Dienstethos, Abenteuerlust, Bürgerpflicht: Jugendfreiwilligendienste in Deutschland und Großbritannien im 20. Jahrhundert [1 ed.] 9783666370465, 9783525370469

151 65 3MB

German Pages [386] Year 2016

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Dienstethos, Abenteuerlust, Bürgerpflicht: Jugendfreiwilligendienste in Deutschland und Großbritannien im 20. Jahrhundert [1 ed.]
 9783666370465, 9783525370469

Citation preview

Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft

Herausgegeben von Gunilla Budde, Dieter Gosewinkel, Paul Nolte, Alexander Nützenadel, Hans-Peter Ullmann

Frühere Herausgeber Helmut Berding, Hans-Ulrich Wehler (1972–2011) und Jürgen Kocka (1972–2013)

Band 219

Vandenhoeck & Ruprecht

Christine G. Krüger

Dienstethos, Abenteuerlust, Bürgerpflicht Jugendfreiwilligendienste in Deutschland und Großbritannien im 20. Jahrhundert

Vandenhoeck & Ruprecht

Mit 12 Abbildungen Umschlagabbildung: Bundesminister Dr. Heck am 4. Mai 1965 im Kreise der Helferinnen beim Kaffeetrinken in Tübingen © picture alliance/Aßmann Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISSN 2197-0130 ISBN 978-3-6-37046- Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de Gedruckt mit Unterstützung der Alexander von Humboldt-Stiftung, Bonn. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen / Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U. S. A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Satz: textformart, Göttingen | www.text-form-art.de

Inhalt Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1. Vergemeinschaftung im Dienst – Arbeitsdienste und Arbeitslager vor 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 1.1 Die Anfänge der Arbeitsdienstidee im aufkommenden Nationalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 1.2 Der Arbeitsdienstgedanke in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . 33 a. Emanzipation oder Unterordnung? Diskussionen über weibliche Arbeitsdienste . . . . . . . . . . . 33 b. Internationaler Frieden und soziale Befriedung: Männliche Arbeitslager und -dienste . . . . . . . . . . . . . . . 36 c. Die Arbeitslosigkeit und der Weimarer Freiwillige Arbeitsdienst 41 d. Der nationalsozialistische Reichsarbeitsdienst . . . . . . . . . . 45 1.3 Zwischen Faszination und Aversion: Der Arbeitsdienstgedanke in Großbritannien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 a. Erste Diskussionen und Umsetzungsversuche . . . . . . . . . . 51 b. Langsame Abkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 c. Die humanitären Hilfsdienste am Ende des Krieges . . . . . . . 61 1.4 Freiwilligkeit, »freiwillige Unterordnung« oder Pflicht? . . . . . . 65 Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 2. Der Arbeitsdienstgedanke im ersten Nachkriegsjahrzehnt . . . . . . . 77 2.1 Öffentliches Engagement und Jugend – zeitgenössische Diagnosen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 a. Großbritannien: Flautezeit für Freiwilligendienste? . . . . . . . 78 b. Westdeutschland: Apathie oder Aufbruchstimmung? . . . . . 83 2.2 Die Workcampbewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 a. Frieden und Internationalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 b. Das Arbeitsideal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 c. Das Gemeinschaftsideal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 2.3 Arbeitsethos in Gefahr? Jugendarbeitsdienste in Westdeutschland 99 a. Die Diskussionen um die Wiedereinführung von Arbeitsdiensten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 b. Ein demokratischer Neuanfang? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 c. Die Definition des Gemeinwesens . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 2.4 Spielräume für den Erfolg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 5

2.5 Die neu entflammte Pflichtdienstdebatte . . . . . . . . . . . . . . . 123 Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 3. Die »Wirtschaftswunderzeit«, ca. 1954–1968 . . . . . . . . . . . . . . . 129 3.1 Das neue Gesicht der Krise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 a. Kulturkritik im Wohlfahrtsstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 b. Eine »Vorschule für die Ehe« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 3.2 Die pragmatische Wende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 a. Die Diskussion um den Idealismus . . . . . . . . . . . . . . . . 150 b. Ein umstrittenes Motiv: Die Berufsorientierung . . . . . . . . . 155 c. Das Seminarprogramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 d. Das Frauenbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 e. Europäisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 f. Demokratisierungstendenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 g. Die Absage an den Kulturpessimismus . . . . . . . . . . . . . . 171 h. Der Wandel in der Rekrutierungsstrategie . . . . . . . . . . . . 173 Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 3.3 Neuausrichtung der friedensorientierten Freiwilligendienste: Die Workcampbewegung und die Aktion Sühnezeichen . . . . . . 182 a. Suche nach neuen Aufgaben – die Workcampbewegung nach dem Wiederaufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 b. Die Entstehung der Aktion Sühnezeichen . . . . . . . . . . . . 188 c. Traditionelle Elemente in der Konzeption der Aktion Sühnezeichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 d. Das Erfolgsrezept der Aktion Sühnezeichen . . . . . . . . . . . 196 3.4 »Volunteer Upsurge« – Alec Dickson und die neuen Freiwilligendienste in Großbritannien . . . . . . . . . . 198 a. Britische Diskussionen um das Engagement der Jugend . . . . 199 b. Abenteuer in der Ferne – Voluntary Service Overseas . . . . . 205 c. »give something back to Britain« – Community Service Volunteers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 3.5 Die Dienste aus der Sicht der Freiwilligen . . . . . . . . . . . . . . . 225 a. Motive für die Teilnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 b. Erfahrungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 3.6 Der Wert der Freiwilligkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 a. Neue Vorzeichen der alten Debatte: Diskussionen um einen Frauenpflichtdienst in der Bundesrepublik . . . . . . . . 240 b. Freiwilligenarbeit versus Professionalisierung? . . . . . . . . . 250 c. Das Image der Freiwilligenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260

6

4. Kritik und Krise, 1968 – ca. 1989 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 4.1 »1968« und die Folgen für die bundesdeutschen Jugendfreiwilligendienste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 a. Fundamentalkritik an Freiwilligendiensten . . . . . . . . . . . 265 b. Erschütterungen: Der Wandel in der Selbstdarstellung . . . . . 268 c. Die Politisierung der Dienste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 d. Das Ziel der »Gesellschaftsveränderung« . . . . . . . . . . . . . 278 e. Geschlechterrollen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 f. Friedenskonzept und Internationalität . . . . . . . . . . . . . . 290 4.2 Großbritannien als Vorbild? Grenzen der Veränderungsbereitschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 a. Behutsame Anpassung: CSV und die Kritik der Neuen Linken 293 b. Zweifel und Kritik am Kurswechsel . . . . . . . . . . . . . . . . 296 c. Freiwilligendienste als Ventil? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 4.3 Die Krise des Arbeitsmarktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 a. Zulauf und zunehmende soziale Exklusivität bei den ­ bundesdeutschen Diensten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 b. Das zerrissene Image der Freiwilligendienste . . . . . . . . . . 311 c. Die Neubewertung des Welfare State: Politische Aufwertung der Freiwilligenarbeit in Großbritannien . . . . . . . . . . . . . 315 d. Die Auswirkungen der Erwerbslosigkeit auf die britischen Dienste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 4.4 Neue Diskussionen über die Freiwilligkeit . . . . . . . . . . . . . . 322 Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 Ausblick und Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 Bildnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383

7

Einleitung In einer Presseerklärung zum vierzigjährigen Jubiläum der Einführung des Freiwilligen Sozialen Jahres (FSJ) erklärte das Bundesfamilienministerium 2004: »Mit bürgerschaftlichem Engagement, mit ihrer freiwilligen Selbstverpflichtung gestalten Menschen ihre Gesellschaft, ihr bürgerschaftliches Engagement gehört zu den tragenden Säulen unserer Demokratie. […] Deutschland ist das einzige Land in Europa, das bereits seit 40 Jahren Erfahrungen mit einem gesetzlich geregelten Freiwilligendienst machen konnte. In vielen anderen europäischen Ländern wurde die zivilgesellschaftliche Bedeutung von Freiwilligendiensten erst in den späten 90er Jahren erkannt.«1 Wie hier gilt freiwilliges Engagement spätestens seit dem Aufkommen des Nationalismus um die Wende zum 19. Jahrhundert als Bekenntnis: Durch die Bereitschaft, Freiwilligenarbeit im Dienste der Allgemeinheit zu leisten, so die verbreitete Überzeugung, liefere der oder die Einzelne ein Zeugnis persönlicher Zugehörigkeit. In der Freiwilligenarbeit ebenso wie im Diskurs über sie spiegeln sich daher stets Vorstellungen darüber, wie die Gesellschaft zu gestalten sei und welche Rolle der oder die Einzelne in ihr zu spielen habe. Die Deutung allerdings, dass das FSJ als Musterbeispiel für die gelungene Demokratisierung und damit als Beleg für die »Erfolgsgeschichte Bundes­ republik« anzusehen ist, die das Ministerium nahezulegen suchte, lässt sich, wie ein genauer Blick auf die historische Entwicklung dieser Einrichtung zeigt, nur mit starken Einschränkungen aufrechterhalten. In der Tat sind freiwilliges Engage­ment und seine politische Förderung keine Spezifika demokratischer Gesellschaften, sondern sie können sich ebenso auch in diktatorischen Regimen finden. Zutreffend ist indes – ähnlich wie hier ebenfalls vom Bundesfamilienministerium impliziert  –, dass die Entstehung neuer Freiwilligendienste Aufschluss über den historischen Wandel des gesellschaftlichen Selbstverständnisses liefert. Freiwillige Jugenddienste sind ein Produkt des 20.  Jahrhunderts: Wichtige konzeptionelle Grundlagen wurden bereits im ausgehenden 19.  Jahrhundert gelegt, um die Jahrhundertwende gelangten sie erstmals zur Umsetzung. Eine erste Blütezeit erlebten sie dann in der Gestalt von meist mit infrastrukturellen Projekten betrauten Jugendarbeitsdiensten im Europa und in den USA der Zwischenkriegszeit. Seit Ende des Zweiten Weltkriegs wandten sich dann bald mehr und mehr freiwillige Jugenddienste der sozialen Arbeit zu. In der Bundes­ republik und in Großbritannien, den beiden Ländern, in denen diese Entwicklung besonders früh einsetzte und die im Fokus dieser Analyse stehen, 1 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Fakten.

9

konnten sie in dieser Form einen stetig wachsenden Zulauf verzeichnen. In den 1990er Jahren schließlich entwickelten sie sich zu einem Massenphänomen. Viele Hunderttausend Jugendliche haben an solchen Diensten teilgenommen, das Freiwillige Soziale Jahr (FSJ) und die Aktion Sühnezeichen haben sich in der Bundesrepublik als anerkannte Institutionen ebenso fest etabliert wie die Freiwilligenarbeit im Rahmen eines gap year in Großbritannien. Die Jugendfreiwilligendienste unterscheiden sich von älteren Formen der Freiwilligenarbeit dadurch, dass sie zum einen nicht mehr – oder nicht mehr ausschließlich – als religiöse Pflicht, sondern als eine Art Bürgerpflicht angesehen wurden und werden, und dass ihre Teilnehmer zum anderen – zumindest dem Ideal nach – aus allen gesellschaftlichen Schichten stammen sollten. Dass diese während eines begrenzten Zeitraums geleisteten Vollzeitdienste ihrer Struktur nach dem Militärdienst ähnelten, ist kein Zufall: Das Vorbild des Wehrdienstes prägte ihre Konzeption. Die allgemeine Wehrpflicht, die mit dem modernen Nationalstaat entstand, galt gemeinhin als staatsbürgerliche Pflicht, die untrennbar an die Staatsbürgerrechte gekoppelt war. Ähnlich wurden sehr oft auch die Jugendfreiwilligendienste verstanden. Damit hängt ein weiteres Charakteristikum zusammen, das die Jugendfreiwilligendienste von traditionellen Formen freiwilliger Arbeit abhebt: Mit ihrer Einrichtung war gewöhnlich die Vorstellung verbunden, es sei die Aufgabe des Staates oder der Zivilgesellschaft, die Jugend zur »sozialen Verantwortung« zu erziehen und ihr auch Möglichkeiten zu schaffen, diese einzuüben.2 Mangelndes oder rückläufiges bürgerschaftliches Engagement insbesondere von Jugendlichen gehörte im 20. Jahrhundert zu den beliebtesten Topoi düsterer Prognosen eines gesellschaftlichen Verfalls. Durch die Jugendfreiwilligendienste sollte eine neue Sozialisationsinstanz geschaffen werden, darauf ausgerichtet, diesem wahrgenommenen Niedergang entgegenzuwirken und zukünftige Musterstaatsbürger heranzubilden. Die Dienste sollten ältere Sozialisationsinstanzen – die Schule, die Familie, den Militärdienst und die Berufsarbeit – ergänzen bzw. ersetzen, die dieser Aufgabe in den Augen vieler Zeitgenossen nicht oder nicht mehr in angemessener Weise gewachsen schienen. So konzipiert stellen die Jugendfreiwilligendienste eine Institution dar, an der sich analysieren lässt, wie in der britischen und (west-)deutschen Gesellschaft des 20. Jahrhunderts »Gemeinwohl« definiert und welcher Beitrag dazu vom Einzelnen erwartet wurde. In welches Verhältnis setzte man dabei Rechte und Pflichten und mit welchem Verständnis von Staatlichkeit und Staatsbürgerschaft ging dies einher? Wie, in welchem Maße und aus welchen Gründen veränderten sich solche Vorstellungen im Laufe des 20. Jahrhunderts? Überdies ist 2 Vgl. für verschiedene Jahrzehnte z. B. Sche., S.  18; Freiwilliger Sozialer Dienst der Jugend, Kurzfassung, 29. Jan. 1964, BA, B 153/1478, 4/037, Bdna, 005 Jugendbericht, 1964/65; Amt für Jugendarbeit der Evangelischen Kirche von Westfalen; ähnlich für Großbritannien: Service to the Community. In Britain & in Europe, [Manuskript, ohne weitere Angaben, ohne Paginierung], ACSV, AGD/H1/17.

10

zu bestimmen, welche Bedeutung der Freiwilligkeit zugemessen wurde. Denn auch wenn Freiwilligkeit oft als Gradmesser für die Kohäsionskraft einer Gesellschaft angesehen wurde, durchziehen Forderungen nach der Einführung ziviler Pflichtdienste die Geschichte (West-)Deutschlands und stießen auch in Großbritannien zeitweilig auf starke Resonanz. Zusätzlich zu solchen Fragen lassen sich mit den Jugendfreiwilligendiensten auch Konjunkturen von freiwilligem Engagement identifizieren. Denn die Untersuchung der Dienste gibt nicht nur diskursgeschichtlich Aufschluss darüber, wie das Verhältnis von Staatsbürger und Staat, von Individuum und Gesellschaft in der Bundesrepublik und in Großbritannien ausgehandelt wurde, sondern liefert überdies Erkenntnisse über den Zusammenhang zwischen Staatsbzw. Gesellschaftskonzepten und der Bereitschaft von Individuen, sich für das Gemeinwesen zu engagieren. Ein massenhafter Zustrom zu den Jugendfreiwilligendiensten erfolgte erst im ausgehenden 20.  Jahrhundert. Doch auch wenn die Teilnehmerzahl zuvor lange Zeit relativ klein blieb, lassen sich an dieser Institution aufgrund ihres langen Bestehens, ihrer spezifischen Konzeption und der breiten öffentlichen Diskussionen, die sie erregte, divergierende Vorstellungen über freiwilliges Engagement wie unter einem Brennglas analysieren. Freiwillige Sozialarbeit, so unterschiedlich und umstritten sie in ihrer spezifischen Praxis sein kann, zielt gemeinhin darauf, wahrgenommene gesellschaftliche Ungleichheiten abzumildern. Das Engagement selbst sowie die Diskussionen darüber sind daher stets Stellungnahmen zur sozialen Verfasstheit einer Gesellschaft. Dementsprechend spiegeln sich darin kontroverse Vorstellungen über den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Und so steht die Entwicklung der Jugendgemeinschaftsdienste in engem Konnex mit zahlreichen Wandlungsprozessen, welche die gesellschaftlichen Umbrüche, die sich im Europa des 20. Jahrhunderts vollzogen, entscheidend mitbestimmten. In erster Linie sind dies der Ausbau und die spätere Krise des Sozialstaates, die Wohlstandsentwicklung, die Herausbildung der Massenkonsumgesellschaft, die Arbeitsmarktentwicklung, die Transformation der Geschlechterordnung sowie der Generationenbeziehungen, der allgemeine Wandel von Wertvorstellungen, die sich verändernde Bedeutung von Religion und Kirche, die Europäisierung sowie für Großbritannien die Dekolonisation. Die Studie macht es sich zur Aufgabe, die Auswirkungen dieser Entwicklungen auf das Verständnis von Freiwilligenarbeit und auf die damit in Zusammenhang stehenden gängigen Gemeinwohlkonzepte auszuloten. Vier Akteursgruppen werden dafür in den Blick genommen: erstens die jugendlichen Freiwilligen, zweitens die Trägerorganisationen, drittens die Reprä­ sentanten staatlicher Instanzen und viertens mediale Wortführer. Was bewegte junge Menschen zu Freiwilligenarbeit und welche Erfahrungen machten sie? Von wem wurden Freiwilligendienste angeregt, institutionalisiert oder aber auch behindert? Wie und in welchem Maße und aus welchen Interessen heraus wurde Jugendfreiwilligenarbeit staatlicherseits unterstützt? Wie wurde das Engagement in der Öffentlichkeit diskutiert und bewertet? 11

Definiert werden Jugendfreiwilligendienste hier als unbezahlte bzw. lediglich auf Taschengeldbasis entlohnte Arbeit von Jugendlichen, die nicht aufgrund einer staatlichen Verpflichtung aufgenommen und die über einen begrenzten Zeitraum in Vollzeittätigkeit ausgeübt wird.3 Jugendfreiwilligendienste entwickelten sich in Form von zwei- bis dreiwöchigen Ferienworkcamps oder in Form eines längerfristigen, d. h. in der Regel sechs bis zwölf Monate dauernden Engagements. In dieser Studie werden beide Typen in den Blick genommen, der Schwerpunkt liegt jedoch auf den mehrmonatigen Einsätzen. Sie verlangten von den Teilnehmern in bedeutend höherem Maße Zeit, Engagement und Verbindlichkeit und stehen daher auch in einem sehr viel dichteren Zusammenhang mit der Frage nach dem Verhältnis von Individuum und Gemeinwohl. Nicht zuletzt aus diesem Grund erregten sie überdies weitaus häufiger die öffentliche Aufmerksamkeit und riefen Diskussion hervor. Die hier verwendete Definition von Freiwilligenarbeit setzt das Fehlen von Bezahlung und staatlichem Zwang voraus, nicht aber eine darüber hinausgehende gänzlich freie Willensentscheidung.4 Denn teilweise wurden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auch von ihren Eltern dazu gedrängt, einen Sozialdienst anzutreten, oder sie fühlten sich aufgrund der Arbeitsmarktsituation dazu genötigt. Den tatsächlichen Grad der »Freiwilligkeit« zu messen, erscheint unmöglich und ist daher kein Ziel dieser Arbeit. Gefragt werden soll hingegen danach, was die Zeitgenossen unter »Freiwilligkeit« verstanden und welche Wertschätzung ihr im jeweiligen Zeitverständnis zukam.

3 Als »Jugendliche« werden hier junge Menschen verstanden, die in den Augen der Zeitgenossen kurz vor dem Eintritt in die Selbständigkeit des Erwachsenenalters standen, aber noch im ­erziehungsbedürftigen Alter waren. Diese recht offene Definition soll es ermöglichen, den historischen Wandel von Jugenddefinitionen zu berücksichtigen. Betrachtet wird dabei freilich vor allem die Gruppe junger Menschen, die den Altersgrenzen der Jugendfreiwilligenorganisationen entsprachen. In der Bundesrepublik wurden die Altersgrenzen für die Teilnahme am 1964 eingeführten FSJ bei mindestens 16 Jahren, höchstens 25 Jahren angesetzt. 2002 ist das Mindestalter auf das Alter des Schulabschlusses herabgesetzt worden. In Großbritannien war die Zielgruppe der Freiwilligendienste zunächst vor allem die Gruppe der Schulabgänger, die meist 17 oder 18 Jahre alt waren, 1977 führte die Organisation CSV eine Altersobergrenze von 30 Jahren ein. Workcamporganisationen nahmen teilweise auch jüngere Jugendliche auf. Zur Schwierigkeit, »Jugend« zu definieren, vgl. Speitkamp, S. 7–9. Eine reflektierte Übersicht über verschiedene historische Jugenddefinitionen liefert Janssen, S. 28–38. 4 Diese Definition von Freiwilligenarbeit lehnt sich an die Definition der United Nations General Assembly an, die »volunteering« über folgende drei Kriterien bestimmt: »1. It is not ­undertaken primarily for financial gain. […] 2. It is undertaken of one’s own free will. The decision to volunteer may be influenced by peer pressure or personal feelings of obligation to society but, in essence, the individual must be in a position to choose whether or not to volunteer; 3. It benefits a third party or society at large. Actions that benefit only the person who volunteers or that cause harm to society do not meet this criterion.« United Nations General Assembly. Vgl. zur Problematik der Freiwilligkeit auch Rochester u. a., S. 20 f. und allgemein zur Definition von volunteering S. 19–22; sowie Sheard, From Lady Bountiful, S. 114 f.

12

Ähnlich problematisch ist der Begriff des Dienstes: Ihn gilt es zu historisieren, denn er hat im 20.  Jahrhundert einen starken Bedeutungswandel erfahren. Dennoch wird er in dieser Arbeit verwendet, weil er im Sprachgebrauch der Organisationen und der Freiwilligen bis heute üblich ist. Unter »Dienst« wird im Folgenden eine gemeinnützige Arbeit verstanden, das heißt eine Tätigkeit, die weder familiären noch unternehmerischen Zwecken galt und die zwar aus persönlichen Motiven wie etwa demjenigen der Berufsorientierung angetreten werden konnte, aber nicht allein auf solche privaten Ziele ausgerichtet war. »Selbstlosigkeit«, wie sie früher als Merkmal eines Dienstes angesehen wurde und teilweise heute noch wird, scheidet aufgrund ihrer normativen Qualität als Definitionskriterium aus.5 Da auch der Begriff der »Selbstlosigkeit« historisch wandelbar ist, geht es hier abermals vielmehr darum zu untersuchen, was gesellschaftlich oder individuell darunter verstanden wurde. Eine gewisse Schwierigkeit entsteht dadurch, dass die Begrifflichkeiten im Deutschen und Englischen nicht immer eine genaue gegenseitige Übersetzung finden. Im Englischen ist es seit etwa 1990 üblich, Freiwilligenarbeit von Einzelpersonen als »volunteering« zu bezeichnen. Das Adjektiv »voluntary« allerdings grenzt nicht unbedingt unbezahlte von bezahlter Arbeit ab, sondern kann auch auf entlohnte Arbeit des »voluntary sector« bzw. im Rahmen von »voluntary­ action« bezogen werden.6 In dieser Studie geht es vor allem um volunteering. Selbst mit den hier angestrebten definitorischen Eingrenzungen fällt eine Grenzziehung zu ähnlichen Institutionen teilweise schwer. Insbesondere zu nennen sind hier die »Entwicklungsdienste«, deren Teilnehmerinnen und Teilnehmer in Großbritannien und teilweise auch in der Bundesrepublik als »volunteers« bzw. »Freiwillige« bezeichnet wurden. Die Mehrzahl der deutschen und britischen »Entwicklungsdienste« wurde dennoch nicht in die Untersu­ chung einbezogen, da sie ausgebildetes Personal rekrutierten und dieses wie die einheimischen Fachkräfte in den »Empfängerländern« entlohnten. Lediglich in den Anfangsjahren entsprach die britische Organisation Voluntary Service Overseas (VSO) der hier zugrundeliegenden Definition der Jugendfreiwilligendienste. VSO war überdies Modell für die innerbritische Freiwilligenorganisation Community Service Volunteers (CSV) und spielt auch deshalb für die ­Analyse eine wichtige Rolle. Auf die übrigen Entwicklungsdienste und auf andere Institutionen, die Jugendfreiwilligendiensten ähneln, wie das Au-pair-Jahr, der deutsche Zivildienst oder regelmäßige wöchentliche Freiwilligendienste, wird punktuell Bezug genommen, sofern dies für die Interpretation von Nutzen ist.

5 Vgl. Rochester u. a., 21 f. 6 Der Begriff »Voluntary Action« wurde maßgeblich durch William Beveridge verbreitet, seine Definition findet sich in Beveridge, Voluntary Action, S. 8; zum Begriff »Voluntary Sector« vgl. Finlayson, Citizen, S. 7; Kendall u. Knapp, S. 66–95. Allgemein zur Begrifflichkeit vgl. auch Speth.

13

Zeitlich liegt der Fokus der Arbeit auf der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, da erst in dieser Zeit der soziale Sektor zum Haupteinsatzgebiet der Freiwilligen wurde. Die Jugendarbeitsdienste in der ersten Jahrhunderthälfte fungierten in erster Linie als Mittel zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Die Zielsetzung, freiwilliges Engagement zu fördern, war bei ihnen in der Regel nachrangig. Wenngleich beide Aspekte auch in späterer Zeit teilweise Hand in Hand gingen, waren sie somit doch sehr eindeutig eher als Dienst an der Jugend konzipiert denn als Dienste der Jugend. Und schließlich erklärt sich die Schwerpunktsetzung auch daraus, dass die freiwilligen Arbeitsdienste des frühen 20. Jahrhunderts insbesondere für die deutsche Seite bereits gut erforscht sind. Dennoch widmet sich ihnen das erste Kapitel der Arbeit, weil sie für das Verständnis der weiteren Geschichte der Jugendfreiwilligendienste unverzichtbar sind. Auch der nationalsozialistische Reichsarbeitsdienst findet hier Be­achtung, obwohl er nicht als Freiwilligendienst gelten kann. Da jedoch die Jugendfreiwilligendienste nach 1945 nicht mehr umhin kamen, sich konzeptionell von ihm abzugrenzen, ist auch er hier einer näheren Betrachtung zu unterziehen. Für die deutsche Nachkriegsgeschichte konzentriert sich die Arbeit hingegen auf die Bundesrepublik, weil es in der DDR – abgesehen vielleicht von dem kurzlebigen »Dienst für Deutschland« in den Jahren 1952/53, dessen Charakterisierung als Freiwilligendienst aber zweifelhaft ist – keine längerfristigen Jugendfreiwilligendienste gegeben hat. Die Studie ist als deutsch-britische Vergleichs- und Verflechtungsgeschichte geschrieben, die sowohl nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen beiden Ländern als auch nach Transfers fragt.7 Die Tatsache, dass die Dienste auf deutscher Seite lange Zeit stärker verbreitet waren, lässt diese dabei allerdings in den Vordergrund treten. Vor allem zwei Gründe motivieren die transfergeschichtliche und komparative Anlage: Erstens ist die Entstehung und Entwicklung von Jugendfreiwilligendiensten im 20. Jahrhundert ein europäisches, ja globales Phänomen. Da transnationale Einflüsse ihre Geschichte von Beginn an mitbestimmten, lässt sich diese aus einer rein nationalen Perspektive h ­ eraus nicht angemessen erfassen. Der Blick auf zwei Länder soll diesem Umstand Rechnung tragen, erlaubt aber gleichzeitig weiterhin eine quellennahe Erforschung der Dienste. Zweitens ist die Entscheidung für eine Vergleichsstudie eine Reaktion auf ein auffälliges Missverhältnis, das die Historiographie zur Bundesrepublik prägt: Diese kann sich bislang nur auf eine sehr kleine Anzahl empirischer Vergleichsstudien stützen, geht aber dennoch bei vielen ihrer Deutungsangebote von einem Vergleich mit anderen Nationen  – und hier vor allem mit Groß­ britan­nien, Frankreich und den USA – aus.8 Dies gilt vor allem für die These vom »deutschen Sonderweg«, die der Annahme folgt, dass besonders autoritäre Dispositionen in der deutschen Geschichte angelegt gewesen seien, welche die 7 Zur Vereinbarkeit von Vergleich und Transfer vgl. z. B. Osterhammel. 8 Vgl. Levsen u. Torp, Die Bundesrepublik und der Vergleich.

14

Heraus­bildung einer stabilen Demokratie verhindert und schließlich zum Nationalsozialismus geführt hätten. Für die Geschichte der Bundesrepublik wird in der Fortführung dieser Interpretation gefragt, inwieweit es gelungen ist, den Exzeptionalismus nach 1945 zu überwinden.9 Auch für die in der deutschen Historiographie einflussreichen Thesen einer »Westernisierung« oder »Liberalisierung« der Bundesrepublik, die von einer Angleichung oder der allmählichen Übernahme eines »westlichen«, d. h. demokratischen Wertekanons ausgehen, ist der vergleichende Blick eine Voraussetzung.10 Inzwischen ist die Vorstellung eines einheitlichen »westlichen« Wertesystems oder gar »des Westens« als Konstrukt verworfen worden, und vor allem die Sonderwegsthese wurde zu Recht in Frage gestellt, weil sie anhand eines Ist- oder Sollzustandes normativ und teleologisch einen liberal-demokratischen Normalweg definiert.11 Um aber ein alternatives Bild zu entwerfen, das nationale Divergenzen, transnationale Gemeinsamkeiten sowie gegenseitige Einflussnahmen angemessen zu erfassen vermag, bedarf es empirischer Vergleichs- und Transferstudien. Und so ist es das Ziel dieser Studie zu untersuchen, wie und wann nationale und transnationale Einflüsse bei der Entstehung und Entwicklung der Jugendfreiwilligendienste zusammen-, nebeneinander her oder gegeneinander liefen. Speziell für die deutsche Seite knüpft sich daran die Frage, in welchem Verhältnis fortbestehende Prägungen nationalsozialistischen Ursprungs, die bewusste Abkehr von ihnen und andere Nachkriegsentwicklungen standen. (West-)Deutschland und Großbritannien bieten sich zum einen deshalb für den Vergleich an, weil hier wie dort schon früh, d. h. seit den 1950er Jahren, Jugendfreiwilligendienste im sozialen Sektor entstanden. Zum anderen macht es den Vergleich reizvoll, dass beide Länder auf mehreren Feldern, denen für die Motive und Konjunkturen von Freiwilligkeit eine hohe Bedeutung zukommt, stark abweichende Ausgangsbedingungen aufwiesen. Erstens sind deutlich unterscheidbare Freiwilligkeitstraditionen auffällig: In Großbritannien hatte sich seit dem 19. Jahrhundert eine sehr lebendige Freiwilligenkultur herausgebildet. Obwohl sich längerfristige freiwillige Arbeitsdienste für Jugendliche in (West-)Deutschland in größerer Zahl und vielfältiger entwickelten, war Freiwilligenarbeit insgesamt in Großbritannien verbreiteter und – vor allem in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts – auch viel stärker organisiert.12 Schon seit den 1960er Jahren gab es dort Freiwilligen-Büros und -vereinigungen, die sich der Vermittlung und Institutionalisierung von Freiwilligenarbeit widmeten, wohingegen ähnliche Gründungen in der Bundesrepublik erst für die 1990er Jahre zu verzeichnen sind.13 9 Vgl. z. B. Winkler. 10 Vgl. Herbert, Liberalisierung; Doering-Manteuffel. 11 Vgl. zur Idee des »Westens« Hochgeschwender; zur »Sonderwegsthese« die einflussreiche Kritik von Blackbourn u. Eley; sowie Kocka, German History. Seither haben sich zahlreiche komparative Studien zur deutschen Geschichte an der Sonderwegsthese abgearbeitet. 12 Vgl. Finlayson, Citizen; Harrison u. Webb; Prochaska, The Voluntary Impulse. 13 Vgl. Finlayson, Citizen, S. 329; Dechamps, S. 56.

15

Die Freiwilligenkultur spielt für das britische Selbstverständnis eine konstitutive Rolle. Briten stilisierten voluntary spirit gern zur Nationaltugend.14 Und nicht nur sie selbst hielten diese Zuschreibung für überzeugend: »›Voluntary‹ is a highly value-weighted term in the British culture where voluntary spirit and action are strong positive virtues. Voluntary social service is still considered by the British as symbolic of much that is best in their tradition«, urteilte 1957 der beeindruckte amerikanische Professor für Social Welfare Samuel Mencher, der einen einjährigen Forschungsaufenthalt in England verbracht hatte. Dass der Staat in Deutschland eher zu Pflicht und Zwang griff, sollte indes nicht zu dem Umkehrschluss verleiten, Freiwilligkeit sei hier geringgeschätzt worden. Es lässt sich argumentieren, dass sich auch in deutschen Selbstdefinitionen aus der Zeit vor 1945 ähnliche Züge fanden. Hier wurde in der Regel eher von »Aufopferungsbereitschaft« und »Idealismus« gesprochen, doch findet sich neben ihnen durchaus auch der Wert der »Freiwilligkeit«. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden »Idealismus« und vor allem »Opferbereitschaft« in Westdeutschland zwar teilweise noch bis in die sechziger Jahre hinein weiter beschworen, gerieten aber durch die Assoziation mit dem Nationalsozialismus bald stark in Misskredit.15 Erst mit der Neudefinition von  – nun gern »bürgerschaftliches Engagement« genannter – Freiwilligenarbeit als demokratischer Tugend wird diese seit den 1990er Jahren im politischen Diskurs mitunter wieder als Nationaltugend gepriesen, wie die eingangs zitierte Pressererklärung des Bundesfamilienministeriums zeigt. Ungeachtet derartiger politischer Inanspruchnahmen bleibt der Stellenwert von Freiwilligkeit für das nationale Selbstverständnis der Deutschen im Vergleich zu Großbritannien gering.16 Die verschiedenen Freiwilligkeitstraditionen erklären sich zweitens aus einem anderen Staats- und Gesellschaftsverständnis sowie aus der damit zusammenhängenden unterschiedlichen Entwicklung der Sozialstaatlichkeit.17 Die weite Verbreitung von Freiwilligenarbeit in Großbritannien geht auf die Tradition privater charity zurück. Den nichtstaatlichen Wohlfahrtsorganisationen kam aufgrund der Ideen des laissez-faire und der bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts relativ schwach ausgeprägten staatlichen Sozialpolitik eine zentrale Rolle bei der Sozialfürsorge zu.18 Nach 1945 näherten sich im Zuge des Beveridge-Plans die Sozialsysteme Großbritanniens und der Bundesrepublik an. Es stellt sich die Frage, inwieweit sich diese Angleichung auch im Freiwilligensektor niederschlug. Ebenso ist auszuloten, wie sich die unterschiedlichen staatlichen und gesellschaftlichen Reaktionen auf die Krise des Sozialstaates und der Arbeitsgesellschaft auf Freiwilligkeitskonjunkturen auswirkten. 14 Vgl. hierzu unter anderem Waddington. 15 Siehe hierzu unten, Kapitel 3.2. 16 Vgl. Dechamps. 17 In komparativer Perspektive vgl. Kaufmann; Mommsen u. Mock; Ritter. 18 Vgl. in diesem Zusammenhang die komparative begriffsgeschichtliche Skizze zu den Begrif­ fen »charity«, »Philanthropie« und »Wohlfahrt« bei Weber, S. 19–29.

16

Drittens unterscheiden sich beide Staaten auch hinsichtlich des Verhältnisses von Militärdienst und zivilem Freiwilligendienst. Für die deutsche Wehrverfassung hatte die allgemeine Wehrpflicht seit dem 19.  Jahrhundert eine wichtige Rolle gespielt, nur nach den beiden Weltkriegsniederlagen musste sie vorübergehend eingestellt werden. 1956 wurde sie in der Bundesrepublik wieder eingeführt. Die britische Armee hingegen hatte ihre Soldaten traditionell auf freiwilliger Basis rekrutiert. Lediglich während der beiden Weltkriege galt in Großbritannien zeitweilig eine allgemeine Wehrpflicht, die nach dem Zweiten Weltkrieg noch bis 1960 weiterbestand. In beiden Ländern gab die Wehr­ verfassung der Debatte über die Jugendfreiwilligendienste Zündstoff, etwa bei der bundesdeutschen Diskussion um die mögliche Einführung eines Pflicht­ jahres für Frauen. Die jeweilige Wehrverfassung hatte aber auch Auswirkungen auf die spezifische Konzeption der Freiwilligendienste. Beispielsweise stand bei der Gestaltung des FSJ in der Bundesrepublik ein Vergleich mit dem seit den siebziger Jahren zunehmend akzeptierten Zivildienst immer im Raum.19 Nicht nur Verfassungsunterschiede und langfristige Traditionen bestimmten die verschiedenartige Freiwilligenkultur. In beiden Ländern wurde diese viertens maßgeblich durch die unterschiedlichen historischen Erfahrungen in der Zeit zwischen 1933 und 1945 geprägt. Für Großbritannien wird zum Teil die These vertreten, dass die Kriegserfahrung die Gesellschaft geeint und ein stärkeres nationales Zusammengehörigkeitsgefühl gefördert habe.20 Auch wenn diese These in der jüngeren Forschung inzwischen kontrovers diskutiert wird, stellt sie gerade für die Geschichte des volunteering immer noch ein beliebtes Deutungsmuster dar.21 Für Deutschland wurde in der Geschichtsschreibung lange Zeit eher ein anderer Trend beschrieben. Die Erfahrung des Nationalsozialismus und die politische Verunsicherung nach dessen Zusammenbruch habe viele Deutsche in den ersten Nachkriegsjahren einen Rückzug ins Private antreten lassen. Obgleich auch diese Interpretation angezweifelt wird, findet sie sich weiterhin in zahlreichen neueren Arbeiten.22 In der Studie werden anhand der Entwicklung der Jugendfreiwilligendienste beide Thesen einer genaueren Prüfung unterzogen. Schließlich bewährt sich die komparative Perspektive fünftens auch bei der Frage, inwieweit der gesellschaftliche und kulturelle Wandel der 1960er und 1970er Jahre die Motive und Konjunkturen von Freiwilligendiensten beeinflusste. Dies gilt insbesondere für die Zeit um »1968« im Hinblick auf die in beiden Ländern unterschiedlich stark ausfallenden Studentenproteste. Dass im Zuge dieser Proteste das Staats- und Gesellschaftsverständnis massiv zur Dis19 Zur Wehrdienstverweigerung vgl. Bernhard, Zivildienst. 20 Vgl. Lowe. 21 Vgl. Prochaska, The Voluntary Impulse, S. 1 f.; Brewis, Towards, S. 15–17; Dechamps, S. 42. Mit guten Gründen wird der These zwar nicht speziell für die Freiwilligenarbeit, aber in allgemeinerer Perspektive widersprochen, vgl. vor allem Calder; Rose. 22 Für jüngere Werke, die einen solchen »Rückzug ins Private« für gegeben ansehen, vgl. z. B. Ullrich, S. 307; Hockerts, S. 57.

17

kussion gestellt wurde, wirkte sich auch auf das Verständnis von Freiwilligenarbeit aus. Was bedeutete dies für die Jugendfreiwilligendienste beider Länder? Die hier aufgezählten unterschiedlichen nationalen Traditionen und Bedingungen sowie die ursprünglich betont nationale Ausrichtung der Jugendarbeitsdienste sprechen für einen nationalstaatlich abgesteckten Vergleichsrahmen. Gleichzeitig werden jedoch auch Transfers und beziehungsgeschichtliche Aspekte analysiert, die eine wichtige Rolle für die Entwicklung der deutschen und britischen Freiwilligendienste spielten. Ihre Geschichte war von Beginn an eine »verflochtene Geschichte«: Nicht nur die Workcampbewegung definierte sich über ihre Internationalität, sondern auch die national ausgerichteten Arbeitsdienste nahmen schon in der Zwischenkriegszeit Impulse aus anderen Nationen auf. Dies gilt auch für die beiden hier untersuchten Länder, wobei Großbritannien in dieser Zeit stärker auf Deutschland schaute als umgekehrt. In der Nachkriegszeit war dann der nationalsozialistische Reichsarbeitsdienst lange Zeit ein negativer Referenzpunkt, wenn man in Großbritannien über längerfristige Jugenddienste nachdachte. Seit den 1970er Jahren schließlich herrschte ein reger deutsch-britischer Freiwilligenaustausch. Die vielen Fallstricke, welche die vergleichende Geschichtsschreibung aufweist, werden seit langem diskutiert.23 Für eine komparative Betrachtung des Arbeitsdienstgedankens, die mehr als ein Jahrhundert erfassen soll, sind sie ernst zu nehmen. So sind erstens vorschnelle nationale Verallgemeinerungen zu vermeiden: In der Bundesrepublik etwa nahmen die Kirchen bzw. die konfessionellen Wohlfahrtsverbände einen starken Einfluss auf die Entwicklung der Jugendfreiwilligendienste. In Großbritannien wurden die beiden größten Trägerorganisationen von ein und derselben Person gegründet, die überdies in­ beeindruckender Schreib- und Interviewtätigkeit den öffentlichen Diskurs über die Dienste maßgeblich mit prägte. Daher gilt es für beide Länder, die Freiwilligenorganisationen jeweils in einen größeren Kontext einzubetten und sehr sorgfältig zu fragen, welche ihrer Charakteristika organisationsspezifisch zu erklären sind, welche hingegen nationalen Trends entsprechen. Die Dienste wiesen zwar sehr spezifisch bundesdeutsche bzw. britische Prägungen auf, die sich im jeweils anderen Land so nicht hätten herausbilden können. Dies darf aber nicht dazu verleiten, diese Ausprägungen als zwangsläufige und einzig denkbare Resultate der jeweiligen Freiwilligenkultur aufzufassen. Zweitens ist zu berücksichtigen, wie schwierig es sein kann, für sich histo­risch wandelnde Phänomene, bei denen also ein synchroner Verlgeich noch durch den diachronen Vergleich ergänzt wird, ein tertium comparationis zu definieren. Diese Problematik stellt sich auch für die Jugendfreiwilligendienste: Wenngleich der Arbeitsdienst- und vor allem der Arbeitslagergedanke in Deutschland und Großbritannien gemeinsame Grundlagen hatten, entwickelten sie sich nach 1933 in beiden Ländern so stark auseinander, dass sie kaum mehr vergleichbar 23 Die Literatur hierzu ist umfangreich, vgl. für einen Überblick Welskopp.

18

sind.24 Erst in den fünfziger Jahren lassen sich die längerfristigen Jugendfreiwilligendienste dann in beiden Staaten wieder relativ klar als zwei national geprägte Varianten ein und desselben Phänomens betrachten. Vor allem für die Zeit seit den siebziger Jahren erschweren drittens transnationale Einflüsse den Vergleich: Denn nun nahmen die Gemeinsamkeiten zwischen deutschen und britischen Diensten derart zu, dass die Unterschiede mehr und mehr verblassten und ihre Geschichte teilweise eher als eine gemeinsame zu schreiben ist. In der Gliederung der Arbeit schlägt sich dies nieder, wenn sie sich im Kapitel zu den siebziger und achtziger Jahren weniger stark an den beiden Vergleichspartnern ausrichtet. Viertens schließlich stellen auch national unterschiedliche historiographische Traditionen die komparative Geschichtsschreibung vor eine Herausforderung, die sich allerdings durchaus als sehr fruchtbar erweisen kann. Für das hier betrachtete Thema überraschen die Unterschiede in der deutschen und britischen Forschung, die im Folgenden etwas detaillierter in den Blick genommen werden sollen. Gemeinsam gilt für die Geschichtswissenschaft beider Länder zunächst, dass eingehendere Untersuchungen der Jugendfreiwilligendienste bislang fehlen. Lediglich ein Aufsatz von Maren Stell in dem von der Robert-Bosch-Stiftung im Jahr 2000 herausgegebenen Sammelband »Jugend erneuert Gemeinschaft« liefert für die deutsche Seite eine kurze Skizze.25 Der Beitrag von Andreas Gestrich im gleichen Band ebenso wie die deutsch-amerikanische Vergleichsstudie Kiran Klaus Patels zu Arbeitsdiensten vor 1945 bieten jeweils einen knappen Ausblick auf die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts und betonen vor allem den Bruch nach der Zeit des nationalsozialistischen Arbeitsdienstes, die Pluralisierung und die verstärkte Friedensausrichtung der Dienste.26 Darüber hinaus liegen einige von den Trägerorganisationen herausgegebene historische Selbstdarstellungen zum Diakonischen Jahr sowie zum britischen Entwicklungsdienst VSO vor.27 Sie schildern die Geschichte der Freiwilligendienste großenteils relativ unkritisch als pädagogische oder demokratische Erfolgsgeschichten. Eine qualitativ hervorstechende Ausnahme unter diesen Selbstdarstellungen ist Gabriele Kammerers Geschichte der Aktion Sühne­zeichen aus dem Jahr 2008, die im Gegensatz zu anderen Selbstdarstellungen eine tiefer greifende historische Kontextualisierung bietet.28 Die Aktion Sühne­zeichen ist auch die einzige Freiwilligenorganisation, der eine unabhängige Monographie eines Fachhistorikers gewidmet ist: Anton Legerers Vergleich deutscher und öster­ reichischer Versöhnungsdienste fragt wie auch die Arbeit Kammerers in erster 24 Der nationalsozialistische Reichsarbeitsdienst war für die männliche Jugend bis 1935, für die weibliche Jugend noch bis Kriegsbeginn teilweise freiwillig, vgl. unten, Kapitel 1.2.d. 25 Stell. 26 Gestrich; Patel, S. 419–423. 27 Gerwig; Bird. 28 Kammerer.

19

Linie nach der vergangenheitspolitischen Bedeutung der Organisation, sie kann aber dennoch auch für die hier im Mittelpunkt stehende Fragestellung einiges beitragen.29 Die Historiographie zur Bundesrepublik hat nicht nur die Jugendfreiwilligendienste, sondern allgemein auch das größere Feld der Freiwilligenarbeit vernachlässigt. Das Interesse, das die Forschung seit den siebziger Jahren der bürgerlichen Wohltätigkeit des 19.  und beginnenden 20.  Jahrhunderts entgegenbrachte, fand für die nach 1945 im sozialen Bereich geleistete Freiwilligenarbeit keine Entsprechung.30 Dies mag zunächst überraschen, da das Thema politisch seit etwa zwanzig Jahren hoch im Kurs steht, lässt sich jedoch auf mehrere Ursachen zurückführen: Zunächst einmal schienen sich Klassengegensätze in der »nivellierten Mittelstandsgesellschaft«, als die man die Nachkriegsgesellschaft weithin deutete, aufgelöst zu haben.31 Damit geriet auch die Wohltätigkeit, deren Funktion vor allem im Kontext der Klassengesellschaft analysiert wurde, aus den Augen der Geschichtsforschung. Zweitens zog der expandierende Sozialstaat enorme Aufmerksamkeit auf sich und stellte freiwillige Sozialarbeit so in den Schatten. Hinzu kam drittens, dass Freiwilligenarbeit von den späten sechziger Jahren bis in die achtziger Jahre hinein vielfach entweder als Paternalismus oder als Ausnutzung billiger Arbeitskräfte in der Kritik stand. Dass ihr in der Zukunft keine wichtige Rolle zukommen sollte, ließ sie umso mehr als Relikt der Vergangenheit erscheinen.32 Die Historikerin Melanie­ Oppenheimer argumentiert viertens in Anlehnung an feministische Deutungen reproduktiver Arbeit, dass Freiwilligenarbeit lange Zeit deshalb nicht zum­ Forschungsgegenstand habe avancieren können, weil allein bezahlte Arbeit als ökonomisch wertvoll und wichtig angesehen worden sei.33 Wichtige Impulse erhält die Untersuchung vor allem aus der englischsprachigen Forschung, wie sich mit Melanie Oppenheimer, einer ihrer wichtigsten Vertreterinnen, bereits andeutet. Die besondere Rolle, welche »voluntary ­spirit« für das britische Selbstverständnis hatte und hat, spiegelt sich in der Forschung wider: Wenngleich speziell die Jugendfreiwilligendienste auch von der britischen Geschichtswissenschaft nicht ausführlicher behandelt worden sind, so hat doch die Geschichte der Freiwilligenarbeit insgesamt in Großbritannien eine weitaus stärkere Beachtung gefunden als in Deutschland.34 Vor allem seit Beginn der 1990er Jahre, also seit auch politisch das Lob des bürgerschaftlichen Engage­ 29 Legerer. 30 Die Literatur zur bürgerlichen Wohltätigkeit im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert ist umfangreich, vgl. z. B. Gaethgens u. Kocka; Nitsch; zur britischen Forschung der sechziger bis neunziger Jahre vgl. Shapely; Jones. 31 Der Begriff geht zurück auf Schelsky, Wandlungen, S.  218; zur Rezeption des Begriffs vgl. Braun. 32 Vgl. hierzu das Kapitel 4.1.a. 33 Oppenheimer, S. 7 f. Diese These entwickelt Oppenheimer in Fortführung von Waring. 34 Mit weiteren Literaturhinweisen Harrison u. Webb; Finlayson, Citizen; Prochaska, The­ Voluntary Impulse.

20

ments im Aufwind war, haben sich britische Historikerinnen und Historiker­ volunteering und voluntary action zugewandt. Derzeit boomt die Geschichte des Freiwilligensektors in Großbritannien geradezu. Einige Beispiele mögen dies­ illustrieren: Seit 1995 gibt es eine Voluntary Action History Society, seit 2005 eine umfassende Datenbank zu den Archiven von Freiwilligenorganisationen und seit kurzem auch ein spezielles Archiv zum voluntary sector.35 Als weiteres Beispiel lässt sich das 1972 erstmals erschienene wichtige sozialhistorische Handbuch »Twentieth Century Social Trends« anführen, dessen Neuauflage im Jahr 2000 als eines von zwanzig Kapiteln das zusätzliche Thema »Volunteers and Voluntarism« aufgriff.36 Und José Harris hat ihre 1977 erst­veröffentlichte einschlägige Biographie William Beveridges 1997 in der überarbeiteten Fassung um einen längeren Abschnitt zu dessen Sicht auf den Freiwilligensektor ergänzt.37 Die britische Forschung hat gezeigt, wie viel die Analyse des Freiwilligensektors nicht nur über die nationale, sondern auch über die soziale Selbstdefinition und die Sozialverfassung einer Gesellschaft aussagen kann.38 Bahn­brechend war Geoffrey Finlaysons Monographie »Citizen, State, and Social Welfare in­ Britain 1830–1990« aus dem Jahr 2002. Finlayson zielte darauf, die Beziehungen zwischen Freiwilligensektor und Staat auszuloten, die er in Anlehnung an­ Beveridge als »moving frontier« charakterisierte.39 Die jüngere Forschung zollt der Zeit von den späten vierziger bis zu den sechziger Jahren besondere Aufmerksamkeit. Im Mittelpunkt steht hier oft die Frage, wie die Einführung des staatlichen Wohlfahrtssystems den Freiwilligensektor transformierte.40 Ältere britische Arbeiten haben die fünfziger und sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts oft in einer Niedergangsperspektive beschrieben, der zufolge volunteering an Ansehen und Bedeutung verlor.41 Neuere Studien, etwa von Georgina Brewis, Matthew Hilton und James McKay ziehen diese Sicht in Zweifel.42 Hilton und McKay sehen die Bemühungen, den Wandel des freiwilligen Bürgerengagements quantitativ zu erfassen, als fruchtlos an und fordern dazu auf, die Zeit vielmehr als Phase der Anpassung und Transformation zu betrachten und qualitative Veränderungen herauszuarbeiten.43 In diese Diskussion reiht sich auch 35 Voluntary Action History Society, http://www.vahs.org.uk/; DANGO (Database of Archives of Non-Governmental Organisations), http://www.dango.bham.ac.uk; Voluntary Action History Society, Archives, http://www.vahs.org.uk/archive. 36 Halsey, British. Eine zweite, erweiterte Auflage erschien 1988. In der dritten, neu betitelten Auflage (Halsey, Twentieth-Century) findet sich das Kapitel von Harrison u. Webb. 37 Harris, William Beveridge, 2. überarb. Aufl., S. 453–461. 38 Vgl. beispielsweise Prochaska, The Voluntary Impulse; Finlayson, Citizen, sowie die Beiträge in Hilton u. McKay, Ages. 39 Finlayson, A moving frontier. 40 Ansatzweise werden ähnliche Fragestellungen für den deutschen Freiwilligensektor mit Blick auf die konfessionellen Wohlfahrtsverbände in der kirchlichen Zeitgeschichtsschreibung debattiert, vgl. die Beiträge in Jähnichen u. a., insbesondere Henkelmann, S. 18 f., Frie. 41 Vgl. etwa Prochaska, The Voluntary Impulse. 42 Brewis, Towards. 43 Hilton u. McKay, Introduction.

21

die Untersuchung der Jugendfreiwilligendienste in der Bundesrepublik und Großbritannien ein. Die Tatsache, dass solche Dienste bereits in den fünfziger und sechziger Jahren – der Zeit des Ausbaus der staatlichen Fürsorgesysteme – eingeführt wurden und seither stetig wuchsen, lässt sie hier als Untersuchungsgegenstand besonders geeignet erscheinen. Die Studie ordnet sich nicht nur in die Forschung speziell zur Freiwilligenarbeit ein, sondern auch in das weiter gefasste Themenfeld citizenship, das in der anglo-amerikanischen Forschung ebenfalls seit den neunziger Jahren viel Beachtung findet.44 Der britisch-australische Soziologe Bryan S. Turner versteht citizenship als »a set of practices – juridical, political, economic and cultural – which define a person or through which persons define themselves as competent members of society«.45 In einem großen Teil der Studien zu citizenship geht es dabei vor allem um die Frage nach Rechten, etwa in den Arbeiten, die sich an dem auf Thomas H.  Marshall zurückgehenden Konzept der social citizenship orientieren und die Herausbildung wohlfahrtsstaatlicher Rechte analysieren.46 Seltener steht wie im Folgenden im Mittelpunkt, welche Vorstellungen über staatsbürgerliche Pflichten damit einhergingen. Lediglich geschlechtergeschichtliche Arbeiten zu citizenship schenken dieser Frage eine größere Aufmerksamkeit, beziehen sich aber zumeist auf familiäre Rollenzuschreibungen. Dennoch liefern sie wertvolle Anknüpfungspunkte.47 In einem 2008 erschienen Sammelband zu citizenship in Deutschland im 20. Jahrhundert beklagt der Herausgeber Geoff Eley den Mangel an historischen Studien zu diesem Thema. Tatsächlich findet sich das Konzept in der deutschen Geschichtswissenschaft nur selten, vielleicht auch deshalb, weil sich der Begriff schlecht ins Deutsche übersetzen lässt. Denn während das citizenship-Konzept sich gezielt auch anderen Formen des Gemeinwesens öffnet, bezieht sich der Begriff »Staatsbürgerschaft« zu eindeutig auf das Staatswesen. Doch auch ohne den Begriff citizenship zu verwenden, behandeln deutsche Historiker Fragen, die dem Themenfeld zuzuordnen sind. Dies gilt etwa für zahlreiche geschlechtergeschichtliche Arbeiten oder für Studien zur Geschichte der Jugend, auf welchen die Untersuchung der Jugendfreiwilligendienste aufbauen kann.48 Fragestellungen und Erkenntnisinteressen, die denjenigen dieser Studie nahekommen, lassen sich innerhalb der deutschen Geschichtsschreibung für das – ebenfalls seit den neunziger Jahren modische – Themenfeld »Zivilgesellschaft« 44 So bezieht sich etwa Finlayson, Citizen, bereits in seinem Titel darauf. 45 Turner, Contemporary Problems, S. 2. 46 In dem 1949 erstmals publizierten Essay beschreibt Marshall die Geschichte von citizenship als dreistufigen Prozess, in dem zunächst bürgerliche, dann politische und schließlich soziale Rechte universalisiert worden seien, Marshall. Kritiker bemängeln die teleologische Komponente dieses Modells sowie die Blindheit gegenüber Genderfragen und ethnischen Minderheiten, vgl. Hobson, S. 145–147; Gambles u. Withworth; Armstrong. 47 Zu nennen ist hier insbesondere die anregende Studie von Rose; vgl. überdies z. B. Tinkler. 48 So etwa Lindner, Rationalisierungsdiskurse; von Oertzen; Paulus. Vgl. auch die Arbeiten der US-amerikanischen Geschichtswissenschaft Moeller; Heineman, What Difference.

22

finden.49 Anders als bei dem citizenship-Konzept geht es dabei weniger um die Rolle des Einzelnen in der Gesellschaft als um Organisationsformen und Institutionen. Beliebte Untersuchungsgegenstände für die Zivilgesellschaftsforschung sind beispielsweise Protest und Bürgerbewegungen.50 Freiwilligenarbeit unterscheidet sich jedoch in einigen zentralen Punkten von Protest bzw. sozialen Bewegungen. Diese verfolgen in der Regel jeweils spezifische Anliegen, sie sind vielfach interessengeleitet und situationsbezogen. Tendenziell richten sie sich gegen die Staatsmacht.51 Die Jugendfreiwilligenarbeit hingegen steht in einem anders gearteten Verhältnis zum Staat: Zwar betonen Freiwillige und Freiwilligenorganisationen gern ihre Unabhängigkeit, richten sich aber oftmals nicht gegen den Staat, sondern setzen eher auf Kooperation. Freiwilligendienste sind außerdem sehr viel stärker dem grundsätzlichen Gedanken eines Dienstes für das wie auch immer verstandene Gemeinwohl verschrieben, nicht so sehr bestimmten Einzelinteressen. Die meisten Untersuchungen zu Jugendfreiwilligenarbeit gibt es in der pädagogischen und sozialwissenschaftlichen Forschung. Hier hat Freiwilligenarbeit im Kontext des Themenfeldes »bürgerschaftliches Engagement« deutlich mehr Beachtung gefunden als in der historischen Forschung, was sich wohl mit dem größeren Aktualitätsbezug dieser Disziplinen erklären lässt.52 Die sozialwissenschaftlichen Forschungslinien sind von den Diskussionen um die These eines allgemeinen Individualisierungsprozesses und eines damit einhergehenden Wertewandels bestimmt, demzufolge »materialistische« bzw. »Pflicht- und Akzeptanzwerte« in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und speziell in den sechziger und siebziger Jahren zunehmend von »postmaterialistischen« bzw. »Selbstentfaltungswerten« abgelöst wurden.53 Zwei Meistererzählungen bestimmen hier die Forschung: Auf der einen Seite wird der Wertewandel eher positiv bewertet und ein Rückgang der Gemeinwohlorientierung abgestritten. Immer wieder beziehen sich die Vertreter dieser Sicht auf die seit den siebziger Jahren durchgeführten Analysen des Politikwissenschaftlers Ronald Inglehart und des Soziologen Helmut Klages.54 Auf der anderen Seite wird ein zunehmender Individualismus konstatiert, der den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährde. 49 Vgl. zur Zivilgesellschaft speziell aus historischer Perspektive z. B. Jessen u. a.; Boldorf. 50 Z. B. Dowe; Rucht; Rucht u. a.; ein weiteres Themenspektrum umfasst der Sammelband­ Jessen, der allerdings abermals fast ausschließlich das 19. Jahrhundert in den Blick nimmt. Die britische Geschichtsforschung verwendet das Konzept der »Civil Society« seltener. Die Bedeutung von »Civil Society« weicht außerdem vom deutschen Pendant »Zivilgesellschaft« ab. Der englische Begriff verzichtet stärker auf die normative Voraussetzung von Gewaltfreiheit und demokratischen Werten. »Civil Society« umfasst außerdem ein weiteres Feld von Organisationen, etwa auch Handelsvereine, Universitäten und Parteien. 51 Dies kritisiert an der Zivilgesellschaftsforschung etwa auch Mergel. 52 Vgl. speziell zu Jugendgemeinschaftsdiensten Claessens u. Danckwortt; Eberhard; ­Hafeneger; Guggenberger. 53 Vgl. hierzu etwa Braun; Wahl. 54 Inglehart, The Silent Revolution; Klages, Wertorientierungen. Beide Autoren haben ihre Thesen in zahlreichen Folgeschriften erweitert und verfeinert.

23

Robert Putnam etwa warnt in seiner einflussreichen Studie »Bowling Alone« davor, dass der Individualisierungsprozess demokratische Werte schwäche.55 Die sozialwissenschaftliche Wertewandelsforschung ist von deutschen Zeithistorikern intensiv rezipiert worden.56 Sie korrespondiert mit den Deutungen der bundesdeutschen Geschichte als einer Geschichte der »Liberalisierung« oder »Westernisierung«.57 Allerdings gerät die Verwendung des Deutungsmusters »Wertewandel« in der Geschichtswissenschaft zunehmend in die Kritik. Argumentiert wird, dass Wertvorstellungen immer im Fluss seien und eine vermeintlich besondere Intensität eines solchen Wandels in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nur sehr schwer belegbar sei. Darüber hinaus wird angemahnt, die soziologische Wertewandelsforschung als zeitgebundene Interpretation der siebziger Jahre zu historisieren.58 Im Zusammenhang damit geriet schließlich auch deren empirische Quellenbasis in die Diskussion, da viele der großen Wertewandelsthesen auf Meinungsumfragen beruhen. Solche Erhebungen, so die Kritik, tendierten dazu, Antworten durch die jeweiligen – und ebenfalls zu historisierenden – Fragestellungen bereits vorzuformen.59 Dass diese Kritik ernst zu nehmen ist, zeigt sich auch am Beispiel der Jugendfreiwilligendienste. Auch die pädagogischen und sozialwissenschaftlichen Arbeiten zum FSJ beziehen sich empirisch zumeist auf Umfrageergebnisse seit den 1970er Jahren.60 Hinzu kommt, dass diese Studien, deren Ziel oft die Mobilisierung der Zivilgesellschaft war, vielfach allein Motiv- und Erfahrungsanalysen vornehmen und sich damit nur für die Freiwilligen interessieren. Aus historischer Perspektive sind andere Fragen zu stellen, ist zeitlich weiter zurückzugreifen und ein breiteres Quellenspektrum zu berücksichtigen. Überdies sollte sich eine historische Analyse weder damit begnügen, lediglich die Freiwilligen selbst in den Blick zu nehmen, noch sollte sie sich auf Organisationen beschränken, wie das in der Forschung zum Themenfeld Zivilgesellschaft vielfach der Fall ist. Und schließlich reicht es auch nicht aus, auf Diskurse von Politikern oder Intellektuellen, die allgemein in der zeitgeschichtlichen Forschung noch stark im Mittelpunkt stehen.61 Vielmehr sind gerade die Wechselwirkungen zwischen 55 Putnam. 56 Einen aktuellen Überblick über die Debatten gibt Heinemann. 57 Vgl. maßgeblich Herbert, Liberalisierung; Doering-Manteuffel. 58 Vgl. z. B. Doering-Manteuffel u. Raphael, S. 79–84; Graf u. Priemel. Vgl. auch die Replik darauf Dietz u. Neumaier. 59 Vgl. für eine Kritik der umfragebasierten Jugendforschung Janssen. 60 Bei dieser Kritik sollten allerdings die sozialwissenschaftlichen Forschungen nicht auf die von der Geschichtswissenschaft immer wieder zitierten Hauptwerke vor allem von ­Inglehart und Klages reduziert werden. Gern werden sozialwissenschaftliche Diskussionen übersehen, die durchaus nicht nur auf Umfragen rekurrieren und überdies selbst Umfrageresultate teilweise kritisch bewerten. Studien speziell zu den Jugendsozialdiensten und auch allgemeiner zu »bürgerschaftlichem Engagement« basieren indes tatsächlich größtenteils auf Befragungsergebnissen, so z. B. Eberhard; Gensicke; Klages, Engagement; Klages u. G ­ ensicke. 61 Vgl. zur letztgenannten Tendenz Kersting u. a., S. 14.

24

Freiwilligen, Trägerorganisationen, staatlichen Instanzen zu analysieren und, soweit es die Quellen erlauben, auch der Wahrnehmung von Jugendfreiwilligendiensten in der breiteren Öffentlichkeit. Mit einer solchen Zielsetzung ergänzt diese Studie nicht nur die sozialwissenschaftlichen Arbeiten, sondern führt zu anderen Ergebnissen und neuen Erkenntnissen. Die Quellen, auf denen die Arbeit beruht, lassen sich grob fünf verschiedenen Feldern zuordnen: Ein erstes großes Quellenkorpus ist die Überlieferung aus der Hand von Freiwilligen: Aufgrund der Archivsperrfristen war der Zugang zu solchen Quellen nicht einfach, doch konnten in den Organisationen aufbewahrte Bewerbungsschreiben und Erfahrungsberichte eingesehen werden.62 Speziell für die Bewerbungsschreiben gilt freilich zu beachten, was ein Aktion-Sühnezeichen-Freiwilliger Anfang der siebziger Jahre auf den Punkt brachte: »Die Antworten erscheinen mir alle manipuliert und in den seltensten Fällen ehrlich. Die Fragen werden, wie mir auch viele Freiwillige bestätigten, nach dem Motto beantwortet, ›was wollen die wohl von mir hören, daß ich angenommen werde.‹«63 Besonders wertvoll waren daher Sammlungen von Briefen von Freiwilligen aus den späten fünfziger und den sechziger Jahren, die während des Dienstes oder aus der Rückschau kurz nach dem Dienstjahr verfasst wurden und, wenngleich sie an die Freiwilligenorganisationen gerichtet waren, weniger Rücksicht auf die Wünsche der Empfänger nehmen mussten. Anliegen ihrer Autorinnen und Autoren war es, über Erfahrungen zu berichten, Dank auszudrücken, aber auch Klagen zu äußern und Probleme anzusprechen. Ein britischer Freiwilliger und eine deutsche Freiwillige, die 1971 bzw. 1987 ihren Sozialdienst ableisteten, haben ihre Erfahrungen in einer Autobiographie bzw. einem autobiographisch eingefärbten Roman verarbeitet.64 Die britische Freiwilligenorganisation CSV sammelte überdies auf ihrer Website Erfahrungsberichte von ehemaligen Freiwilligen, wobei freilich davon auszugehen ist, dass sehr kritischen Stimmen hier keine Plattform geboten wurde.65 Für die deutsche Seite wurden ergänzend einige Interviews geführt.66 62 Im Emmendinger Tagebucharchiv finden sich keine Tagebücher von Freiwilligen. Ein im Rahmen der Forschungen für diese Arbeit publizierter Zeitungsaufruf, in dem um die Einsichtnahme in Tagebücher oder Briefe aus der Zeit im Freiwilligendienst gebeten wurde, blieb ohne den gewünschten Erfolg. 63 Brief eine Großbritannien-Freiwilligen, ca. 1972, EZA 97/1427. 64 Meinhardis; Morrison. 65 CSV, Celebrating, Zugriff: Febr. 2014. Diese Berichte sind inzwischen online nicht mehr zugänglich. 66 Gegen »Oral History« ist eingewandt worden, dass sie vielfach mehr über die gegenwärtige Sicht der Vergangenheit als über die Vergangenheit selbst aussage. Da vor allem für das Verständnis des Verhältnisses von Einzelnem und Allgemeinheit, das bei dieser Arbeit im Zentrum des Interesses steht, aber auch für die Motive der Freiwilligen, tatsächlich davon ausgegangen werden kann, dass sie in der autobiographischen Rückschau der Gegenwart angepasst wurden, ergänzen nur einige wenige Interviews diese Analyse. Die interviewten ehemaligen Freiwilligen reagierten auf den Zeitungsaufruf, in dem ich vor allem um ­schriftliche

25

Besonders umfangreich ist zweitens das Schriftgut einiger Freiwilligenorganisationen. In den mehr oder weniger systematisch geführten Organisationsarchiven konnten vor allem Dokumente konzeptioneller Art, Auswertungen von Freiwilligeneinsätzen, Lageberichte, Statistiken und Umfragen sowie Werbe­ mate­rial eingesehen werden. Auf deutscher Seite haben viele der angefragten Organisationen ihre Archive für die Studie zur Verfügung gestellt. Die größten Aktenbestände liegen für das Diakonische Jahr im Archiv für Diakonie und Entwicklung sowie im Zentralarchiv der Diakonie Neuendettelsau und für die Aktion Sühnezeichen im Evangelischen Zentralarchiv vor. Zum Sozialjahr des katholischen Wohlfahrtsverbandes ist weniger Material aufbewahrt worden, dennoch sind auch die Bestände im Archiv des Deutschen Caritasverbandes und im Archiv des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend beachtlich. Für die Seite der freien Träger stand das Archiv des Deutschen Roten ­Kreuzes (DRK) offen, während der Internationale Bund für Sozialarbeit wiederholte Anfragen unbeantwortet ließ. Der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband (DPWV) verfügt über kein zentrales und für die Öffentlichkeit zugängliches Archiv. Das Archiv der Arbeiterwohlfahrt (AWO), Teil des Archivs der Sozialen Demokratie, ist noch nicht erschlossen. Für alle diese Organisationen findet sich aber vielfältiges Material im Bundesarchiv in Koblenz. Ausgewertet wurden außerdem die Bestände zahlreicher Workcamporganisationen.67 Für die britische Seite war der Zugang zu den Organisationsarchiven schwieriger. Die Organisation CSV gewährte nur einen zeitlich stark beschränkten Zugang zu ihrem Archiv. Hier konnte Material sowohl zu CSV als auch zur Entwicklungshilfeorganisation VSO eingesehen werden. VSO selbst war nicht bereit, das Organisationsarchiv zu öffnen.68 Für die britischen humanitären Hilfsorganisationen der Kriegszeit wurden die Archive der Religious Society of Friends in London sowie der Methodisten in Manchester konsultiert. Umfangreiche Archivbestände lagen außerdem sowohl für den deutschen wie auch für den britischen Zweig der Service Civil International (SCI) im schweizerischen­ La-Chaux-de-Fonds vor. Selbstzeugnisse aus der Zeit ihrer Freiwilligentätigkeit gebeten hatte. Die Befragung verlief nach der Methode des »narrativen Interviews«, die sich darum bemüht, die Strukturierung des Erzählten in weiten Teilen den Interviewten zu überlassen und nur am Ende des Interviews mit gezielten Nachfragen auf bestimmte offen gebliebene und für die Untersuchung wichtige Aspekte hinzulenken. Vgl. zur Kritik an der »Oral History« als historischer Quelle Welzer. Zur Methode des narrativen Interviews vgl. Schütze; Beckner. 67 Und zwar die Archive der Organisationen Christlicher Friedensdienst/Youth Action for Peace, Internationale Jugendgemeinschaftsdienste, Internationaler Bauorden, Eirene, Volksbund für Kriegsgräberfürsorge. 68 Vermuten lässt sich für den Fall der Entwicklungshilfeorganisation, dass sie eine Aufarbeitung ihrer Geschichte für rufschädigend hält, da die anfänglichen Zielsetzungen der Organisation von Kritikern oft als Neokolonialismus gewertet wurden und werden. Andere Organisationen, die keinen Zutritt zu ihrem Archiv gewährten, scheuten offenbar den Aufwand und die Störung.

26

Für die deutsche Seite konnte drittens im Bundesarchiv eine Vielzahl an Quellen staatlicher Provenienz gesichtet werden, insbesondere Gesetzesdiskussionen und anderes Material zu staatlichen Förderungsmaßnahmen, vor allem zur Institutionalisierung des FSJ sowie zur Diskussion um das Frauenpflichtjahr. In den britischen National Archives finden sich vor allem zu VSO vielfältige Aktenbestände, in geringerem Maße auch zu CSV. Analysiert wurden viertens zeitgenössische pädagogische und sozialwissenschaftliche Untersuchungen zu Freiwilligendiensten. Sie liegen vermehrt seit den siebziger Jahren vor, als zum einen die Freiwilligenorganisationen an Größe zunahmen, zum anderen die empirischen Sozialwissenschaften im Auftrieb waren. Fünftens schließlich dienten Zeitungsartikel sowie Manuskripte von Radiosendungen und Filmen der Untersuchung der öffentlichen Reaktionen auf die Freiwilligendienste. Systematisch ausgewertet wurden für die deutsche Seite die Onlinearchive der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« (FAZ), der »Zeit« und des »Spiegel«, für die britische Seite diejenigen der »Times« und des ­»(Manchester) Guardian«. Hinzu kamen zahlreiche Berichte anderer Zeitungen, die sich über Hinweise im Schriftgut der Organisationsarchive fanden. Die Arbeit ist auf der ersten Ebene chronologisch gegliedert. Das erste Kapitel behandelt die Vorgeschichte der freiwilligen sozialen Jugenddienste in der Zeit bis 1945. Für die Nachkriegszeit, die im Zentrum der Arbeit steht, lässt sich die Geschichte der Jugendfreiwilligendienste in drei Phasen scheiden, denen jeweils ein Kapitel gewidmet ist. Diese Phaseneinteilung ist an der deutschen Entwicklung orientiert, da dort für die Geschichte der Jugendfreiwilligendienste deutlichere Brüche zu markieren sind. Aber auch die Entwicklung der britischen Dienste lässt sich mit diesen Phasen recht gut fassen, wobei die für sie fließenderen Übergänge der einzelnen Zeitabschnitte in den jeweiligen Kapiteln thematisiert werden. Geprägt werden diese drei Phasen in erster Linie durch die wirtschaftliche Situation, die damit einhergehende Arbeitsmarktlage und die sozialstaatliche Verfassung. Das zweite Kapitel behandelt das Jahrzehnt des Wiederaufbaus von 1945 bis Mitte der fünfziger Jahre, in dem in Westdeutschland die Kriegsfolgen und der Übergang von der Diktatur in die Demokratie die Diskussionen über Jugendarbeitsdienste bestimmten, während der Freiwilligensektor in Großbritannien durch die Einführung des Welfare-Systems eine Phase der Neuorientierung durchlief. Das dritte Kapitel befasst sich mit der Zeit des ökonomischen Aufschwungs, die für die deutsche Seite gern als »Wirtschaftswunderzeit« beschrieben wird. In beiden Ländern gaben Wohlfahrtsund Wohlstandsentwicklung in dieser Phase den entscheidenden Anstoß für die Einführung der freiwilligen sozialen Jugenddienste  – in der Bundesrepublik bereits Mitte der fünfziger Jahre, in Großbritannien gegen Ende des Jahrzehnts. Das vierte Kapitel reicht von etwa 1968 bis Ende der achtziger Jahre: Damit fasst es  – für die deutsche wie für die britische Zeitgeschichtsschreibung eher ungewöhnlich  – Auswirkungen der »68er-Bewegung« bzw. des Erstarkens der Neuen Linken und diejenigen der wirtschaftlichen Unsicherheit nach 27

dem Ölpreisschock von 1973 zusammen: Für die Jugendfreiwilligendienste verstärkten sich diese Auswirkungen teils gegenseitig, teils widersprachen sie sich in eigentümlicher Weise, auf jeden Fall aber waren sie untrennbar miteinander verwoben. Der erste Teil dieses Kapitels nimmt zunächst die Folgen von »1968« in den Blick. Die deutschen Freiwilligendienste gerieten im Zuge der Studentenunruhen in eine Krise und veränderten sich in ihrer Konzeption grundlegend. Auf britischer Seite lässt sich für diese Zeit kein derart eindeutiger Einschnitt feststellen, wenngleich sich auch dort in den ausgehenden sechziger Jahren ein langsamer Konzeptionswandel vollzog. Im zweiten Teil dieses Kapitels werden für beide Länder die massiven Veränderungen und die abermalige Neukonzeption der Freiwilligendienste untersucht, die sich aus der beginnenden Krise des Arbeits- und Ausbildungsmarktes und den aufkommenden Diskussionen um die Grenzen des Sozialstaats in der Zeit von 1973 bis etwa 1989 ergaben. Im Ausblick wird schließlich der Ausbau der Jugendfreiwilligendienste seit etwa 1990 skizziert, der vor allem durch Pluralisierung, Kommerzialisierung und Globalisierung gekennzeichnet ist.

28

1. Vergemeinschaftung im Dienst – Arbeitsdienste und Arbeitslager vor 1945

1.1 Die Anfänge der Arbeitsdienstidee im aufkommenden Nationalismus Der erste schriftlich überlieferte Entwurf für einen zivilen Jugenddienst stammte von der in einer klassischen Darstellung der Französischen Revolution als »republikanische Königin« bezeichneten Theresia Cabarrus (Thérèse de Tallien), einflussreichen und für ihre Schönheit berühmten französischen Salonière aus adeligem Hause, die den politischen Umwälzungen aufgeschlossen gegenüber stand.1 Cabarrus’ Vorschlag, den sie im Frühjahr 1794 dem Nationalkonvent unterbreitete, wird zwar in der historischen Forschung zum deutschen Arbeitsdienst oft beiläufig erwähnt, aber niemals detaillierter besprochen. Bevor der Arbeitsdienstgedanke und die Formen seiner Verwirklichung in Deutschland und Großbritannien für das 20. Jahrhundert untersucht werden, lohnt sich ein Blick auf diesen Entwurf, der in überraschend vielen Punkten schon Elemente des weiblichen Arbeitsdienstes vorwegnahm, der ein gutes Jahrhundert später realisiert wurde. Es war kein Zufall, dass die ersten Überlegungen, einen einjährigen Arbeitsdienst zu schaffen, während der Französischen Revolution und damit zu einer Epoche aufkamen, in der die Vorstellungen über Staat und Staatsbürgerschaft in Fluss geraten waren. Zugrunde lagen dem Arbeitsdienstgedanken in dieser Zeit die republikanische Wertschätzung von Bürgerengagement und die damit zusammenhängende nationale Mobilisierung der Revolutionskriege. Cabarrus’ Vorschlag, der ein Pflichtjahr für junge Frauen in der Kranken- oder Bedürftigenpflege vorsah, konzipierte dieses als einen staatsbürgerlichen Dienst und verlieh dem Arbeitsdienstgedanken damit ein Charakteristikum, das ihm bis in die Gegenwart Eigen blieb.2 Zunächst ging es Cabarrus um die Bestimmung von Bürgerpflichten und zwar speziell denjenigen der Frauen. Ihr Ziel war es, auch für Frauen eine Möglichkeit zu schaffen, dem Vaterland zu dienen und sich so den Status der Bürgerin zu verdienen.3 Sie vermied zwar, mit ihrem Vorschlag die Forderung nach politischen Rechten oder der Gleichstellung von Frauen zu verbinden, und bezeichnete den Wunsch seitens einiger Frauen, traditionelle Pflichten der Männer 1 Furet u. Richet, S. 363, S. 559. 2 Cabarrús; vgl. zu dem Aufruf Bouyssy, S. 144; Dammer, S. 7. 3 Vgl. ebd., S. 19.

29

zu übernehmen, sogar als »absurde ambition«, mit der sie nur die Tugenden ihres eigenen Geschlechts verlören, die des männlichen aber nicht erlangen könnten.4 Dennoch ist fraglich, ob es ihr lediglich um Status und Wertschätzung ging. Zu Recht hat die Historikerin Maïte Bouyssy ihre Argumentation als »prudence rhétorique« bezeichnet.5 Denn die adelige Theresia de Cabarrus hatte zwar unter Republikanern mit ihrem Liebhaber und späteren Ehemann Jean Lambert Tallien einen einflussreichen Beschützer. Dessen Position wurde aller­dings gerade auch durch die Liason zu ihr geschwächt. Cabarrus war sich bewusst, dass sie viele Feinde hatte und dass ihre Stellung durchaus unsicher war.6 Hinzu kam, dass nur ein halbes Jahr, bevor Cabarrus mit ihrem Vorschlag an die Öffentlichkeit trat, die Frauenrechtlerin Olympe de Gouges guillotiniert worden war. Obwohl de Gouges dem Urteilsspruch zufolge nicht aufgrund des politischen Engagements für die Emanzipation der Frauen hingerichtet wurde, hielten einige Zeitgenossen dieses doch für den eigentlichen Grund. Gegner der weiblichen Emanzipationsbestrebungen warnten andere Frauen davor, sich ins politische Tagesgeschehen einzumischen, indem sie auf das Schicksal de ­Gouges’ verwiesen, und es liegt nahe, dass ihre Hinrichtung eine einschüchternde Wirkung auf politisch engagierte Frauen hatte.7 Es mag also tatsächlich einem »réalisme politique« geschuldet gewesen sein, wenn Cabarrus davon Abstand nahm, mit ihrer Pflichtdienstkonzeption die Forderung politischer Frauenrechte zu verknüpfen.8 Doch selbst wenn Cabarrus lediglich die moralische Legitimation des Status der Citoyenne anstrebte, lässt sich wohl auch dieser Wunsch als moderates emanzipatorisches Ziel beschreiben, denn zumindest sollte der geplante Dienst die Möglichkeit bieten, Teilhabe zu bekunden. Freilich ging die Salonière nicht so weit wie einige französische Frauenrechtlerinnen, welche die Einberufung von Frauen zum Wehrdienst forderten, und ihr Vorschlag eines Arbeitsdienstes stand in keinem scharfen Gegensatz zu traditionellen aristokratischen oder religiösen Werten, sondern ließ sich mit diesen durchaus in Einklang bringen.9 Wenngleich explizit keine Frauenrechtsforderungen daran geknüpft waren, barg das Ansinnen der Salonière doch noch in ganz anderer Hinsicht die Vorstellung erweiterter Aufgaben des Staates und damit verbundener Staatsbürgerrechte: Der Dienst, so Cabarrus, könne Krankenhäuser von furchtbaren­ Gräbern (»horribles tombeaux«) in Tempel der Humanität (»temples consacrés 4 Cabarrús, S. 124. 5 Bouyssy, S. 144. 6 In der Forschung wird sogar teilweise die Vermutung geäußert, Cabarrus habe sich mit­ ihrem Vorschlag in erster Linie die Gunst des Revolutionspolitikers Marc-Antoine Jullien erkaufen wollen. Marko, S. 335, stellt in Zweifel, ob Cabarrus die Petition selbst verfasst hat. Für die Geschichte des Arbeitsdienstgedankens ist diese Frage allerdings letztlich unerheblich, wichtig sind der Vorschlag selbst und dessen revolutionärer Kontext. 7 Vgl. Blanc, S. 202 f.; Burmeister, S. 8 f. 8 Bouyssy, S. 144. 9 Vgl. ebd., S. 21, S. 144.

30

à l’humanité«) verwandeln.10 Die Epoche des erwachenden Nationalismus und der Revolutionskriege war eine Zeit, in der sich auch die Vorstellung herauszubilden begann, die Sozialfürsorge sei eine Obliegenheit des Staates.11 Befördert wurden diese Anfänge der Sozialstaatlichkeit dadurch, dass man vermehrt die Notwendigkeit einer staatlichen Kriegsversehrtenfürsorge sah. Aber sie beschränkten sich nicht auf diese: Auch Cabarrus’ Entwurf belegt dies, denn der darin anvisierte weibliche Hilfsdienst sollte ganz allgemein Alten und Kranken gewidmet sein. Die Idee des Arbeitsdienstes war mithin von Beginn an mit der Forderung nach staatlichen Wohlfahrtsleistungen verbunden. Neue Pflichten sollten mit neuen Rechten Hand in Hand gehen. Cabarrus ging es bei ihrem Vorschlag schließlich nicht allein um die für den Staat geleistete Arbeit an sich, sondern ebenso um deren erzieherischen Effekt. Die Petition bezeichnete das Dienstjahr als Schule (»école«), welche die Mädchen durchlaufen sollten, um sich auf die Aufgaben der Ehe vorzubereiten.12 Darüber hinaus glaubte Cabarrus, ein solcher Sozialdienst werde einen starken Einfluss auf das gesellschaftliche Leben haben, da er die Gewohnheiten, Persönlichkeiten und Sitten (»les habitudes, les caractères, les mœurs«) präge und auf diese Weise ebenfalls dem Wohl der Allgemeinheit zugutekomme.13 Eine republikanische Staatsform, so die dahinter stehende und im revolutionären Frankreich weit verbreitete Überzeugung, erfordere auch eine Erziehung zu republikanischen Werten.14 Und eine solche sei zumindest teilweise vom Staat zu garantieren und mit Hilfe staatlicher Instanzen durchzusetzen. Im Frankreich der Terreur-Zeit traf die Idee, einen Arbeitsdienst einzuführen, zunächst auf so gut wie keine Resonanz. Dennoch begann sich der Arbeitsdienstgedanke langsam zu verbreiten und fand bald auch grenzübergreifend Anhänger. Bereits in der Folgezeit der antinapoleonischen Kriege wurden mit dem aufkommenden Nationalismus in Deutschland ähnliche Vorschläge propagiert. Der protestantische Pfarrer Friedrich Klönne erarbeitete 1820 einen Vorschlag für einen unbezahlten weiblichen »Diakonissinnen«-Dienst. Ziel war es, die während des Krieges freiwillig geleisteten Wohltätigkeitsaktivitäten nationaler Frauenvereine auch während der Friedenszeit fortdauern zu lassen.15 Im Unterschied zu dem Vorschlag von Cabarrus ebenso wie zu späteren Arbeits­ dienstplänen war indes nicht vorgesehen, für diesen mindestens zweijährigen Dienst ausschließlich Frauen in jugendlichem Alter zu rekrutieren. Außerdem 10 Cabarrús, S. 125. 11 Die Bedeutung der Französischen Revolution für die Entwicklung sozialstaatlicher Ideen betont etwa DiCaprio. 12 Cabarrús, S. 124. 13 Ebd., S. 125. 14 Vgl. zu den republikanischen Erziehungszielen Mayeur, S. 23–84. Dass auch bei dem Ziel einer staatsbürgerlichen Erziehung für Frauen in erster Linie an die Erziehung zu als »weiblich« angesehenen Tugenden der Hausfrau und Mutter gedacht wurde, korrespondierte ebenfalls mit den verbreiteten Erziehungsidealen, vgl. ebd., S. 50–53. 15 Der Aufruf ist abgedruckt bei von der Goltz, S. 168–175; vgl. Wegener, S. 65–68.

31

sollte der Dienst weder freiwillig noch allgemein verpflichtend sein: Die Diako­ nissinnen sollten gewählt werden, aber möglichst wenig Möglichkeiten haben, die Wahl abzulehnen. Zwar wurden auch Klönnes Pläne nicht realisiert, sie gaben aber wichtige Anstöße für die Diakonissenbewegung, die wiederum später für die weiblichen Jugendfreiwilligendienste lange Zeit als zentraler Bezugspunkt dienen sollte.16 Erst im ausgehenden 19. Jahrhundert erhielt allerdings die Debatte um die Einführung von Arbeitsdiensten neue, kräftigere Impulse. Sie blieb in den kommenden beiden Jahrhunderten eng mit Vorstellungen zu Bürgerpflichten, Sozialstaatlichkeit und zum staatlichen Erziehungsauftrag verbunden und geriet immer dann in Bewegung, wenn diese in Frage gestellt oder verändert wurden. Dabei prägte von Beginn an vor allem die Analogie zum Militärdienst den Arbeitsdienstgedanken. Wie der Kriegsdienst trug auch er ein Doppelgesicht und enthielt emanzipatorische ebenso wie auf Disziplinierung zielende Elemente, die allerdings durchaus in sehr unterschiedlichen Mischungsverhältnissen seine jeweilige Gestalt bestimmten. Um die langfristige Entwicklung des Arbeitsdienstgedankens in seiner transnationalen und komparativen Perspektive angemessen deuten zu können, wird im Folgenden der Fokus auf seine Entstehung und Verbreitung und die verschiedenen Arten seiner Umsetzung bis 1945 gerichtet. Da die Anfänge von Arbeitslagerbewegung und Arbeitsdienst in der Zeit der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus bereits ausführlich untersucht worden sind, werden für die deutsche Seite vor allem diejenigen Aspekte beleuchtet, die einerseits für die spezielle Fragestellung nach dem Verständnis des Verhältnisses vom Einzelnen zur Allgemeinheit und andererseits aus der vergleichs- und transfergeschichtlichen Perspektive für die Entwicklung des Arbeitsdienstgedankens in Großbritannien sowie von Jugendfreiwilligendiensten im Nachkriegsdeutschland von Bedeutung sind.17 Die britische Arbeitslagerbewegung hat erst in allerjüngster Zeit einige Aufmerksamkeit auf sich gezogen und ist weiterhin deutlich weniger erforscht als ihr deutsches Gegenstück.18

16 Diakonissen verpflichten sich zu einem dem sozialen Dienst gewidmeten Leben in einer Schwesterngemeinschaft. Im Unterschied zu den Jugendgemeinschaftsdiensten war ein solcher Dienst altersunabhängig und wurde, wenngleich nicht verpflichtend, so doch dem Ideal nach und oftmals auch in der Praxis auf Lebenszeit angetreten, vgl. Schmidt, Beruf. 17 In den meisten Arbeiten steht der nationalsozialistische Reichsarbeitsdienst im Fokus des Interesses und der Freiwillige Arbeitsdienst wird vor allem daraufhin befragt, inwieweit er diesen vorbereitete. Vgl. etwa Morgan; Patel; Dudek; Köhler; Benz; Göbel; Illian. 18 Vgl. Field, Working Men’s Bodies; ders., Able Bodies; Brewis, Social History.

32

1.2 Der Arbeitsdienstgedanke in Deutschland a. Emanzipation oder Unterordnung? Diskussionen über weibliche Arbeitsdienste Wie in Frankreich kam der Gedanke eines Arbeitsdienstes auch in Deutschland zunächst für das weibliche Geschlecht auf. Eine intensivere Debatte über die Einführung einer Frauendienstpflicht begann hier in den 1890er Jahren, einer Zeit, in der auch die staatsbürgerliche Stellung der Frau zunehmend in die Diskussion geriet.19 Fürsprecher weiblicher Arbeitsdienste vertraten ein weites Spektrum teilweise völlig entgegengesetzter Motive, die sich grob in zwei Strömungen aufteilen lassen: Hervorgebracht wurde die Forderung nach einem solchen Dienst einerseits von Vertreterinnen der bürgerlichen Frauenbewegung, die sich in diesen Jahren mit dem Ziel formierte, Frauen den Zugang zu den Wahlurnen, zu höheren Bildungsinstitutionen und zur Berufswelt zu er­ öffnen.20 Ähnlich wie Theresia Cabarrus verfolgten die Anhängerinnen der bürgerlichen Frauenbewegung die Absicht, mit dem Arbeitsdienst, der sich vor allem karitativen und hauswirtschaftlichen Aufgaben widmen sollte, ein weibliches Äquivalent zum Militärdienst zu schaffen.21 Daher bemühten sie sich, wie es die prominente Frauenrechtlerin Helene Lange ausdrückte, die »Eingliederung der Frau in das Gemeinschaftsleben« durch eine »festere Bestimmung [ihrer] öffentlichen Pflichten« zu fördern.22 Anders als Cabarrus bekannten sie sich aber explizit dazu, mit dem Dienst ein Argument für die Gleichberechtigung gewinnen zu wollen: Mit der Übernahme gleicher Pflichten sollte die Verleihung gleicher Rechte einhergehen. Damit reagierten sie auf das Argument von Frauenrechtsgegnern, das den Frauen die Staatsbürgerrechte absprach, weil sie nicht die Staatsbürgerpflicht des Militärdienstes erfüllen könnten. Diese Argumentation hatte in der militarisierten deutschen Gesellschaft des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts an Gewicht gewonnen.23 Der Doppelcharakter des Arbeitsdienstgedankens, der emanzipatorische mit disziplinierenden Elementen in sich vereinte, zeigte sich auch in der deutschen Diskussion der Wende zum 20. Jahrhundert: Nicht um die Gleichstellung der Frauen ging es, sondern im Gegenteil darum, diese zu verhindern und die traditionellen Geschlechterrollen weiter zu fixieren, wenn sich zur gleichen Zeit wie die Frauenbewegung andererseits Antifeministen die Einführung eines Frauen­pflichtdienstes auf ihre Fahnen schrieben.24 Sie dachten dabei nicht an 19 Vgl. Dammer, S. 7–24. 20 Vgl. mit weiterer Literatur Schaser. 21 Vgl. auch Sachße, Mütterlichkeit, S. 103–110. 22 Rückblickend auf die Pflichtdienstdebatte vor dem Ersten Weltkrieg Lange, S. 3. 23 Vgl. Frevert, Mann und Weib, S. 120–125. 24 Z. B. Fabarius; von Nell.

33

Bürgerrechte, sondern lediglich an Gesellschaftspflichten, welche Frauen in ihren Augen nicht erfüllten: Zum einen hielten sie teilweise die Hausfrauentätigkeit für zu wenig gemeinschaftsbezogen. Zum anderen argumentierten sie mit vermeintlichen weiblichen Charaktereigenschaften: Da die Frauen lediglich ihren »instinktiven Neigungen, persönlichen Launen und gewissen Zufälligkeiten ihres Geschmacks und ihrer äußeren Lebenslage« folgten, es ihnen hingegen »an Begeisterung für die hohen nationalen sittlichen religiösen Aufgaben […], an tief gewurzeltem, klar bewußten Pflichtgefühl« mangele, gelte es, sie zu­ Gemeinschaftssinn zu erziehen, schrieb etwa der Pfarrer und Kolonialwissenschaftler Ernst August Fabarius 1895.25 Dabei dachten viele Befürworter eines weiblichen Arbeitsdienstes in erster Linie an Familienpflichten. In einer von dem letzten Zitat etwas abweichenden Argumentationslinie wurden diese mit einer bevölkerungspolitischen und volkswirtschaftlichen Zielrichtung oftmals gleichzeitig als nationale Pflichten definiert. Denn wie der Arbeitsdienstvorschlag von Cabarrus, auf den in der Diskussion gern Bezug genommen wurde, strebten die Befürworter der Frauendienstpflicht an, die Mädchen mit dieser auf ein Hausfrauen- und Mutterdasein vorzubereiten:26 Infolge einer allgemeinen Tendenz zur Verwissenschaftlichung vieler Lebensbereiche sowie der Veränderungen der Haushaltsführung, wie sie der technische, wirtschaftliche und kulturelle Wandel im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert mit sich brachten, wurde im Bürgertum immer häufiger der Bedarf einer besseren und systematischeren hauswirtschaftlichen Ausbildung junger Mädchen beschworen.27 Einen solchen verspürte man nicht nur für Bürgertöchter, sondern auch für Arbeitermädchen, da einer verbreiteten Auffassung zufolge die vermeintlich unökonomische Haushaltsweise der Arbeiterfamilien für deren wirtschaftliche Not verantwortlich war.28 In diesem Punkt herrschte im Übrigen Konsens zwischen dem konservativen Lager und der bürgerlichen Frauenbewegung: Auch Letztere stellte gemeinhin nicht in Frage, dass Haushalt und Kindererziehung ein weibliches Aufgabenfeld seien, für das ein Arbeitsdienst wichtige Kenntnisse vermitteln könne oder solle. D ­ arüber hinaus aber sahen Frauenrechtlerinnen darin gleichzeitig eine Vorbereitung auf eine mögliche Berufstätigkeit der Mädchen.29 In der Vorstellung beider Richtungen blieb der weibliche Arbeitsdienst »Gegenstück des männlichen Heeresdienstes«.30 Die allgemeine Mobilisierung der Bevölkerung im Ersten Weltkrieg verlieh der Diskussion über den weiblichen Pflichtarbeitsdienst daher einen starken Impuls und machte ihn »über Nacht 25 Fabarius, S. 3. 26 Auf Cabarrus beziehen sich etwa Haushofer u. Willich. S. 14. 27 Vgl. Budde, Des Haushalts. 28 Vgl. hierzu Canning; Linton; Planert, S.  191–195; sowie die in der Entstehung begriffene Dissertation von M. Witkowski, »Vom Dienstmädchen zur Putzfrau? Hausangestellte im 20. Jahrhundert« (Arbeitstitel). 29 Vgl. Dammer, S. 20–24; Lange, S. 8; Sachße, Mütterlichkeit. 30 Haushofer u. Willich, S. 1.

34

zur Tagesfrage«.31 Der Weltkrieg als erster »totaler Krieg« veränderte das Verständnis von Staatsbürgerschaft bzw. des Verhältnisses zwischen nationalem Gemeinwesen und Einzelnem.32 Dies galt in besonderer Weise für Staatsbür­ge­ rinnen, wie es etwa Helene Lange 1915 in einer Schrift über die weibliche Dienstpflicht propagierte: »Der Krieg hat den Frauen zum Bewußtsein gebracht, daß über die Erfüllung der Familienaufgabe und der Berufsleistung hinaus der Staat einen Anspruch auf die unmittelbare Mitarbeit der Frauen bei seinen Aufgaben hat.«33 Immer häufiger wurde die Forderung erhoben, die familiäre Haushaltsführung müsse sich den Bedürfnissen des Staates anpassen und der nationalen Sache dienen, etwa mit der Veränderung von Kon­sum­gewohn­heiten durch­ sparsames Wirtschaften oder durch die bevorzugte Verwendung heimischer Produkte. Lange sprach wie viele andere von einer »volkswirtschaftlichen Verantwortung der Hausfrau«.34 Die vielen Planungen seit dem ausgehenden 19.  Jahrhundert blieben meist ohne praktische Umsetzung. Nur in kleinem Rahmen wurden einige Arbeitsdienste eingerichtet: Zwischen 1897 und 1911 entstanden die »Wirtschaftlichen Frauenschulen auf dem Lande«.35 In ihnen wurden die Schülerinnen einerseits in haus- und landwirtschaftlichen Kursen unterrichtet, andererseits verrichteten sie begleitend dazu soziale und landwirtschaftliche Arbeitsdienste, bei denen sie das in den Kursen erworbene Wissen anwenden sollten. Aufgebaut wurden die Schulen von Ida von Kortzfleisch, die, so die Historikerin­ Dagmar Morgan, als »bedeutendste Vertreterin einer weiblichen Dienstpflicht vor dem Ersten Weltkrieg« gelten kann.36 Die aus einer preußischen Adels- und Offiziersfamilie stammende Kortzfleisch verortete sich selbst auf dem »rechten Flügel der Frauenbewegung«.37 Wenngleich sie die als »Maiden« bezeichneten Schülerinnen unter anderem auch auf eine Berufsausbildung vorbereiten wollte, folgte sie in der Konzeption ihres Dienstes in vielen Punkten dem konservativen Argumentationsweg. Besonders ausgeprägt war dabei das Ziel der Vergemeinschaftung. Es stand im Zusammenhang mit einer modernitätskritischen Einstellung, wie sie im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert als Reaktion auf den industriellen wie sozialen Wandel weit verbreitet war. Die konservative Großstadtfeindschaft der Wirtschaftlichen Frauenschulen auf dem Lande schlug sich im Verbund mit dem völkischen Siedlungsgedanken auch in der Konzeption der Schulen nieder, wenn sich die »Maiden« landwirtschaftliche Fähigkeiten aneignen sollten.38 31 Ebd., S. 1; vgl. Dammer. 32 Zum Begriff des »Totalen Krieges« vgl. Chickering. 33 Lange, S. 1. 34 Ebd., S. 2. 35 Vgl. zu den Schulen und ihrer Gründerin die allerdings recht unkritische Jubiläumsschrift Wörner-Heil. 36 Vgl. Morgan, S. 2. 37 Zitiert nach Heimpel-Michel, S. 33. 38 Vgl. Pawel-Rammingen.

35

Aus welcher Motivation heraus die Forderungen nach der Einführung eines weiblichen Arbeitsdienstes auch erwuchsen  – abgesehen von den Wirtschaftlichen Frauenschulen auf dem Lande blieben sie unverwirklichte Pläne. Denn der Gedanke einer Dienstpflicht stieß, gerade weil er von der Frauenbewegung wie von Antifeministen propagiert wurde, in beiden Lagern gleichzeitig ebenso auf Widerstände.39 b. Internationaler Frieden und soziale Befriedung: Männliche Arbeitslager und -dienste Da der Arbeitsdienst gemeinhin als Äquivalent des Wehrdienstes verstanden wurde, dauerte es bis zur Wende zum 20. Jahrhundert, bis sich langsam der Gedanke herausformte, einen solchen auch für Männer einzurichten. Vorschläge für männliche Arbeitsdienste orientierten sich gleichfalls am Militärdienst. Ihre Konzeption lässt sich ebenfalls idealtypisch in eine stärker emanzipatorische und eine eher auf Disziplinierung ausgerichtete Variante scheiden. Die emanzipatorische Variante ging nicht zufällig aus dem pazifistischen Umfeld hervor. Wenige Jahre vor dem Ersten Weltkrieg, 1906, rief der bekannte amerikanische Psychologe, Philosoph und Pazifist William James dazu auf, als »moralisches Äquivalent für den Krieg« einen zivilen Arbeitsdienst einzuführen, mit dem er hoffte, jugendliche Heldenphantasien vom Krieg auf den Frieden umlenken zu können.40 Die hohe gesellschaftliche Wertschätzung, die kriegerischer Heroismus im Nationalismus des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts in den Vereinigten Staaten wie in Europa genoss, war ein entscheidendes Hindernis, mit dem sich die Friedensbewegung bei ihrer Arbeit konfrontiert sah. Bei ihren Anhängern fiel daher der Gedanke, ein pazifistisches Äquivalent zu schaffen, auf fruchtbaren Boden. Zwar blieb die Friedensbewegung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Deutschland schwach. Doch verlieh das Grauen des Ersten Weltkrieges ihr einen deutlichen Impuls, der auch der pazifistischen Workcampbewegung zum Durchbruch verhalf. Nachdem die Idee, einen zivilen Friedensdienst zu schaffen, bei einem internationalen Treffen der während des Weltkriegs gegründeten christlichen Friedensorganisation International Fellowship of ­Reconciliation diskutiert worden war, organisierte der Schweizer Quäker Pierre Ceresole gemeinsam mit andern Friedensaktivisten 1921 einen ersten Arbeitsdienst.41 Dessen international rekrutierte Teilnehmer halfen fünf Monate unentgeltlich beim Wiederaufbau des in der Nähe von Verdun gelegenen und im Krieg stark zerstörten Örtchen Esnes. Schließlich beendeten die französischen Behörden das Projekt, weil sie die Präsenz dreier deutscher Gruppenmitglieder, von denen 39 Vgl. Heimpel-Michel, S. 47. 40 James. 41 Zu den Anfängen der Workcampbewegung vgl. Gillette, S. 15–34.

36

zwei als Soldaten gekämpft hatten, in der von Deutschen zerstörten Gegend für unangemessen hielten. Dennoch werteten die Freiwilligen selbst ihren Einsatz als Erfolg und waren entschlossen, die Arbeitslageridee weiterzuverfolgen. Ceresole gründete in der Schweiz zu diesem Zweck 1930 die Organisation SCI, die schon in den zwanziger Jahren, vor allem aber nach dem Zweiten Weltkrieg rasch wuchs und seither unzählige Lager in der ganzen Welt durchgeführt hat.42 Die ersten Camps des SCI waren keine speziellen Jugendlager. Sie standen beiden Geschlechtern offen, zunächst nahmen allerdings in erster Linie Männer daran teil, da die in ihrem Rahmen durchgeführten Bautätigkeiten der zeitgenössischen Vorstellung zufolge Männerarbeiten waren. Ein deutscher Zweig der Organisation entstand 1932. Die Nationalsozialisten bereiteten ihm schon im Folgejahr ein jähes Ende. Seine Mitglieder wurden aufgrund ihrer pazifis­ tischen Einstellung teilweise verfolgt und inhaftiert.43 In Deutschland hatte sich der Arbeitsdienstgedanke in den zwanziger Jahren allerdings auch in anderer Form weiterentwickelt. Die »totale« Mobilisierung im Ersten Weltkrieg hatte nicht nur der Forderung nach einer weiblichen Dienstpflicht eine neue Popularität verliehen, sondern noch in anderer Weise die Grundlagen des Arbeitsdienstgedankens gestärkt: Mit der Einrichtung des Vaterländischen Hilfsdienstes, der alle Männer, die nicht zur Armee eingezogen waren oder in der Land- oder Forstwirtschaft arbeiteten, verpflichtete, in der Rüstungsindustrie oder in anderen kriegswichtigen Betrieben zu arbeiten, war erstmals eine staatlich verordnete Arbeitspflicht eingeführt worden. Der Vaterländische Hilfsdienst war zwar kein Arbeitsdienst, aber er verlieh der Vorstellung, dass es ein staatliches Recht auf den Arbeitseinsatz seiner Bürger gebe, Akzeptanz.44 Während der ersten Nachkriegsjahre debattierten Politik und Medien die Einführung einer Arbeitsdienstpflicht für Männer in Deutschland intensiv.45 Diese Diskussion knüpfte nicht nur an den Gedanken einer allgemeinen Arbeitspflicht an. Gewicht erhielt sie überdies vor allem durch die Hoffnung, mit einem Arbeitsdienst einen auf Disziplinierung zielenden Ersatz für den Militärdienst schaffen zu können, nachdem dieser den Bestimmungen des Versailler Friedensvertrags gemäß abgeschafft worden war. Der Arbeitsdienstgedanke fand Beifall in vielen politischen Lagern und hatte prominente Befürworter verschiedenster politischer Couleur, unter anderem Matthias Erzberger oder­ 42 Vgl. überdies zur Geschichte der Organisation Best u. Pike. 43 Vgl. zur Gründung des deutschen Zweiges O. Weis, Kurzer Umriß der Geschichte des Internationalen freiwilligen Hilfsdienstes, 1. Jan. 1933, SCIIA, 33 00 00 – 101, auch online: http:// www.archives.sciint.org/archives/scid/pdf/33_00_00_1.pdf, zum Schicksal einiger Mitglieder ders., 1. Jan. 1942, SCIIA, 00 00 00 – 1 01, online: http://www.archives.sciint.org/archives/ scid/pdf/OW, 00_00_00_1.pdf; E. Mohr, An den Herrn Oberstudiendirektor des Gymna­ siums Guben, 2. Mai 1933, SCIIA, 33 05 02 – 101, online: http://www.archives.sciint.org/ archives/scid/pdf/ EM33_05_02_1.pdf. 44 Vgl. zur Unterscheidung zwischen Arbeitspflicht und Arbeitsdienst Patel, S. 31–33. 45 Vgl. zu dieser Diskussion ausführlich Köhler, S. 14–39; Illian, S. 172–193.

37

Walter Rathenau. Nach und nach verlagerte sich seine Anhängerschaft allerdings stärker in das politisch rechte Lager.46 Umgesetzt wurde die Arbeitsdienstidee auf staatlicher Ebene zunächst nicht, zumal ein Pflichtdienst einen hohen organisatorischen Aufwand erfordert und eine große staatliche Investition bedeutet hätte. Die zuständigen Ministerien hielten ihn daher für unökonomisch und für schwer realisierbar. Aus Einzel­ initiativen heraus entstanden dennoch erste Arbeitsdienste, an denen teilzu­ neh­men freiwillig war: Als frühester männlicher Arbeitsdienst gilt in der historischen Forschung der sogenannte Freikorps der Arbeit, eine 1919 von dem Wehrmachts-Offizier Josef Aumann gegründete Siedlergenossenschaft, die ehemalige Soldaten zu Siedlungsprojekten zusammenschloss.47 Aufgrund von Finanzschwierigkeiten überlebte diese Einrichtung allerdings nur bis 1923. Darüber hinaus fiel die Arbeitsdienstidee in der bündischen Jugendbewegung auf fruchtbaren Boden, mit der sie einige Zielsetzungen und Überzeugungen teilte. Aus der Jugendbewegung ging seit 1925 eine Reihe von nationalen Ferienarbeitslagern hervor: Bekannt wurden vor allem die drei schlesischen »Arbeitslager für Arbeiter, Bauern und Studenten«, die maßgeblich durch den Breslauer Rechtshistoriker und Soziologen Eugen Rosenstock-Huessy geprägt wurden.48 Unter den zahlreichen Unterstützern fanden sich viele prominente Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens sowie auch die späteren Mitglieder des Kreisauer Kreises Helmuth James von Moltke und Carl Dietrich von Trotha. Die drei zwischen 1928 bis 1930 organisierten Lager blieben bis zum Ende der Weimarer Republik Modell für eine Vielzahl ähnlicher Ferienlager, die meist durch Studentengruppen organisiert wurden. Aus ihrer Tradition gingen auch einige Lager hervor, in denen sich Studenten und Arbeitslose zusammenfanden.49 Hatten an den beiden ersten schlesischen Lagern lediglich Männer teilgenommen, setzten sich danach gemischte Lager durch, überdies wurden auch einige rein weibliche Lager ausgerichtet.50 Ähnlich wie bei der friedensorientierten internationalen Workcampbewegung war es das Ziel, Konflikte zu überwinden: Rosenstock-Huessy und andere Anhänger der Bewegung sahen in den Arbeitslagern in erster Linie ein Mittel, soziale Harmonie zu stiften und den Klassenausgleich zu fördern. Daher wurde die Lagerbelegschaft ganz gezielt und gleichmäßig quotiert aus Studierenden, Landwirten oder Landarbeitern und Industriearbeitern rekrutiert. Durch gemeinsame Arbeit, demokratische Selbstverwaltung und abendliche Diskus­ sionsrunden sollte »parteipolitische Zerrissenheit« überwunden werden und eine gegenseitige Wertschätzung unter den Teilnehmern wachsen. In »freundschaftlicher Gegnerschaft« lasse sich lernen, unterschiedliche politische Stand46 Vgl. allgemein Köhler. 47 Vgl. Seifert, S. 24 f.; Köhler, S. 18 f. 48 Vgl. zur Arbeitslagerbewegung Köhler, S. 178–191; Illian, S. 138–146; Dudek, S. 118–168. 49 Vgl. Conze, »Pädagogisierung«. 50 Vgl. Morgan, S. 21 f.

38

punkte zu tolerieren.51 Während die Lager des SCI vor allem der körperlichen Arbeit im Wiederaufbau einen hohen Stellenwert einräumten, lag in den schlesischen Arbeitslagern der Schwerpunkt sehr deutlich auf dem gedanklichen Austausch in Vorträgen, Diskussionen und Arbeitsgemeinschaften. Die physische Arbeit  – etwa Renovierungstätigkeiten, die vergütet wurden und nicht­ zuletzt der Finanzierung der Lager dienten – wurde aber auch hier als Mittel zur »Einung und Entgeistung« und als »notwendige Ergänzung« zu den intellektuellen Tätigkeiten angesehen.52 Das in den Lagern geschaffene klassenübergreifende gegenseitige Verständnis sollte die Basis für eine einträchtige Lagergemeinschaft bilden, aber auch über die Lager hinaus in die Gesellschaft hinein wirken und damit allgemein die nationale Einheit stärken. Dieses Ziel fand viel Zustimmung – vor allem, aber nicht nur – in bürgerlichen Kreisen, und es gelang für die ersten Arbeitslager tatsächlich, sozial recht gemischte Teilnehmergruppen zusammen zu bringen. Allerdings wurde einerseits aus der politisch organisierten Arbeiterschaft die Kritik laut, dass in den Lagern die Arbeiter lediglich vom Klassenkampf ab­gebracht werden sollten.53 Andererseits verweigerten bei den ersten beiden schlesischen Lagern die Korporationsstudenten ihre Partizipation, was sie mit ihrem Misstrauen Rosenstock-Huessy gegenüber begründeten. Zugrunde lagen vermutlich antisemitische Einstellungen.54 Auch Teilnehmer aus der Landwirtschaft zu gewinnen, wurde zunehmend schwieriger, da die Zielsetzung der Arbeitslager unter Landwirten nur auf wenig Interesse traf.55 Die deutsch-britische Vergleichs- und Transferuntersuchung lenkt den Blick auf die Anfänge von Rosenstock-Huessys Beschäftigung mit dem Arbeitslagerbzw. Arbeitsdienstgedanken. Bereits 1912 hatte er dem preußischen Kriegsministerium den Vorschlag unterbreitet, einen freiwilligen Arbeitsdienst für vom Wehrdienst freigestellte junge Männer einzurichten.56 Inspiriert worden war er hierzu, seiner eigenen Darstellung zufolge, durch ein Referat über die englische Settlement-Bewegung, die ebenfalls das Ziel verfolgte, den Klassenausgleich zu fördern. Dazu zogen Angehörige wohlhabender und gebildeterer Schichten, und zwar meist junge Universitätsabsolventen, in großstädtische Arbeiterviertel, um dort auf freundschaftlicher Basis mit den Armen in K ­ ontakt 51 Rosenstock-Huessy u. von Trotha; Vgl. Benz, S. 321 f., Zitat: Wittig, S. 48. 52 Ballerstedt, S. 34 f.; Gauger, S. 60. 53 Vgl. K., S.  112 f. Tatsächlich gab es insbesondere mit der »Sozialen Arbeitsgemeinschaft Berlin-­Ost« oder dem »Hamburger Volksheim« Versuche, die Settlement-Bewegung auch in Deutschland zu etablieren. Sie blieben aber ein schwaches Abbild des britischen Vorbilds. Das Hamburger Volksheim etwa zielte zwar darauf, den Kontakt zwischen den sozialen Klassen zu fördern, sah aber nicht vor, dass dazu bürgerliche Anhänger in die Armenviertel ziehen sollten. Vgl. Lindner, Die Anfänge; Sachße, Friedrich Siegmund-Schultze; Gräser, S. 186–196. 54 Vgl. Ballerstedt; Gauger, S. 58. 55 Vgl. Schütz, S. 36. 56 Veröffentlicht ist diese Schrift in Picht u. Rosenstock-Huessy, S. 3–11.

39

zu treten und für sie Bildungsveranstaltungen zu organisieren.57 Rosenstocks Freund, der Soziologe Werner Picht, der das Referat über die Bewegung hielt, identifizierte in einer wenig später publizierten Monographie zur Toynbee Hall, dem ersten und bekanntesten Projekt der Settlement-Bewegung, als d ­ eren prinzipiellen Funktionsfehler, dass die Wohlhabenden zwar in Slums zögen, aber doch als ganze Gruppe in einem separaten Gebäude abgesondert lebten und sich vorrangig im Rahmen von kulturellen Freizeitveranstaltungen der Begegnung mit den Arbeitern widmeten. Daher müsse ihr Anliegen halbherzig erscheinen und sei langfristig zum Scheitern verurteilt.58 Eine Übertragung des Modells der Toynbee Hall auf Deutschland hielt Picht überdies für schwierig, da im deutschen Bürgertum nicht die Bereitschaft zu erwecken sei, sich in einem Arbeiterviertel niederzulassen.59 Der Gedanke eines zeitlich beschränkten Arbeitsdienstes im Rahmen von Arbeitslagern lässt sich als eine Antwort auf diese Kritikpunkte verstehen. Da es für eine wirkliche Verständigung zwischen den Klassen in den Augen Rosenstock-Huessys nicht genügte, sich wie die Briten »beim Teetrinken miteinander zu verbinden«, sei der Arbeitsdienstgedanke als ein »den deutschen Verhältnissen« angepasster »Ansatzpunkt sozialer Weiterbildung« der Settlement-Bewegung aufgekommen.60 Die spöttische Bemerkung über das »Teetrinken« implizierte, der britische Ansatz sei zu oberflächlich, wohingegen mit dem gern als deutsche Nationaltugend angesehenen Arbeitsethos die Klassenspaltung auf ernsthaftere Weise überwunden werden könne. Rosenstock-Huessy erklärte den Arbeitslagergedanken überdies als eine Reaktion auf die Polemik eines Marxisten im Vortragspublikum, der die bürgerliche Settle­ ment-Bewegung für unglaubwürdig hielt.61 Rosenstock-Huessy stellte die Prinzipien und Erfahrungen der Arbeitslageridee seit den zwanziger Jahren in zahlreichen Schriften dar, mit denen er der Bewegung ein ideologisches wie theoretisches Fundament verlieh.62 Die durch ihn geprägte deutsche Arbeitslagerbewegung nahm weltweit auf die Verbreitung des Arbeitslagergedankens Einfluss, nicht nur, weil sie schon von Zeitgenossen im Ausland mit deutlichem Wohlwollen wahrgenommen wurde, sondern auch weil Rosenstock-Huessy, nachdem er 1933 aufgrund seiner jüdischen Herkunft in die Vereinigten Staaten emigriert war, den Arbeitslagergedanken weiterentwickelte und etwa auch an der Gestaltung des amerikanischen ­Civilian­ Conservation Corps (CCC) mitwirkte, einem 1933 als Mittel zur Bekämpfung der Erwerbslosigkeit eingerichteten Arbeitsdienst.63 57 Zur Toynbee Hall vgl. Briggs u. Macarntey; Meacham. 58 Picht. 59 Ebd., S. 122 f. 60 Picht u. Rosenstock-Hussey, S. 2. 61 Rosenstock-Huessy, Dienst, S. 46; Picht u. Rosenstock-Huessy, S. 2. 62 Rosenstock-Huessy, Arbeitsdienst – Heeresdienst?; Rosenstock-Huessy u. Trotha; sowie die Nachkriegsschrift Rosenstock-Huessy, Dienst. 63 Vgl. Patel, S. 175 f.

40

c. Die Arbeitslosigkeit und der Weimarer Freiwillige Arbeitsdienst War die wachsende Arbeitslosigkeit bereits für die entlassenen Soldaten und – infolge der Weltwirtschaftskrise noch verstärkt – auch für die durch Rosenstock-­ Huessy inspirierte Arbeitslagerbewegung ein wichtiger Motivationsfaktor gewesen, so gab sie dem Arbeitsdienstgedanken in den frühen dreißiger Jahren auch in Deutschland eine weitere Stoßrichtung:64 Die längerfristigen Arbeitsdienste wurden seit Ende der zwanziger Jahre mehr und mehr als Mittel propagiert, um Erwerbslosenzahlen zu senken. Der Gedanke, durch eine staatlich geförderte­ Beschäftigung die Arbeitslosigkeit zu reduzieren, war freilich nicht neu: Er war in Europa seit dem 19. Jahrhundert immer wieder diskutiert worden.65 In den späten Jahren der Weimarer Republik führten zunächst kirchliche Wohlfahrtseinrichtungen erste Arbeitsdienstprojekte für Arbeitslose durch.66 1931 gab die Regierung Brüning den Forderungen nach einer Arbeitsdienstpflicht, die vor allem im politisch rechten Lager immer lauter wurden, insofern nach, dass sie einen staatlich geförderten Jugendarbeitsdienst, den Freiwilligen Arbeitsdienst, gründete.67 Die schon bestehenden Dienste gingen darin auf und wurden um zahlreiche weitere Projekte ergänzt, die nun auch von Parteien oder Vereinen getragen wurden. Es blieb indes bei einem freiwilligen Dienst, da in Regierungskreisen weiterhin die Überzeugung herrschte, ein Pflichtdienst sei zu kostspielig und unrentabel und würde überdies bei den Jugendlichen auf großen Widerstand stoßen. Daher ging man davon aus, dass er sich nur mit äußersten Zwangsmitteln durchführen ließe, zu denen man sich weder in der Lage sah noch willens war.68 Die Arbeitsdienste sollten nur »zusätzliche gemeinnützige« Arbeiten verrichten, für die es keine regulären Stellen gab. Durch diese Gemeinnützigkeit Gemeinsinn zu schaffen, war allerdings in der Regel nur ein nachrangiges Ziel der Arbeitsdienstkonzeptionen. Die Verpflichtung, gemeinnützigen Zwecken zu dienen, sollte vielmehr vor allem der gewerkschaftlichen Kritik vorbeugen, die 64 Rosenstock selbst legte großen Wert darauf zu betonen, dass es ihm mit seiner Bewegung nicht um die Arbeitslosen ging, sondern um die Einigung aller Bevölkerungsgruppen. Deshalb kritisierte er, dass im Freiwilligen Arbeitsdienst die Erwerbslosen in der Regel unter sich blieben, Rosenstock, Arbeitslager und Arbeitdienst, S. 148–152. Einen Versuch, dies zu vermeiden, waren die Lager für Arbeitslose und Studenten, wie sie etwa in Tübingen aus der Arbeitslagerbewegung hervorgegangen waren. Das bedeutet allerdings nicht, dass die wachsende Erwerbslosigkeit nicht in Rosenstocks Lagern von Anfang an auch ein zentrales Thema war, Skurnia, S. 12. 65 Besonders diskutiert wurde er etwa in Frankreich aufgrund der dort verbreiteten Forderung nach einem Grundrecht auf Arbeit, für den Stand der damaligen dortigen Diskussion und die Umsetzungsversuche in Europa, vgl. Cormouls-Houlès. Auch Theodor Herzl empfahl eine Art Dienstpflicht für ungelernte Arbeiter, die beim Aufbau eines jüdischen Staates eine maßgebliche Rolle spielen sollten, Herzl. 66 Vgl. Illian, S. 147–171. 67 Vgl. Patel, S. 51–53. 68 Vgl. Köhler, S. 71–80.

41

unbezahlte Arbeitsdienste als Ausbeuterei und Konkurrenz zur regulären Arbeit brandmarkte. Viele der Projekte widmeten sich der Forstwirtschaft, der Bodenmelioration und Ödlandkultivierung, der Deichbefestigung oder dem Straßenbau.69 Zwar gab es auch einige Arbeitsdienstprojekte für Frauen, doch überwogen bei weitem diejenigen für männliche Arbeitslose, da Erwerbslosigkeit aufgrund der traditionellen Rollenvorstellungen bei ihnen als dringlicheres Problem angesehen wurde: Weniger als fünf Prozent der Projekte des Freiwilligen Arbeitsdienstes waren für die weibliche Jugend bestimmt.70 Sie waren in der Regel hauswirtschaftlicher oder karitativer Art. Der auf eine Höchstdauer von zunächst zwanzig, später vierzig Wochen begrenzte Freiwillige Arbeitsdienst stand anfänglich allen Interessenten offen, die ein Anrecht auf Arbeitslosenunterstützung vorweisen konnten. Bereits Mitte 1932 wurde diese Bedingung allerdings fallengelassen und stattdessen eine auf 25 Jahre festgesetzte Altershöchstgrenze eingeführt.71 Dadurch wurde der erzieherische Gedanke des Arbeitsdienstes aufgewertet. Der pädagogische Im­ petus schlug sich nun auch in der Konzeption der Lager stärker nieder, und zwar vor allem in der organisierten Freizeitgestaltung, die zumindest den Richtlinien zufolge den Dienstleistenden angeboten werden sollte. Viele Dienstträger legten hierbei großen Wert auf allgemeinbildenden Unterricht, teilweise wurden aber auch berufliche Fortbildungskurse in das Programm aufgenommen.72 Dass die Erziehung der Teilnehmer in den Augen vieler Fürsprecher in Deutschland das Hauptziel des Arbeitsdienstes war, wird in zahlreichen Stellungnahmen deutlich. Ida von Kortzfleisch hatte schon während des Ersten Weltkriegs gerade die starke pädagogische Ausrichtung der Arbeitsdienstkonzepte als »erziehlichen Zug« gepriesen, durch den sich Deutschland »von anderen Nationen, denen der Materialismus näher steht, als selbstverleugnende Pflichterfüllung«, abhebe.73 Tatsächlich erscheint die pädagogische Zielsetzung im Vergleich zu amerikanischen und britischen Arbeitsdienstkonzepten in Deutschland besonders stark ausgeprägt gewesen zu sein. »Der Arbeitsdienst beschränkt sich nicht darauf, wirtschaftliche Werte zu schaffen, sein Hauptsinn erfüllt sich erst, wenn er volksbildend wirkt«, hieß es in einer in einer Schrift über den Freiwilligen Arbeitsdienst aus den frühen dreißiger Jahren.74 »Volksbildend« ließ sich dabei in einer doppelten Bedeutung lesen: als bildungsvermittelnd und als gemeinschaftsbildend. In der Tat stand – wie bei den kurzzeitigen Arbeitslagern – das Ziel der Vergemeinschaftung auch bei sämtlichen Trägerorganisationen der längerfristigen Arbeitsdienste im Vordergrund. 69 Vgl. Seifert, S. 153–163. 70 Vgl. Bajohr, Weiblicher Arbeitsdienst, S. 335. 71 Vgl. ebd.; Patel, S. 129. 72 Vgl. Seifert, S. 48. 73 Kortzfleisch, S. 115. 74 Grothe u. Oy, S.  25. Der Anfang 1933 verfasste Text ist noch nicht den nationalsozialis­ tischen Vorstellungen angepasst: Die Autoren loben den Weimarer Dienst, gerade auch aufgrund seiner Freiwilligkeit und der Pluralität seiner Trägerorganisationen.

42

Hatte es in der frühen Diskussion um die Einführung eines weiblichen Arbeits­ dienstes noch einige Fürsprecher individuell abzuleistender Dienste gegeben, wurde die Lagerform nun zu einem zentralen Wesensmerkmal. Gerade für Mädchen hielt man die Gemeinschaftsform für wichtig. Nach dem Ersten Weltkrieg erhielt eine solche Sicht dadurch neue Nahrung, dass in einer antifeministischen Variante der Dolchstoßlegende die vermeintlich egoistische Haushaltsweise der Frauen an der Heimatfront für die Kriegsniederlage verantwortlich gemacht wurde. »Das Mädchen, im Wesen individualistischer eingestellt als der Mann, erlebt im Lager vielleicht zum ersten Male eine grössere Gemeinschaft, und erfährt, wie sehr das Sich-Einordnen den Verzicht auf persönliche Wünsche erfordert, aber auch, wie sehr die gemeinsame Leistung Freude bedeutet«, so begründete die eben zitierte Schrift die Funktion des weiblichen Arbeitsdienstes.75 Auch die Forderung nach einer gezielten Erziehung der Mädchen zur Dienstbereitschaft wurde nun teilweise mit diesem Argumentationsmuster begründet.76 Der Arbeitsdienst war also nicht allein ein Mittel zur Versorgung der Arbeitslosen. Vielmehr zeigt sich in den Zielen der Erziehung und Gemeinschaftsbildung, dass er zugleich als Instrument der »Sozialdisziplinierung« anzusehen ist. Seine Befürworter gingen davon aus, er könne auch die Jugendkriminalität senken und sozialen Unruhen vorbeugen.77 Diese Motive lassen sich in die seit dem ausgehenden 19.  Jahrhundert intensivierten bürgerlichen Bemühungen einordnen, die Freizeit von Jugendlichen zu kontrollieren.78 Die in dieser Zeit gewachsene Aufmerksamkeit gegenüber Jugendlichen, und insbesondere Jugendlichen aus der Arbeiterschicht, ist unter anderem damit zu erklären, dass diese nun über immer mehr freie Zeit verfügten, wodurch sie im öffentlichen Leben sichtbarer wurden und Ängste hervorriefen.79 In der Reaktion bemühten sich private, kirchliche und staatliche Initiativen, Jugendliche vor allem mit dem Angebot von Jugendorganisationen auf bestimmte, den Disziplinierungszielen der Erwachsenen angepasste Inhalte und Aktivitäten hinzulenken. Für jugendliche Arbeitslose, die nicht nur über ihre Feierabende und Wochenenden, sondern über ihre gesamte Zeit frei verfügen konnten, reichten die herkömmlichen Jugendorganisationen indes nicht aus, wohingegen ein Arbeitslager, das die Jugendlichen als »totale Institution« von morgens bis abends in ein Arbeits- und Freizeitprogramm einband, der Kontrollfunktion auch in ihrem Fall gerecht werden konnte.80 75 Ebd., S. 22; vgl. auch Haushofer u. Willich, S. 15. 76 Vgl. hierzu Planert, S. 219–223; Bajohr, Die Hälfte, S. 233, sowie die in der Entstehung begriffene Dissertation von M. Witkowski, »Vom Dienstmädchen zur Putzfrau? Hausangestellte im 20. Jahrhundert« (Arbeitstitel). 77 Vgl. Dudek, S. 232; Benz, S. 317–319. 78 Vgl. Mechling; Linton. 79 Vgl. z. B. Speitkamp. 80 Der Begriff »Totale Institution« geht auf Goffman zurück.

43

In der historischen Forschung ist mehrfach herausgearbeitet worden, dass die meisten deutschen Arbeitsdienstkonzepte in ihrer ökonomischen wie disziplinierenden Zielsetzung weniger die Teilnehmer als vielmehr den Staat bzw. die nationale oder völkische Gemeinschaft im Blick hatten.81 Der Weimarer Arbeitsdienst wurde dafür gepriesen, den »Dienst als freiwillige Hingabe der ganzen Person an einen höhergeschätzten Gegenstand« wieder zu einem Ideal gemacht zu haben.82 Mit ihm lasse sich daher auch der »Individualismus« überwinden, den viele Zeitgenossen für ein schädliches Zeitphänomen hielten. ­Explizit und mit einem starken Staatsbezug bestimmte beispielsweise der ehemalige sächsische Wirtschaftsminister und Anhänger der Wirtschaftspartei Walter Woldemar Wilhelm 1931 das Verhältnis zwischen Individuum und Gemeinschaft, wenn er die Forderung nach einem Pflichtarbeitsdienst mit der axiomatischen Behauptung begründete, »die persönliche Dienstleistung« sei »die natürlichste Beziehung zwischen Mensch und Staat« und daher auch­ »natürliche Pflicht« des Bürgers.83 Im Herbst 1932 erreichten die Teilnehmerzahlen des Freiwilligen Arbeitsdienstes mit knapp 285.000 Jugendlichen einen Höhepunkt.84 Insgesamt bestanden etwa 4.000 Lager. Der Freiwillige Arbeitsdienst traf in der Öffentlichkeit auf viel Beifall. Auch von Historikern wird er in seiner Funktion als Arbeitslosenhilfe positiv eingeschätzt. Kiran Klaus Patel etwa hält ihn für »eine der wenigen wirksamen Maßnahmen des Reiches zur Milderung der sozialen Not«.85 Kritik an ihm wurde allerdings zum einen seitens der Kommunisten und der Gewerkschaften laut, die fürchteten, dass er reguläre Arbeitsplätze ersetze.86 Auch in der SPD blieb der Dienst umstritten, jedoch entschied die Partei ebenso wie einige Gewerkschaften schließlich, ihn – anstatt ihn »den Reaktionären als Versuchsfeld [zu] überlassen«  – vielmehr selbst mitzugestalten und ebenfalls Arbeitsdienstprojekte anzubieten.87 Zum anderen stand die NSDAP dem Frei­willigen Arbeitsdienst ablehnend gegenüber. Sie allerdings wandte sich nicht gegen den Arbeitsdienstgedanken an sich, sondern gegen die Freiwilligkeit des Dienstes. Denn auf freiwilliger Basis hielt die Partei die vor ­a llem auf Disziplinierung ausgerichteten Ziele, die sie mit dem Dienst verband, nicht für erfüllbar.88 Sie forderte daher die Einführung eines Pflichtdienstes und traf auch bereits konzeptionelle und organisatorische Vorbereitungen, um einen solchen im Falle einer

81 Vgl. Dudek, S. 232–245; Patel, S. 36; Seifert, S. 55 f. 82 Gräf (Hervorhebung im Original). Die Schrift wurde 1933 veröffentlicht, stammt aber nicht aus der Feder eines Nationalsozialisten und spricht sich für die Freiwilligkeit des Dienstes aus. 83 Wilhelm, S. 19. 84 Vgl. zu den Zahlen Patel, S. 55, S. 211. 85 Ebd., S. 58. 86 Vgl. Köhler, S. 163–177; Dudek, S. 221–231. 87 Kaliski. 88 Vgl. Köhler, S. 247–250.

44

Regierungsmehrheit durchzusetzen. Als der Freiwillige Arbeitsdienst jedoch durch eine immer größere Zahl von Dienstträgern angeboten wurde, gab die NSDAP ihre Boykotthaltung schließlich auf und organisierte in kleinem Rahmen ebenfalls Arbeitsdienstprojekte. In der Konkurrenzsituation wollte sie auf den Freiwilligen Arbeitsdienst als Mittel der Anhängeranwerbung und Propaganda ebenfalls nicht verzichten. d. Der nationalsozialistische Reichsarbeitsdienst Nach ihrem Machtantritt behielten die Nationalsozialisten den Arbeitsdienst auf freiwilliger Basis für kurze Zeit bei, weil Kompetenzstreitigkeiten und finanzielle wie organisatorische Schwierigkeiten die Umwandlung in einen Pflichtdienst verzögerten.89 Außerdem nahm das Regime in seiner Anfangsphase noch außenpolitisch Rücksicht, denn man war sich bewusst, dass ein allgemeiner Arbeitsdienst im Ausland als Vorstufe des Militärdienstes interpretiert wurde, was nicht zuletzt auch im Juni 1933 bei den Genfer Abrüstungsverhandlungen in einem Verbot von Pflichtarbeitsdiensten zum Ausdruck kam. Die Einführung der Pflicht ließ jedoch nur kurze Zeit auf sich warten, sie ging schrittweise voran: Bereits 1933 wurde die vorherige Teilnahme am Arbeitsdienst zur Bedingung für den Antritt oder für die Fortsetzung eines Universitätsstudiums. 1934 ordnete die Reichsanstalt für Arbeit an, dass Arbeitnehmer, die jünger als 25 waren und keinen Arbeitsdienst abgeleistet hatten, nicht neu eingestellt bzw. aus bestehenden Arbeitsverhältnissen entlassen werden sollten. Diese Anordnung wurde allerdings aus praktischen und ökonomischen Gründen nur sehr unvollständig umgesetzt. 1935 wurde dann schließlich die allgemeine Arbeitsdienstpflicht für alle Jugendlichen gesetzlich festgeschrieben, zunächst aber nur für die männliche Jugend realisiert. In den ersten Jahren dienten im »Reichsarbeitsdienst«, wie der Pflichtdienst hieß, jährlich etwa 200.000 »Arbeitsmänner«, insgesamt bis 1945 über 2,75 Millionen. Vom Reichsarbeitsdienst und damit auch von all denjenigen Karrierewegen, für die er inzwischen zur Bedingung geworden war, blieben freilich die Jugendlichen ausgeschlossen, die der nationalsozialistischen Definition zufolge nicht zur deutschen »Volksgemeinschaft« gehörten.90 Obzwar der Arbeitsdienst nicht sofort in einen Pflichtdienst umgewandelt wurde, bedeutete doch die Gleichschaltung, die im Frühjahr 1933 erfolgte, eine entscheidende Veränderung, mit der die Lager in Aufbau und Struktur vereinheitlicht und dem Führerprinzip unterworfen wurden. Hatten schon zu Weimarer Zeiten Vertreter des Arbeitsdienstgedankens vielfach die Gemeinschaft in der Wertigkeitsskala eindeutig über das Individuum geordnet, so wurde diese­

89 Die folgenden Ausführungen basieren auf Benz; Illian; Patel; Seifert. 90 Vgl. Patel, S. 129–143.

45

Hierarchie nun verabsolutiert: »Die höchste Vollendung des Dienens liegt im­ Opfer«, postulierte eine 1935 publizierte juristische Doktorarbeit zum ­weiblichen Arbeitsdienst.91 In der historischen Forschung herrscht Konsens, dass der nationalsozialistische Reichsarbeitsdienst zwar in völkisch nationaler Ausrichtung vereinheitlicht und radikalisiert wurde, darüber hinaus aber konzeptionell keine grundsätzlichen Neuerungen mit sich brachte.92 Die Nationalsozialisten vertrauten erstens wie die Anhänger des Arbeitsdienstgedankens vor 1933 darauf, dass durch die gemeinsame Lagerarbeit soziale Gegensätze und damit schließlich auch der Klassenkampf überwunden werden könnten. Auf diese Weise sollte er zur Schaffung der angestrebten »Volksgemeinschaft« beitragen.93 Besonders gern betonten die Nationalsozialisten die Analogie des Dienstes zum Militärdienst. Der für den Arbeitsdienst verantwortliche Reichsleiter, Konstantin Hierl, propagierte beispielsweise: »Der Arbeitsdienst hat das Erbe der Schützengrabenkameradschaft im Kriege übernommen. Die gemeinsame Arbeit an der Arbeitsstätte, das gemeinsame Leben im Lager reißen die alten Klassenschranken­ nieder, lassen Klassenhochmut und Klassenhaß nicht aufkommen.«94 Im Vordergrund stand in den ersten Jahren der Diktatur zweitens die auch schon im Freiwilligen Arbeitsdienst als zentral angesehene disziplinierende Zielsetzung. Der Arbeitsdienst erschien den Nationalsozialisten als effektives Mittel, um die ideologische Indoktrination der Jugend auch nach der Schulzeit fortzusetzen, oder – wie es Herrmann Müller-Brandenburg, ein hoher Beamter der Reichsleitung des Arbeitsdienstes ausdrückte – »die Umformung der jungen Menschen« voranzutreiben.95 Einerseits sollten der Siedlungsgedanke und die »Rückkehr zu Blut und Boden« gefördert werden, weshalb die Projekte zunächst wie im Weimarer Arbeitsdienst zu einem großen Teil forst- und landwirtschaftlicher Art blieben.96 Andererseits wurde das nun für alle Teilnehmer verpflichtende Freizeit- und Abendprogramm für den weltanschaulichen Unterricht genutzt. Dieser Unterricht war gleichzeitig Teil der Kriegsvorbereitung, die ein drittes Ziel des Reichsarbeitsdienstes darstellte. In der Tat betrachteten die Nationalsozialisten den Dienst als eine Möglichkeit, eine vormilitärische Ausbildung anzubieten, und zwar noch bevor sie sich im Frühjahr 1935 mit der Wiederein91 Herwig, S. 30. 92 Vgl. Morgan, S. 36; Seifert, S. 17. 93 Vgl. Patel, S. 107. 94 Hierl, Ausgewählte Schriften, Bd. 2, S. 201. 95 Zitat: Müller-Brandenburg, Leistungen, S. 19–26, S. 20; vgl. Benz; Patel, S. 249–261. 96 Petersen, S. 102. Tatsächlich hatte eine agrarromantische Ausrichtung auch schon zu Weimarer Zeiten die Arbeitsfelder der Freiwilligen geprägt: Forst-, Boden- oder Landarbeit sollten den Jugendlichen die Liebe zur Natur vermitteln. Vor allem bei politisch rechten Trägerorganisationen waren damit wie schon bei den »Wirtschaftlichen Frauenschulen auf dem Lande« in der Regel auch bereits nationalen Autarkiebestrebungen verknüpft gewesen, vgl. Seifert, S. 153–163.

46

führung der allgemeinen Wehrpflicht über den Versailler Vertrag hinwegsetzten, der eine auf 115.000 Mann begrenzte Berufsarmee vorgeschrieben hatte. Zwar präsentierte das NS-Regime den Arbeitsdienst bis zum Kriegsbeginn dem Ausland gegenüber gern als »Friedensdienst« und betonte immer wieder, dass er »keine militärische Organisation« sei und »sich jeglichen Eingriffs in das Gebiet der Wehrmacht« enthalte.97 Doch war offensichtlich, dass das Ziel, körperliche Fitness zu fördern und Disziplin einzuüben, der Wehrertüchtigung oder – wie es 1938, als die Rücksichtnahme gegenüber dem Ausland aufgegeben wurde, offen zum Ausdruck kam – der »Erziehung zum nationalsozialistischen Kämpfer« dienen sollte.98 Exerzierübungen, die schon im Weimarer Dienst teilweise zum Programm der Arbeitsdienstleistenden gehört hatten, wurden im Reichsarbeitsdienst zur Regel. Überdies setzte bereits 1933 nach und nach die Uniformierung der »Arbeitsmänner« ein. Seit 1938 wurde ihre Ausbildung schließlich durch Übungen im Umgang mit Infanteriewaffen ergänzt. Gleichzeitig änderten sich ihre Arbeitsfelder, die nun verstärkt in die Wehrbefestigung und in die Rüstungsindustrie gelegt wurden. Mit Kriegsbeginn richtete das Regime den Dienst dann gänzlich auf die Kriegsvorbereitung aus, mehr und mehr Arbeitsdienstprojekte wurden nun direkt der Wehrmacht unterstellt.99 Für die weibliche Jugend galt die Arbeitsdienstpflicht zwar ebenfalls seit 1935 per Gesetz, wurde allerdings aus finanziellen und organisatorischen Gründen zunächst nicht umgesetzt. Dennoch bestand ein kleiner weiblicher Arbeitsdienst fort. Auch dieser war in Lagern organisiert, die als »Maidenheime« bezeichnet wurden und mit vierzig bis fünfzig Teilnehmerinnen deutlich kleiner ausfielen als das männliche Gegenstück, das in der Normgröße 260 »Arbeitsmänner« fasste. Dies lag nicht nur an den anders gearteten Arbeitsfeldern, sondern wurde auch mit dem Wesen der Frau begründet, das der nationalsozialistischen Konzeption zufolge eine familienähnlichere Form voraussetze.100 Der Tagesablauf des weiblichen Arbeitsdienstes glich in vielen Punkten dem des männlichen: Genau wie für die »Arbeitsmänner« wurde der Dienst der »Arbeitsmaiden«, wie die weiblichen Arbeitsdienstleistenden seit 1936 genannt wurden, durch weltanschaulichen Unterricht und vorgegebene Freizeitaktivitäten ergänzt. Die Zahl der Teilnehmerinnen blieb zunächst im Vergleich zu derjenigen der »Arbeitsmänner« klein: Von 1933 bis 1937 waren jährlich ca. 10.000, danach zunächst ca. 25.000 und schließlich vor Kriegsbeginn ca. 35.000 Mädchen im Einsatz. Bei weitem nicht alle von ihnen meldeten sich freiwillig, denn der Arbeitsdienst war wie für die männliche auch für die weibliche Jugend offiziell Bedingung für den Studienbeginn oder die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit. Doch da die Zahl der Abiturientinnen in den einzelnen Lagern einen Anteil 97 Müller-Brandenburg, Reichsarbeitsdienst, S. 22. 98 Petersen, S. 85; vgl. Patel, S. 101, S. 230. 99 Vgl. Patel, S. 118, S. 370. 100 Vgl. Herwig, S. 33 f.

47

von 30 Prozent nicht übersteigen sollte und der Arbeitsdienst in der Praxis doch­ selten zur Einstellungsvoraussetzung gemacht wurde, fanden weiterhin auch noch einige Freiwillige in den Lagern Aufnahme. Nach Kriegsbeginn schließlich wurde der Arbeitsdienst für alle Mädchen im Alter zwischen 17 und 25 Jahren zur Pflicht: Reichsarbeitsführer Hierl bemühte sich nun, die Zahl der Teilnehmerinnen auf 200.000 pro Jahr zu steigern, doch gelang ihm dies nicht. Die Zahl spielte sich in den folgenden Jahren bei knapp 100.000 ein.101 70 Prozent aller Mädchen konnten aufgrund von Ausnahmebestimmungen vom Arbeitsdienst freigestellt werden.102 Der Historiker Frank Bajohr hat den weiblichen Arbeitsdienst aufgrund seiner Zielsetzung, die »Arbeitsmaiden« – sei es in der Familie, sei es im gesellschaftlichen Leben – zur Unterordnung zu erziehen, als »Kernstück anti­femi­ nistischer Politik unterm Hakenkreuz« bezeichnet.103 Tatsächlich knüpfte der Dienst – jedenfalls in seiner Anfangsphase – an die lange Tradition konservativer Konzepte an und verfolgte das Ziel, die traditionelle Rollenaufteilung aufrechtzuerhalten. Er wurde als »Erziehungsschule des Mädchens zur Hausfrau und Mutter« und als »Mütterdienst« gepriesen.104 Sogar bereits »berufstätig gewordene Frauen«, so die mit ihm verbundene Hoffnung, könne er »zurückführen in das echte Frauenwirken als Gattin, Hausfrau und Mutter«.105 Ebenso wie der männliche Reichsarbeitsdienst in der historischen Forschung als »Schule der Männlichkeit« bezeichnet wird, lässt sich das weibliche Pendant in der Anfangszeit des Nationalsozialismus als Versuch beschreiben, eine »Schule der Weiblichkeit« zu schaffen.106 Die dienstleistenden Mädchen kamen zunächst vielfach in der Hauswirtschaft zum Einsatz und arbeiteten etwa als Haushaltshilfen bei kinderreichen Familien oder regelten den Haushalt in den Arbeitslagern für die männliche Jugend. Auch in sozialpflegerischen Bereichen wie der Winterhilfe wurden weibliche Arbeitsdienstgruppen in der Anfangszeit der nationalsozialistischen Herrschaft noch tätig. Von den hauswirtschaftlichen und karitativen Tätigkeiten verlagerte sich der Dienst jedoch schon sehr bald eindeutig hin zum Einsatz in der Landwirtschaft und vor allem in der Siedlung.107 Dahinter stand das – allerdings kaum von Erfolg gekrönte – Ziel, die Mädchen langfristig in landwirtschaftliche Berufe zu lenken und so den wirtschaftlichen

101 Vgl. Patel, S. 115; Müller-Brandenburg, Reichsarbeitsdienst, S. 21. 102 Vgl. Morgan, S. 160, S. 313–335. 103 Vgl. Bajohr, Weiblicher Arbeitsdienst, S. 331; Morgan, S. 222. 104 Z. B. Hierl, Ausgewählte Schriften, Bd. 2, S. 378. 105 Zitat: ebd., S. 242. Die ehemalige Reichsfrauenführerin Gertrud Scholz-Klink definierte 1978 die Zielsetzung des weiblichen Arbeitsdienstes: »Der Deutsche Frauenarbeitsdienst hat in seiner Erziehung die Umstellung der Frauenberufsarbeit auf die in der Familie und auf dem Lande liegenden Aufgaben unmittelbar zu fördern«, Scholz-Klink, S.  447. Vgl. Watzke-Otte, S. 218; Vogel; vgl. Morgan, S. 137. 106 Patel, S. 239. 107 Vgl. Morgan, S. 169.

48

Abb. 1: Aufmarsch des Reichsarbeitsdienstes beim Nürnberger Parteitag 1937

Autarkiebestrebungen Vorschub zu leisten.108 Mit Kriegsbeginn wurde schließlich auch der weibliche Arbeitsdienst auf die Rüstungsindustrie ausgeweitet. Seit 1942 war der Einsatz in der Rüstung für die »Arbeitsmaiden« die Regel.109 Wie es allgemein für das nationalsozialistische Frauenbild galt, klafften damit beim weiblichen Arbeitsdienst Ideal und Wirklichkeit kriegsbedingt immer weiter auseinander.110 Der Reichsarbeitsdienst stieß zwar in der Bevölkerung anfänglich noch auf viele Vorbehalte, doch ließen diese rasch nach. Dazu trug maßgeblich die pro­ pagandistische Darstellung bei. Der als nationales Opfer gepriesene und vermeintlich die Klassenschranken überwindende Dienst der »Arbeitsmänner« und »-maiden« wurde von den Nationalsozialisten zum »Ehrendienst an der Volksgemeinschaft« überhöht und ideologisch zum Inbegriff eines anderen­ Nationen ethisch überlegenen, spezifisch deutschen Arbeitsverständnisses stilisiert.111 »Dienen ist Gemeinschaftstat«, hieß es.112 Die propagandistische Auf108 Vgl. ebd., S. 177. 109 Vgl. Bajohr, Weiblicher Arbeitsdienst, S. 356; Morgan, S. 210. 110 Überdies widersprach der Dienst insofern dem Hausfrauenideal, als mit dem Beruf der Lagerführerin eine attraktive neue Erwerbs- und Karrieremöglichkeit für Frauen geschaffen wurde, vgl. Morgan, S. 35, S. 229–232. 111 Vgl. Patel, S. 329. 112 Herwig, S. 30.

49

wertung spiegelte sich auch in den Großaufmärschen der »Arbeitsmänner«, die seit 1934 fester Bestandteil der Nürnberger Reichsparteitage waren (Abb. 1). Ziel war, die im Arbeitsdienst eingeübte Disziplin zu manifestieren. Durch sie sollten die ideologische Bedeutung des Dienstes untermauert und seine Wertschätzung und Attraktivität gesteigert werden. Schon 1934 widmete Leni Riefen­stahl in ihrem Film »Triumph des Willens« dem ersten dieser Aufmärsche eine längere Episode, in der auch Hitler selbst zu Wort kam und den Arbeitsdienst lobte.113 Allgemein imponierten die Aufmärsche zahlreichen Zeit­ genossen und trugen offenbar deutlich dazu bei, sein Image zu heben.114 Darüber hinaus führten viele Deutsche die nachlassende Arbeitslosigkeit nicht zuletzt auf den Arbeitsdienst zurück. Auch die »Arbeitsmänner« und »-maiden« selbst bewerteten ihre Erfahrung während der Arbeitsdienstzeit oft als positiv – und dies auch noch in der rückblickenden Perspektive aus der Zeit nach 1945.115 So entwickelte sich der Reichsarbeitsdienst bald zu einer nationalsozialistischen Vorzeigeinstitution, die auch ausländischen (Staats-)Gästen, oftmals auf deren eigenen Wunsch hin, gern präsentiert wurde.116 Der Reichsarbeitsdienst war nicht die einzige Form des unentgeltlichen oder auf Taschengeldbasis entlohnten Arbeitseinsatzes von Jugendlichen im Nationalsozialismus. Bereits 1934 wurde ein freiwilliges »Haushaltsjahr« für erwerbslose junge Frauen angeboten, die in einem kinderreichen und/oder ländlichen Privathaushalt halfen. Hinzu kam 1938 das im Rahmen des »Vierjahresplans« eingeführte weibliche »Pflichtjahr«. Dieses musste von schulentlassenen ledigen Mädchen bis zum Alter von 25 Jahren in der Land- oder Hauswirtschaft ab­solviert werden, wenn sie den Wunsch hatten, eine Tätigkeit außerhalb eben dieser Berufsfelder zu ergreifen.117 Verpflichteten sie sich für zwei Jahre, bestand auch die Möglichkeit eines Einsatzes in der Wohlfahrtspflege oder im Gesundheitssektor.118 Verpflegung und einen geringen Lohn erhielten die Pflichtjahr-Mädchen von der Familie oder der Wohlfahrtseinrichtung, in der sie eingesetzt waren, ebenso die Unterkunft, sofern sie nicht im Elternhaus wohnen bleiben konnten. Im Unterschied zum Arbeitsdienst wurde das Pflichtjahr also nicht in Lagerform durchgeführt. Zwar war es eines seiner Ziele, die Mädchen einerseits auf die traditionelle Frauenrolle einzustimmen, andererseits »die in den großstädtischen Jugendlichen noch vielfach von großelterlicher Seite her schlummernde Verbundenheit mit der Scholle wieder zu erwecken«.119 Doch gab es dafür – anders als im Arbeitsdienst – kein weiteres pädagogisches Programm. Die fehlende Lagerorganisation und der weniger offensichtliche Er113 Vgl. Patel, S. 101–104. 114 Vgl. ebd. 115 Vgl. die zahlreichen Stellungnahmen in Burghardt, S.  314–322; Eckert; vgl. auch Patel, S. 408. 116 Vgl. ebd., S. 11, S. 190; Schwarz, Reise, S. 223–242. 117 Vgl. Vogel. 118 Vgl. ebd., S. 101 f. 119 Jentzsch, S. 356.

50

ziehungsanspruch sind wohl auch die beiden Gründe, weshalb das Pflichtjahr nicht nur bei zeitgenössischen Kommentatoren im In- und Ausland, sondern auch in der historischen Forschung eine deutlich geringere Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat als der Arbeitsdienst. Die große Bekanntheit, die der nationalsozialistische Reichsarbeitsdienst weltweit erlangte, sollte zukünftige Debatten über freiwillige Arbeitsdienste nachhaltig prägen. Kritiker hatten schon zuvor an der Vereinbarkeit eines Pflichtarbeitsdienstes mit demokratischen Prinzipien gezweifelt. Seine Einführung in einer Diktatur, in welcher der Einzelne sich der »Volksgemeinschaft« bedingungslos unterzuordnen hatte, bestärkte sie in ihrer Überzeugung. Dies zeigt bereits der Blick auf die britischen Diskussionen über den Arbeitsdienstgedanken in den dreißiger und vierziger Jahren.

1.3 Zwischen Faszination und Aversion: Der Arbeitsdienstgedanke in Großbritannien Der Arbeitsdienstgedanke entwickelte sich von Beginn an in einem transnationalen Diskussionszusammenhang. Dies galt nicht nur für die auf den Frieden ausgerichtete Arbeitslagerbewegung, die sich ja über ihre Internationalität definierte, sondern auch für nationale Arbeitsdienste, die vor allem aufgrund der nach der Weltwirtschaftskrise in zahlreichen Ländern wachsenden Erwerbslosigkeit ihre transnationale Dimension entfalteten. Staatlich geförderte Arbeits­dienstprogramme zur Linderung der Arbeitslosigkeit entstanden vor dem Zweiten Weltkrieg außer in Deutschland auch in Dänemark, Finnland,­ Italien, Kanada, Österreich, Neuseeland, den Niederlanden, Polen, Schweden, in der Schweiz, der Tschechoslowakei und in den USA.120 In Bulgarien gab es sogar bereits seit 1920 einen Pflichtarbeitsdienst für beide Geschlechter. Die Anhänger des Arbeitsdienstgedankens beobachteten genau, wie dieser in anderen Ländern umgesetzt wurde. 1934 und 1937 tauschten sich Experten bei zwei internationalen Tagungen in der Schweiz über das Thema aus. Die Ergebnisse der Tagung von 1937 wurden in einem Konferenzband publiziert, dem schon eine andere vergleichende Studie vorausgegangen war.121 a. Erste Diskussionen und Umsetzungsversuche Auch in Großbritannien stieß der Arbeitsdienstgedanke in den zwanziger und dreißiger Jahren auf eine lebhafte Resonanz. Im Unterschied zu Deutschland wurde hier allerdings ein weiblicher Arbeitsdienst kaum diskutiert. Die bri120 The Young Unemployed, in: The Manchester Guardian, 31. Dez. 1934, S. 8. 121 Epting; Schweizer Zentralstelle für freiwilligen Arbeitsdienst/International Student Service.

51

tische Armee war bis zum Ersten Weltkrieg eine Freiwilligenarmee gewesen und auch die während der beiden Weltkriege eingeführte Wehrpflicht bestand jeweils nur temporär und galt teilweise sogar für Frauen, so dass es keine Grundlage gab, auf der in Großbritannien außerhalb der Kriegszeiten eine Frauendienstpflicht hätte gefordert werden können. Weder von der Frauenrechtsbewegung noch von deren Gegnern wurde eine solche daher ernsthaft erwogen. So fand in der Zwischenkriegszeit vor allem das Modell eines für Männer konzipierten freiwilligen Arbeitsdienstes in der britischen Öffentlichkeit eine weitgehend wohlwollende Aufnahme und wurde, obzwar in kleinerem Umfang als in Deutschland, auch hier in die Tat umgesetzt. Die britische Regierung schuf mit den seit Mitte der zwanziger Jahre ein­ gerichteten Government Training Centres, Instructional Training Centres und Training Schemes for Women Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, die teilweise mit dem Arbeitsdienst anderer Staaten gleichgesetzt worden sind.122 Allerdings herrschte bereits unter den Zeitgenossen Uneinigkeit darüber, inwiefern ein solcher Vergleich zulässig sei. In der Geschichtsforschung sind diese Maßnahmen bislang nur wenig beachtet worden und erst in jüngster Zeit wurden sie hier als Arbeitsdienste charakterisiert.123 Die Government Training Centres unterschieden sich vom Freiwilligen Arbeitsdienst der Weimarer Republik deutlich, da erstens ihre Teilnehmer, die in der Regel bereits über eine Berufsausbildung verfügten, einen Lohn erhielten, zweitens ein zentraler Teil  des Programms berufsorientierter Unterricht war und drittens die Unterbringung nicht in Lagern erfolgte. Obwohl ihre Teilnehmer auch praktische Arbeit verrichteten, sind die Government Training ­Centres daher eher als Ausbildungsmaßnahme denn als Arbeitsdienst zu definieren. Die Instructional Training Centres hingegen, die sich vor allem an ungelernte Langzeitarbeitslose richteten, wurden in der Regel in Lagerform durchgeführt, und die Arbeit ihrer Teilnehmer wurde nicht entlohnt. Indem sie in erster Linie einen dreimonatigen, meist Forstarbeiten gewidmeten Arbeitsaufenthalt bei freier Unterkunft und Verpflegung anboten, der nur durch ein geringfügiges Schulungsprogramm ergänzt wurde, ähnelten sie der äußeren Form nach in der Tat dem Weimarer Freiwilligen Arbeitsdienst.124 Die zum Teil in Lagerform durchgeführten Training Schemes for Women schließlich waren für arbeitslose Frauen bestimmt, die in einem acht- bis dreizehnwöchigen, ebenfalls nicht entlohnten Programm auf einen hauswirtschaftlichen Beruf vorbereitet werden sollten. Alle drei Einrichtungen zogen deutlich weniger öffentliche Aufmerksamkeit auf sich als die deutschen Arbeitslager. Dennoch war ihre Einrichtung nicht unbedeutend: An den dreimonatigen Lagern der Instructional ­Centres etwa nahmen zwar deutlich weniger Erwerbslose teil als am Freiwil122 Vgl. Collingridge; vgl. auch Sheldrake u. Vickerstaff. 123 Vgl. Field, Able Bodies; ders., An Anti-Urban Education. Field betont allerdings die Unterschiede zwischen den britischen und deutschen Arbeitsdiensten. 124 Vgl. Collingridge, S. 191; vgl. außerdem Field, Able Bodies.

52

ligen ­Arbeitsdienst, insgesamt durchliefen dennoch immerhin 200.000 Teilnehmer das Programm, bis es mit Kriegsbeginn 1939 eingestellt wurde.125 Auch aus privater Initiative heraus entstanden in Großbritannien auf lokaler Ebene Arbeitsdienste und Arbeitslager. In ihren Motiven und Zielen ähnelten diese Projekte stark der deutschen Arbeitslagerbewegung, teilweise waren sie direkt durch sie inspiriert. Die beiden 1932 und 1933 durchgeführten Lager der Organisation Grith Fyrd etwa, die der deutschen Jugendbewegung nahe stand, waren von kulturkritischen und agrarromantischen Vorstellungen motiviert. Ihre Teilnehmer, erwerbslose Männer, die, wie es ein Zeitgenosse in dem internationalen Tagungsband von 1937 formulierte, »in den künstlichen Verhältnissen der modernen industriellen Welt aufgewachsen waren«, sollten sechs Monate lang ein naturverbundenes Leben führen und sich weitgehend selbst versorgen – und zwar nicht nur hinsichtlich der Ernährung:126 Auch Unterkünfte, Möbel und Kleidung fertigten sie weitgehend selbst.127 Auf diese Weise sollten sie »die ungeheure Wohltat einer Rückkehr zu natürlichen, sogar primitiven Verhältnissen« kennenlernen, hieß es in dem Tagungsband weiter.128 Wie es schon die Bedeutung »Friedensmiliz« des altenglischen Namens Grith Fyrd zum Ausdruck bringen sollte, teilte die Organisation die pazifistische Einstellung der internationalen Workcampbewegung. Die Lager sollten – ähnlich wie es William James’ »Moral Equivalent of War« anvisierte – eine Möglichkeit des Abenteuers schaffen, »great enough to captivate young men no less than they have been captivated by the glories of war«, wie es ein Anhänger der Bewegung 1947 rückblickend ausdrückte.129 An den beiden Camps der Bewegung nahm nur eine recht kleine Gruppe Freiwilliger teil. Sie zogen zwar mit ihrer eigenwilligen Ausprägung der Naturverbundenheit einige Aufmerksamkeit auf sich, wurden von namhaften Persönlichkeiten und von Toynbee Hall unterstützt, empfingen zahlreiche interessierte Besucher und wurden in einem Dokumentarfilm porträtiert, konnten sich aber mit ihren doch recht ungewöhnlichen selbstversorgerischen Ansprüchen bei weitem nicht im selben Maße ausbreiten wie die deutsche Arbeitslagerbewegung.130 In Verbindung zur deutschen Arbeitslagerbewegung standen überdies die Lager des Springhead Ring, die von 1932 bis 1935 in Cleveland und Dorset statt125 Vgl. Field, Anti-Urban Education, S. 217–220. 126 Collingridge, S. 191; vgl. ganz ähnlich Abercombie, S. 939. 127 R. R. Hyde, A Camp of Self-Helpers, in: The Times, 17. Aug. 1933, S. 6. 128 Collingridge, S. 194; vgl. Moore-Colyer, A Nothern Federation, S. 321. 129 Glaister, S. 48. 130 Vgl. die Berichterstattung der »Times«: Grith Fyrd. Camps help for unemployed youths, in: The Times, 21. Febr. 1933, S. 7; »Grith Fyrd«. Camps a permanent scheme, in: The Times, 15. Mai 15, 1933, S. 11; G. W. Keeling, Camps for unemployed lads, in: The Times, 6. Juni 1933, S. 10; A second Grith Fyrd camp opened, in: The Times, 4. Jan. 1934, S. 5; Sunday programmes, Home stations, in: The Times, 16. Juni 1934, S. 17; Chance for »social misfits«. Experimental camp for young men, in: The Times, 7. Aug. 1935, S. 13; A new way with young delinquents. Offer of land for camp, in: The Times, 4. Mai 1935, S. 6.

