Flaschenkinder: Säuglingsernährung und Familienbeziehungen in Deutschland und Schweden im 20. Jahrhundert [1 ed.] 9783412519773, 9783412519759

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Flaschenkinder: Säuglingsernährung und Familienbeziehungen in Deutschland und Schweden im 20. Jahrhundert [1 ed.]
 9783412519773, 9783412519759

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KÖLNER HISTORISCHE ABHANDLUNGEN Für das Historische Institut herausgegeben von Norbert Finzsch, Sabine von Heusinger, Karl-Joachim Hölkeskamp und Ralph Jessen Band 56

FLASCHENKINDER Säuglingsernährung und Familienbeziehungen in Deutschland und Schweden im 20. Jahrhundert

von

VERENA LIMPER

BÖH LAU VE RLAG WI E N KÖLN WE I MAR

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein.

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar. © 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Lindenstraße 14, D-50674 Köln Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: „Ich will von der Mama gestillt werden“, Broschüre (o. J., um 1925), DHMD 1996/91. Korrektorat: Dore Wilken, Freiburg Satz: büro mn, Bielefeld Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-412-51977-3

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Inhalt

Einleitung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Säuglingsernährung im Jahrhundert des (Flaschen)Kindes  . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Fragestellung und methodische Überlegungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 Gesellschaftsvergleich Deutschland und Schweden  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Forschungsstand und Positionierung der Arbeit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 Aufbau der Arbeit und Quellen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 1 Produktion und Materialisierung von Wissen Die Erforschung des Flaschenkindes  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 1.1 Verwissenschaftlichung der Säuglingsernährung (Ende 18. Jahrhundert bis 1880er Jahre)  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37

1.1.1 Bevölkerungsstatistik und Physiologie seit Mitte des 18. Jahrhunderts  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 1.1.2 Vom Labor in die Kinderstube?  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 1.1.3 Gummi und Glas als neue Materialien für Säuglingsflaschen  .. . . . . 50 1.2 Säuglingsernährung als öffentliches Problem (ca. 1880 – 1918)  . . . . . . . 55 1.2.1 Bakterien in der Säuglingsnahrung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 1.2.2 Ernährungsregulierung nach Heubner/Rubner und Czerny/Keller  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 1.2.3 Hygienische Flaschen  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 1.2.4 Aufbau der philanthropischen Säuglingsfürsorge in Deutschland und Schweden  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 1.3 Flaschennahrung in Zwischenkriegszeit, Nationalsozialismus und folkhem (1918 – 1940er Jahre)  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94

1.3.1 1.3.2 1.3.3 1.3.4

Ausbau der staatlichen Säuglingsfürsorge (1918 – 1933)  . . . . . . . . . . . . 95 Die Suche nach einer ganzheitlichen Säuglingsnahrung  .. . . . . . . . . . 103 Säuglingsernährung im folkhem  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 Nationalsozialistische Säuglingsfürsorge  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129

1.4 Normalisierung der Flaschennahrung in den Wohlstandsgesellschaften (1948 – 1974)  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138

1.4.1 Wirtschaftlicher Aufschwung und Ausbau der Wohlfahrtsstaaten in den 1950er und 1960er Jahren  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 1.4.2 Durchbruch pädiatrisch-industrieller Flaschenmilchprodukte  . . . . 145 1.4.3 Neue Nutzungsräume der Flaschennahrung im Krankenhaus  .. . . . 168

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1.4.4 Psychologisierung der Säuglingsgesundheit und Müttererwerbsarbeit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 1.5 Globalisierung der Flaschennahrung und „Re-Naturalisierung“ der Muttermilch (1974 – 1981)  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189

1.5.1 1.5.2 1.5.3 1.5.4

Transformation der Konsumgesellschaft  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 Ernährungsphysiologie und Stillforschung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 Stillen in der Zweiten Frauenbewegung und die „neuen Väter“  . . . . 205 Säuglingsernährung als Problem globaler Ungleichheiten  .. . . . . . . . 217

1.6 Fazit: Medikalisierung und Kommerzialisierung der Flaschennahrung  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228

2 Vermittlung und Verbreitung von Wissen Das Flaschenkind in der Ratgeberliteratur für Eltern  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 2.1 Normierung und Regulierung des kindlichen Körpers (Deutschland und Schweden 1906 – 1930er Jahre)  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233

2.1.1 Kinderärzte beraten unerfahrene Mütter  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 2.1.2 Flaschenernährung als (lebens)gefährliche Normabweichung  .. . . . 242 2.1.3 Medizinisch-erzieherische Normierung der Säuglingsernährung  . . . 250 2.2 Säuglingsernährung im Nationalsozialismus (1933 – 1945)  . . . . . . . . . . . . 257 2.2.1 Rat von deutschen Müttern für deutsche Mütter  .. . . . . . . . . . . . . . . . . 258 2.2.2 Stillen als Pflicht der deutschen Frau  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 2.2.3 Zuspitzung der Ernährungsregeln  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 2.3 Schwedische Säuglingspflege im folkhem (1930er –1950er Jahre)  . . . . 273 2.3.1 Neuauflagen kinderärztlicher Ratgeber der 1940er Jahre  . . . . . . . . . . 276 2.3.2 Neue Erziehungsratgeber der 1940er Jahre  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 2.3.3 Erziehung zum „Mitmenschen“ in Ratgebern der 1950er Jahre  .. . . 290 2.4 Demokratisierung der Säuglingsernährung in der frühen Bundesrepublik  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307

2.4.1 Wandel der AutorInnen- und LeserInnenpositionen  . . . . . . . . . . . . . . 309 2.4.2 Ambivalente Annäherungen an die industrielle Flaschennahrung  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 2.4.3 Feste Regeln oder Ernährung nach Bedarf ?  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 2.5 Das Kind als „Persönlichkeit und Partner“ in Deutschland und Schweden (1960er Jahre bis 1980)  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327

2.5.1 Elternratgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 2.5.2 Ratgeber von Herstellerfirmen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 2.5.3 Stillratgeber .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 2.6 Fazit: Vom normierten zum selbstregulierten Säugling  .. . . . . . . . . . . . . . 349

Inhalt  |

3 Anwendung und Aneignung von Wissen Familienpraktiken der Säuglingsernährung  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 3.1 Das Verhältnis von Eltern und Säuglingen im Alltag  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 3.1.1 Erfolgreiche Säuglingspflege und Erziehung  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 3.1.2 Verhandlungen der Geschlechtlichkeit des Säuglings  . . . . . . . . . . . . . 378 3.2 Das Verhältnis von Müttern und Vätern  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384 3.2.1 Säuglingsernährung als „natürliche“ Aufgabe der Mutter  . . . . . . . . . 385 3.2.2 Väter als liebevolle Beobachter  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 3.2.3 Weitere AkteurInnen in der Säuglingspflege  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 3.3 Das Verhältnis von Familie und GesundheitsexpertInnen  . . . . . . . . . . . . 411 3.3.1 Medikalisierung und Institutionalisierung der Säuglingspflege  .. . . 412 3.3.2 Standardisierung der Flaschennahrung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419 3.4 Fazit: Inkorporationen und Resistenzen  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 432 Fazit Wissen – Dinge – Praktiken: Transformationen des Flaschenkindes im Verlauf des 20. Jahrhunderts  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435 Wissen: Säuglingskörper und Flaschennahrung  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435 Dinge: Multiplikation und Reduktion  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441 Praktiken: Nivellierung von Unterschieden durch Flaschennahrung?  . . . . . . 446 Dank  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 451 Anhang  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455 Quellen- und Literaturverzeichnis  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  455 Werbung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 457 Gedruckte Quellen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458 Literatur  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 485 Abbildungsnachweis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 531

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Einleitung Säuglingsernährung im Jahrhundert des (Flaschen)Kindes

Tausende und abertausende vielversprechende Menschenknospen werden alltäglich geknickt, nachdem sie kaum angefangen haben, sich zu entfalten; sie können sich nicht halten und zur duftigen Blüte entwickeln, weil ihnen der Saft fehlt, der zu ihrem Gedeihen so dringend notwendig ist, der Saft, der nur eigens für sie gebildet wird und der durch kein Surrogat ersetzt werden kann.1

Mit dieser eindrücklichen Metaphorik beschrieb der deutsche Kinderarzt Fritz Gernsheim zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Gefahren der Flaschenernährung für Säuglinge. Die geknickten Menschenknospen waren in diesem naturalistischen Bild Säuglinge, die nicht mit dem eigens für sie gebildeten „Saft“ – der Muttermilch –, sondern einem „Surrogat“ ernährt wurden: der Flaschenmilch. Er führte den interessierten LeserInnen 2 eines weitverbreiteten Ratgebers für Säuglingspflege und Kindererziehung damit drastisch vor Augen, welche Auswirkungen die falsche Ernährung für das eigene Kind haben konnte. Im „Jahrhundert des Kindes“ (Ellen Key) hatte dies stets bevölkerungspolitische Dimensionen.3 Die Höhe der Säuglingssterblichkeit galt an der Wende zum 20.  Jahrhundert als Maßstab nationaler Stärke. Der statistische Vergleich von Bevölkerungsentwicklungen war ein wichtiges Instrument im nationalen Kräftemessen auf dem europäischen Kontinent. Das Deutsche Kaiserreich stand aufgrund hoher 1 Vgl. Gernsheim, Entwicklung des Kindes (1906), S. 36. 2 Im Folgenden wird, insofern dies grammatikalisch zulässig ist, ein Binnen-I verwendet, um anzuzeigen, dass es sich um weibliche und männliche Akteure handelt. Bei ausschließlich männlichen bzw. ausschließlich weiblichen Akteursgruppen werden die entsprechenden vergeschlechtlichten Endungen der Begriffe benutzt. 3 Vgl. Key, Barnets århundrade (1900). Zu Übersetzungen aus dem Schwedischen und Eng­ lischen: Schwedische und englische Literatur- und Quellennamen werden im Folgenden nicht übersetzt. Direkte Zitate aus dem Schwedischen, die der Sekundärliteratur sowie gedruckten Quellen entnommen sind, werden direkt ins Deutsche übersetzt, ohne das schwedische Originalzitat anzugeben. Nur wenn ein Zitat ungedruckten Quellen entnommen wurde oder besonders ungewöhnliche oder eindrückliche Begriffe benutzt wurden, findet sich das Originalzitat in Klammern hinter der Übersetzung oder in der Fußnote. Eigennamen von schwedischen Institutionen sowie Buchtitel, die im Fließtext genannt werden, werden immer sowohl im Original als auch in deutscher Übersetzung angeführt. Direkte Zitate aus dem Englischen werden nicht übersetzt.

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S­ äuglingssterblichkeitszahlen von bis zu 20 % eines Geburtsjahrgangs zwischen 1890 und 1910 in einem schlechten Licht.4 Im Vergleichsland dieser Arbeit, Schweden, war die Lage zu Beginn des Jahrhunderts deutlich besser, aber auch hier starben noch 13 % der Kinder im ersten Lebensjahr.5 Heute liegt die Säuglingssterblichkeit in beiden Ländern bei unter 5 ‰.6 Kaum eine andere Altersgruppe hat während des 20. Jahrhunderts eine größere demographische Veränderung durchlaufen als Säuglinge. In Anbetracht dessen ist es erstaunlich, dass die Geschichte der Säuglinge, Kinder und der Familie bisher kaum Platz in historischen Interpretationsansätzen zum 20. Jahrhundert gefunden hat. Viele große Narrative zur Deutung des 20. Jahrhunderts nehmen ihren Ausgangspunkt am massenhaften, oft gewaltvollen Sterben im „Zeitalter der Extreme“.7 Darüber, wie sich das Leben von Kindern und speziell von Säuglingen in diesem Jahrhundert veränderte, finden sich hingegen selten Angaben in allgemeinhistorischen Studien oder programmatischen Ansätzen zur gesellschaftshistorischen Forschung.8 Selbst in Überblickswerken der Kindheitsgeschichte wird dem Säugling nur wenig Raum gewährt.9 Das mag daran liegen, dass die Säuglingsphase sehr kurz ist – ihr Abschluss wird normalerweise am Ende des ersten Lebensjahres angesetzt – oder daran, dass dem Säugling keine agency oder Handlungsmacht zugesprochen wird, weil er sich (noch) nicht verbal ausdrücken kann. Diese Arbeit will die Leerstelle füllen, indem sie fragt: Wie hat sich das Leben 4 Vgl. Bynum, Science, S. 144 f.; Levene, Childhood, S. 321; Matzner-Vogel, Produktion, S. 42. 5 Vgl. Johanisson, Folkhälsa, S. 149; Niemi, Public Health, S. 81; o. A., Dödligheten hos barn (1898), S. 59. 6 Vgl. Kreis/Brockmann, Sozialpädiatrie (2013), S. 606; Vögele, Säuglingsfürsorge, S. 203. 7 Hobsbawm, Zeitalter der Extreme. 8 Vgl. Fass, The History of Childhood; Raphael, Verwissenschaftlichung des Sozialen; ders., Embedding the Human and Social Sciences; Szöllösi-Janze, Wissensgesellschaft; Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte 1914 – 1949; ders., Deutsche Gesellschaftsgeschichte 1949 – 1990. In einem aktuellen Sammelband, der Beiträge verschiedener renommierter (Zeit)HistorikerInnen vereint, gibt es lediglich einen Beitrag zur Geschichte von NichtErwachsenen von Bodo Mrozek, Das Jahrhundert der Jugend, in: Sabrow/Weiß (Hg.), Das 20. Jahrhundert vermessen. Ähnliches gilt für die Anthologie von Heinz-Gerhard Haupt und Ute Frevert zum Menschen des 20. Jahrhunderts, in dem es lediglich einen Beitrag von Christina Benninghaus über „Den Jugendlichen“ gibt, vgl. Frevert/Haupt (Hg.), Der Mensch des 20. Jahrhunderts. Auch das schwedische Sammelwerk zur Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts hat keinen spezifischen Eintrag zum „Jahrhundert des Kindes“, obwohl dieser Begriff durch die schwedische Philosophin Ellen Key geprägt wurde. Stattdessen wird hier von Olle Hagman das Jahrhundert des Autos untersucht sowie die Jugendkultur durch Johan Fornäs, vgl. Christensson (Hg.), Signums svenska kulturhistoria. 9 Vgl. Baader/Eßer/Schröder (Hg.), Kindheiten; Eßer u. a., Reconceptualising Agency; Fass (Hg.), The Routledge History of Childhood; Kössler, Aktuelle Tendenzen; Sandin/­Halldén (Hg.), Barnets bästa; Schumann (Hg.), Raising Citizens; Stearns, Childhood in World History; Winkler, Kindheitsgeschichte.

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Abb. 1: „Wert der natürlichen Ernährung“, Illustration der Gefahren von Flaschennahrung im sog. Hygieneatlas (1918).

von Säuglingen und den Familien, die sie aufzogen und ernährten, im 20. Jahrhundert verändert und welche Faktoren trugen zu diesen Veränderungen bei? Um diese Fragen zu beantworten, fokussiert die Arbeit auf einen spezifischen Aspekt der Säuglingspflege: die Ernährung. Schon der deutsche Begriff Säugling zeigt an, dass dieser Lebensabschnitt wie kaum ein anderer durch die Ernährung gekennzeichnet ist: das Saugen im Gegensatz zum Kauen im Erwachsenenalter.10 Kaum eine Ernährungsdiskussion wurde und wird so normativ aufgeladen wie die über die Ernährung im ersten Lebensjahr. Die oben skizzierte Diskussion zu Beginn des Jahrhunderts weist zudem darauf hin, dass Säuglingsernährung nie eine „Privatangelegenheit“, sondern gerade in der Moderne stets das Objekt gesellschaftlicher und kultureller Normierungsprozesse war.11 Auch wenn die Ursachen für den demographischen Wandel sehr komplex sind, waren und sind sich viele ExpertInnen darüber einig, dass der Verbesserung der Ernährungssitua­ tion des Säuglings ein großer Anteil daran zugesprochen werden muss. Das gilt insbesondere für die Verbesserung der Flaschennahrung für Säuglinge.12 10 Vgl. Camerer, Stoffwechsel und Ernährung (1910), S. 183; Fuhs, Der Körper als Grenze, S. 54 f. 11 Vgl. Jansson, Feeding Children, S. 241; Pape, Beikost, S. 36, 39. 12 Meeuwisse, Spädbarnets näringsbehov (1964), S. 1.

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Sowohl in Deutschland als auch in Schweden hatten Flaschenkinder gegenüber Kindern, die an der Brust ernährt wurden, erheblich höhere Sterblichkeitszahlen – sie lag bis zu sieben Mal höher.13 Magen-Darm-Erkrankungen, die auf die Ernährungsweise des Kindes zurückgeführt wurden, gehörten um 1900 und bis in die 1930er Jahre zu den häufigsten Todesursachen.14 Darstellungen wie diese aus dem populären Atlas der Hygiene des Säuglings und Kleinkinds von 1918 (Abb. 1) waren weitverbreitet und führten den Leserinnen und Lesern die Gefahren der Flaschennahrung eindrücklich vor Augen. Wie die Illustration zeigt, war die Frage der Säuglingsernährung ein zentrales Element der Fürsorgepolitik, insbesondere nach den hohen Bevölkerungsverlusten des Ersten Weltkrieges und der anschließenden Spanischen-Grippe-Epidemie. Um hier Abhilfe zu schaffen, erhofften sich deutschen Kinderärzte wie Stefan Engel und Hans Behrendt in einer Publikation von 1927 eine neue Lösung: Wenn es uns, so übertrieben es auch klingt, gelänge, eine Säuglingsnahrung zu finden, welche das ganze Säuglingsalter hindurch gleichmäßig Verwendung finden könnte und welche dieselbe Sicherheit böte wie die natürliche Ernährung, so würden damit fast alle Probleme der Säuglingsfürsorge mit einem Schlage beseitigt.15

Diese Aussage zeigt, als wie wertvoll eine gute Flaschenernährung des Säuglings für dessen Gesundheit eingeschätzt wurde. Sie zeigt gleichermaßen, dass man sich in den 1920er Jahren noch weit davon entfernt wähnte, eine solche Nahrung zu finden, obwohl sich die Pädiatrie seit den 1860er Jahren intensiv mit der Erfor­ schung von Flaschennahrung für Säuglinge beschäftigt hatte. Stattdessen setzten Sozialpädiatrie und andere Akteurinnen und Akteure auf eine breitangelegte Stillaufklärung, da diese Art der Ernährung als deutlich sicherer galt als jene mit der Flasche. Die Stillquote stieg in beiden Ländern bis ungefähr zur Mitte des Jahrhunderts an. Seit Beginn der 1950er Jahre ­begann sie zu sinken, was mit der Markteinführung von neuen Formen von Säuglingsnahrung in Deutschland und Schweden korrelierte. Die von Engel und Behrendt erhoffte Lösung schien gefunden, denn die Säuglingssterblichkeitsquote sank weiter, obwohl die Stillquote ebenfalls zurückging. Mitte der 1970er Jahre erreichte sie ihren Tiefpunkt – zu diesem Zeitpunkt wurden 13 Vgl. Vögele, Säuglingsfürsorge, S. 205. 14 Im 21. Jahrhundert gehören allgemeine Infektionen, zu denen auch die Magen-Darm-Infekte zählen, nicht einmal mehr zu den „vier häufigsten Todesursachen im ersten Lebensjahr“, Kreis/Brockmann, Sozialpädiatrie (2013), S. 607. 15 Engel/Behrendt, Säuglingsfürsorge (1927), S. 28.

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ungefähr 50 % der Säuglinge mit Flaschenmilch ernährt. Seit den 1970er Jahren nahm die Stillrate erneut zu, in Schweden zu Beginn des Jahrzehnts, in Deutschland erst zu dessen Ende.16 Gleichzeitig nahm die Selbstzubereitung von Flaschenmilch gegenüber der Nutzung industriell hergestellter Nahrung deutlich ab. Um 1980 nutzte die überwiegende Mehrheit der Familien, die Flaschenmilch gaben, Industrieprodukte.17 Der Kinderarzt Bernhard Koletzko versicherte in einem aktuellen pädiatrischen Handbuch von 2013: „Mit den heute handelsüblichen, qualitativ hochwertigen Säuglingsmilchnahrungen (sog. Formelnahrungen) können nicht bzw. nicht voll gestillte Neugeborene sicher und gut ernährt werden.“ 18 Die Ernährungsweise des Säuglings und deren Bewertung haben sich also im Verlauf von ca. 100 Jahren deutlich geändert. Flaschennahrung für Säuglinge war von einem zentralen Problem der Pädiatrie zu einer „sicheren“ Alternative zum Stillen geworden. Am Ende des 20. Jahrhunderts war es für deutsche und schwedische Säuglinge deutlich wahrscheinlicher, das erste Lebensjahr zu überstehen als zu dessen Beginn. Einen entscheidenden Anteil an dieser Veränderung hatte, wie dieser kursorische Überblick zeigt, die Flaschennahrung. Daher scheint es plausibel, in Anlehnung an Ellen Key, vom 20. Jahrhundert als „Jahrhundert des Flaschenkindes“ zu sprechen.19 Das Flaschenkind steht paradigmatisch dafür, wie weit nicht nur staatliche, sondern auch industrielle und medizinisch-wissenschaftliche Akteurinnen und Akteure den Beginn des Lebens und die Überlebenschancen in dieser Zeit veränderten. Diese tiefgreifenden Veränderungen fanden gesellschaftsspezifisch statt, wie der Vergleich zwischen Deutschland und Schweden zeigen wird. Das Flaschenkind und seine Nahrung dienen in diesem Sinne als Prisma, um die folgenreiche Interaktion zwischen familiären, industriellen und staatlichen AkteurInnen in einem intergesellschaftlichen Vergleich herauszuarbeiten.

16 Vgl. Heimerdinger, Brust oder Flasche, S. 101 f.; Socialstyrelsen, Amning (1982), S. 17. Die Stillraten in Schweden waren um die Jahrtausendwende deutlich höher als in Deutschland, wo seit Beginn der 2000er Jahre ein leichter Rückgang der Stillquote konstatiert wurde. Vgl. Kersting/Dulon, Fakten zum Stillen (2002), S. 1199; Kröger/Rückert-John, Stillen, S. 189. 17 Vgl. Köhler/Köhler/Lundquist, Weaning Foods (1977), S. 670; Lindquist/Meeuwisse, Pedia­ trisk näringsfysiologi (1978), S. 48; Schöne, Sieben Babys (1980), S. 139. 18 Koletzko, Säuglingsmilchnahrungen (2013), S. 114. Vgl. auch: Kröger/Rückert-John, Stillen, S. 189. 19 In Anlehnung an Ellen Keys Vision des 20. Jahrhunderts als „Jahrhundert des Kindes“, vgl. Key, Barnets århundrade (1900). Dazu: Baader/Jacobi/Andresen (Hg.), Ellen Keys reformpädagogische Vision.

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Fragestellung und methodische Überlegungen „Flaschenkind“ ist hier als analytischer Begriff gedacht, der das Verhältnis von Flaschennahrung und Vorstellungen über den Säugling und seinen Körper greifbar machen soll. Mit Hilfe dieses analytischen Begriffes sollen in der Arbeit die verschiedenen Akteure 20 und ihre Beziehungen untereinander analysiert werden, die den Wandel des Flaschenkindes vorantrieben. Flaschennahrung für Säuglinge ist als Untersuchungsgegenstand besonders gewinnbringend, weil eine Reihe unterschiedlicher Akteure an ihrer Produktion und Konsumtion beteiligt waren. Über sie kamen Eltern und Kinder, Kinderärztinnen und Kinderärzte, PsychologInnen, RatgeberautorInnen, Lebensmittelkonzerne und viele weitere Beteiligte miteinander in Kontakt. Sie alle entwickelten, bewarben, nutzten und gestalteten Flaschenernährung und transformierten das Flaschenkind im Verlauf des 20. Jahrhunderts. Forschungsleitend sind die Fragen: Auf welche Art und Weise änderten sich Familienbeziehungen im 20. Jahrhundert, also das Verhältnis zwischen Müttern, Vätern und Säuglingen sowie anderen Akteuren? Welche Rolle spielte Flaschennahrung in diesem Prozess? Diese übergeordneten Fragen werden analytisch in drei Beziehungen unterteilt, die den Rahmen für die gesamte Arbeit bilden, nämlich die Beziehungen zwischen Müttern/Vätern; Eltern/Säugling sowie Familie/ExpertInnen. Für die Beziehung zwischen Müttern und Vätern stellen sich diese Fragen: Wer war hauptsächlich dafür zuständig, das Kind zu beruhigen und zu füttern? Wie veränderte sich das Verhältnis von Müttern und Vätern, als es durch die Einführung von Flaschennahrung möglich wurde, die Väter stärker in die Ernährung des Säuglings einzubeziehen? Den Komplex Eltern/Säugling untersuche ich unter der Fragestellung: Welchen Status hatte der Säugling innerhalb der Familie? Wurde er als handelnder Partner gegenüber seinen Eltern wahrgenommen oder nicht? Wann änderte sich dies und woran lässt sich das messen? An die Beziehungskonfiguration Familie/ExpertInnen richten sich die Fragen: Welche weiteren Akteurinnen und Akteure waren an der Säuglingspflege beteiligt und wie veränderte sich deren Position im Laufe des 20. Jahrhunderts? Wie positionierten sich diese gegenüber der Familie als ExpertInnen? Welche Bedeutung hatten Industrie und Werbung als WissensproduzentInnen, die ­Eltern

20 Wenn „Akteur“ im Sinne der Akteur-Netzwerk-Theorie gemeint ist, wird nicht gegendered, um diesen analytischen Begriff abzugrenzen.

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und Säuglinge zunehmend als KonsumentInnen wahrnahmen? Wie wurde Ernäh­ rungswissen in Ratgebern kommuniziert? Im Anschluss daran soll untersucht werden, wie sich Familienpraktiken durch die Flaschennahrung veränderten. Der Begriff Familienpraktiken verweist, in Anlehnung an David Morgan, darauf, dass die Familie in dieser Arbeit nicht als abgeschlossene Einheit verstanden wird, sondern als mit anderen Lebensbereichen aufs Engste verknüpft. So sind Familienpraktiken ebenfalls potentiell Praktiken, die auf gesellschaftliche Differenzkategorien verweisen und diese herstellen und transformieren, etwa vergeschlechtlichte Praktiken, schichtspezifische Praktiken, Konsumpraktiken, Wissenspraktiken etc.21 So können zentrale gesellschaftliche Differenzkategorien untersucht und auf ihre Bedeutung für die Konstitution von Wissen und Praktiken hin befragt werden. Ich werde mich auf die in den Quellen am häufigsten aufgerufenen Kategorien – Geschlecht, Alter und Sozialstatus – beschränken. Daneben kam seit Ende der 1960er Jahre vermehrt race als Differenzkategorie ins Spiel, als der Globale Süden in den Aufmerksamkeitsbereich der europäischen Pädiatrie rückte. Religiöse Zugehörigkeit, Alter und sexuelle Orientierung werden stattdessen nicht systematisch untersucht, da sie im 20. Jahrhundert für die Ernährungsfrage keine oder eine untergeordnete Rolle spielten. Mit diesem Fokus auf Praktiken geht die Arbeit ein von Wiebke Kolbe formuliertes Desiderat der Familiengeschichtsforschung in Deutschland und Schweden an. Während die Entwicklung der Sozialpolitik in beiden Ländern bereits eingehend untersucht worden ist, fehlen bisher Arbeiten, die nach Familienpraktiken fragen.22 Um diesen Fragen nach Familienbeziehungen und -praktiken nachzugehen, wird die Geschichte des Flaschenkindes im 20. Jahrhundert über den Zugang der Wissensgeschichte erschlossen. Dieser Ansatz hat sich in der deutschen Forschungslandschaft seit Beginn der 2000er Jahre etabliert, während er in Schweden derzeit eine Hochkonjunktur erlebt.23 Dabei lehne ich mich an eine Definition von Simone Lässig an, die jüngst in einem programmatischen Aufsatz konstatierte, 21 Vgl. Morgan, Family Connections, ders., Risk and Family Practices; Bäck-Wiklund, Familj och modernitet, S. 25; Silva, Gender, S. 143. 22 Vgl. Kolbe, Elternschaft, S. 414; Kulawik, Wohlfahrtsstaat. 23 Ein erster programmatischer Aufsatz erschien 2015 im Organ des Schwedischen Histori­ kerInnenverbandes Historisk Tidskrift. Vgl. Östling, Vad är kunskapshistoria (2015). Seitdem ist eine Reihe von Sammelbänden und Zeitschriftenheften erschienen. Dabei orientiert sich die schwedische Forschung am deutschsprachigen Diskurs, vgl. Östling u. a., The History of Knowledge; ders./Larsson Heidenblad, Fulfilling the Promise; dies./Olsen (Hg.), Histories of Knowledge in Postwar Scandinavia; Östling/Larsson Heidenbald/Nilsson Hammar (Hg.), Forms of Knowledge; Larsson Heidenblad, Framtidskunskap i circulation.

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Wissensgeschichte sei „a form of social and cultural history that takes ‘knowledge’ as a phenomenon that touches on almost every sphere of human life, and it uses knowledge as a lens to take a new look at familiar historical developments and sources“.24 Meine Arbeit wird sich der Rolle von Wissen in gesellschaftlichen Prozessen widmen und danach fragen, wie Wissen um die Flaschennahrung und den Säuglingskörper produziert, verbreitet und angewandt wurde sowie ­danach, wie diese drei Praktiken miteinander verschränkt waren.25 Der Zugang der Wissens­geschichte bietet sich besonders an, weil über die analytische Kategorie des Wissens verschiedene Akteurinnen und Akteure und Diskurse im Einzelnen und im Verhältnis zueinander untersucht werden können, die zentral auf das Flaschenkind und seine Nahrung einwirkten. Der wissenshistorische Zugang legt den Fokus darauf, was zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt als „wahr“, „Fakt“ oder „normal“ galt und betont damit den konstruierten Charakter solcher vermeintlich unumstößlicher Kategorien. Die Prozesshaftigkeit von Wissen kommt in den Blick, wenn man es als etwas versteht, das durch soziale Praktiken erst hergestellt und verfestigt werden muss. Hier ist das Konzept der Wissenszirkulation hilfreich, das den Blick auf die Veränderlichkeit von Wissen lenkt, wenn es sich zwischen unterschiedlichen Kontexten bewegt. So bleiben Wissensbestände nicht starr und gleichförmig, sondern werden durch Anwendung, Übersetzung und Materialisierung in verschiedenen Medien ständig verändert.26 Dabei finden Hybridisierungsprozesse statt, in denen Wissen mit den kulturellen, politischen oder sozialen Markern versehen wird, in deren Zusammenhang es entstand und sich weiterentwickelte.27 Wissen kann so dezentriert und vernetzt untersucht werden. Um diesem Ansatz Rechnung zu tragen, nutze ich in der Arbeit den Begriff Flaschennahrung bzw. Flaschenernährung anstelle der häufiger in den Quellen zu findenden Begriffe „künstliche“ oder „unnatürliche“ Nahrung. Dadurch soll vermieden werden, die Dichotomie zwischen „natürlicher Brusternährung“ und „künstlicher Flaschenernährung“ zu reproduzieren, anstatt zu fragen, wie sie im Verlauf des 20. Jahrhunderts hergestellt, verfestigt und mit Sinn gefüllt wurde. Außerdem ist er umfassender als die neueren Begriffe „adaptierte“, „humanisierte“ 24 Lässig, The History of Knowledge, S. 44. Siehe auch: Vogel, Von der Wissenschafts- zur Wissensgeschichte. 25 Vgl. Burke, Social History of Knowledge, Bd. 2, S. 11; Zum Verhältnis von Wissensgeschichte und Wissenschaftsgeschichte vgl. Daston, History of Science; Joas/Krämer/Nickelsen, Intro­ duction. 26 Vgl. Östling/Larsson Heidenblad, Fulfilling the Promise, S. 2; dies. u. a., History of Knowledge, S. 17; Sarasin, Wissensgeschichte, S. 164. 27 Vgl. Östling u. a., History of Knowledge, S. 18; Sarasin, Wissensgeschichte, S. 166.

Fragestellung und methodische Überlegungen  |

Milch oder „Formelnahrung“, die sich auf Formen der Flaschennahrung für Säuglinge beziehen, die erst in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts entstanden.28 Dennoch zeigt der Begriff der Flaschennahrung an, dass diese Nahrung auf eine andere Art und Weise verabreicht wurde als durch das Saugen des Säuglings an der Brust. Ferner sensibilisiert die Begriffswahl für die Frage, was zu einem bestim­ mten Zeitpunkt dem Reich der „Natur“ und was dem Reich der „Technik“ zuge­ sprochen wurde. Den Ansatz der Wissensgeschichte erweitert die Arbeit um Anregungen aus den interdisziplinär angelegten Science and Technology Studies, wodurch die Flaschennahrung in ihrer Dinglichkeit konzeptionell aufgefangen werden kann. Dazu werde ich mich auf die Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT ), wie sie vom französischen Philosophen Bruno Latour prominent vertreten wird, stützen. ANT setzt sich explizit mit den Verschränkungen von Dingen, Menschen und Diskursen auseinander und fragt danach, wie Wissen produziert, distribuiert und in gesellschaftlichen Prozessen zu Fakten verdichtet wird. Latour plädiert dafür, das „Soziale“ mit Dingen neu zu denken – „to reassemble the social“.29 Dinge, Menschen und Diskurse sollen nicht länger künstlich voneinander isoliert werden; sie erhalten einen gleichwertigen Platz innerhalb des Narratives.30 Das Ziel ist der Nachweis, wie und wo sie Verbindungen eingehen, einander zum Handeln bewegen und dadurch neue Strukturen und Bedeutungen erzeu­ gen. Ohne Netzwerk kein Akteur – und vice versa. So verortet diese Arbeit die Flaschennahrung als Teil einer solchen erweiterten Geschichte des Sozialen mit Dingen. Die beiden Kernkomponenten der ANT  – Akteure und Netzwerke – bedürfen einer Problematisierung, um sie von anderen gängigen Akteursdefinitionen abzugrenzen. Für Latour sind Faktoren wie Intentionalität, freier Wille und Verantwortlichkeit nicht maßgeblich für die Definition einer Entität als Akteur.31 Die typische Ausgangsfrage „Wer handelt?“ wird gewissermaßen umgedreht zu „Wer oder was wird zum Handeln gebracht?“. Latours Testfrage, um einen Akteurs­ status zu identifizieren, ist lediglich: „Macht er einen Unterschied im Verlauf der Handlung irgendeines anderen Handlungsträgers oder nicht?“ 32 Der Ausgangspunkt einer Handlung ist dabei von geringem Interesse; ausschlaggebend für die 28 Koletzko u. a., Medical Position Paper (2005); Wachtel, Ernährung (1990), S. 144 f. 29 So der Titel der englischen Version: Latour, Reassembling the Social. Siehe auch: Joyce, What is the Social, S. 226 f. 30 Vgl. Derix u. a., Wert der Dinge, S. 389; Joyce/Bennett, Material Powers, S. 4. 31 Vgl. Sayes, Actor-Network Theory, S. 139, 141. 32 Latour, Neue Soziologie, S. 123.

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Handlungsfähigkeit der Entität ist ihr Effekt.33 So wird meine Arbeit Flaschen, Nahrung, Mütter, Säuglinge, Ratgeber etc. als gleichwertige Akteure mit eigener agency betrachten beziehungsweise danach fragen, wie diese agency durch Praktiken historisch-spezifisch hergestellt, beschrieben, stabilisiert und verändert wurde. Denn Akteurs-Netzwerke sind immer zeitlich verortet, wodurch sie sich als historisch-spezifische Konstellationen rekonstruieren lassen.34 Die Geschichtswissenschaft hat sich in den letzten Jahren vermehrt bemüht, Dinge und ihre Bedeutung für historische Prozesse in historische Analysen sozialer und kultureller Phänomene aufzunehmen. Diese Arbeiten betonen, dass sich über die ANT auch soziale Differenzierungen und Machtgefälle untersuchen lassen, anders als diesem Ansatz teilweise vorgeworfen wurde.35 Auch bei den Dingen ist eine konsequente Historisierung und Kontextualisierung nötig sowie die Inte­ gration materieller und diskursiver Elemente in ihrer Untersuchung.36 Durch die Rezeption der interdisziplinären Material Culture Studies haben Dinge in den letzten Jahren zudem eine Renaissance als Quellen erlebt. Diese Forschungsrichtung deutet die Materielle Kultur als „eigenständige Quelle im Kontext von kultureller Interaktion“.37 Dinge sind gesellschaftlich bedingt, können aber ihrerseits auch gesellschaftliche Prozesse und Veränderungen anstoßen und in ihrer Materialität als Ausdruck historischer Prozesse gelesen werden.38 Eine Arbeit, die Dinge als Quellen integriert, kann daher neue Aussagen über soziale Zusammenhänge liefern. In Kombination von Wissens- und Dinggeschichte lässt sich außerdem 33 Mol, Actor-Network Theory, S. 255. 34 Vgl. Hagberg/Normark, Basket. 35 Vgl. den Klassiker: Appadurai, The Social Life of Things. Siehe etwa: Gerstenberger/­ Glasman (Hg.), Techniken der Globalisierung; Sudrow, Schuh im Nationalsozialismus. Akteur-­Netzwerk-theoretisch arbeiten im deutschsprachigen Raum u. a.: Benninghaus, Beyond Constructivism; Conradi/Derwanz/Muhle (Hg.), Strukturentstehung durch Verflechtung; Epple, Lokalität; Lengwiler/Beck, Historizität; Orland, Milchpropaganda; Ortlepp/­Ribbat (Hg.), Mit den Dingen leben; Villa/Schadler, Becoming with Things. In Schweden: H ­ agberg/Normark, Basket; Jönsson, Mjölk (2005); Lee, Pastöriseringens försenade triumf; Lindgren u. a., Enacting (Real) Fiction; Skagius, Offentliga ohälsan; Anna Sparrman u. a., Ontological Practices. 36 Vgl. Auslander, Beyond Words, S. 1018; Derix u. a., Wert der Dinge, S. 390; Schillings/van Wickeren, Material and Spatial History, S. 206; Trentmann, Materiality, S. 283; ders., Empire of Things; Wellmann-Stühring, Museumsdinge. 37 Ludwig, Materielle Kultur, S. 11; vgl. auch: Ekström, Representationen; ders., Damen med velocipeden; Forssberg/Sennefeldt, Fråga med föremålen; Harvey (Hg.), History and Material Culture; König, Veto der Dinge, S. 14; Löfgren, Troubled Marriage, S. 110; Miller, Stuff; Riello, Things that Shape History. 38 Klassischer Aufsatz dazu: Winner, Do Artifacts have Politics? Kritischer Kommentar: Joerges, Do Politics have Artefacts?

Fragestellung und methodische Überlegungen  |

danach fragen, wie und wo sich Wissen materialisierte. Die Flaschennahrung für Säuglinge und ihre Veränderung sind in diesem Sinne unterschiedliche Materialisierungen von Wissen – über Ernährung, Körper und Geschlecht – zu einem historisch-spezifischen Zeitpunkt. Wie lassen sich diese Überlegungen zur Wissens- und Dinggeschichte nun für meine Arbeit operationalisieren? Eine eindrückliche Anweisung für die Anwen­ dung der ANT lautet schlicht: „follow the actors.“ Bruno Latour schlägt vor: „[Folgen wir] den Wegen der Akteure und beginnen unsere Reise mit den Spuren, die ihre Aktivität der Gruppenbildung und -auflösung hinterlässt.“ 39 Dies nehme ich auf, indem ich von der Flaschennahrung ausgehe, ihren Verbindungen zu anderen Akteuren folge und danach frage, wie sie sich durch diese Wanderungs­ bewegungen veränderte. In konzeptionellen Überlegungen zur Wissens­geschichte wurde zudem dafür plädiert, verschiedene Wissens­dimensionen heuristisch aufzuschlüsseln und sich der Produktion, Vermittlung sowie Anwendung von Wissen zu widmen und danach zu fragen, welche Akteure und Institutionen für diese Prozesse verantwortlich waren.40 Diese beiden A ­ nsätze kombiniert die Arbeit, i­ ndem sie die Wanderungsbewegung der Flaschennahrung heuristisch und narrativ in drei Bereiche aufgeteilt, die sich an drei Wissens­dimensionen orientieren: die Wissensproduktion, die Wissensverbreitung ­sowie die Wissens­anwendung und -aneignung. Diese Bereiche sind jeweils durch ­bestimmte Räume bzw. ­bestim­mte Medien gekennzeichnet, innerhalb derer die Arbeit die Flaschen­nahrung untersucht. Die Wissensproduktion fand vorrangig in Universitäten, Kliniken und Institutionen statt, die gesellschaftlich legitimierte Räume der Erforschung ­aller Lebensbereiche sind und waren. Ratgebermedien werden als Akteure der Wissens­verbreitung und Wissensvermittlung betrachtet und schließlich untersuche ich die Anwendungen dieser Wissensbestände in Säuglingsernährungspraktiken „zu Hause“. Wissenshistorische Arbeiten zeigen, dass es zeitlich spezifische Hierarchisierung von Wissensformen gab. So wurde und wird universitär generiertem Wissen größere Legitimität und Vertrauenswürdigkeit zugesprochen als dem Erfahrungswissen von LaiInnen bzw. denjenigen, die dieses Wissen anwandten.41 Die Arbeit fragt danach, wie unterschiedlichen Wissensformen ein hierarchisch über- oder untergeordneter Status zugeordnet wird und in welchem Verhältnis sie ­zueinander 39 Latour, Neue Soziologie, S. 53. 40 Vgl. Langer, Revolution, S. 11 f. 41 Vgl. Bos/Vincenz/Wirz, Erfahrung, S. 14; Lengwiler, Konjunkturen, S. 51; Östling/Olsen/ Larsson Heidenblad, Introduction, S. 7; Reinecke, Wissensgesellschaft, S. 2; Szöllösi-Janze, Wissensgesellschaft, S. 280.

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stehen. Sie verfolgt, wie diese Hierarchien hergestellt, verfestigt und wieder aufgelöst wurden. Somit kann die Arbeit eine kritische Analyse der Vorgänge leisten, in denen dominante Wissensformen konstruiert und in Wahrheiten und Fakten übersetzt wurden. Eine scharfe Trennung zwischen Wissensproduktion, -verbreitung und -anwen­dung ist nicht sinnvoll, da ständig Transfers und Übersetzungen stattfinden. Vielmehr zirkuliert Wissen und wird im Zirkulationsprozess mit neuer Bedeutung aufgeladen und an neue Wirkungsräume und -medien angepasst bzw. durch diese geformt.42 Alltagswissen, darauf hat die Technikhistorikerin Barbara Orland hingewiesen, fließt etwa in die Produktion von Gegenständen ein.43 Diese Perspektive erlaubt es mir, nach Transfers, Übersetzungen und Brüchen im Übergang von einem Kontext in den anderen zu fragen und danach, welche Rolle Dinge und Menschen darin spielten, diese Brüche zu produzieren. Was geht verloren, was wird umgewandelt? In der Anwendung der Flaschennahrung wird neben den Informationen aus den Ratgebermedien ebenfalls betrachtet, auf welche andere nicht-universitäre oder nicht-sanktionierte Wissensbestände zurückgegriffen wird, wie z. B. das Erfahrungswissen von Verwandten und FreundInnen. Außerdem wird die Arbeit versuchen nachzuvollziehen, welches neue – abweichende oder abgewandelte – Wissen um die Flaschennahrung in der Familie produziert wurde und wie dieses gegebenenfalls in die anderen Wissensräume zurückgespeist wurde. Damit nimmt die Arbeit auch Wissensgenerierung ernst, die nicht an gesellschaftlich legitimierten Orten der Wissensproduktion, wie Universitäten und Forschungsinstituten, betrieben wurde. Dazu gehört z. B. Erfahrungs- und Praxiswissen, das durch die Wiederholung und Anpassung von Prozessen zu Hause generiert und über nicht-­wissenschaftliche Kanäle weitergegeben wurde.44 Darüber hinaus kommt auch die Wissensproduktion und -diffusion in den Blick, die durch die Hersteller von Flaschennahrung für Säuglinge vorangetrieben wurde. Die Wohnräume von Eltern, Fabriken und Forschungslabore der Firmen wie auch Kliniken und Fachpublikationen der Pädiatrie sind damit gleichermaßen Orte, an denen Wissen produziert wurde. Damit nimmt sich die Arbeit sowohl inhaltlich als auch methodisch eines Desi­ derates an, indem sie die Geschichte der Flaschennahrung im Speziellen und in einem breiteren Rahmen die Geschichte der Dinge im Allgemeinen in die Geschichte des 20. Jahrhunderts re-integriert. 42 Vgl. Burke, Social History of Knowledge, Bd. 2, S. 11; Östling u. a., History of Knowledge, S. 18; Sarasin, Wissensgeschichte, S. 166; Schillings/van Wickeren, History, S. 206. 43 Vgl. Orland, Haushalt, S. 283. Siehe auch: Lässig, History, S. 35. 44 Vgl. Brecht/Orland, Populäres Wissen; Oertzen/Rentetzi/Watkins, Finding Science.

Gesellschaftsvergleich Deutschland und Schweden  |

Gesellschaftsvergleich Deutschland und Schweden Durch den Gesellschaftsvergleich von Deutschland und Schweden können die Fragen nach der Produktion, Vermittlung und Anwendung von Wissen um Flaschen­ nahrung und Säuglingskörper sowie die Ausformung von Familienpraktiken weiter ausdifferenziert werden. Gesellschaftsvergleiche schärfen den Blick für die Kontextgebundenheit historischer Phänomene und dienen dazu, eine produktive Verfremdung der eigenen Sichtweise herbeizuführen.45 Die Flaschennahrung dient in dieser Arbeit als tertium comparationis, während die oben definierten Beziehungen bzw. Differenzkategorien (Säugling/Eltern; Mütter/Väter; Familie/ExpertInnen) die Objekte des Vergleichs sind. Anhand der Flaschennahrung und Praktiken der Säuglingsernährung vollzieht die Arbeit nach, wie diese Differenzen in der deutschen und schwedischen Gesellschaft hergestellt wurden bzw. welche spezifischen Konfigurationen dieser Differenzen die Flaschennahrung produzierte. Dadurch vermeidet es die Arbeit, Schweden und Deutschland als abgeschlossene Container zu setzen und öffnet stattdessen den Blick auf Überschneidungen, Abgren­zungen, Transfers und Verflechtungen. Deutschland und Schweden werden nicht blockartig gegenübergestellt, sondern innerhalb der Narration der Arbeit organisch zusammengefügt. Die Narration spaltet sich lediglich dann auf, wenn die gesellschaftlichen Entwicklungen stark differierten und die Gründe und Voraus­setzungen dafür näher erklärt werden müssen. Der Vergleich ist als Methode in der Geschichtswissenschaft sowohl in Deutschland als auch in Schweden seit vielen Jahren etabliert und wird hier um Elemente des Transfers zwischen den beiden Ländern erweitert.46 Im Bereich der Familiengeschichte wie der Sozialpolitik hat sich der Vergleich als besonders fruchtbar erwiesen und ist Teil einer größeren Forschungsrichtung, die die Entstehung und Ausformung der modernen Wohlfahrtsstaaten untersucht. Hier finden sich sowohl in Deutschland 47 als auch im skandinavischen Raum 48 viele wertvolle Arbeiten, auf die sich mein Projekt stützen kann. Wissens- und dinggeschichtliche Untersuchungen arbeiten hingegen noch selten historisch vergleichend. Dies ist erstaunlich, wenn man die Kontextgebundenheit von Wissen und Dingen ernst 45 Welskopp, Stolpersteine, S. 361. 46 Vgl. Friberg/Hilson/Vall, Reflections; Haupt, Comparative History; ders./Kocka, Comparison and Beyond; Kaelble, Historischer Vergleich; Ther, Comparisons; Welskopp, Stolpersteine. 47 Becker, Mutterschaft im Wohlfahrtsstaat; Lindner, Gesundheitspolitik; Schumann (Hg.), Citizens. Arbeiten zum Systemvergleich zwischen BRD und DDR kommen häufiger vor: Budde, Institution; dies. (Hg.), Frauen arbeiten; Kocka (Hg.), Work in a Modern Society. 48 Bäck-Wiklund/Johansson (Hg.), Nätverskfamiljen; Haavet, Milk.

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nimmt. Zu verstehen, wie national bzw. gesellschaftlich spezifische Politiken in Wissensproduktion, -verbreitung und -anwendung hineinwirken und ihrerseits verändert werden, ist hilfreich, um nachvollziehen zu können, wie Gesellschaften mit Wissen und Wissenschaft umgehen und welchen Stellenwert unterschiedliche Wissensformen dort haben.49 Besonders effektiv kann daher der Vergleich zweier Nationalstaaten sein, die, wie es in (West)Deutschland und Schweden der Fall ist, sozialpolitische Unterschiede aufweisen, um daraus Rückschlüsse auf die Wissensproduktion über Flaschennahrung bzw. die Verbreitung und Anwendung von Ernährungswissen zu ziehen. Vergleichende Arbeiten zwischen Deutschland und Schweden sind eher selten.50 Ein Vergleich dieser beiden Länder im Bereich der Familiengeschichte ist besonders gewinnbringend, da sich die Herangehensweise des (west)deutschen und schwedischen Staates an die Familie und ihre Mitglieder im Verlauf des 20. Jahrhunderts – insbesondere nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges – in gegensätzliche Richtungen ausformte. Nach der klassischen Typologie des Soziologen Gøsta Esping-Andersen ist die Bundesrepublik der Prototyp des paternalistischen Wohlfahrtsstaatsmodells, Schweden hingegen der Prototyp des sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaates. Dies bedeutet, dass auf staatlicher Ebene Versorgungsleistungen für die Bürgerinnen und Bürger unterschiedlich konzipiert und verteilt werden. In Bezug auf Familienpolitik hatte dies z. B. den Effekt, dass der deutsche Staat kaum Tagesbetreuungsangebote für Kleinkinder anbietet, während diese Angebote in Schweden sehr verbreitet sind.51 Folgt man einer wohlfahrtsstaatlichen Typologisierung, die die Geschlechterverhältnisse in den Vordergrund stellt, bilden Deutschland und Schweden ebenfalls ein Gegensatzpaar. Während im deutschen Wohlfahrtsstaat von einem starken Male-breadwinner-Modell ausgegangen wird, in dem zumeist der Ehemann als Hauptversorger für die Familie zuständig ist, wird in Schweden ein schwaches Male-breadwinner-Modell zu Grunde gelegt und viele Versorgungsleistungen über den Staat abgewickelt.52 Aus vorherigen vergleichenden Arbeiten, vor ­allem von Wiebke Kolbe und Theresa Kulawik, ist zudem bekannt, dass zentrale Akteure und Akteurinnen, die mit der Flaschennahrung in Beziehung standen, wie Mütter, 49 Asdal/Gradmann, Introduction, S. 177. Vgl. als Beispiele dafür: Brückweh u. a. (Hg.), Engineering Society; Etzemüller, Social Engineering; Kuchenbuch, Gemeinschaft. 50 Vgl. Kolbe/Rittenhofer, Comparative Gender History. Die Ausnahmen bilden, geschichtswissen­schaftlich: Kolbe, Elternschaft; Korsvold, Barn og barndom; Kuchenbuch, Gemeinschaft; Neunsinger, Arbeit der Frauen; Torstendahl (Hg.), State Policy. Politikwissenschaftlich: Götz, Ungleiche Geschwister; Kulawik, Wohlfahrtsstaat; Naumann, Child Care. 51 Vgl. Esping-Andersen, Three Worlds, S. 27 f. 52 Vgl. Gerhard, Geschlechter(un)ordnung, S. 200 f.; Kulawik, Wohlfahrtsstaat, S. 40.

Gesellschaftsvergleich Deutschland und Schweden  |

Väter und fürsorgerische Institutionen, unterschiedliche Bedeutung und Handlungsspielräume in Deutschland und Schweden hatten. Wie Wiebke Kolbe in ihrer Dissertation über Elternschaft im Wohlfahrtsstaat und anderen Publikationen eindrücklich herausgearbeitet hat, galten die Elternrollen in der Bundesrepublik Deutschland als komplementär, wohingegen sie in Schweden egalitär konzipiert waren. Zudem setzte der Diskurs um die Verantwortung von Vätern in der Versorgung von Säuglingen und Kleinkindern dort schon gut zehn Jahre früher ein als in Deutschland.53 Die Aufgabenverteilung der Geschlechter in der Erziehung wird nach diesen Ansätzen also auf Ebene der staatlichen Politik unterschiedlich konzipiert. Danach zu fragen, wie sich unterschiedliche Politik in Familienpraktiken niederschlug bzw. durch Familienpraktiken konterkariert wurden, hat sich diese Arbeit als Aufgabe gestellt. Zwischen zwei Ländern zu kontrastieren, deren politische Geschichte von starken Brüchen (Deutschland) bzw. starken Kontinuitäten (Schweden) geprägt war, ist außerdem aufschlussreich, um nach der Bedeutung politischer Zäsuren für wissens- und dinghistorische Entwicklungen zu fragen. Da Kriegszeiten beson­ders wichtig für Kindheitsentwürfe von Gesellschaften und Nationen waren, ist es ebenfalls besonders interessant, nach den Einflüssen der Kriegssituation während des Ersten und Zweiten Weltkrieges in Deutschland zu fragen.54 Trotz dieser Unterschiede weisen die beiden Staaten genug strukturelle Gemeinsamkeiten auf, die einen Vergleich, der auf Differenzierungen zielt, ermöglichen. Deutschland und Schweden sind industrialisierte, westliche Staaten, die umfassende sozialpolitische Versorgungen ihrer Bevölkerung seit dem Ende des 19. Jahrhunderts einführten. Sie folgten zudem wirtschaftlich einer kapitalistischen, seit den 1930er in Schweden und den 1950er Jahren in Deutschland einer sozialen Marktwirtschaft. Dies ist einer der Gründe, warum die Deutsche Demokratische Republik nach 1945 nicht Teil dieser Untersuchung ist. Der weitestgehend freie Zugang von Menschen zur Flaschennahrung und den damit verbundenen Wissensbeständen ist zentral für diesen Vergleich. Die sozialistische Politik der DDR, die häufig Mangel produzierte etc., ist daher schwierig mit den marktwirtschaftlichen Wirtschaftssystemen der BRD und Schwedens zu vergleichen. Die Arbeit untersucht daher nach 1945 lediglich die Verhältnisse in der Bundesrepublik. Es wird jedoch an relevanten Stellen auf die Entwicklungen in der DDR verwiesen. Bei einem Vergleich von Familien­ beziehungen und Flaschenernährungspraktiken lassen sich die Unterschiede und Gemeinsamkeiten detaillierter ermitteln und es kann nach den Gründen für zeitliche Verschiebungen von ähnlichen Phänomenen gefragt werden. 53 Kolbe, „Neue Väter“, S. 152; Limper, Säuglingsflasche, S. 461. 54 Winkler, Kindheitsgeschichte, S. 10.

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Forschungsstand und Positionierung der Arbeit Eine Fokussierung auf die Flaschennahrung erlaubt es, verschiedene historiographische und interdisziplinäre Ansätze zu vereinen, da sie für Fragen aus ­Sozial- und Familiengeschichte, Geschlechter- und Kindheitsgeschichte, Medizin- und Körper­geschichte, Wissenschafts- und Technikgeschichte sowie Konsum­ geschichte anschlussfähig ist und neue Perspektiven auf diese Felder eröffnet. Meine Arbeit greif auf Forschungsbeiträge aus all diesen Feldern zurück und setzt sie miteinander ins Verhältnis. Bereits seit Mitte des 19. Jahrhunderts widmeten sich vor allem die sozial­ wissen­schaftlichen Disziplinen der Erforschung von Familienformen. Die Geschichts­wissenschaft, so konstatiert Karin Hausen in ihrem programmatischen Aufsatz „Familie als Gegenstand historischer Sozialwissenschaft“ von 1975, habe erst seit Anfang der 1960er Jahre Interesse an diesem Forschungsgegenstand gefun­den. Diesen Umstand hält sie für durchaus erklärungsbedürftig, da es „seit langem zumindest im Prinzip unbestritten ist, daß auch die Familie eine historisch veränderbare gesellschaftliche Institution ist“.55 Hiermit liefert sie gleichzeitig auch den kleinsten gemeinsamen Nenner der heutigen Forschung zur Familie. Es herrscht Konsens darüber, dass sowohl die Familie als auch Vorstellungen von Kindheit, Mutterschaft und Vaterschaft historisch und kulturell variieren.56 Als einen Grund für das Desinteresse der deutschen Geschichtswissenschaft an der Familie nennt Karin Hausen die Abgrenzung zu den Sozialwissenschaften. Ein Antrieb der historischen Forschung wurde es in den 1970er Jahren, die Ergebnisse der sozialwissenschaftlichen Forschung zu historisieren.57 Die ersten Arbeiten zur Familie aus dezidiert historischer Sicht befassten sich sowohl in Deutschland als auch in Schweden mit der historischen Demographie und der Sozialgeschichte der Familie.58 Hierbei ging es vor allem um die Rekonstruktion von Familien 55 Hausen, Familie und Familiengeschichte, S. 64. Siehe auch: dies., Familie als Gegenstand, S. 173; Gestrich, Geschichte der Familie, S. 55. 56 Vgl. u. a. Brookshaw, Material Culture, S. 366; Johansson, Centuries of Childhood, S. 346; Lange, Kindheit und Familie; Prout, Future of Childhood. 57 Hausen, Familie als Gegenstand, S. 173. Vgl. Gestrich, Geschichte der Familie, S. 55. 58 Vgl. Deutschland: Gestrich, Geschichte der Familie, S. 75; wichtige Arbeiten sind: Conze (Hg.), Sozialgeschichte der Familie; Mitterauer/Sieder (Hg.), Historische Familienforschung; Nave-Herz, Kontinuitäten und Wandel; Niehuss, Familie, Frau und Gesellschaft; ­Rosenbaum (Hg.), Seminar: Familie und Gesellschaftsstruktur; dies., Formen der Familie; Trotha, Wandel der Familie; Sieder, Sozialgeschichte der Familie; Weber-Kellermann, Deutsche F ­ amilie. Schweden: Eriksson/Rogers, Mobility in an Agrarian Community; Gaunt, ­Familjeliv i ­Norden; Hatje, Befolkningsfrågan; dies., Befolkningsdebattens betydelse; K ­ älvemark, Country that Kept Track; Rogers, Introduction; ders., Nordic Familiy History.

Forschungsstand und Positionierung der Arbeit  |

sowie Haushaltsformen und -strukturen und weniger um Familienbeziehungen, die im Mittelpunkt dieser Arbeit stehen. Sozialgeschichtliche Arbeiten beschäftigen sich mit der Familie vor allem als Ursache für und Generator von sozialer Ungleichheit. Im Rahmen dieser Fragestellung wurden viele Projekte forciert, die Familien unterschiedlicher sozialer Klassen miteinander verglichen.59 In dieser Arbeit steht jedoch a priori keine gesellschaftliche Schicht im Mittelpunkt, vielmehr stelle ich heraus, wie durch den Gebrauch von Gegenständen soziale Unterschiede (re)produziert oder potentiell angeglichen und nivelliert wurden. In den 1990er Jahren rückten Fragen nach der Verknüpfung von Familie und Sozialpolitik im Rahmen einer Konjunktur der internationalen Forschung zur ­Geschichte des Wohlfahrtsstaates in den Fokus. Die Entstehung des „schwedischen Modells“ der Wohlfahrtsstaaten ist ein integraler Bestandteil des schwedischen Nationalnarrativs, weshalb die Forschung zu diesem Bereich traditionell besonders ausgeprägt ist. Eine kritischere Richtung erhielt sie durch Arbeiten von Yvonne Hirdman in den 1980er Jahren, die danach fragte, welche restriktiven Implikationen der schwedische Wohlfahrtsstaat für das Familienleben hatte.60 Auch die Geschichte der Frauen und ihrer Rolle in der Entstehung der Wohlfahrtsstaaten zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde erstmals thematisiert.61 Wichtige Impulse für die Geschichte der Familie lieferte sowohl in Deutschland als auch in Schweden die in den späten 1970er Jahren neu entstandene Frauen- bzw. Geschlech­tergeschichte.62 Diese fragte bereits früh nach den Machtverhältnissen der Geschlechter innerhalb der Familie sowie den Rollen der Frau als Mutter und Arbeiterin.63 Diese Arbeiten dienen einerseits als Grundlage für meine Arbeit, andererseits fungieren frühe frauen- bzw. geschlechtergeschichtliche Arbeiten als Quellen, die neues Wissen um den weiblichen Körper und seine Historizität in den Diskurs um Säuglingsernährung in den 1970er Jahren einbrachten. Die Konsumgeschichte setzte seit den 1990er Jahren neue Akzente für die Geschichte der Familie und ihrer Mitglieder. Sie nahm zudem Fragestellungen aus der Sozial- sowie Geschlechtergeschichte auf. Hier kann meine Arbeit neue Perspektiven für den Zusammenhang zwischen Konsum und Geschlecht sowie 59 Gestrich, Geschichte der Familie, S. 87. Gestrich hebt besonders die Arbeit um Jürgen Kocka hervor: Kocka u. a., Familie und soziale Platzierung. 60 Nelson/Rogers (Hg.), Mother, Father, and Child. 61 Vgl. Bock, Armut, S. 428. Siehe auch: dies./Thane (Hg.), Maternity and Gender Policies; Koven/Michel (Hg.), Mothers of a New World. 62 Vgl. Rogers, Familiy History, S. 297; Goransson, Från familj till fabrik. 63 Auch hier hat Karin Hausen erste grundlegende Arbeit geleistet: Hausen, Polarisierung der „Geschlechtscharaktere“. Siehe auch: Born, Ei vor Kolumbus; Gestrich, Geschichte der F ­ amilie, S. 97; Kolbe, Kindeswohl; Summers, Mehr Möglichkeiten; Uhl, Geschlechterordnung der Fabrik.

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zwischen Konsum und sozialer Distinktion eröffnen.64 Bestimmte Produkte waren und sind männlich oder weiblich konnotiert und trugen dazu bei, Geschlechterdifferenzen zu reproduzieren und zu festigen. Ähnliches gilt im Bereich sozialer Distinktion.65 Für diese Arbeit ergibt sich somit die Frage, wie die Flaschennahrung Geschlechterdifferenzen innerhalb der Familie, aber auch zwischen Familien und ExpertInnen herstellte bzw. wie gesellschaftliche Unterschiede zwischen verschiedenen Familien produziert wurden. Der zeitliche Fokus der Familiengeschichte lag vorrangig auf dem 18. und 19. Jahrhundert. Im 18. Jahrhundert wurden, wenn man den meisten Interpretationen folgt, die Grundlagen zu dem gelegt, was sich im 19. Jahrhundert dann zu dem verfestigten, was im Allgemeinen als „bürgerliche Kernfamilie“ verstanden wird: eine Ehe, die auf gegenseitiger Liebe basiert; Vater, Mutter und zwei Kinder, die zusammen in einem eigenen Haushalt wohnen; ein Vater, der außer Haus das Geld verdiente, während sich die Mutter um Kinder und Haushalt kümmerte.66 Das 20. Jahrhundert in seiner Gesamtheit oder über politische Epochengrenzen hinweg wurde bisher selten untersucht.67 Kürzlich ist jedoch die Habilitationsschrift von Christopher Neumaier erschienen, der eben eine solche Langzeitperspektive anlegt, um die „Konflikte um Ideale, Politiken und Praktiken“ der Familie im 20. Jahrhundert herauszuarbeiten.68 Frühere Arbeiten fokussierten zumeist von politischen Zäsuren bestimmte Zeiträume und unternahmen den Versuch, Spezifika dieser Perioden herauszustellen.69 Dies gilt vorrangig für die Zeit des Nationalsozialismus, da dieser als außergewöhnlich einschneidendes Ereignis für die Entwicklung der Familie in Deutschland angesehen wurde.70 Dadurch gerieten 64 Vgl. Asquer, Domesticity; Casey/Martens (Hg.), Gender and Consumption; Davis, ­Geschlecht und Konsum; de Grazia/Furlough (Hg.), Sex of Things; Haupt, Konsum und Geschlechterverhältnisse. 65 Vgl. insbesondere: Bourdieu, Die feinen Unterschiede. 66 Vgl. Gestrich/Krause/Mitterauer, Geschichte, S. 574; Heywood, Introduction; Rogers, Familiy History, S. 293; Schütze, Gute Mutter, S. 147. 67 Ausnahmen sind: Benz/Distel (Hg.), „Gemeinschaftsfremde“; Ross Dickinson, Politics of German Child Welfare; Gebhardt, Angst; Gestrich, Geschichte der Familie; ders., Neuzeit; Lundqvist, Familjen; Stanfors, Mellan arbete och familj; Sandin, Infanticide. 68 Neumaier, Familie im 20. Jahrhundert. 69 Matzner-Vogel, Produktion; Budde, Institution; Gebhardt/Wischermann (Hg.), Familien­ sozialisation; Kolbe, Vernachlässigte Väter; dies., Kindeswohl; dies., Elternschaft; dies., „Väter“; Rölli-Allkemper, Familie im Wiederaufbau; Scholz/Lenz/Dressler (Hg.), In Liebe verbunden; van Rahden, Demokratie; ders., Wie Vati die Demokratie lernte. 70 Vgl. Bamberger/Ehmann (Hg.), Kinder und Jugendliche; Benz u. a. (Hg.), Sozialisation und Traumatisierung; Bock, Zwangssterilisation; Czarnowski, Familienpolitik; dies., Das ­kontrollierte Paar; Dammer, Kinder, Küche, Kriegsarbeit; Dill, Nationalsozialistische Säuglingspflege; Kleinau/Mochmann (Hg.), Kinder des Zweiten Weltkrieges; Kössler, F ­ aschistische

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teilweise Kontinuitäten aus dem Blick.71 Die 1930er und 1940er Jahre gelten auch in Schweden als besonders prägende Phase der Familienideologie und -politik, weswegen diese Periode bereits ausführlich erforscht wurde und weiterhin wird.72 In den letzten zehn Jahren fand in Deutschland außerdem eine Hinwendung zur Zeitgeschichte der Familie statt, die vor allem von VertreterInnen der Werte­ wandelsdiskussion getragen wurde und danach fragt, ob und inwiefern seit den 1970er Jahren ein sog. Wertewandel in der Bundesrepublik stattfand, durch den sich erstmals neue Familienformen außerhalb der bürgerlichen Kernfamilie bildeten und gesellschaftlich anerkannt wurden.73 Meine Arbeit strebt an, diese verschiedenen Epochen zu integrieren und zu fragen, wie Wissen und Dinge über politisch bestimmte Brüche hinweg funktionierten sowie ob und inwiefern sie Familienpraktiken in der Säuglingsernährung beeinflussten. Neben diesen Arbeiten zur Familiengeschichte widmeten sich andere den einzelnen Familienmitgliedern. Besonders einflussreich für die Geschichte der Mutterschaft war die Studie der französischen Philosophin Élisabeth Badinter über die Entstehung der Mutterliebe.74 Sie kommt zu dem Schluss, Mutterliebe sei keine anthropologische Konstante, sondern erst mit der Aufklärung erarbeitet worden. Yvonne Schütze hat für Deutschland die Geschichte der „guten“ Mutter untersucht und kam zu ähnlichen Ergebnissen wie Badinter.75 Aus geschlechtergeschichtlicher Sicht wurde die Bedeutung verschiedener Mutterschaftskonzepte in der Entstehung der Ersten Frauenbewegung zu Beginn des Jahrhunderts sowie die Einführung wohlfahrtsstaatlicher Maßnahmen zum Schutz von Müttern und Kindern untersucht. Hier sind vor allem die Arbeiten der amerikanischen ­Historikerin Ann Taylor Allen für Gesamteuropa zu nennen.76 Die geschichtswissenschaftliche Forschung zur

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­ indheit; Koonz, Mothers in the Fatherland (dazu: Bock, Die Frauen und der National­ K sozialismus; ­Koonz, Erwiderung auf Gisela Bocks Rezension; Bock, Ein Historikerinnenstreit?; Grossmann, Feminist Debates); Mouton, Nurturing the Nation; Pine, Nazi Family Policy; Sachse, Siemens; Schumann, Childhood and Youth. Vgl. Gebhardt, „Lehret sie“; dies./Wischermann, Familiensozialisation, S. 13. Einflussreiche Klassiker: Hirdman, Lägga livet tillrätta; Kälvemark, More Children. Vgl. ­Berggren/Trägårdh, Är svensken människa?; Bergman, Fostra till föräldrarskap; Carlson, Swedish Experiment; Christiansen u. a. (Hg.), Nordic Model; Ekerwald, Alva Myrdal; ­Etzemüller, „Swedish Modern“; ders., Romantik; Lövgren, Hemarbete; Löw, Världen; ­Lundqvist, F ­ amiljens kris; dies., Familjen; dies./Roman, Construction(s); Niemi, Public Health; Olsson, Drömmen; Åström, Husmodern. Vgl. Heinemann, „Enttäuschung unvermeidlich“?; Neumaier, Kernfamilie. Badinter, L’amour en plus (1980, dt. Übersetzung: Die Mutterliebe, 1981). Schütze, Gute Mutter. Taylor Allen, Feminismus; dies., Feminism and Motherhood. Siehe auch: Brunner (Hg.), Mütterliche Macht; Hardach-Pinke, Angst; Kolbe, Turning Mothers; Rönnbäck, Fängslande

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Vaterschaft, die im Zuge von Debatten zur ­Geschichte der Männlichkeit aufkam, steckt in Deutschland noch in den Kinders­chuhen, nimmt aber in den letzten zehn Jahren deutlich zu.77 In Schweden gibt es hingegen bereits eine Reihe von Untersuchungen, die sich mit der Rolle des Vaters in der Familie auseinandersetzen, was auf die größere Bedeutung hinweist, die dem Vater im familienpolitischen Diskurs zugesprochen wird. Aber auch hier fehlt bisher ein epochübergreifender Überblick.78 Für die Historisierung der Kindheit gilt Philipp Ariès’ Studie von 1960, die Mitte der 1970er Jahre ins Deutsche und Schwedische übersetzt wurde, als eine Art Gründungsdokument.79 Dessen zentrale These, die Kindheit als eigene Lebens­ phase sei erst in der Frühen Neuzeit entstanden, löste große Diskussionen in der Fachwelt aus.80 Während dezidierte Kindheitsgeschichte in Deutschland eher ein Randphänomen oder Teil anderer Fragestellungen ist, wie der Geschichte des Bürgertums im 19. Jahrhundert,81 ist dieses Thema in der schwedischen Forschungslandschaft mit einem renommierten interdisziplinären Zentrum der Kindheitsforschung – TEMA Barn – an der Universität Linköping gut etabliert. Diese Einrichtung hat zentrale historische Arbeiten, vor allem zur Entstehung von Institutionen der Kinder- und Säuglingsfürsorge publiziert.82 Ein besonderer Fokus der schwedischen Forschung liegt auf dem Verhältnis von Kindheitsentwürfen und Konsumverhalten. Hier findet zudem ein ausführlicher Dialog zwischen schwedischen und anglophonen ForscherIn­nen statt, der in verschiedenen Kooperationsprojekten mündete, welche vor allem nach der agency von Kindern fragen.83 Teilweise wird die gegenseitige Konstitution von Eltern und Kindern

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modern; Sachße, Mütterlichkeit; Lefaucheur, Mutterschaft; Shorter, Wandel; ders., Große Umwälzung; Tornbjer, Nationella modern; Vinken, Deutsche Mutter. Kolbe, Gender and Parenthood; dies., „Väter“; dies., Vaterschaftskonstruktionen; Seegers, Vaterlosigkeit; van Rahden, Vati; ders., Fatherhood; ders., Vaterschaft; Verheyen, Bürger; dies., Loving in Oblivion. Das Forschungsprojekt „Zeit mit (Groß-)Vätern“ an der Universität Heidelberg widmet sich „Zeitbudgets und Formen männlicher Elternschaft im Strukturwandel der 1970er Jahre“ und verspricht spannende Ergebnisse für diesen Zeitraum. Bergman, Att fostrar fäder, S. 176 f.; Hobson (Hg.), Making Men into Fathers; Klinth, Göra pappa med barn; ders./Johansson, De nya fäderna; Sjöberg, Fatherhood. Ariès, L’enfant et la vie familiale (1960, dt. Übersetzung: Die Geschichte der Kindheit, 1975). Vgl. Johansson, Centuries of Childhood; Pollock, Forgotten Children. Vgl. Budde, Weg ins Bürgerleben; Winkler, Kindheitsgeschichte, S. 7. Vgl. Brembeck/Johansson/Kampmann (Hg.), Competent Child; Halldén, Moderna barndomen; Sandin/Halldén (Hg.), Barnets bästa; Sjöberg, Marknadens öga; Sparrman/Sandin/ Sjöberg (Hg.), Situating Child Consumption. Asquer, Domesticity; Brembeck u. a., Konsumerade barnet; Buckingham, Material Child; ders./Tingstad (Hg.), Childhood and Consumer Culture; Derevenski (Hg.), Children and Material Culture; Calvert, Children in the House; Cook, Children’s Consumption; Ganaway, Toys; Gutman/de Coninck-Smith (Hg.), Designing Modern Childhoods; James/Kjørholt/

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zwar bearbeitet, aber nicht immer explizit.84 Einige Studien legen dabei besonderes Augenmerk auf die historischen und kulturellen Prägungen von Kindheiten durch Objekte.85 In den letzten Jahren sind zudem zwei deutsche Sammelbände und eine Sonderheft von Geschichte und Gesellschaft erschienen und die Forschung zur Geschichte der Kindheit expandiert.86 Aber auch hier ist der Säugling als Akteur deutlich unterrepräsentiert, wohingegen meine Arbeit die Veränderungen in diesem Lebensabschnitt in den Mittelpunkt stellt. Die Geschichte der Säuglingsgesundheit und -ernährung ist aus medizin- und ernäh­rungshistorischer Sicht für das 19. und frühe 20. Jahrhunderts bereits umfas­ send untersucht worden. Arbeiten über Säuglingsernährung kamen zunächst aus dem L ­ ager der Historischen Demographie. Sie untersuchten den Zusammenhang zwischen dem Ernährungsverhalten und der Höhe der Säuglingssterblichkeit in Deutschland und Schweden.87 Darin wurden, je nach Anlage der Studie, verschiedene Faktoren überprüft, die zur Senkung der Sterblichkeit während des 19. und frühen 20. Jahrhunderts beitrugen. Seit den 1970er Jahren beschäftigten sich Ernäh­rungshistoriker und -historikerinnen, insbesondere Hans-Jürgen Teuteberg, ausführlich mit der Säuglingsernährung im deutschen Raum.88 Arbeiten zur Professionalisierung der Pädiatrie und Gynäkologie bieten wichtige Einblicke in die Deutungskämpfe und Abgrenzungsprozesse der medizinischen Disziplinen, die sich auf die Entwicklung der Säuglingsnahrung auswirkten. Medizinhistorische Arbeiten, die von (Kinder)ÄrztInnen geschrieben wurden, dienen dabei gleichzeitig als Quellen, um den Selbstzuschreibungen und Abgrenzungen der Pädiatrie seit dem späten 19. Jahrhundert nachzugehen.89

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Tingstad (Hg.), Children, Food and Identity; Simonsson, Barndom och kulturella artefakter; Taylor/Layne/Wozniak (Hg.), Consuming Motherhood; Zelizer, Priceless Child. Hungerland, Altersgerechte Entwicklung, S. 146 f. Brookshaw, Material Culture, S. 366. Siehe auch: Brembeck/Johansson/Kampmann, Child. Vgl. Baader/Eßer/Schröder (Hg.), Kindheiten; Bolling/Kelle, Kinder als Akteure; Eßer u. a. (Hg.), Reconceptualising; Kössler, Ordnung der Gefühle; ders., Aktuelle Tendenzen; ders.,/ Steuwer, Kindheit und soziale Ungleichheit; Schumann (Hg.), Citizens; Winkler, Kindheitsgeschichte. Hervorzuheben ist die Professur für Historische Erziehungswissenschaften, die Till Kössler an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg innehat. Vgl. Bengtsson, Hotade barnet; Knodel/van de Walle, Breast Feeding; Kintner, Trend; Brändström, Spädbarnsdödligheten; ders./Edvisson/Rogers, Illegitimacy; Lithell, Breast-feeding Habits; dies., Background Factors; dies., Små barn; Nilsson, Mot bättre hälsa; Sundin, Culture; ders. u. a. (Hg.), Svenska folkets hälsa. Teuteberg, Modern Milk Age; ders., Food Adulteration; ders./Bernhard, Wandel; dies., Entwicklung. Ballabriga, Pediatrics; Braun, German Pediatrics; Colón/Colón, Nurturing Children; Grauel, Universitätsklinik; Heßling, Haltung; Högberg/Öberg, Utställningen; Hoffmann/Eckart/ Osten (Hg.), Entwicklungen und Perspektiven; Manz/Manz/Lennert, Stillempfehlungen;

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Darüber hinaus kann auf substantielle Vorarbeiten aufgebaut werden, die in den 1990er und 2000er Jahren im Rahmen eines gesteigerten Interesses für die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung, für Bevölkerungspolitik, Medikalisierung und Geschlechtergeschichte entstanden sind.90 Die Arbeiten von Jörg Vögele über Säuglingssterblichkeit und Säuglingsernährung sind hier hervorzuheben, da sie wichtige Diskursstränge um das Stillen und Ernähren von Säuglingen aufarbeiten. Sein Fokus liegt auf dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert. Seine neueren Publikationen, teilweise in Zusammenarbeit mit MitarbeiterInnen aus dem Forschungsprojekt „Säuglingsfürsorge, ärztliche Stillempfehlungen und Stillverhalten im 20. Jahrhundert“ nehmen auch verstärkt die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts in den Blick.91 Eine weitere Expertin für Säuglingsernährung im frühen 20. Jahrhundert, die aus einer wissenschaftshistorischen Perspektive argumentiert, ist Barbara Orland.92 In Schweden beschäftigte sich die Forschung ebenfalls mit der Säuglings- und Kindergesundheit sowie Fragen nach Mutter- und Vaterschaft. Dabei liegt der Fokus auf den wohlfahrtsstaatlichen Institutionen (sowohl staatlichen als auch regionalen und lokalen), die sich um das Wohl der Kinder kümmerten.93 Neue Impulse kommen ebenfalls aus einer neuen Geschichte der Gesundheit und Prävention in Deutschland, maßgeblich anhand der Arbeiten von Malthe Thießen, der zwar nicht auf das Säuglingsalter eingeht, aber neue Interpretamente einer „Zeitgeschichte der Gesundheit“ anbietet, in die sich auch die Säuglingsernährung einfügt.94 Für den Zeitraum nach 1945 gibt es für beide Länder deutlich weniger Arbeiten, die nach dem Zusammenhang zwischen Ernährung und Säuglingsgesundheit fragen oder auch Ernährung als einen Faktor in die Geschichte von Mutterschaft, Kindheit oder Familie aufnehmen.95 Dies hängt damit zusammen, dass die Frage

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Mepham, “Humanizing” Milk; Nichols, Introduction; Nützenadel, Ernährung; Radbill, Infant Feeding; Wickes, History of Infant Feeding. Part I–V; Wray, Breast-feeding. Brockmann, Ammentätigkeit; Dill, Nationalsozialistische Säuglingspflege; Fritz, Gesundheit; Gajek, Mutterglück; Honegger, Medizinische Deutungsmacht; Haavet, Milk; Hong, Welfare; Seidler, Ernährung des Kindes. Vögele, Sozialgeschichte; ders. Säuglingsernährung; ders., Kontroverse; ders., Leben; ders., Säuglingsfürsorge; ders./Martin/Rittershaus, Artificial Infant Nutrition; ders./Rittershaus/ Halling, “Breast is Best”; ders./Halling/Rittershaus, Entwicklung; ders./Heimerdinger (Hg.), Infant Feeding; Nießen, Säuglingsernährung. Orland, Wissenschaft; dies., Enlightened Milk; dies., Verwandte Stoffe; dies., Motherhood. Berg, Gränslösa hälsan; Jansson, Feeding Children; Olsson, Drömmen; Pehrsson, Barn; Stenhammar u. a., Mjölkdroppen; Weiner, Fattiga barn; Wisselgren, Att föda barn. Thießen, Gesunde Zeiten; ders., Geschichte der Gesundheit; ders., Medizingeschichte; ders., Gesundheit erhalten; ders./Berghoff, Gesundheitsökonomien. Heimerdinger, Brust oder Flasche; Gebhardt, „Ganz genau nach Tabelle“; dies., Haarer meets Spock; dies., Angst; dies., Norm und Gefühl; Korsvold, Barn og barndom; Lindner,

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der Säuglingsgesundheit in dieser Phase in Europa nicht mehr vom Thema der Sterblichkeit dominiert und dementsprechend auch weniger hitzig und kontrovers diskutiert wurde. Seit den 1970er Jahren wurden vermehrt Arbeiten in der Soziologie, der Politikwissenschaft und der Ethnologie veröffentlicht, die die Skandale um Säuglingsernährung im Globalen Süden aufarbeiteten und kritisch Stellung bezogen. Diese Arbeiten enthalten häufig historische Abrisse der Geschichte der Säuglingsnahrung und dienen damit sowohl als Sekundärliteratur als auch als Quellen.96 Neben der deutschen und schwedischen Forschung gibt es eine Reihe von internationalen Arbeiten zur Frage der Säuglingsgesundheit und -erziehung.97 Aus diesem Kontext stammen umfassende Studien zur Geschichte der Säuglings­ ernährung. Die US -amerikanische Historikerin Rima D. Apple hat die zunehmende Zusammenarbeit von KinderärztInnen und Nahrungsmittelindustrie dargelegt, die dazu führte, dass die Muttermilch in den USA in einem Umfang an Bedeutung verlor, wie dies in Schweden und Deutschland nie der Fall war.98 Ähnlich produktiv und einflussreich wie Apple ist Lawrence T. Weaver, der vor allem zu Großbritannien, aber auch historisch vergleichend arbeitet. Er hat mehrere Studien angefertigt, die auch die Verwicklung verschiedener Akteure in der Herstellung von Säuglingsnahrung sowie der Vermessung des kindlichen Körpers betrachten.99 Relevante Beiträge kommen zudem aus den skandinavischen Nachbarländern Norwegen und Dänemark.100 Um die aufgezeigten Desiderate anzugehen, bieten wissens- und dinggeschichtliche Zugänge eine heuristisch fruchtbare Perspektive mit Synthesepotential. In Abgrenzung zur bisherigen Forschung steht in meiner Arbeit kein Familienmitglied – also weder die Mutter noch der Vater noch das Kind – allein im Zentrum ­ esundheitspolitik; dies., Gesundheitsvorsorge; Nolte, Prävention. Soziologische Studien G hierzu: Freudenschuß, Recht auf Stillen; Keenan/Stapleton, Babies’ Agency; Ott/Seehaus, Familiale Arbeitsteilungsmuster; Rückert-John/Kröger, „Stillende“ Männer. Pädagogische Studien u. a.: Seichert, Erziehung. 96 Aktionsgruppe Babynahrung, Boykott (1984); Arbeitsgruppe Dritte Welt, Exportinteressen (1976); Baumslag/Michels, Milk; Gaard, Feminist Postcolonial Milk Studies; Gerlach, Flea; Launer (Hg.), Nestlé (1991); Nestle, Food Politics; van Esterik, Breast-Bottle Controversy. 97 Bullough, Technology; ders., Bottle Feeding; Fildes, Breasts; Fomon, Infant Feeding; Knaak, Breast-feeding; dies., Problem; dies./Andrews, Medicalized Mothering; Nathoo/Ostry, One Best Way; Wall, Moral Constructions. 98 Apple, Mothers; dies., Science; dies., Constructing Mothers; dies., Perfect Motherhood. 99 Weaver, Relationships; ders., Emergence; ders., Feeding Babies; ders., “Growing Babies”; ders., Balance; ders., How Did Babies Grow; ders., Short History. 100 Vgl. Andrews/Knaak, Medicalized Mothering; Asdal, Versions of Milk; Løkke, Døden; Nyvang/Kleberg Hansen, Modermælken.

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des Interesses. Vielmehr wird das Verhältnis von Männern, Frauen und Kindern innerhalb der Familie und zu Akteuren „außerhalb“ der Familie offengelegt und hinterfragt. Meine Arbeit betrachtet Familie als dynamisches Netzwerk aus Menschen, Dingen und Konzepten. Sie fragt danach, in welchem Verhältnis die einzelnen Mitglieder zueinander standen und wie sie sich gegenseitig konstituierten.101 Die Arbeit steht damit an der Schnittstelle verschiedener Forschungszusammenhänge. Sie bietet einen neuen, innovativen Zugriff auf diese verschiedenen Felder, indem sie den Fokus auf die Flaschenernährung für Säuglinge richtet.

Aufbau der Arbeit und Quellen Die Studie verfolgt, im Sinne des „follow the actors“, die Flaschennahrung vom Labor in die Kinderstube. Dazu gehe ich in drei Schritten vor, die sich jeweils an einer Wissensdimension orientieren, also Wissensproduktion, -verbreitung und -anwendung. Die ersten beiden Kapitel sind jeweils chronologisch aufgebaut, um die Konjunkturen und Brüche der Wissensproduktion und -verbreitung aufzeigen zu können. Das letzte Kapitel orientiert sich stärker an Differenzkategorien und Querschnittsfragen und fragt systematisch danach, wie das Wissen in Praktiken wirksam wurde. Das erste Kapitel Produktion und Materialisierung von Wissen. Die Erforschung des Flaschenkindes widmet sich der wissenschaftlichen und industriellen Entwicklung der Flaschennahrung sowie der Flasche und den Utensilien, die zu ihrer Zubereitung benötigt wurden. Es zeigt, auf welche unterschiedlichen Wissensbestände die ProduzentInnen zurückgriffen, welches Wissen sie selbst produzierten und wie sich das Wissen um den Säugling und seine Ernährung im Laufe des 20. Jahrhunderts veränderte. Gleichzeitig dient dieses Kapitel dazu, die jeweiligen gesellschaftlichen Voraussetzungen darzulegen und so den historischen Kontext zu umreißen, in dem dieses Wissen wirkmächtig wurde. Es erarbeitet Periodisierungen der Wissensbestände um Flaschenkinder und Produkte der Flaschennahrung. In diesem Kapitel liegt der Fokus auf Quellen, die aus dem Kontext der Kindermedizin einerseits, der Psychologie und Psychotherapie andererseits stammen. Hinzu kommen Quellen, die dem Bereich der Hygieneforschung zugeordnet werden können. Anhand dieses Materials lassen sich die Konfliktlinien um die Säuglingsernährung nachzeichnen, die auf verschiedenen Ebenen angesiedelt sind. Außerdem nutzt die Arbeit Quellen aus Institutionen, die 101 Vgl. hierzu auch: Bäck-Wiklund, Familj, S. 25; Price-Robertson/Duff, Family Assemblages.

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über Säuglingsgesundheit aufklärten oder Säuglinge direkt versorgten, wie das Deutsche Hygiene-Museum in Dresden, der Verein für Säuglingsfürsorge Düsseldorf sowie der Verein „Der Milchtropfen“ (Mjölkdroppen). Schließlich werden medizinhistorische Arbeiten der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verwendet, da sie ebenfalls Einblicke in die jeweils vorherrschenden Wissenskategorien und Denkmuster der Kindermedizin im 19. und frühen 20. Jahrhundert geben.102 In den 1950er und 1960er Jahren entstanden weniger Studien, die sich mit Säuglingsernährung beschäftigten, da sich der Fokus der Pädiatrie auf neue Felder verlegte. In der Bundesrepublik beschäftigten sich vor allem medizinische Dissertationen mit Säuglingsernährung auf lokaler Ebene. Ergänzt werden diese Studien durch Dokumente der Hersteller von Säuglingsnahrung sowie deren Werbung in Fachzeitschriften und populären Magazinen. Anhand dieser Materialien wird der Referenzraum der Säuglingsnahrung im 20. Jahrhundert beleuchtet. Das zweite Kapitel Vermittlung und Verbreitung von Ernährungswissen. Das Flaschenkind in der Ratgeberliteratur für Eltern nutzt Ratgeberliteratur als hauptsächliche Quelle. Ich werde mich auf Ratgeber in Buchform beschränken, da diese über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg die dominierende Medien­ form waren.103 Es sind nur diejenigen Ratgeber von Bedeutung, die sich an die Eltern als Leserschaft richten, nicht an pädagogisches oder medizinisches Fachpersonal, da ich die Frage verfolge, welche Informationen und Handlungsanleitungen zur Flaschennahrung den Eltern zugänglich waren. Jedes Unterkapitel nutzt für den jeweiligen Zeitraum exemplarische Beispiele von Ratgebern, anhand derer die übergreifenden Fragekomplexe verhandelt werden. Da es in diesem Kapitel darum geht herauszuarbeiten, auf welche Weise Wissen vermittelt wurde und wie es sich dadurch veränderte, fokussiert es ferner auf Fragen nach der Selbstdarstellung der AutorInnen und untersucht, ob und wie jene Wissen aus ihrem disziplinären Kontext anwandten und übersetzten. Hier schließen sich Fragen danach an, auf welche Wissenskategorie sie sich bezogen (Erfahrung, Statistiken etc.) und von welchen Akteuren sie sich ­abgrenzten. Hieran können Konjunkturen in der Wissenschaft, aber auch konkurrierende Interpretationen abgelesen werden.104 Welche Handlungs­ anleitungen und Anwei­sungen ergaben sich aus diesem Wissen? Diese Frage 102 Bókay, Geschichte (1922); Brüning, Geschichte (1908); Czerny, Pädiatrie (1939); Keller/ Klumker (Hg.), Säuglingsfürsorge (1912); Kälvesten, Spädbarnets sociologi (1956); Klebe/ Schadewaldt, Gefäße (1955); Peiper, Chronik (1992); Wallgren, Social Welfare (1944/1945). 103 Vgl. Gebhardt, Angst, S. 249. 104 Spree, Sozialisationsnormen; ders., Child’s Personality.

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gibt Auskunft darüber, wie das vorhandene Wissen in die Praxis umgesetzt werden sollte. Außerdem untersucht dieses Kapitel, welcher „erzieherische“ Ansatz mit Ratgebern verfolgt wurde und auf welche gesellschaftlichen Normen und Werte diese verwiesen. Ratgeber sind eine der am besten erforschten Quellen der Geschichte der Erzie­hung und der Familie. Mit der Aussagekraft der Ratgeber haben sich bereits viele AutorInnen quellenkritisch auseinandergesetzt. Eine klassische Position zu Ratgebern ist die von Jay Mechling, der HistorikerInnen davor warnt, Anweisungen in Ratgebern als Beleg für existierende Praktiken zu lesen.105 Ihre Aussagekraft ist eher anders zu sehen. So werden in den Ratgebern bereits vorhandene Praktiken bestätigt, sanktioniert und/oder verbreitet. Ein weiterer Effekt ist, dass bestimmte Fragestellungen „durch die Thematisierung […] überhaupt erst als verhandelbare und zwingend zu verhandelnde Gegenstände in den Blick kommen“.106 Ratgeber sind somit Verbreitungsmedien, die bestimmte Themen und Verhaltensweisen in den Aufmerksamkeitsfokus ihrer LeserInnen rücken. Sie zeigen Möglichkeiten auf, mit Situationen umzugehen, die vorher nicht denk- oder machbar waren. Darüber hinaus finden sich dort Hinweise auf größere Bedeutungszusammenhänge, die Handlungsnormen konturieren – im hier interessierenden Kontext etwa Vorstellungen von Mutterschaft, Männlichkeit und Gesundheit.107 Dieses Kapitel erarbeitet ebenfalls Periodisierungen, die dann mit denen aus dem Wissens­produktionskapitel ins Verhältnis gesetzt werden. Dadurch kann untersucht werden, inwiefern Wissensproduktion und -vermittlung voneinander ­abwichen oder korrelierten. Das letzte Kapitel Anwendung und Aneignung von Wissen. Familienpraktiken der Säuglingsernährung widmet sich der Frage, wie das in den beiden vorherigen Kapiteln analysierte Wissen und seine Materialisierungen in Form der Flaschennahrung zu Hause angewandt wurden. Eine solche weitere Perspektive ist nötig, da – wie schon häufig überzeugend gezeigt wurde – von normativen Vorgaben nicht ohne Weiteres auf alltägliche Praktiken zurückgeschlossen werden kann. 105 Mechling, Advice to Historians; Krumbügel, Übergang. Als Beispiel für eine solche Lesart vgl. Spree, Sozialisationsnormen; ders., Personality. 106 Heimerdinger, Brust oder Flasche, S. 104. 107 Vgl. ebd., S. 104. In den letzten 20 Jahren entstand in der deutschsprachigen Forschungslandschaft ein gesteigertes, interdisziplinäres Interesse am Zusammenspiel zwischen Ratgebern und Alltagsleben, vgl. Bänzinger u. a. (Hg.), Ratgeberkommunikation; Hagström, Manligt; Heimerdinger, Alltagsanleitungen; ders., Konjunktiv; ders., Brust oder Flasche; Kay, ­Advice Literature; Kleiner/Suter (Hg.), Guter Rat; Maasen u. a. (Hg.), Das beratene Selbst; Messerli, Entwicklungsgeschichte; Scholz/Lenz/Dressler, In Liebe verbunden; ­Wellmann, Beziehungssex.

Aufbau der Arbeit und Quellen  |

Um mich dieser Perspektive anzunähern, werde ich mich auf Egodokumente aus Deutschland und Schweden stützen. Solche Dokumente geben einen Einblick, wie Menschen ihre Welt und sich selbst in dieser Welt konstruieren.108 Für Deutschland verwende ich Tagebücher aus dem Deutschen Tagebucharchiv in Emmendingen, das Tagebücher sammelt und der Forschung zur Verfügung stellt. Für Schweden nutze ich Fragebögen, die zu ethnologischen Forschungszwecken im Nordiska Museet (Nordischen Museeum) in Stockholm angefertigt wurden. Dieses verschickte seit dem frühen 20. Jahrhundert Fragebögen zu verschiedenen Themen des alltäglichen Lebens an sog. InformantInnen, die sie ausfüllten und an das Nordiska Museet zurückschickten. Je nach Fragestellung gaben sie Auskunft über ihre eigenen Erfahrungen oder befragten ältere Verwandte über ihr Leben. Die Antworten auf die Fragebögen Nr. 172 über „Säuglingspflege“ von 1960 und Nr. 217 über „Weiblich und männlich“ von 1991 wurden für diese Arbeit ausgewertet. Die Antworten decken den Zeitraum von um 1900 bis 1980 ab. Da für Deutschland und Schweden unterschiedliche Arten von Egodokumenten zur Verfügung stehen, muss der Aussagewert der Quellen hier besonders sorgfältig und kritisch betrachtet werden und es ist schwierig, auf Grundlage des Materials generalisierende Aussagen über deutsche und schwedische Beson­ derheiten zu tätigen. Dieses Kapitel ist nicht chronologisch, sondern thematisch angelegt, um ­anhand spezifischer Themenkomplexe und der drei Differenzbeziehungen (Eltern/ Säugling; Mutter/Vater; Familie/ExpertInnen) die Anwendung von Flaschennahrung und die Rezeption bzw. Produktion von Wissen zu Hause zu analysieren. Dabei liegt der Fokus darauf, wie und wann von bestimmten Vorgaben abgewichen wurde und wie sich dies im Kontext dieser Arbeit erklären lässt.

108 Vgl. Steuwer/Graf, Selbstkonstitution, S. 9 f. Ausführlich zu Egodokumenten und ihrer Bedeu­tung für die Geschichtsschreibung vgl. Masuch/Dekker/Baggermann, Egodocuments and History.

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1 Produktion und Materialisierung von Wissen Die Erforschung des Flaschenkindes

Auch wenn die Ernährung mit Muttermilch historisch die vorherrschende ­Metho­de der Säuglingsernährung in Europa war, kann die Versorgung von Säuglingen mit anderer Nahrung als Muttermilch viele Jahrtausende zurückverfolgt werden. Säuglinge, die nicht an der Brust ernährt wurden, erhielten Mischungen aus ­Getrei­de, Tiermilch und Wasser mit Hilfe verschiedener Trinkgefäße eingeflößt. Rezepte für diese Nahrung fanden sich in Haushaltsbüchern oder wurden im Verwandtenkreis weitergegeben. Die Ernährungspraxis berief sich vor allem auf Erfahrungswissen und traditionell weitergegebene Anleitungen.1 Dabei war die Säuglingsernährung keine „Privatangelegenheit“, sondern Teil sozialer und kultureller Normen.2 Seit Mitte des 18. Jahrhunderts in Schweden sowie Mitte des 19. Jahrhunderts in Deutschland rückte sie vermehrt in den öffentlichen Raum und wurde in ein Problem von bevölkerungspolitischem Ausmaß umgedeutet.3 Dieses Kapitel untersucht, welche Akteure zusammenkamen und was sie taten, um Ernährungswissen und Flaschennahrung für Säuglinge herzustellen. Das Kapitel orientiert sich dazu an vier Kategorien, die unterschiedliche Frage­komplexe umfassen. In Bezug auf die Kategorie Wissensproduktion stellen sich die Fragen: Welche Wissensbestände wurden generiert und angewandt in Bezug auf den kindlichen Körper und dessen Ernährung? Auf welchen disziplinären Grundlagen basierte dieses Wissen? Wer wurde als Experte oder Expertin ange­sehen; wessen Expertise wurde hingegen diskreditiert? An die zweite Kategorie – Wissensräume – stelle ich die Fragen: In welchen Räumen wurde das Wissen produziert (z. B. Labore, Kliniken, Fabriken, Frauengruppen)? Wie wurde Wissen übersetzt, um in verschiedenen „Räumen“ genutzt werden zu können, z. B. Labor, Arbeiterwohnung etc.? Die dritte Kategorie – Materialisierung von Wissen – wird anhand folgender Fragen untersucht: Welche Akteure waren an der 1 Vgl. Apple, Mothers, S. 4; Fildes, Breasts; Ohrlander, Barnet fick en kropp, S. 36; Kintner, Trends, S. 164; Teuteberg/Bernhard, Entwicklung, S. 383; Tugendreich, Mütter- und Säuglingsfürsorge (1910), S. 251; Vahlquist, Evolution (1975), S. 11; Wickes, History of Infant Feeding IV , S. 419. 2 Vgl. Jansson, Children, S. 241; Pape, Beikost, S. 36, 39. 3 Die breit geführte Diskussion um Ammen, die seit der Antike eine wichtige Rolle in der Versorgung von Säuglingen spielten, hatte seit den 1880er Jahren deutlich an Bedeutung verloren und wird daher nicht systematisch untersucht. Vgl. Brockmann, Ammentätigkeit; Thoms, Säuglingssterblichkeit, S. 60; Tönz, Stillen, S. 99.

Verwissenschaftlichung der Säuglingsernährung (Ende 18. Jahrhundert bis 1880er Jahre)  |

Produktion von Flaschennahrung für Säuglinge beteiligt – sowohl menschliche als auch nicht-menschliche? Welche Form nahmen die Flaschennahrung und die Flasche an und warum? Schließlich stellen sich folgende Fragen in Bezug auf die vierte Kategorie – Gesellschaftliche Normen und Politiken: Welche Vorstellungen von Mutterschaft bzw. Elternschaft gingen in die Konzeptionierung und Produktion der Nahrungsmittel und Utensilien ein? An welchen größeren Kontexten und Gesellschaftsmodellen orientierten sich Bewertungen von Brust und Flasche, z. B. Nationalstaatlichkeit, industrielle Wirtschaftsordnung, Geschlechterrollen etc.? Diese Problemaufrisse sind dabei eng miteinander verwoben und werden jeweils in chronologisch geordneten Unterkapiteln untersucht. So können Kontinuitäten und Brüche im 20. Jahrhundert deutlich gemacht werden sowie Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den beiden Nationen. Dabei werden die ersten beiden Unterkapitel über den eigentlichen Untersuchungszeitraum von 1900 bis 1980 hinausgehen, da die wissenschaftlichen Grundlagen der vorherigen Jahrhunderte fundamental sind, um die Entwicklung der Flaschennahrung in den beiden natio­ nalen Kontexten erklären zu können. Ziel des Kapitels ist es zu zeigen, wie die Flaschennahrung zunächst Mitte des 18. Jahrhunderts als wissenschaftliches Problem unter Medizinern und Naturwissenschaftlern entstand (1.1), das anschließend in den Jahren der Nationalisierung und Bevölkerungspolitik um 1900 in ein öffentliches Problem in beiden Staaten übersetzt wurde, das von neuen Akteuren bearbeitet werden musste (1.2). Seit der Zwischenkriegszeit sowie in den ideologisch zugespitzten Gesellschaftsentwürfen des folkhem in Schweden und des Nationalsozialismus in Deutschland erlangte das Konzept der Flaschennahrung Brisanz an der Schnittstelle von technologischem Fortschritt und industriellen Allianzen sowie rassistischen bzw. eugenischen Menschenbildern (1.3). In der Nachkriegszeit und den 1960er Jahren verschwand die Flaschennahrung kurzzeitig aus dem Fokus der Öffentlichkeit und verlagerte sich in den Aufgabenbereich der Industrie (1.4), bevor sie in den 1970er Jahren erneut als – dieses Mal global gedachtes – Problem der Bevölkerungspolitik auf der einen Seite und der Neuaushandlung von Geschlechterrollen auf der anderen Seite wieder in den Fokus der Öffentlichkeit rückte (1.5).

1.1 Verwissenschaftlichung der Säuglingsernährung (Ende 18. Jahrhundert bis 1880er Jahre) Die Ursprünge für die Definition der Säuglingsnahrung als wissenschaftliches Problem sind bereits im 18. Jahrhundert angelegt. Zwei zentrale, miteinander verschränkte Prozesse setzten zu dieser Zeit ein: die Vermessung der Bevölkerung ­sowie die Vermessung des menschlichen Körpers im Allgemeinen und des

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­kindlichen Körpers im Besonderen. Zudem wurden erste Rezepte für Flaschennahrung in den 1860er Jahren entwickelt, wobei sich hier zum ersten Mal der Konflikt zwischen legitimen pädiatrischen Rezepten und illegitimen industriellen Mischungen zeigt. Neue Materialien wie Glas und Gummi fanden in diesem Zeitraum ebenfalls erstmals ihren Weg in die Flaschenernährungspraktiken. 1.1.1 Bevölkerungsstatistik und Physiologie seit Mitte des 18. Jahrhunderts

Schweden war eines der ersten Länder, das sich der Vermessung seiner Bevölkerung widmete. Die schwedische Zentralmacht strebte im 17. und 18. Jahrhundert an, die Ideale des merkantilistischen Staatsmodells zu implementieren. Um die Produktionskraft des Landes zu erhöhen, wurde ein starker Volkskörper als essentiell betrachtet.4 1749 wurde das Tabellverk eingerichtet, um die Bevölkerungsentwicklung zu beobachten und entsprechend beeinflussen zu können.5 Dessen Untersuchungen stellten fest, dass die Bevölkerungszahl geringer war, als von der Regierung erwartet. Ein Grund dafür waren die hohen Säuglingssterblichkeitszahlen, deren Ursache in einem Bericht des Tabellverk von 1761 in „falscher Ernäh­rung“ („felaktig uppfödning“) gefunden wurde.6 Die Sterblichkeitsraten und die Ernährungspraktiken waren jedoch regional sehr unterschiedlich: Vereinfacht gesagt waren im Norden und in den Städten die Zahlen höher als im Süden.7 Die hohe Sterblichkeit wurde in Schweden bereits seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts als Problem wahrgenommen, das durch Regierungshandeln ­bekämpft werden musste. So wurde die Bevölkerung – insbesondere die Mütter, in deren Aufgabenbereich die Säuglingsernährung verortet war – durch Aufklärungsschriften und -kampagnen informiert. 1755 wurde eine deutsche Schrift übersetzt und vom zentral agierenden Collegium Medicus als erste offizielle Aufklärungsschrift verteilt.8 Aufgrund des hohen Alphabetisierungsgrades der B ­ evölkerung 4 Vgl. Bengtsson, Barnhälsans historia, S.  103; Brändström, Spädbarnsdödligheten, S.  9; ­Johannisson, Mätbara samhället; dies., Medicinens öga, S. 45 f.; Sundin, Folkhälsa, S. 372 f. 5 Tabellverket war die weltweit erste Zentraleinrichtung für Statistik. 1858 wurde es vom Statistiska centralbyrå (Statistisches Zentralbüro) abgelöst. Vgl. Sundin/Edvisson/Rogers, Illegitimacy; Johannisson, Mätbara samhället. 6 Brändström, Spädbarnsdödligheten, S. 42. Vgl. Lithell, Factors, S. 54. 7 Vgl. Höberg, Svagårens barn, S. 107; Ohrlander, Barnet fick en kropp, S. 85; Sundin, Folkhälsa, S. 389 f. 8 Wolff, Späda Barns Nödiga ans och Skötsel (1755). Vgl. Bengtsson, Hotade barnet, S. 21; Ohrlander, Barnet fick en kropp, S. 19.

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waren schriftliche Ratschläge bereits seit dem 18. Jahrhundert eine übliche Bera­ tungspraxis. Besonders verbreitet waren sog. Almanache, die von der König­ lichen Wissenschaftsakademie (Kungliga Vetenskapsakademien) herausgegeben und verteilt wurden.9 Examinierte Hebammen, die einen großen Einfluss auf das Verhalten der Mütter hatten, klärten außerdem seit dem frühen 19. Jahrhundert über die Bedeutung des Stillens auf und animierten zur Ernährung an der Brust. Die medizinischen Experten waren davon überzeugt, dass diese Ernährung zu niedrigeren Todesraten führen würde.10 Als ein weiterer Ausdruck der zeitweise hohen Priorisierung der Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit im schwedischen Parlament wurde 1845 der Kinderarzt Fredrik Theodor Berg auf die weltweit erste Professur für Kinderheilkunde am Karoliniska Institutet in Stockholm berufen. Der frühe Ausbau der medizinischen Versorgung durch Hebammen und Provinzärzte (provinsläkare) sowie die Verteilung von Informationen über Säuglingspflege in Aufklärungsschriften können durchaus als erfolgreich eingeschätzt werden, da die Säuglingssterblichkeitszahl in Schweden bereits während des 19. Jahrhunderts stetig sank.11 Um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert wies Schweden eine der niedrigsten Säuglingssterblichkeitsraten Europas auf, während das Deutsche Reich verhältnismäßig hohe Todeszahlen verzeichnete.12 Anders als im Deutschen Reich sah man die Säuglingssterblichkeit in Schweden bereits seit Beginn des 19. Jahrhundert als beeinflussbaren Prozess an und versuchte, ihr flächendeckend entgegenzuwirken.13 In Deutschland setzte die Beschäftigung mit der Säuglingsgesundheit in diesem Ausmaß viel später ein, was im unterschiedlichen Verlauf der Nationalstaatsgründung begründet liegt. Durch die relativ späte Gründung des Deutschen Reiches 1871 gab es keine durchgängige statistische Erfassung und Auswertung der Bevölkerung für diesen Raum.14 Die deutschen Territorien führten jedoch 9 Um 1760 hatte, statistisch gesehen, etwa jede zehnte Person in Schweden Zugang zu einem Exemplar. Vgl. Bengtsson, Barnhälsans historia, S. 105; Ohrlander, Barnet fick en kropp, S. 26; Sundin, Folkhälsa, S. 374. 10 Vgl. Bengtsson, Hotade barnet, S. 22; dies., Barnhälsan, S. 108; Brändström, Spädbarnsdödligheten, S. 9, 238 f.; Lithell, Factors, S. 58; Niemi, Public Health, S. 63; Ohrlander, Barnet fick en kropp, S. 10; Vögele, Säuglingsfürsorge, S. 203 f. Vgl. zu Hebammen: Romlid, Makt; Öberg, Barnmorskan. 11 Vgl. Bengtsson, Barnhälsans historia, S. 82, 88; Blanck, Offentligt, S. 22; B ­ rändström, Infant Mortality; Sundin, Folkhälsa, S. 389 f. 12 Lagercrantz, Fredrik Theodor Berg, S. 9 f.; o. A., Dödligheten hos barn (1898), S. 59. 13 Etzemüller, Rationalizing. Siehe auch: Brändström, Spädbarnsdödligheten, S. 230; ­Johannisson, Mätade samhället; Kälvemark, Country that Kept Track. 14 Vgl. Kintner, Trends, S. 165; Teuteberg/Bernhard, Entwicklung, S. 393; Vögele, Amtliche Statistik, S. 35.

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ihrerseits Statistiken über die Bevölkerungszahlen. Hier zeigen sich, ebenso wie in Schweden, in Bezug auf die Säuglingssterblichkeit große regionale Unterschiede: hohe Todeszahlen im Süden und in Städten, niedrigere im Norden Deutschlands. Diese regionalen Statistiken zeigen ebenfalls einen Zusammenhang zwischen der Ernährungsform und den Überlebenschancen des Säuglings auf. Gestillte Säuglinge hatten bessere Chancen, das erste Jahr zu überleben, als solche, die nicht gestillt wurden. Insofern war diese Verknüpfung auch in Deutschland zu Beginn des 19. Jahrhunderts bekannt, ohne dass ihr jedoch überregional einheitlich begeg­net wurde.15 Die ungefähre Übereinstimmung von hohen Sterblichkeitsraten in überwiegend katholischen Gebieten und niedrigen Zahlen in protestantischen hat zu Spekulationen darüber geführt, inwiefern religiöse Praktiken als Faktor zu werten sind. Die niedrigeren Zahlen im protestantischen Schweden scheinen gut in dieses Schema zu passen. Die Interpretationslage ist jedoch schwierig und verschiedene Forschungsmeinungen stehen sich gegenüber. Korrelationen zwischen der Konfession der Eltern, der Ernährungsweise und der Sterblichkeitsrate sind daher sichtbar, aber die Gründe für diese Zusammenhänge schwer zu eruieren.16 Folglich entstanden bereits während des 19. Jahrhunderts in Schweden und Deutschland von Regierungsseite unterschiedliche Herangehensweisen an die Säuglingsgesundheit. Dies lässt sich an dem Umstand ablesen, dass es in Schweden schon Mitte des Jahrhunderts eine Professur für Kinderheilkunde in Stockholm gab. In den 1870er Jahren folgten Professuren in Uppsala und Lund, die relativ isolierte Zentren der Säuglings- und Kinderpflege in Schweden bis in die 1920er Jahre blieben. Insgesamt nahm die Säuglingspflege innerhalb der medizinischen Profession keine „hoch priorisierte“ Stellung ein und in den 1930er Jahren gab es nur wenige Kinderkrankenhäuser.17 In Deutschland wurde die erste Professur für Pädiatrie 1894 an der Berliner Charité eingerichtet. Anders als in Schweden, wo die Pädiatrie früh staatlich gefördert wurde, gab es in Deutschland lange Auseinandersetzungen über die Einrichtung einer Professur und größere staatliche Involvierung in der Säuglingsfürsorge. In einigen regionalen Zentren im deutschsprachigen Raum, wie Gießen, Wien, Prag, Leipzig, Breslau und Berlin, beschäftigten sich jedoch Chemiker und Kinderärzte seit den 1860er Jahren mit 15 Vgl. Kintner, Trends, S. 172; Knodel/van de Walle, Breast Feeding; Teuteberg/Bernhard, Entwicklung, S. 390; Vögele, Leben, S. 67. 16 Vgl. Imhof, Säuglingssterblichkeit, S. 366 f., 378; Kintner, Trends, S. 172; Matzner-Vogel, Produktion, S. 47; Ohrlander, Barnet fick en kropp, S. 27; Teuteberg/Bernhard, Entwicklung, S. 390; Vögele, Leben, S. 67 f.; Weindling, Health, S. 191. 17 Vgl. Blanck, Offentligt, S. 21, 24; Johannisson, Folkhälsa, S. 140; Weiner, Fattiga barn, S. 62; Zetterström, Svensk pediatrik, S. 3074.

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dem Säuglingskörper und dessen Ernährung.18 Hier lag der Fokus vor allem auf der Erforschung der Ernährung, während in Schweden der Schwerpunkt der kinderärztlichen Tätigkeit in der Ausweitung der Stillaufklärung lag. Die Hebammen spielten in Deutschland erst seit den 1880er Jahren eine Rolle, da seit dem 18. Jahrhundert ihr Handlungsraum zunehmend eingeschränkt worden war, statt dass wie in Schweden in ihre Ausbildung investiert wurde.19 Gleichzeitig mit dem Wissen über die Bevölkerung veränderte sich die Vorstellung vom menschlichen Körper. Nachdem die humoralpathologische Säftelehre jahrhundertelang die dominierende Wissensform über den menschlichen Körper und seine Funktionen darstellte, wurden seit dem 18. Jahrhundert durch Disziplinen wie Anatomie, Pathologie und Chemie, aber auch populäre Wissensformen wie die Hygiene, neue Modelle etabliert. Dabei wurde der männliche erwachsene Körper als Norm entworfen und zum Stellvertreter des Menschlichen per se stilisiert.20 Der kindliche Organismus stellte hierzu eine Abweichung dar. Schon bei Hippokrates wurden dem Kind von Erwachsenen verschiedene Eigenschaften zugeschrieben. Es ähnelte eher dem weiblichen Körper, der ebenfalls eine Abweichung zum männlichen Normkörper darstellte.21 Schon auf Grundlage der humoralpathologischen Lehre konnte dafür argumentiert werden, dass Mütter ihre Kinder selbst stillten, da hier die größte Übereinstimmung der Säfte herrschte. Die ersten Lebensjahre wurden in dieser Sicht durch Krankheit und nicht durch Gesundheit bestimmt – der Körper war noch unvollkommen.22 Diese Einschätzung veränderte sich seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts: Das Kind bekam einen eigenen Körper. Seitdem wurden erste Lehrbücher 18 Vgl. Kintner, Trends, S. 172; Knodel/van de Walle, Breast Feeding; Orland, Wissenschaft, S. 298; Teuteberg/Bernhard, Entwicklung, S. 390. 19 Vgl. Eulner, Entwicklung, S. 206; Weindling, Health, S. 188. Silke Fehlemann schätzt die Situation von Hebammen zum Ende des 19. Jahrhunderts als sehr prekär ein. Sie besaßen „weder gesellschaftliche Anerkennung noch Respekt, geschweige denn ein finanzielles Auskommen. Die materielle Lage der meisten Hebammen – insbesondere der auf dem Lande – sah schlicht und einfach katastrophal aus.“ Fehlemann, Armutsrisiko, S. 265. Siehe auch: Dinges, Paradigmen, S. 11; Labouvie, Beistand in Kindsnöten; Loetz, „Medikalisierung“, S. 140. Zu Hebammen allgemein vgl. Scherzer, Hebammen. 20 Vgl. Bengtsson, Barnhälsans historia, S. 105; Dinges, Paradigmen; Hirdman, Genussystemet; Honegger, Medizinische Deutungsmacht; dies., Ordnung der Geschlechter; Qvarsell, Vårdens idéhistoria, S. 57; Sarasin, Reizbare Maschinen, S. 205. 21 Vgl. Morel, Konzeption, S. 196. Siehe auch Beschreibung des Kindes bei Hufeland 1799, zitiert in: Seidler, Ernährung des Kindes, S. 291. 22 Dementsprechend war die Kinderheilkunde zunächst ebenfalls nur ein Derivat der Erwachsenenmedizin. Vgl. Morel, Konzeption, S. 196; Ohrlander, Barnet fick en kropp, S. 33; Seidler, Kind (1966), S. 87.

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über Kinderkrankheiten verfasst, die nicht mehr lediglich alte Vorstellungen reproduzierten, sondern eigene Erfahrungen und empirische Beobachtungen anboten.23 Besonders hervorzuheben ist hier das Werk des schwedischen Arztes Rosén von Rosenstein von 1764, das europaweit rezipiert und in zehn Sprachen übersetzt wurde. Es war besonders erfolgreich in Deutschland.24 Zudem wurde in Deutschland und Schweden eine Reihe von Institutionen gegründet, die sich speziell der kindlichen Gesundheit widmeten. Diese vereinfachten zudem den Zugriff auf „Menschenmaterial“, das zur weiteren Vermessung der Bevölkerung genutzt werden konnte. So profitierten zu Beginn des 19. Jahrhunderts die anatomischen Institute der medizinischen Fakultäten, u. a. in Berlin und Heidelberg, von der Nähe zu Findelanstalten und Waisenhäusern, um an menschlichen Körpern zu arbeiten.25 Neben der sich langsam herausbildenden Spezialisierung auf Kinder innerhalb der Ärzteschaft waren die organische Chemie und die Physiologie wichtige Akteure in der Neukonzeptionierung des kindlichen Körpers seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Insbesondere die Chemie brachte neue Praktiken in die Untersuchung des Kindes ein, wie das Wiegen und Messen sowie die qualitative und quantitative Analyse der Ausscheidungen, die als Diagnosegrundlage in beiden Ländern genutzt wurde.26 Die Forschungen von Julius Robert Mayer, ­Hermann Ludwig von Helmholtz und nicht zuletzt Justus von Liebigs in den 1840er Jahren stellten Regeln und Grundsätze für den Kraftverbrauch des menschlichen Körpers auf, die sich am Modell eines Kosten-Nutzen-Kalküls orientierten: „Die Nahrung wurde in dieser Sicht zum essentiellen Antriebsstoff des Menschen.“ 27 Liebig prägte dafür den Begriff „Stoffwechsel“. Seine Einteilung der „Nährstoffe“ war maßgeblich für die weitere Forschung zur Säuglingsernährung. Er unterschied nach plastischen (Proteine) und wärmebildenden Stoffen (Fette und Kohlenhydrate).28 Damit begann eine intensive Phase, in der alle Nahrungsmittel auf ihre Bestandteile hin untersucht wurden. 23 Eckart, Das kranke Kind, S. 21. 24 Vgl. Bengtsson, Barnhälsans historia, S. 105; Blanck, Offentlig, S. 21; Eckart, Das kranke Kind, S. 21. Ausführlich: Jägervall, Nils Rosén von Rosenstein. 25 Vgl. Eckart, Das kranke Kind, S. 21; Schulz, „Gang der Natur“, S. 34, 20; Seidler, Kind, S. 86. 26 Vgl. Bynum, Science, S. 96; Gebhardt, „Ganz genau nach Tabelle“; Hungerland, Altersgerechte Entwicklung, S. 141; Morel, Konzeption, S. 199, 205; Schütze, Gute Mutter, S. 19; Schulz, „Gang der Natur“, S. 24; Seidler, Kind, S. 85. 27 Hierholzer, Nahrung, S. 34. Vgl. Orland, Milchpropaganda, S. 922. 28 Liebig, Suppe für Säuglinge (1866), S. 3. Vgl. Hierholzer, Nahrung, S. 34; Hirdman, Magfrågan, S. 87 ff.; Mepham, “Humanizing” Milk, S. 242; Orland, Milchpropaganda, S. 923; Weaver, Emergence, S. 343 f.; ders., “Growing Babies”, S. 325.

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An der intensiven Beschäftigung mit der kindlichen Ernährung lässt sich in beiden Ländern der Übergang von einer „spekulativen Pädiatrie“ 29 hin zu einer auf den Prinzipien der Naturwissenschaften und deren Beobachtungs-, Beschreibungs- und Quantifizierungsmethoden aufbauenden Kinderheilkunde ablesen. Das Labor als Ort der Diagnose und Analyse spielte dabei in Deutschland eine wichtige Rolle.30 Dieser neue „naturwissenschaftlich-mathematische“ Blick führte dazu, dass für das Kindesalter eigene Normen aufgestellt wurden.31 Das Erwachsenenalter war nicht länger der Maßstab für die Gesundheit des Kindes, sondern „[d]er sezierende Blick zergliederte die frühe Kindheit in einzelne Abschnitte und produzierte ein Gerüst von normativen Entwicklungsstadien“.32 Seit den 1850er Jahren war das Bild der Dampfmaschine eine wirkmächtige Metapher für die Betrach­tung des menschlichen Körpers. Physiologen konzipierten den kindlichen Körper als Motor, der mit Milch befeuert werden musste. Der kindliche Körper wurde zu einer „reizbaren Maschine“.33 Wenn die Mutter das Kind stillen konnte, wurde im späten 18. und im 19. Jahrhundert selten regulierend eingegriffen. Als Problem wurden zunächst die ungestillten Kinder identifiziert, die mit unzureichender Nahrung versorgt wurden.34 In diesem Setting – zwischen statistischem Büro, Labor und Klinik – wurden die Grundlagen für eine wissenschaftliche Beschäftigung mit der Säuglingsernährung gelegt. Deutschland nahm in der Ernährungsforschung eine Vorreiterrolle ein, während in Schweden weniger eigenständige Forschung in diesem Bereich stattfand. Das nächste Unterkapitel wird untersuchen, wie die ersten ernährungswissenschaftlich fundierten Rezepte für Säuglingsnahrung aussahen und wer sie herstellte.

29 Manz/Manz/Lennert, Stillempfehlungen, S. 574 f. 30 Vgl. Bynum, Science; Ballabriga, Century, S. 3; Hierholzer, Nahrung, S. 35; Manz/Manz/ Lennert, Stillempfehlungen, S. 574 f.; Seidler, Ernährung des Kindes, S. 294; Weaver, “Growing Babies”, S. 325. Zum Labor als „epistemische Institution“ vgl. Sarasin/Tanner, Einleitung, S. 18 f. 31 Seidler, Ernährung des Kindes, S. 294. Siehe auch: Fuhs, Körper, S. 51; Morel, Konzeption, S. 205; Nützenadel, Ernährung, S. 193; Orland, Wissenschaft, S. 30. 32 Schulz, „Gang der Natur“, S. 22. 33 Sarasin, Reizbare Maschinen. Vgl. Orland, Milchpropaganda, S. 922; Weaver, Emergence, S. 342. 34 Vgl. Seidler, Ernährung des Kindes, S. 292 f.; Teuteberg/Bernhard, Entwicklung, S. 384.

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1.1.2 Vom Labor in die Kinderstube?

Das Vorbild und der Maßstab der Flaschennahrung für Säuglinge war die „natürliche“ Muttermilch.35 An dieser musste sich die Flaschennahrung im Wortsinne „messen“ lassen. Der folgende Abschnitt geht der Frage nach, wie erste Flaschennahrungsmischungen entstanden und welche Rezepte den Übergang von Labor und Klinik in den Alltag der Kinderstube erfolgreich meisterten. In einem Punkt schienen die Bevölkerung und die medizinische Fachwelt übereinzustimmen: Kinder vertrugen unverdünnte Tiermilch nicht. Auch in der Bevölkerung war es nicht üblich, dem Kind unverdünnte Milch zu verabreichen.36 Warum Kinder Kuhmilch in Reinform nicht vertrugen, wurde jedoch erst im 19. Jahrhundert zu einer wissenschaftlich zu bearbeitenden Frage. Messungen über die Zusammensetzung von Kuh- und Muttermilch sowie der Versuch, deren Unterschiede auszubalancieren, waren der Dreh- und Angelpunkt der Beschäftigung mit Säuglingsernährung in den 1860er bis 1880er Jahren. Die im Labor gewonnenen Resultate waren grundlegend für die Herstellung von Ähnlichkeit zwischen den beiden Milchsorten. Die enge Verknüpfung zwischen Chemie und Kindermedizin zeigt sich in dem Umstand, dass das erste erfolgreiche Rezept für Säuglingsernährung von Justus von Liebig entwickelt und auf den Markt gebracht wurde. Liebig selbst erklärte seine Motivation anekdotenhaft und auf die Erfahrungen in seiner eigenen Familie bezogen. Er habe die „Suppe für Säuglinge“ entwickelt, da „einer meiner Enkel von seiner Mutter nicht ernährt werden konnte, und ein zweiter neben der Milch seiner Mutter noch einer concentrierten Speise bedurfte“.37 Die „Suppe für Säuglinge“ entwickelte er auf Grundlage seiner Stoffwechseltheorie sowie auf seinen eigenen und Julius Haidlens Analysen von Mutter- und Kuhmilch. Liebig beschäftigte sich vor allem mit der Angleichung der Kohlenhydrate. Eine gängige Praxis in der Bevölkerung war es, Kinder mit Mischungen aus Mehl und Milch zu ernähren.38 Unter Ernährungsexperten scheint es eine „altbekannte Tatsache“ 39 gewesen zu sein, dass Kinder diese Mehlbreimischungen nicht gut vertrugen. Den Grund für die ­Unverträglichkeit 35 Vgl. Vögele/Martin/Rittershaus, Infant Nutrition, S. 125. 36 Vgl. Kintner, Trends, S. 168; Thoms, Säuglingssterblichkeit, S. 62. 37 Liebig, Suppe für Säuglinge (1866), S. 11. Siehe auch: Liebig, Neue Suppe (1865). Vgl. Orland, Wissenschaft, S. 295. 38 Justus von Liebig hatte Haidlen zu dieser Analyse ermuntert. Vgl. Haidlen, Ueber die Salze (1843); siehe auch: Kintner, Trends, S. 164; Orland, Milchpropaganda, S. 922; dies., Wissenschaft, S. 295 f.; Thoms, Säuglingssterblichkeit, S. 62. 39 Orland, Wissenschaft, S. 295; dies., Motherhood, S. 134 f.

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sah Liebig darin, dass Mehl weniger Alkali als Muttermilch enthielt und so eine saure Reaktion im Magen auslöste, die zu Verdauungsstörungen führte. Dadurch, dass Malz und Alkali zugesetzt wurden, wurde dem kindlichen Körper die Verdauung erleichtert.40 Liebigs Nahrung strebte vor allem danach, das Verhältnis von wärme- und blutbildenden Stoffen auszugleichen und dabei saure Reaktionen im Magen des Kindes zu vermeiden. Jeden einzelnen Stoff nachzubilden war nicht sein Anliegen. Liebigs Nahrung war eine der ersten Rezepturen, die überregionale Bedeutung erlangten und selbst im Ausland verkauft wurden. So fand die Nahrung auch in Schweden Verwendung. Der prominente Name ihres Erfinders war daran wahrscheinlich nicht unwesentlich beteiligt.41 Justus von Liebig vertrieb dabei lediglich die Rezeptur, erst sein Sohn Hermann verkaufte seit 1872 eine fertige Extraktmischung. Nachdem sie zunächst in flüssiger Form angeboten wurde, kam sie später in Pulverform auf den Markt, da Pulver länger haltbar war. Doch zu diesem Zeitpunkt hatten andere Milchmischungen bereits eine führende Stellung übernommen.42 Die Erzeugung war, insbesondere durch die Herstellung des Malzes, sehr aufwendig und konnte zu Hause wohl nur selten so durchgeführt werden, wie Liebig dies vorsah. Sie war aufgrund ihrer hohen Kosten und der räumlichen Voraussetzungen wohl überhaupt nur in den K ­ üchen der höheren Bevölkerungsschichten zu finden. Liebig war der erste, der sein Körperwissen in ein Rezept und auch in eine Flaschennahrung übersetzte. Die Übersetzung vom Labor in die Kinderstube gelang Liebigs Rezeptur jedoch aufgrund ihrer komplizierten Handhabung nicht vollständig und auch nicht auf Dauer. Ein zweites frühes Rezept für Säuglingsnahrung entwickelte der Gießener Kinderarzt Philipp Biedert. Die Herangehensweise an eine Säuglingsnahrung auf der Basis von Kuhmilch wurde von Biedert entscheidend mitgeprägt. Er war einer der ersten Kinderärzte in Deutschland, die sich systematisch mit der Ernäh­rung beschäftigten. Seine Rezeptur baute auf intensiven Studien zu den chemischen Unterschieden von Frauen- und Tiermilch auf, worüber Biedert seine D ­ issertation 40 Vgl. Czerny, Pädiatrie (1939), S. 70 f.; Högberg, Svagårens barn, S. 120; Orland, Wissenschaft, S. 295. 41 Kurz vor Liebig hat ein Engländer namens Ridge ebenfalls eine Säuglingsnahrung als Patent angemeldet. Liebig hielt diese Nahrung jedoch nicht für nützlich, da sie keine Milch enthielt, vgl. Apple, Mothers, S. 194 f. Vgl. Hedenius, Kolenhydratens ställning (1901/1902), S. 322; Peiper, Chronik (1992), S. 454; Ribbing, Fostran (1916), S. 69 f.; Vögele/Martin/Rittershaus, Infant Nutrition, S. 125; Wickes, History of Infant Nutrtion IV , S. 421 f. 42 Vgl. Peiper, Chronik (1992) S. 454; Radbill, Infant Feeding, S. 619; Thoms, Säuglingssterblichkeit, S. 64; Vögele/Martin/Rittershaus, Infant Nutrition, S. 125 f.

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angefertigt hatte.43 Er ging im Anschluss daran davon aus, dass alle chemisch nachweisbaren Teile der Kuhmilch denen der Muttermilch angepasst werden müssten. Ansonsten bestünde die Gefahr, dass ein „schädlicher Nährrest“ entstand, der durch eine zu hohe Dosierung von Mehl oder Kasein hervorgerufen werden konnte. Diese Reste könnten dann gefährliche Stoffe im Darm bilden, die zu Ernährungsstörungen führten.44 Anders als Liebig sah er die größten Probleme in der Beschaffenheit des Eiweißes Kasein. Aus seinen Messungen hatte sich ergeben, dass Frauenmilch weniger Kasein und mehr Zucker als Kuhmilch enthielt.45 Biedert war davon überzeugt, einen angemessenen Weg gefunden zu haben, dieses Defizit auszugleichen. Er erhöhte den Fettgehalt der Mischung, indem er Rahm statt Milch benutzte, die er dann wiederum mit Wasser verdünnte und mit Milchzucker vermischte. Das Rezept kam als Biederts Rahmgemenge 1866 auf den Markt. Es war im Haushalt jedoch kaum möglich, diese Nahrung zuzubereiten, sondern sie wurde, ebenso wie Liebigs Suppe, von Apotheken hergestellt. Dennoch blieb das Rezept länger als Liebigs in Gebrauch. Die Zubereitung des Rahmgemenges wurde deutlich vereinfacht, seit es ab 1874 in Konserven verpackt verkauft wurde. Deren Inhalt musste nur mit frischer Milch und Wasser vermischt werden. 1892 wurde der Name in Biederts Ramogen geändert. Das Produkt war auch in Schweden bekannt und wurde bis in die 1940er Jahre in Deutschland verkauft.46 Biederts Grundannahme der Verschiedenheit von Frauen- und Kuhmilch­ kasein wurde seit den 1880er Jahren zunehmend kritisiert und durch neue Ergeb­nisse ersetzt.47 Der schwedische Chemiker Olof Hammarsten legte in den 1880er Jahren mit seinen physiologisch-chemischen Untersuchungen dann den 43 Biedert, Untersuchungen über die chemischen Unterschiede (1869). Siehe auch: Bessau, Problem (1938), S. 3. 44 Biedert, Kinderernährung (1897), S. 185. 45 Erste Messungen wurden von J. F. Simon in den 1830er und 1840er Jahren durchgeführt und durch Biederts Messungen bestätigt. Vgl. Thoms, Säuglingssterblichkeit, S. 63; Wickes, History of Infant Feeding III , S. 335. Siehe auch: Czerny, Pädiatrie (1939), S. 42 f. 46 Vgl. Erlaß des Reichsministers für Ernährung und Landwirtschaft über die Abgabe von Kindernährmitteln vom 08. März 1940, S. 410 f.; Freund, Artificiell föda (1897), S. 86; ­Nießen, Säuglingsernährung, S. 38; Orland, Wissenschaft, S. 297; dies., Motherhood, S. 137; Ribbing, Fostran (1916), S. 69 f. 47 Bei dieser Kritik ging es nicht nur um die unterschiedlichen Ergebnisse in der Zusammensetzung. Die Auseinandersetzung zwischen deutschen, französischen und US -amerikanischen Forschern wurde durch die variierenden Messungsmethoden bestimmt. Diese boten viel Raum, um die Ergebnisse der anderen zu diskreditieren. Vgl. Mepham, “Humanizing” Milk, S. 227 f.; Czerny/Keller, Des Kindes Ernährung (1906), S. 505; Czerny, Pädiatrie (1939), S. 42 f.; Thoms, Säuglingssterblichkeit, S. 63; Wickes, History of Infant Feeding III , S. 335.

Verwissenschaftlichung der Säuglingsernährung (Ende 18. Jahrhundert bis 1880er Jahre)  |

­ rundstein für einen Konsens in der Fachwelt. Er hatte in seinem Labor in UppG sala zusammen mit seinen Mitarbeitern viel eigene Forschung geleistet, die auch in Deutschland positiv rezipiert wurde.48 Biedert erkannte Hammarstens Ergebnisse erst mit Verspätung an, weil er nur widerstrebend von seiner eigenen, mit viel Einsatz vertretenen Theorie abrücken konnte. Trotz der Widerlegung seiner Grundannahme gelang es Biederts Rezept nach der Übergabe in die Fabrikproduktion, den Weg vom Labor in die Kinderstube zu finden und dort bis in die 1940er Jahre zu verweilen. Die erfolgreichste Nahrung des späten 19. Jahrhunderts wurde jedoch nicht von einem anerkannten Wissenschaftler hergestellt, sondern von dem deutschen Kaufmann und Apotheker Heinrich Nestlé, der sich in der Schweiz niedergelassen hatte. Er verkaufte sein Produkt Nestlés Kindermehl seit 1868 in der Schweiz und in Frankfurt am Main.49 Liebigs Rezept diente Nestlé als Vorlage, wobei er durch die Kombination verschiedener technischer Prozesse und wissenschaftlicher Erkenntnisse ein völlig neues Produkt herstellte. Neue Techniken der Milchkonservierung und -trocknung, die vor allem aus den USA in die Schweiz und später auch nach Deutschland gelangten, hatten diese Form der Zubereitung möglich gemacht.50 Nestlé beschrieb den Vorgang folgendermaßen: „Die Grundlage meines Kindermehls ist die gute Schweizer Milch, die mittels einer mit Luftdruck arbeitenden Pumpe bei niedriger Temperatur konzentriert wird, wobei die ganze Frische der warmen Milch erhalten bleibt.“ 51 Ein Grund für seinen schnellen Erfolg war wahrscheinlich der Umstand, dass seine Nahrung nicht mit Milch, sondern mit Wasser angemischt werden konnte. Für Nestlés Nahrung war durch die industrielle Produktion und die Reduktion vieler Arbeitsschritte der Übergang vom Labor in den Haushalt erleichtert worden.52 Auf Grundlage dieser Nahrung konnte Nestlé in der Schweiz ein florierendes Nahrungsmittelimperium aufbauen, das schon im 19. Jahrhundert seine Produkte in viele europäische Länder exportierte.53 Nestlé selbst hatte bereits 48 Vgl. Biedert, Kinderernährung (1897), S. 68; Czerny/Keller, Des Kindes Ernährung (1906), S. 422; Hammarsten, Lösligt och olösligt kasein (1875/1876); ders., Några ord om olikheterna (1894/1895); Alén, Analyser i qvinnomjölk (1893/1894); Mepham, “Humanizing” Milk, S. 232. 49 Vgl. Heer, Weltgeschehen, S. 44; Peiper, Chronik (1992), S. 454. 50 Vgl. Klebe/Schadewaldt, Gefäße (1955), S. 39; Peiper, Chronik (1992), S. 453; Pfiffner, Henri Nestlé, S. 61 f., 67; Radbill, Infant Feeding, S. 619; Teuteberg/Bernhard, Entwicklung, S. 405. 51 Heer, Weltgeschehen, S. 38. Vgl. Orland, Wissenschaft, S. 299. 52 Zitiert in: Pfiffner, Henri Nestlé, S. 65. 53 Vgl. Apple, Mothers, S. 9; Gholamiasllari, Geschichte (1975), S. 14 f. Wann genau Nestlés Kindermehl zum ersten Mal in Schweden angeboten wurde, war nicht möglich zu rekon­ stru­ieren. Die früheste schwedische Quelle: Nestlé, Om barnets föda (1876); Reklame in

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in der Entwicklungsphase mit anderen Unternehmen zusammengearbeitet und bald ein großes Netzwerk von Fabriken aufgebaut, die alle das gleiche Produkt unter seinem Namen herstellten. Es wurde immer in der gleichen Verpackung geliefert und hatte ein leicht wiedererkennbares Logo: ein Vogel mit Küken im Nest. Es war damit eines der ersten Produkte, die eine Markenbildung und ein Corporate Design profilierten. Nestlé hatte sich außerdem darum bemüht, sein Produkt unter Ärzten bekannt zu machen, indem er Proben und Broschüren verschickte.54 Gleichzeitig wurde die Reklame in verschiedenen Magazinen auch an Mütter gerichtet, weil Nestlé der Meinung war: ‚[M]others will do my publicity for me.“ 55 Dies verweist auf die Bedeutung der Wissensverbreitung durch LaiInnen, die im Kapitel 3 noch näher untersucht wird. Dieser Hinweis zeigt zudem, dass Wissen um die Flaschennahrung nicht allein in Kliniken und Laboren produziert und verbreitet wurde, sondern auch die VerbraucherInnen einen großen Anteil daran hatten, ob eine Flaschennahrung erfolgreich war, ­indem sie ihre guten oder schlechten Erfahrungen mit Familienmitgliedern und FreundInnen teilten. Vermutlich durch den Erfolg Nestlés angeregt, drangen eine ganze Reihe von Kindermehlen und Säuglingsnahrungen auf den Markt. Häufig entstanden Säuglingsnahrungsfirmen in Kooperation mit bereits bestehenden Molkereien, die einen weiteren Absatzmarkt für ihre Milch suchten. Diese orientierten sich zumeist an den Prinzipien von Biedert und/oder Liebig, entwickelten sie weiter oder modifizierten sie. Das betraf etwa die Art der Herstellung: Gustav Gärtner setzte eine Zentrifuge ein, um eine Fettmilch herzustellen;56 um die Größe des Kaseins der Kuhmilch demjenigen der Muttermilch anzupassen, wurden verschiedene vorverdauende Substanzen zugegeben, wie Pepsin, Trypsin oder Lab.57 Das späte 19. Jahrhundert war insgesamt eine Zeit, in der die Zahl der industriellen Produkte, die auf der Grundlage vorrangig chemischen Wissens produziert wurden, sprunghaft anstieg. 1912 waren über 100 Flaschennahrungsprodukte auf dem deutschen Markt zu finden.58

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­Schweden in der Hebammenzeitschrift Jordemodern von März bis Dezember 1910; Vidal, Om barnets vård och näring [1920]. Vgl. Lithell, Små barn, S. 112; Orland, Wissenschaft, S. 299; Pfiffner, Henri Nestlé, S. 65 f. Zit. nach: Apple, Mothers, S. 11 f. Vgl. Mepham, “Humanizing” Milk, S. 237; Nießen, Säuglingsernährung, S. 39; Vögele/Martin/ Rittershaus, Infant Nutrition, S. 128. Vgl. Langstein, Ernährung (1902); Nützenadel, Ernährung, S. 199; Peiper, Chronik (1992), S. 454. Vgl. Krasselt/Scherbaum/Tönz, Muttermilch-Ersatzprodukte, S. 18; Orland, Darmkontrolle, S. 30; Peiper, Chronik (1958), S. 267; Teuteberg/Bernhard, Entwicklung, S. 405.

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Biedert und der einflussreiche Düsseldorfer Kinderarzt Arthur Schloßmann kritisierten diese Produkte scharf, da sie vermuteten, die Hersteller wollten sich vor allem bereichern. Biedert selbst hatte immer darauf bestanden, keinen persönlichen Gewinn aus seinen Produkten zu ziehen, sondern im Namen der Säuglingsgesundheit zu handeln.59 Anstatt die Gesundheit der Kinder zu fördern, führten solche Produkte lediglich zu Ernährungsstörungen und damit potentiell zum Tod der Kinder. Die Rolle der Hebammen in der Verbreitung von Flaschennahrung wurde ebenfalls kritisiert. So zahlte etwa die Firma Backhaus drei Mark Prämie, wenn die Hebamme die Mutter davon überzeugen konnte, ihr Kind mit dieser Milch zu ernähren. Der Vorwurf richtete sich gleichzeitig an die Industrie, die Hebammen mit „Gratifikationen“ bestechen würden. Besonders kritisch sahen Ärzte die Reklame der Produzenten selbst, die häufig ein gesundes Aufwachsen des Kindes bei Nutzung der eigenen Produkte versprach.60 Die neuen Produkte vereinfachten den Herstellungsprozess der Flaschennahrung und machten damit potentiell die Expertise von Kinderärzten überflüssig. Die Kinderärzte mussten ihren Status als Experten, die sich als einzige mit dem Wohlergehen des Kindes auskannten, verteidigen. Es gab bis ins 20. Jahrhundert hinein keine besonderen Vorgaben, die die Herstellung von Säuglingsnahrung regulierten.61 Dies mag u. a. daran liegen, dass sich selbst die Fachwelt noch nicht auf alle Inhaltsstoffe einigen konnte und es lediglich einen Minimalkonsens gab. Die Kommerzialisierung der Flaschennahrung führte jedoch dazu, dass sich die Ärzte systematischer mit der Ernährung des Säuglings auseinandersetzten. Bis in die 1890er Jahre hatten nur wenige Kinderärzte in Deutschland selbst Ernährungsforschung betrieben. Innerhalb weniger Jahre wurde die Forschung weiter ausgebaut und brachte eine Reihe neuer Erkenntnisse in die Säuglingsernährung ein.62 Auch in Schweden wurde die richtige Zubereitung von Säuglingsnahrung diskutiert und die gleichen Probleme wie in Deutschland identifiziert: Größe der Eiweißkörper, richtige Verdünnungsmenge und -flüssigkeit.63 Anders als in 59 Vgl. Biedert, Kinderernährung (1897), S. 192. Siehe auch: Peiper, Chronik (1992) S. 461; Vögele/Martin/Rittershaus, Infant Nutrition, S. 132. Eine der seltenen Empfehlungen von Nestlés Kindermehl findet sich bei Freund, Artificiell föda (1897), S. 88, der festhielt, die Zusammensetzung des Kindermehls stünde „nicht vollkommen den wissenschaftlichen Forderungen entgegen“. 60 Vgl. Czerny, Pädiatrie (1939), S. 40 f.; Fehlemann, Armutsrisiko, S. 268; Vögele, Sozial­ geschichte, S. 313; Langstein, Bevölkerung (1911), S. 18. 61 Vgl. Orland, Wissenschaft, S. 297. Zeitgenössisch: Biedert, Kinderernährung (1897), S. 207; Camerer, Stoffwechsel und Ernährung (1910), S. 224. 62 Vgl. Orland, Motherhood, S. 141; dies., Wissenschaft, S. 301. 63 Vgl. o. A., Qvinnomjölk och komjölk (1889), S. 173 f.

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Deutschland wurden jedoch keine eigenen Produkte hergestellt oder Rezepte verkauft, sondern vor allem Nahrungsmittel aus Deutschland oder Großbritannien importiert. Das britische Mellin’s Food wurde in vielen Magazinen angepriesen. Dieses Nährmittel basiert auf Liebigs Rezeptur und wurde von dem englischen Apotheker Gustav Mellin Ende der 1860er Jahre entwickelt.64 Die Flaschennahrung gelangte erst in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts zu umfassenderer Bedeutung. Zuvor lag der Fokus der schwedischen Kinderärzte viel stärker darauf, zum Stillen zu animieren. Einige verweigerten sogar Aussagen über die Zubereitung von Flaschenmilch in ihren Texten.65 Diese Phase in der Säuglingsernährung zeichnete sich dadurch aus, dass die Akteure versuchten, bestimmte Bestandteile der Kuhmilch denjenigen der Muttermilch möglichst genau anzugleichen. Die Ähnlichkeit konnte dabei auf verschiedenen Wegen hergestellt werden und orientierte sich an der jeweils bekannten chemischen Zusammensetzung der Muttermilch. Die ersten Rezepte waren umständlich herzustellen, da sie versuchten, diesem Maßstab gerecht zu werden. Darunter litten die Möglichkeiten, sie zu Hause zuzubereiten. Sie in Apotheken zu kaufen, überstieg jedoch die finanziellen Möglichkeiten großer Bevölkerungsgruppen. So kamen die in der Fachwelt anerkannten Rezepte vorrangig den privilegierten und wohlhabenden Bevölkerungsschichten zugute. Auch wenn sich ihre genaue Verbreitung nicht eruieren lässt, wurde der industriellen Flaschennahrung große Bedeutung für das Ernährungsverhalten von Müttern zugesprochen. Die Flaschennahrung veranlasste also neue Akteure zum Handeln und schuf die Voraussetzungen für ein weiteres Bearbeiten der bestehenden Rezepten und Produkte. 1.1.3 Gummi und Glas als neue Materialien für Säuglingsflaschen

In diesen bisher skizzierten Diskussionen wurde ein Faktor in der Säuglingsernährung noch nicht aufgegriffen, der sich ebenfalls seit der Mitte des 19. Jahrhunderts stark wandelte: Wie sollte die neu hergestellte Nahrung dem Säugling überhaupt verabreicht werden? 64 Apple, Mothers, S. 10; Brembeck u. a., Konsumerande barnet, S. 35; Lithell, Små barn, S. 113 f.; o. A., Qvinnomjölk och komjölk (1889), S. 173 f.; Vögele/Martin/Rittershaus, Infant Nutrition, S. 128. Werbung, Mellin’s Food, in: Jordemodern 8 (1895), S. 213. Es folgen Annoncen für Mellin’s Food in allen Ausgaben des Jahres 1896. In Eira. Tidskrif för helso- och sjukvård fand sich 1900 zudem Werbung für Allenburys Food, eine Fettmilch, vgl. dazu Mörner, Notis (1900/1901). 65 Vgl. Högberg, Svagårens barn, S. 120; Lithell, Små barn, S. 113; Wretlind, Dibarnets sjukdomar, S. 153.

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Abb. 2: Ein schwedisches Saughorn (dihorn), das im 19. Jahrhundert weit verbreitet war.

Bis zum Ende des 19. und Beginn des 20. Jahrhunderts herrschten eine große Metho­denpluralität und örtliche Variationen.66 Neben der Ernährung direkt am Euter lebender Tiere konnte die Nahrungsgabe mit so unterschiedlichen Utensilien wie Löffeln, Gläsern, Tassen, Näpfen, Krügen, Schalen und Schiffchen bewerks­telligt werden. Flaschenähnliche Trinkgefäße waren seit dem 17. Jahrhundert vorwiegend aus Zinn oder anderem Metall, zuvor vorrangig aus Horn oder Holz gefertigt. Die Saugflasche aus Glas kam ab Ende des 18. Jahrhunderts in Benut­zung.67 Auch bei den Glasflaschen gab es noch große Unterschiede, da sie noch keine Massenprodukte waren, sondern speziell für einzelne Familien hergestellt wurden. Sie waren daher wahrscheinlich nur in gehobeneren Schichten verbreitet, da sie schwer herzustellen und damit kostspielig waren. Diese ­Glasflaschen 66 Ausführliche Übersichten verschiedener Gefäße finden sich bei Brüning, Geschichte (1908); Fildes, Breasts; Klebe/Schadewaldt, Gefäße (1955); Peiper, Chronik (1992), S. 449. 67 Vgl. Bókay, Geschichte (1922), S. 282; Brüning, Geschichte (1908), S. 91; Peiper, Chronik (1958), S. 337.

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wurden zunächst von der medizinischen Profession als Fortschritt betrachtet, kamen aber gegen Ende des 19. Jahrhunderts zunehmend unter ­Beschuss, da sie durch die vorherrschende konische Form und die aufwendigen Verzierungen schwer zu reinigen und teilweise scharfkantig waren.68 In Schweden war während des 18. und 19. Jahrhunderts die Ernährung mit einem sog. dihorn (Saughorn) besonders weitverbreitet (Abb. 2). Es bestand aus einem Kuhhorn mit einem Stoffsauger, das mit Kuhmilch gefüllt und über die Wiege gehängt wurde. Neben dem Flaschenkörper veränderte sich die Saugvorrichtung an der Flasche seit Mitte des 19. Jahrhunderts. Die bis dahin üblichen Sauger waren aus Ton, Elfenbein, Glas, Holz, Horn, Porzellan oder Metallen. Diese konnten aber zu Verletzungen des Mundraumes führen. Alternativ wurden Sauger aus Schwämmen und Tüchern oder Kork, teilweise auch aus Tierzitzen angefertigt. In diesen weichen Materialien konnten sich leicht Keime und Bakterien bilden.69 Mit der Erfindung der Vulkanisation von Kautschuk durch den US -Amerikaner Charles Goodyear 1839 wurde der neue Stoff Gummi ebenfalls für die Säuglingsernährung relevant. 1845 meldete der US -Amerikaner Elija Pratt das erste Patent für einen Gummisauger an, bald gab es eine Reihe weiterer Patentanträge.70 Um 1870 hatten die Gummisauger dann in Deutschland weite Verbreitung gefunden. Allerdings wurden sie nicht, wie heute üblich, über den Flaschenhals gestreift, sondern an einem langen Rohr aus Glas oder Metall oder einem langen Schlauch angebracht, an dem die Kinder saugen konnten (Abb. 3). Wann dieser sog. Rohrflaschentyp entstanden ist, kann nicht genau nachvollzogen werden. Er kam wahrscheinlich spätestens seit 1840 in Gebrauch und gelangte ab 1867 zunächst in den französischen Handel. Dem Anschein nach war diese Art der Saugflasche gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Deutschland sehr verbreitet und breitete sich bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts noch weiter aus.71 Dem Gummisauger wurde medizinhistorisch bereits eine herausragende Bedeutung für die Veränderung der Ernährungspraktiken bescheinigt. Dieter Klebe und Hans Schadewaldt, die 1955 eine umfassende Aufzeichnung der Kindertrinkgefäße seit der Antike vorlegten, bezeichnen den Gummisauger als einen „entscheidende[n] Fortschritt“ in der Säuglingsernährung.72 Die Kinderärztin 68 Brüning, Geschichte (1908), S. 103, 114; ders., Kindersaugflaschen (1908), S. 328. 69 Brüning, Geschichte (1908), S. 103; vgl. Klebe/Schadewaldt, Gefäße (1955), S. 36 – 38; Peiper, Chronik (1958), S. 337, 447; Wickes, History of Infant Feeding IV , S. 421. 70 Vgl. o. A., Zeittafel der Kautschukgeschichte, S. 371 f.; siehe auch: Bullough, Bottle Feeding, S. 258; Baumslag/Michels, Milk, S. 138; Klebe/Schadewaldt, Gefäße (1955), S. 38; Peiper, Chronik (1992), S. 447; Weber, Schnuller (1969), S. 11; Wickes, History of Infant Feeding IV , S. 421. 71 Vgl. Klebe/Schadewaldt, Gefäße (1955), S. 38; Stürzbecher, Kindersaugflasche (1959), S. 75. 72 Klebe/Schadewaldt, Gefäße (1955), S. 38.

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Abb. 3: „Milchflasche und Sauger“, Beispiele für unerwünschte Flaschenmodelle im sog. Hygieneatlas, Tafel 68 (1918).

Eleonore Hering bescheinigt dem Gummisauger in ihrer Dissertation von 1964 ebenfalls, er habe die Verabreichung der Milch so vereinfacht, „daß man sich nun viel leichter zur künstlichen Säuglingsernährung entschloss“.73 Der US -amerikanische Medizin- und Sexualitätshistoriker Vern L. Bullough spitzte diese These noch weiter zu: „[T]he major reason for the change to cow’s milk from breast feeding is the development of the rubber nipple and the new feeding methods made possible by this technological innovation.“ 74 Der Gummisauger habe sogar dazu beigetragen, dass Frauen traditionelle Rollenmodelle durchbrechen konnten. Dies hing jedoch nicht zuletzt damit zusammen, dass die Flaschennahrung in den USA in den 1970er Jahren große Anerkennung in der Pädiatrie gefunden hatte.75 Ende des 19. Jahrhunderts waren sich die Experten allerdings über die Brauchbarkeit dieses neuen Saugers uneinig.76 Aus akteur-netzwerk-theoretischer Sicht ist es ebenfalls zweifelhaft, dass ein einzelner Akteur allein für eine so ­grundlegende 73 74 75 76

Hering, Problematik (1964), S. 11. Bullough, Bottle Feeding, S. 257. Vgl. ders., Technology. Vgl. Bullough, Technology, S. 59 f. Vgl. Brüning, Geschichte (1908), S. 119; Hering, Problematik (1964), S. 11 f.; Wickes, History of Infant Feeding IV , S. 421.

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Veränderung verantwortlich war. Vielmehr war es – wie die kommenden Unterkapitel noch zeigen werden – das Zusammenwirken verschiedener neuer Akteure und Wissensbestände, die dazu führten, dass die Flaschennahrung tatsächlich auch die Rollenverteilung zwischen Müttern und Vätern in Frage stellten konnte (vgl. 1.4.4). Zwischenfazit

Mit Bevölkerungsvermessung und Bevölkerungspolitik einerseits, der Vermessung und Normierung des kindlichen Körpers andererseits waren seit dem Ende des 18. Jahrhunderts neue Wissensgrundlagen geschaffen worden, um die Säuglingsernährung zu systematisieren. Hinzu kam die Analyse unterschiedlicher Lebensmittel, darunter der Muttermilch und Kuhmilch durch Lebensmittel­ chemiker und Physiologen. Für Kinder, die nicht gestillt werden konnten, wurde nun eine Nahrung hergestellt, bei der die Kuhmilch so manipuliert wurde, dass sie den bekannten chemischen Eigenschaften der Muttermilch ähnelte. Der Chemiker Justus von Liebig, der Kinderarzt Philipp Biedert und der Apotheker Heinrich Nestlé stellten ihre jeweils eigenen Versionen einer solchen Nahrung her. Nestlé gelang die Übersetzung vom Labor in die Kinderstube besonders gut, Biedert nur eingeschränkt und Liebig scheiterte letztlich an dem Vorhaben. Nestlés Nahrung ließ sich sehr einfach zubereiten und verkaufte sich außerordentlich gut. Ähnliche Produkte wurden bald auch von anderen Produzenten auf den Markt gebracht. Die alltäglichen Praktiken der Ernährung in der Bevölkerung konnten sich durch diese Erfindungen in der wissenschaftlichen Sphäre noch nicht grundlegend ändern. Die naturwissenschaftlich basierte Säuglingsernährung war zu diesem Zeitpunkt vor allem ein bürgerlich-medizinischer Diskurs und konnte nur von den entsprechenden AkteurInnen praktiziert werden. Die Produkte waren aufgrund ihrer hohen Kosten Luxusprodukte und nicht allen zugänglich – genausowenig wie das Wissen über ihre Benutzung. In beiden Ländern wurde daher nach wie vor das Stillen als wirksamste Methode gegen die Säuglingssterblichkeit propagiert. Diese wissenschaftlichen Erkenntnisse materialisierten sich seit den 1850er Jahren in neuen Nahrungsprodukten, die mit einer neuen Form von Flasche und Sauger kombiniert werden konnten. Diese Kombination aus neu definiertem Säuglingskörper, „naturwissenschaftlicher“ Säuglingsnahrung sowie Glasflaschen und Gummisaugern barg zu Beginn des 20. Jahrhunderts das Potential, durch ihre Weiterentwicklung den Konnex von Säuglingsflasche und Tod zu entkoppeln. Um die Flaschennahrung als legitime Alternative zur Muttermilch zu etablie­ ren, mussten weitere Komponenten eingeführt oder verändert werden. Die

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­ ntdeckung der Bakterien und die Definition der Kalorien, aber auch die Weiter­ E entwicklung und Massenproduktion von Glasflaschen, Saugern und Sterilisationsapparaten seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts stellten sich hierbei als zentral heraus. Auf diese Akteure wird das folgende Unterkapitel näher eingehen.

1.2 Säuglingsernährung als öffentliches Problem (ca. 1880 – 1918) Sowohl in Deutschland als auch in Schweden erstarkte zum Ende des 19. Jahrhunderts das Interesse an der Säuglingsgesundheit, was zu einer intensivierten Beschäftigung mit der Ernährungsfrage führte. Dreh- und Angelpunkt war, wie in den vorherigen Jahren auch, die Säuglingssterblichkeit. Die Höhe der Säuglingssterblichkeit war um 1900 zu einem Maßstab nationaler Stärke avanciert. Das Deutsche Kaiserreich sah sich aufgrund der hohen Zahlen, insbesondere gegenüber den Rivalen aus Frankreich und Großbritannien, in einer schlechten Position, was nicht dem nationalen Selbstverständnis als Vormacht entsprach.77 Schweden, das zu diesem Zeitpunkt Teil der europäischen Peripherie war, hingegen konnte eine der niedrigsten Sterblichkeitsraten der europäischen Staaten verzeichnen. Dort wurden die Sterblichkeitszahlen im Vergleich zu anderen Ländern zwar als vorteilhaft, aber immer noch als zu hoch thematisiert. Die vermehrten Bemühungen anderer Nationen veranlassten Schweden dazu, die eigenen Anstrengungen zu intensivieren.78 In Deutschland und Schweden setzte zudem zum Beginn des 20. Jahrhunderts ein deutlich wahrnehmbarer Geburtenrückgang ein. Dieser löste Befürchtungen um die Zukunft der Nationalstaaten aus, auf die mit einem verstärkten Einsatz bevölkerungspolitischer Maßnahmen reagiert wurde.79 Um diesem Trend entgegenzuwirken erschien es umso wichtiger, die Sterblichkeitszahlen von Säuglingen zu senken. Seit der Jahrhundertwende begannen sowohl die Pädiatrie als auch die Politik die gleiche Agenda zu verfolgen: Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit zur Vergrößerung der Bevölkerung und Ausweitung militärischer wie wirtschaftlicher Machtpositionen. 77 Vgl. Bynum, Science, S. 144 f.; Matzner-Vogel, Produktion, S. 42. Zeitgenössisch erkennbar bei u. a.: Schloßmann, Ziele (1909), S. 290 f. 78 Vgl. Johannisson, Folkhälsa, S. 149; Jundell, Schweden (1912), S. 758; Niemi, Public Health, S. 81; Wretlind, Dibarnets sjukdomar (1892). 79 Vgl. Bock, Armut, S. 446; Etzemüller, Untergang; Hong, Welfare, S. 27; Johannisson, Folkhälsa, S. 82 – 85; Linder, Gesundheitspolitik, S. 399; Öberg, Barnmorskan, S. 95; Vögele/ Martin/Rittershaus, Infant Nutrition, S. 120; Weindling, Health, S. 189. Zeitgenössische u. a.: Gruber, Betydelsen för den tyska folkhälsan (1914); Salomon, Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit (1905); Schloßmann, Ziele (1909).

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Im Zuge dessen fand zwischen 1880 und 1910 eine verstärkte Auseinandersetzung mit der Säuglingsernährung statt, die in mehreren, miteinander verschränkten Bereichen passierte: Seit den 1880er Jahren gewann die Bakteriologie an Einfluss auf Ernährungspraktiken (1.2.1); seit Mitte der 1890er Jahre wurde die Nahrungsmenge stärker untersucht und in Kalorien, neue Rezepte und spezielle Ernährungsregime übersetzt (1.2.2); seit den 1890er Jahren gab es neue Flaschenmodelle, die den Ansprüchen von Bakteriologie und Ernährungslehre Rechnung trugen (1.2.3); ab Beginn des 20. Jahrhunderts kamen schließlich neue Akteure in Form von öffentlichen Institutionen für Säuglingsfürsorge hinzu, die ihrerseits Säuglingsnahrung herstellten und Gesundheitswissen popularisierten. Während des Ersten Weltkrieges weiteten sich deren Tätigkeiten in beiden Ländern aus (1.2.4). Diese vier Bereiche werde ich im Folgenden eingehender analysieren. ­Dabei verfolge ich die These, dass sich das Akteursensemble aus Flasche, Kind und Experten zwar deutlich veränderte; ein Flaschenkind zu sein war aber weiterhin gefährlich, da dies mit Krankheit und einem frühen Tod in engem Zusammenhang stand. 1.2.1 Bakterien in der Säuglingsnahrung

Die Forderung nach Sauberkeit im Umgang mit Säuglingen und ihrer Nahrung war im späten 19. Jahrhundert nicht neu, wurde aber mit der Formierung des Hygienediskurses seit der Mitte des Jahrhunderts auf naturwissenschaftliche Füße gestellt. Der Hygienediskurs kombinierte universitäre, naturwissenschaftliche und populäre Wissensformen, was maßgeblich zur gesellschaftlichen Durchdringung mit Hygienewissen beitrug.80 Die Hygiene stieg zu einer „allmächtige[n] Wissensform“ auf, die auf lange bekannte Traditionslinien aufbaute, gleichzeitig aber sehr adaptionsfähig war. Die Entdeckung von Keimen als Verursacher von Zersetzungsprozessen durch Louis Pasteur in den 1870er Jahren und die Weiterentwicklung der Bakteriologie durch Robert Koch transformierten den Hygienediskurs, der sich eine zeitlang auf die Bekämpfung von Infektionskrankheiten zuspitzte.81 Kochs Annahme, dass spezifische Mikroorganismen für jegliche Krankheit verantwortlich waren, führte Ende der 1880er Jahren zu einer 80 Vgl. Berger, Bakterien, S. 12; Labisch, Homo Hygienicus, S. 132; Nießen, Säuglingsernährung, S. 16 f.; Sarasin, Reizbare Maschinen, S. 27; Sundin, Folkhälsa, S. 383 f.; Weindling, Hygienepolitik. 81 Vgl. Latour, Pasteurization; Labisch, Homo Hygienicus, S. 132 f.; Nießen, Säuglingsernährung, S. 16 f.

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allgemeinen Euphorie, ­Infektionskrankheiten in naher Zukunft ausmerzen zu können. Die bakteriologische Hygiene blieb über einige Jahrzehnte das dominante Wissensmodell zu Krankheit und Sauberkeit.82 Ähnlich wie bereits bei der Hygienebewegung, diffundierte das Wissen um die Bakterien in die Sphäre des Bildungsbürgertums. Hier gehörte es zum Ende des 19. Jahrhunderts zum guten Ton, über diese Lebewesen informiert zu sein und dementsprechend Praktiken der Säuglingspflege anzupassen.83 Die bakteriologische Forschung ging Hand in Hand mit der Institutionalisierung und Verwissenschaftlichung der Pädiatrie im Deutschen Kaiserreich.84 1883 wurde die eigenständige Gesellschaft für Kinderheilkunde gegründet, nachdem sich bereits 1868 eine Sektion für Kinderheilkunde der Gesellschaft für Naturforscher und Ärzte in Dresden gebildet hatte. Seit 1868 erschien das Jahrbuch für Kinderheilkunde, in dem die Diskussion um Säuglingsernährung prominent ­geführt wurde. Die Zahl der wissenschaftlichen Arbeiten, die sich mit dem Konnex Säuglingsgesundheit und Ernährung beschäftigten, nahm rapide zu. Bis Mitte der 1880er Jahre hatten sich diese vorrangig mit dem Wachstum und Gewicht künstlich ernährter Säuglinge, mit industriellen Nährprodukten und der diätetischen Behandlung von Ernährungskrankheiten beschäftigt. Seit der Mitte der 1880er wurden die Milchverdauung und Darmbakterien ihr neuer Schwerpunkt.85 Otto Heubner wurde 1894 an der Charité Berlin zum ersten ordentlichen Professor der Kinderheilkunde in Deutschland berufen. In den folgenden Jahren wurden weitere Professuren geschaffen und die Pädiatrie etablierte sich als eigenständiges Forschungsgebiet innerhalb der Medizin.86 Während des Kaiserreiches 82 Vgl. Weindling, Health, S. 158; Qvarsell, Vårdens idéhistoria, S. 58 f. Zu Kochs Rezeption in Schweden: Bayer, Om Koch’s metoder (1884/1885); Hedenius, Om infektionsämnenas natur (1882/1883). Laut Widstrands Ärztegeschichte Schwedens hatte Karl Oskar Medin, Oberarzt am Allmänna Barnhuset (Öffentliches Kinderheim) in Stockholm, bereits zwei Jahre vor Robert Koch die infektiöse Übertragung der Tuberkulose bei Säuglingen beschrieben. Er konnte offenbar nicht die gleiche öffentliche und fachliche Aufmerksamkeit generieren, wie der gut vernetzte Deutsche. Vgl. Widstrand, Sveriges Läkarehistoria, 3. Bd., S. 447. 83 Vgl. Berger, Bakterien, S. 12; Brembeck u. a., Konsumerande barnet, S. 22; Johannisson, Folkhälsa, S. 151 f.; Nießen, Säuglingsernährung, S. 24, 55; Sarasin u. a. (Hg.), Bakteriologie; Sundin, Folkhälsa, S. 381. 84 Zur Disziplinenbildung vgl. den Überlick “Dividing Knowledges” bei Burke, Social History of Knowledge, Bd. 2, S. 160 – 183, insb. S. 64 – 170. 85 Vgl. Braun, German Pediatrics, S. 25; Eulner, Entwicklung, S. 207; Lilienthal, Paediatrics; Vögele/Martin/Rittershaus, Infant Nutrition, S. 120. 86 Vgl. Weindling, Health, S. 192. Ausführlich: Grauel, Universitätsklinik, S. 903 f.; Eulner, Entwicklung, S. 206 – 209. Der preußische Ministerialdirektor Friedrich Althoff war für die Besetzung weiterer Lehrstühle verantwortlich, die eine zentrale Rolle in der ­Säuglingsnahrungsfrage

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konzentrierte sich die Kinderheilkunde in einigen urbanen Zentren, wie Berlin, Breslau und Wien, und expandierte erst nach dem Ende des Ersten Weltkrieges. Die Pädiatrie schaffte es jedoch, durch ihre Erfolge ihren Einflussbereich auf die Gesundheitspolitik langsam zu erweitern. Trotz der bereits frühen Einrichtung einer Professur war die ­Säuglingsernährung kein Forschungsschwerpunkt in Schweden und nur wenige Ärzte spezialisierten sich auf Kinderkrankheiten. Erst 1912 wurde Läkaresällskapets sektion för pediatrik och skolhygien (Sektion für Pädiatrie und Schulhygiene der Ärztegesellschaft) ­gegründet. Eine eigene pädiatrische Zeitschrift, die Acta Paediatrica, kam 1921 zum ersten Mal heraus. Die Diskussion um Säuglingsernährung wurde vielmehr in der Svenska Läkartidning und in Hygiea, den Fachjournalen der schwedischen Ärzteschaft sowie dem Hebammenmagazin Jordemodern geführt, wo sie jedoch keinen expliziten Schwerpunkt bildete. Der Umschwung auf die Bakteriologie ist seit den 1880er Jahren ebenfalls in diesen Zeitschriften sowie Lehrbüchern zu beobachten.87 Artikel über die Flaschenernährung begannen erst nach der Jahrhundertwende an Raum zu gewinnen. Auch in Schweden fand eine Verwissenschaftlichung der Säuglingspflege und -ernährung statt, wobei forschungsleitende Impulse zumeist aus Deutschland kamen.88 Dies liegt u. a. daran, dass Schweden insgesamt eine geringere Bevölkerungszahl und weniger urbane Zentren aufwies, welche die Formierung pädiatrischer Forschungszentren begünstigt hätten. Der Einfluss der Bakteriologie veränderte die Handhabung der Milch für die Zubereitung von Säuglingsnahrung seit den 1890er Jahren grundlegend. Die Milch musste jetzt nicht nur richtig gemischt werden, sondern auch keimfrei in die Flasche gelangen, bevor sie dem Kind gegeben werden konnte. Die Fachwelt fokussierte zwei Schritte besonders stark: Zum einen sollte die Milch vor ihrem Verkauf besser kontrolliert werden, zum anderen sollte sie vor ihrem Konsum erhitzt und dann kühl gelagert werden. Beides wird im Folgenden kurz nachgezeichnet. Zunächst einige grundlegende Punkte zur Milchwirtschaft und ihrer Technisierung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Kuhmilch war nicht das naheliegendste Grundprodukt zur Herstellung von Flaschenmilch. Analysen der Tiermilchen aus den vorherigen Jahrzehnten hatten gezeigt, dass Stutenmilch in ihrer Zusammensetzung der Muttermilch viel ähnlicher war. Die Dominanz der Kuhmilch stand vielmehr in einer Wechselbeziehung zur Ausweitung der Milchwirtschaft in beiden Ländern, folgte also einer ökonomischen, nicht einer spielten. Es wird sogar von einer „Ära Althoff “ oder einem „System Althoff “ gesprochen: Vgl. Eckart, Friedrich Althoff; Szöllösi-Janze, Wissensgesellschaft, S. 296. 87 Vgl. Nilsson, Mot bättre hälsa, S. 69 f.; Weiner, Spädbarnsdögligheten, S. 61 f. 88 Vgl. Weiner, Spädbarnsdögligheten, S. 64, 71.

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wissenschaftlichen Logik. Im deutschen Raum begann die Expansion in den 1860er Jahren und wuchs durch die Nachfrage als Säuglings- und Kindernahrung in den 1870er und 1880er Jahren. In Schweden gingen viele Landwirte in den 1870er Jahren aus ähnlichen Gründen zur Milchwirtschaft über.89 Neue Apparate im Milchgewinnungs- und Reinigungsprozess kamen seit den 1870er Jahren in beiden Ländern zum Einsatz. 1877 erfand der Deutsche Wilhelm Lefeldt einen mechanischen Milchtrenner, der Rahm von Magermilch trennte und zur Mechanisierung der Milchgewinnung beitrug. Der schwedische Ingenieur Gustav de Laval entwickelte Lefeldts Modell in den kommenden Jahren weiter, was als eine der bedeutendsten Erfindungen für die zweite industrielle Revolution Schwedens gewertet wird. Melkerinnen wurden durch Männer ersetzt, da die Technisierung eine Vermännlichung dieses Handwerks forcierte.90 Zentrifugen und Separatoren konnten sowohl bei der Milchtrennung als auch bei der Milchreinigung eingesetzt werden und führte dazu, dass die Gewinnung „einwandfreier“ Milch als Grundlage der Säuglingsnahrung seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts vereinfacht wurde.91 Aus bakteriologischer Sicht war ein erster Schritt zur Verbesserung der Milchqualität eine sachgemäße Gewinnung und Kontrolle der Kuhmilch. Dieser Schritt ließ sich allerdings nur schwer durchsetzen. Frische Kuhmilch war sowohl in Schweden als auch in Deutschland bis zur Jahrhundertwende lediglich ein Nahrungsprodukt für Säuglinge und Kinder, weswegen es schwierig war, außerhalb der Pädiatrie Interesse an ihrer qualitativen Verbesserung zu generieren.92 Milchkontrollen konzentrierten sich in beiden Ländern meist auf die Städte, wo die Versorgungslage durch lange Transportwege besonders prekär war. Seit der Mitte der 1870er Jahre wurde die Milchqualität auf der Grundlage reichsweiter Verordnungen in Schweden kontrolliert. In Stockholm, wo ZeitgenossInnen die Milchqualität trotz der Kontrollen besonders beklagten, wurde 1886 eine private Initiative für sog. Kindermilch eingeführt, auf die eine städtische, interdisziplinär zusammengesetzte Kommission folgte.93 Allerdings kam es in den folgenden 89 Vgl. Lee, Pastöriseringen, S. 178; Nystedt, Organisation (1912), S. 784; Orland, Milchpropaganda, S. 917; Teuteberg, Modern Milk, S. 287, 294 f.; Theodor, Die natürliche und künstliche Ernährung (1905), S. 231. 90 Vgl. Teuteberg, Beginning, S. 292; Du Rietz, Gustaf de Laval; Lee, Pastöriseringen, S. 180; Hirdman/Lundberg/Björkman, Historia, S. 63 f.; Schön, Ekonomisk historia, S. 323; Sommestad, Mejerska. 91 Eine Übersicht über in Deutschland eingesetzte Apparate in der Milchgewinnung findet sich in Raudnitz, Die Milch (1910). 92 Vgl. Jönsson, Svensk Mjölk, S. 75; Stöckel, Säuglingsfürsorge, S. 184. 93 Vgl. Hirdman, Magfrågan, S. 176; Lee, Pastöriseringen, S. 184; Nystedt, Organisation (1912), S. 784; Weiner, Spädbarnsdögligheten, S. 70.

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J­ ahren immer wieder zu Problemen, weil Kindermilch angeboten wurde, die nicht diesen Standards entsprach.94 Zu einer reichsweiten Festlegung der Standards für Kindermilch kam es nicht. In Deutschland wurde die Milch auf der Grundlage des reichsweiten Nahrungsmittelgesetzes von 1879 zunehmend kontrolliert. Kindermilch wurde ebenfalls angeboten, aber auch hier nur lokal und ihre Definition variierte deutlich.95 So sie vorhanden war, rieten Kinderärzte häufig dazu, diese als Grundlage der Flaschenmilch anderen Milchsorten vorzuziehen, da sie wenigstens lokal kon­ trolliert wurde. Diese Maßnahmen gingen Kritikern wie dem bereits erwähnten Philipp Biedert jedoch nicht weit genug, da sie u. a. keine Stallkontrollen einschlossen. Biederts eigene Säuglingsnahrung, das Ramogen, wurde in Abgrenzung dazu mit „25 Milch- und Stallregeln“ beworben, die alle Ställe befolgten, die Milch für das Ramogen produzierten. Dies stellte vermutlich einen Versuch dar, mit gutem Beispiel voranzugehen.96 Die meisten anderen Kinderärzte plädierten eher für das Stillen als einzig sichere Möglichkeit, eine gesunde Ernährung des Kindes zu garantieren, anstatt eine systematische Verbesserung der Milchwirtschaft voranzutreiben. Reformen der Milchwirtschaft waren außerdem mit großen Kosten verbunden, während die Stillpropaganda relativ kostengünstig durchgeführt werden konnte. Um 1910 forderten dann aber auch andere Kinderärzte wie ­Arthur Schloßmann und Gustav Tugendreich eine durchgreifende Verbesserung der Milchversorgung.97 Als zweiter Schritt der bakteriologischen Behandlung der Milch gewann die Abtötung von Keimen vor dem Gebrauch als Säuglingsnahrung an Bedeutung. Wie genau die Milch behandelt werden sollte, um die Erreger abzutöten, blieb lange umstritten, wobei sich die Erhitzung der Milch als gängigster Weg herauskristallisierte. In beiden Ländern basiert die Herangehensweise an die Haltbarmachung von Milch auf die Versuche des Franzosen Louis Pasteur mit Wein.98 94 Vgl. Lee, Pastöriseringen, S. 184. 95 Vgl. Czerny/Keller, Des Kindes Ernährung (1906), S. 443; Heiduschka, Über Kindermilch (1927); Teuteberg, Food Adulteration; Tugendreich, Mütter- und Säuglingsfürsorge (1910), S. 330 f.; Vögele, Säuglingsernährung, S. 228. 96 Vgl. Werbung, Biederts Ragomen (1904), S. 241; Biedert, Kinderernährung (1897), S. 176 – 180; ders., Kinderernährung (1905), S. 175 f. Siehe auch: Baron, Schmutzgehalt (1900); Keller, Deutschland (1912), S. 252. Zur Nahrungsmittelgesetzgebung im Deutschen Kaiserreich vgl.: Hierholzer, Nahrung. 97 Vgl. Keller, Deutschland (1912), S. 234; Orland, Milchpropaganda, S. 920; Tugendreich, Mütter- und Säuglingsfürsorge (1910), S. 321 – 327. 98 Vgl. Biedert, Kinderernährung (1897), S. 161 – 164; Keller, Deutschland (1912), S. 234; Lee, Pastöriseringen, S. 183; Nießen, Säuglingsernährung, S. 58; Nystedt, Organisation (1912), S. 798; Peiper, Chronik (1992), S. 514 f.

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Es gab jedoch lange keinen Konsens, wie lange die Milch auf welche Temperatur gebracht werden musste, um das richtige Ergebnis zu erzielen. Die Vorteile der „lebendigen“ ungekochten Milch wurden gegenüber der „toten“ gekochten Milch immer wieder diskutiert.99 Die Unterscheidungen zwischen pasteurisieren, erhit­ zen, abkochen und sterilisieren waren in beiden Ländern während des späten 19. Jahrhunderts verhältnismäßig vage.100 In Deutschland und Schweden war die Wärmebehandlung und Technisierung der Säuglingsmilch eng mit Franz von Soxhlet verbunden, der Pasteurs Ideen und Techniken auf Milch anwandte. Er war einer der Ersten, der Theorien der Milchbakteriologie in eine materielle Form übersetzte, als er 1891 einen Sterilisationsapparat für den Haushalt auf den Markt brachte. Die Milch wurde dazu in Einzelflaschen abgefüllt, so dass genug Flaschen für den gesamten Tag vorhanden waren und dann in einem speziellen Topf eine Dreiviertelstunde lang auf 100 Grad Celsius erhitzt (Abb. 4 und 5).101 Neben der Erhitzung kam die anschließende Kühlung der Milch als unabdingbarer Schritt in der Flaschenernährung hinzu. Laut Soxhlet war es extrem gefährlich, die Milch mit Nachtlichtbeheizung und Wärmeflaschen warm zu halten. Diese Geräte seien geradezu „Mordinstrumente“.102 Kühlmöglichkeiten fehlten jedoch bei Arbeiterfamilien. Hier wird deutlich, wie sehr die Schichtzugehörigkeit die Möglichkeiten bedingte, Flaschennahrung entsprechend der kinderärztlichen Anforderungen zuzubereiten. Der Apparat wurde viel beworben und fand großen Absatz. Dennoch war er aufgrund seines hohen Preises vor allem ein Produkt für gehobene Schichten. Da Soxhlet kein Pädiater, sondern Lehrstuhlinhaber für Tierphysiologie und Tierernährung war, sorgten seine Vorschläge und Erfindungen für Kritik aus den Reihen der Pädiatrie. Kinderärzte wie Philipp Biedert und Otto Heubner befürchteten, Produkte wie der Soxhlet-Apparat könnten das Ungleichgewicht zwischen unterschiedlichen Gesellschaftsschichten weiter verschärfen. Soxhlet wurde zudem vorgeworfen, in Analogie zu den Herstellern von „Kindermehlen“, 99 Vgl. Brüning, Rohe oder gekochte Milch? (1905), S. 8; ders., Geschichte (1908), S. 33; Keller, Deutschland (1912), S. 234; Nilsson, Mot bättre hälsa, S. 70; o. A., Om barnmjölken (1901), S. 131; Tugendreich, Mütter- und Säuglingsfürsorge (1910), S. 328; Weiner, Spädbarns­ dödligheten, S. 71. 100 Vgl. Camerer, Stoffwechsel und Ernährung (1910), S. 219 f.; Nystedt, Organisation (1912), S. 791; Selander, Om nödvändigheten (1898), S. 7 ff.; siehe auch: Lee, Pastöriseringen, S. 182; Lithell, Små barn, S. 123; Mepham, “Humanizing” Milk, S. 241. 101 Vgl. Soxhlet, Über Kindermilch (1886); ders., Verbessertes Verfahren (1891), S. 355; siehe auch: Czerny, Pädiatrie (1939), S. 48; Keller, Deutschland (1912), S. 234; Peiper, Chronik (1992), S. 393, 514. 102 Zit. nach: Peiper, Chronik (1992), S. 514.

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Abb. 4: Zeichnung Soxhlet-Apparat (1891). Abb. 5: Zeichnung Soxhlet-Flaschen (1891).

er wolle sich vor allem bereichern. Schließlich wurde vermutet, dass die einfache Bedienung und die Werbung für den Apparat dazu beigetragen hätten, dass Mütter nicht mehr stillten.103 In Schweden war der Soxhlet-Apparat zwar bekannt, galt aber als teuer, weswegen schwedische Kinderärzte den von Professor Karl Oskar Medin entwickelten Baby diflaskappart (Baby-Säugflaschenapparat) bevorzugten. Medin war seit 1884 Professor für Kinderheilkunde am Karolinska Institutet in Stockholm und 103 Vgl. Biedert, Kinderernährung (1897), S. 180; Heubner, Über Gedeihen und Schwinden (1897), S. 18 f. Siehe auch: Bauer, Ernährung des Kindes (1914), S. 191; Czerny, Pädiatrie (1939), S. 40; ders./Keller, Ernährung (1906), S. 513; Tugendreich, Mütter- und Säuglingsfürsorge (1910), S. 336; Würtz, Säuglingsfürsorge (1912), S. 254; Mepham, “Humanizing” Milk, S. 241; Nießen, Säuglingsernährung, S. 37; Vögele, Sozialgeschichte, S. 390.

