Dietrich Bonhoeffer Werke: Band 4 Nachfolge
 9783641106867

Table of contents :
Inhalt
Vorwort der Herausgeber
Dietrich Bonhoeffer NACHFOLGE
Vorwort
I .
II. Die Kirche Jesu Christi und die Nachfolge.
Nachwort der Herausgeber
Quellenverzeichnis
Literaturverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Register
DIE HERAUSGEBER

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Dietrich Bonhoeffer Werke Band 4

DI ET RICH BONHOEFFER WERKE Herausgegeben von Eberhard Bethge (†), Ernst Feil (†), Christian Gremmels, Wolfgang Huber, Hans Pfeifer (†), Albrecht Schönherr (†), Heinz Eduard Tödt (†), Ilse Tödt Vierter Band

DI ET RICH BONHOEFFER

NACHFOLGE Herausgegeben von Martin Kuske (†) und Ilse Tödt

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://portal.dnb.de abrufbar.

Copyright © 1989 Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München Das E-Book gibt den Textbestand der Dietrich Bonhoeffer Werke – Sonderausgabe, Gütersloh 2015, wieder. Sie wurde gedruckt mit Unterstützung der Internationalen Dietrich Bonhoeffer-Gesellschaft und der Adolf-Loges-Stiftung, die die Sonderausgabe in besonderer Weise förderte. Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen. Umschlaggestaltung: Ingeborg Geith, München ISBN 978-3-641-10686-7 www.gtvh.de

Inhalt

Vorwort der Herausgeber . . . . . . . . . . . . . . . .

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Dietrich Bonhoeffer NACHFOLGE . . .

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Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. D i e teure Gnade . . . . . Der Ruf in die Nachfolge Der einfältige Gehorsam Die Nachfolge und das Kreuz Die Nachfolge und der Einzelne . Die Bergpredigt (Auslegung) . . Matthäus 5. Vom " Außerordentlichen" des christlichen Lebens . . . . . . . Die Seligpreisungen Die sichtbare Gemeinde Christi Gerechtigkeit . Der Bruder . . . . Das Weib . . . . . D i e Wahrhaftigkeit Die Vergeltung . . D e r Feind - das " Außerordentliche" Matthäus 6 . Von d e r Verborgenheit d e s christlichen Lebens . . . . . . . . . . . . . Die verborgene Gerechtigkeit . . . . . . Die Verborgenheit des Gebets . . . . . . Die Verborgenheit der frommen Ü bung . Die Einfalt des sorglosen Lebens . . . .

29 45 69 77 87 97 99 99 11 0 1 15 121 126 129 134 140 1 50 1 50 1 57 1 63 1 67

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Inhalt

Matthäus 7. Die Aussonderung der Jüngergemeinde Die Jünger und die Ungläubigen Die große Scheidung . . . . . . . . Der Schluß . . . . . . . . . . . . . Die Boten (Auslegung von Matthäus 1 0 ) .

1 76 1 76 1 83 1 90 1 93

H.

Die Kirche Jesu Christi und die Nachfolge Vorfragen . . . . Die Taufe . . . . Der Leib Christi . Die sichtbare Gemeinde Die Heiligen Das Bild Christi Sachregister . .

215 219 227 241 269 297 305

Nachwort der Herausgeber

307

Quellenverzeichnis .

333

. . . . . . . . Literaturverzeichnis . a) Von Bonhoeffer benutzte Literatur . . . b) Von den Herausgebern benutzte Literatur c) Auswahlbibliographie zur " Nachfolge"

341 341 344 347

Abkürzungsverzeichnis

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Register . . . . . a) Bibelstellen . b) Personen . . c) Sachen und Orte

355 357 367 3 70

Die Herausgeber

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. .

Vorwort der Heraus geber

I " Der National-Sozialismus hat das Ende der Kirche in Deutschland mit sich gebracht", schrieb Dietrich Bonhoeffer am 2 8 . April 1 934 aus London, wo er damals Auslandspfarrer war, an seinen Schweizer Freund Erwin Sutz. " Und obwohl ich mit vollen Kräften in der kirchlichen Opposition mitarbeite, ist es mir doch ganz klar, daß diese Opposition nur ein ganz vor­ läufiges Durchgangsstadium zu einer ganz anderen Opposition ist, . . . der eigentliche Kampf, zu dem es vielleicht später kommt, muß einfach ein glaubendes Erleiden sein . . . Wissen Sie, ich glaube - vielleicht wundern Sie sich darüber - daß die ganze Sache an der Bergpredigt zur Entscheidung kommt. Ich glaube, daß die Theologie B arths - aber gewiß auch die Ethik Brunners - nur noch einmal verzögert haben - und gewiß auch ermöglicht haben, daß das erkannt wird . . . . Ich habe ein paar Leute gefunden, die an dieser Stelle mit mir weiterfragen. Schreiben Sie doch einfach mal, wie Sie über die Bergpredigt predigen. Ich versuche es gerade - unendlich schlicht und ein­ fach, aber es geht immer um das Halten des Gebotes und gegen das Ausweichen. Nachfolge Christi - was das ist, möchte ich wissen - es ist nicht erschöpft in unserem Begriff des Glaubens. Ich sitze an einer Arbeit, die ich Exerzitien nennen möchte nur als Vorstufe. Bitte helfen Sie hier mit. ,,1 In diesem Brief stoßen wir auf die früheste Spur der Arbeit Bonhoeffers für das Buch " Nachfolge" . Die Worte " über die Bergpredigt predigen. Ich versuche es gerade" erwecken den Anschein, als ob Bonhoeffer im Frühjahr 1 934 Predigten über die B ergpredigt gehalten hätte. Aber unter den Londoner Pre­ digten, die Bonhoeffer an Elisabeth Zinn schickte2, befinden sich keine über die Bergpredigt. Franz Hildebrandt, ein lutherischer Pfarrer, unter dessen 1 1 934 DBW 1 3, 1 2 8 f. Vgl. DBW 13, 6.

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Vorwort der Herausgeber

Vorfahren Juden waren, verließ im Herbst 1 933 unter Protest gegen die , Gleichschaltung' der Kirche Berlin und kam zu sei­ nem Freund Bonhoeffer nach London. Von November 1 933 bis Januar 1 934 lebte er dort mit im Pfarrhaus. Hildebrandt berich­ tete später : Bonhoeffer hat " damals an der B ergpredigt gearbei­ tet, und Gespräche darüber sind mir mehr erinnerlich als Pre­ digten oder schriftliche Entwürfe". 3 Offenbar begann Bonhoef­ fer erst nach Hildebrandts Abreise mit der im Brief an Sutz gemeinten Niederschrift, an der er auch im Juli 1 9344 arbeitete. Diese " Exerzitien"5, zunächst " nur als Vorstufe"6 gedacht, bekamen bald einen neuen Status. Nachdem der von Adolf Hitler gestützte Reichsbischof Ludwig Müller im März 1 934 alle Predigerseminare in Altpreußen stillgelegt hatte7, wurde von der oppositionellen Kirche eine eigene " Schulungsleitung für Pfarrer, Vikare und Studenten gesucht. Bonhoeffer ist ge­ fragt, ob er ein solches Amt übernehmen wolle"8. Der altpreu­ ßische Bruderrat beschloß am 4 . Juli : " Bonhoeffer kann am 1 . Januar 1 935 als Direktor des Berlin-Brandenburger Prediger­ seminars eintreten. " Mitte September überbrachte Hildebrandt Bonhoeffers Zusage . 9 Vermutlich entschloß Bonhoeffer sich im Sommer oder Herbst, seine Vorarbeiten zu r Bergpredigt für eine Vorlesung in einem Predigerseminar zu verwenden. Am 29. April 1 935 begann auf dem Zingsthof, einem Heim der rheinisch-westfälischen Schülerbibelkreise an der vorpom­ merschen Ostseeküste, Bonhoeffers neutestamentliche Vorle­ sung für die Predigtamtskandidaten der Bekennenden Kirche. Brief an die Hg. vom 1 1 . 1. 1 984. Hildebrandt starb 1 985. Briefan Reinhold Niebuhr vom 13. 7. 1934 DBW 13, 171: "Ich sitze gerade an einer Schrift, die sich mit der Frage der Bergpredigt etc. befaßt." 5 Den Ausdruck hat Bonhoeffer schon 1932 im Blick auf seine Auslegung von Genesis 1 bis 3 benutzt. Erich Klapproth notierte bei jener Vorlesung in Berlin - aus der das Buch "Schöpfung und Fall" hervorging - von Bonhoeffers Einleitung am 8. 1 1 . 1 932 DBW 3, 22 f Anm. 1 0: Man kann das Wort Gottes "nie hören, wenn man es nicht zugleich lebt - und hierzu gehört im besonderen exercitium" . ("Übung") _ Das Exerzitienbüchlein des Ignatius von Loyola . "Geistliche Ubungen" war in einer Ausgabe von 1 932 in Bonhoeffers Besitz. 6 Siehe 28. 4. 1934 DBW 13, 129. 7 DB 424. 8 9. 6. 1934 DBW 13, 1 50. 9 DB 473f. 3

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Vorwort der Herausgeber

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Das Manuskript dazu brachte er mit. Im Juni übersiedelten die 23 Kandidaten des ersten Kurses in ein ehemaliges Gutshaus in Finkenwalde nahe Stettin. 10 Fünf Halbjahreskurse lang lehrte Bonhoeffer dort zum Thema " Nachfolge". Daneben hielt er von Finkenwalde aus an der Berliner Universität im Winter 1 935/36 in jeder 5emesterwoche eine einstündige Vorlesung über " Nachfolge " . Am 5. August 1 936 wurde ihm die Lehrbe­ fugnis als Privatdozent durch das Reichserziehungsministerium endgültig entzogen. 1 1 Die ersten " Nachfolge"-Vorlesungen in Zingst und Finken­ walde wurden für die Hörer " zu einer atemberaubenden Ü ber­ raschung. Sie spürten plötzlich, daß sie nicht zum Erlernen einiger neuer Predigt- und Unterrichtstechniken hergekommen waren, sondern in deren umwälzend neue Voraussetzungen eingeführt wurden " . 12 Von Bonhoeffers Manuskripten für die neutestamentliche Vorlesung haben sich nur ganz geringe Reste erhalten. Aber die Höreraufzeichnungen, die mit Bonhoeffers Nachlaß archiviert sind, geben Einblick in die Vorstadien des Buch-Manuskriptes . Bonhoeffer legte zuerst Synoptiker-Stellen vom Ruf i n die Nachfolge und dann die Bergpredigt aus . Der Text, den er später noch zweimal vortrug, bestand offenbar aus ganz knap­ pen, sorgfältig durchstrukturierten Formulierungen. 50 kehrte zum Beispiel bei jeder Seligpreisung ein Auslegungssatz von der Form " Verzicht auf . . . macht frei für . . . " wieder. 13 Nach dem Ende des ersten Kurses, im Oktober 1 935, zog Bonhoeffer sich in ein Haus seiner Familie in Friedrichsbrunn im Harz zurück, um die Fortsetzung des neutestamentlichen Kollegs vorzubereiten. 14 Seine Ü berzeugung war : Die ganze Schrift verkündigt den Einen Herrn, der in die Nachfolge ruft. In allen folgenden Kursen behandelte er Entsprechungen zum Ruf in die Nachfolge und zur Bergpredigt in den übrigen neu­ testamentlichen Schriften, besonders bei Paulus . Die Aufzeich10 11 12 13 14

Vgl. DB 487f. Vgl. DB 267, 585 f. DBW 14, 2 1 3 f. DB 5 1 5. Vgl. 1935 NL B 8 (21 f). Ähnlich im zweiten und dritten Kurs. 1 935 DBW 14, 85.