53

fanden. Federführend organsiert wurden sie von Rolf Gardiner, der in einer österreichisch-englischen Familie zweisprachig aufgewachsen war und einen Teil seiner Jugend in Berlin verbracht hatte.131 Als begeisterter Anhänger der deutschen Jugendbewegung pflegte er intensive Kontakte nach Deutschland, vor allem aber hatte er als einer der Mitorganisatoren an den schlesischen Arbeitslagern um Rosenstock-Huessy teilgenommen. Mit den Springhead-Lagern wollte Gardiner nicht zuletzt den deutsch-britischen Austausch fördern: Zu ihnen wurden auch Studenten und Berg- bzw. Landarbeiter aus England und Deutschland eingeladen. Sie sollten der sozialen ebenso wie der europäischen Verständigung dienen. Gardiner dachte dabei vor allem an Deutschland, Großbritannien und die skandinavischen Länder, die in seiner Vorstellung einen nordischen Kulturkreis bildeten.132 Wie er allgemein ein ausgeprägtes Eliteund Führerdenken vertrat, war er auch von einer kulturellen Führerschaft dieser Länder überzeugt. Wenngleich Gardiner in der Studie John Fowlers zur britischen Jugendkultur als eine Prägefigur beschrieben wird, war seiner Springhead-­Bewegung nur ein mäßiger Erfolg beschieden und sie gewann nicht annähernd die gleiche Ausstrahlung wie die deutsche Arbeitslagerbewegung.133 In Großbritannien erhielt der Arbeitsdienstgedanke seinen stärksten Impuls ebenfalls durch die wachsende Erwerbslosigkeit. So taten sich 1931 in dem walisischen Bergbauort Brynmawr, der in den ausgehenden zwanziger Jahren stark von Arbeitslosigkeit betroffen war, Erwerbslose zusammen, um ein Touristenzentrum zu errichten. Von ihm erhofften sie sich zukünftig auch die Entstehung neuer regulärer Arbeitsplätze.134 Bald beteiligten sich das Welsh Student Self-Help Council, das Student Christian Movement/Friends Service Council sowie der International Student Service an dem insgesamt zwei Jahre dauernden Projekt. Dem Ideal der Arbeitslagerbewegung entsprechend setzte sich die Gruppe der Teilnehmer nicht nur aus unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen, sondern auch aus verschiedenen Nationalitäten zusammen.135 Einige der involvierten Studenten hatten bereits 1930 an Schulungskursen der Schweizer Arbeitslagerbewegung teilgenommen.136 Auch der Schweizer SCI entsandte Freiwillige. Indem sich aus diesem Einsatz schließlich der britische Zweig der Organisation 131 Zu Gardiner vgl. Jefferies u. Tyldesley; Moore-Colyer, Rolf Gardiner; sowie fokussiert auf die zwanziger Jahre Fowler, S. 30–58. 132 Gardiner, Die dreifache Aufgabe, S. 182–185. Vgl. Field, Service learning, S. 203 f. Gardiner geriet in Großbritannien später stark die Kritik und wurde der Liebäugelei mit dem Nationalsozialismus beschuldigt, zumal die Nationalsozialisten eine seiner Schriften publizierten, die auch judenfeindliche Äußerungen enthält, Gardiner, Die deutsche Revolution, S. 7–18, S. 15 f. 133 Vgl. Fowler, S. 30–58. Allgemein misst Fowler Gardiner allerdings hier eine übertriebene Bedeutung zu. 134 Vgl. Best u. Pike, S. 34 f. 135 Vgl. Lewis, Wales, S. 63. 136 Vgl. ebd., S. 60.

54

entwickelte, verhalf er der friedensorientierten Ausrichtung des Arbeitsdienstgedankens in Großbritannien zum Durchbruch. Zuvor hatte bereits der in Leeds lebende Schweizer Jean Inebnit, der 1924 bei einem der ersten Lager des SCI in Frankreich mitgearbeitet hatte, den Workcampgedanken in Großbritannien propagiert und den Aufbau eines britischen Zweigs der Organisation vorbereitet. 1934 wurde ein solcher mit dem von der Mutterorganisation abweichenden Namen »International Voluntary Service for Peace« (IVSP) offiziell gegründet.137 Dem ersten Lager in Brynmawr folgte noch eine Handvoll anderer ähnlicher Lager in Wales, die von den Teilnehmern als Erfolg gewertet wurden. Seit 1933 organisierten schließlich auch Studenten, die sich zu diesem Zweck im University Council for Unemployed Camps zusammengeschlossen hatten, eine Reihe von mehrwöchigen Sommer-Arbeitslagern für erwerbslose Männer.138 Allein das Cambridge Committee konnte 1936 sieben Camps mit insgesamt 801 Teilnehmern realisieren. 1937 gründeten überdies Studentinnen in Cambridge eine vergleichbare Organisation, die Arbeitslager für weibliche Erwerbslose anbot. 1938 nahmen an diesen Lagern über 700 Frauen im Alter von 18 bis 70 Jahren teil. Neben der Arbeit sollte ein Freizeitprogramm mit Diskussionen über »community and citizenship«, Sprachkursen und anderen kulturellen Angeboten, z. B. selbst aufgeführten Konzerten und Theaterstücken, der Fortbildung der Arbeitslosen dienen.139 Allgemein konnte die Arbeitslagerbewegung in Großbritannien deutlich schwerer Fuß fassen als in Deutschland, nicht zuletzt aufgrund von Finanzschwierigkeiten der verschiedenen Anbieter.140 Dennoch gab es in den dreißiger und vierziger Jahren in der britischen Öffentlichkeit eine über die konkreten Umsetzungsversuche hinausgehende rege Diskussion über Sinn und Nutzen solcher Dienste. In diesem Rahmen wurden auch Forderungen nach der Einführung eines umfassenden staatlichen Arbeitsdienstprogramms laut. Einer der am weitesten ausgearbeiteten Vorschläge zur Einführung eines nationalen Arbeitsdienstes in Großbritannien wurde bereits 1929, also noch vor der Gründung des Freiwilligen Arbeitsdienstes in Deutschland, von dem einflussreichen in Oxford Volkswirtschaft lehrenden Sozialisten George D. H. Cole vorgelegt. In freiwilligen Arbeitsdiensten sah er eine Möglichkeit, den Erwerbslosen zu »self-respect« zu verhelfen, ihre Demoralisierung zu verhindern und dadurch die Arbeiterschaft insgesamt zu stärken.141 Er forderte daher die Einrichtung eines staatlich getragenen »National Labour Corps«. Die Freiwilligen sollten, sofern sie nicht Frau und Kinder hatten, in Lagergemeinschaften leben und Verpflegung sowie Taschengeld erhalten. Falls sie aufgrund von Familienbindungen nicht im Lager 137 Die abweichende Namensgebung erklärt sich daraus, da »civil service« im Englischen den Staatsdienst bezeichnet und eine wörtliche Übersetzung somit missverständlich gewesen wäre, vgl. Gillette, S. 63, Anm.  138 Vgl. Field, Service learning. 139 Vgl. ebd., S. 205. 140 Vgl. Lewis, Wales, S. 60, S. 64. 141 Cole, S. 48–67.

55

leben konnten, sei ihnen ein Lohn auszuzahlen, der für Facharbeiter dem Tariflohn entsprechen sollte. Während Cole im Gegensatz zu den deutschen Anhängern des Arbeitsdienst­ gedankens die Gemeinschaftsbildung nicht als erhofftes Resultat der Lager benannte, betonte er doch ähnlich wie diese, es sei eines der Ziele, zu Disziplin zu erziehen. Er war sich bewusst, dass er allgemein mit seinem Vorschlag, vor allem aber mit diesem Ansinnen bei Parteigenossen auf Widerspruch stoßen würde, und verwendete große Mühen darauf, sie davon zu überzeugen, dass die Lagerdisziplin nicht mit Militarisierung und Unterdrückung einhergehen müsse. Die Sozialisten, so der Appell an seine Partei, sollten nicht Konskription oder Disziplin bekämpfen, sondern Kapitalismus und Krieg.142 Er sah in dem »National Labour Corps« ein Projekt, das Hilfe zur Selbsthilfe leisten könne, und war damit nicht nur einem reformpädagogischen Rezept verpflichtet, das in dieser Zeit in Europa und in den Vereinigten Staaten an Attraktivität gewann, sondern auch der Tradition des Genossenschaftsgedankens, der in der britischen Linken viele Anhänger hatte.143 Wichtig war für Cole, dass die Ewerbslosen in den Lagern einen Dienst für die Gemeinschaft leisteten, der in seinen Augen ein sozia­ listisches Prinzip darstellte: »If a Government – and above all a Labour Government – cannot […] offer [to the unemployed] the opportunity of useful service, it had better give up the attempt to govern at all. It is a cardinal Socialist principle that every man owes useful service to the community.«144 Anders als viele Befürworter des Arbeitslagergedankens in Deutschland sah Cole in den Arbeitslagern kein bahnbrechendes Allheilmittel, sondern nur ein Remedium zur Behandlung von Symptomen, deren Ursachen mit viel tiefer greifenden Maßnahmen zu bekämpfen seien.145 Wenngleich nicht nachzuweisen ist, dass Coles Vorschlag an die deutsche Arbeitsdienstdiskussion anknüpfte, ist er sicherlich nicht gänzlich losgelöst von dieser zu betrachten. Zu aufmerksam beobachtete dafür die britische Öffentlichkeit die Arbeitsdienste und die Arbeitslagerbewegung, die in Europa und den Vereinigten Staaten in den dreißiger Jahren entstanden. Vor allem unter konservativen Zeitgenossen stießen sie auf einige Sympathien. b. Langsame Abkehr Erst als es den Nationalsozialisten ohne Probleme gelang, den Weimarer Arbeitsdienst umzuformen und für ihre Zwecke zu nutzen, beurteilten britische Beobachter die Arbeitslagerbewegung ambivalenter. Allerdings besuchten weiterhin zahlreiche britische Deutschlandreisende die nationalsozialistischen Ar142 Ebd., S. 56. 143 Vgl. zum Ideal der Hilfe zur Selbsthilfe Büschel, Die Brücke; ders., Hilfe, S. 118–131. 144 Cole, S. 56. 145 Ebd., S. 54.

56

beitslager, unter ihnen auch der Bruder des Königs.146 In ihrer Studie über britische Besucher im nationalsozialistischen Deutschland, urteilt die Historikerin Angela Schwarz, es habe in deren Berichten »kaum ein anderer Aspekt der Innenpolitik Hitlers eine solche große Bedeutung« besessen.147 Tatsächlich schlug der Reichsarbeitsdienst viele Briten in seinen Bann. 1934 schrieb z. B. der Korrespondent der »Times« beeindruckt über das riesige Aufgebot im Stechschritt defilierender »Arbeitsmänner« auf dem Reichsparteitag in Nürnberg.148 Die oft mit Unbehagen gemischte Faszination ließ in der britischen Öffentlichkeit auch in den Folgejahren nicht nach, 1938 hieß es in der »Times« wieder zum Aufmarsch der »Arbeitsmänner« auf dem Reichsparteitag: »This is a parade which repetition cannot stale: it never fails to raise the pride of every German and the envy of most foreign visitors.«149 Den Zuschauern habe sich ein »­ matchless picture of physical vigour and coordinated movement« geboten. Allerdings, so lässt sich aus dem Bericht herauslesen, betrachtete dieser Autor wie viele seiner Landsleute die Ideologisierung und Militarisierung des Reichsarbeitsdienstes mit Sorge. Eine ähnliche Beunruhigung lässt auch der öffentliche Protest erkennen, der sich regte, als im Februar 1939 das Post Office seinen jugendlichen Angestellten einen von der deutschen Botschaft zur Verfügung gestellten NS-Propagandafilm über den Arbeitsdienst zeigte. Die Verantwortlichen wehrten sich gegen die Kritik an der Filmvorführung und gaben sich davon überzeugt, dass der Film über den Arbeitsdienst vor allem den Autobahnbau in Deutschland darstelle und als »educational and instructive« einzustufen sei, nicht aber als politisch.150 Vor Kriegsbeginn wurde der Arbeitsdienst in Großbritannien zumeist als Mittel zur Bekämpfung der Erwerbslosigkeit diskutiert. Außerdem hoben britische Befürworter des Arbeitsdienstgedankens zumeist mit besonderem Nachdruck das Ziel hervor, dass der von allen gesellschaftlichen Schichten zu leistende Arbeitsdienst die soziale Harmonie befördere, weil er »complete equality and comradeship of all classes and types in hard work« schaffe.151 Hatten die von der englischen Settlement-Bewegung angestoßenen Versuche, die Klassenspaltung zu überwinden, den Zündstoff für Rosenstocks Arbeitsdienstüberlegungen geliefert, so erschien umgekehrt auch die in Deutschland propagierte 146 Vgl. Patel, S. 11. 147 Vgl. Schwarz, Reise, S. 223–242. 148 An army with spades. Goose-stepping at Nazi rally. A hint of labour conscription, in: The Times, 7. Sept. 1934, S. 12. 149 The symbol of the spade, German youth on parade, in: The Times, 8. Sept. 1938, S. 12. Vgl. hingegen den sehr viel kritischeren Bericht über den Aufmarsch aus der Feder des amerikanischen Journalisten Shirer, S. 20 f., der den Stechschritt als »outlandish exhibition of the human being in his most undignified and stupid state« beschreibt und sich eher darüber verwunderte, »what an inner chord it strikes in the strange soul of the German people«. 150 Postal worker’s complaint: »Nazi propaganada« for juveniles, in: Manchester Guardian, 4. Febr. 1939, S. 16. 151 Service after school, in: The Times, 24. Nov. 1939, S. 9. Vgl. Schwarz, Reise, S. 226.

57

alternative Strategie des Arbeitsdienstes vielen Briten attraktiv. Die starken Klassenspannungen in Großbritannien gaben dieser Zielsetzung ein besonderes Gewicht, ohne dass damit das Klassensystem grundsätzlich in Frage gestellt wurde.152 Da die gesellschaftliche Ungleichheit im elitären britischen Ausbildungssystem besonders deutlich spürbar wurde, richtete sich der Fokus der Arbeitsdienstforderungen hier oft auf Studenten. 1937 hob beispielsweise ein Artikel im »Manchester Guardian« hervor: »Practical work would also bring the future student into relations with many different kinds of people and widen his sympathy with those for whose welfare he may one day be responsible.«153 Die Fürsprecher des Arbeitsdienstes waren überdies überzeugt, dieser könne Jugendlichen einen »sense« oder »spirit of service« anerziehen, wie etwa der in Oxford Geschichte lehrende Alfred Emden in einem Leserbrief an die Times argumentierte.154 Dieser Gedanke gewann noch an Stärke, als sich seit 1938, vor allem aber nach Kriegsbeginn, Vorschläge für die Einrichtung eines Arbeitsdienstes in Großbritannien im Rahmen der nationalen Kriegsmobilisierung mehrten. Diese Vorschläge stellten nun oft solche Aspekte in den Mittelpunkt, die den Dienst als Vorbereitung auf den Militärdienst geeignet erscheinen ließen, zumal als im April 1939 die allgemeine Wehrpflicht eingeführt wurde. 1940 etwa warb der konservative Politiker Lord Derby für die Einführung eines freiwilligen Arbeitsdienstes. Dieser sollte jugendlichen Schulabgängern eine Möglichkeit bieten, die oftmals mehrjährige Wartezeit bis zur Einberufung zu überbrücken, während derer es schwierig war, eine Anstellung zu finden.155 Führende Militärs würden seinen Vorschlag begrüßen, betonte der Lord, der selbst auf eine militärische Karriere zurückblickte. Vor dem Hintergrund des Krieges waren auch in Großbritannien wehrpolitische Ziele involviert, wenn vielfach als Argument ins Feld geführt wurde, ein Arbeitsdienst könne die körperliche Fitness der Jugendlichen verbessern.156 In sämtlichen Stellungnahmen, die während der Kriegszeit einen Arbeitsdienst für Großbritannien propagierten, wird der starke Rechtfertigungsdruck deutlich, unter dem die Vorschläge für die Einführung einer mehr und mehr mit dem Nationalsozialismus assoziierten Institution in der britischen Öffentlichkeit standen. Immer wieder hoben die Befürworter des Arbeitsdienstgedankens hervor, dass dieser keine Erfindung der Nationalsozialisten sei.157 Besonderen Wert legten sie außerdem darauf, dass ein Arbeitsdienst nicht 152 Zum Lob dieses Mechanismus vgl. ebd., S. 236 f. 153 Experience teaches, in: The Manchester Guardian, 7. Okt. 1937, S. 10. 154 So z. B. der Leserbrief A. B. Emden, Service in the nation’s service, Oxford labour camps, in: The Times, 3. Febr. 1938, S. 23. 155 Youths of 18 to 20: Lord Derby discusses his Proposal, in: Manchester Guardian, 2. Jan. 1940, S. 8. 156 The Nation’s Service, in: The Times, 29. Jan. 1938, S. 13. 157 Letter to the Editor, Labour camps, Development of the dominions, in: The Times, 1. Febr. 1938, S. 10.

58

zwangsläufig zu einer Militarisierung hinführen müsse. Ein solcher Dienst ziele auf »a nation in work rather than a nation in arms«, stellte Emden in seinem Leserbrief an die »Times« klar und wies darauf hin, dass der Arbeitslagergedanke sogar pazifistische Ursprünge habe.158 Auch die Vereinbarkeit des Arbeitsdienstes mit der Demokratie, ja sogar dessen Nutzen für diese wurde immer wieder versichert. Ebenfalls in einer Leserzuschrift an die »Times« erinnerte der Autor und konservative Politiker William Teeling in diesem Zusammenhang daran, dass es Arbeitsdienste auch in anderen demokratischen Ländern und vor allem in den Vereinigten Staaten gebe.159 Der »real success« des amerikanischen CCC liege »in what it has done for the health, the education, and the moral of the young men it has trained, and above all in what it has done for the nation in making good citizens«, schrieb 1938 ein Korrespondent der »Times« aus den Vereinigten Staaten.160 »[I]ts educational value would be high and of  a kind which a democracy cannot afford to dispense with«, bescheinigte ein anderer Journalist der »Times« dem Arbeitsdienst Ende 1939.161 Indem der Dienst die Klassen zusammenführe, stärke er gleichzeitig »that unity in thought and ideals which is the reality upon which true democracy must rest«, betonte ein Artikel des »Manchester Guardian«.162 Der häufig apologetische Ton zeigt deutlich, dass die Gegner des Arbeits­ dienstgedankens in Großbritannien seit 1933 an Stimmkraft gewannen. Nicht nur aus politisch linker, sondern auch aus liberaler Überzeugung heraus wurde der Arbeitsdienstgedanke in Großbritannien von vielen abgelehnt. Anders etwa als in der konservativen »Times«, in der allgemein zahlreiche Befürworter des »excellent Labour Service« zu Wort kamen, kaum indessen Gegner, hatten im liberal ausgerichteten »Manchester Guardian« eindeutig die Kritiker die Oberhand.163 Den Schwerpunkt der Argumentation legten die Autoren in dem Blatt etwas anders als die gewerkschaftliche oder politisch links gerichtete Arbeits­ dienstkritik: Sie betonten mehrfach, dass der Arbeitsdienst als Mittel zur Senkung der Erwerbslosigkeit ungeeignet sei, was sie am deutschen Beispiel bestätigt sahen. In diesem Zusammenhang kritisierte ein Artikel etwa die Anordnung, den Arbeitsdienst für junge Arbeitnehmer zur Vorbedingung einer Beschäftigung zu machen.164 Diese Politik entlarvte der Autor als arbeitsmarktentlastenden Trick, der gleichzeitig darauf ziele, die jüngere Generation im Arbeitslager nach dem Verlassen der Schule und der nationalsozialistischen Jugend­orga­ nisationen weiterhin weltanschaulich indoktrinieren zu können. Überdies hatte 158 A. B. Emden, In the Nation’s service, in: The Times, 29. Jan. 1938, S. 13. 159 W. Teeling, Labour camps, in: The Times, 1. Febr. 1938, S. 10. 160 C. C. C. A boon to young America. Where the New Deal triumphs, in: The Times, 31. März 1938, S. 15. 161 Voluntary labour service, in: The Times, 28. Dez. 1939, S. 7. 162 Experience teaches, in: The Manchester Guardian, 7. Okt. 1937, S. 10. 163 A new German discipline, in: The Times, 22. Dez. 1936, S. 13. 164 Young German workers to be discharged. Finding work for older men… Ruthless way of dealing with unemployment, in: The Manchester Guardian, 31. Aug. 1934, S. 9.

59

der ­»Manchester Guardian« schon im Herbst 1933 kritisiert, dass der Arbeitsdienst der Militarisierung der deutschen Jugend diene und somit ein verschleierter Weg sei, das im Versailler Friedensvertrag festgelegte Verbot der allgemeinen Wehrpflicht zu umgehen.165 Während die britische Öffentlichkeit dem männlichen Reichsarbeitsdienst auch in der Kriegszeit einige Aufmerksamkeit schenkte, weckte dessen weibliches Pendant ihr Interesse sehr viel weniger. Dennoch offenbart auch dessen schwächere Diskussion, wie sehr die Assoziation mit dem Nationalsozialismus den Arbeitsdienstgedanken in Großbritannien lähmte. Im Zuge der Mobilisierung der Jugend während des Krieges wurden auch in Großbritannien Pläne entworfen, Mädchen zu einem nationalen Freiwilligendienst zu rekrutieren und sie darin nicht zuletzt auf die Aufgaben in Haushalt und Kindererziehung vorzubereiten.166 Doch herrschte Konsens, dass die Gestalt eines solchen Dienstes sich nicht den nationalsozialistischen Jugendorganisationen annähern dürfe. Unter anderem deshalb setzte sich die Haltung durch, dass die Vorbereitung der Mädchen auf ihre Hausfrauentätigkeit in erster Linie Sache der Familie und nicht des Staates sei. Schon im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert nahm sich das deutsche Hausfrauenideal im Vergleich zu Groß­britannien als besonders starr aus. Britische Beobachter identifizierten es als Grund für die Schwäche der deutschen Frauenbewegung.167 Die nationalsozialistische Frauen­ politik erschien aus britischer Perspektive als Rückschlag für die deutsche Frauenemanzipation: »[T]he opportunities for women in every direction are diminishing daily«, stellte beispielsweise ein Korrespondent des »Manchester Guardian« in seinem »Back to the Home« überschriebenen Artikel über die nationalsozialistischen Frauenorganisationen fest.168 Die Abgrenzung vom Nationalsozialismus bestärkte das britische Selbstbild einer im Hinblick auf die Stellung der Frau fortschrittlichen Nation. Wenngleich nicht genau auszuloten ist, wie viele Anhänger der Arbeitsdienstgedanke in Großbritannien tatsächlich hatte, lässt sich doch zusammenfassend festhalten, dass sie zahlreich und umtriebig waren. »[E]ven the sternest critics of the Nazis have acknowledged the value of some aspects of the German Labour Service«, gab sich ein Autor der »Times« überzeugt, und ein Journalist im »Manchester Guardian« bestätigte diese Einschätzung, obwohl er selbst die positiven Effekte des Arbeitsdienstes bestritt.169 Von den von Angelika Schwarz 165 Militarisation in Germany, Detailed evidence of the training of Nazi contingents, in: The Manchester Guardian, 4. Sept. 1933, S. 9. 166 Vgl. hierzu Tinkler. 167 Vgl. Budde, Des Haushalts, S. 431–438. 168 Women in Germany: »Back to the Home«. Losses they have suffered. The new organisations, in: The Manchester Guardian, 26. Okt. 1935, S. 13; vgl. auch den frühen Protest britischer Frauenorganisationen gegen die nationalsozialistische Frauenpolitik aus dem Juni 1933: Nazi treatment of women, in: The Times, 2. Juni 1933, S. 9. 169 Service after school, in: The Times, 24. Nov. 1939, S. 9; A decreasing acreage, in: The Manchester Guardian, 15. Dez. 1936.

60

untersuchten britischen Deutschlandreisenden hielt die Mehrzahl die Lager für eine förderliche Maßnahme, obgleich nur wenige darin ein Modell für Groß­ britannien erblickten.170 Insgesamt ist das britische Urteil über den deutschen Arbeitsdienst bis in die Kriegszeit hinein als ambivalent zu bezeichnen. Obwohl die Forderung nach einem längerfristigen nationalen Arbeitsdienst sich in Großbritannien nicht durchsetzen konnte, wurde die Idee der kurzfristigen Arbeitslager in der Kriegszeit mit großem Erfolg weiter propagiert und umgesetzt. Sie galten offenbar im Gegensatz zu den Arbeitsdiensten als harmlose Ferienbeschäftigung, deren kurze Dauer die Gefahr einer Indoktrination oder Militarisierung nicht aufkommen lasse. 1942 entstand die Organisation Youth Service Volunteers, die Ferienworkcamps speziell für Schüler durchführte. Die Freiwilligen dieser Camps wurden vor allem als Erntehelfer eingesetzt. Die später in »Concordia« umbenannte Organisation verfolgte wie die meisten Arbeitsdienste dieser Zeit das Ziel, mit einer schichtenübergreifenden Rekrutierung den sozialen Frieden zu fördern. Den Jugendlichen sollte außerdem die Möglichkeit eröffnet werden, »to answer the challenge of the times – to play a part in the war effort and in turn receive encouragement to accept responsibility and develop initiative and the spirit of common service«.171 Diese Organisation war also ebenfalls Teil  intensiver Bemühungen, in Zeiten des Krieges die Bevölkerung und insbesondere die Jugend zur Freiwilligenarbeit zu mo­bilisieren. Sie stellte ihre Arbeit allerdings mit Kriegsende nicht ein, sondern b ­ egann bald, auch ein internationales Workcamp-Programm anzubieten, und besteht bis heute.172 c. Die humanitären Hilfsdienste am Ende des Krieges Während sich in Großbritannien national ausgerichtete Arbeitsdienste nur in Form kurzfristiger Lager durchsetzen konnten, etablierten sich gegen Ende des Krieges langfristige Freiwilligendienste beim britischen Zweig der international orientierten Workcampbewegung. Sie verschrieben sich der humanitären Hilfe im kriegszerstörten Europa. Damit knüpften sie zwar nicht direkt an bestehende innerbritische Vorgänger an, wurden aber maßgeblich auch von denjenigen Organisationen durchgeführt, die zuvor bereits in der Workcampbewegung aktiv gewesen waren, das heißt vom IVSP sowie von den Quäkern. Da Großbritannien durch den Krieg weniger stark in Mitleidenschaft gezogen worden war als viele andere europäische Länder, sahen sich britische Freiwilligenorganisationen in besonderem Maße in der moralischen Pflicht, im Ausland Hilfe zu leisten. Seit 1944 kamen britische Freiwilligengruppen auf den Kontinent, 170 Schwarz, Reise, S. 227. 171 Youth Camps. The answer to a challenge. Useful community service, in: The Times, 1. Mai 1943, S. 2. 172 Vgl. Youth Service. Work of Concordia, in: The Times, 11. Sept. 1952, S. 9; zur Organisation heute vgl. http://www.concordiavolunteers.org.uk/overseas-volunteering/the-robbs-bursary.

61

um in den bereits befriedeten Teilen bei der Versorgung von Flüchtlingen und beim Wiederaufbau mitzuwirken.173 In Deutschland trafen im Frühjahr 1945 die ersten Mitarbeiter britischer Hilfsorganisationen ein. Gemeinsam mit amerikanischen und schweizerischen Hilfsteams begannen sie zunächst denjenigen Hilfe zu leisten, die sie am dringendsten benötigten: den Überlebenden der Konzentrationslager und anderen sogenannten »Displaced Persons«. Die Hilfseinsätze der Langzeitfreiwilligendienste definierten sich über ihre Internationalität. Sie folgten damit der Ausrichtung der Hilfsorganisationen, die wie der IVSP, das Rote Kreuz, die Methodisten, die Quäker oder die Girl Guides nicht nur internationale Organisationen waren, sondern denen Inter­ nationalität und internationale Verständigung darüber hinaus ein zentrales Anliegen und Merkmal ihres Selbstverständnisses waren. Die Nationalität der Notleidenden sollte keine Rolle spielen, mit der Ausnahme, dass die Hilfsteams oft moralisch zwischen Opfern und Tätern schieden und anfänglich nur Erstere der Hilfe für würdig befanden.174 Doch weiteten die Organisationen ihre Hilfsdienste Ende 1945 aus und richteten sich auch an die hungernde deutsche Bevölkerung, insbesondere an die Flüchtlinge aus Osteuropa, die nun in nicht endenden Strömen in Deutschland eintrafen.175 Dieser Kurswechsel blieb allerdings in der britischen Öffentlichkeit und auch in einigen Hilfsorganisationen umstritten.176 Die Militärbehörden, die den Einsatz der Freiwilligenorganisationen zu genehmigen hatten, schrieben vor, dass sie koordiniert zusammenarbeiten sollten.177 Zu diesem Zweck entstand das Council of British Societies for Relief Abroad (COBSRA), ein Zusammenschluss elf verschiedener Hilfs­ organisationen.178 Zum Zeitpunkt der größten Entfaltung des Hilfseinsatzes waren in der britischen Besatzungszone etwa 600 Freiwillige im Rahmen des COBSRA tätig.179 Die Nachfrage nach einer Teilnahme an solchen Hilfsdiensten 173 Vgl. Roberts, S. 84 f.; Kelber, S. 13. 174 Dass die Nationalität der Opfer außer Acht gelassen werden sollte, bezog sich lediglich auf die Frage der Hilfsbedürftigkeit. Es bedeutet nicht, dass die Hilfsorganisationen nationalen Kategorien keinerlei Beachtung schenkten. Tara Zahra hat herausgearbeitet, wie das Ziel der Renationalisierung von Displaced Persons mit den Idealen der humanitären Helfer in Konflikt geriet, Zahra, S. 118–145. 175 Vgl. Frank, S. 163. 176 Report from W. R. Huges on the development of friends’ relief help to Germany during the coming winter, LARSF, FSC/GE/18/1; vgl. Frank, S. 159 f., S. 165; vgl. Steinert, Nach­ Holocaust, S. 181. 177 Vgl. Brown, S. 10. 178 Vgl. Steinert, Nach Holocaust, S. 22, S. 30 f.; Kelber, S. 12. Zur COBSRA gehörten in der britischen Zone nach 1945 das Britische Rote Kreuz, die Friends Ambulance Unit, der Friends Relief Service und der Friends Service Council der Quäker, der YWCA, die Heilsarmee, der Guides International Service (weibliche Pfadfinder), der Save the Children Fund, der Scouts International Relief Service, der International Voluntary Service for Peace, das Catholic Committee for Relief Abroad, das Jewish Committee for Relief Abroad, vgl. Frank, S. 158. 179 Vgl. Kelber, S. 17; Frank, S. 171.

62

war in Großbritannien allerdings noch größer: Allein beim COBSRA selbst meldeten sich zwischen Mai 1943 und Juni 1945 4.400 Interessenten, hinzu k­ amen Bewerbungen, die an die einzelnen Mitgliederorganisationen gerichtet waren. Nur einer kleinen Anzahl der Bewerberinnen und Bewerber konnte der Wunsch, an einem dieser humanitären Einsätze teilzunehmen, erfüllt werden.180 Die Helferinnen und Helfer wurden nicht unbedingt aus der eigenen Organisation bzw. Glaubensgemeinschaft rekrutiert, aber bei ihrer Auswahl wurde auf eine gewisse ideelle Übereinstimmung geachtet. Die meisten der Helferinnen und Helfer scheinen aus religiösen oder humanitären Überzeugungen an dem Dienst teilgenommen zu haben.181 Die Organisationen vermuteten bei einigen Bewerbern als Motiv zwar auch Abenteuerlust oder die Flucht aus dem Alltag oder vor persönlichen Problemen, bemühten sich aber, die Aufnahme solcher Kandidaten in die Hilfsteams zu vermeiden.182 Nach einer meist mehrmonatigen Vorbereitungszeit in Großbritannien, die in der Regel – wenn auch mit unterschiedlicher Gewichtung in den einzelnen Organisationen – eine psychologische Vorbereitung, medizinische Schulungen, physisches und praktisches Training sowie Sprach- und Landeskundeunterricht umfasste, reisten die Helfer und Helferinnen an ihre Einsatzorte.183 Die Dauer ihres Auslandsdienstes konnte bis zu fünf Jahre betragen. Verpflegung und Unterkunft erhielten die Hilfsteams aus den Mitteln der Besatzungstruppen bzw. der United Nations Relief and Rehabilitation Administration (UNRRA).184 Anstatt einer Bezahlung wurden den Freiwilligen üblicherweise ein Taschengeld sowie Pensions- und Versicherungsbeiträge ausgezahlt, darüber hinaus konnten sie gegebenenfalls Unterstützungsgelder für in Großbritannien zurückgebliebene abhängige Familienangehörige in Anspruch nehmen.185 Quellen über die Hilfsteams selbst, über den sozialen Hintergrund, die Beweggründe oder die persönlichen Erfahrungen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind allgemein spärlich, obwohl viele Helfer ihre Erlebnisse während ihres Dienste sogar in Buchform veröffentlichten.186 Sie betrachteten ihren Einsatz als etwas Außergewöhnliches und rechneten mit dem Interesse der britischen Öffentlichkeit. Doch was sie aufschrieben, handelte in der Regel von der 180 Vgl. Kelber; Steinert, British Humanitarian Assistance, S. 11, S. 14; sowie IVSP Newsletter, [1945 od. 1946] 7, S. 1, SCIIA 30305.3, IVSP GB, Newsletter, Nr. 1, 13 March 1944–April 1947, IVSP Youth Bulletin 1944–1946; beim IVSP gingen 181 Bewerbungen für den Auslandsdienst ein, unter denen zwölf Freiwillige ausgewählt wurden, die im Februar 1944 als erstes Hilfsteam auf den Kontinent reisten, vgl. Best u. Pike, S. 99. 181 Vgl. Frank. 182 Vgl. Brown, S. 12. 183 Annual Report of the international voluntary service for Peace, 1946, SCIIA, 30307; LARSF, FRS/1992/30; sowie Best u. Pike, S. 95; vgl. Steinert, British; ders., Nach Holocaust, S. 27 f.; Brown, S. 15 f. 184 Vgl. Woodbridge, Bd. 2, S. 69. 185 Vgl. Brown, S. 12. 186 Vgl. Eastland; Kelber; McClelland.

63

sie umgebenden Not und von ihren konkreten Bemühungen, dieser Not Abhilfe zu leisten. Die Hilfsbedürftigen standen im Vordergrund ihres Tuns und Strebens und absorbierten die Aufmerksamkeit. Welche Motive die Helferinnen und Helfer zu ihrem Dienst veranlasst hatten oder wie sie die Erfahrungen, die sie während des Dienstes machten, verarbeiteten, erschien demgegenüber als zweitrangig und wenig berichtenswert.187 Aber auch wenn die Helferinnen und Helfer selbst in den Quellen nicht im Mittelpunkt des Interesses stehen, lassen sich einige Informationen über sie herausfiltern. Die Mehrzahl der volunteers war weiblich und im Alter von 20 bis 40 Jahren.188 Der humanitäre Hilfseinsatz war also kein Freiwilligendienst speziell für Jugendliche. Für einen langfristigen unbezahlten Freiwilligendienst war es auch nur schwer möglich, ältere Interessenten zu gewinnen, sei es weil sie eine Familie zu ernähren hatten, sei es weil sie aus anderen Gründen höhere finanzielle Ansprüche stellten.189 Dies bedauerten die Organisationen teilweise, da sie sich für die schwierigen Aufgaben bei der Nothilfe eine größere Anzahl schon erfahrener Kräfte gewünscht hätten, im Allgemeinen aber suchten sie auch selbst vor allem junge belastbare Teilnehmerinnen und Teilnehmer.190 Genaue statistische Daten zur sozialen Herkunft der Freiwilligen liegen nicht vor, aber aus einigen Quellen lässt sich schließen, dass sie sich aus einem breiten Berufsspektrum zusammensetzten, selten allerdings aus der Arbeiterschicht stammten.191 In den Vorbereitungsgruppen für den Auslandsdienst des IVSP etwa fanden sich ein Tischler, ein Landwirt, ein Fabrikmanager, ein Chemiker, ein Fotograf, eine Krankenschwester, eine Hutmacherin, ein Fensterputzer, ein technischer Zeichner, eine Hausfrau sowie jeweils zwei oder drei Büro- und Verwaltungsangestellte, Ingenieure, Lehrer und Studenten.192 Für Angehörige der Arbeiterschicht war es sicherlich aus finanziellen Gründen schwierig, an einem unbezahlten Freiwilligendienst teilzunehmen. Es lässt sich überdies vermuten, dass die Idee eines freiwilligen Hilfsdienstes eher ein Mittelschichtsphänomen war, das sich aus der Tradition der bürgerlichen Wohltätigkeit speiste. Obwohl die britischen Quellen selten darauf eingehen, welchen Nutzen der Dienst für die Freiwilligen selbst hatte, lassen einige ihrer Selbstzeugnisse darauf schließen, dass sie das Gemeinschaftserlebnis des humanitären 187 Dieser Befund gilt für das überlieferte Archivmaterial der Quäker, Methodisten und des SCI ebenso wie für publizierte Quellen. 188 Kelber, S. 23. 189 Den Freiwilligen des Friends Relief Service der Quäker wurden 200–350£ Familien­ beihilfen gezahlt, demgegenüber lagen z. B. die Erwartungen eines 52-jährigen Bewerbers bei 550£, wie aus einem Bewerbungsunterlagen hervorgeht, LARSF, FRS/1992/24. 190 Report from W. R. Huges on the development of friends’ relief help to Germany during the coming winter, LARSF, FSC/GE/18/1. 191 Vgl. Frank, S. 163; Best u. Pike, S. 82. 192 IVSP Newsletter, März 1944, 1, S. 7, S. 12, S. 15, SCIIA, 30305.1. IVS/IVSP News Bulletin, no 1–38, 1934–1947. Vgl. auch die Liste der Freiwilligen bei McClelland, XVIf.; sowie Best u. Pike, S. 87.

64

Einsatzes als wertvolle Lebenserfahrung ansahen. Dass die Hilfseinsätze in Teams abgeleistet wurden, war für die Teilnehmer nicht nur ein Gebot der Effizienz, sondern gehörte zum Wesen des Dienstes. »It has been an unwritten law that volunteers must live and work as a team«, betonten Ethelwyn Best und Bernard Pike vom IVSP.193 Projekte, für welche die staatlichen Auftraggeber keine Möglichkeiten zur Teamarbeit anboten, habe die Organisation daher abgelehnt. Innerhalb der Gruppen sei großer Wert auf ein funktionierendes Gemeinschaftsleben gelegt worden: »All were bent on building a fine community.«194 Das in der deutschen wie in der britischen Diskussion um Arbeitsdienste wichtige Argument, dass sich bei der Zusammenarbeit gesellschaftliche Gegensätze überwinden ließen, griffen auch die humanitären Hilfsorganisationen gern auf. »As in the army, men and women drawn from many walks of life and with very varied cultural and spiritual backgrounds had to make common cause together. And where this integration was – sometimes painfully – achieved, few denied the often profound value of this experience«, urteilten beispielsweise Best und Pike.195 Sie bestätigten hier also den Effekt einer Überwindung der Klassenspaltung, der dem Dienst immer wieder zugeschrieben wurde, blieben allerdings bei dieser recht vagen Andeutung und erläuterten nicht genauer, was für sie den Wert der Gemeinschaftserfahrung ausmachte. Teilten also die britischen Hilfsteams den Wunsch, bei gemeinsamer Arbeit soziale Harmonie zu schaffen, mit den deutschen Arbeitsdienstbefürwortern, so hatte das Gemeinschaftsideal bei ihnen nicht nur eine geringere, sondern auch eine andersgeartete Bedeutung. Das Ziel, die Bereitschaft des Einzelnen zur Unterordnung unter die Gemeinschaft zu fördern, wurde hier nicht formuliert. Die Hochschätzung der Gemeinschaftserfahrung verbanden die britischen Freiwilligendienste vielmehr mit einer demokratischen Überzeugung, die sich auch in der Organisation ihrer Hilfsteams niederschlug.196 Weil das Bekenntnis der­ Helfer zur Demokratie aber als selbstverständlich vorausgesetzt wurde und die demokratische Einstellung damit zwar als Grundlage, nicht jedoch als Ziel der Hilfseinsätze galt, wurde nur selten darüber reflektiert.

1.4 Freiwilligkeit, »freiwillige Unterordnung« oder Pflicht? Der Arbeitsdienstgedanke verbreitete sich transnational, doch vor allem in der Zeit des Nationalsozialismus entwickelten sich die Konzeptionen in Deutschland und Großbritannien in vielen Punkten so stark auseinander, dass sie sich 193 Ebd., S. 94. 194 Ebd., S. 95. 195 Ebd., S. 82. 196 Barker, S. 92, spricht von »democratic ideas« des Dienstes; Steinert, Nach Holocaust, S. 182; Wilson, S. 5–8.

65

in einigen Aspekten einem Vergleich entziehen. Aufgrund der Tatsache allerdings, dass sie gemeinsame Ursprünge hatten und sich im Verlauf des 20. Jahrhunderts konzeptionell auch wieder aufeinander zu bewegten, wird hier die Diskussion um die Frage, ob Arbeitsdienste auf freiwilliger oder verpflichtender Basis stattfinden sollten, für beide Länder zwar nacheinander, aber doch in einem gemeinsamen Abschnitt behandelt. Als Tertium Comparationis dient hier die Diskussion um die Einführung dem Gemeinwesen gewidmeter Arbeitsdienste für die Jugend. Der Blick auf die Anfänge des Arbeitsdienstgedankens zeigt, dass er zunächst vor allem in Form eines Pflichtdienstes – speziell als weibliche Komplementärinstitution zur Wehrpflicht – gedacht wurde. Doch wie auch für die Wehrverfassung lag der Gedanke an einen Freiwilligendienst als Alternative zur Pflicht von Anbeginn an nicht fern. Das manifestierte sich schon an dem ersten Arbeitsdienstvorschlag von Theresia Cabarrus im ausgehenden 18. Jahrhundert. Wenngleich der Salonière ein Pflichtdienst in Analogie zur Wehrpflicht vorschwebte, ist ihre Initiative auch im Kontext des freiwilligen karitativen Engage­ments zu sehen, mit dem viele Frauen in der Zeit der Revolutionskriege einen patriotischen Beitrag zu leisten bestrebt waren. Freiwilligkeit stand im revolutionären Frankreich hoch im Kurs, vor allem die Kriegsfreiwilligkeit: In den ersten Revolutionsjahren hatte Frankreich seine Armee allein aus Freiwilligen rekrutiert, in der hoffnungsvollen Annahme, dass diese, weil sie aus Überzeugung heraus kämpften, verlässlichere und engagiertere Soldaten seien als Söldner, die lediglich für Geld kämpften.197 Obwohl sich aufgrund des andauernden Kriegszustandes das Reservoir an Freiwilligen bald erschöpfte und Frankreich daher 1793 die Wehrpflicht einführte, lebte der Mythos der Freiwilligen der ersten Revolutionskriege fort. Als der Nationalismus im 19. Jahrhundert an Stärke gewann, wurde die patriotische Kriegsfreiwilligkeit in ganz Europa zu einem hoch geschätzten Ideal.198 Sie galt als höchster Ausdruck nationaler Gesinnung. Patriotische Freiwilligendienste im zivilen Sektor, die ebenfalls ein transnationales Phänomen darstellten, sollten Frauen einen Ersatz für diese Möglichkeit liefern, die Zugehörigkeit zur nationalen Gemeinschaft zu bezeugen. In der Tat enthielt auch Cabarrus’ Vorschlag insofern gewissermaßen ein Element der Freiwilligkeit, als er von einer Frau unterbreitet wurde. Die zum Zeitpunkt ihrer Petition selbst erst 20-jährige Cabarrus hob dieses Element der Freiwilligkeit noch hervor, indem sie anbot, zu den ersten jungen Frauen zu gehören, die diesen Dienst ableisten sollten.199 Da die Anhängerinnen und Anhänger des Arbeitsdienstes in Deutschland den weiblichen Arbeitsdienst zunächst wie Cabarrus in Komplementarität zum Militärdienst dachten, lag für sie der Gedanke an einen Pflichtdienst näher.­ Ersatz- oder übergangsweise plädierten sie jedoch ebenfalls teilweise für freiwillige Frauendienste. Die Frage, ob diese als Pflicht- oder als Freiwilligendienste 197 Vgl. Hippler. 198 Vgl. Krüger u. Levsen, Introduction. 199 Cabarrús, S. 126.

66

sinnvoller seien, rückte seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert in Deutschland desto stärker in den Blick, je intensiver die Diskussion um die Einführung eines Arbeitsdienstes geführt wurde. Die Pflichtdienstforderungen konnten sich allerdings bis 1935 nicht durchsetzen. Argumente gegen eine Arbeitsdienstpflicht waren nicht nur wirtschaftlicher oder praktischer Art.  Die Pflichtdienstgegner beriefen sich darüber hinaus auf Grundsatzüberlegungen. Diese waren in der Regel pädagogischer Natur: Abgelehnt wurde ein Pflichtdienst vor allem aus der reformpädagogisch orientierten Überzeugung heraus, dass nur die aus­ eigenem Antrieb unternommene »Selbsterziehung« einen wirklichen Erfolg bringen könne. Das galt für viele Gegner der Pflichtdienstforderung insbesondere dann, wenn – wie dies etwa als Ziel der Arbeitslager firmierte – zur »freiwilligen H ­ ingabe« erzogen werden sollte.200 In dieser Stoßrichtung argumentierte der Geschäftsführer des evangelischen Kirchlich-Sozialen Bundes Herbert Jagow 1931: Die Freiwilligkeit weise »den erzieherischen Wert« auf, den Teilnehmern eine neue »arbeitsethische Haltung« nahezubringen und sie von einer rein »materiell-wirtschaftlichen Wertung der Arbeit (Arbeit-Lohn)« abzubringen.201 Nur ein freiwilliger Dienst könne sie zur Erkenntnis führen, dass »Arbeit ihren Sinn nach christlicher Auffassung in der schöpfungsmäßigen Bestimmung des Menschen trägt«. Auch bei Jagow stand hinter dem Beharren auf der Wichtigkeit des rechten Arbeitsethos wieder die Hoffnung, damit den Klassengegensatz zu überwinden: »Die Freiwilligkeit erleichtert in einem weltanschaulich uneinigen Volk die Bildung von Gemeinschaftsgruppen, die aus einer Gesinnung heraus leben und handeln«, hieß es in dem Text weiter. Der Klassenkampf, auf den sich der Autor hier bezog, ließ sich also in seinen Augen letztlich am ehesten auf der Grundlage einer freien Willensentscheidung beenden. Die Frage, ob Freiwilligkeit oder Pflicht, wurde in der Weimarer Republik nur selten explizit in Zusammenhang mit der Diskussion über Regierungssysteme oder demokratische Prinzipien gebracht. Es wäre daher verfehlt, die Befürwortung der Freiwilligkeit zwingend mit dem Ideal eines emanzipierten, demokratisch gesinnten Staatsbürgers gleichzusetzen. Zu oft erhofften sich die Fürsprecher eines Arbeitsdienstes auf freiwilliger Basis als eines ihrer wichtigs­ten Ziele die Erziehung zu »freiwilliger Unterordnung«.202 Auch Rosenstock-Huessy, der ja die schlesischen Lager dezidiert demokratisch zu gestalten suchte, begründete in dem von ihm mitherausgegebenen Erfahrungsbericht »Das Arbeitslager« die Notwendigkeit der Freiwilligkeit bei der Teilnahme an A ­ rbeitsdiensten nicht damit, dass er diese als Wesensmerkmal der Demokratie für unerlässlich hielt. Er propagierte zwar die »demokratische Selbst­ 200 Ballerstedt, S. 155, S. 159, vgl. ähnlich Finck, S. 38; vgl. außerdem die pädagogische Dis­ sertation aus dem Jahr 1929, welche diese Überzeugung als Teil einer »Wende zum Voluntarismus« beschreibt, Hentze. 201 Jagow, S. 20. 202 Diese Formel wurde bis in die nationalsozialistische Zeit immer wieder verwendet, vgl.­ Illian, S. 78; Dudek, S. 90.

67

verwaltung«, weil sie in seinen Augen die freiwillige Übernahme von Verantwortung für das Gemeinwesen fördere.203 Den Umkehrschluss, dass auch die Demokratie der Freiwilligkeit bedürfe, zog er hier indes nicht explizit. Die Notwendigkeit freiwilliger staatsbürgerlicher Partizipation begründete er vielmehr auf anderem Wege: Die moderne staatliche Bürokratie sei zu einer Übermacht emporgewachsen. »Wir haben zuviel Gesetze, nicht zu wenig«, schrieb Rosenstock-Huessy 1931, das »Gleich­gewicht zwischen Staat und Volkskraft ist gestört«.204 Dies habe schwerwiegende Folgen für die Eigeninitiative der Bürger: »Eine Erstarrung zum Nichtsalsstaat hat uns befallen und lähmt den Staat ebensosehr wie das Volk«, diagnostizierte er weiter. Die Freiwilligkeit sollte demnach zwar Partizipation anspornen und dem Wohlergehen der Nation dienen, dieses Ziel wurde aber zunächst nicht mit der Regierungsform in Zusammenhang gebracht. Freiwilligkeit galt als Ausdruck des Idealismus, der im frühen 20. Jahrhundert üblicherweise mit einem starken Nationalismus einherging.205 Die Ausnahme der friedensorientierten internationalen Workcampbewegung, die sich explizit davon absetzte, bestätigt diese Regel. In der Weimarer Republik behielten die Gegner des Pflichtdienstgedankens die Oberhand. Dessen Anhänger standen mit ihrer Forderung ganz offensichtlich unter Rechtfertigungsdruck. Zunächst mussten sie generell die Notwendigkeit der Einführung einer neuen staatlichen Pflicht begründen. Um die Berechtigung einer Dienstpflicht zu untermauern, stellten sie diese gemeinhin in eine Reihe mit der Schul- sowie der Militärpflicht, beriefen sich also auf die Existenz bestimmter Staatsbürgerpflichten, vor allem aber auf den staatlichen Erziehungsauftrag.206 Während sich die Staatsbürgerpflichten für Frauen mit der Analogie zum Wehrdienst begründen ließen, fiel es schwerer, auch einen männlichen Arbeitsdienst in den Katalog der Staatsbürgerpflichten aufzunehmen. Daher rekurrierten die Pflichtdienstanhänger als Begründung eher auf den staatlichen Erziehungsauftrag. Diesen sahen sie in der Schule allein noch nicht erfüllt, da die Schulbildung zu sehr auf die Berufslaufbahn und damit auf individuelle Ziele ausgerichtet sei und »über dem ›Individuum‹ die Gemeinschaft und die zu schaffende Einheit« vergesse, also die Gemeinschaftserziehung vernachlässige.207 Noch bei einem zweiten Punkt sahen sich die Befürworter der Einführung eines Pflichtdienstes in der Defensive: Es gelang ihnen nur schwer, das Argument zu entkräften, dass eine Gemeinschaftsorientierung sich nicht erzwingen lasse, sondern nur Bestand haben könne, wenn sie aus eigenem Antrieb 203 Rosenstock-Huessy, Arbeitslager, S. 154; vgl. hierzu zum ähnlich verstandenen Selbstverwaltungsgedanken des Kreisauer Kreises Mommsen, Gesellschaftsbild, S. 63–74. 204 Rosenstock-Huessy, Arbeitslager, S. 156. 205 Die Wertschätzung der Freiwilligkeit der friedensbewegten Arbeitslagerbewegung bestätigt dies als Ausnahme, da es ihr Ziel war, gerade einen Ersatz für diesen nationalistischen Idealismus zu finden. 206 Z. B. Hierl, Ausgewählte Schriften, Bd. 2, S. 19 f. 207 Kallsperger, S. 11.

68

erfolge. Denn auch Verfechterinnen und Verfechter des Pflichtdienstes widersprachen in der Regel nicht der Vorstellung, dass das Ideal sei, die Jugend zu »freiwilliger Unterordnung« zu erziehen.208 Als Mittel allerdings, um zu diesem Ideal hinzuführen, erschien ihnen Freiwilligkeit dennoch als unzweckmäßig. So argumentierten 1916 Lotte Willich und Martha Haushofer, die Frau des bekannten Militärs und Geopolitikers Karl Haushofer, Ziel sei es, mit der weiblichen Arbeitsdienstpflicht die Vorstellung durchzusetzen, »daß Vaterlandsdienst auch für uns Frauen nicht ein von außen her auferlegtes Müssen ist, sondern ein von innen gebotenes Sollen, daß dieses Sollen vom eigenen Willen gestützt wird, und so die Pflicht nicht nur unter einem Zwang von außen, sondern auch unter einem Drang von innen geschieht«.209 Dass darin kein Widerspruch liege, bemühten sie sich mit dem Hinweis auf die Militärpflicht zu belegen, bei der sich in ihren Augen ebenfalls ein äußerer Zwang in einen inneren verwandle.210 Die Rechtfertigungsnöte angesichts der Einführung des Pflichtdienstes waren auch im Nationalsozialismus noch spürbar. Die Argumentation änderte sich hier kaum. »Jedes wirkliche Dienen muß aus einem selbstgesetzten Zwang heraus geschehen, es ist an sich mit dem Begriff eines von außen herangetretenen Zwanges unvereinbar«, glaubte etwa die Autorin einer 1935 publizierten rechtswissenschaftlichen Dissertation über den weiblichen Arbeitsdienst.211 Dennoch sei zunächst aus erzieherischen Gründen eine »Arbeitsdienstpflicht als äußerer Zwang« unumgänglich. Sie müsse aber dazu führen, »die Ideen des Nationalsozialismus in den Menschen so lebendig zu machen, daß ihnen das freiwillige Dienen zu einer Selbstverständlichkeit« und damit schließlich ebenfalls »der äußere Zwang durch die geleistete Erziehung überflüssig« werde.212 Gerade auch die Diktatur bedurfte für ihre Selbstrechtfertigung des Ideals der Freiwilligkeit, mit dem freilich oftmals Zwang kaschiert wurde. Der Nationalsozialismus überhöhte die eigenen Ziele ideologisch, um Repressionsmaßnahmen unter Verweis auf den hohen Zweck legitim erscheinen zu lassen. Auch die Forderung nach Idealismus diente diesem Zweck. Im Nationalsozialismus wurde immer wieder vehement an die Opferbereitschaft für die »Volksgemeinschaft« appelliert. Freiwilligkeit wurde zur »Blüte und Krone der Disziplin« erklärt, »die Freiwilligkeit des Dienens« als »das höchste Gesetz des Natio­nal­ sozia­lis­mus« gepriesen.213 Vor allem stand der Wert der Kriegsfreiwilligkeit hoch im Kurs. Aber das nationalsozialistische Lob der freiwilligen Einsatzbereitschaft beschränkte sich nicht auf diese und wurde etwa auch für den weiblichen Arbeitsdienst in Anspruch genommen, obgleich die »Arbeitsmaiden« ja 208 So die Formulierung der Wirtschaftspartei, zitiert nach Illian, S. 178 f. 209 Haushofer u. Willich, S. 28. 210 Ebd. 211 Herwig, S. 13. 212 Ebd. 213 Graff, S. 50; Bayer, S. 31.

69

in ihrer großen Mehrheit aufgrund staatlicher Vorgaben teilnahmen. 1939 behauptete etwa die Autorin einer Dissertation zum weiblichen Arbeitsdienst, die »weibliche Jugend obwohl jetzt überall gebraucht, strömt freiwillig in so großer Zahl zu den Meldestellen, daß nicht alle aufgenommen werden können!«214 Für die deutsche Diskussion um Freiwilligkeit oder Pflicht standen bis 1945 die erzieherischen Ziele im Vordergrund, welche die Arbeitsdienstdebatte in Deutschland allgemein beherrschten. In Großbritannien verortete sich die Frage in einem etwas anderen Kontext und die dortige Diskussion unterschied sich in vielen Punkten von der deutschen. Eine Gemeinsamkeit ist sicherlich, dass die Debatte auch hier in einem engen Zusammenhang mit der Wehrverfassung und vor allem mit der anhaltenden Diskussion über die Wehrpflicht stand. Dass sie in Großbritannien nicht etabliert war und nur jeweils während der beiden Weltkriege vorübergehend eingeführt wurde, war in den Augen vieler Briten Ausdruck der eigenen als Nationaltugend angesehenen Liberalität. Der liberale Schriftsteller und Journalist Philip Gibbs z. B., der 1934 Deutschland bereiste, überlegte mit Blick auf den nationalsozialistischen Arbeitsdienst, ob sich ein solcher auch in Großbritannien einführen lasse. Den Hauptzweck eines Arbeitsdienstes sah er offenbar in dessen disziplinierender Funktion: »[…] our tradition of ›liberty‹ does not allow us to conscript youth, even to rescue them from vice, and a criminal way of life, and the loss of their souls. Perhaps we make fetish sometimes of liberty and worship and illusion …?«215 Denn was gelte eine Freiheit, die nur Verzweiflung und Kriminalität hervorrufe, fragte er weiter. Andere Autoren hoben neben pädagogischen auch wehrpolitische Wirkungen hervor, die sie einem Arbeitsdienst zuschrieben. Ein Leserbrief an die »Times« etwa empfahl etwa ein Jahr vor Beginn des Zweiten Weltkrieges – aber schon in einem kriegerisch aufgeheizten europäischen Klima – einen Pflichtdienst für alle Jugendlichen beiderlei Geschlechts, der gleichermaßen militärische und zivile Inhalte haben sollte.216 Die meisten britischen Befürworter eines Arbeitsdienstes plädierten allerdings dafür, einen solchen auf freiwilliger Basis einzurichten, ähnlich wie in Großbritannien auch die Wehrpflicht in den vierziger und fünfziger Jahren zwar nicht von allen, aber doch von einer breiten Mehrheit als kriegsbedingte Notmaßnahme angesehen wurde.217 Tatsächlich berief man sich in dieser Diskussion oft darauf, dass Freiwilligkeit eine britische Nationaltugend sei.218 Es ist ebenfalls aus der Diskussion über Wehrpflicht und Kriegsdienst heraus zu erklären, dass auch die humanitären Hilfsteams der Freiwilligkeit eine überaus große Rolle zumaßen. Sie war ein zentrales und immer wieder hervorgehobenes Element ihrer Selbstdefinition. Was in den Augen der Hilfsorgani214 Kallsperger, S. 22. 215 Zitiert nach Schwarz, Reise, S. 232. 216 G. Shee, Measures for defence. National service, in: The Times, 21. Okt. 1938, S. 10. 217 Vgl. Crowson. 218 Vgl. ebd., S. 210.

70

sationen die Freiwilligkeit ausmachte, waren vor allem die innere Einstellung und die persönlichen Motive für die Arbeit. So argumentierten sie auch, wenn sie die Helfer und Helferinnen als »volunteers« bezeichneten, obwohl sie als Wehrdienstverweigerer mit ihrem Einsatz einen Ersatzdienst ableisteten, also einer staatlichen Verpflichtung nachkamen.219 Denn viele, wenn auch nicht die Mehrzahl der Helferinnen und Helfer waren Wehrdienstverweigerer bzw. – da in Großbritannien seit Dezember 1941 auch alleinstehende junge Frauen zu Aufgaben im Bereich von Women’s Auxiliary Services, Civil Defence oder Industrie einberufen wurden  – Wehrdienstverweigererinnen.220 Je nach ihren Motiven und der Entscheidung des Tribunals, das über die Verweigerung entschied, konnten britische Wehrdienstverweigerer zu einem Ersatzdienst verpflichtet oder gänzlich freigestellt werden.221 Vor allem bei denjenigen, die bedingungslos freigestellt wurden, kam als Motiv für ihren Freiwilligeneinsatz der Wunsch hinzu, Anerkennung zu finden. Die Kriegssituation forderte zur moralischen Aufwertung der zivilen Freiwilligenarbeit heraus: Junge Männer, die in Großbritannien während des Krieges nicht als Soldat dienten, galten in den Augen vieler als »Drückeberger« und standen gesellschaftlich unter starkem Legitimationsdruck. Grigor McClelland etwa, der als Quäker aus seiner religiösen Überzeugung heraus den Wehrdienst verweigert hatte und in einem der Teams diente, gestand in seinem fünfzig Jahre später veröffentlichten Tagebuch, dass er sich für den Auslandsaufenthalt entschied, »partly believing that it was to serve a greater need, but partly because it was a more comfortable place for a Conchie in war-time.«222 Insbesondere die Quäker und der IVSP, die als Organisationen eine pazifistische Grundhaltung vertraten und dementsprechend viele Wehrdienstverweigerer anzogen, betonten immer wieder, dass die Helfer ihren Dienst aus freiem Willen und nicht allein aufgrund der staatlichen Vorgabe leisteten. Die Bereitschaft, harte Arbeit zu verrichten, sollte den Dienst als Äquivalent zum Militärdienst erscheinen lassen. »The workers there are living the hard life of labouring men working side by side – navvying work of a difficult kind – and they get no payment at all excepting their board and lodging, so that there is no question of their taking up work of that kind from any mercenary motives; it would be from a real desire to serve«,

219 Vgl. Frank, S. 163. Großbritannien hatte als erstes Land bereits im Ersten Weltkrieg das Recht auf Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen eingeführt. Für die Zeit des Zweiten Weltkrieges vgl. allgemein Barker; speziell zu Wehrdienstverweigererinnen vgl. Nicholson. 220 Zur Einberufung von Frauen vgl. Holloway, S. 163–169. 221 Da die Quellen nur selten zwischen Ersatzdienstleistenden und anderen, nicht staatlich verpflichteten Helferinnen und Helfern differenzieren, kann diese Unterscheidung auch im Folgenden nicht getroffen werden. 222 McClelland, S. 163; das Diminutiv »Conchie« steht für »concientious objector«. McClelland war in dieser Zeit noch Student, er ist später durch die Gründung der Manchster Law School bekannt geworden.

71

formulierte der pazifistische Parlamentsabgeordnete der Combined English Universities Thomas Edmund Harvey 1939 während einer Debatte im House of Commons die seiner Meinung nach notwendigen Bedingungen für die Anerkennung einer Arbeit als Wehrersatzdienst.223 Die Freiwilligen beriefen sich gern darauf.224 Der Legitimationsdruck wuchs mit dem zunehmenden Wissen über das Ausmaß der nationalsozialistischen Gräueltaten, die auch immer mehr Pazifisten daran zweifeln ließen, ob der nationalsozialistischen Herrschaft ohne ein militärisches Eingreifen ein Ende zu bereiten sei.225 In dieser Situation sah es der IVSP mit Genugtuung, dass ihm von staatlicher Seite zugestanden wurde, Ersatzdienste in Aufforstungsprojekten abzuleisten: »Here at any rate was the very opportunity for which many in the movement had longed  – a chance to obtain recognition by a Government.«226 In der Öffentlichkeit blieb es allerdings schwierig, die erwünschte Anerkennung zu finden. So klagte eine Wehrdienstverweigererin: »It was painful to think that we were now being, to whatever extent, ostracised and felt to be a part of the community that wasn’t doing its share. We had always felt we had done more than our share and a bit more, and that we had done it voluntarily, without being conscripted and coerced.«227

Neben der Abgrenzung gegenüber Konskription und Zwang gab es in den Augen der Hilfsteams noch ein weiteres wichtiges Kriterium für die Definition von Freiwilligkeit, und zwar die Unentgeltlichkeit der Arbeit.228 Zum einen hofften sie, damit bei den Hilfsempfängern, die selbst in der Regel nichts besaßen und kein Einkommen hatten, auf größere Akzeptanz zu stoßen.229 Zum anderen sahen viele der britischen Freiwilligenorganisationen unbezahlte, aus freiem Willen verrichtete Arbeit im humanitären Einsatz als höherwertig an als bezahlte Erwerbsarbeit: Sie galt als »service«. Als »volunteers« grenzten sich die Freiwilligen von den regulär bezahlten Mitarbeitern der UNRRA ab, die in ihrer Sicht vielfach bloße »Karrieristen« waren.230 Freiwillige des IVSP, die während des Krieges vor Beginn der Auslandseinsätze in Großbritannien bei Aufforstungsprojekten, bei der Trümmerbeseitigung und der Versorgung von 223 Parliamentary Debates, 18. Mai 1939, cc 1662 f. Harvey war lange Jahre stark in der Settlementbewegung engagiert, unter anderem als Warden von Toynbee Hall von 1906 bis 1911. 224 Vgl. Best u. Pike, S. 9. 225 Vgl. Ceadel, S. 310. 226 Best u. Pike, S. 84. 227 British Library Sound Archive, C880/09, zitiert nach Nicholson, S. 423. 228 Vgl. Kelber, S. 56; Eastland, S. 13; Frank, S. 163; Brown, S. 12. 229 Vgl. Brown, S. 13. 230 Zitiert nach Nicholson, S. 423; vgl. Barker, S. 50; Eastland, S. 18, S. 28 f., S. 33. Die UNRRA verfolgte als Richtlinie, ihre Mitarbeiter auf einem »sufficiently high level« zu besolden, da sie davon ausging, auf diese Weise »the best people available« zu gewinnen, Woodbridge, Bd. 1, S. 238.

72

Ausgebombten mitarbeiteten, gaben die ihnen dort bezahlten Löhne an ihre Organisation ab. Das Geld wurde später dazu verwendet, die Auslandseinsätze mit zu finanzieren.231 Trotzdem definierte die Organisation Freiwilligkeit hier nicht über den Lohnverzicht: »The full meaning of ›Volunteer‹ did not, therefore, refer to the reception or non-­ reception by the movement of payment, but depended upon whether, despite such acceptance of wages,  a real spirit of service to the community could be developed through work chosen by the volunteer, even though the field of choice was limited.«232

Der Historiker Matthew Frank hat argumentiert, es sei den Freiwilligen der internationalen Hilfseinsätze wichtiger gewesen, »voluntary spirit« zu beweisen und dadurch wahre »Britishness« zu verkörpern als tatsächlich Nothilfe zu leisten, da diese oftmals nur unzureichende und enttäuschende Ergebnisse hervorgebracht habe.233 Diese Wertung ist sicherlich übertrieben, denn wie gezeigt, maßen die britischen Helfer ihrem Wirken in der Notsituation einen hohen Stellenwert bei. Trotzdem stimmt es, dass der »voluntary spirit« einen elementaren Teil des nationalen Selbstbildes darstellte und dass das freiwillige humanitäre Engagement auch als Ausdruck des britischen Nationalcharakters gedeutet wurde. Den Freiwilligen und den Organisationen ging es aber gleichzeitig darum, zu untermauern, dass sich nationale und internationale Ziele nicht widersprachen. Daher hoben sie immer wieder hervor, dass sie der britischen Nation dienen und zu »prestige and influence of Britain« beitragen wollten.234 Diese Deutung war ebenfalls insbesondere für die Wehrersatzdienstleistenden attraktiv, weil sie ihren Dienst als nationale Tat aufwertete. Die Organisationen unterschieden allerdings üblicherweise deutlich zwischen Nation und Staat und legten großen Wert darauf, dass sie ihren Dienst unabhängig von staatlichen Vorgaben absolvierten. Diese Distanzierung von der staatlichen Autorität entsprach einerseits ebenfalls der Argumentationslinie der Wehrdienstverweigerer, die, vor allem wenn sie aus dem Umfeld der Quäker kamen, ihre Gewissensfreiheit dem Staat gegenüber betonten. Sie entsprach andererseits einer langen Tradition britischer Freiwilligenorganisationen.235 Sie sahen den Staat in der Regel eher als Konkurrenten denn als Kooperationspartner. Staatliches Eingreifen nahmen sie als Bedrohung ihrer Eigenständigkeit wahr, und Unabhängigkeit gehörte für sie zu den Merkmalen des Freiwilligensektors, die dessen Existenzberechtigung ausmachten. Durch die besonderen Umstände des Krieges wurde diese Abwehrhaltung noch verstärkt: Viele der Freiwilligen der humanitären Hilfsdienste trugen die vorgeschriebenen ­Militäruniform nur 231 Best u. Pike, S. 84, S. 86, S. 99, S. 105. 232 Ebd., S. 86. 233 Vgl. Frank, S. 174. 234 R. Law, Good Samaritans. British relief societies’ work in Germany. Charity and inspiration, in: The Times, 29. März 1947; vgl. Steinert, Nach Holocaust, S. 181. 235 Vgl. Finlayson, Citizen.

73

wider Willen, weil diese sie als Repräsentanten der Besatzungsmacht auftreten ließ und somit bei der deutschen Bevölkerung ihre Neutralität in Frage stellte.236 Aufgrund der stärkeren pädagogischen Ausrichtung der deutschen Arbeitsdienstkonzeption sowie aufgrund der verschiedenen Wehrverfassungen in beiden Ländern und den dahinter stehenden philosophischen und staatsrechtlichen Traditionen wurde der Gedanke eines Pflichtdienstes in Deutschland eher gefordert und akzeptiert als in Großbritannien, wo er zwar ebenfalls einige Anhänger hatte, aber keine ernsthafte Diskussion entfachen konnte. Wenngleich – wie der Blick auf ihre Anfänge seit der Französischen Revolution zeigt – die Debatte um Freiwilligkeit oder Pflicht immer auch im Kontext der Debatte um die Wehrverfassung zu interpretieren ist, stand bei dem Ideal der Freiwilligkeit für die Arbeitsdienste um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert eine andere Bedeutung im Vordergrund. Kriegsfreiwilligkeit wurde gemeinhin als Ausdruck des Idealismus und einer bis zur Aufopferungsbereitschaft reichenden Gemeinwohlorientierung gedeutet und für einen idealen männlichen Staatsbürger vorausgesetzt. Doch für die Arbeitsdienste in Deutschland war diese Vorstellung deutlich weniger zentral und findet sich allenfalls bei kirchengebundenen Arbeitsdienstbefürwortern. Für das Gros der Arbeitsdienstprojekte wurde Freiwilligkeit nur noch indirekt auf ihren Nutzen für die Allge­ meinheit bezogen. Sowohl in der Arbeitslagerbewegung als auch bei den in den dreißiger Jahren eingerichteten längerfristigen Arbeitsdiensten wurde sie vor allem aus pädagogischen Gründen hochgeschätzt. In den Augen derjenigen, die das Prinzip der Freiwilligkeit propagierten, war freiwillige Partizipation außerhalb des Militärs daher nicht zwangsläufig ein eigenständiges Bestreben. Allein für weibliche Arbeitsdienste wurde die Stärkung eines auf die Allgemeinheit ausgerichteten Engagements zu einem zentralen Ziel erklärt, doch um es zu erreichen, forderte man für sie in der Regel einen Pflichtdienst. In Großbritannien blieb der Konnex zwischen Freiwilligkeit und Gemeinwohlorientierung für die humanitären Helfer stärker, weil ihr Dienst in noch engerem Bezug zum Militärdienst stand, für den er einen Ersatz darstellen sollte. Dennoch wurde auch hier in der verbreiteten Vorstellung von citizenship die Bereitschaft zur freiwilligen Partizipation vor allem in Notsituationen eingefordert. Die humanitären Einsätze der britischen Freiwilligen blieben in ihrem Zuschnitt denn auch ein auf das unmittelbare Nachkriegselend bezogener Noteinsatz, der Ende der vierziger Jahre auslief. Bis zur Abschaffung der Wehrpflicht Anfang der 1960er Jahre mussten zwar Wehrdienstverweigerer weiterhin einen Zivildienst ableisten. Freiwilligenarbeit aber wurde im Großbritannien der fünfziger Jahre nur noch als Nebenbeschäftigung in der Freizeit verrichtet.

236 Barker, S. 150. Ist das starke Streben nach Unabhängigkeit vom Staat allgemein ein Merkmal britischer Freiwilligenorganisationen, so wurde es im besetzten Deutschland noch­ dadurch verstärkt, dass die humanitären Helfer der christlichen und friedensorientierten­ Organisationen nicht als ehemalige Kriegsgegner und Besatzer gesehen werden wollten.

74

Zwischenfazit Der Arbeitsdienstgedanke entstand in Analogie zum Militärdienst. Da es im Vereinigten Königreich keine allgemeine Militärpflicht gab, erklärt es sich, weshalb er hier bis 1945 sehr viel weniger verbreitet war als in Deutschland. Vor allem für die Forderung nach weiblichen Arbeitsdiensten gab es in Großbritannien keinerlei Grundlage. Die Idee eines männlichen Arbeitsdienstes fand hingegen auch hier zahlreiche Fürsprecher. Arbeitsdienste und Arbeitslager wurden als Ansatz zur Lösung dringender Zeitprobleme angesehen, die in beiden Ländern die politische Tagesordnung bestimmten. Hauptziel war bei fast allen Arbeitsdienstkonzepten die Erziehung zur Gemeinschaft, die viele Zeitgenossen nicht mehr allein den Familien oder Kirchen überlassen wollten, sondern als Aufgabe des Staates oder der Nation ansahen. Als eine der größten Gefahren für den gesellschaftlichen Zusammenhalt wurde in Deutschland wie in Großbritannien bis in die zwanziger Jahre hinein der Klassenkampf angesehen. Zentral war daher für die allermeisten Arbeitsdienste vor allem die Hoffnung, durch die gemeinsam verbrachte Arbeit und Freizeit in den Lagern soziale Harmonie zu fördern: Die Fähigkeit zum sozialen Ausgleich hielt man für eine unverzichtbare, jedoch in den übrigen traditionellen Erziehungsfeldern zu schwach ausgebildete Fähigkeit des idealen »Staatsbürgers« oder »Volksgenossen« bzw. des »good citizen«. In beiden Ländern teilten Arbeitsdienstbefürworter neben der Gemeinschaftsbildung und dem Klassenausgleich noch andere – damit indes teilweise zusammenhängende – Zielsetzungen. Vor allem die Überwindung der Arbeitslosigkeit und die Eindämmung möglicherweise aus ihr hervorgehender sozialer Unruhen waren hier zentral. Die Erwerbslosigkeit galt weithin als moralische und damit gesellschaftliche Gefahr, da einem geregelten Arbeitsalltag zahlreiche disziplinierende Funktionen zugeschrieben wurden. Das Idealbild des männlichen Staatsbürgers, das mit solchen Vorstellungen einherging, definierte dessen Aufgaben zumeist in erster Linie über die Erwerbstätigkeit. Für sie sollte der Freiwilligendienst in Zeiten, in denen es an regulären Arbeitsplätzen mangelte, Ersatz schaffen. Zum Teil erklärten die Fürsprecher eines Arbeitsdienstes diesen zu einer – zumindest moralischen – Pflicht, die sich gewissermaßen als Gegenleistung aus dem Anspruch auf staatliche Sozialhilfe und speziell die Arbeitslosenhilfe ergab. Die recht allgemeinen Zielsetzungen des Arbeitslagergedankens bescherten ihm ein breites Spektrum an Anhängern. Es umfasste in Großbritannien wie in Deutschland sehr unterschiedliche politische und weltanschauliche Schattierungen. Eine von den oben genannten Motiven stark abweichende Zielsetzung hatten dabei allein die Lager der Workcampbewegung, die nicht in erster Linie den in der Regel national gedachten sozialen Zusammenhalt, sondern den internationalen Frieden fördern sollten. Ein wichtiger Unterschied zwischen der britischen und der deutschen Arbeitsdienstdiskussion lag in dem Stellenwert, welcher der Freiwilligkeit zukam. 75

Das Element der Freiwilligkeit spielte auf deutscher Seite eine untergeordnete Rolle. Dies galt auch für den Freiwilligen Arbeitsdienst in der Weimarer Republik und es half den Nationalsozialisten später dabei, den Dienst in einen Pflichtdienst umzuwandeln. In Großbritannien hingegen war der viel beschworene »voluntary spirit« Teil  der nationalen Selbstdefinition. Die in Deutschland verbreitete Überzeugung, der Staat habe ein Recht darauf, die Staatsbürger einer Erziehung zur Gemeinschaft zu unterwerfen, fand hier sehr viel weniger Zuspruch. Trotzdem überwogen in der deutschen und britischen Arbeitslagerbewegung bis in die dreißiger Jahre hinein die Gemeinsamkeiten gegenüber den eher graduellen Abweichungen. Der Nationalsozialismus sowie die Assoziation des Arbeitsdienstgedankens mit diesem verstärkten die nationalen Unterschiede jedoch dramatisch. Während der Arbeitsdienstgedanke in Deutschland seiner Pluralität beraubt wurde und zu einer totalen Disziplinierungsinstitution wurde, verlor er vor allem nach Kriegsbeginn in Großbritannien viele Sympathien. Dass gleichzeitig die Arbeitslosigkeit verschwand, nahm dem Arbeitsdienstgedanken hier schließlich die letzte verbleibende Attraktivität: Im Nachkriegsjahrzehnt wurde die Einführung von Arbeitsdiensten nicht mehr diskutiert. Auch die friedensorientierte Variante des Arbeitsdienstgedankens lebte im Vereinigten Königreich nach der Beendigung der humanitären Hilfseinsätze der unmittelbaren Nachkriegszeit nur noch in Form von Ferienworkcamps fort. Just über diese gelangte sie bald auch wieder nach Deutschland.

76

2. Der Arbeitsdienstgedanke im ersten Nachkriegsjahrzehnt

Das Ende des Zweiten Weltkrieges führte in Deutschland wie in Großbritan­nien zur Revision von Gesellschaftsbildern und zur Neuverhandlung des als ideal angesehenen Verhältnisses von Individuum und Allgemeinheit, wenn auch aus ganz unterschiedlichen Gründen. In Deutschland stellte der Zusammenbruch des nationalsozialistischen Regimes das Werte- und Normensystem massiv in Frage. In Großbritannien hatten die Kriegsanstrengungen eine Diskussion über die gesellschaftliche Ordnung und den Zusammenhalt der Gesellschaft ein­ geleitet.1 Daraus folgte in den vierziger Jahren schließlich die Einführung des Welfare-Systems, die ebenfalls mit einer Umdefinition des Verhältnisses von Einzelnem und Gemeinwesen einherging. Gleichzeitig war auch der Stellenwert von Freiwilligenarbeit neu zu bestimmen. Dies hatte starke Auswirkungen auf die Weiterentwicklung der Jugenddienste in der Nachkriegszeit, denen sich dieses Kapitel widmet: ihrer Flaute in Großbritannien und ihrem Wiederaufleben in Westdeutschland. In der Geschichtsschreibung zur Bundesrepublik werden die späten vierziger und die frühen fünfziger Jahre zumeist unter der Fragestellung diskutiert, wie der Gesellschaft die politische Transition gelang.2 Während ältere Studien oft die Rückwärtsgewandtheit dieser Zeit betonten, von der sie die sechziger Jahre als »dynamische Zeiten« des Wandels abhoben, verorten einige neuere Arbeiten die Anfänge des Wandels schon in den fünfziger Jahren.3 Diese divergierenden Einschätzungen legen es nahe, differenziert danach zu fragen, in welchen politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Feldern sich grundlegende Veränderungen bemerkbar machten oder aber eher gebremst wurden, und wie sie sich genau vollzogen. Hier setzt die Untersuchung der Jugenddienste an. Im folgenden Kapitel wird analysiert, in welcher Form und mit welchem Erfolg sie in der Nachkriegszeit in Westdeutschland eingerichtet wurden. Darüber hinaus wird der Frage nachgegangen, wer, weshalb und wie in dieser Zeit über freiwillige Arbeit von Jugendlichen nachdachte und diskutierte. Welches Verständnis vom Verhältnis des Einzelnen zur Gesellschaft und welche Vorstellungen von Freiwilligkeit waren damit verbunden? In welchem Maße waren für die Einrichtung von Jugendarbeitsdiensten und für das Engagement der Jugendlichen in 1 Vgl. hierzu den Forschungsüberblick Süß. 2 Z. B. Wolfrum, S. 11–19; Herbert, Wandlungsprozesse. 3 So etwa die in der Entstehung begriffene Habilitation von S. Levsen zu Jugend- und Erziehungsdiskursen in der Bundesrepublik und in Frankreich.

77

Westdeutschland die Erfahrungen des Nationalsozialismus prägend? Oder waren vielmehr, wie dies etwa der Historiker Marcel Boldorf in einer Studie über ehrenamtliche Sozialarbeit gegen diese Annahme ins Feld führt, längerfristige Traditionen ausschlaggebend?4 Zu fragen ist auch, welche Rolle zivilgesell­ schaftliche Vorbilder aus dem Ausland als Ansatzpunkte zur Neuorientierung spielten. Der erste Abschnitt des Kapitels analysiert das Urteil über öffentliches Engage­ ment im Spiegel verbreiteter Jugendwahrnehmungen in beiden Untersuchungsländern. Da es in Großbritannien in diesem Zeitraum keine längerfristigen Jugendarbeitsdienste gab, kann die britische Seite nur bei der Analyse der Workcampbewegung berücksichtigt werden. Sie erfolgt im zweiten Abschnitt des Kapitels. Der dritte Abschnitt nimmt schließlich mit den bundesdeutschen Langzeitdiensten vor allem konservative Strömungen in den Blick, die eine gezielte Rückbesinnung auf die Zeit vor 1933 propagierten und sich neuen Ideen nur langsam öffneten. Um das Urteil über Jugenddienste für größere Kreise zu erfassen, untersucht schließlich ein vierter Teil die in der deutschen Öffentlichkeit hitzig geführte Debatte um die mögliche Einführung eines Pflichtdienstes für die Jugend.

2.1 Öffentliches Engagement und Jugend – zeitgenössische Diagnosen a. Großbritannien: Flautezeit für Freiwilligendienste? In Großbritannien entstanden in den fünfziger Jahren keine neuen Jugendfreiwilligendienste, die einen längerfristigen Arbeitseinsatz vorsahen. Die wenigen Stimmen, die sich während des Krieges noch für die Einrichtung eines – freiwilligen oder verpflichtenden – Arbeitsdienstes ausgesprochen hatten, verstummten spätestens mit Kriegsende. Für den Pflichtdienstgedanken erklärt sich dies schnell: Dass dieser sich bis Mitte der vierziger Jahre in konservativen Kreisen einiges Gehör hatte verschaffen können, war vor allem Folge der kriegsbedingten Notlage gewesen. Mit deren Ende gewann jedoch das Misstrauen gegenüber dieser Institution eindeutig die Oberhand. In der historischen Forschung zu britischen Vorstellungen von citizenship ist herausgearbeitet worden, wie sehr diese durch die Abgrenzung vom Nationalsozialismus mitgeformt wurden.5 Dies galt auch für die Frage der Akzeptanz staatlich auferlegter Pflichten: Die Überzeugung vieler Briten, Freiwilligkeit sei eine Nationaltugend, war durch den Krieg und die Gegnerschaft gegen die nationalsozialistische Dikta-

4 Vgl. Boldorf. 5 Z. B. ist dies eine der zentralen Thesen der scharfsinnigen Studie von Rose.

78

tur noch bestärkt worden. Selbst die Wehrpflicht, die in Großbritannien in den vierziger Jahren angesichts des beginnenden Kalten Krieges und 1950 aufgrund des Koreakrieges von der Labourregierung unter Clement Attlee mit Bedauern und gegen den Willen vieler Parteianhänger beibehalten wurde, billigten große Teile der britischen Bevölkerung nur aufgrund des Kriegszustandes, lehnten sie als Dauereinrichtung jedoch ab.6 Noch stärker war die Abneigung gegen den Pflichtgedanken bei der Arbeitsdienstidee, die nach dem Krieg weiterhin in erster Linie mit dem Hitlerregime assoziiert wurde. Dass indes nicht nur der Pflichtdienstgedanke verworfen wurde, sondern sich auch die Idee freiwilliger Arbeitsdienste in Großbritannien bis in die sechziger Jahre hinein nicht durchsetzen konnte, erscheint auf den ersten Blick überraschender, bedenkt man den hohen Stellenwert, den »voluntary spirit« in Großbritannien innehatte und zwar nicht nur im militärischen Bereich, wie es beispielsweise John Harvey der Vorsitzende des IVSP im »Bulletin« der Organisation 1948 hervorhob: »[I]t remains a fact that we in Britain are the fortunate heirs to  a long tradition of voluntary enterprise in the field of social welfare, to which I think other countries afford no real parallel.«7 In den Kriegsjahren nahm die Bereitschaft zum freiwilligen Engagement in zwei gegensätzlichen Diskursen eine wichtige Rolle ein. Zum einen wurde insbesondere nach den deutschen Luftangriffen in der britischen Öffentlichkeit immer wieder der hohe freiwillige Einsatz der Zivilgesellschaft beschworen – ein Lob, das freilich auch der Mobilisation und der Stärkung des Durchhaltewillens dienen sollte.8 Zum anderen gab es in den Kriegs- und Nachkriegsjahren vor allem in konservativen Kreisen auch einen entgegengesetzten, deutlich pessimistischeren Diskurs, der sich insbesondere auf die nachwachsende Generation bezog. Zeitgenossen warnten vor einem moralischen Verfall der Jugend.9 Sie fürchteten, die Erziehung der Heranwachsenden sei durch die Kriegsanstrengungen und speziell durch die Abwesenheit der zur Armee eingezogenen Väter über Jahre hinweg vernachlässigt worden. Diese »moral panic«, die von der Furcht ausging, dass die Jugend verantwortungslos und ohne Gemeinwohlorientierung heranwachse, hatte während des Krieges ihren Anfang genommen. Staat und Kirche hatten sich verstärkt darum bemüht, Gemeinschaftsgefühl und freiwilliges­ Engagement unter Jugendlichen zu fördern.10 In den vierziger Jahren wurde eine hitzige und lang anhaltende Diskussion darüber geführt, wie Kinder und Jugendliche erzogen werden müssten, um später »good citizens« zu werden.11 6 Vgl. Scott; Broad, bes. S. 65–76, S. 108–127; Hickman, S. xviif. 7 Harvey, S. 1. 8 Vgl. hierzu Calder. 9 Vgl. Osgerby, Roaring Twenties. 10 Vgl. Kent. 11 Vgl. z. B. den Weihnachtsaufruf eines Waisenhauses, der um Spenden bat, die dazu beitragen sollten, die 450 Heimkinder darauf vorzubereiten, »to take their place as good citizens of the future«, Christmas Appeals. Reeds School, in: The Times, 22. Dez. 1942, S. 3.

79

Gegen Ende des Jahrzehnts geriet die Jugend jedoch allgemein wieder aus dem Fokus des medialen und politischen Interesses. Wenngleich die Sorge um sie in Teilen der britischen Gesellschaft fortlebte, wurden in den fünfziger Jahren aufgrund von Sparzwängen beispielsweise staatliche Subventionen von Jugendorganisationen gekürzt.12 Die Pläne für die Einführung von Jugenddiensten wurden auch deshalb ad acta gelegt, weil der britische Freiwilligensektor allgemein in den fünfziger Jahren »a period of doldrums« durchlief, wie der Historiker Geoffrey Finlayson formulierte.13 Die wohl zentrale Ursache hierfür waren die großen wohlfahrtsstaatlichen Reformen, welche die Nachkriegszeit prägten: Mit dem National Insurance Act 1946, dem National Assistance Act und der Einführung des mit Steuergeldern finanzierten National Health Service 1948 etablierte die LabourRegierung ein umfangreiches soziales Sicherheitssystem. Einigen Zeitgenossen erschien Freiwilligenarbeit damit überflüssig oder »out of fashion«.14 So rang der Freiwilligensektor in vielerlei Hinsicht um eine Neubestimmung seiner Daseinsberechtigung. Dass auch beim IVSP der Wert von Freiwilligenarbeit diskutiert wurde, obwohl das Hauptziel der Organisation ja weder Sozialarbeit noch die Förderung von zivilgesellschaftlichem Engagement im Wohlfahrtsstaat war, zeigt, welche Ausmaße die Identitätskrise im Freiwilligensektor aufwies. In Harveys Reflexionspapier über »The Idea of Voluntary Service« hieß es: »When we see how the whole field of social life is being mapped out and departmentalised, and how it seems to be assumed as a matter of course that the Government, national or local, is under a moral obligation to shoulder ever-increasing communal responsibilities, it is natural to ask ourselves whether the very idea of ›voluntary service‹ may not be outmoded, a phenomenon of the pre-socialist bourgeois individualist society which nearly everyone is agreed in regarding as finally (and unregretedly) superseded.«15

Zugleich melancholisch und skeptisch beschrieb der Autor hier die verbreiteten Zweifel an der fortbestehenden Notwendigkeit freiwilliger sozialer Dienste, die in Großbritannien vor allem im politisch linken Spektrum angesichts der Einführung des Sozialversicherungssystems laut wurden. In der Forschung wird oft hervorgehoben, dass die Einführung des WelfareSystems im Großbritannien der Nachkriegszeit einem parteiübergreifenden Konsens entsprochen habe. Auch wenn die consensus-Deutung nicht unangefochten geblieben ist, durchzieht sie weiterhin viele historiographische Darstellungen.16 Die zeitgenössische Diskussion über den Stellenwert des Freiwilligensektors zeigt indes die Nuancen fortbestehender divergierender Perspektiven 12 Ministry of Education, The Youth Service, S. 5. 13 Vgl. Finlayson, Citizen, S. 329. 14 Vgl. ebd., S. 330. 15 Harvey, S. 1. 16 Vgl. Jones u. Kandiah.

80

auf die staatliche Wohlfahrt. Im liberalen und konservativen Lager fürchteten viele, dass der Aufbau eines staatlich garantierten sozialen Sicherheitssystems die Bürger in Lethargie verfallen lassen und einen Niedergang der Gemeinwohlorientierung mit sich bringen werde. Solche Sorgen wurden verstärkt Ende der vierziger Jahre laut. Es war kein Zufall, dass ausgerechnet Lord Beveridge, der die Einführung des Welfare-States entscheidend vorangetrieben hatte, gleichzeitig aber der staatlichem Handeln traditionell abgeneigt gegenüberstehenden Liberal Party angehörte, der Arbeit von zivilgesellschaftlichen Organisationen und von Freiwilligen ein großes Interesse entgegenbrachte. Mit einer von ihm geleiteten wissenschaftlichen Studie über »voluntary action« bemühte er sich, auch in der Öffentlichkeit für die Förderung des Freiwilligensektors zu werben, um auf diese Weise die von vielen befürchteten negativen Effekte der staatlichen Wohlfahrt abzuwehren. Die zweibändige Studie ist ein Zeugnis dafür, wie fest die Tradition des Freiwilligensektors im britischen Selbstverständnis verankert war. Beveridge bezeichnete freiwilliges Bürgerengagement als das Kennzeichen, dass eine »free society« von einer »totalitarian society« unterscheide. Wie vielen anderen galt sie ihm als eines der »outstanding features of British life«.17 Diese nationale Selbstsicht hatte durch die Abgrenzung von der nationalsozialis­ tischen Diktatur noch an Gewicht gewonnen.18 1948, im selben Jahr, als auch der erste Teil  dieser Studie veröffentlicht wurde, stieß Beveridge überdies im House of Lords eine Debatte über die Bedeutung von »voluntary action« für die britische Gesellschaft an, bei welcher der Labour-Politiker und Minister für zivile Luftfahrt Frank Pakenham ­»voluntary spirit« als »the very lifeblood of democracy« beschwor.19 Beide Initiativen Beveridges’ stießen allerdings letztlich in der britischen Öffentlichkeit nur auf eine schwache Resonanz, und im Laufe der fünfziger Jahre verebbte das Interesse an »voluntary action«, die von vielen nur mehr noch als übergangsweise Ergänzung zur staatlichen Wohlfahrt angesehen wurde.20 Wie Geoffrey Finlayson herausgearbeitet hat, setzte sich mit den Beveridgereformen in der britischen Politik die Vorstellung durch, der Staat solle die Grundlagen einer allgemeinen Wohlfahrtsfürsorge garantieren, der Freiwilligensektor jedoch weiterhin eine ergänzende Rolle einnehmen. Konservative oder liberale Kritiker staatlicher Wohlfahrt, die deren Ausweitung als Fehlentwicklung sahen, konnten sich mit ihren Sorgen nicht durchsetzen und verstummten in den fünfziger Jahren mehr und mehr. In der jüngeren britischen Forschung wird allerdings davor gewarnt, angesichts dieser Entwicklungen einem »declinism« zu verfallen, da von einem Nie17 Beveridge, S. 10. 18 Vgl. Deakin, der Beveridges Äußerung als direkte Bezugnahme auf den Nationalsozialismus deutet. 19 National Council of Social Service, S. 13. 20 Vgl. Harris, Voluntarism; Oppenheimer u. Deakin, Voluntary action; Harris, William Beveridge, 2. überarb. Aufl., S. 453–461.

81

dergang des Freiwilligensektors nicht die Rede sein könne.21 Zum einen wird darauf hingewiesen, dass auch im Vergleich zur viktorianischen Zeit, die nicht nur von zeitgenössischen Kritikern des Wohlfahrtsstaates, sondern auch in der Geschichtswissenschaft teilweise als goldenes Zeitalter des freiwilligen Bürgerengagements stilisiert worden ist, in der Nachkriegszeit durchaus von einem lebendigen Freiwilligensektor gesprochen werden kann.22 Gerade auch einige der im Zweiten Weltkrieg neugegründeten Freiwilligenorganisationen lebten nach 1945 fort, wenngleich vielfach deutlich reduziert und mit anderen Aufgaben. Überdies wird schließlich hervorgehoben, dass zahlreiche Zeitgenossen, und zwar durchaus nicht nur aus dem konservativen oder liberalen Lager, sondern auch aus den Reihen der Labour-Partei, weiterhin freiwilliges Bürgerengagement für ein funktionierendes gesellschaftliches Leben als unabdingbar ansahen. Jüngere Studien verwerfen die teilweise auch auf die sechziger Jahre ausgeweitete Sicht, der Freiwilligensektor sei im Wohlfahrtsstaat zum Erliegen gekommen, als »Mythos«, der seit den achtziger Jahren von konservativer Seite, aber auch von »New Labour« gepflegt worden sei, um die eigene Förderung des Bürgerengagements aufzuwerten.23 Sicherlich wurde die Nachkriegsflaute des britischen Freiwilligensektors zum Teil drastischer wahrgenommen, als sie tatsächlich war: Das liegt nicht nur an der verbreiteten Kritik an den Wohlfahrtsmaßnahmen, sondern auch daran, dass das Bürgerengagement im Vergleich zur extrem hohen Mobilisierung der Kriegszeit in der Tat rückläufig war, da es sich bei vielen der kriegsbezogenen Freiwilligentätigkeiten von Anfang an um vorübergehende Notmaßnahmen gehandelt hatte. Zahlreiche Freiwillige des Women’s Voluntary Service beispielsweise sahen keine Notwendigkeit mehr, ihren Einsatz nach Kriegsende fortzuführen, obwohl die Organisationsleitung sich dafür einsetzte, die Organisation am Leben zu erhalten und damit letztlich auch Erfolg hatte.24 Einige der Freiwilligen verließen die eng mit staatlichen Behörden zusammenarbeitende Organisation auch, weil sie nicht für eine Labour-Regierung arbeiten wollten.25 Hinzu kam, dass der Staat infolge der wohlfahrtsstaatlichen Reformen seit 1948 einen großen Teil  der sozialen Aufgaben übernommen hatte, die zuvor durch charities getragen worden waren, insbesondere gingen sämtliche Kran-

21 Vgl. Hilton u. McKay, Introduction, Zitat: S. 2. Diese Gegenthese zum »declinism« ordnet sich ein in die allgemeine Kritik an der in der britischen Geschichtswissenschaft verbreiteten These eines wirtschaftlichen und kulturellen Niedergangs, dem »Post-War Decline«, der mit der Dekolonialisierung und der Einführung es Welfare-States einhergegangen sei, vgl. die Beiträge in English/Kenny; sowie Tomlinson. Eine aktuelle Zusammenfassung der Debatte über »Decline« findet sich außerdem bei Ebke. 22 Vgl. Brewis, Towards. 23 Vgl. Deakin u. Smith; Hinton, S. 3. 24 Vgl. ebd., S. 155–230; Malcolmson, S. 272–303. 25 Vgl. Hinton, S. 165; Malcolmson, S. 298.

82

kenhäuser in die staatliche Verantwortung über.26 In diesem Zuge wurden tatsächlich einige Freiwilligenorganisationen ihrer Aufgaben beraubt. Dies musste allerdings nicht dazu führen, dass sie ihre Arbeit einstellten, viele begannen vielmehr, sich neue Arbeitsfelder zu erschließen. Wie sie dabei ihre Selbstdefinition angesichts zunehmender staatlicher Wohlfahrt neu fassten, zeigt ebenfalls der Artikel Harveys im »News Bulletin« des IVSP, dessen Autor sich überzeugt gab: »[V]oluntary service and the work of voluntary associations will be as indispensable in shaping the world of to-morrow as they have been in s­ haping the world of to-day.«27 Die Zweifel an der Notwendigkeit freiwilligen Engagements im Wohlfahrtsstaat verwarf der Autor als »disastrous misgiving« und als »fatally misguided attitude as to the future«. Denn freiwilliges Engagement werde seine Bedeutung nie verlieren, sondern sich vielmehr den neuen Gegebenheiten anpassen – »at the circumference of those types of social service that are official and statutory«. Das Aufgabenfeld der Freiwilligenorganisationen dehne sich dabei sogar aus: »[T]he length of circumference grows with the area of the circle.« Wenngleich die Phase der Neuorientierung es keinesfalls mit sich brachte, dass jegliche Freiwilligenarbeit vollständig zum Erliegen kam, ist doch festzuhalten, dass eine Zeit lang Verunsicherung herrschte, die erst überwunden werden musste. Und so stellten in den fünfziger Jahren einige Freiwilligenorganisationen ihre Arbeit ein, andere schrumpften und es gab kaum Neugründungen. Überdies erfolgten keine nennenswerten konkreten Maßnahmen zur Förderung des Freiwilligensektors, wie Beveridge sie hatte anregen wollen. Es wurde weithin akzeptiert, dass das viel gepriesene und mythisierte während der Kriegszeit an den Tag gelegte große Engagement der britischen Bevölkerung nach dem Ende der Notsituation nicht auf gleichem Niveau fortgeführt werden konnte. b. Westdeutschland: Apathie oder Aufbruchstimmung? In Westdeutschland wurde freiwilliges öffentliches Engagement zum Teil  aus sehr ähnlichen, zum Teil aber auch aus gänzlich anderen Gründen diskutiert. Zentral war zunächst ein Unterschied: Die Notlage, die man in Großbritannien gemeinhin mit Kriegsende für überwunden ansah oder deren Überwindung man zumindest für eine Frage der Zeit hielt, dauerte im ausgebombten und von Flüchtlingen überströmten Deutschland an. Das Verhalten der Deutschen angesichts dieser Notsituation erschien gerade aus Sicht britischer Beobachter unzulänglich. Zu einem niederschmetternden Urteil kam etwa im April 1947 Basil Eastland, der den Einsatz des IVSP im zerstörten Europa leitete und in einem unveröffentlichten tagebuchartigen Bericht seine Erfahrungen als humanitärer Helfer im besetzten Deutschland festhielt: 26 Zu dieser Umstellung im britischen Krankenhauswesen vgl. Lindner, Gesundheitspolitik, S. 109–119. 27 Harvey, S. 2.

83

»So here you have the present day average German: Hungry, cold, tired out, exerting most of his or her energies to subsist, self-centred, ruthlessly egotistic, hardened, often casting aside ›normal‹ ethic and moral values and standards, striving for power and influence to the detriment of others, disillusioned at the past, resenting the occupation, suspicious of other nations’ motives and aims, sceptical as to Germany’s future, hence apathetic with regard to economic or spiritual reconstruction, filled with  a spirit of negation, longing subconsciously for  a new source of authority to which one might look for direction of one’s efforts to speed material recovery and national rehabilitation.«28

Angesichts der grausamen Verbrechen und des verheerenden Krieges, die vom Nationalsozialismus ausgegangen waren, mag eine neutrale Sicht alliierter Beobachter auf die Deutschen schwierig gewesen sein. Aber auch in der Wahrnehmung deutscher Zeitgenossen selbst war in der Diktatur »die Bereitschaft zum öffentlichen Wirken überfordert« worden.29 Obwohl z. B. die 127.000 hauptamtlichen Kräfte der Caritas nach einer Statistik aus dem Jahr 1953 noch auf die Hilfe von 650.000 ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern zurückgreifen konnten, beklagten die Wohlfahrtsverbände, dass die deutsche Bevölkerung in der Nachkriegszeit nur schwer zu mobilisieren sei. Solche Diagnosen wurden für politisches wie wohltätiges Engagement gleichermaßen gezogen. In der westdeutschen Debatte über die Mitwirkung des Einzelnen am Gemeinwesen galt ebenfalls der Nachkriegsjugend ein besonderes Augenmerk. Aufgrund der Kriegsniederlage sowie der ihr folgenden wirtschaftlichen Notlage spiegelten sich in Westdeutschland die Unsicherheiten, Zweifel und Hoffnungen angesichts der Neuordnung der Gesellschaft noch stärker in lebhaften Diskussionen über die Jugend als in Großbritannien. Die Zukunft der in Krieg und Nachkriegszeit aufgewachsenen Generation, so charakterisiert es die Histo­ rikerin Julia Ubbelohde, erregte die Phantasien zu »Krisen- und Untergangsvisionen von apokalyptischem Ausmaß«.30 Oft sagte man in dieser Zeitdeutung der Jugend eine besonders »apathische« Haltung nach. Die Jugendbilder der Nachkriegszeit divergierten allerdings in gleichem Maße wie die Gesellschaftsanalysen allgemein, und die kulturpessimistische Untergangsstimmung erfasste zwar viele, aber bei weitem nicht alle Deutschen: In Konkurrenz zu ihr trat in der Tat auch eine gänzlich andere, optimistische Sicht, die gerade der Jugend das Potenzial zum Aufbau einer neuen, friedlicheren Weltordnung zusprach. Trotz der Widersprüche muss keines der unterschiedlichen Jugendbilder einer Grundlage entbehrt haben, denn von einer einheitlichen Reaktion der Jugend auf die Kriegsniederlage und den Zusammenbruch des nationalsozia28 B. Eastland, Germany. This was our life 1945–1948, S. 12, SCIIA, 31000.3, S. 23; vgl. Steinert, Nach Holocaust, S. 186, S. 188. Zu den Schwierigkeiten, die deutsche Bevölkerung zur Mithilfe zu bewegen, vgl. Kelber, S. 36, zum Ziel der Hilfe zur Selbsthilfe ebd., S. 26 f. 29 Zitat: Weller, S. 126; vgl. Grunow, 2005, S. 826; André, S. 112. 30 Ubbelohde, S. 403. Zur Diskussion um die gefährdete Jugend allgemein vgl. auch Heinritz.

84

listischen Regimes ist nicht auszugehen.31 Zweifellos war die Verunsicherung in Deutschland nach der Kriegsniederlage und dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus groß: Es war unabsehbar, was die Zukunft für Deutschland bringen werde. Nicht anders als den Erwachsenen fiel es auch den Jugendlichen schwer, sich politisch neu zu orientieren, nachdem sie in einem Regime aufgewachsen waren, das eben jene Werte verdammt hatte, welche die Siegermächte nun als neuen Weg vorzugeben hofften. Das mag sich bei vielen auf die Bereitschaft ausgewirkt haben, sich öffentlich zu engagieren. Hinzu kam, dass in der Diktatur Einsatzbereitschaft und Freiwilligkeit als hohe Werte beschworen worden waren. Nach dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Regimes indes erschienen diejenigen, die sich zuvor freiwillig engagiert oder zum Militär gemeldet hatten, diskreditiert. Hieraus lässt sich durchaus erklären, dass Jugendliche wie Erwachsene nach dem Kriegsende oftmals zwar durchaus Familienangehörigen, Freunden oder Nachbarn in Notlagen zur Seite standen, sich darüber hinaus jedoch zunächst mit organisiertem öffentlichen Engagement zurückhielten. Gleichzeitig hingegen gibt es auch zahlreiche Zeugnisse dafür, dass es in den ersten Nachkriegsjahren viele Deutsche aller Generationen gab, die etwa im Rahmen der Kirchen auf sozialem Gebiet Freiwilligenarbeit leisteten und die auf kommunaler Ebene bei der Beseitigung der Trümmer oder beim Wiederaufbau halfen.32 Und in der Tat finden sich in den zeitgenössischen Quellen neben dem pessimistischen Urteil über die Apathie auch differenziertere Einschätzungen. Der zitierte Basil Eastland etwa attestierte im Gegensatz zu den Erwachsenen insbesondere der deutschen Jugend einen in seinen Augen überraschenden Idealismus.33 Bei der Diskussion über die Engagementbereitschaft der Deutschen waren, wie hier deutlich wird, die Wahrnehmungen der Zeitgenossen selbst sehr stark sowohl durch Erfahrungen der Vergangenheit als auch durch Zukunftsvorstellungen beeinflusst, die das Urteil zur einen oder anderen Seite ausschlagen lassen konnten. Die divergierenden Einschätzungen der Zeitgenossen finden sich in der historischen Forschung wieder. Nicht zuletzt aufgrund zeitgenössischer Urteile werden die frühen Nachkriegsjahre in Deutschland oft als Zeit der Apathie und der Abkehr von öffentlichen Angelegenheiten beschrieben.34 In der neueren historischen Forschung gibt es jedoch auch einen Trend, der diesen Rückzug ins Private in Zweifel zieht – insbesondere mit Blick auf die Jugendlichen.35

31 Vgl. Stargardt, der betont, wie verschieden Kindheiten in der Kriegszeit verlaufen konnten. 32 Vgl. Boldorf, S. 318 f. 33 B. Eastland, Germany. This was our life 1945–1948, S. 12, SCIIA, 31000.3; vgl. ebenso Saunders, S. 179–181. 34 Vgl. etwa Conze, Eine bürgerliche Republik?, S. 532. 35 Vgl. Boll, Jugend; sowie auf die Jugend bezogen Brill, S. 109 f.

85

An dieser Stelle geht es nicht darum, die wohl unmögliche Aufgabe zu lösen, das tatsächliche Ausmaß freiwilligen Engagements zu bestimmen. Für die hier verfolgte Fragestellung ist dies auch nur bedingt von Bedeutung. Vielmehr gilt es, den Wert zu ermitteln, der öffentlichem Engagement beigemessen wurde, und damit zur Analyse der Vorstellungen über das Verhältnis von Einzelnem und Allgemeinheit und des Verständnisses von Freiwilligenarbeit in der Nachkriegszeit beizutragen. Hierfür sind die zeitgenössischen Einschätzungen der Engagementbereitschaft der Deutschen im Allgemeinen und der Jugend im Besonderen durchaus von Belang. Die Einrichtung von am Gemeinwesen orientierten Jugenddiensten in der Nachkriegszeit ist im Lichte der Forderungen und Bemühungen, die weithin wahrgenommene Apathie zu bekämpfen, zu deuten. Inwiefern war es angesichts solcher Zeitdiagnosen das Ziel, öffentliches Engagement zu fördern? Und wie sollte dieses Engagement beschaffen sein? In den Debatten über die Jugenddienste spiegeln sich die verschiedenen Perspektiven auf die Jugend ebenso wie die mit ihnen verbundenen Erziehungsstrategien. Die längerfristigen Jugendfreiwilligendienste, die in der Wiederaufbauzeit in Westdeutschland entstanden, waren stark durch die pessimistische Sicht auf die deutsche Gesellschaft und speziell auf die Jugend motiviert. Propagiert wurden sie tendenziell eher im konservativen Lager; ins Leben gerufen und organisiert von Erwachsenen. Die Workcampbewegung indes, in der die friedensorientierte Tradition der Lager des SCI wieder aufgenommen wurde, folgte dem optimistischen Jugendbild. Entscheidende Anstöße für ihren Neuanfang in Deutschland kamen von den humanitären Helfern der britischen Freiwilligendienste. Rezipiert wurden sie vor allem von den Jugendlichen selbst. Im Folgenden wird zunächst der Blick auf die Workcampbewegung gerichtet, anschließend werden die Langzeitarbeitsdienste analysiert.

2.2 Die Workcampbewegung Über Konzeption und Ziele der internationalen Workcampbewegung hatte in ihrer Anfangszeit bis 1945, als sie noch vorwiegend durch den SCI geprägt war, in den verschiedenen nationalen Zweigen mehr oder weniger Konsens geherrscht. In den späten vierziger und frühen fünfziger Jahren wuchs die Zahl der Workcampanbieter in Deutschland zwar stark an, die konzeptionellen Grundgedanken blieben aber auch bei diesen neuen Organisationen in der Regel der Tradition der Zwischenkriegszeit verpflichtet. Dazu trug ihre enge transnationale Vernetzung bei. Hatte die Bewegung während des Krieges ihre interna­ tionale Arbeit weitgehend einstellen müssen, so war sie doch gerade durch den Krieg in ihrer Zielsetzung, nationale Gegensätze zu überwinden, bestärkt worden. Der grenzübergreifende Austausch wurde nicht zuletzt dadurch intensiviert, dass die UNESCO die Workcampbewegung zu fördern begann und seit 1948 mit jährlichen Konferenzen und Publikationen die länder- und organisa86

tionsübergreifende Zusammenarbeit vorantrieb.36 Aufgrund dieser transnationalen Verflochtenheit der Bewegung überwogen die Gemeinsamkeiten der deutschen und der britischen Workcamporganisationen, während die Unterschiede weniger ausgeprägt erscheinen. Beide Länder werden daher hier gemeinsam betrachtet. Während die Workcampidee im Zweiten Weltkrieg in Großbritannien an Bekanntheit gewonnen hatte, weil zum einen im Zuge der Kriegsmobilisierung auch nationale Workcamps durchgeführt worden waren, zum anderen die international ausgerichtete Arbeitslagerbewegung mit ihren humanitären Hilfseinsätzen Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte, war sie in Deutschland zum Erliegen gekommen. Doch der britische Vorsprung war schnell eingeholt: Die Bewegung konnte sich nach 1945 im westlichen Teil Deutschlands sehr rasch etablieren. Schon 1948 fanden in Deutschland zwischen 15 und 20 Workcamps statt.37 Im Jahr 1953 wurden nach einer Zählung der UNESCO 102 Lager mit 2.073 Teilnehmerinnen und Teilnehmern durchgeführt, 243 Deutsche konnten für eine Workcamp-Teilnahme ins Ausland reisen.38 Für 1955 registrierte die UNESCO bereits 241 Lager in Westdeutschland und Berlin, die von 17 verschiedenen Organisationen angeboten wurden und an denen 5.639 Jugendliche teilnahmen.39 In Großbritannien indes stagnierten die Zahlen seit den späten vierziger Jahren ebenso wie der britische Freiwilligensektor insgesamt in die Flaute geraten war. Auch entstanden hier anders als in Westdeutschland bis Ende der fünfziger Jahre keine neuen Workcamporganisationen.40 a. Frieden und Internationalität Der Erfolg der Workcampbewegung in Westdeutschland lag entscheidend darin begründet, dass sie sich einerseits eindeutig ein Friedensziel auf die Fahnen schrieb und andererseits von transnationalen Organisationen gestützt wurde. Die ersten Impulse für die Wiederbelebung der Workcampbewegung in Westdeutschland kamen aus dem Ausland und nicht zuletzt aus Großbritannien. Der IVSP und die Quäker organisierten in der britischen Besatzungszone bereits seit 1946 Workcamps, in denen Jugendliche in ihrer Freizeit oder in den Ferien beim Wiederaufbau halfen.41 Aus diesen Lagern heraus entstanden unmittelbar nach dem Krieg der deutsche Zweig des SCI sowie die von den Quäkern geprägte Workcamporganisation Nothelfergemeinschaft der Freunde.42 36 Z. B. Begert; Claessens u. Danckwortt, S. 20 f. 37 Allport, S. 193. 38 Kaiser, S. 3, S. 248. 39 Vgl. Claessens u. Danckwortt, S. 22. 40 Vgl. Perry, S. 18, S. 56. 41 Vgl. die Auflistung der Workcamps auf der Website des SCIIA: http://www.archives.sciint. org/www.archives.sciint.org/index.php?page=workcamp-list-by-year.html&c=DE. 42 Vgl. Gillette, S. 75; Krahé.

87

Aus einer vom Ausland ausgehenden Initiative erwuchs auch der katholische Internationale Bauorden, den der niederländische Jesuiten-Pater Werenfried van Straaten 1953 ins Leben rief. Der Bauorden begann mit seiner Tätigkeit in Westdeutschland und war dort 1955 mit sechzig Lagern der zweitgrößte Workcampanbieter.43 Aber auch deutsche Organisationen boten bald Workcamp­ programme an: Zu nennen sind hier vor allem die Internationalen Jugendgemeinschaftsdienste (IJGD), die 1948 gegründet wurden und sich schnell zur größten deutschen Workcamporganisation entwickelten.44 Mit dem bereits seit 1919 bestehenden Volksbund für Kriegsgräberfürsorge baute von 1951 an auch eine durch andere Aktivitäten bereits bekannte und fest etablierte Organisation ein Workcampprogramm auf.45 Noch bevor sich für die Westdeutschen allgemein die Grenzen ins euro­ päische Ausland langsam wieder öffneten, bot die Workcampbewegung deutschen Jugendlichen Möglichkeiten an, ins Ausland zu reisen. Neben den bereits genannten Organisationen organisierte seit 1952 etwa der in der Schweiz ansässige Christliche Friedensdienst internationale Aufbaulager, an denen auch Deutsche partizipierten.46 Schon bald gelang es aber auch den in Deutschland neu gegründeten Organisationen, Camps im Ausland auszurichten. Der Volksbund beispielsweise führte sein erstes Lager in Belgien durch. Hatten daran zunächst nur deutsche Jugendliche teilgenommen, konnte die Organisation bereits im Folgejahr Camps mit internationaler Teilnehmerschaft durchführen.47 Zentraler Bezugspunkt für die Workcampbewegung blieb in den späten vierziger und frühen fünfziger Jahren der Krieg: Hatte der Erste Weltkrieg den unmittelbaren Anstoß für ihre Entstehung gegeben, so war sie durch den Zweiten Weltkrieg in dem Ziel, zu einer friedlichen Weltordnung beizutragen, bestärkt worden. Die Arbeit wurde als »Friedensdienst« definiert und als direktes Gegenbild zum Zerstörungswerk des Krieges beschrieben: Was der Krieg in Trümmern hinterlassen hatte, sollte mithilfe der Lager wieder aufgebaut werden. Diese Vorstellung wurde von den neu entstandenen Organisationen ebenso geteilt wie von denjenigen, die direkt an die Tradition der Workcamps der Zwischenkriegszeit anknüpften. 43 Claessens u. Danckwortt, S. 22, dort werden als weitere ausländische Anbieter, die Lager in Deutschland durchführten, noch das Methodist Student Movement, der Council for Education in World-Citizenship, das Universalist Service Committee, das American Friends­ Service Committee, der Mennonite Voluntary Service, das Movement Chrétien pour la Paix, der World Council of Churches und die Brethren Service Commission genannt. Zur Gründung des Bauordens vgl. van Straaten, S. 92–111. 44 Vgl. zu deren Gründung Danckwortt, Internationale Jugendgemeinschaftsdienste. 45 Zum Volksbund für Kriegsgräberfürsorge nach 1945 vgl. Demarest. 46 Vgl. Der Dienst unserer Lager, Referat auf der Lagerleiter Rüstzeit des CFD 1959 in Tey­linger­ bosch ACFYAP, Ordner: Archiv, Gründung, Referate, Protokolle, 1948–1970. Der christliche Friedensdienst ist aus einer französischen Friedensinitiative der Zwischenkriegszeit, den sogenannten »Chevaliers du Prince de la Paix« hervorgegangen Workcamps gehörten seit den späten vierziger Jahren in das Programm der Organisation, vgl. Henn. 47 Zu den Anfängen dieser Organisationen vgl. Krüger, Mit Schaufel.

88

Dabei sollte die Arbeit der Workcamper anders als diejenige der britischen humanitären Helfer in der Regel keinen direkten Ersatz für den Kriegsdienst leisten. Die Workcampbewegung fokussierte stattdessen auf erzieherische Ziele: Im Gegensatz zu den ersten Arbeitslagern des SCI in den zwanziger und frühen dreißiger Jahren, die prinzipiell altersoffen gewesen waren, richtete sich die Workcampbewegung nach dem Zweiten Weltkrieg eindeutig auf die Jugend aus. Die Konzentration auf die junge Generation lag zunächst in der Überzeugung begründet, diese sei nicht für den Krieg verantwortlich und habe nationalis­ tische Einstellungen am wenigsten verinnerlicht. Jugendliche hielt man daher am ehesten für fähig, die nationale Feindschaft durch die gemeinsame Arbeit in den Ferien zu überwinden. Gleichzeitig sollten sie damit aber auch der Erwachsenenwelt zeigen, dass ein friedliches Miteinander möglich sei. Auch bei anderen Initiativen zur Völkerverständigung setzte man insbesondere auf die Erziehung der Jugend.48 Staatlich wie zivilgesellschaftlich wurde das Bemühen um eine Sicherung des Friedens in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg im Vergleich zu der Zeit nach 1918 deutlich intensiviert, die Jugend stand bei vielen dieser Initiativen im Fokus. Der Wunsch nach Frieden und internationaler Verständigung hatte für die Workcampbewegung in den ausgehenden vierziger und fünfziger Jahren in verschiedener Hinsicht andere Implikationen als in der Zwischenkriegszeit. Für die deutschen Workcamper galt dies vor allem für die Frage nach der Kriegsschuld: Nach 1918 hatten die meisten Deutschen eine deutsche Kriegsschuld v­ ehement bestritten. Nach 1945 war sie hingegen nur schwer zu leugnen. Dies bedeutete zwar nicht, dass jetzt viele Deutsche zu einem offenen Eingeständnis der Schuld bereit waren. In der Workcampbewegung aber war eine Stellungnahme zur unmittelbaren Kriegsvergangenheit kaum zu vermeiden: Der für die Selbstdefinition so zentrale Friedensgedanke und das direkte Zusammentreffen mit Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus anderen Ländern forderten dazu heraus. Für die späten vierziger Jahre liegen rückblickende Berichte von Teilnehmerinnen und Teilnehmern der ersten Lager des SCI vor. Aus ihnen geht hervor, dass es zu »oft hitzigen Aussprachen und Auseinandersetzungen« kam, bei denen »über Machtstreben, Patriotismus, Unterdrückung, nationale Grösse, über die Begriffe von Freiheit, Unabhängigkeit, sozialer Gerechtigkeit und politischer Demokratie« gesprochen wurde und die »jede Nacht bis in die Morgenstunden« dauerten.49 Dass daraus teilweise »leidenschaftliche Streitgespräche« wurden, lag auch darin begründet, dass die Campteilnehmer sich trotz ihres jungen Alters nicht als am Krieg Unbeteiligte betrachten konnten. Von den ausländischen Teilnehmerinnen und Teilnehmern sei »erbarmungslos« immer wieder die Schuldfrage angesprochen worden, was die Deutschen nicht nur zu Diskussionen provoziert, sondern bei einigen auch dazu geführt habe, dass 48 Vgl. zu diesem Norwig. 49 ISV, Geschichte des IZD 1946–50, Die ersten SCI-Dienste in Deutschland, S.  3, SCIIA, 31000.4; B. Schröter, Die ersten Jahre des Zivildienstes in Berlin 1946–51, SCIIA 31000.51.

89

sie »trotzig und verbissen geschwiegen« hätten, so ein ehemaliger Teilnehmer und langjähriges Mitglied des SCI im Rückblick.50 Besonders einige ehemalige Wehrmachtsoffiziere »mit einem sehr bestimmten militärischen Hintergrund«, die an den ersten Lagern teilnahmen, seien mit anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmern in Konflikt geraten und »gegenüber allem sehr kritisch« und sogar »zeitweise feindlich« eingestellt gewesen, hieß es in einer anderen Erinnerungsschrift über die ersten Lager.51 Die Quellen deuten allerdings darauf hin, dass die Schuldfrage in der deutschen Workcamp-Bewegung in den frühen fünfziger Jahren an Gewicht verlor.52 Nicht zuletzt die Konzentration auf die Jugend erlaubte es den deutschen Workcampern tatsächlich bald, der Frage nach der Verantwortung für den Krieg aus dem Weg zu gehen. Das immer wieder beschworene Ziel der meisten deutschen Workcamporganisationen war »Versöhnung«. Mit dieser Wortwahl wurden alle ehemaligen Kriegsgegner gleichermaßen in die Pflicht genommen, ein Schuldbekenntnis hingegen war damit nicht verbunden.53 Bei dem konservativer als andere Workcamporganisationen ausgerichteten Volksbund für Kriegsgräberfürsorge, dessen Motto für die Arbeitslager »Versöhnung über den Gräbern« lautete, wurde durch die starke Betonung der gemeinsamen Trauer über die Gefallenen auch impliziert, dass die Kriegsschuld in erster Linie bei den Machthabern liege, deren Entscheidungen die Soldaten lediglich gefolgt seien.54 Das zweite Thema, das sich seit den ausgehenden vierziger Jahren von der Friedensdiskussion nicht trennen ließ, war der Ost-West-Gegensatz. Das Friedensziel der deutschen Workcampbewegung hatte in den ersten beiden Nachkriegsjahrzehnten eine sehr einseitige Ausrichtung, die der Pädagoge Andreas Thimmel als »halbierte Völkerverständigung« bezeichnet:55 Wenn durch die Workcamps Frieden und Verständigung gefördert werden sollten, dachte man vor allem an die westliche Welt. Inwieweit die Camps auch dazu beitragen sollten, den Graben zwischen Ost und West zu überbrücken, der sich bald als die größte Gefahr für den Weltfrieden herauskristallisierte, war sehr viel umstrittener. Wie sehr der Kalte Krieg bereits im ersten Nachkriegsjahrzehnt die Ausrichtung der Workcamps bestimmte, verdeutlicht das Beispiel des SCI. Der britische Zweig der Organisation diskutierte schon zu Beginn der fünfziger Jahre die Schwierigkeiten, die durch den Ost-West-Gegensatz für seine Arbeit entstanden, und erklärte es zum Ziel, diese zu überwinden.56 Seit 1955 führte die Or50 Ebd. 51 ISV, Geschichte des IZD 1946–50, Die ersten SCI-Dienste in Deutschland, S.  3, SCIIA 31000.51, ähnlich auch B. Schröter, Die ersten Jahre des Zivildienstes in Berlin 1946–51, SCIIA, 31000.4. 52 Vgl. z. B. Claessens u. Danckwortt, S. 186. 53 Zu verschiedenen Verständnissen des Versöhungsbegriffs vgl. Wienand, S. 435. 54 [T. Rieth SJ], Versöhnung über den Gräbern, [1953], AVK, A.100. 55 Thimmel, S. 18. 56 Annual Report, 1950/51, S.  3, SCIIA, 30308.5, International Voluntary Service for Peace, IVS Great Britain, Books, Handbooks, Brochures, 1948–1990.

90

ganisation zu diesem Zweck sogenannte »East-West-Camps« durch.57 Im deutschen Organisationszweig allerdings stießen sie auf Ablehnung. Man fürchtete sicherlich nicht zu Unrecht, dadurch die finanzielle Unterstützung der Bundesregierung zu verlieren.58 Da die deutsche Wiederbewaffnung absehbar war, wollte man sich die Gunst der Regierung nicht zuletzt deshalb bewahren, weil man diese für die Bemühungen um eine weiterreichende Anerkennung der Wehrdienstverweigerung, die eines der Hauptziele des deutschen Zweiges des SCI darstellte, für unabdinglich hielt.59 So war in Westdeutschland in der Zeit des beginnenden Kalten Krieges nur der Austausch mit dem westlichen Ausland durchsetzbar. Auch innerhalb einzelner Workcamps scheinen westdeutsche Jugendliche angesichts der deutschen Teilung dem Gedanken der Überwindung des Ost-West-Gegensatzes größere Widerstände entgegengebracht zu haben als die britischen. Beispielsweise klagte eine britische Teilnehmerin, die 1952 an einem von den Quäkern organisierten Camp in Berlin teilgenommen hatte, über die Schwierigkeiten bei den Bemühungen, den Antagonismus zwischen Ost und West abzuschwächen: »The West Germans unfortunately formed a bloc and some of us who were trying for­ tolerance and understanding were accused of being Communists and wanting to hide the fact!«60 Bereits Verständigungsversuche weckten auf deutscher Seite also Unterwanderungsängste. Noch in anderen Aspekten, die sich auf nationale Traditionen zurückführen lassen, unterschieden sich die deutsche und die britische Workcampbewegung im ersten Nachkriegsjahrzehnt tendenziell. War die deutsche Bewegung auch durch eine ausgeprägte Aufbruchstimmung gekennzeichnet, schloss dies doch ein partielles Fortleben traditioneller Werte und Vorstellungen nicht aus: Insbesondere galt dies für das Arbeits- sowie das Gemeinschaftsideal, die ja beide in der deutschen Arbeitslagerbewegung seit deren Beginn in der Weimarer Zeit einen so hohen Stellenwert eingenommen hatten.

57 Vgl. Hegnauer; Schröter; sowie Gillette, S. 117–123. 58 Zu den Sorgen der Bundesregierung angesichts von Ost-West-Kontakten der Jugend vgl. den allerdings teilweise knapp belegten Artikel von Albertin. 59 Jahresversammlung Internationaler Zivildienst Deutscher Zweig des Service Civil International e. V. im Jugendhof Vlotho vom 3. bis 5. Febr. 1956, S. 7, SCIIA, 31003.1, SCI Germany, Minutes of General Assemblies and Committee Meetings, Circulars, Reports and Correspondence; Internationaler Zivildienst Deutscher Zweig des Service Civil International e. V., Rundschreiben 2/56, 20. April 1956; Mitteilungen, Nr. 18, April 1963, SCIIA, 31003B.1, SCI Germany, Minutes of General Assemblies and Committee Meetings, Circulars, Reports and Correspondence. 60 Handschriftliches Evaluationsschreiben einer Teilnehmerin an einem Workcamp in Berlin, Special difficulties at the Camp, ALRSF, QSRE/WKC Archives Box 20, Friends Work Camps Committee, Overseas Workcamps 1953.

91

b. Das Arbeitsideal Das zentrale Mittel, das die internationale Verständigung unter den Jugendlichen herbeiführen sollte, blieb in den vierziger und fünfziger Jahren weiterhin die gemeinsame Arbeit, der getreu der Tradition der Arbeitslager eine verbindende Wirkung zugeschrieben wurde. »Taten statt Worte«, dieses Motto des SCI behielt seine Geltung und wurde nach 1945 auch von den neu entstandenen Workcamporganisationen in der Regel geteilt. Auf deutscher Seite scheint es indes eine wichtigere Rolle gespielt zu haben als auf britischer. Harte körperliche Arbeit, so die bei den deutschen Organisationen immer wieder betonte Überzeugung, sei ein Beleg für die Aufrichtigkeit des Verständigungswunsches. Gern zitierte der Volksbund, wie ausländische Beobachter angesichts der Arbeit der Campteilnehmer ihr Bild der Deutschen änderten. Darin erblickte man eine Bestätigung der Annahme, dass die Freiwilligenarbeit bei der Instandsetzung und -haltung der Gefallenenfelder die Völkerverständigung fördere:­ »Unvergeßlich wird es uns sein, wie sich, während wir die seit dem Kriege nicht mehr bearbeitete Erde umspateten, uns die Herzen der französischen Bevölkerung auftaten.«61 Ein französischer Beamter etwa sei zu dem Bekenntnis bereit gewesen, er »habe die echte, tiefe Erschütterung erlebt, mit der deutsche Jungen vor den Gräbern der Gefallenen standen, habe sie auch fleißig und ordnend zupacken sehen«, und dies habe in seinen Augen »den Ernst und die Wahrhaftigkeit dieser jungen Menschen« unter Beweis gestellt.62 Außenstehende von der eigenen Ernsthaftigkeit zu überzeugen, war jedoch nicht das einzige Ziel des Volksbundes. Die Freiwilligen selbst sollten durch ihre Arbeit auf den Soldatenfriedhöfen verändert und zur Übernahme von gesellschaftlicher Verantwortung sowie zur Friedfertigkeit erzogen werden. Der Initiator der Workcamps des Volksbundes für Kriegsgräberfürsorge, Theobald Rieth, war überzeugt: »Was bleibt und wächst, ist die Einsicht, das Verständnis, die Ehrfurcht für den Sinn des Menschenlebens, die Achtung und Rücksicht gegenüber den Mitmenschen und schließlich die Verantwortung für die Gestaltung des eigenen Lebens und der Gemeinschaft, in die Gott uns gestellt hat. Hart und rauh ist die Schale, unter der sich dieses innere Reifen vollzieht und es bewährt sich zum ersten Mal im nüchternen Arbeitstag.«63

Das »innere Reifen« schrieb Rieth zum einen der Konfrontation mit den Kriegsfolgen zu, zum anderen – ganz in der Tradition des Arbeitsethos, das für den Arbeitsdienstgedanken der Vorkriegszeit so zentral gewesen war – dem »nüchternen Arbeitstag«. Beides gehörte für die Workcampbewegung der Nachkriegs­zeit zusammen. Dem renommierten amerikanischen Psychologie-Professor Gordon 61 Schriftwechsel Rhein Pfalz, Landesverband Oberrhein, 22. Dez. 1955, S. 2, AVK, A.100. 62 Ebd. 63 [T. Rieth, SJ], Versöhnung über den Gräbern, [1953], AVK, A.100.

92

W. Allport, der 1948 einige Workcamps in Deutschland besuchte, berichteten die jungen Deutschen, dass die Arbeit für sie notwendig sei, um zu klaren Gedanken und Überzeugungen zu gelangen. Und auch auf seine Frage: »What do you want most in life?«, habe unter den deutschen Workcampern Einigkeit über die Antwort geherrscht: »ehrliche Arbeit«.64 Die starke Betonung der körperlichen Arbeit bekräftigte auch die traditionelle Geschlechterrollenzuteilung, obwohl diese auf internationaler Ebene schon in den späten vierziger Jahren in Frage gestellt wurde. Die Ansichten gingen in diesem Punkt in den nationalen Zweigen des SCI auseinander: In den ersten Nachkriegsjahren bestanden im deutschen wie im Schweizer Zweig der Organisation noch starke Vorbehalte dagegen, Männern und Frauen die gleichen Aufgaben zu übertragen, da die Überzeugung herrschte, »die praktische Arbeit im Friedensdienst« sei »überwiegend Männerarbeit«.65 Aus britischer Perspektive hingegen erschien das Beharren auf der traditionellen geschlechterspezifischen Aufgabenverteilung in den Workcamps als spezifisch deutsches »›Arbeitsdienst‹-prejudice«, wie es Basil Eastland vom IVSP ausdrückte.66 Auch zwei junge Britinnen, die an einem Workcamp der Quäker in Deutschland teilgenommen hatten, beklagten sich: »The ›Hausfrau‹ view of women in the German mind dies hard! So while the men and boys proceeded with the building, the girls cooked and scrubbed tables and washed clothes.«67 Nicht nur das besondere Beharren auf der Aufrechterhaltung der Geschlechterrollen bei der Arbeitsteilung mag als ein Anzeichen dafür zu lesen sein, dass das Arbeitsideal, das vor allem der körperlichen Arbeit einen hohen Stellenwert zuschrieb, in den deutschsprachigen Workcamporganisationen besonders ausgeprägt war. Darauf weist noch ein anderes Charakteristikum der deutschen Workcampbewegung hin, das sich in den euphorischen Worten andeutet, mit denen Dieter Danckwortt, der Gründer der IJGD, 1950 seine Workcamp-Erfahrungen schilderte: »Arbeitslager sind heute ein Weg zur Verwirklichung eines echten Friedens. Durch eine gemeinsame Aufgabe, dadurch, daß man dieselben Erfahrungen macht, dieselben Schwierigkeiten überwinden muß, wächst das Lager zu einer dauerhafteren Freundschaft zusammen und schafft zwischen den sozialen Schichten und den Nationen mehr Verständnisbereitschaft und guten Willen als Konferenzen, Treffen und Diskussionswochen. […] Ich habe das Gefühl, als sei ich früher irgendwie furcht64 Allport, S. 203 f. 65 H. Carstens, Entwurf, Bericht über die Tätigkeit des IFDF Oktober 1946 bis Oktober 1947, 16. Sept. 1947, SCIIA 31001.3; vgl. auch The International Delegates’ Meeting, in: International Voluntary Service for Peace, News Bulletin, Nr. 35, 1947, S. 2, SCIIA, 30305.1; International Voluntary Service for Peace, Post-Service Conference, 24./25. Sept. 1949, SCIIA, 30302.2. Auch im skandinavischen und holländischen Zweig plädierte man dafür, in den Camps die traditionellen Geschlechterrollen aufzuheben. 66 B. Eastland, Report, I. V. S. P., Hannover Conference, 26./27. Okt. 1946, SCIIA, 461027B, auch online: http://www.service-civil-international.org/archives/scid/pdf/46_10_27_1.pdf. 67 Friends Service Council, Monthly Report No 5 Youth work, LARSF, FSC/GE/18/2.

93

bar hoffnungslos gewesen. All das Gerede von dem vereinigten Europa und so, es hat mich nur abgestoßen. Jetzt weiß ich, daß es eine solche Wirklichkeit geben kann.«68

Wie hier diente das immer wieder beschworene Arbeitsideal nicht allein als­ Gegenbild zu Krieg und Militär, sondern wurde darüber hinaus gern in Opposition zu einer anderen Form der Verständigung gesetzt: Anders als in der deutschen Arbeitslagerbewegung um Rosenstock-Hussey vor 1933 sollte sich die Integration in der Sicht eines Teils der Workcamper nun vor allem über die Arbeit, weniger aber über Diskussionen vollziehen. Obwohl abendliche Gesprächsrunden aus vielen Workcamps der Nachkriegszeit nicht wegzudenken waren, galt doch oft die Arbeit als deren wichtigeres Element. In etwas anderer Stoßrichtung als Danckwortt brachte dies Theobald Rieth zum Ausdruck: »Kein Wort fällt bei den Jungen, kein Schimpfen und auch keine dicken ­Sprüche. Die verwitterten und geschändeten Kreuze fordern die Tat und die Antwort ist Tat.«69 Rieths Überzeugung zufolge kam das Schweigen dem Anliegen der Völkerverständigung zugute. Ihm ging es nicht um die Aufarbeitung von Schuld oder um die Diskussion politischer Friedenskonzepte, die »Tat« beförderte den Frieden in seinen Augen effektiver: »Von Nationalismus keine Rede, auch von Europa wurde wenig gesprochen, aber in diesen Stunden war Europa keine Idee mehr, es war zu einem kleinen Stückchen Wirklichkeit geworden«, fuhr er fort.70

c. Das Gemeinschaftsideal Die hier zum Ausdruck kommende Skepsis gegenüber Diskussionen mag man auch als Zweifel an einem zentralen Funktionselement der parlamentarischen Demokratie deuten, wie sie in Deutschland in den ausgehenden vierziger und frühen fünfziger Jahren nicht ungewöhnlich waren.71 Einem großen Teil  der deutschen Jugendlichen fiel es nach 1945 zunächst schwer, den Parlamentarismus zu akzeptieren und zu adaptieren, selbst wenn sie den Gedanken der Demokratie als solche im Grunde befürworteten. Dies betraf auch Jugendliche, die später zu überzeugten Anhängern des Parlamentarismus wurden. Ein Beispiel ist Dieter Danckwortt: 1925 in Göttingen geboren, war er in einem vor der Zeit des Nationalsozialismus konservativ preußisch ausgerichteten Elternhaus aufgewachsen. 1943 zog er als Freiwilliger an die Front. Im darauffolgenden Jahr wurde er schwer verwundet und erlebte das Kriegsende als Kriegsgefangener im Lazarett. Danckwortt gehörte einer Jugendgeneration an, die vor 1945 im Grunde kaum etwas anderes hatte kennenlernen können als das na68 Danckwortt, Ein Beitrag, S. 11. 69 [T. Rieth, SJ], Versöhnung über den Gräbern, [1953], S. 5, AVK, A 100. 70 Zur Vielfalt westdeutscher Europa-Konzepte in der Nachkriegszeit, die durchaus nicht nur liberaler und demokratischer Natur waren, vgl. Conze, Europa. 71 Vgl. Mommsen, Von Weimar nach Bonn; Ullrich, S. 367–412.

94

tionalsozialistische System. Obwohl er sich nach Kriegsende voll und ganz den Grundsätzen der Demokratie verpflichtet sah, mit denen er sich in der Kriegsgefangenschaft und nach seiner Entlassung auf einem Lehrgang an einer Heimvolkshochschule in England vertraut machte, zeigen seine Schriften aus der unmittelbaren Nachkriegszeit, welche Schwierigkeiten der Regimewechsel für diese Jugendgeneration anfänglich mit sich brachte. In den ersten Nachkriegsjahren, so schrieb Danckwortt aus der Rückschau in seinen Memoiren, seien sie »abgestossen [gewesen] von den alten Parteien, die wiedererstanden waren«, und hätten sich »auf der Suche nach einer neuen Lebensform« befunden.72 In einem Rundbrief an seine Freunde erörterte er 1948, in welcher Gestalt sich die Demokratie realisieren lasse: »Wie sollen wir denn anders arbeiten als mit Parteien und Ausschüssen? Die andere Lösung – nun, ich habe erst vor ein paar Tagen ›mein Kampf‹ daraufhin noch einmal durchgearbeitet, er sagt ja alles. Nur der Geist, mit dem diese organisatorische Form ausgefüllt werden soll, muss geändert werden, ist heute falsch und ablehnungswert, die Form an sich ist richtig, bzw. sie ist die ›erträglichste‹.«73

Danckwortt ging hier davon aus, dass einige von ihm als positiv wahrgenommene Aspekte des nationalsozialistischen Gemeinschaftsideals auch einer demokratischen Verfassung förderlich seien. In einem für die lokale Öffentlichkeit bestimmten Artikel schrieb er: »Warum redet und redet man von Demokratie, ohne es auch nur zu versuchen, sie mit den Werten, die wir aus dem National­ sozialismus mit herüber gerettet haben, zu verbinden?«74 Der demokratische Charakter der Camps, der von Briten und Amerikanern gern beschworen wurde, schien bei der Mehrzahl der deutschen Teilnehmer in den ersten Nachkriegsjahren allgemein nur ein nachrangiges Interesse erweckt zu haben. Gordon W. Allport zeigte sich überrascht, dass die deutschen Camper das Wort »Demokratie« nicht mit dem Lagerleben in Zusammenhang brachten.75 Das Gemeinschaftsideal hingegen blieb für die deutsche Workcampbewegung nach 1945 zentral. Die Workcamperfahrung wurde immer wieder als »Gemeinschaftserlebnis« definiert und propagiert. In den Jugendgemeinschaftsdiensten sah nicht nur Danckwortt in der unmittelbaren Nachkriegszeit einen Weg, demokratische Gedanken mit dem Gemeinschaftsideal zu verbinden. Auch ein Freiwilliger des SCI erblickte 1950 in der Rückschau auf die allerersten Nachkriegsjahre die Attraktivität der Lager darin, dass die Jugendlichen in ihnen »viele positive Seiten der Gemeinschaft, die in anderem Gewand anrüchig geworden war, weiter erleben« konnten.76 72 D. Danckwortt, Lebenserinnerungen, S. 25, Privatarchiv der Familie Danckwortt, Bonn. 73 Rundbrief, 7. Juni 1948, ASD, 1/DDAB000002, NL D. Danckwortt. 74 Wandzeitung: Wo stehen wir heute? 4.  April 1947, ASD, Bonn, 1/DDAB000002, NL D. Danckwortt. 75 Allport, S. 209. 76 D. Hartwich, Offener Brief, in: Jahresbericht 1950, SCIIA, 31003.1, SCI Germany, Bulletins, Gruppe Saar.

95

Eng mit dem Gemeinschaftsgedanken verknüpft war überdies weiterhin der Wert der »Kameradschaft«, von dem in den westdeutschen Organisationen ebenfalls noch oft die Rede war. Das Kameradschaftsideal hatte in der Nachkriegszeit nicht an Anziehungskraft eingebüßt, vielmehr war dessen Bedeutung durch die neuerliche Kriegserfahrung in den Augen vieler sogar noch bestätigt worden.77 Der Kult um die Gemeinschaftserfahrung war in Deutschland deutlich stärker ausgeprägt als in Großbritannien. Zwar lobten und beschworen britische Workcamporganisationen und -teilnehmer ebenfalls gern das Ziel, eine »real community« zu bilden. Nicht selten verwendeten die Briten aber auch die nüchterneren Vokabeln »group«, »group life«, »group co-operation« oder »group spirit«, um die Lagerrealität oder das Lagerideal zu beschreiben.78 Nach dem Besuch in einem deutschen Camp benutzte ein britischer Jugendlicher das deutsche Wort »Gemeinschaft«, für das er offenbar keine adäquate Übersetzung ins Englische fand, um den Grad der Gruppenkohäsion zu beschreiben.79 Auch findet sich in den britischen Quellen nicht die gleiche Fixierung auf die Tat im Unterschied zum Wort. Die Wertschätzung der abendlichen Diskussionen verband sich bei den britischen Workcampanbietern mit einer demokratischen Grundüberzeugung. Der IVSP, der nach dem Krieg die ersten Workcamps in Deutschland ausrichtete, sah in ihnen ein Mittel, den deutschen Teilnehmern »internationalism« und »democracy« beizubringen. Die Organisationsform der Freiwilligenarbeit in Lagern hielt man für besonders geeignet, durch »participant project activity« demokratisierend zu wirken und »practical demonstration of democracy at work« zu geben.80 Damit ging das Ziel der britischen Workcamp-Organisatoren einher, bei den deutschen Jugendlichen das Verhältnis zwischen Gemeinschaft und Individuum zu verändern: »The toughest problem will be to transform subordination to authority into personal freedom coupled with self-discipline and true allegiance to one’s community. Here only a long and weary process of education can bring results«, urteilte ein Mitglied des IVSP, der die Workcamps für ein probates Mittel hielt, um dieses langfristige Ziel zu erreichen.81 Die Aufgeschlossenheit vieler Workcamper gegenüber Ideen aus dem Ausland bewirkten bei einigen deutschen Workcamporganisationen und -teilnehmern tatsächlich bald eine kritische Abstandnahme von der starken Idealisierung des Arbeits- und des Gemeinschaftsideals und eine weitere Öffnung hin zu 77 Zum Kameradschaftideal vgl. Kühne, speziell zur Zeit nach 1945, S. 209–270. 78 Campers Evaluation of the Berlin Camp 1956, LARSF, QSRE/WKC/20/5. 79 Ebd., S. 6. 80 Allport, S. 217; Service Civil International, IVSP/IVS Great Britain, IVSP Bulletins No. 39–78, RS/143/IVSP, British Troops Berlin, to Education Department, Berlin Military Government, 26. August 1946 SCIIA, 30305.2. Vgl. Barker; Steinert, Nach Holocaust, S. 182; Stubbe, S. 246; vgl. allgemein zu der britischen Sicht auf die deutsche Jugend und auf ihre Re-educationPolitik Boll, Auf der Suche; Schwarz, Wahrnehmung. 81 Carstens.

96

demokratischen Überzeugungen. Dabei half die Internationalität der Lager, wie es am Beispiel eines Freiwilligen des deutschen Zweiges des SCI deutlich wird. Er war 1950 von einem Studienjahr in den Vereinigten Staaten nach Europa zurückgekehrt, während dessen er – in Theorie und Praxis – die pädagogischen Leitlinien John Deweys kennen und schätzen gelernt hatte. In den Workcamps sah er einen geeigneten Weg, um den Pragmatismus und die Demokratisierungsziele Deweys umzusetzen. Wenngleich er fürchtete, die anderen Mitglieder des SCI würden dies als »Phrase« abtun, definierte er die Lager als »Erlebnis einer ganz bestimmten Art des Zusammenlebens – der Demokratie«.82 Auch bei Dieter Danckwortt waren Auslandseinflüsse für die Aneignung seiner starken demokratischen Grundüberzeugung entscheidend. Sie prägten die Konzeption der IJGD.83 Bereits 1954 betont ein Mitarbeiter der Organisation, es sei ein Vorteil der Workcamps, dass sie Vorurteile in Frage stellten und Konflikte provozierten, und stellte somit das Ideal einer auf Harmonie bedachten Gemeinschaft in Frage: »Durch dieses Konfliktmoment und seine Bejahung unterscheidet sich das Lager von allen anderen Formen des internationalen Austausches, die diesen Konflikten meist von vornherein aus dem Wege zu gehen versuchen und daher hinsichtlich der internationalen Verständigung oder der Staatsbürgererziehung wirklichkeitsfremd sein können.«84

Ende der fünfziger Jahre problematisierte Danckwortt, der inzwischen sein Studium absolviert und ein Studienjahr in den Vereinigten Staaten verbracht hatte, den Gegensatz zwischen Wort und Tat. Gemeinsam mit dem Soziologen Dieter Claessens publizierte er 1957 eine kritische wissenschaftliche Evaluation seiner eigenen Organisation, in der er auch ihre Ziele absteckte. Er war überzeugt, dass Diskussionen fester Bestandteil von Workcamps sein müssten. Als Ideal strebte er inzwischen eine Organisation mit »parlamentsartig aufgebauten Gremien« an, die eine mustergültige »Vorschulung für spätere politische oder verwaltende Arbeiten« sein könne, und erklärte es zu einem Ziel der Lager der IJGD, die Diskussionsfähigkeit der Jugendlichen zu fördern.85 Doch stellte Danckwortt mit solchen Ideen in der Workcampbewegung in dieser Zeit offenbar noch eine Ausnahme dar, wie es unter anderem seine eigene Enttäuschung über die Politikabstinenz großer Teile der Jugend zeigt. Er bedauerte, dass viele der Teilnehmer und Teilnehmerinnen »keine Auseinandersetzungen« führen wollten: »Sie wollten zusammen fröhlich und unbeschwert sein und ›nur nicht über Politik reden‹«, so Claessens und Danckwortts Einschätzung.86 82 D. Hartwich, Offener Brief, in: Jahresbericht 1950, SCIIA, 31003.1, SCI Germany, Bulletins, Gruppe Saar. 83 Danckwortt, Internationale Jugendgemeinschaftsdienste, S. 47. 84 Kaiser, S. 249. 85 Claessens u. Danckwortt, S. 189. 86 Ebd., S. 184.

97

In der Tat war das Spektrum der Motive für die Teilnahme an den Camps breit gefächert und bei weitem nicht immer mit großem politischen Interesse verbunden. Die Hoffnung, mit den Camps zu Völkerverständigung und Frieden beizutragen, wurde zwar von den meisten Workcampern geteilt. Sie war allerdings nicht das einzige und auch nicht immer das wichtigste Teilnahmemotiv. Zu den ersten Lagern beispielsweise kamen zahlreiche Jugendliche unter anderem deshalb, weil sie dort regelmäßige und reichhaltige Mahlzeiten erhielten, was für die ausgehungerte deutsche Bevölkerung in der unmittelbaren Nachkriegszeit eine Seltenheit war.87 Zentral für den Erfolg der Workcampbewegung war aber vor allem, dass die Dienste, wie es ein deutsches Mitglied des SCI 1950 ausdrückte, die Möglichkeit boten, »in die Reichweite sonst unter Denkmalschutz gestellter Ausländer« zu gelangen.88 In dieser Zeit war dies bei vielen jungen Deutschen ein starker Anreiz zur Teilnahme. Vor allem die Workcamps außerhalb Deutschlands waren beliebt, oft wurden sie für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zur ersten Auslandserfahrung. Das große Interesse an den Lagern mag für viele nur aus einem diffusen Fernweh hervorgegangen sein, zumal die Auslandsreisen es den Jugendlichen erlaubten, dem tristen Alltag im zerbombten Deutschland zu entkommen.89 Einige Jugendliche waren indes nach dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus mit Blick auf den politischen Neuanfang auch neugierig auf den Kontakt zu den demokra­tischen Nachbarstaaten.90 Andere wiederum wollten die Kriegsschauplätze kennenlernen, mitunter hatten sie Angehörige, die dort gekämpft hatten oder gar gefallen waren. Eine solche Motivation erwähnen vor allem die Quellen zu den ersten Jugendlagern des Volksbundes für Kriegsgräberfürsorge.91 Fragt man nach der Wirkung, so förderte die Workcampbewegung wohl die internationale Verständigung sowie in gewissem Maße Demokratisierungstendenzen. Letzteres verdankte sich vor allem dem Kontakt mit dem Ausland und ist weniger darauf zurückzuführen, dass die Jugendlichen keine nationalis­ tischen Ideale verinnerlicht hätten. Allerdings war es die verbreitete Vorstellung einer solchen jugendlichen Unbeflecktheit, die zumindest einem Teil der deutschen Workcamper die Übernahme demokratischer Überzeugungen erleichterte. Denn diese Vorstellung öffnete ihnen die Türen ins Ausland früher und 87 B. Schröter, Die ersten Jahre des Zivildienstes in Berlin, 1946–51, ISV Geschichte des IZD, 1946–50; I. Razvi, Mein erstes Lager in Rendsburg 1946, S.  1; Protokoll der Gründungsversammlung in Hannover 27./28. Okt. 1946, S.  4, SCIIA, 31000.5; D. Hartwich, Offener Brief, in: Jahresbericht 1950, SCIIA, 31003.1, SCI Germany, Bulletins, Gruppe Saar; Allport, S. 199, S. 204. 88 Ebd. 89 Dieses Motiv galt Allport zufolge bereits für die Camps innerhalb Deutschlands, ebd., S. 204. 90 B. Schröter, Die ersten Jahre des Zivildienstes in Berlin, 1946–51, ISV, Geschichte des IZD, 1946–50, I. Razwi, Mein erstes Lager in Rendsburg 1946, S. 1, SCIIA, 31000.5. 91 [T. Rieth, SJ], Versöhnung über den Gräbern, [1953], S. 5, AVK, A 100; vgl. zu diesem Motiv auch allgemein für deutsche Auslandsreisen in der Nachkriegszeit Manning, S. 112–114.

98

weiter als den Erwachsenen und konfrontierte sie mit neuen und ungewohnten Ansichten ausländischer Jugendlicher. Allerdings sollten die demokratisierenden und vorurteilsabbauenden Wirkungen der Workcamps wohl auch nicht überschätzt werden: Sprachschwierigkeiten ebenso wie mangelndes politisches Interesse bei vielen Jugendlichen setzten ihnen enge Grenzen.92

2.3 Arbeitsethos in Gefahr? Jugendarbeitsdienste in Westdeutschland Wurden kurzzeitige Ferienarbeitslager ebenso wie längerfristige Arbeitsdienste vor 1933 durch ein sehr breit gefächertes Spektrum von Befürwortern charak­ terisiert, lässt sich hier für die Zeit nach 1945 eine Veränderung verzeichnen und beide Ausformungen des Arbeitsdienstgedankens schlugen andere Entwicklungspfade ein: Während sich die Workcampbewegung vor allem dem Frieden und der europäischen Einigung verschrieb, fand der Arbeitsdienstgedanke in Deutschland fast ausschließlich noch in konservativen und nationalen Kreisen Beifall. Dennoch wurde eine lebhafte Diskussion über die Wiedereinführung von Arbeitsdiensten geführt und einige neue Arbeitsdienstprojekte konnten tatsächlich auch ins Leben gerufen werden. Exakte Teilnehmerzahlen liegen für diese Arbeitsdienste indes nicht vor. Einen Hinweis auf die Größenordnung gibt lediglich eine Statistik der Bundesarbeitsgemeinschaft Jugendaufbauwerke. Sie verzeichnete 1950 in der Bundesrepublik insgesamt 522 solcher Werke, an denen 35.000 Jugendliche teilnahmen. Unbezahlte Arbeitsdienste machten allerdings nur einen kleinen Teil davon aus.93 Schlug also die Debatte um die Wiedereinführung von Arbeitsdiensten in der deutschen Öffentlichkeit hohe Wellen, so führte dies nur in einem recht bescheidenen Umfang dazu, dass solche Pläne umgesetzt wurden. Die Bedeutung der Debatte liegt daher in erster Linie in ihrer Aussagekraft zur Selbstverständnisdiskussion der Westdeutschen und zu ihrem Verständnis von Freiwilligkeit und Gemeinwohl in der Nachkriegszeit. Einfluss und Auswirkungen der realisierten Arbeitsdienste selbst hingegen sind eher gering zu veranschlagen. Auch können sie aufgrund der Quellenlage fast nur im Spiegel der Wahrnehmung durch die ältere Generation betrachtet werden. Dennoch ist die Kenntnis dieser Arbeitsdienstdiskussionen wichtig, um Kontinuitäten auszu­ loten und die sehr viel erfolgreichere Einführung von Freiwilligendiensten im zweiten Nachkriegsjahrzehnt interpretieren und bewerten zu können. Auch lassen sich an ihnen verbreitete Einstellungen zu gesellschaftlichem Engagement herausarbeiten. 92 Sprachschwierigkeiten werden etwa in einer langen Evaluation eines Quäker-Camps 1956 problematisiert, LARSF, QSRE/WKC Archives Box 20/5; vgl. Allport, S. 199 f., S. 213. 93 Beckert, S. 1316.

99

a. Die Diskussionen um die Wiedereinführung von Arbeitsdiensten In der amerikanischen und britischen Öffentlichkeit wurde bereits gegen Kriegsende diskutiert, nach dem Krieg in Deutschland auf freiwilliger oder verpflichtender Basis längerfristige Jugenddienste im Wiederaufbau einzurichten. Vor allem erwog man, Jugendliche für solche Dienste ins Ausland zu schicken.94 Doch wurden diese Pläne nicht realisiert und die Hohe Kommission sprach sich sogar ausdrücklich gegen die Wiedereinführung von Arbeitsdiensten aus.95 Aber auch abgesehen davon, dass der Gedanke eines verpflichtenden Jugenddienstes in der Öffentlichkeit der westalliierten Staaten aufgrund der Assoziation von Pflichtarbeitsdiensten mit der Hitlerdiktatur diskreditiert war, gab es eine Vielzahl an Gründen, die ihren Erfolgschancen entgegenstanden: Die wirtschaftliche Notlage war ein erstes Hindernis:96 Ein Großteil der deutschen Bevölkerung war nach dem Kriegsende zunächst vor allem damit beschäftigt, das eigene Überleben zu sichern. Angesichts der verbreiteten Not wäre eine längere Abwesenheit von zuhause vermutlich nur für wenige Jugendliche realisierbar gewesen. Die Bereitschaft an einem Dienst teilzunehmen, der wie die Hilfseinsätze der britischen Organisationen fern vom Heimatort stattfand, war aber noch aus anderen Gründen zweifelhaft. Zahlreiche Familien wollten nach oftmals monate- oder jahrelanger Zerrissenheit während des Krieges keine neuerlichen Trennungen auf sich nehmen.97 Hilfseinsätze im Ausland schienen überdies angesichts der Notlage und der Trümmerlandschaft in Deutschland aus nationalem Denken heraus eine besondere Legitimation zu erfordern. Das galt schon für kurzfristige Workcamp­ einsätze. So berichtete eine deutsche Freiwillige, die 1947 an einem Workcamp des IVSP in England teilgenommen hatte, in der Zeitschrift der Organisation: »Did I like the idea of going over to Great Britain this summer to work in a harvest camp? It is really a delicate question for a German who sees all the misery and bitterness in his own country, where there is so much need for help to go to another country […]«.98 Für langfristige Dienste müssen solche Bedenken umso stärker gewesen sein. Außerdem lag es offenbar nahe, den Gedanken eines Freiwilligendienstes im Ausland auch als Schuldgeständnis aufzufassen. Dies suggeriert der Vorschlag, den die Quäkerfamilie Halle aus Berlin, die dem nationalsozialistischen Regime

94 Vgl. Huxley; Allport, S. 192; Patel, S. 418. 95 Wörtlich hieß es: »Any program which contains elements of the Arbeitsdienst is not to be supported«, Office of the U. S. High Commissioner for Germany: U. S. Resident Officers Conference, Bd. 2, S. 54. 96 Allport, S. 194. 97 Noch das starke Häuslichkeitsideal der fünfziger Jahre lässt sich hieraus erklären, vgl. Schildt, Moderne Zeiten, S. 110–120. 98 Erhardt, S. 7.

100

kritisch gegenübergestanden hatte und deren Emigration aus Deutschland nur aufgrund des Kriegsbeginns gescheitert war, 1946 den britischen Quäkern unterbreitete. Sie empfahlen die Einrichtung eines vom Gedanken her der späteren Aktion Sühnezeichen ähnlichen Dienstes, um einen Weg für die Deutschen zu schaffen, »beim Wiederaufbau der durch den Krieg zerstörten Gebiete für die Schuld ihres Landes an diesem Kriege eine Sühne zu leisten«.99 Doch zu einem Schuldbekenntnis war die Mehrheit der Deutschen nach dem Krieg nicht bereit, was die alliierten Beobachter sehr deutlich registrierten.100 Überdies war absehbar, dass die Anwesenheit deutscher Freiwilliger in großen Teilen des europäischen Auslands unerwünscht sein würde.101 Das Beispiel des Vorschlags der Quäkerfamilie zeigt, dass es auch auf deutscher Seite bereits in der unmittelbaren Nachkriegszeit Ideen gab, friedens- oder wohlfahrtsorientierte Hilfsdienste von mehrmonatiger Dauer einzurichten, die denjenigen der ausländischen humanitären Hilfsorganisationen vergleichbar waren. Umgesetzt wurden sie indes nicht. Demgegenüber mag es überraschen, wie schnell nach Kriegsende in konservativen, kirchlichen und nationalen Kreisen erste Anstrengungen unternommen wurden, um Arbeitsdienste einzurichten, die sich an das Modell der Weimarer und der nationalsozialistischen Zeit anlehnten. Um die Wiedereinführung von Arbeitsdiensten entbrannte bereits unmittelbar nach Kriegsende eine lebhafte Kontroverse. Angefeuert wurde sie oft von ehemaligen Arbeitsdienstführern des Reichsarbeitsdienstes, die – in der Regel erwerbslos und von den Entnazifizierungsmaßnahmen betroffen – dabei auch darauf spekulierten, wieder eine Anstellung zu finden. Nicht zuletzt der ehemalige Reichsarbeitsführer, Konstantin Hierl, bemühte sich in Aufsätzen sowie 1954 mit einer rückblickenden Buchpublikation um die Ehrenrettung des Arbeitsdienstgedankens und gleichzeitig seiner eigenen Person.102 Dies sollte nicht dazu verleiten, die Debatte als marginal abzutun. Hatte sich der Reichsarbeitsdienst in der nationalsozialistischen Zeit zu einer etablierten und in der Bevölkerung weithin anerkannten Einrichtung entwickelt, so gehörte er nach 1945 weiterhin zu denjenigen Maßnahmen, die viele Deutsche als positive Errungenschaft des Regimes ansahen. In einer EMNID-Umfrage von 1951 sprachen 99 Brief der Familie Halle an den Friends Relief Service in London, Berlin, 9.  Febr. 1946, LARSF, FSC/GE/20/1. 100 Vgl. L. W. Bondy, Europe 1946 – 3: Report on a recent journey to Germany, London, the Wiener Library, 1946, S. 6, MA, Box 2 A 4: »I found no trace anywhere of a feeling of guilt, or the consciousness that every individual, or at least many of them, must bear part of the responsibility for the war and its attendant misery. Some with whom I spoke were only too ready to admit the guilt of some individual high-up Nazis hardly ever Hitler – but this guilt consisted, in their mind, not in having loosed the war, but in having lost it. The Germans today seem but too ready to place the blame on almost anyone but themselves.« Vgl. zur deutschen Vergangenheitspolitik Frei, Vergangenheitspolitik. 101 Best u. Pike, S. 121. 102 Hierl, Im Dienst für Deutschland.

