Die Wechselwirkung zwischen Strafe und Sicherungsverwahrung bei der Strafzumessung: Zugleich ein Versuch der Bestimmung des Verhältnisses von Strafe und Sicherungsverwahrung nach vorpositiven Begründungssätzen und geltender Rechtslage [1 ed.] 9783428551811, 9783428151813

Die Arbeit beschäftigt sich mit der Wechselwirkung zwischen Strafe und Sicherungsverwahrung bei der Strafzumessung. Sie

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Die Wechselwirkung zwischen Strafe und Sicherungsverwahrung bei der Strafzumessung: Zugleich ein Versuch der Bestimmung des Verhältnisses von Strafe und Sicherungsverwahrung nach vorpositiven Begründungssätzen und geltender Rechtslage [1 ed.]
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Schriften zum Strafrecht Band 318

Die Wechselwirkung zwischen Strafe und Sicherungsverwahrung bei der Strafzumessung Zugleich ein Versuch der Bestimmung des Verhältnisses von Strafe und Sicherungsverwahrung nach vorpositiven Begründungssätzen und geltender Rechtslage

Von

Thomas Giering

Duncker & Humblot · Berlin

THOMAS GIERING

Die Wechselwirkung zwischen Strafe und Sicherungsverwahrung bei der Strafzumessung

Schriften zum Strafrecht Band 318

Die Wechselwirkung zwischen Strafe und Sicherungsverwahrung bei der Strafzumessung Zugleich ein Versuch der Bestimmung des Verhältnisses von Strafe und Sicherungsverwahrung nach vorpositiven Begründungssätzen und geltender Rechtslage

Von

Thomas Giering

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Universität Leipzig hat diese Arbeit im Jahre 2017 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2018 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: L101 Mediengestaltung, Fürstenwalde Druck: buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0558-9126 ISBN 978-3-428-15181-3 (Print) ISBN 978-3-428-55181-1 (E-Book) ISBN 978-3-428-85131-2 (Print & E-Book)

Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meiner Familie in tiefer Dankbarkeit gewidmet

Vorwort Die vorliegende Dissertation wurde im Wintersemester 2017 / 18 an der Juristenfakultät der Universität Leipzig zur Promotion angenommen. Die mündliche Prüfung fand am 18.  Januar 2017 statt. Für die Drucklegung wurde die Literatur und Rechtsprechung auf den Stand von Januar 2017, an bestimmten Stellen auch darüber hinaus, berücksichtigt. Die Fertigstellung der Arbeit haben viele Personen begleitet. Allen gebührt mein Dank. Und dennoch möchte ich Einige hervorheben: Allen voran und mein ganz besonderer Dank gebührt Herrn Prof. Dr. Diethelm Klesczewski. Er hat meine Begeisterung für das Thema bereits früh – und lange vor der eigentlichen Arbeit daran  – geweckt und die Arbeit über einen langen Zeit­ raum geduldig und stets fördernd begleitet und betreut. Seinem wissenschaft­ lichen Vorbild und seinen fachlichen und persönlichen Anmerkungen ver­ danke ich sehr viel. Mein Dank gebührt auch Herrn Prof. Dr. Hendrik Schneider für die umgehende Zweitkorrektur und Herrn Prof. Dr. Michael Kahlo für die Übernahme des Prüfungsvorsitzes in meiner mündlichen Ver­ teidigung. Meinen Freunden Dr. Peter Gottschaldt, Tim Sehring und Dr. Marc Kirch­ ner gilt meine Dankbarkeit für den zahlreichen Gedankenaustausch, Zuspruch und die Motivation bis zur Fertigstellung dieser Arbeit und natürlich darüber hinaus. Meine tiefe Dankbarkeit gebührt schließlich meiner Familie  – nah und fern – für deren bedingungslose Liebe und Unterstützung in allen Lebens­ lagen. Ihnen ist die Arbeit auch gewidmet. Berlin, im August 2017

Thomas Giering

Inhaltsübersicht Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 1. Teil

Die Strafe 

36

1. Kapitel

Wesen und Zweck der Strafe – ein Überblick über historische und aktuelle Ansätze der Straftheorie 

36

A. Die sogenannte absolute Straftheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 I. Die Straftheorie von Immanuel Kant . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 II. Die Straftheorie von Georg Wilhelm Friedrich Hegel . . . . . . . . . . . . . . . 44 B. Die sogenannten relativen Straftheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Paul Johann Anselm von Feuerbach: Die Theorie der negativen Gene­ ralprävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Günther Jakobs: Die Theorie der positiven Generalprävention . . . . . . . . III. Franz von Liszt: Die spezialpräventive Straftheorie . . . . . . . . . . . . . . . . .

61 61 65 72

C. Die sogenannten Vereinigungstheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 I. Claus Roxin: Die spezialpräventive Vereinigungstheorie . . . . . . . . . . . . . 77 II. Michael Köhler: Die freiheitsgesetzliche Straftheorie . . . . . . . . . . . . . . . 81 2. Kapitel

Die Straftheorie der Rechtsprechung vor dem Hintergrund der geltenden Gesetzeslage 

89

A. Die Straftheorie des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 I. Gesetzeshistorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 II. Die Straftheorie des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 B. Die Straftheorie der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Schuldausgleich als Grundlage der Strafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Berücksichtigung präventiver Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Beurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .



95 96 97 97

10 Inhaltsübersicht 3. Kapitel

Die der Untersuchung zugrundeliegende Auffassung 

99

2. Teil

Die Maßregeln der Besserung und Sicherung 

102

1. Kapitel

Maßregeltheorien im Überblick 

102

A. Die Maßregeln des geltenden Rechts im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 I. Die Unterscheidung zwischen freiheitsentziehenden und freiheitsbe­ schränkenden Maßregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 II. Die Unterscheidung nach der Funktion der Maßregeln . . . . . . . . . . . . . . 107 B. Eigenständige Maßregeltheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 I. Rechtfertigung aus übergeordneten Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 II. Verfassungsrechtliche Rechtfertigungsansätze  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 C. Aus den Straftheorien entwickelte Maßregeltheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 I. Der generalpräventive Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 II. Der freiheitsgesetzliche Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 D. Zusammenfassung   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 2. Kapitel

Die Sicherungsverwahrung im Besonderen 

138

A. Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 I. Rechtfertigung der Sicherungsverwahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 II. Terminologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 B. Historische Entwicklung im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 I. Die Einführung der Sicherungsverwahrung durch das Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung vom 24. November 1933 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 II. Änderungen im Rahmen der Großen Strafrechtsreform . . . . . . . . . . . . . . 147 III. Ausweitungen in den 1990er und 2000er Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 IV. Beschränkungen durch das Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom 22. De­ zember 2010 und das Gesetz zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung vom 5. Dezem­ ber 2012 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 C. Grundsätzliche Bedenken gegen die Sicherungsverwahrung . . . . . . . . . . . 150 I. Die Erforderlichkeit der Sicherungsverwahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 II. Der betroffene Personenkreis und der Katalog der Anlasstaten . . . . . . . . 151

Inhaltsübersicht11 III. Unsicherheiten im Umgang mit den notwendigen Prognosen . . . . . . . . . 154 IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 D. Einordnung der Sicherungsverwahrung in den europa- und verfassungsrechtlichen Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 I. Vereinbarkeit der §§ 66 ff. StGB mit dem Europarecht . . . . . . . . . . . . . . 159 II. Verfassungsmäßigkeit der Sicherungsverwahrung nach §§ 66, 66a StGB  177 E. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 3. Teil

Die Strafzumessung 

222

1. Kapitel



Die Strafzumessungsentscheidung des Tatgerichts und ihre gerichtliche Überprüfbarkeit 

A. Grundsätzliches zur Bemessung der Strafe nach §§ 46 ff. StGB . . . . . . . . I. Einordnung und Gesetzesgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die gesetzlichen Vorgaben zur Strafzumessung im Überblick . . . . . . . . . III. Die Darstellung in den Urteilsgründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

222 223 223 224 232

B. Die Anfechtung der Strafzumessungsentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 I. Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 II. Beschränkung der Anfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 2. Kapitel

Die Theorie vom Schuldrahmen 

235

A. Die „Spielraumtheorie“ der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 I. Die theoretischen Annahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 II. Kritische Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 B. Die Berücksichtigung der Sicherungsverwahrung bei der Strafzumessung nach der Rechtsprechung auf der Grundlage der „Spielraum­ theorie“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 I. Die Anordnung der Sicherungsverwahrung im Ausgangsverfahren  . . . . 241 II. Die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung im Ausgangsverfahren . 249 III. Der Vorbehalt der Sicherungsverwahrung im Ausgangsverfahren . . . . . . 252 IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 C. Kritik der Rechtsprechung zur Wechselwirkung zwischen Strafe und Sicherungsverwahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 I. Kritik der präventiven Begründungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 II. Kritik der Gesamtabstimmung von Rechtsfolgen aufgrund und anläss­ lich von Straftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266

12 Inhaltsübersicht III. Zur Frage der Wechselwirkung in den Fällen des Vorbehalts der Siche­ rungsverwahrung nach § 66a StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 IV. Kritik der Rechtsprechung zur Beschränkbarkeit der Anfechtung in diesem Zusammenhang  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 V. Kritik der Berücksichtigung der Wechselwirkung nur bei der Gesamt­ strafenbildung bzw. auch bei der Einzelstrafenbildung . . . . . . . . . . . . . . 283 VI. Kritik aus der Sicht der Rechtsprechung zu den §§ 63, 64 StGB im vikariierenden System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 VII. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 D. Argumentative Neuausrichtung der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Höhere Belastung des Gefangenen im Strafvollzug . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gesamtabstimmung der Strafe mit der Maßregel der Führungsaufsicht nach § 68 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Verfahrensrechtliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

300 301 307 310

E. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 3. Kapitel

Weitere theoretische Ansätze 

312

A. Die Strafzumessung nach der Spielraumtheorie auf der Grundlage der präventiven Vereinigungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 I. Allgemeines zur Strafzumessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 II. Auswirkungen auf den Untersuchungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 B. Die Strafzumessung auf der Grundlage des freiheitsgesetzlichen Ansatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die konkrete Strafbemessung unter Einbeziehung habitueller Schuld . . . II. Kritische Beurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Wechselwirkung von Strafe und Sicherungsverwahrung nach der freiheitsgesetzlichen Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

314 314 317 318

C. Die Stellenwerttheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Kritische Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Einordnung des Untersuchungsgegenstandes in die Theorie . . . . . . .

320 320 321 324

D. Die Theorie tatproportionalen Strafens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die theoretischen Annahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Kritische Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Berücksichtigung der Sicherungsverwahrung im Rahmen der Theorie tatproportionalen Strafens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

326 326 327 330

E. Die Theorie der Strafzumessung als sozialer Gestaltungsakt . . . . . . . . . . . 332 F. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333

Inhaltsübersicht13 4. Teil

Eigener Ansatz 

336

1. Kapitel

Die Erstreckung des vikariierenden Systems auf die Sicherungsverwahrung 

336

A. Unanwendbarkeit der bestehenden Regelungen auf die Sicherungsverwahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 I. Unmöglichkeit einer erweiternden Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 II. Unmöglichkeit einer Analogiebildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 B. Die Notwendigkeit einer Erstreckung des vikariierenden Systems auf die Sicherungsverwahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 I. Die Notwendigkeit der Anwendung der Grundsätze des Vikariierens auf die Sicherungsverwahrung aus straftheoretischer Sicht . . . . . . . . . . . 345 II. Erforderlichkeit einer Neuregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 C. Maßstäbe der Anwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 2. Kapitel Ergebnis 

349

Zusammenfassung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 1. Teil

Die Strafe 

36

1. Kapitel

Wesen und Zweck der Strafe – ein Überblick über historische und aktuelle Ansätze der Straftheorie 

36

A. Die sogenannte absolute Straftheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Straftheorie von Immanuel Kant . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtfertigung der Strafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Recht, Unrecht und Zwangsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verbrechen und Strafe in der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . b) Strafzumessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Straftheorie von Georg Wilhelm Friedrich Hegel . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtfertigung der Strafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Rechtsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Unrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Strafbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Rechtfertigung im abstrakten Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Wiederherstellung des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Selbstgesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die Strafe in der bürgerlichen Gesellschaft . . . . . . . . . . . dd) Exkus: Rechtszwang gegen den natürlichen Willen . . . . . . . . b) Strafzumessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Beurteilung der Strafbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beurteilung der Strafzumessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

37 38 38 38 38 40 41 42 44 45 45 45 46 48 48 49 49 50 52 52 54 54 57 60

B. Die sogenannten relativen Straftheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61

16 Inhaltsverzeichnis I.

Paul Johann Anselm von Feuerbach: Die Theorie der negativen Gene­ ralprävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtfertigung der Strafandrohung und der Strafe . . . . . . . . . . . . . b) Strafzumessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Günther Jakobs: Die Theorie der positiven Generalprävention . . . . . . . . 1. Die Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtfertigung der Strafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Strafzumessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Franz von Liszt: Die spezialpräventive Straftheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

61 61 61 62 63 65 65 65 67 68 72 73 74

C. Die sogenannten Vereinigungstheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Claus Roxin: Die spezialpräventive Vereinigungstheorie . . . . . . . . . . . . . 1. Die Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Schuldlehre Roxins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Straftheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Michael Köhler: Die freiheitsgesetzliche Straftheorie . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Recht und Verbrechen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der (Willens-)Schuldbegriff in der Aristotelischen Tradition . . . . c) Die Strafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Strafzumessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

77 77 77 77 78 80 81 81 82 82 84 85 86

2. Kapitel

Die Straftheorie der Rechtsprechung vor dem Hintergrund der geltenden Gesetzeslage 

A. Die Straftheorie des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Gesetzeshistorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vom Reichsstrafgesetzbuch von 1871 zu den Reformvorhaben bis 1932 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Entwürfe eines Strafgesetzbuches von 1959, 1960 und 1962 als Ergebnis der Arbeiten der Großen Strafrechtskommission . . . . . . . . . a) Vorschlag und Ablehnung der ausdrücklichen Regelung der Strafzwecke im Strafgesetzbuch durch die Große Strafrechts­ kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

89 89 89 89 90

90

Inhaltsverzeichnis17 b) Der gegenseitige Einfluss der Großen Strafrechtskommission und des Bundesgerichtshofes auf die Ablehnung der Regelung der Strafzwecke im Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Alternativentwurf des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches von 1966 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Der Abschluss der Reformvorhaben durch das Erste und Zweite Gesetz zur Reform des Strafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Straftheorie des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Die Straftheorie der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Schuldausgleich als Grundlage der Strafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Berücksichtigung präventiver Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Beurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

91 93 94 95

95 96 97 97

3. Kapitel

Die der Untersuchung zugrundeliegende Auffassung 

99

2. Teil

Die Maßregeln der Besserung und Sicherung 

102

1. Kapitel

Maßregeltheorien im Überblick 

102

A. Die Maßregeln des geltenden Rechts im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 I. Die Unterscheidung zwischen freiheitsentziehenden und freiheitsbe­ schränkenden Maßregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 1. Die freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung im StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 2. Die lediglich freiheitsbeschränkenden Maßregeln der Besserung und Sicherung im StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 II. Die Unterscheidung nach der Funktion der Maßregeln . . . . . . . . . . . . . . 107 1. Strafersetzende Maßregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 2. Strafergänzende Maßregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 3. Strafvertretende Maßregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 B. Eigenständige Maßregeltheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Rechtfertigung aus übergeordneten Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Mangel an innerer Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Gedanke der sozialen Notwehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verfassungsrechtliche Rechtfertigungsansätze  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verwirkung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die staatliche Schutzpflicht und das Prinzip des überwiegenden Interesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

108 108 108 111 114 114 117

18 Inhaltsverzeichnis a) Die Begründungsansätze im Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 b) Die Dogmatik der staatlichen Schutzpflichten aus Grundrechten . 119 aa) Inhalt und Reichweite der grundrechtlichen Schutzpflicht des Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 bb) Ableitung der staatlichen Schutzpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 (1) Anknüpfung an Hobbes und Locke . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 (2) Exkurs: von Listzsche Strafidee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 c) Kritische Beurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 3. Die Sonderopfertheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 C. Aus den Straftheorien entwickelte Maßregeltheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der generalpräventive Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kritische Beurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der freiheitsgesetzliche Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Theoretische Annahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kritische Beurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

129 129 129 131 132 132 134

D. Zusammenfassung   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 2. Kapitel

Die Sicherungsverwahrung im Besonderen 

138

A. Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 I. Rechtfertigung der Sicherungsverwahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 1. Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 2. Freiheitsgesetzliche Rechtfertigung dem Grunde nach . . . . . . . . . . . . 140 3. Strafergänzende Anwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 4. Tätertypologie und Strafmaßdifferenzierungen bei habitueller Krimi­ nalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 5. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 II. Terminologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 B. Historische Entwicklung im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 I. Die Einführung der Sicherungsverwahrung durch das Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung vom 24. November 1933 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 II. Änderungen im Rahmen der Großen Strafrechtsreform . . . . . . . . . . . . . . 147 III. Ausweitungen in den 1990er und 2000er Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 IV. Beschränkungen durch das Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom 22. De­ zember 2010 und das Gesetz zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung vom 5. Dezem­ ber 2012 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 C. Grundsätzliche Bedenken gegen die Sicherungsverwahrung . . . . . . . . . . . 150

Inhaltsverzeichnis I. II. III. IV.

Die Erforderlichkeit der Sicherungsverwahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der betroffene Personenkreis und der Katalog der Anlasstaten . . . . . . . . Unsicherheiten im Umgang mit den notwendigen Prognosen . . . . . . . . . Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

19 150 151 154 157

D. Einordnung der Sicherungsverwahrung in den europa- und verfassungsrechtlichen Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 I. Vereinbarkeit der §§ 66 ff. StGB mit dem Europarecht . . . . . . . . . . . . . . 159 1. Die Sicherungsverwahrung und das Recht der EMRK . . . . . . . . . . . . 159 a) Grundsätzliches zum Verhältnis der EMRK zum nationalen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 b) Die Sicherungsverwahrung nach deutschem Recht und das Recht auf Freiheit und Sicherheit nach Art. 5 Abs. 1 EMRK . . . . . . . . . 160 aa) Die Sicherungsverwahrung als Freiheitsentzug nach Art. 5 Abs. 1 S. 2 lit. a EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 bb) Die Sicherungsverwahrung als Freiheitsentzug nach Art. 5 Abs. 1 S. 2 lit. c EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 cc) Die Sicherungsverwahrung als Freiheitsentzug nach Art. 5 Abs. 1 S. 2 lit. e EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 dd) Schlussfolgerungen aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 EMRK für das deutsche Recht der Sicherungsverwahrung . . . . . . . . . . . . . . . 165 c) Die Sicherungsverwahrung nach deutschem Recht als Strafe i. S. d. Art. 7 Abs. 1 EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 aa) Autonome Begriffsbestimmung des EGMR . . . . . . . . . . . . . . 167 bb) Folgerungen aus dem Strafbegriff des EGMR . . . . . . . . . . . . 171 d) Die Sicherungsverwahrung nach deutschem Recht und das Folterverbot nach Art. 3 EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 e) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 2. Exkurs: Die Sicherungsverwahrung und die Europäische Grund­ rechtscharta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 II. Verfassungsmäßigkeit der Sicherungsverwahrung nach §§ 66, 66a StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 1. Gesetzgebungskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 2. Die Garantie der Menschenwürde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 a) Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 b) Resozialisierung als Ausdruck der Menschenwürde  . . . . . . . . . . . 182 c) Das Verbot erniedrigender, grausamer und unmenschlicher Behandlung als Ausdruck der Menschenwürde . . . . . . . . . . . . . . . 184 3. Die Garantie der persönlichen Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 a) Formale Anforderungen an die Rechtfertigung einer Freiheitsent­ ziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 b) Materielle Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 aa) Vorüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 bb) Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers  . . . . . . . . . . . . . . . . . 191

20 Inhaltsverzeichnis cc) Schutz gewichtiger Rechtsgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 dd) Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 (1) Unbestimmte Dauer der Sicherungsverwahrung . . . . . . . 193 (a) Gebot erster Überprüfungen der Erforderlichkeit noch während des Strafvollzugs . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 (b) Fortlaufende Überprüfungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 (2) Zur Frage eines Gebotes der Festsetzung von Höchst­ fristen für die Vollstreckung der Sicherungsverwahrung . 197 ee) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 4. Der Grundsatz der Rechtssicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 a) Der Vertrauensschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 aa) Verhältnis zu Art. 103 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 bb) Exkurs: Der allgemeine Vertrauensschutz in den Konstella­ tionen der Rückwirkungsfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 (1) Die nachträgliche Verlängerung der Dauer der Siche­ rungsverwahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 (2) Die nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach § 66b StGB a. F.  . . . . . . . . . 207 cc) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 b) Bestimmtheitsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 aa) Hang zu erheblichen Straftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 (1) Der Begriff des „Hangs“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 (2) Die Erheblichkeit der zu erwartenden Straftaten . . . . . . . 213 bb) Gefährlichkeit für die Allgemeinheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 cc) Verhältnis zwischen dem Hangmerkmal und der Gefährlich­ keitsprognose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 5. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 E. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 3. Teil

Die Strafzumessung 

222

1. Kapitel

Die Strafzumessungsentscheidung des Tatgerichts und ihre gerichtliche Überprüfbarkeit 

A. Grundsätzliches zur Bemessung der Strafe nach §§ 46 ff. StGB . . . . . . . . I. Einordnung und Gesetzesgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die gesetzlichen Vorgaben zur Strafzumessung im Überblick . . . . . . . . . 1. Strafrahmenwahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die relevanten Umstände der Strafbemessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

222 223 223 224 225 225

Inhaltsverzeichnis21 a) Die strafprozessuale Feststellung der Umstände und die Darstel­ lung in den Urteilsgründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Schuld als Grundlage, § 46 Abs.1 S. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . c) Der Katalog des § 46 Abs. 2 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Präventive Aspekte, § 46 Abs. 1 S. 2 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Weitere Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Bewertung der relevanten Umstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Bewertung der einzelnen Umstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Bewertung des gesamten Falls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Darstellung in den Urteilsgründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

226 227 227 228 228 229 229 231 232

B. Die Anfechtung der Strafzumessungsentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Beschränkung der Anfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die isolierte Anfechtung des Rechtsfolgenausspruchs . . . . . . . . . . . . .

233 233 234 234 235

2. Kapitel

Die Theorie vom Schuldrahmen 

235

A. Die „Spielraumtheorie“ der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 I. Die theoretischen Annahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 II. Kritische Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 B. Die Berücksichtigung der Sicherungsverwahrung bei der Strafzumessung nach der Rechtsprechung auf der Grundlage der „Spielraum­ theorie“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 I. Die Anordnung der Sicherungsverwahrung im Ausgangsverfahren  . . . . 241 1. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . 241 2. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 3. Die Rechtsprechung der Ausgangsgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 a) Vorüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 b) Nichterwähnung in den Urteilsgründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 c) Strafmildernde Berücksichtigung der Sicherungsverwahrung bei der Strafzumessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 aa) Strafmildernde Berücksichtigung sowohl bei der Einzel- als auch der Gesamtstrafenbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 bb) Strafmildernde Berücksichtigung bei der Gesamtstrafenbil­ dung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 II. Die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung im Ausgangsverfahren . 249 III. Der Vorbehalt der Sicherungsverwahrung im Ausgangsverfahren . . . . . . 252 IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 C. Kritik der Rechtsprechung zur Wechselwirkung zwischen Strafe und Sicherungsverwahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254

22 Inhaltsverzeichnis I.

II.

III. IV.

V. VI.

Kritik der präventiven Begründungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 1. Straftheoretische Kritik der Übernahme von Strafzwecken durch die Sicherungsverwahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 2. Kritische Beurteilung der Übernahme der Strafzwecke im Einzelnen  257 a) Nicht zwingende Wechselwirkung von Strafe und Sicherungs­ verwahrung nach der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 b) Die einzelnen Strafzwecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 aa) Positive Spezialprävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 bb) Negative Spezialprävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 cc) Sicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 dd) Generalprävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 3. Ungewissheit über den Vollzug nach Anordnung der Sicherungsver­ wahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 Kritik der Gesamtabstimmung von Rechtsfolgen aufgrund und anläss­ lich von Straftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 1. Die Rechtsprechung zur Abstimmung von Strafe und Sicherungs­ verwahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 2. Das Prinzip der Gesamtabstimmung der Rechtsfolgen in der Recht­ sprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 3. Kritische Beurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 a) Die Rechtsprechung zur Gesamtabstimmung von Rechtsfolgen überhaupt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 b) Die Berücksichtigung lediglich möglicher Folgen als Ausdruck des Zweifelssatzes  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 c) Zur Frage der Wechselwirkung zwischen Strafe und Sicherungs­ verwahrung als Ausdruck des Zweifelssatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 Zur Frage der Wechselwirkung in den Fällen des Vorbehalts der Siche­ rungsverwahrung nach § 66a StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 Kritik der Rechtsprechung zur Beschränkbarkeit der Anfechtung in diesem Zusammenhang  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 1. Die Rechtsprechung zu §§ 20a, 42e StGB a. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 2. Die Rechtsprechung zu §§ 46, 66, 66a StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 3. Beurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 Kritik der Berücksichtigung der Wechselwirkung nur bei der Gesamt­ strafenbildung bzw. auch bei der Einzelstrafenbildung . . . . . . . . . . . . . . 283 Kritik aus der Sicht der Rechtsprechung zu den §§ 63, 64 StGB im vikariierenden System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 1. Die Rechtsprechung zu §§ 63, 64 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 a) Wechselwirkung zwischen Strafe und Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 aa) Rechtsprechung zu § 63 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 bb) Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288

Inhaltsverzeichnis23 b) Wechselwirkung zwischen Strafe und Unterbringung in einer Entziehungsanstalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Rechtsprechung zu § 64 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kritische Beurteilung in Bezug auf die Rechtsprechung zur Sicherungsverwahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das vikariierende System nach § 67 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das vikariierende System im geltenden Recht . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zur Frage der strafzumessungsrechtlichen Relevanz  . . . . . . . . . . c) Implikationen für die Rechtsprechung zu § 66 StGB . . . . . . . . . . . 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Argumentative Neuausrichtung der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Höhere Belastung des Gefangenen im Strafvollzug . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Intensiverer Strafvollzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vollzugslockerungen und Hafturlaub . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Einschränkungen aufgrund der Anordnung der Sicherungsver­ wahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Keine Einschränkungen aufgrund bloßen Vorbehalts der Siche­ rungsverwahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anwendbarkeit der Rechtsprechung zur Folgenabstimmung . . . . . . . . 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gesamtabstimmung der Strafe mit der Maßregel der Führungsaufsicht nach § 68 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Verfahrensrechtliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

290 290 291 292 293 294 296 299 299 299 300 301 301 302 302 305 306 306 307 310

E. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 3. Kapitel

Weitere theoretische Ansätze 

312

A. Die Strafzumessung nach der Spielraumtheorie auf der Grundlage der präventiven Vereinigungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 I. Allgemeines zur Strafzumessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 II. Auswirkungen auf den Untersuchungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 B. Die Strafzumessung auf der Grundlage des freiheitsgesetzlichen Ansatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die konkrete Strafbemessung unter Einbeziehung habitueller Schuld . . . II. Kritische Beurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Wechselwirkung von Strafe und Sicherungsverwahrung nach der freiheitsgesetzlichen Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Möglichkeit der Wechselwirkung nach der freiheitsgesetzlichen Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kritische Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

314 314 317 318 318 319

24 Inhaltsverzeichnis C. Die Stellenwerttheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Kritische Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Einordnung des Untersuchungsgegenstandes in die Theorie . . . . . . . 1. Die Wechselwirkung zwischen Strafe und Sicherungsverwahrung . . . 2. Kritische Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

320 320 321 324 324 325

D. Die Theorie tatproportionalen Strafens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die theoretischen Annahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Kritische Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Berücksichtigung der Sicherungsverwahrung im Rahmen der Theorie tatproportionalen Strafens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Möglichkeiten der Wechselwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kritische Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

326 326 327 330 330 332

E. Die Theorie der Strafzumessung als sozialer Gestaltungsakt . . . . . . . . . . . 332 F. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 4. Teil

Eigener Ansatz 

336

1. Kapitel

Die Erstreckung des vikariierenden Systems auf die Sicherungsverwahrung 

336

A. Unanwendbarkeit der bestehenden Regelungen auf die Sicherungsverwahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 I. Unmöglichkeit einer erweiternden Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 II. Unmöglichkeit einer Analogiebildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 B. Die Notwendigkeit einer Erstreckung des vikariierenden Systems auf die Sicherungsverwahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 I. Die Notwendigkeit der Anwendung der Grundsätze des Vikariierens auf die Sicherungsverwahrung aus straftheoretischer Sicht . . . . . . . . . . . 345 II. Erforderlichkeit einer Neuregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 C. Maßstäbe der Anwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 2. Kapitel Ergebnis 

349

Zusammenfassung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379

Abkürzungsverzeichnis a. A.

andere Auffassung

abl. ablehnend(er) Abs.

Absatz

AE

Alternativentwurf

a. E.

am Ende

AE-1966

Alternativ-Entwurf eines Strafgesetzbuches, Allgemeiner Teil; hrsg. v. Jürgen Baumann u. a.; Tübingen, 1966 (zit.: AE-1966, Seite)

a. F.

alte Fassung

ALR

Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten

Anm.

Anmerkung

AöR

Archiv des öffentlichen Rechts (zit.: Band  (Jahr), Seite)

ARSP

Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie (zit.: Band  (Jahr), Seite)

ARSP-Beiheft

Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie, Beiheft (zit.: Band  (Jahr), Seite)

Art.

Artikel

AT

Allgemeiner Teil

Az.

Aktenzeichen

BAnz

Bundesanzeiger (zit.: Jahr, Nr.)

BayObLG

Bayrisches Oberstes Landesgericht

BayStVollzG

Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe und der Jugend­ strafe vom 10.12.2007 (GVBl. S. 866), zuletzt geändert mit Gesetz vom 22.07.2014 (GVBl. S. 286)

BaySvVollzG

Gesetz über den Vollzug der Sicherungsverwahrung in Bayern vom 22.05.2013 (GVBl. S. 275)

BbgJVollzG

Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe, der Jugendstrafe und der Untersuchungshaft im Land Brandenburg vom 24.04.2013 (GVBl. I / 13), zuletzt geändert mit Gesetz vom 10.07.2014 (GVBl. I / 14)

BbgSVVollzG

Gesetz über den Vollzug der Unterbringung in der Siche­ rungsverwahrung im Land Brandenburg vom 16.05.2013 (GVBl. 1 / 13), zuletzt geändert mit Gesetz vom 10.07.2014 (GVBl. I / 14)

BeckRS

Beck-Online Rechtssache (zit.: Jahr, Nr.)

26 BGBl. BGH BGHR

Abkürzungsverzeichnis

Bundesgesetzblatt (zit.: (Jahr) Teil, Seite) Bundesgerichtshof BGH-Rechtsprechung in Strafsachen, hrsg. v. den Richtern des Bundes-Gerichtshofs (Stand: Juli / August 2015) BGHSt(-GS) Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen (Gro­ ßer Senat) (zit.: Band, Seite) BremStVollzG Gesetz zur Neuregelung des Vollzugs der Freiheitsstrafe in der Freien Hansestadt Bremen vom 25.11.2014 (Gbl. S. 639) BremSVVollzG Bremisches Sicherungsverwahrungsvollzugsgesetz vom 21.05. 2013 (GBl. S. 172) bspw. beispielsweise BT Besonderer Teil BT-Drucks. Drucksache des Deutschen Bundestags (zit.: Wahlperiode /  Nummer, Seite) BVerfG Bundesverfassungsgericht BVerfGE Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (zit.: Band, Seite) bzw. beziehungsweise ca. circa ders. / dies. derselbe / dieselbe d. h. das heißt d. i. das ist ebd. ebenda EGMR Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte EGStGB Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch Einl. Einleitung einschr. einschränkend EMRK Europäische Menschenrechtskonvention vom 4. November 1950 (BGBl. 1952 II, 685) Erg. Ergebnis EU Europäische Union EuGRZ Europäische Grundrechte-Zeitschrift (zit.: Jahr, Seite) EurGRCh Europäische Grundrechtscharta EUV Vertrag über die Europäische Union f. / ff. folgende / fortfolgende FDP Freie Demokratische Partei Deutschlands FG Festgabe Fn. Fußnote FS Festschrift GA Goldtdammer’s Archiv für Strafrecht (zit.: Jahrgang, Seite)



Abkürzungsverzeichnis27

geb. geboren GG Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23.05.1949 (BGBl. S. 1), zuletzt geändert mit Gesetz vom 23.12.2014 (BGBl. I S. 2438) GPR Grundlinien der Philosophie des Rechts GVG Gerichtsverfassungsgesetz; i. d. F. der Bekanntmachung vom 09.05.1975 (BGBl. I S. 1077), zuletzt geändert mit Gesetz vom 30.05.2016 (BGBl. I S. 1254) HESt Höchstrichterliche Entscheidungen in Strafsachen HmbStVollzG Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe vom 14.07.2009 (HmbGVBl. S. 257), zuletzt geändert mit Gesetz vom 21.05.2013 (HmbGVBl. S. 211, 233) HmbSVVollzG Gesetz über den Vollzug der Sicherungsverwahrung vom 21.05.2013 (HmbGVBl. S. 211) HRRS Höchstrichterliche Rechtsprechung im Strafrecht (zit.: Jahr, Seite) Hrsg. Herausgeber hrsg. v. herausgegeben von HStVollzG Hessisches Strafvollzugsgesetz vom 28.06.2010 (GVBl. S. 185), zuletzt geändert mit Gesetz vom 05.03.2013 (GVBl. S. 46) HSVVollzG Hessisches Sicherungsverwahrungsvollzugsgesetz vom 05.03.2013 (GVBl. S. 46) i. d. S. in diesem Sinn(e) i. e. S. im engeren(m) Sinn(e) i. R.d. im Rahmen der / des i. R.v. im Rahmen vom / von i. S. d. im Sinne der / des i. S. e. im Sinne einer / eines i. S. v. im Sinne von i. w. S. im weiteren Sinne JA Juristische Ausbildung (Zeitschrift, zit.: Jahr, Seite) JbRuE Jahrbuch für Recht und Ethik (Zeitschrift, zit.: Band  (Jahr), Seite) JGG Jugendgerichtsgesetz i. d. F. der Bekanntmachung vom 11.12.1974 (BGBl. I S. 3427), zuletzt geändert mit Gesetz vom 17.07.2015 (BGBl. I S. 1332) JR Juristische Rundschau (Zeitschrift, zit.: Jahr, Seite) Jura Juristische Ausbildung (Zeitschrift; zit.: Jahr, Seite) Juris Juristisches Informationssystem für die Bundesrepublik Deutschland JuS Juristische Schulung (Zeitschrift, zit.: Jahr, Seite)

28 JVA JVollzGB B-W

Abkürzungsverzeichnis

Justizvollzugsanstalt Gesetzbuch über den Justizvollzug in Baden-Württemberg vom 10.11.2009 (GBl. S. 545), zuletzt geändert mit Gesetz vom 01.12.2015 (GBl. S. 1047, 1053) JVollzGB LSA Justizvollzugsgesetzbuch Sachsen-Anhalt vom 18.12.2015 (GVBl. LSA S. 666) JZ Juristenzeitung (Zeitschrift, zit.: Jahr, Seite) KrimJ Kriminologisches Journal (Zeitschrift, zit.: Band  (Jahr), Seite) KS Kant-Studien (Philosophische Zeitschrift der Kant-Gesell­ schaft, zit.: Band  (Jahr), Seite) LG Landgericht LJVollzG R-P Rheinland-Pfälzisches Landesgesetz zur Weiterentwicklung von Justizvollzug, Sicherungsverwahrung und Datenschutz vom 08.05.2013 (GVBl. S. 79) LStVollzG SH Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe in SchleswigHolstein vom 21.07.2016 (GVOBl. 618) LSVVollzG R-P Landessicherungsverwahrungsvollzugsgesetz Rheinland-Pfalz vom 08.05.2013 (GVBl. S. 79) m. mit MS Metaphysik der Sitten m.w. mit weiteren m. w. N. mit weiteren Nachweisen n. Chr. nach Christus (bzw. nach der Chronologie) Nds. SVVollzG Niedersächsisches Sicherungsverwahrungsgesetz vom 12.12. 2012 (Nds. GVBl. S. 566) Niederschriften Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechts­ kommission in 14 Bänden; hrsg. v. Bundesrepublik Deutsch­ land, Große Strafrechtskommission; Band  1 Grundsatzfragen (1.–13. Sitzung); Bonn, 1956; Band  4 Allgemeiner Teil (38.– 52. Sitzung); Bonn, 1958; Band  12 Zweite Lesung des Ent­ wurfs  – Allgemeiner Teil (115.–143. Sitzung); Bonn, 1959 (zit.: Niederschriften, Bd., Seite) NJVollzG Niedersächsisches Justizvollzugsgesetz vom 08.04.2014 (Nds. GVBl. S. 107) NJW Neue Juristische Wochenschrift (Zeitschrift, zit.: Jahr, Seite) Nr. Nummer NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei NStZ Neue Zeitschrift für Strafrecht (Zeitschrift, zit.: Jahr, Seite) NStZ-RR NStZ-Rechtsprechungs-Report Strafrecht (Zeitschrift, zit.: Jahr, Seite) o. Ä. oder Ähnlichem OLG Oberlandesgericht

PKS

Abkürzungsverzeichnis

29

Polizeiliche Kriminalitätsstatistik, hrsg. v. Bundesministe­rium des Inneren (zit.: Jahr, Seite)

Protokolle des Protokolle über die Beratungen des Sonderausschusses des Sonderausschusses Deutschen Bundestages für die Strafrechtsreform, 1.–150. Sit­ zung der Jahre 1965 bis 1969 (zit.: Seite) RG

Reichsgericht

RGBl.

Reichsgesetzblatt (zit.: Jahr, Teil, Seite)

RGSt

Entscheidungen des Reichsgerichts (zit.: Band, Seite)

Rn. Randnummer Rspr. Rechtsprechung RStGB

Reichsstrafgesetzbuch

S.

Satz / Seite

s. a.

siehe auch

SächsStVollzG

Sächsisches Strafvollzugsgesetz vom 16.05.2013 (Sächs­ GVBl. S. 250)

SächsSVVollzG

Sächsisches Sicherungsverwahrungsvollzugsgesetz 16.05.2013 (SächsGVBl. S. 294)

SchwZStr

Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht (zit.: Band (Jahr), Seite)

SLStVollzG

Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe im Saarland vom 24.04.2013 (Abl. I S. 116), zuletzt geändert mit Gesetz vom 21.01.2015 (Abl. I S. 187)

SLSVVollzG

Gesetz Nr. 1807 zum Vollzug der Sicherungsverwahrung im Saarland vom 15.05.2013 (Abl. S. 146)

s. o.

siehe oben

sog.

sogenannt(e / er / es)

vom

st. ständig(e) StGB

Strafgesetzbuch; mit der Bekanntmachung der Neufassung v. 13.11.1998 (BGBl. I S. 3322), zuletzt geändert mit Gesetz vom 08.07.2016 (BGBl. I S. 1610)

StPO

Strafprozessordnung; i. d. F. des 49. Strafrechtsänderungsge­ setzes v. 21.01.2015 (BGBl. I S. 10), zuletzt geändert mit Gesetz vom 08.07.2016 (BGBl. I, S. 1610)

StV

Strafverteidiger (Zeitschrift, zit.: Jahr, Seite)

StVollzG

Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe und der freiheits­ entziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung vom 16.03.1976 (BGBl. I S. 581, 2088), zuletzt geändert mit Ge­ setz vom 25.04.2015 (BGBl. I S. 935)

StVollzG Bln

Berliner Strafvollzugsgesetz vom 04.04.2016 (GVBl. S. 152)

StVollzG M-V

Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe in MecklenburgVorpommern vom 07.05.2013 (GVOBl. S. 322)

30 StVollzG NRW

Abkürzungsverzeichnis

Gesetz zur Regelung des Vollzuges der Freiheitsstrafe in Nordrhein-Westfalen vom 13.01.2015 (GV. NRW. S. 75) SVVollzG Bln Gesetz über den Vollzug der Sicherungsverwahrung in Berlin vom 27.03.2013 (GVBl. S. 71) SVVollzG LSA Gesetz über den Vollzug der Sicherungsverwahrung in Sach­ sen-Anhalt vom 13.05.2013 (GVBl. LSA S. 206), zuletzt ge­ ändert mit Gesetz vom 18.12.2015 (GVBl. LSA S. 666, 710) SVVollzG M-V Gesetz über den Vollzug der Sicherungsverwahrung in Meck­ lenburg-Vorpommern vom 07.05.2013 (GVOBl. S. 348, 430) SVVollzG NRW Gesetz zur Regelung des Vollzuges der Sicherungsverwahrung in Nordrhein-Westfalen vom 30.04.2013 (GV. NRW S. 212), zuletzt geändert mit Gesetz vom 01.07.2016 (GV. NRW S. 310) SVVollzG SH Gesetz über den Vollzug der Sicherungsverwahrung in Schles­ wig-Holstein vom 15.05.2013 (GVOBl. S. 169) ThUG Therapieunterbringungsgesetz ThürJVollzGB Thüringer Justizvollzugsgesetzbuch vom 27.02.2014 (GVBl. S. 13) ThürSVVollzG Thüringer Sicherungsverwahrungsvollzugsgesetz vom 23.05. 2013 (GVBl. S. 121), zuletzt geändert mit Gesetz vom 27.02.2014 (GVBl. S. 46) Tz. Textziffer u. a. und andere u.A. unter Anderem Urt. Urteil usw. und so weiter u. U. unter Umständen v. von / vom v. Chr. vor Christus (bzw. vor der Chronologie) Vor(.) Vorbemerkung(en) Vorbem Vorbemerkung(en) WRV Weimarer Reichsverfassung z. B. zum Beispiel ZfStrVO Zeitschrift für Strafvollzug und Straffälligenhilfe (zit.: Jahr, Seite) ZIS Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik (zit.: Jahr, Seite) zit. zitiert ZRP Zeitschrift für Rechtspolitik (zit.: Jahr, Seite) ZStW Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft (zit.: Band (Jahr), Seite)

Einleitung Die vorliegende Arbeit befasst sich mit dem Verhältnis von Strafe und Sicherungsverwahrung nach §§ 66, 66a StGB. Die Strafe und die Siche­ rungsverwahrung stellen nach geltender deutscher Rechtslage Rechtsfolgen für Straftaten dar. Das Strafgesetzbuch geht dabei von einem Nebeneinander verschiedener Strafen und weiterer Rechtsfolgen aus. Neben eine Geld(§ 40 StGB) oder Freiheitsstrafe (§ 38 StGB) treten daher Nebenstrafen (Fahrverbot, § 44 StGB), die Maßregeln der Besserung und Sicherung (§ 61 StGB), einschließlich der Sicherungsverwahrung (§§ 66, 66a StGB), und weitere Rechtsfolgen, wie beispielsweise der Verlust der Wählbarkeit (§ 45 StGB). Im Hinblick darauf, dass es der vorliegenden Arbeit maßgeblich um die (Freiheits-)Strafe und die Sicherungsverwahrung geht, werden die weite­ ren Rechtsfolgen für Straftaten nur thematisiert, soweit sie in spezifischem Zusammenhang zu dem hier interessierenden Untersuchungsgegenstand ste­ hen. Das zentrale Anliegen der Untersuchung ist die Überprüfung der Recht­ sprechung, welche eine Wechselwirkung zwischen Strafe und Sicherungsver­ wahrung im Bereich der Strafzumessung annimmt. Unter der Wechselwir­ kung zwischen Strafe und Sicherungsverwahrung versteht man den folgenden Zusammenhang: Die Sicherungsverwahrung setzt nach geltender Rechtslage stets voraus, dass der Straftäter auch zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Das heißt, die Sicherungsverwahrung tritt als weitere Rechtsfolge neben die Strafe. Die Strafe soll im Grunde Schuldausgleich sein, die Sicherungsver­ wahrung dagegen einer Rückfallgefahr des Straftäters entgegenwirken. Die Zwecke und Funktionen von Strafe und Sicherungsverwahrung scheinen da­ mit kategorial verschieden zu sein. Das wirft das Problem auf, dass, durch die neben die Strafe tretende Sicherungsverwahrung, die Belastung des Straf­ täters durch Freiheitsentzug über das Maß der verwirklichten Schuld deutlich hinausgehen kann. Dieses Nebeneinander von Strafe und Sicherungsverwah­ rung und die Belastung mit einer weiteren Rechtsfolge schränkt die Recht­ sprechung dadurch ein, dass sie zwischen beiden eine Wechselwirkung derart annimmt, dass die Sicherungsverwahrung bei der Bemessung der Freiheits­ strafe berücksichtigt wird.1 1  BGHR § 66 Abs. 1 Gefährlichkeit 1 und 2; BGH NJW 1980, 1055 (1056); NStZ 1983, 71; wistra 1988, 22; NStZ 1994, 280 (281); NJW 2000, 3015 (3016); NJW 2005, 3155 (3157); NStZ 2007, 212 (213); BGH, Urt. v. 03. Februar 2011, Az.: 3 StR

32 Einleitung

Voraussetzung für die Bestimmung einer Wechselwirkung im Bereich der Strafzumessung ist erst einmal eine Betrachtung der legitimatorischen Grundlagen der Strafe und den Maßregeln der Besserung und Sicherung. Der Fokus ist im zweiten Teil der Arbeit daher zunächst auf die Strafe in ihrer legitimatorisch-geschichtlichen Entwicklung zu legen. Weitgehende Einigkeit besteht hier über das Wesen der Strafe. Dieses wird als ein staatliches, sozi­ alethisches Unwerturteil über den Täter charakterisiert, welches an eine von diesem schuldhaft begangene Rechtsverletzung anknüpft.2 Zuvörderst ist demgemäß eine Verletzung eines Strafgesetzes erforderlich. Die Definitions­ macht über strafwürdiges Verhalten ergibt sich dabei aus der Schutzpflicht des Staates gegenüber seinen Bürgern und liegt beim Gesetzgeber.3 Dieser trifft die Abgrenzung zur nicht strafwürdigen Ordnungswidrigkeit.4 Das Fehlverhalten muss dem Straftäter zurechenbar, also schuldhaft, sein. Die Reaktion auf die Straftat besteht in einem gezielten Eingriff in die Rechts­ sphäre des Täters, äußert sich mithin grundsätzlich in einem Übel.5 Mit die­ sem ist eine sozialethische Missbilligung der Auflehnung des Straftäters ge­ gen die Rechtsordnung verbunden6. Diese staatliche Missbilligung der schuldhaft begangenen Rechtsverletzung wird letztlich im Strafverfahren durch den Schuldspruch zum Ausdruck gebracht.7 Soweit man sich über diese Wesen weitgehend einig ist, so unterschiedlich fallen die Aussagen über den Sinn und Zweck bzw. das Ziel einer staatlichen Strafe aus. Die Darstellung der verschiedenen Auffassungen erfolgt hier im Hinblick darauf, in kritischer Auseinandersetzung mit den Standpunkten, der vorliegenden Arbeit einen eigenen Standpunkt zugrunde zulegen. Diese Bestimmung ist elementar, denn daran zeigt sich, ob man den Verbrecher lediglich wie ‚einen 466 / 10, juris Tz. 17 insoweit in NStZ-RR 2011, 172 f. nicht abgedruckt; BGH bei Cierniak / Zimmermann NStZ-RR 2011, 234 (Nr. 92); BGH, Urt. v. 11. Juli 2013, Az.: 3 StR 148 / 13, juris Tz. 11 m. w. N. aus der Rspr.; BGH, Urt. v. 15.  Oktober 2014, Az.: 2 StR 240 / 14, juris Tz. 35. 2  BVerfGE 109, 133 (168); Geiger, Sanktionen, S. 74; Jescheck / Weigend, Straf­ recht AT, S. 65; Klesczewski, Strafrecht AT, Rn. 16; Kühl, in: FS Eser, S. 149 (156 ff.); Weigend, in: LeipzigerKomm StGB, Einl. Rn. 63; Meier, Sanktionen, S. 16; Mushoff, S. 101 f.; Schmitz, Kriminalstrafe, S. 21 ff. 3  BVerfGE 39, 1 (47); Klesczewski, Strafrecht AT, Rn. 5; Weigend, in: Leipziger­ Komm StGB, Einl. Rn. 2. 4  BVerfGE 9, 167 (171); Mitsch, in: KK-OWiG, Einleitung, Rn. 86; Roxin, Straf­ recht AT I, Rn. 130. 5  Geiger, Sanktionen, S. 74; Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, S. 65; Mushoff, S. 101 f. Dabei ist unerheblich, ob dieses Übel auch subjektiv als Solches empfunden wird; vgl. Meier, Sanktionen, S. 16. 6  BVerfGE 9, 167 (171); 22, 49 (79); 27, 18 (33); 45, 272 (288); 109, 133 (168); Geiger, Sanktionen, S. 76; Meier, Sanktionen, S. 16. 7  BVerfGE 96, 245 (249); Meier, Sanktionen, S. 16; Pawlik, Strafe, S. 15.

Einleitung33

Hund behandelt, gegen den man den Stock erhebt‘8 oder ihn als Person wahrnimmt, mit der daraus folgenden Konsequenz als Gesellschaft die Mittel für eine Wiedereingliederung in das soziale Leben zur Verfügung zu stellen. Außerdem legt die straftheoretische Betrachtung die Grundlage für eine strafzumessungsrechtliche Beurteilung der in diesem Rahmen zu untersu­ chenden Wechselwirkung zwischen Strafe und Sicherungsverwahrung. Bevor auf die strafzumessungsrechtliche Betrachtung des Problems einge­ gangen werden kann, muss aber auch die Sicherungsverwahrung in ihrer Legitimation hinterfragt und ihr Verhältnis zur Strafe bestimmt werden. Da­ bei ist es sinnvoll zuerst die Maßregeltheorie im Ganzen vorzustellen, bevor auf die Sicherungsverwahrung im Speziellen eingegangen wird. Im dritten Teil der Arbeit werden folglich zuerst die Grundlagen der Maßregeltheorie betrachtet. Während die Strafe ein sozialethisches Unwerturteil über den Täter darstellt, sollen die Maßregeln der Besserung und Sicherung sozial­ ethisch indifferent sein.9 Die Maßregeltheorie wird folglich meist gerade in Abgrenzung zur Straftheorie entwickelt. Die strikte Trennung der Maßregeln der Besserung und Sicherung von der Strafe soll auf deren Wesensverschie­ denheit beruhen und wird als Prinzip der Zweispurigkeit des Rechtsfolgen­ systems bezeichnet. Dieses liegt auch der geltenden deutschen Rechtslage zugrunde. Als Begründer dieses Prinzips kann Ernst Ferdinand Klein (1744– 1810) angesehen werden. Dieser hatte maßgeblichen Einfluss auf die Gestal­ tung des strafrechtlichen Teils des Allgemeinen Preußischen Landrechts von 1794 und stellte erstmals die Sicherungsmittel neben die Strafe.10 Dagegen dürfte die Umsetzung der Konzeption des zweispurigen Rechtsfolgensystems im schweizerischen Strafgesetzbuch11 Anlass für die Einführung des Prinzips ins geltende deutsche Recht durch das sog. Gewohnheitsverbrechergesetz12 gewesen sein.13 In diesem System ist die Strafe eine an der persönlichen Schuld des Täters orientierte, staatliche Übelszufügung als Reaktion auf das begangene Verbrechen, während die Maßregel eine staatliche Reaktion zum Rechtsgüterschutz, aufgrund einer zu erwartenden Gefährlichkeit des Täters, darstellt.14 Demgegenüber lässt sich ein einspuriges Rechtsfolgensystem den­ 8  Hegel,

GPR, § 99 Zusatz, S. 190. Sanktionen, S. 8, 16 f. Siehe bereits: Exner, S. 229 „ethisch farblos“. Krit.: Kaspar, ZStW 127 (2015), S. 654 (677). 10  Schmidt, Strafrechtsgeschichte, S. 252 f. Zu den Sicherungsmitteln des ALR ausführlich: Schmidt, ZStW 86 (1974), S. 621 ff. 11  Maßgeblichen Einfluss hierauf hatte Carl Stooß: Stooss, SchwZStr 41 (1928), S. 54 f.; 44 (1930), S. 262. Dazu ausführlich: Kaenel, Carl Stooss, S. 97, 119 f., 129 f. 12  Gesetz vom 24. November 1933, RGBl. 1933 I, S. 995. 13  Häger, in: LeipzigerKomm StGB, Vor §§ 38 ff. Rn. 9. 14  Stooss, SchwZStr 44 (1930), S. 261 (266 ff.). s. dazu Häger, in: LeipzigerKomm StGB, Vor §§ 38 ff. Rn. 8; Radtke, in: MünchenerKomm StGB, Vor §§ 38 ff. Rn. 69. 9  Meier,

34 Einleitung

ken. Die für begangenes Unrecht zu verhängende Sanktion erfasst dann so­ wohl den Schuldausgleich, als auch die vorbeugende Einwirkung auf den Täter aufgrund dessen erwarteter Gefährlichkeit. Dies ist möglich in Form einer die Funktionen der Sicherungsverwahrung übernehmenden Sicherungs­ strafe oder im Sinne einer Sicherungsverwahrung als Ersatz für die Strafe.15 Im einspurigen System ist die Höhe der Sanktion nicht durch das Maß der Schuld, sondern durch den Grad der Gefährlichkeit bestimmt. In Auseinandersetzung mit den zur Rechtfertigung der Maßregeln der Bes­ serung und Sicherung vertretenen theoretischen Ansätzen erfolgt im An­ schluss daran die grundlegende Verhältnisbestimmung von Strafe und Siche­ rungsverwahrung zueinander. Exner hatte das Verhältnis von Strafe und Si­ cherungsverwahrung einst beschrieben als das Ineinandergreifen von „Spros­ sen zweier Zahnräder“.16 Insbesondere durch die Entscheidung des EGMR zur deutschen Sicherungsverwahrung ist die „Zweispurigkeit“ von Strafe und Sicherungsverwahrung nach deutschen Recht erneut infrage gestellt. Der EGMR hatte in seiner Kammerentscheidung vom 17.12.2009 die deutsche Sicherungsverwahrung als „Strafe“ i. S. v. Art. 7 EMRK bewertet.17 Wie sich zeigen wird, sind die Strafe und die Sicherungsverwahrung durch ein einheit­ liches Prinzip miteinander verbunden und die Sicherungsverwahrung ihrer Rechtsnatur nach eine Strafe. Daher wird im Unterschied zur üblichen Be­ griffsverwendung für die Sicherungsverwahrung der Begriff der „strafglei­ chen Unterbringung“ eingeführt. Abschließend befasst sich der dritte Teil der Arbeit mit einer europa- und verfassungsrechtliche Einordnung und Überprü­ fung der Sicherungsverwahrung nach geltender deutscher Rechtslage. Zum besseren Verständnis wird hier, sowie immer dann, wenn von der gesetzli­ chen Regelung der §§ 66 ff. StGB die Rede ist, der Begriff der „Sicherungs­ verwahrung“ verwendet. Die europarechtliche Betrachtung wird die theoreti­ sche Einordnung einerseits bestätigen. Andererseits werden daraus verfas­ sungsrechtlich auch erste Konsequenzen zu ziehen sein, die die weitere Un­ tersuchung leiten. Nach dieser theoretischen Fundierung und Verhältnisbestimmung soll im vierten Teil der Untersuchung der Fokus auf die eigentlich interessierende Frage der Wechselwirkung zwischen Strafe und Sicherungsverwahrung bei der Strafbemessungsentscheidung des Tatgerichts gelegt. Dazu werden in ei­ nem ersten Schritt die Grundlagen der Strafbemessung kurz dargestellt. Da­ ran schließt sich die Aufarbeitung der verschiedenen Strafzumessungstheo­ 15  Mezger, ZStW 66 (1954), S. 172 (173); Schöch, in: LeipzigerKomm StGB, Vor § 61 Rn. 3. 16  Exner, S. 197. 17  EGMR, Urt. v. 17.12.2009, Beschwerde-Nr. 19359 / 04 (M / Deutschland) = ­EuGRZ 2010, 25 ff.

Einleitung35

rien im Hinblick auf den vorliegenden Untersuchungsgegenstand an. Nach einer Darstellung der jeweiligen Grundsätze und deren kritischer Würdigung werden Möglichkeiten der Integration der Wechselwirkung untersucht und beurteilt. Im Zentrum der Betrachtung wird dabei die von der Rechtspre­ chung und der herrschenden Auffassung in der Literatur vertretene sog. „Spielraumtheorie“ stehen. Im Anschluss werden weitere theoretische An­ sätze in kritischer Auseinandersetzung dargestellt und beurteilt. Es wird sich zeigen, dass eine Wechselwirkung zwischen der Strafe und der Sicherungs­ verwahrung im Rahmen der Strafzumessung zwar an sich zulässig und gebo­ ten ist, aber nur einen marginalen Effekt auf die eigentliche Strafmaßent­ scheidung hat und damit weder dem Freiheitsinteresse des Straftäters, noch der gesellschaftlichen Verantwortung gerecht wird. Die Ergebnisse der strafzumessungsrechtlichen Untersuchung werden schließlich zum Anlass genommen, eine maßgebliche Wechselwirkung von Strafe und Sicherungsverwahrung nicht im Rahmen der Strafzumessung zu suchen. Die theoretischen Grundlagen aufgreifend wird dagegen für einen im Hinblick auf die Strafe stellvertretenden Vollzug der Sicherungsverwahrung plädiert.

1. Teil

Die Strafe Eine Theorie staatlichen Strafens vereint mehrere Aspekte. Vor allem muss sie die Verbrechensreaktion in Form der Kriminalstrafe rechtfertigen und über die Gestaltung des Strafmaßes Aufschluss geben. Dabei ist der zweite Aspekt für die vorliegende Untersuchung von größerer Bedeutung. Die Fest­ legung des Strafmaßes und die dabei zu berücksichtigenden Elemente bilden die Grundlage der Berücksichtigung der Sicherungsverwahrung bei der Straf­ zumessung. Das Maß ist wiederum von der Begründung der Strafe abhängig, denn aus dieser ergeben sich die maßgeblichen Kriterien. Das betrifft vor allem die Frage nach den Funktionen der Kriminalstrafe. 1. Kapitel

Wesen und Zweck der Strafe – ein Überblick über historische und aktuelle Ansätze der Straftheorie Soweit man sich über das Wesen der Strafe einig ist, so umstritten ist die Frage geblieben, welche Zwecke mit der Strafe verfolgt werden dürfen. Im Mittelpunkt der seit Jahrhunderten andauernden Debatte steht ein Ausspruch von Platon (428 / 427–348 / 347 v. Chr.): „Denn niemand bestraft die, welche Unrecht getan haben, darauf seinen Sinn rich­ tend und deshalb, weil einer eben Unrecht getan hat, außer wer sich ganz vernunft­ los wie ein Tier eigentlich nur rächen will. Wer aber mit Vernunft sich vornimmt, einen zu strafen, der bestraft nicht um des begangenen Unrechts willen- denn er kann ja doch das Geschehene nicht ungeschehen machen- sondern des zukünftigen wegen, damit nicht auf ein andermal wieder weder derselbe noch einer, der diesen bestraft gesehen hat, dasselbe Unrecht begehe“1.

Auf Platon verweisend bildet der Philosoph Lucius Annaeus Seneca (5 / 4 v. Chr.–65 n. Chr.) den – heute noch rege gebrauchten – Aphorismus: „Nemo prudens punit, quia peccatum est, sed ne peccetur.“2, also „Kein kluger Mensch straft, weil gefehlt worden ist, sondern damit nicht gefehlt werde.“

1  Platon,

2  Seneca,

Protagoras, 324 a-b. De Ira I 19 / 7.



1. Kap.: Wesen und Zweck der Strafe – ein Überblick37

Hierin werden die zwei gegensätzlichen Ansätze deutlich, welche die Hauptstränge der auch heute noch andauernden Strafzweckdiskussion darstel­ len. Entweder es wird als Ausgleich gestraft, weil verbrochen worden ist („[…] quia peccatum est […]“). Der Zweck der Strafe weist insoweit einen Vergangenheitsbezug auf. Oder es wird gestraft, damit keine Straftaten mehr geschehen („[…] sed ne peccetur.“). Insoweit ist die Strafe zukunftsorientiert und verhaltenssteuernd. Im ersten Fall ist die Strafe unabhängig von Zwecken: Poena est absoluta ab effectu. Die Theorien werden demzufolge als absolute, oder auch vergeltende, Straftheorien bezeichnet. Im zweiten Fall ist die Strafe zweckgebunden: Poena est relativa ad effectum. Daher werden diese Theorien als relative Straftheorien bezeichnet. Dieser zweite Begründungsstrang unter­ gliedert sich noch einmal. Sofern die Allgemeinheit bzw. Gesellschaft in den Mittelpunkt der Zwecksetzung gerückt wird, handelt es sich um sog. general­ präventive Straftheorien. Soweit der Bezugspunkt des Strafzweckes der Ein­ zelne ist, spricht man von spezialpräventiven Straftheorien. So übersichtlich diese Einteilung auch anmutet, so unübersichtlich ist die heutige Diskussion im Einzelnen. Einerseits werden Theorien fälschlicher­ weise einer Kategorie zugeordnet, die ihren inhaltlichen Kern nicht trifft. Andererseits liegt es auch daran, dass sich aufgrund der gegensätzlichen und teilweise unvereinbar scheinenden Positionen Kombination der Ansätze von Vergeltung und Vorbeugung – freilich mit verschiedenen Akzentuierungen – entwickelt haben und neben die grundsätzlich gegenpoligen Ansätze getreten sind. Im Folgenden werden die grundsätzlichen Positionen – der noch heute offenen Debatte  – dargestellt. Dazu wird die jeweilige Straftheorie zunächst vorgestellt und sodann kritisch beurteilt. In dieser kritischen Abgrenzung wird letztlich der maßgebliche, und auch hier vertretene, theoretische Ansatz herausgearbeitet.

A. Die sogenannte absolute Straftheorie Zuerst soll die sogenannte absolute Straftheorie vorgestellt werden. Nach dieser Straftheorie, ist die Strafe unabhängig von Zwecken. Formulierungen wie: „Selbst wenn sich die bürgerliche Gesellschaft mit aller Glieder Einstimmung auf­ löste […] müßte der letzte im Gefängnis befindliche Mörder vorher hingerichtet werden, damit jedermann das widerfahre, was sein Taten wert sind“3

und die Strafe sei die „Negation der Negation“4 3  Kant,

MS, AA VI, S. 333. Hotho, S. 283.

4  Nachschrift

38

1. Teil: Die Strafe

und damit schlichte Wiedervergeltung, haben den Philosophen Immanuel Kant (1724–1804) und Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770–1831) den Ruf eingebracht eine absolute Straftheorie zu vertreten. Es soll hier gezeigt wer­ den, dass diese Pauschalisierung keiner der beiden Theorien gerecht wird. Zweitens wird aufgezeigt, dass die Theorien sich maßgeblich unterscheiden. Deshalb erfolgt eine getrennte Darstellung Beider. I. Die Straftheorie von Immanuel Kant Immanuel Kant hat seine Straftheorie hauptsächlich in der Rechtslehre der 1797 erschienenen „Metaphysik der Sitten“ (MS) dargestellt5. 1. Die Theorie

Strafe ist für Kant allgemein „[…] das physische Uebel, was um des moralischen Uebels einem zu theil wird.“6

Dieser Begriff der Strafe ist umfassend. Er bezeichnet sowohl die natür­ liche, als auch die staatliche Strafe.7 Im Folgenden geht es dagegen lediglich um das Institut der staatlichen Strafe. a) Rechtfertigung der Strafe Kant unterscheidet innerhalb der Rechtslehre einen Naturzustand und ei­ nen Rechtszustand. Daher beginnt die Darstellung der Straftheorie im Natur­ zustand und dort mit dem Rechtsbegriff. Aus diesem entwickelt Kant den Begriff des Verbrechens und der Strafe. aa) Recht, Unrecht und Zwangsbefugnis Recht ist für Kant „der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des anderen nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann.“8

5  Kant,

MS, AA VI, S. 203–493. V-Mo, AA XXVII, S. 286. 7  Mosbacher, ARSP 90 (2004), S. 210 (212 ff.). 8  Kant, MS, AA VI, S. 230. 6  Kant,



1. Kap.: Wesen und Zweck der Strafe – ein Überblick

39

Das Recht ist Willkür, (Handlungs-)Freiheit. Als solches kann es sich also immer nur auf äußere Verhältnisse von Personen zueinander beziehen9 und ist folglich von der Moralität zu trennen. Moralität orientiert sich daran, das sittlich Richtige aus der Pflichtidee heraus zu tun. Die Moralität eines Ver­ haltens drückt Kant durch den kategorischen Imperativ aus. „Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könnte.“10

Moralität bezieht sich also auf innere Vorgänge. Das bedeutet jedoch kein Ausschließlichkeitsverhältnis von Recht und Moral. Vielmehr verlangt das Recht keine Moralität; ein gesetzmäßiges Handeln aus Moralität stellt jedoch den Idealfall dar.11 Unrecht ist für Kant dagegen die Übertretung eines öf­ fentlichen Gesetzes.12 Genau wie das Recht bezieht sich auch das Unrecht auf das Äußere einer Handlung. Und genau wie das Recht stellt es einen Freiheitsgebrauch dar, nämlich den in den Rechtskreis eines Anderen eingrei­ fenden, unrechten Gebrauch der Freiheit. Gegen diesen unrechten Gebrauch ist Zwang als Zurückdrängung des Unrechts und damit zur Verwirklichung der Freiheit möglich und notwendig. Recht und Zwang sind für Kant also logisch verknüpft.13 Daher ist das Recht für Kant „mit der Befugnis zu zwingen verbunden“14

und an sich unverletzlich. Folglich liegt es nahe, aus der Zwangsbefugnis die Rechtfertigung von Strafe abzuleiten. Dann müsste dem Unrecht, als Hinder­ nis der Freiheit, ein Zwang entgegengesetzt werden können, der dieses auf­ hebt. Das lässt sich für Zivilunrecht denken. Die Bestätigung des Rechts geschieht hier durch Erfüllungszwang, wie z. B. Schadenersatz.15 Bei strafbe­ wehrtem Unrecht ist eine derartige Bestätigung des Rechts nicht möglich. Zwang ist zwar z. B. in Form der Verpflichtung zur Rückgabe einer gestohle­ nen Sache denkbar. Die Rechtsverletzung an sich bleibt jedoch bestehen. Zwang kann sie nicht ungeschehen machen. Bei einer körperlichen Miss­ handlung ist dies noch offensichtlicher. Zur Begründung der Strafe reicht die Zwangsbefugnis damit nicht hin.16

9  Kant,

MS, AA VI, S. 230. KpV, AA V, S. 30. 11  Kant, MS, AA VI, S. 219. Vgl. dazu Höffe, Kant, S. 185; Wesel, JA 1992, S. 289 (292). 12  Kant, MS, AA VI, S. 224. 13  Kant, MS, AA VI, S. 231. 14  Kant, MS, AA VI, S. 231. 15  Dazu: Mayer, in: FS Engisch, S. 54 (71). 16  Höffe, in: Rechtslehre, S. 41 (55 ff.); Mayer, in: FS Engisch, S. 54 (71 f.); Oberer, in: Rechtsphilosophie, S. 399 (406). Die in der Rechtsphilosophie fehlende Be­ 10  Kant,

40

1. Teil: Die Strafe

Der eben dargestellte Naturzustand ist bei Kant noch durch ein Nebenein­ ander aller Rechtssubjekte gekennzeichnet. Niemand kann sich der Sicherung seiner erwerblichen Rechte gewiss sein.17 Die Sicherung dieser Rechte über­ nimmt erst die staatliche Justiz im Rechtszustand18, was mit einem gleichzei­ tigen Verzicht auf die eigene Durchsetzung des Rechts verbunden ist. Der Rechtszustand ist daher durch eine Strafgerichtsbarkeit gekennzeichnet.19 Die Strafgewalt liegt bei der Judikative. Die Betonung der Zuständigkeit der Exekutive für den Vollzug ist dabei eine Hervorhebung der Gewaltenteilung, denn der Erlass eines Strafgesetzes obliegt dem Gesetzgeber und die Verhän­ gung der Strafe bleibt der Judikative vorbehalten20. Die weitere Darstellung der Straftheorie bei Kant findet sich dann auch hauptsächlich im Abschnitt zum Rechtszustand in der Metaphysik der Sitten. Dort gibt Kant eine – im Hinblick auf den gesellschaftlichen Zustand konkretisierte – Bestimmung des Strafbegriffes: „Das Strafrecht ist das Recht des Befehlshabers gegen den Unterwürfigen, ihn wegen seines Verbrechens mit einem Schmerz zu belegen.“21

bb) Verbrechen und Strafe in der Gesellschaft Kant knüpft die Strafe im Rechtszustand also an das Vorliegen eines Ver­ brechens. Ein Verbrechen ist die vorsätzliche Übertretung eines öffentlichen Gesetzes.22 Die Übertretung muss derart sein, dass gleichzeitig mit dem An­ griff auf ein bestimmtes Rechtsgut, der Rechtszustand an sich negiert wird.23 Und letzteres liegt in der Geltungsmaxime des Unrechts gegenüber dem Recht. Für Kant ist lediglich ein geringer Teil des heute anerkannten Strafun­ rechts auch strafwürdig. Heraus fällt fahrlässiges Verhalten. Auch das Ver­ tragsunrecht wird nicht als strafwürdig erkannt24. Nur auf das öffentliche Verbrechen folgt nach Kant stets eine Strafe.25 Insoweit ist die Verknüpfung des Verbrechens mit einer Strafe absolut und Strafe wird gegen den Täter verhängt, gründung der Strafe bei Kant ist aber dessen Moralphilosophie zu entnehmen, vgl. 1. Teil 1. Kap. A. I. 2. 17  Kant, MS, AA VI, S. 264. 18  Kant, MS, AA VI, S. 306. 19  Kant, MS, AA VI, S. 362. 20  Kant, MS, AA VI, S. 331. 21  Kant, MS, AA VI, S. 331. 22  Kant, MS, AA VI, S. 224. 23  Kant, MS, AA VI, S. 331. 24  Kant, MS, AA VI, S. 331. Kritisch dazu und zu den römisch rechtlichen Ur­ sprung dieser Unterscheidung: Oberer, in: Rechtsphilosophie, S. 399 (410 ff.). 25  Kant, MS, AA VI, S. 331.



1. Kap.: Wesen und Zweck der Strafe – ein Überblick41 „weil er verbrochen hat“26.

Zur Rechtfertigung der Strafe äußert sich Kant aber auch im Rechtszu­ stand nicht. Er trifft lediglich eine negative Abgrenzung dergestalt, dass er rein präventive Aspekte zur Begründung der Strafe deutlich zurückweist: „Richterliche Strafe (poena forensis), […], kann niemals bloß als Mittel, ein ande­ res Gute zu befördern, für den Verbrecher selbst oder für die bürgerliche Gesell­ schaft, sondern muß jederzeit nur darum wider ihn verhängt werden, weil er ver­ brochen hat; denn der Mensch kann nie bloß als Mittel zu den Absichten eines anderen gehandhabt und unter die Gegenstände des Sachenrechts gemengt werden, wowider ihn seine angeborene Persönlichkeit schützt […].“27

Hervorzuheben sind hier zwei Gesichtspunkte. Zum einen lehnt Kant die rein präventive Strafrechtfertigung mit dem Argument ab, dass die Würde des Menschen dem entgegensteht. In der Kantischen Rechtsphilosophie kommt dem Menschen nur die „Freiheit (Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür) sofern sie mit jedes anderen Freiheit nach einem allgemeinen Gesetz zusammenbestehen kann“28

von Natur aus zu. Eine Sache ist dahingegen ein Objekt, „welches selbst der Freiheit ermangelt“29. Der entscheidende Unterschied liegt also darin, dass der Mensch seinen Handlungen einen Zweck zu setzen vermag, d. h. der Mensch ist Selbstzweck. (Handlungs-)Freiheit zu denken, heißt auch die Freiheit der anderen anzuerkennen. Zum Zweiten schließt Kant nicht jegliche Berücksichtigung präventiver Aspekte aus, sondern lediglich die alleinige Rechtfertigung der Strafe dadurch. Damit ist der Bezug der Strafe zur Tat gewährleistet und eine Bestrafung Unschuldiger ausgeschlossen.30 b) Strafzumessung Nach Kant bestimmt das Prinzip der Gleichheit der Strafen die Zumessung der Strafe. Für ihn ist das Prinzip der materiellen Gleichheit gerecht.31 Die­ ses Prinzip mündet in die Ausführungen zum Inselbeispiel, in welchem Kant behauptet, dass bei einer Gesellschaftsauflösung jeder im Gefängnis befind­ liche Straftäter erst seiner Strafe zugeführt werden müsse, um die Gerechtig­ keit zu verwirklichen.32 Allerdings relativiert Kant diese Rigorosität an eini­ 26  Kant,

MS, AA VI, S. 331. MS, AA VI, S. 331. 28  Kant, MS, AA VI, S. 237. 29  Kant, MS, AA VI, S. 223. 30  Höffe, in: Rechtsphilosophie, S. 335 (365). 31  Kant, MS, AA VI, S. 332. 32  Kant, MS, AA VI, S. 333: „Selbst wenn sich die bürgerliche Gesellschaft mit aller Glieder Einstimmung auflöste (z. B. das eine Insel bewohnende Volk beschlösse, 27  Kant,

42

1. Teil: Die Strafe

gen Stellen. Zum einen lässt er im Rahmen der Strafzumessung den Aspekt der Menschenwürde zu.33 Damit dürfte die strikte Gleichheit der Strafen re­ lativiert und mehr eine an der Schwere der Tat ausgerichtete Wertorientiert­ heit maßgeblich sein. Andererseits lehnt Kant eine Bestrafung des Täters im berühmten Fall des „Brettes des Karneades“ deswegen ab, weil eine Ab­ schreckung des potentiellen Täters durch die Strafandrohung keine Beein­ flussung des Handelns erzielen würde.34 2. Beurteilung

Kant wird von vielen Seiten unterstellt, eine unmenschliche Vergeltungs­ theorie zu vertreten. Das ist aus mehreren Gründen nicht richtig. Zwar ist die Bestimmung seiner Straftheorie nicht einfach. Die Problematik der Bestim­ mung liegt in der fragwürdigen Zuwendung Kants zur Straftheorie. In den apriori einsichtigen Grundsätzen der Rechtsphilosophie werden nur der Rechts- und der Unrechtsbegriff entwickelt, was auch die Zwangsbefugnis beinhaltete. Die Straftheorie wird dagegen in „allgemeinen Anmerkungen“ dargestellt, die den erwähnten Anspruch nicht erheben, vielmehr die Praxis darstellen.35 Das führte teilweise zu widersprüchlichen Aussagen Kants. So ist die Todesstrafe in seiner Philosophie, entgegen der Annahme Kants, ge­ rade nicht zu rechtfertigen. Dem Menschen kommt die Freiheit, also die Menschenwürde, von Natur aus zu. Diese wird ihm auch nicht durch Straf­ zwang genommen.36 Verkomplizierend treten häufig theologische Aussagen hinzu.37 Festzuhalten ist Folgendes: Die Straftheorie Kants in der Rechtslehre bleibt unvollständig. Das Institut staatlicher Strafe wird hier nicht ableitend begründet, sondern lediglich vorausgesetzt.38 Wie eingangs ausgewiesen, kennt Kant aber einen weitergehenden Begriff der Strafe, welcher über den auseinander zu gehen und sich in alle Welt zu zerstreuen), müßte der letzte im Ge­ fängnis befindliche Mörder vorher hingerichtet werden, damit jedermann das wider­ fahre, was sein Taten wert sind, und die Blutschuld nicht auf dem Volke hafte, das auf diese Bestrafung nicht gedrungen hat: weil es als Teilnehmer an dieser öffentlichen Verletzung der Gerechtigkeit betrachtet werden kann.“ 33  Kant, MS, AA VI, S. 363. 34  Kant, MS, AA VI, S. 235: „Nun kann ein solches Strafgesetz die beabsichtigte Wirkung gar nicht haben; denn die Bedrohung mit einem Übel, was noch ungewiß ist (dem Tode durch den richterlichen Ausspruch), kann die Furcht vor dem Übel, was gewiß ist (nämlich dem Ersaufen), nicht überwiegen.“ 35  Mayer, in: FS Engisch, S. 54 (60 f.). Einschränkend: Höffe, in: Rechtsphiloso­ phie, S. 335 (338 ff., 359). 36  Ataner, KS 97 (2006), S. 452 (475, 478 ff.); Schild, in: FS Gitter, S. 831 (831 f.; 843) mit weiteren Beispielen zu Widersprüchen: Zaczyk, in: FS Eser, S. 207 (216 und Fn. 37). 37  Vgl. insbesondere Mosbacher, ARSP 90 (2004), S. 210 (214 ff.).



1. Kap.: Wesen und Zweck der Strafe – ein Überblick43

Bereich des Rechts hinausgeht und an das moralisch Böse anknüpft.39 Straf­ würdig ist damit nicht nur ein Verbrechen im Rechtszustand, sondern an sich jeder Verstoß gegen die praktische Vernunft. Aus der Widersprüchlichkeit des eigenen Verhaltens folgt dessen Unmaßgeblichkeit und ergibt sich das Erfor­ dernis einer Strafe, verstanden als notwendige Geltungsbehauptung der prak­ tischen Vernunft.40 Darin liegt die eigentliche Begründung jeglicher Strafe bei Kant.41 Diese greift er in der Rechtslehre auf. Dort betrifft sie nur den rechtlichen Teilbereich der staatlichen Strafe. Weil sie sich aus dem Ver­ nunftwiderspruch des Täters ergibt, erweist sie sich als sein Recht.42 Sofern sich jemand strafbar gemacht hat, ist er nach Kant aus Gerechtig­ keitserwägungen auch zu bestrafen. Insoweit ist die Strafe absolut, das Straf­ gesetz ein kategorischer Imperativ.43 Daraus folgt aber nicht, dass die Strafe rächenden Charakter hat. Denn für Kant ist es nur einem höheren Wesen vorbehalten rächend zu strafen.44 Gleichzeitig deutet Kant an, dass die Kri­ minalstrafe sich für ihn lediglich nicht ausschließlich mit präventiven Aspek­ ten begründet lässt.45 Diese negative Abgrenzung rückt die Theorie in die Nähe einer von Zweckmäßigkeitserwägungen freien Strafbegründung. Die Unzulässigkeit der ausschließlichen Inanspruchnahme des Menschen zu Zwecken der Allgemeinheit ist das bleibende Vermächtnis: Präventive Theo­ rien können nicht überzeugend garantieren, warum erst die Verwirklichung einer Straftat abgewartet werden muss, bevor von staatlicher Seite mit einer Strafe reagiert wird. Wenn sich eine Person als gefährlich erweist, könnte nach einer präventiven Strafrechtfertigung eine Strafe folgen. Diesem Ge­ danken erteilt Kant eine klare Absage. Auf diesen Aspekt ist die Aussage 38  So im Ergebnis auch: Mayer, S. 32 (Fn. 6); ders., in: FS Engisch, S. 54 (69). Jedenfalls nicht in der Zwangsbefugnis legitimiert ist die Strafe auch für Höffe, in: Rechtsphilosophie, S. 335 (357). Für Zaczyk, in: FS Eser, S. 207 (218 f.) und Brandt, in: Feuerbachs Bayerisches Strafgesetzbuch, S. 171 (188) kann die Strafe bei Kant aus dem Rechtsbegriff abgeleitet werden. Schild, ARSP 70 (1984), S. 71 (84); ders., in: FS Gitter, S. 831 (841) sieht die Strafe bei Kant als Ausdruck der austeilenden Gerechtigkeit begründet. Anders: Mosbacher, ARSP 90 (2004), S. 210 (222), welcher die Strafe sowohl durch Gerechtigkeit als auch Prävention legitimiert sieht. 39  Kant, V-Mo (Collins), AA XXVII, S. 286. 40  Kant, KpV, AA V, S. 37. Dazu ausführlich: Oberer, in: Rechtsphilosophie, S. 399 (401 ff.). s. a. Mosbacher, ARSP 90 (2004), S. 210 (212). 41  Oberer, in: Rechtsphilosophie, S. 399 (401 ff.). Im Erg. auch Zaczyk, in: FS Eser, S. 207 (219). 42  Kant, KpV, AA V, S. 37. 43  Byrd / Hruschka, JZ 2007, 957 (961); Höffe, in: Rechtsphilosophie, S. 335 (371). 44  Mosbacher, ARSP 90 (2004), S. 210 (216 f.). 45  Höffe, in: Rechtsphilosophie, S. 335 (365); Mayer, S. 31. Anders: Mosbacher, ARSP 90 (2004), S. 210 (222), der die Strafe bei Kant auch präventiv legitimiert sieht.

44

1. Teil: Die Strafe

jedoch auch zu begrenzen. Kant wendet sich nur gegen jede rein präventive Strafrechtfertigung. Dass Strafe einerseits als Reaktion auf ein Verbrechen erfolgen muss und dass sie andererseits nicht rein präventiv begründet wer­ den kann, sagt jedoch noch nichts darüber aus, nach welchen Gesichtspunk­ ten die Strafe verhängt und vollzogen wird. Aus heutiger Sicht ist auch die Härte der Strafzumessung bei Kant schwer nachzuvollziehen. Die befürwortete Gleichheit der Strafen, lediglich durch die Menschenwürde des Straftäters beschränkt, erscheint sehr hart. Nachvoll­ ziehbarer werden die Ausführungen, wenn man in Betracht zieht, dass die Ausführungen Kants sich auf schwere Straftaten (nach heutigem Begriffsver­ ständnis) beschränken46, für die vielfach auch heute nur noch die Freiheits­ strafe in Betracht kommt. Dabei darf das Postulat der Gleichheit der Strafen nicht im Sinne des biblischen Talionsprinzips verstanden werden. Vielmehr soll damit nur ausgedrückt werden, dass sich die Höhe der Strafe ausschließ­ lich durch das Ausmaß des Verbrechens bestimmt.47 Diese Hinwendung ist richtig, wenngleich noch zu undifferenziert. Das kann freilich auch an den lediglich allgemeinen Anmerkungen zur staatlichen Strafe in der Rechtslehre liegen. Kant stellt teilweise präventive Aspekte des Strafens neben diese grundsätzlich tatorientierte Strafe, beispielsweise in dem schon erwähnten Fall des „Brett des Karneades“. Das geschieht unvermittelt und nicht aus dem allgemeinen Rechtsprinzip ableitend. Insgesamt bleibt die Theorie unvollendet. Das hat etliche Interpreten he­ rausgefordert, den Ansatz aus der restlichen Philosophie Kants zu vervoll­ ständigen. Im Ergebnis wird Kant sodann sowohl für eine widersinnige Ta­ lionsstrafe, als auch als Verfechter einer präventiven Straftheorie in Anspruch genommen. Beides trifft den Kern nicht. Er hat der folgenden strafrechtlichen Diskussion jedoch den Weg bereitet und Maßstäbe aufgestellt, an denen sich alle Ansätze in kritischer Weise messen lassen müssen. II. Die Straftheorie von Georg Wilhelm Friedrich Hegel Einen ähnlichen Ansatz wie Kant verfolgt Hegel. Er legt seine Straftheorie hauptsächlich in den im Jahre 1820 erschienenen „Grundlinien der Philoso­ phie des Rechts“ (Grundlinien) dar.

46  Mayer, 47  Höffe,

in: FS Engisch, S. 54 (62). in: Rechtsphilosophie, S. 335 (368).



1. Kap.: Wesen und Zweck der Strafe – ein Überblick45 1. Die Theorie

Mit den Grundlinien verfolgt Hegel den Anspruch die Idee des Rechts zu entfalten. Das bedeutet bei Hegel „den Begriff des Rechts und dessen Verwirklichung zum Gegenstande“48

zu haben. Diese Entwicklung vollzieht sich auf den drei Stufen, nämlich im „abstrakten Recht“, der „Moralität“ sowie der „Sittlichkeit“.49 Grundlegend für die Entfaltung ist die Hegelsche Dialektik50, wie er sie in der „Wissen­ schaft der Logik“51 dargestellt hat. a) Rechtfertigung der Strafe Die Darstellung der Straftheorie Hegels wird im Folgenden vom Rechtsbe­ griff ausgehend das Unrecht und Verbrechen vorstellen, um dann Hegels Darlegungen zur staatlichen Strafe zu entwickeln. aa) Rechtsbegriff Die Darstellung der Rechtsphilosophie beginnt mit dem abstrakten Recht. In diesem Abschnitt legt Hegel die Grundlagen seiner Rechtsphilosophie dar. Die relevanten Begriffe werden ohne Bezug zu einer Gesellschaft, sozusagen vorpositiv, entwickelt. Den Rechtsbegriff setzt Hegel in den Grundlinien ge­ nau genommen voraus52, denn er ergibt sich nach der Hegelschen Methode aus dem subjektiven Geist53, an welchen die Grundlinien als Lehre vom ob­ jektiven Geist unmittelbar anschließen54. In den einleitenden Paragrafen der Grundlinien gibt Hegel diese Entwicklung lediglich verkürzt wieder: Recht ist „Dasein des freien Willens“, also Willensfreiheit.55 In die Existenz tritt dieser freie Wille einer Person erst durch Vergegenständlichung im Eigen­ tum. Damit ist die Seinsebene erreicht und Hegel kann sagen: 48  Hegel,

GPR, § 1, S. 29. über die Entfaltung des Rechts in den Grundlinien bei Schild, in: FS Derbolav, S. 199 (202 ff.); Seelmann, JuS 1979, S. 679 (688 f.). 50  Überblick der Relevanz für die GPR bei Schnädelbach, Hegels Praktische Phi­ losophie, S. 189 ff. 51  Hegel, GPR, § 31. 52  Hegel, GPR, § 2, S. 30. 53  Überblicksartig nachvollzogen bei Schnädelbach, Hegels Praktische Philoso­ phie, S. 180 ff. 54  Hegel, GPR, § 4, S. 46. 55  Hegel, GPR, § 29, S. 80. Zum Recht als Dasein des freien Willens ausführlich: Rödl, in: Autonomie und Normativität, S. 177 ff. 49  Überblick

46

1. Teil: Die Strafe

„Der Boden des Rechts ist überhaupt das Geistige und seine nähere Stelle und Aus­ gangspunkt der Wille, welcher frei ist, so daß die Freiheit seine Substanz und Be­ stimmung ausmacht und das Rechtssystem das Reich der verwirklichten Freiheit, die Welt des Geistes aus ihm selbst hervorgebracht, als eine zweite Natur, ist.“56

Die Person findet so ihr Dasein im Eigentum.57 Darüber kann sie Verträge mit anderen Personen schließen. Diese beruhen aber auf zufälligen Willens­ übereinstimmungen, weil die Personen das Recht nur als ihr Recht, gewisser­ maßen etwas Zufälligem, anstatt etwas Allgemeingültigem, wahrnehmen. Daher sind die Verträge dem Unrecht ausgesetzt.58 Der Personenbegriff, den Hegel im abstrakten Recht benutzt, ist nicht mit dem heutigen Begriff der Person gleichzusetzen. Person ist jedes Selbstbewusstsein59 und im abstrak­ ten Recht geht es nur um die Möglichkeit des Miteinanders dieser Willen, d. h. der Personen.60 Das Miteinander ist von einem gegenseitigen Anerken­ nen geprägt, weshalb aus dem Verbot des gegenseitigen Verletzens der Per­ sönlichkeit61 das Rechtsgebot folgt: „[…] sei eine Person und respektiere die anderen als Personen.“62

Dieser Personenbegriff Hegels im abstrakten Recht beschreibt lediglich die objektiven Umstände, aber noch kein moralisches Wesen. Deswegen enthal­ ten die Ausführungen Hegels auf dieser Stufe keine Aussagen zu den subjek­ tiven Anforderungen an Verbrechen im heutigen Sinne.63 bb) Unrecht Die Möglichkeit des Unrechts ist bereits in der Idee des Rechts angelegt: Der Begriff des Rechts verwirklicht sich, wie gezeigt, in der realen Welt durch ein Dasein des freien Willens. Der allgemeine Wille – das Recht an sich – und der besondere Wille – das Dasein des Willens in der Realität – können auseinanderfallen. Deren Übereinstimmung ist auf der Stufe des abs­ 56  Hegel,

GPR, § 4, S. 46. Reichweite des Eigentumsbegriffs bei Hegel welcher auch Leib und Leben umfasst: Ritter, in: Siep, S. 55 ff. (67 ff.). 58  Hegel, GPR, § 81 Zusatz, S. 172. Die Entwicklung zusammengefasst dargestellt: Hegel, GPR, § 40, S. 98. Siehe dazu: Klesczewski, ARSP-Beiheft 71 (1997), S. 140 (142). 59  Hegel, GPR, § 35, S. 93. Dazu ausführlich: Quante, in: Siep, S. 73 (82 ff.). 60  Quante, in: Siep, S. 73 (87). 61  Hegel, GPR, § 38, S. 97. Zum Anerkennungsprozess: Seelmann, JuS 1979, S. 687 (688); Klesczewski, Rolle der Strafe, S. 29 ff.; ders., ARSP-Beiheft, 71 (1997), S.  140 (141 f.). 62  Hegel, GPR, § 36, S. 95. 63  Dazu ausführlich: Klesczewski, Rolle der Strafe, S. 78 ff.; Seelmann, in: FS Müller-Dietz, S. 857 (859 ff.); Menegoni, in: Siep, S. 125 ff. 57  Zur



1. Kap.: Wesen und Zweck der Strafe – ein Überblick47

trakten Rechts nur eine Zufälligkeit.64 Sofern der besondere Wille und der allgemeine Wille auseinanderfallen, setzt sich jener in Widerspruch zu die­ sem, anstatt aus ihm hervorzugehen.65 Hier liegt dann kein Recht, sondern Unrecht, vor.66 Dieses Unrecht kommt bei Hegel in drei Erscheinungsformen vor: das un­ befangene Unrecht, der Betrug und das Verbrechen.67 Sie spiegeln die ver­ schiedenen Kombinationsmöglichkeiten der Verletzung des allgemeinen und besonderen Willens wider. Es kann entweder der allgemeine, der besondere oder beide Willen missachtet werden. Ersteres ist das Zivilunrecht, bei wel­ chem lediglich über die Zuordnung des Eigentums zu einer Person gestritten wird, also beispielsweise eine Streitigkeit um die wirksame Übereignung einer Sache. Die streitenden Parteien erkennen dabei Eigentum grundsätzlich an und respektieren das Eigentum Anderer. Im Streit steht lediglich die Zuord­ nung eines konkreten Gegenstandes zu dem einen oder anderen. Hier bleibt das Allgemeine erhalten, während das Besondere zwischen den Parteien in Frage steht.68 Als einzige Unrechtsform bleibt das unbefangene Unrecht ohne Strafe.69 Den Betrug kennzeichnet für Hegel dagegen gerade die Beachtung des besonderen Willens des Opfers, während der allgemeine Wille nicht be­ achtet wird.70 Das betrügerische Handeln erweckt so den Anschein der Recht­ lichkeit, geht aber über die einzelne Willensübereinstimmung nicht hinaus. Das Verbrechen letztlich ist die stärkste Unrechtsform und durch die Vernei­ nung sowohl des allgemeinen, als auch des besonderen Willens des Opfers gekennzeichnet.71 Das Verbrechen ist nach Hegel folglich eine „Verletzung des Rechts als Recht […]“72.