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Vorwort der Herausgeber

nun gen der Hörer vermerken diese B ezüge noch deutlicher als der Buchtext. In Bonhoeffers Jahresbericht 1 936 heißt es : " Nachdem uns im Neuen Testament im ersten Kurs [1935J die , Nachfolge Christi' beschäftigt hat, folgten die Themata , Die sichtbare Kir­ che' im zweiten Kurs [1 93 5/36], , D as neue Leben bei Paulus' im dritten Kurs [1936J, , Konkrete Ethik bei Paulus' im gegenwär­ tigen Semester [1936/3 7J. " 1 5 Im letzten Finkenwalder Kurs, im Frühj ahr und Sommer 1 937, hieß das Thema " Gemeindeaufbau und Gemeindezucht im Neuen Testament" . 16 Alle diese Vorle­ sungen enthalten Vorformen von Teilen des Buches. Vorformen der " Nachfolge" Teil I (Synoptiker-Auslegung) : ( 1 ) Ruf in die Nachfolge 1 93 5 und 1 936 (2) Bergpredigt 1 93 5 , 193 5/3 6 und 1 93 6 Vorformen der " Nachfolge" Teil 1 1 (Paulus-Auslegung) : Kirche als " neuer Mensch" 1 93 5/3 6, 1 936, 1 93 6/3 7, 1 9 3 7 ( 1 ) D e r Raum der Kirche 1 93 5/3 6 und 1 93 7 (2) Wandeln i n diesem Raum 1 936, 1 936/3 7, 1 93 7 Teil I ( 1 ) der Vorformen ist i m Buch insbesondere i n die Kapitel " Der Ruf in die Nachfolge", " Die Nachfolge und das Kreuz" und " Die Nachfolge und der Einzelne" eingegangen, Teil I (2) in " Die Bergpredigt". Der für Teil 11 grundlegende Gedanke, die Kirche als den " neuen Menschen" aufzufassen, steht im Buch im Kapitel " Der Leib Christi". Teil 11 ( 1 ) der Vorformen ist im Kapitel " Die sichtbare Gemeinde" konzen­ triert. Teil 11 (2) - der Bergpredigtauslegung Teil I (2) entspre­ chend - ist im Kapitel " Die Heiligen" zusammengefaßt. Aus dem Vergleich mit den Höreraufzeichnungen läßt sich erschließen, daß Bonhoeffer erst nach dem Ende des Sommert5 t6

2 1 . 12. 1 936 DBW 14, 260 f. 1 5 . 5. 1 937 DBW 14, 287 Anm. 1 1 : 19. Finkenwalder Rundbrief.

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kurses 1 93 6 seine neutestamentlichen Vorlesungen zu einem Buchmanuskript umzuarbeiten begann. Für den Buch-Teil I schrieb er das Kapitel " Der einfältige Gehorsam". 1 7 Mit seinem griechisch-deutschen N euen Testament vor sich legte er Mat­ thäus 10 aus (das Kapitel " Die Boten") 1 8 und veränderte danach sein Manuskript zur Bergpredigt. 1 9 Es entstand eine neue Fas­ sung der Auslegung der Seligpreisungen20 ; des weiteren kamen zu dem in den ersten drei Kursen vorgetragenen Text, beson­ ders zu dem über Matthäus 5 und 6 , Passagen, deren andersarti­ ger Stil zu spüren ist, hinzu. 21 Durch ein einleitendes Kapitel für den Buch-Teil 11 unter­ strich Bonhoeffer, daß bei Paulus " Die Taufe" dem Ruf in die Nachfolge entspricht. Für das Kapitel " Die sichtbare Ge­ meinde" schrieb er noch das Teilstück über den Philemonbrief und Römer 1 3 ; er trug es im Sommerkurs 1 93 7 aus dem Druck­ manuskript vor. 22 Das Kapitel " Die Heiligen" wurde durch einen Teil der " Sätze über Schlüsselgewalt und Gemeindezucht im Neuen Testament" , die für eine Pfarrerfreizeit im Mai 1 93 7 i n Finkenwalde vervielfältigt worden waren, erweitert. 23 Im Schlußkapitel " Das Bild Christi" führte Bonhoeffer Gedanken zur Menschwerdung Gottes aus, auf die schon seine Berliner Christologievorlesung 1 93 3 gezielt hatte. 24 Neu formulierte Bonhoeffer die " Vorfragen " zu Teil 11 und 1 7 Der Ausdruck "einfältiger Gehorsam" ist im Sommerkurs 1 936 DBW 14, 622 mitgeschrieben worden. 1 8 Randnotizen in Bonhoeffers "Nestle" kehren im Buch als Teilüberschrif­ ten des Kapitels wieder. 1 9 Die Bergpredigt-Auslegung in der Buchfassung enthält Anklänge an Mt 10. 20 Bethge notierte Stichworte daraus auf einem Kalenderblatt für den 4. bis 1 0. Oktober 1 936, das in NL B 8 eingelegt ist. 2 1 Z. B. sind der Auslegung von Mt 5,43--48 im Buch vier Absätze vorgeschal­ tet; Bonhoeffers ursprünglicher Text beginnt erst S. 142 oben: "Der Feind ist im Neuen Testament immer der, der mir feindlich ist . . . ". Vgl. zu genau dieser Stelle W. Huber, Feindesliebe, 152f. 22 Die Mitschrift 1 937 NL B 9,4 (21-28) entspricht mit hoher Genauigkeit S. 251-259. 23 S. 287 bis zum Ende von Bonhoeffers Anmerkung 20) auf S. 292 ist eine weithin nahezu zeichengetreue Wiedergabe (im Druck 1 937 einschließlich von Interpunktions-Flüchtigkeitsfehlern) der "Sätze" 8 und 9, s. DBW 14, 834-843. 24 Vgl. 1 933 DBW 12, 340-348 und 1935/36 DBW 14, 461 .

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Vorwort der Herausgeber

das Vorwort des Buches. Den Anfang der " Nachfolge"-Vorle­ sung von 1 935 arbeitete er zu dem Einleitungskapitel " Die bil­ lige Gnade" aus . D i e Rundbriefe25 a n die ehemaligen Kandidaten enthalten Nachrichten über das Werden des Buches. Zunächst einmal legt Albrecht Schönherr dem Rundbrief vom 1 5. Februar 1 936 " ein größeres Stück des Kollegs" bei : den Anfang der neutestament­ lichen Vorlesung des Winterkurses 1 935/3 6 . 26 Am 2 8 . Septem­ ber 1 936 meldet Eberhard Bethge im 1 2 . Rundbrief aus Finken­ walde : " D er Herr Direktor versucht immer von neuern, an sein Buch zu kommen - er lebt angeblich inkognito unter uns . . . " . Der 1 7. Rundbrief vom 3 . März 1 93 7 erzählt von Bonhoeffers Geburtstagsfeier (am 4. Februar) : " Das Wünschen wurde dies­ mal umgedreht und der 4 . Kurs hatte auf seinen Wunschzet­ tel . . . gesetzt : 1 . Die , Nachfolge' möchte doch noch vor unse­ rer Emeritierung erscheinen . . . " ; man könne " aber tröstlich berichten, daß der Teil , Bergpredigt' fertig ist und damit nicht mehr viel an der Vollendung fehlt. " Am 1 7. April 1 93 7 heißt es im 1 8 . Rundbrief : " In den Ferien hat, wie ich [Eberhard B eth­ geJ berichten kann, Bruder Bonhoeffer ein großes Stück seiner Arbeit vorwärts gebracht, was zu kühnsten Hoffnungen auf Fertigstellung Anlaß gibt. " Im Rundbrief vom 26. August 1 93 7 schließlich verrät Horst Lekszas : "Trotz d e s Vielerleis aller Ar­ beit ist das erwartete Buch bereits fertig, in die Maschine dik­ tiert und harrt weiterer liebevoller Behandlung. Hoffentlich können wir bald den neuen Erdenbürger des Geistes unter uns begrüßen. " Als im September 1 93 7 die Staatspolizei die Predigersemi­ nare der Bekennenden Kirche schloß, war das Manuskript des Buches " Nachfolge" beim ehr. Kaiser Verlag in München, dem Verlag, in dem Karl B arths Bücher erschienen waren und der 1 933 Bonhoeffers theologische Auslegung " Schöpfung und Fall" veröffentlicht hatte. Das Manuskript kam in die Hände des Verlagsleiters Otto Salomon. Es wühlte ihn auf wie kaum 2 5 Von Mitgliedern des Bruderhauses (s. DB 527-539) unter Beteiligung Bonhoeffers verfaßt. Im Archiv: NL A 48. 2 6 1 936 DBW 14, 422--434, mitgeschrieben von Bethge 1 935 NL B 18 (1-9), verarbeitet im Kapitel "Die sichtbare Gemeinde" des Teils H.

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eine Schrift seit B arths Römerbriefkommentar. Gegen Ein­ wände theologischer B erater des Verlags wurde das Buch um­ gehend gedrucktY Zur Adventszeit 1 93 7 hatte Bonhoeffer seine Autoren-Exemplare in der Hand. Auf der Verlags-Vereinbarung vom 20. September 1 93 7 ist notiert : " Auflage 1 000", " geschätztes Honorar RM 880,-". Das Buch kostete RM 4 , 40 , gebunden RM 5, 60. Eine zweite Auflage kam 1 940 heraus. Nach dem Krieg wurde das Buch zuerst 1 950 gedruckt ; ein Jahr zuvor hatte B ethge die nachge­ lassenen "Ethik"-Manuskripte Bonhoeffers veröffentlicht. Die siebente Auflage der " Nachfolge" 1 96 1 stellte den Druck auf lateinische Lettern um. 28 Inzwischen wird Bonhoeffers " Nachfolge" in deutscher Sprache in mehr als 80 000 Exemplaren verbreitet sein. Dazu kommen noch die geschätzten 50 000 Exemplare der Auflagen in anderen Ländern. Unter den von Bonhoeffer selbst herausge­ brachten Werken ist die " Nachfolge" nach " Gemeinsames Le­ ben" am häufigsten aufgelegt worden . 29 Dietrich Bonhoeffers Schwager Gerhard Leibholz, 1 93 8 nach England emigriert, regte die Ü bersetzung ins Englische an. Unter dem Titel " The Cost of Discipleship"30 erschien 1 94 8 eine gekürzte Fassung. Dazu steuerte Bonhoeffers väterlicher Freund George Bell, Bischof von Chichester, ein Vorwort bei. Gerhard Leibholz machte in einem einleitenden "Memoir" den Lesern bewußt, daß dieses Buch in dem Deutschland der Op­ position gegen Hitler geschrieben wurde ; das Bild Dietrich Bonhoeffers, das er in tiefer Verbundenheit einfühlsam zeich­ nete, wirkte prägend in der angelsächsischen Welt. Die vollstänSiehe O . Salomon in W. -D. Zimmermann, Begegnungen, 1 62 . Im Verlag befindet sich ein Exemplar der 6. Auflage von 1958 mit Eintra­ gungen eines unbekannten Korrektors ; die handschriftlich verzeichneten Druck- und Registerfehler sind von der 7. Auflage an korrigiert. Seit der 1 2 . Auflage 1 9 8 1 war ein Nachwort Eberhard Bethges beigegeben. In der Evan­ gelischen Verlagsanstalt Berlin (DDR) erschienen 1 954 und 1 956 Lizenzausga­ ben, in der Evangelischen Buchgemeinde Stuttgart 1 968 ein Nachdruck der 7. Auflage. 29 Im ehr. Kaiser Verlag hatte bis zu der Ausgabe " Dietrich Bonhoeffer Werke" "Gemeinsames Leben" 2 1 , "Nachfolge" bis 1 9 8 7 16 Auflagen. 30 Dt. : " Die Kosten (oder : Der Preis) der Jüngerschaft". Vgl. in Bonhoef­ fers Text S. 29. 27 28

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Vorwort der Herausgeber

dige Fassung des Buches erschien 1 959 als 6. Auflage. Das Titelbild, eine Galgenschlinge, erinnerte an Bonhoeffers Tod im Konzentrationslager 1 945.31

II 1 . Nach der Schließung des Finkenwalder Predigerseminars Ende September 1 93 7 brachte Bonhoeffer den größten Teil sei­ ner Manuskripte und Bücher auf den Bodenspeicher eines Hau­ ses in Stettin-Altdamm, den Mitglieder der Bekenntnisge­ meinde, Maria Verges und Ida Thielke, ihm zur Verfügung stellten. Kisten mit Büchern schickte er später nach Berlin.32 Die eingelagerten Manuskripte aber sind verschollen. Darunter werden Ausarbeitungen für die neutestamentlichen Vorlesun­ gen, das handschriftliche Original der Buchfassung der " Nach­ folge" und die 1 93 7 in die Schreibmaschine diktierte Fassung gewesen sein. Lediglich eine Seite der Druckvorlage ist erhalten geblieben; sie fand sich in Bethges Exemplar von 1 937.33 Wir legen für die vorliegende Ausgabe die erste Auflage zu­ grunde: Dietrich Bonhoeffer, Nachfolge. ehr. Kaiser Verlag München 1937,229 Seiten. Mit dieser ersten ist die 2. Auflage 1 940 zeichenidentisch. Für die Ausgaben nach Kriegsende bis einschließlich der 6. Auflage 1 958 sind bei gleichbleibendem Druckbild einige Irrtü-

31 Nach der englischen Ausgabe von 1948 erschienen Übersetzungen ins Portugiesische (Brasilien) 1 952, 41980, ins Norwegische 1 956 und 1 983 (Aus­ zug), ins Dänische 1 957 und 1 964, ins Französische 1 962, '1 967, 1 971 (Taschen­ buch-Ausgabe) und 1 985 (Neuausgabe), ins Tschechische 1 962 (Teilausgabe), ins Portugiesische (Portugal) 1 963, ins Japanische 1 964 und 1 966 (Neuausgabe), ins Holländische 1 964, 61 981, ins Finnische 1 965, ins Koreanische (Südkorea) 1 965, ins Chinesische (Hongkong) 1 965, '1 974 ins Arabische (Libanon) 1 966 (Teilausgabe) und 1 982 (Neuausgabe), ins Spanische (Kastilische) 1 968, '1986, in Afrikaans 1 970 (ein Auszug über die Taufe), ins Italienische 1 971 Ouli), '1971 (Oktober), ins Schwedische 1 976 und ins Indonesische 1982. Die italienische Fas­ sung der Ausgabe DBW 4 erschien 1 997, die englischsprachige Fassung 200 1 . 32 DBW 1 6, 66. 33 Näheres siehe unten S. 145.

