwar nicht selber machen, aber beobachten, wie andere, als ähnlich eingeschätzte Personen, positive Erfahrungen machen (vgl. Bandura 1997, S. 86). Dies ist zum Beispiel dann der Fall, wenn Lehrkräfte

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andere Lehrkräfte dabei beobachten, wie diese digitalen Werkzeuge erfolgreich in den Unterricht integrieren oder wenn in Fortbildungen ein Austausch mit anderen Lehrkräften angeregt wird, welche digitale Werkzeuge erfolgreich integrieren. Neben diesen Faktoren können auch verbale Überzeugungen wie etwa die Ermutigung an die eigenen Fähigkeiten zu glauben, die Selbstwirksamkeitsüberzeugungen steigern (vgl. Bandura 1997, S. 101). Die Steigerung der Selbstwirksamkeit ist hierbei jedoch nur dann von Dauer, wenn auch positive eigene Erfahrungen im Anschluss folgen. Ebenso wird angenommen, dass höheres Wissen und Fertigkeiten die Selbstwirksamkeitsüberzeugungen unterstützen können, da Selbstwirksamkeitsüberzeugungen zum Teil auf der Einschätzung des eigenen Wissens und der eigenen Fertigkeiten beruhen (vgl. Bandura 1997, S. 60). Da sich Wissen und Fertigkeiten im Laufe des Lehrerlebens aufgrund von Lernprozessen meist weiterentwickeln, wird zudem beobachtet, dass Selbstwirksamkeitsüberzeugungen mit zunehmender Berufstätigkeit von Lehrkräften ansteigen (vgl. Klassen & Chiu 2010). Selbstwirksamkeitsüberzeugungen beim Einsatz digitaler Mathematikwerkzeuge Bevor spezifisch auf digitale Mathematikwerkzeuge eingegangen wird, soll aufgrund der besseren Studienlage auch hier zunächst auf fächerübergreifende Befunde zur Rolle der Selbstwirksamkeitsüberzeugungen bei der Integration digitaler Medien (z.B. Videos, Beamer, MS-Word etc.) eingegangen werden. Hier zeigt sich in vielen Studien, dass höhere Selbstwirksamkeitsüberzeugungen bezüglich der Nutzung digitaler Medien sowohl mit einer häufigeren unterrichtlichen Mediennutzung wie auch mit positiveren Überzeugungen zum digitalen Medieneinsatz im Unterricht einhergehen (vgl. z.B. Albion 1999; Chang et al. 2012; Ertmer & OttenbreitLeftwich 2010, S. 261 ff.; Holden & Rada 2011; Kreijns et al. 2013; Mun & Hwang 2003; Scherer & Siddiq 2015; Siddiq & Scherer 2016; Teo 2009; Wong et al. 2012; Wozney et al. 2006). Dementsprechend stellen etwa

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B) Theoretischer Hintergrund

auch Ertmer & Ottenbreit-Leftwich (2010) in ihrem Review die große Bedeutung der Selbstwirksamkeitsüberzeugungen heraus: „In fact, evidence suggests that self-efficacy may be more important than skills and knowledge among teachers who implement technology in their classrooms“ (Ertmer & Ottenbreit-Leftwich 2010, S. 261). In Anbetracht dieser Bedeutung von Selbstwirksamkeitsüberzeugungen ist es auch erwähnenswert, dass Selbstwirksamkeitsüberzeugungen bezüglich des Medieneinsatzes geschlechtsspezifische Unterschiede zeigen. So gibt es Hinweise, dass Frauen tendenziell geringere Selbstwirksamkeitsüberzeugungen bezüglich des Medieneinsatzes im Unterricht aufweisen als Männer (vgl. Scherer & Siddiq 2015; Wong et al. 2012, S. 1203). Dies könnte dadurch bedingt sein, dass Frauen bei der Nutzung digitaler Medien im Allgemeinen (zum Beispiel auch im privaten Bereich) geringere Selbstwirksamkeitsüberzeugungen zeigen (vgl. Cassidy & Eachus 2002; Durndell & Hagg 2002; Huffman et al. 2013). Als Grund hierfür werden etwa traditionelle Geschlechterrollen aufgeführt, wodurch Mädchen in ihrer Erziehung weniger mit digitalen Medien in Kontakt kommen. Auch gibt es Hinweise darauf, dass Frauen technische Probleme bei der Mediennutzung stärker auf sich selbst zurückführen, während Männer eher externe Faktoren als Ursache heranziehen (vgl. Koch et al. 2008). Scherer & Siddiq (2015) zeigen jedoch, dass geschlechtsspezifische Unterschiede bei den Selbstwirksamkeitsüberzeugungen nicht immer auftreten, sondern vor allem davon abhängen, wie stark die technische Bedienkompetenz in die Kompetenzeinschätzung einfließt. Die Autoren differenzieren zwischen „Self-efficacy in basic operational skills“, “Self-efficacy in advanced operational and collaborative skills“ und „Self-efficacy in using computers for instructional purposes“ und zeigen, dass geschlechtsspezifische Unterschiede zugunsten der männlichen Probanden nur für die ersten beiden Skalen zu beobachten sind. Als Grund führen die Autoren an, dass in den ersten beiden Skalen stärker technische Aspekte und weniger fachdidaktische Facetten in die Kompetenzeinschätzung eingehen. Allerdings deutet sich auch an, dass geschlechtsspezifischen Unterschiede bezüglich der

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technischen Facetten aufgrund der allgemeinen gesellschaftlichen Durchdringung mit einer Vielzahl an digitalen Medien mittlerweile rückläufig sind (vgl. He & Freeman 2010, S. 238; Imhof et al. 2007, S. 2835; Siddiq & Scherer 2016, S. 16). Im Anschluss an diese fächerübergreifenden Befunde zur Integration allgemeiner digitaler Medien soll im Folgenden spezifisch auf Befunde zur Bedeutung der Selbstwirksamkeitsüberzeugungen bei der Integration digitaler Mathematikwerkzeuge eingegangen werden. Erstaunlicherweise existieren in diesem Bereich jedoch kaum Studien, welche die Rolle der Selbstwirksamkeitsüberzeugungen explizit in den Fokus der Betrachtung rücken. Dabei deuten vereinzelte Beobachtungen darauf hin, dass Selbstwirksamkeitsüberzeugungen auch bei der Integration digitaler Mathematikwerkzeuge eine wichtige Rolle zu spielen scheinen. So stellen etwa Cavanagh & Mitchelmore (2003) in einer qualitativen Studie zum Werkzeugeinsatz fest: „As our study has made clear, teachers’ confidence in their own understanding of the calculator’s operation is crucial in determining how effectively they will use the technology in the classroom. Teachers who felt unconfident tended to design lessons that were tightly structured and securely teacher-centred“. (Cavanagh & Mitchelmore 2003, S. 16) Auch in den qualitativen Studien von Doerr & Zangor (2000) sowie Thomas & Hong (2005) werden ausgeprägte Selbstwirksamkeitsüberzeugungen als eine wichtige Gelingensbedingung des Werkzeugeinsatzes beschrieben. So stellen etwa Doerr & Zangor (2000) fest:

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B) Theoretischer Hintergrund

„The teacher's confidence in her own knowledge and skills and her own flexible use of the calculator led to a classroom environment where students were free to use their calculators as they wanted and were actively encouraged to use them to calculate, explore, confirm, or check mathematical ideas.“ (Doerr & Zangor 2000, S. 159) Neben diesen vereinzelten Beobachtungen können auch quantitativ nur wenige Studien identifiziert werden, welche die Rolle von Selbstwirksamkeitsüberzeugungen beim digitalen Werkzeugeinsatz untersuchen. So konnte nur die Studie Thomas & Palmer (2014), identifiziert werden, in der die Selbstwirksamkeitsüberzeugungen beim digitalen Werkzeugeinsatz explizit im Fokus steht. In der Studie geben 42% von n=257 Lehrkräften an, dass geringe Selbstwirksamkeitsüberzeugungen sie davon abhalten, digitale Werkzeuge verstärkt in den Unterricht zu integrieren. Zudem zeigen die Autoren anhand einer weiteren Stichprobe von n=22 Lehrkräften, dass höhere Selbstwirksamkeitsüberzeugungen bezüglich des Einsatzes digitaler Werkzeuge auch mit positiveren Überzeugungen zum Werkzeugeinsatz einhergehen. Weiterhin stellen sie fest, dass vor allem diejenigen Lehrkräfte über höhere Selbstwirksamkeitsüberzeugungen verfügen, die in einem intensiven kollegialen Austausch über den Einsatz digitaler Werkzeuge stehen. Sie folgern daher: „It appears that it is very beneficial to teacher confidence to be part of a group that shares and reflects on their knowledge of instrumentation, practical classroom activities and ideas about the calculator use, especially in the initial stages of learning about the calculators.“ (Thomas & Palmer 2014, S. 85) Dementsprechend integrieren Thomas & Palmer die Selbstwirksamkeitsüberzeugungen als einen wichtigen Faktor in ihrem Modell zur Integration digitaler Mathematikwerkzeuge. Auch die Studie von Handal et al. (2011) scheint die große Bedeutung der Selbstwirksamkeitsüberzeugungen nahe

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zu legen. Es wird hier zwar nicht explizit auf Selbstwirksamkeitsüberzeugungen Bezug genommen, sondern die Einschätzung der eigenen Kompetenz in den Mittelpunkt gestellt, welche jedoch eng mit dem Konstrukt der Selbstwirksamkeitsüberzeugung verwandt ist (vgl. Bandura 1995, S. 215 ff.). Es wird gezeigt, dass die Einschätzung auf die Frage „How would you rate your competence using GCs?“ der stärkste Prädiktor für das Level der Integration digitaler Werkzeuge in den Unterricht ist (Handal et al. 2011, S. 351). Insgesamt muss jedoch festgestellt werden, dass die Bedeutung von Selbstwirksamkeitsüberzeugungen beim digitalen Werkzeugeinsatz qualitativ und quantitativ bisher wenig untersucht ist. Auch die Frage, inwiefern geschlechtsspezifische Unterschiede bestehen, ist bezogen auf digitale Mathematikwerkzeuge bisher kaum beantwortet. In der Studie von Pierce & Ball (2009, S. 312) gibt es jedoch erste Hinweise darauf, dass auch bei digitalen Mathematikwerkzeugen Frauen geringere Selbstwirksamkeitsüberzeugungen aufweisen als Männer. So stimmen dem Item „if there are unexpected problems caused by technology, this will be very difficult for me“ nur 13% der männlichen Lehrkräfte zu, während die Zustimmungsrate bei den weiblichen Lehrkräften bei 31% liegt. Zusammenfassung Insgesamt lässt sich festhalten, dass die Bedeutung der Selbstwirksamkeitsüberzeugungen für die Integration von allgemeinen digitalen Werkzeugen in den Unterricht empirisch gut belegt ist. Demgegenüber existieren jedoch nur wenige Studien, welche Selbstwirksamkeitsüberzeugungen bei der Integration digitaler Mathematikwerkzeuge genauer in den Blick nehmen. Insbesondere fehlen Befunde die den Zusammenhang zwischen Selbstwirksamkeitsüberzeugungen und unterrichtlichem Handeln der Lehrkräfte quantitativ untersuchen.

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B) Theoretischer Hintergrund

6 Fortbildungen zu digitalen Werkzeugen In den vorherigen Kapiteln wurden die Potenziale digitaler Werkzeuge beschrieben und die Bedeutung der Überzeugungen als wichtige Facette der Lehrerkompetenz bei der Integration digitaler Werkzeuge herausgestellt. Da jedoch digitale Werkzeuge bisher noch nicht im gewünschten Maße im Unterricht integriert werden (vgl. Abschnitt 5.1, S. 64), wird der Fortbildung von Lehrkräften eine entscheidende Rolle zugesprochen, welche in Abschnitt 6.1 näher beleuchtet wird. In diesem Zusammenhang stellt sich dann die Frage, wie Fortbildungsangebote zu gestalten sind und ob sie die entsprechende Wirkung entfalten. In Abschnitt 6.2 werden daher unterschiedliche Ebenen betrachtet, auf denen Fortbildungen wirksam sein können, bevor in Abschnitt 6.3 wichtige Gestaltungsmerkmale von Fortbildungen skizziert werden. Empirische Evidenz, inwiefern Fortbildungen zum digitalen Werkzeugeinsatz tatsächlich die erhoffte Wirksamkeit entfalten, wird schließlich in Abschnitt 6.4 diskutiert. Vor den weiteren Ausführungen soll an dieser Stelle jedoch noch eine kurze Klärung des Begriffs „Fortbildung“ erfolgen, da dieser in der Literatur nicht einheitlich verwendet wird (vgl. Törner 2015, S. 197). So wird der Begriff teilweise in einem weiteren Verständnis verwendet, nach welchem Fortbildung „[...] alle Aktivitäten von in der Schule Lehrenden [...], die diese zur Erweiterung oder Sicherung ihrer beruflichen Kompetenzen ergreifen [...] umfasst“ (Lin-Klitzing 2011, S. 88). In der vorliegenden Arbeit wird der Begriff hingegen im engeren Verständnis verwendet, nach dem Lehrerfortbildung institutionalisierte, didaktisch strukturierte Veranstaltungen darstellen (vgl. Lin-Klitzing, 2011, S. 88). 6.1 Zur Forderung nach Fortbildungen Wie in Kapitel 5 beschrieben werden die Kompetenzen der Lehrkraft als ein entscheidender Faktor bei der Integration digitaler Werkzeuge

6 Fortbildungen zu digitalen Werkzeugen

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angeführt. Es ist dementsprechend zu fragen, wo Lehrkräfte diese Kompetenzen aufbauen können. Hier wäre zunächst die erste und zweite Phase der Lehrerausbildung zu nennen. Allerdings muss für einen Großteil der gegenwärtig im Dienst befindlichen Lehrkräfte festgehalten werden, dass diese in dieser Ausbildungsphase nur bedingt auf den Einsatz digitaler Werkzeuge im Unterricht vorbereitet wurden. Zwar werden mittlerweile vermehrt Anstrengungen unternommen, um digitale Medien im allgemeinen und digitale Mathematikwerkzeuge im Speziellen in der Lehrerausbildung zu integrieren (vgl. z.B. van Ackeren et al. 2018), dies ist jedoch noch nicht im gewünschten Ausmaß geschehen. So belegt etwa der „Monitor digitale Bildung“, dass gerade Lehramtsstudierende digitale Medien im Studium vergleichsweise selten nutzen (vgl. Schmid et al. 2017, S. 36). Ein Großteil (ca. 80 %) der Lehramtsstudierenden betont zudem die mangelnde Vorbereitung im Hinblick auf den unterrichtlichen Einsatz von digitalen Medien sowohl an der Universität als auch im Referendariat (vgl. Deutsche Telekom Stiftung 2015, S. 31). Insgesamt besteht somit in allen Phasen der Lehrerausbildung noch ein großer Nachholbedarf (vgl. Deutsche Telekom Stiftung 2015, S. 31). Aber auch wenn die Nutzung digitaler Medien in Zukunft stärker in die Ausbildung in der ersten und zweiten Phase der Lehrerausbildung integriert wird, kann der Kompetenzerwerb nicht nur auf diese Phasen der Lehrerausbildung beschränkt bleiben. So hat sich mittlerweile die Auffassung durchgesetzt, dass die Ausbildung von Lehrkräften als lebenslanger Prozess zu verstehen ist: "Die gedankliche Formel von 'Studium + Praktika + Referendariat = fertiger Lehrer' muss aufgegeben werden. Es gibt keine 'fertigen Lehrer‘“ (Herrmann & Hertramph 2000, S. 187). Dementsprechend hebt die KMK (2016) die Bedeutung von Fortbildungen für digitale Medien für alle Lehrkräfte unabhängig ihres Kompetenzniveaus hervor:

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B) Theoretischer Hintergrund

Mit Blick auf das lebenslange Lernen und auf die rasante technologische und konzeptionelle Entwicklung im Bereich der digitalen Medien kommt der Lehrerfortbildung eine besondere Bedeutung zu. […] Dabei geht es darum, im Rahmen der fachlichen Fortbildung einerseits die Absicherung des Kompetenzaufbaus der Lehrkräfte für den Einsatz digitaler Medien, die während ihrer Ausbildung dazu keine Möglichkeit hatten, zu unterstützen und andererseits Qualifizierungsund Fortbildungsangebote zur Erweiterung und Vertiefung bereits vorhandener Kenntnisse und Fähigkeiten für alle Lehrkräfte bereitzustellen.“ (KMK 2016, S. 29) Ähnlich finden sich auch in der mathematikdidaktischen Literatur vielfach Forderungen nach einer intensiven Fortbildung von Lehrkräften zum digitalen Werkzeugeinsatz (vgl. Barzel 2012, S. 51; Burill et al. 2002, S. 4; Clark-Wilson et al. 2014; Heintz et al. 2017, S. 178; Kissane 2003, S. 153; Penglase & Arnold 1996, S. 85). Die Forderung nach Fortbildungen lässt sich dabei auch vor dem Hintergrund der Erkenntnisse der Implementationsforschung begründen. So hat sich herausgestellt, dass die Verbreitung von Innovationen, wie etwa die Einführung digitaler Werkzeuge, meist nur schleppend verläuft und dass Vorgaben nur bedingt übernommen und stark von den Lehrkräften der einzelnen Schulen verändert werden (vgl. Gräsel & Paschmann 2004, S. 200). Dementsprechend reicht es eben nicht aus, „den Unterricht dadurch verändern zu wollen, indem man Schulen und Lehrkräften neue Materialien zur Verfügung stellt und darauf hofft, dass sie wie geplant umgesetzt werden“ (Gräsel & Parchmann 2004, S. 204). Fortbildungen können hier ein wichtiges Instrument der Innovationsunterstützung sein, um sicherzustellen, dass die Innovation wie intendiert umgesetzt wird (vgl. Reinold 2016, S. 68). Im vorliegenden Fall wäre die intendierte Nutzung ein Einsatz digitaler Werkzeuge im Sinne der in Kapitel 4 skizzierten Potenziale, welcher auch in den Bildungsstandards für die allgemeine Hochschulreife (KMK 2012) verankert ist. Fortbildungen sollten dabei jedoch nicht nur als reiner top-down-Prozess verstanden werden,

6 Fortbildungen zu digitalen Werkzeugen

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in dem die entsprechenden Kompetenzen zur Umsetzung des digitalen Werkzeugeinsatzes vermittelt werden. Vielmehr bieten Fortbildungen auch Rahmen für einen Diskurs über die Innovation selbst, in welchem etwa Erfahrungen aus der Praxis an die Fortbildner zurückgemeldet werden und so auch ein Lernprozess auf Seiten von Bildungsadministration und Wissenschaft stattfinden kann (vgl. Reinold 2016, S. 68). Der Bedarf nach Fortbildungen zum Einsatz digitaler Werkzeuge wird weiterhin nicht nur von Seiten der Bildungsadministration und der Wissenschaft artikuliert, sondern auch von den Lehrkräften selbst. So geben in der Studie von Thomas & Palmer (2014) knapp 48% der n=257 Lehrkräfte zu geringe Fortbildungsmöglichkeiten als Grund dafür an, dass sie digitale Werkzeuge nicht vermehrt im Unterricht einsetzen. Auch in der Studie von Simonsen & Dick (1997), wünschen sich 71% der Lehrkräfte verstärkte Fortbildungsangebote zu digitalen Werkzeugen. In der Studie von Goos & Bennison (2008) wird zudem deutlich, dass sich der Bedarf nach Fortbildungen nicht so sehr auf die Bedienung der Geräte bezieht, sondern vor allem fachdidaktische Aspekte des Werkzeugeinsatzes gewünscht werden: „Although there were a few teachers who needed basic instruction on how to use hardware or software, most were interested in learning about planning, activities that combine technology with mathematical concepts’ in order to meaningfully incorporate technology into lessons.“ (Goos & Bennison 2008, S. 119) Vor dem Hintergrund der Forderung nach qualitativ hochwertigen Fortbildungsangeboten sowohl von Seiten der Wissenschaft als auch von Seiten der praktizierenden Lehrkräfte stellt sich natürlich die Frage, wie entsprechende Angebote gestaltet werden müssen und ob diese Angebote auch tatsächlich die erhoffte Wirksamkeit entfalten. Auf diese Aspekte wird in den folgenden Kapiteln eingegangen.

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B) Theoretischer Hintergrund

6.2 Wirkebenen von Fortbildungen Will man über die Wirkung von Fortbildungen sprechen, so muss zunächst geklärt werden, was unter einer wirksamen Fortbildung verstanden werden soll. Die Wirksamkeit einer Fortbildungsmaßnahme wird dabei in der Regel nicht als eindimensionales Maß betrachtet, sondern es wird angenommen, dass sich die Wirkung auf verschiedenen Ebenen entfalten kann. So unterscheidet etwa Lipowsky (2010) die folgenden vier Wirkebenen: 1. Ebene: Reaktionen und Einschätzungen der teilnehmenden Lehrkräfte Wirkungen auf dieser Ebene beziehen sich auf die unmittelbare Einschätzung der Fortbildungsteilnehmenden bezüglich Akzeptanz, Relevanz sowie Zufriedenheit mit der Fortbildungsmaßnahme. 2.Ebene: Erweiterung der Lehrerkognitionen Wirkungen von Fortbildungsmaßnahmen auf dieser Ebene beziehen sich auf kognitive Merkmale der Lehrkräfte, wie etwa Überzeugungen oder das Wissen. 3. Ebene: Unterrichtspraktisches Handeln der Lehrkräfte Auf dieser Ebene wird der Erfolg einer Fortbildungsmaßnahme an den Veränderungen im Unterricht der Lehrkraft festgemacht. 4. Ebene: Effekte auf Lernende Auf dieser Ebene wird die Wirkung von Lehrerfortbildungen auf die Lernenden betrachtet. Hierbei können sowohl kognitive Indikatoren, wie Testleistungen von Lernenden, aber auch affektive Komponenten, wie etwa die Motivation, in den Blick genommen werden. Neben dieser Strukturierung existieren auch weitere Vorschläge zur Kategorisierung der Wirkebenen. So unterscheidet etwa Guskey (2000) ein

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Modell mit fünf Wirkebenen, welches zusätzlich zu den oben beschriebenen Ebenen die Ebene „Organization Support and Change“ beinhaltet. Er betont damit, dass es auch wichtig ist den Blick über das einzelne Individuum hinaus zu weiten und einen systemischen Ansatz bei der Untersuchung der Wirkung von Fortbildungen anzunehmen. Er hebt zudem hervor, dass substanzielle Aussagen über die Wirkung von Fortbildungsveranstaltungen nur dann möglich werden, wenn tiefere Wirkebenen in den Blick genommen werden (vgl. Guskey 2000, S. 10). Studien, welche unterschiedliche Ebenen in den Blick nehmen, zeigen, dass sich unter günstigen Bedingungen Effekte von Lehrerfortbildungsmaßnahmen auf allen Ebenen der Wirkkette erzielen lassen (vgl. Lipowsky 2010; Lipowsky 2014, S. 516 ff.). Bezüglich der Größe der Effekte auf die Lernerfolge von Schülerinnen und Schülern ergeben sich in Metastudien mittlere Effektstärken von beispielsweise d=0.54 bei Yoon et al. (2007), d=0.45 bei Tinoca (2004), d=0.62 bei Hattie (2009) oder d=0.66 bei Timperley et al. (2007). Effekte von Fortbildungen auf die Kompetenzen der Lehrkräfte und das unterrichtliche Handeln sind in der Regel größer als die Effekte auf die Leistungen der Schülerinnen und Schüler (vgl. Lipowsky 2014, S. 517). Die Größe der Effekte variiert dabei jedoch erheblich je nach Schulfach und Schulstufe (vgl. Lipowsky 2014, S. 517). Bei der Interpretation der Ergebnisse ist zudem zu beachten, dass in vielen Studien die untersuchten Lehrkräfte nicht eine repräsentative Lehrerstichprobe darstellen, sondern „dass es sich in vielen Studien um selegierte, freiwillige Lehrerstichproben handelt, bei denen von einer besonderen Motivation und einem besonderen Engagement für Schule und Unterricht ausgegangen werden muss“ (Lipowsky 2010, S. 53). Es wird somit vor einer zu großen Verallgemeinerung der Ergebnisse auf die Grundgesamtheit aller Lehrkräfte gewarnt.