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hatte sich umfassend mit der Übertragung von Bakterien beschäftigt. Er übersetzte ebenfalls sein praktisches und theoretisches Wissen in ein Gerät. Dieses arbeitete nach dem gleichen Prinzip wie der Soxhlet-Apparat und konnte acht Flaschen mit Milch gleichzeitig abkochen.104 An diesem Gerät gab es deutlich weniger Kritik, was vermutlich mit der Stellung Medins als Fachmann der Pädia­ trie in Verbindung stand. In Deutschland wurden ebenfalls Alternativen zum Soxhlet-Apparat hergestellt, die auch in Schweden zu kaufen waren. Über deren Nutzung ist allerdings wenig bekannt, was darauf hindeutet, dass sie nicht sehr verbreitet waren.105 Alternativ zu teuren Apparaten konnte die Milch zu Hause vor jeder ­Mahlzeit im Topf abgekocht und dann in die Flasche gefüllt werden. Dieses Vorgehen wurde – neben dem ausschließlichen Stillen – den Müttern vorgeschrieben, wollten sie ihr Kind nicht gefährden. Die Milcherhitzung wurde damit ein zwingend durchzuführender Teil der Zubereitung von Flaschennahrung und zu einer Standardangabe in Anweisungen für medizinisches Personal und Mütter. Es war jedoch nicht allen Müttern, gerade in den unteren Gesellschaftsschichten möglich, diesen Anweisungen Folge zu leisten.106 Praktiken variierten schichtspezifisch je nach Zugang zu Utensilien und Räumlichkeiten sowie Zeit der Mutter oder Pflegeperson. Um die Jahrhundertwende regte sich Kritik an den Sterilisierungspraktiken aus den Reihen der Pädiatrie. Nachdem mit der Entdeckung der Bakterien große Hoffnungen in die Keimfreimachung der Milch gesetzt wurden, traten bald neue Komplikationen auf. 1892 machte Otto Heubner auf die Zunahme der sog. MöllerBarlow’schen-Krankheit aufmerksam. Der Breslauer Kinderarzt Adablert Czerny und andere führten dies auf das lange Erhitzen der Milch in Heubners Klinik ­zurück. Die Krankheit konnte erst im frühen 20. Jahrhundert behandelt werden, da es sich um eine Form von Skorbut, also eine Vitaminmangelerkrankung, handelte. Vitamine waren allerdings noch nicht bekannt, weswegen zunächst keine Lösung für das Problem gefunden werden konnte.107 Einige Kinderärzte ließen 104 Vgl. Flensburg, Baby. Ny svensk diflask apparat (1892), S. 78; Velinder, Rådgifvare i hvarje hem, Bd. 1. (1908), S. 26; o. A., Om barnmjölken (1901), S. 130; Ribbing, Fostran (1916), S. 59 f.; Widstrand, Medin, S. 447 f. Siehe auch: Lichtenstein, Barnavård (1927), S. 122 f. Werbung für das Gerät gab es seit 1894 in Jordemodern. 105 Vgl. Bickel/Roeder, Sterilisation und Kühlhaltung (1910), S. 193 – 198; Brembeck u. a., Konsumerande barnet, S. 22, 35; Camerer, Stoffwechsel und Ernährung (1910), S. 219 f.; Czerny/ Keller, Des Kindes Ernährung (1906), S. 511 f.; o. A., Om barnmjölken (1901), S. 131. 106 Vgl. Salomon, Bekämpfung (1905), S. 134. 107 Czerny/Keller, Des Kindes Ernährung (1906), S. 510. Zur Entdeckung der Vitamine vgl. 1.3.2; Colón/Colón, Children, S. 244; Fomon, Infant Feeding, S. 410 f.; Lithell, Små barn, S. 105;

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verlauten, das Sterilisieren sei in einem „übertriebenen“ 108 oder „ausschweifende[n]“ 109 Ausmaß durchgeführt worden, nachdem erste gute Ergebnisse ­erzielt worden waren. Bei der Pasteurisierung bestanden hingegen Befürchtungen, dass u. a. Tuberkuloseerreger nicht ausreichend abgetötet würden. Einige Ärzte beklag­ ten zudem, die Milch würde sich durch langes Erhitzen zu sehr in ihren chemischen Eigenschaften verändern und dadurch schwerer verdaulich für das Kind.110 Ein Konsens über die Haltbarmachung der Milch war um die Jahrhundertwende weder in Deutschland noch in Schweden in Sicht. Dennoch setzte sich die Pasteurisierung langfristig durch. Seit dem frühen 20. Jahrhundert wurde die Milch dann zunehmend direkt in den Molkereien pasteurisiert, was teure Maschinen wie den Soxhlet-Apparat spätestens seit den 1930er Jahren obsolet machte.111 Aus medizinhistorischer Sicht steht außer Frage, dass die Bakteriologie großen Einfluss auf die Verbesserung der Flaschenernährung im Speziellen und der Säuglingsgesundheit im Allgemeinen hatte. Viele Praktiken, wie das Pasteurisieren und Kühlen der Milch sowie die Sterilisation von Geräten zur Zubereitung und Fütterung, müssen hier als wichtige Veränderungen im täglichen Umgang mit der Säuglingsernährung angesehen werden.112 Schon gegen Ende des 19. Jahrhunderts hatte sich die bakteriologische Euphorie sowohl in Deutschland als auch in Schweden in Ernüchterung verwandelt. Pädiater stellten zunehmend in Frage, ob das Erhitzen tatsächlich einen so großen Einfluss auf die Verbesserung der Säuglingsernährung hatte.113 Philipp Biedert konstatierte etwa, dass die Säuglingssterblichkeit in Berlin schon zu sinken begann, bevor die systematische Sterilisierung eingeführt wurde. Er schrieb vielmehr „der Geburtsziffer, eher noch den sonstigen Fortschritten der Ernährungslehre, z. B. der Vermeidung der Ueber­ ernährung“ große Bedeutung zu.114 Nießen, Säuglingsernährung, S. 58; Nützenadel, Ernährung, S. 201 f.; Peiper, Chronik (1992), S. 503; Thoms, Säuglingssterblichkeit, S. 66; Vögele, Sozialgeschichte, S. 309; Wickes, History of Infant Feeding V, S. 496. 108 Freund, Om artificiell föda (1897), S. 86; Lindberg, Surmjölk som spädbarnsnäring (1943), S. 963; Peiper, Chronik (1992), S. 515. 109 Biedert, Kinderernährung (1897), S. 170. 110 Vgl. Ahlfors, Späda barns uppfödning (1908), S. 754; Biedert, Kinderernährung (1897), S. 170; o. A., Om barnmjölken (1901), S. 131; Theodor, Ernährung (1905), S. 230. 111 Vgl. Czerny/Keller, Des Kindes Ernährung (1906), S. 510; Czerny, Pädiatrie (1939), S. 84; Lee, Pastöriseringen, S. 182; Peiper, Chronik (1958), S. 393; o. A., Om barnmjölken (1901), S. 131. 112 Vgl. Lindberg, Surmjölk som spädbarnsnäring (1943), S. 963; Mepham, “Humanizing” Milk, S. 240; Nützenadel, Ernährung, S. 201 f. 113 Vgl. Czerny, Pädiatrie (1939), S. 40; Johanisson, Folkhäsa, S. 152; Nießen, Säuglingsernährung, S. 58. 114 Vgl. Biedert, Kinderernährung (1897), S. 171; Peiper, Chronik (1992), S. 449.

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1.2.2 Ernährungsregulierung nach Heubner/Rubner und Czerny/Keller

Dieser Abschnitt widmet sich der Regulierung der Nahrungsmenge auf Grundlage einer, immer kleinteiliger werdenden, wissenschaftlichen Untersuchung und Untergliederung des kindlichen Körpers. Nicht die Unterernährung, wie aus heutiger Sicht vielleicht naheliegend wäre, sondern die Überfütterung war der Dreh- und Angelpunkt von Ernährungstheorie und -praktiken seit den 1890er Jahren.115 Eine Koinzidenz zum Aufstieg der kulturkritischen Lebensreformbewegung und Reformpädagogik, die der techno-industriellen urbanisierten Gesell­ schaft kritisch gegenüberstanden und eine „Rückkehr zur Natur“ forderten, ist dabei augenfällig. Eingeschlossen darin war eine ablehnende Haltung gegenüber übermäßigem Konsum und Reizüberflutung.116 Die Überernährung wurde in diesem Sinne vor allem als Folge „künstlicher“ Ernährung konturiert, die dazu führte, dass das Kind zwar zunahm, sich aber nicht richtig entwickelte. Ein „natürlicher“ wohlproportionierter Säuglingskörper, der weder zu dünn noch zu dick war, wurde zum Idealbild der Pädiatrie.117 Ein erster Schritt zur Reglementierung und Normierung der Säuglingsernährung war die wissenschaftliche Ermittlung von Durchschnittswerten für eine normale Entwicklung. Grundlegend für die Bestimmung der Nahrungsmenge war die Annahme der vorherigen Jahrzehnte, dass der Säugling sich vor allem durch seine Stoffwechselleistung vom Erwachsenen unterschied. Während sich der erwachsene Körper in einem Gleichgewicht befinde und nur Nahrung aufnahm, um sein Körpergewicht zu erhalten, sei der kindliche und insbesondere der Säuglingsstoffwechsel darauf ausgelegt, ständig an Gewicht zuzunehmen.118 Wenn dies nicht erreicht werden konnte, habe dies negative Auswirkungen auf seine gesamte Entwicklung. Der Säugling wurde in dieser Vorstellung auf seine körperlichen Ernährungsfunktionen reduziert. In Analogie zur Kosten-NutzenLeistung einer Dampfmaschine imaginierte die Pädatrie seine Ernährung als 115 Vgl. Camerer, Stoffwechsel des Kindes (1896), S. 50; ders., Stoffwechsel und Ernährung (1910), S. 221; Heubner, Gedeihen (1897), S. 22 f.; Wickes, History of Infant Feeding V, S. 500 f. 116 Vgl. Baader, Childhood Agency, S. 141 f.; Eklöf, Vegetarisk (rå)kost, S. 251; Gebhardt, Angst, S. 51; Möhring, Marmorleiber, S. 12; Teuteberg/Bernhard, Entwicklung, S. 387; Weindling, Hygienepolitik, S. 41. 117 Symptomatisch hierfür ist das Buch des Gynäkologen Carl Heinrich Stratz, Der Körper des Kindes und seine Pflege (1903). Dessen Anliegen war es, den Bau des kindlichen Körpers, „dessen Fehler und Vorzüge vom objektiv-wissenschaftlichen Standpunkt aus zu beleuchten“ (o. S.). 118 Vgl. Camerer, Stoffwechsel und Ernährung (1910), S. 183; Schloßmann, Grundlagen der Ernährungsphysiologie (1915), S. 147.

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„­ Input-Output-Modell“. Es galt die Leistung des Säuglingskörpers wissenschaftlich zu erkunden und zu regulieren.119 Stoffwechselmessungen an Erwachsenen waren bereits seit dem späten 18. Jahrhundert vom Franzosen Antoine Laurent de Lavoisier durchgeführt worden. Dieser hatte eine spezielle Gerätschaft, den Respirationsapparat, entwickelt, mit dem alle Körperausscheidungen (insbesondere die Gase) über einen gewissen Zeitraum gemessen werden konnten.120 Mit der Messeinheit „Kalorie“ fand die Pädiatrie eine gemeinsame Sprache, um sich über die Ernährungs- und Stoffwechselleistung des (Säuglings)Körpers zu verständigen. Zuvor basierte das Wissen über die richtige Nahrungsmenge zumeist auf Erfahrungswerten. Einige Kinderärzte versuchten den Verbrauch des Kindes zu schätzen, indem sie den Verbrauch von Erwachsenen halbierten oder andere Formeln anwandten.121 Die Errechnung des passenden Kalorienverbrauchs für den Säugling wurde erst in den 1890er Jahren in Deutschland vorangetrieben. In Schweden konnte ich nur vereinzelt eigenständige Forschung zur Nahrungsmenge finden. Auch auf diesem Feld rezipierten schwedische Mediziner ausländische Forschung oder basierten ihre Praktiken auf täglichen Erfahrungen im Klinikalltag.122 Philipp Biedert war einer der Ersten, der versuchte, ein wissenschaftlich basier­ tes, kohärentes Konzept vorzulegen, um die Nahrungsaufnahme des Säuglings zu regulieren. Dabei ging es ihm vor allem um die Flaschenernährung, da er hier die Gefahr der Überfütterung am deutlichsten sah. In seinem Lehrbuch Die Ernäh­ rung im Säuglingsalter schlug er dazu bereits in den 1880er Jahren eine „Minimalernährung“ vor. Er bezog sich auf die „mühsamen Wiegebestimmungen“ von Wilhelm Camerer, der den Stoffwechsel des Brustkindes in seiner „mit geringen Mitteln notdürftig adaptierten Waschküche“ – einem wenig traditionellen Ort der Wissensproduktion – untersucht hatte.123 Camerer hatte 1877 sein neugeborenes Kind als Versuchsobjekt benutzt und viele Wägungen und Messungen an ihm durchgeführt. Auch andere Kinderärzte gingen nach diesem Muster vor und wogen ihre Kinder vor und nach jedem Trinken während der Stillzeit.124 Für die Ernährung des Flaschenkindes hatte Biedert nach eigenen Aussagen als Erster erforscht, wie viel „das Kind an Eiweiss und Nahrung überhaupt zum mindesten braucht“.125 In der Kombination seiner eigenen und Camerers Werten für beide 119 Vgl. Manz/Manz/Lennert, Stillempfehlungen, S. 576; Osietzki, Körpermaschinen. 120 Vgl. ausführlich Orland, Erfindung des Stoffwechsels. 121 Vgl. Colón/Colón, Children, S. 245 f. 122 Petersson, Vigtsförhållandena (1882/1883); ders., Vigt-förhållandena (1889), S. 91. 123 Biedert, Kinderernährung (1905), S. 97. Vgl. Schloßmann, Grundlagen (1915), S. 146. 124 Camerer, Stoffwechsel des Kindes (1896). Vgl. Biedert, Kinderernährung (1905) S. 97. 125 Biedert, Kinderernährung (1905), S. 95 f. (Hervorh. im Org.).

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Ernährungsarten stellte Biedert Durchschnittswerte auf, die als Grundlage der Minimalnahrung dienten. Deutsche und schwedische Kinderärzte lobten seine Bemühungen gegen die Überfütterung.126 Damit lieferte Biedert ein erstes standardisiertes Nahrungsminimum, das Anlass zu weiterer Forschung bot. Diese Grundlagenforschung zum Kalorienverbrauch von Säuglingen führten Otto Heubner und Max Rubner – die sog. Berliner Schule – in den späten 1890er Jahren fort und schufen neue Konzepte und Praktiken, an denen sich andere Kinderärzte orientierten und abarbeiteten. Max Rubner hatte 1891 Robert Kochs Lehrstuhl für Hygiene übernommen, nachdem er mit seinem Lehrer, dem einflussreichen Physiologen Carl Voit, die „Kalorimetrie“ in der Erforschung von Stoffwechselbilanzen angewandt und verfeinert hatte.127 Besonders zentral für die Säuglingsernährung war Rubners Theorie, dass die einzelnen Nährstoffe einander ersetzen konnten. Er bestimmte energetische Durchschnittsäquivalente, anhand derer dieser Austausch berechnet werden konnte.128 Rubner arbeitete eng mit Otto Heubner, dem ersten Professor für Kinderheilkunde in Deutschland, zusammen. Heubner selbst hatte als einer der Ersten die Kalorimetrie auf den Stoffwechsel des Säuglings angewandt und das Konzept des „Energiequotienten“ eingeführt, das dazu diente, die Nahrungsmenge in die Maßeinheit Kalorien zu übersetzen.129 Die Kollaboration zwischen Rubner und Heubner führte dazu, dass die Kalo­rienberechnung zur neuen Grundlage der Säuglingsernährung wurde.130 1898 und 1899 veröffentlichten sie die ersten gemeinsamen Aufsätze jeweils über die „natürliche“ und die „künstliche“ Ernährung des Säuglings. Die Messung der Ausscheidungen des Säuglings im Respirationsapparat war relativ umständlich, weswegen sie nur an insgesamt drei Kindern durchgeführt wurde.131 Der Durchschnittswert für die tägliche Nahrungsmenge, welche der Säugling in den ersten Lebensmonaten brauchte, wurde also auf Grundlage einer dünnen M ­ aterialbasis 126 „‚Der Arzt, welcher den Müttern die Vorteile der Minimalnahrung verständlich macht, leistet mehr, als der Wohltäter, der ihnen gute Kindermilch gibt‘“, Arthur Keller zit. in: ­Biedert, Kinder­ernährung (1905), S. 95 f.; vgl. Camerer, Stoffwechsel des Kindes (1896), S. 50; P ­ etersson, Vigt-förhållandena (1889), S. 97. 127 Nützenadel, Ernährung, S. 197; Rubner, Calorimetrische Untersuchungen I (1885); ders., Calorimetrische Untersuchungen II (1885); ders., Calorimeter für physiologische und hygie­ nische Zwecke (1889). 128 Vgl. Biedert, Kinderernährung (1905), S. 67; Orland, Milchpropaganda, S. 925; Rubner, Vertretungswerthe (1883). 129 Vgl. Braun, German Pediatrics, S. 26; Nießen, Säuglingsernährung, S. 59, 64; Nützenadel, Ernährung, S. 200. 130 Vgl. Weaver, “Growing Babies”, S. 331. 131 Vgl. Rubner/Heubner, Natürliche Ernährung (1898); dies., Künstliche Ernährung (1899). Vgl. Weaver, Emergence, S. 344.

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­errechnet. Die Untersuchungen wurden allerdings ergänzt durch „[t]ausende von Wägungen“, die Ärztefrauen an 16 Kindern über mehrere ­Monate durchgeführt hatten.132 Das zentrale Anliegen Heubners und Rubners war zu bestimmen, wie viel Nahrung – sowohl Muttermilch als auch Flaschenmilch – der Säugling benötigte, um eine Gewichtszunahme zu garantieren.133 Die Flaschenernährung war laut den Autoren schwieriger zu greifen, da sie aus verschiedenen Stoffen bestand und es nicht möglich war, genau nachzuweisen, welcher dieser Stoffe die zu beob­ achtenden Stoffwechselreaktionen hervorrief. Die Ernährung des Säuglings mit Muttermilch stellte sich in ihren Untersuchungen als besser auf die Stoffwechselbedürfnisse abgestimmt heraus als die „künstliche“ Ernährung, denn Säuglinge benötigten mehr Flaschenmilch als Muttermilch.134 Dabei betonten Rubner und Heubner immer wieder, dass es zu individuellen Schwankungen käme. Dennoch ermittelten sie auf Grundlage eines relativ kleine Samples Durchschnittswerte für „gesunde“ (100 kcal/kg/d) und „mangelernährte“ Säuglinge (130 kcal/kg/d), die als Basis der Herstellung einer Flaschenmilch genutzt werden sollten.135 Diese Erkenntnisse schlugen sich in neuen Standards für die Zubereitung von Flaschennahrung nieder. Biederts These vom „schädlichen Nährungsrest“ wurde in Frage gestellt und der negative Einfluss von Mehl und Kasein auf die Säuglingsernährung angezweifelt.136 Die chemische Angleichung von Kuhmilch an Muttermilch (den Versuch, die Menge und Größe der Proteine, Fette etc. anzugleichen) schien unnötig, wenn alle Stoffe einander vertreten konnten und lediglich der Kaloriengehalt relevant war.137 Heubner plädierte stattdessen dafür, die Milch zu verdünnen und den dadurch entstandenen Kalorienverlust durch Zugabe von Zucker aufzufangen.138 Die Errechnung des Kalorienverbrauchs des Säuglings eröffnete so einen neuen Blick auf die Flaschennahrung. Es wurde nun unumgänglich, die Flaschennahrung in ihrem Kaloriengehalt der Muttermilch anzugleichen.139 1 32 Heubner, Gedeihen (1897), S. 8. 133 Vgl. Rubner/Heubner, Künstliche Ernährung (1899), S. 376. 134 Vgl. Camerer, Stoffwechsel des Kindes (1896), S. 50; Heubner, Gedeihen (1897), S. 11 – 16. 135 Weaver, “Growing Babies”, S. 326. 136 Vgl. Camerer, Stoffwechsel und Ernährung (1896), S. 221; Nießen, Säuglingsernährung, S. 33; Peiper, Chronik (1992), S. 455; Thoms, Säuglingssterblichkeit, S. 62. 137 Vgl. Czerny/Keller, Des Kindes Ernährung (1906), S. 539; Orland, Motherhood, S. 142 f.; Peiper, Chronik (1992), S. 462. 138 Vgl. Heubner, Gedeihen (1897), S. 18, 23 f.; Czerny, Pädiatrie (1939), S. 45. 139 Czerny, Pädiatrie (1939), S. 45; Orland, Wissenschaft, S. 301; Peiper Chronik (1992), S. 455 f.; Weaver, “Growing Babies”, S. 333.

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Nur wenige Jahre später kamen die Vorgaben von Heubner und Rubner j­ edoch in die Kritik ihrer Fachkollegen und erster Kolleginnen.140 Die Frage der Säuglingsernährung hatte sich zu diesem Zeitpunkt erneut gewandelt und war von dem mechanistisch-physiologischen Körperkonzept, das den Stoffwechsel als bloßes Kosten-Nutzen-Kalkül verstand, abgerückt.141 Ein klinisch-biologisches Verständnis übernahm seit dem frühen 20. Jahrhundert die Deutungshoheit und transportierte die Flaschennahrung in neue Aktions- und Referenzmuster. Stellvertretend und maßgeblich für diese Position sind die Arbeiten von Adalbert Czerny und Arthur Keller – der sog. Breslauer Schule. Czerny wurde 1906 auf eine eigens für ihn eingerichtete Professur für Kinderheilkunde in Breslau berufen und hatte durch seine Publikationen bereits für Aufmerksamkeit in der internationalen Fachwelt gesorgt. 1913 folgte er Otto Heubner auf die Professur für Kinderheilkunde an der Charité Berlin. Arthur Keller war Ende des 19. Jahrhunderts Assistent bei Czerny in Breslau und wurde später Leiter des Kaiserin-Auguste-Viktoria-Hauses zur Bekämpfung der Säuglings- und Kleinkindersterblichkeit im Deutschen Reiche.142 Ihr gemeinsam verfasstes Handbuch Des Kindes Ernährung. Ernährungsstörungen und Ernährungstherapie läutete eine neue Ära in der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Säuglingsernährung ein und wurde für die kommenden Jahrzehnte zu einem international gelesenen Standardwerk. In Schweden hatten die Arbeiten Czernys und Kellers großen Einfluss auf die Entwicklung der Pädiatrie.143 Ihr Anspruch in Des Kindes Ernährung war es – nicht mehr und nicht weniger – eine wissenschaftliche Grundlage für die Ernährung des Kindes zu schaffen. Die Validität bisheriger Ernährungsforschung stellten sie damit rundheraus in Frage.144 Sie kritisierten die geringe Anzahl der Forschungsobjekte, also der untersuchten Säuglinge, oder die mangelnde zeitliche Länge von Studien, auf deren Basis verallgemeinernde, standardisierte Aussagen getroffen wurden.145 Sie selbst hingegen wollten sich darauf beschränken, „was durch die Erfahrung an grossem Material und von möglichst vielen Beobachtern festgestellt ist“.146 Sie positionierten damit ihre eigenen Ausführungen gegenüber der bisherigen Forschung als überlegen. 140 Vgl. u. a. Engel/Samelson, Energiequotient (1913); Gaus, Nahrungsausnutzung des Neugeborenen (1902). 141 Sinding, Vitalismus, S. 91. 142 Vgl. 1.2.4; Ballabriga, Century, S. 15; Braun, Pediatrics, S. 26 f. 143 Vgl. Kälvesten, Spädbarnets sociologi (1956), S. 358; Ohrlander, Socialliberal reformpolitik, S. 26; Orland, Wissenschaft, S. 305; Pehrsson, Barn, S. 84. 144 Czerny/Keller, Des Kindes Ernährung (1906), S. 1. 145 Ebd., S. 345, 454, 376 – 380, 308, 386. 146 Ebd., S. 429.

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Czerny und Keller setzten dem mechanistisch-physiologischen Modell ­ eubners und Rubners ein stärker klinisch-biologisches entgegen, das alle FakH toren und Lebensumstände einbeziehen sollte. Auch die psychische Entwicklung des Kindes, insofern sie durch die Ernährung mitbestimmt wurde, war Teil dieser Betrachtung.147 Sie verstanden die Ernährung als komplexen Prozess, der aus unterschiedlichen Gründen gestört werden konnte. Um der Überernährung vorzubeugen, die auch bei Ihnen als besonders gefährlich galt, konzentrierten sich Czerny und Keller darauf, wie häufig ein Kind pro Tag Nahrung zu sich nahm. Durch die Einschränkung der Nahrungsanzahl pro Tag versuchten sie ein einfaches System zu schaffen, um sowohl der Überfütterung vorzubeugen als auch ein normales Gedeihen des Säuglings zu garantieren. Die Ernährungsintervalle unterlagen bereits seit dem 19. Jahrhundert einer gewissen Reglementierung. Häufig wurde als Richtschnur vorgegeben, das Kind alle zwei Stunden anzulegen. Bis zur Jahrhundertwende herrschte Skepsis, ob es überhaupt möglich war, einen einheitlichen Standard für die Nahrungsmenge zu errechnen.148 Czernys und Kellers Ausführungen in Des Kindes Ernährung schafften es jedoch, diese Zweifel zu beseitigen und die Ernährung nach Schema als Standard zu etablieren. Auch in der historischen Rezeption ihrer Arbeit ist dieser Aspekt besonders prominent.149 Eine Beschränkung der Nahrungsintervalle war aus ärztlicher Sicht nötig, da das Kind erst dann wieder Nahrung bekommen sollte, wenn die vorherige Mahlzeit bereits verdaut war, um die „motorische und secretorische Funktion des Magens auf normaler Höhe zu erhalten“.150 Dieser Grundsatz galt sowohl für die Ernährung mit Muttermilch als auch mit der Flasche. Dazu musste zunächst festgestellt werden, wie lange eine Mahlzeit im Magen verblieb. Dies wurde durch das Absaugen des Mageninhalts mittels eines Schlauches bewerkstelligt. Czerny und Keller ermittelten, dass der Magen eines Brustkindes eineinhalb bis höchstens zwei Stunden brauchte, bis er frei von Nahrungsresten war. Sie betonten aber, das Leersein des Magens allein sei keine ausreichende Indikation für die Zufuhr neuer Nahrung. Als Norm formulierten sie daher folgendes Schema: fünf Mahlzeiten, alle vier Stunden mit einer doppelt so langen Nachtpause. Dies begründeten sie durch Beobachtungen in ihren Kliniken, dass sich einerseits das Hungergefühl 1 47 Ebd., S. 376 f., 507. 148 Vgl. Broman, Späda barnets och dess moders diet (1903), S. 184 f.; Camerer, Stoffwechsel und Ernährung (1910), S. 199; Cronquist/Walén, Anvisningar (1905), o. S.; Manz/Manz/ Lennert, Stillempfehlungen, S. 581; Petersson, Vigt-förhållandena (1889), S. 96 f. 149 Manz/Manz/Lennert, Stillempfehlungen, S. 581. 150 Czerny/Keller, Des Kindes Ernährung (1906), S. 471.

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der Säuglinge erst nach mehreren Stunden äußerte. Andererseits hatten vergleichende Beobachtungen „an grossen Reihen von Säuglingen in Anstalten, z. B. Findelanstalten“ 151 gezeigt, dass die Zahl der Ernährungsstörungen rasch zunahm, wenn diese Intervalle nicht eingehalten wurden. Die beiden Autoren zeigten eine gewisse Flexibilität bei der Umsetzung des Ernährungsschemas, die in der weiteren Anwendung und Rezeption teilweise verloren ging. Sie wiesen etwa darauf hin, dass die Pausen nicht „nach der Uhr erzwungen“ werden müssten. Der Schlaf des Kindes sollte nicht gestört werden, auch wenn dies bedeute, dass das Kind die Nahrung bis zu einer halben Stunde später bekäme.152 Sie stellten keine Normen für die Trinkmenge und Trinklänge pro Mahlzeit auf, da hier die individuellen Schwankungen zu extrem seien.153 Durch die Nahrungsintervalle sei die Tagesgesamtmenge ausreichend begrenzt. Auch legten sie keine bestimmten Uhrzeiten fest, zu denen die Nahrung aufgenommen werden sollte, wie sich dies in Aufklärungsmaterial der 1910er bis 1930er Jahre häufig findet.154 Erstaunlich ist der Umstand, dass die Nahrungsregeln nicht an die Bedürfnisse der Flaschennahrung angepasst wurden. Czerny und Keller hatten in anderen Kapi­ teln des Buches etabliert, dass die „künstliche“ Ernährung ein viel schwierigeres Unterfangen war, bei dem die Stoffwechselprozesse ganz anders abliefen, weil die Verdauungsorgane stärker beansprucht wurden. Diese Auslassung trägt vermutlich dem Umstand Rechnung, dass sie versuchten, über die Regulierung der Anzahl der Mahlzeiten, in Kombination mit einer ständigen Überwachung des Kindes durch den Kinderarzt, den Großteil der Probleme der Säuglingsernährung einzuhegen. Eine neue Rezeptur für eine Flaschennahrung findet sich in Des Kindes Ernährung nicht. Als Referenzgröße für die Herstellung einer Flaschennahrung bezogen sich Czerny und Keller, wie alle Vorgänger, auf die Muttermilch.155 Sie bemängelten, dass sich bisherige Rezepte zu sehr auf einzelne Bestandteile konzentriert hätten. Die Erkenntnisse Heubner/Rubners, Nahrungsbestandteile könnten einander gleichwertig ersetzen, stellten Czerny/Keller fundamental in Frage. Die von ­Heubner vorgeschlagene Mischung für Säuglingsnahrung wiesen sie zurück, da sie auf falschen Vorannahmen basierte. Sie griffen vielmehr auf Forschungen zurück, die nahelegten, dass die Energiegewinnung je nach Nahrungsstoff unterschiedlich war. Noch wichtiger sei es, die gemeinschaftliche Wirkung der Stoffe möglichst genau nachzubilden und die Voraussetzungen zu schaffen, dass die Nahrung im 151 152 153 154 155

Ebd., S. 472. Ebd., S. 534. Ebd., S. 469. Hierzu mehr in Abschnitt 1.3.1 und Kapitel 2. Czerny/Keller, Des Kindes Ernährung (1906), S. 455. Vgl. Abschnitt 1.1.2.

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Darm gut ausgenutzt werden konnte.156 Als Kontrollgröße wurde die Beobachtung der Ausscheidungen durch einen Arzt verordnet, da sie genauere Aussagen über den Gesundheitszustand als das einfache Wiegen geben könne. Sie vertraten in dieser Hinsicht eine stark professionalisierte Position, da eine solche Beobachtung und die richtige Anpassung der Ernährung Laien bzw. Müttern nicht möglich war. Czerny und Keller leiteten ihre Vorgaben vor allem aus dem Klinikumfeld ab, weshalb sie nur schwerlich auf das häusliche Umfeld übertragbar waren.157 Ihre langjährige Erfahrung in Kinderkliniken bestimmte ihre Beurteilung der bisherigen Theorien und Ansätze, aber auch ihre eigenen Ansichten und Vorgaben. Dadurch war ihr Blick jedoch verengt. Nur ein geringer Teil der Entbindungen fand zu Beginn des Jahrhunderts in Klinken statt und dann vor allem von Frauen aus den unteren Gesellschaftsschichten, die selbst häufig in einem schlechten körperlichen Zustand waren und kränkliche Kinder zur Welt brachten. Außerdem waren es vor allem kranke Säuglinge, die in die Kliniken kamen.158 Von den Lebensumständen vieler Menschen zu Hause war die Arbeit in der Klinik weit entfernt. Des Kindes Ernährung war sehr wirkmächtig und die darin formulierten Vorgaben wurden von der Fachwelt sowohl in Deutschland als auch in Schweden rezipiert und angewandt.159 Die Ernährungsintervalle wurden in Schweden um 1907 zum ersten Mal in den Fachzeitschriften besprochen, es lässt sich aber noch keine Positionierung der schwedischen Ärzteschaft zu diesem neuen Konzept feststellen.160 Es dauerte anscheinend eine gewisse Zeit, bis sich eine Position zu Gunsten des deutschen Systems durchgesetzt hatte. Der Ratgeber des Professors für Kinderheilkunde Isak Jundell, Späda och äldre barns uppfödning och vård (Die Pflege und Ernährung von Säuglingen und älteren Kindern) von 1913 könnte eine Art Motor für die Durchsetzung des Schemas in Schweden gewesen sein, da er zu den wichtigsten Autoritäten der Kinder- und Säuglingsgesundheit im frühen 20. Jahrhundert zählte. In den 1920er Jahren wurden die Ernährungsintervalle auch in Schweden zum offiziellen Diskurs.161 Während die wissenschaftliche D ­ iskussion um die Säuglingsernährung vor allem in Deutschland vorangetrieben wurde, ­begannen um 1910 1 56 Ebd., S. 523 f., 525, 527, 539. 157 Vgl. Manz/Manz/Lennert, Stillempfehlungen, S. 576. 158 Vgl. ebd., S. 575; Ohrlander, Barnet fick en kropp, S. 47 f.; dies., Barnens och i nationens intersse, S. 262. 159 Vgl. Dill, Säuglingspflege, S. 25; Manz/Manz/Lennert, Stillempfehlungen, S. 584; Ohrlander, Socialliberal reformpolitik, S. 262; Orland, Wissenschaft, S. 301. 160 Vgl. Ahlfors, Späda barns uppfödning (1908), S. 747; Ohrlander, Barnet fick en kropp, S. 47; Wernstedt, Ord om “Mjölkdroppe”-rörelsen (1907), S. 923. 161 Vgl. Jundell, Uppfödning (1913), S. 12; Lichtenstein, Barnavård (1927), 84 f.; Ohrlander, Social­ liberal reformpolitik, S. 262.

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auch schwedische Kinderärzte eigene Forschung auf diesem Gebiet zu veröffentlichen. Insbesondere die lange vernachlässigte Frage der Flaschenernährung fand immer größeres Interesse in der schwedischen Ärzteschaft.162 Vorrangig blieb aber die praktische Versorgung der Kinder und sozialpädiatrische Arbeit. Abschließend zeigen Czernys und Kellers sowie Heubners und Rubners Aussagen, dass Ernährungsexperimente an Säuglingen nicht unüblich waren. Während sich einige Ärzte auf die eigenen Kinder beschränkten, versuchten Czerny und Keller an kranken Säuglingen in den Kliniken verschiedene Ernährungsmischungen und entleerten ihren Mageninhalt. Da es sich zumeist um Versuche handelte, die der Heilung dienten, fielen die Experimente nicht unter den preußischen Erlass über Menschenversuche vom 29. Dezember 1900. Dieser wurde auch in anderen Gebieten übernommen. Allerdings wurde er zur Entstehungszeit kaum von den Forschern beachtet, da sie entweder Einschränkungen der Forschungsfreiheit befür­chteten oder ihn als unzureichend einschätzten.163 In diesem Verhalten äußert sich die vorherrschende Vorstellung der Säuglings sei „gefühllos, schmerzunempfindlich, ohne soziale Bedürfnisse“.164 Oder zeitgenössisch formuliert: Im Gegensatz zur allgemeinen Kinderfürsorge, deren Aufgabe hygienische, materielle und pädagogische sind, hat es die Säuglingsfürsorge entsprechend der geistigen Anspruchslosigkeit dieser ersten Lebensperiode nur mit der Frage der körperlichen Entwicklung und der Erhaltung am Leben zu tun.165

Der berühmte Düsseldorfer Professor für Pädiatrie, Arthur Schloßmann, lehnte Kritik von naturkundlicher Seite ab, die deutsche Kinderheilkunde führe Experimente an Kindern durch. Innerhalb der Pädiatrie gab es zu diesem Zeitpunkt offenbar keine Skrupel, bei den für gefühllos gehaltenen Säuglingen die Nahrungsmenge oder -zusammensetzung zu variieren oder sie in Respirationsapparate zu stecken. Hinzu kam, dass die Kinder häufig bereits in schlechtem gesundheitlichen Zustand in die Kliniken kamen und sie keine wirkmächtigen Fürsprecher hatten, da sie entweder Waisen oder Kinder von Müttern aus der Unterschicht waren.166 162 Vgl. Jundell, Kort översikt (1934), S. 284 f.; Wallgren, Social Welfare (1944/1945), S. 208; ders., Isak Jundell (1957), hier S. 509; Weiner, Spädbarnsdödligheten, S. 63, 71. 163 Vgl. Reuland, Menschenversuche, S. 15 ff. 164 Gebhardt, „Ganz genau nach Tabelle“, S. 249. 165 Würtz, Säuglingsfürsorge (1912), S. 229. 166 Vgl. Manz/Manz/Lennert, Stillempfehlungen, S. 575; Reuland, Menschenversuche, S. 49. Reuland bezieht sich zwar auf die Zeit der Weimarer Republik, aber auch im Kaiserreich konnte ich nur wenige kritische Stimmen finden. Eine Ausnahme stellt der Versuch dar, Milch mit Formaldehyd haltbar zu machen. Der Versuch war an einem schwer kranken

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Ziel war es natürlich trotzdem, die Kinder am Leben zu erhalten – alles andere hätte der bevölkerungspolitischen Stoßrichtung der Pädiatrie im Kaiserreich wider­sprochen. Den „stummen“ Säuglingen Schmerzen zuzufügen oder sie hungern zu lassen für die Forschung, war jedoch keinesfalls dadurch ausgeschlossen.167 Die Ernährung sowohl nach Heubner und Rubner als auch nach Czerny und Keller stellte eine Zuspitzung der Professionalisierung der Säuglingsernährung dar, die selbst an der Brust nun nicht mehr unbedingt von jeder Mutter richtig durchgeführt werden konnte. Beobachtung und Kontrolle eines Kinderarztes wurden unerlässlich. In der geschichtswissenschaftlichen Literatur wird die Arbeit von Czerny und Keller teilweise als ein erster Schlussstrich unter die Debatte der Säuglingsernährung beschrieben,168 als Höhepunkt der Normierung und Standardisierung des kindlichen Körpers.169 In den folgenden Unterkapiteln werde ich zeigen, wie sich diese Diskussion in den kommenden Jahren transformierte und welche anderen Allianzen die Flaschennahrung einging. 1.2.3 Hygienische Flaschen

Neben der Nahrung selbst veränderte sich in den 1880er und 1890er Jahren die Diskussion um das Gefäß, mit dem sie verabreicht werden sollte. Die Flasche hatte sich, wie bereits oben gezeigt, mittlerweile als bevorzugte Methode für die Ernährung mit Milchmischungen durchgesetzt.170 Allerdings gab es weitere Auseinandersetzungen um die Form der Flasche und der Sauger. Schon in den Jahrzehnten zuvor mahnten Kinderärzte und Gesundheitspersonal, dass die Flasche sauber gehalten werden sollte. Durch die Bakteriologie erhielt diese Anweisung nun eine wissenschaftliche Legitimation. Wie einfach oder schwierig es war, eine Flasche zu säubern, war ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal für gute bzw. schlechte Flaschen. Säugling vorgenommen worden, der nach der Gabe von Milch mit Formaldehyd verstarb. Der Versuchsleiter Leo Schaps riet infolgedessen von der Verwendung ab und schlug vor, weitere Versuche „‚nur bei absolut ungünstigen Lebensaussichten‘“ vorzunehmen. Genereller Anstoß an dem Vorgehen wurde allerdings weder von Schaps noch von seinem Vorgesetzten am Dresdener Säuglingsheim, Arthur Schloßmann, genommen. Der Autor der Besprechung des Versuches in der Ärztlichen Sachverständigen Zeitung hielt dieses Vorgehen hingegen „für strafbar, weil der Tod durch die Verätzung zumindest beschleunigt worden war“, Stöckel, Säuglingsfürsorge, S. 131 f. Vgl. Schaps, Frage der Conservirung (1905); o. A., Rezension zu: Zur Frage der Konservierung (1905), S. 283. 167 Vgl. Gebhardt, Angst, S. 52; Reuland, Menschenversuche, S. 237 f. 168 Vgl. Nießen, Säuglingsernährung, S. 64. 169 Vgl. Manz/Manz/Lennert, Stillempfehlungen, S. 575; Orland, Wissenschaft, S. 301. 170 Czerny/Keller, Des Kindes Ernährung (1906), S. 519.

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Wie im letzten Unterkapitel beschrieben, waren Gummisauger seit der Mitte des 19. Jahrhunderts in Verwendung, wurden aber nicht direkt am Flaschenhals angebracht, sondern am Ende eines Glas- oder Metallrohres befestigt, teilweise mit einem langen Gummischlauch. Diese Flaschen mit Metallrohr oder Gummischlauch wurden von der Fachwelt kritisiert, da nicht überprüft werden konnte, ob sich darin Milchreste befanden.171 Diese Flaschen wurden zu Beginn des 20. Jahrhunderts als „höchst lebensgefährlich“ bezeichnet.172 Sie hätten einen „mörderischen Erfolg“ dabei gehabt, die Kinder krank zu machen: „im Sommer Brechdurchfall – im Winter alimentäre Autointoxikation, Konvulsion – Tod“.173 Mit Einführung der Ernährungsregeln nach Czerny und Keller kritisierten Ärzte außerdem, dass viele Mütter ihre Kinder unbeaufsichtigt daran saugen ließen und sie dabei nicht kontrollierten. Solche Ernährungspraktiken galten darüber hinaus aus bakteriologischer Sicht als hochgradig gefährlich, da sie zu der Vermehrung von Bakterien und Keimen beitrugen.174 Dennoch erfreuten sich solche Flaschen großer Beliebtheit sowohl in Deutschland als auch in Schweden. Der Medizinhistoriker Manfred Stürzbecher geht davon aus, dass nach vorsichtigen Schätzungen „fast die Hälfte der Säuglinge [im Deutschen Reich] mit solchen Rohrflaschen aufgezogen [worden] sein müßten.“ 175 Die ideale Flasche war hingegen eine besonders „einfache“, die wahrscheinlich aus der Arbeit in Laboren und Kliniken abgeleitet war. Sie war zylindrisch, mit einem glatten Boden, einem möglichst kurzen, relativ engen Hals und einer Gradierung, also einer Messeinteilung. Durch das Schreckgespenst der Überfütterung war es wichtiger geworden, die Nahrungsmenge des Flaschenkindes zu kontrollieren. Eine gute Maßeinteilung an der Flasche selbst konnte dabei sowohl das Pflegepersonal als auch die Mutter zu Hause unterstützen.176 Die Flaschen in Soxhlets Sterilisationsapparat entsprachen dieser Beschreibung und wurden häufig als positives Beispiel für eine praktische Säuglingsflasche herangezogen (vgl. Abb. 5).177 171 Vgl. o. A., Berührung, S. 311. Zeitgenössisch: Bauer, Ernährung (1914), S. 197; Biedert, Kinderernährung (1897), S. 187; Cronquist/Walén, Anvisningar (1905), o. S.; Czerny/Keller, Des Kindes Ernährung (1906), S. 515, 517; o. A., Patenterad Diflaska (1893), S. 61. 172 Cronquist/Walén, Anvisningar (1905), o. S. 173 Peiper, Chronik (1958), S. 337 f. 174 Vgl. Ahlfors, Späda barns uppfödning (1908), S. 758; Fildes, Breasts, S. 250; Heubner, Gedeihen (1897), S. 35; Nießen, Säuglingsernährung, S. 60; Ohrlander, Barnet fick en kropp, S. 45. 175 Stürzbecher, Kindersaugflasche (1956), S. 80. Vgl. Klebe/Schadewaldt, Gefäße (1955), S. 39. 176 Vgl. Biedert, Kinderernährung (1897), S. 187; Brüning, Geschichte (1908), S. 121; Cronquist/ Walén, Anvisningar (1905), o. S.; Peiper, Chronik (1958), S. 337. 177 Vgl. Bókay, Geschichte (1922), S. 285; Schreiber, Säuglingsernährung (1916), S. 3; Soxhlet, Verbessertes Verfahren (1891), S. 338; Wickes, History IV , S. 421.

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Abb. 6: Verpackung der No 6670 Neue hygienische Saugflasche mit Markensymbol und Werbung (spätes 19. Jahrhundert).

Während die Flasche in der Fachliteratur mit Krankheit in Zusammenhang ­gebracht wurde, versuchten Hersteller von Flaschen mit Saugrohr ihr Produkt durch positiv besetzte Schlagwörter wie „hygienisch“ und „Gesundheit“ aus diesem Zusammenhang herauszulösen. Es kamen eine Reihe von sog. Patentflaschen in den Handel. Ein Beispiel hierfür ist die No 6670 Neue hygienische Saugflasche, die ein patentamtlich geschütztes Pfeilzeichen trug (Abb. 6). Durch den Zusatz des Patentes grenzten sie sich von minderwertigen „Nachahmungen“ ab. Von dem Saugrohr abgesehen, entsprach die Flasche durchaus den Anforderungen der Kinderärzte: Sie war innen glattwandig, hatte einen glatten Boden und war mit einer außen angebrachten Gradierung versehen.178 Auch in Schweden gab es in den 1890er Jahren neue Flaschentypen. Vor der Jahrhundertwende wurde eine Reihe sowohl deutscher als auch schwedischer 178 Vgl. Biedert, Kinderernährung (1895), S. 198; Brüning, Geschichte (1908), S. 121; Peiper, Chronik (1958), S. 337; Schreiber, Säuglingsernährung (1916), S. 3; Zerwer, Säuglingspflegefibel (1912), S. 45.

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Designs mit Saugrohr in Schweden patentiert.179 Dabei orientierte sich das schwedische Design durchaus an anderen Vorbildern als deutsche Flaschen. Ein Beispiel dafür ist die 1890 von der Hebamme Helena Flodin entwickelte Patentflasche (Abb. 7).180 Anders als deutsche Flaschen war diese nicht zylindrisch, sondern konisch geformt. Sie konnte mit oder ohne gläsernes Saugrohr benutzt werden. Flodins Flasche erinnert damit stark an das dihorn, das in Schweden im 19. Jahrhundert sehr verbreitet war (vgl. Abb. 2).181 Das Saughorn war und ist ein Symbol der volkstümlichen Säuglingsernährung in Schweden. Es wurde mit Milchmischungen befüllt und über die Wiege des Kindes gehängt, damit es daran saugen konnte.182 Das Saughorn stand im Verruf, besonders dreckig und gefährlich für das Kind zu sein. Die Werbung für Flodins Flasche hingegen vermittelte ein Bild von Sauberkeit und Wissenschaftlichkeit. Sie betonte, die Flasche könnte „vollkommen sauber“ gehalten werden und lieferte jeweils eine kurze Gebrauchsanleitung und sogar ein Rezept für Flaschenmilch mit. Nach dem Vorbild ­Nestlés fanden sich außerdem Gutachten von Ärzten, die für die Flasche bürgten.183 Flodin riet dazu, die Flasche zur „Bequemlichkeit“ des Kindes mit dem gläsernen Saugrohr zu benutzen. Sie sah es nicht kritisch, dem Kind die Flasche in die Wiege zu legen und es damit ohne Aufsicht zu füttern.184 Darin konnte man die Perspektive einer anderen Profession sehen, die eher mit dem Alltag der Mütter vertraut war als die Kinderärzte. Für Flodin war es wichtig, sowohl eine saubere Flasche herzustellen als auch eine, die für Mutter und Kind gut zu handhaben war. Schon vor dem Beginn des neuen Jahrhunderts verschwand die Werbung für Flodins ­Patentflasche allerdings aus den Zeitschriften.185 Analog zur Diskussion in Deutschland wurden 179 Vgl. u. a. Patent zweier Deutscher für eine Saugflasche mit einem in das Glas eingeschmolzenen Saugrohr, Kungliga Patent- och registeringsverk, Patent No 678 (1886); Cronquist/Walén, Anvisningar (1905), o. S.; Lithell, Små barn, S. 25, 131. 180 Vgl. Kungliga Patent- och registeringsverk, Patent No 2243 (1889). 181 Vgl. Fildes, Breasts, S. 348; Höberg, Barn, S. 116 f.; Peiper, Chronik (1992), S. 445. 182 Vgl. Kapitel: Från dihorn till nappflaska, in: Höberg, Svagårens barn, S. 115 – 123; Lithell, Bröstet eller dihornet. Siehe auch: Bengtsson, Hotade barnet, S. 22, 55; dies., Barnhälsans historia, S. 98; Brüning, Geschichte (1908), S. 73. 183 o. A., Patenterad diflaska (1891), S. 64. Vgl. o. A., Den patenterad diflaska (1891), S. 14; Werbung, Patenterad diflaska, in der Zeitschrift Jordemodern im Januar 1891, Juni und Oktober 1892 und Juni 1893. 184 Vgl. Flodin, Det är icke farligt (1892), S. 61. Dies war eine Reaktion auf eine Mitteilung in der vorherigen Ausgabe o. A., Varning att lemma dibarnet med diflaskan (1897), S. 210, die jedoch keine direkte Kritik an Flodins Flasche, sondern generell daran war, Kinder mit Saugflaschen unbeaufsichtigt zu lassen. 185 Über Helena Flodin ist wenig bekannt. Sie wurde 1901 in der schwedischen Zeitschrift För svenska hem als weibliche Erfinderin mit einem biographischen Porträt geehrt. Danach finden

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Abb. 7: „Neu!“, „Ausgezeichnet!“ – Werbung für Flodins patenterad diflaska (1895) und Abb. 2: dihorn.

Flaschen mit Gummischläuchen und Saugrohren seitdem stärker in der Fachwelt als gefährlich kritisiert. Zu einem Verbot oder Verbotsversuch kam es in Schweden jedoch nicht. Nicht nur aus hygienischer Sicht kam Kritik an langen Saugrohren auf. Es mehrten sich Untersuchungen über die Trinkbewegung an der Brust und der Flasche. Mit der Art des Saugens wurde etwa die Stärke der M ­ agensaftsekretion in Verbindung gebracht, die zu einer besseren Verdauung der Nahrung führen sollte. Auf diesem Gebiet engagierte sich der Münchner Kinderarzt Mainhardt von Pfaundler.186 Er und andere Kollegen fanden heraus, dass es bei kurzen Saughütchen vorkommen konnte, dass die Kinder sich weniger ­anstrengen mussten als beim Saugen an der Brust, das als „melkende B ­ ewegungen“ ­charakterisiert sich keine weiteren Veröffentlichungen von ihr oder über sie. Zu diesem Zeitpunkt gab es auch schon keine Werbung mehr für ihre Saugflasche. Vgl. o. A., Notis (1901), S. 204. 186 Vgl. Bauer, Ernährung (1914), S. 139; Pfaundler, Verhandlungen (1899), S. 38; Czerny/Keller, Des Kindes Ernährung (1906), S. 500; Süßwein, Physiologie des Trinkens (1905).

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­wurde.187 Der Saugvorgang an der Flasche wurde hingegen als passiv beschrieben. Durch die Art des Saugers sollte eine größtmögliche Ähnlichkeit zwischen Brust und Flasche hergestellt werden. Um zu schnelles Trinken zu verhindern, musste der Sauger speziell präpariert werden, so dass der Säugling einen größeren Widerstand beim Trinken überwinden musste. Dazu wurden mit glühenden Nadeln enge Löcher in den Sauger eingestochen, damit die Milch nicht direkt herausfloss.188 Wie die Flasche selbst, musste auch der Sauger gut zu reinigen sein, weswegen die Ärzte kurze Saughüte, trotz der Probleme, bevorzugten. Diese Art der Sauger setzte sich seit Beginn des 20. Jahrhunderts zunehmend durch.189 Neben der medizinischen Fachwelt beschäftigte sich der Deutsche Reichstag um 1910 mit der Flaschennahrung. Es gab Bestrebungen in der Politik, Flaschen mit Saugrohr zu verbieten. Die Initiative ging von der Politik und nicht von den Kinderärzten aus, wahrscheinlich unter dem Eindruck eines Verbotes dieser Flasche beim Rivalen Frankreich.190 Ein Reichstagsausschuss wurde gebildet, um Informationen über die Verkaufszahlen bei Herstellerfirmen einzuholen und einen Überblick zu erhalten, wie hoch der wirtschaftliche Verlust eines solchen Verbots wäre. Die Firmen stellten laut eigenen Aussagen eine große Menge her und exportierten diese ins Ausland, u. a. nach Schweden. Obwohl Kinderärzte immer wieder auf die Gefahren dieser Flaschenart hingewiesen hatten, fand der Reichstagsausschuss keine eindeutigen Beweise dafür, dass diese Flaschen die Ursache höherer Morbidität bei Säuglingen war.191 In der Tagespresse wurde das Verbot ebenfalls diskutiert, aber dort wenig Zustimmung fand. Nachdem ein Verbotsgesetz weder 1912 noch 1913 eine Mehrheit gewinnen konnte, wurde es nicht erneut verhandelt. Der Widerstand der Hersteller und die zu befürchtenden Verluste für den Handel dürften keine geringe Rolle gespielt haben.192 In diesem Fall folgte die Regierung weniger den Fachärzten als der Industrie. Die Diskussion hatte jedoch die Flasche in die breitere Öffentlichkeit beför­ dert. Im Rosenmontagszug des Kölner Karnevals ein Jahr später wurde das Thema 187 Süßwein, Physiologie des Trinkens (1905), S. 78 f. 188 Vgl. Bauer, Ernährung (1914), S. 197; Biedert, Kinderernährung (1897), S. 187 f.; Brüning, Geschichte (1908), S. 121; Czerny/Keller, Des Kindes Ernährung (1906), S. 516 ff.; Philipp über Schmidt, Brustsaugen (1905), S. 124 f.; Schmidt, Fehler der Saugflasche (1901); Süßwein, Physiologie des Trinkens (1905), S. 78 f.; Theodor, Ernährung (1905), S. 227. 189 Vgl. Bókay, Geschichte (1928), S. 285; Biedert, Kinderernährung (1897), S. 187; Czerny/Keller, Des Kindes Ernährung (1906), S. 516. 190 Vgl. Bókay, Geschichte (1928), S. 285; Stürzbecher, Kindersaugflasche (1956), S. 82. 191 Vgl. Stürzbecher, Kindersaugflasche (1956), S. 81 f. 192 Vgl. Peiper, Chronik (1958), S. 337.

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Flasche aufgegriffen. Der Wagen der Gesellschaft Eintracht kritisierte diese „Milch-Maschine“, da sie zu weniger wehrfähigen Männern führe. Sie stelle eine Gefahr sowohl für die einzelnen Kinder, aber auch für die nationale Sicherheit dar, verkündete ein Begleitgedicht zum Wagen.193 Die Flasche als Risikofaktor in der Ernährung des Kindes und in extensio für die gesamte Entwicklung Deutschlands war unter dem Einfluss nationaler Spannungen in den öffentlichen Raum gerückt. Auf die öffentliche Beschäftigung mit der Flaschenernährung werde ich im kommenden Abschnitt näher eingehen. 1.2.4 Aufbau der philanthropischen Säuglingsfürsorge in Deutschland und Schweden

Mit dem Übergang in das neue Jahrhundert beschleunigte und intensivierte sich die Beschäftigung mit der Säuglingsgesundheit sowohl in Schweden als auch in Deutschland unter dem Eindruck sinkender Geburtenraten in beiden Ländern.194 Während Schweden schon seit Mitte des 18. Jahrhunderts Bevölkerungsstatistiken angefertigt und sich zentrale Organe zur Gesundheitsaufklärung gegründet hatten, wurden in Deutschland nach der Reichsgründung 1871 vermehrt statistische Bevölkerungsuntersuchungen durchgeführt.195 Die Untersuchungen der Bevölkerung hatten zwei Ergebnisse hervorgebracht: Zum einen hatten die deutschen Staaten, die meistens separat aufgeführt wurden, im europäischen Vergleich sehr hohe Säuglingssterblichkeitszahlen (1898: Württemberg 31,25 ‰, Bayern 30,84 ‰ sowie Preußen 21,23 ‰). Schweden hingegen nahm einen Platz an der Spitze der Nationen mit der niedrigsten Sterblichkeitsrate ein (1898: 13,19 ‰).196 Dennoch galt es auch hier, aufgrund der fallenden Geburten- und hohen Emigrationsraten in die Vereinigten Staaten, diese Zahlen 193 „Wir brauchen Männer stark und stet/ In Deutschland’s Nutz und Frommen;/ Wenn einst von Osten oder West/ Heran die Feinde kommen.“ Das Kind (Gesellschaft Eintracht), in: v. A., Der Kölner Rosenmontagszug (1914), Wagen 44. Für diesen Hinweis danke ich Christoph Müller-Oberhäuser. 194 Vgl. Allen, Mothers, S. 431; Butke/Kleine, Kampf, S. 9, 21; Jundell, Schweden (1912), S. 758; Lindner, Gesundheitspolitik, S. 399; Myrdal/Myrdal, Kris (1934), S. 83; Weiner, Spädbarnsdödligheten, S. 67; Åmark, Familj, S. 249. 195 1876 wurde das Kaiserliche Gesundheitsamt eingerichtet, das als Zentralorgan über die Durchführung gesundheitspolitischer Maßnahmen Aufsicht führte. Auf Reichsebene fand vorrangig medizinpolizeiliche Kontrolle statt. Nur selten wurden fürsorgerische Ziele verfolgt, vgl. Butke/Kleine, Kampf, S. 3, 7. 196 o. A., Dödligheten hos barn (1898), S. 59; vgl. Johannisson, Folkhälsa, S. 149 f.; Dickinson, Politics, S. 52.

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noch weiter zu senken.197 Zum anderen wurde deutlich, dass soziale Faktoren Einfluss auf die Höhe der Säuglingssterblichkeit hatten, wie uneheliche Geburt des Kindes, Kinderanzahl, Wohnort, aber auch die Ernährungsform, die als sozialer Faktor neu interpretiert wurde.198 Nachdem um die Jahrhundertwende die Erkenntnis Fuß gefasst hatte, dass die Bakteriologie nicht alle Krankheiten erfolgreich bekämpfen konnte, rückten die sozialen Umstände von Krankheit ins Zentrum des Interesses. In beiden Ländern war Ende des Jahrhunderts die Sozialhygiene zu einem „bestimmenden Konzept einer kombinierten Gesundheits- und Sozialpolitik zur Verhinderung der ‚Volkskrankheiten‘“ geworden.199 Besonders gefährdete Gruppen, wie die Säuglinge, bildeten den Fokus der Sozialhygiene, die wiederum wirksame Allianzen mit der Pädiatrie einging. Die beiden Stränge vereinten sich im Fachbereich der Sozialpädiatrie, die viele Anhänger fand.200 Auf diese Erkenntnisse wurde mit diversen Maßnahmen auf lokaler und privater Ebene reagiert. Eine Reihe von Vereinen und Institutionen gründete sich, vor allem im städtischen Raum, wo die Zustände besonders frappierend waren. In beiden Ländern fokussierte sich die Institutionalisierung der Säuglingsfürsorge auf die Verbesserung der Ernährung. Besonders auffällig war, dass Todes­ fälle aufgrund von Magen-Darm-Infektionen im Sommer zunahmen, einen sog. Sommergipfel bildeten. Dies wurde mit dem schnelleren Verderben von Kuhmilchnahrung bei hohen Temperaturen aufgrund fehlender Kühlmöglichkeiten in Zusammenhang gebracht.201 Der deutsche Pädiater Gustav Tugendreich stellte fest: „Die letzte endgültige Ursache der zu großen Säuglingssterblichkeit ist die weite Verbreitung der künstlichen Ernährung.“ 202 In Schweden popularisierte der einflussreiche Kinderarzt Isak Jundell, der seit 1914 Professor am Karolinska 197 Vgl. Johannisson, Folkhälsa, S. 144; Jundell, Schweden, S. 758; Myrdal/Myrdal, Kris (1934), S. 83; Ohrlander, Socialliberal reformpolitik, S. 80; SOU 1994:38, S. 28 f.; Weiner, Spädbarnsdödligheten, S. 67; Westergaard, Folkhälsan (1921), S. 38. 198 Vgl. Allen, Mothers, S. 422; Fehlemann, Stillpropaganda, S. 25; Matzner-Vogel, Produktion, S. 50. 199 Stöckel, Säuglingsfürsorge, S. 3; Fehlemann, Armutsrisiko, S. 74 f.; Johannisson, Folkhälsa, S. 151; Labisch, Homo Hygienicus, S. 119; Sundin, Folkhälsa, S. 383. 200 Vgl. Fehlemann, Armutsrisiko, S. 75. Die auf diesen Grundlagen angestoßenen Sanierungen der Kanalisationen und die umfangreiche Neuorganisation und „Hygienisierung“ der Städte werden ebenfalls als wichtige Faktoren zur Senkung der Säuglingssterblichkeit gewertet, hier jedoch nicht weiter systematisch verfolgt. Vgl. u. a. Johannisson, Folkhälsa, S. 151; Löw, Världen, S. 143 – 152; Vögele, Sozialgeschichte; Spree, Ungleichheit. 201 Vgl. Allen, Mothers, S. 422; Butke/Klein, Kampf, S. 165; Japha, Hitze und Säuglingssterblichkeit (1913); Vögele, Sozialgeschichte, S. 409; Würtz, Säuglingsfürsorge (1912), S. 254. 202 Zit. nach: Engel/Behrendt, Säuglingsfürsorge (1927), S. 44 (Hervorh. im Org.).

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Institutet und Oberarzt am Allmänna Barnhuset (Öffentliches Kinderheim) in Stockholm war, den Befund, dass ca. 80 % der Todesfälle im Säuglingsalter auf die Flaschennahrung zurückzuführen seien.203 Um die Jahrhundertwende wurden vier, teilweise miteinander verschränkte Maßnahmen ergriffen, um die Ernährungssituation von Säuglingen zu verbessern und die Sterblichkeit zu senken: 1) die Einführung von Milchküchen, 2) Säuglingsfürsorgestellen und 3) Stillpropaganda und Stillprämien sowie 4) der Erlass neuer Gesetze zum Wöchnerinnenschutz in Deutschland und zum Schutz unehelich geborener Kinder in Schweden.204 Zum ersten Punkt: Bereits in den 1890er Jahren hatte es in Deutschland nach dem Vorbild der französischen Gouttes de lait (Milchtropfen) vereinzelt Milchküchen in größeren Städten gegeben. Diese konzentrierten sich auf die Ausgabe von Milchmischungen an bedürftige Mütter. Zumeist waren sie an Einrichtungen wie Universitätskliniken oder Findelheime angeschlossen. Der vorstehende Arzt bestimmte, welche Rezepte angemischt wurden, die Milch wurde dort nach Vorgaben der Bakteriologie abgekocht. Die Zubereitung auf dem neuesten Stand der Wissenschaft war verhältnismäßig kostspielig, da sie günstig oder kostenfrei an Bedürftige abgegeben werden sollte. Getragen wurden die Milchküchen durch eine Mischform aus Spenden und städtischen Zuschüssen. Sie erreichten um 1913 ihre größte Verbreitungsdichte und gingen danach in Säuglingsfürsorgestellen auf.205 1901 richtete der Kinderarzt Moritz Blumenthal den ersten Mjölkdroppe (Milchtropfen), der sich ebenfalls an den französischen Gouttes de lait orientierte, in einem der ärmsten Stadtteile Stockholms ein. Ziel war es ebenfalls, bedürftige Mütter mit fertigen, ärztlich abgesicherten Milchmischungen zu versorgen. Schon bald eröffneten Mjölkdroppar in anderen Stockholmer Stadtteilen und schwedischen Städten. Sie waren wie in Deutschland auf Spenden angewiesen, die häufig von lokalen Fördervereinen eingeworben wurden.206 Die verantwortlichen Ärzte führten ca. zweimal in der Woche eine Sprechstunde durch, in der neue Kinder und Mütter untersucht wurden. Bei Müttern sollte festgestellt werden, ob sie aus 203 Jundell, Uppfödning (1913), S. 4; vgl. Wallgren, Isak Jundell (1957), S. 506; Wennergren/ Lagercrantz, Isak Jundell, S. 14; Wernstedt, Isak Jundell † (1944/1945), S. 116. 204 Ausführlich zu unterschiedlichen Herangehensweisen an den Mutterschutz in Deutschland und Schweden vgl. Kulawik, Wohlfahrtsstaat. 205 Vgl. Keller, Deutschland (1912), S. 235 ff., 241, 249; Seidler, Ernährung (1976), S. 298 f.; Stöckel, Säuglingsfürsorge, S. 209; Vögele, Sozialgeschichte, S. 311; Würtz, Säuglingsfürsorge (1912), S. 254 f. 206 Vgl. Berg, Gränslösa hälsan, S. 125; Blanck, Offentligt, S. 25; Blumenthal, Anteckningar om Mjölkdroppen (1911), S. 9, 11; Gunther, Mjölkdroppen (1966), S. 4; Hellström, Hygieniskstatistisk återblick (1931), S. 6; Jundell u. a., Schweden (1912), S. 766 f.; Lithell, Små barn, S. 114; SOU 1929:28, S. 45 f.; Stenhammar u. a., Mjölkdroppen, S. 28, 34; Wallgren, Social Welfare (1955/1945), S. 209; Weiner, Spädbarnsdödligheten, S. 59, 85.

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Abb. 8 und 9: Aufnahmebogen, Wiegetabelle und Nahrungsübersicht eines Kindes. Hier finden sich Informationen, dass es das vierte Kind der Mutter ist, es teilweise gestillt wurde, aber abgestillt wurde, weil „die Mutter ‚zu wenig‘ [Milch] hatte“ sowie der Beruf der Mutter als Zeitungsausträgerin (1913).

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legitimen, i. e. körperlichen Gründen, nicht stillen konnten. Die Kinder wurden gewogen und ihre Milchmischungen entsprechend angepasst (vgl. Abb. 8 und 9).207 Die meiste Arbeit wurde von Vorsteherinnen erledigt, die bis in die 1920er Jahren selten ausgebildete Krankenschwestern, sondern „ordentliche und verantwortungsbewusste“ Frauen waren.208 Sie führten u. a. Hausbesuche durch, bei denen sie den allgemeinen Zustand der Wohnungen der eingeschriebenen Mütter prüften. Ihr Urteil fiel oft negativ aus, weil der Zustand der Wohnung nicht den Ansprüchen der bürgerlichen Vorsteherinnen entsprach. Müttern wurde daher häufig eine ungenügende Pflege ihrer Kinder und Unwissenheit attestiert.209 Die Mjölkdroppar fungierten von Anfang an gleichermaßen als Milchküche und Kontrollinstrument, um sowohl die Gesundheit der Kinder als auch deren Mütter im Auge zu behalten. Die philanthropischen Maßnahmen und Institutionen eröffneten somit neue Aufgaben und Pflichten für Frauen. Zum einen richteten sich die Maßnahmen ausschließlich an Mütter, auf denen die Verantwortung für die Ernährung und damit Gesundheit ihrer Kinder lastete. Zum anderen gewannen Frauen zunehmend Einfluss in der Institutionalisierung der Säuglingsgesundheit. Dabei lässt sich ein Machtgefälle zwischen Frauen der arbeitenden Klassen, die vor allem Adressatinnen der Fürsorge waren, und Frauen des Bürgertums, die sich ehrenamtlich in der Säuglingsgesundheitsfrage engagierten, konstatieren.210 In Stockholm gab es seit 1900 die Sällskap Barnavård (Kinderpflegegesellschaft), die die Ausbildung von Kinderpflegerinnen organisierte. In anderen Städten entstanden ähnliche Initiativen.211 Die Säuglings- und Müttergesundheit war seit dem Ende des 19. Jahrhunderts eng mit den Forderungen der Frauenbewegung verknüpft, die sich aus unterschiedlichen Richtungen für politische und soziale Rechte von Frauen und Müttern einsetzte. Dies war nicht auf Deutschland und Schweden beschränkt, sondern passierte im gesamten Westen. Sie war eine international 207 Vgl. Blumenthal, Anteckningar om Mjölkdroppen (1911), S. 23 f., 26; Gunther, Mjölkdroppen (1966), S. 2, 5 f.; Hellström, Hygienisk-statistisk återblick (1931); Höberg, Svagårens barn, S. 121 f.; Lithell, Små barn, S. 131; Niemi, Public Health, S. 63; Stenhammar u. a., M ­ jölkdroppen, S. 34, 61 f.; Weiner, Spädbarnsdödligheten; Wernstedt, Ord om “Mjölkdroppe”-rörelsen (1907), S. 924. 208 SOU 1929:28, S. 48; vgl. Gunther, Mjölkdroppen (1966), S. 17. 209 Vgl. Weiner, Spädbarnsdödligheten, S. 104. 210 Vgl. Allen, Feminism, S. 177; dies., Feminism and Eugenics; dies., Feminismus; Bock, Armut; Butke/Kleine, Kampf, S. 12 f.; Dickinson, Politics, S. 62; Fehlemann, Armutsrisiko, S. 23; Jordansson, Filantropen blev en kvinna; Matzner-Vogel, Produktion, S. 50; Schütze, Gute Mutter, S. 49 – 56. 211 Vgl. Jordansson, Filantropen blev en kvinna, S. 485 f.; Jundell u. a., Schweden (1912), S. 779 f.; Weiner, Konflikter om spädbarnsvård, S. 490.

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agierende und vernetzte Bewegung, die zwar landesspezifische Ausformungen aufwies, aber durch ähnliche Ideale vereint war.212 In Anlehnung an die schwedische Pädagogin und Schriftstellerin Ellen Key, verstanden deutsche und schwedische bürgerliche Frauenvereine „Mutterschaft als die vornehmste Berufung von Frauen, die vom Staat durch Bezahlung zu unterstützen sei“.213 Großen Aufschwung erhielten die Bemühungen der deutschen Frauenvereine, als Kaiserin Auguste Viktoria sich 1904 persönlich für die Erweiterung der Säuglingsfürsorge aussprach. Damit wurde die Säuglingsgesundheit zu einer Aufgabe von nationaler Bedeutung erho­ ben, jedoch ohne ein einheitliches Programm oder durchgreifende Reformen anzustoßen.214 Vielmehr traten neue Konflikte auf. An den Praktiken der Milchküchen kam in beiden Ländern um 1907 Kritik auf. Sie bündelte sich in zwei Punkten: Zum einen sei die Milchausgabe kontraproduktiv bei der Förderung der natürlichen Ernährung, da sie den Müttern vorgaukele, die Flaschenmilch sei ein gleichwertiger Ersatz. Erfahrungen aus Frankreich hätten gezeigt, dass dort die Stillfrequenz nach Einführung der Milchausgabe zurückgegangen sei.215 Zum anderen wurde bemängelt, dass Mütter zu wenig über Säuglingspflege wüssten und nichts über Ernährung lernen könnten, wenn die Milch fertig zubereitet abgegeben würde. Isak Jundell befürchtete eine „Erziehung zur Bequemlichkeit“,216 wenn die Frauen einfach nur die zubereiteten Mischungen abholen und ansonsten keine eigene Arbeit leisten mussten. Hilfe zur Selbsthilfe wurde zum neuen Leitmotiv der Einrichtungen.217 Außerdem gaben Kinderärzte und Institutionen eine Reihe von Broschüren und Ratgebern heraus, die Mütter in ihrer täglichen Arbeit anleiten sollten (vgl. 2.1). Dies führte, als zweite Maßnahme, in Deutschland zur Einrichtung von Säuglingsfürsorge- bzw. Mütterberatungsstellen und in Schweden zur Umgestaltung 212 Vgl. Bock, Armut; Dwork, War is Good for Babies; Fildes/Marks/Marland (Hg.), Women and Children First; Klaus, Every Child a Lion; Koven/Michel (Hg.), Mothers of a New World; Schumann (Hg.), Citizens; Tornbjer, Moderskap, S. 16 f. 213 Bock, Armut, S. 433. Vgl. Allen, Mothers, S. 425; Andresen/Tröhler, Analogie, S. 162; Key, Barnets århundrade (1900); dies., Mütterlichkeit (1912); Stenhammar u. a., Mjölkdroppen, S. 9. Zu Ellen Key siehe ausführlich: Baader/Jacobi/Andresen (Hg.), Ellen Keys reformpäda­ gogische Vision. 214 Vgl. Drigalski, Säuglingsfürsorge (1924), S. 36; Fehlemann, Stillpropaganda, S. 21; dies., Armuts­risiko, S. 106. 215 Vgl. Fehlemann, Armutsrisiko, S. 102; Schloßmann, Ziele (1909), S. 304; Würtz, Säuglingsfürsorge (1912), S. 255. 216 Jundell, Spädbarnsskydd (1913), S. 18 f.; vgl. Gunther, Mjölkdroppen (1966), S. 20; Ohrlander, Socialliberal reformpolitik, S. 81, 116; Wernstedt, Ord om “Mjölkdroppe”-rörelsen (1907). 217 Vgl. Keller, Deutschland (1912), S. 237, S. 249; Matzner-Vogel, Produktion, S. 62; Schloßmann, Ziele (1909), S. 304; Tugendreich, Mütter- und Säuglingsfürsorge (1910), S. 318.

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der Mjölkdroppar. Die Kritik zielte teilweise an den bereits bestehenden Praktiken in den Milchküchen in beiden Ländern vorbei. Die Mjölkdroppar etwa arbeiteten größtenteils schon beratend. In einigen Orten, wie Göteborg, Malmö und Karlskrona, hatte der Fokus von Beginn an auf der Unterstützung stillender Mütter und nur im Notfall auf der Vergabe von Milchmischungen gelegen.218 1909 wurden die Statuten des Stockholmer Fördervereins dahingehend geändert, dass Stillen, so weit möglich, beibehalten und die Milchmischungen nur in Notfällen ausgegeben werden sollte.219 In Deutschland waren neben den Milchküchen schon 1904 Säuglingsfürsorgestellen eingerichtet worden, die sich an den französischen Consultations des nourissons orientierten. 1907 forderte das Reichsgesundheitsamt lokale Autoritäten dazu auf, Maßnahmen zur Säuglingsfürsorge einzuleiten. Ein Ort, an dem sich kommunale Fürsorgestellen ansiedelten, waren die bereits bestehenden Milchküchen. Ab 1911 nahm die Zahl der Fürsorgestellen rasch zu und schon 1912 gab es kaum noch reine Milchküchen. Frauenvereine waren häufig verantwortlich für ihre Einrichtung und Unterhaltung, während sie von lokalen Behörden finanziell unterstützt und von männlichen Kinderärzten geleitet wurden.220 Die Aufgabe dieser Einrichtungen bestand vor allem in der Prävention von Krankheiten und der Kontrolle der körperlichen Entwicklung der Säuglinge. Mütter waren ange­halten, regelmäßig in die Beratung zu kommen. Das dort vermittelte Wissen sollten sie anwenden, um zu Hause ihr Kind selbstständig versorgen zu können. So wurde die Kontrolle der Säuglingsernährung durch Ärzte und Fürsorgerinnen, vor allem im städtischen Raum, langsam ausgeweitet.221 Eine herausragende Einrichtung und ein wirkmächtiger Akteur der Säuglingsfürsorge war das Kaiserin-Auguste-Victoria-Haus zur Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit im Deutschen Reich (KAVH ), wo sowohl Fürsorge als auch Forschung betrieben wurden.222 Das KAVH wurde 1909 eröffnet und galt als Muster­anstalt der deutschen Fürsorge. Finanziert wurde es durch eine 218 Vgl. SOU 1929:28, S. 45 f. 219 Vgl. Blumenthal, Anteckningar om Mjölkdroppen (1911), S. 14 f.; Gunther, Mjölkdroppen (1966), S. 11. 220 Vgl. Dickinson, Politics, S. 55 f.; Fehlemann, Stillpropaganda, S. 25; Tugenreich, Mütter- und Säuglingsfürsorge (1910), S. 282; Würtz, Säuglingsfürsorge (1912), S. 232. 221 Vgl. Dickinson, Politics, S. 53, 57; Fehlemann, Armutsrisiko, S. 102; Keller, Deutschland (1912), S. 237; Stöckel, Säuglingsfürsorge, S. 209, 211; Vögele, Säuglingsernährung, S. 228; Würtz, Säuglingsfürsorge (1912), S. 256. Eine ausführliche Beschreibung der Arbeit einer Berliner Fürsorgestelle findet sich bei: Tugendreich, Mütter- und Säuglingsfürsorge (1910), S. 285 ff. 222 Vgl. Keller, Deutschland (1912), S. 240; Stöckel, Säuglingsfürsorge, S. 252; Vögele, Säuglingsernährung, S. 228; Weindling, Health, S. 192.

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­ ombination aus Spenden und Zuschüssen des Reiches sowie des preußischen K Staates, was die nationale Tragweite dieser Institution unterstrich.223 Dem ­Anspruch, eine wissenschaftlich arbeitende Anstalt zu sein, wurde durch die Einrichtung eines großen Labortraktes entsprochen. Außerdem besaß das KAVH eine der modernsten Milchküchen, inklusive eigenem Kuhstall, im Reich.224 Das KAVH setzte sich für die Stillaufklärung sowie die Verbreitung von Ernährungswissen im Kaiserreich und der Weimarer Republik ein. Es organisierte u. a. die viel beachtete Wanderausstellung „Mutter und Kind“, die in vielen deutschen Orten und sogar in Schweden gezeigt wurde (vgl. 2.1).225 Da Einigkeit darüber herrschte, dass die Ernährung an der Brust der sicherste Weg zur Senkung der Säuglingssterblichkeit war, setzte als dritte Maßnahme parallel zur Einrichtung der Fürsorgestellen eine großangelegte „Stillpropaganda“ ein.226 Durch finanzielle Anreize, sog. Stillprämien, sollten Mütter dazu bewegt werden, ihre Kinder an der Brust zu ernähren. Sie wurden seit 1906 von öffentlichen Stellen im Deutschen Reich bezahlt.227 Deren Auszahlung war mit einer verstärkten Kontrolle der Mütter zu Hause und in der Fürsorgestelle verbunden, die nachweisen mussten, dass sie ihre Kinder tatsächlich stillten, indem sie die Kinder vor den Augen der Fürsorgerinnen anlegten. Von einer Reise nach Berlin brachte der Stockholmer Stadtarzt Ivar Andersson die Idee der Stillprämien mit nach Schweden, die vom Staat bereitgestellt und ab 1914 in den Mjölkdroppar ausgegeben wurden. Auch in Schweden mussten Mütter nachweisen, dass sie ihr Kind tatsächlich stillten.228 Die meisten ZeitgenossInnen lobten die Stillprämien als wirksames Instrument der Prävention von Säuglingskrankheiten und -tod. MedizinhistorikerInnen fanden jedoch heraus, dass die Stillprämien lediglich diejenigen Mütter begünstigten, die sowieso schon stillten, aber keine Anreize für arbeitende Mütter s­ chaffen 223 Vgl. Stöckel, Säuglingsfürsorge, S. 253. 224 Damit hatte sich eine konservative Fraktion innerhalb der Pädiatrie gegen die sozial eingestellten Philipp Biedert und Arthur Schloßmann durchgesetzt, vgl. Stöckel, Säuglingsfürsorge, S. 255 f. 225 Vgl. Drigalski, Säuglingsfürsorge (1924), S. 45 f. 226 Vgl. Brugger/Finkelstein/Baum, Bekämpfung (1905), S. 67 – 70; Fehlemann, Stillpropaganda; Hauser, Säuglingssterblichkeit (1901); Medizinalabteilung (Bearb.), Säuglingssterblichkeit (1905); Tugendreich, Mütter- und Säuglingsfürsorge (1910), S. 289. 227 Vgl. Dickinson, Politics, S. 60; Drigalski, Säuglingsfürsorge (1924), S. 38; Lindner, Gesundheitspolitik, S. 400; Matzner-Vogel, Produktion, S. 51; Schloßmann, Ziele (1909), S. 300; Stöckel, Säuglingsfürsorge, S. 217; Vögele, Säuglingsernährung, S. 228. 228 Zunächst wurden 30kr, ab 1919 dann 45kr für höchstens vier bis sechs Monate ausbezahlt. Vgl. Gunther, Mjölkdroppen (1966), S. 12 f.; Jundell, Schweden (1912), S. 766; o. A., Amnings­ premierna (1919), S. 71 f.; Stenhammar u. a., Mjölkdroppen, S. 58 f.

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konnten. Die Höhe der Stillprämien reichte nicht aus, um das ausbleibende Gehalt einer Arbeiterin auszugleichen. Die Ausgabe von Prämien war für den Staat schlicht der kostengünstigste Weg, Frauen zum Stillen zu animieren.229 In Deutschland wurden hingegen kaum Strukturen geschaffen, die es ermöglichten, Stillen und Erwerbsarbeit miteinander zu vereinbaren. Es gab nur wenige Säuglingskrippen oder Einrichtungen der halboffenen Fürsorge.230 Dr. Maria Baum, die im einflussreichen Düsseldorfer Verein für Säuglingsfürsorge tätig war, der von Arthur Schloßmann geleitet wurde, startete eine Initiative, um sog. Stillkrippen in Fabriken einzurichten. Sie stieß aber auf wenig Kooperation bei den Arbeitgebern und der Arbeiterschaft selbst, die Konkurrenz durch arbeitende Frauen befürchteten.231 Im Gegensatz zu Deutschland war in Schweden das Krippenwesen besser ausgebaut und professionalisiert. Der Stockholmer Kinderarzt Wilhelm Wernstedt zeigte sich in seinem Bericht über eine Forschungsreise nach Deutschland 1909 verwundert, dass deutsche Krippen „selten unter ärztlicher Kontrolle“ stünden.232 In Schweden gab es außerdem sog. Småbarnshem (Kleinkinderheime), wo unverheiratete Mütter von Säuglingen aufgenommen werden konnten. Dort wurden ihre Kinder betreut, während sie bei der Arbeit waren. Im Vergleich zu Deutschland gab es in Schweden relativ viele solcher Einrichtungen.233 Mütter, die in der Landwirtschaft arbeiteten, profitierten jedoch in beiden Ländern kaum von all diesen Maßnahmen. In Schweden, das im frühen 20. Jahrhundert noch überwiegend agrarisch geprägt war, wurde ein Großteil der Frauen ausgeschlossen. Trotz dieser drei Maßnahmen stillten aus Sicht der Kinderärzte noch zu wenige Mütter ihre Kinder. Über die Ursachen für das Nicht-Stillen herrschte Uneinigkeit zwischen verschiedenen AkteurInnen. Einige Kinderärzte und Fürsorgerinnen gingen davon aus, dass es sich um körperliche Einschränkungen handelte, um eine Verkümmerung der Brustdrüsen aufgrund körperlicher Degeneration.234 229 Vgl. Fehlemann, Stillpropaganda, S. 29; Kintner, Trends, S. 176; Tugendreich, Mütter- und Säuglingsfürsorge (1910), S. 292 f.; Vögele, Sozialgeschichte, S. 388. 230 Vgl. Pechstein/Hellbrügge, Krippen (1966), S. 376; Radel, Erleichterung der Mutterschaft (1912), S. 630; Vögele, Sozialgeschichte, S. 390 f. Ausführlich: Reyer/Kleine, Kinderkrippe in Deutschland. Zur neueren Entwicklung der Kinderbetreuung in der Bundesrepublik vgl. Klinkhammer, Familienpolitische Altersregulierungen, der Artikel zeigt, dass sich die Einstellung gegenüber Krippenbetreuung erst zu Beginn der 2000er Jahre wandelte. Zur Diskussion um Müttererwerbsarbeit im frühen 20. Jh. siehe auch: Neumaier, Familie, S. 59 – 67. 231 Vgl. Fehlemann, Armutsrisiko, S. 295; Pechstein/Hellbrügge, Krippen (1966), S. 377. 232 Wernstedt, Minnen från en studieresa (1909), S. 34. 233 Vgl. Jundell, Schweden (1912), S. 767 ff.; SOU 1929:28, S. 55 f. 234 Vgl. Bluhm, Stillungsnot (1908); Spiegelberg, Zur natürlichen Säuglingsernährung (1904), S. 195; Stöckel, Säuglingsfürsorge, S. 126 f.; Tugendreich, Mütter- und Säuglingsfürsorge

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Größtenteils überwog die Ansicht: „Die Stillfähigkeit ist auch heute noch den Frauen in sehr hohem Maße eigen und zeigt durchaus nicht eine abnehmende Tendenz,“ 235 wie Gustav Tugendreich 1910 freudig verkündete. Vielmehr machten er und andere Pädiater soziale Umstände für die Zunahme des Nicht-Stillens verantwortlich. Der Mjölkdroppe-Gründer Moritz Blumenthal sah ebenfalls soziale Gründe als Ursache dafür, dass schwedische Mütter „gezwungen“ waren, nicht zu stillen, vor allem, wenn sie zum Unterhalt der Familie beitragen mussten. Dieser Einschätzung schlossen sich andere schwedische Experten an.236 Die außerhäusliche Erwerbsarbeit war in der Wahrnehmung der meisten ZeitgenossInnen das größte Stillhindernis.237 Diese Diskussion um Stillfähigkeit war Teil des sozialdarwinistischen und rassenhygienischen Diskurses um die Degeneration westlicher Gesellschaften. Mit der Veröffentlichung von Charles Darwins The Origin of Species hatte biologisch-hereditäres Denken vermehrt Raum im pädiatrischen Diskurs erobert. Die Qualität der Bevölkerung und nicht nur deren Quantität bekam in diesem Zusammenhang eine erhöhte Bedeutung zugesprochen. So wurde etwa pro­ blematisiert, dass die Geburtenzahlen in den unteren Schichten höher waren, während die gehobenen Klassen sinkende Zahlen aufwiesen.238 Im Sinne des Sozialdarwinismus konnte die hohe Säuglingssterblichkeit als Mittel zur Auslese und Veredlung der Rasse gesehen werden. Die Säuglingsfürsorge geriet von Seiten einiger EugenikerInnen in die Kritik, da sie diese Auslese verhinderte. Kinderärzte wie Arthur Schloßmann wehrten sich vehement gegen diese Interpretation. Sie setzten sich dafür ein, die Säuglingssterblichkeit nicht als „Sicherheitsventil“ zu verstehen, sondern ihr entgegenzuwirken.239 Als Argument führten Kinderärzte an, dass die vermeintlich „natürliche“ Auslese nicht nur die Schwachen treffe, sondern auch gesunde Säuglinge durch falsche Pflege krank werden könnten. Langfristig sei zu befürchten, dass größere Kosten auf die Gesellschaft zukämen, wenn kränkliche Säuglinge zu leistungsgeschwächten Erwachsenen (1910), S. 266 f. 235 Tugendreich, Mütter- und Säuglingsfürsorge (1910), S. 273 (Hervorh. im Org.). Vgl. Czerny/ Keller, Des Kindes Ernährung (1906), S. 13; Schloßmann, Ziele (1909), S. 300. 236 Blumenthal, Anteckningar om Mjölkdroppen (1911), S. 15. Vgl. o. A., Barnadödlighetens bekämpande (1913), S. 51. 237 Vgl. Matzner-Vogel, Diskussion über Mutterschutz; dies., Produktion, S. 53 f.; Orland, Mother­ hood, S. 133; Salomon, Bekämpfung (1905), S. 137; Tugendreich, Mütter- und Säuglings­ fürsorge (1910), S. 275; Vögele, Sozialgeschichte, S. 218. 238 Vgl. Berger, Bakterien, S. 49; Bluhm, Stillunfähigkeit (1912); Gruber, Betydelsen för den tyska folkhälsan (1914), S. 677 ff.; Schloßmann, Ziele (1909), S. 297; Weindling, Health, S. 193. 239 Vgl. Salomon, Bekämpfung (1905), S. 129 f.; Stöckel, Säuglingsfürsorge, S. 119; Vögele, Säuglingsernährung, S. 229; Weindling, Hygienepolitik, S. 50.

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­heranwuchsen. Die ­Argumentation war vor allem nationalökonomisch geprägt, wie Arthur Schloßmann stellvertretend demonstrierte: „Wenn der Mund des Neugeborenen mit dem ersten Schrei, den er ausstößt, seinem Verlangen nach Nahrung Ausdruck gibt, so bringt das Kind doch auch zwei Hände mit zur Welt, mit denen es dereinst zu arbeiten vermag.“ 240 Der Einsatz für die Säuglings­ gesundheit war in dieser Sicht ein Einsatz für die gesamte nationale Zukunft. Wie sein deutscher Kollege argumentierte der Schwede Moritz Blumenthal damit, dass es aus nationalökonomischen Gesichtspunkten wichtig war, Kinder so früh wie möglich gut zu versorgen, damit sie später gute Arbeiter würden. Diesem Grundgedanken schlossen sich andere schwedische Pädiater an.241 Säuglinge avancierten, im Gegensatz zu anderen Bevölkerungsgruppen, zu einer generell schützenswerten Gruppe.242 Durch ihre Rettung konnte die gesamte Bevölkerung zum Besseren transformiert werden. Wie diese Diskussion um die Säuglingsfürsorge zeigt, gab es in Deutschland eine Reihe unterschiedlicher Herangehensweisen an die Säuglingssterblichkeitsfrage. Die Dominanz liberal-konservativer Regierungen, die Fürsorge als private, philanthropische Aufgabe verstanden, verhinderte den Aufbau der staatlichen Säuglingsfürsorge im Kaiserreich. Eine Vereinheitlichung und den Ausbau von Maßnahmen brachte erst der Ausbruch des Weltkrieges 1914 mit sich. Zu Beginn des Krieges sank die Stillquote zunächst und die Säuglingssterblichkeit stieg leicht an. Mütter und Säuglinge wurden mit speziellen Nahrungsmittelrationen versorgt, die jedoch zum Ende des Krieges immer spärlicher wurden. Rohmaterialien zur Herstellung von Säuglingsflaschen wurden knapp. So wurde etwa die Abgabe von Gummisaugern aus dem kriegswichtigen Material Kautschuk streng reglementiert und es wurde zunehmend schwieriger, Flaschennahrung nach kinderärztlicher Vorschrift herzustellen.243 Durch die Lebensmittelrationierung in späteren Kriegsjahren stieg die Stillquote wieder an, weil Stillen „nicht nur die preiswertere, sondern die einzige Alternative darstellte“.244 Aber auch die von Frauenrechtlerinnen angestrebten Änderungen der Sozialgesetzgebung für Mütter ließen sich durch 240 Schloßmann, Ziele (1909), S. 291 f. Vgl. Lilienthal, Paediatrics, S. 66. 241 Vgl. Blumenthal, Anteckningar om Mjölkdroppen (1911), S. 62; Wernstedt, Ord om “Mjölkdroppe”-rörelsen (1907), S. 919. 242 Vgl. Dickinson, Politics, S. 53 – 55; Schloßmann, Ziele (1909), S. 291 f., 294; Stöckel, Säuglingsfürsorge, S. 242; Vögele, Leben, S. 70. 243 Vgl. o. A., Berührung, S. 311 f. 244 Fehlemann, Stillpropaganda, S. 29. Vgl. dies., Armutsrisiko, S. 342; Allen, Mothers, S. 437; Dickinson, Politics, S. 118; Drigalski, Säuglingsfürsorge (1924), S. 65 f.; Engel/Behrendt, Säuglingsfürsorge (1927), S. 47; Stöckel, Säuglingsfürsorge, S. 287 f.; Vögele, Sozialgeschichte, S. 315, 409; ders., Säuglingsernährung, S. 230.

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die veränderten Umstände des Krieges nicht länger ignorieren. Frauen wurden vermehrt in der Industrie gebraucht, um den Arbeitsausfall durch eingezogene Männer auszugleichen. Gleichzeitig blieb es aus bevölkerungspolitischer Sicht wichtig, dass die Frauen als Mütter ihre Pflichten erfüllten, Kinder auf die Welt brachten und richtig ernährten und pflegten, da dem fortschreitenden Geburtenrückgang entgegengewirkt werden musste. Die von Frauenrechtlerinnen schon lange eingeforderte Versorgung von Müttern wurde 1915 in Form der sog. Kriegswochenhilfe, als vierte Maßnahme, im gesamten Reich eingeführt. Zunächst war diese 1914 nur für Ehefrauen von Soldaten bestimmt, 1915 aber auf alle versicherten Frauen ausgedehnt worden. Sie war ein finanziell unterstützter Urlaub, der sowohl Einzelzahlungen als auch Wochengeld und 42 Mark Stillgeld enthielt.245 Die Wochenhilfe wurde so lange gezahlt, dass zumindest die besonders riskanten ersten beiden Monate abgedeckt waren und die Mütter während dieser Zeit zu Hause stillen konnten. Im Zuge dessen verfestigte sich die Stellung der Säuglingsfürsorgestellen, weil Mütter dort vorstellig werden mussten, um ihr Stillgeld zu erhalten. Die Fürsorgestellen wurden während des Krieges weiter ausgebaut. Daneben nahm die Zahl der Säuglings- und Mütterheime sowie der Krippen zu. Die Säuglingsfürsorge konnte also am Ende des Krieges auf ein größeres Netz an Gesetzen und Einrichtungen zurückgreifen als jemals zuvor.246 Dies markiert den Umschwung von einer vor allem privat und kommunal finanzierten Säuglingsfürsorge hin zu einer staatlichen Verantwortung für Mütter und Säuglinge. Der Erste Weltkrieg hatte auch in Schweden, trotz der Nichteilnahme an den Kriegshandlungen, Auswirkungen auf das tägliche Leben, die sich vor allem in der Rationierung von Lebensmitteln äußerten und 1917 in einer Hungerkrise gipfelten.247 Durch die Lebensmittelknappheit sahen sich mehr Mütter gezwungen, die Angebote der Mjölkdroppar in Anspruch zu nehmen. Während der Hungerjahre des Krieges, wie schon während des Generalstreiks von 1909, erlebten sie ihre höchsten Einschreibezahlen.248 Diese Krisenjahre führten gleichzeitig dazu, 245 Vgl. Bernans, Bevölkerungsfrage und die industrielle Frauenarbeit (1915); Butke/Kleine, Kampf, S. 168 ff.; Fehlemann, Armutsrisiko, S. 334; Fischer, Staatliche Mütterfürsorge (1915); Lindner, Gesundheitspolitik, S. 401; Matzner-Vogel, Produktion, S. 63 – 84; Stöckel, Säuglingsfürsorge, S. 265 f. 246 Vgl. Drigalski, Säuglingsfürsorge (1924), S. 60; Fehlemann, Armutsrisiko, S. 340; Stöckel, Säuglingsfürsorge, S. 281; Vögele, Leben, S. 76. 247 Vgl. Carlson, Swedish Experiment, S. 6; Schön, Ekonomisk historia, S. 279. 248 Der Generalstreik von 1909 war ein wichtiges Ereignis der schwedischen Arbeiter- und Politikgeschichte. Das Kräftemessen zwischen dem Dachverband der Gewerkschaften (LO ) und Arbeitgeberverbänden (SAF ) dauerte einen Monat lang und führte zu einer ­mittelfristigen

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dass die Säuglingsgesundheit erneut mehr Anhänger erhielt. Es dauerte jedoch unter den liberalen Mehrheits- und sozialdemokratischen Minderheitsregierungen des frühen 20. Jahrhunderts bis in die 1930er Jahre, bis gesetzliche Änderungen vorangetrieben wurden. Eine Wochenhilfe wurde erst 1931 umgesetzt, in der u. a. „Stillbelohnungen“ vorgesehen waren, um die Brusternährung zu fördern. Die schwedische Politik stand verpflichtenden Versicherungen insgesamt zögerlich gegenüber. Erst 1913 wurde etwa eine allgemeine Rente eingeführt. Damit blieb schwedischen Arbeiterinnen nur ein Arbeitsschutzgesetz von 1900, das ihnen vier Wochen lang nach der Geburt verbot zu arbeiten, um sich ganz den Mutterpflichten zu widmen – allerdings ohne Lohnausgleich.249 Um die Sterblichkeit dennoch zu senken, wurde in Schweden ein bis dahin einzigartiger Weg eingeschlagen. Da unehelich geborene Säuglinge überdurchschnittlich häufig starben, gab es seit 1907 Bemühungen, ein Gesetz zu schaffen, das Väter zur finanziellen Versorgung ihrer Kinder in die Pflicht nahm. Hier standen die sozialdemokratischen Frauenverbände häufig im Konflikt mit ihren männlichen Genossen. Eines der Argumente für ein solches Gesetz war die Beobachtung, dass Mütter mit unehelichen Kindern häufiger außer Haus arbeiten mussten und daher ihre Kinder nicht mit Muttermilch versorgen konnten. Das Gesetz trat 1917 in Kraft und war weltweit das erste Gesetz, das Väter unehelicher Kinder zu Unterhaltszahlungen verpflichtete. Im Zuge dessen wurden spezielle Institutionen geschaffen, die die Durchführung kontrollierten (Barnavårdsmannainsititutionen). Sie wurden später in eine Art Jugendamt bzw. Kindervertreter umgeformt.250 Dies war die einzige Maßnahme, die überhaupt die Bedeutung des Vaters für die Säuglingsgesundheit anerkannte. Dabei wurde er allerdings vor allem als Familienernährer adressiert und nicht als praktisch Verantwortlicher für die tägliche Versorgung des Kindes. Diese Bemühungen hatten jedoch noch nicht den durchschlagenden Erfolg, den sich schwedische Kinderärzte wünschten. Unter ihnen herrschte Einigkeit darüber, dass durchgreifende soziale Reformen nötig waren, um die soziale Situation von Kindern aller Gesellschaftsschichten zu verbessern.251 Unterversorgung der Bevölkerung. Vgl. Hirdman/Lundberg/Björkman, Historia, S. 61; Schön, Ekonomisk historia, S. 267; vgl. Gunther, Mjölkdroppen (1966), S. 12; Niemi, Public Health, S. 105; Stenhammar u. a., Mjölkdroppen, S. 65 f. 249 Vgl. Kolbe, Elternschaft, S. 35; Lundqvist, Familjen, S. 54 ff.; SOU 1929:28, S. 21; Tornbjer, Nationella modern, S. 17 f.; Wisselgren, Att föda barn, S. 28. 250 Vgl. Bergman, Fostrar fäder S.  176 f.; dies./Hobson, Compulsory Fatherhood, S.  94 f.; ­Gyllenswärd, Den konstgjorda spädbarnsuppfödning i Sverige under 1900-talet, in: Semper AB Arkiv, F1 (Forskning), Volnr. 1, o. J. [1966], S. 3; Ohlander, Invisible Child, S. 221. 251 Vgl. Niemi, Public Health, S. 81; o. A., Barnadödlighetens bekämpande (1913); Stenhammar u. a., Mjölkdroppen, S. 64.

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Durch Einrichtungen wie die Milchküchen und Mjölkdroppar, aber auch die Säuglingsfürsorgestellen fand Flaschennahrung, die nach ärztlich legitimierten Rezepten hergestellt wurde, vermehrt ihren Weg in Familien. Gleichzeitig setzte in beiden Ländern eine breit geführte Stillpropaganda ein, die die Flasche aus den Haushalten zu verbannen suchte. An diesen Prozessen war eine Reihe unterschiedlicher Akteure beteiligt, die über das Feld der wissenschaftlichen und klinischen Pädiatrie hinausgingen. Neben den Kinderärzten gewannen bürgerliche Frauen an Einfluss. Die Säuglingssterblichkeit und ihre Bekämpfung waren Gegenstand einer expandierenden Anzahl von Publikationen. Sie wurde sowohl in medizinischen Lehrbüchern, sozialhygienischen Handbüchern, populären Zeitschriften und Ratgebern für Säuglingspflege thematisiert (vgl. 2.1). In beiden Ländern sank die Sterblichkeit langsam, trotz der Kriegs- und Krisenjahre. Die Vielzahl der Maßnahmen zur Säuglingsfürsorge, sowohl zur Verbesserung der Milchversorgung als auch der Stillaufklärung, spielte im Zusammenwirken mit dem allgemeinen Ausbau hygienisch-medizinscher Maßnahmen eine entscheidende Rolle.252 Zwischenfazit

Die Flaschennahrung durchlief im Zeitraum zwischen 1880 und 1918 große Veränderungen. Das Kind wurde weiter vermessen und immer kleinteiliger erforscht. Die Flaschennahrung erschloss neue Wissensräume und materialisierte sich in neuen Formen. Zum Ende dieses Zeitraums hatte sie den Wissens- und Praxisraum Labor und Klinik verlassen und fand durch Einrichtungen wie die Säuglingsfürsorgestellen und Mjölkdroppar einen wissenschaftlich legitimierten Weg in die Wohnungen von Familien unterschiedlicher Klassenzugehörigkeit. Die medizinischen Erkenntnisse wurden in neue Standards übersetzt, die von nun an sowohl Mediziner als auch Mütter anwenden mussten, bevor sie ein Kind ernähren konnten. Die Flaschennahrung musste auf ihrem Weg „von der Kuh zum Kind“ immer mehr Stationen durchlaufen und sich immer mehr Akteuren anpassen, um diesem Anspruch gerecht zu werden: Die Milch musste bakterienfrei sein – also in kontrollierten Ställen gemolken, in sauberen Behältern und gekühlt transportiert und vor dem Verbrauch abgekocht werden, um verbliebene Keime abzutöten. Die chemischen Bestandteile dieser behandelten Milch mussten je nach gerade gängiger Forschungsmeinung an diejenigen der Muttermilch angeglichen werden. Außerdem musste sie den kalorischen Bedürfnissen des Säuglingskörpers 252 Vgl. Huber, Statistik der Säuglingssterblichkeit (1940), S. 322 f.; Matzner-Vogel, Produktion, S. 62; Vögele, Sozialgeschichte, S. 393, 409; Weiner, Spädbarnsdödligheten, S. 119 f.; ­Wisselgren, Att föda barn, S. 127.

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gerecht werden. Die gewonnene Milchmischung musste anschließend in eine zylindrische Glasflasche mit Maßeinteilung und einem kurzen Gummisauger umgefüllt werden. Damit sie keine Überernährung verursachen konnte, musste sie außerdem in geregelten Abständen verabreicht werden. Das Kind durfte nicht unkontrolliert, ohne Aufsicht der Mutter trinken. All diese Prozesse sollten möglichst von einem ausgebildeten Pädiater überwacht werden, deren Zahl im Laufe des Zeitraums weiter zunahm. Seit der Jahrhundertwende wurde die Ernährungsfrage außerdem in neue, öffentliche Räume übertragen, wie Milchausgabe- und Säuglingsfürsorgestellen. Dort erhielten Mütter von Experten gemischte Flaschennahrung, wurden aber auch über deren Gefahren aufgeklärt und dazu aufgefordert, dem Stillen den Vorzug zu geben. Neben den Kinderärzten begannen sich bürgerliche Frauen, aber auch Politiker, für Flaschennahrung zu interessieren und sie gewann immer mehr (zumeist negative) Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit. Dort wurde sie mit Tod und Krankheit gleichgesetzt. Anders als in diesen Diskursen verfestigt, kann davon ausgegangen werden, dass die Flaschennahrung seit dem späten 19. Jahrhundert weniger häufig als Todesursache in Frage kam. Durch die sich verändernden wissen­schaftlichen Grundlagen und klinischen Praktiken, die langsam in die breitere Gesellschaft diffundierten, wurde es zunehmend sicherer, das Kind mit der Flasche zu ernähren. Das Absinken der Sterbeziffern koinzidierte mit dem vermehrten Aufkommen dieser Flaschennahrung.

1.3 Flaschennahrung in Zwischenkriegszeit, Nationalsozialismus und folkhem (1918 – 1940er Jahre) Den Zeitraum zwischen dem Ende des Ersten und dem Ende des Zweiten Weltkrieges kennzeichneten fundamentale gesellschaftliche Umbrüche und wirkmächtige politische und wirtschaftliche Zäsuren: zwei Wirtschaftskrisen, die „Machtübernahme“ der Nationalsozialisten 1933 in Deutschland und der Krieg auf der einen sowie die grundlegende Umgestaltung und Modernisierung der schwedischen Gesellschaft nach dem Sieg der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei 1932 auf der anderen Seite. In Bezug auf die Flaschenkinder ist dieser Zeitraum dennoch von Gemeinsamkeiten zwischen Deutschland und Schweden geprägt. Diese umfassen: 1) die weitere Zunahme der Stilltätigkeit und das Sinken der Säuglingssterblichkeit, 2) die Vitaminforschung und die Entwicklung der Säuremilch sowie 3) eine national-spezifische, bevölkerungspolitische Ausformung der Mütter- und Säuglingsfürsorge. Diese Entwicklungen vollzogen sich teilweise parallel, teilweise quer zu den politischen Umbrüchen.

Flaschennahrung in Zwischenkriegszeit, Nationalsozialismus und folkhem  |

Dieses Unterkapitel verfolgt die Neupositionierung der Flaschennahrung vom Ende des Ersten Weltkrieges bis zum Ende der Nachkriegszeit. Während dieses Zeitraums, so die These, begann sich die Flaschennahrung – zumindest in der pädiatrischen Fachwelt – aus der engen Verknüpfung mit Tod und Krankheit zu lösen. Sie konnte durch die Gewinnung neuer Allianzen mit Vitaminen und Zitronensäure sowie neuen Flaschenformen und Saugern eine Annäherung zwischen Pädiatrie und Industrie herbeiführen. Zu einer legitimen Alternative zum Stillen konnte sie jedoch noch nicht aufsteigen, da ideologische Vorstellungen von Mutterschaft und Bevölkerungsgesundheit dies weder in Deutschland noch in Schweden zuließen. Diese Entwicklung wird in vier Schritten untersucht. Der erste Abschnitt (1.3.1) widmet sich der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg sowie den 1920er Jahren sowohl in Deutschland als auch in Schweden und fokussiert den sozialstaat­lichen Ausbau der Säuglings- und Mütterfürsorge. Der zweite Abschnitt (1.3.2) beschäftigt sich mit der Weiterentwicklung der Flaschennahrung, die während des gesamten Untersuchungszeitraums fortschritt. Ob und wie diese Nahrung dann wiederum in politischen Zusammenhängen aufgegriffen wurde, zeichnen die nächsten beiden Abschnitte nach. Sie beschäftigen sich jeweils ausschließlich mit einem der beiden Länder, 1.3.3 mit Schweden und 1.3.4 mit Deutschland. Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die Wege Deutschlands und Schwedens seit 1933 merklich unterschieden. 1.3.1 Ausbau der staatlichen Säuglingsfürsorge (1918 – 1933)

Die Säuglingssterblichkeitsrate war in Deutschland und Schweden weiterhin der entscheidende Motor für die Beschäftigung mit der Säuglingsernährung. Selbst wenn Schweden mit einem gewissen Stolz konstatieren konnte, dass die Sterblichkeitsraten – auch im Verhältnis zu Deutschland – niedrig waren, gab es immer noch Raum zur Verbesserung.253 Der zu Beginn des 20. Jahrhunderts einsetzende Geburtenrückgang in beiden Ländern machte sich im Anschluss an die Verluste der Kriegs- und Hungerjahre ebenfalls stärker bemerkbar und schuf zusätzlichen Antrieb für eine Neuausrichtung der Sozialpolitik.254 Im frühen 20. Jahrhundert herrschte in Schweden zudem große Arbeitslosigkeit, weswegen viele Schweden das Land in Richtung Westen, insbesondere die USA , 253 Vgl. Höjer, Ungleichförmige Verminderung (1932); Wernstedt, Barnavård (1925), S. 9 f.; Wester­gaard, Folkhälsan (1921), S. 37 f. 254 Vgl. u. a. Fehlemann, Armutsrisiko, S. 345 ff.

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verließen.255 In der Kombination aus Kriegs- und Hungererfahrung, Geburtenrückgang und Säuglingssterblichkeit wurde das Projekt der Säuglingsgesundheit mit politischer Bedeutung aufgeladen, der sich die staatlichen Akteure in Deutschland und Schweden nicht entziehen konnten. Die Ernährung des Säuglings wurde in diesem Zeitraum von einem primär medizinischen in ein primär soziales Problem übersetzt. In der Weimarer Republik machte sich dieses Umdenken in der Fürsorgepolitik deutlich bemerkbar. So wurde die gesundheitliche und soziale Förderung der Familie in der Weimarer Verfassung mehrfach festgeschrieben und damit deren Bedeutung für den neuen demokratischen Staat unterstrichen. Die sozialdemokratische Regierung setzte den Ausbau des Sozialstaates auf die politische Agenda und leitete schnell entsprechende Maßnahmen zur Ausdehnung des Gesundheitssystems ein. Diese schnelle Ausdehnung ging jedoch auf Kosten einer einheitlichen Struktur. Vielmehr war die öffentliche Gesundheitsversorgung, zu der auch die Säuglingsfürsorge zählte, fragmentiert und konzentrierte sich auf urbane Zentren. Das Gesundheitssystem litt zudem an an einer großen Unterfinanzierung. ­Zumeist musste auf die finanzielle Unterstützung der jeweiligen Gemeinden oder Städte zurückgegriffen werden. Durch die Finanzkrise 1929 geriet das System endgültig in die Krise. Die Reformierung und Vereinheitlichung des Systems schienen unab­wendbar, es kam jedoch nicht zur Einigung darüber, wie diese Reformen am besten durchgeführt werden konnten. Erst die Nationalsozialisten verabschiedeten 1934 das „Gesetz zur Vereinheitlichung des Gesundheitswesens“, mit dem die kommunalen Gesundheitsämter verstaatlicht und ihnen die Überwachung der Säuglingsfürsorge übertragen wurde (vgl. 1.3.4).256 Innerhalb der Pädiatrie verlagerte sich der Fokus ebenfalls von der vorrangig klinisch-medizinischen Behandlung der Säuglingssterblichkeit hin zur Sozialpä­ diatrie. Dies ging nicht zuletzt auf die Erfahrungen während des Ersten Weltkrieges zurück. Schon während der laufenden Kriegshandlungen hatten ihn Pädiater als „‚gewaltige[n] Experimentator‘“,257 „dem deutschen Volke aufgenötigte[s] Experiment“ 258 oder „unfreiwilliges Massenexperiment“ 259 beschrieben. Dieses 255 Vgl. Ohrlander, Socialliberal reformpolitik, S. 227; Carlson, Swedish Experiment, S. 3. 256 Art. 119 „Die Reinerhaltung, Gesundung und soziale Förderung der Familie ist Aufgabe des Staats und der Gemeinden“, vgl. Fehlemann, Entwicklung der öffentlichen Gesundheitsfürsorge, S. 69; dies., Armutsrisiko, S. 343; Gestrich, Geschichte der Familie, S. 48; Wehler, Gesellschaftsgeschichte 1914 – 1949, S. 428 ff. 257 Arthur Schloßmann auf der „Kriegstagung“ der Gesellschaft für Kinderheilkunde vom 22. September 1917 in Leipzig, zit. nach: Stöckel, Säuglingsfürsorge, S. 274 f. 258 Drigalski, Säuglingsfürsorge (1924), S. 98. 259 Engel/Behrendt, Säuglingsfürsorge (1927), S. 77. Vgl. Fehlemann, Armutsrisiko, S. 343.

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„Experiment“ hatte in Bezug auf das Verhältnis von Anlage und Umwelt neue Erkenntnisse geliefert: Umweltfaktoren bzw. soziale Umstände waren von großer Bedeutung für die Höhe der Säuglingssterblichkeit, was frühere Annahmen der Sozialpädiatrie nachdrücklich bestätigte.260 So hatte die Einführung der Reichs­ wochenhilfe zur finanziellen Unterstützung von Müttern während des Krieges Erfolg gezeigt und wurde von SozialhygienkerInnen wie Maria Baum als ein wichtiger Grund für die Stillzunahme angeführt.261 Die Wochenhilfe wurde 1919 verstetigt und in den kommenden Jahren weiter ausgebaut. Sie wurde nun für zehn Wochen gezahlt und die Gewährung eines Stillgeldes für zwölf Wochen war ein zentraler Aspekt, um die Brusternährung des Kindes zu erhöhen.262 Infolge dieser Erfahrungen verlagerte sich der Fokus innerhalb der Pädiatrie und Sozialhygiene von der Versorgung kranker Säuglinge und mittelloser Mütter auf die Prävention von Krankheiten in allen Bevölkerungsschichten.263 Da die Fürsorgestellen für die Auszahlung der Reichswochenhilfe zuständig waren, fanden mehr Frauen den Weg dorthin und holten dort längerfristig Beratung und Unterstützung ein. Die vor dem Krieg überwiegend privat finanzierten Säuglingsfürsorgestellen kamen zunehmend in staatliche oder städtische Hand und setzten ihre Aufklärungsarbeit fort. Dadurch erweiterten sich die Möglichkeiten der Kinderärzte und Fürsorgerinnen, die Entwicklung des Kindes zu kontrollieren und korrigierend einzugreifen.264 Dabei blieben die Aufklärung über die Vorteile des Stillens und die richtige Zubereitung von Flaschennahrung das zentrale Anlie­ gen dieser Einrichtungen. Um all diese Maßnahmen umzusetzen, wurde mehr Personal benötigt. Die Weimarer Republik sah den endgültigen Durchbruch der Pädiatrie als anerkannte Disziplin innerhalb des medizinischen Fächerkanons; seit Mitte der 1920er Jahre gab es eine dreijährige Spezialausbildung zum Kinderarzt. Der Fachbereich Pädia­ trie wurde außerdem Pflichtteil des Medizinstudiums. Die Anzahl der Ärzte, Krankenhausangestellten und -betten stieg während der Weimarer Republik um 260 Vgl. Baum, Grundriss (1923), S. 160; Drigalski, Säuglingsfürsorge (1924), S. 77; Engel/­ Behrendt, Säuglingsfürsorge (1927), S. 77; Fehlemann, Entwicklung, S. 70; Gebhardt, „Ganz genau nach Tabelle“, S. 248; Matzner-Vogel, Produktion, S. 52; Stöckel, Säuglingsfürsorge, S. 274 f.; Vögele, Leben, S. 76; ders./Woelk, Einleitung, S. 18. 261 Vgl. Baum, Grundriss (1923), S. 160. 262 Sie wurde nun sowohl versicherten als auch nicht-versicherten Müttern gewährt. Die Konditionen und die zuständigen Behörden veränderten sich in den kommenden Jahren weiter und wurden den veränderten Umständen angepasst. Vgl. Fehlemann, Artmutsrisiko, S. 340, 345. 263 Vgl. u. a. Baum, Grundriss (1923), S. XVIII . 264 Vgl. Baum, Grundriss (1923), S. 142, 172; Drigalski, Säuglingsfürsorge (1924), S. 112 f.; Engel/ Behrendt, Säuglingsfürsorge (1927), S. 97.

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50 % an.265 Auch die Verwissenschaftlichung der Kinderheilkunde beschleunigte sich. Hatte es vor dem Ersten Weltkrieg nur fünf Lehrstühle gegeben, waren es nach 1919 bereits 29 Lehrstühle.266 Neben den Ärzten nahm die Zahl der Sozialarbeiterinnen und Fürsorgerinnen zu. Die Fürsorge hatte sich als Betätigungsfeld vor allem bürgerlicher Frauen schon vor dem Krieg etabliert, wurde aber in der Weimarer Republik als Ausbildungsberuf vereinheitlicht und standardisiert. Da Fürsorgeberufe nun keine Ehrenämter mehr waren, sondern Teil des expandierenden Dienstleistungssektors, nahmen mehr junge Frauen aus der Arbeiterschicht diesen Beruf auf.267 Auch die Anzahl weiblicher Autorinnen zum Thema Säuglingsgesundheit nahm seitdem stetig zu. Sie wurden zu anerkannten Expertinnen in der Fürsorge- und Säuglingsgesundheitsfrage, deren Arbeiten sogar von männlichen Kollegen zitiert wurden. Viele der Ärzte, die sich in den 1920er Jahren in der Sozialmedizin und der Säuglingspflege engagierten, waren dem sozialdemokratischen oder sozialistischen Lager zuzuordnen. Unter den Pädiatern fanden sich zudem viele Juden, da in diesem jungen und zunächst wenig prestigereichen Fach die Aufstiegsmöglichkeiten für die strukturell marginalisierte Gruppe besonders günstig waren. Viele der zentralen Figuren der Sozialpädiatrie sowie der Ernährungsforschung, wie Arthur Schloßmann, Stefan Engel und Hans Behrendt, Heinrich Finkelstein und Leo Langstein, waren Juden. Mit Beginn der Weimarer Republik erhielten Juden zwar volle staatsbürgerliche Gleichstellung, wurden im alltäglichen Leben jedoch diskriminiert und zunehmend dämonisiert. In den 1920er Jahren nahmen auch Frauen vermehrt ein Medizinstudium auf. Aus ähnlichen Gründen wie ihre jüdischen Kollegen fanden sie sich häufig in der weniger prestigereichen Pädiatrie wieder. Außerdem lief die Beschäftigung von Frauen und Säuglingen der gängigen bürgerlichen Interpretation von Weiblichkeit nicht so scharf entgegen wie andere Spezialisierungen.268 Die führenden schwedischen Pädiater Isak Jundell und Adolf Lichtenstein waren ebenfalls Juden. Obwohl Juden auch in Schweden strukturell benachteiligt und diskriminiert wurden, genossen Jundell und Lichtenstein große fachliche und gesellschaftliche Anerkennung und besetzten beide Professuren der Pädiatrie.269 265 Vgl. Beddies, Kinderheilkunde im Nationalsozialismus, S.  219 f.; Wehler, Gesellschafts­ geschichte 1914 – 1949, S. 432. 266 Vgl. Seidler, Kinderärzte, S. 17; Weindling, Health, S. 192. 267 Vgl. Kössler, Faschistische Kindheit, S. 296; Sachße, Mütterlichkeit, S. 286 – 296; Wehler, Gesellschaftsgeschichte 1914 – 1949, S. 238. 268 Vgl. Büttner, Weimar; Linder, Gesundheitspolitik, S. 30; dies./Niehuss, Einleitung, S. 5; Seidler, Kinderärzte, S. 20 f., 25. 269 Noch 1919 wurden Juden an der Einwanderung nach Schweden gehindert, obwohl sie als inländische Gruppe seit 1870 volle Bürgerrechte besaßen und christlich gläubigen Schweden

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In Schweden expandierte der Gesundheits- und Fürsorgesektor ebenfalls. Die Verbesserung der Kinderfürsorge war in Schweden ein Thema von gesamtgesellschaftlicher Tragweite, das in der Zusammenarbeit verschiedener Professionen angegangen wurde.270 Die 1920er Jahre waren eine Umbruchzeit der Sozialgesetzgebung zwischen sozialliberaler Tradition und neuer staatlicher Verantwortung für die und rationalisierter Kontrolle der BürgerInnen. Die sozial­demokratische Arbeiterbewegung und die neu ins Parlament eingezogenen sozial­demokratischen Frauen nahmen zunehmend Einfluss auf die Gestal­tung der Gesellschaft, insbesondere in Bezug auf die Belange von Frauen und Müttern. 1920 wurde das Sozialministerium (Socialdepartement) ins Leben gerufen, das mit dem lang etablierten und praktisch viel einflussreicheren Bund für Armenfürsorge (Svenska Fattigvårdsförbundet) kooperierte, um die Lebensumstände von Kindern zu verbessern. 1924 verabschiedete die Regierung ein Kinderschutzgesetz (Lag om samhällets barnavård och ungdomsskydd), das viele neue Stellen für Kinderärztinnen und Kinderärzte schuf, um die Durchführung des Gesetzes zu kontrollieren.271 Seit den 1920er Jahren nahm die Zahl der Kinderärztinnen und Kinderärzte auch in Schweden zu und die Kinderheilkunde gewann in vielen Bereichen an Einfluss. Der schwedischen Pädiatrie gelang es, mit anderen gesellschaftlichen Akteuren Allianzen einzugehen, um ihre Interessen breitenwirksam zu vertreten. Ihre Forschungsergebnisse und praktischen Erfahrungen wurden zur Grundlage für die Umgestaltung der staatlichen Säuglingsfürsorge. Aufgrund der zentralistischen Struktur und der großen Bedeutung von Expertenkommissionen für den politischen Entscheidungsprozess des schwedischen Staates konnten Kinderärzte und Kinderärztinnen eine in Europa einzigartige zentrale Rolle in der Umgestaltung der Gesellschaft einnehmen.272 gleichgestellt waren. Vgl. SOU 2005:56, S. 105 ff.; SOU 1999:20; Wallgren, Isak Jundell, S. 514; Wennergren/Lagercrantz, Isak Jundell, S. 14. 270 Vgl. Löw, Svensk barnpolitik; o. A., Barnadödligheten minskar (1921), S. 22; Ohrlander, Socialliberal reformpolitik, S. 195; Stenhammar u. a., Mjölkdroppen, S. 10; Wernstedt, Barnavård, S. 7. 271 Svenska Fattigvårdsförbundet wurde 1906 mit dem Ziel, die Armenfürsorge in Schweden grundlegend zu reformieren, gegründet. Seit 1908 gab es eine spezielle Abteilung für Fragen der Kinderversorgung, die von Isak Jundell geleitet wurde. Der Verbund bestand aus verschiedenen AkteurInnen innerhalb der liberalen, philanthropischen Armen- und Kinderfürsorge. Die Arbeit bestand sowohl aus Aufklärung der Bevölkerung, aber auch in der Lobbyarbeit auf politischer Ebene, um strukturelle Verbesserungen der Lebensumstände benachteiligter Bevölkerungsgruppen herbeizuführen. Zur ausführlichen Geschichte des Svenska Fattigvårdsförbundet vgl. Löw, Världen; Lundquist, Fattigvårdsfolket, S. 100 – 124. 272 Vgl. Ohrlander, Socialliberal reformpolitik, S. 252, 279 f.; Qvarsell, Hälsa, S. 407; Wennergren/ Lagercrantz, Isak Jundell, S. 14; Weiner, Spädbarnsdödligheten, S. 61 f.

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Die Arbeit der etablierten Mjölkdroppar blieb weiterhin ein wichtiger Grundstein der Fürsorgearbeit. Die Anzahl der Mütter, die ihre Unterstützung in ­Anspruch nahmen, erhöhte sich allerorts deutlich. Sie nahmen zunehmend das präventive Angebot wahr, anstatt erst zu kommen, wenn das Kind bereits krank war. Der Fokus hatte sich schon vor dem Krieg darauf verlegt, Frauen zum Stillen zu ermutigen und sie über Säuglingspflege und -ernährung aufzuklären.273 Die Ausbildung von Frauen zu Säuglingsschwestern wurde in Schweden weiter professionalisiert unter dem Dach des einflussreichen Sveriges Husmodersför­ eningars Riksförbund (Schwedischer Reichsbund der Hausfrauenvereine).274 Die neue Gene­ration von KinderärztInnen wollte einen Schritt weitergehen und den Staat in die finanzielle wie organisatorische Pflicht für die Säuglinge nehmen. Axel Höjer, Leiter des Mjölkdroppe im Stockholmer Vorort Solna, war einer der wichtigsten Fürsprecher für die Einrichtung staatlicher Säuglingsfürsorgestellen nach dem Vorbild der britischen Welfare Centres.275 Trotz seines Einsatzes und verschiedener Untersuchungskommissionen fand Höjers Idee in den 1920er Jahren noch nicht genug Unterstützung. Zu Beginn der 1930er Jahre begannen in Schweden der Ausbau und die Vereinheitlichung des Gesundheitswesens und der Säuglingsfürsorge mit neuer Intensität. Die Finanzkrise von 1929 hatte auch Auswirkungen auf Schweden, traf das Land jedoch nicht so schwer wie andere Industrienationen. Nach langen politischen Auseinandersetzungen wurde 1931 ein Gesetz zum Mutterschutz verabschiedet, das über ein Krankenversicherungssystem – ähnlich wie in Deutschland – Mütter während der ersten Wochen nach der Geburt kompensierte. Es wurden sowohl einmalige Zahlungen als auch ein sog. moderskapspenning (Mutterschaftsgeld) ausgezahlt. Auch nicht versicherte Frauen konnten seitdem Unterstützung in Form der aus Steuermitteln bezahlten Mutterschaftsbeihilfen erhalten.276 Der Staat übernahm damit erstmals die vollständige Unterstützung für Mütter, die zuvor dem Ehemann als Familienversorger zugekommen war. Auch Höjers Idee einer staatlichen Säuglingsfürsorge in Form der Barnavårdscentrale (BVC ) wurde Anfang der 1930er Jahre umgesetzt (vgl. 1.3.3). 273 Vgl. Broman, Barnavårdscentralens uppkomst (1938), S. 152; Hellström, Hygienisk-statistisk återblick (1931), S. 8, 11; Niemi, Public Health, S. 106; Sundell, Effektivare spädbarnsvård (1929). 274 Vgl. Jundell, Stand der Ausbildung (1927), S. 216; verschiedene Artikel des Stockholmer Kinder­arztes Adolf Lichtenstein zu „Spädbarnsvård“ (Säuglingspflege) in der Frauenzeitschrift Husmodern (1925). 275 Vgl. Berg, Gränslösa hälsan, S. 69 ff.; Kälvemark, More Children, S. 34. 276 Vgl. Bock, Armut, S. 444 f.; Götz, Ungleiche Geschwister, S. 517; Johansson, Moderskaps­ politiken.

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Neben diesen neuen und alten Anlaufstellen und Unterstützungsmaßnahmen wurden Aufklärungskampagnen in beiden Ländern abermals ausgeweitet, da SozialhygienikerInnen sie allgemein als positive Einflussgröße für die Höhe der Säuglingssterblichkeit verstanden.277 Durch die Verbreitung von einfach zugäng­ lichem Material erhoffte man sich, nicht nur die bürgerlichen Schichten, sondern auch die „unteren Schichten“ zu erreichen.278 Eine Maßnahme bildeten spezielle Kurse für junge Frauen und Mütter, die in beiden Ländern sehr erfolgreich angeboten wurden. Der ansonsten abwesende Vater wurde hier zum ersten Mal als Akteur in der Säuglingspflege und Kinderziehung explizit angesprochen.279 Die Kampagnen vermittelten das Bild, mit ausreichendem Wissen und der ausreichenden Technik sei es allen Müttern (und zum ersten Mal am Rande auch den Vätern)280 möglich, gesunde Kinder aufzuziehen. Allerdings sollten sie nicht allein handeln, sondern immer unter Beobachtung und in Absprache mit den medizinischen Professionen. Wie der schwedische Medizinhistoriker Roger Qvarsell konstatiert, waren „[d]ie Grenzziehung zwischen medizinischer Volksbildung und moralischer Erziehung […] fließend“.281 Diese Einschätzung ist auch für Deutschland durchaus zutreffend. Diese Aufklärungsbemühungen standen außerdem in engem Zusammenhang mit der Professionalisierung der Hausarbeit, einer Bewegung, die in beiden Ländern bereits zu Beginn des Jahrhunderts einsetzte, sich jedoch durch die vermehrte Elektrifizierung und Elektronifizierung des Haushalts in den 1920er Jahren intensivierte.282 Nicht zuletzt durch die neuen Hygieneansprüche an Hausarbeit avancierte diese von einer beiläufigen Tätigkeit zu einer anstrengenden Beschäftigung. Im Zuge der beginnenden Verwissenschaftlichung der Gesellschaft wurden auch Prozesse im Haushalt einem wissenschaftlichen Blick unterworfen.283 277 Vgl. Höjer, Ungleichförmige Verminderung (1932), S. 242; o. A., Barnadödligheten minskar (1921), S. 22 f. 278 Vgl. Baum, Grundriss (1923), S. XIX ; Engel/Behrendt, Säuglingsfürsorge (1927), S. 36; Hjärne, Undersökningar (1942/1943), S. 188. 279 Vgl. Engel/Behrendt, Säuglingsfürsorge (1927), S. 101. Zu Schweden vgl. Löw, Världen, S. 160 – 165. 280 „Noch auf eine andere Art kann der Zusammenhang mit den Eltern und ihre Beeinflussung erreicht werden. Veranstaltung von Elternabenden – der Vater soll ruhig auch dabei sein – ist eines der besten Mittel, um jenen Connex zu erzielen und damit jene Belehrung, welche das letzte Ziel der Fürsorge ist.“ Engel/Behrendt, Säuglingsfürsorge (1927), S. 101. 281 Qvarsell, Hälsa, S. 400. Vgl. Gleichmann, Föräldrarskap, S. 41. 282 Die Zahlen für Berlin sind am besten belegt. Hatten 1927 erst 50 % aller Haushalte eine Stromversorgung, waren es 1930 bereits 76 %. Glatzer u. a., Haushaltstechnisierung, S. 271.; vgl. Ditt, Zweite Industrialisierung; Landström, National Strategies, S. 172; 178. 283 Vgl. Binder, Elektrifizierung, S. 322; Glatzer u. a., Haushaltstechnisierung, S. 269.

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­ ationalisierung und Ökonomisierung von Arbeitsabläufen wurden zu einem R Betätigungsfeld von Frauenvereinen wie dem bürgerlichen Reichsverband Deutscher Hausfrauen, aber auch architektonisch-künstlerischen Bewegungen wie dem Bauhaus und dem Deutschen Werkbund, die funktionale Wohnungsmodelle und Küchenutensilien entwarfen. Das Anliegen des Sveriges ­Husmodersföreningars Riksförbund war es, durch die Professionalisierung und Rationalisierung Aner­ kennung für Frauen und Mütter in der Öffentlichkeit zu generieren. In der Zeitschrift dieser Bewegung, Husmodern, wurden auch Artikel über die Ernährung und Pflege des Säuglings veröffentlicht, was die enge Verstrickung dieser beiden Bereiche zeigt. In beiden Ländern war die rationale Gestaltung der Ernährung der gesamten Familie ein zentraler Angriffspunkt des Hausfrauendiskurses, insbesondere nach der Erfahrung der Hunger- und Krisenjahre. Innerhalb dieser Argumentation, die Weiblichkeit, Mutterschaft und Hausarbeit aufs engste verknüpfte, war das Stillen nach Vorgabe medizinischer Experten die logische Form der Ernährung des Säuglings zu Hause und die Flaschenernährung eine erklärungsbedürftige Abweichung.284 Die Vielzahl der Maßnahmen schien erfolgreich: Der Sommergipfel der Säuglingssterblichkeit, der aufgrund der erhöhten Verderblichkeit von Milchnahrung vor dem Krieg vielen das Leben gekostet hatte, verschwand seit den 1920er Jahren, was sowohl auf die vermehrte Stilltätigkeit als auch auf eine verbesserte Versorgung mit Flaschenmilch hindeutete. Die Säuglingssterblichkeit begann seit dem Ende des Ersten Weltkrieges zu sinken. Diese Erfolge ließen jedoch auch eugenische Diskussionen der Vorkriegszeit wieder aufblühen. 1920 wurde das Rasbiologiska Institutet (Rassenbiologisches Institut) in Uppsala eingerichtet unter der Leitung des Rassenbiologen Herman Lundborg, der als erstes eine „rassenbiologische Inventur“ der schwedischen Bevölkerung durchführte. Lundborg sah die schwedische Bevölkerung in einer biologischen wie kulturellen Degeneration begriffen, der eine entsprechende Gesetzgebung entgegenwirken sollte. Er befürchtete eine „Kontraselektion“, wenn schwache Personen Unterstützung durch den Staat beka­men.285 Ähnliche Befürchtungen und Ängste vor „Kontraselektion“ durch die Säuglingsfürsorge wurden auch in Deutschland geäußert. Die Kritik der Vorkriegsjahre kam erneut auf, dass mehr „Lebensschwache“ geboren würden und es „eine falsch angebrachte Gefühlsduselei [sei], solche Jammerkinder zu pflegen, 284 Vgl. Broberg/Sandström, Hushållningens pedagogiska innehåll; Hirdman/Lundberg/­Björkman, Historia, S. 79; Gröné, Moder och barn (1920), S. 38; Nyberg, Tekniken; Orland, Darmkontrolle, S. 17. 285 Vgl. Johannisson, Foklhälsa, S.  176; Ohrlander, Socialliberal reformpolitik, S.  256 f.; ­Rabenschlag, „Bevölkerungsqualität“, S. 51 f., 54.

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statt sie sterben zu lassen“.286 Zu diesem Zeitpunkt vertraten die deutsche und schwedische Pädiatrie jedoch noch mehrheitlich den Standpunkt, dass jedes Leben schützenswert sei, auch wenn es bereits prominente Ausnahmen gab.287 In beiden Ländern wurden Gesetze erlassen, Einrichtungen geschaffen und umfassende Untersuchungen angestellt, um die Gesundheit von Kindern zu schützen und Mütter zum Stillen zu ermutigen. Vorbeugung, Aufklärung und Kontrolle wurden zu neuen Schlagwörtern der interagierenden Pädiatrie und Sozialhygiene. Im Gegensatz zu der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg gab es nach 1918 in beiden Ländern ein verstärktes staatliches Interesse an der Säuglingsfürsorge und der Staat begann in sozialfürsorgerische Maßnahmen einzugreifen und diese nach eigenen Prämissen zu lenken. Das medizinische und moralisierende Wissen um die richtige Säuglingsernährung wurde auf verschiedenen Kanälen verbreitet, um vor allem die Bedeutung des Stillens hervorzuheben. Während die Flaschennahrung in diesem vornehmlich sozialhygienischen Diskurs marginalisiert wurde, nahm sie bei den Kinderärzten in Deutschland und Schweden weiterhin eine zentrale Stellung in ihrer wissenschaftlichen und praktischen Arbeit ein. 1.3.2 Die Suche nach einer ganzheitlichen Säuglingsnahrung

An der Verbesserung der Flaschenernährung arbeiteten die Kinderärzte trotz der Dominanz der Stillpropaganda im öffentlichen Diskurs weiter. Die sozialhygienischen Studien und Erfahrungen in Kliniken und Säuglingsfürsorgestellen hatten gezeigt, dass es in einigen Fällen nicht zu verhindern war, dass Mütter ihre Kinder mit der Flasche ernährten. Dies musste mit einer kinderärztlich legitimierten Nahrung aufgefangen werden. Die deutschen Sozialpädiater Stefan Engel und Hans Behrendt äußerten in ihrem kritischen Überblick zur Säuglingsfürsorge 1927 diese Hoffnung (vgl. Einleitung): Wenn es uns, so übertrieben es auch klingt, gelänge, eine Säuglingsnahrung zu finden, welche das ganze Säuglingsalter hindurch gleichmäßig Verwendung finden könnte und welche dieselbe Sicherheit böte wie die natürliche Ernährung, so würden damit fast alle Probleme der Säuglingsfürsorge mit einem Schlage beseitigt.288

286 Baum, Grundriss (1923), S. 156. Siehe auch: Engel/Behrendt, Säuglingsfürsorge (1927), S. 36 f. 287 Vgl. Baum, Grundriss (1923), S. 161; Beddies, Kinderheilkunde im Nationalsozialismus, S. 221; Drigalski, Säuglingsfürsorge (1924), S. 105 – 108; Wehler, Gesellschaftsgeschichte 1914 – 1949, S. 666. 288 Engel/Behrendt, Säuglingsfürsorge (1927), S. 28.

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Diese Aussage zeigt einmal mehr, wie zentral die Ernährungsfrage und ihre ­Lösung sowohl für die Pädiatrie als auch die Säuglingsfürsorge waren. Eine solche Nahrung musste mindestens vier Eigenschaften vereinen, um als Dauer­ nahrung eingesetzt werden zu können: Sie sollte erstens für alle Säuglinge passen, zweitens das gesamte Säuglingsalter über einsetzbar sein, drittens leicht zuzubereiten und viertens günstig sein, damit Mütter sie zu Hause problemlos herstellen konnten. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges rückte die Möglichkeit, eine solche Nahrung zu finden, näher: Neue Hoffnung brachten die Entdeckung der Vitamine sowie die gesäuerte Milch, die alle oben definierten Kriterien zu erfüllen schien. In diesem Abschnitt verfolge ich zwei Thesen: 1) Pädiatrisch legitimierte und industriell produzierte Flaschennahrung beginnen sich in diesem Zeitraum anzunähern. Es gab weniger Konflikte zwischen beiden Entstehungsräumen von Nahrung. 2) Trotz dieser Annäherung blieb die Überlegenheit von Muttermilch im medizinischen Diskurs ein unumstößlicher Fakt. Die Flaschennahrung der 1920 bis 1940er Jahre stand in diesem Spannungsverhältnis zwischen legitimer Alternative und minderwertigem Ersatz. Im Folgenden untersuche ich drei Bereiche, die für diese Veränderung verantwortlich waren: die Vitamine, die Suche nach und Kontroversen um industriell hergestellter Säuremilch sowie Veränderungen von Flaschen und Saugern. Die Entwicklung der Ernährungsforschung in diesem Zeitraum steht im Zeichen des Übergangs einer vorrangig quantitativen zu einer vorrangig qualitativen Konzeptionierung und Bewertung der Säuglingsernährung. Die Entdeckung der Vitamine leitete einen Paradigmenwechsel der Ernährungsforschung im Allgemeinen sowie eine veränderte Herangehensweise an die Flaschenmilch im Speziellen ein. Nicht mehr die Quantität, sondern die Qualität der Nahrungsstoffe wurde entscheidend für die Gesundheit.289 Einige Forscher hatten länger schon vermutet, dass es neben den bisher bekannten Nahrungsstoffen weitere „akzessorische“ Nahrungsstoffe gab, die der Körper brauchte, um gesund zu bleiben. 1912 prägte der polnische Physiologe Casimir Funk den B ­ egriff „Vitamine“ für diese Stoffe.290 Die etablierte deutsche Ernährungsforschung wehrte sich viele Jahre heftig gegen diese neuen Stoffe und hielt stattdessen an der von 289 Vgl. Asdal, Versions, S. 313; Bächi, Vitamin C für alle!, S. 19; Bessau, Ernährung, S. 143; Orland, Darmkontrolle, S. 40 f.; Sinding, History of Resistant Rickets, S. 463; dies., Vitalismus, S. 91; Teuteberg, Discovery of Vitamins, S. 274. 290 Funk, The Etiology of the Deficiency Diseases (1912). Vgl. Bächi, Natürliches oder künstliches Vitamin C, S. 447; Fomon, Infant Feeding, S. 410; Euler, Vitaminer (1924), S. VII f.; Frølich, Vitamin Requirements (1924/1925), S. 249.

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Liebig etablierten Triade aus Kohlenhydraten, Eiweiß und Fett fest.291 In anderen Ländern formierten sich hingegen Allianzen zwischen den beiden innerhalb der Medizin weniger prestigeträchtigen Forschungsrichtungen Pädiatrie und Vitaminforschung. Vor allem in Skandinavien expandierte sie und bildete einen Schwerpunkt der pädiatrischen Forschung.292 Die Pädiatrie war ein Motor, der die Vitaminforschung weltweit vorantrieb, da Mangelerkrankungen als Grundlage sowohl der Möller-Barlow’schen-Krankheit als auch der Rachitis identifiziert wurden, die besonders im Säuglingsalter schwerwiegende Auswirkungen auf die Gesundheit hatten.293 Die Möller-Barlow’scheKrankheit, eine bei Säuglingen auftretende Art des Skorbuts, ließ sich bereits 1912 durch die Arbeiten des norwegischen Pädiaters Theodor Frølich auf einen Mangel an Vitamin C zurückführen.294 Kochen verringerte den Vitamin-C-­Gehalt der Milch deutlich, wie neue Studien gezeigt hatten. Dies erklärte, warum diese Krankheit nach Einführung des gründlichen Milchsterilisierens zugenommen hatte. Diese Entdeckung lieferte einen wissenschaftlich belastbaren Grund, die Milch für Säuglingsernährung nicht zu sterilisieren, sondern nur kurz aufzukochen. Die Zugabe von Vitamin-C-haltigen Gemüsesäften und -breien wurde bereits im 19. Jahrhundert praktiziert, auch wenn noch unbekannt war, wie das Krankheitsbild verursacht wurde. Nach der Entdeckung der Vitamine empfahlen Pädiater dies prophylaktisch ab dem dritten Lebensmonat.295 Anfang der 1930er Jahre gelang es dann, Vitamin C zu synthetisieren und als Pulver bereitzustellen, das als Ascorbinsäure auf den Markt kam. Vitamin C konnte damit in bisher unge­ kanntem Ausmaß produziert und der Flaschennahrung problemlos beigemischt werden, was Firmen wie Nestlé schnell umsetzten und in ihre Werbung integrierten. Die Kinderärzte nutzten Ascorbinsäure ebenfalls für ihre Milchmischungen. Eine starke Abgrenzung zwischen Industrie und wissenschaftlicher Forschung ist in diesem Forschungsfeld nicht zu erkennen, vielmehr gingen Industrie und Wissenschaft neue, wirksame Allianzen ein.296 2 91 Vgl. Teuteberg, Discovery of Vitamins, S. 265. 292 Vgl. Berg, Gränslösa hälsan, S. 178; Höjer, Studies in Scurvy (1924); Jundell, Pathogenesis (1921). 293 Vgl. Euler, Vitaminer (1924), S. VII f.; Pfaundler, Mangelkrankheiten (1944), S. 189 ff.; Hjärne, Spädbarnsvård (1932), S. 183; Sinding, History, S. 467. 294 Vgl. Frølich, Experimentelle Untersuchungen (1912); Asdal, Versions, S. 314 f. 295 Vgl. u.a Thiemich/Bessau, Allgemeiner Teil (1930), S. 63; Czerny, Pädiatrie (1939), S. 67; Hjärne, Spädbarnsvård (1932), S. 183 f.; Frølich, Vitamin Requirements (1924/1925), S. 249 f.; Nützenadel, Ernährung, S. 202; Westerlund, Mjölken (1933), S. 129. 296 Ausführlich zur Vitamin-C-Synthese und Vermarktung, Bächi, Vitamin C für alle!; ders., Natürliches oder künstliches Vitamin C. Zeitgenössisch: Bessau, Problem (1938), S. 14; ­Widenbauer, Vitamin C (1941), S. 13.

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Der Ursprung der Rachitis war deutlich schwieriger zu identifizieren.297 Zu Beginn des Jahrhunderts wurde sie vor allem aus zivilisationskritischer Sicht auf die Degeneration der urbanen Arbeiterbevölkerung zurückgeführt, während sie „[i]n natürlicheren Verhältnissen auf dem Land“ weniger aufgetreten sei.298 Das Krankheitsbild wurde zuerst in englischen Arbeiterstädten beschrieben, weswegen sie in Deutschland und Schweden umgangssprachlich als Englische Krankheit (engelska sjukan) bekannt war. Sie war besonders gefürchtet, da sie zu Deformierungen des Skeletts führte. Aus nationalökonomischer Sicht befürchteten Sozialpädiater hohe Kosten für die Gesellschaft, wenn als Spätfolge zu viele erwachsene Invaliden versorgt werden mussten und Frauen aufgrund deformierter Becken nicht in der Lage waren, Kinder zu gebären.299 Die rein zivilisationskritische Erklärung musste nach dem Ende des Ersten Weltkrieges grundlegend revidiert werden. Durch die strengen Rationierungen der Lebensmittel auf Grundlage der geltenden Trias aus Fett, Kohlenhydraten und Eiweiß war die Zahl der Mangelerkrankungen im Deutschen Reich sprunghaft angestiegen. Dies wurde als eindrücklicher Beweis gelesen, dass der deutsche Weg in der Ernährungsforschung eine Sackgasse gewesen war. Außerdem betraf sie nun alle Volksschichten. Die Ursachen- und Prophylaxeforschung von Rachitis nahm daher in der Weimarer Republik eine prominente Stellung innerhalb der deutschen Ärzteschaft ein. Hier engagierten sich außerdem die Industrie und die neu gegründete Deutsche Forschungsgemeinschaft, was die Bedeutung des Projekts für die Volksgesundheit deutlich unterstrich – nicht zuletzt, um den durch den Krieg entstandenen Rückstand im internationalen Feld aufzuarbeiten.300 In den 1920er Jahren gelang es nach vielen Versuchen – vor allem an Tieren, aber auch an Säuglingen –, die Ursache für die Rachitis festzustellen. Es handelte sich um einen Mangel an dem bisher unentdeckten Vitamin D. Der vermutete Zusam­menhang mit Sonnenlicht bestätigte sich, da Vitamin D durch UV -Strahlung wirksam wurde. Das Vitamin konnte auf verschiedene Weise synthetisiert, bzw. hervorgerufen werden, sowohl durch die Bestrahlung von Milch mit UV -Licht als auch durch die Extraktion von Lebertran und Algen. Vitamin 297 Vgl. ausführlich zu Vitamin D und Rachitis, Stoff, Staatliche Rachitisprophylaxe, S. 55 f.; Teuteberg, Discovery of Vitamins, S. 263. 298 o. A., Engelska sjukan (1920), S. 17. 299 Vgl. Apple, Mothers, S. 41; Hjärne, Engelska sjukan (1932), S. 240; af Klercker, Rachitis (1914), S. 100 f.; Sinding, History, S. 464; Stoff, Staatliche Rachitisprophylaxe, S. 55 f.; Wickes, History of Infant Feeding V, S. 497. 300 Vgl. Birk, Eröffnungsansprache (1941), S. 6; Hofmeier, Rachitisverhütung (1940), S. 51; af Klercker (1914), Rachitis S. 98; Orland, Darmkontrolle, S. 40 ff.; Stoff, Staatliche Rachitisprophylaxe, S. 55; ders., Enzyme.

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D wurde anschließend industriell synthetisiert und hergestellt. 1927 gab es fünf unterschiedliche Methoden, um Rachitisprophylaxe durchzuführen.301 Besonders erfolgreich war das deutsche Produkt Vigantol, das Adalbert Czerny als „einfachstes“ Mittel zur Rachitisprophylaxe lobte.302 Die Hersteller industrieller Säuglingsnahrung reagierten schnell auf die neuen Erkenntnisse. Nestlé setzte etwa seiner Milchnahrung Vitamin D zu und bewarb seine Säuglingsnahrung danach als antirachitisch.303 Um die antirachitische Wirkung zu illustrieren, bediente sich Nestlé Röntgenaufnahmen als „objektivem“ Überzeugungsinstrument. Werbung und Wissenschaft entliehen immer wieder Strategien der Wissensvermittlung und Visualisierung voneinander.304 In der Rachitisforschung ist der Gebrauch von Visualisierungsinstrumenten besonders augenfällig. Röntgenaufnahmen waren extrem wichtig, da über das regelmäßige Röntgen der Handknochen Fortschritte in der Formierung des Skeletts sichtbar wurden. Auf diese Art und Weise gelang die „Sichtbarmachung unsichtbarer Leistungen“ der Nahrungsstoffe, die zuvor nicht erklärt werden konnten.305 Isak Jundell zog es beispielsweise in einer Studie von 1924 vor, keine eigene Interpretation der Ergebnisse zu liefern, sondern den Leserinnen und Lesern stattdessen die Röntgenaufnahmen zu präsentieren, damit sie sich selber einen „objektiven“ Eindruck machen konnten.306 Auch die Fotografie wurde genutzt, um Symptome sowohl in Aufklärungsmedien als auch in Lehrbüchern zu demonstrieren. Dies diente dem doppelten Zweck der Aufklärung und der Abschreckung (Abb. 10).307 301 Vgl. u. a. Andresen, Bestrahlte Frischmilch (1930); Bratusch-Marrain/Siegl, Bestrahlte Milch (1930); Czerny, Pädiatrie (1913), S. 119; Frølich, Vitamin Requirements (1924/1925), S. 250 f.; Hjärne, Engelska sjukan (1932), S. 241; Huldschinsky, Heilung von Rachitis (1919), S. 712; o. A., Vitamin D (1932), S. 76 f.; Sinding, History, S. 468. 302 Czerny, Pädiatrie (1939), S. 119; vgl. Beumer, Ernährung des Säuglings (1937), S. 35; Hjärne, Engelska sjukan (1932), S. 242. 303 Vgl. Apple, Mothers, S. 41; Bächi, Natürliches oder künstliches Vitamin C, S. 452; Archives historique de Nestlé: Imagebroschüre Nestlé’s Nya Barnnäring (1926), Stockholm, in: Nestlé Werbemittelsammlung Ordner 40 J: Suede – Yugoslavie; Nya Vägar visar Nestlé’s Nya Barnnäring (11. 10. 1928), in: ebd., Werbebroschüre Fisch: …als rachitisch disponiert… (o. J., [März 1936]), in: Allemagne III (Oktober 1935–August 1939) 24J. 304 Vgl. Nikolow, „Wissenschaftliche Stillleben“, S. 17 f.; Archives historique de Nestlé, Werbebroschüre: rote Zeichnung – Was ist Nestle’s Kindermehl (o. J. [1930]), in: Nestlé Werbemittelsammlung Ordner Nr. 22: Allemange I. 305 Stoff, Wirkstoffe als Regulatoren, S. 122. Zur Geschichte des Röntgens: Dommann, Durchsicht. 306 Vgl. Jundell, Comparison (1924), S. 204, 208; ders., Klinische Versuche (1925), S. 1, 14; o. A., Vitamin D (1932), S. 77. Zur Evidenz von Bildern vgl. Beiträge in Gugerli/Orland, Ganz normale Bilder. 307 Hjärne, Engelska sjukan (1932), S.  240; o. A., Den nya uppfattningen (1920), S.  16; af ­Klercker, Rachitis (1914), S. 82; Rittershaus, Visualisierung, S. 61, 132; Stoff, „Lebertran“,

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Abb. 10: „Englische Krankheit“, Illustration des Krankheitsbildes durch Fotos, im sog. Hygieneatlas, Tafel 94 (1918).

Die Erforschung der Vitamine wurde vor allem mit Hilfe von Tierversuchen durchgeführt, bei denen durch gezielte Mangelernährung die Krankheitsbilder hervorgerufen wurden. Allerdings kam es auch hier zu Versuchen an Säuglingen. Isak Jundell in Schweden gründete etwa seine Forschung zum Verhältnis verschiedener Heilungsmethoden der Rachitis auf  Versuche an frühgeborenen Säuglingen, die er auf strenge Diät setzte oder mit bestrahlter Milch fütterte. Auf diese Versuche gab es keine kritischen Reaktionen in der Fachpresse oder Öffentlichkeit. Nahrungsexperimente an Säuglingen waren ein gängiges Forschungsmittel in der Pädiatrie seit dem 19. Jahrhundert.308 In der Weimarer Republik kam es zur gleichen Zeit erstmals zu öffentlichen Protesten gegen Menschenexperimente. Um die Testung von Vigantol an 20 Kindern im Kaiserin-Auguste-Victoria-Haus entbrannte eine hitzige Debatte. Der Oberarzt Heinrich Vollmer hatte 1927 in der Deutschen Medizinischen Wochenschrift berichtet, er habe die Kinder mit VitaminD-armer Kost ernährt und sie seien in geschlossenen Räumen gehalten worden, um die Ergebnisse durch den Einfluss des Sonnenlichts nicht zu verfälschen. Aus S. 56. A ­ usführlich zu Visualisierung vgl. Nikolow, Der statistische Blick; dies./Bluma, Bilder zwischen Öffentlichkeit und wissenschaftlicher Praxis. Speziell zur Fotografie, vgl. Geimer, Fotografie als Fakt. 308 Vgl. Jundell, Comparison (1924); o. A., Uppfattningen (1920), S. 15.

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den Reihen der Sozialdemokraten hagelte es Kritik: „100 Ratten und 20 Kinder! Arbeiterkinder als Versuchskarnickel“, verkündete ein Leitartikel im Vorwärts. Der Leiter des KAVH , Leo Langstein, verteidigte Vollmer und es gab keine direkten Konsequenzen für die Ärzte. In den 1920er Jahren war das Bild des Säuglings als objekthaft und instinktgetrieben in der klinischen Pädiatrie das dominierende Muster, was zu einer gewissen Skrupellosigkeit in Bezug auf Experimente führte.309 Die Vitamine wurden ein fester Bestandteil der Flaschenernährung und trotz der Kontroversen setzte sich die Rachitisbekämpfung in Schweden und Deutschland als Teil säuglingsfürsorgerischer Maßnahmen durch. 1939 wurde die Prophylaxe erstmals in Deutschland durchgeführt, zunächst mit bestrahlter Milch und Lebertran, ab 1942 mit Vigantol. Als schützende Maßnahme mussten alle dreimonatigen Säuglinge zur Rachitisprophylaxe, wofür vorrangig synthetisches Vitamin D eingesetzt wurde. In Schweden begann die Prophylaxe in den neu eingerichteten BVC Ende der 1930er Jahre.310 Die Bedürfnisse des kindlichen Körpers wurden so immer feingliedriger erforscht und ihnen mit Mikrostoffen entsprochen. Bald eine Dauerernährung mit der Flasche durchführen zu können, wurde nun immer wahrscheinlicher, da weitere Risikofaktoren ausgeschlossen wurden. Nachdem das mechanistisch-physiologische Modell vom biologisch-klinischen Paradigma abgelöst wurde (vgl. 1.2.3), fokussierte sich die Ernährungsforschung seit Beginn des Jahrhunderts vermehrt auf das Konzept der Verdaulichkeit. Der Erklärungsansatz für Ernährungsprobleme wandelte sich von einer einzelnen Substanz zu einem Zusammenspiel verschiedener Faktoren zwischen Säuglingskörper und Nahrung, das „nicht von einer Stelle aus gelöst werden kann“.311 So gäbe es keinen Unterschied zwischen den menschlichen und tierischen Nahrungsbestandteilen per se, sondern die Überlegenheit der Frauenmilch beruhe darin, „dass die Darmschleimhautzellen des Säuglings eine größere Funktionstauglichkeit bei der arteigenen Milch erreichen“.312 Der Begriff der „Verdaulichkeit“, der diese verschiedenen Faktoren miteinander verknüpfte, wurde ein wichtiges Kriterium, um den Erfolg einer Nahrung zu messen, was mit dem konzeptionellen Übergang 309 Zwei Jahre später wurden außerdem Versuche an einem eineiigen Zwillingspaar vorgenommen, bei dem einem Zwilling Vigantol in großen Mengen verabreicht wurde, während der andere Zwilling nicht behandelt wurde. Vgl. Reuland, Menschenversuche, S. 96 – 101; Stoff, Staatliche Rachitisprophylaxe, S. 66 f. Siehe auch: Limper, Of Cows and Baby Monkeys, S. 95 – 102. 310 Vgl. Grauel, Universitätsklinik, S. 911; Hofmeier, Rachitisverhütung (1940), S. 52 – 56; Stoff, Staatliche Rachitisprophylaxe, S. 63 f.; Westerlund, Mjölken (1933), S. 129; Zimdar, Eröffnungsansprache (1941), S. 11. 311 Bessau, Problem (1939), S. 2. Vgl. Heim/John, Verwendbarkeit caseinangereicherter Kuhmilch (1912), S. 9. 312 Billqvist, „Eiweissmilch“ (1911), S. 17 f. (Hervorh. im Org.).

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von quantitativer zu qualitativer Nahrungsforschung korrespondierte. Es dauerte jedoch relativ lange, bis eine solche Nahrung gefunden werden konnte. Die erste Form saurer Milch war die Buttermilch. Diese rückte 1902 zum ersten Mal in den Fokus der Fachöffentlichkeit. Der niederländische Kinderarzt Teixeira de Matos veröffentlichte in diesem Jahr einen ausführlichen Bericht über seine Erfah­rungen mit Buttermilch, die in den Niederlanden seit Jahrhunderten als Säuglingsnahrung genutzt wurde, sowohl in der Bevölkerung als auch in der Klinik. In Deutschland war sie bis dahin nur in einzelnen Kliniken, u. a. von Otto Heubner und Arthur Schloßmann, zur Behandlung von Durchfallerkrankungen verwendet worden. Die Mischung hatte einen relativ hohen Kaloriengehalt, weswegen sie in kleineren Mengen gefüttert werden konnte, was als schonend für den Magen-Darm-Trakt galt. Ergänzend hatte Bruno Salge die Buttermilch in der Berliner Universitätsklinik getestet und berichtete über erste positive Ergebnisse. Aus seiner Sicht eignete sich Buttermilch gut zur Behandlung verschiedener Ernährungsstörungen.313 Er schränkte jedoch ein, es läge ihm fern, „die Buttermilch als die für alle Fälle passende künstliche Nahrung hinzustellen“.314 Mit der Buttermilch war man also zu Beginn des Jahrhunderts noch weit davon entfernt, eine Dauerernährung für Säuglinge zu finden. Buttermilch etablierte sich in Deutschland und Schweden lediglich als Gegenmittel bei Ernährungsstörungen und wurde in Lehrbücher und Ratgeber als Heilnahrung aufgenommen.315 Eine weitere Entwicklungsstufe einer gesäuerten Dauernahrung war die Eiweiß­milch, die 1910 von den deutschen Kinderärzten Heinrich Finkelstein und Fritz Meyer in Berlin geschaffen wurde.316 In verschiedenen Kliniken und Institutionen in Deutschland und Schweden wurde die Eiweißmilch genutzt und über die Versuche in Fachmagazinen berichtet. Das Urteil über ihre Brauchbarkeit fiel insgesamt positiv aus.317 Aus zwei Gründen wurde sie jedoch nicht zur Dauerernährung. Zum einen hatten Versuche um 1910 gezeigt, dass bei D ­ auerernährung 313 Vgl. Peiper, Chronik (1992), S. 463 ff.; Reichert, Säuglingsernährung (1969), S. 52; Salge, Buttermilch (1902), S. 161; Teixeira de Mattos, Buttermilch (1902), S. 1. 314 Salge, Buttermilch (1902), S. 162. 315 Vgl. u.a Czerny, Pädiatrie (1939), S. 48; Elberskirchen/Eysoldt, Mutter als Kinderärztin (1907), S. 18 f.; Jundell, Uppfödning (1913), S. 20; Raudnitz, Milch (1910), S. 146 – 148; Theodor, Die natürliche und künstliche Ernährung (1905), S. 241. 316 Vgl. Finkelstein/Meyer, „Eiweissmilch“ (1910). Finkelstein war ein Schüler Heubners, der zwar an der Charité lehrte, aber als Jude keine ordentliche Professur übernehmen konnte. Nach der „Machtübernahme“ der Nationalsozialisten 1933 emigrierte er nach Chile, wo er seine Arbeit als Kinderarzt fortsetzen konnte, vgl. Ballabriga, Pediatrics, S. 15; Braun, German Pediatrics, S. 26. 317 Vgl. Billquist, „Eiweissmilch“ (1911), S. 22 f.; Grosser, Eiweißmilch (1911); Heim/John, Verwendbarkeit (1912), S. 7.

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nach einiger Zeit das gewünschte Wachstum der Säuglinge ausblieb.318 Zum anderen erschwerte die komplizierte Herstellung des Rezeptes ihre tägliche Nutzung in der Klinik erheblich. Alternativ gab es die Eiweißmilch als gebrauchsfertige Konserve, die von den Milchwerken in (Bad) Vilbel hergestellt wurde. Die Qualität des Produktes entsprach häufig nicht den Anforderungen der Kinderärzte, die es vorzogen, das Rezept selbst herzustellen.319 Im Gegensatz zu früheren Produkten wurde keine generelle Kritik an der Kooperation mit der Industrie laut. Die Eiweißmilch nach diesem Vorbild wurde viele Jahre lang als Heilnahrung eingesetzt und in den 1920er Jahren weiterentwickelt. Dieses Rezept war für einige Jahre ein viel besprochener Erfolg in der Behandlung von Ernährungsstörungen. Der schwedische Kinderarzt Isak Jundell reiste extra nach Berlin, um dort mehr über diese neue Ernährung zu lernen.320 Auf diesem Prinzip basierende Produkte wurden auch 1969 immer noch als Heilnahrung eingesetzt.321 Insgesamt wird eine wachsende Akzeptanz deutlich, Milch mit Säure zu vermischen sowie komplexe Rezepte industriell herstellen zu lassen, um damit ihre Verbreitung zu erhöhen. Einen entscheidenden Schub in der Entwicklung einer Dauernahrung brachte die Veröffentlichung eines Rezeptes zur Herstellung von gesäuerter Vollmilch durch die US -amerikanischen Kinderärzte McKim Marriott und Davidson im Jahr 1923. Der Vorteil ihrer gesäuerten Milch lag laut den beiden Autoren darin, dass sie eine Vorverdauung der Kuhmilch bewerkstelligte und daher den Magen nicht so sehr beanspruchte wie ungesäuerte Milch. In der Hinsicht verhalte sie sich wie Muttermilch und könne daher in größeren Mengen, also unverdünnt, verabreicht werden. Die allgemein als Marriott-Milch bekannte Rezeptur erfüllte, folgt man den Autoren, alle oben definierten Kriterien für eine Dauerernährung: Sie war gut verträglich für gesunde und kranke Säuglinge, billig und einfach für Mütter zuzubereiten.322 Diese Veröffentlichung gab den Startschuss für die deutsche Pädiatrie, sich mit neuer Intensität der Säurevollmilch zu widmen. Heinrich Weissenberg, Leiter der Städtischen Kinder- und Säuglingsfürsorge in Gleiwitz, war 1924 unter den Ersten, der Säurevollmilch in größerem Stil testete. Er entwickelte auf dieser Basis 318 Vgl. Grosser, Eiweißmilch (1911), S. 459; Jundell, Spädbarnsskydd (1913), S. 21; Pelka, Eiweißmilchanalysen (1911), S. 442 f. 319 Vgl. Billquist, „Eiweissmilch“ (1911), S. 20; Birk, Säuglingskrankheiten (1920), S. 133; Grosser, Eiweißmilch (1911), S. 448; Tugendreich, Arzt (1918), S. 13. 320 Vgl. Jundell, Spädbarnsskydd (1913), S. 4 f. 321 Vgl. Lemke, Gerinnungsunterschiede (1951), S. 418; Reichert, Säuglingsernährung (1969), S. 131. 322 Vgl. Gholamiasllari, Geschichte (1975), S. 28 f.; Marriott/Davidson, Acidified Whole Milk (1923), S. 2007 f.

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eine Mischung sowohl für kranke als auch für gesunde Säuglinge. Seine Nahrung war keine fertige Mischung, sondern wurde als Zitrotibin-Nährzucker durch die Chemische Fabrik Dr. Pfeffermann und Co. in Berlin „in höchster Einfachheit und Zuverlässigkeit“ 323 hergestellt. In dieser Form war die Milch leichter zu Hause herstellbar, „vor allem ohne Zuhilfenahme einer genauen Waage, in der Hand auch einer wenig intelligenten Mutter“.324 Sein Zusatz löste das Problem, die Milch möglichst einfach für Mütter herstellbar zu machen, denen von der Pädiatrie offenbar wenig zugetraut wurde. Neben Weissenberg beschäftigte sich Hans Beumer, Professor für Kinderheilkunde in Göttingen, mit der Zitronensäurevollmilch. Er entwickelte Zitronensäuretabletten, sog. Aziletten (später auch als Citretten bekannt), um die Milch zu säuern. Beumers Produkte überflügelten Weissenbergs Zitrotibin-Nährzucker in der öffentlichen Wahrnehmung, nicht zuletzt aufgrund seiner prominenteren Stellung als Professor. In der Fachwelt fand seine Methode schnell Anerkennung, da sie gute Ergebnisse in der Dauerernährung von Säuglingen lieferte.325 Sowohl Beumer als auch Weissenberg mühten sich, bei aller Euphorie für die guten Ergebnisse ihrer Methoden, zu versichern, dass sie keinesfalls die Muttermilch ersetzen wollten oder konnten.326 Dies spiegelt die ambivalente Position der Kinderärzte wider, einerseits Beweise dafür liefern zu müssen, dass ihre Rezepte die Muttermilch zwar so gut wie möglich nachbildete, andererseits aber nie die Gleichwertigkeit der Flaschennahrung mit Brustnahrung reklamieren zu können.327 An der Industrie ging diese neue Bewegung nicht vorbei. Sie nahm die neuen Vorgaben vielmehr auf und inkorporierte sie in ihre Produktpalette. Das erste Unternehmen, das nach einem Säuremilchrezept arbeitete, war die Alete GmbH, eine Tochterfirma der Allgäuermilch-Alpenmilch A. G. Die Milchnahrung wurde 1934 in Kooperation mit einem Mitarbeiter von Professor M ­ einhardt 328 von P ­ faundler an der Münchner Universitätsklinik konzipiert. Sie wurde auf der B ­ asis von Zitro­nensäure, gesäuerter Vollmilch und dem Zusatz zweier 323 Weissenberg, Zitrotibin-Nährzucker (1927), S. 100 ff.; vgl. ders., Behandlung der Säuglingsatropie (1930), S. 288; Reichert, Säuglingsernährung (1969), S. 53; o. A. [I.-G. A.], Citronsyremjölk eller modersmjölken (1942), S. 125 f.; Weissenberg, Zitronensäurevollmilch (1926). 324 Weissenberg, Zitrotibin-Nährzucker (1927), S. 101. 325 Vgl. Kleinschmidt, Hans Beumer † (1948/1949), S. 36 f.; o. A. [I.-G. A.], Citronsyremjölk eller modersmjölken (1942), S. 126; Scharff, Säurevollmilch (1938), S. 678; Thunberg, En replik (1943), S. 2231; Vogt, Bericht (1941/1942), S. 84. 326 Vgl. Beumer, Ernährung des Säuglings (1939), S. 8; vgl. o. A. [I.-G. A.], Citronsyremjölk eller modersmjölken (1942), S. 127; Reichert, Säuglingsernährung (1969), S. 54; Weissenberg, Zitronensäurevollmilch (1926), S. 201, 209, 301; ders., Zitrobitin-Nährzucker (1927), S. 102. 327 Vgl. Orland, Wissenschaft, S. 298. 328 Vgl. Gholamiasllari, Geschichte (1975), S. 35; Scharff, Säurevollmilch (1938), S. 677.

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­ ohlenhydrate geschaffen und wurde als Trockenpulver verkauft, das zu Hause in K abgekochtes Wasser eingerührt werden konnte. Das umständliche Milchabkochen und Zusetzen von Milchsäure sowie Abwiegen und Mischen der verschiedenen Zutaten fiel dadurch weg. Ein Jahr später brachte Nestlé eine Säurevollmilch mit dem Namen Pelargon auf den Markt. Im Gegensatz zu anderen Nestlé-Nährmitteln wurde Pelargon nur in Apotheken und Drogerien verkauft, was dem Produkt einen wissenschaftlich legitimen Anspruch verlieh.329 Die Sauertrockenmilchpräparate von Nestlé und Alete wurden in der deutschen Pädiatrie häufig ohne negative Kommentare als valide Möglichkeit genannt, Säuremilch zuzubereiten. Allerdings entsprachen die industriellen Produkte aufgrund ihres hohen Preises nicht dem Ideal einer günstigen Milch, die von allen Volksschichten gekauft werden konnte. Die Zugabe der Tabletten schien zudem eine valide Zwischenlösung zwischen einer komplett fabrikmäßig hergestellten Nahrung und der Heimzubereitung. Sie erleichterte zwar die Herstellung der Nahrung für die Mutter, entließ sie jedoch nicht aus der Verantwortung, über die Nahrungszubereitung nach wissenschaftlichen Grundsätzen Bescheid zu wissen. Weiterhin abgelehnt wurden die „Kindermehle“: zum einen weil sie nicht besonders zielführend waren, zum anderen da sie durch ihre Werbeversprechungen „eine gefährliche Irreführung“ von Müttern veranstalteten, die im Nicht-Stillen resultierte.330 Das kontinuierliche Arbeiten an der Flaschennahrung hatte in Deutschland Wirkung gezeigt. Untersuchungen zur Säuglingssterblichkeit wiesen darauf hin, dass Ernährungsstörungen keinen hohen Anteil an der Sterblichkeitsquote mehr hatten. Professor Fritz Rott schrieb in einem Bericht über die Sterblichkeitsursachen von 1935 sogar der Verbesserung der Flaschennahrung einen größeren Anteil an der Senkung der Säuglingssterblichkeit zu als der Stillpropaganda.331 Gleichzeitig war es während des Nationalsozialismus aus verschiedenen Gründen nicht möglich, eine uneingeschränkt positive Position gegenüber der industriellen Nahrung in der Pädiatrie einzunehmen. Einerseits lief eine solche Einschätzung der moralischen Vorstellung von Mutterschaft entgegen, andererseits war noch keine Einigung darüber erfolgt, wie genau die Flaschennahrung bestenfalls hergestellt werden konnte, um alle vier oben genannten Kriterien zu erfüllen. 329 Lancement du Pelargon, in: Archives historique de Nestlé: 2 Bestellkarten für Pelargon; Brief an Kinderärzte (30. 03. 1935); Brief an Kinderkliniken (30. 03. 1935); Klinische Gutachten – Pelargon. Milchsäure-Vollmilchpulver ohne Kohlenhydratzusatz (30. 03. 1935). 330 Thiemich/Bessau, Allgemeiner Teil (1930), S. 52. 331 Vgl. Rott, Anteil der Verdauungskrankheiten (1935), S. 669. Siehe auch: Meier/Baland, Die wichtigsten Ursachen der Säuglingssterblichkeit (1936).

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Klarer als die Kinderärzteschaft positionierte sich der NS -Staat zur Flaschennahrung und beschränkte erstmals reichsweit die Werbung für diese Produkte. Das „Gesetz zur Wirtschaftswerbung“ vom September 1933 unterstellte alle wirtschaftliche Werbung dem Reich. Zur Aufsicht über die Einhaltung des Gesetzes wurde der Werberat der deutschen Wirtschaft eingerichtet. Alle diejenigen, die Werbung betreiben wollten, mussten von dort eine Genehmigung erhalten. Funktional betrachtet war diese Institution ein „verlängerter Arm des Propagandaministeriums“.332 Der Werberat bezog 1938 erstmals Position gegen die Bewerbung von „Kindernährmittelfirmen“, speziell durch Hebammen. Den Hebammen kam im Nationalsozialismus wieder eine größere Bedeutung zu, da bis 1942 die Hausgeburt staatlich gefördert wurde. Laut Werberat konnten die Hebammen ihre „für die Volksgesundheit wichtige und auch praktisch sehr bedeutsame Aufgabe“ nur dann ausführen, „wenn sie die Beratung [über die Ernährung] unabhängig im Dienste der Volksgesundheit ausübt[en]“.333 Damit war gemeint, dass sie sich ausschließlich der Stillförderung widmen sollten, anstatt sich von der Industrie beeinflussen zu lassen. Ein Jahr später meldete sich der Werberat erneut zu Wort, um die Werbetätigkeit der Nährmittelfirmen zu kommentieren. In diesem Fall ging es speziell darum zu verhindern, dass Hersteller den Eindruck vermittelten, „als ob Kindernährmittel einen vollwertigen Ersatz für Muttermilch darstellten“.334 Diese ­Forderung setzte der Werberat in direkten Zusammenhang mit dem volksgesundheitlichen Bestreben, „die Stillfreudigkeit zu heben und zur Herabsetzung der Kindersterblichkeit die Mutter zum Stillen des Säuglings anzuregen“.335 Dies folgte auf eine Ankündigung des Reichsgesundheitsführers Leonardo Conti: „Es kann heute keine übertriebene Werbung mehr für Säuglingsnährpräparate geduldet werden, die den Stillwillen der Mütter beeinträchtigen.“ 336 Nur durch das Stillen könne die Säuglingssterblichkeit gesenkt werden. Conti schränkte zwar ein, die Nährmittel seien in den meisten Fällen nicht schädlich, würden es aber, 332 Sennebogen, Propaganda als Populärkultur. Ausführlich zur Werbung im Nationalsozialismus: Berghoff, „Reklame“; Rücker, Wirtschaftswerbung; Semrad, Die geistigen „Ariseure“, S. 250; Swett, Selling under the Swastika. 333 Der Werberat der deutschen Wirtschaft hat in Heft 5, 5. Jahrg./Mai 1938, seines Mitteilungsblattes „Wirtschaftswerbung“ folgendes veröffentlicht (1938), S. 597. Zur Rolle der Hebammen: Lisner, „Hüterinnen der Nation“. 334 Richtlinien des Werberats der deutschen Wirtschaft über die Werbung für Kindernährmittel (1939), S. 345. 335 Ebd., S. 345. 336 Conti, Volksgesundheit und Werbung (1939), S. 178. Vgl. Dill, Nationalsozialistische Säuglingspflege, S. 25; Rowold, Johanna Haarer, S. 191.

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„wenn durch eine übertriebene Werbung im Volke der Glaube erzeugt wird, daß diese günstigen Nährmittel der Muttermilch gleichwertig sind“.337 Infolge dieser Bestim­mungen sollten u. a. keine Angaben mehr beigefügt werden, welche die Zubereitung der Nahrung schon für die ersten Lebensmonate beschrieben. Der Vitamingehalt der Produkte war ein zweiter Angriffspunkt, der von den Firmen nicht länger beworben werden sollte, und schließlich sollte die Bezeichnung als „Vollkost“ oder „Ganze Kost“ abgeschafft werden.338 Diese Bemühungen sind durchaus ambivalent. Einerseits führten sie erstmals eine Typologie ein, die es Firmen erschwerte, ihre Produkte mit übertriebenen Versprechen zu bewerben. Andererseits wurde die Handlungsfähigkeit der Mütter eingeschränkt, eigenständig eine Nahrung auch für junge Säuglinge herzustellen. Sie markierten außerdem die Sagbarkeitsgrenzen innerhalb derer offiziell über Säuglingsnahrung gesprochen werden konnte. Selbst während des Zweiten Weltkrieges lag die Diskussion um die Flaschennahrung nicht brach, wie die 47. Versammlung der Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde in Wien von 1940 zeigt.339 In diesem Rahmen kam es zu einer ausführlichen Diskussion über den Stand der Flaschennahrung für Säuglinge. ­Wenig überraschend waren sich alle darüber einig, dass es keinen vollwertigen Ersatz für Muttermilch gebe. Die Säuremilch wurde jedoch allgemein positiv ­bewertet, sogar als „größte Umwälzung in der Ernährung gesunder Säuglinge in den letzten Jahrzehnten“ bezeichnet.340 In Form der Aletemilch oder Azilettenmilch habe sich diese Form der Ernährung ebenfalls in der Bevölkerung ausgebreitet, worin man „nicht lediglich den Erfolg geschickter geschäftlicher Werbung zu sehen glaub[t]e“.341 Es herrschte außerdem eine relativ große Akzeptanz gegenüber fabrikmäßig hergestellten Hilfsmitteln zur Milchsäuerung, die es zuvor in diesem Ausmaß nicht gegeben hatte. So wurden sogar die Vorteile der Aziletten für weniger finanzstarke Familien gelobt und vom Braunschweiger Kinderarzt Brehme als

3 37 Conti, Volksgesundheit und Werbung (1939), S. 178. 338 Inwiefern sich die Werbung für Nährmittel nach diesen Bestimmungen veränderte, kann an dieser Stelle nicht systematisch nachvollzogen werden, da zu wenige Werbemittel aus der Zeit des Nationalsozialismus zur Verfügung standen. 339 Im Vorfeld hatte es Diskussionen gegeben, ob eine Tagung unter den Kriegsumständen überhaupt angemessen sei, aber der Veranstalter, Walter Birk, setzte sich durch, da er die Fortsetzung wissenschaftlichen Arbeitens als potentiell kriegsentscheidenden Teil des „war effort“ verstand. Dies erwuchs aus der Erfahrung, während des Ersten Weltkrieges den Anschluss an die Vitamin-Forschung verloren zu haben. Ein solcher Fehler dürfe nicht erneut gemacht werden, vgl. Birk, Eröffnungsansprache (1941/1942), S. 6 ff. 340 Vogt, Bericht (1941/1942), S. 83. 341 Ebd., S. 84.

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„Eisschrank des kleinen Mannes“ beschrieben.342 Die größte ­Uneinigkeit herrschte über das Mischverhältnis der Säuremilch. Hans Kleinschmidt aus Köln und Georg Bessau positionierten sich gegen die Gabe von Vollmilch als Säuglingsnahrung. Bessau nannte diese „unbegründet und unphysiologisch“.343 Diese Auseinandersetzung zeigt einerseits, dass die deutsche Pädiatrie noch weit von einem Konsens in der Flaschennahrungsfrage entfernt war. Wie der Berliner Kinderarzt Kurt Hofmeier jedoch bemerkte, waren die Übereinstimmungen noch nie so hoch wie zu diesem Zeitpunkt.344 In Schweden war man zur gleichen Zeit noch weiter von einem Konsens über die Flaschennahrung entfernt als in Deutschland. Hier stellte die Flaschen­ nahrungsforschung auch noch in den 1930er und 1940er Jahren ein eher randständiges Thema der Pädiatrie dar. Der erste Artikel über gesäuerte Milch wurde erst 1938 von Sture Siwe, einem Kinderarzt aus Lund, veröffentlicht.345 Zur Säuerung der Milch griff Siwe auf die von Beumer konzipierten Aziletten zurück, bis eine schwedische Firma um 1940 ebenfalls eine Zitronensäuretablette auf den Markt brachte. Er hob in seinen Artikeln hervor, dass sich die Herstellerfirma Ferrosan in ihren Broschüren und Reklamen dafür ausgesprochen hatte, dass die Muttermilch immer dann angewandt werden sollte, wenn dies möglich war.346 Siwe schloss sich der optimistischen Meinung der deutschen Pädiatrie an, dass man möglicherweise „on the eve of a re-organisation of our artificial diet of infants“ stünde.347 Der einzige Nachteil sei der säuerliche Geschmack der Nahrung, weswegen einige Säuglinge sie anfangs nicht so gerne konsumierten wie die süßen Mischungen. Dennoch löste die Säuremilch in Schweden eine Kontroverse aus, in der zum ersten Mal die Grenze des Sagbaren überschritten wurde: Ein Autor bezeichnete eine Flaschennahrung als der Muttermilch gleichwertig. Die Diskussion in der schwedischen Pädiatrie wurde losgetreten mit einem nur mit den Initialen I.-G. A. versehenen Essay mit dem Titel „Zitronensäuremilch oder Muttermilch“ in der populären sozialhygienischen Zeitschrift Hygienisk Revy.348 Nach einer langen Herleitung findet sich am Ende des Artikels die Forderung: 342 Ebd., S. 86; siehe auch: Hering, Problematik (1964), S. 12. 343 Vogt, Bericht (1941/1942), S. 87. 344 Vgl. Reuss, Sehnsucht des Praktikers (1942), S. 172; ders., Frage der einheitlichen Säuglingsernährung (1944). 345 Vgl. Siwe, Physiological Basis (1938), S. 386 f. 346 Vgl. Siwe, Citrodomjölken (1940), S. 142 f. 347 Siwe, Physiological Basis (1938), S. 390. 348 o. A. [I.-G. A.], Citronsyremjölk eller modersmjölken (1942). Die Identität des Autors/der Autorin konnte ich nicht herausfinden.

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Lasst die Fragen über Stillen oder Citridoernährung eine Geschmacks- oder Eignungsfrage werden. Diejenige Frau, die genügend Milch hat oder sich mit dem Stillen wohlfühlt, sie soll natürlich weiterhin die Brust geben. Aber eine Frau, die von Natur aus mit weniger gutem Stillvermögen ausgestattet ist oder durch ihre Arbeit am Stillen gehindert wird oder sich ganz einfacher wohler mit der Citridoernährung des Kindes fühlt, sie sollte das Recht haben, zur neuen Methode überzugehen, ohne sich minderwertig fühlen zu müssen, wenn sie nicht kann, oder verbrecherisch, wenn sie ihr Kind nicht stillen will.349

Hier wird die Frage: Brust oder Flasche? zum ersten Mal vollständig in die Verantwortung der Mutter gelegt. Sowohl dem Kind als auch der Mutter sollte es mit der Ernährungsart gut gehen, so die Prämisse des Artikels. Hier wird eine Kritik gegenüber dem pädiatrischen Mainstream widergespiegelt, die sich vor allem auf die Gesundheit des Kindes fokussierte, ohne dabei die realen Verhältnisse der Mütter in Betracht zu ziehen. Der/die AutorIn meinte: „Nein, mit allem Respekt für die oft geniale Ordnung der Natur, muss man doch anerkennen, dass diese immer wieder durch moderne Technik und Erfindungsvermögen übertroffen wird.“ 350 Die Anonymität weist darauf hin, dass die Äußerung der Vorstellung, die Flaschenmilch könne der Muttermilch „überlegen“ sein, so brisant war, dass der/die AutorIn es nicht riskieren wollte, mit Klarnamen genannt zu werden. Insbesondere an diesem Punkt arbeitete sich eine Einsendung des Schwedischen Kinderärzteverbundes ab, die zwei Monate später in der Hyginisk Revy veröffentlicht wurde. Unterschrieben war diese Einsendung von sieben schwedischen Kinderärzten, darunter den einflussreichen Professoren Adolf  ­Lichtenstein und Arvid Wallgren sowie Curt Gyllenswärd. Die im Artikel vertretene Meinung, die Citridomilch könne der Muttermilch überlegen sein, wurde von ihnen in aller Deutlichkeit zurückgewiesen. Außerdem nahm der Kinderärzteverband die Anonymität des Autors bzw. der Autorin zum Anlass, die fachliche Kompetenz in Frage zu stellen.351 Darüber hinaus übten die etablierten Kinderärzte Kritik an der Hygienisk Revy selbst, die eine solche Aussage unkommentiert ­veröffentlichte. 349 ”Låt frågan om amning eller citridouppfödning bli en smak- eller lämplighetsfråga. Den kvinna som har gott om mjölk och som trivs med amningen, hon må naturligtvis förtsätta att ge di. Men en kvinna som av naturen utrustats med mindre god amningsförmåga eller som av sitt arbete hindras att ge di eller som kanske helt enkelt trivs bättre med citridouppfödningen av barnet, hon må ha rätt att övergå till den nya metoden utan att behöva känna sig mindervärdig, om hon inte kan, eller brottslig, om hon inte vill amma sitt barn,“o. A. [I.-G. A.], Citronsyremjölk eller modersmjölken (1942), S. 100. 350 ”Nej, med all respekt för naturens ofta genialiska anordningar, måste man nog erkänna att en gång efter annan överträffas av modern teknik och uppfinningsförmåga, ”ebd., S. 99. 351 Svenska Barnläkerförbundet, Insänt (1942), S. 124 f.