Vorwort der Herausgeber

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mer korrigiert worden. 34 Die lnnenpaginierung der vorliegen­ den Ausgabe entspricht der Druckfassung seit der 7. Auflage 1 96 1 . 2 . Der ursprüngliche Drucktext bleibt in der vorliegenden Ausgabe möglichst zeichengetreu erhalten. Eigentümlichkeiten der Rechtschreibung und Zeichensetzung35 sowie die unein­ heitlichen Bezeichnungen biblischer Bücher sind beibehalten. 36 Die damaligen Druckfehler wurden beseitigt und sonstige of­ fensichtliche Fehler stillschweigend korrigiert. B onhoeffer ist bei seinen Arbeiten für das Buch " Nachfolge" hauptsächlich von der Lutherübersetzung der Bibel, die für die Mehrzahl der evangelischen Deutschen die vertrauteste war, ausgegangen. Er benutzte die Konfirmationsbibel seines 1 9 1 8 gefallenen Bruders mit dem Text von 191 1 (das Kürzel " LB " meint diese Lutherbibel) und die i n seinem " Nestle" abge­ druckte Fassung von 1 927, parallel dazu den griechischen Ur­ text. Größere Abweichungen vom Luthertext und an manchen Stellen auch Bonhoeffers Markierungen - Randbemerkungen, An- und Unterstreichungen - werden in Herausgeberanmer­ kungen angezeigt. Bei irrtümlichen Bibelstellenangaben im Text stehen die korrekten Angaben im Herausgeberapparat. In den Kapiteln " Die sichtbare Gemeinde" und " Die Heiligen" allerdings, wo sich die Ungenauigkeiten häufen, werden die meisten Angaben stillschweigend im Text korrigiert. 3 . Bonhoeffers Anmerkungsziffern (und S . 3 8 das Stern-Zei­ chen) sind mit einer runden Klammer versehen. Die Herausge­ beranmerkungen, bezeichnet durch Ziffern ohne Klammer, werden kapitelweise in der Lesefolge durchgezählt ; sie stehen unter den Anmerkungen Bonhoeffers . Bonhoeffer nennt nur zum geringsten Teil die Bücher oder 34 Bethgc hat in seinem Exemplar von 1937 die Verbesserungen mit Bleistift vermerkt, z. B. im Sachregister " Fremdlingsherrschaft" in das korrekte " Fremdlingschaft" verändert. Die Korrekturen " Eph. " statt " Offenb. " auf S. 243 und " 1 . Tim . " statt " 1 . Thes s . " auf S. 289 f sind in der vorliegenden Aus­ gabe stillschweigend übernommen worden. Zwei im Druck 1 9 3 7 fehlende, auf Bethges Veranlassung eingefügte Bibelstellenangaben S. 1 22 und 126 stehen in eckigen Klammern . .l; Geändert wurden nur sinnstörende Satzzeichen sowie die doppelten An­ führungszeichen innerhalb von Zitaten. 3 6 In Manuskripten hatten Bonhocffcrs Stellen angaben die Form : , Eph I,,'.

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Vorwort der Herausgeber

die literarischen Gesprächspartner, mit denen er sich kritisch auseinandersetzt - eine Eigenart, die auch sonst in seinen Publi­ kationen zu bemerken ist. Die Herausgeberanmerkungen wei­ sen in Frage kommende Literatur nach ; sie wird mit Kurztiteln zitiert, ausgenommen sehr häufig herangezogene, nur mit dem Namen (" Kierkegaard" , " Tholuck") bezeichnete B ücher. 37 Wenn Bonhoeffer in den von ihm benutzten Exemplaren Mar­ kierungen angebracht hat, wird das vermerkt. Darüber hinaus werden in den Herausgeberanmerkungen fremdsprachige Ausdrücke übersetzt, teilweise aber auch Fach­ termini genannt, die Bonhoeffer - wie schon bei " Schöpfung und Fall" 1 933 - in den Vorlesungen, nicht aber im Buchma­ nuskript benutzte. Durch Querverweise im Buch, kenntlich durch ein ,, 5. " vor der Seitenzahl, soll besonders auf Entsprechungen zwischen Teil I und Teil 11 aufmerksam gemacht werden. Ferner werden verwandte frühere und gleichzeitige Ä ußerungen Bonhoeffers angeführt. Bei Dokumenten, die nach dem Verzeichnis " Nach­ laß Dietrich Bonhoeffer" zitiert werden38, bedeutet " NL A" : von Bonhoeffer selbst verfaßt, " NL B " : Mit- und Nachschrif­ ten anderer ; Mitschriften sind während der Lehrveranstaltung entstanden, Nachschriften später ausgearbeitet. Die vorange­ stellten Jahreszahlen zeigen zum B eispiel, aus welchem Finken­ walder Kurs eine Höreraufzeichnung stammt. So ist " 1 935 NL B 8" eine Mitschrift im ersten, einem Sommerkurs, ,, 1 93 6/3 7 NL B 9, 6" eine Nachschrift im vierten, einem Winterkurs. Die j eweils beigefügte Zahl in runden Klammern gibt die Archivpa­ ginierung der Schriftstücke an. Schließlich wird in einigen Herausgeberanmerkungen auf zeitgenössische Vorgänge aufmerksam gemacht, angesichts de­ rer Bonhoeffer über " Nachfolge" arbeitete und lehrte. Die Ver­ gegenwärtigung der politischen und kirchlichen Lage um die Mitte der dreißiger Jahre soll beispielhaft verdeutlichen, daß nach B onhoeffers Ü berzeugung das Wort Gottes die Men­ schen, die es trifft, stets in die Welt, die ihr Hier und Heute ist, hineinstellt. 37 Auskünfte über die Zitierweise gibt auch das Literaturverzeichnis sowie in manchen Fällen das Abkürzungsverzeichnis . 3 8 Siehe Literaturvcrzcichnis b.

Vorwort der Herausgeber

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4 . Als Faksimile aus der ursprünglichen Druckfassung sind das Titelblatt und das Inhaltsverzeichnis, die bei den ersten Sei­ ten der Bergpredigt-Auslegung (S. 97 f) und im Anschluß an d en Text (S. 3 05) Bonhoeffers eigenes Sachregister von 1 93 7 beigegeben ; letzteres zeigt, welche Stichwörter und Verweise Bonhoeffer wichtig waren. Ein QUellenverzeichnis, das die vergleichend herangezoge­ nen Nachlaß-Schriftstücke in chronologischer Anordnung mit Fundort und Titel auflistet, ermöglicht unter anderem einen Ü berblick über die Höreraufzeichnungen in Finkenwalde. Im Literaturverzeichnis nennt der erste Teil Bücher, die Bonhoeffer nachweislich verwendet hat oder deren Benutzung für das Buch " Nachfolge" mit beträchtlicher Wahrscheinlich­ keit erschlossen werden konnte. Der zweite Teil weist die von den Herausgebern benutzte Literatur nach, der dritte enthält Titel aus der Bonhoefferforschung. Ein Abkürzungsverzeichnis löst die Kürzel auf, die - soweit sie von den Herausgebern verwendet werden - größtenteils mit den Abkürzungen der " Theologischen Realenzyklopädie" übereinstimmen. Bibelstellen-, Sach- und Personenregister sind neu erstellt worden. Beide Herausgeber haben vielen Menschen für ihre bereitwil­ lige Unterstützung zu danken. Alle zu nennen, ergäbe eine mannigfaltige, aber viel zu lange Liste. Die Herausgeber-Kolle­ gen der " Dietrich Bonhoeffer Werke" haben geholfen, beson­ ders Wolfgang Huber, Joachim von Soosten und Gerhard L. Müller. Wichtige Anregungen zu Bonhoeffer und Luther gab Christian Köckert aus Halle. Herbert Anzinger hat sich über die redaktionellen Aufgaben hinaus an der inhaltlichen Gestal­ tung beteiligt. Heinz Eduard Tödt wandte viel Zeit an die B era­ tung. Als Verantwortlicher aus dem Gesamtherausgeberkreis begleitete Ernst Feil sorgfältig die Entstehung dieses Bandes . Vor allem darf einer nicht ungenannt bleiben, dessen Hilfe in der gesamten Ausgabe " Dietrich Bonhoeffer Werke" gegen­ wärtig ist : Eberhard Bethge, für den 1 935 im Predigerseminar die Freundschaft mit Dietrich Bonhoeffer begann. Martin Kuske Ilse Tödt

Teterow und Heidelberg 2 1 . Juli 1 988

DIETRICH BONHOEFFER

Nachfolge

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II.

bie 1\ird)e :Jefu ltl)rij1i unb bit \;J:ad)folge - 1:>orfragen . l)ie �aufe . l)er I!eib ltl)rij1i . l)ie fid)tbare ich das Mönchtum wesentlich darin vom Christlichen, daß es seinen Weg zu einer freien 50nderlei­ stung einiger Weniger werden ließ und damit für ihn eine be­ sondere Verdienstlichkeit in Anspruch nahm. Als Gott durch seinen Knecht Martin Luther in der Refor­ mation das Evangelium von der reinen, teuren Gnade wieder I erweckte, führte er Luther durch das Kloster. Luther war Mönch. Er hatte alles verlassen und wollte Christus in vollkom­ menem Gehorsam nachfolgen. Er entsagte der Welt und ging an das christliche Werk. Er lernte den Gehorsam gegen Christus und seine Kirche, weil er wußte, daß nur der Gehorsame glau­ ben kann. Der Ruf ins Kloster kostete Luther den vollen Ein­ satz seines Lebens . Luther scheiterte mit seinem Weg an Gott 17 Das lateinische Wort für Übung, "exercitium", benutzte Bonhoeffer 1 932 DBW 3, 23 Anm. 10 und 1 933 DBW 12, 1 99.

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selbst. Gott zeigte ihm durch die Schrift, daß die Nachfolge J esu nicht verdienstliche Sonderleistung Einzelner, sondern göttliches Gebot an alle Christen ist. Das demütige Werk der Nachfolge war im Mönchtum zum verdienstlichen Tun der Heiligen geworden. 1 8 Die Selbstverleugnung des Nachfolgen­ den 19 enthüllte sich hier als die letzte geistliche Selbstbehaup­ tung der Frommen. Damit war die Welt mitten in das Mönchs­ leben hineingebrochen und in gefährlichster Weise wieder am Werk. Die Weltflucht des Mönches war als feinste Weltliebe durchschaut. 20 In diesem Scheitern der letzten Möglichkeit ei­ nes frommen Lebens ergriff Luther die Gnade. Er sah im Zu­ sammenbruch der mönchischen Welt die rettende Hand Gottes in Christus ausgestreckt. Er ergriff sie im Glauben daran, daß " doch unser Tun umsonst ist, auch in dem besten Leben"21 . Es war eine teure Gnade, die sich ihm schenkte, sie zerbrach ihm seine ganze Existenz. Er mußte seine Netze abermals zurück­ lassen und folgen. 22 Das erstemal, als er ins Kloster ging, hatte er alles zurückgelassen, nur sich selbst, sein frommes Ich, nicht. Diesmal war ihm auch dieses genommen. Er folgte nicht auf eigenes Verdienst, sondern auf Gottes Gnade hin. Es wurde ihm nicht gesagt : du hast zwar gesündigt, aber das ist nun alles vergeben, bleibe nur weiter, wo du warst, und tröste dich der Vergebun g ! Luther mußte das Kloster verlassen und zurück in die Welt, nicht weil die Welt an sich gut und heilig wäre, son­ dern weil auch das Kloster nichts anderes war als Welt. 23 I Luthers Weg aus dem Kloster zurück in die Welt bedeutete den schärfsten Angriff, der seit dem Urchristentum auf die Welt geführt worden war. Die Absage, die der Mönch der Welt gege­ ben hatte, war ein Kinderspiel gegenüber der Absage, die die Welt durch den in sie Zurückgekehrten erfuhr. Nun kam der 18 Vgl. 1 93 5 NL B 8 ( 1 ) : "Im Katholizismus dadurch die Nachfolge verdorben, nicht daß welche ins Kloster gingen, sondern daß es als verdienstlich, außeror­ dentlich hingestellt wurde." Siehe Kierkegaard 146: " . . . wie in aller Welt könnte sonst das Verdienstliche aufgekommen sein, wenn man daran festgehal­ ten hätte, daß die Nachfolge ganz simpel das Geforderte war". 0 19 Mk 8,34. o 20 Vgl. Kierkegaard 147: das B ehagen, als "die Außerordentlichen" zu gel­ ten, ist "wieder Weltlichkeit" . 0 21 Liedzeile aus EG.BP 1 40, 2 wie zu Beginn des Kapitels. 0 22 Vgl. Mk 1 , 1 8 . 0 23 Vgl. 1 93 6 DBW 1 4, 798: "Welt" in der Schrift "ist alles, was mein Herz von Gott abziehen will" .