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B) Theoretischer Hintergrund

Zum Zusammenhang der Wirkebenen Die Betrachtung der unterschiedlichen Wirkebenen legt zunächst nahe, dass sich die Wirkung von Fortbildungen in quasi linearer Weise von der ersten bis zur letzten Wirkebene entwickelt. Dies würde etwa bedeuten, dass ausgehend von einer positiven Beurteilung der Lehrkräfte, eine Änderung der kognitiven Merkmale, wie etwa der Überzeugungen oder des Wissens einer Lehrkraft erreicht werden muss, bevor unterrichtliche Veränderungen eintreten, die sich im Folgenden in verbesserten Lernleistungen bei den Schülerinnen und Schülern niederschlagen. Guskey (2002) widerspricht dieser Wirkreihenfolge jedoch, und schlägt ein Modell vor, bei dem unterrichtliche Änderungen nicht im Anschluss, sondern vor einer Änderung der Überzeugungen eintreten müssen. Er begründet dies damit, dass sich die Überzeugungen der Lehrkraft erst dann verändern, wenn die Lehrkraft positive Auswirkungen des eigenen Handelns auf die Lernerfolge der Schülerinnen und Schüler beobachtet. Diesem Modell liegt die Auffassung zugrunde, dass Veränderungsprozesse im Überzeugungssystem der Lehrkraft zum großen Teil durch Erfahrungen im Klassenraum bestimmt werden: „The crucial point is that it is not the professional development per se, but the experience of successful implementation that changes teachers’ attitudes and beliefs. They believe it works because they have seen it work, and that experience shapes their attitudes and beliefs.“ (Guskey 2002, S. 383) Allerdings ist zu beachteten, dass solche linearen Modelle zum Zusammenhang der Wirkebenen zwar mögliche Erklärungsansätze bieten, jedoch kaum die große Komplexität widerspiegeln, welche sich allein aus dem angenommenen bidirektionalen Verhältnis von Überzeugungen und unterrichtlichem Handeln ergibt (vgl. Abschnitt 5.2). Dementsprechend werden auch Modelle diskutiert, in denen Veränderungsprozesse als nichtlinear modelliert werden (vgl. z.B. Clarke & Hollingsworth 2002; Goldsmith et al. 2014):

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„[...] professional growth is more likely to proceed through a series of incremental changes in knowledge, beliefs, dispositions, and classroom practices—changes that eventually lead to improved outcomes for students—than to be a direct path from a single professional development experience to a change in practice to improvement of student outcomes.“ (Goldsmith et al. 2014, S. 20) Diese komplexe Wirkweise trägt auch dazu bei, dass Erfolge auf einer Wirkebene bestenfalls als notwendig, keinesfalls jedoch als hinreichend für Wirkungen auf anderen Wirkebenen angesehen werden können (vgl. Lipowsky 2010). 6.3 Gestaltungsprinzipien von Fortbildungen Allgemeine Gestaltungsprinzipien Sollen Fortbildungen konzipiert werden, welche auf möglichst vielen der beschriebenen Ebenen ihre Wirkung entfalten, so ist mittlerweile empirisch gut belegt, dass bestimmte generische Gestaltungsmerkmale hierfür förderlich sind (vgl. Barzel & Selter 2015; Borko 2004; Desimone 2009; Garet et al. 2001; Goldsmith et al. 2014; Hawley & Valli 2007; Lipowsky, 2010, 2011, 2014; Lipowsky & Rzejak 2012; Timperley et al. 2007). Eine mögliche Strukturierung nehmen etwa Barzel & Selter (2015) vor. Die Autoren stellen auf Basis eines Reviews der internationalen Forschungsliteratur sechs Gestaltungsprinzipien vor, welche als verbindliche Kriterien für alle Fortbildungsangebote des DZLM gelten (vgl. Kramer & Lange 2014, S. 492 ff.). Diese Gestaltungsprinzipien sind dabei nicht als trennscharf anzusehen, sondern in der Realität vielfach miteinander vernetzt. Aus analytischen Gründen werden sie jedoch getrennt voneinander aufgeführt (vgl. Barzel & Selter 2015, S. 268):

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B) Theoretischer Hintergrund

Kompetenzorientierung Als wichtiges Merkmal effektiver Fortbildungen wird die Orientierung an den professionellen Kompetenzen, wie etwa Überzeugungen und Wissen der Lehrkräfte, angesehen. Hierbei dienen insbesondere die in der Lehrerbildungsforschung verwendeten Kompetenzmodelle (vgl. z.B. Ball et al. 2008; Blömeke et al. 2010; Shulman 1986) als wichtige Bezugspunkte. Die fokussierten Kompetenzen sollten dann auch allen am Lehr-Lernprozess Teilnehmenden transparent gemacht werden. Teilnehmendenorientierung Als weiteres Merkmal erfolgreicher Fortbildungen wird die Orientierung an den individuellen Bedarfen der Teilnehmenden gesehen. Dies bedeutet, dass in der Fortbildung an das individuelle Wissen und die individuellen Überzeugungen von Lehrkräften angeknüpft wird, um diese von dort ausgehend weiterzuentwickeln (vgl. Roesken-Winter et al. 2015, S. 17). Hierbei sollten die Teilnehmenden nicht als eine homogene Gruppe angesehen werden, sondern als individuelle Lernende (vgl. Barzel & Selter 2015, S. 268). Die Orientierung an den individuellen Bedarfen ist jedoch vor allem dann nicht einfach, wenn die von den Teilnehmenden geäußerten Bedarfe sich von den systemischen Interessen der Fortbildungsleitung stark unterscheiden (vgl. Reinold 2016, S. 92). Lehr-Lern-Vielfalt Fortbildungsveranstaltungen sollten darüber hinaus verschiedene methodische Ansätze nutzen, um einerseits die Lehrkräfte aktiv in die Fortbildung einzubinden und anderseits eine Passung zwischen Methoden und den Zielen der unterschiedlichen Fortbildungsphasen zu gewährleisten. Das Gestaltungsprinzip umfasst darüber hinaus, dass ein Wechsel von Input-, Praxis- und Reflexionsphasen anzustreben ist.8 Wichtig ist es dabei, diese 8

Ein solches Vorgehen wird gelegentlich auch als „sandwich-model” (Roesken-Winter et al. 2015, S. 18) bezeichnet.

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Phasen nicht getrennt voneinander stehen zu lassen, sondern gezielt miteinander zu verknüpfen (vgl. Barzel & Selter 2015, S. 268). Fallbezug Ein wesentliches Merkmal erfolgreicher Fortbildung ist weiterhin, dass die Fortbildung möglichst eng mit der unterrichtlichen Praxis der Lehrkräfte verknüpft ist. So dienen Beispiele aus der eigenen Praxis sowohl als Ausgangspunkt aber auch als Anwendungsfeld für Lernprozesse in der Fortbildung (vgl. Barzel et al. 2018, S. 20). Eine Umsetzung ist zum Beispiel dadurch möglich, dass in Fortbildungen mit konkreten Lernprodukten, Unterrichtsvideos, Unterrichtsentwürfen oder Klausuren aus dem Unterricht der teilnehmenden Lehrkräfte gearbeitet wird. Kooperationsanregung Lehrkräfte sollten in der Fortbildung dazu angeregt werden, Unterricht kooperativ zu entwickeln und in einen Diskurs mit anderen Lehrkräften zu treten. In diesem Gestaltungsmerkmal kommt insbesondere die Auffassung zum Ausdruck, dass die Veränderungen von Kompetenzen durch einen diskursiven Dialog unterstützt werden können: „[...] when diverse groups of teachers with different types of knowledge and expertise come together in discourse communities, community members can draw upon and incorporate each other's expertise to create rich conversations and new insights into teaching and learning.“ (Putnam & Borko 2000, S. 8) Im Idealfall werden in Fortbildungen auch professionelle Lerngemeinschaften angeregt und etabliert, in denen Gruppen von Lehrkräften der gleichen Schule langfristig bezüglich der Weiterentwicklung des eigenen Unterrichts zusammenarbeiten (vgl. Lipowsky & Rzejak 2012, S. 10).

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B) Theoretischer Hintergrund

Reflexionsförderung In Fortbildungen sollte weiterhin die Förderung von Reflexionsprozessen verankert sein. Dies umfasst etwa die Reflexion der eigenen Überzeugungen und des eigenen unterrichtlichen Handelns (vgl. Abschnitt 5.2). Zudem hat sich herausgestellt, dass Reflexionsprozesse auch die fachspezifischen Lern- und Verstehensprozesse der Schülerinnen und Schüler in den Blick nehmen sollten, da hierdurch ermöglicht wird, dass Lehrende Beziehungen zwischen dem eigenen Handeln und dem Lernen der Schülerinnen und Schüler erkennen können (vgl. Lipowsky 2014, S. 520 ff.). Sollen die zuvor geschilderten Merkmale ernst genommen werden, ergibt sich insbesondere, dass sich Fortbildungen über einen längeren Zeitraum erstrecken müssen. So betonen etwa Barzel & Selter (2015): „Handlungsroutinen, Überzeugungen und subjektive Theorien können durch kurzfristige Interventionen kaum verändert werden“ (Barzel & Selter 2015, S. 267). Ebenso wird sich eine Verknüpfung von Input-, Praxis- und Reflexionsphasen erst bei einer länger andauernden Fortbildung realisieren lassen. Bezüglich der anzustrebenden Dauer weisen Ergebnisse von Metastudien darauf hin, dass Fortbildungen einen Mindestumfang von 30 Stunden umfassen sollten, um entsprechende Effekte auf das unterrichtliche Handeln zu erzielen (vgl. Lipowsky 2014, S. 518). Während die beschriebenen Gestaltungsmerkmale zwar wichtige Eckpunkte zur Gestaltung von Fortbildungen umreißen, bleibt weiterhin die Frage, welche Inhalte in der Fortbildung thematisiert und welche Schwerpunkte gesetzt werden sollen. So stellen etwa Prediger et al. (2015) fest, dass die Auswahl der Inhalte teilweise einer gewissen Beliebigkeit unterliegt und betonen die Wichtigkeit, Fortbildungsinhalte in kontrollierter Weise auf theoretischer und empirischer Basis auszuwählen und zu strukturieren. Die beschriebenen Gestaltungsmerkmale können zudem nur als notwendige und keinesfalls als hinreichende Merkmale für wirksame

6 Fortbildungen zu digitalen Werkzeugen

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Fortbildungen angesehen werden. So hebt Lipowsky (2010) hervor, dass, neben den Gestaltungsmerkmalen, vielfältige andere Faktoren, wie etwa das schulische Umfeld, in dem die Lehrkraft tätig ist, oder das von den teilnehmenden Lehrkräften eingebrachte individuelle Wissen und die eingebrachten individuellen Überzeugungen wichtige Faktoren sind, welche die Wirksamkeit einer Fortbildung beeinflussen. Das Lernen von Lehrkräften kann nach Lipowsky demnach in einem Angebots-Nutzungs-Modell als das Zusammenwirken von personenbezogenen Faktoren, Kontextbedingungen und Merkmalen der Fortbildung aufgefasst werden. Vor diesem Hintergrund lassen sich insbesondere auch allgemeine Aussagen zur Wirksamkeit einer Fortbildung kritisch sehen. So heben etwa Goldsmith et al. (2014, S. 20) in diesem Zusammenhang hervor, dass Wirksamkeit eben kein globales Charakteristikum einer Fortbildung ist, sondern die gleiche Fortbildung je nach Teilnehmendenkreis und Kontext komplett unterschiedlich wirken kann. Gestaltungsprinzipien für Fortbildungen zum digitalen Werkzeugeinsatz Die zuvor beschriebenen Gestaltungsprinzipien sind generischer Natur und geben einen allgemeinen Orientierungsrahmen für Fortbildungen, der jedoch noch weiter zu spezifizieren ist. So lassen sich in einem ersten Schritt konkretere Prinzipien für Fortbildungen zum Einsatz allgemeiner digitale Medien formulieren. Ertmer & Ottenbreit-Leftwich (2010) identifizieren etwa als wesentliches Gestaltungsmerkmal von Fortbildungen zum digitalen Medieneinsatz, dass diese fachspezifisch durchgeführt werden sollten und darauf fokussieren müssen, inwiefern digitale Medien die Lernerfolge der Schülerinnen und Schüler unterstützen. Es wird also deutlich, dass die allgemeinen Gestaltungsprinzipien im Weiteren aus einer mathematikdidaktischen Perspektive zu konkretisieren sind. Reinold hebt hervor, dass diese Spezifik nicht nur den Inhalt der Fortbildung, sondern auch die „konkrete Ausgestaltung, also die Lernumgebungen für die teilnehmenden

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B) Theoretischer Hintergrund

Lehrkräfte“ (Reinold 2016, S. 70) umfasst. Es ist also wichtig, inhaltsbezogene aber auch methodisch-didaktische Merkmale zu identifizieren, welche gehaltvolle Fortbildungen zu digitalen Mathematikwerkzeugen charakterisieren. Barzel (2012, S. 55 ff.) identifiziert etwa die folgenden inhaltlichen Punkte als zentral für die Gestaltung von Fortbildungen zum digitalen Werkzeugeinsatz: Fokussierung auf neue Aufgabenformate, Unterstützung von Lehrkräften bei der Rechnerbedienung, Thematisierung der Realisation von rechnerfreien Phasen, Eingehen auf mögliche Probleme von Lernenden beim Werkzeugeinsatz, Thematisierung der adäquaten Dokumentation beim Werkzeugeinsatz, Thematisierung des Werkzeugeinsatzes in Prüfungen. Weitere Konkretisierungen wären jedoch wünschenswert. So ist bislang etwa ungeklärt, welche Schwerpunktsetzungen und inhaltliche Ausrichtungen bei Fortbildungen zu digitalen Mathematikwerkzeugen besonders vielversprechend sind. Dies zeigt sich etwa in der Studie von Grugeon et al. (2010), die beim Vergleich von fünf Fortbildungen zum Technologieeinsatz im Mathematikunterricht eine große Variation hinsichtlich der inhaltlichen sowie methodisch-didaktischen Gestaltung der Fortbildungen feststellen. Inhaltlich fokussieren manche Fortbildungen stärker auf die sich verändernde Rolle der Lehrkraft beim Lernen mit digitalen Werkzeugen, während andere Fortbildungen stärker neue Aktivitäten betonen, die durch den Einsatz von Technologie ermöglicht werden. Andere Fortbildungen wiederum stellen die Konstruktion geeigneter Aufgaben oder die unterrichtlichen Herausforderungen bei der Medienintegration in den Mittelpunkt. In der methodischen Gestaltung variieren die Formate von einer stärker kognitiv orientierten Auseinandersetzung mit den Fortbildungsinhalten hin zu stärker situierten, handlungsnahen Formaten. Zusammenfassend stellen die Autoren fest:

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While it is widely acknowledged that teacher development is crucial for the successful integration of technology in the mathematics classroom, there is very little presently available to guide policy makers, researchers and teacher educators regarding the relevance of different viewpoints, content selection, or the actual effectiveness of various teaching and learning strategies involving technology. (Grugeon et al. 2010, S. 344) 6.4 Wirksamkeit von Fortbildungen Nachdem dargelegt wurde, auf welchen Ebenen Fortbildungen wirken können und welche Prinzipien bei der Gestaltung von Fortbildungen zu berücksichtigen sind, wird im Folgenden auf konkrete Befunde zur Wirksamkeit von Fortbildungen zu digitalen Werkzeugen eingegangen. Hier ist zunächst festzustellen, dass sich nur wenige Studien mit der Wirksamkeit von Fortbildungsmaßnahmen zu digitalen Mathematikwerkzeugen auseinandersetzen (vgl. Driskell et al. 2015; Hegedus et al. 2017b, S. 28; siehe die Zusammenstellung an Studien weiter unten). Die mangelnde Studienlage liegt dabei auch darin begründet, dass die Fortbildungsforschung im Allgemeinen ein recht junges Feld darstellt (vgl. Törner 2015, S. 200) und Wirksamkeitsstudien zu Lehrerfortbildungen generell nur selten durchgeführt werden. So attestiert etwa Köller (2012): „Trotz hoher Aktivität bei der Durchführung und Gestaltung von Lehrerfortbildungen in allen 16 Ländern der Bundesrepublik Deutschland wissen wir wenig über die Wirksamkeit der Angebote“ (Köller 2012, S. 11). Aber auch international wird das Fehlen von Wirksamkeitsstudien hervorgehoben. So stellen Ertmer et al. (2014, S. 413) einen Mangel von Studien zur Wirksamkeit von Lehrerfortbildungen zum Medieneinsatz fest. Sztajn et al. (2017) fassen in ihrem internationalen Review die Forschungslage zu Mathematiklehrerfortbildungen zusammen und betonen, dass zwar mittlerweile

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B) Theoretischer Hintergrund

durchaus viele qualitative Studien existieren, Studien zur Wirksamkeit jedoch nur selten durchgeführt werden: „Still, very few [...] studies investigated causal links between participation in PD and teacher or student outcomes. Thus, there is a need for more effectiveness studies [...], particularly if mathematics PD researchers want to participate in policy discussions about the PD offered to mathematics teachers. (Sztajn et al. 2017, S. 816) Somit lässt sich sowohl für Mathematiklehrerfortbildungen im Allgemeinen als auch spezifisch für Fortbildungen zum digitalen Werkzeugeinsatz im Mathematikunterricht ein großer Forschungsbedarf ausmachen. Insbesondere vor dem Hintergrund der allgegenwärtigen Forderung nach Fortbildungen zum Werkzeugeinsatz (vgl. Abschnitt 6.1) wären Wirksamkeitsstudien jedoch von großem Interesse. So ist zu prüfen, inwiefern die angebotenen Maßnahmen überhaupt die erhofften Effekte entfalten. Ebenfalls könnten aus differenzierten Ergebnissen zur Wirkung von Fortbildungen auch Gestaltungsmerkmale erfolgreicher Fortbildungen identifiziert werden und Ansatzpunkte gewonnen werden, um die jeweils beforschten Fortbildungen gezielt weiterzuentwickeln. Studien zur Wirksamkeit von Fortbildungen zu digitalen Werkzeugen Da ein systematischer Überblick über vorhandene Studien zur Wirksamkeit von Fortbildungen zum digitalen Werkzeugeinsatz in der Literatur nicht zu finden war, wurde eine ausführliche Literaturrecherche in den einschlägigen Literaturdatenbanken durchgeführt. Die hierbei identifizierten Studien werden im Folgenden dargestellt und diskutiert. Dabei wird zuerst auf querschnittliche Befunde eingegangen, bevor längsschnittliche Studien betrachtet werden.

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Erste Hinweise auf die Bedeutung von Fortbildungsveranstaltungen zur Unterstützung des digitalen Werkzeugeinsatzes können aus Studien abgeleitet werden, die in querschnittlichen Designs einen Zusammenhang zwischen Fortbildungsteilnahme und bestimmten Zielgrößen untersuchen. So zeigen etwa die Ergebnisse von Goos & Bennison (2008) sowie Bennison & Goos (2010), dass Lehrkräfte, die an Fortbildungsveranstaltungen zu digitalen Werkzeugen teilgenommen haben, über signifikant höhere Selbstwirksamkeitsüberzeugungen verfügen, positivere Überzeugungen zum Werkzeugeinsatz haben und digitale Werkzeuge auch häufiger einsetzen. Handal et al. (2011) stellen fest, dass die Teilnahme an Fortbildungsveranstaltungen zu grafikfähigen Taschenrechnern positiv mit dem Level der unterrichtlichen Integration des Werkzeugs assoziiert ist. Zu anderen Ergebnissen kommt jedoch Helton (2012), welcher keine signifikanten Zusammenhänge zwischen der Häufigkeit der Fortbildungsteilnahme und dem Integrationsniveau digitaler Werkzeuge feststellt. Problematisch an diesen querschnittlichen Untersuchungen ist jedoch, dass es nicht möglich ist die beobachteten Zusammenhänge zweifelsfrei auf die Fortbildungsteilnahme zurückzuführen. So könnte es auch sein, dass Lehrkräfte mit positiveren Überzeugungen oder häufigerer Werkzeugnutzung generell eher Fortbildungen zum digitalen Werkzeugeinsatz besuchen. In diesem Falle würde etwa auch ein Zusammenhang zwischen Überzeugungen und Fortbildungsteilnahme sichtbar werden, welcher jedoch nicht aufgrund der Wirksamkeit der Fortbildungen zustande kommt. Aus diesem Grunde sind „Längsschnittstudien erheblich besser geeignet, kausale Wirkmodelle zu postulieren, als querschnittliche Momentaufnahmen“ (Bortz & Döring 2006, S. 85). Im Rahmen der Literaturrecherche konnten dabei die Folgenden längsschnittlichen Studien zur Wirksamkeit von Fortbildungen zum digitalen Werkzeugeinsatz identifiziert werden:

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B) Theoretischer Hintergrund

Hartsell et al. (2009) untersuchen eine Fortbildung in Mississippi (USA), welche an 20 direkt aufeinanderfolgenden Tagen in den Sommerferien durchgeführt wurde. Es werden vier Durchläufe der Fortbildung evaluiert, wobei in jedem Jahr zwischen n=24 und n=27 Lehrkräfte teilnahmen. Die Inhalte der Fortbildung waren jedoch nur teilweise direkt auf digitale Werkzeuge bezogen, da auch der Einsatz allgemeiner digitaler Werkzeuge (z.B. digitale Whiteboards) Gegenstand der Fortbildung war. In der Fortbildung sollte den Lehrkräften aufgezeigt werden, wie diese Werkzeuge das Lernen mathematischer Konzepte unterstützen können. In einem Pretest-Posttest-Design wurde die Veränderung des selbsteingeschätzten Wissens der Lehrkräfte bezogen auf die verschiedenen Arten von digitalen Werkzeugen erfasst. Ebenso wurde die Häufigkeit erhoben, mit der Lehrkräfte digitale Werkzeuge nutzen, um selbst mathematische Probleme zu lösen. Zudem wurden die Selbstwirksamkeitsüberzeugungen, bezogen auf das Lösen mathematischer Probleme mit digitalen Werkzeugen, erfasst. Es zeigte sich, dass in allen Bereichen positive Effekte auftraten. Kritisch muss angemerkt werden, dass die verwendeten Erhebungsinstrumente und auch die konkrete inhaltlich-methodische Gestaltung der Fortbildung nicht näher erläutert wird, so dass eine genauere Einordung der Ergebnisse nicht möglich ist. Galitano (2013) untersucht die Effekte eines einwöchigen Fortbildungsprogrammes zur Nutzung des grafikfähigen Taschenrechners in Pennsylvania (USA), welches in den Sommerferien durchgeführt wurde. Auch hier werden vier Durchläufe des Fortbildungsprogramms in den Jahren 2009-2012 kumulativ evaluiert. Die Anzahl teilnehmender Lehrkräfte betrug n=63 (im Jahr 2009), n=70 (im Jahr 2010), n=64 (im Jahr 2011) und n=29 im Jahr 2012. In einem Pretest-Posttest-Design werden Veränderungen der Überzeugungen zu digitalen Werkzeugen auf einer fünfstufigen Likert-Skala untersucht. In vielen Fällen zeigen sich dabei signifikante, positive Veränderungen zwischen Pre- und Posttest. In der Studie werden zwar keine Effektstärken angegeben, es lassen sich jedoch aus den

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angegebenen Mittelwertdifferenzen Effektstärken von bis zu d=0.4 ableiten. Leider erschwert auch in dieser Studie eine mangelnde Dokumentation der Erhebungsinstrumente (es werden beispielsweise nur 16 der 22 verwendeten Items in der Veröffentlichung angegeben) und das Fehlen einer Beschreibung der inhaltlich-methodischen Gestaltung der Fortbildung die Interpretation der Ergebnisse. Auch lässt sich nicht genau feststellen, zu welchen Messzeitpunkten die Daten genau erhoben wurden. Chamblee et al. (2008) untersuchen anhand einer Stichprobe von n=22 Lehrkräften eine Fortbildung zum grafikfähigen Taschenrechner in Texas (USA), welche sich sowohl an Mathematiklehrkräfte als auch an Lehrkräfte der Naturwissenschaften richtet. Um die Kooperation innerhalb der Schulen sicherzustellen, wurden gezielt jeweils zwei Lehrkräfte von der gleichen Schule zur Fortbildung eingeladen. Während des Schuljahres erhielten die Lehrkräfte eine 45 Stunden umfassende Fortbildung in den Bereichen Datenerfassung, Datenanalyse, Dateninterpretation und Datenpräsentation mit Hilfe des grafikfähigen Taschenrechners. Im Anschluss erfolgte ein 60-stündiger Fortbildungsteil, welcher in den Sommerferien stattfand. In diesem wurde die Verknüpfung von Mathematik und Naturwissenschaften mit Hilfe digitaler Werkzeuge fokussiert. Eine Verschränkung von Input- und Praxisphasen fand jedoch nicht statt, da die Klassen der Lehrkräfte erst nach Abschluss der Fortbildungsveranstaltung mit grafikfähigen Taschenrechnern ausgestattet wurden. Zur Evaluation des Fortbildungserfolges in einem Pretest-Posttest-Design wird das concern-based adoption model (CBAM; Hall et al. 1973; Hall et al. 1977) verwendet. Im CBAM werden die affektiv-kognitiven Reaktionen der Lehrkraft auf eine Innovation in sechs Stufen unterteilt.9 In der niedrigsten Stufe hat die Lehrkraft kaum ein Bewusstsein für die Innovation, während dieses in höheren

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Hall et al. (1977) beschreiben concerns als „the composite representation of the feelings, preoccupation, thought, and consideration given to a particular issue or task“ (Hall et al. 1977, S. 14).