Es ist das Absprechen der Rechtsfähigkeit des Opfers.73 Weil das Unrecht mithin keine sich selbst bestimmende Allgemeinheit, d. h. kein Recht, ist, ist es nicht wirklich. Es hat zwar ein Dasein, ist aber nur ein Schein des Rechts, d. h. dessen Wesens unangemessen74. So folgert Hegel: 64  Hegel,

GPR, § 81, S. 170. Strafbegründung, S. 22. 66  Hegel, GPR, § 81, S. 169. 67  Ausführlich: Klesczewski, Rolle der Strafe, S. 63 ff. und 69 ff. 68  Hegel, GPR, § 85, S. 175. 69  Hegel, GPR, § 89 Zusatz, S. 177. 70  Hegel, GPR, § 87 Zusatz, S. 177. 71  Hegel, GPR, § 95, S. 181 f. 72  Hegel, GPR, § 97, S. 185. Zur Interpretation als gegliederter Erfolgsunwert des Verbrechens: Klesczewski, Rolle der Strafe, S. 69 ff. 73  Hegel, GPR, § 95, S. 182. 74  Nachschrift Hotho, § 82, S. 282. Das Recht an sich ist unverletzlich. Hegel be­ schreibt in der Enzyklopädie, dass das Unrecht sich lediglich in Verhältnis zum Recht setzt: Hegel, Enzyklopädie III, § 495, S. 309. 65  Ramb,

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1. Teil: Die Strafe

„Die Wahrheit dieses Scheins aber ist, daß er nichtig ist und daß das Recht durch das Negieren dieser seiner Negation sich wiederherstellt, durch welchen Prozeß seiner Vermittlung, aus seiner Negation zu sich zurückzukehren, es sich als Wirk­ liches und Geltendes bestimmt […].“75

Unrecht gilt nicht, ist in sich widersprüchlich. Das Recht wird durch eine doppelte Verneinung wiederhergestellt. Damit ist zur Begründung der Strafe übergeleitet. cc) Strafbegründung Im Abstrakten Recht liefert Hegel die maßgebliche begriffliche Begrün­ dung der Strafe. Dagegen führt er die staatliche Strafe erst in der Sittlichkeit ein, denn auf der Stufe des abstrakten Rechts gibt es noch keine staatlichen Institutionen. (1) Rechtfertigung im abstrakten Recht Die Strafe wird im abstrakten Recht inhaltlich gerechtfertigt, aber als Zwang und bloße Rache vorgestellt.76 Das heißt auf dieser Stufe seiner Grundlinien beschreibt Hegel lediglich die rechtliche Reaktion der verletzten Person auf die Verletzung durch den Täter.77 Es finden dabei zwei unter­ schiedliche Gesichtspunkte Berücksichtigung, die Hegel später im Kapitel über die bürgerliche Gesellschaft folgendermaßen beschreibt. Strafe ist: „[…] in objektiver Rücksicht als Versöhnung des durch Aufheben des Verbrechens sich selbst wiederherstellenden und damit als gültig verwirklichenden Gesetzes, und in subjektiver Rücksicht des Verbrechers als seines von ihm gewußten und für ihn und zu seinem Schutze gültigen Gesetzes, in dessen Vollstreckung an ihm er somit selbst die Befriedigung der Gerechtigkeit, nur die Tat des Seinigen findet.“ [Hervorhebungen vom Verf.]78

Das erste Argument bezieht sich auf die Entfaltung des Begriffs des Rechts. Indem das – das Recht selbst verneinende – Unrecht wiederum ver­ neint wird, verwirklicht sich das Recht durch seine Bestätigung. Mit dem zweiten Argument unternimmt Hegel es, die Strafe als Recht des Täters zu begründen.

75  Hegel,

GPR, § 82, S. 172. GPR, § 220, S. 374. Dazu ausführlich: Klesczewski, Rolle der Strafe, S. 236 f. und S. 249 ff.; ders., in: Autonomie und Normativität, S. 227 (229). 77  Vgl. dazu: Schild, in: FS Puppe, S. 77 (81, 84); ders., in: Strafe – warum?, S. 97 (100, 106); Luf, in: Strafe – warum?, S. 111 (113). 78  Hegel, GPR, § 220, S. 374. Ähnlich: Hegel, GPR, § 100, S. 190. 76  Hegel,



1. Kap.: Wesen und Zweck der Strafe – ein Überblick

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(a) Wiederherstellung des Rechts Es wurde dargelegt, dass das Verbrechen nur ein Schein des Rechts ist. Es ist  – als Zwangsausübung  – der Angriff auf einen anderen Willen, der sich ein Dasein gegeben hat. Als solcher verneint dieser Zwang aber gerade den (allgemeinen) freien Willen, ist mithin auch selbstwidersprüchlich und un­ rechtlich.79 Folglich ist ein – sich aus der begrifflichen Entwicklung ergeben­ der – dagegen gerichteter, weiterer Zwang notwendig und rechtens.80 Damit kann Hegel, zu dem für das erste Argument zentralen § 97 der Grundlinien, übergehen: „Die geschehene Verletzung des Rechts als Rechts ist zwar eine positive, äußerli­ che Existenz, die aber in sich nichtig ist. Die Manifestation dieser ihrer Nichtigkeit ist die ebenso in die Existenz tretende Vernichtung jener Verletzung – die Wirklich­ keit des Rechts, als seine sich mit sich durch Aufhebung seiner Verletzung vermit­ telnde Notwendigkeit.“81

Das Verbrechen hat als Eigentumsverletzung (im Hegelschen Sinne) ein Dasein. Es war vermittelt durch den sich ein Dasein gebenden Willen des Verbrechers. Weil der allgemeine Wille aber weder ein Dasein hat, noch auf­ hebbar ist, betrifft die Existenz der Verletzung den besonderen Willen des Verbrechers.82 Dieser wird durch den weiteren Zwang aufgehoben83, das Recht dadurch wiederhergestellt und „wirklich“ im begriffslogischen Sinn der Hegelschen Dialektik. Die besondere strafrechtliche Reaktion verwirk­ licht sich demnach in der Aufhebung des besonderen Willens des Verbre­ chers. Ein möglicherweise erreichbarer zivilrechtlicher Ausgleich ist dadurch nicht ausgeschlossen84, jedenfalls aber von der strafrechtlichen Folge grund­ sätzlich verschieden. (b) Selbstgesetzgebung Ergänzend rechtfertigt Hegel die Strafe als selbstgesetztes Recht des Tä­ ters. Der sich in der Tat verwirklichende besondere Wille des Täters, bringt einen allgemeinen Willen hervor, nach welchem der der Tat zugrundeliegende Leitsatz, die Handlungsmaxime, gelten soll. Ergibt sich im Recht der beson­ 79  Hegel, 80  Hegel,

GPR, § 92, S. 179. GPR, § 94, S. 180. Zum Ganzen ausführlich: Ramb, Strafbegründung,

S.  31 ff. 81  Hegel, GPR, § 97, S. 185. Vgl. auch: Nachschrift Hotho, § 97, S. 306. 82  Hegel, GPR, § 99, S. 187. 83  Hegel, GPR, § 93, S. 180. Nachschrift Hotho, § 100, S. 314. 84  Hegel, GPR, § 98, S. 186. s. a. Klesczewski, in: Autonomie und Normativität, S. 227 (228).

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1. Teil: Die Strafe

dere Wille aus dem Allgemeinen, so ist es im Verbrechen andersherum. Der verwirklichte besondere Wille erzeugt einen (neuen) allgemeinen Willen; stellt ein Gesetz auf.85 Dieses Gesetz ist seiner Form nach gültig, denn es wird von einer freien Person aufgestellt.86 Inhaltlich steht es aber im Wider­ spruch zu dem allgemeinen Willen der anderen Personen87, denn es wird die gegenseitige Anerkennung, also das Rechtsgebot missachtet. Gerade dieses Verneinen des Rechtsgebotes in der Willensverwirklichung rechtfertigt es, den Täter seinem selbst gewählten Gesetz zu unterziehen.88 Somit ist die Strafe auch als Recht des Täters begründet und dieser „als Vernünftige[r, Verf.] geehrt“89. Damit ist die Strafe für Hegel dem Grunde nach abgeleitet. (2) Die Strafe in der bürgerlichen Gesellschaft Während im abstrakten Recht die Strafe inhaltlich gerechtfertigt wird, aber als bloßer Zwang und Rache vorgestellt wird, enthält das Kapitel zur Mora­ lität Ausführungen zu den subjektiven Anforderungen an das zugrundelie­ gende Verbrechen. Positiv wird das Recht in Gesetzen aber erst in der bür­ gerlichen Gesellschaft90, als Teil der von Hegel sog. „Sittlichkeit“. Die Stufe der Sittlichkeit beginnt bei Hegel mit der Familie. Diese ist auf die Erziehung des Nachwuchses gerichtet und unterliegt damit notwendigerweise der Auf­ lösung. Damit bildet die Familie die – begriffliche91 – Voraussetzung für die sich anschließende bürgerliche Gesellschaft.92 In dieser richten sich die Menschen nach ihren Bedürfnissen aus und befriedigen diese mittels Arbeit. Das allgemeine Interesse wird dabei regelmäßig zugunsten der eigenen Be­ dürfnisbefriedigung vernachlässigt.93 Dabei geraten die verschiedenen Inter­ essen, wie schon im abstrakten Recht, in Konflikt miteinander. Der im abs­ trakten Recht vorgestellte Prozess der Verwirklichung des Rechts wird nun Hotho, § 100, S. 315. Hotho, § 100, S. 315 f. 87  Köhler, in: FS Lackner, S. 11 (19). 88  Nachschrift Hotho, § 100, S. 318 f. Zur Interpretation als Handlungsunwert ei­ nes Verbrechens: Klesczewski, Rolle der Strafe, S. 72 ff. 89  Hegel, GPR, § 100, S. 191. 90  Hegel, GPR, § 211, S. 361. 91  Horstmann, in: Siep, S. 193 (205). 92  Ausführlich zur bürgerlichen Gesellschaft: Klesczewski, Rolle der Strafe, S. 138 ff. und öfter; Horstmann, in: Siep, S. 193 ff.; Vieweg, in: Autonomie und Nor­ mativität, S. 190 ff. 93  Hegel, GPR, § 182, S. 339 und § 289, S. 458. Dazu: Vieweg, in: Autonomie und Normativität, S. 190 (195 f.); Horstmann, in: Siep, S. 193 (206); Luf, in: Strafe – warum?, S. 111 (116). Die identitätsbildende Seite hervorhebend: Klesczewski, ARSPBeiheft 71 (1997), S. 140 (145, 147); ders., in: Autonomie und Normativität, S. 227 (229). 85  Nachschrift

86  Nachschrift



1. Kap.: Wesen und Zweck der Strafe – ein Überblick51

institutionalisiert: In der bürgerlichen Gesellschaft wird das Eigentum (im Hegelschen Sinne) geschützt.94 Das Recht gilt in Form bekanntgemachter Gesetze.95 Im Streit befindliche Rechte können vor unabhängigen Gerichten vorgetragen werden.96 Verbrechen werden in öffentlichen97 Strafverfahren durch Gerichte abgeurteilt.98 Hegel erkennt allerdings, dass die bürgerliche Gesellschaft, trotz des Ei­ gentumsschutzes und der der Polizei und den Korporationen übertragenen Ordnungsaufgabe, auf lange Sicht zu Verarmung und Elend führt.99 Daher wird die „Sittlichkeit“ in den Grundlinien erst durch den „Staat“ abgeschlos­ sen. Im Gegensatz zur bürgerlichen Gesellschaft als „Notstaat“, wird der Staat bei Hegel als „bonum commune“ ausgewiesen.100 In der bürgerlichen Gesellschaft greift Hegel, wie eingangs erwähnt, die vorpositive Strafbegründung auf und institutionalisiert den zweiten Zwang zur Strafe.101 Eine weitere Begründung der Strafe brauchte nach der Hegel­ schen Logik nicht zu erfolgen. Die Einordnung der Strafe in den Kontext der bürgerlichen Gesellschaft hat aber für die noch zu betrachtende Strafzumes­ sung erhebliche Bedeutung. Denn in der bürgerlichen Gesellschaft schwindet die Bedeutung des Verbrechens.102 Im abstrakten Recht war noch die Pers­ pektive einer vereinzelt gestörten Anerkennungsbeziehung eingenommen worden. In der bürgerlichen Gesellschaft treten nun daneben alle weiteren Personen. Im abstrakten Recht wurde die einzelne Beziehung durch ein Ver­ brechen unmittelbar gestört. In der bürgerlichen Gesellschaft wird in ihrer Besonderheit nur eine Beziehung, im Übrigen das Allgemeine, gestört.103 Das Ausmaß der Straftat ist geringer, was unmittelbare Folgen für die Reak­ tion auf die Tat hat. 94  Hegel,

GPR, § 218, S. 371. GPR, § 215, S. 368. 96  Hegel, GPR, §§ 221, 222, S. 375. 97  Hegel, GPR, § 224, S. 376 f. 98  Zur Rolle von Geschworenengerichten bei Hegel, GPR, § 228, S. 380 ausführ­ lich: Schild, in: Autonomie und Normativität, S. 207 (208 ff.) und Klesczewski, in: Autonomie und Normativität, S. 227 (230 f.). 99  Zu dieser Krise der bürgerlichen Gesellschaft ausführlich: Klesczewski, Rolle der Strafe, S. 207 ff. und öfter; ders., ARSP-Beiheft 71 (1997), S. 140 ff. 100  Klesczewski, ARSP-Beiheft 71 (1997), S. 140 (144). Relativierend zur syste­ matischen Einordnung der Strafe in die bürgerliche Gesellschaft und nicht in den Staat als Vollendung der Sittlichkeit bei Hegel: Luf, in: Strafe – warum?, S. 111 (116 ff.). 101  Hegel, GPR, § 218, S. 372 und § 220, S. 374. 102  Hegel, GPR, § 218, S. 372. 103  Zum Ganzen ausführlich: Klesczewski, Rolle der Strafe, S. 166 ff.; ders., ARSP-Beiheft 71 (1997), S. 140 (148). 95  Hegel,

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1. Teil: Die Strafe

dd) Exkus: Rechtszwang gegen den natürlichen Willen Vorstehend ist die Rechtfertigung der Strafe bei Hegel vorgestellt worden. Diese setzt stets ein Verbrechen voraus. Beeinträchtigungen von Rechtsgü­ tern drohen aber auch dort, wo formell kein Verbrechen vorliegt, die Hand­ lung dem Täter nicht zugerechnet werden kann. Hegel spricht insoweit vom „natürlichen Willen“.104 Der natürliche Wille steht außerhalb des Rechts, denn er ist unreflektiert in Bezug auf das Allgemeine. Mangels Durchlaufens des oben geschilderten Anerkennungsprozesses ist der Personenstatus noch nicht erreicht und liegt daher kein Dasein der Freiheit vor.105 Die Reaktion auf den Zwang des natürlichen Willens im abstrakten Recht nimmt dessen unreflektierten Status auf. Sie ist einerseits durch den Schutz des Eigentums Dritter und andererseits maßgeblich durch das Bemühen gekennzeichnet, dem natürlichen Willen zur Selbstreflektion und damit zum Personenstatus zu verhelfen.106 Diese Wertung im abstrakten Recht wird dann auf der Ebene der Moralität durch die Unzurechnungsfähigkeit charakterisiert.107 Gemäß der Hegelschen Methode wird diese Sicherung der Rechte und helfende Un­ terstützung auf der Ebene der Sittlichkeit institutionalisiert und zur Aufgabe von Familie und Staat.108 b) Strafzumessung Gemäß dem Anspruch der Philosophie Hegels ergeben sich die Grundsätze der Strafzumessung aus dem Grund der Strafe.109 Im Abstrakten Recht, wel­ ches lediglich die Möglichkeitsbedingungen menschlichen Miteinanders the­ matisiert, bleiben die Ausführungen notwendigerweise beschränkt. Da die Strafe begrifflich als Bestätigung des Rechts einführt wird, ist sie: „[…] insofern Wiedervergeltung, als sie dem Begriffe nach Verletzung der Verlet­ zung ist […]“ [Hervorhebung vom Verf.]

Das bedeutet nun nicht, dass Hegel eine strikte Talion bevorzugt. Er lehnt sie sogar ausdrücklich ab.110 Vielmehr ist die Wiedervergeltung der Begriff und dessen Verwirklichung eine Wertegleichheit zwischen Strafe und Aus­ 104  Hegel,

GPR, § 93 Anm., S. 179 f. Ganzen: Klesczewksi, Rolle der Strafe, S. 75 f. 106  Hegel, GPR, § 93 Anm., S. 179 f. Dazu: Klesczewski, Rolle der Strafe, S. 246 f. 107  Klesczewski, Rolle der Strafe, S. 136. 108  Hegel, GPR, § 93 Anm., S. 180. Dazu ausführlich: Klesczewski, Rolle der Strafe, S.  324 ff. 109  Hegel, GPR, § 100 Anm., S. 191 und § 101, S. 193. 110  Hegel, GPR, § 101 Anm., S. 194. Dazu ausführlich: Merle, JbRuE 11 (2003), S. 159 ff. 105  Zum



1. Kap.: Wesen und Zweck der Strafe – ein Überblick53

maß der Straftat.111 Auf der Grundlage, dass das Verbrechen qualitativ und quantitativ bestimmt angegeben werden kann112, wird die Gleichheit vermit­ telt durch die Abbildung des Allgemeinen in jedem Dasein113 und eine Annä­ herung der Werte von Tat und Strafe wird  – um den Zusammenhang beider zu gewährleisten – über die Täterperspektive hergestellt. Zwar lässt sich eine vollständige Übereinstimmung in der Wirklichkeit nicht umsetzen, als Maß­ stab gilt sie gleichwohl.114 Entscheidendes Kriterium ist die Einschätzung des Täters über die Höhe des Schadens aus einer angenommenen Opfer­ sicht.115 Damit lassen sich im Ergebnis Straftaten in bestimmte Strafen, bspw. eine bestimmte Freiheits- oder Geldstrafe, usw., übersetzen. In dem gefunden Maß wird dem Straftäter durch die Strafe also teilweise die Recht­ fähigkeit aberkannt; bei der Freiheitsstrafe, indem dem Täter das Recht auf die selbständige Lebensgestaltung abgesprochen wird, bei der Geldstrafe durch zeitweises Absprechen der Erwerbsfähigkeit. Auf dieser Stufe ist die Strafzumessung an der verwirklichten Schuld ausgerichtet. Im abstrakten Recht ist diese strikt tatbezogene Zumessung der Strafe der Stufe der Ver­ wirklichung des Rechts geschuldet. Notwendigerweise können hier keine weiteren Aspekte berücksichtigt werden. Eine Erweiterung der Grundsätze der Zumessung der Strafe kommt nach Hegel aber auf der Ebene der Sittlichkeit in Betracht. Hier ist der Bezugs­ punkt nicht mehr die einzelne Person, sondern die Gesellschaft im Ganzen als Vereinigung aller Anerkennungsbeziehungen. Aufgrund dieser Allgemein­ heitstendenz eines jeden Verbrechens ist die dadurch gesetzte Gefahr für die Sicherheit der Gesellschaft zu berücksichtigen.116 Für Hegel ist das nun kein Grund die Verbrechen automatisch härter zu bestrafen. Vielmehr ist er der Ansicht, dass der Grad der Festigkeit einer Gesellschaft das Maß der Strafe hauptsächlich beeinflusst.117 Das heißt, wenn die Strukturen einer Gesell­ schaft die Sicherheit der Rechtsgüter hinreichend garantieren können, kann die Reaktion auf ein Verbrechen milder ausfallen, als in Zeiten der Krise.118 Begründet liegt das darin, dass eine Gleichheit zwischen dem Maß des Ver­ 111  Hegel, GPR, § 101 Anm., S. 193. Ausführlich dazu: Klesczewski, Rolle der Strafe, S.  241 ff. 112  Hegel, GPR, § 96, S. 183. 113  Hegel, GPR, § 101 Anm., S. 194. 114  Hegel, GPR, § 101 Anm., S. 193. 115  Klesczewski, Rolle der Strafe, S. 244. 116  Hegel, GPR, § 218, S. 372. In der Vorlesung vom Wintersemester 1824 / 25 vergleicht Hegel diese Gefahr mit der Unbeherrschbarkeit von Feuer: Nachschrift Griesheim, § 96, S. 279. 117  Hegel, GPR, § 218, S. 372. 118  Beispiel bei Hotho: Nachschrift Hotho, § 218, S. 665. Ausführlich zu den Kon­ sequenzen der Krise für die staatliche Strafe: Klesczewski, Rolle der Strafe, S. 333 ff.

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1. Teil: Die Strafe

brechens und der Strafe hergestellt werden muss. Dem liegt folgender Ge­ danke zugrunde: Trotz seiner innewohnenden Allgemeinheitstendenz, hat das einzelne Verbrechen für eine stabile Gesellschaft eben nur eine geringe Be­ deutung, denn es erschüttert das Sicherheitsgefühl Aller nur geringfügig und entwickelt keine Vorbildwirkung. Wenn aber die Sicherheit der Gesellschaft durch das Verbrechen in geringerem Maße vermindert wird, muss die Strafe daran angepasst werden. Deshalb ist die Strafe, i. R.d. verwirklichten Schuld, umso gravierender, je unsicherer die Verhältnisse sind. Für Hegel sind daher die: „verschiedenen Rücksichten, welche zu der Strafe als Erscheinung und ihrer Bezie­ hung auf das besondere Bewußtsein gehören und die Folgen auf die Vorstellung (abzuschrecken, zu bessern, usf.) betreffen, […] an ihrer Stelle, und zwar vornehm­ lich bloß in Rücksicht der Modalität der Strafe, wohl von wesentlicher Betrachtung […].“119

Die Strafzumessung in Hegels Theorie der Strafe ist also grundsätzlich an der Wiederherstellung des Rechts orientiert und unter den jeweiligen Bedin­ gungen der Gesellschaft finden präventive Gesichtspunkte, die zur Milderung bzw. Schärfung der Strafe führen, Berücksichtigung. 2. Beurteilung

Es erscheint nun fraglich, warum sich bei der eben gegebenen Darstellung die Einordnung der Hegelschen Theorie als absolute Straftheorie so hartnä­ ckig hält. Ausschlaggebend dürften wohl der schwierige Zugang zum Text der Grundlinien einerseits und die verkürzte Wiedergabe der Darstellungen mit einer Beschränkung auf das Abstrakte Recht andererseits sein, denn vor allem Hegels Ausführungen zur Strafzumessung im Abstrakten Recht, haben seiner Theorie den Ruf einer absoluten Straftheorie eingebracht. Dass die Strafe die Bestätigung des Rechts ist, hat Hotho prägnant als ‚Negation der Negation‘120 bezeichnet. Somit lässt sich Strafe vorschnell mit Vergeltung gleichsetzen. Was als logischer Ausgangspunkt gedacht war, dient teilweise als vollständige Umschreibung. Betrachtet man die Ausführungen Hegels aber insgesamt, lässt sich diese Einordnung schwerlich aufrechterhalten. a) Beurteilung der Strafbegründung Hegel unternimmt es, die Notwendigkeit einer strafrechtlichen Reaktion auf Verbrechen aus dem Rechtsbegriff abzuleiten. Er liefert damit die noch bei Kant vermisste Begründung: Verbrechen negieren partiell oder total (im 119  Hegel,

GPR, § 99 Anm., S. 188. Hotho, § 97, S. 307.

120  Nachschrift



1. Kap.: Wesen und Zweck der Strafe – ein Überblick55

Falle der Tötung) die Rechtsfähigkeit des Opfers und missachten damit das bestehende interpersonelle Anerkennungsverhältnis, welches durch die Strafe wiederhergestellt wird.121 Die Ableitung, welche allgemeinhin ungenau als ‚Negation der Negation‘ bezeichnet wird, war der erste Anhaltspunkt für In­ terpreten die Theorie als zweckunabhängig einzustufen. Aber damit ist der Kern der Aussage nicht getroffen. Vielmehr bewegen sich die Ausführungen auf einer begrifflichen, von der Wirklichkeit zu unterscheidenden, logischen Ebene.122 Das Anliegen war die Rechtfertigung der Strafe und das lässt sich nur in dieser abstrakten Logik verwirklichen. Insoweit die Strafe als Institut begründet ist, ist sie frei von jeglicher Zweckerwägung. Das Argument der logisch begrifflichen Rechtfertigung gilt auch dort, wo bezweifelt wird, dass das Anerkennungsverhältnis tatsächlich mittels Strafe wiederhergestellt wer­ den muss.123 Diese Beurteilung ließe sich im abstrakten Recht anbringen. Dort geht es nur um die Vermittlung einzelner Willen. In der institutionali­ sierten Gesellschaft aber bekommt das Verbrechen eine weitere Dimension. Die Verletzung des allgemeinen Rechts betrifft jede einzelne Anerkennungs­ beziehung. Und als solche muss jede einzelne auch wiederhergestellt werden. Die Verzeihung eines Einzelnen oder des Opfers ist dafür wohl nicht ausrei­ chend, die institutionelle Begnadigung möglicherweise schon. Institutionali­ siert ist sie aber Ausdruck aller konstituierten Personen. Diese rein begriffliche Entwicklung der Strafe wird untergraben, wenn man aus der Nichtigkeit des Verbrechens nicht die Notwendigkeit einer straf­ rechtlichen Reaktion folgert.124 Zwar ist dem Hegelschen Rechtsbegriff keine Zwangsbefugnis im Kantischen Sinne125 eigen. Vielmehr begreift Hegel auch den Strafzwang als zweiten Zwang nur als Folge des Unrechts126, wodurch sich das Recht – gemäß der dialektischen Methode – verwirklicht, sozusagen bewährt. Gerade darin liegt aber die Notwendigkeit begründet, dass eine Strafe nicht Ausbleiben darf, so dass das existente Verbrechen eine fühlbare Strafe heraufbeschwört.127 Keine strafrechtliche Reaktion auf ein Verbrechen ist danach grundsätzlich nicht vorgesehen.

121  Seelmann,

JuS 1979, S. 687 (688); ders., in: Strafe – warum?, S. 79 (80 f.). JA 1994, S. 511 (514). 123  Zweifelnd neuerdings Seelmann, in: Strafe – warum?, S. 79 (81 f.). 124  Flechtheim, Hegels Straftheorie, S. 106. Weitere Nachweise bei Ramb, Strafbe­ gründung, S. 136 (Fn. 135). 125  Kant, MS, AA VI, S. 231. Siehe oben: 1. Teil 1. Kap. A. I. 1. a) aa). 126  Hegel, GPR, § 94, S. 180. 127  Mohr, in: Siep, S. 95 (114). Ausführlich dazu Köstlin, Neue Revision, S. 32, 34. 122  Lesch,

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1. Teil: Die Strafe

Es ist auch unternommen worden, die Rechtfertigung der Strafe bei Hegel im Sinne der heutigen Theorie der positiven Generalprävention zu deuten.128 So sehr Hegels Darstellung der Strafe in der bürgerlichen Gesellschaft in dieser Weise begreifbar ist, betrifft sie doch nicht die Begründung der Strafe. Soweit die auf dem Rechtsgebot begründete Deutung der Wiederherstellung der Anerkennungsbeziehungen129 als generalpräventive Strafbegründung in­ terpretiert wird, wird die rein begriffliche Entwicklung der Strafe in unzuläs­ siger Weise mit Elementen der Wirklichkeit aufgeladen. Das war nicht Hegels Anliegen. Er begründet die Strafe nicht generalpräventiv.130 Letztlich ist auch die Begründung der Strafe als Recht des Täters kritisiert worden. Nach Hegel stellt der Straftäter durch seine Tat ein Gesetz auf, dass fremder Wille gebrochen werden dürfe.131 Dagegen wird behauptet, dass es viel näher liegen würde, dass der Täter gerade nicht ein allgemeines Gesetz aufstellen möchte. Vielmehr will er für sich nur eine ungerechtfertigte Aus­ nahme zur Regel in Anspruch nehmen.132 In der Wirklichkeit wird dies auch nicht selten der Fall sein. Aber das ist nicht entscheidend, denn damit ist das Hegelsche Argument nicht entkräftet. Vielmehr geht es hier darum den ver­ brecherischen Willen als unmaßgeblich herauszustellen.133 Freilich kann der Täter nicht wollen, letztlich selbst z. B. bestohlen oder beraubt zu werden. Dieser Einwand betrifft aber den Inhalt des aufgestellten Gesetzes. Dieser ist dem geschilderten Widerspruch ausgesetzt. Aber als freier Wille ist dem Straftäter jedenfalls die Fähigkeit eigen, ein Gesetz aufzustellen, mag dieses auch inhaltlich widersprüchlich sein.134 Das Allgemeine des aufgestellten Gesetzes ist jedoch die Berechtigung zur Willensverletzung. Insofern ist der Strafzwang, als zweiter Zwang, „sein an sich seiender Wille“135 und damit sein Recht.136 Richtigerweise wird alleinig darin wohl noch keine Begrün­ dung der Notwendigkeit von Strafe gesehen werden können. Ausgedrückt 128  Seelmann, Hegels Straftheorien, S. 27; ders., JuS 1979, S. 687 (690 f.); ders., in: Strafe  – warum?, S. 79 (84); ähnlich: Maultzsch, Jura 2001, S. 85 (88 f., 92 f.); Lesch, JA 1994, S. 590 (598); Schild, in: Strafe – warum?, S. 97 (102). 129  Seelmann, Hegels Straftheorien, S. 14 f.; 24; ders., JuS 1979, S. 687 (690). 130  So auch: Mohr, in: Siep, S. 95 (119); Ramb, Strafbegründung, S. 35; Schild, in: FS Derbolav, S. 199 (228). 131  Nachschrift Hotho, § 100, S. 316. 132  Flechtheim, Hegels Straftheorie, S. 102. Ähnlich Jakobs, Rechtszwang und Personalität, S. 32. Krit. zur Tragfähigkeit des Arguments Becchi, in: Strafe – wa­ rum?, S. 87 (88) und nunmehr auch Seelmann, in: Strafe – warum?, S. 79 (79 f.). 133  Ramb, Strafbegründung, S. 46; Lesch, JA 1994, S. 511 (514); Klesczewski, in: Autonomie und Normativität, S. 227 (228). 134  Nachschrift Hotho, § 100, S. 316. Zur parallelen Bewertung auf der Ebene der Moralität: Seelmann, in: FS Müller-Dietz, S. 857 (861). 135  Hegel, GPR, § 100, S. 190. 136  Lesch, JA 1994, S. 511 (515).



1. Kap.: Wesen und Zweck der Strafe – ein Überblick57

wird dadurch lediglich, dass dem Verbrecher kein Unrecht geschieht, wenn man seine Maxime auf ihn anwendet.137 Hegel nimmt den Straftäter folglich als Person ernst.138 Dieser disqualifi­ ziert sich durch seine Straftat(en) nicht als Mitglied der Gesellschaft. Er bleibt Person und die Wiederherstellung des Anerkennungsverlustes ist die Grundlage für eine fortgesetzte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Die Strafe liegt im Täter, also in seiner strafbewehrten Handlung und in seinem bösen Willen, begründet. Sie folgt nicht aus täterfremden Prinzipien. Sie entspringt gerade keinem utilitaristischen Streben. Die Strafe ist das Recht des Täters. Diesen Zusammenhang stellt Hegel viel klarer heraus, als es Kant in den allgemeinen Anmerkungen der Rechtslehre zum Strafrecht gelang. Hervorzuheben ist eine weitere sich daraus ergebende Folge. Indem die Strafe den besonderen Willen des Täters als unmaßgeblich, weil wider­ sprüchlich, herausstellt, knüpft sie an die Besonderheit des Straftäters an. Diese wird respektiert, womit vereinfacht gesprochen die Persönlichkeit des Täters respektiert wird.139 Gleichzeitig begründet diese Anknüpfung die fort­ laufende Teilhabe des Verbrechers an der Gesellschaft, d. h. den Resozialisie­ rungsanspruch des Täters.140 b) Beurteilung der Strafzumessung Auch bezüglich der Interpretation der Zumessung der Strafe in Hegels Theorie besteht kaum Einigkeit. Die Interpretation, aus der logischen Vernei­ nung der Verneinung, eine lediglich am Schuldmaß orientierte Vergeltungs­ theorie zu schlussfolgern, liegt natürlich nahe. Und auch die Ausführungen im abstrakten Recht scheinen einer derartigen Interpretation nicht entgegen­ zutreten. Denn im abstrakten Recht bleiben die Ausführungen zum Strafmaß an der Schuld orientiert. Diese Konsequenz ergibt sich aus dem Blickwinkel des abstrakten Rechts als formelles Recht der einzelnen Person. Aber die Strafzumessung nach Hegel ist viel differenzierter. Aus der Begründung der Strafe als Recht des Täters ergibt sich bereits die erste wichtige Folgerung: 137  Becchi, in: Strafe  – warum?, S. 87 (89). Im Erg. auch Seelmann, in: Strafe – warum?, S. 79 (79 f.). 138  Lesch, JA 1994, S. 511 (515). 139  Darin liegt, entgegen anderslautenden Ausführungen Hegels (GPR, § 101, S. 196), das Verbot menschenunwürdiger und vernichtender Strafen begründet; vgl. Klesczewski, ARSP-Beiheft 71 (1997), S. 140 (146 f.). 140  Köhler, Begriff der Strafe, S. 52 f.; Klesczewski, Rolle der Strafe, S. 290 ff. und öfter; ders., ARSP-Beiheft 71 (1997), S. 140 (146, 148); ders., in: Autonomie und Normativität, S. 227 (232 f.). Weil die Einsicht in die Strafe nicht sofort erwartet wer­ den kann, betont Schild, in: Autonomie und Normativität, S. 207 (223) völlig zu Recht die Aufgabe des Strafvollzugs insoweit.

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1. Teil: Die Strafe

Die Strafe darf niemals den Bezug zum Täter verlieren. Weil sich der Grund der Strafe aus diesem Bezug ergibt, ergibt sich auch die Grenze der Strafe daraus. Das schließt eine schuldunangemessene hohe Strafe aus. Diese würde den Täter nicht mehr als Person respektieren. Eine weitere wichtige Ergänzung zu den Erwägungen im abstrakten Recht, stellen die zumessungserheblichen Ausführungen in den Kapiteln zur Mora­ lität und der bürgerlichen Gesellschaft dar. Während im abstrakten Recht die Betrachtung auf das Recht an sich beschränkt ist, wird die Sichtweise auf der Stufe der Moralität um die subjektiven Anforderungen erweitert. Hier gelangt die subjektive Einstellung des Täters zur Tat in die Betrachtung.141 Die Ver­ antwortung für die Tat stellt sich dennoch als alleinige des Straftäters her­ aus.142 Erst aus der gesamtgesellschaftlichen Sicht in der Sittlichkeit der bürgerlichen Gesellschaft ergeben sich dann auch zumessungsrechtlich wei­ tere Gesichtspunkte. Die auf der Ebene der Moralität noch betonte alleinige Verantwortlichkeit des Straftäters für die eigene Tat143, nimmt Hegel auf der Ebene der Sittlichkeit teilweise wieder zurück. Die Straftat wird nun in den gesamtgesellschaftlichen Kontext eingeordnet. Durch diesen Bezug erlangen die institutionellen Rahmenbedingungen (geordnete Familienverhältnisse oder Verwahrlosung bereits im Kindes- und Jugendalter, funktionierende oder versagender Sozialstaat, etc.) Bedeutung bei der Bildung einer rechtli­ chen Gesinnung oder einer ablehnenden Haltung zu Recht und Gesetz. Diese Grundbedingungen, nach der Systematik Hegels Familie und bürgerliche Gesellschaft, haben nicht nur Einfluss auf den Täter. Ihre Bedeutung liegt auch darin, dass diese Verhältnisse die individuelle Verantwortung des Straf­ täters und damit die Zurechnung seiner Tat schmälern können.144 Damit hat Hegel einen auch heute noch nicht vollends entwickelten Zusammenhang zwischen individueller Schuld und gesellschaftlicher Verantwortung aufge­ griffen145, worauf noch zurückzukommen sein wird. Einerseits ist die Strafe bei Hegel als Wiederherstellung des Rechts als schuldgebunden ausgewiesen worden. Andererseits ist es durch die Koppe­ lung an die Festigkeit der gesellschaftlichen Verhältnisse, möglich, diesen Maßstab zu variieren: Zur Geltung des Rechts ist ein allgemeine Sicherheits­ gefühl bzw. das Bewusstsein und Vertrauen auf die Geltung des Rechts erfor­ 141  Seelmann, in: FS Müller-Dietz, S. 857 (859 ff.); Luf, in: Strafe – warum?, S.  111 (113 f.). 142  Seelmann, in: FS Müller-Dietz, S. 857 (873). 143  Seelmann, in: FS Müller-Dietz, S. 857 (861 f.). 144  Ausführlich: Köhler, in: FS Lackner, S. 11 (25 ff.); Klesczewski, Rolle der Strafe, S. 374 ff. und öfter; ders., ARSP-Beiheft 71 (1997), S. 140 (152); Seelmann, in: FS Müller-Dietz, S. 857 (873); Lesch, JA 1994, S. 590 (599). 145  Zu den aristotelischen Wurzeln: Köhler, in: FS Lackner, S. 11 (24); Klesczewski, Rolle der Strafe, S. 87 ff.



1. Kap.: Wesen und Zweck der Strafe – ein Überblick

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derlich.146 Dann gehört zur Strafe als Wiederherstellung des Rechts die Be­ rücksichtigung des Maßes des Vertrauensverlustes. Im Vordergrund dieser Ausführungen Hegels in den Grundlinien stehen dabei generalpräventive Erwägungen.147 In einer intakten Gesellschaft gilt das Recht, d. h. die Bürger erkennen das Recht an und vertrauen in die Beständigkeit und die Bewäh­ rung des Rechts. Dagegen ist die Straftat eine „Zufälligkeit“, die das grund­ sätzliche Vertrauen in die Geltung des Rechts nicht zu erschüttern vermag. Zur Wiederherstellung des Rechts ist somit weniger erforderlich, als wenn das Grundvertrauen Aller maßgeblich beeinträchtigt wäre. Die Gesellschaft, durch die Strafgerichte vermittelt, kann es sich erlauben, die Strafe in diesen Fällen milder zu bemessen.148 Obwohl die positive Generalprävention nicht als Begründung des Rechts zu Strafen angesehen werden kann, gewinnt die­ ses Element i. R.d. Zumessung der Strafe an Bedeutung. Voraussetzung dafür ist, dass Hegel erkennt, dass Strafen nicht nach dem Prinzip strikter Gleich­ heit zu bemessen sind, wie es noch Kant im Ausgangspunkt getan hatte.149 Weil sich gesellschaftliche Verhältnisse ändern, kann es nur auf eine wert­ gleiche Verhältnisbestimmung ankommen.150 Fraglich ist, inwieweit Hegel weitere Elemente in der Strafzumessungs­ entscheidung zulässt. Weil die Strafe notwendig auf die Straftat folgt, statu­ iert sie „ein Exempel gegen das Exempel des Verbrechens“151. Insoweit kommt darin der Gedanke der Abschreckung davor, selbst Straftaten zu be­ gehen, zum Ausdruck. Auch bei Hegel spielt damit die negative Spezialund Generalprävention eine Rolle bei der Strafzumessung. Allerdings tritt die Abschreckung mit dem Grad der Sicherheit der Gesellschaft zurück, denn in einer sicheren Gesellschaft, gilt das Recht und wird das Verbrechen von den Bürgern als Einzelnes – eben nicht als Allgemeines – aufgefasst152. Daher muss kein Exempel mehr statuiert werden. Kaum Ausführungen las­ sen sich in den Grundlinien zu den Strafzwecken der Besserung und Reso­ zialisierung des Täters finden. Lediglich die Nachschrift der Vorlesung He­ 146  Seelmann, JuS 1979, S. 687 (691). Ausführlich: Klesczewski, Rolle der Strafe, S. 298. 147  Seelmann, JuS 1979, S. 687 (691). 148  Seelmann, JuS 1979, S. 687 (691); Nachschrift Griesheim, § 218, S. 550; Nachschrift Hotho, § 218, S. 662 ff. Es dürfte auch der vollständige Verzicht auf die Zurechnung einer Tat bei Hegel in Betracht kommen: vgl. dazu Seelmann, in: Auto­ nomie und Normativität, S. 389 (391). 149  Schild, in: FS Puppe, S. 77 (81). Siehe oben: 1. Teil 1. Kap. A. I. 1. b). 150  Lesch, JA 1994, S. 511 (515). So bereits: Klesczewski, Rolle der Strafe, S. 300 f. 151  Hegel, GPR, § 218 Zusatz, S. 373. Ein Ausfallen der strafrechtlichen Reaktion auf ein Verbrechen kommt für Hegel grundsätzlich nicht in Betracht: Nachschrift Hotho, § 218, S. 662; Nachschrift Griesheim, § 218, S. 554. 152  Nachschrift Griesheim, § 218, S. 551.

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1. Teil: Die Strafe

gels aus den Jahren 1824 / 25 von v. Griesheim geht ausführlicher darauf ein.153 Er hält fest, dass: „[…] das Gericht, die Strafgesetzgebung kann sich selbst zum Zweck machen […] den Verbrecher bessern [zu; Verf.] wollen […].“154

Allerdings handelt es sich dabei für Hegel nur eingeschränkt um eine staatliche Aufgabe.155 Bedeutung erlangt die Spezialprävention aber insoweit, wie die Strafart beeinflusst werden kann.156 Eingegliedert in die bisherigen Ergebnisse der Entwicklung der Strafzumessung in Hegels Theorie bedeutet das Folgendes: Eine grundsätzlich sichere Gesellschaft kann sich erlauben, Verbrecher, deren Taten nur ein geringfügiges Ausmaß haben, nicht ihrem gewohnten Lebens- und Arbeitsumfelds zu entziehen. Die Strafe muss daher nicht zwangsläufig die Art einer Freiheitsstrafe aufweisen. Der Schuldaus­ gleich kann auf andere Weise erfolgen157, um den Täter wieder in die Gesell­ schaft einzugliedern. Andererseits muss sich die (auch sichere) Gesellschaft vor einem Straftäter dadurch schützen können, dass sie ihn einsperrt. Darin liegt zwar die Gefahr begründet, dass sich dem Straftäter die Gewöhnung an das Recht dauerhaft verloren geht.158 Das nimmt die Gesellschaft aber zum Schutz ihrer vielfältigen Rechtsgüter hin. In dem dargestellten Ausmaß ist demzufolge auch die Spezialprävention bei der Strafzumessung zu berück­ sichtigen. c) Fazit Somit gelingt es, alle der heute üblicherweise anzutreffenden Aspekte staatlichen Strafens in der Hegelschen Straftheorie wiederzufinden: „Alle diese Gesichtspunkte der Besserung, der Abschreckung pp sind wichtig, nur muß die Strafe immer vor allem die Qualität der Gerechtigkeit behalten, die Strafe als Strafe muß nicht wegfallen […].“159

Der Vorteil der Straftheorie Hegels liegt in der vortrefflichen Integration der verschiedenen Gesichtspunkte. Auf der Grundlage eines festgestellten 153  Diese Vorlesung gilt als die reifste und ausgewogenste Darstellung der Rechts­ philosophie durch Hegel (Ilting Vorbemerkungen zur Nachschrift Griesheim, S. 69). Obwohl Griesheim im Vergleich zu Hotho nicht Hegels Sprache benutzt und die Vor­ lesung etwas subjektiver geprägt wiedergibt, steht die Authentizität der Nachschrift nicht in Frage (Ilting Vorbemerkungen zur Nachschrift Griesheim, S. 74). 154  Nachschrift Griesheim, § 218, S. 552 f. 155  Nachschrift Griesheim, § 218, S. 553. Ebenso: Schild, in: FS Derbolav, S. 199 (225). Anders offenbar: Merle, JbRuE 11 (2003), S. 145 (171). 156  Nachschrift Griesheim, § 218, S. 553, 554. 157  Ausführlich dazu: Klesczewski, Rolle der Strafe, S. 306, 308 ff. 158  Klesczewski, Rolle der Strafe, S. 302 f. 159  Nachschrift Griesheim, § 218, S. 554.



1. Kap.: Wesen und Zweck der Strafe – ein Überblick61

Schuldumfangs können sowohl spezial- als auch generalpräventive Gesichts­ punkte berücksichtigt werden. Die Theorie bringt damit die verschiedenen Aspekte, welche neuerdings selbständig nebeneinandergestellt werden, in Einklang; ein Vorteil auch gegenüber dem Kantischen Ansatz.

B. Die sogenannten relativen Straftheorien Neben diesen zweckfreien Begründungen der Strafe sind im Laufe der Zeit zweckgebundene Begründungen getreten. Danach soll mit der Strafe an sich stets ein relevanter Zweck verbunden sein. Im Groben lassen sich die Theorien danach unterscheiden, ob dieser in einem gesamtgesellschaftlichen Zweck (sog. generalpräventive Theorien) oder in einem die Täterpersönlich­ keit aufgreifenden Zweck (sog. spezialpräventive Theorien) gesehen wird. Dabei werden im Folgenden zuerst zwei einflussreiche Spielarten der gene­ ralpräventiven Straftheorien dargestellt, bevor die wichtigste spezialpräven­ tive Straftheorie vorgestellt wird. I. Paul Johann Anselm von Feuerbach: Die Theorie der negativen Generalprävention Paul Johann Anselm von Feuerbach ist der Begründer einer Straftheorie, die an die Strafandrohung durch die Strafgesetze anknüpft. 1. Die Theorie

Feuerbach unternimmt es die Notwendigkeit der staatlichen Strafe aus seinem Rechts- und Staatsverständnis abzuleiten. Allerdings steht für ihn die Strafandrohung unverkennbar im Vordergrund der Betrachtung. Daher wird in diesem Zusammenhang häufig auch von der Rechtfertigung staatlicher Strafandrohung, bzw. der „Theorie vom psychologischen Zwang“, gespro­ chen. Der Verhängung und dem Vollzug der Strafe kommt in der Feuerbach’schen Darstellung nur eine untergeordnete Rolle zu. a) Rechtfertigung der Strafandrohung und der Strafe Feuerbachs Rechtsverständnis ähnelt dem Kants. Er geht von einer äuße­ ren Freiheit aus, die mit der Anderer kollidieren kann und daher in Einklang zu bringen ist.160 Feuerbach sieht es daher ebenso als Forderung an, in einen 160  Feuerbach, Revision Teil 1, S. 26. Dazu ausführlich Altenhain, in: GS Keller, S. 1 (8 f.).

62

1. Teil: Die Strafe

rechtlichen Zustand einzutreten, in welchem sich die Bürger der Sicherung ihrer Rechte durch die Staatsmacht gewiss sein können.161 Um diese Rechte effektiv zu sichern ist der Staat verpflichtet jede Rechtsverletzung zu verhin­ dern. Wäre er nicht dazu verpflichtet, würde der Zusammenschluss keinen Sinn ergeben. Zur Verhinderung von Verbrechen hilft dem Staat jedoch  – mangels Kenntnis im Vorfeld und mangels der Möglichkeit Verbrechen im Nachhinein ungeschehen zu machen  – kein physischer Zwang. Daraus schließt Feuerbach, dass alleinig eine Strafandrohung durch Gesetz im Vor­ feld einer Tat diese staatliche Aufgabe umsetzen kann.162 Dem Anreiz zur Tatbegehung muss ein Anreiz zum Unterlassen entgegengesetzt werden, um ein Verbrechen wirksam verhindern zu können.163 Die Bürger müssen wis­ sen, dass die Verletzung eines Rechts strafbewehrt ist, damit die Strafandro­ hung ihre verhaltenslenkende Wirkung entfalten kann. Dadurch sollen die Bürger von Rechtsverletzungen abgehalten werden und der Staat kommt seiner Aufgabe, Rechtsverletzungen zu verhindern, nach. So rechtfertigt sich die staatliche Strafandrohung auf ein Verbrechen für Feuerbach. Gleichzeitig ist damit auch die Verhängung einer Strafe begründet. Die Strafandrohungen können nur dann verhaltenslenkend wirken, wenn auf eine begangene Straf­ tat auch eine Strafe folgt.164 Anderenfalls würden die Drohungen leer blei­ ben. Das würde aber keinen Anreiz zum Unterlassen von Straftaten bilden und bedeutet letztlich, dass sowohl die Strafandrohung, als auch die Zufü­ gung einer Strafe alleinig den Zweck der Abschreckung der Allgemeinheit verfolgen.165 Feuerbach lehnt sogar alle anderen bekannten Strafzwecke ausdrücklich ab.166 b) Strafzumessung Rechtsgrund der Strafandrohung wie der Strafe ist die staatliche Pflicht Rechtsverletzungen zu vermeiden. Dem Tatanreiz muss der Gesetzgeber mit­ tels Strafgesetze einen Anreiz zur Unterlassung entgegensetzen. Die Ab­ schreckung Aller ist hier der Bezugspunkt. Das bleibt freilich nicht ohne Auswirkung auf die Verhängung einer Strafe im Einzelfall. Die Dispositions­ freiheit des Gesetzgebers ebnet der Strafzumessung den Weg, denn für die Höhe der angedrohten Strafen ist die Sicherheit der entsprechenden Rechte in der Gesellschaft entscheidend. Umso gefährdeter ein Recht ist, umso hö­ 161  Feuerbach, 162  Feuerbach, 163  Feuerbach, 164  Feuerbach, 165  Feuerbach, 166  Feuerbach,

Lehrbuch, Lehrbuch, Lehrbuch, Lehrbuch, Lehrbuch, Lehrbuch,

§ 9. § 15, 16. § 17. § 18. § 20. § 22.



1. Kap.: Wesen und Zweck der Strafe – ein Überblick63

her muss die Strafandrohung ausfallen.167 Demzufolge muss auch genau diese Strafe verhängt werden. Strafmilderungen sind dem Gnadenrecht über­ lassen.168 Die verwirklichte Schuld ist demgegenüber kein Maßstab für die Höhe der Strafe.169 2. Beurteilung

Feuerbach hat überzeugend die Zulässigkeit der staatlichen Pflicht170 von Strafandrohungen durch Gesetz dargelegt. In dieser Hinsicht ist seine Theo­ rie schlüssig. Die Strafandrohung ist nicht dem Einwand ausgesetzt, dass der Straftäter als Mittel zum Zwecke der Allgemeinheit benutzt wird.171 Ein großer Verdienst Feuerbachs liegt in der Betonung des Gesetzlichkeitsprin­ zips für das Strafrecht. Denn ohne Androhung, d. h. ohne ein verkündetes Gesetz, gibt es keine Straftat und damit auch keine Strafe.172 Dass darüber hinaus der Zweck der Strafe alleinig in der Zufügung des angedrohten Übels liegt, unterfällt aber der Kritik.173 Aufgrund des Zwecks der Strafe Straftaten zu verhindern, ist sie eine relative Straftheorie. Weil ihr Bezugspunkt die Allgemeinheit ist, ist die Theorie eine generalpräventive und weil es um die Abschreckung der Allgemeinheit geht, ist sie gemäß dem vorgestellten Spek­ trum der negativen Generalprävention zuzuordnen. Kritikwürdig ist bereits die Höhe der staatlichen Strafandrohungen.174 Feu­ erbach überlässt es hier dem Gesetzgeber die Gefährdung der Rechte zu klassifizieren und deren Verletzung entsprechend zu sanktionieren. Erstens 167  Feuerbach,

Revision Teil 2, S. 205. ARSP-Beiheft 87 (2003), S. 78 (86). 169  Feuerbach, Revision Teil 1, S. 280. 170  In den größeren Rahmen einer Staatstheorie ordnen Naucke, ARSP-Beiheft 87 (2003), S. 41 (43 f.) und Brandt, in: Feuerbachs Bayerisches Strafgesetzbuch, S. 171 ff. die Straftheorie ein. Ähnlich Köhler, ARSP-Beiheft 87 (2003), S. 67 (71 f.). 171  Brandt, in: Feuerbachs Bayerisches Strafgesetzbuch, S. 171 (179); Frisch, in: Feuerbachs Bayerisches Strafgesetzbuch, S. 191 (196). 172  Brandt, in: Feuerbachs Bayerisches Strafgesetzbuch, S. 171 (178); Dannecker, in: LeipzigerKomm StGB, § 1 Entstehungsgeschichte. Hruschka, in: FS Puppe, S. 17 (23) mit Verweis auf den biblischen Ursprung des Gesetzlichkeitsprinzips. 173  Cattaneo, ARSP-Beiheft 87 (2003), S. 9 (15); Frisch, GA 2015, S. 65 (76 f.); Köhler, ARSP-Beiheft 87 (2003), S. 67 (77); Lesch, JA 1994, S. 511 (516). Hruschka, in: FS Puppe, S. 17 (22) weist darauf hin, dass Feuerbach zwischen dem Zweck und dem Grund der Zufügung der Strafe differenziert. Die Tatbegehung stelle dabei den Grund der Strafzufügung bei Feuerbach dar. 174  Frisch, in: Feuerbachs Bayerisches Strafgesetzbuch, S. 191 (196). Dass eine Begrenzung der Macht des Gesetzgebers bei Feuerbach nicht gelingen kann, sieht Naucke, ARSP-Beiheft 87 (2003), S. 41 (46 ff.) bereits in dessen Staatsverständnis begründet. Krit. auch Köhler, ARSP-Beiheft 87 (2003), S. 67 (75). 168  Kräupl,

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1. Teil: Die Strafe

unterliegen die Gefährdungen aber einem ständigen Wandel und zweitens sind die Tatanreize für jeden Menschen unterschiedlich. So mag der Trieb des Einen zu Gewaltdelikten und der eines Anderen zu Wirtschaftsdelikten gehen. In der Konsequenz müsste der jeweils höchste sinnliche Anreiz, wel­ cher in der Wirklichkeit vorkommen mag, als Ausgangspunkt für die staatli­ che Strafandrohung genommen werden. Die Feststellung kann kaum gelin­ gen. Es ist ebenfalls ein kompliziertes Unterfangen die Perspektive der All­ gemeinheit beizubehalten, wenn die Anreize individual betrachtet werden. Hier ist daher nicht ganz klar, ob Feuerbach nicht doch täterrelevante Aspekte in die Strafzumessung einfließen lassen will.175 Letztlich müsste der ermit­ telte Wert des sinnlichen Anreizes in der Strafandrohung aber noch gesteigert werden, damit die verbrecherische Vernunft von der entsprechenden Straftat ablässt. Das lässt jedoch jegliches Maß vermissen.176 Feuerbach selbst schreibt zwar, dass die Strafe nicht höher ausfallen darf, als zur Abschre­ ckung nötig.177 Darin liegt freilich keine wirkliche Begrenzung. Die Strafan­ drohung und die Verhängung der Strafe weisen nämlich keinen Bezug zur verwirklichten Tatschuld auf. Die Straftäter werden instrumentalisiert178, da­ mit die Allgemeinheit vor der Begehung von Straftaten abgeschreckt wird. Nach heutiger Diktion liegt darin eine Verletzung ihrer unverletzlichen Würde. Unverständlicherweise geht Feuerbach aber davon aus, dass seine Straftheorie diesem Einwand standhält.179 Die gezeigten Probleme setzen sich in den Versuchen der empirischen Überprüfung der Wirkungsweise einer Abschreckungsprävention fort. Diese konnte bisher nur in engen Grenzen bestätigt werden.180 Bezeichnenderweise wirkt die Abschreckung umso bes­ ser, je deliktisch unerfahrener die Menschen sind. Ist erst einmal eine krimi­ nelle Laufbahn eingeschlagen, liegt also eine grundsätzliche Tatgeneigtheit 175  In diese Richtung: Frisch, in: Feuerbachs Bayerisches Strafgesetzbuch, S. 191 (202 ff.). Insgesamt bleibt Feuerbach diesbezüglich wenig aussagekräftig. Vgl. Naucke, ZStW 87 (1975), S. 861 (882 f.). Kritisch auch Maiwald, in: Feuerbach, S. 143 (151). 176  Zur ausufernden Tendenz von Strafe im Hinblick darauf: Frisch, in: Feuer­ bachs Bayerisches Strafgesetzbuch, S. 191 (198); Bruns, in: FS v. Weber, S. 75 (84) mit Beispielen aus den letzten Jahren des Zweiten Weltkrieges. 177  Feuerbach, Revision Teil 1, S. 102. 178  Vgl. nur Stahl, S. 150; Maiwald, in: Feuerbach, S. 143 (147); Köhler, ARSPBeiheft 87 (2003), S. 67 (71, 75); Lesch, JA 1994, S. 511 (517); Altenhain, in: GS Keller, S. 1 (5); Brandt, in: Feuerbachs Bayerisches Strafgesetzbuch, S. 171 (180). Krit. auch Bruns, in: FS v. Weber, S. 75 (84); Wolff, ZStW 97 (1985), S. 786 (792, 798). 179  Feuerbach, Revision Teil 1, S. 90. 180  Stahl, S. 148 f; Vilsmeier, MSchrKrim 73 (1990), S. 273 (274, 281 f.) m. w. N. Weitergehend H.-J. Albrecht, S. 69. Aus wirtschaftsstrafrechtlicher Sicht: Schneider, in: FS Heinz, S. 663 (670 f.).



1. Kap.: Wesen und Zweck der Strafe – ein Überblick65

vor, wirkt die Abschreckungsprävention kaum noch.181 Insgesamt bleiben die Ausführungen Feuerbachs zur Strafzumessung viel zu blass. Das mag in seiner Theorie der Strafandrohung so angelegt sein. Dadurch bleibt sie je­ doch hinter den Bedürfnissen der Praxis zurück und ist Kritik ausgesetzt.182 Ein weiterer Kritikpunkt, der hier nur angedeutet werden soll, ergibt sich aus der Biografie Feuerbachs.183 Anfangs waren seine Ausführungen zur Strafe sehr theoretisch. Mit seinem Wechsel in die Praxis der bayerischen Strafrechtspflege erkannte Feuerbach die Unzulänglichkeiten seiner Theorie und versuchte sie mit den Anforderungen der Praxis in Einklang zu brin­ gen.184 Das gelang jedoch nicht widerspruchsfrei. Sollte anfangs die Strafan­ drohung konkret sein, ließ er sich später auf Strafrahmen ein. Sollten anfangs Strafmilderungen nur über das Gnadenrecht Beachtung finden, ließ er diese später auch in der Strafzumessung zu.185 II. Günther Jakobs: Die Theorie der positiven Generalprävention Günther Jakobs gilt als Vertreter einer Straftheorie der positiven General­ prävention. Er legt seine Straftheorie maßgeblich in seinem Lehrbuch zum allgemeinen Teil des Strafrechts186 dar. 1. Die Theorie

a) Rechtfertigung der Strafe Jakobs geht davon aus, dass menschliches Verhalten sich an Erwartungs­ strukturen ausrichtet. Dabei unterscheidet er sog. kognitive und normative Erwartungen.187 Dass man im Winter draußen erfrieren kann, dass man sich 181  Hermann / Dölling, S. 72, 76. Krit. auch Frisch, in: Feuerbachs Bayerisches Strafgesetzbuch, S. 191 (207). 182  Maultzsch, ARSP-Beiheft 87 (2003), S. 91 (94 f.). 183  Zu den Stationen in der Biografie Feuerbachs ausführlich: Walter, in: Feuer­ bachs Bayerisches Strafgesetzbuch, S. 17 ff. 184  Frisch, in: Feuerbachs Bayerisches Strafgesetzbuch, S. 191 (207). Zum Ganzen ausführlich Kräupl, ARSP-Beiheft 87 (2003), S. 78 ff. Maultzsch, ARSP-Beiheft 87 (2003), S. 90 (97) sieht darin sogar den „Abschied von der Theorie des psychologi­ schen Zwangs“. Zur Beeinflussung durch die praktische Tätigkeit auch Naucke, ZStW 87 (1975), S. 861 (866, 883). 185  Kräupl, ARSP-Beiheft 87 (2003), S. 78 (85 f.). 186  Jakobs, Strafrecht AT, passim. In den größeren Kontext einer Rechtsphiloso­ phie eingeordnet: Jakobs, Person, Norm, Gesellschaft, S. 108 ff. 187  Jakobs, Strafrecht AT, 1 / 5, 6. So auch Lesch, JA 1994, S. 590 (597).

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1. Teil: Die Strafe

verbrennt, wenn man auf eine heiße Herdplatte fasst, sind Folgen von Natur­ gesetzen und der Kategorie der kognitiven Erwartungen zuzuordnen. Diese beschreiben die Realität. Ihren Einsichten kann man sich nicht sperren. In dieser Kategorie wird man aus dem eigenen Schaden, oder bestenfalls dem Anderer, klug. Ein Umdenken in Zukunft stellt sich hier als natürliche Reak­ tion ein.188 Dass man sich dagegen bei einem nächtlichen Spaziergang durch einen dunklen Park sicher fühlen darf, ist eine normative Erwartungshaltung. Sie beruht auf der Erwartung, dass im sozialen Zusammenleben verschiedene Gesetze gelten und befolgt werden, beispielsweise Gesetze zum Schutz von Eigentum oder Leib und Leben. Aber auch diese Erwartung kann enttäuscht werden. Das Besondere an dieser zweiten Kategorie ist nun, dass nicht jede enttäuschte normative Erwartung zwangsläufig zu einem Umdenken führen muss. Vielmehr kann die Erwartung grundsätzlich, sozusagen „kontrafak­ tisch“, beibehalten werden.189 Das gilt sowohl für eigene wie fremde Enttäu­ schungen. Wer Opfer eines nächtlichen Gewaltdelikts geworden ist, mag sich ebenso noch nachts auf die Straße trauen, wie wenn er hört, dass ein Anderer nachts ausgeraubt wurde. Erst wenn Gesetze beharrlich gebrochen werden, werden die Erwartungshaltungen aufgegeben. D. h. erst wenn neben der nor­ mativen Erwartung auch die diese stützende kognitive Erwartung enttäuscht ist, findet ein Umdenken statt. Für Jakobs stellt es eine Notwendigkeit dar, dass das Wissen um die in der Gesellschaft geltenden Gesetze, erlangt wird. Anderenfalls wird man im Le­ ben scheitern.190 Dennoch muss das erlangte Wissen nicht angewandt wer­ den. Man kann zwar wissen, dass man Andere nicht verletzen darf, muss sich aber nicht daran halten. In diesem Fall spricht man einem Gesetz, hier § 223 StGB, seine Wirksamkeit ab und setzt sich zu diesem in Widerspruch. Dieser Widerspruch ist für Jakobs der Normbruch.191 Ein Normbruch stellt dann eine Straftat dar, wenn er dem Täter zugerechnet werden kann. Zugerechnet werden kann, wenn eine Tat schuldhaft begangen wurde. Jakobs vertritt da­ bei eine funktionale Schuldauffassung.192 Schuldhaft handelt ein Straftäter danach, wenn er die allgemeine Normanerkennung betreffend mangelnde Rechtstreue zeigt.193 D. h. schuldhaft handelt derjenige, der Normbrüche be­ geht, weil er sich nicht an die Normen halten will.194 Würde der Normbruch 188  Jakobs,

Strafrecht AT, 1 / 5. Strafrecht AT, 1 / 6; Lesch, JA 1994, S. 590 (597 f.). 190  Jakobs, Strafrecht AT, 1 / 7a. 191  Jakobs, Strafrecht AT, 1 / 9. 192  Jakobs, Strafrecht AT, 17 / 22. Zum Ganzen: ders., Schuld und Prävention, S. 29 und öfter. 193  Jakobs, Strafrecht AT, 17 / 1, 20. 194  Jakobs, Strafrecht AT, 17 / 18; ders., ZStW 101 (1989), S. 516 (527). 189  Jakobs,



1. Kap.: Wesen und Zweck der Strafe – ein Überblick67

folgenlos bleiben und weitere Normbrüche folgen, könnten die Erwartungen Aller nicht aufrechterhalten werden. Die Gesellschaft erfordert daher auf diesen Widerspruch zu reagieren, um die Erwartung zu bestätigen.195 Diese Reaktion ist die Strafe. Die Strafe erklärt den Normbruch für unmaßgeblich und rechtfertigt das weitere Vertrauen Aller in die Wirksamkeit der Gesetze. Die Straftat des Straftäters ist der Anlass für die Strafe. Ihren Zweck sah Jakobs anfangs al­ lein in der Bestätigung der Gesetze und das kontrafaktische Vertrauen Aller in diese trotz Normbruchs.196 Die Normanerkennung Aller durch Demonstra­ tion der Unwirksamkeit anderer Erwartungsmuster auf Kosten des Straftäters durch die Strafverhängung war damit alleinig der Sinn der Strafe.197 In jün­ gerer Zeit hat Jakobs dagegen betont, dass die Strafe auch die Aufgabe hat, die kognitiven Erwartungen Aller zu bestätigen.198 Die Bestätigung des Normvertrauens werde vorrangig durch den Schuldspruch erreicht.199 Die Zwecke der Spezialprävention betrachtet Jakobs dagegen als nachrangige und von der präventiven Wirkung der Strafe hervorgerufene Nebeneffekte.200 b) Strafzumessung Mit obigen Erwägungen rechtfertigt Jakobs alleinig die Verhängung einer Strafe. Diese soll „auf Kosten“ des Täters gehen.201 Damit ist eine Rechts­ einbuße gemeint. Insgesamt ist Jakobs sehr zurückhaltend mit Aussagen zur Strafzumessung. Für ihn ist aber insbesondere die Öffentlichkeit des Kon­ flikts strafzumessungsrelevant.202 Das bedeutet, dass sowohl das Gewicht der betroffenen Norm als auch das Ausmaß der Zerstörung der Normanerken­ nung und ihrer kognitiven Untermauerung entscheidend sein soll.203 Umso mehr also durch eine Straftat die Geltung eines Gesetzes und die tatsächli­ chen Erwartungen an den Straftäter infrage gestellt werden, desto größer muss die Strafe sein. Damit stimmen Aussagen, die Jakobs im Bereich der 195  Jakobs,

Strafrecht AT, 1 / 11. Strafrecht AT, 1 / 14; ders., ZStW 101 (1989), S. 516 (517); ders., ZStW 107 (1995), S. 843 (849); ders., Norm, Person, Gesellschaft, S. 112 f. s. a. Freund, GA 2010, S. 193 (195). Ähnlich auch BVerfGE 45, 187 (255 ff.). 197  Jakobs, Staatliche Strafe, S. 31; ders., Schuld und Prävention, S. 33 und öfter. Im Erg. auch Frisch, GA 2015, S. 65 (78); ders., NStZ 2016, S. 16 (19). 198  Jakobs, Rechtszwang und Personalität, S. 33 f. 199  Jakobs, Rechtszwang und Personalität, S. 32. 200  Jakobs, Strafrecht AT, 1 / 37, 50 f. 201  Jakobs, Strafrecht AT, 1 / 10. 202  Jakobs, Strafrecht AT, 1 / 8. Deutlicher: ders., Rechtsgüterschutz, S. 20; ders., Norm, Person, Gesellschaft, S. 105. Anders: Lesch, JA 1994, S. 590 (599). 203  Jakobs, Staatliche Strafe, S. 32; ders., Rechtszwang und Personalität, S. 34. 196  Jakobs,

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1. Teil: Die Strafe

Schuld trifft, überein. Schuld ist in seiner Konzeption, wie erwähnt, der feh­ lende Wille sich an die Gesetze zu halten.204 Die Größe der Missachtung der Normanerkennung, ist mithin die Größe der Schuld. Das Maß der Schuld und das Strafmaß sind auf das Erforderliche beschränkt.205 Das Erforderliche beschreibt nach Jakobs in diesem Zusammenhang jedoch bloß wieder das Ausmaß der Normmissachtung bzw. der Normanerkennung. 2. Beurteilung

Die Straftheorie Jakobs ist eine Theorie positiver Generalprävention. Sie nimmt die Allgemeinheit in Bezug und die Strafe dient nicht dem Zweck der Abschreckung, sondern der Normanerkennung. Gegen diese Strafbegründung sind mehrere Einwände zu erheben. Die Strafe wird gegenüber dem Straftä­ ter verhängt, damit die Wahrung des Rechts gegenüber der Gesellschaft de­ monstriert werden kann. Der Bezugspunkt für die Normeinübung ist der rechtstreue Bürger, nicht der Straftäter. Dadurch wird Letzterer zum An­ schauungsobjekt der rechtstreuen Personen degradiert und damit zum Objekt staatlicher Strafverfolgung gemacht. Diese Begründung der Strafe missachtet daher die Menschenwürde des Straftäters.206 Recht unvermittelt steht dane­ ben der Gedanke, die Strafe sei auch durch den Straftäter vermittelt.207 Rich­ tig ist daran, dass es bezüglich des Maßes derselben auf die persönliche Verantwortlichkeit ankommt. Aber die Legitimation dem Grunde nach scheint ein bedenklicher Perspektivenwechsel. Nach Jakobs bewegen sich die Men­ schen unvermittelt an nutzengeleiteten Schemen bis sie auf so viele Andere treffen, dass sie diese Schemen in einer Gesellschaft in Normen transformie­ ren, die es zur Geltung (notfalls eben mit strafrechtlichen Mitteln) zu bringen gilt.208 Entscheidend sind allein die kognitiven und normativen Erwartungen der (anderen) Personen. Die Perspektive ist die der Gesellschaft. Warum der Straftäter seiner Bestrafung also zustimmen wollen würde, ist nicht erkenn­ bar. Ebenso ist fraglich, ob der Strafe an sich der Zweck der Normanerken­ 204  Jakobs,

Strafrecht AT, 17 / 18; ders., ZStW 101 (1989), S. 516 (527). Strafrecht AT, 17 / 29. 206  Köhler, Strafbegründung und Strafzumessung, S. 32 f.; Calliess, in: FS MüllerDietz, S. 99 (110); Wolff, ZStW 97 (1985), S. 786 (803); Klesczewski, Strafrecht AT, Rn. 21. Krit. auch Kaufmann, in: GS H. Kaufmann, S. 425 (430). 207  Jakobs, Staatliche Strafe, S. 32 und 42 (in Abgrenzung zu den Maßregeln als Gefahrenabwehrrecht): „Seine Verantwortlichkeit für die Gefährdung der Normgel­ tung ist die Legitimation, ihm den Strafschmerz zuzufügen; man mag also von Scha­ denersatz in einem weiteren Sinne reden, einem Ersatz, den der Täter, wenn er recht­ lich gesonnen, wäre, durch Verzicht auf den Gebrauch seiner Freiheit von sich aus leisten würde […].“ 208  Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 31. 205  Jakobs,



1. Kap.: Wesen und Zweck der Strafe – ein Überblick

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nung zukommt. Voraussetzung für die Bestätigung der geltenden Gesetze ist eine Kenntnis der Öffentlichkeit von möglicherweise begangenen Straftaten. Im öffentlichen Strafverfahren wird dann der Rechtsfrieden wiederhergestellt. Damit erfüllt doch das Verfahren und nicht die Strafe den Zweck der Bestä­ tigung der Gesetze.209 Denn es kommt insoweit doch vielmehr auf die Nach­ vollziehbarkeit an. Die öffentliche Gemeinschaft wird in ihrer Rechtstreue auch dann bestätigt, wenn sich eine Anklage als unhaltbar erweist. Das Ver­ fahren sorgt aber für Nachvollziehbarkeit. Mithin ist für die Normanerken­ nung vordergründig nicht die Strafe, sondern vor allem auch das Strafverfah­ ren (mit den vielfältigen Erledigungsmöglichkeiten) entscheidend.210 Die jüngeren Aussagen Jakobs, dass die normativen Erwartungen durch den Schuldspruch und die kognitiven Erwartungen dagegen in der eigentlichen Sanktion (also bspw. Freiheitsstrafe) erhalten werden211, greifen diesen Zu­ sammenhang richtigerweise auf. Auch im Rahmen der Strafzumessung bleibt Kritik nicht aus. Fraglich ist, ob die Einübung in Normanerkenntnis zu maßvollen212 Sanktionen führt. Der Gedanke ist, dass die Gemeinschaft nur dann in ihrem Vertrauen auf den Bestand der Gesetze bestärkt wird und diese anerkennt, wenn es zu keinen unverhältnismäßigen staatlichen Reaktionen kommt. So stellt sich aber die generalpräventive Wirkung als Reflex schuldgerechten Strafens dar.213 Rich­ tig ist zwar, dass eine gerechte Strafe normbestätigende Wirkung hat. Auch hier werden nach der Theorie der positiven Generalprävention wieder Ursa­ che und Wirkung vertauscht. Denn Maßstäbe der konkreten Ermittlung dieser gerechten Strafe bietet die Theorie nicht. Die Normanerkennung in der Be­ völkerung ist kein geeigneter Maßstab.214 Die gerechte Strafe findet sich nur durch einen individuellen Schuldbezug, den diese präventive Theorie ver­ nachlässigt.215 Dass ein generalpräventiver Ansatz auch ansonsten nicht stets 209  Calliess, in: FS Müller-Dietz, S. 99 (110). Ausführlich: Börner, Legitimation durch Strafverfahren, S. 42 ff. und öfter. Wohl auch: Zipf / Dölling, in: Maurach / Gös­ sel / Zipf, § 63 Rn. 101. 210  Insoweit erweisen sich meines Erachtens die Möglichkeiten verfahrensbe­ schränkender oder -beendender Einstellungen im Ermittlungs- oder Zwischenverfah­ ren als der Normbestätigung äußerst abträglich. 211  Jakobs, Rechtszwang und Personalität, S. 32 ff. 212  Ganz grundsätzlich wird bereits bezweifelt, dass die ursprüngliche Theorie von Jakobs für Strafmaßerwägungen offen ist: Feijoo Sánchez, in: FS Jakobs, S. 75 (79 und Fn. 8). 213  Im Grundsatz auch Köhler, Strafbegründung und Strafzumessung, S. 42 der von akzidentieller Bestimmung der Strafe insoweit spricht und im Übrigen allgemein­ hin unter dem Aspekt der Generalprävention vorgenommene Strafmodifikationen zu­ lässt, wenn sie sich als unrechts- und schuldmodifizierend begreifen lassen (S. 49 ff.). 214  Das erkennt auch Jakobs, Strafrecht AT, 1 / 50 im Grunde an. 215  Hörnle, S. 94 f.; krit. insoweit auch Wolff, ZStW 1985, S. 786 (803).

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1. Teil: Die Strafe

zu maßvollen Strafen führt, ergibt sich aus Folgendem: Die Normbestätigung und -anerkennung erfolgt aus der Sicht der Gemeinschaft. Mithin ist deren Vorstellung von einer maßvollen Reaktion entscheidend. Gerade aber in Zei­ ten eines Wandels von gesellschaftlichen Vorstellungen und Werten gerät diese Anknüpfung in schwieriges Fahrwasser.216 Zum Beispiel ist zurzeit immer noch kein umfassendes Verständnis von geistigem Eigentum und des­ sen Respektierung in dem Bewusstsein aller Menschen verankert. Das hat das massenweise Missachten und Begehen von Straftaten in diesem Bereich, beispielsweise illegales Herunterladen von urheberrechtlich geschützten Wer­ ken, zur Folge. Während hier gerade das Strafrecht die Verankerung dieser Werte garantieren soll, wird das aus Sicht der Gemeinschaft gerade nicht eingesehen. Dagegen werden in anderen Bereichen, beispielsweise Sexualde­ likte, immer wieder drastische Strafen gefordert („Todesstrafe für Kinder­ schänder“). Die Frage ist also, ob ein gesellschaftlicher Konsens über die sich in den Normen manifestierenden schutzwürdigen Rechtsgüter Ursache oder Wirkung ist. Definiert die Gesellschaft die schützenswerten Interessen? Oder diktiert der Gesetzgeber diese und bildet sich ein gesellschaftlicher Konsens erst in Folge einer auch drastischen Ahndungspraxis. Maßgeblich kann nur Ersteres sein.217 Dennoch bleiben Zweifel, ob das in der Praxis auch der Fall ist. Letztlich dürfte auch die Festlegung des Strafmaßes an der Feststellbarkeit des Grades der Erosion von normativen und kognitiven Er­ wartungen scheitern. Lediglich das Bestehen oder Nichtbestehen der kogniti­ ven Erwartung in dem Sinne, dass dem Subjekt gegenüber Vertrauen in des­ sen Rechtstreue entgegengebracht wird, ließe sich mit einiger Sicherheit feststellen. Alles andere bleibt zu vage. Die üblicherweise als Zwecke der Spezialprävention angesehene Abschre­ ckung, Sicherung und Resozialisierung des Straftäters, sieht Jakobs als von der positiven Generalprävention mitverwirklicht.218 Das ist einsichtig für die Abschreckung und in Teilen auch für die Sicherung. Kontrafaktisch soll die im Einzelfall gebrochene Norm durch die Strafe weiterhin als Orientierungs­ muster herausgestellt werden. Dass eine solche Strafe – in einem öffentlichen Verfahren verhängt – ins Bewusstsein der Bürger gerät, ihnen das normbre­ chende Verhalten vor Augen führt und dann auch abschreckende Wirkung zeigt, ist ein psychologischer Nebeneffekt. Dass eine Freiheitsstrafe sichern­ den Charakter hat gehört zu ihrem Wesen. Schwer vermittelbar schien an­ fangs, dass auch die Besserung des Straftäters eine solche Nebenwirkung sein soll. Zur Erhaltung der gebrochenen Norm als Orientierungsmuster 216  Aus der hegelschen Perspektive mit Beispiel: Klesczewski, ARSP-Beiheft 71 (1997), S. 140 (150). 217  Krit. auch Hörnle, S. 90. 218  Jakobs, Strafrecht AT, 1 / 37.



1. Kap.: Wesen und Zweck der Strafe – ein Überblick71

künftigen Verhaltens braucht es lediglich eine staatliche Reaktion darauf. Die Notwendigkeit einer bessernden Einwirkung auf den Straftäter ergab sich daraus nicht zwangsläufig.219 Weil Jakobs neuerdings auch die kognitive Untermauerung normativer Erwartungen zur Aufgabe der Strafe macht, lässt sich das Element der Besserung des Straftäters möglicherweise integrieren. Denn die beeinträchtigten kognitiven Erwartungen Dritter lassen sich durch Resozialisierungsbemühen und -hilfe besonders gut erhalten. In diesem Zusammenhang ist auch die Schuldtheorie kritikwürdig. Schuld wird in der Theorie Jakobs reduziert auf die Zuschreibung nicht gewillt zu sein, die gesetzlichen Verhaltensanforderungen zu verinnerlichen. Kommt es zu einem strafbaren Verhalten, bildet die Forderung an den Täter anders han­ deln zu sollen den (Schuld-)Vorwurf220. Schuld wird danach von der jeweili­ gen Gesellschaft gesetzt.221 Der Bezugspunkt liegt also grundsätzlich nicht im handelnden Täter. Das ist aufgrund der grundsätzlichen Ausrichtung mit der verfassungsrechtlich garantierten Menschenwürde nur schwer verein­ bar.222 Zwar versucht Jakobs diesem Einwand entgegenzuhalten, dass es ihm nicht um eine Neuausrichtung, sondern Umdeutung ginge.223 Dass aber diese Art des Schuldverständnisses nichts zur Begrenzung einer staatlichen Strafe beiträgt, ist gezeigt worden. Entsprechend dem Zurechnungsmodell von Ja­ kobs ist der Normbruch maßgeblich, nicht die Verletzung von Rechtsgü­ tern.224 Deshalb ist Ersterer Grund der Strafe. Aber hier wird Ursache und Wirkung vertauscht. Richtig ist zwar, dass die in einem staatlichen Verfahren verhängte Strafe zur Normstabilisierung beiträgt. Das ist aber nur die Folge einer schuldangemessenen Strafe und nicht deren Grund.225 Der Rechtsgüter­ bezug des Strafrechts sollte daher nicht umgedeutet werden226 und das klas­ sische Schuldverständnis mit seiner strafbegründenden227 und -begrenzenden 219  Der Besserungsgedanke ergab sich erst aus der Untermauerung der normativen Erwartungen durch die kognitiven Erwartungen und wurde von Jakobs daher anfangs erst im Maßregelrecht eingeführt; vgl. Jakobs, Strafrecht AT, 1 / 56 ff. Dagegen so nun bereits für die Strafe: Jakobs, Rechtszwang und Personalität, S. 33 f. 220  Jakobs, Strafrecht AT, 17 / 21; ders., Norm, Person, Gesellschaft, S. 100. 221  So deutlich: Jakobs, Schuld und Prävention, S. 33. 222  Krit. auch Hirsch, ZStW 106 (1994), S. 746 (753); Theune, in: LeipzigerKomm StGB, § 46 Rn. 35. 223  Jakobs, Schuld und Prävention, S. 32; ders., ZStW 101 (1989), S. 516 (536). 224  Jakobs, Strafrecht AT, 1 / 9. 225  Vgl. Henkel, Strafe, S. 40. 226  So auch Roxin, GA 2013, S. 433 (435). Neumann, in: FS Jakobs, S. 435 (449) unternimmt es dagegen den Bezug, anstatt auf den Normbruch an sich zu setzen, auf die rechtswidrige Inanspruchnahme von Chancen zu verlagern. Ob darin freilich eine Konkretisierung gegenüber dem Normbruch liegt, ist fraglich. 227  So auch Neumann, in: FS Jakobs, S. 435 (442).

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1. Teil: Die Strafe

Funktion darf nicht aufgegeben werden. Durch eine in Verhältnissetzung zum gesellschaftlichen System erkennt Jakobs immerhin eine Berücksichtigung externer, gesamtgesellschaftlicher Verantwortlichkeit (bspw. die Ausprägung des Sozialstaats) im Rahmen der Schuld an.228 Ebenso sollen die individuel­ len Entstehungsgründe der Tat (bspw. (un)verschuldete Suchtmittelabhängig­ keiten) berücksichtigt werden.229 In der Konsequenz der Straftheorie Jakobs liegt es auch, dass die effek­ tivste Weise der Normbestätigung bereits in der Verhinderung von Straftaten liegt.230 Die polizeiliche Überwachung erhält enormes Gewicht. Die Grund­ rechte der Bürger geraten unter den Druck einer flächendeckenden Überwa­ chung. Die Freiheit muss dem staatlichen Sicherheitsstreben weichen.231 Zwar besticht die generalpräventive Theorie durch ihre – gerade im Vergleich mit den metaphysischen Ansätzen der deutschen Klassik  – einfache Nach­ vollziehbarkeit.232 Sie ist jedoch aufgrund der aufgezeigten Kritik abzuleh­ nen. Nach der Darstellung der generalpräventiven Straftheorien wird im Fol­ genden eine Straftheorie vorgestellt, die den Fokus der Betrachtung weg von der Gesellschaft und hin zum Straftäter liegt. III. Franz von Liszt: Die spezialpräventive Straftheorie Franz von Liszt gilt als moderner Vertreter einer spezialpräventiven Straf­ theorie. In bewusster Abkehr von metaphysischen Begründungsansätzen, die er als unergiebig betrachte, konzentrierte er sich auf eine empirische Betrach­ tung.233

228  Jakobs,

Schuld und Prävention, S. 25 ff., 30.; ders., Strafrecht AT, 17 / 28. Lebensführungsunschuld ist damit generalpräventiv nicht zu berücksichti­ gen: Jakobs, Schuld und Prävention, S. 33 und. Fn. 85; ders., Strafrecht AT, 17 / 35. 230  Jakobs, Strafrecht AT, 1 / 13: „der Konfliktfall muss nicht unbedingt abgewartet werden: Auch Konfliktvermeidung macht Strafe überflüssig.“ [Hervorhebung im Ori­ ginal]. Folglich spricht Jakobs auch von optimalem Schutz und meint damit das „aus dem Verkehr“ Ziehen, des betroffenen Gutes; vgl. Jakobs, Strafrecht AT, 1 / 13b. 231  Darauf weist Roxin, in: FS Müller-Dietz, S. 701 (710) eindringlich hin. Dage­ gen wiederum Jakobs, Staatliche Strafe, S. 31: „der zu erreichende Zweck nicht etwa in der absoluten Sicherheit vor Verbrechen besteht […], sondern in der Geltung des Rechts.“ 232  Vgl. Wolff, ZStW 97 (1985), S. 786 (786). 233  von Liszt, Zweckgedanke, S. 11: „Die Wissenschaft hört auf, wo die Metaphy­ sik beginnt.“ 229  Die



1. Kap.: Wesen und Zweck der Strafe – ein Überblick73 1. Die Theorie

Für v. Liszt ist Strafe immer schon präsent gewesen und auf den Trieb, als natürlichen Zweck, des Menschen, sich und seine Art zu erhalten, zurückzu­ führen.234 Diese ursprüngliche Form ist auf Vernichtung desjenigen ausge­ richtet, welcher die Lebensbedingungen bzw. Rechtsgüter anderer stört.235 Mit der Überführung in den Staat, sog. „Objektivierung der Strafe“, wird diese Triebhandlung zur Zweckhandlung und damit zum Recht. Denn Recht ist für v. Liszt sich durch den Zweckgedanken auf das Notwendige selbstbe­ schränkende Macht.236 Als solche sei die staatliche Strafe nicht mehr auf Vernichtung aus, sondern auf zweckmäßige Beschränkung der Rechte des Straftäters. Sie bleibt aber auf den Schutz der Lebensbedingungen bzw. die­ ser zugrundeliegenden Rechtsgüter ausgerichtet. Zweckmäßig ist die Strafe soweit sie zum Schutz der Lebensbedingungen bzw. dieser zugrundeliegen­ den Rechtsgütern notwendig ist.237 Was wiederum zum Rechtsgüterschutz nötig ist, bestimmt v. Liszt in drei Fallgruppen: „(1) Besserung der besserungsfähigen und besserungsbedürftigen Verbrecher; (2) Abschreckung der nicht besserungsbedürftigen Verbrecher; (3) Unschädlichmachung der nicht besserungsfähigen Verbrecher.“238

Er geht damit von verschiedenen Täterkategorien aus, welchen eine spezi­ fische Verbrechensreaktion gegenübergestellt wird. Die ungefährlichste Kate­ gorie von Verbrecher seien die nicht besserungsbedürftigen Gelegenheitstäter. Ihnen gegenüber reicht ein „Denkzettel“, durch welchen sie abgeschreckt würden.239 Die zweite Gruppe bilden die besserungsbedürftigen, aber noch besserungsfähigen „durch vererbte und erworbene Anlagen zum Verbrechen hinneigenden, aber noch nicht rettungslos verlorenen […] Anfänger auf der Verbrecherlaufbahn“.240 Diesen gegenüber müsse bereits mit einer Freiheits­ strafe von einem bis fünf Jahren reagiert werden. Eine kürzere Freiheitsstrafe sei unangemessen, weil sie eine kriminelle Laufbahn befördere.241 Im Straf­ vollzug müsse durch „Arbeit und Elementarunterricht“ die Wiedererlangung der Freiheit vorbereitet werden.242 Ab der dritten Verurteilung ist der Straf­ 234  von

Liszt, Zweckgedanke, S. 14. Liszt, Zweckgedanke, S. 24. Aus der Erkenntnis über die Lebensbedingun­ gen ergeben sich die schützenswerten Rechtsgüter: von Liszt, Zweckgedanke, S. 23. 236  von Liszt, Zweckgedanke, S. 26 f. 237  von Liszt, Zweckgedanke, S. 26. 238  von Liszt, Zweckgedanke, S. 42. 239  von Liszt, Zweckgedanke, S. 49. 240  von Liszt, Zweckgedanke, S. 47. 241  von Liszt, Zweckgedanke, S. 47 f. 242  von Liszt, Zweckgedanke, S. 48. 235  von

74

1. Teil: Die Strafe

täter nach v. Liszt ein „grundsätzliche[r] Gegner der Gesellschaftsordnung, als dessen Generalstab die Gewohnheitsverbrecher erscheinen“.243 „Wie ein krankes Glied den ganzen Organismus vergiftet, so frißt der Krebsscha­ den des rapid zunehmenden Gewohnheitsverbrechterums sich immer tiefer in unser soziales Leben.“244

Diese verdienen nach v. Liszt unbestimmte Freiheitsstrafe, also lediglich sichernde Verwahrung, wobei „nicht jede Hoffnung auf Rückkehr in die Ge­ sellschaft ausgeschlossen zu werden“ braucht und aller fünf Jahre überprüft wird.245 2. Beurteilung

Die Straftheorie v. Liszts ist mehreren grundlegenden Bedenken ausge­ setzt246 und daher abzulehnen. Bereits die Begründung der Strafe verfängt nicht. Zweck der Strafe ist für v. Liszt alleinig der Rechtsgüterschutz in der staatlichen Gemeinschaft. Die Strafe hat den Zweck, den Straftäter vor wei­ teren Straftaten abzuhalten. Richtig ist daran sicherlich, dass eine Vergeltung begangenen Unrechts allein die staatliche Strafe nicht rechtfertigen kann. Indem v. Liszt aber alleinig an die Notwendigkeit des Schutzes anknüpft, vernachlässigt er den Straftäter und den Schuldgrundsatz.247 Hiergegen ist das Gebot der Selbstzweckformel richtigerweise in Erinnerung zu rufen.248 In der Folge dieser zweckmäßigen Strafbegründung liegt auch deren ledig­ lich zweckmäßiges Maß. Zur Abschreckung dient aber eine hohe Strafe gleichermaßen, wie überhaupt eine Strafe; zur Besserung ein Vollzug bis Besserung eingetreten ist, zur Sicherung ein lebenslanger Vollzug überhaupt. Hier wird deutlich, dass der Ansatz zu ausufernden Strafen führt.249 Bezeich­ nenderweise hat sich seit v. Liszt das Verhältnis von Freiheitsstrafe zu Geld­ strafe verkehrt. War früher noch die Freiheitsstrafe dominierend, ist es heut­

243  von

Liszt, Zweckgedanke, S. 43. Liszt, Zweckgedanke, S. 43. 245  von Liszt, Zweckgedanke, S. 46 f. 246  Außen vor bleiben soll dabei die teilweise martialische Ausdrucksweise, sowie die spezifisch zur damaligen Zeit möglichen Reaktionen (Zucht- und Arbeitshaus, Prügelstrafe, etc.). 247  Jescheck, in: FS Klug II, S. 257 (268). 248  Köhler, Strafrecht AT, S. 41; Lesch, JA 1994, S. 590 (592); Wolff, ZStW 97 (1985), S. 786 (796). 249  Frisch, ZStW 94 (1982), S. 565 (591 „verschwenderischer Umgang mit Strafe“); Jakobs, Strafrecht AT, 1 / 41, 44; Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, S. 75; Köhler, Strafrecht AT, S. 41; Roxin, JuS 1966, S. 377 (379); ders., ZStW 96 (1984), S. 641 (645); ders., Strafrecht AT I, § 3 Rn. 16. 244  von



1. Kap.: Wesen und Zweck der Strafe – ein Überblick75

zutage die Geldstrafe.250 Die Selbstbeschränkung staatlicher Gewalt ist ein hehrer Wunsch, kein Prinzip. Die Beschränkung auf das gerade Nötige ergibt sich jedenfalls nicht aus den Prämissen. Auf der anderen Seite wäre selbst größtes Unrecht äußerst milde zu ahnden, wenn die Tat sich als vereinzelt bleibende herausstellen würde.251 Das Maß der Resozialisierungsbemühun­ gen korreliert also nicht zwangsläufig mit dem Maß des verwirklichten Un­ rechts. Das ist weder schuldangemessen, noch entspricht es dem Gerechtig­ keitsempfinden Aller. Gerade den Gewohnheitsverbrechern einen Anspruch auf Rehabilitation zu versagen entspricht nicht der gesellschaftlichen Verant­ wortung gegenüber ihren Bürgern. Des Weiteren besteht genau genommen eine Pluralität von Zwecken und ist insoweit die phänomenologische Einordnung der Tätergruppen der Kritik ausgesetzt. Die Einordnung ist viel zu pauschal und auch schwer feststell­ bar.252 Das birgt die Gefahr einer Klassenjustiz, indem die Besserungsfähigen und ggf. auch -bedürftigten als Gelegenheitstäter und die übrigen meist aus den unteren gesellschaftlichen Schichten stammenden Besserungsunfähigen als Gewohnheitstäter abgeurteilt werden.253 Das wiederum stellt die Art der Reaktion in Frage. Letztlich ist bisher auch die empirische Wirkung dieser Ausrichtung strafrechtlicher Reaktionen nicht hinreichend belegt. Sie oszil­ liert vielmehr zwischen einem niederschmetternden Befund, dass nichts funktioniere („nothing works“) und einem positiveren „something works“.254 Der Begründungsansatz v. Liszts ist aber nicht lediglich der Kritik ausge­ setzt. Der an der Praxis ausgerichtete Ansatz hat die gesellschaftliche Not­ wendigkeit einer staatlichen Reaktion auf Kriminalität herausgestellt.255 Die Hinwendung zur Notwendigkeit der Wiedereingliederung des Straffälligen in die Gesellschaft, also die Notwendigkeit der Resozialisierung, ist ein blei­ bendes Vermächtnis des v. Lisztschen Ansatzes und hat die Strafrechtswis­ senschaft wie auch die Rechtsprechung nachhaltig beeinflusst.256 Auch die Ansätze im Bereich des Strafvollzugs, insbesondere die Zurückdrängung ei­

250  Jescheck,

in: FS Klug II, S. 257 (269). JA 1994, S. 590 (593); H. Kaufmann, in: FS v. Weber, S. 418 (435); Westpfahl, MschrKrim 53 (1970), S. 97 (99). Merle, S. 162 f. stellt in diesem Zusam­ menhang die provokante Frage, ob Hitler, 40 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrie­ ges zurückgezogen in einem irischen Dorf aufgefunden, noch zu bestrafen wäre. 252  Frisch, ZStW 94 (1982), S. 565 (575). Zu den Unterschieden im Vergleich zu den Strafrechtsreformgesetzen: Bockelmann, ZStW 81 (1969), S. 597 (607 f.). 253  Muῆoz Conde, in: FS Hassemer, S. 535 (544). 254  Vgl. Hermann / Dölling, S.  72 m. w. N. 255  Naucke, ZStW 94 (1982), S. 525 (533). 256  Müller-Dietz, ZStW 94 (1982), S. 599 (613); Muῆoz Conde, in: FS Hassemer, S. 535 (553). Eingehend zur Wirkung: Roxin, Strafrecht AT I, § 3 Rn. 12 ff. 251  Lesch,

76

1. Teil: Die Strafe

ner vollstreckten, kurzen Freiheitsstrafe und die Berechtigung einer beding­ ten Verurteilung, sind hervorzuheben.257 Letztlich überwiegen die Bedenken gegen die Straftheorie deutlich. Das gilt auch vor dem Hintergrund, dass es durchaus in der Konsequenz der Auf­ fassung v. Liszts liegen würde, eine Straftat nicht erst abzuwarten, bevor mit der Abschreckung, Besserung und Sicherung eines Betroffenen begonnen wird.258 Das rückt die Straftheorie bedenklich nahe in die Richtung einer opportunen Politik preisgegebenen259 präventiven Maßnahmentheorie.260

257  Jescheck, in: FS Klug II, S. 257 (272); Bockelmann, ZStW 81 (1969), S. 597 (601). Ausführlich: Müller-Dietz, ZStW 94 (1982), S. 599 (603 f., 616). So zwar auch Muῆoz Conde, in: FS Hassemer, S. 535 (540, 543), für den die gleichzeitige Unschäd­ lichmachung der Unverbesserlichen ein Widerspruch zu dieser sozialen Haltung dar­ stellt. 258  Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, S. 75; Lesch, JA 1994, S. 590 (592, 594). Das liegt daran, dass von Liszt der Verbrechenslehre zu wenig Aufmerksamkeit wid­ met und lediglich feststellt, dass „Jene Handlungen, welche für dieses Volk zu dieser Zeit als Störungen seiner Lebensbedingungen erscheinen, […] unter Strafe zu stellen [sind].“ (von Liszt, Zweckgedanke, S. 28); eine in Allgemeinheit nicht zu übertref­ fende Aussage. 259  Insoweit kritisch: Naucke, ZStW 94 (1982), S. 525 (536). 260  Diesen Schritt vollzieht Gramatica, 1. Präsident der Internationalen Gesell­ schaft für Sozialverteidigung („Société Internationale de Défense Sociale“), in seinem Programm der Sozialverteidigung. Anstatt auf strafrechtliche Schuld stellt Gramatica auf „Antisozialität“ ab (Gramatica, Défense Sociale, Teil 1 S. 73 ff.). Statt der Tat rückt der Täter in den Mittelpunkt und die Strafe wird durch eine an der Persönlich­ keit des Straftäters ausgerichtete soziale Maßnahme ersetzt (Gramatica, Défense So­ ciale, Teil 2 S. 213). Das Programm weist etliche Ungereimtheiten auf, denen an dieser Stelle nicht nachgegangen werden kann. Zum Ganzen ausführlich: H. Kaufmann, in: FS v. Weber, S. 418 (429 und öfter); Westpfahl, MschrKrim 53 (1970), S. 97 (99 ff.); Frey, SchwZStr 68 (1953), S. 405 (411 und öfter) [gegen Frey und Westpfahl wiederum Melzer, JZ 1970, S. 764 ff.]. Es sei aber angemerkt, dass bereits die ins diesem Programm nicht vorhandene Anknüpfung an strafrechtliche Schuld im klassischen Verständnis (Gramatica, Défense Sociale, Teil 1, S. 48 reduziert die Ver­ antwortlichkeit auf einen Kausalzusammenhang.) und die damit einhergehende Ver­ nachlässigung des Tatprinzips, das Programm untragbar erscheinen lässt. Nicht uner­ wähnt soll außerdem bleiben, dass selbst Gramatica davon ausgeht, dass im geltenden Strafrechtssystem die sichernden Maßregeln wohl Strafen darstellen würden (Gramatica, Défense Sociale, Teil 2 S. 200). In bewusster Abgrenzung von Gramatica hat sich ein gemäßigtes Programm herausgebildet: Ancel, Défense Sociale Nouvelle, S. 112 f, 115, 203; siehe dazu ausführlich Melzer, Neue Sozialverteidigung, S. 70 ff., 92 ff. und ders., JZ 1970, S. 764 ff. Vgl. auch Mayer, S. 40. Diese Spielart steht einer spezialpräventiven Straf(!)theorie sehr nahe; vgl. Jakobs, Strafrecht AT 1 / 46 Fn. 63; krit. aber Westpfahl, MschrKrim 53 (1970), S. 97 (100); Sax, in: Bettermann / Nipper­ dey / Scheuner, Die Grundrechte, S. 935 (Fn. 86) und 936 f.