101

sich 64 Prozent der befragten Deutschen für die Wiedereinführung eines freiwilligen Arbeitsdienstes aus.103 Dementsprechend fanden Vorschläge zur Einrichtung von Arbeitsdiensten – ob freiwillig oder verpflichtend – in den Medien ein starkes Echo und auch einflussreiche Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens wie etwa der Soziologe Helmut Schelsky trugen zu ihrer Diskussion bei.104 Vielen der Arbeitsdienstpläne wurde die Genehmigung der Besatzungsbzw. später der deutschen Behörden versagt – das galt insbesondere für die Vorschläge aus dem Kreis ehemaliger Arbeitsdienstführer. Dabei spielte freilich auch eine Rolle, dass es ihnen in der Regel nicht darum ging, eigene Arbeitsdienstprojekte ins Leben zu rufen – wozu ihnen Mittel und Möglichkeiten fehlten, sondern dass sie viel weiterreichender die Regierung zur Einführung eines staatlichen Dienstes aufforderten. Dennoch sind auch diese Pläne sowie die Vorstellungen, die hinter ihnen standen, auszuwerten, um das Spektrum der Arbeitslagerideen zu bemessen, das Kräfteverhältnis in der Arbeitsdienstdiskussion einzuschätzen und Erfolgsspielräume auszuloten. Tatsächlich wurden in der frühen Nachkriegszeit etliche erfolgreiche Arbeitsdienstprojekte ins Leben gerufen. Bereits für Juni 1945, also für eine Zeit, als das öffentliche Leben noch weitgehend brach lag, lancierte das SchleswigHolsteiner Arbeitsamt einen Arbeitsdienst.105 Während die Forderung nach der Einführung eines staatlichen Arbeitsdienstes indes von dieser Ausnahme ab­ gesehen nicht erfüllt wurde, gelang aus kirchlicher und zivilgesellschaftlicher Initiative heraus die Einrichtung von Jugenddiensten recht häufig: In Hannover etwa entstand die Evangelische Zentrale für den freiwilligen Arbeitsdienst, von katholischer Seite wurde seit 1947 der Freiwillige Soziale Werkdienst für Mädchen im Hedwig-Dransfeld-Haus in Bendorf angeboten, der die Mithilfe in Familienkrankenhäusern, im Wiederaufbau, sowie in der Jugend- und Mütter­ arbeit umfasste.106 Das Soziale Jugendwerk in Berlin wurde zwischen 1950 und 1953 in privater Trägerschaft durchgeführt.107 Hinzu kamen zahlreiche sogenannte »Jugendaufbauwerke«, die arbeitsdienstähnlich aufgebaut waren, sich von ihnen allerdings doch wesentlich dadurch unterschieden, dass ihren Teilnehmern ein geringer Lohn ausgezahlt wurde und sie überdies teilweise ein berufsorientiertes Kursprogramm vorsahen. Sie sind daher nicht so sehr als freiwillige Gemeinschaftsdienste, sondern vielmehr als Ausbildungsmaßnahmen zu charakterisieren. Da die Grenze zwischen Arbeitsdiensten und Aufbau­ werken aufgrund der Quellenlage und der teilweise fehlenden Differenzierung der Zeitgenossen nicht immer leicht zu ziehen ist, werden Letztere im Folgenden, dort wo die Gemeinsamkeiten überwiegen, punktuell mit betrachtet. 103 Arbeitsdienst verpönt?, in: Die Welt, 11. Jan. 1952, Nr. 9, S. 2. 104 Schelsky, Für und wider. 105 Laut Auskunft des Landesarchivs Schleswig-Holstein liegt dort kein Aktenmaterial zu diesem Arbeitsdienst vor, e-mail Korrespondenz mit der Verfasserin vom 9. Nov. 2009. 106 Arbeitskreis freiwilliger sozialer Dienst/freiwilliges soziales Jahr, S. 17. 107 Vgl. Gröschel u. Schmidt, S. 202 f.

102

Bereits die Tatsache, dass die früheste überlieferte Initiative, einen Arbeitsdienst zu etablieren, von einem Arbeitsamt ausging, offenbart ganz deutlich das zentrale Ziel der deutschen Arbeitsdienstplanungen in der Nachkriegszeit, das sich stark am Weimarer Arbeitsdienst orientierte.108 Sämtliche Projekte aus den vierziger und frühen fünfziger Jahren – unabhängig davon, ob sie im Planungsstadium stecken blieben oder tatsächlich durchgeführt wurden – sollten kurzzeitige Arbeitsplätze schaffen und damit die Jugendarbeitslosigkeit verringern. 1950 lag die Erwerbslosenquote bei über zehn Prozent. Etwa ein Viertel dieser Arbeitslosen, in absoluter Zahl je nach Zählung 500.000–700.000, waren Jugendliche zwischen 14 und 24 Jahren.109 Die »Jugendberufsnot« bestimmte die jugendpolitischen Diskussionen der Zeit.110 In den Augen vieler Zeitgenossen schienen sich in der Nachkriegszeit der späten vierziger und frühen fünfziger Jahre die Wirren der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg zu wiederholen. Ein von evangelischer Seite beauftragter Lage­ bericht zur Situation der Jugend aus dem Jahr 1949 urteilte beispielsweise, Deutschland habe sich »in den Jahren 1918–1922 in einer ähnlichen Lage« befunden, wie sie sich nun nach dem Zweiten Weltkrieg wieder präsentierte, wobei die »allgemeinen Bedingungen damals […] unvergleichlich günstiger« gewesen seien, da Deutschland in den Weimarer Jahren noch über größere landwirtschaftliche Gebiete verfügt habe und nicht zweigeteilt gewesen sei.111 Und so griff man konzeptionell mit diesen Arbeitsdiensten durchgehend auf den als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme eingerichteten Freiwilligen Arbeitsdienst der Weimarer Zeit zurück. Die Einführung von Arbeitsdiensten sollte darüber hinaus in den Augen ihrer Fürsprecher jedoch noch einen anderen Missstand beheben, den es in dieser Form in der Weimarer Zeit nicht gegeben hatte. In den ersten Jahren nach Kriegsende wurden Arbeitslager sowohl in kirchlichen als auch in weltlichen Initiativen als Lösungsansatz für das Problem der sogenannten »wandernden« oder »streunenden Jugend« gepriesen.112 In ihnen sollten Jugendliche, die durch Ausbombung oder Flucht verwaist und wohnungslos geworden waren und sich auf eigene Faust durchschlagen mussten, ein neues Zuhause finden.113 Diese »heimatlose Jugend«, deren Zahl man sehr groß schätzte, wurde in den späten­

108 Der Präsident des Landesarbeitsamtes Schleswig-Holstein, Anwendungsvorschrift Nr.  1 zu den Anweisungen über die Freiwillige Jugendarbeit, gez. i.A. Dr. Mierke, Kiel, 15. Jan. 1947, ADE, ZB 1146, Bd. 1, Fürsorge für Jugendliche. 109 Vgl. Speitkamp, S. 254 f. 110 Münch, S. 632–634. 111 Situationsbericht über die Heimat- und Berufslosigkeit der deutschen Jugend, 1949, ADE, ZB 1149, Freiwilliger Jugend- und Aufbaudienst in Baden-Württemberg. 112 Vgl. Sachße u. Tennstedt, S. 133–139. 113 Das Hilfswerk der Ev. Kirchen in Deutschland Zentralbüro, Protokoll betr. Erfahrungsaustausch über Hilfsmaßnahmen für gefährdete Jugend auf der Vilbeler Höhe vom 31. Mai bis 2. Juni 1948, ADE, CAW 765, Freiwilliger Jugend- und Aufbaudienst.

103

vierziger Jahren von vielen Zeitgenossen mit äußerster Besorgnis betrachtet. Es gelte, fürchtete der zitierte Lagebericht, »diese hunderttausend verzweifelten und verelendeten jungen Menschen vor der völlig moralischen oder psychischen Vernichtung zu retten«.114 In einigen Aufrufen zur Wiedereinführung von Arbeitsdiensten wurde schließlich wie bei den Weimarer Diensten mit deren vermeintlichen ökonomischen Wert argumentiert. Es lasse sich mit einer solchen Institution die »Zuführung einer beachtlichen Zahl brachliegender Arbeitskräfte zur werteschaffenden Arbeit« sicherstellen, so die Überzeugung.115 Allgemein finden sich allerdings ökonomische Begründungen der Arbeitsdienstforderung weitaus seltener als zu Weimarer Zeiten. Waren sie schon damals umstritten gewesen, hatten sie nun weiter an Überzeugungskraft verloren. Es wurde bezweifelt, dass ein Arbeitsdienst ein wirksames Mittel gegen die Erwerbslosigkeit darstelle. Denn er vermittle keine Arbeit und fördere noch nicht einmal die Berufsausbildung, die eventuell in eine längerfristige Beschäftigung münden könne. Somit könne er die Not lediglich »mit einem billigen Pflästerchen zudecken, ohne zu heilen«, urteilte der vom Staatsekretär und späteren Bundesfamilienminister Franz-­ Josef Wuermeling um Stellungnahme gebetene Leiter der Katholischen Landjugend Domvikar Heinrich Tenhumberg 1952.116 In zahlreichen Schriften betonten Arbeitsdienstbefürworter nach 1945, dass die Dienste in erster Linie einen erzieherischen Zweck verfolgen sollten. Hatten Zeitgenossen den Weimarer Arbeitsdienst in einen wirtschaftlichen und einen pädagogischen Typ geschieden, so hatte Letzterer sich in den Diskussionen nach 1945 eindeutig als angestrebtes Idealbild durchgesetzt.117 Dieser Trend war zum einen schon in der starken erzieherischen und auf Disziplin zielenden Funktion angelegt gewesen, die den Reichsarbeitsdienst geprägt hatte. Zum anderen schien die pädagogische Ausrichtung wohl auch geeigneter, um der nach 1945 deutlich stärkeren Kritik am Arbeitsdienstgedanken zu begegnen. Die erzieherische Funktion hielten Arbeitsdienstbefürworter vor allem deshalb für wichtig, weil sie glaubten, aufgrund der hohen Erwerbslosigkeit fehle mit der Berufsarbeit eine wichtige Disziplinierungsinstanz. Ein Konzeptpapier des Hilfswerks der Evangelischen Kirchen beispielsweise, das 1948 im Rahmen 114 Situationsbericht über die Heimat- und Berufslosigkeit der deutschen Jugend, 1949, ADE, ZB 1149, Freiwilliger Jugend- und Aufbaudienst in Baden Württemberg. 115 H. Tenhumberg, Domvikar Münster an den Staatssekretär a.D. Dr. Würmeling MdB, Linz Rhein, 23. Jan. 1952 BA, B 153/150, Film 1, 036, Tenhumberg hob diesen wirtschaftlichen Aspekt als positiv hervor, obwohl er sich insgesamt gegen die Einführung eines Arbeitsdienstes aussprach. 116 H. Tenhumberg, Domvikar Münster an den Staatssekretär a.D. Dr. Wuermeling MdB, Linz Rhein, 23. Jan. 1952, BA, B 153/150, Film 1, 039; zu der berufsorientierten Jugendarbeit Tenhumbergs vgl. Wissig, S. 41–43. Tenhumberg wurde später Bischof von Münster. 117 Schellenberg, S.  29 f. Schellenberg nahm außerdem noch einen »neutralen Typ« in seine Klassifikation mit auf, in dem wirtschaftliche und pädagogische Zielsetzung gleichwertig nebeneinander stehen.

104

der Vorbereitungen für einen freiwilligen Jugendarbeitsdienst erstellt wurde, unterstrich: »Die Arbeit ist von jeher der beste und zuverlässigste Erziehungsfaktor gewesen, deswegen hat sie auch im Mittelpunkt der Tätigkeit der Angehörigen des Evang. Aufbaudienstes zu stehen.«118 Ein vom Hilfswerk für die Planungen zu Rate gezogener promovierter Referent für Rechtsfragen malte das angenommene Destruktionspotenzial der Jugendarbeitslosigkeit im gleichen Jahr auch noch drastischer aus: »Noch schlummern die zerstörenden Kräfte, die in diesem Fäulnisherd zusammengeballt sind, aber wer kann sagen, wie lange noch Ruhe herrschen wird […].«119 Die Angst vor den Folgen der Erwerbslosigkeit war Teil  einer nach 1945 verbreiteten kulturpessimistischen Stimmung, die an die Weimarer Zeit anknüpfte.120 Die Arbeitslosigkeit galt in der Nachkriegszeit als verheerend, weil man befürchtete, sie werde schwerwiegende langfristige Konsequenzen zeitigen. Insbesondere betrachtete man sie, da sie Depression und Verbitterung hervorrufe, als eine essentielle Ursache des wahrgenommenen moralischen Niedergangs. Sie zu bekämpfen, definierten daher viele in den Jahren nach 1945 als vordringliches Ziel. Insbesondere Jugendliche erschienen durch die Arbeitslosigkeit gefährdet.121 Daran koppelte sich die Sorge vor einer steigenden Kriminalität sowie vor einer politischen Radikalisierung. Noch durchsetzt mit nationalsozialistischem und sozialdarwinistischem Vokabular hieß es etwa 1951 in einer Zuschrift an die Bundesregierung über die Notlage der Arbeitslosen, die sich in dem »verbleibenden Lebensraum« nach der territorialen Verkleinerung Deutschlands durch die Flüchtlingsströme noch zugespitzt habe: »Der Kampf dieser, um Arbeit, Brot, Wohnung und Kleidung, ja um die nackte Existenz Ringenden führte zu gefährlichen sozialen Spannungen innerhalb des Volksganzen. Geldentwertung und Hungersnot zerstörten das Fundament der sozialen Ordnung und trieben die Menschen einer zunehmenden Lethargie oder fortschreitenden Radikalisierung zu.«122

Die Befürworter des Arbeitsdienstgedankens beschworen nicht nur dieselben Deutungen wie zu Weimarer Zeiten, sondern sie erschienen ihnen gerade im 118 Freiwilliger Jugend- und Aufbaudienst, Hilfswerk der Ev. Kirchen in Deutschland, Zentralbüro, Stichworte für die Diskussion über den Vortrag »Die rechtlichen Grundlagen des Ev. Aufbaudienstes« [1948], ADE, CAW 765, Freiwilliger Jugend- und Aufbaudienst. 119 H. Koch, Jugendwanderarbeitslager und Evangelischer Aufbaudienst unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsgrundlagen), Stuttgart, 10. Mai 1948, S. 15 f., ADE, ZB 1146, Bd. 1, Fürsorge für Jugendliche. 120 Vgl. Herbert, Wandlungsprozesse, S. 23 f. 121 Dies zeigt sich hier deutlich im Gegensatz zu der von Raithel, S. 60, vertretenen These, die Jugendarbeitslosigkeit habe lange Zeit weniger beunruhigt als die Arbeitslosigkeit im mittleren Alter. 122 J. Giesen, Oberarbeitsführer a.D., Denkschrift über die Notwendigkeit der Wiedereinführung eines freiwilligen Arbeitsdienstes, 16. Aug. 1951, BA, B 153/150 (1–193), Film 1, 082.

105

Rückblick in noch düstererem Licht. In zentralen Punkten schien die nationalsozialistische Diktatur die pessimistische Deutung der Zwischenkriegsjahre bestätigt zu haben. An dieser Argumentation tritt ein Charakteristikum der gesamten Debatte besonders auffällig zu Tage: Zwar zeigt sich hier, dass die negative Sicht auf die Jugend durch die moralische Verunsicherung der Erwachsenen nach den Verirrungen des Nationalsozialismus entscheidende Impulse erhalten hatte. Dennoch gingen die Befürworter des Arbeitsdienstgedankens nicht darauf ein, dass diese Jugendlichen in ihrem bisherigen Leben kaum etwas anderes als das nationalsozialistische System kennengelernt hatten, wie dies die Westalliierten sowie einige kritische Stimmen in der pädagogischen Diskussion in Deutschland nach 1945 taten.123 Auf die NS-Zeit kam man bei der Begründung der wahrgenommenen Notwendigkeit für eine Wiedereinführung von Arbeitsdiensten zwar zu sprechen, aber in der Regel nur im Zusammenhang mit der Erwerbslosigkeit, die ihr vorausgegangen war. In dem weiter oben bereits zitierten Situationsbericht der evangelischen Kirche aus dem Jahr 1949 etwa hieß es weiter: »Aus der arbeitslosen Jugend der Jahre nach 1918 rekrutierten sich vornehmlich die anfangs illegalen Verbände des Nationalsozialismus, die SS, die SA, die dann in der weiteren Folge die Voraussetzung für die Machtergreifung des Nationalsozialismus darstellten.«124 Auch der Gefahr einer politischen Entgleisung sollte der Arbeitsdienst nun entgegentreten. Durch ihn sei es möglich, den arbeitslosen Jugendlichen »wieder einen Lebensinhalt zu geben und sie der Möglichkeit des Zugriffes radikaler Elemente zu entreissen«.125 Der Rückgriff auf traditionelle Argumentationsmuster hatte hier entlastende Funktion: Indem insbesondere die ältere Generation betonte, die eigenen kulturpessimistischen Positionen aus der Weimarer Zeit seien durch den Nationalsozialismus bestätigt worden, sprach sie sich selbst von einer Mitschuld an diesem frei, wie auch dadurch, dass sie den moralischen Werteverfall auf die Jugend projizierte.126 Nicht allein mit den Lehren aus der Vergangenheit mahnten die Befürworter des Arbeitsdienstgedankens allerdings. Im beginnenden Kalten Krieg eröffnete sich für einige auch noch ein anderes Bedrohungsszenario. »Schauen wir nur mal nach der Ost-Zone«, beschwor 1952 eine anonyme Eingabe das Bundesinnenministerium, die aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit vor einer baldigen wirtschaftlichen Unterlegenheit warnte und den Blick dabei auch auf den sogenannten »Dienst für Deutschland« lenkte, einen freiwilligen Jugendarbeits123 Vgl. zur Jugendschutzdebatte allgemein Heinritz, S. 296 f. 124 Situationsbericht über die Heimat- und Berufslosigkeit der deutschen Jugend, 1949, ADE, ZB 1149, Freiwilliger Jugend- und Aufbaudienst in Baden-Württemberg. 125 Arbeitsgemeinschaft zur Förderung des freiwilligen Arbeitsdienstes e. V., BA, B 153/150, Film 1, 160. 126 Vgl. Fisher, der belegt, wie im exkulpatorischen westdeutschen Nachkriegsdiskurs die­ Jugend für den Nationalsozialismus verantwortlich gemacht wurde.

106

dienst, der im Frühjahr des Jahres in der DDR eingerichtet worden war.127 Dass dieser aufgrund seiner mangelnden Wirtschaftlichkeit schon im Folgejahr wieder aufgelöst werden sollte, ahnte der Autor des Schreibens noch nicht.128 Wie für zahlreiche bundesdeutsche Zeitgenossen stand der Westen in seinen Augen angesichts der »Systemkonkurrenz« unter Zugzwang. Denn wie die Initiative in Ostdeutschland zeige, wachse dort »ein spartanisch erzogenes Geschlecht heran, das, geleitet nach östlicher Weltanschauung, zu allem fähig ist und unter diesen Umständen uns in unserer Lethargie eines Tages überrennen könnte. Es ist Gefahr im Verzug und es ist unsererseits keine Zeit zu verlieren.« Wenn der Autor hier die Einführung eines Arbeitsdienstes empfahl, verortete er sich also im Westen, distanzierte sich aber doch gleichzeitig gewissermaßen auch vom westlichen System, das zur »Lethargie« verführe. Ebenso wie der Weimarer Arbeitsdienst als Mittel der Sozialdisziplinierung beschrieben worden ist, lassen sich auch die Initiativen im ersten Jahrzehnt nach dem Zweiten Weltkrieg weiterhin als ein solches charakterisieren, blickt man auf den Katalog klassischer Sekundärtugenden, die den Teilnehmern und Teilnehmerinnen anerzogen werden sollten. In einem Planungspapier für einen evangelischen Jugenddienst aus dem Jahr 1952 werden ebenso wie in einem der zahlreichen an die Ministerien der jungen Bundesrepublik versandten Appelle zur Wiedereinführung eines staatlichen Arbeitsdienstes »Zucht und Ordnung« als erstrangige Erziehungsziele genannt.129 In der Tat rückte die Arbeitsdienstdiskussion damit in die Nähe einer Diskussion um Strafdienste. Vorschläge für tatsächliche Strafdienste zeigen, für wie effektiv man Arbeitsdienst als Disziplinierungsmittel hielt. Mit einem Arbeitsdienst – in diesem Fall einem als Züchtigungsmaßnahme verordneten Pflichtdienst speziell für Frauen – empfahl man beispielsweise, gegen die Syphilis anzukämpfen. Die jungen Frauen, die den Besatzungssoldaten ihre Liebesdienste anböten, so hieß es 1947 in einer kommunistischen Tageszeitung, solle man dienstverpflichten. Durch »harte, nützliche, ermüdende Arbeit, so die Hoffnung, könnten sie »vielleicht bekehrt werden«.130 Während der kulturkritische Jugenddiskurs traditionell normalerweise für die männliche Jugend D ­ elinquenz als größtes Übel ausmalte, ging es bei der weiblichen Jugend, wie auch hier deutlich wird, oftmals um die Sexualmoral.131 In der unmittelbaren Nachkriegszeit 127 An Minister des Inneren Dr. Lehr, 1. Aug. 1952, BA, B 153/150, Film 1, 033. Auch die vermeintliche wirtschaftliche Bedeutung des Arbeitsdienstes bemühte sich der Verfasser mit dem Hinweis auf die Konkurrenz aus dem Osten zu untermauern, denn in Ostdeutschland sei »die ganze Jugend […] in den Arbeitsprozeß eingespannt« und müsse »Werte schaffen«. 128 Vgl. zu dem kurzlebigen Arbeitsdienst der DDR Buddrus. 129 Der Präsident des Landesarbeitsamtes Schleswig-Holstein, gez. i.A. Dr. Mierke, Anwendungsvorschrift Nr. 2 zu der »Anweisung über die Freiwillige Jugendarbeit«, Kiel, 15. Jan. 1946, ADE, ZB 1146, Bd. 1: Fürsorge für Jugendliche. 130 Volks-Echo für Westfalen und Lippe, 16. August 1945, S. 6. 131 Dies war ein transnationaler Zug der »moral panic« um die Jugend im ausgehenden 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, vgl. Mechling, S. 421.

107

waren Ängste und Warnungen angesichts eines wahrgenommenen Verfalls der weiblichen Sexualmoral in der deutschen Öffentlichkeit ein Dauerthema. Vor allem Beziehungen zwischen deutschen Frauen und Besatzungssoldaten wurden mit großem Argwohn betrachtet und als Schande angesehen, da sie die Ehre der deutschen Männer zu zerstören schienen und damit in den Augen vieler auch die nationale Identität angriffen.132 Wie weit der gesellschaftliche Konsens bei der Definition der Geschlechterrollen und den Sittlichkeitsvorstellungen reichte, zeigt sich darin, dass die kulturkritische Sicht in diesem Punkt offensichtlich sogar im kommunistischen Lager aufgegriffen wurde und die hier sonst mit äußerster Skepsis betrachtete Forderung nach Zwangslagern provozierte. Wurden weibliche Arbeitsdienste bislang nur beiläufig erwähnt, so ist dies daraus zu erklären, dass in der Katastrophenstimmung der allerersten Nachkriegszeit – abgesehen von den Sorgen um die weibliche Sexualmoral – eindeutig männliche Jugendliche im Vordergrund standen und für sie in viel größerer Zahl konzeptionelle Dokumente zu Arbeitsdienstprojekten überliefert sind. Dies ist zum einen auf Prägungen aus der Zeit des Nationalsozialismus zurückzuführen, in welcher der männliche Arbeitsdienst ebenfalls sehr viel mehr Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte. Es mag zum anderen daraus zu erklären sein, dass sich die ehemaligen Arbeitsdienstführer männlichen Geschlechts, die sich von der Neueinrichtung eines Arbeitsdienstes die Möglichkeit zu einem beruflichen Wiedereinstieg erhofften, zu diesem Zweck schon bald nach dem Krieg in mehreren lokalen und einem überregionalen Verein organisiert hatten.133 Die ehemaligen Arbeitsdienstführerinnen indes waren in den Vereinen nur schwach repräsentiert, sie hatten möglicherweise auch weniger Interesse an einer Wiederaufnahme ihrer Tätigkeit, denn der Beruf der Arbeitsdienstführerin musste mit einer Eheschließung aufgegeben werden und war folglich nie als Lebensberuf angesehen worden.134 Und selbst wenn die ehemaligen Arbeitsdienstführerinnen wieder eine Erwerbstätigkeit ergreifen wollten, war dies außerdem vermutlich für sie einfacher als für ihre männlichen Kollegen, da sie im Gegensatz zu vielen von ihnen in der Regel ein recht hohes Ausbildungsniveau vorweisen konnten.135 Der Einfluss ehemaliger Arbeitsdienstführer aus dem Reichsarbeitsdienst war aber sicherlich nicht der wichtigste Grund für die starke Konzentration auf den männlichen Arbeitsdienst in der Zeit nach 1945. Denn unter den überlieferten Arbeitsdienstkonzepten, die von evangelischer Seite entworfen wurden, richtete sich ebenfalls die Mehrheit an die männliche Jugend. Entscheidend war vielmehr, was ebenfalls schon für den Weimarer Dienst gegolten hatte: Dem traditionellen Geschlechtermodell folgend wurde die hohe Jugendarbeitslosigkeit als große Gefahr für junge Männer angesehen, kaum jedoch für Frauen. Weiterhin folgten die Arbeitsdienstprojekte für die weibliche Jugend daher der klas132 Vgl. Heineman, What Difference, S. 95–107; dies., The Hour. 133 Vgl. Hansen, S. 316–349. 134 Vgl. ebd., S. 345 f. 135 Vgl. ebd., sowie Morgan, S. 132.

108

sischen geschlechterspezifischen Aufgabenverteilung und unterschieden sich dementsprechend in ihrer konzeptionellen Ausrichtung deutlich von denjeni­gen für die männliche Jugend. Häufiger als die Planungspapiere für männliche Arbeitsdienste beklagten diejenigen für die weibliche Jugend eine unter den Mädchen verbreitete »Ich-Gebundenheit« oder beschrieben sie als »Egoisten«.136 Das Bestreben der Dienste für die weibliche Jugend war es nicht nur, die Mädchen zu »Ordnung und Sauberkeit, Sparsamkeit und wirtschaftlicher Umsicht zu erziehen«, sondern in der Regel auch, »den Geist sozialer Hilfsbereitschaft und uneigennütziger Hingabe in ihnen zu wecken«.137 Und vor allem gelte es, die Teilnehmerinnen im Arbeitsdienst »auf ihre künftigen Aufgaben als Hausfrau und Mutter in planvoller Pflege des Familiensinns vorzubereiten«, hieß es etwa in einem Konzeptpapier des Hilfswerks der Evangelischen Kirche 1948.138 Die weiblichen Arbeitsdienste lassen sich damit ebenso wie die männlichen deutlich in einer Tradition verorten, die von der Kaiserreichszeit über den Nationalsozialismus bis zu ihnen führte. Noch weniger als für die Arbeitsdienste der männlichen Jugend fand für sie indes eine kritische Reflexion dieser Tradition statt. b. Ein demokratischer Neuanfang? In ihrer starken Betonung des disziplinierenden Effekts der Arbeitsdienste griffen die Arbeitsdienstbefürworter der Nachkriegszeit eindeutig auf hergebrachte Modelle zurück, die mit dem demokratischen Neuanfang nur schwer vereinbar scheinen. Dennoch beteuerten vor allem ehemalige Arbeitsdienstführer oft, dass der Arbeitsdienst der Demokratie verpflichtet sein solle. Nicht zuletzt in denjenigen Entwürfen, in denen die Erziehung zu Zucht und Ordnung als Ziel formuliert wurde, beeilten sich die Autoren eine Versicherung ihrer demokra­ tischen Absichten hinzuzufügen. In vielen Fällen ist den Arbeitsdienstbefürwortern bei der Verwendung des Begriffs der Demokratie anzumerken, dass – für die frühe Nachkriegszeit freilich nicht ungewöhnlich – nur ein recht vages Konzept dahinter stand.139 Wie genau der Dienst gestaltet werden sollte, damit tatsächlich eine demokratische Einrichtung daraus würde, malten sie nicht weiter aus. Wenn sie überhaupt­ darauf eingingen, beließen sie es bei sehr knappen Hinweisen. Der eben bereits zu Wort gekommene Autor etwa schlug vor: »Humoristen und Komiker [unter den Arbeitsdienst Leistenden, C. K.] sollten zusammen in der Lage sein, wenn sie entsprechend unterstützt werden, einen bunten Abend 136 Plate, S. 13. 137 Grundsätze eines allgemeinen »Evang. Aufbaudienstes« als idealer, gemeinnütziger Vereinigten Freiwilligen Jugenddienstes im Hilfswerk der Evang. Kirchen in Deutschland, 24. Mai 1948, ADE, ZB 1146, Bd. 1, Fürsorge für Jugendliche. 138 Ebd. 139 Vgl. Kilian.

109

auf die Beine zu stellen. So wäre dies ein Punkt, der die Bevölkerung für den Arbeitsdienst interessieren würde. Die Bevölkerung soll sehen, dass es nicht Führer und Geführte gibt, sondern es soll der Beweis erbracht werden, dass sich in dem Lager eine Gemeinschaft zusammengefunden hat, die eine Stütze der Demokratie ist, und ihre Kraft für die Heimat einsetzt.«140

Unter Demokratie verstand der Autor also offenbar in erster Linie den Verzicht auf eine autoritäre Führung sowie ein funktionierendes Gemeinschaftsleben, das etwa Aufführungen von Humoristen und Komikern ermögliche. Dass es »bunte Abende« und Einladungen an die Bevölkerung z. B. zu von den »Arbeitsmännern« aufgeführten Theater- oder Kasperlestücken gleichermaßen in den Lagern des Reichsarbeitsdienstes gegeben hatten und diese eindeutig einen propagandistischen und keineswegs demokratischen Zweck verfolgt hatten, verschwieg er freilich geflissentlich.141 Zwar mahnte er in seinem auf über zwanzig Seiten ausgearbeiteten Vorschlagspapier an, die Lehrinhalte des begleitenden Unterrichts so anzulegen, dass sie »auch den letzten Zweifler für die Demokratie zu gewinnen« vermöchten. Beispielsweise könnten sie die Frage behandeln: »Wie unterscheide ich einen demokratischen von einem totalitären Staat?«142 Hier jedoch zeigte sich abermals seine politische Unsicherheit, wenn er eingestand, die Unterrichtsthemen »ganz willkürlich ausgesucht« zu haben, und darum bat, »Anleitungen vom Innenministerium für die Unterrichte zu bekommen«. Wie die Freiwilligengruppen verfasst sein könnten, wie etwa Gruppenentscheidungen getroffen werden oder welche Rechte dem einzelnen Freiwilligen zustehen sollten, führte sein Arbeitsdienstentwurf nicht weiter aus. In anderen Arbeitsdienstprojekten aus dieser Zeit finden sich ebenfalls selten klare Vorstellungen hierzu. Darin unterschieden sie sich von anderen pädagogischen Maßnahmen der Nachkriegszeit, für die viel konkreter ausgearbeitet wurde, in welcher Weise der Jugend demokratische Verhaltensregeln beizubringen seien.143 Fast nie indes verwiesen von der evangelischen Kirche getragene Arbeitsdienstprojekte auf Demokratisierungsziele. Die traditionell skeptische Haltung zur Demokratie wurde hier offenbar nach 1945 zunächst beibehalten.144 Allenfalls Selbstverwaltung wurde in den evangelischen Arbeitsdienstkonzepten mitunter zum Prinzip erklärt.145 Bemühungen, Selbstverwaltung zu fördern, waren in der Nachkriegszeit zwar oftmals Teil der allgemeinen Demokratisie140 Anonymer Brief an Bundesinnenminister, Arbeitsminister und Wiederaufbauminister, Rottenburg, 6. Nov. 1951, BA, B 153/150 (1–193), Film 1, 080. 141 Vgl. Seifert, S. 207–297. 142 Anonymer Brief an Bundesinnenminister, Arbeitsminister und Wiederaufbauminister, Rottenburg, 6. Nov. 1951, BA, B 153/150 (1–193), Film 1, 072. 143 Vgl. die Beispiele bei Boll, Auf der Suche. 144 Vgl. Hammerschmidt, S. 73–77. Zur demokratieskeptischen Haltung der protestantischen Kirche allgemein Klein, Westdeutscher Protestantismus, bes. S. 69–73, S. 358–365; zur katholischen Kirche Große Kracht. 145 Sozialer Helferring in Bayern, Jan. 1949, ADE, CAW 765, Freiwilliger Jugend- und Aufbaudienst.

110

rungsbestrebungen: Gelernt werden solle, so hieß es etwa in einem Planungspapier für ein Jugendaufbauwerk, die Übernahme der »sozialen, politischen, gemeinschaftlichen, staatsbürgerlichen Verantwortung im kleinen überschaubaren Kreis«, die der Verfasser als Voraussetzung für den »Aufbau einer Demokratie und die Überwindung unseres Chaos« verstand.146 Das Leitbild der Selbstverwaltung musste aber nicht zwingend ein Merkmal für eine demokratische Zielsetzung sein.147 Zeitgenossen unterschieden z. B. zwischen Selbstverwaltung und Selbstgesetzgebung: Selbstverwaltung umfasste in dieser Definition keine demokratischen Entscheidungsprozesse.148 Die hohe Wertschätzung, die das Prinzip der Selbstverwaltung in Deutschland während der Nachkriegszeit genoss, lag gerade darin begründet, dass sie sowohl bei Demokraten eine hohe Attraktivität besaß, als auch Kritik an Bürokratismus und Zentralismus transportieren konnte, die einige Zeitgenossen mit der wahrgenommenen Übermacht der Parteien in der parlamentarischen Demokratie verbanden.149 Arbeitsdienstbefürworter stellten die Selbstverwaltung ebenfalls nicht zwangsläufig in den Kontext der Demokratisierung. Helmut Schelsky etwa, der sich 1950 in den »Gewerkschaftlichen Monatsheften« für die Einführung eines freiwilligen Arbeitsdienstes aussprach, betonte zwar, es sei wichtig, einen solchen in selbstverwalteten Kleingruppen durchzuführen.150 Ihm ging es dabei vor allem darum, diese gegen Massenorganisationen abzugrenzen, die mit dem Nationalsozialismus ebenso wie mit dem Kommunismus assoziiert wurden.151 Die Kritik der Masse hatte im Nachkriegsjahrzehnt Konjunktur. Sie stand einerseits in der Tradition der seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert verbreiteten Kulturkritik, in der das angestrebte Ideal nicht die Demokratie, sondern die Gemeinschaft war.152 Andererseits richtete sie sich nun auch oft gleichzeitig gegen Nationalsozialismus und Kommunismus. Immer wieder beklagten Befürworter des Arbeitsdienstgedankens in ähnlicher Weise eine »Entwurzelung und Vermassung«, die sie in den Arbeitsdiensten »durch eine neue gemeinschaftsgebundene Lebensform überwinden« wollten.153

146 G. Heilfurth, Friedewald, 23.  Nov. 1949 an Oberkonsistorialrat Gerstenmaier Leiter des Hilfswerks der EKiD, Anlage: Grundgedanken für das einleitende Wort, [1949], ADE, ZB 1149, Freiwilliger Jugend- und Aufbaudienst in Baden-Württemberg. 147 Dies betont auch Oelkers, S. 333. 148 Zinkl, S. 6 f.; vgl. auch Brücher, S. 14–18. 149 Vgl. Mommsen, Der lange Schatten, bes. S. 566. 150 Schelsky, Für und wider, S. 357–359. 151 Die Massenkritik richtete sich bereits im konservativen Widerstand auch gegen den Nationalsozialismus, vgl. Mommsen, Gesellschaftsbild, S. 20–28. 152 Vgl. ebd., passim, sowie Birsner, S. 35. 153 Hilfswerk der Ev. Landeskirche in Württemberg, Der ev. Aufbaudienst. Leitsätze für den Gebrauch der beratenden Stellen, 1. April 1948 ADE, CAW 714, Jugendhilfe.

111

c. Die Definition des Gemeinwesens In der Tat nahm »Gemeinschaft« wie in der deutschen Workcampbewegung auch für die Arbeitsdienstprojekte nach 1945 weiterhin einen zentralen Stellenwert ein. Während das Bekenntnis zu einer demokratischen Ausrichtung nicht überall auftauchte, fehlte die Beschwörung des Gemeinschaftsideals in den Arbeitsdienstkonzepten so gut wie nie. Staatssekretär Peter Paul Nahm aus dem Bundesministerium für Vertriebenen argumentierte in der christlichen Jugendzeitschrift »Junge Stimme«, ein Arbeitsdienst sei ein Mittel, verwaiste oder heimatlosen Jugendliche davor zu bewahren, »gemeinschaftsfremd, ja gemeinschaftsfeindlich, also asozial« zu werden.154 Vielfach bemühten sich die Arbeitsdienstpropagandisten, das Gemeinschaftsideal argumentativ mit demokratischen Werten in Einklang zu bringen. So beteuerte etwa ein anonymes Schreiben an das Innenministerium 1951, es gehe darum, eine »demokratische Gemeinschaft« zu schaffen oder den »demokratischen Gemeinschaftsgeist« der Freiwilligen zu wecken.155 Wie bei der Workcampbewegung ging das Gemeinschaftsideal, das die Befürworter der Arbeitsdienste beschworen, oftmals nicht nur mit der negativen Einschätzung der zeitgenössischen Kultur und Gesellschaftsform, sondern auch mit einer skeptischen Sicht auf bisherige Umsetzungsformen der Demokratie, wenn nicht auf diese als solche einher. Dies verdeutlicht die Stellungnahme des Volkskundlers Gerhard Heilfurth, der schon seit der Weimarer Zeit in der Arbeitslagerbewegung aktiv gewesen war und im Nationalsozialismus seine wissenschaftliche Laufbahn begonnen hatte, in einem Brief an den Leiter des Hilfswerks der Evangelischen Kirchen. Nach einer nur sehr kurzen Probezeit für die deutsche Demokratie urteilte er 1949, die Lebensform in den Freiwilligengruppen des Arbeitsdienstes sei »für die Erweckung der Heimkehrergeneration aus ihrer politischen Stagnation und für die Durchblutung unserer verbürokratisierten demokratischen Staatlichkeit von nicht zu übersehender Bedeutung«.156 Dass er in einer publizierten und an die Öffentlichkeit gerichteten Beschreibung der Jugendaufbauwerke einer solchen eher pejorativen Sicht auf die demokratischen Neuanfänge keinen Raum gab, sondern die Aufbauwerke als Schritt auf dem Weg zu einem demokratischen Gemeinwesen beschrieb, verwundert nicht.157 154 P. P. Nahm, Arbeitsdienst: aber wie?, in: Junge Stimme, 4. Jg., 10. Juli 1954, Nr. 13, S. 2. 155 Anonymer Brief an Bundesinnenminister, Arbeitsminister und Wiederaufbauminister, Rottenburg, 6. Nov. 1951, BA, B 153/150 (1–193), Film 1, 072; Der Präsident des Landesarbeitsamtes Schleswig-Holstein, Anwendungsvorschrift Nr. 1 zu den Anweisungen über die Freiwillige Jugendarbeit, gez. i.A. Dr. Mierke, Kiel, 15. Jan. 1947, ADE, ZB 1146, Bd. 1, Fürsorge für Jugendliche. 156 G. Heilfurth, Friedewald, an Oberkonsistorialrat Gerstenmaier Leiter des Hilfswerks der EKiD, 23.  Nov. 1949, ADE, 1149, Bd.  Freiwilliger Jugend- und Aufbaudienst in BadenWürttemberg; vgl. zur Biographie Heilfurths Klemp. 157 In einem ein Jahr zuvor verfassten Programm für die von ihm ins Leben gerufenen Evangelischen Aufbaugilden in Württemberg hatte Heilfurth hingegen »die Erziehung zu Demo­

112

In der Diskussion über die Wiedereinführung von Arbeitsdiensten fand ebenso wenig wie in der Workcampbewegung eine kritische Auseinandersetzung mit dem ja auch im Nationalsozialismus permanent beschworenen Gemeinschaftsideal statt. In der Betonung, man suche »die wahre Gemeinschaft«, mag eine – allerdings nicht weiter ausgeführte – Distanzierung vom national­sozia­ listischen Gemeinschaftsideal angedeutet sein.158 »Drill«, »Uniformierung« und »Kadavergehorsam«: Immer wieder war das negative Charakteristikum des Nationalsozialismus, von dem man sich abzugrenzen suchte, der Zwang, den alle Deutschen in dieser Zeit zu spüren bekommen hatten. Unterordnung und Gehorsam, die in dem Gemeinschaftsideal oft noch mitschwangen, wurden als Erziehungsziele deshalb aber nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Allenfalls findet sich nach 1945 wieder die Forderung, dass die »Unterordnung« unter die Gemeinschaft »freiwillig« sein müsse: Damit mag die Absicht verbunden gewesen sein, sich vom Nationalsozialismus als Zwangsregime zu distanzieren. Allerdings bleibt eine solche Deutung problematisch, bedenkt man, dass die Beschreibung des Ziels einer »freiwilligen Unterordnung« schon zu Weimarer Zeiten und sogar im Nationalsozialismus selbst gängig gewesen war. Bei den Nachkriegsplanungen der Arbeitsdienste blieb unreflektiert, dass das Volksgemeinschaftsideal während der nationalsozialistischen Zeit auch dazu gedient hatte, Nationalismus und Rassismus bis hin zu Verfolgung und Mord zu rechtfertigen. Allerdings kam man nicht umhin, wenn man von einem Gemeinschaftsdienst sprach, auch zu definieren, auf welche Gemeinschaft man sich bezog. Und hier zeigt sich, dass in der Tat Verunsicherung herrschte. Für viele Befürworter von Arbeitsdiensten war es nach 1945 schwer zu bestimmen, welcher Art von Gemeinschaft solche Dienste sich widmen sollten – bzw. durften. Diese Frage wurde nicht zuletzt dadurch erschwert, dass die Einrichtung eines längerfristigen organisierten Freiwilligendienstes in den ersten Nachkriegsjahren der Einwilligung der Besatzungs- bzw. Kontrollbehörden bedurfte. Am einfachsten war es nach 1945 für die Kirchen, eine Bezugsgröße zu definieren, der die Freiwilligenarbeit zugutekommen sollte. Sie beriefen sich zumeist auf die christliche Glaubensgemeinschaft oder noch allgemeiner auf den Wert der Nächstenliebe, und damit im Prinzip auf die Menschheit als Ganzes. Die christliche Ausrichtung bezog sich darüber hinaus auch auf die von den Teilnehmern selbst geformte Gemeinschaft: Die Helfergruppen sollten sich, wie es auf kirchlicher Seite hieß, »zu verwirklichten Gemeinschaften aus dem Geiste des Evangeliums« entwickeln.159 Freilich hofften die Kirchen dabei auch auf eine Stärkung des christlichen Glaubens und der Kirchlichkeit. Die kratie und Mitbestimmung« als eines der wichtigsten Ziele dieser Einrichtung beschworen, Heilfurth, Arbeitsgemeinschaft, S. 21. 158 Evang. Aufbaudienst in Württemberg, Hans Eberle, 29. Juli 1948, ADE, ZB 1146, Fürsorge für Jugendliche. 159 Oehlkers, Friedewald, 28. Sept. 1950 ADE, ZB 1149, Freiwilliger Jugend- und Aufbaudienst in Baden-Württemberg.

113

Arbeitsdienstprojekte der evangelischen Kirche waren also ein Teil ihrer intensiven Rechristianisierungsbemühungen nach dem Krieg.160 Den Kirchen war es darüber hinaus am ehesten möglich, neben rein christlichen Gemeinschaftsformen auch »Volk« und »Vaterland« als Bezugspunkte zu wählen. Vor allem auf Seiten des Protestantismus, der sich traditionell seit dem 19. Jahrhundert einen starken Patriotismus auf die Fahnen geschrieben hatte, dachte man auch nach 1945 bald wieder in nationalen Kategorien. 1947 etwa rief das Hilfswerk der Evangelischen Kirchen Jugendliche »zur freiwilligen Mitarbeit am Wiederaufbau unseres Vaterlandes« auf.161 Der »Versuch einer neuen Lebensgestaltung«, den dieser Freiwilligendienst darstellen sollte, sei »der richtige Weg«, so die Überzeugung der Autoren des Aufrufs, »um Deutschland aus dem äusseren und inneren Chaos wieder herauszubringen, um den Nihilismus mit allen seinen verheerenden Begleiterscheinungen aufzuhalten«. Sogar eine nationale Sendung wagten sie Deutschland zuzusprechen, die durch die Läuterung nach dem Zusammenbruch in besonders wirkungsvoller Weise wieder aufgenommen werden könne. Denn diese Läuterung könne Impulse geben, mithilfe derer »das deutsche Volk seine ihm von Gott gegebene Aufgabe unter den Völkern dieser Erde erfüllen kann«. Auch ein Planungspapier der evangelischen Kirche für einen weiblichen Arbeitsdienst in Nordrhein-Westfalen appellierte nicht nur an religiöse Werte, sondern gleichzeitig an patriotische Gefühle: Wer sich »verantwortungsbewusstes evangelisches Mädchen« betrachte, sei »zu einem freiwilligen Dienst für Volk und Kirche aufgerufen!«, hieß es dort.162 Gelinge es, in der Jugend einen im christlichen Glauben begründeten Gemeinsinn zu wecken, so könne im Verbund mit diesem für die Teilnehmerinnen schließlich »auch die Hingabe an das irdische Vaterland wieder sinnvoll« werden, folgerte das Papier weiter. Obwohl man allgemein in der deutschen Öffentlichkeit in den Nachkriegsjahren kaum vor den Begriffen »Vaterland«, »Volk« oder »Volksgemeinschaft« zurückschreckte, wird hier doch deutlich, dass man sich der »semantischen Fall­ stricke«, die dieses Vokabular barg, jedenfalls in solchen Situationen bewusst war, in denen es galt, die Gunst der alliierten Kontrollbehörden zu gewinnen.163 Dass die evangelische Kirche nach 1945 Jugendarbeitsdienste propagieren und in vielen Fällen ins Leben rufen konnte, denen sie auch die Förderung der Vaterlandsliebe auf ihr Programm schrieb, erklärt sich daraus, dass sie – nicht zuletzt aufgrund der relativ wohlwollenden und nachgiebigen Haltung, mit denen die westlichen Besatzungsmächte den Kirchen begegneten – nicht fürchtete, 160 Vgl. mit weiteren Literaturangaben Großbölting, S. 21–94. 161 Tödt, Beauftragter des Ev. Hilfswerks für die FJA in Eiderstedt, [Aufruf zur ›Freiwilligen Jugendarbeit‹ des Ev. Hilfswerks, Garding, [1947], ADE, ZB 1146, Fürsorge für Jugendliche. 162 Ziel und Aufgabe des freiwilligen Arbeitsdienstes evangelischer Mädchen im Land Nordrhein Westfalen [1948], ADE, CAW 765, Freiwilliger Jugend- und Aufbaudienst. 163 Von »semantischen Fallstricken« spricht Frevert, Die Sprache, S. 25, die jedoch beobachtet, dass diese in der Regel selbst von den »jungen, zornigen Intellektuellen« nicht erkannt wurden, die der deutschen Vergangenheit kritisch gegenüber standen.

114

in den Verdacht zu geraten, an die nationalistische und militaris­tische Form des nationalsozialistischen Arbeitsdienstes anzuknüpfen. Deutlich wird dies, blickt man im Vergleich dazu auf die Versuche, neue Jugendarbeitsdienste aufzubauen, die von ehemaligen Arbeitsdienstführern unternommen wurden. Im Gegensatz zu den evangelischen Initiativen vermieden solche Vorschläge zur Wiedereinführung von Arbeitsdiensten, diese als Dienste am »Volk« oder am »Vaterland« zu präsentieren; hin und wieder findet sich stattdessen als Bezugsgröße die »Heimat«. Viel häufiger indes bezogen sie sich auf den Staat und betonten, dass der Freiwilligendienst »zu den höheren Aufgaben und Pflichten eines Staatsbürgers« erziehen solle.164 Zumeist wurde in dieser Argumentation der Nutzen, den ein Arbeitsdienst dem Staat einbringen könne, in den Vordergrund gestellt. Vor dem Hintergrund der sich anbahnenden europäischen Einigung, wählten Vorstöße zur Wiedereinführung von Arbeitsdiensten als Bezugsgemeinschaft, der das Engagement der Freiwilligen entgegengebracht werden sollte, allerdings oft auch Europa.165 So argumentierte etwa Josef Giesen für die Arbeitsgemeinschaft zur Förderung des Freiwilligen Arbeitsdienstes 1952 in einem Schreiben an das Bonner Innenministerium, an dem er selbst als Sachbearbeiter angestellt war, dass im Rahmen eines solchen Programmes derjenige Teil der Jugend, der bereit sei, »innerhalb der Europäischen-Verteidigungs-Gemeinschaft Wehrdienst zu leisten, aber dies aus Gewissens- oder Gesundheitsgründen nicht kann, die Möglichkeit erhalten soll, auch einen Ehrendienst für unser und das europäische Volk zu leisten«.166 Die in der Weimarer und der nationalsozialistischen Zeit so gern verwendete Bezeichnung des Arbeitsdienstes als »Ehrendienst am Deutschen Volke« bzw. »an der Volksgemeinschaft« übertrug Giesen nun also umstandslos auf Europa und traute sich so auch wieder, den sonst in der öffentlichen Kor­ respondenz vermiedenen Begriff des »Volkes« zu verwenden. Der Verweis auf Europa, der vor allem im Kreise der ehemaligen Arbeitsdienstführer gern vorgenommen wurde, erfolgte in vielen Fällen recht offensichtlich aus strategischen Gründen, da er größere Erfolgsaussichten für eine Genehmigung des Dienstes versprach. Besonders deutlich wird dies in dem zuletzt zitierten Schreiben. Denn dieses hatte der Verfasser als ergänzende Klarstellung verfasst, nachdem er ins Innenministerium vorgeladen worden war, um dort auf die kritischen Fragen der prinzipiell an seinem Projekt interessierten 164 Anonymer Brief an Bundesinnenminister, Arbeitsminister und Wiederaufbauminister, Rottenburg, 6. Nov. 1951, BA, B 153/150 (1–193), Film 1, 057; Der Bundesminister für den Marshallplan, MB Nr. 1489/53, an den Herrn Bundesminister des Innern, Bad Godesberg, 30. April 1953, BA, B 153/150 (1–193), Film 1, 013. 165 Die maßgeblich von ehemaligen Arbeitsdienstführern gestaltete Zeitschrift »Nation Europa«, die seit 1953 erschien und in vielen Artikeln für die Wiedereinführung von Arbeitsdiensten warb, nahm diese Zielsetzung schon in ihrem Titel auf. 166 Josef Giesen/Arbeitsgemeinschaft zur Förderung des Freiwilligen Arbeitsdienstes (AFA) e. V. an Regierungsdirektor Rd. Rothe, BM des Inneren, Bonn, 7. Mai 1952, BA, B 153/150 (1–193), Film 1, 187; vgl. Anonymer Brief an Bundesinnenminister, Arbeitsminister und Wiederaufbauminister, Rottenburg, 6. Nov. 1951, BA, B 153/150 (1–193), Film 1, 055.

115

Ministerialbeamten hin seine Pläne näher zu erläutern. Wie diese europäische Ausrichtung des Arbeitsdienstes im Einzelnen aussehen sollte, legte er jedoch auch danach nicht näher dar, was nochmals darauf hindeutet, dass kein ausgearbeitetes Konzept dahinter stand und dass wohl vielmehr die Europaidee lediglich in Reaktion auf das Nachhaken des Ministeriums propagiert wurde. Konkrete Vorstellungen, wie eine europäische Ausrichtung des Arbeitsdienstes ausgestaltet und durchgeführt werden könnte, finden sich bei den für die Untersuchung gesichteten Projekten für längerfristige Arbeitsdienste nur in einem einzigen Fall: Sie sind Teil des Konzeptes für einen Idealstaat, den der 23-jährige Dieter Danckwortt gemeinsam mit Freunden in den späten vierziger Jahren entwarf, etwa zur selben Zeit, in der er auch seine Workcamporganisation, die IJGD, ins Leben rief. Ihre Überlegungen fassten sie in einer 136 Seiten umfassenden selbstgefertigten Fotocollage mit dem Titel »Die Vision vom Staat« zusammen. Danckwortt, der selbst am nationalsozialistischen Arbeitsdienst teilgenommen hatte, räumte einem Arbeitsdienst in diesem Idealstaat eine zentrale Rolle ein. So sollte es anstelle einer Armee eine sogenannte »Friedensarmee« geben, die durch den Arbeitslagergedanken inspiriert war. Von ihrer Konzeption her erinnert diese Friedensarmee im Kern stark an William James’ Schrift »The M ­ oral­ Equivalent of War«, es lässt sich aber nicht eruieren, ob diese in Danckwortts Freundeskreis zu diesem Zeitpunkt bereits bekannt war.167 Alle Jugendlichen, so sah es die »Vision« vor, sollten zum Dienst in dieser »Armee« verpflichtet werden. Dabei richteten sich die Autoren bei der Bestimmung der Arbeitsfelder sowohl an der Tradition des deutschen als auch an derjenigen des internationalen Arbeitsdienstes vor 1945 aus: Während für die Mädchen ein Dienst im pfle­ge­rischen und erzieherischen Sektor vorgesehen war, sollten ihn die Jungen im landwirtschaftlichen Bereich und im Wiederaufbau ableisten. Wichtiger Bestandteil des Dienstjahres war ein mindestens sechsmonatiger verpflichtender Auslandsaufenthalt. Dem jungen Danckwortt und seinen Freunden lag die Europaidee offenbar näher und sie waren eher zu einer Öffnung gegenüber dem Ausland bereit als viele der anderen Arbeitsdienstanhänger, die sich noch stärker am Weimarer sowie am nationalsozialistischen Vorbild orientierten und für welche die nationale Ausrichtung zum Wesen des Arbeitsdienstes gehörte. Der jugendliche Freundeskreis um Danckwortt vermochte es freilich nicht, sich mit seinem Plädoyer für die Einführung eines solchen Pflichtjahres öffentliches Gehör zu verschaffen. Fehlten zwar die Einflussmöglichkeiten, um auf die politische Entscheidungsebene vorzudringen, gelang es aber immerhin doch, die Unterstützung der lokalen Politik wie auch jugendlicher Gleichgesinnter zu finden, um eine zivilgesellschaftliche Initiative zu lancieren. In Form der von Danckwortt ins Leben gerufenen Workcamporganisation konnte der Arbeitsdienst – wenn auch nur auf freiwilliger Basis und für Kurzzeitarbeitsdienste – in die Tat umgesetzt werden. 167 Die Vision vom Staat, ohne Paginierung, Doppelseite: Die Organisation der Friedensarmee, Privatarchiv der Familie Danckwortt, Bonn.

116

2.4 Spielräume für den Erfolg Aus vielen der Entwürfe für neue Langzeitarbeitsdienstprojekte in Westdeutschland sprechen überaus große Hoffnungen, welche die Autoren in diese Dienste setzten. »Der Freiwillige Evangelische Aufbaudienst könnte, richtig gebaut, im Geflecht unserer gesamten Krisis zu einem wesentlichen Ansatz der sozialen und bildungsmässigen Regeneration werden«, hieß es etwa 1948 seitens des Hilfswerks der Evangelischen Kirche.168 Und man ging bei dem evangelischen Wohlfahrtsverband – vermutlich mit den Teilnehmerzahlen aus der Weimarer Zeit vor Augen – davon aus, weite Teile der Jugendlichen für eine Wiederbelebung von Arbeitsdiensten gewinnen zu können. »Daß dieser Kreis [der Jugendlichen, die in ein Lager kommen,] ein sehr großer sein wird, dürfte angesichts des Umstandes, daß man nach einer Währungsreform mit 6–8 Mill. Arbeitslosen rechnen wird, sicher sein«, protokollierte ein anderes Schreiben aus dem Hilfswerk der Evangelischen Kirche im selben Jahr.169 Solche Erwartungen erfüllten sich indes nicht. Ein dreifacher Vergleich der Arbeitsdienstprojekte des ersten Nachkriegsjahrzehnts erstens mit dem Freiwilligen Arbeitsdienst der Weimarer Zeit, zweitens mit den arbeitsdienstähnlichen Jugendaufbauwerken der Nachkriegszeit und drittens mit der Workcamp­bewe­ gung soll abschließend noch einmal die Charakteristika des Arbeitsdienstgedankens nach 1945 profiliert hervortreten lassen. Damit kristallisieren sich gleichzeitig die Gründe dafür heraus, warum er nur in so bescheidenem Maße umgesetzt werden konnte. Diese lagen nicht allein in der kritischen Haltung der alliierten Kontrollbehörden. Im Gegensatz zu den Weimarer Arbeitsdienstkonzepten hatten die Entwürfe der Zeit nach 1945 eindeutig an Pluralität verloren. Vor 1933 hatte sich das politisch linke Lager dem Arbeitsdienstgedanken, wenngleich zögerlich, zunehmend geöffnet. Nach 1945 fand er hier kaum noch Anhänger und galt als »durch den Arbeitsdienst diskreditiert«.170 Damit soll nicht gesagt sein, dass es nicht weiterhin einige seltene Ausnahmen von dieser Regel gab. In Berlin gelang es 1951 einer Initiative, die unter anderem vom Deutschen Gewerkschaftsbund und von einigen Industriellen getragen wurde, einen Arbeitsdienst einzuführen. Ziel war es, die Teilnehmer, von denen viele aus Ostberlin in den Westen geflohen waren, an Industriebetriebe zu vermitteln, doch scheiterte dieses Ansinnen weitgehend. An diesem »Soziales Jugendwerk« oder auch »Grüne Garde« 168 Freiwilliger Aufbaudienst im Hilfswerk der EKD, Stuttgart, 5. Juli 1948, ADE, ZB 1146, Fürsorge für Jugendliche. 169 An das Hauptbüro, betr. Gespräch des Dr. Koch mit Herrn Pfarrer Lerch, Zentralbüro und Herrn Dr. Heilfurth, über Methoden zur Behebung der Jugendnot, 26. April 1948, ADE, ZB 1146, Fürsorge für Jugendliche. 170 Diskussionen um Arbeitsdienst, in: Sozialdemokratischer Pressedienst, Hannover, 12. Nov. 1949, S. 8.

117

genannten und in erster Linie in der Wiederaufforstung tätigen Dienst nahmen von 1951 bis 1952 700 Jugendliche teil. Das Soziale Jugendwerk war in der Nachkriegszeit insofern außergewöhnlich, als dass seine Teilnehmer uniformiert waren. Seine Sympathien verspielte es sich jedoch, als es ohne die dazu notwendige behördliche Genehmigung zu zwei Gelegenheiten im Gleichschritt und mit geschultertem Spaten durch die Straßen marschierte – am 30. Juli 1951, um Bürgermeister Ernst Reuter Geburtstagsgrüße zu überbringen, und am 6. Oktober 1951 zu einer Rede Konrad Adenauers anlässlich der Eröffnung des Deutschen Industriellentages.171 Derartig stark an militärische Formen gemahnende Elemente wurden von anderen Arbeitsdienstprojekten vermieden.172 Auch das in mehreren Presseorganen veröffentlichte Foto dieses Marsches erinnerte an die immer wieder in der nationalsozialistischen Propaganda gezeigten Bilder des Reichsarbeitsdienstes und warf für die Zeitgenossen die Frage auf, inwiefern sich beide ähnelten (Abb. 2 und 3).173 Obgleich Ernst Scharnowski als Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes in Berlin das Soziale Jugendwerk weiterhin stützte, waren es auch in diesem Fall vor allem Vertreterinnen und Vertreter der politischen Linken sowie der Jugendverbände, welche die Einrichtung scharf angriffen. Die Leiterin des Hauptjugendamtes von der SPD beispielsweise erblickte in dem Dienst ein »Unternehmen militaristischen und faschistischen Charakters«.174 1952 wurden dem Sozialen Jugendwerk die zunächst von den Alliierten gezahlten Zuschüsse gekürzt, die darauf folgenden Finanzschwierigkeiten sowie die allmählich nachlassende Jugendarbeitslosigkeit bereiteten ihm noch im selben Jahr ein Ende.175 Allgemein standen nicht zuletzt viele Jugendliche selbst den Arbeitsdienstplänen distanziert gegenüber. So hieß es in einem Bericht über das Jugendsozialwerk Ulm: »Das Mißtrauen der Jungen ist riesengroß: ›Ein Arbeitslager, was? Nee, danke – ohne mich!‹«176 Da aus der frühen Nachkriegszeit nur konzeptionelle Schriften der Befürworter und Trägerorganisationen von Arbeitsdiensten überliefert sind, die Freiwilligen selbst jedoch kaum Quellen hinterlassen haben, 171 Abteilung V, V, 1/26.01/51 GB, Berlin, 25. Okt. 191, Betr. Verein zur Förderung der freiwilligen Jugendarbeit (Soziales Jugendwerk) e. V., Landesarchiv Berlin, B Rep. 20, Nr. 1695; vgl. auch die übrigen Dokumente dieser Akte sowie die Bestände B Rep. 002, Nr.  8637 und B Rep. 042, Nr. 28598 des Landesarchivs Berlin. Vgl. zu der Rede Adenauers Morsey, Deutschlandpolitik S. 22–24. 172 Vgl. rt; vgl. zum Sozialen Jugendwerk auch Gröschel u. Schmidt, S. 203 f. Unterstützer der Einrichtung ebenso wie die Jugendlichen, die daran teilnahmen, betonten, dass es »keinen strengen Kommandoton« oder Disziplinarmaßnahmen gebe, z. B. werde der Bettenbau nicht kontrolliert. 173 Das Foto findet sich in rt und in »Grüne Garde« in Berlin, in: Junge Stimme, Jg. 1, 1951, Nr. 1, S. 1. 174 Zitiert nach Reichhardt u. a., S. 483. 175 Vgl. Gröschel u. Schmidt, S. 204; vgl. auch »Soziales Jugendwerk« soll weiterarbeiten, in: Die Neue Zeitung, Nr. 198, 27. Aug. 1952, S. 2. 176 Anonym, Jugendaufbauwerk Ulm, S. 9.

118

Abb. 2: Das Soziale Jugendwerk in Berlin, ca. 1951

Abb. 3: Der Reichsarbeitsdienst, 1939

119

sind keine gesicherten Aussagen zu ihrem Interesse an Arbeitsdienststellen zu treffen.177 Offensichtlich ist jedoch, dass die Nachfrage mit dem Nachlassen der Jugendarbeitslosigkeit Anfang der fünfziger Jahre schwand.178 Wo die Grenze dessen lag, was im politisch linken Lager akzeptanzfähig war, zeigt auch ein Blick auf die Einrichtung der Jugendaufbauwerke. Unter diesem Oberbegriff wurde eine Vielzahl von Einrichtungen zusammengefasst, die in ihrer Gestalt freiwilligen Arbeitsdiensten ähnelten. Wie bei den Arbeitsdiensten lebten bei ihnen Gruppen meist verwaister oder »heimat-« oder »existenzloser« Jugendlicher in Gemeinschaftsunterkünften zusammen und gingen gemeinsamen Arbeitsprojekten nach. Auch das Arbeits- und das Gemeinschaftsideal teilten sie mit den Arbeitsdiensten: »Das Entscheidende«, urteilte etwa Heilfurth als Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft Jugendaufbauwerk und der Landesarbeitsgemeinschaft für die drei Länder in Württemberg und Baden 1949 in einem Textentwurf für eine Publikation, sei einerseits die Förderung »echter Dienst- und Hilfsbereitschaft«, andererseits »das Erlebnis echter Lebens- und Arbeitsgemeinschaft«.179 Die Jugendaufbauwerke schieden sich von den Arbeitsdienstprojekten der Weimarer Tradition vor allem darin, dass bei ersteren ein tariflicher Arbeitslohn gezahlt wurde und sie sich als Hauptziel setzten, den jugendlichen Teilnehmern einen Weg zu einem geregelten Arbeitsverhältnis zu ebnen.180 Dieser Unterschied machte sie auch für Zeitgenossen akzeptabel, die den Arbeitsdienstgedanken ablehnten.181 Die Berliner Landesgesetzgebung beispielsweise legte im »Gesetz über die Errichtung des Jugendaufbauwerks Berlin« aus dem Dezember 1950 fest, dass Aufbauwerke auch die »berufliche Förderung der arbeitslosen Jugend« anstreben müssten. Außerdem verbot das Gesetz explizit die »Verwendung von Formen des ehemaligen Reichsarbeitsdienstes und die Errichtung einer ihm entsprechenden Art von Arbeitslagern«.182 An den Diskussionen und der Abstimmung über diese Regelung werden noch einmal die politischen 177 Quellen von Freiwilligen selbst finden sich lediglich in veröffentlichter Form in Informationsschriften der Organisationen. So publizierte etwa ein Evangelischer Aufbaudienst Briefe von Jugendlichen, die dankbar und bekehrt an die Zeit beim Arbeitsdienst zurückblickten, Evang. Aufbaudienst ev. Espelkamp Stilhof, Jan. 1950, S.  1 f., ADE, CAW 765, Freiwilliger Jugend- und Aufbaudienst. 178 In Berlin etwa wurde im Herbst 1952 festgestellt, dass kein Bedarf mehr für neue Jugenddienste bestehe, vgl. Gröschel u. Schmidt, S.  202. Auf die nachlassende Nachfrage lässt außerdem Beckert, S. 1319 schließen. 179 G. Heilfurth, Friedewald, 23.  Nov. 1949 an Oberkonsistorialrat Gerstenmaier Leiter des Hilfswerks der EKiD, Anlage: Grundgedanken für das einleitende Wort, ADE, 1149, Freiwilliger Jugend- und Aufbaudienst in Baden-Württemberg. 180 Vgl. etwa für Baden-Württemberg Landesarbeitsgemeinschaft Jugendaufbauwerk. Allerdings hatte es auch für die Jugendaufbauwerke Vorläufer aus der Zeit vor 1933 gegeben. Vgl. etwa Finck, S. 38 f. 181 P. R., Kein Arbeistdienst, aber…, in: Junge Stimme, 3. Jg., 27. April 1953, Nr. 8, S. 1. 182 Gesetz über die Errichtung des Jugendaufbauwerks Berlin, in: Verordnungsblatt für Großberlin, Jg. 6, Teil I, Nr. 78, 24. Dez. 1950. 557–559, hier S. 558.

120

Fronten bei der Bewertung des Arbeitsdienstgedankens in der Nachkriegszeit deutlich: Die CDU lehnte dieses von der SPD geforderte Verbot ab.183 Die Jugendaufbauwerke definierten sich als »Selbsthilfe«-Maßnahmen. Das reformpädagogische Leitbild der »Hilfe zur Selbsthilfe« war bereits für die Weimarer Arbeitsdienste oft in Anspruch genommen worden. Der Gedanke dahinter, dass reine Hilfsleistungen Abhängigkeit produzieren würden, Hilfe zur Selbsthilfe aber zu Selbständigkeit erziehen könne, war als Kritik der bürgerlichen Wohltätigkeit schon im 19.  Jahrhundert verbreitet gewesen. Das Prinzip der Hilfe zur Selbsthilfe hatte sich in den dreißiger und vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts vor allem in Großbritannien und den Vereinigten Staaten weiter durchsetzen können, und die westlichen Besatzer propagierten es nach 1945 vielfach als Methode für Erziehung und Wiederaufbau in Deutschland. Die Jugendaufbauwerke folgten diesem Prinzip mit den beiden Charakteristika, mit denen sie sich von den Arbeitsdiensten unterschieden: der Zahlung eines Lohnes und der angestrebten Berufsqualifizierung. Damit verlor die Zielsetzung der Disziplinierung bei ihnen im Allgemeinen an Zentralität, was allerdings nicht hieß, dass sie vollkommen aufgegeben wurde. Die Pluralität, welche die Anhängerschaft des Arbeitsdienstgedankens nach 1945 vermissen ließ, ist für die Jugendaufbauwerke durchaus zu beobachten: Getragen wurden sie zum einen ebenfalls vielfach von den Kirchen, wie die seit 1948 eingerichteten evangelischen »Arbeits-« oder »Aufbaugilden« für männliche Jugendliche in Württemberg-Baden. Zum anderen entstanden sie in freier Trägerschaft, so der ebenfalls 1948 in Württemberg-Baden unter anderem von dem Sozialdemokraten Carlo Schmid gegründete Freiwillige Hilfsdienst, aus dem wenig später der Internationale Bund für Sozialarbeit – Jugendsozialwerk e. V. hervorging.184 Die Pluralität spiegelt sich auch in ihrer Konzeption: Glich diese bei den kirchlichen Einrichtungen nicht selten derjenigen der kirchlichen Arbeitsdienste, wurde bei den Aufbauwerken in freier Trägerschaft oftmals das Ziel der Demokratisierung sehr stark hervorgehoben und erscheint viel konkreter als gemeinhin bei den Arbeitsdienstkonzeptionen. Die Selbstdarstellung eines Jugendaufbauwerks in Sigmaringen etwa betonte, dass die Jugendlichen »in geheimer und unabhängiger Wahl, also in völlig demokratischer Weise« Gemeinschaftssprecher bestimmten, dass sie Haus-, Gemeinschafts- und »Ehrenordnung« selbst festlegten oder dass in einer Heimzeitung »der Kritik, der Selbstkritik ein weiter Raum gegeben« sei.185 Dabei wurden auch die Jugendaufbauwerke teilweise als Gegenentwurf zur Parteiendemokratie ­verstanden, 183 Vgl. Gröschel u. Schmidt, S. 201. 184 Für die Koordinierung der Freiwilligendienste wurde 1949 der Internationale Bund für Kultur- und Sozialarbeit gegründet, von 1952 an Internationaler Bund für Sozialarbeit – Jugendsozialwerk e. V., vgl. 20 Jahre Jugendsozialwerk, in: Tübinger Brief, Jg. 16, 1969, Nr. 9/12, S. 159–162; Von der Stunde Null und den Anfängen des Jugendsozialwerkes, in: Tübinger Brief, Jg. 25 (1989) 1/2, S. 61–63, sowie: http://www.internationaler-bund.de/fileadmin/user_ upload/downloads/60_Jahre/ 60_Jahre_IB_Chronik_des_Geburstagsjahres.pdf. 185 Anonym, Jugendsozialwerk Hofgruppe Sigmaringen, S. 16.

121

was deutlich wird, wenn sie sich selbst als eine Form »echter Demokratie, einer Demokratie, die nicht im Formalismus erstarrt«, präsentierten.186 Dass die Jugendaufbau­werke in ihrer weniger auf Disziplinierung zielenden und stärker berufsorientierten Ausrichtung eine größere Akzeptanz genossen und ebenfalls von den alliierten Besatzungs- bzw. Kontrollbehörden eher anerkannt und finanziell gefördert wurden, zeigt sich in ihrer deutlich größeren Verbreitung. Weitere Hinweise auf die Ursachen, weshalb den Arbeitsdienstprojekten nur kurzzeitig ein gewisser Erfolg beschieden war, bietet ein Vergleich mit den Workcamps. Auch die Workcampbewegung teilte in ihren Anfangsjahren einige der konzeptionellen Grundgedanken, auf denen die Arbeitsdienstpläne nach 1945 basierten. Ihr Erfolg erklärt sich sogar in maßgeblicher Weise gerade aus dem von ihr ebenso wie von den Arbeitsdienstbefürwortern beschworenen Gemeinschaftsideal, das an die Jugendbewegung des frühen 20. Jahrhunderts anknüpfen konnte, einigen aber auch als ein bewahrenswertes Ideal aus der Zeit des Nationalsozialismus erschien. Dennoch war die Workcampbewegung ungleich erfolgreicher als die Versuche der Wiedereinführung von Arbeitsdiensten. Zunächst ist es naheliegend, dass ein Grund in der unterschiedlichen Dauer lag. In den Kurzzeitarbeitsdiensten trat überdies der starke auf Disziplinierung ausgerichtete Impetus der Langzeitdienste deutlich zurück – auch das mag sie für viele Jugendliche attraktiver gemacht haben. Vor allem aber boten Kurzzeitfreiwilligendienste einen starken zusätzlichen Anreiz für die Jugendlichen, der den Langzeitdiensten fehlte: den Kontakt zum Ausland entweder in Form einer Auslandsreise oder zumindest durch die Begegnung mit ausländischen Jugendlichen in Deutschland. Die Internationalität war ein entscheidender Unterschied zwischen den Arbeitsdiensten und der Workcampbewegung, der  – neben der ohnehin größeren Pluralität der Anhängerschaft  – wesentlich auch dazu beitrug, dass Letztere recht bald von Liberalisierungs- und Demokratisierungsströmungen erfasst wurde. Den Workcampern war es eher möglich als der älteren Generationen, welche die längerfristigen Arbeitslager plante, sich konzeptionell einem vom Ausland ausgehenden Transfer demokratischer Ideale nach Deutschland zu öffnen. Das jugendliche Alter der Workcamper und die Vorstellung, sie seien ideologisch noch formbar, erleichterte ihnen die internationale Kommunikation. Die Begegnungen mit Ausländern ebenso wie erste Auslandsreisen führten zwar nicht bei allen, doch aber bei einem Teil von ihnen zur Aneignung und Verfestigung demokratischer Einstellungen und Praktiken.

186 Beckert, S. 19; zum Topos der »echten Demokratie«, der im Nachkriegseuropa in Abgrenzung zu den Demokratien der Zwischenkriegszeit viel verwendet wurde, vgl. Conway u. Depkat.

122

2.5 Die neu entflammte Pflichtdienstdebatte Trotz der in der Nachkriegszeit verbreiteten Klagen über die »Apathie« der Jugend knüpften die Arbeitsdienstvorschläge nicht daran an und es war weiterhin kein erstrangiges Ziel, die Bereitschaft zu zivilgesellschaftlicher Partizipation zu stärken. Dies galt nicht nur für die Projekte aus dem Kreise der ehemaligen Arbeitsdienstführer, sondern auch für kirchliche Initiativen. Das Argument: »Mitarbeit heißt wirkliche Demokratie« war in der westdeutschen Nachkriegsdebatte über die Arbeitsdienste die Ausnahme, und es ist bezeichnend, dass es nicht von einem deutschen Zeitgenossen stammte, sondern nur als Zitat eines amerikanischen Beobachters wiedergegeben wurde, der damit seiner Anerkennung der Arbeit eines Jugendaufbauwerks Ausdruck verlieh.187 Der Gedanke, dass Partizipation – auch in anderen Bereichen als in der Politik – zur Demokratie gehörte, fand noch keinen Eingang in das Repertoire der Argumente deutscher Arbeitsdienstbefürworter. Im Mittelpunkt der westdeutschen Arbeitsdienstpläne der Nachkriegszeit stand, wie dies schon für den männlichen Arbeitsdienst vor 1945 gegolten hatte, weiterhin weniger der unmittelbare Nutzen des Dienstes für die Allgemeinheit, als vielmehr der angenommene pädagogische Effekt der Arbeit auf die jugendlichen Teilnehmer, wodurch dann freilich mittelbar in anderer Weise ebenfalls dem Gemeinwesen gedient sein sollte. Auch in der seit 1945 wieder hitzig geführten Kontroverse, ob ein Pflichtarbeitsdienst eingeführt werden solle, ging es weiterhin weniger darum abzustecken, welche Aufgaben der Staatsbürger im Staat übernehmen solle, als vielmehr um die Frage, welchen Erziehungs- oder Disziplinierungsauftrag Staat oder Kirche über die Schulerziehung hinaus zu leisten hätten. Wie bei der Debatte um die anzustrebende Demokratisierung und die nationale bzw. euro­ päische Ausrichtung, spielte aber auch hier nun die Abgrenzung zum nationalsozialistischen Vorgänger eine zentrale Rolle: Immer wenn die Frage diskutiert wurde, ob ein zu schaffender Arbeitsdienst freiwillig oder verpflichtend sein solle, galt es jetzt auch zum nationalsozialistischen Reichsarbeitsdienst Position zu beziehen. Wenngleich es etliche Befürworter eines Pflichtarbeitsdienstes gab, stand deren Position deutlich stärker als vor 1933 in der Kritik. Aus manchen Stellungnahmen lässt sich bei dieser Diskussion abermals heraushören, welche Unsicherheit darüber herrschte, was politisch erlaubt war. »Dem Gedanken der zwangsweisen Arbeitserziehung, der heute kaum Aussicht hat, gesetzgeberisch verwirklicht zu werden, an dem wir aber mitzuarbeiten bereit sind, ziehen wir eine freiwillige Erziehungsfürsorge vor«, mit dieser recht inkonsistenten Argumentation lotete beispielsweise ein Befürworter von Jugendarbeitsdiensten, ein 187 Anonym, Jugendsozialwerk Gruppe Kälberbronn.

123

promovierter Staatsanwalt, 1948 die Spielräume aus.188 Einige Arbeitsdienstbefürworter lehnten einen Pflichtarbeitsdienst ab, weil sie glaubten, er lasse sich nur in einer militärähnlichen Struktur realisieren.189 Ein an das Bundesministerium für Schulwesen gerichteter Entwurf zur Wiedereinführung eines Arbeitsdienstes, dem es in erster Linie darum ging, »dass die Jugendlichen von der Strasse kommen«, betonte etwa, dass allein eine freiwillige Rekrutierung angebracht sei, wolle man »vermeiden, dass ein Zwang ausgeübt wird bezw. militärische Grundsätze gefördert werden«.190 Vor allem die evangelischen Initiativen zur Wiedereinführung von Arbeitsdiensten sprachen sich wie vor 1933 weiterhin gegen eine Dienstpflicht aus.191 Nicht »durch äusseren Zwang, sondern durch Gemeinschaft in der Freiheit und durch Freiheit in der Gemeinschaft« könne das Ziel des Arbeitsdienstes, »die Verwirklichung christlicher Existenz junger Menschen«, erreicht werden, hieß es 1948 in einer Selbstverständniserklärung einer Initiative des Hilfswerks der Evangelischen Kirchen in Württemberg.192 Ein anderer Entwurf zur Einführung eines Arbeitsdienstes in Baden-Württemberg, der sich vor allem an jugendliche DDR-Flüchtlinge richten sollte, wies 1953 die Idee eines staatlichen Pflichtarbeitsdienstes als »gefährlich« zurück. Denn die Autoren fürchteten für einen solchen Pflichtdienst nicht nur ein »Abgleiten in militärische Formen«, sondern glaubten, damit eine ebensolche »Massenorganisation« zu schaffen, wie sie die Jugendlichen in Ostdeutschland doch gerade hätten hinter sich lassen wollen.193 Da die Arbeitsdienste ja unter anderem den wahrgenommenen »Vermassungstendenzen« entgegenwirken sollten, konnte der Aufbau von Massenorganisationen nur kontraproduktiv erscheinen. Im beginnenden Kalten Krieg trafen die Autoren darüber hinaus den Ton der Zeit, wenn sie, ohne dies allerdings genauer auszuführen, warnten: »Ein Arbeitsdienst im Westen würde vom Osten ohne Zweifel politisch ausgenutzt werden.«194 Hatten sich die Kirchen schon in der Weimarer Zeit gegen die Idee einer Arbeitsdienstpflicht ausgesprochen, so sahen sie sich nach den Verirrungen des Nationalsozialismus in ihrer Haltung bestärkt. Da sie hofften, im Wiederaufbau zur neuen moralischen Leitinstanz zu werden, betonten sie nun umso s­ tärker ihre Unabhängigkeit vom Staat, dessen Machtbefugnisse sie mit dem Verweis auf die nationalsozialistische Vergangenheit eingeschränkt wissen wollten. »Das 188 Staatsanwalt Dr. Becker, Neue Wege der Jugendhilfe, 1948, ADE, CAW 714, Jugendhilfe. 189 Beckert, S. 1321. 190 M. Dessau an das Bundesministerium für Schulwesen, Berlin-Lankwitz, 24. Juli 1954, BA, B 153/150 (1–193), Film 1, 005. 191 Vgl. Benz, S. 326. 192 Rundschreiben Nr.  128, Hilfswerk der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, Oberkirchenrat Pressel, 9. Febr. 1948, ADE, ZB 1146, Bd. 1, Fürsorge für Jugendliche. 193 Entwurf zur Durchführung eine Planes zur Errichtung eines umfassenden Jugendhilfsdienstes [1953], ADE, ZB 1161, NL Collmer, Arbeitsgemeinschaft Ev. Jugendaufbaudienst: Vor allem Rundschreiben und Protokolle, 1951–1954. 194 Ebd.

124

Übermaß des modernen staatlichen Zwangs, gleichviel um welche Staatsform es sich handelt, würde die echten sozialen und politischen Kräfte, die im Arbeitsdienst lebendig werden, ersticken«, postulierte der Volkskundler ­Gerhard Heilfurth, der selbst ein überzeugter Nationalsozialist gewesen war, 1948 in einem Artikel in der evangelischen Zeitschrift »Zeitwende«. Doch gerade diese Kräfte seien überaus wichtig, glaubte er, und folgerte: »Deswegen muß der Dienst freiwillig sein und darf weder dem direkten Kommando der Behörden ausgeliefert noch zur bloß wirtschaftlichen Arbeit degradiert werden. Sonst geht der Gedanke des ›Dienstes‹ verloren. Der Mensch schuldet weder der Staatsbürokratie noch der Wirtschaft ›Dienstbarkeit‹. Er schuldet sie überhaupt keiner menschlichen Einrichtung, auch nicht der Gesellschaft, sondern nur einem un­ bedingt Übergeordneten, der Zeit und ihrem Wechsel Enthobenen, d. h. Gott.«195

Mitunter gestand man evangelischerseits ein, dass das Prinzip der Freiwilligkeit auch als Mittel gesehen wurde, um »bessere Möglichkeiten einer vertieften religiösen Beeinflussung« zu schaffen.196 Die vehementeste Kritik an den Pflichtdienstplänen kam außerdem nach dem Krieg weiterhin von kommunistischer, sozialdemokratischer und gewerkschaftlicher Seite. Dort sah man sich ebenfalls durch die Erfahrungen der nationalsozialistischen Diktatur in der Ablehnung von Arbeitsdiensten bestärkt. Besorgt darüber, dass »in der Öffentlichkeit eine sehr fröhliche Diskussion um die Wiedereinführung einer allgemeinen Arbeitsdienstpflicht losgegangen ist«, drängte etwa der KPD-Abgeordnete Heinz Renner im Parlamentarischen Rat auf ein klares gesetzlich festgelegtes Verbot eines Arbeitsdienstes, wie es dann schließlich im Artikel 12 des Grundgesetzes seinen Niederschlag fand.197 Die Jugend benötige keine »Zwangsjacken eines feldgrauen Arbeitsdienstes« oder »Kommandos von Leuteschindern«, so auch die Kritik der SPD 1951 an der sozialdisziplinierenden Ausrichtung der Arbeitsdienstprojekte.198 In den »Gewerkschaftlichen Monatsheften« griff Kurt Brumlop 1950 nicht nur das traditionelle gewerkschaftliche Argument auf, wenn er die Vorschläge, einen Dienstpflicht einzuführen, als Versuch abtat, an »billige Arbeitskräfte« heranzukommen und die Zahlung von Tariflöhnen zu umgehen, sondern fürchtete darüber hinaus, die Jugendlichen sollten durch ein »aus dem verschiedenen Gedankengut der beim Staatsaufbau wirksamen Kräfte zusammengewürfeltes Programm« in dem Dienst manipuliert werden, und so laufe dieser Gefahr, sich zur Vorstufe für den »Aufbau einer Staatsjugend« zu entwickeln.199 In Teilen der SPD, in den Gewerkschaften und bei einigen Jugendverbänden wurde nicht 195 Heilfurth, Waisenhäuser, S. 656. 196 Staatsanwalt Dr. Becker, Neue Wege der Jugendhilfe, 1948, ADE, CAW 714, Jugendhilfe. 197 Deutscher Bundestag/Bundesarchiv, S. 400; vgl. zu der Diskussion Luchterhandt, S. 1400. 198 Vorbote zur deutschen Armee?, in: Sozialdemokratischer Pressedienst P/VI/260, Bonn, 8. Nov. 1951, S. 5; vgl. auch: Diskussion um Arbeitsdienst, in: Sozialdemokratischer Presse­ dienst, P/IV/166, 12. Nov. 1949, S. 8. 199 Brumlop, S. 435, vgl. auch Heitbaum, S. 593; Bading, S. 428 f.

125

nur der Gedanke eines Pflichtarbeitsdienstes, sondern auch die Alternative von Freiwilligendiensten verworfen, nicht zuletzt mit dem Argument, dass diese, wie man am Weimarer Beispiel sehen könne, doch letztlich in einen Pflichtdienst münden würden.200 Auch die Möglichkeit einer Militarisierung der Arbeitsdienste konnte zur grundsätzlichen Ablehnung führen. So sah die christliche Jugendzeitschrift »Junge Stimme« 1953 die Gefahr, dass »wieder gedrillt und herumkommandiert wird« als einen Grund an, die Wiedereinführung eines freiwilligen Arbeitsdienstes nur als »allerletzte Notlösung« zu erwägen.201

Zwischenfazit Dass sich der Arbeitsdienstgedanke in Westdeutschland und Großbritannien nach dem Zweiten Weltkrieg in unterschiedlicher Weise fortentwickelte, ist nicht allein daraus zu erklären, dass viele Briten ihn nun ablehnten, weil sie in mit dem nationalsozialistischen Reichsarbeitsdienst in Verbindung brachten. Denn auch in Westdeutschland bestimmte die Abgrenzung gegenüber dem Nationalsozialismus die weitere Arbeitsdienstdebatte. Hinzu kam, dass sich die nationalen und sozialen Umwälzungen in der Folge des Krieges die Gesellschaftsanalysen in unterschiedlicher Weise veränderten. In beiden Ländern entbrannte nach dem Krieg eine lebhafte Auseinandersetzung über einen wahrgenommenen Mangel an jugendlichem Idealismus. In Westdeutschland leitete man die verspürte »Apathie« der Jugend oft aus der weltanschaulichen Verunsicherung nach dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus oder aber aus der Vaterlosigkeit vieler Kinder in der Kriegs- und Nachkriegszeit her. Letztere galt auch in Großbritannien als Ursache. Die Erwartungen, die in dieser Debatte zum Ausdruck kamen, richteten sich auf ein gesellschaftliches Engagement, das über die Erwerbsarbeit hinausreichen sollte. Vor allem der Vergleich mit der hohen Mobilisation der Bevölkerung während des Krieges ließ die Nachkriegszeit demgegenüber als Zeit einer Flaute des freiwilligen Engagements und des Rückzugs ins Private erscheinen: Die Kriegsanstrengung hatte zwar in beiden Ländern zum Ausbau sozialstaatlicher Leistungen geführt. Aber in der Idealvorstellung vieler Zeitgenossen war im Gegenzug auch der Umfang der vom Staatsbürger eingeforderten Pflichten gewachsen. Die Einführung von Arbeitsdiensten folgte jedoch zunächst in keinem der beiden Länder daraus. 200 Vgl. etwa den Bericht über die Stellungnahme der Falken zu der in der Öffentlichkeit diskutierten möglichen Wiedereinführung eines freiwilligen Arbeitsdienstes, »Falken« gegen freiwilligen Arbeitsdienst, in: Sozialdemokratischer Pressedienst, Hannover, 6. Okt. 1948, S. 6. 201 Arbeitsdienst ein Ausweg?, in: Junge Stimme, 2.  Jg., 4.  April 1953, Nr.  7, S.  1; vgl. auch: »Heissa, da lässt sich wieder leben!«, in: Junge Stimme, 4. Jg., 26. Juni 1954, Nr. 12, S. 5.

126

Dass der Arbeitsdienstgedanke in Großbritannien im Nachkriegsjahrzehnt keine Anziehungskraft mehr besaß, lag auch zu einem guten Teil darin begründet, dass einerseits die nationale Gemeinschaft in den Augen vieler Zeitgenossen durch den Krieg gestärkt worden war und nicht mehr bedroht erschien, andererseits nicht länger Mangel an regulärer Erwerbsarbeit herrschte. Der Niedergang der Arbeitsdienstbewegung und der Erfolg der Workcampbewegung in Westdeutschland hingegen können als Anzeichen dafür gesehen werden, dass in der Abkehr vom Nationalsozialismus der Nationalstaat als Bezugsgröße für Vorstellungen vom Gemeinwesen seine übermächtige Stellung eingebüßt hatte. Allerdings nicht vollständig: Es blieb in Westdeutschland bis in die sechziger Jahre hinein unmöglich, längerfristige Freiwilligendienste im Ausland einzurichten, obwohl dies gelegentlich diskutiert wurde. Gegen ein solches mehrmonatiges Engagement außerhalb des eigenen Landes herrschten noch zu starke nationale Vorbehalte. Eine lebhafte Diskussion entspann sich in Westdeutschland um die Wiedereinführung nationaler Arbeitsdienstprogramme. Angesichts der hohen Arbeitslosigkeit, die Westdeutschland nach dem Krieg zu verzeichnen hatte, erschien der Rückgriff auf die Weimarer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme geboten, zumal viele Zeitgenossen deren Fortführung im Nationalsozialismus ebenfalls noch als eine positive Leistung des Regimes ansahen. Dennoch verhinderte die Assoziation mit dem nationalsozialistischen Reichsarbeitsdienst letztlich die Wiedereinführung staatlicher Arbeitsdienstprogramme. Obwohl Umfragen zufolge in der jungen Bundesrepublik eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung eine solche befürwortete und prominente Fürsprecher die Forderung propagierten, ließ sie sich gegen die Widerstände vor allem aus dem politisch linken Spektrum nicht mehr durchsetzen. Die Befürworter einer Wiedereinführung von Arbeitsdiensten in den späten vierziger und frühen fünfziger Jahren betrachteten diese weiterhin vor allem als Ersatz für die Erwerbsarbeit. Wieder warnten vor allem konservative und kirchlich gebundene Zeitgenossen vor den moralischen Folgen der Erwerbslosigkeit und sahen sich in dieser Deutung sogar durch die nationalsozialis­tische Diktatur bestätigt, deren Ursachen sie in der ihr vorausgegangenen Massenarbeitslosigkeit erblickten.

127

3. Die »Wirtschaftswunderzeit«, ca. 1954–1968

3.1 Das neue Gesicht der Krise Der deutschen wie der britischen Jugend der fünfziger und sechziger Jahre hat die historische Forschung bereits viel Aufmerksamkeit gezollt. Darin spiegeln sich die aufgeregten Debatten über die Jugend aus der Nachkriegszeit selbst, die zum einen dem allgemeinen gesellschaftlichen und kulturellen Wandel, zum anderen dem Babyboom der Nachkriegszeit und dem hohen Bevölkerungsanteil Jugendlicher in vielen westlichen Gesellschaften geschuldet waren.1 Mit den Jugendunruhen von 1968 schien sich die Deutung eines generationellen Auseinanderdriftens zu bestätigen, und die historische Jugendforschung erhielt für diese Zeit noch einen weiteren Impuls. Im Mittelpunkt vieler Studien über die Jugend der fünfziger und sechziger Jahre steht die Frage, inwieweit die Jugend vom soziokulturellen Wandel erfasst wurde und inwiefern sie ihn gesamtgesellschaftlich selbst vorantrieb.2 Während in Großbritannien eher die dort früh und prominent herausgebildete Jugendkultur das Interesse der Forschung auf sich gezogen hat, richten deutsche Arbeiten ihren Fokus oft auf die Demokratisierung der westdeutschen Gesellschaft.3 Es geht in den Untersuchungen also darum, wie sich Jugendliche ihre Rolle als Demokraten im neuen politischen System und als »Konsumbürger«4 in einem bislang ungekannten Wohlstand aneigneten, sowie um die Versuche der Erwachsenen, diese Rollenaneignung zu steuern. Wie die neue Rolle der Jugendlichen bzw. daran anknüpfend der Bürger im Sozial- oder Wohlfahrtsstaat definiert und von ihnen angenommen wurde, ist bislang wenig und eher en passant betrachtet worden.5 Es gibt kaum Untersuchungen, die neben der politischen Mitwirkung andere Arten von Engagement in den Blick nehmen. Die historische Analyse der Jugendafreiwilligendienste eröffnet daher eine neue­ Perspektive auf Jugend sowie auf den Stellenwert öffentlichen Engagements in der Bundesrepublik und in Großbritannien während der fünfziger und sechziger Jahre. 1 Vgl. Siegfried, Was war »1968«?, S. 37–39. 2 Vgl. Levsen. 3 Die Literatur ist umfangreich, vgl. z. B. Fowler; Davis; Marwick, The Sixties; Osgerby, Youth; Siegfried, Time. 4 Vgl. zu diesem Begriff Wildt. Wird dieser Begriff hier verwendet, ist damit nicht die Affir­ mation von Wildts These verbunden, die Herausbildung des Konsumbürgers habe zu einer allgemeinen Entpolitisierung geführt. Dagegen etwa Siegfried, Time, passim. 5 Vgl. Finlayson, Citizen.

129

Der erste Abschnitt des Kapitels widmet sich der konservativen Neukonzeption der längerfristigen Jugenddienste in der Bundesrepublik der fünfziger und frühen sechziger Jahre. Im zweiten Abschnitt wird analysiert, wie diese konzeptionellen Grundlagen sich im Laufe der sechziger Jahre langsam liberalisierten. Liberalisierungstendenzen prägten in den späten fünfziger und sechziger Jahren auch die friedensorientierte Variante des Arbeitsdienstgedankens, die mit der Aktion Sühnezeichen überdies eine ganz eigene Neugründung aufwies. Sie wird im dritten Abschnitt in den Blick genommen. Der vierte Abschnitt wendet sich den Jugendfreiwilligendiensten zu, die um die Wende von den fünfziger zu den sechziger Jahren in Großbritannien ins Leben gerufen wurden. Im Mittelpunkt des fünften Abschnitts stehen Motive und Erfahrungen der Freiwilligen beider Länder. Der sechste Abschnitt fragt wieder nach dem Wandel in der Bewertung von Freiwilligkeit und Freiwilligenarbeit durch die Zeitgenossen. a. Kulturkritik im Wohlfahrtsstaat Arbeitsdienste und Jugendaufbauwerke, die in Westdeutschland in den allerersten Nachkriegsjahren vorwiegend für die männliche Jugend eingerichtet worden waren, wurden gegen Mitte der fünfziger Jahre, als die Jugendarbeitslosigkeit nachließ, vielfach eingestellt. Hinzu kam, dass auch die Wiedereinführung des Militärdienstes absehbar war, die nicht nur weitere Jugendliche dem Arbeitsmarkt entziehen würde, sondern die darüber hinaus die den Arbeitsdiensten zugesprochenen Erziehungsfunktionen überflüssig zu machen schien. Dennoch bedeutete dies nicht das Ende freiwilliger Jugenddienste. Um die Mitte der fünfziger Jahre traten sie in der Bundesrepublik vielmehr in eine neue Phase ein. Es wurde eine veränderte Form des freiwilligen Jahresdienstes ins Leben gerufen, die sich bald fest etablierte. Die Konzeption der Jugendfreiwilligendienste wandelte sich mit der gesellschaftlichen Konstellation, welche die Arbeitsdienstprojekte motivierte, und schließlich wuchs auch deren Attraktivität. In den historischen Selbstdarstellungen der Trägerorganisationen wird als Anlass für diese Neubelebung der Jugendgemeinschaftsdienste in der Regel der Personalmangel in den Pflegeeinrichtungen genannt. Die Ursachen lagen allerdings tiefer. Entscheidend war auch hier, dass seit Beginn der fünfziger Jahre die Jugendarbeitslosigkeit und wenig später die Arbeitslosigkeit allgemein nachließen und es in einigen Berufsfeldern bald sogar an Arbeitskräften mangelte. So verflüchtigte sich zwar die Angst vor den Auswirkungen der Erwerbslosigkeit, doch führte dies nicht dazu, dass deshalb bei den Befürwortern der Jugenddienste die kulturpessimistische Grundstimmung aufgegeben wurde. Vor allem die Jugend – wenngleich nun weniger die männliche als vielmehr die weibliche – hielt man weiterhin für gefährdet. Die Gründe waren jetzt jedoch anders gelagert. Den unmittelbaren Anstoß für die Neukonzeption der Jugendfreiwilligendienste zu Beginn des zweiten Nachkriegsjahrzehnts gab tatsächlich der Mangel an Pflegepersonal. Er veranlasste den Rektor der großen fränkischen Dia130

konissenanstalt in Neuendettelsau, Hermann Dietzfelbinger, zu einem Versuch, einen neuen freiwilligen Jugenddienst einzuführen. Im Mai 1954 richtete er einen Aufruf an die Jugend, für ein geringes Taschengeld, Unterkunft und Verpflegung ein »Diakonisches Jahr« im Pflegedienst abzuleisten. Sein Appell richtete sich  – einerseits aufgrund der absehbaren Wiedereinführung der Wehrpflicht für Männer, andererseits aufgrund der traditionell weiblichen Besetzung der Pflegeberufe – explizit an junge Frauen. Die Hoffnung war, auf diese Weise nicht nur zusätzliche Arbeitskräfte zu gewinnen, sondern darüber hinaus durch den Freiwilligendienst ein weiter reichendes Interesse für den diakonischen Dienst zu wecken, aus dem sich ein längerfristiges Engagement bzw. die Entscheidung ergeben könne, dauerhaft einen Pflegeberuf zu ergreifen.6 Dietzfelbingers Vorstoß war erfolgreich, und seine Einrichtung sollte sich als dauerhafter erweisen als diejenigen der Arbeitsdienstaktivisten in der allerersten Nachkriegszeit. Ende 1954 traten die ersten 36 diakonischen Helferinnen ihren Dienst an.7 Die Teilnehmerzahlen wuchsen zunächst zwar noch langsam, doch rasch begannen auch andere evangelische Landeskirchen, ein Diakonisches Jahr anzubieten und dieses so bekannter zu machen.8 Seit 1957 wurden bei einigen Landeskirchen auch Männer ins Diakonische Jahr aufgenommen, wenngleich ihr Prozentsatz gering blieb – die gesamten sechziger Jahre hindurch lag er bei etwa 10 Prozent.9 1958 rief der Bund der Katholischen Jugend (BDKJ) zu einem Freiwilligenjahr in der Flüchtlingshilfe auf, 1959 schließlich führte der Deutsche Caritasverband ein Sozialjahr ein, das je nach Diözese als »Jahr für die Nächsten« bzw. als »Jahr für die Kirche« bezeichnet wurde.10 Der Caritas­verband und der BDKJ teilten sich bald die Organisation des Dienstes. 1959  folgte als nicht-konfessioneller Träger das DRK mit einem »Nothilfejahr«, 1963 dann in Kooperation mit diesem das Jugendsozialwerk.11 Seit Beginn der sechziger Jahre plante man in Regierungskreisen die gezielte Förderung sozialer Freiwilligendienste. Die Diskussionen mündeten schließlich 1964 in das »Gesetz zur Förderung des Freiwilligen Sozialen Jahres«, das den 6 Diakonisches Jahr I D5/2–2, Abschrift E, Nr. 1295 Direktorium der Evang. Luth. Diakonissenanstalt Neuendettelsau, Rektor Dietzfelbinger, Okt. 1954, ZADN, Bestand D – Einrichtungen Schulreferat – Diakonisches Jahr. 7 Sticht, S. 24. 8 Ebd., S. 26. 9 Als erstes nahm die württembergische Landeskirche Männer als diakonische Helfer auf, es folgten bis 1958 die Landeskirchen Westfalen, Hessen-Nassau und Kurhessen, vgl. Sonntagsblatt, Nr. 28, 14. Juli 1957, ADE, ADW, HGSt, III 252 Diakonisches Jahr, R 985, Einführung Aufrufe, Berichte (671–1/8); H. Bäcker, Das Diakonische Jahr, o. D. [1958], ADE, ADW, HGSt, III 252 Diakonisches Jahr, 4844 Erfahrungsaustausch; Arbeitskreis freiwilliger sozialer Dienst/freiwilliges soziales Jahr, S. 17. 10 Vgl. ebd., S. 15–20. 11 Vgl. Zum Nothilfejahr aufgerufen, in: Mitteilungen des DRK, Baden-Württemberg, Jan. 1959, S. 3, AEWED, ADW, HGSt, III 251, 4823 andere Verbände; H. König, Der Ausgangspunkt: Tübingen, Oktober 1963, in: Tübinger Brief, Jg. 15, 1968, Nr. 10, S. 239.

131

von den Wohlfahrtsverbänden getragenen Initiativen einen rechtlichen R ­ ahmen verlieh und vor allem wirtschaftliche Erleichterungen für die Freiwilligen mit sich brachte, da ihre Eltern nun Kindergeld in Anspruch nehmen durften und sie selbst in die Sozialversicherung eingebunden wurden.12 Außerdem erhielten die durch das Gesetz anerkannten Trägerorganisationen staatliche Subventionen für einen freiwilligen Sozialdienst, sofern sie sich bei dessen Gestaltung an die Vorgaben des Gesetzes hielten. Das Gesetz legte das Alter der Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf 17 bis 25 Jahre fest, die Dauer des Dienstes auf sechs bis zwölf Monate. Es gab überdies vor, dass die Dienste in »Einrichtungen der Wohlfahrtspflege« auszuführen waren. Außerdem wurde den Trägerorganisationen auferlegt, eine »persönlichkeitsbildende und sach­gerechte Betreuung« der Freiwilligen und ein begleitendes Seminarprogramm anzubieten sowie für Unterkunft, Verpflegung und Taschengeld aufzukommen. Der Kreis der Trägerorganisationen war anfänglich auf die in der Bundesarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege zusammengeschlossenen Verbände, die Kirchen sowie staatliche – das heißt vor allem kommunale – Wohlfahrts­einrichtungen beschränkt, auf Landesebene durften darüber hinaus weitere Trägerorganisationen zugelassen werden. War der Mangel an Pflegekräften zwar der zunächst offensichtlichste Anlass für die Initiative Dietzfelbingers und daran anschließend des Hilfswerks der Evangelischen Kirchen sowie später der anderen Wohlfahrtsverbände, so war die Notlage doch nicht die alleinige Ursache für die Einrichtung des Hilfsdienstes. Denn schließlich wurden auch verschiedene andere Mittel zur Be­hebung des Personalnotstands diskutiert, die effektiver zu sein versprachen als der Einsatz unausgebildeter Jugendlicher. Beispielsweise wurde die Anwerbung ausländischer Pflegekräfte angeregt. Vor allem aber mahnten insbesondere die Gewerkschaften bessere Arbeitsbedingungen und eine höhere Bezahlung für das Pflegepersonal an.13 Solche Forderungen waren nicht unbegründet: Anfang der fünfziger Jahre waren für Krankenschwestern bei geringer und nicht tariflich geregelter Bezahlung noch 70–80 Wochenarbeitsstunden die Norm und damit deutlich mehr als sonst im öffentlichen Dienst, in dem die Arbeitszeit üblicherweise bei 48 Stunden lag.14 Hinzu kam, dass die Arbeitszeiten über den Tag verteilt lagen und von Schwestern in der Regel noch erwartet wurde, dass sie un-

12 Gesetz zur Förderung eines freiwilligen sozialen Jahres, Deutscher Bundestag, 4.  Wahl­ periode, Drucksachen IV/986, IV/2138. 13 Vgl. Kreutzer, Vom »Liebesdienst«, passim. 14 Zum Schwesternmangel und zu den Arbeitsbedingungen der Schwestern, ebd., passim,­ speziell zu den Arbeitszeiten S. 18, S. 183, S. 195; Kreutzer erklärt die schlechten Arbeitsbedingungen damit, dass Schwestern nur in schwachem Maße gewerkschaftlich organisiert waren und die Gewerkschaften selbst, die der Frauenerwerbstätigkeit skeptisch bis ablehnend gegenüberstanden, dem typischen Frauenberuf wenig Interesse entgegenbrachten, ebd., S. 199. Vgl. allgemein zur Haltung der Gewerkschaften gegenüber der Frauenerwerbstätigkeit die Beiträge in Deutscher Gewerkschaftsbund.

132

verheiratet waren (und blieben) und auf dem Gelände der Krankenhäuser in einer Schwesterngemeinschaft wohnten, wo sie oft nicht einmal über ein ­eigenes Zimmer verfügten. Der Beruf war daher unattraktiv. Während also einerseits mit dem Ausbau des Wohlfahrtssystems der Bedarf an Pflegepersonal wuchs, sank andererseits die Bereitschaft junger Frauen, sich auf ein solches Arbeitsregime einzulassen, zumal sich für sie in den fünfziger und sechziger Jahren in wachsendem Maße Möglichkeiten boten, in anderen Berufsfeldern Arbeit zu finden. Daher erhöhte sich der Druck, die Arbeitsbedingungen für das Pflege­ personal zu verbessern. Allerdings trafen Vorschläge, über entsprechende Reformen nachzudenken, auf große Widerstände vor allem in den konfessionellen Wohlfahrtsverbänden. Die Diskussion über die Gestaltung der Pflegeberufe war eng verflochten mit prinzipiellen ideologischen Motiven, die auch die Einführung des Sozialdienstes maßgeblich mitbestimmten. Die Konzeption des Freiwilligendienstes wurde entscheidend dadurch geprägt, dass der Personalmangel anstatt auf die schlechten Arbeitsbedingungen und vor allem den im Sozialstaat rasant zunehmenden Bedarf an Pflegekräften immer wieder auf die scheinbar rückläufige Dienstund Hilfsbereitschaft zurückgeführt wurde. Der christdemokratische Ministerialrat und Leiter der Staatsbürgerlichen Bildungsstelle Nordrhein-Westfalens Hermann-Josef Nachtwey etwa machte einen von ihm wahrgenommenen Wertewandel für den Personalmangel im Pflegesektor verantwortlich. Mit großem Pathos beschwor er die »Dringlichkeit« des »volkserzieherischen Problems«, die junge Generation wieder zum Dienstethos zu erziehen.15 Vertreter der Kirchen und der konfessionellen Wohlfahrtsverbände sahen Säkularisierungstendenzen als Ursache des Problems. Bei der Caritas beispielsweise glaubte man, »die Nachwuchsschwierigkeiten vor allem in Krankenpflege­ orden überraschen nicht«, weil ein »christlich oder sozial motiviertes ›Aufopferungsdenken‹«, wie es früher oft zum Eintritt in einen Pflegeberuf motiviert habe, bei der Jugend kaum mehr zu finden sei.16 Aufgrund dieser Überzeugung sahen viele Befürworter in dem Freiwilligendienst auch nicht so sehr eine direkte Maßnahme, mit welcher der Mangel an Pflegepersonal abgemildert oder »Nachwuchskräfte erhalten« werden könnten, sondern vielmehr einen langfristigen Versuch, den vermeintlichen Wertewandel zu bremsen.17 Diese Hoffnung brachte beispielsweise der christdemokratische Bundesfamilienminister Franz Josef Wuermeling 1962 zum Ausdruck: »Gemessen an dem Kräftemangel für 15 Meinwerk-Institut, Paderborn, Betr. Sozialer Hilfsdienst für Mädchen, Die Besprechung mit Herrn Ministerialrat Dr. Nachtwey, vom Innenministerium Nordrhein-Westfalen, an Präsidenten A. Stehlin, Freiburg i. Br., 25. Okt. 1961, ADC, 921.9, Freiwilliges Soziales Jahr, freiwilliger sozialer Dienst + 232.01 Gesetz zur Förderung des freiwilligen sozialen Jahres. 16 G. Herrmann-Bantele, Überlegungen zur Motivation sozialer Dienste, [ohne Datum, Ende der sechziger Jahre, ADC, 921.9 339, FSJ Nachträge, Fasz. 0. 17 KNA Nr. 25, 2. Febr. 61, ABDKJ, A 3501/2, Jahr für die Kirche.

133

die hauswirtschaftlichen und pflegerischen Tätigkeiten wird der Sozialdienst keine ins Gewicht fallende Bedeutung gewinnen, doch dürfte er als erzieherische Maßnahme anzuerkennen sein.«18 Weiterhin gingen konservative Mahner also von einem Werteverlust aus, dem vor allem bei der jungen Generation entgegengewirkt werden müsse. Alles in allem waren die Zukunftsprognosen, die der Einführung des Sozialjahres zugrunde lagen, düster: Die Jugend werde »eines Tages nicht mehr fähig sein, engere soziale Bindungen einzugehen und soziale Verantwortung auf sich zu nehmen«, prognostizierte ein Planungspapier für den ersten Jugendbericht der Bundesregierung 1964, und die Autoren glaubten sogar zu beobachten: »Schon haben die Fähigkeit und der Wille dazu nachgelassen; denn beides – das soziale Mitempfinden und das soziale Handeln – will erlebt und eingeübt sein.«19 Der Aufruf Kardinal Joseph Frings’ zum »Jahr für die Kirche« empfahl dieses als geeignetes Mittel zur »Weckung der persönlichen Verantwortung und des persönlichen Einsatzes«.20 Diese neue Ausrichtung wurde bereits 1954 im ersten Aufruf zum Diakonischen Jahr deutlich, als Dietzfelbinger an die Opferbereitschaft appellierte und eine Ausbildung im »Dienen, Beten, Leiden und Mittragen« versprach.21 Die Kulturkritik der ausgehenden vierziger und frühen fünfziger Jahre lebte also fort, nahm allerdings unter den sich wandelnden ökonomischen Bedingungen eine andere Gestalt an. Der Gefahrenherd lag in den Augen der konservativen Zeitgenossen nun nicht mehr in der wirtschaftlichen Not und der Arbeitslosigkeit. Vielmehr wurde für die scheinbar heraufziehende Katastrophe ganz im Gegenteil der wachsende Lebensstandard verantwortlich gemacht. Dem­ entsprechend erschienen nun weniger Ordnung und Gehorsam als besonders gefährdet, sondern die Werte Gemeinsinn und Hilfsbereitschaft. Diese Klage findet sich bis in die ausgehenden sechziger Jahre immer wieder. Das DRK etwa diagnostizierte noch 1968: »Die Bereitschaft zum Dienst, zum Opfer und zum Verzicht ist in unserer Gesellschaft zu wenig vorhanden.«22 Die Konzeption des Freiwilligendienstes stellte statt der Aneignung eines Arbeitsethos nun die Stärkung von Dienstethos und Opfersinn in den Vordergrund. 18 F. J. Wuermeling, An den Herrn Minister im Hause, betr. Entwurf eines Initiativgesetzes der Arbeitsgruppe Familie der CDU/CSU-Fraktion über die Förderung eines freiwilligen sozialen Hilfsdienstes Bonn, 21. März 1962, BA, Zwischenarchiv, B 149/22271, IIa4 2225.8. 19 Freiwilliger Sozialer Dienste der Jugend, Kurzfassung, 29. Jan. 1964, BA, B 153/1478, 4/037, Bdna, 005 Jugendbericht, 1964/65; vgl. ähnlich DPWV, Sozialer Hilfsdienst, Vorlage für die Sitzung des DPWV-Fachausschusses am 45. April 1962 im Wilhelm-Polligkeit-Institut, Frankfurt, BA, B 189/5782, 2665 Allgemein. 20 »Jahr für die Kirche« Aufruf Sr. Eminenz Kardinal Frings an die Frauenjugend im Erz­ bistum Köln, ABDKJ, A 3501/2, Jahr für die Kirche. 21 Der Aufruf ist abgedruckt in Gerwig, S. 17 f. 22 Bundesjugendplan, FSD, DRK, Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Förderung eines Freiwilligen Sozialen Jahres, Herrn Oberreg.rat Juncker, 18. März 1968, BA, B 189/5782, II/4, 2665 (19) Allg. und Statistik.

134

Als Ursachen für den wahrgenommenen Werteverfall erkannte man in den fünfziger Jahren, als sich der wirtschaftliche Aufschwung in Deutschland zwar schon andeutete, aber die Mehrzahl der Menschen noch in bescheidenen Verhältnissen lebte, zunächst vor allem technische Veränderungen der Arbeitswelt.23 Seitens des evangelischen »Arbeitskreises Mädelsozialarbeit« etwa hieß es 1955: »Die Industrialisierung und Technisierung stellt die Gesichtspunkte der Nützlichkeit und des Verdienststrebens in den Vordergrund. Damit wird der materialistischen Lebens- und Berufsauffassung bei der Jugend Vorschub geleistet.« Der technische Fortschritt führe zu einem »Mangel mitmenschlicher Beziehungen«.24 Zahlreiche ähnliche Stellungnahmen finden sich in diesen Jahren. Solche Zeitdiagnosen knüpften wieder an eines der kulturkritischen Deutungsmuster an, die sich im ausgehenden 19. Jahrhundert nicht nur in Deutschland als Reaktion auf die fortschreitende Industrialisierung formiert hatten.25 Der Freiwilligendienst sollte daher in bewusstem Gegensatz zu den beobachteten Entfremdungstendenzen entworfen werden. Agrarromantische Forderungen, die Freiwilligen auf dem Land einzusetzen, finden sich zwar im Gegensatz zur Weimarer Zeit nicht mehr, was auch damit zu erklären ist, dass sie als Aushilfe vor allem in städtischen Einrichtungen benötigt wurden. Bei der C ­ aritas plädierte man aber beispielsweise dafür, die Jugendlichen möglichst nicht in den modernsten Einrichtungen einzusetzen, denn man glaubte: »Je perfekter die Anstalt ist und je komplizierter der Betrieb, desto weniger scheint sie uns für den sozialen Hilfsdienst der Jugend geeignet zu sein.«26 Seit den ausgehenden fünfziger Jahren richtete sich die Kritik dann immer häufiger direkt auf den wachsenden Wohlstand. Die »Ideale schrumpfen im gleichen Grade, wie andererseits unsere Wohlhabenheit steigt«, beobachtete 1960 ein Verwaltungsbeamter in einem Brief an die christdemokratische Bundestagsabgeordnete und Familienpolitikerin Elisabeth Pitz-Savelsberg und leitete daraus die Notwendigkeit der Einführung eines sozialen Pflichtjahres für Mädchen ab.27 Allgemein erlebte die Kulturkritik in den fünfziger Jahren im Gewand der Massen- und Wohlstandskritik eine Renaissance, die sich etwa auch in einer starken Rezeption der Werke des spanischen Philosophen Ortega y Gasset widerspiegelte.28 Weiterhin griff man hier also auf eine Vorstellungswelt aus der Zwischenkriegszeit zurück. Die Überzeugung, dass Wohlstand Dekadenz zur 23 Vgl. Schildt, Moderne Zeiten, S. 323–350. 24 Niederschrift über die Sitzung des SK Mädelsozialarbeit im Evang. Jugendaufbaudienst 15. Sept. 1955 in Frankfurt, Gedanken und Vorschläge zur Mädchenbildungsarbeit und ihrer Berücksichtigung im Bundesjugendplan, ADE, CAW 897, Bundesjugendplan, Grundsätzliches Mädchensozialarbeit. 25 Vgl. zur Geschichte der Technikkritik Klems; Rohkrämer. 26 Aktennotiz Besprechung mit Fräulein Hauser in Düsseldorf am Sonntag, den 3. Juli 1960, ADC, 921.9 065, Fasz. 0–1, 1950–68. 27 Kreisamtmann K. Straub an Frau Bundestagsabgeordnete Pietz, Geislingen, 25. Okt. 1960, ADC, 921.9 065, Fasz. 1, FSD/FSJ, Grundsätzliches. 28 Vgl. Jung-Lindemann.

135

Folge habe, ist seit der Antike geläufig, erhielt aber mit dem Beginn der Massenproduktion, die durch erschwinglichere Preise den Konsum beförderte, neue Impulse. Den kulturkritischen Verfallsprognosen im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert lagen Verlustängste des Bürgertums zugrunde, das durch den wachsenden Wohlstand und die steigende Konsumfähigkeit breiter Bevölkerungsschichten seine gesellschaftliche Stellung gefährdet sah. Die meist aus bürgerlichem Umfeld stammenden Vertreter der christlichen Wohlfahrtsverbände, die das Freiwilligenjahr in den fünfziger Jahren ins Leben riefen, ebenso wie dessen Förderer waren vielfach mit diesen Ängsten aufgewachsen. Auch der 1894 geborene Bundespräsident Heinrich Lübke warnte 1964 in einem Gespräch mit Freiwilligen vor einer wachsenden Konsumorientierung und bedauerte, es sei »um die Hilfsbereitschaft in unserem Volk schlecht bestellt«. Bei »seinen jahrelangen Bemühungen, dem Tanz um das Goldene Kalb Einhalt zu gebieten«, habe er »nur wenig Echo gefunden«.29 Die Präsidentengattin, Wilhelmine Lübke, unterstützte ihren Ehemann in diesem Anliegen und warb ebenfalls für das FSJ. 1965 zitierte sie in einem Appell an junge Mädchen den bereits oben erwähnten nordrhein-westfälischen Ministerialrat Nachtwey: »Ein Volk, das keinen Gemeinsinn hat, geht dem Ende seiner Existenz entgegen. Der Lebenssinn erfüllt sich seit je im Opfer, in der Hingabe für andere, im selbstlosen Geben, wofür man dann allerdings auch empfängt. Dies ist die Grundhaltung, die in unserem Volke noch wacher werden muß, damit es nicht aus der Wohlstandsgesellschaft entartet, was man auch mit Dekadenz bezeichnen kann.«30

Einige Beobachter sahen die Ursachen für die »zunehmende Ausrichtung an einseitig wirtschaftlichem Denken« nicht so sehr im steigenden Wohlstand, sondern vor allem darin, dass dem ökonomischen Aufschwung das Elend der Nachkriegssituation vorausgegangen war. In dieser Notsituation hätten die Heranwachsenden ihre »entscheidende Prägung« erhalten, wodurch sie »weniger zu ›sozialem‹ Verhalten« angeregt worden seien als zu »gesteigerter Bedarfsdeckung«.31 Mit dieser Argumentation gelang es, die so gänzlich anders begründete Kulturkritik der frühen Nachkriegszeit in diejenige der »Wirtschaftswunderzeit« zu überführen. Sogar die entspannte Arbeitsmarktlage erschien nun ambivalent, denn sie fördere den Wertewandel, so die Überzeugung.32 29 H. König-Kurrat, Das Freiwillige Soziale Jahr, in: Tübinger Brief, Jg. 11, 1964, Nr. 4, S. 85–87, hier S. 85. 30 Frau Lübke appelliert an junge Mädchen, in: Bonner Generalanzeiger, 13. Jan. 1965, ADE, HGSt, III 251, 4860 FSJ. 31 G. Herrmann-Bantele, Überlegungen zur Motivation sozialer Dienste, [ohne Datum, Ende der sechziger Jahre], ADC, 921.9 339, FSJ Nachträge, Fasz. 0. Diese Deutungsweise sollte in der Soziologie der siebziger Jahre einflussreiche Anhänger finden, etwa mit Inglehart, Kultureller Umbruch. 32 Entstehung und Bedeutung Freiwilliger Sozialer Dienste, Das Freiwillige Soziale Jahr, S. 1, Freiwillige Soziale Dienste, Konferenz mit den Programmdirektoren der Rundfunkanstalten am 13. Mai 1966 in Bonn, BA, B 189/5784.

136

In einem Werbefilm für das katholische Freiwilligenjahr der Erzdiözese Köln hieß es 1965: »Jeder will verdienen, aber kaum einer dienen. Lieber bedient man eine Maschine.«33 Um die vermeintliche Drastik des Werteverfalls zu untermauern, schreckten die Filmemacher auch vor fremdenfeindlichen Argumen­ tationen nicht zurück: »Zeit ist Geld in unserem rastlosen Erwerbsleben, wo überall Mangel an Arbeitskräften herrscht und für weitere Leistungsstunden der letzte Türke aus Anatolien geholt wird, um die Wirtschaft im Schwung halten zu können. Denn am Schluss muss die Kasse stimmen«, hieß es in dem Film weiter. Auch wenn dieser Kommentar wohl in erster Linie auf die sog. »Gastarbeiter« im industriellen Bereich anspielte, muss er noch vor einem anderen Hintergrund gedeutet werden: Seit den sechziger Jahren hatten in der Bundesrepublik auch Krankenhäuser und Altenheime begonnen, ausländische Kräfte einzustellen, um dem Personalmangel Herr zu werden. 1965 waren bereits 20.000 Südeuro­ päerinnen – darunter auch Türkinnen – an deutschen Pflege­einrichtungen angestellt.34 Weil man deren Qualifikationen für zu niedrig hielt, ging man in dieser Zeit dazu über, vor allem asiatische Krankenschwestern anzuwerben. Obwohl viele von ihnen eine bessere Ausbildung hatten als ihre deutschen Kolleginnen, wurden sie zumeist für Putz- und Küchenarbeiten eingesetzt, die man deutschen Schwestern immer weniger zumuten wollte. Spannungen zwischen dem deutschen und dem ausländischen Pflegepersonal blieben nicht aus und schürten die fremdenfeindliche Stimmung.35 Obwohl sich aus der Mitte der sechziger Jahre keine Quellen finden, in denen die Problematik der Einstellung von Immigrantinnen im Zusammenhang mit der Einführung des FSJ diskutiert wurde, ist angesichts dieser Entwicklung denkbar, dass auch xenophobe Ängste die Forderung nach selbstloser Dienstbereitschaft deutscher Mädchen bestärkten. Noch 1970 jedenfalls begründeten die Referenten für das Diakonische Jahr bei einer Besprechung die Notwendigkeit der Förderung freiwilliger sozialer Dienste unter anderem mit dem Ziel: »Wenn der Staat nicht […] noch mehr Ausländer als Pflegekräfte importieren will, muß er an freiwilligen sozialen Hilfsdiensten – aus verschiedensten Beweggründen heraus geleistet – interessiert sein.36 Als weiteren Grund für den scheinbaren Werteverfall erkannten viele Kulturkritiker neben steigendem Wohlstand und Konsum den Ausbau des sozialen Sicherheitssystems. Eine der Hauptursachen für den Rückgang des Pflege­ personals sei, »dass der Dienst am kranken, schwachen und hilfsbedürftigen Nächsten nicht mehr als eine persönliche Angelegenheit christlicher Nächstenliebe, ja, nicht einmal mehr innerhalb der Familie als eine persönliche Verwandtenpflicht angesehen wird«, hieß es beispielsweise 1968 in der Monatsschrift des 33 K. Franken, Denn Liebe braucht der Mensch, hergestellt im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft »Jahr für die Kirche« im Erzbistum Köln, o. J., 32 Minuten, ABDKJ. 34 Vgl. Hong, S. 224. 35 Ebd., S. 225–232. 36 [Protokoll einer Besprechung des Referentenkreises für das Diakonische Jahr, 1970], S. 1, ADE, HGSt 6137.

137

Jugendsozialwerks.37 Das expandierende soziale Sicherungssystem mit seinen »unpersönlichen Institutionen«, also Krankenhäusern und Altenheimen, sowie mit seinen »Apparaturen«, so las man wieder und wieder, verschone die Jugend vor der Konfrontation mit sozialen Notlagen.38 »So wächst in der Gegenwart eine Jugend heran, die in ihrer Mehrheit kaum noch genügend spontane soziale Erlebnisse, Entwicklungsreize und feste soziale Übungsfelder hat«, warnte der Bundesjugendbericht. Auch der Referent Rudolf Laerum glaubte auf der Jahrestagung des Diakonischen Jahres 1966, aufgrund dieser Entwicklungen sei es kaum verwunderlich, wenn die Jugend zu dem »Fehlschluß« gelange, »es sei doch Sache des Staates und bestimmter Sozialorganisationen, diesen Nöten und Sorgen abzuhelfen«, während sie selbst sich im »Gefühl einer ›Nichtzuständigkeit‹« wähne.39 Der von konservativen Beobachtern so pessimistisch beurteilte Wandel in der Erziehung wurde in ihren Augen schließlich auch durch den wohlstandsund wohlfahrtsbedingten Trend zur Kleinfamilie vorangetrieben. Viele Zeitgenossen beschworen in den fünfziger Jahren die wahrgenommene »Krise der Familie« als schwerwiegende Gefahr für die zukünftige gesellschaftliche Entwicklung.40 Der Bundesjugendbericht 1966 begründete die staatliche Förderung des FSJ: »Wo der junge Mensch oft ohne oder nur mit einem Geschwister aufwächst, wo auch die Großeltern oder andere Verwandte nicht mehr mit im Familienverband leben, wird ihm nicht mehr viel Rücksichtnahme, Verzicht auf eigene Wünsche und Interessen, Hilfsbereitschaft und Solidarität abgefordert«. Die Autoren hielten also die Sozialisationsinstanz der zeitgenössischen Familie für defizitär, weil der Sozialstaat deren Funktion verändert habe. Auch die anderen klassischen Sozia­lisationsinstanzen könnten hier kein Gegengewicht liefern: »Im normalen Bildungsgang, d. h. durch die Erlebniswelt und die Lehrinformationen der Schule und des Betriebes werden soziale Erfahrung und Bildung ebenfalls kaum berührt«, so der Bundesjugendbericht weiter.41 In dieser 37 H. E. Bock, Die Einsatzstellen, in: Tübinger Brief, Jg. 15, 1968, Nr. 10, S. 245. 38 Entstehung und Bedeutung Freiwilliger Sozialer Dienste, Das Freiwillige Soziale Jahr, S. 1, Freiwillige Soziale Dienste, Konferenz mit den Programmdirektoren der Rundfunkanstalten am 13. Mai 1966 in Bonn, BA, B 189/5784; Freiwilliger Sozialer Dienst der Jugend, Kurzfassung, 29. Jan. 1964, BA, B 153/1478, 3/037, Bdna, 005 Jugendbericht, 1964/65. Vgl. ähnlich DPWV, Sozialer Hilfsdienst, Vorlage für die Sitzung des DPWV-Fachausschusses am 15. April 1962 im Wilhelm-Polligkeit-Institut, Frankfurt, BA, B 189/5782, 2665 Allgemein. 39 R. Laerum, Eine neue Phase des Diakonischen Jahres, S.  421, Jahresversammlung 1966, ZADN, D5/2–9. 40 Vgl. Moeller; Rölli-Alkemper, S. 601–608. 41 Bericht der Bundesregierung über die Lage der Jugend und über die Bestrebungen auf dem Gebiet der Jugendhilfe, Deutscher Bundestag, 5. Wahlperiode, Drucksache V/302, S. 80, online: http://www.bmfsfj.de/doku/Publikationen/kjb/data/download/1_Jugendbericht_gesamt.pdf, Zugriff: 5. Nov. 2013. Vgl. ähnlich: DPWV, Sozialer Hilfsdienst, Vorlage für die Sitzung des DPWV-Fachausschusses am 4. April 1962 im Wilhem-Polligkeit-Institut, Frankfurt, Arbeitskreis Mädchenbildung der Freien Trägergruppe in der Bundesarbeitsgemeinschaft Jugendaufbauwerk, BA, B 189/5782, 2665, Allgemein.

138

Logik erweitere sich der Erziehungs­auftrag des Staates oder gesellschaftlicher Instanzen, insbesondere der Kirchen, die mit dem FSJ in die Bresche springen sollten. Hatte die traditionelle Arbeitsdienstkonzeption der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in der Regel die Überwindung des Klassenkampfes zu ihrem Ziel erklärt, veränderte sich nun der Fokus. Man erblickte im Sozialjahr eine »Antwort auf die Tatsache, daß der jungen Generation die grundlegenden sozialen Erkenntnisse und Erfahrungen nicht mehr wie vormals zwangsläufig und allgemein durch die Familie und durch die Gesellschaft vermittelt werden«.42 Generell verbreitete sich angesichts der wachsenden Leistungen des Sozialstaats seit den ausgehenden fünfziger Jahren die Sorge, dass sich der Generationsvertrag auflöse, da, wie es der Soziologe Gerhard Wurzbacher 1958 ausdrückte, die Jugend nicht mehr »Garant der Alters-, der Unfalls- und Krankenhilfe der­ Eltern« sei.43 Außerdem glaubten viele, aus dem Verschwinden der Dreigenerationenhaushalte erwachse die Gefahr eines Traditionsverlustes. Früher, so die Argumentation, seien es vor allem »die alten Menschen« gewesen, durch die »in der Welt eine Kontinuität hergestellt« und »eine lebendige Verbindung zwischen den Generationen« geschaffen worden sei, so Hans Graf von Lehndorff auf der Jahrestagung des DRK 1966.44 Der Sozialdienst sollte nun auch diese vormals von der Familie erfüllte Aufgabe übernehmen und »Brücken zwischen den Generationen schlagen«.45 Einen ähnlichen Gedanken brachte auch ein 1964 erschienener Mädchenroman zum Ausdruck, über dessen Protagonistin, eine katholische Freiwillige, es hieß: »Oft schämte sich Margit für die jungen Leute ihrer Generation und versuchte, gerade an den alten Menschen etwas von dem gutzumachen, was andere in ihrer Selbstsucht und Rücksichtslosigkeit versäumten.«46 Hier zeigt sich, dass in einer konservativen Tradition der wahrgenommene Werteverfall bei der Jugend als persönliches Versagen angesehen werden konnte, auch wenn er gleichzeitig in der für das Sozialjahr üblichen generationellen Deutung aus Sozialisationswirkungen hergeleitet wurde. Dass der Klassengegensatz in den Hintergrund trat, zeigt sich auch in einer allmählichen Veränderung des Gemeinschaftsideals. Der Wert der »Gemeinschaft« nahm nur noch einen nachrangigen Stellenwert ein. Nach wie vor betonten zwar die Konzeptionspapiere für den Sozialdienst, dass die Freiwilligen das Leben in einer »Gemeinschaft« kennenlernen sollten, entweder indem sie in die Schwesterngemeinschaften der Mutterhäuser integriert wurden oder aber 42 Die Notwendigkeit freiwilliger sozialer Dienste, BA, B 153/1478 Bdna, 005 Jugendbericht, 1964/65. 43 Wurzbacher, S. 25. 44 Von Lehndorff, S. 110. 45 Und was tun wir? Erstes Echo aus dem Diakonischen Jahr, ohne Datum, S. 2, ADE, ADW, HGSt 986, Diakonisches Jahr, [Einführung Aufrufe, Berichte, Presseausschnitte u. a.]. 46 Demmler, S. 107.

139

indem die Freiwilligendienste selbst in Gruppenform organisiert wurden. Beim Jugendsozialwerk etwa lebten die Freiwilligen in Gemeinschaftsunterkünften und verbrachten somit auch große Teile ihrer Freizeit miteinander. Völlig fehlte überdies der Appell an die »Kameradschaft«, der für die männlichen Arbeitsdienste und für die Workcampbewegung auch in den frühen fünfziger Jahren noch einen wichtigen Stellenwert inne gehabt hatte: Offenbar war sie zu stark männerbündisch konnotiert und passte in den Augen der Zeitgenossen nicht zu dem auf die weibliche Jugend zugeschnittenen Sozialdienst. b. Eine »Vorschule für die Ehe« In enger Verbindung mit dem Kulturpessimismus stand, wie sich hier schon andeutete, ein weiteres wichtiges Motiv für die Einrichtung der Freiwilligendienste um die Mitte der fünfziger Jahre, das ebenfalls dessen nunmehrigen Erfolg erklärte. Ausschlaggebend war vor allem, dass damit auch auf ein zentrales Anliegen der konservativen Bundesregierung eingegangen wurde. Denn sie war es schließlich, welche die Konjunktur des Freiwilligenjahres entscheidend ankurbelte, indem sie ihm den gesetzlichen Rahmen verlieh. Die Rede ist von dem bereits in den antifeministischen Konzeptionen eines weiblichen Dienstjahrs in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts so zentralen Bemühen, dem Wandel der gesellschaftlichen Stellung der Frau Einhalt zu gebieten.47 Im ersten Aufruf zum Diakonischen Jahr 1954 deutete dessen Initiator Hermann Dietzfelbinger dieses Motiv nur an, wenn er den Freiwilligendienst unter anderem mit dem Hinweis anpries, dass die Helferinnen an ihren Einsatzorten zwangsläufig auch die »Betätigung in der Hauswirtschaft, im Kochen und Nähen« erlernen würden.48 Andernorts wurde er deutlicher: »Es geht ja in der heutigen Zeit, wo unzählige Mädchen in der Fabrik oder in sonstigen mechanischen Berufen aufgehen und verzehrt werden, darum, daß wir uns um die echte innere Bildung mühen«, erläuterte er beispielsweise noch im Jahr seines ersten Aufrufes. Zu viele Frauen gebe es, »die keine rechte, d. h. der Frau gemäße Arbeit« ausübten. Ihnen solle »wenigstens der Weg dahin gezeigt werden, wo diese rechte, wichtige, schöne Arbeit liegt und wartet: der Dienst am Menschen«.49 Die zunehmende Berufstätigkeit von Frauen beunruhigte in den 1950er und 1960er Jahren viele. Die traditionelle Zielsetzung, die Mädchen im Freiwilligendienst einem aus konservativer Sicht dem weiblichen Geschlecht angemessenen Aufgabenfeld zuzuführen, sollte die Diskussionen um das Sozialjahr in den folgenden fünfzehn Jahren weiterhin prägen.

47 Zur Familienpolitik in der Nachkriegszeit vgl. Moeller; Kuller. 48 Zitiert nach Gerwig, S. 18. 49 Dietzfelbinger, Neuendettelsau, Okt. 1954, ADE, ADW, HGst, III 252 Diakonisches Jahr, 985, Einführung Aufrufe, Berichte (671–1/8).

140

Die als schädlich betrachtete Angleichung der Geschlechterrollen beobachtete man nicht erst mit dem Eintritt von Mädchen in die Arbeitswelt, sondern schon zuvor in der Erziehung. Bereits 1957, als gemischte Schulen zwar auf dem Vormarsch, aber noch keineswegs die Regel waren, beklagte etwa die Arbeits­ gemein­schaft der katholischen Deutschen Frauen, die sich für ein soziales Mädchenbildungsjahr einsetzte, die »weithin herrschende Koedukation« stehe der vollen »Entfaltung der fraulichen Anlagen und Kräfte« entgegen.50 Vor allem aber wurden die Eltern für die wahrgenommenen Defizite bei der Mädchenbildung verantwortlich gemacht. Nachdem ein Vater zu Beginn der sechziger Jahre am Oberlandesgericht Braunschweig gegen die verpflichtende Teilnahme seiner Tochter am Kochunterricht einer Berufsschule geklagt hatte, monierte Bundesfamilienminister Wuermeling, eine solche Klage lasse »erschreckend deutlich« werden, dass es »so manche Eltern gibt, die in der Ausbildung ihrer Töchter auf einen Erwerbsberuf die einzig notwendige ›Aussteuer‹ für die künftige Lebensgestaltung und Lebensbewährung sehen«.51 Durch den Gerichtsbeschluss, der befand, dass »auch heute noch die hauswirtschaftliche Tätigkeit zum Dasein der Frau gehört«, sah Wuermeling sich bestätigt und schlussfolgerte, es sei notwendig, insbesondere auch im Bereich der außerschulischen Mädchenbildung »die Gelegenheit zu praktischer Übung und Bewährung in den fraulichen Aufgabenbereichen und mit ihr die Erfahrung und Freude im Dienst am Mitmenschen« zu schaffen. Sogar einige Eltern selbst zeigten sich beunruhigt über die Folgen der eigenen, auf die Gleichstellung der Geschlechter zielenden Erziehung, so jedenfalls gab im April 1964 der »Tübinger Brief«, die Monatszeitschrift des Jugendsozialwerkes, die Aussage der Mutter einer freiwilligen Helferin wieder: »Wir haben unseren Töchtern die gleichen Freiheiten gegeben wie den Buben, die gleichen Möglichkeiten in Ausbildung und Beruf. Wenn sie trotzdem oft nicht glücklich erscheinen, so kommt dies vielleicht daher, daß ihr innerstes spezifisch weib­ liches Wesen nicht angesprochen wird, das daraufhin angelegt ist, ihre Umwelt mit Licht und Wärme zu erfüllen. Im Freiwilligen Sozialen Dienst dürfen unsere Töchter weiblich sein.«52

Immer wieder argumentierten die Trägerorganisationen und andere Befürworter des Sozialdienstes mit dem Hinweis auf das »Wesen« oder auf die »ureigenste Aufgabe« der Frau, pflegerisch und hauswirtschaftlich tätig zu werden, oder, wie es 1957 eine Helferin selbst in ihrem Bewerbungsschreiben definierte, auf die »Bestimmung des Mädchens, zu helfen und zu dienen«.53 Das »liebevolle 50 Arbeitsgemeinschaft der katholischen deutschen Frauen, 22. Juli 1957, ADC, 921.9 956. 51 F. J. Wuermeling, Brauchen wir wieder ein Pflichtjahr für Mädchen? [1960 od. 1961], BA, B 189/5782, 2665 Allgemein. 52 König-Kurat, S. 87. 53 Innere Mission und Hilfswerk der Evang. Kirche in Deutschland Hauptgeschäftsstelle, Bericht über das Diakonische Jahr [1957], AEDEW, ADW, HGSt, III 252, 1815 Diakonisches

141

Umsorgen und Umhegen, Pflegen und Betreuen, die gelinde Hand und mütter­ liche Wärme« wurden als weibliche Charakterzüge, als das »in besonderem Sinne Frauliche« gedeutet.54 Diese Fähigkeiten hielt man für »die besondere Gabe, die Gott der Frau gegeben hat«, oder für »ihre natürliche Berufung«.55 Welche Auswirkungen es zeitigen werde, wenn man diese als weiblich charakterisierten Tugenden in der Erziehung der Mädchen vernachlässige, wurde in dunkelsten Farben ausgemalt. Weitreichende Konsequenzen glaubte beispielsweise der bereits mehrfach zitierte nordrhein-westfälische Ministerialrat Nachtwey 1962 heraufziehen zu sehen. »Die sittliche Kraft oder Schwäche einer Nation liegt vorwiegend in der Hand der Frauen«, schrieb er und griff mit dieser Definition eines »weiblichen Kulturauftrags« einen klassischen Topos der Geschlechterideologie des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts auf.56 Werde dies vergessen, trete »eine langsame seelische und sittliche Verarmung ein, die wiederum zur seelischen und sittlichen Verarmung der Nation führt, ein Vorgang, der in der Geschichte immer schon zum Nieder- oder sogar Untergang geführt« habe. Um diesem Schicksal zu entrinnen, empfahl er die Einführung eines Pflichtjahres für Mädchen, zumindest aber seien die Angebote für ein freiwilliges Mädchensozialjahr weiter auszubauen. Während Nachtwey hier recht allgemein von »Verfall« und »Untergang« sprach, wurden andere Mahner konkreter. Der Deutsche Familienverband etwa glaubte, dass »Ehen zerbrechen und Kinder Schaden leiden« würden, wenn weiter­hin die Ausbildung zwar umfassend auf das Berufsleben vorbereite, demgegenüber aber »der Beruf als Frau und Mutter leider noch viel zu oft als ›ungelernter Arbeiter‹ ausgeübt« werde.57 Indem man die Hausarbeit mit einer höher Jahr; E. Weisser, Anlage 3 zur Niederschrift über die Sitzung des Bundesjugendkuratoriums am 31.3. und 1.4.1966 zum Bericht der Bundesregierung über die Lage der Jugend, BA, B 189/5784; Aufruf des Bischofs von Essen an die Frauenjugend, [1960 oder 1961], ADC, 319.4 E 01/11, Fasz 01; Brief der Diakonischen Helferin I. D., 28. Nov. 1957, ZADN, D 5/2. 38, A-Den. 54 Speyer an die Berufsberatungsstellen bei den Arbeitsämtern der Pfalz und des Saarlandes, 25. Jan. 1960, ADE, ADW, HGSt 2855, Diakonisches Jahr. 55 Besprechung mit Herrn Thauer, Frl. Seidel [ca. 1954], ADC, 319.4 E 01/11, Jugendsozialarbeit Arbeitsgemeinschaften; Aufruf das Landesbischofs D. Bender zum DJ in Baden, 1957 am Jugendsonntag verlesen, ADE, ADW, HGSt, III 252 Diakonisches Jahr, 985, Einführung Aufrufe, Berichte (671–1/8). 56 H. J. Nachtwey, Diskussionsdenkschrift Freiwilliger sozialer Hilfsdienst für Mädchen, [Jan. 1962], ADC, 921.9, Freiwilliges Soziales Jahr, freiwilliger sozialer Dienst, +232.01­ Gesetz zur Förderung des freiwilligen sozialen Jahres. Zu der Vorstellung des »weiblichen Kulturaufgrags«, vgl. Planert, passim; Dietrich, S.  84–87; vgl. auch die ähnliche Argumentation E. Denis, Bildung und Ausbildung der Mädchen im Rahmen der Jugendarbeit, (=Anlage 4), ADE, CAW 897, Bundesjugendplan Grundsätzliches Mädchensozialarbeit. 57 Deutscher Familienverband, Entwurf: An das Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder Herrn Generalsekretär K. Frey München, 11.  April 1962, BA, B 189/5782, 2665 Allgemein. Zum Deutschen Familienverband vgl. Ruhl, S. 138–141.

142

Abb. 4: Aus einem Werbeprospekt für das Freiwillige Soziale Jahr der Arbeiterwohlfahrt

qualifizierten Erwerbstätigkeit verglich, versuchte man, sie symbolisch aufzuwerten und für Frauen attraktiver zu machen, während man diese von einer tatsächlichen Erwerbstätigkeit weiterhin fernhalten wollte.58 Hatte also die Sorge um Nachwuchsrekrutierung angesichts des Pflegenotstands den Anstoß für die Schaffung des freiwilligen Sozialjahres gegeben, glich dieses doch in seiner Zielsetzung in vielerlei Hinsicht den Dienstjahrkonzeptionen und ihren Umsetzungen aus der Zeit vor 1945. Viele Befürworter, die Trägerorganisationen, die Bundesregierung sowie oft auch die Freiwilligen selbst betrachteten es bis weit in die zweite Hälfte der sechziger Jahre hinein als »Vorschule für die Ehe«.59 Die Caritas beispielsweise arbeitete 1958 einen Entwurf für das Freiwilligenjahr aus, demzufolge es als »Anleitung zum fraulichen Schaffen (Nahrungsbereitung – Heimpflege – Nähen – Häusliche Säuglings- und Kleinkinderpflege – Häusliche Kranken- und Altenpflege)« gestaltet werden sollte.60 Ähnlich präsentierte ein Werbeprospekt der AWO in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre das Dienstjahr als hauswirtschaftliche, erzieherische und pflegerische Schulung (Abb. 4). Und im »Tübinger Brief« versprach man sich 1967 offenbar auch einen Werbe­ effekt durch ein Foto, das die Freiwilligen beim Putzen ihrer eigenen Unterkunft zeigte (Abb. 5).

58 Zu ähnlichen Bemühungen bereits für die erste Hälfte des 20.  Jahrhunderts vgl. Kramer, S. 117 f. 59 Niederfüllbach, 12. März 1955, ZADN, D5/2–2, Diakonisches Jahr I,. 60 Betr. Sozialer Werkdienst, 26. Okt. 1958, ADC, 921.9 065, Fasz. 1, FSD/FSJ Grundsätzliches.

143

Abb. 5: Helferinnen beim Hausputz

Allerdings ging es nicht nur um das Erlernen von Haushaltsfähigkeiten. Das Sozialjahr sollte auch als Einübung der als weiblich ausgegebenen Tugenden der Opfer- und Leidensfähigkeit fungieren und auf diese Weise die klassische Rollenzuteilung in der Ehe stützen. Gern ließ man Mitte der sechziger Jahre in einem Werbefilm für das FSJ eine Freiwillige auftreten, die urteilte: »[S]ich ganz in den Anderen einleben, hineindenken, bei ihm aushalten müssen, den Mut nicht verlieren dürfen, verzichten können – das ist nicht leicht –, aber wichtig ist es als Vorschule für das Leben, den Beruf und vielleicht auch mal für die Ehe.«61 Dass sich im Sozialjahr die Eigenschaften einer gewissenhaften zukünftigen Ehefrau aneignen ließen, implizierte auch das 1965 im »Tübinger Brief« veröffentlichte Foto einer Freiwilligengruppe des Jugendsozialwerks, die Bundesfamilienminister Bruno Heck mit Kaffee bewirtete (Abb. 6). 61 Hamrun Film, Das Freiwillige Soziale Jahr, Ein Jahr unseres Lebens, Drehbuchentwurf [ca. 1965], BA, B 189/5782, 2665 Allgemein (17) Bundesjugendplan, FSJ Werbemaßnahmen.

144

Abb. 6: Bundesminister Dr. Heck im Kreise der Helferinnen beim Kaffeetrinken

Den Werbeschriften zufolge machte das Angebot einer hauswirtschaftlichen Ausbildung und damit gleichfalls einer Vorbereitung auf die Aufgaben der Hausfrau und Mutter das FSJ für die Freiwilligen attraktiv. So kommentierte eine Werbebroschüre für das Diakonische Jahr Mitte der fünfziger Jahre die Aussage einer Freiwilligen, die vor ihrem Sozialjahr in einer Fabrik gearbeitet hatte: »›Man kommt sich gar nicht recht wie ein Mädel vor‹, sagte sie. Was sie damit meint, ist, daß etwas fehlt, wenn man nicht kochen kann und nicht weiß, wie ein Kuchen gebacken wird.«62 Ähnlich gab der »Tübinger Brief« noch ein knappes Jahrzehnt später die Aussage einer freiwilligen Helferin wieder: »[D]ie Kleinen trockenlegen, baden, füttern, wiegen, das braucht doch jede künftige Mutter.«63 Auch zukünftige Ehemänner versprachen sich – jedenfalls der Darstellung der Trägerorganisationen zufolge – Gewinn vom Sozialjahr. Der »Tübinger Brief« zitierte beispielsweise 1967 einen jungen Mann, der sich über das FSJ informiert hatte: »Bevor ich heirate, muß meine Braut ein FSJ absolvieren; sie ist nämlich Sekretärin und hat nicht viel Ahnung von praktischen Dingen.«64 Ähnlich hatte eine 62 Wie viele andere junge Mädchen, Die Jugend will dienen – das Beispiel von Neuendettelsau [1956], ZADN, I D5/2–2, Diakonisches Jahr. 63 Gespräch mit Jungen Mädchen, in: Tübinger Brief, Jg. 11, 1964, Nr.  8/9, S.  177 f., hier S. 178. 64 Freiwilliges Soziales Jahr. Wanderausstellung in Schwaben, in: Tübinger Brief, Jg. 14, 1967, Nr. 11, S. 169–171, hier S. 171.

145

Freiwillige im selben Blatt ein Jahr zuvor berichtet: »Mein Verlobter redete mir zu, das wäre doch eine schöne Aufgabe, und er würde gerne mitmachen, wenn er nicht zu alt wäre.«65 Während die von den Trägerorganisationen veröffentlichten Aussagen selektiv ausgewählt und vielleicht sogar fingiert oder manipuliert wurden, gibt es auch unveröffentlichte Quellen, die belegen, dass das Versprechen, das Sozialjahr könne in die klassischen Aufgaben der Hausfrau einführen, dessen Attraktivität steigerte – zumindest jedenfalls bei deren Angehörigen, die den oftmals noch nicht mündigen Freiwilligen ihre Zustimmung geben mussten oder sie in manchen Fällen sogar zur Teilnahme drängten. Mit dieser Zielsetzung erschien es nämlich auch ihnen als ein sinnvolles Vorhaben. Der Großvater einer Interessentin erkundigte sich 1959 in einem Brief an die Diakonischen Anstalten in Neuendettelsau nach den Ausbildungsinhalten des Sozialjahres. Denn ihm und der Mutter des Mädchens sei es wichtig, dass die Enkelin bzw. Tochter sich »hauswirtschaftlich betätigen« könne, wobei ihnen vor allem die »Erlernung des Kochens« am Herzen liege.66 Während die Arbeitsdienstprojekte für die männliche Jugend in den allerersten Nachkriegsjahren einen Ersatz für die fehlende Erwerbsarbeit schaffen sollten, der dieser möglichst ähnlich sein sollte, war es das Ziel des Sozialjahres der späten fünfziger und der sechziger Jahre, der weiblichen Jugend einen Ersatz für die nun ausreichend vorhandene Erwerbsarbeit zu bieten, der sich von dieser unterschied. Ganz der traditionellen bürgerlichen Geschlechterideologie folgend, galt die Erwerbsarbeit für die männliche Jugend als förderlich, für die weibliche hingegen als schädlich.67 Ein evangelischer Arbeitskreis zur »Mädel­ sozialarbeit« beklagte 1955: Die »Berufs- und Arbeitswelt ist weithin nur auf den Mann zugeschnitten. Das hat eine einseitige Betonung des Intellektes, einen ständigen Leistungswettlauf, eine starke Tendenz zum Spezialistentum und Funktionalismus zur Folge«, und dies gefährde schließlich in bedenklicher Weise die »gesunde Entwicklung des Mädchens«.68 Die Sorge um eine dem weiblichen Geschlecht adäquate Erziehung verschmolz oft mit den weiteren kulturpessimistischen Modernisierungsängsten, denn für Frauen sahen die Kritiker der Frauenerwerbstätigkeit die »Entfremdung« des Berufslebens als besonders verderblich an.69 Eine Radiosendung über das Diakonische Jahr, die der Bayerische Rundfunk im Jahr 1954 ausstrahlte, versprach, mit dem Freiwilligendienst lasse sich erreichen, dass sich »die köst65 Menschen brauchen Menschen. Ein Praxisbericht, in: Tübinger Brief, Jg. 15, 1966, Nr.  6, S. 154–175, hier S. 155. 66 H. R., 21. März 1959, ZADN, D 5/2. 38, Glu-Hus. 67 Zu der Geschlechterideologie vgl. als »Klassiker« Hausen. 68 Niederschrift über die Sitzung des AK Mädelsozialarbeit im Evang. Jugendaufbaudienst, Frankfurt, 15. Sept. 1955, ADE, ADW, CAW 897, Bundesjugendplan Grundsätzliches Mädchensozialarbeit. 69 Vgl. Hausen, S. 376–379; Weyrather, bes. S. 101–114.

146

lichen Gaben der Frau entfalten und sich jene verborgenen und verschütteten Bereiche ihrer Seele wieder öffnen, die unser Volk braucht, wenn es gesund werden soll«.70 Auch Eltern von Freiwilligen teilten diese Sicht: Während sie oftmals erwarteten, ihre Söhne könnten durch Arbeit Disziplin erlernen, sollte der Dienst bei den Töchtern »weibliche« Tugenden stärken, die in den Augen der Zeitgenossen im Berufsleben verloren gingen. Als besonders negativ galt in dieser Hinsicht für Frauen seit dem 19. Jahrhundert der Einfluss der Fabrikarbeit, weil die Fabrik als Ort sexueller Ausschweifungen wie auch der sozialistischen Politisierung galt.71 Diese Vorstellungen finden sich teilweise bis in die sechziger Jahre hinein. Noch 1969 schrieb eine Mutter über ihre 19-jährige Tochter: »Schon immer hatte sie einen unweiblichen Zug an sich, so gar nichts nettes mädchenhaftes [sic], ihr ganzes Benehmen veranlaßte mich immer an ihr zu kritisieren. […] F. wollte unbedingt in die Fabrik […]. Aber das war nun ganz und gar nicht der richtige Platz für sie und als sie dann auch einmal von zu Hause fort wollte und hinaus in ein anderes Leben, verlangte ich von ihr, das Diakonische Jahr zu machen.«72

Sie habe gehofft, mit dem sozialen Dienst werde »sich der Einfluß des Fabrikniveaus verwischen und verlieren«. Zentral für das Sozialjahr war in den fünfziger Jahren also nicht das Arbeitsethos, sondern der »Dienstgedanke«: Man wollte die »Dienstbereitschaft« fördern. Hatte der Publizist Peter Beckert in der Debatte um einen Arbeitsdienst für beide Geschlechter 1950 noch festgestellt, dass die »nationalsozialistische Auslegung« des Dienstgedankens dessen »Geschmack verdorben« habe, so hatten konservative und kirchliche Kreise diesen Mitte der fünfziger Jahre ganz offensichtlich wiedergefunden.73 Die Dienstideologie transportierte zum einen eine deutliche Materialismuskritik. Bereits im 19. Jahrhundert hatte man den am Gemeinwohl orientierten »Dienst« dem zum Broterwerb ergriffenen »Beruf« gegenübergestellt. Nun bedauerte man, dass sowohl der »Dienst« als auch der »Beruf« mehr und mehr durch den »Job« abgelöst würden.74 Das Motto der Job-Gesinnung sei: »Arbeit geb’ ich für Geld.«75 Dass sich im Deutschen ein »fremder Ausdruck« durchsetzte, »der in seiner Kürze und Lautmalerei schon so etwas wie geringe Beständigkeit ausdrückt«, ließ in den Augen der Kritiker auch die Herkunft der dahinterstehenden materialistischen Geisteshaltung erkennen. Die »Entwicklung vom gewählten Beruf zum zufälligen job« schwappe »aus den U. S. A. nach Europa« herüber, so die antiamerikanische Stoßrichtung 70 Abschrift Bayerische Rundfunk, Kirchenfunk, Samstag, 13. Okt. 1954, 17.10–17.25, ZADN, I D5/2–2, Diakonisches Jahr. 71 Vgl. Canning; Weyrather, bes. S. 128–136, S. 177–192. 72 F. B., 1969, ZADN, D 5/2, 38 A-Den. 73 Beckert, 1950, S. 1318. 74 Als Beispiel für die Gegenüberstellung von »Dienst« und »Beruf«, Heimpel-Michel, S. 43. 75 Z. B. Nachtwey, S. 112.

147

der Dienst­ideologie.76 Der Dienstgedanke implizierte zum anderen – ebenso wie die Forderung der Opferbereitschaft, die mit ihm in der Regel einherging – die selbstlose Unterordnung. Der Begriff war seit dem 19. Jahrhundert gegen Liberalismus und Individualismus ins Feld geführt worden, ließ sich aber ebenso in antifeministischer Ausrichtung verwenden:77 Während die männliche Jugend vor allem in ihrer Militärzeit lernen sollte, zu »dienen«, wurde »Dienstbereitschaft« von Frauen oftmals als Lebenseinstellung gefordert, sie galt als weibliche Tugend. Wie sehr die Konzeption des Sozialjahres in seiner Anfangszeit an ältere Entwürfe und Vorstellungen anknüpfte, thematisierten dessen Initiatoren nie. Es ist anzunehmen, dass sie den Hinweis darauf vermieden, um keine Assoziatio­ nen mit dem nationalsozialistischen Vorläufer aufkommen zu lassen. Dennoch liegt hierin ein auffälliger Unterschied zur Diskussion über die Gestaltung der männlichen Arbeitsdienste und Jugendaufbauwerke, deren integraler Bestandteil die immer wieder vehement betonte Distanzierung von der nationalsozialistischen Vorgängerinstitution war. Auch für den Wandel, den die Konzeption des Sozialjahres in den sechziger Jahren durchlief, und dem sich das folgende Unterkapitel widmet, spielte die Abgrenzung gegenüber dem Nationalsozialismus keinerlei Rolle.

3.2 Die pragmatische Wende In der historischen Forschung werden die sogenannten »langen sechziger Jahre«, deren Beginn üblicherweise um 1957 oder 1958 angesetzt wird, gern als »dynamische Zeiten« beschrieben, die durch einen tiefgreifenden sozio-kulturellen Wandel geprägt waren.78 In der Tat lässt sich ein solcher auch an der Entwicklung der freiwilligen Jugenddienste ablesen. Nachdem hier zunächst die konservativen Grundlagen für die Einführung des sozialen Freiwilligendienstes dar­gelegt wurden, gilt es nun, die Veränderungen in der Konzeption des Sozialjahres, die sich im Laufe der sechziger Jahre vollzogen, zu analysieren und nach ihren Ursachen zu fragen. Dominierten anfänglich kulturpessimistische Ängste die Diskussion über das FSJ, so wurden sie im Laufe der sechziger Jahre durch ein optimistischeres Gegenbild zunächst ergänzt und gegen Ende des Jahrzehnts zunehmend verdrängt. Innerhalb der Wohlfahrtsverbände ebenso wie in den – freilich oft durch die Vertreter der Trägerorganisationen informierten und somit von ihnen gelenkten – Medienreaktionen lässt sich beobachten, wie das Jugendbild sich langsam zu wandeln begann und das Sozialjahr auf andere Weise begründet wurde. Damit gingen zum einen Veränderungen im Selbstverständnis der Träger­organi­ 76 Aulhorn, S. 83. 77 Heimpel-Michel, S. 46, S. 52. 78 Vgl. Schildt u. Siegfried.

148

sa­tio­nen einher, zum anderen eine Neugestaltung der Freiwilligendienste. Dieser allmähliche Kurswechsel bildete das Fundament für das stete Wachstum des FSJ, und zwar sowohl hinsichtlich des Angebots an Plätzen und Einsatzfeldern als auch hinsichtlich der Teilnehmerzahlen. War die Jugend im ersten Nachkriegsjahrzehnt entweder als Hoffnungsträger oder aber als verwahrlost und gefährdet charakterisiert worden, so verbreitete sich seit den ausgehenden fünfziger Jahren eine weitere, nicht nur opti­ mis­tische, sondern vor allem deutlich nüchternere Sicht auf die Jugend. In historischen Darstellungen wird dieses neue Jugendbild oft mit dem Soziologen Helmut Schelsky in Verbindung gebracht, der ihm bereits mit dem Titel seiner 1957 erschienenen einflussreichen Studie »Die skeptische Generation« eine griffige Formel verlieh.79 Mit der Charakterisierung als »skeptisch« beschrieb Schelsky jedoch weniger eine kritische Distanzierung als eine ausgeprägte Abstinenz der Jugendlichen in politischen und öffentlichen Angelegenheiten. Damit knüpfte er an die bereits in der unmittelbaren Nachkriegszeit verbreitete Wahrnehmung an, die nachwachsende Generation habe sich aus dem öffentlichen Leben zurückgezogen. Allerdings beurteilte er diese politische Zurückhaltung nicht wie so viele seiner Zeitgenossen negativ, sondern lobte die Jugend vielmehr gerade für ihre Abstandnahme von ideologischen Positionen. Schelskys Etikettierung der Jugend der fünfziger Jahre als »skeptische Generation« besaß für die Zeitgenossen große Überzeugungskraft. In starkem Maße prägte sie die öffentliche Debatte wie die Jugendforschung und wird bis heute oft als Interpretament verwendet.80 Allerdings hat sie in der soziologischen wie historischen Forschung auch viel Kritik geerntet. Die Einschätzung der Jugend als unpolitisch etwa wird als eine aus ideologischen Motiven verzerrte Wahrnehmung gedeutet. Argumentiert wird, dass Schelsky mit seiner »skeptischen Generation« gezielt ein Gegenbild zur verbreiteten Sicht der Besatzungsmächte entwerfen wollte, die der deutschen Jugend eine noch stark durch die nationalsozialistische Ideologie geprägte autoritäre Mentalität bescheinigten.81 Denn dem Soziologen ging es explizit darum, mit seiner Studie amerikanische Umfrageergebnisse, welche die alliierte Kritik an der deutschen Jugend stützten, zu widerlegen.82 Schelskys Thesenbildung mit seiner nationalsozialistischen Vergangenheit in Verbindung zu bringen, erscheint überzeugend. Als alleinige Begründung ist diese Erklärung aber ebenfalls in Frage zu stellen. Denn Schelsky knüpfte an die auf die Nachkriegsjugend gerichtete »moral panic« an, und diese entsprach einem transnationalen Trend. Obwohl sich beispielsweise die Nachkriegssituation Großbritanniens in vielen Punkten fundamental von derjenigen Deutsch79 Schelsky, Die skeptische Generation. 80 Vgl. z. B. Speitkamp, S. 262–264; Kurme, 93 f. Zu negativen Jugendbildern im Großbritannien der Nachkriegszeit vgl. Osgerby, Youth. 81 Vgl. Boll, Jugend, S. 498–501; Kersting. 82 Schelsky, Die skeptische Generation, S. 438–449.