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B) Theoretischer Hintergrund

Stufen immer mehr zunimmt und zusätzliche Facetten, wie die Auswirkungen der Innovation auf Lernende und sowie Kolleginnen und Kollegen, einschließt. Die Studie findet im Mittel keine Veränderung der Stufe, auf welcher sich die Lehrkräfte verorten. Wird die Veränderung jedoch auf einzelnen Stufen betrachtet, so lassen sich doch bestimmte Effekte identifizieren: „[...] they became more concerned about how to best use graphing calculators to teach mathematics (higher management mean stage scores), their level of exploring further the uses of graphing calculators in the curriculum increased (higher refocusing mean stage scores) […]” (Chamblee et al. 2008, S. 191). Die inhaltliche Gestaltung der Fortbildung lässt sich aus der Veröffentlichung zwar grob entnehmen, genauere Informationen zur methodisch-didaktischen Gestaltung fehlen jedoch. Die Studie von Tharp et al. (1997) untersucht die Auswirkungen einer Fortbildungsveranstaltung zum Einsatz des grafikfähigen Taschenrechners im mathematisch-naturwissenschaftlichem Unterricht in Virginia (USA). Die Fortbildungsveranstaltung erstreckte sich über fünf Monate, wobei monatlich jeweils eine 3-stündige Fortbildungsveranstaltung angeboten wurde. Die Fortbildung wurde an 10 Standorten als „interactive telecourse“ über das Fernsehen abgehalten, wobei an jedem Standort ausgebildete Fortbildner die Teilnehmenden begleiteten. Es nahmen insgesamt n=261 Lehrkräften an der Fortbildung teil, wobei n=168 Mathematiklehrkräfte waren. Die Lehrkräfte waren angehalten die erlernten Inhalte direkt in ihrem Unterricht anzuwenden. Gleichzeitig waren die Lehrkräfte verpflichtet, fortwährend Reflexionsberichte über ihre unterrichtlichen Erfahrungen zu schreiben. In dieser Studie liegt somit eine enge Verschränkung von Praxis-, Input- und Reflexionsphasen vor. Die Fortbildung nutzte zusätzlich videografierte beispielhafte Unterrichtsstunden von erfahrenen Lehrkräften. Darüber hinaus filmten die Lehrkräfte auch den eigenen Unterricht und diskutierten diesen mit den Fortbildnern. Die Studie nutzt einen MixedMethods-Ansatz und verbindet die Analyse von quantitativen und qualitativen Daten. So werden in einem Pretest-Posttest-Design die

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Überzeugungen zum Einsatz grafikfähiger Taschenrechner, die epistemologischen Überzeugungen zum Lehren und Lernen von Mathematik sowie die Selbstwirksamkeitsüberzeugungen erhoben. Dabei sticht die Studie dadurch sehr positiv hervor, dass in der Publikation alle verwendeten Erhebungsinstrumente detailliert beschrieben sind. Die Ergebnisse der Studie zeigen zum einen, dass sich signifikante Veränderungen der technologiebezogenen Überzeugungen beobachten lassen. Lehrkräfte sehen digitale Mathematikwerkzeuge zum Ende der Fortbildung deutlich positiver: „Teachers began to see calculators as a tool that could be used to expand problem-solving capabilities. They started to look at calculators as fostering an inquiry-based, discovery approach to mathematics and science. Additionally they built up confidence in their abilities to use and teach with graphing calculators.“ (Tharp et al. 1997, S. 558) Andererseits stellen die Autoren fest, dass keine Veränderungen bei den Überzeugungen zum Mathematikbild eintraten. Zudem zeigte die qualitative Auswertung der Reflexionsberichte, dass Lehrkräfte mit einem statischen Bild von Mathematik zwar innovative Einsatzmöglichkeiten digitaler Werkzeuge ausprobierten, diese jedoch schnell wieder aufgaben. Die Autoren schließen daraus, dass Lehrkräfte mit einer dynamischen Sichtweise auf die Mathematik deutlich stärker von der Fortbildung profitierten. Cavanagh & Mitchelmore (2003) untersuchen die Effekte eines auf zwei aufeinanderfolgenden Tagen durchgeführten Workshops zum Einsatz grafikfähiger Taschenrechner in Sydney (Australien), welcher sich spezifisch an Neueinsteiger richtete. Der Workshop mit n=12 Teilnehmenden fokussierte im Wesentlichen die kognitiven Prozesse und Fehlvorstellungen bei der Interpretation von Graphen beim Arbeiten mit dem grafikfähigen Taschenrechner. Der Workshop beinhaltete dabei auch die Planung einer eigenen Unterrichtstunde. Im Anschluss an die Fortbildung wurden von sechs Lehrkräften jeweils drei Unterrichtsstunden gefilmt und ausgewertet.

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B) Theoretischer Hintergrund

Insgesamt kommen die Autoren zu einem sehr positiven Schluss und stellen nicht nur unterrichtliche Veränderungen fest, sondern nehmen auch Auswirkungen auf der Schülerebene wahr: „After learning about misconceptions that can arise when using graphics calculators, the teachers did emphasise the limitations of the technology in their lessons and led students to directly confront apparent inconsistencies. As a result, the students in the present study quickly became competent at using the output of the calculator to solve mathematical tasks [...]“ (Cavanagh & Mitchelmore 2003, S. 15). Die Studie Laumakis & Herman (2008) untersucht die Auswirkungen einer Fortbildungsveranstaltung zum grafikfähigen Taschenrechner in Florida (USA). Im Fokus stehen hier die Leistungen der Lernenden. Es nahmen n=10 Lehrkräfte an einer Fortbildungsveranstaltung teil, welche an drei aufeinanderfolgenden Tagen durchgeführt wurde und durch eine eintägige Folgeveranstaltung zu einem späteren Zeitpunkt ergänzt wurde. Gleichzeitig wurde eine Kontrollgruppe aus sieben Lehrkräfte gebildet, welche keine Fortbildung zum Einsatz digitaler Werkzeuge erhielt. Zur Erfassung der Leistung der Lernenden wird sowohl für den Pretest als auch für den Posttest die curricular verpflichtende staatliche zentrale Prüfung am Ende eines jeden Jahres herangezogen. So werden die Leistungen einmal im März 2003 und einmal im März 2004 erhoben, während die Lehrkräfte im Zeitraum zwischen den Prüfungen fortgebildet werden. Insgesamt stellt sich heraus, dass die Lernenden, welche von Lehrkräften der Experimentalgruppe unterrichtet wurden, stärkere Zuwächse zwischen Pretest und Posttest erzielen als Lehrkräfte der Kontrollgruppe. Aufgeführt werden soll an dieser Stelle noch eine amerikanische Studie von Schmidt (1999), welche zwar nicht auf den Einsatz von grafikfähigen Taschenrechnern oder CAS, sondern auf einfache wissenschaftliche Taschenrechner in der Mittelstufe fokussiert. Es werden n=32 Lehrkräfte

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untersucht, die an einer einwöchigen Fortbildung in den Sommerferien teilnahmen. Im anschließenden Quartal fanden zwar keine Fortbildungsveranstaltungen statt, die Lehrkräfte wurden aber dazu angehalten sich in ihrer Schule mit Kolleginnen und Kollegen auszutauschen. In einem Pretest-Posttest-Design werden die Überzeugungen bezüglich des Einsatzes von Taschenrechnern mit Hilfe von 29 Items erfasst. Es zeigen sich hierbei allerdings keine signifikanten Effekte was die Autoren auch auf den Einfluss epistemologischer Grundüberzeugungen zurückführen: „The six month professional development program that they participated in did not significantly affect their belief about the innovation over time. It appears that the teachers' perspective and philosophy of teaching and learning mathematics constrained their beliefs about calculators“ (Schmidt 1999, S. 32). Ebenfalls sollen zwei Studien erwähnt werden, die den Einsatz dynamischer Geometrieprogramme fokussierten. Die Studie von Stols et al. (2008) evaluiert eine Fortbildung zum Einsatz des Geometer’s Sketchpad, welche sich über fünf jeweils zweistündige Veranstaltungen erstreckte. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass Lehrkräfte zum einen ihr persönliches Verständnis von Geometrie erweiterten, und sich andererseits auch die Überzeugungen bezüglich der Geometrie zum Positiven hin veränderten. Jiang et al. (2013) untersuchen die Effekte einer einwöchigen Fortbildungsveranstaltung in Texas (USA) zum Einsatz des Geometer’s Sketchpad. Die Fortbildung erstreckte sich zum einen über den Zeitraum von einer Woche in den Sommerferien und wurde zusätzlich durch sechs halbtägige Veranstaltungen während des Schuljahres ergänzt. In dieser Studie werden n=64 Lehrkräfte randomisiert auf eine Experimental- und Kontrollgruppe aufgeteilt. Besonderer Wert wurde dabei auch auf den Austausch mit Fachkolleginnen und Fachkollegen sowie die Planung von Unterrichtsstunden gelegt:

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B) Theoretischer Hintergrund

„[...] teachers were encouraged to give presentations on their important insights of DG implementation and successful stories, or to describe problems they anticipated with other teachers offering suggestions to address the concern. Teachers also worked in groups of 3 or 4 to prepare lesson plans to share with the entire group.“ (Jiang et al. 2013, S. 157) Die Autoren kommen zu einem durchweg positiven Schluss bezüglich der Effekte der Fortbildung: „In summary, the results of this study suggest that the DG professional development offered to the participating teachers has had a significant positive effect on the teachers‘ change on both mathematics content knowledge and teaching strategies“ (Jiang et al. 2013, S. 161). Darüber hinaus zeigt eine Evaluation der Schülerleistungen, dass Lernende der Experimentalgruppe bei einem Leistungstest deutlich besser abschnitten als Lernende der Kontrollgruppe. Zusammenfassend ergibt sich somit das folgende Bild. Einerseits lassen sich deutliche Wirkungen auf Überzeugungen und Wissen bei Hartsell et al. (2009) und Galitano (2013) auch dann beobachten, wenn sich die Fortbildungen jeweils nur über kurze Zeiträume erstrecken und keine Verschränkung von Theorie- und Praxisphasen aufweisen, die als wichtiges Gestaltungsmerkmal effektiver Fortbildung gilt (vgl. Abschnitt 6.3). Die Studie von Chamblee et al. (2008) macht andererseits nur kleine Effekte hinsichtlich der Stadien der affektiv-kognitiven Auseinandersetzung mit der Einführung des grafikfähigen Taschenrechners aus. Fortbildungen mit enger Praxisverknüpfung stellen im Fortbildungsverlauf Effekte auf die technologiebezogenen Überzeugungen sowie auf die Unterrichtspraxis der Lehrkräfte fest (Tharp et al. 1997; Jiang et al. 2013). Allerdings zeigt sich in der Studie von Tharp et al. (1997), dass unterrichtliche Veränderungen nur für Lehrkräfte mit einem dynamischen Mathematikbild längerfristig aufrechterhalten werden konnten. Die Studien von Laumakis & Hermann (2008) sowie Jiang et al. (2013) geben Hinweise, dass sich Effekte dann durchaus auch auf Schülerebene entfalten können.

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Herausforderungen bei der Einordnung der Studienergebnisse Eine weitere differenzierte Einordnung der beschriebenen Befunde gestaltet sich jedoch schwierig. So finden sich in den vorgestellten Studien selten genauere Angaben zur Gestaltung der Fortbildung. Wenn Angaben gemacht werden, dann werden meistens stichpunktartig die behandelten Inhaltsbereiche aufgeführt, es wird jedoch nicht erläutert, wie die Fortbildung methodisch-didaktisch gestaltet war. Daher lässt sich nur bedingt nachvollziehen, inwiefern wichtige Gestaltungsprinzipien (vgl. Abschnitt 6.3), wie etwa ein Fallbezug oder eine Reflexionsförderung, umgesetzt wurden. Ohne die Gestaltung der Fortbildung näher nachvollziehen zu können, lassen sich die Ergebnisse jedoch nur schwer einordnen und auch kaum Merkmale wirksamer Fortbildungen identifizieren. Dieses Problem scheint allerdings nicht nur die Fortbildungsforschung zu digitalen Mathematikwerkzeugen zu betreffen, sondern stellt vielmehr ein generelles Problem gegenwärtiger Publikationspraxis in der Fortbildungsforschung dar. So stellen etwa Goldsmith et al. (2014) in ihrem Review von Forschungsergebnissen zu Mathematiklehrerfortbildungen ähnliche Mängel fest, woraus sie folgern: „[...] at the very least, thorough and systematic description of the nature of the professional development approach is needed, including the specific activities teachers engaged in and the amount of time devoted to each“ (Goldsmith et al. 2014, S. 22; siehe auch Sztajn et al. 2017, S. 816). Neben einer mangelnden Dokumentation der Durchführung der Fortbildung lässt sich bei den obig beschriebenen Studien zudem feststellen, dass die Erhebungsinstrumente und die Studiendurchführung oftmals nur unzureichend beschrieben sind. Auch dies ist ein Problem, welches Goldsmith et al. (2014) in gleichem Maße bemängeln: „In many of the studies we reviewed, it was difficult to find basic information about sample size, study selection criteria, outcome measures, data analysis approaches, and even what researchers identified as major findings of their work“ (Goldsmith et al. 2014, S. 22). Für eine Einordnung der Ergebnisse wären daher andere Publikationsmaßstäbe mit Sicherheit hilfreich: „Considering that

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B) Theoretischer Hintergrund

mathematics professional development is an emerging research field, it is timely to set expectations for what constitutes high-quality reporting in this field“ (Sztajn 2011, S. 220). Weiterhin lässt sich auch methodisches Verbesserungspotenzial ausmachen. So ist zu kritisieren, dass die Studien keine Angabe zur Größe der Effekte machen und die Erhebung von relevanten abhängigen Variablen (Outcomes) in der Regel nicht über Skalen, welche aus mehreren Items bestehen, erfolgt. Auf diese Weise können latente Variablen, wie etwa Überzeugungen, in der Regel jedoch nur sehr unpräzise erfasst werden (vgl. Abschnitt 5.3). Die größte Einschränkung stellt jedoch mit Sicherheit das Fehlen von Kontrollgruppen in vielen Studien dar, wodurch sich die Wirkung nicht eindeutig auf die Fortbildung zurückführen lässt. Studien ohne Kontrollgruppe sollten nur als „Notbehelf akzeptiert werden, wenn die Untersuchungsumstände eine Kontrollgruppenbildung nicht zulassen“ (Bortz & Döring 2006, S. 579). So ergeben sich ohne Kontrollgruppe aufgrund externer zeitlicher Einflüsse, Reifungsprozesse oder Testübung starke Einschränkungen bezüglich der internen Validität der Ergebnisse (vgl. Bortz & Döring 2006, S. 502 ff., S. 560). Zusammenfassung Insgesamt liegen bisher nur wenige empirisch gesicherte Erkenntnisse zur Wirkung von Fortbildungen zum digitalen Werkzeugeinsatz vor. Querschnittliche Studien liefern erste Hinweise auf mögliche positive Wirkungen. Die wenigen Studien, welche die Wirksamkeit von Fortbildungen in längsschnittlichen Design untersuchen, deuten zwar darauf hin, dass positive Effekte erzielt werden können. Allerdings sind die Studien aus methodischen Gründen, wie dem Fehlen von Kontrollgruppen aber auch aufgrund der unzureichenden Dokumentation der Fortbildungsgestaltung, nur schwer zu interpretieren. Es muss somit nach wie vor konstatiert werden: „Research in the field of teacher development courses in mathematics and technology is still in its infancy“ (Grugeon et. al. 2010, S. 329)

C) Konzeption und Durchführung der Fortbildung Im vorliegenden Kapitel wird die in dieser Arbeit beforschte Fortbildung „GTR kompakt“ als Beispiel einer prototypischen Fortbildung zum digitalen Werkzeugeinsatz im Mathematikunterricht skizziert (siehe auch Thurm et al. 2015; Klinger et al. 2018). Ziel der Maßnahme war es Lehrkräfte zu unterstützen, die in Kapitel 4 skizzierten Potenziale digitaler Werkzeuge im Unterricht zu realisieren und die hierfür förderlichen Kompetenzen und Überzeugungen (vgl. Kapitel 5) zu entwickeln.

7 Rahmenbedingungen Konkreter Anlass zur Konzeption der Fortbildung war der Erlass des Ministeriums für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen, welcher die verbindliche Nutzung eines grafikfähigen Taschenrechners in der gymnasialen Oberstufe ab dem Schuljahr 2014/2015 vorsieht. Um die Lehrkräfte bei der Integration des Werkzeugs in den Unterricht zu unterstützen, wurde in Zusammenarbeit von DZLM, dem Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes NRW, der Universität Duisburg-Essen und der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster die Fortbildung „GTR kompakt“ entwickelt. Strukturelle Vorgabe bei der Entwicklung war, dass sich die Fortbildung aus vier eintägigen Modulen zusammensetzen sollte und sich sowohl an mit dem Einsatz digitaler Werkzeuge vertraute Lehrkräfte als auch an unerfahrene Lehrpersonen richten sollte. Ebenso gab es grobe inhaltliche Vorgaben. Das erste Modul sollte einen Einstieg in das Arbeiten mit dem grafikfähigen Taschenrechner im Themenbereich der Funktionen bieten, das zweite Modul sollte Aufgaben zum Modellieren und Problemlösen fokussieren, das dritte Modul sollte die Gestaltung von Unterrichtsprozessen beim Einsatz des grafikfähigen Taschenrechners betrachten, während das vierte Modul den Einsatz des © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 D. Thurm, Digitale Werkzeuge im Mathematikunterricht integrieren, Essener Beiträge zur Mathematikdidaktik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-28695-8_3

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C) Konzeption und Durchführung der Fortbildung

Werkzeugs in Prüfungssituationen thematisieren sollte. Die genauere inhaltlich-methodische Ausgestaltung der Module war jedoch nicht im Vorfeld festgelegt. Eine weitere Vorgabe von Seiten der Projektpartner war, dass bei der Gestaltung der Module die spätere Dissemination („scalingup“) der Fortbildung mitgedacht wird. So sollte die entwickelte Fortbildung in das reguläre Fortbildungsprogramm des DZLM aufgenommen werden und dann auch von anderen Moderatoren in anderen Bundesländern durchgeführt werden können. Aus diesem Grund war es wichtig, die Fortbildungsmodule nachvollziehbar in einem einheitlichen Standard zu dokumentieren und beispielsweise genaue Modulablaufpläne zu erstellen. Die konkrete Planung der Fortbildung erstreckte sich von Anfang April bis November 2014 wobei verschiedene Personengruppen beteiligt waren. Das Kernteam bestand aus insgesamt ca. 12 Personen und setzte sich aus einer Mathematikdidaktikprofessorin und einem Mathematikdidaktikprofessor der Universität Duisburg-Essen, einem Mathematikdidaktikprofessor der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, drei zugehörigen wissenschaftlichen Mitarbeitern, die zum Teil langjährige Lehrerfahrung an Schulen aufwiesen, drei erfahrenen Lehrkräften, die neben ihrer Schultätigkeit bei der Medienberatung NRW tätig waren, und einer weiteren Lehrkraft aus dem Kompetenzteam Bergisch-Gladbach zusammen. Ebenfalls wurden Vertreter der Marktführer für grafikfähige Taschenrechner (CASIO, Texas-Instruments, SHARP, Hewlett Packard) eingeladen, wobei nur Texas-Instruments und Casio entsprechende Vertreter zu den Planungstreffen entsendeten. Die Einbindung der Produktvertreter sollte sicherstellen, dass während der Fortbildung Fragen der technischen Bedienung direkt aus erster Hand beantwortet werden konnten. Dies war vor allem daher relevant, da die Fortbildung weniger auf die Handhabung der Geräte, sondern auf eine didaktisch fundierte Integration der Werkzeuge abzielte. Die konkreten Fortbildungsziele und Inhalte wurde, unter Beachtung der strukturellen Vorgaben (siehe oben), basierend auf Forschungsergebnissen zum digitalen Werkzeugeinsatz (vgl. Kapitel 4 und 5) sowie der

8 Inhaltliche Gestaltung der Fortbildungsmodule

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Expertise der an der Konzeption beteiligten Akteure aus Wissenschaft, Schulpraxis und Bildungsadministration festgelegt. Bei der Gestaltung der Fortbildung wurde zudem besonders darauf geachtet, die Gestaltungsprinzipien effektiver Fortbildungen (vgl. Abschnitt 6.3) umzusetzen. Nach Abschluss der Planungsphase wurde die Fortbildung zwischen November 2014 und April 2015 in den Städten Essen, Münster und Bochum durchgeführt. Während der Fortbildung ermöglichte eine Moodle-Plattform den einfachen Austausch (z.B. von Fortbildungsmaterial) sowie die Kommunikation zwischen allen Teilnehmenden.

8 Inhaltliche Gestaltung der Fortbildungsmodule Im Folgenden wird die konkrete inhaltliche Durchführung der einzelnen Module vorgestellt bevor in Kapitel 9 die Umsetzung von wesentlichen Gestaltungsmerkmalen dargelegt wird. 8.1 Modul A – Einstieg Ziel des ersten Moduls war es einerseits, den didaktischen Hintergrund des Einsatzes digitaler Werkzeuge den Lehrpersonen bewusst zu machen sowie den noch unerfahrenen Lehrpersonen einen Einstieg in das Unterrichten mit digitalen Werkzeugen zu ermöglichen. Da zum Zeitpunkt der Durchführung der Fortbildung nur wenige Schulen digitale Werkzeuge einsetzten und so ein hoher Anteil von Lehrpersonen ohne Erfahrung im Unterrichten mit digitalen Werkzeugen in der Fortbildung zugegen war, musste hierbei insbesondere ein Augenmerk auf den Aufbau der Bedienkompetenz der noch unerfahrenen Lehrpersonen gelegt werden. Nach einer initialen Kennenlernphase und der Vorstellung des Fortbildungsablaufes wurde den Lehrpersonen zunächst in einer Inputphase der

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C) Konzeption und Durchführung der Fortbildung

didaktische Hintergrund des Einsatzes digitaler Werkzeuge vorgestellt. Dabei wurde zum Beispiel auf die Rolle von Repräsentationen und Repräsentationswechseln, sowie auf die Bedeutung von Grundvorstellungen beim Lernen von Mathematik eingegangen und aufgezeigt, welche Rolle digitale Werkzeuge in diesem Rahmen spielen können (vgl. Abschnitt 4.2). Abbildung 2 zeigt exemplarisch eine in diesem Kontext verwendete Folie.