1. Kap.: Wesen und Zweck der Strafe – ein Überblick77

C. Die sogenannten Vereinigungstheorien Die bisher dargestellten Straftheorien haben überwiegend einen einzelnen Aspekt staatlichen Strafens in den Mittelpunkt gerückt oder werden derart interpretiert. Die aktuell wohl am häufigsten vertretene Straftheorie ist eine Vereinigungstheorie. Sie beruht auf dem Gedanken, dass alle bisher ange­ führten Elemente staatlichen Strafens zwar alleinig nicht dem vielschichtigen Prozess genügen können, aber im Grunde doch eine nicht zu verleugnende Berechtigung haben. Die Gewichtung der Gesichtspunkte staatlichen Strafens führt dabei zu unterschiedlichen Ausgestaltungen der Vereinigungstheorie. Diese sollen nicht vollständig wiedergegeben werden. Stattdessen beschränkt sich die folgende Darstellung auf die von Roxin vertretene präventive Verei­ nigungstheorie und die von Köhler vertretene freiheitsgesetzliche Straftheo­ rie. Beide zeigen gerade im Hinblick auf den vorliegenden Untersuchungsge­ genstand besondere Bedeutung, auf welche auch in den folgenden Kapiteln zurückzukommen sein wird. I. Claus Roxin: Die spezialpräventive Vereinigungstheorie 1. Die Theorie

Die von Claus Roxin vertretene Straftheorie lässt sich am besten als prä­ ventive Vereinigungstheorie benennen. Roxin selbst bezeichnet die Theorie auch als „dialektische Vereinigungstheorie“, weil sie beanspruche, die gegen­ sätzlichen Positionen der Strafzweckdiskussion in einer Synthese zusammen­ zufügen.261 Die Straftheorie ist dabei maßgeblich von Roxins Schuldlehre beeinflusst, was ein vorrangiges Eingehen darauf unumgänglich macht. a) Die Schuldlehre Roxins Roxin geht von der Unbeweisbarkeit menschlicher Willensfreiheit und der mangelnden Möglichkeit der Feststellung menschlicher Schuld im Strafpro­ zess aus: „Die strafrechtliche Schuldlehre muß von der empirischen Realität der Willensfrei­ heit unabhängig sein. Denn diese ist nicht nachweisbar. Und wenn sie es wäre, ließe sich jedenfalls ein Anders-Handeln-Können im Augenblick der Tat bei der späteren Gerichtsverhandlung mit psychologischen oder psychiatrischen Methoden nicht mehr dartun.“262 261  Roxin, JuS 1966, S. 377 (387). Das geschieht in zeitlicher Hinsicht in den ver­ schiedenen Stufen der Strafandrohung, der Sanktion und dem Vollzug: Roxin, in: FS Müller-Dietz, S. 701 (711 ff.). 262  Roxin, in: FS A. Kaufmann, S. 519 (521).

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1. Teil: Die Strafe

Zwar will auch Roxin nicht auf das Schulderfordernis verzichten. Nur ist für ihn die Strafbegründungsschuld lediglich „eine soziale Spielregel“263. Die Zuschreibung einer rechtswidrigen Tat erfolgt nur dann, wenn zwei Voraus­ setzungen gleichermaßen vorliegen. Zum einen muss der Täter die Entschei­ dung für das Unrecht trotz normativer Ansprechbarkeit durch das Recht ge­ troffen haben.264 Andererseits muss ein präventives Bedürfnis zur Bestrafung im Einzelfall dazu treten.265 In bestimmten Situationen kann dieses Erforder­ nis gerade fehlen. So folgt für Roxin die Straflosigkeit in den Fällen der Entschuldigungsgründe- trotz vorhandener normativer Ansprechbarkeit des Täters- aus dem mangelnden gesellschaftlichen Strafbedürfnis.266 Liegen dagegen beide Aspekte gleichermaßen vor, dann muss sich der Straftäter für die begangene Tat verantworten. Das ist bei einer rechtswidrigen Tat regel­ mäßig der Fall, denn die gesetzgeberische Entscheidung der Erklärung der Strafwürdigkeit eines Verhaltens beinhaltet gerade die staatliche Gewähr da­ für, dass die Rechtsgüter geschützt werden und führt so zum Vertrauen in und die Anerkennung der Gesetze. Eine derart verstandene Schuldlehre bringt einige Folgerungen für die Strafzwecklehre mit sich. b) Straftheorie Wenn die Schuld nur eine Zuschreibung ist und nur das Hinzutreten einer präventiven Bestrafungsnotwendigkeit die Verhängung einer Strafe gegen­ über dem Täter rechtfertigt, kann die Schuld die Strafe nicht allein begrün­ den. Damit erteilt Roxin der Vergeltung als Strafbegründung eine Absage. Gleichzeitig kann die alleinige Aufgabe des Strafrechts nur der Rechtsgüter­ schutz sein, denn ohne ein präventives Bestrafungserfordernis wird keine Strafe verhängt. Das Strafrecht dient also ausschließlich der Verhinderung von Straftaten.267 Daher dominieren in der Theorie folgenorientierte Ele­ mente, die diesen Zweck des Strafrechts umsetzen. Dabei konkurrieren die Aspekte der Spezial- und der Generalprävention in der Straftheorie von Roxin auf mehreren Stufen miteinander268: Zur Begründung der Strafandro­ hung nimmt Roxin die positive Generalprävention in Anspruch.269 Das ergibt sich aus dem Rechtsgüterschutz als Zweck des Strafrechts einerseits. Die Aufgabe des Strafrechts ist gerade die Sicherung der Rechtsgüter der Einzel­ nen in den gesamtgesellschaftlichen Beziehungen. Andererseits leitet es sich 263  Roxin, 264  Roxin, 265  Roxin, 266  Roxin, 267  Roxin, 268  Roxin, 269  Roxin,

ebd. ZStW 96 (1984), S. 641 (653). in: FS Bockelmann, S. 279 (284). in: FS Bockelmann, S. 279 (282 ff.). Strafrecht AT I, § 3 Rn. 37. Strafrecht AT I, § 3 Rn. 42; ders., in: FS Müller-Dietz, S. 701 (711 ff.). JuS 1966, S. 377 (381).



1. Kap.: Wesen und Zweck der Strafe – ein Überblick

79

aus der Absage an die Vergeltung und die Spezialprävention ab. Letzteres ergibt sich aus dem Verbot zur Zwangserziehung als vernünftig angesehener Mensch, dem die zu achtende Menschenwürde entgegensteht.270 Für die Zwecke der Bemessung einer Strafe bemüht Roxin sowohl das Ausmaß der Schuld, als auch präventive Elemente. Das Zusammenspiel ge­ staltet sich folgendermaßen: Im Rahmen der Bemessung der konkreten Strafe konkurrieren Spezial- und Generalprävention offen miteinander, wobei erste­ rer ein grundsätzlicher Vorrang eingeräumt wird. Das bedeutet, dass grund­ sätzlich die für den Anspruch des Täters auf Resozialisierung im Vordergrund stehende Spezialprävention den Ausschlag für die konkrete Strafart und -höhe gibt. Denn grundsätzlich wird die für den Täter gefundene Strafe von der Allgemeinheit als gerecht befunden und akzeptiert werden. Nur für den Fall einer von der Allgemeinheit als unerträglich niedrig, oder zu hoch emp­ fundenen Strafe soll der Aspekt der Generalprävention korrigierend auf die Strafhöhe wirken.271 So kann u. U. eine spezialpräventiv nicht notwendige Strafe, aus generalpräventiven Gründen erforderlich sein. Die Generalprä­ vention bildet also das Untermaß der Strafe. Dagegen neigt das Obermaß einer lediglich präventiv bestimmten Strafe zur Ausuferung. Daher gibt Roxin andererseits im Rahmen der Strafbemessung das Schulderfordernis nicht komplett auf. Denn daraus soll sich eine rechtsstaatlich erforderliche Begrenzung der zu verhängenden Strafe ergeben.272 Dazu muss Roxin zwi­ schen der rechtlichen Zuschreibung einer Strafbegründungsschuld und einer durchaus bestimmbaren Strafzumessungsschuld unterscheiden.273 Maßgeb­ lich für Letztere sind insbesondere die Person des Täters und das Maß des verursachten Unrechts. Das so gefundene Schuldmaß begrenzt die Strafhöhe nach oben und schützt damit den Straftäter vor ausufernder Freiheitsbe­ schränkung durch den Staat. Die offengelassene Problematik um die Willens­ freiheit und die Absage an eine Strafbegründungsschuld im Sinne eines sitt­ lichen Vorwurfs sollen dem nach Roxin nicht entgegenstehen, weil sie nicht zur Begründung, sondern lediglich zur Begrenzung, des staatlichen Eingriffs in die Freiheitssphäre der Betroffenen dienen.274 Im Vollzug der Strafe dominiert dann die Spezialprävention in der Form der Wiedereingliederung des Straftäters in die Gesellschaft. Damit soll keine Zwangssozialisierung im Sinne eines Gebrauchs des Straftäters zum Mittel 270  Roxin,

ebd. in: FS Bruns, S. 183 (184); ders., Strafrecht AT I, § 3 Rn. 41. 272  Roxin, in: FS Bockelmann, S. 279 (306). 273  Roxin, in: FS Bockelmann, S. 279 (304). Roxin folgt insoweit der von Achen­ bach entfalteten Unterscheidung zwischen Strafbegründungs- und Strafmaßschuld: Achenbach, Schuldlehre, S. 2 ff. (4 f.; 10 ff.). 274  Roxin, Strafrecht AT I, § 3 Rn. 55. 271  Roxin,

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1. Teil: Die Strafe

der Zwecke Anderer verbunden sein. Roxin versteht die Spezialprävention lediglich als ein die Menschenwürde des Straftäters achtendes Angebot zur Persönlichkeitsentfaltung.275 Schlägt der Strafgefangene dieses Angebot aus, oder fruchtet es nicht bei ihm, dann greift letztlich allein der Aspekt der Generalprävention, verstanden als notwendige staatliche Reaktion auf das Verbrechen zur Stärkung des Normvertrauens der Gesellschaft, zur Legitima­ tion des Strafvollzugs. 2. Beurteilung

Die präventive Vereinigungstheorie Roxins ist ein Versuch die gegensätzli­ chen Strafzwecke der Schuldvergeltung und der Prävention aufeinander ab­ gestimmt zu vereinen. Insoweit ist ihr Anliegen berechtigt. Die Umsetzung gelingt dagegen nur teilweise. Die Antinomie der Strafzwecke kann nicht durch eine Verlagerung auf verschiedene Stufen gelöst werden. Richtig ist zwar, dass in den verschiedenen Stufen andere Akzente gesetzt werden müs­ sen. Die Elemente stehen aber recht unvermittelt nebeneinander.276 Insbeson­ dere der Bezug zur Straftat, den Kant und vor allem Hegel herausgearbeitet haben, gerät zu kurz; die Schuldbegründung verfällt der Kritik. Zugegebener­ maßen ist der Gedanke, dass die Debatte um die Willensfreiheit und die Schuld des Menschen im Strafrecht außen vor bleiben kann, verlockend. Dennoch kann er nicht vollends überzeugen. Strafe setzt eben Schuld voraus. Das sieht zwar auch Roxin, entgegen einer vielfach geäußerten Auffassung so. Denn als notwendige Bedingung für die strafrechtliche Vorwerfbarkeit kann darauf nicht verzichtet werden. Für die Strafe wiederum ist die Schuld damit notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung.277 Das wiederum konterkariert den persönlichen Zusammenhang zwischen Straftat und Strafe. Hierfür sind die Gesichtspunkte der Generalprävention nämlich gerade nicht geeignet. Vielmehr noch sperrt sich die positive Generalprävention einer Maßbestimmung278; empirische Wirkungszusammenhänge sind bisher nur äußerst eingeschränkt nachgewiesen. Deswegen ist problematisch, dass Roxin die Schuld maßgeblich mit den Anforderungen der positiven General­ prävention gleichsetzt.279 Hierzu kommt Folgendes: Wenn Roxin von der 275  Roxin,

Strafrecht AT I, § 3 Rn. 39. in: FS Seebode, S. 589 (592). 277  Roxin, in: FS Bockelmann, S. 279 (284); ders., in: FS A. Kaufmann, S. 519 (522); ders., in: FS Kaiser I, S. 885 (894). 278  Gallas, ZStW 80 (1968), S. 1 (5); Jescheck, ZStW 80 (1968), S. 54 (61). Aus­ führlich unten: 3. Teil 2. Kap. C. I. 2. b) dd). 279  Dennoch bestehen Unterschiede zum Jakobschen Konzept. s. bspw. Roxin, in: FS Müller-Dietz, S. 701 (712): „[…] das Vertrauen in die Rechtsordnung wird bei Kapitalverbrechen nur dann erhalten […] wenn eine schuldadäquate Strafe erfolgt.“ 276  Zaczyk,



1. Kap.: Wesen und Zweck der Strafe – ein Überblick

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Bestimmbarkeit der im Einzelfall verwirklichten Schuld ausgeht – und an­ ders sind die Ausführungen zur Schuldlehre und zur Strafzumessungsschuld nicht zu verstehen280 – dann wird wohl nicht nur eine Obergrenze, sondern auch eine Untergrenze ermittelt werden können.281 Letztlich ist ebenfalls problematisch, dass die Grenzen zwischen der Strafe und der Maßregeln verschwimmen. Wenn bereits die Strafe präventiv ausge­ richtet und auch deren Maß sich hauptsächlich aus präventiven Elementen ergibt, ist die Grenze zum Maßregelrecht fließend. Dass der entscheidende Unterschied in der Anwendung des Schuldgrundsatzes bei der Strafe und des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei einer Maßregel liegen soll282, ist eine der Sache nach fragwürdige Unterscheidung.283 Ihm liegt der Grundwiderspruch zugrunde einen schuldhaft handelnden Täter nach Verbüßung der Strafe gleichzeitig als Unfreien zu behandeln.284 Die Strafe und deren Begrenzung durch die Schuld werden so sinnentleert. II. Michael Köhler: Die freiheitsgesetzliche Straftheorie Eine weitere Spielart der Vereinigungstheorie begründete Michael Köhler. Seine freiheitsgesetzliche Straftheorie orientiert sich stark an der Philosophie des deutschen Idealismus, insbesondere an Kant und Hegel285, greift aber auch maßgebliche Aspekte der Philosophie des Aristoteles auf. 1. Die Theorie

Auch Köhler unternimmt es die für das Strafrecht grundlegenden Begriffe (Recht, Verbrechen, Strafe, Strafmaß) voneinander ableitend zu entfalten. Daher ist auch seiner Theorie die schon bei Kant und Hegel vorgefundene Untergliederung in Rechts- und Unrechtsbegriff (einschließlich des Verbre­ chens) und daraus abgeleiteter Bedeutung von Strafe dem Grunde und der Ausgestaltung nach, eigen.

280  So auch: Schneider, Normanerkennung, S. 243 f.; Grünwald, ZStW 80 (1968), S. 89 (96). 281  Hirsch, ZStW 106 (1994), S. 746 (755). Bockelmann, Strafrecht, S. 218, hat hierzu bereits 1973 treffend formuliert: „Was begrenzt, begründet auch.“ 282  Roxin, ZStW 81 (1969), S. 613 (637). 283  Aus verfassungsrechtlicher Perspektive wird selbst die Strafe nach teilweise vertretener Auffassung am Verhältnismäßigkeitsprinzip gemessen; vgl. dazu ausführ­ lich: Frisch, NStZ 2013, S. 249 ff. und unten: 2. Teil 2. Kap. D. II. 3. b) aa). 284  Krit. bereits: Grünwald, ZStW 80 (1968), S. 89 (113). 285  Köhler, Begriff der Strafe, S. 54.

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1. Teil: Die Strafe

a) Recht und Verbrechen Der freiheitsgesetzliche Rechtsbegriff Köhlers wird definiert als Gesamt­ heit der Gesetze, die das menschliche Miteinander nach dem Prinzip der Autonomie regeln.286 Als Vernunftleistung der Menschen ist er notwendiger­ weise unabhängig vom einzelnen Streben der Menschen und gewährt nur die unabdingliche Koordination menschlichen Zusammenlebens. Unrecht wiede­ rum ist die Einbuße an Freiheit.287 Sie begründet die dem Recht eigene Zwangsbefugnis, Unrecht „zu verhindern oder zu beheben“288. Als solche rechtfertigt sie den Strafzwang aber noch nicht ausreichend. Erforderlich ist vielmehr ein Verbrechen, d. h. ein Angriff auf ein Rechtsgut, dass dem Opfer die Fähigkeit, Träger dieses Rechtsguts zu sein, abspricht289. Diese Fähigkeit wird dem Opfer durch eine Handlungsmaxime des Täters abgesprochen, welche in ihrer Geltungsreichweite auf die Allgemeinheit abzielt.290 Daher ist ein Verbrechen, genauer gesagt, die Verletzung eines besonderen Rechts­ gutes (des jeweiligen Opfers) mit der einhergehenden Geltungsverneinung desselben für die Allgemeinheit. Diese ist aber in sich widersprüchlich, denn der Täter verneint damit gerade auch den eigenen Anspruch auf Anerkennung seiner Rechtsgüter. In der Konsequenz führt das dann zur Aufhebung des einzelnen und letztlich aller Rechtsverhältnisse.291 Wer jemanden bestiehlt, stellt damit gleichzeitig die Eigentumsberechtigung Aller infrage und damit letztlich auch seine eigene; eine These die so nicht aufrechterhalten werden kann, weil sie widersprüchlich ist. b) Der (Willens-)Schuldbegriff in der Aristotelischen Tradition Das Verbrechen setzt schuldhaftes Handeln voraus, denn nur in solchem wird auch der Allgemeinanspruch des Rechts negiert. Strafrechtliche Schuld ist für Köhler die Willensschuld, also die „selbstbestimmte Entscheidung zum Unrecht“292 durch Bildung und Anwendung einer widersprüchlichen 286  Köhler,

Strafrecht AT, S. 9. Strafrecht AT, S. 20. 288  Köhler, Strafrecht AT, S. 22. So bereits: Kant, MS, AA VI, S. 231. 289  Köhler, Strafrecht AT, S. 22; ders., Strafbegründung und Strafzumessung, S.  36 ff. Nahestehend: Klesczewski, Strafrecht AT, Rn. 13 ff.; ders., Strafrecht BT, § 1 Rn.  11 ff. 290  Köhler, Strafrechtsbegründung und Strafzumessung, S. 38. So auch: Hegel, GPR, § 100, S. 190. 291  Köhler, Strafrecht AT, S. 48; Klesczewski, Rolle der Strafe, S. 74. 292  Köhler, Begriff der Strafe, S. 66 und öfter; ders., Strafrecht AT, S. 350 und öfter. So auch Klesczewski, Strafrecht AT, Rn. 375. 287  Köhler,



1. Kap.: Wesen und Zweck der Strafe – ein Überblick

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Handlungsmaxime.293 Schuld beinhaltet danach zwei Komponenten. Das ist einerseits die im Leben ausgebildete Grundhaltung, also das Potenzial zur Einsicht in die Normen.294 Diese wird fortwährend unter verschiedensten Einflüssen in der Interaktion mit Anderen gebildet. Grundlegend dabei sind die familiären Verhältnisse, später die gesellschaftlichen (sich bewährender oder versagender Rechts- und Sozialstaat, etc.).295 Diese Einflussfaktoren können das Potenzial zur Einsicht in die geltenden Normen auch negativ beeinflussen, die Einsicht in der Folge erheblich gestört sein. Dadurch kön­ nen sich Menschen im schlimmsten Fall einer rechtlichen Gesinnung ent­ wöhnen, worin der Grund wiederkehrender bzw. habitueller Tatbegehung zu sehen ist.296 Diese potenzielle, also grundsätzliche Einstellung zum Recht wird ergänzt durch die aktuelle Normeinsicht, welche der Entscheidung zum Verbrechen im konkreten Fall zugrunde liegt. Während Erstere in einem Entscheidungssyllogismus gewissermaßen den Obersatz bildet, erweist sich Letztere als der Schluss aus der Subsumtion des konkreten Sachverhalts.297 Die konkrete Entscheidung zum Verbrechen ist gewissermaßen die „abs­ trakte“ Schuld des Straftäters.298 Die konkrete Schuld des Täters bestimmt sich durch einen Habitualisierungsprozess und wird dabei von den interper­ sonellen (Anerkennungs-)Beziehungen beeinflusst. Die konkrete Tat ist daher für Köhler nicht alleinig Ausdruck der individuellen Schuld des Täters.299 Schwere Kriminalität, insbesondere haltungsbedingte Delinquenz, muss da­ her stets unter dem Blickwinkel der gesamtgesellschaftlichen Verantwortung gesehen werden.300 293  Köhler, Strafrecht AT, S. 362, 363. So auch Klesczewski, Rolle der Strafe, S. 133; ders., Strafrecht AT, Rn. 375; ders., HRRS 2010, S. 394 (401). Der Gedanke geht auf Aristoteles zurück, vgl. Aristoteles, NE III, 1 ff., 1110a ff. woran Köhler aus­ drücklich anknüpft. Zu Aristoteles Schuldverständnis ausführlich: Klesczewski, Rolle der Strafe, S. 105 ff. 294  Köhler, Strafrecht AT, S. 353 ff. 295  Köhler, in: FS Lackner, S. 11 (33 und öfter); ders., Strafrecht AT, S. 359 f. Siehe dazu auch: Klesczewski, Rolle der Strafe, S. 186 ff. Aus kriminologischer Sicht: Göppinger, S. 199 ff. und öfter. Die Studie Göppingers bezieht sich allerdings vor allem auf Vermögensdelikte und nicht auf den hier interessierenden Bereich der schweren Gewalt- und Sexualkriminalität, vgl. Göppinger, Angewandte Kriminolo­ gie, S. 38 f. Zum Thema auch: Bock, Kriminologie, Rn. 557, 561, 582 und öfter; Kaiser, Kriminologie, § 46 Rn. 10 f. 296  Köhler, Strafrecht AT, S. 439 ff.; Klesczewski, HRRS 2010, S. 394 (401 f.). 297  Köhler, Strafrecht AT, S. 362. Im Erg. ähnlich: Dreher, Gerechte Strafe, S. 52 f. 298  Köhler, in: FS Lackner, S. 11 (35). 299  Köhler, in: FS Lackner, S. 11 (30 f. und öfter). So auch: Klesczewski, ARSPBeiheft 71 (1997), S. 140 (152) und H. Kaufmann, in: FS v. Weber, S. 418 (443). 300  Köhler, in: FS Lackner, S. 11 (35). So auch: Klesczewski, in: Autonomie und Normativität, S. 227 (233).

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1. Teil: Die Strafe

c) Die Strafe Durch den allgemeinen Geltungsanspruch des Rechts enthält nun wiede­ rum auch das vom Straftäter gesetzte Recht die Befugnis auf ihn selbst ange­ wandt zu werden.301 Daher muss der Strafzwang – die widersprüchlichen Maxime als solche herausstellend – das negierte Recht wiederherstellen.302 Die Wiederherstellung des Rechts wird somit zu einem maßgeblichen Aspekt der Aufgabe bzw. Funktion der Strafe. Sie ist unmittelbar durch die Tat ver­ mittelt und insoweit absolut bzw. letztbegründend. Der zweite Aspekt der Strafe ist für Köhler die Betonung des Resozialisierungsauftrages.303 Vorste­ hend wurde dargestellt, dass nach dem zugrundeliegenden (Willens-)Schuld­ begriff die gesellschaftliche Verantwortung in die Schuldbetrachtung rückt. Diese Bewertung spiegelt sich in der Strafe als Verbrechensreaktion: Der Gesichtspunkt der Wiedereingliederung des Täters in die Gesellschaft, also die Resozialisierung, lässt sich mit der Aufgabe der Wiederherstellung des gestörten Rechtsverhältnisses verbinden und daraus ableiten. Die Strafe ist Wiederherstellung des Rechts und als solche schuldgebunden. Schuld ist durch die intersubjektiven Gegebenheiten beeinflusst. Wenn aber außerhalb der Person liegende Gegebenheiten Einfluss auf die Schuld haben, dann hat die Gesellschaft auch die Pflicht dem Täter den Wiedereinstieg in die Gesell­ schaft zu vermitteln.304 Dabei wird Straftäter durch die Strafe die Anerkennung als Person zuteil, welche er durch das Verbrechen infrage gestellt hat. Sie spricht dem Täter zwar teilweise die Rechtsfähigkeit ab, insoweit sie eine Rechtseinbuße dar­ stellt. Aber sie entzieht ihm nicht die Anerkennung. Der Straftäter wird viel­ mehr während des gesamten Prozesses als Person anerkannt.305

301  Köhler,

Strafrecht AT, S. 49. Grundlegend: Hegel, GPR, § 100, S. 190. Strafrecht AT, S. 48; ders., Begriff der Strafe, S. 51. So auch: Kahlo, S. 176 ff; ders., in: FS Hassemer, S. 383 (418); Klesczewski, Strafrecht AT, S. 12. 303  Köhler, Begriff der Strafe, S. 52 f.; ders., in: FS Lackner, S. 11 (35). Ebenso: Klesczewski, Rolle der Strafe, S. 307 und öfter; ders., in: Autonomie und Normativi­ tät, S. 227 (232). 304  Köhler leitet das aus dem Aspekt der negativen Verteilungsgerechtigkeit (sog. „distributive Gerechtigkeit“) ab; vgl. Köhler, Strafrecht AT, S. 50, 582. Ganz ähnlich: Henkel, Strafe, S. 26 f. Zustimmend: A. Schmidt, S. 173. Ausführlich zur distributiven Gerechtigkeit: Köhler, ARSP 79 (1993), S. 457 (467 ff.). Siehe zur aristotelischen Auffassung auch Kaufmann, in: GS H. Kaufmann, S. 425 ff. der jedoch aus der distri­ butiven Gerechtigkeit den Vorrang der Spezialprävention ableitet (S. 428, 431). 305  Köhler, in: FS Jakobs, S. 273 (281). 302  Köhler,



1. Kap.: Wesen und Zweck der Strafe – ein Überblick

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d) Strafzumessung Strafzumessungsrechtlich folgt daraus, dass in dem Maß, welches durch die verwirklichte Schuld abgesteckt wird, es möglich ist, folgenorientierte Aspekte auf allen Stufen der Strafverwirklichung zu berücksichtigen. Sie dürfen für Köhler, wie bereits auch für Kant und Hegel, zwar nicht zur Be­ gründung staatlichen Strafens herangezogen werden, wohl aber, um die Mo­ dalitäten der Strafe gerecht zu gestalten.306 Dabei müssen sie sich entweder aus der Aufgabe das Recht wiederherzustellen ergeben oder sie haben keine Berechtigung.307 Wie bereits erwähnt lässt sich der Gedanke der Resoziali­ sierung aus der Strafgerechtigkeit ableiten und ist daher fähig auch zur Be­ stimmung des Maßes der Strafe herangezogen zu werden: Auf die Person des Täters kann nun dadurch abgestellt werden, dass ihm anstatt einer Freiheits­ strafe eine andere Strafart auferlegt wird308, zur Wiedereingliederung in die Gesellschaft im Vollzug der Freiheitsstrafe Handlungsangebote zur Seite ge­ stellt werden309, oder die Gesellschaft vor ihm – aufgrund seiner verwirklich­ ten Gefährlichkeit für die Sicherheit der Gesellschaft  – gesichert werden muss310. Auch die Generalprävention soll sich aus der Wiederherstellung des Rechts ergeben:311 Das Normvertrauen der Bevölkerung in die Verfolgung und Ahndung von Straftaten wird dadurch bestärkt, dass die Strafe als solche auf jedes Verbrechen ausnahmslos folgt. Andererseits wird dies durch eine gerechte Bestrafung im Einzelfall bewirkt. Denn eine ungerechte Bestrafung zieht kein Vertrauen in die Geltung des Rechts nach sich.312 In dieser Weise übernimmt die Strafe generalpräventive Aufgaben, welche sich aber aus der Funktion, das Recht wiederherzustellen, ableiten lassen. Insgesamt ist das Maß der Strafe im Verhältnis zur Straftat an einer Wertproportionalität aus­ gerichtet. Das heißt, dass keine strikte Proportion zwischen Unrecht und Strafe hergestellt wird, wie es beispielsweise das Talionsprinzip fordert. Vielmehr tritt der schon in der Hegelschen Straftheorie maßgebliche Aspekt 306  Köhler, Strafrechtsbegründung und Strafzumessung, S. 40; Ders., Begriff der Strafe, S. 62 ff. So auch Kant, MS, AA VI, S. 331 und Hegel, GPR, § 101 Anm., S. 193. 307  Köhler, Begriff der Strafe, S. 64 f.; ders., Strafrecht AT, S. 581, 586 f. 308  Köhler, Strafrecht AT, S. 46. 309  Köhler, Strafrecht AT, S. 50; ders., Begriff der Strafe, S. 76. So auch: Klesczewski, Strafrecht AT, Rn. 25. 310  Köhler, Begriff der Strafe, S. 79. Grundlegend: Klesczewski, Rolle der Strafe, S. 307 und öfter. 311  Köhler, Strafrechtsbegründung und Strafzumessung, S. 51. Zur Umformulie­ rung der zulässigen, von der herrschenden Auffassung als Aspekt der Generalpräven­ tion angesehenen, Erwägung der allgemeinen Zunahme eines Delikts unter Schuldge­ sichtspunkten: ders., Strafbegründung und Strafzumessung, S. 49 ff. 312  Köhler, Strafrecht AT, S. 51.

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1. Teil: Die Strafe

der Wertgleichheit in den Vordergrund.313 Danach ist auch für Köhler das Strafmaß einerseits durch das Ausmaß des Verbrechens als vereinzeltes Er­ eignis, also insbesondere die Einbuße am rechtlich geschützten Gut bzw. In­ teresse (Eigentum, Gesundheit, etc.) und andererseits das Ausmaß der Allge­ meinbedeutung i. S. der Auswirkungen auf die Gesellschaft und das Norm­ vertrauen Aller maßgeblich bestimmt.314 2. Beurteilung

Köhler unternimmt es ein in sich schlüssiges System staatlichen Strafens zu entwickeln. Die vom geltenden Recht losgelöste Darlegung der Grundbegriffe seiner Straftheorie nimmt ihren Ausgang im freiheitsgesetzlichen Prinzip des Rechts. Der Gedankengang und die Terminologie entsprechen weitgehend derjenigen von Kant und insbesondere Hegel, was den Zugang dazu erschwert und wie bei Kant und Hegel Missverständnisse hervorruft.315 Dem ordnen sich der Verbrechens- und Schuldbegriff genauso ein, wie der Strafgrund und das Maß der Strafe. Das hat den Vorteil der inneren Konsequenz und erhebt den Anspruch gerecht zu sein. Die Rechtfertigung der Strafe beruht wesentlich auf zwei Elementen. Wie Hegel begründet Köhler die Strafe als Wiederher­ stellung des Rechts nach begrifflicher Ableitung. Die Straftheorie Köhlers ver­ mag es die Strafe nicht als bloßes Übel darzustellen, welches aufgrund einer Straftat verhängt wird. Vielmehr liegt der Strafbegründung die Anerkennung des Täters als Vernünftigen zugrunde.316 Die Strafe vermittelt ihm die weitere Teilhabe an der Gesellschaft und lässt ihn nicht aus dieser „herausfallen“. Die Todesstrafe lehnt Köhler konsequenterweise ab.317 Die Strafe behandelt den Täter folglich auch nicht lediglich als Mittel zum Zwecke der Anderen, son­ dern begründet sich aus seiner Stellung als Mitbegründer der Rechtsverhält­ nisse, d. h. als Subjekt. Die Theorie ist damit eine überzeugende Begründung des Ausschlusses jeglicher folgenorientierter Strafbegründung. Darüber hinaus ist die Schuldbegründung wesentlich für die Strafrechtfer­ tigung gegenüber dem Täter. Der dabei zugrunde gelegte Willensschuldbe­ griff ist kritisiert worden. Der Willensschuldbegriff würde dort auf seine Grenzen stoßen, wo der (Selbst-)Widerspruch gegen das allgemeinverbind­ 313  Köhler, Begriff der Strafe, S. 72 f.; ders., Strafrecht AT, S. 582. Ähnlich: Henkel, Strafe, S. 33. 314  Köhler, Begriff der Strafe, S. 73. 315  So auch: A. Schmidt, S. 163 mit eingehender Analyse Köhlers Straftheorie im Übrigen (S.  167 ff.). 316  So auch: A. Schmidt, S. 170. 317  Köhler, Begriff der Strafe, S. 74. Diese Konsequenz hatten weder Kant noch Hegel gezogen.



1. Kap.: Wesen und Zweck der Strafe – ein Überblick

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liche (Straf-)Gesetz in der Realität gar nicht auf ein allgemeinverbindliches Gesetz trifft und die Entscheidung gegen das Recht damit keine unvernünf­ tige Entscheidung sei.318 Richtig ist, dass bei der Schaffung von Strafgeset­ zen stets darauf zu achten ist, dass dem strafbewehrten Verhalten ein Angriff auf ein fremdes Rechtsgut vorliegen muss und dass tunlichst auf die strikte Trennung von Recht und Moral zu achten ist.319 Ist dem aber so, liegt ein allseits zu beachtendes Gesetz zugrunde, gegen welches der Täter beim Ver­ stoß sich selbst in Widerspruch setzt. Diese Kritik trifft also nicht den Wil­ lensschuldbegriff. Vor dem Hintergrund einer vorpositiven Begründung ist der Willensschuld­ begriff einsichtig. Richtig ist, dass sich die Einstellung einer Person zum Recht in einem immer fortwährenden Interaktionsprozess bildet und sich dann auf die konkrete Entscheidung maßgeblich auswirkt. Auch die bei He­ gel aufgegriffene und ausdifferenziert dargestellte gesellschaftliche Verant­ wortlichkeit für Delinquenz verdient Zustimmung.320 Dieser Zusammenhang wird allzu häufig unbeachtet gelassen. Gerade das ist aber, wie noch zu zei­ gen sein wird, ein Defizit der geltenden Rechtslage. Wie jede vorpositive Begründung ist auch die freiheitsgesetzliche Straftheorie Köhlers nicht im­ mer vollständig in den geltenden Gesetzen in Einklang zu bringen. Köhlers Strafverständnis enthält daher auch Forderungen an den Gesetzgeber, insbe­ sondere die Zweispurigkeit von Strafe und Maßregel aufzuheben, worauf noch zurückzukommen sein wird. Vor dem Hintergrund der geltenden Geset­ zeslage erscheint der Willensschuldbegriff nicht unproblematisch. Das Gesetz geht von der Tatschuld aus, vgl. §§ 20, 46 Abs. 1 S. 1 StGB. Das liegt im bundesdeutschen Tatstrafrecht begründet. Es soll gerade kein Täterstrafrecht sein, in welchem ein Urteil über die Person, sondern lediglich über die Tat gesprochen wird. Nach Köhler fließen aber Umstände in die Tatschuld ein, welche sie in die Nähe einer Lebensentscheidungs- und zwangsläufig auch Lebensführungsschuld rücken. Das betrifft sowohl Aspekte der eigenen Per­ sönlichkeitsbildung als auch Umstände, die durch die gegebenen institutio­ nellen Rahmenbedingungen (vor allem die Familie und die Gesellschaft) 318  Kindhäuser, in: FS Hassemer, S. 761 (769 f.), der insoweit auf das Beispiel des Geschwisterinzests (BVerfG, Urt. v. 26.02.2008, Az.: 2 BvR 392 / 07 = NJW 2008, 1137 ff.) verweist. 319  Folglich hat das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu zahlreichen ableh­ nenden Stellungnahmen (s. bspw. BVerfG JuS 2008, 550 ff. (m. abl. Anm. Hufen /  Jahn); Greco, ZIS 2008, S. 234 ff.; Hefendehl, JA 2011, S. 401 (404); Kahlo, in: FS Hassemer, S. 383 (412 f.); Kubiciel, ZIS 2012, S. 282 (283) m. w. N.) geführt, allen voran das Sondervotum des damaligen Senatsvorsitzenden Hassemer, NJW 2008, S. 1137 (1142 ff.). Aus Sicht der Hegelschen Straftheorie kritisch: Wohlers / Went, in: Strafe – warum?, S. 173 (189 ff., 192 f.). 320  Für A. Schmidt, S. 173 f. ist er sogar nur unterrepräsentiert.

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1. Teil: Die Strafe

Einfluss auf die Schuld haben. Damit zeigen unter Umständen auch bis in früheste Kindheit zurückliegende Tatsachen Tatschuldrelevanz. Dass dieser Zusammenhang und damit die Schuldrelevanz im Ansatz richtig ist, ist be­ reits gesagt worden. Relevanz, also eine Diskrepanz zur geltenden Rechts­ lage, zeigt die Problematik auch nur bei habituellem Unrecht. An dieser Stelle treffen die richtigen theoretischen Einsichten auf die Rechtspraxis. Strafprozessual sind die relevanten Strafzumessungsaspekte gerichtlich fest­ zustellen.321 Das ist solange unproblematisch möglich, wie es sich um eine vereinzelte Tat handelt. Dem verschuldeten Unrecht lässt sich das Strafmaß weitgehend entnehmen. Ob sich eine im Hinblick auf Schuld- und Strafmaß­ differenzierungen entsprechend eingehende Aufklärung und Feststellung ha­ bitueller Schuld im Strafprozess leisten ließe, ist fraglich. Das Ausmaß der rechtlichen Entwöhnung tatrichterlich festzustellen, dürfte sich als problema­ tisch erweisen.322 Darüber hinaus wäre die Feststellung im Hinblick auf den grundsätzlich geltenden Öffentlichkeitsgrundsatz aufgrund der Persönlich­ keitsrechte des Beschuldigten bedenklich.323 Das der Strafe zugrundeliegende Willensschuldkonzept erweist sich daher im Bereich habituell bedingter Kriminalität als Forderung an den Gesetzgeber. In der Konsequenz der Strafbegründung erfolgt die Strafzumessung strikt schuldgebunden. Zu begrüßen ist die stringent durchgehaltene Logik. Der Aspekt der Besserung und Wiedereingliederung in die Gesellschaft ist straf­ theoretisch durch die Schuld des Täters vermittelt und daher zulässig. Dage­ gen wird der Strafzweck der Abschreckung der Allgemeinheit durch das freiheitsgesetzliche Rechtsprinzip nicht begründet und ist in der Konsequenz für die Strafmaßentscheidung unanwendbar.324 Im Gegensatz dazu wird der strafmaßrelevante Aspekt der positiven Generalprävention zwar nicht an sich gerechtfertigt, ist aber zulässig, weil er sich unter Schuldaspekten umformu­ liert lässt. Die Theorie vereinigt damit auf organische Weise die hauptsäch­ lich auch im geltenden Strafzumessungsrecht wiederzufindenden Strafzwecke und überzeugt sowohl in ihrer Begründung der Strafe, als auch der wider­ spruchsfreien Vereinigung der Strafzwecke auf der Ebene der Strafzumes­ sung.

321  Ausführlich

unten: 3. Teil 1. Kap. A. II. 2. a). zur Feststellung des Hangs an sich und nicht der Bestimmung dessen Aus­ maßes ausführlich unten: 2. Teil 2. Kap. D. II. 4. b) aa) (1). 323  Dieser verfahrensrechtlichen Problematik ließe sich freilich mit einem zeitwei­ ligen Ausschluss der Öffentlichkeit begegnen. 324  Zust. A. Schmidt, S. 174. 322  Vgl.



2. Kap.: Die Straftheorie der Rechtsprechung

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2. Kapitel

Die Straftheorie der Rechtsprechung vor dem Hintergrund der geltenden Gesetzeslage Im vorstehenden Kapitel wurden die wesentlichen grundsätzlichen Posi­ tionen der straftheoretischen Diskussion dargestellt und kritisch beurteilt. Im Rahmen dieser Arbeit steht die Rechtsprechung zur Wechselwirkung zwi­ schen Strafe und Sicherungsverwahrung im Zentrum der Betrachtung. Diese erfolgt auf der Grundlage der geltenden Rechtslage. Daher soll im Folgen­ den nun der Blick zuerst auf die gesetzliche Ausgangslage und danach auf die derzeitige straftheoretische Auffassung der Rechtsprechung gelenkt wer­ den.

A. Die Straftheorie des Gesetzgebers Zu den Vorstellungen des Gesetzgebers über die Funktion der staatlichen Strafe lässt sich im geltenden Strafgesetzbuch ausdrücklich jedenfalls nichts finden. Auch strafrechtsgeschichtlich hielt sich der Gesetzgeber mit aus­ drücklichen Bekenntnissen zurück. I. Gesetzeshistorie 1. Vom Reichsstrafgesetzbuch von 1871 zu den Reformvorhaben bis 1932

Das „Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich“ (Reichsstrafgesetzbuch) vom 15.  Mai 1871, als erstes einheitliches Strafgesetzbuch des deutschen Raumes, stand unter dem Eindruck des preußischen Strafgesetzbuches von 1851, welches wiederum maßgeblich von Feuerbachs Bayerischen Strafge­ setzbuches von 1813 beeinflusst wurde.325 Zwar vermied der damalige Ge­ setzgeber in dem spärlich ausgefallenen Allgemeinen Teil des Reichsstrafge­ setzbuches eine Festlegung auf die Straftheorie. Dem Gesetz lag aber eindeu­ tig die von Feuerbach geprägte Idee einer generalpräventiven Tatvergeltungs­ strafe zugrunde.326 Mit dem „strafrechtlichen Schulenstreit“327 zwischen Karl Binding und Franz von Liszt, und der dahinterstehenden dogmatischen Frage um die Zulässigkeit einer Sicherungsstrafe, begann eine Jahrzehnte andau­ ernde Reformbewegung.328 Aus den verschiedenen Umständen der Zeit, ins­ 325  Schmidt,

Strafrechtsgeschichte, § 298 (S. 344). Strafrechtsgeschichte, § 298 (S. 344). 327  Zum Begriff und weiterführend: Vormbaum, Strafrechtsgeschichte, S.  131 ff. 328  Vormbaum, Strafrechtsgeschichte, S. 140 ff., 147 ff., 163 ff., 191 ff. 326  Schmidt,

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1. Teil: Die Strafe

besondere des Ersten Weltkrieges und der auch damit verbundenen häufigen politischen Veränderungen, wurde diese immer wieder verschoben. Letztlich scheiterte das Reformvorhaben an der Blockadehaltung der Abgeordneten der NSDAP im Jahr 1932.329 2. Die Entwürfe eines Strafgesetzbuches von 1959, 1960 und 1962 als Ergebnis der Arbeiten der Großen Strafrechtskommission

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde das Reformvorhaben fort­ geführt. Dabei hatte sich die im Jahr 1954 vom damaligen Bundesjustizmi­ nister einberufene Große Strafrechtskommission im Zuge einer geplanten Reform des Strafrechts darauf verständigt, die zugrundeliegende Straftheorie im Gesetz ausdrücklich zu verankern. a) Vorschlag und Ablehnung der ausdrücklichen Regelung der Strafzwecke im Strafgesetzbuch durch die Große Strafrechtskommission Unter Beachtung der grundlegenden Bedeutung des Schuldprinzips sollten die präventiven Strafzwecke Ausdruck in einem einzufügenden Paragrafen im Grundsatzabschnitt des Entwurfes von 1959 finden.330 Dabei sollte neben dem Schuldausgleich sowohl die Wiedereingliederung des Straftäters in die Gesellschaft, als auch der Schutz der Allgemeinheit durch die negative Spe­ zial- und Generalprävention im Gesetz festgehalten werden.331 Bis auf den Gedanken der positiven Generalprävention sollten sich damit alle Elemente wiederfinden. Letztlich hat aber bereits die Große Strafrechtskommission diese ausdrückliche Regelung durch eine Abstimmung mit knapper Entschei­ dung verworfen.332 Im Entwurf von 1959 findet sich nur noch eine Fußnote zur möglichen Einführung eines Paragrafen § 2a S. 1 StGB mit ausdrück­ lichem Bezug auf die präventiven Strafzwecke: „Die Strafe dient der Bewährung der Rechtsordnung, dem Schutz der Allgemein­ heit und der Wiedereingliederung des Täters in die Gemeinschaft.“

Der übriggebliebene § 2 StGB des Entwurfs von 1959 begnügt sich mit der Regelung des Schuldgrundsatzes und der strafzumessungstechnischen 329  Vormbaum,

Strafrechtsgeschichte, S. 170. über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission, Band  1, S. 29–48, 342; Band  4, S. 583. 331  Formulierungsvorschläge: Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission, Band  4, S. 583 (Anhang Nr. 59 = Umdruck K 38). 332  Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission, Band  4, S. 387. 330  Niederschriften



2. Kap.: Die Straftheorie der Rechtsprechung

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Forderung, dass die Strafe die Schuld nicht übersteigen dürfe.333 Die diesem Entwurf nachfolgenden Entwürfe verzichten dagegen bereits völlig auf einen Grundsatzabschnitt im Strafgesetzbuch, ohne damit den Schuldgrundsatz aufzugeben. Dieser würde sich nämlich bereits hinreichend aus anderen Re­ gelungen, insbesondere dem die Strafbemessungsregeln einleitenden § 60 Abs. 1 StGB-E ergeben. Darin wird die Schuld des Täters als Grundlage der Strafzumessung bestimmt.334 b) Der gegenseitige Einfluss der Großen Strafrechtskommission und des Bundesgerichtshofes auf die Ablehnung der Regelung der Strafzwecke im Gesetz Möglicherweise hat die Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 2. No­ vember 1954335 den Gesetzgeber beeinflusst von einer ausdrücklichen Rege­ lung der Strafzwecke abzusehen. In dieser Entscheidung hat sich der Bun­ desgerichtshof zur sog. „Spielraumtheorie“ auf Strafzumessungsebene be­ kannt. Das heißt, dass die zu verhängende Strafe sich in einem den Strafrah­ men einengenden Schuldrahmen finden lässt, in welchem die präventiven Strafzwecke die letztlich zu verhängende Strafe exakt bestimmen.336 Der die Strafe bemessende Richter hat also einen Beurteilungsspielraum. Hatte die Große Strafrechtskommission in ihrer 2. Sitzung am 29.  Juni 1954 noch erwägt die Straftheorie und ihre folgerichtige Fortführung im Rahmen der Strafzumessung zu regeln, so hat sie davon in der 52. Sitzung am 7. Dezember- also knapp einen Monat nach dem Urteil des Bundesge­ richtshofes- wieder Abstand genommen. Dabei nimmt sie ausdrücklich Be­ zug auf die von ihr im Juni 1954 vorgeschlagene Wendung der Strafe als Schuldausgleich „in [dessen; Verf.] Rahmen“337 präventive Aspekte berück­ sichtigt werden können. Diese Regelung beruhe „auf dem Gedanken des Spielraums“338. Letzteres ist eine Formulierung, die sich so in den vorange­ gangenen Sitzungen nicht finden lässt. Genau jener Begriff war aber im 333  Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission, Band  12, S. 571 (Anhang B). 334  BT-Drucks. III / 2150, S. 19, 92 (Entwurf 1960); BT-Drucks. IV / 650, S. 19, 96 (Entwurf 1962). 335  BGHSt 7, 28 ff. 336  BGHSt 7, 28 (32). Ausdrücklich dort für den Aspekt der Allgemeinabschre­ ckung. 337  Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission, Band  1, S. 342. 338  Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission, Band  4, S. 381.

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1. Teil: Die Strafe

November 1954 vom Bundesgerichtshof ausdrücklich339 als Grundlage der Strafzumessung eingeführt worden. Dabei war dem Senat des BGH sowohl die Diskussion, als auch der Formulierungsvorschlag der Kommission durch eine zusammenfassende Veröffentlichung der ersten Sitzungen im Bundesan­ zeiger bekannt.340 In der Sitzung der Kommission vom 7. Dezember 1954 ist er dann bereits allgegenwärtig.341 Es liegt also nahe, dass der Formulierungs­ vorschlag der Großen Strafrechtskommission aus der 2. Sitzung im Juni 1954 ausschlaggebend für die Spielraumtheorie der Rechtsprechung war. Freilich ist dieser Gedanke vom Bundesgerichtshof nicht neu erfunden worden.342 Aber zumindest hat er ihn ausformuliert und damit wohl die Regelungsbe­ mühungen der Großen Strafrechtskommission beendet. Weil die Ausführun­ gen des Bundesgerichtshofes zur Berücksichtigung der Strafzwecke in einer grundsätzlich schuldgebundenen Strafe auf der Ebene der Strafzumessung den Vorstellungen der Großen Strafrechtskommission zur Aufgabe der staat­ lichen Strafe sehr nahe kommen, wurde wohl von einer gesetzlichen Festle­ gung abgesehen. Nichts desto trotz waren auch die folgenden Entwürfe vom Festhalten an der Berechtigung der Strafzwecke neben dem maßgeblichen Schuldausgleich geprägt: „[D]er Entwurf sieht den Sinn der Strafe nicht allein darin, daß sie die Schuld des Täters ausgleicht. Sie hat damit zugleich auch den allgemeinen Sinn, die Rechts­ ordnung zu bewähren. Außerdem dient sie bestimmten kriminalpolitischen Zwe­ cken, in erster Linie dem Zweck, künftige Straftaten zu verhüten. Das kann da­ durch geschehen, daß der Täter und andere davon abgeschreckt werden, derartige Taten zu begehen. Es kann nachhaltiger dadurch geschehen, daß auf den Täter eingewirkt wird, um ihn der Gemeinschaft wieder zu gewinnen und ihn gegen neue Versuchungen innerlich widerstandsfähiger zu machen. Es kann schließlich auch dadurch geschehen, daß die Allgemeinheit vor dem gefährlichen Täter gesi­ chert wird.“343

Letztlich blieben aber die im Entwurf von 1962 gipfelnden Reformbemü­ hungen nicht unwidersprochen. Einerseits wurde die Beibehaltung von 339  BGHSt 7, 28 (32): „Welche Strafe schuldangemessen ist, kann nicht genau bestimmt werden. Es besteht hier ein Spielraum, […].“ 340  BAnz, 1954, Nr. 176 (vom 14.  September 1954) = Dreher, ZStW 66 (1954), S. 568 ff. Bruns weist auf den dargestellten zeitlichen Zusammenhang der Begriffs­ wahl durch die Große Strafrechtskommission und den Bundesgerichtshof hin: Bruns, Strafzumessungsrecht, S. 272. Entgegen Schneidewin, JZ 1995, S. 505 (508), der wohl auf die Veröffentlichung in der ZStW abstellt, liegt es nahe, dass dem Senat die Arbeiten bekannt waren. 341  Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission, Band  4, S. 382 und öfter. 342  Der Gedanke geht auf Albert Friedrich Berner zurück, vgl. Berner, Lehrbuch des deutschen Strafrechts, S. 8. 343  BT-Drucks. III / 2150, S. 92 (Entwurf 1960); BT-Drucks. IV / 650, S. 96 (Ent­ wurf 1962).



2. Kap.: Die Straftheorie der Rechtsprechung

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Straftatbeständen im Besonderen Teil, die offenkundig nicht den Bereich des Rechts, sondern die Moral betreffen, kritisiert.344 Andererseits wurde der Entwurf wegen des Festhaltens an der an Kant und Hegel orientierten Re­ pression gegeißelt.345 Auch die Beibehaltung der Zuchthausstrafe fand deut­ liche Kritik. In der Folgezeit wurde daher an einem Alternativentwurf gear­ beitet. 3. Der Alternativentwurf des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches von 1966

Der Alternativentwurf346 machte keinen Hehl daraus, welche kriminalpoli­ tische Richtung ihm zugrunde liegt: die Aufgabe der Strafe, resozialisierend zu wirken umspannt den Alternativentwurf eines Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches. Es wird dem Strafgesetzbuch wieder ein Grundsatzab­ schnitt vorangestellt, welcher auch die Aufgabe der staatlichen Strafe festhält. § 2 Abs. 1 StGB-AE 1966 lautet: „Strafen und Maßregeln dienen dem Schutz der Rechtsgüter und der Wiedereinglie­ derung des Täters in die Rechtsgemeinschaft.“

Zwar bleibt die Strafe danach auch an die verwirklichte Schuld gebunden, § 2 Abs. 2 StGB-AE 1966. Die Aufgabe der Strafe, präventiv zu wirken, insbesondere durch die Besserung des Straftäters und den Schutz der Rechts­ gemeinschaft, tritt dagegen deutlich in den Vordergrund. Dass „der Schutz der Rechtsgüter“ auch generalpräventive Aspekte umfasst, stellt die Begrün­ dung des Entwurfes klar.347 Folgerichtig bestimmt der Alternativentwurf diese Grundsätze bei der Bemessung der Strafe für ausschlaggebend, § 59 Abs. 2 StGB-AE 1966, wenngleich dort die Resozialisierung an erste Stelle nach dem erforderlichen Schuldausgleich gerückt wird. Dieser Entwurf ist im Folgenden vom Sonderausschuss für die Strafrechtsreform berücksichtigt worden und beeinflusste das Gesetzgebungsvorhaben maßgeblich.348

344  So insbesondere die Beibehaltung der Strafbarkeit des Ehebruchs (§ 193 StGB Entwurf 1962) und der Homosexualität (§ 216 StGB Entwurf 1962). Krit.: Bauer, Strafrechtsreform, S. 279 (295); Vormbaum, Strafrechtsgeschichte, S.  232 f. m. w. N. 345  Harsche Kritik bei formuliert diesbezüglich Bauer, Strafrechtsreform, S. 279 (281–282): „Das Ende unserer Affenzeit ist noch nicht bewältigt.“ 346  BT-Drucks. V / 2285. 347  Alternativentwurf zum StGB, S. 31. 348  Beispielsweise: BT-Drucks. V / 4094, S. 3.

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1. Teil: Die Strafe 4. Der Abschluss der Reformvorhaben durch das Erste und Zweite Gesetz zur Reform des Strafrechts

Das Reformvorhaben wurde unter Zugrundelegung des Entwurfs von 1962349 und des Eindrucks des Alternativentwurfs zu Ende geführt. Dabei ist versucht worden, „gewissermaßen eine Brücke zwischen den verschiedenen Standorten zu schlagen“350. Bezüglich des erneuten Versuchs der Aufnahme der Strafzwecke in das Gesetz, wie es vom Alternativentwurf vorgeschlagen wurde, machte sich allerdings wiederum Ablehnung breit. Daher wurde der Antrag der FDP Fraktion in der zweiten Beratung des Gesetzes vor dem Bundestag von diesem abgelehnt.351 Das Reformvorhaben wurde bezüglich des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches durch das Erste und Zweite Gesetz zur Reform des Strafrechts352 bis zum 1.  Januar 1975 umgesetzt. Eine ausdrückliche Regelung der Aufgabe der staatlichen Strafe unterblieb dabei. Dennoch ist insbesondere auch im Sanktionenrecht der Einfluss des Alter­ nativentwurfs deutlich geworden. Mit der Reform des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches hält ein maßgeblich die Resozialisierung in den Vorder­ grund rückendes, kriminalpolitisches Konzept Einzug in das Strafgesetzbuch. Auch wenn sich das Gesetz nicht ausdrücklich zu den Strafzwecken bekennt, so stehen die Regelungen doch erkennbar unter ihrem Einfluss. Man be­ gnügte sich gesetzgeberisch mit einem „ausdrücklichen gesetzlichen Hinweis auf die Resozialisierung des Täters“353 im Rahmen der Bemessung der Strafe. Diese Passage entspricht dem heutigen § 46 Abs. 1 S. 2 StGB. Auch die Ge­ neralprävention sollte unter der Formulierung der „Bewährung der Rechts­ ordnung“, §§ 47 Abs. 1, 56 Abs. 3, 59 Abs. 1 Nr. 3 StGB a. F., im Strafge­ setzbuch gegenwärtig sein. Der Gesetzgeber hat hiermit auf die Notwendig­ keit der Strafe zur Gewährleistung des „unverbrüchlichen Bestandes der Rechtsordnung“354 und damit die positive Generalprävention hinweisen wollen.355 Damit entspricht die Rechtslage von 1975 weitgehend der Heuti­ gen.

349  Dieser

wurde in den Bundestag neu eingebracht als: BT-Drucks. V / 32. V / 4094, S. 3. s. a. 2. Teil 2. Kap. A. I. 4. 351  Plenarprotokoll des Deutschen Bundestages, 5. Wahlperiode, 230. Sitzung, S. 12724. Der Antrag der FDP Fraktion ist als Umdruck 646 I 1 abgedruckt ebd. auf S. 12800. Er entspricht im Wortlaut der Formulierung des Alternativentwurfs. 352  Erstes Gesetz zur Reform des Strafrechts vom 25. Juni 1969 und Zweites Ge­ setz zur Reform des Strafrechts vom 4. Juli 1969. 353  BT-Drucks. V / 4094, S. 4 und BT-Drucks. V / 4095, S. 23. 354  BT-Drucks. V / 4094, S. 6. 355  Deutlich BT-Drucks. V / 4094, S. 11. 350  BT-Drucks.



2. Kap.: Die Straftheorie der Rechtsprechung

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II. Die Straftheorie des Gesetzgebers Der Gesetzgeber bedient sich, wie dargestellt, aller möglichen Elemente, die einer Strafe zuerkannt werden. Das Nebeneinander unterliegt der bereits ausgeführten Kritik. Die positive Generalprävention wird vor allem durch die Strafandrohung verwirklicht. Die Verhängung der Strafe ist an die verwirk­ lichte Schuld gebunden. Hier können general- und spezialpräventive Aspekte sowohl die zu wählende Strafart, als auch die Strafhöhe beeinflussen. Eine konsequente Begründung des Heranziehens aller Strafzwecke wird nicht ge­ geben. Sofern man jedoch ein Rangverhältnis der Strafzwecke aufstellen müsste, würde dieses wohl den Schuldausgleich in den ersten Rang heben. Daneben wäre die Resozialisierung des Straftäters der wichtigste der präven­ tiven Strafzwecke. Damit kann man diese Strafvorstellung als Vereinigungstheorie auf der Grundlage des Schuldausgleichs bezeichnen. Diese Vorgabe erweist sich, wie zu zeigen sein wird, als ausschlaggebend für die Straftheorie der Rechtspre­ chung.

B. Die Straftheorie der Rechtsprechung Die Rechtsprechung greift die Strafvorstellung des Gesetzgebers auf. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Berechtigung der bisher erörterten verschiedenen Strafzwecke anerkannt. Der BGH vertritt eine The­ orie der Vereinigung dieser Zwecke: Alle bisher dargestellten Elemente ha­ ben ihre Berechtigung und werden entsprechend den jeweiligen Einzelfällen betont.356 Die Rechtsprechung nimmt jedoch selten direkt Stellung in Bezug auf den Zweck staatlichen Strafens und vermeidet grundsätzliche Stellung­ nahmen dazu.357 In den weit überwiegenden Fällen, bezieht sie lediglich Stellung zu den Anforderungen einer gerechten Strafzumessung im weiten Sinne. Weil aber aus der Theorie konsequenterweise die Bedingungen der einzelnen Zumessung folgen müssen358, kann umgekehrt ein Rückschluss auf die zugrundeliegende Straftheorie gezogen werden. Für die Rechtsprechung 356  BVerfGE 45, 187 (253); Für die einzelnen Strafzwecke: BGHSt 29, 319 (320); 40, 251 (255): gerechter Schuldausgleich; BGHSt 24, 40 (42): Spezialprävention; BGHSt 17, 351 (354): negative Generalprävention; BGHSt 6, 125 (127): positive Generalprävention. 357  So z. B.: BVerfGE 45, 187 (253). Die neuere Rechtsprechung zusammenfas­ send: Kaspar, ZStW 127 (2015), S. 654 (663 f.). Ausführlich zum Grund und Zweck der Strafe in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts: Volk, ZStW 83 (1971), S. 405 (419 ff.). 358  Hegel, GPR, § 101, S. 193; Spendel, Strafmass, S. 23.

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1. Teil: Die Strafe

steht dabei die Zentralnorm des Strafzumessungsrechts, § 46 StGB, im Mit­ telpunkt der Betrachtung. I. Schuldausgleich als Grundlage der Strafe § 46 Abs. 1 StGB bestimmt die Schuld des Täters als Grundlage für die Strafzumessung. Daraus hat die Rechtsprechung schon frühzeitig den Schluss gezogen, die Schuld des Täters auch als Grundlage der Strafe anzusehen.359 Sie erklärt damit den Gedanken des Schuldausgleichs für maßgeblich und verweist insoweit auf die Verfassung. Das Grundgesetz, das von der Eigen­ verantwortlichkeit der Bürger ausgeht360, müsse jene bei der Verletzung grundlegender Rechtsgüter berücksichtigen. Die Straftat müsse als Werk des Täters, diesem vorgeworfen werden können. Das ist der Fall, wenn die Straf­ tat schuldhaft begangen wurde. Dass dieser Vorwurf eine staatliche Strafe erforderlich macht, sei eine Forderung der materiellen Gerechtigkeit.361 Da­ her läge die Konsequenz, dass staatliche Strafe Schuld voraussetzt, in dem Grundsatz der materiellen Gerechtigkeit als Teil des Rechtsstaatsprinzips, Art. 20 Abs. 3 GG, begründet.362 Dass sie aber auch durch die Schuld be­ grenzt wird, ergebe sich aus der Verpflichtung der staatlichen Gewalt zur Achtung der Menschenwürde363, Art. 1 Abs. 1 GG, und der Freiheitsrechte der Betroffenen aus Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG. Deshalb müsse gerade aufgrund der Verpflichtung der staatlichen Gewalt zu den ge­ nannten Grundrechten und zur Achtung der Menschenwürde364 ein angemes­ senes Verhältnis des verwirklichten Unrechts und der Schuld zum Ausmaß der Strafe bestehen.365 Ansonsten würde der Straftäter zum Objekt der Straf­ verfolgung herabgesetzt, was einen Abwehranspruch des Betroffenen aus Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG begründe.366 Allerdings darf der Schuldausgleich nicht der einzige Aspekt staatlichen Strafens bleiben, 359  So bereits: RGSt 58, 106 (109); BGHSt 3, 179 (179); 7, 28 (32). Dem hat sich auch das Bundesverfassungsgericht angeschlossen: BVerfGE 39, 1 (57). 360  BVerfGE 45, 187 (227, 228). 361  BVerfGE 41, 121 (125). 362  BVerfGE 20, 323 (331); 41, 121 (125); 120, 224 (253). 363  BVerfGE 25, 269 (285); 45, 187 (228). 364  Die Einordnung der Menschenwürde als Grundrecht ist umstritten. Dafür: Starck, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, Grundgesetz, Art. 1 Rn. 28 ff. Mit guten Argu­ menten dagegen: Dreier, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 1 I Rn. 124 ff. Weil das Bun­ desverfassungsgericht eine Verletzung der Menschenwürde immer auch als Verlet­ zung eines speziellen Grundrechts sieht, ist der effektive Rechtsschutz jedenfalls über diese Abwehrrechte gewahrt. So auch: Enders, Menschenwürde, S. 96 und öfter. 365  BVerfGE 41, 121 (125); 90, 145 (173); 109, 133 (170); 120, 224 (241). 366  Std. Rspr. seit BVerfGE 20, 323 (331).



2. Kap.: Die Straftheorie der Rechtsprechung

97

Schuldausgleich also nicht lediglich zum Selbstzweck stattfinden. Vielmehr seien präventive Gesichtspunkte zu berücksichtigen.367 II. Berücksichtigung präventiver Aspekte Die Einbindung der präventiven und damit eigentlichen Strafzwecke er­ folgt über die Konstruktion eines Schuldrahmens innerhalb des gesetzlichen Strafrahmens. Weil die konkret verwirklichte Schuld nicht punktgenau ange­ geben werden kann, akzeptiert der Bundesgerichtshof bei der Strafzumessung einen tolerablen Schuldrahmen.368 Innerhalb dieses Rahmens bestimmen die präventiven Gesichtspunkte in ihren verschiedenen Ausprägungen die kon­ kret zu verhängende Strafe, indem sie innerhalb des eröffneten Bereiches strafschärfend, oder strafmildernd berücksichtigt werden können. Der Richter legt also aufgrund der verwirklichten Schuld im zu beurteilenden Fall einen innerhalb des Strafrahmens liegenden Rahmen noch schuldangemessenen Strafens fest. Innerhalb dieses Spielraums ist durch die weiteren Elemente der Spezial- und Generalprävention die im Einzelfall angemessene Strafe zu finden. Sowohl die „zur Erziehung, Besserung und Abschreckung des Täters sowie zur allgemeinen Abschreckung erforderlichen“369 Aspekte, als auch die „Erhaltung der Rechtstreue der Bevölkerung“370 kommen daher als be­ gleitende Strafzwecke in Betracht. Ihr Verhältnis bzw. ihre Rangfolge ist dagegen unklar, was durch das unvermittelte Nebeneinander von Schuld und Prävention vorgezeichnet scheint. III. Beurteilung Orientierend an der straftheoretischen Fundierung des StGB, versucht auch die Rechtsprechung die verschiedenen Strafzwecke miteinander zu kombi­ nieren und zu vereinen. Maßgeblich soll dabei auch hier der Ausgleich der verwirklichten Schuld sein. Daher stellt sich die Theorie ebenfalls als eine Vereinigungstheorie auf der Grundlage des Schuldausgleichs dar. Dieser Straftheorie kann nicht unwidersprochen bleiben. Zwar ist richtig, dass keiner der erwähnten Strafzwecke, oder die Vergeltung bzw. der Schuld­ ausgleich eine Strafe an sich rechtfertigen kann. Richtig ist auch, dass die 367  BGHSt 24, 40 (42). So auch die ständige Rechtsprechung des Bundesverfas­ sungsgerichts: vgl. statt aller BVerfGE 39, 1 (57); 45, 187 (253). 368  Ständige Rechtsprechung seit: BGHSt 7, 28 (32). So auch: BVerfGE 91, 1 (31); 109, 133 (173). 369  BGHSt 16, 351 (354). 370  BGHSt 24, 40 (45).

98

1. Teil: Die Strafe

verschiedenen Zwecke sich teilweise klar widersprechen.371 Dann kann es aber nicht gelingen, durch ein Nebeneinanderstellen dieser Zwecke ein Straf­ system zu entwickeln.372 So kann man zwar offensichtliche Fehlentwicklun­ gen vermeiden: eine vorstellbare unbestimmte Sicherungsstrafe wird durch das verfassungsrechtliche Schuldprinzip unmöglich gemacht. Damit wird den rechtsstaatlich nicht tragbaren Auswüchsen der einen Straftheorie mit einer anderen Straftheorie entgegengetreten. Eine reine Individualprävention im v.  Liszt’schen Sinne ist auf dem Boden des Grundgesetzes rechtlich nicht durchführbar. Diese Art der gegenseitigen Beeinflussung mag praktisch ge­ wünscht sein, weil man zwar in der Praxis der richterlichen Strafzumessung zustimmungsfähige Urteile fällen kann. Das zugrundeliegende Konzept ist jedoch durch eine zu Tage tretende Beliebigkeit in der Argumentation ge­ kennzeichnet. Dieser Theorie fehlt demzufolge ein ordnendes Prinzip.373 Aufgrund der umfänglichen Berücksichtigung aller Strafzwecke ist darü­ ber hinaus fraglich, welches Verhältnis ihnen straftheoretisch im Vergleich zum Schuldausgleich zukommt. Durch die Festlegung auf die Schuldrahmen­ theorie, hat der Bundesgerichtshof zeitig erkennen lassen, dass die präventi­ ven Aspekte nur eine untergeordnete Rolle spielen, denn ein Verlassen des Bereichs des Schuldangemessenen ist unzulässig. Das gilt sowohl für die Überschreitung374, als auch für die Unterschreitung375 des schuldangemesse­ nen Bereichs. Die Strafrechtsreform hat zwar (durch das Erste und Zweite Strafrechtsreformgesetz) eine bedeutende Aufgabenverlagerung hin zur Indi­ vidualprävention bewirkt. Dennoch kommt ihr keine tragende Rolle neben dem Schuldausgleich zu. Die Ausführungen des Bundesgerichtshofes, die Strafe sei nur gerechtfertigt, „wenn sie sich zugleich [Hervorhebung vom Verf.] als notwendiges Mittel zur Erfüllung der präventiven Schutzaufgabe des Strafrechts erweist“376, lassen eine Deutung in diese Richtung zu. Ande­ rerseits hatte derselbe Senat kaum mehr als einen Monat zuvor – ebenfalls unter dem Eindruck der Strafrechtsreform377 – ein Unterschreiten des Schuld­ 371  Beispielhaft sei das von Merle, S. 162 f. vorgetragene Grundproblem der Be­ strafung erwähnt: „[Was wäre, wenn] der Spiegel vierzig Jahre nach Ende des Zwei­ ten Weltkriegs entdeckt hätte, dass Adolf Hitler doch nicht im April 1945 in seinem Berliner Bunker gestorben wäre, sondern fliehen konnte und seitdem unauffällig in einem irischen Dorf lebte?“. 372  Köhler, Strafrecht AT, S. 44; Roxin, Strafrecht AT I, § 3, Rn. 35; Schaffstein, in: FS Gallas, S. 99 (107, 115). 373  Frisch, in: FG BGH IV, S. 269 (307) erkennt dieses Prinzip in der Wiederher­ stellung des Rechts, um welche er die Theorie der Rechtsprechung ergänzt. 374  BGHSt 20, 264 (267). 375  BGHSt 24, 132 (134). 376  BGHSt 24, 40 (42). 377  BGHSt 24, 132 (133).



3. Kap.: Die der Untersuchung zugrundeliegende Auffassung

99

bereichs für unzulässig erklärt. Wäre die Individualprävention neben dem Schuldausgleich ein gleichrangiger Aspekt, ließe sich diese Notwendigkeit nicht rechtfertigen.378 Der Bundesgerichtshof hält vielmehr an der Maßgeb­ lichkeit des Schuldausgleichs fest.379 Die Strafe ist somit zuvörderst Schuld­ ausgleich, aber eben nicht „um ihrer selbst willen“380. Weitere Probleme tauchen auf, wenn die einzelnen präventiven Aspekte unterschiedliche Straf­ maße fordern.381 Derartige „Zielkonflikte“ können ohne ein einheitliches Prinzip nicht überzeugend gelöst werden. Aspekte der Generalprävention stellen dagegen sowieso nur Reflexwirkungen schuldgerechten Strafens dar. Das gilt für die normbestätigende, genauso wie die abschreckende Wirkung schuldangemessener Strafen auf Dritte.382 Ohne ein ordnendes Prinzip stellt die Straftheorie der Rechtsprechung eine abzulehnende Vereinigungstheorie im Sinne eines unvermittelten Nebenein­ anders der straftheoretischen Elemente dar. 3. Kapitel

Die der Untersuchung zugrundeliegende Auffassung Dieser Aufriss der Grundpositionen und der vermittelnden Ansätze hat gezeigt, dass der Strafbegriff noch immer nicht abschließend einer Klärung zugeführt werden konnte, auf die man sich allgemeinhin verständigen kann. Alle aufgezeigten Aspekte erweisen sich als irgendwie relevant. Festzuhalten ist aber, dass eine reine Vergeltung nur eine Fortsetzung des Kriminalun­ rechts darstellt und daher abzulehnen ist. Die Resozialisation stellt dagegen eine grundlegende Aufgabe staatlichen Strafens dar. Die Abschreckung und das Einüben bzw. Bestärken von Normvertrauen haben ihre Berechtigung. Ein schlichtes Nebeneinander aller Positionen und Elemente kann zwar zu praktischen Ergebnissen führen, kaschiert aber lediglich die bestehende Anti­ nomie. Weil von dem Strafbegriff alle weiteren dogmatischen Fragen im Strafrecht abhängen, ist ein einheitliches Prinzip erforderlich. Eine Klärung kann daher auch hier nicht offen bleiben. Es handelt sich gewissermaßen um die Gretchenfrage383 des Strafrechts. Frisch, in: FG BGH IV, S. 269 (280). aller: BGHSt 28, 318 (327). 380  BGHSt 24, 40 (42). 381  Giehring, KrimJ 19 (1987), S. 2 (5). 382  Bruns, in: FS v. Weber, S. 75 (97); Köhler, Strafbegründung und Strafzumes­ sung, S. 42, 49 ff. 383  Goethe, Faust I, 3415: „Nun sag [Grechten; Anm. d. Verf.], wie hast du’s mit Religion?“. 378  Ebenso: 379  Statt

100

1. Teil: Die Strafe

Im weiteren Verlauf geht die Untersuchung von der in der Tradition vor allem des deutschen Idealismus stehenden freiheitsgesetzlichen Straftheorie aus. Denn diese begründet Verbrechen und Strafe vorpositiv ableitend als Recht des Täters und ist daher alleinig begrifflich in der Lage eine wahre Rechtfertigung für eine staatliche Strafe, gerade auch als Recht des Täters, zu leisten. Zugleich zeigt sie in kritischer Abgrenzung die defizitäre Begrün­ dung aller anderen Theorien auf. Das gilt zuvörderst für die von Tat und Täter losgelösten generalpräventiven Ansätze. Es gilt genauso für die im Grunde maßlosen spezialpräventiven Ansätze. Letztlich gilt es auch für auf Schuldausgleich beruhenden vermittelten Ansätze, soweit diese präventive Aspekte frei neben die schuldvermittelte Strafe stellen. Hervorzuheben ist dagegen die, sich nach der freiheitsgesetzlichen Straftheorie als Recht des Täters erweisende, staatliche Aufgabe der Resozialisierung. Die freiheitsgesetzliche Straftheorie weist einen strikten Tat- und Täterbe­ zug auf. Die Tatschuld des Straftäters begründet und begrenzt die staatliche Strafe. Auf der Grundlage der Schuldgebundenheit der Strafe werden weitere Aspekte staatlichen Strafens, in üblicher Diktion: präventive Aspekte, aus ihr entwickelt oder ihnen eine Absage erteilt. Der Vorteil gegenüber der herr­ schenden Auffassung ist die stringente Ableitung. Sie ermöglicht es, die Systematik bis ins kleinste Detail beizubehalten ohne zu Widersprüchen zu gelangen. Die Antinomie der Strafzwecke löst sich auf. Spezialprävention und im Grunde auch die positive Generalprävention leiten sich aus dem Strafbegriff ab. Die Abschreckung des Täters und der Allgemeinheit stellen einen Reflex staatlichen Strafens dar. Bereits diese natürliche Aufnahme der Zwecke zeigt, dass die Theorie nicht als rein vergeltende Straftheorie einge­ ordnet werden kann. Selbiges spiegelt sich auch in dem Ziel der Wiederher­ stellung des Rechts wieder. Es geht keineswegs um Rache oder strikte Ver­ geltung anhand des Talionsprinzips. Es geht um die wertgleiche Auferlegung eines Strafübels mit dem Ziel der Wiedereingliederung des Straftäters in die Gesellschaft. Die freiheitsgesetzliche Straftheorie gilt universell, ihr Anspruch ist die vorpositive Begründung. Das führt zwangsläufig zu Problemen, wenn der jeweilige Gesetzgeber ein anderes Strafverständnis hat. Wie gezeigt, vertre­ ten der Strafgesetzgeber als auch die deutsche Rechtsprechung eine Vereini­ gungstheorie, erkennen also alle Elemente der Strafzweckdiskussion als be­ rechtigt an. Aus freiheitsgesetzlicher Sicht sind diese Auffassung sowie die derzeitige Ausgestaltung des Strafrechts in Deutschland damit etlicher Kritik ausgesetzt.384 Im Laufe der Untersuchung werden sich einige dieser Prob­ leme zeigen. Sie betreffen sowohl den Begriff der Willensschuld, als auch 384  Köhler,

Strafrecht AT, S. 592 und öfter.



3. Kap.: Die der Untersuchung zugrundeliegende Auffassung101

die Rechtfertigung der Maßregeln der Besserung und Sicherung. Beide sind miteinander verwoben. Vorab soll bereits Folgendes klargestellt werden: Im Grunde liegt der Un­ tersuchung auch der in der aristotelischen Tradition stehende Willensschuld­ begriff zugrunde. Das Korsett der geltenden Rechtslage für die freiheitsge­ setzliche Straftheorie zeigt sich hier deutlich. Nach gesetzlichen Ausgestal­ tung ist für die Bemessung der Schuld eine restriktiver verstandene Tatschuld maßgeblich, § 46 Abs. 1 S. 1 StGB. Das verengt jedoch die notwendige Be­ trachtung. Dadurch kann weder der Täter in den kompletten, seine Schuld begründenden, Bezügen dargestellt, noch die gesamte Schuld des Täters be­ urteilt werden. Wie bereits dargestellt, würden dadurch aber auch schuldrela­ tivierende Momente in die Betrachtung rücken. Des Weiteren ist die Willens­ schuld der Ausgangspunkt der strafrechtlichen Reaktion und als solcher maßgeblich für den Resozialisierungsanspruch des Täters. Im Falle habituell schwerwiegender Schuld kann dadurch ein gesteigerter Resozialisierungsan­ spruch aus der Strafgerechtigkeit abgeleitet werden. Diese weite Betrachtung bleibt nicht ohne Folgen im Hinblick auf das geltende deutsche Strafrecht. Die geltenden Strafrahmen orientieren sich nämlich an den denkbar leichtes­ ten und schwersten Fällen für eine, im Grunde vereinzelt bleibende, (Gele­ genheits-)Tat.385 Die Strafrahmen, insbesondere deren Obergrenze, sind im Hinblick auf die Aufnahme habitueller Kriminalität zu eng. Darin ist die „zweite Spur“ im geltenden Strafrecht, hier vor allem den strafergänzenden Maßregeln, bereits angelegt. Diesen wird die Besserungs- und Sicherungs­ funktion übertragen, die die Strafe aufgrund ihres engen Verständnisses nicht erfüllen kann.386 In den überwiegenden Fällen zeigen sich die Auswirkungen und Differenzen der Willensschuld zur engen Tatschuld nicht: Das gilt vor allem für vereinzelt bleibende Taten, die bspw. Ausdruck einer Konflikt­ situation sind. Hier wird die Tatschuld nur in vernachlässigenswerter Weise durch die habituelle Komponente mitbestimmt. Es gilt gleichermaßen, wo ein gewisser Ausdruck der Habitualität Niederschlag in der Straftat findet, sei es beispielsweise bei einer Wiederholungstat oder aufgrund einer defizi­ tären Persönlichkeitsentwicklung. Hier bietet das geltende Gesetz Möglich­ keiten darauf einzugehen387; z. B. durch eine unter Schuldgesichtspunkten relevante Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 StGB, oder eine Wieder­ holungstat aufnehmende Entscheidung des Richters über die Strafart (insbe­ sondere: Geldstrafe, Freiheitsstrafe mit und ohne Bewährung).

385  Ausführlich

unten: 3. Teil 1. Kap. A. II. 1. unten: 2. Teil 1. Kap. A. I. 1. und II. 2. und 3. 387  Ganz ähnlich Henkel, Strafe, S. 29. 386  Siehe

2. Teil

Die Maßregeln der Besserung und Sicherung Im zweiten Teil der Arbeit soll nun der Blick auf die Maßregeln der Bes­ serung und Sicherung als die sog. „zweite Spur“ des Rechtsfolgensystems gerichtet werden. Hierzu wird einleitend auf die Rechtfertigung der Maßre­ geln der Besserung und Sicherung neben der Strafe eingegangen. Dazu wer­ den die verschiedenen Begründungsansätze vorgestellt und kritisch beurteilt. Dem vorangestellt ist ein kategorisierender Überblick über die Maßregeln der Besserung und Sicherung des geltenden Rechts im Strafgesetzbuch. Im zweiten Kapitel wird dann auf die Sicherungsverwahrung im Speziellen ein­ zugehen sein und diese im legitimatorischen, europa- und verfassungsrechtli­ chen Kontext kritisch dargestellt. 1. Kapitel

Maßregeltheorien im Überblick So vielschichtig und ausdifferenziert über die Rechtfertigung staatlichen Strafens diskutiert wird, so stiefmütterlich ist im Vergleich dazu die Maßre­ geltheorie behandelt worden. Wenngleich die Diskussion um die Straftheorie eine lange Tradition aufweist, beginnt die Diskussion um die Rechtfertigung staatlicher Maßregeln erst im 19. Jahrhundert1 und wird auch nicht mit derselben Hingabe verfolgt. Dennoch lassen sich eine Vielzahl von Maßre­ geltheorien finden. Wie bei der Straftheorie herrscht keine Einigkeit über den Rechtfertigungsgrund. Die legitimatorischen Ansätze lassen sich in solche, die an Straftheorien anknüpfen und eigenständige unterscheiden. Letztere sind teilweise lediglich an die geltende Rechts- und Verfassungslage geknüpft und teilweise an übergeordneten Prinzipien orientiert. Die Maßregeltheorien sollen im Folgenden dargestellt und kritisch gewürdigt werden. Der legitima­ torischen Betrachtung vorangestellt ist ein Überblick über die verschiedenen Maßregeln nach geltendem Recht. 1  Einen knappen Überblick über die geschichtliche Entwicklung von den Anfän­ gen bis zur Einführung durch das Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung vom 24.  November 1933 geben Steinberg, StV 2013, S. 227 ff. und Eser, in: FS Müller-Dietz, S. 213 (216 ff.). s. a. Dessecker, Gefährlichkeit und Verhältnismäßigkeit, S. 25 ff.