149

lands unterschied – schließlich war es siegreich aus dem Krieg hervorgegangen und konnte auf eine ungebrochene demokratische Tradition zurückblicken –, wurde dort die Jugend in den fünfziger und sechziger Jahren zum Teil  ebenfalls als politikfern beurteilt.83 Schelsky selbst sah in seinen Thesen eine Bestätigung und Erweiterung der auch in Europa viel zitierten Studie des US-amerikanischen Soziologen David Riesman, der bei der amerikanischen Jugend ebenfalls eine verbreitete politische Indifferenz diagnostizierte.84 Die Analyse der Freiwilligendienste eröffnet noch eine weitere Perspektive auf die neue Wahrnehmung der Jugend. In der Debatte über die Jugendsozial­ dienste wurde auf Schelskys Studie zur »skeptischen Generation« zwar nicht­ explizit Bezug genommen. Sie reflektiert aber ein seit Ende der fünfziger Jahre zunehmend verbreitetes Jugendbild, das den Boden für die breite Rezeption von Schelskys Untersuchung bereitete. Vor allem in der Charakterisierung der Jugend als »pragmatisch« und »nüchtern« stimmten die Autoren, die das Sozialjahr kommentierten, mit dem Soziologen überein.85 Da in der neuen Sicht auf die Jugend, welche sich in der Diskussion über das Sozialjahr nun durchzusetzen begann, dieser aber durchaus eine weitreichende Bereitschaft zu öffentlichem Engagement zugesprochen wurde, wich sie in einigen Aspekten deutlich von seinen Thesen ab. a. Die Diskussion um den Idealismus Wenn die Trägerorganisationen die Transformation des Sozialjahres beschrieben, schilderten sie vor allem einen Motivwandel bei den Freiwilligen: Deutlich zeichne sich eine Verlagerung von idealistischen hin zu pragmatischen Beweggründen für die Teilnahme am Sozialjahr ab, so die verbreitete Überzeugung. In der Tat hatte man die Freiwilligen des Sozialdienstes in den ersten Jahren vielfach als Idealisten präsentiert. Freilich hatten solche Darstellungen auch d ­ arauf gezielt, Bewunderung und Nachahmung zu provozieren: »Nur Idealismus und religiöse Motive vermögen ein solches Opfer verständlich zu machen«, hieß es etwa 1961 in der »Stuttgarter Zeitung«.86 Dass die Teilnehmerinnen in den fünfziger und frühen sechziger Jahren oft ihren Job aufgaben oder sich für die Zeit ihres Dienstes beurlauben ließen, bestätigte in den Augen des Journalisten diese Interpretation. Die Freiwilligen hätten bislang einen guten Verdienst zwischen 300 und 400 Mark monatlich genossen. Einigen sei, als sie ihren Arbeitgebern mitteilten, dass sie ihre Stelle für ein FSJ kündigen wollten, sogar eine beacht83 Zu Großbritannien vgl. Osgerby, Roaring Twenties. 84 Schelsky, Einführung, S. 11–19; vgl. allgemein zu diesem transnationalen Trend Marwick, The Sixties, S. 45–54. 85 Diese zeitgenössische Deutung übernimmt auch Herbert, Drei politische Generationen, S. 114, der von einer »pragmatischen Generation« spricht. 86 Stuttgarter Zeitung, 3. Mai 1961, ADE, ADW, HGSt, III 251, 4824 Jahr für die Kirche.

150

liche Gehaltserhöhung von 100 Mark angeboten worden. Denn in einer Zeit mangelnder Arbeitskräfte war es nicht einfach, Ersatz zu finden. Oft stellten solche Deutungen die Freiwilligen als Ausnahmejugendliche dar. Allerdings nicht immer: Ein Werbeblatt für das Sozialjahr der Diakonissenanstalt Neuendettelsau etwa verwarf 1956 die negative Sicht der Jugend mit dem Verweis auf die Freiwilligen: »Vorsicht vor Schlagworten! Man sagt, die Jugend von heute sei durch und durch realistisch, sie habe nur Interesse für das, was sie praktisch verwerten könne und keinerlei ideelle Ziele. Man sagt – und damit meint man vor allem die Mädchen – die Jugend von heute wolle nicht mehr dienen. Will sie das wirklich nicht?«87

Wurde wie hier der Idealismus der Jugend beschworen, musste dies nicht zwangsläufig mit einer Kritik einer pessimistischen Sicht auf die Gesellschaft einhergehen. Es konnte die These eines drohenden Werteverfalls vielmehr auch stützen. Denn mitunter wurden die Krisensymptome vor allem an der Generation der Erwachsenen festgemacht und gewannen durch den Kontrast mit der vermeintlich noch unverdorbenen Jugend an Profil. So führte etwa Helga­ Strätling-Tölle im Rahmen der Beratungen über das Sozialjahr der Caritas 1961 die Widerstände von Eltern gegen die Teilnahme ihrer Kinder darauf zurück, dass es eine »nichterzogene Müttergeneration« gebe, »die es offensichtlich ohne grosze Schwierigkeiten fertig bringt, katholisch zu beten und materialistisch zu denken und handeln«.88 Auch im Rahmen einer solchen Kritik an den Erwachsenen wurde zwar die jüngste Geschichte in den Diskussionen über das FSJ nicht erörtert. Dennoch lässt sich vermuten, dass hier der Gedanke an die nationalsozialistische Vergangenheit der Erwachsenengeneration durchaus im Raum stand. Die Kontrastierung der Generationen mag also wie bei der Workcamp­ bewegung mit der Hoffnung verknüpft gewesen sein, der Jugend könne die geforderte Rückbesinnung auf traditionelle idealistische Werte gelingen. Im Laufe der sechziger Jahre wandelte sich die Beschreibung der Freiwilligen. »›Engel‹ und ›Idealisten‹ werden weniger, dafür begegnet man mehr nüchternen Realisten«, hielten die Repräsentanten der Wohlfahrtsverbände bei einem Erfahrungsaustausch über das FSJ fest, zu dem sie sich im Februar 1967 versammelt hatten – also noch ehe die Studentenunruhen zu einem zentralen Thema 87 Wie viele andere junge Mädchen, Die Jugend will dienen – das Beispiel von Neuendettelsau [1956], ZADN, D5/2–2, Diakonisches Jahr I. 88 Brief von H. Strätling-Tölle an Frau Klasen, Würzburg, 13. März 1961, ADC, 921.9 065, Fasz. 1, FSD/FSJ Grundsätzliches. Die Autorin glaubte, es sei bereits die »zweite nichterzogene Müttergeneration« und setzte diesen Begriff in Anführungszeichen. Es bleibt unklar, ob es sich dabei um ein Zitat handelt und welche Quelle diesem gegebenenfalls zugrunde liegt. Widerstände bei den Eltern, die den Idealismus der Kinder entgegenstünden, beobachteten auch die anderen Trägerorganisationen, vgl. z. B. Abschrift aus epd ZA Nr. 152 vom 7. Juli 1966, ADE, 4856 Soziales Pflichtjahr für Mädchen; Waldersee, S. 3; Protokoll der Hauptausschuß Konferenz vom 12. Dez. 1964 in Bonn, S. 10, Berichte der Bezirksverbände über ihre Vorbereitungen zur Durchführung des freiwilligen sozialen Jahres, ASD.

151

der Öffentlichkeit wurden und die bis dahin verbreitete Deutung wieder mit einem Fragezeichen versahen.89 Das Jugendbild einer »nüchternen« oder »realistischen« Jugend verfestigte sich im Laufe der sechziger Jahre bei den Trägerorganisationen des FSJ immer weiter. Seit Beginn des Jahrzehnts wurde unter den Freiwilligen wieder und wieder eine »Typ-Verschiebung« beobachtet:90 Während immer weniger Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus christlichen und idealistischen Beweggründen kämen, häufe sich das Motiv der Berufsfindung. Etliche Freiwillige, glaubte man, wollten einfach nur einmal von zuhause fort, um Selbständigkeit zu gewinnen, oder aber sie sähen in dem Jahr eine Möglichkeit, aus privaten Problemen zu flüchten.91 Solche Motivationen schienen sich nun derart zu verbreiten, dass der DPWV 1966 sogar in Frage stellte, ob ein auf reinem Idealismus gegründetes Sozialjahr überhaupt noch durchführbar sei: »Die Forderung nach einer absoluten Verwirklichung des Prinzips einer (bedingungslosen zweckfreien) Freiwilligkeit würde z. Zt. bedeuten, daß wir kaum junge Menschen als Helferinnen und Helfer gewinnen werden.«92 Am stärksten thematisiert und bedauert wurde diese vermeintliche Entwicklung von konfessioneller, insbesondere von evangelischer Seite. Doch auch die anderen Trägerorganisationen bestätigten die Diagnose eines derartigen Motiv­ wandels. Sie setzte sich durch und bestimmt auch die historischen Selbstdarstellungen sowie die spärliche historische Forschungsliteratur zum FSJ. Gerade angesichts der starken Kulturkritik bei den Trägern des Sozialjahres, der in den frühen sechziger Jahren proportional zum wachsenden Wohlstand auch einen zunehmenden Egoismus vorhersagte, muss man solchen Aussagen gegenüber indes skeptisch bleiben. Fand der Motivwandel vielleicht in erster Linie in der Wahrnehmung der Trägerorganisationen statt? Bevor in einem späteren Kapitel die Motive der Freiwilligen anhand der von ihnen überlieferten Quellen genauer analysiert werden, soll hier zunächst gefragt werden, welche Faktoren die Wahrnehmung der für das Sozialjahr Verantwortlichen beeinflussten. Die Frage, inwiefern die den Freiwilligen so gern attestierte Wende hin zum Pragmatismus als ein Konstrukt der Trägerorganisationen zu deuten ist, stellt sich auch deshalb, weil sich für diese selbst eine eben solche Wende konstatieren lässt. Die Veränderung ihrer Haltung zeichnete sich 89 Protokoll über den Erfahrungsaustausch in Bad Godesberg am 9./10. Febr. 1967, ADE, ADW, HGSt, III 252 Diakonisches Jahr, 2863, Schriftwechsel mit Interessenten. 90 M. König an L. Schlomka, 27. März 1961, ADE, ADW, HGSt 2855, Diakonisches Jahr, Abstimmung mit Landesverbänden der IM bzw. gliedkirchlichen diak. Werken. 91 Notiz, Betr. DJ im Rheinland, Vermerk über ein Gespräch mit Vikarin Schlomka am 17. Jan. 1962 in Bad Godesberg, ADE, CAW 1168, Mädchensozialplan im Rahmen des Bundesjugendplan 1955–1956; Zusammenstellung des statistischen Zahlenmaterials des Diak. Jahres, Stand 1. Jan. 1962, ADE, ADW HGSt, III 252 Diakonisches Jahr, 4822. 92 DPWV, Sachlicher Bericht über das Freiwillige Soziale Jahr im 17. Bundesjugendplan 1966, Referat Dr. Winckler, Frankfurt, BA, B 189/5795, 2665–459 (17), Freie Trägergruppe  – Bundes­a rbeitsgemeinschaft freie Jugendsozialarbeit e. V. 17. Bundesjugendplan Freiwilliger sozialer Dienst.

152

bei ihren an die Freiwilligen gerichteten Erwartungen ebenso wie in der Konzeption des Sozialjahres ab. Blickt man auf die Erwartungen, welche die Trägerorganisationen den Freiwilligen entgegenbrachten, so fällt auf, dass sich diese sehr bald dem Wandel des Jugendbildes anpassten. Insbesondere die konfessionellen Träger hatten in der Anfangsphase des Sozialjahres Idealismus als eine Teilnahmevoraussetzung betrachtet, obwohl dies im Grunde im Widerspruch dazu stand, dass der Einsatz ja überhaupt erst zur Dienst- und Hilfsbereitschaft erziehen sollte.93 Um diese idealistische Einstellung gewährleisten zu können, dürfe der Gewinn, den die Freiwilligen selbst aus einem solchen Jahresdienst ziehen würden, kein Motiv für ihre Teilnahme darstellen. »Ein Jahr freiwilligen Dienstes für die Kirche, – ein ›verschwendetes‹ Jahr, – ohne ›Verzweckung‹« solle es sein, »ein Sich-zurVerfügung-stellen für den Dienst am Bruder, an der Schwester, aus religiöser Grundhaltung, in der Bereitschaft und aus der Freude des Dienens«, hieß es um 1960 im Aufruf von Kardinal Josef Frings zum katholischen Jahr für die Kirche.94 Beim Diakonischen Jahr betonte man, auch die freiwilligen Helferinnen selbst verträten die Ansicht, es sei unangemessen, das Dienstjahr lediglich abzuleisten, um beispielsweise eine erzwungene Wartezeit vor einem geplanten Ausbildungsbeginn zu überbrücken. »Das echte D[iakonische] J[ahr] könne nur mit Glaubenshingabe gemacht werden«, zitierte man die Helferinnen 1962.95 Zwar legten vor allem die konfessionellen Trägerorganisationen Wert auf diesen Punkt. Doch setzten nicht allein sie Idealismus für die Teilnahme am Sozial­ jahr voraus. Von ähnlichen Prämissen ging – wenn auch aus ganz anderen Gründen  – die sozialdemokratische Bundestagsabgeordnete Marta S­ chanzenbach aus. In einer Sitzung des Ausschusses für Familien- und Jugendfragen im Jahr 1963, in dem die Gestaltung des FSJ verhandelt wurde, wandte sie sich gegen den von der CDU vorgebrachten Vorschlag, das Mindestalter dafür auf 16 Jahre festzulegen. Damit sollte eine Teilnahme direkt nach dem Mittelschulabschluss ermöglicht werden. Schanzenbach begründete die Haltung ihrer Partei mit der Forderung, das Dienstjahr solle »ein Opfer aus der Verpflichtung den Mitmenschen gegenüber« darstellen, nicht aber »ein Mittel der Berufsfindung und der Versuch […], Mädchen in die soziale Arbeit zu ziehen«.96 Hinter dieser Argumentation stand freilich bei der SPD anders als auf Seiten der evangelischen Wohlfahrtseinrichtungen in erster Linie die Sorge, das Sozialjahr könne zu einer 93 Eine ähnliche Erwartungshaltung wurde im 19. Jahrhundert auch den Rekruten für das Militär entgegengebracht, Frevert, Die kasernierte Nation, S. 35. 94 Aufruf Sr. Eminenz Kardinal Frings an die Frauenjugend im Erzbistum Köln [1960], ABDKJ, A 3501/2, Jahr für die Kirche. 95 Zusammenstellung des statistischen Zahlenmaterials des Diak. Jahres, Stand 1. Jan. 1962, ADE, ADW HGSt, III 252 Diakonisches Jahr, 4843 Diakonisches Jahr: Zusammenstellung der statistischen Umfragen 1962–1966. 96 Kurzprotokoll 20.  Sitzung des Ausschusses für Familien/– und Jugendfragen Mittwoch, 20. März 1963, BA, B 149/22268, II a 3 2225.8, 20/7, Entwurf eines Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen sozialen Jahres, Bd. II.

153

Maßnahme umgestaltet werden, um insbesondere Absolventinnen von Volksund Realschulen für den schlecht bezahlten, mit geringem Prestige behafteten und wenig Aufstiegsmöglichkeiten bietenden Pflegesektor zu ködern. Doch verlor der Wert des Idealismus in den sechziger Jahren immer mehr Anhänger, was sich in den Diskussionen über das Sozialjahr spürbar nieder­schlug. Mitte der sechziger Jahre mehrten sich bei allen Trägerorganisationen Stimmen, welche die Forderung nach einer idealistischen Grundhaltung als Voraussetzung für den Freiwilligendienst zurückwiesen. Ein frühes Zeugnis hierfür ist das Protokoll eines Erfahrungsaustausches über das Diakonische Jahr 1961. Man sei sich bewusst, hieß es dort, »daß eine Motivforschung nicht nur völlig uneigennützige oder nur geistlich begründete Meldungen zutage bringen würde«. Dies solle jedoch nicht negativ bewertet werden, denn als »Kennzeichen des Opfers« sei lediglich die »völlige Freiwilligkeit der Meldung« von Belang. Ja, man warnte an dieser Stelle sogar vor einer »Übertreibung« bzw. »Vergötzung des ›reinen‹ Motivs«.97 Hier hielt die evangelische Trägerorganisation also zwar noch an der Forderung eines zu erbringenden Opfers fest, bestand aber nicht mehr auf ausschließlich altruistischen Beweggründen. Elisabeth Weisser, die langjährige Hauptgeschäftsführerin der Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend, verwarf Mitte der sechziger Jahre ebenfalls die Forderung nach völliger Uneigennützigkeit, vielmehr müsse man »die nüchternen und mehr egoistischen Motive respektieren und nutzbar machen«. Allein die Tatsache, dass junge Menschen sich zu einer solchen Partizipation bereit erklärten, hielt sie unabhängig von ihren Motiven für »ebenso wichtig wie kostbar«, und dieser Partizipationswille müsse »begrüßt und gefördert werden«. Weisser ging sogar noch einen Schritt weiter und kritisierte das Insistieren auf idealistischen Motiven. Für die »Bereitschaft junger Menschen zum Engagement« sei es schädlich, »durch gesellschaftspolitische Konzeptionen der Träger oder des Staates ideologisch überhöht und vereinnahmt zu werden«.98 Beim DPWV bewertete man eine auch auf den eigenen Nutzen bedachte Motivation der Freiwilligen Ende der sechziger Jahre sogar als förderlich. Dadurch, dass immer mehr Jugendliche am Sozialjahr teilnähmen, um selbst daraus einen Gewinn zu ziehen, gestalte sich das Verhältnis zwischen den Freiwilligen und ihren Einsatzstellen ausgeglichener. Auf diese Weise werde »die Leistungsbereitschaft gegenüber der früheren Motivation des selbstlosen Dienens aus ideeller Gesinnung nicht gemindert, sondern vielmehr positiv beeinflußt«, hieß es.99 97 Protokoll [Bericht über den Erfahrungsaustausch 1961 über das Diakonische Jahr vom 20.–22. Febr. 1961 in Bad Hersfeld], ADE, ADW HGSt, III 252 Diakonisches Jahr, 4844 Erfahrungsaustausch. 98 E. Weisser, Freiwillige Soziale Dienste, [ca. 1966], S.  2, ADE, ADW, HGSt, III 251, 2475 Pflichtjahr. 99 Anlage zu Verwendungsnachweis 1967 Programm »Freiwillige Soziale Dienste«, Sachlicher Gesamtbericht 1967 für den Bereich des DPWV, BA, B 189/5795, 2665–459 (18) Freie Trägergruppe – Bundesarbeitsgemeinschaft freie Jugendsozialarbeit e.v. 17. Bundesjugendplan Freiwilliger sozialer Dienst.

154

Fragt man nach den Gründen für den Umschwung bei den Trägerorganisationen, so lassen sich diese mit Sicherheit nicht allein an der Reaktion auf den wahrgenommenen Einstellungswandel der Jugendlichen festmachen. Eine Haupttriebfeder für den Konzeptionswandel der Trägerorganisationen scheint darüber hinaus das Bemühen um das Wachstum des FSJ und die zunehmende Konkurrenz unter den Anbietern gewesen zu sein. Es lohnt sich, diesen Mechanismus genauer in den Blick zu nehmen. Allgemein ist dabei zu berücksichtigen, dass die Diskussion über das Wesen des Freiwilligendienstes nicht aus dem Kontext des Mangels an Pflegepersonal zu lösen ist, um das die Wohlfahrtsverbände ebenfalls konkurrierten.100 In der Neubestimmung der Anforderungen an das Pflegepersonal, die sich aus dem Engpass ergab, lassen sich einige Parallelen zur Debatte über das Sozialjahr finden. Wie beim Freiwilligendienst wurde hier das Verhältnis von Idealismus und Pragmatismus verhandelt. Denn der Pflegenotstand stellte in den fünfziger und sechziger Jahren in ganz ähnlicher Weise die Definition des Berufs der Krankenschwester als »Liebesdienst«, der nicht für eine materielle Vergütung, sondern für »Gottes Lohn« ausgeübt werde, immer mehr in Frage.101 Die Diskussion über Idealismus oder Pragmatismus hatte deutliche Auswirkungen auf die Ausgestaltung des Sozialjahres. Im Folgenden soll der Charakter des Wandels in der Konzeption des Freiwilligendienstes näher bestimmt werden. Dafür soll der Fokus auf sieben Aspekte geworfen werden, deren Diskussion das Sozialjahr in den sechziger Jahren in unterschiedlich starkem Maße prägte: die Berufsorientierung als Teilnahmeziel, das pädagogische Begleitprogramm, das Frauenbild der Trägerorganisationen, die nationale sowie die­ demokratische Ausrichtung des Dienstes, die Kulturkritik sowie schließlich die Rekrutierungsstrategie der Trägerorganisationen. b. Ein umstrittenes Motiv: Die Berufsorientierung Über den Idealismus der Freiwilligen wurde am intensivsten bei der Inneren Mission bzw. beim Hilfswerk der Evangelischen Kirchen reflektiert, und das heißt bei derjenigen Trägerorganisation, welche die größte Zahl freiwilliger Helferinnen und Helfer rekrutierte. Anlass war zunächst eine Initiative aus den eigenen Reihen: In einigen Landeskirchen wurde bereits in den späten fünfziger und frühen sechziger Jahren für das Diakonische Jahr – zumindest »in Ausnahmefällen« – eine Praktikumsbescheinigung erteilt.102 Ein solches »Vorpraktikum« 100 Zu dem ambivalenten Verhältnis von Kooperation und Konkurrenz unter den Wohlfahrtsverbänden in den späten fünfziger und frühen sechziger Jahren vgl. Hammerschmidt, S. 334–349. 101 Zum Wandel des Berufsbild der Krankenschwester allgemein vgl. Kreutzer. 102 M. Flesch-Thebesius, Junge Mädchen im »Diakonischen Jahr«, in: FAZ, 30. Mai 1959, BuZ, S. 6.

155

war V ­ oraussetzung für die Ausbildung zu bzw. den Eintritt in einige Pflegeund Erziehungsberufe. Bald kam die Konkurrenz durch das mit dem DRK kooperierende Jugendsozialwerk hinzu, das für seinen Freiwilligendienst gleichfalls eine Praktikumsbescheinigung ausstellte.103 Hermine Bäcker, die für das Diako­nische Jahr zuständige Referentin der Inneren Mission befürchtete bereits 1957, dieses werde »seines Charakters als eines Jahres des bewußten Verzichtes und der Hilfe aus einer christlichen Grundhaltung heraus entkleidet«, wenn es als Praktikum anerkannt werde. Dann nämlich hebe es sich durch nichts mehr von gewöhnlichen »Mädchenbildungsmaßnahmen« ab.104 Obwohl die Verantwortlichen für das Diakonische Jahr auch schon in dieser Zeit andere Motivlagen registrierten, gingen sie dennoch weiterhin davon aus, die Freiwilligen »wollten in der Regel ohne Nebenabsichten einen Dienst der Hilfe und vor allen Dingen einen Dienst an Menschen tun«. Die Erfahrungen hätten gezeigt, dass jegliche Bemühungen, das Diakonische Jahr »etwas verlockender« zu gestalten, ihren Zweck verfehlten, da sie an den eigentlichen Beweggründen der Jugendlichen vorbeizielten.105 Allerdings erkannte man wohl bald, dass dies nicht zutraf. Bereits 1959 warnte man auch bei der Diakonie davor, das Angebot der Konkurrenz zu leicht zu nehmen. Es gebe viele Eltern, die ihre Kinder eher beim DRK ein Sozialjahr absolvieren ließen, weil es mit der Praktikumsbescheinigung »wenigstens eine ›gewisse Ausbildung und Anerkennung‹ einbringt«.106 Die Referentinnen für das FSJ der beiden konfessionellen Trägerverbände hielten die Praktikumsbescheinigung 1965 für ein Anzeichen mangelnder »Fairneß«, weil man sie für eine Werbemaßnahme hielt, mit der die Helferinnen für das eigene Angebot gewonnen werden sollten.107 Es dauerte nicht lange, bis auch die evangelische Trägerorganisation langsam zu einer pragmatischeren Haltung fand. Zwar miss­ billigten die für das Diakonische Jahr Verantwortlichen es gemeinhin weiterhin »sowohl aus grundsätzlichen Erwägungen als auf Grund der praktischen Erfahrungen«, wenn es lediglich abgeleistet werde, um »zu einer ›Berechtigung‹ für eine spätere Berufsausbildung zu kommen«. Doch begannen sie nun teilweise 103 Innere Mission und Hilfswerk der ev. Kirche in Deutschland. Hauptgeschäftsstelle an die Zentralen des Diakonischen Jahres, 18. Juni 1959, ADE, ADW, HGSt, III 251, 4823 andere Verbände. 104 H. Bäcker an Pfarrer Führer, 19. Sept. 1957, ADE, ADW, HGSt, III 252, Diakonisches Jahr, 985, Einführung Aufrufe, Berichte (671–1/8). 105 Eitel, Landesverband der Inneren Mission, Das Diakonische Jahr, Stuttgart, 13. Dez. 1957, ADE, ADW, HGSt, III 252, Diakonisches Jahr, 985, Einführung Aufrufe, Berichte (671–1/8). 106 Innere Mission und Hilfswerk der ev. Kirche in Deutschland. Hauptgeschäftsstelle an die Zentralen des Diakonischen Jahres, 18. Juni 1959, ADE, ADW, HGSt, III 251, 4823 andere Verbände. 107 Vermerk betr. Gespräch mit Frau Denis am 22. Jan. 1965 anläßlich der Sitzung des Ku­ ratoriums des Deutschen, Müttergenesungswerkes, hier: Freiwillige soziale Dienste – Verhältnis zum DRK, Stuttgart, 25.  Januar 1965, ADE, ADW, HGSt, III 251, 4823 andere Verbände.

156

zu differenzieren und es zu billigen, dass das Freiwilligenjahr vielfach mit dem Ziel der »Klärung und Erprobung für einen späteren Lebensberuf« angetreten wurde.108 In den siebziger Jahren schließlich war eine Anerkennung des FSJ als Praktikum bei allen Organisationen üblich. c. Das Seminarprogramm Beim Diakonischen Werk beanspruchte man gern das Erstgeburtsrecht für den Gedanken des Sozialjahres. Die anderen Trägerorganisationen hingegen, die etwas später mit einem eigenen Angebot für einen Freiwilligendienst folgten, verspürten Druck, sich durch eine abweichende Akzentsetzung vom Diakonischen Jahr abzugrenzen. Vor allem bei der Caritas betrachtete man das evangelische Freiwilligenjahr als starke Konkurrenz. Dies zeigte sich bereits in den ausgehenden fünfziger Jahren, als die Caritas nach einem ersten Projekt in der Flüchtlingshilfe Anfang 1958 noch im selben Jahr auch die Einführung eines Sozialjahres im Pflegebereich plante. Vergleiche mit dem Diakonischen Jahr seien »ganz unvermeidlich«, und sie würden für die katholische Seite »ungünstig« ausfallen, warnte im Oktober 1958 Elisabeth Denis, die als Zuständige für Mädchensozialarbeit auch die Planungen für den katholischen Sozialdienst koordinierte.109 Denn voraussichtlich ziehe das geplante Freiwilligenjahr der ­Caritas bald den Kürzeren, da es nicht wie das Diakonische Jahr durch die Kirchen­ leitung gestützt werde, sondern sich allein aus der Initiative und den Mitteln des Wohlfahrtsverbandes finanzieren müsse. Im Diakonischen Jahr erhielten die freiwilligen Helferinnen zusätzlich zum Taschengeld und zur Bereitstellung der Dienstkleidung Krankenkassen- sowie Sozialbeiträge. Hier könne die­ Caritas nicht Schritt halten. Fünfzig bis siebzig Mark monatlich würden fehlen, um dieselben Bedingungen zu bieten. Doch dürfe der katholische Verband die materiellen Gegenleistungen, die den Freiwilligen des Diakonischen Jahres geboten würden, nicht unterschreiten, sonst sei ein Scheitern vorprogrammiert. Dies ­begründete Denis mit dem Machtverlust der konfessionellen Wohlfahrtsverbände im Sozialstaat. Denn, so argumentierte sie weiter, »wir leben leider nicht in einer Welt, in der wir als organisierte zentrale Aktion und dazu noch als sog. ›interessierter Nutznießer‹ das machen können ohne die Gefahr bösester Anwürfe. Für Gewerkschaften und SPD ist das eine gefundene Sache bei der es heisst: ›Ihr nutzt den Idealismus der Dummen aus, verbrämt das mit eurem bekannten Mäntelchen‹.«

108 Innere Mission und Hilfswerk der ev. Kirche in Deutschland, Hauptgeschäftsstelle, Mitteilung Nr.  31, An die Landesverbände etc., Stuttgart, 15.  April 1958, ZADN, D5/2–2, Diakonisches Jahr I. 109 E. Denis, Zum Entwurf ›Sozialer Werkdienst‹, 26. Okt. 1958, ADC, 921.9 065, Fasz. 1, FSD/ FSJ Grundsätzliches.

157

Um solche Vorwürfe abzuwehren, müsse man überlegen, wie sich die fehlende finanzielle Unterstützung durch andere Anreize ausgleichen lasse. Denis setzte auf eine intensive »Bildungsarbeit«. Diese sei für die Mädchen ein »echter und greifbarer Wert«, schrieb sie und implizierte damit, dass ein rein ideeller Wert nicht ausreiche. Wenn man das Sozialjahr stärker als Bildungsmaßnahme konzipiere, sei überdies damit zu rechnen, dass es aus den Mitteln des Bundesjugendplanes bezuschusst werde, da die Mädchenbildung ein wichtiges Anliegen der Bundesregierung sei. Dass die Caritas das spezifische Profil ihres Sozialdienstes gerade über die Bildungsarbeit ausbilden wollte, lag wohl unter anderem darin begründet, dass Denis, die seit 1926 im Bereich des katholischen »Mädchenschutzes« arbeitete, sich in besonderer Weise um Mädchen aus Arbeiterfamilien kümmerte. Bildung galt auch als Mittel des »Mädchenschutzes«, mit dem Verwahrlosung und Prostitution verhütet werden sollten.110 Dass das katholische Sozialjahr auf diese Weise mit dem Diakonischen Jahr zu konkurrieren suchte, verspürte man dort insbesondere seit der Einführung des FSJ 1964. Denn die staatliche Förderung fachte die Konkurrenz unter den Trägerorganisationen stark an. In der Folge erhöhte das DRK die Zahl seiner Freiwilligengruppen und auch die beiden anderen großen konfessionslosen Wohlfahrtsverbände, die AWO und der DPWV, begannen, wenngleich zunächst im kleinen Rahmen, einen sozialen Jahresdienst anzubieten. Wenn die Freiwilligen diese Organisationen bevorzugten, gingen nicht nur sie als Arbeitskräfte verloren, sondern auch die entsprechenden für das Freiwilligenjahr gezahlten Zuschüsse des Bundesfamilienministeriums, die im Verhältnis zu den Teilnehmerzahlen berechnet wurden. Vor allem beim Diakonischen Jahr wurde der neue Konkurrenzdruck als bedrohlich empfunden. So bedauerten die zuständigen Referenten bereits 1963 in der Planungsphase des FSJ, dass der Gesetzentwurf dem Diakonischen Jahr – wennzwar er ihm mehr öffentliche Aufmerksamkeit verschafft habe  – doch gleichzeitig seine »Einmaligkeit« nehme.111 In dieser Situation gelte es, »die Besonderheit des Diakonischen Jahres zu erhalten«. Als Auswirkung der staatlichen Förderung des Sozialjahres deutete man es dann auch, als 1966 die Teilnehmerzahlen beim Diakonischen Jahr erstmals leicht sanken.112 Insbesondere das Seminarprogramm der anderen Träger hielten die Verantwortlichen für das Diakonische Jahr für deren Trumpf. Denn das »Gesetz zur 110 Betr. Evangelisches ›Diakonisches Jahr‹/Katholische Bestrebungen, 17. Febr. 1960, ADC, 921.9 065, Fasz. 1 FSD/FSJ Grundsätzliches. Zu Elisabeth Denis vgl. Patzek; sowie Kranstedt, dort S. 16 zur traditionellen Ausrichtung des katholischen »Mädchenschutzes«. Es gab schon im frühen 20.  Jahrhundert eine katholische Frauenbewegung, die sich unter­ anderem auch der Mädchenbildung und der Vorbereitung von Mädchen auf das Erwerbsleben widmete, vgl. Breuer. 111 Ergebnisbericht über den Erfahrungsaustausch Diakonisches Jahr am 4. und 5. Nov. 1963 im Christlichen Hospiz in Wiesbaden, ADE, ADW, HGSt, 2863, Schriftwechsel mit In­ teressenten. 112 Jahresversammlung 1966, ZAND, D5 /2–9.

158

Förderung eines Freiwilligen Sozialen Jahres« schrieb den Trägerorganisationen vor, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer während ihres Dienstjahres jeweils 25 Seminartage besuchen sollten. An wöchentlichen Seminartagen oder gebündelt an Wochenenden erhielten die Helferinnen und Helfer Unterricht. Ein starker Schwerpunkt dieses Unterrichts lag zum einen auf pflegerischen und pädagogischen Inhalten, welche die Freiwilligen direkt bei ihrer Arbeit unterstützen sollten, wie etwa Erziehungslehre, Säuglingspflege, medizinische Sachkunde, Psychologie, Hauswirtschafslehre oder auch Arbeitsrecht.113 Zum anderen bestand er aus einem Gemisch verschiedenster Fächer, die von den Trägern jeweils als Teil der Allgemeinbildung verstanden wurden. Dazu gehörten üblicherweise Deutsch bzw. Literatur, Kunstgeschichte und Philosophie.114 Im Großen und Ganzen spiegelte sich in diesem Teil der Curricula der klassische bürgerliche Bildungskanon wider. Bei den konfessionellen Trägern nahmen selbstverständlich zusätzlich religiöse Fragen einen breiten Raum ein.115 Hinzu kamen »musisches Tun«, Werken und Gymnastik.116 Ein begleitendes pädagogisches Seminarprogramm war für die Arbeitsdienstkonzeption nicht grundsätzlich neu, denn bereits in der Zwischen- und frühen Nachkriegszeit hatten ja die freiwilligen Arbeitsdienste in der Regel ein solches vorgesehen. An diese Tradition anknüpfend hatte nicht nur die Caritas, sondern auch das Jugendsozialwerk schon vor Einführung des Gesetzes ein großes Gewicht auf die Bildungsarbeit während des Sozialjahres gelegt. Die Diakonie indes hatte ihr bislang einen sehr viel geringeren Stellenwert eingeräumt. Nun sah sie sich mit dem Umstand konfrontiert, dass vor allem die nicht-konfessionellen 113 DRK, Schwesternschaft »Köln«, 15. Jan. 1966, Begleitender Unterricht; Sachlicher Bericht »Freiwilliges Soziales Jahr« Tübingen-Reutlingen für das Jahr 1965; Sachbericht über das Freiwillige Soziale Jahr in der Gruppe Ebingen [IB JSW 1966], alle drei Dokumente: BA, B 189/5795 Freie Trägergruppe Bundesarbeitsgemeinschaft freier Jugendsozialarbeit e. V. 16 Bundesjugendplan, freiwilliger sozialer Dienst. 114 DPWV, Sachlicher Bericht über die Durchführung des Freiwilligen Sozialen Jahres im Bereich des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbands, Landesverband Bayern e. V. im Jahre 1965, S. 17, BA, B 189/5795, Freie Trägergruppe Bundesarbeitsgemeinschaft freier Jugendsozialarbeit e. V. 16 Bundesjugendplan, freiwilliger sozialer Dienst; DPWV, Sachlicher Bericht 1972, FSJ Gruppe C, Leitung Frau v. Marschall, Heimleiterin, BA, B 189/5796, 2665–459-(22); Bericht über Mädchen Bildungslehrgang Sondermaßnahme »Freiwilliger sozialer Werkdienst« [ca. 1964], BA, BA, B 189/5784, 2665 FSD Allgemein; Freiwilliges­ Soziales Jahr [wohl 1964], Offener Brief an allen jungen Mädchen, BA, Zwischenarchiv, B 149/22271, IIa4 2225.8 Entwurf eines Gesetzes für das Freiwillige Soziale Jahr). 115 Z. B. Freiwilliger Sozialer Jahresdienst der katholischen Jugend [1964], ADC, 921.9 +339 Fasz. 0–1. 116 Sachlicher Bericht »Freiwilliges Soziales Jahr« Tübingen-Reutlingen für das Jahr 1965; Deutsches Rotes Kreuz, Schwesternschaft »Köln«, 15. Jan. 1966, Begleitender Unterricht; DPWV, Sachlicher Bericht über die Durchführung des Freiwilligen Sozialen Jahres im Bereich des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbands, Landesverband Bayern e. V. im Jahre 1965, S. 2, alle Dokumente: BA, B 189/5795 Freie Trägergruppe Bundesarbeitsgemeinschaft freier Jugendsozialarbeit e. V., 16 Bundesjugendplan, freiwilliger sozialer Dienst.

159

Träger ihr Bildungsprogramm modern und für die Jugendlichen attraktiv gestalteten, einerseits, indem sie auf Berufsbildungswünsche eingingen, andererseits dadurch, dass sie ihr kulturelles Programm den Neigungen der Jugendlichen entsprechend gestalteten. So wurden im Rahmen des Sozialjahres des DRK und des DPWV gemeinsame Theater- und Konzertbesuche organisiert oder »Plattenabende« unter dem Motto: »Von Salzburg bis Liverpool«, die also gleichermaßen Klassik wie PopMusik umfassten. Außerdem wurden »Besichtigungs-Fahrten zu bekannten Firmen der Mode-Branche« unternommen.117 Ergänzend zu den Seminaren boten die freien Träger überdies Studienreisen ins In- und Ausland an. Diese konnten etwa in Form einer »Zonengrenzfahrt« an die deutsch-deutsche Grenze führen oder sie lockten mit dem attraktiven Ziel Paris.118 Da die Beziehungen zum westlichen Ausland sich langsam wieder verbesserten und mit dem wirtschaftlichen Aufschwung die finanziellen Spielräume wuchsen, erweiterten sich die Reisemöglichkeiten für deutsche Jugendliche im zweiten Nachkriegsjahrzehnt erheblich.119 Die nichtkonfessionellen Trägerorganisationen passten sich also mit dem Reiseangebot, welches sie mehr und mehr in das Programm des Sozialjahres integrierten, der Nachfrage der Jugendlichen an. Und auch bei der Programmplanung der Reisen legten sie offenbar Wert darauf, diese für die Jugendlichen anziehend zu gestalten. Bei einer Berlinreise der Freiwilligen des Jugendsozialwerks etwa stand 1966 neben umfassenden Stadtbesichtigungen auch ein Besuch im »Jugendtanzcafé« auf der Tagesordnung.120 Nicht nur auf die Jugendlichen übte das Seminarprogramm der freien Träger seinen Reiz aus. Auch der im Bundesfamilienministerium für das FSJ zuständige christdemokratische Oberregierungsrat Horst Juncker ließ sich davon in den Bann ziehen, wie die Referentin für das Diakonische Jahr Mechthild König Ende der sechziger Jahre mit Bedauern und Befremden feststellte:

117 Sachbericht IB JSW, BA, B 189/5795, Freie Trägergruppe Bundesarbeitsgemeinschaft freier Jugendsozialarbeit e. V. 16 Bundesjugendplan, freiwilliger sozialer Dienst; Ideeratio-Tonbildschau, O. u. G. v. Slatow, An Jugendsozialwerk e. V., Tübingen, Drehbuch Entwurf für eine Tonbildschau über das Freiwillige Soziale Jahr, Frankfurt a. M., 18. Jan. 1967, S. 16, BA, B 189/5795, 2665–459 (17) Freie Trägergruppe – Bundesarbeitsgemeinschaft freie Jugendsozialarbeit e.v. 17. Bundesjugendplan, Freiwilliger sozialer Dienst. 118 Elsa Brändström Haus DRK, Bericht für 1965, BA, B 189/5795, Freie Trägergruppe Bundesarbeitsgemeinschaft freier Jugendsozialarbeit e. V. 16 Bundesjugendplan, freiwilliger sozialer Dienst; DPWV, Sachlicher Bericht über die Durchführung des Freiwilligen Sozia­ len Jahres im Bereich des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbands, Landesverband Bayern e. V. im Jahre 1965, S. 2, BA, B 189/5795, Freie Trägergruppe Bundesarbeitsgemeinschaft freier Jugendsozialarbeit e. V. 16 Bundesjugendplan, freiwilliger sozialer Dienst; Freiwilliges Soziales Jahr Hanau Bericht 1965, BA, B 189/5795, Freie Trägergruppe Bundesarbeitsgemeinschaft freier Jugendsozialarbeit e. V. 16 Bundesjugendplan, freiwilliger sozialer Dienst. 119 Vgl. Manning; Schildt, Across the Border. 120 Rückblick FSJ 1966, in: Tübinger Brief, 14 (1967), Nr. 4, S. 88–90, hier S. 8.

160

»Der Kummer bei uns war nur, daß Herrn Junckers Vorstellungen sich nach dem Stil des Jugendsozialwerkes richten, weil er so attraktiv ist! Er ist sehr beeindruckt von dem wöchentlichen Unterrichtstag, von den Fahrten nach Wien und in die Dolomiten (!) und daß die (16jährigen!) Mädchen ›sehr interessante Einsätze z. B. in der Nuklearmedizin, bei der künstlichen Niere und im Operationssaal‹ (wörtlich!!!!!) in den Heidelberger Universitätskliniken haben!«121

Doch reagierte man beim evangelischen Wohlfahrtsverband nicht nur mit Ablehnung, sondern auch mit Nachahmung. Dieser Wandel ging maßgeblich vom Diakonischen Jahr der Rheinischen Landeskirche aus. Die Pfarrerin Marlies Flesch-Thebesius, die Mitte der sechziger Jahre dessen Leitung übernahm, stand der Jugendkultur besonders offen gegenüber und bemühte sich darum, das Freiwilligenjahr »von innen her attraktiv zu machen«.122 War für einen von der evangelischen Kirche getragenen weiblichen Arbeitsdienst 1948 noch betont worden, dass die Helferinnen in den Gemeinden ihrer Einsatzstellen »keinesfalls Tanzvereine u. ä. Festereien« besuchen sollten, hatte sich die Einstellung beim Diakonischen Jahr der Rheinischen Landeskirche knapp zwanzig Jahre später deutlich verändert: Flesch-Thebesius setzte sich 1967 dafür ein, dass die Freiwilligen von den Jugendbehörden an ihrem Einsatzort zu »Tanzveranstaltungen« eingeladen wurden.123 In einem weiteren Punkt folgte die Pfarrerin dem Vorbild der freien Träger. Sie verhalf den Freiwilligen 1967 zu Ferienreisen, die von der Evangelischen Jugendkammer bezuschusst wurden.124 Auch diese Ausweitung des Freizeitprogramms ließ sich nur schwer mit der strikten Forderung nach idealistischen Motiven vereinbaren, wie sie am Anfang des Diakonischen Jahres gestanden hatte. Sicher konnten Reisen Bildung vermitteln und brachten Vergnügen, sie ließen sich aber kaum mit dem Ziel einer Stärkung des Dienst- und Opfergedankens begründen.

d. Das Frauenbild Öffneten sich die Trägerorganisationen gegenüber der Jugendkultur, indem sie dem Modeinteresse, dem Spaß an Tanz und moderner Musik sowie der Reiselust der Freiwilligen nachgaben, so konnte dies nur mit der Akzeptanz eines neuen Frauenbildes einhergehen.125 Der Wandel im Frauenbild spiegelt sich darin ebenso wie im langsamen Nachlassen der Widerstände gegen die Anerkennung 121 M. König an [A.] Müller Schöll, [1968], ADE, ADW, HGSt, III 251, 2475 Pflichtjahr. 122 M. Flesch Thebesius, Bericht [1967], ADE, ADW, III 252 Diakonisches Jahr, HGSt 2855. 123 Ebd.; Bericht über Erfahrungsaustausch bisheriger Versuche in freiw. Arbeitseinsatz der Jugend 1.–5. März 1948, Württembergisches Ev. Mädchenwerk, ADE, CAW 714 Jugendhilfe. 124 M. Flesch Thebesius, Bericht [1967], ADE, ADW, III 252 Diakonisches Jahr, HGSt 2855. 125 Vgl. zu dem die moderne Jugendkultur ablehnenden Frauenbild der katholischen Kirche Ruff.

161

des Freiwilligenjahres als berufsvorbereitendes Praktikum. Denn diese Widerstände hingen wohl nicht nur mit der Forderung nach einer absoluten Zweckfreiheit zusammen. Vielmehr erklärt sich die Vehemenz, mit der konservative Befürworter gemeinhin auf den Idealismus der Freiwilligen insistierten, ebenfalls aus ihrer Ablehnung der Frauenerwerbstätigkeit. Ein weiteres Anzeichen für einen leisen Wandel im Frauenbild der Trägerorganisationen war Mitte der sechziger Jahre die Kritik Elisabeth Weissers an der Begründung für die Förderung freiwilliger sozialer Dienste im ersten Jugendbericht der Bundesregierung. Sie monierte, dass der Bericht vor allem »die geistigseelische, die sittliche und religiöse und die musische Erziehung« lobte, die im Seminarprogramm des FSJ verwirklicht werde. Ein solches Bildungsziel »verweist das Mädchen zu einseitig und in überholter Weise in den Lebensraum der Familie, als daß es für eine moderne Bildungsarbeit heute noch Gültigkeit« beanspruchen könne.126 Weisser hingegen, die ja auch in der Debatte um den Idealismus die berufszentrierten Motive der Jugendlichen verteidigte, sah die Zielsetzung des Sozialdienstes eher darin, »situationsbezogene Orientierungsund Lebenshilfen« zu leisten, »die das Mädchen in seiner neuen Rolle sicherer machen sollen«. Wichtig sei es, »der weiblichen Jugend zu neuen eigenen Verhaltensweisen Mut zu machen und Sachkenntnisse zu vermitteln, die ihr helfen, das Leben der Familie und der Gesellschaft aktiv mitzugestalten«. Den jungen Frauen sollte also der Weg in die Berufstätigkeit erleichtert werden, sie sollten selbstbestimmt handeln und auch am öffentlichen Leben partizipieren. Es wäre zu kurz gegriffen, aus dem Seminarprogramm und dem daran geknüpften Bildungsversprechen darauf zu schließen, dass die Freiwilligen mit ihm in erster Linie auf eine berufliche Zukunft vorbereitet werden sollten. Traditionell hatte seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert hinter dem Bestreben, die Allgemeinbildung von Bürgertöchtern  – und zwar vor allem im »musischen« Bereich  – zu erweitern, oft auch die Absicht gestanden, den Frauen als »Kulturträgerinnen« mit einer ausreichenden Bildung auszustatten, die sie zur Vermittlung bestimmter Kulturwerte an ihre Kinder befähige. Außerdem benötigten Bürgerfrauen einen gewissen Bildungsstandard, um den gesellschaftlichen Repräsentationszwängen eines bürgerlichen Haushalts gerecht zu werden. Und schließlich hielt man es für vorteilhaft, ein zu großes Bildungsgefälle zwischen Eheleuten zu vermeiden, welches bei den Männern Langeweile hervorrufen könne.127 Wenn, wie es 1960 in dem Konzeptpapier zu einem katholischen Sozialjahr hieß, die »Erweiterung und Vertiefung der Allgemeinbildung, insbesondere in Bezug auf die soziale Verantwortung und Urteilsfähigkeit der Frau im täglichen Leben« erfolgen sollte, ging dies mit der Zielsetzung einher, »der Tendenz« entgegenzuwirken, »daß jede Handreichung und Hilfeleistung 126 Anlage 3 zur Niederschrift über die Sitzung des Bundesjugendkuratoriums am 31. März und 1. April 1966, E. Weisser, Zum Bericht der Bundesregierung über die Lage der Jugend, S. 4, BA, B 189/5784. 127 Vgl. Hopf, S. 95; vgl. Frevert, Mann und Weib, S. 133–165; Budde, Auf dem Weg, S. 220–253.

162

nur gegen Bezahlung ausgeführt wird«, und stattdessen »das aufmerksame Besorgtsein um Menschen und Ding« zu fördern, »worin sich die frauliche Persönlichkeit erst voll entfaltet«.128 Außerdem begründeten konservative Befürworter einer intensivierten Mädchenbildung den hohen Stellenwert, den sie der »Allgemeinbildung« zusprachen, mit der Notwendigkeit, dem »Spezialistentum« der Erwerbstätigkeit zu begegnen.129 In den sechziger Jahren begannen die Trägerorganisationen allerdings, das Seminarprogramm tatsächlich stärker über seinen Nutzen für eine spätere Erwerbstätigkeit zu legitimieren. Hier gingen abermals die freien Träger voran.130 Was im Einzelnen in diesen Seminaren gelehrt wurde, ist nur ansatzweise belegt. Zwar finden sich recht viele Seminarprogramme, doch die Themenstellungen für die einzelnen Sitzungen geben nicht unbedingt Aufschluss über deren genauen Inhalt. Sehr vielfältig lassen sich die Inhalte einer Seminarsitzung des katholischen Freiwilligen Sozialen Werkdienstes 1964 vorstellen, die den Titel trug: »Lebenskunde: Mitmenschliche Beziehung, Familie, Ehe, Ehelosigkeit, Kinder und Kinderlosigkeit«.131 Und wenn beim selben Anbieter als Thema »Mode und verantwortliche Geschmacksbildung« für eine Seminarsitzung gewählt wurde, muss ebenfalls offen bleiben, ob ein Modeinteresse darin allgemein als schädlich verurteilt oder aber in bestimmten Formen akzeptiert wurde.132 Die Zielsetzung, zu einem »verantwortlichen« Modebewusstsein hinzuführen, lässt aber erkennen, dass konservative Moralvorstellungen dahinter standen. Allgemein ist anzunehmen, dass die Seminarinhalte in ihrer Ausrichtung den Leitlinien der Trägerorganisationen treu blieben. Dies ließ sich durch die Auswahl der Dozenten steuern. Die allgemeinbildenden Seminarsitzungen gestalteten gemeinhin Lehrer, Berufsschullehrer, Universitätsdozenten, Lokalpolitiker oder Geistliche.133 Der Wandel im Frauenbild vollzog sich in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre eher schleichend und geräuschlos. In den Quellen finden sich bis in die späten sechziger Jahre hinein fast keine Gegenstimmen, die Kritik an der traditionellen Zuweisung der Geschlechterrollen im freiwilligen Hilfsdienst äußerten. Die Stellungnahme Weissers bildet hier eine einsame Ausnahme. Und auch 128 A. Debray, Der freiwillige soziale Hilfsdienst im Hedwig Dransfeld Haus, Bendorf/Rh., 24. Okt. 1960, S. 2, ADE, ADW, HGSt, III 2514824 Jahr für die Kirche. 129 Niederschrift über die Sitzung des SK Mädelsozialarbeit im Evang. Jugendaufbaudienst 15. Sept. 1955 in Frankfurt, Gedanken und Vorschläge zur Mädchenbildungsarbeit und­ ihrer Berücksichtigung im Bundesjugendplan, ADE, ADW CAW 897. 130 Z. B. Ref. Juncker, Bad Godesberg, 7. Dez. 1966, Elsa Brandström Haus (Hamburg), BA, B 189/5782, 2665 Allgemein. 131 Ebd. 132 Bericht über Mädchen Bildungslehrgang Sondermaßnahme »Freiwilliger sozialer Werkdienst« [ca. 1964], BA, B 189/5784, 2665 Allgemein. 133 Internationaler Bund für Sozialarbeit, Jugendsozialwerk e. V. Hamburg, 22.  März 1966, BA, B 189/5795, Freie Trägergruppe Bundesarbeitsgemeinschaft freier Jugendsozialarbeit e. V. 16 Bundesjugendplan, freiwilliger sozialer Dienst.

163

der allmähliche Kurswechsel wurde – im Gegensatz zu der intensiven Debatte um den Idealismus  – so gut wie nie schriftlich erörtert. Dieser Befund wird noch durch den Vergleich mit den vor 1933 geführten Diskussionen über die Einführung eines Frauenpflichtjahres akzentuiert. Denn anders als im ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert wurde das Freiwilligenjahr nach 1945 von keiner Seite mehr dezidiert als Schritt auf dem Weg zur Frauenemanzipation propagiert. Zum einen hatte die Arbeitsdienstidee ja allgemein an Anhängerschaft verloren. Zum anderen war die bürgerliche Frauenbewegung durch den Nationalsozialismus  – sei es durch die Anpassung ihrer Protagonistinnen an diesen, sei es durch ihre Ermordung, Verfolgung und Emigration – beträchtlich geschwächt worden.134 So führte zwar der Konkurrenzdruck unter den Träger­organisationen eine langsame Liberalisierung der Geschlechter­rollen herbei, ohne dass eine solche aber unbedingt intendiert gewesen und gezielt voran­getrieben worden wäre. e. Europäisierung Der jugendliche Drang ins Ausland wirkte sich nicht nur auf die Freizeitgestaltung der Freiwilligendienste aus. Darüber hinaus ließ er die Frage immer dringlicher erscheinen, ob nicht auch der Dienst selbst im Ausland absolviert werden könne. In den Planungspapieren für das Sozialjahr findet sich zunächst kein Anzeichen einer europäischen Orientierung. Diakonisches Jahr und FSJ blieben in ihrer Anfangszeit auf die Nation bzw. den Staat bezogen.135 Doch stellte sich schon sehr bald die Frage, ob die Dienste auf Deutschland beschränkt bleiben sollten. Bereits in den ausgehenden fünfziger Jahren mehrten sich Anfragen von Interessentinnen, die gern ein Diakonisches Jahr im  – normalerweise westeuropäischen  – Ausland absolvieren wollten. Dieser Wunsch entsprach einem starken Trend: Seit Ende der vierziger Jahre hatten sich viele junge Mädchen darum bemüht, für eine Weile oder sogar auf Dauer ins Ausland zu gehen – sei es, um den schwierigen Bedingungen des Alltags im Nachkriegsdeutschland zu entkommen, um nach den Jahren der Entbehrung der Kriegs- und Nachkriegszeit einen Neuanfang zu wagen oder aber um sich mit dem Erwerb von Sprachkenntnissen weiter zu qualifizieren. Langsam mehrten sich auch die Möglichkeiten hierzu. Großbritannien etwa rekrutierte in der Nachkriegszeit gezielt weibliche Arbeitskräfte aus dem europäischen Ausland, die zumeist im Pflegesektor oder als Haushaltshilfen zum Einsatz kamen.136 In 134 Vgl. Gerhard, S. 175–200. 135 Z. B. Diskussionsdenkschrift Freiwilliger sozialer Hilfsdienst für Mädchen, gez. Dr. H. J. Nachtwey [Januar 1962]. ADC, 921.9 Freiwilliges Soziales Jahr, freiwilliger sozialer Dienst, II. 136 In der unmittelbaren Nachkriegszeit gingen etwa 10.000 deutsche Frauen im Rahmen dieser Anwerbekampagne nach Großbritannien, 20.000 weitere migrierten außerhalb dieses Programms mit einer individuellen Arbeitserlaubnis. Vgl. Weber-Newth u. Steinert, S. 77–99, die Zahlen S. 77; Kranstedt.

164

den sechziger Jahren gewann überdies das Au-Pair-Jahr bei deutschen Mädchen sehr an Attraktivität, 1963 schätzte man, dass jährlich 50.000 deutsche Mädchen als Au-Pair in Frankreich oder England arbeiteten.137 Diese Einrichtung knüpfte an noch ältere Vorbilder an. Vor allem für Gouvernanten, aber auch für Dienstmädchen war es im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert nicht unüblich gewesen, ins Ausland zu gehen, um bei angespannter Arbeitsmarktlage eine Stelle zu finden oder um durch den Spracherwerb später die Einstellungschancen in der Heimat zu verbessern.138 Die Idee, für eine begrenzte Zeit im Ausland einer sozialen, haushälterischen oder erzieherischen Tätigkeit nachzugehen, war also verbreitet und lag auch für das Freiwilligenjahr nahe. Hinzu kam, dass auch ausländische Organisationen auf eine Internationalisierung drängten und um einen Freiwilligenaustausch bemüht waren.139 Beim Diakonischen Jahr indes trafen diese Bestrebungen anfangs auf Ablehnung. Dabei ging es wieder um die Frage des Idealismus. Angenommen wurde – nicht ohne Berechtigung  –, dass die Motivation für die sich häufenden Anfragen nach der Möglichkeit, das Sozialjahr im Ausland abzuleisten, in der Regel ein »Neben­zweck, z. B. Erlernung fremder Sprachen« sei.140 Dieses Ziel wich in dieser Zeit für viele Mitarbeiter der evangelischen Trägerorganisation noch zu stark von dem geforderten Idealismus ab. »Um den Gedanken des DJ rein zu halten, sollte kein allgemeiner Austausch über die Grenzen gepflegt, sondern nur in Ausnahmefällen vermittelt werden«, einigte man sich 1960 bei einem Erfahrungsaustausch über das Diakonische Jahr.141 Dass der Spracherwerb nicht Ziel des Dienstes sein sollte, war aber offenbar nicht der einzige Vorbehalt. Leisteten die Freiwilligen diesen nämlich im Ausland 137 Zum Zeitgeschehen, in: epd 10. Sept. 1963, EZA 6/8259 Kirchliche Jugendarbeit; vgl. auch Anonym, Arbeitsvermittlung. 138 Vgl. hierzu die die in der Entstehung begriffene Dissertation von M. Witkowski, »Vom Dienst­mädchen zur Putzfrau? Hausangestellte im 20. Jahrhundert« (Arbeitstitel); HardachPinke. 139 So 1960 auf einer internationalen Tagung zu Jugendfreiwilligendiensten, Aktennotiz über meine Reise nach Nyon bezw. Genf vom 3.–5.2.1960, betr. Consultation on international Voluntary Service (Diakonisches Jahr), S. 2, ADE, ADW HGST 6120. 140 Bericht über den Erfahrungsaustausch über das DJ am 11. und 12. Febr. 1960 in der Evang.Luth. Diakonissenanstalt Neuendettelsau, ZADN, D5 2–4. Zu dem Motiv des Spracherwerbs siehe etwa die Anfrage einer Interessentin, E. J., Bad Wildungen, 5. Jan. 1966, ADE, ADW, HGSt, III 251, 2475 Pflichtjahr. Das Interesse am Ausland konnte freilich auch an andere, eher touristische Interessen geknüpft sein: L. Kreyssig, Korrespondenz mit Freiwilligen, Brief eines Griechenland-Freiwilligen, 20. Febr. 1967, EZA 97/933: »Mein Hobby ist die Kulturgeschichte und da interessierte es mich, den Boden der Minoer kennen zu lernen. Ich betrachte es als ein Glück, mithelfen zu dürfen, den Schaden des letzten Krieges zu lindern und gleichzeitig die Sache mit meinem Hobby verbinden zu können.« 141 Bericht über den Erfahrungsaustausch über das DJ am 11. und 12. Febr. 1960 in der Evang.Luth. Diakonissenanstalt Neuendettelsau ZADN, D5 2–4.; vgl. auch, Aktennotiz über meine Reise nach Nyon bezw. Genf vom 3.–5.2.1960, Betr. Consulation on international Voluntary Service (Diakonisches Jahr), S. 2, ADE, ADW, HGST 6120; vgl. ähnlich noch M. König an [E.] Weisser, 26. Febr. 1963, ADE, HGST 6120.

165

ab, musste man die Möglichkeit einkalkulieren, dass sie sich nach ihrem Freiwilligenjahr gegen eine Rückkehr entscheiden könnten. Das widersprach dem Ziel, dem Pflegenotstand in Deutschland zu begegnen, sei es durch die Arbeitskraft der Freiwilligen selbst, sei es durch die Auswirkungen des Jahres auf ihre zukünftige Berufswahl. Die ersten vereinzelten Auslandseinsätze begannen daher unter der Bedingung, dass die Freiwilligen sich zuerst »die Sporen in Deutschland verdient haben« sollten:142 Bevor sie ins Ausland entsandt wurden, mussten sie die ersten sechs Monate des Dienstjahres in deutschen Institutionen ableisten. Auch hier zeigt sich, wie stark nationsbezogen das Gemeinwohlverständnis noch war, das die Konzeption des Diakonischen Jahres anfänglich bestimmte. Im Laufe der sechziger Jahre mehrten sich allerdings auch innerhalb der Diakonie die Stimmen, die für die Möglichkeit eines Auslandseinsatzes plädierten. Wieder war es die progressive Leitung des Diakonischen Jahres im Rheinland, die 1963 empfahl, den internationalen Austausch von Freiwilligen in Erwägung zu ziehen, um das Jahr »attraktiver« zu gestalten.143 1966 wurde das Thema im Hamburger Landesverband der Inneren Mission erneut diskutiert. Weiterhin zeigte man sich »recht zurückhaltend gegenüber den Wünschen eines Diako­ nischen Jahres im Ausland«.144 Doch schon 1967 kamen die Verantwortlichen bei der Jahrestagung für das Diakonische Jahr überein, man solle Auslandseinsätze »nicht grundsätzlich ablehnen, aber doch im möglichst kleinen Rahmen halten«. Denn es habe sich in der Kirche allgemein der internationale Austausch so sehr intensiviert, »daß auch das DJ nicht mehr abseits stehen« könne.145 Die Anerkennung von Auslandseinsätzen wurde inzwischen auch für das­ gesetzlich geförderte FSJ diskutiert. Im Bundesministerium für Familie und Jugend im November 1967 beriet man über die Frage und war sich darüber einig, dass Auslandsdienste »in Einzelfällen« als FSJ anzuerkennen seien, sofern – wie bei den vereinzelnten Auslandseinsätzen im Rahmen des Diakonischen Jahres  – dessen erste sechs Monate in Deutschland abgeleistet würden. Die weiteren Einschränkungen, denen der Auslandseinsatz seitens des Bundesministeriums für Familie und Jugend unterworfen wurde, machen deutlich, dass man der interkulturellen Kompetenz der Jugendlichen nur wenig Vertrauen entgegenbrachte. Denn Voraussetzung für eine Entsendung ins Ausland müsse auch eine nicht näher erläuterte »besondere Qualifikation des Helfers« sein.146 142 Elisabeth Urbig an Propst Carl Malesch, Abstimmung mit Landesverbänden der IM bzw. Gliedkirchlichen diak. Werke, 30. Okt. 1964, ADE, ADW, HGSt 2855, Diakonisches Jahr. 143 [L.] Schlomka an M. König, Abstimmung mit Landesverbänden der Inneren Mission bzw. gliedkirchlichen diak. Werken, DJ der Ev. Kirche im Rheinland, 14.  März 1963, ADE, ADW, HGSt 2855, Diakonisches Jahr. 144 Frau Schröter, Landesverband der Inneren Mission in Hamburg e.v., 19. Jan. 1966, ADE, ADW, HGST, III 252 Diakonisches Jahr, 4851, Diakonischer Jugendeinsatz. 145 [Diakonisches Jahr], 10 Jahrestagung 1967, ADE, HGSt 6120. 146 Der BM für Familie und Jugend, 30.  Nov. 1967, Ergebnisprotokoll am 3.  Okt. 1967, BA, B 189/5783, III/4 2665 – FSD (18) Freiwilliger Sozialer Dienst, 18. Bundesjugendplan, Sitzungen mit den Trägerverbänden.

166

Gespeist wurde diese Sorge vermutlich durch ein allgemein niedriges Zutrauen in die Selbständigkeit der Jugend sowie durch die auch für den Tourismus noch verbreitete Sorge, Deutsche könnten im Ausland durch unangemessenes Verhalten negativ auffallen und damit die Bemühungen durchkreuzen, das beschädigte nationale Image aufzubessern.147 Überdies wollte man auch den erzieherischen Effekt, der dem Dienstjahr zugeschrieben wurde, nicht gefährden. Bei der Zusammenkunft herrschte Übereinstimmung darüber, dass ein Auslandsaufenthalt nur bei »dem Gesetz entsprechender pädagogischer Voraussetzungen des ausländischen Trägers« als FSJ anerkannt werden dürfe. Die Änderung des »Gesetzes zur Förderung eines Freiwilligen Sozialen Jahres«, die der Bundestag im Dezember des Jahres ratifizierte, berücksichtigte den Vorschlag einer euro­ päischen Ausweitung allerdings nicht.148 Die Internationalisierung der Freiwilligendienste erhielt auch durch den weltweiten Ausbau von Entwicklungsdiensten einen Impuls.149 In den deutschen Medien wurde in den sechziger Jahren intensiv über die Entsendung freiwilliger Entwicklungshelfer berichtet und debattiert. Obwohl die Entwicklungshilfeorganisationen in der Bundesrepublik – teils von Anbeginn an, teils nach wenigen Jahren – den Grundsatz vertraten, nur bezahlte Experten einzusetzen, wurde doch in zahlreichen Jugendorganisationen und nicht zuletzt von den Workcamp-Anbietern lebhaft diskutiert, auch Freiwilligendienste in der Entwicklungshilfe durchzuführen. Unter Jugendlichen weckten die Entwicklungsdienste ein reges Interesse.150 Einigen erschienen sie dringlicher und sinnvoller als ein freiwilliger Sozialdienst in der »Wirtschaftswundergesellschaft« der Bundesrepublik. Eine Abiturientin beispielsweise, die 1963 von dem Entwicklungsdienst Eirene gelesen hatte, schrieb an diese Organisation: »Da ich vorhatte, ein ›Diakonisches Jahr‹ irgendwo helfen zu können [sic], erschien mir ihr [sic] Artikel fast wie ein Hinweis. Bisher sträubte sich noch etwas in mir, evtl. in einem Krankenhaus oder Heim eine Arbeit zu leisten, die nichts Entscheidendes ergibt und deren Wert ich persönlich anzweifle. Eine Hilfe dagegen in einem wirklich bedürftigen Land könnte ganz ausfüllen.«151

Und eine Schülerin, die 1966 für das FSJ warb, glaubte das Interesse dafür erregen zu können, indem sie es mit dem amerikanischen Peace Corps verglich, das auch in Europa eine große öffentliche Aufmerksamkeit auf sich zog. Ihre Ausführungen implizierten, dass die »Entwicklungshilfe« als männliche Aufgabe zu betrachten sei, der Freiwilligendienst in Deutschland dagegen als weibliche:152 147 Manning, S. 110–132. 148 Deutscher Bundestag, Entwurf eines Gesetzes. 149 Aktennotiz über meiner Reise nach Nyon bezw. Genf vom 3.–5.2.1960, betr. Consultation on international Voluntary Service (Diakonisches Jahr), S. 2, ADE, HGSt 6120. 150 Zu den Entwicklungshilfeorganisationen vgl. Hein, Die Deutschen. 151 Brief M. A., 13. Nov. 1963, AE, Aktenordner: Eirene I, Correspondence with Friends and Information Requests 1958–66. 152 Zur Sicht der Entwicklungshilfe als männliche Aufgabe vgl. Maß, S. 87 f.

167

»Fehlt es in den Entwicklungsländern meist an Ingenieuren, Lehrern und Ärzten, so fehlt es bei uns ganz entschieden an Schwestern, Pflege- und Hauspersonal. Lernt der Freiwillige vom Entwicklungsdienst ein fremdes Land kennen, andere Sitten und Gebräuche, so erfährt die Helferin vom Freiwilligen Sozialen Jahr einiges über Deutschland, über Menschen, die Hilfe brauchen, über soziale Fragen allgemein und über das, was ein Mädchen ganz einfach wissen sollte über Säuglings- und Krankenpflege, über Hauswirtschaft und über die späteren Aufgaben im Beruf, in Ehe und Familie.«153

Während die Entwicklungsdienste vor allem professionelle Kräfte einsetzten, begannen gleichzeitig noch andere Organisationen, längerfristige Freiwilligeneinsätze im Ausland zu vermitteln, die auch Schulabgängern Möglichkeiten eröffneten: Bereits seit 1957 schickte der katholische Internationale Bauorden, dessen Haupttätigkeit im Workcampbereich lag, jährlich eine kleine Gruppe (überwiegend männlicher) Freiwilliger zu einem einjährigen Dienst ins euro­ päische Ausland.154 1963 begann das Jugendwerk der Methodistenkirche in Nordwestdeutschland gemeinsam mit britischen Methodisten ein Austauschprogramm für Freiwillige anzubieten, die in Pflegeeinrichtungen tätig wurden.155 Ein weiteres attraktives Konkurrenzunternehmen, mit dem Jugendliche einen längerfristigen Freiwilligendienst im Ausland absolvieren konnten, entstand 1958 mit der Aktion Sühnezeichen.156 Als die Organisation 1963 begann, Freiwillige nicht nur in Bauprojekten, sondern auch im sozialen Sektor einzusetzen, fürchtete Mechthild König, die bei der Inneren Mission für das Freiwilligenjahr zuständig war, diese Neuerung werde »entsprechende Auswirkungen auf die Meldungen zum D[iakonischen] J[ahr]« haben.157

f. Demokratisierungstendenzen Mit ihren konzeptionellen Änderungen folgten die konfessionellen Anbieter des Sozialjahres in vielen Punkten den nicht-kirchlichen Konkurrenten, die sich deutlich stärker an den Interessen der Jugendlichen orientierten. Anders verhielt es 153 M. Förster, Ein Brief an Schulabgängerinnen, in: Tübinger Brief, Jg. 12 (1965), Nr. 3, S. 66 f. Es ist hier unerheblich, ob die Schülerin tatsächlich, wie es die Zeitschrift behauptete, eigenständig einen Werbefeldzug für das FSJ angetreten war. War diese Werbestrategie nicht die ihre, so war es die des »Tübinger Briefes«. 154 Siehe hierzu die IBO-Berichte sowie den Ordner Manuskripte Bauorden 1960–61, AIBO. 155 Informationen zum Internationalen Diakonischen Jugendeinsatz, [ca. 1970], ADE, HGSt, 6120. Akten zu diesem Dienst im Archiv der britischen Methodisten in Manchester waren nicht freigegeben. Zwischen 1967 und 1970 nahmen mit steigender Tendenz auf jeder Seite jährlich 15 bis 49 Freiwillige an dem Programm teil. Für die früheren Jahrgänge konnten keine Zahlen ermittelt werden. 156 Siehe zur Aktion Sühnezeichen unten, Kapitel 3.3. 157 M. König, Innere Mission und Hilfswerk der Ev. Kirche in Deutschland Hauptgeschäftsstelle, Abt. Allg. Fürsorge, an die Zentralen des Diak. J. in Deutschland, Stuttgart, 4. April 1963, ZADN, D5/2–6.

168

sich für einen weiteren Transformationsprozess, der das Sozialjahr in den sechziger Jahren prägte: die allmähliche Demokratisierung. Sie vollzog sich langsamer als der Wandel in der Haltung gegenüber der Jugendkultur oder gegenüber Auslandseinsätzen und wurde auch weit weniger kommentiert. Das Ziel der Demokratisierung spielte bei der Neukonzeption des sozialen Dienstjahres im zweiten Nachkriegsjahrzehnt kaum eine Rolle. Zwei Gründe mögen dies erklären: Zunächst lag es vielleicht daran, dass die Dienste bis zur Einführung der staatlichen Förderung 1964 in erster Linie von den kirchlichen Wohlfahrtsverbänden und hier vor allem von evangelischer Seite angeboten wurden, die ja schon bei ihren Arbeitsdienstprojekten der ersten Nachkriegsdekade die Frage nach einer demokratischen Ausrichtung weitgehend unbeachtet gelassen hatte. Allerdings öffneten sich Kirchen und Wohlfahrtsverbände in den sechziger Jahren allgemein der Demokratie. Wichtiger scheint daher zweitens, dass man bei dem vor allem an Mädchen gerichteten Angebot des sozialen Dienstes weniger Wert auf politische Fragen legte. Die staatsbürgerliche Aufgabe der Frauen sahen viele insbesondere konservative Zeit­ genossen vor allem in der Kindererziehung. Bei der Bestimmung der Leitlinien für die Mädchenbildung betonte etwa Elisabeth Denis von der Caritas 1954, dass die Erziehungskompetenzen der jungen Frauen auch darüber entscheiden würden, ob ihre Kinder »echte Menschen und gute Staatsbürger oder nur Nutzniesser der Gesellschaft, ja, vielleicht Verbrecher werden«.158 Überdies verstand sie auch »Umgang mit Menschen, Hilfsbereitschaft, Verantwortung, Denken fürs Ganze« als »staatsbürgerliche Kräfte«, die den »wesenseigenen Kräften des Mädchens« entsprachen. Sie war überzeugt, dass »die staatspolitische Schulung der Mädchen ein ganz anderes Gesicht haben muss als die des Jungen!« Dass seit Mitte der sechziger Jahre schließlich die Reflexion darüber einsetzte, welchen Beitrag das FSJ zur Demokratie leisten könne, lag abermals an der Pluralisierung des Sozialdienstes, die der Einführung des gesetzlich geförderten FSJ folgte. Die nichtkonfessionellen Trägerorganisationen bezogen sich selten auf religiöse Grundsätze, wenn sie den Wert des Sozialjahres erörterten. Vielmehr verstanden sie das Jahr, wie es die Vizepräsidentin des DRK Etta­ Gräfin Waldersee 1966 formulierte, als ein Mittel, um »zu staatsbürgerlicher Gesinnung« zu erziehen.159 In dieser Ausrichtung wurde das FSJ als dezidiert demokratische Institution verstanden.160 Während das Jugendsozialwerk Mitte der sechziger Jahre gemeinhin noch eher die »staatsbürgerliche« Bedeutung des Dienstes hervorhob, betonte vor allem die AWO explizit die demokratische Funktion ihres seit 1964 in vergleichsweise kleinem Rahmen durchgeführten FSJ. Als dessen Ziel definierte sie es, 158 Anlage 4: E. Denis, Bildung und Ausbildung der Mädchen im Rahmen der Jugendarbeit, S. 2 f., ADE, CAW 897, Bundesjugendplan Grundsätzliches Mädchensozialarbeit. 159 Waldersee, S. 2. 160 Etwa auch bei Winckler, S. 90.

169

»jungen Menschen, die sich von ihrer demokratischen und humanitären Einstellung aus zur Hilfe verpflichtet fühlen, ein Übungsfeld zu bieten«.161 Ein ähnliches Verständnis propagierte auch der Bundesjugendring. In einer Stellungnahme zum Gesetzentwurf zur Einführung des FSJ beschrieb er nicht nur die Frei­ willigendienste selbst als einen Beitrag zu einer funktionierenden Demokratie, sondern auch die persönliche Entwicklung der Freiwilligen durch diesen Dienst: »Hilfe für den Nächsten ist ein Grundelement verantwortungsbewussten Verhaltens demokratischer Staatsbürger. Sie wird durch die von jungen Menschen freiwillig übernommenen Verpflichtungen angeregt, eingeübt und zu praktischer Wirksamkeit gebracht.«162 Bei den nichtkonfessionellen Anbietern des FSJ sahen Seminarpläne gemäß dieser Zielsetzung auch die ­Fächer »Gemeinschaftskunde« und »Politik« vor, und der Unterricht konnte auch »sinnvolles Zeitungslesen« und »aktuelle Tagesfragen« umfassen.163 Ergänzt wurde das Bildungsprogramm teilweise durch Besuche der kommunalen Justiz­behörden, einer Gerichtsverhandlung, einer Stadtverordneten- oder gar einer Bundestagssitzung.164 Die konfessionellen Trägerorganisationen hingegen definierten ihren Sozialdienst vor 1968 nur sehr selten explizit demokratisch. Zum einen war es nicht die demokratische Orientierung, die in ihren Augen die größere Attraktivität der Konkurrenz bedingte, sondern vielmehr deren Öffnung gegenüber der Jugendkultur, weshalb sie Veränderungen ihres eigenen Konzepts vor allem in diesem Punkt erwogen. Zum anderen sahen Diakonie und Caritas keine Notwendigkeit einer zusätzlichen demokratischen Legitimation. Dennoch kann man auch für die konfessionellen Wohlfahrtsverbände von einer allmählichen Demokratisierung sprechen. Für sämtliche Trägerorganisationen war das Hierarchieverhältnis zwischen Individuum und Allgemeinheit bis etwa Mitte der sechziger Jahre eindeutig: Die vor allem bei den christlichen Trägern immer wieder hervorgebrachte Forderung nach Dienst- und Opferbereitschaft zielte auf Unterordnung. Bei der Workcamporganisation Christlicher Friedensdienst formulierte man noch 1959: »Gemeinschaft kann nur dort 161 Garstecki, S. 101. 162 Stellungnahme des Deutschen Bundesjugendringes zu dem Gesetzentwurf zur »Förderung des Freiwilligen Sozialen Jahres, Zwischenarchiv, B 149/22271, II a 3 2225.8, Entwurf eines Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen sozialen Jahres Bd. II; vgl. ähnlich Wanderausstellung des Freiwilligen Sozialen Jahres in Essen, Tübinger Brief, Jg. 14 (1967), Nr. 7, S. 168 f. 163 Sachlicher Bericht »Freiwilliges Soziales Jahr« Tübingen-Reutlingen für das Jahr 1965; Freiwilliges Soziales Jahr Hanau Bericht 1965, BA, B 189/5795, beide Dokumente: Freie Trägergruppe Bundesarbeitsgemeinschaft freier Jugendsozialarbeit e. V., 16 Bundesjugendplan, freiwilliger sozialer Dienst; Ein Jahr freiwilliger Sozialer Dienst in Tübingen, in: Tübinger Brief, Jg. 11 (1964) 8/9, S. 175–178, hier S. 178. 164 Lehrplan für die theoretische Fortbildung der Freiwilligen Helferin, ADE, ADW, HGSt, III 251, 4823 andere Verbände; Jahresbericht über das Freiwillige Soziale Jahr, 1968 Deutsches Rotes Kreuz und Jugendsozialwerk e. V., BA, B 189/5795, 2665–459 (18) Freie Trägergruppe  – Bundesarbeitsgemeinschaft freie Jugendsozialarbeit e.v. 18 Bundesjugendplan, Freiwilliger sozialer Dienst.

170

entstehen, wo der Einzelne nicht das Eigene sucht, sondern seinen persönlichen Interessen dem Interesse der Gemeinschaft unterordnet.«165 Im Zuge des Wandels in den sechziger Jahren und der zunehmenden Bemühungen, auf die Wünsche der Jugendlichen einzugehen, begannen die Trägerorganisationen jedoch, hier neu zu gewichten. Statt von »Unterordnung« sprachen sie zunächst lieber nur noch von einem »Sicheinfügen« in die Gemeinschaft. Mitte der sechziger Jahre geriet die alte Forderung der Unterordnung schließlich explizit in die Kritik. In dem Abschlussvortrag der vom DRK organisierten Arbeitstagung zum FSJ 1966 wandte sich der Referent ausdrücklich gegen die Prinzipien, welche die Einführung des Sozialdienstes motiviert hatten, und forderte, es müsse sich beim Einsatz der Freiwilligen »um Integration, nicht um Subordination« handeln.166 Norbert Elias sowie – in Anlehnung an ihn – Kaspar Maase haben argumentiert, die Forderung nach Idealismus stehe demokratischen Einstellungen entgegen, da sie keine Kompromisse zulasse.167 Man muss dieser Argumentation in ihrer Grundsätzlichkeit nicht folgen, um für das Freiwilligenjahr einen Zusammenhang zwischen der Akzeptanz pragmatischer Motive und demokra­ tischen Überzeugungen auszumachen. Elisabeth Weisser beispielsweise lehnte das Beharren auf idealistische Motive 1966 auch deshalb ab, weil es mit der Forderung nach Unterordnung einherging. Auch in der Wortwahl schlug sich das nieder. Statt an »Opfersinn« oder »Dienstbereitschaft« appellierte sie an »Engagement«.168 Dieser Begriff, der sich allgemein erst in den sechziger Jahren im deutschen Sprachgebrauch verbreitete, sollte sich in den folgenden Jahren für die Freiwilligenarbeit durchsetzen. Mit dem semantischen Wandel verband sich die Vorstellung, dass Partizipation nicht mehr aus Pflichtgefühl und Unterordnung unter das Gemeinwohl heraus erfolgen sollte, sondern vielmehr aus­ eigenem Antrieb und eigener Überzeugung. g. Die Absage an den Kulturpessimismus Ebenso wie die Dienstideologie Mitte der sechziger Jahre in die Kritik geriet, wurde nun auch der Kulturpessimismus in Frage gestellt, der diese Ideologie so oft gerechtfertigt hatte. Einen Frontalangriff unternahm der Referent des bereits 165 Der Dienst unserer Lager, Referat auf der Lagerleiter Rüstzeit des CFD 1959 in Teylingerbosch, S. 8, ACF/YAP, Ordner: Archiv, Gründung, Referate, Protokolle, 1948–1970. 166 Bericht über die Arbeitstagung »Freiwilliges Soziales Jahr« am 14./15. Nov. 1966 in Bad Godesberg/Rhein, Referat, Dr. Winckler, BA, B 189/5795, 2665–459 (17) Freie Trägergruppe  – Bundesarbeitsgemeinschaft freie Jugendsozialarbeit e.v. 17 Bundesjugendplan Freiwilliger sozialer Dienst. 167 Dies ist eines der zentralen Argumente in Elias’ Aufsatz: Der Zusammenbruch der Zivilisation, Elias, S. 391–516, bes. S. 418–445; vgl. Maase, S. 157 f. 168 E. Weisser, Freiwillige Soziale Dienste, [ca. 1966], S. 2, ADE, ADW, HGSt, III 251, 2475 Pflichtjahr.

171

zitierten Abschlussreferats der Jahrestagung des DRK 1966. Er bedauerte, »daß es fast zum guten Ton gehört, vom Verfall der wahren Kulturwerte, vom Fluch der Technik, vom Elend der Vermassung, von der Verknechtung des Menschen durch außensteuernde Manipulationsmächte, von der Konsumvergewaltigung, vom egoistischen Materialismus und der Auflösung aller Gefüge zu reden«.169 Um seinen Standpunkt zu untermauern, griff er zu einer pathetischen Rhetorik, wie sie die Kulturkritiker selbst gern verwendeten: So warnte er, dass die verbreitete »Zeit- und Kulturkritik ein geradezu lebensgefährlicher Irrtum« sei und »neue soziale Neurosen« hervorrufen könne, »die wahrscheinlich noch katastrophalere Ausmaße haben werden als diejenigen, deren Ausbrüche die jüngere Geschichte zu verzeichnen hat«.170 Der Kulturpessimismus übersehe, so die Überzeugung des Redners, dass historisch ein gesellschaftlicher und damit menschlicher Fortschritt beobachtbar sei. Damit verband er ein klares Bekenntnis zur Demokratie, indem er definierte: »Der zivile freiwillige Dienst ist demokratisch«. Überdies deutete er den Kulturpessimismus als Anzeichen von Anpassungsschwierigkeiten im »Übergang von der hierarchisch-agrarisch gefügten Gesellschaft zur demokratisch-industriell prozedierenden Gesellschaft«.171 Anstatt den Kulturverfall zu beklagen, gelte es anzuerkennen, dass Industrialisierung und Demokratisierung nicht nur die Möglichkeiten zur Selbstentfaltung erweitert, sondern auch die Akzeptanz der Menschenwürde verbreitet hätten. Auch die so oft als Begründung des Sozialjahres herangezogene Klage über wachsenden Materialismus und Egoismus lasse sich widerlegen. Denn, es habe sich die Überzeugung durchgesetzt, dass der Mensch »seine größten Leistungen nur im Team hervorbringt, daß er Fähigkeiten des Ko­ operierens entwickelt hat, die an Differenziertheit, persönlicher Bescheidenheit und opfervollem Einsatz für Aufgaben des Teams Reifegrade sozialen Verhaltens erkennen lassen, die in der Qualität keinen Vergleich mit andersgearteten sozialen Verhaltensweisen früherer gesellschaftlicher Entwicklungsstufen zu scheuen brauchen.«172

Mit seinen Ausführungen ging es dem Referenten nicht zuletzt darum, für die Freiwilligendienste in der »Werbung bessere Erfolge« zu erzielen. Denn er war davon überzeugt, dass »ein Aufruf zur Freiwilligkeit verhallen muß«, wenn er sich auf kulturkritische Begründungen stütze.173 In der Tat war die Werbung für die Freiwilligendienste in den sechziger Jahren ein heiß umstrittenes Thema, das ebenfalls Aufschluss über den Wandel in der Konzeption des Sozialjahres liefert.

169 Winckler, S. 91 f. 170 Ebd., S. 92, S. 95. 171 Ebd., S. 92. 172 Ebd. 173 Ebd., S. 94.

172

h. Der Wandel in der Rekrutierungsstrategie Die Bemühungen der Trägerorganisationen, durch die Gestaltung des Freiwilligendienstes größere Kreise von Jugendlichen anzuziehen, schlugen sich nicht nur in der Konzeption des Dienstes nieder, sondern auch im Werbematerial. Dazu führte zum einen abermals die Konkurrenz, zum anderen das allgemein unter den Organisationen verbreitete Gefühl, ein Großteil der deutschen Bevölkerung mache sich falsche Vorstellungen über das Sozialjahr oder kenne es noch nicht einmal.174 Alle Trägerorganisationen begannen daher in den s­echziger Jahren an einer Imagekampagne zu arbeiten. Das Bundesfamilienministerium hatte bereits vor Einführung des FSJ da­ rü­ber nachgedacht, wie man diesem nach seiner Einrichtung Bekanntheit und Attraktivität verschaffen könne. Zunächst erwog man mit einem Appel an die »Ehre« eher traditionelle Mittel: »Die öffentliche Meinung müsste derart beeinflußt werden, daß sie darin einen Ehrendienst sieht«, empfahl die christdemokratische Referentin des Bundesfamilienministeriums, Maria Tritz, 1962 in der Diskussion über die Einführung eines staatlich geförderten Sozialdienstes und griff damit auf eine Aufwertungsstrategie aus Weimarer und nationalsozialistischer Zeit zurück.175 Auch durch Ehrenurkunden, die der Bundespräsident den Absolventinnen und Absolventen verleihen sollte, so eine Überlegung in einem Planungspapier des Bundesfamilienministeriums zur Fortentwicklung des FSJ Ende 1964, könne der Dienst honoriert werden.176 Dieser Vorschlag rekurrierte ebenfalls auf eine herkömmliche Strategie, denn ein solches Abzeichen hatte es auch im weiblichen Reichsarbeitsdienst der Nationalsozialisten gegeben. Allerdings ließ das Vertrauen darauf, dass derartige immaterielle E ­ hrungen auf die Jugendlichen Anziehungskraft ausüben würden, offenbar bald nach. Christa Hasenclever, die bei der AWO für das FSJ zuständig war, empfahl daher 1966 Alternativen. Sie schlug zu diesem Zweck geringfügige materielle Vergütungen für freiwillige Helferinnen und Helfer vor.177 In gleicher Weise wurden wohl auch Lohn- oder Prämienzahlungen, die das Bundesfamilienministerium und die Trägerorganisationen seit 1966 für das FSJ diskutierten, als Möglichkeit betrachtet, das Image des Sozialdienstes aufzubessern.178 ­Diesen Vorschlag 174 Eine 1965 vom Jugendsozialwerk durchgeführte Umfrage unter Jugendlichen ergab, dass 90 Prozent der Befragten noch nicht vom FSJ gehört hatten, Sachlicher Bericht »Freiwilliges Soziales Jahr« Tübingen-Reutlingen für das Jahr 1965, BA, B 189/5795 Freie Trägergruppe Bundesarbeitsgemeinschaft freier Jugendsozialarbeit e. V. 16 Bundesjugendplan, freiwilliger sozialer Dienst; noch 1973 konstatierte die gemeinsame Werbebroschüre aller Trägerorganisationen: »Der breiten Öffentlichkeit ist das Freiwillige Soziale Jahr weitgehend unbekannt«, Arbeitskreis freiwilliger sozialer Dienst/freiwilliges soziales Jahr, S. 111. 175 Ref. RD Tritz, Bonn, 26. März 1962, BA, Zwischenarchiv, B 149/22271, IIa4 2225.8. 176 Vermerk betr. Freiwillige Soziale Dienste Fortentwicklung des Programms, Bonn, 1. Dez. 1964, BA, B 189/5784, 2665 FSD Allgemein. 177 Hasenclever, S. 79. 178 Z. B. M. König, Vorschlag Landesbischof Wölber, Betr. Prämienzahlung für freiwillige soziale Dienste, 21. Nov. 1966, ADE, ADW, HGSt, III 251, 2475 Pflichtjahr.

173

lehnten allerdings vor allem die konfessionellen Trägerorganisationen ab und er scheiterte. Mit ihm stieß ihre Bereitschaft, die Forderung nach Opferbereitschaft aufzugeben, an ihre Grenzen. Während sich der Vorschlag einer materiellen Aufwertung des Freiwilligendienstes nicht durchsetzte, konzentrierten sich die Wohlfahrtsverbände vor allem auf eine Veränderung der Werbestrategie. Sie bemühten sich, auf den wahrgenommenen Wertewandel der Jugend einzugehen. Auf einer gemeinsamen Konferenz aller Trägerorganisationen wurde 1966 diskutiert, inwiefern sich »bei der Werbung das ›Nützlichkeitsdenken‹ der Jugend einkalkulieren« lasse. Denn »nüchtern« bedenke »der junge Mensch«, was der Dienst »nicht nur anderen, sondern auch ihm selbst einbringen wird«, so die Überzeugung.179 Gleichzeitig verzichteten die Organisationen in dieser Zeit zunehmend da­ rauf, an den Altruismus der Jugend zu appellieren, ja sie nahmen in der Werbung sogar ganz explizit davon Abstand.180 Mehrfach zitierten die Informations- und Werbebroschüren nun Freiwillige, die zugaben, ihr Dienstjahr nicht aus altruistischen Motiven heraus angetreten zu haben. Ebenfalls 1966 druckte etwa der evangelische Trägerverband in einem Werbeblättchen einen Auszug aus dem Brief einer Freiwilligen ab, die gestand: »[U]m ganz ehrlich zu sein: Ich habe das diakonische Jahr weder aus tiefer Religiosität noch deshalb gemacht, weil ich unbedingt dienen wollte. Nicht zuletzt war bei mir ein guter Schuß Egoismus dabei.«181 Die nichtkonfessionellen Träger versuchten außerdem, sich mit ihrer Werbung deutlich von den konfessionellen Anbietern abzugrenzen, da Religion zunehmend als unmodern galt. Und dies färbe auf die oft mit christlicher Wohltätigkeit in Verbindung gebrachten Freiwilligendienste ab. Dem »Vorurteil« zufolge seien die freiwilligen Helfer »weltfremde, schwärmerische Idealisten oder gar von der Natur benachteiligte, unansehnliche Geschöpfe«, konstatierte der »Tübinger Brief« des Jugendsozialwerks 1966.182 Daher rühmte das Blatt 1967 die »moderne Aufmachung« einer Wanderausstellung über das FSJ, die das Jugendsozialwerk zu Werbezwecken organisiert hatte. Sie habe geholfen, »das Bild, das von einer Sozialhelferin besteht (tuttelig, fromm…) zu revidieren«.183 179 Notiz über die 2.  Sitzung betr. Freiwilliges Soziales Jahr, Konferenz mit den Vertretern der Rundfunk- und Fernsehanstalten, Bundesministerium für Familie und Jugend, Bad­ Godesberg, 28. Febr. 1966, S. 3, ADE, ADW, HGSt, III 251, 2475 Pflichtjahr. 180 Z. B. Hessischer Rundfunk, Frauenfunk, Das Soziale Jahr, [Skript], [1966], S.  15, BA, B 189/5784, 2665 FSD Allgemein. 181 Das DJ im Spiegel der Praxis. Auszüge aus Briefen junger Menschen, [1966], ZADN, D5 / 2–9. Vgl. Freiwilliges Soziales Jahr: Berichte der Helferinnen, in: Tübinger Brief, Jg. 13 (1966), Nr. 7, S. 177–181, hier S. 181. 182 Menschen brauchen Menschen. Ein Praxisbericht, in: Tübinger Brief, Jg. 13 (1966), Nr. 6, S. 154–157, hier S. 154 183 Freiwilliges Soziales Jahr. Wanderausstellung in Schwaben, in: Tübinger Brief, Jg. 14 (1967), Nr. 11, S. 269–271, hier S. 269, vgl. ähnlich Stuttgarter Zeitung, 3. Mai 1961, ADE, ADW, HGSt, III 251, 4824 Jahr für die Kirche.

174

Vor diesem Hintergrund war der Wandel in der Werbestrategie für die konfessionellen Trägerorganisationen besonders schwierig, gleichzeitig vollzog er sich umso markanter. Hatten die Informationsblättchen zum Diakonischen Jahr oder zum katholischen Jahr für die Kirche in den späten fünfziger Jahren noch in erster Linie an die christliche Nächstenliebe der Mädchen appelliert, bemühten sie sich seit den sechziger Jahren, die Jugendlichen mehr und mehr auf anderem Wege anzusprechen. Hier gab es allerdings intern Widerstände zu überwinden. Noch 1960 warfen die Verantwortlichen für das Diakonische Jahr bei einem Erfahrungsaustausch die Frage auf, ob die Kirche für einen diakonischen Dienst überhaupt werben dürfe.184 Doch entschied man sich schnell, die Werbung für das Freiwilligenjahr nicht nur zu intensivieren, sondern auch zu modernisieren. Als die Referentinnen und Referenten für das Diakonische Jahr 1962 wieder zum Erfahrungsaustausch zusammentrafen, erwogen sie, auch in Illustrierten zu werben oder dem Sozialjahr gar mit einem Spielfilm zu größerer Bekanntheit zu verhelfen.185 Letzteres wurde allerdings nicht in die Tat umgesetzt, lediglich ein katholischer Mädchenroman über die Erfahrungen einer Freiwilligen erschien 1964, für den es jedoch keinen Hinweis darauf gibt, inwieweit er möglicherweise ebenfalls Teil der Werbestrategie der katholischen Trägerorganisationen war.186 1963 war es abermals die gegenüber der modernen Jugendkultur besonders aufgeschlossene Leitung des Diakonischen Jahres der evangelischen Kirche im Rheinland, die, nachdem sie einen Rückgang bei den Teilnehmerzahlen hatte verbuchen müssen, den Vorstoß unternahm, die Aufmachung der Werbung zu verändern.187 Diese solle man »nicht so fromm und kirchlich (›Opfer für Gott…‹)« gestalten und bei der Bebilderung der Informationsbroschüren nicht den »Hausmütterchentyp« zeigen – ein Ausdruck, der sich in den sechziger Jahren als abwertende Bezeichnung für »Nur-Hausfrauen« durchsetzte –, sondern stattdessen »junge Damen«, so 1963 der Vorschlag in einem Brainstorming zum Thema Werbung.188 Auf der Kopie dieser Stichpunktsammlung, die der Hauptgeschäftsstelle der Inneren Mission zugeschickt worden war, wurde diese Idee allerdings handschriftlich noch mit einigen Fragezeichen versehen.189 Dennoch veränderte sich die Aufmachung der Werbeprospekte. Hatten sie bei den konfessionellen Trägern ursprünglich den christlichen Charakter ihres Angebots oft auch mit ihren Illustrationen zum Ausdruck gebracht, etwa indem 184 Erfahrungsaustausch über das Diakonische Jahr vom 11.–12. Febr. 1960, ZADN, D 5 2–4. 185 Erfahrungsaustausch, Bericht über die Besprechung über gemeinsame Werbemaßnahmen des Diakonischen Jahres, Bonn, 22.  Okt. 1962, ADE, ADW HGSt, III 252 Diakonisches Jahr, 4844 Erfahrungsaustausch. 186 Demmler. 187 Notiz, Betr. DJ im Rheinland, Vermerk über ein Gespräch mit Vikarin Schlomka am 17. Jan. 1962 in Bad Godesberg ADE, ADW, HGSt 2855. 188 Zum abwertenden Bedeutung des »Hausmütterchentyps« vgl. Paulus, bes. S. 107, S. 115. 189 DJ der Ev. Kirche im Rheinland, [L.] Schlomka an M. König, 14. März 1963, ADE, ADW, HGSt 2855, Diakonisches Jahr, Abstimmung mit Landesverbänden der IM bzw. gliedkirchlichen diak. Werken.

175

sie ein Kreuz oder eine Kirche abbildeten oder aber auf Fotos die Freiwilligen gemeinsam mit Ordensschwestern zeigten, verzichteten sie seit Mitte der sech­ ziger Jahre zunehmend darauf. Ebenso wie sich die Überschriften wandelten, die anfangs zu »Gib ein Jahr« aufgefordert hatten, später zu »Nimm und Gib«, veränderte sich auch die graphische Gestaltung der Informationsbroschüren. Im Gegensatz zu den frühen Werbeschriften, die stark die Hilfsbedürftigen in den Mittelpunkt gestellt hatten (Abb. 7), wurden im Laufe der Zeit mehr und mehr die Freiwilligen selbst präsentiert (Abb. 8 und 9). Die Bilder aus der zweiten Hälfte der sechziger Jahre lassen das Bemühen deutlich werden, die Freiwilligen nicht nur wie in den frühen Prospekten in Schwesterntracht zu zeigen, sondern gerade durch die Kontrastierung von Abbildungen der Freiwilligen während des Dienstes und in der Freizeit zu implizieren, dass sich der Sozialdienst durchaus auch für »moderne junge Menschen« eigne.190 Indem sich sämtliche Trägerorganisationen einer pragmatischeren Haltung öffneten und explizit größere Kreise an Interessentinnen ansprachen, steuerten sie selbst, welche Jugendlichen sie für das Sozialjahr rekrutierten. Je breiter die Gruppe derjenigen wurde, die sie mit ihrem Angebot zu erreichen suchten, desto stärker klafften zwangsläufig auch die hochgesteckten Erwartungen an die Motive der Freiwilligen und die Realität auseinander. Vor allem die konfessionellen Träger empfanden dies als Problem, denn infolge ihrer neuen Rekrutierungspolitik meldeten sich immer mehr Freiwillige, die der Kirche fern standen. So finden sich bereits in den späten fünfziger Jahren einige Stellungnahmen, die ihr Bedauern ausdrückten, weil sie es als das »Beglückende an dem ersten Versuch, ein Diakonisches Jahr ins Leben zu rufen«, definierten, »daß es in erster Linie die religiöse Grundhaltung ansprach«.191 Verträten die Freiwilligen diese nicht, bestehe für die Kirche im Grunde keine Legitimation, das Sozialjahr weiter durchzuführen. Erste Stimmen, die eine pragmatischere Position empfahlen, hatten sich beim evangelischen Wohlfahrtsverband seit Ende der fünfziger Jahre zu Wort gemeldet. Schon 1958 lehnte ein Mitteilungsschreiben der Inneren Mission »die Aufnahme solcher, nicht ausschließlich aus christlichen Motiven kommenden Bewerber« nicht mehr prinzipiell ab, sondern gab zu bedenken, »daß man froh sein sollte über jedes Zeichen von Spontaneität in der Kirche Christi, über alles, das Leben habe«.192 Besonders offen war in dieser Angelegenheit schon damals die Rheinische Landeskirche.193 190 So die Werbebroschüre »Nimm und Gib« des Deutschen Roten Kreuzes, S. 15, ADE, ADW, HGSt, III 251, 4823 andere Verbände. 191 H. Bäcker an Pfarrer Führer, 19. Sept. 1957, ADE, ADW, HGSt, III 252, Diakonisches Jahr, 985, Einführung Aufrufe, Berichte (671–1/8). 192 Innere Mission und Hilfswerk der ev. Kirche in Deutschland, Hauptgeschäftsstelle, Mitteilung Nr. 31, An die Landesverbände etc., Stuttgart, 15. April 1958, I D5/2–2, Diakonisches Jahr. 193 Bericht über den Erfahrungsaustausch über das »Diakonische Jahr« am 14./15. Jan. [1958] in Wiesbaden, ADE, ADW HGSt, III 252 Diakonisches Jahr, 4844 Erfahrungsaustausch.

176

Abb. 7: Aus einem Werbeprospekt für das Diakonische Jahr, 1958

Die langsame Öffnung des Diakonischen Jahres für Jugendliche, die keine kirchliche Bindung hatten, ging einher mit einer in beiden konfessionellen Wohlfahrtsverbänden geführten breiteren Diskussion darüber, inwieweit sie angesichts des steigenden Personalbedarfs und der nachlassenden Anziehungskraft religiöser Orden bei den Mitarbeitern die Kirchenverbundenheit zur Einstellungsbedingung machen dürften.194 Diese stand – noch allgemeiner – mit einer Selbstverständnisdebatte innerhalb der Kirchen im Zusammenhang, in der es ebenfalls um die Frage ging, welches Maß an Kirchlichkeit den Gläubigen abverlangt werden müsse oder dürfe. An stark religiös geprägten Einsatzstellen ergaben sich aufgrund des langsamen Wandels der Rekrutierungsmaßstäbe allerdings durchaus bald Probleme mit der modernen Lebensweise einiger Helferinnen. So klagte die Betreuerin 194 Vgl. Olk; Lehner; Friedrich sowie andere Beiträge im selben Band.

177

Abb. 8: Aus einem Werbeprospekt für das FSJ der konfessionellen Trägerverbände, späte sechziger Jahre

Abb. 9: Aus einem Werbeprospekt für das FSJ beim DRK, Mitte der sechziger Jahre

178

von zwei Freiwilligen in der Diakonissenanstalt Neuendettelsau über die großen Schwierigkeiten, diese in das Diakonissenheim, in dem sie untergebracht waren, zu integrieren. Die eine der beiden Helferinnen sei »so leicht wie die andere. Das Plattenspielen geht in jeder freien Minute bis abends spät nur mit Schlagern, die D. in stets neuer Auflage mitbringt. D. können wir wegen des ewigen Plattenspielens nicht zu den [Schwestern-]Schülerinnen tun, auch nicht wegen des Einflusses; mit B. wissen wir auch nicht wohin. […] Sie ist so ein nettes ­Mädel auf Station scheut sie sich vor nichts, ist lieb und gut zu den Kranken und tut was man ihr sagt. Nur das Privatleben ist für uns ganz fremd. z. B. kannte sie nichts von Adventszweigen, Kerzen etc.«195

Auch einige Freiwillige problematisierten den Zusammenprall zweier so unterschiedlicher Lebenswelten, den sie während ihres Dienstjahres erlebten. Beispielsweise schrieb eine Freiwillige 1959 an die Leitung des Diakonischen Jahres in Neuendettelsau: »Unsere Oberschwester hier ist sehr nett u. nur auf unser Bestes bedacht, aber trotzdem fühle ich mich hier oft, wie ein Vogel im ­Käfig. Obwohl meine Mutter streng ist, hatte ich doch große Freiheit, die mir hier natürlich fehlt.«196 Einige Monate später fasste sie ihre während des Diakonischen Jahres gesammelten Erfahrungen in einem weiteren Brief zusammen und kam dabei auch auf das Leben in der Diakonissengemeinschaft des Mutterhauses zu sprechen. Sie wolle sich in keiner Weise beschweren, aber doch ihre Sicht der Dinge darlegen, um dabei zu helfen, »uns Diakonische Helferinnen zu verstehen, da wir ja meistens aus einer ganz anderen Richtung kommen und uns erst in eine Haus- und Tischgemeinschaft einleben müssen«.197 Dass die Verantwortlichen für das FSJ, vor allem wenn sie konfessionell gebunden waren, im Laufe der sechziger Jahre immer weniger Idealisten unter ihren Freiwilligen ausmachten, lag also in nicht unbedeutendem Maße auch an ihrer eigenen Rekrutierungsstrategie. In der Geschichtswissenschaft wird der kulturelle Wandel der beiden Nachkriegsjahrzehnte oft auf den Generationswechsel zurückgeführt.198 Die Veränderungen in der Konzeption des Sozialjahres hingegen sind eher als allmählicher umfassender soziokultureller Wandel denn als generationeller Bruch zu beschreiben. Denn fand ein Wandel seitens der Jugendlichen statt, so ging mit diesem gleichzeitig ein deutlicher Einstellungswandel seitens der Trägerorganisationen selbst einher. Dieser war teilweise wohl mittelbar tatsächlich Folge eines Generationswechsels innerhalb der Trägerverbände. Denn ein Faktor, der 195 D. B., Brief von M. Kaiser, 27. Dez. 1962, ZADN, D 5/2.38, A-Den. 196 M. D., 7. Juni 1959, ZADN, D 5/2.38, A-Den. 197 M. D., 16. März 1960, ZADN, D 5/2.38, A-Den; vgl. noch für das Jahr 1968 A. B., 4. Sept. 1968, ZADN, D 5/2.38, A-Den. 198 Vgl. z. B. Herbert, Wandlungsprozesse, S.  34, der allerdings auch noch andere Faktoren für den Wandel aufzählt. Zu generationellen Deutungen der deutschen Nachkriegszeit vgl. Weisbrod.

179

den Wandel vorantrieb, war der personelle Ausbau des Sozialjahres, seit dem dieses staatlich gefördert wurde. Das »Gesetz zur Förderung eines Freiwilligen Jahres« schrieb eine professionelle pädagogische Betreuung der Freiwilligen vor. Die Mittel, die den Wohlfahrtsverbänden für das FSJ zugesprochen wurden, galten auch der Schaffung der dafür notwendigen Stellen. 1965 kümmerten sich bei den Trägerverbänden bereits 22 hauptberufliche Kräfte um das FSJ, bis 1967 stieg ihre Zahl auf 28.199 Sofern sich dies aus den Quellen nachvollziehen lässt, hatten viele von ihnen ein Theologie- oder Pädagogikstudium absolviert. Am Beispiel der bei der Neukonzeption des Diakonischen Jahres oftmals­ vorangehenden Rheinischen Landeskirche wird allerdings deutlich, dass eine generationelle Deutung nicht ausreicht. Die Pfarrerin Waltraud Rabes, die hier in den späten fünfziger Jahren die Verantwortung für das frisch eingerichtete Sozialjahr übernahm und sich besonders offen gegenüber Jugendlichen aus nichtkirchlichem Hintergrund zeigte, gehörte dem Jahrgang 1912 an.200 Marlies Flesch-Thebesius, die ihr in den sechziger Jahren folgte und während ihrer sieben Jahre dauernden Leitung des Diakonischen Jahres dessen konzeptionelle Änderungen vehement weiter vorantrieb, war 1920 geboren.201 Als Journalistin hatte sie sich bereits Mitte der fünfziger Jahre für die Frauenemanzipation eingesetzt und unter anderem die Dienstideologie kritisiert, mit der man die harten Arbeitsbedingungen rechtfertigte, denen in dieser Zeit die in der Krankenpflege tätigen Diakonissen unterworfen waren.202 Zudem forderte sie eine größere Gleichberechtigung für Pfarrerinnen, den Beruf, den sie selbst wenig später mit einem Theologiestudium anzustreben begann.203 Nicht der Generationswechsel, sondern vielmehr der Umstand, dass man im Rheinland für die pädago­ gische Begleitung des Diakonischen Jahres Theologinnen einstellte, scheint hier den Konzeptionswandel vorangetrieben zu haben. Denn dass diese sich mit ihrem Theologiestudium darauf eingelassen hatten, in ein männlich besetztes Berufsfeld einzutreten, ist ein Ausdruck ihrer Offenheit gegenüber weiblichen Emanzipationswünschen.

199 H. Barth, Bundesministerium für Familie und Jugend, an K.-H. Vogt, Vorsitzender des Bundestagsausschusses für Familien- und Jugendfragen, Kurzprotokoll der 32. Sitzung des Ausschusses für Familien- und Jugendfragen (16. Nov. 1967) zum freiwilligen Sozialen Dienst, 27. Dez. 1967, BA, B 149/26511. 200 Generalanzeiger Bonn, 15. Aug. 2012, http://trauer.general-anzeiger-bonn.de/Traueranzeige/ Waltraud-Rabes, Zugriff: 15. Nov. 2015. 201 Vgl. Frankfurter Gesichter: Marlies Flesch-Thebesius, in: FAZ, 28. Apr. 1973, S. 30. 202 M. Flesch-Thebesius, Diakonisse sein ist kein Beruf, in: FAZ, 11. Febr. 1956, BuZ, S. 6. Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts standen die Lebens- und Arbeitsbedingungen an der Mutterhausdiakonie in der Kritik und wurden bereits damals für den Mangel an Pflegekräften verantwortlich gemacht, vgl. Schmidt, Beruf, S. 229–234. 203 M. Flesch-Thebesius, Frauen im geistlichen Dienst. Vikarin, ein Beruf im Schatten der Tradition, in: FAZ, 23. März 1957, BuZ, S. 6.

180

Zwischenfazit Die Etablierung des Sozialjahres in der Bundesrepublik im zweiten Nachkriegsjahrzehnt läutete eine neue Phase der Jugendfreiwilligendienste ein: Sie stand in engem Zusammenhang mit dem ökonomischen Aufschwung sowie insbesondere mit dem Ausbau des Sozialstaates. Die Erweiterung staatlicher Sozialleistungen, so der Grundgedanke hinter der neuen Einrichtung, verpflichte auch zu verstärktem persönlichem Engagement im Rahmen des Sozialstaates. Den traditionellen Geschlechterrollen gemäß betrachteten die Befürworter des Sozialdienstes diesen in erster Linie als weibliche Staatsbürgerpflicht. Im Laufe der sechziger Jahre wandelte sich die Konzeption des Sozialjahres deutlich. Vor allem orientierte sie sich mehr und mehr an den Neigungen der­ jugendlichen Teilnehmerinnen. Dieser Wandel entsprach einem allgemeinen soziokulturellen Trend, der sich in vielen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens niederschlug. Vorangetrieben wurde er maßgeblich durch die fortschreitende Demokratisierung und Pluralisierung, welche die bundesdeutsche Gesellschaft dieser Zeit prägte. Beim Sozialjahr war dieser Trend nicht zuletzt eine Folge des Wettbewerbs der Trägerorganisationen: Der Konkurrenzdruck wuchs vor allem in dem Moment, als sich der Staat der Freiwilligendienste annahm. Mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Förderung eines Freiwilligen Sozialen Jahres 1964 erhöhten sich für die Wohlfahrtsorganisationen die finanziellen Anreize, ihre Freiwilligenprogramme auszuweiten bzw. neue Programme ins Leben zu rufen. Gleichzeitig veränderten die staatlichen Vorgaben die Konzeption des Sozialjahres. Insgesamt passten sich die Trägerorganisationen im Laufe der sechziger Jahre zwar immer mehr der Nachfrage der Jugendlichen an, jedoch nicht, weil die Freiwilligen dies explizit gefordert hätten, sondern vielmehr weil die Konkurrenz unter den Anbietern deutlich zunahm. Der Plura­ lisierungsschub, der daraus folgte, stärkte in der Konzeption des Dienstes also die Rechte des Einzelnen, die Betonung seiner Pflichten gegenüber dem Gemeinwesen hingegen wurde zurückgenommen. Zahlreiche Klagen über den nachlassenden Idealismus, die vor allem von konfessioneller und hier insbesondere von evangelischer Seite laut wurden, zielten auf diese Entwicklung. Sie sind nicht nur als Klagen über den schwindenden Einfluss der Kirche auf die Jugend zu verstehen, sondern auch als Klagen über den wachsenden Wettbewerb der Trägerorganisationen, der diese Entwicklung vorantrieb. Dieter Grunow urteilt in einer historischen Skizze über die sozialen Dienste in den fünfziger und sechziger Jahren, die Einführung und Entwicklung des FSJ sei ein Anzeichen dafür, dass »die Ausdifferenzierung der deutschen Nachkriegsgesellschaft« die (konfessionellen) Wohlfahrtsverbände gezwungen habe, »den Wegfall religiös motivierten Nachwuchses auszugleichen«.204 Diese 204 Vgl. Grunow, 2007, S. 753.

181

Deutung trifft sicherlich zu. Hinzuzufügen ist allerdings, dass es nicht die Intention der Initiatoren des Sozialjahres war, kirchenferne Kräfte zu gewinnen. Vielmehr hatten sie gehofft, auf eine neue Weise weiterhin religiös eingestellte Kräfte zu rekrutieren. Der Historiker Frank Prochaska hat für den britischen Freiwilligensektor die These formuliert, dass die Einführung des Welfare-Systems die Macht der Kirchen schwächte, vor allem weil durch die staatliche Wohlfahrt traditionelle Leistungen kirchlicher oder kirchennaher Freiwilligenorganisationen zunächst überflüssig erschienen und deutlich zurückgefahren oder gar eingestellt wurden.205 Obzwar Prochaska zu weit geht, wenn er hieraus einen allgemeinen Niedergang der Freiwilligenkultur ableitet, kann er doch die Schwächung kirchlicher Wohlfahrtseinrichtungen belegen. Am Beispiel der Freiwilligendienste lässt sich zeigen, dass ein ähnlicher Mechanismus in der Bundesrepublik wirkte. Auch hier minderte die Pluralisierung, die mit der staatlichen Subventionspolitik einherging, den Einfluss der konfessionellen Wohlfahrtsverbände im Freiwilligensektor. Allerdings bedeutete dies im Falle des Sozialjahres keine gleichzeitige Schwächung des Freiwilligensektors allgemein, sondern dieser wurde im Gegenteil durch die staatliche Subventionspolitik erweitert und belebt. Überdies beschleunigt sich durch das Konkurrenzverhältnis im Wohlfahrtssektor der kulturelle Wandel auch innerhalb der konfessionellen Wohlfahrtsverbände, denen es auf diese Weise gelang, ihre bedeutende Stellung unter den Anbietern des FSJ zu wahren. Wenngleich dem Einzelnen im Sozialstaat neue soziale Rechte zugestanden wurden, die der Staat gewähren sollte, hieß das also nicht, dass die Vorstellung, der Einzelne habe soziale Pflichten im Gemeinwesen zu übernehmen, völlig an Bedeutung verlor – vielmehr wurden Pflichten und Rechte neu begründet und in ein neues Verhältnis gesetzt.

3.3 Neuausrichtung der friedensorientierten Freiwilligendienste: Die Workcampbewegung und die Aktion Sühnezeichen Religion und Nation hatten traditionell die Forderungen nach Idealismus, Unterordnung, Dienst- und Opferbereitschaft legitimiert, die auch die Einführung von langfristigen Jugendarbeitsdiensten angestoßen hatten. Die Notlagen zuerst des Krieges, dann der Nachkriegszeit hatten solche Forderungen stärken können. Die Europabewegung und der friedensorientierte Internationalismus, die eine Alternative zum Nationalismus entwerfen wollten und die Workcampbewegung motivierten, hatten ebenfalls durch die Schrecken des Zweiten Weltkrieges Auftrieb erhalten. Dennoch gelang es in Deutschland zunächst nicht, mit dem Europagedanken eine gesellschaftlich ausreichend anerkannte Legitimation für die Einrichtung von langfristigen Arbeitsdiensten zu liefern. Auch 205 Vgl. Prochaska, The War and Charity; ders.: Christianity, S. 25–27, S. 148–176.

182

in Großbritannien gab es langfristige internationale Dienste nur in der Kriegsund Nachkriegszeit. Den religiös und national begründeten Idealismusforderungen entzog das Ende der schlimmsten Not die Schlagkraft. Gleichzeitig verloren Religion und Nationalismus allgemein an Deutungsmacht. Für das Sozialjahr folgte daraus, dass nach neuen Begründungen gesucht werden musste. Wie indes verhielt es sich mit der Workcampbewegung? Konnte sie im Gegenzug an Legitimation gewinnen? Oder wurde vielmehr auch sie durch das Ende der unmittelbaren Nachkriegsnot geschwächt, wie es die Einstellung der britischen Langzeitfreiwilligendienste zumindest für Großbritannien andeutet? Diesen Fragen widmet sich der folgende Abschnitt, der vor allem mit der Untersuchung der Aktion Sühnezeichen einen deutlichen Schwerpunkt auf die Bundesrepublik legt, die britische Workcampbewegung aber mitberücksichtigt, wenn es darum geht, transnationale Entwicklungen aufzuzeigen. a. Suche nach neuen Aufgaben – die Workcampbewegung nach dem Wiederaufbau Das Bild einer verantwortungslosen Wohlstandsjugend und das nüchternere Bild einer pragmatischen Generation bestimmten den Jugenddiskurs in der Bundesrepublik der fünfziger und sechziger Jahre. Beiden war die Vorstellung eigen, dass die Jugend dem Idealismus abgeschworen habe. Neben ihnen existierte allerdings weiterhin das optimistische Jugendbild, das schon im ersten Nachkriegsjahrzehnt der Workcampbewegung Pate gestanden hatte und dessen Anhänger in jugendlichem Idealismus einen wichtigen Motor für gesell­ schaftliche Veränderung erblickten. Doch so wie das Bild einer realistischen und ideologiefreien Jugend demjenigen einer verantwortungslosen Jugend Konkurrenz machte, ließ es auch dasjenige der idealistischen Jugend nicht unbeeinflusst. Dies wurde auch in der Workcampbewegung spürbar. Nach wie vor zogen die Workcamps viele Jugendliche an und die Teilnehmerzahlen stiegen nach einem kleinen Einbruch in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre in den sechziger Jahren weiter an: Allein die IJGD führten 1960 78 Lager mit 1.490 Teilnehmerinnen und Teilnehmern durch, sechs Jahre später hatte sich die Zahl ihrer Lager beinahe verdoppelt: An den 155 Lagern, welche die Organisation 1966 ausrichtete, nahmen 2.565 Jugendliche teil.206 Das Wachstum der Workcampbewegung erfasste nach der Flaute in den fünfziger Jahren im Folgejahrzehnt auch Großbritannien, wo zwischen 1959 und 1967 vier neue Workcamporganisationen entstanden. Die Zahl der von britischen Organisationen angebotenen Lager stieg in diesem Zeitraum von 26 auf 228 pro Jahr.207

206 Ferien 1967 International, S. 16, AIJGD, Ordner 7.  207 Perry, S. 18–20, S. 56.

183

Die Workcampbewegung arbeitete im zweiten Nachkriegsjahrzehnt zunächst in vielen Aspekten ähnlich weiter, wie sie nach dem Krieg begonnen hatte. Das Ziel der internationalen Verständigung blieb der zentrale Referenzpunkt für die Bewegung. Insgesamt allerdings verschoben sich im Selbstverständnis der Organisationen wie auch der Workcamper allmählich die Gewichte. Das Gemeinschaftsideal blieb in der Bundesrepublik als Teilnahmemotiv wichtig, es wurde aber nicht mehr wie noch in den ersten Nachkriegsjahren als Gegenbild zur Streitkultur des Parlamentarismus stilisiert. Auch verlor der Gegensatz zwischen manueller Arbeit und politischen Diskussionen an Bedeutung. Vor allem beim SCI und bei den IJGD wurden letztere zu einem wichtigen Gestaltungsmerkmal der Lager. Die Organisations­ leitung der IJGD bereitete ihre Lagerleiter in speziellen Vorbereitungslagern darauf vor. Teilnehmerinnen und Teilnehmer eines solchen Lagers im Jahr 1958 debattierten unter anderem die Wiederbewaffnung, die euro­päische Integration sowie Nationalismus und Imperialismus. Auch die nationalsozialistische Vergangenheit war ein zentrales Thema. So sah und diskutierte die Gruppe einen französischen Film über die nationalsozialistischen Konzentrations­ lager und erörterte die Fragen: »Wie stehen wir zu der Zeit von 1933–1945? Bejahen wir diese Zeit für unser Volk, verdrängen wir sie? Kann aus der Bejahung einer Schuld ein neuer Vaterlandsbegriff erwachsen?« Nicht alle Teilnehmer und Teilnehmerinnen mochten sich allerdings auf solche Fragen einlassen.208 Auch der Ost-West-Gegensatz geriet in den Fokus der Diskussionen. In sogenannten »Work-and-Study-Camps«, wie sie etwa der SCI seit Ende der fünfziger Jahre anzubieten begann, verbrachten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer deutlich weniger Zeit mit körperlicher Arbeit als in den herkömmlichen Workcamps.209 Stattdessen ergänzten – ähnlich wie in der deutschen Arbeitslagerbewegung der Weimarer Zeit  – Seminare und Diskussionen den Tagesablauf. Behandelt wurden dabei gemeinhin friedens- und gesellschaftspolitische Themen. Auch diese Camps sind ein Anzeichen dafür, dass in den sechziger Jahren eine voranschreitende Politisierung der Jugend die Workcampbewegung erfasste und dass gleichzeitig deren im Motto »Deeds, no Words« formuliertes Arbeitsideal langsam an Gewicht verlor. Die Work-and-Study-Camps waren eine Reaktion auf eine Sinnkrise der Bewegung, die nach dem Ende des Wiederaufbaus einsetzte. Obwohl sich die Workcampbewegung ausbreitete, fällt auf, dass die späten fünfziger und frühen sechziger Jahre in vielen Organisationen als Phase der Ernüchterung wahrgenommen wurden. Insbesondere Workcamper, die an den Lagern der ersten Nachkriegszeit teilgenommen hatten, vermissten in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre oftmals den Enthusiasmus, der in ihren Augen die ersten Nach-

208 Ebd. 209 SCIIA, 40751.1a Work & Study Camp, Engers, Koblenz (Germany), 14.–28. Juli 1957.

184

kriegslager geprägt hatte.210 Dies lag unter anderem daran, dass im Laufe des Jahrzehnts Auslandsreisen für viele Jugendliche auch in anderen Formen möglich wurden und bald keine große Besonderheit mehr darstellten. Die Ernüchterung, die einem transnationalen Trend entsprach und beide hier untersuchten Länder erfasste, resultierte darüber hinaus vor allem daraus, dass die Teilnehmer und Teilnehmerinnen gemeinhin zwar an der hohen Wertschätzung festhielten, die der körperlichen Arbeit in der Arbeitslagerbewegung traditionell zukam. Der absehbare Abschluss des Wiederaufbaus aber führte dazu, dass nur noch wenige Projekte zu finden waren, bei denen dieses Ideal zur gewünschten Entfaltung kommen konnte: Deutsche wie britische Workcampteilnehmerinnen und -teilnehmer zeigten sich oft frustriert, weil sie Nothilfe leisten wollten, ihnen die nun angebotenen Projekte aber vielfach lediglich als sinnlose Verschönerungsmaßnahmen oder gar als Ausnutzung ihrer billigen Arbeitskraft erschienen.211 Die Workcamporganisationen ebenso wie die Freiwilligen stellten immer häufiger in Frage, ob es überhaupt noch Bauprojekte geben könne, bei denen die Arbeit von unausgebildeten Jugendlichen eine wirkliche Hilfe darstellen konnte.212 Diese Sinnkrise führte neben den Work-and-Study-Camps zu einer anderen wichtigen Neuerung. War schon seit den vierziger Jahren die Frage diskutiert worden, ob auch Mädchen bei der traditionell als männlich angesehenen Arbeit auf dem Bau zugelassen werden sollten, so nahm die Diskussion über die Geschlechterrollen seit den späten fünfziger Jahren eine andere Wendung. Nun ging es darum, inwiefern traditionell weibliche Arbeitsbereiche auch für Männer als adäquat angesehen werden könnten. Immer mehr Organisationen begannen, zusätzlich zu Bauprojekten auch die Mitarbeit im sozialen Sektor anzubieten. Deutlich stärker als im FSJ, das ja in erster Linie für die weibliche Jugend konzipiert worden war, wurden damit Freiwilligendienste im sozialen Bereich gleichermaßen für beide Geschlechter geöffnet. Dies war eine transnationale Entwicklung, die sich in der Bundesrepublik ebenso wie in Großbritannien bemerkbar machte. Sie wurde dadurch ermöglicht, dass sich seit Kriegsende in den westlichen Gesellschaften Männlichkeitsvorstellungen zu verändern begonnen hatten. Dieser Wandel ist auf mehrere Ursachen zurückzuführen: Speziell im Hinblick auf Arbeitsvorstellungen wurde er dadurch vorangetrieben, dass körperlich anstrengende Arbeiten mehr und mehr von Maschinen oder Migranten übernommen wurden.213 210 Vgl. z. B. Internationaler Zivildienst, Jahresbericht 1957, S.  1, SCIIA, 31003.1, Germany, Minutes of General Assemblies and Committee Meetings, Circulars, Reports and Correspondence. 211 ACFYAP, Ordner: Lager 1959–1970, Ordner: Lagerberichte 1961. 212 Jahresbericht SCI 1957; Jahresbericht 1959, SCIIA, 31003A.1, SCI Germany, Minutes of General Assemblies and Committee Meetings, Circulars, Reports and Correspondence; vgl. auch Stell. 213 Vgl. Frevert, Umbruch.

185

Weitere Gründe für den Wandel der Männlichkeitsvorstellungen waren der verbreitete Friedenswunsch und die damit einhergehende bewusste Abkehr von den militaristischen Werten des Nationalsozialismus.214 Es verwundert daher nicht, dass der Trend zur Sozialarbeit auch den seit 1961 in der Bundesrepublik bestehenden Wehrersatzdienst erfasste, der in vielen Punkten in Anlehnung an die friedensorientierte Arbeitsdiensttradition konzipiert wurde.215 Dass sich allerdings auch pazifistisch orientierte Zivildienstleistende von herkömmlichen Geschlechterrollen nur langsam zu lösen vermochten, zeigt ein Blick auf eine Diskussion im deutschen Zweig des SCI über die Frage, ob Zivildienstleistende im Pflegesektor arbeiten sollten. Ein Befürworter dieses unter den Vereinsmitgliedern stark umstrittenen Einsatzfeldes begründete seine Haltung anstatt mit der Geschlechtergleichheit damit, »dass Pflegearbeit heute […] keineswegs nur ein weibliches Gebiet sein kann, weil die Aufgaben, die die Welt auch dem Manne politisch und technisch stellt, einfach mehr eine pflegerische, erhaltende, als eine ausbeutende Haltung fordern«.216 Der Autor stellte nicht grundsätzlich in Frage, dass Politik eine Männerdomäne und daneben andere als unpolitisch angesehene Tätigkeiten weiterhin Frauensache bleiben sollten. Dass er Pflegeaufgaben auch für Männer zugänglich machen wollte, lag in seinem Fall an einem veränderten Politikverständnis, das bezogen auf den Pflegesektor die traditionelle Sphärentrennung in Politik und Privatheit ebenso überwand wie die Zentralität der Außen- gegenüber der Sozialpolitik. Stattdessen ging er von einer engen Verzahnung aus. Diese Überzeugung sollte in den kommenden Jahren immer mehr Anhänger finden. Auch als sich die Workcampbewegung der sozialen Arbeit zuwandte, blieb es zunächst vielfach dabei, dass die männlichen Freiwilligen mit Reparatur- oder Gartenarbeiten in den Pflegeinstitutionen beschäftigt wurden, während die weiblichen Freiwilligen im Pflegedienst, etwa als Ferienaushilfe in Krankenhäusern, arbeiteten.217 Mitte der sechziger Jahre widmeten sich allerdings auch gesamte Camps der Sozialarbeit. Für männliche Workcamper war dabei offenbar zuerst die Ferienbetreuung behinderter Kinder akzeptabel, die in der zeitgenössischen Wahrnehmung als besonders hart galt.218 So plädierte etwa der SPD-Abgeordnete Harry Liehr während einer beratenden Ausschusssitzung im Vorgeld der Einführung des FSJ, die Arbeit in Behindertenheimen für die

214 Für Großbritannien zeigt dies Rose, S. 151–196. 215 Zur Konzeption des Zivildienstes vgl. Bernhard, Zivildienst, S. 12–43. 216 P. Keller an den AA, Anmerkungen zum Ersatzdienst 1962, 12.  Juni 1961, S.  2, SCIIA, 31003.2. 217 Vgl. die Übersicht über die Workcamps des Service Civil International/International Voluntary Service for Peace in Deutschland und Großbritannien: http://www.archives. sciint.org/www.archives.sciint.org/index.php?page=workcamp-list-by-year.html&c=DE; http://www.archives.sciint.org/www.archives.sciint.org/index.php?page=workcamp-listby-year.html&c=GB, Zugriff: 19. Okt. 2015. 218 Vgl. ebd.

186

Freiwilligen auszuschließen, »um nicht allzu schwere Arbeit zuzumuten«.219 Dass man auf die Behindertenarbeit einen besonderen Schwerpunkt legte, hing­ darüber hinaus mit der gesteigerten Aufmerksamkeit zusammen, die in den sechziger Jahren  – nicht zuletzt im Zuge des eben geschilderten Wandels der Poli­tikvorstellungen – solchen sozialen Gruppen zukam, die vom Ausbau des Sozialstaates nur wenig profitiert hatten. Überdies wurde in beiden Ländern wie auch in anderen nationalen Zweigen der Workcampbewegung seit den ausgehenden fünfziger Jahren diskutiert, Camps im Entwicklungsdienst anzubieten. Allerdings ließ deren Durchführung allerlei praktische Schwierigkeiten erwarten. Außerdem setzte sich mehr und mehr die Auffassung durch, kurzfristige Ferienlager seien für die »Entwicklungshilfe« ungeeignet, weil sie dem Ziel eines tiefgreifenden und langfristigen Wandels nicht gerecht werden konnten. Aus diesem Grund hielten viele »Entwicklungshilfe«-Organisationen sogar Dienste von einjähriger Dauer für zu kurz und verpflichteten ihre Helfer für zwei oder gar drei Jahre.220 Workcamps in der »Entwicklungshilfe« wurden daher nur von wenigen Organisationen und in kleinem Rahmen durchgeführt.221 Dennoch sind sie eines der Anzeichen dafür, dass sich die Workcampbewegung langsam von ihrer deutlichen Konzentration auf die westliche Welt zu lösen begann. Das wird auch in dem verstärkten Bemühen deutlich, Ost-West-Lager durchzuführen. Im Zuge der Entspannung im Kalten Krieg gelang dies immer häufiger.222 Indem die Workcamporganisationen langsam von Bauprojekten abrückten, die in der Wiederaufbauphase für fast alle Lager üblich gewesen waren, lösten sie sich allgemein von ihrer starkten Fokussierung auf den Krieg. Nur der Volksbund für Kriegsgräberfürsorge behielt diese bei seiner Arbeit bei.223 1959 entstand mit der Aktion Sühnezeichen in Deutschland außerdem eine neue Jugendfreiwilligenorganisation, die ihren Daseinszweck aus dem Friedensziel herleitete und dafür ganz zentral auf den Nationalsozialismus und Zweiten Weltkrieg Bezug nahm. Ihre Gründung stellte in dieser Zeit die bedeutsamste Neuerung im Bereich des friedensorientierten Stranges der Arbeitsdiensttradition dar.

219 Kurzprotokoll 25.  Sitzung des Ausschusses für Familien, 12.  Juni 1963, BA Zwischenarchiv, B 149/22271, IIa 4 2225.8, Bd. 3. 220 Vgl. Gillette, S. 198. 221 Eine Gesamtübersicht über die deutsche Beteiligung an Workcamps in der Entwicklungshilfe zählte immerhin zwischen 1974 und 1976 um die 2000 deutsche Teilnehmerinnen und Teilnehmer jährlich, die von 12 deutschen Organisationen entsandt wurden, ACSV, AGD/G9/17 West Germany, national service in West Germany and France 1982. 222 Gillette, S. 117–123. 223 Z. B. Jahresbericht 1960, Jahresbericht 1961, SCIIA, 31003B.1, SCI Germany, Minutes of General Assemblies and Committee Meetings, Circulars, Reports and Correspondence.

187

b. Die Entstehung der Aktion Sühnezeichen Der Freiwilligendienst der Aktion Sühnezeichen war der erste friedensorientierte Langzeitdienst, der neben den kurzfristigen Ferienworkcamps in der Bundesrepublik entstand. Vor allem die vergangenheitspolitische Zielsetzung der Organisation war neu: Junge Deutsche sollten diesen Dienst in Ländern absolvieren, die Opfer des nationalsozialistischen Terrors geworden waren, und damit eine nationale Sühneleistung erbringen. Der Gründer der Aktion Sühnezeichen, der Jurist und Präses der Evangelischen Kirche in Ost-Berlin Lothar Kreyssig, kannte die bestehenden Workcamporganisationen, war aber überzeugt, dass es für Deutsche unangemessen sei, sich ihnen umstandslos anzuschließen. Vielmehr hielt er eine spezielle Organisation für notwendig, die der Tatsache gerecht werde, dass die Deutschen »ein eigenes Marschgepäck an deutscher Vergangenheit und Schuld mitbrächten«.224 Der Gründungsaufruf der Organisation beginnt daher mit einem eindeutigen und für die fünfziger Jahre außergewöhnlichen Schuldbekenntnis: »Wir bitten um Frieden. Wir Deutschen haben den zweiten Weltkrieg begonnen und schon damit mehr als andere unmessbares Leiden der Menschheit verschuldet; Deutsche haben im frevlerischen Aufstand gegen Gott Millionen von Juden umgebracht. Wer von uns Überlebenden das nicht gewollt hat, der hat nicht genug getan, es zu verhindern.«225

In der mangelnden Bereitschaft der Deutschen, sich ihrer Vergangenheit zu stellen, sah der Organisationsgründer ein Hindernis für die europäische Integration und den Weltfrieden.226 »Wir haben vornehmlich darum immer noch keinen Frieden, weil zu wenig Versöhnung ist«, hieß es in dem Gründungsaufruf weiter. Deshalb definierte Kreyssig seinen Freiwilligendienst explizit als Sühneleistung. Ziel war damit wie bei den anderen Organisationen die Sicherung des Friedens, doch ging die Aktion Sühnezeichen sehr viel stärker von einer engen Verzahnung von Vergangenheit und Zukunft aus. In den ersten Jahren ihres Bestehens widmete sie sich dabei vor allem Bauprojekten. »[M]it unseren Händen und mit unseren Mitteln« errichtet, so formulierte es der Aufruf, sollten diese Bauprojekte als »Sühnezeichen« dienen, die deutsche Sühnebereitschaft also gleichsam in Stein setzen. Seit 1963 arbeiteten Freiwillige der Organisation darüber hinaus in sozialen Diensten – auch hier begann dieser von dem Historiker Anton Legerer als »Paradigmenwechsel« bezeichnete Wandel mit weiblichen Freiwilligen.227 Wenngleich sich zahlreiche Jugendliche bereit zeigten, als Freiwillige im Ausland zu arbeiten, bedurften längerfristige Auslandseinsätze, wie die Diskussio224 EA 09/88 zitiert nach Legerer, S. 35. 225 Der Aufruf ist abgedruckt in Lipp u. a., sowie bei Kammerer, S. 12. 226 Legerer, S. 17. 227 Vgl. ebd., S. 183–187, Zitat S. 183.

188

nen im Rahmen des FSJ offenbarten, bis in die späten sechziger Jahre hinein in der Bundesrepublik einer besonderen Rechtfertigung. Was bedeutete es, dass es der Aktion Sühnezeichen gelang, ein Programm für Auslandsdienste einzurichten, während sich einige Trägerorganisationen des FSJ teilweise noch vehement dagegen sperrten? Die vergangenheitspolitische Orientierung machte den Kern des Selbstverständnisses der Aktion Sühnezeichen aus. Doch obwohl diese für einen Freiwilligendienst neu und revolutionär war, betonte der Organisationsgründer gleichzeitig, dass er den Sühnedienst als patriotische Aufgabe auffasste. Nicht nur in diesem Punkt knüpfte er an die Vorkriegstraditionen des Arbeitsdienstgedankens an. Die Biographie Kreyssigs erklärt dieses Gemisch aus alt und neu, das die Konzeption der Aktion Sühnezeichen in wesentlichen Aspekten prägte. Der 1898 als Sohn eines Kaufmanns in Sachsen geborene Kreyssig wuchs in einem konservativ-protestantischen Umfeld auf.228 Mit achtzehn Jahren meldete er sich als Freiwilliger im Ersten Weltkrieg. Nach Kriegsende studierte er Jura und wurde 1928 Richter in Chemnitz. Er war deutsch-national eingestellt, dem Nationalsozialismus stand er dabei ablehnend gegenüber. An dieser Ablehnung hielt er auch nach 1933 fest. Seit 1934 engagierte er sich für die Be­kennende Kirche und protestierte 1940 offen gegen die Euthanasie-Morde, indem er eine Mordanzeige gegen den verantwortlichen Reichsleiter der SS einreichte. Mit großem Glück, so lässt sich wohl sagen, blieb er trotz seiner regimekritischen Haltung und dieses mutigen Vorgehens von einer Inhaftierung verschont. Er musste allerdings den juristischen Staatsdienst verlassen und widmete sich bis zum Kriegsende seinem Hof, den er nebenberuflich aufzubauen begonnen hatte, als er absehen konnte, dass seine juristische Laufbahn im Nationalsozialismus bald an ein Ende gelangen werde. Durch sein Engagement in der Bekennenden Kirche traf Kreyssig schon während der nationalsozialistischen Zeit mit Mitgliedern des Kreisauer Kreises zusammen.229 Nach Kriegsende intensivierten sich die Kontakte zu Überlebenden und Hinterbliebenen der Widerstandsgruppe. Es ist nicht auszuschließen, dass er über diese Verbindungen auch den Arbeitslagergedanken näher kennen lernte, waren doch Helmuth James von Moltke und Carl-Dietrich von Trotha engagierte Anhänger der Rosenstockschen Lager gewesen, was auf ihr Umfeld ausgestrahlt haben mag.230 Nach dem Krieg trat Kreyssig in kirchliche Dienste, 1952 wurde er Präses der Evangelischen Kirche der Union. Frieden und Versöhnung waren Schwerpunkte seines Schaffens in diesem Amt. Wie aus seiner Korrespondenz und aus seinen Vortragsmanuskripten hervorgeht, beschäftigte er sich in dieser Zeit intensiv mit der Frage, ob und wie eine göttliche Vergebung für die während des 228 Zur Biographie Kreyssigs vgl. Weiß. 229 Legerer, S. 108–112. 230 Helmuth von Moltkes Witwe Freya wurde in den sechziger Jahren die Lebenspartnerin Eugen Rosenstocks, vgl. Geyken, S. 173–188.

189

Nationalsozialismus begangenen Verbrechen möglich sei.231 Aus dem Glauben schöpfte er einen ausgeprägten Optimismus. In seinen religiösen Schriften aus der ersten Nachkriegszeit zeigte er sich davon überzeugt, dass die Judenvernichtung ebenso wie die mörderische und totale Zerstörung des Zweiten Weltkriegs das Katastrophenzeitalter darstellten, das – wie in der Bibel prophezeit – dem Weltfrieden vorausgehe.232 Einen Weg zu diesem sah er in der internationalen Oekumene, für die er sich sehr engagierte. Kreyssigs Sozialisation im protestantisch-nationalen Milieu des Kaiserreichs erklärt seinen Patriotismus ebenso wie seine Hochschätzung traditioneller Werte wie Disziplin und Gehorsam. Mit seinem Engagement in der Bekennenden Kirche bewahrte er die Distanz zum Nationalsozialismus, die ihm später auch das Eingeständnis der deutschen Schuld ermöglichte, zu einem Zeitpunkt, als dieses von den meisten Deutschen noch zurückgewiesen wurde. Das Zusammentreffen dieser Prägungen spiegelt sich in der Konzeption der Aktion Sühnezeichen. Mit dem Hinweis auf die Biographie Kreyssigs lässt sich jedoch nicht die Erfolgsgeschichte erklären, als welche die Entwicklung der Organisation seit den beginnenden sechziger Jahren zu beschreiben ist. Voraussetzung für deren Gründung und Gedeihen war eine ausreichende Akzeptanz ihrer Zielsetzungen in der deutschen Gesellschaft. Dies zeigt der Blick auf die schwierige Entstehungsgeschichte der Organisation, mit dem sich gleichzeitig der politisch-kulturelle Wandel der in der Bundesrepublik gängigen nationalen Selbstdefinitionen fassen lässt. Ebenso wie bereits in der unmittelbaren Nachkriegszeit Ideen für einen ähnlich gearteten Sühnedienst kein Gehör gefunden hatten, konnte auch Kreyssig zunächst keine ausreichende Unterstützung für sein Vorhaben finden. Erst nach zähen Bemühungen gelang es ihm, seine Organisation ins Leben zu rufen. Von seinen ersten Plänen, die er spätestens seit 1952 hegte, bis zur Entsendung der ersten Freiwilligen verging beinahe ein Jahrzehnt. Zunächst diskutierte Kreyssig seine Pläne nur mit Freunden. Einen ersten vergeblichen Versuch, seine Sühneorganisation zu gründen, unternahm er 1954 auf dem Leipziger Kirchentag.233 Mit den »denkfähigsten Protagonisten des Glaubens«, unter ihnen z. B. Gustav Heinemann, diskutierte er – so jedenfalls seine eigene Darstellung – einen Tag lang über das Projekt, schließlich aber wurde es mehrheitlich verworfen.234 Dabei bleiben seine Angaben zu den Ablehnungsgründen vage. Wie die Diskussion verlaufen ist, lässt sich auch aus anderen Quellen nicht rekonstruieren.235 Auf der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland im April 1958 brachte Kreyssig die Idee für die Aktion Sühnezeichen noch einmal in die Dis231 EZA, NL Kreyssig, 614/48 Vorträge. 232 L. Kreyssig, Was geht in der evangelischen Kirche vor? [1947], S. 5, EZA, NL L. Kreyssig, 614/48, Vorträge, vgl. auch die unveröffentlichte Autobiographie, S. 39, EZA, NL L. ­K reyssig, 614/173–75. 233 Legerer, S. 24 f. 234 L. Kreyssig, Autobiographie, S. 54, EZA, NL L. Kreyssig, 614/173–75. 235 Vgl. Krüger, Mit Schaufel.

190

kussion. Diesmal stieß er mit seinem neuerlich verlesenen Gründungsaufruf auf eine immer noch zögerliche, aber letztlich ausreichende Unterstützung. In den folgenden Wochen gelang es ihm, 120 Unterschriften für seinen Aufruf zu sammeln.236 Für das anfängliche Scheitern Kreyssigs waren sicherlich zwei Gründe maßgeblich: In den fünfziger Jahren, in denen viele Deutsche sich selbst als Opfer, nicht als Mittäter an den Gräueln des Nationalsozialismus sahen, konnte zum einen die mit einem Schuldbekenntnis verbundene Zielsetzung in der deutschen Öffentlichkeit kaum mit großer Zustimmung rechnen.237 Als weiterer Grund für den Fehlschlag 1954 liegt zum anderen der starke Antikommunismus in der Bundesrepublik nahe. Kreyssig, der selbst in Magdeburg lebte, seine Organisation aber als gesamtdeutsches Projekt plante, hatte in seinem Gründungsaufruf explizit die Absicht bekundet, die ersten Freiwilligen nicht nur nach Israel, sondern auch nach Polen und in die Sowjetunion zu schicken. Ein solches Ziel erschien vielen noch 1958 als unangemessen, als die Aktion Sühnezeichen tatsächlich ins Leben gerufen wurde.238 Dies offenbart unter anderem der einzige überlieferte Brief an Kreyssig, in dem einer der Synodalen erläuterte, weshalb er den neuerlichen Gründungsaufruf von 1958 nicht unterzeichnen wollte. Der Autor hielt Kreyssigs Plan für verfehlt, denn in seinen Augen war es nicht auszuschließen, dass »das russische Volk seit dem Zusammenbruch vielleicht schon ebensoviel oder gar mehr Leid über deutsche Menschen gebracht« habe als zuvor die Deutschen über Russland.239 Der Kalte Krieg erschwerte der Aktion Sühnezeichen auch in den sechziger Jahren noch die angestrebte Arbeit in Russland und Polen, zumal die Organisation nach dem Mauerbau in einen ostund einen westdeutschen Zweig aufgespalten werden musste. Letzterer begann seine Aktivitäten im westlichen Ausland. Erst seit 1966, als langsam die Entspannungspolitik einsetzte, gelang es ihm, Freiwilligendienste in Ostblockstaaten durchzuführen, allerdings nur in Form von Workcamps, nicht in Form von längerfristigen Einsätzen.240 Der ostdeutsche Zweig hatte nach der Überwindung etlicher Schwierigkeiten schon ein Jahr früher einen Einsatz in Polen organisieren können.241 Der Stimmungswandel, der die Organisationsgründung 1958 ermöglichte, hatte verschiedene Ursachen. Mit dem zeitlichen Abstand zum National­sozia­ lismus wuchs langsam die Bereitschaft, sich mit diesem kritisch auseinanderzusetzen. Dies spiegelt sich unter anderem in einem zunehmenden Interesse 236 Vgl. Legerer, S. 40–47. 237 Vgl. Frei, Vergangenheitspolitik. 238 Zu den antikommunistischen Vorbehalten der Aktion Sühnezeichen gegenüber vgl. auch Thomas, S. 79. 239 EZA, 4/501, zitiert nach Legerer, S. 43. 240 Vgl. Kammerer, S.  89–98, S.  125 f.; vgl. zu der Ost-West-Politik der Organisation auch­ Thomas, S. 75–103. 241 Vgl. Legerer, S. 281–287.

191

der Deutschen an Israel, wie es sich etwa im Zuge der ausgeprägten Reiselust deutscher Jugendlicher niederschlug, die sie immer häufiger auch nach Israel führte.242 Allerdings übte das Reiseziel Israel nicht nur auf junge Deutsche eine große Faszination aus und der Israeltourismus lässt sich daher nicht als rein nationales Phänomen erklären. Inwiefern das Gros der deutschen Israeltouristen ihre Reisewünsche mit der nationalsozialistischen Vergangenheit in Verbindung brachte, ist für die frühen Israelreisen nur schwer zu rekonstruieren. Erst für 1968 liegt eine publizierte pädagogische Studie über den Israeltourismus vor, die zu dem Befund kam, dass für viele der Reisenden ein Bekenntnis zur deutschen Schuld und der Wunsch nach Versöhnung zentrale Beweggründe waren.243 Für christliche geprägte Jugendliche etwa konnte aber außerdem auch die Absicht, biblische Stätten kennenzulernen, für das Reiseziel ausschlaggebend sein.244 Besonders reizvoll erschien es vielen überdies, in einem der ­Kibbuzim mitzuarbeiten, da diese als gelungene Umsetzung einer sozialistischen Lebensweise geschätzt wurden.245 Doch trotz dieser Motivvielfalt sind die in der Regel kurzfristigen Kibbuzaufenthalte als eine neuartige Form von Jugendfreiwilligendiensten zu betrachten, die sich als Vorläufer der Aktion Sühnezeichen beschreiben lassen. Denn man kann wohl davon ausgehen, dass die meisten deutschen Israeltouristen auf eine Konfrontation mit der deutschen Vergangenheit eingestellt waren. Des Weiteren lässt sich die gewachsene Akzeptanz der Aktion Sühnezeichen mit dem wirtschaftlichen Aufschwung in Westdeutschland erklären, der die Idee, sich auch außerhalb Deutschlands zu engagieren, in der deutschen Öffentlichkeit angemessener erscheinen ließ. Vorbehalte, Freiwilligenarbeit im Ausland zu leisten, schwanden. Derselbe Wandel spiegelt sich auch in der Spendenbereitschaft der Westdeutschen, die nun immer mehr auch notleidenden Empfängern im Ausland galt.246 Entscheidend für das Gelingen des zweiten Gründungsversuchs war schließlich, dass sich in den fünfziger Jahren auch die friedenspolitische Lage gewandelt hatte. Die Bundesrepublik hatte seit 1956 wieder eine Armee und man diskutierte die Atombewaffnung. Die Synode vom April 1958, auf der Kreyssig 242 Erste Gruppenreisen deutscher Jugendlicher nach Israel fanden 1955 statt, 1960 reisten 40 deutsche Jugendgruppen nach Israel, 1963 mehr als 200, vgl. Ott, S. 551. 243 Ebd. Bestätigt wird dies etwa auch durch ein viel kleineres und weitgehend unbekannt gebliebenes Versöhnungsdienstprojekt mit dem Namen »Kainszeichen«, das der Aktion­ Sühnezeichen in der Konzeption stark ähnelte. Im Rahmen dieses Projekts sollte 1961 eine Gruppe von Jugendlichen nach Israel geschickt werden, um »das Kainszeichen, das seit der Nazizeit an der Stirn des deutschen Volkes ist, durch diese ihre Arbeit wegzuwischen und dem deutschen Volke Vergebung zu verschaffen«, Brief J. Müller an Ziesche, 3. Dez. 1961, EZA, 97/735, Korrespondenz und Tagebücher von Freiwilligen in Israel 1961–64. 244 Brief von A. A. an G. Kurz, Jerusalem, 18.  Sept. 1963, ACYAP, Ordner: Korrespondenz G. Kurz. 245 Baethge, S. 11–23, S. 21–23. 246 Vgl. Lingelbach, S. 298–307.

192

seinen Aufruf verlas, stand ganz im Zeichen der Kontroverse über die Militärseelsorge. Einige kritische Kirchenvertreter und auch Kreyssig selbst interpretierten die Billigung des Aktion Sühnezeichen-Projekts als eine Art Kompensationsleistung für die umstrittene Wiedereinführung von Militärgeistlichen.247 Zwar fand Kreyssig 1958 in Kirchenkreisen ausreichend Unterstützung, um seine Organisation zu gründen. Doch erforderte es auch zu diesem Zeitpunkt noch einige zähe Überzeugungsarbeit, bis eine größere Zahl an Unterschriften für das Projekt zusammengebracht werden konnte.248 Und wenn sich die Unterstützung durch die Synode zum Teil  aus innerkirchlichen Entwicklungen erklärte, stellt sich die Frage, inwieweit die Idee der Aktion Sühnezeichen in der deutschen Gesellschaft allgemein Anerkennung fand. Tatsächlich stießen die Organisationsziele in den Folgejahren in der deutschen Öffentlichkeit noch vielfach auf Unverständnis und scharfe Kritik, die sich in harschen Anfeindungen äußern konnte. Ebenso wie das Anliegen der Verständigung im Ost-WestKonflikt überaus umstritten blieb, erregte auch das Bekenntnis zur deutschen Schuld in den sechziger Jahren bei vielen Deutschen weiterhin starken Unmut. Nationalistische Kreise beschimpften die Freiwilligen immer wieder als »vaterlandslose Gesellen« oder als »Nestbeschmutzer«.249 Die Zustimmung der Kirchenleute war nur eine der Voraussetzungen für das Gelingen der Aktion Sühnezeichen. Darüber hinaus musste dafür gesorgt sein, dass sich ausreichend Freiwillige fanden. Maßgeblich dafür, dass dies glückte, war ähnlich wie beim FSJ nicht so sehr die Zustimmung der Jugendlichen zu den konzeptionellen Grundsätzen der Organisation, sondern vielmehr die Rekrutierungsstrategie. Im Folgenden werden zunächst einige weitere konzeptionelle Merkmale analysiert, welche die Aktion Sühnezeichen in ihren Anfängen prägten, bevor der Blick abschließend auf die Rekrutierungsprobleme gerichtet wird, vor denen sie in ihrer Gründungsphase stand. c. Traditionelle Elemente in der Konzeption der Aktion Sühnezeichen Das nationale Selbstverständnis Kreyssigs ist ein Beispiel für das Gemisch aus Altem und Neuem, das die Konzeption der Organisation kennzeichnete. In der Reaktion auf die Anfeindungen aus dem rechtsnationalen Lager betonte­ Kreyssig, dass er seine Organisation trotz oder vielmehr gerade wegen des mit ihr verbundenen Schuldbekenntnisses als patriotische Aufgabe verstehe, da sie auch anstrebe, zur Rehabilitation der deutschen Nation beizutragen. Dabei ging es nicht nur um die Reputation des Landes, sondern auch um ganz konkrete Ziele: So diskutierte die Organisationsleitung noch Mitte der sechziger Jahre, 247 Vgl. Rabe; Legerer, S. 126 f. 248 Vgl. Legerer, S. 40–47. 249 Aktion Sühnezeichen: Was gelingt dabei an wem – gemessen woran?, 10. Mai 1967, S. 5, EZA, 97/1115.

193

ob möglicherweise durchzusetzen sei, mit dem Dienst der Freiwilligen deutsche Kriegsverbrecher freizukaufen.250 Den Vorwürfen der Vaterlandslosigkeit hielt die Organisation außerdem entgegen, dass auch die Freiwilligen »durchaus ein gesundes National- oder Vater­ landsgefühl« aufwiesen.251 In der Tat sahen viele Teilnehmer ihre Aufgabe unter anderem darin, den Ruf Deutschlands aufzubessern. Im Vordergrund standen für sie dabei nicht unbedingt der Sühnegedanke und das Eingeständnis deutscher Schuld. Beispielsweise bedauerten 1967 zwei in Norwegen eingesetzte Freiwillige, die dort auf viele anti-deutsche Ressentiments stießen, »daß die Norweger mit den Folgen der deutschen Vergangenheit noch nicht abgeschlossen haben«. Daher, so folgerten sie, sei »der Sühnezeichengedanke oder besser gesagt der Gedanke der Versöhnung gerade hier in Norwegen von so großer Wichtigkeit!« Ihren Aufenthalt würden sie als »eine Erfüllung« betrachten, wenn sie »auch nur eine winzige Zahl« von einem besseren Deutschlandbild überzeugen könnten.252 In Kreyssigs Augen war der Freiwilligeneinsatz ein »stellvertretender Dienst für das Volk«.253 Die Vorstellung einer Kollektivschuld lehnte der Organisationsgründer zwar ab. Dennoch geht auch der Gedanke, dass die Jugend, obwohl sie nicht selbst an den Verbrechen der Nationalsozialisten mitgewirkt habe, an der Verantwortung dafür mittrage, von der Vorstellung einer starken nationalen Einheit aus.254 Viele Freiwillige hingegen lehnten diesen Gedanken ab. Das zeigt sich beispielsweise auch in dem eben zitierten Brief der beiden Freiwilligen, denen es nicht so sehr um den »Sühnezeichengedanken«, sondern vielmehr um den »Gedanken der Versöhnung« ging. Der Begriff des Sühnedienstes war bei den Freiwilligen von Anbeginn an umstritten und blieb dies über die Jahrzehnte hinweg bis in die Gegenwart. Nicht nur in der Definition als nationaler Dienst wies die Konzeption der Aktion Sühnezeichen in der Anfangszeit Parallelen zu den nationalen Langzeitdiensten der Weimarer Zeit auf. Wie der national ausgerichtete Zweig des Arbeitsdienstgedankens trug sie in ihren ersten Jahren relativ ausgeprägte auf Disziplinierung ausgerichtete Züge. Diese kamen vor allem in der Arbeitsvorstellung der Organisation zum Ausdruck, die sie auch vom FSJ unterschied. Das Ansinnen, die von den Deutschen in der Zeit des Nationalsozialismus verübten Verbrechen zu sühnen, stand in der christlichen Tradition der Wahrnehmung von Arbeit einerseits als Dienst an der Schöpfung und den Mitmenschen, andererseits als Strafe.255 Dies zeigt sich auch daran, dass es ursprünglich sogar 250 Kammerer, S. 29. 251 Aktion Sühnezeichen: Was gelingt dabei an wem – gemessen woran?, 10. Mai 1967, S. 5, EZA, 97/1115. 252 Brief zweier Freiwilliger in Naerlandheimen an L. Kreyssig, 10. Aug. 1967, EZA, 97/933 L. Kreyssig, Korrespondenz mit Freiwilligen. 253 Zitiert nach Legerer, S. 17. 254 Ebd., S. 21, L. Kreyssig an H. Gollwitzer, Nov. 1954, EZA, 614/219, NL L. Kreyssig. 255 Vgl. Campbell.

194

Idee und Hoffnung Kreyssigs gewesen war, ehemalige Wehrmachtsangehörige als Freiwillige zu rekrutieren, die so direkt für ihren Kriegseinsatz Wiedergut­ machung leisten sollten.256 Es mag auch mit dem Sühnekonzept zusammenhängen, dass im Vergleich mit den Workcamps, der Disziplinierungsgedanke bei der Aktion Sühnezeichen der späten fünfziger und sechziger Jahre konzeptionell besonders zum Vorschein kam. In den Anfangsjahren schätzte die Organisationsleitung »Arbeitsdisziplin« hoch, vermisste sie aber bei vielen Teilnehmern.257 Für Kreyssig gingen »Gehorsam« und »Dienstbereitschaft« Hand in Hand. 1961 schrieb er an die Freiwilligen des ersten Israel-Einsatzes: »Möchten unter Euch viele sein, die unter dem heilsamen Anspruch des täglichen, schlichten Gehorsames in eine ganz gesammelte und demütige Bereitwilligkeit hineingeführt werden.«258 Der Gedanke der Disziplinierung durch Arbeit verband sich bei dem Gründer der Aktion Sühnezeichen auch mit der Vorstellung, mit dem Arbeitsdienst ein friedliches Äquivalent zum Militärdienst zu schaffen. Ebenfalls 1961 schrieb Kreyssig: »Seit wir begannen, bin ich schon oft in die Lage gekommen, die Weggenossen und mich daran zu erinnern, daß unser Dienst bis in Einzelheiten hinein ein Gegenbild kriegerischer Kraftentfaltung ist. Er bedarf nicht weniger der Selbstentäußerung wie [sic] bei einem Soldaten und nicht weniger der Zucht als bei einer Truppe.«

Diesen militärischen Tonfall deutet Gabriele Kammerer in ihrer Geschichte der Organisation als gererationsbedingte Prägung.259 Sie geht aber darüber hinaus nicht darauf ein, dass die gesamte Idee der Arbeitslagerbewegung als Äquivalent des Militärdienstes geschaffen wurde und sich insbesondere bei längerfristigen Freiwilligendiensten nur schwer von diesem Vorbild lösen konnte. Dass Disziplin und Gehorsam in den frühen sechziger Jahren bei der Aktion Sühnezeichen eine hervorgehobene Rolle spielten, mag auch dadurch mit bedingt gewesen sein, dass sie in dieser Zeit der einzige Langzeitarbeitsdienst war, der für seine Bauvorhaben in erster Linie männliche Freiwillige rekrutierte, während für die überwiegend weiblichen Helferinnen des FSJ der Diszi­pli­nie­ rungsgedanke deutlich hinter den Dienstgedanken zurücktrat. Der A ­ ufruf zur 256 Kammerer, S. 29. 257 Pfarrer J. Müller, Berlin 18. Sept. 1961, Mü: b, Beurteilungen der Glieder der Gruppe Joure der Aktion Sühnezeichen unter dem Gesichtspunkt der Zulassung zu einem weiteren Dienst der Aktion Sühnezeichen, 962/61 EZA, 97/735 Korrespondenz und Tagebücher von Freiwilligen in Israel 1961–64. 258 L. Kreyssig, An den Leiter und die Teilnehmer unserer ersten Israel-Mannschaft Berlin 28. Sept. 1961, 97/735 Korrespondenz und Tagebücher von Freiwilligen in Israel 1961–64; der Wert des »Gehorsam« hatte bei Kreyssig ein religiöses Fundament, vgl. auch den Brief Kreyssigs an einen Freiwilligen, Febr. 1964: »Ich beglückwünsche Sie aus Anlaß Ihres Geburtstages dazu, daß Sie in diesem Kraftfeld stehen und von dort Ausrichtung und Gehorsam empfangen für echte Zukunft und unvergängliches Leben«, EZA, 97/931. 259 Kammerer, S. 19.