Abbildung 2: Folie zum Hintergrund des Werkzeugeinsatzes

Im Anschluss an diese Inputphase folgte eine Arbeitsphase, in welcher die Lehrpersonen die Aufgabe „Potenzblume“ (vgl. Abschnitt 4.2, S. 34) bearbeiten sollten. Bei dieser Aufgabe muss ein vorgegebenes, aus verschiedenen Potenzfunktionen generiertes Bild mit Hilfe eines Funktionenplotters nachgezeichnet werden. Bei der Bearbeitung dieser Aufgabe kommt

8 Inhaltliche Gestaltung der Fortbildungsmodule

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insbesondere die Möglichkeit digitaler Werkzeuge zum Tragen, einfach in verschiedenen Darstellungsformen zu arbeiten, da zum Erstellen des Bildes ein stetiger Wechsel zwischen algebraischer und grafischer Darstellungsform erforderlich ist. Ebenso werden, je nachdem ob einzelne charakteristische Punkte oder der Verlauf der Graphen als Ganzes betrachtet werden, unterschiedliche Grundvorstellungen wie etwa der Objektaspekt, der Kovariationsaspekt oder der Zuordnungsaspekt betont. Da diese Aufgabe geringe Bedienkenntnisse erfordert, eignete sich diese Aufgabe zudem besonders für ein integratives Erlernen der Bedienung des digitalen Werkzeugs. Zur differenzierenden Unterstützung des Erlernens der Bedienung standen hierbei Hilfekarten für die unterschiedlichen Befehle zur Verfügung (siehe Kapitel 9). Zudem konnten die mit dem Werkzeug vertrauten Lehrpersonen die noch gänzlich unerfahrenen Lehrpersonen bei aufkommenden Fragen zur Bedienung unterstützen. Ebenso war jeweils ein Mitarbeiter von den beiden großen Herstellerfirmen (Casio, Texas Instruments) zugegen, um bei aufkommenden Problemen bei der Handhabung der Geräte zu helfen. Nachdem die Lehrpersonen die Potenzblume erstellt hatten, wurde zunächst in Gruppen reflektiert, welche Potenziale die Aufgabe bietet. Bei der Reflexion sollten vor allem die im Einführungsvortrag dargestellten didaktischen Hintergründe berücksichtigt werden. Die Ergebnisse wurden anschließend im Plenum diskutiert und gesammelt und es wurden potenzielle Einsatzmöglichkeiten der Aufgabe im Unterricht erörtert. Im zweiten Teil des Fortbildungstages wurden dann weitere Aufgabenformate zum Einsatz digitaler Werkzeuge fokussiert. Hierzu wurden unterschiedliche Aufgaben vorgestellt, welche die Lehrpersonen im Anschluss eigenständig bearbeiten und hinsichtlich der Rolle digitaler Werkzeuge bei der Bearbeitung reflektieren sollten. So bietet etwa die Aufgabe „Tangente im Mittelpunkt“ (vgl. Abschnitt 4.2, S. 34) die Möglichkeit, mit Hilfe von digitalen Werkzeugen selbst Hypothesen zu generieren und anhand verschiedener selbst generierter Beispiele zu überprüfen oder zu widerlegen.

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C) Konzeption und Durchführung der Fortbildung

Die Ergebnisse wurden anschließend in einer Plenumsdiskussion gesichert und diskutiert. Zum Abschluss erhielten die Lehrpersonen den Auftrag bis zum nächsten Fortbildungstag, eine der vorgestellten Aufgaben in ihrem eigenen Unterricht einzusetzen und die dabei gemachten Erfahrungen beim nächsten Fortbildungstermin vorzustellen. 8.2 Modul B – Modellieren mit digitalen Werkzeugen Ziel des zweiten Moduls war es, den Lehrpersonen das Potenzial digitaler Werkzeuge im Rahmen von Modellierungsaufgaben aufzuzeigen (vgl. Abschnitt 4.4). Hierzu wurde in einem Impulsreferat zunächst erläutert, an welchen Stellen im Modellierungskreislauf digitale Werkzeuge eine Rolle spielen können. Im Anschluss waren die Lehrpersonen aufgefordert, eine Modellierungsaufgabe (vgl. Abbildung 3) zur Verfügbarkeit der Erdölreserven mit Hilfe digitaler Werkzeuge zu bearbeiten. Bei der Bearbeitung der Aufgabe waren die Lehrpersonen angehalten, besonders darauf zu achten, an welchen Stellen im Modellierungsprozess der Werkzeugeinsatz auf welche Weise zum Tragen kommt. Die Ergebnisse wurden anschließend im Plenum diskutiert und reflektiert.

8 Inhaltliche Gestaltung der Fortbildungsmodule

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Abbildung 3: Modellierungsaufgabe zum Erdölverbrauch

Im weiteren Verlauf des Vormittages wurde schließlich die Nutzung von Messwertsensoren im Rahmen von Modellierungsprozessen thematisiert (vgl. Abschnitt 4.4). Nach einem kurzen Input zu den Möglichkeiten der Messwerterfassung mit digitalen Werkzeugen konnten die Lehrpersonen Temperatur- sowie Ultraschallsensoren anhand einer konkreten Aufgabe ausprobieren. So wurde etwa zur Nutzung des Ultraschallsensors die Aufgabe „Funktionen Laufen“ (vgl. Abbildung 4) bearbeitet, bei welcher vorgegeben Funktionsgraphen „nachgelaufen“ werden müssen.

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C) Konzeption und Durchführung der Fortbildung

Abbildung 4: Aufgabenausschnitt zum Ultraschallsensor

Im zweiten Teil des Fortbildungstages wurde das Modellieren mit digitalen Werkzeugen im Inhaltsbereich der Stochastik thematisiert. Hierzu wurde zunächst in einer Inputphase die Möglichkeiten der Simulation von Zufallsprozessen mit Hilfe digitaler Werkzeuge verdeutlicht. Im Anschluss bearbeiteten die Lehrpersonen die Aufgabe „Minute schätzen“ (Riemer 2012) sowie eine Aufgabe bei der die Verteilung der Kugeln beim Galtonbrett modelliert werden sollte. Gleichzeitig waren die Lehrkräfte aufgefordert, die Rolle digitaler Werkzeuge bei der Bearbeitung dieser Aufgaben zu analysieren. In einer anschließenden Plenumsdiskussion wurden die Ergebnisse gesichert und reflektiert. Nach der Diskussion der Ergebnisse wurde den Lehrpersonen abschließend noch weitere Aufgaben zu Modellierungskontexten aus den Inhaltsbereichen Stochastik sowie der

8 Inhaltliche Gestaltung der Fortbildungsmodule

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analytischen Geometrie für den Einsatz in ihrem Unterricht zur Verfügung gestellt. 8.3 Modul C – Unterrichtsprozesse mit digitalen Werkzeugen Zunächst wurde eine Reflexion des bisherigen Unterrichtseinsatzes angeregt. So sollten die Lehrkräfte sich darüber austauschen welche „Wege“ sich beim Einsatz digitaler Werkzeuge bewährt haben und an welchen Stellen besondere Vorsicht geboten ist. Die Ergebnisse wurden auf Moderationskarten festgehalten und von den Teilnehmenden vorgestellt. Anschließend erfolgte der Übergang zu einer Arbeitseinheit zur Gestaltung geeigneter Unterrichtsprozesse beim Einsatz digitaler Werkzeuge. Hier wurde die Gestaltung von Unterrichtsprozessen nach dem Black-Box/WhiteBox- und dem White-Box/Black-Box-Prinzip (vgl. Abschnitt 4.5) thematisiert. Um die unterschiedlichen Prinzipien deutlich zu machen, sollten die Lehrpersonen in einer Arbeitsphase zwei kontrastierende Unterrichtsstrukturen zum Inhaltsbereich der Potenzfunktionen analysieren. Eine Unterrichtsstruktur folgte dem Black-Box/White-Box-Prinzip, während die andere Unterrichtsstruktur auf dem White-Box/Black-Box-Prinzip basierte. Die bereits aus dem ersten Modul bekannte Aufgabe „Potenzblume“ (vgl. Abschnitt 4.2, S. 34) war dabei ein wichtiges Element von beiden Unterrichtsstrukturen. Im Rahmen des Black-Box/White-Box-Vorgehens diente die Aufgabe als Einstieg und Ausgangspunkt für selbständige Entdeckungen zu Potenzfunktionen. Bei der Unterrichtsstruktur, die dem WhiteBox/Black-Box-Vorgehen folgte, diente die Aufgabe hingegen als Übungsaufgabe, welche erst bearbeitet wird, nachdem die Potenzfunktionen ohne Hilfe digitaler Werkzeuge eingeführt wurden. Die Lehrpersonen untersuchten die beiden Unterrichtssequenzen hinsichtlich Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Dabei sollten zum Beispiel die angeregten Kompetenzen und die Art und Weise der Nutzung digitaler Werkzeuge in den Blick genommen werden. Die Ergebnisse wurden im Plenum vorgestellt und Schlüsse für den eigenen Unterricht diskutiert. Im Anschluss folgte ein

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C) Konzeption und Durchführung der Fortbildung

Vortrag zu Zeitpunkt und Funktionalität des Einsatzes digitaler Werkzeuge. Hierbei wurden weitere Möglichkeiten vorgestellt, inwiefern digitale Werkzeuge zum Einstieg in neue Inhalte oder zum Vertiefen von Inhalten genutzt werden können (vgl. Abbildung 5).

Abbildung 5: Folie zu Einsatzmöglichkeiten und Rolle digitaler Werkzeuge

Im zweiten Teil des Fortbildungstages stand der Einsatz digitaler Werkzeuge in Phasen des produktiven Übens (vgl. Abschnitt 4.2) im Mittelpunkt. In einer Input-Phase wurden den Lehrpersonen zunächst unterschiedliche Facetten des Wissens (vgl. Abschnitt 4.5), welche geübt werden können, vorgestellt (vgl. Abbildung 6). Den Lehrpersonen sollte dabei unter anderem verdeutlicht werden, dass ein erweitertes Verständnis von Üben nicht nur das Training prozeduraler Fertigkeiten, sondern im Sinne

8 Inhaltliche Gestaltung der Fortbildungsmodule

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eines produktiven Übens auch ein Vertiefen des konzeptuellen Wissens umfasst.

Abbildung 6: Folie zu Wissensfacetten in Anlehnung an Prediger et al. (2011)

Im Anschluss wurde den Lehrpersonen Übungsformate zum produktiven Üben mit digitalen Werkzeugen vorgestellt. Hierbei wurde etwa das in Abschnitt 4.2 vorgestellte Aufgabenformat der Verifizierung und Falsifizierung von gegebenen Aussagen diskutiert. Im Anschluss erhielten die Lehrpersonen den Auftrag, selber Aufgaben für das produktive Üben mit digitalen Werkzeugen zu entwickeln. Im Anschluss an die Arbeitsphase erfolgte die Vorstellung und Diskussion der Aufgaben im Plenum.

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C) Konzeption und Durchführung der Fortbildung

8.4 Modul D – Digitale Werkzeuge in Prüfungssituationen Im letzten Modul der Fortbildung wurde die Rolle digitaler Werkzeuge im Rahmen von Prüfungssituationen thematisiert. Dies ist deshalb von besonderer Relevanz, da der Einsatz von digitalen Werkzeugen im Unterricht insbesondere auch den Einsatz in Prüfungssituationen bedingen sollte (vgl. KMK 2012). So ist zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen der Einsatz digitaler Werkzeuge in der Abiturprüfung zwingend vorgeschrieben, wobei allerdings gleichzeitig ein hilfsmittelfreier Prüfungsteil von den Lernenden zu bearbeiten ist. Für Lehrpersonen ist daher von besonderer Relevanz, wie entsprechende Aufgabenformate für beide Prüfungsteile aussehen können. In einem ersten Impulsvortrag wurde zunächst eine Unterscheidung von Aufgaben nach Brown (2003) vorgestellt, bei welcher zwischen Aufgaben, die den Einsatz digitaler Werkzeuge erfordern, Aufgaben, bei denen der Einsatz hilfreich ist, Aufgaben, bei denen digitale Werkzeuge keine wesentliche Hilfe darstellen und Aufgaben, bei denen Werkzeugeinsatz ausgeschlossen ist, unterschieden wird. In dem Vortrag wurde zudem aufgezeigt, dass digitale Werkzeuge ein Katalysator dafür sein können, verstärkt prozessorientierte Prüfungsaufgaben einzubeziehen. Ebenso wurde verdeutlicht, dass der hilfsmittelfreie Prüfungsteil nicht nur aus algorithmisch abzuarbeitenden Aufgaben bestehen sollte, sondern alle Kompetenzen berücksichtigt werden sollten (vgl. Heinrich 2016, S. 30). In einer folgenden Arbeitsphase untersuchten die Lehrpersonen selbständig zwei Prüfungsaufgaben, die vom Kultusministerium NRW als exemplarische Prüfungsaufgaben für den Einsatz digitaler Werkzeuge veröffentlicht waren. Die Lehrpersonen untersuchten, inwieweit der Werkzeugeinsatz bei den einzelnen Aufgabenteilen erforderlich, optional, neutral oder ausgeschlossen ist und welche Potenziale digitaler Werkzeuge in den Aufgabenteilen jeweils angesprochen werden. Aufbauend auf den Ergebnissen der Aufgabenanalyse wurden im Folgenden Kriterien entwickelt, die bei der Gestaltung von Prüfungsaufgaben zu berücksichtigen sind. Diese

8 Inhaltliche Gestaltung der Fortbildungsmodule

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Kriterien wurden im Anschluss von den Lehrpersonen genutzt, um die zuvor analysierten Prüfungsaufgaben weiterzuentwickeln. Im zweiten Teil des Fortbildungstages stand das Thema der angemessenen Schülerdokumentation im Fokus. Dies ist vor allem daher von besonderer Relevanz, da durch den Einsatz digitaler Werkzeuge auch eine werkzeugspezifische Sprache in den Unterricht Einzug hält (vgl. Schacht 2014; 2018). So ist etwa oftmals zu beobachten, dass Lernende bei der Dokumentation ihrer Lösungen eine Schreibweise nutzen, welche werkzeugspezifische Befehle enthält. Aufbauend auf einer Unterscheidung zwischen Lern- und Leistungssituationen wurde diskutiert, in welchen Situationen welche Arten der Dokumentation geeignet sein können. So ist etwa in Leistungssituationen auf eine formale und fachgerechte Sprache sowie eine nachvollziehbare Argumentation zu achten, während die Dokumentation mit Hilfe von werkzeugspezifischer Sprache in Lernsituationen durchaus hilfreich sein kann (vgl. Abbildung 7).

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C) Konzeption und Durchführung der Fortbildung

Abbildung 7: Folie zu Dokumentationen von Schülerlösungen

Anschließend begutachteten und analysierten die Lehrpersonen anhand exemplarisch zur Verfügung gestellter Klausurlösungen welche Aspekte der Lösungen gut gelungen waren und welche Aspekte bei der Dokumentation fehlten. Aufbauend hierauf diskutierten die Lehrpersonen über die Kriterien, welche ihren Entscheidungen zugrunde lagen, und formulierten mögliche Rückmeldungen an die Lernenden. Im weiteren Verlauf waren die Lehrpersonen dann aufgefordert, ein fiktives, schulinternes Konzept zur Nutzung von Fach- und Werkzeugsprache im Unterricht zu entwickeln. Hierbei sollten die Lehrpersonen zum einen darauf achten, inwieweit die Dokumentation selber zum Lerngegenstand gemacht werden kann. Anderseits erörterten die Lehrpersonen, welche Aspekte der Dokumentation im Lehrerkollegium verbindlich festgelegt werden sollten und welche

9 Umsetzung der Gestaltungsprinzipien

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Aspekte dem individuellen Gestaltungsbereich der einzelnen Lehrkraft unterliegen sollte. Ebenso wurde die Frage diskutiert, wie sich Kriterien einer geeigneten Dokumentation den Lernenden im Unterricht transparent machen lassen. Zum Abschluss des letzten Fortbildungstages und damit auch der Fortbildung erfolgte eine Diskussion über Vor- und Nachteile von digitalen Werkzeugen in Abgrenzung zu einem traditionellen werkzeugfreien Unterricht. Zudem wurde die in der Praxis häufig aufkommenden Frage über die zu verwendende Hardware (z.B. Tablet, PC oder grafikfähigen Taschenrechner) aufgegriffen.

9 Umsetzung der Gestaltungsprinzipien Wie in Abschnitt 6.3 dargestellt, lassen sich aus der Literatur Gestaltungsprinzipien effektiver Fortbildungen identifizieren. Bei der Gestaltung der vorliegenden Fortbildung war es daher insbesondere Ziel, diese Gestaltungsprinzipien so weit wie möglich umzusetzen. Im Folgenden wird anhand ausgewählter Beispiele exemplarisch dargelegt, wie diese Gestaltungsprinzipien in der vorliegenden Fortbildung umgesetzt wurden. Als ein wesentliches Merkmal erfolgreicher Fortbildungen lässt sich zunächst eine ausreichende Dauer der Fortbildung nennen. Durch die vier ganztägigen Fortbildungstage, wurde insgesamt eine Präsenzzeit von knapp 30 Stunden erreicht wurde, was als untere Grenze effektiver Fortbildungen angesehen werden kann (vgl. Abschnitt 6.3). Um zudem eine hohe Lehr-Lern-Vielfalt zu ermöglichen, wurden die vier Präsenztage über ein halbes Jahr verteilt, so dass die Lehrpersonen zwischen den einzelnen Fortbildungstagen die Möglichkeit hatten, die Inhalte in ihrem eigenen Unterricht zu erproben. Allerdings fehlten konkrete Umsetzungsanforderungen für einem Mindestmaß an Verbindlichkeit, so dass nicht nachvollzogen werden kann, inwieweit die Erprobungsphasen auch

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C) Konzeption und Durchführung der Fortbildung

genutzt wurden. Während der Präsenzveranstaltungen wurde darauf geachtet, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen plenaren Phasen, individueller Auseinandersetzung und kollaborativen Arbeitsweisen in Kleingruppen zu schaffen. Um dem Kriterium der Kompetenzorientierung gerecht zu werden, standen bei der Entwicklung und Durchführung der Fortbildung die von den Lehrpersonen zu entwickelnden Kompetenzen im Mittelpunkt. So wurden zu jedem Fortbildungsmodul die anzustrebenden Kompetenzen sowie die zentralen Inhalte auf einem standardisierten Modulbogen festgehalten. Dies unterstützte auch eine möglichst ähnliche Durchführung der Fortbildung an den drei Standorten in Essen, Bochum und Münster. Zu jeder Aufgabe wurde zudem ein standardisiertes Informationsblatt erstellt, welches die Kompetenzerwartungen an die Lernenden sowie die hierbei realisierbaren Potenziale digitaler Werkzeuge aufzeigt (vgl. Abbildung 8). Durch die Standardisierung sollte sichergestellt werden, dass auch bei einem späteren scaling-up der Fortbildung die Kompetenzorientierung als zentrales Gestaltungsprinzip durchgängig Berücksichtigung findet.

9 Umsetzung der Gestaltungsprinzipien

Abbildung 8: Informationsblatt zur Aufgabe „Potenzblume“

141

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C) Konzeption und Durchführung der Fortbildung

Um die Teilnehmendenorientierung sicherzustellen, wurde versucht während der gesamten Fortbildung auf die individuellen Bedarfe der Teilnehmenden einzugehen. So wurde zum Beispiel vor Beginn der Fortbildung eine Abfrage der Vorkenntnisse, Wünsche, Erwartungen und Einstelllungen zum Unterrichten mit dem grafikfähigen Taschenrechner an die teilnehmenden Lehrpersonen versandt. Die Rückmeldungen zeigten, dass die teilnehmenden Lehrkräfte deutlich geringere Bedienkenntnisse hatten als erwartet. Aus diesem Grunde wurde das erste Modul inhaltlich reduziert, so dass mehr Zeit für das Erlernen der Werkzeughandhabung zur Verfügung stand. Um den individuellen Vorerfahrungen und den individuellen Lernprozessen der teilnehmenden Lehrpersonen Rechnung zu tragen, wurde zudem ein umfangreiches Set an gerätespezifischen Hilfekarten entwickelt und während der Fortbildung bereitgestellt. Diese Hilfekarten bieten kurze Anleitungen zu den gängigsten Werkzeugoperationen. Die Hilfekarten standen dabei sowohl für die Geräte von Texas Instruments als auch von Casio zur Verfügung. Zu Beginn und Ende eines jeden Fortbildungstages wurden weiterhin die individuellen Wünsche der Lehrpersonen für das kommende Modul erfasst, um diese gezielt aufgreifen zu können. Um einen hohen Fallbezug zu erreichen, wurde versucht alle Fortbildungsinhalte möglichst eng mit der unterrichtlichen Praxis der Lehrpersonen zu verknüpfen. So analysierten die Lehrpersonen etwa im vierten Modul teilweise Schülerdokumentationen ihrer eigenen Schülerinnen und Schüler. Ein Aufruf zum Mitbringen entsprechender Dokumente erfolgte dabei schon im zweiten Modul. Ebenso wurde versucht, die in den Praxisphasen gemachten Erfahrungen der Lehrpersonen als Ausgangspunkt des Lernprozesses in der Fortbildung zu nutzen. Dies gelang jedoch eher selten und basierte, wenn dann auf verbalen Fallbeschreibungen einzelner Lehrkräfte. Eine konkrete Arbeit an von den Lehrpersonen mitgebrachten Aufgaben, Schülerlösungen oder Unterrichtsvideos konnte als systematischer Bestandteil der Fortbildung nicht realisiert werden. Insgesamt muss somit festgestellt werden, dass der Fallbezug hinter den Möglichkeiten zurückblieb.

9 Umsetzung der Gestaltungsprinzipien

143

Um eine hohe Reflexionsförderung umzusetzen, wurde einerseits immer wieder angeregt, über die Potenziale des Werkzeugeinsatzes für den mathematischen Lernprozess zu reflektieren. Ebenso wurde die mögliche Verwendung der Aufgaben für den eigenen Unterricht reflektiert. Dabei ergaben sich oftmals sehr produktive Diskussionen, in denen von den Teilnehmenden ganz unterschiedliche Überzeugungen zum digitalen Werkzeugeinsatz expliziert wurden. Eine tiefergehende Reflexion des gegenwärtigen Unterrichts der Lehrkräfte mit digitalen Werkzeugen konnte jedoch nur bedingt angeregt werden. Dies war auch dem geringen Fallbezug geschuldet, da sich aufgrund des Fehlens von konkretem Unterrichtsmaterial aus der Praxis der Lehrkräfte und dem Verzicht auf den Einsatz von Unterrichtsvideos weniger konkrete Reflexionsmöglichkeiten ergaben. Um das Gestaltungsprinzip der Kooperationsanregung umzusetzen, wurde während der Fortbildung gezielt in Gruppen gearbeitet, um beispielsweise gemeinsam über Unterrichtspraktiken und Materialien zu reflektieren. Um die Kooperation auch außerhalb der Fortbildung zu etablieren, war ursprünglich angedacht, dass jeweils zwei Lehrpersonen derselben Schule als Lehrertandems an der Fortbildung teilnehmen. Aufgrund der starken Nachfrage nach der Fortbildung konnte dem jedoch aus bildungspolitischen Gründen nicht Rechnung getragen werden, da die Personalräte das Kriterium der Kooperation bei der Auswahl der Teilnehmenden nicht in den Vordergrund stellten. Aus diesem Grund gelang es leider kaum Kooperationen außerhalb der Präsenzveranstaltungen zu etablieren.

D) Fragestellung & Hypothesen der Arbeit Im theoretischen Hintergrund (Teil B) wurde dargelegt, dass die vielfältigen Potenziale, welche im Werkzeugeinsatz gesehen werden (vgl. Kapitel 4), in der Praxis nur bedingt realisiert werden (vgl. Abschnitt 5.1). Um eine stärkere Verankerung digitaler Werkzeuge zu erreichen, werden die Kompetenzen der Lehrkraft und insbesondere deren Überzeugungen als wichtige Ansatzpunkte gesehen (vgl. Kapitel 5) und man hofft, diese im Rahmen von Fortbildungen weiterzuentwickeln (vgl. Kapitel 6). In den Ausführungen wurde dabei deutlich, dass bisher differenzierte quantitative Erkenntnisse zum Beziehungsgefüge von Überzeugungen und digitalem Werkzeugeinsatz, sowie auch Erkenntnisse zur Gestaltung und Wirksamkeit von Fortbildungen zu digitalen Werkzeugen bisher fehlen. Die vorliegende Arbeit setzt an diesem Forschungsdesiderat an und hat das Ziel, die Befundlage hinsichtlich dieser Aspekte auszuschärfen. Im folgenden Kapitel wird durch die Formulierung der Forschungsfragen und entsprechender Hypothesen das Forschungsinteresse konkretisiert.