1. Kap.: Maßregeltheorien im Überblick103

A. Die Maßregeln des geltenden Rechts im Überblick Die Maßregeln der Besserung und Sicherung im Strafgesetzbuch sind un­ terschiedlicher Art und haben verschiedene Funktionen. Demzufolge lassen sich die Maßregeln des geltenden Rechts unterschiedlich kategorisieren. Im Folgenden werden zwei gebräuchliche Betrachtungsweisen vorgestellt. I. Die Unterscheidung zwischen freiheitsentziehenden und freiheitsbeschränkenden Maßregeln Nach einer üblicherweise vorgenommenen Differenzierung werden die Maßregeln der Besserung und Sicherung nach freiheitsentziehenden und (nur) freiheitsbeschränkenden Maßnahmen unterschieden. 1. Die freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung im StGB

Unter den freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung gibt es die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB, die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB und die Sicherungsverwahrung nach §§ 66, 66a StGB. Die Unterbringung in ei­ nem psychiatrischen Krankenhaus erfolgt, wenn der Täter eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit oder verminderten Schuldfähigkeit begangen hat. Außerdem muss eine Gesamtwürdigung seiner Tat und seiner Person ergeben, dass infolge des genannten Zustandes von ihm erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er aufgrund dessen für die Allge­ meinheit gefährlich ist, § 63 StGB. Die Unterbringung in einer Entziehungs­ anstalt erfolgt, wenn der Täter aufgrund einer Alkohol- oder anderweitigen Abhängigkeit von berauschenden Mitteln rechtswidrige Taten begeht und deswegen die Gefahr besteht, dass er weitere erhebliche Taten begehen wird, § 64 S. 1 StGB. Die Sicherungsverwahrung wird angeordnet (oder vorbehal­ ten), wenn der verurteilte Straftäter aufgrund eines Hanges zu erheblichen Straftaten für die Allgemeinheit gefährlich ist (oder dies nicht feststellbar, aber wahrscheinlich ist) und der Hang sich bereits in einer oder mehreren Straftaten gezeigt hat.2 Die Sicherungsverwahrung wird in organisatorisch getrennten Abteilungen innerhalb von Justizvollzugsanstalten vollzogen, § 140 Abs. 1 StVollzG.3 2  Ausführlich

unten: 2. Teil 2. Kap. D. II. 4. b) aa). Bundesländer haben nach der Förderalismusreform eigene Strafvollzugs­ gesetze eingefügt. Die Gesetze ersetzen nach Art. 125a Abs. 1 S. 2 GG die bundes­ rechtlichen Regelungen in ihrem Anwendungsbereich. Nach dem Urteil des Bundes­ verfassungsgerichts v. 04.05.2011 = BVerfGE 128, 326 ff. war eine Reform des Voll­ 3  Alle

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2. Teil: Die Maßregeln der Besserung und Sicherung

Daneben ist seit dem 01.01.2011 die Unterbringung nach dem Therapie­ unterbringungsgesetz (ThUG)4 getreten. Die Neuregelung soll die vom EGMR5 im Gegensatz zum BVerfG6 für unzulässig erklärte nachträgliche Sicherungsverwahrung nach deutschem Recht ersetzen7 und damit vor al­ lem dem Sicherheitsbedürfnis der Allgemeinheit Rechnung tragen.8 Danach kann eine Unterbringung auch nachträglich erfolgen, wenn beim Straftäter eine „psychische Störung“ vorliegt und die Gesamtwürdigung seiner Persön­ lichkeit, Lebensverhältnisse und des Vorlebens ergibt, dass er aufgrund des­ sen mit hoher Wahrscheinlichkeit das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung Dritter erheblich beeinträchtigen wird, § 1 Abs. 1 Nr. 1 ThUG.9 Gegen diese Umetikettie­ rung der nachträglichen Sicherungsverwahrung sind von Anfang an verfas­ sungsrechtliche und konventionsrechtliche Bedenken erhoben worden.10 Weder das BVerfG11 noch der EGMR12 teilen diese grundsätzlichen Beden­ ken. Allerdings verlangt das BVerfG eine verfassungskonforme Anwendung, so dass aufgrund des hohen Wertes des Freiheitsrechts der Rückfallgefährde­ ten eine Unterbringung nur in Betracht kommt, wenn „eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Untergebrachten“ vorliegt.13 Durch die sichernden Unterbringungen soll die Allgemeinheit vor den rückfallgefährdeten Tätern geschützt werden.14 Daneben bezwecken die zugs der Sicherungsverwahrung bis zum 01.06.2013 umzusetzen. Auch hier haben die Bundesländer eigene Vollzugsgesetze erlassen. Ausführlich: 2. Teil 2. Kap. D. II. 1. 4  BGBl. (2010) I, S. 2300 ff. 5  EGMR (M. / Deutschland) EuGRZ 2010, 25; (B. / Deutschland) EuGRZ 2012, 383 (390). Ausführlich: 2. Teil 2. Kap. D. I 1. b) dd). 6  Zu den vorausgegangenen Entscheidungen ausführlich Höffler, StV 2014, S. 168 (168 f.); Ullenbruch, StV 2012, S. 44 (44 f.). 7  Zum begrenzten Anwendungsbereich BT-Drucks. 17 / 3403, S. 19. 8  BT-Drucks. 17 / 3403, S. 2. 9  Zur Praxis: Nußstein, NJW 2011, S. 1194 ff.; Ullenbruch, StV 2013, S. 268 (268). 10  Höffler, StV 2014, S. 168 (173); Kinzig, NJW 2011, S. 177 (181 f.); Ullenbruch, StV 2012, S. 44 (47 ff.); ders., StV 2013, S. 268 (277). 11  BVerfG NJW 2013, 3151 (3152 ff.). Krit.: Höffler, StV 2014, S. 168 (172 f.); Ullenbruch, StV 2014, S. 174 (181). 12  EGMR HRRS 2016, Nr. 101 Rn. 144, 192. 13  BVerfG NJW 2013, 3151 (Lts. 3, 3154 f.). So bereits Nußstein, StV 2011, S. 633 (635). 14  Fischer, § 63 Rn. 2, § 64 Rn. 2; Stree / Kinzig, in: Schönke-Schröder, § 63 Rn. 1, § 64 Rn. 1, § 66 Rn. 2; van Gemmeren, in: MünchenerKomm StGB, § 63 Rn. 1, § 64 Rn. 1, § 66 Rn. 4 ff. sowie BT-Drucks. 17 / 3403, S. 2, 14 und öfter zur Unterbringung nach ThUG.



1. Kap.: Maßregeltheorien im Überblick105

Maßregeln nach §§ 63, 64 StGB die „Heilung“ der Täter. Für die Unterbrin­ gung in einer Entziehungsanstalt regelt § 64 S. 2 StGB ausdrücklich einen Heilungsvorbehalt. Das ist aber nicht im Sinne einer tatsächlichen Heilung zu verstehen. Entscheidend ist in all diesen Fällen eine Bekämpfung bzw. zumindest Verringerung der bestehenden Rückfallgefahr.15 Ist die Gefahr beseitigt, verbietet sich eine weitere Unterbringung allein zum Zweck einer wie auch immer gearteten weiteren oder vollständigen Heilung.16 2. Die lediglich freiheitsbeschränkenden Maßregeln der Besserung und Sicherung im StGB

Unter den lediglich freiheitsbeschränkenden Maßregeln der Besserung und Sicherung des Strafgesetzbuches befinden sich zunächst einmal die Entzie­ hung der Fahrerlaubnis nach §§ 69 ff. StGB17 und das Berufsverbot nach §§ 70 ff. StGB18. Sie dienen der Sicherung der Allgemeinheit19, sind aber phänomenologisch viel breiter gefächert als die freiheitsentziehenden Maßre­ geln. Die Entziehung der Fahrerlaubnis als auch das Berufsverbot sind im Hinblick auf den Untersuchungsgegenstand ohne Bedeutung und werden daher ausgeklammert. Letztlich kennt das Strafgesetzbuch auch die Führungsaufsicht nach §§ 68 ff. StGB20, welche eine Beschränkung der allgemeinen Handlungsfrei­ heit des Straftäters bedeutet. Die Führungsaufsicht kann grundsätzlich in die richterlich angeordnete und gesetzlich vorgesehene Führungsaufsicht unter­ gliedert werden. Richterlich kann die Führungsaufsicht angeordnet werden, wenn der Täter eine Straftat begangen hat, bei welcher die Führungsaufsicht gesetzlich vorgesehen ist. Für die Straftat muss der Täter eine Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verwirkt haben. Außerdem muss die Gefahr bestehen, dass von ihm weitere Straftaten begangen werden, § 68 Abs. 1 15  BGHSt 33, 285 (285); BGH StV 2012, 83 (83 f.) [zu § 63 StGB]; Fischer, § 63 Rn. 2 und § 64 Rn. 2; Stree / Kinzig, in: Schönke-Schröder, § 63 Rn. 1 und § 64 Rn. 1; van Gemmeren, in: MünchenerKomm StGB, § 63 Rn. 1 und § 64 Rn. 1. 16  BVerfGE 91, 1 (28); BGH NStZ-RR 2007, 368 [zu § 64 StGB]; NStZ-RR 2006, 338 (339) [zu § 63 StGB]. 17  In der Praxis ist die Entziehung der Fahrerlaubnis die am häufigsten angeord­ nete Maßregel, vgl. Meier, Sanktionen, S. 290 ff. mit Daten aus der Praxis. 18  Das Berufsverbot stellt einen gewichtigen, aber verfassungsgemäßen Eingriff in die Berufsfreiheit dar: BVerfGE 25, 88 (101); 48, 292 (296); Stree / Kinzig, in: Schönke-Schröder, §  70 Rn.  7 m. w. N. 19  Stree / Kinzig, in: Schönke-Schröder, § 68 Rn. 3, § 69 Rn. 3 jeweils m. w. N.; Meier, Sanktionen, S. 280, 309. 20  Zur Gesetzgebungsgeschichte ausführlich Schneider, in: LeipzigerKomm StGB, Vor § 68 Rn. 16 ff.

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2. Teil: Die Maßregeln der Besserung und Sicherung

StGB. Daneben sieht das Gesetz in einer Reihe von Fällen die Führungsauf­ sicht gesetzlich zwingend vor, § 68 Abs. 2 StGB. Das reicht von sog. „Voll­ verbüßern“ einer (Gesamt-)Freiheitsstrafe von in Einzelfällen ab einem Jahr (§ 68f Abs. 1 StGB)21, bis zur parallelen Anordnung und Vollstreckung von freiheitsentziehenden Maßregeln und deren verschiedener Beendigungsmög­ lichkeiten (vor allem Aussetzung und Erledigung). Bei der Führungsaufsicht besteht daher ein höchst komplex ausdifferenzierter Anwendungs- und Zu­ ständigkeitsbereich.22 Die Maßregel erstreckt sich gegenüber den anderen Maßregeln auf einen viel größeren Bereich von Tätertypen, wodurch zumin­ dest die einheitliche Anwendung leidet.23 Allgemein wird der Führungsauf­ sicht neben ihrem Sicherungszweck eine unmittelbar resozialisierende Auf­ gabe zugeschrieben:24 In Freiheit befindliche Straftäter sollen nach dem Vollzug einer Freiheitsstrafe (und gegebenenfalls einer freiheitsentziehenden Maßregel) eng überwacht und kontrolliert werden, wodurch die Allgemein­ heit gesichert wird. Das geschieht beispielsweise durch Weisungen nach § 68b StGB, deren Verletzung gemäß § 145a StGB strafbewehrt ist.25 Darü­ ber hinaus sollen ihnen durch eine Betreuung nach teils langjährigem Vollzug die Wiedereingliederung in die Gesellschaft „helfend und betreuend“ (vgl. § 68a Abs. 2 StGB) erleichtert werden. Damit ergänzt die Führungsaufsicht die anderen strafrechtlichen Sanktionen, indem sie der Gefahr von Rückfäl­ len begegnet.

21  Das ist angesichts der voll verbüßten Freiheitsstrafe für die Tat sehr bedenk­ lich: Ostendorf, in: NomosKomm StGB, Vor §§ 68 bis 68 g Rn. 15. Die Problematik stellt sich ebenso bei der noch eingehend zu erörternden Sicherungsverwahrung. Nicht zuletzt deswegen wird die Führungsaufsicht auch als ambulante Unterbringung bezeichnet: Schneider, in: LeipzigerKomm StGB, Vor § 68 Rn. 3. 22  Überblick zum Anwendungsbereich bei Schneider, in: LeipzigerKomm StGB, Vor § 68 Rn. 8, 9; Fischer, Vor § 68 Rn. 3 f.; Meier, Sanktionen, S. 294 ff. Zu den gerichtlichen Zuständigkeiten krit. Schneider, in: LeipzigerKomm StGB, Vor § 68 Rn. 12. Auch ansonsten wirkt ein Geflecht von Beteiligten (Bewährungshelfer, Poli­ zei, Aufsichtsstellen und forensische Ambulanzen, vgl. § 68a StGB) mit. Dazu: Meier, Sanktionen, S. 296 ff.; krit.: Schneider, in: LeipzigerKomm StGB, § 68a Rn. 2. 23  Schneider, in: LeipzigerKomm StGB, Vor § 68 Rn. 1 und öfter. Umfassende Kritik bei Groß, in: MünchenerKomm StGB, Vor §§ 68 ff. Rn. 5. Dagegen hält das Bundesverfassungsgericht die Maßregel grundsätzlich für legitim: BVerfGE 55, 28 (29 f.) m. w. N. 24  BVerfGE 55, 28 (29); Fischer, Vor § 68 Rn. 2 Schneider, in: LeipzigerKomm StGB, Vor § 68 Rn. 3; Groß, in: MünchenerKomm StGB, Vor §§ 68 ff. Rn. 1; Stree / Kinzig, in: Schönke-Schröder, § 68 Rn. 3 m. w. N.; Streng, Sanktionen, Rn. 384. Ostendorf, in: NomosKomm StGB, Vor §§ 68 bis 68 g Rn. 10 plädiert für einen Vor­ rang der Besserung. 25  Insoweit krit.: Schneider, in: LeipzigerKomm StGB, § 68b Rn. 17 f; Meier, Sanktionen, S. 302.



1. Kap.: Maßregeltheorien im Überblick107

II. Die Unterscheidung nach der Funktion der Maßregeln Eine weitere übliche Differenzierung der Maßregeln wird in Abgrenzung zur Strafe vorgenommen. Danach gibt es Maßregeln, welche die Strafe ver­ treten, ergänzen und ersetzen. Die Differenzierung geht auf Jakobs zurück.26 Im Unterschied zu der eben vorgestellten Einordnung, ist eine klare Zuord­ nung einer Maßregel zu einer Kategorie hier nicht möglich. 1. Strafersetzende Maßregeln

Wird eine Tat von einem Schuldunfähigem begangen, darf aufgrund des Schuldprinzips keine Strafe gegen ihn verhangen werden. Aufgrund des sich aber auch darin Absprechens von Rechtsfähigkeit des Opfers durch einen willentlichen Angriff auf dessen Rechtsgüter besteht ein staatliches Interesse, gegenüber dem Schuldunfähigen eine staatliche Maßnahme anzuordnen. In diese Kategorie gehören die Unterbringung in einem psychiatrischen Kran­ kenhaus oder einer Entziehungsanstalt, die Entziehung der Fahrerlaubnis und das Berufsverbot, soweit sie unabhängig von der Strafe gegenüber einem Schuldunfähigen angeordnet werden. Ihr Zweck liegt in der Beseitigung der Gefahr, die von den schuldunfähigen Tätern für Rechtsgüter Dritter ausgeht und dient damit auch der Rehabilitation des Täters.27 2. Strafergänzende Maßregeln

Eine zweite Kategorie von Maßregeln ist davon geprägt, dass gegenüber dem Straftäter aufgrund der Straftat(en) eine Strafe verhängt wird. Dennoch kann es auch in diesen Fällen ein staatliches Bedürfnis geben, eine weitere staatliche Maßnahme anzuordnen. Dazu gehören die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung sowie die Entziehung der Fahrerlaubnis, das Berufs­ verbot und die Führungsaufsicht, soweit sie gegenüber einem schuldhaft handelnden Täter angeordnet werden. Die Maßregel steht hier also neben der Strafe und ergänzt diese.28 Ihre Funktion besteht in der Unterstützung des Straftäters derart, dass ein verantwortungsvolles Leben möglich ist und sich die Allgemeinheit grundsätzlich sicher fühlen kann.29

26  Jakobs, Strafrecht AT, 1 / 55 ff. Ähnlich Klesczewski, Strafrecht AT, Rn. 28 ff. s. a. Zipf / Laue, in: Maurach / Gössel / Zipf, § 67 Rn. 7 ff. mit weiteren Differenzungs­ möglichkeiten und § 68 Rn. 61. 27  Jakobs, Strafrecht AT, 1 / 57. 28  Jakobs, Strafrecht AT, 1 / 56. 29  Jakobs, Strafrecht AT, 1 / 56. Ähnlich Klesczewski, Strafrecht AT, Rn. 29.

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2. Teil: Die Maßregeln der Besserung und Sicherung 3. Strafvertretende Maßregeln

Die letzte Kategorie bilden die strafvertretenden Maßregeln. Sie stellen eine Sonderform der strafergänzenden Maßregeln dar. Wie diese setzen sie eine schuldhaft begangene Tat voraus, auf welche eine Strafe gegenüber dem Täter verhängt wird. Grundsätzlich treten die Maßregeln daher neben die Strafe. Im Unterschied zu den strafergänzenden Maßregeln wird die Vollstre­ ckung dieser Maßregeln auf die Vollstreckung der Strafe angerechnet, sog. „Vikariieren“ (§ 67 Abs. 4 StGB).30 Das betrifft die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und einer Entziehungsanstalt, § 67 Abs. 1 StGB. Damit soll die Resozialisierung des Straftäters gefördert werden, in­ dem der rückfallgefährdete Täter eine vorrangige Behandlung seiner psychi­ schen Krankheit (o. Ä.) erfährt.31

B. Eigenständige Maßregeltheorien Im Anschluss an diesen phänomenologischen Überblick über die Maßre­ geln des geltenden Rechts soll deren Rechtfertigung betrachtet werden. Dazu werden verschiedene Ansätze verfolgt. Eine erste Gruppe von Theorien ver­ sucht die Maßregeln unabhängig von der Strafe zu begründen. Einen Bezug zu einer Straftheorie weisen diese Begründungsansätze nicht auf. Sie werden im Folgenden dargestellt und kritisch beurteilt. I. Rechtfertigung aus übergeordneten Prinzipien 1. Mangel an innerer Freiheit

Nach Welzel ist der Rechtsgüterschutz durch die staatliche Strafe an die Schuld des Straftäters gebunden und durch diese begrenzt. Einer darüber hi­ nausgehenden Gefährlichkeit des Täters müsse deshalb auf andere Weise entgegengetreten werden. Das könne durch die Maßregeln der Besserung und Sicherung umgesetzt werden, bedürfe aber genauso wie die staatliche Strafe einer Rechtfertigung. Diese könne nicht bereits in der Nützlichkeit einer Maßnahme für die Gesellschaft gesehen werden, denn Zweckmäßig­ keitserwägungen würden immer einen rechtfertigenden Grund vorausset­ zen.32 Das rechtfertigende Element bestimmt Welzel sozialethisch: Voraus­ setzung für eine unbeschränkte Teilnahme und damit die umfassende Gel­ tendmachung der eigenen Rechte ist das Besitzen der inneren bzw. sittlichen 30  Ausführlich

unten: 3. Teil, 2. Kap. C. VI. 2. a). Strafrecht AT, 1 / 58; Klesczewski, Strafrecht AT, Rn. 29. 32  Welzel, Strafrecht, S.  244 f. 31  Jakobs,



1. Kap.: Maßregeltheorien im Überblick

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Freiheit. Diese setzt er mit der Befähigung, den Normen der Gemeinschaft folgen zu können, gleich. Nur wer den Anforderungen an ein gesellschaftli­ ches Miteinander nachkommen kann, darf die uneingeschränkte äußere bzw. soziale Freiheit beanspruchen. Mit anderen Worten sei die innere Freiheit Voraussetzung für die äußere Freiheit.33 Beide korrelieren miteinander. Je nach dem Maß der Unfähigkeit den gesellschaftlichen Normen zu folgen, rechtfertigen sich demzufolge die verschiedenen Maßnahmen. Neben dieses allgemeine Prinzip sollen nach Welzel noch besondere Grundsätze treten, um bestimmte Maßregeln zu rechtfertigen. So soll der Staat aus Fürsorge ver­ pflichtet sein, bspw. Geistes- und psychisch Kranken zu helfen und die geis­ tigen Zustände zu heilen.34 Die Theorie ist im Ansatz richtig. Die Zweckmäßigkeit einer Maßnahme kann niemals deren Anordnung rechtfertigen, denn sie missachtet die Persön­ lichkeit des Betroffenen.35 Vielmehr bedarf es eines übergeordneten Prinzips. Für Welzel liegt es in dem Mangel an innerer Freiheit. Aber diese Begründung überzeugt nicht. Zwar mag Welzel insoweit richtig liegen, als diejenigen, die unfähig sind, den Anforderungen des gemeinschaftlichen Zusammenlebens folgen zu können, Hilfe bedürfen. Bereits hierfür muss Welzel weitere Prinzi­ pien, wie z. B. die staatliche Fürsorgepflicht36, heranziehen, die er nicht näher ausführt. Gerade die verschiedenen Erscheinungsformen der Maßregeln dürfte aber eine differenziertere Begründung erforderlich machen. Des Weiteren ist problematisch, dass dieser Theorie eine andere Differenzierung zugrunde liegt, als die Maßregeln aufweisen.37 Nach der gesetzlichen Ausgestaltung sind die Maßregeln auch gegen schuldhaft handelnde Straftäter rechtlich zu­ lässig. Die Theorie Welzels setzt aber einen Mangel an Freiheit voraus. Offen bleibt einerseits wie dieser Mangel qualitativ und quantitativ festgestellt und in einem Maß ausgedrückt werden soll. Mit der von Welzel angebotenen Be­ gründung würde für die Verhängung einer Strafe von der Schuld des Täters ausgegangen werden, während beispielsweise für die Anordnung einer Siche­ rungsverwahrung und auch der anderen freiheitsentziehenden Maßregeln, so­ weit sie nicht strafersetzend gegenüber einem Schuldunfähigem angeordnet werden, gerade deren Beschränkung angenommen wird. Die angebotene Un­ terscheidung ist daher nur eingeschränkt brauchbar.38 33  Welzel, Strafrecht, S. 245. Zustimmend: Bruns, ZStW 71 (1959), S. 210 (211 f.). Für die Maßregeln gegenüber Schuldunfähigen im Grunde zustimmend: Klesczewski, Strafrecht AT, Rn. 27. 34  Welzel, Strafrecht, S. 245. 35  So auch Welzel, Strafrecht, S. 245. 36  Welzel, Strafrecht, S. 245. 37  Mushoff, S.  251 f. 38  Äußerst kritisch Freund, GA 2010, S. 193 (201); Frisch, ZStW 102 (1990), S. 343 (366); Jakobs, Strafrecht AT, 1 / 54; Klesczewski, Strafrecht AT, Rn. 27; Köhler,

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2. Teil: Die Maßregeln der Besserung und Sicherung

Fraglich ist außerdem, ob mit der Anlehnung an den Mangel an sittlicher Freiheit wirklich alle in der Wirklichkeit vorkommenden Fälle abgedeckt werden können. Das betrifft gerade den eben beschriebenen Problembereich. Für die Fälle der Anordnung von Maßregeln gegenüber voll schuldhaft han­ delnden Straftätern kann ein Mangel an sittlicher Freiheit durchaus in Be­ tracht kommen. Es kann aber vorkommen, dass ein sittlicher Mangel nicht Grund der Tat ist, der Straftäter die Befähigung zum Befolgen der rechtlichen Anforderungen besitzt und lediglich notorisch stiehlt, raubt, etc. Dann dürfte beispielsweise eine Sicherungsverwahrung nicht in Betracht kommen. Der Begründungsansatz Welzels ist im Ergebnis unvollständig.39 Nicht zuletzt ist gegen den Begründungsansatz vorgebracht worden, dass er ebenso wie reine Zweckmäßigkeitserwägungen grenzlose Eingriffe in die Rechte der Betroffenen erlauben würde.40 Eine gewisse Schwierigkeit stellt sicherlich die Feststellung des Maßes an (Un-)Fähigkeit der sittlichen Befol­ gung von Normen dar. Damit sind an sich die Art und die Dauer der Maß­ nahme nicht vorgegeben. Doch die konkrete Ausgestaltung ist die Aufgabe des Gesetzgebers und der Rechtsanwender.41 Ebenso ist die Kritik überzo­ gen, dass Welzel den Mangel an sittlicher Freiheit nicht näher bestimmt. Nach Hall wäre so Tür und Tor geöffnet, um Sicherungsverwahrung für Ar­ beitsunwillige oder beispielsweise politische Gegner anzuordnen.42 Er über­ sieht dabei, dass der Mangel an sittlicher Freiheit sich in dem Begehen von Straftaten äußern muss und insoweit auch Konturen bekommt. So gesehen, hat das rechtfertigende Prinzip keine ausufernden Tendenzen. Die entscheidende Schwäche der Begründung Welzels bleibt aber die Un­ differenziertheit des Ansatzes. Dieser vermag nicht alle Fälle der durch die Maßregeln der Besserung und Sicherung abzudeckenden Rückfallgefahr von Personen zu erfassen und ist daher abzulehnen.

Strafrecht AT, S. 56 f. Die Unterscheidung kritisiert im Ansatz auch: Grünwald, ZStW 80 (1968), S. 89 (113). 39  Ähnlich: Stree, Deliktsfolgen, S. 221 f., er bezweifelt außerdem die Notwendig­ keit des Rückgriffs auf die innere Freiheit, denn die Anordnung richte sich stets nach dem Gebrauch der äußeren Freiheit (S. 223); Kretschmer, S. 41; Hall, ZStW 70 (1958), S. 41 (55); Nowakowski, in: FS v. Weber, S. 98 (107). 40  Mushoff, S. 251. 41  s. a. Stree, Deliktsfolgen, S. 223: „Zwischen der Gefahr und den Belangen des Einzelnen muß stets sorgfältig abgewogen werden.“ 42  Hall, ZStW 70 (1958), S. 41 (55).



1. Kap.: Maßregeltheorien im Überblick111 2. Der Gedanke der sozialen Notwehr

Als Sozialverteidigung, gewissermaßen als „institutionalisierte Notwehr“43, hat Gramatica die Abschaffung staatlicher Strafe und die Durchführung eines reinen Maßnahmenrechts zum Wohle der Täter gefordert. Die Maßnahme sei an der Täterpersönlichkeit auszurichten und soll auf die Heilung und Resozi­ alisierung des Täters abzielen.44 Als offensichtliche Missachtung der Men­ schenwürde des Straftäters verfiel dieses Programm bereits straftheoretisch der Kritik.45 Auf Maßregeln erweitert zeigen sich weitere Defizite. Die Zu­ rechnung einer Tat erfolgt bei Gramatica, anstatt über die Schuldhaftigkeit eines Verhaltens, über die Verursachungskausalität.46 Daran wird gegenüber Zurechnungsfähigen die resozialisierende bzw. heilende Maßnahme geknüpft, gleichzeitig aber auch gegenüber Unzurechnungsfähigen.47 Das führt die Zurechnung einer Tat ad absurdum.48 Die Maßnahme könnte beliebig an weitere als sozialschädlich empfundene Symptome geknüpft werden.49 Einen anderen Weg geht Sax, welcher die Maßregeln der Besserung und Sicherung, wie die Strafe auch, durch ein gesellschaftliches Notwehrrecht gerechtfertigt sieht.50 Sax geht von der Notwendigkeit aus, dass sich die Gemeinschaft gesellschaftsschädigenden Angriffen erwehrt.51 Diese staatli­ che Reaktion weist nach seiner Auffassung die wesentlichen Merkmale einer kollektiven Notwehr auf, denn sie sei die nötige Verteidigung der gesell­ schaftlichen Interessen gegen den Angriff, welche sich in einer Einbuße an Rechten beim Betroffenen zeigt.52 Das gelte für vergangene sowie bevorste­ hende Angriffe und rechtfertige damit sowohl Strafe als auch Maßregeln.53 Dabei verzichtet er auf das für die Notwehr typische Erfordernis der „Gegen­ wärtigkeit“ eines Angriffs, weil es ein lediglich die grundsätzliche Befugnis einschränkendes Merkmal darstelle und daher außerhalb der grundsätzlichen Rechtfertigung stünde.54 Für Sax ist der Notwehrgedanke aber ein maßloses Prinzip, denn es legitimiere letztlich jede nützliche Maßnahme. Die erforder­ 43  Westpfahl,

MschrKrim 53 (1970), S. 97 (99). Défense Sociale, Teil 2, S. 213. 45  Siehe oben: 1. Teil 1. Kap. B. III. 2. und dort Fn. 260. 46  Gramatica, Défense Sociale, Teil 1, S. 48. 47  Gramatica, Défense Sociale, Teil 2, S. 221. 48  Abl. auch H. Kaufmann, in: FS v. Weber, S. 418 (426 ff.). 49  Frey, SchwZStr 68 (1953), S. 405 (415) spricht bspw. von Bettel, Arbeitsscheu und Verwahrlosung. 50  Sax, in: Bettermann / Nipperdey / Scheuner, Die Grundrechte, S. 954 ff., 960. 51  Sax, in: Bettermann / Nipperdey / Scheuner, Die Grundrechte, S. 956. 52  Sax, in: Bettermann / Nipperdey / Scheuner, Die Grundrechte, S. 957. 53  Sax, in: Bettermann / Nipperdey / Scheuner, Die Grundrechte, S. 960, 964. 54  Sax, in: Bettermann / Nipperdey / Scheuner, Die Grundrechte, S. 957 Fn. 150. 44  Gramatica,

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2. Teil: Die Maßregeln der Besserung und Sicherung

liche Beschränkung der staatlichen Reaktionen ergebe sich erst aus einem Wertprinzip. Dieses sieht Sax in der Menschenwürde, welche verlangt, dass der Mensch nicht bloß als Mittel zum Zweck Anderer behandelt wird.55 Das sei bei der Strafe, wenn sie an der Einzeltatschuld ausgerichtet ist, gewahrt und bei präventiven, an der Gefährlichkeit ausgerichteten Maßnahmen in der Regel missachtet.56 Mithin ließen sich präventive Maßnahmen zwar durch den Notwehrgedanken rechtfertigen, aber grundsätzlich nicht maßvoll durch­ führen. Die Beschränkung staatlicher Reaktionen auf die Strafe gegenüber schuldhaft Handelnden wiederum würde aber erhebliche Gefährdungspoten­ tiale unbeantwortet lassen. Aus diesem Grund müssten die Maßregeln gegen­ über schuldfähigen wie auch schuldunfähigen Tätern trotz Verstoßes gegen die Menschenwürde, welche in diesen Fällen faktisches Orientierungsmaß bliebe, verhängt und vollzogen werden können.57 Auch dieser Ansatz überzeugt nicht. Der Ansatz von Sax hat verschiedene spezifisch notwehrrechtliche Kritik hervorgebracht. Nichts desto trotz ist der Notwehrgedanke in gewisser Weise plausibel. Das liegt daran, dass die Situ­ ation – aus staatlicher Sicht gedacht – durchaus ähnlich anmutet und dieser Gedanke in seiner Abstraktheit daher nicht sofort von der Hand zu weisen ist. Demzufolge wird durchaus auf die Rechtfertigung der Maßregeln durch genau diesen Gedanken verwiesen.58 Die Kritik ist dennoch berechtigt. Ers­ tens ist die Notwehr ein Recht zur individuellen Verteidigung eigener Inte­ ressen und kein staatliches Recht. Kollektivrechtsgüter können nach der ganz überwiegenden Auffassung zur Dogmatik der Notwehr nur insoweit auch von einer Person verteidigt werden, wie sie gleichzeitig ihr privates Interesse betreffen.59 Nach der Dogmatik zur Notwehr gibt es einerseits einen indivi­ duellen, an die Person anknüpfende, Begründungsansatz.60 Daneben werden kollektive und die vorstehenden Prinzipien kombinierende Begründungsan­ 55  Sax,

in: Bettermann / Nipperdey / Scheuner, Die Grundrechte, S. 959. in: Bettermann / Nipperdey / Scheuner, Die Grundrechte, S. 962 f. 57  Sax, in: Bettermann / Nipperdey / Scheuner, Die Grundrechte, S. 965. 58  Beispielsweise: Henkel, Strafe, S. 7; Hall, ZStW 70 (1958), S. 41 (55); Frisch, ZStW 102 (1990), S. 343 (366 f.); ähnlich: Schöch, in: LeipzigerKomm StGB, Vor § 61 Rn. 39; Ullenbruch / Drenkhahn / Morgenstern, in: MünchenerKomm StGB, § 66 Rn. 9 „Nothilferecht“; Streng, in: FS Lampe, S. 611 (634); Schneider, in: Göppinger, § 34 Rn. 163 zur Sicherungsverwahrung; Jakobs, Rechtsgüterschutz, S. 19 und Fn. 111: „notwehrähnliche Lage“ [Hervorhebung im Original]; Kaiser, Kriminologie § 93 Rn. 54. 59  Vgl. Perron, in: Schönke-Schröder, § 32 Rn. 8 m. w. N.; Erb, in: Münchener­ Komm StGB, § 32 Rn. 100. 60  Eine gewichtige Auffassung leitet die Notwehrbefugnis aus dem Recht zur Selbsterhaltung, dem sog. „Schutzprinzip“ ab; vgl. Rönnau / Hohn, in: Leipziger­ Komm StGB, § 32 Rn. 68 m. w. N. Krit.: Klesczewski, in: FS E. A. Wolff, S. 225 (231). 56  Sax,



1. Kap.: Maßregeltheorien im Überblick113

sätze vertreten. Nach einem solchen kollektiven Ansatz soll die Notwehrbe­ fugnis als Verteidigung der faktischen Rechtsordnung gerechtfertigt sein.61 Das Interesse oder die Rechtseinbuße des Angreifers und des Angegriffenen interessiert hier nicht. Entscheidend sei vielmehr der absolute Geltungsan­ spruch der Rechtsordnung, den es zu bewähren gilt.62 Das kann aber nicht den Blick auf das Wesentliche verstellen. Denn es verbleibt dabei, dass damit nur ein individuelles Recht begründet wird und gerade keine Staatsnotwehr. Wegen der unmöglichen Vergleichbarkeit scheide eine gesellschaftliche Not­ wehr als Rechtfertigungsgrund für staatliche Maßnahmen aus.63 Des Weite­ ren ergeben sich weder aus dem individuellen noch aus dem kollektiven oder den kombinierenden Ansätzen Prinzipien für einen grundsätzlich maßvollen Eingriff in die Rechtssphäre des Angreifers.64 Daneben wird an der Recht­ fertigung über den Notwehrgedanken kritisiert, dass in den Situationen der Anordnung von Maßregeln üblicherweise kein gegenwärtiger Angriff vor­ läge. Ein solcher wäre eine unmittelbar bevorstehende oder (noch) andau­ ernde Verletzung von rechtlichen Interessen.65 Es muss sich also um eine konkrete Gefahr für ein Rechtsgut handeln. Die Maßregeln der Besserung und Sicherung setzen aber sowohl für die Anordnung wie den Vollzug ledig­ lich eine abstrakte Gefahr für die Gesellschaft voraus. Die tatsächliche Lage ist daher nicht vergleichbar. Die Rechtfertigung der Maßregeln durch ein Kollektivnotwehrrecht scheitert auch insoweit.66 Bereits durch den Rekurs auf die Notwehrdogmatik wurde die Maßlosig­ keit der Eingriffsbefugnis kritisiert. Sax selbst hat das Problem erkannt und zieht die Menschenwürde als Wertprinzip heran. Diese Anbindung ist jedoch kein geeignetes Maß. Dafür ist sie viel zu unbestimmt. Wie sich eine hand­ habbare Einschränkung aus ihr ergeben soll, ist nicht ersichtlich. Folglich hat auch Sax keine konkrete Beschränkung genannt. Er verweist zwar auf Be­ 61  Schmidhäuser, GA 1991, S. 97 (101). Mit guten Gründen diesen und die kom­ binierenden Ansätze ablehnend: Klesczewski, in: FS E. A. Wolff, S. 225 (238 f.). 62  Das erinnert stark an den Gedanken der positiven Generalprävention und ist aus denselben Gründen abzulehnen wie eine darauf aufbauende Straftheorie, vgl. Lesch, in: FS Dahs, S. 81 (86 f.); Klesczewski, in: FS E. A. Wolff, S. 225 (236). 63  Mushoff, S. 250; Frisch, ZStW 102 (1990), S. 343 (367). 64  Klesczewski, in: FS E. A. Wolff, S. 225 (231, 235, 238). Das gilt, abgesehen von den Fällen der Notwehreinschränkung aus sozialethischen Gründen (s. dazu Lesch, in: FS Dahs, S. 81 (102 ff.)), gleichermaßen für die kombinierenden Begrün­ dungsansätze. Zwar postuliert gerade Klesczewski, in: FS E. A. Wolff, S. 225 (240 ff.) eine Möglichkeit die Notwehr generell unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten zu beschränken. Aber auch hiernach bleibt sie ein individuelles Recht. 65  Perron, in: Schönke-Schröder, § 32 Rn. 13 ff.; Erb, in: MünchenerKomm StGB, § 32 Rn. 104. 66  Conradi, S. 41; Mushoff, S. 249 f.; Frisch, ZStW 102 (1990), S. 343 (367); Jakobs, Strafrecht AT, 1 / 54; Klesczewski, Strafrecht AT, Rn. 27.

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2. Teil: Die Maßregeln der Besserung und Sicherung

schränkung der gesetzlich vorgesehenen Maßnahmen „nach Art und Maß auf das unerläßlich Notwendige“.67 Aber ob sich das aus der Menschenwürde als Maßprinzip ergibt, bleibt zu bezweifeln. Ihr eigentlicher Nutzen besteht darin, dass sie der Anordnung von Maßregeln im Saxschen Konzept derart weitgehende Grenzen setzt, dass diese eigentlich nicht angeordnet werden dürften. Denn nach Sax verstoßen die Maßregeln der Besserung und Siche­ rung im Grundsatz gegen die Menschenwürde.68 Damit scheitert aber die Begründung der Maßregeln bei Sax bereits an den Voraussetzungen des Be­ gründungsansatzes. Nicht zuletzt ist der Ansatz auch zu undifferenziert. Die Maßregeln wer­ den gegen Schuldfähige als auch gegen Schuldunfähige gleichermaßen ange­ ordnet. Einige Maßregeln können dabei sowohl gegen Schuldfähige wie Schuldunfähige angeordnet werden, vgl. §§ 63, 64, 69, 70 StGB. Die Not­ wehr ist bezüglich der Schuld, nach herrschender Auffassung, gerade indiffe­ rent.69 Eine Einschränkung aus sozialethischen Gründen findet jedenfalls in der Regel nicht bei einem schuldhaften Angriff statt. Die Sicherungsverwah­ rung beispielsweise, als schärfster Eingriff in die Rechtssphäre des Betroffe­ nen, setzt gerade die Verantwortlichkeit voraus. Mithin dürften sich hier kaum die nötigen Einschränkungen im Maß ergeben. Das ist jedoch nicht nur bedenklich, sondern schlicht abzulehnen. Dagegen wäre nach Notwehrge­ sichtspunkten bei Angriffen Schuldunfähiger eine Beschränkung des Rechts zumutbar. Maßregeln, welche die Schuldunfähigkeit des Betroffenen voraus­ setzen, wären daher nur eingeschränkt möglich. Wie die Be- bzw. Einschrän­ kung der Befugnis den gerade für diese Maßregeln so wichtigen Heilungsge­ danken (bspw. die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus) rechtfertigen soll, bleibt außerdem ungeklärt. II. Verfassungsrechtliche Rechtfertigungsansätze 1. Verwirkung

In eine ähnliche Richtung, wie die Begründung über den Mangel an inne­ rer Freiheit von Welzel, geht auch der Verwirkungsgedanke von Stree.70 Er ändert den Gedanken jedoch ab und koppelt ihn an das Grundgesetz an. Ausgangspunkt ist die Gemeinschaftsbezogenheit des Gebrauchs der äußeren Freiheit von Personen. Wer nicht lediglich für sich handelt, schränkt durch 67  Sax,

in: Bettermann / Nipperdey / Scheuner, Die Grundrechte, S. 966. in: Bettermann / Nipperdey / Scheuner, Die Grundrechte, S. 965. 69  Lesch, in: FS Dahs, S. 81 (95); Perron, in: Schönke-Schröder, § 32 Rn. 24 m. w. N. aus Rspr. und Lit. A. A. Jakobs, Strafrecht AT, 12 / 16. 70  Stree, Deliktsfolgen, S. 216 ff.; ders., In dubio pro reo, S. 95 f. 68  Sax,



1. Kap.: Maßregeltheorien im Überblick115

den Gebrauch von Freiheit die Rechte anderer ein. Ein Überschreiten der Grenze des rechtmäßigen Gebrauchs von Freiheitsrechten fordert von der Gesellschaft ein Einschreiten. Das heißt, ein gemeinschaftswidriger Gebrauch von Freiheit(srechten), rechtfertigt deren Beschränkung oder Entzug durch die Gemeinschaft. Neben dem klassischen Strafrecht, würde das „in vielen Fällen [erfordern, Verf.], dem Störer zuvorzukommen.“71 Dieser Gefahr müsse mit den Maßregeln begegnet werden, durch welche den Tätern der Gebrauch ihrer Freiheit künftig eingeschränkt oder ganz unmöglich gemacht würde.72 Daher seien die Maßregeln der Besserung und Sicherung durch den Gedanken der Verwirkung von Grundrechten gerechtfertigt. Das gilt für die Maßregeln mit Sicherungscharakter, vor allem also die Sicherungsver­ wahrung, aber auch dem Entzug der Fahrerlaubnis oder einem Berufsverbot. Hier habe der Straftäter durch seinen unrechtmäßigen Freiheitsgebrauch den Schutz der Gesellschaft verloren und dieses Recht verwirkt.73 Dagegen er­ fordern die Maßregeln mit Besserungscharakter, wie beispielsweise die Un­ terbringung in einer Entziehungsanstalt oder einer Heil- und Pflegeanstalt (heute: psychiatrisches Krankenhaus), die Heilung der rückfallgefährdeten Täter. Insoweit komme eine Verwirkung nicht in Betracht, sondern nur die Einschränkung von Grundrechten durch eine die Menschenwürde achtende Erziehung zu einem verantwortungsvollen Mitglied der Gesellschaft.74 Auch dieser Ansatz unterliegt durchgreifenden Bedenken. Zum einen scheinen die Grenzen zu den strafrechtlichen Reaktionen auf Straftaten zu verschwinden. Wenn Stree ausführt, dass der unrechtmäßige Gebrauch von Freiheit deren Verwirkung nach sich ziehe, scheinen die Maßregeln beliebig an begangene Straftaten anknüpfbar. Ein eigenständiger Bezug zur Gefähr­ lichkeit und damit der Sicherung der Gesellschaft fehlt. Des Weiteren ist auch für die Sicherungsverwahrung mittlerweile der Vorrang der Besserung vor der Sicherung anerkannt.75 Damit käme nach heutigem Verständnis keine Verwirkung der Freiheitsrechte in Betracht. Stattdessen müsste nach der Sys­ tematik Strees eine erzieherische Einwirkung auf die Straftäter erfolgen. Für die Maßregeln, welche an die Schuldunfähigkeit anknüpfen und damit auch 71  Stree,

Deliktsfolgen, S. 222. Deliktsfolgen, S. 222. 73  Stree, Deliktsfolgen, S. 223  f. Nahestehend Bruns, ZStW 71 (1959), S. 210 (212). Ähnlich wohl auch Jakobs, Strafrecht AT, 1 / 55 ff.; ders., Staatliche Strafe, S. 43: „Diese Entpersonalisierung erfolgt, wie hervorgehoben sei, punktuell, nur was den möglichen Fehlgebrauch von Freiheit betrifft. Ansonsten bleibt die rechtliche Personalität unangetastet […]“. Dieser Ansatz wird noch eigens zu würdigen sein. 74  Stree, Deliktsfolgen, S.  226 f. 75  BVerfGE 128, 326 (377). Das wird auch für die phänomenologisch ähnliche Konstellation bei der Führungsaufsicht vertreten: Ostendorf, in: NomosKomm StGB, Vor §§ 68 bis 68 e Rn. 10. 72  Stree,

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2. Teil: Die Maßregeln der Besserung und Sicherung

im Sicherungsverfahren nach § 71 StGB, §§ 413 ff. StPO angeordnet werden können, erscheint der Verwirkungsgedanke geradezu ungeeignet. Dagegen ist vorgebracht worden, dass man kann kein Recht verwirken kann, wenn man die Rechtsverletzung nicht schuldhaft begangen hat.76 Auch wenn Stree den Gedanken der Verwirkung hier nur eingeschränkt zulässt, ist die Annahme der Verwirkung in diesen Fällen nicht unproblematisch. Auch aus verfassungsrechtlicher Sicht unterliegt der Ansatz durchgreifen­ den Bedenken. Stree knüpft seinen Ansatz explizit an das Grundgesetz an, weswegen er auch diesem Anspruch genügen müsste. Verfassungsrechtlich regelt Art. 18 GG die Verwirkung von Grundrechten. Danach besteht formal ein Entscheidungsmonopol des Bundesverfassungsgerichts, Art. 18 S. 2 GG. Keine andere Institution, also auch kein Strafgericht, könnte diese Verwir­ kung erklären.77 Inhaltlich ist die Verwirkung auf wenige Grundrechte be­ schränkt, worunter weder die persönliche Freiheit nach Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG, die allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG, noch die Be­ rufsfreiheit nach Art. 12 GG fallen, vgl. Art. 18 S. 1 GG. Art. 18 S. 1 GG enthält eine abschließende Aufzählung von Grundrechten.78 Damit versagt der Begründungsansatz bei den freiheitsentziehenden Maßregeln79 sowie der Entziehung der Fahrerlaubnis, dem Berufsverbot und der Führungsaufsicht, also allen nach § 61 StGB vorgesehenen Maßregeln der Besserung und ­Sicherung. Außerdem sollen die dort aufgezählten Grundrechte einem un­ rechtmäßigen Freiheitsgebrauch gerade gegen die verfassungsmäßige Ord­ nung entgegenwirken.80 Diese Zwecksetzung ist den strafrechtlichen Maßre­ geln der Besserung und Sicherung jedoch fremd. Des Weiteren ist bestritten worden, dass der Gedanke der Verwirkung, wie er insbesondere bei der Rechtfertigung der sichernden Maßregeln hervortritt, mit dem Menschenbild des Grundgesetzes vereinbar wäre.81 Jede Person und damit auch der von Maßregeln Betroffene habe nach Art. 1 Abs. 2 GG ein Anspruch auf die Gewährleistung seiner unentziehbaren Menschenrechte.82 Letztlich ist die Verwirkung von Grundrechten als unangemessen und aus­ ufernd gegeißelt worden.83 Richtig ist, dass unter der Geltung des Grundgeset­ 76  Streng,

in: FS Lampe, S. 611 (621). Mushoff, S. 251. Krebs, in: v.Kunig / Münch, Art. 18 Rn. 12. 78  BVerfGE 10, 118 (123); Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Henneke, Grundgesetz, Art. 18 Rn. 6; Pagenkopf, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 18 Rn. 10 m. w. N. 79  Mushoff, S. 251; Frisch, ZStW 102 (1990), S. 343 (366 Fn. 105). 80  Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Henneke, Grundgesetz, Art. 18 Rn. 3; Pagenkopf, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 18 Rn. 10. 81  Kretschmer, S. 41 f.; Nowakowski, in: FS v. Weber, S. 98 (107 f.). 82  Nowakowski, in: FS v. Weber, S. 98 (108). 83  Nowakowski, in: FS v. Weber, S. 98 (108). Im Erg. auch Mushoff, S. 251. 77  s. a.



1. Kap.: Maßregeltheorien im Überblick117

zes die Menschenwürde unantastbar und alle staatliche Gewalt daran gebun­ den ist. Das folgt aus Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 3 GG. Demzufolge ist eine Verwirkung im Sinne eines Absprechens von Grund- und Menschenrech­ ten verfassungsrechtlich per se nicht möglich. Im Gegensatz dazu spricht Art. 18 GG dem Wortlaut nach zwar von einer Verwirkung von Grundrechten. Das könnte dem Wortsinn nach einen Verlust bzw. ein Absprechen dieser be­ deuten. Allerdings ist auch Art. 18 GG in die Grundgesetzdogmatik einzuord­ nen. Und diese geht nun mal von der Unveräußerlichkeit der Menschenrechte aus. Daher ist eine Konkordanz herzustellen. Die Verwirkung nach Art. 18 GG bedeutet damit keinen Verlust von Grundrechten, sondern lediglich deren Aus­ übungsverbot.84 Das kommt der gesetzlichen Ausgestaltung der Maßregeln, die allesamt ein zeitweises Verbot der Ausübung der Freiheitsrechte vorsehen, schon näher. Auch der Einwand des unbestimmten Maßes trifft im Grunde nicht zu. Art. 18 S. 2 GG regelt, dass die Verwirkung einer Grundrechtsaus­ übung im Ausmaß bestimmt werden soll. Das Ausmaß bezieht sich bereits dem Wortlaut nach auf die Quantität der spezifischen Grundrechtsausübung und ist daher geeignet, die Art der Beschränkung zu definieren. Es bezieht sich außerdem auf die zeitliche Dauer der Verwirkung und richtet sich im Grund­ satz nach der Gefährlichkeit des Betroffenen.85 Im Übrigen gilt auch hier, wie ansonsten bei staatlichen Eingriffen der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.86 2. Die staatliche Schutzpflicht und das Prinzip des überwiegenden Interesses

Der mittlerweile am häufigsten anzutreffende Begründungsansatz für die Maßregeln der Besserung und Sicherung ist die Ableitung aus der verfas­ sungsrechtlichen staatlichen Schutzpflicht bzw. aus dem Prinzip des überwie­ genden Interesses.87 Teilweise wird in Letzterem lediglich das Maßprinzip 84  Pagenkopf, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 18 Rn. 13; Storost, in: Umbach / Cle­ mens / Dollinger, BVerfGG, § 39 Rn. 6. Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann /  Henneke, Grundgesetz, Art. 18 Rn. 13: „der Betroffene [kann sich; Verf.] nicht mehr auf das missbrauchte Grundrecht berufen.“ Krit.: Krebs, in: V.Münch / Kunig, Grund­ gesetz, Art. 18 Rn. 14. 85  Storost, in: Umbach / Clemens / Dollinger, BVerfGG, § 39 Rn. 7. s. a. Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Henneke, Grundgesetz, Art. 18 Rn. 13; Pagenkopf, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 18 Rn. 16. 86  Storost, in: Umbach / Clemens / Dollinger, BVerfGG, § 39 Rn. 7, 9. Im Ansatz auch Stree, Deliktsfolgen, S. 223. 87  BVerfGE 109, 190 (236); 128, 326 (376) „freiheitsentziehende Maßnahmen“; 130, 372 (389) „freiheitsentziehende Maßnahmen“; 131, 268 (288) „Sicherungsver­ wahrung“; Kretschmer, S. 42 ff.; Frisch, ZStW 102 (1990), S. 343 (367 ff.); Laubenthal, ZStW 116 (2004), S. 703 (708) für die „freiheitsentziehenden Maßregeln“; Schöch, in: FS Roxin, (2011) II, S. 1193 (1211); Nowakowski, in: FS v. Weber, S. 98 (103 ff.); Roxin, Strafrecht AT, § 3 Rn. 66; Schroth, in: FS Schüler-Springorum, S. 595

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2. Teil: Die Maßregeln der Besserung und Sicherung

für Ersteres gesehen.88 Teilweise beruft man sich auf das Prinzip des über­ wiegenden Interesses als eigenständigen Begründungsansatz.89 Die Darstel­ lung beider Ansätze erfolgt dennoch zusammen, denn die Aspekte sind, wie noch zu zeigen sein wird, untrennbar miteinander verknüpft. a) Die Begründungsansätze im Einzelnen Der Ausgangspunkt der theoretischen Ansätze ist das gemeinsame Ziel der Maßnahmen. Die Maßregeln der Besserung und Sicherung dienen dazu, das Sicherungsbedürfnis der Gesellschaft zu befriedigen.90 Dieses Ziel setzt einen Rechtfertigungsgrund voraus. Das wird in der Aufgabe des Staates, seine Bürger vor Gefahren zu schützen, gesehen. Diese Pflicht folge aus einer staatlichen Schutzpflicht, was aber ohne nähere Begründung bleibt.91 Dieses Prinzip an sich erkläre, warum der Staat verpflichtet ist, für die In­ teressen der Einzelnen einzutreten.92 Neben dieser Pflicht, für die Gemein­ schaft schützend tätig zu werden, bleibt der Staat freilich verpflichtet, in die Interessen des Einzelnen nicht unangemessen einzugreifen. Dessen Grundrechtspositionen seien genauso zu wahren. Folglich stehen sich die Sicherungsinteressen der Gesellschaft und die individuellen Interessen und Grundrechte des (von Maßregeln betroffenen) Täters gegenüber und müs­ sen in Einklang gebracht werden. Diese Abwägung erfolgt bereits abstrakt in der gesetzlichen Regelung der strafrechtlichen Maßregeln durch den Ge­ setzgeber. Sie betrifft gleichermaßen die Anwendung. Art und Dauer der Maß­regeln werden durch die im Einzelfall gewichtigeren Interessen festge­ legt.93 Das kann zur Anordnung von Maßregeln oder ihrem Unterbleiben, (602) zu § 63 StGB; van Gemmeren, in: MünchenerKomm StGB, § 61 Rn. 2; Stree / Kinzig, in: Schönke-Schröder, Vorbem. §§ 61 ff. Rn. 4; Meier, Sanktionen, S. 273. Befürwortend: Kaiser, S. 13; Streng, in: FS Lampe, S. 611 (634). 88  So explizit: Frisch, ZStW 102 (1990), S. 343 (367). s. a. Laubenthal, ZStW 116 (2004), S. 703 (708); Meier, Sanktionen, S. 273. 89  So Nowakowski, in: FS v. Weber, S. 98 (103); Roxin, Strafrecht AT I, § 3 Rn. 66; Stratenwerth, SchwZStr 82 (1966), S. 337 (346); ders., SchwZStr 105 (1988), S. 105 (114 f.). s. a. BVerfGE 128, 326 (376); 131, 268 (291); Kretschmer, S. 42; Schroth, in: FS Schüler-Springorum, S. 595 (602); Kinzig, S. 34; Stree / Kinzig, in: Schönke-Schröder, Vorbem. §§ 61 ff. Rn. 4. Das Prinzip gänzlich ablehnend: Köhler, Strafrecht AT, S. 57. 90  Statt Aller: BVerfGE 130, 372 (389) m. w. N. 91  BVerfGE 109, 190 (236); Frisch, ZStW 102 (1990), S. 343 (367); Meier, Sank­ tionen, S. 273. Laubenthal, ZStW 116 (2004), S. 703 (708) beschränkt seine Aussage auf die freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung. 92  Frisch, ZStW 102 (1990), S. 343 (367 f. und Fn. 111). 93  Frisch, ZStW 102 (1990), S. 343 (369); Laubenthal, ZStW 116 (2004), S. 703 (708 f.); Meier, Sanktionen, S. 273.



1. Kap.: Maßregeltheorien im Überblick

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zum Vollzug (einschließlich dessen Dauer) oder dessen Unterbleiben füh­ ren. Dadurch wird das Maß der Maßregeln festgelegt. Diese Maßbestimmung kann auch als „Prinzip des überwiegenden Interes­ ses“ bezeichnet werden. Unter dessen Zuhilfenahme können die sich gegen­ überstehenden Interessen, nämlich das Sicherheitsinteresse der Allgemein­ heit am Schutz ihrer Grundrechte und die Grundrechte des von einer Maß­ regel betroffenen Straftäters, angemessen austariert werden und somit die Anordnung und der Vollzug der Maßregeln gerecht bestimmt werden.94 Die Anforderungen an das Überwiegen sind bisher allerdings nicht abschließend geklärt. Regelmäßig wird zwar ein einfaches Überwiegen als hinreichend erachtet. Teilweise wird dagegen ein höheres Maß für erforderlich gehal­ ten.95 b) Die Dogmatik der staatlichen Schutzpflichten aus Grundrechten Der auf die staatlichen Schutzpflichten abstellende Begründungsansatz bleibt ohne nähere Begründung in der strafrechtlichen Literatur. Er stellt aber die maßgebliche Begründung der staatlichen Pflicht dar, Maßregeln der Bes­ serung und Sicherung gesetzlich festzulegen, im Einzelfall anzuordnen und zu vollziehen. Deswegen setzt sich der folgende Abschnitt mit der Dogmatik der staatlichen Schutzpflichten auseinander. aa) Inhalt und Reichweite der grundrechtlichen Schutzpflicht des Staates Mit den grundrechtlichen Schutzpflichten ist ein Aspekt der Grundrechte angesprochen. Im Anschluss an Georg Jellinek werden verschiedene Aspekte der Grundrechte unterschieden.96 Klassischerweise werden die Grundrechte dabei als Abwehrrechte gegen staatliche Eingriffe aufgefasst, sog. „status negativus“ der Grundrechte.97 Sie sichern die individuelle Freiheit der Bür­ ger gegenüber staatlichen Eingriffen. Das Verhältnis ist bipolar. Aus den Grundrechten lassen sich jedoch auch objektive Prinzipien, nämlich dass Leib und Leben, Freiheit, Eigentum etc. der Bürger zu respektieren und zu 94  BVerfGE 128, 326 (376 f.); Kretschmer, S. 43; Schroth, in: FS Schüler-Sprin­ gorum, S. 595 (602); Streng, in: FS Lampe, S. 611 (623); van Gemmeren, in: Mün­ chenerKomm StGB, § 61 Rn. 2; Stree / Kinzig, in: Schönke-Schröder, Vorbem. §§ 61 ff. Rn. 4. 95  Kretschmer, S. 42 „weit schwerer wiegen“; Nowakowski, in: FS v. Weber, S. 98 (105) „eindeutig höherwertig“; van Gemmeren, in: MünchenerKomm StGB, § 61 Rn. 2 „deutlich überwiegenden Wert“. 96  Vgl. die Darstellung bei Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 229 ff. 97  Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 233.

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2. Teil: Die Maßregeln der Besserung und Sicherung

schützen sind, ableiten. Damit sind die Schutzpflichten des Staates gegen­ über seinen Bürgern angesprochen, sog. „status positivus“ der Grundrechte. Mit anderen Worten ist der Staat verpflichtet jeden seiner Bürger vor Über­ griffen Anderer in Leib und Leben, Freiheit, Eigentum, etc. zu schützen und deren Rechte sicherzustellen.98 Zu dem klassischen bipolaren Verhältnis der Grundrechte als Abwehrrechte, kommt somit ein dritter Pol dazu. Vereinfacht gesprochen handelt sich um ein Dreiecksverhältnis zwischen dem Staat und jeweils zwei, seinem Schutz unterstehenden, Bürgern.99 Der Sache nach kön­ nen sich Schutzpflichten auf jegliche Art grundrechtlicher Betätigung erstre­ cken, denn sie sind ein Reflex der abwehrrechtlichen Seite der Grundrech­ te.100 Wenn ein grundrechtliches Verhalten gegenüber dem Staat zu schützen ist, ist es auch gegenüber Verletzungen privater Dritter abzusichern. Die Pflichten sind umso größer, je wertvoller das geschützte Grundrecht für das Individuum ist.101 Das führt dazu, dass drohende Verletzungen von Leib und Leben stets die staatliche Schutzpflicht auslösen.102 Im Bereich privatwirt­ schaftlicher Grundrechtsaktivität sind Schutzpflichten nur rudimentär ausge­ prägt. Hier hat sich der Staat tendenziell zurückzuhalten und den Akteuren am Markt die Regelung ihrer Rechtsverhältnisse zu überlassen. Schutzpflich­ ten können sich daher nur eingeschränkt ergeben.103 Sofern eine staatliche Schutzpflicht existiert, ergibt sich daraus eine Handlungspflicht. Dadurch wird alle staatliche Gewalt, vor allem der Gesetzgeber, verpflichtet, sich schützend vor die potentiellen Opfer zu stellen.104 Der die Handlungspflicht auslösende Tatbestand setzt einen nicht notwen­ digerweise schuldhaften Übergriff bzw. eine objektive Gefahr der Beein­ trächtigung von Grundrechten durch einen anderen Bürger voraus.105 Die Umsetzung dieser Pflicht ist grundsätzlich in das Ermessen der staatlichen 98  BVerfGE 53, 30 (57); 88, 203 (251); Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 410; Dreier, in: Dreier, Grundgesetz, Vorb. Rn. 101; Hopfauf, in: Schmidt-Bleibtreu / Hof­ mann / Henneke, Grundgesetz, Einleitung Rn. 307. 99  Isensee, HStR IX, § 191 Rn. 5; Dreier, in: Dreier, Grundgesetz, Vorb. Rn. 101. 100  Isensee, HStR IX, § 191 Rn. 218, 222; Dreier, in: Dreier, Grundgesetz, Vorb. Rn. 104. 101  BVerfGE 39, 1 (42). Krit.: Dietlein, Schutzpflichten, S. 86. 102  Dietlein, Schutzpflichten, S. 74 f.; Isensee, HStR IX, § 191 Rn. 226, 232 f. 103  Isensee, HStR IX, §191 Rn. 226 mit weiteren Beispielen zu anderen Grund­ rechten. 104  BVerfGE 39, 1 (42); 88, 203 (252); Dietlein, Schutzpflichten, S.  70 ff. 105  Isensee, HStR IX, § 191 Rn. 218 ff. Dietlein, Schutzpflichten, S. 109 ff. diffe­ renziert die „pflichtenaktivierenden“ Gefahren in Bezug auf die handelnden Staatsge­ walten. Die Voraussetzung einer objektiven(!) Gefahr steht einer Schutzpflicht des Staates entgegen für „Freiheit von Angst“ zu sorgen. s. a. Isensee, HStR IX, § 191 Rn. 253 f. mit Nachw. zur abw. Auffassung.



1. Kap.: Maßregeltheorien im Überblick121

Gewalt gestellt.106 Dieser kommt eine Einschätzungsprärogative zu.107 Die absolute Grenze der Handlungspflicht bildet das Maß an Eingriffsintensität, welches gegenüber dem Grundrechtsträger (noch) angemessen ist. Der Ver­ hältnismäßigkeitsgrundsatz hat hier also doppelten Charakter. Er ist Über­ maß- und Untermaßverbot gleichzeitig. Die Handlungspflicht des Staates, die Grundrechte seiner Bürger zu schützen, kann nur soweit gehen, wie die Eingriffe in die Grundrechtspositionen der diese Grundrechte beeinträchti­ genden oder bedrohenden Bürger gerechtfertigt sind.108 Was die bürgerlichen Freiheiten unangemessen beeinträchtigt, kann nicht staatliche Handlungs­ pflicht sein. Dagegen gebietet die staatliche Schutzpflicht nicht unbedingt, diese Grenze auszuloten. Vielmehr kann und darf das staatliche Handeln bis zur Grenze des Untermaßverbotes dahinter zurückbleiben.109 Ein verbleiben­ des Restrisiko ist der Allgemeinheit durchaus zumutbar.110 Ein Untermaßver­ bot stellt es in der Weise dar, als sich aus der Schutzpflicht ein Mindestmaß an sicherzustellender Sicherheit ergibt. Hinter dieser dürfen die staatlichen Gewalten, allen voran der Gesetzgeber, nicht zurückbleiben. bb) Ableitung der staatlichen Schutzpflicht (1) Anknüpfung an Hobbes und Locke Der Schutz der Bürger ist eine klassische Aufgabe des Staates.111 Der Ge­ danke ist erstmals von Thomas Hobbes systematisch entfaltet wor­den112: Zur 106  Zu dieser Unterscheidung zwischen verfassungsrechtlicher Handlungspflicht und der Gestaltung der Umsetzung: BVerfGE 88, 203 (254); 109, 190 (236); Isensee, HStR IX, § 191 Rn. 188. 107  BVerfGE 39, 1 (46); 109, 190 (236); Dreier, in: Dreier, Grundgesetz, Vorb. Rn. 103; Isensee, HStR IX, § 191 Rn. 300; Hopfauf, in: Schmidt-Bleibtreu / Hof­ mann / Henneke, Grundgesetz, Einleitung Rn. 311. 108  Dreier, in: Dreier, Grundgesetz, Vorb. Rn. 103; Hopfauf, in: Schmidt-Bleib­ treu / Hofmann / Henneke, Grundgesetz, Einleitung Rn. 305, 311 f. 109  BVerfGE 88, 203 (254); Isensee, HStR IX, § 191 Rn. 304; Dreier, in: Dreier, Grundgesetz, Vorb. Rn. 103. Die Ausreizung dieses Spielraums dürfte je nach politi­ scher Fasson erfolgen. 110  BVerfGE 53, 30 (59); Isensee, HStR IX, § 191 Rn. 238. So auch Nowakowski, in: FS v. Weber, S. 98 (105). 111  BVerfGE 109, 190 (236); Isensee, HStR II, § 15 Rn. 23; Isensee, HStR IX, § 191 Rn. 161; Hopfauf, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Henneke, Grundgesetz, Einleitung Rn. 304; Dreier, in: Dreier, Grundgesetz, Vorb. Rn. 104. Anfangs wurde die staatliche Schutzpflicht noch aus der Menschenwürde i. V. m. einem individuell in Betracht kommenden Grundrecht abgeleitet: BVerfGE 39, 1 (41); siehe dazu auch Dietlein, Schutzpflichten, S. 17 ff.; Isensee, HStR IX, § 191 Rn. 160. 112  Und zwar hauptsächlich im Hauptwerk „Leviathan“. Siehe dazu Dietlein, Schutzpflichten, S. 21 f. und kritisch S. 24; Isensee, HStR IX, § 191 Rn. 181, 183.

122

2. Teil: Die Maßregeln der Besserung und Sicherung

Rechtfertigung des Staates geht er gedanklich113 einen Schritt zurück und stellt sich einen Naturzustand vor. Dieser Naturzustand ist durch konkurrie­ rende Einzelinteressen gekennzeichnet, wobei ein jeder Mensch stets zweck­ haft-egoistisch handelt. Das führt dazu, dass sich niemand seiner Rechte si­ cher sein kann.114 Die Unsicherheiten über die Durchsetzungsfähigkeit der eigenen Rechte kennzeichnen den Naturzustand.115 Sie führen zu Misstrauen und den Selbsterhalt sichernder (auch präventiver) Gewalt.116 Um den Selbsterhalt möglichst effektiv zu sichern, soll ein jeder ‚natürliche‘ Gesetze befolgen. Darunter fallen unter Anderem das Friedensgebot und der Grund­ satz „pacta sunt servanda“.117 Trotzdem bleibt der Zustand ein unsicherer und kann nur dadurch überwunden werden, dass alle mittels eines Gesell­ schaftsvertrages einen Souverän legitimieren die allgemeine Gewalt über sie auszuüben und für Sicherheit zu sorgen.118 Fortan ist der Souverän, Hobbes nennt ihn den „Leviathan“, für die zweckhafte Gewährung der Sicherheit verantwortlich.119 Weil die Bürger ihm die Autorität verliehen haben, für ihren Schutz zu sorgen, bestimmt der Souverän alleinig dessen Reichweite. Den Bürgern geschieht somit kein Unrecht durch staatliche Maßnahmen.120 Gerecht ist damit, was Gesetz ist.121 Auch John Locke geht  – wie Hobbes  – in der ‚Zweiten Abhandlung über die Regierung‘ von einem Naturzustand aus, den er jedoch nicht zwangsläu­ fig als Kriegszustand verstanden wissen will.122 Für Locke weist dieser Na­ turzustand bereits Züge einer Marktwirtschaft auf. Die Menschen wirtschaf­ ten nach ihren Fähigkeiten.123 Weil nicht jeder gleich gut wirtschaftet, kommt es zu unterschiedlichen Besitzständen, was Missgunst hervorruft. Zur Siche­ rung der Eigentumsverhältnisse sieht auch Locke es als Notwendigkeit an, 113  Hobbes,

Leviathan, 13. Kapitel, S. 97; ders., De Cive, Vorwort 67. Naturzustand gibt es freilich keine subjektiven Rechte der Einzelnen, denn wenn jeder ein Recht auf alles hat, kann niemand etwas alleinig für sich beanspru­ chen. 115  Hobbes, Leviathan, 13. Kapitel, S. 96. Hobbes, spricht in diesem Zusammen­ hang martialisch von einem ‚Krieg Aller gegen Alle‘. 116  Hobbes, Leviathan, 13. Kapitel S. 95. Deswegen sei ‚der Mensch dem Men­ schen ein Wolf‘ (Hobbes, De Cive, Widmung S. 59). 117  Hobbes, Leviathan, 14. und 15. Kapitel. Insgesamt kennt Hobbes 19 natürliche Gesetze. 118  Hobbes, Leviathan, 17. Kapitel S. 134 f. 119  Hobbes, Leviathan, 30. Kapitel S. 255. 120  Hobbes, Leviathan, 18. Kapitel S. 139. 121  Hobbes, Leviathan, 26. Kapitel S. 204. 122  Locke, Treatise II, 2. Kapitel § 4 und 3. Kapitel § 19. Wenngleich der Naturzu­ stand auch bei Locke ein gedankliches Konstrukt ist, so benennt er doch historische Beispiele in Treatise II, 8. Kapitel §§ 102 ff. 123  Locke, Treatise II, 5. Kapitel § 27 und öfter. 114  Im



1. Kap.: Maßregeltheorien im Überblick123

diesen Zustand zu verlassen und in eine Gesellschaft einzutreten.124 Ihre Aufgabe ist der Schutz der natürlichen Rechte der Menschen, also Leib und Leben, ihrer Freiheiten, insbesondere das Eigentum.125 Im Gegensatz zu Hobbes kommen dem Menschen bei Locke also von Natur aus Menschen­ rechte zu. Die Wahrnehmung des Schutzes dieser Rechte wird der gesell­ schaftlichen Macht übertragen. Das sorgt gleichzeitig für eine Beschränkung der staatlichen Macht.126 Eine Beschränkung, die dem Hobbesschen „Levia­ than“ noch fern war. (2) Exkurs: von Listzsche Strafidee Wie oben dargestellt, hat v. Liszt eine zweckorientierte und damit präven­ tive Straftheorie vertreten.127 Der Ansatz ließ aber befürchten, dass ein Ab­ warten einer Straftat nicht nötig sei, bevor mit Strafe reagiert werden kann. Dass im Vorfeld von Kriminalität dieser Gefahr mit staatlichen Maßnahmen begegnet wird, ist genau die Zielsetzung der Maßregeln. Nun steht außer Frage, dass v. Liszt keine Maßregeltheorie im engeren Sinne darlegen wollte. Dennoch lassen sich der Art und Weise, wie er sich die Reaktion auf die Taten der unverbesserlichen Gewohnheitstäter vorstellte, einige weiterfüh­ rende Ansätze entnehmen.128 Aufgrund der Anknüpfung an die Straftheorie kann es sich dabei nur um Maßregeln gegenüber schuldhaft handelnden Tä­ tern handeln. Für die Gewohnheitsverbrecher sah das v. Lisztsche Modell ab der dritten Verurteilung eine unbestimmte Freiheitsstrafe zur Sicherung der Gesellschaft vor dem Täter. Diese sollte jedoch nicht jegliche Aussicht auf Freilassung entfallen lassen. Diese sei vielmehr im Turnus von fünf Jahren zu prüfen.129 Durch den Verweis auf die gesellschaftliche Notwendigkeit des Rechtsgü­ terschutzes ist der heutigen Schutzpflichtdogmatik vorgegriffen worden, die an die staatliche Pflicht zur Verhütung von Straftaten zum Rechtsgüterschutz der Bürger anknüpft. In der die Rückfallgefahr des Straftäters aufnehmenden Sicherungsstrafe kann die – aus dieser Sicht konsequente – Kombination von Strafe und Sicherungsverwahrung gesehen werden. Der Zweckgedanke be­ 124  Locke,

Treatise II, 3. Kapitel § 21; 7. Kapitel § 89; 9. Kapitel § 131. Treatise II, 9. Kapitel §§ 123 f. 126  Locke, Treatise II, 9. Kapitel § 131 „soweit“ und 11. Kapitel § 135 „Sie [die Gewalt, Anm. d. Verf.] kann daher auch nicht größer sein, als die Gewalt, die jene Menschen im Naturzustand besaßen […].“ 127  Siehe oben: 1. Teil 1. Kap. B. III. 1. 128  So insbesondere: Frisch, ZStW 94 (1982), S. 565 (583 und öfter). Zur Paralle­ lität mit einer Maßregeltheorie siehe bereits: Stooss, SchZStr 44 (1930), S. 261 (262). s. a. Jescheck, in: FS Klug II, S. 257 (273). 129  von Liszt, Zweckgedanke, S. 46 f. 125  Locke,

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2. Teil: Die Maßregeln der Besserung und Sicherung

schränkt in der Dogmatik v. Liszts die Reichweite des staatlichen Handelns, in dem er das Maß einer Reaktion auf das Nötigste bezieht. Der Vorteil einer solchen Sicherungsstrafe ist eindeutig: Das Maß der Gefährlichkeit kann während des Vollzugs flexibel herausgearbeitet werden.130 Regelmäßige Prüfpflichten begrenzen die Dauer des Eingriffs. Die gravierenden Mängel der Verhältnismäßigkeit im v. Liztschen Ansatz bleiben dadurch aber nicht verborgen.131 v. Liszt mag den Gedanken der staatlichen Schutzpflicht bereits mitgedacht haben. Eine Ausdifferenzierung hat er jedoch nicht geleistet. Ebenso wie ein Großteil der aktuellen Strafrechtswissenschaft beschränkte er sich dabei auf eine positivrechtliche Beschreibung, die dem Begründungs­ erfordernis nicht genügen kann. c) Kritische Beurteilung Die Beurteilung der zwei Begründungsansätze des überwiegenden Interes­ ses und der staatlichen Schutzpflicht erfolgte zusammen, weil sie richtig verstanden aufeinander bezogen sind. Das Prinzip des überwiegenden Inte­ resses bietet ein Maßprinzip zur Bestimmung der Reichweite eines Eingriffs in die Grundrechtssphäre von Straftätern, gegenüber welchen eine strafrecht­ liche Maßregel angeordnet wird. Es findet eine Abwägung zwischen dem Sicherheitsinteresse und den Grundrechten des Straftäters statt. Richtiger­ weise, und das hat Frisch herausgestellt, enthält es für sich jedoch keinen Rechtfertigungsgrund sondern setzt einen solchen voraus.132 Erst in Verbin­ dung mit der staatlichen Schutzpflicht ergibt es einen Sinn. Dennoch begeg­ net dieser Begründungsansatz zumindest Bedenken. Die Thematik wird rechtspositivistisch verkürzt: Die staatlichen Schutzpflichten aus den Grund­ rechten werden anhand der geltenden Verfassungslage abgeleitet. Damit wird der Rechtfertigungsgrund rechtspositivistisch bestimmt.133 So kann zwar ein Rechtsgrund unter der Geltung des Grundgesetzes angegeben werden. Ob damit aber bereits ein Rechtfertigungsgrund geliefert wird, ist fraglich. Ge­ mäß dem Anspruch der Straftheorie an eine vorpositive Begründung, muss Gleiches, selbst wenn man die Maßregeln anders rechtfertigt als die Strafe, auch hier gefordert werden.134 130  In Bezug auf die Theorie von Liszts: Frisch, ZStW 94 (1982), S. 565 (580, 582 und Fn. 84). 131  Siehe auch: Frisch, ZStW 94 (1982), S. 565 (591). 132  Frisch, ZStW 102 (1990), S. 343 (367). 133  So ausdrücklich BVerfGE 128, 326 (376) „verfassungsrechtlichen Legitima­ tionsgrundlagen“. Krit.: Sánchez Lázaro, in: FS Roxin (2011) II, S. 1215 (1224). 134  Anders offenbar gerade Nowakowski, in: FS v. Weber, S. 98 (109) welcher auch die staatliche Strafe im Prinzip des überwiegenden Interesses gerechtfertigt



1. Kap.: Maßregeltheorien im Überblick125

Die Hobbessche Staatstheorie liefert dabei eine mögliche Begründung des Schutzauftrages. Das vertragliche Argument ist ein bleibendes Vermächtnis seiner Philosophie. Diese enthielt jedoch kein wirkliches Maßprinzip. Der Souverän war berechtigt alles, was zweckhaft ist, um die Sicherheit zu ge­ währleisten, zu vollziehen. Das erinnert stark an die v. Listzsche Vorstellung. So verwundert es auch nicht, wenn Hobbes die Aufgabe der (Zweck-) Strafe  – wie v. Liszt  – in der Besserung und Abschreckung sieht.135 Des Weiteren wird auch bei Hobbes lediglich positivrechtlich argumentiert, in­ dem gerecht ist, was Gesetz ist. Der Ansatz erschöpft sich daher in einer positivrechtlichen Begründung und unterliegt damit derselben Kritik. Der Ansatz von Locke geht über die Aufgabenbestimmung hinaus. Der Bezug zu den natürlichen Rechten der Menschen, deren Schutz in der Gesellschaft in die Hände der staatlichen Gewalt gelegt wird, enthält eine wichtige Be­ schränkung staatlicher Macht. Dass die natürlichen Rechte der Menschen Abwehrrechte gegenüber den Übergriffen durch andere Menschen enthalten, ist von Locke formuliert worden. Damit ist freilich noch nichts über deren Reichweite gesagt. Klar dürfte sein, dass sich die Schutzpflicht auf das Straf­ recht bezieht und den Erlass von Strafgesetzen und die Verhängung und den Vollzug von Strafen rechtfertigt. Denn nach Locke hat jeder ein natürliches Recht zu strafen, wenn er Opfer einer Straftat geworden ist, welches er in der Gesellschaft auf den Staat überträgt.136 Entscheidend ist, ob sich daraus auch weitere Freiheitsbeschränkungen ergeben können. Weil sich die staatliche Macht gerade aus der Übertragung der einzelnen Rechte ergibt, ist es wohl ausgeschlossen, für Straftaten gegenüber voll schuldhaft Handelnden darüber hinaus weitergehende Befugnisse dem Staat einzuräumen. Während sich also die Hobbessche Philosophie insoweit als maßlos herausstellte, erweist sich die Lockesche als unvereinbar mit einer Konkurrenz von Strafe und Maß­ regeln gegenüber strafrechtlich schuldhaft Handelnden. Aus der strafrechtlichen Literatur ging nicht eindeutig hervor, ob sich alle strafrechtlichen Maßregeln nach § 61 StGB aus der staatlichen Schutzpflicht ableiten lassen sollen oder nur die Freiheitsentziehenden. Unter Zugrundele­ gung der verfassungsrechtlichen Dogmatik zu den Schutzpflichten hat sich herausgestellt, dass sich Schutzpflichten grundsätzlich aus allen Grundrech­ ten entwickeln lassen. Dabei ist der zu bietende Schutzumfang umso gewich­ sieht. Das zeigt Tendenzen einer generalpräventiven Rechtfertigung der Strafe und ist daher abzulehnen. 135  Hobbes, Leviathan, 15. Kapitel S. 117 und 28. Kapitel S. 238. In Hobbes, De Cive 6. Kapitel S. 133 ist mit dem psychologischen Zwang der Strafandrohung be­ reits ein Argument aufgegriffen, dass später durch Feuerbach ausdifferenziert wurde. Zu der Straftheorie Hobbes ausführlich Hüning, in: Leviathan, S. 235 ff. (insbes. S. 259 ff.). 136  Locke, Treatise II, 9. Kapitel § 128 und § 130.

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2. Teil: Die Maßregeln der Besserung und Sicherung

tiger, je grundlegender die betroffenen Grundrechte sind. Leib und Leben sind stets zu schützen. Hier besteht eine unbedingte Handlungspflicht des Staates. Andere Grundrechte ziehen geringere Schutzpflichten nach sich. Dem Grundsatz nach erscheint es zumindest nicht ausgeschlossen, dass sich alle Maßregeln der Besserung und Sicherung aus den grundrechtlichen Schutzpflichten rechtfertigen lassen.137 Problematisch erscheint der Ansatz, weil er aus den Grundrechten die Grundlage von Eingriffsbefugnissen macht.138 Jene verlieren zwar nicht ihre freiheitssichernde Funktion. Sie bleiben maßgeblich Abwehrrechte gegen staatliche Eingriffe. Durch die Öffnung hin zu Schutzpflichten erlangt der Staat eine politisch opportune Machtfülle unter Berufung auf die allgemeine Sicherheit.139 Das lässt sich zwar durch die Einbindung der Menschen in die Gemeinschaft und ihr gemeinschaftsbezogenes Handeln nachvollziehen und rechtfertigen. Wichtig ist jedoch, dass die Schutzpflichten eigentlich maß­ geblich durch das Untermaßverbot gekennzeichnet sind. Dieses bestimmt das unerlässliche Maß an Schutz der Gesellschaft. Bereits der Begriff „Un­ termaßverbot“ scheint jedoch einen weitaus größeren Spielraum nahezule­ gen. Die Unterschreitung eines unteren „Maßes“ ist verboten. Oberhalb exis­ tiert ein legislativer Spielraum. Dessen Obergrenze wiederum wird durch Freiheitsrechte der Bürger bestimmt. Mit anderen Worten besteht der Spiel­ raum zwischen dem zu regelnden Minimum und dem gerade noch zulässi­ gem Eingriff in die Rechte des Betroffenen. Zu häufig wird dieser Spiel­ raum legislatorisch ausgereizt. Die Maßregeln werden aus der Sicht des ge­ rade noch zulässigen Eingriffs in die Freiheitsrechte der Bürger gedacht140, anstatt aus der Sicht des eigentlich bestimmenden Untermaßverbotes. So verwundert es nicht, wenn die Rechtsprechung des Bundesverfassungsge­ richts sich der Schutzpflichtenthematik aus Sicht der Grundrechte als Ab­ wehrrechte und hier maßgeblich aus der Sicht des Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG

137  Ob die nicht freiheitsentziehenden Maßregeln, insbesondere das Berufsverbot und die phänomenologisch sehr viele Tätertypen umfassende Führungsaufsicht, tat­ sächlich unter Rückgriff auf die Schutzpflichtendogmatik gerechtfertigt werden kön­ nen, erscheint fraglich. Schutzpflichten ergeben sich hier deutlich eingeschränkter. Das muss an dieser Stelle jedoch offen gelassen werden, weil es dem begrenzten Gegenstand der vorliegenden Untersuchung nicht entspricht. Zumindest für eine ge­ nerelle Schutzpflicht aus der Berufsfreiheit: Badura, in: FS Herschel, S. 21 (34 f.). 138  Krit.: Isensee, HStR IX, § 191 Rn. 165. 139  Isensee, HStR IX, § 191 Rn. 161, 163; Conradi, S. 42. Diese Machtfülle kenn­ zeichnete bereits den Leviathan im Hobbes’schen Ansatz. Allgemein äußerst kritisch auch: P.-A. Albrecht, StV 1994, 265 ff.: „Das Strafrecht im Zugriff populistischer Politik“. Aus kriminologischer Sicht kritisch: Garland, S. 26, 59 und öfter. 140  Zu den Gründen einer zunehmenden Sicherheitsorientierung: Conradi, S. 75 ff.; kriminalpolitisch (für die USA und Großbritannien) Garland, S. 301 ff. und öfter.



1. Kap.: Maßregeltheorien im Überblick127

nähert.141 Somit bestimmt nicht das Untermaß-, sondern das Übermaßverbot die Reichweite des eröffneten Schutzes. Die Schutzverpflichtung wird über­ erfüllt. Hier kann letztlich nur eine penibel genaue Einhaltung des sich im Übermaßverbot äußernden Prinzips des überwiegenden Interesses eine ge­ wisse Einhegung der Problematik erreichen. Nach der verfassungsrechtlichen Dogmatik setzt das die staatlichen Schutzpflichten auslösende Verhalten, also der von einer Person ausgehende Übergriff in die Rechte Anderer oder die durch diesen bestehende Gefahr dazu, keine Schuld voraus. Es sollen sogar jegliche subjektiven Elemente entbehrlich sein. Ausreichend sei also, dass das Verhalten von einem Men­ schen ausgeht und nicht lediglich eine Naturgewalt darstellt.142 Damit ist zwar größtmögliche Flexibilität erreicht. Es können so scheinbar Maßregeln gegenüber Schuldfähigen wie -unfähigen gerechtfertigt werden. Andererseits ist der Ansatz aber auch undifferenziert. Die Maßregeln der Besserung und Sicherung sind phänomenologisch sehr unterschiedlich. Die Sicherungsver­ wahrung erfordert gerade ein schuldhaftes Handeln. Etliche Maßregeln kön­ nen auch gegenüber vermindert Schuldfähigen oder gar gegenüber Schuldun­ fähigen (und dann im Sicherungsverfahren) angeordnet werden, sofern nur ein rechtswidriger Übergriff droht. Es ist aber bedenklich, wenn man zur Rechtfertigung der Maßregeln nicht wenigstens auf deren kleinsten gemein­ samen Nenner rekurriert, das wäre ein tatbestandlicher und rechtswidriger Angriff, sondern sogar dahinter noch zurück bleibt. So kann sich aus dem rechtfertigenden Element kein Wesensmerkmal der Maßregeln ergeben. Jeg­ liche gesetzliche Ausgestaltung, sowie Anordnung und Vollzug sind stattdes­ sen Ausprägungen des Prinzips des überwiegenden Interesses als Maßprinzip. Wenn sich der Rekurs auf die grundrechtlichen Schutzpflichten darauf be­ schränkt, ist praktisch nichts gewonnen. Die grundrechtlichen Schutzpflichten können nach der geltenden Verfas­ sungslage Maßregeln der Besserung und Sicherung rechtfertigen. Problema­ tisch daran erweist sich, dass die Hinwendung zur Staatsaufgabe, für Sicher­ heit zu sorgen, die von den Maßregeln der Besserung und Sicherung betrof­ fenen Täter aus den Augen verlieren und an sich keinen Bezug zum Rück­ fallgefährdeten herstellen. Vielmehr erfolgt die Sicht aus der Perspektive der überwiegenden Mehrheit, welche ihr Sicherheitsinteresse durchsetzen will. Deshalb verwundert es nicht, dass die Eingrenzung der mittels der Schutz­ pflichten gesetzgeberisch umgesetzten Maßnahmen weniger am Untermaß­ verbot als vielmehr am Übermaßverbot der Abwehrrechte der Betroffenen 141  Das gilt umso mehr, als dass die grundrechtlichen Schutzpflichten auch den Bürgern eine mittels Verfassungsbeschwerde einklagbare Rechtsposition verschaffen. Vgl. Isensee, HStR IX, § 191 Rn. 321 m. w. N. aus Rechtsprechung und Literatur. 142  Isensee, HStR IX, § 191 Rn. 242 f.

128

2. Teil: Die Maßregeln der Besserung und Sicherung

erfolgt. Anders gewendet scheint der mittels der Schutzpflichten umsetzbare Spielraum bereits ausgeschöpft. Daran wird das entscheidende Problem die­ ser Herangehensweise deutlich. Die von Sicherheitsinteressen und -bedürf­ nissen geleitete Allgemeinheit respektiert die Persönlichkeit der Straftäter nicht hinreichend. Der unbestimmt bleibende Begriff des „überwiegenden Interesses“ lässt ebenso wenig konkrete Schlussfolgerungen der Abgrenzung des Freiheitsinteresses des einzelnen Straftäters gegenüber dem Sicherheits­ interesse der Allgemeinheit zu. Der von einem Täter ausgehenden Rückfall­ gefahren wird notfalls durch Entzug der Freiheit mittels Sicherungsverwah­ rung begegnet, weil es eben das überragende Interesse der Allgemeinheit an Sicherheit darstellt. Dagegen werden die Freiheitsinteressen der Täter hinten angestellt. Drastischer formuliert werden die Straftäter lediglich als Mittel zum Zweck der Gewährung eines Sicherheitsgefühls der breiten Masse in Anspruch genommen.143 3. Die Sonderopfertheorie

Vereinzelt wird auch auf den Gedanken des „Sonderopfers“ abgestellt. Dabei bleibt aber unklar, ob damit das Phänomen gemeint ist, dass die von den Maßregeln der Besserung und Sicherung betroffenen Täter eine Belas­ tung hinnehmen müssen, die die Allgemeinheit auf sie aufgrund der staatli­ chen Schutzpflicht und ausgestaltet anhand des Prinzips des überwiegenden Interesses abwälzt.144 Oder ob damit ein eigener Begründungsansatz entwi­ ckelt wird. Für Mushoff stellt der Gedanke einen eigenständigen Begrün­ dungsansatz dar.145 Mit der ursprünglichen Bedeutung, die dem Aufopfe­ rungsrecht nach den §§ 74 f. ALR (auf die auch Mushoff zurückgreift), hat die Anordnung von Maßregeln jedoch nichts gemeinsam, außer den Zwang zur Preisgabe eigener Rechte. Bereits die dafür vorgesehene (zivilrechtliche) Entschädigung kann nicht zur Rechtfertigung der Maßregeln beitragen. Dar­ über hinaus wird der Straftäter hier gar nicht entschädigt, sondern hat das Opfer auf Kosten der Allgemeinheit schlicht hinzunehmen. Der Aufopfe­ rungsgedanke bzw. das sog. Sonderopfer sind daher lediglich Begriffe, wel­ che den Charakter der Maßnahmen als „Übel“ herausstellen, die Intensität des Eingriffs beschreiben und zur Beschränkung anhalten. Dabei sind sie ungenauer als das Prinzip des überwiegenden Interesses, welches ein verglei­ chendes Element angibt. Ein Rechtfertigungsansatz ist darin nicht zu sehen. Erg. ebenso: Sánchez Lázaro, in: FS Roxin (2011) II, S. 1215 (1229 f.). wohl BVerfGE 128, 326 (374, 376); Eisenberg, NStZ 2004, S. 240 (241); Müller-Dietz, NStZ 1983, S. 145 (148). 145  Mushoff, S.  254 ff. Ähnlich Pollähne, in: Kammeier, Maßregelvollzugsrecht, B 34 ff. 143  Im

144  So



1. Kap.: Maßregeltheorien im Überblick

129

Allenfalls dient die Symbolik dazu, den gesteigerten Resozialisierungsan­ spruch des Straftäters zu verdeutlichen.146

C. Aus den Straftheorien entwickelte Maßregeltheorien Auch im Anschluss an die entwickelten Straftheorien sind Begründungen zur Rechtfertigung der Maßregeln der Besserung und Sicherung entwickelt worden. Hier sind der generalpräventive sowie der freiheitsgesetzliche An­ satz aufzuführen. Die erweiternde Deutung der v. Lisztschen Straftheorie ist bereits aufgegriffen worden.147 Anders als die jetzt vorzustellenden Ansätze konnte ihr eine eigenständige Maßregeltheorie nicht entnommen werden. I. Der generalpräventive Ansatz 1. Die Theorie

Jakobs entwickelt seine Maßregeltheorie im Zusammenhang mit der Straf­ theorie. Deren grundlegender Gedanke war, dass zwischenmenschliches Verhalten auf Erwartungen aufbaut. Normative Erwartungen könnten im Gegensatz zu kognitiven Erwartungen kontrafaktisch durchgehalten werden. Notwendig sei insofern, dass die Straftat als Widerspruch zur Norm durch die Strafe für unmaßgeblich erklärt werde und so die Allgemeinheit im Normbefolgungswillen und der Rechtstreue bestätigt wird.148 Daran knüpft die Maßregeltheorie an. Auch Jakobs geht von einem Recht auf Sicherheit aus. Zur Begründung greift er maßgeblich auf die Argumentation zur staatli­ chen Schutzpflicht zurück; freilich in anderem Gewand: Individuen folgen lediglich ihren eigenen Interessen, beispielsweise dem Erhalt von Leib und Leben. Deren Bündelung und Setzung erfolgt durch einen Gewalthaber in Form von (aus den Einzelinteressen gewonnenen) Normen. In dieser Gesell­ schaft sind die Individuen Personen.149 Wenn die Einzelinteressen auf den Erhalt von Leib und Leben, etc. gehen, so auch die neu gewonnenen Nor­ men. Folglich wird es in der Gesellschaft Normen geben, die Rechtsgüter schützen. Sie sind dann Ausdruck des Rechts auf Sicherheit.150 Das sei ent­ scheidend für die wirkliche Geltung des Rechts, welche sich aus den kogni­

146  Pollähne,

gung“

147  Siehe

in: Kammeier, Maßregelvollzugsrecht, B 40 ff. „soziale Entschädi­

oben: 2. Teil 1. Kap. B. I. 2. b) bb) (2). ausführlich oben unter: 1. Teil 1. Kap. B. II. 1. a). 149  Jakobs, Person, Norm, Gesellschaft, S. 37, 43. 150  Jakobs, ZStW 117 (2005), S. 839 (842). 148  Siehe

130

2. Teil: Die Maßregeln der Besserung und Sicherung

tiven und normativen Erwartungen der Bürger ergebe.151 Je gewichtiger ein Rechtsgut ist, desto höher sind die Anforderungen an die kognitiven wie normativen Erwartungen der Bürger.152 Die Erwartungen können in der Rea­ lität enttäuscht werden. Mit der Strafe wird vorrangig die staatliche Antwort auf eine Geltungsbeeinträchtigung normativer Erwartungen gegeben.153 Kog­ nitive Erwartungen dagegen beziehen sich auf das Faktische, also die Wirk­ lichkeit. Sie betreffen also das konkrete Verhalten von Personen. Auch die kognitiven Erwartungen an das Verhalten von Personen können schwinden und enttäuscht werden. Man kann sich des Eigentums (auch kontrafaktisch) zwar grundsätzlich sicher sein, wird aber trotzdem keiner Person, die man als notorischen Dieb kennengelernt hat, sein Eigentum schutzlos anvertrauen.154 Die hier bestehende (oder richtigerweise fehlende) kognitive Erwartung ist die Sicherheit des eigenen Eigentums durch diese Person, allgemeiner ge­ sprochen deren Rechtstreue.155 Entsprechendes gilt für die Erwartungen an Schuldunfähige. Die Wiederherstellung dieser kognitiven Erwartungssicher­ heit ist Grund und Zweck der Maßregeln der Besserung und Sicherung.156 Der Phänomenologie der Maßregeln folgend unterscheidet Jakobs, wie be­ reits dargestellt157, zwischen strafersetzenden, strafergänzenden und strafver­ tretenden Maßregeln der Besserung und Sicherung.158 Die strafersetzenden Maßregeln sind solche, die gegen schuldlos Handelnde angeordnet werden. Hier kann keine Strafe als Folge des Normbruchs erfolgen, weil den Han­ delnden die Schuldfähigkeit (in der konkreten Situation) fehlt. Es muss mit­ hin keine normative Erwartung kontrafaktisch bestätigt werden, weil es sich hier nicht um normative Erwartungen handelt. Vielmehr sei nur die kognitive Erwartung maßgeblich wiederherzustellen. Dies geschehe durch sichernde 151  Jakobs, Staatliche Strafe, S. 28 f.; ders., ZStW 117 (2005), S. 839 (841, 847); ders., Rechtszwang und Personalität, S. 43. Zur Wirklichkeit des Rechts ausführlich Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 50 ff. 152  Jakobs, ZStW 117 (2005), S. 839 (841). 153  Vgl. aber zur auch kognitiven Erwartungserhaltung als Aufgabe des Straf­ zwangs: Jakobs, Rechtszwang und Personalität, S. 33. und oben: 1. Teil 1. Kap. B. II. 1. a). 154  Jakobs, Rechtszwang und Personalität, S. 42. 155  Jakobs, ZStW 117 (2005), S. 839 (842) mit ähnlichem Beispiel; allgemeiner Jakobs, Staatliche Strafe, S. 41. 156  Jakobs, Strafrecht AT, 1 / 56 ff.; ders., Rechtszwang und Personalität, S. 44. So auch Freund, GA 2010, S. 193 (197 ff.). Nebenbei sei erwähnt, dass die von einer Maßregel betroffenen Täter nach der Terminologie Jakobs – insoweit – nicht mehr als Personen, sondern nur noch als individuelle Feinde angesehen werden, denn die Er­ wartung rechtstreuen Verhaltens macht den Personenstatus aus: Jakobs, Staatliche Strafe, S. 43; ders., ZStW 117 (2005), S. 839 (842 f.); ders., Rechtszwang und Perso­ nalität, S. 44. Insoweit kritisch: Freund, GA 2010, S. 193 (202). 157  Siehe oben: 2. Teil 1. Kap. A. II. 158  Siehe auch oben: 2. Teil 1. Kap. A. II.