195

Teilnahme an der Aktion Sühnezeichen aus dem Jahr 1954 hatte sich explizit nur an arbeitsfähige Männer gerichtet, erst 1958 wurde er durch den Zusatz ergänzt, dass »auch Frauen zur Mitarbeit« aufgefordert seien.260 Diese blieben aber unter den Freiwilligen zunächst in der Minderheit und waren, ganz in der deutschen Tradition des Arbeitsdienstes, vorwiegend mit den Haushaltsaufgaben der Gruppe betraut. Dennoch – obwohl die traditionellen und auf Disziplinierung ausgerichteten Werte Arbeitsethos und Gehorsam in der Konzeption der Organisation stark betont wurden – war doch ihr Hauptziel nicht die Erziehung der Freiwilligen, sondern die Umsetzung des Sühnewunsches. Dafür waren diese Werte in der Vorstellung Kreyssigs zwar Voraussetzung, aber doch nur Mittel zum Zweck. Dies erklärt auch, weshalb die Organisationsleitung in der Anfangszeit eine recht laxe Rekrutierungsstrategie verfolgte. d. Das Erfolgsrezept der Aktion Sühnezeichen Für den Erfolg der deutschen Workcampbewegung in der unmittelbaren Nachkriegszeit war es zentral gewesen, dass sie die Werte Gemeinschaft und Kameradschaft, die traditionell in der Jugendbewegung, aber auch im National­ sozialismus einen hohen Stellenwert genossen hatten, mit den neuen Idealen des Friedens und der Europaorientierung verband. Die Aktion Sühnezeichen rekurrierte wie das FSJ stärker auf die auf Disziplin ausgerichteten Traditionen des Arbeitsdienstgedankens. Wie bei Letzterem waren es auch für sie nicht diese traditionellen Elemente, die ihr bei den Jugendlichen Anziehungskraft verliehen. Die Attraktivität der Organisation lässt sich allerdings nur zu einem Teil aus der für sie charakteristischen vergangenheitspolitischen Orientierung und dem Sühnegedanken erklären, da diese – zumindest in ihren ersten Jahren – bei weitem nicht von allen Teilnehmern geteilt wurden. Abweichend von der Workcampbewegung konstituierte sich der Wert der Jugend in der Konzeption der Aktion Sühnezeichen nicht so sehr aus der Vorstellung eines besonderen jugendlichen Idealismus. Im Vordergrund stand vielmehr der Aspekt, dass sie als von der NS-Vergangenheit unbelastet angesehen wurde. Obwohl die Organisation mit ihrem Versöhnungsanliegen ein ideell stark aufgeladenes Ziel vor Augen hatte, bestand sie bei ihren Teilnehmerinnen und Teilnehmern nicht auf rundum idealistische Motive. 1961 etwa hieß es in einer Selbstdarstellung der Aktion Sühnezeichen, die der »Kölnischen Rundschau« zugeschickt wurde: »Die jungen Menschen gehen keineswegs nur aus Idealismus hinaus, und er wächst ihnen auch nicht im fremden Lande. Vielmehr gehen sie mit einer guten Portion Abenteuerlust hinaus – wer will es der Jugend versagen!«261 Man sah in diesem Umstand keinen Makel, sondern war 260 Legerer, S. 38. 261 W. Klempau an die Kölnische Rundschau, Juli od. Aug. 1961, EZA, 97/1115.

196

überzeugt, dass die Arbeit der Freiwilligen dennoch ein großes ideelles Werk darstelle, dessen Wert sie während ihres Einsatzes schnell begreifen würden. Für die Organisationsleitung war diese Offenheit allerdings eine Notlösung, die sich aus der schwierigen Anfangszeit der Aktion Sühnezeichen erklärt. Wie die Trägerorganisationen des FSJ hatte sie ursprünglich darauf gesetzt, vor allem kirchlich engagierte Jugendliche als Teilnehmer zu gewinnen.262 Idealismus, unter dem hier nicht Aufopferungsbereitschaft verstanden wurde, sondern eine den Organisationszielen entsprechende Sühnebereitschaft, die ein vergangenheitspolitisches Schuldbekenntnis einschloss, war ebenfalls erwünscht. Doch wurde es für Kreyssig zu einem »Schock«, dass sich auf seinen Aufruf hin keine Freiwilligen meldeten.263 Angesichts der Schwierigkeiten, Jugendliche zu finden, die zur Teilnahme bereit waren, zeigte er sich indes bald zu Kompromissen bereit. Um den ersten Bautrupp zusammenstellen zu können, wandte er sich an die Evangelische Industriejugend, in deren Reihen sich schließlich eine ausreichend große Zahl Jugendlicher fand, die an einem Auslandsjahr interessiert waren. Aber nur einige von ihnen identifizierten sich mit den Zielen der Organisation. Die offene Rekrutierungsstrategie der Aktion Sühnezeichen führte damit in ihrer Entstehungsphase dazu, dass die Freiwilligen nur zu einem kleinen Teil den Erwartungen der Organisation entsprachen.264 Probleme erwuchsen daraus bereits 1961, dem Jahr, in welchem eigentlich die erste Freiwilligengruppe nach­ Israel entsandt werden sollte. Dort allerdings herrschten große Vorbehalte gegen den Einsatz. Nach wie vor, so Franz von Hammerstein, einer der Gründerväter der Organisation, erschienen vielen Israelis »20 Deutsche auf einem Fleck« in ihrem Land »unerträglich«.265 Als sich dann durch den im April des Jahres beginnenden Eichmann-Prozess, dem international in den Medien große Aufmerksamkeit gezollt wurde, die ablehnende Haltung der Israelis weiter verschärfte, wurde der Einsatz aufgeschoben. Die bereits rekrutierten Freiwilligen wurden ersatzweise zunächst nach Holland geschickt und sollten sich dort mit einem Bauprojekt auf den späteren Einsatz in Israel vorbereiten. Ihr Hollandaufenthalt wurde gleichzeitig zur Probezeit. Denn nur ein kleiner Teil von ihnen erhielt von der Organisationsleitung schließlich die Genehmigung, nach Israel weiter zu reisen: Von den 16 Teilnehmerinnen und Teilnehmern schätzte der Gruppenleiter Johannes Müller nur vier bedenkenlos auch als für den politisch überaus sensiblen Dienst in Israel geeignet ein, zwei weitere als »bedingt« geeignet und sieben eindeutig als ungeeignet. Letztere beurteilte er als unzuverlässig, psychisch 262 G. Kutzner, Aktion Sühnezeichen und die außerkirchlichen Bereiche, 7. April 1970, EZA, 97/1116. 263 L. Kreyssig, Geburtswehen, 10. Mai 1967, EZA 97/ 1115. 264 Vgl. hierzu auch Kammerer, S. 42 f.; Legerer, S. 170–174. 265 F. von Hammerstein, Niederschrift Gespräch mit Dr. Ehrlich, Basel, 24. Febr. 1961 über Sühnezeichen Israel Berlin, 27.  Febr. 1961, 97/734 Korrespondenz und Tagebücher von Freiwilligen in Israel 1961–64.

197

l­ abil und als »arbeitsscheu«.266 Das Denken in Bahnen des traditionellen Arbeitsethos war in dieser Zeit noch so selbstverständlich, dass letztere Charakterisierung nicht mit dem nationalsozialistischen Arbeitszwang assoziiert wurde.267 Wenig später teilte Müller Kreyssig in einem Brief mit, er verurteile nicht, dass zu den Motiven der Freiwilligen vielfach auch »eine Portion Abenteuerlust und Erlebnishunger« zähle. Doch, so monierte er, bekomme »diese Motivkomponente in den Herzen und Ohren der Jungen ein Gewicht, das dem Gewicht der bedingungslosen Bereitschaft unter wirklichem Opfer der Sache zu dienen, mindestens gleichsteht«.268 Solche Klagen wiederholten sich auch von anderer Seite in den ersten Jahren der Organisation.269 Genaue statistische Zahlen darüber, wie viele der Aktion-Sühnezeichen-Freiwilligen die vergangenheitspolitischen Grundüberzeugungen der Organisation teilten, lassen sich nicht bestimmen. Doch lässt sich wohl festhalten, dass auch im Verlauf der sechziger Jahre die Übereinstimmung zwischen den Motiven der Freiwilligen und den Zielsetzungen der Aktion Sühnezeichen zwar zunahm, aber noch keineswegs zur Regel wurde. Erst mit dem Politisierungsschub der Jugend um 1968 und der in die gleiche Zeit fallenden Öffnung der Organisation für Zivildienstleistende sollte sich dies ändern.

3.4 »Volunteer Upsurge« – Alec Dickson und die neuen Freiwilligendienste in Großbritannien Nicht nur in der Bundesrepublik entstanden in den sechziger Jahren freiwillige Dienste für Jugendliche, die sich für die nächsten Jahrzehnte zu etablieren vermochten, sondern auch in Großbritannien. Die Ursachen und Bedingungen ihrer Einrichtung weisen teilweise auffallende Ähnlichkeiten, teilweise aber auch deutliche Unterschiede zu denjenigen der deutschen Jugenddienste auf. Im ersten Abschnitt dieses Unterkapitels werden zunächst einige Grundzüge der Diskussion über die Rolle der Jugend in der britischen Gesellschaft betrachtet. Zwei weitere Abschnitte widmen sich den beiden wohl bekanntesten, größten und dauerhaftesten britischen Jugendfreiwilligenorganisationen, die in den sechziger Jahren ins Leben gerufen wurden: VSO und CSV. 266 Pfarrer J. Müller, Berlin 18. Sept. 1961, Mü: b, Beurteilungen der Glieder der Gruppe Joure der Aktion Sühnezeichen unter dem Gesichtspunkt der Zulassung zu einem weiteren Dienst der Aktion Sühnezeichen, 962/61 EZA, 97/735 Korrespondenz und Tagebücher von Freiwilligen in Israel 1961–64. 267 Vgl. ähnlich F. von Hammerstein an den Gruppenrat Lager Aktion Sühnezeichen Joure, 10. Mai 1961, EZA, 97/734 Korrespondenz und Tagebücher von Freiwilligen in Israel 1961–64. 268 Brief J. Müller an L. Kreyssig, Joure, 5. Juni 1961, EZA, 97/734 Korrespondenz und Tage­ bücher von Freiwilligen in Israel 1961–64. 269 Z. B. Brief von K. P. an L. Kreyssig, 12. Okt. 1965, EZA, 97/932 L. Kreyssig, Korrespondenz mit Freiwilligen, 1964 f.

198

a. Britische Diskussionen um das Engagement der Jugend Nachdem der britische Freiwilligensektor in der unmittelbaren Nachkriegszeit eine Phase der Verunsicherung durchlaufen und auch die Idee der Jugenddienste eine »low ebb« erlebt hatte, änderte sich die Stimmung in den ausgehenden fünfziger und den beginnenden sechziger Jahren.270 Politiker und Medien zollten dem Freiwilligensektor wieder gesteigerte Aufmerksamkeit, und dessen Existenzberechtigung wurde kaum mehr in Frage gestellt. Dieser Stimmungswechsel in den sechziger Jahren lag zum einen an geminderten Erwartungen hinsichtlich der Leistungskraft des Wohlfahrtsstaates. Die britische Regierung hatte schon 1951 die ersten sozialstaatlichen Leistungen zurückgeschraubt.271 Angesichts des Wirtschaftsabschwungs schwand in der Folgezeit das verbreitete Vertrauen in die Allmacht des Wohlfahrtsstaates, und zivilgesellschaftliches Engagement gewann in der britischen Öffentlichkeit wieder an Interesse.272 Hinzu kam, dass auch der Jugend bald neue Aufmerksamkeit zuteilwurde, nicht zuletzt weil verschiedene neuartige und auffällige Jugendkulturen, insbesondere die Teddy-Boys sowie etwas später die Mods, die älteren Generationen irritierten. Jugendthemen, vor allem aber Berichte über Jugendprobleme, nahmen in den Medien nun einen wachsenden Raum ein. 1958 gab die Regierung eine Untersuchung zum Zustand des Jugendfreizeitsektors in Auftrag, den sogenannten Albemarle-Report, der nach seiner Publikation 1960 ein reges Presseecho hervorrief.273 Das Autorenteam unter der Leitung der Countess of Albemarle beklagte vor allem den desolaten Zustand der Jugendorganisationen und forderte eine deutlich stärkere Subventionierung des Jugendfreizeitsektors sowie eine Professionalisierung der dort beschäftigten Pädagogen. Als eines der wichtigsten Ziele der Jugendorganisationen propagierte der Bericht die Erziehung zur Übernahme von Verantwortung im gesellschaftlichen Leben und griff damit eine Zielsetzung wieder auf, die bereits in der Kriegs- und unmittelbaren Nachkriegszeit in Großbritannien den pädagogischen Diskurs geprägt hatte.274 Der nun wieder zunehmend empfundene Bedarf für eine solche Erziehung neben der Schul- und Familienerziehung mündete an der Wende von den fünfziger zu den sechziger Jahren in verstärkte Bestrebungen, freiwilliges E ­ ngagement von 270 [Historische Skizze von Jugendfreiwilligendiensten in Großbritannien, ohne Autor, ohne Titel, 1972], S.  5, ACSV, AGD/C9/7 papers re united nations study on domestic youth­ services, reports on different countries including UK volunteer questionnaires. 271 Vgl. zu den baldigen Finanzproblemen des National Health Service Lindner, Gesundheitspolitik, S. 47–58. 272 Finlayson, Citizen, S. 305–329. 273 Der Sozialwissenschaftler John Davis beschreibt den Report und die Reaktionen auf ihn in seiner historischen Analyse der Jugendwahrnehmung in Großbritannien als Gradmesser für das wachsende Interesse, das der Jugend seit den späten fünfziger Jahren zukam, vgl. Davis, S. 11. 274 Ministry of Education, The Youth Service, S. 59.

199

Jugendlichen zu fördern.275 Aus zivilgesellschaftlicher Initiative heraus wurden mehrere Freiwilligenorganisationen ins Leben gerufen, die sich speziell darum bemühten, Jugendliche für soziale Hilfsdienste zu rekrutieren.276 Die jungen­ Helfer bildeten eine »army«, die seit kurzem zur »full flood« anschwelle, urteilte der Publizist und spätere Fernsehproduzent Jeremy Bugler in dem intellektuell ausgerichteten Wochenblatt »New Society« im Oktober 1965 über den Erfolg dieser Initiativen.277 Ein staatliches Programm für Vollzeitfreiwilligendienste wie das FSJ führte Großbritannien in diesem Zuge allerdings nicht ein. Anders als in der Bundesrepublik richteten sich staatliche wie private Appelle und Initiativen zur Förderung von Jugendfreiwilligendiensten in erster Linie vielmehr darauf, zu einem stetigen Engagement in der Freizeit anzuregen. So initiierten etwa Schulen derartige Freiwilligenprogramme.278 Die Teilnehmer von Task Force, der bald größten Organisation für Jugendfreiwilligendienste, die 1964 von dem 25-jährigen Rechtsanwalt Anthony Steen gegründet worden war, besuchten in ihrer Freizeit alte Menschen, lasen ihnen vor oder halfen ihnen im Haushalt.279 Orientierten sich das FSJ und Aktion Sühnezeichen an der deutschen Tradition der längerfristigen Arbeitsdienste, so lässt sich der britische »Volunteer­ Upsurge« der sechziger Jahre ebenfalls in der Kontinuität der nationalen Freiwilligenkultur deuten: Die in der Freizeit ausgeführten Hilfsdienste kamen dem Dienstideal der in Großbritannien sehr präsenten Pfadfinderbewegung nahe.280 Der Unterschied erklärt sich überdies daraus, dass staatliche Initiativen in Großbritannien aufgrund der verbreiteten Skepsis gegenüber staatlichem Handeln oftmals unter höherem Legitimationsdruck standen. Als weiterer Grund lässt sich schließlich anführen, dass britische Jugendstudien die wahrgenommenen Fehlentwicklungen in der Erziehung vor allem der Schule anlasteten.281 Auslöser für die Regierungsinitiative zur Gründung des FSJ in der Bundesrepublik war hingegen eher eine verspürte Krise der Familie, weshalb die zeitweilige Trennung der Jugendlichen von der Familie vielen Befürwortern der Einrichtung als ein wichtiges Element des Dienstjahres erschien. Aus zivilgesellschaftlicher Initiative heraus etablierten sich allerdings Ende der fünfziger und Anfang der sechziger Jahre auch in Großbritannien zwei Freiwilligenorganisationen, die mehrmonatige Jugenddienste anboten. Beide hatten denselben Gründer und entstanden innerhalb von nur vier Jahren. Der Entwick275 Vgl. Sheard, Volunteering; Finlayson, Citizen, S. 335 f. 276 Bugler. 277 Ebd., S. 18. 278 Finlayson, Citizen; Youth Service Development Council, S. 6. 279 Einen knappen Überblick über das Spektrum der britischen Jugendfreiwilligendienste in den sechziger Jahren gibt Sheard, Volunteering; zu Task Force vgl. Dartington. 280 Zitat: Bugler, S. 18; zu den Scouts vgl. Mechling; Rosenthal. 281 Das heißt nicht, dass es in der Nachkriegszeit nicht auch in Großbritannien Stimmen gab, die vor einem Verfall der Familie warnten. Der Unterschied zur Bundesrepublik ist hier eher ein gradueller. Vgl. Tracey.

200

lungsdienst VSO wurde 1958 ins Leben gerufen, die in Großbritannien agierende Organisation CSV 1961.282 Beide Organisationen wuchsen schnell. VSO rekrutierte 1966/67 bereits etwa 1.500 Freiwillige, für CSV arbeiteten im November 1965 in ganz Großbritannien etwa hundertfünfzig Freiwillige.283 1968 konnten die CSV schon 1.048 Freiwillige einsetzen und damit deutlich mehr als die Diakonie, die größte der Trägerorganisationen für das FSJ in der Bundesrepublik.284 Bis in die späten siebziger Jahre blieben VSO und CSV die einzigen Organisationen in Großbritannien, die in größerem Rahmen längerfristige Freiwilligendienste für Jugendliche vermittelten. Zwar begannen Anfang der sechziger Jahre noch drei weitere Organisationen, IVSP, die National Union of Students und die United Nations Association, freiwillige »Entwicklungshelfer« zu entsenden. Anders als VSO in den Anfangsjahren stellten sie aber nicht Schulabgänger ein, sondern Fachpersonal mit abgeschlossener Ausbildung oder Studium, und zahlten überwiegend statt eines Taschengeldes einen Lohn, der demjenigen von Fachkräften in ihren Einsatzländern angepasst war.285 Es war kein Zufall, dass die Gründung der britischen Jugendfreiwilligendienste ebenso wie in Westdeutschland in die Zeit des Wirtschaftsbooms fiel, die Premierminister Harold Macmillan 1957 mit der berühmten Formel charakterisierte: »most of our people have never had it so good«.286 Auch in Großbritannien nährte der zunehmende Wohlstand Niedergangsängste. Macmillans Ausspruch etwa wurde als Ausdruck einer um sich greifenden materialistischen Gesinnung kritisiert.287 Wie in der Bundesrepublik machte sich die Sorge breit, die Jugend könne, wohlfahrtsstaatlich verwöhnt, dem Konsumstreben verfallen.288 »[Y]outh was constantly being lectured for its aimlessness and irresponsibility«, so Adam Bird, ein früher Chronist der Organisation VSO, über die in dieser Zeit verbreitete Stimmung in England.289 Auch der Gründer der beiden Langzeitfreiwilligendienste, Alec Dickson, warnte vor der Gefahr, dass Wohlfahrt und Wohlstand zu Verantwortungslosigkeit verführen könnten.290 Ähnlich wie viele Repräsentanten der deutschen Trägerorganisationen war auch er der Überzeugung, dass es für ein funktionierendes gesellschaftliches Leben nicht ausreiche, wenn alle lediglich ihrer Erwerbstätigkeit nachgingen. Er kritisierte die in seinen Augen verbreitete Auffassung, dass nationales Wohlergehen allein von der industriellen Produktivität abhänge und dass ein junger Mensch daher bereits automatisch im nationalen 282 Die Organisation trägt seit April 2015 den neuen Namen »Volunteering Matters«. 283 Adams, S. 233; Brief A. Dicksons an P. P., 30. Nov. 1965, ACSV, AGD/B2/18. 284 Broadening the Scope of Service, CSV Annual Report 1968/69, S. 3, ACSV, AGD/B1/39. 285 Morris, S. 29–40. 286 Zum Entstehungskontext des Ausspruchs vgl. Turner, Macmillan, S. 126. 287 Wiener, S. 126. 288 Osgerby, Youth, bes. S. 22–103; Davis, bes. S. 117–141. 289 Adams, S.  42; vgl. Young Scots crusade to help solve Britain’s social ills, [Zeitungsausschnitt, ohne Herkunftsangabe], ACSV, AGD/B1/11, Press articles re CSV 1962–9. 290 Vgl. z. B. Dickson, Voluntary Service Overseas, S. 453.

201

Interesse handele, wenn er als Arbeitnehmer in den normalen Prozess des Wirtschaftslebens eingespannt sei. Eine solche Haltung erweise sich auch für die Wirtschaft als schädlich. Soziales Bewusstsein schätzte Dickson für das gesellschaftliche Zusammenleben wie auch für eine florierende Wirtschaft als gleichermaßen wichtig ein. Unternehmensleitungen und Manager bedächten dies in der Regel zu wenig: »We ask them how many days lost to production during the previous year were due to technical breakdowns – and how many to breakdown in human relationships: don’t they think that their up-and-coming young employees need to be aware of the human factors in our society as well as to have technical skills imparted to them?«291

Hier fällt ein Unterschied zu den deutschen Freiwilligenorganisationen ins Auge: Letztere malten in der Regel nur die angenommenen negativen Folgen des Wirtschaftslebens auf die in ihm tätigen Menschen aus, überlegten aber nicht, wie sich der Freiwilligendienst auf die Wirtschaft auswirken könnte. Dies mag darauf zurückzuführen sein, dass sich ökonomische Ziele in der Sicht der Befürworter des deutschen Sozialdienstes nicht mit dem von ihnen so oft geforderten Idealismus vereinen ließen, es war allerdings auch allgemein ein Merkmal bundesdeutscher Erziehungsdiskurse der fünfziger und sechziger Jahre, dass volkswirtschaftliche Gesichtspunkte nur wenig thematisiert wurden.292 Den noch ist Dicksons Argumentation hier eine Variante des auch in der Bundesrepublik verbreiteten Motivs, welches beklagte, dass der normale Arbeitsalltag in der freien Wirtschaft die Angestellten vor der Konfrontation mit gesellschaftlichen Problemen bewahre. Auch die britischen Freiwilligendienste sollten also wie das deutsche Sozialjahr einen pädagogischen Zweck erfüllen und zur sozialen Verantwortung erziehen. Nicht nur ihr Gründer pries sie gleichzeitig als Mittel zur Persönlichkeitsbildung.293 Auch in der Öffentlichkeit wurden sie als solche wahrgenommen, dies bezeugen Medienberichte ebenso wie die Diskussionen innerhalb der britischen Ministerien über die Förderungswürdigkeit der beiden Organisationen.294 Dickson begründete die Notwendigkeit der Freiwilligendienste darüber hinaus damit, dass die Wohlstandsgesellschaft mit »loneliness and boredom« neue soziale Probleme geschaffen habe, denen mit Geld nicht beizukommen sei.295 Diese Langeweile unter den Jugendlichen berge destruktives Potenzial, so die implizierte Warnung, mit der sich Aufmerksamkeit gewinnen ließ, denn in 291 A. Dickson, Community Service Volunteers. An Introduction by its founder. o. O. [ca. 1967], ACSV, AGD/B1/13, Publications containing articles by volunteers. 292 Vgl. die derzeit in der Entstehung befindliche Habilitationsschrift von S. Levsen. 293 Vgl. Dickson, A World, S. 96. 294 Vgl. z. B. McLure; D. Eccles, For Lord Perth’s Signature, 11.  April 1960, S.  2, TNA, CO 859/1447, File No. SSA, 191/70/01. 295 More to service than flag days and logs for the old, [Zeitungsausschnitt, ohne Herkunftsangabe, 1967], ACSV, AGD/B1/11 Press articles re CSV 1962–9.

202

den fünfziger Jahren hatten mehrfach Jugendkrawalle die britische Öffentlichkeit aufgewühlt.296 Wenn der Gründer der beiden britischen Freiwilligenorganisationen als Motiv für seine Initiativen immer wieder den Wunsch nannte, gegen »boredom« und »loneliness« anzukämpfen, zeigt dies, dass er pessimistische Jugendbilder zwar zu bedienen wusste, darin aber nicht seine Haupttriebfeder lag. Motiviert wurde er vielmehr durch eine überaus positive Sicht auf die Jugend und einen ausgeprägten Machbarkeitsglauben. Anstatt von einer besonderen Gefährdung der Jugend auszugehen, war Dickson überzeugt, dass sie fruchtbare Impulse zur gesellschaftlichen Veränderung geben könne. Bürokratische Blockaden und mangelndes Vertrauen in die Jugend würden diese Impulse allerdings oftmals dämpfen oder ganz versanden lassen. Die fehlende Offenheit der Jugend gegenüber sei damit für deren Fehlverhalten verantwortlich. Und so gehe auch das vielbeschworene britische Generationsproblem nicht von der Jugend aus, sondern von den Erwachsenen, so wiederholte Dickson immer wieder. Er untermauerte diese These mit einem eindrücklichen Vergleich zwischen gewalt­ bereiten Jugendlichen, wie sie die britischen Seebäder verunsicherten, und engagementfreudigen Oberstufenschülern: »If two-thousand teenagers were reported as advancing on the pier or promenade, then every Chief Constable on the South coast knows what action to take. But if only a dozen Sixth-formers were to write in to the Town Hall offering their service voluntarily throughout the holiday, they would cause consternation amongst the authorities.«297 Tatsächlich konnte Dickson auf einer Tagung zur Zukunft der Jugend 1965 ganz konkret von einem Fall berichten, bei dem Jugendliche in einer lokalen Notfallsituation den Behörden ihre Hilfe angeboten hatten und abgewiesen worden waren.298 Den Vorfall kontrastierte er abermals mit den Jugendkrawallen, die kurz zuvor wieder einmal die Schlagzeilen der britischen Tagespresse beherrscht hatten. »We seem to have built a Britain on the defensive against youth«, so seine Einschätzung. In dieser Überzeugung formulierte er das Ziel von CSV 1962 in einem Brief an einen Freiwilligen folgendermaßen: »I am trying to alter a whole attitude of mind throughout Britain, regarding the role of youth, the degree of responsibility which our adult community is prepared to entrust to young people, and the function and justification of the volunteer in our present day society.«299 Ein­ solcher Einstellungswandel sei dringlicher und schwieriger als die Aufgabe, die Jugend zu Engagement zu mobilisieren, betonte ein Informationsblatt der Organisation 1965.300 296 Vgl. Davis, S. 142–174. 297 A. Dickson, Community Service Volunteers. An Introduction by its founder. o. O. [ca. 1967], ACSV, AGD/B1/13, Publications containing articles by volunteers. 298 Young people defrauded of birthright, in: The Guardian, 7. Juni 1965, S. 2. 299 A. Dickson an R., 3. Nov. 1962, S. 1, ACSV, AGD/B1/11. 300 Community Service Volunteers. Background Notes, 1965, ACSV, AGD/B1/38.

203

Obgleich Dickson sich als Querdenker bezeichnen lässt, wäre der Erfolg sei­ ner Organisationen nicht möglich gewesen, wenn er nicht mit seinen Ideen bei vielen Landsleuten auf ein offenes Ohr gestoßen wäre. Der zuvor im Kolonialdienst beschäftigte Dickson war zum Zeitpunkt beider Organisationsgründungen arbeitslos.301 Er besaß zwar ein gutes Beziehungsnetzwerk, verfügte aber weder über finanzielle Mittel noch über eine institutionelle Anbindung. Um seine Organisationen aufzubauen, musste er mit seinen Vorstellungen und Projekten überzeugen. Und dies gelang ihm, etwa wenn er den Bischof von Portsmouth, Lancelot Fleming, im März 1958 dazu bewegte, den ersten Aufruf zur Teilnahme an dem Entwicklungsdienst in der »Sunday Times« zu publizieren und ihm damit mehr Gewicht zu verleihen.302 In der Tat entsprach Dicksons­ Jugendbild, das sich von demjenigen der deutschen Trägerorganisationen deutlich unterschied, einem nationalen Trend. Daher konnte ein Journalist, der im »Guardian« 1965 über die erwähnte Tagung zur Zukunft der Jugend berichtete, davon ausgehen, das Interesse der Leser zu wecken, indem er als Überschrift für seinen Artikel das markige Zitat Dicksons wählte: »[Y]oung people were being defrauded of their birthright to do something for Britain.«303 In seiner historischen Analyse britischer Jugendbilder hat der Soziologe John Davis für die britische Gesellschaft der sechziger Jahre herausgearbeitet, wie neben einem ebenfalls verbreiteten Kulturpessimismus gleichzeitig ein ungewöhnlich starker Optimismus herrschte, der auf das (ungenutzte) Potenzial der Jugend setzte.304 Und so standen Dicksons Wahrnehmungen und Deutungen, die zur Gründung von VSO und der CSV geführt hatten, in vielen Punkten im Einklang mit den stark rezipierten Diagnosen sowohl des Albemarle- als auch des 1963 veröffentlichten Newsom-Reports. Dieser von einem Autorenteam unter der Leitung des Bildungsexperten John Newsom verfasste Bericht war ebenfalls von der britischen Regierung in Auftrag gegebenen worden als Teil der Bildungsinitiative, welche die gesamte westliche Welt nach dem Sputnik­schock erfasst hatte. Wie der Albemarle-Report wurde auch er in der britischen Öffentlichkeit ausführlich diskutiert.305 Beide Berichte diagnostizierten  – genau wie Dickson  –, dass Langeweile große Teile der jungen Generation erfasst habe.306 Der Albemarle-Report beklagte den Mangel an »challenge and adventure«.307 So fehle der Jugend ein Ventil, um überschüssige Energien abzulassen. 301 Dickson, Portrait, S. 128. 302 A Year Between, in: Sunday Times, 23. März 1959; abgedruckt auch bei Bird, S. 23. Der Moderator eines Vortrags Dicksons in der Royal Society of Arts, lobte dieses Referat 1960 abschließend als »one of the most interesting and stimulating talks that we have ever listened to in this room«, Dickson, Voluntary Service Overseas, S. 460. 303 Young people defrauded of birthright, in: The Guardian, 7. Juni 1965, S. 2. 304 Davis, S. 117. 305 Ministry of Education, Half our Future, zu den beiden Berichten vgl. Davis, S.  98–102, S. 110–117. 306 Ministry of Education, Half our Future, S. 3, S. 28, S. 41, S. 46, S. 148. 307 Ministry of Education, Youth Service, S. 61–64, Zitat S. 64.

204

Der Newsom-Report kritisierte überdies die zu strenge Trennung der Jugendund der Erwachsenenwelt. In dieser Situation entstehe bei der Jugend zunächst »frustration«, die wiederum »apathy or rebelliousness« hervorrufe.308 Die Verfasser hielten ebenfalls gemeinwohlorientierte Arbeit für ein Gegenmittel und empfahlen eine Integration von »community service« in das Schulcurriculum.309 »The knowledge that they are contributing, and the public appreciation of their efforts, can strengthen the morale of many of our boys and girls«, so die Überzeugung.310 Um seine Empfehlung zu stützen, zitierte der Bericht die Aussage einer Schulleiterin über ihre positiven Erfahrungen mit Schülerinnen, die einen Freiwilligendienst abgeleistet hatten: »A troublesome girl can become a most reasonable young lady when helping to tell stories at dinner time to infants, or helping to serve meals or to dress and undress young children. Most important of all, when she has had the status of a young adult for a few weeks she seems to gain in poise and confidence in herself, which halts the downward trend.«311

Auch dem Newsom-Report ging es also darum, Unruhe unter den Jugendlichen zu vermeiden. Als Ursachen für die vielfach beklagten Schwierigkeiten der Jugend bzw. mit der Jugend identifizierte er ähnlich wie Dickson einerseits das Schulsystem und das Verhalten der Erwachsenen, andererseits das Gefühl der Jugendlichen, im Wohlfahrtsstaat abgesichert zu leben. Diese Faktoren beschränkten in den Augen der Autoren zu sehr die Möglichkeiten der Jugendlichen, Verantwortung zu übernehmen. b. Abenteuer in der Ferne – Voluntary Service Overseas Aus eben dieser Überzeugung bemühte sich Dickson darum, seine Jugenddienste als Abenteuer zu konzipieren: »Challenge« and »adventure« sind Schlüsselbegriffe in den Texten, mit denen er für seine Freiwilligendienste warb.312 Seine erste Gründung entsprach diesem Anliegen, indem sie als Entwicklungsdienst in ferne, exotische Länder führte. Schon mit der Reise an den Einsatzort, die in den ausgehenden fünfziger und beginnenden sechziger Jahren oft noch als wochenlange Schifffahrt vonstattenging, begann dieses Abenteuer, wie die publizierten Berichte der ersten Freiwilligen nahelegen.313 Auch durch­ 308 Ministry of Education, Half our Future, S. 3. 309 Ebd., S. 68–75. 310 Ebd., S. 131. 311 Ebd., S. 68. 312 A. Dickson, More to service than flag days and logs for the old, [Zeitungsausschnitt, ohne Herkunftsangabe, 1967], ACSV, AGD/B1/11, Press articles re CSV 1962–9. 313 In ihrem ersten in Buchform veröffentlichten Bericht über die Organisation widmet Mora Dickson den Reiseerfahrungen der Freiwilligen ein ganzes Kapitel, Dickson, A World, S. 33–49.

205

fotographische Darstellungen, mit denen sich die Organisation nach außen hin präsentierte, wurde vielfach die Abenteuerlust der Jugendlichen angesprochen. Ein Foto aus den sechziger Jahren etwa zeigt einen Freiwilligen, der in einem Naturpark in Tansania auf einem Nashorn sitzend posiert (Abb. 10). Die Selbstdarstellung des Dienstes als Abenteuer erschien vielen Beobachtern in Großbritannien glaubwürdig und legitim. Nicht nur in den Augen des Organisationsgründers war es eine wichtige Funktion von VSO, den Erlebnishunger der Jugend zu stillen: Premierminister Macmillan sah die Organisation als »outlet for energetic people« mit »sense of adventure«, berichtete der­ »Guardian« im Januar 1961.314 Mit dem Ziel, jugendliches Aufbegehren zu vermeiden, verband sich auch die Absichtserklärung von VSO, to »rebuild interracial friendship«.315 Denn ein Teil der Jugendunruhen, welche die britische Gesellschaft in den fünfziger Jahren erschütterten, hatte auch fremdenfeindliche Hintergründe. Im Spätsommer 1958 etwa war es bei den sogenannten Rasseunruhen von Notting Hill zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen weißen Jugendlichen und farbigen Einwanderern gekommen.316 Daher entsandte Dickson in der Gründungszeit von VSO einen Freiwilligen versuchsweise für drei Wochen nach Notting Hill. Er unterstützte dort zum einen indische Einwanderer und half zum anderen in den Jugendclubs, die vor allem von weißen Jugendlichen frequentiert wurden, um auf diese Weise beide Konfliktparteien kennenzulernen.317 Ebenso sollte der Dienst in Übersee zum Abbau der ethnischen Spannungen beitragen, da er Vorurteile auflöse und jugendliche Energien in konstruktive Bahnen lenke, so die Annahme. Die Hoffnung, dass die zurückgekehrten Freiwilligen als Multiplikatoren eines vorurteilsfreien Denkens fungieren würden, teilten auch die Ministerien, die den Entwicklungsdienst finanzierten.318 Neben der innenpolitischen Lage bestimmte freilich die außenpolitische Situation die Gestalt der Entwicklungshilfeorganisation maßgeblich. Die Gründung von VSO im Jahr 1958 lässt sich nur im Kontext der britischen Kolonialpolitik verstehen.319 Sie fiel in die Anfänge einer Phase, in der Entwicklungspolitik an Intensität und politischem Gewicht gewann. Die Vereinten Nationen erklärten die sechziger Jahre zur »development decade«, und in Anlehnung daran werden sie auch in der historischen Forschung als »erste eigentliche ent-

314 F. Boyd, Future indefinite, in: The Guardian, 31. Jan. 1961, S. 16. 315 Schoolboy Recruits for Central Africa. Improving Race Relations, in: The Manchester Guardian, 4. April 1959, S. 3. 316 Vgl. Osgerby, Youth, S. 119–123; Pilkington, S. 106–124. 317 Dickson, Voluntary Service Overseas, S. 454 f. 318 Z. B. D. Eccles, For Lord Perth’s signature, 11.  April 1960, TNA, CO 859/1447: »[…] the­ volunteers are all handpicked youngsters whose influence, later on, upon public affairs will be far greater than their small numbers would seem to imply.« 319 Schoolboy recruits for Central Africa, Improving race relations, in: The Manchester­ Guardian, 4. April 1959, S. 3.

206

Abb. 10: Ein Freiwilliger von VSO in Tansania, sechziger Jahre

wicklungspolitische Dekade« charakterisiert.320 VSO war weltweit einer der ersten Freiwilligendienste, der in die sogenannten »Entwicklungsländer« entsandte.321 Das Programm richtete sich anfänglich an Schulabgänger, die nicht sofort einen Studienplatz antreten konnten, weil nach der Aufhebung der Wehrpflicht großer Andrang auf die Universitäten herrschte. Den größten Teil von ihnen setzte die Organisation als Lehrer ein, die übrigen in der Landwirtschaft sowie in handwerklichen und verschiedenen anderen Berufsfeldern.322 Schon nach dem ersten Teilnahmeaufruf für VSO im März 1958 meldeten sich über 400 Interessenten.323 Noch im selben Jahr gingen die ersten 18 Freiwilligen der Organisation nach Nigeria, Ghana und Malaysia. Ein Jahr später waren es bereits 60 Freiwillige, darunter diesmal auch zwei Frauen. Die Zahl der Einsatzländer hatte sich bereits auf 18 erhöht.324 Diejenige der Teilnehmer stieg auch in den Folgejahren kontinuierlich, wobei die Nachfrage das Angebot an Plätzen noch bei weitem überstieg, so dass VSO weiterhin der Mehrzahl der Bewerber und Bewerberinnen eine Absage erteilen musste.325 320 Vgl. United Nations Department of Economic and Social Affairs. 321 Vgl. Cobbs Hoffman, 2000, S. 73–88. 322 Vgl. Adams, S. 224. 323 Vgl. Cobbs Hoffman, S. 80. 324 Vgl. Adams, S. 65, S. 223; Bird, Appendix II, [S. 201]. 325 Peace Corps advice from Britain. Pacifist pioneer of voluntary service overseas, in: The Guardian, 18. April 1961, S. 13.

207

Die so erfolgreiche Idee, einen Entwicklungsdienst zu gründen, lag für­ Dickson aus biographischen Gründen nahe: Bereits sein Vater war als Kolonialbeamter beim Eisenbahnbau in Thailand, Malawi und Argentinien im Einsatz gewesen.326 Alec Dickson selbst hatte vor 1956 ebenfalls in britischen Kolonien gearbeitet, aber auch in Europa Erfahrungen in der humanitären Hilfe gesammelt: Während des Zweiten Weltkrieges war er in verschiedenen afrikanischen Ländern zunächst mit der militärischen Anwerbung, dann, in der unmittelbaren Nachkriegszeit, als Social Development Officer und als Leiter eines­ Citizen and Leadership Training Centre mit der Aus- und Weiterbildung von Einheimischen betraut gewesen, also mit eben jenen Aufgaben, die als koloniale Vorläufer der »Entwicklungshilfe« vorausgingen.327 Vor allem über seine Kontakte aus dieser Zeit leitete er später die ersten Einsätze für VSO in die Wege. Von 1946 bis 1948 hielt er sich wieder für kurze Zeit in Europa auf und half unter anderem bei der Versorgung von Displaced Persons in Berlin.328 1955/56 war er von der UNESCO als Beauftragter für Bildungsaufgaben im Irak eingesetzt.329 1956 wirkte er nach dem Aufstand in Ungarn schließlich noch bei einer Rettungsaktion ungarischer Flüchtlinge mit.330 Auch wenn Dicksons Biographie mit ihren vielen verschiedenen Stationen außergewöhnlich erscheinen mag, so waren Kolonialerfahrungen für britische Universitätsabgänger zumindest bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts hinein keine Besonderheit, da eine Zeit im Kolonialdienst als wichtige Karrierestation galt. Außerdem war es nicht unüblich, dass sich ehemalige Kolonialbeamte im Zuge der Dekolonialisierung in internationalen humanitären Organisationen ein neues Arbeitsfeld suchten.331 Wenn Dickson also 1958 gemeinsam mit dem Bischof von Portsmouth die Gründung seiner Organisation vorantrieb, war dies durchaus typisch für die »Entwicklungshilfe«, die zum einen in der Mission, zum anderen in der Praxis der Kolonialverwaltung ihre Vorgänger hatte.332 Vor dem Hintergrund der Dekolonisierung und des Kalten Krieges, währenddessen beide politischen Blöcke versuchten, in den nach Unabhängigkeit strebenden sogenannten »Drittweltländern« Prestige und Einfluss zu gewinnen, wurde die Entwicklungspolitik deutlich intensiviert.333 In seinem an die Jugendlichen wie auch an die britische Öffentlichkeit insgesamt gerichteten

326 Dickson, Portrait, S. 3. 327 Bird, S. 15; Dickson, A Chance, S. 27–63. 328 Dickson, Portrait, S. 73 f. 329 Dickson, A Chance, S. 64–76; Dickson, Portrait, S. 155–181. 330 Dickson, A Chance, S. 80–90; Dickson: Portrait, S. 183–190. 331 Hodge, British; Marshall, International Child Saving, S. 483. 332 Die in den Anfangsjahren starke organisatorische wie finanzielle Unterstützung von VSO durch die anglikanische Kirche und kirchlicher Hilfsorganisationen beschreibt Samson. 333 Vgl. Büschel, Geschichte. Michael Latham hat in einer Studie über die amerikanische Entwicklungspolitik gezeigt, wie stark das Peace Corps ebenso wie die US-Amerikanische Entwicklungspolitik insgesamt auch als Mittel zur weltanschaulichen Einflussnahme im

208

Werbefeldzug ging VSO in der Regel nur sehr selten auf dieses Konkurrenzverhältnis der Blöcke ein, vermutlich weil bekannt war, dass die Eindämmung des kommunistischen Machtbereichs als Motiv für die »Entwicklungshilfe« bei vielen jugendlichen Interessenten auf Ablehnung stieß.334 Doch in der biographischen Rückschau deutete Dickson die entwicklungspolitischen Grundsätze der Organisation auch im Rahmen der Ost-West-Konfrontation.335 Dass sich die britischen Freiwilligen die Sympathien gerade auch der jungen Generation in den »Entwicklungsländern« erwerben sollten, fügte sich tatsächlich in das politische Ziel des Westens, in der »Dritten Welt« ideologisch die Oberhand zu behalten. Denn weil Jugendliche als besonders beeinflussbar galten, erregte gerade ihr in den »Entwicklungsländern« üblicherweise hoher Bevölkerungsanteil immer wieder Ängste in der westlichen Öffentlichkeit und Politik.336 Und so argumentierte die Organisationsleitung mit dem Systemwettstreit just dann, wenn es galt, die Gunst der Behörden zu gewinnen.337 Einen weiteren Impuls erhielten entwicklungspolitische Initiativen im Vereinigten Königreich in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre durch die Suezkrise, in der das Land einen internationalen Prestigeverlust hatte hinnehmen müssen, den es nun wieder gutzumachen galt: In Reaktion auf die Verstaat­ lichung der Suezkanalgesellschaft durch Ägypten unternahm Großbritannien, das große Aktienanteile an der Gesellschaft besaß, im Herbst 1956 gemeinsam mit Israel und Frankreich den Versuch, die ägyptische Regierung auf kriegerischem Wege zu stürzen. Doch als die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion, die das Vorgehen der Franzosen und Briten missbilligten, ebenfalls drohten, militärisch einzugreifen und außerdem die UNO einschalteten, mussten die Truppen im Dezember des Jahres aus Ägypten zurückgezogen werden. International ernteten Großbritannien und Frankreich mit der Intervention scharfe Kritik, die sich in vielen Fällen auch allgemein gegen die Kolonialpolitik richtete.338 In der »Entwicklungshilfe« ließen sich Abenteuer erleben, ohne damit die nach diesem Debakel angeschlagene Kolonialmacht weiter in Misskredit zu bringen. Dass VSO seine Freiwilligen in den ersten Jahren fast ausschließlich in britische Kolonien und in Commonwealthländer schickte, erklärt sich also nicht allein daraus, dass bestehende Netzwerke dort die Suche nach geeigneten Einsatzorten erleichterten.339 Es war auch das erklärte Ziel der Organisation, das

Kalten Krieg dienen sollten, Latham, S. 110–150. Allerdings hat er auch darauf hingewiesen, dass die Freiwilligen des Peace Corps diese Zielsetzung nicht unbedingt teilten (S. 110 f.). Dies ist in der Forschung auch für »Entwicklungshelfer« anderer Herkunft betont worden. Zu deutschen »Entwicklungshelfen« vgl. Büschel, In Afrika. 334 Eine seltene Anspielung darauf findet sich in Dickson, Voluntary Service Overseas, S. 457. 335 Vgl. Bird, S. 38; Bailkin, Afterlife, S. 68, S. 76; Dickson, A Chance, S. 61. 336 Vgl. Bailkin, S. 61 f. 337 Vgl. Bird, S. 38; Bailkin, S. 61 f. 338 Vgl. Louis, S. 589–724; Altmann, S. 128–176. 339 Vgl. Bird, S. 31 f.

209

britische Image in den ehemaligen sowie in den verbleibenden Kolonien zu verändern und in ein »pro-British feeling« zu verwandeln, da man glaubte, die Jugendlichen könnten bei ihrem Einsatz kolonialistische Attitüden überwinden und neue Verhaltensmuster an den Tag legen – in den Worten von Dicksons Frau Mora: »an attitude which the overseas world had not often seen in B ­ ritons«.340 Auch britische Kolonial- und Commonwealth-Beamte, welche die Freiwilligen betreuten, erblickten in ihnen »fine ambassadors for Britain«, die in ihren Einsatzländern »a totally new conception of England and of English people« verbreiten könnten.341 Die große politische und mediale Aufmerksamkeit, welche die »Entwicklungshilfe« insgesamt in dieser Zeit genoss, war sicherlich einer der Gründe für die Attraktivität, den raschen Erfolg und die große öffentliche Anerkennung des VSO, wie sie sich etwa in zahlreichen Anfragen für Zeitungsinterviews oder 1961 in einem Empfang aller 120 bereits von ihrem Dienst nach Groß­britannien zurückgekehrten Freiwilligen bei Queen Elizabeth ausdrückte.342 Die hohe politische Bedeutung der »Entwicklungshilfe« garantierte der Organisation auch bald das lebhafte Interesse und die finanzielle Unterstützung der britischen Regierung, die in den folgenden Jahren stark ansteigen sollte.343 »Remember that you represent, above all, an export of ideas«, mahnte in den frühen sechziger Jahren eine Broschüre, die an alle VSO-Freiwilligen verteilt wurde.344 Ihr Engagement erfordere Originalität, Phantasie und mitreißenden Enthusiasmus. Die Organisationsleitung ging von der Vorstellung aus, dass britische Jugendliche mit ihrer Einsatzbereitschaft ein Vorbild für die Jugend der »Entwicklungsländer« darstellen könnten.345 Die Zielsetzung, die einheimische Bevölkerung der Kolonien zu Eigeninitiative und Freiwilligenarbeit zu motivieren, hatte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine wichtige Leitlinie der Community Development-Politik des britischen Colonial Office dargestellt, für das Dickson während seiner Zeit in Afrika gearbeitet hatte. Von dem 1961 ein-

340 Dickson, Voluntary Service Overseas, S. 450; vgl. Dickson, A World, S. 13. 341 K. W. Blackburne, Voluntary Service Overseas, Report of the Govenor of Jamaica, 8. Juni 1960, TNA, CO 859/1447; vgl. Brief von M. A. Marioghae, Delta Province, Western Region, Nigeria, an A. Dickson, 2. Juli 1960, TNA, CO 859/1447. 342 Vgl. Bird, S. 36; Bailkin, S. 55 f.; zum Empfang bei der britischen Königin auch: Edward Ford, 8. Aug. 1961, Dokument 139, TNA, FO 371/164566. 343 Bereits 1959/60 sponserte der Colonial Development und Welfare Fund die Organisation mit 9.000 £, die Royal Airforce gewährte den Freiwilligen Gratisflüge, 1964/65 unterstützte der britische Staat allein das Cadetten-Programm von VSO mit 40.000 £ durch das Department of Technical Co-operation und 5.000 Pfund durch das British Council; Service Overseas by Volunteers, Department of Technical Co-operation, 7. Mai 1963, TNA, SS 407/08; 1965/66 übernahm die britische Regierung 80 Prozent der sich insgesamt auf 592.000 £ belaufenden Kosten für die britischen Graduiertenprogramme, Moyes, S. 67. Vgl. auch Bailkin, S. 55. 344 Dickson, A World, S. 30. 345 Z. B. Dickson, Voluntary Service Overseas, S. 459.

210

gerichteten Department of Technical Co-operation wurde sie übernommen.346 Auch die Vereinten Nationen erkoren die Notwendigkeit eines ähnlich gearteten Community Development-Programms, das ausdrücklich die Bevölkerungen der sogenannten »Entwicklungsländer« zu »voluntary labour« animieren sollte, um die Wende von den fünfziger zu den sechziger Jahren zu einem zentralen Ziel der Entwicklungspolitik.347 Dahinter stand die in der westlichen Welt verbreitete Vorstellung, in der sich Dickson durch seine Erfahrungen während seines Afrikaaufenthaltes bestätigt fühlte, dass es den Menschen in den »Entwicklungsländern« oftmals an Engagement fehle.348 Er forderte die Freiwilligen seiner Organisation auf, Jugendclubs zu gründen, Pfadfindertouren zu organisieren oder Laienspiel- und Musikgruppen ins Leben zu rufen. Viele Freiwillige setzten diese Vorschläge in die Tat um, wobei ihnen freilich in der Regel britische Modelle als Vorbild vor Augen standen, so dass etwa die Theatergruppen Shakespeare aufführten, in den Tanzstunden schottische Tänze eingeübt und in den Jugendclubs Rugbyspiele ausgetragen wurden.349 Dickson und seine Freiwilligen folgten mit ihren Denkweisen und Aktivitäten dem klassischen westlichen Stereotyp, das die Bevölkerung der »Entwicklungsländer« als passiv und statisch beschrieb. Diese Vorstellung beruhte bei ihnen zwar nicht auf der Überzeugung einer rassischen Superiorität, wohl aber auf der Annahme, dass diese Unterschiede historisch und kulturell bedingte Gesellschaftsmerkmale seien. Schon bald wurde dies der Organisation vorgehalten. Dickson und seine Frau, die an der Organisationsgründung beteiligt war, wehrten sich vehement gegen diese Vorwürfe und hoben immer wieder hervor, dass es ihnen darum gehe, sich bewusst vom Kolonialismus sowie vom europäischen Überlegenheitsdenken früherer Zeiten abzusetzen und »a new conception of racial partnership« dagegenzuhalten.350 Tatsächlich forderten sie ihre Freiwilligen auf, eingefahrene rassistische Rollenvorstellungen aufzulösen, also etwa bei einer Exkursion mit einheimischen Jugendlichen sich das Gepäck nicht von diesen tragen zu lassen, sondern vielmehr selbst anzu­packen und ihnen zu helfen.351 Sie berichteten stolz davon, wie es in ihren Augen den Freiwilligen gelang, traditionelle soziale und kolonialistische Barrieren zu 346 Zu dieser Zielsetzung des kolonialen Community Development vgl. Büschel, Die Brücke, S. 185–191; für das Department of Technical Co-operation vgl. z. B. das Redemanuskript von D. Vosper, Text of Mr. Vosper’s speech to the International Conference, on ›Human Skills in the Decade of Development‹, Experience of nations in supplying middle level manpower including volunteer services [Sept. 1962], ohne Paginierung, TNA, FO 371/164566; VOCOSS and the Lockwood Committee [1962], TNA, OD 10/40. 347 United Nations Department of Economic and Social Affairs, S. 38. 348 A. Dickson, The African Soldier Comes Home. An Opportunity to Use the Regimental Spirit in the Task of Social Progress [Zeitungsausschnitt, ohne Herkunftssangabe], ACSV, AGD/B1/11, Press articles re CSV 1962–9. 349 Dickson, A World, S. 114, 123. 350 Ebd., S. 13. 351 Ebd., S. 30.

211

durch­brechen, wenn sie als »first Europeans« in einer afrikanischen Fußballmannschaft mitspielten.352 Und sie hatten auch keine Scheu, einen Freiwilligen an eine Schule in Swasiland zu schicken, an der er unter Schülern wie Lehrern der einzige Weiße war. Diese Vorstellung war zu Beginn der sechziger Jahre so ungewöhnlich, dass sie den für das Projekt vorgesehenen Jugendlichen zögern ließ, den Dienst anzutreten.353 Um ein Umdenken im Verhältnis zwischen den Rassen zu schaffen, so die Grundüberzeugung der Organisationsleitung in ihren Anfangsjahren, sei es notwendig, mit Jugendlichen zu arbeiten. Denn diese hätten »not yet acquired the belief in their own superiority which so often comes with age«.354 Es falle ihnen daher besonders leicht, Freundschaft zu schließen. Diese Überzeugung, welche die Organisation wieder und wieder propagierte, wurde von zahlreichen Unterstützern in den Medien sowie in den Ministerien geteilt.355 Das dahinter stehende Jugendbild, das jungen Menschen einen ausgeprägten Idealismus und eine starke Engagementbereitschaft zuschrieb, setzte diese Charakteristika der Jugend als anthropologische Konstante voraus, die in Großbritannien wie auch in den »Entwicklungsländern« gelte, wobei allerdings hier wie dort von der Erwachsenenwelt Möglichkeiten zu schaffen seien, dass daraus ein gesellschaftlicher Nutzen gezogen werden könne. Nicht ohne Stolz betonten die Dicksons immer wieder, dass VSO die Idee für den von Präsident Kennedy initiierten und weltweit mit großer Aufmerksamkeit bedachten American Peace Corps geliefert hätten und dass Alec Dickson aufgrund seiner Erfahrungen 1961 von der US-amerikanischen Regierung eingeladen wurde, um diesen kurz zuvor ins Leben gerufenen Entwicklungsdienst in Augenschein zu nehmen.356 Allerdings hatte die Gründung des Peace Corps 352 Dickson, Voluntary Service Overseas, S. 447; Dickson, A World, S. 124. 353 Ebd., S. 69. 354 T. Zinkin, Spirit of youth, in: The Guardian, 30.  Mai 1962, S.  6; Schoolboy recruits for­ Central Africa, Improving race relations, in: The Manchester Guardian, 4. April 1959, S. 3. 355 Z. B. Department of Technical Co-operation: The Future of Technical Assistance. The Place and Contribution of the Volunteer (Note by the The [sic] British Government), London, 5. Okt. 1962, S. 2 f., TNA, OD 10/64; G. Edinger: Brief an Barbara Castle, März 1965, S. 1 f., TNA, OD 10/68; Samson. 356 Z. B. in Dickson, A World, S. 12; A. Dickson, More to service than flag days and logs for the old, [Zeitungsausschnitts ohne Herkunftsangabe, 1967], ACSV, AGD/B1/11 Press a­ rticles re CSV 1962–9; [historische Skizze von Jugendfreiwilligendiensten in Großbritannien, ohne Angaben, 1972], S.  5, ACSV, AGD/C9/7 papers re united nations study on domestic youth services. Reports on different countries including UK volunteer questionnaires. In ihrer Lebensgeschichte relativiert Mora Dickson aber den britischen Einfluss auf den Peace Corps. Zwar seien 1959/60 mehrfach »mysterious visitors, small groups of two or three rather earnest Americans« zu Besuch gekommen, um sich über die Organisation zu informieren. Der Grund für eine Einladung Dicksons in die USA 1961 sei aber nicht das amerikanische Interesse an seiner Expertise gewesen, da diese kaum in Anspruch genommen wurde, und es sei stark übertrieben, ihn als »Father of the Peace Corps« zu stilisieren, Dickson, Portrait, S. 241–252.

212

ihrerseits starke Rückwirkungen auf die britische Organisation, was bei Dickson auf weniger Gefallen stieß: Das Peace Corps setzte sich vor allem aus Studierenden zusammen, die sich zu einem freiwilligen zweijährigen Entwicklungsdienst verpflichteten. Sie mussten ein rigides Auswahlverfahren durch­laufen und nahmen vor ihrem Einsatz an einem intensiven dreimonatigen Training teil. Bei VSO hingegen wurde den Freiwilligen aufgrund des knappen Finanzbudgets der Organisation in der Anfangszeit noch nicht einmal ein Vorbereitungskurs angeboten. Mitte der sechziger Jahre gab es einen solchen zwar, allerdings blieb seine Dauer weiterhin deutlich kürzer, zum Teil betrug er nur eine Woche.357 Hinzu kam, dass VSO, ganz im Einklang mit der Konzeption des Dienstes als Abenteuer, den Freiwilligen teilweise erst kurz vor ihrer Abreise mitteilte, in welches Land sie entsendet wurden, so dass sie sich über landesspezifische Eigenheiten kaum informieren konnten.358 Der Vergleich mit dem Peace Corps ließ bei VSO eine Selbstverständnisdiskussion unumgänglich werden: Es erschien immer zweifelhafter, ob und inwiefern es zu rechtfertigen sei, unausgebildete Schulabgänger als »Entwicklungshelfer« einzusetzen. VSO hatte sich mit der anfänglichen Rekrutierungspolitik gegen den Trend einer, wie die Historikerin Jordanna Bailkin formuliert, »culture of hypervaluing the expert« gestellt: Nicht nur in den Vereinigten Staaten, sondern in zahlreichen Ländern und auch in Großbritannien selbst wurden Expertentum und Professionalisierung seit Beginn der fünfziger Jahre weithin als Inbegriff des Fortschritts angesehen.359 Und da die westlichen Länder glaubten, den Fortschritt in die »Entwicklungsländer« bringen zu müssen, lag es nahe, vor allem ausgebildete Fachleute als »Entwicklungshelfer« einzustellen. In einem Leserbrief im »Guardian« berichtete ein VSO-Freiwilliger, der in Sierra Leone mit einem Freiwilligen des Peace Corps zusammenarbeitete, von dessen sehr viel effektiverem Einsatz. Er beklagte den »amateurism« seiner eigenen Organisation, die nicht viel mehr als eine »extension of the boy scouts« darstelle.360 Auch die britischen Ministerien und hier vor allem das für die »Entwicklungshilfe« zuständige Department of Technical Co-operation drängten die Organisation, neben den Schulabgängern verstärkt auch Universitätsabsolventen anzuwerben.361 Die Ministerialbeamten sprachen dem Schulabgängerprogramm zwar grundsätzlich eine Berechtigung zu, hielten aber die Arbeit ausgebildeter Kräfte für wichtiger und wertvoller.362

357 Briefing the volunteers, in: The Guardian, 17. Juli 1964, S. 18. 358 Vgl. Bailkin, S. 71. 359 Ebd., S. 59; vgl. auch Hodge, Triumph. 360 A. S. Barnett, Self deception about the VSO, in: The Guardian, Letters to the Editor, 13. Juni 1964, S. 8. 361 Z. B. Service Overseas by Volunteers, Note of  a Meeting with representatives of V. S. O., 27. Nov. 1962, S. 2, TNA, OD 10/40. 362 Z. B. Lines of development for future policy and action. Service Overseas by Volunteers, S. 2, 15. Okt. 1964, TNA, OD 10/64.

213

Überdies verstärkte der Vergleich mit dem American Peace Corps, wie der »Guardian« 1962 berichtete, »a growing tendency in Britain to devalue VSO, to write it off as ›new colonialism‹«.363 Auch in den »Entwicklungsländern« selbst wurde der Einsatz der jugendlichen Schulabgänger teilweise als kolonialistische Arroganz gewertet.364 »British youth going out with a holier-than-thou attitude to preach moral uplift to the benighted natives«, sei nicht willkommen, teilte ein Kolonialgouverneur dem Organisationskomitee des Freiwilligendienstes schon in dessen Gründungsjahr mit.365 Anfang 1962 setzte sich auch in der Organisationsleitung, in der Dickson zwar konzeptionell lange den Ton angegeben hatte, aber doch nur ein Vorstandsmitglied unter anderen war, die Überzeugung durch, es sei angebracht, verstärkt Universitätsabsolventen oder bereits berufserfahrene Kräfte aufzunehmen.366 Das Programm der nun als Cadets bezeichneten Schulabgänger wurde zwar zunächst beibehalten, verlor aber im Vergleich zu demjenigen für Graduates immer mehr an Bedeutung. 1973 schließlich strich der britische Staat die Subventionen für das Cadet-Programm, woraufhin es eingestellt wurde.367 Alec Dickson war ein Gegner dieser Neuausrichtung. Um sie zu v­ erhindern, betonte er umso vehementer den in seinen Augen einzigartigen Wert der unverdorbenen, idealistischen Jugend. Schon nach dem Studium sei die jugendliche Unvoreingenommenheit nicht mehr garantiert, glaubte er.368 Doch konnte er sich nicht durchsetzen. Nicht zuletzt aus Verärgerung darüber, dass die Ausweitung des Programms auf Graduierte in seiner Abwesenheit und ohne seine Zustimmung beschlossen worden war, verließ er die Organisation Anfang 1962.369 c. »give something back to Britain« – Community Service Volunteers Seinem Ziel, die Jugend für Freiwilligendienste zu gewinnen, blieb Dickson allerdings treu und widmete sich ihm mit einer neuen Organisation. Schon 1958 hatte er versuchsweise erste Freiwilligeneinsätze in Großbritannien organisiert, 363 D. Wainwright, Voluntary Service Overseas, in: The Guardian, 12. Okt. 1962, S. 15. 364 Vgl. z. B. Dickson, A World, S. 20. 365 Schoolboy recruits for Central Africa, in: The Manchester Guardian, 4. April 1959, S. 3. 366 Bird, S. 39 f. 367 Money to VSO is cut, in: The Guardian, 2. April 1973, S. 6. 368 Dies belegen zahlreiche Quellen für die gesamten sechziger Jahre, siehe z. B. Department of Technical Co-operation, Further material which could be drawn on by the Secretary for his speech in the Debate, 7. Dez. 1962, TNA, FO 371/164566; Service Overseas by Volunteers, Note of a Meeting with representatives of V. S. O., 21. Nov. 1962, TNA, OD 10/40; Service Overseas by Volunteers. Note for the Secretary of the situation in mid-January, 1963, TNA, OD 10/40; Lines of development for future policy and action. Service Overseas by Volunteers. The nature of the present schemes, 13. Okt. 1964, TNA, OD 10/56. 369 Dickson, Portrait, S. 253 f.

214

die dann 1962 in die Gründung von CSV mündeten.370 Die Freiwilligen dieser Organisation arbeiteten in einem weiten Spektrum sozialer Einrichtungen. Die Dauer ihres Einsatzes betrug in der Regel zwischen vier Monaten und einem Jahr. Die jeweiligen Einrichtungen kamen für ihre Unterkunft, Verpflegung und ein geringes Taschengeld auf. Mit CSV wollte Dickson ein innerbritisches Äquivalent zu VSO schaffen, wie er selbst immer wieder hervorhob.371 Auch die Presse nahm die Organisation als ein solches wahr, etwa wenn sie sie als »the application of the Peace Corps principle to tackling social problems on the domestic front« beschrieb.372 Tatsächlich übernahm CSV aus der »Entwicklungshilfe« den auf gesellschaftlichen Fortschritt zielenden Veränderungswillen wie auch den Gedanken der Hilfe zur Selbsthilfe, der freilich gleichzeitig an eine ausgeprägte ältere Tradition in Großbritannien selbst anknüpfte.373 CSV sollte an sozialen Brennpunkten zum Einsatz kommen und die gesellschaftliche Kohäsion stärken. Diese Zielsetzung war maßgeblich motiviert durch ein in der britischen Gesellschaft verbreitetes Unbehagen gegenüber der fortbestehenden Klassengegensätze. Zwar nahmen auch in Großbritannien viele Zeit­ genossen einen Trend zur gesellschaftlichen Nivellierung wahr. Und ähnlich wie in der Bundesrepublik machten sie diesen insbesondere bei der Jugend fest, die sie gern als »classless youth« charakterisierten.374 Dennoch blieben gesell­schaftliche Schranken, wie sie sich nicht zuletzt in den britischen Public Schools und Elite­ universitäten widerspiegelten, deutlicher spürbar als in der Bundesrepublik. Mit der Hoffnung, durch einen freiwilligen Jugenddienst Klassengegensätze zu überbrücken, stellte sich CSV in die Tradition des Arbeitsdienstgedankens aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Sie prägte die Vorstellungswelt Dicksons. Er selbst hatte in den zwanziger und dreißiger Jahren zunächst die renommierte Public School in Rugby besucht und anschließend in Oxford studiert. Die Zeit im Internat hatte für den Achtjährigen das Ende einer bis dahin unbeschwerten Kindheit im Elternhaus bedeutet. Die Atmosphäre empfand er als kalt und unfreundlich, und zwar sowohl in Bezug auf die Mitschüler als auch die Lehrer.375 Hierauf führte Mora Dickson in der Biographie ihres Mannes die 370 A. Dickson, Community Service Volunteers. An Introduction by its founder. o. O. [ca. 1967], ACSV, AGD/B1/11, AGD B1 11, Press articles re CSV 1962–9. 371 A. Dickson, A Domestic Development Service for West Germany? [ohne Datum], S.  2, ACSV, AGD/H1/17, Articles re Gap year… voluntary service in West Germany… 1970s; A. Dickson, [Manuskript ohne Titel, ohne Datum], S. 6, ACSV, AGD/C9/77, papers re united nations study on domestic youth services, reports on different countries including UK­ volunteer questionnaires, 1972. 372 McLure; vgl. Apprenticed to the Nation: The magazine of the Lithgow Group of Companies, [ohne Datum]; Young Scots crusade to help solve Britain’s social ills, [Zeitungsausschnitt ohne Herkunftssangabe], alle drei Artikel ACSV, AGD/B1/11. 373 Vgl. Finlayson, Citizen, S. 19 f.; Gosden. 374 Osgerby, Roaring Twenties, S. 81 f. 375 Dickson, Portrait, S. 4 f.

215

Attraktion zurück, die das Gemeinschaftsideal der Wandervogelbewegung auf ihren Mann ausübte. Mit dieser war er als neunzehnjähriger Student über einen Kommilitonen aus Prag in Berührung gekommen, der ihn zu Beginn des Jahres 1933 zu Skiferien nach Böhmen eingeladen hatte.376 Ein Resultat seiner Kontakte zur deutschen Jugendbewegung war es, dass sich Dickson mit der Idee eines freiwilligen Jugenddienstes schon vor den fünfziger Jahren auseinandergesetzt hatte, wenngleich er das in seinen eigenen Darstellungen der Geschichte seiner Organisationen geflissentlich verschwieg, weil sich damit keine Werbung machen ließ: Im Sommer 1933 war er nach Deutschland gereist und hatte dort auch eines der nationalsozialistischen Arbeitslager besucht. Nach Großbritannien zurückgekehrt bemühte er sich in einem Artikel in der »Yorkshire Post« darum, seinen Landsleuten die Arbeitslageridee näher zu bringen.377 Allerdings beeilte er sich wie so viele britische Befürworter des Arbeitsdienstgedankens, gleich im ersten Satz dieses Artikels zu betonen, Arbeitslager seien »by no­ means an innovation of National Socialism in Germany«, sondern es habe sie zuvor bereits in anderen Ländern gegeben. Er bestritt, dass die deutschen Lager militärischem Drill dienten und pries sie als geeignetes Mittel gegen die Demoralisierung der Arbeitslosen sowie gegen den Klassenkampf. Besonders positiv bewertete er die Freundlichkeit der deutschen »Arbeitsmänner« und den in den Lagern herrschenden Gemeinschaftsgeist, der unter anderem durch gemeinsamen Gesang und Sport gefördert werde. Dickson sah also durch seine Erfahrungen das traditionelle und verbreitete Argument für den Arbeitsdienst bestätigt, das darauf baute, dass Angehörige verschiedener Bevölkerungsschichten sich in ihnen kennen- und schätzen lernen würden. Angesichts des nationalsozialistischen Terrors in den folgenden Jahren indes kühlte Dicksons Begeisterung für den Gemeinschaftsgeist der Arbeitslager offenbar ab. Obwohl er den Arbeitslagergedanken auch zukünftig nicht völlig verwarf, wurde keine der beiden von ihm gegründeten Freiwilligenorganisationen in Gemeinschaftsform konzipiert oder durchgeführt. Den Gedanken, dass der Freiwilligendienst Klassendifferenzen abschwächen solle, behielt er aber bei. Die britische Klassengesellschaft und vor allem das elitäre Ausbildungssystem beurteilte Dickson nach 1945 weiterhin ambivalent. Zwar wählte er für VSO zumeist Absolventen der Public Schools aus und verteidigte den Einsatz der unausgebildeten Schulabgänger nicht nur mit dem Hinweis darauf, dass ja auch die prefects, die in britischen Schulen ihre Mitschüler zu beaufsichtigen hatten, niemals zu diesem Amt ausgebildet würden, sondern auch damit, dass britische Eliteschulabgänger über deutlich höhere Qualifikationen und Qualitäten verfügen würden als amerikanische College-Absolventen.378 Dennoch hegte er weiterhin Misstrauen gegenüber den Elitezöglingen oder verstand es zumin376 Ebd., S. 6. 377 Dickson, Germany’s way. Mora Dickson erwähnt in ihrer Lebensgeschichte lediglich Pläne für einen Zeitungsartikel über das Arbeitslagersystem aus dem Jahr 1934, S. 10. 378 Vgl. Bird, S. 38; zum sozialen Hintergrund der Freiwilligen vgl. Bailkin, S. 73.

216

dest, wenn andere ein solches äußerten: Dies offenbarte sich etwa in seinem Urteil über einen CSV-Freiwilligen, das er 1962 in einem Brief an einen anderen Freiwilligen der Organisation zum Ausdruck brachte: »He comes from a famous public school, but I think his motive in volunteering is a perfectly good one: he recognises that he knows very little of life and wants both to widen and deepen his own horizon and, at the same time, have the feeling that he is being of use to someone or other.«379 Es war eine verbreitete Vorstellung, dass britische Studierende, die ihre ganze Jugend zuerst im Internat und dann in Oxbridge im Elfenbeinturm von der Außenwelt abgeschirmt verbracht hätten, nur ein verzerrtes Bild der Realität haben könnten. Der Freiwilligeneinsatz sollte ihnen als Korrektiv dienen. »Vice-chancellors and college principals complain of the ­immaturity of many students and wish that they had been involved positively in real-life problems between leaving their sixth form and plunging into further years of academic study« – mit dieser Referenz untermauerte Dickson in der Presse die Notwendigkeit seines Freiwilligendienstes.380 Die kritische Sicht auf die soziale Spaltung der britischen Gesellschaft teilte Dickson mit vielen seiner Landsleute.381 Insbesondere die ungleichen Bildungschancen gerieten in den sechziger Jahren in die Kritik. Der Newsom-Report etwa verfolgte das spezielle Ziel, die Situation der Jugendlichen mit »›average‹ and ›less-than-average‹ ability« zu untersuchen, und kam zu dem kritischen Resultat, die schlechten Bildungschancen seien »wastage, humanly or economically speaking«. Und eine solche Verschwendung könne sich das Land nicht leisten.382 In eine ähnliche Richtung argumentierte der ebenfalls 1963 erschienene Robbins-Report über das britische Hochschulsystem, der dessen Öffnung für breitere soziale Schichten forderte.383 Diese Kritik wurde von Politikern aller politischen Lager sehr ernst genommen. Wenngleich sie an der Aufnahmepraxis der Eliteuniversitäten nur wenig änderte, ging damit doch ein Ausbau des Bildungssystems einher, in dessen Zuge es etwa auch zu zahlreichen Universitätsneugründungen kam.384 Die Absicht, mit dem Freiwilligendienst Jugendlichen unabhängig von ihrer sozialen Herkunft eine Chance zu verleihen, blieb in den fünfziger und sechziger Jahren für CSV leitend. Das Ziel, auf diese Weise Gemeinschaftsgeist zu stiften und Klassenschranken zu überwinden, hatte auf die Gestaltung von CSV maßgeblichen Einfluss. Zwar stammten die Freiwilligen der Organisation in den sechziger Jahren letztlich ebenfalls zumeist aus der oberen M ­ ittelschicht 379 A. Dickson, Brief an C., 22. Sept. 1962, ACSV, AGD/B1/11. 380 Zeitungskopie: A. Dickson, Social Service as Education, Letters to the Editor, ohne Zeitungsangabe, ohne Datum, ACSV, AGD/B1/11, Press articles re CSV 1962–9. 381 Z. B. Ministry of Education, Half our Future, vgl. auch den von der britischen Regierung in Auftrag gegebenen Robbins Report zum britischen Universitätssystem, der dessen Demokratisierung anmahnte, Commitee on higher Education. 382 Ministry of Education, Half our Future, S. 1. 383 Davis, S. 10 f. 384 Ebd., S. 104 f.

217

und a­bsolvierten ihren Freiwilligendienst zwischen Schule und Universität oder während einer Studienpause.385 Doch dies entsprach ganz und gar nicht dem Ideal der Organisationsleitung. Freiwilligenarbeit müsse das »lady bounti­ ful image« ablegen und zur Aufgabe aller sozialen Schichten werden, betonte­ Dickson immer wieder.386 Die Kritik an der bürgerlichen Wohlfahrt, die Abhängigkeit schaffe anstatt zu mindern, hatte in Großbritannien eine lange Tradition und wurde im Laufe der sechziger Jahre wieder lauter.387 Dickson reagierte darauf, indem er sich bemühte, eine sozial bunt gemischte Teilnehmerschaft für seinen Freiwilligendienst zu gewinnen. Großen Wert legte er darauf, dass die Organisation keine Selektion vornahm und allen Bewerbern einen Platz anbot. Besonders stolz zeigte er sich z. B., dass er Einsatzstellen für ein blindes Mädchen oder für einen spastischen Jungen gefunden habe.388 »Youngsters who would once have been on the receiving end of other people’s charity are encouraged to go out and help.«389 1969 rief CSV ein spezielles Freiwilligenprogramm für Jugendliche aus Besserungsanstalten ins Leben.390 Auch hier lag die Überzeugung zugrunde, dass Verantwortungsgefühl entstehe, sobald Möglichkeiten eröffnet würden, Verantwortung zu übernehmen. Anstatt die Freiwilligen in einer Lagergemeinschaft zusammenzuführen, setzte die Organisation darauf, soziale Segregation zu überwinden, indem sie die Jugendlichen in ein ihnen fremdes gesellschaftliches Umfeld versetzte. Ein ähnlicher Grundgedanke hatte auch der englischen Settlement-Bewegung zugrunde gelegen – und es war sicherlich kein Zufall, dass die Organisation in den­ sechziger Jahren in Toynbee Hall mietfrei ihr Büro einrichten durfte.391 Hinzu kam allerdings das Ziel des Rollentausches: Jugendliche sollten in der Erwachsenenwelt Verantwortung übernehmen, Polizisten zu Vertrauensperson von Straftätern werden, Hilfsbedürftige und jugendliche Delinquenten zu Helfern. Ein von den Zeit­genos­sen als besonders drastisch empfundenes Experiment erscheint charakteristisch für diese Methode: Mitte der sechziger Jahre wies die Organisationsleitung einige Freiwillige in Jugendstrafanstalten an, mit den jugendlichen Straftätern zusammenzuleben, und zwar möglichst unter den gleichen Bedingungen, das heißt sie sollten ihre Mahlzeiten mit ihnen einnehmen, 385 Community Service Volunteers, Annual General Meeting and Reunion, 24.  Sept. 1966, S. 1, ACSV, AGD/B1/83. Auch Anfang der siebziger Jahre waren die Freiwilligen der Organisation noch mehrheitlich Sixth Form Absolventen, [Chapter II, 1971], S. 3, ACSV, AGD/ C9/7, papers re united nations study on domestic youth services, reports on different countries including UK volunteer questionnaires, 1972. 386 Z. B. Dickson, More Volunteers. 387 Zum ausgehenden 19. Jahrhundert vgl. Finlayson, Citizen, S. 155–160. 388 Z. B. Orr. 389 Kendall. 390 June 19th 1975 – Southern General Hospital. S. A. S. D. Da Conference – Community Service and the offender, ACSV, AGD/C1/68, Press Cuttings 1973–76. 391 Briggs u. Macarntey, S.  164; die Analogie zwischen VSO und der Settlement-Bewegung zieht auch Harrison, S. 108.

218

mit ihnen im Schlafsaal übernachten und Häftlingskleidung tragen.392 Die Hoffnung war, dass sie auf diese Weise unter den Anstaltsinsassen größere Akzeptanz finden würden und einen stärkeren Einfluss auf sie ausüben könnten. Diese Form des Einsatzes musste allerdings schon bald eingestellt werden, da das Innenministerium sie als gefährlich einstufte und verbot.393 Das Ziel, festgefahrene Rollenmuster zu durchbrechen, wirkte sich bei CSV auch auf die Geschlechterrollen aus, wenngleich die Auflösung traditioneller geschlechtsspezifischer Rollenmuster sicherlich nicht das Hauptanliegen der Organisation war. Bei der Konzeption seiner Organisationen hatte Dickson zunächst in erster Linie die männliche Jugend im Blick gehabt: Die Teilnahme bei VSO stand im ersten Jahr der Organisation nur Männern offen. Und auch in den Folgejahren, als grundsätzlich auch Frauen zu dem Dienst zugelassen wurden, überwogen die männlichen Teilnehmer zahlenmäßig bei weitem. Ebenso prägte ein männliches Übergewicht die Anfangszeit von CSV. Blickten konservative Befürworter des FSJ in Westdeutschland angesichts des Wirtschaftswunders besorgt auf das weibliche Geschlecht, war das Jugendbild, das den Freiwilligendiensten in Großbritannien den Boden bereitete, also eher auf die männliche Jugend fixiert. Die Konsumgesellschaft, so zeige das Verhalten britischer Jugendlicher, »has emasculated their sense of manhood«, befürchtete Dickson.394 Wohlstand und Wohlfahrt waren indes nur zwei der Faktoren, die aus britischer Sicht die wahrgenommene Misere der (männlichen) Jugendlichen bedingten: Auch die Klage, dass die Friedensperiode und der Zerfall des britischen Kolonialreichs der jugendlichen Abenteuerlust neue Grenzen setzten, richtete sich vornehmlich auf die männliche Jugend. Besaß in der Bundesrepublik vor allem die Vorstellung einer »nüchternen« oder »skep­ tischen« ­Jugend ohne Ideale große Überzeugungskraft, so war in Großbritannien die Idee verbreitet, dass die männliche Jugend dem Heroismus vergangener Zeiten nachtrauere. Wenn Dickson postulierte, dass im Wohlfahrtsstaat nicht mehr Armut die größte gesellschaftliche Gefahr sei, sondern Langeweile, so bekräftigte er damit das von vielen geteilte Bedauern darüber, dass sich der Jugend keine wahren Herausforderungen mehr stellten. Charakteristisch für diese Vorstellung war etwa John Osbornes ungemein erfolgreiches Theaterstück »Look back in Anger« aus dem Jahr 1957. Darin beklagt die Hauptfigur, der junge Jimmy Porter, mehrfach, dass in der unheroischen Gegenwart nichts mehr Enthusiasmus erwecke, niemand in Begeisterung gerate.395 Der Jugend sei 392 [A. Dickson, Manuskript, ohne Titel, ohne Jahr], AGD/D1/6, Report on full time volunteer programme, correspondence particularly with AGD foreign contacts, brochure from Gap activity projects 1979–80; Brief J. E. F. Cowling, an The Secretary, Magistrates Association, 24. Jan. 1966, TNA, PCOM 9.  393 [A. Dickson, Manuskript, ohne Titel, ohne Jahr], AGD/D1/6, Report on full time volunteer programme, correspondence particularly with AGD foreign contacts, brochure form Gap activity projects 1979–80. 394 Dickson, A Chance to Serve, S. 84. 395 Osborne, S. 15.

219

keine Gelegenheit mehr gegeben, sich durch Heldenmut zu beweisen: »I suppose people of our generation aren’t able to die for good causes any longer. We had all that done for us, in the thirties and the forties, when we were still kids. […] There aren’t any good, brave causes left.«396 Noch 1968 beschrieb Michael Adams in einer historischen Rückschau auf die Anfänge von VSO nostalgisch die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg: »No one with ambition, a sense of purpose or a simple taste for adventure could fail to find, somewhere on that imperial globe, an outlet for his energies or a chance to make his fortune.« In dieser Vorstellung sei die britische Jugend erzogen worden. Als Vorbilder galten Romanhelden, die ihren kriegerischen Mut in fernen Ländern erprobten: »How could any boy brought up on Kipling and Henty on Beau Geste and Greenmantle and the Four Feathers, resist the siren song of a­ dventure?«397 Die Jugend, so Adams weiter, sehe sich dieser Möglichkeiten beraubt: »Screwed up like their elders to meet a challenge, ready like them to break a lance in defence of aims so familiar as no longer to need definition, the young found themselves abruptly stranded on the threshold of an empty battle­ field.«398 Dickson selbst, so jedenfalls beschreibt es seine Frau in der biographischen Rückschau, habe als Jugendlicher in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg bereits ähnliche Gefühle gehegt: Er habe den legendären, sechzehnjährig gefallenen Kriegs­helden Jack Cornwell sowie den in weiten Kreisen verehrten Kriegsdichter Rupert Brooke beneidet und sich angesichts ihres Vorbilds gefragt: »Would there be a time in my life when I might be brave?«399 Ähnliche Gefühle projizierte Dickson auf die Jugend nach 1945. Wie die Gründung des FSJ hing auch diejenige der beiden britischen Langzeitfreiwilligendienste mit der Wehrpflicht zusammen, allerdings im Gegensatz zu ihnen mit dessen Abschaffung, die 1958 angekündigt und Anfang der sechziger Jahre umgesetzt wurde.400 Durch sie schien der Mangel an Möglichkeiten, sich zu beweisen, für männliche Jugendliche noch verstärkt zu werden. Die Freiwilligendienste sollten daher einen Ersatz für den Wehrdienst bieten. »[W]ith the ending of National Service, great numbers of British school-leavers will be going overseas to do ›Commonwealth Service‹ instead«, so beschrieb im 396 Ebd., S. 84. 397 Adams, S. 24. Zur verherrlichenden und verharmlosenden Darstellung des Krieges in der britischen Jugendliteratur bis 1939, auf die Adams hier Bezug nimmt, vgl. Flothow. 398 Adams, S. 28 f. 399 Dickson, Portrait, S. 3. Das Gefühl der »Sehnsucht nach dem Krieg« der Jugendlichen, die den Ersten Weltkrieg miterlebt, aber aufgrund ihres jungen Alterns daran noch nicht selbst mitgekämpft hatten, war nach 1914 auch in Deutschland weit verbreitet, vgl. ­Rusinek. 400 Der letzte vollständige Jahrgang Wehpflichtiger diente 1962, Hickman, S. xix; zum britischen Wehrdienst vgl. außerdem Scott; Broad. Mora Dickson beschreibt in ihrer Lebensgeschichte, die Ankündigung, dass die Wehrpflicht aufgehoben werden solle, habe 1958 den direkten Anstoß für die Gründung von VSO gegeben, Dickson, Portrait, S. 190. Ideen für einen Freiwilligendienst in Commonwealthländern hatte er allerdings schon vorher entwickelt, vgl. Bird, S. 18.

220

April 1959 der erste Artikel, in dem »The Manchester Guardian« über VSO berichtete, die Erwartung der Unterstützer der Organisation.401 Galt der Militärdienst gemeinhin als Schule der Männlichkeit, so sah ­Dickson eine solche ebenfalls in der Konfrontation mit menschlicher Not. Als Schlüsselerlebnis, das ihn zur Gründung seiner Jugendorganisationen inspiriert habe, präsentierte er immer wieder seinen Einsatz in einem humanitären Hilfsteam, das 1956 nach dem Ungarischen Volksaufstand an der österreichischen Grenze bei der Versorgung von Flüchtlingen geholfen hatte.402 »We watched them grow to manhood that winter«, urteilte er über die freiwilligen Helfer an der ungarischen Grenze.403 Die Erfahrung der hohen Einsatzbereitschaft des internationalen Teams, das sich überwiegend aus Studierenden zusammensetzte, habe ihn davon überzeugt, dass jugendlicher Idealismus sich gesellschaftlich nutzen lasse und dass es gelte, dafür Gelegenheiten zu geben: »[W]e shouldn’t wait for revolutions and crisis to give young people this chance of helping others and themselves«,­ forderte er 1967 in einem Interview.404 Sein Ziel war es, Jugendlichen mit dem Freiwilligendienst eine Möglichkeit zu eröffnen, »to flex their muscles to the benefit of the community«.405 Der Wunsch, einen Ersatz für den Militärdienst und eine Schule der Männlichkeit zu schaffen, zeigt ebenso wie das Bestreben, der traditionell eher männlich konnotierten Abenteuerlust entgegenzukommen, wie sehr das Konzept der britischen Freiwilligendienste auf einem Jugendbild beruhte, das sich – a­ nders als jenes, welches das deutsche FSJ motivierte  – am männlichen Staatsbürger orientierte. Nicht der Wandel der Aufgaben von Mädchen in der Familie erschien hier als die gravierendste Begleiterscheinung von Wohlstand und Wohlfahrt. Vielmehr hielt man es für notwendig, dem Jugendlichen – und gedacht war hier zunächst an den männlichen Jugendlichen – eine Möglichkeit zu liefern, »experience in the difficulties of Community and nation-building« zu sammeln, eine Erfahrung, »which was invaluable to him and which he could probably never get in his own affluent society«, so Mora Dickson 1964 über 401 Schoolboy recruits for Central Africa, in: The Manchester Guardian, 4. April 1959, S. 3. 402 Bailkin, S. 63 f., arbeitet heraus, dass sich Dickson mit dem Bericht über seine Erlebnisse an der ungarischen Grenze in das verbreitete Denkmuster einschreibt, das die zentrale Rolle der Jugend im Kalten Krieg hervorhebt und in vielen westlichen Ländern zu verstärkten Bemühungen um Bildung und Mobilisierung Jugendlicher führte. Bailkin weist überdies darauf hin, dass diese Geschichte der Selbststilisierung gegolten haben mag und möglicherweise auch zu diesem Zweck von Dickson erfunden wurde. Wie für ihre eigene­ Deutung der CSV ist es auch für die hier unternommenen Überlegungen unerheblich, inwieweit dieser Gründungsmythos auf Tatsachen beruht. 403 Schoolboy recruits for Central Africa, The Manchester Guardian, 4. April 1959, S. 3. Das Zitat widerspricht der These Bailkins, die bestreitet, dass es Ziel von VSO gewesen sei, »to turn boys into men«, ebd., S. 73. 404 A. Dickson, zitiert nach Orr. 405 Ebd.

221

VSO.406 Die Historikerin Jordanna Bailkin deutet Dicksons dezidierte Ablehnung der traditionellen Philanthropie sogar als Ablehnung älterer Modelle einer in erster Linie weiblichen Wohltätigkeit bzw. als »Vermännlichung« der Wohltätigkeit.407 Dickson allerdings reflektierte den angestrebten Wandel der Freiwilligenarbeit nicht explizit unter dem Genderaspekt. Trotz oder vielmehr aufgrund dieser ursprünglichen Ausrichtung auf die männliche Jugend erlaubten es die beiden britischen Organisationen Mädchen von der Konzeption her eher, sich über traditionelle Rollenzuschreibungen hinwegzusetzen, als es im Rahmen des FSJ in der Bundesrepublik möglich war. Zwar wurden sie bei CSV anfänglich ebenfalls gern in Kinder- und Säuglingsheime vermittelt, Jungen hingegen in Schwererziehbarenheime und Jugendstrafanstalten.408 Damit folgte die Organisation also zunächst der auch in Großbritannien noch wenig angefochtenen Rollenzuschreibung einer, wie es die englischsprachige Forschung formuliert, »domestic citizenship«, welche die gesellschaftliche Aufgabe der Frauen in erzieherischen und pflegerischen Diensten erblickte.409 Doch akzeptierten sie ähnlich wie die weibliche Pfadfinderorganisation, die Girl Guides, Abenteuerlust auch bei der weiblichen Jugend.410 Und das Ziel, Mädchen an ihren Einsatzorten auf ihre Hausfrauen- und Mutter­ rolle vorzubereiten, das für die Einrichtung des deutschen FSJ eine so zentrale Rolle spielte, wurde bei CSV nicht propagiert. Im Gegenteil: Wenn Geschlechterrollen durchbrochen wurden, war dies durchaus beabsichtigt. Schon im Gründungsjahr der Organisation, als auf Krankenstationen üblicherweise noch ausschließlich Schwestern arbeiteten, leisteten männliche Community Service Volunteers ihren Dienst im Pflegebereich von Krankenhäusern. Davon habe man sich für die Patienten einen »instant therapeutic value« versprochen, so Mora Dickson in ihrer Lebensgeschichte.411 Ein undatiertes Foto in der von ihr 1976 herausgegebenen Biographie ihres Gatten zeigt einen männlichen Freiwilligen, der sich über ein Krankenhausbett beugt und einem Patienten W ­ asser reicht (Abb. 11). Deutsche Selbstdarstellungen des FSJ bildeten zwar in den siebziger Jahren auch mitunter Männer ab, nicht aber bei der Pflege von Alten oder Kranken.

406 Dickson, A World, S. 13. 407 Bailkin, S. 72. 408 Community Service Volunteers. Background Notes, 1965, ACSV, AGD/B1/38, Newsletters, 1966–68. 409 Shapira; Lister; Murphey. Zu den Rollenvorstellungen in der britischen Nachkriegszeit vgl. auch Lewis, Women, bes. 16–26; Giles; Tracey; Holloway, S. 179–207. 410 Zu den Girl Guides und ihrer ambivalenten Zielsetzung, den Mädchen einerseits hauswirtschaftliche Fähigkeiten beizubringen, andererseits ihnen Abenteuer zu erlauben, vgl.­ Proctor. Auch die Mädchenzeitschrift »Girls« hatte in den sechziger Jahren eine Rubrik »Adventure Corner« und verlieh wöchentlich die Auszeichnung »Adventurer of the Week«, vgl. Spencer, S. 154. 411 Dickson, Portrait, S. 256.

222

Abb. 11: Ein Community Service Volunteer bei seinem Dienst in einem Krankenhaus, vor 1976

Auch den für die Zeitgenossen ungewöhnlichen Einsatz weiblicher Freiwilliger in einer Besserungsanstalt stellten Selbstdarstellungen von CSV in den sechziger Jahren gern dar. Vom positiven Effekt dieses Rollenbruchs war die Organisationsleitung fest überzeugt: »It is amazing the impact a woman can have there [= in approved schools for boys]. She’s not so much regarded as being part of a set-up and she brings out things that wild horses wouldn’t drag«, so die Überzeugung.412 1967 bezeichnete der Jahresbericht der Organisation ihre Politik, weibliche Freiwillige in Institutionen einzusetzen, in denen das Personal üb­ licherweise rein männlich war, und umgekehrt als »cross posting«.413

412 Zitiert nach Bugler, S. 20. 413 Community Service Volunteers, Annual Report 1966/67, S. 10, ACSV, AGD/B1/39.

223

Die Historikerin Sonya O. Rose hat die Ablehnung von »hyper-masculinity«, das heißt eines stark auf militärische Werte ausgerichteten Männlichkeitsbildes, als britisches Spezifikum identifiziert, das sich durch die Distanzierung vom kriegerischen Männlichkeitsideal der Nationalsozialisten formte.414 Es lohnt sich, diese Deutung im deutsch-britischen Vergleich der Geschlechterbilder in der Nachkriegszeit weiterzuführen. Die Bemühungen, sich vom Natio­nal­sozia­ lismus abzugrenzen, scheinen in der Bundesrepublik vor allem das Männlichkeitsbild verändert zu haben. Militärische Männlichkeit war in Westdeutschland nach 1945 kein verbreitetes Ideal mehr. Damit war hier, anders als in Großbritannien, gleichzeitig auch die Abenteuerlust problematisch geworden. Zwar war die Vorstellung, dass junge Männer eine solche in gewissem Maße ausleben sollten, nicht völlig verschwunden.415 Doch waren enge Grenzen gesetzt. Im militärischen Kontext war der Begriff des Abenteuers – zumindest im öffentlichen Diskurs – eindeutig negativ besetzt. Andernorts Ersatz zu finden, fiel offenbar ebenfalls nicht leicht: Wenngleich bei der Aktion Sühnezeichen und den bundesdeutschen Entwicklungsdiensten Stimmen, die Abenteuerlust als Motiv zur Teilnahme billigten, nicht gänzlich fehlten, war dies im Gegensatz zu Großbritannien der hoch umstrittene Standpunkt einer Minderheit.416 Wichtige Elemente herkömmlicher Männlichkeitsdefinitionen lösten sich in Westdeutschland nach 1945 sehr abrupt auf. Dass konservative und kirchliche Kreise traditionelle Weiblichkeitsvorstellungen umso vehementer zu fixieren suchten, ist als Reaktion darauf zu deuten. Obwohl das deutsche FSJ und die britischen Freiwilligendienste mit der Zielsetzung, die wohlstandsgewöhnte Jugend zur Gemeinwohlorientierung zu erziehen, eine wichtige Gemeinsamkeit aufwiesen, wichen sie konzeptionell doch stark voneinander ab. Die Unterschiede zwischen den deutschen und den britischen Freiwilligenorganisationen sind maßgeblich auf nationale Problemlagen und Prägungen zurückzuführen: Waren die Dienste in Deutschland eine konservative Reaktion auf die zunehmende Frauenerwerbstätigkeit, antworteten sie in Großbritannien auf verbreitet wahrgenommene Jugendprobleme und waren gleichzeitig Teil einer nationalen Selbstverständnisdiskussion, die durch die Dekolonisation angestoßen worden war. Lenkte in der Bundesrepublik die Ar414 Vgl. Rose, S. 151–196, Zitat S. 181. 415 Ell, S. 103–111. Der Pubertätsratgeber verdeutlicht auch die geschlechtsspezifische Konno­ tation des Abenteuerbegriffs, wenn er betont, es sei »notwendig, zwischen der Abenteuerlust der Buben und der Mädchen zu unterscheiden« (S. 103): Das Mädchen »ersehnt Abenteuer ›in Richtung Mann‹«, was auf einer halben Seite ausgeführt wird (S. 104). Die Jungen hingegen »suchen das, was man gewöhnlich unter Abenteuer versteht«. Der männlichen Abenteuerlust, die durch die »Sehnsucht nach der Ferne, nach fremden Erdteilen, fremden Lebensweisen, nach der ›lockenden Wildnis‹« gespeist werde, widmen sich sieben Seiten. 416 Für die Aktion Sühnezeichen: Brief J. Müller an L. Kreyssig, Joure, 5. Juni 1961, EZA, 97/734 Korrespondenz und Tagebücher von Freiwilligen in Israel 1961–64; Brief von K. P. an L. Kreyssig, 12. Okt. 1965, EZA, 97/932, L. Kreyssig, Korrespondenz mit Freiwilligen, 1964 f.; für den Entwicklungsdienst vgl. Maß, hier S. 82 f.

224

beitsdiensttradition die neuen Freiwilligendienste in ihre Bahn, so bestimmte in Großbritannien das Wertesystem der Public Schools und der Scouts die Wegrichtung. Überraschen mag bei den großen konzeptionellen Unterschieden, wie ähnlich Motive und Erfahrungen der Freiwilligen in beiden Ländern sich ausnahmen. Ihnen widmet sich das folgende Unterkapitel.

3.5 Die Dienste aus der Sicht der Freiwilligen Die Trägerorganisationen des FSJ, so zeigte der Blick auf den konzeptionellen Wandel, bemühten sich in den sechziger Jahren immer stärker darum, ihr Angebot den Wünschen der jugendlichen Teilnehmerinnen und Teilnehmer anzupassen. Doch welches waren deren Beweggründe für bzw. Erfahrungen in dem Dienst? Während sich die von den Jugendlichen geäußerten Teilnahmegründe in einigen wesentlichen Aspekten mit den Motiven und Zielsetzungen der erwachsenen Befürworter des Sozialjahres deckten, unterschieden sie sich in anderen Punkten wiederum deutlich von ihnen. Auffällig ist vor allem, dass sie in der historischen Rückschau trotz der sich seit Kriegsende vollziehenden großen Veränderungen in der Jugendkultur über die Jahre hinweg viel konstanter erscheinen, als es der von den Organisationen immer wieder behauptete Wertewandel der Jugend vermuten lässt. Ungeachtet aller Unterschiede in der Konzeption der Langzeitfreiwilligendienste in Westdeutschland und Großbritannien weisen die Motivationsschreiben und Erfahrungsberichte der Jugendlichen in beiden Ländern überaus große Ähnlichkeiten auf und werden daher im folgenden Abschnitt gemeinsam betrachtet. Überdies werden, obwohl der Einsatz in den Workcamps aufgrund seiner kurzen Dauer von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern im Vergleich zu den längerfristigen Diensten zumeist als weniger einschneidend oder prägend empfunden wurde, auch ihre Motive und Erfahrungen in die Analyse mit einbezogen. a. Motive für die Teilnahme Um ihre These eines Wertewandels der Jugend zu belegen, beriefen sich die deutschen Trägerorganisationen auf ihre Beobachtung, dass auf die eigene Person bezogene Teilnahmemotive bei den Freiwilligen zunahmen. Während sich anhand der Quellen aus der Feder der Jugendlichen ein derart prononcierter allgemeiner Wandel nicht feststellen lässt, fällt – zumindest auf deutscher Seite – tatsächlich eine Veränderung ins Auge: Deutlich zeigte sich ein Rückgang religiöser Begründungen für die Teilnahme am Sozialjahr. In den fünfziger Jahren waren religiöse Überzeugungen bei vielen Teilnehmerinnen ein wichtiger Grund für ihren Entschluss zu einem Diakonischen Jahr, wie zahlreiche Briefe 225

von Freiwilligen aus dieser Zeit bezeugen. So schrieb etwa eine Freiwillige 1955 in einem Bewerbungsschreiben, für das ein solches Bekenntnis freilich auch­ vorausgesetzt wurde: »Das diakonische Jahr möchte ich mitmachen, daß ich das richtige Dienen noch besser lerne und auch selbst reinen inneren Gewinn haben darf.«417 Im Laufe der sechziger Jahre verloren religiöse Begründungen aber auch bei den Bewerbungsschreiben an die konfessionellen Trägerorganisationen an Gewicht, wenngleich sie nie gänzlich verschwanden.418 Allgemein waren die sechziger Jahre durch eine nachlassende Kirchlichkeit geprägt. Sie trat bei der Jugend schon seit den späten fünfziger Jahren mit der sinkenden Mitgliedschaft in kirchlichen Jugendorganisationen zu Tage.419 Wenn allerdings religiöse Beweggründe in den Motivationsschreiben  – zumindest proportional  – in den Hintergrund traten, ist davon auszugehen, dass dies in nicht zu vernachlässigendem Maße auch mit den neuen Werbemaßnahmen und der deutlich offeneren Rekrutierungspolitik der konfessionellen Trägerorganisationen zusammenhing. In den Briefen britischer Freiwilliger der CSV, die erst aus den sechziger Jahren vorliegen, finden sich allgemein nur selten religiöse Motive. Genannt wurden sie allerdings von den meisten britischen Teilnehmerinnen und Teilnehmern an den Workcamps der Quäker und des Christlichen Friedensdienstes wie auch bei den britischen Jugendlichen, die im Rahmen eines zwischen 1961 und 1964 von der Aktion Sühnezeichen und der Coventry Cathedral organisierten Freiwilligenaustausches beim Wiederaufbau eines Krankenhauses in Dresden halfen.420 Aus dem Quellenmaterial dieser stark christlich orientierten Organisationen lässt sich kein Trend einer nachlassenden Religiosität ablesen. Abgesehen davon, dass deutsche Jugendliche sich bei der Begründung ihres Sozialjahres nicht mehr so oft auf ihre religiöse Überzeugung beriefen, wandelten sich ihre Beweggründe nur geringfügig. Allenfalls die Mischungsverhältnisse in der Motivlage verschoben sich, und diese Veränderung war eher eine graduelle als eine grundsätzliche. Vor allem eine Konstante, die der Deutung der Trägerorganisationen widerspricht, ist auffällig, wenngleich wenig überraschend: Aus den Selbstzeugnissen geht hervor, dass die Freiwilligen in der Bundesrepublik ebenso wie in Großbritannien von Anbeginn an üblicherweise auch einen Gewinn für die eigene Person aus ihrem Dienst zu ziehen hofften. Nur insofern ist hier eine Veränderung zu erkennen, als sich die Freiwilligen im Laufe der sechziger Jahre in Quellen, die für die Öffentlichkeit bestimmt waren, eher zu ihren individuellen Motiven bekannten.421 Diese Offenheit findet sich just seit der Zeit, als auch die erwachsenen Organisatoren von ihrer Idealismus417 E. B., [Motivationsschreiben 1955], ZADN, D 5/2, 38 A-Den. 418 Vgl. z. B. Brief einer Freiwilligen, 11. Jan. 1966; Brief eines Freiwilligen, 26. April 1967; Brief einer Freiwilligen, 17. März 1969, alle Briefe ZADN, D 5/2–29. 419 Vgl. Ruff, bes. S. 48–120. 420 Campers Evaluation of the Berlin Camp 1956, LARSF, QSRE/WKC Archives Box 20/5; ACFYAP, Ordner: Lagerberichte 1961–1972; CCA, PA2506/25/2/56 CCN 20. 421 Z. B. P. Beasley, The Volunteers [Zeitungsausschnitt, ohne Herkunftsangabe, nach 1963], ACSV, AGD/B1/11, Press articles re CSV 1962–9.

226

forderung mehr und mehr abließen und sich dies in der der neuen Werbestrategie der Trägerorganisationen niederschlug. Die Trägerorganisationen und Regierungsvertreter, welche die Freiwilligendienste initiierten und förderten ebenso wie die Medien, die sie kommentierten, hatten gesellschaftliche Ziele im Blick. Für die Jugendlichen blieben solche Ziele bei ihrer Entscheidung, ein Sozialjahr zu absolvieren, zwar selten gänzlich außer Acht. Im Vordergrund standen für sie allerdings persönliche Motive. Auch solche individuellen Gründe mussten aber nicht ausschließlich auf die eigene Person bezogen sein. In der Tat ging es den Freiwilligen sehr oft gerade darum, die neue Rolle zu bestimmen, die sie als junge Erwachsene in der Gesellschaft einnehmen wollten. Vielfach war es ein wichtiger Wunsch, individuelle und gesellschaftliche Ziele miteinander zu verbinden und in Einklang zu bringen. Dies zeigt sich im Übrigen nicht nur in Bewerbungsschreiben, die oft bewusst auf die Ziele der Trägerorganisationen ausgerichtet wurden, und auch nicht nur in denjenigen Quellen, in denen die Freiwilligen zu ihren Beweggründen Stellung bezogen, sondern auch in Erfahrungsberichten, in denen sie den Trägerorganisationen gegenüber kaum oder gar nicht Rücksicht nehmen mussten. Ein immer wiederkehrendes Motiv in den von den Freiwilligen verfassten Quellen ist das Gefühl, in der Schule in einem sozialen Schonraum gelebt zu haben. Sie freuten sich darauf, die als schädlich oder unnatürlich betrachtete Trennung von der Erwachsenenwelt endlich zu überwinden. Eine Schulabgängerin begründete etwa 1963, sie wolle im Diakonischen Jahr endlich »etwas Wirkliches tun. Ich war in der Schule und das kam mir vor wie ein theoretisches Leben. Ich wollte einmal mit dem wirklichen Leben bekannt werden.«422 Auch unter den britischen Freiwilligen war der Wunsch verbreitet, nach der Schulzeit, insbesondere als Unterbrechung zwischen Schule und Universität, »a year ­between« einzuschieben und einige Zeit praktisch zu arbeiten. Bei ihnen verband sich dieser Wunsch vielfach mit der Klage über die Realitätsferne der Public Schools und der Eliteuniversitäten, aus denen ja ein Großteil der Teilnehmer kam: »The­ atmosphere at British universities, especially Oxbridge is so devoid from reality as to be damaging«, empfand beispielsweise ein Freiwilliger 1963.423 Priesen die Freiwilligenorganisationen den Sozialdienst als eine Möglichkeit, Lebenserfahrungen zu sammeln und sich persönlich weiterzuentwickeln, so traf dies die Erwartung vieler Teilnehmerinnen und Teilnehmer. »Das Freiwillige Soziale Jahr soll für mich also eigentlich eine Prüfung sein«, schrieb eine Freiwillige 1967.424 Ähnlich erschien auch anderen die Herausforderung besonders wertvoll, die das Jahr im Vergleich zu ihrem bisherigen Leben für sie darstellte.425 Im Vordergrund stand für sie dabei oftmals wie in diesem Zitat das 422 Ergebnis des Erfahrungsaustausches mit den Trägern des Diakonischen Jahres in Wies­ baden am 4./5. Nov. 1963, Ansprache einer jetzigen Diakonischen Helferin, ZADN, D5/2–6. 423 T. R. an A. Dickson, 25. Mai 1963, ACSV, AGD/B1/11, Press articles re CSV 1962–9. 424 Zwei Helferinnen berichten, in: Tübinger Brief, Jg. 14, 1967, Nr. 12, S. 296. 425 Zeitungsausschnitt [ohne Herkunftsangabe, 1957], ZADN, D5/2–2, Diakonisches Jahr I.

227

Zusammentreffen »mit Menschen«. Ein Abiturient, der gerade ein Maschinenbaupraktikum absolviert hatte, begründete in seinem Motivationsschreiben 1958 den Wunsch, ein Diakonisches Jahr abzuleisten, mit seiner Suche »nach einem Beruf, in dem ich mich nicht mit leblosen Dingen befassen muß«.426 Eine Kontoristin betonte 1964 in ihrem Bewerbungsschreiben, sie wolle sich »lieber für Menschen einsetzen, nicht für Zahlen«.427 Und ein Freiwilliger der CSV berichtete 1963 in einem Brief an Alec Dickson über seine Arbeit: »I am enjoying my work and its opportunities more and more as the days go by, and am already dreading the day when I shall have to leave! It is really marvellous to be able to work with people, and I feel sorry for the harder lot of the factory-worker etc., because he does not see the people who benefit from his work. Here, however, there is a marvellous relationship between the person doing the work and those it is done for. And, of course, the benefit works both ways.«428

Ganz gleich, ob die Freiwilligen aus der Schule, dem Studium, dem Büro, der Bank, dem Journalismus, dem Ingenieurwesen, vom Fließband, vom Verkaufstresen oder aus der Nähstube kamen  – immer wieder erklärten sie ihre Teilnahme mit der Absicht, »wirklich sinnvolle Arbeit« zu leisten und »Erfüllung« oder »Befriedigung« zu finden.429 Dieses Anliegen lässt sich als Reaktion auf ein Gefühl der Abschottung oder »Entfremdung« an ihrem vorherigen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz verstehen. Dabei spielte der Wunsch, einmal wirklich »gebraucht zu werden« und »Verantwortung zu übernehmen«, bei vielen eine große Rolle. Für einige Teilnehmerinnen und Teilnehmer gehörten dazu auch harte Arbeitsbedingungen. So äußerte sich eine Freiwillige 1957 in einem Zeitungsinterview: »Wenige von uns kannten eine so lange anstrengende Arbeitszeit. Gerade das aber gefiel uns; wir wollten wirklich zugreifen und ausgefüllt sein und freuten uns, wenn wir etwas leisteten und uns Verantwortung übertragen wurde.«430 In dieser und ähnlichen Aussagen von Freiwilligen, die glaubten, es bislang zu leicht gehabt zu haben, spiegelt sich die von den Trägerorganisationen oft geäußerte Ambivalenz gegenüber dem Wohlstand, der die Jugendlichen vor einer Konfrontation mit wirklichen Notlagen bewahre. Bei einigen Freiwilligen äußerte sich diese Vorstellung auch in einem ausgesprochenen Wunsch, Hilfe zu leisten. »Sie können sich gar nicht vorstellen, wie es mich zu den Menschen hinzieht, die hilflos ihre Hände ausstrecken und von ihren ›Brüdern‹ und ›Schwestern‹ Hilfe erwarten«, bekannte eine Helferin 1965 426 Bewerbungsschreiben eines Abiturienten, geb. 1937, 1958, ZADN, D5/2–30. 427 A. B., Brief vom 3. Aug. 1964, ZADN, D 5/2–38, A-Den. 428 Brief von L. M. an A. Dickson, 25.  Juni 1963, ACSV, AGD/B1/11, Press articles re CSV 1962–9. 429 Z. B. Brief zweier Freiwilliger in Naerlandheimen, 10. Aug. 1967, EZA, 97/933, L. Kreyssig, Korrespondenz mit Freiwilligen; H. B., Brief vom 18. Okt. 1962, ZADN, D 5/2, 38 A-Den. 430 Zeitungsausschnitt, [ohne Herkunftsangabe, 1957], ZADN, D5/2–2, Diakonisches Jahr I.

228

in ihrem Motivationsbrief.431 Eine andere Freiwillige gab 1958 in ihrem B ­ ewer­ bungsschreiben an, sie würde ihren Sozialdienst »sehr gern in einer Pflege­anstalt machen – bei den allerärmsten Kindern«.432 Die Motivation war hier das Gefühl, selbst ein privilegiertes Leben zu führen. Weit verbreitet war unter den Freiwilligen eine deutliche Wohlstands- und Konsumkritik, die gleichfalls oft ein wichtiges Motiv für ihre Teilnahme an einem Arbeitsdienst darstellte. Eine Teilnehmerin suchte beispielsweise 1958 nach einer Tätigkeit, in der es »um Menschen geht und die Jagd nach Geld gänzlich wegfällt«.433 Einige wollten mit ihrem Dienst einer von ihnen wahrgenommenen um sich greifenden Wohlstandsgefälligkeit entgegenwirken.434 Ein britischer Freiwilliger beklagte, der Wohlfahrtsstaat lasse Not unsichtbar werden, ohne ihr aber ein Ende zu bereiten. »Few of us are aware that there is any need for service by young people in this country: suffering is no longer visibly apparent in Britain and to most sixth-formers the potbellied child on the Oxfam poster is more real than anything they know of here«, begründete er die in seinen Augen mangelnde Engagementbereitschaft seiner Altersgenossen.435 Die Motive der Freiwilligen, so zeigt sich hier, waren teilweise mit ähnlichen Gesellschaftsdiagnosen verbunden wie bei den Erwachsenen, welche die Einrichtung von sozialen Jugenddiensten propagierten und vorantrieben. Professionalisierung, Wohlfahrt und Wohlstand führten auch in den Augen der Jugendlichen zu einem Verlust an sozialer Sensibilität und Solidarität. Doch war dieser Diskurs bei den Freiwilligen weniger dominant und klang meist nüchterner: Sie sprachen nicht von »Vermassung«, »Entfremdung«, »Dekadenz« oder »Untergang«. Und vor allem in einem Punkt sahen die Jugendlichen die Welt optimistischer: Wenngleich sich ihre Kultur- und Gesellschaftskritik mitunter auf ihre Altersgenossen richtete, teilten sie weit seltener die bei den Erwachsenen beliebte generationelle Deutung des kulturellen Wandels. Dass die Gesellschaftsdiagnosen der Freiwilligen weniger apokalyptisch klingen als diejenigen zahlreicher erwachsener Befürworter des Sozialdienstes, lässt sich als altersbedingte Differenz deuten. Sie wurde nicht zuletzt dadurch provo­ziert, dass viele Erwachsene ihre Verfallsprognosen gerade an der Jugend zu belegen suchten. Sie ist außerdem darauf zurückzuführen, dass vielen jungen Freiwilligen der akademische Hintergrund fehlte und sie sich weder mit der kulturpessimistischen Philosophie eingehender auseinandergesetzt hatten noch sich den Sprachduktus angeeignet hatten, mit dem diese Philosophie von den Trägerorganisationen gemeinhin formuliert wurde. Aus dieser Differenz zwischen Jugendlichen und Erwachsenen lässt sich allerdings nicht zwingend 431 T. B., Brief vom 22. Juli 1965, ZADN, D 5/2, 38, A-Den. 432 I. D., Brief vom 30. Aug. 1958, ZADN, D 5/2, 38, A-Den. 433 Ebd. 434 Siehe z. B. einen Zeitungsartikel übersetzt aus Ha Aretz vom 24.  Juli 1964, EZA, 97/45, Selbstdarstellung 1959–64. 435 P. Beasley, The Volunteers, [Zeitungsausschnitt, ohne Herkunftsangabe, nach 1963], ACSV, AGD/B1/11.

229

ableiten, dass das langsame Schwinden der Niedergangsstimmung zuerst von der Jugend ausgegangen sei, wie es eine Interpretation der Nachkriegszeit impliziert, die den Generationswechsel für eine treibende Kraft des Wandels hält. Denn obwohl viele Teilnehmerinnen weiterhin der traditionellen geschlechtsspezifischen Aufgabenverteilung im Haushalt zustimmten und sich mit dem Sozialjahr tatsächlich auch auf ihre Hausfrauentätigkeit vorbereiten wollten, nutzte ein Großteil der jungen Frauen das Sozialjahr gleichzeitig auch für die Berufsorientierung und verfolgte das Ziel einer beruflichen Selbstverwirklichung. Dies galt auch schon für die Teilnehmerinnen in den fünfziger und frühen sechziger Jahren, die ja in dieser Zeit in der Mehrzahl nicht direkt von der Schulbank kamen, sondern bereits seit einigen Jahren im Berufsleben standen und daher von den Zeitgenossen vielfach als besonders idealistisch porträtiert wurden.436 Doch entgegen dieser Darstellung entschieden sich die meisten der Helferinnen bereits in der Anfangszeit des Diakonischen Jahres Mitte der fünfziger Jahre aufgrund einer Gemengelage vielfältiger Motive dazu, ihren sozialen Jahresdienst anzutreten. Auch für diejenigen, die einer religiösen Überzeugung folgten, stellte sehr oft der Wunsch, sich beruflich zu orientieren oder einen eventuellen Berufswechsel vorzubereiten, einen wichtigen zusätzlichen Anreiz für die Teilnahme dar.437 EMNID-Jugendumfragen zufolge arbeiteten Mitte der fünfziger Jahre etwa 20 Prozent der Mädchen nicht in einem Beruf, den sie selbst gewählt hatten.438 Dies galt auch für viele der Freiwilligen in dieser Zeit, die auf das Drängen ihrer Eltern hin eine Bürotätigkeit aufgenommen hatten. Oftmals empfanden sie keine Freude daran und sahen in dem Freiwilligendienst eine Möglichkeit, zumindest für ein Jahr aus dem aufgezwungenen Beruf auszubrechen.439 Viele hofften sogar, der Sozialdienst könne ihnen die Tür zu einem dauerhaften Wechsel in den Erziehungs- oder Pflegesektor öffnen. Etwa die Hälfte der bereits berufstätigen Teilnehmerinnen ergriff tatsächlich im Anschluss an das Dienstjahr einen neuen Beruf im sozialen Bereich.440

436 Der Wunsch des Berufswechsels war auch für den kleinen Prozentsatz der männlichen Teilnehmer am Freiwilligenjahr oft entscheidend, vgl. R. Brüning, »Probleme der Zeit«, Das freiwillige soziale Jahr, 27. Jan. 1965, S. 3, ADE, ADW, HGSt, III 251, 4823 andere Verbände; Diakon E. Eitel an den Pressedienst der CDU Baden-Württemberg, 28. Jan. 1959, ADE, ADW, HGSt, III 252, 985, Einführung Aufrufe, Berichte (671–1/8). 437 Z. B. Brief vom 19. Jan. 1967, ZADN, D 5/2–29; L. B., Brief aus dem Jahr 1961; E. B., Brief vom 4. Jan. 1960, beide Briefe ZADN, D 5/2–38, A-Den. 438 EMNID-Institut für Meinungsforschung, Eine Untersuchung, Graphik VI und S. 45 f. 439 Z. B. Freiwilliges Soziales Jahr. Berichte der Helferinnen, in: Tübinger Brief, Jg. 13, 1966, Nr. 7, S. 177–181, hier S. 180. 440 Brief des Bundesministers f. Fam. u. Jugend, an [A.] Müller Schöll, [1965], ADE, ADW, HGSt, III 251, 2475 Pflichtjahr; Auswertung der Aktion des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend ›Freiwilliger Hilfsdienst in den Flüchtlingslagern, 1.  April 1959–31. März 1960, ADC, 921.9 +339 Fasz 0–1, Fasz 0.

230

b. Erfahrungen Häufig betonten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der längerfristigen Freiwilligendienste, sie hätten es zuvor nicht erwartet, »bestimmt nicht geglaubt« oder es sich anders vorgestellt, was sie während ihres Dienstjahres lernen würden.441 Nur und erst durch die Teilnahme lasse sich daher dessen voller Wert erkennen: »So merkwürdig es klingt, ich glaube, von dem höheren Sinn dieser bewundernswerten Einrichtung des D. J. bekommt man erst so recht eine Ahnung, wenn man diese Zeit hinter sich gebracht hat«, reflektierte eine ehemalige Diakonische Helferin 1959 in einem Brief an ihre Einsatzstelle.442 Viele Einschätzungen von Freiwilligen werfen die Frage auf, inwiefern sich die Erwartungen, die sie an ihren Sozialdienst knüpften, erfüllten oder ob und wie ihre Erfahrungen davon abwichen.443 Bei der Auswertung von Erfahrungsberichten und Evaluationsbögen sind frei­lich abermals quellenspezifische Schieflagen zu beachten. So ist es für die Briefe an die Trägerorganisationen denkbar, für die im Werbematerial zitierten Aussagen wahrscheinlich, dass sich tendenziell eher solche Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu Wort meldeten, die ihren Freiwilligendienst als eine für sie wertvolle und positive Erfahrung betrachteten. Jugendliche hingegen, die ihren Dienst aus Enttäuschung oder Überforderung negativ beurteilten oder gar abbrachen, sahen möglicherweise keine Veranlassung, ihre Gründe hierfür kundzutun. Doch auch wenn man dies berücksichtigt, lassen zahlreiche und überschwängliche Lobbekundungen aus unveröffentlichten Selbstzeugnissen der Freiwilligen zumindest erkennen, dass es – zwar wohl selektiv – jedoch nicht aus der Luft gegriffen war, wenn die Trägerorganisationen mit ausgesprochen positiven Stellungnahmen von Teilnehmerinnen und Teilnehmern warben. Immer wieder drückten ehemalige Helferinnen und Helfer in der Bundesrepublik wie in Großbritannien ihre »Dankbarkeit« dafür aus, dass sie an dem Freiwilligendienst teilnehmen konnten.444 Vor allem in der Bundesrepublik betonten viele, dass sie ihre Teilnahme »nie bereuen« würden oder dass das Jahr für sie »keine verlorene Zeit« gewesen sei.445 In solchen Aussagen spiegeln sich ex negativo die »Bedenken von verschiedensten Seiten«, mit denen sie bei ihrem Entschluss, einen Freiwilligendienst abzuleisten, konfrontiert worden waren und die offenbar auf­ 441 R. C., Brief vom 20. Febr. 1968, ZADN, D 5/2–38, A-Den. 442 R. H., Brief vom 6. Dez. 1959, ZADN, D5 /2–38, Glu-Hus. 443 Brief zweier Freiwilliger aus Norwegen, 4. Juni 1964, EZA, 97/931. 444 Z. B. I. A., [Brief von 1958]; R. A., Brief vom 22. Sept. 1960; M. B., Brief vom 21. März 1962, L. B., Brief vom 27. Aug. 1963; G. B. Brief vom 16. April 1959; B. B., Brief vom 28. Febr. 1961; M. D., Brief vom 8. Febr. 1960; G. D., Brief vom 9. Dez. 1956, alle Briefe in: ZADN, D5/2–38, A-Den; M. D., Brief vom 5. April 1967; F. W., Brief vom 23. Apr. 1967, beide Briefe 97/933, L. Kreyssig, Korrespondenz mit Freiwilligen. 445 E. A., Brief vom 5. April 1964; L. B., Brief vom 27. Aug. 1963, R. C., Brief vom 20. Febr. 1968; alle drei Briefe: ZADN, D 5/2. 38 A-Den, A. H., Brief vom 8. Aug. 1961; A. J., Brief vom 22. Okt. 1959, beide Briefe: ZADN, D 5/2–38, Glu-Hus.

231

deutscher Seite tendenziell größer waren als auf der britischen. Gleichzeitig verwendeten sie damit die Werberhetorik der Trägerorganisationen, von der sie in ihrer Wortwahl beeinflusst worden sein mögen, die sie aber wohl auch selbst mit prägten.446 Tatsächlich empfanden einige Jugendliche den Gewinn des Jahres für sich als so groß, dass sie versprachen, für das Jahr Werbung zu machen.447 Auch die Behauptung der Trägerorganisationen, die Freiwilligen nähmen den Sozialdienst vielfach als »eine echte Zäsur« wahr, stützen deren Selbstaussagen.448 Oftmals stellten sie ihre Freiwilligenzeit als Höhe- oder Wendepunkt in ihrem bisherigen Leben dar. »I can honestly say my time as a CSV has been one of the happiest times of my life, I’ll never forget it«, beteuerte 1977 eine Freiwillige der Organisationsleitung.449 Ähnlich rekapitulierte 1960 auch eine andere ehemalige Freiwillige, die nach ihrem Sozialdienst wieder ihrer früheren Bürotätigkeit nachging: »Oft dachte ich wohl schon, hätte ich es nie gemacht, so hätte ich nie etwas anderes als meinen jetzigen Beruf kennengelernt, aber dann wäre auch mein Leben an vielen schönen Erinnerungen und Begegnungen ärmer.«450 Und noch nach vier Jahrzehnten urteilte eine der ersten Absolventinnen des FSJ in einem Interview, das Jahr sei eine »tolle Zeit« gewesen, die »wirklich eine Wende« in ihrem Leben dargestellt habe.451 Einige nahmen sich bewusst vor, ihr Leben nach dem Sozialjahr zu verän­ dern.452 Manche beteuerten, sie hätten während ihres Dienstjahres »das gesuchte Lebensziel« gefunden.453 Für diejenigen, die an einem konfessionell getragenen Freiwilligendienst teilnahmen und ihr Dienstjahr in religiöser Überzeugung deuteten, machte mitunter die Bestätigung oder Vertiefung ihres Glaubens den Wert des Dienstes aus. Andere berichteten von einer Neuausrichtung ihres Glaubens.454 446 Zitat: E. A., Brief vom 5.  April 1964, ZADN, D 5/2–38, A-Den. Gleichlautende Werbe­ rhetorik etwa: Unsere Brücke. Mitteilungen der Katholischen Frauenjugend Erzdiözese Freiburg (1961) 1/2, S. 2. 447 Z. B. I. A., [Brief von 1958], ZADN, D 5/2–38, A-Den. 448 A. Debray, Der freiwillige soziale Hilfsdienst im Hedwig Dransfeld Haus, Bendorf/Rh., 24. Okt. 1960, S. 2, ADE, ADW, HGSt, III 2514824 Jahr für die Kirche. 449 1977, Full Time Volunteer Programme, Some remarks from Volunteers and Volunteer directors, ACSV, AGD/C1/82 … comments on full time volunteer programme, 1976 f. Vgl. ähnlich Brief einer Freiwilligen, 28. Jan. 1963, EZA, 97/931. 450 A. H., 25. Okt. 1960, ZADN, D 5/2–38, Glu-Hus. 451 Interview der Verfasserin mit T. Sandel über ihr Freiwilliges Soziales Jahr im Jahr 1964, 30. Aug. 2008. 452 Z. B. E. H., Brief vom 11. Jan. 1959, ZADN, D5/2–38, Glu-Hus; vgl. auch Brief einer Freiwilligen aus Norwegen, 26. Sept. 1967, EZA, 97/933 L. Kreyssig, Korrespondenz mit Frei­ willigen. 453 Z. B. K. P., Brief an L. Kreyssig, 12. Okt. 1965, EZA, 97/932, L. Kreyssig, Korrespondenz mit Freiwilligen, 1964f; M. D., Brief an L. Kreyssig, 05. April 1967, EZA, 97/1840, Israel, Projektberichte 1968–73. 454 Brief eines Freiwilligen vom 1.  Juni 1966, EZA, 97/933, L. Kreyssig, Korrespondenz mit Freiwilligen.

232

Es finden sich zahlreiche Zeugnisse von Freiwilligen, die urteilten, das Jahr sei eine »große Lehre« für sie gewesen. Um den Wert ihrer Erfahrungen zu bemessen, verglichen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihre Dienstzeit mit ihrem bisherigen Leben. »I will have been here about 28 weeks – and I should think I’ve learnt more in them than in the whole of my school career«, schrieb ein begeisterter Jugendlicher 1962 über seine Zeit als Community Service Volun­teer an den Organisationsgründer.455 Britische Freiwillige richteten ihre Kritik teilweise wieder gegen die Eliteuniversitäten: »To put it mildly, I’ll learn more here than in a lifetime at Oxford«, prognostizierte z. B. 1965 ein anderer Freiwilliger, nachdem er die ersten drei Monate seines Einsatzes bei CSV hinter sich gebracht hatte.456 Besonders hoch veranschlagten die Freiwilligen – ebenfalls den verbreiteten Erwartungen entsprechend  – den Gewinn an Menschenkenntnis und Gesellschaftsverständnis, den sie dem Dienst zuschrieben.457 Vor allem urteilten viele, dass für sie das Zusammentreffen mit gesellschaftlich vernachlässigten oder ausgegrenzten Gruppen wertvoll gewesen sei. Die meisten von ihnen seien »behütet aufgewachsen«, so dass die Begegnung mit »Kindern aus sozial schwachen Familien« für sie eine wichtige »neue Erfahrung« gewesen sei, äußerte die bereits zitierte interviewte Ehemalige in der Rückschau auf ihr FSJ Mitte der sechziger Jahre.458 »Obwohl es nur ein halbes Jahr war, in dem ich unmittelbar mit der Not und dem Elend konfrontiert wurde, ist diese rasch vergangene Zeit doch unvergeßlich in mein Leben eingeprägt«, bilanzierte 1964 ähnlich eine ehemalige Diakonische Helferin in einem Brief an ihre Einsatzstelle.459 Einige Ehemalige gaben an, im Sozialjahr erst wirklich erfahren zu haben, welch privilegiertes Leben sie führten.460 Andere zeigten sich überzeugt, dass sie verständnisvoller und toleranter geworden seien. »In diesen halben Jahr lehrnte [sic] ich das, was ich zuerst nicht konnte, alte und kranke Menschen lieben und achten«, schrieb etwa 1959 eine Bauerstochter in einem Brief an ihre Einsatzstelle, in dem sie auf ihr Diakonisches Jahr zurückblickte.461 »I’ve learnt sympathy for the handi­ capped through knowledge at first hand, rather than through emotion«, berichtete ein Community Service Volunteer in den frühen sechziger Jahren an Alec Dickson.462

455 P. D., Brief vom 1. Okt 1962, ACSV, AGD/B1/11. 456 D. S., Brief vom 7. Jan. 1965, ACSV, AGD/B2/18. 457 Z. B. R. C., Brief vom 20. Febr. 1968, ZADN, D 5/2–38, A-Den; A. H., Brief vom 22. Okt. 1959, ZADN, D 5/2–38, Glu-Hus. 458 Interview der Verfasserin mit T. Sandel über ihr Freiwilliges Soziales Jahr im Jahr 1964, 30. Aug. 2008. 459 E. A., Brief vom 4. April 1964, ZADN, D 5/2–38, A-Den. 460 Ansprache einer ehemaligen Diakonischen Helferin, [1964]. ZADN, D 5/2–6. 461 E. H., Brief vom 11. Jan. 1959, ZADN, D5/2–38, Glu-Hus. 462 Brief von P., 11. Juli [1963?], S. 2, ACSV, ADG/B1/11. Vgl. auch Brief zweier Freiwilliger aus Norwegen, 4. Juni 1964, EZA, 97/931.

233

Die Workcampteilnehmerinnen und -teilnehmer und die Freiwilligen der Aktion Sühnezeichen beschrieben die Zusammenkunft mit Jugendlichen anderer Nationalität sowie gegebenenfalls den Auslandsaufenthalt als zentrale Erfahrung. Viele Workcamper betonten, »für wie wichtig« sie die »Idee der Arbeitslager« hielten: »Denn nirgendwo kommt man sich so schnell und selbstverständlich näher«, war eine Workcamperin 1960 überzeugt.463 Besonders positiv hoben die Campteilnehmer hervor, wenn es ihnen im Ausland gelang, freundschaftliche Kontakte zur örtlichen Bevölkerung herzustellen, die sich etwa bei Einladungen in Privathaushalte ergaben oder bei gemeinsam begangenen Festen.464 Allerdings machte sich in diesem Punkt die Krisenstimmung bemerkbar, die in den späten fünfziger und in den sechziger Jahren in der Workcampbewegung herrschte. Obwohl zahlreiche Jugendliche wie in der frühen Nachkriegszeit weiterhin über solche Begegnungen berichteten, die sie gleichzeitig als persönlichen Gewinn und als Beitrag zur Völkerverständigung verstanden, finden sich daneben nun vermehrt auch Stimmen, die in dieser Hinsicht enttäuscht worden waren. Ein Teilnehmer eines Camps des Christlichen Friedensdienstes in dem Städtchen Riom in der Auvergne beispielsweise bedauerte 1960 in einem­ Feedbackbogen: »Nur eines empfanden wir in Riom als sehr schmerzlich: Der Kontakt zur Bevölkerung fehlte fast völlig.«465 Das in der Kleinstadt offenbar schwache Interesse daran, die Jugendlichen des Workcamps kennenzulernen, führte er darauf zurück, dass aufgrund des lebhaften Tourismus in der Auvergne ausländische Gäste keine Besonderheit mehr waren. In Evaluationsbögen aus den sechziger Jahren gingen deutsche Workcamper gemeinhin nicht mehr auf ihre spezifischen Erfahrungen als Deutsche ein. Anders verhielt sich dies bei der Aktion Sühnezeichen. Wenngleich nicht alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer den Sühnegedanken teilten, wurden sie doch bei ihrem Einsatz zwangsläufig mit der deutschen Vergangenheit konfrontiert. Bereits während der Reise erregte etwa die Gruppe der jungen Deutschen, die 1961 zum ersten Israeleinsatz der Organisation das Mittelmeer überquerte, unter den überwiegend israelischen Passagieren großes Aufsehen. Bei den Freiwilligen hinterließ die Begegnung mit den Israelis, vor allem wenn sie ihnen gegenüber Wohlwollen bezeugten, einen tiefen Eindruck. Im Gruppentagebuch schrieben sie nieder: »Immer mehr kommen und fragen uns. Zuerst manchmal ein wenig zurückhaltend, aber dann immer freundlicher. Immer wieder hört man: ›Wie freue ich mich, daß es so etwas in Deutschland gibt, daß man begangenes Unrecht einsieht, daß man ganz neu beginnen möchte‹. Und eine Dame sagt (sie ist ebenfalls aus Deutschland und konnte gerade noch als einzige aus ihrer Familie entkommen): ›Das habe ich bis jetzt nicht geglaubt, daß so etwas möglich wäre‹. Und alle begegnen uns mit soviel Güte und Freundlichkeit, mit Wohlwollen und Zuneigung, daß wir oft ganz überrascht 463 T. M., Frankfurt, 21. Sept. 1960, ACFYAP, Ordner: Lagerberichte 1961. 464 Vgl. zahlreiche Berichte in ACFYAP, Ordner: Lagerberichte 1961. 465 B. A., Lagerbericht über Riom I, Aug. 1960, ACFYAP, Ordner: Lagerberichte 1961.

234

sind und ein wenig beschämt. Besonders, wenn sie einem von Menschen entgegengebracht werden, die – wie einer von ihnen – schon zweimal vor der Tür der Gaskammer gestanden hat und nur durch einen Zufall davon kam.«466

In den Augen vieler Freiwilliger half ihr Dienst also bei der Überwindung natio­ naler oder sozialer Grenzen. Doch ebenso wie die Trägerorganisationen deuteten sie gesellschaftliche Ungleichheit nicht mehr in den Kategorien des Klassengegensatzes. Bei den Trägerorganisationen der langfristigen Sozialdienste hatte die nachlassende Angst vor Klassenspannungen dazu geführt, dass das Ziel der Gemeinschaftsstiftung an Bedeutung verlor. Auch bei den Freiwilligen der innernationalen Dienste trat das Gemeinschaftsideal in den Hintergrund. Zwar betonten die Werbeschriften für das deutsche Sozialjahr in den Anfangsjahren noch gern, dass auch über das Erlebnis von »Gemeinschaft« Menschenund Gesellschaftskenntnis vermittelt werde. Und den Angaben der Organisationen zufolge schätzten das auch die Teilnehmerinnen und Teilnehmer selbst. Beispielsweise attestierte die Betreuerin einer Gruppe von Freiwilligen 1957, dass diese während ihrer Seminare von einer Art »Gemeinschafts-Rausch« erfasst würden.467 In der bilanzierenden Rückschau von Freiwilligen langfristiger Dienste findet sich dieser Aspekt jedoch kaum. Im Vordergrund standen für sie ganz eindeutig die Erfahrungen, die sie während ihres Dienstes machten – und diesen verrichteten sie ja in der Regel individuell und nicht in Gruppenform. So findet sich das Gemeinschaftsideal allein in den Quellen der Freiwilligen der Workcamps und der Aktion Sühnezeichen noch als Bezugspunkt. Vor allem für die Workcamper stellte das Lagerleben in den sechziger Jahren weiterhin eine wertvolle Erfahrung dar.468 Als wichtig empfanden es viele Freiwillige nicht nur, ihre Menschenkenntnis erweitert zu haben, sondern auch, dass sie selbst während des Jahres einen »Reifungsprozess« durchgemacht hätten.469 Viele Ehemalige waren überzeugt, sich persönlich verändert und charakterlich hinzugewonnen zu haben. Oftmals führten sie dies gerade auf die Begegnungen mit Menschen in anderen Lebenssituationen zurück und hoben vor allem ihre erweiterten sozialen Kompetenzen hervor. Bisweilen findet sich in der Bilanz der deutschen Freiwilligen auch der für die Konzeption des Sozialjahres so prominente Dienstgedanke. Bei einer Ansprache anlässlich der Feierlichkeiten zum zehnjährigen Jubiläum des Diakonischen Jahres gab eine ehemalige Freiwillige kund: »Ich bin so froh und dankbar, daß ich da hindurchgeführt wurde und verstehen lernte, daß Danken Dienen 466 Tagebuch »Aktion Sühnezeichen«, Israel I, 8. Nov. 1961, S. 2 EZA, 97/735, Korrespondenz und Tagebücher von Freiwilligen in Israel 1961–64. 467 Notiz betr. Besuch im Haus der Frauenhilfe in Godesberg am 9. und 10. Jan. 1957, Bethel, 12. Jan. 1957, ADE, III 252 Diakonisches Jahr, 986, Einführung Aufrufe, Berichte (671–1/8). 468 Z. B. B. A., Lagerbericht über Riom I, Aug. 1960, ACFYAP, Ordner: Lagerberichte 1961. 469 Interview der Verfasserin mit T. Sandel über ihr Freiwilliges Soziales Jahr im Jahr 1964, 30. Aug. 2008.

235

heißt.«470 Es ist denkbar, dass dieses Redemanuskript nicht nur mittelbar, sondern auch direkt durch die Leitung des Diakonischen Jahres beeinflusst, wenn nicht gar redigiert worden ist. Aber auch in unveröffentlichten Erfahrungsberichten wurde der Wert des »Dienens« mitunter gewürdigt.471 Eine Freiwillige bilanzierte 1955 in einem Brief an ihre Einsatzstelle: »Ich muß schon sagen, es hat innerlich reicher gemacht, auch merkte ich, welch Segen doch auf dem Dienen ruht, es machte mich richtig fröhlich.« Wie viele erwachsene Befürworter des Sozialjahres sah auch sie im Dienen eine primär weibliche Pflicht, denn sie fügte hinzu: »Es wäre bestimmt für jedes Mädel gut mal so ein Jahr zu machen.«472 Wie bei den Organisatoren des Sozialjahres und in der medialen Öffentlichkeit geriet das Dienstideal allerdings bei den Jugendlichen in den sechziger Jahren aus der Mode. In den Selbstzeugnissen taucht es nicht mehr auf. Auch die britischen Freiwilligen, für die Quellen erst seit den frühen sechziger Jahren vorliegen, sprachen nicht von »service«. In der Zielsetzung der Trägerorganisationen des FSJ sollte auch das Seminarprogramm zur Persönlichkeitsbildung beitragen und glaubt man ihrer Darstellung, empfanden die Jugendlichen das Seminarangebot als attraktiv.473 In den unveröffentlichten Quellen der Freiwilligen selbst finden sich allerdings keine Stellungnahmen zu den Seminaren, deren Lehrinhalten sowie zu dem Nutzen, den sie für sich daraus zogen. Dies lässt darauf schließen, dass sie dem pädagogischen Begleitprogramm im Vergleich zu den während des Dienstes gemachten Erfahrungen offenbar nur wenig Bedeutung beimaßen. Dass einige Freiwillige die Erfahrungen des Sozialdienstes und die Veränderungen der eigenen Persönlichkeit als einschneidend empfanden, lässt sich daran ablesen, dass ihnen die Rückkehr in ihr früheres Leben schwerfiel. Dies formulierten viele von ihnen abermals als Kritik am Leben in der Überflussgesellschaft.474 Beispielsweise berichtete 1962 die Redakteurin einer Lokalzeitung, nachdem sie ihr Sozialjahr beendet hatte und ihren alten Beruf wieder aufgenommen hatte, unglücklich in einem Brief an ihre Einsatzstelle: »Seit fast drei Monaten arbeite ich wieder in der Lokalredaktion meiner alten Zeitung und schreibe über Feuerwehrjubiläen, Wasserversorgungsanlagen, Sängerfeste, Kitsch in Poesiealben, Kirchenbauten und dergleichen mehr. Nach der Zeit in Neuendettelsau empfinde ich das Sinnlose und Unbefriedigende dieser Arbeit als schmerzlich und bedrückend.«475 470 Ansprache einer ehemaligen Diakonischen Helferin, [1964], ZADN, D5/2–6. 471 G. B., Brief vom 16. April 1959, ZADN, D 5/2–38, A-Den. 472 A. B., Brief vom 20. Jan. 1959, ZADN, D 5/2–38, A-Den. 473 Bundesminister Dr. Heck in Tübingen, in: Tübinger Brief, Jg. 12, 1965, Nr. 5, S. 117 f.; ganz ähnlich: Motive  – Meinungen  – Erwartungen  – Erfahrungen, in: Tübinger Brief, Jg. 15, 1968, Nr.  10, S.  247–256, hier S.  248; Freiwilliges Soziales Jahr, Brief einer Helferin, in:­ Tübinger Brief, Jg. 14, 1967, Nr. 10, S. 244 f., hier S. 245. 474 Z. B. D. Keilwagen, Aktion Sühnezeichen, Bericht Nr. 1, 22. Okt. 1969, ADE, ADW, HGSt, III 251, 2475 Pflichtjahr. 475 H. B., Brief vom 7. Juli 1962, ZADN, D 5/2–38, A-Den.

236

Es ist sicherlich kein Zufall, dass sich die kulturkritische Haltung, die ja maßgeblich die Einrichtung des Sozialjahres motiviert hatte, am meisten bei denjenigen Jugendlichen spiegelte, die der Kirche sehr verbunden waren und mit dieser Deutung hier vermutlich verstärkt in Berührung gekommen waren. Ein stark religiös geprägter Langzeitfreiwilliger des katholischen Internationalen Bauordens etwa berichtete 1961 nach seiner Rückkehr »in das bürgerliche Leben«, die ihm sehr schwer fiel, wie seine Arbeitskollegen seinen Freiwilligeneinsatz beurteilten: »[U]ngläubig rümpfen sie die Nasen und pochen auf ihr Geld. ›Was ich habe, habe ich‹, lautet die Devise. […] Manchmal komme ich mir so richtig weltfremd vor. Die Umwelt, speziell hier in Dormagen ist sehr materiell eingestellt, wegen der Bayer-Werke. Ist es nun eine Fügung Gottes, daß ich speziell in dieses Babel versetzt wurde?«476

Besonders schwer fanden sich Freiwillige offenbar nach einem Auslandsaufenthalt im heimischen Alltag wieder ein. Eine der ersten Israelfreiwilligen identifizierte sich sogar derart mit der Aktion Sühnezeichen und ihrer Arbeit, dass sie auch drei Jahre nach dem Ende ihres Einsatzes noch ihrem Freiwilligendienst nachtrauerte. Ihre inzwischen absolvierte Ausbildung zur Seelsorgehelferin und ein Jahr Arbeit in diesem Beruf stellten in ihren Augen keinen Ersatz für die Freiwilligentätigkeit dar: »Ich komme mir vor wie ein Glied der Aktion Sühnezeichen, das sich für eine begrenzte Zeit Kenntnisse und Fertigkeiten aneignen musste, um sie später wieder als Sühnezeichenmitglied zu gebrauchen […].«477 Das soziale und persönliche Lernen war es also, das für die meisten Freiwilligen den Wert ihres Dienstes ausmachte. Darüber hinaus erwähnten sie gelegentlich, dass sie auch »rein arbeitsmäßig« viel gelernt hätten. Beruflich war die Erfahrung des Freiwilligendienstes aber vor allem deshalb für viele wichtig, weil sie zu grundlegenden Entscheidungen führte. Noch aus der Rückschau nach vierzig Jahren urteilte die oben bereits zitierte interviewte Freiwillige, die nach ihrem FSJ in einem Heim für geistig Behinderte nicht in ihren früheren Beruf als Fremdsprachensekretärin zurückkehrte, sondern sich zur Krankenschwester ausbilden ließ: »Der Berufswechsel war eine richtige Entscheidung«. Ihr alter Beruf habe ihr zwar auch Spaß gemacht, aber er habe »Fähigkeiten brachliegen« lassen und sie auf Dauer gelangweilt.478 Da die britischen Freiwilligenorganisationen eher Schulabgänger rekrutierten, finden sich solche Berufswechsel bei ihren Teilnehmern nicht. Aber auch hier beschrieben einige Ehemalige die Zeit für die Wahl des Studienfaches oder des Berufs als prägend, zum Teil änderten sie während des Dienstes ihre Berufswünsche. Ein ­Community Service Volunteer griff zwar zunächst sein altes Berufsziel wieder auf, studierte Englisch und wurde Lehrer. Nach zwei Jahren in seinem Beruf sattelte er ­jedoch 476 W. S., Dormagen, 17. Nov. 1960, AIBO. 477 C. E., Brief vom 23. März 1965, EZA, 97/932, L. Kreyssig, Korrespondenz mit Freiwilligen, 1964 f. 478 Interview der Verfasserin mit T. Sandel über ihr Freiwilliges Soziales Jahr im Jahr 1964, 30. Aug. 2008.

237

um, ließ sich als Sozialarbeiter ausbilden, um anschließend wie in der Zeit seines CSV-Dienstes in einer Besserungsanstalt zu arbeiten. Für ihn stand außer Zweifel, dass sein späterer Berufswechsel eine Konsequenz aus den Erfahrungen seines Freiwilligeneinsatzes war. Diesen charakterisierte er in den siebziger Jahren aus der Rückschau als »revolution within me«.479 Dass viele Teilnehmerinnen des Diakonischen Jahrs oder des FSJ nach ihrem Dienst beruflich in den sozialen Sektor wechselten, ist auch aus geschlechtergeschichtlicher Perspektive zu deuten. Mit dem Berufswechsel erkämpften sie sich zwar keinen Zugang in ein männlich dominiertes Berufsfeld. Es lässt sich auch allenfalls spekulieren, inwieweit sie die Schwesterntätigkeit als Erwerbsberuf verstanden – also einer Definition folgten, die sich in dieser Zeit ja erst langsam durchsetzte – oder ob sie zum Teil noch das traditionelle Bild der Liebestätigkeit vor Augen hatten. Dennoch kann die Loslösung vom Willen der Eltern als Emanzipationsstreben beschrieben werden. In einer Zeit, in der oft noch die Eltern den Beruf ihrer Kinder und vor allem ihrer Töchter bestimmten, eröffnete der Freiwilligendienst den Teilnehmerinnen zumindest einen begrenzten Raum für eine eigene Entscheidung. Eine solche Deutung scheint auf den ersten Blick im Widerspruch dazu zu stehen, dass die Aufnahme einer Tätigkeit als Verkäuferin oder Büroangestellte, wie sie viele der Freiwilligen vor ihrem Sozialjahr ausübten, für die erste Hälfte des 20.  Jahrhunderts in der historischen Forschung ebenfalls als Emanzipationsmöglichkeit gedeutet wird, da sie für viele Frauen einen sozialen Aufstieg bedeutet hatte.480 Doch hier zeigt sich, dass ebenso wie höhere Verdienstchancen auch die größere Wahlfreiheit für junge Frauen einen Schritt hin zur Emanzipation bedeuten konnte, zumal sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts angesichts der für Frauen weiter wachsenden Spielräume bei der Erwerbstätigkeit auch das Image der Büroberufe verschlechtert zu haben scheint.481 Das Dienstjahr konnte für Freiwillige, die aus wirtschaftlich schwächer gestellten oder weniger gebildeten Familien kamen, allerdings durchaus auch zu einem Aufstiegspfad werden, der ihnen dazu verhalf, anschließend die Mittlere Reife nachzuholen oder ein Fachhochschulstudium zu beginnen. Dies entsprach ebenfalls nicht immer den Vorstellungen der Eltern. So beschrieb eine Ehemalige der Aktion Sühnezeichen es als »schwierige Operation«, ihre Eltern über eine solche Entscheidung zu informieren.482 479 B. Hugman, The Revolution within me, Address to CSV Sixthform Conference, London, in July 1973, by Bruce Hugman, then directing the Albany Community Youth Centre, ACSV, AGD/C1/68. 480 Vgl. Wierling, S. 292. 481 Ähnlich findet sich dieses Motiv auch schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bei Frauen, die sich zum Eintritt in eine Diakonissenanstalt entschlossen und dafür teilweise ebenfalls Büroberufe aufgaben, vgl. Sieger. Die Geschichte der Büroberufe in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist noch nicht eingehender erforscht. 482 Z. B. Brief einer Freiwilligen, 15. Dez. 1966, EZA, 97/933, L. Kreyssig, Korrespondenz mit Freiwilligen.

238

Mehr als die deutschen Arbeitsdienste des ersten Nachkriegsjahrzehnts, für die sich bezweifeln lässt, dass ihre meist offensichtliche sozialdisziplinierende Zielsetzung den Jugendlichen attraktiv erschien, erregten die neuen langfristigen Hilfsdienste ebenso wie die Workcampbewegung in den fünfziger und sechziger Jahren tatsächlich das Interesse vieler – in der Bundesrepublik meist weiblicher  – Jugendlicher. Dadurch dass die langfristigen Freiwilligendienste seit Mitte der fünfziger Jahre ihren Fokus auf soziale Probleme richteten, rückten sie ein Motiv in den Vordergrund, das in den früheren deutschen Arbeitsdienstkonzeptionen zwar nicht völlig gefehlt hatte, in ihnen jedoch zweitrangig gewesen war. Und damit wurden sie attraktiver. Dass hinter diesen Diensten weiterhin auch ein Erziehungsziel stand, schreckte die Jugendlichen nicht ab, vielmehr erblickten sie zum Teil für sich selbst darin einen Sinn. Es ist ein häufig wiederkehrender Topos in den Ego-Dokumenten der Freiwilligen, dass sie mit einigem Erstaunen feststellten, der Dienst habe ihnen selbst einen größeren Nutzen eingebracht als denjenigen, denen sie geholfen hatten. Auch hieran zeigt sich, dass nicht allein der persönliche Nutzen, sondern ebenso der Wunsch, zum funktionierenden Gemeinwesen bzw. zum Frieden beizutragen, für viele von ihnen einen hohen Stellenwert hatte. Fragt man nach den Gründen für den Erfolg der Sozialdienste in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, so liegen diese in hohem Maße darin, dass sie die Möglichkeit boten, beide Elemente  – den angestrebten Beitrag zum Gemeinwohl und den persönlichen Nutzen – zu vereinen, auch wenn dabei die Schwerpunktsetzung und die Art des erhofften eigenen Nutzens teilweise nicht mit den Intentionen der erwachsenen Befürworter und Organisatoren der Dienste übereinstimmte. Es wäre zu kurz gegriffen, würde man die unterschiedliche Schwerpunktsetzung im Urteil über den Freiwilligendienst einerseits bei den Jugendlichen, andererseits bei den Organisatoren, Politikern oder Pressekommentatoren in erster Linie auf generationelle Faktoren zurückführen. Während die Vertreter der Wohlfahrtsverbände, die für das freiwillige Jahr zuständig waren, ebenso wie die Politiker und Journalisten, die sich mit ihm befassten, ihren Blick auf die gesamtgesellschaftliche Bedeutung des Freiwilligendienstes richteten und aus ihrer Position heraus gewissermaßen richten mussten, verwundert es nicht, dass die Jugendlichen den Dienst, der ihr Leben ein Jahr lang voll und ganz bestimmte, aus ihrem eigenen Erfahrungsraum heraus und vor allem im Hinblick auf ihre eigene Biographie bewerteten.

3.6 Der Wert der Freiwilligkeit Nachdem im Vorangegangenen vor allem diejenigen Akteursgruppen in den Blick genommen wurden, die von der Einrichtung der Freiwilligendienste direkt betroffen waren, soll abschließend versucht werden, soweit die Quellen es erlauben, das Image der Freiwilligendienste in der weiteren Öffentlichkeit zu 239

analysieren. Dazu werden zunächst zwei damals weithin beachtete Themen beleuchtet, die mit der Diskussion über die Freiwilligendienste in engem Zusammenhang standen: die besonders in der Bundesrepublik lebhaft geführte Debatte über die mögliche Einführung eines sozialen Pflichtdienstes für Jugendliche sowie die fortschreitende Professionalisierung, insbesondere im Pflegesektor. Im Anschluss daran werden schließlich drittens die Reaktionen von Angehörigen und Freunden der Freiwilligen behandelt, die oft eine von Letzteren abweichende Meinung zum Sozialdienst vertraten. a. Neue Vorzeichen der alten Debatte: Diskussionen um einen Frauenpflichtdienst in der Bundesrepublik Die Pflichtdienstdebatte, die in Deutschland bereits in der Weimarer Zeit und im ersten Jahrzehnt nach dem Zweiten Weltkrieg eine große öffentliche Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte, blieb auch in den sechziger Jahren aktuell. Ähnlich wie in ihrer Anfangszeit wurde sie nun, nach der Wiedereinführung des Militärdienstes in der Bundesrepublik, unter geschlechtsspezifischem Vorzeichen geführt.483 Auch in Großbritannien wurden nach der Abschaffung des Militärdienstes in den sechziger Jahren wieder Vorschläge laut, einen zivilen Pflichtdienst für Jugendliche einzurichten. Allerdings erhielten solche Initiativen bis in die siebziger Jahre hinein in der britischen Öffentlichkeit wenig Unterstützung und erregten auch deutlich weniger Aufsehen als die Debatten in der Bundesrepublik. Durchsetzen konnten sich Forderungen nach einem Pflichtdienst weder hier noch dort. Die Auseinanderseztungen, die anlässlich dieser Forderungen geführt wurden, werfen jedoch ein Licht auf konkurrierende Vorstellungen über den Wert der Freiwilligkeit. Im Folgenden wird zunächst die deutsche Seite betrachtet. In der Bundesrepublik erlebte die Diskussion um die Einführung eines­ Frauen­pflicht­dienstes zu Beginn und Mitte der sechziger Jahre zwei Höhepunkte. Bei den Trägerorganisationen des FSJ erregte 1961/62 der Vorstoß des nordrheinwestfälischen Ministerialrats Hermann Josef Nachtwey große Aufmerksamkeit. In den Medien hingegen schlug insbesondere die Initiative des prominenten evangelischen Theologen Helmut Thielicke hohe Wellen. Als scheidender Rektor der Universität Hamburg 1961 propagierte er in seiner Ansprache anlässlich der Amtsübergabe die Einführung eines Frauenpflichtjahres. Diese Rede wiederholte er mit nur wenigen Abwandlungen 1966 während des Deutschen Krankenhaustages in Stuttgart. Beide Reden wurden in der FAZ abgedruckt und auch von Thielicke selbst bis 1970 mehrfach wiederveröffentlicht.484 Anhand 483 Vgl. z. B. auch die ablehnende Stellungnahme in: Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, S. 507. 484 H. Thielicke, Die Scharen unser Kommilitoninnen…, in: FAZ, Nr. 263, 11. Nov. 1961, S. 11; ders., Das Krankenhaus. Abbild unserer Welt, in: FAZ, Nr. 119, 24. Mai 1966, S. 11. Auch

240

der Plädoyers von Thielicke und Nachtwey sowie der Debatten, die sie provo­ zierten, lässt sich das Spektrum der Argumente für und wider das Pflichtjahr analysieren. Dabei ging es den Autoren zumeist nicht allein um Gerechtigkeitsgründe. Die Erfahrung zeige, so argumentierte Nachtwey, dass junge Männer sich während ihres Militärdienstes »ein besseres Pflichtbewußtsein« aneigneten. »Was aber geschieht mit unseren Mädchen?«485 In das gleiche Horn blies Thielicke und betonte den pädagogischen Wert des Frauenpflichtjahres, welches für die Entwicklung der jungen Mädchen förderlich sei, wie »dem jungen Mann seine Dienstpflicht guttut«. Auch andere Fürsprecher der Forderung nach einem Pflichtjahr hoben den »erzieherischen Zweck« eines Arbeitsjahres hervor oder betonten, ein solcher Pflichtdienst sei »eine gute Schule für die Lebens- und Charakterbildung«.486 Sowohl Thielicke als auch Nachtwey untermauerten ihre Argumentation, indem sie versuchten, Ängste zu schüren. Es sei eine nationale »Lebensfrage«, bei den jungen Frauen einen neuen »Gemeinschaftsgeist« zu wecken, schrieb Nachtwey und zielte mit dieser Forderung auf die weibliche Jugend.487 Thielicke mahnte in einer Passage, die sich in beiden Versionen seiner Rede findet: »Wenn der Wille zum Dienen mehr und mehr entschwindet, das Dienen aber eine Conditio sine qua non für die Funktionstüchtigkeit einer Gesellschaft ist, so bleibt gar nichts anderes übrig, als daß der Gesetzgeber interveniert und daß der kollektive Wille der Rechtsgemeinschaft das verordnet, was die Gesinnung von sich aus nicht mehr leistet.«

Betrachtete Thielicke die Dienstbereitschaft als unverzichtbare Voraussetzung für ein funktionierendes Gemeinwesen, so sah auch er in erster Linie die Frauen in die Pflicht genommen. In der Rede von 1961 hieß es: »Wenn ich die Scharen unserer Kommilitoninnen in den Hörsälen überblicke und gleichzeitig den verzweifelten Ruf der Krankenhäuser nach Schwestern und kinderreicher Familien nach Hausgehilfinnen vernehme, so erscheint mir das als ein alarmierendes Mißverhältnis.«488 Das in konservativen Kreisen verbreitete Argument, die steigende Frauenberufstätigkeit werde zu einem Rückgang der Geburtenrate abgedruckt in ders., Theologie, S. 11–41; ders., Wer darf leben?, S. 132–153, nun allerdings mit einem in Reaktion auf den Protest gegen diesen Gedanken 1966 in der FAZ veröffentlichten defensiven Leserbrief Thielickes, der die Pflichtdienstforderung teilweise zurücknahm, Anhang: Ein Leserbrief Professor Thielickes, in: ebd. S. 158–160. 485 H. J. Nachtwey, Brief betr. Freiwilliger Sozialer Dienst, Innenministerium NRW, Bürgerliche Bildungsstelle an A. Stehlin, 6. Sept. 1961, ADC, 084 N26. 486 S. Zens, Plädoyer für das Dienstjahr, in: FAZ, 21.  März 1969, S.  13; Freiwilliger Sozialer Dienst, Kaut, Wilhelm Anton-Hospital Goch, an A. Stehlin, 17. März 1967, ADC, 084 N26. 487 H. J. Nachtwey, Brief betr. Freiwilliger Sozialer Dienst, Innenministerium NRW, Bürgerliche Bildungsstelle an A. Stehlin, 6. Sept. 1961, ADC, 084 N26. 488 H. Thielicke, Die Scharen unser Kommilitoninnen…, in: FAZ, Nr. 263, 11. Nov. 1961, S. 11.

241

führen, wandelte Thielicke ab, wenn er davor warnte, dass der Mangel an Haushaltshilfen »verheerende Konsequenzen« zeitigen werde.489 Denn »gerade die begabten Leute« gründeten allenfalls Kleinfamilien. Sie seien nicht geneigt, »einen unverhältnismäßig großen Teil ihrer Zeit in der Küche und beim Staubsaugen« zuzubringen und würden sich daher ohne Unterstützung im Haushalt nicht auf eine große Kinderschar einlassen. Welche »biologischen und kulturpolitischen Folgen« daraus erwachsen würden, müsse er nicht weiter ausführen, da sie »für jeden Nachdenklichen evident« seien. Damit richtete sich das traditionelle antifeministische Argument nicht nur gegen die Frauenerwerbstätigkeit, sondern auch gegen Frauenbildung. Dieses demographische Drohbild hatte Thielicke in seiner ersten Rede 1961 noch um ein weiteres ergänzt, wenn er auf den Ost-West-Gegensatz anspielte: »Die Unbereitschaft zum Dienst am Gemeinwohl und damit der Personalmangel innerhalb der dienenden Berufe droht ganze Strecken unseres kulturellen und sozialen Lebens veröden zu lassen und damit jenen Bereich der humanitas anzutasten, den wir als Privilegien des ›freien Westens‹ mit ziemlich pausbäckigem Pathos gegen den Osten auszuspielen pflegen.«

Man müsse darauf achten, dass das »Dienen nicht dem Verdienen geopfert« werde, denn sonst würde der Westen »jede ethische Legitimation gegenüber dem Osten aus der Hand geben«. Thielicke argumentierte hier eher moralisch, doch lag für seine Leser vermutlich die bereits in den fünfziger Jahren verbreitete Angst vor einer ideologischen Unterwanderung der Bundesrepublik nahe, auf die sich auch andere Pflichtdienstbefürworter bezogen. 1965 etwa warnte der Jurist Adolf von Carlowitz den Direktor der Inneren Mission und des Hilfswerks der Evangelischen Kirche in Berlin, für die »Abwehr kommunistischer Aggression und Infiltration« seien »Soldaten und Polizisten an den Grenzen« nicht ausreichend. Vielmehr gelte es, gleichzeitig »die Unterwanderung unserer gesellschaftlichen Ordnung« zu verhindern, weshalb auch »gegen die Kor­rosions­ erscheinungen der sog. Wohlstandsgesellschaft« angekämpft werden müsse. Es galt in seinen Augen also gewissermaßen eine ideologische Wehrfähigkeit sicherzustellen, und dazu seien soziale Jugenddienste ein adäquates Mittel.490 Sowohl der Ost-West-Gegensatz als auch die Kritik an der wachsenden Zahl der Studentinnen und die bevölkerungspolitischen Befürchtungen fehlten in der Wiederholung der Rede Thielickes 1966. Vermutlich hatten diese Redebausteine bereits 1961 zu viel Anstoß erregt und möglicherweise in der Zwischenzeit noch weiter an Überzeugungskraft eingebüßt: Schließlich gewann das Frauenstudium allgemein an Akzeptanz, die geburtenstarken Jahrgänge der sechziger 489 Zu dem traditionellen bevölkerungspolitischen Argument von Antifeministen, vgl. Planert, S. 196–203. 490 Dr. A. v. Carlowitz an H. Wollmann, Direktor der Berliner Stelle der Inneren Mission und des Hilfswerks der EKiD, 29. Sept. 1965, ADE, ADW, HGSt III 251, 4856, Soziales Pflichtjahr für Mädchen.