10 Forschungsfragen Forschungsfrage F1: Zusammenhänge Wie in Kapitel 5 dargelegt, spielen epistemologische Überzeugungen, technologiebezogene Überzeugungen sowie Selbstwirksamkeitsüberzeugungen eine entscheidende Rolle beim Einsatz digitaler Werkzeuge. Jedoch sind die Zusammenhänge zwischen diesen Überzeugungen und dem unterrichtlichen Einsatz digitaler Werkzeuge quantitativ noch wenig untersucht. Auch ist bisher unklar, inwiefern sich hinsichtlich der Ausprägung dieser Merkmale geschlechtsspezifische Unterschiede zeigen und wie sich diese Merkmale mit zunehmender Unterrichtserfahrung mit digitalen © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 D. Thurm, Digitale Werkzeuge im Mathematikunterricht integrieren, Essener Beiträge zur Mathematikdidaktik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-28695-8_4

146

D) Fragestellung & Hypothesen der Arbeit

Werkzeugen verändern. Kenntnisse in diesem Bereich sind jedoch für die Gestaltung von Fortbildungsmaßnahmen sehr wichtig, da hieraus zum Beispiel die Ableitung von Designempfehlungen möglich werden. Aus diesem Grunde ist es ein Ziel der vorliegenden Arbeit, die Zusammenhänge zwischen diesen Merkmalen weiter aufzuklären. Hierbei ist zum einen die Art der Zusammenhänge von Interesse, zum anderen ist aber auch die Stärke der Zusammenhänge von Relevanz. Dementsprechend wird folgende Forschungsfrage formuliert: F1: Welche Zusammenhänge bestehen zwischen technologiebezogenen Überzeugungen, epistemologischen Überzeugungen, Selbstwirksamkeitsüberzeugungen, Geschlecht, der Unterrichtserfahrung mit digitalen Werkzeugen sowie der Einsatzhäufigkeit digitaler Werkzeuge? Abbildung 9 stellt das untersuchte Beziehungsgefüge strukturiert dar. Dabei wurden die untersuchten Merkmale drei Ebenen zugeordnet. Die Ebene der Kovariablen umfasst das Geschlecht sowie die Zeitspanne, seitdem die Lehrkraft bereits mit digitalen Werkzeugen unterrichtet. Auf der Ebene der kognitiven Überzeugungen werden die in Kapitel 5) dargelegten Selbstwirksamkeitsüberzeugungen, technologiebezogenen Überzeugungen sowie die epistemologischen Überzeugungen betrachtet. Bezüglich des Unterrichts der Lehrkraft wird auf die Einsatzhäufigkeit fokussiert. Dies ist dadurch begründet, dass in der vorliegenden Studie ein quantitativer Ansatz gewählt wurde, bei dem die untersuchten Merkmale über anonyme Fragbögen erfasst werden. Solche Erhebungsformate sind im Allgemeinen geeignet, die Häufigkeit des Vorkommens bestimmter unterrichtlicher Elemente (wie etwa den Einsatz digitaler Werkzeuge) reliabel und valide zu erfassen. Die Qualität der Umsetzung lässt sich durch eine Selbsteinschätzung der Lehrkräfte jedoch nicht adäquat abbilden (vgl. Desimone 2009, S. 269 ff.). Um trotzdem in einem gewissen Sinne auch qualitative Aspekte zu erfassen, wird die Einsatzhäufigkeit digitaler Werkzeuge aber nicht als

10 Forschungsfragen

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eindimensionales Maß erfasst, sondern in verschiedene Bereiche ausdifferenziert (vgl. Teil F).

Abbildung 9: Übersicht über die untersuchten Merkmale

Forschungsfrage F2: Wirksamkeit Neben der Frage nach dem Beziehungsgefüge von Kovariablen, Überzeugungen und Einsatzhäufigkeit stellt sich in Anbetracht der bisher kaum vorhandenen Wirksamkeitsstudien zu Fortbildungen im Bereich digitaler Werkzeuge (vgl. Abschnitt 6.4) die Frage, inwieweit sich die Überzeugungen der Lehrkräfte wie auch die Einsatzhäufigkeit digitaler Werkzeuge im Rahmen von Fortbildungen verändern. Es wird daher der folgenden Forschungsfrage nachgegangen:

148

D) Fragestellung & Hypothesen der Arbeit

F2: Welche Akzeptanz ergibt sich für die beforschte Fortbildung und inwieweit ändern sich Selbstwirksamkeitsüberzeugungen, technologiebezogene Überzeugungen und die Einsatzhäufigkeit digitaler Werkzeuge durch die Fortbildung? Die Forschungsfrage nimmt somit verschiedene Wirkebenen (vgl. Abschnitt 6.2) in den Blick (vgl. Tabelle 1). Auf der ersten Ebene, werden die unmittelbaren Einschätzungen der Lehrkräfte zur Gestaltung der Fortbildung in den Blick genommen. Effekte auf Selbstwirksamkeitsüberzeugungen, technologiebezogene Überzeugungen und epistemologische Überzeugungen lassen sich der zweiten Wirkebene zuordnen. Die Einsatzhäufigkeit bildet hingegen eine Facette des unterrichtspraktischen Handelns ab und ist somit der dritten Wirkebene zuzuordnen. Wirkebene 1 - Akzeptanz Einschätzungen der Lehrkräfte zu inhaltlich-methodischen Aspekten der Fortbildung Wirkebene 2 – Lehrerkognitionen Selbstwirksamkeitsüberzeugungen Technologiebezogene Überzeugungen Epistemologische Überzeugungen Wirkebene 3 – unterrichtspraktisches Handeln Einsatzhäufigkeit digitaler Werkzeuge Tabelle 1: Untersuchte Merkmale gegliedert nach Wirkebene

11 Hypothesen Im folgenden Kapitel werden Hypothesen zu den zuvor dargelegten Forschungsfragen formuliert.

11 Hypothesen

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Hypothesen zur Forschungsfrage F1 Die Hypothesen zur ersten Forschungsfrage lassen sich aus den in Kapitel 5 dargestellten Befunden ableiten. Dabei können aufgrund von theoretischen Überlegungen und empirischen Studien jedoch nur Hypothesen über die Richtung der Zusammenhänge formuliert werden, Erwartungen über die Größenordnung der Zusammenhänge lassen sich nicht festmachen. Bezüglich des Zusammenhangs zwischen Überzeugungen der Lehrkräfte und der selbst eingeschätzten Einsatzhäufigkeit digitaler Werkzeuge werden die folgenden Hypothesen formuliert: •



Aufgrund der in Abschnitt 5.4 beschriebenen Befunde wird erwartet, dass konstruktivistische Lehr-Lern-Überzeugungen sowie eine dynamische Sichtweise auf die Mathematik mit einer erhöhten Einsatzhäufigkeit digitaler Werkzeuge zusammenhängen. Ebenso sollten höhere Selbstwirksamkeitsüberzeugungen und technologieaffine Überzeugungen mit einer stärkeren Werkzeugnutzung einhergehen (vgl. Abschnitt 5.3 und Abschnitt 5.5)

Zum Zusammenhang zwischen epistemologischen Überzeugungen, technologiebezogenen Überzeugungen und den Selbstwirksamkeitsüberzeugungen lassen sich die folgenden Hypothesen formulieren: •



Es wird erwartet, dass Lehrkräfte mit konstruktivistischen LehrLern-Überzeugungen sowie einer dynamischen Sichtweise auf die Mathematik stärker technologieaffine Überzeugungen zu digitalen Werkzeugen haben (vgl. Abschnitt 5.4). Bezüglich des Zusammenhangs zwischen Selbstwirksamkeitsüberzeugungen und technologiebezogenen Überzeugungen wird angenommen, dass stärker ausgeprägte Selbstwirksamkeitsüber-

150

D) Fragestellung & Hypothesen der Arbeit



zeugungen auch mit technologieaffineren Überzeugungen einhergehen. Zum Zusammenhang zwischen epistemologischen Überzeugungen und Selbstwirksamkeitsüberzeugungen lässt sich nur mittelbar eine Hypothese formulieren. Da erwartet wird, dass Lehrkräfte mit konstruktivistischen Lehr-Lern-Überzeugungen und einem dynamischen Bild von Mathematik häufiger digitale Werkzeuge einsetzen, könnte dieser häufigere Einsatz mit einer Stärkung der Selbstwirksamkeitsüberzeugungen in Verbindung stehen.

Weiterhin werden in der vorliegenden Arbeit die folgenden Hypothesen bezüglich der Kovariablen (Geschlecht und Unterrichtserfahrung mit digitalen Werkzeugen) formuliert: •



Basierend auf den Ausführungen in Abschnitt 5.5 lässt sich vermuten, dass Frauen geringere Selbstwirksamkeitsüberzeugungen bezüglich des Werkzeugeinsatzes aufweisen als Männer. Da in der vorliegenden Studie jedoch nicht auf die Selbstwirksamkeitsüberzeugungen bei der Bedienung der Geräte, sondern zur Gestaltung von Lernprozessen abgezielt wird, sollten die Unterschiede nur gering sein (vgl. Scherer & Siddiq 2015). Bezüglich der epistemologischen Überzeugungen werden keine geschlechtsspezifischen Differenzen erwartet (vgl. Li 1999). Auch bezüglich der technologiebezogenen Überzeugungen legen die Befunde von Pierce et al. (2009) keine geschlechtsspezifischen Unterschiede nahe. Bezüglich des Zusammenhangs zwischen der vorhandenen Unterrichtserfahrung mit digitalen Werkzeugen und den Selbstwirksamkeitsüberzeugungen wird angenommen, dass mit zunehmender Erfahrung auch die Selbstwirksamkeitsüberzeugungen der Lehrkräfte ansteigen (vgl. Abschnitt 5.5). Bezüglich der

11 Hypothesen

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epistemologischen Überzeugungen der Lehrkräfte ist hingegen zu vermuten, dass sich keine Zusammenhänge mit der Unterrichtserfahrung mit digitalen Werkzeugen zeigen (vgl. Abschnitt 5.4). Zusammenhänge zwischen der Einsatzhäufigkeit digitaler Werkzeuge und der Unterrichtserfahrung mit digitalen Werkzeugen werden aufgrund der Befunde von Goos & Bennison (2008), die keine Zusammenhänge finden, nicht erwartet. Bezüglich des Zusammenhangs zwischen technologiebezogenen Überzeugungen und Unterrichtserfahrung lässt sich an dieser Stelle keine Hypothese formulieren, da einerseits keine empirischen Befunde hierzu vorliegen und sich andererseits auch aus theoretischer Sicht keine eindeutigen Zusammenhänge postulieren lassen. So wäre einerseits denkbar, dass Lehrkräfte mit zunehmender Unterrichtserfahrung die Potenziale digitaler Werkzeuge verstärkt wahrnehmen. Andererseits könnten die besonderen Herausforderungen des Werkzeugeinsatzes dazu führen, dass der Werkzeugeinsatz aufgrund der zu bewältigenden vielfältigen Herausforderungen eben nicht gelingt und Lehrkräfte langfristig eher technologieaverse Überzeugungen entwickeln. Letztlich wäre aufgrund der in Abschnitt 5.4 beschriebenen engen Bindung zwischen epistemologischen und technologiebezogenen Überzeugungen auch denkbar, dass die in der Regel angenommene große Stabilität der epistemologischen Überzeugungen auch zu einer entsprechenden Stabilität der technologiebezogenen Überzeugungen führt und sich somit keine Zusammenhänge mit der Unterrichtserfahrung zeigen. Hypothesen zur Wirksamkeit der Fortbildungsmaßnahme •

Bezüglich der Forschungsfrage F2, welche sich auf die Wirksamkeit der Fortbildung bezieht, wird erwartet, dass durch die Fortbildung die Selbstwirksamkeitsüberzeugungen der Lehrkräfte gesteigert werden können, stärker technologieaffine Überzeugungen

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D) Fragestellung & Hypothesen der Arbeit



ausgebildet werden und digitale Werkzeuge auch häufiger eingesetzt werden. Dies lässt sich dadurch begründen, dass die inhaltlich-methodische Gestaltung der Fortbildung darauf abzielte, diese Aspekte bei den Lehrkräften zu verändern. Die Veränderung der zentralen Lehr-Lern-Überzeugungen und der Überzeugungen zum Mathematikbild stehen zwar nicht unmittelbar im Zentrum der Fortbildung, allerdings bezieht sich die Fortbildung schwerpunktmäßig auf einen Werkzeugeinsatz im Sinne konstruktivistischer Lehr-Lern-Prinzipien. Die Ausführungen in Abschnitt 5.4 legen jedoch nahe, dass der digitale Werkzeugeinsatz Lehrkräfte nur bedingt zu einer Veränderung grundsätzlicher Kernüberzeugungen anregt. Aus diesem Grunde werden, wenn überhaupt, nur geringe Effekte hinsichtlich der Entwicklung eines stärker konstruktivistischen Lehr-Lern-Verständnisses und eines dynamischeren Mathematikbildes erwartet.

E) Untersuchungsdesign und Methoden In diesem Teil der Arbeit wird auf das methodische Vorgehen zur Beantwortung der Forschungsfragen eingegangen. In Kapitel 12 wird dazu zunächst ein Überblick über die Gesamtanlage der Studie gegeben. In Kapitel 13 werden die methodologischen Grundlagen zur Entwicklung der Erhebungsinstrumente beschrieben. In Kapitel 14 wird das Vorgehen zur Beantwortung der ersten Forschungsfrage dargelegt, welche sich auf den Zusammenhang von technologiebezogenen Überzeugungen, Selbstwirksamkeitsüberzeugungen, epistemologischen Überzeugungen, Unterrichtserfahrung und Geschlecht bezieht. Schließlich thematisiert Kapitel 15 das methodische Vorgehen zur Beantwortung der zweiten Forschungsfrage, welche sich auf die Wirksamkeit der Fortbildung bezieht.

12 Untersuchungsdesign In einem Pretest-Posttest-Design wird in der vorliegenden Studie einerseits eine Experimentalgruppe aus Fortbildungsteilnehmenden und eine Gruppe von Lehrkräften, welche nicht an der Fortbildung teilgenommen haben, betrachtet. In beiden Gruppen wurden kurz nach dem ersten Fortbildungsmodul (Pretest) und nach Ablauf des letztens Moduls (Posttest) die Selbstwirksamkeitsüberzeugungen, die epistemologischen Überzeugungen, die technologiebezogenen Überzeugungen, die Einsatzhäufigkeit digitaler Werkzeuge, das Geschlecht sowie die bisherige Unterrichtserfahrung mit digitalen Werkzeugen über quantitative Fragebögen erfasst (siehe Tabelle 2). Um die Forschungsfrage F1 zu beantworten, werden in einer querschnittlichen Analyse die gepoolten Pretest-Daten aus Experimental- und Kontrollgruppe verwendet. Für die Beantwortung der Forschungsfrage F2 wird © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 D. Thurm, Digitale Werkzeuge im Mathematikunterricht integrieren, Essener Beiträge zur Mathematikdidaktik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-28695-8_5

154

E) Untersuchungsdesign und Methoden

hingegen in einer längsschnittlichen Betrachtung die Entwicklung in der Experimentalgruppe mit der Entwicklung der Kontrollgruppe verglichen. Abbildung 10 gibt einen Überblick über die Gesamtanlage der Studie.

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Abbildung 10: Überblick über den Verlauf der Studie

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12 Untersuchungsdesign

Merkmal

Erfassung

Geschlecht Bisherige Unterrichtserfahrung mit digitalen Werkzeugen (in Jahren) Epistemologische Überzeugungen Technologiebezogene Überzeugungen Selbstwirksamkeitsüberzeugungen Einsatzhäufigkeit digitaler Werkzeuge

Einzelitem Einzelitem: „Wie viele Jahre Unterrichtserfahrung haben Sie mit dem GTR?“ Quantitativer Fragebogen (vgl. Kapitel 19) Quantitativer Fragebogen (vgl. Kapitel 17) Quantitativer Fragebogen (vgl. Kapitel 16) Quantitativer Fragebogen (vgl. Kapitel 18)

Messzeitpunkt Pretest Pretest Pre- und Posttest Pre- und Posttest Pre- und Posttest Pre- und Posttest

Tabelle 2: Übersicht über die erfassten Merkmale

Durchführung der Erhebung Die an der Fortbildung teilnehmenden Lehrkräfte wurden über eine öffentliche Ausschreibung der Bezirksregierungen in Nordrhein-Westfalen gewonnen. Aufgrund der großen Anzahl an interessierten Lehrkräften erfolgte eine Auswahl der Teilnehmenden unter Beteiligung der jeweiligen Personalräte. Insgesamt wurden zu jedem Standort 30 Lehrkräfte zugelassen. Aufgrund organisatorischer Gegebenheiten war es nicht möglich, den ersten Erhebungszeitpunkt vor die Durchführung des ersten Fortbildungsmoduls zu legen. Stattdessen wurde zu Beginn der ersten Fortbildungsveranstaltung durch den Autor der vorliegenden Arbeit um eine Teilnahme an der Studie gebeten. Den Lehrkräften, die sich zur Teilnahme bereit erklärten, wurde dann nach Ende des ersten Fortbildungsmoduls ein Fragebogen mitgegeben, welcher die in Tabelle 2 aufgeführten Instrumenten umfasste10. Ebenso erhielten die Lehrkräfte einen vorfrankierten Rückum10

Der Originalfragebogen ist im Anhang (Teil K)) zu finden.

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E) Untersuchungsdesign und Methoden

schlag um den Fragebogen postalisch zurücksenden zu können. Der Posttest wurde allen an der Studie interessierten Fortbildungsteilnehmenden am Ende des letzten Fortbildungsmoduls zusammen mit einem vorfrankierten Rückumschlag mitgegeben. Zur Gewinnung einer Kontrollgruppe wurden im Oktober 2014 alle Schulen mit gymnasialer Oberstufe in Nordrhein-Westfalen per E-Mail und Rundschreiben kontaktiert. Die Anmeldung zur Studie war im Folgenden über eine eigens eingerichtete Webseite möglich. Zeitgleich mit der Ausgabe der Fragebögen in der Experimentalgruppe wurden die entsprechenden Fragebögen mit einem vorfrankierten Rückumschlag postalisch der Kontrollgruppe zugesandt. Um eine anonyme Verknüpfung der Fragebogen zu Pre- und Posttestzeitpunkt zu ermöglichen, wurde in den Fragebögen der Experimental- und Kontrollgruppe ein Code verwendet, welcher sich aus dem dritten Buchstaben des Vornamens des Vaters, dem dritten Buchstaben des Vornamens der Mutter dem ersten Buchstaben des Geburtsortes sowie der Summe des Geburtstages und Geburtsmonats zusammensetzte.

13 Entwicklung der Erhebungsinstrumente Um die Forschungsfragen F1 und F2 beantworten zu können, müssen die epistemologischen Überzeugungen, die technologiebezogenen Überzeugungen, die Selbstwirksamkeitsüberzeugungen und die Einsatzhäufigkeit digitaler Werkzeuge bei den Lehrkräften valide erfasst werden. Da entsprechende Erhebungsinstrumente zur Erfassung der technologiebezogenen Überzeugungen der Selbstwirksamkeitsüberzeugungen sowie der Einsatzhäufigkeit nicht zur Verfügung standen, mussten entsprechende Instrumente neu- beziehungsweise weiterentwickelt werden (vgl. Teil F)). Im

13 Entwicklung der Erhebungsinstrumente

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folgenden Kapitel werden die methodischen Grundlagen beschrieben, auf denen diese Entwicklung basierte. Dazu werden in Abschnitt 13.1 zunächst allgemeine Gütekriterien von psychometrischen Fragebögen dargelegt. Anschließend werden in Abschnitt 13.2 Grundlagen der Fragebogenentwicklung beschrieben, bevor in Abschnitt 13.3 auf die empirische Überprüfung des Fragebogenentwurfs eingegangen wird. 13.1 Tests und Testgütekriterien Definition Test Als Definition für einen Test wird im Folgenden die Definition von Lienert & Raatz (1998) zugrunde gelegt: „Ein Test ist ein wissenschaftliches Routineverfahren zur Untersuchung eines oder mehrerer empirisch abgrenzbarer Persönlichkeitsmerkmale mit dem Ziel einer möglichst quantitativen Aussage über den relativen Grad der individuellen Merkmalsausprägung.“ (Lienert & Raatz 1998, S. 1) Ein Test soll also bestimmte Eigenschaften, Fertigkeiten oder Fähigkeiten von Personen erfassen, die auch als Konstrukte oder latente Variablen bezeichnet werden (vgl. Bühner 2011, S. 39). Da die zu erfassenden Persönlichkeitsmerkmale in der Regel nicht direkt messbar sind, müssen diese aus dem beobachtbaren Verhalten einer Person erschlossen werden (vgl. Bühner 2011, S. 31). Die Konstrukte werden daher in der Regel über Indikatoren oder Items operationalisiert, wobei die Antworten der Probanden auf die Items das beobachtbare Verhalten darstellen. Ein Item ist dementsprechend „die kleinste Beobachtungseinheit in einem Test, sozusagen der elementare Baustein, aus dem ein Test aufgebaut ist“ (Rost 2004, S. 55). Der Begriff Fragebogen wird häufig synonym zum Begriff des Tests verwendet, findet jedoch auch als Sammelausdruck für verschiedenste Arten

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E) Untersuchungsdesign und Methoden

von schriftlichen Erhebungen Verwendung, die über psychologische Tests im Sinne der obigen Definition hinausreichen (vgl. Moosbrugger & Kelava 2012a, S. 2). Moosbrugger & Kelava (2012a) fordern auch für diese Erhebungsformate, dass die „mittels der Testgütekriterien geforderten Qualitätsansprüche möglichst große Beachtung finden“ (Moosbrugger & Kelava 2012a, S. 2). Dies bedeutet für die vorliegende Arbeit, dass nicht nur für die Fragebögen zur Erfassung der epistemologischen Überzeugungen, der technologiebezogenen Überzeugungen und der Selbstwirksamkeitsüberzeugungen, sondern auch für den Fragebogen zur Erhebung der Einsatzhäufigkeit digitaler Werkzeuge, welcher keinen Test im obigen Sinne darstellt (da hier kein Persönlichkeitsmerkmal erfasst wird), die im Folgenden skizzierten Gütekriterien für Tests anzuwenden sind. Die Konstruktion der Testinstrumente dieser Arbeit stützt sich im Wesentlichen auf die klassische Testtheorie (vgl. Lord & Novick 1968; Steyer & Eid 2001), welche als wichtige mathematische Fundierung vieler psychologischer Tests gilt (vgl. Moosbrugger 2012, S. 104). Hauptmerkmal der Theorie ist, dass sich die über einen Test ermittelte Merkmalsausprägung aus einer tatsächlichen Merkmalsausprägung sowie einem zufälligen unsystematischen Messfehler zusammensetzt. Testgütekriterien Gütekriterien für Tests lassen sich in Haupt- und Nebengütekriterien unterscheiden. Zu den Hauptgütekriterien zählen Objektivität, Reliabilität, Validität und Skalierbarkeit während Normierung, Vergleichbarkeit, Ökonomie, Nützlichkeit, Zumutbarkeit, Fairness sowie Nicht-Verfälschbarkeit zu den Nebengütekriterien gezählt werden (vgl. Bühner 2011, S. 75; Lienert & Raatz 1998, S. 7). Im Folgenden sollen kurz die drei wichtigsten Hauptgütekriterien Objektivität, Reliabilität und Validität dargestellt werden.