1. Kap.: Maßregeltheorien im Überblick131

und bessernde Einwirkung auf die Untergebrachten, bis die von ihnen ausge­ henden Gefahren beseitigt wurden.159 Die strafergänzenden Maßregeln der Besserung und Sicherung sind solche, die gegen (vermindert) Schuldfähige neben der Strafe angeordnet werden. Gegenüber diesen kann zwar durch die Strafe eine normative Erwartung kontrafaktisch durchgehalten werden. Allerdings ist das ungenügend, um den Konflikt zu beantworten. Das liegt darin begründet, dass die kognitiven Er­ wartungen an diese Straftäter soweit erodiert sind, dass sie praktisch nur noch durch die von ihnen ausgehende Gefahr wahrgenommen werden.160 Normative Erwartungen können aber nicht durch ein Mindestmaß an kogni­ tiver Erwartungssicherheit aufrechterhalten werden. Auch hier müsse durch eine Maßregel die kognitive Sicherheit der Allgemeinheit wiederhergestellt werden.161 Indem sie also dieses Mindestmaß wiederherstellen, ergänzen diese Maßregeln die durch die Strafe durchgehaltene normative Erwartung und komplettieren so die staatliche Reaktion auf den Konflikt. Als strafver­ tretende Maßregeln der Besserung und Sicherung sind solche Maßregeln gemeint, die dem vikariierenden System nach §§ 67 Abs. 4 StGB unterliegen. Bei diesen sei im Unterschied zu den strafergänzenden Maßregeln nicht die Wiederherstellung der kognitiven Erwartungen als Mindestmaß personalen Verhaltens erforderlich, sondern, wie bei des strafersetzenden Maßregeln die Beseitigung der Gefahr.162 2. Kritische Beurteilung

Die Begründung der Maßregeln der Besserung und Sicherung durch den generalpräventiven Ansatz ist nicht überzeugend. Zum Ersten treffen die be­ reits gegen die Schuld- und Straftheorie erhobenen Einwände zu, soweit sich die Maßregeln auf schuldfähige Straftäter beziehen.163 Darüber hinaus ist problematisch, dass die Personen unabhängig der inneren Ursache der Ge­ fährlichkeit pauschal zu (zeitweiligen) Feinden erklärt werden.164 Bereits 159  Jakobs,

Strafrecht AT, 1 / 57. Ähnlich: Klesczewski, Strafrecht AT, Rn. 28. spricht hier von der kognitiven Untermauerung der normativen Erwar­ tungen: Jakobs, Staatliche Strafe, S. 42 f.; ders., ZStW 117 (2005), S. 839 (842). 161  Jakobs, Strafrecht AT, 1 / 56; ders., Rechtszwang und Personalität, S. 42 ff. (Die Ausführungen beschränken sich auf die strafergänzende Maßregel der Sicherungsver­ wahrung, vgl. S. 36.). 162  Jakobs, Strafrecht AT, 1 / 58. 163  Siehe oben: 1. Teil 1. Kap. B. II. 2. Ohne nähere Begründung ablehnend: Stratenwerth, SchwZStr 105 (1988), S. 104 (124). 164  Jakobs, ZStW 117 (2005), S. 839 (845), benutzt den Begriff freilich nur als Synonym für Gefahrenabwehrrecht, an dem sich jedoch nur allzu schnell Kritik ent­ zündet. Krit. Kleszewski, Strafrecht BT, § 18 Rn. 102 m. w. N. 160  Jakobs

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2. Teil: Die Maßregeln der Besserung und Sicherung

oben wurde kritisiert, dass es widersprüchlich sei, dem Straftäter mit der Strafe die innere Freiheit zuzusprechen und durch die neben dieser angeord­ neten Maßregel sie ihm gleichzeitig abzusprechen. Diese Kritik trifft glei­ chermaßen auf die strafergänzenden Maßregeln zu. Das Verhalten der Täter wird einerseits strafrechtlich durch die Strafe geahndet, damit die normativen Erwartungen (kontrafaktisch) bestätigt werden. Insoweit sollen sie als Perso­ nen behandelt werden. Gleichzeitig werden sie, wenn auch nur „insoweit“, als Feinde behandelt, weil sie durch die Erosion der kognitiven und damit auch der normativen Erwartungen nichts zur Wirklichkeit des Rechts beitra­ gen. Das gilt auch, wenn mit „insoweit“ nur eine partielle Entpersonalisie­ rung gemeint sein soll.165 Denn die Entpersonalisierung betrifft den Entzug der spezifischen Interaktionsmittel, also im Fall von freiheitsentziehenden Maßregeln die (Fortbewegungs-)Freiheit.166 Im Übrigen blieb anfangs unge­ klärt, warum nicht auch die Zerstörung der kognitiven Erwartungen durch schwere Straftaten mit der Strafe angegangen wird. Konkretisierend hat Ja­ kobs nun auch die kognitive Untermauerung der Normen zur Aufgabe der Strafe erklärt.167 Damit ist die Grenze zwischen Strafe und Sicherungsver­ wahrung, die auch Jakobs betont168, unklar geworden. II. Der freiheitsgesetzliche Ansatz 1. Theoretische Annahmen

Köhlers Straftheorie entfaltete die staatliche Strafe anhand des Rechtsbe­ griffs. Recht sind die nach freiheitlichen Bedingungen gesetzten und Freiheit im weiteren Sinne gewährende Normen in einer Gesellschaft und Unrecht eine Beschränkung dieser Rechte. Dem Recht immanent ist die Befugnis durch Zwang Unrecht zu vermeiden. Wenn Unrecht in der weitere Vorausset­ zungen erfüllenden Form eines Verbrechens geschieht, ist eine staatliche Reaktion geboten. Diese ist die Strafe. Dadurch wird das Recht wiederherge­ stellt und die nicht verallgemeinerungsfähige Handlungsmaxime des Straftä­ ters, die handlungsleitend zur Straftat geführt hat, für unmaßgeblich erklärt. Die Bildung dieser Maxime stellt das Ausmaß der Schuld des Täters dar, auf welche die Strafe reagiert.169 Für eine Maßregeltheorie ergibt sich daraus Folgendes: 165  Sog. „Relativität des Personenstatus“ Jakobs, Staatliche Strafe, S. 43 und Fn. 193. 166  Jakobs, ZStW 117 (2005), S. 839 (847). 167  Siehe oben: 1. Teil 1. Kap. B. II. 1. a). 168  Jakobs, Rechtszwang und Personalität, S. 44. 169  Zum Ganzen oben: 1. Teil 2. Kap. C. II. 1.



1. Kap.: Maßregeltheorien im Überblick133

Wenn erstens Recht die Bedingungen der interpersonellen Freiheit be­ schreibt. Und wenn zweitens diese Freiheiten nur durch Übergriffe in die Freiheitssphäre Anderer durch Angriffe darauf gestört werden kann, anderen folglich Unrecht geschieht. Dann kann letztlich eine – lediglich abstrakte – Gefahr von Übergriffen, also die Gefahr, dass einem beliebigen Dritten ein nicht hinreichend absehbares Unrecht geschieht, noch kein Kriminalunrecht an sich sein.170 Die Rechtsbeziehungen der Bürger werden dadurch nicht negiert. Folglich ist jede staatliche Beschränkung von Rechten zur Gewähr­ leistung einer Sicherheit vor abstrakten Gefahren von Angriffen an sich Un­ recht. Weil die Maßregeln der Besserung und Sicherung nach überwiegender Auffassung genau darauf abzielen, stellen sie Unrecht dar und sind folglich gegenüber den Betroffenen so nicht zu rechtfertigen.171 Das gilt vor allem für die nach dem geltenden Recht gegen (vermindert) schuldfähigen Personen zulässigen Maßregeln. Aber die „Gefährdungspotenziale“ bleiben nach der freiheitsgesetzlichen Theorie nicht unbeantwortet. Vielmehr sei nach Köhler zu differenzieren. „Maßregeln“ gegenüber Schuldfähigen werden nach Köhler in die Strafe aufgenommen.172 Das bedeutet, dass sie als Strafe aufgrund habitueller Schuld gegenüber dem Straftäter gerechtfertigt sind. Denn die Strafe ist an der persönlichen Schuld des Täters für das begangene Strafunrecht ausge­ richtet. Die Schuld, bei Köhler als Willensschuld ausgewiesen, wiederum bezieht die Haltungsbildung des Straftäters ein, indem der Blick auch auf die ihm individuell und institutionell gegebenen Umstände (vor allem familiäre und gesellschaftliche) gelegt wird.173 Durch diese Erfassung der Schuld als Prozess, im Gegensatz zu einer lediglich augenblicklichen Tatentscheidungs­ schuld, inkorporiert die Willensschuld auch den Grad der Entwöhnung von einer verallgemeinerungsfähigen, rechtlichen Handlungsmaxime. Als solche bildet die Willensschuld die habituellen Lebensentscheidungen ab, die nach herrschender Auffassung die Gefährlichkeit eines Straftäters ausmacht. Der Zusammenhang ist entgegen der überwiegenden Auffassung schuldvermittelt, weshalb eine Strafe die richtige staatliche Reaktion für habituelle Kriminali­ tät darstellt. Der Bezug ist vergangenheitsorientiert auf das Strafunrecht ausgerichtet.174 Bereits dargestellt wurde, dass dieser Grundzusammenhang zwischen Willensschuld und Strafe den besonderen Resozialisierungs­ 170  Köhler,

Strafrecht AT, S. 31 f.; ders., in: FS Jakobs, S. 273 (281). in: FS Lackner, S. 11 (37); ders., in: FS Jakobs, S. 273 (279). 172  Köhler, Begriff der Strafe, S. 80 ff.; ders., Strafrecht AT, S. 55 und öfter; Klesczewski, HRRS 2010, S. 394 (402). Ähnlich: Mayer, S. 42 ff.; ders., ZStW 80 (1968), S. 139 (159). 173  Köhler, in: FS Jakobs, S. 273 (283, 287); Klesczewski, HRRS 2010, S. 394 (401 f.); ders., Rolle der Strafe, S. 377 f. Nahestehend: Mayer, S. 166. 174  Köhler, in: FS Jakobs, S. 273 (284 f., 286 ff.). 171  Köhler,

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2. Teil: Die Maßregeln der Besserung und Sicherung

anspruch des Straftäters betont, weil die Verantwortlichkeit für die Straftat nicht alleinig beim Straftäter liegt.175 Das gilt natürlich gleichermaßen für habituelle Kriminalität. Betreffend die Maßregeln gegenüber schuldunfähigen Personen, also straf­ ersetzenden Maßregeln, ist eine eigenständige Rechtfertigung dieser Siche­ rungsmaßregeln im eigentlichen Sinne notwendig.176 Für Köhler ist die Situ­ ation mit der eines Defensivnotstandes vergleichbar.177 Das würde bedeuten, dem Schuldunfähigen die Pflicht zur Beseitigung drohenden Unrechts aufzu­ erlegen, welcher er aber nicht nachkommen kann und hätte zur Folge, dass die Rechtsgüter des Schuldunfähigen zur verhältnismäßigen Abwehr in An­ spruch genommen werden dürften.178 Ergänzend zu dieser Begründung wer­ den auch die strafersetzenden Maßregeln als Recht der Person ausgewiesen: Für Köhler stellen  – ausgehend vom Rechtsbegriff  – auch die Handlungen Schuldunfähiger rechtliche Handlungen dar. Als Personen im Recht bedürfen daher die strafersetzenden Maßregeln auch speziell ihnen gegenüber einer Rechtfertigung.179 Diese Rechtfertigung muss berücksichtigen, dass die schuldunfähigen Personen nicht in der Lage sind einen vernünftigen Willen zu bilden und danach zu handeln. An dieser Stelle greift Köhler auf den Gedanken der hypothetischen Einwilligung zurück: Würden die Personen einen gültigen Willen bilden können, müssten sie gewissermaßen Einsicht in ihre Handlungsbedürftigkeit und daher auch der Anordnung sichernder Maß­ regeln ihnen gegenüber zeigen.180 Damit sind die strafersetzenden Maßregeln dem Grunde und dem Maß („verhältnismäßig“), als auch als Recht der Schuldunfähigen gerechtfertigt. 2. Kritische Beurteilung

Die freiheitsgesetzliche Theorie liefert einen vorpositiven Begründungsan­ satz für die Rechtfertigung der Maßregeln der Besserung und Sicherung. Sie ist damit den Maßregeltheorien überlegen, die von der geltenden Rechtslage ausgehen, denn eine rechtspositive Begründung muss nicht zwingend eine legitime Rechtfertigung bieten. Aber auch sie ist Kritik ausgesetzt. So ausdif­ oben: 1. Teil 1. Kap. C. II. 1. b) und c). s. a. Mayer, S. 155. Ausführungen hierzu bleiben aber vage; vgl. Köhler, Begriff der Strafe, S. 81 f.; ders., Strafrecht AT, S. 55 und am ausführlichsten: ders., in: FS Jakobs, S. 273 (286). 177  Köhler, Begriff der Strafe, S. 81 und deutlich ders., in: FS Jakobs, S. 273 (286). 178  Zum Grundprinzip des Defensivnotstandes: Klesczewski, Strafrecht AT, Rn. 328 ff. 179  Köhler, in: FS Jakobs, S. 273 (286); ders., Begriff der Strafe, S. 81 f. 180  Köhler, in: FS Jakobs, S. 273 (286); ders., Strafrecht AT, S. 55. 175  Siehe 176  Die



1. Kap.: Maßregeltheorien im Überblick135

ferenziert die Theorie im Rahmen der durch die Strafgerechtigkeit aufgeho­ benen Maßregeln gegen Schuldfähige ist, so vage bleibt der Ansatz bei der Rechtfertigung der Maßregeln gegenüber Schuldunfähigen. Hier bemüht Köhler mehrere strafdogmatische Rückgriffe (Notstandsrecht181 und hypo­ thetische Einwilligung), um Grund und Grenze der strafvertretenden Maßre­ geln zu bestimmen. Es scheint, dass an dieser Stelle noch keine abschlie­ ßende Begründung erfolgt ist.182 Richtigerweise differenziert Köhler aber auf Rechtfertigungsebene nach Maßregeln gegenüber Schuldfähigen und Schuld­ unfähigen. Dagegen waren etliche der bereits dargestellten Maßregeltheorien dem Einwand der Undifferenziertheit ausgesetzt. Die Aufnahme der von den Straftätern ausgehenden Rückfallgefahren in die Strafe ist nicht unbedenklich. Nach dieser Auffassung wäre das Maß der habituellen Schuld im Strafverfahren festzustellen.183 Zwar läge darin wohl nicht die Gefahr einer allgemeinen Erhöhung des Strafniveaus, wenn in je­ dem Strafverfahren die Willensschuld des Täters zugrunde gelegt werden würde.184 Auch eine Überbeanspruchung der sowieso schon knappen Res­ source Justiz dürfte nicht die Folge sein.185 Denn es ist nur ein verschwindet kleiner Teil der Straftaten habituell bedingt. Allerdings ist im Strafprozess wohl im Grundsatz nur die Feststellung möglich, ob die Straftaten Ausdruck der Habitualität sind. Damit würde vor allem das Vorliegen der habituellen Entwöhnung an sich festgestellt. Auf ähnliche Weise werden ja auch der Hang und die Gefährlichkeit i. R.v. § 66 StGB nach geltendem Recht durch Sachverständige gutachterlich festgestellt.186 Schwieriger erscheint das Vor­ liegen des konkreten Maßes zu bestimmen, welches wiederum zur konkreten Bestimmung des Maßes der erhöhten Strafe heranzuziehen wäre. Denn hierzu ist u. U. die komplette Biografie des Täters heranzuziehen. Im Gegensatz dazu ergibt sich im Bereich von vereinzelt bleibender Kriminalität die Schuld weitgehend aus dem verwirklichten Unrecht und beschränkt sich somit auf eine Momentaufnahme. Auch hier kann es, je nach konkretem Fall, nötig sein vertiefte Feststellungen zur Schuld bzw. Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) zu treffen. Aber auch diese beschränken sich auf ein weitgehend klar umris­ senes Geschehen und betreffen nicht einen Längsschnitt im Leben des Täters und damit einhergehend dessen Lebensführung. Die Tatschuld de lege lata und die habituelle Schuld weisen zwar einen einheitlichen Ursprung auf. Jakobs, Rechtszwang und Personalität, S. 40 Fn. 120. in: FS Jakobs, S. 273 (286): „in Betracht zu ziehen“, „ähnlich dem Gedanken der mutmaßlichen Einwilligung“. 183  Klesczewski, HRRS 2010, S. 394 (403) plädiert hier für ein Schuldinterlokut, also der vorrangigen und getrennten Klärung der Schuld- vor der Straffrage. 184  So aber Jakobs, Rechtszwang und Personalität, S. 40. 185  Krit. Frisch, in: Prognoseentscheidungen, S. 55 (63 f. relativierend aber 83 f.). 186  Siehe unten: 2. Teil 2. Kap. D. II. 4. b) aa) und bb). 181  Zustimmend: 182  Köhler,

136

2. Teil: Die Maßregeln der Besserung und Sicherung

Deswegen ist die habituelle Schuld Teil der Tatschuld. Die jeweils zu treffen­ den Feststellungen weichen dagegen voneinander ab. Köhler hat zwar ange­ deutet, dass die habituelle Schuld Maßdifferenzierungen zugänglich sei187, diese aber gerade für den hier interessierenden Bereich der gefährlichen Rückfalltäter bisher weitgehend offengelassen.188 Die Feststellung der Habi­ tualität darf nach Köhler konsequenterweise lediglich in die Vergangenheit gerichtet sein.189 Durch den Vergangenheitsbezug kann eine positive Verhal­ tensänderung jedoch kaum erfasst werden. Weder gegenwärtige, noch künf­ tige Entwicklungen finden hinreichend Beachtung.190 Das ist beispielsweise bedenklich, wenn sich der Täter frühzeitig als nicht mehr gefährlich erweist. Die (Strafrest-)Aussetzungsmöglichkeiten bieten hier nur beschränkte Reak­ tions- und Einflussnahmemöglichkeiten. Der Bezug der Willensschuld würde eine weitere Problematik beinhalten: man kann sich durchaus weitergehend seiner Rechtschaffenheit entwöhnt haben, als es Ausdruck in den abzuurteilenden Straftaten findet, an welche strafergänzende Maßregeln anknüpfen.191 Die Gründe können vielschichtig und in der Täterpersönlichkeit tief verwurzelt sein.192 Die Aufarbeitung darf nicht dem Strafprozess, sondern muss einer Therapie überlassen bleiben. Die Feststellung dieser Schuld, insbesondere im Hinblick auf eine Maßabschich­ tung, wäre eine weitere Aufgabenzuweisung an das Tatgericht. Zudem lassen sich Konstellationen denken, in denen das Rechtsverhältnis durch die gege­ benenfalls komplett vollzogene (und um die habituelle Komponente erwei­ terte) Strafe nicht wiederhergestellt ist. Es ist durchaus möglich, dass sich die Haltung und Einstellung habituell Krimineller zum Recht im Laufe des 187  Köhler,

in: FS Lackner, S. 11 (37). Köhler, in: FS Jakobs, S. 273 (291 und öfter). Ausführlich zu verschie­ denen sozial- und legalbiografischen Kriterien: Kinzig, S. 173 ff. und S. 199 ff. Da­ nach liegen in den Fällen der Rückfallkriminalität regelmäßig depravierte familiäre wie soziale Verhältnisse vor. Eine Aussage zum Maß des Einflusses eines jeweiligen Faktors auf die habituelle Kriminalität kann dem aber nicht entnommen werden. 189  Kritisch erscheint dann der Perspektivenwechsel, wenn Köhler (in: FS Jakobs, S. 273 (284 f.); ähnlich ders., Strafrecht AT, S. 589) formuliert: „Das bedeutet aber auch, mit der Kontinuität der Persönlichkeit, ihrer Habitualität auch in der möglichen Neigung zu schweren Verbrechen zu rechnen, so daß die offene Zukunftsträchtigkeit solchen in der Tat schon realisierten und bewiesenen Potentials auch im Sanktions­ maß sich niederschlagen muß.“ [Hervorhebung nicht im Original]. 190  Insoweit skeptisch auch: Jakobs, Rechtszwang und Personalität, S. 40 und Fn. 124. 191  Nach Jakobs, Rechtszwang und Personalität, S. 41 Fn. 125 beispielsweise, wenn ein Straftäter zuvor jahrelang lediglich straflose Vorbereitungshandlungen be­ gangen hat. Es ließe sich auch denken, dass eine Reihe weiterer, unentdeckter Straf­ taten von dem Straftäter begangen wurden. 192  Eindrucksvoll in Bezug auf die familiären Verhältnisse: Klesczewski, Rolle der Strafe, S. 191 ff. 188  Zuletzt



1. Kap.: Maßregeltheorien im Überblick137

Strafvollzugs nicht ändert. Erweist sich der Straftäter nach dem Vollzug noch immer als höchst gefährlich, wäre er nach dieser Auffassung dennoch zu entlassen, weil aufgrund des Schuldgrundsatzes die Strafe stets bestimmt anzugeben ist.193 Nun mag der Gesellschaft ein gewisses Restrisiko durchaus zuzumuten bzw. der Rückfallgefahr durch weniger beschwerende Maßregeln (bspw. der Führungsaufsicht) beizukommen sein. Deswegen ist es im Bereich vereinzelt bleibender Kriminalität auch gesellschaftlich hinzunehmen, einen Strafgefangenen am Ende des Strafvollzugs in die Freiheit zu entlassen. Das­ selbe gilt aber nicht für den Bereich der habituellen Kriminalität. Die Sicher­ heitsinteressen Aller hier sehenden Auges preiszugeben, weil im Strafurteil eine maximale Vollzugsdauer angegeben wird, erscheint bedenklich.194 Das muss jedoch nicht bedeuten, dass die straftheoretische Rechtfertigung von Maßregeln gegenüber Schuldfähigen nach Köhler abzulehnen wäre. Die Rechtfertigung einer staatlichen Reaktion gegenüber habituell schuldhaft handelnden und damit potentiell gefährlichen Straftätern gelingt der Theorie an sich. Sie wird in die Strafe aufgenommen und erweist sich (vorpositiv) als sein Recht. Ein Zweites ist dann die praktische Umsetzung der aufgeworfe­ nen Probleme, insbesondere der Umgang mit dem Maß der habituellen Schuld.

D. Zusammenfassung Alle Begründungsansätze für die Maßregeln der Besserung und Sicherung sind Einwänden ausgesetzt. Bereits an sich nicht tragfähig sind die Begrün­ dungen aus einem staatlichen Notwehrrecht, der Verwirkungsgedanke, die Begründung anhand der Unfähigkeit zu selbstbestimmten Leben, sowie utili­ taristische Konzepte. Allesamt zeigen richtige Aspekte auf, verfehlen aber den Kern einer legitimen Rechtfertigung. Einer Rechtfertigung von Maßre­ geln kommen Ansätze näher, welche zwischen den verschiedenen Arten der Maßregeln unterscheiden. Denn diese unterscheiden sich nicht nur danach, ob sie die Schuld(un)fähigkeit der Betroffenen voraussetzen, sondern sind auch sonst in Bezug auf die Grundrechte der Betroffenen unterschiedlich. Daran leiden die Theorien, die die Maßregeln in einem einheitlichen Grund gerechtfertigt sehen, denn es müssen weitere Prinzipien (regelmäßig für die Maßregeln gegenüber Schuldunfähigen) eingeführt werden. Aber auch sofern differenziert wird, gelingt es nicht überzeugend, alle Maßregeln hinreichend zu rechtfertigen. Beschränkt man sich dagegen auf einen positivrechtlichen ausdrücklich auch Köhler, in: FS Jakobs, S. 273 (289). wäre wohl konsequenterweise mit Exner, S. 144 und Mayer, S. 50, 122; ders., ZStW 80 (1968), S. 139 (159) darauf zurückzukommen, dass eben doch „unbe­ stimmte Strafe verdient“ ist. 193  So

194  Daher

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2. Teil: Die Maßregeln der Besserung und Sicherung

Ansatz, so erweist sich die Rechtfertigung der Maßregeln anhand der staatli­ chen Schutzpflicht gegenüber seinen Bürgern als hinreichend. Versucht man allerdings diesen positivrechtlichen Ansatz auf ein vorpositives Fundament zu stellen, erweist sich auch dieser als defizitär. Im Ergebnis kann festgehalten werden, dass die verschiedenen Maßregeln der Besserung und Sicherung nach geltendem Recht jeweils nur für sich zu rechtfertigen und auf einen einheitlichen Rechtfertigungsgrund verzichtet werden muss.195 Das soll im Folgenden Kapitel für die Sicherungsverwah­ rung unternommen werden. 2. Kapitel

Die Sicherungsverwahrung im Besonderen Auf die Sicherungsverwahrung ist eigens einzugehen. Ihre rechtliche Zu­ lässigkeit ist besonders kritisch zu hinterfragen. Weil die kulturgeschichtliche Entwicklung nicht in demselben Maße zur Beförderung der Rechtfertigungs­ debatte geführt hat, wie bei der Straftheorie, wird die historische Darstellung im Folgenden auf die unmittelbar zur geltenden Rechtslage erforderliche gesetzgeberische Entwicklung zu beschränken sein. Danach wird auf die Bedenken gegen eine Sicherungsverwahrung einzugehen und diese europaund verfassungsrechtlich zu würdigen sein.

A. Rechtfertigung Zunächst einmal ist die Rechtfertigung der Sicherungsverwahrung zu erör­ tern. Diese ist durch die oben dargestellte allgemeine Maßregeltheorie vorge­ zeichnet. Vereinzelt wurde dagegen gefordert, dass die Sicherungsverwah­ rung abgeschafft werden soll.196 Gegen diese abolutionistische Auffassung soll die Sicherungsverwahrung hier inhaltlich gerechtfertigt werden. Als Konsequenz der Rechtfertigung und der hier vertretenen Auffassung wird eine eigene Terminologie eingeführt. I. Rechtfertigung der Sicherungsverwahrung 1. Ausgangslage

Es ist bereits oben dargestellt worden, dass der Gedanke eines staatlichen Notwehrrechts oder die verschiedentlichen Arten der Verwirkung, sei es der 195  So

bereits Exner, S.  235 ff. bspw. Pollähne, in: NomosKomm StGB, § 61 Rn. 39, 43 m. w. N.

196  Vgl.



2. Kap.: Die Sicherungsverwahrung im Besonderen

139

Fähigkeit gesellschaftlicher Integration oder der zugrundeliegenden Grund­ rechte, zwar etwas für sich haben, aber eine Rechtfertigung nicht leisten können. Auch die Persönlichkeit der Straftäter missachtenden spezialpräven­ tiven (Sicherungsstrafe) oder positiv generalpräventiven Ansätze vermögen hier nicht zu überzeugen. Vor allem bleibt nach der Theorie der positiven Generalprävention fraglich, warum die strafergänzenden, also gegenüber Schuldfähigen angeordnete und vollzogene Maßregeln, nicht in der Strafe aufgehen. Denn für Jakobs erhält die Strafe sowohl die normativen als auch die kognitiven Erwartungen.197 Und durch die strafergänzenden Maßregeln soll die kognitive Sicherheit der Allgemeinheit erhalten werden.198 Folglich läge es nahe, dass die Maßregeln gegenüber Schuldfähigen nicht strafergän­ zend, sondern als Teil der Strafe zu begreifen wären. Dem Einwand versucht Jakobs zwar durch eine „Einwilligung“ des Straftäters zu begegnen. Eine solche könne lediglich eine Person erklären. Bei den Sicherungsverwahrten – als Feinden  – ist die Einwilligung jedoch ausgeschlossen.199 Das kann nicht überzeugen, weil es auf eine unverständliche Spaltung der betroffenen Straf­ täter hinausläuft („partielle Entpersonalisierung“). Im Übrigen ist unver­ ständlich, warum es mit der Einwilligung in Strafe auf den Täter ankommt, wenn die Theorie Recht, Verbrechen und Strafe aus der Perspektive der rechtstreuen Allgemeinheit bestimmt. Auch ein „Recht auf Sicherheit“ kann die Sicherungsverwahrung nicht hinreichend rechtfertigen. In der Anlehnung an Hobbes und Locke steckt je­ doch ein richtiger Gedanke. Erst der Zusammenschluss der Menschen in ei­ ner Gesellschaft bietet den Individuen im Gegenzug für einen (fast) umfas­ senden Verzicht auf eine eigenständige Rechtsdurchsetzung die nötige Si­ cherheit ihrer Rechte und gewährleistet so Freiheit.200 Nach Hobbes garantiert der Staat so Sicherheit, was jedoch totalitäre Züge aufweist. Mit Locke wird er zum Garanten von Freiheit. Undifferenziert ist der Ansatz aber im Hin­ blick auf das Verhältnis eines Straf- und Maßregelrechts. Der Gedanke kann jedoch weiterentwickelt werden: Durch den Zusammenschluss in einer Ge­ sellschaft „verzichten“ die Individuen auf einen Teil ihrer Rechte. Diese Be­ schränkung der Rechte kann durch eine freiheitsgesetzliche Interpretation von Recht und Unrecht erklärt und damit die nötige Begründung der Siche­ rungsverwahrung geliefert werden.

197  Jakobs,

Staatliche Strafe, S. 32; ders., Rechtszwang und Personalität, S. 33. Strafrecht AT, 1 / 56. 199  Jakobs, Staatliche Strafe, S. 32, 42. 200  s. a. Kant, MS, AA VI, S. 237. 198  Jakobs,

140

2. Teil: Die Maßregeln der Besserung und Sicherung 2. Freiheitsgesetzliche Rechtfertigung dem Grunde nach

Möglich ist also die, wohl gemerkt vorpositive, Deutung der Sicherungs­ verwahrung als staatliche Reaktion auf begangenes Unrecht.201 So gesehen bestehen keine Bedenken gegen die Sicherungsverwahrung. Kritik wirft – aus Sicht des freiheitsgesetzlichen Ansatzes  – erst die staatliche, also ein­ fachgesetzliche, Ausgestaltung auf. Denn danach müsste die Zweispurigkeit der strafrechtlichen Rechtsfolgen aufgehoben werden. Die derzeitige gesetz­ liche Regelung differenziert dagegen zwischen einer gewissermaßen ledig­ lich eine Momentaufnahme darstellenden Tatschuld und einer davon abge­ koppelten verhaltensbedingten zusätzlichen Maßnahme, der Sicherungsver­ wahrung. Dadurch wird ein einheitlicher Zusammenhang entgegen seiner Natur aufgespalten.202 Die Tat ist nicht nur Ausdruck einer an sich wider­ sprüchlichen, aktuellen Entscheidung für das Unrecht. Sie ist in ihrer Ge­ samtheit auch als Folge der bestehenden, möglicherweise depravierten inter­ personellen Verhältnisse zu begreifen. Diesem in der Kriminologie vielfach nachvollzogenen Zusammenhang203 wird durch die Willensschuld strafrecht­ lich Geltung verliehen. Die Unterscheidung wäre unproblematisch, wenn sie folgenlos wäre. Allerdings verstellt die einfachgesetzliche und vielfach auch bereits legitimatorische vollzogene Trennung von Strafe und Sicherungsver­ wahrung den Blick auf einen wesentlichen Zusammenhang: Wie bereits dar­ gestellt, wird in der Willensschuld auch die gesellschaftliche Mitverantwor­ tung für Kriminalität aufgenommen und findet so ebenfalls Ausdruck in Strafe. Im Bereich habitueller Schuld wird damit das gesteigerte Resoziali­ sierungsinteresse des Straftäters gerade auch als sein Recht legitimatorisch begründet.204 Alle anderen legitimatorischen Ansätze zur Begründung der Sicherungsverwahrung gelingt es nicht, dieses Verhältnis hinreichend zu be­ gründen. Die Aufgabe der Sicherungsverwahrung war danach vor allem re­ duziert auf die Sicherung der Allgemeinheit vor dem rückfallgefährdeten Straftäter. Und auch in der gesetzlichen Ausgestaltung stand bisher weitge­ hend das Sicherungselement im Vordergrund. Dabei dürfte ohne weiteres die Resozialisierung rückfallgefährdeter Straftäter die optimale Sicherung der Allgemeinheit darstellen. In jüngster Zeit wird, aus straftheoretischer Sicht 201  Köhler,

in: FS Jakobs, S. 273 (286); Klesczewski, HRRS 2010, S. 394 (402). Exner, S. 128, 130 f. hatte bereits betont, dass die Schuldhaftigkeit des Verhaltens des Täters den notwendigen Zusammenhang zwischen Strafe und „Schutz­ mittel“ darstellt. 203  Münster, in: Göppinger, § 12 Rn. 22 ff.: „biosoziale“ Modelle, Sozialisations­ theorien und Kontrolltheorien. Nach Kaiser, Kriminologie, § 46 Rn. 10 lassen sich Zusammenhänge vor allem mit Sozialisationstheorie, der Bindings- sowie der Kon­ trolltheorie begründen. 204  Siehe oben: 1. Teil 1. Kap C. II. 1. c). 202  Auch



2. Kap.: Die Sicherungsverwahrung im Besonderen141

völlig zu Recht, auch die resozialisierende Aufgabe der Sicherungsverwah­ rung betont.205 Wie noch zu zeigen sein wird, findet dieser Aspekt in der strafergänzenden Anwendung der Sicherungsverwahrung keine hinreichende Berücksichtigung. 3. Strafergänzende Anwendung

Neben dieser grundsätzlichen Rechtfertigung ist jedoch ebenso zu berück­ sichtigen, dass es den staatlichen Gewalten, insbesondere dem Gesetzgeber, obliegt, wie sie ihre Aufgaben, hier die Sicherheit der Bürger, erfüllen. Dabei besteht ein weiter Spielraum.206 Diesen hat der deutsche Gesetzgeber durch die Einführung eines zweispurigen Rechtsfolgensystems in Bezug auf die Sicherungsverwahrung ausfüllend genutzt.207 Das ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Dem gesteigerten Resozialisierungsbedürfnis ist dann auf an­ dere Weise Rechnung zu tragen. Insoweit ist nämlich zu bedenken, dass einer einfachgesetzlichen Ausgestaltung der Sicherungsverwahrung als Strafe nicht unerhebliche Schwierigkeiten bestehen: Die nötige Feststellung der relevan­ ten Kriterien im Strafverfahren, also Hang und Gefährlichkeit, bzw. nach der freiheitsgesetzlichen Theorie der Habitus208, ist zwar der Art nach, also be­ züglich des Bestehens oder Nichtbestehens, aber nur schwerlich209 dem Umfang nach möglich.210 Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Beschuldigte sich durch zulässiges Verteidigungsverhalten, insbesondere 205  Siehe

unten: 2. Teil 2. Kap. D. II. 2. b). unten: 2. Teil 2. Kap. D. II. 3. b) bb). 207  BVerfGE 128, 326 (378) unter Betonung, dass der Gesetzgeber in diesem grundrechtssensiblen Bereich verpflichtet ist, ein umfassendes Regelungskonzept um­ zusetzen, welches keine Anwendungsfragen offenlässt. 208  Insbesondere ersterer wird mit dem Habitus gleichgesetzt: Köhler, in: FS Ja­ kobs, S. 273 (291); Klesczewski, HRRS 2010, S. 394 (402). Zur materiellrechtlichen Umformulierung auch der sog. formellen Voraussetzungen der Sicherungsverwah­ rung: Köhler, NJW 1975, S. 1150 (1152 f.). 209  So selbst Köhler, in: FS Jakobs, S. 273 (289). s. a. Henkel, Strafe, S. 29, 47 f.; Roxin, ZStW 96 (1984), S. 641 (649); Kaiser, Kriminologie § 84 Rn. 7; Hanack, in: LeipzigerKomm StGB10, § 66 Rn. 12 unter Verweis auf die entsprechende Diskussion im Gesetzgebungsverfahren zum Ersten Strafrechtsreformgesetz. Wohl auch Exner, S. 143 und Dreher, Gerechte Strafe, S. 85 der immer wieder hervorhebt, dass das „ob“ der Disposition, Charakter- oder Entscheidungsschuld feststellbar sei. Krit. zu den erforderlichen Prognosen und deren Verfahren: Villmow, in: NomosKomm StGB, Vor §§ 38 ff. Rn. 16. Allgemein kritisch zur Feststellbarkeit einer Lebensführungs­ schuld im Strafverfahren: Schaffstein, in: FS Gallas, S. 99 (109); Schroth, in: FS Roxin (2011) I, S. 705 (713). 210  Zur erforderlichen tatrichterlichen Feststellung des Vorliegens eines Hangs an sich, nicht aber dessen Ausmaßes, vgl. ausführlich unten: 2. Teil 2. Kap. D. II. 4. b) aa) (1). 206  Siehe

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2. Teil: Die Maßregeln der Besserung und Sicherung

Schweigen, einer aktiven Mitwirkung am Strafverfahren entziehen kann und darf. Die Verweigerung darf auch grundsätzlich nicht zu seinen Lasten, also auch nicht als Indiz einer rechtsfeindlichen Einstellung, herangezogen wer­ den.211 Dasselbe gilt natürlich auch im Zusammenhang mit der Hangfeststel­ lung.212 Die i. R.d. habituellen Schuld nötigen Feststellungen unterscheiden sich von denen der Tatschuld de lege lata aufgrund ihres weiterreichenden Bezugs im Leben des Täters. Daraus hat der Gesetzgeber die Konsequenz gezogen, im Bereich der habituellen Schuld anstatt auf strafprozessuale Fest­ stellungen auf Prognosen bezüglich des künftigen Verhaltens habituell Kri­ mineller zurückzugreifen. Wie im Folgenden zu zeigen sein wird, widmen sich die Vertreter des freiheitsgesetzlichen Ansatzes dagegen einer Schuldund Strafmaßdifferenzierung habitueller Delinquenz. 4. Tätertypologie und Strafmaßdifferenzierungen bei habitueller Kriminalität

Insbesondere von Köhler und Klesczewski werden aus dem Umfang der Willensschuld, Maßdifferenzierungen für die Strafe gefordert.213 Diesbezüg­ lich wäre sodann eine ausdifferenzierte, Maßdifferenzierungen ermöglichende Typologie von habitueller Kriminalität erforderlich. Diese ist bisher noch nicht abschließend geleistet. Hervorzuheben ist aber die im Anschluss an die Hegelsche Differenzierung anknüpfende Unterscheidung von persönlichen und interpersonellen Aspekten.214 Diese ermöglicht bereits eine erste Auswei­ sung verschiedener Arten von Rückfalltätern. Zu unterscheiden sind danach einerseits die haltlos Willensschwachen von den energisch kriminell Handeln­ den.215 Während erstere sich mangels einer Lebensplan in die sich bietenden sozialen Verhältnisse ergeben und dadurch bei jeder sich bietender Gelegen­ heit delinquieren, begehen letztere Straftaten aktiv und planvoll.216 Des Wei­ teren können den Sozialisierungsbedingungen entsprechend haltungsändernde Einflussfaktoren familiärer und institutioneller Art ausgemacht werden.217 211  BGH StV 2002, 19; NStZ 2010, 270 (271). Allgemein: Ott, in: KK-StPO, § 261 Rn. 38 ff. 212  BGH bei Detter NStZ 2015, 22 (25); 2015, 683 (686). 213  Köhler, in: FS Lackner, S. 11 (37); ders., in: FS Jakobs, S. 273 (283 und öfter); Klesczewksi HRRS 2010, S. 394 (397 ff.). Allgemein wohl auch: H. Kaufmann, in: FS v. Weber, S. 418 (443); Kaiser, Kriminologie, § 82 Rn. 11 f.; Mayer, S. 170. 214  Trefflich: Klesczewski, Rolle der Strafe, S. 191 ff., S. 316 f. und öfter; Köhler, in: FS Lackner, S. 11 (33). 215  Köhler, in: FS Lackner, S. 11 (32); Klesczewski, Rolle der Strafe, S. 316 f. s. a. Hellmer, ZStW 73 (1961), S. 441 (451 ff.); ders., ZStW 72 (1960), S. 397 (401 ff.). 216  Zu ersterem: Hellmer, ZStW 72 (1960), S. 397 (402); Exner, S. 93 f. Zu letzte­ rem: Hellmer, ZStW 73 (1961), S. 441 (452); s. a. Mayer, S. 166. 217  Köhler, in: FS Lackner, S. 11 (33 f.). s. a. Hellmer, ZStW 72 (1960), S. 397 (398, 405 ff.).



2. Kap.: Die Sicherungsverwahrung im Besonderen143

Freilich lassen sich die Gruppen nicht sauber von einander trennen. Erkennbar wird aber bereits eine erste Schuldmaßdifferenzierung zwischen den verschie­ denen Gruppen. Je größer der Einfluss der interpersonellen Verhältnisse, ins­ besondere der institutionellen ist, desto größer ist die gesellschaftliche Verant­ wortlichkeit und desto geringer folglich die individuelle Schuld des Täters.218 Die Problematik kann an dieser Stelle nur angedeutet werden. Festzuhalten ist aber, dass mit den Unterscheidungen der Grundstein für echte Schuldund Strafmaßdifferenzierungen gelegt ist. Das Ausmaß habitueller Schuld bleibt – vorbehaltlich einer eingehenden Ausdifferenzierung – weiterhin einer genauen strafprozessualen Feststellung verschlossen. Für habituelle Schuld eines Täters lässt sich bisher kein bestimmtes Strafmaß festlegen: Die schwierige Kindheit, die unterentwickelte Persönlichkeit, der Rückfall sind schwer in (Straf-)Quanten ausdrückbar. Zur Aufarbeitung nötig ist eine tie­ fenpsychologische Betreuung, die vom Strafverfahren weder verlangt, noch geleistet werden kann.219 Hinzukommt, dass der Beurteilung der Rückfallge­ fahr des Gewohnheitstäters ein Prognoseelement eigen ist. Menschliches Verhalten lässt sich aber nur bedingt im Voraus einschätzen.220 Das gilt so­ wohl für Fälle der Änderung als auch der Beibehaltung der habituell erwor­ benen Verhaltensmaximen. In beiden Konstellationen würde die Strafe nicht die flexiblen Mittel einer auch nach freiheitsgesetzlichen Aspekten notwendi­ gen staatlichen Reaktion bieten. Im Falle der frühzeitigen Ungefährlichkeit müssten die starren Fristen der (Strafrest-)Aussetzung geändert werden. Die Regelungen zur Vollstreckung der Sicherungsverwahrung bzw. deren Ver­ meidung sind aufgrund von Erledigung oder Aussetzung viel flexibler, als das demgegenüber insoweit starr erscheinende Strafvollstreckungsrecht. Durch diese Flexibilität kann aber der Persönlichkeit des Sicherungsverwahr­ ten und einer Haltungsänderung besser entsprochen werden.221 Das geht freilich zulasten eines im Vergleich zur Strafe unkonkreten Entlassungszeit­ punkts.222 Im Falle einer weiterhin bestehenden Rückfallgefahr beim Straf­ 218  Köhler, in: FS Lackner, S. 11 (34). Im Erg. auch H. Kaufmann, in: FS v. We­ ber, S. 418 (443). 219  Im Erg. auch Exner, S. 144. Allgemein kritisch auch Frisch, in: Prognoseent­ scheidungen, S. 55 (64). 220  Zu den Schwierigkeiten im Umgang mit Prognosen vgl. unten: 2. Teil 2. Kap. C. III. 221  So im Erg. auch Ziffer, in: FS Frisch, S. 1077 (1091) in Abgrenzung zu einer Sicherungsstrafe. 222  Die Kritik von Klesczewski, HRRS 2010, S. 394 (397 ff.) trifft daher zu. Die angebotene Lösung mag insoweit mehr Sicherheit für die Sicherungsverwahrten bie­ ten. Die Rückfallgefahr kann aber selbst nach vollständigem Vollzug bestehen blei­ ben. Bei alledem sei die Bereitschaft mitzuwirken und so der Gefahr zu begegnen, unterstellt. Sie könnte freilich rapide mit dem näher rückenden Entlassungszeitpunkt abnehmen.

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2. Teil: Die Maßregeln der Besserung und Sicherung

täter nach voller Verbüßung müsste der Straftäter dagegen aus dem Vollzug entlassen werden, obwohl das Rechtsverhältnis weder in der Person des Ge­ wohnheitstäters, noch in gesellschaftlich akzeptabler Weise wiederhergestellt ist.223 Daher ist es im Ergebnis unbedenklich, wenn der deutsche Gesetzgeber die Tatschuld im engeren Sinne zum Anlass der Strafe und den Hang bzw. habituelle Schuld und die Rückfallgefahr zum Anlass nimmt, die Sicherungs­ verwahrung anzuordnen. In ihrem Umfang hat sich die Sicherungsverwah­ rung dennoch an dem Maß der Entwöhnung von rechtlichem Handeln zu orientieren. Denn insoweit zeigt sie sich als durch die Entscheidungen des Straftäters in Interaktionsverhältnissen (basierend auf den institutionellen Rahmenbedingungen) vermittelt und als Strafe im eigentlichen Sinne. 5. Zusammenfassung

Festzuhalten ist daher: Die Sicherungsverwahrung lässt sich vorpositiv nach einem freiheitsgesetzlichen Ansatz als staatliche Reaktion auf habituelle Schuld rechtfertigen. Sie hat Strafcharakter. Ihre Ausgestaltung als Strafe ist jedoch (derzeit) nicht angezeigt, was vor allem an den Schwierigkeiten der Feststellung des Ausmaßes habitueller Schuld im Strafverfahren liegt. Die „Zweispurigkeit“ mag man durchaus kritisieren. Insbesondere ist nicht ge­ sagt, dass diese in allen Punkten gerechtfertigt ist.224 Eine grundsätzliche Rechtfertigung der Sicherungsverwahrung ist aber möglich. Bis nach frei­ heitsgesetzlichen Gesichtspunkten ein überzeugendes Konzept geliefert wer­ den kann, muss man im Grunde die zweispurige Ausgestaltung nach gelten­ dem Recht dulden. II. Terminologie Im Anschluss an diese Rechtfertigung soll eine eigene Terminologie einge­ führt werden. Diese beruht bewusst nicht auf der im geltenden Recht ver­ wendeten Terminologie, sondern ist Ausdruck des straftheoretischen Funda­ ments der „Sicherungsverwahrung“. Aufgrund der wesensmäßigen Identität von staatlicher Strafe und „Sicherungsverwahrung“ ist es geboten, für beide den gemeinsamen Oberbegriff „Strafe“ zu verwenden. In Abgrenzung beider voneinander soll einerseits von „Strafe“ und andererseits von „strafgleicher krit. Freund, GA 2010, S. 193 (204). betrifft beispielsweise die immer wieder reduzierten formellen Vorausset­ zungen, die nur noch ansatzweise einen „Hang“ wiederspiegeln. Insoweit krit.: Köhler, in: FS Jakobs, S. 273 (276). Klesczewski, HRRS 2010, S. 394 (402) fordert ein durchgängig qualifiziertes Rückfallerfordernis i. S. v. § 66 Abs. 1 StGB. Frisch, ZStW 102 (1990), S. 343 (374) fordert „eine Reihe von vergleichbaren Straftaten“. 223  Allgemein 224  Das



2. Kap.: Die Sicherungsverwahrung im Besonderen145

Unterbringung“ gesprochen werden. Damit wird der Unterschied in der Voll­ streckung nach geltender Rechtslage betont. Durch das Adjektiv „strafgleich“ wird die Strafidentität betont. Durch das Substantiv „Unterbringung“ soll die nötige Hinwendung zur Resozialisierung, im Vergleich zu dem im Wort Si­ cherungsverwahrung zum Ausdruck kommenden Sicherungselement, betont werden. Gleichzeitig wird die Terminologie dadurch an die weiteren straf­ ergänzenden Maßregeln angepasst, welche auch von Unterbringung sprechen. Als Strafe knüpfen beide an (mindestens eine) schuldhafte Straftat an. Die Schuld des Straftäters ist Voraussetzung für die Strafe und die strafgleiche Unterbringung. In den Fällen, in welchen eine strafgleiche Unterbringung nicht in Betracht kommt, wird die Strafe maßgeblich durch die „Tatschuld im engeren Sinn“ bestimmt. Durch die Bezeichnung „im engeren Sinn“ soll ausgedrückt werden, dass die auf eine vereinzelt gebliebene Straftat folgende Strafe im Wesentlichen ohne Berücksichtigung habitueller Schuld zugemes­ sen wird. Demgegenüber wird in den Fällen der strafgleichen Unterbringung die habituelle Schuld bzw. „Tatschuld im weiten Sinn“ der Anordnungs- und Vollstreckungsentscheidung zugrunde gelegt. Mittels „Tatschuld im weiten Sinn“ soll zum Ausdruck kommen, dass dem Straftäter hier nicht seine ­komplette Lebensführung i. S. e. „Lebensführungsschuld“ vorgeworfen wird. Vielmehr muss betont werden, dass es sich auch bei der habituellen Schuld letztlich um einen Aspekt der Tatschuld handelt. In dem Vollzug der Strafe wird vom Straftäter üblicherweise als „Strafge­ fangener“ oder „Strafhäftling“ gesprochen. In Abgrenzung dazu soll im Fall des Vollzugs der strafgleichen Unterbringung vom „strafgleich Untergebrach­ ten“ gesprochen werden. In diesem Zusammenhang weiter von einem Gefan­ genen zu sprechen, wäre zwar in der Sache auch richtig. Dagegen käme der nach der gesetzlichen Differenzierung zugrundeliegende strafergänzende Charakter der strafgleichen Unterbringung nur unvollständig zum Ausdruck. Daher soll auch im Bereich des Vollzugs die Terminologie an die übrigen strafergänzenden Maßregeln angepasst werden. Abweichend von dieser Terminologie werden im Laufe der Arbeit die üb­ lichen Begriffe „Sicherungsverwahrung“ und „Sicherungsverwahrter“ immer dann verwendet, wenn die geltende Rechtlage (§§ 66 ff. StGB) beurteilt wird. Soll in einem solchen Zusammenhang der vorpositive Charakter der straf­ gleichen Unterbringung hervorgehoben werden, wird von „Sicherungsver­ wahrung, welcher ihrer Rechtsnatur nach Strafe ist“ gesprochen. Nachdem vorstehend die Sicherungsverwahrung als strafgleiche Unter­ bringung dem Grunde nach als Strafe gerechtfertigt worden ist, soll im Fol­ genden der Blick auf die gesetzliche Ausgestaltung im deutschen Recht und ihren Wandel seit ihrer Einführung gelegt werden.

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2. Teil: Die Maßregeln der Besserung und Sicherung

B. Historische Entwicklung im Überblick Die gesetzliche Entwicklung des Rechts der Sicherungsverwahrung wird im Folgenden nur insoweit wiedergegeben, wie es nötig ist, einen Zugang zu den Normen zu leisten. Details der einzelnen Gesetzesänderungen bleiben ausgespart.225 I. Die Einführung der Sicherungsverwahrung durch das Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung vom 24. November 1933 Das Reichsstrafgesetzbuch enthielt Regelungen, nach denen verurteilte Straftäter neben der Strafe in sog. „korrektive Nachhaft“ genommen werden konnten.226 Außerdem war die Unterstellung unter „Polizeiaufsicht“ (Füh­ rungsaufsicht) möglich.227 Die Entwürfe zu einem Strafgesetzbuch ab dem Jahr 1911 sahen bereits Strafschärfungsregeln für gewerbsmäßige und ge­ wohnheitsmäßige Verbrecher vor und enthielten die Möglichkeit, neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anzuordnen.228 Umgesetzt wurde die zweispurige Rechtsfolgenkonzeption allerdings erst durch das Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßre­ geln der Sicherung und Besserung vom 24. November 1933.229 Damit wurde in §§ 42a, 42e RStGB die Sicherungsverwahrung neben der Strafe einge­ führt: „Wird jemand nach § 20a als ein gefährlicher Gewohnheitsverbrecher verurteilt, so ordnet das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn die öffent­ liche Sicherheit es erfordert.“

Erforderlich war demgemäß eine Verurteilung als gefährlicher Gewohn­ heitsverbrecher nach § 20a RStGB. Die Verurteilung führte ihrerseits zu einer obligatorischen (Abs. 1) oder fakultativen (Abs. 2) Strafschärfung. § 20a RStGB lautete insoweit: „(1) Hat jemand, der schon zweimal rechtskräftig verurteilt worden ist, durch eine neue vorsätzliche Tat eine Freiheitsstrafe verwirkt und ergibt die Gesamtwürdigung der Taten, daß er ein gefährlicher Gewohnheitsverbrecher ist, so ist soweit die neue Tat nicht mit schwererer Strafe bedroht ist, auf Zuchthaus bis zu fünf Jahren und, 225  Eingehend z. B. bei Mushoff, S. 12 ff.; Milde, passim. Zur Praxis der Anord­ nung vgl.: 2. Teil 2. Kap. C. II. 226  §§ 361, 362 RStGB. Vgl. dazu: Steinberg, StV 2013, S. 227 (234); Eser, in: FS Müller-Dietz, S. 213 (219). 227  §§ 38, 39 RStGB. Vgl. dazu: Eser, in: FS Müller-Dietz, S. 213 (218 f.). 228  Desseker, Gefährlichkeit und Verhältnismäßigkeit, S. 80 ff. 229  RGBl. 1933 I, S. 955. In Kraft getreten ist das Gesetz am 1. Januar 1934.



2. Kap.: Die Sicherungsverwahrung im Besonderen147 wenn die neue Tat auch ohne diese Strafschärfung ein Verbrechen wäre, auf Zucht­ haus bis zu fünfzehn Jahren zu erkennen. Die Strafschärfung setzt voraus, daß die beiden früheren Verurteilungen wegen eines Verbrechens oder vorsätzlichen Verge­ hens ergangen sind und in jeder von ihnen auf Todesstrafe, Zuchthaus oder Gefäng­ nis von mindestens sechs Monaten erkannt worden ist. (2) Hat jemand mindestens drei vorsätzliche Taten begangen und ergibt die Ge­ samtwürdigung der Taten, daß er ein gefährlicher Gewohnheitsverbrecher ist, so kann das Gericht bei jeder abzuurteilenden Einzeltat die Strafe ebenso verschärfen, auch wenn die übrigen in Abs. 1 genannten Voraussetzungen nicht erfüllt sind.“

Die Sicherungsverwahrung war danach zwingend anzuordnen, wenn es aufgrund von Zwecken der öffentlichen Sicherheit erforderlich erschien (§ 42e RStGB). Die Anordnung verlangte mindestens zwei Anlasstaten (§ 20a Abs. 1 RStGB). Die Feststellung, dass der Straftäter ein gefährlicher Ge­ wohnheitstäter war, erfolgte in einer Gesamtbeurteilung der begangenen Straftaten (§ 20a Abs. 1 und Abs. 2 RStGB). Bejahendenfalls wurde die Si­ cherungsverwahrung grundsätzlich so lange vollzogen, „als ihr Zweck es erfordert[e; Verf.]“, § 42f RStGB. II. Änderungen im Rahmen der Großen Strafrechtsreform Im Zuge der Großen Strafrechtsreform wurde das Recht der Sicherungsver­ wahrung grundlegend überarbeitet und dabei erheblich eingeschränkt. Durch das Erste Gesetz zur Reform des Strafrechts vom 25. Juni 1969230 wurden in § 42e StGB a. F. weitere formelle als auch inhaltliche Voraussetzungen an die Anordnung der Sicherungsverwahrung geknüpft, während § 20a StGB a. F. wegfiel. Diese wurden inhaltlich mit dem Zweiten Gesetz zur Reform des Strafrechts vom 4.  Juli 1969231 nur noch unerheblich geändert. Mit diesem Gesetz ging die Neusortierung des Aufbaus des Strafgesetzbuches einher, wel­ ches so seinen heute noch bekannten Aufbau erhielt. Gleichzeitig wurde aus den „Maßregeln der Sicherung und Besserung“ in § 42a StGB a. F. die „Maß­ regeln der Besserung und Sicherung“ in § 61 StGB a. F. Die Sicherungsver­ wahrung war fortan in § 66 StGB geregelt und lautete insoweit: „(1) Wird jemand wegen einer nach Vollendung seines fünfundzwanzigsten Le­ bensjahres begangenen vorsätzlichen Straftat zu zeitiger Freiheitsstrafe von min­ destens zwei Jahren verurteilt, so ordnet das Gericht neben der Strafe die Siche­ rungsverwahrung an, wenn 1. der Täter wegen vorsätzlicher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, 230  BGBl. 1969 231  BGBl. 1969

I, S. 645 ff. I, S. 717 ff.

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2. Teil: Die Maßregeln der Besserung und Sicherung

2. er wegen einer oder mehrere dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheits­ entziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und 3. die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, daß er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, für die Allgemeinheit gefährlich ist (Hangtäter). (2) Hat jemand drei vorsätzliche Straftaten, davon wenigstens eine nach Vollen­ dung des fünfundzwanzigsten Lebensjahres, begangen, durch die er jeweils Frei­ heitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu zeitiger Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verur­ teilt, so kann das Gericht unter der im Absatz 1 Nr. 3 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Nr. 1, 2) anordnen.“

In formaler Hinsicht wurden Vorverurteilungen und Verbüßungen zu vor­ sätzlichen Straftaten einer bestimmten Schwere (Abs. 1) bzw. mehrfache Begehungen von Straftaten bestimmter Schwere (Abs. 2) zur Voraussetzung für eine Anordnung erklärt. Inhaltlich musste in beiden Fällen eine Gesamt­ würdigung des Täters und seiner Taten einen Hang zu erheblichen Straftaten erkennen lassen aufgrund dessen er für die Allgemeinheit gefährlich ist. Die Anordnung war im Fall von § 66 Abs. 1 StGB a. F. vorgeschrieben und nach § 66 Abs. 2 StGB a. F. ins Ermessen des Gerichts gestellt. Gleichzeitig wurde das sog. vikariierende System in § 67 StGB a. F. einge­ führt. Danach wird eine Maßregel grundsätzlich vor der Strafe vollstreckt und auf diese angerechnet, §§ 67 Abs. 1, 4 StGB a. F. Die erstmalige Unter­ bringung in der Sicherungsverwahrung durfte nach § 67d Abs. 1 S. 1 StGB a. F. die Höchstdauer von zehn Jahren nicht überschreiten. III. Ausweitungen in den 1990er und 2000er Jahren Durch das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefähr­ lichen Straftaten vom 26. Juni 1998232 wurden die Anordnungsmöglichkeiten für die Sicherungsverwahrung nach § 66 StGB durch Einführung eines neuen Absatzes drei erheblich erweitert. Gleichzeitig fiel die Beschränkung der erst­ malig angeordneten Sicherungsverwahrung auf einen Zehn-Jahres-Zeitraum weg, § 67d Abs. 3 S. 1 StGB a. F. Eine erneute Erweiterung des Anwendungs­ bereiches wurde durch die Einführung des Vorbehalts der Sicherungsverwah­ rung im Strafurteil nach § 66a StGB mit dem Gesetz vom 21. August 2002233 I, S. 160. Zum Folgenden auch: Esser, JA 2011, S. 727 (727 f.). zur Einführung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung, BGBl. 2002

232  BGBl. 1998 233  Gesetz

I, S.  3344 ff.



2. Kap.: Die Sicherungsverwahrung im Besonderen

149

erreicht. Diese Möglichkeit wurde kurze Zeit später in § 106 Abs. 3 JGG auf das Strafrecht für Heranwachsende übertragen, während die Sicherungsver­ wahrung ansonsten ausgeschlossen blieb.234 Zuletzt wurde der Anwendungsbereich der Sicherungsverwahrung durch die Einführung einer nachträglichen Anordnungsmöglichkeit gegenüber Er­ wachsenen und gegenüber Heranwachsenden im Jahr 2004235 und gegenüber Jugendlichen im Jahr 2008236 erheblich erweitert.237 IV. Beschränkungen durch das Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom 22. Dezember 2010 und das Gesetz zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung vom 5. Dezember 2012 Ausgelöst durch Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschen­ rechte in den Jahren 2009 und 2011238 war der deutsche Gesetzgeber ge­ zwungen, Änderungen am Recht der Sicherungsverwahrung vorzunehmen. Das geschah durch das Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Sicherungs­ verwahrung und zu begleitenden Regelungen vom 22. Dezember 2010.239 Damit wurden die möglichen Anlasstaten für die Sicherungsverwahrung nach § 66 StGB a. F. sachlich begrenzt. Im Rahmen von § 66a StGB a. F. konnte der Vorbehalt der Unterbringung nunmehr auch gegen Ersttäter angeordnet werden. Die nachträgliche Unterbringung in der Sicherungsverwahrung im klassischen Sinne, §§ 66b Abs. 1, 2 StGB a. F. wurde abgeschafft und auf die 234  Gesetz zur Änderung der Vorschriften über die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und zur Änderung anderer Vorschriften vom 27. Dezember 2003, BGBl. 2003 I, S. 3007 ff. 235  Gesetz zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung vom 23. Juli 2004, BGBl. 2004 I, S. 1838 ff. 236  Gesetz zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung bei Verurtei­ lung nach Jugendstrafrecht vom 8. Juli 2008, BGBl 2008 I, 1212 f. 237  Diese deutliche Hinwendung zur Sicherheit im Rahmen der Verbrechensprä­ vention, der Strafverfolgung sowie der Bestrafung in den vorangegangen Jahrzenten beschreibt Garland für die USA und Großbritannien. Das gesellschaftliche Verlangen nach Sicherheit vor Gefahren und dem Gefährdern äußert sich bspw. in längeren Haftstrafen und führt zu einer Ab- und Ausgrenzung der Straftäter („the alien other“): Garland, S. 131 und öfter. 238  EGMR, Urt. v. 17.12.2009, Beschwerde-Nr. 19359 / 04 (M / Deutschland) = ­EuGRZ 2010, 25 ff; Urt. v. 13.01.2011, Beschwerde-Nr. 17792 / 07 (Kallweit / Deutschland) = EuGRZ 2011, 255 ff. Siehe BVerfGE 128, 326 (342 f.). 239  BGBl. 2010 I, S. 2300 ff. Die gleichzeitige Einführung des Therapieunterbrin­ gungsgesetzes nach Artikel 5 des Gesetzes als Antwort auf die Rechtsprechung des EGMR kann hier ausgeklammert werden.

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2. Teil: Die Maßregeln der Besserung und Sicherung

Fälle des Wechsels von der Unterbringung in einem psychiatrischen Kran­ kenhaus in die Sicherungsverwahrung beschränkt. Mit Urteil vom 4. Mai 2011 erklärte das Bundesverfassungsgericht das Recht der Sicherungsverwahrung für weitgehend mit dem Grundgesetz un­ vereinbar.240 In der Folge wurde das Recht der Sicherungsverwahrung durch das Gesetz zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung vom 5. Dezember 2012241 den Anforderungen angepasst. Inhaltliche Änderungen i. S. v. Änderungen an den formellen oder materiellen Anordnungsvoraussetzungen gingen damit nicht einher. Diese neuen Regelungen stellen die geltende Rechtslage dar und sind im Folgenden Bezugspunkt der Betrachtung. Dabei sollen erst grundsätzliche Bedenken gegenüber der Sicherungsverwahrung dargestellt werden, bevor eine intensive europa- und verfassungsrechtliche Einordnung erfolgt.

C. Grundsätzliche Bedenken gegen die Sicherungsverwahrung Über die eigentliche Rechtfertigungsproblematik der Sicherungsverwah­ rung gegenüber dem Täter hinaus werden etliche grundsätzliche Bedenken vorgebracht. Diese hängen teilweise mit der Rechtfertigungsdiskussion zu­ sammen und gehen teilweise darüber hinaus. Die im Folgenden dargestellten Einwände beziehen sich bereits auf die Ausgestaltung der Sicherungsverwah­ rung nach geltendem Recht. Im Einzelnen wird geltend gemacht242: I. Die Erforderlichkeit der Sicherungsverwahrung Teilweise wird die Erforderlichkeit der Sicherungsverwahrung im Ganzen bezweifelt. Vielmehr ließen sich die Straftäter über andere Maßnahmen errei­ chen.243 Je nach Ausprägung des Hangs zu Straftaten sollten die Straftäter nach Mayer in psychotherapeutischen Anstalten (vgl. § 63 StGB) oder ledig­ lich in offenen Anstalten unter Aufsicht untergebracht werden.244 Zwar wird das Problem der Rückfallmöglichkeiten erkannt, aber hingenommen, denn ein „schwerer Rückfall [würde, Verf.] von selbst zu einer solchen Verlänge­ 240  BVerfGE 128, 326 ff. Das betraf §§ 66, 66a, 66b, 67d Abs. 2 S. 1, Abs. 3 S. 1 StGB, §§ 7 Abs. 2, Abs. 3, 106 Abs. 3 S. 2, S. 3, Abs. 5, Abs. 6 JGG. 241  BGBl. 2012 I, S. 2425 ff. 242  Systematik nach Rissing-van Saan / Peglau, in: LeipzigerKomm StGB, § 66 Rn.  27 ff. 243  Diesen Punkt sieht auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 109, 133 (158 f.)), übergeht ihn aber sogleich wieder: „ungeachtet möglicher Schutzalterna­ tiven“. 244  Mayer, ZStW 80 (1968), S. 139 (160).



2. Kap.: Die Sicherungsverwahrung im Besonderen151

rung der Strafzeit führen, daß von weiteren sichernden Maßnahmen abgese­ hen werden kann“.245 Ersterem ist insoweit zuzugeben, dass Ende der 1950er Jahre die Sicherung deutlich im Vordergrund stand. So lautete der Gesetzes­ wortlaut anfangs „Maßregeln der Sicherung und Besserung“.246 Ein Mangel an Behandlungsangeboten war strukturell. Insoweit überrascht es nicht, die­ sen Mangel anzusprechen und auch für die Sicherungsverwahrten Therapie­ möglichkeiten einzufordern. Freilich schießt die Wahl der Mittel deutlich über den Zweck hinaus. Dem Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit ist nicht geholfen, wenn zum Teil hochgradig rückfallgefährdete Straftäter in offenen Anstalten therapiert werden. Im Hinblick auf die Schwere der bereits began­ genen Taten ist es gerade erforderlich, den Sicherungsverwahrten nicht vor­ schnell Lockerungen und andere Freiheiten zukommen zu lassen.247 Dieser Ansatz ist daher nur unter dem Aspekt verständlich, dass zum Zeitpunkt dieses Vorschlages ein erheblich größerer Kreis an Straftätern in den Anwen­ dungsbereich der Sicherungsverwahrung fiel. Das war bereits an sich nicht überzeugend und der Kritik ausgesetzt; dazu sogleich. II. Der betroffene Personenkreis und der Katalog der Anlasstaten Mit der Einführung der Sicherungsverwahrung durch das Gesetz zur Be­ kämpfung gefährlicher Gewohnheitsverbrecher vom 24. November 1933 war praktisch keine Einschränkung in den der Anordnung der Unterbringung zu­ grundeliegenden Delikten verbunden. Nach § 42e StGB a. F. konnte die Si­ cherungsverwahrung gegen jeden gefährlichen Gewohnheitsverbrecher ver­ hängt werden. Und gefährlicher Gewohnheitsverbrecher war nach § 20a StGB a. F. der Rückfällige. Daher verwundern auch die äußerst hohen Zahlen der Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht. Sie wurde in den ersten zehn Jahren seit ihrer Einführung ca. 15.000 Mal verhängt.248 Das mag ei­ nerseits an dem Verfolgungswahn im Dritten Reich gelegen haben, hat aber auch seine Ursache darin, dass neben notorischen Gewaltverbrechern energi­ sche Diebe und Betrüger erfasst waren.249 Die Erfassung der habituell began­ genen Diebstähle und anderer unerheblicher Anlasstaten wurde kritisiert; teilweise aus Gründen mangelnder „Gefährlichkeit“250. Der Katalog der An­ 245  Mayer,

ZStW 80 (1968), S. 138 (160). 1933 I, S. 995 (996). 247  Im Erg. ebenso BVerfGE 109, 133 (159); Rissing-van Saan / Peglau, in: Leipzi­ gerKomm StGB, § 66 Rn. 40. 248  Hellmer, ZStW 72 (1960), S. 397 (403); ders., ZStW 73 (1961), S. 441 (442); Ullenbruch / Drenkhahn / Morgenstern, in: MünchenerKomm StGB, § 66 Rn. 18. 249  Hellmer, ZStW 72 (1960), S. 397 (404); Mayer, ZStW 80 (1968), S. 139 (147). 250  Kinzig, ZStW 109 (1997), S. 122 (163); Hellmer, ZStW 73 (1961), S. 441 (449 f.); Kaiser, Kriminologie § 93 Rn. 65. 246  RGBl.

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2. Teil: Die Maßregeln der Besserung und Sicherung

lasstaten wurde deswegen in den Folgejahren eingeschränkt und auch die Anzahl der Neuanordnungen sank wieder.251 Durch die legislatorischen Ver­ schärfungen in diesem Bereich war in den letzten beiden Jahrzenten wieder ein leichter Anstieg der Anordnung zu verzeichnen.252 In den Jahren 2009 und 2012 befanden sich immerhin noch ca. 500 Menschen in der Sicherungs­ verwahrung.253 Fraglich ist aber, welche Gruppe von Straftätern eigentlich für die Siche­ rungsverwahrung, die ihrer Rechtsnatur nach Strafe ist, in Frage kommt. In­ soweit werden der „gefährliche Gewohnheitsverbrecher“, der „Hangtäter“ bzw. „Rezidivist“ genannt.254 Das Gesetz macht diesbezüglich nur ungenaue Vorgaben. Der Gesetzgeber hatte den „wirklich gefährlichen, die Bevölke­ rung in ihrem berechtigten Sicherheitsbedürfnis beunruhigenden Verbrecher“ vor Augen.255 Von §§ 66, 66a StGB erfasst werden Intensiv(erst)täter (§ 66a Abs. 2 StGB), Rückfalltäter (§ 66 Abs. 1 StGB), Serientäter (§ 66 Abs. 2 StGB) sowie Gewalt- und Sexualstraftäter (§§ 66 Abs. 3, 66a Abs. 1 StGB).256 Der dadurch infrage kommende Täterkreis ist relativ weit.257 Die Verschie­ denheit der Kriminalität verschiedener Tätertypen muss sich jedoch auch in der Anordnung und Vollstreckung der Sicherungsverwahrung widerspie­ geln.258 Wie im Rahmen der Rechtfertigung der Sicherungsverwahrung, die ihrer Rechtsnatur nach Strafe ist, aufgezeigt, ist eine Kategorisierung habitu­ eller Schuld möglich.259 Dem ausgewiesenen Begründungszusammenhang entsprechende Differenzierungen zwischen haltlosen und energischen Tätern sieht die geltende Rechtslage nicht vor. Die für einen Großteil der Rückfall­ täter ernsthaft in Erwägung zu ziehende gesellschaftliche Mitverantwortung findet im Rahmen der Anordnungsvoraussetzungen im Gesetz auch keinen Widerhall. Alle relevanten Differenzierungen werden damit in die Vollstre­ 251  Hellmer, ZStW 73 (1961), S. 441 (445 f.). s. a. Schöch, in: FS Roxin (2011) II, S. 1193 (1196 ff.); Schneider, in: Göppinger, § 34 Rn. 163. 252  Schneider, in: Göppinger, § 34 Rn. 164. 253  Zipf / Laue, in: Maurach / Gössel / Zipf, § 67 Rn. 4; § 68 Rn. 28; Esser, JA 2011, S. 727 (729). 254  Hellmer, ZStW 73 (1961), S. 441 (451); Mezger, S. 150 ff. differenziert zwar zwischen einer Reihe von unterschiedlichen Typen, lässt dabei aber den Hangtäter an sich unbestimmt. 255  BT-Drucks. V / 4094, S. 19. 256  Systematik nach Zipf / Laue, in: Maurach / Gössel / Zipf, § 68 Rn. 36 ff. und 46. Das entspricht weitgehend den kriminologisch erforschten Typen: Rückfalltäter, Be­ rufsverbrecher und gefährlicher Intensivtäter; vgl. dazu H. J. Schneider, Kriminolo­ gie, S.  315 ff. 257  Kaiser, Kriminologie, § 46 Rn. 1 f. 258  Zu relevanten Differenzierungen bereits im Strafvollzug: Klesczewski, Rolle der Strafe, S. 316 f. 259  Siehe oben: 2. Teil 2. Kap. A. I. 4.



2. Kap.: Die Sicherungsverwahrung im Besonderen153

ckung verlagert. Im Vollzug der Sicherungsverwahrung befindet sich folglich ein völlig inhomogener Personenkreis. Immerhin wurden zwischenzeitlich die lediglich „soziallästigen“ Kleinver­ brecher, notorische Diebe und Betrüger, aus dem Anwendungsbereich ausge­ schieden. Das Gesetz konzentriert sich heute im Wesentlichen auf vorsätzli­ che Straftaten gegen den höchstpersönlichen Lebensbereich und gemeinge­ fährliche Straftaten, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht sind (vgl. § 66 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB). Gefährlichkeit in diesem Sinne beschränkt sich danach auf wenige elementare Rechtsgüter. Die gesetzgeberische Intention suggeriert, dass die Gefährlichkeit auch einen gesellschaftlichen Bezug aufweisen soll. Die Straftaten müssen die Gesell­ schaft erschüttern. Dazu sind sicherlich kleinere Betrügereien und Diebstähle nicht geeignet, auch wenn sie regelmäßig begangen werden. Problematisch wäre es dagegen, wenn sich herausstellen würde, dass auch heute noch ge­ fährliche Intensivtäter sich der sozialen Kontrolle entziehen und zwar die eigentliche Zielgruppe der Sicherungsverwahrung darstellen, aber mangels Überführung und Aburteilung praktisch selten den Vollzug erleben.260 Eine andere Gruppe habituell Delinquierender unterfällt ebenso wenig den § 66, 66a StGB. Vom derzeitigen Anwendungsbereich nicht erfasst ist das gesamte Spektrum der Wirtschafts- und Steuerkriminalität, obwohl auch diese Taten sehr schweres Unrecht darstellen können und von einem penibel planenden Berufsverbrecher eine große Gefahr für einzelne Rechtsgüter und die Gesellschaft ausgeht.261 Das ist problematisch. So richtig einerseits die Beschränkung der Sicherungsverwahrung auf wirklich schwer wiegende An­ lasstaten ist, weil der Vollzug für die Sicherungsverwahrten ein enormer Freiheitseingriff bedeutet. Und so richtig es auch war, die notorischen Diebe und Kleinbetrüger auszuklammern. So inkonsequent scheint es aber, im An­ lasstatenkatalog des § 66 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB ebenso schwer wiegende Delikte aus dem Bereich der Wirtschaftskriminalität im weiteren Sinne aus­ zuklammern. Damit soll nicht eine vorschnelle Anwendung in diesen Fällen befürwortet werden. Aber es ist unverständlich, wenn unter denselben for­ mellen Anordnungsvoraussetzungen gleich schwer wiegende Delikte, bei­ spielsweise im Bereich der (gewerbsmäßigen) Steuerhinterziehung, im Kata­ log nicht vorhanden sind. Zu beachten ist, dass die Anordnung der Siche­ rungsverwahrung, die ihrer Rechtsnatur nach Strafe ist, aufgrund der habitu­ ellen Schuld des Täters erfolgt. Eine habituelle Entwöhnung rechtlicher Orientierung ist aber nicht auf bestimmte Deliktsgruppen beschränkt. Zuge­ 260  Hellmer,

ZStW 72 (1960), S. 397 (404); H. J. Schneider, Kriminologie, S. 317. ZStW 72 (1960), S. 397 (403 f.); ders., ZStW 73 (1961), S. 441 (453). Allg. krit. zur Begrenzung auch Rissing-van Saan, in: FS Roxin (2011) II, S. 1173 (1181 f.). 261  Hellmer,

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2. Teil: Die Maßregeln der Besserung und Sicherung

gebenermaßen unterscheidet sich die Persönlichkeit von sozialisierten Be­ rufs- und Wirtschaftskriminellen von derjenigen anderer gewohnheitsmäßig Delinquierender. Letztere mögen insbesondere mangels Halt und eigenen Antriebes immer wieder Straftaten begehen, während erstere durchaus plan­ voll handelnd aus eigenem Bestreben und Gewinnstreben handeln.262 Dann scheint es jedenfalls zulässig, die Sicherungsverwahrung nicht nur bei Verlet­ zung persönlicher Rechtsgüter zuzulassen.263 Vielmehr sollte gerade das Maß der habituellen Schuld der relevante Unterscheidungsgrund sein. Das bedeu­ tet: Eine Gleichsetzung von gewaltlos und gefahrlos überzeugt nicht. Es mag für einen Teilbereich der gewaltlosen Delikte zutreffen. Für einen anderen Teil trifft dagegen das Gegenteil zu. Entscheidend ist vielmehr, bei welchen Straftätern sich der „Hang“ zu diesen Delikten gezeigt hat. Sofern dann die formellen Voraussetzungen gegeben sind, muss auch in diesem Bereich des Strafrechts eine Sicherungsverwahrung in Betracht kommen. Eine andere Frage ist freilich, ob es in der Praxis tatsächlich zur Anordnung der Siche­ rungsverwahrung kommen würde. Naheliegend scheint es auch, dass einmal verurteilten Tätern in der Zukunft die Gelegenheit zur Begehung vergleich­ barer Taten fehlen könnte, so bspw. aufgrund von Inkompatibilitätsregelun­ gen, wie dem § 6 Abs. 2 GmbHG, welche zum Schutz der Allgemeinheit eine Stellung als geschäftsführendes Organ eines Unternehmens ausschlie­ ßen. III. Unsicherheiten im Umgang mit den notwendigen Prognosen Ein weiteres generelles Problem besteht in der Prognoseunsicherheit. Die (vorbehaltene) Sicherungsverwahrung darf eben nur unter der Annahme ei­ nes Hangs zu erheblichen Straftaten des Täters, welcher deswegen wahr­ scheinlich für die Allgemeinheit gefährlich ist, § 66 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 StGB und § 66a Abs. 1 Nr. 3 StGB, angeordnet bzw. vorbehalten werden. Neben diese (Anordnungs-)Prognose treten zahlreiche weitere Prognosen, bspw. zur Vollstreckung (Aussetzung zur Bewährung) oder im Vollzug (bspw. vollzugs­ lockernde Maßnahmen).264 Hier zeigen sich besonders die Schwierigkeiten im Umgang mit habituel­ ler Delinquenz. Das Unrecht ist vergangenheitsbezogen. Das Ausmaß der 262  Zur Unterscheidung von Gewohnheitsverbrechern und Berufsverbrechern: Hellmer, ZStW 72 (1960), S. 397 (402); ders., ZStW 73 (1961), S. 441 (451 f.). Wei­ ter differenzierend: Mezger, S. 150 ff. Undifferenziert insoweit Höffler, ZStW 127 (2015), S. 1018 (1038 ff.). 263  So wohl auch Köhler, Strafrecht AT, S. 642 f. Auch BVerfGE 109, 133 (160) hat keine Bedenken gegen die Zulässigkeit der Sicherungsverwahrung für Vermö­ gens- und Eigentumsstraftäter geäußert. 264  Frisch, in: Prognoseentscheidungen, S. 55 (57 f.); Kinzig, S. 79 f.



2. Kap.: Die Sicherungsverwahrung im Besonderen155

habituellen Schuld lässt sich aber nicht sicher feststellen. Die allgemeine Meinung, welche die Sicherungsverwahrung dem Gefahrenabwehrrecht zum Zweck der Verhinderung weiterer Straftaten zuschlägt, hat hier kaum Prob­ leme. Denn dem Gefahrenabwehrrecht sind aufgrund seiner Ausrichtung in die Zukunft Prognosen eigen. Und genauso wie die Prognosen sind auch die damit einhergehenden Unsicherheiten dieselben, wie in anderen Bereichen der Gefahrenabwehr. Das ist daher grundsätzlich hinzunehmen, wenn die Prognosen auf fundierten Annahmen beruhen.265 Allerdings trifft es immer noch zu, dass keine verbindlichen Aussagen über Hangtäter getroffen werden können und auch die Prognosen daher zwangsläufig auf wackeligen Füßen stehen.266 Das zur Verfügung stehende Material wiederum, könnte zwar zur Begründung statistischer Aussagen herangezogen. Zur Beurteilung eines Ein­ zelfalls, um den es stets geht, ist es jedoch nur eingeschränkt verwendbar.267 Deutlich zutage tritt das Problem an den sog. „false positives“, den zu Un­ recht als gefährlich eingestuften Sicherungsverwahrten.268 Sie sind in der Sicherungsverwahrung untergebracht, obwohl dafür kein Grund besteht. Da­ durch erleiden sie gravierende Rechtseinbußen. Auch nur teilweise eingehegt wird das Problem durch die formellen An­ forderungen an die Anordnung einer Sicherungsverwahrung. Werden in den Fällen der §§ 66 Abs. 1 und Abs. 2 StGB noch mehrere Anlasstaten gefor­ dert, ist dadurch ein irgendwie gearteter „Hang“ zu Straftaten zumindest na­ heliegend. Hier steht eine Prognose auf deutlich sicheren Füßen. Dagegen ist in den Fällen des § 66a Abs. 2 StGB der Vorbehalt auch bei Ersttätern mög­ lich. Dem ist aus zweierlei Hinsicht entgegenzutreten: Erstens wird hier durch diese formelle Voraussetzung kaum etwas gewonnen. Ihre Bedeutung besteht lediglich in der Wiederholung, dass nur bestimmte Deliktsgruppen den Vorbehalt rechtfertigen. Dagegen ist es äußerst problematisch, bei Ersttä­ 265  Im Erg. auch BVerfGE 109, 133 (158); Rissing-van Saan / Peglau, in: Leipzi­ gerKomm StGB, § 66 Rn. 34; Rasch, in: Prognoseentscheidungen, S. 235 (247). Krit. dagegen: Schneider, StV 2006, S. 99 (101 ff.); Stree / Kinzig, in: Schönke-Schröder, § 66 Rn. 38. 266  Kinzig, S. 80 ff., 138 spricht von spärlichem Material; Jehle / Harrendorf, in: SSW StGB, § 66 Rn. 20; Dessecker, Gefährlichkeit und Verhältnismäßigkeit, S. 197 f.; Ziffer, in: FS Frisch, S. 1077 (1084 f.); Alex / Veltes / Kudlacek, StV 2013, S. 259 f. mit Verweis auf eine diesbezügliche britische Studie (Fn. 10). s. a. Ullenbruch / Drenkhahn / Morgenstern, in: MünchenerKomm StGB, § 66 Rn. 112 und allgemein Rasch, in: Prognoseentscheidungen, S. 235 (237). 267  Münster in: Göppinger, §12 Rn. 15; Frisch, in: Prognoseentscheidungen, S. 55 (69, relativierend 81 f. und öfter). 268  Siehe auch: Kaspar, ZStW 127 (2015), S. 654 (686). Nach Höffler, ZStW 127 (2015), S. 1018 (1052) beträgt die Quote 6–8 von 10 Personen. Krit. auch Schöch, in: FS Roxin (2011) II, S. 1193 (1212 f.); Rasch, in: Prognoseentscheidungen, S. 235 (237).

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2. Teil: Die Maßregeln der Besserung und Sicherung

tern eine Sicherungsverwahrung in Ergänzung zur Strafe zuzulassen. Sie ist nicht Ausdruck habitueller Schuld. In diesen Fällen gerechtfertigter Weise von einem Hangtäter zu sprechen ist wohl ausgeschlossen. Dazu kommt Folgendes: In den Fällen des § 66a StGB, bei denen die Sicherungsverwah­ rung auch gegenüber einem Ersttäter vorbehalten werden kann, ist das Prob­ lem der Prognoseunsicherheit nur aufgeschoben, wenn nicht gar verkompli­ ziert. Denn die Prognose bezüglich des Hangs zu erheblichen Straftaten und der dadurch wahrscheinlichen Gefährlichkeit für die Allgemeinheit wird im Strafurteil offengelassen. Sofern hier nur die formellen Voraussetzungen er­ füllt sind, kann die Sicherungsverwahrung vorbehalten werden, wenn die positive Hang- und Gefährlichkeitsprognose jedenfalls nicht unwahrschein­ lich ist. In einem Nachverfahren soll die Prognose dann gestellt werden, § 66a Abs. 3 StGB. Wie sich die bestehende Prognoseunsicherheit im Straf­ vollzug jedoch zugunsten des (möglicherweise noch zusätzlich) Sicherungs­ verwahrten ändern soll, ist zumindest fraglich.269 Das liegt bereits daran, dass das Verhalten eines Strafgefangenen sich deutlich von einem Menschen in Freiheit unterscheidet, weil das Leben im Vollzug viel stärker reglemen­ tiert ist.270 Wenn sich auch mit einer deutlich stärkeren Förderung der Reso­ zialisierungsangebote271 hier ein Wandel einstellen kann, sind die Bedenken jedoch zurzeit nicht von der Hand zu weisen. Potenziert wird das Problem durch den öffentlichen Druck auf die Sach­ verständigen. Kein Sachverständiger lässt sich gern nachsagen, er hätte die Prognose der Gefährlichkeit verneint, wenn letztlich ein im Bereich des Möglichen liegender Rückfall bekannt wird.272 Dadurch entsteht ein Erwar­ tungsdruck, der auf den Sachverständigen lastet, obwohl gesellschaftlich ge­ wisse Risiken durchaus hinzunehmen sind.273 Der Sachverständige wird im Ergebnis eher geneigt sein, dem Straftäter die Gefährlichkeit zu bescheini­ gen.274 Auch so ist es erklärbar, dass vielen Straftätern der entsprechende 269  Jehle / Harrendorf, in: SSW StGB, § 66a Rn. 4; Ullenbruch / Morgenstern, in: MünchenerKomm StGB, § 66a Rn. 27. Bedenken auch bei BVerfGE 131, 268 (294) wonach die Aussagekraft des Vollzugsverhaltens mit besonderer Vorsicht zu würdigen sei. Für Schneider, StV 2006, S. 99 (103) ist das Verhalten im Vollzug schlicht unge­ eignet zur Prognose beizutragen. 270  Ullenbruch / Morgenstern, in: MünchenerKomm StGB, § 66a Rn. 25. 271  BVerfGE 128, 379 ff. 272  Krit. auch: Kaspar, ZStW 127 (2015), S. 654 (687). 273  Daher wurde bereits kritisiert, dass nach der Schutzpflichttheorie die Eingriffe legislatorisch tendenziell am Übermaß- anstatt am Untermaßverbot gemessen werden. Siehe oben: 2. Teil 1. Kap. B II. 2. c). 274  Alex / Veltes / Kudlacek, StV 2013, S. 259 (260); Kaspar, ZStW 127 (2015), S. 654 (687); krit. auch Rasch, in: Prognoseentscheidungen, S. 235 (235 f.); Fischer, § 67d Rn. 13. Zu dem gleichgelagerten Problem i. R.v. § 63 StGB siehe Fischer63, §  63 Rn.  2a m. w. N.