242

Jahre schwächten bis zum Einsetzen des sogenannten Pillenknicks demographische Dekadenzängste, und der Ost-West-Konflikt verlor an Schärfe.491 Thielicke rechnete bei seinem Vorstoß mit Widerspruch. Nachdem der Abdruck seiner ersten Rede 1961 in der »FAZ« bereits eine hitzige Debatte ausgelöst hatte, glaubte er 1966 mit dem Thema eine »der heikelsten aller Fragen« anzusprechen, für die er »am liebsten wie Homer die Musen anrufen« wollte, damit es ihm gelinge, »dies garstige Lied tunlichst melodiös zu singen«. Er habe sich, so griff er möglicher Kritik vor, »die selbstkritische Frage vorgelegt, ob ein weibliches Pflichtdienstjahr nicht eine dirigistische Maßnahme bedeute, die unseren demokratischen Freiheiten widerspräche«. Doch die Gefahren und Niedergangsszenarien, die er in beiden Reden ausmalte, legitimierten in seinen Augen seine Forderung als »Notmaßnahme«.492 Nicht alle Befürworter des Pflichtdienstes sahen allerdings eine Notlage als Bedingung für dessen Einführung an. Wie Nachtwey hielten sie vielfach das Gemeinwohlinteresse für eine ausreichende Legitimation. So unterstrich eine Leserin der »FAZ« noch 1969, dass die Mädchen während eines solchen Dienstes »das Sicheinfügen in eine andere Gemeinschaft« erlernen könnten. Griff sie mit diesem Argument auf eine lange Tradition zurück, vermied sie allerdings nun die in der ersten Hälfte des Jahrhunderts gängige Forderung nach »Unterordnung«, die damals oft in einem Atemzug mit dem »Sicheinfügen« genannt wurde. In der Tat befürchtete die Autorin offenbar den Vorwurf, eine autoritäre Einstellung zu vertreten, denn sie beeilte sich hinzuzufügen, dass dies »dem größeren Ganzen, der Gemeinschaft der pluralistischen Gesellschaft zugute« komme.493 Das Interesse des Gemeinwohls erlaubte in ihren Augen die Einführung einer Dienstpflicht.494 Bei den Autoren nicht weniger Leserbriefe, welche die beiden Artikel T ­ hielickes in der »FAZ« kommentierten, trafen seine Ideen auf Zustimmung. In der Mehrzahl allerdings widersprachen die Leserzuschriften dem Theologen und wiesen seine Forderungen zurück. Auch andere Presseorgane, griffen Thielickes Vorschlag scharf an, so etwa die auflagenstarke Frauenzeitschrift »Constanze« oder die Wochenzeitschrift »Die Zeit«, die ihn als »groteske Zukunftsvision« abtat.495 Elisabeth Weisser von der Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend hatte in der christlichen Jugendzeitschrift »Junge Stimme« bereits 1960 vor 491 Demographische Niedergangsszenarien wurden in den sechziger Jahren allgemein vergleichsweise selten beschworen, vgl. Geyer, Sozialpolitische, S. 225. 492 Vgl. Wingen, der angesichts des Mangels an Hausgehilfinnen ebenfalls die Einführung eines Frauenpflichtjahrs erörtert, diese aber nur als äußerste Notmaßnahme für gerechtfertigt hält. 493 S. Zens, Plädoyer für das Dienstjahr, in: FAZ, 21. März 1969, S. 13. 494 Vgl. ähnlich M. Windorffer, … muß der Gesetzgeber eingreifen, in: FAZ, 25. Nov. 1961, BuZ, S. 6. 495 Nächstenliebe auf Kommando, in: Constanze. Die Zeitschrift für die Frau und für jedermann, Juli 1962, Nr. 29, S. 8–13; W. Care, Wohlstand als Notstand, in: Die ZEIT, 8. Dez. 1961, S. 38.

243

»verheerenden Folgen« gewarnt, die ein Pflichtjahr zeitigen könne.496 Wie sie verwarfen sämtliche Trägerorganisationen des FSJ Nachtweys und Thielickes Vorschläge, ein solches einzuführen.497 In der politischen Diskussion fand der Vorschlag ebenfalls nur wenig Rückhalt. Während die Sozialdemokraten und die Gewerkschaften an ihrer uneingeschränkten Missbilligung festhielten, fand der Appell Thielickes im christ­ demokratischen Lager zwar etliche Befürworter.498 Doch auch in der CDU setzte sich bald eine ablehnende Haltung durch.499 Allerdings rechnete die Regierungsdirektorin Maria Tritz, die sich 1962 im Bundesfamilienministerium mit den Pflichtdienstvorschlägen befasste, weiterhin mit einer abweichenden Meinung vieler Wähler. Dabei ging sie von Einstellungsunterschieden je nach Bildungsgrad aus, denn sie betonte, die Einwände müssten »mit einer auch der einfachen Bevölkerung verständlichen Begründung stärker in der Allgemeinheit verbreitet werden«.500 Wie die Befürworter des Pflichtdienstes argumentierten auch seine Gegner auf verschiedenen Ebenen. In der Regel hielten sie die Sorge um das nachlassende Gemeinwohlinteresse für berechtigt. So räumte etwa ein Artikel in der »Constanze« ein: »Sicherlich täte manches Geschöpf gut daran, seine Ansprüche wieder zurückzuschrauben und sich auch schon einmal vor der Ehe für die spätere Aufgabe als Hausfrau und Mutter zu erwärmen.«501 Einen Pflichtdienst jedoch hielten sie als Gegenmittel für verfehlt. War schon in der Weimarer Zeit ebenso wie im ersten Jahrzehnt nach dem Zweiten Weltkrieg der Nutzen eines Pflichtarbeitsdienstes als Erziehungsmaßnahme vielfach bezweifelt worden, betonten dessen Opponenten nun, da es vor allem um soziale Dienste ging, noch vehementer die Notwendigkeit der »inneren Bereitschaft«.502 Dieses Argument 496 E. Weisser, Ein Pflichtjahr wäre sinnlos, in: Junge Stimme, 19. Nov. 1960, S. 2. 497 L. Funcke an Thielicke, 1. Juni 1966; ADE, ADW, HGSt, III 251, 2475 Pflichtjahr; Junge Mädchen im Freiwilligen Sozialen Jahr in Lübeck schreiben, in: Tübinger Brief, Jg. 13, 1966, S.  66 f., hier S.  66; E. Denis, Meinwerk-Institut, Paderborn, 25.  Okt. 1961 an Präsidenten A. Stehlin, Freiburg, Betr. Sozialer Hilfsdienst für Mädchen. Die Besprechung mit Herrn Ministerialrat Dr. Nachtwey, vom Innenministerium NRW, ADC, 921.9, Freiwilliges Soziales Jahr, freiwilliger sozialer Dienst, +232.01 Gesetz zur Förderung des freiwilligen sozialen Jahres. 498 Aktennotiz, Referat F4, Bonn, den 30. Mai 1960, BA, B 189/5782, 2665; H. Schmitt-Maass, Soziales Pflichtjahr für Mädchen, in: Sozialdemokratischer Pressedienst, 16. Febr. 1962, S.  3 f.; Kommt eine weibliche Arbeitsdienstpflicht?, in: Sozialdemokriatischer Pressedienst, 10. Sept. 1962, S. 5 f. Vgl. auch E. Pitz-Savelsberg an Frau M. Tritz, BM f. Arbeit und Soziales, 6. Febr. 1962, BA, Zwischenarchiv, B 149/22271, IIa 4 2225.8 Entwurf eines Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen sozialen Jahres Bd. Ia. 499 Gegen ein »Pflichtjahr«, in: FAZ, 16. Febr. 1960, S. 4; Soziales Pflichtjahr für Mädchen?, in: FAZ, 13. Febr. 1962, S. 3. 500 Ref. RD Tritz, Bonn, 26. März 1962, BA, Zwischenarchiv, B 149/22271, IIa4 2225.8. 501 Nächstenliebe auf Kommando, in: Constanze. Die Zeitschrift für die Frau und für jedermann, Juli 1962, Nr. 29, S. 8–13, hier S. 10; vgl. auch Kommt eine weibliche Arbeitsdienstpflicht?, in: Sozialdemokratischer Pressedienst, 10. Sept. 1962, S. 6. 502 L. Funcke an Thielicke, 1. Juni 1966; ADE, ADW, HGSt, III 251, 2475 Pflichtjahr.

244

brachten insbesondere die Trägerorganisationen des FSJ vor, es findet sich aber auch in den Debatten, die auf den Abdruck der Reden Thielickes in der Presse folgten. Eine Leserin der »FAZ« z. B. kritisierte 1961 den Pflichtdienstgedanken, »weil der Geist des Dienens die Liebe sein muß«.503 Diese Überzeugung wies in zwei Richtungen: Zum einen schade ein lieblos verrichteter Dienst den Patienten, zum anderen sei Zwang auch als erzieherische Maßnahme unzweckmäßig. Ein Journalist, der 1962 ebenfalls in der »FAZ« über die Ablehnung der Pflichtjahrsforderung durch den Gewerkschaftsbund berichtete, hielt die fehlende Wirkkraft von staatlichen Verpflichtungen offenbar für ein Zeitphänomen, das in früheren Zeiten nicht gegolten haben musste. Denn er betonte, »gesetzlicher Zwang erzeugt heutzutage bestenfalls Gehorsam, aber nur ganz selten Opfersinn.«504 Während für den Autor der Wert des Ge­ horsams an Bedeutung verloren hatte, erschien ihm derjenige des Opfersinns weiterhin bewahrenswert. Ähnlich hielt auch die »Constanze« einen Pflichtdienst für wirkungslos, wenn nicht gar für kontraproduktiv: »Wer gezwungenermaßen ein Staubtuch in die Hand nehmen muß, wird sich um so mehr vor den zukünftigen hausfraulichen Pflichten graulen.«505 Die Gegner des Pflichtdienstes führten überdies wie in der Weimarer Zeit ökonomische Argumente ins Feld. Sie warnten etwa vor dem »Schaden für die gesamte Arbeitswelt«, der entstehen müsse, werde ihr ein »ganzer Jahrgang entzogen«.506 Oder sie betonten entgegen Thielickes Kritik am Frauenstudium, dass nicht nur in den Pflegeberufen Personalmangel herrsche, sondern auch die Ausbildung von Lehrerinnen und Ärztinnen gesellschaftlich wichtig sei.507 Elisabeth Denis von der Caritas malte überdies den »Kontrollapparat mit Polizeihilfe und gerichtlichen Strafmaßnahmen« aus, der für die Durchsetzung des Dienstes ins Leben hätte gerufen werden müsse.508 Auch in der »Zeit« hielt man die Einführung des Pflichtjahres »nur in einem totalitären Regime« für möglich.509 Ähnliche Argumente waren schon in der Pflichtdienstdebatte der dreißiger Jahre geäußert worden, sie hatten im Rückblick auf die nationalsozialis­ tische Diktatur an Gewicht gewonnen.510 503 I. Groß, Nicht zwangsweise, in: FAZ, 25. Nov. 1961, BuZ, S. 6. Vgl. ähnlich E. Greese, Ein erzwungenes Opfer ist wertlos, in: FAZ, 20. Juni 1966, S. 6. 504 Verfehlt, in: FAZ, 14. Febr. 1962, S. 2. 505 Nächstenliebe auf Kommando, in: Constanze. Die Zeitschrift für die Frau und für jedermann, Juli 1962, Nr. 29, S. 8–13, hier S. 12. 506 E. Greese, Ein erzwungenes Opfer ist wertlos, in: FAZ, 20. Juni 1966, S. 6. 507 E. Denis, Meinwerk-Institut, Paderborn, 25.  Okt. 1961 an Präsidenten A. Stehlin, Freiburg, Betr. Sozialer Hilfsdienst für Mädchen. Die Besprechung mit Herrn Ministerialrat Dr. Nachtwey, vom Innenministerium NRW [ohne Paginierung], ADC, 921.9, Freiwilliges Soziales Jahr, freiwilliger sozialer Dienst +232.01 Gesetz zur Förderung des freiwilligen sozialen Jahres. 508 Ebd. 509 W. Care, Wohlstand als Notstand, in: Die ZEIT, 8. Dez. 1961, S. 38 510 Ebd.

245

Ging es bei diesen Überlegungen eher um eine Kosten-Nutzen-Rechnung, so wurde die Kritik am Pflichtdienstgedanken grundsätzlicher, wenn die Frage nach der Schaffung eines weiblichen Äquivalents für den Militärdienst erörtert wurde. Dass die Wehrdienstleistenden zu einem Dienst an der Gemeinschaft verpflichtet werden dürften, wurde in der Regel nicht in Frage gestellt. Frauen hingegen leisteten in den Augen der Gegner des Pflichtjahres einen solchen Dienst bereits in Form von Schwangerschaften und Kinderaufzucht. Sie darüber hinaus noch zu einem Arbeitsjahr zu verpflichten, entbehre einer Legitimation.511 Nur wenige Diskussionsbeiträge zeugen von einem langsamen Einstellungswandel hinsichtlich der Definition von Erziehung und Haushalt als weibliche Aufgaben. Auf die Situation der Frauen bezog sich beispielsweise eine »FAZ«Leserin in ihrer Kritik der ersten Rede Thielickes. Sie richtete sich zwar nicht grundsätzlich gegen die traditionelle Arbeitsteilung der Geschlechter. Diese sei in der Vergangenheit angemessen gewesen, habe aber keine Zukunft mehr. Denn »durch Kantinen, Kindergärten, Altersheime« hätten sich die Aufgaben im Haushalt so sehr verändert, dass sie den Frauen keinen »erstrebenswerten Lebensinhalt mehr«, d. h. keine »Befriedigung« böten.512 Teilweise beriefen sich die Kritiker an den Pflichtjahrsvorschlägen auf das Prinzip der Gleichberechtigung. So kritisierte etwa der evangelische Theologe und Journalist Karl-Alfred Odin in einem Kommentar zu einer Denkschrift der evangelischen Kirche 1966 die Pflichtjahrpläne und forderte, es sei für die Frauen die »Hinwendung, nicht die Abwendung vom modernen Erwerbsleben« anzustreben.513 Aufgabe sei nicht, den Mädchen »Dienstgesinnung zu vermitteln, sondern sie erfolgreicher in das Arbeitsleben dieses Jahrhunderts hinein­wachsen zu lassen, damit sie im Beruf die Gleichberechtigung mit den männlichen Kollegen« erreichen könnten. Allerdings stand für die Gegner des Pflichtjahresgedankens bei weitem nicht immer die Gleichberechtigung der Geschlechter im Vordergrund. In der »FAZ« etwa, in welcher der Vorschlag Thielickes am eingehendsten diskutiert wurde, finden sich keine ausführlicheren Stellungnahmen, die eine Kritik der Thielicke-Reden aus der grundsätzlichen Gleichberechtigung der Geschlechter hergeleitet hätten. Dies lässt sich freilich auch darauf zurückführen, dass das Blatt vor allem in konservativen Kreisen gelesen wurde und möglicherweise bei der Auswahl der publizierten Leserbriefe eher deren Standpunkt stärkte. Allgemein stellten in dieser Diskussion nur wenige die Forderung nach Gleichberechtigung in Frage, wenngleich diese, wie im Vorangegangenen deutlich wurde, durchaus noch unterschiedlich verstanden werden konnte. Das Ideal der »Partnerschaftlichkeit« in der Ehe setzte sich durch, Frauenbildung und -erwerbstätigkeit, zumindest für kinderlose Frauen oder in Form von Teilzeitarbeit, ge511 R. Specht, Was Frauen leisten, in: FAZ, 4. Juni 1966, S. 10. 512 I. Keppel, Der geknechtete Genius, in: FAZ, 29. Nov. 1961, S. 8. 513 Odin, S. 122. Zu Odin vgl. Zum Tode von Karl-Alfred Odin, in: FAZ, 14. Febr. 1992, S. 5.

246

wannen an Akzeptanz.514 Ein Mitarbeiter der Caritas, der in einem Leserbrief in der »FAZ« 1961 die Dienstjahrforderung ablehnte, hielt die Kritik am Frauenstudium sogar für ein Zeichen »kultureller und menschlicher Unterentwicklung«.515 Dennoch zeigt die Diskussion um den Pflichtdienst abermals, dass Haushalt und Kindererziehung als weibliches Aufgabenfeld noch kaum in Frage gestellt wurden.516 Dies wird beispielsweise deutlich, wenn die Pflichtdienstgegner auf den Arbeitskräftemangel in einigen Berufsfeldern hinwiesen, sich also vielmehr auf volkswirtschaftliche Argumente stützten. Einige von ihnen stimmten­ Thielickes Kritik an der zunehmenden Frauenberufstätigkeit oder dem Ziel einer gründlicheren Ausbildung der Mädchen auf die Haushaltsaufgaben sogar zu.517 Hatten Kirchen, Sozialdemokraten und Gewerkschaften bereits im ersten Nachkriegsjahrzehnt die Einführung eines Pflichtdienstes als Überschreitung der staatlichen Machtbefugnisse betrachtet, so gewann diese Sichtweise in den sechziger Jahren an Gewicht. Die Assoziation des Pflichtdienstes mit der nationalsozialistischen Diktatur lag dabei weiterhin nahe, ja sie erschien offenbar nun noch abschreckender.518 Denn im Gegensatz zum ersten Nachkriegsjahrzehnt ist es auffällig, dass sich in den sechziger Jahren ehemalige Reichsarbeitsdienstführer kein Gehör mehr zu verschaffen vermochten. Mit Nachtwey und Thielicke stießen vor allem zwei Fürsprecher des Pflichtjahres auf öffentliche Resonanz, die dem Nationalsozialismus kritisch gegenüber gestanden hatten und als unbelastet galten.519 Die Bezugnahme auf die NS-Zeit in der Pflichtdienstdebatte hatte sich außerdem um Nuancen verändert. Während in den frühen fünfziger Jahren mit dem Verweis auf die nationalsozialistischen Pflichtdienste in erster Linie staatlicher Zwang kritisiert wurde, bestimmte die Diskussion der sechziger Jahre vielmehr die positive Berufung auf den Wert der »Freiheit« als Fundament der Bundesrepublik. Damit ging eine Abgrenzung gegenüber dem Ostblock einher.520 Ein Leser empörte sich 1961, Thielickes Appell entspringe einem »Salonsozialismus«, der nicht davor zurückschrecke, die bürgerliche Freiheit zu beschneiden, und der dies dann mit dem Hinweis: »Man müßte von Staats wegen eigentlich…« rechtfertige.521 514 Vgl. Frevert, Umbruch; Oertzen; Paulus. 515 K. Borgmann, Es gibt bessere Mittel, in: FAZ, 27. Nov. 1961, S. 8. 516 Vgl. Lindner, Rationalisierungsdiskurse; Oertzen; Paulus. 517 Vgl. z. B. noch 1969 I. Cornelius, Die Erfahrungen der Vergangenheit schrecken, in: FAZ, 15. April 1969, S. 9. 518 Siehe z. B. Phrasen leicht zur Hand, in: Aufwärts. Jugendzeitschrift des Deutschen Gewerkschaftsverbundes, Jg. 5, 1962, Nr. 3, 15. März, S. 9. 519 Nachtwey wurde 1938 aus seiner Tätigkeit als Referent für Erziehungs- und Bildungswesen im Reichsluftfahrtministerium entlassen, vgl. Nachtwey, S. 200; zur Biographie Thielickes vgl. Friedrich, Thielicke, S. 247–261. 520 Z. B. im Auftrag der Bundesregierung Arntz, S. 619. 521 H. Böhme, Einmütig scharren, in: FAZ, 25. Nov. 1961, BuZ, S. 6. Vgl. auch R. Kraft, Nicht auf Befehl, in: FAZ, 14. Juni 1966, S. 12.

247

Gelgentlich wurde die Idee eines Pflichtdienstes jetzt auch als undemokratisch verworfen.522 Weshalb sie nicht mit der Demokratie vereinbar sei, wurde indes kaum je ausgeführt. Abgesehen von der bereits erwähnten Vermutung, dass sich ein Pflichtdienst nur in einer Diktatur organisieren und durchsetzen lasse, berief man sich lediglich auf die freie Selbstbestimmung des Individuums, so wie die »FAZ«-Redakteurin Helene Rahms, die 1961 argumentierte: »Unsere demokratische Verfassung würde zur Farce, wenn die Arbeitskraft einer willkürlich ausgewählten Gruppe zugunsten der Allgemeinheit verplant würde«.523 Hans Graf von Lehndorff, der Festredner auf der Hauptversammlung des DRK 1966, zeigte sich überzeugt: »Eine gut funktionierende Demokratie ist für mein Verständnis eine Staatsform, in welcher der einzelne für die Allgemeinheit das freiwillig tut, wozu er gezwungen würde, wenn er unter einer Diktatur zu leben hätte.«524 Demokratie und Diktatur definierte er also über den Gegensatz von Freiwilligkeit und Zwang. Charakteristikum der bundesdeutschen Pflichtjahrsdebatte war, dass der verbreiteten Vorstellung zufolge die Garantie des inneren Zusammenhalts der Gesellschaft Aufgabe der Frauen blieb, welche die alleinigen Adressatinnen dieses Appells an eine soziale Gemeinwohlorientierung waren. Der Wehrersatzdienst, der seit 1961 auch Männern soziale Dienste ermöglichte, galt in den sechziger Jahren noch als Ausnahme: Nur wenige junge Männer verweigerten den Wehrdienst und seitens der Politik bemühte man sich darum, dass dies so blieb.525 In dieser Geschlechteraufteilung lag der Hauptunterschied zu der ­während der sechziger Jahre in wesentlich kleinerem Rahmen geführten Pflichtdienstdiskussion in Großbritannien. Auch in der britischen Debatte zielte der Vorschlag der Einführung eines nationalen Pflichtdienstes in erster Linie darauf, das Gemeinwohlinteresse der Jugend zu fördern. Die Idealvorstellung Alec Dicksons, der diese Diskussion mehrfach anstieß, war, dass alle britischen Jugendlichen einen sozialen Dienst ableisten sollten.526 Diesen fasste er analog zum Militärdienst als Staatsbürgerpflicht auf. 1965 schrieb er: »Why should we not request and require of every 18 year old that he or she should give something back to Britain?«527 Den Einsatz der Freiwilligen seiner beiden Organisationen definierte er gern wie den

522 Z. B. Die Forderungen eines sozialen Dienstjahres, ev. Frauenarbeit und Diakonie, Sitzung am 13./14. Febr. 1963 in Arnoldshain, ADE, ADW, HGSt, III 251, 4856 Soziales Pflichtjahr für Mädchen 523 H. Rahms, Zur Nächstenliebe abkommandiert. Das »pflegerische Dienstjahr für die weibliche Jugend« und seine Konsequenzen, in: FAZ, 2. Dez. 1961, BuZ, S. 6. 524 Lehndorff, S. 114. 525 Vgl. Bernhard, passim. 526 Z. B. A. Dickson, Service by groups, [ohne Datum], ACSV, AGD/B1/1; ders.: Letters to the editor. Social Service as Education, [Zeitungsausschnitt, ohne Herkunftsangabe, ca. 1966], ACSV, AGD/B1/26, vgl. auch unten Kap. 5.2.4. 527 A. Dickson an S. Fletcher, 14. Juni 1965, ACSV, AGD/B2/18.

248

Militärdienst als »service to their country«.528 Auch die männliche Jugend, an die sich seine beiden Freiwilligenorganisationen ja in der Anfangszeit zunächst vor allem gerichtet hatten, sollte in seinen Augen also für den gesellschaftlichen Zusammenhalt in die Pflicht genommen werden. Dickson schwankte in seiner Einstellung gegenüber einem Pflichtdienst allerdings zeitweise zwischen Befürwortung und Ablehnung, doch weniger aus grundsätzlichen als aus praktischen Gründen. Die Sorge, dass staatlicherseits die Bereitschaft fehlen würde, bürokratische Hürden abzubauen und in aus­ reichender Zahl geeignete  – das heißt anspruchs- und verantwortungsvolle  – Einsatzstellen zu schaffen, ließ ihn Ende der sechziger Jahre für kurze Zeit von der Forderung eines Pflichtdienstes abrücken.529 Außerdem war er sich ihrer geringen Durchsetzungschancen in Großbritannien bewusst. Sicherlich lag er richtig, wenn er die weitgehende Ablehnung des Pflichtdienstgedankens in der britischen Öffentlichkeit damit erklärte, dass ein solcher Vorschlag weiterhin zu sehr mit dem nationalsozialistischen Arbeitsdienst in Zusammenhang gebracht werde.530 Hinzu kam die in Großbritannien traditionell verbreitete Skepsis gegenüber staatlichem Zwang. Außerdem wurde – wie seitens der deutschen Trägerorganisationen – auch im britischen Wohlfahrtssektor die Existenz von Freiwilligendiensten mit dem Argument gefordert und gerechtfertigt, dass nur Freiwillige die idealistische innere Einstellung aufweisen würden, die für einen Sozialdienst als notwendig galt. Während deutsche Pflichtdienstbefürworter auf dieses Argument allerdings gar nicht eingingen und ihm offenbar nur wenig Gewicht beimaßen, fühlte sich Dickson dadurch immer wieder zur Stellungnahme herausgefordert. Er war davon überzeugt, dass die Jugendlichen auch im Falle einer Dienst­ verpflichtung Engagementbereitschaft und Enthusiasmus entwickeln würden, sobald sie mit sozialer Not konfrontiert und an gesellschaftlichen Brennpunkten eingesetzt würden. Dies sah er in seiner eigenen Organisation bestätigt. Denn er hatte in den frühen sechziger Jahren einige Industrieunternehmen und Polizei­ ausbildungsstätten überzeugen können, eine mehrwöchige Dienstzeit bei den CSV in die Ausbildung zu integrieren. Träten die neunzehnjährigen Polizeianwärter, die zu diesem Dienst verpflichtet worden waren, diesen an, lasse oft »the faint look of martyrdom on their face« auf den Grad der Eigenmotivation schließen, beschrieb Dickson.531 Wenn es aber gelinge, eine interessante und herausfordernde Einsatzstelle für sie zu finden, ändere sich dies bald: »[T]heir attitude of reluctant acquiescence can turn swiftly into understanding and 528 A. Dickson, Service by groups, [ohne Datum], S. 4, ACSV, AGD/B1/1. 529 Kendall. 530 A. Dickson, Service by groups, ACSV, AGD/B1/1; The reasons why a National Youth Service Programme has not been introduced into Britain, ACSV, AGD/C9/7/Teil 1, S. 4. 531 A. Dickson, A Domestic Development Service for West Germany, S. 5, ACSV, AGD/H1/17; Community Service Volunteers and Police Cadets, TNA, BN 29/2660; vgl. auch Community Service Volunteers and Police Cadets, TNA, BN 29/2660.

249

commitment. What the French call ›engagement‹ should be regarded not as a pre-condition of acceptance but as the end-product of a period of community service.« Dahinter stand also der paternalistische Gedanke, dass den Jugendlichen mittels der Pflicht dabei geholfen werden müsse, ihre eigenen Interessen zu erkennen. b. Freiwilligenarbeit versus Professionalisierung? Der Standpunkt, dass Freiwilligendienste gerade aufgrund ihrer Freiwilligkeit einen besonderen Wert besaßen, wurde in den sechziger Jahren in Großbritannien wie in der Bundesrepublik noch von einer weiteren Seite und aus ganz anderen Motiven in Frage gestellt. Besonders deutlich wird dies in der bundesdeutschen Pflichtdienstdebatte. Obzwar Gegner wie Befürworter hier in vielen Punkten auf ältere Argumente zurückgriffen und diese allenfalls abänderten oder neu gewichteten, fand doch ein neuer Punkt Eingang in die Diskussion: Oft wurde nun auf die fehlende Ausbildung und Berufserfahrung der Dienstleistenden verwiesen. Die Journalistin Helene Rahms, die Thielickes Vorschlag 1961 in der »FAZ« kommentierte, gab zu bedenken, »daß im angespannten, aufs äußerste rationalisierten Betrieb eines modernen Krankenhauses Laienkräfte, womöglich unwillige, mehr Störungen als Hilfe brächten«.532 Außerdem stelle es eine »Degradierung der examinierten Krankenschwestern« dar, wenn ihre Aufgaben unausgebildeten jungen Mädchen übertragen würden. Gegner des Pflichtdienstes fürchteten überdies, mit diesem sollten die von ihnen als notwendig erachteten Reformen der Pflegeberufe verhindert oder verzögert werden. Das Pflichtjahr könne, so die Redakteurin der »FAZ« weiter, nur ein »kümmerliches Palliativmittel« gegen den Personalmangel im Pflegesektor sein. Stattdessen gelte es, für eine bessere Bezahlung der Fachkräfte, für attraktivere Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen sowie für »Rationalisierungsmaßnahmen« in Heimen und Krankenhäusern zu sorgen. Diese Argumentation knüpfte an die klassische gewerkschaftliche Kritik der Arbeitsdienste an. Weil die Hauptfunktion des FSJ im pädagogischen Nutzen für die Jugendlichen gesehen wurde und nicht darin, dass sich hauptberufliche Pflegekräfte ersetzen ließen, stellte die Professionalisierungsdebatte, in deren Zuge die Erwerbsarbeit mehr und mehr aufgewertet wurde, das freiwillige Dienstjahr kaum in Frage. Dennoch sind die Einführung der Jugendfreiwilligendienste und die Pflichtdienstdebatte im Kontext der Professionalisierungstendenzen zu betrachten. Das starke Bemühen um Professionalisierung und Verwissenschaft­ lichung, das die sechziger Jahre prägte, galt in besonderem Maße für den Pflege­ sektor, der in dieser Hinsicht großen Nachholbedarf aufwies.533 Vor allem für 532 H. Rahms, Zur Nächstenliebe abkommandiert. Das »pflegerische Dienstjahr für die weibliche Jugend« und seine Konsequenzen, in: FAZ, 2. Dez. 1961, BuZ, S. 6. 533 Vgl. Amthor, S. 409–538.

250

die deutsche Debatte um die Dienstideologie spielten die mit der Professionalisierung einhergehenden starken Veränderungen der Pflegeberufe eine zentrale Rolle. Thielickes Pflichtjahresforderung etwa war nur ein kleiner Teil längerer Ausführungen über das Krankenhauswesen, in deren Rahmen er auch die traditionelle Definition der Schwesterntätigkeit als »Dienst«, der vor allem für »Gottes Lohn« absolviert werden sollte, verteidigte. Das neue Verständnis von Krankenpflege als normalem »Beruf«, das sich in den fünfziger und sechziger Jahren langsam durchsetzte, wurde von Reformen in der Schwesternausbildung begleitet.534 Diese hatte traditionell nur anderthalb Jahre gedauert und neben praktischer Arbeit lediglich 200 Unterrichtsstunden umfasst. Mit dem Krankenpflegegesetz von 1957 wurde sie zunächst auf drei Jahre ausgedehnt, gleichzeitig wurde die Mindestzahl der Unterrichtsstunden auf 450 erhöht, 1965 mit einem weiteren Gesetz dann auf 1.200.535 Notwendig wurde die verlängerte und verbesserte Ausbildung nicht zuletzt durch die technischen Neuerungen im Gesundheits- und Pflegewesen, deren Einsatz eine höhere Qualifikation voraussetzte. Diese einschneidend veränderten Arbeitsanforderungen in den Pflegeberufen stellten auch die Berechtigung unausgebildeter ehrenamtlicher Helfer in Frage.536 Neben der fehlenden Ausbildung wurde den Laienkräften überdies »mangelnde Zuverlässigkeit und Stetigkeit« bescheinigt.537 In einem Jahrzehnt, in dem großer Wert auf Planbarkeit gelegt wurde, wog diese Kritik schwer.538 Solche Einwände gegen die Freiwilligenarbeit wurden in einigen Pflegeinstitutionen selbst sowie in der Presse laut. Die Wohlfahrtsverbände hingegen befürworteten in der Regel weiterhin den Einsatz von ehrenamtlichen Helfern. »Spontaneität und Impulsivität« der Freiwilligen wirke der »Erstarrung in täglicher Routine« entgegen, und ihr »lebensnahes Wirken« sowie die »persönliche Begegnung von Mensch zu Mensch«, als welche die Freiwilligenarbeit charakterisiert wurde, bilde ein Gegengewicht zur »Bürokratie und dem Schema«.539 Vor allem bei der Diakonie hielt man noch an dem Standpunkt fest, dass freiwillige Mitarbeiter oft mehr Enthusiasmus und Opferbereitschaft aufwiesen als bezahlte Arbeitskräfte. Dass die Wohlfahrtsverbände der Freiwilligenarbeit weiterhin so viel Wertschätzung entgegenbrachten, lag gewiss auch daran, dass sie auf die unentgeltliche Arbeitskraft nicht verzichten wollten. Und die Idealisierung der Freiwilligkeit war ebenso wie die Kritik des »Job-Denkens« auch eine Gegenreaktion 534 Vgl. Kreutzer, S. 230–254. 535 Vgl. ebd., S. 230–254. 536 Die Diskussion begann schon in den fünfziger Jahren mit dem Ausbau des sozialen Sektors, vgl. z. B. Weinbrenner; für die sechziger Jahre vgl. die Tagungsberichte Arbeitsgruppe  X; sowie die Beiträge zur Rolle der Freiwilligenarbeit in: Nachrichtendienst des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge, 46. Jg., 1966, S. 167–175. 537 Aktion Gemeinsinn, Bad Godesberg, Aug. 1962, S. 10, BA B 189/5782, 2665 Allgemein. 538 Zum Machbarkeitsdenken der sechziger Jahre vgl. Metzler. 539 Dörrie, S. 469; vgl. Weller.

251

auf Forderungen nach besseren Arbeitsbedingungen im Pflegesektor. In einem frühen Vorschlag für die Einführung eines freiwilligen Sozialjahres für Mädchen, der 1952 im Centralausschuß der Inneren Mission diskutiert wurde, hieß es etwa: »Wer freiwillig aus ideellen Gründen zupackt, kann vielleicht bessere Hilfe sein als bezahlte Kräfte, die sich oft gern drücken und die heutzutage besonders behutsam angefaßt werden müssen.«540 Und noch 1967 hielt das Protokoll zu einem Erfahrungsaustausch über das Diakonische Jahr im Rahmen der Diskussion über eine Prämienzahlung fest: »Das Taschengeld wird im Diakonischen Jahr gezahlt, um vom Tarifdenken abzukommen. Der ›Dienst‹ kann nicht ›bezahlt‹ werden.« Der »pädagogische Ansatz und Wert« würde durch eine materielle Entlohnung »gefährdet«.541 Allerdings erhoben sich in den sechziger Jahren auch innerhalb der Wohlfahrtsverbände Stimmen, die sich gegen das negative Bild der hauptamtlichen Pflegekräfte wandten. In einem Planungspapier für das Freiwilligenjahr kritisierte etwa Elisabeth Denis von der Caritas schon in den frühen sechziger Jahren die lange Zeit übliche »Unterbewertung der Berufsarbeit« und deren Kontrastierung mit der unbezahlten Arbeit, die als »die ›echte‹ Caritasarbeit« gelte.542 Auch bei der Konzeption des Jugendfreiwilligendienstes müsse die selbstkritische Frage gestellt werden, »ob wir beim Jahr für die Kirche diese überholten bürgerlichen Begriffe wieder neu einführen sollen, ob das sozial ist, ob wir damit nicht eine ungute Abschließung bewirken?« Denis, die selbst aus einem bürgerlichen Hintergrund stammte, hatte, wie geschildert, nur drei Jahre zuvor noch in recht polemischer Weise die antizipierte sozialdemokratische und gewerkschaftliche Kritik am Freiwilligenjahr abgewehrt. Allerdings bemühte sie sich – nicht zuletzt um solcher Kritik vorzubeugen – gleichzeitig darum, das Jahr doch auch als Bildungs- und Aufstiegschance für Mädchen ohne höheren Schulabschluss zu konzipieren. Als Bildungschance verstand sie das Jahr wohl hier ebenfalls. Vielleicht erkannte sie aber auch, dass die Pflegeberufe als Liebesdienst auf junge Frauen nur noch wenig Anziehungskraft ausübten. Die Plädoyers für die Professionalisierung in der »FAZ« und bei Elisabeth Denis zeigen, dass auch diejenigen im konservativen Lager, die dem Wohlfahrts­ staat ambivalent gegenüber gestanden und die mit ihm assoziierte Professionalisierung abgelehnt hatten, ihre Vorbehalte dagegen langsam abbauten. Ebenso wie Geoffrey Finlayson die sechziger Jahre für Großbritannien als eine Zeit beschrieben hat, in der sich im konservativen Lager langsam die Akzeptanz des Welfare State durchsetzte, während andererseits die Labour-Partei die Legitimi540 Vorschläge für ein kirchliches Dienstjahr für Mädchen von D. Zeis, o. D., ADE, ADW, HGSt III 252 Diakonisches Jahr 985, Einführung Aufrufe, Berichte (671–1/8). 541 Protokoll über den Erfahrungsaustausch in Bad Godesberg am 9./10 Febr. 1967, ADE, ADW, HGSt III 252 Diakonisches Jahr, 4844 Erfahrungsaustausch. 542 E. Denis, Meinwerk-Institut, Paderborn, 25. Okt. 1961 an Präsidenten A. Stehlin, Freiburg, Betr. Sozialer Hilfsdienst für Mädchen. Die Besprechung mit Herrn Ministerialrat Dr. Nachtwey, vom Innenministerium NRW, ADC, 921.9, Freiwilliges Soziales Jahr, freiwilliger sozialer Dienst, +232.01 Gesetz zur Förderung des freiwilligen sozialen Jahres.

252

tät zusätzlicher freiwilliger Sozialleistungen immer stärker anerkannte, lässt sich dieser Trend auch für die Bundesrepublik registrieren. Das linke politische Lager hatte unbezahlte Arbeit besitzender Schichten traditionell oft als Abhängigkeit stiftenden Paternalismus abgelehnt, diejenige weniger wohlhabender Schichten hingegen als Ausnutzung, die Tariflöhne untergrabe. Deshalb verwundert es kaum, dass sich die Jugendpflegerin Christa Hasenclever 1966 im »Jahrbuch der Arbeiterwohlfahrt« gegen eine ideologische Überhöhung der Freiwilligenarbeit aussprach. Hasenclever, die auch für das FSJ der AWO zuständig war, verwarf die Vorstellung, dass ehrenamtliche Arbeit »dem Menschen unmittelbarer, natürlicher und wärmer zugewandt und unbürokratischer sei, daß sie nicht so leicht in Routine und distanzierte Apparatur umschlagen könne«.543 Eine solche Sicht müsse das bezahlte Personal »verletzen«. Überraschender ist indes, dass H ­ asenclever in dem Aufsatz, in dem sie die Frage diskutierte, ob die freiwillige Mitarbeit in den Sozial- und Pflegeberufen als »Relikt aus der Vergangenheit« zu betrachten sei, dennoch drei Gründe anführte, die in ihren Augen dafür sprachen, dass Freiwilligenarbeit auch in der Zukunft notwendig bleiben werde. Erstens werde es nie genügend hauptamtlich Beschäftigte geben, um alle »sozialen Nöte« zu beheben. Zweitens stelle die Arbeit im sozialen Sektor »in unserer kompliziert gewordenen, arbeitsteiligen Welt eines der wenigen Gebiete dar, auf denen aktive ehrenamtliche Mitwirkung des Bürgers heute nicht nur überhaupt noch möglich, sondern auch sinnvoll und effektiv sein kann«.544 Drittens erwecke das freiwillige Engagement der Bürger bei ihnen ein Verständnis auch für die bezahlte Sozialarbeit und schaffe ein wünschenswertes »soziales Klima«. Im Unterschied zu vielen anderen Lobreden auf die Freiwilligenarbeit implizierte Hasenclevers Stellungnahme keine Kritik an der zunehmenden Frauenerwerbstätigkeit. Dies hätte einer sozialdemokratischen Linie widersprochen. Vielmehr war ihr Plädoyer für die Freiwilligenarbeit ein in dieser Zeit neuartiger Appell zu einer aktiven staatsbürgerlichen Partizipation. Diese sollte die staatlichen Sozialleistungen ergänzen, nicht aber, wie es der politische Diskurs über Zivilgesellschaft seit den neunziger Jahren oft impliziert, ersetzen. Während Hasenclevers Überlegungen für die deutsche Seite Ausnahmecharakter haben, ähneln sie in vielen Punkten den konzeptionellen Grundlagen der britischen Jugendfreiwilligendienste. In deren Selbstverständnis nahmen die Professionalisierungstendenzen ebenfalls eine zentrale Rolle ein: Dickson gründete die CSV explizit als Gegenreaktion auf die Professionalisierung im Wohlfahrtssystem. Wie Hasenclever forderte er dazu auf, ihr mit einem neuen Gesellschaftsverständnis zu begegnen: »What we are trying to do with Community Service Volunteers is to restate the present concept of a welfare state dependent on a small cadre of professional experts into a participant society where we all share in the responsibility.«545 Während in der deutschen Konzeption 543 Hasenclever, S. 74. 544 Ebd. 545 Zitiert nach Kendall.

253

des ­Sozialjahres Expertentum und Professionalisierung nicht grundsätzlich in Frage gestellt, sondern deren Folgen wieder zumeist nur für das weibliche Geschlecht ins Visier genommen wurden, fehlte auch in diesem Punkt beim britischen Pendant die geschlechterspezifische Ausrichtung. Dies mag zum Teil daran gelegen haben, dass sich Dicksons negative Sicht auf die Professionalisierung auch in der Reaktion auf den Kolonialismusverdacht verstärkt hatte, unter dem er stand, weil er Schulabgänger als »Entwicklungshelfer« entsandte. Um das Image antikolonialer Arroganz abzustreifen, bemühte er sich, Freiwilligenarbeit gegenüber der Berufsarbeit ideell aufzuwerten. Genauso ist seine so vehemente Betonung des Antipaternalismus als Abwehrreaktion der Kolonialismusvorwürfe zu verstehen. Sie führte ihn auch dazu, die in der »Entwicklungshilfe« klassische Frage zu reflektieren, ob nicht Geld­spenden sinnvoller seien als Freiwilligendienste.546 Diese Frage spielte im­ deutschen Kontext allein für die Aktion Sühnezeichen eine Rolle, bei welcher der Wert der Freiwilligenarbeit in der »praktisch gelebten Bitte um Vergebung« gesehen wurde, die sie von den Wiedergutmachungszahlungen der Bundes­ republik abhob.547 Im Kontext der »Entwicklungshilfe« wurde »Freiwilligkeit« nicht nur im Vergleich zur professionellen Arbeit zu einem problematischen Konzept. Hinzu kam, dass ein Definitionskriterium für Freiwilligkeit im globalen Kontext an Eindeutigkeit verlor: die Unentgeltlichkeit. Denn selbst auf Taschengeldbasis bezahlte Freiwillige erschienen nur im Vergleich mit europäischen Gleichaltrigen einen Verzicht zu leisten; im Vergleich mit denjenigen, denen sie helfen wollten, führten sie indes zumeist ein gutes Leben. Adrian Moyes vom unabhängigen Overseas Development Institute, der die britische Entwicklungspolitik in einer 1966 veröffentlichten Studie als ineffektiv scharf kritisierte, hielt es auch für schädlich, dass seitens der Geberländer oftmals der »voluntary spirit« der »Entwicklungshelfer« überhöht werde: »In Africa there is some resentment if volunteers play up the element of sacrifice; it is, after all, somewhat insulting to an African to be told by a foreigner living at a standard of living well above the local average (as most volunteers are) that it is a sacrifice for him to be in the country at all.«548

In Uganda spreche man aus diesem Grund nur noch von »the so-called volunteers«. Die »Entwicklungshilfe« trug also dazu bei, die Standpunkte in der Diskussion über Freiwilligenarbeit versus professionelle Arbeit zu polarisieren.549 546 A. Dickson, A Domestic Development Service for West Germany? [ohne Datum], S.  7, ACSV, AGD/H1/17; zur Diskussion, ob »Geld oder Menschen« das beste Mittel der »Entwicklungshilfe« seien, vgl. Büschel, Geschichte. 547 Staffa, S. 139. 548 Moyes, S. 25. 549 Für den globalen Kontext vgl. etwa John F. Kennedys Ansprache anlässlich der Einrichtung des Peace Corps 1961, Kennedy.

254

Noch eine weitere Gemeinsamkeit findet sich in der Konzeption von Freiwilligenarbeit bei Dickson und Hasenclever. Bei beiden ging mit dem Idealbild einer »participant society« ein Gesellschaftskonzept einher, das den Sozialstaat als eine der Säulen der Demokratie beschrieb. Hatten die konfessionellen Träger und konservative Befürworter der Dienste in Wohlstand und staatlicher Wohlfahrt vielfach eine Bedrohung des Gemeinsinns gesehen, wurden sie hier vielmehr positiv als Motor der Partizipation gedeutet. Dieses Konzept betonte die gesellschaftliche  – und geschlechtliche  – Gleichheit, die mit der staatlichen Wohlfahrt gewährleistet werde. So schrieb Hasenclever in ihrem Artikel: »Die moderne Gesellschaft kennt nicht mehr eine vorgegebene Ordnung der sozialen Schichten in solche, die auf Wohltaten angewiesen sind, und solche, deren Aufgabe das Wohltun ist, um derentwillen es Arme gibt. […] In einer Gesellschaft freier gleich­ berechtigter Staatsbürger, die einen Rechtsanspruch auf Hilfe haben, ist die gesellschaftliche Deklassierung des auf Hilfe Angewiesenen im Prinzip ebenso überwunden wie die Beschränkung staatsbürgerlicher Aktivität auf bestimmte Schichten und auf rein männliche Mitwirkung. Derjenige, der heute auf einem Gebiete sozialer Arbeit Hilfe empfängt, kann grundsätzlich auf anderen Gebieten zugleich ein freiwillig Mitwirkender sein, und Frauen steht die Mitwirkung in der modernen Gesellschaft in gleicher Weise wie den Männern offen.«550

Die Autorin plädierte also für eine »Demokratisierung« der Wohlfahrt, wenn sie davon ausging, dass soziales Engagement nicht mehr allein durch die wohlhabenden Schichten geleistet werden könne und solle, sondern dass alle Mitglieder der Gesellschaft gleichermaßen dazu aufgerufen seien. In den Appellen an »bürgerschaftliches Engagement« im Zuge der Krise des Sozialstaats in den neunziger Jahren und zu Beginn des neuen Jahrtausends sollte dieses Konzept seine große Stunde erleben. Hasenclevers Perspektive aus den sechziger Jahren unterschied sich allerdings davon noch insofern, als sie freiwillige Partizipation nicht, wie dies dem üblichen Verständnis entsprach, als Staatsbürgerpflicht betrachtete, sondern als ein Recht. Dickson wollte  – was er abermals in Abwehr der Kolonialismusvorwürfe umso vehementer betonte – seine Freiwilligendienste ebenfalls bewusst von der traditionellen Wohlfahrt absetzen, deren Ausübung den Wohlhabenden reserviert gewesen war. Freiwilligenarbeit definierte er als Recht anstatt als Pflicht.551 Eine solche Sicht der Freiwilligendienste stellte allerdings in den sechziger Jahren auch in Großbritannien eine Ausnahme war. Sie richtete sich gegen einen mächtigeren Gegentrend, der ebenfalls auf ein im Zuge der Professionalisierung verändertes Verständnis des Verhältnisses von Staat und Staatsbürger hinweist, denn sie stellte die in den sechziger Jahren gängige Auffassung infrage, die

550 Hasenclever, S. 67. 551 A. Dickson, From the Hon. Director, Jan. 1960, ACSV, AGD/D1/G.

255

Wohlfahrtspflege sei allein vom Staat zu gewährleisten.552 Der staatszentrierten Auffassung zufolge konnten und sollten soziale und pflegerische Aufgaben in erster Linie durch hauptberufliche Kräfte erledigt werden. Wirtschaftsaufschwung und Vollbeschäftigung schienen dies möglich zu machen. Wie sehr sich diese Zuversicht in den sechziger Jahren gesellschaftlich verbreitet hatte, zeigt abschließend ein Blick auf die Reaktionen, mit denen die Angehörigen der Freiwilligen deren Entschluss begegneten, einen sozialen Dienst abzuleisten. c. Das Image der Freiwilligenarbeit In der medialen Öffentlichkeit der Bundesrepublik stießen das Diakonische Jahr und später das FSJ in den sechziger Jahren durchweg auf positive Resonanz. Pressestimmen kommentierten sowohl den Einsatz der Freiwilligen als auch die Idee des Freiwilligendienstes mit großem Wohlwollen.553 Allerdings wäre es verfehlt, daraus auch auf eine allgemeine Akzeptanz in der Bevölkerung zu schließen. In der Tat scheinen die Perspektive von Journalisten, Politikern oder Vertretern der Wohlfahrtsverbände und diejenige eines Großteils der Bevölkerung in diesem Punkt auseinandergeklafft zu haben. So stießen die Jugendlichen mit ihrem Entschluss, ein Sozialjahr abzuleisten, bei Eltern, Kollegen und Freunden vielfach auf Unverständnis und Ablehnung. Diese hatten, so implizieren die Quellen, vor allem die berufliche Karriere und die finanzielle Sicherheit im Auge. Etwa die Hälfte der Freiwilligen müsse die Teilnahme am FSJ gegen den Widerstand der Eltern durchsetzen, hieß es immer wieder.554 Die Blockadehaltung der Eltern mag teilweise von den Trägerorganisationen aufgebauscht worden sein. Schließlich ließ sich mit dem Hinweis auf das angebliche elterliche Unvermögen, eine soziale Erziehung zu leisten, die Forderung nach der zusätzlichen Erziehungsinstanz des Sozialjahres untermauern. Die ablehnende Haltung der Eltern allein als Konstrukt der Trägerorganisationen abzutun, wäre dennoch sicherlich verfehlt. Denn die Quellen lassen eindeutig erkennen, dass das Sozialjahr tatsächlich noch Reputation gewinnen musste. Bis das Diakonische Jahr und das FSJ bekannter wurden und ein positives Image 552 Laut einer Allensbacher Umfrage hielten Anfang der sechziger Jahre über die Hälfte der deutschen Bevölkerung die Wohlfahrtspflege für die alleinige Aufgabe des Staates, während nur noch rund ein Drittel zusätzlich noch auf Privatinitiative setzte, Institut für­ Demoskopie, S. 2. 553 Z. B. M. Flesch-Thebesius, Eine Chance für jugendliche Helfer, in: FAZ, 11. Febr. 1965, S. 20; Friedrich, Ein Jahr. 554 Das DJ im Rheinland. Gekürzter Bericht von Frau Vikarin Rabes, ADE, ADW, HGSt, III 251, 986, Diakonisches Jahr, [Einführung Aufrufe, Berichte, Presseausschnitte u. a.]; Informationen über das DJ der Ev. Landeskirche in Württemberg, Ausgegeben beim Presse-Empfang am 4. Januar 1964, HGSt ADW 2856 Abstimmung mit Landesverbänden der IM bzw. gliedkirchlichen diak. Werken; Grundsätzliches zu den Sozialen Diensten, BA, B 153/1478 Bdna, 005 Jugendbericht, 1964/65, 13/046.

256

entwickeln konnten, dauerte es eine Weile: In den fünfziger und frühen sechziger Jahren assoziierten viele die Freiwilligendienste noch mit dem national­ sozialistischen Arbeitsdienst. Teilweise hielt man sie sogar für Strafdienste: Zwei Freiwillige, deren Einsatzstelle sich in einem schwäbischen Dorf befand, wurden 1964 dort auf der Straße als »Huren« beschimpft und mit Steinen beworfen, weil die Dorfbewohner glaubten, »so hübsche junge Mädchen« müssten »was Schreckliches verbrochen haben, wenn die dort arbeiten müssen«.555 Dass sie einen Freiwilligendienst ableisteten, war offenbar nur schwer vorstellbar, er wurde daher als Disziplinierungsmaßnahme aufgefasst. Viele Eltern und auch einige Freiwillige selbst vertraten eine ähnliche Sicht. So schrieb z. B. ein Päda­ gogikstudent, der während des Wehrdienstes zu trinken begonnen hatte, in seinem Bewerbungsschreiben, dass er plane, im Anschluss an eine Entziehungskur ein Diakonisches Jahr zu absolvieren.556 Während die Trägerorganisationen die Konzeption ihrer Dienste als Mittel zur Sozialdisziplinierung im Laufe der sechziger Jahre langsam aufgaben, lebten diese Vorstellungen andernorts noch deutlich länger fort. »Zucht und Ordnung« seien zentrale Wünsche der Eltern an das Dienstjahr, so urteilte die Verantwortliche für das Diakonische Jahr im Rheinland 1961.557 Vor allem wenn die Freiwilligen noch nicht volljährig waren, entließen die Eltern sie nur ungern aus ihrer Obhut. Kontrolle und Erziehung waren es etwa, die zwei Eheleute für ihren Sohn während seines Diakonischen Jahres sicherstellen wollten, wenn sie 1961 um Auskunft baten, »ob die jungen Männer beaufsichtigt werden« und ob ihr Sohn auch »brav u. gehorsam« sei.558 Die Eltern eines 19-jährigen Mädchens, die hofften, ihre Tochter während des Freiwilligendienstes den »verführerischen Einflüssen der Großstadt« zu entziehen, forderten deren Einsatzstelle auf, »die Freizeit von ihr etwas unter Kontrolle zu halten«.559 Bis in die sechziger Jahre hinein erkundigten sich überdies immer wieder solche Eltern nach den Konditionen für das Diakonische Jahr, deren Kinder sich offenbar schwer in das Arbeitsleben integrieren ließen. Dabei konnte es sich zum einen um Jugendliche mit Lernschwierigkeiten handeln. So hoffte ein 80-jähriger Vater für seinen 29 Jahre alten Sohn »eine Bleibe« zu finden, da er selbst und seine Frau aufgrund ihres Alters nicht länger für ihn sorgen könnten: Es handele sich um »ein liebes Kind, eifrig in der Erfüllung seiner Pflichten«, aber »etwas langsam«.560 Zum anderen galt das Dienstjahr offenbar als Integrationsmöglichkeit für Jugendliche mit Disziplinproblemen. In einigen Fällen 555 Interview mit T. Sandel über ihr Freiwilliges Soziales Jahr im Jahr 1964, 30. Aug. 2008. 556 ZADN, D 5/2 29. 557 D. J. der Ev. Kirche i. Rhld. 1. April 1960 bis 31. März 1961, Stand vom 15. Febr. 1961, ADE, ADW, HGSt 2855, Diakonisches Jahr, Abstimmung mit Landesverbänden der IM bzw. gliedkirchlichen diak. Werken. 558 Brief vom 21. Febr. 1961, ZADN, D 5/2–31, 1962. 559 Brief des Großvaters von W. H., 8. Dez. 1962, Brief der Mutter, 26. Dez. 1962, ZADN, D 5/2–38, Glu-Hus. 560 Brief vom 23. Nov. 1961, ZADN, D 5/2–30.

257

lässt sich auch aus den Referenzschreiben, die für die Bewerbung um ein Diakonisches Jahr eingefordert wurden, ersehen, dass unter den Bewerbern eine auffällig große Anzahl Jugendlicher war, die als schwer erziehbar, als psychisch krank oder gar als »Psychopathen« galten.561 Wiederholt klagten daher die Träger des Sozialjahres in den sechziger Jahren darüber, dass die Teilnehmer »wegen geistiger oder körperlicher Minderwertigkeit sonst für einen bürgerlichen Beruf sich nicht eignen« oder dass die Eltern den Sozialdienst »als letzten Versuch f. erziehungsschwierige Jugendliche« oder »als Unterbringungsmöglichkeit u. Hilfe f. gehemmte u. entwicklungsgestörte junge Menschen« betrachten würden.562 Und noch 1969 beobachtete ein Verantwortlicher, dass es sich bei den Teilnehmern des Diakonischen Jahres »sehr oft um junge Menschen handelt, die von den Eltern her zu einem Diakonischen Jahr veranlaßt werden, da es in der Familie meistens zu Generationsschwierigkeiten kommt und wir dann mehr oder weniger dem Elternhaus für ein Jahr die Erziehung abnehmen und womöglich auch noch einen Erfolg erzielen sollen«.563 Wenn sich diese Klage hier wohl auf beide Geschlechter bezog, galt sie andernorts speziell für junge Männer, die »endlich mal ›erzogen‹ werden sollen, von den Eltern aber doch noch nicht ins Militär gesteckt werden«.564 In der Tat findet sich dieses Motiv überdurchschnittlich oft bei den Eltern der wenigen männlichen Freiwilligen. Dass das Sozialjahr bis weit in die sechziger Jahre hinein vielfach als Diszipli­ nierungsinstitution betrachtet wurde, machte es zwar für einige Eltern interes­ sant, steigerte im Allgemeinen jedoch nicht seine Attraktivität. Und es gab noch andere Aspekte, die dem Image des Sozialjahres schadeten. Die Trägerorganisationen fürchteten vor allem den traditionellen Vorwurf, mit dem Freiwilligenjahr wolle man die jugendlichen Helfer lediglich als billige Arbeitskräfte ausnutzen. Man müsse angesichts der Pläne für ein Sozialjahr mit »Widerständen rechnen von überall her«, hieß es 1961 in einem Mitteilungsblatt der Katholischen Frauen­ jugend der Erzdiözese Freiburg.565 Diese Ablehnung erschien offenbar überaus stark, jedenfalls ging der Artikel davon aus, sie lasse sich nur mit Gottes Hilfe überwinden: »Der ›Widersacher‹ wird seinerseits alles tun, dieses neue Werk 561 Brief vom 15.  Juli 1964, ZADN, D 5/2–29; vgl. auch An den Leiter und die Teilnehmer­ unserer ersten Israel-Mannschaft, Berlin 28. Sept. 1961, EZA, 97/735 Korrespondenz und Tagebücher von Freiwilligen in Israel 1961–6497/735. 562 Zusammenstellung des statistischen Zahlenmaterials des Diak. Jahres, Stand 1. Jan. 1962, ADE, ZB, 4843 Diakonisches Jahr: Zusammenstellung der statistischen Umfragen 1962–1966. 563 Kaufmann, Ev. Kinderpflege Würzburg, 30. April 1969, ZADN, D 5/2–9. 564 Abstimmung mit Landesverbänden der IM bzw. gliedkirchlichen diak. Werken, Diako­ nisches Werk der ev. Kirche im Rheinland, [L.] Schlomcka an M. König, Innere Mission und Hilfswerk Stuttgart, Bad Godesberg, 23. Aug. 1960, ADE, ADW, HGSt 2855, Diako­ nisches Jahr. 565 Unsere Brücke, Mitteilungen der Katholischen Frauenjugend Erzdiözese Freiburg, 1961, Nr. 1/2, S. 2.

258

zu vereiteln. Deshalb müssen wir beten, immer wieder und eindringlich beten, daß Gott die Widerstände beseitige«, so der Appell. Bei den konfessionellen Wohlfahrtsverbänden schrieb man die Kritik am Sozialjahr vor allem dem sozialdemokratischen und gewerkschaftlichen Lager zu.566 Doch wurde sie wohl auch allgemein in den Reihen der Eltern und Angehörigen der Freiwilligen laut. Einige von ihnen empfanden die Arbeit im Pflegesektor offen­bar nicht als standesgemäß. Jedenfalls klagten die Trägerorganisationen auf einer Pressekonferenz 1966 darüber, dass vielfach die Frage gestellt werde: »Meine Tochter – anderer Leute Dreck?«567 Auch das nicht für die Öffentlichkeit gedachte Protokoll einer Wochenendtagung ehemaliger Freiwilliger hielt fest, einige Eltern verträten die Auffassung, es sei nicht mit dem »Berufsstand des Vaters« vereinbar, »daß der Sohn oder die Tochter einen solchen ›schmutzigen‹ Dienst versieht«.568 Es muss dahingestellt bleiben, ob sich solche Aussagen auf die in den sechziger Jahren oft noch von Pflegekräften verrichteten Reinigungsarbeiten im Krankenhaus bezogen oder auch auf die eigentliche Pflegetätigkeit. Der Blick auf die Reaktionen des familiären und kollegialen Umfelds der Teilnehmer und Teilnehmerinnen zeigt also deutlich, dass Jugendfreiwilligendienste in der Bundesrepublik in den sechziger Jahren – abweichend von dem positiven Medienecho – gesellschaftlich noch keine allzu hohe Wertschätzung genossen. Die Eltern der Freiwilligen, sei es, dass sie dem Dienst zustimmten, sei es, dass sie ihn ablehnten, ließen sich dabei vor allem durch individuelle, persönliche Motive leiten. Die Vorstellung, ihre Kinder würden mit dem Dienst einen Beitrag zum Gemeinwohl leisten oder gar eine Bringschuld gegenüber der Gesellschaft erfüllen, findet sich für sie nicht dokumentiert. Auch für die britische Seite gibt es keine Hinweise auf eine solche Sichtweise des Freiwilligendienstes seitens der Eltern. Einige Community Service Volunteers berichteten, dass ihre Angehörigen ihrem Dienst gegenüber skeptisch eingestellt waren. So glaubte ein Ehemaliger, der seine Freiwilligenzeit im Jahr 1971 in einer vierzig Jahre später veröffentlichten Autobiographie schilderte, seine Eltern hätten seinen nach einem Studienabbruch gefassten Entschluss, zu CSV zu gehen, als »futile, senseless venture« betrachtet.569 Andere Eltern fürchteten ähnlich, wie dies auf deutscher Seite oft der Fall war, der Dienst könne die Ausbildung bremsen. Ein Freiwilliger berichtete in den sechziger Jahren in einem Brief an Alec Dicskon, seine Eltern hätten ihm strenge Bedingungen auferlegt: »I have had to do to keep my parents satisfied that I am not wasting my time; two sets of night classes per week and the digestion of one French book per 566 Damit bezog man sich auf die traditionelle Kritik der Freiwilligenarbeit allgemein, vermutlich aber gleichzeitig auch auf die Kritik an den Arbeitsbedingungen in der Krankenpflege, zu Letzterer vgl. Kreutzer, passim. 567 E. Oswalt, BDKJ, Diskussionsbeitrag zur Pressekonferenz am 13. Mai 1966, BA, B 189/5784. 568 Wochenendtagung für ehemalige diakonische Helferinnen und Helfer vom 19. April–1. Mai 1967 in Prickenfels, ZADN, D 5/2–9. 569 Morrison, S. 2.

259

week.«570 In Großbritannien kam noch eine andere Art elterlicher Sorgen hinzu, die sich aus den dortigen Einsatzfeldern für Freiwillige ergab: »My parents were simply alarmed by the whole thing, and seemed to doubt that I would return alive«, berichtete aus der Rückschau ein Freiwilliger, der seinen Einsatz Mitte der sechziger Jahre in einer Besserungsanstalt für ältere Jugendliche verrichtet hatte.571 In den britischen Quellen werden die Reaktionen von Angehörigen allerdings insgesamt weit seltener thematisiert als beim deutschen FSJ. Über die Gründe lässt sich nur spekulieren. Eine Ursache könnte sein, dass die Entscheidung, den Freiwilligendienst anzutreten, bei Eltern in Großbritannien auf größere Akzeptanz stieß. Dies muss freilich nicht bedeuten, dass sie den Dienst wie Alec Dickson als staatsbürgerliche Pflicht auffassten. Anzunehmen ist allerdings, dass die große Wertschätzung von »voluntary spirit« und »service« den Eltern tatsächlich die Zustimmung zu einem Freiwilligendienst erleichterte. Dies galt umso mehr als eine große Zahl der Freiwilligen ja aus Privatschulen stammte, wo diese Werte noch in besonderer Weise hoch gehalten wurden. Hinzu kam für VSO, dass der Dienst in die Tradition des als Ausbildungsstation hochgeschätzten Kolonialdienstes gestellt wurde. Naheliegend ist überdies, dass die Eltern britischer Jugendlicher den Freiwilligendienst eher unterstützten, weil ihre Kinder ohnehin oftmals eine Wartezeit zwischen Schulabschluss und Studium zu über­ brücken hatten. Zu berücksichtigen ist schließlich, dass der Freiwilligeneinsatz der beiden britischen Organisationen gemeinhin nicht mit den nationalsozialistischen Arbeitsdiensten in Verbindung gebracht wurde, wie dies für das FSJ in Deutschland in den sechziger Jahren noch der Fall war.

Zwischenfazit Der Vergleich der westdeutschen Arbeitsdienste der ersten Nachkriegsdekade mit denjenigen der zweiten bringt deren jeweiligen Charakteristika deutlich zum Vorschein. Die Initiativen aus beiden Dekaden verfolgten ein erzieherisches Ziel, beiden lag eine rückwärtsgewandte, kulturkritische Grundstimmung zugrunde und sie waren vor allem bürgerlichen Arbeitsvorstellungen verhaftet. Beide standen schließlich im engen Zusammenhang mit der Arbeitsmarktlage. In der unmittelbaren Nachkriegszeit, als es an Arbeitsplätzen mangelte, richteten sich die Anstrengungen auf den Erhalt des Arbeitsethos, dem weithin eine zentrale Rolle für die Stabilität der Gesellschaft zugemessen wurde. In einer Vorstellungswelt, 570 S. F. an A. Dickson, Wednesday, Percy Hedley School, Forest Hall, Newcastle-upon-Tyne, [S. 2], ACSV, AGD/82/18. 571 B. Hugman, The Revolution within me, Address to CSV Sixthform Conference, London, in July 1973, by Bruce Hugman, then directing the Albany Community Youth Centre, ACSV, AGD/C1/68.

260

in der nur Männer berufstätig sein sollten, erschien durch die mangelnden Beschäftigungsmöglichkeiten vor allem die männliche Jugend gefährdet. Als hingegen Vollbeschäftigung herrschte, geriet in der Bundesrepublik die weibliche Jugend in den Sog der Sorgen, da sich durch die zunehmende Frauenerwerbstätigkeit die traditionelle gesellschaftliche Rollenzuschreibung und Geschlechterordnung zu verändern begann. Die Berufswelt wurde nun nicht mehr als wertebildend, sondern – für Frauen – als gefährlich und zerstörerisch beschrieben. Diese Überzeugung führte auch dazu, dass für das Konzept des weiblichen Sozialjahres zwei Elemente nun akzeptiert, ja sogar propagiert wurden, die beim männlichen Arbeitsdienst im ersten Nachkriegsjahrzehnt in Abgrenzung zum Nationalsozialismus auf weitreichende Ablehnung gestoßen waren: die außertarifliche Arbeit auf Taschengeldbasis und die Loslösung des Dienstes von Ausbildungszielen. Während die Arbeitsdienste des ersten Nachkriegsjahrzehnts zu sehr als Mittel der Sozialdisziplinierung konzipiert waren, um auch bei einer Entspannung des Arbeitsmarktes noch das Interesse der Jugendlichen zu wecken, waren sie in ihrer Neuausrichtung seit Mitte der fünfziger Jahre auch für die Jugendlichen selbst attraktiv, und die Teilnehmerzahlen stiegen stetig. Die Teilnehmerinnen sahen in ihrem Sozialjahr oftmals eine Möglichkeit, zur beruflichen Selbstverwirklichung zu finden. In Großbritannien war es der Wegfall des Militär- bzw. Kolonial­dienstes als Ausbildungsetappe der männlichen Elite, der eine wichtige Motivation für die Einführung der Jugendfreiwilligendienste lieferte. Wenn VSO und CSV den Freiwilligen zu persönlicher Reife verhelfen sollten, so zielte dieser Erziehungsgedanke demgemäß nicht wie in vielen der deutschen Organisationen in dieser Zeit auf Unterordnung. Vorbild war vielmehr das von den britischen Public Schools verfolgte Leitbild, selbständige Führungspersönlichkeiten heranzubilden. Immer wieder betonte die Organisationsleitung, dass das Verantwortungsgefühl, das der Freiwilligendienst den Jugendlichen verleihe, die Voraussetzung für die Bildung zum Staatsbürger sei: »[Y]ou only produce responsible citizens by giving them responsibility«.572 Dies zielte auf gleichberechtigte Partizipation, nicht auf Subordination. Das britische Modell von citizenship, das hinter den humanitären Hilfsteams der Nachkriegszeit und den beiden um die Wende der fünfziger zu den sechzi­ ger Jahren gegründeten Freiwilligenorganisationen stand, war damit deutlich liberaler als dasjenige, das dem deutschen FSJ zugrunde lag. Ohne damit die These eines deutschen Sonderwegs rehabilitieren zu wollen, lässt sich dies erstens auf in Großbritannien tendenziell stärker verbreitete liberalere Erziehungsmaßstäbe zurückführen. Die konzeptionellen Unterschiede zwischen CSV und den staatlich geförderten bundesdeutschen Freiwilligendiensten bedingten sich zweitens zu einem großen Teil  aus der unterschiedlichen Wehrverfassung. Hinzu kam drittens, dass die Initiatoren der deutschen Freiwilligendienste aus einem politischen oder weltanschaulichen Lager stammten, das von starken­ 572 Adams, S. 46.

261

kulturpessimistischen Angstszenarien geprägt war. Die Gründung von VSO und CSV hingegen reagierte zwar ebenfalls auf verbreitete kulturkritische Befürchtungen, folgte aber gleichzeitig einer optimistischeren Sicht, die gesellschaftlichen Wandel für gestaltbar und erstrebenswert hielt. Beide Strömungen gab es in ähnlicher Form auch im jeweils anderen Land, sie brachten dort allerdings keine längerfristigen Freiwilligendienste hervor. Viertens schließlich lassen sich die Unterschiede zwischen den deutschen und den britischen Konzepten aus nationalen Traditionen herleiten. Viele der deutschen Jugendfreiwilligendienste orientierten sich an Weimarer Vorbildern, aber auch am nationalsozialistischen Modell des Reichsarbeitsdienstes. Die britischen Organisationen konnten auf keine nationale Arbeitsdiensttradition zurückgreifen. Allenfalls die Pfadfinder und die britische Settlementbewegung boten Anknüpfungspunkte. Dadurch waren sie in der Gestaltung der Dienste offener und wohlmöglich konzeptionell auch eher bereit, sich mit kulturellem und gesellschaftlichem Wandel zu arrangieren und ihn aktiv mit zu gestalten. Das liberalere Konzept, das sie in den sechziger Jahren prägte, erklärt sich fünftens schließlich maßgeblich auch aus der bewussten Abgrenzung vom nationalsozialistischen Modell des Pflichtjahres. Das am traditionellen Bild des männlichen Staatsbürgers orientierte liberale Konzept des britischen Freiwilligendienstes entsprach viel eher als dasjenige des deutschen FSJ dem Bild des demokratischen Staatsbürgers, das sich seit den ausgehenden sechziger Jahren sowohl in der Bundesrepublik als auch in Großbritannien zu dem Ideal entwickelte, nach dem die Freiwilligen modelliert werden sollten.

262

4. Kritik und Krise, 1968 – ca. 1989 Die Zeitspanne von 1968 bis etwa Mitte der achtziger Jahre lässt sich für die Jugendfreiwilligendienste in der Bundesrepublik und in etwas geringerem Maße auch in Großbritannien als eine von Kritik und Krisengefühlen gekennzeichnete Phase beschreiben. Dies war die Folge zweier Entwicklungen, die in Geschichtsdarstellungen zur allgemeinen Geschichte oft eher getrennt in den Blick genommen werden, hier aber in einem Kapitel gemeinsam Betrachtung finden, da sich ihre Auswirkungen für die Jugendfreiwilligendienste überlagerten und zusammenflossen, so dass sie sich vielfach nicht voneinander trennen lassen:1 Zunächst waren es Kritiker seitens der »Neuen Linken«, die sich seit Ende der sechziger Jahre lautstark zu Wort meldeten und das Prinzip der Freiwilligenarbeit in Frage stellten.2 Nur wenige Jahre später erfolgte eine neuerliche Erschütterung: Die steigenden Arbeitslosenzahlen gaben in beiden Ländern in den ­siebziger Jahren weiteren Zündstoff für Selbstverständnisdiskussionen und konzeptionelle Neubestimmungen. War also die Zeitspanne von 1967/68 bis etwa Mitte der achtziger Jahre, allgemein, wie Hartmut Kaelble es pointiert gegeneinanderstellt, durch die widersprüchliche Gleichzeitigkeit von »promise« und »desillusionment« gekennzeichnet, das heißt einerseits durch eine verstärkte Liberalisierung, andererseits durch das Gefühl einer verbreiteten »individuellen und kollektiven Verunsicherung«, so war für die Jugendsozialdienste doch das Entscheidende, dass beide Epochenmerkmale gleichermaßen zur Neugestaltung herausforderten.3 In einem ersten Abschnitt werden für die deutsche Seite die starken Einflüsse untersucht, welche die Neue Linke auf die Freiwilligenorganisationen und auf einen Teil  der Freiwilligen ausübte. Der zweite Abschnitt betrachtet zunächst die sehr viel weniger einschneidenden Veränderungen, welchen die britische Organisation CSV in den ausgehenden sechziger Jahren unterworfen war und 1 Überblicksdarstellungen zur deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert orientieren sich bei ihrer Phaseneinteilung oftmals am Ölpreisschock, in der britischen Geschichtsschreibung wird in der Regel der Regierungsantritt Magaret Thatchers als Epochenscheide gewählt, vgl. z. B. Herbert, Geschichte; Conze, Suche; Clarke. 2 Da die Kritik an den Freiwilligen nicht allein aus der Studentenbewegung kam, wird im Folgenden weiter gefasst auf die »Neue Linke« Bezug genommen. Dabei soll nicht übersehen werden, dass die »Neue Linke« ebenso wie die Studentenbewegung keinen einheitlichen Block darstellten, sondern recht vielfältige Gruppierungen und Positionen vereinten. Dennoch lässt sich in ihrem Diskurs eine spezifische Kritik an den Freiwilligendiensten fassen, um die es im Folgenden gehen wird. Auch ist darauf hinzuweisen, dass die Neue Linke sich bereits in den frühen sechziger Jahren formierte. Vor 1968 erreichten ihre Diskussionen die Jugendfreiwilligendienste in der Bundesrepublik allerdings kaum. 3 Conze, Suche, S. 545; vgl. auch Geyer, Auf der Suche; Kaelble.

263

analysiert anschließend, wie sich die Organisationen in beiden Ländern darum bemühten, die Veränderungen in Grenzen zu halten und wie Großbritannien in der Bundesrepublik hierbei teilweise als Vorbild angesehen wurde. Der dritte Teil des Kapitels widmet sich den Auswirkungen der Krisengefühle, die sich seit den siebziger Jahren angesichts wachsender Probleme wirtschaftlicher, arbeitsmarktpolitischer und sozialstaatlicher Art in beiden Ländern verbreiteten.

4.1 »1968« und die Folgen für die bundesdeutschen Jugendfreiwilligendienste Diskussionen über das Staats- und Gesellschaftsverständnis waren für die Studentenbewegung zentral. Ihre Wortführer stellten Autoritäten und Hierarchien in Frage und forderten eine Demokratisierung der Gesellschaft. Die Freiwilligendienste blieben hiervon nicht unbeeinflusst. Vor allem die Konzeption des FSJ veränderte sich in der Folge. Einige der Grundlagen, auf denen es bislang gefußt hatte, gerieten ins Wanken. Aber auch die anderen Jugendfreiwilligenorganisationen in der Bundesrepublik und in Großbritannien waren betroffen. Welche Bedeutung der Studentenbewegung der ausgehenden sechziger Jahre für die Geschichte der Bundesrepublik beizumessen ist, ist in der Geschichtswissenschaft umstritten. Je nach politischer und historiographischer Perspektive werden die Unruhen um »1968« als Entwicklungskatalysator, als Bruch, als Medienspektakel ohne tiefere Konsequenzen, als bloßes Symptom eines schon früher in Gang gekommenen Wandels oder gar als retardierendes Moment beschrieben.4 Ohne den Anspruch zu erheben, in dieser Kontroverse eine eindeutige Antwort zu geben, kann die Untersuchung der Jugendfreiwilligendienste zeigen, dass der Wandel, der mit »1968« verbunden war, nicht in allen gesellschaftlichen Bereichen in gleicher Weise verlief. Die umfassende histo­rische Bewertung – dies bestätigt sich auch hier – kann nur gelingen, wenn eine differenzierte und nuancierte Sichtweise auf verschiedene Verläufe und Wirkungen von »1968« eingenommen wird.5 Mit ihrer speziellen Frage nach Jugendbildern und Jugendlichen, die sich nicht im bereits vielfältig untersuchten Brennpunkt der größten Aufmerksamkeit befanden, vermag die Analyse der Freiwilligendienste die historische Deutung der ausgehenden sechziger und beginnenden siebziger Jahre um eine Facette zu bereichern. Auch der deutsch-britische Vergleich liefert dabei eine aufschlussreiche Perspektive. Nicht zuletzt, weil die Studentenunruhen in Großbritannien sehr viel schwächer ausfielen als in der Bundesrepublik, gibt es für die britische Geschichtswissenschaft keine mit der deutschen vergleichbare Diskussion über­ 4 Die Literatur zu »1968« ist ausufernd, vgl. Gassert. 5 Für solcherart differenzierte und abwägende Darstellungen der Zeit um »1968« vgl. z. B. Conze, Suche, S. 331–360; Frei, 1968, bes. S. 209–232.

264

deren Bedeutung.6 Stattdessen nimmt sie eher den jugendkulturellen Wandel der sechziger Jahre in den Blick.7 Einige deutsche Arbeiten, welche die Bedeutung von »1968« zu bestimmen und teilweise zu relativieren suchen, folgen dieser Untersuchungsperspektive.8 Deutsch-britische Vergleichs- oder Transferuntersuchungen zur Jugend bzw. Jugendkultur dieser Jahre sind indes noch rar.9 a. Fundamentalkritik an Freiwilligendiensten Für die deutschen Jugendfreiwilligendienste war die Zeit der Studentenproteste zweifellos ein tiefer Einschnitt. Bemerkbar machte er sich schon in der Konjunktur der Dienste: Zwischen 1968 und 1970 sanken die Teilnehmerzahlen des FSJ um knapp 30 Prozent von 1.879 auf 1.336.10 Danach stiegen sie zwar langsam wieder an, blieben aber bis 1973 unter dem Stand von 1968.11 Auch die A ­ ktion­ Sühnezeichen und einige Workcamporganisationen verbuchten 1968 einen leichten Rückgang der Bewerberzahlen.12 Die Entwicklung der Teilnehmerzahlen ist ein Symptom für die Neubewertung von Freiwilligenarbeit in den ausgehenden sechziger Jahren. Zu Recht brachten die Trägerorganisationen des FSJ die nachlassende Bereitschaft zur Teilnahme mit den Studentenunruhen in Verbindung: »Die ›unruhige Jugend‹ kommt nur ganz vereinzelt«, stellte eine Verantwortliche für das Diakonische Jahr 1969 mit Bedauern fest.13 Tatsächlich war vor allem die Teilnahme von Abiturientinnen und Abiturienten rückläufig.14 Jugendliche, die der Protestbewegung nahe standen, so legen es die Quellen nahe, blieben dem FSJ fern. Dies galt allerdings nicht für die Aktion Sühnezeichen und die Workcamporganisationen. Obwohl auch hier Bewerber- bzw. Teilnehmerzahlen sanken, zogen sie doch seit Ende der sechziger Jahre viele politisch engagierte Jugendliche an. Die friedens- bzw. vergangenheitspolitische Ausrichtung ließ sich mit 6 Vgl. zu »1968« in Großbritannien Marwick, The Sixties, S. 632–642. 7 Vgl. z. B. Fowler. 8 Vgl. z. B. Siegfried, Time. 9 Als Vergleichsstudie zur Studentenbewegung vgl. Halbfas; allgemein zu linken Protest­ bewegungen vgl. Nehring; sowie zahlreiche weitere Artikel desselben. Allgemein vgl. auch den Sammelband Schildt u. Siegfried, Between. 10 Arbeitskreis freiwilliger sozialer Dienst/freiwilliges soziales Jahr, S. 51. 11 Ebd. 12 Zum leichten Zahlenrückgang 1968, Kammerer, S.  110. Bei den Internationalen Jugendgemeinschaftsdiensten gingen die Teilnehmerzahlen bereits 1967 zurück, wofür Rezessions­ ängste und interne Streitereien verantwortlich gemacht wurden, Protokoll der Geschäftsführersitzung am 15.9.1967, AIJGD, Ordner 7.  13 C. Heckel, Bericht über die Arbeit im Diakonischen Jahr in der Diakonissenanstalt Neuendettelsau, 11. Sept. 1969, ZADN, D5/2–9. 14 Vgl. z. B. auch A. Müller-Schöll u. M. König, Anlage 1: Schriftlicher Bericht über das Diakonische Jahr (Febr. 1970), 9. Febr. 1970, ADE, ADW HGSt, III 252 Diakonisches Jahr, 2474, Motivanalysen.

265

den in der Neuen Linken verbreiteten antifaschistischen Einstellungen leicht in Einklang bringen. Hinzu kam für die Aktion Sühnezeichen, dass ihr Dienst seit 1969 als Wehrersatzdienst anerkannt wurde.15 Zivildienstleistende, die den Mili­tärdienst aus politischen Gründen verweigerten, waren oftmals der Protest­ bewe­gung verbunden.16 Dies führte dazu, dass sich, wie eine soziologische Studie aus dem Jahr 1977 feststellte, unter den Teilnehmern der Aktion Sühnezeichen »überrepräsentativ viele im Bereich Öffentlichkeit aktive Jugendliche« fanden, die »für gesellschaftliche, soziale und politische Vorgänge und Zusammenhänge in hohem Maße sensibilisiert« waren.17 Ähnliches traf zumindest für die engagierteren Vereinsmitglieder des deutschen Zweiges des SCI zu, der sich immer schon für das Recht auf Wehrdienstverweigerung eingesetzt hatte und seit 1961 als Trägerorganisation für den Ersatzdienst fungierte. Aber auch für andere Workcamporganisationen, insbesondere für die IJGD, lässt sich nach 1968 eine starke Politisierung der aktiven Vereinsmitglieder und vieler Campteilnehmer feststellen. Aufgrund ihrer hohen Attraktivität für die politisierte Jugend waren die Aktion Sühnezeichen und die Workcamporganisationen in den späten sechziger und siebziger Jahren deutlich stärkerer direkter Kritik ihrer Teilnehmerinnen und Teilnehmer ausgesetzt als das FSJ. In dieser Kritik lässt sich der Einstellungswandel gegenüber Freiwilligendiensten fassen. Zum einen wurde nun das Prinzip unbezahlter Arbeit vielfach in Frage gestellt. Teilnehmerinnen und Teilnehmer eines Auswertungsseminars der Aktion Sühnezeichen knüpften etwa 1976 in neomarxistischer Diktion an die traditionelle gewerkschaftliche Haltung an: Die Freiwilligenarbeit ermögliche es den Wohlfahrtseinrichtungen, Stellen für hauptamtliche Mitarbeiter einzusparen, sie sei daher »eine perfektionierte Art, Sozialarbeit dem Verwertungsprozess des Kapitals zu unterwerfen«.18 Ähnlich brandmarkte eine pädagogische Diplomarbeit aus den späten siebziger Jahren das FSJ als Mittel der Wohlfahrtsverbände, »billige und an­ gepaßte Arbeitskräfte« zu gewinnen »und nicht zuletzt auf diese Weise ihnen genehme Nachwuchskräfte« heranzuzüchten.19 Zum anderen, so beobachteten die für das FSJ verantwortlichen Mitarbeiter der Trägerorganisationen, werde der »traditionelle Helferwille« zunehmend negativ bewertet.20 Freiwilligendienste wurden in die Tradition paternalistischer Wohltätigkeit gestellt, mit der bestehende Machtverhältnisse aufrechterhalten werden sollten. Aus der Perspektive der Neuen Linken setzte der Dienst somit soziale Ungerechtigkeiten fort, anstatt sie zu beseitigen. 1973 waren es abermals 15 Zur Anerkennung des Sühnezeichen-Dienstes als Zivildienst, vgl. Kammerer, S. 118. 16 Vgl. zur Politisierung der Zivildienstleistenden Bernhard, APO. 17 Huhn u. a., S. 57 f. 18 Auswertungsseminare für Freiwillige, Bericht vom Auswertungs- und Informationstreffen in Hannover, 10.–20. Dez. 1973, Ergebnisse der Auswertung in Bad Kreuznach, 1974, EZA, 97/623. 19 Brosch, S. 31 f. 20 Probleme der Friedensdienste. Wandel der Motivation, EZA, 97/1841 Beiträge zu Friedensdienst und Kriegsdienstverweigerung.

266

Teilnehmerinnen und Teilnehmer eines Evaluationsseminars der Aktion Sühnezeichen, die kritisierten, dass die Freiwilligen »eine ›elitäre‹ gruppe« seien, die sich in erster Linie aus »abiturienten, als an sich schon privilegierten leuten« zusammensetze; »für einen arbeiter« hingegen sei »ein solcher dienst praktisch unmöglich, denkt man an verdienstausfall, wegfall soz. sicherheiten, unsicherer arbeitsplatz«.21 Angesichts solcher Kritik erscheint es beinahe paradox, dass sich die Teilnehmerstruktur der Organisation tatsächlich gerade in Folge der Politisierung der Jugend seit 1968 gewandelt hatte: Die Handwerker, die in den ersten Jahrgängen dominiert hatten, wurden nun aufgrund der Öffnung für Zivildienstleistende und der wachsenden Attraktivität der Organisation für Jugendliche, die der Protestbewegung nahe standen, mehr und mehr durch Abiturienten ersetzt.22 Die Vorstellung, dass durch Freiwilligendienste gesellschaftliche Missstände eher verstärkt als beseitigt würden, war in der politisierten Jugend verbreitet. »Immer wieder kommt die Frage: Dient der gesamte Organismus wirklich dem Nächsten und auch der Beseitigung von ›Wurzeln des Übels‹, oder wird nur an Symptomen kuriert«, konstatierte etwa ein Meinungsforschungsinstitut, das im Auftrag von Diakonie und Caritas 1970 eine Jugendumfrage zum freiwilligen Engagement durchführte.23 »Hilfsmaßnahmen, die den Verdacht erwecken, nur Symptome zu kurieren, unzulängliche Strukturen zu stabilisieren und die Entwicklung eines auf Veränderungen drängenden Problembewußtseins zu verzögern, werden abgelehnt«, stellte im selben Jahr auch der Pazifist und Gründer der Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden Wolfgang von Eichborn fest.24 Ähnlich beobachtete ein Referent in einer Konsultation über die Jugenddienste der beiden Kirchen im Juli 1968 mit Bezug auf das FSJ, »daß die Jugend zwar danach drängt, sich zu engagieren, daß sie dabei aber auch gleich die Verhältnisse ändern will. Wo sie spürt, daß ihr Engagement nur dazu dient, einen bestehenden Zustand zu verfestigen, zieht sie zurück. Im Fall der kirchlichen Jahresdienste scheint es nun, daß die freiwilligen Helfer nur dazu da sind, um L ­ ücken zu füllen, nicht um etwas zu ändern. Ihre Arbeit leistet sogar eher der Tatsache Vorschub, daß alles beim Alten bleibt, insbesondere bezüglich Bezahlung, Arbeitszeit und Arbeitsmethoden der Schwestern.«25 21 Auswertungsseminare für Freiwillige, Berichte und Protokolle, Bericht vom Auswertungsund Informationstreffen in Hannover vom 10.–20. Dez. 1973, EZA, 97/623. 22 Vgl. Kammerer, S. 115. 23 Brief Schober an die Mitglieder des Diakonischen Rates, 23.  Juni 1970, 2.  Anlage, Protokoll über ein Grundsatzgespräch (März 1970), ADE, ADW HGSt, III 252 Diakonisches Jahr, 2474, Motivanalysen; vgl. Beiträge zu Friedensdienst und Kriegsdienstverweigerung, W. v. Eichborn, Probleme der Friedensdienste. Wandel der Motivation, 1970, EZA, 97/1841. 24 Beiträge zu Friedensdienst und Kriegsdienstverweigerung, W.v. Eichborn, Probleme der Friedensdienste. Wandel der Motivation, 1970, EZA, 97/1841. 25 Das Diak. Werk, Hauptgeschäftsstelle Abt. sozial- und Jugendhilfe, An die Träger und Leitungen der Zentralen des DJ, Konsultation über die freiwilligen sozialen Dienste der beiden Kirchen am 16. Juli 1968 in Marburg, Redebeitrag Dr. Keil, Stuttgart, 12. Mai 1969, ZADN, D5/2–9.

267

Tatsächlich gingen einige Kritiker des FSJ sogar so weit zu fragen, ob dieses nicht als Maßnahme zur »Verschleierung herrschender Verhältnisse total abgelehnt« werden müsse.26 b. Erschütterungen: Der Wandel in der Selbstdarstellung Als Reaktion auf die Infragestellung von Freiwilligenarbeit wie auf den allge­ mei­nen Jugendprotest zeigten sich sämtliche Trägerorganisationen zu einem Kurswechsel bereit und bemühten sich um eine grundlegende Neukonzeption ihrer Dienste. Als neues Ziel definierten sie nun vielfach Gesellschaftskritik und daraus folgend Gesellschaftsveränderung. Durch »kritisches Beobachten und Auseinandersetzen« könne »Veränderungsdruck« entstehen, so lautete 1969 in einer gemeinsamen Stellungnahme der Trägerorganisationen die Antwort auf die Bedenken gegenüber der Freiwilligenarbeit.27 Die Caritas knüpfte 1974 in einer Rückschau auf »Zehn Jahre Freiwilliges Soziales Jahr – Jahr für den Nächsten« sogar die Existenzberechtigung des Sozialdienstes an dessen Beitrag zum gesellschaftlichen Wandel: »Der Wert des Freiwilligen Sozialen Jahres wird in Zukunft daran gemessen werden müssen, ob es gelingt, junge Menschen zu befähigen, zur Veränderung der gesellschaftlichen Bedingungen beizutragen.«28 Eine solche Richtschnur hatte nicht mehr viel gemein mit der konservativen Zielsetzung, welche die Anfangszeit des Sozialjahres geprägt und vor allem die Aufrechterhaltung der traditionellen Werte- und Gesellschaftsordnung angestrebt hatte. Am auffälligsten erfasste der konzeptionelle Wandel die konfessionellen Träger des Freiwilligendienstes. Unter ihren Referenten für das FSJ herrschte in den ausgehenden sechziger Jahren eine besonders große Verunsicherung: »Die Krise des Diakonischen Jahres ist unübersehbar«, bilanzierten dessen pädagogische Fachkräfte auf einer Tagung 1970.29 Die Nervosität der konfessionellen Wohlfahrtsverbände erklärt sich zum einen aus der offenbar nachlassenden Attraktivität ihres Sozialjahres, bei dem der Zahlenrückgang in besonderem Maße zu Buche schlug, während beispielsweise beim DPWV die Teilnehmerzahlen fortgesetzt anwuchsen.30 Zum anderen war er Teil eines weiter reichenden Krisengefühls, das die beiden Kirchen erfasst hatte. Die schon seit Ende der fünfziger

26 Brosch, S. 16 f. 27 Jüttner, Stellungnahme zum Vortrag von Herrn Professor Dr. Giesecke beim 3. Deutschen Jugendhilfetag in Stuttgart, Arbeitskreis der Trägerverbände freiwilliger sozialer Dienste, Zentrale Arbeitstagung »Freiwilliges Soziales Jahr« 1969, S. 46, ADE, ADW, HGST 4828, FSD Akte König. 28 10 Jahre Freiwilliges Soziale Jahr – Jahr für den Nächsten, ADC, 921.9 065, Fasz. 1: 1969–1973. 29 Ohne Titel [Ergebnisse der Tagung vom 11./12.6.1970], ADE, ADW HGSt, 6173; vgl. Salzmann. 30 Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband.

268

Jahre nachlassende Kirchenverbundenheit nahm ungekannte Ausmaße an. Bei beiden großen Konfessionen schnellten die Austrittszahlen in die Höhe und die Zahl der regelmäßigen Gottesdienstbesucher sank bei der katholischen Kirche zwischen 1968 und 1973 um rund ein Drittel, bei der evangelischen Kirche zwischen 1963 und 1973 um mehr als die Hälfte.31 Insbesondere unter Jugendlichen verloren die Kirchen weiter an Bindekraft. Von diesem Trend sahen sich die Verantwortlichen für das FSJ betroffen. Zu den jungen Leuten schien man »irgendwie den Kontakt verloren zu haben«. Man sei »nahe daran, einen Zug zu verpassen«, so die Diagnose bei der Vorbereitung intensivierter Werbemaßnahmen für das neukonzipierte Sozialjahr der konfessionellen Träger 1971.32 Das Krisenempfinden bewegte Caritas und Diakonie dazu, die Konkurrenz, die zwischen ihnen bislang vorherrschend gewesen war, mehr und mehr zu überwinden und stärker zusammenzuarbeiten. Auf eine in Nordrhein-Westfalen angestoßene Initiative hin gingen beide Trägerorganisationen daran, in einer gemeinsamen Kampagne gegen die Imageverschlechterung des konfessionellen Sozialjahres anzukämpfen. Zunächst beschlossen sie, den Werbemaßnahmen quantitativ wie qualitativ eine neue Dimension zu verleihen. Bislang hatten sie sich bei der Rekrutierung der Freiwilligen immer noch weitgehend darauf verlassen, dass das Dienstjahr im sonntäglichen Gottesdienst von der Kanzel herab oder in den christlichen Jugendorganisationen empfohlen wurde.33 Doch angesichts des nachlassenden Kirchgangs und der rückläufigen Mitgliedschaft in den Jugendorganisationen galt es, andere Werbemethoden zu intensivieren. Bei den Verantwortlichen für das Sozialjahr setzte sich die Überzeugung durch, »daß man sich modernere Formen der Kommunikation zu eigen machen mußte«.34 Hatten Anfang der sechziger Jahre für das Diakonische Jahr noch grundsätzliche Zweifel vorgeherrscht, ob für ein kirchliches Angebot Werbung statthaft sei, ließ man sich nun auf professionelle, verwissenschaftlichte Marketingstrategien ein und folgte damit ebenfalls dem allgemeinen Trend: Auch die beiden Kirchen gaben beispielsweise 1970 eine Meinungsumfrage zu Religion und Kir31 Traten 1965 39,611 Protestanten und 22.791 Katholiken aus der Kirche aus, so stiegen die Zahlen auf 202,823 bzw. 69,445 im Jahr 1970, vgl. Löffler, S. 47; für die Zahlen zum Gottesdienstbesuch vgl. Greschat, Protestantismus, S. 546 f.; Gabriel, Zwischen Aufbruch, S. 537; vgl. auch ders., Von der Caritas, S. 57; Großbölting, S. 96–103. 32 Allg. Programm Freiwillige Soziale Dienste, R. O. Herter, Werbeberater BDW, Presseinformation, Werbung für »intertat«, Textvorlage für ein Referat auf der Pressekonferenz am 11. Mai 1971 in Bonn, S. 1, BA, B 189/5782, 2665/29/21. 33 Vgl. Landesverband der Inneren Mission in Württemberg, Das Diakonische Jahr, Stuttgart, 30. Aug. 1957. Etwa 95 Prozent der Sozialhelferinnen und -helfer dieses Jahrgangs waren über kirchliche Einrichtungen oder über das Sonntags- oder Gemeindeblatt auf das Sozialjahr aufmerksam geworden, ADE, III 252, Diakonisches Jahr, 985, Einführung Aufrufe, Berichte (671–1/8). 34 Allg. Programm Freiwillige Soziale Dienste, R. O. Herter, Werbeberater BDW, Presseinformation, Werbung für »intertat«, Textvorlage für ein Referat auf der Pressekonferenz am 11. Mai 1971 in Bonn, S. 1, BA, B 189/5782, 2665/29/21.

269

che beim Allensbacher Institut für Meinungsforschung in Auftrag.35 Um herauszufinden, welche Haltung den Freiwilligendiensten entgegengebracht werde, betrauten die konfessionellen Trägerverbände 1971 ein Marktforschungsinstitut mit einer Jugendumfrage, die sie 70.000 DM kostete.36 Werbeberater kamen zum Einsatz, die für das neue gemeinsame Freiwilligenprogramm der konfessionellen Träger den Namen »intertat« vorschlugen, dessen »Polaritätsprofil« sie zuvor in »tachistoskopischen Untersuchungsreihen« überprüft hatten.37 In der Folge dieser Untersuchungen plädierte ein Teil der Referentinnen und Referenten für das Sozialjahr der konfessionellen Träger sogar dafür, sich von dem bei der Jugend immer mehr in Misskredit geratenen Image der Kirchen zu lösen: »Christlich-traditionelle, unprofilierte, ausgewaschene Wörter, die jeder schon zu oft gehört hat«, sollten nicht verwendet werden, beschloss man auf Empfehlung der Werbeberater.38 Auch der Name »intertat« folgte, so die Hoffnung seiner Erfinder, dieser neuen Leitlinie. Er sollte die »Tat« in den Vordergrund rücken, und ließ dabei nicht mehr auf den religiösen Hintergrund der Anbieter des Programms schließen.39 Allerdings gingen solche Änderungen einigen Mitarbeitern der konfessionellen Wohlfahrtsverbände offensichtlich zu weit. Jedenfalls mochten sie sich nicht in allen Diözesen bzw. Evangelischen Landeskirchen diesem neuen Programm anschließen.40 Durch den Rückgang der Teilnehmerzahlen und die neue Grundsatzkritik an unbezahlter, ehrenamtlicher Arbeit verstärkte sich der Trend, den Freiwilligendiensten ein als zeitgemäß erachtetes Erscheinungsbild zu geben, der ja bereits in den sechziger Jahren eingesetzt hatte und zunächst vor allem durch die Konkurrenz innerhalb der Freiwilligendienste vorangetrieben worden war. Auch die nicht-konfessionellen Trägergruppen intensivierten um die Wende zu den siebziger Jahren ihre Bemühungen, sich ein »modernes« Image zu verlei35 Zur Bedeutung der Marktforschung vgl. Weischer, Zitat S. 235; Kruke; Hoeres. Zur Umfrage der beiden Kirchen Gabriel, Von der Caritas, S.  57–60; speziell zur katholischen Kirche­ Ziemann. 36 Vorlage für die Bundesführungssitzung am 15.4.1971. Auch die Kirchen gaben in diesen Jahren große Studien in Auftrag, um den Gründen für die schwindende Kirchlichkeit auf die Spur zu kommen, vgl. Gabriel, Von der Caritas, S. 57, ADC, 921.9 065, Freiwilliges Soziale Jahr/Dienst Grundsätzliches, Fasz. 1, 1969–1973. 37 Allg. Programm Freiwillige Soziale Dienste, R. O. Herter, Werbeberater BDW, Presseinformation, Werbung für »intertat«, Textvorlage für ein Referat auf der Pressekonferenz am 11. Mai 1971 in Bonn, BA, B 189/5782, 2665/29/213. Beides sind Umfragemethoden. Beim Polaritätsprofil müssen die Befragten einen Begriff auf einer Skala zwischen zwei gegensätzlichen Eigenschaften verorten; vgl. Diekmann, S.  235–237, Tachistoskopie bezeichnet ein Verfahren, in dem den Befragten Wörter oder Bilder nur für sehr kurze Augenblicke vorgelegt werden, um so ihre spontanen Reaktionen zu ermessen, vgl. Raab u. a., S. 136 f. 38 Intertat, Aktennotiz, M. König, 9. März 1971, ADE, HGSt, 6137. 39 ADC, 921.9, Freiwilliges soziales Jahr/Dienst 020 Arbeitskreis der Trägerverbände auf Bundesebene 1976–1983, Fasz 2, Intertat 1979, S. 7. 40 Salzmann, S. 44–46.

270

hen: Eine Werbebroschüre für das FSJ des DRK beispielsweise sollte gegen das Vorurteil an wirken, die freiwilligen Helferinnen und Helfer seien ein »Club der Mauerblümchen und Eckensteher«.41 Zum einen versuchten die A ­ utoren des Prospekts, ein spezifisches Jugendvokabular zu verwenden, dem in der deutschen Öffentlichkeit in dieser Zeit zunehmend Aufmerksamkeit gezollt wurde.42 Selbst vor Anglizismen, die mit der Jugendsprache assoziiert wurden und in kulturkonservativen Kreisen nach wie vor verdammt wurden, schreckten sie nicht zurück.43 Auch der lange in Erwachsenenkreisen negativ und mit Konsumorientierung konnotierte Teenagerbegriff wurde hier für die Beschreibung einer Freiwilligen verwendet: »Der Teenager gilt bei seinen zahlreichen Freunden als ausgesprochene ›Marke‹, als unkonventionelles Original, das immer einen Gag auf den Lippen hat.«44 Zum anderen bemühten sie sich, Jugendthemen und Jugendmoden aufzugreifen: »Der sympathische Boy hat viele Hobbies, die nicht zu kurz kommen dürfen: schwofen, dufter Underground, langes Haar, ein zackiger Feuerstuhl … warum auch nicht? Jung ist man schließlich nur einmal«, so porträtierte die Werbebroschüre einen männlichen Beispielfreiwilligen.45 In der Freizeit der Freiwilligen seien »fröhlich wirbelnde Tanzbeine zu heißen Rhythmen« die Norm, hieß es in einem anderen Prospekt des DRK.46 Überdies sei das Bildungsprogramm den jugendlichen Neigungen angepasst und modern: »Sex im Wandel der Zeit« und ähnliche Themen »sorgten für großes Interesse, verbannen überkommene Tabus, degradieren sie zu einer Phrase«, so charakterisierte das DRK sein Begleitseminar. Bebildert war der Prospekt mit Fotos der Freiwilligen, die ebenfalls vermitteln sollten, dass der Sozialdienst auch »moderne« Jugendliche anzog: Sie zeigten geschminkte oder rauchende junge Frauen in Miniröcken und junge Männer mit langen Haaren und Koteletten in einem Aufenthaltsraum, in dem keine rigide Ordnung herrschte (Abb. 12). Die Veränderungen in der Konzeption des Sozialjahres beschränkten sich indes nicht auf die schon um die Mitte der sechziger Jahre eingeleiteten Bestrebungen, ein als unmodern angesehenes Image abzustreifen, wie es insbesondere den konfessionellen Trägerorganisationen anhaftete. Hinzu kam vor allem, dass sich mit den Studentenunruhen das Jugendbild veränderte, auf das Werbung und Selbstdarstellung des FSJ bislang ausgerichtet gewesen waren. Es drängte sich die Frage auf, ob man in den vorangegangenen Jahren mit der Neuausrichtung auf utilitaristische Motive zu weit gegangen sei: »Jugend will die Welt verändern«, diese Vorstellung, die schon seit dem 19.  Jahrhundert den Jugend41 Werbebroschüre des DRK, ohne Paginierung, BA, B 189/5782. 42 Vgl. zur Wahrnehmung der Jugendsprache Hahn; zu deren lexikalischen Erfassung Küpper. 43 Vgl. Jung. 44 Zum Teenagerbegriff vgl. mit weiteren Literaturangaben Siegfried, Time, S. 150 f. 45 Werbebroschüre des DRK, Wer lieben will, muß helfen lernen, 1970, [ohne Paginierung], ADRK, W Werbemittel. 46 Werbebroschüre des DRK, ohne Paginierung, BA, B 189/5782.

271

Abb. 12: Aus einem Werbeprospekt für das FSJ des DRK, siebziger Jahre

mythos geprägt hatte und von der Studentenbewegung gern aufgegriffen wurde, setzte sich nun auch bei den Trägerorganisationen des FSJ durch.47 Der Attraktivität zuliebe habe man in den letzten Jahren das »Individuum zu sehr betont«, protokollierten die beiden konfessionellen Träger bei einem Treffen, welches das Ziel verfolgte, die neue gemeinsame Werbestrategie zu justieren.48 Fortan solle das Sozialjahr der konfessionellen Wohlfahrtsverbände nicht mehr in erster Linie als »Chance« für die Freiwilligen dargestellt werden, vielmehr gelte es, deutlich zu machen, dass der Dienst auch als »Aufgabe« betrachtet werden müsse. Auf diese Weise bemühten sich Diakonie und Caritas mit ihrer Werbekampagne ganz bewusst, die politisch engagierte Jugend anzusprechen. Während das DRK in dem zitierten Prospekt vor allem die moderne Jugendsprache bemühte, um dessen Anziehungskraft zu steigern, übernahmen die Trä47 Aktennotiz Gespräch Diakonisches Jahr  – Jahr für den Nächsten am 21.  Juni 1968 in Bonn-Venusberg, Liebfrauenhaus, 9–15 Uhr, ADE, 4824, ADW, HGSt, III 251, Jahr für die Kirche. 48 Ebd.

272

gerverbände sonst zumeist eher die Sprache des moderateren Flügels der Protestbewegung, um ihr neues Selbstverständnis zu beschreiben. Da es ein zentrales Ziel der Neuen Linken war, über die Sprache auch das Bewusstsein zu verändern, stellte eine solche semantische Adaption eine politische Stellungnahme dar. Diese wurde noch dadurch akzentuiert, dass konservative Kreise die »Besetzung« der Sprache als gefährliche Waffe des politischen Gegners betrachteten und es sich zur Aufgabe machten, dagegen anzukämpfen.49 Der sprachliche Wandel in der Präsentation der Freiwilligendienste zeigt daher schon, wie groß die Bereitschaft der Trägerorganisationen war, sich auf den Kurs der Neuen Linken einzulassen. Die Neuausrichtung in der Selbstdarstellung des FSJ rief innerhalb der Wohlfahrtsverbände allerdings auch Unsicherheit hervor. Denn in der Tat war den Referentinnen und Referenten bewusst, dass sie sich damit politisch positionierten und sich dies auch auf die Gestaltung des Sozialjahres auswirken musste. Die Referentin für das Diakonische Jahr Helga Rosemann rief 1971 dazu auf zu überdenken, welche Konsequenzen der Konzeptionswandel zeitigen werde. Denn wenn sich der Freiwilligendienst der konfessionellen Wohlfahrtsverbände mit der neuen Werbestrategie der kritischen Jugend öffne, sei es auch erforderlich, dass die Trägerorganisationen ihre Einstellung wandelten. Daher warf Rosemann die Frage auf: »Bei Erfolg der Werbung ist es wahrscheinlich, daß sich Jugendliche melden, die nicht erst während des Einsatzes zu einem sozialkritischen Verhalten innerhalb unserer Gesellschaft finden, sondern solche, die von diesem Bewußtsein her sozial sich engagieren wollen. Sind Einsatzleiter, und auch Träger dafür offen?«50

Solche Sorgen waren sicherlich berechtigt. Obwohl Rosemann hier offenbar davon ausging, dass der Dienst bereits in seiner bisherigen Form zu einem »sozialkritischen Verhalten innerhalb unserer Gesellschaft« führe, reichte dies in ihren Augen nicht aus, um die politisierte Jugend für das Sozialjahr zu gewinnen. Und aus derselben Überzeugung heraus beließen es die Trägerorganisationen nicht dabei, ihre Außendarstellung zu verändern, wie dies für den Wandel in den mittleren sechziger Jahren mehr oder minder der Fall gewesen war. Vielmehr gingen sie auch daran, den Freiwilligendienst selbst neu zu gestalten. Dabei bemühten sie sich, dem veränderten Jugendbild entsprechend auf den Veränderungswillen der jungen Generation einzugehen. Gleichzeitig reagierten sie auf die Kritik an den Freiwilligendiensten, die im Zuge der Protestbewegung aufgekommen war.

49 Vgl. Geyer, War over Words; Wengeler; vgl. speziell zu den Begriffen der »Politisierung« und »Pädagogisierung« auch Conze, »Pädagogisierung«. 50 H. Rosemann, Vermerk für die Abteilung IV, Herrn Steinmeyer und Herrn Dr. Müller-Schöll, 12. Mai 1971, ADE, HGSt 6137.

273

c. Die Politisierung der Dienste Um dem Vorwurf entgegenzutreten, die Freiwilligenarbeit stabilisiere das »System«, anstatt Missstände zu beheben, legten die Trägerorganisationen nun dar, welches Potenzial zur Gesellschaftsveränderung die Dienste in ihren Augen besaßen. »Struktur und Begleitung der Dienste wird sich weiterhin in der Richtung ändern, daß ein Reflektieren sozialkritischer Probleme gefördert und ein daraus erwachsendes Engagement unterstützt wird«, prognostizierte etwa auch Rosemann in ihrer Grundsatzdiskussion.51 Dieser Kurswechsel sei »mehr oder weniger intensiv in den meisten Landeskirchen bereits angelaufen«. Gerade angesichts der Politisierung der Jugend spiele diese Funktion des Freiwilligendienstes eine wichtige Rolle, da die jungen Menschen zwar gesellschaftliche Probleme und Schwachstellen identifizierten, oftmals indes das Gefühl verspürten, ihnen machtlos gegenüberzustehen, Der Sozialdienst biete die Gelegenheit, sich konstruktiv zu »engagieren« anstatt zu »resignieren«, hatte es ähnlich auch bereits während der Absprachen der beiden konfessionellen Trägerorganisationen zu ihrer gemeinsamen Werbeaktion 1968 geheißen.52 Allgemein ging mit der Grundsatzkritik an den freiwilligen Sozialdiensten auch die Einschätzung einher, sie seien zu unpolitisch. Für die Workcampbewegung forderte Wolfgang von Eichborn 1970 in einer programmatischen Schrift zu freiwilligen Friedensdiensten die »systematische Politisierung der­ Lagerarbeit«.53 Wenngleich oder vielmehr gerade weil die Aktion Sühnezeichen ja von ihrer Zielsetzung her viel stärker ein politisches Anliegen verfolgte als andere Freiwilligendienste, bekam sie solcherart Forderungen massiv zu spüren. Ein Freiwilliger der Organisation forderte beispielsweise 1976, es dürfe »nicht das Lernen Ziel und Zweck unserer Tätigkeit sein, sondern die aktive politische Arbeit«.54 In der Konsequenz verwarfen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer eines Auswertungsseminars 1973 die überwiegende Tätigkeit der Organisation im Ausland als verfehlt. Sie waren überzeugt, dass die Freiwilligen in Deutschland hinsichtlich der politischen Ziele »bessere arbeit tun können, da die kenntnisse über die soziale lage in der BRD weit eher bekannt sind«.55 Und 1979 brachte eine Freiwillige in einem Brief an eine Mitstreiterin, die in einer anderen Einsatzstelle arbeitete, ihre Frustration darüber zum Ausdruck, dass sie im Rahmen ihres Dienstes nicht ihren Überzeugungen entsprechend initiativ werden könne: »Scheißfakten: Isolation, keine eigentlich politische Arbeit, 51 Ebd. 52 Aktennotiz Gespräch Diakonisches Jahr  – Jahr für den Nächsten am 21.  Juni 1968 in Bonn-Venusberg, Liebfrauenhaus, 9–15 Uhr, ADE, 4824, ADW, HGSt, III 251, Jahr für die Kirche. 53 Eichborn, S. 104. 54 Brief aus Iona, 14./15. Aug. 1976, EZA, 97/494, Großbritannien, Briefe von Freiwilligen. 55 Berichte und Protokolle, Bericht vom Auswertungs- und Informationstreffen in Hannover vom 10.–20. Dez. 1973, EZA, 97/623, Auswertungsseminare für Freiwillige.

274

keine vernünftige Arbeit mit den Kindern möglich.«56 Außerdem wurde immer wieder die mangelnde Nachhaltigkeit des Aktion-Sühezeichen-Engagements beanstandet, wobei nicht so sehr der Arbeitsertrag des Dienstes gemeint war als vielmehr seine Auswirkungen auf die Freiwilligen selbst, die nach dessen Abschluss »in der versenkung [sic]« verschwänden und den »Übergang vom Auslanddienst zum Politischen Engagement nach der Rückkehr in die BRD« nicht vollzögen.57 Auf das FSJ bezogen wurden ähnliche Stimmen laut, allerdings schienen sie seltener aus dem Kreis der Freiwilligen selbst zu kommen. Besonders ernst nahmen die Trägerorganisationen die Kritik Hermann Gieseckes, eines Göttinger Pädagogik-Professors, auf den sie in den folgenden Jahren immer wieder Bezug nahmen.58 In einem 1968 auf dem dritten Deutschen Jugendhilfetag gehaltenen und später veröffentlichten Referat griff Giesecke die Konzeption des ­sozialen Jahresdienstes scharf an. Ins Visier nahm er insbesondere den ersten Jugendbericht der Bundesregierung von 1966 und die sich darin offenbarende konservative Motivation, die bei den politischen Entscheidungsträgern für die Einrichtung des FSJ ausschlaggebend gewesen war. Der Bericht lasse den »Verdacht« aufkommen, »daß man soziale Dienste nicht mit gesellschaftspolitischer Kritik gekoppelt sehen möchte«, so Giesecke.59 Indem die Freiwilligenorganisationen die Jugenddienste neu definierten, erhoben sie den Anspruch, nicht nur soziales, sondern ebenso politisches Engagement zu ermöglichen. Vor allem die Aktion Sühnezeichen und die nicht-konfessionellen Träger des FSJ, aber gleichfalls die Caritas und in etwas geringerem Maße die Diakonie betonten nun den »politischen Bildungsauftrag« ihres Freiwilligendienstes.60 Sowohl die Arbeit selbst als auch die Begleitseminare sollten dazu beitragen, bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern »Problembewußtsein zu schaffen«.61 Auf diese Weise biete das Sozialjahr »in erhöhtem Maße 56 Brief von K. an W. 1979, EZA, 97/495, Briefe von Freiwilligen. 57 Bericht vom Auswertungs- und Informationstreffen in Hannover vom 10.–20.12.1973; Ergebnisse der Auswertung in Bad Kreuznach, 1974. EZA, 97/623, Auswertungsseminare für Freiwillige, Berichte und Protokolle. 58 In Reaktion auf die Rede z. B. Jüttner, Stellungnahme zum Vortrag von Herrn Professor Dr. Giesecke beim 3.  Deutschen Jugendhilfetag in Stuttgart, Arbeitskreis der Trägerverbände freiwilliger sozialer Dienste, Zentrale Arbeitstagung »Freiwilliges Soziales Jahr« 1969, S. 44–46, ADE, ADW, HGST 4828, FSD Akte König; FSJ Jahresbericht Anlage, in: Tübinger Brief, Jg. 15, 1969, Nr. 3/4, S. 69–75, hier S. 75; Arbeitskreis freiwilliger sozialer Dienst/ freiwilliges soziales Jahr, S. 61. 59 Giesecke, S. 443. 60 Eichborn, S. 104; 1973 hatte die Caritas mit Ausnahme von Augsburg und Freiburg, in allen Diözesen politische Bildung in das Seminarprogramm des Freiwilligen Sozialen Jahres integriert, Protokoll der Arbeitstagung der Sozialreferenten und -referentinnen im Mainz vom 5. bis 6. Dez. 1973, ADC, 921.9 065, 1950–68, Freiwilliges Soziale Jahr/Dienst Grundsätzliches, Fasz. 1, 1969–1973. 61 Deutsches Rotes Kreuz und Internationaler Bund für Sozialarbeit – Jugendsozialwerk e. V., S. 9, BA, B 189/5795, 2665–459-(22), Jahresbericht über das Freiwillige Soziale Jahr 1971.

275

die Chance, ein Stück politischer Bildung zu vermitteln und darüber hinaus­ gesellschaftspolitisch wirksam zu werden«. Und auch indem die Trägerorganisationen ihren Dienst als Instrument der Gesellschaftskritik beschrieben, entsprachen sie der Forderung, einen politischen Auftrag zu erfüllen. Im Zusammenhang mit den Politisierungsbemühungen stand schließlich außerdem die Definition des Dienstes als Mittel zur Selbstreflexion, denn eine solche sollte nun grundsätzlich in den gesellschaftlichen Kontext eingebettet werden. Anfang der siebziger Jahre deklarierte etwa der BDKJ als Ziel des Sozialdienstes, »jungen Menschen Möglichkeiten zur Selbstfindung und zur Korrektur sozialer Verhaltensweisen zu bieten, d. h. Sozialisationswirkungen kritisch zu überprüfen, personale und gesellschaftliche Konflikte in ihrer In­terdependenz zu sehen«.62 Dies entsprach dem allgemeinen Trend der Zeit, die Entwicklung der Persönlichkeit auf gesellschaftliche Einflüsse zurückzuführen. Die Politisierung der Freiwilligendienste konnte den Überzeugungen der Neuen Linken entsprechend nur mit einer intensiven theoretischen Reflexion einhergehen. Es lag in der Zeit des Studentenprotests im Trend zu »theoretisieren«, zu »intellektualisieren« und zu »objektivieren«.63 Und dies, so empfanden die Kritiker der Jugendfreiwilligendienste, geschehe zu wenig. Die »theorielose praxis«, hieß es etwa beim deutschen Zweig des SCI, könne »bestenfalls karitativen charakter haben, kann aber auch, politisch gesehen, den interessen in die hände spielen, welche ›notstände‹ verursacht haben, an deren beseitigung ein workcamp arbeitet«.64 Besonders hohe Wellen schlug bei den Trägerorganisationen des FSJ auch in diesem Punkt die Kritik Gieseckes, der zu einer »Intellektualisierung der Erlebnisse« im Sozialdienst aufrief.65 Der Pädagogikprofessor mahnte, man dürfe »nicht zulassen, daß die sozialen Dienste zum Feld derer werden, die es mehr mit dem Gemüt als mit dem Verstand haben«. Auch diese Forderung nahmen die Freiwilligenorganisationen auf. 1969 bezog sich z. B. ein Artikel im »Tübinger Brief« auf das Referat des Pädagogen. Es gelte, hieß es dort, sich bei der »Bildungsarbeit in Zukunft noch stärker auf die theoretische kritische Verarbeitung der von den Helferinnen und Helfern gemachten Erfahrungen mit der sozialen Wirklichkeit« zu konzentrieren.66 Hatten die Schriften der Freiwilligenorganisationen das Adjektiv »theore­ tisch« in den fünfziger und frühen sechziger Jahren oft mit dem Vorsatz »nur« oder »bloß« versehen und eher als nebensächlich abgetan, sollten Theorie und 62 Entwurf für die Fortschreibung eines Bildungskonzeptes für das Freiwillige Soziale Jahr im BDKJ, ADC, 921.9 065, Fasz. 1, 1969–1973. 63 Vgl. hierzu neuerdings Felsch. 64 Zeitung des Service Civil International, Deutscher Zweig e. V., Bonn, [zweite Jahreshälfte] 1969, S. 1, SCIIA, 31005.1: German Branch, Minutes of Comittee meetings and relevant correspondance, 1965–1970. 65 Giesecke, S. 448. 66 FSJ Jahresbericht Anlage, in: Tübinger Brief, Jg. 15, 1969, Nr. 3/4, S. 69–75, hier S. 75.

276

Praxis nun eine Einheit bilden. Beim Internationalen Jugendsozialwerk etwa betonte man 1968, »die praktische Arbeit wird durch theoretisches Wissen gestützt und vertieft«.67 Ähnlich lobte die Caritas 1969 das Dienstjahr als »eine hervorragende Möglichkeit, ein Modell außerschulischer Jugendarbeit zu praktizieren, weil hier in fast einmaliger Weise Reflektion und Aktion in einem Übungsfeld miteinander verbunden werden können«.68 Und in einer 1973 von allen Trägerorganisationen gemeinsam herausgegebenen Broschüre zum FSJ wurde gar die Überzeugung vertreten: »Nur wenn die intellektuellen Ansprüche mindestens so hoch sind wie die praktischen, lohnt sich ein solches Jahr unter pädagogischem Aspekt.«69 Auch diese Broschüre pries das Dienstjahr als »Chance«, um »eine Synthese herzustellen zwischen einer unmittelbar erlebten sozialen Praxis und lebendig vermitteltem, theoretischem Stoff in den Bildungsseminaren«.70 Eine solche Argumentation überzeugte offenbar auch einige Kritiker des Sozialjahres aus den Reihen der Protestbewegung, so etwa die Studentin, die in der weiter oben bereits zitierten Diplomarbeit dem Gedanken der Freiwilligenarbeit prinzipiell mit äußerster Skepsis begegnete, das Dienstjahr aber dennoch als eine Möglichkeit lobte, »die den Zielen der linken Bewegung entspricht: Aufhebung von Kopf- und Handarbeit, Verbindung von Theorie und Praxis«.71 Besondere Bedeutung hatte die Gewichtsverschiebung im Verhältnis von Theorie und Praxis für die Workcampbewegung, denn mit ihr geriet die Maxime »Taten statt Worte«, die bislang ein wichtiges Element ihrer Selbstdefinition gewesen war, immer weiter in die Kritik. War dieses Motto schon seit der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre vereinzelt in Frage gestellt worden, wurde seine Gültigkeit nun sehr viel grundsätzlicher diskutiert. Im recht stark von der Studentenbewegung beeinflussten deutschen Zweig des SCI reflektierten die Vereinsmitglieder über die Ursachen der »überbetonung der praktischen arbeit (taten, keine worte)«, die in der Bewegung so lange üblich gewesen sei, und hielten sie für eine »reaktion auf die vielen friedensbemühungen auf theoretischem und moralischem niveau, die damals wie heute zur weitgehenden wirkungslosigkeit verdammt waren«.72 Inzwischen aber sei dieses Arbeitsideal in vielerlei Hinsicht als »überholt oder zumindest als fragwürdig« ­anzusehen.

67 Die Durchführung des Freiwilligen Sozialen Jahres, in: Tübinger Brief, Jg. 14, 1968, Nr. 10: Sonderdruck: Am Leben lernen, im Leben helfen, Das Freiwillige Soziale Jahr 1963–1968 im Deutschen Roten Kreuz und Jugendsozialwerk e. V., S. 243 f., hier S. 244. 68 10 Jahre Freiwilliges Soziale Jahr  – Jahr für den Nächsten, ADC, 921.9.065, Fasz. 1, 1969–1973. 69 Das Freiwillige Soziale Jahr, S. 61. 70 Ebd., S. 62. 71 Brosch, S. 14. 72 Das historische politische konzept des sci, in: Zeitung des Service Civil International, Deutscher Zweig, e. V. [1969], S. 1 f., hier S. 1, SCIIA, 31005.1 German Branch, Minutes of Committee meetings and relevant correspondance, 1965–1970.

277

Viele der Organisationen intensivierten in Reaktion auf eine solche auch andernorts anwachsende Kritik ihre Bemühungen, die Gestalt ihrer Lager zu verändern. Bald herrschte weitgehender Konsens darüber, dass in Ergänzung zur manuellen Arbeit Diskussionsrunden ein unverzichtbarer Bestandteil der Workcamps sein müssten.73 d. Das Ziel der »Gesellschaftsveränderung« Der Protestbewegung der ausgehenden sechziger und beginnenden siebziger Jahre ging es mit ihrem Ziel der Politisierung um eine ganz bestimmte Art der Gesellschaftsveränderung: um eine  – freilich nicht von allen gleich verstandene  – Demokratisierung und um das  – mehr oder weniger radikale  – Auf­ brechen von Hierarchien. Auch auf diese Forderungen gingen die Trägerorganisationen ein, wenn sie ihre Selbstdefinition neu formulierten, und erklärten deren Erfüllung zum Ziel des Freiwilligendienstes und der ihn begleitenden Seminare. So pries der DPWV das Sozialjahr 1971 als eine Anleitung »zur Entwicklung demokratischen Lebensstils«.74 Und die Aktion Sühnezeichen sah es 1972 als Aufgabe der Gemeinschaftsdienste, zu »selbstverantwortlichem, demokratischem Handeln« anzuregen und »einen Beitrag zur Demokratisierung und notwendigen Veränderung der Gesellschaft, zur Solidarität mit Interessengleichen und zur Schaffung einer friedensfähigen nationalen und internationalen Gesellschaft« zu leisten.75 Die 1973 von den Trägern des FSJ herausgegebene Broschüre schließlich gab sich überzeugt, dass der Sozialdienst, indem er zur »Reflexion der eigenen Rolle und der eigenen Situation« anrege, der Forderung »unseres demokratischen Staates nach mündigen Bürgern besonders gerecht« werde.76 Die Broschüre führte auch konkret aus, wie sie sich den gesellschaftskritischen Beitrag des Sozialjahrs vorstellte. Der Dienst, so hieß es, erlaube es den Jugendlichen, »den häufig hierarchischen und starren Strukturen und der oft mangelhaften Ausstattung unserer Sozialeinrichtungen kritisch gegenüberzutreten und die Frage zu 73 Jahresbericht 1959, SCIIA, 31005.1, German Branch, Minutes of Committee meetings and relevant correspondance, 1965–1970; vgl. Stell, S. 110. 74 DPWV, Das Freiwillige Soziale Jahr im DPWV, Jahresbericht 1971, S.  9, BA, B 189/5795, 2666–459-(22). Vor dem Hintergrund dieser Organisationen erscheint es den Trend der Zeit nicht zu erfassen, wenn das neue Programm für die Freiwilligendiese der konfessionellen Trägerorganisationen mit seinem Namen »intertat« auch die Aussage transportieren sollte: »Statt vieler Worte eine Tat«, Prospekt Intertat 1979, S. 7, ADC, 921.9, Freiwilliges soziales Jahr/Dienst 020 Arbeitskreis der Trägerverbände auf Bundesebene 1976–1983, Fasz. 2.  75 Entwurf, Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden e. V. Internationale Jugendgemeinschaften, Merkmale von Gemeinschaftsdiensten, Fortschreibung des Papiers vom 4. Okt. 1972, EZA, 97/1841 Beiträge zu Friedensdienst und Kriegsdienstverweigerung. 76 Arbeitskreis freiwilliger sozialer Dienst/freiwilliges soziales Jahr, S. 78.

278

stellen, wie sich der Anspruch unserer Gesellschaft human und fortschrittlich zu sein, mit der Wirklichkeit unserer Krankenhäuser, Altenheime und Erziehungsheime vereinbaren läßt«.77

Die Freiwilligen seien hierzu in besonderer Weise befähigt, denn sie stünden »durch ihr zeitlich begrenztes Engagement dem, was sie dort anträfen, zumeist unbefangener gegenüber als die festangestellten Kräfte«. Eine ausgeprägte Unabhängigkeit attestierte den freiwilligen Helferinnen und Helfern 1972 in ähnlicher Weise auch die vier Jahre zuvor gegründete Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden, in der sich verschiedene Workcamporgansationen und Entwicklungsdienste zusammengeschlossen hatten: »Die besondere Chance des Freiwilligen ist darin zu sehen, daß er noch ohne Existenzund Karrieresorgen unbekümmert, flexibel, offen die immer neu erstarrenden Strukturen unserer Gesellschaft durchbrechen, scheinbar heilige Grenzen überschreiten, Tabus infrage stellen und so Innovationen anregen kann. Dadurch hilft er entscheidend zu der notwendigen, immer neu zu vollziehenden Dynamisierung des Gesellschaftsgefüges.«78

Indem die Aktionsgemeinschaft auf diese Weise die Kompatibilität sozialer Dienste mit den Zielsetzungen der Protestbewegung versicherte, begegnete sie gleichzeitig der von der Neuen Linken geäußerten Kritik, der Einsatz von Freiwilligen sei ein Mittel der Wohlfahrtsverbände, billige und passförmige Arbeitskräfte anzuheuern. Das Streben der Wohlfahrtsverbände und Freiwilligenorganisationen nach einer möglichst großen Unabhängigkeit vom Staat war immer schon für die Selbstdefinition des Freiwilligensektors kennzeichnend gewesen. In besonderem Maße galt dies für die Aktion Sühnezeichen, deren Leitung davon überzeugt war, dass die Organisation nur glaubwürdig arbeiten könne, wenn ihre politische Unabhängigkeit außer Zweifel stehe. Staatliche Subventionen hatte die Organisation daher konsequent abgelehnt.79 In Reaktion auf die Protest­bewegung 77 Ebd., S.  30. In der Formulierung lehnte sich die Borschüre sehr eng an eine Selbstver­ ständniserklärung des Jugendsozialwerkes an, in der es hieß, dass »der Anspruch unserer Gesellschaft, sozial und demokratisch zu sein, immer wieder an der von den Helferinnen und Helfern erlebten Wirklichkeit gemessen und überprüft werden« müsse, Das Freiwillige Soziale Jahr im Jugendsozialwerk e. V., Jahresbericht 1968, Beilage zum Tübinger Brief, Jg. 15, 1969, Nr. 3/4, S. 75. Dass vor allem die Vokabeln »sozial« und »demokratisch« gegen »human« und »fortschrittlich« ausgetauscht worden waren, könnte einem Entgegenkommen gegenüber den konfessionellen Trägerorganisationen entsprochen haben, auch für religiöse Motive offener zu formulieren und möglicherweise einer politischen Auslegung entgegenzuwirken. 78 Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden, Rahmenkonzept für die Freiwilligendienste, Eingangsstempel: 12.  April 1972, EKA, 97/1841 Beiträge zu Friedensdienst und Kriegsdienstverweigerung. 79 K. Wilm, Die Aktion Sühnezeichen. Junge Menschen setzen einen neuen Anfang. Kurzer Rückblick auf die Gründung von AFS, S.  1, EZA, 97/45, Selbstdarstellung 1959–64; angenommen wurden allerdings kommunale Unterstützungsgelder, vgl. Legerer, S. 99–102.

279

erhielten die Bemühungen um die Unabhängigkeit auch bei den a­ nderen Freiwilligenorganisationen neue Impulse. Dieter Danckwortt der Gründer der IJGD, der nach wie vor unter den Theoretikern der Freiwilligendienste eine zentrale Stellung einnahm, beobachtete 1968: »Die Identifizierung mit dem Bonner Establishment bringt die deutschen Freiwilligendienste in eine schwierige Lage. […] Wenn der politisch aktive Teil der Jugend sich […] von seiner Regierung enttäuscht zeigt und Distanz zum Establishment sucht, so wird er auch die von der Regierung finanzierten und gesteuerten Freiwilligendienste ablehnen.«80

Tatsächlich richtete sich das allgemeine Misstrauen der Neuen Linken gegenüber dem Staat auch gegen die staatliche Wohlfahrt. Dies war einer der Gründe für die Entstehung zahlreicher Selbsthilfeorganisationen in den siebziger Jahren.81 Weniger als die Aktion Sühnezeichen und die anderen Workcamporganisationen betonten die Trägerorganisationen des FSJ in den ausgehenden sechziger und frühen siebziger Jahren die Notwendigkeit einer möglichst großen Unabhängigkeit vom Staat. Da das FSJ wie die großen Wohlfahrtsverbände allgemein weitgehend aus Staatsmitteln finanziert wurde, hätten sie damit ihre eigene Stellung geschwächt. Dennoch betonten auch sie nun stärker als zuvor die politische Kontrollfunktion des Freiwilligensektors. Indem die Freiwilligenorganisationen immer wieder die demokratisierende und Machtstrukturen aufbrechende Wirkung des Dienstes beschworen und Gesellschaftskritik zu einem Leitwert erklärten, verlor die Bedeutung des zuvor vor allem auf Harmonie ausgelegten »Gemeinschaftserlebnisses« in der Freiwilligengruppe an Gewicht. Dies zeigt sich unter anderem in einem weiteren um die Wende von den sechziger zu den siebziger Jahren einsetzenden Wandel in der Konzeption und Durchführung des Freiwilligenjahres: Die Trägerorganisationen beobachteten, dass »ältere Jugendliche«, womit wohl nicht zuletzt die Abiturientinnen und Abiturienten gemeint waren, »das ›Gängelband‹ der pädagogischen Betreuung im F[reiwilligen] S[ozialen] D[ienst]« fürchteten. Daher würden sie, wollten sie sich sozial engagieren, »lieber die Möglichkeit eines

80 D. Danckwortt, Die Zukunft der Freiwilligendienste 12, Thesen, 21.  März 1968, AIJGD, Ordner 7. Auf diese Feststellung Danckwortts ging auch von Eichborn in seiner Schrift über Friedensdienste ein und ergänzte: »Es mag paradox erscheinen, aber es ist symptomatisch, daß ein Friedensdienst an Evidenz und damit an Anziehungskraft verliert, wenn er von der Gesellschaft akzeptiert und vom Staat organisiert wird. Höhere Unterhaltsgelder, bessere soziale Sicherungen und weitgehendere Wiedereingliederungshilfen mögen einem solchen Dienst eine neue Kategorie von Interessenten zuführen. Bei denjenigen, die Friedensdienst leisten wollen, werden sie aufkommende Zweifel hinsichtlich der Sauberkeit der Konzeption nicht beschwichtigen können.« Eichborn, S. 81. 81 Vgl. Geyer, Rahmenbedingungen, S.  86 f., als Beispiel für die zeitgenössische Diskussion vgl. Vilmar u. Runge.

280

zeitlich begrenzten Dienstes als freier Helfer gegen Tariflohn für unausgebildete Hilfskräfte« wahrnehmen.82 Außerdem glaubten die Organisationen, Einsatzstellen außerhalb der »bisher üblichen Anstalten«, d. h. der Krankenhäuser und Heime, könnten für die Jugend vielfach ein attraktiveres Angebot darstellen, und begannen, für das FSJ den Einzeleinsatz von Freiwilligen in diesem Bereich in Erwägung zu ziehen.83 Zwar überwogen 1972 bei einer Beratung des Arbeitskreises Freiwillige Soziale Dienste noch Zweifel an einem solchen Kurswechsel, weil die Referentinnen fürchteten, dass langfristige Einsätze in der offenen Sozialhilfe schnell zur­ »Ueberforderung der Helfer« führen könnten.84 Diese Begründung hatte aber nur noch wenig gemein mit der traditionellen und auch in den fünfziger und frühen sechziger Jahren noch starken Gemeinschaftsorientierung der Arbeitsdienste, die dem gemeinschaftlichen Leben und Arbeiten einen zentralen erzieherischen Stellenwert zugesprochen hatte. Und die Diskussion deutet trotz der weiterhin herrschenden Skepsis schon die Tendenz zum Einzeleinsatz an, der die kommenden Jahrzehnte prägen sollte, und zwar nicht nur beim FSJ, sondern ebenso bei Aktion Sühnezeichen, bei der sich etwa zur gleichen Zeit der Schwerpunkt von Bauprojekten auf Sozialprojekte verlagerte, sowie beim Zivildienst.85 Ein solcher Trend ging mit einem allgemeinen Wandel im Pflegebereich einher: Die stationäre Unterbringung von Pflegebedürftigen wurde zunehmend als zu wenig patientenorientiert kritisiert; sofern es möglich war, sollte sie durch offene Sozialhilfe ersetzt werden.86 Dass der Pflegesektor sich in dieser Weise neu orientierte, war ein transnationales Phänomen, das gleichermaßen Großbritannien betraf und sich ebenfalls auf die britische Organisation CSV auswirkte, die jedoch schon Mitte der sechziger Jahre damit begonnen hatte, ihre Freiwilligen in Einzeleinsätzen arbeiten zu lassen.87 Diese Entwicklung wurde durch die Kritik der Neuen Linken an den Institutionen verstärkt, ist aber sicherlich nicht allein auf sie zurückzuführen, sondern unter anderem auch auf finanzielle Überlegungen. Der traditionelle Gedanke, dass auch das soziale Miteinander der Freiwil­ ligen nützlich sei, verschwand allerdings nicht gänzlich. Insbesondere die Work82 Brief Schober an die Mitglieder des Diakonischen Rates, 23. Juni 1970, Anlage 1: Schriftlicher Bericht über das Diakonische Jahr (Feb. 1970), gez. A. Müller-Schöll/M. König, 9. Febr. 1970, ADE, ADW HGSt, III 252 Diakonisches Jahr, 2474, Motivanalysen. 83 Anlage 1: Schriftlicher Bericht über das Diakonische Jahr (Feb. 1970) gez. Müller-Schöll/ König, 9.  Febr. 1970, ADE, ADW HGSt, III 252 Diakonisches Jahr, 2474, Motivanalysen; ohne Titel [Ergebnisse der Tagung vom 11./12.6.70], ADE, ADW HGSt, 6173. Vgl. FleschThebesius, S. 281 f. 84 Ergebnis-Protokoll der 6. Sitzung des Arbeitskreises am 16. Febr. 1972 in Frankfurt, Dominikanerkloster, ZADN, D 5/2 11–15. »Offene Sozialhilfe« ist nicht-stationäre Hilfe, für­ welche das Pflegepersonal die Pflegebedürftigen zuhause besucht. 85 Vgl. Bernhard, Zivildienst, S. 358 f. 86 Vgl. ebd., S. 367 f.; vgl. auch Grunow, 2008, bes. S. 804–806; ders., 2006, S. 846–851. 87 T. Studebaker, Aktion Sühnezeichen, an CSV, 21. Nov. 1972, S. 2, ACSV, AGD/C1/14.

281

campbewegung nahm dieses Ziel weiterhin für sich in Anspruch. Allerdings veränderte sich die Definition dieses Gemeinschaftserlebnisses in den ausgehenden sechziger Jahren deutlich. Beispielsweise hob Wolfgang von Eichborn in seiner Schrift über die neukonzipierten Friedensdienste nun hervor, dass während der Camps »Formen des Zusammenlebens in den Gruppen« erlernt werden könnten, die »im Sinne der antiautoritären Schüler- und Studentenbewegung so repressionsfrei wie möglich gestaltet werden«. Mit solchen Erklärungen sollte eine Veränderung der Lagergestaltung einhergehen: »Die führende Funktion eines verantwortlichen Gruppenleiters wird in Frage gestellt. Hausordnungen sollen von den Gruppen selbst bestimmt werden.«88 Einzelne Workcamps experimentierten nun tatsächlich, z. B. indem sie versuchten, ohne Leitung auszukommen.89 Solche Versuche gingen teilweise von den Freiwilligen selbst aus. Eine Teilnehmerin, die mit der Lagerleitung für den Christlichen Friedensdienst beauftragt worden war, schrieb 1969: »Das Lager das unter dem besonderen Stern stand, keine Leiterin zu haben, ist beendet. Ich habe es im ›antiautoritären‹ Stil geleitet. Am Anfang kam die Gruppe damit nicht ganz klar, weil sie es bis dato immer gewöhnt war, daß einer für sie dachte. So habe ich erst sie denken, planen und beraten lassen und dann habe ich meine Meinung gesagt. Nach der ersten Woche gefiel dieses Prinzip dem Lager aber ganz gut.«90

Einige Teilnehmerinnen und Teilnehmer, so lassen es Evaluationsbögen erkennen, empfanden diesen Stilwechsel als Innovation, zumal wenn sie zuvor bereits andere Workcamps besucht hatten. So schrieb ein britischer Teilnehmer im Rückblick auf ein in Deutschland durchgeführtes Lager derselben Organisation 1968: »I thought this was extremely good especially compared with previous experience. One was not at all conscious of dictatorial leadership, yet everything ran smoothly and nothing seemed to be disorganised and muddled up. As regards group action, I think it was also good. Suggestions were asked for and made, votes were taken, for who wanted to do what. Everything was voluntary, yet positive results followed.«91

Mit dieser Einschätzung reagierte der Autor auf eine verbreitete Skepsis an den Bemühungen um eine basisdemokratische, »antiautoritäre« Organisation der Camps. Möglicherweise hatte er sie anfänglich selbst geteilt, sah sie durch seine Erfahrungen aber widerlegt. Zwar könnte die Formulierung, man sei »not at all conscious of dictatorial leadership« gewesen, auch so gelesen werden, als habe es eine solche doch gegeben, nur sei sie eben nicht spürbar gewesen. Anzunehmen ist jedoch, dass sich der Autor hier ungeschickt ausdrückte und wohl eher die frühere Form der Lagerleitung als »dictatorial leadership« charakterisieren 88 Eichborn, S. 104. 89 Vgl. Stell, S. 113. 90 15. Aug. 1969, ACFYAP, Lagerberichte 1969. 91 Evaluationsbogen aus dem Jahr 1968, ACFYAP, Lagerberichte 1969.

282

wollte. Auf jeden Fall aber ist seine Stellungnahme mit der bewussten Unterscheidung zwischen einem »diktatorischen« und einem basisdemokratischen Stil ein Zeugnis für die Politisierung der Workcampbewegung und die gestiegene Sensibilisierung hinsichtlich der Lagerverfassung. »Antiautoritär« durchgeführte Lager stießen allerdings durchaus nicht bei allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern auf Gegenliebe. In den Evaluationsbögen wurden sie teilweise auch als zu chaotisch kritisiert. Die Bemühungen, »nicht zu autoritär zu sein«, so urteilte ein Teilnehmer über ein 1968 durchgeführtes Camp, seien nicht aufgegangen: Die »Lagergemeinschaft wurde gestört durch verschiedene Auffassungen über Ziel des Lagers, Organisation/ individuelle Freiheit, Demokratie/Autorität. Es mangelte an gegenseitigem Verantwortungsgefühl => Demokratie funktionierte nicht.«92 Zumindest auf »rein organisatorischem Gebiet« hätte er sich mehr Autorität gewünscht. Auch bei den längerfristigen Freiwilligendiensten bemühte man sich darum, das Ziel der Demokratisierung in die Praxis umzusetzen. Allerdings ging es hier zumeist weniger um Mitbestimmung. Denn weder die Wohlfahrtsorganisationen noch die Einsatzstellen waren bereit, den Freiwilligen größere Entscheidungsspielräume zuzugestehen. Dies bemängelten auch Freiwillige bis in die achtziger Jahre hinein des Öfteren.93 Beispielsweise beanstandeten sie, dass sie weder über Mitbestimmungsmöglichkeiten in Betriebsräten hätten noch ihre Interessen durch die Gewerkschaften vertreten würden.94 Am vehementesten erhoben Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Aktion Sühnezeichen die Forderung nach mehr Mitbestimmungsrechten. Sie forderten vielfach auch den Ausbau demokratischer Strukturen innerhalb der Organisation.95 Statt auf eine Erweiterung der Mitbestimmungsrechte konzentrierten sich die Demokratisierungsbestrebungen der Trägerorganisationen in der Regel auf die Gestaltung der Begleitseminare. Der BDKJ erläuterte das Bildungskonzept seines Sozialjahres nun als »emanzipatorische Arbeit«, die »auf gesellschaftliche Veränderung: Abbau von Abhängigkeiten und Unterprivilegierung zugunsten eines Zuwachses an Demokratie hin« ziele.96 Umgesetzt werden sollte diese Absicht zunächst didaktisch. Hier setzte man nun stärker auf gleich­berech­tigte Partizipation der Teilnehmerinnen und Teilnehmer. In Ansätzen hatte dieser pädagogische Wandel schon Mitte der sechziger Jahre begonnen. Frontalunterricht, der »eine bloß rezeptive konsumierende Haltung der Unterrichteten« provoziere, wurde nun durchweg abgelehnt und ersetzt: Die Seminarleiter orientier92 Evaluationsbogen 1969, ACFYAP, Lagerberichte 1969. Möglicherweise handelte es sich hier um dasselbe Lager, auf das sich auch die zitierte Lagerleiterin bezog. 93 Dem Sozialen Jahr folgt oft Ernüchterung, in: Stuttgarter Zeitung, 10. Mai 1986, ZADN, 5/2–28. 94 Brosch, S. 32. 95 Aktion, Nr. 3, [1976], S. 3–17, EZA, 97/1228 Bewerbungsunterlagen für Freiwillige. 96 Entwurf für die Fortschreibung eines Bildungskonzeptes für das Freiwillige Soziale Jahr im BDKJ, ADC, 921.9.065, Fasz. 1, 1969–1973.

283

ten sich an den »Erkenntnissen der modernen Gruppenpädagogik« und führten »gruppendynamisch Kurse in Selbsterfahrungsgruppen« durch, betonte etwa 1967 das Jugendsozialwerk.97 Nach 1968 intensivierten sich solche Bemühungen. Die pädagogischen Fachkräfte, die mit den Seminaren für die Freiwilligen betraut waren, ließen in Kleingruppen Referate vorbereiten, Rollen- und Planspiele durchführen und Arbeitsgemeinschaften bilden.98 Gleichzeitig hoben die Trägerorganisationen aber auch gern hervor, dass der Sozialdienst von Beginn an in Gruppen organisiert gewesen sei, dass »Gruppen orientiertes [sic] Lernen, Tätigkeiten nach den Prinzipien der Teamarbeit«, wie sie die Pädagogik dieser Jahre forderte, die »spezifischen Methoden des FSJ« seien.99 Der Freiwilligendienst habe daher eine über das Dienstjahr hinausreichende »­ Bedeutung für die Einleitung und die Vertiefung von gruppendynamischen Prozessen«, hieß es im Oktober 1972 bei der Aktion Sühnezeichen.100 Die Freiwilligen sollten Vorreiter und Beispiel der Gesellschaftsveränderung sein, und auch dies werde durch die Gruppenform ermöglicht, so ein Grundsatzpapier der Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden, der auch die Aktion Sühnezeichen angehörte, bereits ein halbes Jahr zuvor: »In der Art und Struktur seiner Existenz (in der ganzheitlichen, demokratischen Gruppe) sowie in der Weise seiner Arbeitsleistung (flexibel, kritisch, unabhängig, nicht zuletzt lohnunabhängig) wird der Freiwillige zugleich ein Stück neuer menschlicher Gesellschafts- und Existenzformen vorwegnehmen, selbst erfahren und als Modell stellvertretend experimentieren.«101

Es ging nun darum, die Rolle des Einzelnen in der Gruppe zur Diskussion zu stellen: Die »Gruppenstruktur« sollte »analysiert und diskutiert« werden, eine »Reflexion der Gruppengespräche« wurde eingefordert, die Gruppe sei »der Ort, in dem das eigene Verhalten reflektiert, im bewußt gemachten Gruppenprozeß korrigiert, Reaktionen auf Umweltbedingungen geprüft« werden könnten, so und ähnlich lautete es in den Konzeptpapieren.102 Als »Aufgabe« der Dozen97 Freiwilliges Soziales Jahr im Jugendsozialwerk, 1967, BA, B 189/5796, 2665–459-(22). 98 Arbeitskreis, Bildungsarbeit im Sozialen Jahr [1970] ADC, 921.9.065, Fasz. 1, 1969–1973; Jahresbericht über das Freiwillige Soziale Jahr 1971, Deutsches Rotes Kreuz und Internationaler Bund für Sozialarbeit – Jugendsozialwerk e. V., B 189/5795, BA, 2265–459 (21) Freie Trägergruppe  – Bundesarbeitsgemeinschaft Freier Jugendsozialarbeit, 21 Bundesjugendplan, Freiwilliger sozialer Dienst. 99 Das Freiwillige Soziale Jahr, S. 78. 100 Entwurf: Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden e. V. Internationale Jugendge­ meinschaften, Merkmale von Gemeinschaftsdiensten, Fortschreibung des Papiers vom 4. Okt. 1972, S. 2, EZA, 97/1841 Beiträge zu Friedensdienst und Kriegsdienstverweigerung. 101 Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden, Rahmenkonzept für die Freiwilligendienste, Eingangsstempel: 12.  April 1972, EZA, 97/1841 Beiträge zu Friedensdienst und Kriegsdienstverweigerung. 102 Bildungskonzept kirchlicher Jugendarbeit im Freiwilligen Sozialen »Jahr für den Nächsten«, 1972, ADC, 921.9 065, Fasz. 1, 1969–1973.

284

ten galt es, »ständig Rollenbilder transparent zu machen und zu helfen, Fixierungen aufzulösen«.103 Was in der kleinen Gruppe ausprobiert wurde, sollte den Freiwilligen dann helfen, ihr gesellschaftliches Rollenverhalten insgesamt zu überdenken. »Im gegenseitigen Sich-in-Frage-stellen erfährt der Einzelne die Gruppe als Vorfeld im Erkennen von Machtstrukturen, Herrschafts- und Abhängigkeitsverhältnissen und ungerechtfertigten Autoritätsansprüchen«, hieß es im »Bildungskonzept« des katholischen Sozialjahres 1973.104 Ziel war es da­ rüber hinaus, »veränderte Verhaltensweisen zu erproben«, insbesondere sollten die Freiwilligen »zu partizipativem Verhalten« angeleitet werden.105 Teilweise griffen die Referentinnen und Referenten dafür auf aktuelle pädagogische ­Methoden zurück, das Jugendsozialwerk in Stuttgart etwa verwendete 1974 als Methode die kurz zuvor in einer psychologischen Fachzeitschrift propagierte »soziometrische Konnektionsanalyse«.106 Wie hier ersichtlich wird, verschwand auch das Wort »Gemeinschaft« mehr und mehr aus dem Diskurs über die Freiwilligendienste. Stattdessen verwendeten die Organisationen immer häufiger den Ausdruck »Gruppe«, wenn sie sich auf das Kollektiv der Freiwilligen bezogen. Zwar blieben sie gemeinhin dabei, die Gestaltung des Freiwilligendienstes in Gruppenform als zentrales Charakteristikum anzupreisen. Doch die damit verbundene Zielvorstellung änderte sich: Vor allem das Ideal der Harmonie, das die Gemeinschaft in früheren Zeiten verkörpern sollte, geriet in den späten sechziger und frühen siebziger Jahren ins Wanken: »Konflikte sind Normalsituation des organisierten Zusammenlebens.« Denn »sozial-politische Bildung« setze »die Befähigung zur Auseinandersetzung und Überwindung des Modells der Harmonie als gesellschaftliche Illusion« voraus, hielten die Sozialreferenten und -referentinnen des katholischen Jahresdienstes 1973 auf einer Arbeitstagung fest.107

103 Jahresbericht über das Freiwillige Soziale Jahr 1972 im Deutschen Roten Kreuz und Internationalen Bund für Sozialarbeit – Jugendsozialwerk e. V., S. 8, BA, B 189/5796, 2265–459 (21) Freie Trägergruppe  – Bundesarbeitsgemeinschaft Freier Jugendsozialarbeit, 21 Bundesjugendplan, Freiwilliger sozialer Dienst. 104 Bildungskonzept kirchlicher Jugendarbeit im Freiwilligen Sozialen »Jahr für den Nächsten« 1972, ADC, 921.9 065, Freiwilliges Soziale Jahr/Dienst Grundsätzliches, Fasz. 1, 1969–1973. 105 Jahresbericht über das Freiwillige Soziale Jahr 1972 im Deutschen Roten Kreuz und Internationalen Bund für Sozialarbeit – Jugendsozialwerk e. V., S. 8, BA, B 189/5796, 2265–459 (21) Freie Trägergruppe – Bundesarbeitsgemeinschaft Freier Jugendsozialarbeit, 21 Bundesjugendplan, Freiwilliger sozialer Dienst. 106 E. König, Gruppenstruktur  – Gruppenkonflikte im Verlauf eines Freiwilligen Sozialen Jahres, in: Tübinger Brief, Jg. 20, 1974, Nr. 1, S. 15–17; die Methode übernahm der Referent von Dollase. 107 Zu Top 2 der Bundeskonferenz der Mitgliedsverbände am 18./19. Sept. 1973, ABDKJ, A 3501/2, Jahr für die Kirche; vgl. auch Caritas Protokoll der Arbeitstagung der Sozialreferenten und -referentinnen im Mainz vom 5. bis 6. Dez. 1973, S. 4, ADC, 921.9 065 1950–68, Freiwilliges Soziale Jahr/Dienst Grundsätzliches, Fasz. 1, 1969–1973.

285

Neben neuen didaktischen Methoden sollte es der Demokratisierung schließlich auch dienen, wenn nun teilweise die Teilnehmerinnen und Teilnehmer selbst die in den Seminaren diskutierten Themen bestimmten. Der DPWV hob beispielsweise 1972 hervor, dass man im Seminarprogramm auf die »Bereitschaft der FSJ-Helferinnen, sich mit sozialkritischen Problemen auseinanderzusetzen«, eingegangen sei.108 Daraus hätten sich Debatten über aktuelle Zeitthemen wie »›Entwicklungshilfe heute‹, ›Gastarbeiter – eine Minderheit‹« oder »Warum gibt es Generationsprobleme?« ergeben. Allgemein wurde nicht nur die didaktische, sondern auch die inhaltliche Gestaltung der Seminare der neuen Konzeption angepasst. Bei der Caritas ergänzten 1971 »sozialpolitische Themen, Ursachen, Konfliktlösungen, aktuelle gesellschaftspolitische Themen, Autorität, Freiheit, Sexualität usw., Normenverhalten« sowie »Friedensforschung« und seit den frühen siebziger Jahren »Umweltschutz« die für das Sozialjahr klassischen Lehrgebiete »Entwicklungspsychologie, Kinder, Alte, Kranke« und »Pädagogik«.109 Ähnlich standen beim Jugendsozialwerk 1970 neben den Fächern medizinische Fachkunde, Psycholo­ gie, Pädagogik, Soziologie, Hauswirtschaft, Literatur, Kunstgeschichte, ­Musik und Fremdsprachen, die schon vorher im Lehrplan der Seminare zu finden gewesen waren, nun auch »Themen zum Selbst- und Fremdverständnis, zur Emanzipation, zur weiblichen Berufstätigkeit und den Schwierigkeiten der Doppelrolle und nicht zuletzt zu gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Zusammenhängen« auf dem Programm.110 Ein sehr beliebter Diskussionsstoff für die Seminarsitzungen war in den ausgehenden sechziger und beginnenden siebziger Jahren die Frage: »Manipulieren die Massenmedien unsere Meinung?«111 An dieser Themensetzung wird deutlich, dass die Bemühungen um eine Annäherung an die Ziele der Studentenbewegung nicht in allen Punkten einen Bruch mit der traditionellen Motivation der Freiwilligendienste bedeuten mussten. Anknüpfungspunkte fanden sich vor allem bei der Kritik der Konsum- und Leistungsgesellschaft. Diese behielten die Trägerorganisationen bei. Der »wirtschaftliche Fortschritt«, hieß es etwa in einem Papier zur kirchlichen Jugendarbeit von 1971, werde »durch den zunehmenden Verlust humaner Werte erkauft«, und in diesem »Prozeß menschlicher Selbstentfremdung« würden auch »die zwischenmenschlichen Beziehungen auf ein rein ökonomisches Leistungsprinzip und Marktmodell reduziert« und dem Streben »nach maximalem Wachstum und Profit untergeord108 Sachlicher Bericht, 1972, FSJ Gruppe B, Leiterin Frau Schubert, Erzieherin, BA, B 189/5796, 2665–459-(22). 109 Ergebnisprotokoll von der Arbeitstagung der Sozialreferentinnen vom 17. bis 18. Nov. 1971 in Altenberg, ADC, 921.9 +339, Fasz. 1. 110 Jahresbericht über das Freiwillige Soziale Jahr 1970, Deutsches Rotes Kreuz und Internationaler Bund für Sozialarbeit – Jugendsozialwerk e. V., S. 9, BA, B 189/5796, 2665–459 (20) Freie Trägergruppe  – Bundesarbeitsgemeinschaft Freier Jugendsozialarbeit 10 Bundesjugendplan, Freiwilliger Sozialer Dienst. 111 Entwurf, [1974], S. 2, ADC, 921.9 +339, Fasz. 01.

286

net werden«.112 Ähnlich, wenn auch, wie es dem Trend der Zeit entsprach, psychologisierend und mit politischen Untertönen klang die Rede Gieseckes, in der er die Defizite »einer durch die Gesetze des Marktes und das heißt durch das seelenlose Phänomen des Geldes konstituierten kapitalistischen Erwerbsgesellschaft« beklagte und die These formulierte, diese Gesellschaft erwecke »Schuld­gefühle, weil wir insgeheim wissen, daß die Marxsche Polemik, alle zwischenmenschlichen Verhältnisse seien in Geldverhältnissen ausdrückbar, nach wie vor zutrifft«.113 Tatsächlich erhielten kulturkritische Zeitdeutungen bei Trägerorganisatio­ nen und Freiwilligen in den siebziger Jahren, nachdem sie gesamtgesellschaftlich um die Mitte der sechziger Jahre weithin an Überzeugungskraft verloren hatten, wieder Auftrieb  – nun von politisch linker Seite. Beim BDKJ etwa zählte man 1973 eine Reihe von negativen Entwicklungen auf, welche durch »hohe Leistungsanforderungen« und die Komplexität der modernen Gesellschaft hervorgerufen würden und die den Jugendlichen vor die Aufgabe stellen, sich in einem »unüberschaubaren Netz von Zusammenhängen« zurechtzufinden: »Kreativität verkümmert, Konsumverhalten festigt sich, Kontakt- und Bindungsunfähigkeit wächst, Gefühlsarmut, Einsamkeit, Egoismus, Haltlosigkeit verfestigen sich.«114 Hier zeigt sich abermals, dass in den späten sechziger und frühen siebziger Jahren im Kontext des Freiwilligenjahres vor allem die Kapitalismuskritik einen wichtigen Stellenwert einnahm. Auch technikkritische Begründungen für die Notwendigkeit eines Sozialdienstes für Jugendliche finden sich weiterhin, etwa 1970 in einem Versuch des Arbeitskreises Freiwillige Soziale Dienste, die Auswirkungen des beginnenden Einsatzes von Computern vorherzusehen: »Viele Zeichen deuten jedenfalls darauf hin, daß der Automat im unaufhaltsamen Vormarsch ist, daß er nicht nur die Maschine alter Art, sondern auch den Menschen in seiner bisherigen Struktur außer Kurs setzt. Der Elektronenrechner überflügelt das menschliche Gehirn und die automatisierte Fabrik ersetzt die Hände des Menschen. Ohne Zweifel gehen wir einer Revolution entgegen, die Millionen von Menschen aus ihrer bisherigen Arbeitswelt entwurzelt und die zugleich eine Menge traditioneller Bindungen auflöst.«115

Nach wie vor wurde der Arbeitswelt ein zentraler Stellenwert für den sozialen Zusammenhalt zugesprochen, um mit den fortdauernden Veränderungen angemessen Schritt halten zu können, erschien der soziale Dienst vielen als sinnvolles Erziehungsmittel.

112 Bildungskonzept kirchlicher Jugendarbeit, 22. Nov. 1971, ADC, 921.9 339, FSJ. 113 Giesecke, S. 443. 114 Ziele und Aufgaben der Bildungsarbeit im freiwilligen sozialen »Jahr für den Nächsten« – Ein Angebot Kirchlicher Jugendarbeit, S. 1 f., ABDKJ, A 3501/1, FSJ 1973. 115 Arbeitskreis freiwilliger sozialer Dienst/freiwilliges soziales Jahr, S. 4.