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Eine der Folgen sei schon gewesen, dass ein Artikel in der Tages­presse erschienen sei mit dem Titel „Zitronensäure macht die Mutter überflüssig“.352 Die verfälschende oder verkürzte Wiedergabe von Aussagen aus der Fachpresse in der Öffent­lichkeit wurden als besonders gefährlich eingestuft. Sie schlossen ihre Kritik damit ab, dass die „Propaganda für die Ausweitung des Stillens, die wir Kinderärzte betreiben, eine der wirksamsten Mittel für die Minderung von Krankheit und Tod im Säuglingsalter“ sei.353 Die offizielle Meinung der Kinder­ ärzteschaft befürwortete damit zu diesem Zeitpunkt allein das Stillen als legitime Ernährungsform. Auch in den folgenden beiden Jahren wurden weitere Artikel sowohl in der Hygienisk Revy als auch im allgemeinen Organ der schwedischen Ärzteschaft, der Svenska Läkartidning, veröffentlicht, die sich zur Säurevollmilch äußerten.354 Die Diskussion drehte sich dabei sowohl um generelle Prinzipien der Ernährungsphysiologie als auch um die Rolle der Industrie innerhalb der Säuglingsernährung. Fabrikprodukte zur Zubereitung von Zitronensäuremilch, die sich aufgrund der breiten Reklame in Schweden mittlerweile ausgebreitet hatten, standen besonders in der Kritik. Nach der Einschätzung eines Arztes war die Zitronenmilch der Frauenmilch weder gleichwertig oder überlegen noch billiger; sie war nicht einfacher zuzubereiten, zu kalorienreich und nicht als Dauernahrung geeignet – entsprach also keinem der oben definierten Kriterien.355 Die Diskussion driftete in den späteren Artikel in Auslegungsfragen ab und erging sich darin, die Ergebnisse, Theorien und Aussagen deutschsprachiger Pädiater wie Heinrich Weissenberg, Hans Beumer, Otto Vogt und Emil Feer zu interpretieren, die in Schweden als Autoritäten der Ernährungsfrage galten.356 Während sich die deutsche Pädiatrie in ihrer Empfehlung der Säuremilch schon einigermaßen einheitlich zeigte, gab es in Schweden keine solche, auf pädiatrischer Erfahrung oder eigener Forschung basierende, gemeinsame Linie. Die Säuremilch hat sich in Schweden anscheinend nie durchgesetzt. Adolf Lichtenstein riet in den 1940er Jahren von der Verwendung von gesäuerter Milch ab, insbesondere als Vollmilch, und empfahl stattdessen verdünnte Süßmilchmischungen.357 Das Ansehen dieser Nahrung schien nachhaltig beschädigt, weil 3 52 Vgl. Svenska Barnläkerförbundet, Insänt (1942), S. 125. 353 Vgl. ebd., S. 125. 354 Vgl. Lindberg, Surmjölk som spädbarnsnäring (1943), S. 958; ders., Frågan om surmjölk (1943), S. 1570; Thunberg, Frågan om citronsyremjölk (1943). 355 Vgl. Lindberg, Surmjölk som spädbarnsnäring (1943), S. 979. 356 Vgl. Thunberg, Frågan citronsyremjölk (1943), S. 1570. 357 Vgl. Lichtenstein, Barnavård (1949), S. 131. In dem vom Medicinalstyrelsen herausgegebenen Ratgeber von Emil Bovin und Harald Ernberg findet sich weder in den Ausgaben der 1930er

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die Grenzen des Sagbaren überschritten und die Zitronensäuremilch der Muttermilch gleichgesetzt worden war. Die große Anzahl an einflussreichen Kinderärzten, die sich gegen diese Überschreitung der Sagbarkeitsgrenze ausgesprochen hatten, zeigt, welche hohen Wellen eine solche Transgression schlug und wie fundamental sich Kinderärzte in ihrer Professionalität durch eine solche Aussage bedroht sahen. Neben der Säuremilch kam in den 1920er Jahren eine neue Generation der Flaschen auf den deutschen und internationalen Markt. Die Flaschen mit langem Saugrohr waren in den 1920er Jahren bereits verschwunden, auch wenn in Ratgebern teilweise noch vor ihnen gewarnt wurde, und zylindrische Enghalsflaschen mit kurzen Saugern übernahmen die Oberhand. Qualitätsmerkmal einer guten Flasche war, dass sie leicht zu reinigen war und die mittlerweile standardmäßig vorhandene Grammeinteilung aufwies. In Deutschland brachte die Firma Schott nach dem Ersten Weltkrieg eine neue Säuglingsflasche auf den Markt, die 1921 als Jenaer Flasche ihren eigenen Markennamen erhielt. Schott wurde 1884 gegründet und spezialisierte sich zunächst auf die Herstellung von optischen Gläsern. Das Mikroskop als Instrument der Beob­ achtung und Analyse muss hier auch Erwähnung als Teil des Ensembles finden, das die Säuglingsnahrung gestaltete. Es wurde in der Bakteriologie benutzt, aber auch vermehrt in der Kinderheilkunde zur Bestimmung von Krankheitsbildern eingesetzt.358 Ähnlich wie die Glasflaschen und Gummisauger profitierte es von der Möglichkeit, massenproduziert werden zu können und damit der großen Nachfrage gerecht zu werden. So hatte etwa der preußische Staat in Schott investiert, um die Produktion zu erhöhen.359 Neben diesem Kerngeschäft probierte Schott immer wieder neue Methoden der Glasschmelzung aus, die sowohl für die Industrie und die Wissenschaft als auch im 20. Jahrhundert für den wachsenden Markt der Haushaltswaren nutzbar waren. Dieser Aufschwung von Schott durch die Produktion der Mikroskope hatte sicherlich einen positiven Effekt auf die spätere Herstellung von Säuglingsflaschen. In Analogie zu den Molkereien, die in der Säuglingsnahrung einen weiteren Absatzmarkt ihrer Produkte fanden, suchte Schott neue Anwendungsmöglichkeiten für seine Spezialgläser, die besonders hitzebeständig waren. noch 1940er Jahre ein Hinweis auf die Säuremilch als Säuglingsnahrung: Vgl. Bovin/Ernberg, Mor och barn (1931) sowie (1942). 358 Braun, German Pediatrics, S. 24; Reiser, Medicine, S. 69 – 90. Das Mikroskop steht geradezu sinnbildlich für die Bakteriologie, wie sich etwa im Hygieneatlas von Lagenstein und Rott zeigt: Langstein/Rott, Atlas, Tafel 25. 359 Vgl. Weindling, Health, S. 159; Stöckel, Säuglingsfürsorge, S. 122. Siehe auch: Scheiffele, Jenaer Glas, S. 156 – 162; Rapp, Wiederaufbau, S. 24.

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Ähnlich wie bei Justus von Liebigs Erfindung der Suppe für Säuglinge ging die Erfindung der Säuglingsflasche bei Schott auf die Enkelin des Firmenvorstands zurück, die mit der Flasche aufgezogen werden musste.360 Die Flasche kam mit einer bereits vorgefertigten Gradierung auf den Markt. Sie war eines der erfolgreichsten Produkte und geradezu das Aushängeschild der Firma Schott in den frühen 1920er Jahren.361 Um den Absatz der Flaschen und anderer Haushaltswaren noch zu erhöhen, kooperierte Schott mit dem ungarischen BauhausKünstler László Moholy-Nagy. Er entwarf eine visuell eindrückliche Werbekampagne, die mit dem Spruch warb: „Das Baby schreit nicht nur zum Spaß, es will die Milch aus Jenaer Glas.“ 362 Ratgeber für Säuglinge begannen bald die Jenaer Flasche speziell zu benennen und als besonders vorteilhaft darzustellen. Auf Fotografien und in grafischen Darstellungen sieht man den Markennamen immer wieder deutlich im Bild, selbst wenn es nicht direkt um die Flasche geht (siehe auch Abb. 11).363 Auf diesem Gebiet bewegten sich also Forschung und Industrie in eine ähnliche Richtung. Die Jenaer Flasche in ihrer klassischen zylindrischen Form mit engem Hals dominierte, zumindest in Deutschland, bis in die 1950er Jahre den Markt.364 Im hier zugrundeliegenden Material für Schweden kann in diesem Zeitraum keine Werbung für Jenaer Flaschen festgestellt werden, sie wurde dort aber ebenfalls verkauft. Dies lässt sich u. a. dadurch erklären, dass schwedische Ratgeber im Gegensatz zu deutschen zumeist von öffentlichen Stellen herausgegeben wurden und sich daher nicht durch Werbung finanzieren mussten.365 In Schweden kamen 1931 erstmals sog. Breithalsflaschen auf den Markt. Sie wurden von Stille-Werner AB hergestellt, der ein Fachhandel für medizinische Gebrauchsgegenstände war und heute noch ist.366 Er brachte die Celvex-Flasche heraus, die außerdem mit dem „weißen Sauger“ von Stille verkauft wurde. Diese Flasche erinnert stark an die Ende der 1930er bzw. Anfang der 1940er Jahre von Nestlé entwickelte Breithalsflasche. Sie hat nur einen kurzen Hals und eine sehr große Öffnung.367 In der Werbung für den „weißen Sauger“, der mit seiner breiten 360 Vgl. Kappler/Steiner, Schott, S. 77. 361 Vgl. Scheiffele, Jenaer Glas, S. 157. 362 Kappler/Steiner, Schott, S. 76. 363 Vgl. Altmann-Gädke, Säuglingspflege (1940), S. 24 f.; Knapp, ABC (1948), S. 23, 25 f.; Uflacker, Mutter und Kind (1956), S. 129; Weber, Säuglingspflege (1934), S. 18 f., 93 f. 364 Vgl. Klebe/Schadewaldt, Gefäße (1955), S. 40. 365 Vgl. Bovin/Ernberg, Mor och barn (1930 und 1942); Ernberg, Råd och anvisningar (1938). 366 Vgl. o. A., History of Stille. 367 Werbung, Stille AB , Celvex Flaska, in: Jordemondern (1932), o. S; Werbung, Stille AB , Celvex Flaska, in: Husmodern (1936), S. 13.

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Öffnung und seiner weißen Farbe eine Veränderung gegenüber den Modellen aus den vorherigen Jahren darstellte, wurde betont, dass dieser „giftfrei und kochbar“ war.368 Dies kann zuvorderst als Abgrenzungsstrategie gegenüber anderen ange­ botenen Produkten gedeutet werden. Da in schwedischen Ratgebern generell sehr selten Markennamen genannt wurden, lässt sich schwer nachvollziehen, ob diese Flaschen speziell empfohlen wurden. Anhand der Säuremilch und der Vitamine lässt sich zeigen, dass die forschungsund handlungsleitenden Konzepte in der Ernährungslehre extrem fluide waren und teilweise innerhalb weniger Jahre von neuen Erkenntnissen abgelöst wurden. Selten kam es dabei zur direkten Überschreibung einer Methode durch die andere, sondern es gab Überlappungen und Überschneidungen. Es ist daher besonders gewinnbringend zu sehen, welche Flaschennahrung in welchem Kontext Erfolg hatte und die Grenzen der Klinik verlassen konnte. Gelang es ihr nicht, menschliche Allianzen zu schaffen, wie im Falle Schwedens, war die Nahrung auch nicht von Erfolg gekrönt und blieb zunächst ein Randprodukt. Nicht nur die Nahrung, sondern auch die Flaschen und Sauger entwickelten sich in den 1930er und 1940er Jahren weiter und wurden an die neuen Bedürfnisse der Pädiatrie nach Genauigkeit und Sauberkeit angepasst. Das Zusammenwirken hygienischer Flaschen, ungiftiger Sauger und der neuen Nahrungsmittel führte dazu, dass die Flaschenernährung in diesem Zeitraum zu einer zunehmend sicheren Option für Säuglinge wurde. In den 1930er und 1940er Jahren veränderten sich zudem die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen innerhalb derer die Flaschennahrung stattfand, wie die kommenden beiden Abschnitte zeigen werden. 1.3.3 Säuglingsernährung im folkhem

Die 1930er Jahre sind wahrscheinlich eines der am besten erforschten Jahrzehnte der schwedischen Geschichte und gelten insgesamt als Geburtsstunde des moder­ nen schwedischen Wohlfahrtsstaates und der Etablierung Schwedens als mustergültige Demokratie. Die Umgestaltung des Familienlebens mit dem Ziel, die Geburtenziffer zu erhöhen, stellt einen zentralen Aspekt dieser Phase dar, sowohl in der zeitgenössischen Politik als auch der historischen Aufarbeitung. Diese Veränderungen bündelten sich in der Idee des folkhem (Volksheim), die Mitte der 1920er Jahre vom sozialdemokratischen Politiker und späteren Ministerpräsidenten Per Albin Hanson formuliert wurde: 368 Vgl. Werbung, Stille AB , Kan en napp vara farlig?, in: Husmodern (1936), S. 13.

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Im guten Heim herrscht Gleichheit, Vorsorge, Zusammenarbeit, Hilfsbereitschaft. Angewandt auf das große Volks- und Bürgerheim würde dies das Niederbrechen aller sozialen und ökonomischen Schranken bedeuten, die die Bürger jetzt in Privilegierte und Zurückgesetzte, in Herrschende und Abhängige, in Reiche und Arme, Begüterte und Verarmte, Plünderer und Ausgeplünderte teilen.369

Er imaginierte die schwedische Gesellschaft als gemeinsames Projekt, in dem der Staat sich um die Bevölkerung kümmerte, während die Bevölkerung ihre Kraft an den Staat zurückgab. Die Gesellschaft basierte auf Gleichheit aller und einem Konsens zur gemeinsamen Arbeit an diesem Projekt. Die Erziehung zur Mitwirkung an diesem folkhem sollte so früh wie möglich beginnen, also im Säuglingsoder Kindesalter, weswegen besonderes Augenmerk auf der Situation innerhalb der Familie lag.370 Ereignisgeschichtlich wird die Modernisierung Schwedens auf die sog. Stockholm-Ausstellung 1930 zurückgeführt, die moderne, funktionale (Innen)Architektur und schwedisches Handwerk präsentierte und eine nie dagewesene ­Anzahl an Besuchern anlockte. Damit wurde sie zum Inbegriff des rationalisierten, moder­ nen und demokratischen Lebensstils, der Schweden in den kommenden Jahren prägen sollte. Sie verweist außerdem auf die Bedeutung des „Heimes“ (im Sinne einer Behausung) für die schwedische Vorstellung von Modernität.371 Ein weiterer Auslöser wird in der Veröffentlichung des politischen Manifestes Krise in der Bevöl­kerungsfrage (Kris i befolkningsfrågan) der beiden Sozialdemokraten Alva und Gunnar Myrdal 1934 gesehen. Darin entwarfen sie ein umfangreiches Programm der Gesellschaftstransformation, die auf „rationalen“, gemeint waren wissenschaftlich belegte, Grundsätzen aufbaute. Ziel war es, durch soziale Programme und Institutionen Anreize zu schaffen, damit sich wieder mehr schwedische Frauen und Männer dazu entschlossen, Kinder zu bekommen. Schweden hatte Anfang der 1930er Jahre die niedrigste Geburtenzahl der Welt.372 Die Diagnosen der Myrdals fielen auf fruchtbaren Boden bei der schwedischen Regierung. Die Sozialdemokraten und der Bauernverband hatten 1932 die parla­ mentarische Zusammenarbeit beschlossen und waren im Anschluss daran an die 369 Zit. nach: Götz, Geschwister, S. 220. 370 Vgl. Etzemüller, Rationalizing, S. 100; Gleichmann, Föräldrarskap, S. 44; 246; Zetterqvist Nelson, Samhällets barn, S. 45 f. 371 Vgl. Etzemüller, Social engineering, S.  11; Hirdman/Lundberg/Björkman, Historia, S. 536 – 540; Ohrlander, Socialliberal reformpolitik, S. 12; Tornbjer, Modern, S. 41; Åström, Husmodern, S. 200. 372 Myrdal/Myrdal, Kris (1943). Vgl. Berg, Gränslösa hälsan, S. 148; Etzemüller, Rationalizing, S. 105; vgl. o. A., Sverige sätter världsrekord (1931), S. 18 f.; Sundin u. a., Sammanfattning, S. 11.

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Regierung gekommen. Zwei staatliche Kommissionen wurden initiiert, die die schwedische Gesellschaft grundlegend untersuchen und auf deren Grundlage Vorschläge für die Verbesserung der Lebensbedingungen gemacht werden sollten (Befolkningskommissionen 1935 und 1941 Års Befolkningsutredningen). Die Untersuchungen zeichneten sich dadurch aus, dass ExpertInnen aus unterschiedlichen Sachgebieten zusammenarbeiteten, um Probleme möglichst vollständig und aus möglichst vielen unterschiedlichen Perspektiven beleuchten zu können, um zu einer objektiven Handlungsempfehlung zu gelangen.373 An den folgenden Bevölkerungsuntersuchungen nahmen auch Kinderärzte teil. Der Kinderarzt und Professor für Pädiatrie in Uppsala, Curt Gyllenswärd, war hier besonders engagiert.374 Auf Grundlage dieser Kommissionen wurde der schwedische Wohlfahrtsstaat ausgebaut. Damit begann die Hochphase des schwedischen Social Engineerings, einem Denk- und Handlungsmodell, das danach strebte, die Gesellschaft auf Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse zu transformieren und zu verbessern.375 Die Bedürfnisse von Müttern und Kindern sollten durch staatliche Maßnahmen besser geschützt und gefördert werden. Zum einen gaben die Krankenkassen Mutterschaftshilfen an Mütter aus, die jedoch einer Bedarfsprüfung unterlagen und normalerweise in Naturalien ausgezahlt wurden. Zum anderen gab es für Neugebärende, die nicht Mitglied einer Krankenkasse waren, ebenfalls seit 1938 das moderskapspenning (Mutterschaftsgeld). Zusätzlich wurde ab 1937 ein einkommensabhängiger Kinderbeitrag an alleinstehende Mütter ausgezahlt. Ende der 1940er Jahre wurden Kinderbeihilfen (barnbidrag) sowie 1955 ein Muttergeld ohne Einkommensprüfung eingeführt. Mütter erhielten diese Gelder direkt, ohne den Umweg über den Ehemann zu nehmen, wie dies in den meisten anderen Ländern der Fall war.376 Die von Kinderärzten bereits in den 1920er Jahren geforderten Barnavårdscentraler (Kindervorsorgezentralen) waren ein integraler Bestandteil dieser neuen Politik. Motivation zur Einrichtung der BVC war weiterhin die Säuglingssterblichkeit. Die Arbeit in den Vorgängerorganisationen Mjölkdroppe hatte gezeigt, dass die Sterblichkeit durch gezielte Aufklärung noch weiter gesenkt werden konnte. 373 Vgl. Hinnfors, Swedish Parties, S. 111; Lundqvist/Roman, Construction(s), S. 219. Hier ­besonders relevant: SOU 1935:19; SOU 1938:13; SOU 1938:19; SOU 1938:20; SOU 1938:47; SOU 1938:57; SOU 1945:4; SOU 1945:53. 374 Vgl. Berg, Gränslösa hälsan, S. 292; Gleichmann, Föräldrarskap, S. 46. 375 Vgl. zur Begriffsbestimmung des Social Engineering: Etzemüller, Social Engineering, S. 18 ff.; siehe auch: Gleichmann, Föräldrarskap, S. 48; Hirdman, Lägga livet tillrätta, S. 121. 376 Zur Entwicklung des Mutterschutzgesetzes vgl. Johansson, Moderskapspolitiken, S. 21 – 51; siehe auch: Bengtsson, Barnhälsans historia, S. 119; Hirdman/Lundberg/Björkman, Historia, S. 566.

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Da es immer noch große regionale und soziale Unterschiede gab, musste daran gearbeitet werden, diese Maßnahmen auszuweiten, um sie für alle Mütter und Säuglinge zugänglich zu machen.377 Am 1. Januar 1938 trat ein Gesetz zur Einrichtung von Mütter- und Säuglingsberatungsstellen in Kraft. In den folgenden beiden Jahren wurde dieses Gesetz im gesamten Land umgesetzt und die Einrichtung von BVC aus staatlichen Mitteln gefördert. Von dort aus wurde die Säuglingsfürsorge und -pflege zentral für die jeweilige Region geregelt. Alle Mütter sollten sich in diesen öffentlichen Einrichtungen melden, anstatt direkt bei Kinder­ärzten oder Gynäkologen. Viele der früheren Arbeitsfelder der Mjölkdroppar blieben bestehen: Stillaufklärung und Pflegeaufklärung im Allgemeinen, aber auch regelmäßige Untersuchungen der Entwicklung des Kindes im Speziellen waren fester Bestandteil der Arbeit. Außerdem wurde hier die Rachitisprohylaxe durchgeführt, die sich als wichtiger Teil der vorbeugenden Arbeit herauskristallisiert hatte. Kranke Kinder wurden hingegen nicht in den BVC behandelt, sondern an Polikliniken weiterverwiesen.378 Mütterliche Fürsorge, Pflege und Ernährung wurden im Diskurs um die Einrichtung der BVC als potentiell gefähr­lich umgedeutet, wenn sie nicht nach ärztlichen Vorgaben vonstattenging. Daher sollte der Staat in Zusam­ menarbeit mit den Kinderärzten diese Aufgabe übernehmen. So konnten Kinder vom Säuglingsalter an zu neuen BürgerInnen des modernen schwedischen Staates erzogen werden.379 Eines der wichtigsten Anliegen war es, die natürliche Ernährung an der Brust zu fördern. Die Befolkningskommission hatte den mangelnden Stillwillen einiger Mütter als „den größten Missstand auf dem Gebiet der Säuglingspflege“ bezeichnet, weswegen Stillprämien ausgezahlt wurden, um Mütter zum Stillen zu animieren.380 Als weitere Maßnahme verteilten öffentliche Stellen Aufklärungsschriften, die u. a. von „großen“ schwedischen Kinderärzten verfasst wurden. Um die Stillfreudigkeit anzukurbeln, hatte Isak Jundell bereits 1935 das vierseitige Merkblatt Die erste Pflicht einer Mutter (En moders första plikt) in Zusammenarbeit mit dem Verbund für Armenfürsorge herausgebracht. Dort forderte er Mütter dazu auf, ihre Kinder zu stillen, da sie es ansonsten Krankheit und Gefahr aussetzten. In späteren Versionen wies er auf die Arbeit der BVC hin, wo sich die Mütter über das 377 Vgl. Blanck, Offentligt, S. 27; Broman, Barnavårdscentralens uppkomst (1938), S. 156; Jundell, Barnavårdens historia (1932), S. 288; Hjärne, Undersökningar (1942/1943), S. 188; SOU 1938:6, S. 50. 378 Auch die Polikliniken wurden im Zuge dieser Maßnahmen weiter ausgebaut. Vgl. Lichtenstein, Outline (1944/1945), S. 197; Ström, Läkarens arbetsuppgifter (1942), S. 174, 179; Åkerrén, Undersökning (1943), S. 165. 379 Vgl. Ohrlander, Socialliberal reformpolitik, S. 270. 380 Zit. nach: Milton, Barnmorskor, S. 202; SOU 1936:12, S. 44.

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Stillen informieren konnten.381 Wenn dennoch mit der Flasche gefüttert werden musste, sollten Mütter über die neuesten Rezepte aufgeklärt werden.382 So wurde den Müttern u. a. beigebracht, dass die Mahlzeiten des Kindes regelmäßig eingenommen werden sollten. Besonders wichtig war es zudem aus ärztlicher Sicht, sich in den ersten zwei bis drei Monaten nicht so häufig mit den Säuglingen zu beschäftigen, wenn sie noch ein „vegetierendes Dasein“ („en vegeterande tillvaro“) führten.383 Die Maßnahmen während der 1930er und 1940er Jahre waren sehr erfolgreich. Schon 1940 waren zwei Drittel der Kinder in der Versorgung der BVC erfasst, 1950 waren es bereits fast 90 %. Auch die Stillfrequenz stieg stetig an, was ebenfalls als Verdienst der neuen Zentren gewertet wurde.384 Neben der physischen Gesundheit sollte zudem die psychische Gesundheit des Kindes überprüft werden.385 Dies lässt sich auf den Bedeutungszuwachs der Psychologie, insbesondere der Psychoanalyse und Entwicklungspsychologie in diesem Zeitraum zurückführen. Bereits 1923 waren erste Artikel über die psychische Entwicklung des Kindes veröffentlicht worden, in den 1930er und 1940er Jahren nahm die Literatur zu. Viele Kinderärzte waren hieran beteiligt, aber auch neue, nicht-ärztliche ExptertInnen machten sich bemerkbar. Pädagogisch und psychologisch ausgebildete Frauen wie Alva Myrdal, Margit Cassel-Wohlin, oder Brita Åkerman wurden zu neuen Expertinnen für die Belange von Frauen und Kindern. Alva Myrdals Engagement war maßgeblich für die Verbreitung psychologischen Wissens in Schweden. Sie hatte bei den bedeutendsten PsychologInnen der 1920er und 1930er Jahre studiert, u. a. bei Charlotte Bühler, Jean Piaget und Arnold Gesell.386 Obwohl es viele Reibungspunkte mit der Pädiatrie gab, stimmten die Frauen mit den Kinderärzten dahingehend überein, dass Kinder regelmäßige Gewohnheiten brauchten, um funktionierende Teile der Bevölkerung werden zu können. 381 Jundell, Moders första plikt (1946); vgl. Hjärne, Undersökningar (1942/1943), S. 188 f.; Milton, Barnmorskor, S. 202; Ström, Läkarens arbetsuppgifter (1942), S. 182. 382 Vgl. Åkerrén, Undersökning (1943), S. 162 f.; Bengtsson, Barnhälsans historia, S. 119; Ström, Läkarens arbetsuppgifter (1943), S. 179 f.; SOU 1938:6, S. 33, 51; Wisselgren, Att föda barn, S. 125. 383 Åkerrén, Undersökning (1943), S. 164 f. 384 Vgl. Blanck, Offentligt, S. 26 f.; Högberg, Svagårens barn, S. 113; Ström, Organisation (1942), S. 113 f., hier S. 113; Wallgren, Social Welfare (1944/1945), S. 211. 385 Vgl. Broman, Barnavårdscentralens uppkomst (1938), S. 155; Gunther, Mjölkdroppen (1966), S. 21; SOU 1938:6, S. 54; Ström, Läkarens arbetsuppgifter (1942), S. 178; Wallgren, Social Welfare (1944/1945), S. 210 f.; Åkerrén, Undersökning (1943), S. 164. 386 Vgl. Etzemüller, Romantik, S. 39; Hirdman/Lundberg/Björkman, Historia, S. 114 ff.; ­Johannisson, Folkhälsa, S. 161; Ohrlander, Socialliberal reformpolitik, S. 290; Pehrsson, Barn, S. 89; Qvarsell, Hälsa, S. 411 f.; Weiner, Spädbarnsdödlighet, S. 68 f.

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Im modernen folkhem wurden der Frau neue Kompetenzen zugewiesen, die garantieren sollten, dass sie sowohl als Arbeiterin am Wohl des Staates mitarbeitete als auch als Mutter am Wohl ihrer Familie. Sie wurde als Expertin für Konsum und Haushalt neu imaginiert, blieb damit jedoch gleichzeitig in ihrer weiblichen Sphäre verhaftet.387 Aufgrund des steigenden Wohlstandes und der zunehmenden Elektrifizierung des Landes konnten neue Küchen- und Haushaltsgeräte angeschafft werden, um die Hausarbeit zu erleichtern – allerdings noch vornehmlich in besser gestellten Haushalten. Technik wurde von einigen Akteurinnen, insbesondere den Sozialdemokratinnen, als Befreierin der Frau verstanden, die sich dann besser ihrer Aufgabe als Arbeiterin widmen konnte. Häufig blieb diese Vision jedoch hinter der Wirklichkeit in den 1930er Jahren zurück.388 Die meisten schwedischen Frauen waren auch in den 1930er und 1940er Jahren Hausfrauen. Dies entsprach wiederum der Vorstellung der Kinderärzte. Aus ihrer Sicht war es ideal, wenn die Mütter während der ersten Monate zu Hause blieben, um sich ihren Kindern und dem Stillen widmen zu können, da Flaschenkinder immer noch eine deutlich höhere Säuglingssterblichkeit aufwiesen als Brustkinder.389 Die sozialen Reformen in Schweden wurden, nicht zuletzt in Abgrenzung zum Autoritarismus der Nationalsozialisten, als betont demokratisch verstanden und inszeniert. Allerdings zeigten sich auch hier ausschließende Tendenzen gegenüber bestimmten Bevölkerungsgruppen. So nahmen Alva und Gunnar Myrdal eugenische Argumentationen zur Verbesserung der Bevölkerungsqualität als Maßnahme zur Bekämpfung der Krise in der Bevölkerungsfrage auf und sprachen sich für die Sterilisation derjenigen aus, die die Bevölkerungsqualität aus ihrer Sicht nicht förderten. Im Gegensatz zur „positiven“ Eugenik der Natio­ nalsozialisten, die sich auf ganze Bevölkerungsgruppen richtete, waren es bei den Myrdals vor allem Individuen, die an der Fortpflanzung und Verminderung der Bevölkerungsqualität gehindert werden sollten.390 Auch einflussreiche Kinderärzte, wie Adolf Lichtenstein und Curt Gyllenswärd, setzten sich dafür ein, dass „erblich Geistes­gestörte“ („ärflig sinneslösa“) sich nicht weiter fortpflanzen sollten, um die Mütter- und Säuglingssterblichkeit zu senken und die Bevölkerungsmenge und vor allem -qualität zu erhöhen.391 Ein solches Sterilisationsgesetz wurde 1934 verabschiedet, das – mit den beiden Historikern Gunnar Broberg und 3 87 Vgl. Tornbjer, Nationella modern, S. 264. 388 Vgl. Husz, Spara, S. 305; Åström, Husmodern, S. 200 ff. 389 Vgl. Ström, Läkarens arbetsuppgifter (1942), S. 180. 390 Myrdal/Myrdal, Kris, S. 67. Vgl. Berg, Gränslösa hälsan, S. 148; Etzemüller, Rationalizing, S. 105; Sundin u. a., Sammanfattning, S. 11. 391 Lichtenstein, Nativitet (1945), S. 840. Vgl. Gyllenswärd, Befolkningspolitikens effektivitet (1941), S. 455.

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Mattias ­Tydén ­gesprochen – „Unerwünschte im folkhem“ aus dieser Gemeinschaft entfernte. Anders als u. a. auch in Deutschland konnten neben Gründen wie Erbgesundheit oder Alkoholkrankheit auch dezidiert „soziale“ Gründe zu einer Sterilisierung führen.392 In ähnlicher Weise wurde vor allem mit „sozialen“ bzw. arbeitsmarktpolitischen Begründungen gegen die Einreise jüdischer Flüchtlinge nach dem Herrschaftsantritt der Nationalsozialisten 1933 argumentiert. Im Kern der folkhem-Idee stand eigentlich nicht die ethnische Kohärenz, sondern gesellschaftliche Teilhabe und Nutzen. Dennoch lag dieses Prinzip zumindest implizit der Selbstdefinition Schwedens zu Grunde. In der Diskussion um die Einreise von zehn jüdischen Medi­zinstudenten 1938 nach Schweden, die dort ihre Ausbildung fortsetzen wollten, zeigten sich diese rassistischen Tendenzen.393 Es kam zum „greatest xeno­ phobic backlash“ der schwedischen Moderne, als sich verschiedene Studierendenorganisationen gegen die Aufnahme der Juden wehrten. So wurden Befürchtungen vor „rassischer Kontaminierung“ geäußert. Curt Gyllenswärd sprach sich 1940 in der Schwedischen Ärztezeitschrift polemisch gegen diesen „Ärzte­import“ aus.394 Erst zum Ende des Zweiten Weltkrieges, als sich eine deutsche Niederlage ankündigte, nahm Schweden jüdische Flüchtlinge in größerer Zahl auf. In der sorgfältigen Studie von Eduard Seidler über das Schicksal jüdischer Kinderärzte während des Nationalsozialismus und ihrer Emigrationsziele finden sich nur drei jüdische Kinderärzte nach dem Krieg in Schweden.395 Innerhalb der Ärzteschaft blieb noch lange eine gewisse Nähe zum NS -Regime bestehen. So war u. a. Curt Gyllenswärd Mitglied im 1937 gegründeten, „nazifreundlichen“ Riksföreningen Sverige-Tyskland (RST , Reichsverein SchwedenDeutschland), der sich für eine „rechtmäßige Beurteilung des neuen Deutschlands einsetzte“.396 In diesem Verein war eine große Anzahl Ärzte aktiv. Die Zusammenarbeit mit und Rezeption der deutschen Pädiatrie und Sozialmedizin brach mit 392 Broberg/Tydén, Oönskade i folkhemmet, S. 50. Vgl. Colla, Race, S. 142 f.; Etzemüller, Rationalizing, S. 101 f.; Götz, Geschwister, S. 529; Haavet, Milk, S. 205; Runcis, Steriliseringar; SOU 2000:20; Spektorowsk/Mizrachi, Eugenics. 393 Vgl. Götz, Geschwister, S. 533; Rabenschlag, „Bevölkerungsqualität“, S. 62; Wickström, Multi­ culturalism, S. 516. 394 Ausführlich: Berg, Public Health; Andolf, Läkarförbundet; vgl. Colla, Race, S. 141 f.; Eklöf, Ethos, S. 145 ff.; SOU 2005:56, S. 105 ff.; SOU 1999:20. 395 Hierbei muss allerdings auch beachtet werden, dass nur wenige Juden Schweden als Zielland wählten, wenn sie die Möglichkeit hatten zu emigrieren. Vgl. Berg, Public Health, S. 74; Seidler, Kinderärzte, S. 412. 396 Eklöf, Ethos, S. 145. Vgl. Berg, Public Health, S. 83. Ausführlich zu den MedizinerInnen im RST vgl. Hansson/Nilsson, Läkarmedlemmar sowie zu den deutsch-schwedischen Verbindungen unter ÄrztInnen während des Nationalsozialismus vgl. Hansson, Entusiasm.

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dem Beginn der Regierung der Nationalsozialisten nicht plötzlich ab. Wie die Diskussion um Säuremilch gezeigt hat, hatten Pädiatrie und Ernährungswissenschaft in Schweden durchaus nicht an Gewicht verloren. Im Jahre 1936 kooperierte das Schwedische Rote Kreuz mit dem Deutschen Hygiene-Museum in Dresden, um die dort entwickelte Aufklärungsausstellung „Mutter und Kind“ nach Schweden zu holen.397 Erst nach dem Ende des Krieges wandte sich Schweden endgültig vom deutschen Vorbild ab und orientierte sich zunehmend in Richtung der Vereinigten Staaten.398 Im Juni 1949 brach eine Delegation schwedischer Kinderärzte, darunter Edgar Mannheimer und Bo Vahlquist, der in den kommenden Jahren eine wichtige Rolle in der Ernährungsforschung Schwedens einnehmen sollte, zu einem Forschungsbesuch in die USA auf, um der „Isolierung“ des Krieges zu entgehen. Diese Reisen und Forschungsaustausche setzten sich in den 1950er und 1960er Jahren fort, ­wohingegen Berichte aus dem deutschen Kontext abnahmen.399 In den 1930er und 1940er Jahren erlebte Schweden eine große gesellschaftliche Transformation. Von der Peripherie Europas trat das Land nun als selbstbewusster, moderner Staat mit Modellcharakter in der Weltgemeinschaft auf. Der schwedische middel way zwischen Kapitalismus und Sozialismus sowie Individualismus und Kollektivismus, der sich im folkhem-Gedanken manifestierte, fand in den USA viel Anerkennung.400 Die öffentliche Versorgung für Mütter und Säuglinge wurde im Zuge der bevölkerungspolitischen Maßnahmen zur Bekämpfung der „Bevölkerungskrise“ der 1930er Jahre stark ausgebaut. Stillen galt auch in diesem Zusammenhang als wichtigste Grundlage für die gesunde Entwicklung des Säuglings, weswegen es in den BVC nachdrücklich gefördert wurde. Hinzu kamen neue Gesetze, die es arbeitenden Müttern ermöglichen sollten, die erste Zeit mit ihrem Kind zu verbringen. Für Mütter und Säuglinge veränderten sich die Rahmenbedingungen, innerhalb derer Säuglingspflege und -ernährung möglich war, insbesondere in Hinblick auf das Stillen, während die Flaschennahrung eine marginale Stellung einnahm. Diese erhielt nicht nur wissenschaftlich wenig Aufmerksamkeit, sondern passte auch nicht in das Bild rationaler Mutterschaft im folkhem.

397 Vgl. Svenska Röda Korset I, Överstyrelse, Vol F  II .3, Svenska Röda Korsets Utställningen Mor och Barn; Svenska Röda Korset I, Pressurklipp XIX :2; o. A., Mor och barn (1936), S. 36. Siehe auch: Milton, Barnmorskor, S. 229 f. Ausführlich zur Geschichte von Ausstellungen und ihrem Weg nach Schweden vgl. Löw, Världen, S. 169. 398 Vgl. Karlsson, Handel; Lithell, Små barn, S. 109; Musial, Roots, S. 101. 399 Vgl. Siwe, Barnavård (1949); Lagercrantz, Guldålder, S. 16 f. 4 00 Vgl. Hirdman/Lundberg/Björkman, Historia, S. 564; Lennerhed, No Backlash.

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1.3.4 Nationalsozialistische Säuglingsfürsorge

In Deutschland begann mit der „Machtübernahme“ der Nationalsozialisten die Umgestaltung des gesellschaftlichen Lebens, das ganz auf die Idee der Volksgemeinschaft ausgerichtet wurde.401 Seit dem Ersten Weltkrieg hatte eine bisher ungekannte Nationalisierung und Biologisierung der Kindheit eingesetzt, die sich im Nationalsozialismus rassenbiologisch zuspitzte. Familienpolitik nahm eine zentrale Stellung ein, da die Familie der Ansatzpunkt zur Umsetzung der rassenpolitischen Ziele der Nationalsozialisten war. Familienpolitische Maßnahmen waren daher ganz darauf ausgerichtet, einen (erb)gesunden Volkskörper zu erhalten, wofür die Geburt möglichst vieler „erbgesunder“ Säuglinge ausschlaggebend war. Ähnlich wie in Schweden ging es auch in Deutschland darum, ausschließlich „qualitativ hochwertige“ Kinder heranzuziehen, allerdings unterschied sich in beiden Ländern die Auslegung darüber, was dies genau bedeutete.402 In der Figur der deutschen Mutter bündelte sich die NS -Familien- und Gesund­ heitspolitik. Mutterschaft wurde zum zentralen Moment der rassenpolitischen Agenda. Sie galt als das wichtigste Bindeglied „[i]n der Schicksalsgemeinschaft Familie, Volk und Heimat“.403 Ehestandsdarlehen wurden ausgegeben, die den doppelten Effekt hatten, die Heiratszahlen zu erhöhen und die Frauen aus dem Arbeitsmarkt zu drängen. Der Mutterschutz wurde zudem auf sechs Wochen vor und nach der Geburt ausgeweitet und ähnlich hoch wie der ursprüngliche Lohn vergütet. Diese Maßnahmen waren dahingehend erfolgreich, dass sowohl die Heirats- als auch die Geburtenzahlen in den Vorkriegsjahren anstiegen.404 Die Versorgung von Müttern und Säuglingen war daher eine Priorität des NSGesundheitswesens. Mit dem „Gesetz über die Vereinheitlichung des Gesundheitswesens“ (3. Juli 1934) wurde dann die Zentralisierung umgesetzt, die während der Weimarer Republik nicht realisiert werden konnte. Die Versorgung der Säuglinge lag in Fortsetzung der Weimarer Politik in den Händen der Gesundheitsämter. Gleichzeitig gründete sich eine Parallelorganisation, das Hilfswerk Mutter und Kind der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV).405 Im Sinne der Volksgesundheit 4 01 Neue Forschung zum Begriff der Volksgemeinschaft vgl. Steber/Gotto, Volksgemeinschaft. 4 02 Vgl. Dill, Nationalsozialistische Säuglingspflege, S. 53; Gestrich, Geschichte der Familie, S. 8; Kössler, Faschistische Kindheit, S. 293 f., 300; Süß, Gesundheitspolitik, S. 59; SunderPlaßmann, Muttermilch, S. 241 f.; Woelk/Vögele, Medizin, S. 290 ff. 4 03 Reiter, Das Kind adelt die Mutter (1939), S. 1; vgl. Neumaier, Familie, S. 206. 4 04 Vgl. Dickinson, Politics, S. 216; Dill, Nationalsozialistische Säuglingspflege, S. 3; Neumaier, Familie, S. 210 f.; Wehler, Gesellschaftsgeschichte 1914 – 1949, S. 757. 4 05 Die NSV war eine Parteiorganisation der NSDAP , die auf die Anfangszeit der Partei zurückging und nach 1933 alle Aufgaben wohltätiger Vereine weitestgehend in sich vereinigte. Sie

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verfolgte die NSV drei Absichten: die Bekämpfung des Geburtenrückganges, die Verhinderung sog. erbkranken Nachwuchses und die Reinhaltung der Rasse. Das Hilfswerk Mutter und Kind war das Kernstück der Organisation, da in der Kon­ trolle der „deutschen Mutter“ all diese Ziele vereinigt werden konnten. Unter dem Geleitwort von Josef Goebbels, „‚Mutter und Kind sind das Unterpfand für die Unsterblichkeit eines Volkes‘“, wurde es am 28. Februar 1934 gegründet.406 Zunächst existierten die Angebote von Gesundheitsamt und NSV noch gleichzeitig oder wurden in Kooperation angeboten, es kam aber immer wieder zu Kompetenzstreitigkeiten.407 Mit einer Anordnung des Reichsministers des Innern und der Parteikanzlei vom Oktober 1941 wurde die NSV -Arbeit der Aufsicht der Gesund­ heitsämter untergeordnet, die fortan die Kontrolle über die fürsorgerischen Maßnahmen übernahmen. Zu diesen Maßnahmen gehörte die Mütterberatung, die in Großstädten mindestens einmal in der Woche, auf dem Land in vierwöchigen Abständen abgehalten wurde. Diese Beratungen waren in der Hinsicht erfolgreich, als viele Mütter ihre Kinder dort anmeldeten. Ein Drittel aller Kinder und Mütter wurde 1939 bereits von den verschiedenen Stellen erfasst und betreut.408 Das Hilfswerk Mutter und Kind war bis zum Ende des Krieges für die Familienbetreuung zuständig, wozu auch Hausbesuche gehörten. Während der Hausbesuche sollte kontrolliert werden, ob die Mütter die Säuglingspflege und -ernährung gemäß den ärztlichen Vorschriften durchführten und sie sollten zum Besuch der ärztlichen Beratung in den Gesundheitsämtern animiert werden. Diese waren natürlich der rassenbiologischen Ideologie verpflichtet und so waren Besuche bei „erbkranken oder anormalen Kindern […] auf ein Mindestmaß zu beschränken“.409 Ein weiteres war eine der größten Massenorganisationen des Nationalsozialismus, die bei Kriegsbeginn ca. 17,5 Millionen Mitglieder hatte. Ein Großteil der Arbeit leisteten Frauenorganisationen der NSDAP , wie das Frauenwerk und der Reichsmütterdienst. Ausführlich zur Entstehung des NSV vgl.: Vorländer, NS -Volkswohlfahrt. 4 06 Zit nach: Vorländer, NSV , S. 62 f. Vgl. Czarnowski, Familienpolitik, S. 268 f.; Dickinson, Politics, S. 218 f., 222. 4 07 Seit 1935 war gesetzlich festgelegt, dass die NSV nur dort tätig werden durfte, wo es noch keine eingerichteten Gesundheitsämter gab, also vor allem auf dem Land. Vgl. Czarnowski, Familienpolitik, S. 269; Dill, Nationalsozialistische Säuglingspflege, S. 65; Runderlaß des Reichs- und Preußischen Ministers des Inneren, betr. Mütter- und Säuglingsberatungsstellen, vom 21. April 1937, S. 353 f.; Vorländer, NSV , S. 65. 4 08 Vgl. Arbeitsanweisung für die offene Fürsorge für werdende Mütter, Wöchnerinnen, Säuglinge und Kleinkinder (1943), S. 469; Dickinson, Politics, S. 223; Dill, Säuglingspflege, S. 65 – 67; Eckart, Lange Schatten, S. 106 f.; Hellbrügge/Pechstein, Säuglingsfürsorge (1966),S. 363; Runderlaß des Reichs- und Preußischen Ministers des Inneren, betr. Mütter- und Säuglingsberatungsstellen, vom 16. Februar 1935, S. 292 f.; Woelk/Vögele, Einleitung, S. 28. 4 09 Arbeitsanweisung für die offene Fürsorge für werdende Mütter, Wöchnerinnen, Säuglinge und Kleinkinder (1943), S. 469. Vgl. Gemeinsame Anordnung des Reichsministers des Innern

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Standbein waren Mütterschulungen. Diese wurden seit 1934 von der National­ sozialistischen Frauenschaft (NSF) angeboten und durchgeführt, 1935 übernahm der neugegründete Reichsmütterdienst diese Aufgabe. Ziel der Mütterschulungen war die „Heranbildung von körperlich und seelisch tüchtigen Müttern, die überzeugt sind von den hohen Pflichten der Mutterschaft, die erfahren sind in der Pflege und Erziehung ihrer Kinder und die ihren hauswirtschaftlichen Aufgaben gewachsen sind“. Bis 1944 nahmen fünf Millionen Frauen an den Schulungen teil.410 Besonders wichtig war es in allen Maßnahmen, den Frauen die Bedeutung des Stillens nahezulegen sowie die Einhaltung bestimmter Intervalle zwischen den Mahlzeiten.411 Wie bereits in der Weimarer Republik erhielten stillende Mütter ein Stillgeld. Stillpropaganda und Stillgeld waren aus Sicht der Akteure der beste Weg, um den „Stillwillen“ der Mütter zu fördern. Um die Stillfähigkeit der Frauen waren die ÄrztInnen besorgt, obwohl es widersprüchliche Angaben darüber gab, ob die Stilltätigkeit tatsächlich abnahm. Georg Bessau, Leiter der Kinderklinik an der Charité, vertrat auf dem Deutschen Kinderärztekongress in Würzburg die These, es könnte an der Einengung des deutschen Lebensraumes liegen, wenn das Stillen als spezielle Fortpflanzungsfunktion zurückgehe. Ähnliche Phänomene ließen sich bei Versuchstieren beobachten.412 In Fortsetzung der Weimarer Politik gingen die meisten ExpertInnen davon aus, dass die Stillfähigkeit bei der überwiegenden Mehrheit der Mütter gegeben war, es ihnen lediglich an der richtigen Einstellung mangelte, wenn sie ihrem Kind nicht die Brust gaben.413 Umso wichtiger war die engmaschige Aufklärung und Kontrolle der Mütter.

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und des Leiters der Partei-Kanzlei über Zusammenarbeit zwischen Gesundheitsamt und Hilfswerk „Mutter und Kind“ der NSV auf dem Gebiet der Säuglings- und Kleinkinderfürsorge, 15. Oktober 1941. Vgl. ausführlich: Lehnert, Beteiligung von Fürsorgerinnen. Runderlaß des Reichs- und Preußischen Ministers des Inneren über Mütterschulungen des Reichsmütterdienstes im Deutschen Frauenwerk vom 1. Februar 1935, S. 240. Vgl. Baumann, Stand des Stillens (1940), S. 6; Czarnowski, Familienpolitik, S. 265; Dickinson, Politics, S. 216; Dill, Nationalsozialistische Säuglingspflege, S. 67 f.; Vorländer, NSV , S. 72 f. Während des Krieges entstanden eine Reihe sog. Frauenmilchsammelstellen, um Kinder mit Frauenmilch versorgen zu können. Diese waren besonders für die Versorgung von Kindern in Kliniken vorgesehen und entsprechen damit aus zwei Gründen meinen vordefinierten Kriterien der Flaschennahrung nicht, weswegen ich sie hier nicht näher betrachten werde. Solche Sammelstellen gab es in Deutschland zwischen 1919 und 1966. Vgl. Sager, Frauenmilchsammelstellen (1966), S. 367. Für einen guten historischen Überblick über die Geschichte dieser Institution siehe: Sunder-Plaßmann, Muttermilch. Lennert, Georg Bessau, S. 297. Vgl. Baumann, Stand des Stillens (1940), S. 5; Czarnowski, Familienpolitik, S. 268 f.; Dill, Nationalsozialistische Säuglingspflege, S. 24; Gundel, Mutter und Kind (1955), S. 323.

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Die Ärzteschaft, insbesondere Gynäkologie und Pädiatrie, avancierte früh zu Stützen des NS -Systems. Das ganzheitliche Konzept der Volksgesundheit, das die gesamte Bevölkerung und jedes Individuum als miteinander aufs Engste verbunden sah, spielte ÄrztInnen in die Hände, die schon in der Weimarer Republik mehr Einfluss auf politische Entscheidungen nehmen wollten.414 So oblagen die Ausführung des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ (14. Juli 1933) sowie des „Gesetzes zum Schutz der Erbgesundheit des deutschen Volkes“ (18. ­Oktober 1935) den Gesundheitsämtern. Diese neue rassistische Ausrichtung wirkte sich auf drei Bereiche der Säuglingsernährung aus: erstens auf die Bewertung schützenswerten Lebens, zweitens die Behandlung der Kinder von sog. Ostarbeiterinnen sowie drittens die Verdrängung und Verfolgung jüdischer Kinderärzte. Das „Gesetz zur Verhinderung erbkranken Nachwuchses“ erlaubte es einigen Tendenzen der Eugenik innerhalb der Ärzteschaft, an die Oberfläche zu treten. Noch zum Ende der Weimarer Republik hatten viele ÄrztInnen die Schlüsselelemente der NS -Rassenpolitik, wie Zwangssterilisation und Euthanasie, abgelehnt.415 Der Säugling galt als generell schützenswert, selbst bei erblichen Vorbelastungen. Die Kinderärzte der Weimarer Republik hatten sich mehrheitlich gegen die These, die Säuglingsfürsorge käme einer Kontraselektion der Schwachen gleich, ausgesprochen. Letztere Position wurde jedoch immer populärer. ÄrztInnen jeglicher Couleur waren in Gesundheitsämtern dafür verantwortlich, Kinder zu selektieren, bestenfalls direkt nach der Geburt. Georg Bessau, der Leiter der vielleicht einflussreichsten Kinderklinik und Mitherausgeber der Monatsschrift für Kinderheilkunde, brachte bei verschiedenen Gelegenheiten zum Ausdruck, dass er nur die Förderung „wertvoller Kinder“ unterstütze und nichts auszusetzen habe „am frühzeitigen Absterben minderwertiger Kinder“.416 Experimente an Kindern, die als „minderwertig“ beurteilt wurden, fanden in vielen Bereichen der Pädiatrie statt. Georg Bessau testete Tuberkuloseimpfstoffe an Kindern ohne die Einwilligung ihrer Eltern. Impfstoffexperimente von Kinderärzten an geistig und körperlich behinderten Säuglingen erregten viel Aufsehen bei der Aufarbeitung der Geschichte der NS -Ärzteschaft.417 Experimente an Kindern, insbesondere Säuglingen, waren nicht ungewöhnlich seit der Gründungsphase des Faches Ende des 19. Jahrhunderts. Der Medizinhistoriker Thomas Lennert 4 14 Vgl. Dill, Nationalsozialistische Säuglingspflege, S. 49 – 51. 415 Dickinson, Biopolitics, S. 16. 416 Zit nach: Eckert, Lange Schatten, S. 106 f.; Dill, Nationalsozialistische Säuglingspflege, S. 30. 417 Vgl. Beddies/Schmiedebach, „Euthanasie“-Opfer; Dill, Nationalsozialistische Säuglingspflege, S. 65; Lennert, Entwicklung der Berliner Pädiatrie, S. 549; ders., Georg Bessau, S. 297; Schweizer-Martinschek, NS -Medizinversuche, S. A1445 f.

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ging 2014 von einer „laxen ethischen Einstellung“ in der Pädiatrie aus – vor und nach 1933.418 Diese Unbedarftheit, an Kindern zu experimentieren, war eng mit der Vorstellung des Säuglings als schmerzunempfindlich und apathisch verbunden. Diese Vorstellung und die nonverbale Lebenswelt des Säuglings machten es möglich, Experimente gutzuheißen, die an älteren Kindern und gesunden Erwachsenen nicht im gleichen Maße denkbar waren.419 Die Experimente vor 1933, auch wenn außer Frage steht, dass sie moralisch verwerflich waren, hatten jedoch einen anderen Zweck, nämlich die Erhaltung von Leben, während die Experimente auf Grundlage der rassistischen Ideologie des Nationalsozialismus auf Lebensvernichtung ausgerichtet waren. Wie sehr die Pädiatrie zwischen lebensunwertem und lebenswertem Leben unterschied, wird am Beispiel der Unterbringung und Versorgung von Kindern sog. „Ostarbeiterinnen“ deutlich. Hier konnte zuletzt Marcel Brüntrup zeigen, dass Säuglinge in Einrichtungen der Volkswagenwerke systematisch vernachlässigt wurden, wo sie zu hunderten während der späteren Kriegsjahre starben.420 Besonders eindrücklich ist der Kontrast in der Einstellung und Ermunterung zum Stillen, das ja im Sinne der Pädiatrie die beste Ernährung für das Kind und „Pflicht der deutschen Mutter“ war. Während für deutsche Arbeiterinnen vermehrt Möglichkeiten geschaffen wurden, ihre Kinder zu stillen, auch wenn sie arbeiten gingen, wurden die Kinder von Ostarbeiterinnen möglichst früh von ihren Müttern getrennt und in entfernt liegende Heime gegeben. Polnische Mütter bekamen darüber hinaus keine extra Rationen, die ihnen das Stillen ermöglichen konnten. In den Heimen wurden die Säuglinge dann mit unzureichender Flaschennahrung gefüttert und nicht weitergehend versorgt als große Krankheitsepidemien ausbrachen.421 Schließlich veränderten sich Pädiatrie und Ernährungsforschung durch die Verdrängung jüdischer Kinderärzte und Kinderärztinnen aus Fachgesellschaften, Wissenschaft und Praxis. Unter den Kinderärzten gab es besonders viele ­jüdische 418 Lennert, Georg Bessau, S. 297. 419 Zu Experimenten an Erwachsenen, die als „krank“ und „moralisch“ minderwertig eingestuft wurden im späten 19. und im 20. Jahrhundert vgl. Sabisch, Wissenschaft am Ding. 420 Diese Heime wurden seit 1943 auch in anderen Orten eingerichtet. Vgl. Brüntrup, Verbrechen, S. 51. Eine breite Aufarbeitung der reichsweiten Ausmaße ist bisher nicht erfolgt, wird aber von Marcel Brüntrup in seinem Promotionsprojekt „Zwischen Arbeitseinsatz und Rassenpolitik: Die Kinder osteuropäischer Zwangsarbeiterinnen und die Praxis der Zwangsabtreibungen im Nationalsozialismus“ an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster angestrebt. Vgl. auch: Anschütz u. a. (Hg.), Gräber ohne Namen; Reiter, Tötungsstätten; Schwarze, Kinder, die nicht zählten; Vögel, „Rassisch unerwünscht“; dies., Säuglingslager. 421 Vgl. Brüntrup, Verbrechen, S. 47 f., 61, 76, 81.

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oder von den Nationalsozialisten als jüdisch klassifizierte Personen. Schon seit Beginn des Jahrhunderts waren jüdische MedizinstudentInnen zunehmender antisemitischer Rhetorik und antisemitischen Aktionen ausgesetzt. Es war für Juden besonders schwer, eine ordentliche Professur zu erlangen; nur Arthur Schloßmann und Hugo Falkenheim (Königsberg) hatten eine solche Position inne. Jüdische Ärzte leiteten häufig außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, wie z. B. Leo Langstein am KAVH , oder eröffneten eigene Praxen. Mit der Einführung des „­ Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ (7. April 1933) verschlechterte sich ihre Situation dramatisch. Nach den Bestimmungen dieses Geset­zes waren 48,8 % der Kinderärzte und Kinderärztinnen Juden bzw. Jüdinnen oder jüdischer Abstammung. Wenige Wochen später verloren alle als „nicht-arisch“ deklarierten Ärztinnen und Ärzte ihre Krankenkassenzulassungen.422 Die Berliner Pädiatrie, eines der Zentren der Ernährungsforschung für Säuglinge, war besonders betroffen von den Gesetzen, da hier überdurchschnittlich viele jüdische Kinderärzte beteiligt waren. Ein weiterer Schwerpunkt jüdischer ÄrztInnen lag in der Sozialpädiatrie. Dieser Bereich wurde nach ihrem Ausschluss systematisch vernachlässigt.423 Zeitschriften tilgten die Namen jüdischer Mitherausgeber von ihren Titelseiten und dem Mitgliederregister der Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde. Schon im März 1933 war an die medizinischen Fachverbände die staatliche Aufforderung ergangen, alle jüdischen Mitglieder aus Vorständen und Ausschüssen auszuschließen. Als Konsequenz wurden viele der wissenschaftlichen Lehrbücher, die von jüdischen Kinderärzten verfasst waren, nicht mehr genutzt.424 Neben den individuellen Schicksalen der Kinderärzte, die vertrieben, verfolgt und teilweise in den Selbstmord getrieben wurden, hatte diese Politik nachhaltige strukturelle Auswirkungen auf die deutsche Forschungslandschaft. Die Ernährungsforschung litt unter dem Ausschluss jüdischer Ärzte, die ihre Arbeit in einigen Fällen im Ausland weiterführten. Die herausragende internationale Stellung erlangten sie nach 1945 nicht mehr zurück. Neue Erkenntnisse und Paradigmenwechsel im Fach – insbesondere die Psychologisierung des Säuglings – vollzogen sich mit vielen Jahren der Verzögerung in Deutschland. Hinzu kam, dass es aufgrund der akuten Notlage in der Nachkriegszeit lediglich zu einer „halbherzigen ‚Entnazifizierung‘“ kam.425 422 Seidler, Kinderärzte, S. 15 f. Vgl. Braun, German Pediatrics, S. 28 f.; Dill, Nationalsozialistische Säuglingspflege, S. 50; Grauel, Universitätsklinik, S. 905; Lennert, Entwicklung der Berliner Pädiatrie, S. 529. 423 Vgl. Lennert, Entwicklung der Berliner Pädiatrie, S. 529. 424 Vgl. ebd., S. 544. 425 Beddies, Besetzung pädiatrischer Lehrstühle, S. 26.

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Der Beginn und Verlauf des Krieges führten dazu, dass sich das NS -Regime gegenüber der Flaschennahrung neu positionieren musste. Es musste sich damit arrangieren, sowohl das Stillen als einzig richtige Ernährung für Säuglinge zu propagieren als auch die Herstellung und Abgabe von industrieller Nahrung zu fördern und zu sichern. Stillen blieb das Paradigma der Säuglingsernährung. Es wurde jedoch nötig, spezielle Vorkehrungen zu treffen, um Nährmittel für Säuglinge bereitzustellen. Dies zeigt zum einen, dass alleinige Stillpropaganda keinen Erfolg zeitigte und zum anderen nicht alle Mütter in der Lage waren, ihren Säuglingen die Brust zu geben, wenn sie selbst mangelernährt waren. Hinzu kam, dass Mütter, die zuvor systematisch vom Arbeitsmarkt verdrängt worden waren, nach Kriegsausbruch in der Industrie und anderen Bereichen als Arbeiterinnen gebraucht wurden und damit ihre Kinder anders versorgt werden mussten.426 Die Abgabe der Flaschennahrung wurde allerdings streng reguliert und rationiert wie die Erwachsenennahrung. Bei der Säuglingsernährung bestand die Befürchtung, dass diese zur Ernährung älterer Kinder oder zur übermäßigen Ernährung von Säuglingen verwendet wurde. Daher erließ das Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft im März 1940 neue Richtlinien für die Abgabe dieser Produkte.427 Zwei Jahre später bestanden die Abgabeprobleme dieser Produkte immer noch und ein zweiter Erlass wurde veröffentlicht. Heilmittel durften seitdem nur noch mit einer zusätzlichen ärztlichen Verordnung abgegeben werden.428 Die Bedeutung von Nährmitteln war also nicht zu unterschätzen. Ihre Zugänglichkeit war durch die Lebensmittelmarken garantiert. Mehr als dreißig Firmen, darunter Nestlé, Alete und Hipp, konnten während des Krieges weiterarbeiten und profitierten davon, für Säuglinge produzieren zu können. Besonders Alete hatte sich einen sehr guten Ruf erarbeitet. Ein Erlass vom August 1942 wies Mütter­beratungsstellen darauf hin, nicht ausschließlich Aletemilch als Flaschennahrung zu empfehlen.429 Neben diesen Maßnahmen für die Gewährleistung des Nährmittelzugangs wurden stillenden Müttern zusätzliche Nahrungsrationen zugestanden, um ihren Milchfluss zu unterstützen. Dies sollte allerdings seit 426 Vgl. Dickinson, Politics, S. 238; Gestrich, Geschichte der Familie, S. 49; Hachtmann, Industriearbeiterinnen; Lampert, Frauenarbeit (1942), S. 541 – 545; Vorländer, NSV , S. 71, Wehler, Gesellschaftsgeschichte 1914 – 1949, S. 755 f. 427 Vgl. Erlaß des Reichsministers für Ernährung und Landwirtschaft über die Abgabe von Kindernährmitteln vom 08. März 1940, S. 410. 428 Runderlaß des Reichsministers des Innern, betr. Abgabe von Kindermilchnährmitteln vom 20. Januar 1942, S. 216 f. 429 Runderlaß des Reichsministers des Inneren über Abgabe von Kindermilchnährmitteln vom 05. August 1942, S. 662.

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Juni 1942 nur noch bis zum Ende des 9. Lebensmonats der Säuglinge geschehen, was auf die verschlechterte Versorgungslage zurückzuführen war. Während des gesamten Krieges wurde die Auszahlung von Stillgeldern beibehalten, um diese Ernährungsform zu fördern.430 Trotz dieser verschiedenen Maßnahmen stieg die Säuglingssterblichkeitsrate in den späteren Kriegsjahren und den unmittelbaren Nachkriegsjahren sprunghaft an. Es mehrten sich vor allem die Todesfälle aufgrund von Magen-Darm-Infektionen, was auf eine Verschlechterung der Ernährung mit Flaschenmilch hinwies. Zudem waren viele Mütter unterernährt, weswegen sie ihre Kinder nicht ausreichend stillen konnten. Die Probleme stellten sich ähnlich dar wie zu Beginn des Jahrhunderts, als die Verunreinigung der Milch schon in den Ställen begann. Nährschäden wie der sog. Mehlnährschaden traten ebenfalls häufiger auf, vermutlich aufgrund des Milchmangels, der insbesondere in Städten auftrat. Selbst in den Kliniken wurden die Nahrungs- und Arzneimittel zunehmend knapper, da viele Krankenhäuser zerstört oder schwer beschädigt waren. Die Versorgungslage für Säuglinge war in dieser Zeit sehr schwierig, da Lebensmittel noch streng rationiert waren.431 Einige Flaschennahrungshersteller machten sich diese Situation zu Nutze. So bewarb Pauly, die Vorgängerfirma von Milupa, die Nährspeise als „‚nicht neu[,] aber wichtiger denn je‘, sogar als ‚tägliche[s] Brot der Kleinen‘“.432 In Zeiten der Ernährungsnot versprachen die Nährmittelhersteller durch Werbeanzeigen mit rundlichen, wohlgenährten Kindern eine gute Alternative.433 In der Nachkriegszeit gingen die Gesundheitsämter jedoch sehr schnell und mit intensiven Maßnahmen vor, wodurch die Säuglingssterblichkeit relativ zügig wieder gesenkt werden konnte.

430 Der Leiter der Partei-Kanzlei, Martin Bormann, über die Arbeitsgebiete und Betreuungsgrundsätze der NSV , 22. August 1944 BA , S. 520; Runderlaß des Reichsminister des Innern, betr. Bewilligung zusätzlicher Lebensmittel für stillende Mütter und Wöchnerinnen sowie für Kinder und Jugendliche als Spender von Poliomyelitis-Rekonvaleszentenblut (1942), S. 798. Siehe auch: o. A., Sonderzuteilungen für werdende und stillende Mütter (1943), S. 26. 431 Vgl. Braun, German Pediatrics, S. 28 f.; Dickinson, Politics, S. 249; Grauel, Universitätsklinik, S. 906; Linder, Gesundheitspolitik, S. 405; Rupprecht, Augenblickliche Situation (1948/1949), S.  293 ff.; Spiess, Ernährungs- und Gesundheitsverhältnisse (1948/1949), S. 243 f.; Weber, Augenblickliche Situation (1948/1949), S. 234 f. 432 Zit. nach, Saryusz-Wolska/Labentz, Bilder der Normalisierung, S. 194. 433 Vgl. ebd., S. 210 f.

Flaschennahrung in Zwischenkriegszeit, Nationalsozialismus und folkhem  |

Zwischenfazit

Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges erlebte die Beschäftigung mit der Säuglingsgesundheit einen weiteren Schub. Die Wissens- und Aktionsräume der Wissen­schaft und der Politik gingen dabei neue Allianzen ein und befeuerten sich ­gegenseitig. Während die Diskussion um Säuglingsgesundheit bereits vor und während des Krieges in Deutschland vom vornehmlich wissenschaftlich-klinischen in den öffentlichen Raum übergegangen war, nahm sich jetzt die staatliche Politik zunehmend ihrer an. In Schweden intensivierte sich ebenfalls das Interesse am Säugling. Die Forderung nach einer größeren staatlichen Involvierung und Kontrolle des Säuglingsalters wurde lauter, während gleichzeitig die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Säuglingsernährung einen neuen Höhepunkt erlebte. Dabei unterschieden sich die Wege in Deutschland und Schweden deutlicher als in den vorherigen Zeitabschnitten. Industriell hergestellte Flaschenmilchprodukte wurden in diesem Zeitraum beliebter und fanden auch in der Kinderheilkunde zunehmend Anerkennung. Sie musste nur noch mit abgekochtem Wasser gemischt werden und konnte mit der Hilfe neuer, leicht nutzbarer Flaschen und Sauger dem Kind gegeben werden. Die Produktion von Rezepten wurde nun langsam von der Universität(sklinik) in die Labore der Industrie verlagert, wobei Pädiatrie und Industrie eng zusammenarbeiteten. Die Nahrung konnte sowohl im Handel als auch in öffentlichen Stellen wie den Mjölkdroppar oder den Milchküchen und Säuglingsfürsorgestellen besorgt werden – zumindest in der Zwischenkriegszeit. Sie war teilweise schon fertig gemischt und in Einzelflaschen abgefüllt, so dass die Mutter sie nur noch erwärmen und zur richtigen Zeit geben musste. Wie das Unterkapitel gezeigt hat, war man sich innerhalb der deutschen Fachwelt bereits weitestgehend einig, mit der Säure(voll)milch einen brauchbaren Ersatz für Muttermilch gefunden zu haben. Sie wurde zeitgenössisch als großer Fortschritt gehandelt. Gleichzeitig kam jedoch kein Beitrag über Flaschenernährung ohne den Hinweis aus, dass die Muttermilch in jedem Fall überlegen war. Eine andere Position zu vertreten, führte zum Eklat innerhalb der Fachwelt, wie das schwedische Beispiel gezeigt hat. Diese Sagbarkeitsgrenze war ein starkes Einhegungsmoment der Flaschennahrung. Zusätzlich wurde die Frage der Säuglingsgesundheit in den 1930er Jahren in beiden Ländern stärker mit einer nationalistischen, eugenischen Idee von Stärke und Fortschritt verbunden. Dies äußerte sich in der diskursive Verankerung der „Mutterpflicht Stillen“ im Nationalsozialismus sowie der bevölkerungspolitischen Stillpflicht in Schweden. Die vorherrschenden Wissensregime und Vorstellungen von Gesund­heit und Mütterlichkeit grenzten die Handlungsmacht der Flaschenmilch weiterhin ein.

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1.4 Normalisierung der Flaschennahrung in den Wohlstandsgesellschaften (1948 – 1974)434 In den 1930er und 1940er Jahren verharrte die Flaschennahrung – trotz besserer Ernährungsergebnisse – in einer ambivalenten Position zwischen notwendigem Ersatz bei Muttermilchmangel und todbringender Gefahr. Der in den bisherigen drei Unterkapiteln dargestellte enge Konnex aus Flaschennahrung, Krankheit und Tod löste sich jedoch in Schweden in den 1940er Jahren und in Deutschland in der Nachkriegszeit endgültig auf. Die 1950er und 1960er Jahre waren dann der Zeitraum, in dem die Stillrate zum ersten Mal seit Beginn des 20. Jahrhunderts in beiden Ländern wieder abnahm. Innerhalb der verschiedenen Varianten der Flaschennahrung nahm dabei der Gebrauch industriell produzierter Flaschennahrung zu.435 Um die Zunahme der Flaschennahrung zu erklären, gab es zeitgenössisch und in der historischen Forschungsliteratur verschiedene Erklärungsansätze. Prominent sind drei Argumentationskomplexe: 1) das Aufkommen neuer industrieller Flaschennahrungsprodukte sowie die umfassende Werbung der Herstellerfirmen dafür;436 2) der neue Nutzungsraum des Krankenhauses, wo Werbung für die Flaschenmilch gemacht wurde und die Stillbeziehung zwischen Mutter und Kind durch die Krankenhausabläufe beeinträchtigt wurde;437 3) die zunehmende Erwerbs­arbeit von Müttern.438 Die Tragweite dieser Begründungen soll im Folgenden untersucht werden. Das Unterkapitel verfolgt dabei die These, dass sich weniger die Flaschennahrung selbst gegenüber Vorgängerprodukten veränderte, sondern vielmehr das Netzwerk, in dem sie wirkte, indem sie neue Nutzungsräume erschloss und neue, stabile Allianzen einging. Viele der bisherigen Aktiven in der Frage der Säuglingsernährung – Pädiatrie, Sozialhygiene, Industrie, Mütter und die Säuglinge selbst – nahmen neue Positionen innerhalb des Netzwerkes ein und entwickelten dadurch neue Handlungsmöglichkeiten für die Flaschennahrung. 434 Ab diesem Unterkapitel werde ich mich nur noch systematisch der Entwicklung in der Bundes­republik Deutschland widmen und die Verhältnisse in der Deutschen Demokratischen ­Republik lediglich einbeziehen, soweit sie für die Diskussion in der BRD oder Schweden einen relevanten Unterschied machen. 435 Vgl. Heimerdinger, Brust oder Flasche, S. 102; Bensel/Haug-Schnabel, Wendepunkt Geburt (1997), S. 299; Ende, Geschichte der Stillfeindlichkeit (1979); Thoms, Säuglingssterblichkeit, S. 66. Für Schweden siehe: Mellander u. a., Breastfeeding (1959), S. 11; Socialstyrelsen, Amning (1982), S. 17. 436 Vgl. Baumslag/Michels, Milk, S. xxv; Bösl, Medizintechnik, S. 46; Carballo/Pelto, Factors, S. 187; Heininger, Wandel, S. 10, 79 f.; Lithell, Små barn, S. 135; Sjölin/Vahlquist, Amning (1960), S. 3548; Vögele, Säuglingsfürsorge, S. 213. 437 Vgl. CA , Amningen (1981), S. 325; Dykes/Flacking, Encouraging Breastfeeding (2010), S. 734. 438 Vgl. Carballo/Pelto, Factors, S. 177 ff.; Galtry, Impact; Vahlquist, Evolution (1975), S. 15.

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Diese Normalisierung der Flaschennahrung wird im Folgenden in vier miteinander verschränkten Abschnitten untersucht. Zunächst werde ich die Entwicklung der Wohlstandsgesellschaft und des Wohlfahrtsstaates in den 1950er und 1960er Jahren nachzeichnen (1.4.1). Als Nächstes stehen die Veränderungen der Flaschennahrung selbst und die Entwicklung der „humanisierten“ Flaschennahrung in Deutschland und der schwedischen „Einheitsmischung“ („enhetsblandning“) sowie die Technisierung und Kommodifizierung der Produktpalette im Fokus (1.4.2). Im dritten Abschnitt werden neue Nutzungsräume der Flaschennahrung im Krankenhaus, wo immer mehr Frauen in diesem Zeitraum ihre Kinder zur Welt brachten, analysiert (1.4.3). Schließlich lässt sich anhand der Diskussion um mütterliche Erwerbsarbeit zeigen, dass die psychische Gesundheit des Säuglings zunehmend größere Bedeutung im Diskurs gewann (1.4.4). 1.4.1 Wirtschaftlicher Aufschwung und Ausbau der Wohlfahrtsstaaten in den 1950er und 1960er Jahren

Seit dem Beginn der 1950er Jahre erlebten sowohl Schweden als auch Deutschland eine Phase ungekannten Wachstums und Wohlstands, der die Einstellung zur Familie und die Aufgaben der Familienmitglieder nachhaltig veränderte. Nach dem Ende des Krieges fand in beiden Ländern eine große Expansion der wohlfahrtsstaatlichen Leistungen und Absicherungen statt. In den vorherigen Jahrzehnten waren die Säuglingssterblichkeit und der Geburtenrückgang zentrale Antriebsmomente, um die Säuglingsgesundheit und im Zuge dessen die Säuglingsernährung zu verbessern. Diese beiden Faktoren verloren seit Beginn der 1950er Jahre deutlich an Bedeutung. Zum einen sahen die 1950er und 1960er Jahre einen vorübergehenden „Baby-Boom“ in beiden Ländern. Zum anderen sank die Säuglingssterblichkeitsquote deutlich ab, wobei sich der schwedische Vorteil gegenüber Deutschland weiterhin beständig hielt. Im Jahr 1966 verzeichnete Schweden die niedrigste Sterblichkeit Europas mit 15,3 ‰. In Westdeutschland lag sie mit 26,9 ‰ fast doppelt so hoch, aber immer noch deutlich unter den Zahlen in der ersten Jahrhunderthälfte, wo die Säuglingssterblichkeit noch in Prozent festgehalten wurde.439 Es war nun nicht mehr die wichtigste Aufgabe 439 Vgl. Gardemann, Untersuchungen (1966), S. 2; Gleiss, Ursachen und Vorbeugung (1966), S. 1106 f., Kolbe, Gender, S. 137 f.; Lindner, Gesundheitsvorsorge, S. 349; dies., Gesundheitspolitik, S. 425; Schildt, Moderne Zeiten, S. 41; Wehler, Gesellschaftsgeschichte 1949 – 1990, S. 37. In beiden Ländern gab es jedoch erhebliche Unterschiede je nach Einkommensklasse und Region, vgl. Lindner, Gesundheitspolitik, S. 420; Mannheimer, Mortality (1955), S. 155; Statistisches Bundesamt (Hg.), Säuglingssterblichkeit (1957).

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des Staates, die Säuglingssterblichkeit zu bekämpfen und säuglingsfürsorgerische Maßnahmen verloren an Dringlichkeit und Brisanz. Die schwedische Wohlfahrtsstaatspolitik veränderte sich nicht maßgeblich gegenüber der Zeit vor 1945. Die Barnavårdscentraler setzten ihre Arbeit mit vorbeugendem Fokus fort, während Mütter in sog. Mördrarvårdscentraler versorgt wurden. Da Hebammen für diese Aufgabe zuständig waren, erhielten sie so eine zentrale Position innerhalb des schwedischen Gesundheitssystems.440 Weil der Staat immer mehr Gelder in den Ausbau der BVC investierte, konnte mehr Personal eingestellt werden, insbesondere ausgebildete Krankenschwestern. Diese übernahmen mehr Aufgaben mit größerer Verantwortung und kümmerten sich um Hausbesuche, während die ärztlichen Kontrollen der Säuglinge abnahmen. Hausbesuche sollten idealerweise nur durchgeführt werden, wenn die Mütter diesen zustimmten, obwohl in der Praxis unangemeldete Besuche stattfanden.441 Der Fokus der BVC lag auf der Stillaufklärung und der Ermunterung der Mütter zur Brusternährung und sie zahlten noch in den 1960er Jahren teilweise Stillprämien aus. Die Kompetenzen der BVC wurden zudem stetig ausgeweitet und sie erhielten die Aufgabe, neben der physischen Gesundheit auch die psychische Gesundheit zu kontrollieren. Die Sorge um das seelische Wohlbefinden war in den 1930er Jahren in Schweden gewachsen, weil einflussreiche Persönlichkeiten, wie Alva Myrdal, sich für die Einbeziehung entwicklungspsychologischer und psychoanalytischer Untersuchungen in der Fürsorge einsetzten. Dadurch kam das Säuglingsalter, das zuvor als Phase der seelischen Unterentwicklung charakterisiert worden war, ebenfalls in das Blickfeld der Pädiatrie.442 Diese Maßnahmen waren sehr erfolgreich. Obwohl die Besuche freiwillig waren, wurden schon 1945 85 % aller Kinder regelmäßig untersucht, während in den 1960er Jahren fast 100 % der in Schweden geborenen Säuglinge in Kontakt mit den BVC kamen.443 Während die Schwangeren- und Säuglingsvorsorge und -versorgung in Schweden in öffentlicher Hand lag, schlug die Politik in der neugegründeten Bundesrepublik Deutschland einen anderen Weg ein. Nachdem die (gesundheitlichen) Versorgungsengpässe der unmittelbaren Nachkriegszeit überwunden waren, hatte 4 40 Vgl. Lindner, Sicherheits- und Präventionskonzepte, S. 233; vgl. ausführlich zur Entwicklung des Hebammenberufs in der BRD : Schumann, Vom Dienst an der Mutter. 4 41 Vgl. Bengtsson, Barnhälsans historia S. 120; Karlström, Barnavårdscentralernas inverkan (1950); Mannheimer, Mortality (1955), S. 141; Stenhammar u. a., Mjölkdroppen, S. 108 – 114. 4 42 Vgl. Jaederholm, När själen vaknar (1931); ders., Föräldrarnas lyckliga tid (1931), 66; Karlström, Barnavårdscentralernas inverkan (1950), S. 365; Pehrsson, Barn, S. 88 ff.; Stenhammar u. a., Mjölkdroppen, S. 106 f. 4 43 Vgl. Weiner, Spädbarnsdödligheten, S. 88.

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die Gesundheitspolitik in Deutschland zunächst keine hohe Priorität, sondern wurde als Teil der Sozialpolitik geführt. Vorbeugenden Maßnahmen, die die Gesund­heitsfürsorge für Schwangere und Säuglinge in der Weimarer Republik so maßgebend geprägt hatten, wurde während der Aufbauphase des Wohlfahrtsstaates nur wenig Platz eingeräumt. In der Nachkriegszeit hatten in Deutschland zwar einige Säuglingsberatungsstellen ihre Arbeit wieder aufgenommen, sie wurden jedoch nicht flächendeckend ausgebaut. Hier wurden u. a. Stillprämien ausgegeben, um diese Ernährungsart zu fördern. Die Beratungsstellen waren vor allem in größeren Städten angesiedelt und die Besucherinnenzahlen im Vergleich zu Schweden niedrig. Lediglich 60 % aller Säuglinge wurden dort zu Beginn der 1950er Jahre untersucht, viele zudem häufig nur ein einziges Mal. Hausbesuche gab es, im Gegensatz zu Schweden, nicht.444 Wenn auch die allgemeine Säuglingssterblichkeit nach dem Krieg gesunken war, bekam man die Frühsterblichkeit der Säuglinge (sog. neonatale Sterblichkeit, s. u.) sowie die Müttersterblichkeit in der BRD nicht in den Griff. Diese war im europäischen Vergleich Anfang der 1950er Jahre in der Bundesrepublik sehr hoch. Es gab zwar Bemühungen, die Versorgung von Schwangeren zu verbessern, es konnte aber lange keine Einigkeit über deren Gestaltung im Bundestag erreicht werden. Seit Beginn der 1950er Jahre gelang es den KassenärztInnen, die nach dem Ende des Krieges eine gestärkte Position hatten, größeren Einfluss in der Gesundheitsvorsorge zu erlangen. Das öffentliche Gesundheitssystem hatte hingegen gegenüber der individuellen Krankenversorgung an Bedeutung verloren. Nicht zuletzt waren die Gesundheitsämter aufgrund ihrer Rolle im Nationalsozialismus als ausführende Organe der rassenhygienischen Vernichtungsmaßnahmen diskreditiert. Anstatt die Gesundheitsämter zu stärken, wurde Vor- und Fürsorge für Schwangere über das Mutterschutzgesetz von 1965 neu geregelt. Mütter hatten seitdem die Möglichkeit, aber nicht die Pflicht, schwangerschaftsbegleitende Vorund Nachsorgeuntersuchungen als Kassenleistung bei niedergelassenen ÄrztInnen vornehmen zu lassen. Mit diesem Gesetz wurde die Verantwortung in die Hände der Ärzte übergeben und Angebote von Hebammen zurückgedrängt. Weil die Teilnahme der Mütter hinter den Erwartungen zurückblieb, wurde u. a. durch die Einführung des Mutterpasses 1968 versucht, mehr Transparenz und Anreize zur Wahrnehmung von Vorsorgeangeboten zu schaffen.445 Deutschland setzte somit 4 44 Vgl. Lindner, Gesundheitspolitik, S. 406; dies., Gesundheitsvorsorge, S. 354, 359; dies., Sicher­ heitskonzepte, S. 234 f. 4 45 Vgl. Gardemann, Untersuchungen (1966), S. 10 f.; Hellbrügge/Pechstein, Säuglingsfürsorge (1966), S. 365; Lindner, Gesundheitspolitik, S. 422; dies., Gesundheitsvorsorge, S. 367; dies., Krise, S. 301; dies./Niehuss, Einleitung, S. 10; Süß, Gesundheitspolitik, S. 65; Woelk/Vögele, Einleitung, S. 36 f.

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auf individualisierte Lösungen, während Schweden auf öffentliche Maßnahmen setzte. So gab es in Deutschland auch keine zentral gesteuerten Vorgaben zur Stillaufklärung, sondern es war der persönlichen Einstellung des jeweiligen (zumeist noch männlichen) Gynäkologen oder Kinderarztes überlassen, wie er Mütter in der Ernährungsfrage beriet und unterstützte. Die Familienpolitik wies in Deutschland und Schweden in den 1950er Jahren zunächst viele Gemeinsamkeiten auf. Mutterschaft wurde sowohl in Schweden als auch in Deutschland von Staat und Gesellschaft als generell schützenswert konstruiert. Dabei galt das Stillen als zentrale Grundlage für den Mutterschutz in beiden Ländern.446 Idealtypisch wurde die Konstellation aus arbeitendem Ehemann und einer Ehefrau, die zu Hause auf die Kinder aufpasste, von der Politik in beiden Ländern in den 1950er Jahren gefördert. In beiden Ländern galten die 1950er Jahre aufgrund dieser politischen Maßnahmen als „goldenen Jahre der Hausfrau“. In Deutschland waren die Pflichten der Ehefrau im Haushalt sogar gesetzlich festgehalten. Erst 1975 wurde das Gesetz reformiert und die Familienarbeit als Unterhaltsbeitrag eingestuft und damit der Erwerbstätigkeit des Mannes in ihrer Bedeutung gleichgestellt.447 Dennoch nahm seit den 1950er Jahren die Zahl erwerbstätiger Frauen und Mütter stetig zu. Der Wirtschaftsboom der Nachkriegszeit generierte viele neue Arbeitsplätze, insbesondere im Dienstleistungssektor, wo viele Frauen Arbeit fanden. Viele übernahmen Teilzeitstellen, „eine Art Kompromiss zwischen der ‚Doppelbelastung‘ der Frauen und dem Arbeitskräftemangel“.448 Neben diesen Gemeinsamkeiten gab es aber auch Unterschiede. In Schweden zielten die familienpolitischen Maßnahmen darauf ab, Mütter unabhängiger von ihren Ehemännern zu machen und bereits 1950 wurden alle Gelder aus familienpolitischen Maßnahmen direkt an die Mutter ausbezahlt. Hier wurde Mutterschaft seit dem Zweiten Weltkrieg als „Beruf “ oder dem Beruf gleichwertig gefasst, was ein Alleinstellungsmerkmal des Landes weltweit war. Alle Mütter erhielten seit 1955 einen einkommensunabhängigen moderskapspenning (Mutterschaftsgeld). Kinderbeihilfen (barnbidrag) wurden seit 1948 ab dem ersten Kind aus S­ teuergeldern direkt 4 46 Vgl. Galtry, Impact, S. 171; Kolbe, Elternschaft, S. 59, 60 f. 4 47 Vgl. Hardach-Pinke, Angst, S. 575; Kuller, Soziale Sicherung, S. 210; Florin/Nilsson, Jämställdhetens politisering, S. 37; Östberg, 1968, S. 48 f. 4 48 Kuller, Soziale Sicherung, S. 215. Vgl. Budde, Institution, S. 89; Carlstedt, Kvinnors hälsa, S. 38; Gleichmann, Föräldrarskap, S. 56; Hirdman/Lundberg/Björkman, Historia, S. 580; Klinth, Barn, S. 17; Kolbe, Gender, S. 143; Mattes, Ambivalente Aufbrüche, S. 217; Moeller, Mütter, S. 240; Neumaier, Familie, S. 297; Oertzen, Teilzeitarbeit, S. 12; Schildt, Moderne Zeiten, S. 56 f.; van Rahden, Demokratie, S. 162; Wehler, Gesellschaftsgeschichte 1949 – 1990, S. 172 f.; Åmark, Women’s Labour Force Participation, S. 312.

Normalisierung der Flaschennahrung in den Wohlstandsgesellschaften (1948 – 1974)  |

an die Mütter ausgezahlt.449 In Deutschland hingegen wurde Kindergeld erst ab dem dritten Kind gezahlt, und zwar an den Vater. Es wurde zudem erst 1974 auf erstgeborene Kinder ausgeweitet. Stattdessen gab es in der Bundesrepublik steuerliche Kinderfreibeträge, die jedoch an den Lohn geknüpft waren. Daher erhielten zumeist die Väter diese Steuervorteile, weil die meisten Mütter nicht arbeiteten.450 Hintergrund solcher familienpolitischer Maßnahmen in der Bundesrepublik war die Vorstellung einer „Normalfamilie“, in der das Gehalt des Vaters ausreichen sollte, um die gesamte Familie zu ernähren, was auf direktem und indirektem Weg gefördert wurde.451 Die bundesdeutsche Familienpolitik war das Resultat einer doppelten Abgrenzung gegenüber der rassistischen Familienpolitik während des National­ sozialismus sowie der Deutschen Demokratischen Republik. In Bezug auf die Rolle der Frau wirkte sich die Systemkonkurrenz dahingehend aus, dass nicht – wie in der DDR – die außerhäusliche Erwerbsarbeit von Frauen gefördert werden sollte.452 Die allgemeinen Lebensverhältnisse veränderten sich in der Nachkriegszeit ebenfalls rapide. Beide Länder erlebten eine nie dagewesene Zunahme des Wohlstands, wobei Schweden durch die Nichtteilnahme am Zweiten Weltkrieg einen Vorsprung gegenüber den anderen europäischen Ländern verzeichnen konnte. Der Anstieg der Reallöhne und die Anzahl beschäftigter Personen in den 1950er und 1960er Jahren erhöhte die Kaufkraft der Bevölkerung. Es war mehr Geld übrig für größere Anschaffungen oder wie der Konsumhistoriker Wolfgang König es ­beschreibt: „Die Ausgaben verlagerten sich vom Grundbedarf zum Wahlbedarf.“ 453 Die Konsumgesellschaft erhielt damit eine neue Qualität, da ein größerer Personenkreis mehr und diverser konsumierte, und kann seitdem als Massenkonsumgesellschaft charakterisiert werden.454 Familien erhielten dadurch die Möglichkeit, langlebige Konsumgüter in größerem Umfang anzuschaffen. Kühlschränke 4 49 Vgl. Bengtsson, Barnhälsans historia, S. 119; Haavet, Milk, S. 207; Kolbe, Vaterschaftskonstruktionen, S. 189; Ohlander, Invisible Child, S. 225. 450 Vgl. Bergman/Johannson, Inledning S. 8; Kolbe, Vaterschaftskonstruktionen, S. 188; dies., Elternschaft, S. 49 f., 54; Kuller, Sicherung, S. 214 f.; Ohlander, Invisible Child, S. 224. 451 Vgl. Kolbe, Vaterschaftskonstruktionen, S. 184; 189; Kuller, Soziale Sicherung, S. 203; Ostner, Fathers, S. 155; Torstendahl, Women, S. 232. 452 Vgl. Budde, Institution, S. 76 f.; Dickson, Politics, S. 251; Gerhard, Geschlechter(un)ordnung, S. 202; Gestrich, Geschichte der Familie, S. 9, 50; Kolbe, Elternschaft, S. 46; Lindner, Krise, S. 301; Moeller, Mütter, S. 245 f.; Ostner, Fathers, S. 155; Torstendahl, Women, S. 226. 453 König, Die siebziger Jahre, S. 89. Vgl. Gestrich, Geschichte der Familie, S. 10; Husz, Spara, S. 312; Jessen/Langer, Transformations, S. 2; Lee/Torrell, Packaging, S. 185; Nave-Herz, Kontinuitäten, S. 66; Trentmann, Long History, S. 109; Wehler, Gesellschaftsgeschichte 1949 – 1990, S. 235. 454 Vgl. Torp/Haupt, Einleitung, S. 10 ff.; Jessen/Langer, Transformations, S. 3; Wildt, Beginn, S. 263.

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und Elektroherde zogen in Haushalte aller Schichten ein. Einen Kühlschrank, der ­zuvor ein Statussymbol der bürgerlichen Klasse gewesen war, besaßen 1960 etwa die Hälfte der Arbeiterhaushalte. Diese Geräte waren für die allgemeine Ernährung, aber insbesondere für die Versorgung von Säuglingen mit Flaschenmilch wichtig. Auf Elektro- und Gasherden konnte präziser gekocht werden und es gab weniger Schmutzentwicklung. Im Kühlschrank konnte die Milch länger frisch gehalten werden.455 In beiden Ländern begannen offensichtliche Klassenunterschiede im Konsumverhalten zu verschwinden, um durch subtilere Formen der Unterscheidung ersetzt zu werden.456 Auch die Wohnsituation vieler Familien verbesserte sich deutlich. Die Anfor­ derungen an eine richtig durchgeführte Säuglingspflege und -ernährung seit ­Beginn des Jahrhunderts hatten es eigentlich erforderlich gemacht, verschiedene Familienräume zu haben, damit der Säugling in Ruhe gelassen werden konnte. Dies war in Arbeiterwohnungen, die häufig sehr klein waren, bis dahin nicht möglich. Mit dem schwedischen Miljonprogramm (Millionenprogramm, in dem eine Million neue Wohnungen geschaffen werden sollte) und dem deutschen Wiederaufbau wohnten seit Mitte der 1960er Jahre mehr Familien in Vierzimmeroder größeren Wohnungen, die eine bessere technische Ausstattung hatten. Die abgetrennte Arbeitsküche wurde zu einer standardisierten Einheit innerhalb der Wohnung.457 So wurde es erstmals auch für die Mittel- und Arbeiterschicht möglich, eigene Kinderzimmer einzurichten, um die Säuglinge, wie es seit spätestens dem 19. Jahrhundert gefordert wurde, getrennt von den Eltern unterzubringen. Aufgrund dieser Veränderungen verbesserten sich die Voraussetzungen, um die Flaschenernährung nach ärztlicher Vorschrift durchführen zu können. Es stand mehr Geld zur Verfügung, um qualitativ hochwertige Produkte zu kaufen und diese besser zu lagern. Innerhalb dieses veränderten Netzwerkes konnte die Flaschen­ nahrung neue Aktionsmöglichkeiten gewinnen. Neben diesen gesellschaftlichen Veränderungen fand in der Ernährungsforschung ein Umschwung statt, der industrielle Flaschennahrung als legitime Alternative zu Muttermilch entwarf. 455 Vgl. Gestrich, Geschichte der Familie, S. 17 f.; Huster, Frische S. 17; Lithell, Små barn, S. 105; Ruppert, Kulturgeschichte, S. 25; Wehler, Gesellschaftsgeschichte 1949 – 1990, S. 154 f.; Wildt, Beginn, S. 144 ff. 456 Vgl. Husz, Spara, S. 318; Kaelble, Sozialgeschichte, S. 90 f.; Ruppert, Kulturgeschichte, S. 23; Wehler, Gesellschaftsgeschichte 1949 – 1990, S. 211; Wildt, Beginn, S. 264. 457 Vgl. Gestrich, Geschichte der Familie, S. 25; Hinnfors, Swedish Parties, S. 114; Hirdman/ Lundberg/Björkman, Historia, S. 556 f.; Lefaucheur, Mutterschaft, S. 473; Lindner, Rationalisierungsdiskurse, S. 86 ff.; Wildt, Beginn, S. 138. Ausführlich zur Geschichte der Küche in Schweden vgl. Torell/Lee/Qvarsell, Köket.

Normalisierung der Flaschennahrung in den Wohlstandsgesellschaften (1948 – 1974)  |

1.4.2 Durchbruch pädiatrisch-industrieller Flaschenmilchprodukte

Die Einführung neuer industrieller Produkte zur Säuglingsflaschenernährung um 1950 in Deutschland und Schweden wird allgemein als großer Umbruch in der Ernährungsweise für Säuglinge beschrieben. Dabei schwingt häufig die ­Annah­me mit, dass sich diese Produkte grundlegend von den vorherigen Flaschennahrungsmöglichkeiten unterschieden.458 Durch den Vergleich zweier Länder sowie den Vergleich zur vorherigen Phase (vgl. 1.3.2) lässt sich jedoch zeigen, dass dieser Umbruch nicht durch ein revolutionäres neues Produkt hervorgerufen wurde, sondern sich das gesamte Akteursnetzwerk grundlegend veränderte. Im Folgenden werde ich auf einige dieser Veränderungen genauer eingehen: Ausdifferenzierung der pädiatrischen Wissenschaften, Verschmelzung von Industrie und Pädiatrie bei der Herstellung der „humanisierten“ Milch in Deutschland und der „Einheitsmischung“ in Schweden sowie Technisierung und Kommodifizierung der Flaschennahrung. Die Säuglingssterblichkeit war seit den 1930er Jahren in beiden Ländern zurück­gegangen (mit Ausnahme der Kriegsjahre und der direkten Nachkriegszeit in Deutschland). Magen-Darm-Infektionen, die zu Beginn des Jahrhunderts noch zwei Drittel der Todesfälle ausgemacht hatten, spielten zu Beginn der 1960er Jahre kaum noch eine Rolle. Die Zahlen legten vielmehr nahe, dass die Sterblichkeit unter flaschenernährten Säuglingen besonders deutlich abgenommen hatte, was wiederum mit besseren Flaschennahrungsprodukten in Zusammenhang gebracht wurde. Ein weiterer Grund wurde in der Erfindung der Antibiotika gesehen, die zur Therapie von Infektionen eingesetzt werden konnten.459 Obwohl Flaschenkinder weiterhin ungefähr doppelt so häufig starben wie Brustkinder, war die Brisanz der Flaschennahrung deutlich geringer geworden, da sich die Zahlen auf einem sehr niedrigen Niveau eingependelt hatten. Einige Stimmen vertraten sogar die Meinung, es gebe keine Unterschiede zwischen flaschen- und brusternährten Kindern mehr, weil so gute Bedingungen für die Ernährung mit der Flasche herrschten.460 Die Pädiatrie, deren Hauptarbeitsgebiet und raison d’être die Senkung der Säuglingssterblichkeit und Aufklärung über Ernährungsfragen gewesen war, musste sich neu orientieren. Das Fach differenzierte sich daher seit 458 Vgl. Baumslag/Michels, Milk, S. xxv; Carballo/Pelto, Factors, S. 187; Heininger, Wandel, S. 10, 79 f.; Lithell, Små barn, S. 135; Sjölin/Vahlquist, Amning (1960), S. 3548; Vögele, Säuglingsfürsorge, S. 213. 459 Vgl. Briese, Leben, S. 230 f.; Hering, Problematik (1964), S. 44; Meeuwisse, Spädbarnets näringsbehov (1964), S. 1. 4 60 Mellander u. a., Breastfeeding (1959), S. 12.

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der Mitte des Jahrhunderts stärker aus und neue Spezialisierungen innerhalb der Kinderheilkunde bildeten sich. Die Ernährung als grundlegendes und ganzheitliches Problem des Säuglingsalters fiel dadurch aus dem Blickfeld der Kinderärzteschaft. Flaschennahrung schien schlicht weniger aufregend als andere Themen.461 Die Behebung der Säuglingssterblichkeit wurde zwar weiter bearbeitet; da die größten Probleme vor oder während der Geburt entstanden und besonders hohe Sterblichkeitszahlen in der neonatalen Phase (erster Monat nach der Geburt) verursachten, wandte sich die Pädiatrie vermehrt diesem Konnex zu.462 Schon in der vorherigen Phase war die Zusammenarbeit zwischen Industrie und Pädiatrie zunehmend als weniger problematisch eingeschätzt worden. Dieser Trend setzte sich nach 1950 fort. Die beiden Produkte, die in Deutschland und Schweden den Übergang in diese neue Phase symbolisierten, Humana und BabySemp, waren beide Produkte großer Molkereien, im Falle von Humana der Milchverwertungs-Genossenschaft Herford-Bad Oeynhausen (seit 1970 H ­ umana Milchwerke) und im Falle von BabySemp der Svenska Mjölkprodukter AB (Schwedische Milchprodukte AG , später Semper). Dies hing u. a. damit zusammen, dass sich Trockenmilch mittlerweile als Königsweg in der Herstellung einer Flaschennahrung für Säuglinge durchgesetzt hatte. Diese Technologie stand zwar schon seit Beginn des Jahrhunderts zur Verfügung, entsprach aber erst seit den 1940er Jahren den Ansprüchen der Kinderärzte, die zuvor am Primat der Frischmilch festgehalten hatten. So wurde seit den 1950er Jahren betont, die Nahrung in Trockenform sei besonders keimfrei und komme damit der Brusternährung in dieser Hinsicht besonders nahe. Außerdem hatten verbesserte Verfahren dazu geführt, dass der Vitamingehalt von Trockenmilch verbessert worden war.463 Die Z ­ usammenarbeit mit großen Betrieben, die diese Technologie zur Verfügung stellen konnten, wurde daher zunehmend wichtiger. Deutschland und Schweden schlugen trotz ähnlicher Voraussetzungen zwei völlig unterschiedliche Wege ein, um Flaschennahrung für Säuglinge herzustellen. 4 61 Vgl. Mellander u. a., Breastfeeding (1959), S. 12; Nützenadel, Ernährung, S. 191; Spanger, Grundzüge, S. 4; Thoenes, Rez. zu: A. Hottinger/F. Hauser (Hg.), Moderne Probleme der Pädiatrie (1955), S. 206; Weaver, Emergence, S. 346 f., Wray, Breast-feeding, S. 83. 4 62 Vgl. Heininger, Wandel, S. 12; Lundén, Mjölkdroppe (1970), S. 200; Wranne, Dödligheten (1964). 4 63 Vgl. Thiemich/Bessau, Allgemeiner Teil (1930), S. 59; Gholamiasllari, Geschichte (1975), S. 41 ff.; Gyllenswärd, Babytillägg (1954), S. 1964; ders./Mellander, Förenklad metod (1949), S. 6; Hering, Problematik (1964), S. 14 f.; Kirschsieper/Mehl, Vergleichende Untersuchungen (1955); Lemke, Gerinnungsunterschiede (1951), S. 415; Mellander, Homogeniserad och vitaminerad mjölk (1950); Nützenadel, Ernährung, S. 207; Reichert, Säuglingsernährung (1960), S. 118 f.; Vogt, Bericht (1941/1942), S. 87; Wickes, History of Infant Feeding IV , S. 421.

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Die „humanisierte“ Milch in Deutschland stellte den Versuch dar, die Kuhmilch in so vielen chemischen und physikalischen Eigenschafen sowie in ihrem Effekt im Säuglingsdarm an diejenige der Muttermilch anzupassen. Die schwedische „Einheitsmischung“ versuchte hingegen so wenig komplex wie möglich zu sein und damit besonders einfach in der Anwendung für die Mutter. In Schweden war die Motivation zur Schaffung eines neuen Produktes in den späten 1940er Jahren genuin sozialpädiatrisch, während sie in Deutschland genuin wissenschaftlich motiviert war. Der deutsche Versuch, eine Flaschenmilch zu schaffen, die der Muttermilch besonders nahe kam, ging auf Vorläufer aus den 1930er Jahren zurück. Georg Bessau, der Nachfolger Adalbert Czernys als Leiter des Lehrstuhls für Pädiatrie in Berlin, hatte Ende der 1930er Jahre festgestellt, dass die Frauenmilch im Dickdarm des Kindes eine sog. Bifidusflora erzeugte, während Kuhmilchmischungen diesen Effekt nicht generierten.464 Aus Versuchen mit hunderten von Mischungen an hunderten von Säuglingen entwickelte er ein sehr komplexes Rezept, die sog. Bifidum-Milch, das zu Hause nicht herstellbar war.465 Auf diesen Umstand erhielt er anscheinend viele kritische Rückmeldungen, gegen die er sich anlässlich einer Adalbert-Czerny-Gedächtnis-Vorlesung 1942 zur Wehr setzte: Glaubt jemand, das Wunder Frauenmilch mit einfachsten Mitteln hervorzaubern zu können? Wir müssen für den Säugling nicht die einfachste, sondern die zweckmäßigste Nahrung fordern. Wenn man bisher die Bedingung der einfachen Herstellung in den Vordergrund rücken konnte, so lag das wohl nur daran, daß die komplizierteren Gemische keine einwandfreie Überlegenheit zeigten. In dem Augenblick, wo sie überlegen sein werden, werden sie entgegen allen Widersprüchen den Sieg davontragen. Die von mir angegebene Nahrung in der vorliegenden Form ist zum mindesten in jeder Säuglingsmilchküche herzustellen. Im übrigen ist es nur eine Frage der Organisation, ein solches Gemisch an alle Kinder, die dessen benötigen, heranzubringen.466 4 64 Der Erzeuger dieser Darmflora ist der Lactobacillus bifidus. Eine solche Bifidusflora wurde auch 1990 noch „als die beim gesunden Säugling vorherrschende Darmflora angesehen“, Wachtel, Ernährung (1990), S. 122. 4 65 Vgl. Reichert, Säuglingsernährung (1969), S. 46 f. 4 66 Bessau, Ernährung (1943), S. 170 f. An seinen Ausführungen lässt sich ablesen, dass die Diskussionen der Weimarer Republik um Ernährungsversuche an Kindern keine langfristigen Konsequenzen hatten (vgl. 1.3.2) und weiterhin keine Skrupel herrschten, größere Nahrungsversuche an Säuglingen durchzuführen. Gegen Bessau war bereits 1929 Anklage erhoben worden, weil bei Ernährungsversuchen vier von 14 Kindern gestorben waren. Nachdem verschiedene weitere Skandale mit Säuglingen als Versuchspersonen für Aufmerksamkeit gesorgt hatten, wurde 1930 eine neue Richtlinie über Menschenversuche erlassen, die jedoch innerhalb der Pädiatrie kaum auf Resonanz stieß, vgl. Reuland, Menschenversuche, S. 62 f., 194 ff.

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Der Komplexität der Muttermilch musste aus seiner Sicht ein angemessen komplexes Rezept gegenüberstehen. Diese Idee beschreibt eine Denkschule der deutschen Pädiatrie, die sich in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg weiter entfalten sollte. Von vielen seiner Zeitgenossen hatte Bessau durchaus positive Rückmeldungen erhalten, obwohl es noch Probleme mit dem Rezept gab. Bessau hatte versucht, sein Rezept industriell herstellen zu lassen, war jedoch 1944 an einem Hirntumor verstorben, weswegen dieser Schritt nie eingeleitet werden konnte.467 Die Weiterbearbeitung seiner Rezeptur durch Alfred Adam, der mit der Molkerei Töpfer AG zusammenarbeitete, sprach dafür, dass die Komplexität einer Flaschennahrung schon bald nicht mehr als Hinderungsgrund, sondern geradezu als Legitimationsgrundlage verstanden wurde.468 Die Zusammenarbeit zwischen Industrie und Pädiatrie wurde in den 1950er Jahren forciert, da die Ansprüche an eine Flaschennahrung für Säuglinge stiegen und die komplexen Verfahren ohne industrielle Fertigungsanlagen nicht mehr durchzuführen waren. Erneut hatten sich also die Herangehensweise an und das Wissen über die Säuglingsernährung verändert.469 Die erste als „humanisierte“ Milch bezeichnete Flaschennahrung für Säuglinge, die der Kinderarzt Heinz Lemke entwickelt hatte, wurde 1950 von der Firma Humana auf den Markt gebracht. Sie stellte eine Synthese fast aller bisherigen Rezepturen dar. Bei der ersten Präsentation seiner Nahrung in der Monatsschrift für Kinderheilkunde von 1951 beschrieb Lemke sein Anliegen folgendermaßen: Das Arbeitsziel war, Kuhmilch so zu modifizieren, daß sie feinflockiger gerann, als dies mit den bisher angewandten Methoden der natürlichen Milchsäuregerinnung oder künstlichen Säuerung erreichbar werden konnte. Hier war wieder unerreichbar scheinendes Vorbild die Frauenmilch, […].470

Hervorzuheben ist hier die Einschränkung „unerreichbar scheinend“, was darauf hindeutet, dass er die Zuversicht hatte, dieses Vorbild mit Hilfe seiner Rezeptur doch einholen zu können. Während die meisten anderen Rezepte versucht hatten, das Ungleichgewicht eines bestimmten Stoffes aufzufangen oder das Verhalten der Muttermilch im Verdauungstrakt zu rekonstruieren, führte Lemke diese Ansätze 4 67 Vgl. Gholamiasllari, Geschichte (1975), S. 49; Grauel, Universitätsklinik, S. 911. 4 68 Vgl. Adam, Annäherung einer Heilnahrung (1949); ders., Pädiatrie und neuzeitliche Milchwissenschaft, (1951); Bessau, Ernährung (1943), S. 169; Gholamiasllari, Geschichte (1975), S. 49 f. 4 69 Vgl. Krasselt/Scherbaum/Tönz, Muttermilch-Ersatzprodukte, S. 19 f.; Nützenadel, Ernährung, S. 207 f. 470 Lemke, Gerinnungsunterschiede (1951), S. 410.

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in einer Nahrung zusammen, die er „vollkommen humanisierte Milch“ nannte. Sie zielte darauf ab, so viele makro- und mikrochemische Bestandteile der Mutter­ milch wie möglich sowie die physiologischen Eigenschaften möglichst genau nachzuempfinden. Dieser Schritt konnte jedoch nur mit großem technischem Aufwand bewerkstelligt werden, weswegen eine solche Nahrung nicht zu Hause zubereitet werden konnte, sondern ein industrielles Produkt war.471 Der Forschungsanlass war bei Lemke explizit anders gelagert als in den vorherigen Jahrzehnten: Nicht die Senkung der Säuglingsmortalität wie bei Finkelstein und Biedert stand im Fokus, sondern herauszufinden, warum die Muttermilch der Flaschennahrung bisher immer noch überlegen war.472 Nach ersten In-vitroVersuchen testete Lemke die Humana-Nahrung an 150 Kindern in seiner Praxis. Ein Kind starb laut Lemke. Es sei jedoch bereits mit Vorschäden beim Versuch angekommen.473 In der Präsentation der Ergebnisse gab es ebenfalls Widersprüche. Einerseits meinte Lemke, einige Kinder gediehen mit humanisierter Milch so gut, dass sie selbst für „Kenner von Frauenmilchkindern nicht unterscheidbar“ waren. Andererseits wiesen die Kinder deutliche Unterschiede in den Vitalitätszeichen auf. Um die guten Ergebnisse zu illustrieren, fügte er die Fotografie eines Kindes an, um seine Ergebnisse „verständlicher“ zu machen.474 Um SkeptikerInnen restlos zu überzeugen, gab er zu bedenken, selbst die Säuremilch, die Standardernährung in den 1940er Jahren, habe zum Zeitpunkt ihrer Einführung noch Zweifel hervorgerufen.475 Er hob damit seine Nahrung auf die gleiche Stufe wie die bisherige Standardnahrung. An dieser musste sie sich in den kommenden Jahren auch messen lassen. Erste Tests legten nahe, dass mit Humana zwar gute Ernährungserfolge erzielt werden konnten, diese jedoch gegenüber anderen Nahrungen nicht überlegen waren. Auch KundInnen griffen weiterhin zur Säuremilch.476 Die 471 Vgl. Droese/Stolley, Künstliche Ernährung (1965), S. 561. 472 Lemke, Gerinnungsunterschiede (1951), S. 409. 473 Vgl. Lemke, Gerinnungsunterschiede (1951), S. 417. Die Schilderungen Lemkes lassen erkennen, dass nach 1945 mit der Forschung an Kindern etwas behutsamer umgegangen wurde. So versicherte er etwa, dass Versuche mit der Milch erst nach „mehrjährigem Tasten“ durchgeführt worden seien. 474 Vgl. Krasselt/Scherbaum/Tönz, Muttermilch-Ersatzprodukte, S. 19 f.; Lemke, Gerinnungsunterschiede (1951), S. 417. 475 Lemke, Gerinnungsunterschiede (1951), S. 418. Vgl. ders., Vollkommen humanisierte Milch (1950), S. 1. 476 Vgl. Reichert, Säuglingsernährung (1969), S. 125. Jörn Gleiss stellte bei einer Untersuchung zur Säuglingsernährung im Ruhrgebiet 1960 fest, dass lediglich 4 % der Mütter „süße Milchen wie Humana“ nutzten, während Pelargon und Aletemilch von ca. 2/3 der befragten Mütter verwendet wurden, vgl. Gleiss, Soziologische Untersuchungen (1960), S. 141. Auch bei einer Untersuchung in Köln sechs Jahre später wurde festgestellt, dass die meisten Mütter Pelargon

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„humanisierte“ Milch war bei ihrer Einführung also nicht der große Umschwung, wie teilweise angenommen. Dennoch schuf diese Nahrung einen neuen state of the art – die biochemische und physiologische Angleichung der Kuhmilch an die Muttermilch,477 dem sich andere Firmen kurze Zeit später anschlossen. Während der deutschsprachige Raum seit Ende des 19. Jahrhunderts ein Zen­ trum der Ernährungsforschung und damit der Produktion von Säuglingsnahrungs­ rezepten und -produkten war, hatte diese Forschung in Schweden erst seit den 1930er Jahren ihren Durchbruch. Eines der wenigen Beispiele für eine aktive Produktion von Säuglingsernährungsprodukten war die Herstellung von Citrido­ tabletten durch die Firma Ferrosan (vgl. 1.3.2). Diese waren jedoch nur ein Zusatz und keine trinkfertige Nahrung, wie etwa Aletemilch oder Pelargon.478 Da der Fokus in allen Bereichen der Gesundheitsvorsorge und Säuglingsfürsorge darauf lag, das Stillen zu fördern, entwickelten diese Produkte keine größere Durchschlagskraft. Den Umschwung in Bezug auf die Säuglingsernährung läutete in Schweden der oben bereits erwähnte Molkereikonzern Semper AB in Zusammenarbeit mit den Kinderärzten Curt Gyllenswärd und Olof Mellander ein. Die Firma Semper entstand durch die Kooperation des Finanziers Axel Wenner-Gren und der Erfin­ derin Johanna (Ninni) Kronberg und war damit einer der wenigen Hersteller von Flaschennahrung, bei dem eine Frau maßgeblich beteiligt war – zumindest ganz zu Beginn des Projektes. Anders als die anderen Akteure der Säuglingsernährungsfrage hatte Kronberg keinerlei Vorbildung in Chemie oder Medizin, schaffte es aber trotzdem, durch viele Experimente ein Milchpulver herzustellen, das sie 1939 patentieren ließ. Kronbergs Erfindung stieß auf großes Interesse in Schweden, da es eine Überproduktion an Milch gab und diese haltbar gemacht werden musste. Während des Zweiten Weltkrieges wurde die schwedische Trockenmilch und Alete benutzten (35,5 %) und nur 3,3 % Humana kauften, vgl. Gardemann, Untersuchungen (1966), S. 16. Dies hing möglicherweise mit dem höheren Preis von Humana zusammen, vgl. Hering, Problematik (1964), S. 44; Kirschsieper/Mehl, Untersuchungen (1955), S. 48. 477 Vgl. Gardemann, Untersuchungen (1966), S. 15 f.; Gleiss, Soziologische Untersuchungen (1960), S. 141; vgl. Haraldson, Är amning omodern? (1950); Heimerdinger, Brust oder ­Flasche, S. 102; Heininger, Wandel, S. 10; Hering, Problematik (1964), S. 45, 60; Mellander u. a., Breastfeeding (1959), S. 11; Scheller, Untersuchungen (1966), S. 5, 56; Spanger, Grundzüge, S. 4; Sjölin/Vahlquist, Amning (1960), S. 3542; Starck-Romanus, “Är amning omodern?” (1950); Stenhammar u. a., Mjölkdroppen, S. 110; Torstenson, Sjunkande amningsfrekvensen (1960), S. 2219 f.; Troschke, Untersuchungen (1961). 478 In schwedischen Populär- und Fachzeitschriften findet sich vor 1945 hauptsächlich Werbung für ausländische Präparate, insbesondere Nestlé und Mellin’s Food, die teilweise auch in Ratgebern empfohlen wurden. In der Svenska Läkartidning findet sich außerdem vereinzelt Werbung für zwei schwedische Flaschennahrungsprodukte, die jedoch eher marginale Bedeu­tung erreicht haben konnten.

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in verschiedene Kriegsgebiete verkauft, wo die Milchproduktion zum Erliegen gekommen war. Die Wiederaufnahme der Milchproduktion in den Exportländern führte dann zu einer kurzfristigen Krise im Konzern.479 Zur gleichen Zeit suchten der Professor für Pädiatrie in Uppsala, Curt Gyllenswärd, und sein Mitarbeiter, Olof Mellander, einen Hersteller, der ihr neues „vereinfachtes“ Rezept für Säuglingsflaschennahrung produzieren konnte.480 Gyllenswärd hatte bereits seit den 1920er Jahren versucht, eine „einfache“ Nahrung zu finden, die alle Kinder vertrugen und die trotzdem leicht zuzubereiten war. Er wollte dem „Mischungswahn“ („blandningsraseriet“) ein Ende bereiten.481 Dabei ging er einerseits von dem wissenschaftlichen Befund aus, dass sich die Muttermilch nach der Kolostrum-Phase nicht maßgeblich veränderte.482 Andererseits ging er davon aus, dass Mütter nicht dazu in der Lage wären, die verschiedenen Mischungen, die sich teilweise nur minimal unterschieden, richtig zuzubereiten. Die Schuld läge jedoch nicht allein in mütterlichem Fehlverhalten, sondern die widersprüchlichen Angaben in den verschiedenen Aufklärungsblättern und Ratgebermedien führten zu großer Verwirrung, die zur Gefahr für das Kind werden könne.483 Anders als in Deutschland, wo Georg Bessau erklärte, eine Flaschennahrung müsse kompliziert sein, um der Frauenmilch gerecht zu werden, war es laut Gyllenswärd und Mellander nicht nötig, die Kuhmilch in jedem Detail an Muttermilch anzugleichen. Aus ihrer Sicht gelang eine gute Ernährung, indem man Kuhmilch mit doppelt so viel Wasser verdünnte, da sich dadurch sowohl die Quantität als auch die Qualität des Kuhmilcheiweißes demjenigen der Muttermilch anglich. Diese Mischung könne, ohne sie in der Zusammensetzung anzupassen, in steigender Menge während des gesamten ersten Lebensjahres an den Säugling gefüttert werden.484 479 Da Ninni Kronberg keine Teilhaberin des Konzerns war und ihr Patent in den 1940er Jahren nicht mehr genutzt wurde, konnte sie die finanziellen Früchte ihrer Erfindung nicht ernten. Sie starb 1949 in ärmlichen Verhältnissen. Vgl. Fagerfjäll, Semper, S. 9; Holmberg, ­Vetenskap, S. 202; Kiellander, M Johanna (Ninni) Kronberg, S. 595; Kleja, Hemligheten; Kunglig ­Patentoch Registreringsverket, Patent Nr. 96765 (1939); Nilsson, Societetsfrun; Rock, 25 åren (1964), S. 10 f., 16. 480 Vgl. Curt Gyllenswärd, Den konstgjorda spädbarnsuppfödningen i Sverige under 1900-talet o. J. [1966], S. 15, Semperarkiv, F1. Volymnr. 1; Nordfeldt, Semper och forskning (1964), S. 31; Semper Foods (Hg.), Semper Foods (1999), S. 9. 481 Nordfeldt, Semper och forskning (1964), S. 37. 482 Vgl. Curt Gyllenswärd, Artifical Feeding of Infants in Sweden during the Twentieth Century, Stockholm 1968, S. 5, in: Semperarkiv F1, Volymnr. 1; ders., Babytillägg, S. 1965; ders., Folkdöd (1966), S. 10. 483 Vgl. Gyllenswärd/Mellander, Förenklad metod (1949), S. 1 f. 484 Vgl. ebd., S. 2 f. Der Bericht in der Svenska Läkartidning wurde im Auftrag von Semper AB auch ins Englische übersetzt, vgl. Semper Information, Curt Gyllenswärd/Olof Mellander,

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In der Svenska Läkartidning berichteten Gyllenswärd und Mellander 1949 erstmals über ihre Erfahrungen mit der „Einheitsmischung“, die sie seit 1944 an der Universitätsklinik in Uppsala ausprobiert hatten. Dort gaben sie nur sehr knapp Auskunft über die genaue Zusammensetzung der Nahrung und legten vielmehr die gesamte Kostplanung des Säuglings, inklusive der Beikost, dar. Durch das frühe Zufüttern von Beikost (Gemüsebrei etc.) könne die Ernährung mit der „Einheitsmischung“ beibehalten werden, ohne diese zu verändern, und ­zudem individuell angepasst werden. Anders als (ältere) deutsche Produkte enthielt die Einheitsmischung keine zugesetzten Vitamine. Gyllenswärd und Mellander waren der Meinung, dass die Vitaminzufuhr am besten über die Zufütterung vitaminreicher Säfte oder ähnlicher Nährmittel ab dem zweiten Monat zu bewerkstelligen sei. So könne die Vitaminmenge an die jeweiligen Umstände angepasst werden, anstatt in immer gleicher Menge vorhanden zu sein.485 Ihr Rezept kam 1949 als BabySemp auf den Markt. Gyllenswärd und Mellander waren der Meinung, dass die Ernährungserfolge mit BabySemp denjenigen mit Muttermilch vergleichbar waren. Während es in Schweden noch sechs Jahre zuvor unmöglich gewesen war zu sagen, dass eine Flaschenmilch der Muttermilch gleichwertig war, oder mit einer Firma zusammenzuarbeiten, beschrieben und lobten Gyllenswärd und Mellander hier ganz offen ihre Kooperation mit Semper (vgl. 1.3.2). Sie hoben etwa hervor, dass die Trockenmilch besonders in Gebieten Anwendung finden könne, wo Frischmilch weniger leicht zu beschaffen war wie in Nordschweden. Sie sahen zudem einen Vorteil darin, dass Mütter nicht länger Mehlschleim herstellen mussten, was eine große Zeitersparnis darstellte.486 Für den schwedischen Fall konnte ich keine größere wissenschaftliche Auseinandersetzung um die Produkte von Semper identifizieren. So gab es in den kommenden Jahren weder in der Acta Paediatrica noch in der Svenska Läkartidning Artikel über das Produkt. Es wurde jedoch in einem Selbstbericht von Semper über Widerstand innerhalb der Fachwelt berichtet, weil die Nahrung so einfach gewesen sei.487 Der Widerstand war jedenfalls nicht groß genug, um den Erfolg des Produktes zu schmälern. Die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Industrie war mindestens seit den 1940er Jahren in der Pädiatrie weniger schlecht angesehen und wurde Simplified Method of Aritficial Feeding used at the Children’s Clinic in Uppsala since 1944, in: Semperarkiv im Centrum för Näringslivshistoria, F1, Volymnr. 1; Nordfeldt, Semper (1964), S. 37. 485 Vgl. Gyllenswärd/Mellander, Förenklad metod (1949), S. 6. 486 Vgl. ebd., S. 6; Thorell/Lind, Barnmatsvinsten (1964), S. 55. 487 Vgl. Nordfeldt, Semper och forskning (1964), S. 37.

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sogar ­teilweise staatlich gewünscht, da aus dieser Kooperation wirtschaftliches Wachstum generiert werden konnte.488 Die Flaschennahrung ging in den 1950er Jahren sowohl in Deutschland als auch in Schweden eine feste Allianz mit der Industrie ein, die sich seitdem nicht mehr lösen sollte. Hatten Kinderärzte noch in den 1930er und 1940er Jahren dazu geraten, die Nahrung für das Kind am besten zu Hause nach einem von ihnen aufgestellten Rezept zuzubereiten, waren nun die Industrieprodukte state of the art. Gegenüber einer eigenständigen Anmischung einer Flaschenmilch, so hoben Pädiatrie und populäre Medien hervor, böten die industriellen Produkte ein hohes Maß an „Sicherheit“ und Hygiene.489 Einen weiteren Vorteil sahen die ExpertInnen darin, dass die Nahrung immer gleich zusammengesetzt war. Sie garantiere damit ein großes Maß an Einheitlichkeit.490 Eine industrielle Flaschennahrung als „sicher“ oder „qualitativ“ hochwertig zu bezeichnen, wäre in den vorherigen Jahrzehnten kaum möglich gewesen, ohne den Verdacht auf sich zu ziehen, verdeckte Werbung für einen Hersteller machen zu wollen. Hier hatte sich die diskursive Einschränkung in den 1950er und 1960er Jahren deutlich verändert und die Grenzen des Sagbaren erweiterten sich. Auch wenn Anspruch und Zusammensetzung in den beiden Ländern sehr unterschiedlich waren, zeitigte die Industrialisierung dennoch den gleichen ­Effekt – zunehmende Akzeptanz von industrieller Flaschenmilch in der Fachwelt und einfachere Zubereitung für die Mütter. Beide Produkte waren zwar nicht revolutionär neu, sondern das Ergebnis langjähriger Forschung, legten aber den Grundstein für weitere Ausdifferenzierungen des Marktes und die kurzfristige Übernahme einer Vormachtstellung der Flasche gegenüber der Brusternährung. In den 1960er Jahren diversifizierte sich der industrielle Flaschennahrungsmarkt stark und eine Reihe unterschiedlicher Produkte von unterschiedlichen Firmen konkurrierte um die Gunst der KonsumentInnen. Die Zusammensetzung bereits bestehender Mischungen änderte sich in diesem Zeitraum, aber es entstanden auch neue Produkte, die dem Vorbild der „humanisierten“ Milch nacheiferten, während die „Einheitsmischung“ an Bedeutung verlor. Vor allem neue Forschungen zum Aufbau des Fettes in der Frauen- und Kuhmilch veränderten die Rezeptur nachhaltig. Fette bestehen aus gesättigten und ungesättigten Fettsäuren, die unterschiedliche Funktionen im Stoffwechsel einnehmen. Dies war schon Ende des 19. Jahrhunderts bekannt, jedoch wurde die Fettanpassung der Frauen- und Kuhmilch zuvor vor allem durch die Regulierung des Wassergehaltes 488 Vgl. Holmberg, Vetenskap , S. 201; SOU 1945:6, S. 15. 489 Vgl. Gyllenswärd, Folkdöd (1966), S. 11. 490 Vgl. Hambræus, Responsibility (1979), S. 118; Nützenadel, Ernährung, S. 208.

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erreicht. Die essentiellen Fettsäuren wurden 1929 zum ersten Mal beschrieben, es fand jedoch bis in die 1950er Jahre keine Angleichung der Säuglingsnahrung aufgrund dieser neuen Erkenntnisse statt.491 In Schweden waren es die Arbeiten von Lars Söderhjelm, die dazu führten, dass BabySemp im Laufe der 1950er Jahre Pflanzenfette zugegeben wurden. Diese verfügten über Fettsäuren, die sich in Muttermilch, aber nicht in Tiermilch fanden.492 In Deutschland wurde diese Forschung von Prof. Werner Droese betrieben, der zunächst die sog. Fett-Öl-­Rezeptur entwickelte und später darauf hinwirkte, dass allen industriellen Flaschennahrungen pflanzliche Fettsäuren hinzugefügt wurden. Der Humana-Formel wurden aufgrund dieser neuen Erkenntnisse ungesättigte Fettsäuren in Form von Linolund Linolensäure beigesetzt.493 Sowohl in Deutschland als auch in Schweden gab es neben Semper und ­Humana weitere Firmen, die Flaschennahrung für Säuglinge industriell produzierten. In Schweden war die Konkurrenz sehr klein. Es gab dort Anfang der 1970er Jahre lediglich vier Hersteller von Säuglingsnahrung. Der einzige ernstzunehmende Konkurrent von Semper war die Firma Findus (Abkürzung für Frukt­ industri, Obstindustrie), die vor allem durch die Produktion von Schokolade und gefrorenem und konserviertem Gemüse zu einem Großunternehmen aufgestiegen war. Über den Umweg der Beikost für Kinder stieg Findus auch in die Produktion von Säuglingsnahrung ein.494 Fast gleichzeitig mit Semper ging Findus mit einem sog. välling, einer Flaschennahrung für ältere Kinder, der Mehl zugesetzt wurde, um 1950 auf den Markt.495 In den 1950er Jahren fand im Stockholmer Kinderkrankenhaus Samariten eine Versuchsreihe mit einer von Findus entwickelten 491 Carpenter, Short History (1912 – 1944), S. 3029; ders., Short History (1945 – 1985), S. 3337; Hansen u. a., Role of Linoleic Acid (1962). 492 Söderhjelm, Fat Absorption Studies in Children. Part I (1952); ders., Fat Absorption Studies in Children. Part  II (1952); ders., Fat Absorption Studies in Children. Part  III (1952); vgl. Droese/Stolley, Künstliche Ernährung (1965), S. 550; Gyllenswärd, Spädbarnsuppfödningen (1966), S. 15; Krasselt/Scherbaum/Tönz, Muttermilch-Ersatzprodukte, S. 19 f.; Nordfeldt, Semper och forskning (1964), S. 41; Reichert, Säuglingsernährung (1969), S. 6. 493 Vgl. Gholamiasllari, Geschichte (1975), S. 43; Manz, Institutionalisierte Wissenschaft, S. 1; Wachtel, Ernährung (1990), S. 151. 494 Vgl. Fagerfjäll, Semper, S. 9; Heer, Weltgeschehen, S. 248; Hirdman/Lundberg/Björkman, Historia, S. 582. 495 Im Schwedischen wird zwischen den Produkten modersmjölkersättning (Muttermilchersatznahrung) für Neugeborene und während der ersten vier bis sechs Lebensmonate, tillägg ­(Ergänzungsnahrung), als Beinahrung zur Muttermilch und välling (Mehlsuppe) unterschieden, das gehaltvoller und daher für ältere Kinder vorgesehen war. Im populären Diskurs wurden diese Begriffe allerdings teilweise vermischt und välling als allgemeiner Begriff für Flaschennahrung für Säuglinge verwendet.

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Flaschennahrung statt. Das fertige Produkt kam unter dem Namen Milkotal auf den Markt. Diese wurde ebenfalls als „humanisierte“ Säuglingsmilch in der Fachzeitschrift für Hebammen beworben. Dieser eindrückliche Begriff hatte sich für komplexe, industrielle Flaschennahrung in beiden Ländern etabliert, denn er suggerierte eine größere Nähe zur Muttermilch.496 Im Jahr 1962 wurde Findus durch Nestlé übernommen und verkaufte seitdem auch die Nestlé-Produkte ­Pelargon und Lemonlac.497 In Schweden differenzierte sich das Angebot der einzelnen Marken in den 1960er Jahren zunehmend aus. Schon wenige Jahre nach der Einführung von ­BabySemp wurde die kaseinangereicherte Milchnahrung Gede von Semper auf den Markt gebracht, die vor allem für Ernährungsstörungen und nicht für die dauerhafte Verwendung gedacht war und auch nur in Apotheken verkauft wurde.498 In den 1960er Jahren brachte Semper, entgegen der ursprünglichen Vorstellung von Gyllenswärd, eine „Einheitsmischung“ zu finden, verschiedene weitere Produkte auf den Markt, wie etwa eine spezielle Nahrung, die zur sog. Zwiemilchernährung genutzt wurde, wenn das Kind sowohl Muttermilch als auch Flaschenmilch ­bekam.499 Semper und Findus hatten zu diesem Zeitpunkt ein Angebot, das kaum zu unterscheiden war und laut Untersuchungen der schwedischen Elternzeitschrift Vi Föräldrar in Kooperation mit Kinderärzten keine qualitativen Unterschiede aufwies. Die Zeitschrift beklagte allerdings die dadurch entstehende Unübersichtlichkeit des Angebotes und befürchtete Schwierigkeiten für Mütter, die verschiedenen Produkte richtig zu verwenden – auch dies stand im Widerspruch zu Gyllenswärds ursprünglicher Vision.500 Wichtig ist an dieser Stelle jedoch festzuhalten, dass die Produkte eher positiv bewertet wurden. ­Anders als in den vorherigen Jahrzehnten, als solche Produktvergleiche höchstens das „kleinere Übel“ herausstellen konnten, gab es in jedem dieser Artikel eine klare Aufwertung der Muttermilch, es fand aber keine generelle Abwertung der Flaschenmilchprodukte statt.501 496 Vgl. Högberg/Öberg, Utställningen, S. 41; Werbung, Milkotal, Varför rekommendera Milkotal? Därför att Milkotal är en humaniserad spädbarnsmjölk, in: Jordemodern (1962), S. 627. 497 Vgl. Heer, Weltgeschehen, S. 248 f.; Hultman/Naglo, Flaskan (1968), S. 74. Pelargon wurde in Schweden noch bis mindestens 1975 als Heilnahrung verkauft, vgl. Vastad, Vi granskar modersmjölksersättningar (1975), S. 46 f. In Deutschland habe ich seit den 1970er Jahren keine Nachweise dieses Produktes gefunden. 498 Vgl. Gyllenswärd/Mellander/Söderhjelm, Kaseintorrmjölk (1953), S. 84; Gyllenswärd, Baby­ tillägg (1954), S. 1965; Werbung, GEDE Näringspreparat, in: Jordemodern (1952), S. 301. 499 Gyllenswärd, Babytillägg (1954), S. 1966. 500 Vgl. Hultman/Naglo, Flaskan (1968), S. 42 f. 501 von Schenck, Mammning (1968), S. 73. Vgl. auch: dies., Mammas mjölk (1970); Vastad, Vi granskar modersmjölksersättningar (1975), S. 46 f.

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In Deutschland sah der Markt deutlich anders aus. Hier gab es eine Reihe verschiedener Herstellerfirmen, die größtenteils bereits vor der Wende zur „humanisierten“ Milch Flaschennahrung industriell produziert hatten. Ich konzentriere mich hier lediglich auf die fünf größten Hersteller, auch wenn es noch viele weitere gab.502 Das sind vor allem Nestlé, Humana, Alete, Hipp 503 und Milupa.504 Diese Marken passten sich immer wieder erfolgreich Veränderungen der Nahrungsforschung an. Nestlé und Alete, deren wichtigste Produkte Säuremilchen waren, mussten sich spätestens in den 1960er Jahren der Überlegenheit der „humanisierten“ Milch ­geschlagen geben. Nestlé brachte zu Beginn der 1960er Jahre Nan für jüngere und Nestlé Beba für ältere Säuglinge auf den Markt. Beide Nahrungen waren sowohl in pulverisierter als auch in flüssiger Form erhältlich.505 Alete machte mit adaptierter flüssiger Nahrung, Aletana, in der ersten Hälfte der 1960er Jahre auf sich aufmerksam, die noch einfacher zuzubereiten sein sollte als die Pulvermilch der anderen Hersteller.506 Seit Beginn der 1960er Jahre brachten Firmen wie Humana, Nestlé und Semper mehrstufige Ernährungssysteme auf den Markt, meistens mit einem Produkt speziell für den ersten Monat und weiteren Produkten für spätere Lebensmonate, die entsprechend reicher an Kalorien waren und anders zusammengesetzte Nährstoffe enthielten. Die Ernährungsforschung hatte ergeben, dass sich die Zusam­ mensetzung der Muttermilch während der ersten Wochen und Monate veränderte, genau wie sich auch die Nahrungsbedürfnisse des Säuglings veränderten.507 502 Für einen guten Überblick vgl. Gholamiasllari, Geschichte (1975); Reichert, Säuglingsernährung (1969); Witte, Vergleichende Werbeaussagen (1969). 503 Die Firma Hipp war bereits Ende des 19. Jahrhunderts in Pfaffenhofen gegründet worden und brachte 1933 ein Kindermehl heraus, das in Süddeutschland sowie Österreich und der Schweiz erste Verkaufserfolge zeigte. Nach dem Krieg verkaufte Hipp zunächst eine Säuremilch, das Citro-Semolin mit Grieß als Kohlenhydratlieferant. Zu Beginn der 1960er Jahre orientierte sich Hipp dann an den neuen Forschungsergebnissen und brachte eine adaptierte Milch in zwei Nahrungsstufen auf den Markt (Hippon 1 und Hippon 2), vgl. Gholamiasllari, Geschichte (1975), S. 65 – 71; Reichert, Säuglingsernährung (1969), S. 120. 504 Milupa wurde 1930 in Hessen gegründet und produzierte die Vollkorn-Zwieback-Nahrung Pauly’s Nährspeise, die 1935 auf den Markt kam. Nach dem Krieg konzentrierte sich Milupa zunächst auf die Produktion von Nährschleimen und stieg 1957 in das Geschäft der Flaschenmilchnahrung ein, mit Nektarmil einer mit Honig gesüßten 2/3-Säuremilch. Diese wurde seit 1962 in zwei Nährstufen angeboten. 1964 kam die Süßmilch Milumil auf den Markt, die das Distinktionsmerkmal hatte, aus Vollkorn hergestellt zu werden. Erst 1968 wurde mit Aptamil eine „humanisierte“ Säuglingsnahrung von Milupa eingeführt. Vgl. Findeiß, Pauly’s Nährspeise (1939); Gholamiasllari, Geschichte (1975), S. 54 ff.; Milupa, Forschung (2008), S. 7. 505 Vgl. Gholamiasllari, Geschichte (1975), S. 32; Reichert, Säuglingsernährung (1969), S. 125. 506 Vgl. Gholamiasllari, Geschichte (1975), S. 38 f.; Werbung, Alete, in: Hörzu (1960), S. 47. 507 Vgl. Droese/Pape/Stolley, Versorgung des Säuglings (1976), S. 59, 63; Droese/Stolley, Spezielle Ernährungsprobleme (1965), S. 512; Humana, 60 Jahre Humana (2011), S. 12; Gholamiasllari,

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Die Säuremilch hatte in den 1950er Jahren zunehmend an Zustimmung verloren. Die Säuerung und der hohe Kaloriengehalt entsprachen nicht mehr dem Kenntnisstand, der die genaue chemische und physiologische Nachbildung der Muttermilch favorisierte. Der US -amerikanische Kinderarzt Emmet Holt hatte die Säuremilch in einem Überblicksartikel über Flaschennahrung im Magazin für Kinderärzte Pediatrics unter den „historischen Reminiszenzen“ einsortiert und ihr damit jegliche Legitimität als moderne Nahrung abgesprochen.508 Ähnlich erging es der Bifidum-Milch. Studien legten in den 1960er Jahren nahe, dass es keinen Einfluss auf die Ernährungserfolge hatte, ob die Nahrung eine solche Darmflora produzierte oder nicht. Dennoch blieben deutsche und schwedische Produkte, die dieses Kennzeichen hatten, noch einige Jahre als spezielle Heilnahrungen in Gebrauch.509 Nicht nur die Flaschennahrung selbst, sondern auch die Verabreichungsinstrumente entwickelten sich in den 1950er und 1960er Jahren weiter. Diese Veränderungen der Flaschen und Sauger lösten jedoch nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges keine hitzigen Diskussionen unter WissenschaftlerInnen oder Verbotsversuche der Politik mehr aus, sondern wurden generell positiv und als Erleichterung beschrieben. Eine Veränderung war die Breithalsflasche, deren größere Öffnung es erlaubte, das Pulver oder die Milchmischung ohne Trichter in die Flasche zu füllen. Diese Flaschen gingen mit der neuen pulverisierten oder flüssigen Form der Nahrung eine ideale Symbiose ein.510 Es gab, wie ein schwedischer Artikel in der Zeitschrift Vi Föräldrar illustriert, ein breites Sortiment an Flaschen aus Glas, auch Jenaer-Glas-Flaschen aus Deutschland. Diese waren besonders günstig, aber hatten als einzige der besprochenen Flaschen keinen breiten Hals. Der Sauger wurde direkt über den Flaschenhals gezogen, was zur Kontamination des Saugers und der Flasche durch dreckige Hände führen konnte.511 Seit den 1960er Jahren gab es zudem erste Plastikflaschen. Plastik war seit den 1950er Jahren ein beliebter Geschichte (1975), S. 43; Jackson/Hanna/Flynn, Requirements (1962), S. 880; Krasselt/ Scherbaum/Tönz, Muttermilch-Ersatzprodukte, S. 19 f.; Nützenadel, Ernährung, S. 208; Reichert, Säuglingsernährung (1969), S. 150. 508 Plenert, Säuremilchen (1965), S. 605, zit. in: Reichert, Säuglingsernährung (1969), S. 61. Vgl. Droese/Stolley, Künstliche Ernährung (1965), S. 563; Gholamiasllari, Geschichte (1975), S. 32; Hering, Problematik (1964), S. 44. 509 Vgl. Droese/Stolley, Künstliche Ernährung (1965), S. 565; Nordfeldt, Semper och forskning (1964), S. 40; Sjölin/Vahlquist, Amning (1960), S. 3545. 510 Vgl. Klebe/Schadewaldt, Gefäße (1955), S. 40; Werbung, Nestlé Breithalsflasche, in: Mitteilungen für Kinderärzte (1955). 511 Vgl. o. A., Vilken flaska är bäst? (1968), S. 75. Basierend auf einem Artikel im schwedischen Äquivalent zum Magazin der Stiftung Warentest, Råd & Rön, o. A., “När kommer den idealiska nappflaskan?” (1967).

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Abb. 11: Welche Flasche ist die beste? – Bewertung von Säuglingsflaschen in Vi Föräldrar (1968).

Grundstoff für Alltagsgegenstände geworden und dieser Trend machte auch vor der Säuglingsnahrung nicht halt.512 Glasflaschen waren jedoch bei ExpertInnen beliebter. Da sie sehr hoch erhitzt werden konnten, galten sie als leichter zu sterilisieren und die Nahrung kühlte in Plastikflaschen schneller ab. Diese wurde in Vi Föräldrar daher erst empfohlen, wenn das Kind groß genug war, um die Flaschen selbst halten zu können (vgl. Abb. 11).513 Trotz der großen Verbesserung der Flaschennahrung wurden immer noch viele Kinder mit Magen-Darm-Infektionen in Krankenhäuser eingeliefert. Ein Grund wurde in der mangelnden Sterilisierung der Sauger und Flaschen gefunden. Die übliche Methode des Auskochens war potentiell sehr zeitaufwendig, weswegen ForscherInnen vermuteten, dass diese Praxis zu Hause teilweise vernachlässigt wurde. Glasflaschen konnten leicht zerbrechen, wenn sie zu lange gekocht und 512 Vgl. Husz, Spara, S. 315; Kleinschmidt, Kunststoffzeitalter, S. 357; Schön, Ekonomisk historia, S. 431 f.; Teuteberg, Rationalisierung, S. 741; Westermann, Plastik. 513 Vgl. o. A., Vilken flaska är bäst? (1968), S. 75.

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dann zu schnell abgekühlt wurden. Daher befürchteten ExpertInnen, dass Mütter – um dieser Gefahr zu entgehen – die Flaschen nicht ausreichend heiß auskochten. Stattdessen versuchten sie Mütter von einer Alternative zu überzeugen: der Sterilisation in einer speziellen Lösung. Dort mussten Flaschen und Sauger lediglich eingelegt und nicht länger ausgekocht werden. Die chemische Sterilisation wurde in den 1980er Jahren in den Elternmagazinen beworben und zur Säuberung der Flaschen empfohlen.514 Die Sauger veränderten sich ebenfalls, erstmals durch die Mitarbeit von ZahnspezialistInnen. Hier machte sich die größere Spezialisierung und Zusammenarbeit verschiedener Disziplinen bemerkbar. Die beiden Zahnmediziner Prof. Dr. Dr. W. Balters und Dr. med. dent. A. Müller entwickelten in den 1950er Jahren die ersten „kiefergerechten“ Sauger.515 Interessant ist hierbei, dass es den beiden Zahnmedizinern nicht vorrangig darum ging, die Saugbewegung an der Mutterbrust zu imitieren, sondern einen Sauger zu entwickeln, der kieferorthopädischen Schädigungen vorbeugte. Der neue Sauger wurde 1956 in einem Artikel der zahnmedizinischen Fachzeitschrift Das deutsche Zahnärzteblatt vorgestellt. Aus Müllers Sicht war es sowohl mit der Flasche „als auch sehr wahrscheinlich an der mütterlichen Brust“ 516 quasi vorprogrammiert, dass sich kieferorthopädische Fehlstellungen ergaben. Das Flaschensaugen mit einem speziell konstruierten Sauger wurde damit aus kieferorthopädischer Sicht geradezu zu einer Ideallösung gegenüber dem Bruststillen. Der von ihm konstruierte Sauger war „der Idealform“ des Säuglingsgaumens nachempfunden und somit der „für den Aufbau eines gesunden Kauorganes notwendige Melkakt der Bruststillung rekonstruiert“.517 Müllers Angaben wurden durch eine einzige Studie an der Universitätsklinik in Leipzig untersucht und bestätigt. Allerdings wurde sie nur an einem Säugling durchgeführt.518 Der natürliche und kiefergerechte Sauger von NUK wurde schnell zu einem empfehlenswerten Standard in Deutschland. Populäre Elternmagazine in Deutschland, wie die Eltern, nahmen diese Erkenntnisse direkt auf und empfahlen die NUK -Sauger, „die so geformt sind, daß der Kiefer nicht verformt 514 Vgl. Harmsen/Gatherer, Hygiene der künstlichen Säuglingsernährung (1968); Holmström, Prylarna (1980), S. 37; o. A., Soll man Fläschchen auskochen oder sterilisieren? (1980), S. 124. 515 Vgl. Herrmann, Orthodontische Flaschensauger (2010), S. 53; Heß, Flaschensauger (2009), S. 1; dies., Neue Erkenntnisse (2010), S. 759 f.; Reichenbach/Taatz, Methoden (1967), S. 340; Schwepper, Klinische Studie (2008), S. 12; Usadel, Kieferorthopädische Prophylaxe (1958), S. 227. 516 Vgl. Müller, Prophylaxe (1956), S. 377. 517 Ebd., S. 387. 518 Vgl. Furtenbach, Prävention (2013), S. 211; Reichenbach/Taatz, Methoden (1967), S. 341.

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wird“.519 In Schweden hingegen waren die NUK -Sauger nicht verbreitet. Hier war es weiterhin die Firma Celvex, die Gummisauger produzierte. Außerdem waren in Schweden Sauger der amerikanischen Firma Johnson-Johnson auf dem Markt.520 Im Bereich der Flaschen und Sauger gab es in Deutschland und Schweden seit den 1950er Jahren ein wachsendes Angebot, das die bessere, sicherere und leichtere Nutzung von Flaschennahrung befördern sollte. Seit Mitte der 1960er Jahre gab es elektrische Flaschenwärmer, mit denen sich die Flasche ohne Zuhilfenahme eines Kochtopfes auf die gewünschte Temperatur bringen ließ.521 Bei Neckermann wurde dieses Gerät als „praktischer Helfer für jede Mutter“ angepriesen.522 Noch einfacher sollten es Baby-Thermosflaschen, Baby-Thermometer-Flaschen und Einwegflaschen machen, das Kind auch unterwegs mit Flaschennahrung versorgen zu können. Die Einwegflaschen wurden mit Plastiktüten befüllt, die im Anschluss entsorgt werden konnten. Ein kaum zu widerlegender Nachteil der Flaschennahrung war, dass sie unterwegs schlecht einsetzbar war. Dafür brauchten Eltern nämlich, trotz der einfacheren Handhabe der industriellen Nahrung, sauberes, warmes Wasser und eine Möglichkeit, die Flasche zu erwärmen. Diese neuen Produkte sollten es möglich machen, Flaschennahrung in der Flasche b­ equem zu transportieren. Flüssige Nahrung wurde ebenfalls als besonders praktisch beworben. Bei einem Praxistest hatten viele Mütter die Anwendung, insbesondere unterwegs, für gut befunden, wollten die Nahrung aber nicht im Alltag zu Hause benutzen.523 So konnte mit den neuen Produkten ein weiterer Nachteil der Flaschennahrung potentiell umgangen werden, was die Flaschennahrung somit möglicherweise attraktiver für Mütter machte. All diese neuen und verbesserten Geräte erleichterten die alltägliche Zubereitung von Flaschenmilch deutlich. Viele der Teilschritte der Zubereitung wurden an die Industrie abgegeben und so war lediglich ein Mischen mit abgekochtem 519 Vgl. o. A., Der zärtliche Einkauf (1966), S. 94. 520 Vgl. u. a. Werbung, Johnson-Johnson, Bröst eller flaska?, in: Vi Föräldrar (1976). 521 Vgl. o. A., Der zärtliche Einkauf (1966), S. 94. Bei Neckermann war der gleiche Flaschenwärmer im gleichen Jahr für 15,90 DM erhältlich, vgl. Neckermann-Baby-Flaschenwärmer, in: Neckermann, Katalog Frühling/Sommer 1966. Für 3 DM zusätzlich konnte das gleiche Modell mit einem Aufsatz für Gläschennahrung erstanden werden. Ein ähnliches Modell gab es auch bei Quelle, vgl. Quelle, Katalog Frühjahr/Sommer 1967, S. 119. Bei diesem Produkt wurde die einfache „Ein-Knopf-Bedienung“ hervorgehoben. 522 Neckermann, Katalog Herbst/Winter 1965/1966, S. 497. 523 Vgl. o. A., Kann ich meiner zehn Wochen alten Tochter schon eine siebenstündige Bahnfahrt zumuten? (1966), S. 37; o. A., Baby-Thermometer-Flasche (1974), S. 171; Werbung, Die absolut unzerbrechliche Thermos-Saugflasche von Chicco, in: Eltern (1980), S. 51. Einwegflaschen wurden in Schweden von den italienischen Firmen Chicco und Infa angeboten, vgl. o. A., Nappflaskor för engsångsbruk, in: Vi Föräldrar (1975).

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Wasser nötig. Selbst das Aufwärmen konnte ohne ständige Beaufsichtigung der Milchmischung mit dem Thermokocher passieren. Allerdings waren die ­Geräte, zumindest zu Beginn, mit erheblichen Kosten verbunden. Der Verzicht auf Mutter­milch war aus dieser Sicht der Ernährung an der Brust immer unterlegen. Daher war die industrielle Flaschennahrung im frühen 20. Jahrhundert vor allem ein Produkt der gehobeneren Gesellschaftsschichten gewesen. Durch die Massenproduktion in den 1940er Jahren wurde sie auch für andere Gesellschaftsschichten erschwinglicher und war außerdem im öffentlichen Raum präsenter durch Veränderungen in der Einzelhandelslandschaft. Mindestens im gleichen Maße wie die bisher dargelegten technischen und ernährungsphysiologischen Erneuerungen wirkte sich der allgemeine Wandel der Konsummöglichkeiten auf die Verbreitung der industriellen Flaschennahrung aus. Eine deutliche Veränderung in der Zugänglichkeit von Säuglingsnahrungs­ produkten brachte die grundlegende Umgestaltung des Einzelhandels seit den 1950er Jahren mit sich. Während Waren zuvor offen verkauft und daher vom Händler abgemessen und abgepackt werden mussten, brachten die Selbstbedienungsläden neue Einkaufspraktiken hervor. Erste Selbstbedienungsläden wurden sowohl in Schweden als auch in Deutschland in Form von Konsumgenossenschaften, die Einkaufen mit einem erziehe­ rischen Ansatz verbanden, schon im frühen 20.  Jahrhundert gegründet. In Schweden war die „konsumentupplysning“ (Konsumentenaufklärung) integraler Bestand­teil der Arbeit der Konsumgenossenschaften. Die Aufklärung orientierte sich dabei an wissenschaftlich erarbeiteten Normen des Bedarfs.524 Im Lebensmittelbereich erlaubten diese Läden den KundInnen zum ersten Mal, jedoch noch in kleinerem Umfang, ihre Ware direkt zu kaufen ohne Verkaufspersonal als Mittler.525 In Schweden nahm die Anzahl der Selbstbedienungsläden und anschlie­ ßend der Supermärkte schon in den frühen 1950er Jahren enorm zu, während diese Trendwende in Deutschland erst Ende des Jahrzehntes einsetzte. Schweden war ein Vorreiter und wies 1960 europaweit den höchsten Selbstbedienungsanteil am Einzelhandel auf.526 5 24 Aléx, Konsumera rätt, S. 113 – 118. 525 Ausführlich zur „Revolution im Einzelhandel“: Langer, Revolution. Vgl. Banken, Schneller Strukturwandel, S. 132 f.; Haupt, Konsument, S. 319; Husz, Spara, S. 301 f.; Jessen/Langer, Transformation, S. 10. Zum Niedergang der Konsumgenossenschaften in Deutschland vgl. Prinz, Ende der Bescheidenheit. 526 Vgl. Banken, Schneller Strukturwandel, S. 132 f.; Husz, Spara, S. 314; Langer, Revolution, S. 2, 85 f.; Lee/Torrell, Packaging, S. 181; Sandgren, Self-service, S. 734 ff. Um von den Erfahrungen im Einzelhandel zu lernen, führten in den 1950er und 1960er Jahren Vertreter des deutschen Einzelhandels diverse Studienreisen nach Schweden durch, vgl. Langer, Revolution, S. 402 – 414.

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Abb. 12: Präsentation von Semper-Produkten im Supermarkt (o. J., ca. 1960er Jahre).

Die Umgestaltung des Ladens zog eine völlige Veränderung der Warenkommunikation nach sich. Während vorher, idealtypisch, die kompetente Hausfrau im Zwiegespräch mit dem Anbieter und durch direkte haptische Prüfung der Produkte die Qualität der Ware überprüfen konnte, musste dieser Kommunikationsprozess nun von einem anderen Medium übernommen werden: der Verpackung (vgl. Abb. 12).527 Die Warenhüllen wurden zu „stillen Verkäufern“, die laut dem Ernährungshistoriker Hans-Jürgen Teuteberg verschiedene Funktionen übernahmen: Kennzeichnung der Ware als Produkt eines bestimmten Herstellers (Identifikationsfunktion), die Unterrichtung des Kunden über den Inhalt, die Qualität, den Preis und die Anwendung beim Verbrauch (Verkaufsfunktion), die Herbeiführung eines Verkaufsentschlusses durch ansprechende äußere Aufmachung (Werbefunktion).528

527 Vgl. Conradson, Sillburkar, S. 13 f.; Jessen/Langer, Transformations, S. 8; Husz, Spara, S. 315; Langer, Revolution, S. 3, 57; Lee/Torrell, Packaging, S. 187 f.; Wildt, Beginn, S. 261. Zur Verpackung aus kunsthistorischer Sicht, vgl. Hine, The Total Package. 528 Teuteberg, Rationalisierung, S. 739.

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Für die Säuglingsernährung sind darüber hinaus die Verwendungsanweisungen auf den Verpackungen von besonderer Bedeutung, da diese beschrieben, wie genau das Produkt zubereitet werden muss, um ungefährlich für das Kind zu sein. Um die richtige Dosierung der Produkte zu garantieren, wurden teilweise Portionierungslöffel mitgeliefert, da die Größen unterschiedlicher Tee- und Speiselöffel sich durchaus unterschieden und somit Dosierungsfehlern besser vorgebeugt werden konnte. Durch diese räumlichen und strukturellen Veränderungen des Verkaufsraumes wurden direkte Veränderungen in der Vermarktung der Produkte herbeigeführt (vgl. Abb. 22 u. 23 in Abschnitt 2.3.3).529 Dem vorherrschenden pädiatrischen Diskurs entsprechend, stellten die Hersteller in ihren Werbeanzeigen die Flaschennahrung als gleichwertige Alter­native zur Muttermilch dar, jedoch nie als besser oder überlegen. In den 1950er Jahren legte etwa die Werbung von Humana den Schwerpunkt auf die technische Innovation der „humanisierten“ Milch 530 und hob hervor, dass sie „[n]ach dem Vorbild der Natur“ hergestellt werde. Nachdem andere Firmen diesem Beispiel gefolgt waren und das Alleinstellungsmerkmal dadurch abhan­dengekommen war, rückte Humana in den 1970er Jahren stattdessen die Sicher­heit seiner Flaschenmilch in den Mittelpunkt. Darüber hinaus setzten die Marken eigene Akzente, um sich von der Konkurrenz abzuheben. Ein Versprechen von Nestlé Beba war z. B. das bessere Durchschlafen des Säuglings – und damit auch seiner Eltern.531 Dies entspricht einer sich veränderten Werbelandschaft insgesamt, die nicht mehr den Gebrauchswert der Waren hervorhob, sondern zunehmend darauf abzielte, „Träume und Sehnsüchte“ hervorzurufen.532 Die Methoden der Werbung beruhten laut der Kunsthistorikerin Gabriele Huster im Wesentlichen darauf, die in der Gesellschaft jeweils vorherrschenden Anschauungen und Bedürfnisdispositionen aufzuspüren und in konsumanreizende Botschaften zu übersetzen. Sie macht Identifikationsangebote mit Hilfe idealtypischer Szenen, die sich an den Wertmustern und Lebensstilen der angepeilten Zielgruppe orientieren.533 529 Vgl. Gardemann, Untersuchungen (1966), S. 30; Semper, Spädbarnsmjölken. Produktinformation från Semper, Stockholm 1965, versch. Seiten, in: Semperarkiv, Ö2, Volymnr 2. 530 Werbung, Humana, Bei Muttermilch-Mangel – Humana Milch, in: Mitteilungen für Kinderärzte (1955), S. 113; Werbung, Humana, Der große Wurf, in: Mitteilungen für Kinderärzte (1957), Cover. 531 Werbung, Nestlé Beba macht viel länger satt, in: Eltern (1974). 532 Haupt, Konsument, S. 317 f. 533 Huster, Frische, S. 14. Vgl. Limper, Säuglingsflasche, S. 451 ff.; Ruppert, Kulturgeschichte, S. 34.

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Dies zeigt sich ebenfalls in Werbeanzeigen für Säuglingsnahrung in Deutschland und Schweden. In Deutschland dominierten Bilder mit Müttern, die ihre Kinder im Arm hielten, also eine stillende Haltung einnahmen. Werbeanzeigen für Säuglingsnahrung mit Vätern konnten nicht gefunden werden, was den Eindruck bestärkt, dass die Mutter ihre zentrale Rolle in der medialen Repräsentation von Säuglingsernährung beibehielt. Die Werbung orientierte sich damit am weiterhin vorherrschenden Mutterschaftsideal der Bundesrepublik. In Schweden wurden hingegen auch Väter mit Kindern abgebildet. Hier lag der Fokus der einzigen beiden Anbieter zudem darauf, im Sinne der gesellschaftlichen Konsumaufklärung die Inhaltsstoffe der Nahrungsmittel genau zu erklären. In den 1970er Jahren gab es z. B. sowohl von Findus als auch Semper verschiedene Werbeanzeigen, die auf die Zuckerfreiheit ihrer Produkte aufmerksam machten. Die Werbeanzeigen reagierten auf zeitspezifische Diskurse und Befürchtungen und versuchten, insgesamt ein Bild der Flaschennahrung zu vermitteln, das sie als sichere Alternative zur Muttermilch darstellte. Werbung, die explizit eine Überlegenheit suggeriert, findet sich hingegen in beiden Ländern nicht.534 Dem „Trommelfeuer der Reklame“ 535 durch die Nahrungsmittelhersteller schrieben StillbefürworterInnen einen nicht geringen Beitrag am Rückgang des Stillens seit Mitte des 20. Jahrhunderts zu. Ob die Werbung tatsächlich überdurchschnittlich zunahm, ist schwierig nachzuvollziehen. In qualitativer Hinsicht lässt sich allerdings ein Unterschied gegenüber der ersten Jahrhunderthälfte festmachen. Die enge Verbindung zu einem einzigen Erfinder mit wissenschaftlich legitimiertem Hintergrund verschwand fast vollständig. Auf diesem diversifizierten Markt war es wichtig, eine Markenidentität zu schaffen, die von potentiellen Kund­Innen direkt mit Qualität und Sicherheit assoziiert wurde. Marken mussten einen hohen Wiedererkennungswert haben, um sich von den anderen Anbietern auf dem „offenen Markt“ des Einzelhandels abzugrenzen.536 Ein Vorreiter bei dieser Art der Verbraucherkommunikation, dem Corporate Design, war eindeutig Henri Nestlé, der schon in der Zeit, als die Nahrung noch offen verkauft wurde, immer das gleiche Symbol (Vogel mit Küken im Nest, in Anlehnung an seinen Familiennamen) auf all seine Produkte gedruckt hatte.537 534 Werbung Findus Välling, in: Vi Föräldrar (1970), S. 2; Werbung, Semper, Hur ni slippar laga välling på semestern, in: Vi Föräldrar (1970); Werbung, Semper, Semestervälling, in: Vi Föräldrar (1975); Werbung Semper Välling, in: Vi Föräldrar (1970), S. 58 f. Vgl. Limper, Säuglingsflasche, S. 462 f. Nähere kunsthistorische Untersuchungen wären wünschenswert, die das Verhältnis von Bild und Text der Werbeanzeigen einordnen. 535 Hering, Problematik (1964), S. 63. Vgl. Scheller, Untersuchungen (1966), S. 6. 536 Vgl. Siegert, Werbung und Konsum, S. 111. 537 Orland, Wissenschaft, S. 299; Vögele/Martin/Rittershaus, Infant Nutrition, S. 135.

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In den 1950er und 1960er Jahren gab es eine große Anzahl verschiedener Säuglingsnahrungsprodukte auf dem bundesdeutschen Markt. Nur diejenigen, die es geschafft haben, eine solche Markenidentität zu schaffen, haben allerdings dem Konkurrenzdruck bis heute standhalten können. Dies sind vor allem Alete, Hipp, Humana, Nestlé und Milupa. Sie waren Anfang der 1990er die größten Hersteller in Deutschland, wobei Alete seit 1971 dem Nestlé-Konzern angehörte. Milupa stieg in den 1980er Jahren zum größten deutschen Hersteller auf.538 Diese Marken hatten ein komplettes Programm im Angebot und passten sich immer wieder erfolgreich Veränderungen der Nahrungsforschung in ihren Werbebildern, aber auch dem jeweils anzusprechenden Publikum an. In Schweden war die Situation durchaus anders, da auf diesem viel kleineren Markt nur zwei Anbieter in Konkurrenz zueinander standen. Erstaunlicherweise sind beide Marken, da sie beide die gleiche rot-weiße Farbskala nutzen, auf den ersten Blick kaum voneinander zu unterscheiden. Die Werbeanzeigen waren teilweise so ähnlich gestaltet, dass es schwierig ist, hier klare Unterschiede oder Akzente im Marketing festzustellen.539 Genuin neu in dieser Phase ist, dass sich der Handlungsspielraum für Mütter erweiterte. Vielfach fanden sich nun Aussagen, die die Wahl einer der Ernährungsmethoden oder die Kombination von Brust- und Flaschennahrung der Mutter überließen. ExpertInnen meinten die „moderne künstliche Ernährung, wie sie in den fortgeschrittenen Industriestaaten üblich geworden ist“, biete keine schlechteren Lebenserwartungen. Muttermilch sei zwar „optimal“, könne aber mittlerweile sehr zuverlässig nachgeahmt werden.540 Dennoch waren sich Kinder­ ärztinnen und Kinderärzte einig darüber, dass die Ernährungserfolge mit der Flasche nicht in jeder Hinsicht denjenigen an der Brust gleichkamen; selbst wenn nicht immer genau gesagt werden konnte, worin genau der Unterschied bestand.541 Eine in Deutschland und Schweden vielzitierte Langzeitstudie von 1959 hatten schwedische Kinderärzte unter Leitung von Olof Mellander durch5 38 Vgl. Aktionsgruppe Babynahrung, Boykott (1984), S. 1; Launer (Hg.), Nestlé (1991), S. 158. 539 So gab es sowohl von Findus als auch von Semper eine Anzeige, die einen nackten Säugling vor einem weißen Hintergrund zeigte. In der Mitte stand ein Slogan – bei Findus „Du kann lita på Findus barnmat“ [Du kannst dich auf Findus Babynahrung verlassen], in: Vi ­Föräldrar (1975), bei Semper „Mata honom inte med konserveringsmedel“ [Ernähre ihn nicht mit Konservierungsstoffen] in: Vi Föräldrar (1976), – unten rechts gab es weiterführende Informationen in schlichter Schrift und das jeweils rot-weiße Logo des Herstellers. Diese Anzeigen waren auf den ersten Blick kaum zu unterscheiden. 540 Reichert, Säuglingsernährung (1969), S. 149 f. 541 Vgl. Harmsen/Gatherer, Hygiene der künstlichen Säuglingsernährung (1968), S. 218; Sjölin/ Vahlquist, Amning (1960), S. 3544; Thorell/Lind, Barnmatsvinsten (1964), S. 55; Torstenson, Sjunkande amningsfrekvensen (1960), S. 2220.

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geführt, um die längerfristigen Auswirkungen der beiden Ernährungsarten auf die kindliche Entwicklung zu untersuchen. Diese sog. Norbotten-Studie kam zu dem Ergebnis: Common experience has shown that with up-to-date methods of feeding with cow’s-milk mixtures, weight gain and growth are comparable with those of the breast-fed infant, and that the general health is satisfactory. This does not necessary mean that the bottle-fed baby is in every respect indistinguishable from the breast-fed, however.542

Worin genau die Unterschiede bestanden, wurde dann seit den 1960er Jahren zunehmend erforscht und dabei von der körperlichen in die seelisch-psychische Dimension übersetzt. Obwohl die Produkte an sich eine größere Validierung innerhalb des Faches erfuhren, gab es seit Mitte der 1960er Jahre, im Rahmen der in beiden Ländern expandierenden Verbraucheraufklärungen, Bestrebungen, die Verbreitung der Flaschennahrung aufzuhalten.543 Zu Beginn der 1960er Jahre führte Deutschland die Diätverordnung ein, die zur Überprüfung der Flaschennahrung herangezogen werden konnte. Zuvor hatte die Flaschennahrung keiner besonderen bakteriologisch-hygienischen Überprüfung unterlegen, da sie nicht zu den Lebensmitteln, sondern den pharmazeutischen Produkten gehörte.544 Auf Grundlage dieser Verordnung wurden die Höchstwerte für Zusatzstoffe und Rückstände von Pflanzenschutzmitteln sowie des Bakteriengehalts geregelt. Es wurde jedoch nicht festgehalten, wie genau industrielle Flaschennahrung für Säuglinge zusammengesetzt werden musste.545 542 Mellander u. a., Breastfeeding (1959), S. 8. Die Ergebnisse wurden u. a. zitiert in: Sager, Ernäh­rung (1965), S. 548; Droese/Stolley, Die künstliche Ernährung (1965), S. 518; Gleiss, Soziologische Untersuchungen (1960), S. 152; Gardemann, Untersuchungen (1966), S. 9. 543 Troschke, Untersuchungen (1961); Hering, Problematik (1964); Scheller, Untersuchungen (1966); Gardemann, Untersuchungen (1966); Witte, Vergleichende Werbeaussagen (1969). Ausdruck dieser Expansion waren die Gründung der Stiftung Warentest in der BRD und die Herausgabe des gleichnamigen Heftes, das auf Grundlage des Vergleichs verschiedener Produkte versuchte, objektivierbare Verbraucherentscheidungen herbeizuführen. In Schweden wurde seit 1957 das Magazin Råd & Rön vom Konsumentinstitutet herausgegeben. Råd & Rön war eine Aufklärungsschrift über Konsumprodukte und deren Gebrauch. Vgl. Aléx, Konsumera rätt, S. 141 – 150; Elsässer, Skapa en konsument, S. 71 ff; Rick, Verbraucherpolitik; ders., Gründung der Stiftung Warentest; ders., Verbraucherpolitik in der Bundesrepublik Deutschland. 544 Vgl. Gardemann, Untersuchungen (1966), S. 27; Krasselt/Scherbaum/Tönz, MuttermilchErsatzprodukte, S. 23. 545 Vgl. Verordnung über diätetische Lebensmittel vom 20. Juni 1963, in: Bundesgesetzblatt (1963), S. 417 f. Zur Geschichte der Lebensmittelregulierung, vgl. Stoff, Wissenschaftsgeschichte der Hormone, S. 309 – 322; ders., Gift in der Nahrung.

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Des Weiteren gründeten Dortmunder Bürgerinnen und Bürger auf Initiative von Prof. Heinrich Kraut und Prof. Werner Droese 1964 einen Verein zur Erforschung der Kindernahrung, der heute als Forschungsinstitut für Kinderernährung e. V. (FKE ) besteht, und sowohl durch Landes- als auch Bundesmittel gefördert wurde.546 Dieses Institut wurde ein wichtiger Akteur in der Analyse und Bewertung von Säuglings- und Kinderernährung in der Bundesrepublik und mischte sich immer wieder in den öffentlichen Diskurs um Gesundheit und Ernährung ein. Nicht zuletzt durch die Arbeit Droeses wurde in den 1970er Jahren der Begriff der „humanisierten“ Milch in Deutschland vom Begriff der „adaptierten“ Milch abgelöst, wobei weiter zwischen „(voll)adaptierter“ und „teiladaptierter“ Milch unterschieden wurde.547 Die neue Typologisierung wurde 1974 prominent in der Monatsschrift für Kinderheilkunde veröffentlicht und zwar im Namen der 1956 eingesetzten Ernährungskommission der Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde.548 In Schweden gingen die Einhegungsversuche von Flaschenmilchprodukten noch einen Schritt weiter. In den 1960er Jahren kam die Werbung ins Visier staatlicher und öffentlicher Akteure, da sie als eine potentielle Gefahr für ein rationelles Konsumverhalten und als Verzerrung des Wettbewerbs verstanden wurde.549 Mit dem expliziten Ziel, die Werbung für Flaschennahrung einzuschränken, verfassten schwedische Kinderärzte 1964 einen „ethischen Werbekodex“ für die Herstellerfirmen im eigenen Land.550 Laut diesem Kodex durfte die Werbung nur in Übereinstimmung mit den Vorgaben der medizinischen Fachberater der Firma geschehen, sie sollte außerdem nie direkt an die KonsumentInnen gerichtet sein oder gar, in Form von Proben oder Flyern, an sie verschickt werden.551 Dieser 546 Vgl. Koletzko, 50 Jahre, S. 599. Heute als Forschungsdepartment Kindernährung (FKE ) am Katholischen Klinikum Bochum angesiedelt. Eine nähere Erforschung dieses Institutes wäre ebenfalls wünschenswert, kann aber im Rahmen dieser Dissertation nicht geleistet werden. 547 Vgl. Deutsche Gesellschaft für Kinderheilkunde Ernährungskommission, Einteilung der Säuglingsmilchnahrungen auf Kuhmilcheiweißbasis (1974), S. 761. Zwei Jahre später unternahmen die US -amerikanischen Ärzte ebenfalls eine solche Standardisierung, in der sie auch einen Aufruf zum Stillen verankerten: vgl. Committee on Nutrition, Commentary on BreastFeeding (1976). 548 Droese/Stolley, Kritische Bemerkungen (1973/1974), S. 5. 549 Aléx, Konsumera rätt, S. 144. 550 Eine leicht erweiterte Version diese Kodex wurde 1977 im Zuge der Diskussion um die Marketingstrategien „westlicher“ Nahrungsmittelhersteller im Globalen Süden in der Acta Paedatrica veröffentlicht und mit einem Editorial-Beitrag eingeführt. Vgl. o. A., Editorial. A Swedish Code of Ethics (1977), S. 129 – 132; Gyllenswärd u. a., Medical Standards (1977), S. 131 f. Vgl. Hambræus, Responsibility (1979), S. 119. 551 Gyllenswärd u. a., Medical Standards (1977), S. 131 f.

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Kodex erklärt, warum im schwedischen Elternmagazin Vi Föräldrar nur Werbung für die Folgenahrung välling zu finden war, jedoch keine für Anfangsnahrung. Über diese Produkte wurde lediglich in Artikeln aufgeklärt, die in Absprache mit einem Kinderarzt formuliert worden waren. In Ernährungstabellen, die für die Allgemeinheit bestimmt waren, durfte für Kinder unter vier Monaten nur Muttermilch als „the main component of the meals“ angegeben werden. Ein Kommentar konnte aber darauf hinweisen, dass die BVC über „appropriate substitutes in cases where breast milk is deficient or lacking“ aufklärte.552 Damit wurde den Müttern und anderen KonsumentInnen der Eindruck vermittelt, dass alle anderen Ernährungsformen außer der Muttermilch in den ersten vier Monaten nicht statthaft waren. Die Beschriftung der Verpackungen wurde jedoch nicht reguliert, weswegen Müttern nicht jede Möglichkeit genommen wurde, sich selbst über die Zusammensetzung der Flaschennahrung für Säuglinge unter vier Monaten zu informieren. Während sich die Wahlmöglichkeiten für Mütter ausweiteten, wurde der Zugang zu Informationen nun erneut beschränkt. Dies gibt die ambivalente Haltung der schwedischen Pädiatrie gegenüber der Flaschennahrung gut wieder: Zum einen wollte man Mütter nicht unnötig belasten, wenn diese nicht genügend Milch hatten, andererseits beschränkte man aber auch ihren Zugang zu den – in der Fachwelt als adäquat befundenen – Flaschennahrungsprodukten. Eine direkte Korrelation zwischen der Verbreitung der industriellen Flaschennahrung und diesen Veränderungen in der Werbekommunikation der Produkte ist trotzdem schwierig nachzuweisen. Es wird jedoch deutlich, dass die Produkte nun einfacher in den Alltag gelangten und einfacher zugänglich waren.553 Insgesamt führten die neuen Verkaufsräume und Werbebotschaften zu einer Stabilisierung und Normalisierung des Akteurs-Netzwerkes der Flaschennahrung seit Mitte des 20. Jahrhunderts, die dazu führte, dass mehr Kinder auf diese Weise ernährt wurden. 1.4.3 Neue Nutzungsräume der Flaschennahrung im Krankenhaus

Die Zunahme der Krankenhausgeburten war ein prominenter Erklärungsgrund für den Rückgang des Stillens nach 1945. In Schweden war die Zahl der Kranken­ hausgeburten bereits seit den 1930er Jahren stark angestiegen. Zu Beginn des Jahrhunderts fanden noch 80 % der Geburten zu Hause statt, doch schon in den 552 Ebd., S. 132. 553 Auf den Verkauf dieser Produkte im Versandhandel kann ich an dieser Stelle ebenfalls nicht eingehen. Recherchen im Archiv des Hauses der Geschichte in Bonn haben jedoch ergeben, dass zumindest das Zubehör, also Säuglingsflaschen und Sauger, bei Otto etc. verkauft wurden.

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1920er Jahren bekamen, zumindest in den größeren Städten, 80 % der Frauen ihre Kinder in privaten oder öffentlichen Geburtseinrichtungen. Nachdem 1938 staatliche Gelder für den Ausbau der Geburtsstationen bereitgestellt worden waren, stiegen die Zahlen noch weiter, 1950 wurden bereits 94 % aller Kinder im Krankenhaus geboren. Anders als in anderen Ländern wurden die Hebammen nicht durch diese Entwicklung aus ihrem Kompetenzbereich ausgeschlossen, sondern zum Bestandteil der neuen Entbindungsanstalten. Der Ausbau in Deutschland begann erst Mitte der 1940er Jahre und stieg in den 1950er Jahren drastisch an.554 Die zunehmende Verbreitung von Klinikgeburten hing mit der Veränderung der Todesursachen von Säuglingen zusammen. Anteilsmäßig starben mehr Säuglinge sehr kurz nach der Geburt, was auf Probleme während der Niederkunft zurückgeführt wurde.555 Ein Weg, um diesen Umstand in Deutschland zu verbessern, waren der Ausbau und die Förderung von Krankenhausgeburten, die eine bessere postnatale Versorgung garantieren sollten. Sowohl zeitgenössisch als auch rückblickend finden sich drei Erklärungsmuster für den Zusammenhang zwischen dem Rückgang der Stillquote und der Zunahme der Krankenhausgeburten: 1) Werbung von Flaschennahrungsherstellern in den Kliniken, 2) mangelnde Unterstützung „stillwilliger“ Mütter durch das Klinikpersonal, 3) Trennung von Mutter und Kind sowie das starre Stillschema, das den Aufbau einer Stillbeziehung zwischen Mutter und Kind verhinderte.556 Diese drei Faktoren sollen im Folgenden untersucht und auf ihre Bedeutung für die Normalisierung der Flaschennahrung seit Mitte des 20. Jahrhunderts hin geprüft werden. Es ist schwierig, Belege dafür zu finden, wie genau die Werbung für Flaschennahrung in Kliniken vonstattenging. Ehemalige Krankenschwestern berichteten, dass Probepäckchen in den Kinderabteilungen der Krankenhäuser verteilt wurden und es nicht ungewöhnlich war, wenn das Personal die Produkte bei Säuglingen ausprobierte, bevor sie nach Hause entlassen wurden, um zu überprüfen, 554 Vgl. Lindner, Gesundheitspolitik, S. 425; Milton, Barnmorskor, S. 307; Ohrlander, Barnet fick en kropp, S. 18; Thoms, Säuglingssterblichkeit, S. 67; Vallgårda, Hospitalization of Deliveries; Wisselgren, Att föda barn, S. 10. 555 Vgl. Bickenbach, Säuglingsfrühsterblickeit (1955); Gleiss, Ursachen und Vorbeugung (1966), S. 1113; Gyllenswärd, Folkdöd (1966), S. 11; Lichtenstein, Nativitet (1945), S. 843 f.; Lindner, Gesundheitspolitik, S. 419; Sandberg/Elander, Pediatrik (1993), S. 1 f. 556 Vgl. Dykes/Flacking, Breastfeeding (2010), S. 734; Gleiss, Ursachen und Vorbeugung (1966), S. 1123; Heininger, Wandel, S. 63; Hering, Problematik (1964), S. 68 f.; Hofvander/Sjölin, Breast Feeding Trends (1979), S. 124. Daneben gab es seit den 1950er Jahren in den Kliniken eine erhöhte Anzahl von Brustdrüsenentzündungen, die ebenfalls zu einem früheren Abstillen führen konnten. Vgl. Ende, Geschichte (1979), S. 211; Heininger, Wandel, S. 63.

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ob die Kinder die Produkte vertrugen.557 Laut dem schwedischen Kinderarzt Torstenson bekamen Mütter bei der Entlassung ein Rezept für Flaschenmilch, was er als „Grundursache“ der sinkenden Stillfrequenz betrachtete, da diese Geste ein „direktes Misstrauen“ gegenüber der Stillfähigkeit der Mutter zum Ausdruck brachte.558 Die deutschen Fachpublikationen führten selten näher aus, wie genau die Werbung in Kliniken funktionierte und welche Akteure hier genau miteinander kooperierten. Insgesamt ist es auf Basis des vorliegenden Quellenmaterials schwierig einzuschätzen, wie sehr das Krankenhaus von Werbeartikeln durchdrungen war – die Bedenken müssen jedoch als ein Faktor für die Verbreitung von Flaschennahrung ernst genommen werden.559 Ein weiterer Erklärungsgrund ist, dass sich die Krankenhausabläufe und die Einstellung des Personals zum Stillen ungünstig auf die initiale Stillbeziehung zwischen Mutter und Säugling auswirkten. Sowohl zeitgenössische Akteurinnen und Akteure als auch MedizinhistorikerInnen in Deutschland und Schweden waren sich darüber einig, dass die Anleitung durch Ärzte und Hebammen zum Stillen nicht ausreichend oder fehlerhaft war.560 Das medizinisch-pflegerische Personal erwartete geradezu, wie viele Quellen betonen, dass Mütter nicht stillen konnten. Daher gab es sich keine besondere Mühe, Mütter zu animieren, es weiter zu probieren, wenn erste Versuche gescheitert waren.561 Diese Einstellung des medizinischen Fachpersonals führte dann dazu, dass Mütter nie die Gewissheit und Überzeugung erhielten, überhaupt stillen zu können. Die Überzeugung, stillen zu können, war jedoch aus psychologischer Sicht besonders wichtig, um

557 Vgl. Baer/Marguiles, Infant and Young Child Feeding (1980), S. 73; Hering, Problematik (1964), S. 68 f.; Scheller, Untersuchungen (1966), S. 6; Stenhammar u. a., Mjölkdroppen, S. 110 f., 137 f.; Torstenson, Sjunkande amningsfrekvensen (1960), S. 2248; Vahlquist, Evolution (1975), S. 15. 558 Torstenson, Sjunkande amningsfrekvensen (1960), S. 2248. 559 Hier wäre eine genauere Forschung wünschenswert. Da meine Arbeit ihren Blick jedoch vor allem auf das häusliche Milieu der Eltern richtet (vgl. Kapitel 3), wird dieser Bereich nicht weiter systematisch verfolgt. 560 Vgl. Baer/Marguiles, Infant and Young Child Feeding (1980), S. 73; Haraldson, Är amning omodern? (1950), S. 2889; Heininger, Wandel, S. 66; Hering, Problematik (1964), S. 63; Lithell, Små barn, S. 116; Thoms, Säuglingssterblichkeit, S. 67; Troschke, Untersuchungen (1961), S. 25; Vahlquist, Evolution (1975), S. 15. Noch in den 1980er und 1990er Jahren wurde darüber berichtet, dass Firmen Werbung auf Geburtsstationen machten. 1982 – 1983 führte die NGO Terres des hommes eine Aktion durch, in der sie Gratisproben von Herstellern aus Krankenhäusern sammelte, die sie im März 1983 an Abgeordnete des deutschen Bundestages übergeben wollte, vgl. Aktionsgruppe Babynahrung, Boykott (1984), S. 15, 27. 561 Vgl. Heininger, Wandel, S. 74; Starck-Romanus, “Är amning omodern?” (1950), S. 3028; Stenhammar u. a., Mjölkdroppen, S. 129.

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eine ­erfolgreiche Stillbeziehung zu schaffen.562 Die Flaschennahrung hatte sich also auch beim Klinikpersonal als legitime und einfachere Alternative zum Stillen durchgesetzt, nachdem unter medizinisch-pflegerischem Fachpersonal jahrzehntelang große Skepsis gegenüber der Flasche geherrscht hatte. In den neuen strukturierten Krankenhausabläufen war die Flasche wohl praktischer zu handhaben und aufgrund der höheren Qualität der Ernährung auch weniger gefährlich. Während sich die Brust häufig als eigensinnig darstellte, versprach die Flasche eine konstante Ernährung bei gleichbleibender Qualität. Die räumlichen Strukturen des Krankenhauses waren, folgt man kritischen Stimmen, dem Stillen ebenfalls abträglich. Aus hygienischen und bakteriologischen Gründen war die Trennung von Mutter und Kind zu Beginn des Jahrhunderts durchgesetzt und in den kommenden Jahren beim Aufbau neuer Geburtsstationen weitergeführt worden. Durch die Trennung sollte die Ansteckungsgefahr für den Säugling möglichst gering gehalten werden.563 Zu Beginn der 1950er Jahre begannen erste Krankenhäuser und Entbindungsstationen in den USA neue Modelle auszuprobieren, indem sie Säuglinge und Mütter im gleichen Raum unterbrachten, was unter dem englischen Namen Rooming-in in Deutschland und Schweden bekannt wurde. Rooming-in wurde in Europa in den 1960er Jahren ein neues Schlagwort. Mit dem Konzept beschäftigten sich in beiden Ländern verschiedene Akteure in der Kinderheilkunde, da man sich durch diese Unterbringungsart erhoffte, die Stillquote erhöhen zu können, wie einige erste Studien prognostiziert hatten.564 Erste Anwendung fand das amerikanische Konzept bei einer Studie des Gynäkologen K. Cretius in der Universitäts-Frauenklinik in Mainz. Zwei Zimmer der Station waren in Rooming-in-Zimmer umgewandelt worden. In diesen Zimmern wurde darüber hinaus Stillen nach Bedarf durchgeführt anstatt nach Schema (s. u.). Beides wirkte sich, laut Cretius, positiv auf den Säugling aus. Er kam jedoch zu dem Schluss, dass diese Art der Unterbringung nicht für jede Mutter geeignet war, insbesondere bei Erstgebärenden. Die Maßnahme sei daher zwar empfehlenswert, den Umbau einer gesamten Wochenstation hielt er aber für unzweckmäßig.565 562 Vgl. Cretius, Gemeinsame Unterbringung (1955), S. 717; Reuss, Stillförderung (1951), S. 64; Sjölin/Vahlquist, Amning (1960), S. 3543. 563 Vgl. CA , Amningen, S. 325; Heininger, Wandel, S. 33 f.; Hellbrügge, Waisenkinder (1960), S. 71; Hering, Problematik (1964), S. 63. 564 Vgl. Bergström Walan, Amningspsykoser (1964); Thoms/Jackson, Rooming in (1948); McBryde, Compulsory Rooming-in (1951); Diskussion auf dem Treffen des Schwedischen Gynäkologenbundes, Beitrag von Gösta Sundelin, S. 587; Astrid Andersson, S. 591, in: o. A., Mödrarvårdens framtid (1962); Hellbrügge, Problematik (1966), S. 398 f.; Tilli, Stillfrequenz, S. 59. 565 Vgl. Cretius, Gemeinsame Unterbringung (1955).