13 Entwicklung der Erhebungsinstrumente

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Objektivität eines psychometrischen Tests bedeutet, dass der Test bei Durchführung und Auswertung nicht vom jeweiligen Testleiter oder Untersucher abhängt. Lienert & Raatz (1998) sprechen in diesem Zusammenhang auch von „interpersonaler Übereinstimmung“ (Lienert & Raatz 1998, S. 7). Um Objektivität zu erreichen, sollten insbesondere Durchführungsbedingungen für den Test beschrieben werden. Ebenso sollte die Auswertung des Tests sowie die Interpretation der Testergebnisse standardisiert sein um Auswertungsobjektivität und Interpretationsobjektivität sicherzustellen. (vgl. Bühner 2011, S. 59; Lienert & Ratz 1998, S. 8) Die Reliabilität eines Tests beschreibt den Grad der Präzision, mit dem ein Test das gewünschte Merkmal erfasst (vgl. Moosbrugger & Kelava 2012b, S. 11). Da die „wahren Werte“ eines Merkmales bei einer Messung in der Regel unbekannt sind und nur die messfehlerbehafteten Werte vorliegen, werden unterschiedliche Verfahren genutzt um die Reliabilität eines Tests zu schätzen. Hierzu gehören die Reliabilitätsbestimmung über die Retestreliabilität, die Paralleltestreliabilität, die Testhalbierungsreliabilität sowie die Bestimmung der internen Konsistenz (vgl. Bortz & Döring 2006, S. 196; Bühner 2011, S. 161; Schermelleh-Engel & Werner 2012). Dabei ist die Berechnung der internen Konsistenz mit dem Gütemaß Cronbachs α (Cronbach 1951), welche sich auf die Korrelation der Items untereinander bezieht, am gängigsten (vgl. Schermelleh-Engel & Werner 2012, S. 130). Diese wird daher auch in der vorliegenden Arbeit zur Beurteilung der Reliabilität der Tests verwendet. Bei der Testentwicklung sollte generell eine möglichst hohe Reliabilität angestrebt werden, wobei sich allerdings keine allgemeingültigen Zielgrößen nennen lassen (vgl. Schermelleh-Engel & Werner 2012, S. 135). Gibt es für ein zu erfassendes Merkmal etwa noch keinen verfügbaren Test, so wird man sich unter Umständen auch mit niedrig reliablen Tests zufriedengeben. Weiterhin richtet sich die Höhe der anzustrebenden Reliabilität auch danach, ob das Instrument zur Individual- oder Kollektivdiagnostik genutzt werden soll, wobei für die Individualdiagnostik höhere Anfor-

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E) Untersuchungsdesign und Methoden

derungen an die Reliabilität gestellt werden. Da in der vorliegenden Arbeit keine Individualdiagnostik intendiert wird, können daher auch niedrigere Reliabilitäten akzeptabel sein. Ebenfalls spielt bei der Frage, welche Höhe der Reliabilität als hinreichend gut angesehen werden kann, die Art des zu messenden Konstruktes eine entscheidende Rolle. So lassen sich zum Beispiel Leistungsmerkmale wie Intelligenz häufig genauer messen als Überzeugungen. (vgl. Schermelleh-Engel & Werner 2012, S. 135 ff.) Auch wenn keine allgemeingültigen Aussagen zur anzustrebenden Höhe der Reliabilität möglich sind, werden oftmals sogenannte Daumenregeln herangezogen. So wird zum Beispiel bezüglich Cronbachs α bei Werten von 0.70-0.80 von akzeptabler Reliabilität gesprochen (vgl. z.B. Bland & Altman 1997, S. 572), während Werte von über 0.80 als gut angesehen werden (vgl. z.B. Bortz & Döring 2006, S. 725). Unter der Validität eines Testinstruments versteht man das Ausmaß, mit dem ein Test tatsächlich das misst, was er zu messen intendiert. In einem engeren Sinne wird darunter vor allem die Inhaltsvalidität eines Testes gefasst. Diese ist dann gegeben, wenn der Test das zu messende Konstrukt hinreichend präzise erfasst und nicht ein anderes Konstrukt oder einen Überschneidungsbereich misst (vgl. Bühner 2011, S. 61 ff.) Allerdings ist es nicht einfach die Inhaltsvalidität eines Tests zu bestimmen, insbesondere ist es nicht möglich sie empirisch zu prüfen. Stattdessen wird Inhaltsvalidität aufgrund fachlicher Überlegungen, beispielsweise durch den Einbezug von Expertinnen und Experten, ermittelt und beruht somit auf subjektiven Einschätzungen (vgl. Moosbrugger & Kelava 2012b, S. 15). 13.2 Methoden der Testentwicklung Die Entwicklung eines Tests kann in verschiedene Schritte unterteilt werden, welche auch bei den in dieser Arbeit entwickelten Instrumente durchlaufen wurden.

13 Entwicklung der Erhebungsinstrumente

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Definition des zu messenden Konstruktes & Festlegung der Zielgruppe Zu Beginn der Testentstehung erfolgt die genaue Identifizierung des Merkmales, welches erfasst werden soll. Hierzu sollte insbesondere eine Literaturrecherche durchgeführt werden, um eine genaue Definition des zu messenden Konstruktes sowie eine Abgrenzung zu anderen Konstrukten sicherzustellen. Ebenso muss die angestrebte Zielgruppe des Tests festgelegt werden. (vgl. Bühner 2011, S. 87 ff.; Jonkisz et al. 2012, S. 28 ff.) Festlegung des Itemformats und der Antwortdimension Im Weiteren ist festzulegen, in welcher Form die Items des Tests formuliert werden sollen und wie das Antwortformat aussehen soll. So werden etwa Likert-Skalen häufig zur Messung von Überzeugungen genutzt. Befragte bewerten hier eine Aussage auf einer bipolaren Antwortskala (z.B. trifft überhaupt nicht zu, trifft nicht zu, teils/teils, trifft zu, trifft voll und ganz zu). Bei der Frage nach der idealen Anzahl an Auswahlmöglichkeiten deuten Studien darauf hin, dass fünf bis sieben Antwortkategorien optimal für eine reliable und valide Messung sind (vgl. Krosnick & Presser 2010, S. 268 ff.). Diskutiert wird in der Literatur zudem, ob eine Mittelkategorie angeboten werden soll (vgl. z.B. Krosnick & Fabrigar 1997, S. 147 ff.). Auch wenn das Anbieten einer Mittelkategorie zu Problemen führen kann, wird empfohlen eine Mittelkategorie zu verwenden (vgl. Krosnick & Presser 2010). Dadurch soll insbesondere verhindert werden, dass Testpersonen mit einer mittleren Einstellung gezwungen werden andere Antwortalternativen zu wählen und die Ergebnisse so verzerren. Konstruktionsstrategien für Testitems Nach der Festlegung des zu messenden Konstrukts sowie des geplanten Item- und Antwortformats ist es das Ziel, inhaltsvalide Items zu generieren, welche ausschließlich das zu messende Merkmal abbilden. Beim

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E) Untersuchungsdesign und Methoden

rationalen Konstruktionsprinzip werden Items aus vorhandenen Theorien zum Konstrukt abgeleitet. Diese Methode bietet sich vor allem dann an, wenn eine elaborierte Theorie für das zu messende Konstrukt existiert (vgl. Bühner 2011, S. 93). So liegt etwa zu Selbstwirksamkeitsüberzeugungen eine gut ausgearbeitete Theorie (vgl. Abschnitt 5.5) vor, welche insbesondere eine klare Definition des zu messenden Konstruktes bereitstellt, auf deren Basis dann Items formuliert werden können. Zur Itemgenerierung können dabei auch eigene Erfahrungen und Beobachtungen, qualitative Voruntersuchungen mit der intendierten Zielgruppe oder die Befragungen von Experten beitragen. Auch können vorhandene Fragebögen als Ideenspender genutzt werden. (vgl. Mummendey & Grau 2014, S. 64 ff.) Itemrevision Nach der Konstruktion des Itempools ist es notwendig, diesen vor allem im Hinblick auf sprachliche Gesichtspunkte hin zu untersuchen. Dabei sind Faktoren wie sprachliche Verständlichkeit sowie die Eindeutigkeit des Itemtextes von besonderer Bedeutung. Viele weitere zu beachtende Kriterien finden sich zum Beispiel bei Bortz & Döring (2006, S. 244 ff.), Bühner (2011, S. 133 ff.), Mummenday & Grau (2014, S. 66) sowie Porst (2014, S. 99). Bei der Konstruktion von Items, welche Überzeugungen messen sollen, ist zusätzlich darauf zu achten, dass nach Möglichkeit die Items keine Tatsachen beschreiben, da sie ansonsten „keine Meinung, sondern allenfalls Fachkenntnisse“ (Bortz & Döring 2006, S. 255) messen. Um sicherzustellen, dass die konstruierten Items für die intendierte Zielgruppe tauglich sind, wird zudem empfohlen, kognitive Interviewtechniken (vgl. Prüfer & Rexroth 2005) wie die Methode des lauten Denkens oder des Nachfragens mit Probanden der Zielgruppe durchzuführen. Durch diese Techniken können ungünstige Formulierungen, widersprüchliche Aussagen, verwirrender Satzbau beziehungsweise die Eignung der Antwortformate identifiziert werden. (vgl. Bühner 2011, S. 89 ff.)

13 Entwicklung der Erhebungsinstrumente

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13.3 Deskriptivstatistische Evaluation Nach der Entwicklung der Testitems sollten diese anhand einer Stichprobe einer deskriptivstatistischen Evaluation (auch Itemanalyse genannt) unterzogen werden. Zur Itemanalyse zählen insbesondere die Bestimmung der Itemschwierigkeiten, der Itemvarianzen und der Trennschärfe der Items. Mit Hilfe der Itemschwierigkeiten wird untersucht, in welchem Ausmaß ein Test Merkmalsdifferenzen von Probanden identifizieren kann. Hierzu ist es notwendig, dass die einzelnen Items geeignet sind, interindividuelle Unterschiede zu erfassen. Wird etwa einem Testitem von allen Personen auf einer Likert-Skala maximal zugestimmt, so ist dieses Item nicht geeignet um Merkmalsdifferenzen zwischen den Probanden zu identifizieren. Zur Bestimmung der Schwierigkeit kann das arithmetische Mittel der Itemantworten der Probanden auf einer mehrstufigen Antwortskala herangezogen werden, wobei eine hohe Itemschwierigkeit durch einen hohen Itemmittelwert gekennzeichnet ist (vgl. Bühner 2011, S. 87, S. 235; Kelava & Moosbrugger 2012, S. 76). Items mit einer mittleren Itemschwierigkeit und hoher Itemvarianz sind am besten zur Differenzierung zwischen Probanden geeignet. Soll der Test auch zwischen Probanden mit extremen Merkmalsausprägungen differenzieren, so sollten auch Items mit hohen und niedrigen Schwierigkeiten einbezogen werden. (vgl. Kelava & Moosbrugger 2012, S. 87) Als weiteres deskriptivstatistisches Maß zur Beurteilung der Items kann die Itemtrennschärfe herangezogen werden. Diese drückt den korrelativen Zusammenhang zwischen den Itemwerten und dem Summenwert der übrigen Items einer Skala aus. Der Summenwert wird um den Beitrag des entsprechenden Items bereinigt, um eine Überschätzung der Trennschärfe zu verhindern. Die Trennschärfe spiegelt wider, wie gut sich das Testergebnis auf Basis der Beantwortung eines einzelnen Items vorhersagen

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E) Untersuchungsdesign und Methoden

lässt. (vgl. Bortz & Döring 2006, S. 219 ff.; Kelava & Moosbrugger 2012, S. 84 ff.) Durch die Itemanalyse können diejenigen Items identifiziert werden, welche zur Messung des Merkmals geeignet sind. Hierzu ist es relevant, dass die Items eine ausreichend hohe Itemvarianz und Trennschärfe aufweisen. Bortz & Döring (2006, S. 220) geben als untere Grenze für die Trennschärfe einen Wert von 0.3 an und kennzeichnen Werte über 0.5 als hohe Werte. Es ist jedoch zu beachten, dass Schwierigkeit und Trennschärfe zusammenhängen und extremere Ausprägungen der Schwierigkeit eines Items zu einer geringeren Trennschärfe führen. 13.4 Konfirmatorische Faktorenanalyse Neben der deskriptivstatistischen Evaluation umfasst eine empirische Überprüfung des Fragebogens auch die Durchführung einer konfirmatorischen Faktorenanalyse (CFA=confirmatory factor analysis). Hiermit lässt sich überprüfen, inwiefern sich die theoretisch vorgegebene Dimensionalität des Tests auch empirisch bestätigen lässt. Dabei gibt die Dimensionalität eines Tests an, ob ein globales Konstrukt oder mehrere Teilkonstrukte mit dem Test erfasst werden. (vgl. Bortz & Döring 2006, S. 203; Bühner 2011, S. 63 ff.) Methodologisch ist die CFA in die Gruppe der Strukturgleichungsmodelle eingebettet. Der entscheidende Vorteil von Strukturgleichungsmodellen ergibt sich aus der Eigenschaft, manifeste sowie latente, also nicht beobachtbare Variablen, modellieren zu können. Strukturgleichungsmodelle überprüfen dabei, inwiefern die aufgrund der Hypothesen festgelegte Kovarianzmatrix mit der empirischen Kovarianzmatrix übereinstimmt. Hierbei werden sowohl Beziehungen zwischen den latenten Variablen aber auch Messfehler in den unabhängigen Variablen berücksichtigt. Durch diese Kontrolle der Fehlervarianzen wird eine valide Erfassung der

13 Entwicklung der Erhebungsinstrumente

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Zusammenhänge zwischen den Konstrukten ermöglicht, da die Reliabilität einer Messung bei der Schätzung mitberücksichtigt wird. Schätzung der Modellparameter Zur Durchführung einer CFA wird zunächst ein Messmodell spezifiziert, welches die Annahmen über Zusammenhänge zwischen den Items und latenten Variablen widerspiegelt. Hier muss festgelegt werden, welche Items zu welchen Faktoren gehören. Im Strukturmodell werden dann die Beziehungen zwischen den latenten Variablen definiert und durch lineare Gleichungen ausgedrückt. Im Folgenden soll durch die Schätzung der Parameter der Gleichungen (Regressionsgewichte, Kovarianzen und Fehlervarianzen) die empirische Kovarianzmatrix bestmöglich approximiert werden. Dies bedeutet, dass die Abweichung zwischen der aus dem theoretischen Modell bedingten Kovarianzmatrix und der empirischen Kovarianzmatrix möglichst gering ausfallen soll. (vgl. Bühner 2011, S. 380 ff.) Zur Schätzung der Parameter stehen verschiedene Schätzverfahren zur Verfügung, wobei die Maximum-Likelihood-Methode (ML-Schätzer) die gängigste Schätzmethode darstellt. Voraussetzung hierfür ist, dass die Indikatoren intervallskaliert und multivariat normalverteilt sind (vgl. Moosbrugger & Schermelleh-Engel 2012, S. 337). Bei Verletzung der Normalverteilungsannahme besteht das Problem, dass die Standardfehler zu klein und die Chi-Quadrat-Teststatistik zu groß geschätzt werden. Es stehen für diesen Fall ergänzend eine Reihe weiterer Schätzverfahren zur Verfügung, die Standardfehlerschätzung und die Chi-Quadrat-Teststatistik entsprechend anpassen (vgl. Kleinke et al. 2017, S. 46). So ist etwa in der Software Mplus11 der MLM-Schätzer mit robuster Standardfehlerschätzung und angepasster Chi-Quadrat-Test-Statistik (auch als Satorra-Bentler skalierte Chi-Quadrat Teststatistik bezeichnet) verankert. Ein weiterer in Mplus 11

Die proprietäre Software Mplus (Muthén & Muthén 2012) der Firma Muthén & Muthén dient der Berechnung von Strukturgleichungsmodellen. Sie wurde in dieser Arbeit in der Version 7.31 verwendet.

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E) Untersuchungsdesign und Methoden

implementierter Schätzer ist der MLR-Schätzer welcher robuste Standardfehler und eine sogenannte Yuan-Bentler-skalierte Teststatistik bereitstellt. In der vorliegenden Arbeit werden der ML-Schätzer sowie die robusten MLR- und MLM-Schätzer verwendet. Beurteilung der Modellpassung Nach erfolgter Schätzung der Modellparameter kann im Folgenden die Passung des Modells anhand von sogenannten Fitwerten eingeschätzt werden. Dabei wird zwischen globalen (modellbezogenen) und lokalen (konstruktbezogenen) Gütemaßen unterschieden. Die globale Modellpassung kann auf der einen Seite inferenzstatistisch über den Chi-Quadrat-Test bestimmt werden. Problematisch an diesem Vorgehen ist jedoch, dass die Teststärke mit zunehmender Stichprobengröße ansteigt und somit auch kleine Abweichungen zu einer Ablehnung des Modells führen können. Aus diesem Grunde wird die Modellpassung meist anhand weiterer deskriptiver globaler Gütemaße beurteilt, welche weitestgehend unabhängig von der Stichprobengröße sind. (vgl. Bühner 2011, S. 423 ff.) So vergleichen der Comparative-Fit-Index (CFI) und der Normed-Fit-Index (NFI) das untersuchte Modell mit einem Unabhängigkeitsmodell, bei dem alle manifesten Variablen unkorreliert sind (vgl. Moosbrugger & Schermelleh-Engel 2012, S. 337). In dieser Arbeit wird der Empfehlung von Beauducel & Wittmann (2005) gefolgt und neben der Chi-Quadrat-Teststatistik und dem dazugehörigen p-Wert auch der Root-Mean-Square-Error of Approximation (RMSEA) und den Standardized-Root-Mean-Residual (SRMR) zur Modellevaluation herangezogen. Für die beschriebenen Gütemaße wird dabei bei folgenden Werten von einer akzeptablen Modellpassung gesprochen: χ2/(Anzahl der Freiheitsgrade) < 3 (vgl. Schermelleh-Engel et al. 2003, S. 33); RMSEA < 0.08 (vgl. Bühner 2011, S. 425); SRMR < 0.11 (vgl. ebd., S. 427) und CFI > 0.9 (vgl. Schermelleh-Engel et al. 2003, S. 35). Eine gute Modellpassung wird ab folgenden Werten angenommen: χ2/(Anzahl der Freiheitsgrade) < 2

14 Querschnittliche Analyse

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(vgl. ebd., S. 33); RMSEA < 0.05 (Wirtz 2014, S. 1615); SRMR < 0.05 (vgl. Schermelleh-Engel et al. 2003, S. 38) und CFI > 0.95 (vgl. Wirtz 2014, S. 1615) Neben den globalen Gütemaßen werden in der vorliegenden Arbeit auch lokale Gütemaße genutzt, um Teilstrukturen des postulierten Modells zu überprüfen. Zu den lokalen Gütemaßen zählen zum Beispiel die Indikatorreliabilität (IR), die Faktorreliabilität (ω; Raykov 2001), die durchschnittlich erfasste Varianz (DEV), sowie das Fornell-Larcker-Kriterium. Die Faktorreliabilität gibt den Anteil systematischer gemeinsamer Varianz in einer Indikatorgruppe an, die zur Schätzung eines latenten Konstrukts verwendet wird. Die Indikatorreliabilität gibt an, inwiefern die Indikatorvarianz durch das Konstrukt erklärt wird. Die durchschnittlich erfasste Varianz spiegelt das Verhältnis des durch einen latenten Faktor erklärten Varianzanteils einer mainfesten Variablen zu dem nicht erklärten Varianzanteil wider. Das Fornell-Larcker-Kriterium untersucht, ob der Zusammenhang eines latenten Konstrukts mit den eigenen Indikatoren höher ist als mit den anderen latenten Konstrukten. Für die beschrieben lokalen Gütemaße lassen sich dabei folgenden Zielgrößen angeben: ω > 0.6 (Wirtz 2014, S. 555), IR > 0.4 (ebd., S. 775), DEV >0.5 (ebd., S. 429). Das Fornell-LarckerKriterium ist genau dann erfüllt, wenn die durchschnittliche erfasste Varianz eines Faktors größer ist als alle quadrierten Korrelationen des Faktors mit einem anderen Faktor desselben Konstrukts (vgl. Fornell & Larcker 1981).

14 Querschnittliche Analyse Im folgenden Kapitel wird das methodische Vorgehen zur Beantwortung der ersten Forschungsfrage beschrieben, welche sich auf das Beziehungsgefüge zwischen epistemologischen Überzeugungen, technologiebe-

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E) Untersuchungsdesign und Methoden

zogenen Überzeugungen, Selbstwirksamkeitsüberzeugungen, der Einsatzhäufigkeit digitaler Werkzeuge sowie dem Alter und der Unterrichtserfahrung bezieht. Bei der Untersuchung solcher Zusammenhänge lassen sich grundsätzlich zwei Ansätze ausmachen. So gibt es zum einen variablenzentrierte Verfahren wie etwa die Korrelationsanalyse oder die Regressionsanalyse, bei welchen die Analyse der Zusammenhänge von Variablen über eine Population hinweg im Vordergrund stehen (vgl. Magnusson 2003, S. 14). Annahme dieser variablenzentrierten Verfahren ist, dass die Population weitestgehend homogen bezüglich der untersuchten Zusammenhänge ist (vgl. Laursen & Hoff 2006, S. 379). Im Gegensatz hierzu stehen bei personenzentrierten Verfahren die Unterschiede zwischen Individuen bezüglich der Variablen im Vordergrund. So beschreibt Magnussen das Ziel personenzentrierter Verfahren als „the identification of groups of individuals who function in a similar way at the organism level under investigation and in a different way relative to other individuals at the same level“ (Magnusson 2003, S. 16). Im Gegensatz zu variablenzentrierten Verfahren gehen personenzentrierte Verfahren also nicht von der Annahme aus, dass die untersuchte Population weitestgehend homogen bezüglich der untersuchten Zusammenhänge ist. Zu den entsprechenden Verfahren gehören zum Beispiel die Clusteranalyse sowie die latente Profil- und Klassenanalyse. Die grundsätzlich unterschiedlichen Annahmen der beiden Ansätze sollten jedoch nicht dazu führen, diese als konkurrierend zu betrachten. Vielmehr heben Laursen & Hoff (2006) hervor, dass beide Ansätze als komplementär aufgefasst werden sollten: „Variable-centered and person-centered strategies are equally essential, because each provides a different perspective [...]“ (Laursen & Hoff 2006, S. 385). In der vorliegenden Studie wird aus diesem Grunde sowohl auf variablenzentrierte als auch personenzentrierte Verfahren zurückgegriffen.

14 Querschnittliche Analyse

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Im Folgenden wird zunächst kurz auf die Korrelationsanalyse als variablenzentriertes Verfahren eingegangen bevor in Abschnitt 14.2 das personenzentrierte Verfahren der latenten Profilanalyse beschreiben wird. 14.1 Korrelationsanalyse Die Beantwortung der Forschungsfrage F1 soll zunächst über eine Korrelationsanalyse erfolgen. So sollen die Korrelationen zwischen den Selbstwirksamkeitsüberzeugungen, den technologiebezogenen Überzeugungen, den epistemologischen Überzeugungen, der Einsatzhäufigkeit digitaler Werkzeuge, sowie dem Geschlecht und der Unterrichtserfahrung mit digitalen Werkzeugen bestimmt werden. Die Analyse von Korrelation zählt dabei zu den variablenzentrierten Verfahren und ist ein gängiges Mittel, um Zusammenhänge zwischen zwei metrischen Variablen zu untersuchen. Anders als etwa Regressionsverfahren findet sie Verwendung, wenn die Quantifizierung der Stärke des Zusammenhangs zwischen Variablen, und keine Vorhersage einer Kriteriumsvariable durch eine Prädiktorvariable im Vordergrund steht (vgl. McDonald 2009, S. 207 ff.). Für intervallskalierte Variablen lässt sich der Korrelationskoeffizient als Quotient aus der Kovarianz und dem Produkt der Standardabweichungen der Variablen berechnen. Der Korrelationskoeffizient wird dabei auch als Bravais-Pearson-Korrelation oder Produkt-Moment-Korrelation bezeichnet und beschreibt den Grad des linearen Zusammenhangs zweier Merkmale. Der Korrelationskoeffizient kann Werte zwischen +1 und -1 annehmen, wobei Werte von r=+1 eine perfekt positive Korrelation und Werte von r=-1 eine perfekt negative Korrelation bedeuten. Liegt der Korrelationskoeffizient bei r=0, so liegt kein linearer Zusammenhang vor. Wichtig ist zu beachten, dass der Korrelationskoeffizient nur lineare Zusammenhänge beschreibt. Liegen Zusammenhänge anderer Art vor, so kann der Korrelationskoeffizient trotz dieses Zusammenhangs niedrig ausfallen.