287

e. Geschlechterrollen Während Konsum- und Technikkritik also weiterhin das Sozialjahr motivierten, waren Veränderungen in der Familienstruktur, die Kulturkritikern noch fünf Jahre zuvor den zweiten wichtigen Grund zur Besorgnis geliefert hatten, kein Thema mehr. Stimmen, die vor einer bedenklichen »Entwicklung der Kriminalität in dieser Gesellschaft« warnten, zumal mit dem traditionellen Hinweis auf sich verändernde Familienrollen, also etwa auf »die frühzeitige Erfahrung des Alleingelassenseins von Kindern, deren Mütter berufstätig sind«, wurden nur noch vergleichsweise selten laut.116 Wandten sich die Trägerorganisationen besonders gern solchen Themen zu, bei denen zwischen den ursprünglichen Zielen des Freiwilligendienstes und den Überzeugungen der Neuen­ Linken Übereinstimmung herrschte, so vermieden sie sonst, den Blick auf die kritikanfälligen Ursprünge des FSJ zu lenken. Dies galt vor allem für die Diskussion über die Rolle der Frau. Die zitierten Seminarbeschreibungen deuten allerdings teilweise darauf hin, dass einige der Verantwortlichen für das FSJ in den frühen siebziger Jahren auch die Zuschreibung von Geschlechterrollen problematisierten und deren Wandel als Baustein für die Gesellschaftsveränderung verstanden. Es gab sogar Referenten, welche die Bildungsarbeit gezielt dazu nutzen wollten, eingefahrene geschlechtsspezifische Verhaltensmuster aufzubrechen. 1974 etwa ­diagnostizierte der Politologe und Historiker Eckart Förtsch vom Institut für Gesellschaft und Wissenschaft in Erlangen, der als Bildungsreferent für das FSJ des Jugendsozial­ werks eingesetzt worden, die von ihm unterrichteten Helferinnen seien »in der Schule meist fremdbestimmt in rezeptive Gewohnheiten eingeübt« worden, »spontane Kritik, unbefangenes Fragen, offener Widerspruch und – was immer das im einzelnen sein mag – politisches Problembewußtsein haben nur sehr wenige gelernt und entwickeln können«.117 Mit seinen Seminaren zur politischen Bildung wollte er hier gegensteuern, doch – und auch hier zeigt sich, dass die »kritische Jugend« dem FSJ weitgehend fern blieb – traf er damit auf Schwierigkeiten: »Das Interesse muß meist erst geweckt werden; oft gelingt nicht einmal das.« Die politische Bildung war beim Jugendsozialwerk – anders als etwa beim Diakonischen Jahr  – schon Mitte der sechziger Jahre ein integraler Bestandteil des Seminarprogramms gewesen. Der hier zitierte Referent allerdings ging noch einen Schritt weiter, indem er sich ausdrücklich gegen die traditionelle Geschlechterordnung wandte, welche die Politik als männliche Sphäre definierte. Angesichts solcher Bemühungen, geschlechtsspezifische Verhaltensweisen aufzuweichen, ist es auffällig, dass die herkömmliche konservative Geschlechterideologie nach wie vor kaum erörtert wurde. Dies erscheint umso bemerkenswerter, bedenkt man, wie ausführlich andere Veränderungen im Selbstverständ116 Eichborn, S. 75. 117 E. Förtsch, Erfahrungen mit politischer Bildung im FSJ, in: Tübinger Brief, Jg. 20, 1974, Nr. 1, S. 18.

288

nis der Freiwilligendienste in diesen Jahren besprochen wurden, beispielsweise diejenigen, die aus der Anerkennung einiger gesellschaftspolitischer Forderungen der Studentenbewegung hervorgingen. Auch die Neue Frauenbewegung übte kaum Kritik am FSJ. Sie verwarf zwar in den späten sechziger Jahren im Rahmen der Diskussion über die Einführung eines Pflichtjahres, die auch die Einrichtung des FSJ ins Rollen gebracht hatte, die von konservativer Seite propagierte Dienstideologie.118 Doch schloss diese Kritik die Freiwilligendienste nicht explizit mit ein, und es finden sich dazu auch bei den Trägerorganisationen keine Stellungnahmen. In den Blick der Frauenbewegung geriet das FSJ eher in anderem Zusammenhang. Einige Feministinnen forderten im Sinne einer konsequenten Umsetzung der Gleichberechtigung die Ausweitung der Wehrpflicht auf die Frauen.119 Als die »Zeit« Anfang 1974 in einer Jugendumfrage ein weibliches Pflichtjahr – sei es im zivilen, sei es im militärischen Dienst – diskutieren ließ, griffen viele der befragten Jugendlichen dieses Argument auf.120 »Im Zeitalter von ›womens lib‹ und Emanzipation in allen Bereichen würde es der Sache nur schaden, wenn sich die Frauen dem ›Dienst am Vaterlande‹ entziehen würden«, glaubte etwa ein Jugendlicher, und ein anderer postulierte: »Zur Überwindung der gesellschaftlichen Schranken ist eine erzieherische und emanzipatorische Institution wie das Arbeitsjahr notwendig.« Mädchen fügten vielfach hinzu, dass man im Gegenzug »auch die Gleichberechtigung der Frauen  – die in vielen Fällen wohl nur auf dem Papier steht – verwirklichen« müsse: »Das bedeutet: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit für Männer und Frauen. Bessere Berufsausbildung für Frauen und Mädchen, Überwindung der Klischeevorstellungen von der Rolle der Frau und Abbau der zahlreichen Vorurteile.« Nicht alle Mädchen allerdings stimmten dieser Schlussfolgerung zu. Zum Teil griffen sie stattdessen in ihren Stellungnahmen auf das traditionelle Argument zurück, dass Frauen ihren Dienst an der Gesellschaft bereits mit der Kindererziehung erbrächten. Dass auch Männer diese übernehmen könnten, erörterte zwar nun eine Fünfzehnjährige in ihrem Beitrag, befürwortete es aber nicht: »Sicherlich wäre es gerecht, oberflächlich betrachtet, würde ein Arbeitsjahr für Mädchen eingeführt werden, dann aber sollten die Jungen die Hälfte der Kindererziehung und Haushaltsführung übernehmen, was wohl weder dem Kind noch der Frau noch ihrem Mann recht wäre!« Allgemein lag der Hauptunterschied zwischen den von den Jugendlichen in der »Zeit« vorgebrachten Argumenten und denjenigen der 118 Vgl. etwa Rahms, Der feindliche Haushalt, S.  105. Rahms, die in der FAZ auch gegen­ Thielickes Pflichtjahrespläne protestiert hatte, arbeitete als Journalistin für den deutlich liberaleren Feuilletonteil sowie für die Frauenseite des konservativen Blattes und setzte sich für die Gleichstellung der Frau ein, vgl. ihre Autobiographie: dies.: Die Clique, S. 172–174. 119 Vgl. R. Moniac, Esther Vilar fordert Wehrpflicht für die Frau. Männerfeindliches »Manifest« in Bonn überreicht, in: FAZ, 13. Nov. 1974, S. 9. 120 Es dürfte kein Zwang sein, Nur unter dem Gesichtspunkt der Gleichberechtigung bejahen viele ein Arbeitsjahr für Mädchen, in: Die ZEIT, 4. Jan. 1974, S. 33.

289

Pflichtjahresdebatten der sechziger Jahre darin, dass nun sehr viel stärker »unter dem Gesichtspunkt der Geschlechtergerechtigkeit« diskutiert wurde, was auch die Redaktion des Blattes in der Überschrift als bemerkenswert hervorhob. Dass die konservative Geschlechterideologie, welche die Gründung des FSJ maßgeblich mitbedingt hatte, so wenig in die Kritik geriet, mag auch darin begründet liegen, dass die sich in den ausgehenden sechziger Jahren formierende Neue Frauenbewegung zunächst weniger ernst genommen wurde als die  – männlich dominierte – allgemeine politische Protestbewegung. Und mit deren Ziel der Gesellschaftsveränderung ging durchaus nicht zwangsläufig die Forderung nach der Auflösung traditioneller Geschlechterrollen einher.121 Dennoch steht außer Frage, dass sich die Rollenbilder um die Wende zu den siebziger Jahren weiter änderten, allgemein wie auch bei den Trägerorganisationen für das FSJ. Immer seltener priesen diese das Sozialjahr in der Werbung als Vorbereitung auf die Ehe an. Die wenigen Male, die nach 1968 noch auf diese Zielsetzung eingegangen wurde, geschah dies eher beiläufig. So erwähnten zwar einige Werbebroschüren noch, dass das Freiwilligenjahr auch eine Gelegenheit sei, »Kenntnisse für Ehe und Familie zu erwerben«, räumten diesem Aspekt aber nur noch einen untergeordneten Stellenwert ein.122 Und in solchen Passagen ging es nun auch tendenziell weniger um die Möglichkeit, sich auf die zukünftige Rolle als Ehe- und Hausfrau vorzubereiten als auf diejenige der Mutter. Herausgestellt wurden also vor allem Fähigkeiten in der Säuglingspflege und Kindererziehung, etwa in einem der oben bereits zitierten um besondere Jugendnähe bemühten Prospekte des DRK aus dem Jahr 1970, der die Beweggründe einer Freiwilligen beschrieb. Sie habe im FSJ die Vorzüge »einer konsequenten All-round-Ausbildung« erkannt, bei der auch ihr »sehnlichster Wunsch: eine fröhliche Kinderschar«, nicht unbeachtet bleibe – ein Wunsch, den sie zwar hegte, der sie jedoch gleichzeitig verunsicherte: »Nur – könnte sie jetzt schon eine gute und tüchtige Mutter sein?«, so imaginierte der Prospekt die Selbstzweifel der Freiwilligen. Man beeilte sich aber sogleich, ihr ein »helles Köpfchen« zu bescheinigen und damit einem Geschlechterbild zu widersprechen, das die Frau auf Emotionalität zu reduzieren suchte.123 f. Friedenskonzept und Internationalität Indem sich das FSJ politisierte, näherte es sich in der Selbstdefinition ein Stück weit den auf internationalen Frieden ausgerichteten Jugenddiensten an. Gleichzeitig transformierten sich die international orientierten Freiwilligendienste in einer Weise, die sie konzeptionell dem FSJ ähnlicher machte. Zum einen ver121 Vgl. Schulz, Der lange Atem, S. 79–96. 122 Werbebroschüre Freiwilliges Soziales Jahr in Bayern 1970, BA, B 189/5796, 2665–29-(21), Allg. Programm Freiwillige Soziale Dienste. 123 Werbebroschüre des DRK, Wer lieben will, muß helfen lernen, 1970, ADRK, W Werbemittel.

290

änderten sie ebenfalls ihre Selbstdefinitionen, zum anderen verlagerte sich das Feld der von den Freiwilligen durchgeführten Arbeiten noch weiter hin zu sozialen Diensten. Die Analogie zwischen zivilem Freiwilligendienst und Militärdienst findet sich zwar weiterhin und wurde bei der Aktion Sühnezeichen sogar noch aktualisiert, seit mit der Anerkennung als Ersatzdienst 1969 vermehrt Wehrdienstverweigerer zu ihr strömten. Wolfgang von Eichborn, der eng mit der Aktion Sühnezeichen zusammenarbeitete, formulierte etwa Ende der sechziger Jahre provozierend martialisch, das Ziel der zivilen Freiwilligentätigkeit sei es, eine »neue Art der Wehrhaftigkeit« zu schaffen und einen »zeitgemäßen Kreuzzug des ›christlichen Abendlandes‹ zu eröffnen, diesmal nicht zur Eroberung des heiligen Landes, sondern zur Errichtung von Zeichen der Sühne für alten und neuen Kolonialismus und Rassismus, als Zeichen von Brüderlichkeit«.124 Allgemein betonte man nun jedoch nicht mehr wie Organisationsgründer Lothar Kreyssig in den frühen sechziger Jahren, dass es gelte, positive Elemente des Militärdienstes für die Organisation nutzbar zu machen. Vielmehr wurde der Kriegsdienst in den sechziger Jahren zunehmend zu einem Gegenbild, von dem man sich eindeutig abzugrenzen versuchte. Obwohl die stärker auf die Problematik von Krieg und Frieden ausgerichtete Zielsetzung ein inhaltlicher Hauptunterschied zwischen den längerfristi­gen Inlandsdiensten und dem friedensorientierten Zweig des Arbeitslagergedankens blieb, kamen sich beide Typen der Jugenddienste unter anderem auch dadurch näher, dass sich das Friedensverständnis in den ausgehenden sechziger und siebziger Jahren veränderte. »Formen der Friedlosigkeit und der Gewalt im internationalen System und in der eigenen Gesellschaft« bedingten sich wechselseitig, so die in der Neuen Linken verbreitete Überzeugung.125 Aus ihr entwickelte sich die »kritische Friedenserziehung«, deren Einfluss auf die friedensorientierten Freiwilligendienste deutlich spürbar wurde. Friedenserziehung sollte nun nicht mehr nur auf der Grundlage von »idealistischen und individualistischen Konzepten« geschehen, sondern mit Kritik und Veränderungswillen einhergehen und sich damit nicht nur auf außenpolitische, sondern ebenso auf innergesellschaftliche Entwicklungen richten. Unter anderem vor diesem Hintergrund ist es zu verstehen, dass die Aktion Sühnezeichen, die 1965 erstmals zwei Workcamps in deutschen KZ-Gedenkstätten durchgeführt hatte, die Aktivitäten in der Bundesrepublik intensivierte.126 Auch die Namensänderung der Organisation, die sich seit 1968 »Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste« nannte, ist darauf zurückzuführen, dass sich ihr Selbstverständnis veränderte.127 Bei ihr wie insgesamt bei den Workcamp-Organisationen setzte sich überdies der Trend fort, das Arbeitsfeld der Freiwilligen weiter in den sozialen Bereich hinein zu verlegen. 124 Sozialer Friedensdienst, S. 2, EZA, 97/1841. 125 Vgl. Nipkow; sowie die Beiträge der genannten Autoren in Heck u. Schurig, sowie in Wulf. 126 Vgl. Legerer, S. 250–254; Kammerer, S. 114 f. 127 Vgl. ebd., S. 109.

291

Während die friedensbewegten Jugenddienste ihre Arbeit ins Inland hinein ausweiteten, begann das FSJ, sich vorsichtig dem Ausland zu öffnen. Seit 1968 wurden beim Diakonischen Jahr probehalber jährlich drei bis sieben Freiwillige in Großbritannien eingesetzt.128 Mitte der siebziger Jahre schuf das Diakonische Werk eigens eine Stelle für seine Großbritannienfreiwilligen, obwohl deren Anzahl nur geringfügig gestiegen war. Dies war zum einen dadurch bedingt, dass längerfristige Auslandsaufenthalte von Jugendlichen noch eine Besonderheit waren und man davon ausging, sie bedürften dafür einer Ansprechpartnerin und vielleicht auch Kontrollperson vor Ort. Jedoch zeigt die Investition in eine Stelle zum anderen auch, dass die Diakonie dem Auslandsdienst inzwischen eine wichtige Bedeutung beimaß.129 Helga Rosemann, die das Programm leitete, rechnete es den »internationalen Friedensdiensten« zu. 1976 beschrieb sie dessen Ziele folgendermaßen: »Der Gedanke internationale Friedensdienste ›liegt in der Luft‹. Die Zeit ist bereit, und internationale und ökumenische Bildung ist so dringend wie nie zuvor. Wir geben Brot für die Welt, unlöslich verbunden ist damit Dienst und Bewußtseinseinbildung [sic] in internationalen und ökumenischen Beziehungen in Europa.«130

Dass man sich auch staatlicherseits Anfang der siebziger Jahre nicht mehr gegen längerfristige Jugendfreiwilligendienste im Ausland sperrte, zeigt sich in einer Gesetzesänderung aus der Zeit der sozial-liberalen Regierung unter Helmut Schmidt 1975. Im nun novellierten »Gesetz zur Förderung eines Freiwilligen Sozialen Jahres« wurden auch Auslandseinsätze innerhalb Europas zugelassen. Begründet wurde dies einerseits mit der »zunehmenden Integration Europas«, andererseits mit dem Wunsch, einen zusätzlichen »Anreiz für das freiwillige soziale Jahr« zu schaffen. Wie bei den Entwürfen 1967 wurde zur Voraussetzung gemacht, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihren Freiwilligendienst mit einem sechsmonatigen Einsatz in der Bundesrepublik begannen. Dadurch, so begründete der Gesetzentwurf, werde »das Interesse des eigenen Landes an diesem – grundsätzlich für das Inland bestimmten – freiwilligen sozialen Dienst gewahrt.«131 Die konzeptionelle Annäherung von kurz- und langfristigen Freiwilligendiensten schlug sich auch institutionell nieder: Das Programm »intertat«, mit dem die konfessionellen Freiwilligendienste Anfang der siebziger Jahre ein neues Image zu etablieren suchten, sollte beide Einsatztypen vereinen. Dies lag nicht allein an der Angleichung der Konzeption der Dienste, sondern auch 128 H. Rosemann, Vermerk betr. Diakonisches Jahr in Großbritannien bzw. Ecumenical­ Volunteer Porgramme (EVP), 12.  Sept. 1975, HGSt, III 251, 4839 Ecumenical Volunteer Programm, Einsatz deutscher Helfer in England, 1974–77. 129 Zu dem Programm allgemein, HGSt, III 251, 4839 Ecumenical Volunteer Programm, Einsatz deutscher Helfer in England, 1974–77. 130 H. Rosemann, Vermerk, betr. EVP, 5. April 1976, ADW, HGSt, III 251, 4839, Ecumenical Volunteer Programm, Einsatz deutscher Helfer in England, 1974–77. 131 Deutscher Bundestag, Entwurf eines Zweiten Gesetzes.

292

daran, dass viele Jugendliche sich zwar die Teilnahme an kurzzeitigen Freiwilligendiensten vorstellen konnten, nicht aber bereit waren, sich auf eine längerfristige Verpflichtung einzulassen. Das jedenfalls hatte die Umfrage ergeben, die den Reformen vorausgegangen war.132 Indem die konfessionellen Träger kurz- und langfristige Dienste in einem Programm zusammenfassten, hofften sie, die Attraktivität auch Letzterer zu steigern.

4.2 Großbritannien als Vorbild? Grenzen der Veränderungsbereitschaft Bedingt durch die Neuausrichtung der Freiwilligendienste in den ausgehenden sechziger und frühen siebziger Jahren, näherten sich nicht nur Einsätze verschiedener Dauer, sondern auch deutsche und britische Dienste konzeptionell einander an. Zum einen traf sie die Kritik der Neuen Linken hier wie dort in ähnlicher Weise, zum anderen führte der zunehmende europäische Austausch dazu, dass die Organisationsleitungen beider Länder nun in Kontakt traten und sich zunehmend bereit zeigten, sich von der Gestaltung der Jugendfreiwilligendienste anderer Länder zur Veränderung der eigenen Dienste inspirieren zu lassen. Das galt umso mehr für die deutsche Seite, die von der Proteststimmung der Zeit stärker erschüttert wurde und der die offenbar weniger kritik­ anfällige Organisation CSV nun als Vorbild erschien. a. Behutsame Anpassung: CSV und die Kritik der Neuen Linken In ähnlicher Weise wie bei den deutschen Diensten, allerdings unauffälliger und in deutlich geringerem Maße, veränderte sich in den ausgehenden sechziger Jahren die Selbstdefinition von CSV. Dass die britischen Studentenproteste sehr viel schwächer ausfielen als die deutschen, bedeutete nicht, dass die Neue Linke in Großbritannien nicht ebenfalls gesellschaftspolitische Diskussionen anregte. So prägten eine verstärkte Gesellschaftskritik, eine erhöhte Sensibilität für soziale Ungleichheit sowie der Wunsch nach mehr Bürgerpartizipation und gesellschaftlicher Veränderung gleichermaßen die britische Öffentlichkeit der ausgehenden sechziger Jahre. Dies spiegelte sich im Freiwilligensektor wider. Britische Studenten brachten, wie unter anderem die Arbeiten der Histo­ rikerin Georgina Brewis zeigen, dieselbe Kritik an Freiwilligendiensten vor, mit der diese auch in der Bundesrepublik von Seiten der »kritischen Jugend« konfrontiert wurden: Freiwilligenarbeit wurde als »middle class do-gooding« abgetan, woran sich hier gleichfalls der Vorwurf knüpfte, dass durch sie Missstände 132 M. König, Aktennotiz: Intertat, 9. März 1971, ADE, HGSt 6137.

293

lediglich übertüncht und Machtstrukturen verschleiert würden.133 Diese Sichtweise, vermutete 1972 ein CSV-Teilnehmer, sei ein Grund dafür, dass nicht noch mehr Jugendliche bereit seien, einen sozialen Dienst anzutreten: »The main difficulty is the image it’s [sic] had over the years of charity, ›doing good‹, C ­ hristian virtues, etc.«134 Ebenso wie die deutschen Freiwilligenorganisationen ging die Organisa­ tionsleitung von CSV auf diese Kritik ein.135 Allerdings bewirkten die Diskus­ sionen über die Ziele und Auswirkungen von freiwilliger Arbeit nicht denselben unübersehbaren Bruch in der Selbstdefinition der britischen Organisation. Erstens hatte sie ja in der Tat bereits in den frühen sechziger Jahren immer wieder betont, dass sie nicht in die Tradition der paternalistischen Mittelklassenwohltätigkeit treten wolle, sondern sich vielmehr von dieser deutlich unterscheide. Dickson hob seinen eigenen Beitrag zum Wandel von Verständnis und Zielsetzung der Freiwilligendienste hervor. 1978 schrieb er: »Twenty years ago, when Voluntary Service Overseas was first conceived, ›a year between‹ presumed an experience restricted to a relatively small and well-endowed segment of young people. Time – and ourselves – have contributed greatly to changing that picture.«136 Zweitens war der britische Dienst, der sich ursprünglich – anders als das FSJ  – am traditionellen geschlechtsspezifischen Idealbild des männlichen Staatsbürgers orientiert hatte, schon bei der Gründung dem politischen Ziel der Gesellschaftsveränderung gegenüber offen gewesen. Dieser Veränderungswille war schließlich drittens auch in dem in Großbritannien in den sechziger Jahren verbreiteten optimistischen Jugendbild angelegt, das den Ausgangspunkt für die britischen Freiwilligendienste gebildet hatte und der Jugend ein ausgesprochenes Veränderungspotenzial zusprach. Dieses Jugendbild korrespondierte von Anbeginn an eher mit den Motiven und der Selbstsicht der Freiwilligen als das Bild einer Jugend ohne Ideale, das die Trägerorganisationen in Deutschland bis 1968 prägte. Der Glaube an einen jugendlichen Idealismus, der innerhalb der deutschen Trägerorganisationen kein Pendant fand, begründet sich in dem verbreiteten Vertrauen vieler Briten in die politische und gesellschaftliche Stabilität der liberalen Demokratie. Hinzu kam, dass nationale Selbstdefinitionen in Großbritannien weniger brüchig waren als in der Bundesrepublik. So fiel es britischen Erwachsenen leichter, Gemeinsamkeiten zwischen sich und der nachfolgenden Generation zu entdecken. Und umgekehrt erleichterte dies es auch britischen Jugendlichen, sich mit den Zielen der Erwachsenen zu identifizieren. 133 Vgl. Brewis, From Service; dies., Social History, S. 175–195. 134 M. Davis, Interview guides for the youth »volunteer«, Part II, S.  2, ACSV, AGD/C9/15, Questionnaires filled in by volunteers as part of united nations survey on youth service, correspondence 1970s, Toynbee Hall. 135 New Patterns of Service. Community Service Volunteers, Annual Report 1969/70, S.  3, ACSV, AGD/B1/39 Annual reports 1966–69. 136 Dickson, Keeping, S. 52.

294

Dickson charakterisierte die Transformation seiner Organisation in den ausgehenden sechziger und frühen siebziger Jahren eher als »change of wording«. Dementsprechend sei nun die Außendarstellung des Dienstes abzuwandeln und der Begriff »social change« zu erwähnen. Denn »the more articulate young p ­ eople want not just to ›serve‹ but also to alter the conditions which they feel to be responsible for creating human needs.«137 Ungeachtet der betonten Kontinuität lässt sich indes auch in der Konzeption des britischen Freiwilligendienstes ein Wandel festmachen. Ein Beispiel für die Anpassung an die Neue Linke ist ein Zeitungsbericht aus dem Jahr 1967, in dem die Organisationsleitung mit einem Aufruf zur Schaffung von Partizipationsmöglichkeiten für Jugendliche zunächst ihrer traditionellen Argumentationslinie folgte: »Britain is failing to channel her young man-power towards jobs that are crying out to be done and at the same time is losing the chance of giving more meaning to the lives of t­housands of young people who are bored and lacking challenge.«138 Die Jugend habe »little interest in the tedious tasks that the professional welfare organisations are normally willing to leave to them  – decorating dilapidated houses, changing hospital bed linen, visiting the old, and so on«. Dann aber flossen hierarchiekritische Töne in die Ausführungen ein, die der traditionellen Gesellschaftskritik der Organisation eine neue Nuance verliehen: Die Freiwilligen, so der Artikel weiter, wollten ihren gesellschaftlichen Beitrag nicht »at the bottom of a staff hierarchy or in a welfare organisation« leisten: Vielmehr sei es ihr Wunsch, Verantwortung zu übernehmen, und sie sähen sich selbst als­ »Ombudsmen with flaming swords – enabling a minority group, the workless or slum tenants threatened by urban renewal, to achieve justice or assert their rights.« Auch mit diesem Hinweis auf Gerechtigkeit und die Sorge um soziale Randgruppen übernahm die Organisation einen neuen Aspekt in ihre Konzeption – ähnlich der Reaktion der deutschen Freiwilligenorganisationen auf die Protestbewegung. Dies ließ sich jedoch gut mit ihrer bisherigen Linie in Einklang bringen, da ihre Freiwilligen schon Mitte der sechziger Jahre auch in Hilfsprojekten nicht nur für Schwererziehbare oder Straftäter, sondern auch etwa für Alkoholiker, Obdachlose, »Gypsies« oder in »Race Relations«-Programmen arbeiteten.139 Ein anderes Beispiel für die Neuausrichtung von CSV war es, dass die Organisationsleitung die Arbeit der Freiwilligen statt als »Service« nun gern als­ »Action« definierte.140 Noch mehr als zuvor betonte sie in Selbstdarstellungen, dass ihr Ziel ein gesellschaftlicher Wandel sei: »We present an alternative 137 A. Dickson, Full-time, long-term participation, Archiv CSV, AGD/C9/7, Teil 1, papers re united nations study on domestic youth services. Reports on different countries including UK volunteer questionnaires, 1972. 138 Zitiert nach Kendall. 139 Community Service Volunteers, Annual Report 1966/67, ACSV, AGD/B1/39 Annual reports 1966–69. 140 Vgl. Brewis, From Service; dies., Social History.

295

to the existing educational stereotype by offering young people the opportunity of learning through action. […] we claim that we ourselves, and our volunteers, do work for change in our society«, hieß es etwa 1977 in einer Selbstdarstellung der Organisation.141 b. Zweifel und Kritik am Kurswechsel Den Organisationsleitungen in der Bundesrepublik und in Großbritannien war gemein, dass sie sich zwar bereit zum Wandel zeigten, diesem Wandel aber doch auch deutliche Grenzen zu ziehen suchten. Dickson selbst z. B. mochte auf den Begriff »Service«, dessen gesellschaftliche Aufwertung ihm so lange als Ziel­ vorstellung gegolten hatte, weiterhin nicht gänzlich verzichten und kritisierte Anfang der siebziger Jahre die seiner Meinung nach zu sehr auf spezifische Gruppen und Anliegen ausgerichteten Alternativmodelle sozialen Engagements der Neuen Sozialen Bewegungen, welche gesamtgesellschaftliche Zielsetzungen aus den Augen verlören.142 Auch die Grundsatzkritik am Einsatz von Freiwilligen wies Dickson zurück: Das Argument »that volunteers are used to maintain the status quo, plugging holes in inadequate or unjust welfare systems, and that only a fundamental restructuring of society can save us«, charakterisierte er als einen abseitigen Standpunkt von »radicals and Mao-ists«, welche die Möglichkeiten staatlichen Handelns angesichts der aktuellen gesellschaftlichen Probleme überschätzten. Als vordringliche Gesellschaftsprobleme identifizierte er 1973 noch immer wie schon Anfang der sechziger Jahre Einsamkeit und Langeweile, zählte zu deren Folgen allerdings nun außerdem Radikalismus und Drogenabhängigkeit: »Contrary to accepted Marxist doctrine, the problems that will increasingly beset our western society […] will not be those that can be cured by political or economic ­action. If loneliness (felt today by the young no less than the old), boredom or ­accidie, racial tension, drug addiction, could be solved by a signature on a cheque, then we should have solved them: these new manifestations of need call for new in-puts of ­human insight and energy – and here is where volunteers excel.«143

Die hier bewusst betonte Opposition zu marxistischen Zeitdeutungen ebenso wie die Abgrenzung gegenüber »Radikalen« und »Maoisten« zeigt, dass die Organisationsleitung von CSV bei der Annäherung an die Neue Linke auch klare Schranken setzte. Ähnliches galt freilich auch für die deutsche Seite: Und 141 Fulltime Volunteer programme. Some comments from volunteers, volunteer directors and project supervisors. The main Volunteer Programme, 16. Juni 1977, S. 1, ACSV, AGD/ C1/82, Comments on full time volunteer programme, 1976 f. 142 A. Dickson, A Domestic Development Service for West Germany? [1973], S. 7, ACSV, AGD/ HI/17. 143 Ebd.

296

wenngleich alle Jugendfreiwilligenorganisationen in der Bundesrepublik von der Politisierung um »1968« erfasst wurden, bedeutet dies nicht, dass diese Entwicklung von sämtlichen Trägerorganisationen und Freiwilligen ohne Widerstände hingenommen wurde. Einerseits präsentierten die Trägerorganisationen das FSJ zwar gern als hervorragende Möglichkeit, die Forderungen der Protestbewegung in die Tat umzusetzen, andererseits aber wird deutlich, dass ihnen Formen und Ausmaße des Protests doch in vielen Punkten zu weit gingen und sie diese offenbar als jugendliche Überreaktion interpretierten. Und wenn sich die konfessionellen Wohlfahrtsverbände auf einen neuen Kurs einließen, hieß dies auch nicht, dass sie ein eigenes Verschulden für die sinkende Attraktivität des FSJ eingestanden. Die Gründe für diese Entwicklung identifizierten sie vielmehr einerseits in der günstigen Arbeitsmarktsituation, andererseits aber in »materialistischen Zielsetzungen, oft auch Denkfaulheit, Achtlosigkeit« – eine Diagnose, in der sich die traditionelle Wohlstandskritik fortsetzte.144 Gleichzeitig wurde Bedauern darüber geäußert, dass mit dem »spektakulärem Sozial-Engagement der Jugend auf politischer Ebene« die Aufmerksamkeit von den Freiwilligendiensten abgelenkt werde.145 Einige Verantwortliche für das FSJ beurteilten dementsprechend die Neuorientierung ihres Dienstes zwiespältig. So wurden beispielsweise bei Diakonie und Caritas Warnungen laut, mit der neuen Werbestrategie nicht zu weit zu ­gehen. Es gelte zu vermeiden, dass »Proteste überbetont« würden.146 Die For­derung, trotz einer Annäherung an die Protestbewegung weiterhin die kritische Distanz zu dieser zu wahren, erhoben nicht nur Mitarbeiter der konfessionellen Trägerverbände. Beim Jugendsozialwerk hielt man es ebenfalls für unangebracht, die gesamte Aufmerksamkeit dem Jugendprotest zu widmen. Ein Artikel im »Tübinger Brief« rief dazu auf, zwischen zwei Arten des Engagements zu differenzieren, die verschiedenen Kreisen von Jugendlichen zuzuordnen seien: »In unserer Jugend gibt es ein starkes soziales Empfinden und eine latente Bereitschaft zum sozialen Engagement. Teils äußert [sic] sie sich in politischen Forderungen – und davon ist viel die Rede –, teils zeigen sie sich in einem unmittelbaren Hilfsdienst am Mitmenschen – und das geschieht dann sehr viel stiller und unbeobachteter.«147

Eine solche Entwicklung lasse das »bedrückende Gefühl« aufkommen, »dass eine Gesellschaft, die so viel Aufmerksamkeit für lautstarke Forderungen hat, sich dem stillen Dienst am leidenden Menschen als soziale und pädagogische 144 R. O. Herter, Werbeberater BDW, Presseinformation, Werbung für intertat, Textvorlage für ein Referat auf der Pressekonferenz am 11.  Mai 1971 in Bonn, S.  1, BA, B 189/5782, 2665–29 (21). 145 Ebd. 146 Aktennotiz Gespräch Diakonisches Jahr – Jahr für den Nächsten am 21. Juni 1968 in BonnVenusberg, Liebfrauenhaus, 9–15 Uhr, ADE, ADW, HGSt, III 251, Jahr für die Kirche. 147 Notwendige Forderung: Mehr Mittel für das Freiwillige Soziale Jahr, in: Tübinger Brief, Jg. 14, 1968, Nr. 6/7, S. 152.

297

Aufgabe nicht gleicherweise verpflichtet weiß«, hieß es in dem Artikel weiter. In dem Lob der »stillen« Hilfe, die hier dem Protest gegenübergestellt wurde, schimmert noch die traditionelle Dienstideologie durch, welche die Anfänge des FSJ bestimmt hatte. Sie wurde also offenbar auch von den nichtkonfessionellen Trägerorganisationen nicht gänzlich ohne Bedauern aufgegeben. Lebhafte Kontroversen gab es vor allem über das Ausmaß der angestrebten Neugestaltung der Dienste. Wie es bereits bei der Frage der Lagergestaltung der Christlichen Friedensdienste deutlich wurde, betraf dies die von der Politisierung in besonderem Maße erfassten Organisationen am stärksten. Heftige Streitereien über den Kurs der Organisation erschütterten beispielsweise den Vereinsvorstand der IJGD. Die Unstimmigkeiten in der Organisationsleitung gingen mit sinkenden Teilnehmerzahlen einher und führten dazu, dass man die Auflösung des Vereins in Erwägung zog.148 Der deutsche Zweig des SCI hingegen stieß vor allem bei den Zweigen anderer Nationalitäten auf Kritik, welche seinen neuen Kurs als zu radikal ablehnten.149 Bei der Aktion Sühnezeichen schließlich brachen politische Differenzen vor allem zwischen einem Teil  der Freiwilligen und der Organisationsleitung auf.150 Aber auch einige Teilnehmerinnen und Teilnehmer bewerteten die Politisierung der Organisation negativ. So bemängelte ein Israel-Freiwilliger 1969, »daß das Leistungsniveau und die Selbstdisziplin von A[ktion] S[ühne]Z[eichen]-Gruppen von Einsatz zu Einsatz niedriger« werde, die »Einstellung der Gruppenmitglieder zu den Grundsätzen von ASZ dagegen – gelinde ausgedrückt – immer kritischer«.151 Vor allem dass sich die Kritikfreudigkeit vieler Freiwilliger auch gegen die israelischen Einsatzstellen richtete, hielt er für unangemessen. Das ursprüngliche vergangenheitspolitische Ziel der Organisation, das für ihn selbst deren Kern ausmachte, gerate dabei in Vergessenheit. Anders als die Freiwilligen, die ihren Einsatz mit politischer Agitation zu verbinden suchten, sehe er selbst den »Schwerpunkt von ASZ-Tätigkeit in Israel ganz reaktionär in der Arbeit, nicht in theoretischen Konstruktionen und Diskussionen«.

148 Vgl. Bareither. 149 V. Seehan u. a., Rapport on our visit to the German Branch/Rapport sur notre visite à la branche allemande au Sécretariat international du Service Civil International, 19. Nov. 1970, SCIIA, 31005.1, German Branch, Minutes of Committee meetings and relevant correspondance, 1965–1970. Dieser Bericht gibt die Eindrücke dreier außereuropäischer Anhänger des Service Civil International wieder, darunter den Namen nach zu schließen ein Inder und ein Japaner. Außer dem deutschen Zweig hatten sie auch auch die Organisationszweige in B ­ elgien, Frankreich und der Schweiz besucht, um sich ein Bild davon zu machen, »what was going on in the movement in Europe«. Kritikwürdig erschien ihnen allein die Entwicklung in Deutschland, da die Organisation hier nicht mehr demokratisch geleitet werde, sondern eine »anarchist and activist« Struktur aufweise und sich dem Ziel der politischen Infiltration verschreibe. 150 Vgl. Kammerer, S. 111–113, S. 165 f. 151 Abschrift: K. O. Hundt, Gruppe XIV, August 1969, EZA, 97/729.

298

c. Freiwilligendienste als Ventil? Mehrfach äußerten Vertreter der Freiwilligenorganisationen die Hoffnung, dass der Freiwilligendienst die Energien der Jugend absorbieren und in weniger radikale Bahnen umlenken könne. Besonders häufig findet sich diese Erwartung in Großbritannien in Bezug auf CSV. Die Organisationsleitung hatte ihre Frei­ willigendienste ja bereits von Beginn an als Ventil für den sozialen Unmut der Jugend gepriesen. An dieser Zielsetzung hielt sie fest, obwohl sie wie die deutschen Organisationen konzeptionell einige der gesellschaftskritischen Positionen der Neuen Linken übernahm oder zumindest die Übereinstimmung mit ihnen betonte. 1974 zitierte beispielsweise die »Church Times« das Versprechen, die CSV-Freiwilligen seien »less likely to be won over to philosophies which contend that only a revolution to the radical restructuring of society can instantaneously usher in the millennium«.152Andernorts hieß es seitens der Organisation: »the voluntary organisations should try to forge an alliance with the red-hot Student rebels – to harness their sometimes destructive energy into constructive channels«.153 Einen Beleg für das Funktionieren dieses Mechanismus sah die Vizedirektorin der Organisation, Elisabeth Hoodless, im Juli 1968 darin, dass, die Teilnehmerzahlen innerhalb eines Jahres um das dreieinhalbfache angestiegen und dass, wie sie behauptete, die London School of Economics, bei der die Studentenproteste für britische Verhältnisse vergleichsweise stark ausfielen, »one of CSV’s best recruiting grounds« seien.154 Nicht nur die Leitung von CSV war in Großbritannien davon überzeugt, dass Freiwilligendienste jugendlichen Veränderungswillen in konstruktive Bahnen lenken könnten, sondern auch Medien und Politik. Die »Daily Telegraph«-­ Redakteurin Ann Steele etwa führte 1968 aus, wie positiv die Freiwilligen sich von der rebellierenden Jugend abhöben: »These volunteers contrast starkly with the teenage rebels […] who kick against authority and discipline.«155 Die Journalistin und Schriftstellerin Claire Rayner beschrieb 1968 in der »Times« die Sorgen, mit denen Eltern der Zukunft ihrer jugendlichen Kinder entgegensahen: 152 S. Young, Volunteers for the concrete jungles, in: Church Times, 25.  Okt. 1974, ACSV, AGD/C1/68. Vgl. viele ähnliche Aussagen: Service 71, CSV Annual Report 1970/71, S. 5, ACSV, AGD/C1/9, Annual Reports 1968–80; A. Dickson, Student Community Action. Thoughts on Curriculum Change  – and the Deferred Year, reprinted from Community Development Journal, 5 (1970), Nr. 4, ACSV, AGD/JI/17; A. Dickson, Aktion der Studenten für Sozialdienst: Überlegungen zur Lerhplanreform und zum Zwischenjahr, ACSV, AGD/ G9/17, National service in West Germany and France; vgl. ähnlich: The £2 student revolution, in: The Guardian, 2. Juli 1968, S. 5. 153 Anything but Charity, [Zeitungsausschnitt, ohne Herkunftsangaben, ca. 1967/8], ACSV, AGD/B1/40, Press cuttings 1966–69. 154 The £2 student revolution, in: The Guardian, 2. Juli 1968, S. 5; Hoodless hatte selbst and der London School of Economics studiert. 155 A. Steele, Familiy Forum by Winifred Carr, in: The Daily Telegraph [Zeitungsausschnitt ohne Datumsangabe], ACSV, AGD/B1/40, Press cuttings 1966–69.

299

»Will they go virtuously to university, to work for a degree, and settle into respectable adult living in due course? Or will they become involved in political mafficking, ­marching and barricading as they shout their revolt to the middle-aged world? Or, worst of all, will they look for kicks in drug-induced euphoria?«156

Jugendliche, die einen Freiwilligendienst ableisteten, hielt sie nicht mehr für anfällig, einen solchen Weg einzuschlagen. Ähnlich urteilte 1971 der Publizist Geoffrey Wansell, der damals als Journalist für die »Times« arbeitete, in einem Bericht über CSV: »[R]evolution and volunteering are not two different aspects of the personality of youth, but one and the same feeling of the necessity of change«.157 Steele empfahl Eltern, ihre Kinder zur Teilnahme an Freiwilligendiensten zu motivieren, denn darin sah sie eine Möglichkeit, sie auf die vermeintlich richtige Bahn zu lenken. Unter diesem Gesichtspunkt diskutierte man den Nutzen von Freiwilligendiensten ebenfalls in politischen Kreisen. In einer Debatte über freiwillige Jugenddienste, die im Februar 1968 im House of Lords geführt wurde, schlug­ Bischof Launcelot Fleming, der 1958 bei der Gründung von VSO geholfen hatte, aus einer derartigen Motivation heraus sogar die Einführung eines verpflichtenden Sozialdienstes vor.158 So weit wollte die britische Regierung zwar nicht gehen, aber auch sie intensivierte ihre Förderung von Jugendfreiwilligendiensten, die sie als »channel for young people’s concern« ansah.159 1968 gründete sie die Young Volunteer Force Foundation, eine Jugendfreiwilligenorganisation, die vor allem das Ziel verfolgte, freiwilliges Engagement als jugendliche Freizeitbeschäftigung zu vermitteln.160 Sie habe dabei in dem Glauben gehandelt, so deutete es der »Guardian«, »that the youth service was not attracting enough of the young and restless«.161 Selbstdarstellung und Medienpräsentation der britischen Freiwilligendienste erweckten in diesem Punkt offenbar auch auf deutscher Seite Interesse. Tatsächlich erhofften sich ebenfalls die deutschen Organisationsleitungen teilweise, dass sich die radikale Jugend durch die Freiwilligendienste zähmen lasse. »Es geht darum, den Reformeifer (oft unreif und verworren) in richtig dosier156 C. Rayner, Where do your kids get their kicks?, in: The Times, 30. Juli 1968, S. 5. 157 G. Wansell, Stealthy revolution of the young volunteers, in: The Times, 11.  Sept. 1971, S. 12. 158 The Lords: seeking scope for youth community service, in: The Times, 22. Febr. 1968, S. 8. Fleming war inzwischen nicht mehr Bischof von Portsmouth, sondern hatte das Bistum Norwich übernommen. 159 Yesterday’s resolutions in detail, in: The Guardian, 18. Sept. 1969, S. 6. 160 Diese Organisation war von Anfang an stark umstritten, vor allem die etablierten Frei­ willigenorganisationen kritisierten sie als ineffektiv. 1977 wurde sie in eine allgemeinere Organisation zur Vermittlung von Freiwilligen umgewandelt, unter der ThatcherRegierung stellte sie ihre Tätigkeit ein, vgl. TNA OD 62/58; T 353/29; ED 124/382; PREM 15/1816. 161 Miscellany: Rime nor reason, The Guardian, 4. Dez. 1971, S. 13.

300

tes und an Realitäten orientiertes soziales Engagement umzuwandeln«, hieß es beispielsweise in einem Reflexionspapier zum Diakonischen Jahr.162 »Ideologische, realitätsferne Einstellungen verändern sich zugunsten von Wirklichkeitsnähe«, pries auch der Geschäftsführer der Aktion Sühnezeichen Volkmar Deile 1976 den Effekt des Freiwilligendienstes.163 Einige Freiwillige bestätigten diese Diagnose in gewisser Weise: Angesichts der vor Antritt des Dienstes teilweise sehr hohen Ansprüche an die angestrebte gesellschaftliche und politische Veränderung, welche die Jugendlichen mit ihm hatten erreichen wollen, zeigten sich viele von ihnen bald enttäuscht und ernüchtert, wenn sie ihre Arbeit aufnahmen. Zeugnisse hierfür finden sich bis in die achtziger Jahre hinein, wie etwa 1984 bei einem Freiwilligen der Aktion Sühnezeichen: »Herausgerissen aus einer recht wohlhabenden Friede-Freude-Eierkuchen-Umgebung musste ich meine Ideale (Randgruppen zu helfen) erst mal zurückstecken und mich einer kalten Dusche unterziehen.«164 Die Bemühungen, die Unzufriedenheit der Jugendlichen einzuhegen, schienen in der Bundesrepublik dringlicher zu werden, als in den späten siebziger Jahren der Terrorismus der Roten Armee Fraktion das politische und gesellschaftliche Leben erschütterte. Allen Neukonzeptionsbemühungen zum Trotz erschien das FSJ, das mit seinen traditionellen Arbeitsfeldern in Krankenhäusern, Alters- und Kinderheimen doch zu unpolitisch wirkte, hierfür offenbar als ungeeignet. »Aktiver Friedensdienst bei Schwerkranken ist ziemlich sinnlos«, bemängelten denn auch tatsächlich Freiwillige der Aktion Sühnezeichen Anfang der siebziger Jahre.165 Ein Einsatz wie jener von CSV versprach in dieser Hinsicht mehr Erfolg. Da er sich stärker auf soziale Brennpunkte richtete und sich als politische bzw. soziale »Aktion« definierte, glaubten auch deutsche Beobachter, er übe auf politisch engagierte Jugendliche eine höhere Attraktivität aus. Dies jedenfalls impliziert die Darstellung Dicksons: Im Februar 1978 lud Bundespräsident Walter Scheel ihn nach Bonn ein, um sich über die britische Freiwilligenorganisation informieren zu lassen. In ihrem Gespräch ging es, so jedenfalls der Jahresbericht von CSV, um die Frage, »how to arouse in young people growing up in a highly affluent economy an active concern for others… without some becoming fanatically determined to destroy society«.166 Und in einem Papier, das Dickson im Rahmen seiner umfangreichen Vorbereitung auf dieses Treffen verfasste, schrieb er mit Blick auf die Anschlags- und Entführungsserie der Roten Armee Fraktion im »Deutschen Herbst« 1977:

162 M. König an A. Müller Schöll, Notizen Zum Thema »DJ«, [ca. 1970], ADE, ADW HGSt, III 252 Diakonisches Jahr, 2474, Motivanalysen. 163 V. Deile, Stand u. Perspektive der Arbeit der ASF, Mai 1976, S. 2, EZA 97/1116. 164 Freiwilliger Dienst, 2/1984, EZA 97/1425, 1972–1986. 165 Freiwilliger Dienst [1972?], EZA 97/1425, 1972–1986. 166 CSV, Annual Report, 1977/78, S. 2, ACSV, AGD/C1/9, Annual Reports 1968–80.

301

»One of the troubles with a genuine democracy is that it is often so dull – and in this way violence seems sometimes to offer a substitute for boredom. It is all the more important, then, that we should know how to turn emergencies and crises to advantage – so that people do respond positively and demonstrate in-born capacities for innovation and co-operation.«167

Inwieweit die Aussage der Leitung von CSV zutraf und zu welchem Grad die Organisation tatsächlich die kritische Jugend in Großbritannien anzog, lässt sich schwer rekonstruieren, solange die im Organisationsarchiv verwahrten Selbstzeugnisse von Freiwilligen der Archivsperre unterliegen. Auch in den von der Organisation anlässlich des fünfzigjährigen Jubiläums gesammelten und auf der Website veröffentlichten Erinnerungen fanden sich keine Hinweise da­ rauf.168 Die Quellen deuten allerdings zumindest darauf hin, dass Kritik und Politisierungsforderungen auch unter den britischen Freiwilligen laut wurden. In einer Umfrage 1972 hielt ein bereits weiter oben zitierter Freiwilliger die Selbstdarstellung des Dienstes als Mittel zur Gesellschaftsveränderung für unzureichend, obwohl er offenbar die Zielsetzung unterstützte, mit den Freiwilligendiensten den politischen und gesellschaftlichen Protest der Jugend in konstruktive Bahnen zu lenken. Als Mittel, um die Teilnehmerzahlen and den Diensten zu steigern, schlug er vor: »If it could be promoted as ›opting in‹ to make sweeping changes (revolution is an emotive word) in society so that the whole basis is altered, rather than just tinkering about with ›reform within the prison walls‹, then this would definitively be more appealing to the idealistic young who have little alternative to ›opting out‹.«169

1971 versammelten sich 200 Freiwillige von CSV, um zu diskutieren, ob ihre Freiwilligentätigkeit in ausreichendem Maße politisch sei.170 Der Artikel in der »Times«, der über diese Zusammenkunft berichtete, verschwieg allerdings auch nicht, dass die Freiwilligen seitens politisch aktiver Studierender dafür kritisiert wurden, nur dazu beizutragen, Missstände zu verbergen. Der Labour-Abgeordnete Thomas Iremonger bekräftigte diese Kritik in einem Leserbrief.171 Auch in Großbritannien eingesetzte deutsche Freiwillige, die sich mit der Protestbewegung identifizierten, hielten die Freiwilligen von CSV für zu systemkonform: Ein Dienstleistender der Aktion Sühnezeichen, der an seiner Einsatzstelle in Schottland mit Freiwilligen der britischen Organisation zusammenarbeitete,

167 A. Dickson, Commitment to Service, Febr. 1978, ACSV, AGD/G9/11, West Germany… 1976–79. 168 CSV, Celebrating. 169 Fragebogen von M. D., Questionnaires filled in by volunteers as part of United Nations survey on youth service, correspondence 1970s, M. D., Interview guides for the young­ »volunteer«, ACSV, AGD/C9/7. 170 G. Wansell, Stealthy revolution of the young volunteers, in: The Times, 11.  Sept. 1971, S. 12. 171 T. Iremonger, Voluntary service, in: The Times, 16. Sept. 1971, S. 17.

302

empfand diese als zu unpolitisch. In seinen Augen ersetzten sie lediglich bezahlte Arbeitskräfte, dies erschwere die »Bildung des Klassenbewußtseins« und reproduziere Elend, anstatt es zu bekämpfen.172

4.3 Die Krise des Arbeitsmarktes Die Ziele der Politisierung, Demokratisierung und Gesellschaftsveränderung hatten die deutschen und in geringerem Maße auch die britischen Jugendfreiwilligendienste in den späten sechziger und frühen siebziger Jahren bestimmt. Doch standen sie bei den Trägerorganisationen nur für wenige Jahre im Mittelpunkt der Selbstverständnisdiskussionen. Für die Jugendsozialdienste lässt sich deutlich der Bruch registrieren, den Zeithistoriker gemeinhin mit der Ölkrise von 1973 als dem Ende der »trente glorieuses« oder des »goldenen Zeitalters« wirtschaftlicher Konsolidierung in Westeuropa assoziieren.173 Die Krisenstimmung angesichts wachsender Staatsdefizite und steigender Arbeitslosenzahlen verlieh den Diskussionen über den Stellenwert von Freiwilligenarbeit eine neue Richtung, vor allem aber schlug sie sich in einem explosionsartigen Anstieg der Interessenten- und Teilnehmerzahlen nieder. Zentral war hier zunächst das Anschwellen der Arbeitslosigkeit und speziell der Jugendarbeitslosigkeit: In Großbritannien stieg die Erwerbslosigkeit der unter 18-Jährigen schon 1972 auf 5,4 Prozent, diejenige der 18- und 19-Jährigen auf 6,8 Prozent. Nach einem kurzen Rückgang schnellte sie dann seit Mitte der siebziger Jahre dramatisch in die Höhe, überstieg 1977 die 10 Prozent-, 1982 sogar die 20 Prozent-Marke.174 In der Bundesrepublik, in der die Arbeitslosenquote für die 15- bis 20-­Jährigen 1973 noch bei einem Prozent gelegen hatte, wuchs sie ebenfalls seit Mitte der siebziger Jahre steil an, und stand 1976 bei 5,2 Prozent. 1982 kletterte sie hier nach einem kurzzeitigen Rückgang Ende der siebziger Jahre auf 9,2 Prozent.175 In beiden Ländern wurden dadurch die Sozialdienste für Jugendliche­ attraktiver. Gleichzeitig entdeckten hier wie dort Politiker die Freiwilligendienste als ein Mittel, die Arbeitslosenzahlen zu senken. Die Freiwilligenorganisationen jedoch reagierten in der Bundesrepublik und in Großbritannien recht unterschiedlich auf das neue Interesse an ihren Diensten.

172 Brief eines Freiwilligen, Iona, 14./15. Aug. 1976; vgl. auch Brief eines Freiwilligen, 22. Juli 1976, beide Briefe EZA, 97/494, Großbritannien, Briefe von Freiwilligen. 173 Die viel beschworene Formulierung »trente glorieuses« geht zurück auf den französischen Ökonomen Fourastié; mit »The Golden Age« ist das zweite Kapitel von Hobsbawm überschrieben. Zur Deutung der siebziger Jahre als Krisenzeit vgl. Doering-Manteuffel u.­ Raphael; Jarausch. 174 Vgl. Jackson, S. 29, S. 38; Roberts. 175 Vgl. allgemein zur Jugendarbeitslosigkeit in der Bundesrepublik Raithel.

303

a. Zulauf und zunehmende soziale Exklusivität bei den bundesdeutschen Diensten In der Bundesrepublik wirkte sich die angespannte Arbeitsmarktsituation vor allem auf das FSJ aus, aber auch die Aktion Sühnezeichen war merklich betroffen. Die Engpässe auf dem Arbeitsmarkt machten der Stagnation der Teilnehmerzahlen, welche sich aus der Kritik der Neuen Linken und aus der zunehmenden Distanz der Jugend zu den Kirchen ergeben hatte, ein baldiges Ende: Seit 1973 stieg die Nachfrage bei den Jugendlichen sprunghaft an. Denn das­ Sozialjahr galt nun als eine »sinnvolle« Tätigkeit zur Überbrückung von Wartezeiten, wie sie sich nicht nur aus der Arbeitslosigkeit ergaben, sondern auch aus der in ihrer Folge angespannten Situation auf dem Ausbildungsmarkt. Die Referenten der Jahrestagung des Arbeitskreises Freiwillige Soziale Dienste schätzten 1976, dass etwa 95 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer das Sozialjahr antreten würden, weil sie nach dem Ende der Schulzeit nicht direkt mit ihrer Ausbildung fortfahren konnten.176 Auf wachsendes Interesse stieß das FSJ dabei nicht mehr nur bei den Mittelschulabgängern und bereits Berufstätigen, die bis dahin die überwiegende Mehrzahl der Freiwilligen ausgemacht hatten: Aufgrund der verstärkten Zugangsbeschränkungen zu den Universitäten wurde es nun auch für Abiturientinnen und Abiturienten immer attraktiver. Obwohl die Organisationen sich bemühten, der immer reger werdenden Nachfrage mit einem Ausbau ihrer Programme nachzukommen, überstieg die Zahl der Bewerbungen bald diejenige der angebotenen Plätze um ein Viel­faches, 1976 der Aussage einiger Trägerorganisationen zufolge gar um das Zwanzig­ fache.177 In den sechs Jahren zwischen 1972 und 1978 schwollen die Teilnehmerzahlen beim FSJ zunächst um mehr als das Doppelte von 3.083 auf 6.596 an, bis 1982 dann weiter auf knapp 9.000.178 Bei der Aktion Sühnezeichen herrschte ebenfalls großer Andrang: 1979 warteten hier Bewerberinnen und Bewerber bei einem jährlichen Angebot von 160 Plätzen ein Jahr, um ihren Freiwilligendienst anzutreten, Mitte der achtziger Jahre konnten es bis zu drei Jahre sein. Noch härter war es für Kriegsdienstverweigerer, die ihren Zivildienst bei der 176 Protokoll der Jahrestagung Freiwillige Soziale Dienste vom 8.–12. Nov. 1976 in der Freizeit und Bildungsstätte Bernhäuser Forst bei Stuttgart, ZADN, D5/2 13.  177 Ak FSD 8.  Okt. 1982, Stellungnahme zum Gespräch des BMJFG mit dem FSD Arbeitskreis der Trägerverbände am 11. Juli 1982, Protokoll vom 16. Sept. 1982, ADE, HGSt, 6164; Evangelische Jugendinformation, 7/83: Im Gespräch: Wilhelm Gerwig über Freiwillige­ Soziale Dienste, ADE, HGSt, 6248. 178 FSJ-Teilnehmer-Zahlen der Trägerverbände (Bundesebene), ADE, HGSt 6166. Vgl. zu den Teilnehmerzahlen auch ZADN, D 5/2–27, FSD Info Juni 1980, S.  2; Ergebnisprotokoll der Sitzung des Arbeitskreises FSJ/FSD Trägerverbände am 29. März 1977 im Willhelm Polligkeit Institut, Frankfurt, ADC, 921.9, Freiwilliges Soziales Jahr, Freiwillige soziale Dienst, +232.01 Gesetz zur Förderung des freiw. Sozialen Jahres, Fasz 01. Zu den Zahlen für 1982 vgl. ADC, 921.9, Freiwilliges soziales Jahr/Dienst 020 Arbeitskreis der Trägerverbände auf Bundesebene 1976–1983, Fasz 2.

304

Organisation ableisten wollten: Sie mussten sogar doppelt so lange Wartezeiten in Kauf nehmen.179 Angesichts der angespannten Arbeitsmarktlage regte sich Ende der siebziger Jahre auch verstärkt das staatliche Interesse an den freiwilligen Jugenddiensten. Seit 1977 wurde in Regierungskreisen auf Bundes- wie auf Länderebene der massive Ausbau des FSJ als arbeitsmarktpolitische Maßnahme in Erwägung gezogen. 1982 war es der ehrgeizige Plan des Bundesministeriums für Familie, Jugend und Gesundheit, die Anzahl der Plätze zu verdoppeln.180 Dabei ging es nicht nur um eine quantitative Erweiterung, sondern auch qualitativ sollte das Freiwilligenjahr verändert werden: Der zuständige Ministerialrat Horst Juncker hoffte, dass der Sozialdienst für schwer vermittelbare jugendliche Arbeitslose einen Weg in die Berufstätigkeit eröffnen könne. Daher versuchte er, die Trägerorganisationen dazu zu bewegen, ihr Angebot auf diese Zielsetzung hin auszurichten und speziell arbeitslose Jugendliche mit schlechteren Chancen auf dem Arbeitsmarkt aufzunehmen.181 Dem Trend der wachsenden Zahl von Abiturientinnen und Abiturienten, die sich um einen Freiwilligendienst bewarben, lief dies zuwider. Die Trägerorganisationen wehrten sich massiv gegen die Pläne, das FSJ in eine Maßnahme zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit umzuwandeln.182 Allgemein sahen sie es mit Unbehagen, dass das FSJ aufgrund der hohen Jugendarbeitslosigkeit immer mehr zur Überbrückung von Wartezeiten genutzt wurde und so den Status einer »Notlösung« erhalte, die lediglich ein »Dilemma um ein Jahr verschiebt«.183 Da die Hoffnung herrschte, die Arbeitsmarktsituation werde sich bald wieder bessern, wurde die Prophezeiung laut, das Sozialjahr sei – werde es gemäß den Wünschen der Politik neu gestaltet – »in dem Augenblick zum Tod verurteilt, in dem die zusätzlichen Finanzquellen versiegen, weil Jugendarbeitslosigkeit kein Problem mehr ist«.184 Außerdem glaubten die Trägerorganisationen, ein umfangreicher Ausbau des FSJ lasse sich in der Praxis kaum umsetzen. Vor allem befürchteten sie, das pädagogische Begleitprogramm, dem sie selbst ja spätestens seit den 179 Infobroschüre [1979]; Infobroschüre [ca. 1985], beide Dokumente: EZA, 97/1228 Bewerbungsunterlagen für Freiwillige. 180 Arbeitskreis der Trägerverbände FSD/FSJ, 24. März 1983 im Jugendhaus Düsseldorf, S. 2, ADC, 921.9, Freiwilliges soziales Jahr/Dienst 020 Arbeitskreis der Trägerverbände auf Bundesebene 1976–1983, Fasz 2. 181 Ergebnisprotokoll der Sitzung des Arbeitskreises FSJ/FSD Trägerverbände am 17./18. Okt. 1977 in Bonn, ADC, 921.9, Freiwilliges Soziales Jahr, Freiwillige soziale Dienst, +232.01 Gesetz zur Förderung des freiw. Sozialen Jahres, Fasz 01; Aktennotiz zum Gespräch am 28. November zwischen dem FSD-Trägerkreis und Herrn Juncker vom BMGV im Wilh. Polligk. Inst. Frankfurt [1981], ADE, HGSt, 6164; Notiz über den Telefonanruf von Herrn Ministerialrat Juncker, BMJFG vom 13. Sept. 77, ca. 15 Uhr, ADE, HGSt, 6167. 182 ZB. BDKJ Bundesstelle, Dokumentation, Nov. 1985, ABDKJ, A 3501/1, FSJ 1973. 183 Stellungnahme für Aktennotitz vom 27.6.75 von Herrn Pastor Ratz über die Beratung am 16.6.75, ADE, ADW, HGSt, III 251, 4839 Ecumenical Volunteer Programm, Einsatz deutscher Helfer in England, 1974–77. 184 Dziadek, S. 639.

305

ausgehenden sechziger Jahren einen zentralen Stellenwert beimaßen, lasse sich dann nicht mehr in angemessener Weise gewährleisten.185 Hinzu kamen grundsätzlichere Überlegungen. Es sei überaus »fragwürdig«, so argumentierte der BDKJ 1983, dass der Sozialdienst »zunehmend als ernstzunehmende Alternative zur Erwerbsarbeit angeboten« werde, da auf diese Weise Stellen gestrichen werden könnten, so dass sich die Arbeitslosigkeit sogar noch verstärke.186 Der an der Technischen Universität Berlin Sozialpädagogik lehrende Professor Hellmut Lessing warnte im selben Jahr bei einer Tagung der Trägerorganisationen außerdem vor der »Instrumentalisierung« des FSJ, die in die Richtung einer »Transformation zum Arbeitsdienst« führen könne.187 Dabei verwies er auf die historischen Erfahrungen der Weimarer Zeit: Der Freiwillige Arbeitsdienst, der ja ebenfalls der Verminderung der Arbeitslosigkeit gedient habe, sei eine »Vorbereitung auf die Jugendzwangsarbeit« gewesen. Dass dieser in der Anfangszeit euphemistisch als »freiwillig« charakterisiert worden sei, habe nur zu der »illusionären Annahme verleitet«, er unterscheide sich »grundsätzlich von der schon in den zwanziger Jahren von den Nazis und anderen reak­tionären Parteien und Verbänden geforderten Arbeitsdienstpflicht«. Einige Mitarbeiter der Wohlfahrtsverbände erwogen aufgrund solcher Sorgen sogar, das FSJ gänzlich einzustellen.188 Aus der kritischen Haltung erklärt sich zu einem Teil auch die Reaktion der Trägerorganisationen auf den ungekannten Ansturm auf das Sozialjahr. Weil nun insgesamt nicht mehr genügend Plätze vorhanden waren, machte die starke Nachfrage es notwendig, Kriterien für die Auswahl der Freiwilligen aufzustellen.189 Bei den Diskussionen, wie solche festzulegen seien, spielten soziale Gesichtspunkte eine zentrale Rolle. Der plötzlichen Übermacht der noch wenige Jahre zuvor unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern für das FSJ vermissten Abiturienten zollten die Trägerorganisationen viel Aufmerksamkeit. Kritisch fragte sich der Arbeitskreis Freiwilliger Sozialer Dienste, ob es »zu verantworten ist, daß im FSJ vornehmlich die sowieso bildungsmäßig bevorzugten Jugendlichen erreicht werden, statt der Benachteiligten, die auch auf dem Arbeitsmarkt im Nachteil sind«.190 Angesichts solcher Zweifel hatten die Trägerorganisationen, bereits bevor das Bundesministerium mit diesem Anliegen an sie herantrat, in 185 Ebd.; Arbeitskreis der Trägerverbünde FSD/FSJ, 24. März 1983 im Jugendhaus Düsseldorf, S. 2, ADC, 921.9, Freiwilliges soziales Jahr/Dienst 020 Arbeitskreis der Trägerverbände auf Bundesebene 1976–1983, Fasz 2. 186 BDKJ, Stellungnahme zum Freiwilligen Sozialen Jahr, ZADN, 5/2–2; Referat von Professor Hellmut Lessing Jugendarbeitslosigkeit und Arbeitspflicht. Zur Problematik des Freiwilligen sozialen Jahres, Anlage zum Protokoll der Jahrestagung 1983, S. 10, ZADN, 5/2–28. 187 Ebd. 188 Vgl. ebd.; sowie: Contra und Pro FSJ, Jahrestagung der Sozialreferenten, Nürnberg, Mai 1974, ABDKJ, A 3501/1, FSJ 1973. 189 [Versammlung der Trägerverbände des Freiwilligen Sozialen Jahres], brain-pooling, brain-­ pooling, Fragestellung: Wie kann man das Auswahlverfahren beim FSJ gestalten?, [1975], ADC, 921.9 020, Fasz. 01. 190 Bericht Freiwillige Soziale Dienste, Febr. 1974 – Febr. 1975, ADE, HGSt, 6138.

306

Erwägung gezogen, im Rahmen des FSJ ein Programm speziell für arbeitslose Jugendliche bzw. für Jugendliche mit abgebrochener Lehre zu etablieren.191 Doch wurden solche Projekte nicht zur Regel. Lediglich die AWO unterstützte weiterhin das Vorhaben, in besonderem Maße die Integration von Jugendlichen mit schlechtem Ausbildungshintergrund zu fördern.192 In den anderen Trägerorganisationen setzte sich eine ablehnende Haltung durch und sie begannen es hinzunehmen, dass absolut wie prozentual immer mehr Jugendliche mit höheren Schulabschlüssen am FSJ teilnahmen. Damit erteilten sie dem solidarischen Verständnis des Freiwilligendienstes als Aufgabe ebenso wie als Chance aller sozialen Schichten, wie es die AWO Mitte der sechziger Jahre angepriesen hatte und wie es auch CSV in Großbritannien propagierte, eine Absage. In der Vielfalt der Gründe, die sie hierfür anführten, lässt sich der Rechtfertigungsdruck erkennen, den die Trägerorganisationen bei dieser Richtungsentscheidung verspürten. Die Verantwortlichen für das von katholischer Seite angebotene Freiwilligenjahr in Bayern erachteten beispielsweise den Effekt spezieller Programme für auf dem Arbeitsmarkt schwer vermittelbare Jugendliche als kontraproduktiv, denn, so argumentierten sie, »die Teilnahme an einem ›Sonder‹-FSJ« isoliere anstatt zu integrieren, sie führe allenfalls zu einer »Zementierung ihrer Rand­situa­ tion« und zu einer »Verstärkung des Stigmatisierungsprozesses«.193 Darüber hinaus führten sie als Begründung für die vermehrte Aufnahme von Jugendlichen mit höheren Bildungsabschlüssen die Anforderungen der Arbeitsplätze und die Wünsche der Einsatzstellen an.194 Außerdem verwiesen sie schließlich auf das zu geringe Alter der Haupt- wie auch Realschulabgänger.195 Als Wilhelm Gerwig, der Bundestutor für Freiwillige Soziale Dienste im Diakonischen Werk, 1983 in einem Interview nach den Rekrutierungsmechanismen befragt wurde, gestand er z. B. zu deren Konsequenzen ein: »Grundsätzlich gilt: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Daß dann bei den einzelnen Trägern doch ein bißchen ausgesiebt wird, daß die Besseren dann auch die besseren Chancen haben, das ist nicht zu vermeiden. Die Einsatzstellen sind da anspruchsvoll, da wird gesagt: ›Wenn wir schon einen diakonischen Helfer nehmen, dann bitte einen Abiturienten, mit Erfahrung, der möglichst schon kurzfristige Soziale Dienste geleistet hat, der psychisch stabil ist und aus gutem Haus kommt.‹«196 191 FSJ Arbeitskreis freiwillige Soziale Dienste, [Tabelle ohne Titel, 1975], ADE, HGST 4837; FSJ Arbeitskreis freiwillige Soziale Dienste, Diakonisches Jahr (FSJ) und Jugendarbeitslosigkeit, ADE, HGST 4837; M. Held, Das Projekt »Beratung und Hilfe für junge Arbeitslose« Fazit und Ausblick nach einem Dreivierteljahr, 13. Okt. 1978, ADE, HGST 6152. 192 AWO, 25. Okt. 1982, ADE, HGSt, 6164. 193 Archiv des BDKJ, Kath. Jugendhaus, 3501/3 FSJ-Situation in Bayern und daraus resultierende Entscheidungen [1978]. 194 Im Gespräch: Wilhelm Gerwig über Freiwillige Soziale Dienste, in: Evangelische Jugendinformation, 1983, Nr. 7. 195 Ebd. 196 Ebd.

307

In der Tat beklagten die Freiwilligenorganisationen seit den späten siebziger Jahren, dass immer häufiger Problemfälle auftraten, dass etwa vermehrt suizid­ gefährdete sowie alkohol- oder drogenabhängige Jugendliche teilnahmen. Geschätzt wurde ihr Anteil auf zehn Prozent.197 Solche Einschätzungen standen im Einklang mit der verbreiteten Wahrnehmung in der Krisenstimmung der siebziger und achtziger Jahre, als Jugend wieder zu einem »allgegenwärtigen Thema politischer Diskussionen« wurde, nachdem sie vor 1968 zeitweilig etwas weniger Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte.198 Vor allem der Drogenkonsum, aber auch eine steigende Selbstmordrate wurden als neue Jugendprobleme in den Medien stark diskutiert.199 Die Organisationen forderten daher vom Familienministerium eine höhere finanzielle Unterstützung für das FSJ, um eine bessere pädagogische Begleitung der Freiwilligen zu gewährleisten.200 Die Bevorzugung von Abiturientinnen und Abiturienten schien der Weg des geringeren Widerstandes zu sein. Doch konnten die Trägerorganisationen ihm auch direkte Vorteile abgewinnen. Es bestünden, so argumentierte der Arbeitskreis Freiwillige Soziale Dienste 1978, »gerade bei Abiturienten Defizite«, die mit dem FSJ ausgeglichen werden könnten. Die »Entwicklung der denkerischen Welterfassung, Weltbewältigung, die Handhabung der Materie« am Gymnasium habe die Jugendlichen in der »Entwicklung des Fühlen-Könnens, des subjektiven eigenständigen Stellungnehmens, der Selbstkongruenz verkümmern lassen«.201 Daher erweise sich eine »Nachentwicklung« auf diesen Gebieten als notwendig. Überdies sei es die Erfahrung der Gymnasiasten, »nach Leistung bewertet« zu werden, so griff man die seit Ende der sechziger Jahre gängige Kritik des Leistungsdenkens auf. Auch hinsichtlich dieser Weltsicht könne das Freiwilligenjahr insbesondere den Abiturientinnen und Abiturienten ein Korrektiv bieten. Neben den vermeintlichen Defiziten der Gymnasialausbildung, die das Sozialjahr beheben sollte, wurde die Bevorzugung von Abiturienten bei der Platzvergabe mit dem Hinweis auf deren zukünftige Aufgaben legitimiert. Zu welchen Konsequenzen die Politik, »privilegierte Jugendliche (Abiturienten) zu privilegieren«, nach dem Wunsch der Trägerorganisationen führen sollte, malte das Diakonische Werk 1975 folgendermaßen aus: 197 Erfahrungsbericht zum Prob. al. Jugendliche im FSJ, ADE, HGSt 6167; FSJ und Arbeitslose, Jugendliche Erfahrung 1978, AK FSJ der Trägerverbände auf Bundesebene, S. 6, ADC, 921.9, Freiwilliges Soziales Jahr, Freiwillige soziale Dienst, +232.01 Gesetz zur Förderung des freiw. Sozialen Jahres, Fasz 01; BA, B 189/5796, 2665–459-(22), DPWV, Das Freiwillige Soziale Jahr im DPWV, Jahresbericht 1971; Referat Freiwilliges soziales Jahr (FSJ) des BDKJ in der Erzdiözese München und Freising (Sozialreferat BDKJ), Herbstversammlung BDKJ 6.–8. Okt. 1978, ABDKJ, A 3501/3. 198 Vgl. Hornstein, S. 668. 199 Vgl. Raithel, S. 94 f.; zur Wahrnehmung der Jugend allgemein, S. 87–103. 200 Notiz über den Telefonanruf von Herrn Ministerialrat Juncker, BMJFG vom 13. Sept. 1977, ADE, HGSt 6167. 201 Freiwilliges Soziales Jahr und arbeitslose Jugendliche, Erfahrungen 1978, AK fsd/fsj der Trägerverbände auf Bundesebene, ADC 921.9, Freiwilliges Soziales Jahr, Freiwillige soziale Dienst, +232.01 Gesetz zur Förderung des freiw. Sozialen Jahres, Fasz 01.

308

»Die Jugendlichen, die an Fachhochschulen und Universitäten studieren werden, werden voraussichtlich später in Positionen tätig sein, in denen sie zur Prägung unserer Gesellschaft wesentlich beitragen können (zum Beispiel im Blick auf Führungsstile, Wertorientierungen, Einstellung zu Randgruppen…). Es ist also entscheidend, durch welche Lernerfahrungen diese Jugendlichen geprägt werden bzw. welche Erfahrungen sie ihrem künftigen Handeln zu Grunde legen werden.«202

Dass man sich dazu bekannte, in besonderer Weise die künftige Elite fördern zu wollen, war Teil  eines Einstellungswandels. Elitedenken war im Zuge der »1968er«-Bewegung in die Kritik geraten. Dessen war man sich bewusst und bemühte sich daher darum, diese Zielsetzung mit den gesellschaftskritischen Perspektiven der Neuen Linken in Einklang zu bringen. Andernorts begründeten die Trägerorganisationen das soziale Ungleichgewicht unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern nicht mit der eigenen Auswahlpraxis, sondern machten die allgemeine Konzeption des FSJ dafür verantwortlich. In der Vorbereitung eines speziellen Programmes für arbeitslose Jugendliche im Diakonischen Jahr hieß es: »Wir können nur Leute aufnehmen, bzw. es melden sich nur Leute, die mit den 150 DM mtl. leben können, d. h. sie müssen idealistisch angehaucht sein, Eltern im Hintergrund haben, die die Tätigkeit im Sozialen Jahr abdecken können und wollen. An die eigentlich arbeitslosen Jugendl. und unterprivilegierten kommen wir mit der Form, die jetzt im Diak. Jahr läuft, nicht heran.«203

Bemerkenswert ist, dass der Autor nicht nur materielle Gründe für die je nach sozialer Herkunft unterschiedliche Attraktivität des Dienstes ausmachte. Vielmehr erklärte er gleichzeitig auch den als notwendig angesehenen Idealismus zu einem Kennzeichen der gebildeten Schicht. Dennoch ging er davon aus, dass sich durch eine andere Gestaltung des Jahres und vor allem wohl durch höhere materielle Anreize auch andere Teilnehmerkreise erschließen lassen würden. Diesbezüglich machte sich bald Resignation breit. So hieß es 1978 in einem Protokoll zu einem Erfahrungsaustausch über das »Sonderprogramm«, für welches das Diakonische Werk und der BDKJ speziell jugendliche Erwerbslose angeworben hatten, die »echten Arbeitslosen« seien im FSJ »nicht am richtigen Platz«.204 Gemeint waren damit »Hauptschulabgänger, Sonderschüler, Ausbildungsabbrecher, Arbeitslose nach abgeschlossener Ausbildung und Arbeitslose aus anderen Berufen«, wie das Protokoll in Abgrenzung zu den ­Abiturienten präzisierte, die lediglich auf ihren Studienplatz warten mussten. Diesen ­Jugendlichen gehe 202 Das Diakonische Jahr/freiwilliges Soziales Jahr in Großbritannien im Kontext der Fragen zur Weiterentwicklung des Freiwilligen Sozialen Jahres, S. 1 f., ADE, ZB 1146, Bd. 1, Fürsorge für Jugendliche. 203 M. Held, Diakonische Jahr Kurhessen-Waldeck. Arbeitspapier Aus Erfahrung lernen, 01. Nov. 1976, ADE, HGST 6152. 204 Ergebnisprotokoll der Sitzung des Arbeitskreises FSJ/FSD Trägerverbände, 23. Nov. 1978 im Willhelm Polligkeit Institut in Frankfurt, ADC, 921.9, Freiwilliges Soziales Jahr, Freiwillige soziale Dienst, +232.01 Gesetz zur Förderung des freiw. Sozialen Jahres, Fasz 01.

309

es allein um »Arbeitsplatz« und »Verdienst« und ihnen fehle daher die richtige »Grundmotivation«, die für einen Freiwilligendienst Voraussetzung sei: »[S]ie wollen ihre Arbeitskraft nicht verschenken.« Auch hier hielt man also Idealis­ mus für bildungsabhängig. Reiner Pragmatismus war offenbar nicht erwünscht – und anders, als es sich Mitte der sechziger Jahre durchgesetzt hatte, betonten die Trägerorganisationen nun wieder die Bedeutung des Idealismus für die Freiwilligendienste. Die hier geäußerte Erklärung für die Schwierigkeiten mit sozial schwächer gestellten Freiwilligen knüpfte an das traditionelle Modell der Wohlfahrtspflege als Klassenphänomen an, in dem private Wohltätigkeit als Domäne des Bürgertums galt, das über ausreichend Zeit und Geld verfügte und sich Wohltätigkeit daher im Gegensatz zur Arbeiterklasse leisten konnte. Zu dieser Deutung griffen auch die Referenten der Jahrestagung der Trägerorganisationen Freiwilliger Sozialer Dienste 1982, um das Übergewicht der Abiturientinnen und Abiturienten bei den Freiwilligendiensten zu erklären, verzichteten nun aber darauf, die Veränderungsfähigkeit der Gesellschaft zu betonen, wie es in den ausgehenden sechziger und beginnenden siebziger Jahren üblich gewesen war: »Freiwilligkeit ist ein typischer Mittelschichtsbegriff. Die Erfahrung der Freiwilligkeit kann nicht in allen Bildungsschichten gleichermaßen gemacht werden«, konstatierte das Tagungsprotokoll in der Zusammenfassung einer Diskussion über neuerliche Pflichtjahrespläne.205 Zwar mied der Protokollant die aus der Mode gekommenen und negativ besetzten Begriffe »Bürgertum« oder »Bürgerlichkeit« und sprach stattdessen zeittypisch von »Mittelschicht«, dennoch ähnelte auch diese Diagnose dem alten Verständnis sozialer Dienste als bürgerliche Wohltätigkeit, wie sie in den späten sechziger und frühen siebziger Jahren in der Kritik gestanden hatte.206 Unter den Erklärungsversuchen der Trägerorganisationen findet sich kein Hinweis darauf, dass sie auch reflektierten, inwieweit möglicherweise ihre eigene Neukonzeption des Sozialjahres dessen Attraktivität bei Abiturientinnen und Abiturienten gesteigert, bei Jugendlichen mit niedrigeren Schulabschlüssen indes gesenkt haben könnte. Dass sie der Theorie in den Begleitseminaren eine höhere Bedeutung zugesprochen und sich so stark auf die der Protestbewegung nahestehende Jugend eingestellt hatten, kam Letzterer sicherlich entgegen, andere Jugendliche indes konnten dem kein großes Interesse abgewinnen.207 Der Anstieg der Abiturientenzahlen mag daher auch seinerseits abschreckend auf Interessenten anderer Bildungsschichten gewirkt haben, sofern bei den Freiwilligendiensten dem Gruppenleben der Teilnehmerinnen und Teilnehmer noch eine große Bedeutung beigemessen wurde. 205 Protokoll der Jahrestagung FSD vom 8.–12. November 1982 in der Freizeit- und Bildungsstätte Hannover, S. 4, ZADN, D 5/2–28. 206 Zur Begriffsgeschichte von »Bürgertum« und »Bürgerlichkeit« nach 1945 siehe Siegrist. 207 E. Förtsch, Erfahrungen mit politischer Bildung im FSJ, in: Tübinger Brief, Jg. 20, 1974, Nr. 1, S. 18.

310

Vor allem die das Dienstjahr begleitende Seminararbeit wurde durch die unterschiedlichen Bildungsvoraussetzungen erschwert. Bereits 1964 bedauerte beispielsweise ein ausgebildeter Schlosser, sein Einsatz bei Aktion Sühnezeichen sei durch den unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern herrschenden Bildungsunterschied beeinträchtigt worden, der in seinen Augen »bewußt ausgespielt wurde«.208 Solche Schwierigkeiten wuchsen mit der angestrebten »Intellektualisierung« in den ausgehenden sechziger Jahren. Verstärkt wurden sie bei der Aktion Sühnezeichen außerdem durch den Zustrom von Zivildienstleistenden, die in den siebziger Jahren in der großen Mehrzahl Abiturienten waren.209 1970 berichteten die Protokolle der Vorbereitungsseminare von »Spannungen«, die »zwischen Volksschülern und ›angeblich höheren‹ Schülern« aufgetreten seien. Letztere hätten »zu viele Fremdwörter gebraucht«, ohne diese zu erklären. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit niedrigeren Bildungsabschlüssen, so wurde moniert, hätten sich aufgrund ihrer schwächer ausgebildeten Kommuni­ kationsfähigkeit »intellektuell unterdrückt« gefühlt.210 1975 klagte ein Teilnehmer der Aktion Sühnezeichen: »Irgendwie war auf dem Treffen ständig ein Druck vorhanden, auszuarbeiten, zu theoretisieren, Ergebnisse vorzuweisen usw. […] ASF spielt […] oft das Abiturientenspiel mit und fördert es manchmal sogar (oft werden in der Vorbereitung z. B. zu hohe Ansprüche aufgebaut).«211 Und Ende der siebziger Jahre hieß es ebenfalls in einem Evaluationsbogen zu einem Vorbereitungsseminar der Aktion Sühnezeichen, auf Bildungsunterschiede sei »keine Rücksicht« genommen worden, die Seminargestaltung habe sich vielmehr allein an den Abiturienten orientiert.212 Die von der Protest­bewegung angestrebte Egalisierung blieb in diesem Punkt ein unerreichtes Ideal. b. Das zerrissene Image der Freiwilligendienste Die hohe Sensibilität gegenüber gesellschaftlichen Ungleichheiten und sozialer Diskriminierung war charakteristisch für den durch die Neue Linke angestoßenen Einstellungswandel bei den Trägerorganisationen. Die schärfer werdende Kritik seitens der Freiwilligen war aber nun nicht mehr nur Teil der Systemkritik, die im Zuge der Studentenbewegung laut wurde. Die Unzufriedenheit unter

208 Fragebogenaktion ehemaliger Freiwilliger, Fragebogen Nr. 69, EZA, 97/702. 209 Dabei war der Zivildienst selbst von einer »dramatischen Veränderung in der sozialen­ Zusammensetzung« betroffen, da seit den ausgehenden sechziger Jahren die Zivildienstleistenden den Wehrdienst nicht mehr wie zuvor vorwiegend aus religiösen, sondern zunehmend aus politischen Gründen verweigerten, vgl. Bernhard, Von Jesus, S. 279. 210 [Protokoll eines Vorbereitungsseminars], 9. Okt. 1970; Bericht über die Vorbereitung der XVIII Israelgruppe 3. Nov. [1970], EZA, 97/730 211 Bericht über ein Halbjahrestreffen [1975], EZA, 97/2/1984. 212 Auswertung des Vorbereitungsseminars, Sept. 1979, EZA, 87/789, Israelgruppen 1978–1979, Vorbereitung, allgemeine Vermerke, Korrespondenz und Berichte.

311

ihnen wuchs nicht zuletzt, weil sie das Jahr zunehmend als Notlösung betrachteten. Der Trend, dass bei der Rekrutierung die Türen immer weiter auch solchen Jugendlichen geöffnet wurden, die das Sozialjahr vor allem aus Nützlichkeitsüberlegungen heraus absolvierten war nicht erst durch die angespannte Arbeitsmarktlage, sondern schon Ende der sechziger Jahre auch durch die gesetzgeberische Einflussnahme weiter vorangetrieben worden. Auf Wunsch des Familienministeriums, aber gegen das Votum der konfessionellen Trägerverbände war 1968 eine Gesetzesänderung beschlossen worden, die auch ­16-Jährige zum FSJ zuließ. Damit sollten speziell Realschulabgängerinnen angeworben werden, die noch nicht das Mindestalter von 18 Jahren erreicht hatten, das erforderlich war, um eine Ausbildung für einen Pflegeberuf zu beginnen.213 Nun waren es aber nicht mehr nur Jugendliche mit Mittlerer Reife, die Wartezeiten zu überbrücken hatten, sondern auch Abiturientinnen und Abiturienten. Bei der Aktion Sühnezeichen konstatierte man 1986 als Konsequenz: »Eine nicht zu übersehende utilitaristische Motivation vieler Freiwilliger führt wohl zwangsläufig in dem einen oder andern Fall zu vorzeitigen Abbrüchen bzw. entsprechenden Fluchttendenzen.«214 Auch die anderen Organisationen beklagten, dass ihre Arbeit durch steigende Abbrecherquoten erschwert werde.215 War die öffentliche Berichterstattung über die Freiwilligendienste bis Ende der sechziger Jahre gemeinhin positiv gewesen, so änderte sich dies zu Beginn der siebziger Jahre. In den Medien kamen nun mehrfach Freiwillige zu Wort, die ihren Dienst ohne jegliche Euphorie verrichteten. Es lässt sich schwer einschätzen, inwieweit diese zunehmende Kritik auf die gesunkene Motivation zurückzuführen ist und inwieweit auf eine gleichzeitige Verschlechterung der Arbeitsbedingungen, die ebenfalls aus dem Ausbau der Freiwilligendienste und aus der angespannten Arbeitsmarktlage resultiert haben mag. Hinzu kam, dass zum einen insgesamt die Ansprüche an die Arbeitsbedingungen gewachsen waren, zum anderen mit der Kritik der Neuen Linken die Aufmerksamkeit gegenüber der Situation von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gewachsen war. Alle diese Faktoren verstärkten sich wechselseitig. In der »Zeit« berichtete schon 1971 eine Freiwillige kritisch über die Erfahrungen während ihres Dienstjahres.216 Im Rückblick erschien ihr die Einrichtung des FSJ als ein »Freibrief zur Ausnutzung billiger Arbeitskräfte«. Lange Arbeitszeiten, Überstunden, häufige

213 Allg. Bund der Katholischen Jugend, 17.  Jan. 1968, ABDKJ, A 2265-(19); M. König, Ergänzung zum Vermerk von Herrn Dr. Müller Schöll an Herrn Präsident Dr. Schober, betr. Gesetz zur Förderung sozialer Hilfsdienste, ADE, ADW HGSt, III 252 Diakonisches Jahr, 2474, Motivanalysen. 214 J. Eschenauer, Bericht für den Vorstand und die Mitgliederversammlung über die Arbeit der ASF in Frankreich 1985/86, Paris im April 1986, S. 2, EZA, 97/787. 215 Ergebnisprotokoll der Sitzung des Arbeitskreises FSJ/FSD Trägerverbände am 16. Dez. 1976, ADC, 921.9, Freiwilliges Soziales Jahr, Freiwillige soziale Dienst, +232.01 Gesetz zur Förderung des freiw. Sozialen Jahres, Fasz 01. 216 M. Wichmann, Zuwenig Geld, zuwenig Freizeit, in: Die ZEIT, 13. Aug. 1971, Nr. 33, S. 42.

312

Wochenendarbeit, unzureichender Urlaub sowie mangelnde Entscheidungsspielräume bei der Freizeitgestaltung stünden in keinem Verhältnis zu dem geringen Taschengeld, das »nicht einmal für das Notwendigste« ausreiche und eine zusätzliche finanzielle Unterstützung der Eltern erforderlich mache. Kindern aus einkommensschwachen Haushalten sei aus diesem Grund von einem Freiwilligendienst abzuraten. Seit Mitte der siebziger Jahre nahm die Frustration unter den Freiwilligen zu. Im Januar 1975 brachte der Sender Freies Berlin eine Fernsehsendung mit dem Titel »Das unsoziale Jahr?«, in dem der Tenor der interviewten Freiwilligen sogar noch ablehnender ausfiel.217 Ähnlich kritische Stimmen durchziehen die­ gesamten siebziger und achtziger Jahre. Eine Gruppe von Freiwilligen beanstandete 1981 in einem offenen Brief an den Bundesminister für Arbeit und Soziales Herbert Ehrenberg die Arbeitsbedingungen im FSJ. Die Betonung der Freiwilligkeit war in ihren Augen nur ein Instrument, mit dem »jegliche Kritik an den Verhältnissen im Keim erstickt« werde.218 Und die »Stuttgarter Zeitung« gab 1986 die Aussagen einer Gruppe von Freiwilligen wider, die in einem Protestschreiben ihre aus dem Sozialjahr gewonnene Erfahrung dargelegt habe, dass freiwilliges Engagement vor allem Ausbeutung bedeute. Angelehnt an den Diskurs der Neuen Linken beklagte die Gruppe darüber hinaus, dass mit dem Sozialjahr Missstände im Pflegesektor nicht behoben, sondern aufrechterhalten würden.219 Ein ähnlich formulierter Artikel erschien einen Monat später in der ökumenischen Monatsschrift »Publik-Forum«.220 Darin beklagten die Autoren, dass ihr Wunsch zu helfen, der anfänglich große Bedeutung für sie gehabt habe, nun, nachdem sie »den Sozialstaat Bundesrepublik am eigenen Leib erfahren« hätten, verpufft sei. Stattdessen hegten sie Zweifel, »ob man in diesem System, unter diesen Bedingungen überhaupt menschlich helfen kann, ohne selbst ›entmenschlicht‹ zu werden«. Dass weder die Freiwilligen noch festangestellte Kräfte sich gegen die schlechten Arbeitsbedingungen wehren würden, liege einerseits an der Arbeitsmarktlage, andererseits an den hierarchischen Strukturen, die im Pflegesektor herrschten und in denen die Freiwilligen als »letztes Glied in der Kette« rangierten.

217 Protokoll Nr. 14 der Tagung des Arbeitskreises Freiwillige Soziale Dienste, 12./13. Nov. 1974 auf Schloß Schanberg b. Kitzingen; Protokoll Nr. 16 der Tagung des Arbeitskreises Freiwillige Soziale Dienste, 13./14. Febr. 1975 in Frankfurt a. M., beide Dokumente: ADE, ADW HGSt, 6108. 218 Offener Brief an den Bundesminister für Arbeit und Soziales Herrn Ehrenberg, FAJ Gruppe 440, Münster 22. April 1981, ADC, 921.9, Freiwilliges soziales Jahr/Dienst 020 Arbeitskreis der Trägerverbände auf Bundesebene 1976–1983, Fasz 2. 219 Dem Sozialen Jahr folgt oft Ernüchterung, in: Stuttgarter Zeitung, 10. Mai 1986, ZADN, 5/2–28. 220 Diez. Es ist nicht auszuschließen, dass der Artikel ebenfalls aus der Feder der zuvor erwähnten Freiwilligengruppe stammte.

313

Während die Autorin des »Zeit«-Berichts noch versichert hatte, sie werde den Sozialdienst trotz ihrer Kritik »jederzeit weiterempfehlen«, da das Wichtigste für sie die Arbeit mit den Kranken gewesen sei, die sie »nicht enttäuscht« habe, rieten kritische Freiwillige seit Mitte der siebziger Jahre teilweise von einem Sozialjahr ab, so etwa die in dem Artikel der »Stuttgarter Zeitung« zitierten Freiwilligen. Das Blatt fasste zusammen, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des FSJ zögen vielfach eine »ernüchternde, teilweise fast gar verbitterte Bilanz«.221 Mit der lautstarken Kritik der Freiwilligen, die das Sozialjahr der späten siebziger und achtziger Jahre deutlich von dessen Anfangszeit unterschied, lief allerdings gleichzeitig ein gegenläufiger Trend einher: Das FSJ wurde in der Öffentlichkeit bekannter und sein Ruf verbesserte sich in vielerlei Hinsicht. Eine Reihe von Gründen bedingte diesen Imagewandel: Erstens wuchs das Prestige des­ Sozialdienstes mit der zunehmenden sozialen Exklusivität. Waren längerfristige Freiwilligendienste bis in die sechziger Jahre vielfach noch als eher hinderliche Unterbrechung der beruflichen Laufbahn oder gar als möglicher Karriereknick betrachtet worden, galten sie nun zweitens nicht nur als eine sinnvolle Not­lösung, um Wartezeiten zu überbrücken, sondern wurden bald sogar als karrierefördernde Zusatzqualifikation geschätzt. Das Sozialjahr wurde kaum mehr als Disziplinierungsinstitution angesehen. Stattdessen bewerteten es auch die Eltern und Bekannten der Freiwilligen zunehmend so, wie es von den Trägerorganisationen seit Mitte der sechziger Jahre immer offensiver präsentiert wurde: als Möglichkeit zur Berufsfindung und zur persönlichen Selbstentfaltung. Damit ging drittens einher, dass das FSJ immer seltener mit dem nationalsozialistischen Arbeitsdienst identifiziert wurde. Zur Aufwertung trug viertens das sich zunehmend verbessernde Ansehen der Sozialberufe insgesamt bei, für die sich einerseits im Laufe der sechziger Jahre die Arbeitsbedingungen deutlich verbessert hatten und deren Prestige andererseits durch eine i­nten­ sivere und teilweise sogar akademische Ausbildung stieg.222 In Wechselwirkung mit dieser Imageverbesserung der Sozialberufe wie auch des Sozialjahres stand schließlich fünftens wohl auch die wachsende Anerkennung des Zivildienstes im Laufe der siebziger und vor allem der achtziger Jahre. Pflegeberufe blieben zwar im Großen und Ganzen eine stark weiblich geprägte Domäne, gewannen aber dennoch auch bei Männern an Akzeptanz. Außerdem verbreitete sich durch den Zivildienst der Gedanke, zwischen Schulabschluss und Aus­bildungs- oder Studienbeginn ein Jahr praktischer Arbeit und sozialer Erfahrungen einzuschieben.

221 Dem Sozialen Jahr folgt oft Ernüchterung, in: Stuttgarter Zeitung, 10. Mai 1986, ZADN, 5/2–28. 222 Kreutzer, S. 230–254; Amthor, S. 409–538. Zum Bild der Krankenpflegeberufe Anfang der sechziger Jahre vgl. auch Institut für Demoskopie, S. 17, S. 72 f.

314

c. Die Neubewertung des Welfare State: Politische Aufwertung der Freiwilligenarbeit in Großbritannien Der britische CSV-Dienst hatte schon in seiner Anfangszeit kaum unter Imageproblemen zu leiden gehabt. Im Laufe der siebziger Jahre gewann er weiter an Bekanntheit. Er profitierte dabei davon, dass die Bedeutung von Freiwilligendiensten im Wohlfahrtsstaat seit etwa Mitte der sechziger Jahre in Großbritannien stark diskutiert wurde und allgemein einer Neubewertung unterlag. Zum einen ist dies ebenfalls aus dem Misstrauen zu erklären, das die Neue Linke staatlichen Instanzen entgegenbrachte und das wie in der Bundesrepublik auch in Großbritannien dazu führte, dass in den siebziger Jahren eine Vielzahl von Selbsthilfeorganisationen aus dem Boden schoss.223 In allen politischen Lagern wuchsen zum anderen angesichts der zunehmenden finanziellen Engpässe grundsätzliche Zweifel an der Leistungskraft staatlicher Wohlfahrt. Das prominenteste Beispiel für den Stimmungsumschwung ist wohl Richard C ­ rossman, der über lange Jahre eine führende Rolle in der Labour-Partei gespielt hatte und als Kabinettsmitglied in den sechziger Jahren unter anderem für den Wohnungsbau zuständig gewesen war. Crossman hatte zu Beginn seiner politischen Karriere in den dreißiger Jahren zu den Kritikern freiwilliger Sozialarbeit gehört. 1973 hingegen pries er deren wichtige Bedeutung in einem an der Universität Oxford vorgetragenen Grundsatzreferat zum Thema »The Role of the ­Volunteer in the Modern Social Service«.224 Darin richtete er sich zum einen gegen die seitens der Neuen Linken geäußerte Kritik an Freiwilligendiensten und gestand zum anderen selbstkritisch ein, seine eigene Partei und auch er selbst habe lange Zeit verkannt, dass freiwilliges Engagement für den Zusammenhalt der Gesellschaft unverzichtbar sei. Die Aufwertung, die der Freiwilligensektor erfuhr, spiegelt sich auch in wissenschaftlichen Studien sowie in verschiedenen teils unabhängigen, teils von der Regierung angeforderten Berichten zum britischen Sozialsystem: Der unter Leitung des Bankers und Philantropen Frederic Seebohm ausgearbeite und 1968 publizierte Seebohm-Report hielt die Arbeit der Freiwilligenorganisationen für ein wichtiges Feld der Bürgerbeteiligung. Die Autoren sprachen sich aber dagegen aus, essentielle sozialstaatliche Aufgaben an Freiwillige oder Freiwilligenorganisationen zu übertragen, maßen ihnen aber dennoch eine wichtige Bedeutung zu, denn in ihrer Unabhängigkeit könnten sie eine »­ critical and ­pioneer role« einnehmen. Ihre Funktion sei es, zum einen neue Bedarfssituationen aufzuspüren, zum anderen als Kontrollinstanz zu dienen, um Schwächen des staatlichen Wohlfahrtssystems aufzudecken und »misuse of bureaucratic and professional power« einzuschränken.225 Ganz ähnlich argumentierte der 1966 vom National Council for Social Service und dem National ­Institute for ­Social 223 Finlayson, Citizen, S. 305–329. 224 Crossman. 225 Committee on Local Authority and Allied Personal Social Services, S. 151–154.

315

Work Training in Auftrag gegebene und 1969 veröffentlichte A ­ ves-Report, der unter der Federführung Dame Geraldine Aves’ erstellt und dem Thema »The voluntary Worker in the social services« gewidmet war. Die Autoren beobachteten ein neu erwachtes Interesse an Freiwilligen, warnten aber ebenfalls eindringlich davor, sie als Ersatz für bezahlte Angestellte zu verwenden, vielmehr sollten sie als »extention of and compliment to qualified staff« fungieren.226 1970 erschien dann die einflussreiche Studie »The Gift Relationship« des an der London School of Economics lehrenden Sozialwissenschaftlers Richard­ Titmuss, der sich darin vor allem gegen die Kommerzialisierung sozialer Dienste aussprach und am Beispiel der Blutspende die soziale Funktion freiwilliger Sozialleistungen analysierte. Der Wert einer solchen Leistung liege insbesondere in der Sinnstiftung und persönlichen Erfüllung, die der Gebende aus ihr ziehe. Titmuss postulierte daher »a right to give«.227 Der vom Joseph Rowntree M ­ emorial Trust und dem Carnegie United Kingdom Trust in Auftrag gegebene Wolfenden Report schließlich ging davon aus, dass es der staatlichen Wohlfahrt nicht gelingen könne, die Interessen der Bürger genügend zu berücksichtigen, und hielt Freiwilligenarbeit für eine Partizipationsmöglichkeit, die diesem Mängel entgegenwirken könne. Aber auch hier wollten die Autoren in keiner Weise die zentrale Rolle des Staates als Garant der Sozialleistungen in Frage stellen. Freiwillige sollten in ihren Augen ebenfalls nur ergänzende Aufgaben übernehmen.228 Auch Pflegeeinrichtungen in Großbritannien bemühten sich in dieser Zeit wieder stärker um freiwillige Zusatzkräfte. »There has been an explosion in ­demands from social services and other community-based projects for the ­services of our volunteers«, berichtete Allan Scott, der stellvertretende Direktor von CSV, 1974. »More and more volunteers are needed all the time«.229 Ähnlich konstatierte eine Studie über die Organisation Task Force, die Besuche und Hilfsleistungen jugendlicher Freiwilliger für Senioren vermittelte, ein Jahr später: »[T]he scope, scale, political and administrative importance of volunteer work appears to be on the increase«.230 Die Autoren der Studie hielten daran fest, dass Sozialleistungen des Freiwilligensektors nur ein »supplement to state services« darstellen sollten. Durch die über die beiden vorausgegangenen Jahrzehnte deutlich gesteigerten staatlichen Ausgaben im sozialen Sektor seien diese zusätzlichen Sozialleistungen unverzichtbar, da mit steigendem Wohlstand, sozialem Wandel und technischem Fortschritt auch die Nachfrage nach sozialen Diensten wachse.231 226 Aves, S. 22 f, S. 86 f., S. 91, S. 182 f., S. 195. 227 Titmuss, S. 237. 228 Wolfenden, S. 24–29. 229 S. Young, Vounteers for the concrete jungles, in: Church Times, 25. Okt. 1974, ohne Seitenangabe, ACSV, AGD/C1/68. 230 Hadley u. a., S. 3. 231 Ebd., S. 5.

316

Andere indes betonten, der Wohlfahrtsstaat sei überlastet. Alec Dickson etwa hatte schon Anfang der siebziger Jahre zu dramatischen Bildern gegriffen, um in einer pessimistischen Einschätzung der Zukunft des Sozialstaats für die Stärkung von Freiwilligen- bzw. Pflichtdiensten zu werben. »[W]hen social services essential to the nation’s well-being are in jeopardy, why should it be more derogatory to hope that young people may step into the breach than it would be in a war-time situation«, fragte er 1971 in einem Aufsatz. Anstatt Jugendsozialdienste zynisch als »gap-filling« zu bespötteln, sei es viel angebrachter, sie als »front-line relief« zu charakterisieren.232 Damit sprach er freiwilligem Engagement einen noch wichtigeren Platz zu als die Autoren der Task-Force-Studie. Wieder trat hier Dicksons nostalgische Verklärung kriegerischen Heldentums zutage, welche für die Gründung seiner beiden Freiwilligenorganisationen eine so wichtige Rolle gespielt hatte. Noch eine andere Wendung gab die Neue Rechte der Diskussion. Sie begann Freiwilligenarbeit als Ersatz für bislang staatlich getragene Wohlfahrtsleistungen zu propagieren. Anstatt zu fragen, inwieweit der Staat Sozialleistungen erbringen könne, argumentierte sie, dass er sie nicht erbringen solle.233 Als ­Margaret Thatcher 1979 das Amt der Premierministerin übernahm, wurde diese Linie zur Regierungspolitik. Mit dem Ziel der Neujustierung des Verhältnisses zwischen Staat und Freiwilligensektor ging sie entschieden in die Offensive und lancierte einen massiven staatlichen Feldzug zur Mobilisierung von freiwilligem Engagement, der die unter ihrer Regierung in Angriff genommenen Kürzungen staatlicher Wohlfahrt abfedern sollte.234 Der Vorstellung, dass Wohlfahrt durch den Staat zu garantieren sei und Freiwillige nur ergänzende Aufgaben übernehmen sollten, hielt Thatcher entgegen: »I believe that the volunteer movement is at the heart of all our social welfare provision; that the statutory services are the supportive ones, underpinning where necessary, filling the gaps and helping the helpers.«235 Die viktorianische Epoche, also die Zeit vor der Einführung des Welfare-Systems, pries sie als goldenes Zeitalter der Mitmenschlichkeit.236 In früheren Zeiten sei es allen Menschen selbstverständlich gewesen, »[t]hat the only effective way to reach all those who need help is through the voluntary ­service of millions of individuals who do what they can because they want to«. Diese Haltung, so implizierte die Premierministerin, sei im Wohlfahrtsstaat verkommen. Ihrer Aufforderung an die Briten, freiwilligem Engagement wieder mehr Bedeutung zukommen zu lassen, suchte sie Gewicht zu verleihen, indem sie an das traditionelle nationale Selbstbild appellierte: Das »voluntary principle« sei, so Thatcher, »so very characteristic of the way of life in Britain«. 232 Dickson, Volunteers, S. 194. 233 R. Hadley u. A. Webb, Vindicating the volunteer, in: The Times, 9. Mai 1975, S. 8. 234 Vgl. P. Healy, Volunteer role put in danger, in: The Times, Monday, 7. Sept. 1981, S. 2. 235 Thatcher, Zugriff: 21. Jan. 2014; vgl. Sheard, Volunteering, S. 19. 236 Vgl. zur Thatchers Verklärung bestimmter Aspekte der Vergangenheit und zu dem Lob der »Victorian Values«, das sie zu vielfältigen Gelegenheiten aussprach, Samuel, S. 330–348.

317

Auch auf die Jugendfreiwilligendienste warf Thatcher in diesem Zuge ein Auge. Im Juli 1980, ein gutes Jahr, nachdem sie zur Premierministerin gewählt worden war, lud sie Alec Dickson, Elisabeth Hoodless, die zu diesem Zeitpunkt Geschäftsführerin von CSV war, und einen weiteren Mitarbeiter der Organisation ein, um mit ihnen Mittel zur Reduzierung der Jugendarbeitslosigkeit zu diskutieren. Thatcher versprach, für spezielle auf diesen Zweck ausgerichtete Programme der Organisation die finanzielle Unterstützung aus der Staatskasse zu steigern.237 Die Organisation bot im Gegenzug an, die Zahl der Freiwilligen um 2.000 zu erhöhen.238 Allerdings setzte sich nach dem Treffen auf Regierungsseite die Überzeugung durch, Freiwilligendienste wie derjenige von CSV seien zu teuer und daher nur in kleinem Rahmen förderungswürdig. Die billigere Weise, Jugendliche an den Arbeitsmarkt heranzuführen, seien Praktika, so die Überzeugung der auf die Marktlogik setzenden Premierministerin.239 d. Die Auswirkungen der Erwerbslosigkeit auf die britischen Dienste Wie bei den deutschen Jugendfreiwilligendiensten stiegen bei der britischen Organisation CSV aufgrund der anwachsenden Arbeitslosigkeit seit Anfang der siebziger Jahre die Teilnehmerzahlen wie nie zuvor.240 1973 feierte die Organisation, die inzwischen über ein Team von 30 angestellten Mitarbeitern verfügte, den Einsatz des 10.000 Freiwilligen seit der Gründung, 1980 hatten mehr als 30.000 Jugendliche einen CSV-Dienst abgeleistet.241 Zu Beginn der achtziger Jahre verzeichnete die Organisation einen noch stärkeren Bewer­ber­ ansturm, den sie auch selbst auf das sich weiter verschärfende Problem der Jugendarbeitslosigkeit zurückführte.242 Tatsächlich galten die Freiwilligendienste auch in Großbritannien mehr und mehr als sinnvoller Ersatz für die Erwerbstätigkeit. So empfahlen nun etwa die Jugendseiten der Tageszeitungen jungen Arbeitslosen Freiwilligenarbeit, da sie so Berufserfahrungen sammeln und ihre­ 237 From the Private secretary, T. P. Lankester, Downing Street 10, 3. Juli 1980, TNA, PREM 19/369. 238 E. H[oodles], 7. Juli 1980, S. 2; CSV, Estimate of Financial Resources Required to Increase Volunteer Programmes, beide Dokumente TNA, PREM 19/369. 239 Secretary of State for Employment, Prime Minister, TNA, PREM 19/369; vgl. Sheard,­ Volunteering, S. 20–24. 240 CSV, Annual Report 1975/76, S. 4, ACSV, AGD/C1/9, Annual Reports 1968–80. 241 A. Dickson, A Domestic Development Service for West Germany? [ohne Datum], S.  2, ACSV, AGD/H1/17, Articles re Gap year… voluntary service in West Germany… 1970s; A. Dickson, [Manuskript ohne Titel, ohne Datum], S.  6, ACSV, AGD/C9/77, papers re united nations study on domestic youth services, reports on different countries including UK volunteer questionnaires, 1972, S. 2; I. Bradley, The Volunteers who begin their charity at home, in: The Times, 4. Juni 1980, S. 20. 242 I. Bradley, Unemployment seen as cause of more joining community volunteer force, in: The Times, 12. Jan. 1981, S. 3.

318

Einstellungschancen verbessern könnten.243 CSV hielt zwar an dem Ziel fest, allen Bewerberinnen und Bewerbern eine Einsatzstelle zu vermitteln, musste dafür aber eine Warteliste einführen. Diese wuchs jährlich etwa um 20 Prozent.244 1984 mussten 2.500 Bewerberinnen und Bewerber für Langzeitdienste eine Wartezeit in Kauf nehmen.245 Dabei war CSV nun nicht mehr konkurrenzlos, denn in den achtziger Jahren führten auch andere Organisationen Programme für Langzeitdienste ein. Das größte von ihnen war dasjenige des British Trust for Conservation Volunteers, dessen Freiwillige in Natur- und Umweltschutzprojekten arbeiteten.246 CSV blieb allerdings bei weitem der bedeutendste britische Anbieter für längerfristige Freiwilligendienste. Die Arbeitsmarktentwicklung zeitigte neben der angedeuteten Pluralisierung der Freiwilligendienste noch drei weitere Veränderungen bei den britischen Jugendfreiwilligendiensten: Sie förderte eine Europäisierung, sie führte  – wenn auch in anderer Weise als in der Bundesrepublik – zu einem Wandel der Teilnehmerstruktur und sie stieß eine Diskussion darüber an, ob nicht ein staatliches Programm für Jugenddienste eingeführt werden solle. Die Frage nach Auslandseinsätzen war in der Anfangsphase von CSV kaum diskutiert worden. Wie die Trägerorganisationen des FSJ hatte die Organisa­ tionsleitung Auslandseinsätze abgelehnt, weil »the lure of foreign travel« den­ Organisationszielen entgegenlaufe: Mit dem Ziel, in Großbritannien die Akzeptanz von Jugenddiensten zu stärken, war die Organisation, nachdem sie anfangs noch vereinzelte Auslandseinsätze zugelassen hatte, dazu übergegangen »not to accept those whose major motivation might be the chance to improve their l­ inguistic skills«. Mitte der siebziger Jahre indes, »with the Common M ­ arket and the concept of a united Europe constituting a political ideal«, begann die Organisationsleitung in dieser Hinsicht umzudenken und über einen Austausch deutscher, französischer und britischer Freiwilliger nachzudenken.247 Zunächst jedoch bremste die Arbeitsmarktentwicklung in Großbritannien die transnationale Zusammenarbeit kurzfristig: 1971 fragte die Aktion Sühnezeichen bei CSV an, ob sie bereit seien, deutsche Freiwillige an britische Einsatzstellen zu vermitteln. Alec Dickson lehnte ab, da zum einen unter jungen Briten die Nachfrage nach Freiwilligendiensten gestiegen war, zum anderen aber die Einsatzstellen sich verstärkt darum bemühten, auf lokaler Basis Arbeitslose als Freiwillige einzustellen und daher keine Community Service Volunteers mehr aufnahmen.248 Trotzdem intensivierten sich die deutsch-britischen Kontakte auf institutioneller Ebene. CSV und Aktion Sühnezeichen etwa vereinbarten den 243 M. Harris, First give yourself a job, in: The Times, 6. Juni 1983, S. 27; The Times Guide to career choice, Graduating to Job-Hunting, in: The Times, 17. Sept. 1984, S. 27. 244 A. Dickson, Brief an F. Bohn, Aktion Sühnezeichen, 28. Febr. 1972, S. 1, ACSV, AGD/C1/14. 245 C. Hughes, The voluntary way forward, in: The Times, 3. Okt. 1984, S. 10. 246 Vgl. Community Service Volunteers, Getting out. 247 A. Dickson, A Domestic Development Service for West Germany? [ohne Datum], ACSV, AGD/H1/17. 248 A. Dickson, Brief an F. Bohn, Aktion Sühnezeichen, 28. Febr. 1972, S. 1, ACSV, AGD/C1/14.

319

Austausch von Mitarbeitern, um die Arbeit der jeweilig anderen Organisation kennenzulernen.249 Mitte der siebziger Jahre schwanden bei CSV dann die Vorbehalte gegen die Aufnahme von Freiwilligen aus dem Ausland. In dieser Zeit wurden z. B. einige Plätze an junge Deutsche vergeben, die ihren Freiwilligendienst im Rahmen des Diakonischen Jahres ableisteten.250 1979/80 hatte die Organisation etwa 100 Teilnehmer aus dem Ausland vermittelt, wobei offenbar die Nachfrage ausländischer Jugendlicher noch deutlich höher lag.251 Austauschprogramme wurden nun europaweit nicht zuletzt gerade deshalb für sinnvoll erachtet, weil Auslandserfahrungen auf dem angespannten Arbeitsmarkt immer wichtiger wurden.252 Dies war in Großbritannien auch die Motivation für die Gründung einer neuen Organisation, der International Com­munity ­Education Foundation, die Schulabgänger und -abbrecher ins europäische Ausland aussandte und sie dort in Freiwilligendiensten engagierte.253 Lässt sich die verstärkte Europäisierung für die bundesdeutschen wie die britischen Dienste gleichermaßen beobachten, so schlug die zweite Veränderung, die sich in der Folge der schwierigen Arbeitsmarktsituation vollzog, in beiden Ländern eine gegensätzliche Richtung ein: Anders als die Trägerorganisationen des FSJ in der Bundesrepublik sah die Organisationsleitung von CSV die deutlich angewachsene Jugendarbeitslosigkeit und das zunehmende staatliche Interesse zunächst nicht als Bedrohung für die Freiwilligendienste. Dies lag zum einen an dem traditionell stark ausgeprägten Anliegen der Organisation, möglichst auch sozial schlechter gestellte Jugendliche für ein freiwilliges Engagement zu gewinnen. Zum anderen erklärt es sich daraus, dass die Organisationsleitung seit langem mit der Pflichtdienstidee liebäugelte. CSV hatte schon im Dezember 1975, also lange bevor Thatcher mit ihrem Anliegen an sie herantrat, mit dem Springboard Programme ein spezielles Angebot für jugendliche Arbeitslose eingeführt, das den Teilnehmerinnen und Teilnehmern den Weg für den Einstieg in den Arbeitsmarkt ebnen sollte.254 Das Programm wuchs schnell, Mitte der siebziger Jahre expandierte die Organisation allein aufgrund dieses Angebots, denn die 249 T. Studebaker, Aktion Sühnezeichen, an CSV, 21. Nov. 1972, S. 2, ACSV, AGD/C1/14. 250 CSV, Annual Report 1974/75, S.  5, Annual Report 1975/76, S.  25, CSV, Annual Report 1977/78, S. 2, alle Dokumente ACSV, AGD/C1/9. 251 CSV, Annual Report 1979/80, S.  10, ACSV, AGD/C1/9. Tatsächlich bedauerte man 1975 z. B. auch beim Diakonischen Werk, dass die Arbeitsmarktlage dem Einsatz deutscher Freiwilliger in Großbritannien enge Grenzen setzte, Einsatz deutscher Helfer in England, 1974–77, 1. Stellungnahme für Aktennotitz vom 27.6.75 von Herrn Pastor Ratz über die Beratung am 16.6.75, ADE, 4839 Ecumenical Volunteer Programm. 1975 arbeiteten fünf­ Diakonische Helferinnen für CSV. 252 A. Scott, Plenty to do in the year between, in: The Guardian, 2.  März 1976, S.  19. Vgl.­ Paulden, When Pocket Money isn’t enough, in: The Guardian, 9. März, 1976, S. 17. 253 ADE, ADW, HGSt 4839 Ecumenical Volunteer Programm, Einsatz deutscher Helfer in England, 1974–77. 254 Vgl. allgemein Community Service Volunteers Youth Employment Programmes, ACSV, AGD/C1/82; ACSV, AGD/C5/7 Papers re employment crisis and service schemes… papers re schemes, press cuttings 1978–79.

320

Teilnehmerzahlen beim herkömmlichen Freiwilligenprogramm gingen kurzzeitig zurück, während die Gesamtzahl stieg.255 1980 nahmen 1.800 Freiwillige am traditionellen Langzeitdienst teil, 1.300 am Springboard Programme und weitere an speziellen Programmen für schwererziehbare oder straffällige Jugendliche.256 Während sich für die Bundesrepublik beobachten lässt, dass das Image der Freiwilligendienste mit der zunehmenden Zahl der Abiturientinnen und Abiturienten unter den Teilnehmenden stieg, hatte die Organisationsleitung von CSV gegenteilige Sorgen, falls sich der Trend so stark fortsetze, dass bald überwiegend sozial schwächer gestellte Jugendliche als Freiwillige gewonnen würden. In der Tat waren die um die Wende zu den achtziger Jahren rückläufigen Teilnehmerzahlen im herkömmlichen Freiwilligenprogramm der Organisation dadurch bedingt, dass gerade Absolventen der Public Schools, die in den Anfangsjahren die Mehrzahl der Teilnehmer ausgemacht hatten, der Organisation fern blieben. Angesichts der angespannten Arbeitsmarktlage rieten offenbar Eltern ihren Kindern ab, das Studium warten zu lassen, falls sie sofort nach Schulabschluss einen Platz an einer Universität erhalten konnten.257 Dies führte nicht nur zu einer anderen sozialen Zusammensetzung der Teilnehmerschaft, sondern auch zu einer Verweiblichung, da von den Public Schools, die sich zum Teil als Jungenschulen erhalten hatten, tendenziell mehr männliche Teilnehmer gekommen waren, während die Arbeitslosenquote für weibliche Jugendliche in den frühen achtziger Jahren in etwa gleich hoch und zeitweilig auch höher ausfiel als diejenige für männliche Jugendliche:258 1984 gab es bei CSV erstmals mehr weibliche Freiwillige als männliche. Es lässt sich anhand der Quellen nur schwer nachvollziehen, ob und inwiefern sich das Prestige der Jugendfreiwilligendienste in Großbritannien in den siebziger Jahren tatsächlich verschlechterte. Einen Hinweis auf ein ambivalentes Bild gibt der Brief eines deutschen Teilnehmers der Aktion Sühnezeichen, der 1973 in Großbritannien seinen Dienst ableistete, bei dessen Beobachtung allerdings zur berücksichtigen ist, dass er der Protestbewegung nahe stand und Freiwilligenarbeit daher grundsätzlich kritisch gesehen haben mag. Die Vielzahl britischer Freiwilliger, so schrieb er, – sei es, dass sie Wartezeiten oder Phasen der Arbeitslosigkeit überbrückten, sei es, dass sie aufgrund ihres Selbstverständnisses als »charity minded englishman« arbeiteten – schaffe eine »Konkurrenzsituation«, die »stark an einen leistungsgebundenen Arbeitsmarkt« erinnere: 255 Minute of CSV Committee Meeting, 28. Sept. 1977, S. 2, ACSV, AGD/C1/88. Den leichten Rückgang bei den Teilnehmerzahlen führte die Organisationsleitung auf verschiedene Gründe zurück, unter anderem aber auch auf die Arbeitsmarktlage, da Interessenten, die ein Job-Angebot bekämen, dieses nicht ausschlagen könnten und daher häufiger als­ früher ihre Bewerbung bei CSV zurückzögen. Vgl. auch L. Mackie, Calling for help, in: The Guardian, 15. April 1980, S. 8. 256 E. H[oodles], 7. Juli 1980, S. 1, TNA, PREM 19/369. 257 I. Bradley, The Volunteers who begin their charity at home, in: The Times, 4. Juni 1980, S. 20. 258 Zu den Arbeitslosenzahlen vgl. Jackson, S. 39; zu den genderspezifischen Chancenunterschieden im britischen Schulsystem Mitte de achtziger Jahre vgl. Adonis u. Pollard.

321

»Mit erhöhtem Angebot sinkt unwillkürlich der ›Wert‹, besser noch die ›Wertschätzung‹ der freiwilligen Kraft. Freiwillige in GB werden deshalb eher als billige Arbeitskräfte angesehen.«259 Alec Dickson malte die Gefahren einer solchen Imageverschlechterung der Freiwilligendienste immer wieder aus. Wenn nur noch sozial schwache Bevölkerungsgruppen unbezahlte gemeinnützige Arbeit leisten, werde sich die britische Gesellschaft in »two nations« spalten, glaubte er und rekurrierte mit dieser Formulierung auf den Schriftsteller und Politiker Benjamin Disraeli. Dieser hatte mit dem Bild der im Klassenkampf zerrissenen und dadurch geschwächten Nation Mitte des 19.  Jahrhunderts versucht, die britischen Konservativen dazu zu bewegen, der laissez-faire-Politik abzuschwören und stattdessen mit sozialen Reformen den Klassengegensatz zu überwinden. Dem idealistischen Engagement der Jugend schrieb er dabei für den sozialen Wandel eine besondere Rolle zu – auch deshalb lag er als Referenz für CSV nahe.260 Wie Disraeli an die paternalistische Wohltätigkeit appelliert hatte, beschwor auch Dickson hier das in der britischen Oberschicht traditionell wichtige Ideal »noblesse oblige«: »There is a danger that community service becomes identified with failure or rejection, whilst the more fortunate – conditioned by an educational process of systematised selfishness pursue their own individual ends.«261 Das Schreckbild der gespaltenen Nation mag den vermeintlich zugrunde liegenden Trend allerdings gezielt überzeichnet haben, um noch effektiver ein Gegenrezept anzupreisen: einen sozialen Pflichtdienst für alle Jugendlichen in Großbritannien. Die Forderung nach der Einführung eines solchen Dienstes gewann in der britischen Öffentlichkeit seit Mitte der siebziger Jahre spürbar Aufwind.

4.4 Neue Diskussionen über die Freiwilligkeit Alec Dickson hatte schon zu Beginn der siebziger Jahre mehrfach ein allgemeines Dienstjahr für Jugendliche empfohlen.262 Nicht nur die hohe Jugendarbeitslosigkeit, sondern auch das wachsende Bewusstsein für die Grenzen der 259 Brief eines Freiwilligen, Jan. 1973, EZA 97/1427. 260 A. Dickson, Contribution of national service, in: The Times, 9. April 1981, S. 15. 261 Nationwide Service to the Community. Some reflections, S. 4, [ca. 1982], ACSV, AGD H1/21. 262 CSV, Annual Report 1969/70, S. 7, Broadening the scope of Service, Annual Report CSV 1968/69, S. 3, beide Dokumente ACSV, AGD/C1/9, Annual Reports 1968–80; A. Dickson, Conscripting a social army, in: The Guardian, 10. Febr. 1970, S. 10; vgl. hierzu die diesen Gedanken sämtlich ablehnenden Leserbriefe unter der Überschrift: Conscripting a social army, in: The Guardian, 14. Febr. 1970, S. 8; sowie F. J. Pollock, Conscripting a social army, in: The Guardian, 16. Febr. 1970, S. 10; R. A. Wilson, Social Survey, in: The Guardian, 26. Febr. 1970, S. 12; C. Short, Community Service, in: The Times, 22. Aug. 1981, S. 11; ders., Compelling the young to do good in: The Guardian, 26. Mai 1981, S. 10; A call to our young people that shouldn’t be heeded, The Guardian, 30. Mai 1981, S. 10.

322

Sozialstaatlichkeit verlieh dem Pflichtdienstgedanken Mitte der siebziger Jahre erstmals seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges breitere Resonanz. In der britischen Öffentlichkeit wie auch in Regierungskreisen wurde nun die Einführung solcher Dienste ernsthaft erörtert.263 1974 fragte der deutsch-britische Soziologieprofessor und Direktor der London School of Economics, Ralf Dahrendorf, in der renommierten Reith-Lecture der BBC, die wenig später in Buchform veröffentlicht und im Folgejahr auch ins Deutsche übersetzt wurde: »Warum sollten wir nicht von jedem Bürger verlangen, dass er (oder sie) ein Jahr seines (oder ihres) Lebens dem öffentlichen Dienst widmet?«264 Der FDP-Politiker Dahrendorf ging davon aus, dass ein solcher von ihm als Bürgerpflicht angesehener Dienst gegen ein verbreitetes Verständnis von Liberalität verstoße, und betonte: »Es ist durchaus möglich, zugleich auf das Gemeinwohl bedacht und liberal zu sein.« Im Unterschied zu den meisten anderen Pflichtdienstbefürwortern richtete sich sein Vorschlag nicht speziell an die Jugend, sondern er hob hervor, dass es denkbar sei, die Ableistung eines solchen Dienstes in jedem beliebigen Lebensalter zuzulassen. Allerdings räumte Dahrendorf seinem Vorstoß kaum Chancen ein, da auch er annahm, dass der Arbeitsdienstgedanke zu sehr mit dem Nationalsozialismus assoziiert werde. Zwar blieben die unmittelbaren Reaktionen auf den Vorschlag Dahrendorfs zunächst tatsächlich schwach.265 Doch in den folgenden Jahren wurde der Pflichtdienstgedanke in der britischen Öffentlichkeit immer lauter propagiert. 1980 veröffentlichte die London School of Economics ein Diskussionspapier, das die Einführung eines Pflichtdienstes oder zumindest eines umfassenden staatlich geförderten Freiwilligenprogramms anregte. Im Falle der Freiwilligkeit sollte die Attraktivität dadurch gesteigert werden, dass den Absolventen des Dienstes Studiengebühren erlassen würden oder dass sie bevorzugt Studienplätze oder Stellen im öffentlichen Dienst erhalten sollten.266 Befürworter des Pflichtdienstgedanken schlossen sich 1981 in der Bürgerinitiative »The Commission on Youth and the Needs of the Nation« zusammen.267 Die meisten Unterstützer dieser Initiative entstammten dem politisch konservativen Lager, aber neben Dahrendorf gab es auch andere Liberale sowie Labour-Ab­geordnete, die den Pflichtjahresgedanken gut hießen. Alec Dickson gehörte der Bürgerinitiative ebenfalls an und wurde in der Presse als »leading proponent« des Pflichtdienstgedankens bezeichnet.268 Dickson und die Geschäftsführerin von CSV Elisabeth Hood263 Home Secretary James Prior an Premierministerin Thatcher, 6.  Aug. 1980, S.  4, TNA, PREM 19/369; Lord Esher, Conservation tasks for jobless youth, in: The Times, 25.  Juli 1975, S. 15; The young who wait to serve, in: The Times, 1. Okt. 1984, S. 8. 264 Dahrendorf, The new liberty, S. 92; ders., Die neue Freiheit, S. 149. 265 Vgl. A. Smith, Dahrendorf suggests a year’s public service, in: The Guardian, 19. Dez. 1974, S. 7; People urged to work for others, in: The Times, 19. Dez. 1974, S. 2. 266 Colombatto, S. 60. 267 D. Hencke, National service for jobless?, in: The Guardian, 2. Febr. 1981, S. 4. 268 M. Jackson, Compulsory service: a great debate?, in: The Times, Educational Supplement, [Ende Okt. oder Anfang Nov. 1980], TNA, PREM 19/369.

323

less propagierten auch bei ihrem Treffen mit der Premierministerin die Einführung eines allgemeinen Pflichtdienstes für Jugendliche. T ­ hatcher wies den Vorschlag allerdings als zu teuer ab. Sie hielt ihn überdies für in der Bevölkerung zu umstritten.269 Die Vorstellung, dass ein Dienstjahr in der Öffentlichkeit nicht mehrheitsfähig sei, wurde in der britischen Presse immer wieder als Gegenargument ins Feld geführt. Im Oktober 1984 allerdings widersprach die »­Times« dieser Annahme und berief sich dabei auf aktuelle Umfrageergebnisse. 66 Prozent der befragten Briten sprachen sich demnach für die Einführung eines staatlich geförderten Freiwilligenprogramms aus. Einen Pflichtdienst allerdings befürworteten nur 41 Prozent, 53 Prozent lehnten einen solchen ab – wobei es bei dieser Frage deutliche Generationsunterschiede gab: Befragte, die älter als 55 Jahre waren, stimmten in der Mehrzahl für einen Pflichtdienst.270 In einer umfangreichen dreiteiligen Artikelserie, welche die Umfrageergebnisse ergänzte, pries das Blatt den Wert freiwilliger sozialer Dienste für die Jugendlichen und für die Gesellschaft.271 Auch in der Bundesrepublik wurde der Pflichtdienstgedanke während der siebziger und achtziger Jahre weiter diskutiert. Hier geriet er vor allem deshalb von neuem in den Fokus der Öffentlichkeit, weil man sich im Verteidigungsministerium Sorgen um die Zukunft der Bundeswehr machte: Annahme war, dass die geburtenschwachen Jahrgänge, die dem sogenannten Pillenknick folgten, nicht mehr ausreichend Rekruten liefern würden. Überlegungen, die Wehrpflicht aus diesem Grund auf junge Frauen auszuweiten, gaben auch dem Gedanken eines (wahlweise) zivilen Pflichtdienstes neuen Schwung. In der CDU wurde die Forderung nach der Einführung eines solchen überdies nach der Wahlniederlage von 1972 laut, als der konservative Flügel der Partei eine Rückbesinnung auf traditionelle Werte anmahnte, um das eigene Profil zu stärken, und dabei unter anderem auch den Wert der »Pflicht« wieder aufgewertet sehen wollte.272 Solche Zielsetzungen waren eine Reaktion auf den zeitgenössisch vor allem in der Folge von »1968« weithin wahrgenommenen Wertewandel.273 Die Pflichtdienstdebatte war indes nicht der einzige Grund, weshalb in der Bundesrepublik wieder vermehrt über den Begriff der »Freiwilligkeit« nachgedacht wurde. Die Freiwilligenorganisationen ebenso wie die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an den Diensten diskutierten diesen Begriff in den siebziger und achtziger Jahren vielmehr aus anderen Gründen: Bereits die freiwillige Helferin, die 1971 in der »Zeit« das Sozialjahr kritisiert hatte, betonte, die Be269 J. Lankester, 8. Juli 1980, TNA, PREM 19/369. 270 The Mori/Times Poll, in: The Times, 2. Okt. 1984, S. 10. 271 Community service gets support, in: The Times, 1. Okt. 1984, S. 1; C. Hughes, The young who wait to serve, in: The Times, 1. Okt. 1984, S. 8; ders.: Youth will be served – by helping others, in: The Times, 2. Okt. 1984, S. 10; ders.: The voluntary way forward, in: The Times, 3. Okt. 1984, S. 10. 272 Vgl. E. Neumaier, Union ohne siebten Sinn, in: Die ZEIT, 16. Febr. 1973, S. 46. 273 Vgl. als Beispiel für die Wertewandelsthese Nölle-Neumann.

324

zeichnung »freiwillig« sei unangemessen.274 Ebenso wie viele andere habe sie das Jahr nicht aus freiem Willen abgeleistet, sondern weil sie nach ihrem Realschulabschluss zu jung gewesen sei, um mit der Schwesternausbildung zu beginnen. Auch die Freiwilligengruppe, die 1981 den bereits zitierten offenen Brief an den Bundesminister für Arbeit und Soziales verfasste, hielt den Ausdruck »Freiwilliges Soziales Jahr« für einen Euphemismus und forderte, dass es in »Soziales Jahr« umbenannt werden solle.275 Die Trägerorganisationen stimmten mit dieser Kritik überein und konstatierten mit Unbehagen, dass sich im Grunde bei den Teilnahmemotiven oft nicht mehr von Freiwilligkeit sprechen lasse.276 Die in der Bundesrepublik lebhaft geführte Diskussion, ob ein Freiwilligendienst angesichts der angespannten Arbeitsmarktlage noch als »freiwillig« bezeichnet werden könne, findet sich in Großbritannien nicht. Vielleicht ist dies damit zu erklären, dass in Großbritannien pragmatische Gründe für die Ableistung eines Freiwilligendienstes traditionell auf größere Anerkennung stießen. Hier setzte sich angesichts der Arbeitsmarktsituation ein neues Verständnis von Freiwilligkeit durch: Freiwilligenarbeit wurde nicht mehr mit einer bezahlten Arbeitsstelle kontrastiert, sondern sie galt als Engagement im Gegensatz zu Initiativlosigkeit und Resignation. Und in Personalabteilungen schätzte man zunehmend die Werte Engagementbereitschaft und Eigeninitiative: »All the ­evidence now suggests that employers are looking […] for evidence of personal qualities, energy, ability to work with other people, leadership, initiative«, beobachtete 1984 beispielsweise eine Schulleiterin, die schon in den sechziger Jahren an ihrer Schule ein Freiwilligenprogramm eingerichtet hatte.277 Indem die Eigeninitiative so zur Norm erhoben wurde, wurde aus der Freiwilligkeit gewissermaßen ein Zwang.

Zwischenfazit In der Zeit von etwa 1968 bis etwa Mitte der achtziger Jahre prägten zwei gegenläufige Trends die Freiwilligendienste in der Bundesrepublik und in Großbritannien: einerseits der Einfluss der Neuen Linken, andererseits die Auswirkungen der Wirtschaftskrise nach dem Ölpreisschock von 1973. Vermehrt wurde Kri274 M. Wichmann, Zuwenig Geld, zuwenig Freizeit, in: Die ZEIT, 13. Aug. 1971, S. 42. 275 Offener Brief an den Bundesminister für Arbeit und Soziales Herrn Ehrenberg, FAJ Gruppe 440, Münster, 22. April 1981, ADC, 921.9, Freiwilliges soziales Jahr/Dienst 020 Arbeitskreis der Trägerverbände auf Bundesebene 1976–1983, Fasz 2. 276 Protokoll der Jahrestagung Freiwillige Soziale Dienste vom 8.–12. Nov. 1976 in der Freizeit und Bildungsstätte Bernhäuser Forst bei Stuttgart, S. 2, ZADN, D5/2–13, Protokoll der Jahrestagung FSD vom 8.–12. Nov. 1982 in der Freizeit- und Bildungsstätte Hannover, S. 5, S. 14, ZADN, 5/2–28. 277 Zitiert nach C. Hughes, Youth will be served by helping others, in: The Times, 2. Okt. 1984, S. 10.

325

tik an der Idee von Freiwilligendiensten laut. Sie würden allenfalls Symptome kurieren, hieß es, und damit das System stabilisieren, anstatt es zu verändern und Missstände an der Wurzel anzugehen. Als zwischen 1968 und 1970 in der Bundesrepublik zum ersten und einzigen Mal seit der Einführung des Sozialjahres die Teilnehmerzahlen sanken, und zwar vor allem bei den Abiturientinnen und Abiturienten, begannen sämtliche Trägerorganisationen, ihr Konzept zu überdenken. Im neuen politischen Klima erschienen einige konzeptionelle Grundzüge nicht mehr vertretbar: Aufgegeben wurde nun das Dienstideal ebenso wie das Ziel der Ehevorbereitung für Frauen. Stattdessen begannen die Trägerorganisationen, das Freiwilligenjahr als Anleitung »zur Entwicklung eines demokratischen Lebensstils« zu begreifen. Für die deutschen Freiwilligendienste lässt sich »1968« in vielerlei Hinsicht als Bruch beschreiben, und dies umso mehr, wenn man ihre Entwicklung mit Institutionen vergleicht, in denen der politische und kulturelle Wandel in anderer Form und Geschwindigkeit verlief. Während der Einfluss der Neuen Linken auf das Sozialjahr der konfessionellen Träger besonders groß war, herrschten beispielsweise bei den Kirchen wie auch bei den Wohlfahrts­verbänden allgemein sehr viel stärkere Widerstände gegen Einflüsse aus der Protestbewegung. Für CSV hingegen kann in den ausgehenden sechziger und frühen siebziger Jahren kaum von einem Kurswechsel gesprochen werden. Die Veränderungen, welche die Organisation durchlief, gingen viel unauffälliger und schleichender vonstatten als diejenigen der bundesdeutschen Freiwilligendienste. Dies stand im Einklang damit, dass die akademische Jugend in Großbritannien in den späten sechziger und frühen siebziger Jahren insgesamt vergleichsweise ruhig blieb. Allgemein ist fraglich, inwiefern die konzeptionelle Neuausrichtung vor allem der deutschen Dienste auf politisierte Jugendliche glaubwürdig wirkte. Dagegen spricht, dass die Teilnehmerzahlen erst Mitte der siebziger Jahre wieder signifikant stiegen, als die schwierige Situation auf dem Arbeitsmarkt und der damit einhergehende Mangel an Ausbildungs- und Studienplätzen viele in das Sozialjahr drängte. Politisch aktiven Jugendlichen in der Bundesrepublik entging auch nicht, dass die Politik die Hoffnung hegte, mit den Freiwilligendiensten einer Radikalisierung der Jugend entgegenzuwirken. Während die Dienste durch die Kritik der Neuen Linken einerseits in Frage gestellt wurden, erfuhr freiwilliges Engagement jedoch andererseits seit den ausgehenden sechziger Jahren gleichzeitig eine Aufwertung. Hierfür lieferte ebenfalls die Neue Linke einen ersten Anstoß. Denn die Trägerorganisationen passten ihre Freiwilligendienste einem hochrangigen Ziel der Protestbewegung an, wenn sie diese nun als Mittel der Gesellschaftsveränderung definierten. Der Staat indes trat als gedachter Nutznießer bei dieser Zielsetzung in den Hintergrund, was nicht zuletzt an dem großen Misstrauen lag, das die Protestbewegung ihm entgegenbrachte. Der zweite Anstoß hingegen ging abermals von der angespannten Arbeitsmarktsituation aus: Angesichts der wachsenden Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt konnte ein Freiwilligendienst im Lebenslauf eine positive Zusatz326

qualifikation darstellen. In beiden Ländern entwickelte sich das Image der Freiwilligendienste jedoch zunächst in verschiedenen Gesellschaftsschichten unterschiedlich: Während in der Bundesrepublik nun erstmals vor allem gut ausgebildete Jugendliche in die Dienste strömten, sank deren Anteil unter den britischen Freiwilligen kurzzeitig. Allgemein wirkte sich die wachsende Arbeitslosigkeit auf das Ansehen der Freiwilligendienste zunächst ambivalent aus. Denn angesichts der angespannten Arbeitsmarktsituation erschien es zunehmend zweifelhaft, ob sich für die Mehrzahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer an den Diensten noch von »Freiwilligkeit« sprechen lasse. Und in Großbritannien verlor nun sogar das lange Zeit wenig angefochtene Ideal der Freiwilligkeit an Einfluss: Hier wurde in Politik und Presse erstmals ernsthaft und intensiv ein Pflichtdienst diskutiert, der dazu beitragen sollte, die Arbeitsmarktsituation zu entspannen. Die Notlage stärkte also in Großbritannien in dieser Hinsicht eine Position, die die staatsbürgerliche Pflicht zur Partizipation postulierte und in diesem Punkt eine stärkere Position des Staates gegenüber den Bürgern forderte. Wegen der in den folgenden Jahrzehnten an Gewicht gewinnenden politischen Zielsetzung, staatliche Sozialausgaben zu kürzen, setzte sich der Trend der Aufwertung der Freiwilligenarbeit durch. Seit den neunziger Jahren findet sich in den Medien wie in der Politik nur noch selten Kritik an der Idee der Freiwilligendienste und es besteht ein weitreichender Konsens, dass sie wertvoll seien und staatlich gefördert werden müssten.

327

Ausblick und Fazit Aufgrund der in der Bundesrepublik in den siebziger Jahren vergleichsweise besseren wirtschaftlichen Konjunktur, der weniger dramatischen Arbeitsmarktlage und vielleicht auch dem traditionell höheren Vertrauen in den Sozialstaat erwachte das politische Interesse an Freiwilligendiensten hier etwas später als in Großbritannien. An der Wende zu den achtziger Jahren konstatierten die deutschen Freiwilligenorganisationen eine gewachsene Aufmerksamkeit gegenüber ehrenamtlicher Arbeit.1 Seit dieser Zeit reflektierten auch hier Tagespresse, Politik und Wissenschaft zunehmend über den Stellenwert freiwilliger Arbeit. In den neunziger Jahren schließlich beschworen in beiden Ländern Regierungen jeglicher politischer Couleur immer wieder »bürgerschaftliches Engagement« oder »Active Citizenship«. Beide Staaten subventionierten seither freiwilliges Engagement von Jugendlichen in hohem Maße. Sie folgten damit einem euro­päischen, beziehungsweise globalen Trend, der auch mit Bemühungen einherging, die transnationale Zusammenarbeit von Freiwilligenorganisationen zu intensivieren. Die Vereinten Nationen erklärten das Jahr 2001 zum »Internationalen Jahr der Freiwilligen« und die Europäische Union knüpfte daran 2011 mit einem »Europäischen Freiwilligenjahr zur Förderung der aktiven Bürgerschaft« an.2 Nicht nur in der Politik, sondern auch in den Sozialwissenschaften avancierte bürgerschaftliches Engagement in dieser Zeit zu einem beliebten Thema. Politische Auftragsstudien verstärkten das wissenschaftliche Interesse.3 Die Bedeutung einer lebendigen Zivilgesellschaft wurde gern mit dem politischen Umbruch in den ehemaligen Ostblockstaaten begründet, da zivilgesellschaftliche Instanzen als maßgebliche Kräfte im Demokratisierungsprozess galten. Für die Bundesrepublik spielte dies angesichts der deutschen Wiedervereinigung eine umso wichtigere Rolle, weil unsicher erschien, wie sich zivilgesellschaftliche Strukturen in den »neuen Bundesländern« entwickeln würden. Dennoch war die politische Wende in Osteuropa doch nur eine der Ursachen für das gewachsene Interesse am freiwilligen Engagement.4 Haupttriebfeder der Politik blieb die anhaltende »Krise des Sozialstaats«, deren Wahrnehmung umso ­drastischer 1 Vorstellungen zur Planung des Freiwilligen Sozialen Jahres 1981, AK FSD/FSJ der Trägerverbände auf Bundesebene, ADE, HGSt 6164, Der Arbeitskreis datierte den Ausgangspunkt für diese Entwicklung auf 1979. 2 Vgl. Schwärzel, S. 44. 3 Vgl. etwa Braun/Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend; Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Untersuchung; Commission on the Future of the Voluntary Sector (London England); Deutscher Bundestag, Bürgerschaftliches Engagement und Sozialstaat; Deutscher Bundestag, Bürgerschaftliches Engagement und Zivilgesellschaft. 4 Vgl. Klein, S. 19–80.

329

ausfiel, weil demographische Prognosen einer »Überalterung« es immer mehr zum Konsens werden ließen, dass staatliche Ausgaben im sozialen und kulturellen Bereich zurückzuschrauben seien. Ebenso wie die Wertschätzung von Freiwilligendiensten wuchs, wurde auch ihre staatliche Förderung seit den neunziger Jahren deutlich intensiviert. Beides führte dazu, dass die Freiwilligenzahlen kontinuierlich stiegen und vor allem seit der Jahrtausendwende regelrecht in die Höhe schossen: 1998 traten in der Bundesrepublik erstmals mehr als 10.000 Jugendliche ein staatlich gefördertes Freiwilligenjahr an, 2001 waren es ca. 16.000, zwei Jahre später 25.000, 2005 dann 32.000 und 2010 schließlich 40.000.5 Nachdem 2011 die Rekrutierung für Wehr- bzw. Zivildienst eingestellt wurde, stiegen die Zahlen nochmals sprunghaft an: Im April 2014 leisteten in der Bundesrepublik rund 100.000 Menschen einen staatlich geförderten längerfristigen Freiwilligendienst ab.6 Die Phase seit 1990 ist in beiden Ländern noch durch vier weitere Entwicklungen gekennzeichnet, die sämtlich im Kontext der politischen Aufwertung von »bürgerschaftlichem Engagement« zu deuten sind: erstens durch eine weiterhin zunehmende Pluralisierung der angebotenen Dienste, zweitens durch eine Öffnung der Dienste für andere Altersgruppen als Jugendliche, drittens durch eine starke Internationalisierung, die viertens mit einer Kommerzialisierung der Auslandsdienste einherging. Diese vier Entwicklungen gilt es, genauer in den Blick zu nehmen: In der Bundesrepublik erweiterte sich das Spektrum der subventionierten Freiwilligendienste 1993 durch die Einführung des Freiwilligen Ökologischen Jahres, für das es bereits in den achtziger Jahren regional einige Vorläufer gegeben hatte. 2002 wurde überdies ein Freiwilligenjahr in der Kultur, im Sport, in der Politik und in der Denkmalpflege eingeführt. Hinzu kamen in kleinem Rahmen noch andere Programme wie etwa ein Freiwilliges Soziales Jahr an Ganztagsschulen, das in Rheinland-Pfalz angeboten wird.7 In Großbritannien pluralisierten sich ebenfalls die Möglichkeiten für Freiwilligendienste durch die von den Tory- wie Labourregierungen in den neunziger Jahren intensivierte Förderung von Freiwilligenarbeit. Premierminister Tony Blair rief 1999 das Millenium Volunteer Programm ins Leben, das Jugendliche zu einem mindestens 200-stündigen Engagement aufrief, für das sie nach Abschluss ein Zeugnis erhalten konnten.8 Bei der Konzeption des Programms war auch CSV beteiligt. Im Unterschied zu ihren Diensten sah es nicht unbedingt eine Vollzeit-Freiwilligentätigkeit vor. 5 Im Gegensatz zu den früheren Statistiken wurde in den Statistiken des Bundesminsteriums seit den neunziger Jahren nicht mehr die jährliche Gesamtzahl der Freiwilligen ermittelt, sondern es wurden nur noch diejenigen gezählt, die ihren Dienst innerhalb eines Jahres begannen. Vgl. zu den Zahlen Bundesministerium für Familie, Untersuchung, S. 57; Bundesarbeitskreis FSJ, S. 8, Zugriff: 22. Juli 2015. 6 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Zeit, S. 3. 7 FSJ Ganztagsschule, Zugriff: 31. Jan. 2014. 8 Vgl. Münz, S. 176–178.

330

Nicht nur in Bezug auf die Art der Tätigkeiten wurde die Förderung von Freiwilligendiensten vielfältiger, sondern auch im Hinblick auf die Zielgruppen, die für diese Dienste gewonnen werden sollten. Anders als beim »­volunteer-­ upsurge« Mitte der sechziger Jahre richtete sich das gestiegene Interesse an Freiwilligendiensten in den neunziger Jahren auch auf andere Alters­gruppen: Dies lag unter anderem daran, dass in der Freiwilligenarbeit nicht mehr vor allem eine Erziehungs- oder Bildungsinstitution gesehen wurde, sondern, Politiker und Wissenschaftler in ihr nun vielmehr eine wichtige Stütze des Wohlfahrtssektors erblickten. Großbritannien war bei dieser Neuorientierung konzeptionell vorausgegangen. Ein Beispiel ist die bereits zitierte wissenschaftliche Studie zur Jugendfreiwilligenorganisation Task Force aus dem Jahr 1975. Wenngleich deren A ­ utoren den pädagogischen Wert der Dienste für die jugendlichen Teilnehmerinnen und Teilnehmer nicht leugneten und ihn als eine der Zielsetzungen der Orga­nisation ausmachten, war doch in ihren Augen die Sozialleistung der jugendlichen Freiwilligen eindeutig der »primary focus« der Organisation.9 Dementsprechend fragte die Studie im Gegensatz zu zeitgleich in der Bundesrepublik durchgeführten Untersuchungen zu Jugendfreiwilligendiensten auch nicht nach den pädagogischen Wirkungen des Dienstes, sondern nach dessen Nutzen als Sozialleistung. Die Überzeugung, dass die pädagogischen Ziele nicht den alleinigen Wesenskern der Freiwilligendienste ausmachten, begann in den siebziger und achtziger Jahren auch bei CSV Fuß zu fassen. Sie war eine Voraussetzung für die Öffnung der Organisation für andere Altersgruppen. Alec Dickson hatte bereits in den siebziger Jahren begonnen, über eine solche nachzudenken. Speziell erwog er die Einführung von Freiwilligenprogrammen für Pensionäre, wie sie sich seit den sechziger Jahren auch schon in den Vereinigten Staaten etablierten.10 Die Forderung, allein die Jugend solle freiwillig der Gemeinschaft dienen, verwarf er als »generational chauvinism« oder »chronological imperialism«.11 Er berief sich überdies auf Dahrendorfs Vorschlag, einen altersunabhängigen bürgerlichen Pflichtdienst einzuführen. Dicksons Argumentation stand im Kontext des politischen und kulturellen Wandels der ausgehenden sechziger und beginnenden siebziger Jahre, einer Zeit, die wie in vielen anderen Ländern auch in Großbritannien vielfach als Phase eines Generationsbruchs wahrgenommen wurde: »We need to be thinking for forms of participation that cut across the age gap«, forderte Dickson.12 CSV ergänzte das Angebot dieser Zielsetzung ent­ sprechend bereits 1988 um einen Freiwilligendienst für Rentner.13 ­A ller­dings sah dieses neue Programm keine auf ein Jahr beschränkte Vollzeittätigkeit 9 Hadley u. a., S. 16 f. 10 Vgl. Community Service Volunteers, RSVP; vgl. auch Ruoss. 11 Chapter VII: Conclusions and recommendations, [1971], S. 7, ACSV, AGD/C9/7, papers re united nations study on domestic youth services. Reports on different countries including UK volunteer questionnaires, 1972. 12 Ebd. 13 Community Service Volunteers, RSVP.

331

vor, sondern ein regel­mäßiges wöchentliches Engagement, das prinzipiell zeitlich unbegrenzt war. In der Bundesrepublik tat man sich schwerer damit, sich von der Konzeption der Freiwilligendienste als Erziehungsmaßnahme zu lösen. So begann die Diskussion um die Förderung von altersoffenen Freiwilligendiensten hier etwas später als in Großbritannien. Den Ausschlag gab ein weiterer Wandel im Verständnis des Generationenverhältnisses, der durch die »Krise des Sozialstaats« seit den neunziger Jahren bedingt war. Anstatt die Notwendigkeit freiwilliger sozialer Dienste an den sich wandelnden Sozialisationsbedingungen der Jugend und an Generationsstereotype festzumachen, wie dies vorher üblich gewesen war, betonten Politiker und Freiwilligenorganisationen nun eher die Aufgaben des Staatsbürgers im Gesellschafts- oder »Generationsvertrag«. Der viel beschworene demographische Wandel schwächte auf diese Weise auch die Vorstellung, allein die junge Generation sei zu Freiwilligendiensten aufzufordern. »In Anbetracht der demographischen Entwicklung« empfahl die von der in großer Koalition geführten Regierung einberufene Kommission »Impulse für die Zivilgesellschaft  – Perspektiven für Freiwilligendienste und Zivildienst in Deutschland« 2004 die Förderung ehrenamtlicher Tätigkeiten von »Seniorinnen und Senioren«.14 Darin spiegelt sich ein allgemeiner Wandel der (politischen) Einstellung gegenüber dem Alter: War früher die Vorstellung eines »ruheständischen Alters« vorherrschend, für welches der Rückzug aus dem öffentlichen Leben als üblich angesehen wurde, wird nun mehr und mehr das »produktive Alter« als Ideal propagiert.15 Auch ein Appell des christdemokratisch geleiteten Bundesfamilienministeriums zu bürgerschaftlichem Engagement im Jahr 2009 manifestiert diesen Einstellungswandel: »Besondere Bedeutung kommt der zunehmenden Zahl älterer Menschen zu«, hieß es dort im Hinblick auf bürgerschaftliches Engagement. »Der Zugewinn an Lebenszeit ist eine ›demografische Rendite‹, die stärker als ›Zeit für Verantwortung‹ genutzt werden muss.«16 Mit der Bezeichnung der verlängerten Lebenszeit im Alter als »Rendite« rekurrierte das Ministerium nicht nur auf ökonomische Metaphern, sondern auch auf einen Pflichtdiskurs, der auf den Gedanken des Gesellschaftsoder Generationsvertrags aufbaut. Im Dezember 2011 brachte der populäre Publizist Richard David Precht in der viel gesehenen Talkshow von Anne Will sogar den Vorschlag auf, einen Pflichtdienst für Rentner einzuführen. Er rief damit ein lautstarkes Medienecho hervor und forderte die Bundesfamilien- und die Bundesarbeitsministerin sowie Kirchenvertreter zur Stellungnahme heraus.17 Wenngleich Precht für seine 14 Kommission Impulse für die Zivilgesellschaft, S. 10–13, Zugriff: 31. Jan. 2014. 15 Vgl. Van Dyk u. a.; sowie Ruoss. 16 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Staatsekretär Josef Hecken, Zugriff: 31. Jan. 2014. 17 Prange; Bild.de, Deutschlands bekanntester Philosoph (47) fordert: Soziales Pflichtjahr für Rentner!, Zugriff auf beide Seiten: 31. Jan. 2014.

332

Ideen sehr viel mehr Unverständnis und Kritik als Zustimmung erntete, ist der provokante Vorschlag doch symptomatisch. Er ist nur vor dem Hintergrund der Diskurse über Generationengerechtigkeit zu verstehen und ist damit Anzeichen für das sich langsam wandelnde Generationsverständnis. Die Diskussionen über das Engagement älterer Generationen mündeten in der Bundesrepublik schließlich in neue Formen der staatlichen Engagementförderung. 2011 schuf die Bundesregierung mit dem neuen Bundesfreiwilligendienst einen für alle Altersgruppen offenen freiwilligen Jahresdienst. Dieser Dienst ergänzt das FSJ und sollte Ersatz für die jährlich ca. 80.000 bis 90.000 Zivildienstleistenden liefern, nachdem der Zivildienst aufgrund der ausgesetzten Wehrpflicht 2011 eingestellt wurde.18 Im Januar 2014 waren von 49.263 »Buftis«, wie die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Dienstes genannt werden, 29.170 Jugendliche im Alter bis 26 und 10.457 über 50-Jährige, davon 790 über 65-Jährige, der Anteil an Älteren sank allerdings 2015, unter den 37.713 »­ Buftis« im Oktober 2015 befanden sich nur noch 4.664 über 50-Jährige, ihr hoher Anteil erklärt sich also wohl daraus, dass viele Ältere gleich nach Einführung des Dienstes die Gelegenheit zur Teilnahme ergriffen, dann aber in nicht viele neue Interessenten in dieser Altersgruppe »nachwuchsen«.19 Unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der mittleren Generationen, von denen mehr als die Hälfte aus den neuen Bundesländern stammte, fanden sich zahlreiche Erwerbslose. Nicht nur hinsichtlich der Tätigkeitsfelder und der Altersgruppen war die Zeit seit etwa 1990 für die Freiwilligendienste eine Phase der Pluralisierung und Erweiterung, sondern auch hinsichtlich des verstärkten Trends zur Internationalisierung. Im Zuge der sich verdichtenden öffentlichen Diskussionen um die Globalisierung wurden seit den frühen neunziger Jahren die Angebote für freiwillige Auslandsdienste weiter ausgebaut. Das 1993 novellierte »Gesetz zur Förderung eines Freiwilligen Sozialen Jahres« gestattete nun dessen Ableistung im Ausland. Die Trägerorganisationen erweiterten ihre Auslandsprogramme oder riefen neue Programme ins Leben. Hinzu kam, dass die Idee des Jugendfreiwilligendienstes europaweit bekannter und beliebter wurde und auch die Europäische Union begann, Freiwilligenprogramme zu fördern. 1996 führte die Europäische Kommission das Programm des Europäischen Freiwilligendienstes (European Voluntary Service)  ein, das den Freiwilligenaustausch von Jugendlichen in ganz Europa zum Ziel hatte.20 Das Programm bietet Plätze für ca. 6.000 Freiwillige. Ähnlich wie beim FSJ arbeiten sie sechs bis zwölf Monate 18 Vgl. für die Zahlen der Zivildienstleistenden Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben, Einberufungen zum Zivildienst, Zugriff: 10. Febr. 2014. 19 Vgl. zu den Zahlen Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben, BFD im Dienst Januar 2014, dass., BFD im Dienst Oktober 2015. Mit dem Blick auf die Geschlechter gab es mit 26.122 Frauen gegenüber 23.242 Männern im April 2014 ein leichtes weibliches Übergewicht, im Oktober 2015 war dies mit 21.148 Frauen gegenüber 16.565 Männern schon wieder deutlich gewachsen. 20 Jütting, S. 55–58; Becker u. Wicke, S. 150 f.

333

in gemeinnützigen Projekten, neben ihrer Arbeit besuchen sie Sprachkurse und Begleitseminare. In noch stärkerem Maße als das FSJ insgesamt entwickelte sich in der Bundesrepublik das FSJ im Ausland zu einer sozial exklusiven Institution, die fast ausschließlich von Abiturientinnen und Abiturienten wahrgenommen wurde. Mitte der neunziger Jahre lag ihr Anteil an der Gesamtteilnehmerzahl hier bei über 98 Prozent.21 Anzunehmen ist, dass die Sprachbarriere für viele Jugendliche mit Mittlerer Reife oder Hauptschulabschluss einen Auslandseinsatz unmöglich machte oder zumindest abschreckend wirkte.22 Für Abiturientinnen und Abiturienten hingegen war der Auslandsaufenthalt ein zusätzlicher Anreiz, nicht zuletzt weil er für ihre berufliche Laufbahn förderlich sein konnte. Hinzu kam, dass die Trägerorganisationen für das Auslandsjahr strengere Eignungsprüfungen durchführten und bei der Vergabe der beschränkten Anzahl an Plätzen sehr selektiv vorgingen. Dass die Nachfrage nach Freiwilligendiensten im Ausland hoch war, schlug sich auch in der Entstehung einer neuen Art von Freiwilligendiensten, die durch gesunkene Flugpreise und den allgemein zunehmenden Ferntourismus begünstigt wurde. In den neunziger Jahren wuchs weltweit der Markt privater Reiseorganisationen, die seither auf kommerzieller Basis Freiwilligendienste im Ausland anbieten.23 In Großbritannien wurde 1992 die Organisation ProjectsAbroad gegründet, die weltweit Praktika und freiwillige Sozialarbeit vermittelt, vorbereitet und betreut. ProjectsAbroad wuchs schon bald zu einem internationalen Unternehmen an, das 2002 auch in der Bundesrepublik ein Büro eröffnete.24 In beiden Ländern begannen außerdem andere Anbieter wie into, Praktikawelten oder TravelWorks meist mehrmonatige Aufenthalte für Freiwillige in sogenannten »Entwicklungsländern« zu organisieren.25 Für die Kosten dieser Einsätze kommen die Freiwilligen selbst auf und zahlen dabei Preise, für die durchaus auch Urlaubsreisen in die jeweiligen Länder unternommen werden könnten.26 21 Bundesministerium für Familie, Untersuchung, S.  204; Ausreißer, Heimatlose, Suchende, Karriereplaner, Eine Untersuchung zum Freiwilligen Sozialen Dienst im Europäischen Ausland, Sept. 1995, ABDKJ. 22 Dass dies keine Zwangsläufigkeit sein musste, zeigen die frühen Auslandseinsätzen der Aktion Sühnezeichen Ende der fünfziger und Anfang der sechziger Jahre, bei denen noch Handwerker und Angestellte überwogen hatten, die ebenfalls nicht unbedingt über Kenntnisse der Landessprache verfügten, Aktion Sühnezeichen, Selbstdarstellung 1959–1964, Fünf Jahre Aktion Sühnezeichen [1963], EZA, 97/45. Hier war es jedoch leichter ohne weiterreichende Sprachkenntnisse auszukommen, da die Aktion Sühnezeichen ihre Einsätze damals in Form von Lagern durchführte. 23 Vgl. Simpson. 24 Vgl. ProjectsAbroad/Projekteweltweit, Entstehung, Zugriff: 31. Jan 2014. 25 TravelWorks, Das sind wir; Praktikawelten, Zugriff auf beide Seiten: 31. Jan. 2014. 26 Bei Volunteering Worldwide kosteten vier Wochen Freiwilligenarbeit 2009 zwischen 990 Euro (für das Reiseziel Kambodscha) und 1550 Euro (für das Reiseziel Indien); der deutsche Zweig von ProjectsAbroad nahm 2013 für einen Monat Sozialarbeit zwischen 1.445 Euro

334

Die Organisationen lockten mit dem Versprechen auf Abenteuer und eindrucksvolle Erlebnisse bei ihren Reisen in »spannende fremde Länder und Kulturen«.27 Der besondere Reiz und Wert liege aber darin, diese Abenteuerlust mit sozialem oder ökologischem Engagement zu verbinden: »Reisen, fremde Kulturen kennenlernen, unberührte Gebiete entdecken und sich gleichzeitig für sozial schwächere Menschen, Tiere und Umwelt engagieren – das lässt sich nur mit einer Freiwilligenarbeit im Ausland vereinbaren!«28 Überdies werben die Organisationen damit, die »bei einer Freiwilligenarbeit gewonnenen Qualifikationen« könnten sich im »späteren Arbeitsleben durchaus positiv niederschlagen«.29 Bei einigen Angeboten lassen sich die Freiwilligendienste mit Sprachkursen oder auch mit integrierten Rundreisen verbinden.30 Die Nachfrage bei den kommerziellen Freiwilligenorganisationen ist hoch, offenbar reizt zahlungskräftige Teilnehmer die »Alternative zum Pauschalurlaub«. ProjectsAbroad und TravelWorks gaben 2008 an, seit der Gründung ihrer deutschen Niederlassungen bei den Teilnehmerzahlen eine jährliche Steigerung von 20 bis 30 Prozent verzeichnet zu haben.31 Um die Jahrtausendwende nahmen etwa 10.000 britische Jugendliche jährlich an solchen Freiwilligendiensten teil.32 Die Bundesregierung griff diesen Trend zur Freiwilligenarbeit in »Entwicklungsländern« auf und führte 2008 »Weltwärts«, einen staatlich geförderten freiwilligen Entwicklungsdienst auf Taschengeldbasis ein, der sich vor allem an Schulabgänger richtete.33 251 Entsendeorganisationen, zu denen neben Entwicklungshilfeorganisationen und anderen Nichtregierungsorganisationen auch Kommunen und Kirchengemeinden gehören, wurden bis Januar 2014 durch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, das den Dienst fördert und dessen Richtlinien vorgibt, anerkannt.34 Bei ihnen gingen bislang jährlich über 10.000 Bewerbungen um einen Weltwärts-Dienst ein. Bis Ende 2013 nahmen 20.000 Freiwillige an dem Programm teil, knapp zwei Drittel von ihnen waren Frauen. Weltwärts wurde und wird gern als Bildungschance für Jugendliche propa­ giert. Angesichts der Globalisierung pries man »globales Lernen« und betrach­tete »interkulturelle Kompetenzen«, die speziell auch über den europäischen Raum (in Nepal) und 2.245 Euro (etwa in Südafrika oder Rumänien), zusätzlich sind noch die Flugkosten zu zahlen ProjectsAbroad/Projekteweltweit, Preise, Zugriff: 15. Mai 2013; http:// www.volunteering-weltweit.de/imagenes/pdf%20forms/Preisliste%20Volunteering%20 Weltweit.pdf, Zugriff: 15. Mai 2013. 27 Wortgleich bei into; TravelWorks, Freiwilligendienst, Zugriff auf beide Seiten: 31. Jan. 2014. 28 Praktikawelten, Zugriff: 31. Jan. 2014. 29 Ebd., Zugriff: 31. Jan. 2014. 30 Vgl. Metthey. 31 Ebd. 32 Simpson, S. 681. Vergleichszahlen für die Bundesrepublik liegen nicht vor. 33 Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Zugriff: 31. Jan. 2014. 34 weltwärts, Presse, Zugriff: 31. Jan. 2014.