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In Schweden wurde Rooming-in seit 1966 vom Professor für Pädiatrie in Stockholm, John Lind, untersucht. Die finanzielle Unterstützung für dieses Forschungsprojekt erhielt er vom Verein Mjölkdroppen.566 Nach acht Jahren Forschung an einer Geburtsklinik im Süden Stockholms präsentierte John Lind seine Ergebnisse auf einem Symposium, das von Semper ausgerichtet wurde. „Unsere Untersuchung hat also unzweideutig gezeigt, dass das Rooming-In-System in der Geburtsklinik die Stillfrequenz erhöht“, erklärte er dort.567 Die Ausbreitung dieser Praxis sollte sowohl in Schweden als auch in Deutschland noch einige Jahre dauern. Es gab zwar bei einigen AkteurInnen bereits eine große Bereitschaft dieses System zu ermöglichen, aber die räumlichen Voraussetzungen mussten erst noch geschaffen werden.568 In den Studien zum Rooming-in wurde außerdem eine neue Form der Ernäh­ rung ausprobiert, die zunächst unter dem englischen Begriff „feeding on demand“ (Ernähren nach Bedarf ) beschrieben wurde. Aufgrund der räumlichen Trennung und in Übereinstimmung mit der gängigen Lehrmeinung seit Beginn des 20. Jahrhunderts (nach Czerny/Keller, vgl. 1.2.2) wurde der Säugling immer nur zu bestimmten Zeiten ans Bett der Mutter gebracht, damit sie ihn stillen konnte. Danach brachte das Krankenhauspersonal das Kind zurück in ein spezielles Säuglingszimmer.569 Es hatte zwar schon in den 1920er und 1930er Jahren vereinzelt Stimmen gegeben, die das Stillen nach Schema kritisierten oder Zugeständnisse machen wollten, u. a. auch von einflussreichen Pädiatern wie Heinrich ­Finckelstein und Georg Bessau. Diese Kritik stieß jedoch bis Mitte der 1940er Jahren nur selten auf Gehör.570 Eine besonders einflussreiche Stimme, die sich für das Stillen nach Bedarf in Skandinavien einsetzte, war die des dänischen Kinderarztes Svenn Monrad. Dieser hatte 1941 in Kooperation mit dem Schweden Adolf Lichtenstein und dem Norweger Theodor Frølich das erste gemeinsame Nordische Lehrbuch der Pädiatrie verfasst. In diesem Lehrbuch sprach sich Monrad gegen die starre ­Einhaltung 566 Nachdem die Mjölkdroppar durch die modernen BVC ersetzt worden waren, hatte sich ein Förderverein gegründet, der Gelder für pädiatrische Forschung bereitstellte. Lind hatte auch Gelder beantragt, um zu untersuchen, wie Väter besser in die Säuglingspflege einbezogen werden können. Diese wurden ihm jedoch nicht bewilligt. 567 Zit. in: Stenhammar u. a., Mjölkdroppen, S. 121 f. Vgl. Lind, Rooming-in (1965). 568 Teilweise wurden beide Möglichkeiten angeboten. Vgl. Lind, Familjens födsel (1975), S. 298; Walter, Umfrage bei den Wöchnerinnen (1979), S. 347. 569 Vgl. Bensel/Haug-Schnabel, Wendepunkt Geburt (1997), S. 299; Cretius, Gemeinsame Unterbringung (1955), S. 714; Ende, Geschichte (1979), S. 211; Lithell, Små barn, S. 116. 570 Vgl. Dill, Nationalsozialistische Säuglingspflege, S. 25 – 27; Reuss, Sehnsucht des Praktikers (1942), S. 173; ders., Frage der einheitlichen Säuglingsernährung (1944), S. 112 f.; Wickes, History of Infant Feeding V, S. 501.

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eines Ernährungsschemas aus. Er gestand zwar zu, dass es für die Mutter eine Entlastung sei, die Nahrung in bestimmten Abständen zu geben. Man könne aber auch nicht bestreiten, dass für zahlreiche Kinder diese „schablonenmäßige“ Ernährung nicht ausreichend sei. Das Schema sollte daher „individualisiert“ werden.571 In Bezug auf die Flaschennahrung war der dänische Autor der Meinung, man müsste mit Bestimmtheit Abstand von dem 5-Mahlzeiten-Schema für alle Kinder nehmen, da nicht alle Kinder nach diesem Schema gediehen. Es sollte vielmehr lediglich festgelegt werden, wie viel Nahrung das Kind über den gesamten Tag bekommen sollte. Die Ernährung des Flaschenkindes wurde von ihm zudem als weniger kompliziert dargestellt als in den vorherigen Jahrzehnten, und auch in der Ernährungspraxis stärker gleichgestellt.572 Monrad war zwar eine anerkannte Autorität und seine Ansicht verbreitete sich durch die Veröffentlichung des Lehrbuches, sie stellte in den 1940er Jahren jedoch in Skandinavien eine Ausnahme dar. Erfolgreicher waren die US -amerikanischen Veröffentlichungen der 1940er Jahre, die zunächst in Schweden, dann auch in Deutschland, zwar mit einiger Verzögerung, aber mit Nachdruck rezipiert wurden.573 Verschiedene deutsche und schwedische Kinderärzte sprachen sich dann seit Beginn der 1960er Jahre dafür aus, die Stillbeziehung im Krankenhaus zu individualisieren, um Krankheiten und Stillproblemen vorzubeugen. Studien in den eigenen Kliniken hatten gezeigt, dass die Stillfrequenz der Mütter höher war, wenn sie schon in der Klinik nicht nach einem festgelegten Schema stillten. Die Frage, wie lange Frauen in der Klinik bleiben sollten, um ein optimales Stillverhältnis zum Kind aufzubauen, bzw. eine Bindung, wurde ebenfalls diskutiert. Zudem sollten Frauen auf die besonders prekäre Übergangsphase zwischen der Zeit im Krankenhaus und den ersten Wochen zu Hause besser vorbereitet werden, da hier häufig Probleme auftraten und die Milch zunächst zurückging.574 Auch wenn in den 1960ern die akademische Pädiatrie vermehrt das Stillen nach Bedarf befürwortete, hielten sich die Geburtsstationen in Deutschland und Schweden an die strengen Ernährungsregeln. Die Übersetzung von Theorien in die Praxis dauerte häufig mehrere Jahre, eher noch Jahrzehnte. In solch l­ anglebigen 571 Monard, Barn (1945), S. 33 (Hervorh. im Org.). 572 Vgl. ebd., S. 47. 573 Vgl. Wickes, History of Infant Feeding V, S. 501. Anderson Aldrich/Hewitt, Self-Regulating Feeding Program (1947); Simsarian/McLendon, Feeding Behavior (1942); dies., Further Records (1945). 574 Vgl. Reuss, Stillförderung (1954), S. 63. Siehe auch: Asplund/van Rijswijk, Längre vårdtid (1962), S. 278 f.; Engström, Längre vårdtid (1962), S. 277 f.; Keitel/Reiner/Ting, Studies in Modified Ad Libitum Feeding (1962), S. 277 – 283; Torstenson, Sjunkande amningsfrekvensen (1960), S. 2248; Troschke, Untersuchungen (1961), S. 27.

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architektonischen Strukturen wie Krankenhäusern, die nicht so leicht an Veränderungen der Lehrmeinung angepasst werden konnten.575 Bei den Müttern selbst gab es initial ebenfalls eine gewisse Skepsis gegenüber dieser neuen Art zu füttern. Sie äußerten Bedenken, das Kind könne durch das Bedarfsstillen „verwöhnt“ werden und wollten zu Hause wieder auf das Stillschema umstellen. Nachdem jahrzehntelang jedes Aufklärungsmedium Mütter zum Einhalten des Schemas angehalten hatte, war es schwierig, dieses Wissen mit einer völlig konträren Anweisung zu überschreiben (vgl. 2.3 und 2.4 sowie 3.1).576 Das Stillen nach Bedarf setzte sich erst in den 1970er Jahren endgültig in Verbindung mit einer breiteren Stillbewegung in Kinderheilkunde und Frauenbewegung durch (vgl. dazu 1.5.2 und 1.5.3). Ein weiteres Problem in Krankenhäusern wurde schließlich im häufigen Wiegen der Kinder gesehen. Cretius’ Studie an der Klinik in Mainz stellte fest, dass es üblich war, das Kind nach jeder Mahlzeit zu wiegen und die Gewichtskurve genau zu beobachten. Teilweise wurde dann schon sehr früh Flaschenmilch zugefüttert, wenn die Gewichtszunahme nicht der Normkurve entsprach. Andere Studien bestätigten den negativen Einfluss des ständigen Wiegens auf die Stillbeziehung. Der schwedische Kinderarzt und Gynäkologe T. Torstenson riet ebenfalls davon ab, die Kinder zu häufig zu wiegen, denn diese Praxis könne zu Stillschwierigkeiten führen.577 So würden Ängste geschürt, das Kind könne nicht genug Nahrung erhalten, was dazu führte, dass die Flasche eingesetzt wurde, um die Norm aufrechtzuerhalten. Auch in diesem Fall wurde die Flasche als einfache Lösung für ein Problem eingesetzt, die den Klinikalltag erleichterte und Befürchtungen der Mütter lindern sollte. Besonders prägnant ist hierbei, dass die Flasche im Krankenhaus nicht als Störfaktor wirkte, sondern vielmehr zur Aufrechterhaltung einer Norm in der Säuglingsernährung genutzt wurde. Sowohl in Bezug auf das Wiegen, die Trennung von Mutter und Kind als auch auf das Stillschema zeigt sich der gleiche Effekt: Eine Methode, die zu Beginn des Jahrhunderts zum Schutz der Kinder und der Kontrolle ihrer Normentwicklung von der Medizin eingeführt wurde, erwies sich in Studien seit den 1940er Jahren 575 Vgl. Dill, Säuglingspflege, S. 27 f.; Grüttner, Praxis der Ernährung (1978); Hellbrügge, Waisen­ kinder (1960); Kolbe, Gender, S. 147; Manz/Manz/Lennert, Stillempfehlungen, S. 582; ­Sommerkorn, Mutter (1988), S. 130, hier S. 71 f.; Stauber, Psychohygienische Aspekte (1979), S. 1014; Thoms, Säuglingssterblichkeit, S. 67. Im deutschen Handbuch der Kinderheilkunde von 1965 bot der Autor sowohl Stillen nach Bedarf als auch das „Reglement von Czerny“ an, mit einer Präferenz für Czernys Methode, vgl. Sager, Ernährung (1965), S. 537 f. 576 Vgl. Cretius, Gemeinsame Unterbringung (1955), S. 721. 577 Vgl. ebd., S. 721; Torstenson, Barnbödsavdelningen (1962), S. 52. Siehe auch: de Château u. a., Study of Factors (1977); Klackenberg, Bröstuppfödning (1960), S. 1026.

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als ungünstig für die Entwicklung des Kindes, da sie zu Stillschwierigkeiten und damit zur Abnahme der Stillfrequenz führte. Die Diskussion um die Veränderung der Geburt im Krankenhaus offenbart zudem eine diskursive Verschiebung der Vorstellung vom Säugling und seinen Bedürfnissen. Die Trennung von Mutter und Kind hatte dem vorherrschenden Verständnis vom Kind innerhalb der Pädiatrie der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts als objekthaft und ruhebedürftig entsprochen. Nachdem die großen Gefahren des Säuglingsalters gebannt schienen und die Sterblichkeit stetig sank, wandte sich der Blick der Forschung seit den 1960er Jahren auf die seelische Gesundheit des Kindes, die nun ebenfalls als gefährdet konstruiert wurde. Die Ernährung mit der Flasche war sicherer geworden, aber nun war es nicht mehr zuvorderst die körperliche Unversehrtheit, die durch das Stillen garantiert werden sollte, sondern vielmehr seine seelische Gesundheit. Die Vorstellung einer guten bzw. schlechten Mutter-Kind-Beziehung als Grundlage für eine gute Stillbeziehung wurde langsam das dominante Deutungsmuster für die psychische Gesundheit des Kindes.578 1.4.4 Psychologisierung der Säuglingsgesundheit und Müttererwerbsarbeit

Wie bereits zu Beginn des Unterkapitels gezeigt wurde, war die Erwerbsarbeit unter verheirateten Frauen und Müttern seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges sowohl in Deutschland als auch in Schweden deutlich angestiegen. Die Bewertung dieses Umstandes hätte jedoch kaum unterschiedlicher ausfallen können. Während in Schweden die Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt politisch gewollt und versucht wurde, Frauen aus der finanziellen Abhängigkeit von ihrem Ehemann zu befreien, setzte Deutschland politisch vollkommen auf das Modell des Mannes als Alleinverdiener und der Frau als Mutter und Hausfrau. Die Flaschennahrung wurde in diesem Diskurs mit neuer Bedeutung aufgeladen: in Schweden als mögliches Emanzipationsmittel für Mütter, in Deutschland hingegen als Gefahr für die seelische Gesundheit des Kindes. Anhand dieser Diskussion lässt sich abschließend zeigen, dass sich die Ernährungs- und Gesundheitsfrage vom Bereich der Physiologie und Medizin zunehmend in den Bereich der Psychologie und Pädagogik bewegte, was sich wiederum auf die Ernährungspraktiken und das Wissen vom Säugling auswirkte. 578 Vgl. Bensel/Haug-Schnabel, Wendepunkt Geburt (1997), S. 296; Blanck, Offentligt, S. 31; Gebhardt, „Ganz genau nach Tabelle“; Hultman/Naglo, Flaskan (1968); Klackenberg, Bröstuppfödning (1960); Meeuwisse, Spädbarnets näringsbehov (1964), S. 2; Sjölin/Vahlquist, Amning (1960), S. 3455; Stauber, Psychohygienische Aspekte (1979), S. 1014.

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In beiden Ländern waren es vor allem Studien aus dem Bereich der Psychologie und Psychoanalyse, die nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges herangezogen wurden, um den Einfluss der Erwerbsarbeit auf Kinder zu eruieren. Die Fokussierung auf diesen Wissenschaftszweig ist ein Grund dafür, warum sich die Diskussionen in Deutschland und Schweden so unterschiedlich ausformten. Die Weiterentwicklung und Rezeption psychoanalytischer Studien und Theorien war durch die Ablehnung und Diskriminierung der Psychoanalyse als „jüdischer Wissenschaft“ im Nationalsozialismus nachhaltig beschädigt worden. In Schweden wurde die Diskussion um die Entwicklung des Kindes bereits in den 1940er Jahren hingegen lebhaft geführt und psychoanalytische Studien wurden Teil des sozialwissenschaftlichen Kanons von ExpertInnenkommissionen.579 Besonders einflussreich für die Diskussion um Mütterarbeit und Säuglingsgesundheit waren die Arbeiten des britischen Psychoanalytikers John Bowlby und des in die USA emigrierten René A. Spitz. Bowlby hatte sich während des Krieges mit den Auswirkungen der Trennung von Müttern und Kindern beschäftigt und 1952 für die Weltgesundheitsorganisation (WHO ) einen Bericht vorgelegt, der viel Aufmerksamkeit generierte. Seine Studie legte nahe, dass die Trennung von Mutter und Kind und die Unterbringung von Kindern in Heimen erhebliche negative Auswirkungen auf die spätere Entwicklung des Kindes haben konnten. Vor allem in den ersten drei Lebensjahren sei eine feste Bezugsperson unabdingbar, um das gesunde Aufwachsen des Kindes zu garantieren. Diese Bezugsperson wurde in der Rezeption häufig auf die Mutter verkürzt, auch wenn es bei Bowlby ebenfalls eine andere Person sein konnte. Die Theorie wurde unter der Chiffre „mütterliche Deprivation“ (maternal deprivation) bekannt und entfaltete eine große Wirkung auf die politischen Diskussionen über Müttererwerbsarbeit. Auf seine Ergebnisse beriefen sich Akteure und Akteurinnen in beiden Ländern, legten sie jedoch unterschiedlich aus bzw. transformierten ihre Bedeutung.580 In Schweden war die Frage nach der „Doppelrolle“ der Frau als erwerbstätige Arbeiterin und Mutter in den 1950er Jahren eine prominent geführte Diskussion. Erneut war die Sozialreformerin Alva Myrdal involviert, die schon bei Lösungsvorschlägen zur „Bevölkerungskrise“ in den 1930er Jahren dafür plädiert hatte, die staatliche Unterstützung für Frauen auszubauen, damit diese sowohl als Erwerbs­ tätige als auch als Mütter an der Behebung der Bevölkerungskrise mitwirken 579 Vgl. Gebhardt, Angst, S. 178; dies., Norm und Gefühl, S. 201; Kolbe, Gender, S. 146 f.; Schütze, Mutter, S. 101. 580 Vgl. Hammarlund, Barnet och barnomsorgen, S. 115 f.; Klackenberg, Maternal Deprivation (1956); Moisel, Geschichte und Psychoanalyse, S. 66; SOU 1955:29, S. 222; van der Horst/ van der Veer, Ontogeny of an Idea; dies./Zetterqvist Nelson, John Bowlby; dies. u. a., Tale of Four Countries; Zetterqvist Nelson, Bowlby kom till Sverige.

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konnten. Zusammen mit der in Großbritannien angesiedelten Soziologin Viola Klein verfasste sie 1956 die Studie Women’s Two Roles, die auch international für viel Aufmerksamkeit sorgte. Dort formulierten die beiden einerseits ausführliche Lösungsvorschläge für die Unterstützung von Müttern durch den Staat. Andererseits forderten die beiden Autorinnen mehr Einsatz von den Vätern in der Familie, die über die Rolle als „‚visiteurs de soir‘“ (Besucher am Abend) hinausgingen.581 Die schwedische Reformerin hatte also bereits Ende der 1950er Jahre beide Elternteile als Verantwortliche für die Kinder- und Familienarbeit im Blick. Der Hauptfokus lag allerdings weiter auf den Müttern. Ihre Rolle als Bezugsperson während der ersten Lebensjahre stellten Myrdal und Klein nicht in Frage. Stattdessen entwarfen sie ein Drei-Phasen-Modell, das Alva Myrdal bereits in den 1930er Jahren propagierte und das großen Einfluss auf die schwedische Diskussion um Müttererwerbsarbeit in den 1950er Jahren hatte. Sobald junge Frauen die Schule beendet hatten, sollten sie arbeiten (erste Phase), bevor sie Kinder bekamen und in die zweite Phase der „aktiven Mutterschaft“ übergingen, die durchschnittlich 15 Jahre anhalten sollte. In dieser Phase sollte die Frauen sich mit Hilfe staatlicher Unterstützung voll der Kinderpflege widmen können. Danach konnten sie dem Arbeitsmarkt wieder zur Verfügung stehen (dritte Phase). Dabei rekurrierten Myrdal und Klein auf Bowlbys Theorien. Sie warnten jedoch davor, seine Beobachtungen aus Kinderheimen auf Kinderkrippen zu übertragen, die in Schweden vorgeschlagen wurden, um Kinder während der Arbeitszeit von Müttern zu betreuen. Kinderheime, in denen Kinder dauerhaft untergebracht waren, und Kinderkrippen, wo die Kinder nur wenige Stunden pro Tag blieben, um abends in ihre Familien zurückzukehren, hätten ganz unterschiedliche Auswirkungen auf die Kinder. Bowlby selbst hatte hingegen bei der Formulierung seiner Thesen nicht nach verschiedenen Trennungsgründen und -zeiten unterschieden.582 In Schweden gab es bereits früh Studien, die Bowlbys Rückschlüsse kritisch hinterfragten. Diese kamen jedoch zunächst zu keiner definitiven Antwort darauf, wie gefährlich kurze Trennungen, also nur für wenige Stunden pro Tag, von Müttern und Kindern sein konnten.583 581 Viola Klein wurde in Österreich geboren, als Jüdin unter den Nationalsozialisten verfolgt und ins KZ deportiert. Nach dem Krieg siedelte sie nach Großbritannien über. Myrdal/Klein, Women’s Two Roles (1968), S. 192; vgl. Etzemüller, Katastrophe, S. 69; Lundqvist/Roman, Construction(s), S. 223; Florin/Nilsson, Jämställdhetens politisering, S. 44. 582 Vgl. Hammarlund, Barnet och barnomsorgen, S. 116; Lewis/Åström, Equality, S. 66; Kuller, Soziale Sicherung, S. 228; Moisel, Geschichte und Psychoanalyse, S. 67; Lundqvist/Roman, Construction(s), S. 223; Schütze, Mütterliche Erwerbstätigkeit (1988), S. 123; Speck, Kinder erwerbstätiger Mütter (1956), S. 18. 583 Hammarlund, Barnet, S. 35.

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In den 1960er Jahren weitete sich die Diskussion um die Gleichstellung der Geschlechter deutlich aus. Über den Umweg der „Doppelrolle der Frau“ kam zunehmend der Vater ins Visier.584 Mit diesem Konzept setzte sich die Journalistin Eva Moberg 1961 in dem vielbeachteten Essay „Kvinnans villkorliga frigivning“ („Die bedingte Freigabe der Frau“) kritisch auseinander, in dem sie die Verantwortung der Männer für die Familie ins Zentrum rückte.585 Mit den Worten der einflussreichen Anthropologin Margaret Mead argumentierte sie gegen die mütterliche Deprivations-Theorie: „Dies ist eine neue, subtile Form von Antifeminismus, bei dem Männer – unter dem Vorwand, die Bedeutung der Mutterschaft zu predigen – Frauen stärker an ihre Kinder binden als seit der Erfindung von Flaschennahrung und Kinderwagen für nötig erachtet.“ 586 Die Säuglingsflasche war für Moberg ein Argument zur Gleichstellung von Männern und Frauen generell. Ein Jahr später erschien ein sehr einflussreiches Sammelwerk, Kvinnors liv och arbete (Leben und Arbeit der Frauen), das sich mit dem Verhältnis von Männern und Frauen in den nordischen Gesellschaften auseinandersetzte. Das Vorwort hatte Alva Myrdal geschrieben. Verschiedene SozialwissenschaftlerInnen schilderten dort Erfahrungen und Ergebnisse zum Stand der Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern.587 Mobergs Essay und dieser Sammelband gelten als Motoren der sog. Geschlechterrollendebatte (könsrollsdebatten), die die Gleichstellung der Geschlechter in allen Lebensbereichen forderte und dabei nicht nur die Rolle der Frau, sondern auch diejenige des Mannes hinterfragte. Im gleichen Jahr war eine Expertenkommission in der sog. Zukunftsuntersuchung ( framtidsutredning) zu dem Ergebnis gekommen, dass nur durch die Integration der Frauen in den Arbeitsmarkt das zukünftige Wirtschaftswachstum garantiert werden könne. Kurz darauf wurde eine staatliche Expertenkommission (Statens Offentliga Utredning – SOU ) eingesetzt, die sich mit den Geschlechterrollen beschäftigte und Lösungsvorschläge zu deren Gleichstellung erarbeiten sollte.588 5 84 Myrdal/Klein, Women’s Two Roles, S. 192. 585 Moberg, Kvinnans villkorliga frigivning (1961) [1996]. Vgl. Klinth, Barn, S. 66 f.; Kolbe, Väter, S. 55; Limper, Säuglingsflasche, S. 461. 586 Margaret Mead; zit. nach Moberg, Kvinnans villkorliga frigivning (1961) [1996], S. 166 f. Originalzitat: „This, […], is a new and subtle form of antifeminism in which men–under the guise of exalting the importance of maternity–are tying women more tightly to their children than has been thought necessary since the invention of bottle feeding and baby carriages,“ Mead, Some Theoretical Considerations (1954), S. 477. 587 Baude u. a., Kvinnors liv och arbete (1968). Siehe auch: Florin/Nilsson, Jämställdhetens politisering, S. 53 f. 588 Vgl. Hinnfors, Swedish Parties, S. 111; Klinth, Barn, S. 67 f.; Kolbe, Gender, S. 142; Lundqvist/ Roman, Construction(s), S. 224.

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Die schwedische Regierung unternahm also verschiedene Maßnahmen, um es Frauen zu ermöglichen, schon im jungen Alter ihrer Kinder wieder arbeiten zu gehen – das Drei-Phasen-Model wurde abgelöst. So wurden seit Mitte der 1960er Jahren eine Reihe neuer Kindertagesstätten eingerichtet, aber zum Ende der 1960er Jahre gab es noch lange nicht genügend Plätze für alle Kinder.589 Dieser Schritt allein führte zudem nicht dazu, dass sich mehr Paare dafür entschieden, Kinder zu bekommen. Als die Geburtenzahl zu Beginn der 1970er Jahre erneut auf einen extrem niedrigen Stand im europäischen Vergleich sank, intensivierten sich die Bemühungen, eine Lösung für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu finden.590 Ein erster Schritt war eine Steuerreform im Jahr 1971, die die Ehepartner einzeln besteuerte und nicht mehr gemeinsam. Zuvor war durch die gemeinsame Besteuerung das zumeist niedrigere Gehalt der Frau fast komplett der Steuer zum Opfer gefallen, weswegen Zweiverdiener-Familien einen Nachteil hatten.591 1974 wurden außerdem die Kindertages­ stättenplätze systematisch ausgebaut. Die größere Signalwirkung hatte das Gesetz zum Elternurlaub aus dem gleichen Jahr. Es wurde zur Förderung der väterlichen Beteiligung in der Säuglingspflege eingeführt. Schweden war damit weltweit das erste Land, das bezahlten Elternurlaub einführte, den wahlweise Mutter oder Vater in Anspruch nehmen konnten. Politisch war es gewünscht, dass sich beide Elternteile den Urlaub teilten. Die Reaktion von Vätern war jedoch verhalten.592 Dieser politische Umschwung basierte nicht zuletzt auf einem Richtungswechsel in der wissenschaftlichen Beschäftigung mit mütterlichen und väterlichen Aufgaben in der Erziehung und Pflege von Kleinkindern und Säuglingen. Zu viel mütterlicher Einfluss bei gleichzeitiger Abwesenheit der Väter wurde nun zum Problem erklärt. Insbesondere für Jungen könne ein zu enger Kontakt zur Mutter schädlich sein und ein Übermaß an weiblichen Eigenschaften wurde ­sogar als Grund für Jugendkriminalität gelesen.593 Nicht mehr die Unterschiede 589 Vgl. Florin/Nilsson, Jämställdhetens politisering, S. 45 f.; Hinnfors, Swedish Parties, S. 105; Hwang, Experience, S. 266; Lewis/Åström, Equality, S. 68; Lundqvist/Roman, Politiska regleringar, S. 105; Stenhammar u. a., Mjölkdroppen, S. 127. 590 Vgl. Stenhammar u. a., Mjölkdroppen, S. 125; Thomas Wedel, “Katastrofal brist” på barn (1970), S. 13. 591 Hinnfors, Swedish Parties, S. 114. 592 Vgl. alle Arbeiten von Wiebke Kolbe; Florin/Nilsson, Jämställdhetens politisering, S. 64; Hwang, Experience, S. 190; Klinth/Johansson, Fäderna, S. 145; Lewis/Åström, Equality, S. 69. 593 Vgl. Carlstedt, Kvinnors hälsa, S. 41; Kolbe, Gender, S. 139; dies., Vaterschaftskonstruktionen, S. 190; dies., „Väter“, S. 149, 159; Lundqvist/Roman, Construction(s), S. 227.

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zwischen den Geschlechtern, sondern die gleichwertige Bedeutung für das Kind wurden hervorgehoben. Die Betreuung schon kleiner Kinder in Kinderkrippen und -tagesstätten wurde durch neue Forschung zunehmend positiv gesehen. Gut ausgebildete PflegerInnen könnten sich besser auf die Bedürfnisse der Kleinsten konzentrieren als unausgebildete Eltern. Außerdem konnte durch das frühe Interagieren mit anderen Kindern schon früh das gewünschte demokratische Agieren eingeübt werden, was Grundlage des schwedischen folkhem-Gedankens war. Die Zeit, die Kinder mit ihren Eltern in der Familie verbrachten, wurde in Quality Time umgedeutet.594 In Schweden ging es nicht allein um die Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt oder die psychologische Entwicklung von Kleinkindern, sondern vor allem um die Gleichstellung beider Geschlechter: Arbeit für Mütter und Kinderbetreuung für Väter waren zwei Wege, durch die dieses Ziel erreicht werden konnte. In schwedischen Erziehungsdebatten ging es um Gleichheit der Geschlechter und egalitäre Elternschaft, nicht um verschiedene Rollen von Mann und Frau wie in der Bundesrepublik.595 Diese Einstellung gegenüber gleichberechtigter Elternschaft lässt sich ­zudem damit korrelieren, dass schwedische ExpertInnen der Ernährungsart des Kindes weniger Gewicht beimaßen als deutsche. Auf diesem Gebiet fand in den frühen 1960er Jahren ebenfalls ein Einstellungswandel statt. Im gleichen Jahr, in dem Eva Moberg die Gleichstellung von Männern und Frauen forderte – 1961 – kam es zu einer Art offizieller Anerkennung der Flaschennahrung als Alternative zur Muttermilch durch die schwedische Pädiatrie. Der schwedische Verbund der Kinderärzte sprach sich in der Svenska Läkartidning dafür aus, dass Mütter informiert werden sollten, dass Stillen die bessere Nahrung für ihr Kind sei. Sie warnten jedoch davor, Stillen unter den herrschenden sozial-hygienischen Verhältnissen als „unbedingte Schuldigkeit“ darzustellen. Dies könne bei Müttern Gefühle von Minderwertigkeit und Gereiztheit auslösen, die sich wiederum negativ auf das Kind auswirken konnten.596 In der Neuauflage des Nordischen Lehrbuchs der Pädiatrie von 1978 betonten die Autoren ebenfalls, Mütter müssten sachlich und gemäßigt über das Stillen aufgeklärt werden. Sie sollten dabei einerseits nicht das Gefühl vermittelt bekommen, dass es schwierig sei, ein Kind zu ernähren, andererseits sollten sie aber auch lernen, dass es „keine Katastrophe“ 5 94 Lundqvist/Roman, Construction(s), S. 226; dies., Regleringar, S. 105 ff. 595 Kolbe, „Väter“, S. 152; Florin/Nilssong, Jämställdhetens politisering, S. 36, 39, 67. Siehe auch: SOU 1951:15; SOU 1967:39. 596 Vgl. Herlitz/Enell (för svenska barnläkareförbundet), Uttalande i amningsfrågan (1961), S. 3378.

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sei, wenn die Muttermilch nicht reichte.597 Ähnliche Formulierungen finden sich in verschiedenen wissenschaftlichen Publikationen der 1960er und 1970er Jahre.598 Gunnar Klackenberg, ein schwedischen Pionier der Kinderpsychologie, verwies zudem darauf, Bowlby selbst habe der Ernährung an der Brust nicht so viel Gewicht beigemessen, wie häufig behauptet werde. Das Saugbedürfnis des Säuglings könne auch „an der Saugflasche befriedigt werden, und die Sicherheit im Arm der Mutter mit Körperwärme und weichem Arm muss nicht unbedingt viel schlechter sein“.599 Seine Einschätzung, dass nicht mit Sicherheit bewiesen werden könne, dass Stillen aus psychologischer Sicht unersetzlich für das Kind sei, wurde von verschiedenen anderen Autoritäten der Kinderheilkunde und in populären Schriften immer wieder herangezogen.600 In der Märzausgabe der Elternzeitschrift Vi Föräldrar von 1968 findet sich ein ausführlicher Artikel zum Thema mit der Überschrift „Bemuttern ist wichtiger als Stillen“ („Mammning är viktigare än amning“), in dem zu lesen war: Heutzutage gibt es einwandfreie Ersatzpräparate für Kinder, deren Mütter ihre Kinder nicht stillen können oder wollen. Keine Mutter muss sich daher als schlechte Mutter fühlen, wenn sie ihrem Kind nicht die Brust geben kann. Ihre Kinder haben die gleiche Chance, groß und stark zu werden, wie die Kinder, die die Mutterbrust bekommen.601

Nicht stillen zu wollen, war erstmals ein legitimes Anliegen. Begründet wurde diese Wahlfreiheit mit der guten Qualität der Flaschennahrung. Zuvor gab es keine Wahl zwischen gleichwertigen Alternativen, sondern nur zwischen der richtigen (Muttermilch) und der falschen Ernährung (Flaschenmilch). Erst mit der Anerkennung der Flaschenmilch als Alternative war eine genuine Entscheidung möglich. Damit wurde es potentiell möglich, die Ernährung, die zuvor ganz an den mütterlichen Körper gekoppelt war, auf andere Akteure zu verteilen. Trotz dieser diskursiven Verschiebung in der Ernährungsfrage, die es auch Vätern ermöglicht hätte, die Säuglingspflege zu übernehmen, nachdem 1974 der gemeinsame Elternurlaub eingeführt worden war, waren es vor allem die

5 97 Lindquist/Meeuwisse, Pediatrisk näringsfysiologi (1978), S. 46. 598 Vgl. Enge/Hennius, Matguiden (1976), o. S.; Sjölin/Vahlquist, Amning (1960), S. 3548; Torstenson, Sjunkande amningsfrekvensen (1960), S. 2245; von Schenck, Mammning (1968), S. 20. 599 Klackenberg, Bröstuppfödning (1960), S. 1026. 6 00 Vgl. Klackenberg, Bröstuppfödning (1960), S. 1027; Sjölin/Vahlquist, Amning (1960), S. 3548. 601 von Schenck, Mammning (1968), S. 73.

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Mütter, die den Elternurlaub nahmen.602 Der erneute Umschwung der Stilldebatte und die größere Betonung der Bedeutung des Stillens seit Mitte der 1970er Jahre kann ein Erklärungsansatz dafür sein, warum nur wenige Väter die Chance wahrnahmen, im ersten Lebensjahr des Kindes Elternurlaub zu nehmen (vgl. 1.5.3).603 Anders als in Schweden fanden sich in der Bundesrepublik der 1950er Jahre noch keine einflussreichen Studien darüber, wie Frauen und Mütter in den Arbeitsmarkt integriert werden konnten.604 Vielmehr fragten soziologische Studien, die entweder John Bowlby oder René A. Spitz rezipierten, danach, welche (negativen) Folgen Frauenarbeit auf die Entwicklung ihrer Kinder hatte.605 Zu einer wichtigen Referenz wurde die Studie Kinder erwerbstätiger Mütter des Soziologen Otto Speck. Als Argument für die negativen Auswirkungen der Müttererwerbsarbeit verwies Speck auf den engen Zusammenhang zwischen Mütterarbeit und Säuglingssterblichkeit zu Beginn des Jahrhunderts. Dieser Zusammenhang wurde im Folgenden dann zwar nicht aufgegriffen oder näher ausgeführt, prägt aber die gesamte Studie. Speck unterschied zwischen legitimen und illegitimen Gründen für die außerhäusliche Arbeit: Die Mütterarbeit sollte laut Speck höchstens in Notsituationen nötig sein. Der Vater kam für ihn lediglich als Betreuer der Kinder in Betracht, wenn er arbeitslos, arbeitsun­ fähig oder pensioniert war. Ansonsten konnte er die Aufgaben der Mutter nicht übernehmen.606 Die Bedeutung der Mutter wurde mit seiner Studie zunächst soziologisch untermauert. Anstatt, wie Margeret Mead oder Eva Moberg, die Säuglingsflasche als ein Instrument zu verstehen, Väter in die Säuglingspflege einzubeziehen und Mütter für den Arbeitsmarkt freizumachen, prägte der deutsche Pädiater Theodor ­Hellbrügge 1960 den Begriff der „Waisenkinder der Technik“.607 In einem Beitrag für den Sammelband Im Schatten der Technik, der verschiedene, als problematisch charakterisierte Aspekte des Lebens in den 1960er Jahren, unter der Chiffre der Technik verhandelte (u. a. mit einem Beitrag der Pädagogin Hildegard Hetzer über 602 Lindquist/Meeuwisse, Pediatrisk näringsfysiologi (1978), S. 44; Vahlquist, Evolution (1975), S. 15. 603 Vgl. Galtry, Impact, S. 173. 604 Die Studie von Myrdal und Klein wurde erst mit Verspätung 1961 ins Deutsche übersetzt. Vgl. Gerhard, „Neue Welle“, S. 261. 605 Vgl. Spitz, Hospitalism (1945), S. 53 – 74; Mansfeld, Mutter und Kind (1954), S. 290 – 302; Schütze, Gute Mutter, S. 89. 606 Speck, Kinder erwerbstätiger Mütter (1956), S. 35. 607 Hellbrügge, Waisenkinder (1960); vgl. Kolbe, Gender, S. 147; Neumaier, Familie, S. 305; Sommerkorn, Mutter (1988), S. 130.

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Spielzeug sowie mit Beiträgen über Reizüberflutung, Fernsehen und Umweltverschmutzung), stellte Hellbrügge Zusammenhänge zwischen der Lebensumwelt der 1960er Jahre und der psychologischen „Verkümmerung“ schon der kleinsten Kinder her. Die in den späten 1950er Jahren vorsichtig einsetzende Individualisierung der Säuglingsernährung und der Fütterungsintervalle war aus der Sicht Hellbrügges ein zentraler Grund, warum Säuglinge von ihren Müttern und keiner anderen Person versorgt werden dürften. Er schloss seinen Essay mit einer Rhetorik, die an die negativen Prognosen der Bevölkerungsgesundheit um den Ersten Weltkrieg erinnert: In allen Menschheitsgenerationen hat das elternlose Kind ein besonderes Mitgefühl in der Gesellschaft gefunden. Erst dem ‚Jahrhundert des Kindes‘ blieb es vorbehalten, das Waisenkind zu einem Routineereignis werden zu lassen. Dieser Mißstand läßt sich unseres Erachtens entsprechend den Spielregeln der Technik nur beheben, wenn die innerhäusliche Arbeit der Hausfrau und Mutter durch eine entsprechende Entlohnung der außerhäuslichen Erwerbstätigkeit annähernd gleichgestellt wird. Andernfalls zahlt die Gesellschaft in Fürsorge und Strafvollzug nach, was sie durch die Erwerbstätigkeit der Mütter verdient.608

In Hellbrügges Argumentation wurde die arbeitende Mutter zur Grundlage diver­ser Gesellschaftsprobleme. Auch die Kinderärztin Eleonore Hering sah in der Nutzung der Flaschennahrung den Beginn eines Teufelskreises: „Die Mütter (weniger beim sog. Mittelstand) schätzen zunehmend den Wert dieser bequemen Nahrungsform trotz doppelt so hoher Kosten. Mögliche Folgen hoher Lebenshaltungskosten: die Mutter ist berufstätig, die Familie bleibt klein.“ 609 Dieses Argument lässt sich in einen allgemeinen Strang einordnen, der zu Beginn der 1960er Jahre populär war, nämlich, dass Frauenarbeit vor allem der Steigerung des Lebensstandards der Familien diente. Die Mütterarbeit stand im Verdacht, allein dem Luxus oder der ebenfalls negativ bewerteten Selbstverwirklichung der Mutter zu dienen und nicht dem notwendigen Erhalt der Familie (vgl. 3.2.1).610 Dies steht jedoch im Kontrast schon zu zeitgenössischen Umfragen, die „wirtschaftliche Notwendigkeit“ als einen der wichtigsten Gründe für die Erwerbsarbeit von Müttern herausgestellt hatten.611 Während die Bindungstheorie Bowlbys und Spitzs in ihrer Interpretation, nur die Mutter könne für das Wohl des Kindes sorgen, in Schweden in den 1960er 608 Hellbrügge, Waisenkinder (1960), S. 82 f. 609 Hering, Problematik (1964), S. 68 f. (Hervorh. im Org.). 610 Vgl. Kolbe, Kindeswohl, S. 126, Schildt, Moderne Zeiten, S. 57; ders., Einführung, S. 580. 611 Vgl. Neumaier, Familie, S. 307 f.

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Jahren bereits neu interpretiert wurde, flammte Ende der 1960er Jahre dieser Diskurs in der Bundesrepublik erst richtig auf.612 Wiebke Kolbe hat herausgearbeitet, dass die Gefahren mütterlicher Erwerbsarbeit Anfang der 1970er Jahre bereits zu einem Topos geronnen [waren], der sich in jeder öffentlichen Debatte über ­ üttererwerbstätigkeit oder Familienpolitik wiederfand und die BefürworterInnen von KinM derbetreuungseinrichtungen und weiblichen Emanzipationsbestrebungen unter erheblichen Legitimationszwang stellte.613

Die Befürchtungen, Kinder könnten langfristig Schaden nehmen, wurden gegen Vorschläge zur Einrichtung von Tagesstätten oder den Ausbau der Betreuung durch Tagesmütter in Stellung gebracht.614 Stattdessen sollte die Arbeit zu Hause durch die Gesellschaft besser honoriert werden. Die Ernährungsfrage war eine wichtige Arena, in der die Frage des Kindeswohls ausgefochten wurde. Der Entwicklungspsychologe Emil Schmalohr warnte etwa 1968, ganz im Sinne der „maternal deprivation“-Theorie: „Die Umstellung auf die Flasche und der Entzug der Brust scheint als partieller Mutterverlust erlebt zu werden.“ 615 Die Mutter musste also nicht einmal arbeiten gehen, um das Kind schon psychisch zu gefährden, sondern bereits die Nutzung der Flasche konnte einen ähnlich nachhaltigen Effekt zeitigen. Die Forderung danach, das Kind nicht nach einem bestimmten Schema zu stillen, sondern eine individualisierte Fütterung – möglichst an der Brust – durchzuführen, schlug sich hier als wichtiger Grund für das Zuhause-Bleiben der Mutter im ersten Lebensjahr des Kindes nieder. Die Auswirkung einer frühen Entwöhnung von der Mutterbrust legte die populäre „Psychagogin“ Christa Meves eindrücklich dar: In ähnlicher Weise neigen Kätzchen, die man abrupt von der mütterlichen Zitze entwöhnte, zu einem vermehrten Lecken und Saugen an ihrem eigenen Körper, Kälber entwickeln ein ­stereotypes Lecken um das Maul, wenn sie aus dem Eimer gefüttert werden – in sehr ähnlicher

612 Dies lag u. a. auch daran, dass Bowlbys zentrales Werk erst zu Beginn der 1970er Jahre ins Deutsche übersetzt wurde, was einen erneuten Popularitätsschub auslöste. Vgl. Gebhardt, „Lehret sie“, S. 225; Kolbe, Gender, S. 145; dies., Kindeswohl, S. 126; Kuller, Soziale Sicherung, S. 229; Lehr, Rolle der Mutter (1974), S. 70 f.; Moisel, Geschichte und Psychoanalyse, S. 66 f.; Schütze, Mütterlich Erwerbstätigkeit (1988), S. 124; Sommerkorn, Mutter (1988), S. 130. 613 Kolbe, Kindeswohl, S. 126. Vgl. Gebhardt, „Lehret sie“, S. 224. 614 Vgl. Lehr, Rolle der Mutter (1974), S. 1; Pechstein/Krause-Land, Das elternlose und elternarme Kind (1966), S. 1164. Siehe auch: Kolbe, Gender, S. 145; Pechstein/Hellbrügge, Krippen (1966), S. 378; Schütze, Mütterliche Erwerbstätigkeit (1988), S. 125; Sommerkorn, Mutter (1988), S. 135. 615 Schmalohr, Frühe Mutterentbehrung (1968), S. 116.

Normalisierung der Flaschennahrung in den Wohlstandsgesellschaften (1948 – 1974)  |

Weise wie Säuglinge Stereotypien am eigenen Körper – wie Lutschen und Lecken – entwickeln, wenn man ihnen die adäquate Form der Nahrungszufuhr, die Mutterbrust, oder eine ausreichende Sauganstrengung verwehrt.616

Eine Folge des zu frühen Abstillens sei das Daumen- oder Schnullersaugen, aber dieses Versäumnis wurde auch mit Süchten (Rauchen und Trinken) und anderen sozialen Problemen in Verbindung gebracht (vgl. 2.5).617 Das Nicht-Stillen und die Nutzung der Flasche stellten in dieser Sichtweise potentiell eine Gefahr für die gesamte Gesellschaft dar. Im Kontrast dazu wurde das Stillen in diesem Diskurs als „natürliches Ereignis“ dargestellt, das die Bindung zwischen Mutter und Kind vertiefen konnte und sollte.618 Theodor Hellbrügge, der als einer der Pioniere des Bedarfsstillens in Deutschland galt, meinte, die Flaschenernährung könne nicht das gleiche Ergebnis erzielen wie die Brusternährung: „Im Gegensatz zur Flaschenmahlzeit blickt das Kind während des Stillens unentwegt das Gesicht seiner Mutter an. Es wendet seine Augen so lange nicht ab, bis es schließlich beim Trinken einschläft.“ 619 An anderer Stelle sprachen Autoren sogar von der „seelenlose[n] Flasche“.620 ­Solange die Mutter das Kind selbst mit der Flasche füttere, ließen sich die Probleme aller­dings noch in Grenzen halten. Besonders schwierig werde es jedoch, wenn mehrere Personen das Flaschenfüttern übernähmen, wie der Zoologe Bernhard Hassenstein anhand von Studien mit Affen versucht hatte zu zeigen: Wird der Säugling in den ersten Lebensmonaten von verschiedenen Personen gefüttert, so kann ihn dies aus folgendem Grund ängstigen und verwirren: Jeder Mensch hält das Kind und die Flasche anders, spricht anders zu ihm, zeigt andere Formen der Zärtlichkeit und sieht anders aus. Dies bringt ungewohnte störende Reize in die Situation der Nahrungsaufnahme hinein.621

Diese Probleme, die teilweise anhand der Beobachtung junger Tiere identifiziert wurden, sorgten dafür, dass das Stillen nach Bedarf durch die Mutter zum

6 16 Meves, Mut zum Erziehen (1970), S. 15. 617 Vgl. etwa: Hellbrügge, Problematik (1966), S. 399; Meves, Vorwort, in: Ehler, Kind (1978); vgl. Lehr, Rolle der Mutter (1974), S. 12 f.; Seichert, Erziehung, S. 94; Yalom, Geschichte, S. 224 f. 618 Sager, Ernährung (1965), S. 534 f. Vgl. Lehr, Rolle der Mutter (1974), S. 12. 619 Hellbrügge, Problematik (1966), S. 399. 620 Häussler, Ratgeber (1972), S. 27, zit. in: Bösl, Medizintechnik, S. 46 f. 621 Hassenstein, Verhaltensbiologie des Kindes (1973), S. 73.

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­ ichtigsten Moment der Säuglingspflege aufstieg und es unangemessen erscheinen w ließ, Mütterarbeit während der frühen Lebensphase zu fördern.622 Diese Expertenmeinung spiegelte durchaus die Meinung der Bevölkerung wider und verstärkte deren Befürchtungen. Öffentliche Umfragen zeigten, dass Bürgerinnen und Bürger große Vorbehalte gegen die Müttererwerbsarbeit hegten, während die Akzeptanz von Frauenerwerbsarbeit generell in den 1950er und 1960er Jahren zunahm. Fast zwei Drittel der Befragten einer Umfrage des Allensbacher Instituts für Demoskopie sprachen sich 1959 dafür aus, Mütterarbeit gesetzlich verbieten zu lassen. Auch 1966 hatte sich diese Einstellung kaum geändert.623 Forderungen nach der gesetzlichen Beschränkung der Mütterarbeit wurden jedoch in einer Veröffentlichung des Statistischen Bundesamtes von 1964 zurückgewiesen, da dies nur durch eine Änderung des Grundgesetzes möglich gewesen wäre sowie „allen den Fällen, in denen die Berufsarbeit nicht zu gesundheitlichen Störungen oder erzieherischen Nachteilen führt, nicht gerecht“ würde.624 Zudem seien Bezeichnungen wie „Waisenkinder der Technik“ übertrieben, da 99 % der Kinder unter sechs Jahren bei der ganztägigen Berufstätigkeit ihrer Mütter den ganzen Tag über betreut waren.625 Die außerhäusliche Arbeit von Frauen hatte zwar zugenommen, aber nicht unter Müttern. Mütter mit Kindern unter drei Jahren machten nur einen sehr geringen Anteil der erwerbstätigen Frauen in der Bundesrepublik aus.626 Hellbrügges Diktum der „Waisenkinder der Technik“ oder der für ältere Kinder bestimmte Begriff der „Schlüsselkinder“ waren dennoch ein weitverbreitetes Argument, um die Probleme der Mütterarbeit und die Einsamkeit der Kinder in der technisierten Welt zu illustrieren und Ängste zu schüren.627 Ende der 1960er Jahre formierte sich auch in der Wissenschaft zunehmend Widerstand dagegen, die Frau vorrangig als Mutter zu betrachten. Das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung zog etwa die Möglichkeit in Betracht, „daß das Leitbild der Frau nicht etwas natürlich Gegebenes, sondern etwas historisch Gewordenes sei“.628 Erste ExpertInnen meldeten sich zu Wort, die der Mütter­ erwerbsarbeit gegenüber nicht generell negativ eingestellt waren und Arbeiten u. a. 6 22 Zur Bedeutung von Tiervergleichen siehe außerdem: Limper, Of Cows and Baby Monkeys. 623 Vgl. Budde, Institution, S. 79; Kolbe, Gender, S. 144; dies., Kindeswohl, S. 127; Neumaier, Kernfamilie, S. 140 f.; Schildt, Moderne Zeiten, S. 57; Schütze, Mutter, S. 114; Wehler, Gesell­ schaftsgeschichte 1949 – 1990, S. 183 [fälschlicherweise als 1955 angegeben]. 624 Statistisches Bundesamt (Hg.), Erwerbstätigkeit von Frauen (1964), S. 444. 625 Ebd., S. 456. 626 Vgl. Kolbe, Gender, S. 141; Sommerkorn (1988), Mutter, S. 117. 627 Vgl. Pechstein/Krause-Land, Das elternlose und elternarme Kind (1966), S. 1167; ­Sommerkorn, Mutter (1988), S. 130. 628 Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (Hg.), Frau in Familie (1966), S. 3.

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von Margret Mead und Alva Myrdal als Belege für die Notwendigkeit weiterer Forschung zum Verhältnis von Mütterarbeit und Kindesentwicklung heranzogen. Das Drei-Phasen-Modell von Myrdal und Klein wurde Ende der 1960er Jahre auch für den deutschen Diskurs um Mütterarbeit prägend.629 Allerdings hatten diese Stimmen zunächst Schwierigkeiten, gehört zu werden. Mit der Studie Die Rolle der Mutter in der Sozialisation des Kindes der Soziologin Ursula Lehr von 1974 begann sich der Diskurs, zumindest wissenschaftlich, in eine neue Richtung zu bewegen. Ihre und andere Arbeiten stellten heraus, dass mütterliche Arbeit keinesfalls so schädlich war, wie in der Öffentlichkeit häufig behauptet.630 Vielmehr rückten nun die Verhältnisse in skandinavischen Ländern wie Schweden in den Fokus, wo kein negativer Zusammenhang zwischen Erwerbsarbeit der Mutter und kindlicher Entwicklung befürchtet und Tagesbetreuung politisch und wissenschaftlich gefördert wurde.631 In der Bundesrepublik der 1970er Jahre war die Gleichstellung der Geschlechter, wie sie in Schweden angestrebt wurde, weder in der Arbeitswelt noch in der Erziehungsarbeit verwirklicht worden. So gab es strukturelle Einschränkungen der Frauenarbeit wie das Ehegattensplitting. Diese Regelung honoriert es bis heute, wenn ein Partner deutlich weniger oder gar kein Geld verdient – was aus anderen strukturellen Gründen meistens die Ehefrau war und ist.632 In der sozial-liberalen Regierung der 1970er Jahre etablierte sich die Idee einer partnerschaftlichen Familie, die zur Grundlage für eine Veränderung der Gesellschaft werden sollte. Dieses Ideal regte rechtliche Änderungen in Bezug auf das Ehe- und Scheidungsrecht (1976/77) sowie das Sorgerecht (1978/79) an.633 Statt eines fundamentalen „Wertewandels“ kam es eher zu einer „Wertepluralität“ in Bezug auf die Familie und die Säuglingserziehung.634 Durch den Geburtenrückgang zu Beginn der 1970er Jahre, der auf die Erwerbstätigkeit von Müttern zurückgeführt wurde, erfuhr das Modell des Erziehungsurlaubs erstmals Aufwind in der Familienpolitik und es wurde damit begonnen, einen Gesetzesvorschlag auszuarbeiten. Eingeführt wurde der Erziehungsurlaub erst 1986 und konnte dann, unter neuen politischen Voraussetzungen, auch von Vätern genommen werden.635 629 Vgl. Lindner, Rationalisierungsdiskurse, S. 102 f.; Paulus, Familienrollen, S. 115 f.; Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (Hg.), Frau in Familie (1966), S. 6; Schütze, Die gute Mutter, S. 114; Sommerkorn, Mutter (1988), S. 132. 630 Vgl. Schütze, Die gute Mutter, S. 114. 631 Vgl. Lehr, Rolle der Mutter (1974), S. 58. 632 Vgl. Kuller, Soziale Sicherung, S. 212; Lewis/Åström, Equality, S. 68. 633 Vgl. Neumaier, Hohe Wertschätzung, S. 45. 634 Vgl. Neumaier, Kernfamilie, S. 141; ders., Hohe Wertschätzung, S. 44. 635 Vgl. Kolbe, Gender, S. 147; Summers, Mehr Möglichkeiten, S. 172, 175 f.

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Die unterschiedlichen Einstellungen in Bezug auf die Müttererwerbsarbeit in Deutschland und Schweden lassen sich zwar keinesfalls monokausal auf unterschiedliche Einstellungen gegenüber der Säuglingsernährung zurückführen, sie wirkte jedoch in die Diskussion hinein. In Schweden herrschte generell eine nachgiebigere Einstellung gegenüber der Flaschennahrung (Lind, Moberg), während in Deutschland die Stimmen besonders laut waren, die das Stillen präferierten (Meves, Hellbrügge). Die Diskussionen um dieses Verhältnis verliefen in Deutschland und Schweden in ganz unterschiedlichen Bahnen, da sich die politischen Einstellungen gegenüber Müttererwerbsarbeit grundlegend voneinander unterschieden. Während sie in Schweden als Chance verstanden wurde, einen Mangel an Arbeitskräften auszugleichen, wurden Mütter in Deutschland nicht als Ressourcen für den Arbeitsmarkt verstanden. Hier wurde diese ebenfalls existierende Lücke stattdessen versucht, durch die Anwerbung sog. Gastarbeiter zu füllen. Deutsche Mütter wurden durch eine Reihe von Gesetzen und Regulierungen von der Erwerbsarbeit ferngehalten, die es ihnen erschwerte, Mutterschaft und Erwerbsarbeit zu kombinieren.636 Auf diesem Feld zeigen sich die größer werdenden Unterschiede sowohl in der Bewertung der psychologischen Bedeutung des Stillens als auch in der Einstellung gegenüber Frauenerwerbsarbeit in der Bundesrepublik Deutschland und Schweden besonders deutlich. Einen direkten Zusammenhang zwischen der Erwerbsarbeitsquote von Müttern und der Stillquote herzustellen ist fast unmöglich.637 Wichtiger ist, dass Stillen zeitgenössisch als wichtiger Faktor wahrgenommen wurde, und auf dieser Wissensgrundlage Entscheidungen getroffen wurden, die das Leben von Müttern und Säuglingen in Form von Gesetzen direkt beeinflussten. Zwischenfazit

Wie dieses Unterkapitel gezeigt hat, hat sich tatsächlich weniger die Flaschennahrung selbst, sondern vielmehr das Netzwerk verändert, in dem sie wirkmächtig war. Der Konnex aus Flaschennahrung und Säuglingstod hatte sich in Deutschland und Schweden aufgelöst. Die Flaschennahrung schaffte es erstmals, die Industrie und die Pädiatrie auf eine Seite zu bringen. Die industrielle Flaschennahrung, die zuvor als besonders gefährlich und als dem eigenen Anmischen der Nahrung unterlegen gehandelt wurde, wurde zum neuen Standard der Säuglingsernährung. Dabei wurden viele Schritte der alltäglichen Produktion von Flaschennahrung und Wissen über ihre Zubereitung an die Industrie abgegeben. Neue Flaschen, Flaschenwärmer, 6 36 Vgl. Kolbe, Gender, S. 145; Kuller, Soziale Sicherung, S. 212. 637 Carballo/Pelto, Factors, S. 178; Galtry, Impact, S. 1167.

Globalisierung der Flaschennahrung und „Re-Naturalisierung“ der Muttermilch (1974 – 1981)  |

Thermosflaschen etc. führten zudem zu einer Flexibilisierung dieser Ernährungsform, da sie nun auch unterwegs zubereitet und verabreicht werden konnte. Die Verbesserung des allgemeinen Lebensstandards sowie die Erhöhung des Einkommens machte es allen Bevölkerungsschichten möglich, Produkte der Säuglingsernährung zu kaufen und sie den Packungsanweisungen entsprechend zu benutzen. Die industrielle Flaschennahrung drang in neue Räume vor, wie die Geburtsstationen, wo die meisten Frauen seit den 1950er Jahren ihre Kinder zur Welt brachten, sowie den Einzelhandel, wo sie in offenen Regalen zum Verkauf angeboten wurde. Die Werbung vermittelte ein positives Bild dieser Nahrung, das den Eltern Sicherheit bot und die Gleichwertigkeit zur Muttermilch postulierte. Die Entwicklung dieser Produkte kam Mitte der 1970er Jahre vorerst zu einem Abschluss. All diese Akteure und Räume erweiterten den Einflussbereich der (industriellen) Flaschennahrung in den 1950er und 1960er Jahren. Mit der Entwicklung neuer Produkte standen Mütter erstmals vor einer Wahl, die jedoch potentiell neue Zwänge produzierte. Frauen, die schon früh wieder arbeiten gehen wollten, konnten auf die Flasche zurückgreifen, in dem Wissen, ihrem Kind nicht körperlich zu schaden. Schwedische Mütter, die nicht arbeiten gehen wollten, sahen sich gegebenenfalls unter Druck, abzustillen und zur Arbeit zurückzukehren. Deutschen Müttern wurden hingegen die potentiellen Konsequenzen ihrer Erwerbsarbeit wortgewaltig vor Augen geführt. Der Vater konnte mit der Flaschennahrung als legitime Alternative zur Muttermilch erstmals in die Säuglingspflege integriert werden, wie schon in den frühen 1960er Jahren in Schweden argumentiert wurde. Gleichzeitig entstanden neue Diskurse, die den Blick von der körperlichen auf die psychische Ebene lenkten. Entschied sich eine Mutter für das Stillen, sollte sie möglichst die Ernährung an den Bedürfnissen des Kindes ausrichten, es nach Bedarf stillen. Dies erforderte es, mehr Zeit gemeinsam mit dem Kind zu verbringen, als bei der Ernährung nach Schema, in der sich die Mutter zwischen den Ernährungszeiten um andere Arbeiten kümmern konnte. Insgesamt fiel es denjenigen, die die Flaschennahrung ablehnten, jedoch zunehmend schwerer, Gründe hierfür zu finden.

1.5 Globalisierung der Flaschennahrung und „Re-Naturalisierung“ der Muttermilch (1974 – 1981) In den 1950er und 1960er Jahren wurde die Diskussion um Flaschennahrung in der fachlichen und nicht-fachlichen Öffentlichkeit weniger kontrovers geführt als vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Industrielle Flaschennahrung hatte sich als Ernährung für Säuglinge in beiden Ländern normalisiert, da sich der enge

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Konnex aus Flaschennahrung und Tod in diesem Zeitraum endgültig aufgelöst hatte. ExpertInnen waren sich weitestgehend einig darüber, dass Säuglinge mit industrieller Flaschenmilch eine gute Entwicklung nehmen konnten. Seit Beginn der 1970er Jahre wandelte sich diese Einstellung jedoch wieder, als Flaschennahrung erneut in die Nähe von Krankheit und Tod rückte. Die Flaschennahrung wurde in den 1970er Jahren innerhalb von zwei miteinander verbundenen gesamtgesellschaftlichen Bewegungen neu ausgehandelt, wodurch sie ihre alte/neue Position als der Muttermilch unterlegene Ernährungsform einnahm: Zum einen entstand ein Diskurs um eine global verstandene Verantwortung für Menschen, insbesondere für Kinder und Mütter, in der „Dritten Welt“. Innerhalb dieses Diskurses kam Kritik an Praktiken großer Flaschennahrungshersteller auf, die industrielle Produkte in Entwicklungsländer exportierten und dadurch sowohl Säuglinge als auch Mütter gefährdeten. Dies wirkte zurück auf die Verhältnisse in Deutschland und Schweden.638 Zum anderen stieß die „zweite Welle“ der Frauenbewegung in Deutschland und Schweden neue Diskurse um den Frauenkörper an, stellte das Wissen der etablierten Medizin infrage und strebte danach, traditionelles Frauenwissen um den weiblichen Körper zum Vorschein zu bringen. Diese Abkehr von medizinischem Handlungswissen und die Anrufung natürlicher Instinkte und Bedürfnisse als maßgebliche Faktoren können als „Re-Naturalisierung“ der Ernährungsfrage untersucht werden.639 Beide Diskussionen ziehen sich durch das gesamte Unterkapitel und beziehen sich immer wieder aufeinander. Um die Globalisierung und Re-Naturalisierung der Ernährungsfrage zu unter­ suchen, gehe ich in vier Schritten vor. Zunächst skizziere ich die gesellschaft­lichen Veränderungen in Deutschland und Schweden zu Beginn der 1970er Jahre, mit einem Fokus auf die sozial- und familienpolitischen Entwicklungen (1.5.1). ­Anschließend wird die fachliche Diskussion um Flaschen- und Brusternährung in der Pädiatrie in den Blick genommen, die neues Wissen produzierte, das es nahelegte, die Mutter­ milch erneut als überlegene Ernäh­rungs­form zu verstehen (1.5.2). Im nächsten Schritt werde ich die Diskussion um Säuglingsernährung und Geschlechter­rollen analysieren, die das Stillen als Mittel zur Emanzipation für Frauen und den Vater als Unterstützer der Mutter neu definierte (1.5.3). ­Abschließend analysiere ich die 638 Vgl. Kuchenbuch, „Eine Welt“, S. 162; zur Globalisierung der Kindheit in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts vgl. Stearns, Childhood, S. 143 – 155. 639 Zur Problematisierung des Begriffs „Naturalisierung“ in Bezug auf die Stilldiskussion vgl. Heimerdinger, Naturalisierung. Aufgrund der häufigen Berufung auf „die Natur“ innerhalb des Stilldiskurses der 1970er Jahre, in dem sich die AkteurInnen bewusst von dem technisierten Prozess der Flaschennahrung abgrenzten, halte ich es in diesem historischen Fall trotzdem für sinnvoll, hier von einer „Re-Naturalisierung“ zu sprechen.

Globalisierung der Flaschennahrung und „Re-Naturalisierung“ der Muttermilch (1974 – 1981)  |

Blickverschiebung von Pädiatrie und Ö ­ ffentlichkeit auf die E ­ rnährungssituation von Säuglingen in der „Dritten Welt“ und die Auswirkungen dieser Diskussion auf Deutschland und Schweden sowie auf die internationale Ebene (1.5.4). 1.5.1 Transformation der Konsumgesellschaft

Die 1970er Jahre waren eine gesellschaftliche und politische Umbruchphase ­sowohl in der Bundesrepublik Deutschland als auch in Schweden. Nachdem beide Länder in den ersten zwei Nachkriegsjahrzehnten einen „Babyboom“ erlebt hatten, löste der Rückgang der Geburtenzahlen um 1970 Angst vor einer „Bevölkerungskrise“ aus. Darauf reagierte die schwedische Regierung mit einer Umstrukturierung der Betreuung von Kleinkindern und Erweiterung des Elternurlaubs und -geldes (vgl. 1.4.4), die es mehr Menschen erlauben sollte, Elternschaft und Erwerbsarbeit zu vereinbaren.640 Mit dem Antritt der sozialliberalen Koalition 1969 und dem Ende der christdemokratischen Regierungen in der Bundesrepublik lösten sich dort ebenfalls langsam konservative Tendenzen der Familienpolitik auf. Die neue Regierung führte 1976 eine grundlegende Reform des Ehe- und Familienrechtes durch. Die „Hausfrauenehe“ wurde durch die „Hausgattenehe“ abgelöst und Frauen von der Haushaltspflicht gegenüber ihren Ehemännern befreit. Sie konnten erstmals ohne Einwilligung des Ehemannes einer Arbeit nachgehen. Der Anteil arbeitender Frauen mit Kindern unter 15 Jahren hatte sich bereits zu Beginn der 1970er Jahre auf 44 % erhöht und nahm weiter zu.641 Die westdeutsche Politik hatte bisher weder erweiterten Elternurlaub für Mütter, geschweige denn für beide Elternteile oder den Ausbau von Kinderbetreuungsmöglichkeiten vorangetrieben. Für erwerbstätige Mütter wurde 1979 erstmals ein viermonatiger Mutterschaftsurlaub eingeführt, der aber erneut nicht-erwerbstätige Frauen ausschloss. Ganztagshausfrauen stellten in den 1970er Jahren immer noch die Mehrheit unter den verheirateten Frauen dar, die die Hauptlast für die Kinderbetreuung trugen. Das Idealbild der Frau als Hausfrau und Mutter bekam in den 1970er Jahren aber zunehmend Risse.642 6 40 Vgl. Bösch, Grenzen der Individualisierung, S. 127; Faulenbach, Die Siebzigerjahre, S. 6; Faulstich, Gesellschaft, S. 13 f.; König, Wende, S. 93 f.; Pörksen, Geburtsmedizin (1979), S. 973 f.; Lindner, Eröffnung (1973), S. 14; ders./Vivell, Begrüßung und Eröffnung (1979), S. 17 f.; Stenhammar u. a., Mjölkdroppen, S. 125; Wedel, “Katastrofal brist” (1970), S. 13. 6 41 Vgl. Hardach-Pinke, Angst, S. 575; Faulstich, Gesellschaft, S. 13 f.; Kuller, Sicherung, S. 210; Lenz, Das Private, S. 384; Niehuss, Hausfrau, S. 45 f. 6 42 Vgl. Faulenbach, Siebzigerjahre, S. 20; Heinemann, Wertewandel; Jarausch, Verkannter Strukturwandel, S. 17; Schlemmer, Befreiung oder Kolonisierung, S. 82, 85, 101.

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Gesundheitspolitisch gab es hingegen einige relevante Änderungen für Mütter und Säuglinge in der BRD . In den 1970er Jahren kam es, wie in Schweden in den 1930er Jahren, zu einer Wende hin zur Prävention als bestimmendes Konzept in der Gesundheitspolitik, nachdem zuvor vor allem kurative Maßnahmen geför­dert worden waren. Nachdem der Gesundheitssektor in den vorherigen Jahrzehnten größer und damit teurer geworden war, kam es hier zu Finanzierungsschwierig­ keiten und es wurden diverse Versuche unternommen, Einsparungen zu machen, u. a. durch den Ausbau von Vorsorgekonzepten. Die Sterblichkeit von Säuglingen war im europäischen Vergleich auch in diesem Zeitraum noch relativ hoch.643 Durch die frühere Erkennung von gesundheitlichen Problemen sollte sie behoben werden. Mutterpässe, die bereits Ende der 1960er Jahre eingeführt worden waren, stellten einen ersten Versuch dar, die Versorgung von Müttern und Säuglingen stärker zu koordinieren und zu vereinheitlichen. In den 1970ern nahmen die Krankenkassen Früherkennungsuntersuchungen für Säuglinge in ihren Leistungskatalog auf. Das Anliegen dieser frühen Untersuchungen war es zudem, die Eltern über Säuglings- und Kinderpflege zu informieren und zu motivieren. Die Beteiligung, an den späteren Untersuchungen, war jedoch gering. Seit den 1970er Jahren wurden die „gelben Hefte“ als Mutterpass ausgegeben, in die alle Untersuchungsergebnisse eingetragen werden sollten. Von ihnen erhoffte man sich eine höhere Standardisierung und bessere Kontrolle der Säuglingsgesundheit.644 In Schweden fanden keine maßgeblichen strukturellen Änderungen statt und der Gesundheitssektor expandierte in den 1970er Jahren weiter. Trotz eines Regie­ rungswechsels 1976, nach dem die Sozialdemokraten erstmals seit den 1930er Jahren nicht an der Macht waren, führte die bürgerlich-liberale Regierung keine systemverändernden Maßnahmen durch.645 In Bezug auf die Säuglingsgesundheit bedeutete dies, dass die Barnavårdscentaler ihre Arbeit fortsetzten, die sich vorrangig auf präventive Maßnahmen konzentrierten. Die geistige und körperliche Entwicklung fast aller in Schweden geborenen Kinder wurde durch diese zentralen Einrichtungen kontrolliert, Eltern konnten hier individualisierte Informationen über Kinderpflege und -ernährung erhalten. Ein ganzheitlicher Ansatz, der nicht nur die körperliche Entwicklung des einzelnen Kindes beobachtete, sondern die 6 43 Akademie für öffentliches Gesundheitswesen in Düsseldorf, Mütter- und Säuglingssterblichkeit (1986), S. 8; Beck u. a., Mütter- und Säuglingssterblichkeit (1978), S. V. 6 44 Vgl. Harnack, Podiumsdiskussion (1979), S. 158; Kunze, Podiumsdiskussion (1975), S. 102; Lindner, Gesundheitspolitik, S.  458; Nolte, Prävention, S.  244; Jachert, Dreißig Jahre. 1949 – 1979, S. 1361; Spanger, Grundzüge, S. 6. 6 45 Es handelte sich dabei um eine Koalition aus Moderater Sammlungspartei, Volkspartei und Zentrumspartei. Danach folgten verschiedene Minderheitsregierungen und Koalitionen bis 1982, als die Sozialdemokraten erneut an die Macht kamen, vgl. Kolbe, Elternschaft, S. 455.

Globalisierung der Flaschennahrung und „Re-Naturalisierung“ der Muttermilch (1974 – 1981)  |

soziale Situation und die psychische Entwicklung einbezog, gewann an Einfluss gegenüber der Bekämpfung einzelner Probleme und Erkrankungen.646 Die vorherigen Jahre waren in Deutschland und Schweden durch eine stetige wirtschaftliche Expansion gekennzeichnet, die in den 1970er Jahren ins Stocken geriet. Seit dem Zweiten Weltkrieg hatten steigende Prosperität und Planungs­ sicherheit die nationale Selbstwahrnehmung in beiden Ländern bestimmt. Erstmals stiegen die Arbeitslosenzahlen wieder an und ein Gefühl von Unsicherheit in der Bevölkerung breitete sich aus. Insbesondere der industrielle Sektor schwächelte, während der Dienstleistungssektor seinerseits expandierte.647 Spätestens in den 1970er Jahren waren die deutsche und schwedische Gesellschaft zu Massen­ konsumgesellschaften geworden. Im Ernährungssektor hatte die Zahl hochtechnisierter Fertigprodukte, zu denen auch die Säuglingsflaschennahrung gezählt werden kann, stetig zugenommen. Immer mehr Lebensmittel wurden in Plastik verpackt, die einfach im Supermarkt gekauft werden konnten. Dieser Trend wurde in Deutschland unter der Chiffre der „Wegwerfgesellschaft“, in Schweden als „slit och släng“ („abnutzen und wegwerfen“) kritisiert.648 Gegenentwürfe fanden sich in den Vorstellungen von „Nachhaltigkeit“ und „Wiedergebrauch“ (­ „återbruk“).649 Verbunden war diese Konsumkritik mit umweltpolitischen Beden­ken. Namhafte WissenschaftlerInnen warnten öffentlichkeitswirksam, die Welt sei an die „Grenzen des Wachstums“ gekommen und ein Umdenken in der Nutzung der weltweiten Ressourcen müsse herbeigeführt werden.650 Eng verbunden mit den Anliegen der Umweltbewegung und ­Konsumkritik war eine neue Bewertung der Werbung, deren negative Aspekte zunehmend hervorgehoben wurden. In Rückbezug auf Texte von Theodor W. Adorno und Max Horkheimer wurde, in Deutschland wie in Schweden, die Werbung einer 6 46 Vgl. Hirdman/Lundberg/Björkman, Historia, S. 582; Jonsell, Hälsovård, S. 13; vgl. Lindner, Krise, S. 318; Östberg, Break or Continuity, S. 53; Stenhammar u. a., Mjölkdroppen, S. 130, 141. 6 47 Vgl. Doering-Manteuffel, Ursprünge, S. 318; ders./Raphael, Boom, S. 33; Faulstich, Gesellschaft, S. 11 f.; Hirdman/Lundberg/Björkman, Historia, S. 569; Knop, Flower Power, S. 215; Schön, Ekonomik historia, S. 468. 6 48 Vgl. Conradson, Sillburkar, S. 84; Husz, Morality, S. 169; König, Wende S. 93 f.; Ruppert, Kulturgeschichte, S. 27. 6 49 Sowohl in Deutschland als auch in Schweden war das schon 1961 geschriebene Buch von Rachel Carson, Stiller Frühling, ein wichtiges Manifest dieser Ideen. Vgl. Faulenbach, Jahrzehnt, S. 31; Faulstich, Gesellschaft, S. 9; Husz, Spara, S. 324 f.; Östberg, 1968, S. 68. 650 Zur Bedeutung des Buches The Limits of Growth für die westdeutsche Umweltpolitik siehe: Seefried, Towards the Limits to Growth? Vgl. Engels, Umweltschutz, S. 414 f.; König, Wende, S. 93 f.; Kuchenbuch, „Eine Welt“, S. 168; Milder, Greening Democracy; Möckel, Material Culture; Therborn, Gesellschaften Europas, S. 332 f.

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marxistischen Lesung unterzogen und als „Agent des Kapitals“ kritisiert.651 In Bezug auf die Säuglingsernährung war die Werbekritik seit Aufkommen der ­industriellen Nahrung in den 1860er Jahren ein integraler Bestandteil sozialpädia­ trischer Arbeit. Sie nahm in den 1950er und 1960er Jahren kurzzeitig ab, erlebte aber in den 1970er Jahren aufgrund dieser kritischen Einstellung zur Werbung in der Gesellschaft eine Renaissance. Die Kontroverse um Säuglingsnahrung im Allgemeinen wurde durch die Kritik an Werbepraktiken großer Konzerne im Globalen Süden neu angestoßen. Zusammengefasst waren die 1970er Jahre eine Phase des Umbruchs, der sich auf viele Lebensbereiche auswirkte. Beide Gesundheitssysteme setzten jetzt auf Prävention, wenn auch die deutschen Mütter dafür auf die individualisierte Versorgung der niedergelassenen ÄrztInnen angewiesen waren. Das Zusammenkommen von Krisendiskursen und alternativen Bewegungen um 1970 führte dazu, dass die Transformation der Gesellschaft zu einem Anliegen breiterer Gesell­schaftsschichten wurde, die den Status quo grundlegend in Frage stellten. Besonders wichtig für die Diskussion um Flaschennahrung war die Aufwertung von Natürlichkeit gegenüber technisiertem Fortschritt. Wie sich diese Diskurse auf die Wissensproduktion um die Flaschennahrung auswirkten, wird der nächste Abschnitt untersuchen. 1.5.2 Ernährungsphysiologie und Stillforschung

Nach einer Phase relativen Desinteresses an der Flaschennahrung rückte die Ernäh­rungsfrage erneut in den Aufmerksamkeitsbereich von WissenschaftlerInnen. Die 1970er Jahre sahen eine Pluralisierung und Diversifizierung der Ernäh­rungsforschung, die mit einer größeren Ausdifferenzierung des Faches Kinder­heilkunde und der höheren Spezialisierung innerhalb der Medizin seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges korrespondiert. Insgesamt zeigt sich außerdem ein Trend zu interdisziplinären und internationalen Forschungsgruppen, die fokussiert an spezialisierten Teilfragen der Säuglingsernährung forschten.652 Artikel in Fachzeitschriften hatten seitdem zumeist mindestens zwei AutorInnen, teilweise aber auch fünf oder mehr. Dies weist auf die größere Spezialisierung ­innerhalb 651 Vgl. Funke, Swedish Business, S. 97; Huster, Frische, S. 15 f.; Husz, Spara, S. 324; Knop, Flower Power, S. 211 f.; Trentmann, Introduction, S. 10. 652 Vgl. zu diesem Gesamttrend in den Wissenschaften Burke, Social History of Knowledge, Bd. 2, S. 176 – 182.

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des Faches, aber auch auf komplexer werdende technische Arbeitsschritte hin, die es benötigte, um wissenschaftliche Ergebnisse zu liefern. Ein typisches Beispiel für interdisziplinäres und spezialisiertes Arbeiten war das Symposium über die „Qualitative Bewertung der Ernährung junger Säuglinge“ von 1973, an dem Wissen­schaftlerInnen aus der Pädiatrie mit verschiedenen Spezialisierungen, orga­ nische Chemie, Biochemie und Hygiene, teilnahmen und jeweils ein Element der Säuglingsernährung (Zellstoffwechsel, Kohlenhydrate, Vitamine, Fette, Spurenelemente, Immunologie, technische Herstellung der Produkte, Bakteriologie etc.) präsentierten.653 Das einsame Genie des forschenden (männlichen) Kinderarztes, der sich auf allen Feldern der Kinderheilkunde profilierte, wie es zu Beginn des Jahrhunderts ­typisch war, findet sich zu diesem Zeitpunkt nicht mehr. Die menschlichen und nicht-menschlichen Akteure in der Säuglingsernährung hatten sich vervielfältigt und ausdifferenziert. Die Diskussion um Säuglingsernährung innerhalb der Kinderheilkunde hat sich seit den 1960er Jahren deutlich verändert. Dies wird schon bei einer Durchsicht pädiatrischer Fachzeitschriften aus Deutschland und Schweden deutlich. Wenn Säuglingsernährung besprochen wurde, gingen Artikel eher auf Teilaspekte ein, anstatt, wie zu Beginn des Jahrhunderts, die Ernährung im Ganzen zu behandeln. Das Gegenüberstellen von „künstlicher“ und „natürlicher“ Ernährung war fast komplett aus den Fachzeitschriften verschwunden. Vergleiche zwischen Brust und Flasche oder zwischen unterschiedlichen Produkten fanden sich seltener in medizinischen Fachpublikationen, dafür aber häufig in populären Zeitschriften wie Eltern und dem schwedischem Äquivalent Vi Föräldrar. Dies spricht einerseits für den Bedeutungsverlust der Ernährungsfrage in der Wissenschaft und anderseits für den allgemein hohen Standard der Industrienahrung, der nicht mehr von der Pädiatrie angezweifelt wurde.654 Diese Verschiebung hing nicht zuletzt damit zusammen, dass die Forschung an Flaschennahrungsprodukten in die Hände der Industrie übergegangen war. Diese arbeitete zwar eng mit der Fachwelt zusammen, aber veröffentlichte keine Rezepturen in wissenschaftlichen Magazinen, wie dies die Erfinder früherer Produkte taten. Einer der Gründe war sicherlich, der Konkurrenz auf dem Markt keine Informationen zu liefern.655 Zudem veröffentlichten Nestlé, Semper und 653 Vgl. Deutsche Gesellschaft für Kinderheilkunde, Symposium über qualitative Bewertung der Ernährung junger Säuglinge (1974). 654 Vgl. Enge, Modersmjölksersättningar (1978), S. 65; Holm-Alvestrand, Vi granskar nappflaskor (1978), S. 52 f.; Schöne, Sieben Babys (1980). 655 Vgl. Fagerfjäll, Semper, S. 10; Lind/Neumann, Att amma (1973); Nordfeldt, Semper och forskning (1964), S. 49; Semper Foods (Hg.), Semper Foods (1999), S. 24 f.; Thorell/Lind, Barnmatsvinsten (1964), S. 52 f.

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Alete ­spezielle Fachzeitschriften, in denen sich ExpertInnen über Ernährung austauschten. Nestlé publizierte die Ergebnisse von internationalen pädiatrischen Tagungen in den Annales Nestlé, die teilweise durch den Nahrungsmittelhersteller finanziert wurden. In ähnlicher Weise sponserte Semper wissenschaftliche Symposien und Forschungsprojekte. Der Erlös aus der Säuglingsernährung wurde seit 1963, laut Aussagen der Firma, komplett in die wissenschaftliche Forschung von Säuglingsernährung reinvestiert. Dazu gründete die Firma den Semper Fonds för Näringsforskning (Semper Fonds für Ernährungsforschung), dessen Vorsteher in den ersten zehn Jahren der Nobelpreisträger für Physiologie Hugo Thorell war.656 Die Annäherung passierte also von beiden Seiten. Die Pädiatrie nahm die Vertriebswege und die Finanzierungsunterstützungen der Firmen in Anspruch, während die Firmen durch solche Kooperationen wissenschaftliches Prestige erhiel­ten. Die Zusammenarbeit mit der Industrie wurde nicht mehr als unehrenhaft in Kollegenkreisen kritisiert. Sie erfuhr jedoch heftige Kritik in der Diskussion um die Rolle von Herstellern industrieller Säuglingsnahrung in der „Dritten Welt“ sowie der feministischen Stillbewegung in Schweden und Deutschland.657 Die Art und Weise, wie ForscherInnen in den 1970er Jahren zu ihren Ergebnissen kamen, hatte sich gegenüber dem Jahrhundertbeginn grundlegend geändert. Die fragmentierte, spezialisierte Forschung an Teilbereichen der Ernährung machte die Ernährungsfrage zunehmend komplexer. Gleichzeitig erhoben sich Stimmen, die diese Fragmentierung kritisierten und dazu aufforderten, ganzheitlicher zu denken, den Säugling in sein soziales Umfeld eingebettet und die Familie als Ganzes zu betrachten.658 Diese beiden Tendenzen zeigen sich in der fachlichen Aufspaltung, die im Folgenden betrachtet wird: der engeren ernährungsphysiologischen Forschung sowie der Stillforschung, die in beiden Ländern das Anliegen hatte, die Stillquote zu erhöhen. Die ernährungsphysiologische Forschung stand in Zusammenhang mit einem erneuten Aufblühen von präventiver Medizin und Sozialpädiatrie. Um 1970 hatte die Säuglingsernährung in beiden Ländern erneut Aufmerksamkeit auf sich gezogen, weil sie mit der Ernährungssituation der Gesamtgesellschaft korreliert wurde. ExpertInnen argumentierten, im Zuge der Hochtechnisierung der Ernährung sei die Bevölkerung übergewichtig und damit ungesund geworden.659 Die industrielle 656 Vgl. Thorell, Industriell och “akademisk” forskning. Ett samarbete som ger resultat (Föredrag av professor Hugo Thorell vid invidningen av Semper AB :s huvudkontor och utvecklingslaboratorium i Wenner-Gren Center den 8. 6. 1967, in: Semperarkiv, Ö2 Övriga handlingar. 657 Vgl. Hedström, Nappflaskan (1982), S. 46 f., insbesondere S. 50 f. 658 Vgl. Stenhammar u. a., Mjölkdroppen, S. 136. 659 Vgl. Hofvander/Sjölin, Breast Feeding (1979), S. 122; o. A., Dicke Kinder (1977); Pechstein, Sozialpädiatrische Zentren (1979); Weinreb, Modern Hungers, S. 197 f., 202.

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Säuglingsnahrung wurde in diesem Diskurs zur Ursache des schlechten Ernährungszustands der Bevölkerung gemacht, wie ein Artikel aus dem Stern von 1977 zeigt: Von klein auf gepäppelt mit Baby-Kraftnahrung, früh auf Erwachsenenkost gesetzt, schon auf der Schulbank umworben von der Zuckerwaren- und Limonaden-Industrie – so gedieh nun auch in der Bundesrepublik eine Generation von Molligen, die den Ärzten fast soviel Sorgen bereitet wie einst die knochigen Nachkriegskinder.660

Wie schon zu Beginn des Jahrhunderts wurde nicht Unter-, sondern die Überernährung als Folge der Modernisierung im öffentlichen Diskurs präsentiert. In diesem Rahmen erhob sich in den 1970er Jahren aus der Pädiatrie erneut Kritik an der industriellen Flaschennahrung, die jedoch im Vergleich zum ­Beginn des Jahrhunderts milder ausfiel. In der Bundesrepublik waren es vor allem ForscherInnen des Dortmunder FKE , die sich dem Thema widmeten.661 Dessen Leiter, Werner Droese, und seine Mitarbeiterin Helga Stolley veröffentlichten 1973 „Kritische Bemerkungen zur Säuglingsernährung“ in der Fachzeitschrift für praktische Kinderärzte Pädiatrische Praxis. Schon die Wahl des Magazins deutet darauf hin, dass die Flaschenernährung weniger eine wissenschaftlich theoretische Frage war, sondern vielmehr ein Thema, das vor allem die Praxis der Kinderheilkunde ­betraf. Dort gaben sie einen Überblick über den aktuellen Stand des Angebots an ­industrieller Säuglingsnahrung. Anders als zu Beginn des Jahrhunderts beginnt dieser Artikel allerdings nicht mit der Versicherung, Muttermilch sei die beste Nahrung für das Kind, sondern mit dem folgenden Statement: Die Ernährung mit industriell hergestellten Milchpräparaten und Beikost hat die Aufzucht von Neugeborenen und Säuglingen sicherer gemacht. Diese Säuglingsnahrungen haben eine gleichbleibend gute Qualität, sind hygienisch und bakteriologisch einwandfrei und können auf Vorrat gehalten werden.662

Selbst in einem kritischen Text erhielt die industrielle Nahrung in den 1970er Jahren Anerkennung bei ExpertInnen, die ihr positive Auswirkungen auf die Säuglingsgesundheit insgesamt attestierten. Doch sie fanden auch Probleme. So kritisierten sie insbesondere Nahrungen, denen Säure zugesetzt wurde sowie sog. 2/3-Milch, die zu kalorienreich war, und kamen zu dem Schluss, dass nur 660 o. A., Dicke Kinder (1977), S. 55. 661 Vgl. Koletzko, 50 Jahre Forschungsinstitut, S. 599; Manz, Wissenschaft. 6 62 Droese/Stolley, Kritische Bemerkungen (1973/1974), S. 1. Andere Forscherinnen und Forscher bestätigten diese Einschätzung: Schmidt, Immunbiologische Probleme (1974), S. 245.

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ungefähr die Hälfte der angebotenen Produkte den neuesten Empfehlungen der Forschung entsprach.663 Ein weiteres Problem sahen Droese und Stolley darin, dass keines der untersuchten Flaschenmilchprodukte dem Mineral- und Vitamingehalt der Muttermilch entsprach. Ihnen ging es vor allem darum, die Aufklärung über die Flaschennahrung nicht allein der Industrie zu überlassen. Sie waren der Meinung, es herrsche „große Unsicherheit“ über die Ernährung von Säuglingen. Fehler könnten jedoch vermieden werden, wenn die Ernährung des gesunden Säuglings wieder mehr von Fachpersonal gelenkt würde.664 Die Fachwelt versuchte Deutungsmacht zurückzuerobern, die ihr durch die Produkte der Flaschennahrungshersteller entglitten war. Neu in der Diskussion um industrielle Säuglingsnahrung war die Maßgabe, dass diese ebenso wie Muttermilch nach Bedarf gegeben werden konnte und sollte. Die geänderte Zusammensetzung der sog. teil-adaptierten Nahrung führte dazu, dass sie schneller verdaut wurde und der Säugling früher wieder Hunger bekam. Viele Mütter waren jedoch verunsichert, ob sie ihrem Kind mehr Flaschenmilch geben sollten, weil sie den Ernährungsregeln folgten, die seit dem frühen 20. Jahrhundert die wichtigste Prämisse der Ernährungspraxis darstellten.665 Es sei generell schwierig für junge Säuglinge, eine achtstündige Nachtruhe durchzuhalten, ­äußerte Dr. Wolf von der Kasseler Kinderklinik. Kinder würden außerdem seltener übergewichtig, wenn sie mit teil-adaptierter Nahrung und nach Bedarf ernährt wurden, als mit der kalorienhaltigen nicht-adaptierten Nahrungen. Insgesamt kam Wolf zu dem Ergebnis, „daß die [mit adaptierter Milch] ernährten Neugeborenen und Säuglinge nicht nur gut gediehen, sondern auch ruhiger und zufriedener w ­ aren 666 als Kinder, denen die Trinkmenge genau zugeteilt worden war“. Die höhere chemische Angleichung an die Muttermilch brachte demnach die Angleichung der Ernährungspraktiken von Flaschenernährung an Brusternährung mit sich. In Schweden konzentrierte sich die Ernährungsforschung an der Universitätsklinik in Uppsala und dem dort angesiedelten Institut für Ernährungs­forschung (Näringsforskningsinstitutet). Die maßgeblichen Forscher dort waren Bo Vahlquist, Bo Lönnerdal und Leif Hambræus, die sowohl in den 1960er als auch in den 1970er Jahren umfangreich zur Säuglingsernährung publizierten. Der Schwerpunkt des 6 63 Vgl. auch: Diskussion und Vorträge auf dem Symposium am 29. Januar 1972 in Timmendorfer Strand, „Aktuelle Probleme der Säuglingsernährung“ (1974). Insbesondere Hauptthema I: „Nahrungswahl aus heutiger Sicht – Standort der adaptierten Milchnahrungen“, an der sich Werner Droese und Helga Stolley, sowie R. Grüttner von der Universitätsklinik in Hamburg und H. Wolf von der Kinderklinik des Stadtkrankenhauses Kassel beteiligten. 664 Droese/Stolley, Künstliche Ernährung (1965), S. 1379. 6 65 Vgl. Grüttner, Beitrag zum Hauptthema I: „Nahrungswahl aus heutiger Sicht“ (1974), S. 355 f. 666 Wolf, Beitrag zum Hauptthema I: „Nahrungswahl aus heutiger Sicht“ (1974), S. 356 f.

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Instituts lag auf Grundlagenforschung zur Zusammensetzung der Muttermilch. Die immunologischen und allergologischen Bestandteile der Muttermilch waren ein weiterer Fokus der ForscherInnen in Uppsala, die in den 1970er Jahren viel Aufmerksamkeit erhielt. Ende der 1950er Jahre hatten Arbeiten von Bo ­Vahlquist hervorgehoben, dass sich schützende Stoffe vor allem in der Anfangsmilch, dem Kolostrum, fänden.667 Die Forschung der 1970er Jahre legte nahe, dass ausschließliches Stillen während der ersten sechs Lebenswochen der Entwicklung von Kuhmilch- und Glutenunverträglichkeiten bei Kindern vorbeugte.668 Zudem untersuchten Studien den Zusammenhang zwischen der Ausbildung von Kuhmilchallergien und dem frühen Füttern kuhmilchbasierter Industrienahrung.669 Auf die immunologischen und anti-allergischen Vorzüge der Muttermilch wurde in der Diskussion um die Überlegenheit der Brusternährung gegenüber der Flaschen­ ernährung während der 1970er Jahre immer wieder hingewiesen, auch in Deutschland. Der Umstand, dass gestillte Kinder seltener krank wurden, wurde nicht nur auf die größere Hygiene der Brusternährung, gerade in nicht-westlichen Ländern, zurückgeführt, sondern vor allem auf die infektionshemmenden Stoffe, die der Säugling mit der Muttermilch aufnahm. Diese Stoffe sollten davor schützen, Allergien zu entwickeln.670 Aufgrund dieser neuen Erkenntnisse bzw. der wissenschaftlichen Bestätigung alter Annahmen nahm die Muttermilch wieder eine überlegene Position gegenüber der Flaschenmilch ein. Schwedische Kinderärzte und Kinderärztinnen äußerten sich ebenfalls zur indus­triellen Flaschennahrung. Sie wiesen wie die deutschen KollegInnen darauf hin, dass die Flaschennahrung nicht genau der Zusammensetzung von Muttermilch entspräche und forderten, die Informationshoheit über Flaschenernährung dürfe nicht allein in den Händen der Industrie liegen.671 Teilweise hätten 667 Vgl. Collins/Moore Lappé, Mythos (1978), S. 342, zit. in: Aktionsgruppe Babynahrung, Boykott (1984), S. 3; Schetelig, Bedeutung des Stillens (1979), S. 349. 668 Vgl. Chandra, Prospective Studies (1979), S. 693; Danaeus/Johansson, A Follow-up Study (1979); Fällström/Winberg/Andersen, Cow’s Milk Induced Malabsorption (1965); Hanson u. a., New Knowledge in Human Milk Immonuglobulin (1978), S. 581; ders./Andresen, Comparison (1962); Ho/Wong/Lawton, Human Colostral and Breast Milk Cells (1979), S. 395; Stintzing/Zetterström, Cow’s Milk Allergy (1979). 6 69 Vgl. Hambræus u. a., Nitrogen and Protein Components (1978), S. 564; Jakobsson/Lindberg, Prospective Study of Cow’s Milk Protein Intolerance (1979), S. 853; Stintzing/Zetterström, Cow’s Milk Allergy (1979), S. 387. 670 Vgl. Arbeitsgruppe Dritte Welt, Exportinteressen (1976), S. 17; de Château u. a., Study of Factors (1977), S. 575; Jelliffe/Jelliffe, Human Milk (1978), S. 84; Schetelig, Bedeutung des Stillens (1979), S. 349; Schmidt, Immunbiologische Probleme (1974). 671 Vgl. Köhler/Köhler/Lundquist, Use of Weaning Foods (1977), S. 665; Lönnerdal/Forsum/ Hambræus, Protein Content (1976), S. 126.

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Eltern nur die Informationen der Nahrungsmittelhersteller zu Hause. Die BVC sollten ihrer Aufgabe als präventive und aufklärerische Organe besser nachkommen. ­Dabei sah man sich in Schweden insgesamt in einer besseren Position als in ­anderen Ländern, da es bereits eine Vereinbarung zwischen Industrie und Kinderärzteschaft gab, wie industrielle Produkte beworben werden durften. Die Industrie erkannte außerdem die Überlegenheit der Muttermilch an und beteiligte sich an der Erforschung des Stillens (vgl. 1.4.2).672 Die Äußerungen der Kinderärzte und Kinderärztinnen zeigen eine Positionsverschiebung an. Es ging nicht länger um die Herstellung oder Veränderung der Säuglingsnahrung per se, sondern darum, die bestehenden Produkte zu bewerten.673 In dieser kleinen semantischen Verschiebung manifestiert sich der deutliche Unterschied zur pädiatrischen Forschung in der ersten Jahrhunderthälfte, die Rezepturvorschläge zwar bewertete, deren Ziel es aber war, selbst die Rezepturen zu verändern. Mit den komplexeren Anforderungen an Säuglingsernährung und -pflege, die sowohl dessen körperliches als auch seelisches Wohl ansprachen, waren die Anfor­ derungen an die Aufklärungsarbeit gestiegen. Ein Weg, um neues Wissen über Säuglingsernährung weiterzugeben, waren Elternkurse, die in den 1970er Jahren sowohl in Schweden als auch in Deutschland erneut an Popularität ­gewannen. Diese wurden von verschiedenen Trägern zumeist schon während der Schwangerschaft, häufig von Hebammen, angeboten. In Schweden waren diese Elternkurse u. a. dazu gedacht, den Vater auf seine Aufgabe vorzubereiten und so früh wie möglich in das Familienleben zu integrieren. Seit den 1970er Jahren war die Bedeutung des Vaters für das Kind hier hervorgehoben und politisch gefördert worden (vgl. 1.4.4). In Deutschland richteten sich die Geburtsvorbereitungskurse hingegen primär an Mütter.674 In beiden Ländern setzte sich der Trend der 1960er Jahre fort, die Ernährung des Säuglings der Wahl der Mutter zu überlassen, allerdings mit einer zunehmend deutlicheren Betonung auf die Vorzüge des Stillens. John Lind begrüßte es etwa, dass die „Stillhysterie hinter uns“ läge und Mütter, die nicht stillen konnten, sich nicht minderwertig fühlen mussten. Die vorhandenen Ersatzprodukte hätten vielen Kindern das Leben gerettet und vielen Müttern „ein ruhiges Gewissen“ gegeben. Die Praktiken der Flaschenernährung müssten sich jedoch denjenigen des Stillens angleichen, so sollte Körperkontakt auch beim Füttern mit der Flasche 6 72 Köhler/Köhler/Lundquist, Use of Weaning Foods (1977), S. 671 f. 673 Deutsche Gesellschaft für Kinderheilkunde, Symposium über qualitative Bewertung der Ernährung junger Säuglinge (1974). 674 Vgl. Lind, Familjens födsel (1975), S. 294 f.

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aufgenommen werden und damit „bonding“ unterstützen.675 In der Eltern fand sich 1974 ein Artikel mit dem Titel „Stillen oder nicht? – Das müssen Sie gleich nach der Geburt des Babys entscheiden“, in dem beide Optionen gleichermaßen und relativ wertneutral besprochen wurden. Es fand sich lediglich der Hinweis, Ärzte rieten dazu, das Kind in den ersten Tagen zu stillen, da das Kolostrum, also die Anfangsmilch, besonders reich an Abwehrstoffen sei.676 Auch Vi Föräldrars Artikel „Hilfe für dich, die stillen möchte“ schrieb die Idee fort, dass Mütter besser unterstützt werden müssten, um erfolgreich an der Brust ernähren zu können.677 Gegen Ende der 1970er Jahre, in Folge weiterer Wissensproduktion um das Stillen sowie der öffentlichen Diskussion um Frauengesundheit und die Säuglingsernährung im Globalen Süden, gewann die Brusternährung als überlegene Ernährungsform allerdings in beiden Ländern wieder an Gewicht, was auch in Publikationen zur Ernährungsfrage vertreten wurde.678 Schon in den 1950er und 1960er Jahren hatte sich ein ständiges Sinken der Stillquote in Deutschland und Schweden abgezeichnet, was bereits von einigen KinderärztInnen kritisiert worden war. Zu Beginn der 1970er Jahre wurde diese fallende Stillrate erneut in ein öffentliches Problem übersetzt, dem mit Forschung und Aufklärung begegnet werden musste. Die Erforschung der Muttermilch und Ernährung an der Brust nahm daher in den 1970er Jahren deutlich zu.679 Ausgangspunkt hierfür war, dass ForscherInnen eine erstaunliche Diskrepanz gefunden hatten: Viele Mütter wollten stillen und die Stillraten in den ersten Tagen nach der Geburt waren sehr hoch, aber nur wenige Mütter stillten über einen längeren Zeitraum.680 Ziel war es daher zu verstehen, warum Mütter aufgehört hatten zu stillen und wie sie wieder dazu ermuntert werden konnten. 6 75 Vgl. Lind, Familjens födsel (1975), S. 300; Skogberg/Wickbom, Barnsjukdomar (1978), S. 53. 676 Schwabenthan, Stillen oder nicht? (1975), S. 103. 677 Carlson, Hjälp till dig som vill amma (1976). 678 Vgl. Abrahamsson, The Mother’s Choice of Food (1979), S. 103; Baer/Marguiles, Infant and Young Child Feeding (1980), S. 72; Hofvander/Sjölin, Breast Feeding (1979), S. 125; Lechner, Stillen (1980); ders., Zehn Vorurteile (1980). Im April 1980 gab es einen Sonderteil zum Stillen in Eltern, der mit einem Foto eingeleitet wurde, das mit „Stillen – Das beste fürs Baby“ überschrieben war. Auf dem Bild ist eine Mutter zu sehen, die auf einer Parkbank sitzt und ihren Säugling stillt, während zwei Kleinkinder zuschauen. Auf diesen Sonderteil gab es viele Reaktionen, die in einer LeserInnenbriefsammlung im Juli 1980 veröffentlicht wurden, o. A., Stillen: „Nicht aufgeben, auch wenn es anfangs nicht gleich klappt!“ (1980). 679 Vgl. eine frühe Problematisierung in Schweden: Ström, Falling Rate (1956); siehe auch: CA , Amningen (1981), S. 325; Heiniger, Wandel, S. 101 f.; Lönnerdal/Forsum/Hambræus, Protein Content (1976), S. 125; Royer/Vahlquist, Breast Feeding (1978), S. 553; Stenhammar u. a., Mjölkdroppen, S. 111, 157. 680 Vgl. Sjölin/Hofvander/Hillervik, Prospective Study (1979), S. 529.

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In Deutschland waren die MitarbeiterInnen des Zentrums für Sozialpädia­trie in München um Theodor Hellbrügge tonangebend in der Stillforschung. In Schweden waren es vor allem John Lind, Bo Lönnerdal, Stig Sjölin, Yngve H ­ ofvander und Peter de Château, die sich dieser sozialpädiatrischen Erforschung des Stillens widmeten. Während die frühe Stillforschung zu Beginn des Jahrhunderts vor allem nach körperlichen Problemen bei Müttern gesucht hatte, um Stillprobleme zu erklären, hob sie in den 1970er Jahren vor allem psychosomatische Gründe hervor.681 Dies drückte sich insgesamt in einer neuen Art und Weise aus, über die Ernährung mit Muttermilch zu sprechen. Ihr wurde erneut eine Bedeutung zugeschrieben, die über die reine Versorgung des Säuglings mit Nahrung hinausging. Zeigten die Forschungsbeiträge der 1950er und 1960er Jahre eine Tendenz zur Rationalisierung des Stillens, wurde in den 1970er Jahren der Argumentationsstrang des frühen 20. Jahrhunderts erneut aufgenommen, der die Einzigartigkeit der menschlichen Milch hervorhob. So erklärte Bo Lönnerdal, Mitarbeiter am Institut für Ernährungsforschung in Uppsala, in einem Artikel über die „Chemie der Brustmilch“ von 1979 einleitend: „[I]ch sehe Muttermilch nicht nur als chemisches Produkt der Brustdrüsen, sondern Stillen, also dessen Konsum, gibt wertvollen Anlass zum physischen und psychischen Kontakt zwischen der Mutter und dem Säugling.“ 682 Dieses Zitat zeigt an, dass sich in der Stillforschung Wissensbestände aus verschiedenen Fachbereichen, wie Psychologie und Soziologie, überlagerten. Sie legte einen größeren Fokus auf soziale bzw. psychologisch-kognitive Faktoren sowie auf den gesamten Prozess des Stillens und seine Bedeutung für die Entwicklung des Kindes. Die StillforscherInnen vertraten nun erneut die Meinung, das Stillen sei die überlegene Form der Säuglingsernährung. Der Begriff der gestörten oder erfolgreichen Stillbeziehung wurde häufig aufgerufen, um über die Brusternährung zu sprechen. Dies deutet auf die Fortsetzung des bindungstheoretischen Denkens innerhalb der Pädiatrie hin. Dem ersten Lebens­jahr und innerhalb dessen der frühen Neugeborenenphase wurde aus psycho­logischer Sicht eine immer größere Bedeutung für die psychische Sicherheit des Kindes zugeschrieben.683 Besonders einflussreich war eine Weiterführung der Bindungstheorie, die dazu riet, direkt nach der Geburt Körperkontakt zwischen Mutter und Kind herzustellen. Sie basierte auf Arbeiten der amerikanischen Psychologen Marshall H. Klaus und John H. Kennel. Schwedische ÄrztInnen 681 Vgl. Manciaux, Developmental Paediatrics (1979), S. 469; Stauber, Psychohygienische Aspekte (1979). 682 Lönnerdal, Bröstmjölkens kemi (1977), S. 389. 683 Vgl. Förster, Hunger und Intelligenzentwicklung (1979), S. 1761; Lind, Familjens födsel (1975), S. 293; Schetelig, Bedeutung des Stillens (1979), S. 349.

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beteiligten sich ebenfalls an der Erforschung der Bedeutung der ersten Phase nach der Geburt.684 Durch den frühen Erstkontakt würde eine Art enges Band zwischen Mutter und Kind geknüpft und dies würde auf lange Sicht dazu beitragen, die Stillbeziehung zu fördern. Über diese neuen Erkenntnisse sprach Marshall H. Klaus auch bei einem Symposium, das vom Semper-Konzern ausgerichtet worden war.685 Klaus’ und Kennels einflussreiches Werk Maternal Infant Bonding von 1976 fand in Deutschland und Schweden schnell Verbreitung. Die Messungen, die sie zu der Annahme führten, die ersten Lebensstunden seien von besonderer Bedeutung, resultierten zunächst 1972 aus Studien an neugeborenen Ziegen.686 Bereits 1983 riefen die beiden Autoren der Studie ihre These allerdings zurück: Nicht die ersten Stunden, sondern bereits die Schwangerschaft und die weitere Säuglingsphase wären wichtig für diesen Prozess. Eine revidierte Version ihres Bestsellers kam 1982 unter dem Titel Parental Infant Bonding auf den Markt.687 Ihrer späteren Revision wurde weniger Beachtung geschenkt als der ersten Version. Die Bedeutung des frühen Körperkontaks für die frühe Bindung zwischen Mutter und Kind erhielt große Aufmerksamkeit und wurde anschließend in vielen Kranken­häusern berücksichtigt. Ihre Thesen befeuerten außerdem die Akteurinnen und Akteure erneut, die die Bedeutung der Mutter für ihr Kind – im Gegensatz zur gesamten Familie und dem Vater – hervorhoben. Gemein hatten deutsche und schwedische Pädiatrie, dass sie sich für einen veränderten Umgang mit Müttern und Säuglingen auf der Geburtsstation einsetzten. Sie traten vor allem dafür ein, dass die Möglichkeit zum sog. Rooming-in gegeben war (vgl. 1.4.3). Dies schloss an Bemühungen aus den 1950er und 1960er Jahren an und begann sich in den 1970er Jahren zunehmend durchzusetzen.688 Der Fokus auf die Stillbeziehung führte zudem dazu, dass sich die Pädiatrie in beiden Ländern endgültig von der Propagierung eines festen Stillschemas abwandte. Die 684 de Château/Winberg, Long-term Effect (1977); dies., Long-term Effect on Mother-Infant Behaviour (1977); dies./Holmberg, Left-hand Preference (1978), S. 173; Newton, Psychosocial Aspects (1979). 685 Vgl. Klaus, Recent Observations (1974). 686 Vgl. Jansson, Födande män, S. 174; Lind, Familjens födsel (1975), S. 296; Manciaux, Paediatrics (1979), S. 470; Reddy u. a., Breastfeeding and Bonding, S. 157; Roberts, Dr. Marshall H. Klaus (2017), S. D7; Schetelig, Bedeutung des Stillens (1979), S. 349; Skogberg/Wickbom, Barnsjukdomar (1978), S. 48; Vitelo, John Kennell, Advocate of Infant Bonding (2013), S. A26. „Maternal behavior has been explored thus far mainly in animal studies“, Richmond, Mother’s Tie to Her Child (1970), S. 189. Pionierstudie war: Hersher/Moore/Richmond, Effect of Post Partum Separation (1958). 687 „‚Ich wünschte, wir hätten das nie geschrieben‘, meinte Dr. Klaus in einem Interview mit der New York Times“, in: o. a., These widerrufen (1983), S. 250. 688 Vgl. Lind, Familjens födsel (1975), S. 298; Pörksen, Geburtsmedizin (1979).

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Bedürfnisse des Kindes rückten in den Mittelpunkt. Beim Stillen „nach Bedarf “ (ad libitum) sollte dem Säugling erlaubt werden, so oft und so lange zu trinken, wie er wollte. Selbst bei der Flaschennahrung wurde nun dazu geraten, sie nach Bedarf zu geben. Einschränkend wurde hinzugefügt, dass, wenn das Kind „träger saugt“, die Flasche weggenommen und die Tageshöchstmenge nicht überschritten werden sollte.689 Diese Verschiebung in den Ernährungspraktiken ging einher mit der endgültigen Anerkennung der Persönlichkeit des Säuglings. Seine individuellen Bedürfnisse wurden zum Primat, an dem sich die Pädiatrie und die Eltern orientieren sollten (vgl. 2.5.1 und 2.5.2).690 Dieser Umschwung der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Stillen nahm auch Einfluss auf die Ausrichtung großer Konzerne, wobei kein Unternehmen so weit ging wie Semper. 1973 veranstaltete die Firma ein Symposium, zu dem verschiedene ExpertInnen eingeladen wurden. Dazu zählte u. a. die norwegische Stillaktivistin Elisabet Helsing, die 1970 mit ihrem Stillratgeber Boken om amming (Das Buch vom Stillen) in Skandinavien für große Aufmerksamkeit gesorgt hatte. Es wurde 1974 ins Schwedische übersetzt.691 Zusammen mit ihr und anderen ExpertInnen erarbeitete Semper einen eigenen Stillratgeber, der im gleichen Jahr in Schweden auf den Markt kam. Ein Jahr später erschien Fakta om amning (Fakten über das Stillen), eine Broschüre, die ebenfalls Informationen über das Stillen lieferte. Dieser Schritt wurde in der pädiatrischen Fachwelt anerkannt und begrüßt.692 Nicht nur in Bezug auf die Flaschennahrung, sondern auch auf die Ernährung an der Brust erhöhte sich die Zusammenarbeit zwischen Industrie und Pädiatrie in Schweden. Die Annales Nestlé legten 1978 einen Band über Stillen vor, der sogar bei deutschen Stillaktivistinnen Anklang fand, die ansonsten dem Konzern kritisch gegenüberstanden (vgl. 1.5.4).693 Zusammenfassend ist hier festzuhalten, dass es zwei gegenläufige Diskurse gab. Zum einen argumentierte eine Gruppe von ForscherInnen in beiden Ländern, dass 689 Vgl. Lindquist/Meeuwisse, Pediatrisk näringsfysiologi (1978), S. 49; Schöne, Sieben Babys (1980), S. 132. 690 Vgl. Lind, Familjens födsel (1975), S. 299; o. A., Das erste Jahr mit dem Kind (1975), S. 26; Schetelig, Bedeutung des Stillens (1979), S. 349. 691 Helsing, Boken om amming (1970); schw. Übersetzung durch die Ernährungsforscherin Lillemor Abrahamsson (Universität Uppsala), Boken om amning (1974). 692 Vgl. Fagerfjäll, Semper, S. 10; Hofvander/Sjölin, Breast Feeding (1979), S. 125; Kjellmar u. a., Fakta om amning (1974); Lind/Neumann, Att amma (1973); Nordfeldt, Semper och forskning (1964), S. 49; Semper Foods (Hg.), Semper Foods (1999), S. 24 f.; Thorell/Lind, Barnmatsvinsten (1964), S. 52 f.; Sjölin/Hofvander/Hillervik, Prospective Study (1979), S. 529. 693 Vgl. Annales Nestlé, Stillen (1978); Lothrop, Stillbuch (1980), S. 205.

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sich Säuglinge mit industrieller Nahrung gut entwickeln konnten, auch wenn sie Nachbesserungsbedarf in der Zusammensetzung der Nahrung sahen. Zum anderen gab es eine Gruppe innerhalb der Pädiatrie, die das Stillen aktiv befördern und Mütter darin unterstützen wollte, ihre Säuglinge länger an der Brust zu ernähren. Dabei übernahmen psychische und kognitive Argumentationen gegenüber der körperlichen Entwicklung des Kindes die Oberhand. Dazu trugen auch die Flaschennahrungshersteller bei. Es wurde ständig neues Wissen produziert, das Stillen wieder als überlegene Ernährungsform erscheinen ließ. 1.5.3 Stillen in der Zweiten Frauenbewegung und die „neuen Väter“

Neben den StillforscherInnen gab es eine weitere Gruppe, die sich wortstark für das Stillen einsetzte: Mütter bzw. Eltern selbst. Im Anschluss an die StudentInnenbewegung Ende der 1960er Jahre gewann die Diskussion um Geschlechterrollen auch in Deutschland deutlich an Einfluss und spitzte sich in Schweden zu. In einem ersten Schritt stellt dieses Kapitel heraus, wie frauenpolitische Themen und Stillen miteinander ins Verhältnis gesetzt wurden. In einem zweiten Schritt zeichne ich nach, welche Wechselwirkungen diese Forderungen der Frauen und neue (Selbst)Definitionen von Vaterschaft zeitigten. Hier ist die Frage, wie diese beiden – potentiell gegenläufigen Strömungen „Mütterlichkeit und Stillen“ vs. „Väterlichkeit und aktive Säuglingspflege“ – miteinander interagierten, welches Wissen sie generierten und wie sich Handlungsmöglichkeiten in der Säuglingsernährung so veränderten. Im Anschluss an die Proteste von „1968“ und die StudentInnenbewegung hatten sich in Deutschland und Schweden Frauengruppen gegründet, die zunächst im studentischen und akademischen Milieu angesiedelt waren.694 Als Teil der StudentInnenbewegung hatten diese Frauen und insbesondere Mütter jedoch erlebt, dass ihre Belange von den männlichen Genossen höchstens als „Nebenwiderspruch“ angesehen und häufig missachtet wurden. Vielmehr reproduzierten sie die Machtverhältnisse der als konservativ kritisierten Mehrheitsgesellschaft.695 Hier setzten die Frauenbewegungen einen Kontrapunkt, indem sie die Befreiung der Frauen und Gleichberechtigung der Geschlechter seit Anfang der 1970er Jahre lautstark gesellschaftlich einforderten und „das Private“ politisierten. Sowohl die 694 Zur Rolle von Frauen in der Genese von „68“ vgl. Hodenberg, Achtundsechzig. Einen Vergleich zwischen „68“ in Deutschland und Schweden hat Thomas Etzemüller schon vor einigen Jahren vorgelegt, vgl. Etzemüller, Imaginäre Feldschlachten. 695 Vgl. Lenz, Das Private, S. 385; Aussage von Maud Hägg, in: Elgán, Vittnesseminarium, S. 55 f.

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deutsche als auch die schwedische Frauenbewegung gingen dabei von einem radikalen Gleichheitsfeminismus aus und lehnten die Ende der 1970er Jahre aufkommende „Neue Weiblichkeit“, die Frauen aufgrund ihrer biologischen Funktion als Mütter und Nährerinnen als „bessere“ Menschen überhöhten, größtenteils ab.696 Der eigene Körper stand im Mittelpunkt der Bewegungen. Die Inspiration kam dabei aus den Vereinigten Staaten, wo das Boston Women’s Health Book Collective mit dem Ratgeber Our Bodies, Ourselves ein Mantra produzierte. In diesem Ratgeber verknüpften sie Wissen über den weiblichen Körper mit Erläu­ terungen zu Verhütungsmethoden und Abtreibungstechniken.697 Die Frauen kritisierten die männlich konnotierte und in den 1970er Jahren noch überwiegend mit Männern besetzte Pädiatrie und Gynäkologie und deren medikalisierte technische Herangehensweise an Geburt, Stillen und Kindererziehung. Es ging ihnen darum, das Wissen über Geburt und Kinderpflege bzw. um ihren eigenen Körper „zurückzuerobern“.698 Dabei schuf die Frauenbewegung ebenfalls Allianzen mit anderen sozialen Bewegungen wie der Umweltbewegung und der Dritte-Welt-Bewegung. Alle überschnitten sich in der Kritik an der technisierten Welt des „Westens“ und forderten ein „Zurück“ zu einem natürlicheren Leben. Die Frauenbewegung schnitt dieses Argument vor allem auf den eigenen Körper zu und forderte zu Beginn der 1970er Jahre mehr Selbstbestimmung, was sich in Deutschland und Schweden u. a. in der Forderung nach einer Änderung des Abtreibungsgesetzes äußerte.699 Auffallend ist sowohl im deutschen als auch im schwedischen Diskurs um Frauen­gesundheit, dass in der Argumentation der Frauen häufig auf ein „Davor“ verwiesen wurde. Damit gemeint war eine Zeit, in der Frauen Wissen und Macht über ihre Körper besaßen und geradezu instinktiv ihre Kinder zur Welt brachten und stillten, bevor männliche Kinderärzte und Gynäkologen die Deutungsmacht über den weiblichen Körper erlangten.700 Auch ­geschichtswissenschaftliches 696 Vgl. Elgán, Vittnesseminarium, S. 86 – 88; Lenz, Die unendliche Geschichte? S. 24; Delphy, Was an der „neuen“ Weiblichkeit frauenfeindlich ist (1978), S. 38 – 41. 697 Vgl. Boston Women’s Health Book Collective (Hg.), Our Bodies, Ourselves (1973, dt. Übersetzung 1980). Vgl. Heinemann, „Kindersegen“; Lenz, Das Private, S. 397; Sasson, Third World, S. 1217; Schmitz, Kvinnorörelsen. 698 Vgl. Bryder, Breast to Bottle, S. 58; Hardach-Pinke, Angst, S. 559; Jansson, Födande män, S. 184; Jarausch, Strukturwandel, S. 14; Linder, Sicherheitskonzepte, S. 242; Marland, ­Women, S. 487; Rodenstein, Somatische Kultur (1984); Sasson, Third World, S. 1217; Seichert, Erziehung, S. 126 f. 699 Vgl. Bösl, Medizintechnik, S. 47; Burhenne, Mutterliebe, S. 106 f.; Jarausch, Strukturwandel, S. 14; Karcher, Sisters in Arms; Kramer, Neue soziale Bewegungen, S. 213; Östberg, 1968, S. 140 ff. 700 Vgl. Jansson, Födande män, S. 184.

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­ issen wurde hier in Position gebracht, das zeigte, wie Frauen durch männliche W Vorstellungen von Mütterlichkeit und Sittlichkeit dazu angehalten worden waren, ihre natürliche Beziehung mit den Säuglingen zu Gunsten einer medizinisch-­ moralisch aufgeladenen Regulierung aufzugeben. Insbesondere die Körperhistorikerin und Soziologin Barbara Duden erforschte die Medikalisierung weiblicher Körper. In der Berliner Frauenzeitschrift Courage verfasste sie zusammen mit der Soziologin Uta Ottmüller einen Artikel über die Geschichte des Stillens im Westen, in dem sie der Medikaliserung dieser Praxis nachgingen.701 Eine weitere Referenzfigur des Diskurses waren „primitive“ oder „traditionelle“ Gesellschaften. Dabei wurde häufig auf anthropologische Forschung zurückgegriffen und Margret Mead war einmal mehr eine Gewährsfrau für die Anliegen der Frauenbewegung. Den „nicht-zivilisierten“ Müttern wurde eine ursprüngliche Beziehung zu ihrem Körper und ihren Kindern zugesprochen, die nicht durch die westliche Medikalisierung beeinträchtigt worden war und damit als schützens- und erstrebenswert galt.702 In Schweden äußerte sich dies u. a. in einer Diskussion um schmerzfreie Geburten, in der Frauen Psychotechniken, sog. Psychoprophylaxe, (wieder)erlernen sollten, um das Geburtserlebnis selbst zu steuern und dadurch schmerzfrei zu gestalten.703 Mütter wurden dazu aufgefordert, ihr medizinisches „Fachwissen“ zu vergessen und stattdessen ihren „Instinkten“ zu vertrauen, die durch die männliche Medikalisierung ihrer Körper verloren gegangen waren. Mutterschaft war jedoch auch in den Diskursen der Frauenbewegung ein ambi­ valentes Thema und ein Streitpunkt, wie ein Beitrag zur 3. Sommeruniversität in der Frauenzeitschrift EMMA aus dem Jahr 1978 deutlich macht: Wie sehr die Frage ‚Kinder – ja oder nein?‘ alle Frauen berührt, zeigte sich sowohl in der Aggressivität als auch im Entschuldigen und Rechtfertigen – gleich von welcher Position aus. Frauen mit Kindern fühlen sich von der Frauenbewegung zurückgewiesen oder mit ihren ­Problemen 701 Vgl. Hausen, Polarisierung (1976); Duden/Ottmüller, Der süße Bronnen (1978); Marland, Women, S. 488. Uta Ottmüller wurde mit einer Arbeit über „Speikinder – Gedeihkinder. Kommunikationstheoretische Überlegungen zu Gestalt und Funktion frühkindlicher Sozia­lisation im bäuerlichen Lebenszusammenhang des deutschsprachigen 19. und frühen 20. Jahrhunderts“, an der Freien Universität Berlin 1968 promoviert, vgl. auch: Ottmüller, Erwiderung auf Aural Ende (1979). Die Historisierung des weiblichen Körpers und des ärztlichen Zugriffs darauf wurde in Schweden vor allem von Kajsa Ohrlander Ende der 1980er Jahre vorangetrieben, vgl. Ohrlander, Barnet fick en kropp. 702 Vgl. Hagström, Föreställningar, S. 189; Hardyment, Dream Babies, S. 260; Jansson, Födande Män, S. 194; Jelliffe/Jelliffe, Human Milk (1978), S. 192. 703 Vgl. Hagström, Föreställningar, S. 189; dies., Man, S. 53 f.; Jansson, Födande män, S. 194; Schmitz, Kvinnorörelsen, S. 112 f.; Vivi, Psykoprofylax (1974), S. 12 f. Siehe für Deutschland: Prill, Entwicklung der psychosomatischen Geburtshilfe (1986).

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und Entscheidungen nicht richtig akzeptiert. Frauen ohne Kinder stehen unter dem Druck der Erwartungen der Gesellschaft: Frau sein gleich Mutter sein – und das besonders in Zeiten zunehmender Emanzipationsbestrebungen, in denen alte Weiblichkeitsideale wieder aufpoliert werden.704

In diesem Sinne war auch das Stillen eine Herausforderung für die bundesdeutschen Mütter innerhalb der Frauenbewegung – eine Praxis, die als emanzipatorischer Akt eine Befreiung aus patriarchalen, medikalisierten Strukturen ermöglichte. In der Courage erschienen Ende der 1970er Jahre eine Reihe von Artikeln, die sich mit dem Stillen beschäftigten.705 Ein Artikel – „Das Stillmanifest“ – sticht hervor, der dazu auffordert, „Stillen als Kampfmittel“ einzusetzen. Die Frauen forderten, Stillen aus der Privatsphäre des Hauses herauszulösen und diese Praxis als natürlichen Teil der Mutterschaft und Kindheit in die Gesellschaft hineinzutragen, indem auch in Cafés oder im Bus gestillt wurde. Insgesamt müsse die Gesellschaft viel stillfreundlicher gestaltet werden. Um dies zu erreichen, sollte aus Sicht der Autorinnen ein volles Babyjahr geschaffen werden, das in Höhe des vorherigen Lohns vergütet wurde und arbeitenden Frauen sollte eine Rückkehr auf ihren Arbeitsplatz garantiert werden. Ihre Kritik richtete sich auch gegen das medizinische Personal, das Frauen nicht ausreichend in ihren Stillversuchen unterstützte – auch hier müsse in Zukunft Aufklärungsarbeit geleistet werden.706 Weitere Artikel in der Courage nahmen die Problematik auf, dass Stillen zu der Zeit fast nur reichen Frauen möglich war, die sich den Lohnausfall leisten konnten.707 Die Autorinnen argumentierten, ein volles Erziehungsjahr bzw. Mutterurlaub sei nicht zuletzt nötig, um Gerechtigkeit zwischen den sozialen Schichten herzustellen.708 Die Interpretation des Stillens als eine Rückkehr zum Mutterkult 704 Backes, „Wir sind doch keine Märtyrerinnen!“ (1978), S. 45. Vgl. Lenz, Selbstbestimmung und Solidarität. 705 Vgl. Kramer, Bewegungen, S. 213; Seichert, Erziehung, S. 128 f. Die EMMA positionierte sich ebenfalls zu Fragen von Mutterschaft und dem Verhältnis von Mutterschaft und Feminismus, verhandelte das Stillen jedoch eher am Rande, als anspruchsvollen Teil der Mutterschaft, vgl. Wittlich, Mutterhaß (1977); Pollmann/Holler, Die Rabenmutter (1978); Schwarzer, Gespräch mit Geli Kreutter Hogl und Günther Hogl (1979). Auch in der EMMA forderten Autorinnen verschiedentlich, die Gesellschaft müsse kinderfreundlicher gestaltet und die Verbindung von Arbeit und Mutterschaft erleichtert werden, positionierten sich jedoch kritisch gegenüber der Einführung des Erziehungsgelds von 1979, vgl. Pinl, Erziehungsgeld (1977), S. 23; dies., Gefährlicher Mutterschutz (1978), S. 29; Willich, Mutterhaß (1977), S. 10. 706 Vgl. Stillgruppe, Stillen als Kampfmittel (1978), S. 25; Seichert, Erziehung, S. 128 f. 707 Vgl. Hofvander, Patterns of Breast Feeding (1979), S. 70; ders./Petros-Barvazian, WHO Collaborative Study (1978), S. 556. Siehe auch Seichert, Erziehung, S. 127. 708 Vgl. Finkenstaedt, Schnell noch stillen (1978), S. 22.

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lehnten die Autorinnen der Courage dennoch ab. Das Neue ihrer Bewegung sahen sie darin, Frauen die Möglichkeit zu geben, sich für oder gegen diese Mutterrolle bewusst entscheiden zu können. Jo Wünsche erklärte den Haltungswandel der Frauen folgedermaßen: „Ich glaube eher, daß sie sich stark genug fühlen, von ihrer Entscheidungsfreiheit Kind oder nicht Gebrauch zu machen, daß sie die Möglichkeit akzeptieren, Mutter zu werden, gerade als Teil ihrer Selbstverwirklichung, nicht als Selbstaufgabe.“ 709 Ende der 1970er Jahre bildeten sich dann in Deutschland erste Stillgruppen. Diese gingen auf ein einflussreiches US -amerikanisches Vorbild, die La Leche League (LLL ), zurück.710 Deren Gründerinnen boten seit den 1950er Jahren Stillkurse und Stillberatung an, die von Frau zu Frau durchgeführt wurden und auf den Erfahrungen der Teilnehmerinnen basierten. Frauen, die erfolgreich an den Treffen teilgenommen hatten, konnten sich zu „League Leaders“ ausbilden lassen und ebenfalls Treffen anbieten – so verbreiteten sich die Gruppen rasant. Die Nachfrage stieg in den kommenden Jahrzehnten ebenfalls enorm und die LLL verbreitete sich zunehmend auch in anderen Ländern. Seit 1981 hat die LLL einen Beraterstatus bei der UNICEF und ist beratendes Mitglied der WHO .711 Die LLL war bei ihrer Gründung eine explizit konservative Gruppe, wie die Historikerin Lynn Y. Weiner herausgestellt hat: „The La Leche League arose to defend traditional domesticity against the assaults of modern industrial life and to dignify the physical, biological side of motherhood.“ 712 Noch 1981 sprach sich eine der Gründerinnen gegen die Erwerbsarbeit von Müttern aus, weil so die enge Bindung von Mutter und Kind gestört werden könne.713 Auch wenn eine Studie zur Geschichte der Stillgruppen in Deutschland noch aussteht, lassen sich diese explizit konservativen Tendenzen dort nach heutigem Stand nicht feststellen. Sie waren vielmehr sowohl bei frauenbewegten als auch bei konservativen Frauen gleichermaßen beliebt.714 Im Jahr 1976 wurde der erste 7 09 Wünsche, Stillen. Ein Problem (1978), S. 12. 710 Vgl. DeJager Ward, La Leche League, S. 8. 711 Stäbler, La Leche Liga (2003), S. 458. 712 Weiner, Reconstructing Motherhood, S. 1358. Vgl. Kröger/Rückert-John, Stillen, S. 192; Sasson, Third World, S. 1202; Schwab, Mechanical Milk, S. 489. Die katholischen Anfänge finden sich noch in der Namensgebung des Vereins, der sich an der „Nuestra Señora de la Leche y del Buen Parto“ in Florida anlehnt. Damit konnte auch das verpönte Wort „Brust“ vermieden werden, das im Englischen für das Stillen (breast-feeding) verwendet wurde. 713 Vgl. Weiner, Reconstructing Motherhood, S. 1380 f. 714 So empfahlen sowohl die Courage (Bührmann, Sterben Kinder durch Nestlé? (1978), S. 27) als auch der Ratgeber der konservativen Autorin Martha Ehler, Ich will mein Kind stillen (1978), S. 118 f., die deutsche La Leche League als Ansprechpartnerin für stillende Frauen. Vgl. hierzu ausführlich: Limper, Vorsprung durch Stillen?, S. 301 f.

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Ableger der LLL von Edda Langmann und Hanny Lothrop gegründet. Hanny Lothrop war eine ausgebildete Psychologin und Mutter von drei Kindern, die durch ihre einflussreiche Publikation Das Stillbuch heute immer noch deutschlandweite Bekanntheit genießt.715 Lothrop hatte bei der Geburt ihrer ersten Tochter die positive „Stillkultur“ in den USA erlebt. Als sie kurz danach nach Deutschland kam und von den negativen Stillerfahrungen ihrer Freundinnen hörte, war sie entsetzt und wollte gemeinsam mit verbündeten Frauen diesem Defizit entgegenwirken. Dabei setzte sie sowohl auf die Vermittlung von praktischem Wissen innerhalb der Stillgruppen, aber auch auf die Vermittlung von Wissen an wissenschaftliche Akteure. So übersetzte sie etwa in Der Kinderarzt Forschungsergebnisse aus den USA zum Einfluss der Krankenhausgeburt auf das Stillen.716 Zusammen mit der Psychologin Dagmar Bieselt-Hubral verfasste Lothrop einige Monate später einen Beitrag darüber „[w]ie man stillwilligen Frauen helfen kann“, der als Appell an die Fachgesellschaft der Kinderärzte gelesen werden kann, sich ebenfalls mehr für diese Ernährungsform einzusetzen. Die Aktivistinnen schrieben gegen Stereotype an, die Frauen für die niedrige Stillquote haftbar machten. Verantwortlich sei vielmehr eine mangelnde Aufklärung durch die Kinderärzteschaft: „[F]ür die geringen Stillzahlen wird leichtfertig die Frau verantwortlich gemacht. Sie sei, so heißt es immer wieder, ‚zu faul‘, möchte ‚lieber ausgehen‘, ‚arbeiten‘ oder: ‚rauchen‘ als ihr Kind stillen.“ 717 Die Ärzteschaft habe so das Bild der luxussüchtigen Frau reproduziert und sich nicht um ihre tatsächlichen Bedürfnisse gekümmert. So stellte sich die Frage „Brust oder Flasche“ in den 1970er Jahren als ein Kampf um Wissensbestände dar und neue AkteurInnen, die alternatives Wissen einbrachten, übernahmen eine wichtige Rolle in der Verbreitung des Stillens als optimale Ernährungsform. Die deutschen Stillgruppen wurden allerdings erst in den 1990er Jahren zu einem Massenphänomen.718 In Schweden verlief die Diskussion um die Gleichberechtigung der Geschlechter und auch das Stillen in den 1970er Jahren gegenüber der Bundesrepublik deutlich anders. Dabei lässt sich gegenüber der deutschen Frauenbewegung sowohl 7 15 Siehe Kröger/Rückert-John, Stillen, S. 192; Seichert, Erziehung, S. 126. 716 Countryman, Krankenhauspflege (Übers. Hanny Lothrop, 1977), S. 965 f. 717 Bieselt-Hubral/Lothrop, Wie man stillwilligen Frauen helfen kann (1977). Ironischerweise war direkt neben ihrem Beitrag eine Werbung für Milupa-Heilnahrung platziert worden, siehe Werbung, Milupa. Heilnahrung, in: Der Kinderarzt (1977), S. 1347. Siehe hierzu auch: Laukut-Rogowik, So fein wie Muttermilch (1978). 718 Stillgruppe, Stillen als Kampfmittel (1978), S. 25; Hormann/Nehlsen, Stillsituation, S. 8 f.; Kersting/Dulon, Fakten zum Stillen (2002), S. 1201; Seichert, Erziehung, S. 126. In den frühen 1980er Jahren spaltete sich eine Gruppe von der LLL ab, da diese mit deren hierarchischer Führungsstruktur unzufrieden war, und gründete die Arbeitsgemeinschaft Freier Stillgruppen, die mittlerweile vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert wird, vgl. Tilli, Stillfrequenz, S. 56.

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eine unterschiedliche Schwerpunktsetzung in den Forderungen beobachten als auch eine ganz andersartige Reaktion der etablierten Politik auf diese Forderungen. Beson­ders einflussreich in Schweden war die Grupp 8, die seit den 1970er Jahren das Magazin Kvinnobulletinen (Das Frauenblatt, letzte Ausgabe 1996) herausgab. Sie wollte die Aufmerksamkeit auf die Diskriminierung der Frau in der Gesellschaft lenken und aus sozialistischer Sicht kritisierten. Dort schrieben die schwedischen Frauen schon fast zehn Jahre vor den deutschen Journalistinnen über frauenrelevante Themen, insbesondere Arbeitsfragen und Abtreibungsrecht und diskutierten diese kritisch.719 Artikel, die sich explizit mit dem Stillen beschäftigten oder diese Praxis gar zum Mittel politischer Agitation erklärten, finden sich im Kvinnobulletin hingegen nicht. Zwar nutzt die Zeitschrift Gemälde von stillenden Frauen, um Artikel zu illustrieren, die sich mit Mutterschaft beschäftigen, über diese Ernährungsform wurde dann jedoch nicht gesprochen. Die Artikel nutzen die stillende Mutter eher als eine Personifizierung des traditionellen Muttermythos, dem Autorinnen und Beiträgerinnen der Zeitung durchweg ablehnend gegenüberstanden.720 Die schwedische Frauenbewegung fokussierte vielmehr auf die Einrichtung von Kinderbetreuungsplätzen und Krippen und konnte hier Erfolge feiern.721 Diese unterschiedlichen Schwerpunkte im Diskurs mögen auch damit zusammenhängen, dass Mutterschaft in Schweden und Deutschland unterschiedlich staatlich anerkannt und gefördert wurde. Während der schwedische Staat alle familienpolitischen Leistungen an die Mütter auszahlte, profitierten in Deutschland vor allem verheiratete Männer von Freibeträgen für die Kinder etc.722 Die Historische Bewegungsforschung hat zudem herausgestellt, dass sowohl die schwedische „68-Bewegung“ als auch die Frauenbewegung auf deutlich weniger Widerstand in der Politik stießen als in anderen Ländern, u. a. in Westdeutschland. Zu Beginn der 1970er Jahre entstand in Schweden vielmehr der „Staatsfeminismus“,723 der die Gleichstellung der Geschlechter auf die politische Agenda setzte und durch verschiedene Maßnahmen förderte. Die schwedische Gesellschaftspolitik basierte auf einer Konsenskultur, die Reformbewegungen aufnahm, eruierte und institutionalisierte. So wurden auch die Forderungen der Frauenbewegung nicht als Herausforderung der staatlichen Ordnung gesehen, sondern vielmehr als Teil 719 Vgl. Östberg, 1968, S. 138, 345; Schmitz, Nya kvinnorörelsens uppkomst, S. 9 f.; dies., Den nya kvinnorörelsen, S. 97; Wiklund, Landskap, S. 235 ff. Zur Entwicklung des Abtreibungsrechts in Schweden vgl. Lennerhed, Kvinnotrubbel; dies., No Backlash. 720 Vgl. o. A., Den goda modern (1976); Witt-Brattsträm, Modighetens Politik (1979), o. S.; Titelbild, Kvinnobulletin 10 (Nr. 5, 1980). 721 Vgl. Schmitz, Nya kvinnorörelsens uppkomst, S. 26 f. 722 Vgl. Kolbe, Vaterschaftskonstruktionen, S. 187 ff. 723 Florin/Nilsson, Jämställdhetens politisering, S. 10.

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des politischen Prozesses, der neue Maßnahmen anstieß. So wurde etwa 1974 mit dem Ausbau der Kinderganztagsbetreuung begonnen.724 Unter diesen Voraussetzungen gestaltete sich auch die Förderung des Stillens deutlich anders als in Deutschland, wo Stillen als rebellischer Akt stilisiert wurde. Auch in Schweden gründeten sich in den 1970er Jahren Stillgruppen, die das Anlie­gen verfolgten, das „vergessene Wissen“ des Stillens an Frauen weiterzugeben, jedoch ohne Rückbezug auf die La Leche League. In Skandinavien war die Norwegerin Elisabeth Helsing besonders einflussreich, die mit schwedischen Frauen 1973 die Stillhilfe (Amningshjälpen) gründete. Das dort produzierte Erfahrungswissen gaben sie weiter an andere Frauen und Mütter. Außerdem bot die Stillhilfe Telefonberatung für Frauen an, die nicht in der Nähe einer Gruppe wohnten oder ad hoc Hilfe benötigten. Die Gruppe setzte sich auch dafür ein, gesellschaftliche Voraussetzungen zu verbessern, um Müttern das Stillen zu ermög­lichen. So warben sie etwa für ein Gesetz, das es stillenden Frauen erlaubte, während der Arbeitszeit zu stillen. Sie verknüpften die Forderung nach wirtschaftlicher Unabhängigkeit mit ihrem Recht auf Stillen.725 Eine weitere Initiatorin der Amningshjälpen war Eva Magnussen Hidman, die die Broschüre Hur man amma (Wie man stillt) entwickelte und über das Umweltzentrum Uppsala herausgab. In Uppsala, einem Zentrum der sozialpädiatrischen Stillforschung, entwickelte sich zudem eine Allianz mit dem Professor für Pädiatrie Yngve Hofvander, der sich in Fachkreisen für das Stillen einsetzte, und der Ernährungswissenschaftlerin Elisabeth Kylberg.726 Diese Kooperation zeigt die enge Verbindung aus umweltbewegten AkteurInnen und Stillaktivismus an. Auch die Socialstyrelsen (Sozialbehörde), also eine offizielle Behörde, widmete sich danach der Stillforschung und setzte eine ExpertInnengruppe ein, die 1976 ebenfalls eine populäre Broschüre, Amning. En skrift om amning och bröstmjölk (Stillen. Eine Schrift über Stillen und Brustmilch), veröffentlichte, die sich an Krankenhauspersonal richtete, eine Gruppe, der eine Schlüsselposition in der Vermittlung von Stillwissen zugesprochen wurde (vgl. 1.4.3). Seit 1978 wurde die Stillhilfe vom Socialstyrelse bzw. der Folkhälsoinstitution (Volksgesundheitsinstitution) finanziell unterstützt.727 Schweden entwickelte sich in den 1970er Jahren zu einem Vorbild für andere Länder, da auf politischer Ebene Maßnahmen ergriffen wurden, um 7 24 Vgl. ebd.; Etzemüller, Imaginäre Feldschlachten, S. 221, 223; Östberg, 1968, S. 347 f. 725 Vgl. Kylberg u. a., Amningshjälpens historik (1998). 726 Vgl. ebd. 727 Socialstyrelsen, Amning (1976). Vgl. Kylberg u. a., Amningshjälpens historik (1998); Jelliffe/­ Jelliffe, Human Milk (1978), S. 333; Holmquist, Modersmyt (1975); Stenhammar u. a., Mjölkdroppen, S. 138.

Globalisierung der Flaschennahrung und „Re-Naturalisierung“ der Muttermilch (1974 – 1981)  |

die Stillquote zu erhöhen.728 In Schweden lässt sich eine „Stillwende“, also der Anstieg der Stillfrequenz, schon um 1973 feststellen, in Deutschland hingegen mit einiger Verzögerung gegenüber der internationalen Entwicklung erst um 1977.729 Dabei betonten schwedische Publikationen das Wahlrecht der Frauen, wie etwa Elisabeth Kylberg in ihrer Broschüre zur alternativen Kindernahrung: „Mütter, die nicht stillen wollen, müssen gleichermaßen respektiert werden wie diejenigen respektiert werden müssen, die wirklich stillen wollen.“ 730 Diese vermehrte Hinwendung zum Stillen wurde durchaus kritisch gesehen, insbesondere in der BRD , wo Stillen als politische Praxis propagiert wurde. ­Marianne Wiedemann sprach sich in der Courage dafür aus, Stillen dürfe nicht zu einem neuen Zwang werden, der zum Verlust der weiblichen Autonomie führe.731 Eine Teilnehmerin der 3. Sommeruniversität von Frauen für Frauen in Berlin prangerte ebenfalls die biologistische und ideologische Überhöhung des Stillens an: Auf allen Gebieten der Produktion haben die Menschen die Naturgesetze in ihren Dienst genommen, nur die Frau soll immer noch wie eine Kuh oder Äffin den Naturgesetzen ihrer Gebärmutter und ihrer Milchdrüsen unterworfen bleiben, indem Kinder kriegen, füttern und herumschleppen ihr als natürliche Funktion und einzig echte Weiblichkeit bis heute in der Familienideologie angehängt wird.732

Einige Frauen befürchteten mit diesem „Zurück“ zur Natur würde eben doch das „Zurück“ zur alten Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau einhergehen. Monika Aly und Annegret Güttner, Aktive aus der Kinderladenbewegung, kritisierten im Kursbuch von 1983 Frauen, die über das Stillen sich selbst vergaßen und sich nur noch über die Stillbeziehung zum Kind definierten. Besonders kritisch sahen sie, dass dieses „Stilisieren des Stillens zum emanzipatorisch verzeichneten Blut- und Hautmythos“ Mütter, die nicht „mithalten können, an den Rand der Minderwertigkeit“ drängte.733 Stillen konnte aus dieser Sicht als 728 Vgl. Gyllenswärd u. a., Medical Standards (1977), S.  131 f.; Jelliffe/Jelliffe, Human Milk (1978), S. 333; o. A., Swedish Code of Ethics (1977); Pörksen, Geburtsmedizin (1979), S. 974; ­Schetelig, Bedeutung des Stillens (1979), S. 351; Sjölin/Hofvander/Hillervik, Prospective Study (1979), S. 529. 729 Vgl. Bösl, Medizintechnik, S. 47; Hofvander/Sjölin, Breast Feeding (1979), S. 124; H ­ eimerdinger, Brust oder Flasche, S. 101 f.; Heiniger, Wandel, S. 10; Socialstyrelsen, Amning (1982), S. 17; Stenhammar u. a., Mjölkdroppen, S. 137. 730 Gillberg/Kylberg/Laurell, Alternativ Barnmat (1974), S. 5 (Hervorh. im Org.). 731 Vgl. Wiedenmann, So oft der Vogel über’s Haus fliegt? (1978), S. 14. 732 Reimers, Biologische Determination (1979), S. 443, zit. in: Hardach-Pinke, Angst, S. 559. 733 Vgl. Aly/Grüttner, Unordnung und frühes Leid (1983), S. 34.

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­ usgrenzungsmechanismus für Adoptivmütter und arbeitende Müttern funkA tionieren. Nicht zuletzt schließe diese „Symbiose“ aus Mutter und Kind den Vater aus der frühen Säuglingsphase aus, was ebenfalls als Rückschritt betrachtet wurde.734 Dieser Ausschluss ist erstaun­lich, weil seit den 1970er Jahren der Vater erstmals größere Beachtung in Medizin und Gesellschaft erhielt. Die 1970er Jahren waren nicht nur für Frauen und Mütter eine Umbruchphase, sondern auch für Männer eröffneten sich neue Möglichkeiten oder ergaben sich neue Verpflichtungen – je nachdem, welche Perspektive man hier einnimmt. Der Vater hat innerhalb dieser Arbeit bisher wenig Aufmerksamkeit erhalten, was vor allem an seiner Unsichtbarkeit im pädiatrischen Material liegt.735 Erst in den 1970er Jahren tauchte der Vater auf dem Radar der Sozialwissenschaften und der Pädiatrie auf. Seitdem begannen sich auch anderswo Türen für den Vater zu öffnen, eine aktive Rolle in der Familie zu übernehmen. In Deutschland war die Neuausrichtung von Väterlichkeit eng mit der Überwindung des Nationalsozialismus in den 1950er Jahren verbunden. In dieser Zeit verschränkten sich eine Reihe unterschiedliche Diskurse um Vaterschaft, was dazu führte, dass das Ideal der „sanften Männlichkeit“ eine Renaissance erlebte: zum einen gab es die Debatte um die „vaterlose Gesellschaft“ nach dem Ende des Krieges, der vielen Männern und Vätern das Leben gekostet hatte. Zum anderen die Diskussion um Autorität und Hörigkeit, die als Grundlagen für den Aufstieg der Nationalsozialisten gelesen wurden. Ihre Rolle wurde jedoch vor allem in Bezug auf die Erziehung älterer Kinder neu imaginiert.736 In den 1960er Jahren war der Vater in der bundesdeutschen Familienpolitik und gesellschaftlichen Vorstellung vorrangig als Familienernährer definiert. In Schweden hatte es hingegen schon seit den 1950er Jahren öffentliche Diskussionen um die Einbeziehung des Vaters gegeben, die in den 1970er Jahren aufgrund neuer Forschungsergebnisse weiteren Aufwind erhielten. In beiden Ländern änderte sich jedoch dahingehend etwas, dass vor den 1970er Jahren Verantwortung in der Säuglingspflege eher an Väter herangetragen, seit Beginn der 1970er Jahre aber auch von Vätern selbst eingefordert wurde.737 734 Ebd. S. 35. 735 Vgl. Frevert, Umbruch, S. 656. In den letzten zwei Jahrzehnten sind erste wichtige Studien über Veränderungen der sozialpolitischen und diskursiven Rahmungen von Vaterschaft erschienen. In Deutschland ist hier Till van Rahden, in Schweden Roger Klinth für diese Forschungsrichtung zu nennen. In vergleichender Perspektive zwischen Deutschland und Schweden vgl.: Kolbe, Väter; dies., Vaterschaftskonstruktionen; dies., „Väter“. 736 Vgl. Höher/Mallschützke, Der gute Vater, S. 240 f.; Lukaschek, Gute Väter (1961); Pross, Die Männer (1976), S. 119; van Rahden, Demokratie, S. 173. 737 Vgl. Burhenne, Mutterliebe, S. 109; Frevert, Umbruch, S. 656; Keller/Chasiotis, Rolle des Vaters (1991), S. 68; Höher/Mallschützke, Der gute Vater, S. 242; Lenz, Das Private, S. 389;

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Väter als aktive Partner wurden sichtbarer in normativen Quellen sowie populärwissenschaftlichen Magazinen wie Eltern und Vi Föräldrar. Artikel betonten zunehmend die Bedeutung des Vaters für die frühe Entwicklung ihrer Kinder. Schon in der ersten Ausgabe von Vi Föräldrar 1968 gab es einen Beitrag „Pappas baby också“ („Auch Papas Baby“). Dort argumentierte der Autor, Väter hätten „heutzutage“ eine Chance, die sie früher nie hatten, nämlich von Anfang an Vater zu sein. Sie könnten sich schon während der Schwangerschaft einbringen, indem sie die Mutter zu Elternkursen begleiteten und hätten die Möglichkeit, bei der Geburt dabei zu sein. Beides sollte dazu führen, schon früh die Verantwortung und Liebe des Vaters seinem Kind gegenüber zu wecken.738 In Schweden setzte sich in den 1970er Jahren die Vorstellung durch, dass Väter wichtige, geradezu unabdingbare Aufgaben in der Erziehung zu übernehmen hatten, was u. a. seinen Ausdruck in der Einführung des gemeinsamen Elternurlaubs 1974 fand (vgl. 1.4.4).739 Im gleichen Jahr startete Vi Föräldrar zu diesem Anlass eine neue Artikelserie, die „Papaschule“.740 Schon der Titel markierte Väter als unwissende und aufklärungsbedürftige Laien, die ihre Aufgaben und Rollen erst mit Hilfe der Zeitschrift erlernen mussten. Ihnen wurde einerseits Wissen zur Gesetzeslage und zur Säuglingspflege vermittelt, andererseits wurden emotionale und psychologische Voraussetzungen der Vaterschaft diskutiert. Diese Serie porträtierte aber auch einen Vater, der allein für die Versorgung seines Säuglings zuständig war.741 Das Einstiegsbild zeigte ihn beim Vorbereiten einer Flasche, während er seine Tochter im Arm hielt. Die Mutter war berufstätig, während der Vater zu Hause blieb. Der Vater beschrieb seine Situation allerdings als außergewöhnlich und beklagte, viele Männer – gerade gegenüber ihren Freunden – hätten Angst, als unmännlich zu gelten, wenn sie Elternurlaub nähmen. Väter, die sich allein um Limper, Säuglingsflasche, S. 455 – 458; Pross, Männer, S. 119; Schütze, Mutterliebe – Vaterliebe, S. 126; van Rahden, Demokratie, S. 173. 738 Bereits 1952 waren die ersten Männer zu Kursen des Schwedischen Sozialpflegebundes gekom­ men. Dies war jedoch so ungewöhnlich, dass spezielle Väterkurse angeboten wurden. Als die Kurse 1962 vom Schwedischen Roten Kreuz übernommen wurden, hatten bereits 700 Männer daran teilgenommen. Diese Art von Kursen nahm dann jedoch wieder ab, weil mehr Väter ihre Frauen zu den „normalen“ Kursen begleiteten. Ungefähr 1000 Väter gingen jedes Jahr mit zu den Kursen. Wenn Mutter und Kind zu Hause waren, war es vor allem die Rolle des Vaters, seine Frau zu unterstützen und ihr die Angst, etwas falsch zu machen, zu nehmen, vgl. Nordfeldt/Lind, Pappas baby också (1968), S. 13. Es gab auch einen speziellen Ratgeber für Väter: Klintskog, Till en blivande pappa (1974). 739 Vgl. Florin/Nilsson, Jämställdhetens politisering, S. 46, 49 f.; Flood, Disruptive (M)Others, S. 163 f. 740 o. A., Nu börjar pappaskolan (1974), S. 36 f., S. 69 f. 741 Lidbeck, Lättare att var pappa (1975), S. 32 f.

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ihre Kinder kümmerten, stellte das Magazin damit als, wenn auch wünschenswerte, Ausnahme dar.742 In der deutschen Eltern mehrten sich seit Mitte der 1970er Jahre ebenfalls Beiträge über die Rolle der Väter. Ein Artikel versprach 1975: „Ein Vater, der sich jetzt intensiver um sein Kind kümmert, es regelmäßig einmal am Tag füttert und wickelt, wird dafür später reich belohnt.“ 743 Um ihrer selbst willen, aber auch zum Besten ihrer Kinder sollten Väter nun eine aktive Rolle als Ernährer einnehmen. Wirklich in den Fokus kam der Vater 1980 in der Reihe „Die neuen Väter“, in deren viertem Teil ein Vater vorgestellt wurde, der die Säuglingspflege als Hauptverantwortlicher übernahm.744 Der Artikel betonte, welche Bereicherung die Beschäftigung mit dem Kind für den Vater sei. Der befragte Vater äußerte sich insbesondere zur Ernährung des Kindes: „‚Ich glaube, am liebsten hätte ich noch gestillt‘, sagt er, ‚das Füttern ist für mich keine Arbeit, sondern ein reines Vergnügen. Wenn Felix satt und zufrieden ist, dann habe ich das Gefühl, als hätte ich ihm ein Geschenk machen dürfen.‘“ 745 Die populärwissenschaftlichen Diskurse konnten sich auf neue Erkenntnisse der sozialwissenschaftlichen und pädiatrischen Forschung stützen. Der schwedische Kinderarzt und Stillforscher Peter de Château meinte etwa, Väter seien noch zu oft „the forgotten factor“. Während die Mütter aufgeklärt und unterstützt würden, müssten auch Väter aktiver in Informationsangebote rund um Schwangerschaft, Geburt und Säuglingspflege integriert werden.746 Ein Weg, dies zu erreichen, sei es, Väter an der Geburt teilnehmen zu lassen. Hier fanden verschiedene Pilotstudien statt, die die Involvierung des Vaters bei der Entbindung – auf Wunsch der Mutter – positiv bewerteten. Er war zwar noch nicht unbedingt im Kreißsaal dabei, unterstützte seine Partnerin aber auf dem Weg in die Klinik und in der unmittelbaren Phase der Wehen.747 Die Artikel zeigen außerdem, dass Väter – insbesondere aus der gebildeten Mittel­ schicht – ihr Recht auf eine Teilhabe an der Kindererziehung zunehmend aktiv 7 42 Ebd., S. 33. Vgl. Limper, Säuglingsflasche, S. 462. 743 o. A., Das erste Jahr mit dem Kind, 2. Teil (1975), S. 29. Vgl. Hagström, Man blir pappa, S. 52 f. 744 Schulte-Döinghaus, Ein mütterlicher Vater (1980). Siehe auch: ders., Warum ein Mann heute Vater werden will (1980); ders., Neun Monate (1980); ders., Wie ein Mann die Geburt seines Kindes erlebt (1980); o. A., So lernen sich Väter und Babys besser kennen (1980). 745 Schulte-Döinghaus, Warum ein Mann heute Vater werden will (1980), S. 24. 746 de Château u. a., Study of Factors (1977), S. 581. Vgl. auch: Newton, Mother/Father/Child, S. 21. 747 Vgl. Miklaw/Miklaw-Reißmann, Familienfreundliche Geburtshilfe (1979), S. 468; Neumaier, „Väter“, S. 46; Stauber, Psychohygienische Aspekte (1979), S. 1015; Walter, Umfrage bei den Wöchnerinnen (1979), S. 346.

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einforderten und diese Teilhabe auch durch die Flasche ermöglicht wurde. In der

EMMA erschien 1979 ein Artikel über einen Vater, der Verfassungsklage eingereicht

hatte, weil ihm das Recht auf Elternurlaub im neuen Gesetz zum Mutterschaftsurlaub vom 1. Juli 1979 verwehrt wurde.748 In der Juliausgabe des gleichen Jahres hatte Alice Schwarzer ein Elternpaar interviewt, das sich die Säuglingspflege partnerschaftlich aufteilte – wobei hier das Stillen als ein Faktor verhandelt wurde, der die gleichmäßige Bindung an beide Elternteile erschwerte, weil die Mutter durch das Stillen mehr Zeit mit dem Säugling verbrachte.749 Das Stillen stellte demnach, sollte der Vater gleichberechtigt einbezogen werden, durchaus eine Herausforderung dar. Wichtiger noch in Bezug auf die Ernährung sei es, dem Vater eine positive Einstellung zum Stillen zu vermitteln.750 Ihm wurde auch in diesem Diskurs vorrangig eine unterstützende Rolle zugesprochen, während die Mutter die „natürliche“ Ernährung praktizieren sollte. Zeitgenössische Studien legten nahe, dass sich Väter zunehmend in der Kindererziehung einbrachten, sich jedoch wenig um Säuglinge und Kleinkinder kümmerten. Um dies zu begründen, griffen sie auf den verbreiteten Topos der natürlichen Mutter-Kind-Bindung zurück, die ihnen nicht gleichermaßen zugänglich war.751 Die Vaterschaft wurde dabei nicht im gleichen Maße wie Mutterschaft als etwas Natürliches besprochen, sondern „Väterlichkeit“ musste sich der Mann erst im Umgang mit seinen Kindern erarbeiten.752 1.5.4 Säuglingsernährung als Problem globaler Ungleichheiten

Grundlegend für den Bedeutungswandel der Flaschennahrung in den 1970er Jahren war die Fokusverschiebung in der Öffentlichkeit auf den Globalen ­Süden.753 Der Zweite Weltkrieg war maßgeblich dafür verantwortlich gewesen, dass das Thema Mangelernährung im Säuglings- und Kindesalter erstmals internationale Aufmerksamkeit erhielt. In der Nachkriegszeit widmete sich die internationale politische und Forschungsgemeinschaft der Lösung dieses Problems. In 7 48 Paczensky, Auch ich will Mutterschaftsurlaub (1979). 749 Schwarzer, Gespräch mit Geli Kreutter Hogl und Günther Hogl (1979). 750 Vgl. de Château u. a., Study of Factors (1977), S. 582; Stauber, Psychohygienische Aspekte (1979), S. 1015. 751 Vgl. Neumaier, Familie, S. 481. 752 Vgl. Höher/Mallschützke, Vater, S. 252; Neumaier, „Väter“, S. 46; Pross, Männer, S. 131. 753 Eine ausführliche Studie zum Verhältnis von (Post)Kolonialismus und humanitärer Bewegung wird derzeit von Tahila Sasson unter dem Arbeitstitel „We Are the World. The End of Empire and the Rise of Global Humanitarianism“, an der Emory University in Atlanta, Georgia, angefertigt.

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der ­Säuglingsernährung in der „Dritten Welt“ fand die Sozialpädiatrie seit den späten 1960er Jahren ein neues Betätigungsfeld, als das Ernährungsproblem der Nachkriegszeit gelöst schien.754 Als Grund für den schlechten Gesundheitszustand vieler Kinder in den Entwicklungsländern wurde ein Mangel an Protein identifiziert. Besondere Aufmerksamkeit erhielt die Krankheit Kwashiorkor. Zuvor war die Krankheit als „Mehlnährschaden“ bezeichnet worden und auch in Europa bekannt. Die WHO richtete 1955 eine Protein Advisory Group (PAG ) ein, die seit 1961 als Beraterin der WHO und UNICEF agierte. Durch die Arbeit der Gruppe wurde die Vorstellung eines weltweiten „protein gap“ geprägt: Während die reichen Länder des Globalen Nordens zu viel Protein – und Nahrung insgesamt – konsumierten, mangelte es den armen Ländern des Globalen Südens an diesem Nährstoff. Um Eiweißmangelernährung zu bekämpfen, empfahlen Kinderärzte zum einen, die Ernährung mit Muttermilch so lange wie möglich durchzuführen, möglichst während des gesamten ersten Lebensjahres. Zum anderen wurden diverse Maßnahmen ergriffen, um die Versorgung der Entwicklungsländer mit Eiweißpulver zu ermöglichen. Es wurde viel Geld von Regierungen sowohl in die Eiweißforschung als auch in Projekte vor Ort investiert.755 Vereinzelte Berichte westlicher und lokaler Forscher über die Gefahr der Flaschennahrung in Ländern des Globalen Südens wurden in den späten 1950er und 1960er Jahren verfasst, konnten aber noch keine größere Aufmerksamkeit für dieses Problem generieren. Die Ernährungsfrage in der „Dritten Welt“ war vielmehr ein Spezialgebiet weniger ÄrztInnen sowie der kirchlichen und nationalen Entwicklungshilfe.756 In den 1970er Jahren erhielt dieser Diskurs jedoch eine neue, globale Dimension in Folge der bereits Ende der 1960er Jahre angelaufenen Diskussion über die „Bevölkerungsbombe“, die die Angst vor Überbevölkerung schürte.757 Zur gleichen Zeit setzte ein Umdenken in Bezug auf das Entwicklungsparadigma in den westlichen Staaten ein. Während der 1950er und 1960er Jahre war die Entwicklungshilfe in der „Dritten Welt“ vor allem durch die Förderung von Modernisierungsmaßnahmen gekennzeichnet, um deren postuliertes Entwicklungsdefizit auszugleichen. Die Grundannahme war, dass die vermeintlich unterentwickelten Völker, insbesondere Afrikas, nur dann ihre Lage verbessern konnten, wenn sie Zugang zu modernen westlichen Technologien erhielten. Mit der konsum- und 7 54 Vgl. Sasson, Third World, S. 1202; Semba, Historical Evolution, S. 152; Vögele, Leben, S. 77. 755 Vgl. Carpenter, Short History (1945 – 1985), S. 3336 f.; Semba, Historical Evolution, S. 149; Muller, Baby Killer (1974), S. 14. 756 Vgl. Launer (Hg.), Nestlé (1991), S. 42; Sasson, Third World, S. 1202. 757 Siehe Ehrlich, The Population Bomb (1968). Für eine konzise Inhaltsanalyse vgl. Höhler, Wissenschaft von der „Überbevölkerung“.

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kapitalismuskritischen Wende um „1968“ wurde die bisherige Entwicklungspolitik, vor allem von (ehemaligen) kolonialen Subjekten selbst sowie linken studentenbewegten Kreisen in Frage gestellt. Sie fragten vielmehr danach, was „der Westen“ von den vermeintlich traditionelleren, natürlicher und ursprünglicher lebenden Kulturen des Globalen Südens lernen konnte.758 Der Biafra-Krieg in Nigeria (1967 – 1970) markierte den Beginn einer weitreichenden humanitären Bewegung. Es war seitdem nicht mehr vorrangig die Studentenbewegung, sondern weitere gesellschaftliche Gruppen, die sich für das Geschehen in der „Dritten Welt“ interessierten und zu agieren begannen.759 Im Kontext des Biafra-Krieges waren die Medien im „Westen“ auf die Ernäh­ rungskrise in der „Dritten Welt“ aufmerksam geworden. Der Hunger und das Leiden der Kinder wurden visuell immer wieder aufgerufen, etwa im Nachrichtenmagazin Stern, das abgemagerte Kinder auf dem Titelblatt zeigte, um ihre Situation zu veranschaulichen.760 Über die Medien kam das Leiden der Menschen in der „Dritten Welt“ in die Wohnzimmer der Deutschen und Schweden. Das mangelernährte Kind wurde zu einem Symbol, um die westliche Bevölkerung auf die Leiden von Kindern und Säuglingen in „Drittweltländern“ aufmerksam zu machen. Seit den 1960er Jahren mehrten sich auch in wissenschaftlichen Fachpublikationen Bilder, die zur Illustration von verschiedenen Arten von Mangelernährung „schwarze“ Säuglinge nutzten. Visuell wurde „das mangelernährte Kind“ dadurch in ein „schwarzes“ Kind übersetzt. Unterernährte „weiße“ Kinder entsprachen nicht mehr dem zeitgenössischen Verständnis, sondern hier war es der übergewichtige Säugling, der Besorgnis hervorrief.761 So waren die Voraussetzungen günstig, um die Diskussion über Flaschenernährung in der „Dritten Welt“ in die breite „westliche“ Öffentlichkeit zu transportieren. Der Journalist und Aktivist der britischen Organisation War on Want Mike Muller veröffentliche 1974 einen ausführlichen Report zu den Auswirkungen von Flaschenernährung auf Länder des Globalen Südens, The Baby Killer, in dem er Nestlé schwere Vorwürfe machte.762 Muller schnitt seinen kapitalismuskritischen 7 58 Jarausch, Strukturwandel, S. 22; Sasson, Third World, S. 1199. 759 Vgl. Büschel, In Afrika helfen, S. 335 f.; ders., Geschichte der Entwicklungspolitik, S. 5; Doering-­Manteuffel, Ursprünge, S. 321 f.; Eckert, Spätkoloniale Herrschaft, S. 8; Hannig, West German Sympathy; Heerten, Biafran War; Möckel, Material Culture; Olejniczak, Dritte-Welt-Bewegung; Sasson, Third World, S. 1208. 760 Siehe Eckert, Spätkoloniale Herrschaft, S. 9; ders., Internationale Solidarität, S. 208 f. 761 Jelliffe/Jelliffe, Human Milk (1978), S. 230; Muller, Baby Killer (1974), Titelbild; Vahlquist (Hg.) Nutrition (1972). Zur Bildpolitik von Biafra vgl. auch Heerten, Biafran War, S. 140 – 174. 762 Vgl. Sasson, Third World, S. 1206; Schwab, Mechanical Milk, S. 490. Ausführlich zur Geschichte von War on Want, vgl. Kuhnert, Humanitäre Kommunikation.

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Abb. 13: Flugblatt – Die Flasche, Beispiel eines Flugblattes einer deutschen Organisation (Aktion Muttermilch), die ebenfalls das von Muller popularisierte Bild des Säuglings in der Flasche nutzte, um auf die Missstände im Globalen Süden aufmerksam zu machen (ca. 1984).

Ansatz vor allem auf die Verantwortung großer Firmen für den Stillrückgang und die Säuglingssterblichkeit in der „Dritten Welt“ zu, wobei Nestlé im Fokus der Narration stand. Da Nestlé auch Kakao und Kaffee herstelle, seien Länder auf den Verkauf ihrer Rohstoffe an diesen Konzern angewiesen und könnten sich einen Verlust dieser Einnahmequelle nicht leisten, weswegen sie sich nicht aktiv für das Stillen einsetzen könnten. Zudem hätten Nestlé und andere große Nahrungsmittelhersteller einen größeren Umsatz als das Bruttosozialprodukt vieler dieser Länder und seien daher in einer machtvollen Position.763 Das Titelblatt zeigte ein hungerndes schwarzes Kind in einer überdimensionalen Säuglingsflasche, was zur häufig reproduzierten Ikone dieser Diskussion wurde (vgl. Abb. 13). Noch im gleichen Jahr übersetzte die Arbeitsgruppe Dritte Welt aus Bern das Buch ins Deutsche und versah die Publikation mit einem neuen Titel: Nestlé tötet 763 Muller, Baby Killer (1974), S. 16. Vgl. Berg, Economics of Breast Feeding (1973) S. 30; Collins/ Lappé, Mythos (1978), S. 349; Kuhnert, Moral von Tee und Babymilch, S. 49; Launer, Nestlé (1991), S. 21.

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Babys. Nestlé wurde zu einer Chiffre für die gesamte Bewegung, nicht zuletzt weil die Firma der größte Hersteller von Säuglingsnahrung war.764 Der Konzern bekam in einem anschließenden Gerichtsprozess zwar darin Recht, dass der Titel Nestlé tötet Babys ehrverletzend sei, Nestlés Ansehen war jedoch nachhaltig beschädigt.765 Der Imageverlust des Konzerns setzte sich fort, nachdem der deutsche Filmemacher Peter Krieger den Film Bottle Babys herausbrachte, der hauptsächlich in Kenia gedreht worden war. Sowohl in Schweden als auch in Deutschland erhielt er viel Aufmerksamkeit und wurde etwa von der schwedischen Amningshälpen als wichtiger Moment angesehen, der den eigenen Stillaktivismus befeuerte.766 Der Film zeigte u. a. lange Reihen von Kindergräbern, die mit Flaschen versehen waren. Dies entsprach der Praxis, Kindern einen symbolisch wichtigen Gegenstand aus ihrem Leben als Grabbeigabe mitzugeben. Dies zeigt die ambivalenten Konnotationen der Flasche, die einerseits als Statussymbol im Globalen Süden und andererseits als Symbol von Tod und Ungerechtigkeit im Globalen Norden galt.767 Diese Medienereignisse verfestigten die Verbindung von Flasche, „schwarzen“ Säuglingskörpern und Tod für Beobachterinnen und Beobachter im Westen. Sowohl die Fachdiskussion als auch die Mediendiskussion im Anschluss an The Baby Killer führte den Stillrückgang im Globalen Süden auf den negativen Einfluss des „Westens“ zurück.768 Das im internationalen Diskurs einflussreiche US -amerikanische Ehepaar Derrick und Patricia Jelliffe attestierte etwa: „[B]reast-feeding is subconsciously equated with old-fashionedness, primitiveness, and backwardness, while bottle-feeding symbolizes urban life and, therefore, everything which is modern, scientific, and desirable.“ 769 Die Flasche werde so zu einem Symbol, mit dem sich die Eliten von den anderen Bevölkerungsgruppen abzuheben suchten. Den Eliten kam, wie schon zu Beginn des Jahrhunderts, eine herausragende Vorbildfunktion zu, der weniger finanzstarke Gesellschaftsschichten schnell folgen würden. Anders als die Eliten hätten ärmere Mütter kaum die Möglichkeit, Flaschennahrung regelkonform zu nutzen. Es mangelte an sauberem Wasser sowie der Möglichkeiten, die Flaschen und Sauger zu sterilisieren.770 764 Vgl. Arbeitsgruppe Dritte Welt, Exportinteressen (1976), S. 40; Baumslag/Michels, Milk, S. 148; Boyd, Nestlé Infant Formula Controversy, S. 283; Launer (Hg.), Nestlé (1991), S. 11; Sasson, Third World, S. 1197, 1210. 765 Siehe Launer (Hg.), Nestlé (1991), S. 41 – 51; Sasson, Third World, S. 1210. 766 Vgl. Kylberg u. a., Amningshjälpens historik (1998). 767 Siehe Collins/Lappé, Mythos (1978), S. 350; Launer (Hg.), Nestlé (1991), S. 16; Sasson, Third World, S. 1210. 768 Jelliffe/Jelliffe, Human Milk (1978), S. 221. 769 Ebd., S. 239. 770 Vgl. Ebd. S. 227; Collins/Lappé, Mythos (1978), S. 345; Schwab, Mechanical Milk, S. 490.

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Auch die K ­ ücheneinrichtung sei ungeeignet: „Die überwältigende Mehrheit der westafrikanischen Mütter besitzt keinen elektrischen Herd. Sie kochen in einer ‚Drei-Steine-Küche‘. Ein Kessel ruht auf drei Steinen, darunter brennt ein Holzfeuer.“ 771 Gleichermaßen fehlten Kühlmöglichkeiten, um die Produkte sicher zu lagern. Der Kauf von Flaschennahrung übersteige zudem die finanziellen Mittel von Müttern, insbesondere in den ländlichen Gegenden. Dies führe dazu, dass die Flaschennahrung mit Wasser verlängert werde. Der bedeutendste Faktor für die abnehmende Stillrate aus Sicht von ExpertInnen und AktivistInnen waren die Werbepraktiken großer Hersteller von Säuglingsnahrung.772 Eine Werbepraxis, die als besonders perfide galt, war der Einsatz von Milk Nurses. Deren Name suggerierte zwar eine medizinische Ausbildung, sie wurden jedoch lediglich zur Vermarktung der industriellen Flaschennahrung eingesetzt.773 Radiowerbung wurde ebenfalls als problematisch angesehen, da sie auf die nicht alphabetisierten Bevölkerungen der „Dritten Welt“ besonders eindrücklich wirke. Werbung für das Nestlé-Flaschennahrungsprodukt Lactogen werde zudem überdurchschnittlich häufig abgespielt, so dass Mütter den Werbeaussagen kaum entgehen könnten. Plakate mit wohlgenährten schwarzen Babys wären überall zu sehen und versprachen ein kräftiges und gesundes Aufwachsen des Kindes.774 Deutsche und schwedische Firmen gerieten im Zuge dieser Diskussion für ihre Werbe- und Verkaufsmethoden, nicht nur in der „Dritten Welt“, sondern auch im eigenen Land, in die Kritik. Da Nestlé sowohl in Deutschland als auch in Schweden aktiv war (in Deutschland unter dem Namen Nestlé, aber auch als Mutterkonzern von Alete, in Schweden als Mutterkonzern von Findus), richtete sich die Aufmerksamkeit auf diesen Konzern und Anfang der 1980er bildeten sich in beiden Ländern Organisationen, die in den Konsumboykott gegen Nestlé, der Mitte der 1970er Jahren in den USA gestartet worden war, einstiegen.775 An diesen Aktionen beteiligten sich auch Frauen der deutschen Stillbewegung, indem sie 771 Arbeitsgruppe Dritte Welt, Exportinteressen (1976), S. 22. Siehe auch Jelliffe/Jelliffe, Human Milk (1978), S. 227; Muller, Baby Killer (1974), S. 7 f. 772 Vgl. Baer/Marguiles, Infant and Young Child Feeding (1980), S. 73; Schwab, Mechanical Milk, S. 490. 773 Vgl. Arbeitsgruppe Dritte Welt, Exportinteressen (1976), S. 19 f.; Jelliffe/Jelliffe, Human Milk (1978), S. 226 f.; Muller, Baby Killer (1974), S. 10. 774 Jelliffe/Jelliffe, Human Milk (1978), S. 211, 227. Vgl. Collins/Lappé, Mythos (1978), S. 338; Muller, Baby Killer (1974), S. 10. 775 Vgl. Aktionsgruppe Babynahrung, Boykott (1984), S. 20; Stenhammar, Mjölkdroppen, S. 139 f. Im Archiv für Soziale Bewerbungen in Freiburg findet sich ein bisher unerschlossener Bestand der „Aktion Muttermilch“ (Signatur 12.2.1.VI ), bzw. des Nachfolgevereins „Kind und Umwelt e. V.“. Eine Aufarbeitung dieser Bestände könnte zu spannenden Erkenntnissen

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Stellung gegen die Werbepraktiken von Nestlé im Globalen Süden bezogen. Sie schrieben über „Skandal um Nestlé tötet Babys“, riefen in der Berliner Frauenzeitschrift Courage, die sich besonders häufig zur Ernährungsfrage äußerte, zum Boykott der Flaschennahrung auf.776 In Schweden kam Ende der 1970er Jahre jedoch auch die zweite große Herstellerfirma Semper in die Kritik. In verschiedenen Medienberichten wurde die Bevölkerung über ein Projekt Sempers in der Türkei aufmerksam gemacht, in denen dem Konzern vorgeworfen wurde, sich auf dem türkischen Markt ­etablieren zu wollen.777 Im Oktober 1977 kam es zu einem Fernsehgespräch zwischen VertreterInnen von Semper auf der einen und dem Journalisten Bo ­Isaksson sowie der Regisseurin Maj Wechselmann, die belastendes Material gegen Semper gesammelt hatte, auf der anderen Seite.778 Der Semper-Vertreter betonte, man arbeite tatsächlich mit einer Firma in der Türkei zusammen, um dort Flaschennahrung zu entwickeln. Semper habe aber eine juristisch bindende Absprache mit der türkischen Firma getroffen, die verhindern sollte, dass in der Türkei mit „Nestlémethoden“ Werbung betrieben werde. Er selbst „verabscheue“ deren Marketingtaktiken. Er verwies außerdem auf die schon 1964 von Industrie und Kinderheilkunde vereinbarten ethischen Grundsätze des Marketings von Flaschennahrung in Schweden (vgl. 1.5.2).779 Kurz nach der Fernsehdebatte veröffentlichte Maude Hedström von Amnings­ hjälpen ein Statement zu Sempers Vorgehen in der Türkei. Sie rief den Diskurs über die Gefahren von industrieller Flaschennahrung auf, indem sie Mütter in der Türkei als Opfer einer Vermarktungsmaschinerie darstellte, die weder die basalen Fähigkeiten noch die finanziellen Möglichkeiten hätten, die Industrienahrung richtig anzuwenden. Vielmehr sollte das Stillen seine „selbstverständliche Rolle als Kindernahrung“ zurückerhalten. Sie forderte Semper dazu auf, sich aus dem Projekt zurückzuziehen und stattdessen die türkische Regierung darauf hinzuweisen, wie sehr die ökonomische Situation des Landes durch Stillen verbessert werden könne.780 Maj Wechselmann, die sich bereits in der Fernsehdebatte gegen Semper über die Verbindungen von Umweltbewegung und Säuglingsernährung führen. Für den Hinweis bedanke ich mich bei Michael Koltan. 776 Vgl. Bührmann, Sterben Kinder durch Nestlé?, S. 26 f. 777 Vgl. Görel Kristina [Näslund], Semper i Turkiet (1980), S. 14 – 16; dies., Döndü amnar sin son (1980), S. 12 – 15. 778 Mosander, Ljuger Semper? (1977), o. S. 779 Ebd. o. S. 780 Maude Hedström, Uttalande med anledning av Sempers engagemang i Turkiet för produktion av välling, grötar och bröstmjölksersättningar, 13. Oktober 1977, in: Semper Arkiv, Ö2 Volymnr 2 1969 – 2010.

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ausgesprochen hatte und sich immer wieder in der Presse über die Verbindungen zwischen Pädiatrie, Gesundheitssystem und Industrie äußerte, brachte 1978 eine Dokumentation über „Semper in der Türkei“ („Semper i Turkiet“) heraus, die für breiten Protest gegen die Firma sorgte.781 Die Fernsehdebatte befeuerte Proteste gegen Semper und übte zunehmend Druck auf den Hersteller aus. Die Darstellung in den Medien und die Kommunikation des Konzerns stellten sich dabei durchaus unterschiedlich dar. In den Medien wurde der Eindruck vermittelt, Semper verkaufe oder plane, teure Fertigmilch in die Türkei zu verkaufen, die dort die gleichen Probleme verursache wie Nestlés Produkte in anderen Entwicklungsländern. Semper selbst betonte, die Firma habe lediglich – auf Anfrage aus der Türkei – eine Kooperation mit dortigen KinderärztInnen und einer Firma begonnen, um diese bei der Entwicklung einer eigenen Flaschennahrung zu unterstützen. Semper habe nie Nahrungsmittel in Länder außerhalb des Nordens exportiert. Man wehrte sich dagegen, mit Nestlé oder anderen multinationalen Konzernen verglichen zu werden.782 Vier VertreterInnen der türkischen Kinderärztevereinigung richteten 1981 einen Brief an den Schwedischen Kinderärzteverbund, in dem sie zur Berichterstattung in der schwedischen Presse Stellung bezogen. Sie kritisierten, die Darstellung in den schwedischen Medien entspräche keinesfalls den Verhältnissen in der Türkei und betonten, die Entwicklung und Produktion einer angemessenen Säuglingsnahrung sei dringend nötig, da die Stillquote sank und keine Produkte zur Verfügung stünden, sondern Mütter vielmehr unzureichende Nahrungsgemische verfütterten, die sie selbst herstellten.783 Dieses Statement hatte jedoch anscheinend keinen Einfluss mehr auf die Diskussion, denn Semper zog sich 1981 aus dem Projekt zurück.784 Der Diskurs hatte zu diesem Zeitpunkt einen paternalistischen Ton angenommen, indem er Mütter als Chiffre für die „Dritte Welt“ und damit als hilflose Opfer stilisierte, die aufgrund ihrer mangelnden Bildung nicht dazu in der Lage waren, eigene Entscheidungen zu treffen, sondern den Machenschaften der w ­ estlichen 781 Vgl. o. A., Maj Wechselmann; Wechselmann, Läkarna är bundna till barnmatsindustrin (1977), o. S. Vgl. Hedström, Nappflaskan (1977), S. 46 – 53. 782 Vgl. Astor Widlund, “Med anledning av de tidnigsartiklar”, Brief oder Pressemitteilung, AdressatIn unklar, 03. Oktober 1977, in: Semperarkiv, Ö2 Volymnr 2 1969 – 2010. Briefwechsel zwischen Maude Hedström und Semper im Anschluss an die Fernsehdebatte 1977, in der Semper immer wieder betonte, sich an die schwedischen Richtlinien zu halten. 783 Metine Bilger u. a., Open Letter to the Board and Members of the Swedish Paediatric Society, 5. Februar 1981, in: Semperarkiv, Ö2 Volymnr 2 1969 – 2010. 784 Vgl. Semper, Semper går ur Turkiet-projektet! (26. März 1981), in: Semperarkiv, Ö2 Volymnr 2 1969 – 2010.

Globalisierung der Flaschennahrung und „Re-Naturalisierung“ der Muttermilch (1974 – 1981)  |

Konzerne hilflos ausgeliefert waren. Vor diesen Eingriffen müsse die „Dritte Welt“ beschützt werden. Nicht mehr die Transformation und Modernisierung der „Dritten Welt“ stand im Zentrum, sondern deren Schutz vor Verwestlichung und Modernisierung.785 Stimmen aus den Ländern selbst fanden seltener Gehör, wie das Beispiel in der Türkei zeigt. Hier soll natürlich nicht argumentiert werden, dass multinationale Konzerne zuerst die Interessen der Menschen in Entwicklungsländern im Sinn hatten, sondern sie arbeiteten profitorientiert und legten dabei durchaus aggressives Verhalten an den Tag. Problematisch ist jedoch, dass ExpertInnen und AktivistInnen, ähnlich wie zu Beginn des Jahrhunderts in Europa, komplexe Zusammenhänge auf die Verantwortung der Mütter und der Firmen reduzierten und strukturelle Faktoren, wie Erwerbsarbeit, Verbesserung von Infrastruktur etc., vernachlässigten. Dies prägte auch fortan die Beschäftigung mit der Ernährungsfrage auf internationaler Ebene.786 Erste Bemühungen, international koordinierte Maßnahmen in der Säuglingsernährungsfrage zu unternehmen, hatten schon um 1970 begonnen. Die Protein Advisory Group war federführend und lud Fachleute wie Derrick Jelliffe und den international einflussreichen schwedischen Professor für Pädiatrie, Bo Vahlquist, zu Tagungen ein, um die Situation zu eruieren.787 Nachdem 1974 die Öffentlichkeit aufgrund der Veröffentlichungen der Baby-Killer-Reportage ebenfalls Druck ausübte, nahm die Vollversammlung der Weltgesundheitsorganisation die Forderung auf, einen Kodex zu entwickeln, der das Verhalten der Firmen auf eine ethisch vertretbare Grundlage bringen sollte.788 Einige Länder im Globalen Süden hatten bereits damit begonnen, Anweisungen oder Gesetze zu erlassen, die das Marketing von Flaschennahrung und die Verteilung von Produkten durch Gesundheitspersonal einschränken oder verbieten sollten.789 Die schwedische pädiatrische Fachzeitschrift Acta Paediatrica, die eine große internationale Leserschaft hatte, veröffentlichte 1977 eine neue Version des Kodex, den Industrie und Kinderärzte 1964 erstmals vereinbart hatten (vgl. 1.5.2). Diese Wiederveröffentlichung wurde 7 85 Vgl. Sasson, Third World, S. 1207, 1209; Gerlach, Flea, S. 56. 786 Vgl. Kuhnert, Moral von Tee und Babymilch, S. 51 f.; Sasson, Third World, S. 1222. 787 Vgl. Arbeitsgruppe Dritte Welt, Exportinteressen (1976), S. 10; Launer (Hg.), Nestlé (1991), S. 63. Bo Vahlquist war in den 1970er Jahren international für seinen Einsatz im Globalen Süden bekannt und brachte eine Reihe wichtiger Publikationen zur dortigen Ernährungssituation heraus: Vahlquist, Nutrition. Vad är det? (1971); ders. (Hg.), Nutrition. A Priority in African Development (1972). 788 Vgl. Launer (Hg.), Nestlé (1991), S. 63; Stearns, Childhood, S. 146. 789 U. a.: Malaysia, Papua Neuguinea, Nigeria, Niger, Barbados, Jamaika, Guyana, Kenia, Algerien und Sambia. Vgl. Collins/Lappé, Mythos (1978), S. 349 f.; Sasson, Third World, S. 1212 f.