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E) Untersuchungsdesign und Methoden

Die Bestimmung des Produkt-Moment-Korrelation kann ungeachtet der Verteilungseigenschaften für jede aus einer Grundgesamtheit gezogenen Stichprobe berechnet werden. Soll jedoch eine inferenzstatistische Absicherung, zum Beispiel über die Bestimmung der Signifikanz des Korrelationskoeffizienten, getroffen werden, so sind Verteilungsannahmen notwendig. Hierbei muss in der Regel angenommen werden, dass die Grundgesamtheit bivariat normalverteilt ist. Es lässt sich jedoch zeigen, dass der Signifikanztest für Korrelationskoeffizienten sehr robust gegenüber Abweichungen von der Normalverteilungsannahme wie auch gegenüber Verletzungen des Intervallskalenniveaus ist (vgl. Havlicek & Peterson 1977). Ein Problem bei der Bestimmung der Korrelation ist, dass die Messungen der Merkmale in der Regel nicht messfehlerfrei vorliegen, wodurch die Korrelation durch die Höhe der Reliabilität der Messung beschränkt ist (vgl. Eid & Schmidt 2014, S. 345). Dem kann dadurch begegnet werden, dass die Korrelationen einer sogenannten Minderungskorrektur unterzogen werden, wofür allerdings die Reliabilitäten der beobachtbaren Variablen bekannt sein müssen, was in der Regel nicht der Fall ist. Alternativ kann die Korrelation auch im Rahmen von Strukturgleichungsmodellen (vgl. Abschnitt 13.4) geschätzt werden, bei denen Messfehler explizit Verwendung finden (vgl. Hartig et al. 2012, S. 159). In diesem Fall spricht man von latenten Korrelationen. In der vorliegenden Arbeit werden die Korrelationen als latente Korrelationen bestimmt. Für die Beurteilung der Höhe der Korrelationen wird häufig auf die von Cohen (1988) vorgeschlagenen Richtwerte zurückgegriffen. Hiernach sind Korrelationen in der Größenordnung von 0.1 als gering anzusehen, während Korrelationen im Bereich von 0.3 als mittel und Korrelationen im Bereich von 0.5 als groß betrachtet werden. Eine dogmatische Orientierung an diesen Werten wird jedoch nicht empfohlen, stattdessen sollten für jeden Forschungsbereich eigene Richtwerte herangezogen werden: „The easy availability of Cohen's arbitrary guidelines should not be an excuse

14 Querschnittliche Analyse

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for us to fail to seek out and/or determine our own domain-specific standards based on empirical data and reasoned arguments” (Volker 2006, S. 671; siehe auch Durlak 2009, S. 924 ff.). Bei der Interpretation von Korrelationen ist zusätzlich zu beachten, dass eine beobachtete Korrelation zwischen zwei Merkmalen nicht automatisch auch einen kausalen Zusammenhang impliziert. So lässt eine signifikante Korrelation zwischen zwei Variablen verschiedene Interpretationen wie etwa, x beeinflusst y, y beeinflusst x, x und y werden von einer weiteren Variable beeinflusst, oder x und y beeinflussen sich wechselseitig, zu (vgl. Bortz & Schuster 2010, S. 159). Dabei lässt sich aufgrund des berechneten Korrelationskoeffizienten nicht entscheiden, welche der Interpretationen die richtige ist. Bortz & Schuster (2010) stellen daher fest: „Eine Korrelation zwischen zwei Variablen ist eine notwendige, aber keine hinreichende Voraussetzung für kausale Abhängigkeiten. [...] Sie liefern bestenfalls Hinweise, zwischen welchen Merkmalen kausale Beziehungen bestehen könnten“ (Bortz & Schuster 2010, S. 160). Dementsprechend lassen sich Kausalhypothesen mit Hilfe von Korrelationen nur widerlegen nicht jedoch eindeutig bestätigen (vgl. Bortz & Döhring 2006, S. 521). 14.2 Latente Profilanalyse Variablenzentrierte Verfahren wie die Korrelationsanalyse können durch personenzentrierte Verfahren ergänzt werden. So lässt eine geringe oder nicht vorhandene Korrelation zwar den Schluss zu, dass kein linearer Zusammenhang zwischen den beiden Merkmalen besteht. Es ist jedoch möglich, dass Subgruppen in der Population existieren, in welchen gegensätzliche Zusammenhänge zwischen den zwei Variablen bestehen, welche zu der insgesamt niedrigen Korrelation führen. Die latente Profilanalyse (LPA) stellt als personenbezogenes Verfahren eine Option dar, um solche heterogene Subgruppen zu identifizieren. So wird bei der LPA die Stichprobe in homogene Subgruppen klassifiziert, wobei Probanden innerhalb

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E) Untersuchungsdesign und Methoden

der Subgruppen ein möglichst ähnliches Antwortverhalten auf die untersuchten Items zeigen, während Probanden aus verschiedenen Subgruppen sich möglichst stark unterscheiden. Die Zuordnung zu den Klassen erfolgt dabei probabilistisch. Jede Person erhält eine Wahrscheinlichkeit, mit der diese einer bestimmten Klasse angehört. Die LPA arbeitet somit mit einer kategorialen latenten Variable, die aus den unterschiedlichen Klassen besteht. Die Ergebnisse der LPA lassen sich am besten in sogenannten Profilen darstellen, in denen das erwartete Antwortverhalten für jede latente Klasse angegeben ist. Die LPA bietet gegenüber anderen personenbezogenen Verfahren, wie etwa der Clusteranalyse, vor allem dadurch Vorteile, dass die LPA auf einem modellbasierten, probabilistischen Ansatz beruht, wodurch die Unsicherheit bezüglich der Zugehörigkeit einer Person zu einer Klasse berücksichtigt wird (vgl. Oberski 2016, S. 275). Durch den probabilistischen Ansatz ist es zudem möglich, die Anzahl der Klassen mit Hilfe statistischer Kennzahlen zu bestimmen (vgl. Magidson & Vermunt 2002, S. 41). Während die klassenspezifischen Antwortwahrscheinlichkeiten sowie die Größe der Klassen modellimmanent mit Hilfe von Maximum-LikelihoodVerfahren geschätzt werden können, lässt sich die Anzahl der Klassen nicht aus dem Modell heraus bestimmen. Liegt keine Theorie vor, die a priori Annahmen zur Anzahl der existierenden Klassen macht, so werden in der Regel Modelle mit unterschiedlichen Klassen an den Datensatz angepasst und die Modellgüte mit Hilfe statistischer Kennzahlen verglichen. Bei den statistischen Kriterien wird dabei zwischen Indikatoren für den absoluten und relativen Modellfit unterschieden. Der absolute Modellfit kann zum Beispiel über den Likelihood-Ratio-Test sowie über den Chi-Quadrat-Test bestimmt werden. Allerdings ist hierbei zu beachten, dass sich diese Verfahren nur bei großen Stichproben und im Verhältnis zur Stichprobe relativ kleinen Itemanzahlen eignen, was in der Praxis jedoch meist nicht gegeben ist. In Anbetracht der Probleme der

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Bestimmung des absoluten Modellfits kann stattdessen der relative Modellfit herangezogen werden. Hierbei wird die Passung eines Modells im Vergleich zu einem anderen Modell mit unterschiedlicher Klassenanzahl beurteilt. Ein Indikator für den relativen Modellfit stellt zum Beispiel der Bootstrap-Likelihood-Ratio-Differenzentest dar. Hierbei wird ein Modell mit t Klassen gegen ein Modell mit t-1 Klassen getestet. Ein signifikanter Wert der Teststatistik indiziert dabei, dass das Modell mit t Klassen besser zu den Daten passt als das Modell mit t-1 Klassen. Auf einem ähnlichen Prinzip basiert der Vuong-Lo-Mendell-Rubin-Test (Lo et al. 2001), welcher nach Nylund et al. (2007) jedoch weniger geeignet ist als der Bootstrap-Likelihood-Ratio-Differenzentest. Weiterhin können zur Beurteilung des relativen Modellfits auch informationstheoretische Maße genutzt werden. Hierzu gehören etwa das Akaike Information Criterion (AIC), das Bayesian Information Criterion (BIC) sowie der sample-size adjusted BIC (SA BIC). Diese berücksichtigen neben der Güte der Modellpassung auch die Anzahl der Modellparameter und damit die Sparsamkeit des Modells. Dies ist vor allem daher von Bedeutung, da Modelle mit mehr Klassen immer besser auf die Daten passen als Modelle mit weniger latenten Klassen. Bei allen Verfahren der Bestimmung der Anzahl der Klassen ist jedoch zu beachten, dass neben den statistischen Kennzahlen auch die Interpretierbarkeit der Klassen eine wichtige Rolle spielt: „Eine interpretierbare sollte stets einer nichtinterpretierbaren Lösung vorgezogen werden“ (Geiser 2011, S. 270). Ebenfalls sollte das Prinzip der Modellsparsamkeit bei der Auswahl eines geeigneten Modells berücksichtigt werden. Ein Modell sollte nach diesem Prinzip nur so komplex sein wie unbedingt nötig. Es ist daher abzuwägen, ob nicht ein einfacheres Modell einem komplexeren Modell vorgezogen werden kann, insbesondere falls das komplexere Modell die Daten nur geringfügig besser erklärt (vgl. Collins & Lanza 2010, S. 82).

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E) Untersuchungsdesign und Methoden

Abschließend sei noch darauf hingewiesen, dass der Einbezug vieler Indi-katorvariablen bei der Durchführung einer LPA zu einem dramatischen Anstieg an zu schätzenden Parametern führt (vgl. Tein et al. 2013, S. 641). Um stabilere Schätzungen zu erreichen, sollten die einbezogenen Indika-toren daher im Vorfeld sorgsam ausgewählt werden und das Verhältnis von zu schätzenden Parametern und Größe der Stichprobe im Auge behalten werden.

15 Bestimmung der Wirksamkeit der Fortbildung Um die Forschungsfrage nach der Wirksamkeit der Fortbildungsmaßnahme zu beantworten, ist es notwendig, mögliche Veränderungen in den Überzeugungen und im unterrichtlichen Einsatz der Lehrkräfte allein auf die Fortbildungsmaßnahme zurückzuführen. Einen theoretischen Rahmen zur Bestimmung von Effekten stellt dabei das im folgenden Abschnitt (15.1) beschriebene Roy-Rubin-Modell dar. In Abschnitt 15.2 wird darauf aufbauend dargelegt, wie in einem Pretest-PosttestKontrollgruppen-De-sign eine Vergleichbarkeit von Experimental- und Kontrollgruppe über das Verfahren des Propensity-Score-Matching erreicht werden kann. Ab-schnitt 15.3 beschreibt schließlich wie die Effektstärken der Fortbildung bestimmt werden können.

15.1 Das Roy-Rubin-Model zur Bestimmung von Effekten Um die Effekte zu bestimmen, die eine Intervention auf bestimmte Merkmale der Fortbildungsteilnehmenden hat, ist zunächst zu definieren, was unter einem Effekt verstanden wird. Dabei stellt das „Rubin Causal Model“ (Roy 1951; Rubin 1974), welches auch als Roy-Rubin-Model bezeichnet wird, einen Rahmen zur Beschreibung von kausalen Effekten

15 Bestimmung der Wirksamkeit der Fortbildung

175

bereit. In diesem Modell werden kausale Effekte wie folgt definiert: „Causal effects are defined as comparisons of potential outcomes under different treatments on a common set of units” (Rubin 2005, S. 322). Um einen kausalen Effekt zu bestimmen, ist es somit nötig, den sogenannten kontrafaktischen Zustand zu bestimmen. Dieser „beschreibt den hypothetischen Zustand, in dem sich ein Untersuchungsobjekt, das einer Intervention ausgesetzt war, unter denselben Bedingungen befinden würde, wenn es diesem Einfluss nicht ausgesetzt gewesen wäre“ (Müller 2012, S. 2). Da der einzige Unterschied zwischen dem faktischen und kontrafaktischen Zustand lediglich das Treatment wäre, würden sich die Effekte der Intervention für jede Person aus der Differenz zwischen dem faktischen und kontrafaktischen Zustand bestimmen lassen. Da es in der Regel jedoch nicht möglich ist den kontrafaktischen Zustand zu bestimmen, ist es generell auch nicht möglich kausale Effekte direkt zu beobachten. Holland beschreibt dies als “Fundamental Problem of Causal Inference” (Holland 1986, S. 947). Mit Hilfe spezieller Annahmen und Design-Ansätze kann man jedoch den kontrafaktischen Zustand annähern um so kausale Effekte zumindest plausibel zu schlussfolgern. So kann der kontrafaktische Zustand etwa mit Hilfe einer Kontrollgruppe, die nicht an der Intervention teilnimmt, abgeschätzt werden. Der wichtigste Ansatz zur Gewinnung einer Kontrollgruppe ist das experimentelle Design, in welchem nach einem Zufallsprozess Probanden auf eine Experimental- und Kontrollgruppe aufgeteilt werden. Aufgrund der Randomisierung kann es keine systematischen Gruppenunterschiede in den Merkmalen zwischen Kontroll- und Experimentalgruppe geben. Mögliche vorhandene Unterschiede zwischen den Gruppen sind rein zufällig und werden mit steigender Zahl der Gruppengröße immer geringer. Mit Hilfe dieses Ansatzes lässt sich ein durchschnittlicher Treatment-Effekt bestimmen, welcher dann der Intervention zugeschrieben werden kann. Das experimentelle Design wird aufgrund der vielen Vorteile von Wissenschaftlern

176

E) Untersuchungsdesign und Methoden

auch als „Gold-Standard“ bezeichnet (vgl. Austin 2011, S. 399; Cohen et al. 2007, S. 277). In der Realität ist die randomisierte Zuteilung von Probanden jedoch häufig nicht möglich. Im vorliegenden Fall etwa wurden die an der Studie teilnehmenden Lehrkräfte aufgrund der Überbuchung der Fortbildung von der Bezirksregierung ausgewählt. Ist eine randomisierte Zuteilung nicht durchführbar, so können sogenannte quasi–experimentelle Designs verwendet werden. Dabei ist das am häufigsten genutzte quasi-experimentelle Design das sogenannte nicht-äquivalente Kontrollgruppendesign. Auch hier erfolgt wie beim experimentellen Design ein Vergleich zwischen einer Kontroll- und einer Experimentalgruppe, allerdings wird keine randomisierte Zuteilung zu den Gruppen vorgenommen. Ein direkter Vergleich der abhängigen Variablen (Outcome) ist dann jedoch nur unter starken Annahmen zulässig. So müssen beide Gruppen zu Beginn der Intervention hinsichtlich derjenigen Variablen die den Outcome beeinflussen, vergleichbar sein. Wenn hingegen Unterschiede in bestimmten Merkmalen zwischen Experimental- und Kontrollgruppe einen Einfluss auf die Outcome-Variable haben, wird dies als Konfundierung bezeichnet, wodurch es zu einer Verzerrung der geschätzten Treatment-Effekte kommt (vgl. Müller 2012, S. 4). Der hierdurch entstehende Fehler bei der Schätzung des TreatmentEffektes wird auch Selektionsfehler (selection-bias) genannt (vgl. Heckmann et al. 1998). Um einer Konfundierung vorzubeugen und den Selektionsfehler zu minimieren, können sogenannte Matching-Verfahren eingesetzt werden, wobei im folgenden Abschnitt insbesondere auf das Verfahren des PropensityScore-Matchings eingegangen wird, welches in der vorliegenden Arbeit Verwendung findet.

15 Bestimmung der Wirksamkeit der Fortbildung

177

15.2 Propensity-Score-Matching In der Regel werden sich Kontroll- und Experimentalgruppe zu Untersuchungsbeginn bei fehlender Randomisierung bezüglich der Verteilung, von für den Outcome relevanten Variablen, unterscheiden. Liegt jedoch zu einer Experimentalgruppe eine vergleichsweise größere Gruppe an potenziellen Kontrollgruppenprobanden vor, so kann mit Hilfe von Matchingverfahren versucht werden, aus der Kontrollgruppe eine Untergruppe auszuwählen, die hinsichtlich der Verteilung der zu Interventionsbeginn beobachteten Variablen (Kovariaten12) der Experimentalgruppe möglichst ähnlich ist (vgl. Stuart & Rubin 2008, S. 155). Ein Matching kann dabei auf unterschiedliche Weise durchgeführt werden. Die naheliegende Überlegung, einem bestimmten Probanden der Experimentalgruppe einen bezüglich der Kovariaten möglichst ähnlichen Probanden der Kontrollgruppe zuzuordnen, führt bei einer größeren Anzahl an Kovariaten jedoch schnell zu Probleme einen passenden Matching-Partner zu finden: “In matching, the first impulse is to try to match each treated subject to a control who appears nearly the same in terms of observed covariates; however, this is quickly seen to be impractical when there are many covariates“ (Rosenbaum 2005, S. 1450). Das Propensity-ScoreMatching (PSM), welches auf die Arbeiten von Rosenbaum & Rubin (1983) zurückgeht und mittlerweile in der praktischen Anwendung dominiert (vgl. Gangl 2010, S. 931), begegnet diesem Problem damit, dass das Matching nicht direkt über die beobachteten Kovariaten erfolgt, sondern ein eindimensionales Maß, der sogenannte Propensity-Score (PSC) zum Matching genutzt wird. Der PSC einer Person kann beschrieben werden als „the probability for an individual to participate in a treatment given his observed covariates“ (Caliendo & Kopeinig 2008, S. 36). Rosenbaum und Rubin zeigten, dass ein Matching auf Basis des PSC unter bestimmten

12

Auch Drittvariablen oder Kontrollvariablen genannt (vgl. Bortz & Schuster 2010, S. 7).

178

E) Untersuchungsdesign und Methoden

Annahmen für die konsistente Schätzung des Treatmenteffektes ausreicht. Insbesondere wird durch das PSC Matching erreicht, dass sich einzelne Probanden mit ähnlichem PSC zwar noch hinsichtlich der Kovariaten unterscheiden können, die Verteilung der Kovariaten in der Experimentalund Kontrollgruppe jedoch vergleichbar sein wird. Aus diesem Grunde wird der PSC auch als „balancing score“ bezeichnet (vgl. Austin 2011, S. 419). Für eine konsistente Schätzung des Treatment-Effektes ist es somit nicht erforderlich einen Matching-Partner mit möglichst ähnlichen Kovariaten, sondern einen Probanden der Kontrollgruppe mit ähnlichem PSC gegenüberzustellen. Gelingt dies, so ist nach dem Matching die Verteilung des PSC in Experimental- und der aufgrund des Matching gebildeten Kontrollgruppe vergleichbar. Gelingt dies nicht, ist eine unverzerrte Schätzung des Treatment-Effektes auf Basis des PSM nicht möglich. Daher muss nach dem Matching die sogenannte „common support condition“ erfüllt sein. Hierunter versteht man, dass der PSC „für die Untersuchungseinheiten aus Versuchs- und Vergleichsgruppe in einem Wertebereich eine ähnliche Dichte aufweist“ (Müller 2012, S. 14; vgl. auch Caliendo & Kopeinig 2008, S. 31). Auswahl der Kovariaten Bei der konkreten Durchführung des PSM ist zunächst zu klären, welche Kovariaten in das Matching einbezogen werden sollen. Um eine mögliche Konfundierung vorzubeugen, ist es hierbei wichtig möglichst alle Kovariaten einzubeziehen, welche mit dem Outcome in Verbindung stehen (vgl. Brookhart et al. 2006, S. 1155; Rubin & Thomas 1996, S. 253). Da im Vorfeld jedoch meistens nicht klar ist, welche die entsprechenden Kovariaten sind, sollten möglichst viele der beobachteten Kovariaten in das Matching einbezogen werden:

15 Bestimmung der Wirksamkeit der Fortbildung

179

„Excluding potentially relevant variables should be done only when the resultant matched samples are closely balanced with respect to these variables as will typically occur when the treated and full control sample means of the excluded variables are exceptionally close or when the excluded variables are highly correlated with variables already in the propensity score mode“ (Rubin & Thomas 1996, S. 253; siehe auch Stuart 2010, S. 5). Brookhart et al. (2006) weisen jedoch darauf hin, dass gerade in kleineren Studien der Einbezug von Kovariaten, die zwar stark mit dem Selektionsprozess in Kontroll- und Experimentalgruppe, aber nur schwach mit dem Outcome in Verbindung stehen, nur einen geringen Beitrag zur Reduzierung des Bias liefern, jedoch zu einer Erhöhung der Varianz bei der Schätzung des Treatment-Effektes führen können. Es kann daher vorteilhaft sein, solche Kovariaten nicht zu inkludieren. Schätzung des PSC Nachdem diejenigen Kovariaten bestimmt wurden, welche in das Matching einbezogen werden solle, muss im nächsten Schritt der PSC für jeden Probanden in Kontroll- und Experimentalgruppe auf Basis dieser Kovariaten geschätzt werden. Für die Schätzung wird in der Regel auf Probitoder Logit-Verfahren zurückgegriffen, wobei beide Verfahren zumindest für den Fall mit nur zwei Treatmentoptionen (Erhalt des Treatments / kein Erhalt des Treatments) ähnliche Ergebnisse liefern (vgl. Caliendo & Kopeinig 2008, S. 37). Wahl des Matching-Verfahrens Nachdem für jeden Probanden der PSC geschätzt wurde, wird anhand des jetzt für jeden Probanden vorliegenden PSC das Matching vorgenommen. Das am häufigsten verwendete Verfahren ist dabei das Nearest-NeighbourMatching. Hierbei wird einem Probanden der Experimentalgruppe

180

E) Untersuchungsdesign und Methoden

diejenige Person aus der Kontrollgruppe zugeordnet, welche den ähnlichsten PSC hat. Um zu verhindern, dass sehr unpassende Paarungen entstehen, kann das Matching so durchgeführt werden, dass eine Person der Kontrollgruppe für mehrere Personen der Experimentalgruppe als MatchingPartner dienen kann. Das Matching wird quasi „mit Zurücklegen“ durchgeführt (vgl. Müller 2012, S. 12). Hierdurch wird, im Vergleich zum Matching ohne zurücklegen, eine Reduzierung des Bias erreicht. Zudem hängt das Matching nicht mehr von der Reihenfolge ab, in der die Probanden der Experimentalgruppe dem Matching unterzogen werden (vgl. Dehejia & Wahba 2002, S. 153). Ebenso ist es möglich einer Person der Experimentalgruppe mehrere Personen der Kontrollgruppe zuzuordnen (sogenanntes „oversampling“; vgl. Caliendo & Kopeinig 2008, S. 41 ff.). Hierfür ist zu entscheiden, wie viele Matching Partner zu einer Person der Experimentalgruppe zugeordnet werden sollen. Zu beachten ist allerdings, dass in diesem Fall ein Trade off zwischen Bias und Varianz der Schätzung eintritt: „By using more comparison units, one increases the precision of the estimates, but at the cost of increased bias“ (Dehejia & Wahba 2002, S. 153). Problematisch am Nearest-Neigbour-Matching ist, dass unter Umständen kein Matching-Partner mit ähnlichem PSC zur Verfügung steht, und daher ein Matching-Partner ausgewählt wird, dessen PSC vergleichsweise weit entfernt liegt. Überprüfung der Common Support-Condition Wie bereits weiter oben erwähnt, muss für eine konsistente Schätzung der Treatment-Effekte die common support condition erfüllt sein, was bedeutet, dass die Verteilung des PSC in Experimental- und Kontrollgruppe nach dem Matching vergleichbar sein sollte. Um diese Bedingung zu überprüfen, kann die Verteilung des PSC in Experimental- und Kontrollgruppe zum Beispiel mit Hilfe von Histogrammen augenscheinlich auf Differenzen hin untersucht werden. Ergeben sich große Unterschiede, etwa falls in Experimental- und Kontrollgruppe unterschiedliche Wertebereiche des

15 Bestimmung der Wirksamkeit der Fortbildung

181

PSC zu beobachten sind, ist es möglich, diejenigen Probanden aus Kontroll- und Experimentalgruppe aus der weiteren Analyse auszuschließen, die außerhalb des Wertebereichs der jeweils anderen Gruppe liegen (vgl. Stuart 2010, S. 10). Allerdings ist zu beachten, dass die ausgeschlossenen Probanden nicht mehr zur Schätzung des Treatmenteffektes beitragen, wodurch fragwürdig ist, inwieweit die so gewonnenen Ergebnisse noch repräsentativ für die Stichprobe als Ganzes sind (vgl. Caliendo & Kopeinig 2008, S. 47). Überprüfung der Verteilung der Kovariaten nach dem Matching Im Anschluss an die Überprüfung der common support condition muss überprüft werden, ob die durch das Matching generierte Experimental- und Kontrollgruppe bezüglich der Verteilung der Kovariaten vergleichbar sind. Als visuelles Mittel bietet sich hierbei zum Beispiel die Betrachtung von Histogrammen an. Ebenso können die Mittelwerte der Kovariaten in beiden Stichproben mit Hilfe von t–Tests auf signifikante Differenzen hin untersucht werden. Im Idealfall sollten bei der Untersuchung keine signifikanten Unterschiede mehr zu beobachten sein. Ho et al. (2007, S. 221) warnen jedoch, dass selbst nicht signifikante Differenzen in der Verteilung noch Auswirkungen auf die Outcome-Variablen haben können. Aus diesem Grunde wird empfohlen, verschiedene Varianten des Matchings (zum Beispiel mit und ohne Zurücklegen) durchzuführen und letztlich das Verfahren zu wählen, welches zu möglichst geringen Differenzen zwischen Kontroll- und Experimentalgruppe führt (vgl. Ho et al. 2007, S. 216; Stuart 2010, S. 11). Zusammenfassung Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass das Propensity-ScoreMatching ein wichtiges Verfahren darstellt, um die Gefahr der Konfundierung zu reduzieren: „Propensity score matching provides an estimate of the effect of a ,treatment’ variable on an outcome variable that is largely

182

E) Untersuchungsdesign und Methoden

free of bias arising from an association between treatment status and observable variables“ (DiPrete & Gangl 2004, S. 271). Allerdings ist zu beachten, dass die Gefahr einer Konfundierung aufgrund von unbeobachteten Variablen, die einen Einfluss auf den Outcome haben, bestehen bleibt. 15.3 Bestimmung der Treatmenteffekte Nachdem das Matching durchgeführt wurde kann dazu übergegangen werden, den Effekt der Intervention auf die Outcome-Variablen zu schätzen. Der einfachste Ansatz ist den Outcome zwischen Treatment und Kontrollgruppe direkt zu vergleichen (vgl. Austin 2011, S. 405). Allerdings wird in der Regel, genau wie bei randomisierten Studien, durch das Matching keine vollständige Übereinstimmung bezüglich der Verteilung der Kovariaten zum Pretest-Zeitpunkt erreicht werden. Aus diesem Grunde wird empfohlen die Effekte nicht einfach über einen direkten Vergleich der Posttest-Werte in Experimental- und Kontrollgruppe zu bestimmen, sondern weitere statistische Methoden einzusetzen, um noch vorhandene Unterschiede zwischen den Gruppen zum Pretest-Zeitpunkt zu berücksichtigen (vgl. Austin 2011, S. 405; Ho et al. 2007, S. 201). Stuart (2010) spricht in diesem Zusammenhang von sogenannter „double robustness“ (Stuart 2010, S. 13). Im Folgenden werden die zwei gängigsten Verfahren hierfür vorgestellt. So kann zur Identifizierung von Effekten einerseits eine zweifaktorielle Varianzanalyse (ANOVA, Analysis Of Variance) mit wiederholten Messungen durchgeführt. Äquivalent hierzu ist die sogenannte Gain-ScoreAnalyse, bei der zunächst in Kontroll- und Experimentalgruppe die Differenzen zwischen den Pre- und Posttestdaten bestimmt werden und die hieraus resultierenden zwei Datensätze mit Hilfe einer einfaktoriellen Varianzanalyse (welche im Fall von zwei Gruppen äquivalent zum t-Test ist) auf Unterschiede hin untersucht werden (vgl. Dugard & Todmann 1995, S. 182; van Breukelen 2006).