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Angriff frontal. 24 Nachfolge J esu mußte nun mitten i n der Welt gelebt werden. \Vas unter den besonderen Umständen und Er­ leichterungen des klösterlichen Lebens als Sonderleistung geübt wurde, war nun das Notwendige und Gebotene für j eden Chri­ sten in der Welt geworden. Der vollkommene Gehorsam gegen das Gebot Jesu mußte im täglichen Berufsleben geleistet wer­ den. Damit vertiefte sich der Konflikt zwischen dem Leben des Christen und dem Leben der Welt in unabsehbarer Weise. Der Christ war der Welt auf den Leib gerückt. Es war Nahkampf. Man kann die Tat Luthers nicht verhängnisvoller mißverste­ hen als mit der Meinung, Luther habe mit der Entdeckung des Evangeliums der reinen Gnade einen Dispens für den Gehor­ sam gegen das Gebot Jesu in der Welt proklamiert ; die reforma­ torische Entdeckung sei die Heiligsprechung, die Rechtferti­ gung der Welt durch die vergebende Gnade gewesen. Der welt­ liche B eruf des Christen erfährt vielmehr seine Rechtfertigung für Luther allein dadurch, daß in ihm der Protest gegen die Welt in letzter Schärfe angemeldet wird . Nur sofern der weltli­ che B eruf des Christen in der Nachfolge Jesu ausgeübt wird, hat er vom Evangelium her neues Recht empfangen. Nicht Rechtfertigung der Sünde, sondern Rechtfertigung des Sünders war der Grund für Luthers Rückkehr aus dem Kloster. Teure Gnade war Luther geschenkt worden. Gnade war es, weil sie Wasser auf das durstige Land, Trost für die Angst, Befreiung von der Knechtschaft des selbstgewählten Weges, Vergebung aller Sünden war. Teuer war die Gnade, weil sie nicht dispen­ sierte vom Werk, sondern den Ruf in die I Nachfolge unendlich verschärfte. Aber gerade worin sie teuer war, darin war sie Gnade, und worin sie Gnade war, darin war sie teuer. Das war das Geheimnis des reformatorischen Evangeliums, das Geheim­ nis der Rechtfertigung des Sünders . Und dennoch bleibt der Sieger der Reformationsgeschichte nicht Luthers Erkenntnis von der reinen, teuren Gnade, son­ dern der wachsame religiöse Instinkt des Menschen für den Ort, an dem die Gnade am billigsten zu haben ist.25 Es bedurfte 24 Vgl. Kierkegaard 1 2 9 : "Sollte das Bestehende einen direkten Angriff haben wollen, nun wohl hier ist einer : . . . Luther befreite , die Nachfolge, Christi Nachfolge' aus einem phantastischen Mißverständnis". D 25 Vgl. Kierkegaard 1 71 : "Man fand daß der Papst zu teuer geworden war" - und meinte, mit

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nur einer ganz leichten, kaum merklichen Verschiebung des Akzentes, und das gefährlichste und verderblichste Werk war getan. Luther hatte gelehrt, daß der Mensch auch in seinen frömmsten Wegen und Werken vor Gott nicht bestehen kann, weil er im Grund immer sich selbst sucht. Er hatte in dieser Not die Gnade der freien und bedingungslosen Vergebung aller Sünden im Glauben ergriffen. Luther wußte dabei, daß ihm diese Gnade ein Leben gekostet hatte und noch täglich kostete ; denn er war j a durch die Gnade nicht dispensiert von der Nach­ folge, sondern erst recht in sie hineingestoßen. Wenn Luther von der Gnade sprach, so meinte er sein eigenes Leben immer mit, das durch die Gnade erst in den vollen Gehorsam Christi gestellt worden war. Er konnte gar nicht anders von der Gnade reden, als eben so. Daß die Gnade allein es tut, hatte Luther gesagt26, und wörtlich so wiederholten es seine Schüler, mit dem einzigen Unterschied, daß sie sehr bald das ausließen und nicht mitdachten und sagten, was Luther immer selbstverständ­ lich mitgedacht hatte, nämlich die Nachfolge, j a, was er nicht mehr zu sagen brauchte, weil er ja immer selbst als einer redete, den die Gnade in die schwerste Nachfolge J esu geführt hatte. Die Lehre der Schüler war also unanfechtbar von der Lehre Luthers her, und doch wurde diese Lehre das Ende und die Vernichtung der Reformation als der Offenbarung der teuren Gnade Gottes auf Erden. Aus der I Rechtfertigung des Sünders in der Welt wurde die Rechtfertigung der Sünde und der Welt. Aus der teuren Gnade wurde die billige Gnade ohne Nachfolge. Sagte Luther, daß unser Tun umsonst ist, auch in dem besten Leben, und daß darum bei Gott nichts gilt " denn G nad und Gunst, die Sünden zu vergeben"27, so sagte er es als einer, der sich bis zu diesem Augenblick und schon im selben Augenblick wieder neu in die Nachfolge J esu, zum Verlassen von allem, Luthers Wendung der Sache "die Seligkeit noch weit billiger, rein gratis zu bekommen"; 1 76: " . . . sobald ,die Nachfolge' fortgenommen wird ist ,Gnade' eigentlich Ablaß " . So auch 1 93 6/37 DBW 14, 75 1 : "Evangelium billiger Ablaß." D 26 In Luthers Übersetzung von Röm 3,28 unterstreicht dies der ausdeutende Zusatz "allein": "So halten wir nun dafür, daß der Mensch gerecht werde ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben" - gerecht aus "Gnade" (Röm 3,24 und 4,4). D 2 7 Aus der auch früher zitierten Kirchenlied­ Strophe EG.BP 1 40, 2. =

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was er hatte, berufen wußte. D i e Erkenntnis d e r Gnade war für ihn der letzte radikale Bruch mit der Sünde seines Lebens, nie­ mals aber ihre Rechtfertigung. Sie war im Ergreifen der Verge­ bung die letzte radikale Absage an das eigenwillige Leben, sie war darin selbst erst eigentlich ernster Ruf zur Nachfolge. Sie war ihm j eweils " Resultat"28, freilich göttliches, nicht mensch­ liches Resultat. Dieses Resultat aber wurde von den Nachfah­ ren zur prinzipiellen Voraussetzung einer Kalkulation gemacht. Darin lag das ganze Unheil. Ist Gnade das von Christus selbst geschenkte " Resultat" christlichen Lebens, so ist dieses Leben keinen Augenblick dispensiert von der Nachfolge. Ist aber Gnade prinzipielle Voraussetzung meines christlichen Lebens, so habe ich damit im voraus die Rechtfertigung meiner Sünden, die ich im Leben in der Welt tue. Ich kann nun auf diese Gnade hin sündigen, die Welt ist j a im Prinzip durch Gnade gerecht­ fertigt. Ich bleibe daher in meiner bürgerlich-weltlichen Exi­ stenz wie bisher, es bleibt alles beim alten, und ich darf sicher sein, daß mich die Gnade Gottes bedeckt. Die ganze Welt ist unter dieser Gnade " christlich" geworden, das Christentum aber ist unter dieser Gnade in nie dagewesener Weise zur Welt geworden. Der Konflikt zwischen christlichem und bürgerlich­ weltlichem Berufsleben ist aufgehoben. Das christliche Leben besteht eben darin, daß ich in der Welt und wie die Welt lebe, mich in nichts von ihr unterscheide, j a mich auch gar nicht - um der I Gnade willen ! - von ihr unterscheiden darf, daß ich mich aber zu gegebener Zeit aus dem Raum der Welt in den Raum der Kirche begebe, um mich dort der Vergebung meiner Sün­ den vergewissern zu lassen. Ich bin von der Nachfolge Jesu befreit - durch die billige Gnade, die der bitterste Feind der Nachfolge sein muß, die die wahre Nachfolge hassen und schmähen muß . Gnade als Voraussetzung ist billigste Gnade ; Gnade als Resultat teure Gnade. Es ist erschreckend, zu erken ­ nen, was daran liegt, in welcher Weise eine evangelische Wahr­ heit ausgesprochen und gebraucht wird. Es ist dasselbe Wort von der Rechtfertigung aus Gnaden allein ; und doch führt der

28 Bonhoeffer schließt sich hier dem Sprachgebrauch Kierkegaards an, s. den

folgenden Absatz.

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falsche Gebrauch desselben Satzes zur vollkommenen Zerstö­ rung seines Wesens. Wenn Faust am Ende seines Lebens in der Arbeit an der Erkenntnis sagt : " Ich sehe, daß wir nichts wissen können"29, so ist das Resultat, und etwas durchaus anderes, als wenn dieser Satz von einem Studenten im ersten Semester übernommen wird, um damit seine Faulheit zu rechtfertigen (Kierkegaard) . 3o Als Resultat ist der Satz wahr, als Voraussetzung ist er Selbstbe­ trug. Das bedeutet, daß eine Erkenntnis nicht getrennt werden kann von der Existenz, in der sie gewonnen ist. Nur wer in der Nachfolge Jesu im Verzicht auf alles, was er hatte, steht, darf sagen, daß er allein aus Gnaden gerecht werde. Er erkennt den Ruf in die Nachfolge selbst als Gnade und die Gnade als diesen Ruf. Wer sich aber mit dieser Gnade von der Nachfolge dispen­ sieren will, betrügt sich selbst. Aber geriet nicht Luther selbst in die gefährlichste Nähe dieser völligen Verkehrung im Verständnis der Gnade ? Was bedeutet es, wenn Luther sagen kann : " Pecca fortiter, sed for­ tius fide et gaude in Christo" - " Sündige tapfer, aber glaube und freue dich in Christo um so tapferer ! '' ':- ). Also, I du bist nun einmal ein Sünder, und kommst doch nie aus der Sünde heraus ; ob du ein Mönch bist oder ein Weltlicher, ob du fromm sein willst oder böse, du entfliehst dem Stricke der Welt nicht, du sündigst. So sündige denn tapfer - und zwar gerade auf die geschehene Gnade hin ! Ist das die unverhüllte Proklamation der billigen Gnade, der Freibrief für die Sünde, die Aufhebung der Nachfolge ? Ist das die lästerliche Aufforderung zum mut­ willigen Sündigen auf Gnade hin ? Gibt es eine teuflischere Schmähung der Gnade, als auf die geschenkte Gnade Gottes hin ,,-) Enders III, S . 208, 1 1 8 ff. 3 1 2 9 Vgl. Johann Wolfgang von Goethe, Faust. Der Tragödie erster Teil, Vers

(v gl. 1 5 3) : " Und wie ich denn, wenn ich ein Bierzapfer wäre, . . . weil ich mir bewußt wäre daß ich nicht die Voraussetzun­ gen hätte wie jener Gelehrte . . . zu sagen : ,nicht auf die Wissenschaft kommt es an', nicht wagen würde es als Resultat hinzunehmen und es nachzusprechen, so will ich noch viel weniger (denn diese Sache ist weit wichtiger) das Luthersche als Resultat hinnehmen" ; Bonhoeffer hat " als Resultat" stark markiert. 0 3 1 Die gleiche Literaturangabe bei K. Hall, Luther, 235 Anm. 3, und DBW 2 (AS), 1 20. Siehe jetzt WA .BR 2, 3 72, 84 f. 364. 0 30 Siehe Kierkegaard 1 82