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mit dem expliziten Ziel durchgeführt, eine Richtlinie für andere Länder zu bieten und sie dazu zu inspirieren, ähnliche Bestimmungen zu erlassen.790 Erst Ende der 1970er Jahre verstärkten sich die Bemühungen um eine gesetzliche Regelung. Das Jahr 1979 war von der UN zum internationalen Jahr des Kindes erklärt worden, woraufhin in vielen Ländern die Aufmerksamkeit für Kinderrechte und -versorgung größer wurde.791 Die WHO und UNICEF waren schon früh in der Diskussion von KinderärztInnen und AktivistInnen angerufen worden, sich als internationale Autoritäten für Gesundheit und Kindeswohl einzuschalten und die Handlungsmacht großer Konzerne einzuschränken. Im Oktober 1979 beriefen die WHO und UNICEF eine gemeinsame Konferenz in Genf ein, auf deren Basis der „International Code of Marketing of Breast-milk Substitutes“ entwickelt wurde. Dieser wurde 1981 vom World Health Assembly angenommen und gilt seitdem als verbindliche Richtlinie für die Bewerbung von Säuglingsernährungsprodukten.792 Der Kodex war eine erste wichtige internationale Maßnahme, die Brusternährung und Stillen als „beste Nahrung“ für das Kind in der Öffentlichkeit positionierte. Einer der wichtigsten Punkte des Kodex war, dass in Informationsmaterialien zur Säuglingsernährung die Ernährung an der Brust als überlegen bezeichnet werden sollte.793 Jede Verpackung sollte nun mit einem „wichtigen Hinweis“ oder einer äquivalenten Bezeichnung versehen werden, dass Brustmilch die überlegene Ernährungsform war.794 Die Bezeichnung von Flaschennahrung als „humanisiert“ wurde verboten, da diese eine zu große Ähnlichkeit mit menschlicher Milch suggerierte.795 Die wichtigsten Neuregelungen betrafen somit die Vermarktung von Säuglingsnahrungsprodukten, während strukturelle Veränderungen in den Zielländern nicht explizit zur Sprache kamen. Es wurde nicht verlangt, dass die gesundheitliche Versorgung in den Entwicklungsländern kurz- oder m ­ ittelfristig 790 Vgl. o. A., Editorial. A Swedish Code of Ethics (1977). 791 Vgl. Jansson, Children, S. 243. 792 Vgl. Maher, Women and Children First?, S. 194; Sasson, Third World, S. 1197 f., 1222 f.: Schwab, Mechanical Milk, S. 491; WHO (Hg.), International Code of Marketing (1981), S. 5, 14. Vgl. Sasson, Third World, S. 1222. Die WHO -Richtlinie von 1981 war nicht der erste Versuch, eine internationale Richtlinie zu erarbeiten, die es Müttern ermöglichen sollte zu stillen. Zuvor war diese jedoch nie das Hauptziel, sondern als Teil der Arbeitsmarktpolitik konzeptioniert. Die erste Konvention war die Maternity Protection Convention, die 1919 von der International Labour Organisation eingeführt wurde. Diese Konvention sollte arbeitenden Frauen das Recht auf Mutterschutz sowie das Recht auf Stillen während der Arbeitszeit garantieren, vgl. Jansson, Children, S. 241. 793 Vgl. WHO , Code (1981), Art. 4.2, S. 10. 794 Vgl. ebd., Art. 9.2, S. 13. 795 Vgl. ebd., Art. 5.1, S. 10.

Globalisierung der Flaschennahrung und „Re-Naturalisierung“ der Muttermilch (1974 – 1981)  |

verbessert werden sollte. Vielmehr lag der Fokus auf der Verantwortung von Müttern, Firmen sowie MitarbeiterInnen im Gesundheitssektor.796 Auffallend ist, dass Männer beziehungsweise Väter und ihre Rolle im WHO -Kodex keine Erwähnung fanden, sondern es allein die Mütter waren, die als Verantwortliche genannt wurden. Frauen wurden als hilfs- und schutzbedürftig konstruiert, die von ExpertInnen wieder an ihre natürliche Aufgabe erinnert werden mussten. Zwischenfazit

Auf den ersten Blick weist die Diskussion um Flaschennahrung in den 1970er Jahren viele Parallelen zur Diskussion um die Flaschennahrung am Beginn des 20. Jahrhunderts auf: Flaschennahrung wurde wieder als gefährlich und Stillen als überlegene Nahrung besprochen, der kritische Fokus von Pädiatrie, ­AktivistInnen und gebildeten Frauen lag erneut auf Müttern, die als unaufgeklärt und den Machen­schaften der Nahrungsmittelindustrie gegenüber hilflos konstruiert wurden. Ziel war es, die Säuglingsernährung zu re-naturalisieren und Mütter zum Stillen zu animieren, was nicht nur das Beste für ihr Kind, sondern für die gesamte Bevölkerung sei. Der größte Unterschied war, dass sich dieser Diskurs nicht zuvor­ derst auf deutsche und schwedische Frauen, sondern auf Frauen des Globalen Südens bezog. Die Flaschennahrung war zu einem globalen Akteur geworden, der „westliche“ Mütter und Säuglinge mit Müttern und Säuglingen der „Dritten Welt“ in Kontakt brachte und Effekte für beide Gruppen zeitigte. Erstmals schalteten sich außerdem internationale Institutionen in die Ernährungsfrage ein, sie war von einem nationalen in ein globales Problem übersetzt worden. Zudem lieferte die Forschung sowohl in den „westlichen“ Ländern als auch im Globalen Süden neue Ergebnisse, die die Überlegenheit des Stillens gegenüber der Flaschennahrung mit neuen Argumenten untermauerten. Als besonders fördernd für die psychische Gesundheit des Säuglings wurde der frühe Kontakt zwischen Mutter und Kind („bonding“) in den Diskurs eingebracht und das Ernähren nach Bedarf hatte sich sowohl für Brust- als auch für Flaschenkinder als Standard der Ernährungsform durchgesetzt. In diesem Diskurs kam dem Vater eine neue, ambivalente Rolle zu. Ihm wurde erstmals in beiden Ländern eine wichtige Rolle in der Säuglingspflege zugesprochen. Dabei wurde er vor allem als Unterstützer der Mutter konstruiert, der nicht aktiv an der Ernährung des Kindes teilnahm, sondern die Mutter in ihrer Still­ erfahrung unterstützen sollte. Interessant ist, dass die Argumente für das Stillen im „Westen“ vor allem auf die psychische Gesundheit, im Globalen Süden vor 796 Vgl. Gerlach, Flea, S. 56; Jansson, Children, S. 245; Sasson, Third World, S. 1224.

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allem auf die „physische“ Gesundheit des Säuglings ausgerichtet waren. Trotzdem bestand größere Wahlfreiheit im „Westen“, teilweise wurde in Stillaufforderungen darauf hingewiesen, dass Kinder auch mit industrieller Flaschennahrung eine gute Entwicklung nehmen könnten. Schließlich hatte sich das Verhältnis von Deutschland und Schweden in den 1970er Jahren endgültig verändert. Während Deutschland zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein Vorbild für Schweden in der Ernährungsforschung darstellte, wandten deutsche ForscherInnen und vor allem StillaktivistInnen den Blick nach Skandinavien, um von den dortigen AkteurInnen zu lernen.

1.6 Fazit: Medikalisierung und Kommerzialisierung der Flaschennahrung Das Kapitel hat sich den Fragen gewidmet, wie und von welchen AkteurInnen Wissen um die Flaschennahrung produziert wurde, in welchen Räumen dies passierte und wie sich das Wissen ganz konkret in Produkten und Rezepten materialisierte. Dabei wurde zudem untersucht, innerhalb welcher gesellschaftlichen Situationen dieses Wissen und die Ernährungspraktiken entstanden sowie welche Politiken durch das Wissen um Ernährung angestoßen wurden, bzw. wie das Wissen durch Politiken geformt wurde. Zwei Akteursgruppen waren in der Produktion von Flaschennahrungswissen und dessen Materialisierung besonders dominant: die wissenschaftliche Pädia­trie und die Nahrungsmittelindustrie. Sie konkurrierten über weite Teile des 20. Jahrhunderts darum, wessen Produkte angemessen für den Säugling waren. Kinderärzte, die mit der Industrie kooperierten, um ihre eigenen Rezepte herstellen zu lassen, kamen um die Jahrhundertwende schnell in den Ruf, nur am Profit, aber nicht am Leben der Kinder interessiert zu sein. In den 1930er Jahren in Deutschland und den 1940er Jahren in Schweden kam es zu ersten Annäherungen zwischen den beiden Gruppen. Das ständig neu produzierte Wissen um die Zusammensetzung der Muttermilch und die körperlichen Bedürfnisse des Säuglings machte die Zuhilfenahme komplexer maschineller Vorgänge unumgänglich. Je mehr Bestandteile der Muttermilch ermittelt werden konnten, desto größer wurde der Einfluss der Industrie, bis diese die Produktion von Flaschennahrung in den 1960er Jahren vollkommen übernahm. Die Diskussion um verschiedene Flaschennahrungsprodukte, die charakteristisch für die erste Jahrhunderthälfte gewesen war, verlor an Brisanz. KinderärztInnen bewerteten nunmehr lediglich die Produkte, ohne aktiv an ihrer Veränderung mitzuwirken. Um die Mitte der 1970er Jahre begann sich dann erneut Unmut unter den medizinischen Berufen

Fazit: Medikalisierung und Kommerzialisierung der Flaschennahrung  |

zu regen, weil ihnen die Deutungshoheit über die Säuglingsernährung entglitten war. Die erneute Kritik fiel außerdem mit Diskursen um das Sinken der Stillquote in beiden Ländern, den Wandel von Geschlechterrollen und die Verantwortung für die „Dritte Welt“ zusammen und verlieh dem Anliegen der Kinderärztinnen und Kinderärzte, das Stillen zu fördern und die Flaschennahrung wieder stärker unter ihre Kontrolle zu bringen, so Nachdruck. Die Ernährungsfrage war im 20. Jahrhundert nie eine rein wissenschaftliche oder industrielle Frage, sondern Teil weiterer gesellschaftlicher Diskussionen. Als besonders zentral erwies sich die Verknüpfung mit bevölkerungspolitischen und nationalistischen Anliegen, die bis in die 1950er Jahre hineinreichte: Statistiken hatten gezeigt, dass flaschenernährte Säuglinge häufiger starben und diesem Phänomen, so die Schlussfolgerung, musste durch Stillpropaganda und Aufklärung vorgebeugt werden. AdressatInnen dieser Maßnahmen waren meistens die Mütter, die als Verantwortliche für die Ernährung der Säuglinge und ihr physisches Wohlempfinden entworfen wurden. Gleichzeitig waren diese bevölkerungspolitischen Befürchtungen auch ein wichtiger Anlass für die Pädiatrie, die Entwicklung einer sicheren Säuglingsnahrung voranzutreiben, um Säuglinge vor dem Tod zu ­bewahren, deren Mütter sie aus (legitimen) gesundheitlichen Gründen nicht stillen konnten. Nachdem sich Mitte des Jahrhunderts die Verbindung von Flaschennahrung und Tod aufgelöst hatte, wurde die Gefahr der Flaschennahrung über andere Kontexte hergestellt – zuvorderst in Verbindung mit der Neuaushandlung von Geschlechterrollen und damit verbunden, der Müttererwerbsarbeit. Da die körperliche Unversehrtheit des Kindes mit der Flasche weitestgehend garantiert werden konnte, kam dessen psychische Gesundheit in den Blick der Forschung und Politik, was sich wiederum zuerst auf die Mütter auswirkte. In Deutschland führte die Verknüpfung von psychischer Gesundheit und Stillen dazu, dass Mütterarbeit im politischen Diskurs als nicht wünschenswert und gefährlich konstruiert wurde. Gesetzliche Rahmenbedingungen in der Bundesrepublik sorgten dafür, dass Väter alleinige Familienernährer und Mütter vor allem Hausfrauen blieben. In Schweden hingegen führte die Verknüpfung psychischer Gesundheit und Stillen dazu, Ansätze und Maßnahmen zu suchen, um Mütterarbeit und Säuglingspflege besser vereinbaren zu können. Eine solche Maßnahme war die Einführung eines einjährigen Erziehungsurlaubs, der auch von Vätern genommen werden konnte. In den 1970er Jahren wurde zudem die Assoziation von Flaschennahrung und Tod erneut wirkmächtig – nun allerdings nicht mehr für Deutschland und Schweden selbst, sondern mit Blick auf die Länder des Globalen Südens. Dort führte der Übergang von der als altmodisch verstandenen Praxis des Stillens zur als modern und fortschrittlich eingestuften Praxis der Flaschennahrung zu einem Anstieg der

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Sterblichkeitszahlen. Dabei wurden die Rolle westlicher Industriegiganten und deren Werbepraktiken generell in Frage gestellt und kritisiert. Eine politische Konsequenz war die Einführung des ersten weltweiten Marketinggesetzes, des WHO -Kodex. Diese Entwicklungen trugen wiederum auch im „Westen“ dazu bei, Flaschennahrung als legitime Alternative zur Muttermilch in Frage zu stellen. Es hat sich außerdem gezeigt, dass Wissen nicht nur in den klassischen R ­ äumen des Wissens – Kliniken und Universitäten – produziert und auf unterschied­liche Wissenskategorien zurückgegriffen wurde. So nutzen Physiologen die eigenen Wohnungen und die eigenen Kinder als Forschungsobjekte, Koryphäen wie Czerny bezogen sich nicht nur auf wissenschaftliche Ergebnisse, sondern vor allem auch auf ihre Erfahrung als Arzt, um ihre Positionen zu legitimieren. In den 1970er Jahren meldeten sich zudem vermehrt Frauen zu Wort, die vor allem ihre eigenen Erfahrungen als Wissensressource ins Spiel brachten und sich offensiv gegen die allein auf wissenschaftlichen Ergebnissen beruhenden Anweisungen zur Säuglingspflege positionierten. Die Art und Weise, wie an der Säuglingsernährung geforscht wurde, veränderte sich ebenfalls stark. War es um 1900 ein „einsames Genie“, das den Anspruch eines Universalgelehrten auf dem Feld der Pädiatrie verkörperte, fragmentierte sich die Forschung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges und spezialisierte sich zunehmend. Dies lässt sich nicht zuletzt auf die Fragmentierung der Säuglingsnahrung zurückführen, deren Bestandteile zunehmend erschlossen, aufgeteilt und sortiert wurden. Expertise konnte nicht mehr von einer einzelnen Person geleistet werden und verteilte sich auf verschiedene Disziplinen sowie Industriezweige. Das Kapitel hat zudem gezeigt, dass sich die Produktion und Materialisierung von Wissen um die Flaschennahrung in verschiedenen nationalen Kontexten unterschiedlich vollzog. In Deutschland speiste sich das Interesse an der Flaschennahrung zunächst vorrangig aus einem wissenschaftlichen Interesse und wurde erst an der Wende zum 20. Jahrhundert in ein vorrangig bevölkerungspolitisches Problem übersetzt. Hier war die industrielle Flaschennahrung zudem bis in die 1940er Jahre deutlich weiterentwickelt worden und sie wurde von einer Reihe unterschiedlicher Firmen hergestellt und vertrieben. Die Pädiatrie veröffentlichte ständig neue Rezepte und Ernährungsformen, die auch in Schweden rezipiert und angewandt wurden. Das Interesse am Säugling und seiner Ernährung war in Schweden hingegen seit dem 19. Jahrhundert vorrangig bevölkerungs- und sozialpolitisch motiviert. Dort setzte die Forschung an einer industriellen Flaschen­ nahrung erst in den 1940er Jahren ein. Auch in der internationalen Positionierung der Länder fand eine Verschiebung statt, die am Beispiel der Flaschenkinder sichtbar wird. Im 19. und frühen 20. Jahrhundert war die deutsche Ernährungsforschung und Pädiatrie weltweit

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führend und schwedische Wissenschaftler arbeiteten sich an ihren Ergebnissen ab, veröffentlichten auf Deutsch und in deutschen Fachjournalen. Die schwedische Forschung wurde in Deutschland hingegen kaum wahrgenommen. Positiv hervorgehoben wurde hingegen die niedrige Säuglingssterblichkeit in Schweden, die aus deutscher Sicht erstrebenswert schien. Seit den 1930er und vermehrt den 1950er Jahren begannen die schwedische und die deutsche Pädiatrie jedoch die Rollen zu tauschen. Schweden machte durch neue Erkenntnisse in der Vitaminforschung und Fettsäurenforschung auf sich aufmerksam und diese Erkenntnisse wurden jetzt in Deutschland aufgegriffen. Auch darüber hinaus war es Schweden in vielerlei Hinsicht möglich, die periphere Stellung zu verlassen und sowohl wirtschaftlich als auch kulturell eine wichtigere Stellung in Europa einzunehmen. Seit den 1970er Jahren nahm das Land eine Vorreiterposition in Europa in der Entwicklung hin zu einer elternzentrierten Sozialpolitik ein und wurde daher in politischen und öffentlichen Diskussionen in Deutschland vielfach als Vorbild zitiert.

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2 Vermittlung und Verbreitung von Wissen Das Flaschenkind in der Ratgeberliteratur für Eltern

Während das vorherige Kapitel den Fokus auf die Produktion und Materialisierung von Wissen über das Flaschenkind legte, widmet sich dieses Kapitel der Frage, wie dieses Wissen an Eltern weitergegeben wurde. Dazu untersucht es Ratgeberliteratur, die sich an Eltern richtete. Ich werde mich dabei auf Ratgeber in Buchform beschränken, da diese über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg die dominierende Form des Mediums waren. Die Ratgeber werden jedoch mit neuen Medien der Wissensvermittlung ins Verhältnis gesetzt.1 Hier stellen sich die Fragen: Was konnten Eltern zu einem bestimmten Zeitpunkt über Säuglingsernährung (anhand der Ratgeberliteratur) wissen? Deckt sich dieses vermittelte Wissen mit den zeitgenössischen Wissensbeständen, die im vorherigen Kapitel herausgearbeitet wurden? Diese Ratgeber werden dabei ebenfalls als Akteure im Flaschenkind-Netzwerk betrachtet, da sie Wissen neu organisierten und somit veränderten. Damit sich Wissen verfestigt, muss es über Speicher-, Transport- und Darstellungsmedien vermittelt werden und wird wiederum durch die Logiken dieser Medien formatiert. Ratgebermedien fungieren somit als „Filter“, die Wissen selektieren, hervorheben, aber auch unterdrücken sowie mit anderen Wissensbeständen verbinden.2 Diese Übersetzungen werden anhand von drei Fragekomplexen untersucht: 1. Wer waren die AutorInnen und wie präsentierten sie sich und ihre Expertise? Diese Fragen erlauben mir nachzuvollziehen, wie sich ExpertInnenpositionen im Laufe der Zeit veränderten, welche Kategorien wichtiger und unwichtiger wurden. Welches Publikum imaginierten sie und wie sprachen sie es an? Hier gehe ich von der Annahme aus, dass die imaginierten AdressatInnen von Bedeu­tung dafür sind, was als Ist-Zustand ihrer Lebensumstände angenommen und welche Normen daraus abgeleitet wurden.3 2. Auf welches Wissen griffen die AutorInnen zurück und wie stellten sie es dar? Welche impliziten und expliziten Handlungsanleitungen und Anweisungen ergaben sich daraus? Speziell: Wie wurde das Verhältnis von Bruststillen und Flaschennahrung diskutiert? Mit Hilfe dieser Fragen möchte ich den 1 Vgl. Gebhardt, Angst, S. 249, Heiniger, Wandel, S. 76. 2 Vgl. Asdal/Jordheim, Texts on the Move; Jordheim, Printed Work; Sarasin, Wissensgeschichte, S. 168. 3 Vgl. Hagström, Man blir pappa, S. 50.

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„context of choice“ beleuchten. In Anlehnung an die kanadische Ethnologin Stephanie Knaak verstehe ich diesen „Wahlkontext“ als Rahmen, den die Ratgeber präsentieren, innerhalb dessen Eltern Ernährungsentscheidungen treffen konnten.4 3. Welche Erziehungsziele wurden formuliert oder lassen sich aus den Handlungsanleitungen ableiten? Diese Frage weist darauf hin, welche Zukunft für das Kind und die Gesellschaft imaginiert wurde, aber verweist auch auf die „Herkunft, der kulturellen, politischen oder sozialen Existenzbedingungen und der spezifischen Verwendungsweisen des Wissens“,5 wie es Philipp Sarrasin formuliert hat. So lassen sich auch Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen deutschen und schwedischen Ratgebern untersuchen und systematisieren. Das Kapitel ist chronologisch aufgebaut und verfolgt eine ähnliche Periodisierung wie das vorherige Kapitel, um Übereinstimmungen und Abweichungen besonders herausstellen zu können. Zunächst werden die Ratgeber in Deutschland und Schweden von ca. 1906 bis zum Ende der 1920er Jahre vergleichend betrachtet. Das zweite Unterkapitel widmet sich Deutschland während des Nationalsozialismus, während das dritte Unterkapitel Schweden von 1930 bis in die frühen 1960er Jahre behandelt. Im nächsten Unterkapitel verlagert sich der Blick zurück auf Westdeutschland während der Nachkriegszeit bis zum Beginn der 1960er Jahre. Das letzte Unterkapitel führt die beiden Länder wieder zusammen und deckt den Zeitraum von den 1960er Jahren bis Ende der 1970er Jahre ab.

2.1 Normierung und Regulierung des kindlichen Körpers (Deutschland und Schweden 1906 – 1930er Jahre) Seit Ende des 19. Jahrhunderts und verstärkt seit der Jahrhundertwende ließ sich eine stärkere Fokussierung auf das Kind in der deutschen und schwedischen Öffent­lichkeit beobachten als jemals zuvor. Nicht zuletzt hatte die schwedische Philosophin Ellen Key das 20. Jahrhundert zum „Jahrhundert des Kindes“ ­erklärt.6 Der Konnex aus Bevölkerungspolitik, Säuglingssterblichkeit und Säuglingsernährung machte es aus Sicht der Pädiatrie notwendig, die Öffentlichkeit besser über die Pflege und Ernährung von Säuglingen aufzuklären, um Krankheit und hohe Todeszahlen zu senken. In ihrer Arbeit in Kinderklinken und ö­ ffentlicher 4 Knaak, Breast-feeding, S. 197 f. 5 Sarasin, Wissensgeschichte, S. 166; vgl. Murphy, Images of Childhood, S. 105. 6 Key, Barnets århundrade (1900).

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S­ äuglingsfürsorge hatten deren Akteurinnen und Akteure neue Erkenntnisse über den Körper des Säuglings und vor allem seine Ernährung gewonnen, die sie nun in Form von Ratgebern und anderem Aufklärungsmaterial an das Publikum weitergaben, nicht zuletzt, um die Bevölkerungszahl zu erhöhen und ihre eigene Position als bedeutende gesellschaftliche und politische Akteure zu festigen.7 Es gab in beiden Ländern eine lange Tradition, zumindest in bürgerlichen Schichten, sich mit Hilfe geschriebener Ratgeber über Fragen zu Gesundheit, Krankheit und Erziehung zu informieren. In Deutschland begannen sich Erziehungsratgeber aus der allgemeinen Ratgeberliteratur, der „Hausväterliteratur“, seit dem späten 18. und frühen 19. Jahrhundert als eigene Form herauszubilden. Zunächst ein Medium für die gehobenen Gesellschaftsschichten, verwandelten sie sich mit der zunehmenden Alphabetisierung der Bevölkerung im 19. Jahrhundert und verstärkt nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem Massenmedium.8 In Schweden waren Ratgeber zur Säuglingspflege bereits am Ende des 18. Jahrhunderts in allen Bevölkerungsschichten verbreitet. Schweden hatte besonders früh bevölkerungspolitische Maßnahmen zur Verbesserung der Säuglingsgesundheit eingeführt und die Verbreitung von Aufklärungsmaterial zur Säuglingspflege war eine zentrale Maßnahme, um die Säuglingssterblichkeit zu bekämpfen (vgl. 1.1.1). Diese Säuglingspflegealmanache hatten nach der Bibel, den Psalmen und dem Katechismus die höchste Druckauflage. Während im 19. Jahrhundert Ratschläge zur Säuglingspflege in Schweden zumeist gemeinsam mit anderen Themen behandelt wurden, nahm seit Beginn des 20. Jahrhunderts die Zahl reiner Säuglingsratgeber zu.9 Eine verbesserte Aufklärung über Säuglingspflege wurde als zentraler Mechanismus betrachtet, um deren Probleme kostengünstig anzugehen. Dies geschah nicht nur in Form von Ratgebern, sondern – insbesondere in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg – in Form von Ausstellungen und der Verbreitung von visuellem Aufklärungsmaterial.10 Vom Leiter des Kaiserin-Auguste-Victoria 7 Vgl. Brembeck u. a., Konsumerande barnet, S. 35; Lilienthal, Paediatrics and Nationalism; Vögele, Sozialgeschichte, S. 322; ders., Leben, S. 66; ders., Säuglingsfürsorge, S. 203; ders./ Halling/Rittershaus, Entwicklung, S. 224. 8 Vgl. Höffer-Mehlmer, Erziehungsratgeber, S. 670 – 672; Kay, Advice Literature, S. 105. 9 Vgl. Brändström, “Mördrarna”, S. 39 – 52; Gleichmann, Föräldrarskap, S. 38; Nilsson, Mot bättre hälsa, S. 178; Sundin, Folkhälsa, S. 376. 10 Vgl. Butke/Kleine, Kampf, S. 185; Engel/Behrendt, Säuglingsfürsorge, S. 101; Höjer, Verminderung (1932), S. 242; o. A., Barnadödligheten minskar (1921), S. 22 f.; Ohrlander, Socialliberal reformpolitik, S. 137 ff.; Pehrsson, Barn, S. 86; Rittershaus, Visualisierung; dies./Halling/ Vögele, Entwicklung, S. 236; dies./Halling/Vögele, “Breast”, S. 2193; Vögele, Säuglingsfürsorge, S. 206; Wallgren, Social Welfare (1944/1945), S. 209; Wisselgren, Att föda barn, S. 35.

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Abb. 14: Blick in die Internationale Hygiene-Ausstellung 1911 in Dresden, Wissenschaftliche Abteilung zur Milchversorgung in Halle 56: Nahrungs- und Genussmittel.

Abb. 15: Blick in die Ausstellung GeSoLei von 1926 in Düsseldorf, Gesundheitsfürsorge, Abteilung III: Pflege des gesunden und kranken Säuglings und Kleinkindes. Ausstellungsbereich: Natürliche Ernährung.

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Hauses, Leo Langenstein, wurde etwa zusammen mit Fritz Rott der Atlas der Hygiene des Säuglings und des Kleinkindes entwickelt und 1918 herausgegeben, der anhand von zumeist fotografischen oder gezeichneten Tafeln Wissen über Säuglings- und Kinderpflege vermittelte.11 Das 1912 gegründete Deutsche ­Hygiene-Museum in Dresden (DHMD ) war ein besonders einflussreicher Akteur in der Verbreitung und Popularisierung wissenschaftlicher Fakten im Deutschen Reich und hatte mit der „Hygieneausstellung“, die bereits 1911 von den gleichen Akteuren durchgeführt worden war, sowie der u. a. in Kooperation mit Arthur Schloßmann durchgeführten Großen Ausstellung 1926 für Gesundheitspflege, soziale Fürsorge und Leibesübungen (GeSoLei) in Düsseldorf für viel Aufmerksamkeit gesorgt, auch international. Das Themengebiet Mütter- und Säuglingsgesundheit war dabei immer sehr prominent in den Ausstellungen und Vorlesungsreihen vertreten, die das DHMD produzierte und verbreitete (vgl. Abb. 14 und 15). So gab es auf der GeSoLei u. a. eine nachgestellte vorbildliche Säuglingsstation und viele Exponate über die natürliche und künstliche Ernährung. Dominiert wurde die Ausstellung von Plakaten und Exponaten, die Sachzusammenhänge, wie die Bevölkerungsentwicklung und die Ernährungslehre, visuell aufbereiteten und vermittelten.12 Die Ernährungsfrage machte den Kern dieser Aufklärungsbemühungen aus. Das größte Problem wurde in der Unkenntnis der Mütter über die Gefahren der Flaschennahrung gesehen bzw. Unkenntnis darüber, wie sie richtig – also nach rationalen kinderärztlichen Grundsätzen – durchgeführt werden musste.13 2.1.1 Kinderärzte beraten unerfahrene Mütter

Der Beginn des 20. Jahrhunderts markiert eine Übergangsphase in der Geschichte der Ratgeber für Kinder und Säuglinge. Zuvor hatten bürgerliche Eltern zumeist Bücher von Philosophen wie Jean-Jaques Rousseaus Emile gelesen oder pädagogische Ratgeber von Friedrich Fröbel oder Johann Heinrich Pestalozzi. Um die Jahrhundertwende kam jedoch eine große Anzahl neuer Ratgeber auf den Markt, die sich auf neue Wissensbestände bezogen, vornehmlich der klinischen 11 Vgl. Rittershaus, Visualisierung, S. 23. 12 Teich-Balgheim (Hg.), Die GeSoLei (1926). Vgl. Lindner, Gesundheitsvorsorge, S. 347. Zur Geschichte des DHMD vgl. Steller, Volksbildungsinstitut; ders., „Kein Museum alten Stiles“. Zu Sozialmuseen in Schweden vgl. Löw, Världen, S. 167 f. 13 Vgl. Gröné, Moder och barn, S. 40; Ohrlander, Socialliberal reformpolitik, S. 272; Weiner, Spädbarnsdödligheten, S. 105 f.; Westergaard, Folkhälsan, S. 38.

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Medizin.14 Stellvertretend für diese Entwicklung werden hier folgende Ratgeber besprochen: auf deutscher Seite das Sammelwerk Das Kind, seine geistige und körperliche Pflege von der Geburt bis zur Reife (1906), welches von Philipp Biedert herausgegeben wurde und Texte verschiedener Kinderärzte zu ihren Spezialthemen vereinte – in diesem Zusammenhang sind die Einleitung von Biedert selbst sowie das Ernährungskapitel des Wormser Kinderarztes Fritz Gernsheim von besonderem Interesse –,15 Adalbert Czernys Der Arzt als Erzieher des Kindes (1908)16 und Elisabeth Behrends Säuglingspflege in Reim und Bild (1916) sowie Wort und Bild zur Säuglingspflege (1929)17; auf schwedischer Seite Isak Jundells Det späda och äldre barns uppfödning och vård (Die Ernährung und Pflege des Säuglings und des älteren Kindes, 1913),18 Seved Ribbings Våra barns fostran och vård (Die Erziehung und Pflege unserer Kinder, 1916)19 sowie Adolf Lichtensteins Barnavård (Kinderpflege, 1927).20 Alle AutorInnen können der klinischen, hygienisch motivierten Strömung der Medizin zugeordnet werden, die dezidiert soziale Faktoren in die Erklärung von Krankheit und Gesundheit einbezog. Sie zählten alle – Elisabeth Behrend ausgenommen, die Säuglingsschwester war –, zu den bedeutendsten Vertretern der Pädiatrie in Deutschland und Schweden und waren darüber hinaus international bekannt und geschätzt (vgl. 1.2). Sie hatten zudem sowohl in der pädiatrischen Praxis als auch der Forschung gearbeitet, wie dies zu Beginn des 20. Jahrhunderts üblich war. Czerny und Biedert waren für ihre Forschung und ihren Anspruch, die Ernährung des Kindes auf eine wissenschaftliche Grundlage zu stellen, international bekannt. Jundell war nicht nur der führende Kinderarzt Schwedens zu 14 Vgl. Kay, Advice Literature, S. 108 ff. 15 Biedert, Kind (1906). 16 Czerny, Arzt (1908). Bis 1942 gab es neun weitere, teilweise überarbeitete Ausgaben dieses Buches. Es wurde 1916 ins Schwedische übersetzt. Die Übersetzung basierte auf der vierten dt. Ausgabe und wurde mit einem Vorwort des auf psychische Störungen und Nervenkrankheiten spezialisierten Arztes Jakob Billström versehen. Vgl. Czerny, Läkaren som uppfostrare (1916), S. 3. 17 Behrend, Reim und Bild (1916); dies., Bild und Wort (1929). Erste Aufl. vermutlich 1928. 18 Jundell, Uppfödning (1913). Das Heft wurde vom einflussreichen Svenska Fattigvårdsförbundet herausgegeben. Es war bis in die 1930er Jahre einer der erfolgreichsten Säuglingsratgeber in Schweden, der 36 Neuauflagen erlebte und ca. 310.000-mal verkauft wurde, vgl. Wallgren, Isak Jundell, S. 511; Lithell, Små barn; Ohrlander, Socialliberal reformpolitik, S. 254. 19 Ribbing, Fostran (1916). Zu Ribbing vgl. Åman, Seved Ribbing. 20 Lichtenstein, Barnavård (1927). Der Ratgeber war 1925 in der schwedischen Wochenzeitschrift Husmodern, des einflussreichen Reichsverbundes der Hausfrauen, veröffentlicht worden. Damit erreichte er einen großen Leserinnenkreis. In den folgenden Jahren wurde der Ratgeber immer wieder neu aufgelegt und erweitert, vgl. B. Hammar, Rez. zu: Adolf Lichtenstein, Barnavård (1942), S. 148. Mehr zu Husmodern: Banér, Barn som vara, S. 86 f.

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Beginn des 20. Jahrhunderts und als „Erzieher der Erzieher“ („uppfostrare av uppfostrarna“) bekannt, sondern auch international gut vernetzt.21 Lichtenstein und Ribbing hatten ihre Arbeitsschwerpunkte in der allgemeinen Sozialmedizin und waren schweden- und skandinavien-weit anerkannte Autoritäten.22 In den Ratgebern inszenierten sich die AutorInnen als wissenschaftlich legitimierte Autoritäten auf dem Gebiet der Säuglingsfürsorge. Sie grenzten sich dabei explizit von volkstümlichen Traditionen und Erfahrungen älterer Generationen sowie LaiInnen im Allgemeinen ab.23 Czerny befürchtete etwa: „Das Gedächtnis ist für nicht besonders starke Eindrücke viel schwächer, als die meisten anzunehmen bereit sind. Aus geringen Erinnerungsresten entwickelt sich manchmal scheinbar sicheres Wissen, welches zu ernsten subjektiven Täuschungen Veranlassung geben kann.“ 24

Den Arzt verstand er hingegen als „Beobachter“, der eine entrückte und neutrale Position einnahm. In Biederts Ratgeber wurde befürchtet, der unerfahrenen Mutter werde „manch u­ ngebetener Rat aufgedrängt“ und „manche ‚weise‘ Nachbarin und Tante“ setze ihr mit „ihren durchaus unbegründeten Erfahrungen“ 25 zu. Der Schwede Isak Jundell warnte davor, dass ein gutgemeinter Rat von unkundiger Seite „das Todesurteil für den Säugling“ sein konnte,26 z. B., wenn der Mutter suggeriert werde, sie sei nicht in der Lage, zu stillen. Sein Kollege Adolf Lichtenstein bezeichnete es als „verantwortungslos“, wenn jungen Frauen geraten werde: „‚es geht sicher genauso gut mit der Flasche‘“.27 Durch solche und ähnliche Ausführungen wurde den Müttern deutlich gemacht, sich nicht auf den Rat ihrer Verwandten und Freunde zu verlassen, da dies schwerwiegende Konsequenzen für die Gesundheit ihrer Kinder haben könne. Die Pädiater hatten sich hingegen seit Ende des 19. Jahrhunderts als Experten etabliert und vertraten diesen Anspruch auch in ihren Ratgebern. Mütter sollten sich entweder direkt an sie wenden oder sich an die Anleitungen in den von ihnen geschriebenen Ratgebern halten, um ihr Kind richtig zu pflegen und zu ernähren.28 21 22 23 24 25 26 27

Kälvesten, Spädbarnets sociologi (1956), S. 358. o. A., Adolf Lichtenstein † (1950). Vgl. Ohrlander, Barnet fick en kropp, S. 99. Czerny, Arzt (1908), S. 18. Vgl. Biedert, Kind (1906), S. 8. Jundell, Uppfödning (1913), S. 5. Vgl. Lichtenstein, Barnavård (1927), S. 113. Hierzu auch: Ohrlander, Socialliberal reformpolitik, S. 269 f. 28 Vgl. Höffer-Mehlmer, Elternratgeber, S. 117 ff.; Gebhardt, Angst, S. 49 – 51; Kay, Advice Literature, S. 105; Manz/Manz/Lennert, Stillempfehlungen, S. 573 f.; Ohrlander, Barnet fick en

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Die meisten der Ratgeber hatten als Adressaten ein bürgerliches Publikum vor Augen. Czerny richtete sich explizit an die gehobeneren Gesellschaftsschichten. Hier sah er nämlich Gefahren lauern, wenn „[d]en Eltern jeder Maßstab dafür [fehlt], was sie ihren Kindern mit ihrem Wohlstand Vorteilhaftes gewähren dürfen“.29 Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts wurde die industrialisierte und urbanisierte Gesellschaft der Erwachsenen häufig als von der Natur entfremdet wahrgenommen. Im Gegensatz dazu sei das Kind noch nicht von den Auswüchsen des hohen Zivilisierungsgrads der Gesellschaft negativ beeinflusst worden.30 Mit dieser Entfremdung ginge Maßlosigkeit und Bequemlichkeit einher, die durch die Annehmlichkeiten des modernen Lebens produziert würden, so Czerny. Solche Eltern mussten durch den Kinderarzt erst wieder auf den richtigen Weg zurückgebracht werden. Bei den Schweden Jundell und Ribbing wurde dieser zivilisationskritische Diskurs in Bezug auf das Stillen ebenfalls aufgenommen. So kritisierte Jundell, dass einige Frauen deswegen nicht stillten, weil es sie an der Ausübung ihres Gesellschaftslebens hindere.31 Ribbing nahm an, viele junge Mütter könnten es sich nicht vorstellen zu stillen, weil sie dachten, ihre „soziale Stellung fordere viele Stunden ja, sogar halbe Tage, vom Kind getrennt zu sein, um am Sozialleben teilzunehmen“.32 Die Autoren zeichneten somit ein Bild von ratbedürftigen, entfremdeten, bürgerlichen Müttern, die sich aufgrund ihres Soziallebens oder der gesellschaftlichen Verhältnisse nicht auf ihre Aufgabe als Mutter konzentrieren konnten oder wollten. Nur Elisabeth Behrends Reim und Bild richtete sich bewusst an Mütter aller Schichten, wobei sie als zu erreichendes Ideal die Lebens- und Wohnverhältnisse der bürgerlichen Familie in Beschreibungen und Bildern entwarf. B ­ ehrends Ziel war es, wissenschaftliche Erkenntnisse und ihre eigenen Erfahrungen „allgemeinverständlich“ darzustellen. Durch Reime und Bilder erhoffte sie sich, dem „Gemüt und [der] Vernunft der Mutter näher zu kommen, als es die herbe Prosa und die Nüchternheit vermögen, die in Merkblättern oder Lehrbüchern über Säuglingspflege unvermeidlich sind“.33 Damit grenzte sie sich nicht nur von unwissenschaftlichem Erfahrungswissen, sondern auch von der Wissensvermittlung der Kinderärzte ab.34 Ihre Ratgeber entstanden außerdem – im geänderten Kontext visueller Wissensvermittlung – nach dem Ende des Ersten Weltkrieges. kropp, S. 94 f.; Rowold, Johann Haarer, S. 184. 29 Czerny, Arzt (1908), S. 2. Vgl. Kay, Advice Literature, S. 118. 30 Vgl. Kay, Advice Literature, S. 117; Kössler, Ordnung, S. 192, 210; ders., Faschistische Kindheit, S. 288. 31 Vgl. Jundell, Uppfödning (1913), S. 5. 32 Ribbing, Fostran (1916), S. 24. 33 Behrend, Reim und Bild (1916), S. 3. 34 Vgl. Behrend, Bild und Wort (1929), S. IV .

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Sie nutzte viele Abbildungen und graphische Darstellungen, um Wissen auch an ein weniger gebildetes Publikum, das von langen Texten abgeschreckt werden konnte, zu vermitteln.35 Wie die vorherigen Ausführungen bereits andeuten, war es vor allem die Mutter, die aus Sicht der AutorInnen für die Ernährung und damit auch die Gesundheit des Kindes verantwortlich war.36 Czerny adressierte zwar häufig die „Eltern“, aber in Bezug auf die Ernährung sprach er nur die Mutter an. Im Titel von Ribbings Ratgebern wurden ebenfalls „Eltern“ als Adressat angegeben, doch richteten sich auch seine Anweisungen für die Ernährung ausschließlich an Frauen. Die Pflege des Säuglings wurde in verschiedene, geschlechtlich spezifische Bereiche aufgeteilt: Die Ernährung als Arbeitsbereich der Mutter, während die Erziehung des älteren Kindes auch Aufgabe des Vaters war. Überwiegend war die Adressatin in allen Ratgebern die Mutter, während dem Vater keine Rolle in der Säuglingspflege zuge­ sprochen wurde. Behrend richtete sich in Reim und Bild ebenfalls ausschließlich an Mütter, während in Wort und Bild Pflegepersonal als Adressat mit einbezogen wurde. Der Beruf der Säuglingspflegerin war allerdings ebenfalls ein weibliches Arbeitsfeld, weswegen in beiden Fällen davon auszugehen ist, dass Behrend für ein spezifisch weibliches Publikum schrieb. Am Beispiel des Wissens um die Zusammensetzung von Kuh- und Muttermilch werde ich abschließend zeigen, welche unterschiedlichen Strategien die AutorInnen nutzten, um Wissen zu vermitteln. Dabei lassen sich die Positionierung der AutorInnen sowie die imaginierte LeserInnenschaft zusammenfassend reflektieren. Czerny lieferte keinen systematischen Überblick über Ernährungsphysiologie in seinem Ratgeber. Er bemängelte zwar, dass die „Erfolge […] bei der künstlichen Ernährung höchstens ähnlich, niemals identisch mit denen bei der natürlichen Ernährung an der Brust der Mutter [sind]“.37 Auf die wissenschaftliche Begründung hierfür ging er jedoch nicht ein. Sein Ratgeber zielte auf ein moralisches Umdenken ab und forderte Mütter zum Stillen auf (s. u.), anstatt wissenschaftliches Grundlagenwissen zu vermitteln. Bei Jundell, der einen ähnlich erzieherischen Ansatz verfolgte und daher wenig wissenschaftliches Grundlagenwissen vermittelte, finden sich ebenfalls keine näheren Erläuterungen dieses Komplexes.38 Beide Ratgeber kommunizierten ihre Anweisungen auf autoritäre Weise, aus ihrer Position als Kinderärzte heraus. 35 Ebenfalls auf Visualisierung setzen nach dem Ende des Ersten Weltkrieges: Langstein/Rott, Atlas (1918); Wernstedt, Barnavård (1925). 36 Vgl. Kay, Advice Literature, S. 118. 37 Czerny, Arzt (1908), S. 3. 38 Jundell, Uppfödning (1913), S. 14.

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In Biederts Sammelwerk gab es hingegen einen eigenen Abschnitt, in dem Fritz Gernsheim die von Biedert herausgearbeiteten Grundlagen der unterschiedlichen Zusammensetzung von Mutter- und Kuhmilch darlegte.39 Auf dieser Unterscheidung basierten die weiteren Angaben zur Herstellung der Flaschenmilch. Besonders offen präsentierte auch Ribbing die wissenschaftliche Debatte um die Flaschenernährung, indem er lange über unterschiedliche Meinungen, wie die Milch richtig gemischt werden sollte, referierte. Der Grund für bisherige Unstim­ migkeiten habe darin gelegen, dass trotz aller Analysen die Bestandteile der Muttermilch noch nicht vollständig bekannt seien.40 Während die Anderen also eine Art abgeschlossenen Prozess darlegten, wies Ribbing auch auf Unsicherheiten in der Ernährungsfrage hin. Gernsheim und Ribbing hatten ein bürgerliches, gebil­detes Publikum vor Augen, das möglichst umfassend über den aktuellen Wissens­stand aufzuklären war. Sie sollten die Grundlagen kennen und nicht allein mit Handlungsanweisungen versorgt werden. Gernsheim war zudem der einzige, der sich tendenziell positiv über die Flaschennahrung äußerte. Die künstliche Milch sei „in den letzten Jahren zu hoher Vervollkommenheit“ gekommen.41 Er beschrieb auf vielen Seiten die unterschiedlichen Rezepturen, Produkte und ihre Anwendungsgebiete und lobte dabei besonders das Rahmgemenge nach Biedert, eine Erfindung des Herausgebers, während er für nachgeahmte Produkte keine guten Worte fand (vgl. 1.1.2). Auch hier verfolgte er eher einen erklärenden als erziehenden Ansatz in der Wissensvermittlung. Elisabeth Behrends Ratgeber zeigten hingegen eine ambivalente Einstellung gegenüber wissenschaftlichem Wissen. In ihrem ebenfalls an ein Fachpublikum gerichteten Ratgeber Wort und Bild warnte sie: Muttermilch ist unersetzlich! Sogar, wenn die grobchemische Zusammensetzung nachgeahmt wird, bleibt der Unterschied, denn jede Milch hat ihr besonderes Eiweiß, Fett, ihre Salze usw. Die Natur arbeitet wunderbarer, feiner, als unser Menschenwissen begreift!42

Sie nutzte zudem die Möglichkeiten der visuellen Aufarbeitung und zeigte ein Balkendiagramm, in dem die Bestandteile unterschiedlicher Milchsorten (Mensch, Kuh, Schaf, Katze, Hund und Hase) abgebildet waren. In ihren Ausführungen in Reim und Bild wählte sie einen anderen Zugang, um Unterschiede der Tiermilchen leicht verständlich aufzubereiten. In Reimform führt sie aus: „Nein! ­Tiermilch 39 40 41 42

Gernsheim, Entwicklung des Kindes (1906), S. 51. Vgl. Ribbing, Fostran (1916), S. 66. Gernsheim, Entwicklung des Kindes (1906), S. 47. Behrend, Bild und Wort (1929), S. 40.

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ist stets wohlbedacht/ Genau für’s junge Tier gemacht,/ Die Kuhmilch für den Kälbermagen./ Wie soll ein Kind sie da vertragen?“ 43 Über diesen Vergleich vermittelte sie das Grundlagenwissen, ohne auf Zahlen oder Statistiken zurückgreifen zu müssen. Sie versuchte anhand solcher Strategien, die Unterschiede – auch für ein als weniger gebildet imaginiertes Lesepublikum – begreiflich zu machen. Das Wissen um die unterschiedliche Zusammensetzung von Tier- und Muttermilch kam hier in sehr unterschiedlichen Figurationen daher: als nicht weiter zu erklä­ render Fakt, als noch nicht ganz abgeschlossener Forschungsprozess sowie als Balkendiagramm und als Tier/Mensch-Analogiesierung in Reimform. Abschließend ist festzuhalten, dass es große Kohärenz zwischen den Ratgebern medizinischer ExpertInnen zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab. Den kompetenten, medizinisch ausgebildeten AutorInnen standen die inkompetenten Mütter als Adressatinnen gegenüber, denen ein völlig neues Wissen beigebracht werden musste, damit sie ihre Kinder nicht gefährdeten. Die Kinderärzte nutzten vor allem textlastige Vermittlungsstrategien, da ihre Ratgeber an ein gebildetes Publi­ kum gerichtet waren, dem es die Autoren zutrauten, Informationen auf diese Weise verarbeiten und umsetzen zu können. Die Säuglingsschwester Elisabeth Behrend hingegen, die sich an ein nicht-bürgerliches Publikum wandte, nutzte eine Reihe unterschiedlicher Illustrationsmöglichkeiten sowie eingängige Reime, um das Wissen für ein weniger gebildetes Publikum ansprechend und verständlich zu gestalten. In allen Ratgebern wird deutlich, dass sie nicht den Anspruch erhoben, die Arbeit von Kinderärzten zu ersetzen. Ihre Aufgabe bestand vielmehr darin, die Eltern bzw. Mütter aufzuklären und zu erziehen, wobei die Autoren tendenziell die erste (Gernsheim, Ribbing, Lichtenstein) oder zweite Absicht (Czerny, Jundell, Behrend) verfolgten. 2.1.2 Flaschenernährung als (lebens)gefährliche Normabweichung

Muttermilch wurde in der pädiatrischen Fachliteratur des frühen 20. Jahrhunderts durchweg als überlegene Ernährungsform dargestellt. In diesem Abschnitt geht es darum nachzuvollziehen, wie den Leserinnen und den Lesern das Verhältnis von Brusternährung und Flaschenernährung vermittelt und damit der „context of choice“ abgesteckt wurde. Drei Argumentationslinien, um die Unterlegenheit der Flasche zu markieren, sind besonders hervorzuheben. Erstens, Flaschennahrung sei komplizierter zuzubereiten und daher umständlicher für die Mutter, weswegen sie, zweitens, individuell an das Kind angepasst werden müsse und daher nur mit 43 Behrend, Reim und Bild (1916), S. 12.

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Hilfe eines Kinderarztes richtig verabreicht werden könne. Schließlich führe all dies dazu, dass die Flaschennahrung eine Gefahr für die gesamte Bevölkerung darstelle, da ihre falsche Nutzung zu häufig einen tödlichen Ausgang habe. Die Zubereitung der Flaschenmilch, wollte die Mutter sie entsprechend den Vorgaben in den Ratgebern durchführen, erforderte laut allen Ratgebern viele verschiedene Arbeitsschritte, wie das Sterilisieren der Milch, Mischen der Zutaten und Herstellung einer Schleimabkochung. Die benötigten Utensilien mussten zudem peinlich sauber gehalten werden, wie immer wieder betont wurde. Dies kostete viel Zeit und verursachte zusätzliche Kosten, da viele Utensilien angeschafft werden mussten. Wenn schon mit der Flasche ernährt werden musste, musste sich die Mutter zudem an viele Regeln halten und brauchte wissenschaftlich legitimierte Flaschen und Flaschennahrung. Die Flasche selbst wurde überall ähnlich beschrieben. Es wurde viel Wert darauf gelegt, „nur ganz glattwandige, am besten kegelförmige, farblose Glasflaschen“ 44 zu empfehlen. Auch die Sauger durften nicht lang und schlauchförmig sein und die Flasche kein Steig- oder Saugrohr haben.45 Elisabeth Behrend wählte in Reim und Bild eine eindrückliche Illustration, die alle unerwünschten Utensilien in den Mülleimer verbannt sah. Um die Zubereitung der Flaschen zu erleichtern, schlugen die schwedischen Autoren den „baby diflaskappart“ 46 vor, der günstiger als der deutsche Soxhlet-Apparat und damit vorzuziehen sei.47 Beide Apparate erleich­terten die Zubereitung der Flaschenmilch dadurch, dass gleichzeitig mehrere Flaschen erwärmt werden konnten. Deutsche Ratgeber hingegen empfahlen den Soxhlet-Apparat, der 1890 auf den Markt gekommen war, Anfang des 20. Jahrhunderts nicht mehr (vgl. Abb. 4). Biedert begründete dies damit, dass die lange Erhitzung nicht mehr dem neuesten Erkenntnisstand entsprach und es bessere Methoden gebe, die Milch hygienisch einwandfrei zu erhalten als die vorherige Pasteurisierung.48 Damit entsprachen die Angaben der deutschen Ratgeber dem neuesten Stand der Forschung, wohingegen die schwedischen Ratgeber leicht veraltetes Wissen präsentierten, das mit der Entdeckung der Vitamine obsolet gewor­ den war. In allen Ratgebern wurde sich jedoch gegenüber veralteten Praktiken abgegrenzt und häufig mit Begriffen wie „modern“ bzw., „unmodern“ gearbeitet, um die neuen Utensilien zu legitimieren.49 44 Gernsheim, Entwicklung des Kindes (1906), S. 57. 45 Vgl. ebd., S. 57; Behrend, Bild und Wort (1929), S. 58; Jundell, Uppfödning (1913), S. 19; Ribbing, Fostran (1916), S. 61. 46 Lichtenstein, Barnavård (1927), S. 122 f. 47 Ribbing, Fostran (1916), S. 59 f. 48 Vgl. Gernsheim, Entwicklung des Kindes (1906), S. 56 f. 49 Vgl. ebd., S. 57.

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Abb. 16: „Das Loch im Flaschenhut“, Anweisung zur korrekten Lochung des Flaschensaugers, Teil einer Aufklärungsreihe des DHMD (o. J., wahrscheinlich 1923).

Dem Lochen des Saugers wurde in allen Ratgebern besondere Bedeutung zuge­ sprochen, da die Ernährung mit der Flasche derjenigen an der Brust möglichst genau nachgestellt werden sollte. „Das Kind muss saugen“, verordnete der Schwede Seved Ribbing. Bei einem zu großen Loch fiele dem Kind das Trinken zu leicht und es müsse sich dann nicht genug anstrengen.50 Da Überfütterung als größte Gefahr für das Kind verstanden wurde, musste dies durch ein entsprechend kleines Loch garantiert werden, damit sich das Kind beim Saugen etwa genauso stark anstren­gen musste wie an der Brust.51 Durch die Modifikation des Saugers konnte die Mutter dies simulieren (vgl. Abb. 16). Dieses Wissen wurde in Elisabeth Behrends Ratgebern mit Hilfe visueller und sprachlicher Metaphern transportiert. Die Milchproduktion übersetzte sie bildlich in die Abläufe einer gut oder schlecht arbeitenden Fabrik: „Die Milchbildung in der 50 Ribbing, Fostran (1916), S. 62. Vgl. Jundell, Uppfödning (1913), S. 8; Lichtenstein, Barnavård (1927), S. 122. 51 Jundell, Uppfödning (1913), S. 8.

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Brust gleicht einem Fabrikbetrieb: Die Produktion richtet sich nach der Nachfrage.“ 52 Die Flasche wurde in ihren beiden Büchern als Störfaktor inszeniert, die in „Konkurrenz“ zur Mutterbrust trat. Auch in Reim und Bild wies sie auf die Gefahren hin, wenn schon während der ersten Tage die Flasche gegeben wurde: „Die erste Flasche überhaupt/ Ist nicht so harmlos, wie ihr glaubt;/ Und „daß sich’s dran gewöhnen muß/ Für später, ist ein falscher Schluß./ Nein, fragt stets einen Arzt vorher,/ Denn Fehler hier sind folgenschwer.“ 53 Nicht körperliche Einschränkungen der Mutter oder Probleme beim Kind, sondern die Flasche verhandelte sie als größtes Stillhindernis. Das Stillen ordnete sie als eine Mischung aus natürlicher Fähigkeit und mechanisch zu erlernendem Ablauf ein; an der Schnittstelle zwischen Natur und Wissenschaft. Die Flaschennahrung verortete sie hingegen völlig in der Welt der Wissenschaft und des Arztes, daher sollte die Mutter nie allein handeln. Die Entscheidung für die Flasche, so suggerierten die Ratgeber, war immer eine Entscheidung für die Mutter, bei der sie mehr Arbeit leisten und größere Genauigkeit walten lassen musste. Dies galt nicht zuletzt deswegen, weil die Flaschennahrung immer individuell an den Bedarf des Kindes angepasst werden musste, da sie viel komplexer war als die Brustmilch, die sich automatisch dem Kind anpasste. Behrend wollte ­daher in Reim und Bild keine genaue Angabe zur Flaschennahrung machen, denn „[s]ie würde gar zu oft nicht passen“.54 Dieses Verhältnis von Brust und Flasche findet sich auch bei Lichtenstein. In Bezug auf die Art und Mischung der Nahrung meinte er, „viele Wege führen nach Rom“, da kleine Kinder ein sehr gutes Anpassungsvermögen hätten.55 Das Ziel der Flaschenernährung sei „eine individualisierte Ernährung, wo sich die zugeführte Nahrungsmenge und -zusammensetzung nach den Bedürfnissen des Kindes richtet, kontrolliert mit Hilfe einer Beobachtung der Entwicklung des Kindes“.56 Die anspruchsvolleren Bedürfnisse des Flaschenkindes zogen es daher nach sich, sein Heranwachsen genauer zu kontrollieren. Während es aus Lichtensteins Sicht zwar wichtig war, das Brustkind zu wiegen, mahnte er für die Flaschenernährung: „Ich will besonders die Wichtigkeit betonen, dass die Gewichtszunahme des Flaschenkindes regelmäßig kontrolliert wird.“ 57 Die Flasche schränkte so die Handlungsmöglichkeiten der Mütter ein, weil sie immer auf die Anleitung eines Arztes und eine genauere Kontrolle des Gewichts angewiesen waren, um die Gesundheit ihres Kindes nicht zu gefährden. 52 53 54 55 56 57

Behrend, Bild und Wort (1929), S. 43. Behrend, Reim und Bild (1916), S. 13. Ebd., S. 16. Lichtenstein, Barnavård (1927), S. 119. Ebd., S. 123 (Hervorh. im Org.). Ebd., S. 123.

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Gernsheim hob ebenfalls den Sonderstatus der Flaschenkinder gegenüber den Brustkindern hervor. Für unterschiedliche Kinder sollten unterschiedliche Milchmischungen genutzt werden. Er war jedoch der einzige, der den Müttern einen eigenen Handlungsspielraum zusprach. Er empfahl ihnen, die Kinder mit Biederts Rezept zu ernähren, das als besonders zuverlässig konstruiert wurde. Während Biedert regulär fünf Nährstufen empfahl, „so braucht die die Kindernahrung selbst zubereitende Mutter diese Vorschrift nicht als unbeugsames ­Gesetz anzusehen“, sondern könne Zwischenstufen einfügen.58 Diese Übertragung von Handlungsmacht an die Mutter kann auf das große Vertrauen zurück­ geführt werden, das Gernsheim der Rezeptur von Biedert entgegenbrachte. Die Ernährung und Erziehung des Säuglings waren schließlich nicht nur für das individuelle Kind und dessen Eltern von Bedeutung, sondern sie wurde in allen Ratgebern in den nationalistischen, bevölkerungspolitischen Diskurs des frühen 20. Jahrhunderts eingebettet.59 So erklärte Philipp Biedert in der Einleitung zu seinem Buch: So versuchen wir das Ziel jeder körperlichen und geistigen Heranbildung zu erreichen: daß dem Vaterlande Arbeiter, Verteidiger und Führer geliefert werden, für den in unseren Zeit doppelt nötigen und schweren Kampf um seine Weltstellung, fest, tragend und widerstandsfähig, wie aus dem Holze seiner Eiche geschnitzt, und, wer immer dazu begabt ist, hochragend und sich behauptend, wie sie, über der Menge.60

Fritz Gernsheim griff diese Thematik in seinem Kapitel über die Ernährung erneut auf und verknüpfte die Bevölkerungsfrage direkt mit der Ernährungsfrage: Tausende und abertausende vielversprechende Menschenknospen werden alltäglich geknickt, nachdem sie kaum angefangen haben, sich zu entfalten; sie können sich nicht halten und zur duftigen Blüte entwickeln, weil ihnen der Saft fehlt, der zu ihrem Gedeihen so dringend notwendig ist, der Saft, der nur eigens für sie gebildet wird und der durch kein Surrogat ersetzt werden kann.61

Die Muttermilch erhöhte er zum „Zaubersaft“, dem die Kraft innewohnte, das Überleben des Volkes zu sichern. Den Müttern wurde so in eindrücklichen ­Metaphern vor Augen geführt, welche Konsequenzen das Nicht-Stillen für die „vielversprechende Menschenknospe“, also ihren Säugling, haben konnte. 58 59 60 61

Gernsheim, Entwicklung des Kindes (1906), S. 60. Vgl. Seidler, Ernährung, S. 290; Vögele/Halling/Rittershaus, Entwicklung, S. 237. Biedert, Kind (1906), S. 5. Vgl. Gernsheim, Entwicklung des Kindes (1906), S. 36.

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Der Erste Weltkrieg verschärfte diesen Diskurs. In Deutschland hatte er aufgrund der hohen Bevölkerungsverluste eine neue Dringlichkeit in der Frage der Säuglingsgesundheit kreiert. Schon während des Krieges wurde dies thematisiert und führte zur engeren Verschränkung von Säuglingsfürsorge und Staat.62 In ihrem einleitenden Gedicht in Reim und Bild griff Behrend diese Verbindung zwischen der Notwendigkeit der Säuglingsfürsorge und dem Krieg auf: „Jetzt, wo so viele Männer sterben/darf kein Kindlein uns verderben.“ 63 Muttermilch erklärte sie zu einer göttlichen Gabe, die die Nahrung auf die körperlichen Bedürf­ nisse des Kindes genau abstimmte. Denjenigen, die meinten, „den lieben Gott einmal belehren“ zu müssen, indem sie mit der Flasche fütterten, führte sie die Konsequenzen drastisch vor Augen: „Was ist die Folge? Not, Verderben!/ Zahllose Flaschenkinder sterben,/ Und ungezählte noch erkranken.“ 64 Gab die Mutter dem Kind die Flasche, stellte sie sich nicht nur gegen die Nation, wie bei Biedert, sondern ebenfalls gegen Gott. Diese Argumentation ist eher ungewöhnlich, da sie die vorherrschenden wissenschaftlichen Diskurse geradezu konterkariert. Wenn auch nicht weniger effekt­voll, wenn Behrend damit christliche Mütter erreichen wollte. Hier konnte die Anrufung Gottes mehr bewirken als die Darlegung wissen­ schaftlicher Statistiken. In ihrem Nachfolgebuch Bild und Wort thematisierte sie die Bevölkerungsfrage ebenfalls, jedoch ohne den Bezug zu Gott: „Natürliche Ernährung und gute Pflege des Kindes setzen die Säuglingssterblichkeit herab.“ 65 Stillen könne soziale Unterschiede ausgleichen, denn „Flaschenkinder der Wohlhabenden sind schlechter gestellt als die Brustkinder der Armen!“ 66 Die Bebilderung hier ist besonders interessant, da sie Stereotype von Arm und Reich transportiert (vgl. Abb. 17). Das Brustkind in guten Verhältnissen lebte in einer hellen Wohnung und wurde von der Mutter gestillt. Das Flaschenkind in guten Verhältnissen wurde von einer Pflegerin gefüttert. Die Milch befand sich in einer modernen Säuglingsflasche mit geradem Sauger und Gradierung. Das Brustkind in ungünstigen wirtschaftlichen Verhältnissen wurde ebenfalls von einer gepflegt aussehenden Mutter im Arm gehalten. Die Ausstattung der Wohnung und des Kindes stellten sich jedoch viel schlichter dar. Das letzte Bild vom Flaschenkind in ungünstigen wirtschaftlichen Verhältnissen beschwor alle Schreckensbilder der Sozialmedizin: Es zeigte 62 Vgl. 1.3.1, Klassiker: Dwork, War is Good for Women; vgl. Kössler, Faschistische Kindheit, S. 294 – 298; Fehlemann, Armutsrisiko, S. 215, 335. 63 Behrend, Reim und Bild (1916), S. 4. 64 Ebd., S. 12. 65 Behrend, Bild und Wort (1929), S. 3 (Hervorh. im Org.). 66 Ebd., S. 3. Vgl. hierzu auch: Stöckel, Säuglingsfürsorge, S. 116.

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Abb. 17: „Welchen Einfluß haben Ernährung und Pflegebedingungen?“, Visualisierung der Verbindung von Ernährungsform und sozialer Ungleichheit, bei Elisabeth Behrend, Säuglingspflege in Wort und Bild (1929).

eine alte Frau mit Kopftuch, die eine Flasche mit unmodernem Sauger in der Hand hielt. Das Kind lag in einer überdachten Krippe, hatte so keinen Zugang zu Licht und Luft. Die vier Illustrationen wurden von den jeweiligen Sterbeziffern – durch Grabkreuze dargestellt – begleitet. Dadurch sollte verdeutlicht werden, dass Brustkinder in günstigen und ungünstigen Verhältnissen ähnliche Überlebenschancen hatten, während Flaschenkinder selbst unter günstigen Verhältnissen hohe Todeszahlen aufwiesen.67 Während die Brusternährung die Kinder gleicher machte, verschärfte die Flasche soziale Unterschiede, so suggerierten diese Bilder.68 67 Zum Hygieneatlas von Langenstein/Rott vgl. Rittershaus, Visualisierung; Vögele, Leben, S. 71. 68 Nur Gernsheim widersprach der Einschätzung, die Flaschennahrung sei nur von höheren Schichten überhaupt richtig durchführbar. Er sprach sich dafür aus, dass „die künstliche

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Der Konnex zwischen ­Flasche, Krankheit und Tod wurde in sozialhygienischen Handbüchern und Aufklärungsmedien in Deutschland und Schweden immer wieder auf diese Weise hergestellt.69 Grabkreuze und Säuglingsflasche wurde so miteinander verknüpft, was den BetrachterInnen die tödliche Gefahr dieser Ernährung vor Augen führen sollte (vgl. Abb. 1).70 Bei den schwedischen Ärzten ist der Zusammenhang zwischen Ernährung und Bevölkerungspolitik, entsprechend des schwedischen Bevölkerungsdiskurses des frühen 20. Jahrhunderts, ebenfalls immer an sehr prominenter Stelle zu finden. Lichtensteins Ratgeber begann mit einem Kapitel über „Ein bisschen Statistik“ („Liten statistik“), in dem er die Entwicklung der Säuglingssterblichkeit in Schweden und anderen europäischen Ländern anhand von Grafiken darstellte und im Text interpretierte. Trotz der vergleichsweise niedrigen Sterblichkeitsraten stürben in Schweden immer noch zu viele Säuglinge. Dies sah er darin begründet, dass diese Kinder nicht „die einzige natürliche Nahrung genießen konnten, die Milch ihrer Mutter“.71 Jundell verfolgte die gleiche These: „Die Hauptursache für die große Kindersterblichkeit ist überall, in allen Ländern und an allen Orten, die gleiche, nämlich, dass die Säuglinge nicht die Nahrung bekommen, die die Natur für sie vorgesehen hat, das soll heißen: Muttermilch.“ 72 Die Folge dieser „unnatürlichen Ernährung“ könne man an den Zahlen ablesen: „Von 100 verstorbenen Säuglingen sind 80 tot, weil sie nicht die Mutterbrust bekommen haben, sondern unnatürlich ernährt wurden, gemeinhin mit Kuhmilch.“ 73 Die Flaschenmilch wurde von beiden Autoren als direkte Ursache der hohen Säuglingssterblichkeit dargestellt. Sie konstruierten die Säuglingssterblichkeit damit als Problem, dem durch eine Verhaltensänderung der Mutter begegnet werden konnte. Lichtenstein grenzte sich explizit von – zu Beginn des Jahrhunderts aufkommenden – sozialdarwinistischen Deutungen der Säuglingssterblichkeit ab. Der Zusammenhang zwischen Flaschennahrung und Tod zeige, „dass diese große Säuglingssterblichkeit nicht als eine für die Gesellschaft wünschenswerte, natürliche Auswahl, ­betrachtet

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Ernährung des Säuglings nicht eine Domäne der besser Situierten ist und sein darf, sondern daß sie durch die mannigfachen und meist gar nicht sehr kostspieligen Variationen ihrer Anwendung in allen Bevölkerungsklassen gelingt, wenn fachmännischer Rat befolgt und mit peinlicher Reinlichkeit und Pünktlichkeit verfahren wird“, Gernsheim, Entwicklung des Kindes (1906), S. 49. Vgl. Baum, Grundriss (1923), S. 154; Engel/Behrendt, Säuglingsfürsorge (1927), S. 44. Langstein/Rott, Atlas (1918), Tafel 62; Wernstedt, Barnavård (1925), S. 57. Zur Evolution dieser Darstellung im Hygieneatlas vgl. Rittershaus, Visualisierung, S. 35 – 40. Lichtenstein, Barnavård (1927), S. 14. Jundell, Uppfödning (1913), S. 3. Ebd., S. 4.

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werden dürfe, sondern als ein höchst unnatürliches Phänomen“, das mit allen Mitteln bekämpft werden müsse.74 Andere AutorInnen grenzten sich nicht im gleichen Maße von solchen eugenischen Interpretationen ab, konstruierten aber ebenfalls die Flaschennahrung als wichtigsten Faktor der Säuglingssterblichkeit. Diese sei immer vermeidbar, wenn sich die Mutter nur an die ärztlichen Vorgaben hielte. Wie häufig das Kind gefüttert wurde, spielte dabei eine ebenso wichtige Rolle wie die Frage, womit das Kind gefüttert wurde. Die Ratgeber steckten einen relativ engen normativen Rahmen für die Wahl einer Ernährungsform ab. Drastisch wurde Leserinnen und Lesern vor Augen geführt, welche weitreichenden negativen Folgen die Ernährung mit der Flasche haben konnte. Sowohl auf individueller Ebene wurden diese Konsequenzen verdeutlicht, die Flaschennahrung schränkte mütterliche Handlungsspielräume ein, war aufwendiger und teurer, als auch auf nationaler Ebene, wo die Flaschennahrung potentiell zum Aussterben der Bevölkerung führen könne. Die Flaschennahrung wurde als Notlösung, nicht als legitime Alternative zur Muttermilch konstruiert. 2.1.3 Medizinisch-erzieherische Normierung der Säuglingsernährung

Der Körper galt als Ansatzpunkt für die physische und geistige Erziehung des Säuglings. Der wirkmächtige Hygienediskurs und die pädiatrische Forschung hatten den Blick sowohl auf den menschlichen Körper als auch auf die ihn umgebenden Verhältnisse gelegt. Er zog „virtuell ‚alle‘ Umweltfaktoren als mögliche Ursache von Gesundheit und Krankheit“ 75 in Betracht. Jeder kleinste Bestandteil des Lebens sollte kontrolliert und auf die Gesundheitszuträglichkeit hin ausgerichtet werden. Ebenso wie der Körper sollten auch die Nerven gereinigt, also hygienisiert werden. Innere wie äußere Reize mussten der ständigen Kontrolle unterliegen, da sie beide die Gesundheit des Menschen beeinflussen konnten.76 Die Ernährung spielte daher in der Erziehung bei allen AutorInnen eine entscheidende Rolle. So argumentierte Czerny: „Die erste wichtige Erziehungsmaßregel ist die Gewöhnung an eine Zeitordnung. Zu dieser gibt die Ernährung die geeignete Veranlassung.“ 77 Eine nach vordefinierten Intervallen ablaufende Ernährung war der Dreh- und Angelpunkt seiner Theorie. Dabei handle es sich „nicht bloß um 74 75 76 77

Lichtenstein, Barnavård (1927), S. 14 f. (Hervorh. im Org.). Sarasin, Reizbare Maschinen, S. 17 f.; siehe auch: Labisch, Homo hygienicus. Sarasin, Reizbare Maschinen, S. 20. Czerny, Arzt (1908), S. 26.

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eine für die Ernährung wichtige Maßregel, sondern tatsächlich um die erste Erziehung zur Beherrschung des Willens“.78 Übermäßige Ernährung identifizierte er als Ursache des Problems, die immer Folge falscher Erziehung sei und kein kindliches Bedürfnis darstelle. Bei der Ernährung mit der Flasche war die Einhaltung dieser Maßregeln, laut Czerny, von noch größerer Bedeutung, da hier die Überfütterung zu einem lebensgefährlichen Problem werden könne, was erneut den Kontrast zwischen Muttermilch und Flaschenmilch hervorhob. Während erstere selbst bei elterlichem Fehlverhalten befriedigende Ergebnisse erzielen konnte, hatte das Zusammentreffen von vermeintlich unfähigen Erziehenden und Flaschenmilch katastrophale Folgen für den Säugling.79 Trotz dieser Mahnungen, sich an das Fütterungsschema zu halten, warnte er davor, das Kind in der Nacht schreien zu lassen. Das Schreien beschrieb er als nachteilig und sogar gefährlich für die Kinder. Um Abhilfe zu schaffen, sollten sich Eltern jedoch nicht häufiger mit dem Kind beschäftigen, sondern die Ernährung musste angepasst werden. Um den Zusammenhang zwischen Ernährung und ­Unruhe zu illustrieren, verwies er erneut auf die Verhältnisse in Findelhäusern und Säuglingsanstalten. Dort hätte sich gezeigt, „daß quantitativ und qualitativ richtig ernährte und unterernährte Kinder ruhiger sind, daß dagegen Überernährung eine der Hauptursachen scheinbar unmotivierter Unruhe von Säuglingen bildet“.80 Langes Schreien präsentierte er als Folge übermäßiger Ernährung, der nur mit der weiteren Einschränkung der Nahrungsmenge begegnet werden konnte.81 Die Ernährung stellte für ihn die zentrale Stellschraube dar, um die Säuglingsmaschine richtig einstellen zu können. Nicht der Säugling, sondern die Erzieher wurden als Ursprung des Fehlverhaltens verstanden, während dem Kind keine agency zugesprochen wurde. Erstaunlicherweise ging Czerny, der deutsche Pionier der Ernährungsforschung, auf die wissenschaftliche Grundlage der Ernährungsintervalle, die er selbst in Zusam­menarbeit mit Arthur Keller erarbeitet und in der Fachcommunity populär gemacht hatte, nicht ein. Den Eltern gegenüber trat er somit nicht als Wissenschaftler, sondern vorrangig als Erzieher auf, wie er es im Titel angekündigt hatte. Czernys und Kellers Vorstellung des Ernährungsschemas war in der Fachwelt und den Ratgebern sehr einflussreich, sowohl in Deutschland als auch in Schweden (vgl. 1.2.2). Czerny war auch in Schweden eine wichtige Autorität der Pädiatrie.82 78 79 80 81 82

Ebd., S. 26. Vgl. Ohrlander, Socialliberal reformpolitik, S. 262. Czerny, Arzt (1908), S. 26. Ebd., S. 10. Vgl. dazu auch: Gernsheim, Entwicklung des Kindes (1906), S. 29. Ohrlander, Socialliberal reformpolitik, S. 262.

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So ist es wiederum wenig erstaunlich, dass Isak Jundell Czernys Beispiel dahin­ gehend folgte, dass er ebenfalls Intervalle für die Ernährung vorschrieb, aber keine weitere medizinische Begründung dafür angab. Vorteile sah er vor allem darin, der Mutter mehr Zeit zu geben, sich nachts auszuruhen und tagsüber ihren üblichen Geschäften nachgehen zu können.83 Von der Bedeutung der Intervalle für das Kind verschob er den Fokus auf die Bedeutung für die Mutter. Dieses Anliegen ist eher ungewöhnlich, da die meisten Ratgeber auf den Bedarf des Kindes fokussierten und denjenigen der Mütter wenig Raum gaben. Lichtensteins Ratgeber hingegen erörterte die wissenschaftliche Rückkopplung zumindest andeutungsweise. Die Erkenntnis, dass Kinder weniger Nahrung benö­ tigen als zuvor angenommen, bezeichnete er als „den wichtigsten Fortschritt der modernen Säuglingspflege“.84 Noch eine Generation zuvor hätten sich die Mütter völlig von den Kindern leiten lassen, sie sofort an die Brust genommen, wenn sie schrien oder unruhig waren. Aber eine Reihe von Studien an Brustkindern hätte gezeigt, dass diese mit weniger Nahrung ebenso gut gediehen.85 Wissenschaftliche Erkenntnisse wurden von ihm erneut gegenüber Erfahrungswissen in Stellung ­gebracht. Er gestand jedoch zu, dass die Ernährung, mit der Flasche, den speziellen Bedürfnissen von Kindern angepasst werden musste, z. B., wenn diese sehr klein waren. Hier ließ er Raum für Individualisierung.86 Um das Ernährungsschema zu erklären, waren Vergleiche des Säuglings mit einem Uhrwerk zu Beginn des 20. Jahrhunderts sehr beliebt (vgl. Abb. 18).87 Schon im frühesten Lebensalter könne so – durch die Gewöhnung an eine Ernährungsordnung –, die Zeitordnung des Arbeitslebens der industriellen Moderne eingeübt werden. Diese Vorstellung fand sich in Gernsheims Ausführungen in besonders eindrücklicher Weise: Gewöhnt man das Kind von Anfang an an Ordnung, ohne Rücksicht auf seine Laune und seine eigene Bequemlichkeit, setzt man für alle am Kinde vorzunehmenden Manipulationen bestimmte Stunden an und hält sie richtig ein, so wird man bald durch den Erfolg belohnt, daß sich das Kind der ihm aufgezwungenen Regelmäßigkeit anpaßt, daß es nur zur festgesetzten Trinkzeit seinen Hunger dokumentiert, daß es zur bestimmten Stunde aufwacht und Blase und Darm mit der Pünktlichkeit einer Uhr entleert.88 83 Jundell, Uppfödning (1913), S. 11. 84 Lichtenstein, Barnavård (1927), S. 84. 85 Vgl. ebd., S. 84 f. Ohrlander, Socialliberal reformpolitik, S. 261. Ähnlich argumentierte auch Gernsheim, Entwicklung des Kindes (1906), S. 40 f. 86 Lichtenstein, Barnavård (1927), S. 123. 87 Vgl. Uhl/Bluma, Arbeit, S. 9 – 31. 88 Vgl. Gernsheim, Entwicklung des Kindes (1906), S. 28.

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Abb. 18: „Wann bekommt mein Kind Nahrung“, Typische Abbildung einer „Ernährungsuhr“ im sog. Hygieneatlas, Tafel 63 (1918).

Dass der Körper wie eine Uhr funktionieren sollte, war in Hinblick darauf, dass Arbeiter, Verteidiger und Führer herangezogen werden sollten, wichtig. Wie Biedert schon in seiner Einleitung gefordert hatte, sollten die Säuglinge später Arbeiter für das Vaterland werden.89 Die Durchsetzung des Arbeitens nach der Uhr, wie es in Fabriken und bei der Armee praktiziert wurde, konnte so schon im Säuglingskörper verankert – inkorporiert – werden. In Czernys Vorstellung war die Ernährung nach Plan zudem dazu geeignet, dem Kind „auch gleichzeitig den ersten Begriff der Subordination unter einen Vorgesetzten bei[zubringen]“.90 Auch Behrend benutzte die Abbildung einer Uhr in beiden Ratgebern, um das Ernährungsschema anschaulich zu machen.91 Sie ließ dabei die Möglichkeit offen, entweder fünf oder sechs Mal zu stillen, jedoch nicht in der Nacht. Falsche Ernäh­ rungsweise verknüpfte sie ebenso wie Czerny mit späteren Charakterfehlern des 89 Biedert, Kind (1906), S. 5. 90 Czerny, Arzt (1908), S. 30. 91 Behrend, Reim und Bild (1916), S. 13; dies., Bild und Wort (1929), S. 65.

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Kindes, es werde „faul, verwöhnt und quält[e] die Mutter“.92 In Schweden war der Vergleich zwischen Kind und Uhr ebenfalls zu finden. Lichtenstein erklärte: „Nach Kurzem geht das Kind sozusagen wie eine kleine Uhr, schläft zwischen den Mahlzeiten und erwacht, kurz bevor es Nahrung bekommen soll.“ 93 In beiden Ländern entwarfen die Ratgeber somit ein Bild des Säuglings als objekthaft und passiv, nicht als handlungsfähiges Subjekt. Die Ernährung richtete sich nicht nach seinen Bedürfnissen, die er durch Schreien oder ähnliche Handlungen zum Ausdruck brachte, sondern nach einem normativ gesetzten Ernährungsbedarf. Diese Art der Säuglingspflege kann als „Taylorismus in der Kinderstube“ 94 bezeichnet werden und ist ein typischer Ausdruck der hochindustrialisierten Gesellschaftsordnung, die sich bis in die Säuglingspflege erstreckte. Ribbing riet als einziger Autor dezidiert von einem straffen Schema für alle Säuglinge ab. Dies lässt sich vor allem dadurch erklären, dass er einer älteren Lehrmeinung folgte, sich nicht auf Czerny, sondern auf den schwedischen Kinderarzt Hjalmar August Abelin berief. Der hatte vorgeschlagen, „‚das Kind soll jede zweite oder jede dritte Stunde am Tag gestillt werden, zwei oder drei Mal in der Nacht‘“.95 Das andere Schema sei nur bei „Musterkindern“ durchführbar, die gesund und ruhig waren und deren Mütter genug Milch hatten. Anders als die anderen Autoren, die argumentierten, jedes Kind könne an ein solches Schema gewöhnt werden, wenn die Mutter nur konsequent genug vorgehe, sah er den umgekehrten Fall als Ausnahme an.96 Dass der Magen sich komplett entleeren solle, bevor er erneute Nahrung zugeführt bekomme, zweifelte er jedoch ebenfalls nicht an. Über pädagogische Gründe oder Effekte dieser Ernährung gab er hingegen keine Einschätzung. Das Schema hatte für ihn lediglich physiologische, aber keine erzieherische Bedeutung. Ribbing gehörte in dieser Hinsicht einer älteren Generation von Kinderärzten an, die körperliche Bedürfnisse und erzieherische Maßnahmen nicht miteinander verknüpften und Kinder nicht als psychosomatische Körper verstanden. In den Ratgebern versuchten die Kinderärzte Wissen aus dem Klinikalltag, das sich dort als hilfreich erwiesen hatte, in einen anderen Raum – die elterliche Wohnung – zu übersetzen und Eltern, insbesondere den Müttern beizubringen, ihre Säuglinge auf diese klinische Art und Weise zu versorgen. Das von Czerny und anderen vertretene Ideal, „ein Säugling entwickelt sich am besten, wenn er 92 Behrend, Reim und Bild (1916), S. 13. 93 Lichtenstein, Barnavård (1927), S. 85. 94 Gebhardt, „Ganz genau nach Tabelle“, S. 251; dies., Waage, S. 53; Szöllösi-Janze, Wissensgesellschaft, S. 290. 95 Ribbing, Fostran (1916), S. 34. Vgl. Abelin, Råd och anvisningar (1879), S. 7; Pehrsson, Barn, S. 84. 96 Ribbing, Fostran (1916), S. 35.

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nur körperlich gut versorgt wird, und im übrigen möglichst sich selbst überlassen wird“,97 war nur in Familien möglich, die ein eigenes Zimmer für die Säuglinge zur Verfügung hatten. Das lange In-Ruhe-Liegenlassen des Kindes konnte nur in bürgerlichen Haushalten geleistet werden, die schon zu Beginn des Jahrhunderts über funktionell differenzierte Räume verfügten.98 Hier funktionierte die Übersetzung von Ernährungspraktiken aus der Klinik in Ernährungspraktiken zu Hause nur bedingt (vgl. 3.1.1). Die anhand von medizinischem Wissen normierte Entwicklung des Kindes musste zudem ständig überprüft werden. So wurde etwa die normal zu erwartende Gewichtsentwicklung des Kindes im Beitrag von Gernsheim grammgenau als Durchschnittswert angegeben: „Die Körpergewichtszunahme beträgt bei Brustkindern in den 4 ersten Monaten täglich durchschnittlich 28 g, in den folgenden Monaten 19, 17, 14, 12, 11, 9, 7, 6 g.“ 99 Ribbing und Behrend präsentierten in ihren Ratgebern die durchschnittliche Gewichtszunahme des Kindes im ersten Lebensjahr in Tabellenform bzw. Behrend nutzte in Bild und Wort erneut eine vereinfachende Abbildung von einem Baby auf einer Waage, um dies zu illustrieren.100 In Lichtensteins und Biederts Ratgeber fanden sich zudem Normwerte, wie viel genau ein Kind an der Brust durchschnittlich trinken sollte. Beide wählten eine stärker graphische Form, um dies zu erklären, Gernsheim eine ausführliche Tabelle und Lichtenstein einen Graphen.101 Die Eltern gerieten durch diese vordefinierten Ernährungsnormen zunehmend unter Druck, ihre Kinder durch häufiges Wiegen dahingehend zu überprüfen, ob sie eine normkonforme Entwicklung durchliefen. Behrend warnte zwar in einer „Pflegeregel“: „Nicht überängstlich das Gewicht beobachten oder das Kind allein danach beurteilen!“,102 aber diese Regel schien bei vielen Eltern nicht gewirkt zu haben. Wie Abschnitt 3.1.1 zeigen wird, wogen Eltern ihre Kinder sehr häufig und ein Nichterreichen der erwarteten Normwerte führte zu großer Sorge und teilweise noch häufigerem Wiegen. Im Kontrast zur Vorstellung des Säuglings als Uhrwerk nahmen einige Autoren die Ernährung des Säuglings ebenfalls zum Anlass, um über die emotionale Beziehung zwischen Mutter und Kind zu sprechen. Dabei wurde das Stillen gegenüber der Flaschenernährung erneut als überlegene Form der Nahrungsgabe positioniert. Czerny eröffnete etwa, dass die „natürliche Mutterliebe“ eben nicht „natürlich“ sei, 97 Czerny, Arzt (1908), S. 6 f. 98 Vgl. Gestrich, Geschichte der Familie, S. 21, 32 f.; Schubert, Kindheit, S. 240. 99 Gernsheim, Entwicklung des Kindes (1906), S. 10. 100 Vgl. Behrend, Bild und Wort (1929), S. 5; Ribbing, Fostran (1916), S. 12 f. 101 Vgl. Gernsheim, Entwicklung des Kindes (1906), S. 42; Lichtenstein, Barnavård (1927), S. 91. 102 Behrend, Bild und Wort (1929), S. 5.

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sondern „nur die Folge einer erworbenen gegenseitigen Anpassung“.103 Das Stillen der Mutter ging damit über das körperliche Wohlbefinden des Kindes hinaus. Diese Argumentation stellte in der pädiatrischen Literatur bis in die 1970er Jahre eine Ausnahme dar.104 Andere Autoren vertraten zwar auch die Meinung, das Stillen knüpfe emotionale Bande von der Mutter zum Kind.105 Für Behrend war Mutterliebe aber ein natürliches Gefühl, das alle Mütter auszeichnete, während es vielmehr am richtigen Wissen in der Säuglingspflege mangelte.106 Bei Lichtenstein fehlte ebenfalls die Annahme, Mutterliebe müsse erst erworben werden; sie konnte durch das Stillen jedoch verstärkt und verstetigt werden. Die Flasche war ein Störfaktor für diese Beziehung. Gemein ist den Ideen, dass Stillen zu einer intensiveren, besseren Beziehung führen sollte. Mutterliebe war ein wichtiges Motiv, um die Arbeit der Frauen zu naturalisieren und zu emotionalisieren. Nicht allein aus Pflicht, sondern aus Liebe sollten sie ihrem Kind die Brust geben.107 Zwischenfazit

Das Wissen, auf das sich die Ratgeber beriefen, war medizinisch-klinisches Wissen, welches sich aus der eigenen Forschungsarbeit und Erfahrungen im Klinikalltag speiste. Der kindliche Körper wurde als „reizbare Maschine“ verstanden, als psychosomatischer Körper, bei dem Nerven und Magen-Darm-Trakt im Gleichgewicht gehalten werden mussten, da sie direkten Einfluss aufeinander hatten. Das Schreckensbild eines kränklichen und verzogenen Kindes, dessen Eltern nicht früh genug mit der Erziehung im Sinne einer körperlichen Regulierung begonnen hatten, wurde in den Ratgebern immer wieder evoziert. Durch die frühe Anpassung an einen Zeitplan sollten vielmehr die Arbeiter für die kommenden Generationen herangezogen werden. Neben den Kindern mussten aber auch die Eltern, vor allem die „jungen Mütter“, belehrt werden, um die richtige Erziehung der Säuglinge durchführen zu können. Keine/r der RatgeberautorInnen sprach ihnen während des Säuglingsalters eine aktive Rolle zu. Um es mit den Worten der schwedischen Ethnologin Charlotte Hagström zu formulieren, war das Publikum „Eltern in der Rhetorik, Mütter in der Praxis“.108 1 03 Czerny Arzt (1908), S. 4. 104 Lenz/Scholz, Das idealisierte Kind, S. 268; Schütze, Gute Mutter, S. 68; Spree, Sozialisationsnormen, S. 638. 105 Fehlemann, Armutsrisiko, S. 286; vgl. Lichtenstein, Barnavård (1927), S. 78. 106 Behrend, Reim und Bild (1916), S. 4. 107 Vgl. Schütze, Gute Mutter S. 72. 108 Hagström, Man blir pappa, S. 47. Vgl. auch: Sjöberg, Fatherhood through Direct Marketing, S. 141.

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Aus dem Wissen der Kinderärzte in den ersten 20 Jahren des 20. Jahrhunderts leiteten sich Handlungsanleitungen ab, die auf die Regulierung des Körpers durch die Eltern, insbesondere die Mütter zielten. Flaschennahrung wurde in Übereinstimmung mit den wissenschaftlich-statistisch gewonnenen Erkenntnissen abgelehnt, weil sie zu hohen Sterberaten führe – dies wurde auch an die LeserInnen weitergegeben und teilweise durch eindrückliche Abbildungen unterstrichen. Im Hinblick auf das Stillen wurde teilweise der Rahmen des wissenschaftlichen Sprechens überschritten. Das Stillen wurde mythisch überhöht oder als gottgegeben dargestellt, um die Bedeu­tung dieser Ernährungsform noch zu betonen. Diese Art der Argumentation ist allerdings teilweise auch in den wissenschaftlichen Diskursen zu finden, die in blumigen Worten für die Überlegenheit der Muttermilch argumentieren. Dezidierte Unterschiede zwischen deutschen und schwedischen Ratgebern finden sich in diesem Zeitraum noch nicht bzw. können durch die unterschiedlich imaginierten AdressatInnen (Behrend) oder unterschiedliche Generationen (Ribbing) erklärt werden.

2.2 Säuglingsernährung im Nationalsozialismus (1933 – 1945) Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und der internationalen Aufdeckung der Verbrechen der Shoa stellten sich viele ZeitgenossInnen die Frage, wie es soweit hatte kommen können und warum so viele Deutsche das NS -Regime mitgetragen hatten. Antworten darauf lieferte in der direkten Nachkriegsphase Bertram Schaffner von der Columbia University. Dessen Interpretation, die deutschen Familienstrukturen, die er als autoritär und patriarchalisch charakterisierte, hätten dazu geführt, Kinder schon früh zur Hörigkeit gegenüber Höhergestellten zu erzie­hen, hatte lange Jahre Bestand.109 Um 1990 kamen Studien von PsychologInnen und SozialarbeiterInnen hinzu, die insbesondere eine Ratgeberautorin und ihre Anweisungen als „Bedrohung für die Entstehung enger und glücklicher Mutter-Kind-Beziehungen“ der NS -Generation herausstellten: Johanna Haarer.110 109 Vgl. Gebhardt, „Lehret sie“, S. 223 f.; Gestrich, Geschichte der Familie, S. 9. Stambolis, Eiserne Zeiten, S. 126 f. Vgl. Schaffner, Father Land (1948). Auch Neumaiers neue Studie zur Familie vertritt die These, Haarers Ratgeber habe einer versachtlichten Mutter-Kind-Beziehung Vorschub geleistet, vgl. Neumaier, Familie, S. 214. 110 Dill, Nationalsozialistische Säuglingspflege, S. 32. Vgl. Benz, Brutstätten der Nation (1988); Chamberlain, Adolf Hitler; Gebhardt, „Lehret sie“, S. 223 f.; Rowold, Johanna Haarer, S. 181 f.; Schmid, Erziehungsratgeber, S. 95. Die einflussreichen psychologischen Erziehungsratgeber von Hildegard Hetzer, die auch häufig im Zusammenhang mit einer spezifischen NS -Erziehung genannt werden, werden hier nicht untersucht, da sie keine Handlungsanleitungen für Säuglinge enthielten. Vgl. Hetzer, Seelische Hygiene (1930); dies., Erziehungsfehler (1931). Vgl.

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Sie personifizierte die Säuglings- und Kindererziehung im Nationalsozialismus und ihre Folgen für die Kriegs- und Nachkriegsgenerationen.111 In diesen Studien wurde die Erziehung im Nationalsozialismus als besonders hart und autoritär dargestellt. Daher stellt sich in diesem Unterkapitel, neben den drei Fragen nach AutorInnen und LeserInnen, „context of choice“ und Erziehungsidealen, eine zusätz­liche Frage: Inwiefern war die Säuglingserziehung und die damit verknüpften Ernährungsregeln eine Besonderheit des Nationalsozialismus? Der Ratgeber von Johanna Haarer Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind (Erstauflage 1934)112 bildet die Grundlage dieses Unterkapitels. Durch die Einbeziehung weiterer Ratgeber lässt sich zudem eruieren, ob Haarers Anleitungen eine Ausnahme in der eigenen Zeit darstellten oder typisch waren. Um außerdem das zeitliche Spektrum vom Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft bis in den Zweiten Weltkrieg abzudecken, wurden folgende weitere Ratgeber ausgewählt: Neuzeitliche Säuglingspflege und ihre Einfügung in Haushalt und Familie von Anni Weber aus dem Jahr 1934113 sowie Gertrud Altmann-Gädkes Säuglingspflege nach Erfahrungsgrundsätzen in der 3. Auflage von 1940.114 2.2.1 Rat von deutschen Müttern für deutsche Mütter

Eine augenfällige Änderung gegenüber der Zeit vor dem Nationalsozialismus war, dass der erfolgreichste Ratgeber von einer Frau geschrieben wurde. Es gab natürlich auch Ratgeber von männlichen Autoren, etwa Eugen Knapp, der in Unterkapitel 2.4 untersucht wird, aber verhältnismäßig mehr Frauen meldeten sich zu Wort als vor 1933.115 Dies kann als Teil eines größeren Trends verstanden

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dazu: Gebhardt, Angst, S. 74 – 80; Schütze, Gute Mutter, S. 82 – 85; Schumann, Childhood, S. 453; Stambolis, Eiserne Zeiten, S. 136. Gebhardt, Haarer meets Spock; dies., Angst; siehe auch: Vögele, Säuglingsfürsorge. Im Folgenden zitiere ich aus der unveränderten Ausgabe von 1939: Haarer, Deutsche Mutter (1939). Biografische Informationen über Haarer sowie nähere Informationen zur Entstehung des Ratgebers in: Schmid, Erziehungsratgeber, S. 92 ff. Weber, Säuglingspflege (1934). Über die Autorin ist nicht viel bekannt. Sie schrieb während des Nationalsozialismus verschiedene Ratgeber über die Säuglings- und Kinderpflege, die teilweise auch mehrfach aufgelegt wurden. Ihre Ratgeber erschienen im Verlag „Kleine Kinder“, in dem auch Hildegard Hetzers erfolgreiche Bücher heimisch waren. Zur Verbreitung dieses Ratgebers konnte ich keine weiteren Angaben finden. Einen gewissen Erfolg hatte er wohl, wenn er in vier Auflagen erschien. Nach dem Krieg veröffentlichte die Autorin außerdem weiter erfolgreich Ratgeber mit den Titeln: Der Säugling bzw. Säugling und Kleinkind. Außerdem schrieb sie viele Bücher über Haushaltsführung. Land, Verhaltensempfehlungen, S. 6.

Säuglingsernährung im Nationalsozialismus (1933 – 1945)  |

werden, da zunehmend Frauen in medizinischen Berufen mitwirkten. Der Bund Deutscher Ärztinnen hatte sich bereits zu Beginn des Nationalsozialismus gleichgeschaltet und trotz anfänglicher Versuche, die Arbeit von Frauen als Ärztinnen einzuschränken, konnten viele trotzdem Karriere machen. In ihrer Doppelfunktion als Ehefrauen, Mütter und Ärztinnen verkörperten sie das NS -Frauenbild und konnten gerade dadurch Vertrauen zu den weiblichen Patientinnen aufbauen, um so die rassenhygienischen Maßnahmen durchzusetzen.116 Allerdings war keine der Autorinnen ausgebildete Kinderärztin. Johanna Haarer war Lungenfachärztin und Gertrud Altmann-Gädke Expertin für Hauswirtschaft. Anni Weber gab in ihrem Ratgeber keine Ausbildung an, sondern erklärte: „Seit Jahren stehe ich in lebendigem Gedankenaustausch mit Müttern aus allen Teilen Deutschlands, unter denen eine ganze Reihe als Kinderärztinnen praktiziert.“ 117 Anders als über Johanna Haarer ist über die beiden anderen Autorinnen nur wenig bekannt, was erneut den herausgehobenen Status Haarers in der historischen und psychologischen Forschung anzeigt. Die fachliche Qualifikation, die für die männlichen Autoritäten so bedeutend war, war demnach in den 1930er Jahren keine unbedingte Voraussetzung für das Schreiben eines Ratgebers. Wichtiger war, dass sich die Autorinnen als Frauen und Mütter inszenierten, die ihre Erfahrungen mit den Leserinnen teilten. In Altmann-Gädkes Buch findet sich dieser Bezug schon im Titel: Säuglingspflege nach Erfahrungsgrundsätzen. Haarer betonte in ihrer Einleitung: „Die Verfasserin, selbst Hausfrau, Mutter und Ärztin, schreibt auf Grund persönlicher Erfahrungen und hat all die vielen Kleinigkeiten, die während der Schwangerschaft, Geburt und besonders bei der Versorgung des Kindes eine Rolle spielen, selbst ausprobiert.“ 118 Ihre Erfahrungen als Mutter sind hier viel prominenter platziert als ihr Status als Ärztin. Erfahrung gewann dadurch, auch außerhalb der Sphäre der männlichen Mediziner in der Klinik, an Bedeutung.119 Die Autorinnen legitimierten ihre Expertise nicht über eine wissenschaftliche Ausbildung, sondern über die geteilte Erfahrung mit den Frauen und riefen damit eine andere Wissenskategorie auf als die männlichen Mediziner im frühen 20. Jahrhundert. Neben den AutorInnen veränderten sich auch die AdressatInnen der Ratgeber. Die „deutsche Mutter“ stand jetzt im Fokus. Dies war Ausdruck der nationalsozialistischen Ideologie und Familienpolitik, die Frauen als Mütter und Hausfrauen idealisierte. Eine Besonderheit an Haarers Buch und eine Änderung gegenüber 116 117 118 119

Vgl. Lindner/Niehuss, Einleitung, S. 6; Schleiermacher, Mission, S. 101. Weber, Säuglingspflege (1934), S. 3. Haarer, Deutsche Mutter (1939), S. 7. Dill, Nationalsozialistische Säuglingspflege, S. 70.

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den Ratgebern zuvor war, dass sie die Probleme und Schwierigkeiten junger Mütter ernst nahm und nicht idealisierte: „[Das Buch] möchte jungen Frauen, die ihr erstes Kind erwarten, ein Ratgeber sein in allen kleinen und großen Angelegenheiten, die mit diesem umwälzenden Erlebnis zusammenhängen.“ 120 Dass sie auch die „kleinen“ Angelegenheiten nicht unterschlug, äußerte sich in detaillierteren und ausführlichen Anweisungen. Jede Eventualität des Säuglingslebens wurde thematisiert, erklärt und mit Anleitungen versehen. Haarer versprach außerdem, „die Dinge beim Namen zu nennen“ und „[a]ller falschen Prüderie den Kampf [anzusagen]“.121 Hier spielte der Umstand, dass von Frau zu Frau kommuniziert wurde, eine entscheidende Rolle, da so offener über weiblich konnotierte Themen­ bereiche gesprochen werden konnte. Somit wurden Gemeinsamkeiten und Nähe zwischen Autorin und Leserin hergestellt, während sich die Kinderärzte eher distanzierten und eine hierarchisch übergeordnete Position einnahmen.122 Alle Ratgeber adressierten zudem nicht mehr vorrangig bürgerliche Frauen, sondern richteten sich auch explizit an Frauen aus der Arbeiterschicht und an Bäuerinnen. So setzte sich Haarer das Ziel: „[W]ir [bemühen] uns, die Errungenschaften und Ergebnisse der Medizin den Frauen aller Stände und damit auch ihren Kindern in praktisch durchführbarer Weise zugänglich zu machen.“ 123 ­Sowohl Haarer als auch Altmann-Gädke nutzten daher andere Instrumente zur Wissensvermittlung als die vorherigen Ratgeber. Sie fassten ihre Anleitungen in Merksätzen oder Leitsprüchen zusammen, die optisch vom restlichen Text abge­setzt wurden. So wurden zum einen die wichtigsten Punkte wiederholt und dadurch einprägsamer; zum anderen konnten sie als grobe Handlungsanleitungen dienen, wenn Mütter wenig Zeit oder keine ausreichende Bildung hatten, um die detaillierteren Anweisungen nachzuvollziehen. In allen Ratgebern finden sich außerdem Illustrationen in Form von Bleistiftzeichnungen und Fotos. Verschiedene rhetorische und visuelle Mittel wurden genutzt, um die Anleitungen zu veranschaulichen und für Mütter begreifbar zu machen. Diese Neuausrichtung zeigt sich ebenfalls daran, wie die Zusammensetzung von Mutter- und Kuhmilch vermittelt wurde. Altmann-Gädke illustrierte die Unterschiede in Form einer Tabelle,124 während sich Weber der Argumentation bediente, Kuhmilch sei „von der Natur für das Kalb bestimmt und hat manche 120 Haarer, Deutsche Mutter (1939), S. 6. Vgl. Brockhaus, Lockung und Drohung, S. 51; Gestrich, Geschichte der Famile, S. 49; Neunsinger, Arbeit, S. 109; Vögele, Säuglingsfürsorge, S. 212; ders./Rittershaus/Halling, “Breast”, S. 2196. 121 Haarer, Deutsche Mutter (1939), S. 6. 122 Vgl. Brockhaus, Lockung und Drohung, S. 56. 123 Haarer, Deutsche Mutter (1939), S. 6. 124 Vgl. Altmann-Gädke, Säuglingspflege (1940), S. 23.

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Stoffe für das Menschenkind zu reichlich, andere zu wenig“.125 Haarer nutzte sowohl Tabellen als auch den Vergleich zum Kalb als Erklärungen für die schlechtere Bekömmlichkeit von Tiermilch für Kinder. Keine der Autorinnen nannte einen speziellen Wissenschaftler als Quelle dieser Erkenntnisse. Im Gegensatz zu den Kinderärzten, die sich über den Aspekt der Ernährung professionalisiert und profiliert hatten, war dies für die NS -Autorinnen nicht entscheidend. Damit wurde auch den Ratgebern selbst als wissensvermittelnde Instrumente mehr eigenständige Autorität zugewiesen. Bei der Zubereitung der Flaschennahrung forderte keine der Autorinnen ein, diese nur unter Aufsicht eines Kinderarztes durchzuführen. Nur Weber riet dazu, den Arzt oder die Mütterberatung zu kontaktieren, um die Ernährung mit der Flasche zu kontrollieren.126 Sie gab aber gleichzeitig auch Anleitungen dazu, wie die Mutter dies anhand der Ausscheidungen des Kindes selbst überprüfen konnte. Dies ist außerdem ein Hinweis darauf, dass die Ernährung mit der Flasche als weniger gefährlich eingeschätzt und dargestellt wurde als noch zu Beginn des Jahrhunderts. Weiterhin abgelehnt wurde Wissen, das weder aus Ratgebern noch aus der medizinischen Praxis stammte und damit einer legitimen Grundlage entbehrte. Die „Frauen älterer Generationen“ 127 wurden bei Haarer als unwissende und gefähr­liche Ratgeberinnen aufgebaut, deren Erfahrungen in der Säuglingsernährung nicht zu vertrauen war. Solche „schlechte[n] Ratgeber“ 128 rieten etwa den Müttern weiterhin vom Stillen ab. In der Einschätzung von Miriam Gebhardt führten Ratgeber „eine regelrechte Kampagne gegen die Großelterngeneration“,129 seitdem die frühe Erziehung des Säuglings so einen großen Stellenwert zugesprochen bekommen hatte. Ihrer Meinung nach schrieben die Ratgeber „ein Problem herbei, das von nun an bis in die 80er Jahre die Zusammenarbeit der Generationen in der Kinderaufzucht erschweren sollte“.130 Mit Hilfe der Ratgeber konnte Mutterschaft professionalisiert werden, ohne unbedingt auf externe Hilfe angewiesen zu sein.131 Gleichzeitig wurden Mütter­schulungen im Nationalsozialismus ausgebaut und erstmals vorbeugende Untersuchungen und Kontrollen für Säuglinge durch Gesundheitsamt und Mütterberatungen flächendeckend ausgebaut. Die Mutter hatte die Möglichkeit, sich auf unterschiedlichen Wegen Rat und Hilfe zu holen. Dabei waren 1 25 Weber, Säuglingspflege (1934), S. 18. 126 Ebd., S. 21. 127 Haarer, Deutsche Mutter (1939), S. 120. 128 Ebd., S. 135. 129 Gebhardt, Angst, S. 115. 130 Ebd., S. 115 f. 131 Vgl. Brockhaus, Lockung und Drohung, S. 56.

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in der ­Mütterberatung überwiegend Frauen aktiv, die ebenfalls die gemeinsame Erfahrung als Unterweisungsgrundlage stark machten.132 Haarer verstand ihren Ratgeber als Mittel, das Wissen der Schulungen zu „befestigen und vertiefen“.133 Weber riet ebenfalls dazu, sich in institutionalisierten Einrichtungen der Säuglingsfürsorge oder Mütterberatungsstellen zu wenden. Auch hier ist die Verankerung der Säuglingspflege in der NS -Gesundheitsversorgung deutlich. Diese Stellen waren zudem dazu gedacht, die „unerwünschten“ Elemente zu kontrollieren und ggf. „auszusortieren“ (vgl. 1.3.4). Gegenüber den Ratgebern im vorherigen Unterkapitel nahmen sowohl die ­ExpertInnen als auch die LeserInnen eine neue Position ein. Es wurde hervor­ ge­hoben, dass die Ratgeber Wissen von Frau zu Frau vermittelten und die Bedürf­nisse der Mütter wurden ernster genommen. Gleichzeitig setzte sich die Abgren­zung gegenüber den Großmüttern als Ratgebende fort. Die Autorität der Kinder­ärzte wurde jedoch leicht geschwächt, indem ihnen weniger Aufgaben in der Säuglingspflege zugesprochen wurden. Prominenter vertreten waren hingegen die Beratungsstellen als offizielle Organe des Gesundheitssystems. 2.2.2 Stillen als Pflicht der deutschen Frau

Schon im vorhergehenden Unterkapitel ist deutlich geworden, dass die Erziehung immer als bevölkerungspolitisch relevant beschrieben wurde. Die rassistische Ideologie des Nationalsozialismus setze diese Linie fort, spitzte sie aber auf die Vorstellung der erbgesunden „Volksgemeinschaft“ zu. Alle folgenden Erziehungsund Ernährungsregeln müssen in diesem Kontext verstanden werden, der den Erhalt der Gesundheit des deutschen Volkes als höchstes Ziel ausrief und die Verantwortung der Mutter dafür immer wieder thematisierte. Die Familie war ein „entscheidender Ansatzpunkt zur Verwirklichung rasse- und gesellschaftspolitischer Ziele.“ 134 Die nationalsozialistische Rassenpolitik erstreckte sich bis in die Säuglingspflege, wie die Ratgeber zeigen. Alle Ratgeber orientierten sich sprachlich und inhaltlich an der national­ sozialistischen Mutterschaftsideologie, etwa indem sie Frauen dazu ermunterten, möglichst viele Kinder zu gebären.135 Fallende Geburtenraten wurden zu 1 32 Vgl. Vorländer, NSV , S. 72 – 74; Wehler, Gesellschaftsgeschichte 1914 – 1949, S. 753. 133 Haarer, Deutsche Mutter (1939), S. 6. 134 Gestrich, Geschichte der Familie, S. 8. Vgl. auch Brockhaus, Lockung, S. 50. 135 Vgl. Bock, Armut, S. 427 – 461, hier S. 458; Schumman, Childhood, S. 452; Schütze, Gute Mutter, S. 74.

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Beginn des Regimes als große Bedrohung verstanden und mit sozialpolitischen Mitteln sowie einer ideologischen Überhöhung der kinderreichen Familie versucht zu bekämpfen.136 Anstatt, wie in der vorherigen Generation, die Ratgeber mit Statistiken über die Bevölkerungsentwicklung zu beginnen, eröffneten alle drei Autorinnen mit einem Appell an die Mütter, den nationalsozialistischen Idealen zu folgen. Bei Weber wurde Muttersein zum „schönste[n] und höchste[n] Beruf “ erklärt. Ziel des mütterlichen Berufes sei es, „vielen Kindern das Leben zu geben“ und „sie für eine starke und reiche Zukunft zu tatfrohen, gesunden Deutschen aufzuziehen“.137 Sie nahm dabei direkten Bezug auf Adolf Hitler,138 der immer wieder eingefordert hatte, „der Staat habe das Kind zum kostbarsten Gut zu erklären“.139 Auch Altman-Gädke ermahnte die Frauen: Deutsche Frauen, erfüllt eure Aufgabe, daß Deutschland nicht ein ‚Volk ohne Jugend‘, d. h. ohne Zukunft wird! Ihr könnt berechtigten Stolz zeigen, wenn ihr so vielen Kindern wie möglich das Leben und eine gute Erziehung geschenkt habt! Dann habt ihr eure eigenste Lebensaufgabe erfüllt! 140

Die Rolle der Frau wird in diesen Zitaten ganz auf ihre Aufgaben als Mutter konzentriert, die sie nicht nur ihrem Kind gegenüber erfüllen musste, sondern gegenüber dem ganzen deutschen Volk und der „Rasse“. Alle Erziehung war auf eine möglichst vollständige Integration in die „Volksgemeinschaft“ ausgelegt.141 Im Nationalsozialismus wurden die Verpflichtungen der Mütter mit neuer Bedeutung aufgeladen. Nicht nur gegenüber zukünftigen, sondern auch den vergangen Generationen des deutschen Volkes seien die Mütter verpflichtet. Dies ist dezidiert neu gegenüber den deutschen Ratgebern des frühen 20. Jahrhunderts. Den Auftakt zu Altmann-Gädkes Ratgeber machte etwa ein Kapitel mit dem Titel „Der Mensch, ein Erbe von Generationen“, das mit den Merksätzen endet: ‚Du bist nicht heute und bist nicht morgen. Du bist tausend Jahre vor dir und bist tausend Jahre nach dir. / Tausend Jahre vor dir haben ihr Blut gehütet, daß du so wurdest, wie du bist. / Hüte du dein Blut, daß die Geschlechterfolge der tausend Jahre nach dir Dank wissen.‘ (Die Mädelschaft, Januar 1937)142 136 Vgl. Mouton, Nurturing; Pine, Nazi Family Policy, S. 95 – 116; Schumman, Childhood, S. 452. 137 Weber, Säuglingspflege (1934), S. 3. 138 Vgl. ebd., S. 4. 139 Vorländer, NSV , S. 62. 140 Altmann-Gädke, Säuglingspflege (1940), S. 7 (Hervorh. im Org.). 141 Vgl. Brockhaus, Lockung und Drohung, S. 50; Schumman, Childhood, S. 451 – 468, S. 453. Siehe auch: Haarer, Deutsche Mutter (1939), S. 237 f. 142 Altmann-Gädke, Säuglingspflege (1940), S. 6 (Hervorh. im Org.).

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In ähnlicher Weise ordnete Haarer die Verpflichtung der Mutter ein: „Auf uns Frauen wartet als unaufschiebbar dringlichste die eine uralte und ewig neu Pflicht: Der Familie, dem Volk, der Rasse Kinder zu schenken.“ 143 Die Aufgabe der Mutter wurde somit in eine lange Tradition und Genealogie der „deutschen Rasse“ eingeordnet, der gegenüber sie verpflichtet war. Verschiedene prominente Akteure des Regimes, besonders aktiv Heinrich Himmler, versuchten eine lange Historizität des „deutschen Volkes“, das sich bis auf die Germanen zurückverfolgen ließ, zu konstruieren.144 Dieser imaginierten Traditions- und Blutlinie sollten sich Mütter im gleichen Maße verpflichtet fühlen, wie der imaginierten Zukunft als „tausendjähriges Reich“, dessen Grundlage die mütterliche Reproduktionsarbeit sein sollte. In dieser Vorstellung wurde immer wieder das Bild der gesunden deutschen Mutter inszeniert, die ihr Kind an der Brust ernährte. Haarer propagierte das Stillen als eine „Pflicht gegen Rasse, Volk, Familie“.145 Stillfähigkeit wurde von ihr als Teil „wertvoller Erbanlagen“ verstanden. Dies nimmt den sozialdarwinistischen und rassenhygienischen Diskurs um die Degeneration westlicher Gesellschaften auf. Die Kinderärztin Agnes Bluhm hatte vor und während des Nationalsozialismus den Zusammenhang zwischen „Degeneration“ und Stillfähigkeit untersucht und die Vorstellung popularisiert, dass nur durch Stillen die allgemeine Stillfähigkeit der Rasse bewahrt werden konnte.146 Innerhalb dieses diskursiven Rahmens war es umso wichtiger, dass jede Mutter stillte, um diese Fähigkeit für die Zukunft des deutschen Volkes zu bewahren. Die Kritik am Nicht-Stillen verband Haarer zudem mit einer generellen Zivilisations- oder Modernekritik. Sie bemängelte: „Daß die mütterliche Milch für das Kind von unschätzbarem und unersetzlichem Wert ist, konnte nur in einer Zeit vergessen werden, die sich von der Natur immer weiter entfernt hatte.“ 147 Ihre Argumente fügen sich damit in die Rhetorik des Nationalsozialismus ein, die eine stärkere Verbundenheit mit der Natur forderte und im Zuge dessen Kindheit und Mutterschaft romantisierte und mythologisierte.148 Statt einer wissenschaftlichen Begründung für die Überlegenheit der Mutter­ milch lässt sich im Nationalsozialismus eine Analogisierung zwischen Milch und 1 43 Haarer, Deutsche Mutter (1939), S. 9. 144 Vgl. Kater, Das „Ahnenerbe“ der SS , S. 265 – 308; Longerich, Heinrich Himmler, S. 279 – 284; Zwilling, Mutterstämme. 145 Haarer, Deutsche Mutter (1939), S. 118. 146 Vgl. Bluhm, Stillungsnot (1908); dies., Stillunfähigkeit (1912); Stöckel, Säuglingsfürsorge, S. 126 f. 147 Haarer, Deutsche Mutter (1939), S. 114. 148 Vgl. Kössler, Faschistische Kindheit, S. 303.

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Blut in den Ratgebern beobachten.149 Altmann-Gädke und Haarer hoben dabei auf die Kompatibilität von Muttermilch und den Nahrungsbedürfnissen des Säuglings ab. Altmann-Gädke argumentierte: „Die Zellen der Brustdrüsen haben die Fähigkeit, aus dem Blute die für den Säugling notwendigen Stoffe zu entnehmen und daraus Milch zu bilden.“ 150 Wohingegen Johanna Haarer diese Verbindung zwischen Mutter und Kind über diese beiden Stoffe personalisierte und emotionalisierte: „Auf dein eigenes Kind, das Fleisch von deinem Fleische und Blut von deinem Blute, ist diese Quelle deines Körpers vollkommen abgestimmt.“ 151 Gegenüber den Ratgebern des frühen 20. Jahrhunderts zeigt sich außerdem, dass die emotionale Beziehung zwischen Mutter und Kind, die durch das Stillen geschaffen wurde, mehr Raum einnimmt. Haarer folgte Czerny in seiner Argu­mentation, Stillen stärke die emotionale Bindung, welche sie aber über die individuelle Beziehung hinaus transportiert: „Erst wenn du dein Kind an deiner Brust nährst, schaffst du das letzte Glied jener geheimnisvollen und unzer­ störbaren Bindung zwischen deinem Kinde und dir, die dein eigenes Dasein überdauern wird.“ 152 Altmann-Gädke gab zu bedenken, das Stillen schaffe erst „die letzte unzer­störbare Bindung zwischen Mutter und Kind“.153 Diese Verbindung ist ein typisches Beispiel dafür, wie Ratgeber im Nationalsozialismus wissenschaftliche Erkenntnisse mit einem „anti-modernen Fokus auf Instinkt und Biologie“ vermischten.154 Dieser anti-moderne Impuls zeigte sich ebenfalls in der Einstellung gegenüber Flaschennahrung. Haarer prophezeite etwa, es werde „nie gelingen, die mütterliche Milch nachzuahmen, sie auch nur annähernd vollwertig zu ersetzen“.155 Erstaun­lich ist jedoch, dass Haarer auch die Bemühungen der Kinderheilkunde erwähnt, die versuche „neue Wege zu finden, um die Nahrung des künstlich ernähr­ten Kindes zu verbessern“.156 Gesäuerte Vollmilch, die in den 1930er und 1940er Jahren in der Pädiatrie als großer Fortschritt gehandelt wurde, nannte sie etwa als eine solche Verbesserung. An der nur knappen Diskussion dieser Milchart und dem Hinweis darauf, einen Arzt hinzuzuziehen, wenn ein Kind mit anderen 149 Zur Analogie von Blut und Milch vom 16. bis 18. Jahrhundert, wo diese in ganz anderen Kontexten aufgerufen wurde vgl. Orland, Verwandte Stoffe; dies. White Blood and Red Milk. 150 Altmann-Gädke, Säuglingspflege (1940), S. 19. 151 Haarer, Deutsche Mutter (1939), S. 114. 152 Ebd., S. 114; vgl. Gebhardt, „Lehret sie“. 153 Altmann-Gädke, Säuglingspflege (1940), S. 19. 154 Gebhardt, Angst, S. 99; Rowolt, Johanna Haarer, S. 189. 155 Haarer, Deutsche Mutter (1939), S. 114. 156 Ebd., S. 186.

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Milchmischungen nicht die gewünschte Entwicklung vollzog, zeigt sich jedoch, dass diese keinesfalls als vollwertiger Ersatz oder gar als ein Produkt verstanden wurde, das Müttern die Ernährung des Kindes erleichterte. Erstaunlicherweise versicherte Johanna Haarer Müttern, die Flaschennahrung nutzen mussten – was als Ausnahme und Notlösung konstruiert war – dennoch, dass die „Dinge bei weitem nicht so schwierig sind, wie sie anfänglich aussehen, daß alles im Grunde recht einfach ist, wenn nur einmal die Grundlagen richtig durchdacht und begrif­ fen worden sind“.157 Diese Passagen zeigen eine ambivalente Vermittlung von Flaschennahrungswissen bei Haarer. Einerseits war die Flaschennahrung zwar dem Stillen unterlegen, andererseits aber auch eine Angelegenheit, die Mütter mit genug Wissen und Anleitung bewältigen konnten. Diese Ambivalenz zeigte sich ebenfalls gegenüber Frauen, die einer Erwerbsarbeit nachgingen. In den Ratgebern wurde Erwerbsarbeit der Mutter häufig an der Schnittstelle zwischen legitimen und illegitimen Gründen eingeordnet, die eine Abweichung von der Stillnorm erforderlich machten. Frauenerwerbsarbeit war zwar innerhalb der Mutterschaftsideologie nicht gewünscht, war aber nach Beginn des Zweiten Weltkrieges unvermeidlich geworden, um die Produktion von Waffen etc. nicht abreißen zu lassen.158 Altmann-Gädke nannte die außerhäusliche Arbeit ebenfalls als legitimen Grund (neben körperlicher Beeinträchtigung), die Flasche zu nutzen. Für diese spezielle Situation legte sie der Mutter die sog. Zwiemilchernährung nahe, die dem Grundsatz folgte: „Bedenke, daß jeder Tropfen Muttermilch kostbar ist!“ 159 Haarer ermahnte gleichermaßen, dass selbst die teilweise Ernährung mit Muttermilch verpflichtend sei und warnte davor, aus Bequemlichkeit zur vollständigen künstlichen Ernährung überzugehen. Die Zwiemilchernährung hätte nämlich den Preis, „etwas verwickelter“ 160 zu sein als die ausschließliche Ernährung an der Brust oder mit der Flasche. Eine solche Kombination aus Brust und Flasche war zuvor nicht vorgesehen, da die Flasche als zu großer Störfaktor angesehen wurde, weil das Trinken an der Flasche leichter als an der Brust sei. Hier konnten jedoch neue Instrumente Abhilfe schaffen, versprachen die NS -Ratgeber. Sowohl Haarer als auch Altmann-Gädke empfahlen etwa den Naturasauger, der bereits mit mehreren Löchern versehen war, „was den so verhängnisvollen Fehler des einen, meist zu großen Sauglochs verhindert“.161 1 57 Ebd., S. 195. 158 Vgl. Gestrich, Geschichte der Familie, S. 49; Neunsinger, Arbeit, S. 109, 211 f.; Schütze, Gute Mutter, S. 85. 159 Vgl. Altmann-Gädke, Säuglingspflege (1940), S. 23 (Hervorh. im Org.). 160 Haarer, Deutsche Mutter (1939), S. 197. 161 Weber, Säuglingspflege (1934), S. 45.

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Dieser Sauger wurde vor allem auch für die Zwiemilchernährung empfohlen, da sein Sauggefühl dem der Mutterbrust am nächsten kam. In Webers Ratgeber findet sich auch eine Werbeanzeige für eben diesen Sauger, in der die Analogie zwischen Brust und Sauger visuell dargestellt wurde.162 So wurde zunehmend nicht nur bei der Milchmischung selbst, sondern auch in den Technologien der Flasche auf die Natürlichkeit und die Nachahmung der Mutterbrust gesetzt. Bei der Flasche gab es anscheinend keinen technologisch erwäh­nenswerten Fortschritt. Es ist allerdings augenfällig, dass in allen Ratgebern Jenaer-Glas-Flaschen auf den Fotos zu sehen waren bzw. im Anhang beworben wurden.163 Bei Weber fand sich außerdem der erste elektrische Helfer in der Zube­ reitung von Säuglingsnahrung: ein Tauchsieder, der in ihren Augen „ein sicher überall willkommenes Wochengeschenk für eine Mutter“ darstellte.164 Dieser relativ neutralen Beschreibung der Hilfsmittel standen Warnungen vor den Gefahren der Flaschennahrung gegenüber. Johanna Haarer mahnte: „Wer sein Kind künstlich mit der Flasche ernährt, setzt immer sein Leben aufs Spiel.“ 165 Anni Weber warnte ebenfalls, nur im „äußersten Notfall“ 166 die ­Flasche zu geben, denn die Flaschenmilch sei kein „vollwertiger Ersatz“ 167 der Mutter­ milch. Der Zusammenhang zwischen Säuglingssterblichkeit und Flaschen­ nahrung wurde in den NS -Ratgebern jedoch deutlich weniger prominent ­g emacht. Bei Altmann-Gädke wurde der Zusammenhang zwischen Flasche und Tod überhaupt nicht hergestellt, weder wenn sie die „natürliche“ noch wenn sie die „künstliche Nahrung“ besprach, wo dieser Konnex gängiger Weise platziert wurde. Sie wies zwar darauf hin, dass die Brusternährung das Kind vor Erkrankungen schützte und Flaschennahrung für das Kind ein gesundheitliches Risiko darstellte; der Tod des Säuglings als Konsequenz der Flaschennahrung fand hingegen keine Erwähnung.168 Dies deutet darauf hin, dass sich die Rede von der engen Verbindung zwischen Flaschenmilch und Säuglingstod zu wandeln begann. Der Fokus verlagerte sich vom Tod auf die Gesundheit als Leitkonzept. Ein gesunder „Volkskörper“ wurde zum zentralen Motiv der biologistischen Gesellschaft, die über die „Verbesserung“ der eigenen Rasse sowie die Vernichtung der als ­minderwertig 1 62 Ebd., S. 45. 163 Altmann-Gädke, Säuglingspflege (1940), S. 26; Haarer, Deutsche Mutter (1939), S. 186; Weber, Säuglingspflege (1934), S. 19 (Bleistiftzeichnung als Illustration), S. 93 (Werbeanzeige). 164 Weber, Säuglingspflege (1934), S. 46. 165 Haarer, Deutsche Mutter (1939), S. 115. 166 Weber, Säuglingspflege (1934), S. 18. 167 Ebd., S. 17. 168 Vgl. Altmann-Gädke, Säuglingspflege (1940), S. 23.

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a­ bgestuften Elemente garantiert werden sollte.169 Gesundheit galt als „individuelle Pflicht gegenüber der Gesellschaft“ 170 und wurde sowohl von den Müttern als auch von den Säuglingen eingefordert. Während die Ratgeber der vorhergehenden Zeitspanne zumeist bereits auf den ersten Seiten diesen Konnex präsentierten und so die gesamten Anleitungen in diesen Komplex einordneten, war der zentrale Konnex im Nationalsozialismus die Geburtenrate und Verbesserung der Erbgesundheit. 2.2.3 Zuspitzung der Ernährungsregeln

Wenn in der früheren psychologischen und historiografischen Literatur über die außergewöhnliche Härte der NS -Säuglingspflege gesprochen wird, wird als ein Faktor immer auf die strengen Ernährungsregeln verwiesen, die es der Mutter nicht erlaubten, sich außerhalb des Fütterns mit dem Kind zu beschäftigen.171 Wie sowohl das erste Kapitel der Arbeit als auch das vorherige Unterkapitel gezeigt haben, waren die Ernährungsregeln keinesfalls eine Erfindung des Nationalsozialismus, sondern gingen auf die Arbeiten von Kinderärzten in klinischen Kontexten zurück. Ziel war es keinesfalls, eine Entzweiung von Mutter und Kind zu befördern, sondern das Anliegen der Pädiatrie war es, Überfütterung und damit potentiellen Gesundheitsgefährdungen vorzubeugen. Gleichzeitig stellten die Ernährungsregeln auch eine Form der Früherziehung zu Pünktlichkeit und (Unter)Ordnung dar. In den Ratgebern des Nationalsozialismus wurde somit ein bereits etablierter Wissensbestand weitergegeben, der als gesundheitsfördernd anerkannt und state of the art der ersten Jahrhunderthälfte war.172 Im Nationalsozialismus lässt sich jedoch eine Zuspitzung in der Anwendung der Regeln beobachten. Altmann-Gädke betonte, dass die Mahlzeiten pünktlich eingenommen werden müssten und „selbst wenn dein Kind schreit“ es nicht gefüttert werden dürfte. Wie für ihre VorgängerInnen begann bei ihr die Erzie­ hung mit den „regelmäßig eingehaltenen Mahlzeiten“.173 Während zuvor noch davon abgeraten wurde, ein Kind zu wecken, um es zu füttern, schrieb Weber vor, „das Kindchen aus endlich erlangtem tiefem Schlaf zum Stillen ­aufzunehmen“. 1 69 Vgl. Dickinson, Politics, S. 233; Woelk/Vögele, Medizin, S. 291. 170 Kössler, Faschistische Kindheit, S. 299. 171 Benz, Brutstätten der Nation (1988); Chamberlain, Adolf Hitler; Dill, Nationalsozialistische Säuglingspflege. Hierzu auch: Gebhardt, Angst, S. 22. 172 Dies hat Miriam Gebhardt bereits eindrücklich in ihrem Aufsatz „Lehret sie“ von 2009 herausgearbeitet. 173 Vgl. Altmann-Gädke, Säuglingspflege (1940), S. 22 (Hervorh. im Org.).

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Die Ernährung musste jetzt „pünktlich auf die Minute“ durchgeführt werden, damit sich der „kleine Organismus“ auf die Zeitordnung einstellen konnte.174 Spielraum für eine Anpassung an die Bedürfnisse des Säuglings war darin nicht vorgesehen. In älteren Ratgebern waren die Zeitvorgaben eher als Beispiele gedacht, die jedoch in den jeweiligen Tagesplan der Mutter integriert werden konnten, während Weber die Uhrzeiten, zu denen das Kind gefüttert werden sollte, konkret vorschrieb: [S]chon am zweiten Tag seines Lebens kann der Säugling seine fünf Mahlzeiten nach festem Stundenplan bekommen mit je 4 Stunden Zwischenzeit, nämlich um 6, 10, 2, 6 und 10 Uhr. Auf diese Weise bleibt eine Nachtpause von 8 Stunden übrig, und die angesetzten Stillzeiten ordnen sich gut in den übrigen Tageslauf der meisten Hausfrauen ein.175

Ihr Orientierungspunkt war ein gut laufender Haushalt, in den sich ein gut erzogenes Kind einfügen sollte.176 Um dies zu verdeutlichen, griff sie auf die bekannte Metapher der Uhr zurück: „Ein vernünftig gehaltenes Kind läuft wie ein flinkes, blankes Rädchen im Uhrwerk eines wohlgeleiteten Haushaltes mit.“ 177 Der Säugling wurde in diesen Anweisungen Webers zu einem mechanischen Objekt, das lediglich Teil einer größeren Apparatur war und kein selbstbestimmtes Subjekt. Haarer formulierte statt Anleitungen oder Anweisungen konkrete „Regeln“, die den Charakter einer Aufforderung und weniger der Wissensvermittlung hatten. Wie Weber gab sie klare Zeiten vor, zu denen der Säugling ernährt werden sollte. Außerdem galt die Regel: „Außerhalb der regelmäßigen Trinkzeiten gibt es keinen Grund, das Kind an die Brust zu nehmen!“ 178 An die Einhaltung von Distanz zum Kind wurde der gesamte Erfolg der Erziehung und Pflege gekoppelt. Haarer mahnte: Bedenke immer: Mit deinem richtigen Verhalten in dieser ganz entscheidenden Frage steht und fällt die richtige Pflege und Aufzucht deines Kindes! Die regelmäßig eingehaltenen, täglich gleich pünktlichen Mahlzeiten sind der entscheidende Beginn in der Erziehung deines Kindes.179

1 74 Weber, Säuglingspflege (1934), S. 8. 175 Ebd., S. 7. 176 Vgl. Schubert, Kindheit, S. 239. 177 Weber, Säuglingspflege (1934), S. 7. 178 Haarer, Deutsche Mutter (1939), S. 119. 179 Ebd., S. 119.

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Die Vorstellung vom Säugling als somatischem Körper war in den 1930er Jahren handlungsleitend und ließ die strengen Regeln als legitim und notwendig erschei­nen. Durch die Inkorporation eines Tagesrhythmus musste der Säugling an das Leben gewöhnt werden. Im zweiten Pflegegrundsatz „Ruhe“ wies Haarer Mütter an: „Das Kind wird gefüttert, gebadet und trockengelegt, im übrigen aber vollkommen in Ruhe gelassen.“ 180 Hielt sich die Mutter nicht an die Regeln, beschwor Haarer das Bild des Kindes als „Haustyrann“ herauf, der Mutter und andere Familienmitglieder terrorisierte, um seine Bedürfnisse befriedigen zu können. Mit diesem Konzept betrat sie jedoch kein Neuland, sondern schrieb die maßgeblich durch Czerny geprägte Vorstellung des Säuglings fort. Ähnlich wie Czerny vermittelten die NS -Ratgeber zudem kaum Informationen über die medizinischen Grundlagen dieser Regeln. Altmann-Gädke erklärte zwar, der Magen müsse sich erst entleeren, bevor neue Nahrung hinzukommen sollte, doch fehlt der Verweis auf die zugrunde liegende Forschung.181 Haarer bezog sich ebenfalls auf das Wissen um die Entleerungsdauer des Magens, um die Ernährungspausen zu begründen, und beschränkte sich somit auf basale, leicht zu erklärende körperliche Zusammenhänge.182 Haarers Ratgeber stellten somit – weder in der synchronen noch in der diachronen Sicht – eine Ausnahme dar, wie die frühere psycho-historische Forschung postulierte.183 Anders als die anderen beiden Autorinnen machte Haarer auch Angaben dazu, wie die rigiden Regeln angepasst werden konnten.184 Sie eröffnete etwa die 180 Ebd., S. 165. 181 Vgl. Altmann-Gädke, Säuglingspflege (1934), S. 20. Anni Weber verweist in einer Fußnote jedoch darauf, dass es ausführlichere Beschreibungen über die Ernährung in der dritten Auflage des Kinderarztes Dr. med. Wentzler, Richtige Ernährung – Gesunde Kinder (Ernährungsvorschriften und Kochrezepte für Säuglinge und Kinder) fänden. Das Buch erschien im selben Verlag. Es könnte eine durch den Verlag hinzugefügte Angabe sein, um den Verkauf eines weiteren Buches zu fördern. Vgl. Weber, Säuglingspflege (1934), S. 11. 182 Haarer, Deutsche Mutter (1939), S. 114. Die erste Regel lautete: „Das Kind bekommt zu jeder Mahlzeit nur eine Brust.“ (S. 118), die zweite Regel: „Das Kind soll nie länger als 20 Minuten trinken.“ (S. 118), die sechste Regel: „Nach dem Stillen wird das Kind einige Augenblicke aufrecht gehalten.“ (S. 119). 183 Auch im internationalen Vergleich waren viele Anweisungen nicht unbekannt. So galt das sog. „Truby King Baby“, benannt nach dem Arzt Truby King, als ein Musterbaby, das es vorzog, in Ruhe gelassen zu werden, wenn es nicht gerade gefüttert wurde: „Truby King babies are fed four-hourly from birth, with few exceptions, and they do not have any night feeds. A Truby King baby has as much fresh air and sunshine as possible, and the right amount of sleep. His education begins from the very first week, good habits being established which remain all his life“, vgl. Hardyment, Dream Babies, S. 177. Dieser Ansatz war etwa in Großbritannien sehr verbreitet. 184 Dies passierte nicht erst in der Ausgabe von 1958, wie Miriam Gebhardt postuliert: Gebhardt, Angst, S. 119.

Säuglingsernährung im Nationalsozialismus (1933 – 1945)  |

­ öglichkeit, die Ernährungspausen zu verringern, sowohl bei gestillten als auch M bei Flaschenkindern. So könnten sie statt alle vier alle drei Stunden ernährt werden. Mütter sollten sich jedoch davor hüten, dem Kind unregelmäßige Zwischen­ mahlzeiten zu geben.185 Wenn das Kind nachts häufig schrie und kein anderer Grund als die Ernährung eruiert werden konnte, gestand sie zu, die Regeln etwas zu beugen, so dass das Kind etwa später Nahrung bekam, oder es sogar nachts einmal zu stillen.186 „Große, kräftige Kinder“ sollte die Mutter hingegen auch nachts schreien lassen. Dies erfordere, laut Haarer, einige Willenskraft der Eltern, aber sie versprach ihnen „ungestörte Nächte“, wenn sie dieses Regime nur konsequent verfolgten. Dennoch findet sich bei Haarer ein erstaunliches Zugeständnis: „Ist die Brust weniger ergiebig und wird das Kind zunächst nicht satt, dann gilt jedoch der Grundsatz, daß das Stillen wichtiger ist als die Einhaltung der Stillregeln.“ 187 Diese Situation ist zwar klar als Ausnahme markiert, war aber in dieser Form zuvor gar nicht zu finden. Hieran zeigt sich, dass Johanna Haarer für die diversen Schwierigkeiten der Mütter durchaus Hilfestellungen lieferte, auch wenn die Stillregeln klar als richtige Option markiert wurden und alle A ­ bweichungen davon notgedrungen als Ausnahmen. Im Nationalsozialismus etablierte sich neben diesen bereits bekannten Motiven der Säuglingsernährung ein weiteres Motiv, das einen langen Nachhall im deutschen Diskurs hatte: das „trinkfaule“ oder „brustscheue“ Kind. Haarer erklärte: „Wohl kommt es ausnahmsweise einmal vor, daß sich ein Kind beim Anlegen ­anfangs absonderlich verhält und eine Art ‚Brustscheu‘ zeigt.“ In einem solchen Fall müsse die Mutter das Kind behutsam an die Brust heranführen. Kinder müssten das Trinken teilweise erst „lernen“, meinte Haarer.188 Dies ist einer der wenigen Momente in den Ratgebern, der offenlegt, dass Stillen nicht immer reibungslos verlief, was wiederum ein größeres Verständnis für die realen Probleme der Mütter in Haarers Rategeber anzeigt. In eine ganz andere Richtung argumentierte Weber: „Kinder, die trinkfaul sind, also das Trinken endlos in die Länge ziehen, immer wieder loslassen und einschlafen, sind entweder sehr schwach oder nicht an Pünktlichkeit gewöhnt.“ 189 Bei ihr wurde dies zwar als potentiell überwindbares Problem dargestellt – etwa, indem das Kind an die Zeitordnung gewöhnt wurde –, aber weniger explizit als gemeinsamer Lernprozess von Mutter und Kind. Wichtig ist hier festzuhalten, 185 186 187 188 189

Vgl. Haarer, Deutsche Mutter (1939), S. 167 f. Vgl. ebd., S. 171. Vgl. Gebhardt, Angst, S. 119. Haarer, Deutsche Mutter (1939), S. 125. Weber, Säuglingspflege (1934), S. 12.

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dass die Gewöhnung an eine Zeitordnung von beiden Autorinnen als bester Weg gesehen wurde, das „trinkfaule“ Kind zum Trinken zu animieren. Die Vorstellung, Kinder seien „trinkfaul“, fand sich in der Ratgeberliteratur noch bis in die 1980er Jahre.190 Die daraus folgenden Anleitungen änderten sich jedoch deutlich, nachdem sich neue Erkenntnisse der Stillforschung durchzusetzen begannen. So hieß es etwa bei Gusti Gebhardt 1968: „Was macht man, wenn das Kind trinkfaul ist? Babys, die beim Saugen an der Brust nach kurzer Zeit einschlafen, müssen in den ersten Wochen oder Monaten eben öfter angelegt werden.“ 191 In dieser Vorstellung vom Kind war „trinkfaul“ nicht mehr unbedingt negativ konnotiert, sondern erforderte vielmehr eine andere Herangehensweise an das Kind – jedoch musste sich nicht das Kind anpassen, sondern die Mutter. Zwischenfazit

Das Wissen um die Säuglingsernährung und -pflege hatte sich im Vergleich zum frühen 20. Jahrhundert nicht grundlegend verändert. Leserinnen wurden im All­ gemeinen jedoch weniger mit wissenschaftlichen Grundlagen der Erziehungsregeln versorgt. Sie erhielten stattdessen in Merksätzen und Leitsprüchen formulierte Anweisungen. Es wurde permanent an das Pflichtgefühl der Frauen und ihre Verantwortung gegenüber dem deutschen Volk appelliert. Wenn sie nicht stillte, versündigte sich die Mutter nicht nur gegenüber der Zukunft des Kindes und der „Volksgemeinschaft“, sondern auch gegenüber einer imaginierten Geschichte der „deutschen Rasse“. Die Säuglingspflege stellt sich in den Ratgebern des Nationalsozialismus als weiblicher Arbeitsbereich dar. Die Autorinnen imaginierten ihr Publikum als unerfahrene, aber lernwillige Mutter, während der Vater nun gar nicht mehr vorkam, auch nicht als Teil der „Eltern“.192 Die Säuglingspflege wurde so zu einer rein weiblichen Sphäre umkodiert, in der auch die Kinderärzte nicht mehr die gleiche prominente Stellung einnahmen wie zuvor. Dennoch wurde die Position der Mutter ambivalenter. Ihre Bedürfnisse als Mütter wurden von den Autorinnen ernster genommen und in die Ratgeber einbezogen. Obwohl sie vor allem als Hausfrau angesprochen wurden, erhielten auch arbeitende Mütter mit der Zwiemilchernährung eine Methode zur Ernährung ihres Säuglings, die als legitim galt. 190 Vgl. Hungerland, Altersgerechte Entwicklung, S. 153; Schwabenthan, Mit dem zweiten Kind ist alles anders (1980), S. 16. 191 Gebhardt, Wir werden Eltern (1968), S. 117. 192 Vgl. Brockhaus, Lockung und Drohung, S. 58 f.

Schwedische Säuglingspflege im folkhem (1930er –1950er Jahre)  |

Es wurden weiterhin die Theorien vertreten, dass das Kind in gewissen Abständen ernährt werden müsse und dass Muttermilch der Flaschennahrung deutlich überlegen sei. Insbesondere die Forderung nach Regelmäßigkeit in der Ernährung und die Anweisung, das Kind schreien zu lassen, wurde in der s­ päteren psychohistorischen Forschung als Beleg dafür gelesen, dass eine bewusste Entfremdung von Mutter und Kind in der NS -Säuglingspflege ­angelegt war. Neuere Forschung, wie die von Miriam Gebhardt, interpretiert die Regeln hingegen als entlastend für die Mütter, die durch ihre Arbeit im Haushalt und mit den anderen Kindern eine Legitimierung ihrer gesellschaftlichen Arbeit erfuhr. Die Flaschennahrung wurde nun weniger prominent als Todesursache diskutiert und stattdessen in Diskurse um Volksgesundheit eingeordnet. Sowohl die Flasche als auch die Nahrung waren weiterentwickelt worden, was möglicherweise ein Grund für diese leichte Entkoppelung war. Dadurch, dass das Stillen jedoch Pflicht war, musste die Flasche immer als Nichterfüllung dieser Pflicht, nicht nur gegen das einzelne Kind, sondern gegen das gesamte deutsche Volk verstanden werden. Die Erziehung zu Staatsbürgern und Arbeitern, wie sie bei Biedert und anderen eingefordert wurde, reichte nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten nicht mehr aus. Die Kinder mussten zu „Deutschen“ werden. Durch den über den Nationalsozialismus hinaus andauernden Erfolg des Ratgebers von Johanna Haarer wurden die Erziehungsgrundsätze bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts weitergetragen.193 Speziell Haarers Ratgeber stellten dabei keine Ausnahme im Nationalsozialismus dar und setzten eine schon im frühen 20. Jahrhundert beginnende Tradition in der Ratgeberliteratur fort. Es wurden allerdings neue Akzente gesetzt. So war die Forderung, die Ernährungsregeln auf die Minute genau einzuhalten, spezifisch für die NS -Ratgeber, während diese in den älteren Ratgebern sowie der schwedischen Literatur der 1930er und 1940er Jahre nicht die gleiche Zuspitzung erfuhren.

2.3 Schwedische Säuglingspflege im folkhem (1930er –1950er Jahre) Während in Deutschland die Säuglingspflege auf eine Linie mit der rassistischen Politik der Volksgemeinschaft gebracht wurde, begann in Schweden in den 1930er und 1940er Jahren die Neuorganisation der Gesellschaft, die bis in das

193 Vgl. Ebd., S. 60; Gebhardt, „Lehret sie“, S. 224 ff.

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„kleine Leben“,194 also die Familie, reichte. Einer der Auslöser war die „Krise in der Bevölkerungsfrage“, die im gleichnamigen Buch von Gunnar und Alva Myrdal im Jahr 1934 ausgerufen wurde. Sollte der Staat nicht die Voraussetzung schaffen, dass mehr und „bessere“ Kinder geboren werden, könne Schweden aussterben – so der Tenor.195 Die bevölkerungspolitische Krise wurde argumentativ nicht mehr zuerst mit der hohen Säuglingssterblichkeit verknüpft, die in den 1930er Jahre sehr stark gesunken war. Stattdessen standen niedrige Geburtenzahlen und die Emigration in die USA als Faktoren im Mittelpunkt der Debatte. Tatsächlich hatte Schweden 1933/1934 die niedrigste Fertilitätsrate der Welt.196 Die Diagnosen der Myrdals fielen auf fruchtbaren Boden. Mütter und Kinder sollten besser durch bevölkerungspolitische Maßnahmen geschützt werden. Die Förderung der Säuglings- und Kindergesundheit war Dreh- und Angelpunkt der Diskussion. Zunächst werde ich die Position der etablierten Pädiatrie nachzeichnen und danach fragen, ob sie Anweisungen auf der Grundlage neuen Wissens in den 1930er und 1940er Jahren (Säuremilch, Ernährungsregeln, neue Statistiken etc.) entsprechend änderte. In Abgrenzung zu den Neuauflagen untersuche ich Ratgeber, die in den 1940er Jahren neu erschienen waren, um danach zu fragen, ob und inwieweit sie geänderte Expertise vermittelten. Hier wird es außerdem einen kurzen Exkurs zum Rat für arbeitende Mütter geben, deren schwierige Situation in der schwedischen Sozialpolitik in den 1940er Jahren besondere Aufmerksamkeit fand. Schließlich widmet sich dieses Unterkapitel den 1950er Jahren, um den Kampf um die Wissenshoheit über Säuglingspflege zwischen Pädiatrie und Psychologie deutlich zu machen. Neben der Beantwortung der drei Fragen zur ExpertInnen- und LeserInnen­ position, dem „context of choice“ und den Erziehungsidealen soll hier herausgearbeitet werden, ob es eine spezifisch schwedische Ratgeberkommunikation gab, die sich in dieser Zeit entwickelte. Schweden wurde schon häufig als Beson­ derheit herausgestellt, zum einen in Bezug auf die Position von ExpertInnen im politischen Prozess, aber auch im Verhältnis von Individuum und Staat. Bevor eine Politikreform anstand, wurde eine ExpertInnenkommission eingesetzt, deren Ergebnisse in den sog. Statens Offentliga Utrednigar veröffentlicht wurden. Ziel war es, auf der größtmöglichen Wissensgrundlage einen Konsens zwischen 1 94 Hirdman, Lägga livet tillrätta, S. 10. Vgl. Etzemüller, Rationalizing, S. 101. 195 Zeitgenössich Myrdal/Myrdal, Kris (1934). Vgl. Hammarlund, Barnet och barnomsorg, S. 46; Kälvemark, More Children, S. 16; Sandin, More Children, S. 68. 196 Vgl. Johannisson, Folkhälsa; Musial, Roots, S. 87; Ohlander, Invisible Children; Rabenschlag, „Bevölkerungsqualität“, S. 48.

Schwedische Säuglingspflege im folkhem (1930er –1950er Jahre)  |

verschiedenen Parteien und Interessensgruppen herzustellen und zu einer rationalen Entscheidung zu kommen.197 Der Historiker Thomas Etzemüller hat die schwedische Gesellschaft als „Normalisierungsgesellschaft“ charakterisiert. In Abgrenzung zu totalitären Regimen, wie dem deutschen Nationalsozialismus, setzte der Staat nicht auf autoritäre Unterdrückungsstrukturen, sondern „the normalizing society generates and designs programmes in order to structure the social and material order in such a way that people will condition themselves“.198 Die Normalisierungsgesellschaft kann in der schwedischen Tradition des sog. „Staatsindividualismus“ („statsindividualism“) gelesen werden.199 Dieses Konzept haben die Politikwissenschaftler Henrik Berggren und Lars T ­ rägårdh ­Anfang der 2000er Jahre entworfen, um das Verhältnis der schwedischen BürgerInnen gegenüber dem Staat zu erklären. In ihrer Interpretation wird die schwedische Gesellschaft durch „eine Allianz zwischen Staat und Individuum [gekennzeichnet], die auf einmalige Weise das Individuum aus Abhängigkeiten der Familie und zivilgesellschaftlicher Wohltätigkeit heraus­löste“.200 In dieser Vorstellung stehen Individualität und gesellschaftliche Verantwortung nicht im Konflikt zueinander, sondern bedingen sich gegenseitig. Eine Erziehung zur Selbstregulierung und individuellen Autonomie passt sich in diese Vorstellung von gesellschaftlicher Teilhabe am folkhem ein, die so früh wie möglich, also im Säuglings- und Kindesalter, beginnen sollte.201 Dabei veränderte sich seit den 1940er Jahren die Vorstellung davon, wie die Erziehung zu demokratischen MitbürgerInnen passieren sollte. Die schwedische Ratgeberkommunikation weist diese Besonderheiten ebenfalls auf, indem sie individuelle Entscheidungen in den Vordergrund stellte und versuchte zu überzeugen anstatt vorzuschreiben.

197 Vgl. Etzemüller, Imaginäre Feldschlachten, S. 221, 223; Florin/Nilsson, Jämställdhetens politisering, S. 17, 77; Kolbe, Elternschaft, S. 25; Östberg, 1968, S. 347 f. 198 Etzemüller, Rationalizing, S. 97. Vgl. Olsson, Drömmen, S. 47; zum Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft im folkhem vgl. Rabenschlag, „Bevölkerungsqualität“, S. 52 f. 199 Vgl. Johannison, Folkhälsa, S. 173; Ohrlander, Socialliberal reformpolitik, S. 286 f.; Sandin, More Children, S. 62. 200 „Vad kännetecknar det Svenska sammhället mest av allt är inte kollektevism, utan en allians mellan stat och individ som på ett enastående sätt förlöst individen från beroende av familjen och civilsamhällelig välgörenhet,“ Berggren/Trägårdh, Är svensken människa?, S. 51. Vgl. Florin/Elgán/Hageman, Självstyrande medborgaren, S. 8 f. 201 Vgl. Etzemüller, Rationalizing, S. 100; Gleichmann, Föräldrarskap, S. 44; 246; Zetterqvist Nelson, Samhällets barn, S. 45 f.

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2.3.1 Neuauflagen kinderärztlicher Ratgeber der 1940er Jahre

Für die Wissensvermittlung über Säuglingspflege und -ernährung stellen die politisch so umwälzenden 1930er Jahre eine Phase der Stagnation dar. Es wurden keine neuen Ratgeber veröffentlicht, die die Diskussion um die Säuglingspflege im gleichen Maße veränderten oder befeuerten wie die Schriften der NS -Autorinnen. In Ratgebern, die von wohlfahrtsstaatlichen Stellen wie dem Schwedischen Roten Kreuz veröffentlicht wurden, vertraten die AutorInnen weitestgehend die gleichen Ansichten wie in den 1920er Jahren.202 Vielmehr etablierten sich neue Orte und Formen der Aufklärung über Säuglingsernährung. Eine Maßnahme waren Mütterkurse, die im großen Stil überall im Land angeboten wurden. Dort wurden die Grundsätze weitergegeben, die im frühen 20. Jahrhundert ­entwickelt, bestätigt und verbreitet wurden: Stillen als einzig zulässige Ernährung, die Ernährungsregeln sowie die Verankerung der Anleitungen und Praktiken in wissenschaftlichem Wissen.203 Im Jahr 1927 fand eine große Ausstellung in der Kooperation zwischen Svenska Fattigvårdsförbundet und deutschen Ausstellungsmachern statt, wie dem Düsseldorfer Arzt Arthur Schloßmann und dem Deutschen Hygiene-Museum. Sie wurde als Dauerausstellung im Allmänna Barnhuset ­gezeigt. Mitte der 1930er Jahre kam außerdem die Ausstellung „Mor och barn“ (Mutter und Kind) nach Schweden, die vom Deutschen Hygiene-Museum in Dresden entwickelt worden war. Sie zeigte die ins Schwedische übersetzten und mit schwedischen Zahlen angereicherten Ausstellungsstücke, die auch bei der gleichnamigen Wanderausstellung in Deutschland präsentiert worden waren. In der Ausstellung wurden die seit dem frühen 20. Jahrhundert bekannten Themen Hygiene und Ernährung des Säuglings präsentiert.204 Vermittlungsstrategien setzten auf visuelle Aufarbeitung von Informationen und wenige, leicht verständliche Textpassagen, um ein möglichst großes Publikum zu erreichen (vgl. Abb. 19 und 20). Die Inhalte und Präsentationsweisen wurden spezifisch auf das schwedische Publikum angepasst.205 202 Vgl. Kälvesten, Spädbarnets sociologi (1956), S. 360. Beispielsweise: Ernberg, Råd och anvisningar (1938); ders./Bovin, Mor och barn (1931). 203 Etzemüller, Romantik, S. 218; Pehrsson, Barn, S. 86 f. 204 Vgl. Svenska Röda Korset I, Överstyrelse, Vol F II .3; Svenska Röda Korsets Utställningen Mor och Barn; Riksarkivet, Svenska Röda Korset I, Pressurklipp XIX :2; o. A., Mor och barn. En utställning (1936); Svenska Röda Korset I, Svenska röda korsets fotosamling, Serie 1. Tematisk ordnade fotografier ca 1900 – 1965, Volym 136. Siehe auch: Milton, Barnmorskor, S. 229 f. Eine Studie zur Ausstellung und der interessanten Zusammenarbeit zwischen NS -Deutschland und Schweden wäre wünschenswert, kann aber in diesem Rahmen nicht geleistet werden. 205 Vgl. Unterkapitel „En tysk barnavårdsutställning blir svensk“ in: Löw, Världen, S. 165 – 173.

Schwedische Säuglingspflege im folkhem (1930er –1950er Jahre)  |

Abb. 19: „Wenn das Kind nicht gestillt werden kann und bei gemischter Ernährung“, Plakat der Ausstellung „Mor och Barn“, das anschaulich zeigt, wie Flaschennahrung hergestellt werden soll (1936).

Abb. 20: „Besucht regelmäßig Barnavårdscentral (oder „Mjölkdroppe“)“, Plakat der Ausstellung „Mor och Barn“, das Mütter dazu auffordert, die staatlichen und philanthropischen Angebote der Säuglingspflege in Anspruch zu nehmen (1936).

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Dabei hatte die Produktion wissenschaftlichen Wissens um die Säuglingsernährung in den 1930er und 1940er Jahren keineswegs ausgesetzt, sondern einige bedeutende neue Erkenntnisse hervorgebracht: Die Vitaminforschung etablierte sich und lieferte ständig neue Ergebnisse. Die Säure(voll)milch als neue Standardernährung sorgte für hitzige Diskussionen innerhalb der pädiatrischen Fachwelt in beiden Ländern. Die Säuglingssterblichkeit, auch bei flaschenernährten Kindern, sank zudem stetig weiter.206 Die letzten Auflagen der bereits diskutierten Ratgeber von Isak Jundell, Späda och äldre barns uppfödning och vård (Die Ernährung und Pflege des Säuglings und des älteren Kindes)207 von 1945, und Adolf Lichtensteins Barnavård (Kinderpflege)208 von 1949 werden an dieser Stelle erneut untersucht. Nahmen sie Bezug auf neue Wissensbestände der Pädiatrie, Statistiken und Mate­ rialisierungen dieses Wissens? Die 36. Auflage von Jundells Ratgeber von 1945 weist nur wenige Veränderungen gegenüber der ersten Auflage von 1913 auf. Besonders bemerkenswert ist, dass am statistischen Material keine Änderungen vorgenommen wurden, obwohl neue Untersuchungen ein deutliches Absinken der Säuglingssterblichkeit gezeigt hatten. So wurden laut Jundell immer noch 80 % aller Todesfälle von Säuglingen durch Ernährung mit der Flasche verursacht.209 Bei Lichtenstein waren ebenfalls viele Passagen sowie der Aufbau des Ratgebers ähnlich oder gleich. Er begann weiterhin mit statistischen Einordnungen. In Übereinstimmung mit dem neuen Schwerpunkt im Bevölkerungsdiskurs war der erste Punkt nicht mehr die Säuglingssterblichkeit, sondern die niedrige Geburtenrate Schwedens. Die Sterblichkeit im Säuglingsalter sei jedoch immer noch zu hoch, auch wenn sie seit Beginn des Jahrhunderts auf 2 – 3 % zurückgegangen war.210 Er rühmte sich gleichsam damit, dass Schweden die niedrigste Säuglingssterblichkeitsrate in Europa hatte. Als wichtigsten Faktor für die Höhe der Säuglingssterblichkeit gab er, ebenso wie Jundell, die Ernährungsform an, ohne jedoch konkrete Zahlen zu nennen. Anders als Jundell nutzte er neue Statistiken, während der Tenor der gleiche blieb: Die Säuglingssterblichkeit ließe sich noch weiter senken mit einer Verbesserung der Aufklärung und damit verbunden der Praktiken in Säuglingspflege und -ernährung. 206 Vgl. Mannheimer u. a., Mortality (1955); Sjölin/Vahlquist, Amning (1960), S. 3544. 207 Jundell, Uppfödning (36. Aufl., 1945), S. 4. 208 Lichtenstein, Barnavård (7. überarb. Aufl., 1949). Auf Anfrage „von vielen Seiten“ wurde ­zunächst Anfang der 1940er Jahre eine günstigere Version seines Ratgebers ermöglicht, damit seine Anleitungen noch weitere Verbreitung finden konnten, vgl. Lichtenstein, Barnavård (1949), S. 7. 209 Jundell, Uppfödning (1945), S. 4. Vgl. auch: Lithell, Små barn. 210 Lichtenstein, Barnavård (1949), S. 11 ff. In der ersten Auflage lag sie bei 5 – 6 %, Lichtenstein, Barnavård (1927), S. 12.

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Als Ziel gab er aus, die Sterblichkeitszahl auf 1 % zu verringern, wie dies bereits in den besser situierten Familien Stockholms der Fall sei.211 Damit stellte er zudem einen Zusammenhang zwischen Säuglingsgesundheit und sozialer Schicht her. Hier gab es weiterhin große Unterschiede in Schweden, an deren Abschaffung jedoch seit den späten 1930er Jahren auch politisch gearbeitet wurde. In Bezug auf die Zubereitung der Flaschenmilch finden sich bei beiden Autoren minimale Änderungen, die aber auf eine größere Veränderung in den Wissensgrundlagen verweisen. Jundell präsentierte nun zwei unterschiedliche Möglichkeiten, eine Mischung für Flaschenmilch herzustellen.212 Die erste Methode, die er wiedergab, war die gleiche wie in vorherigen Ausgaben. Sie basierte auf einer langsamen Steigerung der Milchmenge, bis sie bei zwei Drittel Milch pro Mischung angelangte. Als weitere Möglichkeit präsentierte er das von Curt Gyllenswärd vorgeschlagene Verfahren der sog. Halbmilch.213 Während Lichtenstein in der ersten Ausgabe noch drei verschiedene Milchmischverhältnisse angegeben hatte (1/3, 1/2 und 2/3),214 sollte in der späteren Ausgabe in den ersten vier Monate die 1/2-Milch gefüttert und danach auf eine 2/3-Milch erhöht werden.215 G ­ yllenswärds Idee einer vereinfachten Mischung auf Halbmilchbasis war anscheinend bei schwedischen Kollegen auf Widerhall gestoßen. Im Gegensatz dazu fand die in Deutschland präferierte Säuremilch keine Erwähnung, was mit der generell eher ablehnenden Haltung gegenüber dieser Flaschennahrung in der schwedischen Pädiatrie zusam­ menhängen könnte. Die Passagen zur Ernährung nach Schema veränderten sich weder bei ­Jundell noch bei Lichtenstein gegenüber früheren Ausgaben. Bei Lichtenstein ist dies besonders erstaunlich, da er Mitautor des Nordischen Lehrbuch für Pädiatrie von 1945 war, in dem sein dänischer Kollege Svenn Monrad dazu aufgefordert hatte, die Ernährung individueller an das Kind anzupassen. Laut Monrad war die „schablonenmäßige“ Ernährung für die meisten Kinder nicht ausreichend.216 Lichtenstein war zwar auch schon in der früheren Ausgabe seines Ratgebers ­davon ausgegangen, dass die Ernährung den speziellen Bedürfnissen von Kindern ange­ passt werden musste, aber nur in Ausnahmefällen, etwa wenn diese sehr klein waren. Das Schema für alle Säuglinge, ob brust- oder flaschenernährt, zu lockern, wie Monrad geraten hatte, empfahl Lichtenstein nicht.217 211 212 213 214 215 216 217

Lichtenstein, Barnavård (1949), S. 17. Jundell, Uppfödning (1945), S. 19. Ebd., S. 28. Lichtenstein, Barnavård (1927), S. 128. Lichtenstein, Barnavård (1949), S. 131, 139. Vgl. 2.4.3; Monrad, Barn (1945), S. 33 (Hervorh. im Org.). Zu Monrad, vgl. Løkke, Døden. Lichtenstein, Barnavård (1949), S. 93.

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Bei beiden schwedischen Autoren gab es aber auch keine Zuspitzung der Ernäh­rungszeiten zur absoluten Pflicht, die auf die Minute pünktlich eingehalten werden musste, wie in den deutschen Ratgebern zur gleichen Zeit.218 Die schwedische Pädiatrie hatte sich bis in den 1930er Jahren stark an der deutschen Forschung orientiert. Seit den 1940er Jahren wandte sich die schwedische Pädia­ trie jedoch neuen Orientierungsräumen zu und emanzipierte sich zunehmend von der deutschen Wissenschaft. So hatte der Kinderarzt Siwe Sture aus Lund während eines Aufenthalts in den USA im Jahr 1947 Charles Anderson Aldrich kennengelernt. In dessen Klinik beobachtete er, dass die „‚neue‘ alte Idee“, dass Säuglinge dann gefüttert werden sollten, wenn sie schreien, dort praktiziert wurde.219 Er zeigte sich jedoch skeptisch, ob dies den richtigen Weg in die Zukunft darstellte. Die schwedischen Ratgeber der 1940er Jahren weisen ebenfalls auf diese beginnende Separation vom deutschen Vorbild hin. Auf Seiten der etablierten Kinderärzte hielt man in Schweden überwiegend an den althergebrachten Wissensbeständen und damit einhergehenden Vorgaben fest, obwohl bereits neues Wissen im Umlauf war. Sie ordneten die Säuglingsernährung weiterhin in bevölkerungspolitische Diskurse ein, bei Jundell allerdings unter Bezug auf veraltete Statistiken. Ihr Wissen präsentierten sie weiterhin autoritär. Beide Ratgeber kamen jeweils kurz vor dem Tod der Autoren auf den Markt und markieren das Ende der dezidiert medizinisch-klinischen Ratgebergeneration in Schweden. 2.3.2 Neue Erziehungsratgeber der 1940er Jahre

Neben den Neuauflagen etablierter Ratgeber kamen in den 1940er Jahren auch neue Materialien für Eltern auf den Markt und die Auswahl wurde breiter. Erstmals erschien in Schweden ein Säuglingsratgeber, der nicht medizinischer, sondern entwicklungspsychologischer Expertise entsprach: Im Jahr 1940 wurde der Ratgeber der Norwegerin Åse Gruda Skard, Barn i vardags livet (Kinder im Alltagsleben) ins Schwedische übersetzt.220 Zudem kamen zunehmend Ratgeber auf den Markt, die nicht von einer einzelnen Person verfasst, sondern durch die 218 Gebhardt, Angst, S. 83. 219 Vgl. Siwe, Barnavård (1949), S. 35; Anderson Aldrich/Hewitt, Self-Regulating Feeding Program (1947). Vgl. Kälvesten, Spädbarnets sociologi (1956), S. 358; Stockholms stadsmuseet, Barn i stan, S. 236. 220 Skard, Barn (1940).

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Kooperation verschiedener ExptertInnen – ähnlich wie eine SOU  – entstanden. Ruth Hamrin-Thorell gab 1945 den Sammelband Föräldrar och barn (Eltern und Kinder)221 heraus, der SpezialistInnen zu jedem einzelnen Teilbereich der Säuglingsfürsorge zu Wort kommen ließ. Dies trug zudem dem Umstand Rechnung, dass das Kindesalter weiter untergliedert wurde und die Wissenschaften sich seit den 1940er Jahren stärker spezialisierten. Hier sind die Kapitel des Kinderarztes Sven Hermansson „Über Stillen, Flaschenernährung und Abgewöhnen“ sowie „Säuglingspflege“, geschrieben von der Herausgeberin, von Interesse. Parallel zu der Entwicklung in Deutschland übernahmen seit den 1940er Jahren in Schweden Frauen vermehrt die Aufgabe, in Säuglings- und Kinderfragen Rat zu erteilen. Åse Gruda Skard war eine einflussreiche norwegische Psychologin. Kinder im Alltagsleben hatte sie während eines Aufenthalts in Stockholm speziell für den schwedischen Markt geschrieben. Der Wissenstransfer zwischen den nordischen Ländern war ausgesprochen dynamisch, weswegen es nicht außergewöhnlich ist, dass die Ideen und Schriften einer norwegischen Autorin in Schweden auf großes Interesse stießen.222 Skard war politisch engagiert und setzte sich für demokratische Erziehung sowie eine egalitäre Gestaltung der Mutter- und Vaterrollen ein.223 Ruth Hamrin-Thorell war Politikerin der liberalen Oppositionspartei Folkpartiet und Journalistin für die einflussreiche Frauenzeitschrift Idun. Ihr zentrales Anliegen war es, die Vereinbarkeit von Frauenerwerbsarbeit und Familienleben zu verbessern. Sie und Skard waren damit typische Beispiele für die Überschneidung von politischem Engagement und Aufklärungsarbeit bei schwedischen Aktivistinnen der 1930er und 1940er Jahre.224 Anders als Skard war Ruth Hamrin-Thorell eine Laiin in Bezug auf Kinderpflege, war aber durch ihre vielfältigen Artikel über Kinderpflege sowie ihr Buch Anna Kristina och jag (Anna Kristina und ich), das sie nach der Geburt ihres dritten Kindes geschrieben und in dem sie dessen erstes Lebensjahr beschrieb, in der Öffentlichkeit für ihr Wissen über Kinder bekannt. Ihre Erfahrungen als Mutter kam in der Veröffentlichung zum Tragen, wurde aber durch die Expertise von WissenschaftlerInnen ergänzt.225 Skards Ratgeber ist der früheste der Quellenauswahl, der dezidiert entwicklungspsychologisch angelegt war. Schon am Aufbau lässt sich eine Veränderung in der Herangehensweise erkennen. Skard organisierte den Ratgeber anhand der 2 21 Hamrin-Thorell (Hg.), Föräldrar och barn (1945). 222 Vgl. Befring, Åse Gruda Skard; Johansen, Åse Gruda Skard; Strandgaard Jense, Nobody Panicked!, S. 258. 223 Vgl. Kolle, Faglitteratur som folkelesning; Etzemüller, Romantik, S. 36 – 45. 224 Vgl. Etzemüller, Romantik, S. 218; Lövgren, Hemarbete, S. 83. 225 Vgl. Ullenhag, Hamrin-Thorell, Ruth; dies., Ruth Lizzie Hamrin-Thorell; vgl. Hamrin-­ Thorell, Anna Kristina och jag (1943).

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unterschiedlichen Entwicklungsstufen der Sinnesfähigkeiten des Kindes, nicht an unterschiedlichen Bereichen der Säuglingspflege, wie Ernährung und Erziehung. Bisher habe die Erziehung sich an den Bedürfnissen der Erwachsenen orientiert; das Verhältnis zwischen Kindern und Eltern sei nur vom Standpunkt der Erwachsenen aus betrachtet worden, meinte die Autorin. Mit Hilfe der Psychologie könne sich dieses Verhältnis ändern und aus der Sicht des Kindes neu gestaltet werden.226 Anscheinend bedurfte die psychologische Herangehensweise an Säuglingspflege einer größeren Überzeugungsarbeit, denn Skard verwandte relativ viel Raum darauf, die Ziele und Ansichten der Psychologie darzulegen. So erklärte sie, die Psychologie sei daran interessiert, die durchschnittliche Entwicklung zu erkennen und dabei gleichzeitig herauszuarbeiten, inwieweit die Entwicklung eines Kindes vom Durchschnitt abweichen und trotzdem normal sein konnte.227 Einem Publikum, das an die Festlegung von Normwerten gewöhnt war, musste dieses neue Konzept wahrscheinlich erst nähergebracht werden, um keine Ängste hervorzurufen. Innerhalb eines solchen wissenschaftlichen Rahmens war eine größere Individualisierung der Säuglingsernährung als im frühen 20. Jahrhundert oder im Nationalsozialismus möglich. Dieser geänderte Rahmen wirkte sich auch auf die Beurteilung der Ernährungsregeln aus. Sie erklärte: Früher bekamen die Kinder Nahrung, wenn sie Zeichen dafür aufwiesen, dass sie hungrig waren, will heißen, wenn sie schrien. Aber die Ärzte sagen, dass es gesünder für den Körper ist, wenn Kinder Nahrung zu bestimmten Zeiten bekommen. Für das Kind ist der Übergang zu bestimmten Zeiten nicht ohne weiteres natürlich, aber über kurz oder lang gewöhnt es sich an die Mahlzeiten. Das Nahrungsbedürfnis ordnet sich nach einem gewissen Rhythmus, der individuell für jedes Kind sein kann.228

Die Ernährungsregeln ordnete sie nicht den natürlichen Bedürfnissen des Kindes zu, sondern wies darauf hin, dass diese von Kinderärzten vorgegeben worden waren. Sobald sich ein natürlicher Rhythmus eingestellt habe, dürfe die Mutter aber nicht „schlampen“,229 da es für das Kind zu Angstzuständen führen könne, wenn es nicht zur gewohnten Zeit Nahrung bekam. Die Bedürfnisse des Kindes waren 2 26 Vgl. Skard, Barn (1940), S. 11 f. 227 Vgl. ebd., S. 11 f. 228 ”Förr i tiden fingo barnen mat, när de visade tecken på att de voro hungriga, d. v. s. när de skreko. Men läkarna säga, att det är hälsosammare för kroppen att barnen få mat på bestämda tider. För barnet är övergången till bestämda tider into utan vidare naturlig, men på kortare eller längre tid vänjer det sig vid måltiderna. Näringsbehovet ordnar sig i en viss rytm, som kan vara individuell för olika barn”, ebd., S. 17 f. 229 Ebd., S. 18.

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der Maßstab, nicht die Regel selbst. Dies ist eine deutliche Veränderung gegenüber vorherigen Anweisungen, die immer entweder die normativen Vorgaben der Ärzte oder den Tagesrhythmus der Mutter als Basis für die Ernährung positionierten. Als wissenschaftliche Grundlage für das Aufweichen der Ernährungsregeln nannte Skard Babies are Human Beings (Små barn är också människor) des US amerikanischen Kinderarztes Charles Anderson Aldrich und der Kinderärztin Mary M. Aldrich in ihrer Literaturliste.230 Dieses Buch war ein erster Schritt hin zur stärkeren Fokussierung auf die Bedürfnisse des Säuglings und damit auch einer Re-Interpretation seiner agency (vgl. 1.4.3). Die Aldrichs hatten in Babies are ­Human Beings die wissenschaftliche Grundlage der Ernährungsregeln grundsätzlich in Frage gestellt. Sie kritisierten die bisherige Forschung zur Säuglingsernährung und ihre Ergebnisse als „too inadequate for any ‚universal foundation‘ of theory to be set out – except, perhaps that all babies were different“.231 Sie setzten sich stattdessen für das Bedarfsernähren des Kindes ein. Besonders interessant ist, dass die Aldrichs ihre Theorien auf Flaschenernährung stützten und hier für die Bedarfsernährung eintraten, während die Ernährung mit der Flasche von deutschen und schwedischen Kinderärzten noch als besonders regulierungsbedürftig angesehen wurde.232 Der Säugling wurde in dieser Theorie zwar immer noch als körpergesteuert wahrgenommen, aber seine nonverbalen Signale wurden als Ausdruck von Bedürfnissen interpretiert, auf die die Eltern reagieren sollten. Nicht mehr die Regulierung durch die Eltern war maßgeblich, sondern die Handlungsanstöße des Kindes. Skard schlug zwar in diesem Sinne das Stillen nach Bedarf des Kindes vor, definierte den kindlichen Bedarf jedoch auf spezifische Weise. Den kindlichen Körper deutete sie von einem somatischen Körper in einen fühlenden Sinneskörper um. Der Säugling habe nur vier Hauptgefühle: „Angst, Wut, Lust und Unlust/Überdruss“ („rädsla, vrede, olust och lust“).233 Alles was das Kind machte, wurde in das Koordinatensystem dieser vier Gefühle eingeordnet. Während des ersten Lebensjahres mache das Kind Erfahrungen, die diese Gefühle ausbildeten. 230 Anderson Aldrich/Aldrich, Babies are Human Beings (1938, schwed. Übers. 1940). Aldrich/ Hewitt, Self-Regulating Feeding Program (1947); zu Charles und Mary Anderson Aldrich siehe auch: Hardyment, Dream Babies, S. 214 – 220. In Deutschland wurde dieses Buch anschei­nend nicht übersetzt und rezipiert. Im Vorwort zur schwedischen Übersetzung von Benjamin Spocks Ratgeber hieß es hingegen, dass „außerhalb von Fachkreisen“ Spocks Kollegen Anderson-Aldrich und Arnold Gesell bekannter seien als Spock selbst, Klackenberg, Förord in Spock, Sunt förnunft (1957), S. 9. 231 Hardyment, Dream Babies, S. 214. 232 Ebd., S. 215 f. 233 Skard, Barn (1940), S. 35 f.

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Die Aufgabe der Eltern sei es sicherzustellen, dass sich die Gefühle in die richtige Richtung entwickelten. Es war daher besonders wichtig, die Regeln, die einmal anhand der kindlichen Bedürfnisse erarbeitet wurden, einzuhalten, um das Kind nicht zu verängstigen. Neben den körperlichen Bedürfnissen wurden die Gefühle der Säuglinge und deren normale Entwicklung nun zunehmend wichtiger. Ruth Hamrin-Thorell wähnte sich ebenfalls als Zeugin einer „Umbruchzeit“, die „auf eine ganz neue Art die Augen gegenüber den Bedürfnissen der Säuglinge geöffnet hat“.234 Beide Autorinnen vermittelten damit die neue Prämisse entwicklungspsychologischer Forschung, die Bedürfnisse des Kindes als maßgeblich für die Erziehung zu betrachten. Auch ihrem Publikum vermitteln sie somit, einen neuen alternativen Weg einschlagen zu können. In vielerlei Hinsicht beschritt Hamrin-Thorell inhaltlich jedoch keine neuen Wege. In der Tradition des frühen 20. Jahrhunderts empfahl sie die Ernährungsregeln als Teil der Säuglingserziehung: „Dem Kind von Anfang an gute Angewohnheiten beizubringen ist ein guter Ausgangspunkt und eine gute Hilfe für dessen kommende Erziehung. Daher ist es wichtig, dass ein Kind so früh wie möglich an Reinlichkeit, Pünktlichkeit und Ordnung gewöhnt wird.“ 235

Dabei sollte die Mutter jedoch nicht zu rigide vorgehen, denn: „hartnäckig und hart“ eine Ordnung in das Leben des Säuglings einzuführen, „strebt absolut gegen die natürlichen Instinkte, die Mütter haben, es langsam und etwas zärtlich angehen zu lassen mit ihren Kleinen“. Während sie dieses Bedürfnis der Mutter als „natürlich“ beschrieb, gab sie gleichzeitig eine wissenschaftliche Begründung dafür, dem „natürlichen Instinkt“ nachzukommen, denn Forschungen aus den USA hätten bestätigt, dass man sich dem Kind in größerem Maße „zuwenden“ 236 sollte. In Schweden sei dies bisher noch nicht im gleichen Umfang angekommen.237 Die Instinkte der Mütter und die Bedürfnisse des Kindes wurden hier ganz neu miteinander ins Verhältnis gesetzt. Skard und Hamrin-Thorell stilisierten sich als Expertinnen für eine neue Form des Wissens und vermittelten auch den LeserInnen das Gefühl, Teil einer neuen Bewegung zu sein, die der übrigen Bevölkerung gegenüber einen Wissensvorsprung hatte. Das Publikum wurde dabei eher als gebildet und aufgeweckt imaginiert, dem komplexe Erklärungen und wissenschaftliche Erkenntnisse durchaus zugemutet werden konnten. Der stärkere Fokus darauf, wissenschaftliche Studien 2 34 Hamrin-Thorell, Spädbarnets skötsel (1945), S. 147. 235 Ebd., S. 146. 236 Ebd., S. 148. 237 Vgl. ebd., S. 147.

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als Beleg anzuführen, dürfte darin begründet liegen, dass die Autorinnen viele etablierte Angaben als veraltet und überkommen darstellen mussten, was sie unter besonderen Legitimationsdruck setzte. Auch das Verhältnis von Brust und Flasche wurde in Föräldrar och barn vom Kinderarzt Sven Hermansson auf ganz neue Art und Weise besprochen. Seine Anweisungen orientierten sich zwar an den Prämissen, die bereits in den Jahrzehnten zuvor popularisiert worden waren: Muttermilch als „natürlich und in jeder Hinsicht unersetzliche“ 238 Nahrung für den Säugling sowie Ernährung in regelmäßigen Abständen. Dabei stand aber die Individualität der Kinder sehr viel deutlicher im Vordergrund als zuvor, denn er erklärte: „[A]lle Kinder brauchen nicht die gleiche Menge Muttermilch; der Bedarf ist ganz individuell.“ 239 Für die Ernährung an der Brust war bisher keine individuelle Herangehensweise vorgesehen. Individuelle Anpassung war der Flaschennahrung vorbehalten und wurde als Grund genannt, warum diese Ernährungsform nur durch einen Arzt angeleitet werden konnte. Diesen Ansatz verfolgte auch Hermansson und e­ rmahnte Mütter, die Flaschenernährung müsse immer von einem Arzt oder der Barnavårdscentral (BVC ) durchgeführt und kontrolliert werden. Dies begründete er damit, dass die Erkenntnisse der Medizin noch immer nicht ausreichten und es keine „ideale“ Flaschenernährung gebe. Man habe zwar einen Konsens über die Hauptprinzipien erreicht, aber in den Details gebe es weiterhin unterschiedliche Ansichten.240 Er brachte damit zudem einen weiteren Akteur in der Säuglingsernährung ins Spiel, der Ende der 1930er Jahre an Bedeutung gewann. Die staatlich geförderten Barnavårdscentraler gaben seit 1937 sowohl Informationen und Hilfe aus, waren aber auch ein Kontrollorgan, um zu garantieren, dass mehr und vor allem „bessere“ Kinder in Schweden heranwuchsen.241 Da jedoch noch nicht alle Mütter Zugang zu einer BVC hatten, gab Hermansson Mischungsverhältnisse für Flaschennahrung an, die sich am neuen Standard der Halbmilch orientierten (vgl. 1.4.2). Die Angaben wurden tabellarisch und damit besonders übersichtlich und leicht nachvollziehbar dargestellt.242 Es fanden sich außerdem Vorschläge für die Gestaltung eines „Ernährungsplans“, der ebenfalls als Tabelle dargestellt wurde. Eine Reihe von Fotos illustriert den Ratgeber. Die schwedischen Ratgeber, ähnliche wie ihre deutschen Äquivalente, nutzten insgesamt deutlich mehr visuelle Strategien, um die Anleitungen eingänglich und leicht verständlich zu gestalten. 2 38 Hermansson, Amning, (1945), S. 72. 239 Ebd., S. 74 f. 240 Ebd., S. 87. 241 Vgl. Berg, Gränslösa hälsan, S. 138 – 140. 242 Hermansson, Amning (1945), S. 87.

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Abb. 21: „Ernährung durch die Flasche“, das Foto zeigt die zwei verschiedenen Möglichkeiten, dem Kind die Flasche zu geben. Seit den 1960er Jahren präferierten es Ratgeber, das Kind beim Füttern mit der Flasche im Arm zu halten, Foto aus dem sog. Hygieneatlas, Tafel 72 (1918).

Skard thematisierte die Ernährung völlig anders als alle bisherigen Ratgeber. So besprach sie die Vorteile der Brusternährung vor allem aus psychologischer, nicht aus ernährungsphysiologischer Sicht. Einen psychologischen Effekt des Stillens, den Skard betonte, war der enge körperliche Kontakt zwischen Mutter und Kind, der zu einer größeren emotionalen Verbindung zwischen den beiden führe. Dies sah sie als einen Vorteil der Brusternährung, der dem Flaschenkind vorenthalten blieb, aber auch hier könne durch eine veränderte Praxis Nähe hergestellt werden. Das Kind sollte, auch wenn es mit der Flasche gefüttert wurde, im Arm der Mutter liegen, damit es den „persönlichen Kontakt, Wärme, Sicherheit und Liebe“ fühlen könne. Zuvor wurde die Flasche nicht unbedingt gegeben, während das Kind im Arm lag, sondern das Kind lag in der Krippe und die Flasche wurde von außen gehalten (vgl. Abb. 21). Die Ernährung mit der Flasche könne aber, wenn sie so genau wie möglich die Ernährung an der Mutterbrust nachahmte, für Mutter und Kind die gleichen Gefühle hervorbringen.243 Die Flaschennahrung war dadurch bei Skard weniger negativ konnotiert als in früheren Ratgebern. Nicht der körperliche Bedarf musste gestillt werden, damit das Kind eine positive 243 Vgl. Skard, Barn (1940), S. 18 f. Siehe auch: Hardyment, Dream Babies, S. 216.