2. Kap.: Die Sicherungsverwahrung im Besonderen157

Hang und die Gefährlichkeit zugesprochen werden, obwohl Studien gerade für den Bereich der schweren Gewaltkriminalität zu dem Ergebnis einer ge­ ringeren Rückfallprognose im Vergleich zur Legalbewährung gelangen.275 Das Problem ließe sich mittels mehrerer Gutachten durch verschiedene Sach­ verständige beikommen. Gerade im Fall des praxisrelevanten Vorbehalts der Unterbringung nach § 66a StGB stellt das Gesetz dieses Erfordernis für das Nachverfahren jedoch nicht auf. Nach § 275a Abs. 4 S. 1 StPO ist ein Gut­ achten hinreichend. Andererseits waren für die frühere nachträgliche Unter­ bringung nach § 66b StGB zwei Gutachten erforderlich, vgl. § 275a Abs. 4 S. 2 StPO. Mehrere Gutachten von mehreren Sachverständigen verursachen zwar mehr Gerichtskosten. Dieser grundrechtssensible Bereich verlangt aber von den Gerichten nicht nur auf eine einschlägige Kompetenz der Sachver­ ständigen im Einzelfall zu achten276, sondern auch solche auszuwählen, die einem emotional aufgeladenen, öffentlichen Druck standhalten. Gerade im Bereich der Stellung von Prognosen zeigen sich also gewich­ tige Bedenken. Einerseits sind sie für die herrschende Auffassung dem Ge­ fahrenabwehrrecht eigen und hinzunehmen. Sofern sie auf der Persönlich­ keitsstruktur der Gutachter beruhen, die einem öffentlichen Druck nicht ge­ wachsen sind, sind sie jedenfalls nicht systemimmanent. Sofern sie Ersttäter betreffen, ist insoweit de lege lata an eine Einschränkung des Rechts der ­Sicherungsverwahrung zu denken. Und sofern sie bei vorbehaltener Siche­ rungsverwahrung ins Nachverfahren verlagert werden, bleibt zu hoffen, dass durch eine konsequente Hinwendung zur Resozialisierung die gezeigten Be­ denken sich in Zukunft zerstreuen lassen. Auch im Rahmen des hier vertre­ tenen Ansatzes treten die Probleme auf. Sie sind freilich etwas abgeschwächt. Die Anordnung der Sicherungsverwahrung, die ihrer Rechtsnatur nach Strafe ist, beruht nicht auf einer Prognose künftigen Verhaltens, sondern auf der an sich, jedoch nicht vollends im Umfang, festgestellbaren habituellen Schuld. Deren Ausmaß wird erst im Vollzug der Unterbringung während einer (frei­ willigen) Behandlung deutlich. IV. Fazit Die vorgebrachten Einwände sind grundsätzlicher Natur. Sie machen auf Problemfelder des Rechts der Sicherungsverwahrung aufmerksam. Zu kriti­ 275  Alex / Feltes / Kudlacek,

ves“.

StV 2013, S. 259. s. a. vorstehend zu den „false positi­

276  BVerfGE 109, 133 (164); 128, 326 (373). Siehe dazu auch Alex / Velten / Kudlacek, StV 2013, S. 259 (261, 267). Ein Facharzt für Psychiatrie ist entgegen missver­ ständlicher Erwägungen von BVerfG NJW 2004, 739 (743 in einem obiter dictum) nicht erforderlich: BVerfG StV 2006, 426; OLG Hamm StV 2006, 424 (425); ein­ schränkend: OLG Karlsruhe StV 2006, 426 m. abl. Anm. Tonsdorf.

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2. Teil: Die Maßregeln der Besserung und Sicherung

sieren war einerseits der undifferenzierte Umgang mit den für die Anordnung in Betracht kommenden Täterkreis. Die Nichteinbeziehung von Fällen schwerer Wirtschaftskriminalität konnte nicht überzeugen. Dagegen konnte an einer grundsätzlichen Erforderlichkeit der insoweit strafergänzenden Un­ terbringung in bestimmten Konstellationen nicht gezweifelt werden. Letztlich sind auch die Prognoseunsicherheiten ein gewichtiger Kritikpunkt. Mensch­ liches Verhalten ist nur schwer prognostizierbar. Aus Sicht der herrschenden Auffassung ist diese Unsicherheit als Eigenart des Gefahrenabwehrrechts an sich freilich unbedenklich. Das Kapitel zur Sicherungsverwahrung im Speziellen soll nun anhand der Ergebnisse zur Rechtfertigung und den grundsätzlichen Bedenken gegen die Sicherungsverwahrung einer europa- und verfassungsrechtlichen Prüfung unterzogen werden.

D. Einordnung der Sicherungsverwahrung in den europa- und verfassungsrechtlichen Kontext Die Sicherungsverwahrung muss dem geltenden Recht, insbesondere der Verfassung, entsprechen. Ansonsten wäre ein Eingriff in die Freiheitssphäre der Sicherungsverwahrten nicht zu rechtfertigen. Sie muss aber auch den europarechtlichen Vorgaben entsprechen. Das rechtliche Spannungsfeld zwi­ schen der Wahrung der Freiheitsinteressen der Sicherungsverwahrten und dem Sicherheitsbedürfnis der Allgemeinheit fördert immer wieder neue As­ pekte zu Tage und zwingt dabei stets zu neuen Diskussionen um die Zuläs­ sigkeit der strafergänzenden Unterbringung in der Sicherungsverwahrung. Im Folgenden beschränkt sich die Betrachtung auf die primäre Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 StGB und deren Vorbehalt nach § 66a StGB. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung nach § 66b StGB bleibt im Folgenden ausgeklammert. Einerseits ist die eigentliche nachträgliche Siche­ rungsverwahrung nach § 66b StGB a. F. seit dem 01. Januar 2011 gesetzlich aufgehoben.277 Andererseits enthält § 66b StGB n. F. nur noch eine Überfüh­ rung aus dem Vollzug der Unterbringung in einem psychiatrischen Kranken­ haus in die Sicherungsverwahrung.278 Auf § 66b StGB a. F. wird daher ledig­ lich im Rahmen eines Exkurses eingegangen. 277  Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung v. 22.12.2010 (BGBl. 2010 I, S. 2300). 278  Gesetz zur Regelung des Abstandsgebotes v. 05.12.2012 (BGBl. 2012 I, S. 2425). Darin kann zwar auch eine „nachträgliche Sicherungsverwahrung“ gesehen werden; vgl. Ullenbruch / Drenkhahn, in: MünchenerKomm StGB2, § 66b Rn. 101 f.; Stree / Kinzig, in: Schönke-Schröder, § 66b Rn. 7 f. Dort stellt sich aber das dieser Arbeit zugrundeliegende Problem der Wechselwirkung zwischen Strafe und Siche­



2. Kap.: Die Sicherungsverwahrung im Besonderen

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I. Vereinbarkeit der §§ 66 ff. StGB mit dem Europarecht Für die europarechtliche Zulässigkeit der Sicherungsverwahrung kommt es auf die Vereinbarkeit mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) an. 1. Die Sicherungsverwahrung und das Recht der EMRK

Im Folgenden soll einleitend eine Verhältnisbestimmung zwischen dem Recht der EMRK und dem nationalen Recht erfolgen. Daraus ergibt sich, dass das Recht der EMRK im Rahmen der Auslegung des nationalen Rechts eine wesentliche Bedeutung erlangt. Nach dieser Verhältnisbestimmung wird die Sicherungsverwahrung nach deutschem Recht anhand der im Rahmen dieser Arbeit wesentlichen Bestimmungen der EMRK, nämlich dem Recht auf Freiheit und Sicherheit (Art. 5 EMRK), dem Strafbegriff (Art. 7 EMRK) und dem Folterverbot (Art. 3 EMRK) beurteilt. Daraus ergeben sich Anhalts­ punkte für die sich anschließende verfassungsrechtliche Prüfung. a) Grundsätzliches zum Verhältnis der EMRK zum nationalen Recht Die EMRK279 ist ein völkerrechtlicher Vertrag, welchen die Bundesrepub­ lik Deutschland durch Zustimmungsgesetz nach Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG in nationales Recht transformiert280 hat. Damit kommt ihr die Stellung eines Bundesgesetzes zu.281 Sie beinhaltet Garantien zum Schutz der Menschen­ rechte, Art. 2 ff. EMRK. Jede natürliche Person kann sich auf diese Garantien berufen, wenn sie der Hoheitsgewalt eines Staates unterliegt, der die Kon­ vention ratifiziert hat, Art. 1 EMRK. Die Durchsetzung ist über die Staatenund Individualbeschwerde nach Art. 33, 34 EMRK gewährleistet. Die EMRK ist bei der Auslegung und Anwendung innerstaatlichen Rechts genauso zu berücksichtigen, wie bei der Auslegung und Anwendung von nationalem Verfassungsrecht. Das bedeutet nicht, dass ein Verstoß gegen die Gewährleistungen der EMRK mit einer Grundrechtsverletzung gleichzuset­ zen ist.282 Bei der Auslegung des nationalen Rechts ist die EMRK lediglich ein Aspekt. Dabei ist jedoch darauf zu achten, dass bei der Auslegung des rungsverwahrung nicht. Daher bleibt § 66b StGB n. F. auch aus der folgenden Be­ trachtung ausgeklammert. 279  Europäische Menschenrechtskonvention vom 4.  November 1950 (BGBl. 1952 II, 685). 280  BGBl. 1954 II, S. 14. 281  Std. Rspr. seit BVerfGE 19, 342 (347); 128, 326 (367); 131, 268 (295). 282  BVerfGE 111, 307 (317); 128, 326 (367).

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2. Teil: Die Maßregeln der Besserung und Sicherung

einfachen Rechts und des Grundgesetzes eine optimale Gewährleistung der konventionsrechtlichen Garantien erreicht wird. Das ergibt sich aus einer völkerrechtsfreundlichen Auslegung des Grundgesetzes.283 Genauso wenig geht damit eine exakt gleiche Begriffsbestimmung gleich­ lautender Begriffe in der EMRK und dem nationalen Recht, bspw. „Strafe“, einher.284 Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) nimmt für sich in Anspruch die Begriffe der EMRK autonom, d. h. unabhängig von nationalen Regelungen, zu bestimmen, um eine effektive Gewährleistung der Garantien zu erreichen.285 b) Die Sicherungsverwahrung nach deutschem Recht und das Recht auf Freiheit und Sicherheit nach Art. 5 Abs. 1 EMRK Fraglich ist, ob die Sicherungsverwahrung, die ihrer Rechtsnatur nach Strafe ist, nach dem Recht der EMRK grundsätzlich zu rechtfertigen ist. Dazu muss sie sich mit dem Recht auf Freiheit und Sicherheit nach Art. 5 Abs. 1 EMRK vereinbaren lassen, denn Art. 5 Abs. 1 EMRK führt die Fälle zulässiger Freiheitsentziehung abschließend286 auf. Das Recht auf Freiheit und Sicherheit schützt damit die persönliche Bewegungsfreiheit vor unzuläs­ sigem staatlichem Entzug.287 Eine Maßnahme kann dabei aus mehr als einem Grund gerechtfertigt sein, muss aber wenigstens einen Grund i. S. v. Art. 5 Abs. 1 EMRK aufweisen können.288 aa) Die Sicherungsverwahrung als Freiheitsentzug nach Art. 5 Abs. 1 S. 2 lit. a EMRK Nach Art. 5 Abs. 1 S. 2 lit. a EMRK ist eine Freiheitsentziehung dann ge­ rechtfertigt, wenn sie rechtmäßig nach Verurteilung durch ein zuständiges Gericht erfolgt. Entscheidend ist daher dreierlei: Die Freiheitsentziehung muss nach einer Verurteilung eintreten. Und die Verurteilung muss durch ein 283  BVerfGE

75, 1 (19); 111, 307 (317); 128, 326 (366). 128, 326 (370); 131, 268 (295). 285  EGMR (Deweer / Belgien), Urt. v. 27.  Februar 1980, Serie A Nr. 35 Rn. 42; EGMR (Welch / Vereinigtes Königreich), Urt. v. 9.  Februar 1995, Serie A Nr. 307 Rn. 27. 286  EGMR (M. / Deutschland) EuGRZ 2010, 25 (34); EGMR HRRS 2016 Nr. 101 Rn. 105; Esser, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Art. 5 EMRK Rn. 52; Satzger, in: SSW StPO, Art. 5 EMRK Rn. 17. 287  Satzger, in: SSW StPO, Art. 5 EMRK Rn. 5, 7. 288  EGMR (M. / Deutschland) EuGRZ 2010, 25 (34); EGMR HRRS 2016 Nr. 101 Rn. 105; Esser, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Art. 5 EMRK Rn. 56. 284  BVerfGE



2. Kap.: Die Sicherungsverwahrung im Besonderen161

zuständiges Gericht erfolgt sein. Dabei ist auch hier zu beachten, dass die Begriffe autonom zu bestimmen sind.289 Verurteilung in diesem Zusammenhang ist eine bloße Schuldfeststellung so­ wie die Auferlegung einer Strafe bzw. einer anderen freiheitsentziehenden Maßnahme.290 Zuständiges Gericht ist, gemäß dem Gewaltenteilungsgrund­ satz, jeder unabhängige Spruchkörper.291 Die Zuständigkeit bestimmt sich da­ bei nach innerstaatlichem Recht. Nach einer Verurteilung tritt die Freiheitsent­ ziehung nicht lediglich bei jeder zeitlichen Folge auf eine Verurteilung ein. Erforderlich ist vielmehr ein hinreichender Kausalzusammenhang. Dieser ist dann nicht mehr gegeben, wenn die spätere Entscheidung sich auf Gründe stützt, die in der ersten Entscheidung nicht angelegt waren und sich daher mit deren Zielsetzung nicht vereinbar ist292, d. h. sie muss sich aus der ersten Ent­ scheidung ergeben, in ihr angelegt sein oder von ihr abhängen293. Der Kausal­ zusammenhang verliert folglich mit fortschreitender der Zeit an Bedeutung.294 Die Sicherungsverwahrung wird in Deutschland im Strafverfahren durch ein Strafgericht im Strafurteil angeordnet. Das ist der Grundfall des § 66 StGB. Oder sie bleibt im Strafurteil vorbehalten. Diesen Fall regelt § 66a StGB. In beiden Fällen wird sie aus Anlass begangener Straftaten angeordnet bzw. vorbehalten und (gegebenenfalls) im Anschluss an die Strafhaft vollzo­ gen. Die deutschen Strafgerichte sind hierbei als unabhängige Spruchkörper Gerichte im Sinne der Norm. Eine Schuldfeststellung und damit eine Verur­ teilung wird nach herrschender Auffassung mit der Anordnung der Siche­ rungsverwahrung mangels Unwerturteil über die Sicherungsverwahrten nicht verbunden.295 Entscheidend ist daher, ob die Freiheitsentziehung hinreichend kausal an eine Verurteilung anknüpft. Die Schuldfeststellung bezieht sich nach geltendem Recht auf die Anlasstaten, derentwegen das Strafurteil er­ geht. Weil die Vollstreckung der Unterbringung zeitlich der Verurteilung und Strafvollstreckung folgt und unmittelbar auf dieser beruht, ist im Fall der Sicherungsverwahrung nach § 66 StGB der hinreichende Kausalzusammen­ hang zwischen einer strafrechtlichen Schuldfeststellung im Urteil und der Freiheitsentziehung aufgrund der Unterbringung zweifelsohne gegeben.296 289  Satzger,

in: SSW StPO, Art. 5 EMRK Rn. 18. (M. / Deutschland) EuGRZ 2010, 25 (34); EGMR (B. / Deutschland) EuGRZ 2012, 383 (389). 291  Satzger, in: SSW StPO, Art. 5 EMRK Rn. 18. 292  EGMR (M. / Deutschland) EuGRZ 2010, 25 (34 f.). 293  EGMR (B. / Deutschland) EuGRZ 2012, 383 (389). 294  EGMR (M. / Deutschland) EuGRZ 2010, 25 (34 f.); EGMR (Haidn / Deutschland) NJW 2011, 3423 (3424 f.); EGMR (B. / Deutschland) EuGRZ 2012, 383 (389). 295  Anders nach dem hier vertretenen Ansatz. 296  EGMR (M. / Deutschland) EuGRZ 2010, 25 (36); EGMR (B. / Deutschland) EuGRZ 2012, 383 (390); Esser, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Art. 5 EMRK Rn. 80; 290  EGMR

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2. Teil: Die Maßregeln der Besserung und Sicherung

Bei der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung nach § 66a StGB erfolgt die Anordnung der dagegen erst im Nachverfahren gem. § 275a StPO durch das Gericht des ersten Rechtszuges. Gericht des ersten Rechtszuges ist die Straf­ kammer bzw. der Strafsenat, welche über den Vorbehalt entschieden hat, §§ 74f Abs. 1, 120a Abs. 1 GVG, Diese Anordnung entspricht wiederum nicht dem Kriterium einer Verurteilung nach Art. 5 Abs. 1 S. 2 lit. a EMRK, denn mit ihr ist an sich keine Schuldfeststellung verbunden.297 Gleiches gilt für die Anordnung des Vollzugs der Sicherungsverwahrung durch das Voll­ streckungsgericht. Beide beruhen nach herrschender Ansicht auf der An­ nahme der Rückfallgefahr und damit nicht unmittelbar auf schuldhaften Ver­ halten. Entscheidend ist damit wiederum, ob ein hinreichender Kausalzu­ sammenhang besteht. Richtig ist nun zwar, dass die zweite Entscheidung in einem weiteren Verfahren mit Hauptverhandlung ergeht, § 275a Abs. 1 und Abs. 2 StPO. Doch das schließt den Kausalzusammenhang nicht aus: Ers­ tens ist das neuerliche Verfahren aufgrund des Vorbehalts notwendige Folge des ersten Verfahrens298, also von diesem abhängig. Zweitens ist der Vorbe­ halt im Strafurteil des Ausgangsgerichts angelegt, denn die Prognose ist ja beim Vorbehalt zwar nicht positiv feststellbar, aber jedenfalls nicht gänzlich von der Hand zu weisen. Drittens ist das Gericht im Nachverfahren weitge­ hend an die Feststellungen des Ausgangsgerichts gebunden.299 Neue Tatsa­ chen können sich hier lediglich in Bezug auf den Sicherungsverwahrten er­ geben. Nach alledem ist damit auch für den Fall der vorbehaltenen Siche­ rungsverwahrung der notwendige hinreichende Kausalzusammenhang gege­ ben.300 Damit erweist sich die Freiheitsentziehung aufgrund der Sicherungsver­ wahrung nach deutschem Recht als zulässige Freiheitsentziehung nach Art. 5 Satzger, in: SSW StPO, Art. 5 EMRK Rn. 19; Ullenbruch / Drenkhahn / Morgenstern, in: MünchenerKomm StGB, § 66 Rn. 34. 297  So zu § 66b StGB a. F. bei welcher die Sicherungsverwahrung ebenso im Nachverfahren angeordnet wird: EGMR (M. / Deutschland) EuGRZ 2010, 25 (36); EGMR (Haidn / Deutschland) NJW 2011, 3423 (3424); EGMR (B. / Deutschland) ­EuGRZ 2012, 383 (390). 298  BVerfGE 131, 268 (302); Greger, in: KK-StPO, § 275a Rn. 2; Frister, in: Sys­ tematischerKomm StPO, § 275a Rn. 37; Rissing-van Saan / Peglau, in: Leipziger­ Komm StGB, § 66a Rn. 16; Laue, JR 2010, S. 198 (203). 299  Greger, in: KK-StPO, § 275a Rn. 17; Güntge, in: SSW StPO, § 275a Rn. 10; Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, § 275a Rn. 39. 300  BVerfGE 131, 268 (302); Esser, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Art. 5 EMRK Rn. 85; Schädler / Jakobs, in: KK-StPO, Art. 5 EMRK Rn. 14; Rissing-van Saan / Peglau, in: LeipzigerKomm StGB, § 66a Rn. 16; Ullenbruch / Morgenstern, in: MünchenerKomm StGB, § 66a Rn. 43; Jehle / Harrendorf, in: SSW StGB, § 66a Rn. 5; Hörnle, in: FS Rissing-van Saan, S. 239 (252); Laue, JR 2010, S. 198 (203); Satzger, StV 2013, S. 243 (247); krit.: Kinzig, NStZ 2010, S. 233 (239).



2. Kap.: Die Sicherungsverwahrung im Besonderen163

Abs. 1 S. 2 lit. a EMRK.301 Das setzt natürlich voraus, dass sie auch im Üb­ rigen nach innerstaatlichen Grundsätzen rechtmäßig angeordnet bzw. vorbe­ halten wird. bb) Die Sicherungsverwahrung als Freiheitsentzug nach Art. 5 Abs. 1 S. 2 lit. c EMRK Nach Art. 5 Abs. 1 S. 2 lit. c EMRK ist eine Festnahme oder Freiheitsent­ ziehung zur Vorführung vor das zuständige Gericht dann gerechtfertigt, wenn ein hinreichender Verdacht besteht, dass die betreffende Person eine Straftat begangen hat, oder wenn begründeter Anlass zu der Annahme besteht, dass es notwendig ist, sie an der Begehung einer Straftat oder an der Flucht nach der Begehung einer solchen zu hindern. Damit hat die Regelung zwei Ziel­ richtungen. Erstens zielt sie auf die Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung im Rahmen der Untersuchungshaft ab. Zweitens regelt sie den Fall einer Präventivhaft. Letzterer könnte nun auch die Sicherungsverwahrung legiti­ mieren, denn er erlaubt die Freiheitsentziehung für den Fall, dass ein begrün­ deter Anlass zu der Annahme besteht, dass eine Straftat begangen werden wird. Dem ist jedoch klar zu widersprechen. Eine (längerfristige) Sicherungsver­ wahrung lässt sich damit nicht rechtfertigen. Das ergibt sich aus folgenden Gründen. Die Regelung der Präventivhaft ist auf Fälle der Verhütung konkre­ ter und spezifischer Straftaten, die sowohl Ort, als auch Zeit und Opfer er­ kennen lassen, zugeschnitten.302 Eine Präventivhaft soll also möglich sein, wenn die Taten kurz bevorstehen und hinreichend klar umrissen sind. Das ist bei den Fällen der Sicherungsverwahrung nicht gegeben. Hier besteht zwar eine gewisse Wahrscheinlichkeit für künftige Straftaten. Diese sind aber an sich vage und nicht klar umrissen. Das ist nicht ausreichend. Zweitens sind die Fälle zulässiger Freiheitsentziehung nach dieser Variante stets im Zusam­ menhang mit Art. 5 Abs. 3 S. 1 EMRK zu sehen.303 Danach muss die Person unverzüglich einem Richter vorgeführt werden. Hier liegt das gesetzliche Leitbild der „habeas-corpus“ offen zu Tage.304 Es soll damit gerade ein zügi­ ges Verfahren und eine Beschränkung der Freiheitsentziehung auf das absolut 301  EGMR (M. / Deutschland) EuGRZ 2010, 25 (36); EGMR (B. / Deutschland) EuGRZ 2012, 383 (390). Beide Urteile bezüglich des Normalfalls des § 66 StGB. Im Ergebnis ebenso: BVerfGE 131, 268 (296 ff.). 302  EGMR (M. / Deutschland) EuGRZ 2010, 25 (36); Esser, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Art. 5 EMRK Rn. 134. 303  EGMR (M. / Deutschland) EuGRZ 2010, 25 (36); EGMR (Haidn / Deutschland) NJW 2011, 3423 (3425). 304  Paeffgen, in: SystematischerKomm StPO, Art. 5 EMRK Rn. 52.

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2. Teil: Die Maßregeln der Besserung und Sicherung

Erforderliche sichergestellt werden.305 Zwar ist nicht von der Hand zu wei­ sen, dass in den Fällen der Untersuchungshaft auch langandauernde Frei­ heitsentziehungen gerechtfertigt sein können. Doch auch das ist nur der Fall für den dringenden Verdacht einer Straftat. Auf den Fall der Präventivhaft angewandt, bedeutet das, dass auch hier Freiheitsentziehungen von gewisser Dauer möglich sind. Aber eben nur für den Fall, dass ein bestimmter Ver­ dacht in obigem Sinne besteht. Für die anderen Fälle, ist eine Präventivhaft gerade nicht zulässig. Die Freiheitsentziehung aufgrund der Sicherungsverwahrung nach deut­ schem Recht lässt sich daher nicht nach Art. 5 Abs. 1 S. 2 lit. c EMRK recht­ fertigen. cc) Die Sicherungsverwahrung als Freiheitsentzug nach Art. 5 Abs. 1 S. 2 lit. e EMRK Nach Art. 5 Abs. 1 S. 2 lit. e EMRK ist eine Freiheitsentziehung dann ge­ rechtfertigt, wenn sie rechtmäßig mit dem Ziel, eine Verbreitung anstecken­ der Krankheiten zu verhindern, sowie bei psychisch Kranken, Alkohol- oder Rauschgiftsüchtigen und Landstreichern erfolgt. Relevant für die Frage der Rechtfertigung einer Freiheitsentziehung aufgrund einer Sicherungsverwah­ rung ist die Variante der „psychisch Kranken“. Psychisch krank ist allge­ meinhin, wessen Verstand, Willen, bzw. Gefühls- oder Triebleben länger an­ dauernd gestört und daher die Einsichts- oder Handlungsfähigkeit nicht nur unerheblich beeinträchtigt ist.306 Der Begriff ist aber in seinem Umfang offen für neue medizinische Entwicklungen.307 Von der Mehrheitsvorstellung einer Gesellschaft abweichendes Verhalten stellt noch keine psychische Erkran­ kung dar.308 Erforderlich sind vielmehr folgende Kriterien:309 Ein medizini­ sches Gutachten muss die psychische Erkrankung der Person darlegen. Die Unterbringung in einer psychischen Heilanstalt muss notwendig sein. Das heißt, es darf kein milderes Mittel existieren. Und letztlich muss die Unter­ 305  Esser,

in: Löwe-Rosenberg, StPO, Art. 5 EMRK Rn. 234. Aller: Esser, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Art. 5 EMRK Rn. 14. 307  EGMR HRRS 2016 Nr. 101 Rn. 106. Der EGMR betont, dass keine allgemein­ verbindliche Definition existiert, EGMR (Winterwerp / Niederlande), Urt. v. 24. Okto­ ber 1979, Serie A Nr. 33 Rn. 37: „This term is not one that can be given a defintive interpretation […]“. 308  EGMR (Winterwerp / Niederlande), Urt. v. 24.  Oktober 1979, Serie A Nr. 33 Rn. 37: „[…] Article 5 § 1 obviously cannot be taken as permitting the detention of a person simply because his views or behavior deviate from the norms prevailing in a particular society.“. 309  EGMR (Winterwerp / Niederlande), Urt. v. 24.  Oktober 1979, Serie A Nr. 33 Rn. 38 ff.; EGMR HRRS 2016 Nr. 101 Rn. 105. 306  Statt



2. Kap.: Die Sicherungsverwahrung im Besonderen165

bringung auch unter dem Aspekt des Fortbestehens der Erkrankung notwen­ dig sein. Fällt die psychische Erkrankung weg, ist die Freiheitsentziehung nicht mehr gerechtfertigt. Diese Grundsätze sind auf den jeweiligen Einzelfall anzuwenden. Dabei liegt bereits auf der Hand, dass damit keine generelle Rechtfertigung der deutschen Sicherungsverwahrung einhergehen kann, sondern die Rechtferti­ gung sich nur gegenüber dem einzelnen Straftäter ergeben könnte. Denn eine psychische Störung im obigen Sinne mag zwar bei manchem Täter vorliegen. Für die Anordnung der Unterbringung nach §§ 66, 66a StGB zwingend ist das jedoch nicht. Der EGMR hat aber jüngst die Unterbringung nach dem Therapieunterbringungsgesetz als grundsätzlich mit Art. 5 Abs. 1 S. 2 lit. e EMRK vereinbar angesehen, jedoch betont, dass der Begriff der psychischen Störung in § 1 ThUG weiter ist, als der der psychischen Krankheit in Art. 5 EMRK und zur Behandlung die Unterbringung in einem Krankenhaus oder einer psychischen Heilanstalt erforderlich sein muss.310 Zu beachten ist ebenso, dass das deutsche Maßregelrecht die Unterbrin­ gung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB für die Fälle der für die Allgemeinheit gefährlichen Personen vorgesehen ist, wenn deren Schuld bei Tatbegehung zumindest vermindert i. S. v. § 21 StGB war. Wenn für diesen Personenkreis aber die Unterbringung anzuordnen ist, betrifft die Unterbringung nach §§ 66, 66a StGB grundsätzlich einen anderen Kreis von Straftätern. Folglich betreffen die zur Anordnung der Sicherungsverwahrung führenden Feststellungen gerade keine psychische Krankheit.311 Aber auch dann ist zu berücksichtigen, dass der Vollzug der Sicherungsverwahrung nicht in einem psychiatrischen Krankenhaus stattfindet. Und nur das erlaubt der genannte Rechtfertigungsgrund, denn es muss eine therapeutische Umge­ bung geschaffen werden, die den Anforderungen an die Behandlung des Untergebrachten entspricht.312 Daher kann eine Freiheitsentziehung durch die Sicherungsverwahrung nach deutschem Recht grundsätzlich nicht von Art. 5 Abs. 1 S. 2 lit. e EMRK gerechtfertigt werden. dd) Schlussfolgerungen aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 EMRK für das deutsche Recht der Sicherungsverwahrung Die Freiheitsentziehungen aufgrund der nach deutschem Recht gemäß §§ 66, 66a StGB angeordneten Sicherungsverwahrungen stellen unter den zu 310  EGMR

HRRS 2016 Nr. 101 Rn. 123. (Haidn / Deutschland) NJW 2011, 3423 (3425). 312  EGMR (B. / Deutschland) EuGRZ 2012, 383 (390). 311  EGMR

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2. Teil: Die Maßregeln der Besserung und Sicherung

beachtenden Voraussetzungen rechtmäßige Eingriffe in das Recht auf Frei­ heit und Sicherheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 2 lit. a EMRK dar. Nicht gerechtfertigt erschien im Hinblick darauf die lediglich nachträglich angeordnete Sicherungsverwahrung nach § 66b StGB a. F.313 Danach konnten Straftäter untergebracht werden, selbst wenn die Voraussetzungen der Anord­ nung nach §§ 66, 66a StGB zum Zeitpunkt des Strafurteils nicht vorlagen. Sie wurde im Nachverfahren nach § 275a StPO angeordnet, wenn „vor Ende des Vollzugs [der, Verf.] Freiheitsstrafe Tatsachen erkennbar [wurden, Verf.], die auf eine erhebliche Gefährlichkeit des Verurteilten für die Allgemeinheit hinweisen, so […] dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten begehen werde.“, vgl. § 66b Abs. 1 und Abs. 2 StGB a. F. Bezüglich Art. 5 Abs. 1 S. 2 lit. a EMRK war die Rechtslage im Ausgangspunkt vergleichbar mit dem Fall der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung (s. o.). Die Verurtei­ lung konnte nur in dem Strafurteil durch ein zuständiges deutsches Gericht gesehen werden. Den Feststellungen im Nachverfahren fehlte der Schuldbe­ zug. Auch die Kausalität zwischen der Anordnung und dem Strafurteil fehlte in dieser Konstellation.314 In den Fällen des § 66b StGB gab es gar keinen rechtlichen Zusammenhang zwischen dem Urteil und der Maßnahme. Ist im Rahmen von § 66a StGB die Maßnahme im Strafurteil noch vorbehalten, fehlte bei § 66b StGB ein derartiger Bezug. Und ausweislich der Gesetzesbe­ gründung sollten gerade nur zusätzliche, d. h. nachträgliche Tatsachen be­ rücksichtigt werden, während alte und bekannte Tatsachen ausgeschlossen waren.315 Das heißt die Anordnung im Nachverfahren war nicht einmal im Strafurteil angelegt und daher mit dessen Zielsetzungen nicht vereinbar. Im Hinblick auf Art. 5 Abs. 1 S. 2 lit. e EMRK scheiterte eine Rechtfertigung der Freiheitsentziehung in diesen Fällen einerseits an dem Vollzug, der nicht in psychiatrischen Krankenhäusern stattfand, und andererseits an der man­ gelnden Feststellung der psychischen Krankheit, denn darauf kam es bei der Anordnung der Maßregel nicht an.316

313  Gesetz zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung vom 23. Juli 2004 (BGBl. I, 1838). 314  Kinzig, NStZ 2010, S. 233 (239); Laue, JR 2010, S. 198 (204); Müller, StV 2010, S. 207 (211). s. a. EGMR HRRS 2016 Nr. 101 Rn. 114. 315  BT-Drucks. 15 / 2887, S. 11 f. 316  EGMR (B. / Deutschland) EuGRZ 2012, 383 (390). Anders aber im Zusammen­ hang mit der Therapieunterbringung nun EGMR HRRS 2016 Nr. 101 Rn. 144.



2. Kap.: Die Sicherungsverwahrung im Besonderen167

c) Die Sicherungsverwahrung nach deutschem Recht als Strafe i. S. d. Art. 7 Abs. 1 EMRK aa) Autonome Begriffsbestimmung des EGMR Die autonome Begriffsbestimmung im Rahmen der EMRK und der Recht­ sprechung des EGMR gilt auch für den Begriff der „Strafe“ i. S. d. Art. 7 Abs. 1 S. 2 EMRK.317 Hier existiert jedoch kein feststehender Begriff, viel­ mehr eine Reihe von Kriterien, anhand derer der EGMR den Strafcharakter einer nationalen Maßnahme bestimmt. Nach den in der Rechtssache „Welch / Vereinigtes Königreich“ aufgestellten Grundsätzen ist dafür maßgeb­ lich318: Die Maßnahme des nationalen Rechts wird im Anschluss an eine Verurteilung wegen einer Straftat verhängt. Ihre Natur und ihr Zweck sind genauso zu berücksichtigen, wie ihre Einordnung im nationalen Recht und das Verfahren ihrer Verhängung. Letztlich ist auch die Schwere der Maß­ nahme maßgeblich. Fraglich ist daher, ob die nach deutschem Recht als Maßregel ausgestaltete Sicherungsverwahrung nach diesen Maßstäben als Strafe einzuordnen wäre. Nach der hier vertretenen These ist das ohne weiteres zu bejahen. Denn da­ nach ist die Sicherungsverwahrung die staatliche Reaktion für habituelle Kriminalität und als solche Strafe. Problematischer ist die Frage für die herr­ schende Auffassung. Dabei spricht die formale Trennung von der Strafe im nationalen Recht gegen eine solche Einordnung. Maßgeblich ist die Einord­ nung als Maßregel im zweispurigen Rechtsfolgensystem Deutschlands und insoweit ihre Unterscheidung von der Strafe. Die Rechtfertigung der Siche­ rungsverwahrung beruht nach der herrschenden Auffassung auf der staat­ lichen Schutzpflicht, was ihren präventiven Charakter unterstreichen soll.319 Ihrem Zweck nach ist die Unterbringung nach herrschender Auffassung prä­ ventiv ausgerichtet und soll die Resozialisierung der Straftäter genauso för­ dern, wie die Sicherheit der Allgemeinheit gewährleisten. Hier ergeben sich 317  EGMR (M. / Deutschland) EuGRZ 2010, 25 (39); EGMR HRRS 2016 Nr. 101 Rn. 161, 174; Satzger, in: SSW StPO, Art. 7 EMRK Rn. 8. 318  EGMR (Welch / Vereinigtes Königreich), Urt. v. 9.  Februar 1995, Serie A Nr. 307 Rn. 28: „[…] the starting-point in any assessment of the existence of a penalty is whether the measure in question is imposed following conviction for a „criminal offence“. Other factors that may be taken into account as relevant in this connection are the nature and purpose of the measure in question; its characterisa­ tion under national law; the procedures involved in the making and implementation of the measure; and its severity.“ s. a. EGMR (M. / Deutschland) EuGRZ 2010, 25 (39); EGMR HRRS 2016 Nr. 101 Rn. 161. 319  Dagegen konnte jedoch dargelegt werden, dass diese positive Begründung zu kurz greift und außerdem vorpositiv auf einen freiheitsgesetzlichen Rechtsgrund zu­ rückzuführen ist.

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2. Teil: Die Maßregeln der Besserung und Sicherung

Überschneidungen mit der Strafe, denn einerseits werden beide durch Frei­ heitsentzug durchgeführt. Andererseits dient auch der Vollzug der Strafe nach § 2 S. 2 StVollzG der Resozialisierung der Täter.320 Bis zum Inkrafttreten des § 66c StGB am 01.  Juni 2013 glichen sich der Vollzug der Freiheitsstrafe und der Sicherungsverwahrung, was für gewöhnlich als „Etikettenschwindel“ bezeichnet wurde.321 Das sprach für eine Gleichsetzung. Mit der Einführung des § 66c StGB und des damit einhergehenden intensiveren Behandlungsan­ gebotes hebt sich der Vollzug der Sicherungsverwahrung im Hinblick auf die Rehabilitation des Straftäters vom Strafvollzug ab. Nunmehr unterscheidet sich der Vollzug von Strafe und Sicherungsverwahrung also von Gesetzes wegen. Die Unterbringung nach dem Therapieunterbringungsgesetz zeichnet sich dagegen durch eine intensive Behandlung der psychischen Störung aus, welche deutlich über das Behandlungsangebot im Vollzug von Strafe und Sicherungsverwahrung hinausgeht.322 Entscheidend soll darüber hinaus das behördliche oder gerichtliche Verfah­ ren sein. Hier ist zu bedenken, dass beide Maßnahmen, genauso wie die Strafe, durch die Strafgerichte angeordnet werden. Das gilt für die Anord­ nung der Unterbringung nach § 66 StGB ebenso wie für deren nach § 66a StGB. Im ersten Fall erfolgt die Anordnung im Strafurteil. Im zweiten Fall erfolgt die Anordnung zwar im Nachverfahren nach § 275a StPO, aber durch ein Gericht im ersten Rechtszug, §§ 74f Abs. 1, 120a Abs. 1 GVG. Die ­Sicherungsverwahrung soll gerade durch das Ausgangsgericht oder ein nahe­ stehendes Gericht angeordnet werden, um eine sachliche Nähe zu garantie­ ren.323 Damit einher geht freilich auch die Anknüpfung beider Maßnahmen an Straftaten, denn auch die die Strafe ergänzende Sicherungsverwahrung kann nur bei Verwirklichung bestimmter sog. Anlass(straf)taten angeordnet werden, vgl. §§ 66, 66a StGB. Auch diese Übereinstimmungen mit der Strafe sind offensichtlich und sprechen für eine Einordnung als Strafe i. S. v. Art. 7 EMRK. Lediglich die Unterbringung nach dem Therapieunterbringungsge­ setz unterscheidet sich davon, indem es die Zuständigkeit von Zivilgerichten nach § 4ThUG begründet. Letztlich kommt es auch, aber nicht alleinig324, auf die Schwere der Maß­ nahme an. Die Sicherungsverwahrung ist eine Freiheitsentziehung, wie die 320  Das gilt auch nach den mittlerweile eingeführten Landesstrafvollzugsgesetzen; vgl. hierzu: 3. Teil 2. Kap. D. I. 1. 321  Schöch, in: LeipzigerKomm StGB, Vor § 61 Rn. 26; Jescheck / Weigend, Straf­ recht AT, S. 87 jeweils m. w. N. 322  EGMR HRRS 2016 Nr. 101 Rn. 176. 323  BT-Drucks. 15 / 2887 S. 17. 324  Nach der ständigen Rechtsprechung des EGMR ist dieses Kriterium aber „al­ lein nicht entscheidend“. Vgl. nur EGMR (M. / Deutschland) EuGRZ 2010, 25 (39, 40) m. w. N.



2. Kap.: Die Sicherungsverwahrung im Besonderen

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unbedingte Freiheitsstrafe. Es handelt sich bei der Sicherungsverwahrung aber um zeitlich unbestimmte Freiheitsentziehung. Die Freiheitsentziehung durch Einsperren ist bereits an sich eine schwerwiegende Einbuße an Rechts­ gütern. Die Anordnungen nach §§ 66, 66a StGB unterliegen jedoch nicht einem gesetzlichen Höchstmaß325. Der Vollzug ist grundsätzlich unbefristet, § 67d StGB. Für die Sicherungsverwahrten ist nicht vorhersehbar, wie lange die Unterbringung vollzogen werden wird. Ihre Auswirkungen gehen damit deutlich über die des zwar die Freiheit entziehenden und emotional belasten­ den Vollzugs einer Freiheitsstrafe hinaus. Dieser ist zeitlich begrenzt und ermöglicht so mit gewisser Sicherheit eine weitere Lebensplanung. Ebenso ist anerkannt, dass die Strafgefangenen die Möglichkeit auf ein Leben in Freiheit in Aussicht gestellt bekommen müssen.326 Genau diese Planungssi­ cherheit ist bei der Sicherungsverwahrung grundsätzlich nicht gewährleistet. Die Maßnahme wiegt damit noch deutlich schwerer als eine Freiheitsstra­ fe.327 Auch in diesem letzten Kriterium unterscheidet sich die Sicherungs­ verwahrung daher nicht relevant von der Strafe. Bis Mitte 2013 wurde sie außerdem wie die Freiheitsstrafe in eigenen Stationen in den Justizvollzugs­ anstalten unter marginalen Privilegien gegenüber den Strafgefangenen be­ züglich der Zellenausstattung, eigener Kleidung und der Beschäftigung (vgl. §§ 131 ff. StVollzG) vollzogen.328 Dass der Unterschied zur staatlichen Strafe so nur marginal und eigentlich nur theoretischer Natur war, ist offen­ sichtlich. Aufgrund der aufgezeigten Parallelen zur Strafe hatte auch der EGMR mittels autonomer Bestimmung des Strafbegriffs die deutsche Sicherungsver­ wahrung als Strafe im Sinne von Art. 7 Abs. 1 EMRK eingeordnet.329 Mit dem Gesetz zur bundeseinheitlichen Umsetzung des Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung vom 5. Dezember 2012330 formulierte der Bundesgesetzgeber ausdrücklich die Trennung des Vollzugs von Strafe und Unterbringung in § 66c Abs. 1 Nr. 2 lit. b StGB. Danach hat der Vollzug der Sicherungsverwahrung in vom Strafvollzug getrennte Abteilungen oder Ge­ 325  Ursprünglich sah das Gesetz grundsätzlich eine Beschränkung auf zehn Jahre vor, § 67d Abs. 1 S. 1 StGB a. F. Diese Beschränkung ist mit dem Gesetz zur Be­ kämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26. Januar 1998 (BGBl. I, S. 160) weggefallen. 326  BVerfGE 45, 187 (239) [zur lebenslangen Freiheitsstrafe]; 109, 133 (151); 128, 326 (377). 327  EGMR (M. / Deutschland) EuGRZ 2010, 25 (40); EGMR HRRS 2016 Nr. 101 Rn. 191. 328  Siehe zur Situation der Untergebrachten: Feest / Grüter, in: AK-StVollzG, Teil  VI Rn.  25 ff. 329  EGMR (M. / Deutschland) EuGRZ 2010, 25 (40); (Kallweit / Deutschland) ­EuGRZ 2011, 255 (262). 330  BGBl. 2012 I, S. 2425 ff. (in Kraft getreten am 1. Juni 2013).

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2. Teil: Die Maßregeln der Besserung und Sicherung

bäuden stattzufinden, darf sich aber die Infrastruktur einer Justizvollzugs­ anstalt zunutze machen.331 Letzteres ist insbesondere im Hinblick auf die Gewährleistung der Sicherheit von besonderem Interesse und wird letztlich dazu führen, dass sich eine wirkliche räumliche Trennung vom Strafvollzug nicht einstellt. Aber darauf kommt es nach den Kriterien des EGMR auch nur vordergründig an. Maßgeblich ist dagegen, dass es um einen Freiheits­ entzug in geschlossenen Anstalten handelt. Insoweit bleibt die Situation der Sicherungsverwahrten und der Strafgefangenen vergleichbar. Die Schwere der Maßnahme wird selbst unter der Beachtung des Abstandsgebotes nicht verändert und entspricht in ihrer Erheblichkeit weiterhin derjenigen der un­ bedingten Freiheitsstrafe.332 Entscheidender wäre dagegen die inhaltliche Ausgestaltung des Vollzugs der Unterbringung. Auch diesbezüglich enthält das Gesetz vom 5. Dezember 2012 eine ausdrückliche Forderung. Insoweit soll eine stärkere Hinwendung zu einer individuell abgestimmten Behandlung der Straftäter erfolgen, § 66c Abs. 1 Nr. 1 lit. a StGB. Das stellt zwar eine quantitative Konkretisierung des auch für den Strafvollzug geregelten Resozialisierungsgedankens dar. Eine qualitative Änderung geht damit aber nicht einher. Denn das Ziel bleibt letztlich dasselbe: Ein Leben in freiheitlicher Verantwortung soll gefördert werden. Dass Strafvollzug und Unterbringung dagegen Hand in Hand gehen, verdeutlicht § 66c Abs. 2 StGB. Danach soll im Falle der angeordneten oder vorbehaltenen Unterbringung nach §§ 66, 66a StGB bereits im Strafvollzug mit der in diesen Fällen notwendigen intensiveren Betreuung nicht nur be­ gonnen, sondern diese möglichst auch abgeschlossen werden. Strafvollzug und Vollzug der Sicherungsverwahrung sind folglich einander angeglichen.333 Dagegen braucht die Betreuung während des Strafvollzuges nicht in den Anstalten der Sicherungsverwahrung vollzogen werden.334 Das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Ausgestaltung des Vollzugs sich nur unwesentlich geändert hat.335 Davon unterscheidet sich allerdings der Voll­ zug der Unterbringung nach dem Therapieunterbringungsgesetz, welcher auf die Behandlung der psychischen Erkrankung ausgerichtet ist.336 Bis auf die strikt formale Trennung im deutschen Rechtsfolgensystem sprechen alle Kriterien der Bestimmung für einen Strafcharakter der Siche­ 331  BT-Drucks.

17 / 9874, S. 15 unter Verweis auf BVerfGE 128, 326 (380). auch: BVerfGE 128, 326 (390). Krit. zur Reichweite des „Abstandsgebotes“ Kaspar, ZStW 127 (2015), S. 654 (671 f.). 333  EGMR HRRS 2016 Nr. 101 Rn. 187. 334  BT-Drucks. 17 / 9874, S. 18. 335  Das deckt sich mit den Feststellungen des CPT während eines Deutschlandbe­ suchs im Jahr 2013. Ausführlich s. u.: 2. Teil 2. Kap. D. I. 1. d). 336  EGMR HRRS 2016 Nr. 101 Rn. 187. 332  So



2. Kap.: Die Sicherungsverwahrung im Besonderen171

rungsverwahrung nach deutschem Recht. Damit bleibt festzuhalten, dass die Unterbringung nach §§ 66, 66a StGB im deutschen Recht eine Strafe nach Art 7 Abs. 1 EMRK darstellt. Das entspricht der hier vertretenen Auffassung. Die Unterbringung nach dem Therapieunterbringungsgesetz stellt aufgrund der aufgezeigten Unterschiede nach Auffassung des EGMR keine Strafe in diesem Sinne dar.337 bb) Folgerungen aus dem Strafbegriff des EGMR Unmittelbar bedeutet die Auslegung der Sicherungsverwahrung nach deut­ schem Recht als Strafe i. S. d. Art. 7 Abs. 1 EMRK, dass damit die konventi­ onsrechtlichen Garantien des Bestimmtheitsgebots (S. 1) und des Rückwir­ kungsverbots (S. 2) Anwendung finden. Die Anwendung des Rückwirkungs­ verbots, wonach keine schwerere als die zur Zeit der Begehung angedrohte Strafe verhängt werden darf (vgl. Art. 7 Abs. 1 S. 2 EMRK), auf die nationa­ len Bestimmungen des Rechts der Sicherungsverwahrung hat nun zur Folge, dass die nachträgliche Anordnung338 einerseits und die nachträgliche Verlängerung339 einer Unterbringung andererseits im Hinblick auf das Rückwir­ kungsverbot als konventionswidrig anzusehen sind. Im Hinblick auf die geltende innerstaatliche Rechtslage ist dagegen anzu­ merken, dass sich eine Rückwirkungsproblematik bei der Anordnung oder dem Vorbehalt einer Unterbringung im Strafurteil nicht stellt. Bezüglich des Bestimmtheitsgebots ergeben sich die hinreichenden Anforderungen aus dem Grundgesetz, sodass im Rahmen einer verfassungsrechtlichen Prüfung darauf zurückzukommen sein wird.340 Die konventionsrechtliche Betrachtung ver­ deutlicht aber, dass die Ausgestaltung des Instituts der Sicherungsverwah­ rung, wie sie der deutsche Gesetzgeber vorgenommen hat, nichts daran än­ dert, dass sie von ihrer wahren Rechtsnatur her eine Strafe ist. Entscheidend für diese Erkenntnis ist, dass der EGMR die inhaltliche Ausgestaltung und die Wirkungen der freiheitsentziehenden Maßnahme auf den Straftäter in den Vordergrund stellt. Mittelbar ist diese Auslegung im Rahmen einer grundge­ setzlichen Beurteilung -wie dargestellt- zu berücksichtigen; eine Konsequenz die sich auch durch die Vermittlung über den freiheitsgesetzlichen Ansatz ergibt.

337  EGMR

HRRS 2016 Nr. 101 Rn. 193. (Haidn / Deutschland) NJW 2011, 3423 (3425 f.). 339  EGMR (M. / Deutschland) EuGRZ 2010, 25 (41). 340  Siehe unten: 2. Teil 2. Kap. D. II. 4. b). 338  EGMR

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2. Teil: Die Maßregeln der Besserung und Sicherung

d) Die Sicherungsverwahrung nach deutschem Recht und das Folterverbot nach Art. 3 EMRK Die Europäische Menschenrechtskonvention enthält in Art. 3 EMRK ein Verbot der Folter bzw. unmenschlicher, grausamer oder erniedrigender Strafe oder Behandlung. Das Verbot gilt damit unabhängig von der europarecht­ lichen Einordnung der Sicherungsverwahrung als Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung.341 Die Unterbringung wurde jedoch gerade als Strafe eingeordnet, sodass sie im Folgenden am Verbot unmenschlicher, grausamer bzw. erniedrigender Bestrafung zu messen ist. Das Verbot könnte hier in zweierlei Hinsicht berührt sein. Beide Problemkreise bedingen einan­ der. Erstens ist der Vollzug der Sicherungsverwahrung grundsätzlich unbe­ fristet. Bei den Sicherungsverwahrten stellt sich eine erhebliche psychische Belastung allein schon durch die Ungewissheit des Endes der Freiheitsentzie­ hung ein.342 Im Fall des Vorbehalts der Unterbringung stellt sich die seelische Belastung bereits durch die eigentliche Ungewissheit über die Verhängung der strafergänzenden Rechtsfolge ein. Daneben ist die Art der Ausgestaltung des Vollzugs betroffen. Strafen sind unmenschlich, wenn sie einen Schweregrad erreichen, wel­ cher die verhängte Sanktion unter keinem Umstand mehr als gerechtfertigt erscheinen lässt.343 Zwar wird die Sicherungsverwahrung unbefristet ange­ ordnet. Auch kann der Vollzug mitunter lebenslang erfolgen und daher in zeitlicher Hinsicht ein unerträgliches Maß erreichen. Das wäre folglich in Bezug auf den Anlass problematisch und könnte sich als unmenschlich er­ weisen. Zu beachten ist aber Folgendes: Nach der derzeitigen Gesetzeslage besteht eine in zeitlicher Hinsicht engmaschige gerichtliche Kontrolle der Notwendigkeit der Unterbringung und deren Aussetzung bzw. Erledigung nach §§ 67c- 67e StGB in Abständen von maximal einem Jahr. Eine ständige Kontrolle ist damit gewährleistet. Der Sicherungsverwahrte kann sich auf die 341  Esser,

in: Löwe-Rosenberg, StPO, Art. 3 EMRK Rn. 29. in: MünchenerKomm StGB, § 66a Rn. 29. Eindring­ lich zur vergleichbaren Situation im lebenslangen Strafvollzug BVerfGE 45, 187 (230 f.): „Kein Gefangener könne den Gedanken der lebenslangen Haft aushalten. Alle klammerten sich an die Vorläufigkeit der Situation. Jeder hoffe darauf, noch einmal die Freiheit wiederzuerlangen. Diese Hoffnung helfe ihm, Haltung zu bewah­ ren und eine totale Anpassung zu vermeiden, und schütze vor dem Zusammenbruch.“ Und weiter: „Nach 20 Jahren Strafhaft tritt dann regelmäßig das trübste, dritte Sta­ dium ein. Es leitet sich ein durch ein ‚Abflauen der guten Affekte‘: an Stelle der Hoffnungsfreudigkeit tritt dumpfe Resignation; […] er fühlt sich einer langsam zu vollziehenden Todesstrafe ausgesetzt, an Stelle früheren Vertrauens tritt Mißtrauen, Verbitterung, Haß auf die Gesellschaft. […] Das Vegetieren beginnt und siegt.“ s. a. Hall, ZStW 70 (1958), S. 41 (52 f.). 343  Esser, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Art. 3 EMRK Rn. 96. 342  Ullenbruch / Morgenstern,



2. Kap.: Die Sicherungsverwahrung im Besonderen173

bevorstehenden Überprüfungsentscheidungen des fortwährenden Vollzugs bzw. der Anordnung im Fall des Vorbehalts der Sicherungsverwahrung ein­ stellen und sie damit selbst und für sich günstig mitgestalten.344 Die Anord­ nung der Sicherungsverwahrung ohne Befristung bedeutet damit nicht zwangsläufig auch einen zeitlich unbefristeten Vollzug. Das für eine grau­ same und unmenschliche Behandlung erforderliche Mindestmaß wird wegen der vielfältigen Kontrollen noch nicht erreicht.345 Zu beachten ist auch, dass der Straftäter durch sein strafrechtlich relevantes Verhalten den Grund für die Sicherungsverwahrung geliefert hat. Eine unmenschliche und grausame Bestrafung könnte auch in der Behand­ lung der Sicherungsverwahrten im Vollzug zu sehen sein. Das wäre der Fall, wenn ein gegen die Menschenwürde verstoßender Umgang mit den Siche­ rungsverwahrten vorliegt und diese dadurch schwere Qualen erleiden.346 Eine nicht auf Resozialisierung ausgerichtete reine Verwahrung von Men­ schen führt nicht nur zu Resignation unter den Gefangenen, sondern auch zu einem allmählichen dahinvegetieren.347 Es liegt daher nahe, dass eine reine Sicherung der Sicherungsverwahrten eine unmenschliche Behandlung dar­ stellen würde. Aber auch ein grundsätzlich auf Resozialisierung ausgerichte­ ter Vollzug könnte sich noch als problematisch erweisen; entscheidend sind die tatsächlichen Verhältnisse. In diesem Zusammenhang kommt dem auf­ grund der Anti-Folter-Konvention348 tätigen Komitee (CPT)349 große Bedeu­ tung bei der Bestimmung der Vollzugsverhältnisse zu. Das CPT besucht und analysiert die Verhältnisse in Vollzugsanstalten und erstattet einen Bericht darüber.350 Im Rahmen dieser Tätigkeit wurde die Abteilung für Sicherungs­ verwahrte der JVA Tegel im Jahr 2005 besucht. Der anschließend vorgelegte Bericht spricht die dortigen Missstände deutlich an: trotz Teil- oder Vollzeit­ arbeit demotivierte Gefangene, verlorener Glaube an die Wiedererlangung 344  BVerfGE 131, 268 (290); Ullenbruch / Morgenstern, in: MünchenerKomm StGB, § 66a Rn. 28. 345  Esser, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Art. 3 EMRK Rn. 93. Im Ergebnis auch EGMR (Haidn / Deutschland) NJW 2011, 3423 (3427). 346  Esser, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Art. 3 EMRK Rn. 65. 347  BVerfGE 45, 187 (230 f.) zum Vollzug der lebenslangen Freiheitsstrafe in der bis 1977 geltenden Rechtslage. 348  Europäisches Übereinkommen zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe vom 26.11.1987; BGBl. 1989 II, 946 ff. Dazu: Puhl, NJW 1990, S. 3057 (3057 f.). 349  Europäischer Ausschuss zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (Committee for the Prevention of Torture or Degrading Treatment or Punishment, CPT). Eingehend: Lettau, ZfStrVO 2002, S. 195 ff.; Puhl, NJW 1990, S. 3057 (3057 f.). 350  Lettau, ZfStrVO 2002, S. 195 (198 f.); Esser, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Art. 3 EMRK Rn. 8; Paeffgen, in: SystematischerKomm StPO, Art. 3 EMRK Rn. 43.

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2. Teil: Die Maßregeln der Besserung und Sicherung

der Freiheit, seltene Anwesenheit des Vollzugspersonals und in der Folge mangelnde Fürsorge und Behandlungsangebote sowie -strategien.351 Das CPT hatte daher eine Verbesserung der vorgefundenen Verhältnisse dring­ lichst angemahnt352, was den Schluss rechtfertigt, dass die vorgefundenen Verhältnisse im Hinblick auf Art. 3 EMRK äußerst bedenklich waren.353 Genau wie das CPT hat in der Folge auch das Bundesverfassungsgericht das nicht nur theoretisch bestehende Gebot der Resozialisierung hervorgehoben, sondern gefordert, den Vollzug auch entsprechend zu gestalten.354 Hierauf hat der deutsche Gesetzgeber reagiert und in Umsetzung des „Abstandsgebo­ tes“ den Vollzug von Strafe und Sicherungsverwahrung getrennt und ein umfassendes Behandlungsgebot gesetzlich vorgesehen (§ 66c Abs. 1 StGB) sowie eine Sanktionsregel im Falle eines mangelnden Behandlungsangebotes eingeführt (§ 67c Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB)355. Außerdem sieht § 119a StVollzG nunmehr eine den Strafvollzug begleitende gerichtliche Kontrolle über die entsprechenden Behandlungsangebote vor.356 Der Vollzug der Sicherungsver­ wahrung ist nach geltender Rechtslage deutlicher als bisher an die Möglich­ keit der Wiedererlangung der Freiheit gebunden und mit dem Schwerpunkt der Resozialisierung ausgestaltet.357 Im Rahmen weiterer Besuche stellte sich die Lage für den CPT unter­ schiedlich dar. Beim Besuch des CPT in den Abteilungen für Sicherungsver­ wahrung der JVA Freiburg und Burg Ende 2010 hat er verschiedene Verhält­ nisse angetroffen. Während in der JVA Freiburg die Verhältnisse der Siche­ rungsverwahrten weitgehend den in der JVA Tegel im Jahr 2005 angetroffe­ nen Verhältnissen glichen, stellten sich die Bedingungen in der JVA Burg als grundsätzlich „angemessen“ dar.358 Zum Zeitpunkt des Besuchs des CPT in den Abteilungen für Sicherungsverwahrung der JVA Diez sowie erneut der 351  Bericht CPT (2007) 18, S. 41 ff.; www.cpt.coe.int / documents / deu / 2007-18-infdeu.pdf. 352  Bericht CPT (2007) 18, S. 43 f. 353  Krit. auch Klesczewski, HRRS 2010, S. 394 (397). 354  Bericht CPT (2007) 18, S. 44; BVerfGE 128, S. 326 (387). So auch Klesczewski, HRRS 2010, S. 394 (397). 355  Krit. zu dieser Sanktionsmöglichkeit siehe unten: 2. Teil 2. Kap D. II. 3. b) dd) (1) (a). 356  Dazu: BT-Drucks. 17 / 9874, S. 28. 357  § 2 Abs. 2 JVollzGB V B-W; Art. 3 Abs. 1 BaySvVollzG; § 3 Abs. 2 SVVollzG Bln; § 3 Abs. 2 BbgSVVollzG; § 3 Abs. 1 BremSVVollzG; § 3 Abs. 1 HmbSVVollzG; § 3 Abs. 1 HSVVollzG; § 3 Abs. 2 SVVollzG M-V; § 3 Abs. 1 Nds. SVVollzG; § 3 Abs. 2 LSVVollzG R-P; § 1 S. 2 SLSVVollzG i. V. m. § 3 Abs. 2 LSVVollzG R-P; § 3 Abs. 2 SächsSVVollzG; § 3 Abs. 1 SVVollzG LSA; § 3 Abs. 1 SVVollzG S-H; § 3 Abs. 1 ThürSVVollzG. 358  Bericht CPT (2012) 6, S. 45 ff.; www.cpt.coe.int / documents / deu / 2012-06-infdeu.pdf.



2. Kap.: Die Sicherungsverwahrung im Besonderen175

JVA Freiburg Ende 2013 galt bereits § 66c StGB und damit das Erfordernis einer intensiven Betreuung. In diesem Zusammenhang bemängelte das CPT jedoch, trotz im Allgemeinen guter Bedingungen der Unterbringung, die de­ fizitäre Betreuung.359 Dabei erkennt es jedoch ausdrücklich an, dass seit Einführung des § 66c StGB erst kurze Zeit vergangen sei.360 Die neuere Rechtsprechung geht mittlerweile ganz überwiegend von einem ausreichen­ den Betreuungsangebot aus.361 Nach wie vor kommt es freilich auf die Aus­ gestaltung in der Praxis an. Hier können sich im Einzelfall vielfältige Ver­ stöße ergeben. Das fängt von der Größe des Haftraums an, und betrifft Dis­ ziplinarmaßnahmen und Misshandlungen genauso, wie das Alter und den Gesundheitszustand der Sicherungsverwahrten. Diese Probleme sind jedoch nicht in den gesetzlichen Regelungen angelegt und brauchen deshalb hier nicht weiter untersucht werden. Ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK ist durch die derzeitige gesetzliche Aus­ gestaltung der des Vollzugs der Sicherungsverwahrung nicht anzunehmen. e) Ergebnis Festzuhalten bleibt, dass weder die EMRK an sich, noch der EGMR die Zulässigkeit einer sichernden Maßnahme wie der Sicherungsverwahrung nach deutschem Recht in Abrede stellen. Sie stellt eine zulässige Freiheits­ entziehung nach Art. 5 Abs. 1 S. 2 lit. a EMRK dar, wenn die dort genannten Kriterien erfüllt sind. Lediglich die nachträgliche Anordnung oder Verlänge­ rung der Sicherungsverwahrung würde nicht den Vorgaben der Konvention entsprechen. Dass die Unterbringung nach §§ 66, 66a StGB konventions­ rechtlich als „Strafe“ i. S. v. Art. 7 Abs. 1 EMRK einzustufen ist, unterstreicht die hier vertretene Auffassung und erlangt Bedeutung im Zusammenhang mit den dort genannten Garantien. In der Sicherungsverwahrung nach deutschem 359  Bericht CPT (2014) 23, S. 10 ff.; www.cpt.coe.int / documents / deu / 2014-23-infdeu.pdf. 360  Bericht CPT (2014) 23, S. 12. 361  Aus der veröffentlichten Rechtsprechung des Jahres 2016: OLG Koblenz Be­ schl. v. 21.07.2016, Az.: 2 Ws 79 / 16 = BeckRS 2016, 13532; OLG Karlsruhe Beschl. v. 11.05.2016, Az.: 1 Ws 190 / 15 = BeckRS 2016, 11357; OLG Karlsruhe Beschl. v. 09.05.2016, Az.: 1 W 169 / 15 = BeckRS 2016, 11356; OLG Hamm Beschl. v. 26.01.2016, Az.: III-1 Vollz (Ws) 410 / 15 = BeckRS 2016, 12991; OLG Frankfurt a. M. Beschl. v. 14.01.2016, Az.: 3 Ws 780 / 15 = BeckRS 2016, 13735; OLG Hamm Beschl. v. 07.01.2016, Az.: 1 Vollz (Ws) 422 / 15 = BeckRS 2016 03073 obiter dic­ tum. Nach Zeiträumen differenzierende Beurteilung der ausreichenden Betreuung des vorliegenden Falls: KG Beschl. v. 09.02.2016, Az.: 2 W 18 / 16, 141 AR 47 / 16 = BeckRS 2016, 05033. Nicht hinreichende Betreuung lag dagegen vor: OLG Nürnberg Beschl. v. 22.02.2016, Az.: 1 Ws 6 / 16 = BeckRS 2016, 09468. s. a. Schäfersküpper /  Grote, NStZ 2016, S. 197 (197 f.).

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2. Teil: Die Maßregeln der Besserung und Sicherung

Recht liegt auch grundsätzlich kein Verstoß gegen das Verbot unmenschli­ cher und erniedrigender Strafen nach Art. 3 EMRK. Die Sicherungsverwahrung entspricht folglich den Anforderungen der EMRK. Die Einordnung als „Strafe“ ist zuvörderst der autonomen Begriffs­ bestimmung geschuldet, die das Hauptaugenmerk auf die faktische Wirkung der Maßnahme gegenüber dem Sicherungsverwahrten legt. Insoweit ist die Perspektive der EMRK, die die unterschiedlichen Regelungssysteme der ihr zugehörigen Staaten miteinander in Einklang bringen muss, entscheidend. Inwiefern diese Auslegung die Beurteilung der Sicherungsverwahrung nach der deutschen Verfassungslage beeinflusst, wird im folgend zu untersuchen sein. 2. Exkurs: Die Sicherungsverwahrung und die Europäische Grundrechtscharta

Die Sicherungsverwahrung ist nicht an der Europäischen Grundrechtsch­ arta (EurGRCh) zu messen. Die Europäische Grundrechtscharta (in der geän­ derten Fassung vom 12.  Dezember 2007) wurde mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon am 1.  Dezember 2009 gemäß Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 EUV rechtsverbindlich und hat dadurch europarechtlich den Rang von Pri­ märrecht. Zwar gewährleistet die Europäische Grundrechtscharta in Art. 6 EurGRCh ein dem Art. 5 Abs. 1 EMRK vergleichbares Recht auf Freiheit und Sicherheit und trifft in Art. 49 Abs. 1 UAbs. 1 EurGRCh eine dem Art. 7 Abs. 1 EMRK vergleichbare Regelung. Insoweit bestimmt die Kohärenzklau­ sel des Art. 52 Abs. 3 S. 1 EurGRCh, das die Bedeutung und Tragweite in diesen Fällen dem Gehalt der durch die EMRK garantierten Rechte ent­ spricht.362 Der Schutzstandard wird daher durch die EMRK gewährleistet.363 Allerdings gilt die Europäische Grundrechtscharta nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 EurGRCh nur für die Organe und Einrichtungen der Union und die Mitglied­ staaten der Union, wenn sie Unionsrecht anwenden364. Letzteres ist im deut­ schen Recht der Sicherungsverwahrung nach §§ 66, 66a StGB jedoch nicht der Fall, denn es handelt sich nicht um die Umsetzung von Richtlinien oder den Vollzug von Verordnungen der EU.

362  Michl / Streinz,

in: Streinz, EUV / AEUV, Art. 52 GR-Charta Rn. 7. ZStW 118 (2006), S. 275 (327); Esser, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Einl. EMRK Rn. 137. 364  Michl / Streinz, in: Streinz, EUV / AEUV, Art. 51 GR-Charta Rn. 6. 363  Paeffgen,



2. Kap.: Die Sicherungsverwahrung im Besonderen177

II. Verfassungsmäßigkeit der Sicherungsverwahrung nach §§ 66, 66a StGB Die Sicherungsverwahrung muss den Vorgaben des Grundgesetzes ent­ sprechen. Insbesondere bedeutet das: Eine Unterbringung von Straftätern nach Verbüßung ihrer Freiheitsstrafe könnte im Hinblick auf das Freiheits­ grundrecht der Sicherungsverwahrten, Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG, aber auch im Hinblick auf ihre Menschenwürde, Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG, problematisch sein. Ebenso sind aufgrund der im Gesetz verwendeten Begriffe „Hang“ und „Gefährlichkeit“ einerseits, aber auch aufgrund der Problematik um die rück­ wirkende Anwendung, Ausführungen zur Bestimmtheit der Regelungen und dem Vertrauensschutz der Sicherungsverwahrten, Art. 20 Abs. 3 GG, zu ma­ chen. Wie bereits dargelegt, ist die EMRK bei der Auslegung und Anwendung von nationalem Verfassungsrecht zu berücksichtigen: Die Garantien der EMRK stellen einen Aspekt bei der Auslegung des Grundgesetzes dar. Sie sind insbesondere im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit eines staatlichen Grundrechtseingriffs in die Abwägung einzubeziehen.365 Dabei ist zu beachten, dass bei der Auslegung des Grundgesetzes eine optimale Ge­ währleistung der konventionsrechtlichen Garantien erreicht wird. Letzteres ergibt sich aus einer völkerrechtsfreundlichen Auslegung des Grundgeset­ zes.366 Damit sind die herausgearbeiteten Wertungen der EMRK zu Art. 5 und Art. 7 EMRK zu berücksichtigen. Daraus ergeben sich Einschränkungen, die straftheoretisch weitgehend mit dem freiheitsgesetzlichen Ansatz überein­ stimmen. Im Folgenden wird allein auf die §§ 66, 66a StGB eingegangen werden. Nur im Rahmen dieser Vorschriften stellt sich das hier interessierende Grund­ problem. Dagegen ist die „eigentlich“ nachträgliche Sicherungsverwahrung nicht mehr im Strafgesetzbuch geregelt.367 § 66b StGB erfasst nur noch den Fall der Überweisung aus dem Vollzug des § 63 StGB in die Sicherungsver­ wahrung. Auf die Fälle der rückwirkenden Anordnung und Verlängerung der Sicherungsverwahrung wird daher nur in einem Exkurs eingegangen, um die Verflechtung von Grundgesetz und EMRK zu verdeutlichen.

365  BVerfGE

128, 326 (371 f.) m. w. N. 75, 1 (19); 111, 307 (317); 128, 326 (366). 367  Durch das Gesetz zur Neordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung vom 22.12.2010 (BGBl. 2010 I, S. 2300) wurden die bisherigen Absätze 1 und 2 mit Wir­ kung zum 01.01.2011 gestrichen. 366  BVerfGE

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2. Teil: Die Maßregeln der Besserung und Sicherung 1. Gesetzgebungskompetenz

Der Bundesgesetzgeber ist für die Regelung des Rechts der Sicherungs­ verwahrung im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 Var. 2 GG zuständig. Dort wird zwar ausdrücklich nur das „Strafrecht“ genannt. Soweit man, wie hier vertreten, die Sicherungsverwah­ rung nach §§ 66, 66a StGB als Strafe begreift, ist der Bundesgesetzgeber zweifelsohne zur Regelung der Materie befugt. Für die herrschende Auffas­ sung muss jedoch genauer auf die Zuständigkeit eingegangen werden. Der Begriff des „Strafrechts“ müsste dann weit verstanden werden, um alle, d. h. auch schuldunabhängige, staatlichen Reaktionen auf Straftaten einzuschlie­ ßen. Diese Auslegung wird allgemeinhin befürwortet368 und folgt, historisch gesehen, der weiten Auslegung der Weimarer Reichsverfassung. Diese Regelungs­materie hat der Grundgesetzgeber vorgefunden und aufgegrif­ fen.369 Das gerichtliche Verfahren im Rahmen der Anordnung der Siche­ rungsverwahrung liegt daher in der konkurrierenden Zuständigkeit des Bun­ des nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 Var. 4 GG. Dazu zählen auch die Entscheidun­ gen der Vollstreckungsgerichte nach § 463 StPO.370 Ein Subsidiaritätsvorbe­ halt nach Art. 72 Abs. 2 GG besteht weder für das Strafrecht, noch das gerichtliche Verfahren. Schwieriger ist die Rechtslage in Bezug auf den Vollzug der Sicherungs­ verwahrung. Der Bund ist hier expressis verbis weder ausschließlich noch konkurrierend zur Regelung zuständig. Auch für den Strafvollzug ist er nicht zuständig. Daher kann eine weite Auslegung auch diesen Begriffs nicht statt­ finden. Das war vor der Föderalismusreform371 im Jahr 2006 anders. Bis dahin hatte der Bund die konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit für den Strafvollzug, vgl. Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG a. F. („Strafrecht und Strafvoll­ zug“), und davon auch Gebrauch gemacht. Nunmehr besteht nach der Syste­ matik des Grundgesetzes eigentlich eine ausdrückliche Zuständigkeit des Landesgesetzgebers, Art. 70 Abs. 1 GG.372 Aufgrund der Übergangsregelung des Art. 125a Abs. 1 GG gilt das Strafvollzugsgesetz des Bundes nach der Föderalismusreform in den Bundesländern weiter, sofern die Länder nicht 368  Statt Aller: BVerfGE 109, 133 (170); 109, 190 (212); BVerfG NJW 2013, 3151 (3152); Degenhart, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 74 Rn. 10, 12. 369  Zu dieser normativ-rezeptiven Kompetenz: BVerfG NJW 2013, 3151 (3152); Degenhart, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 70 Rn. 51 ff. 370  Oeter, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, Grundgesetz, Art. 74 Rn. 21; Degenhart, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 74 Rn. 20. 371  52. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 28. August 2006. 372  Für eine konkurrierende Zuständigkeit des Bundesgesetzgebers kraft Sachzu­ sammenhangs dagegen: Seebode, in: FS Küper, S. 577 (594 f.); Zazyck, in: FS See­ bode, S. 589 (600).



2. Kap.: Die Sicherungsverwahrung im Besonderen

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davon abweichend von ihrer Gesetzgebungskompetenz Gebrauch machen.373 Entscheidend ist hier Folgendes: Der Vollzug der Freiheitsstrafe und der Vollzug der Unterbringung nach §§ 66, 66a StGB sind aufeinander abzustim­ men. Nach §§ 66c Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 Nr. 1 StGB muss einem Gefangenen, gegen den die Sicherungsverwahrung angeordnet oder vorbehalten ist, bereits im Strafvollzug, aber gerade auch danach im Vollzug der strafergänzenden Sicherungsverwahrung eine intensive individuelle Betreuung zukommen, die darauf ausgerichtet ist, ihn zu resozialisieren. Es ergeben sich weitere Schnittstellen im Bereich des Vollzugs. So sind Straf- und Maßregelvollzug zwar strikt voneinander zu trennen. Eine räumliche Trennung derart, dass nicht auch Bereiche von Justizvollzugsanstalten genutzt werden können, ist jedoch nicht erforderlich.374 Der Bundesgesetzgeber ist daher in Abstimmung mit den Landesgesetzge­ bern verpflichtet, auch in diesem Bereich die wesentliche gesetzgeberische Gestaltung vorzugeben und hat dafür Sorge zu tragen, dass die Regelungen nicht durch anderslautendes Landesrecht unterwandert werden.375 Weil ein ausdrücklicher Kompetenztitel fehlt, kann es sich dabei nur um eine unge­ schriebene Gesetzgebungskompetenz des Bundes handeln. Als solche kommt eine Kompetenz kraft Sachzusammenhangs, Natur der Sache oder als Annex zu einer bestehenden Kompetenz in Betracht. Bei der Annexkompetenz be­ steht eine ausdrückliche Kompetenz des Bundes, die um eine weitere im Bereich der Vorbereitung und Durchführung erweitert wird.376 Eine Annex­ kompetenz377 zu einer bestehenden Kompetenz scheidet hier aus, denn seit der Föderalismusreform steht dem Bundesgesetzgebers ja gerade nicht mehr die Regelung des Strafvollzugs als Hauptmaterie zu. Dagegen wurde früher die Zuständigkeit für den Vollzug der Kompetenz zur Regelung des Straf­ vollzugs entnommen.378 Dass ein Annex zum „Strafrecht“ ausscheidet, zeigt bereits die frühere Differenzierung zwischen Strafrecht und Strafvollzug und die unterschiedliche Zuweisung der Kompetenz nach geltender Verfassungs­ rechtslage.379 Eine Zuständigkeit kraft Natur der Sache liegt vor, wenn ein Regelungskomplex nur begriffsnotwendig durch ein Bundesgesetz umgesetzt 373  In allen Bundesländern sind mittlerweile landeseigene Strafvollzugsgesetze in Kraft getreten. Ausführlich unten: 3. Teil 2. Kap. D. I. 1. 374  BVerfGE 128, 326 (380 f.). 375  BVerfGE 128, 326 (387 f.). Davon geht auch der Gesetzgeber aus (BT-Drucks. 17 / 9874, S. 11). 376  Degenhart, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 70 Rn. 37 f. 377  So aber: Renzikowski, NJW 2013, S. 1638 (1639), während sich Schäfersküpper / Grote, NStZ 2013, S. 447 (448) an die Rahmengesetzgebung nach Art. 75 GG a. F. erinnert fühlen. 378  Statt Aller: Oeter, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, Grundgesetz, Art. 74 Rn. 21. 379  Unklar dagegen: BVerfGE 128, 326 (388).

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2. Teil: Die Maßregeln der Besserung und Sicherung

werden kann.380 Das liegt beispielsweise bei gesamtstaatsrelevanten normati­ ven Entscheidungen vor.381 Die bundeseinheitlichen wesentlichen Regelun­ gen zum Vollzug der Maßregeln resultieren zwar aus der Umsetzung des verfassungsrechtlichen Abstandsgebots und verpflichteten den Gesetzgeber ein normatives Gesamtkonzept festzulegen.382 Ein Gesamtstaatsbezug liegt durch die Verfassungsrelevanz vor. Eine Begriffsnotwendigkeit lässt sich aber nicht erkennen. Dafür spricht auch, dass der Landesgesetzgeber in die­ sem Bereich gleichzeitig zur Absicherung der Regelungen zum Abstandsge­ bot verpflichtet sein soll.383 Die Zuständigkeit des Bundes folgt aber aus dem Sachzusammenhang. Eine Kompetenz kraft Sachzusammenhangs liegt vor, wenn eine Bundeskompetenz zur einheitlichen Regelung das Übergreifen in eine nicht geregelte Kompetenz unausweichlich macht und damit keine er­ hebliche Erweiterung der Zuständigkeit einhergeht.384 Bezugspunkt ist hier nicht die Landeskompetenz zur Regelung des Strafvollzugs, die den Vollzug der Sicherungsverwahrung als unselbständigen Teil mit umfasst. Danach er­ gäbe sich keine ungeschriebene Bundeskompetenz. Bezugspunkt ist vielmehr das „Strafrecht“ nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 Var. 2 GG.385 Dieser umfasst auch die zweite Spur, das heißt die schuldunabhängigen Rechtsfolgen einer Straf­ tat. In unmittelbaren Zusammenhang dazu, aber nicht ausdrücklich der Kom­ petenz des Bundesgesetzgebers zugewiesen, steht die Umsetzung des verfas­ sungsrechtlich gebotenen Abstandsgebots. Weil außerdem nur das Wesent­ liche vom Bundesgesetzgeber geregelt werden soll, handelt es sich nicht um eine erhebliche Erweiterung seiner Zuständigkeit. In Ausgestaltung der Vor­ gaben des Bundesgesetzgebers haben die Bundesländer eigene Gesetze zum Vollzug der Sicherungsverwahrung erlassen.386 2. Die Garantie der Menschenwürde

Die Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG ist das tragende Konsti­ tutionsprinzip des Grundgesetzes und hat den obersten Wert in der Verfas­ sung der Bundesrepublik.387 Sie ist daher von der Ewigkeitsgarantie des 380  Degenhart,

in: Sachs, Grundgesetz, Art. 70 Rn. 31, 34. 3, 407 (427) für gesamtstaatsbezogene Raumplanung. 382  BVerfGE 128, 326 (378). 383  BVerfGE 128, 326 (388). 384  Degenhart, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 70 Rn. 42, 45. 385  BVerfGE 128, 326 (388). 386  Vgl. § 1 JVollzGB V B-W; Art. 1 BaySvVollzG; § 1 SVVollzG Bln; § 1 Bbg­ SVVollzG; § 1 BremSVVollzG; § 1 HmbSVVollzG; § 1 HSVVollzG; § 1 SVVollzG M-V; § 1 Nds. SVVollzG; § 1 SVVollzG NRW § 1 LSVVollzG R-P; § 1 SLSVVollzG; § 1 SächsSVVollzG; § 1 SVVollzG LSA; § 1 SVVollzG S-H; § 1 ThürSVVollzG. 387  BVerfGE 6, 32 (36, 41); 45, 187 (223, 227); 109, 133 (149); 131, 268 (286). 381  BVerfGE



2. Kap.: Die Sicherungsverwahrung im Besonderen

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Art. 79 Abs. 3 GG umfasst. Entgegen der sonst üblichen Grundrechtsdogma­ tik, nach welcher ein Eingriff in den Schutzbereich eines Grundrechts der Rechtfertigung zugänglich ist, stellt ein staatlicher Eingriff in die Menschen­ würde stets eine Verletzung dar. Eine Rechtfertigung scheidet aus.388 Persön­ lich kommt die Menschenwürde jedem Menschen gleichermaßen, unabhän­ gig von seinem Geisteszustand oder seinen Leistungen, zu.389 Sachlich stellt sie den zu achtenden Selbstwert des Menschen dar und rückt ihn damit aus­ drücklich in die Nähe der Selbstzweckformel Kants: „[D]er Mensch muß immer Zweck an sich selbst bleiben“390 Es ist der Wert des Menschen, als selbstbestimmtes und geistig-sittliches Wesen sich selbst zu entfalten.391 Diese Selbstbestimmung und -entfaltung erfolgt in der Welt und damit in der Gemeinschaft mit Anderen. Der Mensch und die Menschenwürde müssen dazu in Bezug gesetzt werden. Die Menschenwürde ist daher gemeinschafts­ bezogen und folglich auch gemeinschaftsgebunden.392 Die Menschenwürde­ garantie ist somit in besonderer Weise Ausdruck des freiheitsgesetzlichen Rechtsprinzips. a) Grundsätzliches Nach dem freiheitsgesetzlichen Rechtsbegriff, positiv-rechtlich formuliert in der Menschenwürdegarantie, darf der Mensch niemals bloß zum Mittel staatlicher Zwecke gemacht werden.393 Hier aber liegt das Problem für die herrschende „zweispurige“ Auffassung. Diese hat zwischen der Strafe und in Ergänzung dazu der Sicherungsverwahrung zu unterscheiden. Das Wesen der Strafe ist ein staatliches, sozialethisches Unwerturteil über den Täter, wel­ ches an eine von diesem schuldhaft begangene Rechtsverletzung anknüpft.394 Das Fehlverhalten muss dem Straftäter zurechenbar, also schuldhaft, sein. Mit der Strafe ist eine sozialethische Missbilligung der Auflehnung des Straf­ täters gegen die Rechtsordnung verbunden395, die im Strafverfahren durch den Schuldspruch zum Ausdruck gebracht wird396. Auf den Punkt gebracht: 388  BVerfGE

75, 369 (380). in: Epping / Hillgruber, Grundgesetz, Art. 1 Rn. 3. 390  BVerfGE 45, 187 (228). 391  BVerfGE 45, 187 (227). 392  BVerfGE 45, 187 (227); Benda, in: FS Faller, S. 307 (312). 393  BVerfGE 28, 389 (391); 45, 187 (228); 109, 133 (149 f.); 131, 268 (286). Sog. „Objektformel“ nach Dürig, AöR 81 (1956), S. 117 (127 ff.). 394  BVerfGE 109, 133 (168); Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, S. 65; Klesczewski, Strafrecht AT, Rn. 16; Meier, Sanktionen, S. 16; Mushoff, S. 101 f.; Schmitz, Krimi­ nalstrafe, S.  21 ff. 395  BVerfGE 9, 167 (171); 22, 49 (79); 27, 18 (33); 45, 272 (288); 109, 133 (168). 396  BVerfGE 96, 245 (249). 389  Hillgruber,

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2. Teil: Die Maßregeln der Besserung und Sicherung

mit der Strafe wird persönliche Schuld ausgeglichen.397 Die Absicherung des gerechten Verhältnisses zwischen Schuld und Strafe wird verfassungsrecht­ lich durch das Schuldprinzip gewährleistet, welches sich – strafbegrenzend – insbesondere aus dem Wert des Menschen an sich und damit der Menschen­ würde ableitet.398 Nulla poena sine culpa: Keine Strafe ohne Schuld. Die Schuldbindung begrenzt die Strafe.399 Dieses Verhältnis ist Ausdruck der konkret verhängten Strafe. Begreift man auch die Sicherungsverwahrung nach §§ 66, 66a StGB als Strafe, so ergeben sich von vornherein keine Be­ denken im Hinblick auf die Menschenwürde. Denn sie ist dann als Recht des Täters gerechtfertigt; sein Recht. Diese strikte Schuldbindung fehlt der Sicherungsverwahrung, die ihrer Rechtsnatur nach Strafe ist, nach geltendem Recht im zweispurigen Rechts­ folgensystem. Sie stellt nach deutschem Recht eine Maßregel dar und enthält keinen sozialethischen Vorwurf. Vielmehr stellt sie eine Maßnahme zum Zweck des Schutzes der Bürger und der Gesellschaft dar.400 Die Sicherungs­ verwahrung wird zwar aus Anlass, aber nicht aufgrund begangener Straftaten angeordnet. Sie ist grundsätzlich unbefristet und wird im Strafurteil angeord­ net oder vorbehalten, damit sie im Anschluss an den Strafvollzug vollstreckt werden kann. Ihr Maß ist nach geltender Rechtslage nicht von der Höhe der Tatschuld abhängig. Es ist daher auf den ersten Blick nicht erkennbar, wie ein Wegsperren von Menschen aufgrund von Sicherheitsbedenken Anderer deren Menschenwürde wahrt. Das ist problematisch und hat auf Rechtferti­ gungsebene gerade dazu geführt, all diese instrumentalen Ansätze abzuleh­ nen. Der Achtungs- und Wertanspruch des Sicherungsverwahrten ist hier betroffen und verletzt; eine vermeidbare Konsequenz, sofern man die Siche­ rungsverwahrung nach §§ 66, 66a StGB als Reaktion auf begangenes Un­ recht und damit als Strafe begreift. b) Resozialisierung als Ausdruck der Menschenwürde Die Menschenwürde kommt jedem Menschen zu. Menschliches Verhalten in der Gesellschaft ist jedoch von Natur aus gemeinschaftsbezogen. Damit gehen Bindungen einher. Diese kommen im Schutz anderer Rechtsgüter vor Schaden zum Ausdruck.401 Die Gemeinschaftsgebundenheit des Menschen gebietet es grundsätzlich Einschränkungen zum Schutz wesentlicher Gemein­ 397  BVerfGE 398  BVerfGE

(389).

109, 133 (173) m. w. N. 6, 389 (439); 45, 187 (259); 109, 133 (171); 128, 326 (376); 130, 372

128, 326 (376); 130, 372 (389); Benda, in: FS Faller, S. 307 (308). 128, 326 (377). 401  BVerfGE 109, 133 (151). 399  BVerfGE 400  BVerfGE



2. Kap.: Die Sicherungsverwahrung im Besonderen

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schaftsgüter anzuerkennen.402 Denn „es ist der staatlichen Gemeinschaft nicht verwehrt, sich gegen einen gemeingefährlichen Straftäter durch Frei­ heitsentzug zu sichern“403. Dieses Recht beruht auf dem habituellen Unrecht der Straftäter und ist keineswegs so zu verstehen, dass einem Menschen aufgrund begangener Straftaten die Menschenwürde abhandenkommt.404 Eine Verwirkung kennt das Grundgesetz nur in den nach Art. 18 GG aufge­ zählten abschließenden405 Fällen. Die Menschenwürde gehört offensichtlich nicht dazu. Sie ist unantastbar. Auch liegt in dem Freiheitsentzug an sich noch keine Verletzung der Menschenwürde, vielmehr eine natürliche Grenze. Die durch habituelles Unrecht und Schuld auf sich geladene und als sein Recht sich erweisende Strafe, ist die Grundlage der Wiederherstellung des partikular infrage gestellten Rechtsverhältnisses. Eine Verletzung kann sich erst aus dem Maß einer darüber hinausgehenden Beschränkung ergeben. Deswegen muss die Menschenwürde im Falle einer Anordnung und des Voll­ zugs der Sicherungsverwahrung gewahrt werden. Das ist sie grundsätzlich, weil die Sicherungsverwahrung nach der hier vertretenen Auffassung Aus­ druck der Strafgerechtigkeit ist. Als problematisch würde sich dagegen ein lediglich sichernder Vollzug erweisen. Schädlichen Wirkungen eines reinen Verwahrvollzugs muss vorge­ beugt werden und der Grundsatz der Resozialisierung den Vollzug bestim­ men.406 Richtig begriffen ist dieser ja Ausdruck der Strafgerechtigkeit in ei­ nem freiheitsgesetzlichen Ansatz. Damit wird gewährleistet, dass der Siche­ rungsverwahrte eine wirkliche Möglichkeit auf die Wiedererlangung der Freiheit hat. Dadurch wird gerade seine Menschenwürde geachtet.407 Die gegenüber vereinzelten (möglicherweise lediglich Konflikt-)Taten erhöhte Schuld, spiegelt sich im intensivierten Anspruch auf Resozialisierung wider. Dieser setzt vor allem ein vorrangiges Angebot zur Behandlung der Siche­ rungsverwahrten voraus. Bedenklich ist insoweit, dass die Sicherungsver­ wahrung nach derzeitiger Ausgestaltung stets erst nach der Strafe vollstreckt 402  BVerfGE 109, 133 (151, 186); 131, 268 (288): dasselbe gilt für die vorbehal­ tene Sicherungsverwahrung; Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Henneke, Grundgesetz, Art. 1 Rn. 47. 403  BVerfGE 45, 187 (242); 131, 268 (288). 404  BVerfGE 109, 133 (150); 131, 268 (287). 405  BVerfGE 10, 118 (123). 406  BVerfGE 109, 133 (151, 153 und öfter); 128, 326 (387 und öfter); Freund, GA 2010, S. 193 (203). Das gilt freilich auch für die vorbehaltene Sicherungsverwahrung: BVerfGE 131, 268 (289); Starck, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, Grundgesetz, Art. 1 Rn. 71; Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Henneke, Grundgesetz, Art. 1 Rn. 47. 407  Benda, in: FS Faller, S. 307 (313) betont richtigerweise, dass dies die Mitwir­ kung des Häftlings voraussetzt und leitet die Forderung nach Resozialisierung im Übrigen auch aus dem Sozialstaatsprinzip ab.