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zu sündigen ? Hat der katholische Katechismus nicht recht, wenn er hierin die Sünde wider den heiligen Geist erkennt ?32 Es kommt hier zum Verständnis alles darauf an, die Unter­ scheidung von Resultat und Voraussetzung in Anwendung zu bringen. Wird Luthers Satz zur Voraussetzung einer Gna­ dentheologie, so ist die billige Gnade ausgerufen. Aber eben nicht als Anfang, sondern ganz ausschließlich als Ende, als Re­ sultat, als Schlußstein, als allerletztes Wort ist Luthers Satz recht zu verstehen. Als Voraussetzung verstanden, wird das pecca fortiter zum ethischen Prinzip ; einem Prinzip der Gnade muß ja das Prinzip des pecca fortiter entsprechen. Das ist Rechtfertigung der Sünde. So wird Luthers Satz in sein Gegen­ teil verkehrt. " Sündige tapfer" - das konnte für Luther nur die allerletzte Auskunft, der Zuspruch für den sein, der auf seinem Wege der Nachfolge erkennt, daß er nicht sündlos werden kann, der in der Furcht vor der Sünde verzweifelt an Gottes Gnade. Für ihn ist das " Sündige tapfer" nicht etwa eine grund­ sätzliche B estätigung seines ungehorsamen Lebens, sondern es ist das Evangelium von der Gnade Gottes, vor dem wir immer und in j edem Stande Sünder sind und das uns gerade als Sünder sucht und rechtfertigt. Bekenne dich tapfer zu deiner Sünde, versuche ihr nicht zu entfliehen, aber " glaube noch viel tapfe­ rer" . Du bist ein Sünder, so sei nun auch ein Sün- I der, wolle nicht etwas anderes sein, als was du bist, ja werde täglich wieder ein Sünder und sei tapfer darin. Zu wem aber darf das gesagt sein als zu dem, der täglich von Herzen der Sünde absagt, der täglich allem absagt, was ihn an der Nachfolge J esu hindert, und der doch ungetröstet ist über seine tägliche Untreue und Sünde ? Wer anders kann das ohne Gefahr für seinen Glauben hören, als der, der sich durch solchen Trost erneut in die Nachfolge Chri­ sti gerufen weiß ? So wird Luthers Satz, als Resultat verstanden, zur teuren Gnade, die allein Gnade ist. Gnade als Prinzip, pecca fortiter als Prinzip, billige Gnade ist zuletzt nur ein neues Gesetz, das nicht hilft und nicht befreit. 32 Mt 1 2 , 3 1 f. Der Catechismus Romanus (von 1 566) - ein Exemplar befindet

sich in Bonhoeffers Restbibliothek - geht auf diese Stelle ein im Fünften Haupt­ stück des Zweiten Teils : ,, 1 9 . In welchem Sinne gesagt wird, daß einige Sünden nicht vergeben werden können" (deutsche Fassung 1 9 70 : 202) . Vgl. Deharbc 554.

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Gnade als leben diges Wort, pecca fortiter als Trost in der An­ fechtung und Ruf in die Nachfolge, teure Gnade ist allein reine Gnade, die wirklich Sünden vergibt und den Sünder befreit. Wie die Raben haben wir uns um den Leichnam der billigen Gnade gesammelt, von ihr empfingen wir das Gift, an dem die Nachfolge Jesu unter uns starb . Die Lehre von der reinen Gnade erfuhr zwar eine Apotheose ohnegleichen, die reine Lehre von der G nade wurde Gott selbst, die Gnade selbst. 33 Ü berall Luthers Worte und doch aus der Wahrheit in Selbstbe­ trug verkehrt. Hat unsere Kirche nur die Lehre von der Recht­ fertigung, dann ist sie gewiß auch eine gerechtfertigte Kirche ! so hieß es. D arin sollte also das rechte Erbe Luthers erkennbar werden, daß man die Gnade so billig wie möglich machte. Das sollte lutherisch heißen, daß man die Nachfolge Jesu den Ge­ setzlichen, den Reformierten oder den Schwärmern überließ, alles um der Gnade willen ; daß man die Welt rechtfertigte und die Christen in der Nachfolge zu Ketzern machte. Ein Volk war christlich, war lutherisch geworden, aber auf Kosten der Nach­ folge, zu einem allzu billigen Preis. Die billige Gnade hatte gesiegt. Aber wissen wir auch, daß diese billige Grude in höchstem I Maße unbarmherzig gegen uns gewesen ist?4 Ist der Preis, den wir heute mit dem Zusammenbruch der organisierten Kirchen zu zahlen haben, etwas anderes als eine notwendige Folge der zu billig erworbenen Gnade ?35 Man gab die Verkündigung und die Sakramente billig, man taufte, man konfirmierte, man absol­ vierte ein ganzes Volk, ungefragt und bedingungslos, man gab das Heiligtum aus menschlicher Liebe den Spöttern und Un­ gläubigen, man spendete Gnadenströme ohne Ende, aber der Ruf in die strenge Nachfolge Christi wurde seltener gehört. Wo blieben die Erkenntnisse der alten Kirche, die im Taufkatechu­ menat so sorgsam über der Grenze zwischen Kirche und Welt, Vgl. Kierkegaard 1 68 : ,..In der Definition der ,Kirche', welche sich in der augsburgischen Konfession findet," hat man "die Gemeinschaft der Heiligen, worin die Bestimmung in Richtung auf das Existentielle liegt", übersehen, aber ,die Lehre' die ist richtig . . . Dies ist eigentlic;h Heidentum. " Apotheose bedeutet: Vergottung. D 34 Vgl. 1 93 5 NL B 8 ( 1 ) : "Ja nicht ,Gnadenprinzip ' ! ! sonst wird aus barmherziger Gnade die unbarmherzige Gnade." D 3 5 Vgl. zur Lage im tvangelischen Kirchentum 1 936 DBW 14, (;73-676. 33

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über der teuren Gnade wachte ?36 Wo blieben die Warnungen Luthers vor einer Verkündung des Evangeliums , die die Men­ schen sicher machte in ihrem gottlosen Leben ? Wann wurde die Welt grauenvoller und heilloser christianisiert als hier? Was sind die 3000 von Karl dem Großen am Leibe getöteten Sachsen gegenüber den Millionen getöteter Seelen heute ?37 Es ist an uns wahr geworden, daß die Sünde der Väter an den Kindern heim­ gesucht wird bis ins dritte und vierte Glied. 38 Die billige Gnade war unserer evangelischen Kirche sehr unbarmherzig. Unbarmherzig ist die billige Gnade gewiß auch den meisten von uns ganz persönlich gewesen. Sie hat uns den Weg zu Christus nicht geöffnet, sondern verschlossen. Sie hat uns nicht in die Nachfolge gerufen, sendern in Ungehorsam hart ge­ macht. Oder war es nicht unbarmherzig und hart, wenn wir dort, wo wir den Ruf in die Nachfolge J esu wohl einmal gehört hatten als den Gnadenruf Christi, wo wir vielleicht einmal die ersten Schritte der Nachfolge in der Zucht des Gehorsams ge­ gen das Gebot gewagt hatten, überfallen wurden mit dem Wort von der billigen Gnade ? Konnten wir dieses Wort anders hö­ ren, als daß es unseren Weg aufhalten wollte mit dem Ruf zu einer höchst weltlich en I Nüchternheit, daß es die Freudigkeit zur Nachfolge in uns erstickte mit dem Hinweis, das alles sei j a nur unser selbstgewählter Weg, ein Aufwand a n Kraft, An­ strengung und Zucht, der unnötig, ja höchst gefährlich sei ? denn es sei j a eben in der Gnade schon alles bereit und voll36 Im Blick auf die kirchliche Praxis seiner Gegenwart besprach B onhoeffer in Finkenwalde ausführlich "Das altkirchliche Katechumenat" (einschließlich der "Arkandisziplin"), vgl. 1 935/36 DBW 1 4, 546-55 1 . D 3 7 Daß Karl der Große im Jahre 782 Tausende von Sachsen hinrichten ließ, wurde von der völkischen und natiomlsozialistischen Propaganda gegen die Kirchen ausgenutzt. Bonhoeffer erwähnte in Finkenwalde - s. DBW 14, 467 Anm. 1 4, 472, 774 - den Namen Karls des Großen stets verbunden mit der altkirchlichen Formel "filioque": Der Geist geht vom Vater und vom Sohne aus . Karl der Große setzte in seinem Herr­ schaftsbereich diese christoiogische Geistlehre in Geltung. Einen Volks geist, der nicht von Christus gerichtet wird (DBW 13, 40), proklamierten nach 1 93 3 die Deutschen Christen im Anschluß an volkskirchliche Traditionen. Während der Arbeit am B etheler B ekenntnis (es enthielt eine "Erneuerung des filioque", DB 355, vgl. DBW 12, 3 70) schrieb Bonhoeffer an die Großmutter am 20. 8. 1 933 DBW 12, 1 1 8: "Die Frage ist wirklich Germanismus oder Christentum". D 38 Ex 20,5 und Dtn 5,9.

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Teil 1.

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bracht ! Der glimmende Docht wurde unbarmherzig ausge­ löscht. 39 Es war unbarmherzig, zu einem Menschen so zu re­ den, weil er, durch solches billiges Angebot verwirrt, seinen Weg verlassen mußte, auf den ihn Christus rief, weil er nun nach der billigen Gnade griff, die ihm die Erkenntnis der teuren Gnade für immer versperrte. Es konnte ja auch nicht anders kommen, als daß der betrogene schwache Mensch sich im Be­ sitz der billigen Gnade auf einmal stark fühlte40 und in Wirk­ lichkeit die Kraft zum Gehorsam, zur Nachfolge verloren hatte. Das Wort von der billigen Gnade hat mehr Christen zugrunde gerichtet als irgendein Gebot der Werke. Wir wollen nun in allem folgenden das Wort für diejenigen ergreifen, die eben darin angefochten sind, denen das Wort der Gnade erschreckend leer geworden ist. Es muß um der Wahr­ haftigkeit willen für die unter uns gesprochen werden, die be­ kennen, daß sie mit der billigen Gnade die Nachfolge Christi verloren haben und mit der Nachfolge Christi wiederum das Verständ nis der teuren Gnade. Einfach, weil wir es nicht leug­ nen wollen, daß wir nicht mehr in der rechten Nachfolge Chri­ sti stehen, daß wir wohl Glieder einer rechtgläubigen Kirche der reinen Lehre von der Gnade, aber nicht mehr ebenso Glie­ der einer nachfolgenden Kirche sind, muß der Versuch gemacht werden, Gnade und Nachfolge wieder in ihrem rechten Ver­ hältnis zueinander zu verstehen . Hier dürfen wir heute nicht m ehr ausweichen. Immer deutlicher erweist sich die Not unse­ rer Kirche als die eine Frage, wie wir heute als Christen leben können. Wohl denen, die schon am Ende des Weges, den wir ge- I hen wollen, stehen und staunend begreifen, was wahrhaftig nicht begreiflich erscheint, daß Gnade teuer ist, gerade weil sie reine Gnade, weil sie Gnade Gottes in J esus Christus ist. 4 1 Wohl Vgl. Jes 42,3 (Mt 1 2,20). 0 40 Starke und Schwache: vgl. Röm 14. Bei der Kampfversammlung mit den Deutschen Christen am 22. Juni 1 93 3 in der Neuen Aula der Berliner Universität beschrieb Bonhoeffer die "Schwachen", die Jüdi­ sches aus der deutschen Kirche heraushalten wollten, als die Aggressiven (DB 3 3 8 f, DBW 12, 85). 0 4 1 Allein im Jahre 1 93 7 waren 2 7 ehemalige Finkenwal­ der Kursteilnehmer wegen Verstoßes gegen willkürliche staatliche Verbote kür­ zer oder länger inhaftiert (so Bonhoeffers Jahresbilanz 1 93 7 DBW 1 5, 1 4 f). Ein Brief von Willi Brandenburg aus dem Polizeigefängnis Frankfurt/Oder hatte dem 39

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denen, die in einfältiger Nachfolge J esu Christi von dieser Gnade überwunden sind, daß sie mit demütigem Geist die al­ leinwirksame Gnade Christi loben dürfen. Wohl denen, die in der Erkenntnis solcher Gnade in der Welt leben können, ohne sich an sie zu verlieren, denen in der Nachfolge J esu Christi das himmlische Vaterland so gewiß geworden ist, daß sie wahrhaft frei sind für das Leben in dieser Welt. Wohl ihnen, für die Nachfolge Jesu Christi nichts heißt, als Leben aus der Gnade, und für die Gnade nichts heißt, als Nachfolge. Wohl ihnen, die in diesem Sinne Christen geworden sind, denen das Wort der Gnade barmherzig war.