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Entwicklung nehmen konnte, sondern psychische Gesundheit und emotionale Stabilität führten in dieser Vorstellung zu einem guten Aufwachsen des Kindes und dies konnte ebenso mit der Flasche wie an der Brust passieren, solange dem Kind ein Gefühl von Nähe vermittelt wurde. Eine Besonderheit dieser Ratgebergeneration war, dass sie nicht nur Mütter adressierte. Die Bewertung des Säuglings als fühlendes Individuum, das ständig dazulernte, führte zu einer neuen Bewertung der Rolle des Vaters. Sobald sich die Wahrnehmung des Kindes zu differenzieren begann, erklärte Skard, nahm es neben der Mutter noch weitere Menschen wahr. Wenn das Kind auch von anderen Menschen versorgt werden sollte, nachdem es abgestillt war, sei es wichtig, dass sich das Kind schon früh an den Vater gewöhnte. Er wurde als zweite wichtige ­Bezugsperson des Säuglings angesehen, der ein vertrauensvolles Verhältnis zu seinem Kind aufbauen sollte und zwar von der ersten Stunde an. Eine frühe Einbeziehung des Vaters beuge zudem einer Romantisierung des Kindes vor. Nur wenn er sich an den alltäglichen Aufgaben, die auch mühsam und unangenehm sein konnten, beteiligte, könne er eine realistische Einstellung zum Kind gewinnen.244 Bei ihr finden sich auch die ersten Abbildungen von Vätern in liebevoller Umarmung mit ihren Säuglingen, die dieses Verhältnis normalisierten. Hamrin-Thorell setzte sich ebenfalls dafür ein, dem Vater in der „modernen Säuglingspflege“ eine Rolle zuzuweisen. In den 1940er Jahren wurde die Rolle des Vaters vorsichtig umdefiniert: von seiner Verantwortung als Familienernährer zu seiner Bedeutung als Vater. Die Einführung von staatlichen Kinderbeihilfen 1948, die ausschließlich an die Mütter gezahlt wurden, kann als Schritt in diese Richtung interpretiert werden.245 Dass sich die meisten Ratgeber an Mütter richteten, ­bezeichnete Hamrin-Thorell zwar als „natürlich“, weil Frauen eben diejenigen waren, die die Kinder bis zum neunten Lebensjahr hauptsächlich versorgten. Doch das sollte nicht bedeuten, dass „der Vater oder der Mann zur Seite geschoben wird, wie es häufig in Publikationen [geschieht], die Haus-, Kinder- oder Familienwissen behandeln“.246 Schon während des ersten Lebensjahres sollte eine gute Beziehung zwischen Vater und Kind aufgebaut werden und dies könne nur geschehen, wenn er sich schon in einem frühen Stadium für dessen Pflege und Erziehung interessierte.247 Der Vater war dabei vor allem als Unterstützung im Haushalt vorgesehen, sollte sich aber genauso gut über Säuglingspflege und -ernährung informieren wie die Mutter. Hamrin-Thorell bemängelte die Forschungslücke zur Vaterrolle 244 Vgl. Skard, Barn (1940), S. 41 f. 245 Vgl. Bergman/Hobson, Fatherhood, S. 105 f.; Kolbe, Vaterschaftskonstruktionen, S. 188. 246 Hamrin-Thorell, Spädbarnets skötsel (1945), S. 146. 247 Ebd., S. 147.

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in der Erziehung, denn „es kann nicht richtig und nützlich sein, dass das Kind einseitig von der Mutter erzogen wird. Die Kinder brauchen auch die Hilfe und Erfahrung des Vaters und die Mutter braucht die Unterstützung und das Interesse des Vaters.“ 248 Auch der Vater sollte seine Liebe zum Kind zeigen, wodurch das Motiv der Mutterliebe durch das Motiv der Vaterliebe ergänzt wurde. Hier finden sich zudem erste Ansätze für eine Linie der schwedischen Psychologie, die eine dominante Mutterfigur zunehmend als problematisch einschätzte und den Vater als eine Art Gegengewicht zu übermäßigem mütterliche Einfluss positionierte. Exkurs: Arbeitende Mütter

Im Kontrast zu diesen Ratgebern, die die rigide durchgeführte Ernährung nach Schema erstmals als potentiell schädlich verstanden, gab es in den 1940er Jahren auch Ratgeber, die die Ernährung nach Schema als wertvoll erachteten. Allerdings aus einem ganz anderen Grund: Die Ernährung nach Schema war eine Möglichkeit, Mutterschaft und Beruf miteinander zu vereinbaren, was als zentraler Hebel zur Abwendung der „Bevölkerungskrise“ betrachtet wurde (vgl. 1.3.3). So setzten sich etwa Ruth Hamrin-Thorell und Alva Myrdal dafür ein, Institutionen und finanzielle Anreize zu schaffen, damit sich Frauen nicht mehr nur für das eine oder andere entscheiden mussten. Für Mütter, die der Belastung von Beruf und Kind ausgesetzt waren, gab es ebenfalls Hilfe in Form von Ratgebern. Föreningen för rationella hushållning (Verein für rationale Hausarbeit) gab im Jahr 1943 das Buch Den förvärvsarbetande husmodern (Die erwerbstätige Mutter) heraus. Föreningen för rationella hushållning war ein einflussreicher Akteur in der Diskussion um rationalisierte und professionalisierte Hausarbeit, der Aufklärungsmaterial herausgab, um die alltägliche Arbeit für Hausfrauen zu optimieren. In dieser Hinsicht ist der Titel des Ratgebers interessant, der die Frau nicht als Arbeiterin per se, sondern erwerbstätige Hausfrau entwarf, denn die Erwerbstätigkeit bedeutete nicht, dass sie von ihrer Arbeit im Haushalt entlastet wurde.249 Dieser Ratgeber erklärte in einem kurzen Abschnitt, wie sich die Mutter verhalten konnte, wenn sie bereits während der Stillperiode wieder arbeiten gehen musste. Dazu präsentierte der Ratgeber einen Plan, mit dessen Hilfe sie sowohl ihr Kind voll mit Muttermilch versorgen als auch arbeiten gehen konnte. Dieser Plan beruhte auf dem Ernährungsschema mit fünf, in regelmäßigen Abständen über den Tag verteilten Mahlzeiten um 6, 10, 14, 18 und 22 Uhr. Um 6, 18 und 22 Uhr 248 Ebd., S. 151. 249 Föreningen för rationella hushållning, Förvärvsarbetande husmodern (1943). Mehr zum Verein, siehe: Lövgren, Hemarbete, S. 92 f.

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könne die Mutter das Stillen ganz normal übernehmen. Für die anderen Mahlzeiten sollte sie bei der Morgenmahlzeit Milch abpumpen. Auf der Arbeit könne auf diese Weise eine weitere Portion produziert werden. Diese Milch sollte dann für die Mahlzeit um 10 Uhr verwendet werden, nachdem sie abgekocht und gekühlt worden war. Die „Morgenmilch“ diente als 14-Uhr-Mahlzeit. Auf diese Art und Weise konnte das Kind sowohl zu Hause als auch in einer Krippe gefüttert werden.250 Die Ernährung mit „künstlicher“ Flaschenmilch wurde nicht in Betracht gezogen. Die Ernährungsregeln wurden in diesem Ratgeber als eine Möglichkeit zur Integration der Frauen in den Arbeitsmarkt präsentiert. Bei einem auf Bedarfsstillen ausgelegten Ernährungsansatz wäre dies nicht möglich gewesen. Die Flasche in Kombination mit Muttermilch und den Ernährungsregeln entkoppelte so den mütterlichen und kindlichen Körper. In Kombination mit den von der schwedischen Regierung geschaffenen Institutionen, wie den Säuglings- und Kinderkrippen, konnten Frauen sowohl arbeiten gehen als auch ihre Kinder ernähren. Die Mutter konnte nun in zweifacher Hinsicht von der Bevölkerungspolitik des schwedischen folkhem vereinnahmt werden; zum einen als Mutter, zum anderen aber auch als dringend benötigte Arbeitskraft. Betrachtet man die kinderärztlichen Ratgeber, die entwicklungspsychologischen Ratgeber sowie die Anweisungen im Ratgeber des Vereins für rationale Haushaltsführung, stellen sich die 1940er Jahre als ambivalente Umbruchphase dar. So fanden sich auf der einen Seite Anweisungen der etablierten Kinderärzte, die Flaschennahrung weiterhin kritisch sahen und dazu rieten, das Kind nach einem vorgegebenen, wenn auch individuell angepassten Schema zu ernähren. Dieses Schema konnte gleichermaßen dazu genutzt werden, Frauen in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Auf der anderen Seite standen entwicklungspsychologische Erkenntnisse, die die Bedürfnisse des Kindes in den Vordergrund stellten und, insbesondere bei Skard, die Ernährung mit der Flasche als weniger problematisch einstuften, insofern sie mit der gleichen Zuneigung vonstatten ging, wie das Stillen. In Bezug auf die Ernährungsregeln kamen neue Ansätze hinzu. Beide Ratgeber rieten zu einer individuelleren Gestaltung der Regeln sowie dazu, dem Kind mehr Zuneigung zu zeigen. Auch wenn die Mutter in allen Entwürfen die Hauptverantwortliche für die tägliche Arbeit war, kam erstmals der Vater als unterstützender und bedeutender Akteur in den Fokus. Das neue Wissen bedurfte dabei noch einer ausführlicheren Legitimation, weil frühere Erkenntnisse verworfen und neue Verhaltensweisen eingeführt wurden. Langfristig führte dieses neue Ratgeberwissen dazu, dass die mechanische Sicht auf die Kinder in Frage gestellt und neue Normen der richtigen Entwicklung etabliert wurden. 250 Vgl. Föreningen för rationella hushållning, Förvärvsarbetande husmodern (1943), S. 40.

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2.3.3 Erziehung zum „Mitmenschen“ in Ratgebern der 1950er Jahre

Seit den 1950er Jahren machte sich der Einfluss (entwicklungs)psychologischen Wissens deutlich stärker bemerkbar. Psychologische und pädagogische Literatur wurde seit Beginn der 1950er Jahre zunehmend ins Schwedische übersetzt und in der Presse sowie in Radioprogrammen verbreitet. Dies führte zu einer Vermischung von psychologischer und pädiatrischer Expertise, die einen neuen Blick auf die Säuglingsgesundheit erlaubte, die als gleichermaßen physisch und psychisch bedingt re-imaginiert wurde.251 Wissenschaftliche Erkenntnisse kamen zunehmend aus den USA , die Deutschland als Orientierungspunkt ersetzt hatten.252 Zwei solche Exporte aus den USA waren das weltweit erfolgreiche Buch des Pädiaters und Psychoanalytikers Benjamin Spock und das bereits erwähnte Babies are People, too von Charles und Mary Aldrich, die neue Erkenntnisse – insbesondere über Flaschennahrung und Ernährungsregeln – in Schweden verbreiteten.253 Eine neue Generation junger Psychologinnen, wie die Schwestern Anna Lisa Kälvesten und Ella Kälvesten-Elmér, übte seit Mitte der 1940er Jahre zunehmend öffentliche Kritik an der Dominanz kinderärztlicher Anweisungen für die Säuglingspflege. Sie prägte etwa den Begriff der „deutschen Uhrtyrannei“ („tyska klocktyranniet“) für die strengen Ernährungsregeln und propagierten eine von kindlichen Bedürfnissen geleitete Erziehung, die neben der physischen auch die psychische Gesundheit förderte.254 Die ärztlichen Ratgeber kamen also zunehmend unter Erklärungsdruck, warum die Ernährung anhand vorgegebener Zeiten gut und richtig sei. Um diese Spannungssituation herauszustellen, in der zwei diametral entgegen­ gesetzte Vorstellungen kindlicher Bedürfnisse und Erziehungsziele aufeinandertrafen, werden hier drei Ratgeber untersucht: Auf der einen Seite der Ratgeber der Psychologinnen Merit Hertzman-Ericson und Inga Sylvander, Barn är barn (Kinder sind Kinder), in der zweiten unveränderten Auflage von 1954;255 auf der anderen Seite Praktisk Barnavård (Praktische Kinderpflege) des Kinderarztes und Spezialisten für Kinderkardiologie, Edgar Mannheimer, in der zweiten ­unveränderten 251 Vgl. Hammarlund, Barnet och barnomsorgen, S. 31 f. Zum Radio als Aufklärungsmedium vgl. Seifarth, Råd i radion. 252 Vgl. Löw, Världen, S. 116; Sandin, Better Children, S. 112. 253 Vgl. Kälvesten, Spädbarnets sociologi (1956), S. 363; Pehrsson, Barn, S. 103. 254 Vgl. Kälvesten-Elmér, Det tyska klocktyranniet (1946). Zu Kälvesten-Elmér vgl. Kollind, Tre personer, S. 232 – 237. Siehe auch Artikel von Kälvesten-Elmérs Schwester Anna-Lisa Kälvesten, Family Policy (1955), S. 254; dies., Spädbarnets sociologi (1956), S. 363. Siehe auch: Ohrlander, Socialliberal reformpolitik, S. 290; Pehrsson, Barn, S. 100, 103. 255 Hertzman-Ericson/Sylvander, Barn (1954, 1. Aufl. 1953).

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Auflage von 1954.256 Der Einfluss amerikanischer Medien und Ideen wird durch Benjamin Spocks Sunt förnuft i barnavård och barnuppfostran (Gesunder Menschenverstand in der Kinderpflege und Kindererziehung) in der Version von 1957 repräsentiert, der als eine Art Mittler zwischen beiden Positionen gelesen werden kann. Es ist davon auszugehen, dass Spocks Buch spezifisch schwedische Fragen und Positionen aufnahm, da Übersetzungen das Ursprungswissen transformieren und formen. Spocks Ratgeber wurde zur gleichen Zeit auch in Deutschland populär, weswegen an dieser Stelle auch schon auf Unterschiede zwischen der deutschen und schwedischen Übersetzung hingewiesen werden soll.257 Die AutorInnen dieser Ratgebergeneration präsentierten sich auf eine neue Art und Weise gegenüber dem Publikum, die eine größere Nähe zu den Leserinnen und Lesern herzustellen versuchte. Sie stellten sich deutlich freundlicher und lebensnäher dar als in vorherigen Ratgebern. Edgar Mannheimer war Kinderarzt am prestigereichen Karolinska Institutet in Stockholm. In der Einleitung dankte er seiner Frau Viveka von Esse sehr ausführlich und erhob sie in den Stand einer Ko-Autorin – auch wenn nur sein Name auf dem Titel zu finden war. Er pries seine Frau: „[I]hre Erfahrungen in der Kinderpflege sind groß, denn sie ist die Mutter von fünf gesunden Kindern.“ 258 Ihr praktisches Wissen ergänzte so seine „Erfahrungen als Kinderarzt“,259 was seine Angaben doppelt legitimierte und eine gewisse Nähe zu den Leserinnen und Lesern suggerierte, die sich darauf verlassen konnten, dass Anleitungen auch in der Umsetzung zu Hause funktionieren würden. Merit Hertzman-Ericson und Inga Sylvander waren Psychologinnen. ­Sylvander hatte bei Alva Myrdal studiert, deren Einfluss auf die Erziehungsdiskussion kaum zu unterschätzen ist. In den 1970er Jahren war sie Präsidentin von Sveriges Psykologförbundet (Schwedens Psychologenbund). Hertzman-Ericson arbeitete in der Elternberatung und es lässt sich annehmen, dass sie ihre Erfahrungen mit

2 56 Mannheimer, Praktisk Barnavård (1954, 1. Aufl. 1951). 257 Spock, Sunt förnuft (7. überarb. Aufl. 1957). Die schwedische Übersetzung des Titels hält sich enger an den englischen Originaltitel, The Common Sense Book of Baby and Child Care, als die deutsche: Säuglings- und Kinderpflege, Bd. 1: Pflege und Behandlung des Säuglings, wo der Aspekt des „gesunden Menschenverstands“ nicht den Weg in den Titel fand. Die SpockÜbersetzung basiert auf einer überarbeiteten und erweiterten Auflage des englischen Originals. Zur Übersetzung eines Werkes in Bezug auf Wissenszirkulation vgl. Asdal/Jordheim, Texts on the Move; Jordheim, Printed Work, S. 246. Vgl. ausführlich zu den verschiedenen englischsprachigen Editionen von Spocks Ratgeber und dem Wandel seiner Anleitungen bzgl. Brusternährung Knaak, Breast-feeding; siehe auch: Weiss, Mother of Invention, S. 544 f. 258 Mannheimer, Barnavård (1954), S. 7. 259 Ebd., S. 7.

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Fällen aus der Praxis in den Ratgeber einfließen ließ.260 Die beiden Autorinnen versprachen in ihrem Ratgeber „Eine neue Sicht auf die Erziehung“ – wie der Titel des ersten Kapitels anzeigt, zu präsentieren.261 Ihr besonderes Anliegen war es, die „sogenannte freie Erziehung“, die in Schweden kritisch gesehen wurde, sachlich zu erklären und mit Vorurteilen aufzuräumen. Die freie Erziehung sei mit „überhaupt keiner“ Erziehung gleichgesetzt worden, wohingegen es vielmehr darum gehe, Regeln zu finden, die „die größte mögliche Rücksicht auf alle Gruppenmitglieder unabhängig vom Alter“ garantierten.262 Neu an diesem psychologischen Wissen war es, „dass man der Entwicklung des Kindes folgen und diese nicht bestimmen soll“.263 Dies war eine indirekte Abgrenzung gegenüber früheren kinderärztlichen Anweisungen, die versucht hatten das Kind zu regulieren. Um diese konträre Anweisung zu belegen, verwiesen die Autorinnen auf aktuelle kindheitspsychologische Forschungen, die neue Erkenntnisse über diese Lebensphase gewonnen hätten – die neuen Anleitungen zeigten sie somit als Resultat neuer Erkenntnisse und legitimierten sie über die Nähe zur Forschung. Ihr Ansatz ist dabei deutlich eher erklärend als autoritativ und versprach einem psychologisch interessierten Publikum neue legitime Möglichkeiten, sein Kind aufzuziehen. Benjamin Spock verband die psychologische und pädiatrische Perspektive durch seine doppelte Ausbildung als Kinderarzt und Psychoanalytiker. Dem eigentlichen Ratgebertext ist ein Vorwort des schwedischen Kinderpsychologen Gunnar Klackenberg vorgeschaltet, der eine anerkannte Autorität der schwedischen Wissenscommunity war.264 Er übernahm die Aufgabe, Spock den schwedischen LeserInnen vorzustellen. Dazu verglich er ihn mit den in Schweden bereits bekannten US -KinderärztInnen C. Anderson Aldrich und Mary M. Aldrich und dem Psychologen Arnold Gesell. Eine Besonderheit Spocks sei zudem, dass er nicht einfach nur „Rat gibt, er erklärt auch, warum man es so machen sollte oder so“.265 Durch Klackenbergs Einleitung erhielt das Publikum ein Referenzmodell für die folgenden Anweisungen, die sowohl in ihrem Ansatz als auch in ihrer Ausführlichkeit zunächst ungewöhnlich erscheinen könnten. Die Einleitung Spocks – „Vertraut eurem eigenen Urteil“ – gestaltete sich tatsächlich 260 Vgl. Rigné, Profession, S. 187. 261 Hertzman-Ericson/Sylvander (1954), Barn, S. 7. 262 Ebd., S. 7. 263 Ebd., S. 7 (Hervorh. im Org.). 264 Vgl. Zetterqvist Nelson, Bowlby kom till Sverige, S. 276. 265 Klackenberg, Förord in Spock, Sunt förnunft (1957), S. 7 f. Zu den Aldrichs vgl. Hardyment, Dream Babies, S. 214 – 220. Zu Gesells Einfluss auf die schwedische Kinderfürsorgedebatte vgl. ausführlich Hammarlund, Barnet och barnomsorgen, S. 24 – 33.

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vergleichsweise ungewöhnlich. Wie in der Forschungsliteratur bereits gezeigt wurde, nahm Spock gegenüber den Eltern eine ganz neue Position ein, indem er ihnen eine ExpertInnenposition für die Gesundheit und das Wohlbefinden ihres Kindes zuschrieb: „Habt keine Angst davor, eurem eigenen gesunden Menschenverstand zu vertrauen.“ 266 Ähnlich wie schon in Åse Gruda Skards Ratgeber, erklärte er die Herstellung eines „Zugehörigkeit[sgefühls]“ („tillhörigkeit“) und das dadurch entstehende Sicherheitsgefühl zum wichtigstes Ziel der frühkindlichen Entwicklung, weswegen er die Vorgabe machte: „Niemand anders, noch nicht einmal die sachkundigsten, können dem Kind dieses Gefühl geben.“ 267 Dies könnten nur die Eltern durch ihren Kontakt zum Kind hervorbringen. Daraus folgte ein Vermittlungsstil, der – wie Klackenberg bereits angekündigt hatte – deutlich mehr auf Erklärungen und die Darlegungen verschiedener, wählbarer Optionen ausgelegt war, aus denen die Eltern die passende Anleitung für ihr Kind auswählen sollten. Alle AutorInnen präsentierten sich somit auf eine neue Weise gegenüber dem Publikum: Der etablierte Kinderarzt Mannheimer griff auf seine Frau als Wissensressource zurück, die Psychologinnen erklärten, Vertreterinnen einer neuen Forschungsrichtung zu sein, und Spock sprach die Eltern als eigentliche ExpertInnen an. Das Bild der AdressatInnen hatte sich ebenfalls gewandelt. Die LeserInnen wurde nun nicht mehr als unwissende Ober- oder Unterschichtenfrau kon­struiert, die von ExpertInnen angeleitet werden musste, sondern als wissbegierige Mitbürgerin im demokratischen Staat. Alle Ratgeber zeichnen sich durch lange Textpassagen, aber auch Zeichnungen zur Illustration der Anweisungen aus. ­Zudem wurde der Vater in allen Büchern offensiver angesprochen. In seinem Vorwort betonte Mannheimer etwa, dass die Kindererziehung in Zusammenarbeit zwischen „Mama, Papa und Kind“ geschehen sollte.268 Im Kapitel über die Ernährung adressierte er allerdings klassischerweise nur die Mutter. In späteren Kapiteln zur Erziehung wurde der Vater dann jedoch angesprochen und sogar in einigen Abbildungen im Spiel mit dem Kind gezeigt.269 Der Text und die Bildsprache vermittelten so, dass die Mutter für die Säuglingsphase zuständig war, während der Vater sich später in die Erziehung einbringen konnte, wodurch die Aufteilung in die weibliche Sphäre des Hauses und die männliche Sphäre der Öffentlichkeit reproduziert wurde. 266 Vgl. Gebhardt, Haarer meets Spock, S. 94 f.; Schütze, Gute Mutter, S. 86 f.; Skagius, “Don’t Worry”, S. 170. 267 Spock, Sunt förnunft (1957), S. 11. 268 Mannheimer, Barnavård (1954), S. 7. 269 Ebd., S. 222 f.

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Spock zeigte eine ähnliche Sicht der elterlichen Arbeitsteilung. Die Involvierung des Vaters war aus seiner Sicht schon für die Entwicklung des Säuglings von zentraler Bedeutung. Hier müsse jedoch zunächst ein Umdenken einsetzen, da viele Väter „in der Überzeugung groß geworden [sind], daß Baby- und Kinderpflege die alleinige Aufgabe der Mutter sei. Aber ein Mann kann ein warmherziger Vater und gleichzeitig ein richtiger Mann sein.“ 270 Er imaginierte den Vater als männliche Autorität der Familie, der die Mutter zwar unterstützen, aber nicht ihre Aufgaben komplett übernehmen sollte: „Das soll natürlich nicht heißen, dass ein Vater dem Baby genauso viele Flaschen geben muß oder ihm ebenso oft die Windeln wechseln soll, wie die Mama. Aber es kann ihm gar nichts schaden, wenn er diese Dinge hin und wieder erledigt.“ 271 So wurde seine Rolle als Familienernährer weder bei Spock noch bei Mannheimer grundlegend in Frage gestellt, sondern vielmehr eine zusätzliche Facette der Männlichkeit – der emotional invol­vierte Vater – entworfen. Ein ähnlich komplementäres Bild der Geschlechterverhältnisse lancierten auch Hertzman-Ericson und Sylvander, die daraus jedoch andere Schlüsse zogen als ihre männlichen Kollegen. Die beiden brachten eine ganz neue Form von Wissen in die Ratgeber ein, durch den Rückbezug auf anthropologische Arbeiten der Amerikanerin Margaret Mead. Die AutorInnen erklärten, Mead gehe davon aus, dass männliches und weibliches Verhalten zuvorderst das Resultat unterschiedlicher Erziehung, nicht biologischer Programmierung sei. Was „im Westen“ als typisch weiblich gelte, gelte bei dem „primitiven Tchambouli Volk in Neuguinea“ als typisch männlich.272 Ausgehend von Meads Beobachtungen reflektierten die Autorinnen über die Rolle der Frauen und Männer in der schwedischen Gesellschaft, die sie als „Männergesellschaft“ („manssamhälle“) bezeichneten.273 Sie kritisierten jedoch Frauen, die daraus den Schluss zogen, wie Männer sein zu wollen. In ihren Augen war „das besondere Männliche und das besondere Weibliche gleich wertvoll und es bedarf dieser beiden, um sich gegenseitig zu komplettieren“.274 Das anthropologische Wissen nutzten sie nicht als Argument für die stärkere Involvierung des Vaters, sondern für eine weniger dogmatische Erziehung der Kinder in ihrer Geschlechtlichkeit. Dieses egalitäre Bild der Geschlechter war zu diesem Zeitpunkt eine neue Interpretation der gesellschaftlichen Rollen, stellte sich aber langfristig als bestimmend für den schwedischen Diskurs heraus; 2 70 Spock, Sunt förnunft (1957), S. 19. 271 Ebd., S. 19. 272 Hertzman-Ericson/Sylvander, Barn (1954), S. 112. Zu Mead vgl. auch 1.4.3 und 1.5.2. 273 Hertzman-Ericson/Sylvander, Barn (1954), S. 113. 274 Edb., S. 113.

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etwa als eine der zentralen diskursiven Voraussetzungen für die Einführung des Elternurlaubs in den 1970er Jahren.275 Trotz dieser Einstellung sprachen sie den Vater am wenigsten explizit an und wiesen ihm auch keine größere Bedeutung für die Säuglingspflege zu. Nicht nur in Bezug auf die Geschlechterbilder, sondern auch gegenüber dem Verhältnis von Brust- und Flaschenernährung nahmen Hertzman-Ericson und Sylvander eine außergewöhnliche Position innerhalb des Quellensamples ein. In ihrem Ratgeber, ähnlich wie bei Åse Gruda Skard, findet sich nicht einmal die klassische Aussage, dass die Muttermilch die beste oder natürlichste Nahrung für den Säugling sei. Ihr Anliegen war anders gelagert und zielte auf die Vermittlung einer anderen Herangehensweise an die Säuglingsernährung, unabhängig davon, ob diese an der Brust oder mit der Flasche geschah. Sie beschrieben den Fall eines Kindes, das anfangs gestillt und nach drei Monaten, als die „Milch der Mutter versiegte“, weiter mit der Flasche gefüttert wurde. Dies wurde jedoch nicht wertend kommentiert. Ihnen ging es, wie später noch gezeigt wird, vielmehr darum, die Ernährungsregeln zu kritisieren, die sowohl mit der Flasche als auch an der Brust in ihrer bisherigen Form zu psychischen Folgeproblemen und Nervosität bei Müttern führten.276 Sowohl Mannheimer als auch Spock hingegen widmeten sich ausführlich den ernährungsphysiologischen Grundlagen der Säuglingsernährung, wobei sie daraus durchaus unterschiedliche Konsequenzen für die Durchführung der Säuglingsernährung präsentierten. Bei Mannheimer gab es ein eigenes Kapitel, um den „Brennstoff “ für den kindlichen Motor in aller Ausführlichkeit zu beschreiben.277 Er präsentierte den LeserInnen neue Wissensbestände aus verschiedenen Bereichen der Ernährungsphysiologie, z. B. die noch nicht näher bestimmten „arteigenen Stoffe“ der Muttermilch, die vor Krankheiten schützen sollten. Da diese Stoffe nicht nachgebildet werden könnten, sei die Muttermilch nicht vollständig nachahmbar.278 In gleicher Ausführlichkeit informierte er auch über die verschiedenen Arten der Flaschennahrungsherstellung. Mannheimers Einstellung zur industriellen Flaschennahrung war dabei paradigmatisch für die verhaltene Annäherung schwedischer Pädiater an diese Ernährungsform zu Beginn der 1950er Jahre. Während sich industrielle Flaschennahrung in Deutschland schon ­etabliert hatte, zogen Pädiater in Schweden noch einige Jahre eine selbst hergestellte Milchnahrung vor, auch wenn es dort seit 1940 die von bedeutenden K ­ inderärzten 2 75 Vgl. Kolbe, „Neue Väter“, S. 152; Limper, Säuglingsflasche, S. 461. 276 Vgl. Hertzman-Ericson/Sylvander, Barn (1954), S. 13. 277 Vgl. Mannheimer, Barnavård (1954), S. 98. 278 Vgl. ebd., S. 109.

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entwickelte BabySemp-Nahrung gab. Mannheimer stellte zwar verschiedene industrielle Produkte vor, darunter auch BabySemp, kam jedoch zu dem Schluss, dass die normale pasteurisierte Milch, die von der Mutter weiterverarbeitet wurde, die bevorzugte Grundlage der Säuglingsnahrung sein sollte.279 Die verschiedenen Produkte und Utensilien für das Herstellen der Nahrung wurden abgebildet sowie einige Fotos der Zubereitungsschritte zur Illustration eingefügt. Die Anweisungen zur Durchführung der Säuglingsernährung erinnern insgesamt stark an die Ratgeber des frühen 20. Jahrhunderts. So lieferte er absichtlich keine Ernährungstabellen für die Flaschenernährung, weil diese immer individuell gestal­tet und daher nur durch einen Kinderarzt verordnet werden sollte.280 Die Deutungs- und Handlungshoheit in der Flaschennahrung lag aus seiner Sicht bei den ExpertInnen und konnte nicht auf die Ratgeber übertragen werden. In Bezug auf die Ernährung an der Brust orientierte sich Mannheimer ebenfalls am Diskurs des frühen 20. Jahrhunderts. Das Stillen bezeichnete er als „Pflicht“ und die Stillpropaganda als „größte[n] Landgewinn, den die moderne Pädiatrie gemacht hat“.281 Um seine Argumente zu unterstreichen, ging er sogar auf den Skandal ein, den ein anonymer Autor oder eine anonyme Autorin um 1942 ausgelöst hatte, als er oder sie behauptete, eine „unnatürliche Nahrung“, die Zitronen­ säuremilch, stelle einen solch großen Fortschritt dar, dass sie das Stillen bald obsolet machen könnte (vg. 1.3.2).282 Diese Meinung teilte er nicht und belegte seine Einschätzung mit neuem statistischen Material, das eine von ihm in Auftrag gegebene Studie am Rasbiologiska institutet (Rassenbiologischen Institut) in Uppsala erarbeitet hatte. Diese zeige eine „ausgeprägte Übersterblichkeit bei Flaschenkindern“.283 Das Todesrisiko sei weiterhin zwei- bis dreimal höher bei den untersuchten Kindern, die mit der Flasche ernährt wurden, gegenüber gestillten Kindern. Er sah auch kein Verbesserungspotential, trotz der großen Veränderungen der ernährungsphysiologischen Forschung, da Muttermilch immer den 279 Vgl. ebd., S. 113. Vgl. Gyllenswärd/Mellander, Förenklad metod (1949). 280 Vgl. Mannheimer, Barnavård (1954), S. 133. 281 Ebd., S. 114. 282 Vgl. o. A. [I.-G. A.], Citronsyremjölken än en gång (1942), S. 117; Svenska Barnläkerförbundet, Insänt (1942), S. 125. 283 Mannheimer, Barnavård (1954), S. 116. Die Ergebnisse dieser Studie wurden 1955 veröffentlicht, vgl. Mannheimer u. a., Mortality (1955). Trotz des Namens beschäftigte sich das Insti­ tut seit Mitte der 1930er Jahre unter der Leitung von Gunnar Dahlberg nicht mehr mit Euge­nik, sondern vor allem mit humangenetischer Grundlagenforschung. Der Name wurde allerdings erst Ende der 1950er Jahre geändert, als das Institut seine Selbstständigkeit verlor und in die Universität Uppsala als Abteilung für „medizinische Genetik“ integriert wurde. Zur Geschichte des Instituts, vgl. Berg, Gränslöa hälsa, S. 165; Broberg, Statlig rasforskning; Ericsson, Anti-Fascist Race Biology.

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Milchmischungen überlegen sei. Die Befürchtungen einiger Mütter, die Qualität ihrer Milch könne nicht ausreichend sein, nannte er einen „Aberglauben“.284 In diesen Ausführungen gab er allerdings nicht wieder, dass die Säuglingssterblichkeit insgesamt deutlich gesunken war, auch bei Flaschenkindern. Zudem war die von ihm beauftragte Studie zu dem Ergebnis gekommen, dass Kinder die höchsten Überlebenschancen hatten, wenn sie gemischt ernährt wurden, also mit Flaschenmilch und Brustmilch.285 Diese Ergebnisse vermittelte er nicht an sein Lesepublikum, sondern beharrte auf der moralisch begründeten Meinung, Muttermilch sei besser für den Säugling und die Ernährung an der Brust Pflicht der Mutter. In einer Hinsicht unterschied sich Mannheimer jedoch von früheren Ansät­zen, ohne direkte Kritik an seinen Vorgängern zu üben. So lehnte er die Beschränkung auf den „Mittelwert als Norm“ ab, der zuvor in einer großen Vielzahl von Tabellen wiedergegeben worden sei. Eine solche Normierung sah er sogar als „große Gefahr“,286 da sie Mütter verängstige, wenn ihr Kind sich nicht diesem Mittelwert entsprechend entwickelte (vgl. zu diesem Effekt 3.1.1). Dies könne sogar dazu führen, dass sie ihrer eigenen Milchproduktion nicht vertrauten und auf die Flaschennahrung zurückgriffen. Die Warnung vor zu starker Normierung hatte Arnold Gesell erstmalig in Schweden popularisiert. Dies zeigt an, dass auch innerhalb der Pädiatrie neu ausgehandelt wurde, was als „normal“ galt, und sich hier Grenzen zu verschieben begannen.287 Spock nahm im Gegensatz zu Mannheimer eine permissive Haltung gegenüber der Verwendung von Flaschennahrung ein. Eine Gefahr für das Leben des Kindes gehe von der Flaschenmilch nicht aus. Spock verhandelte zwar ebenfalls den „Wert der Brusternährung“; sein Argument für Muttermilch war allerdings kein moralisches, sondern er erklärte schlicht: „Brusternährung ist natürlich.“ 288 Das Stillen habe darüber hinaus sowohl bekannte als auch noch nicht bekannte Vorteile, die es zur besten Ernährung machten. Ein Vorteil gegenüber der Flasche sei ihre zeitsparende Anwendung.289 Das triftigste Argument für das Stillen sei jedoch die emotionale Verbindung zwischen Mutter und Kind, die durch diese Praxis geschaffen werde. Hier berief er sich auf die Erfahrungen der Mütter selbst. So hätten Mütter, die stillten, „über ein unerhörtes Gefühl der Zufriedenheit“ 284 Mannheimer, Barnavård (1954), S. 116 f. 285 Vgl. Mannheimer u. a., Mortality (1955), S. 136; Sjölin/Vahlquist, Amning (1960), S. 3544 f., Wray, Breast-feeding, S. 82. 286 Mannheimer, Barnavård (1954), S. 20. 287 Vgl. Jönson, Bråkiga barn, S. 14; Skagius, Offentliga ohälsan, S. 14. 288 Spock, Sunf förnunft (1957), S. 37. 289 Ebd., S. 46.

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b­ erichtet, weil sie wüssten, „dass sie ihrem Kind etwas [geben], das niemand anders ihm geben kann, durch die offenbare Freude des Kindes über die Brust und durch das Gefühl der Nähe zum Kind“.290 Das Wissen um die emotionale Verbindung zwischen Mutter und Kind wurde bei Spock somit nicht einfach vom Experten postuliert und eingefordert, sondern von den Müttern bestätigt. Auch hier rief er wieder die Einmaligkeit der Beziehung zwischen Mutter bzw. Eltern und Kind auf, die sie zu einer besonderen Expertise im Umgang mit ihm befähigten. Trotz dieser Vorzüge der Muttermilch habe die Stillfrequenz in den USA abgenommen, was Spock darauf zurückführte, dass die Flaschenernährung „zuver­lässiger und einfacher geworden ist als früher“. Er beschrieb zudem, wie weit die Flaschennahrung bereits in den USA verbreitet war und wie sich dies auf das Verhalten neuer Mütter auswirkte: „Wenn die meisten Frauen in einer Gesellschaft ihrem Kind die Flasche geben, denkt eine neue Mutter, dass dies das natürlichste sein musste.“ 291 Insgesamt hatte die Flaschennahrung in den USA zu diesem Zeitpunkt einen deutlich besseren Ruf unter ExpertInnen als in Schweden. Diese Permissivität Spocks passt sich somit eher in den US -amerikanischen als in den schwedischen Diskurs ein.292 Schon zu Beginn hatte Klackenberg in seinem Vorwort darüber gesprochen, dass Spocks Ansätze bzgl. der Ernährungsmethoden sehr US -amerikanisch geprägt und hier deswegen „Umarbeitungen“ vorgenommen worden waren, damit schwedische Mütter sich besser damit identifizieren könnten.293 Auch wenn Spock die Ernährung an der Brust vorzog, bemühte er sich, die Flaschenernährung zu entmystifizieren und zu versichern, dass die Kinder mit dieser Form der Nahrung genauso gut aufwachsen konnten. Beim Füttern plädierte er dafür, das Kind in den Arm zu nehmen, weil „die Natur es so vorgesehen“ habe.294 Auch mit der Flasche könne man die Natur imitieren, solange sie richtig angewendet und der Haltung des Kindes beim Stillen nachempfunden werde. Die Nähe zwischen Mutter und Kind war auch bei ihm wichtiger als die Nahrung als solche. Spock stellte verschiedene Milchmischungen vor, die er ähnlich bewertete wie Mannheimer: Pulvermilch sei besonders geeignet für Reisen, aber teurer. Säuremilch werde von einigen Kindern besser vertragen, insbesondere bei 2 90 Ebd., S. 46. 291 Ebd., S. 46. Die Flaschennahrung hatte sich in den 1950er Jahren in den USA vollkommen normalisiert und wurde von den Kinderärzten häufig als bessere Ernährungsform angesehen. Vgl. Apple, Mothers, S. 126. 292 Vgl. ausführlich zur Flaschennahrung in den USA , Apple, Mothers. 293 Vgl. Klackenberg, Förord in Spock, Sunt förnunft (1957), S. 8. 294 Spock, Sunf förnunft (1957), S. 78.

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Abb. 22 und 23: Verpackung von BabySemp 2 und genaue Anweisungen zur Zubereitung der Nahrung, auf die Benjamin Spock in seinem Ratgeber verwies (o. J., ca. 1970er Jahre).

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Verdauungsproblemen. Deren Zubereitung sei allerdings auch am kompliziertesten.295 Besonders interessant ist seine – sehr knappe – Beschreibung der sog. Pulvermilch, also der industriellen Flaschenmilch. Anders als in früheren Ratgebern oder bei Mannheimers Anweisungen riet er nicht von deren Nutzung ab, sondern beschrieb sie als besonders leicht zubereitbar, weil nur Wasser zugesetzt werden müsse. Anstatt weiter zu erklären, in welchem Verhältnis das Wasser für die unterschiedlichen Entwicklungsstufen gemischt werden müsse, erklärte er schlicht: „Auf jeder dieser Pulververpackungen wird die Menge und die Herstellungsart angegeben“ (vgl. Abb. 22 und 23).296 Zum ersten Mal wurde somit auf relativ subtile Weise der Flaschenmilch selbst Handlungsmacht zugesprochen. Sie wurde nicht mehr als Gefahr dargestellt und bedurfte auch keiner professionellen Anleitung, um hergestellt zu werden. Eine Mutter, die sich diese Nahrung leisten konnte, wurde so unabhängiger von ärzt­ licher Expertise. Mannheimers Festhalten an der pädiatrisch angeleiteten Flaschen­ nahrung erscheint in diesem Zusammenhang als Auslaufmodell der schwedischen Ratgeberkommunikation, die langsam dazu überging, die Flaschennahrung zu normalisieren. Als neuer Maßstab wurde die gesunde emotionale Entwicklung des Kindes angesetzt, die – unabhängig von der Ernährungsart – durch eine liebevolle Hinwendung zum Kind, hervorgebracht werden konnte. Die größte Differenz zwischen klassisch pädiatrischer und psychologischer Expertise lag in der Art und Weise, wie die Nahrung verabreicht werden sollte. So hieß es bei Hertzman-Ericson und Sylvander prominent in einer Kapitelüberschrift „Der Säugling kann die Uhr nicht lesen“.297 Damit grenzten sie sich deutlich von den ärztlichen Ernährungsregeln oder der „deutschen Uhrtyrannei“ ab. Wie oben bereits gezeigt, nutzten die beiden Autorinnen die Geschichte eines Säuglings, Lars, um die Probleme der regelmäßigen Ernährung zu erklären. Lars „funktionierte nicht genau nach dem Schema, das die Mutter für die Säuglingspflege gelernt hatte“ und schrie häufig vor und nach den Mahlzeiten, entwickelte sich jedoch zunächst entsprechend der Norm.298 Den Autorinnen schien es wichtig zu sein, der Mutter, die sich an die Regeln gehalten hatte, keine Vorwürfe zu machen. Vielmehr erkannten sie an, dass die Regeln der unerfahrenen Mutter ein Gefühl von Sicherheit vermittelt hatten. Zudem habe sie „viel über die Gefahr gehört, das Kind zu verwöhnen, indem man es aufnimmt, wenn es schreit, und dass man 2 95 Vgl. ebd., S. 69. 296 Vgl. ebd., S. 70. 297 Hertzman-Ericson/Sylvander, Barn (1954), S. 11. Vgl. Zetterqvist Nelson, Samhällets barn, S. 44. 298 Hertzman-Ericson/Sylvander, Barn (1954), S. 11.

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es an Unregelmäßigkeit gewöhnt“.299 Sie hatte also keine andere Möglichkeit, als sich nach diesen Anweisungen zu richten. Nach zwei Monaten schrie das Kind dann so häufig, dass „[d]er Vater auch begann, nervös zu werden […] und die Mutter fühlte sich unglücklich und unsicher“.300 Diese Eltern hätten aber Glück gehabt, da ihr Kinderarzt auch in der psychischen Kinderpflege bewandert war und der Mutter den Rat gab, nicht „so genau mit den Zeiten“ zu sein. Es bedurfte einer neuen legitimierten Expertise, um das Verhalten – ohne Furcht davor, das Kind zu gefährden – zu verändern. Wichtiger als die Mahlzeiten selbst sei es, laut den Autorinnen, das Kind auch zwischen den Mahlzeiten aufzunehmen und ihm Liebe und Sicherheit zu vermitteln. Auch für diese neue Anweisung führten sie wiederum US -amerikanische Forschung als Beleg an, die gezeigt habe „wie unerhört viel der liebevolle Kontakt zur Mutter für das Kind bedeutet“.301 Dieser Punkt wurde mehrfach wiederholt, wohl in dem Bewusstsein, ein lange bestehendes, zum Faktum geronnenes Wissen vom Kind aufbrechen zu müssen. In diesen Anweisungen zeigt sich eine seit den 1940er Jahren aufkommende, geänderte Vorstellung der Erziehungsziele in Schweden.302 Hertzman-Ericson und Sylvander formulierten dies sehr prägnant: „Das Ziel der Erziehung ist es, selbstständige und harmonische Gemeinschaftsmenschen zu schaffen. Wir brauchen Mitmenschen und nicht Gegenmenschen“ („Vi behöver medmänniskor och inte motmänniskor“).303 Auch wenn die beginnende Auflösung des Nahrungsschemas darauf hindeutet, dass sich die Erziehung der Kinder individualisierte, spricht vieles dafür, dass das übergeordnete Erziehungsziel in Schweden die Einpassung des Individuums in die Gesellschaft war, die jedoch nicht durch Gleichförmigkeit, sondern durch Selbstständigkeit herbeigeführt werden sollte (s. o.).304 Die Einordnung sollte nun nicht mehr durch die Unterordnung unter Autoritäten oder (Ernährungs)Regeln gelingen, sondern durch selbstständiges Agieren – Indi­ vidualität und Gemeinschaft waren im schwedischen folkhem kein Gegensatz, sondern bedingten sich gegenseitig.305 Diese Idee war jedoch noch kein gesellschaftlicher Konsens, sondern befand sich in einer Aushandlungsphase. So erinnern Mannheimers Vorstellung des kindlichen Körpers in ihrer Rhetorik an das frühe 20. Jahrhundert. Er verglich den 299 Ebd., S. 12. 300 Ebd., S. 12. 301 Ebd., S. 14. 302 Vgl. Carlson, Swedish Experiment, S. 199; Etzemüller, Romantik, S. 205, Hammarlund, Barnet, S. 39. Siehe auch: Limper, Concepts, S. 22 – 24. 303 Hertzman-Ericson/Sylvander, Barn (1954), S. 115 (Hervorh. im Org.). 304 Vgl. Carlson, Swedish Experiment, S. 199; Etzemüller, Romantik, S. 205. 305 Vgl. Brembeck/Johansson/Kampann, Introduction, S. 13; Sandin, More Children, S. 60 f.

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kindlichen Körper in einem ersten einleitenden Kapitel über die Grundlagen der Ernährung mit einem „Bauwerk, das gerade gebaut wird“ und einer „Maschine, die immer läuft – sie braucht jeden Tag neuen Treibstoff, um nicht stehenzubleiben“.306 In Anbetracht dieser mechanischen Einordnung ist es nicht verwunderlich, dass er das Fünf-Mahlzeiten-Schema als „einen wichtigen Fortschritt in der Pädiatrie“ bezeichnete. Er positionierte sich deutlich gegen die psychologische Expertise, die Säuglingsernährung nach ihren Prämissen umzugestalten suchte. Es liegt nahe, dass er sich auf die Kritik durch Kälvesten-Elmér bezog, die den Begriff der „Uhrtyrannei“ geprägt hatte, in seiner Begründung für die Bedeutung des Ernährungsschemas: Eigenrhythmus oder Uhr? ist ein modernes Schlagwort, das von modernen Psychologen geprägt wurde, die meinen, dass ein Kind Nahrung bekommen soll, wann immer es schreit, selbst wenn dies zu unregelmäßigen Zeiten, sowohl nachts als auch tagsüber passiert, und selbst wenn es viele Mahlzeiten werden. Man meint, dass das Kind besser als der Arzt weiß, wann es Nahrung haben möchte. Ich bin da nicht sicher.307

Er scheint den Begriff „modern“ hier geradezu als Kampfbegriff gegen die neue Expertise einzusetzen, die er zu diskreditieren versuchte. Besonders wichtig war es ihm, die kinderärztliche Autorität zu untermauern und etabliertes Wissen in Stellung zu bringen. Um sein Gegenargument zu legitimieren, bezog er sich etwa auf den berühmten schwedischen Kinderarzt Adolf Lichtenstein, der den Säugling als „ausgeprägte[n] Gewohnheitsmensch“ bezeichnet hatte, der sich sowohl gute als auch schlechte Gewohnheiten schnell zulegen könne. Um ihm gute Gewohn­heiten anzugewöhnen, solle der Säugling daher nach einem vorgefertigten Schema ernährt werden. Er folgte Lichtenstein jedoch auch dahingehend, dass das Ernäh­rungsschema angepasst werden müsse, wenn es sich als unpassend für einen Säugling erwies. Den erzieherischen Sinn des Schemas sah er zudem nicht darin, das Kind nicht zum „Tyrannen“ zu erziehen, sondern vielmehr in der Erziehung der Eltern. Kleine Abweichungen vom Schema sah er als nützlich an, wenn sie dem Wohl des Kindes dienten, eine vollkommen am Kind oder nach dem Willen der Eltern gestaltete Ernährung lehnte er hingegen ab: 306 Mannheimer, Barnavård (1954), S. 98. 307 ”Självrytm eller klock? är ett modernt slagord präglat av moderna psykologer, som anse att en baby skall ha mat närhelst den skriker, även om det sker på oregelbundna tider både natt och dag och även om målens antal blir stort. Man menar att barnet bättre än läkaren vet när det vill ha mat. Jag är inte så säker på det”, Mannheimer, Barnavård (1954), S. 118. Vgl. Kälvesten-Elmér, Det tyska klocktyranniet (1946); Kälvesten, Spädbarnets sociologi (1956), S. 362.

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Aber ich schließe mich nicht darin an, dass ein Kind, wann auch immer, seine Nahrung bekommt, in einer Familie, wo ich weiß, dass die Unregelmäßigkeit nicht mit Rücksicht auf ‚den eigenen Rhythmus‘ des Kindes erzwungen wurde, sondern durch allgemeine Unordnung und Schlampigkeit. Man sollte daher in der Regel die Mahlzeiten nicht nach dem Schreien des Kindes ausrichten.308

Die Ernährung des Kindes kommt bei Mannheimer als Disziplinierungswerkzeug für unangepasste Eltern daher. Es ging ihm auch nicht darum, eine Balance zwischen den Bedürfnissen des Kindes und denjenigen der Eltern zu finden, sondern Ernährung war klar als Erziehung zur Ordnung gekennzeichnet – ganz anders als bei Spock (s. u.). Für diese Haltung geriet Mannheimers Ratgeber Ende der 1950er Jahre in die Kritik der schwedischen Psychologin und Pionierin der Sozialen Arbeit, AnnaLisa Kälvesten.309 In ihrem Artikel über die Soziologie des Säuglings von 1956 hob sie hervor, wie sehr Mannheimers Meinungen aus dem Raster moderner Säuglingspflege herausfalle. Andere Ratgeber von offizieller Stelle hätten sich Mitte der 1950er Jahre neu aufgestellt und vermittelten nun eine stärker kindzentrierte Perspektive. Kinderärzte wie Mannheimer hingegen „verlassen sich weiterhin auf das Schema anstatt auf die Natur und halten es überhaupt nicht mit denen, ‚die meinen, dass das Kind besser als der Arzt weiß, wann es Nahrung haben möchte‘“.310 Sie konnte dem Konflikt zwischen der neuen kindorientierten Perspektive und der „offiziellen“ Lehrmeinung, jedoch auch etwas Positives abgewinnen. Im Vergleich zur „gleichgeschalteten Volksaufklärung vor 1945“ hätten Eltern nun „wenigstens theoretisch die Möglichkeit, ein wenig zwischen Ratgebern zu wählen“.311 Gegenüber der deutschen Ratgeberliteratur zur gleichen Zeit (s. u.) lässt sich tatsächlich eine größere Bandbreite unterschiedlicher Anweisungen und Wissensregime erkennen. Doch es gab nicht nur die Möglichkeit für Eltern, zwischen zwei Polen zu wählen, sondern mit Spocks Ratgeber gab es noch eine weitere Option, die als Vermittler zwischen beiden Polen gelesen werden kann – möglicherweise ein Grund für den großen Erfolg des Ratgebers.

308 ”Men jag går inte med på att barnet får mat när som helst i en familj, där jag vet att oregelbundenheten inte är framtvingad av omtanke om barnets ‚egen rytm‘ utan av allmän oordning och slarv. Man bör således i regel inte rätta måltiderna efter barnets skrik”, Mannheimer, Barnavård (1954), S. 118 f. 309 Vgl. Ohrlander, Socialliberal reformpolitik, S. 290; dies., Barnet fick en kropp, S. 11 f.; Pehrsson, Barn, S. 98 f. Zu Kälvesten vgl. Börjeson, Anna-Lisa Kälvesten (2001). 310 Kälvesten, Spädbarnets sociologi (1956), S. 362. 311 Ebd., S. 366.

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Spock beschäftigte sich ebenfalls ausführlich mit den Spannungen zwischen den „bestimmten Zeiten und ‚dem eigenen Rhythmus des Kindes‘“.312 Auch er schien sich darüber bewusst zu sein, dass er neues Wissen in den Diskurs einbrachte, das dem vorherrschenden Ideal gegenüberstand. Anders als HertzmanEricson und Sylvander oder Mannheimer nutzte er jedoch keine abgrenzende Rhetorik, sondern eine ausführliche Herleitung und historisierte die Veränderung des Ernährungsschemas:313 In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hätten die Kinderärzte die Ursache für die in hohen Zahlen auftretenden Darmkrankheiten noch nicht gekannt. Sie seien davon ausgegangen, dass sie nicht nur durch Verunreinigung der Milch, sondern auch durch „falsche Proportionen in den Milchmischungen und durch unregelmäßige Ernährungszeiten“ verursacht wurden.314 Er lieferte eine andere Interpretation für die Senkung der Säuglingssterblichkeit und die Durchsetzung des Schemas. Den Rückgang der Darminfektionen und Magenkrankheiten führte er vor allem auf die Pasteurisierung der Milch zurück und erklärte, Ärzte und Krankenschwestern „fürchteten die unregelmäßigen Mahlzeiten so sehr, dass sie auch psychologisch dazu kamen, die Unregelmäßigkeit zu missbilligen“.315 Aus Angst, das Kind könne verwöhnt werden, hätten sie es den Müttern verboten, sich außerhalb der Ernährungszeiten um das Kind zu kümmern. Zwar könne das Schema in einigen Fällen gut funktionieren, zum einen, weil die Mahlzeiten ungefähr den Bedürfnissen des Kindes entsprachen; zum anderen, weil ein Mensch in jedem Alter ein „Gewohnheitstier“ 316 sei und sich daher den Regeln anpasse. Es gebe aber auch Kinder, die trotzdem schrien und sich nicht gewöhnen wollten. Einen Umschwung habe es zu Beginn der 1940er Jahre gegeben, als Preston McLendon und seine Frau Frances P. Simsarian beobachteten, dass sich der eigene Säugling auch dann gut entwickelte, wenn er nach seinem eigenen Rhythmus trank. Daraufhin sei das Schema im Allgemeinen gelockert worden, was sich sowohl positiv auf die Kinder als auch die Eltern ausgewirkt habe.317 Spock betonte, ebenso wie Hertzman-Ericson und Sylvander, die Ernährungsordnung müsse sowohl für die Kinder als auch für die Eltern Sinn ergeben. Er forderte eine Balance zwischen den Bedürfnissen der Kinder und denen der Eltern ein, wofür er die Regel ausgab: „Was gut für die Eltern ist, ist auch gut für das 3 12 Spock, Sunt förnunft (1957), S. 38. 313 Diese gesamte Passage fehlt in der deutschen Übersetzung, da das Ernährungsschema dort noch nachdrücklicher vertreten wurde, vgl. 2.4.3. 314 Spock, Sunt förnunft (1957), S. 38 (Hervorh. im Org.). 315 Ebd., S. 38. 316 Ebd., S. 39. 317 Vgl. Simsarian/McLendon, Feeding Behavior (1942); dies., Further Records (1945).

Schwedische Säuglingspflege im folkhem (1930er –1950er Jahre)  |

Kind und vice versa.“ 318 Wenn eine Mutter selbst unregelmäßige Gewohnheiten habe, könne sie auch das Kind unregelmäßig füttern – dies schade weder dem Kind noch der Mutter.319 Während in den Jahrzehnten zuvor die Autorität des medizinischen Wissens und die Kinderärzte den Maßstab vorgaben, wurde die Ernährung nun als egalitäre Aushandlung zwischen Säuglingen und Eltern präsentiert. Spock sprach den Eltern die größte autonome Handlungsmacht in Bezug auf die Ernährung und Erziehung des Kindes zu.320 Auch bei Spock war das langfristige Erziehungsziel, gut angepasste Menschen hervorzubringen, entgegen der öffentlichen Vorwürfe, seine Erziehungsideale hätten der unangepassten Generation der späten 1960er Jahre Vorschub geleistet. In den USA wurde es ihm zudem negativ ausgelegt, dass er sich in den 1960er Jahren gegen den Vietnamkrieg aussprach.321 Die Historikerin Hardyment legt jedoch eine andere Interpretation von Spocks Erziehungsidealen vor, die sich auch mit den schwedischen Werten der Kompromissfindung und der individualisierten Einpassung in das folkhem deckten: If critics had looked at the ideas conveyed in Baby and Child Care more closely they might have concluded they were antithetical to social and political involvement, rather than conducive to activism. […] The manual’s emphasis on getting along, avoiding confrontation, and pursuing a balanced life could, one might imagine, more easily lead to conformity than to political protest.322

Nicht durch die Anpassung an vorgefertigte Regime, sondern durch die vorsichtige Anpassung der Eltern an die Entwicklungsstufe des Kindes sollte seine Erziehung gelingen. Der Historiker Thomas Etzemüller hat herausgestellt: „In einem System, das auf Kompromißfindung setzte, werden Anpassungen nicht einfach als Notwendigkeit, sondern als Zeichen der Vernunft gesehen für eine undogmatische Wahrnehmung der Welt.“ 323 Die Eltern hatten die Möglichkeit, auf Grundlage der Informationen in den Ratgebern, die „richtige“ Entscheidung zu treffen, die nun als für beide – Eltern und Kind – passende Regel definiert wurde. Regelmäßigkeit blieb also eine wichtige Norm, wobei diese nun zunehmend durch Selbstregulierung und Anpassung an die Bedürfnisse des Kindes hervorgebracht werden sollte. 3 18 Spock, Sunt förnunft (1957), S. 40. 319 Vgl. ebd., S. 40. 320 Vgl. zur Veränderung des „context of choice“ in Spocks Neuauflagen Knaak, Breast-feeding. 321 Vgl. Habe, An dieser Jugend ist Dr. Spock Schuld (1970); Hardyment, Dream Babies, S. 169. 322 Weiss, Mother of Invention, S. 543. 323 Etzemüller, Romantik, S. 113.

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Zwischenfazit

Die 1930er bis 1950er Jahre waren eine Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs in Schweden, die zwischen Veränderung und Bewahrung changierte. In Bezug auf die Säuglingspflege dominierten die Ansichten und Wissensressourcen aus den vorhergehenden Jahrzehnten. Die Kinderärzte behielten ihre Deutungsmacht in der Frage der Säuglingsernährung. Gleichzeitig begannen im Namen der Modernisierung aus Psychologie und Pädagogik kommende Konzepte über kindliche Entwicklung – insbesondere in Bezug auf Kleinkinder – Fuß zu fassen. In den 1950er Jahren hatte sich dann diese zweite Richtung auch auf die Säuglingsernährung und -pflege ausgebreitet und beanspruchte die Deutungshoheit über die Bedürfnisse des Kindes und die daraus resultierende Verantwortung der Mutter. In den 1940er Jahren wurde viel neues Wissen in den Diskurs um Säuglingsernährung eingebracht, aus kinderärztlicher, entwicklungspsychologischer, anthro­pologischer, ernährungsphysiologischer und technischer Sicht. Die Auswirkungen auf die Ernährungsanweisungen machten sich deutlich seit dem Ende der 1940er Jahre bemerkbar. Mütter gingen vermehrt schon während des ersten Jahres arbeiten und es wurden neue Methoden entwickelt, um die Ernäh­ rung des Kindes während dieser Zeit sicherzustellen – mit Muttermilch und mit Ersatzmilch, – aber immer mit der Flasche. In diesem Fall war das strenge Ernäh­rungsschema möglicherweise sogar unumgänglich in der Durchsetzung von Erziehungspraktiken. Zudem ist hier festzuhalten, dass die Ratgeber in dieser Periode eine größere Diversität in ihren Wissensgrundlagen und normativen Rahmensetzungen aufwiesen und jeweils individuelle Akzente setzten. Im Vergleich zu Deutschland lag der Fokus zudem tendenziell stärker auf den Bedürfnissen der Mütter sowie der Individualisierung der kindlichen Ernährung. Der Vater begann langsam, aber sicher, einen Platz in der Erziehung des Kindes einzunehmen, zumindest nach Forderung der RatgeberautorInnen. Ein neues Verständnis vom Kind brachte auch neue Anforderungen an seine Umgebung mit sich, die dem Vater u. a. auch in Kombination mit der Flasche neue Handlungsoptionen ermöglichten. Schließlich zeigt sich an diesen Beispielen der Beginn einer spezifisch schwedischen Ratgeberkommunikation, die deutlich stärker erklärend und argumentierend angelegt ist, verschiedene Ansätze präsentiert und abwägt, als dass sie Fakten und Anweisungen auf autoritäre Art und Weise vermittelt. Es scheint den AutorInnen und HerausgeberInnen ein Anliegen gewesen zu sein, eine möglichst breite Expertise zu präsentieren und den Eltern, die insbesondere seit den 1950er Jahren als mündige DemokratInnen imaginiert wurden, die Wahl zu lassen, welchen (legitimen) Weg der Säuglingspflege und -ernährung sie für ihren individuellen Fall einschlagen wollten.

Demokratisierung der Säuglingsernährung in der frühen Bundesrepublik  |

2.4 Demokratisierung der Säuglingsernährung in der frühen Bundesrepublik Nach der Gründung der Bundesrepublik 1949 wurde von der neuen christdemokratischen Regierung der bewusste Versuch unternommen, sich von der invasiven, rassistisch motivierten Familienpolitik während des Nationalsozialismus auf der einen sowie der sozialistischen Deutschen Demokratischen Republik auf der anderen Seite abzugrenzen. Die Familie stand daher unter besonderem Schutz des Grundgesetzes.324 Die bürgerliche Kleinfamilie der Kaiserzeit wurde als Idealbild für die neue Bundesrepublik entworfen. Von direkten, politisch steuernden Eingriffen in die familiäre Sphäre, die als Kernfamilie aus erwerbsarbeitendem Vater, Hausfrau und Mutter sowie deren gemeinsamen Kindern definiert wurde, sahen die Regierungen offiziell ab.325 Das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern wurde ebenfalls neu festgelegt, nicht dem Staat – wie im Nationalsozialismus und der DDR  –, sondern den Eltern wurde die Autorität über ihre Kinder zugesprochen. Auch dies wurde im Grundgesetz festgeschrieben.326 Neues Erziehungsziel waren demokratische BürgerInnen, die dazu beitragen sollten, die undemokratischen Strukturen des Nationalsozialismus zu durchbrechen und eine neue Gesellschaft hervorzubringen, die aus der Vergangenheit gelernt hatte, aber nicht mehr von ihr bestimmt wurde.327 Obwohl Frauen in diesem Modell den Männern offiziell gleichgestellt waren, förderten sozialpolitische Maßnahmen die Ungleichheit der Geschlechter, indem sie Männer als Familienernährer und Frauen als Ehefrauen und Mütter konstruierten. Aufgrund des sog. Ehegattensplittings in der Besteuerung wurden Familien, die nur einen erwerbstätigen Partner hatten, außerdem steuerlich bevorteilt. In Bezug auf die Rolle der Frau wirkte sich die Systemkonkurrenz zur DDR dahingehend aus, dass nicht wie dort die außerhäusliche Erwerbsarbeit von Frauen gefördert werden sollte. Mutterschaft wurde von Staat und Gesellschaft ebenfalls als generell schützenswert konstruiert, wobei das Stillen als ein expliziter Grund 324 Art. 6 Abs. 1 – 3 des Grundgesetzes vom 23. Mai 1949, zit. nach: Budde, Institution, S. 71. Vgl. auch: Gestrich, Geschichte der Familie, S. 9; Niehuss, Die Familie, S. 212. 325 Vgl. Budde, Institution, S. 76 f.; Dickson, Politics, S. 251; Gerhard, Geschlechter(un)ordnung, S. 202; Gestrich, Geschichte der Familie, S. 9, 50; Kolbe, Elternschaft, S. 46; Lindner, Krise, S. 301; Moeller, Mütter, S. 245 f.; Nave-Herz, Kontinuitäten, S. 61 – 94; Niehuss, Familie; Ostner, Fathers, S. 155; Torstendahl, Women, S. 226. 326 „Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft“, Art. 6 Abs. 1 – 3 des Grundgesetzes vom 23. Mai 1949, zit. nach: Budde, Institution, S. 71. 327 van Rahden, Vati, S. 126 f.; ders., Vaterschaft, S. 143 f.

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für den Mutterschutz von Frauen, die trotzdem arbeiten mussten, gezählt wurde. Aufgrund dieser Politik galt die Adenauer-Ära als die der „goldenen Jahre der Hausfrau“, auch wenn nach dem Zweiten Weltkrieg der Anteil von Frauen in der außerhäuslichen Erwerbsarbeit stetig zunahm.328 Ich werde hier argumentieren, dass die Ratgeber der frühen Bundesrepublik den Konflikt zwischen Kontinuität und Neuorientierung in ihrer Kommunikation von Erziehungs- und Ernährungsidealen widerspiegeln, die paradigmatisch für die ersten zwei Jahrzehnte der Bundesrepublik waren.329 Um dieses Spannungsverhältnis zu untersuchen, werde ich jeweils zwei Ratgeber analysieren, die nach dem Krieg neu aufgelegt wurden, Johanna Haarers Die Mutter und ihr erstes Kind (1958)330 und Eugen Knapps ABC der Säuglingspflege (1948),331 sowie zwei Ratgeber, die ganz neu auf dem bundesdeutschen Buchmarkt waren: Das Elternbuch. Ein Schlüssel zur Kinderwelt des Kinderarztes und Theologen Heinz Graupner von 1955332 und Benjamin Spocks Ratgeber Säuglings- und Kinderpflege 333 von 1957. Spocks Ratgeber ist darüber hinaus interessant, um die Spezifika der deutschen und schwedischen Übersetzungen und damit divergierende Erziehungsideale in beiden Ländern herauszuarbeiten. Die vier Ratgeber lassen sich dabei nicht pauschal in die eine oder andere Kategorie einordnen, sondern es ist jeweils danach zu fragen, welche restaurativen und welche innovativen Ansätze sie vertraten. Dies wird wieder entlang der drei Kategorien AutorInnen/LeserInnen, „context of choice“ und Erziehungsziele untersucht.

328 Budde, Institution, S. 78; vgl. Galtry, Impact, S. 171; Hardach-Pinke, Angst, S. 575; Kolbe, Elternschaft, S. 33, 41, 60 f.; Kuller, Sicherung, S. 210. Zur Figur der Hausfrau siehe auch: Niehuss, Hausfrau. 329 Schmid, Erziehungsratgeber, S. 124. Vgl. Höffer-Mehlmer, Sozialisation, S. 73 f.; Lenz/Scholz, Das idealisierte Kind, S. 272. 330 Zuerst 1951 erschienen, hier wird die unveränderte Auflage von 1958 benutzt: Haarer, Mutter (1958). 331 Knapp, ABC (1948). Früheste Ausgabe, die zu finden war, von 1934, da noch Hippokrates Verlag Stuttgart; letzte Auflage 1969, Paracelsus Verlag. Vgl. Lenz/Scholz, Das idealisierte Kind, S. 272. 332 Graupner, Elternbuch (1955). Mehr Informationen zu Graupner: Schmid, Erziehungsratgeber, S. 104. 333 Wie in Schweden machte sich der Einfluss der USA in vielen Bereichen der Gesellschaft im Allgemeinen, aber auch innerhalb der Ratgeberliteratur zunehmend bemerkbar, was an der ersten Aufl. von Spock, Säuglings- und Kinderpflege (übers. Cordula Bölling-Moritz) (2. Aufl. 1957) zu sehen ist; vgl. Höffer-Mehlmer, Sozialisation, S. 74; van Rahden, Demokratie, S. 174.

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2.4.1 Wandel der AutorInnen- und LeserInnenpositionen

Haarers und Knapps Ratgeber sind beides Beispiele für die großen personellen Kontinuitäten, sowohl in zentralen politischen wie auch medizinischen und kulturellen Positionen, der frühen Bundesrepublik.334 Knapps Ratgeber war 1934 zum ersten Mal veröffentlicht worden und entwickelte sich ähnlich wie Johanna Haarers Buch zu einem Longseller, der 1969 letztmalig herausgegeben wurde. Die im Nationalsozialismus abgefassten Versionen waren ideologisch gefärbt und die Anweisungen ähnelten denen Haarers und anderer NS -Ratgeber.335 Knapp wählte einen ungewöhnlichen Einstieg in seinen Ratgeber, indem er auf den bisherigen Erfolg desselben verwies, ohne näher auf den Entstehungskontext einzugehen: „Mehr als 3 Millionen Mütter haben es schon gelesen und, wie ich aus unzähligen Zuschriften weiß, Nutzen daraus gezogen.“ 336 Bezug auf die Änderungen und die Tilgung nationalsozialistischer Rhetorik nahm er nicht, sondern stellte eine Kontinuität und Legitimität für seine Ratgeberposition her, die sich aus den positiven Rückmeldungen auf seine Anweisungen ergeben hatte. Er inszenierte sich zudem als erfahrener Kinderarzt, der 35 Jahre lang in der Fachpraxis gearbeitet hatte. Knapps Ziel war es, das dort gewonnene Wissen möglichst leicht verständlich darzustellen und „[a]lles Überflüssige, alles nicht genügend Erprobte und alle Neuerungen und Anschauungen von nicht absolut sicherem Werte“ wegzulassen.337 Dieses Ansinnen prägte die Darstellung der Erziehungs- und Ernährungsregeln, die ohne differenzierende Einordnung in größere Forschungszusammenhänge geschahen und in einem paternalistisch-autoritären Ton abgefasst waren. Haarer nahm im Gegensatz zu Knapp keinen Bezug auf den vorherigen Erfolg ihres Ratgebers.338 Auffällig ist der Wegfall des Adjektivs „deutsch“ im Titel. Die Anfangspassage „An die deutsche Mutter“ wurde durch ein einseitiges Vorwort 334 Vgl. Dill, Nationalsozialistische Säuglingspflege, hier S. 39; Höffer-Mehlmer, Sozialisation, S. 76; Schildt/Siegfried, Kulturgeschichte, S. 47. 335 Vgl. Höffer-Mehlmer, Erziehungsratgeber, S. 231; Peters, Nanna Conti (1881 – 1951), S. 204. Über Eugen Knapp und sein Werk ist relativ wenig bekannt. Das Vorwort der ersten Auflage von 1934 war etwa von Eugen Stähle verfasst worden, der als Mediziner und Politiker maßgeblich an der Durchführung der „T4-Aktion“ beteiligt war, vgl. Klee, „Euthanasie“ im NS -Staat, S. 89 f. 336 Knapp, ABC (1948), S. 5. 337 Ebd., S. 5. 338 Nach dem Ende des Krieges verbrachte sie ungefähr ein Jahr in alliierten Internierungslagern. Zumindest oberflächlich war Haarer danach „entnazifiziert“ worden, wenn auch Haarers Tochter in einem Interview äußerte, ihre Mutter habe die Meinung über den Nationalsozialismus nie revidiert, vgl. Gebhardt, Haarer meets Spock, S. 100; Schildt/Siegfried, Kulturgeschichte, S. 47; Schmid, Erziehungsratgeber, S. 93.

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ersetzt, in dem Haarer die Mutter auf ihre kommenden Aufgaben einstimmte. Die pathetische Überhöhung der Mutterrolle fand sich in der Neuauflage weiterhin, aber auch die vielen praktischen Anweisungen, die ein gewisses Verständnis für die Situation junger Mütter zeigen, waren erneut vertreten.339 Ihre eigene Position als Ärztin und Mutter thematisierte sie hingegen nicht. Es ist durchaus möglich, dass dies auch nicht nötig war, da Haarers Ratgeber und ihr Name sehr bekannt waren. Sie konnte an den Erfolg des NS -Ratgebers fast nahtlos anschließen. Das Buch verkaufte sich erneut millionenfach und wurde erst 1987 zum letzten Mal aufgelegt.340 Die beiden genuin neuen Ratgeber von Spock und Graupner weisen einige Ähnlichkeiten auf. Ungewöhnlicher Weise stellten sich beide Autoren nicht ­näher vor und legitimierten ihre Position als Ratgeber weder über ihre fachliche Expertise noch ihre Erfahrung als Väter. In der deutschen Ausgabe von Spocks Ratgeber gab es zudem keine Einleitung eines deutschen Fachkollegen, der ihn dem deutschen Lesepublikum vorstellte. Der Klappentext des Ratgebers verließ sich vielmehr auf den internationalen Bekanntheitsgrad von Spock, der sogar schon einen „Spitznamen“ erlangt hatte: „‚Der Spock‘ – in der ganzen Welt der meistgefragte Ratgeber zu allen Problemen der Säuglings- und Kinderpflege – wird auch Ihnen und Ihren Kindern helfen.“ 341 So konnten sich deutsche Mütter als Teil einer globalen neuen Generation verstehen, die amerikanische und damit als modern und demokratisch kodierte Säuglingspflege lernen konnte. Graupner und Spock vereinte zudem der psychoanalytische Erziehungsansatz. Beide machten ihren Bezug zur Psychoanalyse aber nicht explizit.342 Auf dem Klappentext, der den Ratgeber als „berühmtes Standardwerk“ anpries, wurde Spocks psychoanalytische Ausbildung nicht erwähnt. Es gab lediglich eine Andeu­tung, dass auch Wissen an Mütter vermittelt werde über ihr Kind, wie sie „die psychologische Deutung seiner Reaktionen“ interpretieren lernen könnten.343 Diese Auslassung lässt sich u. a. mit der verspäteten Rezeption psychoanalytischen W ­ issens 339 Vgl. Haarer, Mutter, S. 5. Vgl. Höffer-Mehlmer, Erziehungsratgeber, S. 233. Anders als Karl Lenz und Sylka Scholz es in ihrem Artikel darstellen, hatte es durchaus auch inhaltlich Änderungen in der Neuauflage gegeben, vgl. Lenz/Scholz, Das idealisierte Kind, S. 272. Insgesamt ist die Rezeption und Bewertung von Haarers Ratgeber, sowohl für die Ausgaben vor dem Zweiten Weltkrieg als auch für diejenigen danach, teilweise zu wenig reflektiert. 340 Vgl. Höffer-Mehlmer, Erziehungsratgeber, S. 233. Werbung für Haarers Ratgeber gab es u. a. in den Katalogen von Neckermann, Frühling–Sommer, Katalog 156 (1959); Neckermann, Frühling–Sommer Katalog (1970). 341 Klappentext, Spock, Säuglings- und Kinderpflege (1957). 342 Vgl. Schmid, Erziehungsratgeber, S. 105; Scholz, Liebe, S. 328. 343 Klappentext, Spock, Säuglings- und Kinderpflege (1957).

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in der Bundesrepublik erklären. Während in Schweden Referenzfiguren wie G ­ esell und das Ehepaar Anderson/Aldrich seit den 1940er Jahren bekannt waren, wirkte die Diskreditierung von PsychoanalytikerInnen und ihrem als „entartet“ diffamierten Wissen in die ersten Jahre der Bundesrepublik hinein.344 Erst in den späten 1960er Jahren wurde psychoanalytisches und entwicklungspsychologisches Wissen im Diskurs um Erziehung wieder wirkmächtig. Mitverantwortlich für die Popularisierung psychoanalytischer Erklärungsmuster war die Zeitschrift Eltern, die auch Spocks Ratgeber einen Bekanntheitsschub verlieh.345 Der psychoanalytische Einfluss prägte die Ratgeber von Graupner und Spock jedoch deutlich und sie stellten das Verhältnis von Eltern und Kind sowie Verantwortung und Aufgaben der Eltern ihrem Kind gegenüber ganz neu dar. Spock übergab die Expertise für das Kind den Eltern, die bedenken sollten, „daß sie Ihr Kind ja besser kennen als ich“.346 Das „absolute Verständnis für das einzelne Kind“ 347 sollte daher handlungsleitend sein für die Pflege und Erziehung. Er appellierte an das Selbstvertrauen und die „instinktive Liebe“ der Eltern. Nur sie selbst wüssten, was am besten für ihr Kind sei.348 In Graupners Vorwort stand ebenfalls das Verständnis für das einzelne Kind im Mittelpunkt. Als Erziehungsziel gab er aus, „glückliche Menschen für eine glücklichere Welt zu entwickeln“, was nur gelingen könne, wenn die Eltern ihr Kind „in allen körperlichen und seelischen Eigenheiten verstehen lernen“.349 Beide Autoren übertrugen den Eltern, zumindest in den einleitenden Worten, die Aufgabe, sich auf ihr Kind einzulassen und dessen Eigenheiten anzunehmen. Sie riefen damit eine neue Norm auf, die das Kind und seine agency in den Mittelpunkt der Erziehung stellte. Bei Graupner ergab sich die Kinderzentrierung seines Ratgebers direkt aus den Erfahrungen des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkrieges. Seine Erklärung setzt dabei an den Diagnosen Bertram Schaffners und Helmut Schelskys an, wenn er die Entgrenzungen des Nationalsozialismus und Zweiten Weltkrieges als Folge des autoritativen Erziehungsstils in Kaiserreich und Nationalsozialismus und die Familie als Rückzugsraum konstruierte:350 344 Vgl. 1.3.4. und 1.4.4; Gebhardt, Angst, S. 178; Höffer-Mehlmer, Elternratgeber, S. 235; Schmid, Elternratgeber, S. 127. 345 Vgl. Gebhardt, Angst, S. 180; dies., Haarer, S. 99; Lenz/Scholz, Das idealisierte Kind, S. 272. 346 Spock, Säuglingspflege (1957), S. 7. 347 Ebd., S. 7. 348 Vgl. ebd., S. 9; siehe auch: Gebhardt, Haarer meets Spock, S. 100; Schütze, Gute Mutter, S. 86 – 89. 349 Graupner, Elternbuch (1955), S. 11. 350 Vgl. Schelsky, Wandlungen der deutschen Familie (1953); Neumaier, Familie, S. 90, 297; Schütze, Veränderungen (1988), S. 96. Näher zu Helmut Schelsky vgl. Klein, Helmut Schelsky.

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Daß die Welt in den vergangenen Jahrzehnten aus den Fugen geraten ist, daß Dinge geschehen sind und noch geschehen, die nicht des Menschen würdig sind, findet seine Deutung, neben anderem, auch in dem falschen Erziehungsideal der Deutschen. Wir sind aufgewachsen in der Atmosphäre von Zucht, Ordnung und Autoritätsglauben, wir sahen im Gehorsam den entscheidenden Prüfstein für den Erzieher.351

Graupner forderte ein generelles Umdenken in der Erziehung. Sein Erziehungsziel war, „aus einem Kind einen selbständig denkenden, frei entscheidenden Menschen zu entwickeln“.352 Er schrieb sich somit in den neuen demokratischen (Dis)Kurs der frühen Bundesrepublik ein. Knapp nahm ebenfalls Bezug auf die besondere Situation der Nachkriegszeit, interpretierte sie aber deutlich anders als Graupner. In Anlehnung an die Vorkriegs- und nationalsozialistische Rhetorik erklärte er: In dieser trostlosen Zeit wird uns nur die Hoffnung auf die Zukunft aufrecht erhalten können. Die Zukunft aber gehört dem Kinde, das uns auch heute immer wieder geschenkt wird. / Dieses Kind soll nun gehegt und gepflegt werden, daß es in voller Gesundheit und Kraft heranwachse, in eine Zeit hinein, die in Freiheit und in friedvoller Arbeit unser schwer geprüftes Volk am Aufbau Europas teilnehmen läßt.353

Mit seiner Bezeichnung der Deutschen als „schwer geprüftes Volk“ bediente Knapp den Viktimisierungsdiskurs Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg.354 Anstatt sich auf die Zeit vor dem Krieg zu konzentrieren, wandte er den Blick in die Zukunft, die nun nicht mehr zuvorderst deutsch, sondern europäisch geframt wurde. Die Prämissen blieben jedoch die gleichen wie vor dem Krieg. Graupner und Knapp stellten mit ihrer Thematisierung des Krieges eine Ausnahme in der Ratgeberkommunikation der Nachkriegszeit dar. Denn obwohl der Zweite Weltkrieg eine solch zentrale Zäsur der deutschen Geschichte darstellte, wurde er selten angesprochen, wie Markus Höffer-Mehlmer in seiner Gesamtschau deutscher Ratgeberliteratur herausgearbeitet hat.355 So stellte auch Haarer zwar einen Bezug zur Nachkriegssituation her, jedoch nicht zum vorausgegangenen Krieg. Das Stillen sei, insbesondere in „Notzeiten“, wichtiger denn je, denn es könne vor Krankheiten schützen. Auch wenn die Mutter, „die Not und Mühsal am eigenen Leib zu spüren bekommt“, sollte sie sich darauf besinnen: „Das wichtigste 351 Graupner, Elternbuch (1955), S. 11. 352 Ebd., S. 11. 353 Knapp, ABC (1948), S. 3. 354 Vgl. Moeller, Mütter, S. 31 f.; Schildt/Siegfried, Kulturgeschichte, S. 21, 63 f. 355 Vgl. Höffer-Mehlmer, Elternratgeber, S. 233 f.; Schmid, Erziehungsratgeber, S. 104.

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ist es jetzt, dem Kinde die natürliche Ernährung an der Brust zu erhalten, trotz allem.“ 356 Diese Situation verlange der Mutter eine noch größere Bereitschaft dazu ab, sich für ihr Kind einzusetzen. In Bezug auf die Leserschaft finden sich sowohl Kontinuitäten als auch Veränderungen gegenüber der Ratgeberliteratur während des Nationalsozialismus. Bis auf Haarers Ratgeber, der sich ausschließlich an die Mutter wandte und den Vater praktisch nicht erwähnte,357 richteten alle anderen Ratgeber das Wort an beide Elternteile.358 Knapp tat dies allerdings nur im Vorwort: Im Kontext des Weltkrieges, der die Bedeutung des Kindes noch einmal erhöht habe, könne die Aufgabe der Kindererziehung nicht mehr allein der Mutter angetragen werden. Welche Rolle der Vater genau einnehmen sollte – die Handlungsanleitungen waren nur an die Mutter gerichtet – wurde jedoch nicht klar. Er wurde eher als moralische Instanz, denn als praktischer Teil der Säuglingspflege figuriert.359 Bei Graupner verweist schon der Titel seines Elternbuches darauf, dass es sowohl Mutter als auch Vater ansprechen wollte. Seine praktischen Anweisungen zeigen jedoch die gleiche Fokussierung auf die Mutter wie die vorherigen beiden Ratgeber. Die Mutter wurde bei ihm zu einer ratbedürftigen, nervösen und überengagierten Person stilisiert, die mit Hilfe seiner Ratschläge beruhigt und an ihre Aufgabe herangeführt werden sollte.360 Spock schloss ebenfalls beide Elternteile als Adressaten in seinen Ratgeber ein. Dem Vater widmete er ein eigenes Kapitel, der Mutter hingegen nicht, denn an sie richtete sich implizit der Großteil der praktischen Anleitungen und Hilfestellung. In Bezug auf die Vaterrolle variieren die Übersetzungen zwischen Deutschland und Schweden. Die deutsche Übersetzung zeichnete, durch kleine Ergänzungen und Akzentuierungen, das Bild eines passiven und missgelaunten Vaters, der erst von seiner Rolle überzeugt werden musste.361 Während er sich in Schweden, sobald das Baby nach Haus kam, lediglich „weniger bedeutsam als vorher und deshalb außen vor fühlt“,362 hieß es in der deutschen Version: „[A]ber man kann es verstehen, daß 356 Haarer, Mutter (1958), S. 93. 357 Der Vater tauchte nur an einer Stelle auf, wenn sie über die Entwicklungsstufen des Kindes sprach. Wenn das Kind älter wurde, nähme es seine Umgebung aufmerksamer wahr: „Es lacht und jauchzt ihr entgegen. Es horcht auf herannahende Schritte und sieht nach der Tür. Bald weiß es auch, wer der Mann ist, der immer mittags oder abends nach Hause kommt, und es begrüßt den Vater auf seine Weise.“ Haarer, Mutter, S. 214. 358 Für eine ausführliche Analyse verschiedener Väterratgeber, die seit den frühen 1960er Jahren auf den deutschen Markt kamen, vgl. van Rahden, Demokratie; ders., Vati; ders., Vaterschaft. 359 Knapp, ABC (1948), S. 3. 360 Vgl. Graupner, Elternbuch (1955), S. 19, 22, 80 f.; Schmid, Elternratgeber, S. 120. 361 McInnis, Dr. Benjamin Spock’s Baby and Child Care, S. 10. 362 Spock, Sunf förnunft (1957), S. 19: „men han känner sig mindre betydelsefull än vanligt och därför utanför“.

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er sich ziemlich unwichtig und deplaciert vorkommt und deshalb mißgestimmt ist.“ 363 Die folgenden Unterkapitel deuten schon aufgrund ihrer variierenden Überschriften auf differierende Vaterbilder hin: „Die Aufgabe des Vaters ist aber doch wichtig“ 364 in Deutschland entwarf einen skeptischen, ausgegrenzten Vater, der erst von seiner Bedeutung überzeugt werden musste, während es in Schweden Vorschläge dafür gab: „Was der Vater während der ersten Wochen zu Hause m ­ achen kann.“  365 Hier musste keine weitere Überzeugungsarbeit geleistet werden, der Vater sollte schlicht mithelfen. Trotz der unterschiedlichen Akzentsetzungen in Deutschland und Schweden wurde der Vater in beiden Übersetzungen lediglich als Unterstützer der Mutter konstruiert und stellte damit keine Ausnahme im Ratgeberdiskurs der 1950er Jahre dar.366 Neu an Spocks Ratgeber ist seine Ansprache der Großeltern. In früheren Ratgebern sowie bei Graupner, Haarer und Knapp waren deren Ratschläge in der Säuglings- und Kinderpflege unerwünscht. Graupner warnte, es habe sich viel verändert in den letzten 30 Jahren und die Erinnerung könne zudem getrübt sein.367 Spock ermuntert hingegen dazu, die Großeltern einzubeziehen und forderte sogar auf, nach ihrem Rat zu fragen. Eine besondere Nähe herrsche zwischen der jungen Mutter und ihrer eigenen Mutter. Die Großmutter solle ihre Tochter dabei vor allem in deren eigenen Entscheidungen bestärken, anstatt eine „Manager-Großmutter“ zu sein.368 Dabei ging er zwar durchaus auf Spannungen ein, bestärkte aber die Position der Großeltern auf ganz neue Weise. Nach 1945 hatte sich eine Art Standardform der Wissensaufbereitung ergeben, die anschauliche, einfach gehaltene Erklärungen und Illustrationen und Fotos nutzte, um Anleitungen zum Wiegen oder die richtige Haltung des Kindes beim Füttern darzustellen. In der Aufbereitung der Anweisungen unterschieden sich die Medien jetzt deutlich weniger. Alle Ratgeber waren klar gegliedert und mit abgesetzten Überschriften oder zusammenfassenden Regeln versehen, so dass die Eltern sich leicht im Text orientieren konnten. Diese Elemente der früheren Ratgeber, die als besonders wichtig für ungebildete Mütter galten, waren nun fast überall zu finden, während rein textbasierte Ratgeber seltener wurden. Lediglich Graupner verzichtete auf Illustrationen. Er bediente sich stattdessen einer außerordentlich bildlichen Sprache und berief sich auf bürgerliche Referenzfiguren aus 363 Spock, Säuglingspflege (1957), S. 23. 364 Ebd., S. 23. 365 Spock, Sunf förnunft (1957), S. 19. 366 Vgl. van Rahden, Vaterschaft, S. 155. 367 Graupner, Elternratgeber (1955), S. 25 f. 368 Vgl. Spock, Säuglingspflege (1957), S. 27.

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der Zeit vor dem Nationalsozialismus, wie die Pazifistin Bertha von Suttner und den Schweizer Dichter Gottfried Keller.369 Das Kind verglich er, in Anlehnung an den romantischen Kindheitsentwurf, immer wieder mit einer jungen Pflanze. Die Eltern erklärte er entsprechend zu Gärtnern, die den kindlichen „Sprößling“ liebevoll hegen und pflegen sollten.370 Diese Metaphorik nutzte er u. a., um komplexe Konzepte, wie z. B. „maternal overprotection“ anschaulich zu machen: „Zuviel Sonne kann einer zarten Pflanze schaden. Wenn Kinder die Mutter­liebe so notwendig brauchen wie die Blume das Sonnenlicht, so kann auch die übersteigerte, mißgeleitete oder mißverstandene Mutterliebe eine große Gefahr b­ edeuten.“ 371 Über die Naturmetaphorik machte er klar, dass zu viel Mutterliebe negative Konsequenzen haben könne. Sowohl die Positionierung der AutorInnen als auch der LeserInnen stellte sich diverser dar als in der ersten Jahrhunderthälfte. Die AutorInnen präsentierten sich weniger autoritär und stellten ihre Legitimation als WissenschaftlerInnen und PraktikerInnen nicht mehr so stark in den Mittelpunkt wie zuvor. Die Rolle der Eltern wurde zumindest bei Spock und Graupner als liebevoller und bei Spock sogar als weniger an Regeln gebunden dargestellt. Dabei war der Vater erstmalig von Bedeutung, allerdings nur – wie zu diesem Zeitpunkt auch in Schweden üblich – als Unterstützer der Mutter. 2.4.2 Ambivalente Annäherungen an die industrielle Flaschennahrung

Die deutsche Forschung an Flaschennahrung war während des gesamten Nationalsozialismus und sogar bis in die Kriegsjahre hinein weitergeführt worden. Die Einführung von humanisierter Säuglingsnahrung seit Beginn der 1950er Jahre führte dazu, dass die industrielle Flaschennahrung langsam größere Anerkennung unter Kinderärzten fand, auch weil die Sterblichkeitszahlen gesunken waren. Durch den Aufschwung des „Wirtschaftswunders“ hatten außerdem erstmals breitere Gesellschaftsschichten die Möglichkeit, das expandierende Angebot an Konsumgütern zu nutzen. Neue, größere Wohnräume sowie das Aufkommen der Selbstbedienungsläden veränderten zudem das gesamte Umfeld, in dem die Flaschennahrung wirksam war (vgl. 1.4.1 – 2). Wie nahmen die Ratgeber diese Veränderungen auf ? 369 Graupner, Elternbuch (1955), S. 222. 370 Ebd., S. 22; 79 f., S. 222. Vgl. Baader, Der romantische Kindheitsmythos; Lenz/Scholz, Das idealisierte Kind, S. 273. 371 Graupner, Elternbuch (1955), S. 22 f.

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Die Flaschennahrung hatte bei allen vier AutorInnen an Brisanz verloren. So meinte Spock: Das „Stillen ist zwar ein Weg, aber wenn es nun gar nicht möglich ist, dann braucht eine Mutter deshalb keine Komplexe zu haben und zu denken, sie schadete ihrem Kinde.“ 372 Außerdem sei die Flaschenernährung „weder schwierig noch geheimnisvoll“.373 Auch Haarer zeigte sich optimistisch, weil es „große Fortschritte“ in der Flaschenernährung gebe.374 Alle AutorInnen besprachen die Säure­ milch dabei als eine der Optionen oder die beste Option der Flaschennahrung, was die Dominanz dieser Milchzubereitungsform in Deutschland bis Ende der 1950er Jahre zeigt. Erst danach stellten die meisten Hersteller auf „humanisierte“ Formeln um, die dann zum neuen Standard wurden. Bei Graupner ist die Einordnung der Säuremilch besonders interessant. Er nannte sie einen „holländische[n] Volksbrauch“ und ordnete sie so eher dem volkstümlichen Erfahrungswissen als dem wissenschaftlichen Expertenwissen zu.375 Die bessere Verdaulichkeit von Säure­ milch durch die feine Ausflockung oder „Vorverdauung“ der Milch mit Hilfe der Säure wurde aber auch bei ihm sowie den anderen AutorInnen als Begrün­dung für den Säurezusatz vermittelt.376 Haarer meinte, darüber hinaus habe die gesäuerte Milch viele Vorteile gegenüber anderen Milchmischungen. Sie sei leichter verdaulich, weniger leicht verderblich, führe zu einer niedrigeren Rachitisrate und sei gut bekömmlich bei Ernährungsproblemen. Citretten und Alete benannte sie als hilfreiche Produkte zur Herstellung der Säuremilch.377 Milch selbst herzustellen, wurde dennoch von allen AutorInnen weiterhin als valide Option dargestellt – ob mit oder ohne Zuhilfenahme industrieller Produkte wie Citretten oder Kindermehlen. Spock besprach die verschiedenen Alternativen am ausführlichsten, aber auch Haarer und Knapp zeigten verschiedene Möglichkeiten auf. Graupner beschränkte sich als einziger komplett auf die Säuremilch.378 Alle industriell hergestellten Produkte subsumierte Spock unter dem Begriff „Pulvermilch“, obwohl sie aus medizinisch-ernährungsphysiolo­gischer Sicht sehr unterschiedliche Funktionen hatten. Der größte Nachteil dieser Produkte liege in ihrem Preis, genau wie es auch in der schwedischen Ausgabe hieß. Sie konnten außerdem nur in Apotheken, Drogerien oder Reformhäusern ­gekauft werden, weswegen

3 72 Spock, Säuglingspflege (1957), S. 55 f. 373 Ebd., S. 76. 374 Ebd., S. 55 f. 375 Graupner, Elternbuch (1955), S. 118 f. 376 Vgl. Graupner, Elternbuch (1955), S. 119; Haarer, Mutter (1958), S. 157; Knapp, ABC (1948), S. 15. 377 Gholamiasllari, Geschichte (1975), S. 33 f. 378 Vgl. Haarer, Mutter, S. 155 f.; Knapp, ABC (1948), S. 15 ff.

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Spock sie nur in besonderen Fällen, wie etwa auf Reisen, ­empfahl.379 Praktisch sei, dass sie alle wichtigen Nährstoffe bereits enthielten und die Zubereitung jeweils auf der Packung nachgelesen werden könne. Wie in Schweden machte er keine Angaben zur Zubereitung dieser Produkte, sondern verwies auf deren Packungsangaben. Damit stellte er in der deutschen Ratgeberlandschaft eine Ausnahme dar. Die Flaschennahrung wurde dennoch in allen Ratgebern als komplizierter und aufwendiger dargestellt als die Ernährung an der Brust. Alle AutorInnen betonten, die Flaschennahrung müsse mit großer Sorgfalt zubereitet werden.380 Das Füttern mit der Flasche sollte zudem der Situation an der Brust möglichst ähnlich gestaltet werden. Haarer riet dazu, das Kind im Arm zu halten, während es gefüttert wurde.381 Unbedingt vermieden werden solle die Überfütterung des Säuglings, auch hier waren sich alle AutorInnen einig. Überernährung, im Gegensatz zur Unterernährung, beschrieb Haarer als schwieriger für die Mutter zu erkennen, weil das Kind anfangs aussähe wie ein „sog. ‚Prachtkind‘“ und von Unkundigen sogar bewundert werde. Dem fachmännischen Auge werde jedoch schnell der Nährschaden klar, der nur noch von einem erfahrenen Arzt behandelt werden könne.382 Graupner warnte ebenfalls vor „Renommierkindern“, die völlig überfüttert waren,383 und mahnte: „Die elterliche Liebe soll nicht auf jeden Fall den Weg über den Magen des Kindes suchen.“ 384 Haarer meinte zudem, Flaschenkinder seien „gewöhnlich gefräßiger als Brustkinder“. Durch das daraus resultierende Schreien fühlten sich viele Mütter genötigt, ein weiteres Fläschchen zuzubereiten. Mütter, die so vorgingen, stellte Haarer als naiv dar, weil sie auf die Versprechen der Werbung von Nahrungsmittelherstellern vertrauten. Sie vertrat der industriellen Flaschennahrung gegenüber eine skeptischere Haltung als Spock, aber eine deutlich positivere als vor dem Ende des Krieges. Trotz dieser Fortschritte der Flaschennahrung wurde das Stillen in den Ratgebern durchweg als bessere Ernährungsart besprochen.385 Keiner der anderen Autoren ging dabei so weit wie Haarer: „Es gibt ein Sprichwort, daß gegen den Tod kein Kraut gewachsen ist. Aber gegen den Tod der kleinen und kleinsten Kinder gibt es ein wunderbares Mittel: Die Milch aus der mütterlichen Brust.“ 386 Im Gegensatz zur NS -Ausgabe führte sie den Zusammenhang zwischen ­Flaschennahrung und 379 Spock, Säuglingspflege (1957), S. 77 f. 380 Vgl. Knapp, ABC (1948), S. 44; Spock, Säuglingspflege (1957), S. 55 f. 381 Haarer, Mutter (1958), S. 163. 382 Ebd., S. 170. 383 Graupner, Elternbuch (1955), S. 109 f. 384 Ebd., S. 112. 385 Vgl. ebd., S. 117. 386 Haarer, Mutter (1958), S. 92.

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Tod jedoch nicht weiter aus, nannte keine Statistiken und besprach auch nicht die bevölkerungs- oder gar rassenpolitische Dimension von Säuglingssterblichkeit. Die Überlegenheit der Muttermilch stellte sie in der Neuauflage stärker erfahrungsund wissenschaftsbezogen her als moralisch.387 Durch die sinkende Säuglingssterblichkeit und den nach dem Krieg beginnenden „Babyboom“ waren bevölkerungspolitische Argumentationen weniger wirkmächtig. Damit nahm auch die Bezeichnung des Stillens als „Pflicht“ der Mutter ab. Die Verpflichtung zum Stillen hatte sich aus der Bedeutung für das Bevölkerungswachstum ergeben. Dieser nationalistische Diskurs wurde nach dem Zweiten Weltkrieg seltener aufgerufen. Knapp, der als einziger in diesem Zeitraum einen bevölkerungspolitischen Referenzrahmen aufwies, war auch der einzige, der das Stillen dezidiert zur „Pflicht“ der Mutter erklärte.388 Muttermilch musste nun auf andere Weise als überlegen dargestellt werden. Graupners Kategorisierung der Muttermilch als „keimfrei, körperwarm, harmonisch“ 389 ist paradigmatisch für dieses Anliegen. Als besonders wichtig, wie auch in der ersten Jahrhunderthälfte, hob er die Zusammensetzung der Muttermilch hervor, die trotz der Fortschritte nicht nachgebildet werden könne. Eben weil die Muttermilch so viele objektivierbare Vorteile hatte, mahnte Graupner: „Wenn also eine Mutter ohne Zwang auf das Stillen verzichtet, entzieht sie verantwortungslos ihrem Kind gewichtige Vorteile.“ 390 Alle AutorInnen machten die Flaschennahrung für eine größere Anfälligkeit für Krankheiten verantwortlich. Haarer, Graupner und Spock verwiesen außerdem auf die neuen Erkenntnisse, dass Muttermilchernährung größeren Schutz vor Infektionen bieten könne.391 Dieses Wissen war nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Deutschland und Schweden als Vorzug der Muttermilch kanonisiert worden. Zudem wurde die emotionale Dimension des Stillens wichtiger. Wie schon Czerny zu Beginn des Jahrhunderts ging Spock nicht davon aus, dass sich direkt bei der Geburt Muttergefühle entwickelten. Spock versicherte aber: „Beim Stillen aber wächst eine junge Frau ganz unwillkürlich in ihre Rolle als Mutter hinein, und das ist das beste, was ihr und dem Kind passieren kann.“ 392 In die gleiche Richtung argumentierte auch Knapp, jedoch unter Anruf anderer Kategorien: Nur eine Mutter, die ihre Stillpflicht erfülle, könne eine „bleibende enge Verbindung mit 3 87 Haarer, Deutsche Mutter (1939), S. 115. 388 Knapp, ABC (1948), S. 10. 389 Vgl. Graupner, Elternbuch (1955), S. 115 – 117. 390 Ebd., S. 117. 391 Vgl. ebd., S. 115; Haarer, Mutter (1958), S. 154; Knapp, ABC (1948), S. 44; Spock, Säuglingspflege (1957), S. 53. 392 Spock, Säuglingspflege (1957), S. 53.

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dem vom Körper gelösten Kinde“ schaffen.393 Bei Haarer stellte sich die Kausalkette wieder anders dar. Sie nahm an, dass es der Mutter ein „Herzensbedürfnis“ sei, ihr Kind zu stillen. Schon mit der Geburt habe sich ein emotionales Band geknüpft. Nach der Geburt sei es „schön, daß die enge körperliche Verbindung zwischen ihr und dem Kinde noch nicht völlig gelöst ist, sondern daß sie fortbesteht durch die natürliche Ernährung des Kindes an ihrer Brust“.394 Die Flasche wirkte als Störfaktor nicht nur in der körperlichen, sondern auch der emotionalen Entwicklung des Kindes, die auch in Deutschland immer wichtiger wurde.395 Obwohl alle Ratgeber Stillen als natürlichen Prozess darstellten, nahmen Stillprobleme viel Raum in der Diskussion um die Ernährung ein, wobei sowohl bekannte als auch neue Erklärungen dafür herangezogen wurden. Die Flasche als Störfaktor findet sich hier gleichermaßen wie zu Beginn des Jahrhunderts. Auch die Kausalkette blieb die gleiche: Das leichtere Saugen an der Flasche führe dazu, dass das Kind diese der Brust vorzog. Bestenfalls solle daher gar nicht erst mit der Flasche begonnen werden. Spock warnte, man solle sie nicht „als Rettungsring im Hintergrund halten“.396 Wenn eine Mutter sie aber doch brauche, müsse das Saugerloch so präpariert werden, dass es den Vorgang an der Brust imitierte.397 Ein neuer Erklärungszusammenhang für Stillprobleme war die emotionale Verfassung der Mutter. Spock meinte, zu große Nervosität der Mutter könne „die Milchabsonderung beeinflussen, wenn nicht sogar ganz verhindern“.398 Auch bei Haarer findet sich die Annahme, die Milchproduktion hinge „von nervösen Einflüssen, und damit also letzten Endes vom Nervensystem und dem seelischen Zustand der Mutter“ ab.399 Als positives Gegenbeispiel nannte sie Frauen, die wenig berührt von der Zivilisation lebten. Sie könnten ihre Kinder jahrelang stillen. Haarer beklagt: „Für die Frauen der Kulturvölker gilt dies leider nicht mehr.“ 400 Neben dem kindlichen Körper wurde so auch der Körper der Mutter psychosomatisiert. Sie musste ihr Gefühlsleben kontrollieren, um ihr Kind stillen zu können. Dieser Diskurs war in den USA bereits vor den 1950er Jahren sehr prominent und hatte nun auch seinen Weg nach Europa gefunden.401 3 93 Knapp, ABC (1948), S. 11. 394 Haarer, Mutter (1958), S. 90. 395 Schütze, Gute Mutter, S. 88. 396 Spock, Säuglingspflege (1957), S. 63. 397 Vgl. Graupner, Elternbuch (1955), S. 117; Haarer, Mutter (1958), S. 162 f.; Spock, Säuglingspflege (1957), S. 63, 84. 398 Spock, Säuglingspflege (1957), S. 63. 399 Haarer, Mutter (1958), S. 106. 4 00 Ebd., S. 106. 4 01 In den USA drehte sich der Diskurs allerdings vor allem um die Qualität der Milch. Vgl. Apple, Mothers, S. 6 f., 56, 73; Limper, Verantwortung für Körper, Kind, Nation.

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Einen weiteren neuen Störfaktor in der Erziehungspraxis brachte Spock ein: „Frauen, die im Krankenhaus entbinden, haben oft Schwierigkeiten mit dem Stillen.“ 402 Der Konnex zwischen Krankenhausgeburt und Stillproblemen wurde seit den 1950er, vermehrt den 1960er Jahren untersucht. In den USA gab es schon Ende der 1940er Jahre erste Versuche, Mutter und Säugling zusammen unterzubringen.403 Laut Spock verordneten Ärzte während der aufregenden Zeit im Krankenhaus häufig zu früh eine zusätzliche Flaschenmahlzeit, die sich dann wiederum negativ auf die Stillfähigkeit auswirken könne. Die Stillunfähigkeit stellt sich hier als komplexer Prozess dar, an dem verschiedene Akteure beteiligt waren: die nervöse Mutter, der übereifrige Krankenhausarzt, die Flasche und der Sauger und zuletzt der Säugling, der mit „Brustscheue“ reagierte. Die „gewohnte und harmonische“ 404 Umgebung des eigenen Hauses reichte da schon aus, das Akteursverhältnis wieder ins Gleichgewicht zu rücken. Graupner nahm einen weiteren Aspekt des wissenschaftlichen Diskurses um Stillprobleme während der 1950er Jahre auf und verknüpfte die Sorge der Eltern mit einer zu großen Abhängigkeit von messbaren Faktoren der Säuglingsentwicklung. Er mahnte: „Man kann das biologische Wesen des Kindes nicht vom Zentimetermaß und der Waage her begreifen. Trotzdem benützen Väter und Mütter beide Maßinstrumente oft mit Inbrunst, als ob es gelänge, allein am Maß und Gewicht das Wohlergehen des Kindes abzulesen.“ 405 Das Kind sollte im ersten Jahr überhaupt nicht von den Eltern gewogen werden, weil dies zu großer Verunsicherung, insbesondere für die Mütter führen könne. Er entwarf erneut das Bild einer aufgeregten Mutter, die mit ihren eigenen Wünschen die Bedürfnisse des Kindes überschritt. Stattdessen erklärte er: „Mindestens neunundneunzig von hundert Kindern entwickeln sich völlig normal. Höchstens ein Kind aus dieser Zahl zeigt Verschiebungen der Norm, und dann meist nur geringfügige.“ 406 Die Eigenheiten des einzelnen Kindes fanden bei ihm und auch bei Spock mehr Raum als in den bisherigen deutschen Ratgebern. Knapps Ratgeber hingegen enthielt eine Wiegetabelle, in der das Gewicht des Kindes jede Woche eingetragen werden sollte. Er forderte die Eltern auf, das Kind zu wiegen und gab ihnen sogar Materialien an die Hand, wie dies bewerkstelligt werden konnte. Haarer dagegen riet ebenfalls dazu, nicht zu häufig zu wiegen, da dies ansonsten zur Verängstigung der Mutter führen könne. Den Begriff „‚Normalgewicht‘“ setzte sie in Anführungszeichen, um 4 02 Vgl. Spock, Säuglingspflege (1957), S. 64. 4 03 Vgl. 1.4.2, Thoms/Jackson, Rooming in (1948); McBryde, Compulsory rooming-in (1951). 4 04 Spock, Säuglingspflege (1957), S. 64. 4 05 Graupner, Elternbuch (1955), S. 80. 4 06 Vgl. ebd., S. 23 f.; Schmid, Erziehungsratgeber, S. 121.

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dessen Konstruktionscharakter anzuzeigen.407 Hier hatte ein deutlicher Wissens­ wandel eingesetzt, der weniger auf die Normierung des Kindes, sondern auf das Empfinden der Mutter als wichtigsten Faktor rekurrierte. Der Katalog legitimer Gründe für das Nichtstillen der Mutter war fast der gleiche geblieben wie zu Beginn des Jahrhunderts. Die Option, sich ohne äußere Anlässe wie körperliche Beeinträchtigung oder außerhäusliche Arbeit für die Flaschennahrung zu entscheiden, war weiterhin nicht opportun. Die Zwiemilchernährung wurde als Präferenz gegenüber der ausschließlichen Ernährung mit der Flasche vorgeschlagen.408 Besonders schwierig sei es dabei, die Mittagsmahlzeit einzuhalten. Knapp war aber optimistisch, dass sich in Absprache mit dem Arbeitgeber „überraschend oft“ eine Lösung finden ließe.409 Die AutorInnen erkannten zwar an, dass diese Form der Ernährung umständlich für die Mutter sein konnte, appellierten aber daher umso mehr an sie, die Gesundheit ihres Kindes nicht aufs Spiel zu setzen. Auch die Politik reagierte Anfang der 1950er Jahre auf das Pro­ blem, Stillen und Erwerbsarbeit zu kombinieren. So sah das Arbeitsrecht von 1952 gesetzlich garantierte Stillzeiten vor.410 Arbeitende Mütter wurden immer mehr zum Bestandteil der Gesellschaft, auch wenn ihr Stellenwert noch umstritten war (vgl. 1.4.4). Die Ratgeber reagierten auf diesen Umstand und gaben Ratschläge, wie arbeitende Mütter ihren Alltag gestalten konnten. Erstmals erkannte zudem ein Ratgeber an, dass einige Frauen tatsächlich nicht stillen wollten. Es ist vielleicht nicht verwunderlich, dass es sich dabei um Spock handelte, der insgesamt die permissivste Haltung gegenüber der Flaschennahrung vertrat und zudem große Offenheit für die Entscheidungen der Eltern propagierte. Gründe dafür sah er u. a. in den Fortschritten der Flaschennahrung, die den Müttern „überdies mehr ‚Freiheit‘ läßt“. Er verortete das abnehmende Stillinteresse außerdem in urbanen Räumen, wo es „nicht mehr üblich [ist], das Kind zu stillen, und so müssen die Babys eben darauf verzichten“.411 Anschließend zählte er jedoch sämtliche Vorzüge des Stillens auf, was diese Aussage konterkarierte. Stillen wurde so zwar als bessere Option positioniert, aber der „context of choice“ für Mütter erweiterte sich. Das Verhältnis von Flasche und Brust hatte sich in diesen Ratgebern gegenüber der ersten Hälfe des 20. Jahrhunderts verschoben. Die Ernährung an der Brust 4 07 Vgl. Haarer, Mutter (1958), S. 101 f. 4 08 Knapp, ABC (1948), S. 13. 4 09 Ebd., S. 13. 410 Kolbe, Elternschaft, S. 59. Gesetz zum Schutze der erwerbstätigen Mutter (Mutterschutzgesetz) vom 24. 1. 1952, BGB 1. I 1952, S. 69, §§ 6 Abs. 3,7,13, Abs. 5. 411 Spock, Säuglingspflege (1957), S. 53.

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wurde zwar weiterhin als besser thematisiert, dabei jedoch auf moralisierende Aufrufe sowie die Anrufung bevölkerungspolitischer Zusammenhänge weitestgehend verzichtet. Erstmals erkannte ein Autor – und zwar der amerikanische geprägte Benjamin Spock –, wenn auch sehr zurückhaltend, an, dass Frauen sich auch für die Flasche entscheiden konnten, aus dem Grund, dass sie mehr „Freiheit“ versprach. 2.4.3 Feste Regeln oder Ernährung nach Bedarf?

In Bezug auf die Ernährung sowie die generelle Einstellung zur Erziehung des Kindes bilden die hier besprochenen vier Ratgeber ein Kontinuum zwischen festen Regeln und (Selbst)Regulierung. Wie in Schweden zur gleichen Zeit wurden die Regeln auch in Deutschland nicht grundlegend in Frage gestellt. Anders als dort präferierte allerdings keine der deutschen AutorInnen die entwicklungs­ psychologische Herangehensweise, die Bedürfnisse des Kindes als Ausgangspunkt zu nehmen und die Regeln danach zu modellieren. Insgesamt präsentierten die deutschen Ratgeber eine homogenere Wissensbasis und daraus resultierende Anwei­sungen als die schwedischen zur gleichen Zeit. Am einen Ende des Spektrums lässt sich Knapps Ratgeber einordnen, der Ernährung nach Schema einforderte, ohne Ausnahmen zu definieren, und vorschrieb, das Kind solle immer geweckt werden, bis es sich an den Rhythmus ­gewöhnt habe und von selbst aufwache.412 Wenn das Kind durch den „regelmäßig wiederkehrenden Saugreiz“ nachts schrie, sollte die Mutter es nicht aufnehmen und an die Brust legen, sondern lediglich mit etwas Wasser oder Tee versorgen.413 Eine Alternative zu diesem Regime fand bei ihm keine Erwähnung. Knapps Ratgeber war damit am ehesten der Kontinuität gegenüber den Anweisungen der Vorkriegszeit verhaftet, wie auch schon sein Vorwort vermuten ließ. Graupner vertrat ebenfalls die Ernährung nach Schema, die er als Teil der Erziehung verstand. Seine oberste Erziehungsprämisse war „Liebe und Beispiel, sonst nichts“.414 Als „Beispiel“ durch die Eltern sah er eine ordentliche, regelmäßige Lebensgewohnheit an, daher sei es logisch, dass sich das Kind dementsprechend verhalten sollte. Die „Liebe“ äußerte sich eher darin, dass das Kind zwischen den Mahlzeiten nicht allein gelassen wurde, denn „der Mensch lebt nicht vom Brot allein“. Die Eltern sollten ihrem Kind immer mit Liebe begegnen und einen 4 12 Vgl. Knapp, ABC (1948), S. 10. 413 Vgl. ebd., S. 10. 414 Graupner, Elternbuch (1955), S. 224.

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regelmäßigen Lebenswandel vorleben.415 Als Legitimierung für die Ernährung nach Schema berief er sich auf den Wissensstand, dass der Säuglingsmagen ca. zweieinhalb Stunden brauchte, um sich zu leeren. Danach wollten Magen und Darm sich „ein wenig ausruhen“, bevor sie wieder arbeiten mussten, weswegen er empfahl, den Säugling alle drei Stunden zu ernähren. Einen gewissen Raum für Anpassungen ließ er der Mutter zwar, aber dieser war verhältnismäßig gering: „Wenn das Kind mit fünf Mahlzeiten zufrieden ist, kann sich die Mutter auf diese Zahl beschränken. Aber sie darf niemals zwischen fünf und sechs Mahlzeiten hin und her wechseln.“ 416 Besonderen Wert legte er darauf, dass das Kind die ganze Nacht durchschläft, denn wenn die Eltern sich zum Abendbrot setzten, sollten die Kinder ins Bett gehen.417 Die Einhaltung der Ernährungsregeln wurde bei Graupner vor allem als Gewinn für die Eltern dargestellt, die sich – wenn sie schon früh die Einhaltung regelmäßiger Mahlzeiten eingeführt hatten – vor „Quengeleien“ der Kinder schützen konnten.418 Als nächstes reihte sich die deutsche Übersetzung von Spocks Ratgeber in das Spektrum ein. In der schwedischen Übersetzung bevorzugte Spock die Selbstregulierung des Säuglings, während die deutsche Version eher für die Einhaltung von Regeln plädierte. Seine Prämisse lautete hier, „daß [der Plan] für das Baby gut ist“.419 Aber auch für die Eltern solle er hilfreich sein, um „ihre körperlichen und seelischen Kräfte zum Nutzen des Babys einzuteilen“.420 In Bezug auf den Zeitplan der Mahlzeiten könne der gesunde Menschenverstand der Mutter zu Hilfe kommen: „[E]s ist nicht notwendig, daß sie sich sklavisch genau an die Minuten hält.“ 421 Der Plan ermöglichte eine gewisse Flexibilität, blieb aber als Orientierungsgröße und Ideal bestehen. Die deutsche Übersetzung von Spock stand für die Validität der Regeln ein, gestand aber zu, „nach vernünftigen ­Gesichtspunkten“ von ihnen abweichen zu können.422 Die Aussage „jedes Kind will die Festigkeit der elterlichen Hand spüren, weil sie ihm nicht nur den Weg weist, sondern es auch beschützt und ihm das Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit gibt“ 423 ist nur in der deutschen Version zu finden. In der schwedischen Ausgabe fehlte außerdem eine Passage, die festlegte: 4 15 Ebd., S. 17. 416 Ebd., S. 113. 417 Vgl. ebd., S. 102 f. 418 Graupner, Elternbuch (1955), S. 112. 419 Spock, Säuglingspflege (1957), S. 47. 420 Ebd., S. 47. 421 Ebd., S. 47. 422 Ebd., S. 47. 423 Ebd., S. 44.

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Eine „gewisse Strenge und Festigkeit, mit der man die Kinder zu vernünftigem Gehorsam, zu Ordnung und gutem Benehmen erzieht, kann niemals schaden, wenn die Grundlage der Eltern Güte und Freundlichkeit ist“.424 Die schwedische Version stellte vielmehr die Bedürfnisse und Ansichten der Eltern in den Mittelpunkt, denen es überlassen wurde, ob sie eher strenger oder nachgiebiger sein wollten. Der Grundsatz lautete: „Seid standhaft in euren Ansichten.“ 425 Die Entscheidungsfreiheit der Eltern wurde in Schweden gegenüber einer grundsätzlichen Befürwortung strengerer Regeln in Deutschland, die auf Ordnung und gutes Benehmen ausgerichtet waren, bevorzugt. Am anderen Ende des Spektrums findet sich Johanna Haarers Ratgeber, die als einzige eine Ernährung nach den Bedürfnissen des Kindes – wenn auch als Ausnahme – zuließ. Sie legte zwar ein Schema und, wie in der NS -Ausgabe, Stillregeln fest, ließ aber auch viele Ausnahmen zu. Sie gab einleitend einen neuen Grundsatz aus: Stillregeln sind – das soll ausdrücklich von vornherein gesagt werden – nicht gleichmäßig für alle Kinder anwendbar und lassen sich vor allem in der ersten Lebenszeit oft nicht vollständig durchführen. Deshalb soll sich die Mutter anfangs nicht zu starr an die Regeln halten. Das Stillen ist wichtiger als die Stillregeln!426

Diese Passage gab es auch schon in der früheren Ausgabe, wo sie allerdings zwischen den Stillregeln „versteckt“ war.427 Die Bedürfnisse des Kindes wurden auch bei Haarer insgesamt wichtiger und sie diskutierte sogar die Möglichkeit, das Kind ganz nach dessen Bedürfnissen zu ernähren. Diese Praxis erklärte sie als neue Erkenntnis aus „ganz modernen Kliniken und von wissenschaftlicher Seite“. Gleichzeitig verknüpfte sie die Praxis mit dem Erfahrungswissen zu „Urgroßmutters Zeiten“: Während sie sich in der früheren Version so scharf vom Wissen der älteren Generation abgrenzte, nutzte sie deren Erfahrung nun geradezu als Legitimationsstrategie: „Diese neue (und im Grunde uralte) Richtung in der Säuglingspflege ist nichts anderes als eine Abkehr von allzu starrer Theorie und von einer unnatürlichen Trennung von Mutter und Kind.“ 428 Mit diesen Aussagen vollzog Haarer eine Kehrtwende zu ihrem vorherigen Standpunkt, die möglichst strenge Trennung zwischen Mutter und Kind sei entscheidend für dessen gute 424 Ebd., S. 44. 425 Ebd., S. 35. 426 Haarer, Mutter (1958), S. 95 (Hervorh. im Org.). 427 Vgl. ebd., S. 119. 428 Ebd., S. 108.

Demokratisierung der Säuglingsernährung in der frühen Bundesrepublik  |

Entwicklung. Dies zeigt sich auch an anderer Stelle. So wurde die Regel: „Außerhalb der regelmäßigen Trinkzeiten gibt es keinen Grund, das Kind an die Brust zu nehmen!“ 429 in der Neuauflage etwas abgemildert zu: „Außerhalb der regelmäßigen Trinkzeiten soll das Kind nicht an die Brust genommen werden! Schreit es, so muß auf andere Weise abgeholfen werden.“ 430 Nun wurde das Kind zwar nicht gefüttert, aber es war zulässig, sich mit ihm zwischen den Mahlzeiten zu beschäftigen. Sie fand durchaus lobende Worte für die Ernährung nach Bedarf des Kindes, weil diese viele Vorteile bot, wie dass „die junge Mutter sich auf diese Weise gut mit dem Kinde einlebt, daß die Milchbildung besser in Gang kommt als beim engherzigen Festhalten an starren Regeln und daß das Kind gut dabei gedeiht“.431 Das Kind finde dann von selbst zu einer Tageseinteilung, die sich mit den Regeln decken würde. Trotz dieser Vorteile empfahl sie, nicht grundsätzlich auf dieses Verfahren umzustellen. Sie warnte weiterhin davor, das Kind zu „verwöhnen“. Die Individualität der Kinder kam dadurch stärker zur Geltung als in der früheren Ausgabe. Sie zeigte sich durchaus offen für Neuerungen und größere Nähe zum Kind, ließ aber nicht ganz von der Prämisse ab, dass eine gewisse Regelmäßigkeit und Ordnung in der Erziehung herrschen solle. Die Erziehung zur Ordnung war jedoch nicht mehr das oberste Erziehungsideal.432 Der als Anstoß des „Wertewandel[s] in der BRD “ 433 gehandelte Benjamin Spock kam in Deutschland somit, nicht nur in Bezug auf die Ernährung, viel weniger progressiv daher als in Schweden. Den Bedürfnissen des Kindes maß er zwar neue Bedeutung zu, aber die Forderung, das Stillen ganz am Bedarf des Kindes zu orientieren, fand sich Ende der 1950er Jahre bei Spock nicht.434 Die Unterschiede zwischen ihm und Haarer, die gerne als Opponenten in der Kinder­ erziehungsfrage in Deutschland dargestellt werden, waren eher gering in Bezug auf die Ernährungspraktiken, wenn sie auch in anderen Bereichen durchaus Unterschiede aufwiesen.435 429 Ebd., S. 119 (Hervorh. im Org.). 430 Ebd., S. 97 (Hervorh. im Org.). 431 Ebd., S. 108. 432 Vgl. Höffer-Mehlmer, Elternratgeber, S. 232 f. 433 Gebhardt, Haarer meets Spock, S. 100. 434 Vgl. Seichert, Erziehung, S. 109 f. Seicher kommt allerdings zu dieser Feststellung auf der Grundlage einer Spock-Auflage von 1986, die große Unterschiede zu früheren Ausgaben aufwies, die sie mit Haarers erster Auflage von 1943 vergleicht. Die Übereinstimmungen zwischen Haarer und Spock werden von ihr völlig ahistorisch hergeleitet. Zu Differenzen zwischen Haarer und Spock vgl. Gebhardt, Angst, S. 122; dies., Haarer meets Spock; Vögele/ Halling/Rittershaus, Entwicklung, S. 235. 435 Gebhardt, Haarer meets Spock, S. 87 – 104; Höffer-Mehlmer, Erziehungsratgeber, zu Haarer: S. 677, zu Spock: S. 679; Seichert, Erziehung, zu Haarer: S. 98 – 105, zu Spock: S. 109 f.

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Zwischenfazit

Die Ratgeber der frühen Bundesrepublik zeigen ein ambivalentes Bild in Bezug auf Erziehungsideal und Ernährung des Säuglings. Die Haltung der AutorInnen den Leserinnen und Lesern gegenüber ist weniger autoritär, außer bei Knapp, der fast nahtlos, sowohl inhaltlich als auch rhetorisch, an die kinderärztlichen Ratgeber des frühen 20. Jahrhunderts anknüpfte. Insgesamt bemühten sich alle Ratgeber, entweder mit Illustrationen und Bildern oder durch eine besonders anschauliche Sprache, ihre Handlungsanleitungen zu plausibilisieren. Die idealtypische Leserin war weiterhin eine junge Mutter, die jedoch weniger deutlich einer bestimmten gesellschaftlichen Schicht zugeordnet werden konnte. Am deutlichsten vertrat Graupner das bürgerliche Ideal in seinem Entwurf des Familienlebens. Neu ist die Ansprache des Vaters, der erstmals eine, wenn auch untergeordnete, Rolle in der Säuglingspflege einnehmen sollte. Spocks Ansprache der Großeltern als Wissensressource ist ebenfalls neu. Die Haltung gegenüber der Flaschennahrung ist zudem insgesamt offener geworden. Aufgrund der veränderten demographischen Voraussetzungen und der demokratischen, auf friedlicher Koexistenz – zumindest mit den westlichen Staaten – aufbauenden Neuausrichtung der deutschen Politik, war es zudem weniger opportun, alte nationalistische und bevölkerungspolitische Zusammenhänge herzustellen. Das Stillen wurde in diesem Zusammenhang von der „Pflicht“ der Mutter in eine „objektiv“ bessere Option übersetzt. Neu ist, dass erstmals die Möglichkeit erwähnt wurde, wenn auch als weniger wünschenswerte Ausnahme, dass Mütter nicht stillen wollten. Die Ernährung mit der Flasche wurde weiterhin zwar als Ausnahme konstruiert, den Müttern aber versichert, dass sie auch mit dieser Ernährungsform ihre Kinder nicht gefährdeten und, wenn sie sich an die Regeln hielten, diese zu gesunden Erwachsenen heranziehen konnten. In Bezug auf die Ernährungsregeln ist auffällig, dass sie nur von Graupner explizit als Erziehungsmaßnahmen eingesetzt wurden. Alle anderen Ratgeber stellten diesen Zusammenhang nicht offen her, sondern machten eher objektivierbare Gründe für das allgemeine Festhalten an Regeln aus. Knapp und Graupner gingen nicht auf neue Möglichkeiten des Bedarfsstillens ein, während Haarer und Spock (zumindest in der deutschen Übersetzung), die so häufig als Gegensatzpaare in der historischen sowie pädagogischen und psychologischen Forschung besprochen werden, hier größere Ähnlichkeiten aufweisen. Beide erklärten, die Möglichkeit, das Kind nach dessen Bedarf zu ernähren, sei in den letzten Jahren wissenschaftlich erforscht worden, rieten aber nicht dazu, das Kind allein nach dessen Willen zu ernähren. Bei Haarer lauerte weiterhin die Angst vor „Verwöhnung“, während auch Spock meinte, die Eltern müssten eine gewisse Strenge an den Tag legen. Es gab also wohl Neuerungen, die jedoch durch Kontinuitäten in der frühen Bundesrepublik überlagert wurden.

Das Kind als „Persönlichkeit und Partner“ in Deutschland und Schweden (1960er Jahre bis 1980)  |

2.5 Das Kind als „Persönlichkeit und Partner“ in Deutschland und Schweden (1960er Jahre bis 1980) Seit dem Ende der 1960er Jahre ließ sich eine Pluralisierung der Erziehungsansätze und Wissensgrundlagen im wissenschaftlichen und öffentlichen Diskurs beobachten. Die Ratgeberlandschaft differenzierte sich dementsprechend weiter aus. Neben den gedruckten Ratgebermedien wurde das Fernsehen ein populäres Medium zur Verbreitung von Erziehungswissen seit den 1960er Jahren.436 Ratgeber lassen sich dabei tendenziell zwei Kategorien zuordnen. Auf der einen Seite finden sich Werke, die in enzyklopädischer Breite alle Aspekte des Kindesalters behandeln. Auf der anderen Seite finden sich spezialisierte Ratgeber zu Teilbereichen der Erziehung. Um dieser Pluralisierung und Ausdifferenzierung Rechnung zu tragen, werden im Folgenden drei Ratgebertypen untersucht: 1) Ratgeber, die das gesamte Säuglings- bzw. Kindesalter abdecken,437 2) Ratgeber von Nahrungsmittelherstellern, die vermehrt seit den 1970er Jahren auf den Markt kamen 438 sowie 3) spezielle Stillbücher, ein neues Genre seit Mitte der 1970er Jahre.439 Alle 436 Vgl. Höffer-Mehlmer, Elternratgeber, S. 259; ders., Erziehungsratgeber, S. 679; Land, Verhaltensempfehlungen, S. 6. Die Ende der 1960er Jahre gegründeten Erziehungszeitschriften Eltern bzw. Vi Föräldrar können an dieser Stelle nicht systematisch untersucht werden, auch wenn sie ein bedeutendes Medium im Diskurs um das Verhältnis von Eltern und Kindern in der Bundesrepublik und in Schweden waren und sind. Ihre Ratschläge wurden aber bereits in Kapitel 2 teilweise einbezogen, um die Verbreitung von Flaschennahrung und -zubehör eruieren zu können, vgl. Gebhardt, Angst, S. 180; dies., Haarer, S. 99; Lenz/Scholz, Das idealisierte Kind, S. 272; Bergström/Duregård, Bilden av familjen; Skagius, “Don’t Worry”. 437 Vgl. Höffer-Mehlmer, Elternratgeber, S. 245. 438 Nestlé hatte bereits seit den 1920er Jahren Ratgeber in Deutschland und Schweden heraus­ gegeben. Durch die größere Vielfalt an Anbietern stieg aber auch hier die Anzahl der Mate­ rialien. Vgl. Dr. med. Vidal, Ärztliche Ratschläge für die junge Mutter. Die Pflege des Kindes, seine Ernährung und Aufziehung, Berlin 1920, in: Archives historique Nestlé, Nestlé Werbemittelsammlung Ordner Nr. 22: Allemange I, später erneut aufgelegt als o. A., Ratschläge eines Arztes für junge Mütter, o. O. 1928, in: ebd.; o. A., Gesunde Kinder – Glückliche Mütter. Ratschläge eines Arztes für junge Mütter, Lindau-Bodensee 1931 – 1938, in: Archives historique Nestlé, Nestlé Werbemittelsammlung Ordner Nr. 23: Allemagne  II und Alle­ magne III , Oktober 1935–August 1939 24J; o. A., Gesunde Kinder sichern das Volk. Hefte für die deutschen Mütter, hrsg. vom Reichsmütterdienst der deutschen evangelischen Kirche, Heft 1 1939, in: Archives historiques Nestlé, Nestlé Werbemittelsammlung Ordner Nr. 23: Allemagne II ; 1955 wieder als Gesunde Kinder – Glückliche Mütter zu finden, in: Archives historiques Nestlé Werbemittelsammlung Ordner 115: Allemagne 1955; Auf Schwedisch: Vidal, Vård [1920]. 439 Vgl. 1.5.3. Schweden: Sörman-Olsson, Lättare att amma (1977), Beispiel für ein kleines, handliches Heft, das von einer der zentralen schwedischen Institutionen herausgegeben wurde, um das Stillen zu propagieren. Die Überschrift der Zusammenfassung auf der Rückseite ist:

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drei Typen werden hier, in einer stärker zusammenfassenden Art und Weise als zuvor, auf ihre Besonderheiten und Unterschiede auf die drei Fragekomplexe hin untersucht. 2.5.1 Elternratgeber

Als typisches Ratgeberbeispiel für Schweden wird der Sammelband Föräldrarboken (Das Elternbuch, 1963)440 untersucht, der von Lis Asklund und Maj Ö ­ dman heraus­ gegeben wurde. Beide Herausgeberinnen waren dem schwedischen Publi­kum aus dem Radio bekannt, in dem sie Familienrat vermittelten. Bereits der Untertitel machte jedoch deutlich, dass das Buch „in Zusammenarbeit mit Schwedens herausragendsten Experten in Kindererziehungs- und Familienfragen“ 441 erstellt wurde und Eltern so die beste Expertise für bestim­mte Bereiche erwarten konnten. Sie erklärten außerdem, der Umfang des ­Buches – es umfasste ca. 600 Seiten – ergebe sich aus dem Umstand, dass sie das „vielfältige Thema so vielseitig wie möglich“ beleuchten wollten und z­ udem für jede Frage eine Antwort bereithielten.442 Dies spiegelt die spezifisch kooperative Herangehensweise an Wissensproduktion und -vermittlung in Schweden, die etwa auch Grundlage politischer Entscheidungsprozesse war.443 Für Deutschland fanden sich hingegen keine solchen Sammelwerke, sondern einzelne AutorInnen, die eine breite Expertise für alle Entwicklungsstufen präsentierten, schrieben die Elternratgeber.444 Typische Beispiele für Deutschland stellen Günter Clausers Moderne Elternschule (1969),445 aus kinderärztlicher Sicht, „Amningskonsten måste man lära sig!“ („Die Stillkunst muss man lernen!“) und Mitchell, Vi ammar vårt barn (1975). Deutsche Ausgabe: Mitchell, Stillen. Aus d. Amerikan. von Roswitha Enright (Vi ammar vart barn) (1980). Die deutsche Übersetzung hatte kurioserweise den Umweg über die USA genommen. In der Ausgabe von 1985 heißt es außerdem, die Autorin habe eine „gründliche Überarbeitung und Erweiterung“ vorgenommen. In der deutschen Ausgabe wird sie zudem als „Mutter und ausgebildete Hebamme“ vorgestellt. 4 40 Asklund/Ödman (Hg.), Föräldraboken (2. Aufl. 1963; 1. Aufl., ebenfalls 1963). Föräldrarboken war sehr erfolgreich und wurde bis 1982 in elf Auflagen herausgegeben. 4 41 Asklund/Ödman (Hg.), Föräldraboken (1963), S. 3. 4 42 Ebd., S. 5. 4 43 Vgl. Etzemüller, Rationalizing, S. 100; Gleichmann, Föräldrarskap, S. 44; 246; Zetterqvist Nelson, Samhällets barn, S. 45 f. 4 44 Vgl. Höffer-Mehlmer, Elternratgeber, S. 245. 4 45 Clauser, Elternschule (1969). Insgesamt gab es von 1969 bis 1973 fünf Auflagen. Die Soziologin Yvonne Schütze schätzt Clausers Einstellung zur Mutterrolle und Ernährung, trotz einer relativ geringen Auflagenzahl, als typisch für das Ende der 1960er Jahre ein. Vgl. Schütze, Gute Mutter, S. 120; Land, Verhaltensempfehlungen, S. 149.

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und Ulrich Diekmeyers Das Elternbuch (in der ­Taschenbuchausgabe von 1976, Original 1973), aus psychologischer Sicht, dar.446 Alle Ratgeber dieser Generation zeichnen sich durch eine breite Bebilderung und klare Strukturierung aus, die verschiedene Situationen des Alltagslebens bzw. Anleitungen dafür illustrierten. Den stärksten autoritativen, erzieherischen Ton legte dabei Clausers Elternschule an den Tag, der das Wissen der Eltern durch „Elternexamen“ überprüfte.447 Schon der Titel vermittelte den Eindruck, dass Eltern lernbedürftig und unerfahren waren, erst durch eine „Schule“ gehen müssten, um ihr Kind richtig pflegen und erziehen zu können. Die beiden ande­ren Bücher sprechen die Eltern dagegen auf Augenhöhe, als zwar unerfahren, aber auch als wissbegierig und verantwortungsbewusst an.448 Diekmeyer erklärte den Eltern bereits in der Einleitung, es läge „weitgehend in Ihrer Hand, wie Sie die Entwicklungsbedingungen für Ihr Kind gestalten, welchen Erziehungsstil Sie anwenden und wie Sie schädliche Einflüsse von ihm fernhalten“.449 Indem er den Großteil der Verantwortung auf die Eltern übertrug, relativierte er seine eigene Position als Experte. Wichtiger als die Expertise von außen sei es, die individuellen Ansprüche des Kindes kennenzulernen. Hierzu sollten die Eltern ihr Kind als gleichberechtigte „Persönlichkeit und Partner“ behandeln.450 Er setzte damit die durch Spock popularisierte und durch weitere entwicklungspsychologische Erkenntnisse perpetuierte Vorstellung des Säuglings als kompetentes Individuum fort, die sich in den späten 1960er und 1970er Jahren als Norm durchsetzte.451 Alle Ratgeber adressierten die Eltern im Titel direkt, sowohl Mutter als auch Vater. Die Aushandlung der Geschlechterrollen, wie sie in Schweden schon seit den 1960er Jahren im öffentlichen Diskurs passierte, fand ihren Weg in das Föräldrarbok. Hier gab es zwei Kapitel, die über Geschlechterrollen und „Vater sein“ informierten. Eine gute Beziehung der Eltern zum Kind wurde als Voraussetzung für eine gute Persönlichkeitsentwicklung des Kindes eingeführt.452 Bei Clauser hingegen trug die Mutter Verantwortung für die Ernährungsfrage, der Vater hatte hingegen 4 46 Diekmeyer, Das Elternbuch (1976). Im Jahr 2000 erschien eine überarbeitete und erweiterte Neuauflage des Buches, was für einen gewissen Erfolg spricht. 4 47 Vgl. Clauser, Elternschule (1969), S. 166 f. 4 48 Vgl. Asklund/Ödman (Hg.), Föräldraboken (1963), S. 5. 4 49 Diekmeyer, Elternbuch (1976), S. 8. 450 Ebd., S. 8. 451 Vgl. Eger-Keil, Vom autistischen Säugling, S. 47. 452 Jonsson, Att vara pappa (1963), S. 49 – 55, hier S. 49. Hohnstedt, Hon och han (1963), S. 30 – 39; vgl. Klinth, Barn, S. 66 f.; Kolbe, Väter, S. 55; Limper, Säuglingsflasche, S. 461; Moberg, Kvinnans villkorliga frigivning (1961).

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„Futterneid“ und hinderte seine Frau sogar eher am Stillen.453 Clauser verstand das erste Lebensjahr des Säuglings, u. a. in Anlehnung an René Spitz,454 als „Symbiose zwischen Mutter und Kind“.455 Die Rezeption psychoanalytischen Wissens war seit Mitte der 1960er Jahre in der Bundesrepublik, befeuert durch die Debatte um Müttererwerbsarbeit, in vollem Gange. Hier waren Stimmen im politischen Diskurs besonders prominent, die sich gegen die Erwerbsarbeit von Müttern aussprachen, da bereits eine kurze Abwesenheit der Mutter als Gefahr für die psychische Entwicklung des Kindeswohls konstruiert wurde.456 Diesem in Deutschland propagierten, symbiotischen Bild von Mutter und Kind stellte sich der Arzt Gustav Jonsson, der über das Vatersein im Föräldrabok schrieb, vehement entgegen. Ein überhöhtes „Madonnenbild“ der Mutter mit dem Kind an der Brust sei „romantisch verlogen“ und fungiere als Ausschlussmechanismus für den Vater, dessen Involvierung schon in der Säuglingspflege zunehmend als wichtig verstanden wurde.457 Sowohl bei Jonsson als auch bei dem anderen deutschen Autor, Ulrich Diekmeyer, war der Vater in der Kinderernährung als aktiver Teil vorgesehen. Das wird durch Abbildungen von Vätern beim Füttern ihres Kindes mit der Flasche in beiden Büchern illustriert.458 Diekmeyer versicherte: „Jeder Vater kann mit ein wenig Übung die Flasche genauso gut geben wie der Vater auf dem Bild. Dabei lernt nicht nur der Vater sein Kind gut kennen, auch das Kind entwickelt auf diese Weise eine Beziehung zu seinem Vater und faßt Vertrauen zu ihm.“ 459 Das gegenseitige Kennenlernen von Vater und Kind war auch im Föräldrabok entscheidend für die Involvierung des Vaters in die Säuglingspflege.460 Er wurde damit nicht nur als Unterstützer der Mutter, sondern als aktiver Part in der Säuglingsernährung figuriert. Die Verhandlung der Geschlechterrolle in den Ratgebern ist emblematisch für die zeitgenössischen öffentlichen Diskurse: in Schweden die Bemühungen, Väter stärker zu integrieren; in Deutschland der Fokus der frühen 1960er Jahre auf die Mutter-Kind-Symbiose und eine Öffnung gegenüber väterlicher Involvierung seit Beginn der 1970er Jahre. 4 53 Clauser, Elternschule (1969), S. 134. 454 Spitz war einer der Mitbegründer der „Maternal-deprivation“-Theorie und der Hospitalismusforschung, die Ende der 1960er Jahre in der Bundesrepublik rezipiert wurde. Kolbe, Kindeswohl, S. 126; Schütze, Gute Mutter, S. 89, 93 f. 455 Clauser, Elternschule (1969), Klappentext. 456 Vgl. zeitgenössische: Hellbrügge, Waisenkinder (1960). Vgl. Kolbe, Gender, S. 147; Sommerkorn, Mutter (1988), S. 130. 457 Jonsson, Att vara pappa (1963), S. 51. Vgl. Lundqvist/Roman, Construction(s), S. 226; dies., Regleringar, S. 105 ff. 458 Diekmeyer, Elternbuch (1976), S. 59; Gottfarb, När barnet är första barnet (1963), hier S. 123. 459 Diekmeyer, Elternbuch (1976), S. 59. 4 60 Gottfarb, När barnet är första barnet (1963), S. 123.

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In Bezug auf die Ernährung vertraten alle Ratgeber die Meinung, dass Stillen die bevorzugte Nahrung für den Säugling war. Die Kinderpsychologin Lillian Gottfarb und der Professor für Pädiatrie John Lind hatten das Kapitel über „Die tägliche Pflege“ im Föräldrarbok gemeinsam verfasst. Sie waren sich einig, dass das Stillen nicht nur körperliche, sondern auch psychische Vorteile für die kindliche Entwicklung bieten konnte. Dieses Argument wurde seit Beginn der 1960er Jahre auch in der wissenschaftlichen Forschung, die in Schweden maßgeblich durch John Lind bestimmt wurde, immer wichtiger. Mit der Flasche könne sich ein Kind in der Regel gut entwickeln, „aber aus psychologischer Sicht ist wohl das Stillen die überlegene Methode, solange es der Mutter damit gut geht“.461 Hervorzuheben ist an dieser Stelle, dass Stillen nicht als absolute Norm gesetzt wurde, sondern auch das Wohlbefinden der Mutter Beachtung fand. Wichtig im schwedischen Diskurs um Säuglingsernährung war es Müttern, die nicht stillten, keine Minderwertigkeitsgefühle zu vermitteln.462 Die Ernährung mit der Flasche sollte dann „dem Stillen so ähnlich wie möglich“ gestaltet werden, um entsprechend neuer Erkenntnisse die Beziehungsbildung zwischen Mutter und Kind zu unterstützen. Auch mit der Flasche sollte das Kind im Arm der Mutter liegen, damit es den „nahen körperlichen Kontakt spürt, der so wichtig für sein Wohlbefinden ist“.463 Diekmeyer attestierte dem Stillen eine „große psychische Bedeutung“. Durch das Stillen erfahre das Kind „Wärme und Geborgenheit [und] gewinnt Vertrauen zu Ihnen und zu sich selbst“.464 Wenn es mit dem Stillen nicht klappte, sollten Mütter nicht verzweifeln: „Auch mit dem Fläschchen können Sie Ihrem Kind geben, was es für seine gute Entwicklung braucht.“ 465 Für die Gesundheit des Kindes mache die Ernährung mit der Flasche keinen Unterschied, sie müsse aber so gestaltet werden, dass sie der Ernährung an der Brust möglichst ähnlich sei. Die Ratgeber bemühten sich darum, Mütter vor Minderwertigkeitsgefühlen zu schützen, wenn sie nicht stillen konnten. Clauser war in dieser Hinsicht jedoch anderer Meinung. Die Flaschenernährung war bei ihm keine echte Alternative zum Stillen, nur aus „unvermeidbaren Gründen“ 466 war es der Mutter erlaubt, sie zu nutzen: „Wer seinem Baby ohne 4 61 Gottfarb/Lind, Den dagliga vården (1963), S. 135. Vgl. Sjölin/Vahlquist, Amning (1960), S. 3544, 3548. 4 62 Vgl. 1.4.4. und 1.5.2; Klackenberg, Bröstuppfödning (1960), S. 1026 f.; Lind, Familjens födsel (1975), S. 300; Skogberg/Wickbom, Barnsjukdomar (1978), S. 53; von Schenck, Mammning (1968), S. 73. 4 63 Gottfarb/Lind, Den dagliga vården (1963), S. 139. 4 64 Diekmeyer, Elternbuch (1976), S. 47. 4 65 Ebd., S. 50. 4 66 Clauser, Elternschule (1969), S. 119.

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Not die Brust verweigert, misshandelt sein Kind. Solche Mütter verweigern damit auch gleichzeitig ihre Liebe und sind der schlimmste Fluch für das Gedeihen und die Entwicklung der Kleinen.“ 467 Nur in einem kurzen Absatz bat er darum, dass man „nicht leichtfertig über [nicht-stillende Mütter] urteilen“ und ihnen stattdessen mit Rat und Tat zur Seite stehen sollte.468 In Anbetracht von Bezeichnungen wie „Fluch“, „Misshandlung“, später auch „Todsünde“ für das Nichtstillen 469 und „selbstverständliche Verpflichtung“ und „Mutterliebe“ bei stillenden Müttern, wirkt dieser kurze Einschub wenig überzeugend. Um seine Aussagen zu untermauern, führte Clauser eine Reihe von Untersuchungen an. Um die größere Widerstandskraft von Brustkindern zu demonstrieren, benutzte er „absichtlich eine ältere Statistik aus einer Zeit, in der es noch keine modernen Mittel gegen Infektionskrankheiten gab“.470 Er verschwieg jedoch, dass die Flaschennahrung mittlerweile deutlich besser geworden war, eine Einstellung, die andere deutsche Kinderärzte und frühere Ratgeber durchaus vertraten.471 Aber auch für die psychische Entwicklung des Kindes sei das Stillen ausschlaggebend, denn: „Wer an der Mutterbrust keine Sättigung fand, blickt der Welt ohne Vertrauen entgegen.“ 472 Auch spätere „Fettsucht“ von Kindern wurde von Clauser mit unzureichender Versorgung mit Muttermilch in Verbindung gebracht und mit statistischen Daten aus eigens in Auftrag gegebenen Studien unterlegt. Diese Einschätzung entsprach dabei dem Diskurs der späten 1960er und der 1970er Jahre, der eine Verbindung zwischen industrieller Nahrung – auch Säuglingsnahrung – und hohem Gewicht im Kindes- und Erwachsenenalter herstellte.473 In seiner Einstellung zum Stillen erinnert Clauser an die Ratgeber der ersten Jahrhunderthälfte, insbesondere an Johanna Haarers, die nach dem Krieg jedoch eine viel permissivere Haltung zur Flasche einnahm. Industriell hergestellte Flaschennahrung hatte sich indes als Standard durchgesetzt. Diekmeyer positionierte sich gegen das Argument, selbst zubereitete Nahrung sei gesünder.474 Dennoch beschrieb er die verschiedenen Milchsorten sehr ausführlich und erklärte, wie die Nahrung selbst zu Hause hergestellt werden 4 67 Ebd., S. 126. 4 68 Ebd., S. 127. 4 69 An anderer Stelle kritisiert er Frauen, die sich „ganz bewußt und mit voller Absicht ihrer selbstverständlichen Verpflichtung entziehen. Bei ihnen ist die Eigenliebe größer als die Nächstenliebe,“ ebd., S. 126. 470 Ebd., S. 117. 471 Vgl. Schütze, Gute Mutter, S. 122. 472 Clauser, Elternschule (1969), S. 122. 473 Ebd., S. 119. Vgl. 1.5.2; o. A., Dicke Kinder (1977); Weinreb, Hungers, S. 197 f., 202. 474 Diekmeyer, Elternbuch (1976), S. 51.

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konnte. Der Vorteil der „Fertignahrung“ sei demgegenüber, dass sie nicht nur schnell zuzubereiten war, sondern auch „absolut keimfrei ist und die richtige und immer gleiche Zusammensetzung aufweist“.475 Er zählte eine Reihe verschiedener Marken und Produkte auf, etwa fertige Nahrung aus der Einwegflasche für Reisen. Gesäuerte Milch empfahl er allerdings nicht mehr. Für die Zubereitung dieser Produkte verwies er auf die Verpackungen, was den Bedeutungsgewinn der Verpackungsinformationen hervorhebt. Im Kapitel über Säuglingsernährung im Föräldrarbok bevorzugten die Autoren ebenfalls industrielle Flaschennahrung, weil diese immer die gleiche Zusammensetzung aufwies und darüber hinaus mit Vitaminen und Mineralien versetzt war.476 Auf die Nennung bestimmter Produkte verzichteten sie, wie es in schwedischen Ratgebern allgemein üblich war. ­Clauser hingegen wollte in seinem Buch keine ernährungsphysiologischen Aussagen ­machen, da sie in „jedem Kurs für Säuglingspflege gelehrt werden und in vielen guten Büchern nachzulesen sind“.477 Er lieferte den Müttern so gleichzeitig auch keine Anweisungen, wie sie ihr Kind anders als mit Muttermilch ernähren konnten. Seit den 1960er Jahren diskutierten sowohl die schwedische als auch die westdeutsche Gesellschaft, wie mit der steigenden Anzahl erwerbstätiger Mütter umge­ gangen werden sollte. Diese Diskussion fand allerdings nicht den Weg in alle Ratgeber. Diekmeyer ging implizit davon aus, dass die Mütter zu Hause blieben. Während des ersten Jahres sollte eine Bezugsperson im Mittelpunkt stehen, erst danach könne man „die Gleichstellung der Geschlechtspartner in der Kindererziehung“ demonstrieren. Die Vorstellung, ein Kind brauche sowohl Mutter als auch Vater, um seine spätere Geschlechterrolle einzuüben, war in Deutschland grundlegend für das Elternschaftsverständnis. Mutter und Vater wurden als von Grund auf verschieden entworfen und sollten jeweils weiblich und männlich konnotierte Aufgaben in der Erziehung übernehmen.478 Clauser, der sich am vehementesten gegen Frauenerwerbsarbeit ausgesprochen hatte, thematisierte erstaunlicherweise als einziger Ernährungspraktiken für den Fall, dass die Mutter arbeitete. Wenn sie arbeiten musste, um die materielle Existenz zu sichern, sei es besser, das Kind in einer Krippe unterzubringen und nicht zu versuchen, das Baby so oft wie möglich an die Brust zu nehmen.479 Denn man müsse davon ausgehen, „daß eine Brusternährung unter schwerem Druck niemals zu einer harmonischen 4 75 Ebd., S. 54. 476 Berfenstam/Bille, Spädbarnskost (1963), S. 150. 477 Clauser, Elternschule (1969), S. 125. 478 Diekmeyer, Elternbuch (1976), S. 79. Vgl. Kolbe, „Väter“, S. 152; Limper, Säuglingsflasche, S. 457. 479 Vgl. Clauser, Elternschule (1969), S. 127.

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Mutter-Kind-Beziehung führen kann. Dann ist die weniger innige Versorgung in einer Krippe einem schlechten Kontakt zur Mutter als Notlösung vorzuziehen.“ 480 Diese Einstellung ist eine Ausnahme gegenüber allen bisherigen Ratgebern, die dafür plädierten, auf jeden Fall so viel wie möglich zu stillen. In Schweden kamen arbeitende Mütter nur im Zusammenhang mit einjährigen Kindern zur Sprache. Diese thematische Auslassung ist erstaunlich, da die arbeitende Mutter in den 1960er Jahren in Schweden breit diskutiert wurde.481 Schon in der vorherigen Ratgebergeneration war die Ernährung nach Schema teilweise hinterfragt worden. Entwicklungspsychologische Ratgeber in Schweden hatten bereits in den 1950er Jahren die „Selbstregulierung“ des Säuglings als neues Erziehungsziel ausgegeben, während deutsche Ratgeber weiterhin die Einhaltung der Regeln einforderten. Die Auflösung der Ernährungsregeln wurde in Deutschland erst in den 1960er Jahren populär, als Ansätze aus der antiautoritären Bewegung und der StudentInnenbewegung ihren Weg in die Erziehungsdebatte fanden.482 Prägend für den Diskurs in Deutschland war das Buch Theorie und Praxis der anti-autoritären Bewegung des britischen Pädagogen Alexander Sutherland Neill, das 1965 erstmals ins Deutsche übertragen wurde. Neill argumentierte hier u. a.: „Der Totalitarismus nahm seinen Anfang im Kinderzimmer, und er beginnt noch immer dort. Der erste Eingriff in die Natur des Kindes ist Despotismus. Es fängt damit an, daß man das Neugeborene dazu zwingt, zu bestim­mten Zeiten zu essen und zu fasten.“ Tiefsitzendes Motiv dieser Praxis sei „Haß gegen das neugeborene Leben und seine natürlichen Bedürfnisse“.483 Neill betonte damit die Verantwortung der Eltern gegenüber ihren Kindern, deren Persönlichkeit nicht zu unterdrücken. Statt der kindlichen Tyrannen findet man bei ihm den Despotismus der Eltern. Eine nicht näher definierte „Natürlichkeit“ sollte handlungsleitend für den Umgang mit dem Kind sein.484 Clauser wandte sich in seinem Ratgeber scharf von Ernährungsplänen ab, die er als „autoritäre Ernährungsweise“ bezeichnete. Die geregelten Mahlzeiten seien ein „Zwang“.485 480 Ebd., S. 127. 481 Vgl. Berfenstam/Bille, Spädbarnskost (1963), S. 154. Vgl. Kolbe, Kindeswohl. Zeitgenössisch: Dahlström u. a., Liv (1968); Moberg, Kvinnans villkorliga frigivning (1961). 482 Vgl. Baader, Kinderläden, S. 20, 24; Uhle, Pädagogik, S. 50 f., 57. Zeitgenössisch: Dermitzel, Thesen (1969). 483 Sutherland Neill, Theorie und Praxis (1969, engl. Org. 1960), S. 176. 484 Die antiautoritäre Erziehung war in Deutschland eine Abgrenzung gegenüber den autoritären Erziehungsmethoden in der NS -Zeit. Als Paradebeispiel für die autoritäre Erziehung und die Förderung von Triebunterdrückung wurde der Ratgeber Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind von Johanna Haarer kritisiert (vgl. 2.2). Vgl. Baader, Kinderläden, S. 20, 24; Gebhardt/Wischermann, Familiensozialisation, S. 16. 485 Vgl. Clauser, Elternschule (1969), S. 119 f.

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Das Kind sollte nach seinen Bedürfnissen ernährt werden, nicht nach einem vorgefertigten Plan. Dabei könne die Mutter aber auch übertreiben. Zu häufig sollten sie ihre Säuglinge nicht ernähren, da dies einen schlechten Einfluss auf das Weltbild des Kindes haben könne: Was gibt dies für ein Weltbild, wenn die Mütter bei jedem Anklopfen Milch geben, wie die Hexe Lebkuchen. Ihre Kinder müssen sich doch später vor der Liebe fürchten, wenn sie ihr in dieser Aufdringlichkeit begegnet sind. Aus Notwehr ertragen sie dann im liebenden Kontakt mit dem Partner lieber den Mangel als den qualvollen Überfluß. Alle, die ihnen ihre Liebe anpreisen, erleben sie als hinterlistige Hexen. Der Säugling meint ja gar nicht immer ‚knusper, knusper‘, wenn er quäkt. Manchmal will er nur ins ‚Häuschen‘, weil er friert.486

Das falsche Verhalten der Mutter in Ernährungsfragen habe in jeglicher Hinsicht persönlichkeitsbildende Effekte. Clausers Anweisungen schwanken zwischen den beiden wirkmächtigen Diskursen der „maternal-deprivation“ und „maternal-overprotection“, die der Mutter wenig Handlungsraum eröffneten.487 Diekmeyer sowie Gottfarb und Lind setzten ebenfalls auf die Selbstregulierung des Säuglings, verbanden die Regeln jedoch mit anderen Wissensbeständen als Clauser. Gottfarb und Lind erklärten, dass im Krankenhaus das Schema noch benutzt werde, um die Arbeitsabläufe regeln zu können. Zu Hause müsse sich die Mutter aber nicht mehr daran halten und die Mahlzeiten stattdessen den Bedürfnissen des Kindes anpassen.488 Als Faustregel sollte sie das Kind zumindest nie länger schreien lassen.489 Diekmeyer schlug zwar einen Ernährungsplan vor, gab aber zu bedenken: „Ein Kind braucht eine gewisse Regelmäßigkeit in seinem Tagesablauf. Es wäre jedoch falsch, wenn Sie sich ausschließlich nach der Uhr richteten: entscheidend sind die ganz persönlichen Bedürfnisse Ihres Kindes.“ 490 Diekmeyers Anweisungen lassen sich mit den frühen entwicklungspsychologischen Ratgebern in Schweden vergleichen. Auch er eröffnet eine Opposition zwischen den Praktiken im Krankenhaus, die notwendig seien für den Betrieb, und den Praktiken zu Hause, wo die Bedürfnisse des Kindes im Vordergrund stehen sollten.491 Clauser sah dies ähnlich, spitzte die Verhältnisse jedoch erneut kritisch zu: „[D]ie Hetze und die kurzen Stillzeiten in den Kliniken [sind] 486 Ebd., S. 123. 487 Schütze, Gute Mutter, S. 121. 488 Gottfarb/Lind, Vården (1963), S. 138. 489 Vgl. ebd., S. 138. 490 Diekmeyer, Elternbuch (1976), S. 34, siehe auch S. 47: „Sie sollten sich nicht allzu starr an den Vier-Stunden-Rhythmus halten. Legen Sie Ihr Kind an, wenn es Hunger hat.“ 491 Ebd., S. 47.

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daran schuld, wenn das Kind zu wenig trinkt.“ 492 Anstatt zu erklären, warum die Regeln nötig seien, stellte er die Krankenhausverhältnisse als gefährlich für Mutter und Kind dar. Die Kritik an den Abläufen im Krankenhaus, die auch in der wissenschaftlichen Diskussion der 1960er und 1970er Jahre geführt wurde, fand sich also auch in den Ratgebern wieder und lieferte den neuen Kontext für die Ernährungsregeln (vgl. 1.5.3 und 1. 5.4) – diese Kritik findet sich auch weiter unten in den Stillbüchern. Insgesamt lässt sich festhalten, dass sich ein neues Bild vom Säugling und seinen Bedürfnissen durchgesetzt hatte, das den Eltern vermittelt wurde. Ein Kind, das wie eine Uhr funktionierte, war nicht mehr wünschenswert, sondern seine Individualität sollte bereits im Säuglingsalter ­erkannt und gefördert werden.493 Insgesamt setzte sich die Auflösung der Ernährungsregeln in diesem Zeitabschnitt immer stärker durch und die industrielle Flaschennahrung wurde zu einem gleichberechtigten, wenn auch untergeordneten Akteur in der Säuglingsernährung. Während sich in Schweden seit Mitte der 1950er Jahre eine relativ homogene Linie in der Ratgeberliteratur herausbildete, die in Kooperation zwischen verschiedenen ExpertInnen verfasst wurde, gab es in Deutschland, insbesondere in der Ernährung mit der Flasche, prononcierte Deutungskämpfe. Diese standen im größeren gesellschaftlichen Zusammenhang einer Diskussion um die Rolle der Frau und Mutter in der bundesdeutschen Gesellschaft in Bezug auf die Erwerbsarbeit. Diekmeyers Elternbuch ist hier eher als Teil einer progressiven Haltung zu verstehen, während Clausers Moderne Elternschule konservative Meinungen perpetuierte. Zwischen Diekmeyer und Asklund/Ödman finden sich größere Übereinstimmungen als zwischen den beiden deutschen Autoren, obwohl Diekmeyers und Asklund/Ödmans Werke mit zehn Jahren Abstand voneinander entstanden, Diekmeyers und Clausers Ratgeber hingegen im gleichen Jahr erstmals herausgekommen waren. Alle Ratgeber waren sich jedoch einig, dass Säuglinge distinkte Persönlichkeiten waren und für die Eltern einen Partner in der Erzie­ hung darstellten.

492 Clauser, Elternschule (1969), S. 125. 493 Vgl. Uhle, Pädagogik, S. 57 f.

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2.5.2 Ratgeber von Herstellerfirmen

Ratgeber von Herstellerfirmen stehen an der Schnittstelle zwischen Werbung und Information. Ich untersuche Mitt barn (Mein Kind) von 1970494, das von Birgitta Melin und Karin von Schenck zusammengestellt wurde, die u. a. für die schwedische Elternzeitschrift Vi Föräldrar über Säuglingsernährung informierten, sowie den ersten Teil von Werner Corrells Die Nestlé-Elternschule in 5 Lernprogrammen aus dem Jahr 1971, der Psychologe war. Beide Ratgeber wurden von Nestlé bzw. der schwedischen Tochterfirma Findus veröffentlicht.495 Wie Abschnitt 1.5.4 ­gezeigt hat, stand Nestlé in den 1970er Jahren im Mittelpunkt der Skandalisierung und Bekämpfung von Marketingstrategien großer Flaschennahrungshersteller in Ländern des Globalen Südens. Ratgeber der Firma zu untersuchen, ist daher besonders aufschlussreich, um herauszustellen, wie dort das eigene Produkt im Verhältnis zum Stillen dargestellt wurde. In Schweden muss dabei bedacht werden, dass die Werbung für industrielle Flaschennahrung durch eine Übereinstimmung von Industrie und Pädiatrie aus dem Jahr 1964 immer nur entlang der geltenden pädiatrischen Kenntnisse erfolgen durfte. Dafür wurde im Klappentext von Mitt barn durch ein Komitee führender schwedischer Kinderärzte garantiert.496 Beide Ratgeber enthalten interaktive Elemente und sind damit zugänglicher gestaltet als die üblichen Ratgeber der KinderärztInnen und PsychologInnen. In Mitt barn gab es die Möglichkeit, eigene Aufzeichnungen über die Entwicklung des Kindes zu machen, sowohl als Hilfe für die Eltern als auch als Erinnerung für das Kind.497 Der deutsche Ratgeber war als eine Mischung aus kurzen Infor­ mationen sowie Fragen und Antworten zu den jeweiligen Themenbereichen konzipiert. Zudem konnte ein Test gemacht werden, den Eltern mit einer beigefügten Antwortkarte bei Nestlé einsenden konnten. Außerdem zeichnen sich beide Ratgeber durch eine große Anzahl bildlicher Darstellungen aus. Ungefähr die Hälfte der Seiten war jeweils für Fotos und Zeichnungen reserviert, auf denen häufig auch die Produkte der Firma abgebildet wurden. In der Elternschule gab es keine Darstellung einer stillenden Mutter, dafür aber viele Zeichnungen, auf denen eine typische Nestlé-Breithalsflasche zu sehen war, anders als im schwedischen Buch, wo ein Kind sowohl gestillt als auch mit der Flasche gefüttert wurde.498 494 Melin/von Schenck, Mitt barn (1970), S. 23. In Schweden wurden die Produkte von Nestlé durch die Firma Findus vertrieben. 495 Correll, Nestlé-Elternschule, Bd. 1 (1971). 496 Gyllensward u. a., Medical Standards (1977), S. 132. 497 Melin/von Schenck, Mitt barn (1970), S. 1. 498 Ebd., S. 18 bzw. 20.

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In Mitt barn betonten die Autorinnen, dass Mütter stillen sollten, denn: „Selbst wenn unser Muttermilchersatz eine Zusammensetzung hat, die der Muttermilch gleicht, kann sie nicht ganz mit ihr gleichgestellt werden.“ 499 Das Stillen sei für den Kontakt zwischen Mutter und Kind außerdem sehr wichtig. Auch wenn das Kind mit der Flasche ernährt werde, solle es im Arm gehalten werden, um den gleichen Effekt wie das Stillen zu haben. Um diesen Effekt noch zu verstärken, solle die Mutter dem Kind auch ab und an die Brust geben und Hautkontakt ermöglichen.500 Es wird auch darauf hingewiesen, dass die Produkte nicht ohne eine vorherige Konsultation mit einem Arzt oder der BVC gegeben werden sollten. Dennoch wurden die Produkte verhältnismäßig positiv dargestellt: Wenn eine Mutter „früher keine Milch hatte, war das eine Tragödie für das Kind“. Seitdem es die Findus-Produkte gab, die der Muttermilch nachempfunden waren, habe sich jedoch vieles zum Positiven verändert.501 In der Nestlé-Elternschule wurde das Stillen hingegen überhaupt nicht thema­ tisiert. Wenn der Ratgeber die Ernährung des Kindes erwähnte, dann immer in Bezug auf die Flasche oder unspezifisch. Auch wenn die industrielle Säuglingsnahrung seit den 1960er Jahren als weniger problematisch galt, wurde das Stillen in allen anderen Ratgebern als überlegene Ernährungsform dargestellt. In der Nestlé-Elternschule gab es stattdessen Aussagen wie: „Die von der Industrie angebotene Fertignahrung hat ein hohes Qualitätsniveau und gibt der jungen Mutter damit Sicherheit und Vertrauen“,502 und: Richtige, speziell auf die Bedürfnisse des Kindes zugeschnittene Mahlzeiten helfen dem Baby auch sehr früh, seine Persönlichkeit zu entwickeln. Es lernt besser. Sein Gedächtnis leistet mehr. Eine richtige Ernährung beeinflußt nicht nur die körperliche, sondern auch die geistige und seelische Entwicklung unseres Kindes.503

Diese Aussagen waren zwar vorrangig als Abgrenzung zu selbst hergestellter Nahrung gedacht, vermittelten aber dennoch das Bild der Nestlé-Produkte als der Muttermilch ebenbürtige oder sogar überlegene Nahrung. Die Abwesenheit des Stillens in der Nestlé-Elternschule ist dadurch umso herausstechender.

499 Ebd., S. 18. 500 Vgl. ebd., S. 21. 501 Ebd., S. 21. 502 Correll, Nestlé-Elternschule (1971), Lektion 37. Vgl. ebd. Lektion 40: „Wenn ein Baby ‚einseitige‘ oder falsch zusammengesetzte Nahrung bekommt, führt das zu Entwicklungsstörungen.“ 503 Ebd., Lektion 39.

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Die Frage nach Ernährungsregeln wurde in beiden Bücher diskutiert. Die Formulierungen in Mitt barn erinnern stark an das Föräldrarbok. Während es im Krankenhaus aus organisatorischen Gründen nur alle vier Stunden Nahrung gebe, hätten die Kinder ihren eigenen Rhythmus und anfangs unregelmäßige Essbedürfnisse.504 Dies werde sich jedoch bald von selbst regulieren und die Ernährung des Kindes gewöhne sich ein Schema an, das auch für die Familie passend sei. Die Ernährungsvorgaben wurden sehr nüchtern und ohne größere Einordnung in wissenschaftliche Diskussionen präsentiert. Im deutschen Ratgeber hingegen wurde viel Wert darauf gelegt, sich gegen das Ernährungsschema abzugrenzen. Correll betonte immer wieder, dass das Kind entsprechend seiner eigenen Bedürfnisse ernährt werden solle. Dies wurde auch auf den Prüfungskärtchen abgefragt. Etwas polemisch wurden zwei Antwortmöglichkeiten auf die Frage präsentiert: „Wie sollte sich eine Mutter entscheiden, wenn es um die Essenszeiten ihres Kindes geht?“ Antwort a) „Ich füttere mein Baby, wenn es Hunger hat. Auch wenn es nicht zur festgesetzten Zeit ist, denn es soll wissen, daß ich immer für das Kleine da bin.“ Diese Antwort war richtig, wie die nächste Seite zeigte. Antwort b) „Ich füttere genau nach Zeitplan. So gewöhnt sich das Baby gleich an Pünktlichkeit und lernt einen gewissen Tagesrhythmus einzuhalten“,505 war hingegen falsch, was in der nächsten Lektion noch einmal unterstrichen wurde. Um den eigenen Zeitplan für das Kind herauszufinden, sollten die Eltern sich auf sich selbst verlassen, nicht auf „die erfahrene Omi“ oder medizinisches Personal.506 Die Ausgrenzung von Großmüttern fand sich auch in anderen Ratgebern, aber die Abgrenzung zur Expertise von medizinischem Personal ist außergewöhnlich. KinderärztInnen wurden in keiner der Lektionen als ExpertInnen dargestellt. Dies kann als Versuch interpretiert werden, das Vertrauen in die Informationen des Herstellers zu stärken. Die beiden Ratgeber wiesen große Unterschiede auf, obwohl sie vom gleichen Hersteller kamen. Der schwedische Ratgeber enthielt zwar Werbung für die Produkte von Nestlé bzw. Findus, seine Aussagen stellen aber keine Ausnahme im schwedischen Diskurs um Säuglingsernährung dar. Ganz anders die NestléElternschule, in der das Stillen nicht diskutiert wurden. Im separaten Vorwort der Nestlé GmbH beteuerte sie, „Pionierarbeit in Entwicklung von Kindernahrung“ geleistet zu haben. Der Ratgeber wurde als „Service“ dargestellt, denn Eltern müssten „ganze Berge von Büchern und Zeitschriften durcharbeiten, um auf h ­ erkömmlichem Weg im Gebiet der Kinderpsychologie up to date zu 504 Melin/von Schenck, Mitt barn (1970), S. 21. 505 Correll, Nestlé-Elternschule (1971), Lektion 34. 506 Vgl. ebd., Lektion 35.

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sein“.507 In der Darstellung drängt sich allerdings der Eindruck auf, den Eltern sollte vor allem vermittelt werden, dass die Nestlé-Produkte denen anderer Anbieter überlegen waren. Die Kritik von StillbefürworterInnen, ÄrztInnen und AktivistInnen der 1970er Jahre kann also durchaus als berechtigt betrachtet werden, zumindest wenn andere Werbematerialien Nestlés die gleichen Bilder transportierten wie die deutsche Nestlé-Elternschule. Durch die schwedische Vereinbarung zwischen Industrie und Pädiatrie konnten ähnliche Aussagen in Schweden hingegen nicht von Herstellerfirmen vertreten werden. 2.5.3 Stillratgeber

Die Abnahme der Stillquote, die in beiden Ländern ungefähr nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges einsetzte, wurde spätestens seit den 1960er Jahren von verschiedenen Akteursgruppen problematisiert:508 Zum einen nahm die Pädiatrie die sinkende Stillfrequenz zum Anlass, mehr Forschung darüber zu betreiben, wie Stillen nicht nur physiologisch, sondern auch psychologisch funktionierte und welche Faktoren dazu beitrugen, dass Frauen nach nur wenigen Wochen oder Monaten abstillten (vgl. 1.5.2). Zum anderen setzten sich Frauen im Zuge der Zweiten Frauenbewegung sowie der Frauengesundheitsbewegung um 1970 dafür ein, Stillwissen und Stillerfahrungen von Frau zu Frau weiterzugeben, weil sie von den mangelnden Stillkenntnissen des medizinischen Personals enttäuscht waren (vgl. 1.5.3). Beide Gruppen bescheinigten dem „Trommelfeuer der Reklame“ 509 durch die Nahrungsmittelhersteller, einen nicht geringen Beitrag am Rückgang des Stillens zu leisten. Die Ratgeber der Herstellerfirmen sind ein Zeichen dafür, dass dies, zumindest im deutschen Fall, durchaus nicht unberechtigt war. Ein Weg, um diese Wissensvermittlung zwischen Frauen zu fördern, waren Stillgruppen, die in Deutschland und Schweden während der 1970er Jahren entstanden. Aber auch Ratgeber nahmen dieses Defizit zum Anlass, Informationen über das Stillen zu vermitteln. Als Beispiele werde ich Boken om amning (Das Buch übers Stillen, 1974) von der Norwegerin Elisabet Helsing 510 und Ich will mein Kind stillen (1978)511 von 507 Ebd., o. S. 508 Vgl. Heimerdinger, Brust oder Flasche, S. 102; Heiniger, Wandel, S. 10; Socialstyrelsen, ­Amning (1982), S. 17. 509 Hering, Problematik (1964), S. 63; siehe auch Scheller, Untersuchungen (1966), S. 6. 510 Helsing, Boken om amning (1974). 511 Ehler, Kind (1978). Martha Ehler war von Beruf Sonderschullehrerin in Wien, bevor sie „den Schritt des Glaubens wagte“ und „eine völlig neue Sicht von Liebe, Ehe und Mutterschaft, die sich auch in diesem Band widerspiegelt“ erhielt, Trobisch, Nachwort, in: ebd., S. 108.

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der Österreicherin Martha Ehler untersuchen, die jeweils die frühesten Stillratgeber in der jeweiligen Sprache repräsentieren. Helsing war in der norwegischen Frauenbewegung aktiv und hatte dazu beigetragen, die Stillhilfe (Amningshjälpen) dort und in Schweden aufzubauen. Für Amningshjälpen war ihr norwegisches Buch von 1972 ein erstes Referenzwerk, das 1974 auch ins Schwedische übersetzt wurde (vgl. 1.5.3). Martha Ehlers Buch erschien mit Unterstützung des christlichen ABCT eams, in dem auch die konservative Pädagogin Christa Meves veröffentlichte, die das Vorwort beisteuerte. Ein Bezug auf ihren Glauben findet sich auch im Buch selbst wieder, denn Ehler erklärte ihre Beweggründe folgendermaßen: Ich schrieb dieses Buch im Auftrag Gottes. Er wuchs mir allmählich zu und wurde mir immer gewisser, während ich die Briefe von Frauen, die mit Stillen Schwierigkeiten hatten, beant­ wortete und dann begann, diese vielen Fragen in einem Buch zusammenzufassen. 512

Das Wissensdefizit vieler Frauen war für sie ein Anlass, der jedoch missionarisch überhöht wurde. Damit stellte Ehlers Ratgeber durchaus eine Besonderheit im gesamten Sample dar. Obwohl Hanny Lothrops Publikation Das Stillbuch in Deutschland insgesamt bekannter ist,513 war auch Ehlers Ratgeber durchaus erfolg­reich und wurde mehrfach neu aufgelegt. In der Auflage von 1998 erschien es, selbstbewusster ohne das Hilfsverb, als Ich stille mein Kind. Handbuch für eine glückliche Stillzeit im Verlag SCM Hänssler. Diese Änderung des Titels spiegelt den Bedeutungsgewinn des Stillens in der deutschen Gesellschaft seit den 1980er Jahren wider. Beide Bücher setzen die Tradition der Ratgeber fort, die von Frauen speziell für Frauen geschrieben wurden und deren Grundlage in einer geteilten Erfahrung des Frau- und Mutterseins bestand. Ehlers Buch war in Form von Briefen gestaltet, die sich zwei junge Ehepaare schrieben. Die eine Frau war mit ihrem ersten Kind schwanger und suchte Hilfe bei ihrer Freundin, die bereits drei Kinder hatte. ­Helsings Ratgeber orientierte sich im Aufbau an den „klassischen“ Ratgebern. Beide Bücher unterlegten ihre Aussagen aber auch mit Zitaten aus wissenschaftlichen Studien, da ihr Anliegen unter besonders hohem Legitimationsdruck stand. Ehler erklär­te: „[W]er auf dem Boden der Erfahrung in den letzten Jahren die ­Wichtigkeit des Stillens für die Charakterbildung des Menschen hervorhob, wurde allerseits als 512 Meves war bekannt geworden mit ihrem Buch Mut zum Erziehen, das als anti-antiautoritärer Ansatz gelesen werden kann: Meves, Mut (1970). Vgl. Gebhardt/Wischermann, Familiensozialisation, S. 16; Höffer-Mehlmer, Elternratgeber, S. 242; Lenz/Scholz, Das idealisierte Kind, S. 272. 513 Lothrop, Das Stillbuch (1980). Vgl. Kröger/Rückert-John, Stillen, S. 192; Seichert, Erziehung, S. 126.

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reaktionär oder unwissenschaftlich abgetan.“ 514 Umso mehr begrüßten die beiden Autorinnen die Initiative vieler junger Frauen für das Stillen und die neueren Bemü­ hungen der Forschung, sich mit dem Stillen zu beschäftigen. Zuvor habe sich die Forschung zu sehr mit der Forschung für künstliche Säuglingsernährung beschäftigt und darüber das Stillen vergessen – es sei „medizinisches Niemandsland“.515 Die Veröffentlichungskontexte und politischen Verortungen der Autorinnen waren denkbar unterschiedlich und auch in der Argumentation gab es deutliche Divergenzen. In ihrem Grundanliegen stimmten die Autorinnen jedoch überein: Viele Frauen wollten stillen, wussten aber nicht wie, weil ihnen die nötige Unterstützung fehlte. Beide Autorinnen identifizierten mehrere Gründe für dieses Problem, die fast deckungsgleich mit den in den Abschnitten 1.4.3 und 1.4.4 besprochenen Themen waren: 1) Mangelnde Unterstützung im Krankenhaus, 2) das vorherrschende starre Ernährungsschema, 3) fehlende weibliche Vorbilder, 4) Herstellerwerbung sowie 5) Nicht-Stillen als Effekt übermäßiger „Zivilisation“. Beide Ratgeber waren sich darin einig, dass es zu wenig Aufmunterung zum Stillen in der Schwangerenberatung sowie nach der Entbindung im Krankenhaus gebe.516 Laut Ehler bleibe der Stillerfolg aus, „[s]olange die Babys den Müttern gleich nach der Geburt weggenommen, nur alle vier Stunden gebracht und dann mit der Flasche nachgefüttert werden“.517 Das Umdenken müsse nicht nur bei den Müttern, sondern bei der gesamten Umgebung, insbesondere in den Kliniken, einsetzen. Dieser Prozess fand in den beiden Ländern seit den späten 1960er Jahren statt, indem vermehrt Rooming-in-Optionen auf Geburtsstationen angeboten wurden, ging aber sehr langsam voran (vgl. 1.4.3). Stillprobleme hingen außerdem eng mit dem vorherrschenden Ernährungsschema zusammen, das in Krankenhäusern noch überwiegend praktiziert wurde. Laut Helsing hatte die Aufstellung der Stillregeln, die eigentlich für Flaschenkinder gedacht waren, dazu geführt, dass viele Mütter das Stillen verlernt hätten. Als man diese Regeln auch auf das Brustkind anwandte, habe man einen Fehler begangen, weil dadurch die Brüste nicht mehr genug stimuliert wurden.518 Das Konzept der Selbstregulierung sei jedoch nicht neu: „Kinder waren selbstregulierend seit Anbe­ginn der Zeit.“ 519 Sie nutzte also eine Mischung aus alten Motiven und neuen Ansätzen in ihrer Erklärung der Stillvorteile. 514 515 516 517 518 519

Christa Meves, Vorwort (1978). Ehler, Kind (1978), S. 10. Vgl. Helsing, Boken om amning (1974), S. 41. Helsing, Boken om amning (1974), S. 17. Ehler, Kind (1978), S. 11. Vgl. Helsing, Boken om amning (1974), S. 50. Ebd., S. 82.

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Stillwilligenden Frauen fehlten außerdem weibliche Vorbilder, bei denen sie Praktiken abschauen konnten. Die ersten Stillversuche verglich Helsing damit, Autofahren zu lernen. Die ersten Versuche seien sehr frustrierend und negativ, aber dennoch sollten die Mütter nicht aufgeben: „Selbst wenn die ersten beiden Monate einen gewissen Einsatz fordern, bekommt man diesen später reichlich zurück.“ 520 Stillen sei ein „Lernprozeß“, stimmte auch Ehler zu, „alles, was man lernen muß, macht anfangs Schwierigkeiten und erst dann Freude, wenn man es kann“.521 Stillen, so legen diese Worte nahe, war eben kein so einfacher und natürlicher Prozess, sondern musste gelernt werden. Ehler konstatierte: Hauptursache ist eine falsche Erziehung. Die jungen Mütter erfahren nichts über die Bedeutung des Stillens; sie werden mit Vorurteilen belastet und in einer verständnislosen, stillfeindlichen Umwelt mit ihren vielen Fragen, Zweifeln und Unsicherheiten allein gelassen. 522

Mütter hätten nicht, wie früher, andere Frauen in ihrer Umgebung, die sich in der gleichen Situation befänden, so Helsing. Zudem hätten einige Freundinnen schlechte Erfahrungen beim Stillen gemacht und seien dadurch ein negativer Einfluss statt einer Stütze.523 „Eine Generation Flaschenernährung hat gereicht, dass das alte Wissen in Vergessenheit geraten ist“,524 beklagte Helsing. Das Wissen der vorherigen Generationen war nicht mehr das Feindbild, sondern die Autorinnen wünschten sich, dass junge Mütter von ihren Erfahrungen hätten lernen können. Einen großen Anteil an der Abnahme des Stillens schrieben beide Autorinnen der Flaschennahrung zu. Nachdem es „vor etwa sechzig Jahren gelang [ein Baby ohne Muttermilch am Leben zu erhalten], wurde das Fläschchen zu einem Symbol des Fortschritts“,525 meinte Ehler. Insbesondere die Werbemethoden der Herstellerfirmen gaben Helsing Anlass zur Kritik: „Eine Mutter mit Säugling bekommt eine Menge bunter Drucksachen in die Hand, die Auskunft über die ausgezeichneten Eigenschaften der künstlichen Nahrung geben.“ 526 1974 war außerdem der Skandal um die Tätigkeiten von Nestlé und anderen Säuglingsnahrungsfirmen mit der Veröffentlichung von The Baby Killer und der deutschen 5 20 Vgl. ebd., S. 14. 521 Ehler, Kind (1978), S. 106. 522 Ebd., S. 11. 523 Vgl. Helsing, Boken om amning (1974), S. 13, 51. 524 Vgl. ebd., S. 13. 525 Ehler, Kind (1978), S. 9. 526 Helsing, Boken om amning (1974), S. 48 f. Vgl. Heiniger, Wandel, S. 10.