15 Bestimmung der Wirksamkeit der Fortbildung

183

Anderseits kann neben der Durchführung einer ANOVA auch eine Kovarianzanalyse ANCOVA (Analysis of Covaricance) durchgeführt werden. Hierbei werden die Werte des Pretests als Kovariate genutzt, um die Werte des Posttests bezüglich existierender Pretest-Differenzen zu korrigieren. Die Durchführung einer ANCOVA bietet sich dabei vor allem im Rahmen von Strukturgleichungsmodellen an. Diese ermöglichen es insbesondere, dass messfehlerbehaftete Variablen explizit berücksichtigt werden, wodurch mögliche Treatmenteffekte besser zu bestimmen sind (vgl. Fabrigar & Wegener 2014). Zur Spezifizierung eines entsprechenden Strukturgleichungsmodells werden dabei die Daten des Pretests als Prädiktoren für die Daten des Posttests verwendet. Zusätzlich wird eine mit 0-1 kodierte Dummy-Variable verwendet, welche für jede Testperson die Fortbildungsteilnahme operationalisiert. Schließlich wird jeweils ein Pfad von der Dummy-Variable zu den Outcome-Variablen zum Zeitpunkt des Posttest spezifiziert. Ergibt die Schätzung des Strukturgleichungsmodells einen signifikanten Pfad von der Dummy-Variable zu einer der Outcome-Variable, signalisiert dies einen signifikanten Effekt des Treatments auf diese Outcome-Variable. Bezüglich der Frage welches der beiden beschriebenen Verfahren verwendet werden sollte, gibt es eine schon länger währende Auseinandersetzung (vgl. z.B. Dugard & Todman 1995; Kenny 1975; Maris 1998; Oakes & Feldmann 2001; Senn 2006; Wright 2006). Hierbei wird vor allem diskutiert, welche Verfahren in welchen Situationen zu einer verlässlicheren Schätzung mit geringerem Bias führen. Die Entscheidung für die Wahl zwischen den Verfahren wird zudem durch das von Lord aufgeworfene Paradoxon (Lord 1967) erschwert. Dieser zeigte, dass beide Verfahren am gleichen Datensatz zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen bezüglich des Effektes eines Treatments führen können. Dieses Paradoxon konnte erst mit den Arbeiten von Holland & Rubin (1983) aufgeklärt werden (vgl. auch Wainer 1991; Wainer & Brown 2004), die zeigten, dass es sich bei den unterschiedlichen Ergebnissen eben um kein Paradoxon handelt,

184

E) Untersuchungsdesign und Methoden

sondern vielmehr in beiden Verfahren leicht unterschiedliche Forschungsfragen beantwortet werden: „There is an important difference between the research question that is implied by the use of the t test and the research question that underlies the use of ANCOVA. For the former, the question is: "What is the effect of the treatment on the change from pretest to posttest?" For the latter the question is: "What is the effect of the treatment on the posttest that is not predictable from the pretest (i.e., conditional on the pretest)?" (Knapp & Schafer 2009, S. 2) Van Breukelen (2006) vertritt die Auffassung, dass die unterschiedlichen Verfahren unterschiedliche Stärken haben und beide angewendet werden sollten: „If both methods lead to the same conclusion, differing only in effect size, this increases one’s confidence in that conclusion [...]“ (van Breukelen 2006, S. 925; siehe auch Kenny 1975, S. 359; Wright 2003, S. 30). Sollten sich hingegen Unterschiede bei der Verwendung der beiden Methoden ergeben, so muss die Interpretation der Ergebnisse vorsichtiger erfolgen (vgl. Wright 2006, S. 675). In der vorliegenden Arbeit wird der Empfehlung von van Breukelen (2006) gefolgt, und es werden beide Verfahren verwendet um die Effekte der Fortbildung zu beurteilen. Bestimmung der Effektgröße Wenn ein signifikanter Effekt gefunden wurde, ist es im Folgenden von Interesse die Größe des Effektes zu beurteilen. Dies ist daher von Relevanz, da ein signifikanter Unterschied (z.B. bezüglich des 5% Signifikanzniveaus) zunächst nur bedeutet, dass der Unterschied zwischen Experimental- und Kontrollgruppe in der Stichprobe mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit nicht gleich null ist (vgl. Bühner 2011, S. 267). Problematisch an Signifikanztests ist jedoch, dass die Größe des Effektes anhand des p-Wertes nicht beurteilt werden kann. Da der p-Wert sowohl von der Größe des Effektes als auch von der Stichprobengröße abhängt können

15 Bestimmung der Wirksamkeit der Fortbildung

185

insbesondere in großen Stichproben schon kleine Unterschiede signifikant sein. Es wird daher empfohlen Effektstärken zu bestimmen, welche die Größe des Effektes quantifizieren und insbesondere auch mit anderen Effektstärken verglichen werden können (vgl. Nakagawa & Cuthill 2007, S. 591; Sullivan & Feinn 2012, S. 281; Wright 2003, S. 125). Für die Bestimmung von Effektstärken werden Im Fall des Vergleichs zwischen zwei Gruppen in der Regel die standardisierte Mittelwertdifferenz als Effektstärke verwendet, wobei zur Standardisierung die Standardabweichung verwendet wird. Für Pretest-Posttest-Kontrollgruppendesigns wird zudem vorgeschlagen, die Effektstärken bezüglich eventuell bestehender Differenzen im Pretest zu korrigieren (vgl. Durlak 2009; Morris 2008). Für die Beurteilung der Größe der Effektstärken wird häufig auf die von Cohen (1988) vorgestellten Richtgrößen Bezug genommen. Hiernach gelten Effektstärken von 0.2 als klein, während Effektstärken von 0.5 als mittel und Effektstärken von 0.8 als groß angesehen werden können. Dabei ist jedoch zu beachten, dass diese nur Richtwerte darstellen und die Einschätzung, ob ein Effekt von Bedeutung ist, im Wesentlichen vom Kontext der Studie abhängt (vgl. Bortz & Döring 2006, S. 627). So stellt auch Thompson (2001) fest: „[...] if people interpreted effect sizes with the same rigidity with which a = .05 has been used in statistical testing, we would merely be being stupid in another metric” (Thompson 2001, S. 82).

F) Entwicklung der Erhebungsinstrumente Um die dieser Arbeit zugrundeliegenden Forschungsfragen (vgl. Kapitel 4) zu beantworten, ist es zunächst notwendig, die Selbstwirksamkeitsüberzeugungen, die technologiebezogenen Überzeugungen, die epistemologischen Überzeugungen sowie die Einsatzhäufigkeit digitaler Werkzeuge von Lehrkräften zuverlässig quantitativ zu erfassen, wofür entsprechende Erhebungsinstrumente benötigt werden. Während für die epistemologischen Überzeugungen bereits Skalen zur Verfügung standen (vgl. z.B. Grigutsch et al. 1998; Laschke & Blömeke 2014), mussten zur Erfassung der technologiebezogenen Überzeugungen, der Selbstwirksamkeitsüberzeugungen und der Einsatzhäufigkeit aufgrund des Mangels an geeigneten Erhebungsinstrumenten neue Fragebögen entwickelt beziehungsweise weiterentwickelt werden. Im vorliegenden Kapitel wird die Entwicklung und empirische Valdidierung dieser Instrumente dargelegt (siehe auch Thurm 2017; Thurm et al. 2017), welche sich an den in Kapitel 13 beschriebenen methodischen Grundlagen der Fragebogenentwicklung orientierte. Da im vorliegenden Forschungsprojekt aus zeitlichen Gründen nur eine qualitative Pilotierung der Items, jedoch keine quantitative Pilotierung möglich war, werden für die empirische Überprüfung die Daten des Pretests der Probanden aus Experimental- und Kontrollgruppe genutzt (vgl. Kapitel 12, Abbildung 10). Eine detaillierte Beschreibung der Stichprobe findet sich in Kapitel 20. Die quantitative Überprüfung umfasste zum einen die deskriptivstatistische Evaluation der Items. Zum anderen erfolgte eine Überprüfung der Fragebögen im Rahmen einer konfirmatorischen Faktorenanalyse.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 D. Thurm, Digitale Werkzeuge im Mathematikunterricht integrieren, Essener Beiträge zur Mathematikdidaktik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-28695-8_6

188

F) Entwicklung der Erhebungsinstrumente

16 Fragebogen zu Selbstwirksamkeitsüberzeugungen 16.1 Fragebogenentwicklung Die Entwicklung des Fragebogens zur Erfassung der Selbstwirksamkeitsüberzeugungen (vgl. Abschnitt 5.5) orientierte sich an Banduras „Guide for constructing self-efficacy scales“ (Bandura 2006), welcher ein detailliertes Vorgehen für die Konstruktion von Items zur Erfassung der Selbstwirksamkeitsüberzeugungen beschreibt. Nach Bandura ist es dabei insbesondere von Bedeutung, die Skalen domänenspezifisch zu konstruieren: „Scales of perceived self-efficacy must be tailored to the particular domain of functioning that is the object of interest“ (Bandura 2006, S. 308). In einem ersten Schritt wurden daher die folgenden beiden Bereiche identifiziert die für den digitalen Werkzeugeinsatz von besonderer Relevanz sind: Auswahl und Konstruktion geeigneter Aufgaben für den Einsatz digitaler Werkzeuge Für den Mathematikunterricht gilt im Allgemeinen, dass die Bearbeitung von Aufgaben durch Schülerinnen und Schüler als die wichtigste Schüleraktivität aufgefasst werden kann (vgl. Blömeke et al. 2006; Jordan et al. 2008, S. 85 ff.; Krainer 1993). Zudem sind Aufgaben für Lehrkräfte ein wichtiges inhaltliches und didaktisches Strukturierungselement zur Unterrichtsgestaltung, da beispielsweise die kognitiven Aktivitäten der Lernenden eng mit der Auswahl und Anordnung verbunden ist (vgl. Jordan et al. 2008, S. 86). Dies gilt insbesondere auch beim Einsatz digitaler Werkzeuge. Sollen die in Kapitel 4 dargelegten Potenziale digitaler Werkzeuge genutzt werden, müssen Aufgaben eingesetzt werden, mit denen diese Potenziale auch ausgeschöpft werden können (vgl. Hitt & Kieran 2009). So stellen etwa Pinkernell & Laakmann (2014) fest: „Mathematische Aufgaben steuern den Rechnereinsatz. Die Existenz des Rechners bedingt nicht seinen Unterrichteinsatz, vielmehr legen mathematisch gehaltvolle

16 Fragebogen zu Selbstwirksamkeitsüberzeugungen

189

Aufgaben seinen Einsatz nahe, weil sich so ein Mehrwert ergibt“ (Pinkernell & Laakmann 2014, S. 4). Dementsprechend müssen Lehrkräfte ein Verständnis entwickeln, welche Aufgabentypen hierfür geeignet sind: „The inclusion of technology requires an understanding of the kinds of tasks that may utilize the resources provided by the technology to support students’ high-level thinking“ (Sherman 2014, S. 225). Items in diesem Bereich sollen daher abbilden, inwiefern die Lehrkraft die Überzeugung hat, Aufgaben für den Einsatz digitaler Werkzeuge zu konstruieren beziehungsweise auszuwählen. Gestaltung geeigneter Unterrichtsprozesse beim Einsatz digitaler Werkzeuge Die Potenziale von Aufgaben entfalten sich jedoch nicht losgelöst vom Unterricht, sondern müssen in entsprechenden Lernumgebungen realisiert werden. Neben der Auswahl geeigneter Aufgaben ist daher auch die Planung und Gestaltung von Unterrichtsprozessen, in denen diese Aufgaben zum Einsatz kommen, zentral. Hierbei ergibt sich, im Vergleich zu einem Unterricht ohne digitale Werkzeuge, der Bedarf „einer neuen inhaltlichen und methodischen Gestaltung von Unterricht“ (Barzel 2012, S. 68; siehe auch Drijvers 2015, S. 147). So gilt insbesondere für den Unterricht mit digitalen Werkzeugen, dass „Lernen von ganz verschiedenen Kontextfaktoren abhängig ist, die in unterschiedlichem Ausmaß planvoll gestaltet werden können“ (Reinmann-Rothmeier & Mandl 2001, S. 603). Hierzu gehört insbesondere das Arrangement von Unterrichtsmethoden, Unterrichtstechniken, Lernmaterialien und Medien (siehe ebd. S. 603). So stellt etwa Bichler (2010) fest:

190

F) Entwicklung der Erhebungsinstrumente

„Gerade bei dem Einsatz eines Handhelds kann die Unterrichtsgestaltung sehr flexibel (bezüglich des Rechnereinsatzes) gestaltet werden. So besteht stets die Möglichkeit für die Schülerinnen und Schüler, selbsttätig zu ,forschen‘ und ihren Gedanken nachzugehen. Man kann Gruppen bilden. Diese Gruppen könne alle die gleiche Aufgabenstellung bearbeiten, oder aber unterschiedliche. So könnte eine Gruppe eine rein graphisch-experimentelle Methode zur Lösung benutzen, eine andere eine rein analytische, wobei jeweils verschiedene Größen als Funktionsargumente benutzt werden können [...]. Teile von Rechnungen können an das CAS ausgelagert werden, Teile können explizit von Hand gefordert werden. Ein Weg kann im Unterricht beschritten werden, ein anderer in der Hausaufgabe.“ (Bichler 2010, S. 486) Items in diesem Bereich sollen daher abbilden, inwiefern die Lehrkraft die Überzeugung hat, Unterrichtsprozesse beim Einsatz digitaler Werkzeuge zu planen und durchzuführen. Itemformulierung Ziel der Fragebogenkonstruktion war es, zu jedem dieser beiden Bereiche eine entsprechende Skala bestehend aus mehreren Items zur Erfassung der Selbstwirksamkeitsüberzeugungen zu entwickeln. Die Skala, welche sich auf den Bereich der Selbstwirksamkeitsüberzeugungen zur Gestaltung und Konstruktion geeigneter Aufgaben bezieht, wird nachfolgend „SW_Aufgaben“ genannt. Die Skala, welche sich auf die Gestaltung von Unterrichtsprozessen bezieht, wird nachfolgend “SW_Unterricht” genannt. Zu jedem dieser beiden Bereiche wurden vom Autor der vorliegenden Arbeit Items konstruiert. Hierbei wurde insbesondere darauf geachtet, tatsächlich auf die selbsteingeschätzte Fähigkeit abzuzielen: „The items should be phrased in terms of can do rather than will do. Can is a judgment of capability; will is a statement of intention“ (Bandura 2006, S. 308). Als

16 Fragebogen zu Selbstwirksamkeitsüberzeugungen

191

Antwortformat wurde die von Bandura (2006, S. 309) empfohlene Selbsteinschätzung auf einer Skala von 0-100 gewählt. Dieses Antwortformat wird auch von Pajares et al. (2001) empfohlen, die zeigen, dass diese Art des Antwortformates psychometrisch bessere Ergebnisse liefert als LikertSkalen. Bei der Konstruktion der Items wurde zudem insbesondere auf die unter Abschnitt 13.2 aufgeführten Kriterien zur Formulierung von Fragebogenitems geachtet. Die entwickelten Items wurden anschließend mit Expertinnen und Experten der mathematikdidaktischen Forschung auf Inhaltsvalidität hin überprüft und in Folge der Rückmeldungen angepasst. Zur weiteren Validitätssicherung und um etwaige Probleme bei der Beantwortung der Items durch Probanden zu identifizieren, wurden anschließend kognitive Interviews (Prüfer & Rexroth 2005) mit Probanden der intendierten Zielgruppe durchgeführt. Hierzu wurden fünf Lehrkräfte so ausgewählt, dass eine möglichst große Abdeckung des gesamten Spektrums möglicher Probandinnen und Probanden der Fragebogenstudie erreicht wurde. Im vorliegenden Fall wurden zwei männliche sowie drei weibliche Lehrkräfte unterschiedlichen Alters (30-59 Jahre) von verschiedenen Schulformen (Gymnasium, Gesamtschule, Berufskolleg) mit unterschiedlicher Erfahrung im Unterrichten mit digitalen Werkzeugen (keine Erfahrung, 2-3 Jahre Erfahrung, mehr als 5 Jahre Erfahrung) ausgewählt. In den Interviews konnten bei verschiedenen Items einzelne Begriffe oder Worte identifiziert werden, die potenziell problematisch sind. In diesen Fällen wurden die Items angepasst und in weiteren Interviews an diesen Stellen nachgefragt, um besser zu verstehen, wie das Item von den Probanden verstanden wurde. Insgesamt musste ein Item der Skala SW_Unterricht ausgeschlossen werden, bei den anderen Items waren oftmals nur geringe Umformulierungen oder Präzisierungen vorzunehmen. Nach den Expertengesprächen und kognitiven Interviews ergaben sich zu den beiden Skalen die folgenden Items:

192

F) Entwicklung der Erhebungsinstrumente

Skala „SW_Aufgaben“ Ich fühle mich in der Lage... SW_A_1 SW_A_2 SW_A_3 SW_A_4

...Aufgaben (z.B. aus Schulbüchern) so umzuwandeln, dass ein Einsatz des GTR bei den Aufgaben sinnvoll ist. ...zwischen geeigneten und weniger geeigneten Aufgaben für den Einsatz mit dem grafikfähigen Taschenrechner zu unterscheiden. ...selbst Aufgaben für den Einsatz mit dem grafikfähigen Taschenrechner zu entwickeln. ...gute GTR-gestützte Prüfungsaufgaben zu entwickeln.

Tabelle 3: Items der Skala „SW_Aufgaben“

Skala „SW_Unterricht“ SW_U_1 SW_U_2 SW_U_3 SW_U_4

Ich fühle mich in der Lage... ...Unterrichtsprozesse mit dem grafikfähigen Taschenrechner so zu gestalten, dass entdeckendes Lernen gefördert wird. ...Unterrichtsstunden zu konzipieren, in denen die Möglichkeiten des GTR zur Verdeutlichung der Zusammenhänge zwischen Graph, Term und Tabelle ausgenutzt wird. ...Unterrichtsstunden zu konzipieren, in denen die graphischen Darstellungsmöglichkeiten des GTR ausgenutzt werden. ...den GTR vielseitig im Unterricht einzusetzen.

Tabelle 4: Items der Skala“ SW_Unterricht“

Neben Selbstwirksamkeitsüberzeugungen, welche durch diese beiden Skalen abgedeckt werden, spielen natürlich auch Selbstwirksamkeitsüberzeugungen in vielen anderen Domänen eine Rolle beim digitalen Werkzeugeinsatz. So müssen Lehrkräfte etwa auch den Lernfortschritt in werkzeuggestützten Unterrichtsstunden diagnostizieren und in der Lage sein mögliche Schülerfehler zu antizipieren. Ebenso müssen Lehrkräfte einen Erwartungshorizont für technologiegestützte Aufgaben formulieren und den Lernenden effektive Rückmeldungen beim Arbeiten mit digitalen Werkzeugen geben. Aus diesem Grunde wurden noch acht weitere Einzelitems zu

193

16 Fragebogen zu Selbstwirksamkeitsüberzeugungen

diesen Bereichen in den Fragebogen aufgenommen. Allerdings werden diese in der vorliegenden Arbeit nicht weiter für die Analysen herangezogen, und es wird eine Fokussierung auf die beiden zuvor beschriebenen besonders relevanten Bereiche vorgenommen. Dies lässt sich auch dadurch rechtfertigen, dass die Analyse von vielen Einzelitems umstritten ist (vgl. Abschnitt 5.3). 16.2 Empirische Überprüfung Deskriptivstatistische Evaluation Zur deskriptivstatistischen Evaluation wurden die Itemschwierigkeit (IS), die Standardabweichung (SD) sowie die Trennschärfe (T) der Items bestimmt (siehe Tabelle 5). Alle Itemschwierigkeiten liegen im mittleren Bereich, welcher als ideal zur Differenzierung zwischen Probanden angesehen wird. Die Trennschärfen liegen durchgängig über 0.80 und sind somit als hoch anzusehen. Aus deskriptivstatistischer Sicht erweisen sich somit alle Items als geeignet. Skala

SW_Aufgaben

SW_Unterricht

Item

IS

SD

T

SW_A_1

52.15

27.78

0.81

SW_A_2

64.22

25.99

0.82

SW_A_3

52.56

29.00

0.88

SW_A_4

41.50

28.93

0.84

SW_U_1

55.68

25.12

0.80

SW_U_2

60.80

24.39

0.84

SW_U_3

67.42

23.84

0.82

SW_U_4

50.81

26.49

0.80

Tabelle 5: Deskriptive Statistiken der Items bzgl. Selbstwirksamkeitsüberzeugungen (Itemschwierigkeit (IS) Standardabweichung (SD) und Trennschärfe (T))

194

F) Entwicklung der Erhebungsinstrumente

Reliabilität und Prüfung der Modellpassung Der globale Modellfit wurde anschließend mit Hilfe von RMSEA, SRMR, CFI und der Chi-Quadrat-Teststatistik analysiert. Die Analyse wurde mit dem FIML-, MLM- und der MLR-Schätzer durchgeführt. Tabelle 6 zeigt, dass für alle drei Schätzverfahren das Modell insgesamt eine gute Passung aufweist. RMSEA, SRMR, CFI und die Chi-Quadrat-Teststatistik liegen deutlich in den Bereichen, die für eine gute Modellpassung sprechen. χ2

df

p

χ2/df

RMSEA

SRMR

CFI

FIML

34.227

19

0.017

1.801

0.064

0.023

0.988

MLM

25.220

19

0.153

1.327

0.041

0.022

0.994

MLR

27.117

19

0.102

1.427

0.047

0.023

0.990

Akzept. Gut

-

-

>0.05

0.5

0.05