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2. Teil: Die Maßregeln der Besserung und Sicherung

wird. Denn im Strafvollzug sind die Behandlungsmöglichkeiten im Vergleich zum Maßregelvollzug defizitär. Insoweit hat zwar die Neuregelung in § 66c StGB einen richtigen Kern. Die sich in der habituellen Schuld des Straftäters zeigende verkehrte Einstellung zum Recht ist sofort und soweit wie möglich durch Behandlungsangebote wirksam anzugehen. Es muss jedoch bezweifelt werden, dass die Behandlung in Anstalten, in denen Strafe vollzogen wird, dafür ausreicht. Ein frühzeitiger Maßregelvollzug entspräche dem Bedürfnis und Anspruch des Gefangenen optimal408, auch wenn der Strafvollzug nach geltender Rechtslage (§ 66c StGB) im Ansatz auf die Behandlung der habi­ tuellen Schuld ausgerichtet ist. Lediglich ein reiner Verwahrvollzug würde, wie gezeigt, einen Menschenwürdeverstoß darstellen. In der derzeitigen Aus­ gestaltung kann dagegen kein Verstoß gegen die Menschenwürdegarantie gesehen werden. c) Das Verbot erniedrigender, grausamer und unmenschlicher Behandlung als Ausdruck der Menschenwürde Der Menschenwürde ist auch eigen, dass sie ein Verbot erniedrigender, grausamer und sonstiger unmenschlicher Behandlungen und Strafen ent­ hält.409 Das könnte hier dadurch berührt sein, dass die Sicherungsverwahrung grundsätzlich unbefristet angeordnet wird. Bei den Sicherungsverwahrten stellt sich eine erhebliche psychische Belastung allein schon durch die Unge­ wissheit des Endes der Freiheitsentziehung ein.410 Die Situation ist vergleich­ bar mit einem „Damoklesschwert“. Im Fall des Vorbehalts der Sicherungs­ verwahrung nach § 66a StGB könnte die seelische Belastung bereits durch die eigentliche Ungewissheit über die Verhängung der Sicherungsverwahrung eine unmenschliche Behandlung darstellen. Hier würde sich die Ungewiss­ heit des Strafgefangenen über den Entlassungszeitpunkt in anderem Gewand erneut stellen. Daher liegt in diesen Fällen zwangsläufig eine doppelte Unge­ wissheit vor. In einem reinen Verwahrvollzug läge eine unmenschliche Behandlung, weil sie anstatt den Selbstwert des Sicherungsverwahrten zu achten, ihn zur Ge­ währleistung der Sicherheit aller Anderen wegsperrt. Das verstößt, wie bereits dargelegt, gegen Art. 3 EMRK und auch gegen die Menschenwürde.411 Daher 408  Siehe

unten: 4. Teil 1. Kap. B. I. 109, 133 (151); 131, 268 (290). Zur parallelen Thematik bei der Frei­ heitsstrafe: BVerfGE 45, 187 (228). 410  Ullenbruch / Morgenstern, in: MünchenerKomm StGB, § 66a Rn. 29. Eindring­ lich zur vergleichbaren Situation im lebenslangen Strafvollzug nach der bis 1977 geltenden Rechtslage: BVerfGE 45, 187 (230 f.). s. a. oben: 2. Teil 2. Kap. D. I. 1 d). 411  Siehe zur lebenslangen Freiheitsstrafe: BVerfGE 45, 187 (229, 238 f.). 409  BVerfGE



2. Kap.: Die Sicherungsverwahrung im Besonderen

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ist der Vollzug der Sicherungsverwahrung straftheoretisch und von Verfas­ sungs wegen an die Möglichkeit der Wiedererlangung der Freiheit gebunden und mit dem Schwerpunkt der Resozialisierung auszugestalten. Weitere An­ forderungen lassen sich der Menschenwürdegarantie jedoch nicht entnehmen. Soweit die Persönlichkeit geachtet wird, ist die zeitliche Dauer zweitrangig. In beiden Fällen kann sich der Sicherungsverwahrte durch die Resozialisierungs­ maßnahmen auf die bevorstehenden Überprüfungsentscheidungen des fort­ währenden Vollzugs bzw. der Anordnung im Fall des Vorbehalts einstellen und sie damit selbst für sich günstig mitgestalten.412 Gerade dadurch wird seine Menschenwürde geachtet. Die rechtlichen Probleme der Dauer des Vollzugs liegen im Anwendungsbereich des Rechts auf Freiheit nach Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG und dem dort zu beachtenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Die Men­ schenwürde aber verlangt weder einen von Anfang an zeitlich absehbaren Vollzug der Sicherungsverwahrung413, noch steht sie einer im Rahmen der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung aufgeschobenen Anordnung entge­ gen.414 3. Die Garantie der persönlichen Freiheit

Nach Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG ist die Freiheit der Person unverletzlich. Damit ist die körperliche Bewegungsfreiheit jedes Menschen gemeint. Das ergibt sich zwar nicht unmittelbar aus dem Wortlaut der Regelung. Nach Art. 2 Abs. 1 GG ist jedoch die persönliche Entfaltung gewährleistet und Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG garantiert das Recht auf Leben und körperliche Unversehrt­ heit. Die Freiheit der Person muss daher etwas Anderes bedeuten. Der spezi­ fische Gehalt des Grundrechts verdeutlicht sich im Zusammenhang mit Art. 104 GG. Dieser erweitert den Schutz der persönlichen Freiheit um eine verfahrensmäßige Komponente. Im dortigen Regelungszusammenhang wird eindeutig auf Freiheitsbeschränkungen und -entziehungen abgestellt. Das Recht auf persönliche Freiheit und das grundrechtsgleiche Recht aus Art. 104 GG sind untrennbar miteinander verknüpft.415 Damit kann dann aber Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG nur die Fortbewegungsfreiheit meinen.416 Sie gewährleistet das Recht eines jeden Menschen, seinen Aufenthaltsort ohne staatliche Ein­ 412  BVerfGE 131, 268 (290). Zur Mitwirkungspflicht im (Straf-)Vollzug: Benda, in: FS Faller, S. 307 (313). 413  BVerfGE 109, 133 (153 f.); Starck, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, Grundgesetz, Art. 1 Rn. 71; Hillgruber, in: Epping / Hillgruber, Grundgesetz, Art. 1 Rn. 34. 414  BVerfGE 131, 268 (290). 415  BVerfGE 10, 302 (322); 58, 208 (220); 86, 288 (326); 105, 239 (247) 109, 190 (252); Schulze-Fielitz, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 2 II Rn. 22, 98. 416  Starck, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, Grundgesetz, Art. 2 Rn. 196. Der Schutz­ bereich von Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG und dem grundrechtsgleichen Recht aus Art. 104

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griffe zu ändern.417 Somit bildet sie die Grundlage dafür, dass Menschen sich in der Welt bewegen, mit anderen Menschen in Kontakt treten oder verein­ zelt bleiben können. Daher ist die persönliche Freiheit die Grundlage der Entfaltung der Persönlichkeit.418 Aus dieser Garantie folgt zweierlei. Der Bürger hat, wie bei jedem Grundrecht, einen Abwehranspruch gegen den Staat, wenn in nicht gerechtfertigter Weise in das Grundrecht eingegriffen wird. Eingriffe können sich in Form von Beschränkungen oder Entziehung der Freiheit äußern. Der Staat wiederum ist gegenüber seinen Bürgern ver­ pflichtet, diese vor Übergriffen durch private Dritte zu schützen. Die öffent­ liche Gewalt muss daher das Instrumentarium zum Schutz bieten.419 Diese Schutzpflichtdogmatik ist bereits dargestellt worden.420 Der Vollzug der Sicherungsverwahrung ist eine Freiheitsentziehung nach Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG. Der Wortlaut „unverletzlich“ in Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG verdeutlicht die herausgehobene Stellung des Grundrechts. Eingriffe in das Grundrecht müssen daher strenge verfassungsrechtliche Anforderungen erfül­ len, um gerechtfertigt zu sein. Diese gliedern sich in formale und inhaltliche Anforderungen. Dabei sind die straftheoretischen Grundlagen und die Wer­ tungen der EMRK zu berücksichtigen. a) Formale Anforderungen an die Rechtfertigung einer Freiheitsentziehung Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG regelt nur einen einfachen Gesetzesvorbehalt für staatliche Eingriffe in die persönliche Freiheit. Art. 104 GG erweitert die Ver­ fahrensanforderungen für die staatliche Gewalt. Weil Freiheitsentziehungen ein Mehr zu den bloßen Beschränkungen darstellen, findet Art. 104 GG trotz Unterscheidung zwischen Beschränkungen und Entziehungen in den Anforde­ rungen insgesamt Anwendung.421 Eine Freiheitsentziehung wie die Siche­ rungsverwahrung kann daher nur aufgrund eines förmlichen Gesetzes und unter Einhaltung der vorgesehenen Form- und Verfahrensweisen, Art. 2 Abs. 2 S. 3, 104 Abs. 1 S. 1 GG, grundsätzlich nur durch eine richterliche Anord­ nung, Art. 104 Abs. 2 S. 1 GG, und unter Benachrichtigung einer Vertrauens­ person bzw. eines Angehörigen, Art. 104 Abs. 4 GG, gerechtfertigt sein. GG ist, mit Ausnahme von Art. 104 Abs. 1 S. 2 GG, deckungsgleich: Epping / Hillgru­ ber / Radtke, Art. 104 Rn. 2. 417  Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Henneke, Grundgesetz, Art. 2 Rn. 20, 71; Lang, in: Epping / Hillgruber, Grundgesetz, Art. 2 Rn. 84. 418  BVerfGE 128, 326 (372); Lang, in: Epping / Hillgruber, Grundgesetz, Art. 2 Rn. 84. 419  BVerfGE 39, 1 (41); Schulze-Fielitz, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 2 II Rn. 113. 420  Siehe oben: 2. Teil 1. Kap. B. II 2. 421  Radtke, in: Epping / Hillgruber, Grundgesetz, Art. 104 Rn. 2.



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Es wurde bereits dargelegt, dass die §§ 66 ff. StGB, als vom Bundesgesetz­ geber im vorgesehenen Gesetzgebungsverfahren erlassene Vorschriften, mit­ hin ein förmliches Gesetz sind. Die Anordnung erfolgt durch einen Richter, sodass Art. 104 Abs. 2 S. 1 GG gewahrt ist. Das ist für die die erstmalige Anordnung einer Sicherungsverwahrung nach § 66 StGB durch die Anord­ nung im Strafurteil gewährleistet und für die vorbehaltene Sicherungsver­ wahrung durch die gerichtliche Entscheidung im Nachverfahren nach § 275a StPO umgesetzt. Nach Art. 104 Abs. 2 S. 1 GG erforderlich ist auch, dass die Fortdauer einer Freiheitsentziehung vom Richter angeordnet wird. Zwar wird die (vorbehaltene) Sicherungsverwahrung nach geltendem Recht unbefristet angeordnet, §§ 67d Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 StGB. Insoweit muss die Fortdauer nicht angeordnet werden. Aber auch jede Entscheidung über die Nichtfort­ dauer enthält negativ eine Entscheidung über die Fortdauer. Daher ist der Richtervorbehalt auch hier eingehalten. Zuständig ist in den Fällen der Erle­ digung (§§ 67d Abs. 3, 67e StGB) und der Aussetzung (§§ 67c, 67d Abs. 2, 67e StGB), die Strafvollstreckungskammer nach §§ 463 Abs. 3, 454 Abs. 1 S. 1 StPO i. V. m. § 462a Abs. 1 StPO, § 78a GVG. In den Fällen des Wider­ rufs der Aussetzung (§ 67g StGB) ist die Strafvollstreckungskammer nach §§ 463 Abs. 6, 462 StPO i. V. m. § 462a StPO, § 78a GVG zuständig. Umstritten ist bisher geblieben, ob die Sicherungsverwahrung auch voll­ streckt werden kann, wenn nach dem Ende des Strafvollzugs noch keine Entscheidung darüber ergangen ist, oder ob dem das Gebot einer vorgängi­ gen richterlichen Entscheidung nach Art. 104 Abs. 2 S. 1 GG entgegensteht. Eine richterliche Vollstreckungsentscheidung ist nach § 67c Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB grundsätzlich erforderlich, damit feststeht, dass der Zweck der Siche­ rungsverwahrung ihren Vollzug noch erfordert. Die Prüfung sichert den „ul­ tima ratio“ Charakter der Sicherungsverwahrung. Entscheidend dafür, ob hierin ein Verstoß gegen Art. 104 GG gesehen werden kann, ist, ob in der ursprünglichen richterlichen Anordnung der Sicherungsverwahrung ein hin­ reichender Grund für die Freiheitsentziehung liegt (s. o.). Das wird teilweise für ein zweistufiges Verfahren bestritten: In einem solchen wird ja gerade zwischen der Anordnung und dem Vollzug unterschieden. Erst die richterli­ che Entscheidung über die Vollstreckung würde diese rechtfertigen.422 Rich­ tigerweise ist jedoch bereits die Anordnung der Sicherungsverwahrung die Grundlage.423 In ihr ist die Entscheidung des Vollstreckungsgerichts angelegt. 422  Kunig, in: v. Münch / Kunig, Grundgesetz, Art. 104 Rn. 20 („Maßregeln der Besserung und Sicherung“) Hirsch, Sondervotum BVerfGE 42, 11 (14); Schmahl, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Henneke, Grundgesetz, Art. 104 Rn. 15 welcher dafür BVerfGE 109, 133 (189) in Anspruch nimmt. 423  BVerfGE 42, 1 (6); Schulze-Fielitz, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 104 Rn. 38; Fischer, § 67c Rn. 4a. Offengelassen von Degenhart, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 104 Rn. 24.

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2. Teil: Die Maßregeln der Besserung und Sicherung

In § 67c StGB wird die angeordnete Unterbringung daher auch lediglich zur Bewährung ausgesetzt, nicht aber für erledigt erklärt oder anderweitig „auf­ gehoben“. Das setzt zwangsläufig eine Anordnung voraus.424 Dafür spricht auch die Wertung des Art. 5 Abs. 1 S. 2 lit. a EMRK. Danach ist, wie bereits gezeigt, die Sicherungsverwahrung zulässig, wenn sie im Urteil angeordnet oder vorbehalten ist. Unzulässig ist lediglich eine nachträgliche Sicherungs­ verwahrung, weil sie nicht mehr auf dem ursprünglichen strafgerichtlichen Urteil beruht und die Entscheidungen der Strafvollstreckungskammer keine hinreichende Grundlage bilden.425 Daraus ergibt sich eindeutig, dass die Vollstreckungsentscheidung als Grundlage einer Freiheitsentziehung nicht erforderlich, die Anordnung vielmehr hinreichend ist. Auch die Wertung des § 67c Abs. 1 S. 2 StGB kann hierfür herangezogen werden. Danach bedarf es einer Prüfung zu Beginn der Vollstreckung der Sicherungsverwahrung gerade nicht, wenn diese innerhalb eines Jahres vor Ende des Strafvollzugs angeord­ net worden ist. Diese vor allem für die vorbehaltene Sicherungsverwahrung nach § 66a StGB relevante Regelung, soll eine doppelte Prüfung durch das die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung anordnende Gericht nach § 275a StPO, § 66a Abs. 3 StGB einerseits und die Strafvollstreckungskam­ mer nach Aussetzung § 67c Abs. 1 S. 1 StGB, §§ 463 Abs. 3, 454 Abs. 1 S. 1, 462a Abs. 1 StPO, § 78a GVG andererseits in unmittelbar aufeinander­ folgender Zeit, also einen „überflüssigen Formalismus“, verhindern.426 Wenn das so ist, kann aber die Vollstreckungsentscheidung nicht die Grundlage für die Sicherungsverwahrung sein. Das im Rahmen von Art. 104 Abs. 2 S. 1 GG relevante Gesetz und damit die Grundlage der Vollstreckung bleibt § 66a StGB. Die Garantie, dass das besondere Verfahren einzuhalten ist, richtet sich an die Anordnung im Einzelfall. Wichtig ist aber, dass ein Verstoß gegen die Form- und Verfahrensweise im Einzelfall, also gegen einfaches Bundesrecht, durch die Absicherung in Art. 104 GG eine mit der Verfassungsbeschwerde rügbare Verletzung eines grundrechtsgleichen Rechts darstellt.427 Das wertet die Anforderungen auf und verdeutlicht die herausgehobene Stellung der 424  BVerfGE

42, 1 (8 f.). (M. / Deutschland) EuGRZ 2010, 25 (36): „Die Vollstreckungsgerichte durften die Dauer der Sicherungsverwahrung jedoch nur innerhalb des durch die An­ ordnung des erkennenden Gerichts vorgegebenen Rahmens im Lichte der zur maß­ geblichen Zeit geltenden Rechtsvorschriften festlegen.“ Im zugrundeliegenden Fall fehlte dieser Zusammenhang durch den rückwirkenden Wegfall der Höchstfrist für die Sicherungsverwahrung. Das entspricht jedoch nicht mehr der geltenden Rechts­ lage, vgl. §§ 67d Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 StGB. Vgl. weiter EGMR (Haidn / Deutschland) NJW 2011, 3423 (3424); EGMR (B. / Deutschland) EuGRZ 2012, 383 (390). 426  BT-Drucks. 17 / 9874, S. 20. 427  BVerfGE 105, 239 (247). 425  EGMR



2. Kap.: Die Sicherungsverwahrung im Besonderen

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Freiheit der Person. Zu den Formvorschriften des Art. 104 Abs. 1 GG zählt auch die Pflicht, den Betroffenen anzuhören.428 Dies regelt § 33 Abs. 1 StPO für die Anordnung der (vorbehaltenen) Sicherungsverwahrung, weil die Ent­ scheidung in beiden Fällen in einer Hauptverhandlung ergeht. In allen für die Sicherungsverwahrung relevanten Fällen der Erledigung (§§ 67d Abs. 3, 67e StGB) und Aussetzung (§§ 67c, 67d Abs. 2, 67e StGB) der Unterbringung gilt die Anhörungspflicht des Betroffenen nach §§ 463 Abs. 3, 454 Abs. 1 S. 2 StPO; in den Fällen des Widerrufs der Aussetzung (§ 67g StGB) nach §§ 463 Abs. 6, 462 Abs. 2 S. 1 StPO. Eine Benachrichtigungspflicht eines Angehörigen oder Vertrauten besteht nach Art. 104 Abs. 4 GG. b) Materielle Anforderungen Eine Rechtfertigung des Eingriffs in die Freiheit der Person steht unter strikten inhaltlichen Anforderungen, denn gemäß Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG ist die Freiheit der Person „unverletzlich“. Die Beurteilung der Zulässigkeit ei­ nes staatlichen Eingriffs erfolgt durch Abwägung mittels des Verhältnismä­ ßigkeitsprinzips. Der aus dem Rechtsstaatsprinzip, Art. 20 Abs. 3 GG, abge­ leitete Grundsatz fordert, dass staatliche Mittel geeignet, erforderlich und angemessen im Hinblick auf den verfolgten Zweck sein müssen.429 Das Ge­ bot richtet sich sowohl an den Gesetzgeber, als auch an die Exekutive und Judikative. Die Sicherungsverwahrung muss also sowohl generell, als auch im Einzelfall eine verhältnismäßige Einschränkung der Freiheit der Person darstellen. aa) Vorüberlegungen Fraglich ist, welcher verfassungsrechtlichen Beschränkung ein Eingriff in das Freiheitsrecht normativ unterliegt. Für die herrschende Auffassung stellt die Sicherungsverwahrung eine präventive staatliche Maßnahme zur Ge­ währleistung von Sicherheit dar. Für diese gilt ohne jeden Zweifel der Ver­ hältnismäßigkeitsgrundsatz. Nach der hier vertretenen Auffassung ist die Unterbringung nach §§ 66, 66a StGB eine Strafe für habituelle Delinquenz. Für Strafen aber gilt der Schuldgrundsatz begründend und begrenzend.430 Damit stellt sich die Frage, wie sich der Schuldgrundsatz in die verfassungs­ 428  Schmahl, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Henneke, Grundgesetz, Art. 104 Rn. 16; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 104 Rn. 35. 429  BVerfGE 30, 292 (316); 45, 187 (223); 90, 145 (172 f.); Hofmann, in: SchmidtBleibtreu / Hofmann / Henneke, Grundgesetz, Art. 20 Rn. 72 f. Der Verhältnismäßig­ keitsgrundsatz ist der Grundrechtsdogmatik immanent: BVerfGE 70, 1 (50 f.). 430  Siehe oben: 1. Teil 3. Kap.

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2. Teil: Die Maßregeln der Besserung und Sicherung

rechtliche Dogmatik einordnet und in welchem Verhältnis er zum Verhältnis­ mäßigkeitsgrundsatz steht. Im Folgenden handelt es sich dabei genau genom­ men lediglich um das Verhältnis der beiden Prinzipien für die Frage der Be­ grenzung der staatlichen Strafe; währenddessen Fragen des Verhältnisses bezüglich der Strafbegründung und des Unterschreiten der durch die Schuld indizierten Strafe außer Acht bleiben. Frisch ist der Auffassung, dass das Schuldprinzip und der verfassungs­ rechtliche Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sich kategorial unterscheiden. Des­ wegen sei das Strafmaß ausschließlich durch das Schuldprinzip in seiner strafbegrenzenden Funktion durch Hinwendung zu Tat und Täter konkret anzugeben.431 Das Verhältnismäßigkeitsprinzip könne diese Konkretisierung dagegen nicht leisten. Ebenso ist es ungeeignet zur verfassungsrechtlichen Überprüfung von Strafmaßen herangezogen zu werden. Vielmehr kommt es auch hier ausschließlich auf das Schuldprinzip an.432 Richtig daran ist, dass das Schuldprinzip das alleinige Maßprinzip zur tatrichterlichen Zumessung von Strafen darstellt. Die Strafzumessung ist strikt am verwirklichten Un­ recht und der Schuld des Straftäters ausgerichtet.433 Dagegen ist aber nicht gesagt, dass eine verfassungsrechtliche Prüfung nicht am Verhältnismäßig­ keitsprinzip gemessen werden kann.434 Das läge bspw. nahe, wenn neben einer Strafe eine weitere Rechtsfolge verhangen wird. Auch wenn es sich dabei um eine Sanktion ohne Strafcharakter handeln sollte, muss deren Ge­ wicht bei der Betrachtung der Gesamtschwere der Rechtsfolgen berücksich­ tigt werden, sodass im Ergebnis die Sanktionen nicht unverhältnismäßig in die Rechte des Täters eingreifen. Daher geht die überwiegende Meinung davon aus, dass der Schuldgrund­ satz in seiner strafbegrenzenden Funktion eine Konkretisierung des allgemei­ nen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, speziell der Angemessenheit i. e. S., darstellt.435 Demzufolge kann die verfassungsrechtliche Überprüfung des Strafmaßes normativ anhand des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes i.  R.v. 431  Frisch,

NStZ 2013, S. 249 (254). NStZ 2013, S. 249 (255 f.). 433  Insoweit mit Frisch, NStZ 2013, S. 249 (255) übereinstimmend. 434  Frisch, NStZ 2013, S. 249 (255 f.) lehnt das freilich mit dem Argument ab, dass eine Feststellung der Verhältnismäßigkeit keine Bestimmung über die Schuldan­ gemessenheit enthält. Das mag richtig sein, ist jedoch der verfassungsrechtlichen Perspektive geschuldet. Das Bundesverfassungsgericht ist keine Superrevisions­instanz mit der jegliche Strafmaße aufgrund eines verfassungsrechtlich interpretierten Schuld­ grundsatzes überprüfbar sind. Die verfassungsrechtliche Kategorie ist vielmehr das Verhältnismäßigkeitsprinzip. Die Prüfung erfolgt anhand dieses Verfassungsrechts. 435  BVerfGE 34, 261 (267); 50, 205 (215); 86, 288 (313); 90, 145 (203); 92, 277 (327); 110, 1 (13); Appel, S. 524 ff.; Lagodny, S. 433; Kaspar, ZStW 127 (2015), S. 654 (685); Miebach / Maier, in: MünchenerKomm StGB, § 46 Rn. 19; Stree / Kinzig, 432  Frisch,



2. Kap.: Die Sicherungsverwahrung im Besonderen

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Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG überprüft werden. Freilich sind dabei Adaptionen in der vorfindlichen Dogmatik nötig. Der stets zu fordernde legitime Zweck für staatliche Maßnahmen liegt bei Strafen in der Wiederherstellung des (gestör­ ten) Rechts(verhältnisses). Dazu sind staatliche strafrechtliche Reaktionen stets geeignet und erforderlich.436 Das ist Ausdruck der strafbegründenden Funktion des Schuldprinzips. In der Prüfung der Angemessenheit findet übli­ cherweise eine Abwägung zwischen Individual- und Gemeinwohlinteressen statt. Für die Sicherungsverwahrung ergibt sich damit im zweispurigen Sys­ tem eine Abwägung zwischen den durch die Schutzverpflichtung des Staates abgesicherten Rechtsgütern der Allgemeinheit und dem Freiheitsrecht des (möglicherweise) Sicherungsverwahrten.437 Dagegen erfolgt in Konkretisie­ rung durch den Schuldgrundsatz die Verhältnismäßigkeitsbestimmung für Strafen durch ein in Bezug setzen von Tat- sowie Täterschuld und Strafe.438 Damit bestimmt die Schwere der habituellen Schuld des Straftäters das Maß des Eingriffs in das Freiheitsrecht des Straftäters. bb) Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers Dem Gesetzgeber steht ein Gestaltungsspielraum sowohl bei der Wahl der Mittel zur Gewährleistung von Sicherheit439, als auch bei der Ausgestaltung der Sicherungsverwahrung zu. Die Unterbringung muss daher geeignet und mildestes Mittel zur Zweckerreichung sein.440 Die sich in den umsetzenden Gesetzen äußernden politischen Zielsetzungen sind nur beschränkt an der Verfassung messbar. Die Kontrolldichte ist aber umso größer, je intensiver der Grundrechtseingriff ist.441 Bei Eingriffen in den Schutzbereich von Art. 2 GG ist eine verstärkt inhaltliche Kontrolle angezeigt.442 Der Gesetzgeber hat sich mit der Einführung der Sicherungsverwahrung im Jahr 1934 für ein zweispuriges Rechtsfolgensystem entschieden. Die Un­ terbringung trat ergänzend neben die Strafe. Das war nicht zwingend. Im in: Schönke-Schröder, § 46 Rn. 71. Weitergehend zum spanischen Recht: Mir Puig, in: FS Hassemer, S. 521 (534). 436  Frisch, NStZ 2013, S. 249 (251) hält die beiden Kategorien für überflüssig. Für Streng, in: FS Puppe, S. 875 (895) ist nicht jede schuldangemessene Strafe auch erforderlich. Streng differenziert also bereits auf dieser Stufe und nicht erst auf der Stufe der Angemessenheit i. e. S. Das Ergebnis ist freilich dasselbe. 437  BVerfGE 109, 133 (157, 159); 128, 326 (373). 438  Appel, S. 527; Miebach, in: MünchenerKomm StGB, § 46 Rn. 18. 439  BVerfGE 4, 331 (350); 71, 66 (77); 77, 84 (104); 109, 133 (157 f.). 440  BVerfGE 109, 133 (157). 441  BVerfGE 70, 297 (310) zu § 63 StGB. Hopfauf, in: Schmidt-Bleibtreu / Hof­ mann / Henneke, Grundgesetz, Art. 93 Rn. 75 ff. 442  St. Rspr. seit BVerfGE 7, 377 (415).

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2. Teil: Die Maßregeln der Besserung und Sicherung

Hinblick auf ihren Strafcharakter wäre auch eine „einspurige“ Ausgestaltung möglich gewesen. Im Hinblick auf die Schwierigkeiten der Feststellung des Umfangs der habituellen Schuld443, ist diese Ausgestaltung jedoch nicht zu beanstanden. Der entscheidende Nachteil der normtechnischen Aufhebung der Sicherungsverwahrung in der Strafe wäre die ggf. erforderliche Entlas­ sung immer noch stark rückfallgefährdeter Straftäter nach der vollständigen Vollstreckung der (Einheits-)Strafe gewesen. Die derzeitige Regelung ist da­ her nachvollziehbar und hält sich im Rahmen des gesetzgeberischen Spiel­ raums. cc) Schutz gewichtiger Rechtsgüter Die Freiheit der Person ist „unverletzlich“. Ein legitimer Zweck für einen Eingriff in das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG bildet daher nur der Schutz gewichtiger Rechtsgüter.444 Der Anwendungsbereich der Sicherungs­ verwahrung ist abschließend und konzentriert sich dabei auf vorsätzliche Straftaten gegen den höchstpersönlichen Lebensbereich und gemeingefährli­ che Straftaten, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht sind (vgl. § 66 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB und die darauf verwei­ senden Normen der §§ 66 Abs. 2, Abs. 3 S. 1, 66a Abs. 1 Nr. 1 StGB und im Übrigen §§ 66 Abs. 3 S. 1, 66a Abs. 2 Nr. 1 StGB). Die hier in Frage kom­ menden Rechtsgüter sind damit Leib und Leben und das Sicherheitsbedürfnis der Allgemeinheit445. Vor Beeinträchtigungen dieser muss der Staat seine Bürger schützen. Das resultiert aus dem Recht auf Leben, der körperlichen Unversehrtheit und der Menschenwürde (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG).446 Die Unterbringung nach §§ 66, 66a StGB dient daher dem Schutz gewichtiger Rechtsgüter und ist im Rahmen des gesetzgeberischen Gestaltungsraums ein grundsätzlich geeignetes und erforderliches Mittel zur Wiederherstellung des gestörten Rechtsverhältnisses aufgrund schwerer habi­ tueller Schuld. dd) Angemessenheit Die Sicherungsverwahrung muss einen angemessenen, d. h. einen im enge­ ren Sinne verhältnismäßigen, Eingriff in die Freiheit der Sicherungsverwahr­ ten darstellen. Mit zunehmender Dauer des Vollzugs der Unterbringung, 443  Siehe

oben: 2. Teil 2. Kap. A. I. 3. 45, 187 (223); 128, 326 (372). 445  BVerfGE 109, 133 (157); 128, 326 (373). 446  BVerfGE 45, 187 (254 f.); Murswiek, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 2 Rn. 188 ff.; Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Henneke, Grundgesetz, Art. 2 Rn. 60, 68. 444  BVerfGE



2. Kap.: Die Sicherungsverwahrung im Besonderen

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steigt die Intensität des Eingriffs in das Recht auf Freiheit des Sicherungsver­ wahrten. Damit steigen gleichzeitig die Anforderungen an die Rechtfertigung. Die Vollzugsdauer ist grundsätzlich nur dann zu rechtfertigen, wenn sie nicht lediglich in einer Verwahrung besteht. Vielmehr muss es sich um einen die Menschenwürde der Straftäter achtenden Vollzug mit Aussicht auf Freiheit handeln. Mithin ist das Ziel der Resozialisierung Grundvoraussetzung eines auch langandauernden Vollzuges der Sicherungsverwahrung.447 Aber auch unter Beachtung dieses Gebots kann die Vollstreckung der Unterbringung in nicht zu rechtfertigender Weise in das Recht auf Freiheit der Sicherungsver­ wahrten eingreifen. Das ist aus vielen Gründen denkbar und kann bestenfalls an einer erfolgreichen Resozialisierung und im ungünstigsten Fall am fortge­ schrittenen Alter der Sicherungsverwahrten und deren physischen Zustand liegen. Stets besteht das Problem in zeitlicher Hinsicht. Dabei spielen die folgenden Aspekte eine besondere Rolle. (1) Unbestimmte Dauer der Sicherungsverwahrung Grundvoraussetzung für den Vollzug ist die bestehende habituelle Schuld bzw. Rückfallgefahr des Sicherungsverwahrten. Ob diese vorliegt und den (weiteren) Vollzug der Unterbringung rechtfertigt, muss regelmäßig geprüft werden. Verhaltensänderungen pro futuro sind nur menschlich. Folglich hat der Gesetzgeber im Rahmen der grundsätzlich unbefristet angeordneten Si­ cherungsverwahrung eine engmaschige Kontrolle zu gewährleisten. Diese muss grundsätzlich umso dichter ausfallen, je länger die strafergänzende Maßregel vollzogen wird. (a) G  ebot erster Überprüfungen der Erforderlichkeit noch während des Strafvollzugs Die ersten Prüfungen finden dabei noch während des Strafvollzugs statt. Bei der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung findet eine erste Prüfung der Voraussetzungen freilich dadurch statt, dass über ihre Anordnung bis zum Ende des Strafvollzugs entschieden wird, § 275a StPO, § 66a Abs. 3 StGB. Die Anordnung erfolgt nur, wenn von dem Straftäter zum Ende des Strafvoll­ zugs erhebliche Straftaten zu erwarten sind, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, § 66a Abs. 3 S. 2 StGB, d. h. die „Gefährlichkeit“ des Gefangenen vorliegt. Eine nächste Überprüfung für alle Arten der Sicherungsverwahrung wird durch die Kontrolle der Notwendig­ keit der Unterbringung zum Ende des Strafvollzugs gewährleistet. Nach § 67c Abs. 1 S. 1 StGB ist zu diesem Zeitpunkt zu prüfen, ob die Unterbrin­ 447  BVerfGE

109, 133 (151); 128, 326 (377); 130, 372 (390).

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2. Teil: Die Maßregeln der Besserung und Sicherung

gung noch erforderlich ist (Nr. 1) oder deswegen unverhältnismäßig ist, weil dem Gefangenen nicht bereits im Strafvollzug die nötige intensive Betreuung zugekommen ist (Nr. 2). Diese Prüfung kann freilich unterbleiben, wenn die Sicherungsverwahrung innerhalb eines Jahres vor dieser Entscheidung ange­ ordnet wurde, § 67c Abs. 1 S. 2 StGB, denn dann ist die Gefährlichkeit ge­ rade erst geprüft und bejaht worden. Liegen die Voraussetzungen nicht vor, ist die Vollstreckung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zur Bewährung auszusetzen, § 67c Abs.1 S. 1 StGB. Mit diesen ersten Prüfpflichten soll vermieden werden, dass ein Straftäter in den Vollzug der Sicherungsverwahrung gerät, obwohl er für die Allge­ meinheit nicht mehr gefährlich ist (Nr. 1). Das ist nach der herrschenden Auffassung deswegen erforderlich, weil die Sicherungsverwahrung in Ergän­ zung zur Strafe nur als äußerstes Mittel, sog. ultima ratio, in Betracht kommt.448 Richtigerweise ist die Norm notwendig im Hinblick auf die mög­ liche Änderung der inneren Haltung des Straftäters während des Strafvoll­ zugs. Ebenfalls als Ausdruck des „ultima ratio“ Prinzips erfolgt die Ausset­ zung nach Nr. 2. Als äußerstes Mittel ist sowohl die Anordnung, als auch der Vollzug der Unterbringung nach §§ 66, 66a StGB nur gerechtfertigt, wenn bereits im Strafvollzug dem Gefangenen Therapiemöglichkeiten offenstehen und angeboten werden, die dessen Behandlung ermöglichen, die Gefährlich­ keit mindern und so der Resozialisierung dienen, § 66c Abs. 2 StGB.449 Nur damit ist dem Gewohnheitstäter geholfen. Gerade dadurch besteht eine Chance, den Vollzug der Maßnahme zu vermeiden und die Freiheit alsbaldig wiederzuerlangen. Die Norm erweist sich also als Ausdruck des aufgrund der habituellen Schuld gesteigerten Resozialisierungsanspruchs des Straftäters. Wird ihm diese Möglichkeit nicht eröffnet, bestimmt das Gesetz, dass die Maßnahme zur Bewährung auszusetzen ist. Damit ist jedoch weder dem rückfallgefährdeten Straftäter, noch den Sicherheitsinteressen der Allgemein­ heit gedient. Es kann weiterhin eine erhebliche Rückfallgefahr von dem Ge­ wohnheitstäter ausgehen, weil an den Gründen der habituellen Delinquenz nicht therapeutisch gearbeitet wurde. Das ist bedenklich. Die Schutzinteres­ sen der Allgemeinheit bleiben hier unberücksichtigt. Die Regelung lässt sich daher nur als Sanktion für Strafvollzugsbehörden verstehen: Der Strafvollzug soll die erforderliche intensive und individuelle Betreuung gewährleisten, weil ansonsten die Aussetzung droht.450 Mit der Aussetzung würde der Straf­ täter zwar unter Führungsaufsicht stehen, §§ 68 Abs. 2, 67c Abs. 1 S. 1 StGB. Diese stellt eine weitere Resozialisierungshilfe und Überwachungsmöglich­ 448  BT-Drucks.

17 / 9874, S. 19 f.; BVerfGE 128, 326 (379). 128, 326 (379). 450  Krit. Renzikowski, NJW 2013, S. 1638 (1640), welcher stattdessen für eine Erledigung der Sicherungsverwahrung plädiert. 449  BVerfGE



2. Kap.: Die Sicherungsverwahrung im Besonderen

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keit des Straftäters dar.451 Die Abwehr der erheblichen Gefahren für die All­ gemeinheit kann sie jedoch kaum leisten. Festzuhalten ist, dass sich die Regelung der Nr. 2 darauf beschränkt, den Wert und den Anspruch des Gewohnheitstäters auf Resozialisierung zu ver­ deutlichen. Dass sich diese Pflicht bereits aus der Strafgerechtigkeit ergibt, unterstreicht die Wichtigkeit. Sie dürfte damit Gewicht insbesondere in dem Zeitraum unmittelbar nach ihrer Einführung im Jahr 2013 erlangt haben. Durch die drastische Androhung der Aussetzung sollte sie dafür sorgen, dass auch unter dem öffentlichen Druck bei Aussetzungsentscheidungen, der Übergang in das neue Recht schneller von statten geht. Durch diese ersten Überprüfungen wird im Ergebnis gewährleistet, dass ein Vollzug der Sicherungsverwahrung gegebenenfalls unterbleibt. Der Ein­ griff in die Freiheit der Person beschränkt sich in den relevanten Fällen auf die Dauer des Vollzugs der schuldgebundenen Freiheitsstrafe. Damit erweist sich Regelung als angemessener Berücksichtigung des Freiheitsrechtes der Straftäter. (b) Fortlaufende Überprüfungen Auch während des Vollzugs der Sicherungsverwahrung sind stetige Über­ prüfungen notwendig. Hier kehrt die bereits bekannte Sanktion für Strafvoll­ zugsbehörden wieder. So ist nach § 67d Abs. 2 S. 2 StGB die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung auszusetzen und Führungsaufsicht anzuordnen, wenn dem Sicherungsverwahrten innerhalb von höchstens sechs Monaten nach Beginn des Vollzugs kein hinreichendes Betreuungskonzept angeboten werden kann. Das ist, wie dargelegt, kritisch, aber im Hinblick auf die dahin­ terstehende Forderung aus der Strafgerechtigkeit und gleichfalls die Unver­ letzlichkeit der Freiheit der Person notwendig. Die regelmäßige Kontrolle ist ein Gebot strikter Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG. Daher hat die Kontrolle des weiteren Vollzugs in regelmäßigen Abständen zu erfolgen. Das hohe Gewicht dieses Grundrechts der Sicherungsverwahrten macht es erforderlich, unabhängig von konkreten Anhaltspunkten im Einzel­ fall grundsätzlich eine jährliche Prüfung des weiteren Vollzugs der Siche­ rungsverwahrung vorzunehmen, § 67e Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 StGB.452 Denn durch die Behandlung im Vollzug kann an der inneren Haltung des Gewohn­ heitstäters gearbeitet werden.

451  Stree / Kinzig,

in: Schönke-Schröder, § 68 Rn. 3. 128, 326 (382, 384). Dagegen hatte BVerfGE 109, 133 (163) noch eine zweijährige Überprüfung als verfassungsrechtlich unbedenklich angesehen. 452  BVerfGE

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Mit andauernder Behandlung steigen die Chancen, dass sich diese als er­ folgreich erweist und der Sicherungsverwahrte mittels der institutionellen Hilfe die Fähigkeit erlangt, sich auch im Einzelfall an den Regeln der Gesell­ schaft zu orientieren und nicht wieder haltungsbedingt schwer delinquiert. Mit fortgeschrittenem Vollzug intensiviert sich andererseits der Eingriff. Dem trägt das Gesetz Rechnung indem der Vollzug der Sicherungsverwah­ rung nach geltender Rechtslage nach zehn Jahren nur noch bei fortbestehen­ der Gefahr schwerer seelischer oder körperlicher Schädigungen möglich, § 67d Abs. 3 StGB. Mit anderen Worten muss die Haltung des Sicherungs­ verwahrten nach zehn Jahren Vollzug immer noch schwere seelische oder körperliche Schädigungen erwarten lassen. Der Zehn-Jahres-Zeitpunkt mar­ kiert also den kritischen Zeitpunkt beim Vollzug der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung. Bis zu diesem Zeitpunkt soll die schwere habituelle Schuld im Allgemeinen den Vollzug rechtfertigen. Eine Aussetzung kommt nur dann in Betracht, wenn zu erwarten ist, dass „keine rechtswidrigen Taten mehr“ begangen werden, § 67d Abs. 2 S. 2 StGB, sich also die innere Ein­ stellung des Sicherungsverwahrten weitgehend einer rechtlichen Gesinnung angenähert hat. Ab dem Zehn-Jahres-Zeitpunkt geht das Gesetz grundsätzlich von einer Erledigung der Maßregel aus, wenn nicht dem Sicherungsverwahr­ ten konkret und positiv die „Gefährlichkeit“ bzw. mangelnde Anerkennung der Rechtsfähigkeit der Mitkonstituenten und deren Rechtsgüter nachgewie­ sen wird, denn die Sicherungsverwahrung ist für erledigt zu erklären, wenn nicht die Gefahr erheblicher Straftaten besteht, § 67d Abs. 3 S. 1 StGB Es wird daher nun die „Ungefährlichkeit“ vermutet.453 Mit anderen Worten ist ab diesem Zeitpunkt grundsätzlich von der Kompensation der habituellen Schuld auszugehen und das gestörte Rechtsverhältnis wiederhergestellt.454 In zeitlicher Hinsicht erfolgt eine weitere Intensivierung der Überprüfungsinter­ valle. Nunmehr wird aller neun Monate geprüft, § 67e Abs. 1 S. 1 StGB. Auch die inhaltlichen Anforderungen an die Anordnung des Weitervollzugs werden erhöht. Einerseits ist nur noch eine Gefahr schwerer seelischer oder körperlicher Schädigungen hinreichend. Eine erste Einschränkung erfolgt also durch die Beschränkung auf bestimmte Gefahren, also bestimmte Straftatbestände. Andererseits erhöhen sich auch die Anforderungen an die Gutachten der Sachverständigen. Nach § 463 Abs. 3 S. 4 StPO muss das er­ forderliche Sachverständigengutachten bei Entscheidungen über die Fort­ dauer einer Unterbringung eine Legalprognose enthalten. Eine lange Voll­ zugsdauer rechtfertigt in diesem Zusammenhang das Erfordernis einer höhe­ 453  BVerfGE 109, 133 (161). Exner, S. 152 hatte dagegen bspw. eine widerrufliche Entlassung nach zehn Jahren vorgeschlagen. 454  Der feste Zehn-Jahres-Zeitpunkt erweist sich aber als viel zu abstrakte und daher ungenügende Konkretisierung der habituellen Schuld. Darauf wird sogleich zurückzukommen sein.



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ren Wahrscheinlichkeit bezüglich der zu erwartenden Straftaten.455 Denn das Ausmaß der Entwöhnung von rechtlichem Verhalten wird mit fortschreitender Behandlungszeit wahrscheinlich schwinden. Selbst eine hohe Kontrolldichte gewährleistet jedoch nicht, dass es zu un­ gerechtfertigten Eingriffen kommen kann. Das ist etwa dann der Fall, wenn sich bereits nach neun Monaten die Ungefährlichkeit einstellt, die Überprü­ fung aber noch im Jahresturnus vorzunehmen ist. Zu knappe Prüfungsinter­ valle führen allerdings zu einer dauerhaften Begutachtung der Sicherungsver­ wahrten, die nicht sinnvoll ist, weil sie die Behandlung unterbricht.456 Um der Gefahr ungerechtfertigten Vollzugs der Sicherungsverwahrung vorzubeu­ gen, kann außerplanmäßig jederzeit eine Überprüfung der Voraussetzungen des Maßregelvollzugs durch das Vollstreckungsgericht stattfinden, § 67e Abs. 1 S. 1 StGB. Das verdichtet sich zu einer Pflicht für die Vollstreckungs­ kammer, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für den Wegfall der Voraussetzun­ gen der Sicherungsverwahrung sprechen.457 Damit soll das steigende Gewicht des Freiheitsanspruchs der Sicherungs­ verwahrten angemessen in Relation zu ihrer habituellen Schuld gebracht. Die herrschende Meinung setzt das Freiheitsrecht dagegen in kritikwürdiger Weise ins Verhältnis zu den Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit. Ab dem Zehn-Jahres-Zeitpunkt überwiegen nach der gesetzlichen Ausgestaltung grundsätzlich die Freiheitsinteressen des Sicherungsverwahrten. Eine weitere Rechtfertigung des Vollzugs bedarf dann besonders strenger Legitimation. Die derzeitige gesetzliche Regelung ist im Hinblick auf die konkret ver­ wirklichte habituelle Schuld unflexibel. Daher stellt sich die nun zu betrach­ tende Frage, ob nicht stattdessen eine flexible Anbindung an die habituelle Schuld erfolgen muss. (2) Z  ur Frage eines Gebotes der Festsetzung von Höchstfristen für die Vollstreckung der Sicherungsverwahrung Fraglich ist, ob dem Grundrecht auf Freiheit der Person nach Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG ein Gebot zur Regelung eines strikten Entlassungszeitpunktes zu entnehmen ist. Das wird insbesondere von Klesczewski gefordert.458 Es ent­ spricht jedenfalls nicht der geltenden Rechtslage, wonach die Sicherungsver­ 455  BT-Drucks. 8 / 9062, S. 10; Schneider, in: Göppinger, § 34 Rn. 160; Fischer, § 67d Rn. 10. s. a. BVerfGE 70, 297 (315) in Bezug auf § 63 StGB. 456  BT-Drucks. 17 / 11388, S. 33. Das wird bereits bei einer Begutachtung in sechsMonats-Abständen der Fall sein, vgl. BT-Drucks. 17 / 9874, S. 22. 457  BVerfGE 128, 326 (382); Fischer, § 67e Rn. 2. 458  Klesczewski, HRRS 2010, S. 394 (398 f.).

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2. Teil: Die Maßregeln der Besserung und Sicherung

wahrung unbefristet angeordnet, §§ 66 und 66a StGB, und vollstreckt wird, §§ 67d Abs. 2 S. 1 i. V. m. Abs. 1 StGB. Auszugehen wäre dabei vom Resozialisierungsanspruch. Dieser gilt glei­ chermaßen für den Straf- wie auch den Maßregelvollzug.459 Damit soll der Häftling bzw.im Maßregelvollzug Untergebrachte auf das Leben in Freiheit vorbereitet werden. Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG verlangt darüber hinaus für jede Freiheitsentziehung Art und Dauer hinreichend bestimmt festzulegen.460 So können die die Entlassung vorbereitenden Maßnahmen auf einen bestimmten Termin abgestimmt werden. Die Vorbereitung ist dann optimal, wenn der Entlassungszeitpunkt im Voraus feststeht. Das gilt zunächst einmal für den Vollzug einer zeitigen Freiheitsstrafe. So kann insbesondere Hafturlaub in Abhängigkeit vom Entlassungszeitpunkt in bestimmten Umfang gewährt werden.461 Bereits bei der lebenslangen Freiheitsstrafe verkompliziert sich die Rechtslage. Hier ist der Entlassungszeitpunkt relativ unbestimmt. Das im Strafurteil verhängte Maß ist genauso wie die Strafandrohung absolut. Die Freiheit der Person verlangt aber, dass die Art und Dauer einer durch Straf­ urteil festgelegten Freiheitsentziehung für den Häftling nicht ungewiss ist.462 Daher muss das Strafvollstreckungsgericht, wenn es die Entlassung nach 15 Jahren Vollzug ablehnt, gleichzeitig den aufgrund der verwirkten Schuld noch erforderlichen Zeitraum des Vollzugs der Freiheitsstrafe bestimmen.463 Bei der Beurteilung ist es nicht an die Entscheidung des erkennenden Ge­ richts über die besondere Schwere der Schuld gebunden. Das heißt, es kann die Aussetzung auch trotz besonders schwerer Schuld anordnen.464 Dies sei nach Klesczewski auf die Sicherungsverwahrung übertragbar, weil der Entlassungszeitpunkt ebenso unbestimmt sei und damit dem Resozialisie­ rungsanspruch des Täters anderenfalls nur ungenügend entsprochen werde.465 Auch hier sehen zwar die jeweiligen Landesgesetze Maßnahmen vor, um die Entlassung der Sicherungsverwahrten vorzubereiten. Danach können voll­ 459  BVerfGE 109, 133 (151, 153 und öfter); 128, 326 (387 und öfter) und BVerfGE 45, 187 (239) für die Freiheitsstrafe. 460  BVerfGE 86, 288 (327). 461  § 9 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 JVollzGB III B-W; Art. 14 Abs. 1 S. 1 BayStVollzG; § 46 Abs. 1 Nr. 3 BbgJVollzG; § 38 Abs. 1 Nr. 3 BremStVollzG; § 12 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 HmbStVollzG; § 13 Abs. 3 Nr. 4 HStVollzG; § 38 Abs. 1 Nr. 3 StVollzG M-V; § 13 Abs. 1 Nr. 3 NJVollzG; § 53 Abs. 2 Nr. 3, 54 StVollzG NRW; § 45 Abs. 1 Nr. 3 ­LJVollzG R-P; § 38 Abs. 1 Nr. 3 SLStVollzG; § 38 Abs. 1 Nr. 3 SächsStVollzG; § 45 Abs. 1 Nr. 3 JVollzGB LSA; § 46 Abs. 1 Nr. 3 ThürJVollzGB. 462  BVerfGE 86, 288 (326 f.). 463  BVerfGE 86, 288 (331 f.); Groß, in: MünchenerKomm StGB, § 57a Rn. 33. 464  BVerfGE 86, 288 (323); Groß, in: MünchenerKomm StGB, § 57a Rn. 33. 465  Klesczewski, HRRS 2010, S. 394 (398 f.).



2. Kap.: Die Sicherungsverwahrung im Besonderen

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zugslockernde Maßnahmen gewährt werden.466 Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG fordere aber die Art und Dauer einer Freiheitsentziehung nicht ungewiss zu lassen.467 Demnach wäre sowohl das erkennende Gericht bei der Anordnung, als auch das Strafvollstreckungsgericht bei jeder Entscheidung über die Aussetzung des Vollzugs im verneinenden Fall verpflichtet, die zu erwartende Höchst­ dauer anzugeben.468 Dabei sollte sich an den Strafrahmen der drohenden bzw. begangenen Straftaten orientiert werden.469 Festzuhalten ist zwar, dass ein konkreter Entlassungszeitpunkt den Vollzug der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung optimal gestalten lässt und eine quälende Ungewissheit beim strafgleich Untergebrachten über den Zeit­ punkt der Entlassung beseitigt. Die bessere Planung kommt dem gesteigerten Resozialisierungsbedürfnis des Gewohnheitsstraftäters näher, als die derzei­ tige Regelung. Aus der freiheitsgesetzlichen Sicht Klesczewskis dürfte dieses Anliegen in einer erforderlichen Schuldmaßdifferenzierung begründet liegen, welche eine Maßdifferenzierung der strafergänzenden Maßregel nach sich zieht.470 Aus dem Grundrecht der Freiheit der Person lässt sich das jedoch nicht ableiten. Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG bestimmt zwar, dass Klarheit über das Ausmaß einer Freiheitsentziehung bestehen muss, allerdings nur „wenn und sobald nach der jeweiligen gesetzlichen Grundlage das zulässige Ausmaß des Eingriffs einer abschließenden Beurteilung zugänglich ist“471. Das ist im Rahmen einer (auch lebenslangen) Freiheitsstrafe aufgrund ihrer engen Tat­ schuldbindung stets möglich. Die verwirkte Schuld ist tatbezogen. Das Aus­ maß steht unumstößlich fest. Für die Sicherungsverwahrung ist das jedoch nicht der Fall. Diese ist zwar an die habituelle Schuld des Straftäters geknüpft und steht insoweit auch fest. Sie ist aber de lege lata mit den Mitteln des Strafprozesses, auch aufgrund ihrer Zukunftsoffenheit, nicht umfassend dar­ zustellen472: Die Sicherungsverwahrung ist durch ihre Ausrichtung auf die 466  Vgl. § 11 ff. JVollzGB V B-W; Art. 54 ff. BaySvVollzG; § 39 ff. SVVollzG Bln; § 39 ff. BbgSVVollzG; § 39 ff. BremSVVollzG; § 13 ff. HmbSVVollzG; § 13 ff. HSV­ VollzG; § 39 ff. SVVollzG M-V; § 16 ff. Nds. SVVollzG; § 53 ff. SVVollzG NRW § 39 ff. LSVVollzG R-P; § 1 S. 2 SLSVVollzG; § 39 ff. SächsSVVollzG; § 57 ff. SV­ VollzG LSA; § 40 ff. SVVollzG S-H; § 13 ff. ThürSVVollzG. Zur Notwendigkeit voll­ zugslockernder und die Entlassung vorbereitender Maßnahmen: BVerfGE 128, 326 (381). 467  Klesczewski, HRRS 2010, S. 394 (399). 468  Klesczewski, HRRS 2010, S. 394 (399). 469  Klesczewski, HRRS 2010, S. 394 (399). 470  Zum Anliegen der Vertreter des freiheitsgesetzlichen Ansatzes für habituelle Kriminalität Schuld- und Rechtsfolgenquantifizierungen herauszuarbeiten: siehe oben 2. Teil 1. Kap. C. II. 2. und 2. Kap. A. I. 4. 471  BVerfGE 86, 288 (327). 472  Deshalb wird de lege lata mit einer Prognose des künftigen Verhaltens des Straftäters gearbeitet; s. o. 2. Teil 2. Kap. A. I. 3.

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2. Teil: Die Maßregeln der Besserung und Sicherung

Persönlichkeit des Gewohnheitstäters personenbezogen. Die habituelle Tat­ schuld wird ja maßgeblich durch die Entscheidungen einer Person in ihren sozialen Bezügen durch die institutionellen Rahmenbedingungen vermittelt. Außerdem unterliegt die sich darin ausdrückende innere Haltung zum Recht im Laufe der Zeit Wandlungen. Diese lässt sich aber zum Zeitpunkt der An­ ordnung oder des Vorbehalts im Strafurteil nicht abschließend beurteilen. Bereits deswegen kann nur eine kontinuierliche Überprüfung verfassungs­ rechtlich geboten sein. Dasselbe Ergebnis stellt sich im Hinblick auf den Resozialisierungsanspruch ein. Die Freiheitsstrafe wird zwar unter diesem Gesichtspunkt vollzogen, § 2 S. 1 StVollzG.473 Wird die durch das Maß der Schuld gesetzte Obergrenze jedoch erreicht, ist der Straftäter in die Freiheit zu entlassen. Andererseits ist auch der Vollzug der Unterbringung in der Si­ cherungsverwahrung am Ziel der Resozialisierung ausgerichtet, § 66c Abs. 1 Nr. 1 StGB. Bei einem bis zehn Jahre dauernden Vollzug steht die Ausset­ zung zur Bewährung aber gerade unter dem Vorbehalt der Resozialisierung, § 67d Abs. 2 S. 2 StGB. Ein lang andauernder Vollzug rechtfertigt in diesem Zusammenhang lediglich erhöhte inhaltliche Anforderungen an die Gutach­ ten.474 Nach alledem sind, aufgrund der Unterschiede zwischen der Tatschuld im engeren Sinne und den weiterreichenden, in die habituelle Schuld einflie­ ßenden Lebensentscheidungen des Täters, die sich in der (Nicht-)Bestimm­ barkeit des Maßes und damit auch in der nicht vorhersehbaren Länge der Vollzugsdauer niederschlagen, Höchstfristen für den Vollzug der Sicherungs­ verwahrung kein Gebot von Verfassungs wegen.475 Der Gedanke kann jedoch aufgegriffen werden und für den nach der der­ zeitigen gesetzlichen Vorgabe strikten Zeitpunkt der Beweislastumkehr (§ 67d Abs. 3 StGB) fruchtbar gemacht werden.476 Dieser liegt nach der geltenden Rechtslage für alle Anlasstaten bei zehn Jahren. Der Zeitpunkt sollte jedoch in Abhängigkeit zur deliktstypisch verwirklichten und somit nicht unabhängig von habitueller Schuld gewählt werden. Die Schwere der Anlasstaten muss im Rahmen der Prognose berücksichtigt werden. Das könnte auf die folgende Weise geschehen: Abzustellen wäre auf die Strafrah­ menobergrenze des begangenen Deliktes mit der höchsten vorgesehenen 473  Vgl. im Übrigen: § 1 JVollzGB III B-W; Art. 2 S. 2 BayStVollzG; § 2 S. 1 StVollzG Bln; § § 2 S. 1 BbgJVollzG; § 2 S. 1 BremStVollzG; § 2 S. 1 HmbStVollzG; § 2 S. 1 HStVollzG; § 2 S. 1 StVollzG M-V; § 5 S. 1 NJVollzG; § 1 StVollzG NRW; § 2 S. 1 LJVollzG R-P; § 2 S. 1 SLStVollzG; § 2 S. 1 SächsStVollzG; § 2 Abs. 1 S. 1 JVollzGB LSA; § 2 LStVollzG SH; § 2 Abs. 1 S. 1 ThürJVollzGB. 474  Fischer, § 67d Rn. 10. s. a. BVerfGE 70, 297 (315) in Bezug auf § 63 StGB. 475  Im Erg. ebenso: Kaspar, ZStW 127 (2015), S. 654 (683). 476  Anders Kaspar, ZStW 127 (2015), S. 654 (684) der für die Wiedereinführung der zehn-Jahres-Grenze bei der erstmaligen Anordnung plädiert. Nach Exner, S. 152 käme auch eine bedingte Entlassung in Betracht.



2. Kap.: Die Sicherungsverwahrung im Besonderen201

Freiheitsstrafe. Wenn eine in einem früheren Verfahren verhängte Strafe an eine Straftat mit höherer Strafrahmenobergrenze anknüpft, dann wird an diese angeknüpft. Wurde ein Täter beispielsweise bereits dreimal wegen Er­ pressung nach § 253 Abs. 1 StGB verurteilt und jeweils eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr verwirkt, so kann – sofern die weiteren Vorausset­ zungen vorliegen – die Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2 StGB ange­ ordnet werden. Weil die Höchststrafe bei der Erpressung gem. § 253 Abs. 1 StGB bei fünf Jahren Freiheitsstrafe liegt, würde bereits nach diesem Zeit­ punkt (und nicht erst nach zehn Jahren) die Beweislastumkehr eingreifen. Damit wäre ein Bezug zur individuellen, habituellen Delinquenz und da­ mit zur Schuld des Gewohnheitstäters gewährleistet. Straftheoretisch könnte darin eine Vermutung für die Wiederherstellung des gestörten Rechtsverhält­ nisses zum Ausdruck kommen. Im Falle der Strafe auf vereinzelt bleibende Kriminalität, ist nach der freiheitsgesetzlichen Straftheorie das Rechtsver­ hältnis durch die Strafe und deren Vollstreckung wiederhergestellt. Diese Konsequenz lässt habituelle Kriminalität mangels bisher erschlossener Maß­ bestimmbarkeit zum Zeitpunkt des Strafurteils nicht zu. Daher folgen in dieser Konstellation lediglich eine Vermutung für die Wiederherstellung des Rechtsverhältnisses und ein erhöhter Begründungsaufwand für die Siche­ rungsverwahrung im Übrigen. ee) Ergebnis Durch die Abstimmung des Strafvollzugs mit dem Vollzug der Sicherungs­ verwahrung wird nach geltender Rechtslage erreicht, dass dem Charakter dieser strafergänzenden Unterbringung in der Sicherungsverwahrung, ultima ratio zu sein, entsprochen wird. In Verbindung mit den verschiedenen Prüf­ pflichten der Strafvollstreckungsgerichte und deren formeller und inhaltlicher Steigerung mit Fortdauer des Vollzugs der Sicherungsverwahrung wird ein angemessenes Verhältnis zwischen dem Freiheitsrecht der Sicherungsver­ wahrten und dem Sicherungsinteresse der Allgemeinheit gewährleistet. c) Ergebnis Die derzeitigen Regelungen zur Sicherungsverwahrung verstoßen nicht gegen das Recht auf Freiheit der Gewohnheitstäter aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG. Das gilt sowohl in Bezug auf die formellen Anforderungen nach Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG i. V. m. Art. 104 GG, als auch auf die materiellen Anforderungen, insbesondere die strikte Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Eine optimalere Ausgestaltung würde jedoch sowohl den Interessen der Straftäter als auch denen der Gesellschaft entsprechen.

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2. Teil: Die Maßregeln der Besserung und Sicherung 4. Der Grundsatz der Rechtssicherheit

In dem Rechtsstaatsgebot des Art. 20 Abs. 3 GG wurzelt das Prinzip der Rechtssicherheit.477 Das Prinzip umfasst zweierlei478: Erstens kann der Bür­ ger nur dann sein Verhalten an den Gesetzen ausrichten, wenn hinreichend klar ist, was von ihm verlangt wird. Staatliche Normen müssen also hinrei­ chend bestimmt gefasst sein, sog. Bestimmtheitsgebot. Zweitens richtet je­ dermann sein Verhalten an den bestehenden Gesetzen aus und vertraut auf deren Bestand. Das Recht unterliegt aber einem auch erforderlichen Wandel. Die gegensätzlichen Positionen müssen daher in Konkordanz gebracht wer­ den. Das wird durch das Vertrauensschutzgebot umgesetzt. Im Folgenden soll untersucht werden, inwiefern die §§ 66 ff. StGB diesen Anforderungen gerecht werden. Dabei soll als Erstes auf die Frage der hin­ reichenden Gewährung von Vertrauensschutz eingegangen werden. In diesem Zusammenhang wird sich zeigen, dass die mittlerweile abgeschaffte nach­ trägliche Sicherungsverwahrung nach § 66b Abs. 1, Abs. 2 StGB a. F. sich als ein unzulässiger Eingriff in die Rechte des Straftäters erwies. Als Zweites wird die Problematik der hinreichenden Bestimmtheit der Normen der §§ 66, 66a StGB beurteilt. Dabei wird sich herausstellen, dass die herrschende Auf­ fassung aufgrund der formalen Trennung zwischen Strafe und Sicherungsver­ wahrung erhebliche Probleme hat, mit dem Phänomen der habituellen Schuld, in der für Gesetze notwendigen Bestimmtheit, umzugehen. a) Der Vertrauensschutz aa) Verhältnis zu Art. 103 Abs. 2 GG Das allgemeine Prinzip der Rechtssicherheit ist von der Garantie des Art. 103 Abs. 2 GG abzugrenzen. Dieser bestimmt, dass keine Tat bestraft werden kann, wenn die Strafbarkeit nicht gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. Dieses grundrechtsgleiche Recht enthält also ebenso das Bestimmtheitsgebot, außerdem das Analogieverbot, das Rückwirkungs­ verbot und das Verbot von strafbegründendem Gewohnheitsrecht.479 Gegen­ über dem allgemeinen Prinzip der Rechtssicherheit sind die Anforderungen an das Handeln der staatlichen Gewalten demnach verschärft.

477  BVerfGE 2, 380 (403); Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Henneke, Grundgesetz, Art. 20 Rn. 57. 478  Huster / Rux, in: Epping / Hillgruber, Grundgesetz, Art. 20 Rn. 181. 479  BVerfGE 109, 133 (171); Radtke, in: Epping / Hillgruber, Grundgesetz, Art. 103 Rn. 18.



2. Kap.: Die Sicherungsverwahrung im Besonderen203

Unter der Annahme der Wesensverschiedenheit von Strafe und Siche­ rungsverwahrung ist fraglich, ob auch die Unterbringung nach §§ 66, 66a StGB als Maßregel der Besserung und Sicherung unter Art. 103 Abs. 2 GG fällt. Nach dem hier vertretenen Ansatz ist das Ergebnis vorgezeichnet. Wenn die Sicherungsverwahrung sich inhaltlich als Strafe erweist, muss folglich auch das strafrechtliche Bestimmtheitsgebot aus Art. 103 Abs. 2 GG gelten. Für die herrschende Auffassung stellt sich diese klare Konsequenz nicht. Art. 103 Abs. 2 GG bezieht sich ausweislich seines Wortlauts auf „Taten“. Ebenso heißt es, dass die „Strafbarkeit“ gesetzlich bestimmt sein muss. Da­ mit wird ausdrücklich an Straftaten bzw. die Strafe an sich angeknüpft.480 Das spricht dafür, dass sich das grundrechtsgleiche Recht aus Art. 103 Abs. 2 GG nur auf die Strafe und nicht auch auf die Maßregeln der Besserung und Sicherung bezieht. Allerdings war ja bereits im Rahmen der Gesetzgebungs­ kompetenz von einem weiten Begriff des Strafrechts nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 Var. 2 GG die Rede, welcher nicht nur die Maßregeln der Besserung und Sicherung, sondern in wesentlichen Punkten kraft Sachzusammenhangs auch die Regelung des Vollzugs erfasste. Diesem systematischen Argument für die Einbeziehung der Maßregeln der Besserung und Sicherung in die Garantie des Art. 103 Abs. 2 GG stehen aber die unterschiedlichen Rege­ lungsziele entgegen. Im Rahmen der Kompetenzzuweisung für die Gesetzge­ bung handelt es sich um eine staatsorganisatorische Regelung, während dem Charakter des Art. 103 Abs. 2 GG als grundrechtsgleiches Recht eine frei­ heitsgewährleistende Funktion zukommt.481 Auch in historischer Hinsicht lässt sich kein Wille des Verfassungsgebers erkennen, die Maßregeln der Besserung und Sicherung in dieses Recht aufzunehmen. Vielmehr wurde an die Vorgängerregelung des Art. 116 der Weimarer Reichsverfassung (WRV) angeknüpft. Danach enthielt das damalige Rückwirkungsverbot die Maßre­ geln der Besserung und Sicherung nicht. Der Grundgesetzgeber übernahm diese Auffassung.482 Auch im Hinblick auf die Betrachtung des Schutzzwecks dieses grundrechtsgleichen Rechts gelangt die herrschende Auffassung zur Unanwendbarkeit von Art. 103 Abs. 2 GG auf die Maßregeln.483 Denn Art. 103 Abs. 2 GG enthält ein, seine Rechtfertigung in der Menschenwürde findendes, absolutes Rückwirkungsverbot. Das sei im Hinblick auf den „ul­ tima ratio“ Charakter des Strafrechts auch geboten, weil das Strafrecht und die Auferlegung einer Strafe an die Schuld des Täters anknüpfen. Art. 103 zur Wortlautauslegung: Best, ZStW 114 (2000), S. 88 (100 ff.). 109, 133 (170). 482  Ausführlich unter weiteren Nachweisen: BVerfGE 109, 133 (168 ff.). Dazu Best, ZStW 114 (2002), S. 88 (127); Kaspar, ZStW 127 (2015), S. 654 (682); Dann­ ecker, in: FS Roxin (2011) I, S. 285 (291). 483  BVerfGE 109, 133 (172 ff.); Fischer, § 2 Rn. 15; Eser / Hecker, in: SchönkeSchröder, § 2 Rn. 40 m. w. N. 480  Ausführlich 481  BVerfGE

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2. Teil: Die Maßregeln der Besserung und Sicherung

Abs. 2 GG bietet hier einen deutlich höheren Schutzgehalt als das allgemeine Vertrauensschutzgebot.484 Die Sicherungsverwahrung unterliegt zwar ebenso dem „ultima ratio“ Prinzip und stellt einen der stärksten Eingriffe in die Frei­ heitssphäre des Untergebrachten dar. Die Eingriffsintensität allein soll jedoch nicht entscheidend sein. Auch andere staatliche Maßnahmen würden sich als erhebliche Freiheitseingriffe erweisen.485 Allein entscheidend sei der Schuld­ bezug, den die Maßregeln nach deutschem Recht nicht aufweisen.486 Die strikte Unterscheidung würde es rechtfertigen, die Maßregeln konsequenter­ weise nicht in die Garantie des Art. 103 Abs. 2 GG einzubeziehen. Etwas anderes könnte sich nur aus der nötigen Berücksichtigung der EMRK bei der Auslegung ergeben. Nach der autonomen Begriffsbestimmung im Recht der EMRK stellt die Sicherungsverwahrung nach deutschem Recht eine Strafe i. S. v. Art. 7 Abs. 1 EMRK dar. Diese Auffassung ist zu berück­ sichtigen, eine gleichlautende Auslegung der Begriffe in der EMRK und im Grundgesetz jedoch nicht zwingend.487 Die innerstaatliche Begriffsbestim­ mung ist eine theoretisch Begriffliche. Die Auslegung des Begriffs „Strafe“ in der EMRK erfolgt auch aufgrund der In Bezugnahme vielfältiger Kriterien faktisch. Sie ist von den Wirkungen auf den Untergebrachten geleitet. Dage­ gen ist die deutsche Begriffsbestimmung von den Wirkungen auf die Siche­ rungsverwahrten weitgehend unabhängig. Im Mittelpunkt steht der soziale­ thische Tadel. Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass die EMRK durch die weite Begriffsbestimmung den flexiblen Anforderungen der verschiedenen Rechtsstaaten entsprechen muss und kann.488 Dieses Erfordernis besteht in­ nerstaatlich nicht. Diese Unterschiede lassen es gerechtfertigt erscheinen, die Wertung der EMRK nicht ins nationale Verfassungsrecht zu übertragen.489 Nach alledem erfasst Art. 103 Abs. 2 GG nach der herrschenden Auffas­ sung nicht die Maßregeln der Besserung und Sicherung und damit auch nicht die Unterbringung nach §§ 66, 66a StGB.490 Das bedeutet nun erst einmal, dass die einen absoluten Vertrauensschutz vermittelnde Garantie nicht an­ wendbar ist. An dieser Konsequenz zeigt sich deutlich, dass ohne die Be­ rücksichtigung des wahren Strafcharakters der Unterbringung in der Siche­ rungsverwahrung maßgebliche Rechte der Sicherungsverwahrten beschnitten 484  BVerfGE 485  BVerfGE

109, 133 (171 f.). 109, 133 (175) m.w. Beispielen u. a. aus dem Recht der Untersu­

chungshaft. 486  BVerfGE 109, 133 (175). 487  BVerfGE 128, 326 (370, 393). 488  BVerfGE 128, 326 (393). 489  Einfachgesetzlich ist in Art. 7 Abs. 1 EMRK deswegen auch keine „andere gesetzliche Bestimmung“ i. S. v. § 2 Abs. 6 StGB zu sehen: BVerfGE 128, 326 (402). 490  A. A. Best, ZStW 114 (2000), S. 88 (127 f.).



2. Kap.: Die Sicherungsverwahrung im Besonderen205

werden könnten.491 Die herrschende Auffassung kaschiert das Problem da­ durch, dass das allgemeine Rückwirkungsverbot anwendbar bleibt. bb) Exkurs: Der allgemeine Vertrauensschutz in den Konstellationen der Rückwirkungsfälle Nach altem Recht stellte sich die Frage einer nachträglichen Anordnung sowie einer nachträglichen (unbefristeten) Verlängerung einer ursprünglich befristeten Sicherungsverwahrung. Einerseits konnte seit dem Jahr 2004 die Unterbringung nach § 66b Abs. 1 und Abs. 2 StGB a. F. auch rückwirkend, d. h. sogar ohne Vorbehalt im Urteil angeordnet werden. Andererseits hatte der Gesetzgeber bereits im Jahr 1998 die ursprüngliche Befristung der erst­ maligen Anordnung auf zehn Jahre, § 67d Abs. 3 S. 1 StGB a. F. aufgehoben und außerdem in Art. 1a Abs. 3 EGStGB angeordnet, dass von der Regelung auch Altfälle umfasst sind. Im Grundsatz ist davon auszugehen, dass der Bürger, der sein Verhalten an den bestehenden Gesetzen ausrichtet, ein großes Interesse daran hat, das in diese Rechtslage nicht im Nachhinein eingegriffen wird. Ein Vertrauen auf den fortwährenden Bestand von Rechtslagen gibt es jedoch nicht.492 Ge­ setze dürfen geändert werden. Ein Problem entsteht folglich, wenn gesetzge­ berische Änderungen rückwirkend stattfinden. Das ist im Bereich des Straf­ rechts verboten. Die herrschende Meinung zieht diese Konsequenz für die Maßregeln freilich nicht, was zu Problemen führt. Hier muss das allgemeine Vertrauensschutzgebot nach Art. 20 Abs. 3 GG für einen Ausgleich sorgen. Dabei unterscheiden sich die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Rechtfertigung eines Eingriffs in die Rechtssphäre der Grundrechtsträger da­ nach, ob in ein abgeschlossenes oder ein noch andauerndes Geschehen ein­ gegriffen wird. Soll an ein in der Vergangenheit liegendes und abgeschlosse­ nes Geschehen eine andere Rechtsfolge geknüpft werden, liegt ein Fall sog. „echter Rückwirkung“ vor.493 Hier werden die Rechtsfolgen im Nachhinein geändert. Der Bürger hatte in diesen Fällen regelmäßig keine Möglichkeit, sein Verhalten danach auszurichten. Deswegen überwiegt der Vertrauens­ schutz in diesen Fällen regelmäßig und eine „echte Rückwirkung“ ist grund­ sätzlich unzulässig.494 Dagegen liegt eine sog. „unechte Rückwirkung“ vor, wenn das Geschehen, an welches angeknüpft wird, noch nicht abgeschlossen 491  Zu einer ähnlichen Problemlage i. R.v. § 57 StGB vgl. Schneider, StV 1999, S. 398 (400 f.). 492  BVerfGE 38, 61 (83); Huster / Rux, in: Epping / Hillgruber, Grundgesetz, Art. 20 Rn. 184. 493  Vgl. BVerfGE 127, 1 (16 f.) m. w. N. 494  BVerfGE 97, 67 (78); 109, 133 (181) 127, 1 (17).

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2. Teil: Die Maßregeln der Besserung und Sicherung

ist.495 Hier kann das Verhalten noch auf die neue Situation angepasst wer­ den. Der Vertrauensschutz tritt regelmäßig in den Hintergrund. Die Verfas­ sungsmäßigkeit eines derartigen Eingriffs wird maßgeblich durch die Anfor­ derungen der betroffenen Grundrechte bestimmt.496 Der Vertrauensschutz spielt dagegen erst bei der Bestimmung der Verhältnismäßigkeit des Ein­ griffs in die Rechtspositionen der Grundrechtsträger eine Rolle.497 Entschei­ dend ist dann ein Abwägen des Interesses der Bürgers mit dem Wohl der Allgemeinheit.498 Im Folgenden ist daher zunächst zu entscheiden, ob es sich in den oben dargestellten Rückwirkungsfällen um „echte“ oder „unechte“ Rückwirkung handelt. Sodann wird auf die Rechtfertigung einzugehen sein. (1) Die nachträgliche Verlängerung der Dauer der Sicherungsverwahrung Einerseits geht es um den nachträglichen Wegfall der ursprünglichen Be­ fristung der Dauer der Sicherungsverwahrung noch während des laufenden Vollzugs. Hier wurde während eines noch andauernden Geschehens, nämlich dem Vollzug der Unterbringung, die gesetzliche Grundlage zur Dauer für die Sicherungsverwahrten belastend geändert, indem die Befristung auf zehn Jahre ersatzlos gestrichen wurde499, also nachträglich in die Rechtsfolge ein­ gegriffen. Damit liegt eine „unechte“ Rückwirkung vor. Maßgeblich für die Bestimmung der Verfassungsmäßigkeit sind die betroffenen Grundrechte. Auszugehen ist davon, dass der Vollzug der Sicherungsverwahrung einen Eingriff in den Schutzbereich des Freiheitsrechts des Untergebrachten aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG darstellt. Dieser Eingriff ist – wie dargestellt – grund­ sätzlich verhältnismäßig. Nun sind aber in dieser Konstellation die Vertrau­ ensschutzbelange zu berücksichtigen. Immerhin stellten sich die Sicherungs­ verwahrten bei der Anordnung und auch noch während des beginnenden Vollzugs auf den Entlassungszeitpunkt ein. Dieser ist relevant in Bezug auf die zu veranlassenden resozialisierenden Maßnahmen und gibt den Straftä­ tern darüber hinaus auch psychologisch Halt. Die Befristung diente damit gerade ihren Interessen.500 Auf der anderen Seite diente die ersatzlose Strei­ chung der Befristung gerade dem Sicherheitsbedürfnis der Gesellschaft, in­ 495  BVerfGE

97, 67 (79), 127, 1 (17). 72, 200 (242). 497  BVerfGE 109, 133 (182). 498  Std. Rspr. seit BVerfGE 14, 288 (300). s. a. BVerfGE 109, 133 (182) und BVerfGE 128, 326 (390). 499  Eine derartige Konstellation liegt BVerfGE 109, 133 (141 ff.) zugrunde. 500  So auch BVerfGE 109, 133 (185) unter Verweis auf den gesetzgeberischen Willen. 496  BVerfGE



2. Kap.: Die Sicherungsverwahrung im Besonderen207

dem diese vor schweren Gewalttaten geschützt werden soll. Insbesondere weil der andauernde Vollzug unter ständiger gerichtlicher Kontrolle steht und damit kein Vollzug nicht mehr rückfallgefährdeter Straftäter droht, wäre aber vom Überwiegen des Interesses der Allgemeinheit auszugehen. Damit würde sich die nachträgliche Verlängerung der Vollzugsdauer als verfassungsgemäß erweisen.501 Doch das wäre zu kurz gegriffen. In diesem Zusammenhang sind vielmehr auch die herausgearbeiteten Wertungen der EMRK zu berücksichtigen. Da­ nach stellt die Sicherungsverwahrung nach deutschem Recht eine Strafe nach Art. 7 Abs. 1 EMRK dar, sodass das konventionsrechtliche Rückwirkungs­ verbot nach Art. 7 Abs. 1 S. 2 EMRK gilt. Dieser gewährt einen absoluten Vertrauensschutz. Aufgrund der konventionsfreundlichen Auslegung des Grundgesetzes ist dieser Aspekt hier zugunsten der Sicherungsverwahrten zu berücksichtigen. Die Erwartung eines zum Zeitpunkt der Anordnung abseh­ baren Entlassungszeitpunktes erhielt damit ein noch größeres Gewicht. Diese Erwartung rechtfertigte sogar ein dem absoluten Rückwirkungsverbot ange­ näherten Vertrauensschutz.502 Dem steht das große öffentliche Sicherheitsin­ teresse gegenüber. Dieses kann zwar, wie gezeigt, auch tiefgreifende Grund­ rechtseingriffe legitimieren. Ein dem absoluten Vertrauensschutz angenäher­ tes Interesse kann jedoch auch dieser öffentliche Belang grundsätzlich nicht überwinden. Letzterer muss der rechtsstaatlich begründeten Erwartung wei­ chen und hinter dieser zurücktreten.503 Eine nachträgliche Verlängerung der ursprünglich befristeten Unterbringung ist ein unverhältnismäßiger Eingriff in das Freiheitsrecht der Straftäter und verstößt gegen Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG i. V. m. dem Vertrauensschutzgebot aus Art. 20 Abs. 3 GG. Dieses einleuch­ tende Ergebnis wäre unter Anerkennung des Strafcharakters auf viel einfa­ cherem Weg zu erreichen. (2) D  ie nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach § 66b StGB a. F. Andererseits ging es um die Fälle in denen gegenüber den Sicherungsver­ wahrten die Unterbringung nachträglich angeordnet wurde. Hier ist genau genommen zwischen zwei Konstellationen zu unterscheiden. Die Erste betraf die Fälle der nachträglichen Anordnung nach §§ 66b Abs. 1, Abs. 2 StGB, obwohl das zum Zeitpunkt ihrer strafrechtlichen Verurteilung gesetzlich noch 501  So

im Erg. noch BVerfGE 109, 133 (186 f.). 128, 326 (391). 503  BVerfGE 128, 326 (388, 399). Ausgeklammert werden sollen hier die Fälle der medizinisch indizierten psychisch gestörten Straftäter, deren Individualinteresse h ­ inter dem Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit zurückbleibt: BVerfGE 128, 326 (389). 502  BVerfGE

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2. Teil: Die Maßregeln der Besserung und Sicherung

nicht möglich war. An einen in der Vergangenheit liegenden und abgeschlos­ senen Sachverhalt, nämlich die strafrechtliche Aburteilung der Anlasstaten, wurde also eine weitere Rechtsfolge geknüpft. Damit liegt eine „echte“ Rückwirkung vor.504 Die zweite Fallgruppe unterscheidet sich von der ersten dadurch, dass zum Zeitpunkt der Aburteilung der strafrechtlichen Anlasstat die gesetzliche Möglichkeit der Anordnung der Sicherungsverwahrung be­ reits existierte. Auch hier wird an einen in der Vergangenheit liegenden und grundsätzlich abgeschlossenen Sachverhalt eine weitere Rechtsfolge ge­ knüpft. Mithin handelt es sich auch hier um eine „echte“ Rückwirkung.505 Diese Rückwirkung von Rechtsfolgen ist bereits nach deutscher Verfas­ sungslage grundsätzlich unzulässig. Diese Beurteilung wird bestätigt durch den eben geschilderten Zusammenhang mit Art. 7 Abs. 1 S. 2 EMRK, der auf diese Konstellation zu übertragen ist: Der Vertrauensschutz ist einem absolu­ ten Rückwirkungsverbot angenähert, so dass die Erwartung auf ein Ende des Strafvollzugs ohne eine weitere Rechtsfolge schützenswerter ist als das Inte­ resse der Allgemeinheit an dem Schutz vor rückfallgefährdeten Gewohn­ heitsstraftätern. Darüber hinaus ist hier auch die Wertung des Art. 5 Abs. 1 S. 2 EMRK zu berücksichtigen. In diesen Fällen mangelt es an einer hinrei­ chend kausalen Verknüpfung zwischen dem strafrechtlichen Urteil über die Anlasstaten und der Anordnung der Sicherungsverwahrung i. S. v. Art. 5 Abs. 1 S. 2 lit. a EMRK, sodass diese Art der Freiheitsentziehung nur im Einzelfall nach Art. 5 Abs. 1 S. 2 lit. e EMRK zulässig sein könnte. Das be­ deutet aber, dass es regelmäßig als ein unverhältnismäßiger Eingriff in Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG angesehen werden muss, eine nachträgliche Unterbringung in der Sicherungsverwahrung anzuordnen.506

504  Ullenbruch / Drenkhahn, in: MünchenerKomm StGB, § 66b Rn. 30. Offen ge­ lassen von BVerfGE 128, 326 (389 f.). A. A.: Rissing-van Saan / Peglau, in: Leipziger­ Komm StGB, § 66b Rn. 33. 505  Ullenbruch / Drenkhahn, in: MünchenerKomm StGB, § 66b Rn. 30. So offen­ bar: BVerfGE 128, 326 (395: „[…] denn diese Vorschriften ermöglichen bereits tat­ bestandlich eine nachträgliche Anordnung der Freiheitsentziehung.“). Bezüglich der landesrechtlichen Unterbringungsgesetze: Broß / Osterloh / Gerhardt, Sondervotum BVerfGE 109, 244 (254 f.). A. A. Rissing-van Saan / Peglau, in: LeipzigerKomm StGB, § 66b Rn. 35. 506  Ausgeklammert seien dabei wiederum die Fälle der psychisch gestörten und gefährlichen Straftäter, gegenüber denen unter Umständen eine Freiheitsentziehung zulässig sein kann. Das würde sich aber nach anderen als den hier darzustellenden Gründen rechtfertigen (Art. 5 Abs. 1 S. 2 lit. e EMRK) und bedürfte einer Einzelfall­ betrachtung. Zur möglichen Rechtfertigung unter Berücksichtigung von Art. 5 Abs. 1 S. 2 lit. e EMRK siehe: BVerfGE 128, 326 (399).



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cc) Ergebnis Die Ausgestaltung der Sicherungsverwahrung nach geltender Rechtslage unterliegt nur im Ergebnis keinen Bedenken im Hinblick auf das Vertrauens­ schutzgebot. Die nunmehr abgeschaffte nachträgliche Sicherungsverwahrung nach § 66b StGB a. F. hätte dagegen zu verfassungswidrigen Eingriffen in das Freiheitsrecht der Sicherungsverwahrten führen können. Die vorangegan­ gene Darstellung verdeutlicht aber auch, dass es nicht zwangsläufig eines schematischen Parallelisierens der Begriffe in der EMRK und dem Grundge­ setz bedarf, um zu denselben Ergebnissen zu gelangen. Unmissverständlich klar werden in diesem Zusammenhang die Bedeutung und der Einfluss der EMRK auf das nationale Verfassungsrecht. Das ist auch richtig, weil sich darin der richtige Ansatz, dass die Unterbringung nach §§ 66, 66a StGB eine Strafe für habituelle Schuld ist, wiederspiegelt. b) Bestimmtheitsgebot Daneben umfasst das Prinzip der Rechtssicherheit auch das sog. Bestimmt­ heitsgebot. Gesetze müssen den Willen des Gesetzgebers hinreichend klar erkennen lassen. Das bedeutet freilich nicht die Notwendigkeit jeden denkba­ ren Fall auszuformulieren. Vielmehr können Normen auch unbestimmte Rechtsbegriffe enthalten, soweit der gesetzgeberische Wille durch Auslegung erkennbar bleibt. Das ist dann der Fall, wenn sowohl die Voraussetzungen als auch der Inhalt eines Gesetzes für den Normadressaten erkennbar ist und er deswegen sein Verhalten daran ausrichten kann.507 Die Sicherungsverwah­ rung wiederum wird angeordnet, wenn ein Straftäter aufgrund eines Hangs zu erheblichen Straftaten für die Allgemeinheit gefährlich ist, §§ 66 Abs. 1 S. 1 Nr. 4, Abs. 2, Abs. 3 S. 1, Abs. 3 S. 2, 66a Abs. 3 S. 2 StGB. Das ist im Hinblick auf den Bestimmtheitsgrundsatz problematisch und letztlich verfas­ sungsrechtlich nur dann hinzunehmen, wenn die Rechtsbegriffe eine hinrei­ chende Bestimmung in der Rechtsanwendung gefunden hat.508 In kritischer Auseinandersetzung mit den Voraussetzungen wird sich zeigen, dass eine straftheoretische Umformulierung mehr Klarheit bringt. aa) Hang zu erheblichen Straftaten Der „Hang zu erheblichen Straftaten“ bildet das erste inhaltliche Kriterium im Rahmen der Anordnung der Sicherungsverwahrung nach geltendem Recht. Das gilt einerseits für die originäre Unterbringung nach § 66 StGB. Anderer­ 507  BVerfGE 508  BVerfGE

52, 1 (41). 4, 331 (358); 54, 143 (144 f.).

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2. Teil: Die Maßregeln der Besserung und Sicherung

seits gilt es auch für deren Vorbehalt, denn eine Unterbringung kann, trotz des diesbezüglich indifferenten Wortlauts von § 66a Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Nr. 3 StGB, auch nur dann vorbehalten werden, wenn der Hang wahrscheinlich und lediglich die Gefährlichkeitsprognose nicht hinreichend sicher ist. Der Hang­ begriff zählt zu den umstrittensten Begriffen des Strafgesetzbuches.509 (1) Der Begriff des „Hangs“ Der „Hang“ nach §§ 66 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2, Abs. 3 S. 1, Abs. 3 S. 2, §§ 66a Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Nr. 3 StGB beschreibt einen bestehenden inneren Zustand des Täters, welcher ihn, ohne seine Schuldfähigkeit auszuschließen, stets aufs Neue Straftaten begehen lässt. Ein Hangtäter ist nach allgemeiner Auffassung, wer „dauernd zu Straftaten entschlossen ist oder [wer; Verf.] aufgrund einer fest eingewurzelten Neigung, deren Ursache unerheblich ist, immer wieder straffällig wird, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet“.510 Die Feststellung erfolgt durch den Richter in einer Gesamtbeurteilung des Täters und der von ihm begangenen Taten.511 Dabei sind insbesondere die Persön­ lichkeit des Gewohnheitstäters, seine sozialen Verhältnisse und die seiner Herkunft, sein soziales Verhalten, aber auch seine kriminelle Laufbahn und seine Einstellung zu Straftaten zu berücksichtigen.512 Der Hang weißt damit einen Vergangenheitsbezug auf. Dabei spielt die „fest eingewurzelte Neigung zu erheblichen Straftaten“ des Gewohnheitstäters, also das „eingeschliffene Verhaltensmuster“513, eine bedeutende Rolle. Die Neigung vermittelt den Bezug zwischen dem Hang und den erheblichen Straftaten. Diese dürfen sich nicht lediglich als einmalige Ereignisse aus gewissen Konfliktsituationen heraus darstellen. Sie müssen vielmehr symptomatischen Charakter für die Neigung, Straftaten zu begehen, besitzen.514 Dafür kommen auch Straftaten 509  Höffler, ZStW 127 (2015), S. 1018 (1039); Ullenbruch / Drenkhahn / Morgenstern, in: MünchenerKomm StGB, § 66 Rn. 93. 510  BGH NStZ 2005, 265 (265). s. a. BGHSt 50, 188 (196); BGH NStZ-RR 2008, 337; 2016, 77; Rissing-van Saan / Peglau, in: LeipzigerKomm StGB, § 66 Rn. 118; Fischer, § 66 Rn. 47 m. w. N. Restriktiver: Böllinger / Dessecker, in: NomosKomm StGB, § 66 Rn. 93. 511  BGHSt 50, 188 (196); Kinzig, S. 60; Ullenbruch / Drenkhahn / Morgenstern, in: MünchenerKomm StGB, § 66 Rn. 96; Rissing-van Saan / Peglau, in: LeipzigerKomm StGB, § 66 Rn. 117; Fischer, § 66 Rn. 50; Böllinger / Dessecker, in: NomosKomm StGB, § 66 Rn. 80. 512  Böllinger / Dessecker, in: NomosKomm StGB, § 66 Rn. 85; Rissing-van Saan / Peglau, in: LeipzigerKomm StGB, § 66 Rn. 127 ff.; Stree / Kinzig, in: SchönkeSchröder, § 66 Rn. 29 f. 513  BGHSt 50, 188 (196). 514  BGH NStZ-RR 2007, 10 (11); 2007, 107 (108); Rissing-van Saan / Peglau, in: LeipzigerKomm StGB, § 66 Rn. 121 f.