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Übersetzung Nestlé tötet Babys erstmals einer breiteren Öffentlichkeit bekannt geworden (vgl. 1.5.4).527 Ehler griff diesen Zusammenhang ebenfalls auf: Deshalb ist es bestürzend, daß, wie kürzlich zu lesen war, ein großer Konzern durch Werbung in den Entwicklungsländern den Frauen, die ohnehin ihre Babys selbst nähren können, die künstliche Säuglingsnahrung im Interesse des eigenen wirtschaftlichen Aufschwungs einredet, obwohl diese für die dortigen hygienischen Voraussetzungen völlig ungeeignet ist!528

Helsing widmete dem Verhalten der Nährmittelhersteller in ihren Schlussbetrach­ tungen sehr viel Raum. Sie unterschied dabei klar zwischen den Voraussetzungen in armen und reichen Ländern und erklärte, „[i]n unserem Land ist die Mutter­ milch keine Lebensbedingung für einen Säugling“,529 denn die hygienischen Umstände seien ausreichend, um die Flaschennahrung sicher durchzuführen. In Ländern, die ohnehin arm waren, sei die Flaschennahrung aber unökonomisch und gefährlich.530 Sich für oder gegen das Stillen zu entscheiden, wurde so auch zu einer moralischen Entscheidung, ob man diese Praktiken in anderen Ländern unterstützen wollte oder nicht. Diese Entfremdung der Generationen und das Verhalten der Nahrungsmittelhersteller sahen Ehler und Helsing zudem als Effekt einer übermäßigen „Zivilisation“ in westlichen Gesellschaften. Helsing bewunderte die „sogenannten unzi­ vilisierten Gesellschaften“ dafür, dass fast alle Frauen dort stillten. Sie vermutete, dass Stillprobleme dann entstanden, wenn Gesellschaften hochentwickelt und damit komplizierter wurden.531 Eine solche Entwicklung habe es bereits in anderen Hochkulturen gegeben: bei den Ägyptern, Griechen und Römern. Auch die Praktiken in Paris während des 18. Jahrhunderts, Kinder durch Ammen ernähren zu lassen, deutete sie als Ausdruck dieses Prozesses. Im 20. Jahrhundert habe die Flasche den Platz der Amme eingenommen, nachdem durch Pasteurs Entdeckung die Milchnahrung ungefährlich wurde.532 In Notzeiten hingegen – sie nannte das Beispiel Norwegens während des Zweiten Weltkrieges – nehme die Stillfrequenz immer wieder zu. Die Ernährung mit der Flasche sei ein Symptom von Reichtum und Überfluss, auch ein Disktinktionsmerkmal zwischen Klassen.533 Im egalitären skandinavischen Gesellschaftskonzept hatte solch eine Praktik keinen Platz. 5 27 Vgl. Arbeitsgruppe Dritte Welt, Exportinteressen (1976); Muller, Baby Killer (1974). 528 Ehler, Kind (1978), S. 9 f. 529 Helsing, Boken om amning (1974), S. 144. 530 Ebd., S. 146. 531 Vgl. ebd., S. 45. 532 Vgl. ebd., S. 45. 533 Vgl. ebd., S. 48 f.

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Christa Meves stellte im Vorwort zu Ehlers Ratgeber ebenfalls einen Zusammenhang zwischen „Hochzivilisation“ und Stillproblemen her, die sie für weitere gesellschaftliche Probleme verantwortlich machte: Wer das Glück hatte, in fröhlicher Natürlichkeit (und das heißt nach eigenem Bedarf ) durch das erste Lebensjahr hindurch an der Mutterbrust satt, zufrieden und geborgen sein zu dürfen, der ist später nicht so leicht aus dem Gleichgewicht zu bringen; der neigt zu Zuversicht, Vertrauen, Durchhalte-, Durchsteh- und Leistungsvermögen, der ist im Erwachsenenalter weniger anfällig gegen die großen Gefahren und Versuchungen des Menschen in hochzivilisierten Kollektiven: Gegen Depression (Selbstmord!) und Sucht.534

Sie beschwor ein ähnlich dramatisches Bild von den Folgen des Nicht-Stillens herauf wie die Kinderärzte zu Beginn des Jahrhunderts und Haarer während des Nationalsozialismus, nur bezogen sich die Befürchtungen nicht auf den Körper des Säuglings, wohl aber auf seine Psyche. Die psychische Bedeutung des Stillens war für Ehler von entscheidender Bedeu­tung für die Mutter-Kind-Beziehung: Eine Mutter, die mit dem Fläschchen füttert, liebt ihr Kind natürlich auch und will sein Bestes. Und doch – es ist fast etwas Platonisches in dieser Art von Zuwendung. Es fehlt die Beteiligung des Körpers, der Hormone und des Nervensystems. Es fehlt das aus der Mutter fließende ­Geschenk der Sättigung mit seinen ganz auf den Säugling abgestimmten Nahrungseinheiten. Das Baby saugt sich an der sterilen Flasche satt, und so wird ihm letzten Endes die Flasche wichtig und nicht die Mutter.535

Die Ernährung mit der Flasche entfremde, so Ehler, Mutter und Kind. Die Folgen einer gestörten Mutter-Kind-Beziehung seien dramatisch: „[D]ie Zigarette des Kettenrauchers und das Trinkglas des Alkoholikers“ würden zu einem „‚Schnuller‘ für jene Erwachsene, die nachholen wollen, was sie als Baby nicht bekamen, und die beim ‚Nuckeln‘ die tiefe Sehnsucht nach Liebe stillen wollen“.536 Eine Mutter, die ihrem Kind die Brust vorenthielt, schuf in dieser Vorstellung die Voraussetzungen für das Leben eines Süchtigen und richte irreparabele Schäden an der Seele des Kindes an. Auf Grundlage dieser Vorstellung sprach sich Ehler vehement dagegen aus, dass Mütter im ersten Lebensjahr des Kindes wieder arbeiteten. Hierbei griff sie auf die in den späten 1970er Jahren schon stärker hinterfragte Bindungstheorie zurück, 5 34 Meves, Vorwort (1978), S. 3. 535 Ehler, Kind (1978), S. 12. 536 Ebd., S. 14.

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nach der eine Mutter während des gesamten ersten Lebensjahrs ausschließlich für ihr Kind da sein sollte.537 Neben den oben entworfenen potentiellen psychischen Schäden führte sie das Argument an, dass die „Kosten für die Beaufsichtigung des Kindes einen großen Teil des mütterlichen Verdienstes“ verschlängen.538 Nicht nur medizinische und psychologische, sondern auch ökonomische Gründe führte Ehler ins Feld, um Frauen vom Stillen zu überzeugen. Helsings Einschätzung der psychologischen Auswirkungen des Nicht-Stillens waren deutlich weniger dramatisch als sie in Ehlers Ratgeber zu finden waren. Sie hob außerdem hervor, dass Stillen nicht nur für das Kind, sondern auch für die Mütter einen Vorteil haben könne. Stillen sollte auch für die Mütter ein schönes Erlebnis sein. Da das Kind schon in der Art und Weise, wie es an der Brust trank, seine Individualität zum Ausdruck brachte, könne sie das Kind durchs Stillen besser kennenlernen. Schließlich erhöhe sich dadurch auch ihr Selbstwertgefühl und das Gefühl, etwas Eigenes geschafft zu haben.539 Diese positiven Effekte stellten aber keinen Widerspruch zur Müttererwerbsarbeit dar. Es gebe keine physischen Hindernisse, weswegen eine Mutter nicht sowohl Stillen als auch Arbeiten gehen könne.540 Sie bedürfe jedoch der Unterstützung von verschiedenen Seiten. Den verhältnismäßig langen Elternurlaub in Schweden begrüßte Helsing in dieser Hinsicht, auch wenn sie noch Verbesserungsbedarf sah. Die Erfahrungen vieler Frauen waren für sie ein Beleg dafür, dass beides gut funktionieren könne.541 Die Milch sollte hierfür abgepumpt und keinesfalls Flaschennahrungsprodukte ­genutzt werden. Voraussetzung für diese Praktik sei, dass das Kind bereits einen Rhythmus in der täglichen Ernährung gefunden habe. Die Rolle des Vaters wurde in beiden Ratgebern relativ ähnlich eingeschätzt. Insgesamt fand er bei Helsing seltener Erwähnung als bei Ehler, was u. a. dem unterschiedlichen Aufbau der Bücher geschuldet war. Ehler gab neben den Briefen zwischen zwei Müttern auch die Briefe der dazugehörigen Ehemänner wieder, die sich über ihre Erfahrungen austauschten. Dort bezeichneten sie sich selbst als „stillende Väter“, deren „indirekte“ Aufgabe es war, es ihren Frauen zu ermöglichen, sich ganz den Kindern zuzuwenden. Die beiden Väter thematisierten auch, dass sie ab und zu neidisch auf den engen Kontakt zwischen Mutter und Kind waren, der ihnen vorenthalten blieb. Sie kamen sich „recht überflüssig und wie […] Außenseiter vor“.542 537 Meves, Vorwort (1978), S. 3. Zur Deprivations- und Bindungstheorie vgl. Kolbe, Kindeswohl; Schütze, Gute Mutter. 538 Ehler, Kind (1978), S. 85. 539 Vgl. Helsing, Boken om amning (1974), S. 144 f. 540 Vgl. ebd., S. 52. 541 Vgl. ebd., S. 144. 542 Ehler, Kind (1978), S. 53.

Das Kind als „Persönlichkeit und Partner“ in Deutschland und Schweden (1960er Jahre bis 1980)  |

Dann besannen sich beide auf ihre Aufgabe als „stillende Väter“: „Ich liebte und ‚stillte‘ sie, damit sie das Baby besser lieben und stillten konnte.“ 543 Eine aktive Rolle als Ernährer und Erzieher des Kindes war für die Väter nicht vorgesehen, sondern sie waren Unterstützer der Mütter. Dies sah Helsing ähnlich, die der Mutter riet sich während der ersten Wochen Hilfe von außerhalb zu holen. Wenn die Familie jedoch Kinder unter zehn Jahren hatte, könne der Vater einen besonderen Urlaub für zehn Tage nehmen, der ihm zustand, wenn ein Kind auf die Welt kam.544 Der Vater wurde in den Stillbüchern weitestgehend aus den Ernährungspraktiken ausgeschlossen. In Anbetracht all dessen ist es erstaunlich, dass Helsing das Stillen dennoch dezi­ diert als „Wahl“ der Mutter bezeichnete. Diese Einstellung Helsings deckte sich mit dem allgemeinen schwedischen Diskurs, der Frauen eher darin bestärkte, eigene Entscheidungen in der Ernährungsfrage zu treffen und sie vor allem nicht moralisch zu verurteilen, wenn sie die Flasche gaben (vgl. 1.4.4). Bei Ehler kam Stillen hingegen einer Pflicht gleich, weil die Konsequenzen der Flaschennahrung auf solch drastische Weise dargestellt wurden, dass es wenig Entscheidungsraum für die Flasche gab.545 Ehler machte jedoch ebenfalls das Zugeständnis, dass keine Frau zum Stillen gezwungen werden solle, „denn dann wird nichts Gutes, sondern nur ein Krampf daraus“.546 Stattdessen lieferte ihr Ratgeber genügend überzeugende Argumente, warum das Stillen aus vielfältiger Sicht die bessere und richtige Entscheidung sei. Spätestens Ende der 1970er Jahre setzte sich Stillen gegenüber der Flasche ­erneut als „bessere“ Ernährungsform durch. Dies lag nicht zuletzt daran, dass sich Akteure, die sich gesellschaftspolitisch an unterschiedlichen Enden des Spektrums bewegten, auf die Vorteile des Stillens einigen konnten und sogar die gleichen Ursachen für den Stillrückgang identifizierten. Es wurde somit zunehmend auch eine politische Entscheidung, ob und vor allem wie eine Frau ihr Kind stillte.547 Stillbücher waren eine Möglichkeit für Mütter, sich nicht nur zu informieren, sondern sich auch ihrer Überzeugungen zu versichern. Zwischenfazit

Die Auswertung der verschiedenen Ratgebertypen zeigt, dass in beiden Ländern Einigkeit über zwei Dinge herrschte: 1) Das Stillen war der Flaschennahrung 543 Ebd., S. 54. 544 Helsing, Boken om amning (1974), S. 24. 545 Ebd., S. 149. In anderen Medien fanden sich ähnliche Aussagen, vgl. Schwabenthan, Stillen oder nicht? (1975), S. 103. 546 Ehler, Kind (1974), S. 11. 547 Vgl. Limper, Vorsprung durch Stillen, S. 311.

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eindeutig vorzuziehen, vor allem weil es für die psychische Entwicklung des ­ indes wichtig war (ausgenommen in der Nestlé-Elternschule). Für das körperK liche Wohlbefinden und die Entwicklung machte es jedoch keinen Unterschied, ob ein Kind mit der Flasche gefüttert wurde (ausgenommen in Clausers Moderner Elternschule). Die Mutter oder auch der Vater sollten aber auch darauf achten, dass sie die innige Haltung des Stillens imitierten, um dem Kind das gleiche ­Gefühl von Sicherheit zu geben wie beim Stillen. 2) Das Stillen sollte sich nach den Bedürfnissen des Kindes richten. Das sollte aber weder heißen, dass es immer gefüttert werde, wenn es schrie, noch dass es nicht wünschenswert sei, wenn es irgendwann seinen eigenen Rhythmus fand. Die Persönlichkeit, Individualität und Bedürfnisse des Kindes standen im Zentrum. Nach den Stillregeln arbeiteten, laut den Ratgebern, nur noch Krankenhäuser und diese vor allem aus pragmatischen Gründen. Es herrschte jedoch Uneinigkeit über andere Themen. Der Vater war unterschiedlich stark involviert. In den Stillbüchern und bei Clauser war er höchstens als Unterstützer vorgesehen, wohingegen die Ratgeber der Herstellerfirmen s­ owie das Elternbuch und das Föräldrabok sich dafür einsetzten, dass er sich aktiv beteiligte, etwa durch das Füttern des Kindes mit dem Fläschchen. Auch die Frage, ob und wann die Mutter wieder arbeiten gehen sollte, war umstritten. Die schwedischen Bücher waren hier eher positiv gegenüber der arbeiteten Mutter eingestellt, wohingegen die deutschen Bücher sie vor allem als Hausfrau imaginierten. Bei Clauser und Ehler, die sich an Thesen der Deprivations- und Bindungstheorie orientierten, sollte die Beziehung zwischen Mutter und Kind im ersten Jahr einer Symbiose gleichkommen, die nicht gestört werden durfte. In Schweden hingegen ging man auch davon aus, dass während des ersten Jahres eine Person die Hauptbezugsperson des Kindes sein sollte. Dies musste aber nicht unbedingt die Mutter sein. Auch die Flaschennahrung wurde unterschiedlich eingeschätzt. Alle waren sich einig, dass die industriellen Produkte der hausgemachten Nahrung mittlerweile überlegen, der Muttermilch aber weiterhin unterlegen waren. Die Flasche war schon lange keine Todesurteil mehr für Kinder im globalen Norden – anders gestaltete sich die Situation in der „Dritten Welt“. Der Nahrungsmittelskandal im Globalen Süden um 1974 gab erneut Anlass für Fachwelt und Öffentlichkeit, die Flasche zu problematisieren und sich für das Stillen einzusetzen. Ungefähr seit diesem Zeitpunkt nahm auch die Stillquote in beiden Ländern langsam wieder zu. Stillen kam zunehmend wieder einer Verpflichtung gleich.548

548 Dies lässt sich auch in Spocks Büchern beobachten. Vgl. Knaak, Breast-feeding.

Fazit: Vom normierten zum selbstregulierten Säugling  |

2.6 Fazit: Vom normierten zum selbstregulierten Säugling Wie schon in Bezug auf die Wissensproduktion gezeigt wurde, hatten sich auch auf dem Feld der Wissensvermittlung im Verlauf des 20. Jahrhunderts grundlegende Veränderungen ereignet. In diesem Fall ist außerdem zu beobachten, dass im frühen 20. Jahrhundert die Gemeinsamkeiten zwischen deutscher und schwedischer Ratgeberkommunikation dominierten, während seit den 1940er Jahren Unterschiede deutlicher wurden. Insgesamt zeichneten sich schwedische Ratgeber dadurch aus, dass sie eine breite Wissensgrundlage und teilweise auch widersprüchliche Erkenntnisse präsentierten und den Eltern eine gewisse Kompetenz zumuteten, die richtige Entscheidung zu treffen. In Deutschland hielten sich hingegen autoritative Vermittlungsstile bis in die 1960er Jahre. Schließlich zeigt sich, dass Wissen um die Säuglingsernährung durch das Medium des Ratgebers neu zugeschnitten und gerahmt wurde. Dies passierte zum einen durch die Übersetzung in Grafiken und Abbildungen, die komplizierte Zusammenhänge vereinfacht darstellten. Zum anderen durch die Verknüpfung mit gesellschaftspolitisch relevanten Narrativen oder durch die Auslassung widersprüchlicher Ergebnisse. Teilweise wurde bewusst auch auf veraltete Fakten zurückgegriffen, um die Bedeutung des Stillens gegenüber der Flaschennahrung hervorzuheben. Während der ersten 30 Jahre des 20. Jahrhunderts bestand die Autorenschaft der Ratgeber vorrangig aus männlichen Medizinern, die sich als nüchterne Exper­ ten stilisierten. Seit den 1930er und 1940er Jahren kamen zunehmend Frauen hinzu, die ihre Erfahrungen als Mütter mit medizinischem Wissen kombinierten. Seit den 1950er Jahren existierten in beiden Ländern vermehrt psychologisch ausgebildete AutorInnen, die sich sowohl auf medizinisches als auch auf psychologisches und pädagogisches Wissen beriefen. Erfahrungswissen wurde dabei in allen Zeitabschnitten viel Bedeutung zugemessen. Dies konnte sowohl die Erfahrung eines Arztes als auch die Erfahrung einer stillenden Mutter sein. Die AdressatInnen waren im frühen 20. Jahrhundert „Eltern in der Rhetorik, Mütter in der Praxis“, seit den 1930er Jahren dann vermehrt ausschließlich Mütter. Seit den 1950er Jahren kamen die Väter zunächst vor allem als Unterstützer, dann als aktive Partner in der Säuglingspflege hinzu, wurden jedoch gegen Ende des Untersuchungszeitraums wieder aus der Ernährungspraxis ausgeschlossen. Das bürgerliche Familienideal (arbeitender Vater, Mutter als Hausfrau und Kinder) wurden in allen Büchern aufgerufen und perpetuiert. Die Verunsicherung der Eltern durch veränderte „Lebensumstände“ oder die Überforderung durch die westliche, technisierte Zivilisation ist ein wiederkehrendes Motiv in den Ratgebern über das gesamte 20. Jahrhundert. Aus dieser vermeintlichen Verunsicherung und der Unkennt­nis jeder neuen Generation ergab sich der Beratungsauftrag der AutorInnen.

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Der Säugling wurde von Beginn des Jahrhunderts bis ungefähr in die 1960er Jahre als psychosomatischer Körper verstanden, der anhand klar definierter Regeln durch die Mutter erzogen werden musste. Erst mit der entwicklungspsychologischen Wende, die in Schweden in den 1940er, in der Bundesrepublik erst in den 1960er Jahren einsetzte, wurden ihm eine eigene Persönlichkeit und Bedürfnisse auch in Bezug auf die Ernährung zugesprochen, die jedoch im Gleichgewicht mit den Bedürfnissen und Anforderungen der Eltern stehen sollten. In den 1960er und 1970er Jahren bestimmten dann die Bedürfnisse des Kindes ganz die Beziehung zu seinen Eltern. Auch der Vater wurde seitdem als Bezugsperson wichtiger. Mit Miriam Gebhardt gesprochen, veränderte sich die Beziehung zum Kind von einer „Anthropologie der Quantität“ seit den 1970er Jahren zu einer „Anthropologie der Qualität“.549 Die Ernährung des Säuglings mit Muttermilch an der Mutterbrust wurde während des gesamten Untersuchungszeitraums vom 19. Jahrhundert bis 1980 als Norm der Säuglingsernährung verhandelt, während die Ernährung mit der Flasche eine erklärungsbedürftige Abweichung darstellte – mit Ausnahme im deutschen Ratgeber der Firma Nestlé. Zu Beginn des Jahrhunderts war sie vor allem eine Bedrohung für Leben und Gesundheit des Kindes. Die Muttermilch war hingegen perfekt auf die Bedürfnisse des Kindes abgestimmt und ein Lebensretter. Dieses Verhältnis löste sich langsam auf. Seit den 1940er und vermehrt den 1950er Jahren bekam die Flaschennahrung einen Status zugesprochen, der zumindest nicht mehr so eng mit dem Tod des Säuglings verknüpft war (außer bei Haarer, die jedoch auch Zugeständnisse an die Flaschennahrung machte, und Clauser, der diese komplett ablehnte). Die AutorInnen versicherten, dass die Ernährung und damit die Entwicklung des Kindes von der Flasche nicht beeinträchtigt werde, in der Muttermilch allerdings zusätzliche Stoffe gefunden werden konnten, die die Gesundheit des Kindes förderten. Die psychische Entwicklung wurde jedoch wichtiger. Das Stillen wurde als Möglichkeit verstanden, eine enge Beziehung zwischen Mutter und Kind herzustellen, die aber, wenn das Füttern mit der Flasche in ähnlicher Weise gestaltet werde (Säugling im Arm, Nähe und Ruhe), auch durchaus erreicht werden könne. Der „context of choice“ zwischen Brust und Flasche erweiterte sich zwischen den 1940er und 1970er Jahren, um gegen Ende der 1970er Jahre wieder zu schrumpfen. Schließlich hatten sich die Erziehungsziele, die über die Ernährung erreicht werden sollten, im Untersuchungszeitraum verändert. Allen RatgeberautorInnen ging es darum, gesunde Kinder heranzuziehen, die sich gut in die jeweils imaginierte Gemeinschaft (Nationalstaat, Volkskörper, folkhem, Demokratie) 549 Vgl. Gebhardt, Angst, S. 184; Lenz/Scholz, Das idealisierte Kind, S. 271.

Fazit: Vom normierten zum selbstregulierten Säugling  |

­einordneten. Während zu Beginn des Jahrhunderts allerdings ein möglichst auf Struktur und Gleichförmigkeit ausgelegtes Subjekt hergestellt werden sollte, wurde die Individualität innerhalb des gemeinschaftlichen Rahmens immer wichtiger. Liebe und Beziehungsfähigkeit wurden gegenüber Pünktlichkeit und Ordnung der Vorzug gegeben, dies allerdings in Schweden fast zwanzig Jahre früher als in Deutschland. Zusammen mit dem Gesellschaftsentwurf veränderte sich auch der Entwurf des Säuglings: Von einem normierten, tayloristischen Körper wurde er in einen selbstregulierten, post-tayloristischen Körper übersetzt.

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3 Anwendung und Aneignung von Wissen Familienpraktiken der Säuglingsernährung

In den vorherigen Kapiteln wurde das Wissen um Säuglingsernährung vor a­ llem an klassischen Orten bzw. in klassischen Medien der Wissensproduktion und -vermittlung untersucht. Dabei konnte schon gezeigt werden, dass sich das Wissen nicht nur diachron, sondern auch synchron verwandelte, wenn es sich von einem Kontext in einen anderen bewegte. So vermittelten Ratgeber nicht unbedingt den aktuellsten Stand des Wissens, sondern auch moralische ­Vorstellungen guter Eltern­schaft und normative Vorstellungen einer guten Gesellschaft. In diesem letzten Schritt der Arbeit wird ein weiterer Übersetzungsschritt untersucht, ­indem der Flaschennahrung an ihren Bestimmungsort – die Wohnung der Eltern – ­gefolgt wird. Dieses Kapitel legt den Fokus auf die Anwendung der Flaschennahrung und darauf, wie sich das Wissen um Säuglingsernährung durch ihre Benutzung veränderte. Zudem soll der Blick darauf gerichtet werden, welches Wissen zu Hause produziert wurde, einem Raum, der bisher wenig Beach­tung in der Wissensgeschichte gefunden hat.1 Um mich dieser Perspektive anzunähern, stütze ich mich auf Selbstzeugnisse aus Deutschland und Schweden. Für Deutschland nutze ich Tagebücher, während für Schweden Antworten auf Fragebögen des Nordiska Museet zu Säuglingspflege und Geschlechterrollen vorliegen. Mit Hilfe dieser Quellen lässt sich untersuchen, wie Ernährungspraktiken und -wissen in unterschiedlichen Zeiten und in unterschiedlichen Räumen von historischen AkteurInnen gerahmt wurden – welche Möglichkeiten die Eltern sahen, ihre Kinder zu versorgen. Selbstzeugnisse stellen besondere Herausforderungen an Historikerinnen und Historiker. Da für Deutschland und Schweden unterschiedliche Arten von Egodokumenten vorliegen, ist es schwieriger, Aussagen über deutsche und schwedische Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu treffen. Trotzdem geben sowohl die deutschen Tagebücher als auch die schwedischen Fragebögen einen Einblick, wie Menschen ihre Welt und sich selbst konstruierten.2 Drei Punkte müssen zusätzlich beachtet werden: 1) soziale Schicht, 2) zeitliche Nähe und Distanz sowie 3) Selbstzensur und -stilisierung durch die AutorInnen. 1 Vgl. Anderson, My Grandmother’s Recipe Book, S. 59; Brecht/Orland, Populäres Wissen; Oertzen, Science in the Cradle; dies./Rentetzi/Watkins, Finding Science in Surprising Places, S. 73; Orland, Alltagsgeschichte und Wissenschaftsforschung. 2 Vgl. Steuwer/Graf, Selbstkonstitution, S. 9 f.

Anwendung und Aneignung von Wissen  |

Zu 1): Die deutschen Tagebücher geben vor allem Auskunft über das Leben von Personen aus sozial privilegierten, bürgerlichen Gesellschaftsschichten, die – wie andere Studien gezeigt haben – früher wissenschaftliches Wissen rezipierten und als Teil des bürgerlichen Selbstverständnisses in ihre Praktiken integrierten. Die Praxis des Kindertagebuchschreibens lässt sich als Kontinuität der sog. Kindheitsstudien verstehen, die in Deutschland Ende des 19. Jahrhunderts durch Wilhelm Preyer popularisiert wurden. Kindheitsforschung erfuhr einen großen Aufschwung unter bürgerlichen Eltern – vor allem auch unter Vätern. Auch wenn sich keiner bzw. keine der TagebuchautorInnen in diesem Feld verortete, sind ihre Einträge doch von der Beobachtungsbegeisterung dieser Forschungsrichtung geprägt.3 Die Aussagen der Tagebücher können also nicht stellvertretend für Entwicklungen in der gesamten deutschen Gesellschaft gelesen werden.4 Die schwedischen Fragebögen weisen hingegen eine größere soziale Diversität auf, weil es ein Anliegen des Nordischen Museums war, die Bandbreite schwedischen Alltagslebens zu repräsentieren.5 InformantInnen stammten vorwiegend aus ­weniger privilegierten Arbeiter-, Bauern- und Angestelltenfamilien. Es finden sich aber auch einige bürgerliche InformantInnen im Sample. Zu 2): Die schwedischen InformantInnen wurden aktiv aufgerufen, über ihre gesamte Lebenserfahrung zu berichten sowie teilweise auch die Erfahrungen ­älterer Bekannter einzubeziehen. Die Antwortschreiben wurden dabei teilweise zum Anlass genommen, die Lebensgeschichte in ein kohärentes Narrativ zu bringen, und haben so auch einen selbstbiografischen Charakter, der über die Beantwortung einer Spezialfrage hinausreicht.6 Die Fragebögen repräsentieren zudem unterschiedliche Zeitebenen: die Zeiten, über die erzählt wurde, und die Zeit, in der die Fragebögen ausgefüllt wurden. Teilweise liegen zwischen diesen Ebenen viele Jahrzehnte, in denen sich der normative Diskurs um „gute“ Elternschaft und das verfügbare Wissen um Säuglingsernährung stark verändert hatte. Es ist außerdem nicht auszuschließen, dass die Erinnerungen der InformantInnen durch normative Diskurse und kollektive Erinnerungen überlagert worden ­waren, und es ihnen daher nicht möglich war, „authentische“ Aussagen zu treffen.7 3 Vgl. ausführlicher zur Kindheitsforschung: Levene, Childhood and Adolesence, S. 330; Brian, Family Science; Eßer, Kindheit; Gebhardt, Angst; dies., Waage, S. 53. Zu den Anfängen dieser Praxis vgl. Schmid, Väter, S. 35 – 48. 4 Vgl. Gebhardt, „Ganz genau nach Tabelle“, S. 261; dies., Waage, S. 49; Steuwer/Graf, Selbstkonstitution, S. 11. 5 Klein, Personlig hygien, S. 70. Vgl. Nordiska Museet (Hg.), 125 år. 6 Vgl. Bohman, Självbiografiska material, S. 6; Nordiska Museet (Hg.), 125 år, S. 257; vgl. Nylund Skog, Historier, S. 156. 7 Vgl. Bohman, Material, S. 31.

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­Insofern über diese Diskrepanz reflektiert wurde, werde ich dies ebenfalls in die Analyse aufnehmen. Der Quellentyp weist die gleichen Schwierigkeiten auf, mit denen sich die Oral-history-Forschung schon seit vielen Jahren beschäftigt hat: die Überlagerungen von Erinnerung und gesellschaftlichen Narrativen sind schwer zu unterscheiden.8 Die deutschen Tagebücher hingegen präsentieren größtenteils eine zeitliche Nähe zu den beschriebenen Ereignissen. In einigen Fällen wurden sie jedoch auch mit wochenlangem Abstand und dann eher zusammenfassend niedergeschrieben.9 Zudem schließt auch zeitliche Nähe nicht aus, dass Ereignisse und Erlebnisse nicht „authentisch“ wiedergegeben werden. Zu 3): Die schwedischen Fragebögen haben den potentiellen Nachteil, dass sie in dem Bewusstsein formuliert wurden, von anderen Personen gelesen zu werden. Außerdem reagierten die InformantInnen in ihren Antworten auf die vorformulierten Fragen der EntwicklerInnen der Fragebögen, die die Antworten vorstrukturierten und gegebenenfalls auch einschränkten. Hier kann es also, bewusst oder unbewusst, zur Zensur der Aussagen gekommen sein, etwa wenn die AutorInnen Fehler in der Erziehung oder Ernährung ihrer Säuglinge und Kinder vermuteten, oder bemüht waren, einer Erwartungshaltung zu entsprechen.10 Auch die Tagebücher wurden teilweise mit dem Bewusstsein späteren Lesens geschrieben, insbesondere im Bürgertum. Einige TagebuchautorInnen fassten die Tagebücher direkt für die Kinder ab, damit sich diese an den Erinnerungen erfreuen konnten oder um die Erziehungs- und Säuglingspflegepraktiken festzuhalten.11 Daher ist auch hier zu erwarten, dass größere Misserfolge nicht aufgezeichnet oder ­geschönt wurden. Andererseits ist es auch denkbar, dass Tagebücher dazu genutzt wurden, Dinge aufzuschreiben, die die AutorInnen niemandem erzählen konnten oder wollten. 8 Vgl. van Rahden, Vaterschaft, S. 155. Klassiker zur Erinnerungsforschung: Wischermann, Die Legitimität der Erinnerung. Siehe auch: Moller, Erinnerung und Gedächtnis. 9 Vgl. DTA 1840,4 Elisabeth B., Kindertagebuch über Tochter Angela, 1947, S. 1: „Dieses Buch sollte eigentlich in Tagebuchform geführt werden. Doch kam ich leider nicht dazu es gleich zu beginnen und also dann jeden Fortschritt pünktlich festzuhalten“ (Hervorh. im Org.). 10 Vgl. Nylund Skog, Historier, S. 150. Zur Erstellung der Fragebögen und wie die Fragen idealer­ weise gestaltet werden sollten: Ekrem, Frågelista, S. 38. Ausführlich zur Diskussion um Egodokumente und Selbstentwürfe vgl. Fulbrook/Rublack, In Relation. 11 Vgl. ausführlich zu Tagebüchern: Gebhardt, Angst, S. 31 ff. Als Beispiel: DTA 1840,4 Elisabeth B., Kindertagebuch Angela, 1947, S. 1: „Der Zweck dieses Buches aber soll sein. 1. Das Gedeihen des Kindes verfolgen zu können (Krankheiten usw.) 2. aber soll es meinem Kinde selbst später wenn es selbst einmal Mutter geworden ist, ein Lehrbuch sein.“ Bei den Tagebüchern kommt erschwerend hinzu, dass nicht alle im Original vorliegen, sondern lediglich in einer Transkription des Tagebucharchivs in Emmendingen. Somit lassen sich einige stilistische Besonderheiten nicht herausarbeiten.

Das Verhältnis von Eltern und Säuglingen im Alltag  |

Konkret soll anhand dieses Materials gefragt werden, wie sich Eltern zum Wissen um Säuglingsernährung verhielten. Waren sie sich bestimmter Normen bewusst und versuchten, innerhalb dieses Rahmens zu handeln; wie reflektierten sie gegebenenfalls Abweichung? Zudem kann dieses Kapitel erneut rekapitulieren, wie sich der Wissensbestand veränderte und nachzeichnen, wie schnell oder langsam sich Veränderungen auf der normativen Ebene auf Alltagspraktiken auswirkten bzw. ob dies überhaupt passierte. In ähnlicher Weise lässt sich hier überprüfen, ob bestimmte Alltagspraktiken schon bestanden, bevor sie durch ExpertInnen legitimiert wurden. Welches Wissen zur Verfügung stand und wie es in der täglichen Ernährungspraxis angewendet wurde, werde ich im Folgenden entlang der drei in der Einleitung definierten zentralen Beziehungskonstellationen untersuchen: Eltern/ Kinder, Mütter/Väter sowie Familie/ExpertInnen. Als erstes werde ich mich dem Verhältnis von Eltern und Kindern widmen. Im Mittelpunkt stehen die Fragen, wie Eltern ihre Erziehung gestalteten, Erfolge und Misserfolge navigierten ­sowie die Frage, wie die Geschlechtlichkeit des Kindes verhandelt wurde. Danach werfe ich einen Blick auf das Verhältnis von Müttern und Vätern. Hier liegt der Fokus auf der Arbeitsteilung in der Ernährung und es wird untersucht, ob die Flaschennahrung als Möglichkeit zur Umverteilung von Aufgaben interpretiert und ­genutzt wurde. Abschließend werde ich auf das Verhältnis zwischen Familie und ExpertInnen eingehen. Zwei Punkte sind dabei besonders interessant: Wo holten sich Eltern Rat und wie veränderte sich die Ernährungspraxis durch die geänderte Materialisierung von Flaschennahrung?

3.1 Das Verhältnis von Eltern und Säuglingen im Alltag In der Ratgeberliteratur wurde den Eltern, vor allem den Müttern, vermittelt, wie sie die Erziehung ihres Kindes gestalten sollten, um das gewünschte Ergebnis – ein gesundes Kind – zu erzielen. Durch die Art und Weise, wie sie das Kind ernährten, so der Rat, konnten schon im ersten Lebensjahr die Weichen für die spätere Entwicklung gestellt werden. Die Vorstellung dessen, was eine gelungene Erziehung im Säuglingsalter ausmachte, hatte sich im Verlauf des 20. Jahrhunderts deutlich verändert. Dabei lassen sich zwei Hauptphasen unterscheiden: ca. vom Ende des 19. Jahrhunderts bis in die 1960er Jahre waren die durch Pädiatrie und Ernährungsphysiologie ermittelten und verbreiteten Norm- und Durchschnittswerte entscheidend. Seit den 1960er Jahren argumentierten ExpertInnen hingegen, nicht einem vorgegebenen Mittelwert zu folgen, sondern den individuellen Bedürfnissen des Kindes. Diese Maßstäbe korrespondierten wiederum mit

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unterschiedlichen Vorstellungen vom Säugling und seiner agency. Wurde er in der ersten Phase als objekthafter somatischer Körper, der erst zur Handlungsfähigkeit erzogen werden musste, imaginiert, propagierten ExpertInnen in der zweiten Phase die Vorstellung eines kompetenten, bereits handlungsfähigen Subjektes, das in der Lage war – mit Unterstützung seiner Eltern – seinen eigenen Weg zu finden, sich selbst zu regulieren.12 Anhand der Egodokumente soll in einem ersten Abschnitt ermittelt werden, wie Eltern über gute Erziehung reflektierten und welche Vorstellungen des Kindes, seiner Eigenschaften und Fähigkeiten sie dabei produzierten. Schließlich stellt sich die Frage, welche Faktoren sie ausmachten, die eine Entwicklung positiv oder negativ beeinflussen konnten. Welche Maßstäbe legten sie an und auf welches Wissen griffen sie zurück, um ihre eigenes und das Verhalten des Kindes zu bewerten: War es vorrangig ExpertInnenwissen oder Erfahrungswissen oder gab es Mischformen? Der zweite Abschnitt greift eine Erkenntnis aus den Kapiteln zur Wissensproduktion und -verbreitung auf: In der Fachliteratur und in den Ratgebern wurden die Säuglinge größtenteils als geschlechtslose Wesen besprochen. Ob ein Säugling als Junge oder Mädchen auf die Welt gekommen war, schien im frühesten Lebensalter keine Rolle zu spielen. Schon ein kursorischer Blick in die Egodokumente zeigt jedoch eine deutliche Tendenz, die Kinder zu vergeschlechtlichen. Hier stellt sich die Frage, wie genau die Eltern über ihre Kinder sprachen, um ihre Geschlecht­lichkeit zu markieren. Wie lässt sich die Diskrepanz zwischen normativen Quellen und Egodokumenten erklären? 3.1.1 Erfolgreiche Säuglingspflege und Erziehung

Die Ratgeberliteratur und andere Aufklärungsmedien hatten im Verlauf des 20. Jahrhunderts zwei Themen in den Vordergrund gerückt, anhand derer eine erfolgreiche Säuglingsaufzucht gemessen wurde: Stillen und die Gewöhnung an regelmäßige Ernährungszeiten. Diese beiden Themen wurden auch in den Egodokumenten verhandelt und werden daher im Fokus dieses Abschnittes stehen. Zunächst sollen jedoch kurz Unterschiede in der Textgestaltung und Aussagekraft zwischen Tagebüchern und Fragebögen herausgestellt werden, da hier deutliche Diskrepanzen in der Art und Weise zu finden sind, wie über Erziehungserfolg gesprochen wurde. 12 Vgl. zur Entwicklungsdiskussion: Schulz, „Gang der Natur“; Müller, Die große Frage (1974), S. 22.

Das Verhältnis von Eltern und Säuglingen im Alltag  |

Ein Großteil der Eltern nahm in den Tagebüchern eine beobachtende und kommentierende Position ein. Ihre Ausführungen unterschieden sich allerdings sehr in Bezug auf ihre Ausführlichkeit und auch die Entwicklungsfelder, die sie festhielten. Die meisten Tagebücher dokumentierten eine Mischform aus körperlicher Entwicklung und der minutiösen Aufzeichnung des Gewichts sowie Erzählungen aus dem Alltag, die besonders eindrücklich oder auch amüsant für die TagebuchschreiberInnen waren. Sie nutzten das Schreiben als Instrument, um „über Zusammenhänge nachzudenken, die die Entwicklung und Ernährung des Kindes beeinflussten“, wie Steuwer und Graf es formulieren.13 Durch das Schreiben konstruierten sie ihre Kinder einerseits als Forschungsobjekte, die beobachtet und vermessen werden konnten und mussten. Andererseits stellten sie die Säuglinge als eigenwillige Subjekte dar, die im Alltag immer wieder für Überraschungen sorgten – sowohl im Positiven wie im Negativen. Die körperliche und geistige Normentwicklung des Kindes war ein Maßstab der elterlichen, insbesondere der mütterlichen Erziehungsleistung.14 In den Tagebüchern finden sich verschiedene Anlässe, die Eltern zu Reflexio­ nen über die Entwicklung ihres Kindes anregten. Die Einträge von Otto K., der Ende des 19. Jahrhunderts für jedes seiner vier Kinder ein eigenes Tagebuch angelegt hatte, zeigen diesen Mechanismus besonders eindrücklich. Die ersten beiden Kinder wurden von ihm immer wieder als besonders aufmerksam charakterisiert. Die Anfertigung eines neuen Spielzeuges regte den Vater an, einen Eintrag im Tagebuch vorzunehmen, in dem er die herausragende Entwicklung seiner zweiten Tochter berichtete: Da wir von unseren Kindern in Anbetracht des Umstandes, dass sie in einem Hause geboren sind, wo Männer wie Schiller und Prof. Abbe wirkten, wohl erwarten dürfen und von Walther auch in dieser Erwartung nicht getäuscht wurden, dass sie das sogenannte dumme Vierteljahr in 2 Monaten absolvieren, schenkte ich Erna heute einen Hampelmann, den ich aus den Trümmern von Walthers Hampelmann gestern mit Mühe wieder hergestellt hatte.15

13 Vgl. Steuwer/Graf, Selbstkonstitution, S. 31. 14 Vgl. Hungerland, Altersgerechte Entwicklung, S. 143 f. 15 DTA 1500/I,2 Otto K., Kinderbuch Erna K., 09. 03. 1896, S. 4. Die Familie von Otto K. lebte in Jena, wo auch Friedrich Schiller einige Zeit seines Lebens verbrachte. Bei Prof. Abbe handelte es sich vermutlich um Ernst Karl Abbe, einen der Gründer der Jenaer Glaswerke. Es ist schwierig einzuordnen, wie genau das „Wirken“ dieser Männer gemeint war. Es könnte sein, dass die Familie ein Haus bewohnte, das häufig von Abbe und Schiller besucht wurde oder das sogar von ihnen zuvor bewohnt worden war.

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Der Eintrag macht deutlich, dass er über die Normentwicklung informiert war und Kenntnis des „dummen Vierteljahres“ hatte, der ersten Phase des Säuglingsalters, in der dem Kind ein vegetativer Status durch ExpertInnen zugesprochen wurde.16 Durch die äußeren Anregungen des Elternhauses und die familiären Vorbedingungen konnten seine Kinder schon im frühesten Alter einen Vorsprung erhalten und sich gegenüber anderen Kindern abheben. Auch das Lob durch ExpertInnen war ein willkommener Anlass, um die Entwicklungsfortschritte festzuhalten. So meinte ein Vater, der für sein erstes Kind, Tochter Annette, 1960 ein Tagebuch anlegte: „Mama war beim Doktor mit dir. Er ist sehr zufrieden und sehr erstaunt über deine Entwicklung. Er meint, es ist äußerst selten, dass ein 6 Wochen alter Säugling dermaßen aufgeschlossen reagiert.“ 17 Eine überdurchschnittliche kognitive Entwicklung war ein Grund zur Freude und wurde gerne im Tagebuch festgehalten. In den schwedischen Fragebögen finden sich hingegen kaum spontane Äußerungen über Erfolgserlebnisse, sondern vielmehr generelle Aussagen darüber, was als „gut“ oder „schlecht“ galt. Im Fragebogen von 1960 waren die InformantInnen indirekt dazu angeregt worden, auch über die Veränderungen der Säuglingspflege nachzudenken: „Wir wünschen uns, gerne auch Aufzeichnungen über die Verhältnisse nicht nur in früheren Zeiten zu bekommen, sondern, insofern dies möglich ist, bis in die Jetztzeit.“ 18 So meinte die Informantin Alma K. in Bezug auf die 1960er Jahre: „Jetzt sind die Kinder der Mittelpunkt im Leben und das ist tatsächlich richtig. Hach, wenn unsere Kinder etwas von dem bekommen hätten, was heute aktuell ist. Ja, so ist das Leben.“ 19 Dies kann als Hinweis darauf gelesen werden, dass sie unzufrieden mit ihrer eigenen Erziehungsleistung war, weil die Kinder zu ihrer Zeit noch nicht so im Mittelpunkt standen wie zur Zeit der Niederschrift. 16 Vgl. Heßling, Haltung, S. 57 f., 183; Gebhardt, „Ganz genau nach Tabelle“, S. 247. 17 DTA 1919,2 Jürgen B., Annettes Tagebuch, 19. 05. 1960, S. 13. Das ganze Tagebuch ist im Stil eines Gesprächs mit der Tochter gestaltet, in dem er ihr alle kleinen und großen Ereignisse ihres Lebens erzählt. Dieses Tagebuch ist ungewöhnlich, da der Autor es in den 1990er Jahren als Buch binden ließ, nachdem er es auf dem Computer abgetippt hatte. Außerdem versah er es mit Fotos und Dias. Er reflektiert zu Beginn dieser Transkription darüber, dass viele der Dinge, die er notierte, „recht lächerlich“ in der Retrospektive seien, „für welche die Nachwelt nur ein gequältes Gähnen übrig hat“, die aber am Beginn des Lebens eine „bedeutende Rolle“ spielten, Jürgen B., Annettes Tagebuch, S. 1. 18 Nordiska Museet, Etnologiska undersökning. Frågelista 172 – Spädbarnsvård, Stockholm 1960: „Vi önskar gärna få uppgifter om förhållandena inte bara under äldre tiden utan i den mån det är möjligt ända in i nutiden.“ 19 EU 51505 Alma K. (1960), S. 4: ”Nur är barna medelpunkten i livet och det är faktisk rätt. Hek om våra barn fått något av det som är akutuellt nu. Ja livet är så.“

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Diese Unterschiede in der Verschriftlichung zeigen sich auch in Bezug auf das Thema des erfolgreichen Stillens, wobei sich trotzdem viele Gemeinsamkeiten feststellen lassen. So wurde das Stillen in beiden Quellensorten als bessere Ernährung angesehen und Mütter versuchten anfänglich zu stillen. In den Antworten auf den Fragebogen 172 wurde häufig gesagt, dass das Kind Flaschennahrung bekam, „wenn keine Milch mehr da war“ oder „die Milch nicht reichte“.20 Diese Formulierung lässt sich wohl einerseits auf die Fragestellung zurückführen, die lautete: „Wenn die Muttermilch nicht ausreichte, gab man dann Zusatz (til�lägg)?“ 21 Darüber hinaus finden sich jedoch wenige Angaben darüber, warum die Milch aufhörte zu fließen. Stattdessen gibt es eher generelle Aussagen dazu, was gemacht wurde, wenn Mütter nicht stillten, wobei die InformantInnen einen Bruch in den 1960er Jahren sahen. So meinte ein Informant: „Wenn die Milch zurückging, musste die Mutter ihr Kind mit der Flasche aufziehen. Die allermeisten Mütter machen das heutzutage, um den Mühen zu entgehen, ihrem Kind die Brust zu geben.“ 22 Warum Frauen in den 1960er Jahren eher Mühen vermeiden wollten, erklärt er allerdings nicht. Ein Mann überlegte, dass Mütter, die „so frei wie möglich sein“ wollten, die Flasche gaben.23 Freiheit fand sich auch bei anderen InformantInnen als Grund, nicht zu stillen, weil „eine Frau, die stillt, nicht so frei ist, wie eine, die die Flasche gibt. Das kann ja wer auch immer machen. Und die Kinder werden trotzdem groß, so ist das mit meinen Enkelkindern.“ 24 Die Flaschennahrung, so zeigen diese Aussagen, wurde dabei nicht unbedingt als legitime Alternative verstanden. In den deutschen Tagebüchern wurde über bzw. von allen Müttern berichtet, dass sie zumindest zu Anfang versuchten, das Kind zu stillen. Dabei traten bei einigen Müttern jedoch bereits initial Probleme auf, wie es Otto K. nach der Geburt des ersten Kindes im Jahr 1894 beschrieb: „Nach langem vergeblichen Versuchen meiner Schwiegermutter, das Kind an die Mutterbrust anzulegen, gelingt es endlich, auch in der Nacht vom 11. zum 12. Das Kind muss sich aber 20 Vgl. EU 52957 Sten L. (1962), S. 2; KU 11958 Elsa H. (1991), S. 2; KU 12996 Gun B. (1992), S. 15; EU 51554 Axel L. (1960), S. 2; KU 12953 Christina S. (1992), S. 14; DTA 1500/I,I Otto K., Kinderbuch Walther K. (1894 – 1895), u. a. S. 3; Otto K., Kinderbuch Erna K. (1896), S. 3, 5. 21 Nordiska Museet, Frågelista 172, S. 1: ”Om modersmjölken inte var tillräcklig gavs då tillägg?“ 22 EU 53520 Gunnar J. (1963), S. 3: ”Sinade mjölken fick hon föda upp barnet med flaska. De allra flesta mödrarna nu för tiden göra så för att slippa ifrån besväret med att ge barnet bröstet.“ 23 EU 51489 John G. Å. (1960), S. 5: ”Wille Modern vara fri så mycket som det var möjligt köptes Flask och blev det Blandad Komjölkk och Watten äfter vad Barnet tålde.“ 24 EU 51537 Signe F. (1960), S. 18: ”Men det är ju sant att en kvinna som ger di inte är så fri som den som ger flaska. Det kan ju vem som helst göra. Och barnen bli stora ändå, så är det med mina barnbarn.“

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alle Mal erst ganz matt geschrien haben, ehe es die Brust annimmt.“ 25 Zwei Tage später gab es erneut Probleme, die schließlich dazu führten, dass einen Monat nach der Geburt regelmäßig mit der Flasche gefüttert wurde: „Der Junge wird wieder an beide Brüste gelegt; es geschieht das jeden Abend normal bis zum 29.  XII., doch wird der Junge dann nicht satt und muss hinterher die Flasche bekommen.“ 26 Da das Kind danach immer noch Hunger signalisierte, gingen die Eltern zur Flaschennahrung über, die auf folgende Weise hergestellt wurde: „Während der Junge seither alle 2 Stunden, falls er nicht schlief, 3 Löffel Milch auf 9 Löffel Wasser bekam, erhielt er jetzt 4 Löffel Milch auf 2 Löffel Wasser.“ 27 Die Ernährung wurde im Folgenden immer relativ flexibel an die Schlafzeiten des Kindes angepasst: „Der Junge bekommt seit gestern 4 Strich Milch, 4 Strich Hafergrütze und 4 Strich Wasser; er hat lange geschlafen (bisweilen sind es 10 Stunden), so erhält er 15 Striche.“ 28 Auch beim zweiten Kind der Familie hielt der Vater nach ungefähr zwei Monaten fest, die Mutter habe zu wenig Milch und das Kind bekäme ab da Flaschenmilch zugefüttert. Er hielt relativ nüchtern fest: „Da Hedwig wohl jetzt nicht mehr genug Milch für Erna hat, soll diese jetzt täglich zweimal ihre Milch aus der Flasche bekommen.“ 29 Beim dritten und vierten Kind verlief das Stillen hingegen ohne größere Probleme. Dieses Beispiel zeigt einerseits, dass Stillen eine relativ ambivalente Praxis war, die nicht allein von den körperlichen Voraussetzungen oder dem Willen der Mutter beeinflusst werden konnte. Warum genau sich das Stillen bei den vier Kindern so unterschiedlich gestaltete, lässt sich anhand der Tagebücher nicht ­rekonstruieren, da viele Faktoren hierfür in Frage kommen. Deutlich wird jedoch, dass bei dieser Oberschichtenfrau – anders als der Vorwurf der Pädiatrie es Ende des 19. Jahrhundert deutete – nicht Luxussucht oder andere Verpflichtungen der Abstillgrund waren.30 Andererseits hielt der Vater die Veränderungen in der Ernährung penibel fest, dokumentierte und prüfte genau, wie sich das Kind weiterentwickelte – kam es zu Abweichungen, wurde sofort nachjustiert. Dabei wurden die Erfolge oder Nicht-Erfolge beim Trinken eher hingenommen und erstaunt beobachtet, im Stile einer wissenschaftlichen Dokumentation. Den Eigenheiten wurde versucht, durch individuelle Anpassung – in Absprache mit einem Arzt, der sich im engeren Umfeld der Familie befand – zu begegnen. Hier 25 Otto K., Kinderbuch Walther K., 11. 12. 1894, S. 3. 26 Ebd., 14. 12. 1894, S. 3. 27 Ebd., 15. 12. 1894, S. 3. 28 Ebd., 14. 01. 1895, S. 4. 29 Otto K., Kinderbuch Erna K., 17. 02. 1896, S. 3. 30 Vgl. DTA 745,1 Gabrielle P., Meine Lebensgeschichte für Peter (1965), S. 66.

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tritt auch der Faktor soziale Klasse deutlich hervor, da es sich nur gut betuchte Familien leisten konnten, die Ernährung in enger Absprache mit einem oder sogar mehreren Kinderärzten zu gestalten. Das Gewicht galt seit Beginn des Jahrhunderts als wichtigster Indikator ­dafür, ob sich das Kind „normal“ entwickelte, also der Normkurve entsprechend ­zunahm. Daher wurde das Wiegen zu einer der wichtigsten Praktiken der Säuglingsversorgung. In den deutschen Tagebüchern reflektierten Eltern häufig über das Gewicht des Kindes.31 Die Tagebücher, die in regelmäßigen ­Abständen g­ eführt wurden, notierten alle das Gewicht in größeren oder kleineren Abständen. Einige Eltern führten gesonderte Tabellen über die Veränderung des Gewichts und die Körperlänge (vgl. Abb. 24). Diese wissenschaftliche Praxis hatte sich also im 20. Jahrhundert in bürgerlichen Schichten durchgesetzt.32 Bei Nichterreichen der geforderten Menge wurde – mal nach längerer, häufig aber nach kurzer Zeit – begonnen, Muttermilch mit Flaschennahrung zu kombinieren. Hierzu eine Mutter: Die Ärzte hatten ja schon einen Gewichtsstillstand prophezeit. Dann vom 10 – 15 hatte er nur 75 Gramm zugenommen und der Arzt Friedberg sagte wenn es in der anderen Woche nicht mindestens 150 gr. seien so müsste er Beinahrung haben. Ich bezwang meine Aufregung so gut es ging, es wurde beschlossen ihn erst nach Verlauf einer Woche wieder zu wiegen. Und es war mir als ob über mich zu Gericht gesessen werden sollte. Hans behauptete zwar es würde ein Freuden­ tag werden. Und wirklich am 22. hatte er 275 gr. zugenommen. Das war eine große Freude.33

Auch einige Wochen später noch ließ sie diese Episode nicht los. Im Januar 1925 schrieb sie: „Ich habe auch nicht herausbekommen, was ihm damals fehlte, er hatte gut zugenommen. In der 3. Januarwoche hatte er nur 130 gr. zugenommen, sonst waren es 170, 180, 220 also immer ausreichend.“ 34 Auch die Versicherung des Arztes, dem Kind gehe es gut und es sei gesund, reichte nicht aus, um ihr die Angst zu nehmen, da sie die Trinkmenge selbst als „sehr wenig“ empfand. Sie beschloss daher: 31 So stieß eine Mutter immer, wenn das Kind ein gewisses Gewicht erreicht hatte (10 Pfund und 12 Pfund), mit den gerade anwesenden Personen auf dieses Ereignis an. Auf das Erreichen von zwölf Pfund Körpergewicht stießen die Eltern sogar fünfmal an. Vgl. DTA 2141 MarieLuise S., Tagebuch 1935 – 1937, 07. 05. 1935; 11. 06. 1935, o. S. 32 Vgl. alle Tagebücher von Otto K., DTA 1500/I–4 (1894– 1902); DTA 471/II ,1+2 Martina S., Tagebuch Donatus, versch. Daten 1924, S. 19, 27, 32, 37, 49, 51, 57; Marie-Luise S., Tagebuch (1935), o. S.; Jürgen B., Annettes Tagebuch (1960). 33 Martina S., Tagebuch Donatus, November 1924, S. 18 f. 34 Ebd., Januar 1925, S. 27.

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Abb. 24: Typische Aufzeichnungen über das Gewicht eines Kindes aus einem deutschen Tagebuch (1930).

Anfang Februar hatte ich mal den Mut, einen ganzen Tag zu wägen, da waren es nur 720 gr. Und er wog doch schon 12 und soll auf 1 kg Körpergewicht 150 gr. zu sich nehmen also 900 gr. Hans sagt aber 1/7 Muttermilch genüge das wären 187 gr. Da bekommt er also viel zu wenig. Die Brust ist aber nie leergetrunken so will ich ihm nichts zugeben. Nun habe ich ihn gewogen 2 Tage lang, nach jeder Mahlzeit, die beiden letzten Februartage das waren 880 und 900 gr. Wie froh und dankbar bin ich!35

Sie sah eine starke Diskrepanz zwischen der Expertise des Arztes und ihrem eigenen Gefühl, was richtig und gut für das Kind sein musste, stellte die ­Normen jedoch nie in Frage, sondern suchte die Fehler bei sich selbst. Dieses Zitat zeigt deutlich, wie sehr das Abweichen von der Erwartung zur Beunruhigung führen konnte. An diesem Beispiel zeigen sich außerdem die Ambivalenzen von Aufklärung im Bereich der Säuglingspflege besonders deutlich. Die Autorin war eine der vermeintlich am besten aufgeklärten und auch medizinisch versorgten Frauen 35 Ebd., Februar 1925, S. 32.

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innerhalb des gesamten Quellenkorpus. Vor der Geburt hatte sie Bücher gelesen, sie hatte Ärzte im Verwandten- und Freundeskreis und stand unter ständiger Beobachtung und Beratung eines Arztes, sowohl während der Schwangerschaft als auch während der Säuglingszeit des Sohnes; sie entband in einer Klinik, wo sie auch nach der Geburt noch einen Monat verbrachte, und ihre Mutter half ihr dabei, den Übergang zwischen Klinik und eigenem Zuhause zu überstehen. Dennoch zeigte sie sich sehr besorgt über kleine Abweichungen von der medizinisch vorgegebenen Norm. Paradoxerweise konnte größeres Wissen zu Schwierigkeiten führen, weil es große Verunsicherung hervorrief, wenn selbst kleine Normabweichungen auftraten.36 Die initiale Sorge wurde durch die Ängste verstärkt, die durch den vermeintlichen Misserfolg entstanden.37 In den schwedischen Fragebögen wurden nur selten Aussagen über das Wiegen der Kinder gemacht, wahrscheinlich weil nicht direkt nach dieser Praxis gefragt worden war. Eine Mutter erinnerte sich jedoch 1960 daran, dass es sehr anstrengend gewesen sei, die Kinder nach jedem Essen zu wiegen. Sie hielt das Wiegen außerdem für wenig sinnvoll: „Das [häufige Wiegen] ist nie zuvor in der Welt vorgekommen, aber man nimmt an, es ging genauso gut und ich kann keinen Unterschied sehen zwischen den Kindern, die in früheren Jahren auf die Welt kamen und den modernen Zeiten.“ 38 Ihre Meinung passt damit zu dem Diskurs, der sich in den 1960er Jahren in der Forschung bezüglich des Stillens entwickelte. StillforscherInnen und -aktivistInnen hatten in den 1960er und 1970er Jahren das häufige Wiegen kritisiert, da dies den Eindruck vermitteln konnte, die Muttermilch ginge zurück, obwohl sie weiterhin ausreichend vorhanden war. Stillen und Vorstellungen von „guter Mutterschaft“ waren während des gesamten 20. Jahrhunderts aneinandergekoppelt. Es bestand in jedem Fall ein Rechtfertigungsdruck nach Außen, aber auch innerlich verursachten Stillprobleme Sorgen und Ängste, mit denen die Mütter umzugehen versuchten. Das Abweichen von der Stillnorm und ihre Selbstkonzeption als „gute Mutter“ mussten sie dann durch legitimierende Rahmen, wie körperliche Probleme, wieder miteinander in Einklang bringen.39 So legen Beispiele aus den Egodokumenten nahe, dass 36 Einen ähnlichen Effekt konnte ich bereits in meiner Masterarbeit herausarbeiten. Vgl. Limper, Verantwortung. 37 Vgl. Prout, Kinder-Körper, S. 39. 38 EU 51467 Sigrid S. (1960), S. 5: ”Det var ju syssligt noga att våga dem efter vart måt och se vad de äta. Det förekom aldrig förr i världen men det tycks har gått lika bra få det och jag kan ej se någon skillnad på dessa barn som har kommit till världen på senare år och moderne tider.“ 39 Marshall/Godfrey/Renfrew, Being a “Good Mother”, S. 2158.

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Mütter auch in schwierigen Situationen versuchten, der Norm zu entsprechen. Eine schwedische Informantin teilte mit, sie hätte „leider“ keine Milch gehabt aufgrund von Geburtskomplikationen und sei darüber sehr „beunruhigt“ ­gewesen. Selbst mit Hilfe einer Brustpumpe im Krankenhaus, die sie als „stålfarfar“ (schw. Stahlopa) bezeichnete, gelang es ihr nicht, den Milchfluss zu fördern. Ihr Arzt tröstete sie damit, es gäbe „viele große Männer und Frauen, die Flaschenkinder waren“.40 Die Gegenüberstellung zwischen der Angst der Mutter und der beruhi­ genden Einstellung des Arztes ist symptomatisch für die 1950er Jahre, in denen das Kind dieser Frau geboren wurde. Einerseits war die Stillnorm durchaus wirksam, andererseits erkannte die Pädiatrie Flaschennahrung zunehmend als legitime Alternative an, die eine gesunde Entwicklung des Kindes bewerkstelligen konnte. Für die Mütter war der Rechtfertigungsdruck trotzdem anscheinend sehr hoch, weswegen zusätzliche „Beweise“ für die Gleichwertigkeit von Brust- und Flaschennahrung herangezogen werden mussten. Eine deutsche Mutter berichtete davon, wie sie – wenn sie nicht zu Hause war – trotzdem versuchte, ihrem Kind die Brust zu geben. Im Frühjahr 1935 hielt sie im Tagebuch fest: Manchmal ist es recht umständlich, daß ich ihn noch nähre. Kürzlich habe ich mich zu lange in der Stadt aufgehalten. Es war Zeit, daß er etwas bekam. Ich wußte nicht wohin, da hat E mich in einen kleinen Raum der Handgepäckaufbewahrung mitgenommen u. dort hat er seine Mahlzeit erhalten. Als wir am 3.VI . (1. Pfingsttag) schon morgens nach Hause fuhren (bis Hbf. zu Fuß) habe ich ihm amAufgang zum Bahnsteig 1 (Börseneingang – nicht in Benutzung) zu trinken gegeben. Am 22.VI ., E hatte sich einmal einen Samstag Nachmittag frei genommen, bekam er seine Mahlzeit auf einem Feldweg hinter der Radrennbahn.41

Das Stillen war ihr anscheinend wichtig genug, dafür potentielle Scham auf sich zu nehmen. Auch eine schwedische Mutter berichtete von Problemen, denn sie „war gezwungen“ noch während der Stillphase wieder arbeiten zu gehen, da die Familie „auf zwei Gehälter angewiesen war“.42 Sie beschrieb, dass ihr die Milch teilweise auf dem Nachhauseweg aus der Brust rann. Es war in der Praxis wohl schwierig, regelmäßiges Stillen mit Erwerbsarbeit zu kombinieren, auch wenn 40 KU 12996 Gun B. (1992), S. 15: ”Tyvärr hade jag ingen mjölk, en förlössningskomplikation gjorde att den försvann. Det oroade mig mycket och jag arbetate på BB med ‘stålfarfar’ – mjölkpumpen – men det kom bara några droppar. Min läkare tröstade mig med att det finns så många stora män och kvinnor som varit flaskbarn, så jag skulle inte oroa mig.“ 41 Marie-Luise S., Tagebuch, Juni 1935, S. 2. 42 Vgl. KU 12937 Birgitta J. (1992), S. 11: ”Många gånger rann mjölk ur brösten på vägen hem […] Men jag va tvungen att arbeta. Vi var ekonomiskt beroende av två inkomster.“

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Ratgeber es als einfachen Vorgang darstellten, der mit etwas Planung jeder Mutter gelingen konnte (vgl. 2.32).43 Von einer noch größeren Einschränkung erzählte eine deutsche Mutter, die ihr erstes Kind 1947 – also während der Lebensmittelrationierungsphase nach dem Zweiten Weltkrieg – auf die Welt gebracht hatte. Sie schrieb es ihrer eigenen Unterernährung zu, dass ihr das Stillen so viel Mühe bereitete. In ihrem Tagebuch schrieb sie auf, wie anstrengend das Stillen für sie war, hielt aber trotzdem daran fest: „Ich fühle mich z. Zt. nicht wohl, das Stillen spüre ich im Körper sehr. Aber es ist fürs Kind gut und bei der Ernährung tut uns auch die Z ­ ulage gut.“ 44 Ob sie diese Probleme auch gegenüber anderen Menschen in ihrer Umge­bung oder bei der Mütterberatung zugegeben hätte, ist fraglich. In Bezug auf Mangel­ ernährung der Mütter unterschieden sich normative Aussagen in medi­zinischen Quellen und Erfahrungen der Frauen. Studien an Müttern in der „Dritten Welt“ in den 1960er und 1970ern zeigten, dass die Milch von Frauen, die unter- oder mangelernährt waren, qualitativ keine großen Unterschiede zur Milch von wohlgenährten Frauen aufwies. Daher rieten ExpertInnen dazu, weiter zu stillen, selbst wenn die Mütter wenig Nahrung aufnahmen. Die Studien fragten aber selten danach, wie anstrengend dies für die Mütter war, oder wie sich ihre Körper dadurch anfühlten. Das Wohl des Kindes stand über dem Wohlbefinden der Mutter (vgl. 1.5).45 Weil das Stillen als so bedeutend angesehen wurde, musste eine Abweichung von der Stillnorm auch in den Selbstzeugnissen immer erklärend gerahmt werden. Eine schwedische Mutter, Christina S., die ihr 1973 geborenes Kind aufgrund von Milchmangel mit der Flasche füttern musste, meinte: „Er war während seiner 17 Lebensjahre sehr selten krank, also ist es nicht richtig, wenn Leute sagen, dass die Kinder, die nicht gestillt wurden, krankheitsanfälliger sind.“ 46 In ihrer Aussage kommt fast eine verteidigende Haltung zum Ausdruck, obwohl die körperlichen Probleme durchaus bereits als legitime Gründe galten und man seit den 1960er Jahren in Schweden im offiziellen Diskurs bereits dazu übergegangen war, Müttern zu versichern, dass sich ein Kind mit Flaschennahrung gut entwickeln konnte (1.4.4). Das Bedürfnis, zusätzliche Legitimierungen anzubringen, weist aber darauf hin, dass sie von der Vorstellung beeinflusst war, Flaschenmilch mache 43 Gebhardt, Norm und Gefühl, S. 362. 44 Elisabeth B., Kindertagebuch Angela, 08. 12. 1947, S. 4. 45 Vgl. Bhavani, Quantity; Lindblad/Rahimtoola, Pilot Study, S. 126; Maher, Women, S. 194; Thomson/Hytten, Physiology, S. 16. 46 KU 12953 Christina S. (1992), S. 14: ”Han har dock varit väldigt litet sjuk i sina 17 år så det stämmer dåligt det som folk säger att de barn som inte ammas länge blir sjukliga.“ Vgl. EU 51466 Johan M. (1960), S. 4; EU 51467 Sigrid S. (1960), S. 5.

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Kinder häufiger krank.47 Einen höheren Rechtfertigungsdruck, wenn Mütter nicht stillten, fanden auch Ethnologinnen und Soziologinnen bei Befragungen von Müttern in den 2000er Jahren. Stillen ist weiterhin eine Gesundheitsnorm, der sich „Mütter nicht ohne weiteres entziehen können“.48 So gab es, wie auch in den normativen Quellen bereits gezeigt wurde, eine Hierarchisierung legitimer Gründe, um das Kind nicht zu stillen. Dazu zählten Erkrankungen und in Ausnahmefällen auch Erwerbsarbeit. Mehr „Freiheit“ haben zu wollen galt hingegen nicht als legitimer Grund, wie bereits die Zitate zu Beginn des Unterkapitels gezeigt haben. Nur eine Frau im gesamten Quellensample, die oben bereits erwähnte Christina S., gab rundheraus zu, sie sei froh darüber gewesen, „mit dem ganzen fertig“ zu sein – jedoch nicht ohne zu versichern, ihr Kind sei trotzdem Zeit seines Lebens sehr wenig krank gewesen. Dem Abbruch des Stillens war eine längere Phase voraus­g egangen, in der ihr Sohn ständig schrie. Nachdem festgestellt worden war, dass ihr Sohn trotz Saugens nicht genug Nahrung bekam, konnte sie aufhören zu stillen. Den größten Vorteil in der Flaschennahrung sah sie darin, die Ernäh­rungsaufgabe teilen zu können: „Nun konnte halt wer auch immer ihn versorgen und ich konnte mich frei fühlen.“ 49 Nach einem halben Jahr ging ihr Sohn in die Krippe. Darauf, inwiefern der Vater diese Aufgabe übernahm, ging sie zwar nicht speziell ein. Als Schichtarbeiter habe er dennoch viel Zeit mit dem Kind verbracht. In den Selbstzeugnissen wurden deutlich häufiger Stillprobleme als Stillerfolge verhandelt. In den Ratgebern und Arbeiten der Pädiatrie und Psychologie galt hingegen die Prämisse, dass jede Frau dazu in der Lage war, ihr Kind zu stillen. Die körperlichen Voraussetzungen zum Stillen wurden in verschiedenen Studien gemessen und zu jeder Zeit kamen die ForscherInnen zu dem Ergebnis, es sei nur ein geringer Anteil an Frauen, die aufgrund ihrer fehlenden körperlichen Voraussetzungen nicht dazu in der Lage waren, dem Kind die Brust zu geben. Laut statistischen Angaben für unterschiedliche Länder waren es unter 10 % der Mütter, die nicht stillen konnten. Für Schweden wurde die Zahl mit 3 % angegeben, dabei wurde jedoch nicht nach Gründen differenziert (vgl. auch 1.3.1).50 Das Versprechen der ExpertInnen war bis in die 1960er Jahre: Hielten sich die 47 Vgl. Andrews/Knaak, Mothering, S. 89. 48 Kröger/Rückert-John, Stillen, S. 191; vgl. Ott/Seehaus, Familiale Arbeitsteilungsmuster, S. 261. 49 KU 12953 Christina S. (1992), S. 14: ”Jag var bara glad att vara av med det hela. Nu kunde ju vem som helst sköta honom och jag kunde känna mig fri.“ 50 Vgl. Haberkamp, Stillwille (1931); Hedström, Nappflaskan (1982), S. 15.

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Mütter an die medizinisch festgeschriebenen Regeln, sollte die Milch ausreichend fließen, um das Kind für viele Monate an der Brust zu ernähren. Erst seit den 1970er Jahren gab es Studien, die versuchten, Gründe für die sinkende Stillrate zu finden. Sie stellten fest, dass „Milchmangel“ am häufigsten als Abstillgrund genennt wurde.51 Die Studien führten Milchmangel jedoch nicht auf körperliche Probleme zurück, sondern vielmehr auf ein falsches Herangehen an das Stillen und mangelnde Unterstützung durch Fachpersonal. Stillen wurde stattdessen als fragile Beziehung zwischen Mutter und Kind dargestellt, die durch ungünstige äußere Umstände oder mangelnde Überzeugung der Mutter zum Erliegen kommen konnte. Gewichtsschwankungen seien dabei normal und nicht immer ein Anlass zur Beunruhigung, vielmehr bräuchten Mütter bessere Anleitung und sollten auf die individuellen Bedürfnisse des Kindes eingehen, es nach Bedarf und nicht nach einem Zeitplan stillen.52 Ein weiterer Maßstab für die erfolgreiche Erziehung des Säuglings war die Gewöhnung an eine regelmäßige Ernährung. Die TagebuchschreiberInnen reflek­ tierten dabei normalerweise nicht über dieses Ernährungsschema. Hier lässt sich aber festhalten, dass die AutorInnen, deren Kinder vor 1908 geboren wurden, keinem bestimmten Rhythmus folgten. Es wird zumindest nicht explizit darauf verwiesen, weder bei Prof. Otto K. noch bei Antonie F.,53 die aber insgesamt weniger Einträge zur Ernährung vornahm. Dies ist nicht verwunderlich, da ­Adalbert Czernys Ratgeber Der Arzt als Erzieher des Kindes, der maßgeblich für die Normierung und Regulierung kindlicher Ernährungsbedürfnisse verantwortlich war, erst nach der Anfertigung dieser Tagebücher im Jahr 1908 erschien. Dieser hatte die Vorstellung geprägt, über die Regulierung der Säuglingsernährung eine „erste Erziehung zur Beherrschung des Willens“ 54 zu erreichen. Zugespitzt und popularisiert wurde die Vorstellung von Ernährungserziehung als Machtprobe zwischen Eltern und Säuglingen in den 1930er Jahren durch die Erziehungsratgeber von Johanna Haarer.55

51 Vgl. Sjölin/Hofvander/Hillervik, Factors (1977), S. 510. Siehe auch: Collins/Lappé, Mythos (1978), S. 346; Kersting/Dulon, Fakten zum Stillen (2002), S. 1201. Diskrepanzen zwischen normativen Vorschriften und Handlungsmöglichkeiten fanden auch die norwegischen und kanadischen Forscherinnen: Andrews/Knaak, Medicalized Mothering, S. 89. 52 vgl. Cretius, Gemeinsame Unterbringung (1955), S. 717; de Château u. a., Study of Factors (1977); Klackenberg, Bröstuppfödning (1960), S. 1026; Torstenson, Barnbödsavdelningen (1962), S. 52. 53 DTA 889 Antonie F., Tagebuch über die 1. Tochter (1904 – 1905). 54 Czerny, Arzt (1908), S. 26. 55 Vgl. Gebhardt, Norm und Gefühl, S. 192.

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In den 1920er Jahren hatte sich das Schema hingegen bereits als Norm durch­ gesetzt, der die TagebuchautorInnen größtenteils folgten.56 Die Mutter von ­Donatus, die sich sowohl als besonders gut informiert als auch als besonders unsicher in Bezug auf ihr Kind darstellte, meinte, es hätte ein „ganz neues Leben an[gefangen]“, nachdem sie mit dem Kind wieder zu Hause war. Der gesamte Tagesablauf war so durchorganisiert, damit sie dem Kind seine regelmäßigen Mahlzeiten geben konnte. Sie hielt sich allerdings nicht immer an die Vorgaben. Die Abendmahlzeit des Kindes zögerte sie lange hinaus, wenn das Kind noch schlief und weckte es nicht extra, um ihm die Brust zu geben: Er schrie nämlich nachts, überhaupt wenn er einmal anfing zu schreien blieb er stundenlang dran, einmal von 2 bis ½ 6, oft von 4 bis ½ 6. Es schnitt mir immer ins Herz und ich hatte keine ruhige Minute. Auch zu Tage, wenn er einmal nach der Mahlzeit nicht einschlief, schrie er stundenlang, bis zur nächsten weiter. Das war schrecklich, nicht wegen des Lärms, sondern ich fand das so kläglich und konnte oder durfte ihm doch nicht helfen. Und meine Nerven erholten sich so langsam.57

An ihrer Aussage lässt sich erneut erkennen, dass ihr die Abweichungen durchaus bewusst waren und ihre Einträge erwecken den Eindruck, dass sie ihr Verhalten auch noch einmal vor sich selbst begründen musste. Sie versuchte, zwischen den Vorgaben (das Kind nachts nicht zu ernähren) und kleinen Abweichungen von der Regel (späteres Füttern) zu navigieren. Die Norm blieb jedoch der Maßstab, an dem kleine Änderungen vorgenommen wurden, aber deren Grundlage oder Nutzen wurden nicht grundlegend in Frage gestellt. Im Vergleich dazu hielten sich die Eltern Bernd und Marga P. Mitte der 1930er Jahre streng an das Schema. Nach vier Monaten stellte die Mutter an ihrer erstgeborenen Tochter erfreut fest: Schreien tut sie eigentlich sehr wenig, und wenn, dann nur aus Hunger. Im allgemeinen schläft sie noch sehr viel. Nachts schläft sie ja nun immer durch. Es war doch gut, daß wir sie in der ersten Zeit schreien ließen, wenn sie nachts durch die lange Nahrungspause Hunger bekam. Wir haben sie dann einfach ins Zimmer gefahren.58

56 Vgl. Marie-Luise S., Tagebuch (1935), S. 2. 57 Martina S., Tagebuch Donatus, November 1924, S. 17 f. 58 DTA 1287, I–III Marga P./Bernd P., „Die Lebensgeschichte von Marga und Bernd“. Tagebücher und Briefe (1920 – 1971), 22. 12. 1935, S. 127.

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Das Schreien interpretierte sie durchaus als Äußerung eines Hungerbedürfnisses, dem sie jedoch, entsprechend den strengeren Regeln während des Nationalsozialismus (vgl. 2.2.3), nicht nachkam. Anders als die Mutter von Donatus zehn Jahre früher, die es als große Belastung empfand, das Kind schreien zu lassen, freute sich Marga P. darüber, ihr Kind so gut erzogen zu haben. Mit unverhohlenem Stolz berichtete eine weitere Mutter in den frühen 1930er Jahren vom gleichförmigen Appetit ihrer ersten Tochter: Wie Klein-Annelies das erste Mal in ihrem Leben trinken sollte, war sie gleich sehr vernünftig und trank gleich 60 Gramm, die anderen Kinder stellten sich meistens beim ersten Mal und auch die ersten Tage furchtbar dumm an, aber unser Kind hatte immer einen gleichen Appetit, schlief dabei ein und guckte hinterher immer furchtbar vernünftig in die Gegend, wir haben darüber oft unsere Freude gehabt.59

Diese Unterschiede in der Bewertung des Schemas können zum einen auf unterschiedliche persönliche Einstellungen und Befindlichkeiten zurückgeführt werden, passen zum anderen aber auch zu den bisherigen Ergebnissen der Arbeit, die eine Zuspitzung der Ernährungsregeln in der 1930er Jahren gezeigt hat. Czernys Ernährungsregeln stießen in Fachkreisen und der gebildeten Bevölkerung allgemein schnell auf Resonanz. Wie die Beispiele nahelegen, verschob sich die Interpretation des Verhältnisses zwischen Eltern und Kindern und der agency des Säuglings im frühen 20. Jahrhundert und bewegte sich in Richtung eines Machtspieles zwischen Eltern und Kind. Die bereits ausführlich zitierte Mutter von Donatus meinte etwa: „Merkwürdiger Weise wollte er auch eines ­Tages seinen Spinat nicht fressen, ich zwang ihn obwohl er schrie. Da hatte er ­etwas Durchfall und wollte auch abends den Brei nicht. Da habe ich ihn auch nicht gegeben sondern nur Brust. Da war es wieder gut.“ 60 Bei ersten Anzeichen von abweichendem Verhalten versuchten Eltern zunächst, das Kind zur Anpassung zu bringen, es zu „zwingen“. Wenn dies jedoch nicht zum Erfolg führte, wurde dem Druck des Kindes nachgegeben. Es gibt selten Beispiele dafür, dass Eltern nicht-regelkonformem Verhalten ihrer Kinder nachgaben, ohne zumindest einmal zu versuchen, korrigierend einzugreifen. Bei einem weiteren Eintrag der gleichen Autorin tritt dies noch deutlicher zu Tage: „Zwar gebe ich 2 Malzschoppen à 200 gr. und einen Ziegenmilch à 150 zu 50. Es ist alles immer noch ein Theater ihm das einzuflößen – ich wollte er nähme die Flasche. Aber das habe

59 DTA 1836 Karla B., „Unsere kleine Annelies“, März 1931, S. 1. 60 Martina S., Tagebuch Donatus, Juni 1925, S. 46 f.

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ich nicht erreicht. Sein erster Sieg über die Mutter.“ 61 Die Autorin empfand es als Niederlage, dass ihr Sohn nicht die präferierte Ernährungsmethode annahm und sie ihn auch nicht umstimmen konnte. Die Kinder zeigten immer wieder Widerstand gegen Erziehungsversuche der Eltern. So entwickelte sich der Versuch eines Vaters, seine drei Monate alte Tochter zu disziplinieren, als diese sich nicht entsprechend der Normerwartung des Vaters verhielt, nicht in die gewünschte Richtung: „Weil die ‚Eule‘ keinen Brei essen wollte, schimpfte ich sie tüchtig aus. Darauf weinte sie bitterlich und weinte auch eine Woche lang jedes Mal, wenn sie mich wieder sah.“ 62 Durch das Ausschimpfen hatte er erhofft, das Kind zur Normerfüllung zu bewegen. Ein weiteres Motiv, das zu Beginn des Jahrhunderts auftauchte und eng mit den Erziehungsregeln von Czerny und Haarer verbunden war, war die Angst davor, das Kind durch zu viel Aufmerksamkeit oder zu viel Essen zu verwöhnen.63 Dem sollte vor allem durch die Einhaltung von bestimmten Ernährungsregeln vorgebeugt werden.64 Eine Mutter berichtete 1948 über die Ernährung ihrer ersten Tochter zunächst nur Positives.65 Nach einigen Monaten hielt sie jedoch fest „Oft weint Angelika wenn man zur Türe hinaus geht und am Abend, wenn sie nicht gleich nach der Flasche schläft, will sie eingesungen sein. Wir haben sie eben auch schon verwöhnt.“ 66 Das Schreien der Tochter wurde als Anzeichen gewertet, das Kind nicht normentsprechend zu einer langen Nachtruhe erzogen zu haben, wie dies die Ratgeber vorsahen. Wie genau sie das Kind verwöhnt hatte, legte sie zwar nicht dar, aber es liegt nahe zu vermuten, dass sie dem Kind abends etwas vorgesungen hatte, anstatt sich der Lehrmeinung der späten 1940er Jahre entsprechend dem Kind nicht zu widmen und es abends allein zu lassen. Die Befürchtung, das Kind zu verwöhnen, hielt sich in den Tagebüchern noch viele Jahrzehnte, auch als sich die Lehrmeinung schon zu wandeln begann und ExpertInnen vorschlugen, die Ernährung des Kindes auf dessen Bedürfnisse 61 62 63 64

Ebd., August 1925, S. 56. DTA 1500/II ,3 Herbert K., Marlise K., 06. 08. 1936, S. 7.

Vgl. u. a. Behrend, Reim und Bild (1916), S. 13. Größtenteils diagnostizierten die Eltern selbst, ihr Kind verwöhnt und damit Fehler in der Erziehung gemacht zu haben. Nur in einem Fall wies ein Externer, der Bruder der Mutter, darauf hin, dass das Kind durch die Eltern verwöhnt worden sei, weil es nachts nicht – den Vorgaben entsprechend – schlafen wollte. Die Mutter verhielt sich im Folgenden jedoch nicht erneut zu dieser Einschätzung ihres Bruders und eignete sich dessen Urteil über ihren Sohn anscheinend nie an, vgl. Martina S., Tagebuch Donatus, September 1925, S. 59. Lotte F. meinte, eher spielerisch, die Großeltern würden den Sohn nach „Strich und Faden verwöhnen“, vgl. DTA 746 Lotte F., Briefe an meine 2 Söhne (1964 – 1968), 11. 09. 1965, o. S. 65 Vgl. Elisabeth B., Kindertagebuch Angela, 08. 10. 1947, S. 4. 66 Ebd., 27. 02. 1948, S. 6.

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a­ bzustimmen. Besonders eindrücklich ist dies im Tagebuch eines Vaters, Jürgen B., aus dem Sommer 1960 zu erkennen. Jürgen B. berichtete sehr ausführlich über das Ernährungsverhalten seiner ersten Tochter Annette. Er freute sich sehr über sein „Musterkind“, da es einen „sehr ordentlichen Tagesrhythmus“ einhielt.67 An bestimmten Grundsätzen hielt er immer fest. Ein Arzt war bei der Familie, weil das Kind eine Pilzinfektion an der Zunge hatte, und der Vater schloss an: „Deine Ernährung ist auch nicht in Ordnung. Du trinkst zu wenig. Du kommst nicht auf dein Quantum von 500 gr. täglich. Also sollst du 7 anstatt 5 Mahlzeiten bekommen, also alle 3 Stunden, auch nachts, wenn du dich meldest. Das ist der Anfang der Verwöhnung. Wie wird das enden?“ 68 Diese Passage ist in ähnlich humorvollem Stil wie das restliche Tagebuch verfasst. Die Ernsthaftigkeit der Verwöhnungsgefahr zeigt sich aber in weiteren Aussagen. Bereits einen Tag später stellte er mit Genugtuung fest: „Der Versuch dich nach einem neuen Fahrplan zu mästen, ist total fehlgeschlagen.“ 69 Selbst wenn diese Ernährungsumstellung vom Arzt verordnet worden war, vertraute Jürgen B. nicht vollständig auf dessen Expertise, sondern hielt vielmehr an der verbreiteten Vorstellung fest, das Kind könne durch zu häufige Nahrungsgabe verwöhnt werden. Vier Monate später machten sich die Eltern erneut Sorgen, weil die Tochter ihr vorgesehenes Quantum nicht erreichte: „Von den vorgeschriebenen 4 Flaschenmahlzeiten zu je 180 Gramm trinkst du im Höchstfall 2 zu 120.“ Daraufhin hätten der Autor und die Mutter, die schon (metaphorische) Magengeschwüre bekäme, versucht, dem Kind einen ganzen Tag lang keine Nahrung zu geben, damit sich Hunger bei ihr einstellte. Dieser Versuch war allerdings ebenfalls nicht von Erfolg gekrönt. Er setzte fort: Macht dir überhaupt nichts aus. Im Gegenteil. Bei der Abendflasche (nach 12(!) Stunden) kneifst du deinen Mund ganz fest zu. Mama muss mit Zangengriff deine Fressluke öffnen. Und dann bläst du. Mama hat eine Engelsgeduld. Ganz egal wie du dich drehst und wendest, die Flasche bleibt drin. Und nach einer Zeit wird sie doch irgendwie leer. Keine Appetitlosigkeit, sondern eine Marotte. Nur mit Gewalt zu brechen. Wollen sehen, wer stärker ist.70

Die Ernährungsprobleme mit der Tochter wurden in einer kompetitiven Rhetorik zwischen den Eltern und dem Kind als eine (scherzhafte) Kraftprobe figuriert. Die Probleme hörten auch nach dieser Episode nicht auf, sondern setzten sich fort. 67 68 69 70

Jürgen B., Annettes Tagebuch, 08. 05. 1960, S. 9. Ebd., 26. 04. 1960, S. 6. Ebd., 27. 04. 1960, S. 8. Ebd., 03. 08. 1960, S. 22.

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Einige Tage später notierte er, die Tochter mache „Mätzchen beim Trinken“,71 sei aber ansonsten gut entwickelt. Weil das Kind nie die vorgegebene Menge trank, nicht richtig zunahm, entschloss sich die Mutter zu einer List: Nun hast du dir die Sache doch anders überlegt. Mama hat ein bisschen nachgeholfen. Mit einer glühenden Nadel – im Schnullerloch. Jetzt die Sache. 150 Gramm sind im Nu weg. Und plötzlich schmeckt auch der Brei. Du bekommst jetzt nur noch 5 ‚Schoppen‘ und eine Breimahlzeit (die ‚eiserne Mama‘ hatte es doch noch nicht aufgegeben.)72

Trotzdem das Kind nach allem äußeren Anschein gesund war und die geistige Entwicklung, wie Jürgen B. selbst festhielt, gut voranging, notierte er immer wieder Abweichungen von der Ernährungsnorm bei der Tochter, die sich darin äußerten, dass sie nicht genügend essen wollte.73 Anscheinend ließen sich die Eltern jedoch nie komplett darauf ein, den kindlichen Bedürfnissen zu entsprechen. Wichtiger schien, dass das Kind die vorgegebene Menge Nahrung bekam, auch wenn dazu ein nicht sanktionierter Weg, Vergrößerung des Saugerlochs, beschritten werden musste. Die Praktiken der Eltern zeigen in diesem Fall eine Übereinstimmung mit der bisherigen historischen Forschung zur langen Halbwertszeit der Erziehung zur Normerfüllung in Deutschland. Sie ist heute noch präsent, wenn auch weniger prominent, wie soziologische Umfragen gezeigt haben.74 In Schweden hielten die Ernährungsregeln in Anlehnung an Czerny und Keller ebenfalls Einzug mit den Ratgebern von Lichtenstein und Jundell. Seit dem frühen 20. Jahrhundert setzten sich dann die Ernährung nach Schema sowie die Vorstellung, das Kind durch eine frühe Gewöhnung an eine Zeitordnung zu erziehen, ebenfalls durch.75 Hier kam jedoch bereits in den 1940er Jahren ein neuer Diskurs auf, der den Kindern mehr Handlungsmacht einräumte und Eltern dazu anhielt, zwar einen Tagesplan einzuhalten, diesen aber an den Bedürfnissen auszurichten. Ein Wandel der Einstellung lässt sich in den Egodokumenten zwar feststellen, wenn auch mit einer gewissen Verzögerung gegenüber den Ratgebern. Der Fragebogen 172 von 1960 hatte spezifisch danach gefragt, ob das Kind zu bestimmten Zeiten gestillt wurde, ohne eine Begründung für ein solches Schema 71 Ebd., 06. 08. 1960, S. 23. 72 Ebd., 13. 07. 1960, S. 19. 73 „Deine geistige Entwicklung macht weiter große Fortschritte. […] So ist zum Beispiel die Verbindung Schnuller und Mund kein Problem mehr,“ ebd., 06. 09. 1960, S. 27. 74 Vgl. Gebhardt, Norm und Gefühl, S. 195; Keenan/Stapleton, Babies’ Agency, S. 29; Murphy, Images of Childhood. 75 Vgl. 2.1. und 2.3. Pehrsson, Barn, S. 89, 98.

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zu fordern.76 Daher antworteten viele InformantInnen schlicht: „[u]m die Jahrhundertwende“ oder „am Beginn des Jahrhunderts“ habe man die Kinder nach Bedarf ernährt, egal ob tagsüber oder nachts, oder wenn die Mutter Zeit hatte.77 Jenny D. hielt fest, zu Beginn des Jahrhunderts habe man das Kind gestillt, wenn es schrie oder nicht schlafen wollte, „aber heutzutage sind es andere Zeiten, das Kind bekommt seine regelmäßigen Mahlzeiten und das wird eine Gewohnheit, so wird das Kind lieber“.78 Die meisten benannten jedoch keinen konkreten Zeitpunkt, ab dem diese Veränderung stattfand, sondern verglichen „damals“ mit „heute“. Es waren sich aber fast alle einig, dass man „heute“ zu bestimmten Zeiten ernährt.79 Wer die Regeln eingeführt hatte oder worauf sie beruhten, wurde ebenfalls kaum besprochen. Eine Frau aus Hälsingland verknüpfte die Einführung des Schemas mit der Institutionalisierung des Hebammenberufs in ihrer Region nach 1913: „aber so ganz ernst hat man die anfangs nicht genommen“ 80, ein anderer mit dem Beginn ärztlicher Kontrollen, die er um 1930 verortete.81 Es gab aber offensichtlich ein Bewusstsein dafür, dass die Regeln Teil „moderner“ Säuglingspflegepraktiken und die älteren Praktiken nicht mehr legitim waren. Insgesamt wurde die Einführung der Regeln in den schwedischen Fragebögen von 1960 entweder gar nicht bewertet oder eher positiv gesehen. Es gab jedoch einige wenige Aussagen, dass Füttern nach Bedürfnis negative Folgen gehabt habe. Auf Schwedisch wurde häufig der Begriff „kinkig“ (quengelig) benutzt, um Kinder zu beschreiben, die sich nicht normkonform verhielten.82 Eine Informantin meint: „War der Säugling quengeling, sollte er umsorgt und ernährt werden, häufig wurde das Kind zu viel gefüttert. Die Mutter wickelte ein quengeliges Kind häufiger, als eins, das lieb war und schlief.“ 83 Es gab auf der anderen Seite jedoch auch die 76 Nordiska Museet, Frågelista 172, S. 2. 77 Vgl. EU 51480 Hilda K. (1960), S. 2; 51516 Mimmi G. (1960), S. 2/3; EU 51503 Jenny D. (1960), S. 3. 78 EU 51503 Jenny D. (1960), S. 3 f.: ”För en femti ar sen tillbaka var det ej så noga med målen till barn det blev ofta när divor skrikiga och inte ville sova. […] Men nur för tiden är det andra tider barnet får sina jemma mål det blir en vana så barnet blir snällare.“ 79 Vgl. EU 51481 Gottfried N. (1960), S. 3; EU 51503 Jenny D. (1960), S. 3; EU 51537 Signe F. (1960), S. 21. 80 EU 51475 Lisa J. (1960), S. 2: ”Bestämta tider för di givning det kom väl barnmorskorna med fram emot 1913. Men det togs nog inte på alvar så snart.“ 81 EU 51489 John Å. G. (1960), S. 5: ”I gamal tider fick Barnet Bröstet så ofta det bråkade, innan Läkerkontrollen börgade tillämpas.“ 82 Vgl. EU 52992 Elin G. (1960), S. 2; EU 53520 Gunnar J. (1963), S. 5. 83 EU 51890 Lisa J.(1960), S. 2: ”Var spädbarnet kinkigt skulle det vysjas och matas, många gånger blev barnet för mycket matat. Mamman lindade ett kinkigt barn flera gånger om dagen än ett som var snällt och sov.“

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Vorstellung des „pattlängtan“ (umgangssprachlich: Saugverlangen), „und da half nichts“, wie eine Informantin meinte.84 Das Verlangen des Kindes nach Nahrung war dann so groß, dass der Mutter keine Wahl blieb, als ihm Nahrung zu geben. Teilweise führten die InformantInnen die Unregelmäßigkeit des Fütterns „damals“ darauf zurück, dass die Mütter nicht so viel Zeit hatten wie zum Zeitpunkt der Niederschrift. Früher hätte man es als Zeit angesehen, in der man nichts zu tun hatte, wenn man das Kind ernährte.85 Beide Erzählungen spiegeln wider, die Mütter wohl zu Beginn des Jahrhunderts eher dem Verlangen des Kindes nachgaben. Über die Gründe für das Schema wurde im Allgemeinen nicht reflektiert. So hatte ein Informant gehört, dass die Kinder ruhig schreien konnten, weil dies die Lungen stärkte.86 Dies deckt sich im Großen und Ganzen auch mit der Ratgeberliteratur der ersten Jahrhunderthälfte, die weniger auf die Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse und Grundlagen abzielte, sondern vielmehr autoritative, aufklärerische Ansprüche hatte, Mütter zur richtigen Ernährung zu erziehen.87 Nur Ruth E., die 1927 an Kursen der Sällskap Barnavård teilgenommen hatte (vgl. 1.3.1), wusste, dass der Magen des Kindes die Nahrung erst verdauen musste, was drei Stunden dauerte. Sie erklärte: „Die Zeit für das Essen fing um 6 am Morgen an, dann 10, 2, 6, 10 am Abend. Man rechnet damit, dass der Magen 3 ganze Stunden zum Verarbeiten der Milch hat.“ 88 Außerdem fügte sie hinzu, „wenn sie zwischen den Mahlzeiten schrien, durfte man sie nicht aufnehmen, nur schauen, ob sie etwas an den Kleidern störte, oder ihnen ein bisschen Wasser mit einem Löffel geben, sie durften keinen Schnuller haben“.89 Die Informantin Mimmi G. zählte, geradezu mustergültig, die einzelnen Arbeitsschritte der Säuglingspflege durch und bewertete auch die Ernährung nach Schema positiv: Heute hingegen gibt es bestimmte Zeiten und die Kinder essen ruhig, bis sie satt sind. Danach werden die Säuglinge gewogen, die Mutter richtet sich nach einer Tabelle, und sie soll das Kind

84 51537 Signe F. (1960), S. 21: ”Och så fanns något som folk kallade ett fullt namn ‘pattlängtan’ och då hjälpte ingenting.“ 85 Vgl. EU 51505 Alma K (1960), S. 2. 86 Vgl. EU 51638 Nils H. (1960), S. 10. 87 Vgl. u. a. Jundell, Uppfödning 1913, S. 14 sowie Abschnitt 2.1.1. 88 EU 51516 Mimmi G. (1960), S. 1/2, Bericht von Ruth E.: ”Tiden för målen började kl. 6 på morgonen, sedan 10, 2, 6, 10 på kvällen. Man räknar med att magsäcken har göra fulla 3 timmar att smälta mjölken.“ 89 EU 51516 Mimmi G. (1960), S. 1/4 Bericht von Ruth E.: ”Om dom skrek mellan målen, så fick man inte ta upp dem, bara se till om det var något i kläderna som ireterade, eller ge dem litet vatten med en sked, dom fick inte ha tröstnapp.“

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frühestens alle 4 Stunden füttern, und wenn dies ausreichend geschieht, schläft das Kind in der Regel die ganze Nacht und sowohl Mutter als auch Kind erhalten ihre wohlverdiente Ruhe.90

In der Beschreibung ihrer eigenen Erfahrungen zeigt sich jedoch, dass sie in der Pflege ihres eigenen Kindes nicht immer komplett nach Plan vorgegangen war. Sie äußerte außerdem den Wunsch danach, von älteren Frauen in der Säuglingspflege unterstützt zu werden. Als positiv bewertete sich die enge Beziehung zu ihrer Freundin, die auch ein kleines Kind hatte.91 Erste Hilfe bekam Mimmi G., als ihr Sohn zu wenig trank, von der Hebamme, die sie jedoch weiter verun­sicherte, anstatt zu beruhigen. Sie diagnostizierte, der Junge sei „nervös“ geboren worden. Mimmi G. hielt sich an die Anweisungen der Hebamme und fütterte das Kind ausschließlich mit Muttermilch, immer zu den vorgegebenen Zeiten. Als das Kind sechs Wochen alt war, musste sie allerdings den ganzen Tag getrennt von ihm verbringen und überließ ihn der Freundin. Diese hatte nie Probleme, ihr Kind zu ernähren. Sie konnte sogar den Sohn von Mimmi G. stillen. Außerdem gab sie dem Kind Zwiebackvälling und als Mimmi G. abends nach Hause kam, wirkte ihr Sohn zum ersten Mal gesättigt. Nach diesem Erlebnis passte sie ihre Ernährungsweise an und gab dem Kind vormittags immer Zwiebackvälling, ohne erneut eine medizinische Autorität zu befragen. Gleichzeitig bereitete ihr dies Probleme, weil sie dadurch abends nicht stillen musste und Schmerzen in der Brust bekam. Ihr Fazit war jedoch: „[A]ber alles ging auf jeden Fall gut.“ 92 Die Befürchtung, das Kind zu verwöhnen, war auch in Schweden ein M ­ otiv, das sich bis weit in das 20. Jahrhundert hielt. Ein Beispiel vom Beginn des Jahrhunderts lieferte Hanna G., die um 1910 Kindermädchen bei einem Großbauern war. Sie erzählte, dass die Mutter jedem Wunsch ihres 9 – 10 Monate alten Kindes folgte, es wiegte und ihm vor allem auch immer die Brust gab, wenn der Junge danach verlangte. Dies bezeichnete sie als „das Elend“.93 Die Erzählung setzte sie nicht stringent fort, stellte aber im Folgenden einen Zusammenhang mit der mangelnden Erziehung durch die Mutter und dem Tod des Kindes mit acht Jahren her. Die Mutter habe es zu keinem Zeitpunkt geschafft, sich gegen das „Elend“ durchzusetzen, und wurde daher von der Informantin für die schlechte Entwicklung des Kindes verantwortlich gemacht.94 Gegen Ende des 90 EU 51516 Mimmi G. (1960), S. 2/3. 91 Vgl. hierzu auch: KU 12996 Gun B. (1992), S. 15; KU 12195 Ingrid N. (1991), S. 3; EU 52992 Elin G. (1962), S. 1. 92 EU 51516 Mimmi G. (1960), S. 2/1 – 3: ”men allt gick väl i alla fall.“ 93 EU 34135 Hanna G. (1960), S. 5. 94 Ebd., S. 5.

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Untersuchungszeitraums hatte sich jedoch die Interpretation verändert, welche Auswirkung die Verwöhnung habe konnte. Stand zu Beginn des Jahrhunderts noch die Anpassung an eine vorgegebene Ordnung auf dem Spiel, sahen ExpertInnen seit den 1970er Jahren die Selbstständigkeit des Kindes gefährdet. Diese Veränderung reflektierten Antworten auf den Fragebogen 217 von 1990. Eine Mutter bezeichnete sich selbst als „Glucke“. Der Begriff wird im Deutschen und Schwedischen mit zu großer Vorsicht im Umgang mit Kindern und dem Bedürfnis sie von der Welt abzuschirmen assoziiert, aber auch damit, sich zu sehr in die Belange der Kinder einzumischen.95 Eine andere Frau beklagte, verwöhnt zu haben, da sie „keine Linie hatte, der sie folgen konnte“, und die Kinder somit zu unselbstständigen Personen erzogen zu habe.96 Diese Aussagen weisen auf den sich ändernden Diskurs um Erziehungsziele hin. Spätestens in den 1990er Jahren war Selbstständigkeit ein wichtiges Erzie­ hungsziel. Dies bringt auch eine andere Mutter zum Ausdruck: „Das Kind zur Selbstständigkeit zu erziehen und zu versuchen, seinen eigenen Voraussetzungen entsprechend die Möglichkeiten eines guten Lebens zu entwickeln, war wohl unser Ziel.“ 97 Befürch­teten Eltern zu Beginn des Jahrhunderts, ihr Kind könne nicht angepasst genug sein, wenn es verwöhnt wurde, befürchteten Eltern seit den 1980er Jahren, die Kinder könnten unselbstständig werden, wenn die Eltern, insbesondere die Mütter, sie zu sehr verwöhnten.98 Erst in den Fragebögen von 1990 wurde in Schweden weniger positiv über die Stillregeln gesprochen, obwohl diese bereits seit ca. 30 Jahren nicht mehr in der Ratgeberliteratur empfohlen wurden. Eine schwedische Mutter erinnerte sich an die Abläufe im Krankenhaus, die 1955 nach einem klaren Schema abliefen: Im Zimmer waren wir vier Frauen, die zusammen im [Kinder]Zimmer lagen. Die Kinder waren im Kinderzimmer. Sie wurden alle vier Stunden zum Stillen gebracht. Ansonsten bekamen wir sie kaum zu sehen. Das Personal wickelte sie und brachte sie wie in einem Paket. Wir konnten auf den Flur gehen und sie anschauen, aber wir konnten sie sonst kaum bei uns haben.99

95 KU 12028 Brigitta J. (1991), S. 2. 96 Vgl. KU 12196 Gunnel M. (1991), S. 12. 97 Ebd., S. 16: ”Att fostra barnet till självständighet och försöka efter hennes egna förutsättningar utveckla möjligheterna till ett bra liv var väl vårt mål.“ 98 Vgl. Kolbe, Vaterschaftskonstruktionen, S. 190 f. 99 KU 12765 Ingrid H. (1992), S. 10: ”På salen var vi fyra kvinnor som låg tillsammans i rummet. Barnen var i barnsalen. De lämnades in var fjärde timme för amning. Annars fick vi knappt ta i dem. Personalen bytte på barnen och lämnade in dem som i ett paket. Vi kunde gå ut i korridoren och titta på dem men vi fick knappast inte ta i dem annars.“ Vgl. hierzu auch: Karla B., Annelies, März 1931, S. 1.

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Ihre Schilderung vermittelt den Eindruck, dass sie mit dieser Aufteilung nicht einverstanden war und gerne mehr Zeit mit ihrem Säugling verbracht hätte. Im geän­ derten Schreibkontext der 1990er Jahren war das Stillen nach Bedarf zum state of the art in der Säuglingsernährung geworden, weswegen die Mutter sich hier offen kritisch über die Stillregeln und die Verhältnisse im Krankenhaus äußern konnte. Die Egodokumente aus Deutschland und Schween legen abschließend nahe, dass es im Alltag nicht immer möglich war, die Stillregeln konsequent einzuhalten. Erschwert wurde dies durch die Wohnsituation vieler Familien. So berichteten InformantInnen, dass die Bedürfnisse des Kindes nach Nahrung auch in der Nacht gestillt wurden, damit die anderen Familienmitglieder, die in Bauernhäusern alle in einem Raum schliefen, weiterschlafen konnten.100 Die Einhaltung strikter Regeln und das „Schreien-Lassen“ des Kindes war nur dann möglich, wenn die Familie genug Räume hatte, um es allein zu lassen. Dies war insbesondere in den Bauernfamilien zu Beginn des 20. Jahrhunderts jedoch nicht der Fall.101 Hier musste also, entgegen den Regeln, gehandelt werden, um die Familie nicht zu stören. Es gibt auch einen deutschen Fall, in dem das „Verwöhnen“ eingesetzt wurde, um andere vor dem Schreien des Kindes zu schützen. Eine Mutter war mit ihrem Sohn in die Ferien gefahren und beschrieb ihn in den ersten drei Urlaubstagen als unruhig, da er ungünstig auf den Wechsel der Milch am Urlaubsort reagierte: „Er wird etwas verwöhnt, da ich nicht will, daß andere durch ihn gestört werden.“ 102 Er bekam in dieser Situation ausnahmsweise mehr Nahrung als zu Hause und zwar mit dem expliziten Ziel, das Schreien des Kindes zu unterdrücken, um die anderen Gäste im Gasthof nicht zu stören.103 Hier offenbaren sich die blind spots der ExpertInnen, die ein bürgerliches Publikum oder zumindest die Wohnverhältnisse dieser Schicht imaginierten, an das sie ihren Rat richteten.104 100 EU 51638 Nils H. (1960), S. 5: ”Såväl min mor som min hustru brukade, åtminstone nattetid, lägga barnen till bröstet när de vaknade och skrek. Då hela familjen sov i samma rum gällde det ju att tysta barnet så att de övriga fick sova.“ 101 Vgl. Löfgren, Sweetness of Home, S. 89 f. 102 Marie-Luise S., Tagebuch (1935), S. 4. 103 Vgl. EU 51638 Nils H. (1960), S. 10. 104 Ein interessanter Punkt in Bezug auf die Ernährungs- und Erziehungserfolge ist der Vergleich zwischen Geschwistern. Hier finden sich zwei Beispiele im Sample. Einerseits Otto K., der für jedes seiner vier Kinder ein Tagebuch anlegte, andererseits sein Sohn Herbert. Bei Otto K. findet sich z. B. die Aussage: „Beim Trinken an der Brust zeigt sich Erna sehr geschickt, anders wie ihr Bruder seinerzeit. Da sie viel schläft, macht sie verhältnismäßig wenig Arbeit.“ Otto K., Kinderbuch Erna K., 10. 01. 1896, S. 3. Herbert K.s Tagebücher sind im Vergleich zu denen des Vaters weniger detailliert und stärker schematisch angelegt und enthalten teilweise über lange Zeitspannen keine Einträge. Über die Einzelheiten der Ernährung führte er nicht in gleicher ausführlicher Weise Buch wie der Vater. Herbert K. verglich seine Kinder aber gleichermaßen

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3.1.2 Verhandlungen der Geschlechtlichkeit des Säuglings

Ein besonders erstaunlicher Punkt in den normativen Quellen ist der Verzicht auf geschlechtliche Zuschreibungen und Differenzierungen des Säuglings, sowohl in Bezug auf seine Erziehung als auch auf seine Ernährung. Für den gesamten Untersuchungszeitraum gab es nur wenige Hinweise auf eine unterschiedliche Behandlung von Mädchen und Jungen in der wissenschaftlichen Erforschung des kindlichen Körpers. Selbst wenn geschlechtlich differenziert wurde, hatte dies selten Einfluss auf die Ergebnisse, Anforderungen an den Stoffwechsel oder die Nahrung im Säuglingsalter. So brauchten laut dem Nordischen Lehrbuch für Pädiatrie von 1978 Mädchen und Jungen erst ungefähr ab dem dritten Lebensjahr eine unterschiedlich hohe Energiezufuhr.105 Der selten explizierte Unterschied lässt sich nur bei der Säuglingssterblichkeit verzeichnen, die überdurchschnittlich mehr männliche als weibliche Säuglinge betraf und auch heute noch betrifft (die sog. „Übersterblichkeit der Jungen“). Dieser Umstand wurde in der Ernährungsforschung jedoch nicht problematisiert. Es konnten nur wenige Studien gefunden werden, die dieses Ungleichheitsverhältnis versuchten zu erklären oder die Ernährung für männliche oder weibliche Säuglinge untersuchte.106 Auch in der Ratgeberliteratur gab es zu keinem Zeitpunkt Angaben darüber, dass Mädchen und Jungen unterschiedlich viel oder unterschiedlich kalorienhaltige Nahrung erhalten sollten. In Bezug auf die Ernährung waren Säuglinge also in der anhand ihrer Verhaltensweisen. So bemerkte er wenige Wochen nach der Geburt des zweiten Kindes: „Martin lutscht nie an seinen Fingern, wie es Hermann tat und heute noch tut.“ DTA 1500/II ,2 Herbert K., Martin K., 25. Oktober 1931, S. 8. Über den zweiten Sohn hielt er fest: „Brei essen lernt er nicht so schnell wie Hermann; er ist eben ein richtiger Milchegel.“ DTA 1500/II ,2 Herbert K., Martin K., 17. 01. 1932, S. 8. Über das jüngste Kind notierte er: „Er benahm sich wie seine Geschwister im gleichen Alter, nur mit dem Unterschied, dass er im Schreien eine größere Ausdauer entwickelte. Es mag auch sein, dass er mehr Hunger hatte als die anderen, denn im Anfang war sein Magen nicht ganz in Ordnung, und er gab öfters wieder sein Futter von sich.“ DTA 1500/II ,5 Herbert K., Werner K., 20. 03. 1940, S. 4. 105 Vgl. Sjölin/Vahlquist, Pediatrik igår och idag (1978), S. 6, 32. Camerer hatte um die Jahrhundertwende ermittelt, dass männliche und weibliche Säuglinge keine Unterschiede im Körpergewicht oder ihrer Körperzusammensetzung aufwiesen, vgl. Camerer, Stoffwechsel und Ernährung (1910), S. 184; Samuel Fomon notiert zwar, dass es sich bei seiner Studie um männliche Probanden handelte, die untersucht wurden, dies hatte jedoch keinen Einfluss auf die Empfehlung am Ende der Studie, wie die Nahrungszufuhr gemessen werden sollte, vgl. Fomon, Nutritional Requirements. Siehe auch: Jackson/Hanna/Flynn, Requirements (1962), S. 882. 106 Vgl. Akademie für öffentliches Gesundheitswesen in Düsseldorf, Mütter- und Säuglingssterblichkeit (1986), S. 13 f.; Sjölin/Vahlquist, Pediatrik igår och idag (1978), S. 6; Statistisches Bundesamt, Säuglingssterblichkeit (1975), S. 16 f.

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Wissensproduktion, aber auch in der Wissensvermittlung als geschlechtsneutral konstruiert worden. Diese Nicht-Differenzierung ist einigermaßen erstaunlich, da die Geschlechtlichkeit der Körper und in Verbindung damit die Zuweisung spezifischer Geschlechts­charaktere seit der Mitte des 19. Jahrhunderts eine der wichtigsten gesellschaftlichen Unterscheidungskategorien darstellte. Mädchen und Jungen wurden verschiedene Eigenschaften zugeschrieben und sie sollten auf die jeweils unterschiedlichen Rollen in der Gesellschaft vorbereitet werden.107 Anscheinend war dies jedoch für das Säuglingsalter noch nicht von Bedeutung für die Praktiken mit den Kindern, die erst nach dem ersten Lebensjahr und vermehrt dem Jugendalter geschlechterspezifisch konnotiert waren. So meinte etwa Günter Clauser in seiner Elternschule von 1969, erst ab dem dritten Lebensjahr, wenn das Kind in Kontakt mit anderen Kindern komme, „zeigt sich neuerdings auch in seinem Verhalten immer deutlicher, ob es ein Junge oder ein Mädchen ist“.108 Das Säuglingsalter war hingegen auch bei ihm als geschlechtslos konstruiert. Diese NichtDifferenzierung des Säuglings in zwei Geschlechter deutet zudem darauf hin, dass seine Entwicklung noch nicht vollständig abgeschlossen und er noch weit von einem erwachsenen Menschen, der als Mann oder Frau konstruiert wurde, entfernt war.109 Wenn ExpertInnen über die Kinder sprachen, nutzten sie ausschließlich die Begriffe „der Säugling“/„spädbarnet“ oder „das Kind“/„barnet“, nur in wenigen Ausnahmefällen sprachen sie über „Mädchen“/„flicka“ bzw. „tjej“ oder „Jungen bzw. Knaben“/„pojke“ bzw. „gosse“. Das Bild eines geschlechtslosen Säuglings findet sich in den Selbstzeugnissen hingegen nicht wieder. Auf ganz basaler Ebene lässt sich feststellen, dass fast immer vergeschlechtlichte Pronomen genutzt wurden, um über die Säuglinge zu sprechen. Insbesondere in den ersten Einträgen zur Geburt und den ersten 107 Vgl. Stearns, Childhood, S. 81. Camerer unterschied in seiner Stoffwechseluntersuchung nach Geschlecht, vgl. Camerer, Stoffwechsel des Kindes (1896), S. 1, 4, und hielt fest, dass Knaben mehr Nahrung brauchten als Mädchen. Rubner und Heubner, die in den 1890er Jahren die Grundlagen für die Stoffwechselnormierung des Kindes legten, untersuchten hingegen Jungen und Mädchen, ohne über mögliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern zu reflektieren, vgl. Rubner/Heubner, Die natürliche Ernährung (1898); dies., Die künstliche Ernährung (1899). 108 Vgl. Clauser, Elternschule (1969), S. 206. Das Kapitel trägt die Überschrift: „Eindringen und anziehend sein. Die Vorbereitung auf die Geschlechtsrolle.“ Siehe auch: Neumaier, Familie, S. 50, der jedoch nicht über Säuglinge im Speziellen schreibt. 109 Vgl. Cook, Rise of „The Toddler“, S. 117; Fuhs, Körper, S. 51 f.; Gebhardt, Angst, S. 52; Kelle, Kinder, Körper und Geschlecht, hier S. 73; Schwabenthan, Jungen (1974), S. 14. Eine der seltenen Arbeiten über die Geschlechtlichkeit und Sexualität von Kindern ist: Sauerteig, Junge oder Mädchen.

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Lebenstagen in den Tagebüchern wurde das Geschlecht hervorgehoben. So hielt Otto K. fest: „Der Junge wird früh um 2h 10 MEZ von Dr. Giese mit der Zange zur Welt befördert“,110 und Elisabeth B. notierte mit Freude: „[A]m Sonntag den 8. Juni 06.22 Uhr kam unser erstes Kind ein Mädchen auf die Welt. Als es gebadet und angezogen war darf ich es sehen.“ 111 Auch in den Antworten auf beide schwedischen Fragebögen zeigt sich dieses Muster. Die bereits erwähnte Mimmi G. schickte ihrem Bericht etwas voraus, dass sie über die Zeit berichtete, als ihr „Sohn und der Sohn unserer Freundin“ geboren wurden.112 Die Informantin Maja R. nutzte ein sehr breites Spektrum vergeschlechtlicher Sprache, um in den 1990er Jahre über ihre beiden Kinder zu sprechen. Sie beschrieb die ersten Jahre der Ehe und berichtete über Wohnungs- und Gesundheitsprobleme, die es erschwerten, ein Kind zu bekommen. Nachdem diese überwunden waren, hielt sie fest: „So kam dann unsere Tochter am 4/4 1943.“ 113 Im Folgenden sprach sie über „unsere kleine Puppe“ und „unser Mädel“ und „unser kleines Mädchen“, gab aber auch den Namen an (Inger Mannea). Ein weibliches Kind zu haben, war ihr anscheinend wichtig, vermutlich nicht zuletzt, weil sie für das Nordiska Museet über Geschlechterrollen reflektieren sollte. In ihrer Ansprache der Säuglinge und in ihrem Sprechen über die Säuglinge markierten diese Quellenbeispiele Säuglinge als vergeschlechtliche Wesen, ohne eine Wertung vorzunehmen. Es gab aber auch andere Beispiele, die durchaus unterschiedliche Wertigkeiten mit der Geschlechtszugehörigkeit des eigenen Kindes verbanden. Weder in den Quellen aus dem medizinisch-psychologischen Spektrum noch in den Ratgebern finden sich explizite, wertende Präferenzen für Mädchen oder Jungen. In den Selbstzeugnissen hingegen zeigt sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine Präferenz für männliche Kinder. In ihren Antworten auf den schwedischen Fragebogen zu „Weiblich/Männlich“ aus den 1990er Jahren, die auf das gesamte 20. Jahrhundert zurückblickten, berichteten InformantInnen über die Enttäuschung, insbesondere der Väter, wenn ihr erstgeborenes Kind eine Tochter war oder ausdrückliche Erleichterung darüber, wenn das erste Kind ein Sohn war. 110 Otto K., Kinderbuch Walther K., 01. 12. 1894, S. 3. 111 Elisabeth B., Kindertagebuch Angela, 08. 06. 1947, S. 2. Weitere Beispiele: DTA 364/II ,2 Tagebuch der Mutter, 22. 11. 1920, S. 1: „Morgens 8.25 im Städt. Krankenhaus zu [...] ist unser Sohn geboren.“; Martina S., Tagebuch Donatus, Oktober 1924, S. 12: „Am Montag Nachmittag wurde mir das Bübchen nochmals gebracht, es sollte seine erste Mahlzeit bekommen.“ 112 EU 51516 Mimmi G. (1960), S. 1/1: ”Det var då min egen son, och vår kompanjons son, den familj som vi även sammanbodde med under de årens trångboddhet och bostadsbrist, som här beskriver. När första barnen kommer är modern osäker om dess vård många gånger, och tag gerna råd av äldre. Vi hade nu var sin pojke födda 1921 med 4 dagars åldersskilnad.“ 113 KU 11975 Maja R. (1991), S. 12: ”Så kom då vår dotter den 4/4 1943.“

Das Verhältnis von Eltern und Säuglingen im Alltag  |

Eine Informantin „erinnerte sich so gut“ an die Reaktion ihres Mannes, als sie nach der Geburt des ersten Kindes – eines Jungen – keine Kinder mehr bekommen konnten. Er habe gesagt, „nun da wir nur ein Kind hatten, war er sehr froh, dass es ein Junge war“.114 Über die Geburt seiner Enkeltochter, „die ihn verabgöttert“, habe er sich aber sehr gefreut: „Die Liebe beruht natürlich auf Gegenseitigkeit.“ 115 Eine deutsche Mutter erlebte ebenfalls, dass eine Tochter nicht gleichermaßen willkommen war wie ein Sohn: „Am 21. Februar 1904 erblickte unsere Tochter Elfriede das Licht der Welt. […] ‚Nur ein Mädchen‘, so höre ich später sagen, wie glücklich macht mich unser Mädchen, mein Alles.“ 116 Obwohl es gesellschaftlich und im persönlichen Freundeskreis als weniger wertvoll betrachtet wurde, ein Mädchen zu bekommen, war die Mutter voller Freude über ihr Kind. Inwiefern sie eine Ausnahme oder die Regel zu diesem Zeitpunkt darstellte, ist anhand des Quellenmaterials nicht zu klären. Es macht aber auch deutlich, dass Eltern sich durchaus nicht immer gesellschaftskonform fühlten. Diese Beispiele aus den Selbstzeugnissen zeigen, dass die Eltern ihre Kinder durchaus als vergeschlechtlichte Wesen wahrnahmen.117 Sie geben jedoch keine Auskunft darüber, ob sich das Geschlecht des Kindes – zumindest im Säuglingsalter – auf die Ebene der Praktiken auswirkte. Es gibt etwa keine Aussagen darüber, ob Mädchen weniger häufig als Jungen gefüttert wurden. Dies bedeutet natürlich nicht, dass das Geschlecht des Kindes keinen Einfluss auf die Wahrnehmung und Pflege des Kindes hatte. Es kann zudem der Fall sein, dass vergeschlechtlichte Ansprachen und Praktiken so sehr in den Alltag eingeschrieben waren, dass sie in den Egodokumenten nicht reflektiert wurden. In den letzten Jahren wurde in der Öffentlichkeit vermehrt Kritik an der frühen Vergeschlechtlichung von Kindern durch Konsumgüter geübt. Initiativen wie Pink Stinks in Deutschland machen seit einigen Jahren darauf aufmerksam, wie durch die Farbgebung von Kinderkleidung und Gebrauchsgegenständen und nicht zuletzt von Spielzeug eine Trennung in eine „pinke“ Mädchen- und 114 KU 12039 Eva W. (1991), S. 6: ”Men jag minns så väl att min man sade att eftersom vi nu bara hade ett barn var han så glad att det var en pojke.“ Hierzu finden sich auch viele Hinweise in den von mir nicht systematisch ausgewerteten Antworten auf den Fragebogen 171 über Schwangerschaft und Geburt des Nordiska Museet aus dem Jahr 1960. In diesem wurde explizit danach gefragt, ob Jungen gegenüber Mädchen präferiert wurden. Ein kursorischer Blick auf diese Dokumente zeigt, dass dies, insbesondere zu Beginn des Jahrhunderts, durchaus der Fall war. 115 KU 12039 Eva W. (1991), S. 6: ”[hon] dessutom avgudar sin farfar. Kärläken är förstås ömsesidig.“ 116 Antonie F., Tagebuch 1. Tochter, 21. 02. 1905, S. 1. 117 Vgl. hierzu auch: Gebhardt, Angst, S. 206.

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eine „blaue“ Jungenwelt passiert. Auf ihrer Homepage erklären sie ihr Anliegen f­ olgendermaßen: Menschen sind mehr als Pink und Blau. Deshalb kritisieren wir starre Geschlechterrollen in Medien und Werbung und zeigen auf, dass es vielfältiger geht. Wie? Mit einem Online-­Magazin, Bildungsarbeit in Kitas und Schulen und reichweitenstarken digitalen Kampagnen. Für eine moderne Gesellschaft müssen wir ermöglichen, dass Jungen und Männer zart sein dürfen und Mädchen und Frauen Raum einnehmen können. Frauen als Käpt’n und Männer als Feen: nicht immer, aber auch!118

Ein Blick in die normativen Quellen während des Untersuchungszeitraums zeigt hingegen ein ganz anderes Bild von Gegenständen für Kinder. Die Ernährungsutensilien und Kleidung, die für Mädchen und Jungen benutzt wurden, waren im 20. Jahrhundert größtenteils nicht geschlechtlich konnotiert, wie ein Blick in die Werbeanzeigen in pädiatrischen Fachzeitschriften und populären Elternmagazinen zeigt. Dies steht im Kontrast zu Kinderabteilungen seit den 1990er Jahren, die zunehmend schon über die Farbgebung der Kinderkleidung, aber auch Säuglingsflaschen, das Geschlecht des Kindes für Außenstehende markieren. So gibt es rosa Flaschen für Mädchen teilweise mit floralen Mustern oder Prinzessinnen und blaue für Jungen mit technischen Gegenständen, Tieren oder Autos.119 Während, wie oben bereits gezeigt, in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eher selten über die Geschlechtlichkeit von Säuglingen und Kleinkindern in den Ratgebern reflektiert wurde, mehrten sich in der deutschen Elternzeitschrift Eltern seit Mitte der 1970er Jahre Berichte über die Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen. Populäre Magazine, aber auch das Aufkommen des sog. Differenzfeminismus in den späten 1970er Jahren trugen dazu bei, die Geschlechter unterschiedlich zu konstruieren und diese Differenz im öffentlichen Diskurs zu positionieren.120 Neue Technologien zur 118 Vgl. https://pinkstinks.de/was-wir-tun/ [zuletzt abgerufen: 30. 09. 2020]. 119 Die farbliche Markierung der Kleidung von Säuglingen und Kindern in blau = männlich und pink/rosa = weiblich begann in den 1920er Jahren in den USA , wurde nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges werbetechnisch verbreitet und in den 1980er und 1990er Jahren zu einer auf andere Gebrauchsgegenstände ausgeweiteten Werbestrategie. Vgl. Kirkham/Attfield, Introduction, S. 5; Stearns, Childhood, S. 117. Ausführlich zum Beginn dieser Praxis: Paoletti, Pink and Blue; dies./Kregloh, Children’s Department. Es waren vor allem Spielzeuge, die seit der Mitte des 19. Jahrhunderts und zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den USA mit der Fähigkeit versehen wurden, Kinder vergeschlechtlicht zu erziehen. Vgl. Cook, Children as Consumers, S. 290; ders. Children’s Consumption, S. 591, 596. 120 Vgl. Schulte-Döinghaus, Väter und Söhne (1980); ders., Väter und Töchter (1980); ­Schwabenthan, Jungen (1974).

Das Verhältnis von Eltern und Säuglingen im Alltag  |

Visualisierung des Fötus mittels Ultraschall, bei denen auch das Geschlecht schon vor der Geburt festgestellt werden kann, haben dem Trend zur Vergeschlechtlichung des Säuglings seit den 1980er und 1990er Jahren Aufwind gegeben.121 Diese Entwicklung wird als Ausdruck einer Kommerzialisierung der frühesten Lebensphase gelesen, in der Säuglinge und ihre Mütter als KonsumentInnen angesprochen werden. Durch eine bestimmte Art und Weise des Konsums während der Schwangerschaft werden im Sinne Bourdieus die feinen Unterschiede zwischen Eltern unterschiedlicher Gesellschaftsschichten hervorgebracht.122 Konsumhistorische Studien haben erste Hinweise auf Geschlechts­konstruktionen in der frühen Kindheit geliefert, aber diese schließen den Säugling bisher selten in ihre Analysen ein.123 In den Egodokumenten hingegen wurden die Säuglinge so auch als vergeschlechtlichte Subjekte dargestellt gegenüber dem geschlechtslosen Forschungs- und Erziehungsobjekt Säugling in den normativen Quellen.124 Zwischenfazit

Die AutorInnen von Tagebüchern und die InformantInnen des Nordischen ­Museums zeigen in vielerlei Hinsicht, dass die Säuglingsernährungs- und -erzie­ hungnormen ihren Weg in die Bevölkerung fanden und Eltern versuchten, sich nach ihnen zu richten. Das Unterkapitel hat anhand zweier zentraler Erziehungsbzw. Ernährungssituationen – erfolgreiches Stillen und Gewöhnung an Ernährungsregeln – gezeigt, dass diese Normen im Alltag nicht immer erreichbar waren. Die Untersuchung der Egodokumente bricht mit der Vorstellung des Säuglings als funktionierendem, geschlechtslosen Normkörper und der Mutter als in jedem Fall stillfähig. Die Egodokumente zeigen, dass fast alle Frauen versuchten ihr Kind zu stillen, weil es allgemein als „gut“ und „wertvoll“ galt. Sie zeigen aber auch, dass häufig Probleme auftraten und die Kinder mit der Flasche gefüttert wurden, wenn der Säugling nicht genügend Gewicht zunahm. Die Praxis des Wiegens hatte die Entwicklung des Kindes messbar gemacht, konnte aber auch schnell zur Verunsicherung führen, wenn die Norm nicht erreicht wurde. Ein weiterer Irritationsmoment waren die Ernährungsregeln, zumindest nachdem sich diese um 1910 in der Bevölkerung als Erziehungsziel durchsetzten. Hier wurde – dem 1 21 Vgl. Paoletti, Pink and Blue, S. 95 f.; Taylor, Sonograms; dies., Fetish. 122 Vgl. Bourdieu, Unterschiede; Buckingham, Material Child; Clarke, Maternity and Materiality. 123 Erste Hinweise finden sich bei: Stearns, Konsumgesellschaft. 124 Vgl. hierzu auch: Gebhardt, Waage, S. 49.

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u­ nterschiedlichen framing in der Ratgeberliteratur entsprechend – das Nichtgelingen unterschiedlich interpretiert. Wurde es zunächst eher hingenommen, setzte mit der Zuspitzung der Regeln in Deutschland auch unter Eltern die Furcht ein, das Kind könne „verwöhnt“ werden. Diese Vorstellung eines Kampfes zwischen Eltern und Kind war auch noch in den 1960er Jahren präsent, als sich auf normativer Ebene schon neue Leitlininen ergeben hatten. Besonders deutlich wird der Wandel der Erziehungsziele zum Ende des Untersuchungszeitraums, wenn schwedische Mütter die Befürchtung äußerten, ihre Kinder zur Unselbstständigkeit erzogen zu haben. Zudem weisen die Aussagen in den Egodokumenten darauf hin, dass die Umsetzung von Ernährungs- und Erziehungszielen auch von den räumlichen und finanziellen Voraussetzungen der Familien abhängig war. So konnte das Kind nur schreien gelassen werden, wenn genug Räume zur Verfügung standen, um das Kind vom Rest der Familie zu isolieren. Schließlich nahmen die AutorInnen und InformantInnen ihre Kinder – vielleicht wenig überraschend – als Jungen und Mädchen wahr. Diese Differenz wurden in den normativen Quellen nur selten aufgerufen, in den Tagebüchern und Fragebögen wurden hingegen fast ausschließlich in vergeschlechtlichter Form über die Kinder gesprochen. Teilweise finden sich Informationen dazu, dass Mädchen weniger willkommen waren, als Jungen – insbesondere zu Beginn des Jahrhunderts. Allerdings lassen diese Dokumente keine Rückschlüsse darüber zu, ob die Kinder in Bezug auf ihre Ernährung unterschiedlich behandelt wurden. Tagebücher und Fragebögen kommen hier außerdem als Orte der Wissenproduktion in den Blick, wenn auch auf unterschiedliche Weise. Die Tagebücher wurden dazu genutzt, die Entwicklung des Kindes, sein Gewicht, die Nahrungsmischungen und Trinkmengen, aber auch seine kognitiven Fortschritte etc. zu notieren und auch zu bewerten. Sie bildeten so Orientierungspunkte für die Eltern. Die Fragebögen hielten ebenfalls Informationen und Wissen fest, allerdings über die Vergangenheit, die jedoch mit den Verhältnissen der Gegenwart in Bezug gesetzt wurde. Hier finden sich zudem Bewertungen der historischen Entwicklung von Säuglingsernährung und -pflege. Insgesamt zeigen sie, dass die Eltern Ernährungsregeln und Stillen, den vorherrschenden Normen entsprechend, positiv einschätzten.

3.2 Das Verhältnis von Müttern und Vätern Die ersten beiden Kapitel der Arbeit haben gezeigt, dass sich das Verhältnis der Erziehenden zueinander und gegenüber dem Kind im Verlauf des 20. Jahrhunderts verändert hatte. Lag bis in die 1950er Jahre die Verantwortung für den Säugling

Das Verhältnis von Müttern und Vätern  |

in den normativen Quellen vollkommen in den Händen der Mutter, aufgrund ihrer besonderen weiblichen Fähigkeit zur Sorge sowie der körperlichen Fähigkeit, Milch als Nahrung zu produzieren, kam der Vater erst in den 1950er Jahren als Unterstützer in den Fokus. Die Öffnung gegenüber und Aufforderung zur stärkeren Beteiligung der Väter koinzidierte mit dem Zeitraum, in dem die ExpertInnen Flaschennahrung kurzzeitig als gleichwertige Alternative zur Mutter­milch akzeptierten.125 In den 1970er Jahren wurde der Vater dann vor allem als Unterstützer der Mutter konstruiert, nachdem das Stillen als überlegene Ernährungsform wieder offensiver präferiert wurde. Anhand der Selbstzeugnisse lässt sich danach fragen, wie sich die Veränderung der Flaschennahrung auf das Verhältnis von Müttern und Vätern auswirkte. Wie reflektierten die Selbstzeugnisse die Arbeitsteilung in der Säuglingspflege? Schließlich ist anhand des Materials danach zu fragen, ob deutsche und schwedische Eltern ihre Rollen unterschiedlich wahrnahmen und erklärten, da die normativen Diskurse um Elternschaft zwischen den beiden Ländern stark variierten (vgl. 1.4.4 und 1.5.3). Dieses Unterkapitel untersucht drei Bereiche, in denen die Selbstzeugnisse die Aufgabenverteilung in der Säuglingspflege verhandelten und wie sie begründet wurde. Als erstes betrachte ich, welche Argumente dafür genutzt wurden, wenn die Mutter als Hauptverantwortliche in der Säuglingspflege agierte und inwiefern dies mit ihrer Fähigkeit, das Kind zu stillen, korreliert wurde. In einem zweiten Schritt fokussiere ich den Vater und seine Aufgaben in der Säuglingspflege. Wie wurde er in den Selbstzeugnissen dargestellt bzw. wie stilisierten sich Väter in diesem Quellentyp? Als letzten Schritt gehe ich über die bisher vorherrschende Triade aus Vater, Mutter und Kind hinaus und schaue mir weitere AkteurInnen in der Familienpraxis an, die in normativen Quellen zumeist ausgeschlossen bzw. unsicht­bar gemacht wurden, wie Geschwister, Großeltern, Freundinnen und Freunde und Personal. 3.2.1 Säuglingsernährung als „natürliche“ Aufgabe der Mutter

ExpertInnen ließen im gesamten Untersuchungszeitraum keinen Zweifel daran, dass die Muttermilch der Ernährung mit Flaschenmilch überlegen war. Nicht zuletzt daraus ergab sich, dass die Mutter diejenige sein sollte, die sich im ersten Lebensjahr hauptsächlich um den Säugling kümmern und sich möglichst auf diese

125 Vgl. Friebertshäuser/Matzner/Rothmüller, Familie, S.  184; Limper, Säuglingsflasche, S. 455 – 458; Schütze, Mutterliebe, S. 123.

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Aufgabe konzentrieren sollte.126 Hier verschränkten sich zudem medizinisches Wissen über Säuglingsnahrung, psychologische Expertise über die kindliche Entwicklung sowie moralische Vorstellungen über die Rolle der Frau in der Gesellschaft.127 Dies ließ sich etwa in der Ratgeberliteratur des frühen 20. Jahrhunderts beobachten, die nicht über die Gefahren der Flaschenmilch und die Vorzüge der Muttermilch informierte, sondern auch an das Gewissen der Frauen appellierte, ihrer Pflicht gegenüber dem Nationalstaat nachzukommen und sich ganz dem Wohl des Kindes zu widmen. Die entwicklungspsychologische Expertise, die seit Mitte des 20. Jahrhunderts zunehmend Einfluss gewann, appellierte weniger an das Pflichtgefühl, als an ihre Emotionen und Intelligenz. Darüber hinaus wurden in beiden Ländern zunehmend rechtliche Rahmenbedingungen, wie Mutterschutz und Kindergeld, geschaffen, die es Frauen erleichtern sollten, sich auf ihre Mutterrolle zu konzentrieren. Trotz unterschiedlicher Wissensgrundlagen und daraus resultierender geänderter Handlungsanleitungen blieb der Effekt der Gleiche: der Mutter wurde vermittelt, dass sie die wichtigste Person für das gesunde und glückliche Aufwachsen ihres Kindes war. Wie positionierten sich die Schreibenden in den Egodokumenten zur Mutterrolle und ihren Aufgaben? Zunächst lassen sich zwei Befunde festhalten: Zum einen waren es in allen Fällen, sowohl in den schwedischen Fragebögen als auch in den deutschen Tagebüchern, die Mütter, denen die Hauptlast der Säuglingspflege und -ernährung zufiel. In den deutschen Tagebüchern, die sich vorrangig aus Alltagserfahrungen speisen, wird dies praktisch nicht kommentiert. Beide schwedischen Fragebögen fragten hingegen speziell nach der Rolle der Mutter, weswegen sich hier verhältnismäßig viel Material findet. Hierauf werde ich zunächst eingehen. Im Fragebogen von 1960 waren die Fragen nach der Verantwortlichkeit für das Kind folgendermaßen formuliert: „Wer versorgte das Kind? Die Mutter oder ein älteres Haushaltsmitglied? In welcher Form beschäftigte sich der Vater mit dem Kind?“ 128 So wurde schon durch die Fragerichtung die Mutter besonders herausgestellt, während die Rolle des Vaters als eher ungewöhnlich konstruiert wurde. Dementsprechend fielen auch die Aussagen aus, die ebenfalls die Bedeutung der Mutter betonten. Ein Informant hielt nüchtern fest: „Im Allgemeinen war es die 126 Vgl. Höher/Mallschützke, Vater, S. 238; Keenan/Stapleton, Babies’ Agency, S. 14; Kröger/ Rückert-John, Stillen, S. 200 f.; Orland, Wissenschaft, S. 292 f.; Ott/Seehaus, Familiale Arbeitsteilungsmuster, S. 138. 127 Vgl. Sarasin, Wissensgeschichte, S. 166. 128 Nordiska Museet, Frågelista 172, o. S.: ”Vem skötte barnet? Modern eller någon äldre medelm av hushållet? I vad mån sysselsatte sig fadern med barnet?“

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Mutter, die sich um das Kind kümmerte, nur im Ausnahmefall macht der Mann das.“ 129 Bei einer anderen Frau war zu lesen, „vor allem war es die Mutter, die dem Kind zur Seite stehen musste“.130 Dabei nahmen die meisten InformantInnen keine offensichtliche Wertung vor, sondern beschrieben lediglich die Umstände, die sie in ihrem Umfeld beobachteten.131 Dies änderte sich in den Antworten auf den Fragebogen von 1990. Hier waren bereits die Ausgangsfragen offener und in geschlechtsneutraler Sprache formuliert: „Was hat das Kind/die Kinder für die Arbeitsverteilung und die Beziehungen zwischen dir und deinem Partner bedeutet? Teilt ihr euch die Aufgaben, wenn ja, wie?“ 132 Die Mutter wurde nicht schon durch die Frage herausgestellt. Außerdem forderte der Fragebogen offensiv dazu auf, das eigene Erleben zu bewerten. In der Einleitung hieß es dazu: [W]ir möchten auch Beschreibungen der Sicht von Frauen und Männern auf ihre eigene Geschlechter­rolle haben. Wir wollen wissen, was du denkst, welche Vor- und Nachteile mit deiner Geschlechtsangehörigkeit verbunden sind, was du denkst, das gut oder schlecht ist, was du als ungerecht in Bezug auf deine Erfahrungen ansiehst […].133

Trotz dieser Aufforderungen finden sich relativ wenige direkte Reflexionen über die Rolle als Mutter und die Arbeitsverteilung zwischen den Geschlechtern. Lediglich eine Frau gibt das Stillen als Grund für das Zuhausebleiben an. Nachdem sie ihre ersten Kinder in den 1960er Jahren bekommen hatte, meinte sie, dass es „am Anfang am natürlichsten war, dass ich zu Hause blieb, des Stillens wegen“.134 129 EU 51507 Ernst S. (1960), S. 2: ”I allmänhet var det modern som skötte om barnet, endast i undantagsfall gjorde mannen det.“ 130 EU 51482 J. V. L. (1960), S. 5: ”först och främst var det barnets mor som fick stå vid barnets sida.“ 131 EU 51496 Dagny F. (1960), S. 3; EU 51537 Signe F. (1960), S. 36; EU 51495 O. C. (1960), S. 4; EU 51509 Karl F. (1960), S. 4; KU 11971 Ingegerd H. (1991), S. 4; EU 53520 Gunnar J. (1963), S. 8; EU 51505 Alma K. (1960), S. 4. 132 Annika Östermann/Nordiska Museet, Etnologiska undersökning. Frågelista 217 – ­Kvinnligt och mannligt, Stockholm 1991, o. S. [S. 3]: „Vad har barnet/barnen betytt när det gäller arbetsfördelningen och relationer dig och din partner. Delar ni på sysslornar, i så fall hur.“ 133 Östermann/Nordiska Museet, Frågelista 217, o. S. [S. 1]: ”[V]i vill också har beskrivningar av kvinnors och mäns syn på sin egen könsroll. Vi vill veta vilka för- och nackdelar du tycker är förknippade med din könstillhörighet, vad du tycker är bra eller dåligt, vad du anser orättvist enligt egna erfarenhenheter […].“ 134 KU 12028 Brigitta J. (1991), S. 8: ”Vad gäller arbetsfördelning sedan barnen kom så i början när det var naturligast att jag var hemma för amningens skull så gjorde jag det som ja hann.“

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Besonders herausstechend ist, dass mehrere Personen es als „natürlich“ beschrie­ ben, wenn die Mutter zu Hause blieb. So meinte die Informantin Gunnel D., die Aufteilung, dass sie Hausfrau und ihr Mann „Familienversorger“ wurde, sei „ganz natürlich“ („helt naturligt“).135 Diese Anspielung auf die Natürlichkeit dieser Aufgabenteilung fand sich ebenso bei Kristina A., die meinte: „Es wurde natürlich, dass ich die Kinder versorgte, meinen Mann mit Essen versorgte“,136 und etwas anders formulierte es Sonja H.: „Natürlich waren die Kinder meine Aufgabe, aber mein Mann half, wenn er zu Hause war, und war ihnen gegenüber lieber.“ 137 Im letzten Beitrag finden sich schon Hinweise darauf, dass auch die Väter sich durchaus an der Kinderarbeit beteiligten, wenn auch auf andere Art und Weise als die Mütter. Eine weitere Informantin, Ingrid M., berichtete nicht über ihre eigene Ehe, sondern auch die ihrer Eltern in den 1940er Jahren und eröffnete einen weiteren Aspekt: „Zu Hause war es selbstverständlich, dass Papa die Familie versorgte und Mama sich um das Haus kümmerte, obwohl sie ja immer eine Arbeit in Teilzeit hatte, selbst als ich richtig klein war.“ 138 Die Familie beschrieb sie als einfache Arbeiterfamilie. Bemerkenswert an ihrer Aussage ist, dass die Rollenverteilungen sehr traditionell waren, trotzdem die Mutter arbeitete. Selbst hatte sie nie geheiratet und in Bezug auf ihre Ideale und Lebensziele berichtete sie, trotzdem sie einen „Frauenberuf “ gewählt hatte, der der Gesellschaft nützte – sie war Bibliothekarin – habe sie in den letzten Tagen eingesehen, dass sie „nur ein zehrender Parasit ohne Existenzberechtigung“ 139 sei. Als Frau einen gesellschaftlich relevanten Frauenberuf auszuüben, also nur einen Teil der Erwartungen an Frauen zu erfüllen, schien ihr keine ausreichende Legitimationsgrundlage für ihr Dasein im folkhem zu sein. Mutterschaft als wichtige gesellschaftliche Aufgabe war auch in den 1990er Jahren noch aktuell. In den Fragebögen finden sich nur vereinzelt Frauen, die ihre Rolle als Hausfrau als Belastung empfanden. Gunnel D. berichtete 1991 über ihre frühen Ehejahre: 1 35 KU 12042 Gunnel D. (1991), S. 8. 136 13144 Kristina A. (1992), S. 9: ”Det blev naturligt att jag skötte barnet, passade min man med mat.“ 137 KU 11904 Sonja H. (1991) S. 16: ”Naturligtvis blev barnen min affär men maken hjälpte till när han var hemma o var snällare mot dem än jag“ (Hervorh. im Org.). 138 KU 11970 Ingrid M. (1991), S. 2: ”Hemma var det självklart att pappa försörjde familjen och mamma skötte hemmet, fast hon hade ju alltid något arbete på deltid, även när jag var riktigt liten.“ 139 Ebd., S. 9: ”[jag] valde ett kvinnoyrke som kräver lång utbildning och ger dåligt betalt för att jag trodde det var ett nyttigt (för samhället) yrke, i dessa senaste dagar har jag insett att jag bara är en tärande parasit utan något existensberättigande.“

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Mein Leben als Hausfrau und Kleinkindsmutter war nicht so, wie ich geglaubt hatte. Ich sollte ja ‚die süße‘ Hausfrau sein, immer froh und lächelnd, das Abendessen fertig, die Haare schön, die Kleinkinder beruhigen, die plappern, sexy am Abend für meinen Mann. Herrgott, wie naiv ich war, […]. Kinder sind mühsam, und ich war nicht zur Kleinkindmama gemacht.140

Sie erlebte ihre Erfahrung als großen Kontrast zur eigenen Erziehung: Ich wurde so erzogen, dass die Mutter in der Familie immer geduldig sein sollte, schlichtend, die Kinder nicht anschreien, sondern schweigsam sein sollte. [Meine] Mutter hat das geschafft, aber ich bin durch eine kleinere Hölle gegangen, als die Kinder klein waren und ich war Hausfrau mit einem Mann, der mehrere Tage die Woche bei seiner Arbeit war (Fähre). Ich dachte, etwas stimmte mit mir nicht, und dass ich eine total missglückte Kleinkindmama war. Aber wahrscheinlich war ich natürlicher [normaler], als meine Mutter war, aber das habe ich damals leider nicht verstanden.141

Trotzdem versuchte diese Informantin, die Kinder nie ihren Unmut spüren zu lassen. Sie habe „während der ganzen Zeit eine Sehnsucht in sich gespürt, etwas anderes zu machen, etwas, in dem ich gut war“.142 Diese innere Zerrissenheit konnte sie erst ablegen, nachdem sie selbst wieder zur Schule ging und ihr abge­ brochenes Studium fortsetzte. Während dieser Zeit war sie dennoch weiterhin für den Haushalt zuständig, wurde dort jedoch durch ihren Mann unterstützt.143 Ähnlich wie bei Ingrid M. vermittelten Gunnel D.s Aussagen den Eindruck, dass es Frauen unter Druck setzte, nicht der geltenden gesellschaftlichen Norm zu entsprechen, die es Frauen abverlangte, sowohl Mutter als auch Arbeitskraft zu sein. Eine litt unter dem Druck, keine Mutter zu sein, die andere darunter, lieber lernen zu wollen, als sich Vollzeit um die Kinder zu kümmern. Gunnel D. verwies aber auch darauf, dass es anderen Frauen wahrscheinlich ähnlich ging, dass diese 140 KU 12042 Gunnel D. (1991), S. 5: ”Mitt liv som hemmafrun och småbarnsmamma blev ju inte så som jag trott. Jag skulle ju vara ‘den söta’ hemmafrun, alltid glad och leende, med middagen färdig, snygg i håret, lungna småbarn som jollrade, sexig på kvällen för min man. Herregud, så naiv jag var, […]. Barn är arbetsamma, och jag passade inte att vara småbarnsmamma.“ 141 Ebd., S. 2: ”Jag hade blivit uppfostrad så att modern i familjen alltid skulle vara tålmodig, medla, inte skrika åt barnen utan vara tystlåten. Mor klarade det, men jag genomgick ett mindre helvete när barnen var små och jag var hemmafru med en man som var borta i flera dygn på sitt arbeite, (färja). Jag trodde att det var fel på mig, och att jag var en totalt misslyckad småbarnsmamma. Men troligtvis var jag mer naturlig än min mor var, men det begrep jag tyvärr inte då.“ 142 Vgl. ebd., S. 5: ”Under alla dessa år fanns en längtan inom mig att göra något annat, något jag var bra på.“ 143 Vgl. ebd., S. 5 f.

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auch mit ihrer Aufgabe haderten, als es Mütter gab, die ihre Rolle mit Ruhe und Güte ausfüllten, so wie es ihre Mutter getan hatte. Es gab aber durchaus auch Beispiel dafür, dass Frauen ihre Rolle als Hausfrau und Mutter gerne ausfüllten, wie anhand des Themas der außerhäuslichen Kinderbetreuung deutlich wird. Diese Betreuungsform fand häufig Erwähnung in den Fragebögen, jedoch größtenteils negative. Eine Informantin vermutete etwa, dass die Frauenarbeit in den unteren Bevölkerungsschichten zu Beginn des 20. Jahrhunderts dazu geführt habe, dass die Kinder nicht ordentlich versorgt wurden, dadurch viele Krankheiten entstanden seien und die Kindersterblichkeit hoch gewesen sei.144 Eine Mutter, die Ende der 1950er Jahre geboren wurde, führte „Gewalt und Jugendkriminalität“ darauf zurück, dass Kinder nicht genügend Sicherheit fühlten und sich niemand in Betreuungseinrichtungen um sie kümmerte.145 Eine andere Mutter, Ingegard H., die sich kritisch über die außerhäusliche Betreuung von Kindern äußerte, schätzte ihre eigene Einstellung als „altmodisch“ ein.146 Beide markierten ihre Ansichten als Minderheitenmeinung im gesellschaftlichen Diskurs. Wenn man die Fragebögen betrachtet, war diese Einstellung allerdings viel verbreiteter. So meint eine Mutter, sie hätte viel Kritik dafür bekommen, als sie zwölf Jahre lang mit ihren Kindern zu Hause blieb. Sie hätte es als ihre Schuldigkeit verstanden, „das waren meine Kinder, ich sollte nicht dafür bezahlen müssen, dass jemand anderes auf sie aufpasst. So denkt niemand heute, wie ich es verstehe, ist es ehrenwerter, seine Kinder an Fremde abzugeben.“ 147 Bezüglich der Betreuung von Kindern außer Haus hatten die InformantInnen eher eine ablehnende Haltung und entsprachen damit durchaus dem „Zeitgeist“ der 1990er Jahre, in denen die schwedischen Fragebögen beantwortet wurden, denn Ende der 1980er Jahre hatte ein Backlash gegenüber sozialstaatlichen Eingriffen in die Privatsphäre und der Gleichstellungsdebatte eingesetzt.148 Die Einstellung gegenüber der Hauptverantwortung in der Säuglingspflege hatte sich, so legen diese Quellen nahe, nicht grundlegend durch politische Maßnahmen zur Förderung elterlicher Gleichberechtigung, wie den Elternurlaub, 1 44 EU 51478 B. O. B. (1960), S. 2. 145 KU 12028 Brigitta J. (1991), S. 10: ”Det skulle garanterad bli mindre våld och ungdomsbrottslighet om mammorna var hemma och tog hand om små barn, att dom fick känna trygghet och att nån bryr sig om dom.“ 146 KU 11949 Ulla H. (1991), S. 2. Diese Autorin ist außergewöhnlich, da sie eine sozialistische Gesellschaftskritik liefert. Sie sieht die Kinder als Verlierer eines gewachsenen Kapitalismus, der dazu führe, dass mehr Mütter ganztägig arbeiten gehen müssten, vgl. ebd., S. 10. 147 KU 11971 Ingegerd H. (1991), geb. 1926, S. 4. 148 Vgl. Bäck-Wiklund, Familj, S. 36; Brembeck, De “nya” mödrarna, S. 103; Löfgren, Sweetness of Home, S. 95.

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verändert. Einerseits ist dies erstaunlich, da es in Schweden bereits in den frühen 1960er Jahren eine breite öffentliche Diskussion um die Betreuung von Kindern gab und die Beteiligung von Vätern im öffentlichen Diskurs eingefordert wurde. Andererseits war dieser Diskurs vor allem ein Elitendiskurs studierter Personen und von Politikerinnen und Politikern, während Personen aus der Arbeiter- oder Mittelschicht nicht unbedingt mit diesen Forderungen übereinstimmten. Die Infor­mantInnen rekrutierten sich zumeist aus der Arbeiter- oder Angestelltenschicht, was ein Erklärungsgrund für diese eher ablehnende oder von den Informantinnen als konservativ oder traditionell verstandene Haltung sein kann.149 Zu den schichtspezifischen Unterschieden konnten zudem generationelle Unterschiede kommen, wie die Gynäkologin Kajsa Sundströn-Feigenberg g­ ezeigt hat. Sie führte in den 1980er Jahren 200 lebensgeschichtliche Interviews mit ihren Patientinnen durch und kam dabei zu dem Ergebnis, dass zwischen Frauen, die in den 1930er Jahren und 1950er Jahren geboren wurden, große Unterschiede herrschten. Während erstere traditionellen Geschlechtervorstellungen verhaftet blieben, wandten sich letztere neuen Möglichkeiten der Erwerbsarbeit gerne zu und profitierten von größeren Wahlmöglichkeiten und der Unterstützung durch den Staat, die es auch dem Vater erlaubte, Elternurlaub zu nehmen.150 Arbeitende Frauen der 1950er und 1960er Jahre, die zwar in den Genuss der Sozialreformen gekommen und eine gute Ausbildung genossen hatten, aber noch nicht voll vom Ausbau der Kinderversorgung profitieren konnten, hätten sich jedoch häufig unter Druck gefühlt, sowohl dem Anspruch der Erwerbsarbeit als auch dem Anspruch als Mutter zu genügen. Dies habe zu einem ständigen Gefühl der „Unzulänglichkeit“ (­ „otillräcklighet“) geführt.151 So lässt sich hier festhalten, dass die großen Unterschiede, die auf rechtlicher Seite zwischen Schweden und Deutschland in Bezug auf die Arbeitsteilung in der Familie und die Frauenförderung bestehen, in den Egodokumenten weniger deutlich zu Tage treten. Auch hier übernahmen – entgegen dem Ideal seit den 1960er Jahren – vor allem Frauen die Hauptarbeit der Kinderpflege. Für Deutschland decken sich die Aussagen in den Tagebüchern stärker mit dem normativen gesellschaftlichen Diskurs. In allen Tagebüchern war es die Mutter, die zu Hause blieb und auf die Kinder aufpasste, selten wurde jedoch über diesen Umstand und die Gründe dafür reflektiert. Nur eine Autorin, Lotte F., zeigte sich explizit erfreut darüber, dass sie zu Hause bleiben konnte, um auf die Kinder aufzupassen. Sie hatte Ende der 1960er Jahre zwei Kinder bekommen und verfasste ihr Tagebuch in Form von Briefen an ihre Söhne. In diesen Briefen hielt sie die 1 49 Vgl. Löfgren, Sweetness of Home, S. 95; Schlemmer, Befreiung, S. 97. 150 Vgl. Sundströn-Feigenberg, Kvinnors liv (1989), S. 38. 151 Vgl. ebd., S. 38.

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Entwicklung der Kinder fest, teilte ihnen aber auch häufig ihre Gedanken über die gesellschaftliche und politische Situation mit: Glaub’ mir, Putzchen, wir beide haben ein unendliches Maßl, das Papa soviel Geld bekommt, daß wir uns zuhause ein vergnügtes Leben machen können. Viel zu viele Mamis müssen arbeiten gehen oder meinen sie müssen es und laden ihre Babies in Kinderheimen ab, wo kaum jemand Zeit für sie hat. Sie haben keine Ahnung, was ihnen entgeht, diese Mamis. Und jene armen Würstchen, die nur zum Wickeln und Füttern in die Arme genommen werden, haben letztlich alles zu bezahlen… als ob sie freiwillig die Schuld am fehlenden Auto, Fernseher oder sonstigen luxoriösen [sic] Einrichtungen haben. Aber gegen die Dummheit ist kein Kraut gewachsen… da wirst du auch noch drauf kommen.152

Dieses Zitat zeigt, dass die Autorin Frauen als egoistisch wahrnahm, die nicht zu Hause blieben, um für die Kinder zu sorgen. Andere Frauen, die nicht zu Hause blieben, wurden von ihr sogar als „dumm“ diffamiert. Seit Beginn der 1960er Jahren hatten sich Stimmen wie die von Theodor Hellbrügge und Christa Meves erhoben, die die Erwerbsarbeit von Frauen als schädlich deklarierten und nahelegten, Mütter würden aus Konsumsucht wieder arbeiten gehen. In dieser Zeit hatten sich zudem durch den Einfluss psychologischer Arbeiten die Erziehungsziele verändert. Kinder sollten nun nicht mehr allein gelassen werden und nur zu den Mahlzeiten Kontakt zur Mutter haben, sondern dem Kind sollte auch zwischen den Mahlzeiten viel Liebe entgegengebracht werden, um seine Entwicklung zu fördern und ihm ein Gefühl von Sicherheit zu vermitteln.153 Eine positive Einstellung gegenüber Mutter- und Hausfrauenrolle war für Deutschland in den 1960er Jahren charakteristisch. Laut verschiedenen Umfragen waren die meisten Hausfrauen in der Bundesrepublik mit ihrer Rolle konstant zufrieden, auch in den 1970er und 1980er Jahren. Trotzdem gingen Mütter zunehmend arbeiten, größtenteils in Teilzeit, was seit den 1960er Jahren, befeuert durch den ExpertInnendiskurs, auch in der Bevölkerung auf Ablehnung stieß, genau wie es bei Lotte F. der Fall war.154 Keine der Frauen, die selbst ihre Tagebücher schrieben, haderte mit ihrer Rolle als Hausfrau und Hauptverantwortliche für die Kinder. Auch männliche Autoren nahmen keine Stellung zur Rollenverteilung innerhalb des Hauses. Die Abwesenheit von direkten Aussagen oder Reflexionen über ihre Rolle lassen verschiedene Vermutungen zu. Zum einen ist denkbar, dass 1 52 Lotte F., Briefe, 26. 05. 1966, o. S. 153 Vgl. 2.4.4; Hellbrügge, Waisenkinder (1960); ders., Problematik (1966); Meves, Mut zum Erziehen (1970); dies., Vorwort (1978). 154 Vgl. Schlemmer, Befreiung, S. 105. Vgl. hierzu die Umfragen aus Unterkapitel 1.4.

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die Frauen ihre Aufgabe und ihr Zu-Hause-bleiben als so selbstverständlich ansahen, dass sie darüber nicht näher berichteten. Zum anderen gehörten die meisten Autorinnen dem (gehobenen) Bürgertum an, wo Männer typischerweise außer Haus arbeiteten, während die Frauen zu Hause blieben. Bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts gab es außerdem keine rechtlichen Regelungen, die den Vater von der Arbeit befreiten, wenn ein Kind auf die Welt kam. Schließlich beschäftigten sich die Tagebücher eher mit den alltäglichen Aufgaben und seltener mit Reflexionen über die eigene Rolle. Vielmehr konzentrierten sie sich auf das Kind und dessen Entwicklung. Die Erzählungen aus den Egodokumenten machen deutlich, wie sehr Frauen ihre Mutterrolle als natürlich oder nicht erwähnenswert verstanden. Wenige stellten ihre Mutterrolle fundamental in Frage, wenige gaben jedoch dem in den normativen Quellen so wichtigen Grund des Stillens als Grund für das Zuhause-­Bleiben an. Vielmehr ergab sich die Aufgabenteilung aus rechtlichen Vorgaben und landläufigen Traditionen. Besonders bemerkenswert ist dabei, dass die Unterschiede zwischen Deutschland und Schweden weniger prononciert sind als in den beiden vorherigen Kapiteln. 3.2.2 Väter als liebevolle Beobachter

In den Egodokumenten gab es schon einige kürzere Verweise auf die Väter und ihre Beteiligung in der Säuglings- und Kleinkindpflege, die zeigten, dass Väter sich durchaus einbrachten. Eine gewisse Beteiligung legen auch neuere Forschungsergebnisse nahe. In den letzten zehn Jahren haben Arbeiten, die sich mit der Geschichte von bürgerlicher Vaterschaft seit dem 19. Jahrhundert beschäftigen, hinterfragt, ob sich diese – wie es frühere Arbeiten in den Vordergrund gerückt hatten – aus der Säuglingspflege heraushielten. Nina Verheyen hat gezeigt, dass insbesondere bürgerliche Väter hochgradig emotional in ihre Kinder involviert waren.155 Sie nahmen seit dem 19. Jahrhundert vermehrt Anteil an der Entwicklung ihrer Kinder, fungierten als Forscher und Beobachter, die die Entwicklung der Kinder akribisch dokumentierten und analysierten.156 Die Historikerin Irene 155 Vgl. Hausen, Polarisierung; Borutta/Verheyen, Vulkanier und Choleriker, S. 21 f., 25; Brian, Family Science, S. 412; Grant, Parent-Child Relations, S. 109; van Rahden, Vaterschaft, S. 149 f.; Schütze, Mutterliebe, S. 125; Verheyen, Loving in Oblivion, S. 167. 156 Vgl. Gebhardt, Angst; Limper, Säuglingsflasche, S.  458; Schmid, Väter und Forscher; ­Verheyen, Bürger als zärtliche Väter; Vögele/Rittershaus/Halling, “Breast”, S. 2197.

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Hardach-Pinke hatte zudem schon in den 1980er Jahren darauf verwiesen, dass Väter, in weniger privilegierten Schichten, auch im 19. Jahrhundert in die Säuglingspflege involviert waren.157 Die „Polarisierung der Geschlechtercharaktere“ in bürgerlichen Familien des 19. Jahrhunderts kann aber dennoch erklären, warum Väter in den Ratgebern der ersten Jahrhunderthälfte nicht als relevante Akteure in der Säuglingspflege betrachtet wurden. Welche Funktionen wurden den Vätern in den Selbstzeugnissen zugeschrieben? Hier lassen sich drei Typen identifizieren, die verschiedene Formen und Praktiken der Involvierung in der Säuglingspflege repräsentieren: der „scientific father“,158 der liebevolle (Freizeit)Vater und der abwesende Vater, wobei Männer zwischen diesen unterschiedlichen Rollen wechseln bzw. mehrere gleichzeitig einnehmen konnten. Dabei wurde Vaterschaft nicht gleichermaßen als „natürlich“ konstruiert wie Mutterschaft, sondern immer als sozial und kulturell vermittelt. Während Mutterschaft eine Verantwortung war, die das gesamte Leben der Mutter ­bestimmte, war Vaterschaft eher eine Rolle unter vielen, die Väter in verschiedenen Situationen ausfüllen konnten – oder auch nicht.159 Bei einem näheren Blick auf die Ernährungspraktiken innerhalb der Familie lässt sich eine geschlechtsspezifische Arbeitsteilung feststellen. So war es zumeist der Vater, der die „objektivere“ oder auch objektivierende Aufgabe des Wiegens in bürgerlichen Familien übernahm. Professor Otto K., dessen Frau die Hauptlast der Ernährung und Erziehung übernahm, wog alle vier Kinder und notierte ihr Gewicht. Er verzeichnete auch die verschiedenen Mischungen und Zusammensetzungen der Flaschenmilch, die die Kinder bekamen (vg. 3.1.1).160 Sein Sohn füllte in den 1930er und 1940er Jahren ebenfalls gewissenhaft Gewichtstabellen in den Tagebüchern seiner Kinder aus,161 genau wie Jürgen B., der in den 1960er Jahren akkurat festhielt, wie viel Flaschennahrung seine Tochter zu sich nahm bzw. wieder von sich gab.162 Bei einer Tagebuchautorin in den 1920er Jahren findet sich der Hinweis, dass sie nicht selbst das Wiegen übernahm, sondern der Vater: „Zwei lange Wochen lang nicht gewogen, weil Vater Diphtherie hatte. Nun beträgt das Gewicht 11 Pfund 260 g.“ 163 In einem Fall besorgte das regelmäßige

157 Vgl. Hardach-Pinke, Angst; siehe auch: Burhenne, Mutterliebe, S. 108; Glatzer, Haushaltstechnisierung, S. 259 f. 158 Brian, Family Science, S. 412. Vgl. Gebhardt, Angst, S. 38. 159 Vgl. Höher/Mallschützke, Vater, S. 238; Sjöberg, Fatherhood, S. 148. 160 Vgl. beispielhaft: Otto K., Kinderbuch Walther K., u. a. am 15. 12. 1894; 25. 12. 1894; 01. 01. 1895. 161 Vgl. DTA 1500/II ,1 – 4, Herbert K. (1898 – 1899). 162 Vgl. Jürgen B., Annettes Tagebuch, 23. 04. 1960, S. 6. 163 DTA 364/II ,2 Tagebuch der Mutter, 07. 03. 1920, S. 2.

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Abb. 25: Wiegetabelle der Mütterberatungsstelle, die einem Tagebuch beigelegt war (ca. 1947 – 1948).

Wiegen zunächst ein männlicher Verwandter.164 Als sich die Mutter dann aber große Sorgen um die körperliche Entwicklung des Kindes machte und einen Milchmangel vermutete, wog sie das Kind selbst nach jedem Füttern. Je größer ihre eigene Angst war, desto mehr bemächtige sie sich dieser Aufgabe.165 Mit der Durchsetzung von Säuglingsfürsorgestellen sowie der BVC in Schweden seit den 1930er Jahren gingen Mütter zudem mit ihren Kindern dorthin, um das Kind wiegen zu lassen, wie Elisabeth B., deren Wiegetabelle der Mütterberatungsstelle im Tagebuch überliefert ist (vgl. Abb. 25). Dies soll jedoch nicht heißen, dass die Mütter nicht ebenfalls das Kind selbst wogen, es waren aber überwiegend der Vater oder eine offizielle Stelle, die diese „objektive“ Aufgabe übernahmen.166 Der Vater produzierte damit die Werte, anhand derer die Mütter ihre Leistungen messen lassen mussten. 1 64 Vgl. Martina S., Tagebuch Donatus, November 1924, S. 21. 165 Vgl. Ebd., S. 32; Juni 1925, S. 45. 166 Vgl. DTA 856/II ,1, Hildegard R., Tagebuch für Dorle, 1930, S. 1.

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Wenn die Flasche gegeben werden musste, übernahmen Väter auch hier Aufgaben, die eher dem technischen Bereich zugeordnet werden können und damit männlich kodiert waren. Sie waren etwa zuständig für das Stechen der Löcher in die Sauger für die Flaschen. Dies spiegelt sich auch in der Ratgeberliteratur, die teilweise dazu riet, Väter über diese Aspekte in die Säuglingspflege einzubeziehen.167 Eine schwedische Frau, die ihr Kind in den 1950er Jahren bekam und nicht stillen konnte, war froh, als sie die Ernährungsarbeit mit ihrem Mann teilen konnte. Sie berichtete, dass ihr Mann das Lochen der Sauger übernahm, für das er ein System mit fünf unterschiedlichen Lochgrößen entwickelte, je nachdem, welche Nahrung das Kind bekommen sollte. Die Lochgröße wurde auch auf die Bedürfnisse des Kindes angepasst. Wenn es etwas müde war, nutzte der Vater z. B. ein größeres Loch, um ihm das Trinken zu erleichtern. „Das war eine reine Wissenschaft“, meinte sie.168 Väter wachten auch darüber, wie viel ihre Kinder mit der Flasche bekamen, wie Jürgen B.s Beispiel gezeigt hat, dessen spielerischer Kampf um die richtige Trinkmenge mit seiner Tochter bereits ausführlich beschrieben wurde. Es gab aber auch Väter im Quellensample, die selbst die Ernährung übernahmen, so etwa der Mann von Lotte F. Sie notierte im Tagebuch für ihren Sohn: [Der Papi] schmilzt hin bei Deinem Anblick, läuft ständig in Dein Zimmer, um Dich anzuschauen und zu berühren. Ich bin ihm gegenüber schwer im Vorteil, denn ich darf Dich den ganzen Tag um mich haben. Papi nur am Abend, wenn er von der Arbeit kommt. Er wiegt Dich auf seinen Armen in den Schlaf gibt Dir das Süppchen und streckt Dir seine beiden Zeigefinger hin, wenn Du in der Badewanne liegst.169

Als Hausfrau war sie für das regelmäßige Füttern zuständig, während der Vater nach der Erledigung seiner eigentlichen Aufgabe als Familienernährer diese Aufgabe übernahm. Laut der Mutter war er sehr um die richtige Ernährung seines Kindes besorgt:

1 67 Schwabenthan, Die Väter werden immer besser (1974), S. 8 f. 168 KU 12996 Gun B. (1992), S. 15: ”Fördelen blev i stället att far kunde hjälpa till med matningen. Han hade också ansvar för napparna. Det var svårt att få ett lagom hål. På en kökshylla stod en rad numrerade nappar på glasburkar. Far skötte utprovningar före varja mål. Det var så många faktorer som bestämde nummer på nappen för måltiden. (de var numererade frå 1 – 5) Var den lilla nåden lite sömning och sög sämre måste hålet vara större och när nyponsaften vid 2 mån blandades i barnmaten en gång om dagen måste ett speciellt nummer användas. Det var en hel vetenskap.“ 169 Lotte F., Briefe, 02. 10. 1964, S. 2.

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Papi liegt mir ständig in den Ohren, daß du ja genug zu trinken bekommst. Und wehe! Wenn Du Dein Quantum mal nicht schaffst. Dann bekommt Mami gleich geschimpft. Er kriegt einen ganz starren und ängstlichen Blick, wenn er sieht, daß Du beim Trinken zu schnell ermüdest. Er ist ganz schlimm um dich besorgt.170

Die große Sorge des Vaters, der als Kontrollorgan fungierte, setzte die Mutter ­jedoch zusätzlich unter Druck, ihr Kind richtig – das heißt dem Maßstab des ­Vaters entsprechend – zu ernähren. Er machte auch nicht sein Kind, sondern offenbar die Mutter dafür verantwortlich, wenn das Kind nicht ausreichend trank. Er nahm in diesen Beispielen gleichzeitig die autoritative Position des „scientific father“ innerhalb der Familie ein und trat als eine Art Wächter über die Ernährung auf. Neben der Ernährung nahmen Väter auch auf andere Art und Weise, oder wie es ein Informant ausdrückte, auf „ihre Weise“ am Leben ihrer Kinder Teil, während sich die Mutter um die Pflege kümmerte.171 Den Quellen war zu entnehmen, dass sie eher mit den Kindern spielten oder mit ihnen sprachen, sobald sie etwas älter waren, während die genuin pflegerischen Aufgaben des Fütterns oder Windeln-Wechselns etc. von der Mutter besorgt wurden. Die schwedischen Fragebögen sprechen häufig davon, der Vater habe die Kinder „auf den Schoß genommen“ oder sie gewiegt und so beschäftigt. Laut einer Autorin waren die Väter für das Freizeit- bzw. „Freiluft“-Leben der Kinder zuständig, und sie markierte damit die Aufgabenteilung zwischen inner- und außerhäuslicher Arbeit der Eltern auch mit den Kindern.172 Seltener finden sich Beispiele dafür, dass Väter dem Kind selbst die Flasche gaben und damit die Rolle als Unterstützer einnahmen, dies kam aber auch vor. Die schwedische Informantin Elin G. meinte, quasi aus der anderen Perspektive, dass nur Väter, die „lieb“ waren, den Säuglingen auch das Essen gaben. Es gab aber auch in Schweden Väter, die sich einbrachten in die Ernährung und z. B. nachts aufstanden, um das Kind zu füttern.173 Dabei werden die Väter teilweise als liebevoller oder besorgter als die Mütter dargestellt. Eine schwedische Mutter stellte klar: „Natürlich wurden die Kinder meine Aufgabe, aber mein Ehemann half, wenn er zu Hause war und war ihnen gegenüber lieber als ich.“ 174 Eine deutsche Mutter stellte die Beziehung zwischen 1 70 Ebd. 02. 10. 1964, S. 3. 171 EU 51470 Gust. W. (1960), S. 4. 172 EU 51554 Axel L. (1960), S. 4; vgl. EU 51475 Lisa J. (1960), S. 4; EU 51478 B. O. B. (1960), S. 5; EU 51482 J. V. L. (1960), S. 5; EU 51496 Dagny F. (1960), S. 3: EU 53520 Gunnar J. (1963), S. 8; Pross, Männer, S. 133. 173 Vgl. EU 52992 Elin G. (1962), S. 2; KU 12195 Ingrid N. (1991), S. 3. 174 KU 11904 Sonja H. (1991) S. 16: ”Naturligtvis blev barnen min affär men maken hjälpte till när han var hemma o var snällare mot dem än jag“ (Hervorh. im Org.). Vgl. auch: KU 12937

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der Tochter und ihrem Vater ebenfalls als besonders liebevoll dar: „Jetzt ist sie 15 Wochen alt und seit gut 8 Tagen lacht sie nun richtig[,] liegt und schäkert wie ein Alter. Mit Vorliebe aber mit Papi.“ 175 Als das Kind „Furunkulose“ hatte, nahm sich auch der Vater ihrer an und tröstete sie: „Der Papi muß ‚heile heile‘ machen und viel Eiter kommt heraus. Die Kleine ist aber ganz brav und läßt sich schön verarzten. Es ist gut, daß der Papi z.Zt. wegen Nervenentzündung daheim ist und so das Kind versorgt.“ 176 Diese besondere Beziehung der Väter zu ihren Kindern wurde auch – insbesondere in den 1970er Jahren – in Popularisierungsmedien wie der Zeitschrift Eltern aufgegriffen. Dort meinte eine Autorin: Die Frauen, sagt sie, werden immer mehr zu ‚Technokraten‘ der Mutterschaft: Mit kühler Präzision gehen sie an die Pflege und Aufzucht ihrer Kinder heran, mit wissenschaftlicher Akribie erziehen sie nach pädagogischen und psychologischen Erkenntnissen. Und die Väter – die tun jetzt, was jahrhundertelang die Mütter machten: nämlich die Kinder einfach nur lieben, unbekümmert lieben.177

Wie die Beispiele aus den Selbstzeugnissen zeigen, waren Väter allerdings auch schon vor den 1970er Jahren emotional in das Leben ihrer Kinder involviert und vielleicht sogar der „Favorit“ der Kinder. Während die konstante emotionale Invol­vierung gegeben war, wurde die aktive Hilfe in der täglichen Säuglingspflege allerdings trotzdem als Ausnahmefall dargestellt.178 So wurde der Vater teilweise als eine Art Vermittler zwischen dem Kind und der Mutter angesehen, sowohl zu Beginn des Jahrhunderts als auch in den 1960er Jahren, wie zwei Beispiele aus deutschen Tagebüchern illustrieren. Eine Mutter meinte bei der Geburt der ersten Tochter im Jahr 1904: „Der gute Papa fand sich auch bald in seine neue Rolle, welche ihm übrigens gut steht. Rührend war es als wie mein lieber Mann sich um mich mühte und sorgte und ihm kein Weg zu weit gewesen.“ 179 Danach fanden sich keine weiteren Eintragungen über den Vater im Tagebuch. Warum dies der Fall war, ist jedoch unklar. Entweder ließ sein Engagement nach der Geburt nach oder es war selbstverständlich, dass er seine Frau weiterhin unterstützte. Jürgen B., der sich während der 1960er Jahre Birgitta J. (1992), S. 5. 1 75 Elisabeth B., Kindertagebuch Angela, September/Oktober 1947, S. 3. 176 Ebd., 01. 11. 1948, S. 11. 177 Schwabenthan, Die Väter werden immer besser (1974), S. 8 f. 178 o. A., Ist Erziehung wirklich keine Männersache? (1975), S. 159 f.; Grothe, Sind unsere Väter zu lieb geworden? (1975). o. A., So lernen sich Vater und Baby noch besser kennen (1980), S. 119. 179 Antonie F., Tagebuch, Februar 1904, S. 1.

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hochgradig emotional involvierte und als „scientific father“ im Tagebuch für die Tochter stilisierte, ließ immer wieder durchscheinen, dass er sich selbst vor allem als Unterstützer und Vermittler in der alltäglichen Praxis sah, da er arbeiten ging, um die Familie zu versorgen. Wenn er früh aufstand, beschrieb er die morgendliche Begegnung mit seiner Tochter: „Dein Vokabularium besteht allein aus ­‚Dadada‘. Das heißt: ‚Guten Morgen, ich habe prächtig geschlafen und spüre einen fürchterlichen Hunger. Steh’ nicht so dämlich herum, lieber Papa, sondern lüpf ’ die Mama aus dem Bett, dass was marschiert in unserem Haushalt.“ 180 Er zeigt in seinen Ausführungen, dass er sich zwar in der Lage wähnte, die Signale seiner Tochter zu verstehen, aber deren Botschaft umsetzen musste seine Frau. Eine stärkere Involvierung des Vaters wurde in den schwedischen Fragebögen durchweg als Ausnahme konstruiert, etwa wenn die Mutter im Krankenhaus oder in einer frühen Lebensphase des Kindes gestorben war.181 Ein Vater war z. B. Schichtarbeiter, was ihm erlaubte, mehr Zeit mit seinem Kind zu verbringen. Wobei auch hier nicht der Vorschlag gemacht wurde, der Vater könne die Hauptverantwortung tragen, trotzdem das Kind in den 1970ern zur Welt gekommen war.182 Eine Autorin berichtet davon, dass ihr Mann ihr bei der Versorgung des gemeinsamen Sohnes aushelfen konnte, weil er zu der Zeit selbst krank war. Als sog. „torpare“ (Kätner oder Kötter, eher arme Landbevölkerung) in den 1930er Jahren habe er sonst nicht die Zeit dafür gehabt, weil er selbst arbeiten musste, um die Familie zu ernähren. Er habe selbst die Windeln gewaschen, wozu ihr älterer Sohn, Rudolf, nicht in der Lage gewesen war, der ihr ansonsten aber viel half, um sie nach der Geburt des jüngeren Geschwisterkindes zu unterstützen. Die Einstellung ihres Sohnes änderte sich jedoch, als er selbst Vater wurde. Da habe er selbst die Windeln gewechselt „und übernimmt das Füttern und alles genau so gut wie seine Frau“.183 Eine andere Autorin war ebenfalls der Meinung, die jungen Männer in den 1990er Jahren hätten bewiesen, dass sie richtig gute und passende Väter seien, was sie als Unterschied zu Vätern vorheriger Generationen empfand.184 180 Jürgen B., Annettes Tagebuch, 06. 11. 1960, S. 28. 181 EU 51516 Mimmi G. (1960), S. 3. 182 KU 12953 Christina S. (1992), S. 15. Vgl. für Deutschland: Elisabeth B., Kindertagebuch, 01. 11. 1948, S. 11; vgl. hierzu auch: Steidle, Vater ist arbeitslos (1974). 183 51537 Signe F. (1960), S. 36: ”Min man Adolf som var torpare när jag fick Gunnar 1935 och blev så sjuk ett halvår, var so duktig som ingen annan. Han till och med tvättade blöjan om jag inte orkade, det kunde inte 17 årige Rudolf förmå sig att göra, fast han mjölkade, lagade mat, m m när jag var som värst dålig. Men nu byter han på sina egna småpojkar och sköter både matning och allt lika bra som sin fru.“ 184 KU 11949 Ulla H. (1991), S. 7.

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Über diese Beispiele hinaus, die ein hohes Maß an Involvierung, wenn auch auf einer anderen Ebene als bei den Müttern, offenbaren, gibt es viele Beispiele – insbesondere in den schwedischen Fragebögen –, dass Väter sich nicht an der Säuglingspflege beteiligten. Hierfür gab es vielfältige Begründungen. So meinten einige, die Abwesenheit von Vätern sei häufig einem Mangel an Zeit geschuldet und nicht dem Umstand, dass sie nicht mithelfen wollten.185 In ländlichen Gegenden waren Väter häufig erst für die Kinder zuständig, wenn diese alt genug waren, sich an der Arbeit zu beteiligen, wie eine Antwort auf Fragebogen 172 exemplarisch darlegt: „Die Mutter kümmerte sich um das Kind. Der Vater scherte sich nicht viel darum, bevor es älter wurde und bei der Arbeit dabei sein konnte.“ 186 Das einzige Gegenbeispiel dafür, dass ein Vater sich weniger um die Kinder kümmerte, sobald sie älter wurden, präsentierte Britt-Marie H., deren Kinder in den 1970er Jahren auf die Welt gekommen waren. Sie meinte: „Als die Kinder richtig klein waren, war die Arbeitsverteilung zwischen mir und meinem Mann ganz gut, wir teilten uns sowohl das Windelwechseln als auch das Füttern. Aber je größer die Kinder wurden, desto weniger Hilfe bekam ich von meinem Mann.“ 187 Sie bot keine Interpretation an, warum dies der Fall war, erzählte aber im Verlauf ihres Antwortschreibens, sie habe sich später scheiden lassen, weil sie es müde war, die Hausarbeit allein zu erledigen.188 Unter den InformantInnen wurde auch über weitere Gründe für die geringere Involvierung von Vätern spekuliert. Eine Frau vermutete, während die Frauen für ihre Gleichberechtigung gearbeitet hätten, hätten Männer nicht darum gebeten, gleichgestellter zu sein. Sie seien daher weniger motiviert und eine Einstellungs­ veränderung komme langsamer voran, wenn diese nicht aus der eigenen Motivation heraus passiere.189 Obwohl der schwedische Staat schon in den 1960er Jahren die Verantwortung für Mütter und Kinder übernahm und diese finanziell unterstützte, was zu einer Gleichstellung der Geschlechter in der Familie führen sollte, wurde diese Einstellung im Alltag nicht immer unterstützt. Wenn die Geburt der Kinder vor 1974 stattgefunden hatte, so gaben einige Informantinnen zu bedenken, war es für Väter außerdem rechtlich nicht m ­ öglich, 185 Vgl. EU 51495 O. C. (1960), S. 4; EU 51503 Jenny D. (1960), S. 9; EU 51505 Alma K. (1960), S. 4; EU 51507 Ernst S. (1960), S. 2; EU 51794 Eric A. (1960), S. 2; EU 51467 Sigrid S. (1960), S. 3; EU 51478 B. O. B. (1960), S. 5; EU 51509 Karl F. (1960), S. 4. 186 EU 51479 Johansson, C. A. (1960), S. 4: ”Modern skötte barnet. Fadern brydde sig inte mycket om det, förrän det blev så stort, att det kunde vara med i arbetet.“ 187 KU 12033 Britt-Marie H. (1991), S. 3: ”När barnen var riktigt små var nog arbetsfördelningen mellan mig och min man ganska bra, vi delade både på blöjbyte och matning. Men ju större barnen blev desto mindre hjälp fick jag av min man.“ 188 Ebd., S. 4. 189 Vgl. KU 12049 Connie F. (1991), S. 10.