335

hinausreichten, als »Schlüsselqualifikationen« für die zukünftige Generation.35 So hieß es in den Richtlinien zur Umsetzung des Programms, die durch das von dem FDP-Politiker Dirk Niebel geleitete Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung festgelegt wurden: »Neben Sprachkenntnissen und entwicklungspolitischen Fachthemen werden die Freiwilligen wichtige Kompetenzen der interkulturellen Kommunikation, Kooperation und sozialen Verantwortung erwerben, die in einer zunehmend globalisierten Bildungs- und Arbeitswelt von großem Wert sind.«36 Der Freiwilligendienst sollte also die Wettbewerbsfähigkeit der Jugendlichen steigern. Das Weltwärts-Programm brach mit dem traditionellen Grundsatz der bundesdeutschen »Entwicklungshilfe«, nur Fachkräfte als Helfer zu entsenden. Das Bundesministerium für Entwicklung und wirtschaftliche Zusammenarbeit verzichtete bei seiner offiziellen Präsentation von Weltwärts auf eine Diskussion der seit den sechziger Jahren erhobenen Frage, inwieweit die Entsendung un­ ausgebildeter Schulabgänger in die »Entwicklungshilfe« als kolonialistische Arro­ganz gewertet werden könnte.37 In der Öffentlichkeit und von einigen Entwicklungsorganisationen hingegen wird diese Frage immer wieder gestellt.38 Das Weltwärts-Programm wurde in der Presse als »organisierter Elendstourismus unter einem selbstlosen Etikett« kritisiert.39 Auch die kommerziell angebotenen Freiwilligenprogramme werden in der medialen Öffentlichkeit oft mit Skepsis betrachtet. In der »Süddeutschen Zeitung« etwa hinterfragte 2008 ein Artikel, »wie effektiv ein ungelernter Ortsfremder auf einem Kurztrip in einer ihm völlig unbekannten Kultur in einem ungewohnten Klima helfen kann«.40 Unter den Freiwilligen selbst wurde und wird ebenfalls erörtert, ob und wie ein Freiwilligendienst in einem »Entwicklungsland« ohne Ausbildung angemessen und sinnvoll sein könne. Dies zeigen nicht zuletzt von ihnen an­ gestoßene Initiativen, auch Freiwillige aus den sogenannten »Entwicklungsländern« für einen Dienst in Deutschland zu gewinnen. So gründeten ehemalige Weltwärts-Freiwillige den Verein »Zugvögel«. Der Verein definiert sein Programm als »praktische[n] Ausdruck« der »Ablehnung des verbreiteten Entwicklungsgedankens, der von einer Überlegenheit und Fortschrittlichkeit der westlichen Welt ausgeht«. Als Zielsetzung gibt er auf seiner Website an, »Zeichen für gleichwertige Teilhabe [zu] setzen, bei der der Norden nicht über Kooperationen mit dem Süden bestimmt«.41 Projekte, die von dieser Idee eines gleichwertigen Austauschs getragen sind, laufen allerdings nur in sehr kleinem Rahmen und 35 weltwärts, Programm; ders., Kinder- und Jugendarbeit, Zugriff: 10. Febr. 2014. Vgl. Becker; vgl. auch für die Auslandsdienste allgemein Becker u. Wicke, S. 153. 36 Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Zugriff: 31. Jan. 2014. 37 Ebd. 38 Vgl. Schwinge, S. 24–26; Haas. 39 Oelrich; Töpfel, Zugriff: 31. Jan. 2014; vgl. Jacobsen u. Pennekamp, Zugriff auf alle Seiten: 31. Jan. 2014. 40 Metthey; vgl. Papi, Zugriff: 31. Jan. 2014. 41 Zugvögel e. V., Zugriff: 31. Jan. 2014.

336

ohne offizielle Institutionalisierung durch die Bundesregierung.42 Im Vergleich zu den sechziger Jahren hatte das Streben nach globaler Egalität für die deutsche Entwicklungspolitik in diesem Punkt an Bedeutung verloren. Das Ziel, die Wettbewerbsfähigkeit der eigenen Jugend in der globalen Welt zu stärken, ließ darüber hinwegsehen. Die Gestalt der Arbeitsdienste, das zeigt dieser Ausblick auf ihre jüngste Geschichte noch einmal, hat sich seit ihrer Entstehung um die Wende zum 20. Jahrhundert trotz fortbestehender Kontinuitäten stark gewandelt. Der Arbeitsdienstgedanke erwuchs aus der Überzeugung, dass die Nation bzw. der Nationalstaat die Einübung staatsbürgerlicher Aufgaben einerseits, die gesellschaftliche Kohäsion andererseits zu gewährleisten habe. Dafür erschien es notwendig, spezielle Erziehungsinstitutionen zu schaffen. Staatsbürgerliche Arbeitsdienste galten als eine solche Erziehungsinstitution und gleichzeitig  – ähnlich wie der Militärdienst – als eine Art Gegenleistung, die im Ausgleich für die Gewährung der Staatsbürgerrechte zu erbringen sei. Sie wurden seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert in Deutschland und Großbritannien immer dann diskutiert, eingeführt oder in ihrer Form verändert, wenn Vorstellungen darüber ins Wanken ge­rieten, wie sich der Einzelne zur Allgemeinheit zu stellen habe, oder wenn der soziale Zusammenhalt gefährdet schien. Oft ging beides Hand in Hand. In der komplexen Matrix, die damit die Konzeption der Freiwilligendienste bestimmte, spielten in wechselndem Kräfteverhältnis vier Variablen eine zentrale Rolle: die Geschlechterordnung, die Militärverfassung, die Arbeitsmarktlage und die Sozialverfassung. Wie deren jeweilige Transformationen sich im Laufe des 20. Jahrhunderts auf die Gestaltung und Konjunktur der Jugendfreiwilligendienste auswirkten, soll hier abschließend noch einmal zusammengefasst werden. Um die Wende zum 20.  Jahrhundert gelangte die Arbeitsdienstidee in Deutschland zum Durchbruch. Ausschlaggebend dafür war das Ziel, entweder neue oder traditionelle Geschlechterrollen anzuerziehen. In dieser Alternative offenbarte sich bereits das Doppelgesicht, das der Arbeitsdienstgedanke von Beginn an trug: Denn eine derartige staatsbürgerliche Leistung ließ sich als Argument verwenden, um im Gegenzug Staatsbürgerrechte einzufordern, sie konnte also emanzipatorisch wirken. Ebenso war es aber auch möglich, sie als Staatsbürgerpflicht zu definieren, womit in der Regel eine disziplinierende Wirkung erzielt werden sollte. So kam es, dass sich sowohl Teile der bürgerlichen Frauen­ rechtsbewegung als auch deren Gegner für die Schaffung weiblicher Arbeitsdienste einsetzten. Beide Seiten waren dabei jedoch insofern dem Gedanken einer – so der Ausdruck der englischsprachigen Forschung – »domestic citizen­ ship« verpflichtet, als sich solche Dienste vor allem pflegerischen und erzieherischen Aufgaben widmen sollten und damit in einem traditionell weiblich­ besetzten Feld verblieben. 42 Vgl. S. Erb, Austausch andersherum, in: Die ZEIT, 14. Juni 2012, Nr. 25, S. 73.

337

Der Gedanke weiblicher Arbeitsdienste war untrennbar mit demjenigen des Militärdienstes männlicher Staatsbürger verbunden. Dies erklärt, weshalb er in Großbritannien nicht Fuß fasste, denn dort herrschte bis zum Ersten Weltkrieg keine Wehrpflicht und die britische Gesellschaft feierte voluntary spirit als Nationaleigenschaft. Die enge Assoziation des Arbeitsdienstes mit dem Militärdienst zeigte sich zudem darin, dass die Veränderungen der Wehrverfassung in der Zeit der Weltkriege den Arbeitsdienstgedanken stark beeinflussten: In Deutschland entwickelten sich erste männliche Arbeitsdienste just in dem Moment, als die allgemeine Wehrpflicht aufgrund der Bestimmungen des Versailler Vertrages abgeschafft werden musste. Für ihre meist bürgerlichen und national gesinnten Befürworter sollten Arbeitsdienste die disziplinierenden Funktionen des Militärdienstes übernehmen, für manche sogar zur Wehrhaftigkeit erziehen. In Großbritannien hingegen war es die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht während des Zweiten Weltkrieges, welche zivile Arbeitsdienste als Wehrersatzdienste entstehen ließ. Als entscheidend für die Verbreitung der Arbeitsdienste erwiesen sich darüber hinaus in beiden Ländern die als bedrohlich wahrgenommen sozialen Spannungen der Zwischenkriegszeit. Anhänger des Arbeitsdienstes hegten die Überzeugung, dass er soziale Harmonie stiften könne – eine Vorstellung, die ebenfalls vom Militärdienst auf ihn übertragen wurde. Nicht nur christlich motivierte Pazifisten versuchten, sich mit den friedensorientierten internationalen Workcamps die zusammenschweißende Wirkung, die der gemeinsam verrichteten Arbeit zugeschrieben wurde, zu Nutze zu machen. Vielmehr war dies ebenso auch das Ziel der nationalen Arbeitslagerbewegungen, die darin einen Lösungsweg zur Beilegung des Klassenkampfes sahen. Die Hoffnung, dass Arbeitslager Klassengegensätze abmildern könnten, gewann wohl nicht zuletzt deshalb an Überzeugungskraft, weil Arbeit in der Zwischenkriegszeit aufgrund der verbreiteten Erwerbslosigkeit eine Aufwertung erfuhr. Mit Gewissheit lässt sich zumindest sagen, dass die hohen Erwerbslosenzahlen der Institution des Arbeitsdienstes zahlreiche weitere Anhänger bescherten. Arbeitsdienste erschienen als geeignetes Mittel, um den Arbeitsmarkt zu entlasten. Während der Weimarer Republik propagierten bürgerliche Kreise diese oftmals nicht nur, weil sie fürchteten, dass die Erwerbslosigkeit soziale Unruhen nach sich ziehen könne, sondern weil sie zugleich in der Erwerbsarbeit gerade für junge Menschen eine wichtige Disziplinierungsinstanz erblickten. Auch hierfür sollte der Arbeitsdienst Ersatz bieten. Besonders der Weimarer Arbeitsdienst zog denn auch Hundertausende Teilnehmer an, die britischen Dienste der Zwischenkriegszeit verbuchten jedoch ebenfalls einen g­ roßen Zulauf. Einen tiefen Einschnitt in der Geschichte der Arbeitsdienste stellte die Einführung des nationalsozialistischen Pflichtarbeitsdienstes 1935 dar, der vom Einzelnen die vollständige Unterordnung unter das Kollektiv verlangte. Sein Entstehen stärkte in Großbritannien das Lager der Arbeitsdienstgegner und verlieh dem Prinzip der Freiwilligkeit weiteres Gewicht. Nach 1945 machte sich dies auch in Westdeutschland bemerkbar: Im Vergleich zu Großbritannien hatte der 338

Wert der Freiwilligkeit für die deutsche Selbstsicht traditionell eine geringere Bedeutung innegehabt. Im ersten Drittel des Jahrhunderts wurde hier über Freiwilligkeit in erster Linie unter pädagogischen Fragestellungen diskutiert: Reformpädagogen hielten freiwilliges Lernen für effektiver als erzwungenes. Nach dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Regimes priesen Politiker und mediale Wortführer Freiwilligkeit in Westdeutschland – auch in Abgrenzung gegenüber dem kommunistischen Osten – zunächst vor allem als Wesensmerkmal einer »freien Gesellschaft«, assoziierten sie aber außerdem in wachsendem Maße mit einer demokratischen Gesellschaftsform. Zwar blieb die Einführung eines Pflichtarbeitsdienstes in Westdeutschland über die Jahrzehnte hinweg ein heiß umstrittenes Thema. Politisch war sie jedoch nicht mehr durchsetzbar. Bedingt durch die Erfahrungen der nationalsozialistischen Herrschaft und des Krieges sowie durch die Wohlstands- und Wohlfahrtsentwicklung veränderten sich im Jahrzehnt zwischen 1945 und ca. 1955 sämtliche Variablen, welche die Diskussion und Gestaltung von Jugendfreiwilligendiensten prägten: Die traditionelle Geschlechterordnung geriet in Fluss; während die Militärverfassung in beiden Ländern weitere Schwankungen durchlief, verloren Nationalismus und Militarismus an Anziehungskraft; die Sozialverfassung unterlag vor allem in Großbritannien tiefgreifenden Reformen, der Klassenkampf schien im allgemein steigenden Wohlstand seine Explosivität zu verlieren, und die Arbeitsmarktlage entspannte sich. Damit wurde der Arbeitsdienstgedanke in seinen Fundamenten erschüttert und tatsächlich erlebte er in den ausgehenden vierziger und frühen fünfziger Jahren eine Schwächephase. Diese war jedoch nur von kurzer Dauer: Zum einen lieferten die Abkehr vom Militarismus und das langsame Nachlassen des Nationalismus der friedensorientierten Workcampbewegung neue Impulse, die unter anderem 1958 in die Gründung der ­A ktion Sühnezeichen mündeten. Zum anderen war es der Ausbau des sozialstaatlichen Systems, der in beiden Ländern der Idee sozialer Jugenddienste den Atem einhauchte: Seit den späten fünfziger Jahren verbreitete sich in der Politik, in der medialen Öffentlichkeit, bei den Freiwilligenorganisationen und bei den Freiwilligen selbst die Auffassung, es bestehe eine staatsbürgerliche Verpflichtung zur sozialstaatlichen Partizipation. Zwar entwickelten sich die in dieser Zeit entstehenden Dienste nicht über Nacht zu einem Massenphänomen, doch nahmen die Teilnehmerzahlen in beiden Ländern stetig zu. Nicht zuletzt weil in der Bundesrepublik der Staat das Freiwillige Soziale Jahr massiv subventionierte, etablierten sich Langzeitdienste hier in stärkerem Maße als in Großbritannien. Man muss nicht von dessen teleologischen Zwangsläufigkeit ausgehen, um Thomas H. Marshalls Modell der social citizenship insofern zuzustimmen, als die politischen und bürgerlichen Rechte in Großbritannien ebenso wie in der Bundesrepublik und in vielen anderen Staaten im 20. Jahrhundert um ein beachtliches Spektrum an sozialen Rechten erweitert wurden. Daraus folgte  – wenn auch mit einigen Jahrzehnten Verzögerung  – die Definition sozialen Engagements als einer freiwillig zu leistenden »Staatsbürgerpflicht«. In den deutschen 339

Diskussionen über den weiblichen Arbeitsdienst um die Wende zum 20. Jahrhundert lässt sie sich zuerst entdecken. Die freiwilligen Arbeitsdienste für Erwerbslose, die dann in der Zwischenkriegszeit in Deutschland und Großbritannien angeboten wurden, lassen sich ebenfalls als Schritt in diese Richtung betrachten: Mit ihnen sollten sich vor allem diejenigen, die auf staatliche Unterstützung angewiesen waren, diese gewissermaßen selbst verdienen. Insofern lassen sich diese Dienste zwar als sozialstaatliche Maßnahme beschreiben, sie widmeten sich selbst mit ihrer Arbeit allerdings in der Regel nicht sozialstaatlichen, sondern infrastrukturellen Aufgaben. Freiwillige Sozialarbeit an sich war kein neues Phänomen. Sie wurde jedoch bis ins 20.  Jahrhundert hinein vorrangig entweder als Gebot der christlichen Nächstenliebe oder als paternalistische Pflicht wohlhabender Schichten betrachtet. Neu war in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, dass der Aufruf zu sozialem Engagement zunehmend säkularisiert und universalisiert wurde. Das bedeutet nicht, dass eine staatsbezogene Deutung von Freiwilligendiensten, wie sie in Politik und Medien dominierte, konkurrenzlos blieb. Zum einen wurden die älteren Sichtweisen sozialer Freiwilligenarbeit nicht gänzlich verdrängt: Sie konnten mit dem staatsbezogenen Verständnis teilweise Hand in Hand gehen. Zum anderen sprechen die Quellen auch noch in der Zeit der politischen und medialen Lobpreisungen bürgerschaftlichen Engagements seit den 1990er Jahren dafür, dass diese wohlmöglich nur von einer Minderheit ernst genommen wurden. Zu bedenken ist überdies, dass eine staatliche Verpflichtung zu einem sozialen Dienstjahr, wie sie nicht nur in der Bundesrepublik, sondern seit den siebziger Jahren auch in Großbritannien politisch gefordert und debattiert wurde, sich weiterhin nicht durchsetzen konnte. Der Ausbau der Sozialstaatlichkeit ging mit einem tiefgreifenden Wandel der Geschlechterrollen einher. Bei der Entstehung des freiwilligen Sozialjahres flossen beide Entwicklungen zusammen, und zwar in der Bundesrepublik und in Großbritannien jeweils auf ganz spezifische Weise: Während es in den fünfziger und sechziger Jahren das Ziel der mehrheitlich konservativen bundesdeutschen Befürworter der Sozialdienste war, die weibliche Jugend auf die traditionelle Hausfrauen- und Mutterrolle einzustimmen, waren die ersten britischen Jugendsozialdienste für die männliche Jugend konzipiert. Hier sollte der Dienst einen Ersatz für den in den sechziger Jahren wieder abgeschafften Militärdienst sowie für den Kolonialdienst bieten, der lange Zeit als wichtige Ausbildungsstation für die Jugend der britischen Elite gegolten hatte. Wenngleich in beiden Ländern karitative Hilfsdienste gemeinhin noch bis weit ins 20. und teilweise 21. Jahrhundert hinein als weibliche Aufgabe galten, wurde diese Geschlechterzuschreibung in Großbritannien schon in den späten fünfziger Jahren und damit früher als in der Bundesrepublik brüchig. Dass karitative Aufgaben hier etwas eher als in der Bundesrepublik auch für Männer denk- und durchführbar waren, lässt sich mit der wichtigen Rolle erklären, welche voluntary spirit für das nationale Selbstverständnis vieler Briten beider­lei Geschlechts spielte. Allgemein war die Zuordnung der Geschlechter340

rollen beim öffentlichen Engagement in Großbritannien etwas weniger starr als in der Bundesrepublik. Dies galt bereits im ausgehenden 19. und beginnenden 20.  Jahrhundert, verstärkte sich jedoch in expliziter Abgrenzung zur rigiden Geschlechterideologie des Nationalsozialismus. Obzwar beim nationalsozialistischen Frauenbild Ideal und Wirklichkeit stark auseinanderklafften, wuchsen damit die nationalen Unterschiede nicht nur in der Kriegs-, sondern auch in der Nachkriegszeit. Denn während eine liberalere Geschlechterordnung in Großbritannien durch die Distanzierung vom Nationalsozialismus gestärkt wurde, war in Westdeutschland nach 1945 das Gegenteil der Fall: Bei ihrer Suche nach Orientierung bemühten sich konservative Kreise nach dem Zusammenbruch der nationalsozialistischen Herrschaft mit Nachdruck darum, die traditionelle Geschlechterordnung wiederherzustellen. Die Freiwilligen selbst hingegen hatten oft ganz andere Motive und betrachteten ihren Dienst als Möglichkeit, sich beruflich zu orientieren oder weiterzubilden. In den ausgehenden sechziger und in den siebziger Jahren geriet freiwilliges Engagement aus verschiedenen Gründen erneut in die Diskussion. Dies galt für die Bundesrepublik in gleicher Weise wie für Großbritannien. Einerseits verlor Freiwilligenarbeit im Zuge der fortschreitenden und weithin begrüßten Professionalisierung an Legitimation: Im Vergleich zur Arbeit ausgebildeter Kräfte schien sie qualitativ abzufallen. Andererseits erfuhr jedoch freiwilliges Engagement dadurch eine Aufwertung, dass die Neue Linke, obwohl sie paternalistische Wohltätigkeit verurteilte, den politischen Aspekt sozialer Arbeit für sich entdeckte. Angesichts der nun verbreiteten Skepsis gegenüber staatlichen Autori­täten zog vor allem eine Funktion die Aufmerksamkeit auf sich, die in Großbritannien von Verfechtern des voluntary principle schon in früheren Zeiten gern propagiert worden war, in den deutschen Diskurs über die Freiwilligendienste aber bis in die sechziger Jahre kaum Eingang gefunden hatte: Als große Stärke des Freiwilligensektors sah die Neue Linke dessen Unabhängigkeit, die es ermögliche, die Staatsmacht zu kritisieren und damit auch zu kontrollieren. Dadurch erhielt das Verständnis von Freiwilligenarbeit als Funktionselement einer demokratischen Gesellschaft Auftrieb: Insbesondere in Großbritannien wurde sie in dieser Lesart gern als Recht anstatt als Pflicht definiert. Ihre Politisierung führte überdies zu einer Aufweichung der vor allem in der Bundesrepublik starren Definition sozialer Dienste als weibliche Aufgabe. Die nach dem Ölpreisschock Mitte der siebziger Jahre zunehmende Erwerbslosigkeit und die durch die wachsenden Finanzsorgen angefachten Auseinandersetzungen über die Leistungskraft des Sozialstaats ließen bald ganz andere Funktionen der Jugendfreiwilligendienste in den Vordergrund treten: Politik und Medien erblickten in ihnen zunächst ein Mittel zur Reduzierung der Arbeitslosenzahlen. Beginnend mit dem Thatcherismus empfahlen neoliberale Politiker und Journalisten Freiwilligenarbeit immer häufiger als Alternative zu staatlichen Sozialleistungen. Indem sie vermehrt auf die Marktlogik setzten, verschoben sie abermals die Gewichte im Verhältnis zwischen Einzelnem und Allgemeinheit: Der Staat wurde sozialstaatlicher Pflichten ­zunehmend­ 341

enthoben, während die Verpflichtung des Einzelnen weiter betont wurde. Eine Folge dieser politischen Aufwertung der Freiwilligenarbeit war, dass auch die Freiwilligen selbst sie zunehmend als Mittel sahen, die eigene Wettbewerbsfähigkeit auf dem Arbeitsmarkt zu erhöhen. Die massive politische Förderung der Dienste und diese neue Motivation ließen die Teilnehmerzahlen seit den siebziger Jahren in die Höhe schnellen und die Jugendfreiwilligendienste zu einem Massenphänomen werden. In der seit den neunziger Jahren so lebhaft geführten politischen Debatte um den Wert von Freiwilligendiensten wurden und werden diese weiterhin gern als demokratische Bürgerpflicht beschrieben, wobei allerdings die in den siebziger Jahren gepriesene politische Kontrollfunktion nur noch eine untergeordnete Rolle spielt. Gewiss lässt sich argumentieren, dass etwa der Beitrag von Freiwilligendiensten zur Schaffung von Chancengleichheit oder die darüber gewonnenen Kenntnisse gesellschaftlicher Probleme unter Umständen der Demokratie zugutekommen können. Dennoch lässt sich die starke Betonung des demokratischen Elements von Freiwilligendiensten auch als Strategie deuten, ein möglichst konsensuales Ziel für ihre Förderung zu definieren. Die Absicht, die Demokratie zu stärken, ruft in der Bundesrepublik und in Großbritannien keine Widerstände hervor. Die Forderung nach einer Ausgleichsleistung der Bürger für staatliche Wohlfahrtsleistungen ist dagegen viel umstrittener, zumal wenn sie den Verdacht erweckt, dass mit ihr Kürzungen eben dieser Leistungen kompensiert oder verdeckt werden sollen. Der Blick auf die Geschichte der Jugenddienste kann die Ambivalenzen freiwilliger Arbeit in Erinnerung rufen, die das politische Lob, das ihnen derzeit gezollt wird, mitunter in Vergessenheit geraten lässt. Er zeigt vor allem, dass Freiwilligenarbeit nicht nur demokratischen Zielsetzungen folgen muss und durchaus Gefahren bergen kann. Sie kann z. B. reguläre Arbeitsplätze ersetzen oder der Klientelwirtschaft Vorschub leisten. Außerdem bleibt die Qualität der geleisteten Arbeit teilweise hinter derjenigen professioneller Kräfte zurück.43 Bedenken, die solcherlei kritische Aspekte des freiwilligen Engagements reflektieren, werden zwar in anonymen Internetkommentaren zum Thema Freiwilligkeit geäußert, tauchen aber im politischen und journalistischen Diskurs nur noch selten auf.44

43 Vgl. Grunow u. Olk, S. 1031. 44 Vgl. z. B. die Kommentare zu Schmidt, Mit guten Werken.

342

Dank Es freut mich, rückblickend all denjenigen zu danken, die mich in den vergangenen Jahren bei der Fertigstellung dieses Buches unterstützt haben: Gunilla Budde begleitete den Entstehungsprozess dieser Studie mit Ansporn, Interesse, Vertrauen und Optimismus. Sie, Eckart Conze und Andrea Strübind haben das als Habilitationsschrift eingereichte Manuskript begutachtet und damit gleichzeitig wertvolle Anregungen zu dessen letztem Schliff geliefert. Danken möchte ich überdies den Herausgebern der Kritischen Studien für Geschichtswissenschaft, deren Kommentare dem Endprodukt ebenfalls zugute gekommen sind, sowie Daniel Sander vom Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, der in zuverlässiger Zusammenarbeit dafür sorgte, dass aus dem Manuskript ein Buch wurde. Die Alexander von Humboldt-Stiftung gewährte nicht nur einen großzügigen Druckkostenzuschuss, sondern bescherte mir zuvor bereits mit einem FeodorLynen-Stipendium eine intensive und fruchtbare Forschungszeit in Großbritannien. In der Schreibphase verhalf mir überdies ein Fellowship am Freiburg Institute for Advanced Studies (FRIAS) zu einem Jahr lehrverpflichtungsfreier Arbeit am Manuskript. Beiden Institutionen danke ich ebenso wie Oliver Zimmer und John Davis, die mir als wissenschaftliche Gastgeber an der Universität Oxford mit Rat und Tat zur Seite standen. Zu Dank bin ich ferner all jenen Archiven, Bibliotheken und Freiwilligenorganisationen verpflichtet, die mir die Quellenrecherche ermöglichten bzw. erleichterten. Die Familie Danckwortt ließ mich in ihr Privatarchiv Einsicht nehmen. Nikolaus Ell von Youth Action for Peace in Bonn, Elisabeth Freise von Eirene in Neuwied, Peter Runck vom Internationalen Bauorden in Worms und Arno Thomas von den IJGD in Bonn empfingen mich mit besonderer Großzügigkeit, indem sie mir nicht nur Zugang zu den jeweiligen Organisationsarchiven gewährten, sondern mir darüber hinaus während meiner Forschungsbesuche eine Unterkunft stellten. Heidi Schöpfer half mir bei der Kontaktaufnahme zu einigen Workcamp-Organisationen. Konrad Weiß ließ mir einige Quellenkopien zur Aktion Sühnezeichen zukommen. Susanne Michl und mein Bruder Matthias Krüger beherbergten mich bei verschiedenen Archivaufenthalten. Des Weiteren gilt mein Dank den ehemaligen Freiwilligen, die sich zu einem Interview bereit erklärten: Insbesondere Traudel Sandel nahm sich hierfür viel Zeit. Sonja Levsen, zu der eine enge Freundschaft aus der Studienzeit währt, und Wencke Meteling, die mir als treue Freundin sogar schon seit unserer ersten Studienwoche verbunden ist, nahmen das gesamte Manuskript kritisch unter die Lupe und haben es durch ihre klugen Anmerkungen sehr bereichert. ­Matthias Krüger, Till Krüger, Christina Norwig und Jan Carsten Schnurr ­haben jeweils 343

Teile korrekturgelesen. Sabine Dworog, Thomas Etzemüller, Dieter L ­ angewiesche und Sabine Moller kommentierten eine erste längere Projektskizze und halfen so bei wichtigen Weichenstellungen. Ihnen allen gebührt mein herzlicher Dank.­ Johanna Bichlmaier, Nabiela Farouq und Manuel Hoff halfen am FRIAS bei der Buchbeschaffung und der Recherche. Auch ihnen danke ich herzlich. Vortragsdiskussionen sowie informelle Gespräche mit meinen Kolleginnen und Kollegen am Historischen Institut in Oldenburg, an der History Faculty an der Universität Oxford, am FRIAS in Freiburg sowie am Graduiertenkolleg »Generationengeschichte« in Göttingen brachten die Arbeit immer wieder voran. Profitiert hat die Studie außerdem von der Diskussionsbereitschaft der Forschungskolloquien von Jörn Leonhard und Franz-Josef Brüggemeier in Freiburg; von Hubertus Büschel, Dirk van Laak, Friedrich Lenger und Ulrike Weckel in Gießen; von Cornelia Rauh in Hannover; von Andreas Gestrich am DHI London und von Andreas Rödder in Mainz. Jörg Neuheiser lieferte als Kommentator zu meiner Projektpräsentation am FRIAS kluge Anregungen. Von ganzem Herzen möchte ich schließlich meiner Familie danken: Meine Eltern haben mich stets auf vielfältige Weise unterstützt. Elisa, die schneller wuchs als das Manuskript, hat immer wieder auf konstruktive Pausen im Schreibprozess bestanden. Rogelio Madrueño Aguilar, den ich ohne die Recherchen für dieses Projekt nicht kennengelernt hätte, ließ sich darauf ein, dass die Arbeit an diesem Buch nicht nur meine, sondern auch seine Lebensstationen mit bestimmte. Ihm gilt mein größter und innigster Dank: ¡Muchísimas gracias por la paciencia y el apoyo!

344

Abkürzungen ABDKJ Archiv des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend ACFYAP Archiv des Christlichen Friedensdienstes/Youth Action for Peace ACSV Archiv der Community Service Volunteers ADRK Archiv des DRK ADC Archiv des Deutschen Verbandes der Caritas AE Archiv Eirene ADE Archiv für Diakonie und Entwicklung AIBO Archiv des Internationalen Bauordens AIJGD Archiv der Internationalen Jugendgemeinschaftsdienste AS(Z) Aktion Sühnezeichen ASF Aktion Sühnezeichen Friedensdienste ASD Archiv der Sozialen Demokratie AVK Archiv des Volksbundes für Kriegsgräberfürsorge AWO Arbeiterwohlfahrt BA Bundesarchiv Koblenz BBC British Broadcasting Company BDKJ Bund der Katholischen Jugend CCA Coventry Cathedral Archives CCC Civilian Conservation Corps COBSRA Council of British Societies for Relief Abroad CSV Community Service Volunteers DPWV Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband DJ Diakonisches Jahr DDR Deutsche Demokratische Republik DRK Deutsches Rotes Kreuz EMNID Erforschung der öffentlichen Meinung, Marktforschung, Nachrichten, Informationen, Dienstleistungen EZA Evangelisches Zentralarchiv FSJ Freiwilliges Soziales Jahr IJGD Internationale Jugendgemeinschaftsdienste IVSP International Voluntary for Peace JRULM John Rylands University Library of Manchester KPD Kommunistische Partei Deutschlands LARSF Library and Archives of the Religious Society of Friends SCI Service Civil International SCIIA Service Civil International, International Archives TNA The National Archives UNRRA United Nations Relief and Rehabilitation Administration VSO Voluntary Service Overseas ZADN Zentralarchiv Diakonie Neuendettelsau

345

Bildnachweis Abb. 1: Abb. 2: Abb. 3: Abb. 4: Abb. 5: Abb. 6: Abb. 7: Abb. 8: Abb. 9: Abb. 10: Abb. 11: Abb. 12:

BA, Bild 183-C12671, Nürnberg, Reichsparteitag, RAD-Parade, Sept. 1937. Das Soziale Jugendwerk in Berlin, in: Blickpunkt. Zeitschrift für junge Menschen, Jg. 1, 1951, Nr. 2, S. 16. © Landesjugendring Berlin/1951. Reichsarbeitsdienst auf dem Wege zu einer Kundgebung der NSDAP, ca. 1939, BA, B 145 Bild-P021658. Wie können Sie eingesetzt werden? Werbeprospekt für das Freiwillige­ Soziale Jahr der Arbeiterwohlfahrt, ADE, HGSt 4823, andere Verbände. Helferinnen beim Hausputz, in: Tübinger Brief, Jg. 13, 1966, Nr. 7, S. 179. Foto: Internationaler Bund. Bundesminister Dr. Heck im Kreise der Helferinnen beim Kaffeetrinken, in: Tübinger Brief, Jg. 12, 1965, Nr. 5, S. 117. Foto: © picture alliance/Aßmann Werbung für das Diakonische Jahr, 1958, ADE, HGSt 986. Werbung für das FSJ der konfessionellen Trägerverbände, ADE, HGSt 2863. Werbung für das FSJ beim DRK, ADE, HGSt 4823. Adams, S. 81. Dickson, Chance, S. 48 f. Werbebroschüre des DRK, ohne Paginierung, BA, B 189/5786.

Autorin und Verlag danken für die Überlassung von Bildvorlagen und die Er­teilung von Publikationsgenehmigungen. Die Autorin hat sich bemüht, die Copyrights bei den Besitzern der Werke und den Urhebern der fotografischen Werke einzuholen. Nicht in allen Fällen ist es gelungen, die Inhaber der Copyrights ausfindig zu machen.

347

Quellen- und Literaturverzeichnis 1. Archivalien Archiv der Community Service Volunteers, London AGD A3. AGD B1. AGD B2. AGD C1. AGD C5. AGD C9. AGD D1. AGD F1. AGD G9. AGD H1. AGD J1.

Archiv der Internationalen Jugendgemeinschaftsdienste, Bonn

Ordner 1. Ordner 2. Ordner 3. Ordner 4. Ordner 5. Ordner 7. Brosch, B.: Das FsJ Untersuchung zu den Bedingungen einer praxisorientierten Jugend­ bildungsarbeit, unveröffentlichte Diplomarbeit, Universität Münster, 27. Okt. 1978. Michel, K.: Freiwilligenarbeit und soziales Lernen. Möglichkeiten für soziales Lernen am Beispiel der Internationalen Jugendgemeinschaftsdienste e. V. (IJGD), Diplomarbeit im Fachbereich Erziehungswissenschaften der Universität Frankfurt a. M., Oktober 1976.

Archiv der Sozialen Demokratie, Bonn NL Dieter Danckwortt.

Archiv des Bundes der Katholischen Jugend, Katholisches Jugendhaus, Düsseldorf

A 3501 Freiwilliges Soziales Jahr. A 2068 Soziale Dienste – wozu? A 2265. Franken, K., Denn Liebe braucht der Mensch, hergestellt im Auftrag der Arbeits­ gemeinschaft »Jahr für die Kirche« im Erzbistum Köln, o. J., 32 Minuten. BDKJ (Hg.), Ausreißer, Heimatlose, Suchende, Karriereplaner, Eine Untersuchung zum Freiwilligen Sozialen Dienst im Europäischen Ausland, Sept. 1995.

349

Archiv des Christlichen Friedensdienstes/Youth Action for Peace, Frankfurt a. M. Korrespondenz Gertrud Kurz. Ordner: Archiv, Gründung, Referate, Protokolle, 1948–1970. Lager 1959–1970. Lagerberichte 1960–1970.

Archiv des DRK, Berlin W Werbemittel.

Archiv des Deutschen Caritasverbands, Freiburg i. Br.

084 N26: Freiwilliger Sozialer Dienst. 317: Caritas und Jugend. Verbindungsausschuss zwischen Deutschem Caritasverband und BDKJ. 319.4: Jugendsozialarbeit. 921.9: Freiwilliges Soziales Jahr/Freiwilliger Sozialer Dienst. 111.55: Zentralrat des Deutschen Caritasverbandes. 110.055: Zentralvorstand des Deutschen Caritasverbandes.

Archiv des Internationalen Bauordens, Worms Zeitungsausschnittsammlung. Korrespondenz.

Archiv des Volksbundes für Kriegsgräberfürsorge, Kassel

A.100–4 Gesellschaft 4, Jugend und Schularbeit, Versöhnung über den Gräbern. Ordner: Jugendreisedienst Auslandsfahrten 1952–1955. Ordner: Schriftwechsel Rhein Pfalz. Ordner: Vorstandssitzungen von Jan. 1953 – Juni 1954 Ordner: Vorstandssitzungen vom 3. Sept. 1954 bis 13. Aug. 1955.

Archiv Eirene, Neuwied

Aktenordner: Eirene I, Correspondence with Friends and Information Requests 1958–1966.

Archiv für Diakonie und Entwicklung, Berlin

ADW, HGSt III 251, Freiwillige Soziale Dienste. ADW, HGSt III 252, Diakonisches Jahr. CAW 714, Freiwilliger Arbeitsdienst. CAW 754/756, Bundesjugendplan, abgelehnte Anträge. CAW 772/1159, Arbeitskreis Mädchensozialarbeit. CAW 765, Freiwilliger Jugend- und Aufbaudienst. CAW 897, Bundesjugendplan Grundsätzliches Mädchensozialarbeit. CAW 898/1168, Mädchensozialarbeit. ZB 1146, Bd. 1, Freiwillige Jugendarbeit in Schleswig-Holstein. ZB 149, Freiwilliger Jugend- und Aufbaudienst in Baden-Württemberg. ZB 1161, Arbeitsgemeinschaft Evangelischer Jugendaufbaudienst.

350

Bundesarchiv Koblenz

B 149/22268, 22271, Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, Gesetzentwurf FSJ, 1962–1967. B  149/6314, Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, Einführung eines freiwilligen sozialen Hilfsdienstes für Mädchen, 1962. B 153/147, Bundesministerium für Familie und Jugend, 1. Jugendbericht.- Entwürfe einzelner Kapitel. Freiwilliger Sozialer Dienst, 1964. B 153/150, Bundesministerium für Familie und Jugend, Wiedereinführung eines freiwilligen Arbeitsdienstes. Eingaben, 1951–1954. B  189/5782–5784, 5795–5796, Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit, Freiwilliger Sozialer Dienst, Pflichtjahr für Mädchen, insgesamt 1960–1976. B  189/529, 3920, 4476–4477, Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und­ Gesundheit, Gesetzentwürfe FSJ bzw. zur Förderung, freiwilliger sozialer Hilfsleistungen, 1963–1974.

Coventry Cathedral Archives, Coventry PA2506/25/2 Dresden.

John Rylands University Library of Manchester, Methodist Collections Home Missions Division, Box 1 A 24. Home Missions Division, Box 1 H 37. Home Missions Division, Box 2 A 4. Home Missions Division, Box 2 J 79. Home Missions Division, Box 2 J 80.

Evangelisches Zentralarchiv, Berlin

97, Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste. 614, NL Lothar Kreyssig.

Landesarchiv Berlin

B Rep. 002, Nr. 8637. B Rep. 20, Nr. 1695. B Rep. 042, Nr. 28598.

Library and Archives of the Religious Society of Friends, London Box FSC/GE/16. Box FSC/GE/18. Box FRS/1992/24, Personnel/Recruitment. Box FRS/1992/30, Post-war Service Committee & Group. Box QSRE/WKC/20, Overseas Work Camp Files.

Privatarchiv Familie Danckwortt

Vision vom Staat. Dieter Danckwortt: Lebenserinnerungen.

351

Service Civil International, International Archives, La Chaux-de-Fonds 31000, SCI Germany. 31001, SCI Germany, Group Saar. 31003, SCI Germany. 30305, IVSP/IVS Great Britain. 30307, IVSP/IVS Great Britain. 30312, IVSP/IVS Great Britain, Overseas Service.

The National Archives, London

BN 29/2660, Meeting with Mr. A. Dickson and the Home Secretary. CO 859/1447, VSO: CDW Grant. ED 124/382, Young Volunteer Force Foundation: finance. FO 371/164566, UK technical assistance for overseas development, VSO. OD 10/40, Committee on Voluntary Service Overseas. OD 10/56, Department of Technical Co-operation and successors, VSO Policy. OD 10/64, Volunteers programme 1966–1967: replies to circular dated 3 Dec 1965. OD 10/68, Miscellaneous correspondence, Department of technical Co-operation/VSO. OD 62/58, Community Service Volunteers: papers PCOM 9, Prison Commission and Home Office, Prison Department, Registered­ Papers, Series 2. PREM 15/1816, Prime Minister’s Office, Correspondence with Speaker about Young Volunteer Force Foundation. PREM 19/369, Social Services. Prime Minister’s meeting with representatives of the Community Service Volunteers to discuss youth’s unemployment. SS 407/08, Department of Technical Co-operation and successors: VSO, Programme for 1965. T 353/29, Young Volunteer Force Foundation: establishing and financing.

Zentralarchiv Diakonie Neuendettelsau D 5/2, Diakonisches Jahr.

2. Interviews S. Reuß, 18. Juni 2007, Freiwilliges Soziales Jahr beim DRK, 1980/81. T. Sandel, 30. Aug. 2008, Freiwilliges Soziales Jahr der Caritas, Diözese Rottenburg, 1964.

3. Systematische ausgewertete Periodika Die Zeit. FAZ. Junge Stimme. The Times. The (Manchester) Guardian. Tübinger Brief.

352

4. Gedruckte Quellen und Literatur Anonym, Arbeitsvermittlung junger Mädchen nach Großbritannien, in: Informatio­ nen für die Frau, 1965, Nr. 11/12, S. 12 f. Anonym, Jugendaufbauwerk Ulm a.D., in: Landesarbeitsgemeinschaft Jugendaufbauwerk, S. 9. Anonym, Jugendsozialwerk Gruppe Kälberbronn/Schwarzwald, in: Landesarbeitsgemeinschaft Jugendaufbauwerk, S. 8. Anonym, Jugendsozialwerk Hofgruppe Sigmaringen, in: Landesarbeitsgemeinschaft Jugendaufbauwerk, S. 16. Abercombie, L. u. a., Camp Communities, in: The British Medical Journal, 27. Mai 1933, S. 939. Adams, M., Voluntary Service Overseas. The Story of the First 10 Years, London 1968. Adonis, A. u. S. Pollard, A Class Act. The Myth of Britain’s Classless Society, London 1997. Albertin, L., Politische Jugendarbeit und nationale Frage im geteilten Deutschland 1945–1961, in: A. Bauerkämper u. a. (Hg.), Doppelte Zeitgeschichte. Deutsch-deutsche Beziehungen 1945–1990, Bonn 1998, S. 32–43. Allport, G. W., An Evaluation of AFSC Volunteer Work Service Camps in Germany, in: H. W. Riecken (Hg.), The Volunteer Work Camp. A Psychological Evaluation, Cambridge, Mass. 1952, S. 187–220. Altmann, G., Abschied vom Empire. Die innere Dekolonisation Großbritanniens 1945–1985, Göttingen 2005. Amt für Jugendarbeit der Evangelischen Kirche von Westfalen (Hg.), Soziale Verantwortung erkennen, leben und weitergeben. 50 Jahre Diakonisches Jahr, Schwerte 2005. Amthor, R. C., Die Geschichte der Berufsausbildung in der Sozialen Arbeit. Auf der Suche nach Professionalisierung und Identität, Weinheim 2003. André, G., SozialAmt. Eine historisch-systematische Einführung in seine Entwicklung, Weinheim 1994. Arbeitsgemeinschaft für Jugendpflege und Jugendfürsorge (Hg.), Das Freiwillige­ Soziale Jahr, Bonn-Venusberg 1965. Arbeitsgruppe X, Die ehrenamtliche Mitarbeit in der Sozial- und Jugendarbeit, in: Verein für öffentliche und private Fürsorge (Hg.), Vier Jahre Bundessozialhilfegesetz und Jugendwohlfahrtsgesetz. Wege in die Zukunft, Frankfurt a. M. 1966, S. 480–534. Arbeitskreis freiwilliger sozialer Dienst/freiwilliges soziales Jahr (Hg.), Das freiwillige soziale Jahr. Ein dokumentarischer Bericht, Bonn 1973. Armstrong, C., Rethinking Equality. The Challenge of Equal Citizenship, Manchester 2006. Arntz, H. (Hg.), 10 Jahre Bundesrepublik Deutschland, Wiesbaden 1959. Aves, G. M., The voluntary worker in the social services, London 1969. Aulhorn, J., Automatisierung und Arbeitsmarkt, Köln 1958. Bading, H., Das Nachwuchsproblem in der Landarbeit, in: Gewerkschaftliche Monatshefte, 1952, Nr. 7, S. 426–431. Baethge, M., Politischer Jugendtourismus als Teil staatlich geförderter politischer Bildung, in: ders. u. a. (Hg.), Jugendreisen nach Israel, München 1972, S. 11–23.

353

Bailkin, J., The Afterlife of Empire, Berkley 2012. Bajohr, S., Die Hälfte der Fabrik. Geschichte der Frauenarbeit in Deutschland 1914 bis 1945, Marburg 1979. –, Weiblicher Arbeitsdienst im »Dritten Reich«. Ein Konflikt zwischen Ideologie und Ökonomie, in: VfZ, Jg. 28, 1980, Nr. 3, S. 331–357. Ballerstedt, K., Aus einem Gespräch mit dem Führer eines Verbandes Breslauer Korporationen, in: Rosenstock-Huessy u. von Trotha, S. 34 f. Bareither, I., Die große Liebe gefunden, in: Internationale Jugendgemeinschaftsdienste (Hg.), Fs. zum Jubiläum. IJGD. Freiwillig – engagiert – vielfältig, Lichtenstein 2009, S. 18 f. Barker, R., Conscience, Government and War. Conscientious objection in Great Britain 1939–45, London 1982. Bayer, E., Die SA. Geschichte, Arbeit, Zweck und Organisation der Sturmabteilungen des Führers und der Obersten SA-Führung, bearb. im Auftrag der Obersten SAFührung, Berlin 1938. Becker, K. u. H. G. Wicke, »Das beste Jahr in meinem Leben!« Europäischer Freiwilligendienst für Jugendliche. Geschichte, Gegenwart, Zukunft, in: Guggenberger, S. 147–159. Becker, S., Globales Lernen aus weißseinskritischer Perspektive, in: H. Gritschke u. a. (Hg.), Erkennen, Bewerten, (Fair-)Handeln, Kassel 2011, S. 135–155. Beckert, P., Das Ärgernis des Arbeitsdienstes, in: Frankfurter Hefte, Jg. 5, 1950, Nr. 9, S. 1315–1322. Begert, W., Organizing International Voluntary Work Camps. A Handbook, Paris [1949]. Benz, W., Vom Freiwilligen Arbeitsdienst zur Arbeitsdienstpflicht, in: VfZ, Jg. 16, 1968, Nr. 4, S. 317–346. Bernhard, P., APO an der »Sozialfront«, in: Revue d’Allemagne et des Pays de langue allemande, Jg. 35, 2003, Nr. 2, S. 199–215. –, Von Jesus Christus zu Karl Marx? Die 60er Jahre, die Kriegsdienstverweigerer und der Wandel ihrer Motive. Ein Beitrag zur Wertewandelsforschung, in: J. Calließ (Hg.), Die Reformzeit des Erfolgsmodells BRD, Rehburg-Loccum 2004, S. 279–315. –, Zivildienst zwischen Reform und Revolte. Eine bundesdeutsche Institution im gesellschaftlichen Wandel 1961–1982, München 2005. Best, E. u. B. Pike (Hg.), International Voluntary Service for Peace, London 1948. Beveridge, W. H., Voluntary Action. A Report on Methods of Social Advance, London 1948. Bild.de, Deutschlands bekanntester Philosoph (47) fordert: Soziales Pflichtjahr für Rentner!, 9.  Dez. 2011, http://www.bild.de/geld/wirtschaft/richard-david-precht/ rentner-sollen-soziales-jahr-leisten-21460222.bild.html, Zugriff: 12. Nov. 2015. Bird, D., Never the Same Again. A History of VSO, Cambridge 1998. Birsner, H., Erziehung, Gemeinschaft und Gesellschaft. Ein Vergleich der erziehungstheoretischen Konzepte von Paul Natorp und Kurt Hahn, Hamburg 2013. Blackbourn, D. u. G. Eley, The Peculiarities of German History. Bourgeois Society and Politics in Nineteenth-Century Germany, Oxford 1997. Blanc, O., Olympe de Gouges, Fulda 1989. Boldorf, M., Zwischen Nothilfe und Professionalisierung. Ehrenamtliche soziale Arbeit in beiden Teilen Deutschlands nach 1945, in: Westfälische Forschungen, Jg. 55, 2005, S. 317–336.

354

Boll, F., Auf der Suche nach Demokratie. Britische und deutsche Jugendinitiativen in Niedersachsen nach 1945, Bonn 1995. –, Jugend im Umbruch vom Nationalsozialismus zur Nachkriegsdemokratie, in: AfS, Jg. 37, 1997, S. 482–520. Bouyssy, M., Thérésia Cabarrus, de l’instruction des filles et de la Révolution, in: Annales historiques de la Révolution française, Bd. 344, 2006, Nr. 2, S. 125–136. Breckner, R., Von den Zeitzeugen zu den Biographen. Methoden der Erhebung und Auswertung lebensgeschichtlicher Interviews, in: Obertreis, S. 131–154. Braun, H., Helmut Schelskys Konzept der »nivellierten Mittelstandsgesellschaft« und die Bundesrepublik der 50er Jahre, in: AfS, Jg. 29, 1989, S. 199–223. Braun, S., Bürgerschaftliches Engagement. Konjunktur und Ambivalenz einer gesellschaftspolitischen Debatte, in: Leviathan, Jg. 29, 2001, S. 83–110. Braun, S. u. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hg.), Freiwilli­ges Engagement in Deutschland. Ergebnisse der Repräsentativerhebung zu Ehrenamt, Freiwilligenarbeit und bürgerschaftlichem Engagement. Zugangswege, Stuttgart 2001. Breuer, G., Frauenbewegung im Katholizismus. Der Katholische Frauenbund 1903–1918, Frankfurt a. M. 1998. Brewis, G., From Service to Action? Students, Volunteering and Community, in: British Journal of Educational Studies, Jg. 48, 2010, Nr. 4, S. 439–449. –, A Social History of Student Volunteering. Britain and Beyond, 1880–1980, Basingstoke 2014. –, Towards a new understanding of volunteering in England before 1960?, in: Institute for Volunteering Research. »Back to Basics« Working Paper, Nr. 2, 2013, S. 1–26. Briggs, A. u. A. Macarntey, Toynbee Hall. The First Hundred Years, London 1984. Brill, L., »Jungen und Mädel! Man […] bietet euch einen Neuanfang«. Jugend in der Nachkriegszeit, in: M. Büttner u. S. Horn (Hg.), Alltagsleben nach 1945. Die Nachkriegszeit am Beispiel der Stadt Göttingen, Göttingen 2010, S. 99–130. Broad, R., Conscription in Britain 1939–1964. The Militarisation of  a Generation, Abingdon 2006. Brosch, B., Das FsJ. Untersuchung zu den Bedingungen einer praxisorientierten Jugendbildungsarbeit. Unveröffentlichte Diplomarbeit, Münster 1978, (AIJGD). Brown, P. S., All Things Uncertain. The Story of the G. I. S. (Guide International­ Service), London 1966. Brücher, B., Das Selbstverwaltungsprinzip in der sozialistischen Jugend- und Erziehungsarbeit, 1945–1971. Ein Beitrag zur Sozialgeschichte der Erziehung, (Diss.), Bielefeld 1976. Brumlop, K. Wider den Arbeitsdienst, in: Gewerkschaftliche Monatshefte, Jg. 1, 1950, Nr. 12, S. 435. Budde, G., Auf dem Weg ins Bürgerleben. Kindheit und Erziehung in deutschen und englischen Bürgerfamilien 1840–1914, Göttingen 1994. –, Des Haushalts »schönster Schmuck«. Die Hausfrau als Konsumexpertin des deutschen und englischen Bürgertums im 19. und frühen 20. Jahrhundert, in: H. Siegrist (Hg.), Europäische Konsumgeschichte. Zur Gesellschafts- und Kulturgeschichte des Konsums (18. bis 20. Jahrhundert), Frankfurt a. M. 1997, S. 411–440. Buddrus, M., Die Organisation »Dienst für Deutschland«. Arbeitsdienst und Militarisierung in der DDR, Weinheim 1994.

355

Bugler, J., The Volunteer Upsurge, in: New Society, 14. Okt. 1965, S. 18–20. Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben, Einberufungen zum Zivildienst, http://www.bafza.de/presse/statistiken.html, Zugriff: 12. Nov. 2015. –, BFD im Dienst Januar 2014, http://www.bafza.de/fileadmin/redaktion/downloads/ Abt2/201/BL-Alter_u_Geschlecht.pdf, Zugriff: 15.  Febr. 2014, [Webseite 2015 gelöscht]. –, BFD im Dienst Oktober 2015, http://www.bafza.de/fileadmin/de.bafza/content.de/ downloads/Abt2/201/Statistiken/151030-BL_Alter_u_Geschlecht_10_15_ barriere frei.pdf, Zugriff: 12. Nov. 2015. Bundesarbeitskreis FSJ: Herausforderungen und Perspektiven für das FSJ im Kontext des gesellschaftlichen Wandels, Berlin 2010, http://www.b-b-e.de/fileadmin/ inhalte/aktuelles/2010/10/nl20_doku_bakfsj2010.pdf, Zugriff: 22. Juli 2015. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Fakten zum Freiwilligen Sozialen Jahr und zum Freiwilligen Ökologischen Jahr, 2. Juli 2004, http:// www.bmfsfj.de/RedaktionBMFSFJ/Pressestelle/Pdf-Anlagen/fsj-jubilaeum-fakten, Zugriff: 12. Nov. 2015. –, Staatsekretär Josef Hecken, »Der demografische Wandel ist eine gesellschaftspolitische Chance«, 30. Mai 2011, http://www.bmfsfj.de/BMFSFJ/Presse/pressemitteilun gen,did=172674.html, Zugriff: 31. Jan. 2014. – (Hg.), Untersuchung zum Freiwilligen Sozialen Jahr, Stuttgart 1998. – (Hg.), Zeit, das Richtige zu tun. Freiwillig engagiert in Deutschland. Bundesfreiwil­ ligendienst, Freiwilliges Soziales Jahr, Freiwilliges Ökologisches Jahr, Berlin 22014. Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Richtlinie zur Umsetzung des entwicklungspolitischen Freiwilligendienstes »weltwärts«, 2007, http://www.entwicklungsdienst.de/fileadmin/Redaktion/Publik_ext/wwRicht linie-de.pdf, Zugriff: 31. Jan. 2014. Burghardt, S. (Hg.), Chronik des weiblichen Arbeitsdienstes in Ostpreußen. Berichte, Briefe, Tagebücher, Zeitungsartikel, Burgdorf 1983. Burmeister, K. H., Olympe de Gouges. Die Rechte der Frau, 1791, Bern 1999. Büschel, H., Die Brücke am Mount Meru. Zur Globalgeschichte von Hilfe zur Selbsthilfe und Gewalt in Tanganjika, in: ders. u. Speich, S. 175–206. –, Geschichte der Entwicklungspolitik, 11. Febr. 2010, http://docupedia.de/zg/Gesch ichte_der_Entwicklungspolitik#cite_note-18, Zugriff: 26. April 2016. –, Hilfe zur Selbsthilfe. Deutsche Entwicklungsarbeit in Afrika, 1960–1975, Frankfurt a. M. 2014. –, In Afrika helfen, in: AfS, Jg. 48, 2008, S. 333–365. Büschel, H. u. D. Speich (Hg.), Entwicklungswelten. Globalgeschichte der Entwicklungszusammenarbeit, Frankfurt a. M. 2009. Cabarrús, T., Petition adressée á la Convention, par la Citoyenne Theresia CabarrusFontenay, et lue dans la séance du 5 Floréal An II, in: M. Núñez de Arenas (Hg.), L’Espagne des Lumières au Romantisme. Etudes réunies par Robert Marrast, Paris 1963, S. 124–126. Calder, A., Myth of the Blitz, London 1991. Campbell, J., Joy in Work. German Work. The National Debate, 1800–1945, Princeton, NJ 1989. Canning, K., Languages of Labor and Gender. Female Factory Work in Germany 1850–1914, Ithaca 1996.

356

Carstens, H., Spiritual conditions in Germany, 23.  April 1947, http://www.servicecivil-international.org/archives/scid/pdf/47_04_23_1.pdf. Zugriff: 19. Dez. 2015. Ceadel, M., Pacifism in Britain, 1914–1945. The Defining of a Faith, Oxford 1980. Chickering, R., Der Totale Krieg. Vom Nutzen und Nachteil des Begriffs, Krieg, Frieden und Geschichte. Gesammelte Aufsätze über patriotischen Aktionismus, Geschichtskultur und totalen Krieg, Stuttgart 2007, S. 241–258. Claessens, D. u. D. Danckwortt, Jugend in Gemeinschaftsdiensten. Eine soziologischpsychologische Untersuchung über die Arbeit in den Internationalen Jugendgemeinschaftsdiensten, München 1957. Cobbs Hoffman, E., All You Need is Love, Cambridge, Mass. 2000. Cole, G. D. H., The Next Ten Years in British Social and Economic Policy, London 1929. Collingridge, A., Arbeitsdienstähnliche Formen des Sozialdienstes in England, in: Schweizer Zentralstelle für freiwilligen Arbeitsdienst, Arbeitsdienst, S. 191–195. Colombatto, E., Nation-wide Social Service. A Proposal for the 1980s, London 1980. Commission on the Future of the Voluntary Sector (London England), Meeting the Challenge of Change. Voluntary Action into the 21st Century, London 1996. Commitee on Higher Education (Hg.), Higher education. Report of the Commitee Appointed by the Prime Minister under the Chairmanship of Lord Robbins, 1961–63, London 1963. Committee on Local Authority and Allied Personal Social Services (Hg.), Report of the Committee on Local Authority and Allied Personal Social Services, London 1968. Community Service Volunteers, Getting out, Staying out. The CSV Approach to Community Care, London 1988. –, RSVP (Retired and Senior Volunteer Programme). A Brief History, http://www. csv-rsvp.org.uk/site/history.htm, Zugriff: 31. Jan. 2104, [Webseite 2015 gelöscht]. –, Celebrating 50 years of making a difference, http://www.csv.org.uk/csv-at-50, Zugriff: 22. Jan. 2014, [Webseite 2015 gelöscht]. Conway, M. u. V. Depkat, Towards a European History of the Discourse of Democracy: Discussing Democracy in Western Europe 1945–1960, in: M. Conway u. K. K. Patel (Hg.), Europeanization in the Twentieth Century. Historical Approaches, Basingstoke 2010, S. 132–156. Conze, E., Die Suche nach Sicherheit. Eine Geschichte der Bundesrepublik Deutschland von 1949 bis in die Gegenwart, München 2009. –, Eine bürgerliche Republik? Bürgertum und Bürgerlichkeit in der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft, in: GG, Jg. 27, 2004, S. 527–542. –, »Pädagogisierung« als Liberalisierung. Der Bund Deutscher Pfadfinder (BDP) im gesellschaftlichen Wandel der Nachkriegszeit, 1945–1970, in: ders. u. M. D. Witte (Hg.), Pfadfinden. Eine globale Erziehungs- und Bildungsidee aus interdisziplinärer Sicht, Wiesbaden 2012, S. 67–84. Conze, V., Das Europa der Deutschen. Ideen von Europa in Deutschland zwischen Reichstradition und Westorientierung (1920–1970), München 2005. Cormouls-Houlès, E., L’Assistance par le Travail, Paris 1910. Crossman, R. H. S., The role of the volunteer in the modern social service, Oxford 1974. Crowson, N., Citzen defence. The Conservative Party and its attitude to national service, 1937–57, in: R. Weight u. A. Beach (Hg.), The Right to Belong, London 1998, S. 204–222.

357

Dahrendorf, R., Die neue Freiheit. Überleben und Gerechtigkeit in einer veränderten Welt, München 1975. –, The New Liberty. Survival and Justice in a Changing World. Reith Lectures, Stanford, Calif. 1974. Dammer, S., Mütterlichkeit und Frauendienstpflicht. Versuche der Vergesellschaftung »weiblicher Fähigkeiten« durch eine Dienstverpflichtung. Deutschland 1890–1918, Berlin 1988. Danckwortt, D., Ein Beitrag zur Arbeitsdienst-Debatte, in: Deutsche Universitätszeitung, Jg. 5, 1950, Nr. 3, S. 11 f. –, Internationale Jugendgemeinschaftsdienste und die Gründung der IJGD in Niedersachsen im Jahre 1948. Anlässe und Vorläufer für den Wiederbeginn des internationalen Jugendaustausches nach dem Zweiten Weltkrieg, in: Reulecke, Rückkehr, S. 45–51. DANGO (Database of Archives of Non-Governmental Organisations), http://www. dango.bham.ac.uk., Zugriff: 19. Dez. 2015. Dartington, T., Task Force, London 1971. Davis, J., Youth and the Condition of Britain. Images of Adolescent Conflict, London 1990. Deakin, N., »The night’s insane dream of power«. William Beveridge on the uses and abuses of state power, in: Oppenheimer u. Deakin, Beveridge, S. 21–35. Deakin, N. u. J. D. Smith, Labour, charity and voluntary action: the myth of hostility, in: Hilton u. McKay, Ages of Voluntarism, S. 69–93. Dechamps, A., Volunteers und ehrenamtliche Helfer. Ein deutsch-englischer Vergleich mit Fallbeispielen. Dargestellt aufgrund praktischer Erfahrungen als Volun­ teer und bei der Arbeit mit Volunteers in Großbritannien, Bad Heilbrunn/Obb. 1989. Demarest, G. K. M. C., Die Arbeit des Volksbundes für Kriegsgräberfürsorge. Ein Beispiel für die Praxis der deutsch-französischen Aussöhnung, (Diss.), Berlin 1977. Demmler, I., Ein ganzes Jahr. Mädchenroman, Donauwörth 1964. Deutscher Bundestag (Hg.), Bürgerschaftliches Engagement und Sozialstaat, Opladen 2003. – (Hg.), Bürgerschaftliches Engagement und Zivilgesellschaft, Opladen 2002. – (Hg.), Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen Sozialen Jahres, Drucksache V/2384, 13.  Dez. 1967, online: http:// dip21.bundestag.de/dip21/btd/05/023/0502384.pdf, Zugriff: 14. Febr. 2014. – (Hg.), Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen sozialen Jahres, Drucksache 7/4002, 29. Aug. 1975, online: http:// dip21.bundestag.de/dip21/btd/07/040/0704002.pdf, Zugriff: 21. Jan. 2014. Deutscher Bundestag/Bundesarchiv unter Leitung von H. Risse u. H. Weber (Hg.), Der Parlamentarische Rat. 1948–1949. Akten und Protokolle, Bd. 14: Hauptausschuß, Teilband 1, München 2009. Deutscher Gewerkschaftsbund (Hg.), »Da haben wir uns alle schrecklich geirrt…« Die Geschichte der gewerkschaftlichen Frauenarbeit im Deutschen Gewerkschaftsbund von 1945 bis 1960, Pfaffenweiler 1993. Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband (Hg.), 35 Jahre FSJ im Paritätischen, Frankfurt a. M. 2001. Deutsches Rotes Kreuz (Hg.), Freiwillige Dienste in unserer Zeit, Bonn 1966.

358

DiCaprio, L., The Origins of the Welfare State. Women, Work, and the French Revolution, Urbana 2007. Dickson, A., A Chance to Serve, London 1976. –, Germany’s way with the unemployed. British Visitor’s Experiences in  a Work Camp for Youth, in: Yorkshire Post, 28. Sept. 1933, S. 6. –, Keeping our Balance. A Report on Community Service Volunteers, in: Community Development Journal, Jg. 13, 1978, Nr. 1, S. 48–52. –, More Volunteers wanted. Role of youth in  a finer country, in: The Scotsman, 5. März 1966. –, Voluntary Service Overseas, in: Journal of the Royal Society of Arts, Mai 1960, S. 443–460. –, Volunteers. Their Use and Misuse, in: G. Wolstenholme u. M. Connor (Hg.), Ciba Foundation Symposium. Teamwork for World Health, London 1971, S. 171–205. Dickson, M., Portrait of a Partnership, Aberfeldy 2004. –, A World Elsewhere. Voluntary Service Overseas, London 1964. Diekmann, A., Empirische Sozialforschung. Grundlagen, Methoden, Anwendungen, Reinbek 200616. Dietrich, A., Weiße Weiblichkeiten. Konstruktionen von »Rasse« und Geschlecht im deutschen Kolonialismus, Bielefeld 2007. Dietz, B .u. C. Neumaier, Vom Nutzen der Sozialwissenschaften für die Zeitgeschichte. Werte und Wertewandel als Gegenstand historischer Forschung, in: VfZ, Jg. 60, 2012, Nr. 2, S. 293–304. Diez, H., Freiwilliges Soziales Jahr. Im Frust versacken?, in: Publik Forum, Jg. 15, 1986, Nr. 12, S. 14. Doering-Manteuffel, A., Wie westlich sind die Deutschen? Amerikanisierung und Westernisierung im 20. Jahrhundert, Göttingen 1999. Doering-Manteuffel, A. u. L. Raphael, Nach dem Boom. Perspektiven auf die Zeitgeschichte seit 1970, Göttingen 2008. Dollase, R., Die soziometrische Konnektionsanalyse, in: Psychologische Beiträge, Jg. 14, 1972, S. 68–79. Dörrie, K., Stellung und Aufgabe des ehrenamtlichen Mitarbeiters in der freien Wohlfahrtspflege, in: Soziale Arbeit, Jg. 12, 1963, Nr. 11, S. 469–471. Dowe, D. (Hg.), Jugendprotest und Generationenkonflikt in Deutschland, England, Frankreich und Italien im 20. Jahrhundert, Bonn 1986. Dudek, P., Erziehung durch Arbeit: Arbeitslagerbewegung und freiwilliger Arbeitsdienst 1920–1935, Opladen 1988. Dziadek, R., 25 Jahre Freiwilliges Soziales Jahr in katholischer Trägerschaft, in: Stimmen der Zeit, 1986, Nr. 9, S. 637–639. Eastland, B. u. a. (Hg.), Volunteers for Peace. Field reports on relief work in Europe 1944 to 1949 by International Voluntary Service for Peace, Kelso 1998. Eberhard, A., Das freiwillige soziale Jahr. Bedeutung für Biografie und Bürgergesellschaft, (Diss.), Augsburg 2001. Ebersbach, G., Jugend in Not und wie geholfen werden kann, in: Landesarbeitsgemeinschaft Jugendaufbauwerk, Selbsthilfewerke, Tübingen 1950, S. 6 f. Ebke, A., »The Party is Over«? Britische Wirtschaftspolitik und das Narrativ des­ »Decline« 1970–1976, Frankfurt a. M. 2012. Eckert, E., Arbeitsdienst für die weibliche Jugend, Bad Honnef 1978.

359

Eichborn, W. v., Freiwillige für den Frieden. Aufgaben und Probleme der Friedensdienste, Stuttgart 1970. Elias, N., Studien über die Deutschen, Frankfurt a. M. 1989. Ell, E., Junge und Mädchen in der leiblichen Pubertät, Freiburg i. Br. 1962. EMNID-Institut für Meinungsforschung (Hg.), Jugend zwischen 15 und 24. Eine Untersuchung zur deutschen Jugend im Bundesgebiet, Bielefeld 1954. – (Hg.), Jugend zwischen 15 und 24. Zweite Untersuchung zur Situation der deutschen Jugend im Bundesgebiet, Bielefeld 1955. English, R. u. M. Kenny (Hg.), Rethinking British Decline, Basingstoke 2000. Epting, K. (Hg.), Arbeitslager und freiwilliger Arbeitsdienst in Deutschland, Schweiz, Holland, Wales, Genf 1933. Erhardt, A., A German’s impressions of a British service, in: International Voluntary Service for Peace, News Bulletin 39, Jan. 1948, S. 7 f. Fabarius, E. A., Die allgemeine weibliche Dienstpflicht. Ein Vorschlag und Beitrag zur Lösung der Frauenfrage, Essen 1895. Fass P. S. (Hg.), The Routledge History of Childhood in the Western World, London 2012 Field, J.: Able Bodies. Work Camps and the Training of Unemployed in Britain before 1939, 2009. –, An Anti-Urban Education? Work Camps and Ideals of the Land in Interwar Britain, in: Rural History, Jg. 23, 2012, Nr. 2, S. 213–228. –, Service learning in Britain between the Wars. University students and unemployed camps, in: History of Education, Jg. 41, 2012, Nr. 2, S. 195–212. –, Working Men’s Bodies. Work camps in Britain, 1880–1939, Manchester 2013. Finck, B., Bilder aus der Arbeit, in: dies. (Hg.), Was können wir für unsere Arbeitslose Jugend tun? Bilder aus der Arbeit der evangelischen Liebestätigkeit, Berlin 1931, S. 22–71. Finlayson, G., Citizen, State, and Social Welfare in Britain 1830–1990, Oxford 2002. –, A moving frontier. Voluntarism and the state in British social welfare, 1911–1949, in: Twentieth Century British, Jg. 1, History 1990, Nr. 2, S. 183–206. Fisher, J., Disciplining Germany. Youth, Reeducation, and Reconstruction after the Second World War, Detroit, Mich. 2007. Flesch-Thebesius, M., Keiner soll zu kurz kommen. Zum Selbstverständnis des Diakonischen Jahres, in: Das Diakonische Werk, 1972, Nr. 8, S. 279–282. Flothow, D., Told in Gallant Stories, Erinnerungsbilder des Krieges in britischen­ Kinder- und Jugendromanen 1870–1938, Würzburg 2007. Fourastié, J., Les trente glorieuses ou la Révolution invisible de 1946 à 1975, Paris 1979. Fowler, D., Youth Culture in Modern Britain, c. 1920–c. 1970. From Ivory Tower to Global Movement. A New History, Basingstoke 2008. Frank, M., Working for the Germans. British voluntary societies and the German refugee crisis, 1945–50, in: Historical Research, Jg. 82, Febr. 2009, Nr. 215, S. 157–166. Frei, N., 1968: Jugendrevolte und globaler Protest, München 20082. –, Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS-Vergangenheit, Neuausg., München 2012. Frese, M. u. a. (Hg.), Demokratisierung und gesellschaftlicher Aufbruch. Die sech­ ziger Jahre als Wendezeit der Bundesrepublik, Paderborn 20052. Frevert, U., Die kasernierte Nation. Militärdienst und Zivilgesellschaft in Deutschland, München 2001.

360

–, Die Sprache des Volkes und die Rhetorik der Nation. Identitätssplitter in der deutschen Nachkriegszeit, in: A. Bauerkämper u. a. (Hg.), Doppelte Zeitgeschichte. Deutsch-deutsche Beziehungen 1945–1990, Bonn 1998, S. 18–31. –, »Mann und Weib, und Weib und Mann«. Geschlechter-Differenzen in der Moderne, München 1995. –, Umbruch der Geschlechterverhältnisse? Die 60er Jahre als geschlechterpolitischer Experimentierraum, in: Schildt u. a., S. 642–660. Frie, E., Caritativer Katholizismus im expandierenden Wohlfahrtsstaat. Abschied von der Fürsorgeeinheit Gemeinde, in: Jähnichen u. a., S. 39–55. Friedrich, K., Ein Jahr für Hilfsbedürftige da sein, in: Süddeutsche Zeitung, 3.  Juli 1969, S. 1. Friedrich, N., Helmut Thielicke als Antipode der sozialen Bewegungen, in: S. Hermle (Hg.), Umbrüche: der deutsche Protestantismus und die sozialen Bewegungen in den 1960er und 70er Jahren, Göttingen 20122, S. 247–261. –, Neue Mitarbeiter für die Diakonie? Die Krise der Nachwuchsrekrutierung und Neuorientierung am Beispiel der Diakonissenanstalt Kaiserswerth, in: Jähnichen u. a., S. 135–150. FSJ Ganztagsschule, http://www.fsj-ganztagsschule.de/, Zugriff: 31. Jan. 2014. Furet, F. u. D. Richet, Die Französische Revolution, Frankfurt a. M. 1987. Gabriel, K., Von der Caritas zum sozial-caritativen Handeln der Kirche, in: Jäh­nichen u. a., S. 56–73. –, Zwischen Aufbruch und Absturz in die Moderne. Die katholische Kirche in den 60er Jahren, in: Schildt u. a., S. 528–543. Gaethgens, T. W. u. J. Kocka (Hg.), Bürgerkultur und Mäzenatentum im 19. Jh., Berlin 1998. Gambles, R. u. A. Withworth, Social Citizenship and the Question of Gender. The Suitability and Possibilities of a Marshallian Framework, in: S. L. Greer (Hg.), Devolution and social citizenship in the UK, Bristol 2009, S. 57–70. Gardiner, R., Die deutsche Revolution von England gesehen, in: ders. u. a. (Hg.), Nationalsozialismus vom Ausland gesehen. An die gebildeten unter seinen Gegnern, Berlin 1933, S. 7–18. –, Die dreifache Aufgabe des Arbeitsdienstes in Europa, in: Schweizer Zentralstelle, S. 178–190. Garstecki, H., Das Freiwillige Soziale Jahr der Arbeiterwohlfahrt, in: Jahrbuch der Arbeiterwohlfahrt 1966/67, S. 101–103. Gassert, P.: Das kurze »1968« zwischen Geschichtswissenschaft und Erinnerungskultur: Neuere Forschungen zur Protestgeschichte der 1960er-Jahre, 2010, http:// hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/forum/2010–04–001. Gauger, M., Das zweite Schlesische Arbeitslager für Arbeiter, Bauern und Studenten, in: Rosenstock-Huessy u. von Trotha, S. 56–76. Gensicke, T., Bürgerschaftliches Engagement in Deutschland, in: APuZ, 2006, Nr. 12, S. 9–16. Gestrich, A., Geschichte der Jugendgemeinschaftsdienste, in: Guggenberger, S. 84–104. Gerhard, U., »Fern von jedem Suffragettentum«. Frauenpolitik in Deutschland nach 1945, eine Bewegung der Frauen?, in: I. Bandhauer-Schöffmann u. C. Duchen (Hg.), Nach dem Krieg. Frauenleben und Geschlechterkonstruktionen in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg, Herbolzheim 2000, S. 175–200.

361

Gerwig, W. u. F. Sticht (Hg.), Das diakonische Jahr, Stuttgart 1986. Geyer, M. H., Auf der Suche nach der Gegenwart. Neue Arbeiten zur Geschichte der 1970er und 1980er Jahre, in: AfS, Jg. 50, 2010, S. 643–645. –, Rahmenbedingungen: Unsicherheit als Normalität, in: ders., Geschichte der Sozialpolitik, S. 1–109. –, Sozialpolitische Denk- und Handlungsfelder. Der Umgang mit Sicherheit und Unsicherheit, in: ders., Geschichte der Sozialpolitik, S. 112–213. –, War over Words. The Search for a Public Language in West-Germany, in: W. Steinmetz (Hg.), Political Languages in the Age of Extremes, Oxford 2011, S. 293–330. – (Hg.), Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland seit 1945, Bd.  6: 1974–1982. Bundesrepublik Deutschland. Neue Herausforderungen, wachsende Unsicherheit, Baden-Baden 2008. Geyken, F., Freya von Moltke. Ein Jahrhundertleben, 1911–2010, München 2011. Giesecke, H., Freiwillige Soziale Dienste, in: Deutsche Jugend. Zeitschrift für Jugendfragen und Jugendarbeit 1968, Nr. 10, S. 443–452. Giles, J., Help for Housewives: domestic service and the reconstruction of domesticity in Britain, 1940–50, in: Women’s History Review, Jg. 10, 2001, Nr. 2, S. 299–323. Gillette, A., One Million Volunteers. The Story of Volunteer Youth Service, Harmonds­ worth 1968. Gillis, J. R., Youth and History. Tradition and Change in European Age Relations, 1770 – Present, New York 1974. Glaister, J. N., Grith Pioneers. Some Experiences of  a Community, in: Community Service Committee (Hg.), Community in Britain. A Survey of Community Thought and Activity Compiled Mainly from Addresses Given at the Bath and London Conferences in 1937, London 1938, S. 48–51. Göbel, M., Katholische Jugendverbände und freiwilliger Arbeitsdienst 1931–1933,­ Paderborn 2005. Goffman, E., Asylums. Essays on the Social Situation of Mental Patients and Other Inmates, Chicago 1961. Goltz, E. v.d., Der Dienst der Frau in der christlichen Kirche. Geschichtlicher Überblick mit einer Sammlung von Urkunden, Potsdam 1905. Gosden, P. H. J. J., Self-Help. Voluntary Associations in the 19th Century, London 1973. Große Kracht, H.-J., Kirche in ziviler Gesellschaft. Studien zur Konfliktgeschichte von katholischer Kirche und demokratischer Öffentlichkeit, Paderborn 1996. Gräf, E., Das Dienen im freiwilligen Arbeitsdienst, (Diss.), Leipzig 1933. Graf, R. u. K. Priemel, Zeitgeschichte in der Welt der Sozialwissenschaften. Legitimität und Originalität einer Disziplin, in: VfZ, Jg. 59, 2011, Nr. 4, S. 479–495. Graff, S., Über das Soldatische, Berlin 1943. Gräser, M., Wohlfahrtsgesellschaft und Wohlfahrtsstaat, Göttingen 2009. Greschat, M., Protestantismus und Evangelische Kirche in den 60er Jahren, in: Schildt u. a., S. 544–581. Griese, H., Jugend(sub)kultur(en) und Gewalt. Analysen, Materialien, Kritik. Soziologische und pädagogikkritische Beiträge, Münster 2000. Gröschel, R. u. M. Schmidt, Trümmerkids und Gruppenstunde: zwischen Romantik und Politik. Jugend und Jugendverbandsarbeit in Berlin im ersten Nachkriegsjahrzehnt, Berlin 1990.

362

Großbölting, T., Der verlorene Himmel. Glaube in Deutschland seit 1945, Göttingen 2013. Grothe, R. u. F. v. Oy, Deutschland, in: Epting, S. 10–32. Grunow, D., Soziale Infrastruktur und soziale Dienste, in: Schulz, Geschichte, S. 803–835. –, Soziale Infrastruktur und soziale Dienste, in: Ruck u. Boldorf, S. 725–756. –, Soziale Infrastruktur und Soziale Dienste, in: Geyer, Geschichte der Sozialpolitik, S. 779–822. –, Soziale Infrastruktur und Soziale Dienste, in: Hockerts, Geschichte, S. 811–855. Grunow, D. u. T. Olk, Soziale Dienste, in: Ritter, Geschichte, S. 977–1031. Guggenberger, B. (Hg.), Jugend erneuert Gemeinschaft. Freiwilligendienste in Deutschland und Europa. Eine Synopse, Baden-Baden 2000. Gundermann, C., Die versöhnten Bürger. Der Zweite Weltkrieg in deutsch-niederländischen Begegnungen, 1945–2000, Münster 2014. Haas, B., Ambivalenz der Gegenseitigkeit. Reziprozitätsformen des weltwärts-Freiwilligendienstes im Spiegel der Postkolonialen Theorie, Köln 2012. Hadley, R. u. a., Across the Generations. Old People and Young Volunteers, London 1975. Hafeneger, B., »Alle Arbeit für Deutschland«: Arbeit, Jugendarbeit und Erziehung in der Weimarer Republik, unter dem Nationalsozialismus und in der Nachkriegszeit, Köln 1988. Hager, A., Westdeutscher Protestantismus und Studentenbewegung, 2.  durchgesehene Aufl., Göttingen 2012, S. 111–130. Hahn, S., Halbstarke, Hippies und Hausbesetzer, in: Stötzel u. Wengeler, S. 211–244. Halbfas, B., Protestbewegung und Studentenrevolte in den späten 1960er Jahren in der Bundesrepublik Deutschland und in England, in: Historische Mitteilungen der Ranke-Gesellschaft, Jg. 16, 2003, S. 190–229. Halsey, A. H. (Hg.), British Social Trends since 1900. A Guide to the Changing Social Structure of Britain, Basingstoke 1972. Halsey, A. H. u. a. (Hg.), Twentieth-Century British Social Trends, Basingstoke 2000. Hammerschmidt, P., Wohlfahrtsverbände in der Nachkriegszeit. Reorganisation und Finanzierung der Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege 1945 bis 1961, Weinheim 2005. Hansen, M., »Idealisten« und »gescheiterte Existenzen«. Das Führerkorps des Reichsarbeitsdienstes, Trier (Diss.) 2004. Hardach-Pinke, I., Die Gouvernante, Frankfurt a. M. 1993. Harris, J., Voluntarism, the state and public-private partnerships in Beveridge social thought, in: Oppenheimer u. Deakin, Beveridge, S. 9–20. –, William Beveridge, Oxford 1977. –, William Beveridge, 2. überarb. Aufl., Oxford 1997. Harrison, B., Seeking a Role, Oxford 2009. Harrison, B. u. J. Webb, Volunteers and Voluntarism, in: Halsey. u. a., Twentieth-­ Century, S. 587–619. Harvey, J., The Idea of Voluntary Service, in: International Voluntary Service for Peace. News Bulletin, April 1948, Nr. 40, S. 1 f. Hasenclever, C., Die Bedeutung der Mitarbeit des Staatsbürgers und der freiwilligen Sozialarbeit in einer modernen Gesellschaft, in: Jahrbuch der Arbeiterwohlfahrt, 1965/66, S. 67–80.

363

Hausen, K., Die Polarisierung der »Geschlechtscharaktere«. Eine Spiegelung der Dissoziation von Erwerbsarbeit und Familienleben, in: W. Conze (Hg.), Sozial­geschichte der Familie in der Neuzeit Europas, Stuttgart 1987, S. 363–393. Haushofer, M. u. L. Willich, Einführung der Herausgeberinnen, in: Institut für soziale Arbeit (Hg.), Die weibliche Dienstpflicht, München 1916, S. 1–40. Heck, G. u. M. Schurig, (Hg.), Friedenspädagogik: Theorien, Ansätze und bildungspolitische Vorgaben einer Erziehung zum Frieden (1945–1985), Darmstadt 1991. Hegnauer, R., Origin of SCI’s East-West Activities with organisations in European Socialist Contries, 1989, http://www.service-civil-international.org/news/33/127/ Origin-of-SCI-s-East-West-Activities-with-organisations-in-European-SocialistCountries/d,download_detail.html, Zugriff: 19. Dez. 2015. Heilfurth, G., Arbeitsgemeinschaft ev. Werke für Jugendhilfe und Jugendselbsthilfe. Aus den Anfängen der Aufbaugilden. Ein Programm und ein Bericht vom 1.10.1948, in: Landesarbeitsgemeinschaft Jugendaufbauwerk, S. 21 f. –, Jugend am Aufbau einer neuen Existenz, in: Landesarbeitsgemeinschaft Jugendaufbauwerk, S. 2. –, Waisenhäuser der verlorenen Generation. Neue Zielsetzung des freiwilligen Arbeitsdienstes, in: Zeitwende, Bd. 20, 1949, S. 654–662. Heimpel-Michel, E., Ida von Kortzfleisch. Frauenbewegung und Frauendienstpflicht, Gotha 1932. Hein, B., Die Westdeutschen und die Dritte Welt: Entwicklungspolitik und Entwicklungsdienste zwischen Reform und Revolte 1959–1974, München 2006. –, Entwicklungshilfe, internationale Solidarität oder Weltinnenpolitik? Der Umgang mit der »Dritten Welt« als Gradmesser des Reformklimas, in: U. Wengst (Hg.), Reform und Revolte: Politischer und gesellschaftlicher Wandel in der Bundesrepublik Deutschland vor und nach 1968, München 2011, S. 31–44. Heineman, E., The Hour of the Woman. Memories of Germany’s »Crisis Years« and West German National Identity, in: H. Schissler (Hg.), The Miracle Years. A Cultural History of West Germany, 1949–1968, Princeton 2001, S. 21–56. –, What Difference Does a Husband Make? Marital Status in Nazi and Postwar Germany, Berkeley 1999. Heinemann, I., Wertewandel, Version vom 22.  Okt. 2012, http://docupedia.de/zg/ Wertewandel, Zugriff: 12. Nov. 2015. Heinritz, C., »Bedrohte Jugend – drohende Jugend«? Jugend der fünfziger Jahre im Blick des Jugendschutzes, in: A. Fischer u. Jugendwerk der Deutschen Shell (Hg.), Jugendliche + Erwachsene ’85. Generationen im Vergleich, Bd. 3: Jugend der Fünfziger Jahre – Heute, Hamburg 1985, S. 293–319. Henkelmann, A., Einleitung, in: Jähnichen u. a., S. 16–21. Henn, C., Workcamps. Chancen und Probleme, in: Deutsche Jugend. Zeitschrift für Jugendfragen und Jugendarbeit, Jg. 50, 2002, Nr. 9, S. 388–394. Hentze, E., Das Problem der Willensbildung in der modernen Pädagogik. Eine kri­ tische Studie der Willenserziehung nach den Ergebnissen der neueren voluntaristischen Psychologie (Diss. Halle), Osterwieck a.H. 1929. Herbert, U., Drei politische Generationen im 20. Jahrhundert, in: Reulecke, Generationalität, S. 95–114. –, Liberalisierung als Lernprozeß, in: ders., Wandlungsprozesse, S. 7–45.

364

–, (Hg.), Wandlungsprozesse in Westdeutschland. Belastung, Integration, Liberalisie­ rung 1945–1980, Göttingen 2002. Herwig, R., Gemeinschaft und Frauenarbeitsdienst (Diss. Jena), o. O. [1935]. Herzl, T., Der Judenstaat, Berlin 1918. Hey, B. u. V. Wittmütz (Hg.), 1968 und die Kirchen, Bielefeld 2008. Hickman, T., The Call-up. A History of National Service, London 2004. Hierl, K., Ausgewählte Schriften und Reden, 2 Bde., München 1941. –, Im Dienst für Deutschland. 1918–1945, Heidelberg 1954. Hilton, M. u. J. McKay, (Hg.), The Ages of Voluntarism. How We Got to the Big Society, Oxford 2011. –, The ages of voluntarism: An Introduction, in: dies., The Ages, S. 1–26. Hinton, J., Women, Social Leadership, and the Second World War. Continuities of Class, Oxford 2002. Hippler, T., Volunteers of the French Revolutionary wars. Myths and reinterpretations, in: Krüger u. Levsen, War Volunteering, S. 23–39. Hobsbawm, E., Age of Extremes. The Short Twentieth Century, 1914–1991, London 1994. Hobson, B., Feminist Theorizing and Feminisms in Political Sociology, in: T. Janoski (Hg.), The Handbook of Political Sociology. States, Civil Societies, and Globalization, Cambridge 2005, S. 135–152. Hochgeschwender, M., Was ist der Westen? Zur Ideengeschichte eines politischen Konstrukts, in: Historisch-Politische Mitteilungen, Jg. 11, 2004, S. 1–30. Hockerts, H. G., Rahmenbedingungen: Das Profil der Reformära, in: ders., Geschichte, S. 1–156. – (Hg.), Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland seit 1945, Bd. 5: 1966–1974: Bundesrepublik Deutschland. Eine Zeit vielfältigen Aufbruchs, Baden-Baden 2006. Hodge, J. M., British Colonial Expertise, Post-Colonial Careering and the Early History of International Development, in: Journal of Modern European History, Jg. 8, 2010, Nr. 1, S. 24–46. –, Triumph of the Expert. Agrarian Doctrines of Development and the Legacies of British Colonialism, Athens, Ohio 2007. Hoeres, P., Aneignung und Abwehr der Demoskopie im intellektuellen Diskurs der frühen Bundesrepublik, in: Kersting u. a., Die zweite Gründung, S. 69–84. Holden, K., Family, Caring and Unpaid Work, in: I. Zweiniger-Bargielowska (Hg.), Women in Twentieth Century Britain, Harlow 2010, S. 134–148. Holloway, G., Women and Work in Britain since 1840, Abingdon 2005. Hong, Y.-S., Entwicklungsutopien und globale Identitäten. Südkoreanische Krankenschwestern in der Bundesrepublik Deutschland der 1960er und 1970er Jahre, in: Büschel u. Speich, S. 207–240 (englisch-sprachige Version: Gender, race, and utopias of development, in: J. Regulska u. B. G. Smith (Hg.), Women and Gender in Postwar Europe. From Cold War to European Union, London 2012, S. 156–175.) Hopf, C., Frauenbewegung und Pädagogik. Gertrud Bäumer zum Beispiel, Bad Heilbrunn 1997. Hornstein, W., Jugendpolitik, in: M. H. Geyer, Geschichte der Sozialpolitik, S. 667–684. Huhn, M. u. a., Abstand vom bürgerlichen Leben: eine empirische Untersuchung über Freiwillige im Friedensdienst am Beispiel der Aktion Sühnezeichen-Friedensdienste, Heidelberg 1977.

365

Huxley, J., German Education and Re-education, in: New Statesman, 13. Febr. 1943, S. 103 f. Illian, C., Der Evangelische Arbeitsdienst. Krisenprojekt zwischen Weimarer Demokratie und NS-Diktatur. Ein Beitrag zur Geschichte des Sozialen Protestantismus, Gütersloh 2005. Inglehart, R., Kultureller Umbruch. Wertewandel in der westlichen Welt, Frankfurt a. M. 1989. –, The Silent Revolution. Changing Values and Political Styles among Western Publics, Princeton, NJ 1977. Institut für Demoskopie (Hg.), Das Bild der Wohlfahrtspflege. Ergebnisse sozialpsychologischer Umfragen in der Bundesrepublik, Allensbach 1962. into, into’s Freiwilligenarbeit, http://www.into.de/work/freiwilligenarbeit.html., Zugriff: 31. Jan. 2014. Jackson, M. P., Youth unemployment, London u. a. 1985. Jacobsen, L. u. L. Pennekamp, Junge Freiwillige: Heimwärts statt weltwärts, 12. Mai 2010, http://www.spiegel.de/schulspiegel/ausland/junge-freiwillige-heimwaerts-stattweltwaerts-a-694357.html, Zugriff: 19. Dez. 2015. Jagow, H., Der arbeitsethische Sinn des freiwilligen Arbeitsdienstes, in: Reichsgeschäftsstelle des Kirchlich-Sozialen Bundes (Hg.), Der freiwillige Arbeitsdienst, Berlin 1931, S. 17–21. Jähnichen, T. u. a. (Hg.), Caritas und Diakonie im »goldenen Zeitalter« des bundesdeutschen Sozialstaats. Transformationen der konfessionellen Wohlfahrtsverbände in den 1960er Jahren, Stuttgart 2010. James, W., The Moral Equivalent of War, Mössingen-Talheim 1995. Janssen, P. J., Jugendforschung in der frühen Bundesrepublik. Diskurse und Umfragen, Köln 2010. Jarausch, K. H., Das Ende der Zuversicht? Die siebziger Jahre als Geschichte, Göttingen 2008. Jefferies, M. u. M. Tyldesley (Hg.), Rolf Gardiner. Folk, Nature and Culture in Interwar Britain, Farnham 2011. Jessen, R. u. a. (Hg.), Zivilgesellschaft als Geschichte. Studien zum 19. und 20. Jahrhundert, Wiesbaden 2004. Jones, C., Some recent trends inthe history of charity, in: M. J. Daunton (Hg.), Charity, Self-interest and Welfare in the English Past, London 1996, S. 51–63. Jones, H. u. M. Kandiah (Hg.), The Myth of Consensus. New Views on British History, 1945–64, New York 1996. Jung, M., Amerikanismen, ausländische Wörter, Deutsch in der Welt. Sprachdiskussionen als Bewältigung der Vergangenheit und Gegenwart, in: Stötzel u. Wengeler, S. 245–283. Jung-Lindemann, F., Zur Rezeption des Werkes von José Ortega y Gasset in den deutschsprachigen Ländern, Frankfurt a. M. 2001. Jütting, H., Freiwilliges Engagement von Jugendlichen. Eine empirische Fallstudie über Absolventinnen des European Voluntary Service, Münster u. a. 2003. K., E., Ein Jenaer Arbeiter, in: Rosenstock-Huessy u. von Trotha, S. 112 f. Kaelble, H., The 1970s in Europe: A Period of Disillusionment or Promise?, London 2010. Kaiser, C.-C., Ein Weg zur echten Verständigung, in: Deutsche Jugend. Zeitschrift für Jugendfragen und Jugendarbeit, Jg. 2, 1954, S. 3.

366

Kaliski, J., Freiwilliger Arbeitsdienst, in: Sozialistische Monatshefte, Jg. 38, 1932, Nr. 6, S. 500–503. Kallsperger, A., Nationalsozialistische Erziehung im Reichsarbeitsdienst für die weibliche Jugend (Diss. Heidelberg), Leipzig 1939. Kammerer, G., Aktion Sühnezeichen Friedensdienste. Aber man kann es einfach tun, Göttingen 2008. Kaufmann, F.-X., Varianten des Wohlfahrtsstaats. Der deutsche Sozialstaat im internationalen Vergleich, Frankfurt a. M. 2006. Kelber, M., Quäkerhilfswerk. Britische Zone. 1945–1948, Bad Pyrmont 1949. Kendall, E., Dickson’s private army in shackles, in: Western Mail, 29. August 1967. Kendall, J. u. M. Knapp, A loose and baggy monster. Boundaries, definitions and­ typologies, in: J. D. Smith u. a. (Hg.), An Introduction to the Voluntary Sector, London 1995, S. 66–95. Kennedy, J. F., Establishment of permanent Peace Corps. Message from the President of the United States transmitting special message for the establishment of a permanent Peace Corps. March 1, 1961. United States congressional serial set; serial set no. 12362, House document, 87th Congress, 1st session, House, no. 98. Kent, J., William Temple, the Church of England and British national identity, in: R. Weight (Hg.), The Right to Belong, London 1998, S. 19–36. Kersting, F.-W., Helmut Schelskys »Skeptische Generation« von 1957. Zur Publikations- und Wirkungsgeschichte eines Standardwerkes, in: VfZ, Bd.  50, 2002, S. 465–495. Kersting, F.-W. u. a. (Hg.), Aufbrüche und Umbrüche. Die zweite Gründung der Bundesrepublik 1955–1975. Eine Einführung, in: dies., Die zweite Gründung, S. 7–18. – (Hg.), Die zweite Gründung der Bundesrepublik. Generationswechsel und intellektuelle Wortergreifungen 1955–1975, Stuttgart 2010. Kilian, J., »Demokratie« als Merkwort der Nachkriegszeit. Linguistische Begriffsgeschichte im Zeichen der kognitiven Semantik, in: C. Dutt (Hg.), Herausforderungen der Begriffsgeschichte, Heidelberg 2003, S. 105–132. Klages, H., Engagement und Engagementpotential in Deutschland. Erkenntnisse der empirischen Forschung, in: U. Beck (Hg.), Die Zukunft von Arbeit und Demokratie, Frankfurt a. M. 2000, S. 151–170. –, Wertorientierungen im Wandel. Rückblick, Gegenwartsanalyse, Prognosen, Frankfurt a. M. 1984. Klages, H.  u. T. Gensicke, Bürgerschaftliches Engagement 1997, in: H.  Meuleman (Hg.), Werte und nationale Identität im vereinten Deutschland. Erklärungsansätze der Umfrageforschung, Opladen 1998, S. 177–193. Klein, A., Der Diskurs der Zivilgesellschaft. Politische Kontexte und demokratietheoretische Bezüge der neueren Begriffsverwendung, Opladen 2001. Klein, M., Westdeutscher Protestantismus und politische Parteien. Anti-ParteienMentalität und parteipolitisches Engagement von 1945 bis 1963, Tübingen 2005. Klemp, S., Den »Führer« im Herzen, in: Süddeutsche Zeitung, 19. Nov. 2004. Klems, W., Die unbewältigte Moderne: Geschichte und Kontinuität der Technik­ kritik, Frankfurt a. M. 1988. Klenke, D., Nationalkriegerisches Gemeinschaftsideal als politische Religion: Zum Vereinsnationalismus der Sänger, Schützen und Turner am Vorabend der Einigungskriege, in: HZ, Bd. 260, 1995, Nr. 2, S. 395–448.

367

Kocka, J., German History before Hitler. The Debate about the German »Sonderweg«, in: Journal of Contemporary History, Jg. 23, 1988, Nr. 1, S. 3–16. Köhler, H., Arbeitsdienst in Deutschland. Pläne und Verwirklichungsformen bis zur Einführung der Arbeitsdienstpflicht im Jahre 1935, Berlin 1967. Kommission Impulse für die Zivilgesellschaft, Perspektiven für Freiwilligendienste und Zivildienst in Deutschland, 2004, http://www.sozialpolitik-aktuell.de/tl_files/ sozialpolitik-aktuell/_Politikfelder/Soziale-Dienste/Dokumente/perspektivenzivildienst-deutschland.pdf, Zugriff: 31. Jan. 2014. Kortzfleisch, I., Deutscher Frauen Kulturaufgabe, in: Institut für soziale Arbeit (Hg.), Die weibliche Dienstpflicht, München 1916, S. 113–118. Krahé, P. (Hg.), Festschrift zum 40jährigen Jubiläum der Nothelfergemeinschaft der Freunde e. V., Frankfurt a. M. 1985. Kramer, H., »Rationelle Haushaltsführung« und die »Neue Frau« der zwanziger Jahre, in: Feministische Studien, Jg. 1, 1982, Nr. 1., S. 117–126. Kranstedt, G., Von der Flüchtlingshilfe zur Aussiedlerintegration. IN VIA Katholische Mädchensozialarbeit. Dokumentation 1945–1970, Freiburg i. Br. 1997. Kreutzer, S., Vom »Liebesdienst« zum modernen Frauenberuf. Die Reform der Krankenpflege nach 1945, Frankfurt a. M. 2005. Krüger, C. G., Die Bestimmungen des Artikels 16: Juden im Militär, in: I. A. Diekmann (Hg.), Das Emanzipationsedikt von 1812 in Preußen. Der lange Weg der Juden zu »Einländern« und »preußischen Staatsbürgern«, Berlin 2013, S. 237–254. –, Mit Schaufel und Picke für den Frieden. Internationale Jugendarbeitsdienste zur Völkerverständigung, in: D. Bald u. W. Wette, (Hg.), Friedensinitiativen in der Frühzeit des Kalten Krieges, 1945–1955, Essen 2010, S. 65–78. –, Sind wir denn nicht Brüder? Deutsche Juden im nationalen Krieg 1870/71, Paderborn 2006. –, Weibliche Dienstbarkeit und (post-)koloniale Abenteuerlust: ein deutscher und ein britischer Weg zum Ideal der »aktiven Bürgergesellschaft«, in: Levsen u. Torp: Die Bundesrepublik, S. 166–184. Krüger, C. G. u. S. Levsen, Introduction, Volunteers, War and the Nation since the French Revolution, in: dies., War Volunteering, S. 1–22. - (Hg.), War Volunteering in Modern Times. From the French Revolution to the­ Second World War, Basingstoke 2011. Kruke, A., Der Kampf um die politische Deutungshoheit. Meinungsforschung als Instrument von Parteien und Medien in den Siebzigerjahren, in: AfS, Jg. 44, 2004, S. 293–326. Kühne, T., Kameradschaft. Die Soldaten des nationalsozialistischen Krieges und das 20. Jahrhundert, Göttingen 2006. Kuller, C., Familienpolitik im föderativen Sozialstaat. Die Formierung eines Politikfeldes in der Bundesrepublik 1949–1975, München 2004. Küpper, H., Wörterbuch der deutschen Umgangssprache, Bd. VI: Jugenddeutsch von A bis Z, Hamburg 1970. Kurme, S., Halbstarke. Jugendprotest in den 1950er Jahren in Deutschland und den USA, Frankfurt a. M. 2006. Landesarbeitsgemeinschaft Jugendaufbauwerk für die drei Länder in Württemberg und Baden (Hg.), Selbsthilfewerke und Wohnheime für die heimatvertriebene und existenzlose Jugend, bearb. v. O. Würschinger, Tübingen 1950.

368

Lange, H., Die Dienstpflicht der Frau. Vortrag gehalten auf der Kriegstagung des Allgemeinen Deutschen Lehrerinnenvereins, Leipzig 1915. Latham, M. E., Modernization as Ideology. American Social Science and »Nation Building« in the Kennedy Era, Chapel Hill, NC 2000. Legerer, A., Tatort: Versöhnung. Aktion Sühnezeichen in der BRD und in der DDR und Gedenkdienst in Österreich, Leipzig 2011. Lehndorff, H. G. v., Festansprache von Dr. med. Hans Graf von Lehndorff auf der Kundgebung des Deutschen Roten Kreuzes, in: Deutsches Rotes Kreuz, Freiwillige Dienste, S. 104–119. Lehner, M., Der Wandel im Selbstverständnis und in der Mitarbeitendenstruktur im Bereich der Caritas, in: Jähnichen u. a., S. 125–135. Levsen, S., Jugend in der europäischen Zeitgeschichte. Nationale Historiographien und transnationale Perspektiven, in: NPL, Jg. 55, 2010, Nr. 3, S. 421–446. Levsen, S. u. C. Torp, Wo liegt die Bundesrepublik? Vergleichende Perspektiven auf die westdeutsche Geschichte, Göttingen 2016. –, Die Bundesrepublik und der Vergleich, in: dies. (Hg.), Wo liegt die Bundesrepublik, S. 9–28. Lewis, J., Women in Britain since 1945, Oxford 1992. Lewis, K., Wales, in: Epting, S. 60–64. Liedtke, R. u. K. Weber, Religion und Philanthropie in den europäischen Zivilgesellschaften. Entwicklungen im 19. und 20. Jahrhundert, Paderborn 2009. Lindern, R., Die Anfänge der Sozialen Arbeitsgemeinschaft Berlin-Ost, in: ders. u. a. (Hg.), »Wer in den Osten geht, geht in ein anderes Land«, Berlin 1997, S. 81–94. Lindner, U., Gesundheitspolitik in der Nachkriegszeit. Großbritannien und die Bundesrepublik Deutschland im Vergleich, München 2004. –, Rationalisierungsdiskurse und Aushandlungsprozesse. Der moderne Hauhalt und die traditionelle Hausfrauenrolle in den 1960er Jahren, in: Frese u. a., S. 83–106. Lingelbach, G., Spenden und Sammeln. Der westdeutsche Spendenmarkt bis in die 1980er Jahre, Göttingen 2009. Linton, D., »Who has the Youth has the Future«. The Campaign to Save Young Workers in Imperial Germany, Cambridge 1991. Lipp, K. u. a. (Hg.), Frieden und Friedensbewegungen in Deutschland 1892–1992. Ein Lesebuch, Essen 2010. Lister, R., Inclusive Citizenship: Realizing the potential, in: Isin, E. F. u. a. (Hg.), Citizen­ship between Past and Future, Abingdon 2013, S. 38–60. Löffler, B., Rahmenbedingungen, in: Ruck u. Boldorf, S. 1–83. Lorenz, K.-P., Die Demokraten-Macher. Politische Bildner im Nachkriegsdeutschland. Das Beispiel Jugendhof Vlotho, 1946–1949, Essen 2004. Louis, R., Ends of British Imperialism. The Scramble for Empire. Suez and Decolonization, London 2007. Lovell, S. (Hg.), Generations in Twentieth-Century Europe, Basingstoke 2007. Lowe, R., The Second World War, consensus, and the foundation of the welfare state, in: Twentieth Century British History, Jg. 1, 1990, Nr. 2, S. 152–182. Luchterhandt, O., Grundpflichten als Verfassungsproblem in Deutschland. Geschichtliche Entwicklung und Grundpflichten unter dem Grundgesetz, Berlin 1988. Maase, K., Bravo Amerika. Erkundungen zur Jugendkultur der Bundesrepublik in den fünfziger Jahren, Hamburg 1992.

369

Malcolmson, P. u. R. Malcolmson, Women at the Ready, London 2013. Manning, T., Die Italiengeneration. Stilbildung durch Massentourismus in den 1950er und 1960er Jahren, Göttingen 2011. Marko, G., Das Ende der Sanftmut, München 1993. Marshall, D., International Child Saving, in: Fass, S. 469–490. Marshall, T. H., Citizenship and Social Class, London 1992. Marwick, A., The Sixties. Cultural Revolution in Britain, France, Italy, and the United States, c. 1958–c. 1974, Oxford 1998. – (Hg.), Total War and Social Change, Basingstoke 1988. Maß, S., »Eine Art sublimierter Tarzan«. Die Ausbildung deutscher Entwicklungshelfer und -helferinnen als Menschentechnik in den 1960er Jahren, in: WerkstattGeschichte, Jg. 42, 2006, S. 77–90. Mayeur, F., Histoire générale de l’enseignement et de l’éducation en France, Bd.  3: De la Révolution à l’école républicaine, 1789–1930, Paris 2004 (Erstaufl. 1981). McLure, D., Youth’s Service of the Community, in: The Scotsman, 19. Aug. 1966 McClelland, G., Embers of War. Letters form a Quaker Relief Worker in War-Torn Germany, London 1997. Meacham, S., Toynbee Hall and Social Reform 1880–1914. The Search for Community, New Haven, Conn. 1987. Mechling, J., Children in scouting and other organizations, in: Fass, S. 419–433. Meinhardis, S. M., »Nur für ein Jahr«, Lahr 2001. Mencher, S., The Relationship of Voluntary and Statutory Welfare Services in England, New York 1957. Mergel, T., Identitätspolitik. Misstrauen gegenüber dem Staat. Aspekte des Verhältnisses zwischen Zivilgesellschaft und Politik in Deutschland und Großbritannien in der Zwischenkriegszeit, in: Jessen u. a., S. 197–218. Metthey, J.: Gutes tun und dafür zahlen. Freiwilligenarbeit ist zur beliebten Urlaubsbeschäftigung geworden  – zur Freude kommerzieller Anbieter, in: Süddeutsche Zeitung, 3. Januar 2008, S. 33. Metzler, G., »Geborgenheit im gesicherten Fortschritt«. Das Jahrzehnt von Planbarkeit und Machbarkeit, in: Frese u. a., S. 777–797. Michel, K., Freiwilligenarbeit und soziales Lernen. Möglichkeiten für soziales Lernen am Beispiel der Internationalen Jugendgemeinschaftsdienste e. V. (IJGD), Diplomarbeit im Fachbereich Erziehungswissenschaften der Universität Frankfurt a. M., Oktober 1976, (AIJGD). Ministry of Education (Hg.), Half our Future. A Report of the Central Advisory Council for Education (England), London 1963. – (Hg.) The Youth Service in England and Wales. Report of the Committee Appointed by the Minister of Education in Nov. 1958, London 1960. Moeller, R. G., Geschützte Mütter. Frauen und Familienpolitik in der westdeutschen Nachkriegspolitik, München 1997. Mommsen, H., Der lange Schatten der untergehenden Republik. Zur Kontinuität politischer Denkhaltungen von der späten Weimarer zur frühen Bundesrepublik, durchgesehen Auflage, in: K. D. Bracher u. a. (Hg.), Die Weimarer Republik 1918–1933. Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Bonn 19882, S. 552–586. –, Gesellschaftsbild und Verfassungspläne des deutschen Widerstandes, in: H. Graml

370

(Hg.), Widerstand im Dritten Reich. Probleme, Ereignisse, Gestalten, Frankfurt a. M. 1984, S. 14–91. –, Von Weimar nach Bonn. Zum Demokratieverständnis der Deutschen, in: A. Schildt u. A. Sywottek (Hg.), Modernisierung im Wiederaufbau, Bonn 1998, S. 745–759. Mommsen, W. J. u. W. Mock (Hg.), Die Entstehung des Wohlfahrtsstaates in Groß­ britannien und Deutschland 1850–1950, Stuttgart 1982. Moore-Colyer, R., A Northern Federation? Henry Rolf Gardiner and British and European Youth, in: Paedagogica Historica, Jg. 39, 2003, Nr. 3, S. 305–324. –, Rolf Gardiner. English Patriot and the Council for the Church and Countryside, in: Agricultural History Review, Bd. XLIX, 2001, Nr. 2, S. 186–209. Morgan, D. G., Weiblicher Arbeitsdienst in Deutschland (Diss. Mainz), Darmstadt 1978. Morris, R. C., Overseas Volunteer Programs, Their Evolution and the Role of Governments in Their Support, Lexington, Mass. 1973. Morrison, M., A Hole Without Sides, o. O. 2011. Moyes, A., Volunteers in Development, London 1966. Müller-Brandenburg, H., Der Reichsarbeitsdienst, in: Schweizer Zentralstelle, S. 19–26. –, Die Leistungen des deutschen Arbeitsdienstes, Stuttgart 1940. Münch, U., Familien-, Jugend- und Altenpolitik, in: Schulz, Geschichte, S. 633–708. Münz, A., Der Blick zu den Nachbarn. Konzepte für Jugendfreiwilligendienste im Kontext von Wehrpflichtreform und bürgerschaftlichem Engagement in Europa, in: Guggenberger, S. 160–184. Murphey, T. M., Citizenship and the Origins of Women’s History in the United States, Philadelphia 2013. Nachtwey, H. J., Den Himmel kann man nicht kaufen, Über den Alltag nachgedacht, Dortmund 1960. National Council of Social Service (Hg.), Voluntary Action for Social Progress. A Digest of Speeches in the House of Lords, London 1949. Nehring, H., Politics of Security. British and West German Protest Movements and the Early Cold War, 1945–1970, Oxford 2013. Nell, B. v., Wünsche und Bedenken zum Frauenlehrgang, in: Preußische Jahrbücher, Jg. 16, 1916, Nr. 3, S. 482–488. Nicholson, H., A Disputed Identity. Women Conscientious Objectors in Second World War Britain, in: Twentieth Century British History, Jg. 18, 2007, Nr.  4, S. 409–428. Nipkow, K. E., Der schwere Weg zum Frieden. Geschichte und Theorie der Friedenspädagogik von Erasmus bis zur Gegenwart, Gütersloh 2007. Nitsch, M., Private Wohltätigkeitsvereine im Kaiserreich. Die praktische Umsetzung der bürgerlichen Sozialreform in Berlin, Berlin 1999. Nölle-Neumann, E., Werden wir alle Proletarier? Wertewandel in unserer Gesellschaft, Zürich 1978. Norwig, C., Die erste europäische Generation. Europakonstruktionen in der Euro­ päischen Jugendkampagne 1951–1958, Göttingen 2016. Obertreis, J. (Hg.), Oral History, Stuttgart 2012. Odin, K.-A., Kommentar zur Denkschrift über Teilzeitarbeit von Frauen, in: ders. (Hg.), Denkschriften der EKD. Texte und Kommentare, Neukirchen-Vluyn 1966, S. 121–128.

371

Oelkers, J., Reformpädagogik. Eine kritische Dogmengeschichte, 4., vollst. überarb. und erw. Aufl., Weinheim 2005. Oelrich, C., Junge Freiwillige. Als blondes Punk-Mädchen in Indonesien, 7. Aug. 2010, http://www.spiegel.de/schulspiegel/ausland/junge-freiwillige-als-blondes-punkmaedchen-in-indonesien-a-709313.html, Zugriff: 26. April 2016. Oertzen, C. v., Teilzeitarbeit für die ›moderne‹ Ehefrau. Gesellschaftlicher Wandel und geschlechtsspezifische Arbeitsteilung in den 1960er Jahren, in: Frese u. a., Demokratisierung, S. 63–82. Office of the U. S. High Commissioner for Germany (Hg.), U. S. Resident Officers Conference, Bd. 2, Frankfurt a. M. 1950. Olk, T., Die Diakonie im west-deutschen Sozialstaat, in: U. Röper u. C. Jüllig (Hg.), Die Macht der Nächstenliebe. Einhundertfünfzig Jahre Innere Mission und Diakonie, 1848–1998, Berlin 1998, S. 274–285. Oppenheimer, M., Volunteering. Why We Can’t Survive Without It, Sydney 2008. Oppenheimer, M. u. N. Deakin, Beveridge and voluntary action, in: dies., Beveridge, Manchester 2011. – (Hg.), Beveridge and Voluntary Action in Britain and the Wider British World, Manchester 2011. Orr, M., Using young people in new patterns of community service, in: The Glasgow Herald, 29. Aug. 1967, S. 7. Osborne, J., Look Back in Anger, London 1980. Osgerby, B., From the Roaring Twenties to the Swinging Sixties: continuity and change in British youth culture, 1929–1959, in: B. Brivati u. H. Jones (Hg.), What Difference Did the War Make?, London 1995, S. 80–95. –, Youth in Britain since 1945, Oxford 1998. Osterhammel, J., Geschichtswissenschaft jenseits des Nationalstaats. Studien zu Beziehungsgeschichte und Zivilisationsvergleich, Göttingen 2001. Ott, H., Internationale Jugendarbeit als Element der Bildungs- und Außenpolitik. Dargestellt an der Praxis der Bundesrepublik, in: Politische Studien. Orientierung durch Information und Dialog, Jg. 16, 1965, S. 545–555. Papi, D., Viewpoint: Is gap year volunteering a bad thing?, 30. Apr. 2013, http://www. bbc.co.uk/news/magazine-22294205, Zugriff: 31. Jan. 2014. Parliamentary Debates, House of Commons, Official Report, Bd. 347, London 1939. Patel, K. K., »Soldaten der Arbeit«. Arbeitsdienste in Deutschland und den USA 1933–1945, Göttingen 2003. Paulus, J., Familienrollen und Geschlechterverhältnisse im Wandel, in: Frese u. a., S. 107–120. Pawel-Rammingen, E., Ausbildung einer landwirtschaftlichen Beamtin, in: I. Kortzfleisch u. E. Pawel-Rammingen (Hg.), Weibliche Dienstpflicht, Berlin 1907, S. 19–30. Perry, H., 50 Years of Workcamps. A Celebration, Leicester 1981. Petersen, H., Die Erziehung der deutschen Jungmannschaft im Reichsarbeitsdienst, Berlin 1938. Picht, W., Toynbee Hall und die englische Settlement-Bewegung. Ein Beitrag zur Geschichte der sozialen Bewegung in England, Tübingen 1913. Picht, W. u. E. Rosenstock-Huessy, Im Kampf um die Erwachsenenbildung, 1912–1926, Leipzig 1926.

372

Pilkington, E., Beyond the Mother Country. West Indians and the Notting Hill White Riots, London 1988. Pine, L., Education in Nazi Germany, Oxford 2010. Planert, U., Antifeminismus im Kaiserreich. Diskurs, soziale Formation und politische Mentalität, Göttingen 1998. Plate, L., Jugendsozialwerk Mädchengruppe Wart bei Nagold, in: Landesarbeitsgemeinschaft Jugendaufbauwerk, S. 13 f. Praktikawelten, Freiwilligenarbeit, http://www.praktikawelten.de/de/freiwilligenarbeit. html, Zugriff: 31. Jan. 2014. Prange, A., Alles, was Precht ist, in: Christ & Welt, 2011, Nr. 5, http://www.christund welt.de/themen/detail/artikel/precht-hat-recht/, Zugriff: 26. April 2016. Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (Hg.), Deutsche Politik. Tätigkeitsbericht der Bundesregierung, Bonn 1960. Prochaska, F., Christianity and Social Service in Modern Britain. The Disinherited Spirit, Oxford 2005. –, The War and Charity, in: Oppenheimer u. Deakin, Beveridge, S. 21–35. –, The Voluntary Impulse, Philanthropy in Modern Britain, London 1988. Proctor, T. M., On My Honour. Guides and Scouts in Interwar Britain, Transactions of the American Philosophical Society, Bd. 92, Teil 2, Philadelphia 2002. ProjectsAbroad/Projekteweltweit, Preise in Euro, http://www.projects-abroad.de/preise/ projekt-preise/, Zugriff: 31. Jan. 2014. –, Entstehung von Projects Abroad/Projekte weltweit, http://www.projects-abroad. de/uber-uns/entstehung/, Zugriff: 31. Jan. 2014. Putnam, R. D., Bowling Alone. The Collapse and Revival of American Community, New York 2000. Raab, G. u. a., Methoden der Marketing-Forschung. Grundlagen und Praxisbeispiele, 2. überarb. Aufl., Wiesbaden 2009. Rabe, K.-K., Umkehr in die Zukunft. Die Arbeit der Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste, Bornheim-Merten 1983. Rahms, H., Der feindliche Haushalt, in: Delp’sche Verlagsbuchhandlung (Hg.), Emanzipation und Ehe, München 1968, S. 91–108. –, Die Clique, Bern 1999. Raithel, T., Jugendarbeitslosigkeit in der Bundesrepublik, München 2012. Red Cross and St John (Hg.), The Official Record of the Humanitarian Services of the War Organisation of the British Red Cross Society and Order of St. John of­ Jerusalem, 1939–1947, London 1949. Reichhardt, H. J. u. a., Berlin. Chronik der Jahre 1951–1954, Berlin 1968. Reulecke, J., (Hg.), Rückkehr in die Ferne. Die deutsche Jugend in der Nachkriegszeit und das Ausland, Weinheim 1997. – (Hg.), Generationalität und Lebensgeschichte im 20. Jahrhundert, München 2003. Ritter, G. A., Sozialversicherung in Deutschland und England. Entstehung und Grundzüge im Vergleich, München 1983. – (Hg.), Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland seit 1945, Bd.  11: 1989–1994. Bundesrepublik Deutschland. Sozialpolitik im Zeichen der Vereinigung, BadenBaden 2007. Roberts, H., Witness against War. Researching the History of the Quaker Peace Testimony, in: Quaker Studies, Bd. 7, 2002, Nr. 1, S. 79–100.

373

Roberts, K., Youth and Employment in Modern Britain, Oxford 1995. Rochester, C. u. a., Volunteering and Society in the 21st Century, Basingstoke 2012. Rohkrämer, T., Eine andere Moderne? Zivilisationskritik, Natur und Technik in Deutschland 1880–1933, Paderborn 1999. Rölli-Alkemper, L., Familie im Wiederaufbau. Katholizismus und bürgerliches Familienideal in der Bundesrepublik Deutschland 1945–1965, Paderborn 2000. Rose, S. O., Which people’s war? National Identity and Citizenship in Britain 1939–1945, Oxford 2003. Rosenstock-Huessy, E., Arbeitsdienst – Heeresdienst?, Jena 1932. –, Arbeitslager und Arbeitsdienst, in: ders. u. von Trotha, S. 146–160. –, Dienst auf dem Planeten. Kurzweil und Langeweile im Dritten Jahrtausend, Stuttgart 1965. Rosenstock-Huessy, E. u. C. D. von Trotha (Hg.), Das Arbeitslager. Berichte aus Schlesien von Arbeitern, Bauern, Studenten, Jena 1931. Rosenthal, M., The Character Factory. Baden-Powell and the Origins of the Boy Scout Movement, New York 1986. rt, Dies oder das?, in: Blickpunkt. Zeitschrift für junge Menschen, Jg. 1, 1951, Nr. 2, S. 16 f. Rucht, D., Protest in der Bundesrepublik. Strukturen und Entwicklungen, Frankfurt a. M. 2001. Rucht, D. u. a. (Hg.), Soziale Bewegungen auf dem Weg zur Institutionalisierung. Zum Strukturwandel »alternativer« Gruppen in beiden Teilen Deutschlands, Frankfurt a. M. 1997. Ruck, M. u. M. Boldorf (Hg.), Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland seit 1945, Bd. 4: 1957–1966. Bundesrepublik Deutschland. Sozialpolitik im Zeichen des erreichten Wohlstands, Baden-Baden 2007. Ruff, M. E., The Wayward Flock, Chapel Hill 2005. Ruhl, H.-J., Verordnete Unterordnung. Berufstätige Frauen zwischen Wirtschaftswachstum und konservativer Ideologie in der Nachkriegszeit, 1945–1963, München 1994. Ruoss, M., Fürsprecherin des Alters. Geschichte der Stiftung Pro Senectute im entstehenden Schweizer Sozialstaat, 1917–1967, Zürich 2015. Rusinek, B. A., Krieg als Sehnsucht. Militärischer Stil und »junge Generation« in der Weimarer Republik, in: Reulecke, Generationalität, S. 127–144. Sachße, C., Friedrich Siegmund-Schultze, die »Soziale Arbeitsgemeinschaft« und die bürgerliche Sozialreform in Deutschland, in: H.-E. Tenorth u. a. (Hg.), Friedrich Siegmund-Schultze, 1885–1969. Ein Leben für Kirche, Wissenschaft und soziale Arbeit, Stuttgart 2007, S. 35–49. –, Mütterlichkeit als Beruf. Sozialarbeit, Sozialreform und Frauenbewegung, 1871–1929, 2. überarb. Aufl., Opladen 1994. Sachße, C. u. F. Tennstedt (Hg.), Geschichte der Armenfürsorge in Deutschland, 4 Bde., Bd.  4: Fürsorge und Wohlfahrtspflege in der Nachkriegszeit 1945–1953, Stuttgart 2012. Salzmann, H., Die Entwicklung des Diakonischen Jahres, in: Gerwig u. Sticht, S. 27–51. Samson, H., Their Gift: One year of their lives, in: Christian Comment, März 1960, Nr. 17, ohne Paginierung.

374

Samuel, R., Island Stories. Unravelling Britain, London 1998. Saunders, H. S. G., The Red Cross and the White. A Short History of the Joint War Organization of the British Red Cross Society and the Order of St. John of Jerusalem During the War 1939–1945, London 1949. Schaser, A., Frauenbewegung in Deutschland, 1848–1933, Darmstadt 2006. Schatz, H. u. A. Woeldike, »Deutsche Arbeit« und eliminatorischer Antisemitismus. Über die sozioökonomische Bedingtheit einer kulturellen Tradition, in: J. Elsässer u. A. S. Markovits (Hg.), »Die Fratze der eigenen Geschichte«. Von der GoldhagenDebatte zum Jugoslawien-Krieg, Berlin 1999, S. 103–123. Sche., H., Dein Jahr? Mein Jahr. Eine Pressekonferenz zum Start des freiwilligen sozialen Jahres des Deutschen Roten Kreuzes in Hamburg, in: Deutsches Rotes Kreuz, 1964, Nr. 3, S. 18 f. Schellenberg, E., Der freiwillige Arbeitsdienst auf Grund der bisherigen Erfahrungen, Berlin 1932. Schelsky, H., Die skeptische Generation. Eine Soziologie der deutschen Jugend, Düsseldorf 1957. –, Einführung, in: David Riesman, Die einsame Masse, Darmstadt 1956, S. 9–25. –, Für und wider den Arbeitsdienst, in: Gewerkschaftliche Monatshefte, Bd. 1, 1950, Nr. 8, S. 353–359. –, Wandlungen der deutschen Familie in der Gegenwart. Darstellung und Deutung einer empirisch-soziologischen Tatbestandsaufnahme, Dortmund 1953. Schildt, A., Across the Border. West German Youth Travel to Western Europe, in: ders. u. Siegfried, S. 149–160. –, Moderne Zeiten: Freizeit, Massenmedien und »Zeitgeist« in der Bundesrepublik der 50er Jahre, Hamburg 1995. Schildt, A u. a. (Hg.), Dynamische Zeiten. Die 60er Jahre in den beiden deutschen Gesellschaften, Hamburg 20032. Schildt, A. u. D. Siegfried (Hg.), Between Marx and Coca-Cola, New York 2006. Schmidt, J., Beruf: Schwester. Mutterhausdiakonie im 19. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 1998. Schmidt, K., Mit guten Werken Karriere machen, 21. Aug. 2012, http://www.zeit.de/ karriere/beruf/2012–08/ehrenamt-vorteil-karriere, Zugriff: 26. Jan. 2014. Scholz-Klink, G., Die Frau im Dritten Reich. Eine Dokumentation, Tübingen 1978. Schröter, B., Aus westdeutscher Sicht: DDR 1946–1968 im Rahmen der Ost-WestArbeit des SCI, 2007, http://www.archives.sciint.org/history/germany/history-scigermany/aus-westdeutscher-sicht-ddr-1946-1968-im-rahmen-der-ost-west-arbeitdes-sci.html, Zugriff: 19. Dez. 2015. Schulz, G. (Hg.), Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland seit 1945, Bd. 3: 1949–1957: Bewältigung der Kriegsfolgen, Rückkehr zur sozialpolitischen Normalität, BadenBaden 2005. Schulz, K., Der lange Atem der Provokation. Die Frauenbewegung in der Bundes­ republik und in Frankreich 1968–1976, Frankfurt a. M. 2002. Schütz, H., Bericht über das erste Arbeitslager, in: Rosenstock-Huessy u. von Trotha, S. 35–43. Schütze, F., Biographieforschung und narratives Interview, in: Obertreis, S. 99–112. Schwarz, A., Die Reise ins Dritte Reich. Britische Augenzeugen im nationalsozialis­ tischen Deutschland, 1933–39, Göttingen 1993.

375

–, Die Wahrnehmung der deutschen Jugend im Ausland. Das Beispiel Großbritannien, in: Reulecke, Rückkehr, S. 11–32. Schwärzel, M., High Hopes, Low Expectations… Chancen des Europäischen Jahres der Freiwilligentätigkeit, in: Neue Soziale Bewegungen, 2010, Nr. 4: Europas Zivilgesellschaften. Engagementpolitik im Jahr der Freiwilligen 2011, S. 44–50. Schweizer Zentralstelle für freiwilligen Arbeitsdienst/International Student Service, Arbeitsdienst in 13 Staaten. Probleme  – Lösungen. Berichte und Vorträge der II. Internationalen Arbeitsdiensttagung in Seelisberg, Schweiz vom 5.–10. September 1937, Zürich [1938]. Schwinge, B., Verkehrte Welten. Über die Umkehrung der Verhältnisse von Geben und Nehmen. Der weltwärts-Freiwilligendienst als Selbstbehandlung im Kulturkontakt zwischen Deutschland und Südafrika, Bonn 2011. Scott, L. V., Conscription and the Attlee Government. The Politics and Policy of­ National Service, Oxford 1993. Seifert, M., Kulturarbeit im Reichsarbeitsdienst. Theorie und Praxis nationalsozialistischer Kulturpflege im Kontext historisch-politischer, organisatorischer und­ ideologischer Einflüsse, Münster 1996. Shapely, P., Charity and Power in Victorian Manchester, Manchester 2000. Shapira, M., Psychoanalysts on the radio: Domestic citizenship and motherhood in postwar Britain, in: J. Regulska u. B. G. Smith (Hg.), Women and Gender in Postwar Europe: From Cold War to European Union, London 2012, S. 71–86. Sheard, J., From Lady Bountiful to Active Citizen. Volunteering and the Voluntary Sector, in: J. D. Smith u. a. (Hg.), An Introduction to the Voluntary Sector, London 1995, S. 114–127. –, Volunteering and Society, 1960 to 1990, in: R. Hedley u. J. D. Smith (Hg.), Volunteering & Society, London 1992, S. 11–32. Sheldrake, J. u. S. Vickerstaff, The History of Industrial Training in Britain, Avebury 1987. Shirer, W. L., Berlin Diary, Baltimore 2002. Sieger, M., Kaiserswerther Kranken-Schwestern und die Veränderung der Pflege im 20. Jahrhundert, in: U. Gause u. C. Lissner (Hg.), Kosmos Diakonissenmutterhaus. Geschichte und Gedächtnis einer protestantischen Frauengemeinschaft, Leipzig 2005, S. 196–216. Siegfried, D., Time is on my side. Konsum und Politik in der westdeutschen Jugendkultur der 60er Jahre, Göttingen 2006. –, Was war »1968«? Globale Jugendrebellion, generationeller Wandel und postindustrielle Gesellschaft, in: ders. (Hg.), Sound der Revolte. Studien zur Kulturrevolution von 1968, Weinheim 2008, S. 31–56. Siegrist, H., Ende der Bürgerlichkeit? Die Kategorien »Bürgertum« und »Bürgerlichkeit« in der westdeutschen Gesellschaft und Geschichtswissenschaft der Nachkriegsperiode, in: GG, Jg. 20, 1994, S. 549–583. Simpson, K., »Doing Development«. The Gap Year, Volunteer-Tourists and a Popular Practice of Development, in: Journal of International Development, Jg. 16, 2004, S. 681–692. Skurnia, F., Arbeiter und Arbeitslager, in: Rosenstock-Huessy u. von Trotha, S. 9–12. Speidel, M., »A Race That Is Thus Willing To Die For Its Country«. African-American Volunteers in the Spanish American War 1898, in: Krüger u. Levsen, War Volunteering, S. 92–108.

376

Speitkamp, W., Jugend in der Neuzeit. Deutschland vom 16. bis zum 20. Jahrhundert, Göttingen 1998. Spencer, S., »Be Yourself«. ›Girl‹ and the Business of Growing Up in Late 1950s England, in: K. Cowman u. L. A. Jackson (Hg.), Woman and Work Culture. Britain c. 1850–1950, Aldershot 2005, S. 141–158. Speth, R., Bürgerschaftliches Engagement in Großbritannien, in: Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen 2010, Nr. 4: Europas Zivilgesellschaften. Engagementpolitik im Jahr der Freiwilligen, 2011, S. 74–86. Staffa, C., Die »Aktion Sühnezeichen«. Eine protestantische Initiative zu einer besonderen Art der Wiedergutmachung, in: H. G. Hockerts (Hg.), Nach der Verfolgung, Göttingen 2003, S. 139–156. Stargardt, N., The War Child. A German Trauma, in: Lovell, S. 144–164. Steinert, J.-D., British Humanitarian Assistance: Wartime Planning and Postwar Realities, in: Journal of Contemporary History, Jg. 43, 2008, Nr. 3, S. 421–435. –, Nach Holocaust und Zwangsarbeit. Britische humanitäre Hilfe in Deutschland. Die Helfer, die Befreiten und die Deutschen, Osnabrück 2007. Stell, M., Kontinuität und Aufbruch. Zur Politik und Soziologie der Jugendgemeinschaftsdienste seit den fünfziger Jahren, in: Guggenberger, S. 105–121. Sticht, F., Anfänge des Diakonischen Jahres, in: Gerwig u. Sticht, S. 19–26. Stötzel, G. u. M. Wengeler (Hg.), Kontroverse Begriffe. Geschichte des öffentlichen Sprachgebrauchs in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1995. Straaten, W. v., Sie nennen mich Speckpater, überarb. Neuaufl., Recklinghausen 1989. Stubbe, S., Die internationale Arbeit des Jugendherbergswerks in der frühen Nachkriegszeit, 1909–2009, in: J. Reulecke u. B. Stambolis (Hg.), 100 Jahre Jugend­ herbergen. Anfänge, Wandlungen, Rück- und Ausblicke, Essen 2009, S. 241–254. Süß, D., Krieg, Nation und »Heimatfront«. Großbritannien und der Zweite Weltkrieg, in: AfS, Bd. 47, 2007, S. 437–453. Sypolt, L. N., Civilian Conservation Corps. A Selectively Annotated Bibliography, Westport, Conn. 2005. Thatcher, M., Speech to Women’s Royal Voluntary Service National Conference (»Facing the new Challenge«) 19.  Jan. 1981, http://www.margaretthatcher.org/ Speeches/displaydocument.asp?docid=104551&doctype=1, Zugriff: 31. Jan. 2014. Thielicke, H., Das Krankenhaus als Stätte menschlicher Krisen und Hoffnungen, in: ders. (Hg.), Theologie und Zeitgenossenschaft. Gesammelte Aufsätze, Tübingen 1967, S. 11–41. –, Das Krankenhaus. Stätte menschlicher Krisen und Hoffnungen, in: ders. (Hg.), Wer darf leben? Ethische Probleme der der modernen Medizin, München 1970, S. 132–153. Thimmel, A., Pädagogik der internationalen Jugendarbeit. Geschichte. Praxis und Konzepte des interkulturellen Lernens, Schwalbach i.Ts. 2001. Thomas, M., Communing with the Enemy, Frankfurt a. M. 2005. Tinkler, P., Sexuality and Citizenship. The State and Girls’ Leisure Provision in England, 1939–45, in: Women’s History Review, Jg. 4, 1995, Nr. 2, S. 193–217. Titmuss, R. M., The Gift Relationship. From Human Blood to Social Policy, London 1970. Tomlinson, J., The Politics of Decline. Understanding Post-war Britain, Harlow 2001. Töpfel, F., Egotrips ins Elend, 2008, http://sz-magazin.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/ 24384 %3Cbr%20/%3E, Zugriff: 31. Jan. 2014.

377

Tracey, L., Reconstructing the Family. Education for Parenthood and Maternity and Child Welfare, 1945–1960, in: L. Black u. a. (Hg.), Consensus or Coercion? The State, the People and Social Cohesion in Post-war Britain, Cheltenham 2001, S. 136–150. TravelWorks, Das sind wir, http://www.travelworks.de/das-sind-wir.html, Zugriff: 31. Jan. 2014. –, Freiwilligendienst im Ausland, http://www.travelworks.de/freiwilligendienst.html, Zugriff: 31. Jan. 2014. Turner, B. S., Contemporary Problems in the Theory of Citizenship, in: ders. (Hg.),­ Citizenship and Social Theory, London 1993, S. 1–18. Turner, J., Macmillan, London 1994. Ubbelohde, J., Der Umgang mit jugendlichen Normverstößen, in: Herbert, Wandlungsprozesse, S. 402–435. Ullrich, S., Der Weimar-Komplex. Das Scheitern der ersten deutschen Demokratie und die politische Kultur der frühen Bundesrepublik 1945–1959, Göttingen 2009. United Nations Department of Economic and Social Affairs (Hg.), The United Nations Development Decade. Proposals for Action. Report of the Secretary-General, New York 1962. United Nations General Assembly (Hg.), Support for volunteering. Report of the Secretary General, A 56/288, 14. Aug. 2001, http://www.un.org/documents/ga/docs/56/ a56288.pdf, Zugriff: 31. Jan. 2014. Van Dyk, S. u. a., Gibt es ein Leben nach der Arbeit? Zur diskursiven Konstruktion und sozialen Akzeptanz des »aktiven Alters«, in: WSI Mitteilungen, Bd. 5, 2013, S. 321–328. Vilmar, F. u. B. Runge (Hg.), Auf dem Weg zur Selbsthilfegesellschaft?, Essen 1986. Vogel, A., Das Pflichtjahr für Mädchen. Nationalsozialistische Arbeitseinsatzpolitik im Zeichen der Kriegswirtschaft, Frankfurt a. M. 1997. Voluntary Action History Society, http://www.vahs.org.uk/, Zugriff: 19. Dez. 2015. Voluntary Action History Society  – Archives, http://www.vahs.org.uk/archive, Zugriff: 19. Dez. 2015. Waddington, K., »Not for ourselves, but for others«. Die Rhetorik der Wohltätigkeit und der sozialen Zurschaustellung, in: Liedtke u. Weber, S. 55–71. Wahl, S., Bürgerschaftliches Engagement in Deutschland. Empirische Grundlagen und Forschungsstand, in: Zeitschrift für politische Psychologie, Bd.  10, 2002, S. 13–25. Waldersee, E. G., Grußwort, in: Deutsches Rotes Kreuz, S. 1–6. Waring, M., Counting for Nothing. What Men Value and What Women Are Worth, Toronto 1999. Watzke-Otte, S., »Ich war ein einsatzbereites Glied in der Gemeinschaft…« Vorgehensweise und Wirkungsmechanismen nationalsozialistischer Erziehung am Beispiel des weiblichen Arbeitsdienstes, Frankfurt a. M. 1999. Weber, K., »Wohlfahrt«, »Philantropie« und Caritas. Deutschland, Frankreich und Großbritannien im begriffsgeschichtlichen Vergleich, in: Liedtke u. Weber, S. 19–37. Weber-Newth, I. u. J.-D. Steinert, German Migrants in Post-War Britain. An Enemy Embrace, London 2006. Wegener, I., Zwischen Mut und Demut. Die weibliche Diakonie am Beispiel Elise Averdiecks, Göttingen 2004.

378

Weinbrenner, E., Die Mitwirkung ehrenamtlicher Kräfte ein der öffentlichen Fürsorge. Gegenwart und Zukunft, in: Nachrichtendienst des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge, 1953, S. 163–170. Weisbrod, B., Cultures of Change. Generations in the Politics and Memory of Modern Germany, in: Lovell, S. 19–35. Weischer, C., Das Unternehmen »Empirische Sozialforschung«. Strukturen, Praktiken und Leitbilder der Sozialforschung in der Bundesrepublik Deutschland, München 2004. Weiß, K., Lothar Kreyssig. Prophet der Versöhnung, Gerlingen 1998. Weller, A., Mobilisierung und Einordnung de Mitbürger in die Sozialarbeit, in: Blätter der Wohlfahrtspflege, Bd. 103, 1956, S. 123–127. Welskopp, T., Vergleichende Geschichte, 2010, http://www.ieg-ego.eu/de/threads/theo rien-und-methoden/vergleichende-geschichte/thomas-welskopp-vergleichendegeschichte, Zugriff: 19. Dez. 2015. weltwärts, Kinder- und Jugendarbeit in sozial schwachen Gemeinwesen, http://www. weltwaerts.de/ep-detail.html?id=205196, Zugriff: 10. Febr. 2014. –, Presse, http://www.weltwaerts.de/presse/index.html, 10. Febr. 2014. –, Programm, weltwärts: Kinder- und Jugendarbeit in sozial schwachen Gemeinwesen, http://www.weltwaerts.de/ep-detail.html?id=205196, Zugriff: 10. Febr. 2014. Welzer, H., Das Interview als Artefakt, in: Obertreis, S. 247–260. Wengeler, M., »1968« als sprachgeschichtliche Zäsur, in: Stötzel u. Wengeler, S. 383–404. Weyrather, I., Die Frau am Fließband. Das Bild der Fabrikarbeiterin in der Sozialforschung, 1870–1985, Frankfurt a. M. 2003. Wienand, C., Versöhnung, in: J. Umlauf u. a. (Hg.), Lexikon der deutsch-französischen Kulturbeziehungen seit 1945, Tübingen 2013, S. 451–453. Wiener, M. J., English Culture and the Decline of the Industrial Spirit, 1850–1980, Cambridge 1981. Wierling, D., Mädchen für alles. Arbeitsalltag und Lebensgeschichte städtischer Dienstmädchen um die Jahrhundertwende, Berlin 1987. Wildt, M., Konsumbürger. Das Politische als Optionsfreiheit und Distinktion, in: M. Hettling u. B. Ulrich (Hg.), Bürgertum nach 1945, S. 255–283. Wilhelm, W. W., Volk im Dienst. Wesen und Wirkung der allgemeinen Arbeitspflicht. Ein deutscher Sieben-Jahr-Plan, Leipzig [1931]. Winckler, W., Freiwillige Dienste in unserer Zeit. Versuch eines Fazits der Fach­ tagung, in: Deutsches Rotes Kreuz, Freiwillige Dienste, S. 88–103. Wingen, M., Familienpolitik. Ziele, Wege und Wirkungen, Paderborn 1964. Winkler, H. A., Deutsche Geschichte vom »Dritten Reich« bis zur Wiedervereinigung, 6., durchges. Aufl., München 2005. Wissig, W., Die Katholische Landjugendbewegung zwischen Hitler- und Nachkriegsdeutschland. Blick zurück – Blick nach vorn. Jugend vor einer Welt in Trümmern. Erfahrungen und Verhältnisse der Jugend zwischen Hitler- und Nachkriegsdeutschland, S. 49–64. Wittig, J., Der geistige Überbau, in: Rosenstock-Huessy u. von Trotha, S. 43–51. Wolfenden, J. F. (Hg.), The Future of Voluntary Organisations. Report of the Wol­fen­ den Committee, London 1978. Wolfrum, E., Die geglückte Demokratie. Geschichte der Bundesrepublik Deutschland von ihren Anfängen bis zur Gegenwart, Stuttgart 2006.

379

Woodbridge, G. (Hg.), UNRRA. The History of the United Nations Relief and Rehabilitation Administration, 3 Bde., Bd. 2, New York 1950. Wörner-Heil, O., Frauenschulen auf dem Lande, 1897–1997, Kassel 1997. Wulf, C. (Hg.), Kritische Friedenserziehung, Frankfurt a. M. 1973. Wurzbacher, G., Die junge Arbeiterin. Beiträge zur Sozialkunde und Jugendarbeit, München 1958. Youth Service Development Council, Service by Youth. Report of a Committee of the Youth Service Development Council, London 1966. Zahra, T., The Lost Children. Reconstructing Europe’s Families after World War II, Cambridge, Mass. 2011. Ziemann, B., Katholische Kirche und Sozialwissenschaften, 1945–1975, Göttingen 2007. Zinkl, J., Schüler-Selbstverwaltung in deutschen Schulen, Donauwörth [1948]. Zugvögel e. V., Selbstverständnis, http://zugvoegel.org/info/unsere-idee, Zugriff: 31. Jan. 2014.

380

Register

Personenregister Adams, Michael  220 Adenauer, Konrad  118 Albemarle, Countess of siehe Keppel, Diana Allport, Gordon W.  93, 95 Attlee, Clement  97 Aumann, Josef  38 Aves, Geraldine  316 Bäcker, Hermine  156 Bailkin, Jordanna  213, 222 Bajohr, Frank  48 Best, Ethelwyn  65 Beveridge, William  21, 81, 83 Bird, Adam  201 Blair, Tony  330 Boldorf, Marcel  78 Bouyssy, Maïte  30 Brewis, Georgina  21, 293 Brooke, Rupert  220 Brumlop, Kurt  125 Brüning, Heinrich  41 Bugler, Jeremy  200 Cabarrus, Theresia (Thérèse de Tallien)  29–31, 33 f., 66 Carlowitz, Adolf von  242 Ceresole, Pierre  36 f. Claessens, Dieter  97 Cole, George D. H.  55 f. Cornwell, Jack  220 Crossman, Richard  315 Dahrendorf, Ralf  323, 331 Danckwortt, Dieter  93–95, 97, 116, 280 Davis, John  204 de Gouges, Olympe  30 Deile, Volkmar  301 Denis, Elisabeth  157 f., 169, 245, 252 Derby, Lord  58 Dewey, John  97

Dickson, Alec  201–206, 208–222, 228, 233, 248 f., 253–255, 260, 294–296, 301, 317–319, 322 f., 331 Dickson, Mora  210–212, 215, 221 f. Dietzfelbinger, Hermann  131 f., 134, 140 Disraeli, Benjamin  322 Eastland, Basil  83, 85, 93 Ehrenberg, Herbert  313, 325 Eichborn, Wolfgang von  267, 274, 282, 291 Eley, Geoff  22 Elias, Norbert  171 Elizabeth II., Königin von Großbritannien und Nordirland  210 Emden, Alfred Brotherston  58 f. Erzberger, Matthias  37 Fabarius, Ernst August  34 Finlayson, Geoffrey  21, 80 f., 252 Fleming, Lancelot  204, 208, 300 Flesch-Thebesius, Marlies  161, 180 Fowlers, John  54 Frank, Matthew  73 Frings, Joseph  134, 153 Gardiner, Rolf  54 Gerweg, Wilhelm  307 Gestrich, Andreas  19 Gibbs, Philip  70 Giesecke, Hermann  275 f., 287 Giesen, Josef  115 Grunow, Dieter  181 Halle, Familie  100 f. Hammerstein, Franz von  197 Harris, José  21 Harvey, John  79 f., 83 Harvey, Thomas Edmund  72 Hasenclever, Christa  173, 253, 255 Haushofer, Karl  69 Haushofer, Martha  69

381

Heck, Bruno  144 f. Heilfurth, Gerhard  112, 120, 125 Heinemann, Gustav  190 Hierl, Konstantin  46, 48, 101 Hilton, Matthew  21 Hoodless, Elisabeth  299, 318 Inebnit, Jean  55 Inglehart, Ronald  23 Iremonger, Thomas  302 Jagow, Herbert  67 James, William  36, 53, 116 Juncker, Horst  160 f., 305 Kaelble, Hartmut  263 Kammerer, Gabriele  19 f., 195 Kennedy, John F.  212 Keppel, Diana, Countess of Albemarle  199 Klages, Helmut  23 Klönne, Friedrich  31 f. König, Mechthild  160, 168 Kortzfleisch, Ida von  35, 42 Kreyssig, Lothar  188–198, 291 Laerum, Rudolf  138 Lange, Helene  33, 35 Legerer, Anton  19, 188 Lehndorff, Hans Graf von  139, 248 Lessing, Hellmut  306 Liehr, Harry,  186 Lübke, Heinrich  136 Lübke, Wilhelmine  136 Maase, Kaspar  171 Macmillan, Harold  201, 206 Marshall, Thomas H.  22, 339 McClelland, Grigor  71 McKay, James  21 Mencher, Samuel  16 Moltke, Helmuth James von  38, 189 Morgan, Dagmar  35 Moyes, Adrian  254 Müller, Johannes  197 f. Müller-Brandenburg, Herrmann  46 Nachtwey, Hermann-Josef  133, 136, 142, 240 f., 243 f., 247 Nahm, Peter Paul  112 Newsom, John  204 Niebel, Dirk  336

382

Odin, Karl-Alfred  246 Oppenheimer, Melanie  20 Ortega y Gasset, José  135 Osborne, John  219 Pakenham, Frank  81 Patel, Kiran Klaus  19, 44 Picht, Werner  40 Pike, Bernard  65 Pitz-Savelsberg, Elisabeth  135 Precht, Richard David  332 Prochaska, Frank  182 Putnam, Robert  24 Rabes, Waltraud  180 Rahms, Helene  248, 250 Rathenau, Walter  38 Rayner, Claire  299 Renner, Heinz  125 Reuter, Ernst  118 Riefenstahl, Leni  50 Riesman, David  150 Rieth, Theobald  92, 94 Rose, Sonya O.  224 Rosemann, Helga  273 f., 292 Rosenstock-Huessy, Eugen  38–41, 54, 57, 67 f., 94, 189 Scharnowski, Ernst  118 Scheel, Walter  301 Schelsky, Helmut  102, 111, 149 f. Schmid, Carlo  121 Schmidt, Helmut  292 Schwarz, Angelika  57, 60 Scott, Alan  316 Seebohm, Frederic  315 Steen, Anthony  200 Stell, Maren  19 Straaten, Werenfried van  88 Strätling-Tölle, Helga  151 Tallien, Jean Lambert  30 Tallien, Thérèse siehe Cabarrus, Theresa de Teeling, William  59 Tenhumberg, Heinrich  104 Thatcher, Margaret  317 f., 320, 324, 341 Thielicke, Helmut  240–247, 250 f. Thimmel, Andreas  90 Titmuss, Richard  316 Tritz, Maria  173, 244

Trotha, Carl Dietrich von  38, 189 Turner, Bryan S. 22

Weisser, Elisabeth  154, 162 f., 171, 243 Wilhelm, Walter Woldemar  44 Will, Anne  332 Willich, Lotte  69 Wuermeling, Franz-Josef  104, 133, 141 Wurzbacher, Gerhard  139

Ubbelohde, Julia  84 Waldersee, Etta Gräfin  169

Sachregister Abenteuerromantik  53, 63, 196, 198, 205 f., 209, 213, 219, 221 f., 224, 335 Agrarromantik  35, 53, 135 Aktion Sühnezeichen  10, 19, 25 f., 101, 130, 165–168, 183, 187–198, 200, 224, 226, 234 f., 237 f., 254, 265–267, 274 f., 2­ 78–281, 283 f., 291, 298, 301 f., 304, 311 f., 319, 321, 339 Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden  267, 279, 284 Albemarle-Report  199, 204 Allensbacher Institut für Meinungsforschung 270 Arbeitsgemeinschaft der katholischen Deutschen Frauen  141 Arbeitsgemeinschaft zur Förderung des Freiwilligen Arbeitsdienstes  115 Arbeitskreis Freiwillige Soziale Dienste  281, 287, 304, 308 Arbeitslosigkeit siehe Erwerbslosigkeit Auslandseinsätze von Freiwilligen  61–65, 71–73, 86–92, 96–98, 100 f., 116, 122, 127, 165–169, 183–189, 191–198, 234 f., 237, 274 f., 292, 319 f., 330, 333–335 Aves Report  315 f. AWO  26, 143, 158, 169, 173, 253, 307 Bayerischer Rundfunk  146 BBC 323 BDKJ  131, 276, 283, 287, 306, 309 British Trust for Conservation Volunteers 319 Bundesarbeitsgemeinschaft Jugendauf­ bauwerke  99, 120 Bundesfreiwilligendienst 333 Bundesjugendring 170 Bundesministerium für Familie  9, 16, 104, 106, 133, 141, 144, 158, 160, 166, 173, 244, 305 f., 308, 312, 332

Caritas  84, 131, 133, 135, 143, 151, 157–159, 170, 245, 247, 252, 267–269, 272, 275, 277, 286, 297 Carnegie United Kingdom Trust  316 CDU  121, 153, 244 Christlicher Friedensdienst  88, 170, 226, 234, 282, 298 Civil Defence  71 Civilian Conservation Corps  40, 59 COBSRA  62 f. Colonial Office  210 Commission on Youth and the Needs of the Nation  323 f. Community Development  210 f. Concordia 61 CSV  13, 25–27, 198, 201–204, 215, 217–224, 226, 228, 232 f., 237 f., 249, 253, 259, 261, 263, 281, 293, 299–302, 307, 316, 318–323, 326, 330 f. DDR  14, 106 f., 124, 191 Demokratievorstellungen  9, 15 f., 19, 24, 38, 51, 59, 65, 67 f., 94–99, 109–112, 121–123, 168–172, 243, 248, 255, 278, 280–286, 326, 329, 339, 341 f. Department of Technical Co-operation  211, 213 Deutscher Familienverband  138, 142 Diakonische Anstalten Neuendettelsau  130 f., 146, 151, 179, 236 Diakonisches Jahr  19, 26, 131, 134, 137 f., 140, 145–147, 151, 153–161, ­164–167, 170, 174–177, 179 f., 225–227, 230 f., 233, 2­ 35–238, 252, 256–258, 265, 268 f., 273, 288, 292, 301, 307, 309, 320 Diakonisches Werk  292, 308 f. Diakonissen  31 f., 179 Dienst für Deutschland  14, 106 f.

383

Dienstethos  46, 49, 58, 69, 72 f., 137, 147 f., 151, 171, 180, 235 f., 241 f., 251 f., 289, 295 f. Displaced Persons  62, 208 DPWV  26, 152, 154, 158, 160, 268, 278, 286 DRK  26, 131, 134, 139, 156, 158, 160, 169, 171 f., 248, 271 f., 290

Gewerkschaften  41 f., 44, 48, 59, 117 f., 125, 132, 157, 244 f., 247, 250, 252, 259, 266, 283 Girl Guides  62, 222 Government Training Centres  52 Grith Fyrd  53 Großstadtfeindschaft siehe Agrarromantik

East-West-Camps  91, 187 Eichmann-Prozesse 197 Eirene 167 EMNID  101, 230 Entwicklungsdienste  13, 167 f., 187, 201, 224, 254, 279, 334–337, siehe auch VSO Erster Weltkrieg  17, 34–37, 42 f., 50, 88 f., 189, 220 Erwerbslosigkeit  14, 38, 40–45, 50–55, 57, 59, 75 f., 103–106, 108 f., 117–120, 127, 130, 216, 263, 303–309, 313, 318–322, 326 f., 333, 338, 340 f. Europabewegung/Europagedanke  94, 99, 115 f., 164, 182, 184, 188, 196, 292 Evangelische Industriejugend  197 Evangelische Jugendkammer  161 Evangelische Zentrale für den freiwilligen Arbeitsdienst 102

Hedwig Dransfeld Haus  102 Hilfswerk der Evangelischen Kirchen  103– 105, 109, 112, 114, 117, 124, 132, 155, 242

FDP  323, 336 Frauenbewegung  30, 33–36, 60, 164, 289 f., 337 Frauenerwerbstätigkeit  34, 48, 108, 132, 140, 144–146, 155–157, 162 f., 224, 238, 241 f., 246 f., 253, 260 f., 286, 288 Freikorps der Arbeit  38 Freiwilliger Arbeitsdienst  41–46, 56, 103 f., 107, 121, 338 Freiwilliger Evangelischer Aufbaudienst  117 Freiwilliger Sozialer Werkdienst  102, 163 Fremdenfeindschaft  137, 206 Friends Service Council siehe Student ­ Christian Movement Gemeinschaftsideal  33–35, 42–46, 49, 51, 56, 64 f., 68 f., 75 f., 79, 94–98, 112 f., 196, 216, 235, 281 f., 285 Geschlechterrollen  29–36, 42, 48, 50, 93, 108 f., 131, 140–148, 161–164, 181, 185 f., 195 f., 218–224, 230, 238, 241–248, 253, 260 f., 288–290, 337, 340 f. Gesetz zur Förderung eines freiwilligen sozialen Jahres  131, 158–160, 167, 180 f., 292, 312, 333

384

IJGD  88, 93, 97, 116, 183 f., 266, 280, 298 Innere Mission  155 f., 166, 168, 175 f., 242, 252 Institut für Gesellschaft und Wissenschaft 288 Instructional Training Centres  52 f. International Community Education Foundation 320 International Fellowship of Reconciliation 36 International Student Service  54 Internationaler Bauorden  88, 168, 237 Internationaler Bund für Sozialarbeit  26, 121, 131, 137 f., 140 f., 144, 156, 159–161, 169, 174, 277, 284–286, 288, 297 Internationales Jahr der Freiwilligen  329 intertat  270, 292 into 334 IVSP  55, 61–65, 71 f., 79 f., 82 f., 87, 93, 96, 100, 102 Jahr für den Nächsten  131 Jahr für die Kirche  131, 134, 153, 175, 252 Joseph Rowntree Memorial Trust  36 Jugendaufbauwerke  99, 102, 112, 117, ­120–122, 130, 148 Jugendbericht der Bundesregierung  134, 138, 162, 275 Jugendbewegung  38, 53 f., 122, 196, 215 f. Jugendbilder  10, 43, 78–80, 84–86, 89, 103, 106 f., 126, 129 f., 134 f., 138 f., 141 f., ­148–154, 167, 174, 181, 183, 199 f., ­203–205, 212, 214, 219, 221, 229, 264, ­271–273, 294 Jugendsozialwerk siehe Internationaler Bund für Sozialarbeit Jugendwerk der Methodistenkirche in Nordwestdeutschland 168 Kalter Krieg  79, 90 f., 106 f., 111, 124, 184, 187, 191, 193, 208 f., 242 f., 247, 339

Kameradschaftsideal  46, 96, 140, 196 Katholische Frauen Jugend  258 Kibbuz 192 Kirchlich-Sozialer Bund  67 Klassengegensatz siehe Soziale Gegensätze KPD 125 Kriegsfreiwillige  66, 69, 74, 94 Labour Party  56, 79–82, 252, 302, 315, 323, 330 Liberal Party  81, 323 London School of Economics  299, 316, 323 Methodisten  26, 62, 168 Militärdienst  10, 17, 30, 32–34, 36 f., 45–47, 51 f., 58, 60, 66, 68, 70, 74 f., 79, 115, 130 f., 148, 195, 220 f., 240 f., 246, 248 f., 258, 261, 266, 289, 291, 324, 333, 337 f., 340 Millenium Volunteers  330 National Assistance Act  80 National Council for Social Service  315 National Health Service  80 National Institute for Social Work Training 316 National Insurance Act  80 National Union of Students  201 Newsom Report  204 f., 217 Nothilfejahr 131 Notting Hill Riots  206 NSDAP  44 f. NS-Vergangenheit  20, 89 f., 92, 95, 100 f., 106, 109, 113, 117–120, 123–127, 148 f., 151, 184, 188–198, 234, 245, 248, 257, 260, 265 f., 298 Ost-West-Lager siehe East-West Camps Overseas Development Institute  154 Pazifismus  36 f., 53, 59, 71 f., 86–92, 267, 338 Peace Corps  167, 212–215 Pfadfinder  200, 211, 213, 222, 225, 262 Pflegeberufe  131–133, 137, 155 f., 250–252, 259, 314 Pflichtdienstdebatte  11, 29 f., 33, 37 f., 41, 44 f., 65–74, 76, 78 f., 107, 123–126, ­239–250, 317, 320, 322–325, 327, 331 f. Praktikawelten 334 Projects Abroad  334 Public Schools  215–217, 225, 227, 260 f., 321

Quäker  36, 61 f., 71, 73, 87, 91, 93, 100 f. Reichsarbeitsdienst  14, 18 f., 45–51, 57, 60, 70, 101, 104, 108, 110, 115 f., 118–120, 123, 126 f., 173, 198, 216, 247, 249, 257, 260, 262, 314, 338 Schlesische Arbeitslager  38 f., 54 SCI  26, 37, 39, 54 f., 86 f., 89–93, 95, 97 f., 184–186, 266, 276 f., 298 Scouts siehe Pfadfinder Seebohm-Report 315 Selbstverwaltung  38, 68, 110 f. Settlement-Bewegung  39 f., 57, 218, 262 Sonderwegsthese  14 f. Soziale Jugendwerk  102, 117–119 Soziale Gegensätze  10, 17, 20, 32 f., 36–40, 45 f., 49, 57–59, 65–67, 71, 74 f., 93, 139, 215–218, 229, 233, 235, 255, 267, 295, 311, 322, 338 f. SPD  44, 118, 121, 125, 153, 157, 186, 244, 247, 252 f., 259 Springhead Ring  53 f. Sputnikschock 204 Student Christian Movement/Friends ­ Service Council  54 Suezkrise 209 Task Force  200, 316 f., 331 Teilnahmemotive  13, 64, 71, 98, 150–157, 160, 165, 174, 176, 181, 192, 196–198, ­225–230, 249, 312, 342 Toynbee Hall  40, 53, 218 Training Schemes for Women  53 UNESCO  86 f., 208–216, 219–222, 260–262, 300 United Nations Association  201 University Council for Unemployed Camps 55 UNO  206, 209 f. UNRRA  63, 72 Vaterländischer Hilfsdienst  37 Volksbund für Kriegsgräberfürsorge  88, 90, 92, 98, 187 VSO  13, 19, 26 f., 198, 200 f., 204–216, ­219–222, 260–262 Wehrdienstverweigerer  71–74, 91, 248, 266, 291, 304

385

Wehrersatzdienst  39, 71 f., 74, 186, 198, 248, 266, 291, 304 Wehrpflicht siehe Militärdienst Welsh Student Self-Help Council  54 Weltwärts  335 f. Werbung  137, 143–145, 172–179, 269–273 Wiederbewaffnung  91, 184, 192 f. Wirtschaftliche Frauenschulen auf dem Lande  35 f. Wolfenden Report  316 Women’s Auxiliary Services  71

386

Women’s Voluntary Service  81 f. Work-and-Study-Camps 184 Young Volunteer Force Foundation  300 Youth Service Volunteers  61 Zivildienst siehe Wehrersatzdienst Zugvögel 336 Zweiter Weltkrieg  17, 50, 70, 79, 82 f., 87–89, 182, 187 f., 190, 208, 338