10. Rundbrief aus Finkenwalde beigelegen (22. 7. 1 93 6 DBW 14, 202): " . . . der Herr Christus! Das ist Leben, das ist Seligkeit, denn das ist Vergebung der Sün­ den, das weig man als guter Theologe, aber das erlebt man in solcher Situation." B onhoeffer zu diesem Brief (DBW 14, 1 9 9 f): "Es ist eigentümlich, wie j edes Wort, das aus solcher Lage kommt, wiegt."

Der Ruf in die Nachfolge.

" Und da J esus vorüberging, sah er Levi, den Sohn des Alphäus, am Zoll sitzen und sprach zu ihm : Folge mir nach ! Und er stand auf und folgte ihm nach" (Mk. 2, 1 4) . Der Ruf ergeht, und ohne jede weitere Vermittlung folgt die gehorsame Tat des Gerufenen. Die Antwort des Jüngers ist nicht ein gesprochenes Bekenntnis des Glaubens an Jesus, son­ dern das gehorsame Tun . Wie ist dieses unmittelbare Gegen­ über von Ruf und Gehorsam möglich ? Es ist der natürlichen Vernunft überaus anstößig, sie muß sich bemühen, dieses harte Aufeinander zu trennen, es muß etwas dazwischentreten, es muß etwas erklärt werden. Es muß unter allen Umständen eine Vermittlung gefunden werden, eine psychologische, eine histo­ rische. Man stellt die törichte Frage, ob nicht der Zöllner J esus schon vorher gekannt habe und daher bereit gewesen sei, auf seinen Ruf hin zu folgen. 1 Eben hierüber aber schweigt der Text hartnäckig, es liegt ihm ja gerade alles an dem gänzlich unver­ mittelten Gegenüber von Ruf und Tat. Psychologische Begrün­ dungen für die frommen Entscheidungen eines Menschen inter­ essieren ihn nicht. Warum nicht ? Weil es nur eine einzige gül­ tige Begründung für dieses Gegenüber von Ruf und Tat gibt : Jesus Christus selbst. Er ist es, der ruft. Darum folgt der Zöllner. Die unbedingte, unvermittelte und unbegründbare Autorität Jesu wird in dieser Begegnung bezeugt. Nichts geht hier voraus, und es folgt nichts anderes als der Gehorsam des Gerufenen. Daß J esus der Christus ist, gibt ihm Vollmacht zu rufen und auf sein Wort Gehorsam zu fordern. Jesus ruft in die Nachfolge, nicht als Lehrer und Vorbild, sondern als der I Christus, der Sohn Gottes. So wird in diesem kurzen Text J esus Christus und sein Anspruch auf den Menschen verkündigt, sonst nichts. Kein Lob fällt auf den Jünger, auf sein entschiedenes Christentum2. Der 'Blick soll nicht auf ihn fallen, sondern allein auf den, der 1 Diese Lösung (eines Schein-Problems in Bonhoeffers Sicht) bietet B . Weiß, Das Leben Jesu, 494 f, und schon vor ihm A. Neander, Das Leben Jesu, 252 f. 0 2 Vgl. den Namen der Jugendbünde für " entschiedenes Christentum" ("EC"), gegründet 1 8 8 1 , seit 1 894 in Deutschland.

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ruft, auf seine Vollmacht. Auch nicht ein Weg zum Glauben, zur Nachfolge ist gewiesen, es gibt keinen anderen Weg zum Glauben als den Gehorsam gegen den Ruf J esu. Was wird über den Inhalt der Nachfolge gesagt ? Folge mir nach, laufe hinter mir her ! Das ist alles. Hinter ihm hergehen, das ist etwas schlechthin Inhaltloses. Es ist wahrhaftig kein Lebensprogramm, dessen Verwirklichung sinnvoll erscheinen könnte, kein Ziel, kein Ideal, dem nachgestrebt werden sollte. Es ist gar keine Sache, für die es sich nach menschlicher Mei­ nung verlohnte, irgendetwas oder gar sich selbst einzusetzen. Und was geschieht ? Der Gerufene verläßt alles, was er hat, nicht, um damit etwas besonders Wertvolles zu tun, sondern einfach um des Rufes willen, weil er sonst nicht hinter J esus hergehen kann. Diesem Tun ist an sich nicht der geringste Wert beigemessen. Es bleibt in sich selbst etwas völlig Bedeutungslo­ ses, Unbeachtliches . Die Brücken werden abgebrochen, und es wird einfach vorwärtsgegangen. Man ist herausgerufen und soll " heraustreten" aus der bisherigen Existenz, man soll " existie­ ren" im strengen Sinne des Wortes . 3 Das Alte bleibt zurück, es wird ganz hingegeben. Aus den relativen Sicherungen des Le­ bens heraus in die völlige Unsicherheit (d. h. in Wahrheit in die absolute Sicherheit und Geborgenheit der Gemeinschaft Jesu) ; aus dem Ü bersehbaren und Berechenbaren (d. h. dem in Wahr­ heit ganz Unberechenbaren) in das gänzlich Unübersehbare, Zufällige (d. h. in Wahrheit in das einzig Notwendige und B ere­ chenbare) ; aus dem Bereich der endlichen Möglichkeiten (d. h. in Wahrheit der unendlichen Möglichkeiten) in den B ereich der unendlichen Möglichkeiten (d. h. in Wahr- I heit in die einzige befreiende Wirklichkeit) ist der Jünger geworfen. 4 Das ist wie­ derum kein allgemeines Gesetz ; vielmehr das genaue Gegenteil 3 Der Begriff , Existenz ' war von der Philosophie (Heidegger) her in der zeitge­ nössischen Theologie wichtig geworden ; vgl. dazu in DBW 2 (AS), 22 (u. ö . ) . 1 935 NL B 8 (3) : " Frage der Existenz des Menschen i n der Nachfolge. Begeg­ nung nicht oberhalb der realen Existenz, nicht innerhalb, nicht unterhalb, son­ dern wo Christus auf Levi zutritt, ist dessen gesamte reale Existenz angegrif­ fen. " D 4 Bonhoeffer benutzt das philosophische Begriffspaar , Möglichkeit/ Wirklichkeit', Potentialität/Aktualität ; bei AristoteIes : öUvaIlL�/EvEQYELU. Der Begriff der Wirklichkeit hat für Bonhoeffer in der theologischen Aussage den Vorrang vor dem der Möglichkeit, z. B. schon 1 92 7 DBW 9, 477. Dazu s. DBW 1 (SC), 260 Anm. 4 1 . Vgl. K. HolI, Luther, 235.

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Der Ruf i n die Nachfolge

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von aller Gesetzlichkeit. Es ist abermals nichts anderes, als die Bindung an Jesus Christus allein, d. h. gerade die vollkommene Durchbrechung j eder Programmatik, jeder Idealität, jeder Ge­ setzlichkeit. Darum ist kein weiterer Inhalt möglich, weil J esus der einzige Inhalt ist. Neben J esus gibt es hier keine Inhalte mehr. Er selbst ist es. Der Ruf in die Nachfolge ist also Bindung an die Person J esu Christi allein, Durchbrechung aller Gesetzlichkeiten durch die Gnade dessen, der ruft. Er ist gnädiger Ruf, gnädiges Gebot. Er ist jenseits der Feindschaft von Gesetz und Evangelium. Chri­ stus ruft, der Jünger folgt. Das ist Gnade und Gebot in einem. " Ich wandle fröhlich, denn ich suche deine B efehle" (Psalm 1 1 9,45). Nachfolge ist Bindung an Christus ; weil Christus ist, darum muß Nachfolge sein. Eine Idee von Christus, ein Lehrsystem, eine allgemeine religiöse Erkenntnis von der Gnade oder Sün­ denvergebung macht Nachfolge nicht notwendig, ja schließt sie in Wahrheit aus , ist der Nachfolge feindlich. Zu einer Idee tritt man in ein Verhältnis der Erkenntnis, der Begeisterung, viel­ leicht auch der Verwirklichung, aber niemals der persönlichen gehorsamen Nachfolge. Ein Christentum ohne den lebendigen Jesus Christus bleibt notwendig ein Christentum ohne Nach­ folge, und ein Christentum ohne Nachfolge ist immer ein Chri­ stentum ohne Jesus Christus ; es ist Idee, Mythos. 5 Ein Chri­ stentum, in dem es nur den Vatergott, aber nicht Christus als lebendigen Sohn gibt, hebt die Nachfolge geradezu auf. Hier gibt es Gottvertrauen, aber nicht Nachfolge. Allein weil der Sohn Gottes Mensch wurde, weil er Mittler ist, ist Nachfolge das rechte Verhältnis zu ihm. Nachfolge ist gebunden an den Mittler, und wo von Nachfolge recht gesprochen wird, dort wird von dem Mittler I Jesus Christus, dem Sohn Gottes gespro­ chen. Nur der Mittler, der Gottmensch6 kann in die Nachfolge rufen. Kierkegaard 1 63 (mit Unterstreichungen, und ,, ! ! " am Rand): "Die Nach­ folge . . . gibt eigentlich die Garantie dafür, daß das Christentum nicht Poesie, Mythologie, Idee in abstraktem Sinne wird". Zum Folgenden vgl. Kierkegaard 1 45 " . . . daß gerade ,der Mittler' die Sache so schwer macht. Denn habe ich allein mit Gott Vater zu tun - dann ist keine ,Nachfolge' gefordert."D 6 Siehe 1 936 DBW 14, 804: "Jesus Christus ist ganz Gott und ganz Mensch in einer

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Nachfolge ohne Jesus Christus ist Eigenwahl eines vielleicht idealen Weges, vielleicht eines Märtyrerweges, aber sie ist ohne Verheißung. J esus muß sie verwerfen. " Und sie gingen in einen anderen Markt. Es begab sich aber, d:i sie auf dem Wege waren, sprach einer zu ihm : Ich w ill dir folgen, wo du hin gehst. Und Jesus sprach zu ihm : Die Füchse haben Gruben, und die Vögel unter dem Himmel haben Ne­ ster ; aber des Menschen Sohn hat nicht, da er sein Haupt hin lege. Und er sprach zu einem anderen : Folge mir nach ! Der sprach aber : Herr, erlaube mir, daß ich zuvor hingehe und meinen Vater b egrabe. Aber J esus sprach zu ihm : L aß die Toten ihre Toten begraben ; gehe du aber hin und verkündige das Reich Gottes ! Und ein anderer sprach : Herr, ich will dir nach­ folgen ; aber erlaube mir zuvor, daß ich einen Abschied mache mit denen, die in meinem Hause sind. Jesus aber sprach zu ihm : Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt zum Reiche Gottes" (Lk. 9 , 5 7-62). 7 Der erste Jünger trägt J esus die Nachfolge selbst an, er ist nicht gerufen, die Antwort Jesu verweist den Begeisterten dar­ auf, daß er nicht weiß, was er tut. Er kann es gar nicht wissen. Das ist der Sinn der Antwort, in der dem Jünger das Leben mit Jesus in seiner Wirklichkeit gezeigt wird. Hier spricht der, der zum Kreuz geht, dessen ganzes Leben im Apostolikum mit dem einen Wort " gelitten" bezeichnet wird. Das kann kein Mensch aus eigner Wahl wollen. Es kann sich keiner selbst rufen, sagt J esus, und sein Wort bleibt ohne Antwort. Die Kluft zwischen dem freien Angebot der Nachfolge und der wirkli­ chen Nachfolge bleibt aufgerissen. Wo aber Jesus selbst ruft, da überwindet er auch die tiefste Kluft. Der zweite will seinen Vater begraben, bevor er I nach­ folgt. Das Gesetz bindet ihn . 8 Er weiß, was er tun will und tun muß . Erst soll das Gesetz erfüllt werden, dann will er folgen. Ein klares Gebot des Gesetzes steht hier zwischen dem Gerufe­ nen und J esus. Dem tritt der Ruf J esu mächtig entgegen, gerade Person. Er ist darum der Mittler zwischen Gott und mir und mein Heiland. 1 . Tim 2,5." Vgl. 1 933 DBW 12, 294 f. D 7 Vgl. hierzu auch 1 926 DBW 9, 5 1 3-532 und 1 934 DBW 1 3 , 344-346 sowie 7. 4. 1 934 DBW 1 3 , 1 2 0 f. D 8 Vier­ tes Gebot, Ex 20, 1 2 : Du sollst d einen Vater und deine Mutter ehren". "