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zu Hause zu bleiben, da es keinen Elternurlaub für Väter gegeben habe.190 Es gab also, allein aus gesetzlicher Sicht, kaum Möglichkeiten für Väter, die Hauptverantwortung während des ersten Lebensjahres zu tragen. In von Männern geschrie­ benen Antworten auf die Fragebögen finden sich sehr selten Reflexionen über die Arbeitsteilung. Während einige Frauen hier durchaus ihre Rolle hinterfragten, schien es für Männer weniger Anlass dazu gegeben zu haben. Insgesamt könnte dies auf eine größere Distanz zu Kinderfragen oder ein Nicht-Bewusstsein für diese Verhältnisse hindeuten, was mit Einschätzungen schwedischer GeschlechterforscherInnen in der Gleichstellungsdebatte zu Beginn der 1960er Jahre übereinstimmt.191 In den deutschen Tagebüchern finden sich keine spezifischen Reflexionen über die Vaterrolle, was jedoch mit einer ähnlichen Abwesenheit dieses Themas auf mütterlicher Seite korrespondierte. Hier ist es also schwierig, weitgreifende Aussagen zu machen. Der Rolle des Vaters in der Ernährung und Pflege von Säuglingen widmen sich in den letzten Jahren vermehrt soziologische und ethnographische Studien. Diese bestätigen die Langlebigkeit der geschlechterspezifischen Aufteilung in der alltäglichen Säuglingspflege, auch in Familien, die sich selbst als progressiv und gleichberechtigt verstehen. Regelmäßige Aufgaben liegen bei der Mutter, Väter kümmern sich aber intensiv und liebevoll um die Kinder, wenn sie Zeit haben oder sich Zeit nehmen.192 Es gibt unterschiedliche Erklärungen für diese Diskrepanz. In Deutschland ist das Argument besonders stark, dass die strukturellen Voraussetzungen fehlen, um Väter besser zu involvieren. Trotz der gewachsenen gesellschaftlichen Anerkennung der Vaterrolle legten einige Firmen den Vätern immer noch Steine in den Weg, wenn sie Elternurlaub nehmen wollten.193 In einer Studie zu Beginn der 2000er Jahre gaben jedoch 95 % der befragten Väter an, sie sähen sich sowohl als Familienernährer im klassischen Sinne als auch als jemand, der Zeit für sein Kind haben wollte.194 Einige Studien argumentieren, dass das erneute Aufkommen des Stilldiskurses dazu führe, dass die Väter aus der Säuglingspflege wieder vermehrt ausgeschlossen werden. Barbara Rendtorff 1 90 Vgl. KU 13213 Doris E. (1992), S. 5; KU 12953 Christina S. (1992), S. 14. 191 Dahlström/Liljeström, Familjen och gifta kvinnors förvärvsarbete (1968). 192 Schon früh zur Rollenverteilung von Männern und Frauen: Burckhardt/Meulemann, Die „Rolle des Mannes“ (1976); Nave-Herz, Kontinuitäten (1988), S. 81 f.; Scharmann/Scharmann, Die Vaterrolle (1975). Arbeiten seit den 2000er Jahren: König, Familiale Geschlechterarrange­ ments, S. 32; dies./Maihofer, Praktische Normen familiarer Arbeitsteilung; Ostner, Role, S. 165 f.; Seehaus, Vergeschlechtlichte Sorge. 193 Vgl. Matzner, Vaterschaft, S. 40 f.; Meuser, Entdeckung der „neuen Väter“, S. 74; Rüling, Das Stillen, S. 4776. 194 Vgl. Meuser, Entdeckung der „neuen Väter“, S. 72.

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führt dies auch auf ein „‚gatekeeper‘-Verhalten von Müttern, die den Vätern ihrer Säuglinge deren Betreuung nicht zutrauen“ zurück.195 Studien einer englischen Ethnologin zeigen, dass Mütter, die sich für die Flasche entschieden, dies als Mittel verstanden, das Kind mit dem Vater zu teilen. Aus der Studie ging jedoch nicht hervor, ob dies auch den Wünschen des Vaters entsprach, oder es lediglich die Frauen als wünschenswert erachteten.196 Die Einstellung gegenüber Vaterschaft im Allgemeinen und der Integration von Männlichkeit und Vaterschaft hatte sich jedoch in beiden Gesellschaften verändert, wie sowohl die bisherigen Kapitel als auch neuere soziologische Studien in Deutschland und Schweden zeigten.197 Die schwedische Soziologin Sofia Björk verweist zudem darauf, dass Vaterschaftsentwürfe schichtspezifisch ausgeformt sind und Väter der Mittelschicht sich eher mit dem Ideal involvierter Vaterschaft identifizierten und bereit wären, Geschlechternormen in Frage zu stellen. Väter aus der Arbeiterschicht nähmen hingegen häufiger an den Praktiken teil.198 Dieser schichtspezifische Zusammenhang zeigt sich auch in den Selbstzeugnissen. Die Väter der Mittelschicht waren zwar emotional sehr involviert, zeigten jedoch häufig eher Züge der „scientific fatherhood“. Väter aus Bauernfamilien übernahmen hingegen eher praktische Aufgaben, wenn sie dazu Zeit hatten. Zusammenfassend zeigen die deutschen und schwedischen Egodokumente, dass die vom amerikanischen Pionier der historischen Vaterforschung Ralph LaRossa 1988 aufgestellte These, es bestehe ein großer Unterschied zwischen einer „culture of fatherhood“ und einem „conduct of fatherhood“, im 20. Jahrhundert tragfähig ist.199 Während sich die gesellschaftliche Konzeption von Vaterschaft und auch die Anforderungen an die Väter verändert hatten, veränderten sich die Praktiken kaum, wie auch die Selbstzeugnisse zeigen. Dies taten sie jedoch auch bereits 195 Rendtorff, Geschlechteraspekte, S. 103. Dazu auch: Burhenne, Mutterliebe, S. 110 f.; Earle, Why some Women Do not Breast Feed, S. 328; Flaake, Geteilte Elternschaft, S. 131 ff.; Freuden­ schuß, Vom Recht auf Stillen; Kröger/Rückert-John, Stillen, S. 202 ff.; dies., „Stillende“ Männer; Ott/Seehaus, Familiale Arbeitsteilungsmuster; Pape, Beikost, S. 38 f.; Prenzel, Väter in jungen Familien. Auch in der Ernährung älterer Kinder nehmen Väter eine gegenüber der Mutter randständige Position ein und vergeschlechtliche Ernährung findet weiterhin statt: Curtis/James/Ellis, Fathering through Food. 196 Earle, Why some Women Do not Breast Feed, S. 327 f. 197 Vgl. Björk, Gender and Emotions, S. 26; Hagström, Man, S. 260; Heininger, Wandel, S. 47; Plantin, Faderskap, S. 148. 198 Björk, Gender and Emotions, S. 27. 199 LaRossa, Fatherhood. Vgl. Bambey/Gumbinger, Wandel, S. 309; Daly, Reshaping Fatherhood, S. 510; Friebertshäuser/Matzner/Rothmüller, Familie, S. 182, 185; Lundqvist/Roman, Construction(s), S. 227; Meuser, Entdeckung der „neuen Väter“, S. 73; Plantin, Faderskap, S. 146.

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vorher. Hier scheint es zwischen Schweden und Deutschland keine signifikanten Unterschiede gegeben zu haben, trotz der großen Unterschiede in der diskursiven Verortung von Elternschaft in beiden Ländern seit den 1960er Jahren. 3.2.3 Weitere AkteurInnen in der Säuglingspflege

Während der Großteil der vorliegenden Arbeit und ebenso der Großteil der normativen Quellen den Fokus auf die Mutter und höchstens noch den Vater als Verantwortliche in der Säuglingspflege legte, zeigen die Selbstzeugnisse ein viel breiteres Spektrum an Personen auf, die in diese Arbeit involviert sein konnten: Geschwister, Hauspersonal, Großeltern, andere Verwandte, Freundinnen und Freunde und Institutionen. Ältere Geschwister waren zu Beginn des Jahrhunderts wichtige Betreuungspersonen, auch schon für Säuglinge und Kleinkinder. Die schwedischen Fragebögen wiesen den Geschwistern, verschiedene Aufgaben zu, etwa mit den Kleineren zu schmusen.200 Eine Informantin berichtete: „Die älteren Geschwister mussten das Kind aus der Wiege nehmen, wenn es anfing zu schreien und unruhig war.“ 201 Ältere Geschwister, „mussten der Mutter oft aushelfen“,202 bestätigt eine andere Informantin. Die Fragebögen zeigen in mehreren Fällen die Vorstellung einer gemeinschaftlichen Betreuung der Kinder durch alle Mitglieder des Haushalts. Auch wenn die Mutter die Kinder am meisten behütete, „haben selbstverständlich auch alle im Haus geholfen“.203 Ein Informant, dessen Frau Ende der 1930er Jahre ein Kind bekam, erkannte an, dass sie dadurch stärker „gebunden“ war. Da sie jedoch eine Bauernfamilie waren, konnten viele andere im Haushalt sie „ablö­sen und so war sie nicht ganz weg vom Zusammensein mit anderen“, was er als vorteilhaft ansah. Nachdem die Familie noch mehr Kinder bekommen hatte, passten die älteren Geschwister auf die jüngeren auf, wie dies in vielen Bauernfamilien der Fall war.204 200 Vgl. EU 51482 J. V. L. (1960), S. 5: ”De större syskonen brukade ofta kela med sina småsyskon.“ EU 51467 Sigrid S. (1960), S. 2; EU 51475 Lisa J. (1960), S. 3. 201 EU 51537 Signe F. (1960), S. 36: ”De äldre syskonen fick taga upp barnet ur vaggan om det började skrika och vara oroligt.“ Vgl. EU 52957 Sten L. (1962), S. 2. 202 EU 51509 Karl F. (1960), S. 4: ”Modern skötte barnet och äldre sykon fick ofta hjälpa till. Fadern deltog däremot inte i barnets skötsel.“ 203 EU 51537 Signe F. (1960), S. 35: ”Nog har modern mest skött sitt barn, men alla i huset har också hjälpt till förstås.“ Vgl. EU 51482 J. V. L. (1960), S. 5; EU 51475 Lisa J. (1960), S. 3. 204 KU 12014 Artur J. (1991), S. 55: ”Lena blev nu till att börja med mera bunden vid sitt barn men, då vi var flera som kunde byta av henne var hon ej helt borta från samvaron med andra

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In den Tagebüchern finden sich keine Aussagen darüber, dass ältere Geschwister auf die jüngeren aufpassten. Dies liegt zum einen daran, dass die Tagebücher in meiner Auswahl vor allem für die erstgeborenen Kinder angelegt wurden. Selbst wenn eine Familie mehrere Kinder hatte, waren diese altersmäßig sehr nah beieinander und ihnen wurden daher keine Aufgaben gegeben.205 Zum anderen besteht ein Zusammenhang mit der Gesellschaftsschicht, aus der die AutorInnen stammen. In bürgerlichen Familien übernahm Personal die Kinderbetreuung und nicht die älteren Geschwister. Historische Studien haben jedoch gezeigt, dass auch in deutschen Arbeiter- und Bauernfamilien ältere Geschwister stark in die Betreuung und Versorgung jüngerer Geschwister involviert waren.206 Im Verlauf des 20. Jahrhunderts nahm die Betreuung durch Geschwisterkinder auch in den ländlichen Gegenden als Praxis ab. Dies lässt sich einerseits mit der geringeren Kinderzahl der einzelnen Paare erklären – während zu Beginn des Jahrhunderts viele Kinder geboren wurden, die zudem eine größere Altersspannbreite aufwiesen, waren es in den späteren Jahrzehnte zumeist zwei bis drei Kinder, die im Abstand von wenigen Jahren auf die Welt kamen. Andererseits nahm das Angebot an außerhäuslicher Betreuung zu, weswegen diese Aufgabe an „externe“ Akteure abgegeben werden konnte. In höheren Gesellschaftsschichten, auch in Schweden, gab es außerdem Bediens­tete, die die Mutter unterstützten, indem sie Aufgaben in der Hausarbeit und bei der Zubereitung von Säuglingsnahrung übernahmen. Schwedische Infor­mantInnen arbeiteten teilweise als Haushaltshilfe in großbäuerlichen oder bürgerlichen Haushalten.207 So machte eine schwedische Frau der Bäuerin, für die sie arbeitete, schwere Vorwürfe, weil sie sich zu sehr den Bedürfnissen ihres Sohnes ausgeliefert habe (vgl. 3.1.1).208 Später hatte sie selbst ein Bauernmädchen als Haushaltshilfe, die das Kind mit dicker Mehlsuppe mit „massenhaft Sirup“ fütterte, wodurch das Kind in kurzer Zeit stark zugenommen habe. Die Mutter bat sie darum, das Kind weniger zu füttern, aber die Haushaltshilfe meinte, sie bekäme „sonst keine Ruhe mit dem Geschirr, um das sie sich kümmern musste“.209 Es kann davon ausgegangen werden, dass sich die Praktiken zwischen den Hausangestellten und den Müttern oder Vätern unterschieden, da sie auf unterschiedliche Informationsquellen zurückgriffen. Die schwedischen Quellen berichten människor.“ 205 Vgl. Otto K.s Tagebücher, Herbert K.s Tagebücher und Lotte F.s Tagebuch. 206 Vgl. Glatzer u. a., Haushaltstechnisierung, S. 261 f.; Neumaier, Familie, S. 104. 207 Vgl. EU 51537 Signe F. (1960), S. 24. Siehe auch: Löfgren, Kvinnofolksgöra, S. 11. 208 EU 34135 Hanna G. (1947), S. 5. 209 EU 51537 Signe F. (1960), S. 25: ”[M]en jag försökte få henne att inte ge pojken för mycket men då påstod hon att hon inte fick i fred med disken som skulle skötas.“

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außerdem auch von Ammen, die in den Tagebüchern überhaupt nicht auftauchen. Die Beschäftigung einer Amme, so betonten die InformantInnen, sei jedoch nur in „besseren Familien“ vorgekommen.210 Die Verbindung zwischen Ernährungsart und Klasse wird an diesem Beispiel erneut sehr deutlich. Die Informantin Jenny D. empfand etwa Mitleid sowohl für die Ammen und deren eigene Kinder, die diese zu Hause lassen mussten, um das Kind einer anderen Frau zu ernähren, als auch für die Frau, die einer anderen Frau beim Stillen ihres Kindes zusehen musste.211 Im Interpretationsrahmen von natürlicher Mütterlichkeit war dies eine als Abwei­chung empfundene Praxis. In den deutschen Tagebüchern waren Haushaltshilfen größtenteils unsichtbar und fanden nur dann ihren Weg in die Aufzeichnung, wenn etwas nicht wie gewünscht ausgeführt wurde und es zu Problemen kam. Konkrete Beispiele für deren Involvierung in die Säuglingspflege und -ernährung gibt es im Sample nur selten, aber ihre Anwesenheit ist dennoch nicht zu unterschätzen, da sie es der Mutter oder den Eltern ermöglichten, sich auf ihre zentrale Aufgabe zu konzentrieren.212 Otto K. erwähnt lediglich in einem Nebensatz, dass ein Dienstmädchen dafür zuständig war, die Flaschennahrung zu kochen: „Seit vorgestern hat Walther, wahrscheinlich weil die Kühe jetzt Grünfutter bekommen und wegen der vom Dienstmädchen sehr dünn gekochten Grütze, jedenfalls nicht infolge von Erkältung, ziemlich starke Diarrhoe.“ 213 Ansonsten kam ihr Beitrag an der Säuglingsernährung in seinem Tagebuch nicht vor. Die Unterstützung durch ein Dienstmädchen erleichterte es der Mutter aber wohl, die vielen unterschiedlichen Flaschenmilchmischungen herzustellen, die sie den vier Kindern von Otto K. im Verlauf ihres ersten Lebensjahres gab. Einer Mutter, die dieser Hilfe entbehrte, war es kaum möglich, die Nahrung so häufig zu variieren. Nur eine bürgerliche deutsche Mutter notierte zu Beginn des Jahrhunderts ausführlicher Begebenheiten mit ihrem Personal. Sie hatte anscheinend sowohl eine Krankenschwester als auch ein Dienst- und Kindermädchen in Anstellung. 210 EU 51507 Ernst S. (1960), S. 2. Vgl. EU 52957 Sten L. (1962), S. 3; EU 51537 Signe F. (1960), S. 24; EU 51482 J. V. L. (1960), S. 4; EU 51638 Nils H. (1960), S. 6. 211 Vgl. EU 51503 Jenny D. (1960), S. 4. 212 Vgl. Brian, Family Science, S. 409. Beispiele: Otto K., Kinderbuch Walther K., S. 4. In einem Tagebuch, das während des Zweiten Weltkriegs angefertigt wurde, findet sich der Hinweis auf die Unterstützung der Mutter durch ein sog. „Pflichtjahrmädel“, vgl. Marga P./Bernd P., Lebensgeschichte, 09. 05. 1941, S. 130. Für unverheiratete Frauen führte die Regierung 1938 ein „Pflichtjahr“ ein, währenddessen sie am Aufbau des nationalsozialistischen Staates mitarbeiten sollten („Anordnung zur Durchführung des Vierjahresplans über den verstärkten Einsatz weiblicher Arbeitskräfte in der Land- und Hauswirtschaft“). So sollten sie zudem auf ihre kommende Rolle als Hausfrau und Mutter vorbereitet werden. 213 Vgl. Otto K., Kinderbuch Walther K., 26. 07. 1895, S. 21.

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Während sie mit der Arbeit der Krankenschwester zufrieden war, die sie und das Kind nach der Geburt gut „pflegte“, bereiteten ihr die Dienstmädchen Sorgen. Ein erstes Dienstmädchen wurde entlassen, noch bevor sie aus der Klinik zurück war. Ein zweites wurde eingestellt, als die Tochter nach einigen Monaten MagenDarm-Probleme entwickelte. Ihr Urteil über deren Fähigkeiten fiel allerdings negativ aus: „Leider habe ich oft große Sorgen mit unserem Herzblättchen, da oft Darmstörungen eintreten, weshalb auch die Kleine oft in dieser Zeit schreit. Ich besorge sie selbst, um 8 Uhr morgens wird sie gebadet. (Seit 1ten Mai habe ich ein Mädel angenommen, die den Wagen schieben soll. Zu sonst was anderem ist sie wenig zu gebrauchen.)“ 214 Im November wurde sie bereits durch ein neues Mädchen ersetzt. Die Mutter markierte es als Ausnahme, dass sie sich selbst um das Kind kümmerte, was dafür spricht, dass die Dienstmädchen ansonsten viele dieser Aufgaben übernahmen. Dieses Hauspersonal verschwand seit den 1940er Jahren komplett aus den Selbstzeugnissen in beiden Ländern, was mit den sich ändernden Gesellschaftsstrukturen zusammenhing. Es gab weniger Personal, das im Haus lebte, obwohl weiterhin Angestellte für Dienstleistungen wie Putzen etc. beschäftigt wurden. Durch die Angebote wie Mütterberatungsstellen und Mjölkdroppar bzw. BVC kam außerdem medizinisches Personal zunehmend in die Häuser.215 Die Egodokumente zeigen außerdem, dass die Großeltern während des gesamten Untersuchungszeitraums wichtige UnterstützerInnen in der Säuglingspflege waren. Dies steht in direktem Widerspruch zur Ratgeberliteratur, der ersten Jahrhunderthälfte, die – wie die Historikerin Miriam Gebhardt es beschrieben hat – „eine regelrechte Kampagne gegen die Großelterngeneration“ 216 geführt hatten. Dies änderte sich erst als Erfahrungswissen, insbesondere unter Frauen, größere Bedeutung als legitime Wissensform gewann.217 Die schwedischen Fragebögen berichteten davon, dass die Alten, die nicht mehr in der Arbeit mithelfen konnten, sich um die jüngeren Kinder kümmerten, während deren Eltern arbeiteten. Auch andere Verwandte oder Freunde, die im Haus oder der dörflichen Gemeinde lebten, waren hier involviert.218 Großväter wurden dabei, ähnlich wie die Väter, als besonders lieb charakterisiert, wie bereits 2 14 Antonie F., Tagebuch, Mai 1894, S. 3. 215 Vgl. 1.3.1, 1.3.3, 1.3.4; Hausen, Familie und Familiengeschichte, S. 79 f.; dies., Große Wäsche, S. 279; Wildt, Beginn, S. 128. 216 Gebhardt, Angst, S. 115. 217 Vgl. Schmeer, Ein Wort für die Mütter (1974), S. 119. 218 EU 51495 O. C. (1960), S. 4; EU 51537 Signe F. (1960), S. 36; KU 12014 Artur J. (1991), S. 1; EU 51478 B. O. B. (1960), S. 2; KU 12196 Gunnel M. (1991), S. 5; Marie-Luise S., Tagebuch (1935), S. 4.

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das oben angeführte Beispiel von Maja R.s Ehemann gezeigt hat (vgl. 3.1.2). Allerdings findet sich nur eine Frau, die ihr Kind dauerhaft dem Großvater anvertraute und nicht der Großmutter. Diese sei zu „weinerlich“ und habe dadurch das Kind beunruhigt. Ihr eigenes Verhältnis zum Vater empfand sie insgesamt als besser als das zur Mutter.219 Die wichtigsten Bezugsperson, vor allem für erstgebärende Mütter, war in den meisten Fällen die eigene Mutter. In den deutschen Tagebüchern finden sich diverse Hinweise darauf, dass die Autorinnen während der ersten Wochen nach der Geburt von ihren Müttern unterstützt wurden, die für diese Zeit mit im Haus der Familie wohnten.220 Sie waren dabei weniger zur Betreuung der Kinder vorgesehen als dafür, die noch unerfahrene Mutter bei der Säuglingspflege anzuleiten und zu unterstützen. Das Erfahrungswissen der Großmütter war eine willkommene Hilfe in den alltäglichen Problemen der Säuglingspflege und -ernährung.221 Insbesondere während des Übergangs von der Klinik nach Hause war die Unterstützung der Mutter willkommen, wie diese deutsche Frau in den 1920er Jahren erklärt: „Große Sehnsucht empfand ich nach meinem lieben treuen Mütterchen, das auch am Donnerstag, glaube ich, hereilte.“ 222 Die schwedischen Frauen holten sich auch Hilfe bei ihren Müttern, wenn Probleme in der Säuglingspflege auftraten. Mütter gaben außerdem praktische Anweisungen, wie das Kind gepflegt werden musste, z. B., dass es nach dem Essen „ein Bäuerchen“ machen musste.223 Das Wissen der eigenen Mütter wurde von allen Frauen als legitim und hilfreich angesehen. Sie kombinierten Anweisungen der Ärzte und offizieller Gesund­ heitsbehörden mit dem Erfahrungswissen der älteren Generation, obwohl in Ratgebern immer wieder vor dem schlechten Einfluss der Großeltern gewarnt wurde.224 Nur ein Konfliktfall zwischen den Generationen fand in der Familie K. statt. Der Sohn Herbert K. vermerkte nach einem Besuch bei den Eltern: „Den Großeltern ging das Zitronenwasser und Turnen ‚wider die Natur‘, zumal Hermann in diesen Tagen gelegentlich schrie, was er sonst kaum tat.“ 225 Die ­Vorstellungen 2 19 KU 11923 Gun L. (1991), S. 12. 220 Vgl. Otto K., Kinderbuch Walther K., 11. 12. 1894, S.  3; Otto K., Kinderbuch Erna K., 09. 01. 1896, S. 3; KU 11949 Ulla H. (1991), S. 8; EU 51475 Lisa J. (1960), S. 3; KU 13213 Doris E. (1992), S. 4 f.; KU 12953 Christina S. (1992), S. 14. 221 Vgl. Martina S., Tagebuch Donatus, November 1924, S. 15. 222 Antonie F., Tagebuch (1904 – 1905), o. S. 223 Vgl. EU 51475 Lisa J. (1960), S. 2; KU 11949 Ulla H. (1991), S. 8; KU 13213 Doris E. (1992), S. 5; KU 12996 Gun B. (1992) S. 15. 224 Vgl. Höffer-Mehlmer, Elternratgeber, S. 117 ff.; Gebhardt, Angst, S. 49 – 51; Manz/Manz/ Lennert, Stillempfehlungen, S. 573 f.; Ohrlander, Barnet fick en kropp, S. 94 f., 99; Rowold, Johanna Haarer, S. 184. 225 Herbert K., Hermann K., März 1931, S. 9.

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von richtiger Säuglingspflege hatten sich vom Beginn des Jahrhunderts zu den 1930er Jahren in Deutschland stark verändert, weswegen es wohl den Großeltern schwerfiel, sich mit den neuen Anweisungen anzufreunden. Wenn die eigene Mutter nicht zur Verfügung stand, wandten sich Frauen auch an ihre Schwiegermütter, um aus deren Erfahrungen zu lernen oder Kontakte zu nutzen. Eine schwedische Mutter konsultierte ihre Schwiegermutter, da ihre eigene Mutter schon früh gestorben war und sie große Angst hatte, etwas falsch zu machen, nachdem sie mit dem Kind aus der Klinik zu Hause war.226 Eine andere Frau fragte häufiger ihre Schwiegermutter um Rat, da sie sich gut mit Krankheiten auskannte, aber auch Ärzte im Freundeskreis hatte.227 Wichtig schien es beiden Frauen zu sein, eine weibliche Ansprechpartnerin zu haben, die ihnen nahestand und ihnen bei alltäglichen Fragen Hilfe leisten konnte. Für die Frauen bestand kein Konflikt zwischen dem Wissen der Ärzte und dem Erfahrungswissen ihrer Mütter, zumindest nicht, wenn die Kinder nicht ernsthaft krank waren. Dann suchten alle Familien die Hilfe von „professionellen“ Helfern und Helferinnen, egal ob diese volkstümliche Mittel oder klinisch-medizinisches Wissen anboten. Dies ist erstaunlich, weil Ratgeber immer wieder das Wissen der älteren Generation als falsch und unzureichend zurückgewiesen hatten.228 In Bezug auf die Involvierung von Großmüttern stellten einige InformantInnen eine abnehmende Tendenz fest. So wandte sich eine Frau, die in der zweiten Jahrhunderthälfte Kinder bekommen hatte, eher an die Mödrarcentrale oder BVC als an ihre Mutter, da es teurer war, die Mutter anzurufen als die kommunale Behörde.229 Großeltern gebe es nicht mehr wie früher, meinte eine andere Informantin.230 Dies ist ein Hinweis auf die größere räumliche Distanz zwischen Eltern und Großeltern, die durch die fortschreitende Urbanisierung bedingt war.231 Der Wandel lässt sich aber auch damit erklären, dass wissenschaftliche Expertise im Laufe des 20. Jahrhunderts im Allgemeinen und am Ende der Untersuchungszeit im Speziellen einen höheren Stellenwert erhielt und Frauen daher weniger häufig auf das Wissen ihrer Mütter zurückgriffen.232 In die Säuglingspflege konnten Personen außerhalb der Kernfamilie auch auf andere Art und Weise einbezogen werden, wie InformantInnen zu berichten wussten. Eines der häufigsten Probleme beim Stillen war das Auftreten von 2 26 KU 12765 Ingrid H. (1992), S. 11. 227 KU 12196 Gunnel M. (1991), S. 5. 228 Vgl. Gebhardt, Angst, S. 115; Ohrlander, Barnet fick en kropp, S. 99. 229 KU 12033 Britt-Marie H. (1991), S. 3. Vgl. KU 12012 Svante L. (1991), S. 1. 230 KU 11949 Ulla H. (1991), S. 8. 231 Vgl. Hirdman/Lundberg/Björkman, Historia S. 54; Lundqvist, Familjen, S. 135 f. 232 Vgl. Andrews/Knaak, Mothering, S. 106.

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schmerzhaften Milchstaus. Wenn dies passierte, konnte dadurch Abhilfe geschaffen werden, dass eine andere Person an der Brust der Mutter saugte, um den Stau aufzulösen. Man ging davon aus, dass dieses Problem vor allem dann auftrat, wenn der Säugling nicht kräftig genug saugte, daher musste eine kräftigere Person dies übernehmen, um der Mutter Erleichterung zu verschaffen.233 Die Praxis wurde daher relativ neutral beschrieben, als etwas das getan werden musste, ohne mora­ lische Vorwürfe zu machen. Professionelle Ammen waren ein genuines Oberschichtenphänomen. In bäuerlichen Familien kam es aber auch vor, dass Mütter die Milch mit anderen Kindern teilten.234 Eine Informantin stillte, auf Anweisung der Großmutter, den Sohn ihrer Schwester, als diese von der Feldarbeit zu spät nach Hause kam und das Kind „pattlängtan“ (Saugverlangen) hatte.235 Diese Praxis wurde im 20. Jahrhundert nie offensiv propagiert. Frauen wurden jedoch dazu animiert, überschüssige Milch in sog. Frauenmilchsammelstellen oder bei den Mjölkdroppar abzugeben. Sie wurde dort dann zunächst sterilisiert und behandelt, bevor sie weitergegeben wurde. In den letzten Jahren findet das „milk-sharing“ in stillaktivistischen Kreisen erneut Verbreitung als natürliche Ernährung, mit der Flaschenmilch umgangen werden kann. Dies ist nur ein Beispiel für die „Wiederentdeckung“ traditioneller Stilltechniken seit Aufkommen der Stillbewegung in den 1970er Jahren.236 Neben den bisherigen Beispielen, in denen die Kinder in Familien mit zwei Elternteilen lebten, kam es natürlich auch vor, dass nur ein Elternteil vorhanden war. Dieser Aspekt wurde in der Arbeit bisher größtenteils ausgeblendet, wäre aber eine interessante Frage für anschließende Projekte. Denn die Abwesenheit eines oder beider Elternteile wirkte sich ebenfalls auf die Ernährung und Pflege der Säuglinge aus. Kinder, die in der ersten Jahrhunderthälfte unehelich geboren wurden, oder deren Mutter oder Vater tot oder krank war, wuchsen teilweise ganz bei den Großeltern oder Verwandten auf.237 Dabei werden teilweise auch Probleme in der Ernährung angesprochen. Nils H., der um die J­ ahrhundertwende 233 Vgl. EU 51537 Signe F. (1960), S. 19; EU 51543 Johan Anton N. (1960), S. 2; EU 51638 Nils H. (1960), S. 3. 234 Vgl. EU 51478 B. O. B. (1960), S. 3; EU 51479 C. A. J. (1960), S. 3; EU 51485 Helmer S. (1960), S. 1; EU 51496 Dagny F. (1960), S. 2; EU 54275 Signe H. (1965), S. 7. 235 EU 51537 Signe F. (1960), S. 22: ”‘Ja nu är patt-längtan på honom’ sa mormor som var 77, och hade jag hittat så skulle jag ju gått efter moster Lydia, men det var bara en stig från järnvägen och rätt ut till skogs. Så mormor sa bestämt ifrån. När jag gett min pojke bröstet tog mormor Rune och la honom i mitt knä och då sög han med slutna ögon för att slippa se mej i ansiktet, samt somnar så gott och sov flera timmar.“ 236 Vgl. EU 51516 Mimmi G. (1960), S. 2/5; Palmquist, Demedicalizing Breastmilk. 237 KU 12049 Connie F. (1991), S. 1 f.; EU 51466 Johan M. (1960), S. 5; EU 51537 Signe F. (1960), S. 1.

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geboren war, erklärte: „Weil ich durch die mütterliche Großmutter aufgezogen wurde – ich war ein sogenanntes oäkting [uneheliches Kind] – war es wohl sie, die für mich vorkauen musste, so gut sie konnte.“ 238 In Schweden war es jedoch auch verbreitet, Mütter unehelicher Kinder in einem Mütterheim aufzunehmen.239 Diese Erfahrung war für eine Informantin nicht schön, weil sie und auch die anderen Frauen dort der „Verachtung“ der Behörde ausgesetzt waren.240 Diese Beispiele verdeutlichen, dass das in den Ratgebern produzierte Bild der Kernfamilie viele AkteurInnen ausblendete oder aktiv ausschloss, die in der Säuglingspflege und -ernährung beteiligt waren und wie diese Praktiken abänderten und mitgestalteten. Zwischenfazit

Zusammenfassend betrachtet hat sich das Verhältnis von Müttern und Vätern in Bezug auf Säuglingsernährungspraktiken im Laufe des 20. Jahrhunderts nicht maßgeblich verändert. Die Mutter trug während des gesamten Untersuchungszeitraums auch in den Selbstzeugnissen die Hauptlast, während die Väter – ebenfalls während des gesamten Zeitraums – sie darin unterstützten, ihre Aufgabe zu erfüllen. Häufig waren es außerdem Männer, die durch das Wiegen der Kinder dazu beitrugen, den Rahmen abzustecken, innerhalb dessen die Mütter ihre eigene Leistung messen lassen mussten. Es gab während des gesamten Untersuchungszeitraums wohl nur sehr wenige Männer, die sich hauptverantwortlich um ihre Kinder kümmerten. Zudem gab es anscheinend keine frappierenden Unterschiede zwischen Deutschland und Schweden, sondern Väter und andere Familienmitglieder wirkten – unterschiedlich intensiv und aktiv – in beiden Ländern in der Säuglingspflege über den gesamten Untersuchungszeitraum mit, während die Mutter die Hauptverantwortliche blieb. Weitere Akteure, wie das Hauspersonal, das zu Beginn des Jahrhunderts noch in den bürgerlichen Schichten Hilfe leistete, verschwanden hingegen. Diese Gruppe wurde teilweise, aber nicht vollständig, durch institutionalisierte Helfer ersetzt, wie die Mütterberatung oder Kinderbetreuungseinrichtungen. Dies entsprach dem allgemeinen gesellschaftlichen Trend, weniger Dienstpersonal im Haus zu 238 EU 51638 Nils H. (1960), S. 7: ”Eftersom jag var uppfostrat hos mormor – jag var en s. k. oäkting – var det väl hon som fick tugga åt mig så gott hun kunde.“ 239 Vgl. EU 51466 Johan M. (1960), S. 5; EU 51537 Signe F. (1960), S. 1. 240 KU 12937 Birgitta J. (1992), S. 11: ”Vi kände alla föraktet för oss från föreståndare till barnavårdsmän.“

Das Verhältnis von Familie und GesundheitsexpertInnen  |

beschäftigen und dafür auf die Leistungen der sich vergrößernden Dienstleistungsgesellschaft und der medizinischen Institutionen zurückzugreifen. Anhand dieser Beispiele wird schließlich der demographische Übergang im 20. Jahrhundert und die größere Durchsetzung medizinischer (Wissens)Angebote deutlich, die mit dem Erfahrungswissen der älteren Generation verknüpft wurden.

3.3 Das Verhältnis von Familie und GesundheitsexpertInnen Spätestens seit seit Beginn des 19. Jahrhunderts in Schweden und dem späten 19. Jahrhundert in Deutschland war die Aufklärung über Säuglingsernährung und -pflege zu einer Angelegenheit von staatlicher Bedeutung erhoben worden. Der Säuglingssterblichkeit wurde seitdem mit umfassenden sozialhygienischen und sozialpädiatrischen Maßnahmen begegnet. Neue Institutionen wurden gegründet, vor allem nach dem Ersten Weltkrieg. Mit Hilfe von Ratgebern, Broschüren und visuellem Aufklärungsmaterial wurde eine große Offensive in der Aufklärung über „wissenschaftliche“ Säuglingspflege gestartet. Die ersten beiden Kapitel haben den teilweise schwierigen Prozess und den Versuch einer Medikalisierung der Säuglingsernährung – in der ersten Jahrhunderthälfte – sowie den Versuch, diese in bestimmten Bereichen wieder zurückzudrängen – seit den 1960er Jahren –, nachgezeichnet. Schon Anfang der 1990er Jahre hat Francisca Loetz argumentiert, die Medikalisierung sei nicht lediglich „von oben“ oktroyiert worden, sondern medizinisches Wissen und Praktiken hätten sich im Zuge eines Aushandlungsprozesses zwischen Medizin und PatientInnen herausgeformt. Anhand der Egodokumente kann Medi­kalisierung als Aushandlungsprozess untersucht und danach gefragt werden, wie das medizinische, wissenschaftliche, psychologische oder pädagogische Wissen aufgefasst, angewandt und transformiert wurde.241 Gab es Brüche und Widerstände oder wurde dieses Wissen unverändert in Praktiken übersetzt? Welche Praktiken und Wissensbestände gab es schon, bevor diese durch wissenschaftliche, hierarchisch übergeordnete Expertise legitimiert wurden. Der erste Teil fokussiert darauf, an wen sich Eltern wandten, um Hilfe in Fragen der Säuglingsernährung und -erziehung zu erhalten, insbesondere in Krankheitsfällen. Der zweite Teil untersucht Veränderungen der Flaschenernährungspraktiken, welche Nahrung die Eltern dem Kind gaben und auf welche Art und Weise.

241 Vgl. Lindner, Gesundheitspolitik, S. 20; Loetz, „Medikalisierung“, S. 320.

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3.3.1 Medikalisierung und Institutionalisierung der Säuglingspflege

Schon ein kursorischer Blick in die Egodokumente verrät, dass sich das (vermittelte) Wissen um den Säuglingskörper und seine Ernährung nicht deckungsgleich in entsprechenden Praktiken innerhalb der Familie niederschlug. Es ergeben sich aber dennoch eine Reihe von Übereinstimmungen. Am Beispiel der Geburt, der Konsultierung von ExpertInnen im Krankheitsfall sowie der Frage danach, welche Informationsquellen insgesamt genutzt wurden, soll untersucht werden, wo sich Reibungen und Widerstände ergaben, wo aber auch Aneignungen und Inkorporationen stattfanden. In diesem Abschnitt soll außerdem der Aspekt der Klassenzugehörigkeit und der daraus resultierenden Möglichkeiten bzw. Einschränkungen im Zugang zu (Wissens)Ressourcen analysiert werden. In Bezug auf die Geburt ist der Medikalisierungs- und Institutionalisierungstrend auch in den Egodokumenten zu beobachten. Außer den Kindern von Otto K. und Gabrielle P., die zu Hause unter Aufsicht von Ärzten und Hebammen geboren wurden, wurden alle Kinder der deutschen TagebuchautorInnen in Krankenhäusern auf die Welt gebracht. In den schwedischen Fragebögen finden sich hingegen weniger Informationen. Dies liegt beim Fragebogen Nr. 172 daran, dass im vorherigen Fragebogen Nr. 171 die Themen Geburt und Wochenbett bereits abgehandelt worden waren.242 Bei einer Durchsicht dieses Fragebogens zeigt sich, dass der Großteil der Geburten in Schweden in der ersten Jahrhunderthälfte zu Hause mit Hilfe einer Hebamme vonstattenging. Auch wenn die Arbeit das Verhältnis der Hebammen nicht systematisch einbezogen hat, kann hier sicherlich ein wichtiger Unterschied zwischen Deutschland und Schweden konstatiert werden. Seit den 1930er Jahren wurden die ersten Entbindungskliniken in Schweden eingerichtet und die Versorgung mit Hebammen nahm ab.243 Seit den 1930er Jahren wurden Frauen in Schweden allerdings zunehmend bereits vor der Geburt von Ärzten oder Hebammen begleitet.244 In den 1930er Jahren konstatieren SchreiberInnen auch eine Veränderung im Kontakt mit dem medizinischen Personal. So meinte etwa Lars S., in der Versorgung der Kinder an sich habe es im frühen 20. Jahrhundert keine größeren Veränderungen gegeben. Er bemerkte jedoch einen Unterschied in den Ansprechpersonen: 242 Nordiska Museet, Etnologiska undersökning. Frågelista 171 – Havandeskap och barnsäng, Stockholm 1960. Speziell zu diesem Fragebogen vgl. Nylund Skog, Historier. 243 Vgl. Milton, Barnmorksor, S. 255; Myrdal, Nation and Family (1945), S. 304; Nylund Skog, Historier, S. 165; Vallgårda, Hospitalization, S. 117 – 119. 244 Vgl. KU 11975 Maja R. (1991), S. 12; KU 12953 Christina S. (1992), S. 14; EU 51543 Johan Anton N. (1960), S. 5; KU 11975 Ingrid K. (1991), S. 4.

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„Nach 1930 wurde es im Allgemeinen üblicher, eine Geburtsabteilung [B. B.] aufzusuchen im nächsten Krankenhaus [lasarett] (Filipstad) oder einer Krankenstation [sjukstuga] (Uddeholm nahe Hagfors). In der genannten Zeit oder etwas früher verabschiedete sich die letzte Hebamme. Eine neue wurde nie eingestellt.“ 245 Seine Aussage zeigt beispielhaft, wie es später von der Frauenbewegung kritisiert wurde, das Ersetzen weiblicher, lokaler Expertise durch zentralisierte Institutionen. In den 1940er Jahren wurden auch in Deutschland die Geburtsstationen ausgebaut, wobei die bürgerlichen Frauen aus dem Quellensample schon zuvor dieses Angebot in Anspruch nahmen. Sowohl die Frauen in Deutschland als auch in Schweden brachten ihre Kinder zunehmend im Krankenhaus zur Welt.246 Die Möglichkeit, sich Hilfe zu holen, wenn das Kind krank war, veränderte sich stark im Verlauf des 20. Jahrhunderts. Die Wahl verschiedener ExpertInnen und Informationsquellen sowie Versorgungsangebote beruhte vor allem auf ihrer Erreichbarkeit und Zugänglichkeit oder anders gewandt: Teilweise hatten Eltern keine Wahl, denn es gab nur eine Informations- und Heilungsquelle.247 Die größten Unterschiede bestanden in Bezug auf den Wohnort – Stadt/Land – und die Klassenangehörigkeit. Während fast alle deutschen AutorInnen in einer Stadt wohnten und dem Bürgertum angehörten, lebten die schwedischen InformantInnen, zumindest in der ersten Jahrhunderthälfte, in ländlichen Gegenden und waren Teil der Bauernschaft oder ungelernte Arbeiter. Die Versorgung der Landbevölkerung mit Ärzten im Allgemeinen, die in den weitläufigen Regionen Nordschwedens nicht immer leicht zu erreichen waren, begann um 1900. Zwei Informanten aus Lappland berichteten, dass die ersten Hebammen und ein Krankenhaus dort 1910 eingeführt wurden.248 Um 1910 verorten auch andere InformantInnen die ersten Kontakte mit examinierten Hebammen und anderen medizinischen Professionen. In Schweden waren Hebammen, zumindest zu Beginn des Jahrhunderts, wichtige Autoritäten in der Säuglingspflege, die von den Müttern bei Problemen um Rat gefragt wurden. Hebammen hatten zu diesem Zeitpunkt in Schweden bereits eine professionelle, standardisierte Ausbildung genossen und waren durch „medi­zinische Autoritäten anerkannt. Sie hielten eine Mittlerposition zwischen 245 EU 52957 Sten L. (1962), S. 3: ”Efter 1930 blev det mera allmänt att söka i B. B. avdelningarna på närmaste lasarett (Filipstad) eller sjukkstuga (Uddeholm n. v. Hagfors). Vid nämda tid, eller något före tag sista barnmorskan avsekd. Några nya allställdes ej.“ 246 Vgl. KU 11975 Maja R. (1991), S. 12; KU 11971 Ingegerd H. (1991), S. 5; KU 12953 Christina S. (1992), S. 14; KU 12937 Birgitta J. (1992), S. 11. 247 Vgl. EU 51516 Mimmi G. (1960) S. 2/5. 248 EU 51543 Johan Anton N. (1960), S. 3.

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den Ärzten und der Bevölkerung, da ihr Beruf in der Medizin zwar weniger a­ nerkannt war, sie aber viel verbreiteter und etablierter in ländlichen Gemeinschaften waren.249 Die Hebammen instruierten Mütter darin, wie ihre Kinder gefüttert werden sollten und halfen, wenn Probleme wie Milchstau auftraten.250 Es konnten allerdings auch Konflikte zwischen den Traditionen der Bevölkerung und den medizinischen Autoritäten auftreten. So hatte eine Großmutter 1919 einen mit Brot gefüllten, durchlässigen Stoffbeutel („duss“) für das Kind bereitet, damit es nicht „verhungerte“, als es nicht genug Milch bekam. Als die Hebamme dies sah, war sie außer sich und warf ihn an die Wand.251 Danach benutzte die Familie nie wieder einen solchen „duss“. Die Autorität wurde also anscheinend angenommen und die Praktiken entsprechend umgesetzt. Die gleiche Mutter fuhr aber mit ihrem Sohn auch zu einer „klok gumma“ (s. u.), um ihn dort versorgen zu lassen. Ein schwedischer Informant meinte, „wenn es Ärzte in angemessener Entfernung gab, so wurden sie aufgesucht“.252 Angemessene Entfernung meinte in diesem Fall allerdings immer noch eine anderthalb bis zweistündige Fahrt mit dem Auto. War medizinisches Fachpersonal nicht in erreichbarer Nähe, holten sich viele Hilfe bei sog. „klok gummor“ (weisen Alten) oder „trollgummor“ (Zauberfrauen), die teilweise auch noch in den 1930er Jahren im Krankheitsfall aufgesucht wurden. Eine „weise Alte“ habe es nämlich „in jeder Gegend“ gegeben, meinte ein Informant, im Gegensatz zu ÄrztInnen, Apotheken oder Krankenhäusern.253 Die Dienste von „klok gummor“ wurden von vielen Frauen genutzt, weil sie funktionierten. Dabei war es egal, „ob die Alte zaubern konnte“ oder nicht, sondern das Ergebnis war wichtig.254 Um Kinder von Krankheiten zu heilen, gab es verschiedene Methoden, die von „klok gummor“ angewandt wurden, etwa ein „Kleidungsstück des kranken Säuglings unter einem Stein zu vergraben“,255 „aus der Hand einer Person zu trinken, die einen Mitmenschen 249 Vgl. Milton, Barnmorskor, S. 22 f. 250 Vgl. EU 51554 Axel L. (1960), S. 2; EU 51794 Eric A. (1960), S. 1. 251 EU 51537 Signe F. (1960), S. 31: ”1919 Min mor gjorde i ordning en sån där duss för att min pojke inte skulle svälla ihjäl då när han inte fick fram något ur bröstet men när barnmorskan kom och fick se den skrek hon: Va, ger ni barnet sudd och så kastade hon den i väggan så det smällde, det är det sista ja minns om dussar.“ 252 EU 51543 Johan Anton N. (1960), S. 2: „fanns läkare inom rimligt avstånd besöktes den.“ Vgl. EU 51638 Nils H. (1960), S. 4. 253 EU 51478 B. O. B. (1960), S. 4: ”Det fanns alltid ‘kloka’ personer i trakten till vilka man kunde vända sig för att få nödiga råd att handla efter i skilda sjukdomsfall.“ Vgl. EU 51638 Nils H. (1960), S. 8; EU 51482 J. V. L. (1960), S. 3 f. 254 EU 51537 Signe F. (1960), S. 26; EU 51638 Nils H. (1960), S. 8 f. 255 EU 34135 Hanna G. (1947), S. 7.

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getötet hat“, „aus dem Schuh einer leichten Frau zu trinken“ 256 oder die Verabreichung von Knoblauch.257 Eine Frau nutzte die Dienste der „weisen Frau“ auch in den 1940er Jahren noch, nachdem die BVC bereits weitverbreitet waren, weil die Mittel der Frau bereits bei den Kindern ihrer Schwester gewirkt hatten, und es daher keinen Anlass gab, die Methode zu wechseln.258 Der Medizinhistoriker Michael Stolberg hat herausgestellt: „[D]ie großen Bevölkerungsmehrheiten bevorzugten, solange sie verfügbar waren, jene nicht-ärztlichen Heilkundigen, deren Angebotsspektrum auch Geheim- und Universalmittel sowie magische, sympathetische und religiöse Heilkräfte einbezog.“ 259 Die Egodokumente zeigen, dass diese Einschätzung auch für Schweden gilt. Teilweise scheinen die Ärzte selbst magisches Wissen oder „Aberglauben“ in ihre Praktiken integriert zu haben. Ein Informant berichtete z. B., seine Mutter habe ein totgeborenes Kind auf die Welt gebracht, was der Arzt auf einen Schmerz im Arm zurückführte. Der Arzt habe, ohne zu fragen, gewusst: „[D]as hat sie im Wasser bekommen.“ Die totgeborene Tochter habe an der gleichen Stelle ein Mal gehabt, wo die Mutter Schmerzen empfand.260 Inwiefern diese überlieferte Geschichte die Sichtweise des Arztes wiedergibt, ist schwierig nachzuvollziehen, aber es gab sicherlich im späten 19. Jahrhundert und um die Jahrhundertwende eine Übergangsphase, in der sowohl volkstümliches als auch medizinisches Wissen herangezogen wurden, um Phänomene der Geburt zu erklären. Selbst wenn medizinische Expertise um die Jahrhundertwende zur Verfügung stand, garantierte diese nicht das Überleben der Kinder, wie die Geschichte von Otto K.s zweiter Tochter illustriert.261 Seine Kinder standen von Geburt an unter Beobachtung durch Ärzte, die, wie dies im Bürgertum um die Jahrhundertwende 256 EU 51478 B. O. B. (1960), S. 4: ”Då ett barn led av denna sjukdom ordinerade en klock gumma att låta barnet dricka ur handen på en person, som dräpt en medmänniska. Ett annat medel bestod i att låta barnet dricka ur en sko som tillhört en lösaktig kvinna.“ 257 Vgl. EU 51482 J. V. L. (1960), S. 4. 258 EU 51638 Nils H. (1960), S. 8 f. 259 Stolberg, Heilkundige, S. 79. 260 EU 51638 Eric H. (1960), S. 2 f.: ”[M]in mor fick en flicka som var dödfödd, hon hade under den tid hon gick med barnet en svår värk i ena armen, de tog upp doktorn utan att fråga något sade så fort han fick se armen ‘det har hon fått i vattnet’ då flickan sedan kom till hade hon ett märke på armen där värken satt sig på mor. Vi hade en äng utmed en å de brukade slå långt ut i vattnet, mor sick i vattnet or räfsade då hon plötsligt kände som något snott sig om barnet hon skrek till och slänge räfsan och sprang upp ur vattnet. Hvad det var vet jag ej men doktorn såg det ju utan att behöva fråga.“ Eine andere Frau hatte ebenfalls Angst, dass ihr Kind ein Feuermal haben könnte, nachdem sie während der Schwangerschaft mit Wasser in Berührung gekommen war, vgl. EU 51537 Signe F. (1960), S. 4. 261 Siehe auch: Gabrielle P., Lebensgeschichte (1965), S. 51; Tagebuch der Mutter (1920 – 1921).

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üblich war, zu Hausbesuchen kamen, bezüglich der Säuglingsernährung berieten und die Kinder versorgten. Als die Tochter schwer erkrankte und keine Nahrung mehr aufnahm oder bei sich behielt, waren sich die Ärzte lange nicht sicher, was die Ursache für die Symptome war. Sie versuchten das Kind zunächst über eine Ernährungsumstellung zu therapieren, da alles auf ein Magen-Darm-Leiden hindeutete. Die Eltern bestellten verschiedene Ärzte, aber keiner konnte ihrer Tochter helfen. Trotz der ausgezeichneten Versorgung des Kindes konnten die Ärzte keine Heilung finden und das Kind verstarb noch vor dem ersten Geburtstag, abschließend lag die Diagnose bei Gehirntuberkulose. Der Tod des Kindes beeinflusste Otto K. und die ganze Familie tiefgehend: Ich bin seit Ernas Tod verschiedene Male, zuletzt erst gestern, auf dem Friedhof gewesen und habe an dem Grabe meines Kindes geweint; ich fühlte mich so unbedeutend und nichtig Dir unschuldigem unglücklichem Kind gegenüber! Das Gefühl drängte mich das Haupt zu entblößen. Wie viel Glück und Hoffnung ist mit dem kleinen Körper uns unter dem Hügelchen begraben! /Das eben zu Ende gehende Jahr 1896, welches uns unsere Erna-Maus schenkte und unsere Erna-Maus entriss, wird uns stets mit der Erinnerung an dieses unser liebes Kindchen verknüpft sein.262

Noch einige Jahre nach ihrem Tod verfasste Otto K. Tagebucheinträge, die er an seine verstorbene Tochter richtete, deren Verlust ihn noch lange begleitete. Auch der Zugriff auf medizinische Kompetenz hatte die Familie vor diesem Verlust nicht bewahren können. Das Vertrauen in medizinische Expertise schien sie jedoch nicht zu verlieren – höchstens das Vertrauen in einen einzelnen Experten. Das Beispiel von Otto K.s Tochter zeigt außerdem, dass die Ernährung von Säuglingen zu Beginn des Jahrhunderts, ein Experiment mit unsicherem Ausgang darstellte. Ein größeres Wissen über die Säuglingspflege oder die gute Betreuung durch Ärzte garantierte nicht, dass sich Eltern sicherer in ihren Entscheidungen und täglichen Handlungen fühlten. Wenn die Kinder krank wurden, began­ nen häufig Phasen großer Angst und Unruhe. Dies veränderte sich während des 20. Jahrhunderts nicht. Zu Beginn des Jahrhunderts waren Eltern jedoch ständig mit der hohen Gefahr der Säuglingssterblichkeit konfrontiert, die in den Aufklärungsmedien und im öffentlichen Diskurs immer wieder aufgerufen und visuell verstärkt wurde (vgl. Abb. 1). Diese ständige Konfrontation mit den möglichen Gefahren für den Säugling konnte sicherlich auch zu größerer Unsicherheit statt größerer Sicherheit im Umgang mit dem Kind führen und damit den Intentionen von Aufklärungskampagnen zuwiderlaufen. Die oben bereits häufiger zitierte 262 Otto K., Kinderbuch Walther K., 31. 12. 1896, S. 17.

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­Mutter von Donatus war sehr gut von Ärzten versorgt, die sie darin berieten, wie viel ihr Kind essen sollte, und sie las schon vor der Geburt Ratgeber. Dennoch war sie diejenige im Sample, die am häufigsten Sorgen und Ängste zum Ausdruck brachte, wie sie sich am besten gegenüber den Kindern verhalten sollte. Am 24. Oktober begannen nachts die Wehen und sie hielt noch zu diesem Zeitpunkt in ihrem Tagebuch fest: „Ich zweifelte immer noch, ob das wirklich schon der Beginn sei und las nochmal alles in meinen Büchern.“ 263 Sorgen begleiteten sicherlich den Großteil aller Eltern, aber mehr Wissen und bessere Aufklärung bedeuteten nicht unbedingt, dass Eltern sich „richtiger“ verhielten, wie die normativen Quellen suggerierten. Das Informationsangebot nahm stetig zu und immer mehr Frauen hatten die Möglichkeit, sich auf unterschiedliche Weise auf die Geburt vorzubereiten und sich schon bevor das Kind auf der Welt war, über die „richtige“ Pflege und Ernährung zu informieren. Die Angebote wurden also anscheinend von den Müttern angenommen, wenn sie bestanden. In Schweden konnten Mütter in den 1940er Jahren auf die Mödrarvårdscentral zurückgreifen, die neben den BVC eine Komponente der umfassenden Gesundheitsvorsorgeprogramme des Landes waren. Schwedische Mütter lasen vor der Geburt Bücher und Broschüren, um sich vorzubereiten. Namentlich als Autoren genannt wurde Benjamin Spock, den zwei schwedische Mütter lasen und Åse Gruda Skard, deren Anweisungen ich in 2.3 untersucht habe.264 Dies suggeriert, dass auch in der Bevölkerung eine Offenheit gegenüber entwicklungspsychologischem Rat bestand. Viele der Frauen, die auf den Fragebogen von 1990 antworteten, waren vor der Geburt zudem zu Elternkursen gegangen. Eine Frau gab an, schon seit der Schule in Säuglingspflege unterrichtet worden zu sein.265 Die Mütter nahmen diese Angebote zumeist allein wahr, von einer Beteiligung der Väter gibt es keine Berichte. Dennoch zeigen die Selbstzeugnisse, dass immer mehr Mütter (selten berichten Väter darüber) Informationen über Säuglingspflege in den offiziellen Beratungsstellen erhielten. Sie wandten sich in Schweden an die BVC , in Deutschland an die Mütterberatungsstelle und Ärzte.266 Nicht zu unterschätzen ist in diesem Zusammenhang die größere Verbreitung von ­Telefonen seit 263 Martina S., Tagebuch Donatus, 24. 10. 1924, S. 8. 264 Vgl. KU 11923 Gun L. (1991), S. 11; KU 11904 Sonja H. (1991), S. 16; KU 11975 Maja R. (1991), S. 12; 12033 Britt-Marie H. (1991), S. 3; KU 11975 Ingrid K. (1991), S. 4; KU 13144 Kristina A. (1992), S. 8 f. 265 Vgl. KU 12996 Gun B. (1992), S. 15; EU 51543 Johan Anton N. (1960), S. 5; KU 12014 Artur J. (1991), S. 5; KU 11904 Sonja H. (1991); KU 12953 Christina S. (1992), S. 14. 266 Vgl. KU 12195 Ingrid N. (1991), S. 3; KU 12033 Britt-Marie H. (1991), S. 3; KU 12937 Birgitta J. (1992), S. 11; EU 51467 Sigrid S. (1960), S. 5.

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dem Beginn des Jahrhunderts.267 Die Informantin Britt-Marie H. zog es sogar vor, mit der BVC zu telefonieren, um dort um Hilfe zu fragen, anstatt ihre Mutter anzurufen, die weiter weg wohnte, was höhere Telefonkosten verursacht hätte.268 Die Mutter von Angela B. suchte in der deutschen Nachkriegszeit regelmäßig die Mütterberatungsstelle auf, um Angelas Entwicklung überprüfen zu lassen und die seit Ende der 1930er Jahre eingeführten Vigantol-Stöße gegen Vitamin-D-Mangel und Rachitisprophylaxe zu erhalten.269 Bei Krankheiten des Kindes ging sie in die örtliche Poliklinik oder rief einen Arzt in Notfällen, um ihr Kind dort untersuchen und behandeln zu lassen. In ihrem Tagebuch finden sich außerdem verschiedene Hinweise auf weitere Informationsmaterialien. Sie hatte sich etwa den Titel eines Säuglings- und Kinderratgebers notiert und einen Zeitungsausschnitt gesammelt, der Tipps gab, wie man in Zeiten der Lebensmittel- und Warenknappheit die Kinderpflege möglichst kostengünstig gestalten konnte. Sie notierte alle Ausgaben für das Kind gewissenhaft. Zu ihrer Mutter hatte sie hingegen ein angespanntes Verhältnis, weswegen sie während der Schwangerschaft und der ersten Lebensjahre ihrer Tochter dort nie Hilfe suchte. Die beiden TagebuchautorInnen, die in den 1960er Jahren über ihre Kinder schrieben, erzählen von regelmäßigen Arztbesuchen. Mütterberatungsstellen suchten sie nicht auf, da die Gesundheitsversorgung von Säuglingen in Deutschland seit den späten 1950er Jahren durch die niedergelassenen Ärzte durchgeführt wurde.270 Sowohl in Deutschland als auch in Schweden kamen Eltern, insbesondere Müt­ ter, zunehmend mit medizinischen Versorgungseinrichtungen in Kontakt. Die Egodokumente zeigen, dass sie ihnen gegenüber durchweg positiv eingestellt waren und der dort verfügbaren Expertise und Unterstützung im Allgemeinen großes Vertrauen entgegen brachten. Diese Informationsangebote verdrängten spätestens seit den 1940er Jahren volkstümliche medizinische Praktiken, ersetzten jedoch nicht das Erfahrungswissen der älteren Generation, wie ich oben bereits gezeigt habe. Medi­ kalisierung war damit nicht lediglich ein von oben oktroyierter Prozess oder ein Kampf zwischen männlichen Ärzten und weiblichen Patientinnen, wie u. a. auch die Stillforschung betont hatte, sondern die Eltern nahmen die neuen Angebote gerne an, wenn sie Erfolg versprechend waren. Sie waren in der Lage, zwischen verschiedenen Angeboten zu navigieren und sie in ihre täglichen Praktiken zu integrieren.271 267 Vgl. EU 51543 Johan Anton N. (1960), S. 5. 268 Vgl. 12033 Britt-Marie H. (1991), S. 3. 269 Gabrielle P, Lebensgeschichte (1965), S. 32; Marga P./Bernd P., Lebensgeschichte, 22. 12. 1935, S. 127. 270 Vgl. Elisabeth B., Kindertagebuch, 17. 02. 1948, S. 5; 04. 04. 1948, S. 6; 29. 05. 1948, S. 7. 271 Vgl. Marland, Women, S. 486; Stolberg, Heilkundige, S. 81.

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Darüber hinaus wird die Kontextgebundenheit des Zugangs zu medizinischem Wissen und Institutionen deutlich. Den bürgerlichen AutorInnen des frühen 20. Jahrhunderts standen andere Möglichkeiten, vor allem finanzieller Art, offen. Sie wohnten außerdem in urbanen Räumen, wo der Zugang zu Ärzten einfacher möglich war als auf dem Land. Die schwedischen InformantInnen, insbesondere diejenigen, die den älteren Fragebogen der 1960er Jahre beantworteten, waren hingegen in bäuerlichen, ländlichen Verhältnissen aufgewachsen. Sie hatten weder die finanziellen Mittel noch die räumliche Nähe zu medizinischem Fachpersonal. Seit den 1950er Jahren ließ sich mit dem Ausbau der Gesundheitssysteme eine Nivellierung der gesellschaftlichen Unterschiede feststellen, da die Angebote nun auch die Bevölkerung auf dem Land erreichten und kostenlos oder kostengünstig waren. Jedoch war zu Beginn des Jahrhunderts selbst für wohlhabende bürgerliche Familien die Gefahr, ein Kind zu verlieren, noch sehr hoch. 3.3.2 Standardisierung der Flaschennahrung

Muttermilch wurde sowohl in den vorherigen Kapiteln als auch in den Egodokumenten über den gesamten Zeitraum als bessere Säuglingsnahrung gegenüber der Flaschennahrung und Norm positioniert.272 Dennoch erwähnten praktisch alle Infor­mantinnen und TagebuchautorInnen normabweichende Ernährungspraktiken. Hier soll zunächst darauf eingegangen werden, wie Muttermilch bewertet, dann wie über Flaschennahrung gesprochen wurde und wie sich die Praktiken veränderten. In den Tagebüchern kam die Bedeutung der Muttermilch nur selten zur Sprache. Es finden sich aber Aussagen, wie die Muttermilch sei eine „kostbaren BabyDelikatesse“ 273 oder ein „natürlicher Lebenstrank“ 274. Eine deutsche Mutter war erleichtert darüber, dass sie „in der glücklichen Lage war, mein Kind stillen zu können“,275 während eine weitere Mutter Genugtuung äußerte, denn ihr Kind „trinkt schön“, nachdem es zum ersten Mal angelegt wurde.276 Stillen zu können, war für die Frauen offenbar ein Anlass zur Freude, ohne dass sie weiter darüber reflektierten. Hier könnte sich erneut der Effekt zeigen, dass bestimmte Dinge für die AutorInnen so normal waren – ähnlich wie der Umstand, dass Frauen nach der Geburt eines Kindes zu Hause blieben – dass sie darüber nicht berichteten. 2 72 Vgl. Earle, Women, S. 326. Siehe z. B. EU 51482 J. V. L. (1960), S. 4. 273 Jürgen B., Annettes Tagebuch, 09. 04. 1960, S. 5. 274 Marga P./Bernd P., Lebensgeschichte, 12. 05. 1940, S. 131. 275 Antonie F., Tagebuch, Februar 1904, S. 1. 276 Elisabeth B., Kindertagebuch, 09. 06. 1947, S. 2.

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Im Fragebogen von 1960 war explizit nach der Bedeutung von Muttermilch g­ efragt worden: „Gab es die Annahme, Muttermilch besitze besondere Eigenschaften im Gegensatz zu anderer Milch? Glaubte man, dass das Kind und die Mutter ganz besonders verbunden/vereint waren durch das Stillen?“ 277 Allerdings war auch diese Frage wertend bzw. leitend formuliert. Es ist daher nicht völlig überraschend, dass dem Stillen in den Antworten durchweg eine besondere Bedeutung zugeschrieben wurde. Begründungen für die Besonderheit der Muttermilch variierten jedoch. Einige InformantInnen wussten etwa zu berichten, dass Muttermilch gegen Krankheiten schützte,278 zu Beginn des Jahrhunderts wurde sie wie eine Art Medizin, z. B. bei Ohrenschmerzen oder -problemen, eingesetzt.279 Einige InformantInnen hatten eher eine generelle Vorstellung davon, dass Muttermilch besser war, ohne Gründe für diese Einschätzung zu nennen. „Gewiss betrachtete man es als das Beste, dass das Kind Muttermilch bekam“,280 meinte Lisa J., und ein weiterer Informant gab an, man glaube, dass Muttermilch „die Eigenschaften enthielt, die am besten für das Kind geeignet waren, wenn die Mutter gesund war und somit nicht an einer Krankheit litt“.281 Worin genau diese Übereinstimmung bestand, war anscheinend nicht bekannt, es war vielmehr Erfahrungswissen, das man sich angeeignet hatte. Interessanterweise deckten sich hier „Volksmeinung“ und wissenschaftliches Wissen, ohne unbedingt in Kontakt gekommen zu sein, ein Hinweis darauf, dass volkstümliches Wissen und Praktiken teilweise spätere wissenschaftliche Ergebnisse vorwegnahmen.282 Aber auch die emotionale Verbindung zwischen Mutter und Kind war ein Grund, warum AutorInnen Stillen als überlegen verstanden. Eine Frau äußerte 277 Nordiska Museet, Frågelista 172, o. S.: ”Ansågs modersmjölken besitta särskilda egenskaper till skillnad från annan mjölk? Trodde man att barnet och modern var alldeles särskilt förenade genom digivningen?“ 278 Vgl. EU 51480 Hilda K. (1960), S. 2; EU 51489 John G. Å. (1960), S. 5; EU 51503 Jenny D. (1960), S. 4; EU 54275 Signe H. (1965), S. 6. 279 Vgl. EU 51470 Gust W. (1960), S. 2; EU 51638 Nils H. (1960), S. 3; EU 51794 Eric A. (1960), S. 2. 280 EU 51475 Lisa J. (1960), S. 2: ”Visst ansågs det bäst att barnet fick moders mjölk.“ Vgl. EU 51466 Johan M. (1960), S. 3; EU 51477 Gunnar P. (1960), S. 7; EU 51481 Gottfried N. (1960), S. 3; EU 51482 J. V. L. (1960), S. 4: ”Men folket i bygderna visste mer än väl att modersmjölken vat det bästa för barnet. Man var nog i bygderna fundersam om att en mors även tillfälliga sjukdom kunde överföras på barnet.“ 281 EU 51478 B. O. B. (1960), S. 3: ”Modersmjölken ansågs innehålla de egenskaper, som bäst passade barnet, om modern var frisk och alltså inte led av någon sjukdom.“ Vgl. EU 51467 Sigrid S. (1960), S. 2: „Det ansågs att moderns temperament inverkade på barnet vid digivning. Var modern lugn eller nervös så sades det att det spela en viss roll.“ EU 51495 O. C. (1960), S. 2; EU 51496 Dagny F. (1960), S. 2. 282 Vgl. Kintner, Trends, S. 168; Thoms, Säuglingssterblichkeit, S. 62.

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Freude darüber, viel Milch für ihre beiden ersten Kinder gehabt zu haben und sinniert: „[S]tell dir vor, was für ein wunderbares Gefühl es ist, so mit einem Kind sitzen zu dürfen. Es ist traurig für eine Frau, wenn sie dieses Glück nicht erleben darf.“ 283 Ein männlicher Informant vertrat die Meinung, Muttermilch sei das „Vornehmste“ für die Entwicklung des Kindes und dass alle, die er gefragt habe, sich einig waren, dass „das Kind und die Mutter ganz vereint waren während der Brustmahlzeit“. Daher oblag es aus seiner Sicht der Mutter, ihren Lebensstil anzupassen, um ihr Kind ernähren zu können. Sie sollte z. B. bestimmte Lebensmittel vermeiden, wie Zwiebeln, starke Gewürze und alkoholhaltige Getränke, weil sie auch die Verantwortung dafür trage, wenn das Kind krank werde.284 Die schwedischen Informantinnen brachten außerdem zum Ausdruck, dass es eine besondere Verbindung zwischen Mutter und Kind gab, wenn sie es stillte. Sie wären besonders intim miteinander vereint und wenn der Mutter etwas passierte, wirkte sich dies auf das Kind aus und umgekehrt.285 Die mütterliche Stimmungen könnten sich auf das Kind übertragen: Wenn diese unruhig oder nervös war, wurde auch das Kind unruhig.286 Die Mutter, ihre Ernährung, Stimmung etc. hatten auch in der volkstümlichen Wahrnehmung großen Einfluss auf das Kind. Da die Muttermilch gleichzeitig als beste Ernährung galt, musste sie sich besonders ruhig verhalten, um dem Kind nicht zu schaden. Auf ihr lastete daher die Verantwortung, das Stillen den Vorgaben und Vorstellungen entsprechend durchführen zu können. Dieser Zusammenhang wurde zwar in den Tagebüchern nicht ausführlich angesprochen. Wie im ersten Unterkapitel jedoch gezeigt wurde, konnten Stillschwierigkeiten die Mütter sehr stark unter Druck setzen. Sowohl in den bürgerlichen deutschen Familien als auch in den ­bäuerlichen schwedischen Familien zeigt sich zu Beginn des Jahrhunderts eine große Bandbreite unterschiedlicher Ernährungspraktiken in den Egodokumenten. In Deutschland wichen diese allerdings nicht so stark von der Lehrmeinung ab, da sie häufig in Abstimmung mit einem Arzt durchgeführt wurden. In Schweden 283 EU 51537 Signe F. (1960), S. 18: ”Men själv hade jag mycket i, åtminstone till de två första, och tänk vilken underbar känsla det är att få sitta så med en liten av unge. Det är synd om en fru som inte får uppleva den glädjen.“ 284 EU 51554 Axel L. (1960), S. 3: ”Modersmjölken var till skillnad av annan mjölk den förnämnsta för barnets utveckling. Att barnet och modern voro ett och helt förenade genom bröstmålen var till fullo klarlagt. […] Att barnet fick sin rätta vård berodde på moderns levnadssätt under digivningen. Sjukdomar på barnet kunde tillföras bröstmjölken genom förtärande av lök och starka kryddor men även sprithaltiga drycker var bidragande orsaker som kunde skada barnets utveckling. Var barnet sjukligt under den tid digivningen pågick så fick modern genom åsidosatt levnadssätt bära ansvaret.“ 285 EU 51479 C. A. J. (1960), S. 2. 286 EU 51638 Nils H. (1960), S. 5; EU 51467 Sigrid S. (1960), S. 2.

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dagegen wurden viele nicht-sanktionierte Praktiken um die Jahrhundertwende und darüber hinaus genutzt. Im Folgenden werden zunächst diejenigen Praktiken und Materialien untersucht, die am wenigsten den Anleitungen entsprachen, um zu denjenigen Praktiken vorzudringen, die wissenschaftlich legitimiert waren. So kann auch der Standardisierungsprozess, der sich im 20. Jahrhundert vollzog, nachgezeichnet werden. Nahrung wurde dem Kind, wenn es nicht an der Brust ernährt wurde, im Verlauf des 20. Jahrhunderts auf unterschiedlichste Weise verabreicht. Besonders häufig wird das Vorkauen von Nahrung erwähnt, das in den schwedischen Bauernfamilien von verschiedenen Familienmitgliedern genutzt wurde, um den Säugling mit Nahrung zu versorgen, wenn die Mutter ihn gerade nicht ernähren konnte. Mütter selbst kauten ebenfalls Nahrung für ihre Säuglinge vor. Diese Praxis wurde von Kinderärzten als besonders unhygienisch und gefährlich verurteilt, da sich Keime von den Erwachsenen auf die empfindlicheren Kinder übertragen konnten. Eine weitere Praxis, die zusammen mit dem Vorkauen genannt wurde, war die Verabreichung von Nahrung mit Hilfe eines Stoffbeutels, der mit Brot oder anderer Nahrung gefüllt und dem Kind gegeben wurde. In Schweden war dies als „duss“ bekannt. In Deutschland gab es diese sog. Lutschbeutel ebenfalls, auch wenn sie in keinem der Tagebücher Erwähnung fanden.287 Die meisten InformantInnen nahmen solche Praktiken anscheinend als etwas hin, was man früher machen musste, aber zur Zeit der Niederschrift Anfang der 1960er Jahren nicht mehr gemacht wurde. Nur in einem Fall wurde das Vorkauen von einem Informanten als explizit gefährlich bezeichnet. Er meinte, die Säuglingssterblichkeit sei u. a. aufgrund des Vorkauens so hoch gewesen.288 Tassen wurden ebenfalls benutzt, um den Kindern Nahrung einzuflößen. Hierfür gibt es sowohl Beispiele aus den Tagebüchern als auch aus den Fragebögen.289 Dies wurde allerdings erst versucht, wenn das Kind schon nicht mehr ganz klein war. Eine Mutter sprach ganz selbstverständlich über den Umstand, dass ihre Tochter die Tasse präferierte: „Angelika will keine Flasche trinken, sie trinkt aus der Tasse.“ 290 Sie hatte zwar versucht, das Kind den Regeln entsprechend mit der Flasche zu füttern, und versuchte es auch weiter, aber es war wichtiger, das Kind überhaupt mit Nahrung zu versorgen, egal auf welche Art und Weise dies geschah. 287 Vgl. EU 51475 Lisa J. (1960), S. 2; vgl. EU 51489 John G. Å. (1960), S. 5. Zum Lutschbeutel in Deutschland vgl. Brüning, Methodik (1908), S. 40. 288 EU 51478 B. O. B. (1960), S. 2; EU 51467 Sigrid S. (1960), S. 3; EU 51485 Helmer S. (1960), S. 2; EU 51537 Signe F. (1960), S. 25; EU 51638 Nils H. (1960), S. 7; EU 54275 Signe H. (1965), S. 7. 289 Vgl. EU 51505 Alma K. (1960), S. 2. 290 Elisabeth B., Kindertagebuch, 26. 04. 1948, S. 6.

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Ein weiteres Hilfsmittel zur Nahrungsverabreichung, das sehr häufig in den schwedischen Fragebögen genannt wurde, war der Löffel. Die Informantin Signe F. sah eine Veränderung zwischen ihrer eigenen Jugend und Kindheit und den 1960er Jahren: „Die Kinderernährung heute und früher ist sehr unterschiedlich und ich glaube, välling gab man in meiner Jungend und Kindheit viel öfter mit dem Löffel. […] Heute ist die Säuglingsflasche am gewöhnlichsten. Vielleicht ist sie b­ equemer.“  291 Der Löffel war, zumindest in der ersten Jahrhunderthälfte, allerdings nicht völlig verpönt unter Medizinern und MedizinerInnen. Einige empfahlen, wenn das Kind zusätzliche Nahrung zur Muttermilch benötigte, diese mit dem Löffel zu verabreichen, damit sich das Kind nicht an das – vermeintlich leichtere – Saugen an der Flasche gewöhnte, insbesondere, wenn die Löcher im Sauger zu groß waren.292 Die Interpretation, es sei leichter, aus der Flasche zu saugen, findet sich in den Fragebögen und den Tagebüchern wieder.293 Otto K. meinte etwa: Da Erna das Saugen ganz verlernt, weil sie jetzt täglich zweimal die Flasche bekam, dessen Sauger eine große Öffnung hatte, so soll die künstliche Ernährung jetzt möglichst eingeschränkt werden. Die Milch in Hedwigs Brust wurde in letzter Zeit wahrscheinlich infolge des geringen Saugens spärlicher. Mit der künstlichen Ernährung wurde dann ganz aufgehört.294

Während Otto K.s Familie sich offenbar bewusst für die Nutzung eines Löffels entschied, scheint die Ernährung mit dem Löffel im Allgemeinen nicht weiter hinterfragt worden zu sein. Es lässt sich vermuten, dass Eltern einfach auf diejenigen Mittel zurückgriffen, die ihnen zur Verfügung standen und täglich auch von Erwachsenen gebraucht wurden. Die Säuglingsflaschen veränderten sich ebenfalls in den Erzählungen. Die schwedischen InformantInnen erinnerten sich daran, dass die Nahrung aus einer blauen Brantweinflasche,295 aus einer Essigflasche 296 oder anderen F ­ laschen 291 EU 51537 Signe F. (1960), S. 24; ”Det är mycket olika med barnuppfödning förr och nu, och jag tror att vällingen gavs med sked mycket mera på min ungdomstid och barndom. […] Nu är nappflaskan vanligast. Kanske den är mera bekväm.“ Vgl. EU 34135 Hanna G. (1947), S. 3 f.; EU 51479 C. A. J. (1960), S. 2; EU 51489 John G. Å. (1960), S. 5; EU 51496 Dagny F. (1960), S. 2; EU 51503 Jenny D. (1960), S. 3; EU 51554 Axel L. (1960), S. 2; EU 51794 Eric A. (1960), S. 1, 2; EU 52957 Sten L. (1962), S. 2; Martina S., Tagebuch Donatus, 16. 02. 1924, S. 34. 292 Vgl. Behrend, Reim und Bild (1916), S. 13; Jundell, Uppfödning 1913, S. 8; Lichtenstein, Barnavård (1927), S. 122. 293 Vgl. EU 54290 Julius V. N. (1965), S. 2. 294 Otto K., Kinderbuch Erna K., 27. 02. 1896, S. 4. 295 Vgl. EU 51466 Johan M. (1960), S. 4. 296 Vgl. EU 51480 Hilda K. (1960), S. 2; EU 51638 Nils H. (1960), S. 6; EU 54275 Signe H. (1965), S. 7; EU 51477 Gunnar P. (1960), S. 9.

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­g egeben wurde, die sowieso im Haus vorhanden waren. Man kaufte anscheinend nicht unbedingt eine neue, wissenschaftlich-medizinische Flasche mit Graduierung, wenn auch andere Flaschen zur Hand waren. In Schweden waren außerdem auch flache Flaschen in Gebrauch, wie es sie auch in Großbritannien, aber seltener in Deutschland gab.297 Eine Informantin gab als Grund, warum Haushaltsflaschen genutzt wurden, an, dass Glasflaschen häufig kaputt gegangen seien. Daher kaufte man keine teuren Glasflaschen, sondern wiederverwertete bereits benutztes Material.298 Dies weist wiederum darauf hin, dass die Vorgaben von medizinischen ExpertInnen nicht immer mit den finanziellen Mitteln der Eltern umgesetzt werden konnten. Auch die Sauger auf den Flaschen waren nicht immer aus Gummi, wie von ExpertInnen gefordert, sondern auch aus Leder oder Tuch.299 Die von der Pädiatrie so gefürchteten und geächteten Rohre oder Schläuche wurden auch genutzt, aber anscheinend weniger in den bäuerlichen Gesellschaftsschichten.300 Neben diesen abweichenden Materialien wurden aber auch Glasflaschen mit Gummi­ saugern als Ernährungsinstrumente genannt. Teilweise fand die Art der Flasche aber auch einfach keine Erwähnung.301 Die Eltern in deutschen Tagebüchern nutzten offenbar Glasflaschen mit Gummisaugern. Bei Prof. Otto K. und mindestens einer weiteren Person aus dem bürgerlichen Milieu kam ein Soxhlet-Apparat zum Einsatz, um die Flaschen zu sterilisieren. Die Soxhlet-Flaschen wurden dann höchstwahrscheinlich für das Füttern benutzt und die Milchmischung nicht erst erneut umgefüllt (vgl. Abb. 4 und 5).302 In späteren Tagebüchern finden sich keine Hinweise auf die Flaschenmarken. Hier lässt sich aber davon ausgehen und ist auch auf Bildern sehen, dass es standardisierte Glasflaschen mit Gummisaugern waren, die zur Ernährung genutzt wurden. Seit den 1860er Jahren begann sich die Pädiatrie und Industrie ernsthaft mit einer verlässlichen Rezeptur für Flaschenmilch für Säuglinge auseinanderzusetzen. Wie das erste Kapitel gezeigt hat, war es ein komplizierter Prozess, immer neues Ernährungswissen in Flaschennahrungsprodukten umzusetzen. Seit den 1930er Jahren wurden die industriellen Produkte immer sicherer und fanden langsam in 2 97 EU 51503 Jenny D. (1960), S. 5. 298 Vgl. EU 51505 Alma K. (1960), S. 3; EU 51477 Gunnar P. (1960), S. 9. 299 EU 51477 Gunnar P. (1960), S. 7; EU 51543 Johan Anton N./Arvidsjaur S. (1960), S. 2. 300 EU 51496 Dagny F. (1960), S. 2; EU 51505 Alma K. (1960), S. 3; EU 54275 Signe H. (1965), S. 7. 301 Vgl. EU 53520 Gunnar J. (1963), S. 5; vgl. EU 51477 Gunnar P. (1960), S. 9; EU 51503 Jenny D. (1960), S. 3. 302 Vgl. Otto K., Kinderbuch Erna K., 14. 04. 1896, S. 7; Gabrielle P., Lebensgeschichte, bezieht sich auf das Jahr 1901, S. 32.

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der Pädiatrie Anerkennung. Zu Beginn des Jahrhunderts gab es noch eine sehr große Varianz an unterschiedlichen Rezepturen, die teilweise stark divergierten. Ein kleinster gemeinsamer Nenner war allerdings die Vermischung von Kuhmilch mit Wasser und die anschließende Zufügung eines Kohlenhydrates, meistens in Form von Zucker. In der Bevölkerung war es ebenfalls nicht üblich, dem Kind unverdünnte Milch zu verabreichen, selbst bevor die Pädiatrie die ersten Rezepte für Flaschenmilch entwickelte und verbreitete, wie demographische Studien gezeigt haben.303 Die meisten InformantInnen wussten entsprechend, dass Kuhmilch erst verdünnt und dann mit Mehl oder Zucker oder beidem vermischt werden musste.304 Dieses Wissen hatte sich vermutlich als Erfahrung über die Generationen weitergetragen und war etwas, das funktionierte. Ähnlich wie in der Pädiatrie wurden in den Antworten auf Fragebogen 172 von 1960 viele unterschiedliche Rezepte verhandelt, insbesondere wenn die InformantInnen über den Beginn des 20. Jahrhunderts berichteten. Sie reichten dabei von sehr vagen Vorstellungen darüber, dass die Milch verdünnt werden müsse, damit sie nicht zu „kräftig“ würde,305 bis zu sehr elaborierten Mischungen. Eine der wichtigsten Gründe für das Verdünnen der Milch und Vermischen mit anderen Zutaten sah die Pädiatrie in der Empfindlichkeit des Säuglingsmagens. Die InformantInnen erklärten allerdings meistens nicht explizit, warum sie die Milch verdünnten. Dies kann u. a. daran liegen, dass danach nicht explizit gefragt wurde oder die InformantInnen darüber nicht Bescheid wussten. Viele der InformantInnen hielten sich sehr genau an die gestellten Fragen und gaben nur selten ausführlichere Informationen darüber hinaus. Einige InformantInnen beschrieben ihre Rezepte aber auch ausführlicher. Eine Frau erklärte etwa, wie man eine „2/3-(Kuh)Milch“ zubereitete (also zwei Teile Milch mit einem Teil Wasser vermischte und Zucker zugab). Die Mischung wurde dann mit immer weniger Wasser zubereitet, je größer das Kind wurde.306 303 Vgl. Apple, Mothers, S. 4; Ohrlander, Barnet fick en kropp, S. 36; Kintner, Trends, S. 164; Teuteberg/Bernhard, Entwicklung, S. 379 – 406, hier S. 383; Thoms, Säuglingssterblichkeit, S. 62; Vahlquist, Evolution (1975), S. 11; Wickes, History of Infant Feeding IV , S. 419. 304 Vgl. EU 34135 Hanna G. (1947), S. 3; EU 51467 Sigrid S. (1960), S. 2; EU 51470 Gust W. (1960), S. 2; EU 51475 Lisa J. (1960), S. 2; EU 51477 Gunnar P. (1960), S. 9; EU 51480 Hilda K. (1960), S. 2; EU 51495 O. C. (1960), S. 2; EU 51543 Johan Anton N. (1960), S. 2; EU 51638 Nils H. (1960), S. 4; EU 51794 Eric A. (1960), S. 2; EU 51485 Helmer S. (1960), S. 2. 305 EU 51467 Sigrid S. (1960), S. 2: ”Så länge modersmjölk fanns så var det bäst för barnet sedan när den började sina så var det ingen annan räd än att koka någon välling utspädd med vatten så den inte blev för kraftig.“ Vgl. EU 51481 Gottfried N. (1960), S. 3. 306 Vgl. EU 51503 Jenny D. (1960), S. 5.

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Bei den meisten, die in ihren Antworten auf Flaschenmilchmischungen referierten, gab es die Angabe, dass die Mischung sich im Laufe der Zeit veränderte und gehaltvoller wurde. Die Vorstellung, das Kind bräuchte mit zunehmendem Alter mehr Nahrung oder kräftigere Nahrung, musste nicht erst durch Ärzte ­erforscht und vermittelt werden, sondern war in der Bevölkerung bekanntes Wissen. Die meisten nutzten offenbar Kuhmilch, aber es gab auch Rezepte mit Ziegenmilch oder Sahne.307 Ein Informant, der verschiedene ältere Personen aus seiner Umgebung für sein Antwortschreiben befragt hatte, kam zu dem Ergebnis, dass es viele verschiedene Zubereitungsmethoden gegeben hatte. Er brachte es dann auf die Durchschnittsformel, man habe dünne Hafergrütze gekocht, durch ein Tuch gestrichen und dann mit einem Drittel Kuhmilch vermischt.308 Keines der Rezepte entsprach einer der vorgegebenen Mischungen aus der Ratgeberliteratur, die allerdings auch zu Beginn des 20. Jahrhunderts stark variierten. Der kleinste gemeinsame Nenner, den auch die Kinderheilkunde um 1930 erreicht hatte, war aber genau dies: die Verdünnung der Milch (zwischen 1/3 und 2/3, Zusatz von Zucker sowie bestenfalls, aber nicht immer, Zusatz einer Schleimabkochung bzw. Hafergrütze). Wollte man die Säuglingsernährung tatsächlich nach den genauen Vorgaben der Pädiatrie durchführen, war dies ein extrem aufwendiges Unterfangen, das in kleinen Häusern oder Wohnungen und wenn die Mutter wenig Zeit hatte und nicht von einer Haushaltshilfe o. Ä. unterstützt wurde, kaum durchzuführen war. Die grammgenaue Abmessung der einzelnen Bestandteile war auch nicht in jedem Haushalt möglich. In institutionellen Kontexten war dies anders. Ruth E., die einen Kurs in der Sällskap Barnavård gemacht hatte, erklärte sehr genau, wie die Nahrung dort zubereitet und verabreicht wurde: 150 gr Flüssigkeit für jedes kg Körpergewicht. Die ersten fünf Wochen kann das Kind nicht so viel essen. Das neugeborene Kind isst 20 bis 15 gr. pro Mahlzeit, und dann isst das Kind 6 Mahlzeiten, dann erhöht man einige Gramm jeden Tag. In der fünften Woche legt man die Mahlzeiten auf 5 bestimmte [Zeiten] pro Tag, 6, 10, 2, 6, 10 Uhr, und verteilt die Flüssigkeitsmenge auf diese 5. Wenn das Kind 8 Wochen [alt] ist schaut man auf das Gewicht, wie viel man die Flüssigkeitsmenge erhöhen darf. Die Mischung für Kinder ab 5 Monaten ist gleiche Teile Wasser und die Flüssigkeitsmenge darf nie mehr als 200 gr. sein pro Mahlzeit.

307 EU 51467 Sigrid S. (1960), S. 5; vgl. EU 54275 Signe H. (1965), S. 6; EU 51496 Dagny F. (1960), S. 2. 308 EU 51638 Nils H. (1960), S. 6.

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Zucker 7 gr. oder ein gestrichener Teelöffel zu 100 gr. Wasser oder Haferwasser. Im dritten oder vierten Monat des Kindes kann man etwas Orangensaft mit etwas Zucker hinzufügen. Ist das Kind gesund und hat einen guten Appetit, erhöht man nach 5 Monaten die Mischung durch die Zugabe von Weizenmehl, und das „välling“ wird mit dem Löffel gegessen, und vor dem „välling“ kann man dem Kind etwas Kartoffelbrei geben, ein paar Teelöffel. Oder „välling“ zur einen Mahlzeit und Kartoffelbrei zur anderen.309

Sie beschrieb jedoch nicht, ob sie diese Vorgaben zu Hause auch so umsetzte. Während die Rezepte der bäuerlichen Schicht relativ simpel waren, lässt ein Blick in die bürgerlichen Tagebücher die Komplexität der frühen Säuglingsernährung erkennen. Die Tagebücher von Otto K. waren voller Ernährungsexperimente. In kurzen Abständen wurden die Zusammensetzungen der Flaschenmilch verändert und verschiedene neue Elemente, wie Gemüse oder ähnliches, eingeführt. Dabei bewegte sich die Rezeptur teilweise eng am neuesten Stand der Wissenschaft. Ende der 1890er Jahre nutzte die Familie etwa einen Soxhlet-Apparat, um die Milchmischung zu sterilisieren. Beim letzten Kind wurde die Milch mit Salzsäure versetzt, was von einigen Kinderärzten um die Jahrhundertwende ausprobiert worden war. Sie nutzten zudem verschiedene teure, kommerzielle Produkte.310 Auch die rückblickenden Berichte von Gabrielle P., die ebenfalls einen recht hohen gesellschaftlichen Status genoss, zeigen diese unterschiedlichen Stadien der Ernährungsforschung. Während dem ersten Kind noch abgekochte Soxhlet-Milch gegeben wurde, wurde dieser Schritt beim zweiten Kind bereits nicht mehr gemacht, da sich die Erkenntnis durchgesetzt hatte, Soxhlet-Milch könne zu Rachitis führen, was auch in den normativen Quellen kritisiert wurde. Stattdessen wurde es „nach neuesten Gesichtspunkten (Dr. Lahmann) sehr vernünftig ernährt und gedieh sehr gut dabei“. 311 Dr. Lahmanns Milchmischung war eines der wenigen Rezepte, das rein auf Pflanzenbasis funktionierte und konnte 309 EU 51516 Mimmi G. (1960), S. 1/3 f., Ruth E.: ”150 gr vätska till varje kg. kroppsvikt. De första fem veckorna kan barnet inte äta så mycket. Det nyfödda barnet äter 10 till 15 gr. p. måltid, och då äter barnet 6 måltider, sen ökar man några gram varje dag. Vid femte veckan lägger man måltiderna till bestämda 5 per dygn, kl. 6, 10, 2, 6, 10, och fördelar mängden vätska på dessa 5. / Då barnet är 8 veckor ser man på vikten hur mycket man törs öka mängden vätska. / Blandningen för barn upp til 5 månader, är lika delar vatten och mjölk, och mängden vätska får aldrig vara mer än 200 gr. per måltid. / Socker 7 gr. el. en pågad tesked till 100 gr. vatten eller havre vatten. Vid barnets tredje eller fjärde månad kan man sätta till lite apelsinsaft med något socker. / Är barnet frisk och har god aptit vid 5 månader ökar man blandningen med tillsats av vetemjöl, och vällingen ätes med sked och före vällingen kan man ge barnet lite potatismos ett par teskedar. / Eller välling ena målet, och potatismos det andra samt flaska.“ 310 Vgl. Otto K., Kinderbuch Herbert K., 13. 02. 1899, S. 9. 311 Vgl. Gabrielle P., Lebensgeschichte (1965), S. 41.

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Abb. 26: Gemischtes Markenensemble aus Babyflaschen- und Kinderkostwärmer der Firma David + Baader, leerem Gläschen der Firma Hipp-Nahrung sowie Alete-Plastiklöffel und Alete-Gummimanschette (ca. 1980).

fertig zubereitet gekauft werden.312 Gabrielle P. hielt die Veränderungen zwar nicht so ausführlich fest wie Otto K., aber ihre Ausführungen zeigen ebenfalls die Veränderungen innerhalb der Kinderheilkunde sehr gut an. Sie folgte ihnen anscheinend auch relativ bereitwillig. In den Tagebüchern wurde schon in den frühen Beispielen berichtet, dass teilweise mit industrieller Nahrung zugefüttert wurde, wie z. B. Dr. ­Lahmanns vegetabile Milch oder Kufeke-Mehl, obwohl der Hauptteil der Kinder mit selbstzubereiteten, individuellen Mischungen versorgt wurde. Seit den 1940er Jahren wandelte sich dies jedoch deutlich. Wenn Flaschenmilch gegeben wurde, nannten die Eltern immer bestimmte Marken wie Alete oder Humana. Teilweise wurden die Marken allerdings auch gewechselt, wenn die Kinder Ernäh­rungsschwierigkeiten hatten. Nach dem Zweiten Weltkrieg bereitete niemand unter den TagebuchautorInnen die Nahrung mehr selbst zu.313 3 12 Vgl. Lahmann, Die diätetische Blutentmischung [1987]. 313 Vgl. Elisabeth B., Kindertagebuch, 30. 11. 1947, S. 4; Jürgen B., Annettes Tagebuch, 23. 04. 1960, S. 6.

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In der E ­ rnährungspraxis kam es wohl häufig zu Vermischungen verschiedener Marken, wie ein Objekt aus dem Deutschen Hygiene-Museum in Dresden zeigt, der Babyflaschen- und Kinderkostwärmer der Firma David + Baader (Abb. 26). Das Objekt enthält ein leeres Gläschen Hipp-Nahrung, aber auch einen AletePlastiklöffel und eine Alete-Gummimanschette, um das Glas heraus­zunehmen. In der zum Gerät gehörenden Broschüre ist der Kostwärmer mit einem HippGlas abgebildet.314 Welcher Stellenwert kam nun aber der Flaschennahrung in historischen Prozessen zu bzw. wie äußert sich die Rolle dieser Dinge in den Quellen? Wurden sie von den Zeitgenossen überhaupt wahrgenommen und wurde ihnen ein ­Effekt zuge­ schrieben? Viele der InformantInnen in den schwedischen Fragebögen konsta­ tieren bezüglich der Säuglingspflege insgesamt zu Anfang der 1960er Jahre eine deutliche, wenn auch wenig konkret formulierte Veränderung gegenüber dem Beginn des 20. Jahrhunderts. Die Veränderungen werden mit Worten wie „stor steg“ 315 (große Schritte), „stormsteg“ 316 (Riesenschritte), „mycket olika“ (sehr unterschiedlich)317 oder „helt annorlunda“ (ganz anders)318 beschrieben. Einige trauten es sich auch überhaupt nicht zu, Aussagen über die Säuglingspflege um 1960 zu machen, weil sich so viel verändert hatte. Jenny D. schrieb: „Heute ist es ganz anders mit den Kindern auf jede Art und Weise und darüber weiß ich so wenig.“ 319 Ähnlich argumentierte John Å., der meinte, die Entwicklung hätte „solche Riesenschritte“ gemacht, dass er sich nicht kompetent genug fühle, über die Gegenwart Auskunft zu geben.320 Darüber hinaus finden sich relativ neutrale Aussagen darüber, dass Flaschennahrung häufiger vorkomme und zudem leichter zuzubereiten sei. Nils H. berich­ tete: „Aufziehen mit der Flasche kam auch in meiner Kindheit vor, obwohl es nicht so gewöhnlich war wie heute.“ 321 Er fuhr fort zu erklären, wie genau die Flaschenmilch während seiner Kindheit hergestellt wurde und wie viele unterschiedliche Komponenten dafür benötigt wurden. „Heute kauft man allerdings 314 Eine weitere derartige Produktmischung findet sich in Objekt DHMD 2000/428.1, eine Kombination aus einer Flasche von Schott Mainz mit Humana-Aufdruck und einem NUK Sauger, ca. 1980. 315 EU 51489 John G. Å. (1960), S. 1. 316 Ebd., S. 7. 317 EU 51537 Signe F. (1960), S. 24. 318 EU 51503 Jenny D. (1960), S. 3 f. 319 Ebd., S. 3 f. 320 EU 51489 John G. Å. (1960), S. 7. 321 EU 51638 Nils H. (1960), S. 6: „Uppfödning med flaska förekom i min barndom fast det inte var så vanligt som nu.“

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im Allgemeinen fertige Kindernahrung in der Dose.“ 322 Sigrid S. erklärte ebenfalls: „Kindernahrung gibt es jetzt in Dosen und daher ist es einfacher, die Ernährungsfrage für Säuglinge zu klären.“ 323 Viele waren dieser Entwicklung gegenüber neutral bis positiv eingestellt. Mimmi G., die ein großes Wissen über die sozialhygienische und -pädiatrische Entwicklung in ihren Berichten an den Tag legte, äußerte sich besonders enthusiastisch: Milchnahrung aus dem Paket ist gut und enthält alle benötigten Nährstoffe und Vitamine. Eine Milchnahrung heißt Semper und ist gut, soweit ich weiß, sie ist so zusammengesetzt, dass nur noch Wasser zugegeben werden muss, und es muss dann nur auf die Füttertemperatur gebracht werden, und auf dem Paket steht, wie man vorgehen muss, und es gibt einen Maßbecher in jedem Paket, zudem ist angegeben, je nach Alter, wie viel gebraucht wird.324

Ein komplizierter Prozess, der viel Erfahrung brauchte, wurde durch eine einzelne Packung Semper ersetzt, so legt es die Autorin nahe. Diese Aussage deutet auch darauf hin, dass sich das Wissen um die Säuglingsnahrung verändert hatte. Statt einen Arzt zu fragen, könnten Mütter die Nahrung anwenden, indem sie schlicht eine Packung kauften (vgl. Abb. 22 und 23). Mimmi G. war der Meinung, dass es den Kindern noch nie so gut gegangen sei wie um 1960, wo es eine „ganze Industrie“ gebe, die sich der Herstellung von Säuglingsnahrung widme und somit jungen Müttern oder Müttern von mehreren Kindern die Arbeitszeit verkürze.325 Aber auch andere Faktoren sah sie als entscheidend an für den guten Zustand der Kinder: Es hat wohl nie so pflegeleichte, zufriedene, ruhige Kinder wie heute im Jahr 1960 gegeben, mit Informationen für Mütter über die richtige Kinderpflege, die sie verstehen und denen sie folgen, zusätzlich bekommen sie Kindergeld zur Unterstützung des Haushalts […]. Nährende Kindernahrung, schnell zubereitet.326 3 22 Ebd., S. 6: ”Numera brukar man i allmänhet köpa färdig barnmat på burk.“ 323 EU 51467 Sigrid S. (1960) S. 2/4: ”Barnmat finns på burkar så nu är det nog lättare att ordna matfrågan åt spädbarn.“ 324 EU 51516 Mimmi G. (1960), S. 1/5: ”Vällingen på paket är bra och innehåller alla de näringsamnen och vitaminer som behövs. En välling en heter Semper, och är bra som jag vet, den är sammansatt så att endast vatten behövs sättas till, och den behövs endast värmas till ättemperatur, och på paketen står tryckt hur man ska förfara, och ett mätningsmått finns i varje paket, samt är det angivet efter ålder hur det ska vara.“ 325 Ebd., S. 2/9: ”Det finns full industrie för tillverkning av barnmat. […] Med tanke på vad som i nuvarande tid finns att köpa för att förkorta arbetstiden för nyblivna mödrar och för flerbarnsmammor är det ingen jämförelse värt.“ 326 Ebd., S. 2/4: ”Det har väl aldrig funnits så lättskötta, nöjda, lugna barn som nu, då vi är inne på år 1960, med upplysning för mammor om rätt barnavård, och dessa inser och följer

Das Verhältnis von Familie und GesundheitsexpertInnen  |

Dieses Zitat bündelt sehr anschaulich meine unterschiedlichen Fragestellungen: Es zeigt, dass trotz aller Fortschritte die Mütter Hauptverantwortliche für die Säuglingspflege und -ernährung blieben. Die Zufriedenheit und das Wohlbefinden des Säuglings genossen um 1960 in der Beschreibung einen hohen Status. Außerdem wird deutlich, dass auch „außenstehende“ Akteure an den Veränderungen in der Säuglingspflege beteiligt waren. Hier werden die Sozialpolitik mit dem Kindergeld, die Mediziner und Fürsorger mit ihren Aufklärungskampagnen sowie die Industrie genannt. Ein anderer Informant sah die Entwicklung hingegen (zivilisations) kritisch und überlegte, ob es die Kinder nicht vielleicht um 1960 „zu gut“ hatten.327 Zwischenfazit

Das Unterkapitel konnte zeigen, dass die Medikalisierung und Institutionalisierung der Säuglingspflege und -ernährungspraktiken während des 20. Jahrhunderts von den Eltern insgesamt begrüßt wurden und sie die meisten Handlungsanleitungen annahmen und umzusetzen versuchten. Es gab jedoch eine Phase in den 1920er bis 1930er Jahren, in der „Erfahrungswissen“ und „traditionelles“ Wissen gleichzeitig bestanden. Die Ernährung veränderte sich dabei von einer sehr diver­ sen Praxis, die je nach traditionellen Vorgaben und Klassenzugehörigkeit sehr unterschiedlich ausfiel, hin zu einer standardisierten Ernährungsform seit den 1950er Jahren. Des Weiteren konnte ich zeigen, dass die Praktiken weniger „wissens-“ als „anweisungsgeleitet“ waren. Die meisten Eltern reflektierten nicht über die Wissensgrundlagen, aufgrund derer sie ihre Kinder ernährten oder pflegten. In Bezug auf das Verhältnis von ExpertInnen und LaiInnen zeigt sich, dass generell der Transfer von wissenschaftlichem Wissen in den Haushalt funktionierte, wenn teilweise auch mit Verzögerung. Bestimmend für die Rezeption der Vorgaben war vor allem die räumliche Nähe. Dies zeigen die schwedischen Fragebögen sehr deutlich. Waren „weise Frauen“, die Abhilfe bei Krankheiten versprachen, leichter zu erreichen, wurden sie aufgesucht. Nachdem die medizinische Vorsorge institutionalisiert und ausgebaut worden war, nahmen die Mütter diese Angebote wahr. Die deutschen Tagebücher zeigen beispielhaft, dass BürgerInnen schon früher Zugang zu Ärzten und deren Unterstützung nutzten. Außerdem zeigt sich, dass die wenigsten sich auf eine einzige Informationsquelle beschränkten. Gerade für die alltägliche Unterstützung waren weibliche Verwandte und – die von der Ratgeberliteratur in der ersten Hälfte des Jahrhunderts dämonisierten – Großmütter wichtige Helferinnen. Die Art und Weise, wie die Ernährung mit anvisningen samt har barnbidrag till familjens ekonomi […]. Närende barnmat, fort tillagat.“ 327 EU 51482 J. V. L. (1960), S. 8.

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anderen Substanzen als Muttermilch durchgeführt wurde, veränderte sich im Verlauf des 20. Jahrhunderts deutlich und kann bzw. muss als Zusammenspiel von Normierung, Standardisierung und Individualisierung gelesen werden.

3.4 Fazit: Inkorporationen und Resistenzen Anhand der Selbstzeugnisse konnte gezeigt werden, dass zwischen den normativen Vorgaben und deren praktischer Umsetzung teilweise große Unterschiede bestanden. Besonders auffällig war dies in Bezug auf die Konzeption des Säuglings, der in den normativen Quellen erst ab den 1960er Jahren als Subjekt mit eigenen Bedürfnissen dargestellt wurde, während die Säuglinge von den Tagebuchschreibern und Tagebuchschreiberinnen und InformantInnen während des gesamten 20. Jahrhunderts als individuelle und vergeschlechtlichte Persönlichkeiten im Schreibprozess beschrieben wurden. Wie Christoph Neumaier zuletzt in Bezug auf die Familie argumentierte und wie auch anhand des vorliegenden Quellenmaterials deutlich wird, vollzog sich „gesellschaftlicher Wandel nur graduell“ und „alte Ideale und Praktiken [verloren] nie komplett ihre Gültigkeit“.328 Für die normativen Quellen war es anscheinend unerheblich, ob sie an männlichen oder weiblichen Säuglingen forschten. Auf die Ernährungspraktiken schien sich das Geschlecht des Säuglings ebenfalls nicht direkt auszuwirken, zumindest nicht in einem Maße, dass darüber in den Egodokumenten reflektiert wurde. Was sich hingegen veränderte, war, wie Eltern „expressions of agency“ des Säuglings begeg­ neten. Hier hatte die Einführung des Ernährungsschemas einen Bruch herbeigeführt, der bis weit in das 20. Jahrhundert hinein die Interaktion zwischen Eltern und Kindern in der Ernährung prägte. Die Entwicklung des Säuglings entsprechend herrschender Normen war für die Eltern sehr wichtig als Marker ihrer eigenen Erziehungsleistung. Die Ernährung und die Gewichtszunahme waren dabei zentrale Aspekte, die sich auch auf das Verhältnis zwischen Müttern und Vätern auswirkte. Da die Ernährung an der Brust als Norm anerkannt wurde, war es wichtig, dass die Mütter diese Ernäh­ rungsform durchführen konnten. Dadurch waren sie auch „natürlich“ diejenigen, die zu Hause blieben, sich um die Kinder und auch um den Haushalt kümmerten, obwohl dieser Zusammenhang kaum explizit hergestellt wurde. Auf eine Abweichung von der Stillnorm wurde zumeist mit Sorge reagiert. Ernährung mit der Flasche musste immer durch einen legitimen Grund abgesichert werden.

328 Neumaier, Familie, S. 20.

Fazit: Inkorporationen und Resistenzen  |

Die Väter beteiligten sich während des gesamten 20. Jahrhunderts als Unterstützer an der Säuglingspflege und -ernährung. Dabei nahmen sie jedoch häufig eine als „männlich“ konnotierte Position ein, entweder als wissenschaftlicher Beob­achter oder als „Freizeitvater“. Ihre Beziehung zum Säugling wurde nie als gleichermaßen natürlich dargestellt wie die der Mutter. Entgegen den normativen Quellen waren Väter auf diese Weise jedoch während des gesamten 20. Jahrhunderts involviert und nicht erst in den 1950er Jahren, als sich Ratgeber erstmals für Väter interessierten oder in den 1970er Jahren, als auch die Sozialwissenschaften und die Medizin auf die Rolle der Väter aufmerksam wurden. In den Selbstzeugnissen wird zudem erstmals deutlich, dass die Familie und die Säuglingsernährung nicht nur von der Mutter oder höchstens noch dem Vater ­besorgt wurde, sondern weitere Akteure dazu beitrugen, dass die Säuglinge gefüttert und versorgt wurden. Das Hauspersonal, das in bürgerlichen und großbäuerlichen Haushalten zur Verfügung stand, darf hier in seiner Bedeutung nicht unterschätzt werden. Auch das „milk sharing“ zwischen Müttern ist ein interessanter Punkt, der so in den normativen Quellen nicht sichtbar war. Es stellte eine alternative Form der Säuglingsernährung dar, um nicht auf die Flasche zurückgreifen zu müssen. Schließlich konnte anhand der Egodokumente gezeigt werden, dass die Gesell­schaft allgemein und die Säuglingsernährung im Speziellen im Verlauf des 20. Jahrhunderts medikalisiert und standardisiert wurde. Während es zu Beginn des Jahrhunderts noch eine große Bandbreite an unterschiedlichen Ernährungspraktiken gab, reduzierten sich diese am Ende des Untersuchungszeitraums auf Stillen an der Brust oder industrielle Flaschennahrung aus dem Paket, die mit Hilfe einer Glasflasche mit Gummisauger verabreicht wurde. Dabei erscheint Medikalisierung bzw. medizinisches Wissen nicht als Zwang, sondern als eine Veränderung, die von Müttern angenommen und teilweise gegenüber anderen Informationsquellen und Wissensformen sogar präferiert wurde. Es war vielmehr eine Frage der Erreichbarkeit von Informationen, die Eltern dazu brachte, sich etwa an „weise“ Frauen zu richten. Eltern waren in der Lage, zwischen verschiedenen Wissensformen zu wechseln und diese in ihren Praktiken zu kombinieren, wenn sie zum gewünschten Ergebnis führten. In Bezug auf das Wiegen des Kindes zeigte sich jedoch auch, dass die Medikalisierung und Normierung einen ungewollten Effekt haben konnte und mehr Ängste und Sorgen verursachte, als beabsichtigt war. Durch das Wiegen sollte eigentlich garantiert und kontrolliert werden, ob sich das Kind normal entwickelte. Dies konnte dazu führen, dass Mütter früher aufhörten zu stillen, was wiederum eigentlich nicht gewünscht war. Erstaunlicherweise stellen sich die Unterschiede zwischen Deutschland und Schweden weniger groß dar als in den vorherigen beiden Kapiteln. Vor allem die zeitlichen Verschiebungen lassen sich hier kaum nachvollziehen. Die Stoßrichtung

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der normativen Entwicklung ähnelte sich wahrscheinlich auch zu sehr, als dass sich auf Ebene der langlebigen Praktiken große Differenzen hätten auftun können, weil sich einige Praktiken als sehr zählebig darstellten, wie etwa die Arbeitsteilung zwischen Müttern und Vätern. Diese konnte auch durch die frühere Einführung des Elternurlaubs in Schweden nicht überwunden werden und stieß bei einigen InformantInnen zudem nicht auf Gegenliebe. Wichtiger als die Unterschiede zwischen den Ländern für die Annahme neuer Wissensbestände und Praktiken waren – so legten die Egodokumente nahe – Geschlechterdifferenzen, aber auch soziale Differenzen. Während die bürgerliche, urbane Bevölkerung sich in beiden Ländern schnell medizinisches Wissen aneignete, dauerte dies in der ländlichen, bäuerlichen Gesellschaft deutlich länger. Die Flaschennahrung als Akteur und ihre Bedeutung für Ernährungspraktiken ist ebenfalls weniger prominent als in den vorherigen beiden Kapiteln. Das Potential, das sie bot, wie größere Freiheit der Mutter oder Einbeziehung des Vaters und anderer Familienmitglieder, wurde von den Schreibenden nur sehr selten auch so beschrieben. Vielmehr schrieben sich die AutorInnen in den hegemonialen Stilldiskurs ein, der diese Ernährung als bessere und richtige Ernährungsform positionierte. Wenn die Flasche genutzt wurde, wurden die Gründe entweder nicht näher beschrieben oder über körperliche und damit legitime Gründe ­erklärt. Nur eine Frau in dem hier zugrunde liegenden Quellensample bekannte sich offen dazu, froh darüber zu sein, nicht mehr stillen zu müssen, und so auch die Ernährungsaufgabe mit ihrem Mann teilen zu können. Dass die Flasche Müttern größere „Freiheit“ eröffneten, war zumeist eine Zuschreibung. Die häufig geäußerte Kritik von Kinderärzten und SozialhygienikerInnen, zu Beginn des Jahrhunderts, Frauen würden aus „Bequemlichkeit“ oder anderen egoistischen Gründen nicht stillen, erweist sich anhand des vorliegenden Materials ebenfalls als Zuschreibung. Die Kritik der StillbefürworterInnen seit den 1960er und 1970er Jahren hingegen, die „Medikalisierung“ des Stillens, wie das Wiegen und das Ernähren in regulierten Abständen, habe zu großen Problemen geführt, wirkt hingegen durchaus plausibel nach Analyse dieser Egodokumente. Abschließend lässt sich festhalten, dass es – wie Michael Stolberg ausgeführt hat – in Säuglingsernährungspraktiken vor allem darauf ankam, was funktionierte und was nicht funktionierte. Eltern waren durchaus in der Lage, medizinisches Wissen zu inkorporieren sowie Entscheidungen zu treffen, die den normativ gesteckten Rahmen überschritten und auf Erfahrung zurückgriffen. Ernährungspraktiken mit der Flasche veränderten sich zwar entlang der durch medizinische, psychologische, industrielle und staatliche Akteure abgesteckten und historisch spezifischen Leitlinien, waren dabei aber individuell und situationsabhängig anpassbar.

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Fazit Wissen – Dinge – Praktiken: Transformationen des Flaschenkindes im Verlauf des 20. Jahrhunderts Die Fokussierung auf das titelgebende Flaschenkind hat es mir erlaubt, die ­Geschich­te der Familie nicht nur über fast 100 Jahre zu verfolgen, sondern auch zwei Länder und ihr Verhältnis zum Säugling vergleichend zu untersuchen. Durch diesen Zuschnitt wurde es möglich, komplexe gesellschaftliche Zusammenhänge zu analysieren und heuristisch zusammenzuführen. Die Arbeit konnte zeigen, wie wichtig Säuglingsernährung für die Aushandlung von Familienbeziehungen und das Zusammenleben von Eltern und Säuglingen in Deutschland und Schweden war, welche Unterschiede sie jeweils produzierte und welche neuen Praktiken sie ­anstieß. Entlang der übergreifenden Themenbereiche Wissen, Dinge und Praktiken sollen die Ergebnisse der Arbeit hier zusammenfassend besprochen und reflektiert werden. Die Zusammenschau werde ich mit kurzen Ausblicken auf die Situation im frühen 21. Jahrhundert verbinden.

Wissen: Säuglingskörper und Flaschennahrung Die Akteure, die Flaschennahrungswissen produzierten, die Produktionsräume sowie die Bezugsgrößen und Referenzwissenschaften veränderten sich im Laufe des 20. Jahrhunderts deutlich. Sie wurden nicht nur vielfältiger, ihr Verhältnis zum Flaschenkind und zueinander wandelte sich ebenfalls schrittweise. Im folgenden Teil der Zusammenfassung werde ich mich auf die Modellierung des Säuglingskörpers und die Produktion von Ähnlichkeit zwischen Flaschennahrung und Muttermilch konzentrieren. Diese beiden Aspekte haben sich im Verlauf der Arbeit als zentrale Treibriemen der beobachteten Veränderungsdynamiken ­erwiesen. Ich werde jeweils herausstellen, welche dominanten Wissensformen sich herauskristallisierten. Vorab lässt sich bereits festhalten, dass Erfahrungswissen bei allen AkteurInnen über den gesamten Zeitraum – zumeist implizit – eine entscheidende Rolle spielte. Der fragmentierte Säuglingskörper – ca. 1850 – 1906: Im 19. Jahrhundert lieferten Anatomie, Pathologie und Chemie, aber auch populäre Wissensformen wie die Hygiene, den Anstoß, den Säuglingskörper als fundamental unterschiedlich vom Erwachsenenkörper zu begreifen und diesen Unterschied mit der Ernährung bzw. dem Verdauungsapparat des Säuglings zu korrelieren. Ernährungsforschung und

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Pädiatrie zergliederten den Säuglingskörper seit Mitte des 19. Jahrhunderts dann systematisch und schufen erstmals Normen speziell für den Säuglingskörper und seine Ernährung. So konnte die Ernährung eine zentrale und ihrerseits modifizierbare Stellschraube in der Erforschung und Normierung dieser Altersgruppe werden. Die wissenschaftliche Forschung entwarf den Säugling eher als Objekt denn als Subjekt. Die erste Akteursgruppe, die Wissen um den Säugling produzierte, waren Kinder­ärzte und Bevölkerungsstatistiker. Durch die Zusammenarbeit von Pädia­ trie und Bevölkerungsstatistik wurde die Säuglingsernährung in Schweden ­bereits um 1800, in Deutschland erst um 1900 in ein Problem von staatspolitischer Tragweite übersetzt, was wiederum die Forschung am Säuglingskörper und seiner Ernährung beförderte. Anhand des durch Justus von Liebig geprägten Modells der Ernährung fokussierte die Forschung zunächst darauf, die Nahrung den drei großen Nährstoffgruppen entsprechend – Kohlenhydrate, Eiweiße und Fette – an die Muttermilch anzugleichen. So entstanden Rezepte, die auf Kuhmilch basierten und äquivalente Mengen der bekannten Stoffgruppen zur Muttermilch aufwiesen. Dieses Wissen um den kindlichen Körper und seine Ernährung, das in Universitäten, Kliniken und Laboren von männlichen Experten produziert wurde, dominierte in den folgenden fünf Jahrzehnten das Körperbild und den Ernährungsdiskurs. Wissenschaftliche Forschung und staatliche Interessen überlagerten sich in dem Anliegen, die Säuglingssterblichkeit zu senken. Die Pädiatrie etablierte sich als universitäres Fach – in Schweden bereits Mitte des 19. Jahrhunderts, in Deutschland dann Ende des 19. Jahrhunderts. Dennoch bleibt festzuhalten, dass Erfahrungswissen durchgehend eine große Rolle spielte, denn auch die medizinischen und anderen wissenschaftlichen ExpertInnen beriefen sich in ihren Argumentationen und Legitimationen immer wieder auf ihre persönlichen Erfah­ rungen als Wissensressource. Justus von Liebig, der das erste weitläufig bekannte Rezept für Flaschennahrung anfertigte, gab als Beweggrund an, dass er seinem Enkelkind helfen wollte, welches nicht gestillt werden konnte. Der psychosomatische Säuglingskörper – 1906 bis ca. 1930: Die nächste Phase wurde vom Säugling als psychosomatischem Körper geprägt. Er wurde als „reizbare Maschine“ (Sarasin) imaginiert, bei der Nerven und Magen-Darm-Trakt im Gleichgewicht gehalten werden mussten, da sie direkten Einfluss aufeinander hatten. Die Normierung des Säuglingskörpers setzte sich fort, wurde aber auf andere Bereiche der Ernährung bezogen. Die Art und Weise, wie der Säugling Nahrung aufnahm, wurde wichtiger. Das klinisch produzierte Wissen, sein Magen müsse sich erst entleeren, bevor neue Nahrung zugesetzt werden konnte, wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts in die Handlungsanleitung übersetzt, den Säugling nur zu bestimmten Zeiten zu füttern. Dabei kam erstmals auch die psychische

Wissen: Säuglingskörper und Flaschennahrung  |

Gesundheit des Säuglings in den Fokus der Akteurinnen und Akteure, die nun ebenfalls geschützt und kontrolliert werden musste. Dass der Säugling eine Psyche hatte, die jedoch vorrangig als körperlich bedingt verstanden wurde, setzten die Autoren als Gemeinplatz voraus. Sie rekurrierten nicht explizit auf Experten oder Wissensbestände, die aus der wissenschaftlichen Psychologie stammten. In dieser Phase kamen keine neuartigen Rezepturen auf den Markt, die sich durchsetzten. Nach wie vor herrschte Uneinigkeit darüber, wie genau die größtmögliche Ähnlichkeit zwischen Muttermilch und Flaschenmilch hergestellt ­werden konnte. Der einzige Weg wurde darin gesehen, die Vereinheitlichung zu vernachlässigen und die Nahrung individuell an den jeweiligen Säugling anzupassen. Diese Anpassungen konnten wiederum nur die erfahrenen pädiatrischen Exper­ten regelkonform durchführen. Vermehrt seit Beginn des Jahrhunderts ­kamen daher Institutionen hinzu, die sich der Aufklärung und Kontrolle von Müttern und Säuglingen widmeten und Milchmischungen an Mütter ausgaben. Diese Institutionen waren gleichermaßen Rezipienten neuer Wissensbestände aus der universitären Forschung und Produzenten neuen Wissens um die Praktiken der Bevölkerung. Sie lieferten nämlich neues statistisches Material, mit dem Pädia­ter und SozialfürsorgerInnen für den Ausbau ihres Feldes plädieren konnten. Wiederum kam das Erfahrungswissen der Kinderärzte als Begründungszusammenhang ins Spiel. Czerny und Keller empfahlen die Ernährung in bestimmten Zeitabständen nicht nur, weil ihre Forschungsergebnisse dies erforderten, sondern auch, weil sie auf Säuglingsstationen und in Kinderheimen die Erfahrung gemacht hatten, dass die Säuglinge ruhiger waren, wenn sie in festgelegten Abständen ­ernährt wurden. Der Individualisierung in der Nahrungszusammensetzung stand eine Normierung und Taktung der Ernährungshäufigkeit gegenüber. Die wichtigste Prämisse dieser Phase war, den psychosomatischen Körper nicht mit Nahrung oder menschlichen Kontakten zu überlasten. Der kindliche Körper könne am besten gedeihen, wenn er nur in bestimmten Abständen ernährt und ansonsten in Ruhe gelassen wurde. Da dies sowohl an der Brust als auch mit der Flasche gemacht werden sollte, wurde die Ähnlichkeit zwischen Brust und Flasche in dieser Phase vor allem über die Ernährungspraktiken produziert. Der Säugling sollte nur in geregelten Abständen ernährt werden, um sich so früh wie möglich an die gesellschaftliche Zeitordnung gewöhnen zu können. Auch die Mütter wurden so dazu angehalten, ihren Alltag zu strukturieren. In den Ernährungspraktiken lässt sich somit die fordistische Logik des frühen 20. Jahrhunderts wiedererkennen, es begann eine Phase des „Taylorismus in der Kinderstube“ (Miriam Gebhardt). Diese Praktiken sollten dazu führen, dass der Säugling gedeihen und zu einem Mitglied der industrialisierten, hierarchisch strukturierten Gesellschaft heranwachsen konnte.

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Der ganzheitliche Säuglingskörper – ca. 1930 bis 1950: Die nächste Phase war durch ein ganzheitliches Körpermodell des Säuglings als Teil eines größeren imaginierten Gemeinwesens geprägt. Der Säugling wurde nun zeitweilig wieder „zusam­mengesetzt“ und als gesamter Organismus betrachtet. Die Ernährung wurde nun als Teil eines komplexen Verdauungsprozesses untersucht. Dementsprechend verlagerte sich der Fokus darauf, eine Flaschenmilch zu produzieren, die der Verdauung von Muttermilch gleichkam und nicht mehr vorrangig der chemischen Zusammensetzung von Muttermilch. Dies wurde erreicht, indem ganz neue Stoffe in die Flaschennahrung eingebracht wurden, etwa die Zitronensäure. Der G ­ eschmack von Flaschen- und Muttermilch wurde dadurch zwar unterschiedlicher, aber diese Differenz ließ sich vernachlässigen. Die Säuerung der Flaschenmilch war ebenfalls das Ergebnis eines Prozesses, der auf Erfahrungswissen aufbaute. Kinderärzte bezogen sich auf die guten Erfahrungen, die die niederländische Bevölkerung schon seit Jahrhunderten mit der Buttermilchernährung gemacht hatte. Diese Erfahrung wurde klinisch geprüft und in wissenschaftliches Wissen übersetzt. Erstmals meldeten sich außerdem auch weibliche Expertinnen erfolgreich in der Säuglingsernährung zu Wort, die ihre Erfahrung als Mütter in den Mittelpunkt ihrer Legitimierungsstrategie stellten. Die nationalstaatlichen Utopien dieser Zeit bündelten sich jeweils in den Metaphern der Volksgemeinschaft in Deutschland sowie des folkhem in Schweden. Die Umsetzung dieser Ideen musste bereits im Säuglingsalter beginnen; sowohl physische als auch psychische Gesundheit waren die Grundlage eines gesunden „Volkskörpers“ bzw. „Menschenmaterials“ („människomaterial“). Diese Utopien beflügelten ein holistisches und organisches Körperbild. Die unterschiedlichen Gesellschaftsentwürfe führten dazu, dass sich die Herangehensweise an den Säuglingskörper in Deutschland und Schweden aufzugliedern begann. Das Wissen, dass der Säugling zwischen den Mahlzeiten vor allem Ruhe brauchte, hatte sich in Deutschland während des Nationalsozialismus zu einer Gewissheit verdichtet. Er musste nun auf die Minute genau ernährt werden und zwar möglichst an der Mutterbrust, um ein „gesunder“ Teil des deutschen „Volkskörpers“ zu werden. In Schweden gelangte durch inter-skandinavische Diskurse sowie eine Annä­ herung an die USA in den 1940er Jahren vermehrt psychologisches Wissen in den Diskurs um Säuglingsernährung und Säuglinge. Der Ratgeberdiskurs in der schwedischen Normalisierungsgesellschaft entwarf teilweise schon einen Säugling, der sich selbst und seine Ernährung regulierte, und der nicht anhand eines normativen Schemas ernährt werden sollte. Hier gab es erste Ansätze, aber der normierte Körper dominierte weiterhin und wurde erst in den 1950er Jahren langsam verdrängt. Psychologische Wissensbestände wurden seit Ende des

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Zweiten Weltkrieges auch in Deutschland wichtiger. Hier bestimmte jedoch medizinisch-klinisches Wissen als hegemoniale Form noch bis in die 1960er Jahre den Diskurs. Der fühlende Säuglingskörper – ca. 1950 bis Mitte der 1960er Jahre: Die 1950er und frühen 1960er Jahre waren eine Phase, in der mehrere Wissensregime nebeneinander standen und teilweise miteinander konkurrierten. In beiden Ländern wurde es jedoch wichtiger, den Säugling und seine Emotionen ernst zu nehmen – er wurde langsam in einen fühlenden Körper umgedeutet. Nachdem anhand neuer Statistiken über das Verhältnis von Flaschenernährung und Brusternährung deutlich wurde, dass es kaum noch körperliche Unterschiede zwischen beiden Säuglingskörpern gab und auch die Sterblichkeit von Flaschenkindern nur noch geringfügig höher war, setzte die Sorge um die psychische Entwicklung des Kindes ein. Eine neue Generation von ExpertInnen verschaffte sich Gehör und erklärte die Bedürfnisse des Kindes und die Individualisierung seiner Ernährung zur neuen Maxime der Säuglingspflege. Hierzu beriefen sie sich auf Studien, die vor allem in den USA angefertigt wurden. Psychologisches Wissen und kinderzentrierte Erziehung, durch Benjamin Spock in beiden Ländern zu Prominenz gebracht, wurden zunehmend auch von anderen ExpertInnen als legitime Wissensbestände angesehen. Die neue Fokussierung auf die Gefühle des Kindes führte dazu, dass sich die Ernährung nicht mehr so stark an einem vorgegebenen Zeitregime orientierte. Das Füttern sollte zwar immer noch in gewissen Abständen erfolgen, diese konnten jedoch vom Säugling vorgegeben (in Schweden) oder weniger rigide eingehalten werden (Deutschland). Damit begann eine Flexibilisierung der Ernährungspraktiken und eine explizite Abgrenzung zum normierten Körperbild, die die Abkehr vom „tayloristischen“ Säuglingskörper einleitete. Der Säugling sollte nun nicht mehr völlig in Ruhe gelassen werden, wenn er nicht gerade Nahrung bekam, sondern auch zwischendurch mit Liebe bedacht werden. Erstmals waren es zudem nicht nur die Mütter, die hier agierten, sondern auch Väter wurden wichtiger, um liebende Kinder und Erwachsene heranzuziehen. Die späten 1940er und 1950er Jahre zeigen in Deutschland und Schweden zunächst gegenläufige Prozesse in Bezug auf das Ernährungswissen und die Herstellung von Flaschennahrung. In Deutschland wurde der Versuch unternommen, die Ähnlichkeit zwischen Muttermilch und Flaschenmilch auf noch kleinerer, chemischer Ebene zu erreichen. Die Nährstoffgruppen waren seit Beginn des Jahrhunderts in kleinere Bestandteile aufgegliedert worden und auch diese Mikrostoffe galt es nun nachzuahmen. In Schweden war es hingegen das erklärte Ziel, eine Nahrung zu finden, die kostengünstig und einfach zuzubereiten war, wohingegen deren mikro-chemische Zusammensetzung für weniger zentral erachtet wurde. Im Verlauf der 1950er Jahre schlug – beeinflusst durch die Wissensproduktion in immer

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größer werdenden spezialisierten Forschungsgruppen – aber auch der schwedische Markt den deutschen Weg ein und „humanisierte“ seine Säuglingsnahrung. Schon durch die Bezeichnung der „humanisierten“ Flaschenmilch sollte die große Ähnlichkeit zwischen menschlicher und industrieller Nahrung evoziert werden. Der selbstregulierte Säuglingskörper – ca. Mitte der 1960 bis Mitte der 1980er Jahre: Seit Mitte der 1960er Jahre war dann der Wandel hin zum selbstregulierten Säuglingskörper vollständig vollzogen. Der Säugling war schließlich selbst in der Lage zu bestimmen, wie häufig und wie lange er trinken wollte – auch dies war sowohl an der Brust als auch mit neuen Produkten durch die Flasche möglich. Psychologisches Wissen war zur dominierenden Wissensform geworden, die sich auf die Ernährung des Säuglings und seinen Körper auswirkte. Dass Mutter und Kind eine Einheit während des ersten Lebensjahres bilden sollten, wurde Common Sense und nur noch selten hinterfragt. Somit setzte sich auch die Anweisung durch, den Säugling immer dann zu ernähren, wenn er Hunger anmeldete. Es wurden nicht mehr nur Experimente durchgeführt, die sich auf die Verdauung oder die Vermessung des kindlichen Körpers bezogen. Stattdessen wurde es wieder wichtiger, sein Verhalten zu erforschen und die Pflege und Erziehung an diesen Beobachtungen auszurichten. Studien, die zunehmend nicht mehr nur an Säuglingen, sondern auch an jungen Säugetieren durchgeführt wurden, lieferten ­Beweise für die Bedeutung von Körperkontakt für eine gesunde Entwicklung des Kindes. Der Säugling wurde vom Objekt der Forschung und Sorge nun endgültig in ein trinkendes, fühlendes, handelndes Subjekt umgedeutet. Er und sein Körper passten sich somit in den neuen „post-tayloristischen“ Gesellschaftsentwurf ein. Diese wissenschaftlichen Erkenntnisse wurden zudem durch die Erfahrung von Frauen bestätigt, die andere Mütter dazu bewegen wollten, ihr Kind zu stillen. Fortschritte der Pädiatrie wurden häufig als Fluch und Segen zugleich beschrieben, denn sie hatten zwar dazu geführt, dass die Sterblichkeit sank, aber auch dazu, dass die Mutter-Kind-Beziehung gestört und das Stillen entnaturalisiert worden war. StillaktivistInnen übten Kritik an den regulierten und fragmentierten Säuglingskörpermodellen der vorausgegangenen Jahrzehnte und wollten „zurück“ zu einer natürlichen Ära, der Zeit, bevor der Kinderkörper von männlichen Medizinern vermessen und normiert worden war. Das Wissen und die Praktiken von vermeintlich „primitiven“ und „unzivilisierten“ Frauen des Globalen Südens wurden als neues Vorbild herangezogen. Dies war einer der Gründe, warum StillaktivistInnen und andere „westliche“ AkteurInnen, die der modernen, technisierten Massenkonsumgesellschaft kritisch gegenüber standen, den Blick auf die Verhältnisse im Globalen Süden richteten. Dieser wurde als neuer Raum der Wissensproduktion erschlossen, wo nun „schwarze“ Säuglinge und Mütter zu Forschungsobjekten wurden. All diese Faktoren trugen dazu bei, Stillen seit Ende der 1970er Jahre wieder

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zur eindeutig präferierten Ernährungsform zu machen – sowohl in der Pädiatrie als auch in der öffentlichen Meinung. Erstmals wurde diese Präferenz 1981 auch in einer internationalen Richtlinie der Weltgesundheitsorganisation festgehalten. War die Erforschung des Säuglingskörpers und seiner Ernährung zu Beginn des Jahrhunderts der zentrale Antrieb für die Entwicklung der Pädiatrie und hatte große Teile der medizinischen Handbücher gefüllt, so wird die Ernährungsfrage in Handbüchern des 21. Jahrhunderts auf durchschnittlich anderthalb Seiten abgehandelt.1 Die Flaschennahrung ist innerhalb der Pädiatrie geradezu eine Marginalie geworden. Der populäre Diskurs um die „richtige“ Ernährungsform wurde jedoch in den letzten zehn Jahren kaum weniger hitzig geführt als zu ­Beginn des Jahrhunderts oder in den 1970er Jahren. Erst im Frühjahr 2015 brach in den populären Informationsmedien wieder eine Diskussion um die Bedeutung von Muttermilch für die Intelligenzentwicklung des Kindes aus. Dieser Streit zeigt zum einen, wie wichtig die Ernährungsfrage weiterhin ist und dass sie noch lange keine „Privatsache“ darstellt. Zum anderen verdeutlicht die Diskussion, dass nicht mehr nur das körperliche und psychische Wohlbefinden, sondern auch die kogni­ tiven Fähigkeiten des Säuglings wichtiger geworden sind. Die Fokussierung auf Intelligenz zeigt an, dass Stillen heute nicht mehr vorrangig das Kind gesund durch das erste Lebensjahr bringen, sondern ihm direkt einen Vorteil gegenüber anderen Kindern verschaffen soll – eine Denkweise, die sich passgenau in die Logiken des neoliberalen, auf Optimierung der Lebensgestaltung ausgerichteten Gesellschaftsmodells des frühen 21. Jahrhunderts einfügt. Jüngere soziologische Studien haben gezeigt, wie hoch der Druck in dieser Konstellation auf junge Mütter geworden ist, ihr Kind zu stillen. Nachdem das 20. Jahrhundert das Jahrhundert des „Flaschenkindes“ war, sieht es seit der Jahrtausendwende so aus, als könnte das 21. Jahrhundert wieder zum Jahrhundert des „Brustkindes“ werden.

Dinge: Multiplikation und Reduktion Die oben nachgezeichnete Maxime, die Flaschenmilch müsse der Muttermilch so ähnlich wie möglich sein, mobilisierte seit Mitte des 19. Jahrhunderts verschiedene Akteure und resultierte in unterschiedlichen Materialisierungen von Flaschennahrung. Die Annäherung ging mit einer ständigen Multiplikation und Reduktion menschlicher und nicht-menschlicher Akteure einher. Zum einen vervielfältigten sich die Wissensbestände und die dadurch bekannt gewordenen 1 Vgl. Dockter/Engelmann, Ernährung mit Formelnahrung (2012), S. 66 f.; Koletzko, Säuglingsmilchnahrungen, S. 90 f. (2005); ders., Säuglingsmilchnahrungen, S. 114 f (2013).

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Bestandteile von Muttermilch und Flaschennahrung im Untersuchungszeitraum. Zum anderen musste dieses expandierende Wissen über diese Bestandteile ­immer wieder eingehegt werden, da die Flaschennahrung ansonsten aufgrund der steigenden Komplexität von Handlungsschritten und Produkten nicht mehr im Alltag handhabbar war. Dies passierte u. a. indem sie in eine industrielle Form gebracht wurde, in der Milch, Wasser und andere Bestandteile miteinander vermischt und zu einem Gesamtprodukt zusammengefügt wurden. Die ersten Rezepte für Flaschennahrung aus Pädiatrie und Chemie, die Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden, basierten auf einer relativ groben Einteilung der Nährstoffe in Kohlenhydrate, Fette und Eiweiße sowie Salze. Sie konnten daher verhältnismäßig einfach nachgestellt werden: Milch musste verdünnt und mit Zucker und einer Stärkeabkochung vermischt werden. Über die genauen Mischverhältnisse stritten sich die Experten während des gesamten 19. Jahrhunderts und auch in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. Diese Art der Nahrung konnte sowohl zu Hause als auch in Krankenhäusern auf die gleiche Art und Weise angefertigt werden, wenn man die Rezepte der Kinderärzte und Chemiker genau befolgte. Hierzu benötigte man vor allem Zugang zu Milch sowie Töpfe und Flaschen. Die Art und Form der Flasche war noch relativ uneinheitlich. In der Bevölkerung wurde eine Reihe ganz unterschiedlicher Haushaltsflaschen, aber auch Löffel oder Schalen genutzt, um die Kinder zu ernähren. Eine erste Reduktion der Flaschennahrung fand durch die Firma Nestlé statt, die die Arbeitsschritte kondensierte und ihre Mischung in Büchsen verpackte, so dass sie nur noch mit Wasser vermischt werden musste. Dies stieß allerdings auf Kritik der etablierten Pädiatrie, die eine solche Reduktion unzulässig fand. Die Ablehnung industrieller Produkte durch die wissenschaftlichen Experten verdichtete sich zu einem Muster, das sich schon Ende des 19. Jahrhunderts etablierte und bis Ende des 20. Jahrhunderts stabil blieb. Die Reduktion stellte die Expertise der Kinderärzte in Frage, da ihre spezifischen Rezepte überflüssig zu werden drohten, wenn einfach nur Wasser zu einer fertigen Mischung gegeben werden musste. Je mehr essentielle Bestandteile der Nahrung im Allgemeinen und damit auch die der Muttermilch identifiziert wurden, desto komplexer wurden die Flaschennahrungsmischungen. Die Entdeckung der Kalorien Ende des 19. Jahrhunderts erforderte etwa eine neue Anpassung der Milchmischungen, deren Zutaten neu miteinander ins Verhältnis gesetzt werden mussten. Noch wichtiger war aber die Entdeckung der Bakterien. Jene veränderten nicht nur den Flascheninhalt, sondern machten neue Flaschen und Sauger notwendig. Auf immer stärkere Ableh­ nung stießen Flaschen und Sauger, die schwer zu reinigen waren, weil sie dünne Rohre oder biegsame Schläuche als Sauger hatten, sowie Flaschen aus opaken

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­ läsern und solche mit Verzierungen. Stattdessen sollte die Flasche aus klarem G Glas ­gefertigt sein, keine Kanten haben und mit einem ausreichend großen Einfüllloch versehen sein, um sie nach jeder Nutzung reinigen zu können. Die Sauger sollten aus Gummi bestehen und nicht aus anderen, leicht zersetzlichen Materialien wie Leder, Stoff oder Tierzitzen. Milch musste nun vor jeder Mischung mit anderen Zutaten sterilisiert werden, um die Bakterien zu vernichten. Um diesen Prozess einfacher zu gestalten, kamen verschiedene Sterilisationsapparate auf den Markt. Ein Effekt dieser Geräte war jedoch eine erhöhte Morbidität unter Säuglingen, die erst mit der Entdeckung weiterer Akteure – der Vitamine – erklärt werden konnte: Die Apparate kochten die lebenswichtigen Vitamine aus der Milch sozusagen heraus. In Haushalten fehlten zumeist die Möglichkeiten, die Milch den Vorgaben entsprechend zu bearbeiten und zudem auch Kühlmöglichkeiten, um die Milchmischungen sicher zu lagern. Die Bakterien waren ein weiterer Legitimationsgrund für die Reduktion der Flaschennahrung auf eine industrielle Form. Ein Vorteil industrieller Nahrung lag nämlich darin, dass sie keimfrei verpackt wurde, wohingegen nicht immer klar war, woher die frische Milch stammte. Allerdings kündigten sich auch bezüglich der Frischmilch Innovationen an, die Arbeitsschritte von den Müttern auf die Milchproduzenten verlagerten. Seit den 1930er Jahren wurde Milch filtriert und pasteurisiert, ab den 1950er Jahren zudem homogenisiert, bevor sie überhaupt an den Verbraucher gelangte. Mit der Entdeckung der Vitamine erhielten die Flaschennahrung und Ernährungspraktiken also einen weiteren Ausdehnungsschub. Die Milchmischungen ­allein reichten nicht aus, sondern sie mussten durch das Zufüttern von Fruchtsäften ergänzt werden. Auch hier gingen die industriellen Hersteller wiederum schnell dazu über, die Vitamine als neue Akteure in ihre Mischungen aufzunehmen. Durch die Synthetisierung der Vitamine wurde aber auch die Zusammenarbeit zwischen Industrie und Wissenschaft befördert. Kooperationen zwischen den beiden Feldern verloren ihren negativen Ruf in der wissenschaftlichen Gemein­ schaft. Die Industrie ging ihrerseits häufiger auf renommierte Wissenschaftler zu, um ihre Produkte mit Hilfe legitimer Expertise herzustellen. Die stärker ganzheitliche Betrachtung des Säuglings in den 1930er Jahren führte zudem dazu, dass ganz neue Nahrungsmittel geschaffen wurden, die versuchten, die Verdauungsreaktion des Säuglingskörpers zu steuern. Die Herstellung verschiedener Säuremilchen war ein Effekt dieses Prozesses. Ihnen wurden weitere Stoffe zugegeben, die sich nicht in der Muttermilch fanden und auch nicht in jedem Haushalt vorhanden waren, nämlich Milchsäure oder Zitronensäure. Koope­rationen mit der Industrie schienen somit aus Sicht der wissenschaftlichen Experten geradezu unerlässlich, wollte man die größtmögliche Ähnlichkeit erreichen. In dieser Phase gab es jedoch noch eine Präferenz auf Seiten der Kinderärzte,

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die Flaschennahrung unter Zuhilfenahme lediglich eines Industrieprodukts selbst anzumischen: Säuerungstabletten. Diese reduzierten einen Teil der Flaschennahrungsproduktion, verlagerten sie aber nicht komplett in die Hände der Industrie. Es gab zwar auch komplette, pulverisierte Industrieprodukte, die nur mit Wasser vermischt werden mussten, aber gegenüber diesen Produkten herrschte in der Fachwelt lange Zeit eine gewisse Skepsis. In den 1950er Jahren überlagerten sich Industrie und Wissenschaft dann vollends. Pädiatrische Rezepte wurden direkt als industrielle Produkte geplant oder in Zusammenarbeit mit Herstellerfirmen entwickelt. Je stärker die Ansprüche an die Flaschennahrung wuchsen, desto nötiger wurde es, sie zu reduzieren, um sie dem Laienpublikum zugänglich zu machen. Arbeitsschritte, wie das Erhitzen und Mischen der Milch, die zuvor in der heimischen Küchen erfolgten, wurden an die industrielle Produktion abgegeben. Zunehmend lobten Kinderärzte diese Produkte, weil sie – aufgrund des mechanisierten Arbeitsprozesses – eine gleichbleibende Zusammensetzung aufwiesen, während bei der heimischen Herstellung schnell Fehler passieren konnten. Die Übergabe der Herstellung an die Industrie führte gleichzeitig zu einer Informationsreduktion. In Ratgebern tauchten keine langen Rezepte und Mischungstabellen mehr auf. Stattdessen wurden Informationen auf den Packungen der Industrienahrung sowie spezielle Messlöffel verbreitet, die für die Zubereitung genutzt werden konnten. Die Flaschennahrung wurde damit zu einem industriellen Produkt reduziert und ihr Herstellungsprozess „von der Kuh zum Kind“ verborgen. Die Multiplikation von Akteuren passierte in anderen Bereichen. Zum einen traten seit den 1960er Jahren gesetzliche oder andere Regulierungen als immaterielle Akteure hinzu. Sie bestimmten, welche Stoffe in der Nahrung enthalten sein durften, wie sie benannt und wie sie beworben werden durfte. Um 1980 kam es dann sogar erstmals zu einer Regulierung der Flaschennahrung und ihrer Bewer­bung auf internationaler Ebene. Zum anderen gab es seit den 1950er Jahren immer mehr Produkte, welche die Nahrungsherstellung erleichtern sollten, wie Flaschenwärmer, Thermosflaschen oder auch Einwegflaschen. Vertrieben wurde sogar flüssige Flaschennahrung, die keinen Wasserzusatz mehr benötigte, sondern dem Kind direkt mit Hilfe der Flasche gegeben werden konnte. Auch die Sauger wurden diverser und verschiedene Flaschenmodelle erleichterten es, die Mischung direkt in der Flasche herzustellen. Durch die Beschriftung mit Grammeinteilungen wurde es außerdem einfacher nachvollziehbar, wie viel Nahrung die Flasche enthielt, bevor und nachdem das Kind getrunken hatte. Neben Glasflaschen kamen in den 1960er Jahren Flaschen aus Plastik in die Haushalte. Um die Sterilisierung der Flaschen und Sauger zu vereinfachen, wurde empfohlen, sie nach jedem G ­ ebrauch in Sterilisationslösungen einzulegen.

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In Schweden war der Markt mit nur zwei Nahrungsherstellern, die zudem erst Mitte des 20. Jahrhunderts eigene Rezepte produzierten, und einigen wenigen Flaschen- und Saugerproduzenten relativ klein. Aber auch in Deutschland deutete sich eine Vereinheitlichung der Produktpalette an. Es gab insgesamt fünf große Hersteller, die seit den 1960er Jahren alle mehr oder weniger die gleichen Flaschennahrungsprodukte anboten: „humanisierte“ Milch, die in mindestens zwei Nährstufen vorhanden war, sowie Produkte für besondere Bedürfnisse von Kindern mit Allergien oder anderen Krankheiten. Neue wissenschaftliche Erkennt­nisse wiesen darauf hin, dass einige Kinder Kuhmilch nicht vertrugen und der frühe Kontakt mit Weizen zu Allergien führen konnte. Infolgedessen nahm in den 1970er Jahren die Zahl an pflanzenbasierten Nahrungsmischungen und mehlfreien Optionen zu. Die Flaschennahrung wurde in den 1970er Jahren zudem als globaler ­Akteur wirksam und multiplizierte die Verbindungen zwischen den europäischen Staaten (West)Deutschland und Schweden mit dem Globalen Süden. Die Effekte der industrialisierten Flaschennahrung waren nun nicht mehr nur für die Herstellerländer, sondern auch für die Rezipientenländer von Bedeutung. Durch das skandalisierte Vorgehen einiger Nahrungshersteller im Globalen Süden wurde es auch im „Westen“ zunehmend unzulässig, diese Ernährungsform zu verwenden. Die Erkenntnis der 1970er Jahre, dass Muttermilch sich nicht auf ihre Nährstoffe reduzieren ließ, sondern weitere, immunisierende und infektionshemmende Bestandteile enthielt, sowie die Praktiken der Herstellerfirmen rückten die Ernäh­ rung mit der Flasche erneut in die Nähe von Krankheit und Tod. Es ergab sich aber eine neue Kombinationsmöglichkeit von Flaschen- und Brusternährung zu Hause: das Abpumpen der Muttermilch mit einer elektrischen Brustpumpe. Das Abpumpen wurde bereits in den 1960er Jahren vermehrt empfohlen, wenn die Mutter z. B. außer Haus arbeitete. Aber erst seit den späten 1970er Jahren verbreitete sich das Abpumpen von Muttermilch als „Flaschennahrung“ auf signifikante Weise in breiten Bevölkerungsteilen. Die Pumpen waren zuvor so teuer und aufwendig, dass sie nur in Krankenhäusern oder den schwedischen BVC vorhanden waren. Seitdem Pumpen auch für den Privatgebrauch produziert wurden, entwickelte sich diese Praxis zu einer legitimen Alternative. Abgepumpte Milch zu füttern, hat sich im 21. Jahrhundert zu einer idealisierten Methode der Säuglingsernährung entwickelt, denn Müttern werden zunehmend Mehrfachbelastungen abverlangt. Sollten sie zu Beginn des 20. Jahrhunderts ausschließlich Mutter sein und seit Mitte des Jahrhunderts zudem, innerhalb eines gewissen Rahmens, einer Arbeit nachgehen, sind es in den letzten Jahren auch gesellschaftliche Verpflichtungen, denen sie ebenfalls im gleichen Maße nachkommen sollen wie vor der Geburt des Kindes.

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Praktiken: Nivellierung von Unterschieden durch Flaschennahrung? Während sich Wissen und Dinge der Flaschennahrung in relativ kurzen Abständen veränderten, hat Kapitel 3 dieser Arbeit gezeigt, dass sich die Praktiken der Säuglingsernährung und der Umgang mit den Kindern deutlich langsamer wandelten. Besonders resistent zeigte sich dabei die Arbeitsteilung zwischen Müttern und Vätern, während die Flaschennahrung zunehmend soziale Unterschiede nivellierte. An dieser Stelle sollen anhand der Ernährungspraktiken die Ergebnisse zu den Kategorien Geschlecht und soziale Schicht und ihr Verhältnis zur Flaschennahrung noch einmal zusammengeführt werden. Zu Beginn des Untersuchungszeitraums war es im Grunde genommen nur in Familien der Oberschicht möglich, die Säuglingsernährung so durchzuführen, wie es die Pädiatrie verlangte. Wohlhabende Familien hatten sowohl die räumlichen Voraussetzungen als auch die finanziellen Möglichkeiten, Liebigs Suppe für Säuglinge, Biederts Ramogen und andere neue Produkte erwerben und einsetzen zu können. Sie hatten außerdem häufig Zugriff auf Hauspersonal, das sie in der Zubereitung der komplexen Gemische unterstützte. Um diesen Teil der Säuglingspflege kümmerten sich hauptsächlich die Mütter, während Väter zu Beginn des Jahrhunderts – zumindest in den oberen Schichten – ihre Kinder genau beob­achteten und ihre regelkonforme Entwicklung bemaßen, indem sie sie wogen etc. In bäuerlichen Familien gab es hingegen den großen Vorteil, dass die frische Milch als Grundlage der Flaschennahrung dort einfacher zugänglich war. Hier beteiligten sich außerdem häufig andere Familienmitglieder daran, Säuglinge zu ernähren und zu pflegen. Die bäuerlichen Familien verfügten aber nicht über genügend Zeit, sich den ärztlichen Vorgaben entsprechend um das Kind zu kümmern. Ein Nachteil für die urbane Bevölkerung war der schlechte Zugang zu sauberer Milch, zumindest zu Beginn des Jahrhunderts. In Arbeiterhaushalten war es bekanntermaßen vor allem eine Raumfrage, ob Eltern die Vorschriften einhalten konnten. In kleinen Küchen mit schlecht funktionierenden Herden war es kaum möglich, jeden Tag oder gar zu jeder Mahlzeit frische Flaschennahrung herzustellen und es mangelte an Geld für teure Industrieprodukte und Geräte. Mit der Ausgabe fertiger Milchmischungen durch Institutionen wie Milchküchen oder Mjölkdroppar wurde dies einfacher, da die Mutter nicht mehr selbst die Milch nach Rezept anmischen musste, sondern fertige Mischungen nur noch zu erwärmen hatte. Es gab hier also wohl große Unterschiede in der Nahrungszubereitung zwischen den gesellschaftlichen Schichten. In Bezug auf die Klassengebundenheit der Ernährungspraktiken ähnelten sich Deutschland und Schweden.

Praktiken: Nivellierung von Unterschieden durch Flaschennahrung?  |

Seit dem Ende des Ersten Weltkriegs wurde immer vehementer eingefordert, die Kinder nach einer bestimmten Regel zu ernähren. Diese Forderung wurde in Ratgebermedien und Aufklärungsausstellungen sowie Mütterschulungen und in Beratungsstellen massiv propagiert und setzte sich bald als Common Sense der Ernährung durch. Deutsche und schwedische Kinder wurden fortan möglichst entlang der vorgegebenen Zeiten, also nach der Uhr, ernährt. Aber auch hier lassen sich Unterschiede zwischen den Gesellschaftsschichten erkennen. Während es in Häusern der oberen Schichten möglich war, das Kind in einen Raum zu bringen und es dort – wie gefordert – in Ruhe zu lassen, ließen kleine Arbeiterwohnungen dies nicht zu. Hier konnte also allein aufgrund der räumlichen Voraussetzungen nicht immer vorschriftsmäßig gehandelt werden. Hinzu kam, dass in den 1920er und 1930er Jahren Mjölkdroppar und Milchküchen keine fertigen Milchmischungen mehr anboten, sondern als Teil einer Aufklärungs- und Erziehungskampagne Mütter und Kinder mit frischer Milch und passenden Rezepten versorgten, die diese zu Hause wieder selbstständig herstellen sollten. Die hygienischen Verhältnisse in den Städten hatten sich mittlerweile zwar verbessert, waren aber aus Sicht der Kinderärzte und SozialhygienikerInnen in der Arbeiterschicht immer noch defizitär. Krisenzeiten wie der Erste Weltkrieg und die Hungerperiode in Schweden sowie der Zweite Weltkrieg erforderten eine Veränderung der Ernährungspraktiken. Wenn Nahrungsmittel knapp wurden, stillten Mütter vermehrt ihre Kinder – auch wenn dies teilweise auf Kosten ihrer eigenen Kräfte und Gesundheit ging. Während des Zweiten Weltkrieges zeitigte dies im Deutschen Reich ambivalente Effekte, insofern den Müttern das Stillen angeraten und gleichzeitig die Produktion von industrieller Nahrung gefördert wurde, die in Kriegszeiten unverzichtbar erschien. In Schweden änderte sich zu dieser Zeit nicht außerordentlich viel. Hier blieben eine Ernährung nach Schema sowie die Selbstabmischung der Nahrung weiterhin der Standard. Der Ausbau wohlfahrtsstaatlicher Maßnahmen führte aber potentiell dazu, dass Mütter aus allen Schichten mehr Mittel und Zeit hatten, um ihre Kinder während des ersten Lebensjahres zu Hause zu versorgen. Nach dem Ende des Krieges verstärkte sich die Nivellierung sozialer Unterschiede. Die größeren finanziellen Mittel in der „Boom“-Phase der Wirtschaft erlaubten den Kauf von Kühlschränken und in den größer werdenden Wohnungen konnten nun auch ArbeiterInnen funktional differenzierte Räume einrichten und nutzen. Die Differenzen zwischen Stadt und Land nahmen ebenfalls ab, da an beiden Orten frische und qualitativ hochwertige Milch zu erhalten war. Die größere Kaufkraft und die Herstellung günstigerer Flaschennahrungsprodukte, die zudem nicht mehr nur in Apotheken oder Drogerien, sondern im Selbstbedienungsladen erworben werden konnten, führten zudem dazu, dass sich immer mehr

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Mütter für industrielle Produkte entschieden. Entbindungen, die zunehmend in Krankenhäusern und Entbindungsanstalten stattfanden, brachten es weiterhin mit sich, dass Kinder größtenteils schon früh nach einem bestimmten Schema ernährt wurden. Es gab jedoch auch erste Ansätze, vor allem in Schweden, die es legitimierten, dem Kind innerhalb des Rahmens größere individuelle Variationen zuzugestehen und die Ernährung nach seinen Bedürfnissen zu gestalten. Die politischen Rahmenbedingungen begünstigten es in beiden Ländern, dass die Mütter mehr Zeit für die Kinderversorgung hatten, gleichzeitig aber immer weniger Zeit benötigten, die Flaschennahrung zuzubereiten. Hinzu kam, dass immer mehr Mütter einer Erwerbsarbeit nachgingen. Die Väter wurden unterdessen sehr vorsichtig als Unterstützer legitimiert. Diese Rolle hatten sie praktisch schon im frühen 20. Jahrhundert gespielt. Hier kann also höchstens eine graduelle Veränderung der Aufgabenverteilung beobachtet werden. Eine größere Differenzierung begann dann erst wieder um 1970, als eine Gruppe von – gut ausgebildeten – Frauen vermehrt zum Stillen überging. Die Frauen lehnten es ab, das Kind mit der Flasche nach bestimmten Zeitplänen zu ernähren. Ihnen war vielmehr daran gelegen, die Säuglingsernährung an den individuellen Bedürfnisse des Kindes auszurichten. Der Vater war hier weiterhin nur als Unterstützer vorgesehen. Seine Rollenerwartungen hatten sich zwar in den 1960er Jahren geändert, er sollte nun ebenfalls für das Kind da sein, aber für väterliche Praktiken machte dies kaum einen Unterschied. Zudem ließ sich in den 1970er Jahren beobachten, dass sich „weiße“ Frauen unterschiedlicher Gesellschaftsschichten in den Ernährungspraktiken ihrer Säuglinge immer ähnlicher geworden waren, während neue Differenzen zu „schwarzen“ Frauen im Globalen Süden hervorgehoben wurden. Diese Differenz könne aber ebenfalls aufgehoben werden – so die zeitgenössische Prämisse –, wenn sich beide Frauengruppen wieder auf das Stillen ihrer Kinder konzentrierten. Aktuelle soziologische und ethnologische Studien zeigen, dass die Praxis der geschlechtlichen Arbeitsteilung in der Säuglingspflege weiterhin überkommenen Mustern folgt. Dies mag u. a. mit der erneuten Betonung des Stillens zusammenhängen, was der Vater nach gängigem Verständnis nicht selbst übernehmen kann. Obwohl es durch das Abpumpen von Muttermilch seit Ende der 1970er Jahre die Möglichkeit gibt, Muttermilch mit der Flasche zu füttern, wird dies zumeist ebenfalls von den Müttern übernommen. Studien legen nahe, dass Väter trotz dieser technischen und praktischen Möglichkeit das Ernähren ihres Kindes nicht häufiger übernehmen. Deutsche Forscherinnen haben gar eine „Re-Traditionalisierung“ der Rollenverteilung beobachtet, sobald das erste Kind auf die Welt gekommen ist. Selbst wenn Paare es anstrebten, sich gleichermaßen um die Säuglingspflege zu kümmern, wirkten verschiedene Faktoren dagegen, diese Absicht in die Tat

Praktiken: Nivellierung von Unterschieden durch Flaschennahrung?  |

umzusetzen. Auch in Schweden, wo schon viel früher die Möglichkeit bestand, für beide Eltern Erziehungsurlaub zu nehmen, ist die Aufteilung so gestaltet, dass Väter eher in den späteren als in den früheren Monaten diesen Urlaub nehmen. Der Vater bleibt somit in Entwürfen und Praktiken der Säuglingsernährung ein, dem Anspruch nach, liebevoller Unterstützer. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts sind die Flaschennahrung und der Säugling zusam­ men mit der Familie und der deutschen respektive schwedischen Gesellschaft durch eine Reihe profunder Transformationen gegangen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war die Flaschenmilch eine schwer herzustellende und gefährliche Nahrung, deren richtige Anwendung allein die männlichen Kinderärzte für sich reklamierten. Am Ende des Untersuchungszeitraums um 1980 konnten deutsche und schwedische Mütter bzw. Eltern aus einer Reihe verschiedener industriell hergestellter Produkte wählen, die sie in kurzer Zeit zubereiten und ihrem Säugling geben konnten, ohne dessen Gesundheit zu gefährden. Die Flaschennahrung war zu einem Produkt unter vielen geworden, das Eltern im Verlauf des ersten Lebensjahres ihres Kindes anschafften. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde der Säugling als objekthafter, psychosomatischer Körper imaginiert, der anhand von Normen, die Kinderärzte und Ernährungswissenschaftler entwarfen, im Takt der industrialisierten Gesellschaft gefüttert werden sollte. Am Ende des Untersuchungszeitraums stellte sich der Säugling hingegen als handlungsfähiges Subjekt dar, das selbst bestimmen sollte, wie viel und wie häufig es Nahrung aufnehmen wollte. Die Eltern sollten seine individuellen Bedürfnisse erkennen und fördern, damit der Säugling ein Mitglied der demokratischen Gesellschaftsordnung werden konnte. Nur einen geringen Unterschied machte die Veränderung des Säuglingskörpers für die Rolle der Mutter, die während des gesamten Untersuchungszeitraums die Hauptverantwortung für die gesunde Entwicklung ihres Kindes trug, während dem Vater lediglich eine unterstützende Rolle zukam. Die Ernährungspraktiken, die sie täglich bewerkstelligen musste, änderten sich hingegen grundlegend. Zu Beginn des Jahrhunderts erforderte die richtige Zubereitung der Nahrung zwar viel Arbeit, doch sie musste sich nur zu festgelegten Zeiten um ihr Kind kümmern. Der selbstregulierte Säuglingskörper verlangte ihr hingegen ab, ständig verfügbar zu sein, ob mit der nun viel schneller zubereiteten Flasche oder mit ihrem Körper. Der Vater sollte sie darin unterstützen, dieser Aufgabe nachzukommen und konnte ab und an ebenfalls die Aufgabe übernehmen, dem Kind die Flasche zu geben. Zugespitzt formuliert: Anfang des Jahrhunderts sollte sich noch der Säugling nach der Familie richten, am Ende des Untersuchungszeitraums hingegen die Familie nach dem (Flaschen)Kind. Das körperliche und emotionale ­Nahrungsbedürfnis

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des Kindes war somit endgültig in den Mittelpunkt der Familienbeziehung gerückt. Um dorthin zu gelangen, mussten jedoch eine Reihe unterschiedlichster A ­ kteure neue Verbindungen eingehen und zusammenarbeiten: Eltern und Säuglinge, Kinder­ärztinnen und Kinderärzte und PsychologInnen, Nahrungsmittelhersteller und Werbung, statistische Erfassungen und staatliche Regulierungen, Ratgeber und Säuglingsfürsorge und nicht zuletzt Flaschen, Sauger und Flaschennahrung. Meine Arbeit hat den Wandel in den Verbindungen und im Zusammenwirken dieser Akteure nachverfolgt und gezeigt, warum das Flaschenkind ein Kind des 20. Jahrhunderts war.

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Dank

Dieser Text ist eine gekürzte und überarbeitete Version meiner Doktorarbeit, die im Juli 2018 unter dem Titel „Flaschenkinder. Wissens- und dinggeschichtliche Perspektiven auf Familienbeziehungen in Deutschland und Schweden, ca. 1900 – 1980“, vom Historischen Insitut der Universität zu Köln angenommen wurde. Diese Dissertation hat mich gut acht Jahre meines Lebens begleitet und, einer zwischenmenschlichen Beziehung nicht unähnlich, sind wir zusammen durch Höhen und Tiefen gegangen und aneinander gewachsen. Auf diesem Weg haben mich eine Reihe von Menschen begleitet und unterstützt, denen ich an dieser Stelle meinen Dank und meine Anerkennung aussprechen möchte. Ohne Sie und euch wäre dieses Buch nicht entstanden. Als erstes gilt mein Dank meiner Erstbetreuerin Prof. Dr. Ulrike Lindner, die mich nach einigen Jahren der Zusammenarbeit von Bielefeld nach Köln „mitgenommen“ und mich unermüdlich unterstützt und gefördert hat. Prof. Dr. Wiebke Kolbe hat mich – auch aus der Ferne – immer sehr gut betreut und hatte ein offenes Ohr für viele Fragen rund um die schwedische Geschichte und Universitätskultur. Als dritten im Team möchte ich mich außerdem bei Prof. Dr. Martin Zillinger bedanken, der mit viel Enthusiasmus über Theorie und Praxis der Akteur-Netzwerke sprechen konnte und mir geholfen hat, die ANT für die Geschichtswissenschaft fruchtbar zu machen. Neben der personellen Unterstützung ist ein Projekt wie eine Doktorarbeit nicht ohne finanzielle Unterstützung zu schaffen. Eine Anschubfinanzierung für das Projekt erhielt ich 2013 von der Gleichstellungskommisson der Fakultät für Geschichtswissenschaften, Philosophie und Theologie an der Universität Bielefeld. Die a.r.t.e.s. Graduate School for the Humanities, Cologne, hat mich sowohl als „Pre-Doc“ als auch als Promotionsstudentin gefördert und meiner Arbeit „ein Zuhause“ gegeben. Die vielen Stunden an der Aachener Straße, die ich dort zusammen mit meinen KollegInnen verbracht habe, haben die nötige Struktur geboten, um kontinuierlich an meinem Projekt arbeiten zu können. Prof. Dr. Ralph Jessen hat nicht nur die a.r.t.e.s. Klasse – in Kooperation mit Prof. Dr. Stefan Grohé – geleitet, sondern auch den Vorsitz des Promotionsausschuss übernommen und mich für die Aufnahm in diese Reihe vorgeschlagen. Auch ihm gilt mein herzlicher Dank.

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Einen längeren Aufenthalt an der Uppsala Universitet und einen kürzeren Aufenthalt beim TEMA Barn an der Linköping Universitet in Schweden hat der DAAD gefördert. In Uppsala haben mich Ylva Hasselberg, die schon meine BA -Arbeit im Jahr 2009 betreut und in mir den Forschungsfunken geweckt hat, und Orsi Husz in die schwedische STS -Forschung eingeführt. Während der Promotion konnte ich erneut vom tollen Betreuungsklima schwedischer Universitäten profitieren. Bengt Sandin und Johanna Sköld haben mir in Linköping die Möglichkeit gegeben, in einem interdisziplinären und internationalen Umfeld über Kindheitsforschung nachzudenken und meine Gedanken mit den vielen KollegInnen zu teilen. So konnte ich nicht nur neue und alte Kontakte pflegen, sondern mich auch auf die Suche nach Quellen begeben. Den letzten Teil des Projektes konnte ich bei Prof. Dr. Isabel Heinemann im „SFB 1150 – Kulturen des Entscheidens“ an der Westfälische-Wilhelms-Universität Münster fertigstellen. Für inspirierende Gespräche und inhaltlichen Austausch danke ich ihr und Marcel Brüntrup sowie Lukas Alex für sein scharfes Auge. Im Laufe der Arbeit an meinem Projekt habe ich außerdem die Bekanntschaft mit vielen weiteren Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen gemacht, die mich unterstützt und begleitet haben. Hier ist vor allem Jörg Vögele zu nennen, der mich immer wieder zu spannenden Veranstaltungen eingeladen hat und ein offenes Ohr für Nachfragen hatte. Gleiches gilt für Timo Heimerdinger, dessen ethnologische Perspektive eine große Bereicherung für mein Thema darstellte. Schon im Anfangsstadium der Arbeit konnte ich mich außerdem auf die wissen­ schaftsgeschichtlichen Anregungen von Sybilla Nikolow und Annika Wellmann stützen, die mir vielfältige Perspektiven zur Dinggeschichte eröffnet haben. Jens Elberfeld, Sandra Maß und Nina Verheyen haben mich zu Vorträgen eingeladen, die mein Projekt jedes Mal ein Stück weiter­gebracht haben. Mein besonderer Dank gilt Christina Benninghaus, die mich auf die Idee brachte mein Interesse an der Geschichte von Mutterschaft mit dem neuen Ansatz der Akteur-­NetzwerkTheorie zu verbinden. Dieses international vergleichende Projekt wäre natürlich nicht möglich gewesen, ohne dass Institutionen und Archive ihre Türen für mich geöffnet ­haben. Folgenden Institutionen möchte ich für ihre Unterstützung danken: dem Deutschen HygieneMuseum in Dresden, dem Deutschen Tagebuch Archiv in Emmen­dingen, der ZB Med in Köln, den Archives historiques Nestlé, der Kungliga Biblioteket in Stockholm, der Carolina Rediviva in Uppsala, dem Centrum för Näringslivshistoria, dem ­Nordiska Museet und dem Riksarkiv in Stockholm sowie dem Stockholm Stadsarkivet. Mein Dank gilt außerdem meinen Korrekturlesern und Korrekturleserinnen, die vor der Abgabe alles gegeben haben, damit mein Text auch für andere Menschen nachvollziehbar ist: Marcel Brüntrup, Elke Bumann, Andrea Demaving-

Dank  |

Leufgen, Jeannette Gedert, Christian L ­ imper und Lars Vorberger. Ohne Marie Ludwig, die hervorragende Arbeit in der ­Schreibberatung der Philosophischen Fakultät geleistet hat, wäre ich im letzten Jahr der Promotion wahrscheinlich untergegangen. Unser Austausch hat mir die Konstanz gegeben, die ich brauchte, und ihre Rückfragen und Begeisterung haben mir dabei geholfen, viele Knoten im Kopf zu lösen. Auf Seiten des Böhlau-Verlags haben mich Kirsti Doepner und Julia Beenken auf dem Weg vom Manuskript zum Buch begleitet – vielen Dank an Sie beide! Der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften danke ich für einen großzügigen Druckkostenzuschuss. Promovieren ist ein relativ einsamer und egozentrischer Prozess. Trotz der guten Unterstützung durch BetreuerInnen und Institutionen werden die meisten Kämpfe am Schreibtisch mit sich selbst ausgetragen. Dass ich darüber nicht völlig den Verstand verloren habe, verdanke ich den lieben Menschen in meinem Umfeld, die mir trotz vieler Absagen, nicht eingehaltener Terminen und dem ständigen Sprechen über die Arbeit den Rücken gestärkt haben: Mein Ankommen in Köln haben Dörte Lerp, Berit Schallner, Muriel González Athenas und Sina Derichsweiler erleichtert. Bei a.r.t.e.s. habe ich mich wohlgefühlt dank Manon Dederichs, Sung Un Gang, Danijel Matijevic und Hanns Christian Schmidt. Aus Bielefelder Zeiten konnte ich mich immer auf Katharina Hoß, Mathis Nolte, Agnes Piekacz, Mira Ragunathan und Luise Stein verlassen. In Berlin habe ich immer Unterschlupf und ein offenes Ohr bei Susanne Eiswirt und Lena Kuhl gefunden. Christina Auffenberg, Anna Huth (geb. Faust) und Anna Strohschein haben mich immer wieder angerufen, auch wenn ich so häufig mit dem Kopf in den Büchern steckte. Ich danke euch für eure Freundschaft. „Tack så mycket“ to Sarah Linden Pasay and Rosalía Guerrero Cantarell who made my time in Uppsala so memorable. I am so happy that I met you! My love goes out as well to Amy Johnson and Lotte Knapen who became my friends during my first stay in Sweden and remained so after we each got back to our homes. Thank you for the lovely times we shared in Uppsala and exploring Europe together. Der Verein Erste Generation Promotion e. V. war während der Promotion ein besonders wichtiger Ort für mich, der mich gleichermaßen „empowered“ und erfreut hat. Insbesondere Stefanie Coché, Ann-Kristin Kolwes, Sabine Päsler und Sandra Vacca sind den Großteil des Weges mit mir gegangen. Ebenso danke ich meinem EGP -Mentor Prof. Dr. Stephan Michael Schröder, der mich und meine Forschung gefördert hat. Unser gemeinsames Engagement für andere Promovierende aus NichtakademikerInnenfamilien war eine große Kraftquelle für mich! Denjenigen, die am Ende stehen, gilt gleichzeitig mein größter Dank. Ich danke aus vollem Herzen meinen Eltern Annelie und Christoph Limper und meiner Schwester Juliane Limper. Ohne die bedingungslose Unterstützung meiner

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gesamten Familie hätte ich den Weg an die Uni nicht antreten können. Auf diesem Weg in die Wissenschaft, der mich teilweise weit weg von zu Hause geführt hat, wart ihr immer an meiner Seite und auch in schwierigen Zeiten konnte ich mich voll und ganz darauf verlassen, dass ich nicht allein sein würde. Neben meiner Familie war Florian Schleking während der gesamten Promotion an meiner Seite, auch wenn wir für diesen Traum immer wieder große Distanzen überbrücken mussten. Deine unermüdliche Ermunterung und deine kritischen Rückfragen haben nicht unwesentlich dazu beigetragen, dass diese Arbeit zu einem guten Ende gekommen ist. Danke.

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Anhang Quellen- und Literaturverzeichnis Ungedruckte Quellen Archives historique de Nestlé Vevey

2 Bestellkarten für Pelargon, in: Lancement du Pelargon. Brief an Kinderärzte (30. 03. 1935), in: Lancement de Pelargon. Brief an Kinderkliniken (30. 03. 1935), in: Lancement de Pelargon. Imagebroschüre Nestlé’s Nya Barnnäring (1926), Stockholm, in: Nestlé Werbemittelsammlung Ordner 40 J: Suede – Yugoslavie. Klinische Gutachten – Pelargon. Milchsäure-Vollmilchpulver ohne Kohlenhydratzusatz (30. 03. 1935), in: Lancement de Pelargon. o. A., Ratschläge eines Arztes für junge Mütter, o. O. 1928, in: Nestlé Werbemittelsammlung Ordner Nr. 22: Allemagne I. o. A., Gesunde Kinder – Glückliche Mütter. Ratschläge eines Arztes für junge Mütter, Lindau-Bodensee 1931 – 1938, in: Nestlé Werbemittelsammlung Ordner Nr. 23: Alle­ magne II und Allemagne III (Oktober 1935–August 1939) 24J. o. A., Gesunde Kinder sichern das Volk. Hefte für die deutschen Mütter, hrsg. vom Reichsmütterdienst der deutschen evangelischen Kirche, Heft 1 1939, in: Nestlé Werbemittelsammlung Ordner Nr. 23: Allemagne II . o. A., Gesunde Kinder – Glückliche Mütter; zu finden in: Werbemittelsammlung Ordner 115: Allemagne 1955. Nya Vägar visar Nestlé’s Nya Barnnäring (11. 10. 1928), in: Werbemittelsammlung Ordner 40 J: Suede – Yugoslavie. Dr. med. Vidal, Ärztliche Ratschläge für die junge Mutter. Die Pflege des Kindes, seine Ernährung und Aufziehung, Berlin 1920, in: Werbemittelsammlung Ordner Nr. 22: Allemagne I. Werbebroschüre: rote Zeichnung – Was ist Nestle’s Kindermehl (o. J. [1930]), in: Werbemittelsammlung Ordner Nr. 22: Allemagne I. Werbebroschüre Fisch: … als rachitisch disponiert … (o. J., [März 1936]), in: Allemagne III (Oktober 1935–August 1939) 24J.

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Deutsches Tagebucharchiv Emmendingen 1 DTA 1500/I, Otto K., Kinderbuch Walther K. (1894 – 1895). DTA 1500/I,2 Otto K., Kinderbuch Erna K. (1896). DTA 1500/I,3 Otto K., Kinderbuch Herbert K. (1898 – 1899). DTA 1500/I,4 Otto K., Kinderbuch Hilde K. (1901 – 1902). DTA 889 Antonie F., Tagebuch über die 1. Tochter (1904 – 1905). DTA 471/II ,1+2 Martina S., 1 Tagebuch – vielmehr Aufzeichnungen über Donatus

(1924 – 1925).

DTA 364/II ,2 Tagebuch (1920 – 1921). DTA 1500/II ,1, Herbert K., Hermann K. (1929 – 1930). DTA 856/II ,1, Hildegard R., Tagebuch für Dorle (1930 – 1931). DTA 1500/II , 2 Herbert K., Martin K. (1931 – 1932). DTA 1836 Karla B., Unsere kleine Annelies (1931 – 1935). DTA 2141 Marie-Luise S., Tagebuch 1935 – 1937 (1935). DTA 1500/II ,3 Herbert K., Marlise K. (1936). DTA 1500/II ,5 Herbert K., Werner K. (1940). DTA 1840,4 Elisabeth B., Kindertagebuch über Tochter Angela (1947 – 1948). DTA 1919,2 Jürgen B., Annettes Tagebuch (1960). DTA 745,1 Gabrielle P., Meine Lebensgeschichte für Peter (1965). DTA 746 Lotte F., Briefe an meine 2 Söhne (1964 – 1968). DTA 1287,I–III Marga P./Bernd P., „Die Lebensgeschichte von Marga und Bernd“.

Tagebücher und Briefe (1920 – 1971). Nordiska Museet Stockholm

Nordiska Museet, Etnologiska undersökning. Frågelista 171 – Havandeskap och barnsäng, Stockholm 1960. Nordiska Museet, Etnologiska undersökning. Frågelista 172 – Spädbarnsvård, Stockholm 05. August 1960. Anna Östermann/Nordiska Museet, Etnologiska undersökning. Frågelista 217 – Kvinnligt och mannligt, Stockholm 01. Mai 1991. Svenska Riksarkivet

Svenska Röda Korset I, Överstyrelse, Vol F  II .3, Svenska Röda Korsets Utställningen Mor och Barn. Svenska Röda Korset I, Pressurklipp XIX :2.

1 Die biografischen Angaben zu den Tagebüchern sind nicht vollständig. Einige Tagebücher wurden auf Wunsch vollständig anonymisiert.

Quellen- und Literaturverzeichnis  |

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Werbung, Johanna Haarer, Die Mutter und ihre erstes Kind, in: Neckermann, Frühling – Sommer, Katalog 156 (1959). Werbung, Johanna Haarer, Die Mutter und ihre erstes Kind, in: Neckermann, Frühling – Sommer, Katalog 170 (1966). Werbung, Johnson-Johnson, Bröst eller flaska? Nappe eller tumm, in: Vi Föräldrar (Oktober 1976), o. S. Werbung, Mellin’s Food, in: Jordemodern (1895), versch. Ausg. Werbung, Milkotal, Varför rekommendera Milkotal? Därför att Milkotal är en humaniserad spädbarnsmjölk, in: Jordemodern 75 (1962), S. 627. Werbung, Milupa. Heilnahrung, in: Der Kinderarzt 25 (1977), S. 1347 Werbung, Nestlé Beba macht viel länger satt, in: Eltern (April 1974). Werbung, Nestlé Beba Anschlußmilch macht viel länger satt, in: Eltern (August 1974). Werbung, Nestlé Breithalsflasche, in: Mitteilungen für Kinderärzte (Februar 1955). Werbung, Patenterad diflaska, in: Jordemodern 6 ( Januar 1893). Werbung, Semper, Mata honom inte med konserveringsmedel, in: Vi Föräldrar (März 1976). Werbung, Semper Välling, in: Vi Föräldrar (Februar 1970). Werbung, Semper, Hur ni slippar laga välling på semestern, in: Vi Föräldrar ( Juni/Juli 1970). Werbung, Semper, Semestervälling, in: Vi Föräldrar ( Juni/Juli 1975). Werbung, Stille AB , Celvex Flaska, in: Jordemondern 45 (1932). Werbung, Stille AB , Celvex Flaska, in: Husmodern (Nr. 11, 1936). Werbung, Stille AB , Kan en napp vara farlig?, in: Husmodern (Nr. 11 und 14, 1936).

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Abbildungsnachweis  |

Abbildungsnachweis Abb. 1: „Wert der natürlichen Ernährung“, in: Leo Langstein/Fritz Rott, Atlas der Hygiene des Säuglings und des Kleinkindes, Berlin 1918, Tafel 62. Abb. 2: Dihorn [Saughorn], Nordiska Museet, NM .0171625. Abb. 3: „Milchflaschen und Sauger“, Leo Langstein/Fritz Rott, Atlas der Hygiene des Säuglings und des Kleinkindes, Berlin 1918, Tafel 68. Abb. 4: Soxhlet-Apparat, Franz von Soxhlet, Ein verbessertes Verfahren der Milch-Sterilisierung, in: Münchener Medicinische Wochenschrift 38 (1891), S. 335 – 339, 353 – 356, hier S. 338. Abb. 5: Soxhlet-Flaschen, Franz von Soxhlet, Ein verbessertes Verfahren der Milch-Sterilisierung, in: Münchener Medicinische Wochenschrift 38 (1891), S. 335 – 339, 353 – 356, hier S. 338. Abb. 6: No 6670 Neue hygienische Saugflasche, DHMD 1998/1856, Foto: DHMD . Abb. 7: Werbung für Flodins patenterad diflaska, in: Jordemodern 8 (1895). Abb. 8: Journal, Östermalms Mjölkdroppe, Stockholms Stadsarkiv, Östermalms Mjölkdroppe. Journaler över barn 1911 – 1914, D1, Frontseite. Abb. 9: Journal, Östermalms Mjölkdroppe, Stockholms Stadsarkiv, Östermalms Mjölkdroppe. Journaler över barn 1911 – 1914, D1, Rückseite. Abb. 10: „Englische Krankheit“, Leo Langstein/Fritz Rott, Atlas der Hygiene des Säuglings und des Kleinkindes, Berlin 1918, Tafel 94. Abb. 11: „Welche Flasche ist die beste?“, o. A., Vilken flaska är bäst?, in: Vi Föräldrar (Mai 1968), S. 75. Abb. 12: „Semper im Schnellkaufladen“, Semper i snabköpbutik, in: Stig Nordfeldt, Semper och forskning, in: Semper (Hg.), 25 år, Stockholm 1964, S. 18 – 51, hier S. 36. Abb. 13: Flugblatt – Die Flasche, in: Archiv für Soziale Bewegungen, Freiburg i. Breisgau. Abb. 14: „Wissenschaftliche Abteilung zur Milchversorgung in Halle 56: Nahrungs- und Genussmittel“, 1911 Internationale Hygiene-Ausstellung Dresden, 06.05. – 31. 10. 1911, Fotodokumentation der Ausstellung (63 Motive, Bl. 64 – 126); Bild 58, DHMD 2001/ 196.58. Abb. 15: „Gesundheitsfürsorge, Abteilung III : Pflege des gesunden und kranken Säuglings und Kleinkindes. Ausstellungsbereich: Natürliche Ernährung“, 1926; Deutsches H ­ ygiene-Museum, Werkstatt/Album GESOLEI III : Mutter, Säugling, Kleinkind, Verein für Säuglingsfürsorge/Fotodokumentation aus der Hauptabteilung SO der Großen Ausstellung Gesundheitspflege (GE ) soziale Fürsorge (SO ) und Leibesübungen (LEI ) Düsseldorf 1926 (68 Bildmotive); Bild 15, DHMD 2012/330.15. Abb. 16: „Das Loch im Flaschenhut. Natürliche und künstliche Säuglingsernährung“, um 1923, Glasplattendiapositiv Lichtbildreihe 23 (60 LB ), Bild 54, DHMD 2005/652. Abb. 17: „Welchen Einfluß haben Ernährung und Pflegebedingungen?“, Elisabeth Behrend, Bild und Wort zur Säuglingspflege, 2Leipzig/Berlin 1929, S. 2. Abb. 18: „Wann bekommt mein Kind Nahrung?“ Leo Langstein/Fritz Rott, Atlas der Hygiene des Säuglings und des Kleinkindes, Berlin 1918, Tafel 63. Abb. 19: „Wenn das Kind nicht gestillt werden kann und bei gemischter Ernährung“, Om barnet ej kann ammas och vid blandad uppfödning, Plakat der Ausstellung „Mor och

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Barn“ 1936, Riksarkivet, Svenska Röda Korset I, Svenska röda korsets fotosamling, Serie 1. Tematisk ordnade fotografier ca 1900 – 1965, Volym 136, Foto: Verena Limper. Abb. 20: „Besucht regelmäßig Barnavårdscentral (oder „Mjölkdroppe“),“ Besök regelbundet Barnavårdscentral (eller „Mjölkdroppe“), Plakat der Ausstellung „Mor och Barn“ 1936, Riksarkivet, Svenska Röda Korset I, Svenska röda korsets fotosamling, Serie 1. Tematisk ordnade fotografier ca 1900 – 1965, Volym 136, Foto: Verena Limper. Abb. 21: „Ernährung durch die Flasche“, Leo Langstein/Fritz Rott, Atlas der Hygiene des Säuglings und des Kleinkindes, Berlin 1918, Tafel 72. Abb. 22: Semper, Babysemp 2, in: Semperarkivet, Ö 6 f – Föremal, Förpackning, Frontseite, Foto: Verena Limper. Abb. 23: Semper, Babysemp 2, in: Semperarkivet, Ö 6 f – Föremal, Förpackning, Rückseite, Foto: Verena Limper. Abb. 24: Gewichtstafel, DTA 856/II ,1, Hildegard R., Tagebuch für Dorle, (1930 – 1931), S. 2. Abb. 25: Wiegetabelle der Mütterberatungsstelle, DTA 1840,4 Elisabeth B., Kindertagebuch über Tochter Angela (1947 – 1948). Abb. 26: DHMD 2000/430.1 Babykostwärmer in Warenverpackung, mit Garantieschein/ Anleitung, Löffel, Glasmanschette, ca. 1980, Foto: Verena Limper.