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jetzt unter keinen Umständen irgend etwas zwischen Jesus und den Gerufenen treten zu lassen, und sei es das Größte und Heiligste, sei es das Gesetz. Gerade jetzt muß es geschehen, daß um Jesu willen das Gesetz, das sich dazwischenstellen wollte, durchbrochen wird ; denn es hat zwischen J esus und dem Geru­ fenen kein Recht mehr. So stellt sich Jesus hier gegen das Ge­ setz und gebietet Nachfolge. So redet allein der Christus. Er behält das letzte Wort. Der Andere kann nicht widerstreben. Dieser Ruf, diese Gnade ist unwiderstehlich . 9 D e r dritte versteht die Nachfolge wie der erste als allein von ihm zu leistendes Angebot, als eigenes, selbstgewähltes Lebens­ programm. Er fühlt sich aber im Unterschied zu j enem berech­ tigt, auch seinerseits Bedingungen zu stellen. Damit verwickelt er sich in einen vollkommenen Widerspruch. Er will sich zu Jesus stellen, aber zugleich stellt er etwas zwischen sich und Jesus : " Erlaube mir zuvor. " Er will nachfolgen, aber er will si ch selbst die Bedingungen für die Nachfolge schaffen. Die Nachfolge ist ihm eine Möglichkeit, zu deren Verwirklichung die Erfüllung von B edingungen und Voraussetzungen gehört. 1 0 So wird die Nachfolge etwas menschlich Einsichtiges und Ver­ ständliches . Erst tut man das Eine, und dann das Andere. Es hat alles sein Recht und seine Zeit. Der Jünger selbst stellt sich zur Verfügung, hat aber damit auch das Recht, seine Bedingungen zu stellen. Es ist offenbar, daß in diesem Augenblick Nachfolge aufhört, Nachfolge zu sein. Sie wird zum menschlichen Pro­ gramm 1 1 , das ich mir einteile nach meinem Urteil, das ich ratio­ nal und ethisch rechtfertigen kann. Dieser dritte also will nach­ folgen, aber schon indem er es ausspricht, will er nicht mehr I nachfolgen. Er hebt durch sein Angebot selbst die Nachfolge In den Vorlesungsmitschriften 1 935 NL B 8 (4) "Und 1 936 NL B 9,5 (43) steht statt ,unwiderstehliche Gnade' der lateinische Ausdruck " gratia irresistibilis" , den Bonhoeffer für die Buchfassung übersetzt. Vgl. R. Seeberg, Dogmenge­ schichte Il, 534: Der Ausdruck gebe Augustins Auffassung gut wieder, wenn­ gleich der Begriff sich bei ihm nicht finde. D 10 Das "Erlaube mir zuvor" kennzeichnet auch in DBW 3 (SF), 1 0 1 , das Ausw ei. chen in die "Möglichkeit". D 1 1 1 93 2 DBW 1 1 , 4 1 7 stellte B onhoeffer zu der Aussage "Wir wissen nicht, was wir tun sollen, sondern unsere Augen sehen nach dir" (Il Chr 20, 12) die "christliche Programmrede" in Kontrast: In letzterer werden "die Gebete noch zu Programmen, die BItten zu Befehlen". 9

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auf; denn Nachfolge verträgt keine B edingungen, die zwischen Jesus und den Gehorsam treten könnten. Dieser dritte gerät also nicht nur mit Jesus, sondern schon mit sich selbst in Wi­ derspruch. Er will nicht, was J esus will, und er will auch nicht, was er selbst will. Er richtet sich selbst, zerfällt mit sich selbst, und dies alles durch das : " Erlaube mir zuvor. " Die Antwort J esu bestätigt ihm im Bilde diesen Zerfall mit sich selbst, der die Nachfolge ausschließ t : " Wer die Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt zum Reiche Gottes. " Nachfolgen heißt bestimmte Schritte tun. Bereits der erste Schritt, der auf den Ruf hin erfolgt, trennt den Nachfolgenden von seiner bisherigen Existenz. So schafft sich der Ruf in die Nachfolge sofort eine neue Situation. 12 In der alten Situation bleiben und nachfolgen schließt sich aus . Das war zunächst ganz sichtbar so. Der Zöllner mußte den Zoll, Petrus die Netze verlassen, um hinter Jesus herzugehen. 13 Es hätte ja nach un­ serm Verständnis auch damals schon durchaus anders sein kön­ nen. Jesus hätte dem Zöllner eine neue Gotteserkenntnis ver­ mitteln und ihn in seiner alten Situation lassen können. Wäre Jesus nicht der menschgewordene Sohn Gottes gewesen, so wäre das möglich. Weil aber J esus der Christus ist, darum mußte es von vornherein deutlich werden, daß sein Wort nicht eine Lehre, sondern eine Neuschöpfung der Existenz ist. Es galt, mit Jesus wirklich zu gehen . Wen er rief, dem war damit gesagt, daß für ihn nur noch eine einzige Möglichkeit des Glau­ bens an J esus besteht, nämlich die, daß er alles verläßt und mit dem menschgewordenen Sohn Gottes geht. Mit dem ersten Schritt ist der Nachfolgende in die Situation gestellt, glauben zu können. Folgt er nicht, bleibt er zurück, so lernt er nicht glauben. Der Gerufene muß aus seiner Situation, in der er nicht glauben kann, in die Situa- I tion, in der allererst geglaubt werden kann. In sich hat dieser Schritt keinerlei pro­ grammatischen Wert, er ist gerechtfertigt allein durch die Ge­ meinschaft mit J esus Christus, die gewonnen wird. Solange Levi am Zoll sitzt oder Petrus bei den Netzen, so lange mögen 12 Siehe Kierkegaard 1 52 (mit Markierungen Bonhoeffers im Umkreis ) : "Nachfolge, i n Richtung auf eine entscheidende Handlung, wodurch die Situa­ tion für das Christentum entsteht. " D 1 3 Mk 2 , 1 4 ; 1 , 1 6-1 8 .

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sie ihren Beruf redlich und treu tun, solange mögen sie alte oder neue Gotteserkenntnisse haben, aber wenn sie Gott glauben lernen wollen, so müssen sie dem menschgewordenen Sohn Gottes folgen, mit ihm gehen. Vorher war das anders . Da konnten sie als die Stillen im Lande unerkannt in ihrer Arbeit leben, sie hielten das Gesetz und warteten auf den Messias . Jetzt aber war er da, j etzt erging sein Ruf. Jetzt hieß glauben nicht mehr stille sein und warten, sondern mit ihm gehen in der Nachfolge. Jetzt löste sein Ruf in die Nachfolge alle Bindungen um der einzigen Bindung an Je­ sus Christus willen. Jetzt mußten alle Brücken abgebrochen werden, der Schritt in die unendliche Unsicherheit mußte getan werden, um zu erkennen, was J esus fordert und was J esus gibt. Levi am Zoll hätte J esus wohl haben können als einen Helfer in allerlei Not, aber er hätte ihn nicht erkannt als den einen Herrn, dem er sein ganzes Leben in die Hand legen soll, er hätte nicht glauben gelernt. Es muß die Situation geschaffen werden, in der J esus der menschgewordene Gott geglaubt werden kann, die unmögliche Situation, in der alles auf eines gesetzt wird, näm­ lich auf das Wort Jesu. Petrus muß aus dem Schiff heraustreten auf das schwankende Wasserl4, um seine Ohnmacht und die Allmacht seines Herrn zu erfahren. Wäre er nicht herausgetre­ ten, so hätte er nicht glauben gelernt. Die völlig unmögliche, ethisch schlechthin unverantwortliche Lage auf dem schwan­ kenden Meer muß herausgestellt werden, damit geglaubt wer­ den kann. Der Weg zum Glauben geht durch Jen Gehorsam gegen den Ruf Christi. Der Schritt wird gefordert, sonst geht der Ruf Jesu ins Leere, und alle ver- I meintliche Nachfolge ohne diesen Schritt, zu dem J esus ruft, wird zur unwahren Schwärmerei. Die Gefahr der Unterscheidung einer Situation, in der ge­ glaubt werden kann, von einer solchen, in der nicht geglaubt werden kann, ist groß. Es muß dabei ganz klar sein, daß es erstens niemals in der Situation als solcher liegt oder erkennbar ist, welcher Art sie ist. Allein der Ruf Jesu Christi qualifiziert sie als Situation, in der geglaubt werden kann. Zweitens ist die Situation, in der geglaubt werden kann, niemals vom Menschen 14 Mt 1 4,29.

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aus herauszustellen 1 5 . Nachfolge ist kein Angebot des Men� sehen. Allein der Ruf schafft die Situation . Drittens enthält diese Situation niemals in sich selbst einen eigenen Wert. Allein durch den Ruf ist sie gerechtfErtigt. Schließlich und hauptsäch­ lich ist auch die Situation, in der geglaubt werden kann, bereits selbst immer nur im Glauben ermöglicht. Der Begriff einer Situation, in der geglaubt werden kann, ist nur die Umschreibung des Sachverhalts, in dem die folgenden zwei Sätze gelten, die in gleicher Weise wahr sind : Nur der Glaubende ist gehorsam, und nur der Gehorsame glaubt. 1 6 E s ist eine schwere Einbuße a n biblischer Tre ue, wenn wir den ersten Satz ohne den zweiten lassen. Nur der Glaubende ist gehorsam, das meinen wir zu verstehen. Der Gehorsam folge j a dem Glauben, wie die gute Frucht dem guten Baum 1 7, sagen wir dann. Erst ist der Glaube, dann erst Gehorsam. Soll damit nur dies bezeugt sein, daß allein der Glaube rechtfertigt und nicht das Tun des Gehorsams, so ist das allerdings die notwendige und unumstößliche Voraussetzung für alles weitere. Sollte aber damit irgend eine zeitliche Bestimmung gegeben sein, daß erst geglaubt werden müsse und später der Gehorsam folge, so wer� den Glaube und Gehorsam auseinandergerissen, und es bleibt dann die höchst praktische Frage offen, wann der Gehorsam anzufangen habe. Der I Gehorsam bleibt vom Glauben ge­ trennt. Um der Rechtfertigung willen müssen ja Glaube und Gehorsam getrennt werden, aber diese Trennung darf niemals die Einheit beider aufheben, die darin liegt, daß Glaube nur im Gehorsam existiert, niemals ohne Gehorsam ist, daß Glaube nur in der Tat des Gehorsams Glaube ist. 1 5 Wohl irrtümlich statt: "herzustellen" . Entsprechend im drittletzten Satz des vorigen Absatzes wohl irrtümlich "herausgestellt" statt: "hergestellt". D 1 6 Die zwei Sätze stehen erst in der Mitschrift vor::. 1 936 NL :s 9,5 (43), im Anschluß an "Reicher Jüngling" (vgl. DBW 14, 562 Anm. 23): "Nur der Glau­ bende ist gehorsam. (keine Verabsolutierung) Nur der Gehorsame glaubt." In Bonhoeffers Vorlesung "Jüngste Theologie" 1 932/33 hat Ferenc Lehe! zu E mil Brunners Buch "Das Gebot und die Ordnungen" mitgeschrieben (NL Nachtrag 9, vgl. DBW 1 2 , 1 74): " Glaube und Gehorsam sind eins." Siehe E. Brunner, Das Gebot, 68 (von Bonhoeffer angestrichen): "Das erste Gebot ist Verheißung, und gerade das ist die Gnade, daß uns geboten ist, an diese Verheißung zu glauben. Darum ist der Glaube Gehorsam, wie nur dann der Gehorsam echt ist, wenn er Glaube ist." D 17 Vgl. Mt 7,1 7.

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Um der Uneigentlichkeit der Rede vom Gehorsam als einer Folge des Glaubens willen, um des Hinweises auf die unauflös­ liche Einheit von Glauben und Gehorsam willen muß nun dem Satz, daß nur der Glaubende gehorsam sei, der andere gegen­ übergestellt werden : Nur der Gehorsame glaubt. Ist dort der G i aube die Voraussetzung des Gehorsams, so ist hier der Ge­ horsam die Voraussetzung des Glaubens. In genau derselben Weise, in der der Gehorsam Folge des Glaubens genannt wird, ist er auch Voraussetzung des Glaubens zu nennen. Nur der Gehorsame glaubt. Es muß Gehorsam geleistet wer­ den gegen einen konkreten Befehl, damit geglaubt werden kann. Es muß ein erster Schritt des Gehorsams gegangen wer­ den, damit Glaube nicht frommer Selbstbetrug, billige Gnade werde. Es liegt an dem ersten Schritt. Er ist von allen folgenden qualitativ unterschieden. Der erste Schritt des Gehorsams muß den Petrus fort von den Netzen, aus dem Schiff heraus, muß den Jüngling aus dem Reichtum führen. 1 8 Nur in dieser neuen, durch den Gehorsam geschaffenen Existenz kann geglaubt wer­ den. Dieser erste Schritt ist nun zuerst zu betrachten als das äu­ ßerliche Werk, das im Vertauschen einer Existenzweise mit ei­ ner anderen besteht. Diesen Schritt kann jeder tun. Der Mensch hat Freiheit dazu. Es ist ein Tun innerhalb der iustitia civilis19, in der der Mensch frei ist. Petrus kann sich nicht bekehren, aber er kann seine Netze verlassen. Inhaltlich ist in den Evangelien mit dem ersten Schritt bereits ein Tun gefordert, das das Le­ bensganze betrifft. Die römische I Kirche verlangte einen sol­ chen Schritt nur als die außerordentliche Möglichkeit des Mönchtums, während für die anderen Gläubigen die Bereit­ schaft genügte, sich der Kirche und ihren Geboten bedingungs­ los zu unterwerfen. Auch in den lutherischen Bekenntnisschrif-

18 Mk 1 , 1 6-1 8 ; Mt 1 4, 2 9 ; 1 9 , 2 1 . 0 1 9 Dt. : " bürgerliche Gerechtigkeit" (im Unterschied zu Glaubens-Gerechtigkeit), in den lutherischen Bekenntnisschrif­ ten häufig verwendeter Terminus für die äußere Gerechtigkeit, die der Mensch mit seinen natürlichen Kräften - Vernunft und freier Wille - einhalten kann, während die iustitia spiritualis (" geistliche Gerechtigkeit") nur durch den Hei·· ligen Geist geschenkt wird. VgL u. a. Apologie der Augsburgischen Konfession, BSLK 3 1 2 , 75.

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ten ist in bedeutsamer Weise die Wichtigkeit eines ersten Schrit­ tes erkannt : Nachdem die Gefahr des synergistischen Mißver­ ständnisses20 grundsätzlich beseitigt ist, kann und muß ein Raum gelassen werden für jenes erste äußere Tun, das zum Glauben gefordert wird : Es ist hier der Schritt zur Kirche, in der das Wort des Heils gepredigt wird. Dieser Schritt kann in voller Freiheit getan werden . Komm zur Kirche ! das kannst du kraft deiner menschlichen Freiheit. Du kannst am Sonntag dein Haus verlassen und zur Predigt gehen. Tust du es nicht, so schließt du dich willkürlich von dem Ort aus, an dem geglaubt werden kann. Damit bezeugen die lutherischen B ekenntnis­ schriften, daß sie von einer Situation wissen, in der geglaubt werden kann, und von einer solchen, in der Glaube nicht mög­ lich ist. Zwar bleibt diese Erkenntnis hier sehr im Versteck, fast als schäme man sich ihrer, aber sie ist vorhanden als eine und dieselbe Erkenntnis von der Bedeutung des ersten Schrittes als eines äußeren Tuns . 2 1 Ist diese Erkenntnis gesichert, dann muß als zweites gesagt werden, daß dieser erste Schritt als rein äußerliches Tun ein totes Werk des Gesetzes ist und bleibt, das durch sich selbst niemals zu Christus führt. Als äußeres Tun bleibt die neue Existenz durchaus die alte ; es wird bestenfalls ein neues Le­ bensgesetz, ein neuer Lebensstil erreicht, der aber nichts mit dem neuen Leben mit Christus zu tun hat. Der Trinker, der den Alkohol läßt, der Reiche, der sein Geld weggibt, wird dadurch wohl vom Alkohol und vom Gelde frei, aber nicht von sich selbst. Er bleibt also ganz bei sich selbst, möglicherweise näher bei sich selbst als vorher, er bleibt unter der Forderung des Werkes ganz im Tode des alten Lebens. I Zwar muß das Werk getan werden, aber es führt durch sich selbst aus dem Tod, dem Ungehorsam und der Gottlosigkeit nicht heraus. Verstehen wir 20 Die Reformatoren wiesen als Mißverständnis ab, daß menschliche ,Mit­ Arbeit' (ouv - EgyOV) im Gnadengeschehen verdienstlich sein und zum Heil bei­ tragen könne. Vgl. DBW 14, 428 f. 0 2 1 Bonhoeffer bezieht sich, wie u. a. 1 93 5 NL B 1 8 (3) belegt (vgl. D B W 1 4, 4 2 6 Anm. 2 0 ) , auf d i e Formula Concordiae, Solida Declaratio Ir: Vom freien Willen, BSLK 892, 3 0-34 (mit Markierungen B onhoeffers). Vgl. 1 932/33 DBW 1 2, 1 9 8 : " Übung der Kirchlichkeit, des Hinge­ hens zu Wort und Sakrament. Das Hinnehmenkönnen, das Sich etwas sagen las­ sen können, das Stilles ein im Reich der Kirche."

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selbst etwa unsern ersten Schritt als Voraussetzung für die Gnade, für den Glauben, so sind wir darin durch unser Werk schon gerichtet und von der Gnade gänzlich abgeschnitten. Da­ bei ist in das äußere Werk alles eingeschlossen, was wir Gesin­ nung, guten Vorsatz zu nennen pflegen, alles was die römische Kirche facere quod in se est22 nennt. Tun wir den ersten Schritt in der Absicht, uns damit in die Situation des Glaubenkönnens zu versetzen, so ist auch dieses Glaubenkönnen wieder nichts als ein Werk, als eine neue Lebensmöglichkeit innerhalb unse­ rer alten Existenz und damit völlig mißverstanden, wir bleiben im Unglauben. Und doch muß das äußere Werk geschehen, doch müssen wir in die Situation des Glaubenkönnens hinein. Wir müssen den Schritt tun. Was heißt das ? Es heißt, daß dieser Schritt nur recht geschieht, wenn wir ihn nicht im Blick auf unser Werk, das getan werden muß, sondern allein im Blick auf das Wort Jesu Christi hin tun, das uns dazu ruft. Petrus weiß, er darf nicht eigenmächtig aus dem Schiff steigen, der erste Schritt wäre schon sein Untergang, darum ruft er: " Heiße mich zu dir kom­ men auf dem Wasser" und Christus antwortet : " Komm her. "23 Also Christus muß gerufen haben, allein auf sein Wort hin kann der Schritt getan werden. Dieser Ruf ist seine Gnade, die aus dem Tod in das neue Leben des Gehorsams ruft. Jetzt aber, da Christus gerufen hat, muß Petrus aus dem Schiff heraus, um zu Christus zu kommen . So ist in der Tat der erste Schritt des Gehorsams schon selbst ein Tun des Glaubens an das Wort Christi. Es würde aber den Glauben als Glauben völlig verken­ nen, wenn nun daraus wieder geschlossen würde, es sei also der erste Schritt doch nicht mehr nötig, weil doch der Glaube schon da sei. Demgegenüber muß dann geradezu der Satz I gewagt werden : erst muß der Schritt des Gehorsams getan sein, ehe geglaubt werden kann. Der Ungehorsame kann nicht glauben. Du beklagst dich darüber, daß du nicht glauben kannst ? Es darf sich keiner wundern, wenn er nicht zum Glauben kommt, solange er sich an irgendeiner Stelle in wissentlichem Ungehor22 Dt. : " das Seine tun", d. h. das, was an einem selbst liegt, tun. Vgl. K. Hüll, Luther, 31 f Anm . 2 . - Zum Thema : Art. Facienti quod in se est, in : LThK' In, 1 336 f. D 23 Mt 1 4 , 2 8 f.

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sam dem Gebot Jesu widersetzt oder entzieht. Du willst irgend­ eine sündige Leidenschaft, eine Feindschaft, eine Hoffnung, deine Lebenspläne, deine Vernunft nicht dem Gebot ]esu un­ terwerfen ? Wundere dich nicht, daß du den heiligen Geist nicht empfängst, daß du nicht beten kannst, daß dein Gebet um den Glauben leer bleibt ! Gehe vielmehr hin und versöhne dich mit deinem Bruder24, laß von der Sünde, die dich gefangenhält, und du wirst wieder glauben können ! Willst du Gottes gebietendes Wort ausschlagen, so wirst du auch sein gnädiges Wort nicht empfangen. Wie solltest du die Gemeinschaft dessen finden, dem du dich wissentlich an irgendeiner Stelle entziehst ? Der Ungehorsam e kann nicht glauben, nur der Gehorsame glaubt. Hier wird der gnädige Ruf ]esu Christi in die Nachfolge zum hanen Gesetz : Tue dies ! Laß jenes ! Komm heraus aus dem Schi ff zu ]esus ! Wer mit seinem Glauben oder seinem Unglau­ ben seinen tatsächlichen Ungehorsam gegen den Ruf ]esu ent­ schcddigt, zu dem sagt ]esus : Erst sei gehorsam, tue das äußere Werk, laß, was dich bindet, gib auf, was dich vom Willen Got­ tes scheidet ! Sage nicht : Ich habe den Glauben dazu nicht. Du hast ihn solange nicht, als du in Ungehorsam bleibst, solange du den ersten Schritt nicht tun willst. Sage nicht : Ich habe ja den Gb:Jben, ich brauche den ersten Schritt nicht mehr zu tun. Du hast ihn nicht, solange und weil du den Schritt nicht tun willst, sondern dich im Unglauben unter dem Schein des demütigen Glaubens verstockst. Es ist eine böse Ausflucht, vom mangeln­ den Gehorsam auf den mangelnden Glauben und vom man­ gelnden G lauben wieder I auf den mangelnden Gehorsam zu­ rückzuverweisen. Es ist der Ungehorsam der " Glaubenden" , dort w o ihr Gehorsam gefordert wird, ihren Unglauben zu bekennen und mit diesem Bekenntnis (Mk. 9 , 24) Spiel zu trei­ ben. Glaubst du - so tu den ersten Schritt ! Er führt zu ]esus Christus. Glaubst du nicht - so tu eben denselben Schritt, er ist dir geboten ! Die Frage nach deinem Glauben oder deinem Un­ glauben ist dir nicht aufgetragen, sondern die Tat des Gehor­ sams ist dir befohlen und sofort zu tun. In ihr wird die Situation gegeben, in der Glaube möglich wird und wirklich existiert. Also nicht es gibt, sondern Er gibt dir eine Situation, in der 24 Mt 5,24.

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du glauben kannst. In jene Situation gilt es zu kommen, damit der Glaube rechter G laube und nicht Selbstbetrug sei. Gerade weil es allein um das rechte Glauben an ] es us Christus geht, weil der Glaube allein das Ziel ist und bleibt (" aus Glauben in Glauben "25, Römer 1 , 1 7), ist diese Siwation unerläßlich. Wer hier allzuschnell und allzu protestantisch protestiert, der muß sich fragen lassen, ob es nicht die billige Gnade sei, für die er spricht. Denn in der Tat können die beiden Sätze, wenn sie nur nebeneinander stehen bleiben, dem rechten Glauben nicht zum Anstoß werden, während freilich j eder für sich allein ein großes Ä rgernis sein muß . Nur der Glaubende ist gehorsam - das ist dem Gehorsamen im Glaubenden gesagt ; nur der Gehorsame glaubt - das ist dem Glaubenden im Gehorsamen gesagt. Bleibt der erste Satz allein, so wird der Glaubende der billigen Gf'.ade, d . h. der Verdammnis ausgeliefert ; bleibt der zweite Satz allein, so wird der Glaubende dem Werk, d. h. der Verdammnis ausge­ liefert. Von hier aus dürfen wir r.un einen Blick tun in die christliche Seelsorge. 26 Es ist für den Seelsorger von großer Wichtigkeit, daß er aus der Kenntnis beider Sätze spricht. Er muß wissen, daß die Klage über den Mangel an Glauben immer wieder aus bewußtem oder schon nicht mehr bewußtem Un- I gehorsam kommt, und daß dieser Klage allzu leicht der Trost der billigen Gnade entspricht. Dabei bleibt aber der Ungehorsam ungebro­ chen, und das Wort von der Gnade wird zu dem TJOst, den sich der Ungehorsame selbst zuspricht, zu der Sündenvergebung, die er sich selbst erteilt. Damit aber wird ihm die Verkündigung leer, er hört sie nicht mehr. Und ob er sich tausendmal die Sünden selbst vergibt, vermag er doch nicht an die wirkliche Vergebung zu glauben, eben weil sie ihm in Wahrheit auch gar nicht geschenkt worden ist. Der Unglaube nährt sich an der billigen Gnade, weil er im Ungehorsam beharren will. Das ist eine häufige Situation in der heutigen christlichen Seelsorge. Es muß nun dahin kommen, daß sich der Mensch durch selbster25 Lutherübersetzung von f)