2. Kap.: Die Sicherungsverwahrung im Besonderen211

aus Not- und Konfliktsituationen heraus, in Frage. Die Neigung darf aber nicht ausschließlich durch jene vermittelt sein. Stets müssen weitere Um­ stände hinzutreten, um die Neigung zu erheblichen Straftaten und damit den Hang zu begründen.515 Unerheblich ist darüber hinaus die Ursache der Nei­ gung, Straftaten zu begehen, soweit diese nur Symptomcharakter haben.516 Sie kann auf einer bewussten Entscheidung, auf Willensschwäche beruhen, oder gar angeboren sein.517 Diese Bestimmung des Hangbegriffs durch die herrschende Auffassung ist, trotz der weitgehenden Einigkeit über den Begriff, ziemlich vage. So sind die gegebenen Umschreibungen („eingeschliffenes Verhaltensmuster“, „fest ein­ gewurzelte Neigung“)518 für den Hang allesamt nicht viel aussagekräftiger als der Begriff an sich.519 Diesem werden durch die angebotenen Umschrei­ bungen nur wenige Konturen gegeben. Weil es unerheblich ist, worauf der Hang beruht, ist auch dadurch keine Eingrenzung erreicht. Das Problem wird vielmehr in die richterliche Gesamtbeurteilung verlagert. Und bei dieser kommen wieder alle möglichen Indizien aus dem Leben und der Taten des Gewohnheitstäters in Betracht. Damit ist der Begriff nicht in wünschenswer­ ter Weise hinreichend deutlich bestimmt. Klar wird daraus letztlich nur, dass für die Hangfeststellung auf sehr weitreichende Umstände zurückgegriffen werden kann. Bei jener geht es letztlich lediglich um den Ausschluss von einmaligen Anlässen, d. h. von Augenblicks- und Konflikttaten. Denn bei al­ leinig situativen Anlässen liegt ein „Hang“ gerade nicht vor. Das bedeutet, dass lediglich eine negative Abgrenzung stattfindet.520 Eine exakte Begriffs­ bestimmung ist bisher nicht erreicht worden.521 Diese offene Begriffsbestim­ 515  BGH

NStZ-RR 2007, 10 (11). 24, 160 (161); Ullenbruch / Drenkhahn / Morgenstern, in: Münchener­ Komm StGB, § 66 Rn. 97. 517  BGH NStZ 2005, 265; NStZ-RR 2003, 107 (108 „Willensschwäche“); 2009, 11; Rissing-van Saan / Peglau, in: LeipzigerKomm StGB, § 66 Rn. 124, 126; Stree / Kinzig, in: Schönke-Schröder, § 66 Rn. 32; Jehle / Harrendorf, in: SSW StGB, § 66 Rn. 23 m.N.; Böllinger / Dessecker, in: NomosKomm StGB, § 66 Rn. 83; Fischer, § 66 Rn. 49. 518  Weitere Beispiele bei Böllinger / Dessecker, in: NomosKomm StGB, § 66 Rn. 81. 519  Fischer, § 66 Rn. 55; Böllinger / Dessecker, in: NomosKomm StGB, § 66 Rn. 91 sprechen von einer „Tautologie“; krit. auch Kinzig, S.  103 ff. Höffler, ZStW 127 (2015), S. 1018 (1039) betont dagegen die zwar unzureichende, aber immerhin vorhandende Begrenzung der Anordung aufgrund des festzustellenden Hangs. 520  Rissing-van Saan / Peglau, in: LeipzigerKomm StGB, § 66 Rn. 121; Böllinger /  Dessecker, in: NomosKomm StGB, § 66 Rn. 81. 521  Böllinger / Dessecker, in: NomosKomm StGB, § 66 Rn. 90 sprechen sogar von einem Konstrukt, „das nicht empirisch belegbar und im Sinne rationaler Theoriebil­ dung erklärbar ist“. 516  BGHSt

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2. Teil: Die Maßregeln der Besserung und Sicherung

mung spiegelt die vom Gesetzgeber offengelassenen Tätertypen für die ­Sicherungsverwahrung wieder. Das Erfordernis eines Hangs hat einen richtigen Kern. Für die herrschende Auffassung liegt darin der Anlass, sich mit den vergangenen Entscheidungen des Straftäters vermittelt durch ihre institutionellen Bezüge, auseinanderzu­ setzen. Dieser Auffassung fehlt freilich der richtige Bezugspunkt. Denn der Hang wird nicht hinreichend auf die begangenen Straftaten bezogen. Richti­ gerweise erfasst der „Hang“ im Grunde, aber nicht im Maß, die habituelle Schuld des Straftäters.522 Die vergangenheitsbezogene Gesamtbeurteilung muss die Entscheidungen vermittelt durch die innere Einstellung und sozia­ len Bezüge des Gewohnheitstäters genauso berücksichtigen, wie dessen Straftaten. Jene bedingen maßgeblich die Haltungsbildung, welche in der gewohnheitsmäßigen Begehung von Straftaten Ausdruck findet. Als solche ist sie schulderhöhend. Es ist auch richtig, diesen Umständen nur dann Sym­ bolwert beizumessen, wenn sich die Taten als Ausdruck dieser verkehrten Einstellung zum Recht im Allgemeinen und nicht lediglich einer vereinzelten (Konflikt-)Tat erweisen. Denn nur dann ist die Straftat Ausdruck habitueller Schuld und wiegt entsprechend schwerer. Der herrschenden Meinung ist dagegen zu zugeben, dass es nur schwer möglich ist, das konkrete Maß zu bestimmen. Die Feststellungen im Straf­ prozess beschränken sich daher auf die „Neigung“ und das „eingeschliffene Verhaltensmuster“ an sich. In diesem Zusammenhang wird regelmäßig ledig­ lich von der tatrichterlichen Feststellung des Vorliegens eines Hangs gespro­ chen.523 Auch die Formulierungen des dauerhaft Entschlossenseins, eines eingeschliffenen Zustandes und einer fest eingewurzelten Neigung (zur Be­ gehung von Straftaten) lassen eine Maßbestimmung nur beschränkt zu. Der Gewohnheitsstraftäter muss ständig, also nicht bloß vorübergehend, ent­ schlossen sein. Die Neigung muss eingeschliffen bzw. fest verwurzelt, also nicht lediglich oberflächlich, bestehen. Die Bestimmung eines konkreten Maßes habitueller Schuld und damit der Dauer einer Sicherungsverwahrung, ist dadurch im Ansatz noch nicht möglich. Freilich ist zu berücksichtigen, dass nach geltender Rechtslage gar keine Maßbestimmung erfolgen muss. Nach der zweispurigen Ausgestaltung reicht eben die bloße Feststellung des Hangs aus. Die Bestimmung dessen Ausmaßes bzw. der habituellen Schuld bleibt der (freiwilligen) Behandlung im Vollzug überlassen. Diese leistet die nötige intensive Behandlung und Beurteilung des Sicherungsverwahrten und gibt damit die Länge des Vollzugs vor. Andererseits ist bereits dargelegt wor­ Köhler, in: FS Jakobs, S. 273 (291). NStZ 2005, 265; NStZ-RR 2009, 11; 2010, 203; BGH bei Detter, NStZ 2015, 22 (25); 2015, 683 (686); Stree / Kinzig, in: Schönke-Schröder, § 66 Rn. 27. 522  Vgl.

523  BGH



2. Kap.: Die Sicherungsverwahrung im Besonderen213

den, dass die Bemühungen um eine Schuld- und Maßquantifizierung im Be­ reich habitueller Delinquenz noch nicht abschließend erfolgte. Das Ausmaß der habituellen Schuld ist zwar genauso wenig im Strafver­ fahren feststellbar. Der Hang erhält aber durch die straftheoretische Umdeu­ tung den richtigen Bezugspunkt zu den Taten und dem Straftäter und die Sicherungsverwahrung ihren Charakter als Strafe. Auch wenn es der Rechtsprechung und der herrschenden Auffassung in der Literatur dagegen noch nicht gelungen ist, eine überzeugende Definition des „Hanges“ zu leisten, besteht weitgehende Einigkeit über den Begriff und sind die für die Praxis geltenden Kriterien zur Handhabung der in Betracht kommenden Fälle geeignet. Ein Verstoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz kann daher noch nicht angenommen werden. (2) Die Erheblichkeit der zu erwartenden Straftaten Der Hang muss sich nach §§ 66 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2, Abs. 3 S. 1, Abs. 3 S. 2, §§ 66a Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Nr. 3 StGB auf „erhebliche“ Straftaten be­ ziehen. Auch dieser Begriff ist unbestimmt.524 Einen ersten Anhaltspunkt für die Begriffsbestimmung bieten die jeweils in Bezug genommenen Straftaten­ kataloge. Denn nur die dort in Bezug genommenen Delikte rechtfertigen für sich die Anordnung einer Sicherungsverwahrung. Die dort genannten Strafta­ ten richten sich weitgehend gegen höchstpersönliche Rechtsgüter bzw. stellen gemeingefährliche Straftaten dar. Daraus ergibt sich für die Auslegung des „Erheblichkeitsbegriffs“ ein Erfordernis an gewisser Schwere der zu erwar­ tenden Straftaten. Aber das ist noch relativ unbestimmt, weil die Strafrahmen der Delikte teilweise erheblich voneinander abweichen. Einen weiteren An­ haltspunkt bilden die übrigen formellen Voraussetzungen der verschiedenen Anordnungsvarianten für die Sicherungsverwahrung bzw. deren Vorbehalt. Um dem ultima ratio Charakter der Unterbringung zu entsprechen, hat sich der Gesetzgeber hier neben der erforderlichen Anlassverurteilung für ein ausdifferenziertes System von erforderlichen Vorverurteilungen, verwirkten Freiheitsstrafen und dem Vollzug von Freiheitsstrafen entschieden. Die An­ forderungen werden teilweise kombiniert und variieren auch abhängig von dem in Bezug genommenen Straftatenkatalog. Dabei werden entweder die Vorverurteilung(en) oder bereits verwirkte Freiheitsstrafen mit der Anlassver­ urteilung kombiniert. Nur im Grundfall nach § 66 Abs. 1 StGB ist darüber hinaus auch das Verbüßen einer zweijährigen Freiheitsstrafe erforderlich. Die Strafe für die Anlassverurteilung beträgt stets mindestens zwei Jahre Frei­ heitsstrafe (und ist damit unbedingt, d. h. nicht mehr aussetzungsfähig). Da­ 524  BGH

NStZ-RR 2010, 172; Jehle / Harrendorf, in: SSW StGB, § 66 Rn. 26.

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rüber hinaus beträgt die Höhe der verwirkten Strafe bzw. der Vorverurteilung immer mindestens ein Jahr Freiheitsstrafe. Daran wird bereits deutlich, dass die Unterbringung nach §§ 66, 66a StGB nicht in den Fällen von Bagatellkri­ minalität angeordnet werden soll. Das wiederum bedeutet, dass Straftaten dieses Kriminalitätsbereichs auch nicht „erheblich“ i. d. S. sein können. Genauso wie der Ausschluss von Bagatelldelikten außer Frage steht525, ist auch unbestritten, dass Verbrechenstatbestände nach § 12 Abs. 1 StGB „er­ heblich“ im oben genannten Sinne sind.526 In dem Bereich dazwischen gehen die Meinungen dazu jedoch auseinander. Einerseits wird gefordert, dass als „erheblich“ nur die Erwartung an eine im Einzelfall verwirkte Strafe von mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe angesehen werden darf.527 Die über­ wiegende Meinung lässt dagegen auch im Einzelfall weniger schwerwie­ gende Straftaten ausreichen, wenn es sich um eine Vielzahl von Straftaten handelt und die Rückfallgeschwindigkeit zugenommen hat.528 Damit wäre ein sehr weiter Anwendungsbereich eröffnet und eine klare Umgrenzung für das Erheblichkeitserfordernis ergäbe sich nicht. Somit wären die Vorausset­ zungen der Norm nicht eindeutig genug umrissen und für den Normadressa­ ten nicht erkennbar. Das ist im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG bzw. Art. 20 Abs. 3 GG zu unbestimmt.529 Zwar will insbesondere die Rechtsprechung diesem weiten Anwendungsbereich eine strikte Verhältnismäßigkeitskontrolle folgen lassen.530 Das führt jedenfalls im Ergebnis zu einer restriktiven Beja­ hung dieses Erfordernisses im Einzelfall. Jedoch ist die Verhältnismäßigkeit im Maßregelrecht nach § 62 StGB eine eigens zu prüfende Voraussetzung. Deswegen ist es unzulässig, den Anwendungsbereich eines Tatbestandsmerk­ mals im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeitsprüfung offen zu lassen. Die­ ses Vorgehen würde letztlich das erstgenannte Merkmal leerlaufen lassen. 525  Dessecker, Gefährlichkeit und Verhältnismäßigkeit, S. 307 m. w. N.; Fischer, §  66 Rn.  57 m. w. N. 526  Ullenbruch / Drenkhahn / Morgenstern, in: MünchenerKomm StGB2, § 66 Rn. 104 „in der Regel“; Dessecker, Gefährlichkeit und Verhältnismäßigkeit, S. 306 m. w. N. 527  Ullenbruch / Drenkhahn / Morgenstern, in: MünchenerKomm StGB, § 66 Rn. 101; Dessecker, Gefährlichkeit und Verhältnismäßigkeit, S. 307 f.; ähnlich: Stree / Kinzig, in: Schönke-Schröder, § 66 Rn. 33; Rissing-van Saan / Peglau, in: Leip­ zigerKomm StGB, § 66 Rn. 164 wollen den Maßstab dagegen nur als „Kontrollüber­ legung“ anerkennen. 528  BGHSt 24, 153 (155); BGH NStZ-RR 2002, 38; 2003, 73 (74); Fischer, § 66 Rn. 57; Jehle / Harrendorf, in: SSW StGB, § 66 Rn. 26. Nach dem Streichen von Ba­ gatelltaten im Deliktskatalog erscheint dieser Anwendungsbereich jedoch nicht mehr von Relevanz. 529  So auch Ullenbruch / Drenkhahn / Morgenstern, in: MünchenerKomm StGB, § 66 Rn. 101. 530  BGHSt 27, 248.



2. Kap.: Die Sicherungsverwahrung im Besonderen215

Dem Bestimmtheitsgebot wäre so nicht genüge getan. Zwar ist das gesamte Recht der Sicherungsverwahrung bereits gesetzgeberisch aufgrund des grundrechtssensiblen Bereichs von Verhältnismäßigkeitserwägungen be­ stimmt und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit so schon bei der Ausle­ gung der Voraussetzungen zu berücksichtigen.531 Insoweit könnte eine eigen­ ständige Prüfung hier keine weiteren Einschränkungen ergeben. Das kann aber nur gelten, wenn die bestehenden Anforderungen auch im Hinblick auf den Bestimmtheitsgrundsatz den rechtsstaatlichen Anforderungen genügen. Es mag zwar zirkulär anmuten, wenn dasselbe Ergebnis durch eine verhält­ nismäßigkeitsbestimmte Auslegung der „Erheblichkeit“ oder durch vage Be­ stimmung der „Erheblichkeit“ unter weiterer Berücksichtigung der Verhält­ nismäßigkeit erreicht wird. Für den Normadressaten lässt dagegen nur die erste Variante hinreichend genau erkennen, in welchen Fällen dieses Merkmal vorliegt. Es wäre daher vorzugswürdig, als „erheblich“ nur die Erwartung an Straftaten, die im Einzelfall eine Strafverwirkung von mindestens einem Jahr erreichen, ausreichen zu lassen. Einen weiteren Gesichtspunkt für die Auslegung bieten die in § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB genannten Beispiele. Denn nach der gesetzlichen Systematik, sollen die zu erwartenden erheblichen Straftaten namentlich solche sein, die beim Opfer schwere seelische oder körperliche Schäden hervorrufen. An der gesetzlichen Formulierung wird deutlich, dass die Erheblichkeit sich nicht auf die genannten Fallgruppen beschränkt. Vielmehr kann sie sich auch aus anderen Umständen ergeben532, z. B. einem wirtschaftlichen Schaden im Zu­ sammenhang mit einem Gewaltdelikt, also beispielsweise beim Raub nach § 249 StGB.533 Erforderlich ist dabei jedoch eine Vergleichbarkeit mit den genannten schweren Schäden.534 Dagegen verlangt die Rechtsprechung hier­ für eine empfindliche Störung des Rechtsfriedens.535 Aber was darunter zu verstehen ist, bleibt unklar. Differenziert werden soll zwischen einer nicht ausreichenden Belästigung des Rechtsfriedens und dessen Störung.536 Wei­ terhin muss die Störung auch empfindlich sein. Ein Gewinn an Bestimmtheit ist damit nicht verbunden. Hier wird lediglich ein unbestimmter Rechtsbe­ griff durch einen anderen ersetzt. Das Kriterium der empfindlichen Störung des Rechtsfriedens ist daher nicht besser geeignet, eine Abgrenzung zu tref­ 531  Dessecker, Gefährlichkeit und Verhältnismäßigkeit, S. 382; van Gemmeren, in: MünchenerKomm StGB, § 62 Rn. 10; Jehle / Harrendorf, in: SSW StGB, § 66 Rn. 35. 532  BGH NStZ-RR 2010, 172. 533  BT-Drucks. 17 / 4062, S. 14. 534  Jehle / Harrendorf, in: SSW StGB, § 66 Rn. 26. 535  BGHSt 24, 153 (154). Krit. Rissing-van Saan / Peglau, in: LeipzigerKomm StGB, § 66 Rn. 152: „sehr vager Faktor“. 536  BGHSt 24, 153 (154); 24, 160 (162) unter Verweis auf den historischen Ge­ setzgeber.

216

2. Teil: Die Maßregeln der Besserung und Sicherung

fen.537 Damit kommt es entscheidend auf die genannten Beispiele bzw. eine vergleichbare Schwere an. Schwere seelische und körperliche Schäden dro­ hen bei Sexual- und Gewalttaten. Die Folgen müssen dabei nicht konkret absehbar bzw. feststellungsfähig sein. Es reicht aus, wenn sie sich abstrakt als regelmäßige Folge des strafbaren Verhaltens einstellen.538 Das deckt sich im Ergebnis mit einer vergleichbaren Problematik im Straf­ prozessrecht: Im Bereich der strafprozessualen Ermittlungsmaßnahmen kennt das Gesetz neben dem Begriff der „Straftaten von erheblicher Bedeutung“ (bspw. § 98a Abs. 1 S. 1 StPO) die „schweren“ (bspw. § 100a Abs. 2 StPO) und „besonders schweren Straftaten“ (§ 100c Abs. 2 StPO). Unter schweren Straftaten versteht die herrschende Auffassung solche, die im Mindesthöchst­ maß mit einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren bedroht sind und die Funkti­ onsfähigkeit des Staates oder individuelle Rechtsgüter in einschneidender Weise beeinträchtigen.539 Der Schweregehalt liegt also noch unterhalb dem Unrecht eines Verbrechenstatbestandes.540 „Erheblich“ soll dagegen bereits der Bereich mittlerer Kriminalität sein, wenn eine Straftat den Rechtsfrieden empfindlich stört und dazu geeignet ist, das allgemeine Gefühl der Sicherheit in der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen, wofür eine Höchststrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe nicht hinreicht.541 Daraus folgt, dass für die Erheblichkeit der Straftat kein Verbrechen nötig ist, aber der Bereich der Bagatellkriminalität ausscheidet. Die empfindliche Störung des Rechtsfrie­ dens ist auch in diesem Zusammenhang wesentliches Begriffsmerkmal. Die vorstehend dargestellte Begriffsbestimmung ist zwar bestimmt i. S. v. Art. 20 Abs. 3 GG, ihr fehlt jedoch der richtige Bezugspunkt. Entscheidend ist das verwirklichte Strafunrecht. In diesem verneint der Straftäter durch seinen Angriff auf fremde Rechtsgüter in widersprüchlicher Weise die Gel­ tung des Rechts. Das Maß der Geltungsnegation wird durch das Unrecht und die Schuld bestimmt. Das führt zu Strafmaßdifferenzierungen gemäß dem Rechtsfolgensystem des Strafgesetzbuches. Alle unterhalb einer Freiheits­ strafe möglichen Rechtsfolgen reagieren auf geringes Unrecht und Tatschuld. Deswegen sind hier Freiheitsbeschränkungen, beispielsweise durch die Geld­ strafe, ausreichend, um das gestörte Rechtsverhältnis wiederherzustellen. 537  Krit. auch Ullenbruch / Drenkhahn / Morgenstern, in: MünchenerKomm StGB, § 66 Rn. 99; Böllinger / Dessecker, in: NomosKomm StGB, § 66 Rn. 95. 538  BGH NStZ-RR 2010, 240; Jehle / Harrendorf, in: SSW StGB, § 66 Rn. 27; Stree / Kinzig, in: Schönke-Schröder, § 66 Rn. 35, Ullenbruch / Drenkhahn / Morgenstern, in: MünchenerKomm StGB, § 66 Rn. 103 f. 539  BVerfG NJW 2012, 833 (836). s. a. BT-Drucks. 16 / 5846, S. 39 f. 540  Vereinzelt wird im dortigen Zusammenhang für eine Ersetzung der „schweren Straftaten“ durch Verbrechen i. S. v. § 12 Abs. 1 StGB plädiert: Hauck, in: Löwe-Ro­ senberg, StPO, § 100a Rn. 47. 541  BT-Drucks. 16 / 5846, S. 40 m. w. N.



2. Kap.: Die Sicherungsverwahrung im Besonderen217

Derartiges Strafunrecht ist nicht erheblich im hiesigen Sinne. Freiheitsstrafen sind dagegen Reaktionen auf erhebliche Störungen der Rechtsverhältnisse durch Straftaten. Das gilt vor allem für unbedingte Freiheitsstrafen. Die die­ sen zugrundeliegenden Straftaten weisen eine derart gravierende Negation des Rechts(verhältnisses) auf, dass sie erhebliches Unrecht darstellen. Das­ selbe gilt für die Verbrechenstatbestände, für die eine Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr gilt, vgl. § 12 Abs. 1 StGB. Darin kommen das erheblich gesteigerte Unrecht dieser Taten und die erhebliche Geltungsnegation des Rechts zum Ausdruck. Wird im Einzelfall vom Tatgericht eine Freiheitsstrafe von einem Jahr verhängt, entspricht sie diesem gesteigerten Unrechts- und Schuldmaß. Folglich ist die im Einzelfall verhängte Freiheitsstrafe von einem Jahr „erheblich“. bb) Gefährlichkeit für die Allgemeinheit Der Straftäter muss nach geltender Rechtslage für die Allgemeinheit ge­ fährlich sein. Das setzt die richterliche542 Prognose voraus, dass zum Zeit­ punkt der Anordnung der Sicherungsverwahrung543 vom Gewohnheitstäter aufgrund seines Hangs erhebliche Straftaten zu erwarten sind.544 Die Prog­ nose setzt eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die Erwartung voraus. Eine reine Möglichkeit ist nicht ausreichend. Die Möglichkeit an sich besteht schon aufgrund des festgestellten Hangs zu erheblichen Straftaten beim Straftäter. Vielmehr ist erforderlich, dass eine bestimmte Wahrscheinlichkeit die Gefährlichkeit nahelegt.545 Die nötige Wahrscheinlichkeit muss konkret festgestellt werden und einen höheren Grad an Wahrscheinlichkeit erreichen. Dieser lässt sich nicht konkret angeben. Fest steht lediglich, dass weder eine rein abstrakte Gefahr ausreicht546, noch die Gewissheit des Eintritts weiterer Rechtsgutsverletzungen erforderlich ist.547 Durch die Änderung der Lebens­ verhältnisse seit dem Zeitpunkt der (letzten) Tat und dem Zeitpunkt der An­ ordnung der Sicherungsverwahrung kann die Wahrscheinlichkeit trotz festge­ stellten Hangs zu erheblichen Straftaten auch entfallen.548 Erforderlich ist 542  BVerfGE 109, 133 (164); Rissing-van Saan / Peglau, in: LeipzigerKomm StGB, § 66 Rn. 202. 543  BGHSt 24, 164. 544  BGH GA 1965, 28; NStZ 2003, 108 (109). 545  BGHSt 25, 59 (61); BGH NStZ-RR 2006, 105. 546  BGH GA 1965, 28; NStZ 2003, 108 (108 f.). 547  BGH wistra 1988, 23; Stree / Kinzig, in: Schönke-Schröder, § 66 Rn. 39. 548  BGH StV 2005, 129; NStZ 2007, 464; 2009, 567; Rissing-van Saan / Peglau, in: LeipzigerKomm StGB, § 66 Rn. 206 und Stree / Kinzig, in: Schönke-Schröder, § 66 Rn. 41 jeweils m.w. Beispielen aus der Rechtsprechung.

218

2. Teil: Die Maßregeln der Besserung und Sicherung

dafür jedoch die Gewissheit vom Vorliegen der einschlägigen Umstände. Spekulationen darüber reichen nicht aus.549 Die Prognose der Gefährlichkeit ist nichts Anderes als die Vermutung künftigen Verhaltens aufgrund des festgestellten Hanges. Freilich richtet sie sich auf künftige menschliche Entwicklungen, die in ihren Einzelheiten nicht voraussehbar sind. Soweit sie die vergangenheitsbezogene Beurteilung zur Rechtfertigung der Anordnung der Sicherungsverwahrung betrifft, geht die Gefährlichkeitsbeurteilung in der Hangfeststellung vollständig auf. Eigen­ ständigen Gehalt bekommt sie erst im Vollzug. Denn hier berücksichtigt die Beurteilung jeweils den aktuellen Stand der Behandlung. Insoweit nimmt sie aktuelle Entwicklungen in sich auf und gibt den jeweiligen Grad der Verfes­ tigung der rechtlichen Entwöhnung, bestenfalls die im Grunde rechtliche Gesinnung des Sicherungsverwahrten, wieder. Insoweit erlangt auch die al­ tersbedingte Unfähigkeit, gemäß haltungsbedingter Maxime zu handeln, Be­ rücksichtigung.550 Die erforderlichen Begutachtungen geben Auskunft über die noch erforderliche Wiederherstellung der durch die habituelle Schuld gestörten Rechtsverhältnisse und somit die weitere intensive Behandlungs­ notwendigkeit zur Resozialisierung des Sicherungsverwahrten. Die Notwendigkeit der Prognose mit all ihren Unsicherheiten551 ist nach der herrschenden Auffassung der erforderlichen Trennung zwischen Strafe und Sicherungsverwahrung geschuldet. Als solche ist die Gefährlichkeitspro­ gnose durch die Rechtsprechung und Literatur für die Praxis hinreichend bestimmt worden. Nach der hier vertretenen Auffassung kommt ihr im Be­ reich der Anordnung der Sicherungsverwahrung nach geltendem Recht je­ doch kein eigenständiger Gehalt zu. cc) Verhältnis zwischen dem Hangmerkmal und der Gefährlichkeitsprognose Schließlich ist auch das Verhältnis der beiden materiellen Kriterien nicht eindeutig. Einerseits wird das Erfordernis des Hanges für überflüssig gehal­ ten und die Gefährlichkeit in den Vordergrund gestellt.552 Andererseits wird gerade die Trennung beider Merkmale betont, wenn auch der Hang indiziell für die Gefährlichkeit sein soll.553 Von der weit überwiegenden Auffassung 549  BGHSt

1, 65. zur Berücksichtigungsfähigkeit innerhalb des Hangs: Köhler, in: FS Ja­ kobs, S. 273 (289). 551  Siehe oben: 2. Teil 2. Kap. C. III. 552  Rissing-van Saan / Peglau, in: LeipzigerKomm StGB, §  66 Rn.  134 m. w. N. 553  BGHSt 50, 188 (193 ff.); BGH NStZ-RR 2016, 77. 550  Vgl.



2. Kap.: Die Sicherungsverwahrung im Besonderen

219

wird ernsthaft bezweifelt, dass die Kriterien einer getrennten Beurteilung zugänglich sind.554 Betrachtet man die Voraussetzungen der Anordnung und jene des weiteren Vollzugs unter straftheoretischem Blickwinkel, löst sich das Spannungsver­ hältnis auf. Für die Anordnung ist nur der „Hang“ erforderlich, welcher sich als die in habitueller Weise entfremdete Einstellung zum Recht erweist. Die „Gefährlichkeit“ geht darin auf. Für die Frage des (weiteren) Vollzugs ist dagegen eine jeweils aktuelle Beurteilung erforderlich. Die herrschende Auf­ fassung verlangt dazu eine Gefährlichkeitsprognose künftigen Verhaltens des Sicherungsverwahrten. Richtigerweise ist zu dem jeweiligen Zeitpunkt eine Beurteilung des Untergebrachten bezüglich der seit Anordnung geänderten Einstellung zum Recht vorzunehmen. 5. Ergebnis

Die straftheoretische Begründung der Sicherungsverwahrung führte dazu, dass verfassungsrechtlich im Unterschied zur herrschenden Auffassung ei­ nige Perspektivenwechsel notwendig waren. Durchgängig hat sich gezeigt, dass die Deutung der Unterbringung nach §§ 66, 66a StGB als Strafe unmit­ telbare Einsichten in die Notwendigkeit der Anwendung von Verfassungsnor­ men folgen ließ. Komplizierte Begründungen und schwer auflösliche Ver­ hältnisbestimmungen erlangten eine einfache Stringenz. So sind die Zustän­ digkeit des Bundesgesetzgebers und die Anwendung des Bestimmtheitsgebo­ tes (mitsamt der Unterprinzipien) ohne weiteres begründbar. Ebenso ließen sich die in der Auslegung und Anwendungsreichweite schwer abgrenzbaren materiellen Voraussetzungen der Unterbringung in der Sicherungsverwah­ rung straftheoretisch ordnen und in Bezug zueinander setzen; ein Bezug den die derzeitige gesetzliche Ausgestaltung, aufgrund der Differenzierung zwi­ schen Strafe und Maßregel, verdeckt bzw. vermissen lässt. Das sich aus der Strafgerechtigkeit ableitende Resozialisierungserfordernis lässt keine Zweifel an der Vereinbarkeit der Sicherungsverwahrung mit der Menschenwürdega­ rantie. Denn als Strafe ist sie auch sein Recht und vermittelt die Wiederher­ stellung des durch die konkrete Geltungsnegation im Strafunrecht gestörten Rechtsverhältnisses. Die zweispurige Ausgestaltung im geltenden Recht ist eine Einsicht in die nur schwerlich im Ausmaß feststellbare habituelle Entwöhnung des Straftä­ ters vom Recht. Diese kann und sollte vom Strafverfahren nicht geleistet werden. Feststellbar ist jedoch der Habitus an sich, welcher zur Anordnung bzw. zum Vorbehalt der Sicherungsverwahrung legitimiert. Der Bundesge­ 554  Stree / Kinzig,

in: Schönke-Schröder, § 66 Rn. 25 m. w. N. auch aus der Empirie.

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2. Teil: Die Maßregeln der Besserung und Sicherung

setzgeber hält sich mit der Regelung innerhalb seines legislatorischen Spiel­ raums. Damit bleibt das Maß der Freiheitsentziehung offen. Die habituell vermittelte erhöhte Strafe ist damit unbestimmt. Das ist nur deshalb zulässig, weil die engmaschige Kontrolle im Vollzug die Beschränkung auf das durch die gesteigerte Schuld erhöhte Maß an Freiheitsentziehung gewährleistet.

E. Zusammenfassung Die legitimatorische Betrachtung der Sicherungsverwahrung, die ihrer Rechtsnatur nach Strafe ist, hat in kritischer Abgrenzung zu allen anderen Ansätzen zu dem Ergebnis geführt, dass diese an sich gerechtfertigt ist. Die Sicherungsverwahrung ist auf schuldhaftes Unrecht bezogen und erweist sich als Strafe. Verfassungsrechtlich kann man die Notwendigkeit der Regelung auch als Gebot der staatlichen Schutzpflichten formulieren. Ohne den vorpo­ sitiven, theoretischen Unterbau bleibt letzteres aber nur eine positivistische These. Die Einsicht, dass es sich bei der Sicherungsverwahrung nach deut­ schem Recht um Strafe handelt, liegt auch der neueren Rechtsprechung des EGMR zugrunde. Entscheidend dafür war eine inhaltliche, am materiellen Charakter orientierte Auslegung im Vergleich zur formalen Trennung nach deutschem Recht. Die derzeitige gesetzliche Ausgestaltung spiegelt den Strafcharakter der Maßnahme unzureichend wieder. Im Grunde erwies sie sich jedoch als ver­ fassungsgemäß. Es konnte weder ein Verstoß gegen die Garantie der Men­ schenwürde oder eine Verletzung des Freiheitsrechtes der Sicherungsver­ wahrten, noch ein Verstoß gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit (in seinen den Vertrauensschutz sowie die Bestimmtheit fordernden Varianten) festgestellt werden. Gleichzeitig zwang die straftheoretische Einordnung zu Einsichten. Mit Nachdruck muss die Anwendung der für das Strafrecht gel­ tenden Verfassungsgrundsätze, insbesondere der Bestimmtheit und des Rück­ wirkungsverbotes, auch für die Sicherungsverwahrung gefordert werden. Im Rahmen des Freiheitsrechtes nach Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG war zu beachten, dass die verfassungsrechtliche Überprüfung anhand des dafür heranzuziehen­ den Verhältnismäßigkeitsprinzips erfolgte, obwohl einfachgesetzlich das Schuldprinzip in seiner strafbegrenzenden Funktion den Maßstab für die Bemessung bildet. Aus der Einsicht heraus, dass die Feststellung des habituellen Teils der Schuld im Strafprozess mit den bisher zur Verfügung stehenden Erkenntnis­ mitteln nicht geleistet werden kann, muss die Sicherungsverwahrung, wie nach derzeitiger Gesetzeslage konzipiert, als unbestimmte Strafe für die ha­ bituelle Schuld angesehen werden. Die Bemessung der Dauer der Vollstre­ ckung erfolgt behandlungsbegleitend durch die Beurteilungen im Vollzug.



2. Kap.: Die Sicherungsverwahrung im Besonderen221

Aus freiheitsgesetzlicher Einsicht heraus, ist zu fordern, dass die strikte Re­ gelung des § 67d Abs. 3 StGB an die Strafrahmen der individuell verwirk­ lichten Delikte anzupassen ist. Die herrschende Ansicht, die formal zwischen beiden Instituten unterschei­ det, gelangt zwar weitgehend zu den gleichen Ergebnissen. Die unmittelbar einleuchtenden Ergebnisse erfordern jedoch regelmäßig einen erheblich ge­ steigerten Begründungsaufwand. Dieser erspart sich, wenn man den Blick nicht davor verstellt, dass es sich bei der Unterbringung nach §§ 66, 66a StGB der Sache nach um Strafe handelt. Obwohl die derzeitige gesetzliche Ausgestaltung sich straftheoretisch umformulieren lässt, setzt sie nicht in optimaler Weise das aufgrund der habituellen Schuld gesteigerte Resoziali­ sierungsbedürfnis der Gewohnheitstäter um. Der habituell vermittelte Teil der Strafe bleibt unbestimmt und die Behandlung des Straftäters wird erst im der Freiheitsstrafe nachfolgenden Vollzug wirklich angegangen. Darauf wird noch zurückzukommen sein. Im Folgenden soll nun der Blick auf die konkreten Grundsätze der Bemes­ sung der Strafe gerichtet werden.

3. Teil

Die Strafzumessung Aus der Theorie der Strafe ergibt sich die Theorie der Zumessung der Strafe. Aber so wie man sich über den Zweck der staatlichen Strafe uneins ist, setzt sich die Kontroverse auf der Ebene der Zumessung der Strafe fort. Im Vergleich zu den zahllosen Stellungnahmen zur Straftheorie ist die Be­ handlung der Zumessungsentscheidung, genauso wie die Maßregeltheorie, aber regelmäßig zu kurz gekommen.1 Im Folgenden werden, von der gel­ tenden Gesetzeslage ausgehend, die verschiedenen Theorien der Strafzumes­ sung dargestellt. In diesem Rahmen soll einerseits kritisch untersucht werden, welche Gesichtspunkte für zumessungsrelevant gehalten werden und wie das Zusammenspiel dieser Aspekte erklärt wird. Andererseits wird darauf einzu­ gehen sein, inwiefern sich die zu untersuchende Frage der Berücksichtigung der Sicherungsverwahrung im Rahmen der Strafzumessung stellt und wie gegebenenfalls eine Integration umgesetzt wird bzw. umzusetzen wäre. 1. Kapitel

Die Strafzumessungsentscheidung des Tatgerichts und ihre gerichtliche Überprüfbarkeit Im Folgenden sollen die maßgeblichen Kriterien der Strafzumessung durch das Tatgericht, ihrer Darstellung in den Urteilsgründen und deren gericht­ liche Überprüfbarkeit dargestellt werden. Auf diese Kriterien wird im Laufe der Untersuchung zu den strafzumessungsrechtlichen Theorien immer wieder zurückzukommen sein.

1  Silva Sánchez, in: FS Hassemer, S. 625 (626) spricht deswegen von einem „Schattendasein“ insoweit.



1. Kap.: Die Strafzumessungsentscheidung des Tatgerichts223

A. Grundsätzliches zur Bemessung der Strafe nach §§ 46 ff. StGB I. Einordnung und Gesetzesgeschichte Der Vorgang des Bemessung einer konkreten Strafe für ein strafrechtlich relevantes Verhalten ist eine Rechtsanwendung durch den Richter, die sich nach den gesetzlichen Vorgaben der §§ 46 ff. StGB und denen der höchstrich­ terlichen Rechtsprechung richtet.2 Seit der Gesetzgeber zum 1.  April 1970 mit der damaligen Regelung in § 13 StGB, einer Vorgängerregelung des heutigen § 46 StGB, eine Regelung zur richterlichen Strafzumessung getrof­ fen hat3, stellt diese keinen irrationalen Prozess mehr dar, welcher klare Regeln vermissen lässt4. Vorher war die richterliche Strafzumessungsent­ scheidung tatsächlich relativ frei und einer Überprüfung weitgehend entzo­ gen.5 So kam auch der Vorwurf auf, bei der Strafzumessung handele es sich um „Willkür, Laune, Zufall“6. Am 1.  Oktober 1973 trat dann § 46 StGB in Kraft.7 Dieser lautete: „(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wir­ kungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen. (2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab. Dabei kommen namentlich in Betracht: die Beweggründe und die Ziele des Täters, die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille, das Maß der Pflichtwidrigkeit, die Art der Ausführung und die verschuldeten Aus­ wirkungen der Tat, das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie sein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Scha­ den wiedergutzumachen, sowie das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen. 2  Theune,

in: LeipzigerKomm StGB, Vor §§ 46 Rn. 5. Strafrechtsreformgesetz vom 25. Juni 1969, BGBl. I, S. 645. 4  So noch HESt 2, 115 (118). Weiterhin kritisch aber beispielsweise Miebach /  Maier, in: MünchenerKomm StGB, § 46 Rn. 179 („in wesentlichen Teilen unklar“) m. w. N.; Kaiser, Kriminologie, § 83 Rn. 6. 5  Einen Überblick über die geschichtlichen Hintergründe findet sich bei Miebach /  Maier, in: MünchenerKomm StGB, § 46 Rn. 5 ff. 6  Wach, Reform der Freiheitsstrafe (1890), S. 41 zit. nach Henkel, Strafe, S. 3 mit weiteren Zitaten. 7  2. Strafrechtsreformgesetz vom 4.  Juli 1969, BGBl. I, S. 717. Die einzige Än­ derung an § 46 StGB in der heute geltenden Fassung erfolgte durch das Opferschutz­ gesetz vom 18.  Dezember 1986, BGBl. I, S. 2496, indem in Absatz 2 der Norm die Wendung „sowie das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen“ eingefügt worden ist. 3  1.

224

3. Teil: Die Strafzumessung

(3) Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, dürfen nicht berücksichtigt werden.“

Von einem freien oder gar irrationalen Vorgang kann daher keine Rede mehr sein. Das wäre im Hinblick auf die Menschenwürde der Straftäter, rechtsstaatliche Grundsätze und das Willkürverbot8 auch nicht zu vermit­ teln. Letztlich liegt in der Normierung der Grundsätze der Strafzumessung durch den Gesetzgeber ja auch die Umsetzung der Verpflichtung, strafrecht­ liche Gesetze bestimmt zu fassen und die Voraussetzungen der Anwendung für den Normadressaten vorhersehbar zu machen.9 Der Strafrichter ist da­ mit in seiner Entscheidung zur Bemessung der Strafe keineswegs frei. Ein gewisser subjektiver Einschlag bei der Entscheidung liegt darin, dass sie ur­ eigene Aufgabe des Tatgerichts ist. Als solche unterliegt sie zu einem gewis­ sen Teil auch den individuellen Ansichten der zur Entscheidung Berufenen.10 Trotz der Bindung an das Gesetz bleibt dem Tatgericht damit ein individuel­ ler Beurteilungsspielraum. Daher wird die Strafzumessung allgemeinhin als eine gebundene Ermessensentscheidung des Tatgerichts eingeordnet.11 II. Die gesetzlichen Vorgaben zur Strafzumessung im Überblick Ist ein Beschuldigter vom Tatgericht für schuldig befunden worden, ist die konkrete Strafe zu bemessen und im Urteil näher zu begründen. Für den Beschuldigten ergibt sich dann die Möglichkeit, die Entscheidung anzufech­ ten. Die dabei zugrunde liegenden rechtlichen Kriterien werden im Folgen­ den dargestellt. Auf sie wird im Fortgang der Untersuchung zurückzukom­ men sein.

8  BVerfGE

1, 332 (345); BGHSt 1, 183 (184). StV 2002, 247 (249). 10  Dreher, Gerechte Strafe, S. 73; Miebach / Maier, in: MünchenerKomm StGB, § 46 Rn. 4 spricht vom psychologischen Umstand bei der Strafbemessung. Henkel, Strafe, S. 34: „Alles Werten ist an das durch sein Wertgefühl reagierende Subjekt gebunden, und diese durch das Wert- oder Unwerterlebnis betroffene Subjekt ist der Einzelne [Richter; Verf.]. […] Allerdings müssen die Gefahren, die in dem irrationalemotionalen Element des Strafbemessungaktes lauern, möglichst ferngehalten wer­ den. Diese Gefahren halten sich verborgen in Gefühlseinflüssen der Sympathie oder Antipathie, die durch weltanschauliche, politische, standesmäßige oder auch rein persönliche Vorurteile bestimmt sind.“ s. a. H.-J. Albrecht, S. 162 ff. (auch zu weiteren Gründen), 202 f. 11  BGH NJW 1977, 1459 (1460); Bruns, Strafzumessungsrecht, S. 64 ff.; Henkel, Strafe, S. 21; Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, S. 871; Köhler, Strafrecht AT, S. 584; Theune, in: LeipzigerKomm StGB, Vor §§ 46 Rn. 5. 9  BVerfG



1. Kap.: Die Strafzumessungsentscheidung des Tatgerichts225 1. Strafrahmenwahl

Ausgangspunkt einer jeden Strafzumessung ist der gesetzlich vorgesehene Strafrahmen. Für die konkret abzuurteilende Tat existiert ein gesetzlicher Strafrahmen aus dem im Schuldspruch festgestellten Grunddelikt bzw. einem gegebenenfalls eigenständigen qualifizierenden oder privilegierenden Tatbe­ stand. Dieser Strafrahmen enthält vom denkbar leichtesten bis zum denkbar schwersten alle theoretisch vor kommenden Fälle.12 Aufgabe des Tatrichters ist es, das Vorliegen zwingender oder fakultativer Strafrahmenverschiebun­ gen festzustellen und somit zu dem für den konkreten Fall einschlägigen Strafrahmen zu gelangen. Hierbei wird zwischen sog. benannten und unbe­ nannten Strafrahmenverschiebungen unterschieden.13 Ein zwingender be­ nannter Milderungsgrund in Bezug auf den Strafrahmen ist beispielsweise der für den Gehilfen einer Tat nach § 27 Abs. 2 StGB, ein fakultativ benann­ ter beispielsweise derjenige für den untauglichen Versuch nach § 23 Abs. 2 StGB. Dagegen stellen die besonders schweren bzw. minder schweren Fälle einer Straftat unbenannte Gründe dar und Regelbeispiele besonders schwerer oder minder schwerer Fälle erscheinen als Mischform benannter und unbe­ nannter Gründe. Die unbenannten Gründe sind nach überwiegender Meinung unter Zugrundelegung einer Gesamtwürdigung festzustellen.14 Das gilt für den besonders schweren oder minder schweren Fall genauso, wie für die Regelbeispiele15. Aufgrund dieser richterlichen Beurteilung unterscheiden sie sich von den Tatbestandsmerkmalen und stellen Strafzumessungsgründe dar.16 2. Die relevanten Umstände der Strafbemessung

Ist der konkret in Betracht zu ziehende Strafrahmen gefunden, hat das Tatgericht die relevanten Umstände prozessordnungsgemäß zu ermitteln und zu bewerten.

12  BGHSt

27, 2 (3). bei Schäfer / Sander / van Gemmeren, Rn. 900 ff.; Theune, in: Leipzi­ gerKomm StGB, Vor §§ 46 Rn. 11 ff. 14  BGHSt 4, 8 (9); 5, 124 (130); 23, 254 (257); 26, 97 (98); 28, 318 (319); Miebach / Maier, in: MünchenerKomm StGB, § 46 Rn. 102, 108; Schäfer / Sander / van Gemmeren, Rn. 884. Krit.: Köhler, Strafrecht AT, S. 391 f. 15  BGHSt 23, 254 (256 f.); 24, 248 (249). 16  Theune, in: LeipzigerKomm StGB, Vor §§ 46 Rn. 18. Krit.: Köhler, Strafrecht AT, S. 382. 13  Überblick

226

3. Teil: Die Strafzumessung

a) Die strafprozessuale Feststellung der Umstände und die Darstellung in den Urteilsgründen Für die Feststellung der strafzumessungsrelevanten Umstände gilt das Strengbeweisverfahren, wie es auch für die Feststellung der Tatsachen zur Schuldfrage zur Anwendung gelangt.17 Tatsachen sind in diesem Zusam­ menhang alle entscheidungserheblichen Umstände, die den Täter oder die Tat kennzeichnen. Entscheidungserheblich ist, was eine Beziehung zur Tat auf­ weist.18 Das können Umstände äußerer oder innerer Natur sein.19 Unbe­ rücksichtigt bleiben lediglich mögliche, also hypothetische erscheinende Umstände.20 Der Grundsatz „in dubio pro reo“ gilt für die im Rahmen der Strafzumessung festzustellenden Tatsachen uneingeschränkt.21 Zur Nachvollziehbarkeit der tatgerichtlichen Entscheidung für die Verfah­ rensbeteiligten, aber auch für die Rechtsmittelgerichte, müssen die Umstände der Strafzumessung im Urteil angeführt werden. Aufgrund von § 267 Abs. 3 S. 1 2. HS StPO müssen jedoch nicht alle für die Strafzumessung relevanten Umstände auch im Urteil aufgeführt werden. Vielmehr findet eine Beschrän­ kung auf die die Strafe bestimmenden Umstände statt. Den Maßstab legt die Nachvollziehbarkeit für das Revisionsgericht fest.22 Daher besteht insbeson­ dere bei den kritischen Punkten der Annäherung an die Grenzen des Schuldoder Strafrahmens23, aber auch bei dem Übergang einer noch zur Bewährung aussetzbaren, bzw. gerade nicht mehr aussetzbaren Freiheitsstrafe eine erhöhte Begründungspflicht. Das heißt, hier müssen die maßgeblichen Umstände im Urteil – für das Rechtsmittelgericht erkennbar – erschöpfend gewürdigt wer­ den.24 Auch die Gründe für die Anordnung oder den Vorbehalt der Sicherungs­ verwahrung bzw. deren Ablehnung müssen angeführt werden, § 267 Abs. 6 StPO. Den Maßstab bildet auch hier die Überprüfbarkeit der Entscheidung.25 17  BGH NStZ 1987, 405; Theune, StV 1985, S. 162 (164); Miebach / Maier, in: MünchenerKomm StGB, § 46 Rn. 176; Schäfer / Sander / van Gemmeren, Rn. 1274. 18  BGHR § 46 Abs. 2 Vorleben 3, 10, 28. 19  BGHSt 4, 8 (10 f.); Theune, in: LeipzigerKomm StGB, § 46 Rn. 54. 20  BGHSt-GS 34, 345 (350); Theune, in: LeipzigerKomm StGB, § 46 Rn. 54. 21  BGH StV 2000, 656; Zopfs, S. 266; Theune, StV 1985, S. 162 (164); Miebach, NStZ-RR 2015, S. 297 (301); Sander, in: Löwe-Rosenberg, StPO, § 261 Rn. 111; Miebach / Maier, in: MünchenerKomm StGB, § 46 Rn. 177; Velten, in: Systemati­ scherKomm StPO, § 261 Rn. 92; Schäfer / Sander / van Gemmeren, Rn. 1297 ff. 22  BayObLG NJW 1996, 2244 (2244). 23  Ersterenfalls: BGH NStZ-RR 2005, 168 (169); letzterenfalls: OLG Karlsruhe NJW 1980, 133 (134). 24  BGH NStZ-RR 2005, 168 (169); BGH NStZ-RR 2003, 138 (139). Siehe zur materiellen und prozessualen Darlegungspflicht auch unten: 3. Teil 1. Kap. A. III. 25  Kuckein, in: KK-StPO, § 267 Rn. 35.



1. Kap.: Die Strafzumessungsentscheidung des Tatgerichts227

b) Die Schuld als Grundlage, § 46 Abs.1 S. 1 StGB Nach dem Gesetzeswortlaut von § 46 Abs. 1 S. 1 StGB ist die Schuld des Täters die Grundlage der Zumessung für die in Betracht kommende Strafe. Nach dieser sog. „Grundlagenformel“ bilden die schuldrelevanten Umstände der Tat und des Täters das Fundament der Zumessung der Strafe. Darin kommt die bereits ausführlich dargestellte verfassungsrechtliche Schuldbindung der Strafe zum Ausdruck. Die Schuld des Täters zeigt sich in den Umständen der strafrechtlichen Tat, genauso wie der dieser vorangehenden, begleitenden und nachfolgenden Umständen, welche einen Zusammenhang zu der Tat aufwei­ sen.26 Die Einzelheiten sind umstritten. So ist bereits fraglich, ob es sich hier­ bei um die Strafbegründungs- oder eine davon zu unterscheidende Strafzu­ messungsschuld handelt.27 Ebenso wird die Reichweite der Grundlagenformel in Frage gestellt.28 Ob sich daraus eine Unter- und / oder Obergrenze für Stra­ fen ergeben, wird unterschiedlich gesehen.29 Die Einzelheiten werden im Rah­ men der jeweiligen Strafzumessungstheorien dargestellt. c) Der Katalog des § 46 Abs. 2 StGB Umstände, die für die Zumessung von Bedeutung sein können, sind so viel­ fältig wie die möglichen Varianten einer Tatbegehung. § 46 Abs. 2 S. 2 StGB nennt die regelmäßig in Betracht zu ziehenden und damit häufig relevanten äußeren und inneren Umstände. Die aufgeführten Gründe sind aber erstens nicht abschließend. Das Gesetz benennt sie nur „namentlich“. Das bedeutet, dass daneben weitere Gesichtspunkte in Betracht kommen können. Zweitens sind nicht stets alle dort aufgeführten Umstände von Bedeutung. Vielmehr ist der Einzelfall auf die relevanten Umstände zu untersuchen. Über die Einord­ nung der Umstände innerhalb der Kategorien von Schuld- und Präventionsre­ levanz bestehen unterschiedliche Auffassungen. Hier unterscheiden sich die einzelnen Strafzumessungstheorien maßgeblich.30 Die Einzelheiten sind dem­ zufolge innerhalb der entsprechenden Zumessungstheorien thematisiert. 26  Theune,

in: LeipzigerKomm StGB, § 46 Rn. 6. in: Schönke-Schröder, § 46 Rn. 9a; Schäfer / Sander / van Gemmeren, Rn. 574. Ausführlich Hörnle, S. 38 ff. 28  Eschelbach, in: SSW StGB, § 46 Rn. 2. Eingehend Stratenwerth, S. 13 und öfter. 29  Für eine Unter- und Obergrenze aus Schuldgründen plädiert insbesondere die Rechtsprechung; vgl. unten 3. Teil 2. Kap. A I. Dagegen vor allem Roxin vgl. unten 3. Teil 3. Kap. A. I. 30  s. insbesondere: 3. Teil 3. Kap. C. I. (Stellenwerttheorie); 3. Teil 3. Kap. B. I. (freiheitsgesetztliche Strafzumessungstheorie) s. a. 3. Teil 2. Kap. C. II. 2. („Gesamt­ abstimmung von Rechtsfolgen“). 27  Stree / Kinzig,

228

3. Teil: Die Strafzumessung

d) Präventive Aspekte, § 46 Abs. 1 S. 2 StGB Daneben sind bei der Zumessung der Strafe deren Wirkungen einzubezie­ hen. Das Gesetz spricht hier von den Wirkungen der Strafe „für das künftige Leben des Täters“. Diese Begriffswendung ist weit gefasst. Nach allgemeiner Meinung sieht man darin das Gebot der Berücksichtigung der spezialpräven­ tiven Wirkungen der Strafe für den Täter umgesetzt.31 Das bedeutet, dass es in erster Linie um die sog. positive Spezialprävention geht. Die anderen Strafzwecke finden dagegen keine ausdrückliche Erwähnung in der Zumes­ sungsnorm des § 46 StGB. Teilweise sind sie Grundlage weiterer Entschei­ dungen im Zusammenhang mit der Strafzumessung. So sprechen §§ 47 Abs. 1, 56 Abs. 3, 59 Abs. 1 Nr. 3 StGB von der „Verteidigung der Rechts­ ordnung“. Darin werden üblicherweise Aspekte der Generalprävention ver­ wirklicht gesehen.32 Eine Abschreckung des Täters oder der Allgemeinheit findet im Gesetz gar keine ausdrückliche Grundlage. Die Berücksichtigungs­ fähigkeit dieser weiteren Aspekte ist daher umstritten.33 e) Weitere Aspekte Wie bereits erwähnt, sind die Strafzumessungsumstände in § 46 Abs. 2 S. 2 StGB nicht abschließend. Neben den eben dargestellten Tatsachen sind daher weitere Umstände zu berücksichtigen, die in der Praxis eigenen Fall­ gruppen zugeordnet, anstatt in die obige Systematik eingeordnet zu werden. Hierzu zählen beispielsweise eine überlange Verfahrensdauer34, staatliche Tatprovokation, erlittene Untersuchungshaft oder auch eine öffentliche und mediale Vorverurteilung bzw. besonders intensive Begleitung des Strafver­ fahrens.35

31  Theune, in: LeipzigerKomm StGB, § 46 Rn. 19; Eschelbach, in: SSW StGB, § 46 Rn. 28. 32  Fischer, § 46 Rn. 10; Miebach / Maier, in: MünchenerKomm StGB, § 46 Rn. 47; Streng, in: NomosKomm StGB, § 46 Rn. 33; Stree / Kinzig, in: SchönkeSchröder, § 46 Rn. 56. 33  Schäfer / Sander / van Gemmeren, Rn. 808 f. m. w. N. 34  Str. Nach früherer Rechtsprechung wurde die „Strafzumessungslösung“ präfe­ riert. Teilweise wurde grundsätzlich für ein Verfahrenshindernis plädiert. Nach mitt­ lerweile herrschender Auffassung wird in Anlehnung an § 51 Abs. 1 S. 1, Abs. 4 S. 2 StGB durch das Tatgericht zur Kompensation gegebenenfalls ein bestimmter Teil der Strafe als bereits vollstreckt angesehen (sog. „Vollstreckungslösung“; vgl. BGHSt-GS 52, 124 (146 ff.)). Zum Ganzen bspw. Fischer, § 46 Rn. 128 ff. 35  Vgl. bspw. Theune, in: LeipzigerKomm StGB, § 46 Rn. 226 ff.; Streng, in: No­ mosKomm StGB, § 46 Rn. 82 ff.; Stree / Kinzig, in: Schönke-Schröder, § 46 Rn. 55 ff.; Eschelbach, in: SSW StGB, § 46 Rn. 163 ff.



1. Kap.: Die Strafzumessungsentscheidung des Tatgerichts

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3. Die Bewertung der relevanten Umstände

Sind die relevanten Umstände festgestellt, hat das Tatgericht sie zu bewer­ ten. Über die Verfahrensweise besteht Uneinigkeit. a) Die Bewertung der einzelnen Umstände Vor allem in der Literatur wird vertreten, dass die einzelnen Umstände für sich zu bewerten sind. § 46 Abs. 2 S. 1 StGB spricht von „für und gegen den Täter“ sprechenden Tatsachen. Allgemeinhin wird die Einordnung dement­ sprechend als strafmildernde oder -schärfende Faktoren vorgenommen. Frei­ lich kann es auch an sich neutrale Umstände geben. Außerdem erfolgt eine Abwägung dieser Umstände nach § 46 Abs. 2 S. 1 StGB. Sowohl die Klassi­ fizierung als strafmodifizierend oder -neutral, als auch die Abwägung erfor­ dern ein In-Bezug-Setzen der Umstände.36 Dabei ist fraglich, worin dieser Bezugspunkt zu sehen ist. Mit Akzentuierungen im Einzelnen wird überwiegend auf einen sog. „nor­ mative Normalfall“ abgestellt.37 Normativ ist der Normalfall, weil dessen Be­ stimmung unter Zugrundelegung von den Einzelfall charakterisierenden Um­ ständen erfolgt, die so typisch für die bestimmte Verwirklichung eines Tatbe­ standes sind, dass sie auf der Grundlage der gesetzgeberischen Wertungen dessen stillschweigende Basis bilden.38 Verneint man die Zugehörigkeit eines Umstands zum normativen Normalfall bzw. zum Regeltatbild, kann dieser so­ wohl strafmildernd, als auch je nach Sachverhaltskonstellation, strafschärfend berücksichtigt werden.39 Problematisch an der Orientierung an einem norma­ tiven Normalfall ist, dass dessen Bestimmung nicht zwangsläufig den in der Wirklichkeit vorkommenden Fällen entsprechen muss.40 Eine Übereinstim­ mung ist damit zufällig. Außerdem wird dagegen vorgebracht, dass dieser Be­ grundsätzlich: Frisch, GA 1989, S. 338 (345 ff.). der Rechtsprechung: BGH StV 1990, 157; 1991, 106 (107). Aus der Lite­ ratur: H.-J. Albrecht, S. 112 f.; Hörnle, S. 380; Neumann, StV 1991, S. 256 (259); Theune, StV 1985, S. 205 (205); Theune, in: LeipzigerKomm StGB, § 46 Rn. 61. Frisch, GA 1989, S. 338 (361) bezeichnet ihn als „normatives Regeltatbild“. Krit. Streng, NStZ 1989, S. 393 (396 ff.), der insoweit von einem „Nullpunkt“ spricht und die Diskussion insgesamt für unangemessen, angesichts der in § 46 Abs. 2 S. 1 StGB verwendeten Begriffe, hält. 38  Ausführlich: Frisch, GA 1989, S. 338 (361, 364 f.). 39  Frisch, GA 1989, S. 338 (359, 362); Hörnle, S. 380; Maurer, Komparative Strafzumessung, S. 113 f. Ähnlich: BGH NJW 1995, 1038. Lediglich eine gleichzei­ tige(!) mildernde und schärfende Berücksichtigung ist widersprüchlich und abzuleh­ nen: Theune, in: LeipzigerKomm StGB, § 46 Rn. 81. 40  Neumann, StV 1991, S. 256 (258). 36  Dazu 37  Aus

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3. Teil: Die Strafzumessung

zugspunkt vollständig revisionsrechtlich überprüfbar sein würde, denn was gesetzgeberisch gewollt ist, sei dem Rechtsmittelgericht nachprüfbar.41 Letz­ teres ist kein Argument gegen die Inanspruchnahme des normativen Normal­ falls.42 Was für das Rechtsmittelgericht überprüfbar ist, muss auch überprüf­ bar sein. Durch den normativen Charakter des Normalfalls würde es sich um eine Rechtskontrolle handeln, zu welcher die Rechtsmittelgerichte nun einmal verpflichtet sind. Das gilt umso mehr, wenn man die vollständige Befreiung des Strafzumessungsrechts von dessen früherer Irrationalität ernst meint. Frei­ lich würde es zeitweise zu einer starken Beanspruchung der Rechtsmittelge­ richte kommen. Das liegt aber lediglich daran, dass der Vorgang der Strafzu­ messung bis in die 1970er für das Tatgericht kaum Bindungen aufwies, die nun erst einmal aufgestellt werden müssen. Von der Rechtsprechung wurde diese Bezugnahme unter Verweis auf eine fehlende Stütze im Gesetz vereinzelt abgelehnt. Stattdessen sei der konkrete Einzelfall entscheidend.43 Dabei müsse lediglich das gesamte Tatbild, nicht aber die einzelnen Umstände, an einem Regelfall gemessen werden.44 Da­ bei darf nicht automatisch vom Fehlen eines Strafschärfungsgrundes auf ei­ nen Strafmilderungsgrund bzw. vom Fehlen eines Strafmilderungsgrundes auf einen Strafschärfungsgrund geschlossen werden.45 Diese Rechtspre­ chung ist nichtssagend, denn erstens kommt es stets auf den Einzelfall an. Zweitens lehnt die Rechtsprechung zwar den normativen Normalfall ab, präsentiert aber keine wirkliche Alternative dazu.46 Außerdem verlangt auch die Gesamtbewertung notwendigerweise eine Grundlage. Und diese bilden nun mal die einzelnen Umstände, die zueinander in Bezug zu setzen sind. Damit muss auch nach der Rechtsprechung auf diese zurückgegriffen wer­ den.47 Des Weiteren führt die Ablehnung der Bezugnahme auf die einzelnen Umstände zu einer unklaren Abgrenzung zu den dem Doppelverwertungsver­ bot des § 46 Abs. 3 StGB unterliegenden Tatsachen.48 Nach dem Doppelver­ 41  BGHSt-GS 34, 345 (351); Miebach / Maier, in: MünchenerKomm StGB, § 46 Rn. 451. 42  Frisch, GA 1989, S. 338 (343 f.); Hörnle, S. 381 f.; Jescheck / Weigend, Straf­ recht AT, S. 874. Krit. aber: Streng, in: NomosKomm StGB, § 46 Rn. 140. 43  BGHSt-GS 34, 345 (349); BGHSt 37, 153 (156). Nahestehend (der damalige Richter am BGH) Foth, JR 1985, S. 397 (398). 44  BGHSt-GS 34, 345 (351). 45  BGHSt 34, 345 (350 f.); Miebach / Maier, in: MünchenerKomm StGB, § 46 Rn. 457 m. w. N. aus der Rspr. 46  Krit. auch Frisch, GA 1989, S. 338 (344). Neumann, StV 1991, S. 256 (259) sieht darin sogar einen Rückfall in die überwunden geglaubte Zeit der Irrationalität der Strafzumessung. 47  H.-J. Albrecht, S. 110. 48  Theune, in: LeipzigerKomm StGB, § 46 Rn. 70, 73.



1. Kap.: Die Strafzumessungsentscheidung des Tatgerichts231

wertungsverbot sind Umstände, die zum regelmäßigen Erscheinungsbild ei­ ner Straftat gehören, strafzumessungsrechtlich irrelevant. Werden mittels ei­ ner Gesamtbetrachtung die einzelnen Umstände in den Hintergrund gestellt, ist nicht mehr genau erkennbar, ob Umstände unzulässigerweise zur Grund­ lage der Strafzumessungsentscheidung gemacht werden.49 Im Ergebnis lehnt die Rechtsprechung eine Einzelbewertung ab und hält lediglich eine Gesamt­ betrachtung für erforderlich. Die Orientierung am normativen Normalfall ist dagegen für die einzelnen Umstände vorzugswürdig. b) Die Bewertung des gesamten Falls Eine Gesamtbetrachtung der vorliegenden Umstände hat stets stattzufin­ den.50 Darüber besteht aufgrund von § 46 Abs. 2 S. 1 StGB Einigkeit. Zu­ erst ist daher der abzuurteilende Sachverhalt seiner Schwere entsprechend danach einzuordnen, ob es sich um einen Regelfall oder eine Abweichung davon handelt.51 Einen Regelfall stellt eine Straftat dar, deren Schwere im mittleren Bereich der erfahrungsgemäß auftretenden Sachverhalte liegt. Für diesen wird nach allgemeiner Auffassung nicht das arithmetische Mittel des Strafrahmens, sondern ein darunterliegender Bereich gewählt.52 Über eine nähere Konkretisierung besteht keine Einigkeit.53 Vom Regelfall ist der gedankliche Durchschnittsfall zu unterscheiden. Dieser betrifft den mittleren Bereich der vorstellbaren Sachverhalte und ist folglich in der Mitte des Strafrahmens zu verorten.54 Gegenüber dem bloß theoretischen Durch­ schnittsfall lässt sich die Orientierung der Gesamtschwere der Straftat an den 49  Nach Theune, in: LeipzigerKomm StGB, § 46 Rn. 73 werden deshalb Ver­ stöße gegen das Doppelverwertungsverbot von der Rechtsprechung nur selten festge­ stellt. 50  BGHSt-GS 34, 345 (351); Theune, in: LeipzigerKomm StGB, § 46 Rn. 59 f. 51  BGH NJW 1979, 1666; Eisenhuth, Jura 2004, S. 81 (86); Meier, JuS 2005, S. 879 (880); Stree / Kinzig, in: Schönke-Schröder, § 46 Rn. 59 m. w. N. 52  BGHSt 27, 2 (4); 34, 355 (360); Dreher, Gerechte Strafe, S. 63; Theune, StV 1985, S. 205 (209); Meier, JuS 2005, S. 879 (880); Sonnen, in: FS Puppe, S. 1006 (1014); Miebach, in: MünchenerKomm StGB2, § 46 Rn. 187. BGHSt 34, 355 (360) beschränkt diese Einordnung auf den Normalstrafrahmen. Aus Strafverfolgungsstatis­ tiken ergibt sich dieselbe Vorgehensweise jedoch auch für Sonderstrafrahmen, vgl. Theune, StV 1985, S. 205 (209 und Fn. 64). Krit.: Köhler, Strafrecht AT, S. 597. 53  Eisenhuth, Jura 2004, S. 81 (86) will bspw. den Strafrahmen in drei Bereiche einteilen und den Regelfall am Ende des unteren Drittels verorten. Meier, JuS 2005, S. 879 (880) hält einen Bereich „deutlich unterhalb“ der Mitte für angemessen. 54  BGHSt 27, 2 (4 f.); Dreher, Gerechte Strafe, S. 63; Theune, StV 1985, S. 205 (209). Kritisch bezüglich der Bestimmung: Hörnle, S. 365; Maurer, Komparative Strafzumessung, S. 102 ff.; Neumann, StV 1991, S. 256 (258). Die Unterscheidung der Sache nach trifft bereits Dreher, Gerechte Strafe, S. 63.

232

3. Teil: Die Strafzumessung

in der Praxis vorkommenden Fällen besser handhaben. Weil die in der Rea­ lität vorkommenden Fälle vom Unrecht und dem Gewicht der Schuld regel­ mäßig nicht an die mittlere Schwere der vorstellbaren Fälle herankommen, ist dafür nach der herrschenden Auffassung ein Bereich unterhalb der Mitte des Strafrahmens zu wählen.55 Im Anschluss erfolgt die Abwägung der bestimmenden Umstände der Strafzumessungsentscheidung.56 III. Die Darstellung in den Urteilsgründen Die Strafzumessungsentscheidung ist in den Urteilsgründen darzulegen. § 267 Abs. 3 S. 1 StPO enthält die verfahrensrechtliche Begründungspflicht. Die Gründe der Strafzumessung sind in das schriftliche Urteil aufzunehmen, um eine Überprüfung durch das Rechtsmittelgericht zu gewährleisten. Der Umfang der Feststellung der strafzumessungsrelevanten Tatsachen richtet sich nach dem abzuurteilenden Einzelfall. Sofern aufgrund eines von allen Verfahrensbeteiligten erklärten Rechtsmittelverzichts oder mangels Einle­ gung eines Rechtsmittel ein „abgekürztes Urteil“ nach § 267 Abs. 4 S. 1 StPO ergeht, ist die Begründung in das Ermessen des Tatgerichts gestellt, § 267 Abs. 4 S. 3 StPO. Aufgrund von § 267 Abs. 3 S. 1 2. HS StPO müssen nicht alle für die Strafzumessung relevanten Umstände im Urteil aufgeführt werden. Vielmehr findet eine Beschränkung auf die die Strafe bestimmenden Umstände statt. Daraus ergibt sich eine gewisse Diskrepanz zwischen den festzustellenden Umständen, sog. materieller Darlegungspflicht, und der Darlegung der be­ stimmenden Umstände im Urteil, sog. prozessuale Darlegungspflicht. Den Maßstab legt die Nachvollziehbarkeit für das Revisionsgericht fest.57 Rele­ vant sind insbesondere die Umstände zur Strafrahmen-, Strafart- und Straf­ höhenbestimmung.58 Letztere aber nur, sofern sie erheblich sind. Dagegen ist das Tatgericht aufgrund von § 267 Abs. 3 S. 1 StPO nicht verpflichtet sämt­ liche zur Findung der Strafe herangezogenen Kriterien zu nennen59 oder gar den Katalog des § 46 Abs. 2 S. 2 StGB abzuarbeiten60. Dagegen besteht ins­ besondere an den „kritischen“ Punkten, z. B. der Annäherung an die Grenzen 27, 2 (4 f.); Stree / Kinzig, in: Schönke-Schröder, § 46 Rn. 59 m. w. N. Jura 2004, S. 81 (86); Meier, JuS 2005, S. 879 (880). 57  BGHSt 24, 268; BayObLG NJW 1996, 2244 (2244). 58  Kuckein, in: KK-StPO, § 267 Rn. 24 m. w. N. aus der Rspr. 59  BGHSt 24, 268. Umgekehrt folgt aus der Nichtaufführung nicht, dass ein Um­ stand unberücksichtigt geblieben ist: Theune, in: LeipzigerKomm StGB, § 46 Rn. 336 m. w. N. 60  Kuckein, in: KK-StPO, § 267 Rn. 24 m. w. N. aus der Rspr. 55  BGHSt

56  Eisenhuth,



1. Kap.: Die Strafzumessungsentscheidung des Tatgerichts233

der Schuldangemessenheit oder des Strafrahmens61, aber auch bei dem Über­ gang einer noch zur Bewährung aussetzbaren, bzw. gerade nicht mehr aus­ setzbaren Freiheitsstrafe eine erhöhte Begründungspflicht. Das heißt hier müssen die maßgeblichen Umstände erschöpfend gewürdigt werden.62 Darü­ ber hinaus wird auch bei bestimmten Regel-Ausnahme-Konstellationen und beim Vorliegen von relevanten Anträgen eine Begründungspflicht statuiert, §§ 267 Abs. 2, Abs. 3 S. 2–4 StPO. Das gilt auch für die (Nicht-)Anordnung von Maßregeln der Besserung und Sicherung, § 267 Abs. 6 StPO. Neben den Feststellungen der strafzumessungsrelevanten Umstände ist auch deren Be­ wertung in das Urteil aufzunehmen und von Ersterer strikt zu trennen.63

B. Die Anfechtung der Strafzumessungsentscheidung Strafurteile sind anfechtbar. Die Urteile der Amtsgerichte sind mittels der Berufung und (Sprung-)Revision anfechtbar, § 312 StPO. Strafurteile der Land- und Oberlandesgerichte können nur mit der Revision angegriffen wer­ den, § 333 StPO. Angefochten werden können der Schuldspruch und die Rechtsfolgenentscheidung. Im Folgenden klammert die Darstellung auf die Anfechtung der Rechtsfolgenentscheidung eines amtsgerichtlichen Urteils aus. Denn die Sicherungsverwahrung darf nicht durch einen Strafrichter am Amtsgericht angeordnet werden, § 24 Abs. 2 GVG. Für die vorliegende Un­ tersuchung relevant ist im Übrigen lediglich die Strafzumessungsentschei­ dung. Deren Darstellung in den schriftlichen Urteilsgründen ermöglicht dem Rechtsmittelgericht die konkret verhängte Strafe zu überprüfen. I. Grundsätzliches Die Strafzumessung ist als Rechtsanwendung einer gerichtlichen Kontrolle grundsätzlich zugänglich.64 Eine in alle Einzelheiten gehende Richtigkeits­ kontrolle findet dagegen nach allgemeiner Auffassung nicht statt.65 Das liegt darin begründet, dass dem Tatgericht, nicht jedoch dem Revisionsge­ richt, die umfassende Würdigung des abzuurteilenden Falls zukommt.66 Diese Würdigung setzt im Rahmen der Strafzumessung eine Bewertung vor­ 61  Ersterenfalls: BGH NStZ-RR 2005, 168 (169); letzterenfalls: OLG Karlsruhe NJW 1980, 133 (134). Theune, in: LeipzigerKomm StGB, § 46 Rn. 337. 62  BGH NStZ-RR 2005, 168 (169); BGH NStZ-RR 2003, 138 (139). 63  Schäfer / Sander / van Gemmeren, Rn. 1364 ff. (zum regelmäßigen Aufbau in den Urteilsgründen Rn. 1369). 64  BGHSt 24, 132 (134); GS 34, 345 (349). 65  BGHSt-GS 34, 345 (349). 66  Zur Trennung: BVerfG NStZ 1991, 499 (500); BGHSt-GS 34, 345 (349).

234

3. Teil: Die Strafzumessung

aus, die aufgrund des individuellen Einschlags durch das entscheidende Tat­ gericht subjektiv geprägt ist. Mit anderen Worten ist der Strafzumessungsent­ scheidung ein Beurteilungsspielraum immanent. Dieser ist nur begrenzt überprüfbar.67 Daher ist nur die Überprüfung gewisser rechtlicher Parameter der Strafzumessungsentscheidung möglich, deren Missachtung die konkret verhangene Strafe als nicht mehr vertretbar erscheinen lassen.68 Dazu zäh­ len vor allem die mangelhafte Feststellung und Darstellung der strafzumes­ sungsrelevanten Tatsachen, die Schuldunangemessenheit der Strafe und die Missachtung von anerkannten Strafzwecken.69 II. Beschränkung der Anfechtung Ein Strafurteil kann auch nur in Teilen angefochten werden. 1. Grundsätzliches

Voraussetzung für die Anfechtung des Strafurteils ist der Antrag, welcher den Umfang der gerichtlichen Überprüfung bestimmt, §§ 352 Abs. 1, 344 Abs. 1, 318 StPO. Demzufolge kann das Urteil auch nur in Teilen angefoch­ ten werden. Voraussetzung dafür ist die rechtliche (Ab-)trennbarkeit eines Teils der Urteilsformel, sog. Trennbarkeitsformel. Danach muss der ange­ fochtene Teil unabhängig vom restlichen Teil überprüfbar sein. Das heißt, eine getrennte Beurteilung der Rechtsfrage muss gegeben sein.70 Zu dem unangefochten gebliebenen Teil dürfen außerdem durch die Aufhebung des angefochtenen Teils keine Widersprüche entstehen.71 Das bedeutet, dass die Beschränkung auf zwei Weisen denkbar ist. Einerseits kann die Beschrän­ kung vertikal sein, also beispielsweise nur eine von mehreren prozessualen Taten angefochten werden. Andererseits kann die Beschränkung auch hori­ zontal erfolgen. Damit kann die Überprüfung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt werden und der Schuldspruch von einer Überprüfung ausgeklam­ mert werden.

67  BGHSt-GS 34, 345 (349); Miebach / Maier, in: MünchenerKomm StGB, § 46 Rn. 300. 68  BGHSt 17, 35 (36 f.); 29, 319 (320). Siehe bereits: Dreher, Gerechte Strafe, S. 78. 69  BGHSt 29, 319 (320); GS 34, 345 (349). Kuckein, in: KK-StPO, § 267 Rn. 25 m. w. N. aus der Rspr. 70  BGHSt 29, 359 (364); 38, 362 (364); Franke, in: Löwe-Rosenberg, StPO, § 344 Rn. 15. Krit. Frisch, in: SystematischerKomm StPO, Vor §§ 296 ff. Rn. 298. 71  BGHSt 29, 359 (366); 47, 32 (35); Franke, in: Löwe-Rosenberg, StPO, § 344 Rn. 16; Frisch, in: SystematischerKomm StPO, Vor §§ 296 ff. Rn. 299.



2. Kap.: Die Theorie vom Schuldrahmen235 2. Die isolierte Anfechtung des Rechtsfolgenausspruchs

Eine Beschränkung der Anfechtung des Rechtsfolgenausspruchs ist mög­ lich.72 Eine Beschränkung auf die Anfechtung des Schuldspruchs ist dagegen nicht zulässig, weil sie den Rechtsfolgenausspruch zwangsläufig obsolet macht und eine getrennte Anfechtung darum dem Verdikt der Widersprüch­ lichkeit unterfallen würde.73 Eine Beschränkung auf bloße Teile des Rechts­ folgenausspruchs ist möglich, sofern diese gemäß obigen Grundsätzen ge­ trennter Beurteilung und Überprüfung zugänglich sind.74 Daher kann bei­ spielsweise bei der Verhängung einer Geldstrafe die Höhe der Tagessätze separat angefochten werden, denn dafür ist lediglich die Feststellung der persönlichen (und wirtschaftlichen) Verhältnisse des Täters entscheidend.75 Ebenso ist unter den genannten Voraussetzungen eine Beschränkung auf eine neben der Strafe angeordnete Rechtsfolge möglich.76 Ob und inwieweit auch die Anordnung der Sicherungsverwahrung einer getrennten Anfechtung in­ nerhalb des Rechtsfolgenausspruchs zugänglich ist, wird in der Rechtspre­ chung nicht einheitlich beurteilt. Darauf wird noch ausführlich zurückzu­ kommen sein.77 2. Kapitel

Die Theorie vom Schuldrahmen Nach § 46 Abs. 2 S. 1 StGB erfolgt die Bestimmung der konkreten Strafe durch „Abwägung“ des Tatgerichts. Der eigentliche Vorgang der Strafbemes­ sung ist aber nicht gesetzlich geregelt. Daher haben sich verschiedene Kon­ zepte und Theorien entwickelt. Im Folgenden soll erst einmal der Blick auf die insbesondere von der Rechtsprechung vertretenen „Spielraumtheorie“ gelegt werden. In diesem Zusammenhang wird auch die der Arbeit zugrunde­ liegende Problematik der Wechselwirkung zwischen Strafe und Sicherungs­ verwahrung dargestellt und kritisch beurteilt. Es wird sich zeigen, dass die Rechtsprechung einigen Einwänden ausgesetzt ist. Diese Einwände aufgrei­ 72  Ausführlich: Frisch, in: SystematischerKomm StPO, § 318 Rn. 56 ff. s. a. Franke, in: Löwe-Rosenberg, StPO, § 344 Rn. 30 mit Nachw. zur abw. Ansicht. 73  Frisch, in: SystematischerKomm StPO, § 344 Rn. 18; § 318 Rn. 57. Frisch spricht in diesem Fall von „Untrennbarkeit aus logischen Gründen“ Frisch, in: Syste­ matischerKomm StPO, Vor § 296 ff. Rn. 300. 74  Franke, in: Löwe-Rosenberg, StPO, § 344 Rn. 31; Frisch, in: Systematischer­ Komm StPO, § 344 Rn. 18 f. 75  Franke, in: Löwe-Rosenberg, StPO, § 344 Rn. 32; Frisch, in: Systematischer­ Komm StPO, § 344 Rn. 19; § 318 Rn. 62 m. Nachw. aus der Rspr. 76  Frisch, in: SystematischerKomm StPO, § 318 Rn. 75. 77  Siehe unten: 3. Teil 2. Kap. B. I. 2. und 3. Teil 2. Kap. C. IV. 2.

236

3. Teil: Die Strafzumessung

fend, soll abschließend für eine argumentative Konkretisierung der Recht­ sprechung in inhaltlicher wie verfahrenstechnischer Hinsicht plädiert werden.

A. Die „Spielraumtheorie“ der Rechtsprechung Die Rechtsprechung ist der Auffassung, dass die richterliche Strafzumes­ sung nach der Theorie des Schuldrahmens, auch sog. „Spielraumtheorie“, vorgenommen wird.78 Sie ist die Umsetzung der von ihr vertretenen Vereini­ gungstheorie auf der Ebene der Strafzumessung. I. Die theoretischen Annahmen Nach § 46 Abs. 1 S. 1 StGB ist die Schuld des Täters die Grundlage für die Strafzumessung. Davon ausgehend muss als erstes das Ausmaß des schuldhaft verwirklichten Unrechts bestimmt werden. Dieses soll sodann in­ nerhalb des infrage kommenden gesetzlichen Strafrahmens verortet werden. Dabei muss zuerst entschieden werden, ob es sich um einen Fall leichter, mittlerer oder schwerer Kriminalität handelt.79 Dann wird eine Gewichtung der schuldrelevanten Tatsachen vorgenommen, die eine genauere Einordnung des zu beurteilenden Falls ermöglicht. Als Ergebnis dieses gedanklichen Pro­ zesses soll kein genauer Wert, sondern vielmehr eine Bereich, gewisserma­ ßen eine Spanne zwischen schon und noch schuldangemessener Strafe, der sog. „Spielraum“ oder „Schuldrahmen“ stehen.80 Die Rechtsprechung geht dabei davon aus, dass die Schuld des Straftäters sich nicht genau angeben lässt.81 Letztlich fließen die mit der Strafe bezweckten Wirkungen (Strafzwe­ cke) in die Beurteilung des Falles ein. Diese Zwecke füllen gewissermaßen den gegebenen Schuldrahmen aus. Das betrifft jeweils die positive wie nega­ tive Variante der Spezial- wie Generalprävention.82 Als strafzumessungsrele­ vante Tatsachen können sie innerhalb des eröffneten Bereiches theoretisch strafschärfend oder strafmildernd berücksichtigt werden.83 In der Praxis ha­ ben sich eine hauptsächlich strafschärfende Berücksichtigung general- wie spezialpräventiver Abschreckung und eine strafmildernde Berücksichtigung 78  Ständige Rechtsprechung seit: BGHSt 7, 28 (32). Vgl. BGHSt 7, 86 (89); 17, 35 (36); 20, 264 (266); 24, 132 (134); 29, 319 (320); 50, 40 (49); 57, 123 (135). 79  Für den statistischen Regelfall wird dabei nicht die arithmetische Mitte des Strafrahmens gewählt, sondern ein darunterliegender Bereich: BGHSt 27, 2 (4). 80  BGHSt 7, 28 (32). 81  BVerfGE 91, 1 (31); 109, 133 (173); BGHSt 7, 28 (32). 82  BGHSt 17, 354 (357); 24, 264 (267): Abschreckung und Sicherung; BGHSt 24, 40 (43); 29, 319 (321): Spezialprävention. 83  BGHSt 16, 351 (354).



2. Kap.: Die Theorie vom Schuldrahmen237

positiv spezialpräventiver Aspekte herausgebildet. Dabei erfolgt die straf­ schärfende Abschreckung der Allgemeinheit wie des Straftäters zulässiger­ weise nur dann, wenn eine hohe Gefahr der Nachahmung aufgrund einer tatsächlichen Zunahme des zur Aburteilung anstehenden Delikts besteht.84 Die strafmildernde, die Entsozialisierung des Straftäters vermeidende, Be­ rücksichtigung der Spezialprävention hat ihren hauptsächlichen Wirkungsbe­ reich an kritischen, täterbelastenden qualitativen Entscheidungspunkten in­ nerhalb der Strafzumessungsentscheidung, also beispielsweise der Entschei­ dung über die Aussetzungsfähigkeit einer Freiheitsstrafe oder der Entschei­ dung Geld- statt Freiheitsstrafe. Dort ist  – innerhalb des Spielraums  – die weniger beschwerende Variante zu wählen.85 Ihr kommt damit zuvörderst eine begrenzende Funktion innerhalb des Strafrahmens zu.86 Eine Über- oder Unterschreitung des Spielraums, also des Schuldangemessenen, darf auch bei Berücksichtigung gewichtiger präventiver Aspekte nicht stattfinden.87 So ist es unzulässig, aufgrund der Berücksichtigung von Sicherheitsinteressen der Gesellschaft eine über den Schuldrahmen hinausgehende und daher nach dem Schuldprinzip unvertretbar hohe Strafe zu verhängen.88 Der Schuldrah­ men ist also in jedem Fall einzuhalten. II. Kritische Stellungnahme Gegen diese Strafzumessungstheorie sind die Einwände gegen die vergel­ tende Vereinigungstheorie zu erneuern.89 Darüber hinaus ist die Annahme eines (gedanklichen) Schuldrahmens bedenklich. Erstens fordert ein konkre­ tes Unrecht auch ein genaues Maß der Schuld.90 Aber selbst wenn man den Standpunkt einnimmt, dass eine Ermittlung dessen an den menschlichen Er­ kenntnismöglichkeiten scheitern würde91, so ergibt sich die Folgerung eines Schuldrahmens nicht zwangsläufig. Denn wenn es unmöglich ist, ein genaues 84  BGHSt 17, 321 (324); BGH NStZ 1992, 275; 2007, 702; NStZ-RR 2013, 240. Das gilt wiederum nur dann, wenn der Gesetzgeber aufgrund der allgemeinen Zu­ nahme nicht schon den Strafrahmen erhöht hat: BayObLG StV 2000, 368 (369). Zur Deutung als unrecht- und schuldsteigerndes Moment: Köhler, Strafbegründung und Strafzumessung, S. 49 ff. 85  BGHSt 24, 40 (43); Theune, in: LeipzigerKomm StGB, § 46 Rn. 19: Bedeu­ tung vor allem bei der Aussetzungsfrage. 86  Miebach / Maier, in: MünchenerKomm StGB, § 46 Rn. 53; Streng, in: Nomos­ Komm StGB, § 46 Rn. 34. 87  BGHSt 24, 132 (134). 88  Vgl. BGH NStZ 2001, 595. 89  s. o. 1. Teil 2. Kap. B. III. 90  Köhler, Strafrecht AT, S. 601; Kahlo, in: FS Hassemer, S. 383 (419). 91  Insbesondere Dreher, Gerechte Strafe, S. 65; Mosbacher, in: FS Seebode, S. 227 (238 f.); Schaffstein, in: FS Gallas, S. 99 (101); Roxin, in: FG Schultz, S. 463

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3. Teil: Die Strafzumessung

Maß der verwirklichten Schuld anzugeben, kann es schlichtweg nicht mög­ lich sein, in einem Schuldrahmen die Fixpunkte des noch Schuldangemesse­ nen zu bestimmen.92 Im Übrigen stünde der Tatrichter vor einem Problem, wenn er im Einzelfall keine präventiven Bedürfnisse feststellen kann. In dem Fall müsste er dennoch eine konkrete Strafe bemessen und nicht lediglich einen Rahmen ausweisen.93 Des Weiteren wird auch keine Begründung oder Orientierung zur Weite des Spielraums geliefert.94 Ob dieser stets gleich groß ist, ist unklar. Ebenso lassen sich der Rechtsprechung keine Anhalts­ punkte für die Größe des Rahmens entnehmen. Inwiefern er in Abhängigkeit von dem in Betracht kommenden Strafrahmen oder der in Betracht kommen­ den Strafe größer bzw. kleiner sein kann, ist vollkommen offen.95 Nach der Rechtsprechung soll einerseits der Schuldaspekt eine Strafe nicht um seiner selbst willen rechtfertigen. Andererseits darf eine Schuldunter­ schreitung auch nicht aus präventiven Gesichtspunkten erfolgen. Das er­ scheint inkonsequent. Gerechtfertigt wird dieser scheinbare Widerspruch aber durch die strafbegründende Funktion der Schuld. Danach wird durch die im Einzelfall verwirklichte Tatschuld neben dem Höchstmaß an Strafe auch dessen Mindestmaß begründet.96 Konsequent und abzulehnen wäre ein Ver­ bot der Schuldunterschreitung nur, wenn man die strafbegründende Funktion der Schuld negiert.97 Des Weiteren ist problematisch, dass die Strafzumessung nach dieser The­ orie letztlich doch als ein intransparenter Vorgang erscheint, bei welchem die Berücksichtigung einzelner präventiver Erwägungen – sowohl von der (467, 468); Schroth, in: FS Roxin (2011) I, S. 705 (709). So auch Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, S. 880; Köhler, Strafrecht AT, S. 584. 92  So bereits Schneidewin, JZ 1955, 506 (507) in einer Anmerkung zu BGHSt 7, 28 ff. Bedenken äußern auch Henkel, Strafe, S. 32 und Dreher, JZ 1967, S. 41 (45), der jedoch i.Ü. den Spielraum nicht als ein Durchgangsstadium der Strafzumessung, sondern als letzlich verschiedene angemessene Strafen versteht. Dagegen richtig: Bruns, Strafzumessungsrecht, S. 276–278. 93  Frisch, ZStW 99 (1987) I, S. 349 (362 f.). Krit. auch: Streng, in: FS Puppe, S. 875 (898 f.) m. Bsp. aus der Rspr. 94  Köhler, Strafbegründung und Strafzumessung, S. 23 führt sogar Beispiele aus der Rechtsprechung an, die im Einzelfall vermuten lassen, dass der Spielraum gar keine begrenzende Funktion innerhalb des Strafrahmens hat. Krit. auch Theune, in: FS Pfeiffer, S. 449 (457). 95  Zum Ganzen Streng, in: FS Puppe, S. 875 (882 ff., 892), der diesbezüglich eine Studie unter Studienanfängern durchgeführt hat. 96  Kaufmann, Schuldprinzip, S. 202, 208; Schaffstein, in: FS Gallas, S. 99 (105); Miebach / Maier, in: MünchenerKomm StGB, § 46 Rn. 76. 97  Eine Unterschreitung des schuldangemessenen Bereichs i. R.d. Strafhöhe wird daher von Roxin, in: FG Schultz, S. 463 (473 ff., 477) und JuS 1966, S. 377 (385) gefordert.



2. Kap.: Die Theorie vom Schuldrahmen

239

Art, als auch vom Gewicht – unklar bleibt.98 Das beginnt bereits mit der fehlenden Pflicht, den Schuldrahmen in den Urteilsgründen offenzulegen.99 Aber auch generell ist die Weite des Schuldrahmens unklar. Dadurch bedingt lässt sich das Ausmaß der präventionsrelevanten Aspekte innerhalb der Be­ messung nicht klar erkennen. In der Folge bleibt ungeklärt, ob die Berück­ sichtigung der Strafzwecke lediglich auf dem Papier besteht, oder einen tat­ sächlichen Effekt gewinnt und wie groß dieser ist.100 Außerdem ist die Be­ stimmbarkeit der einzelnen präventiven Aspekte, also beispielsweise das für die Wiedereingliederung in die Gesellschaft gegenüber dem einzelnen Straf­ täter Erforderliche, nur äußerst begrenzt möglich und damit auch nicht in Strafmaßabschläge oder -zuschläge übersetzbar.101 Im Übrigen ist in man­ chen Fällen auch die Zuordnung eines relevanten Umstandes zur Schuld oder Prävention nicht immer eindeutig.102 Das betrifft insbesondere die Per­ sönlichkeit des Täters. Von ihr hängen sowohl die Höhe der Schuld, als auch insbesondere das zur Einwirkung auf den Täter erforderliche spezialpräven­ tive Maß der Strafe ab.103 Das wird vor allem an der Problematik der Be­ rücksichtigung weiterer zur Strafe hinzutretender Folgen, als Notwendigkeit der Berücksichtigung der Strafempfindlichkeit des Täters, deutlich. Darauf wird noch zurückzukommen sein.104 Auch generell ist der eigenständige Charakter der Spezialprävention in diesem Zumessungskonzept bezweifelt worden. Straftheoretisch war er ja nur ein Nebenzweck zum vordergründi­ 98  Frisch, ZStW 99 (1987) I, S. 349 (372: „Strafmaßfixierung […] nicht mög­ lich“); Horn / Wolters, in: SystematischerKomm StGB, § 46 Rn. 25 ff., 30 („völlig nebulosen und fiktiven Vorstellungen“). Krit. auch H.-J. Albrecht, S. 77; Ziffer, in: FS Frisch, S. 1077 (1091); Theune, in: LeipzigerKomm StGB, § 46 Rn. 41 ff.; Eschelbach, in: SSW StGB, § 46 Rn. 44; Meier, Sanktionen, S. 167 f. Vgl. aber zur „Be­ liebtheit“ der Strafzwecke unter den Rechtsanwendern: Streng, Strafzumessung und relative Gerechtigkeit, S. 226. 99  Schöch, in: FS Schaffstein, S. 255 (258); Sonnen, in: FS Puppe, S. 1006 (1014); Streng, in: FS Puppe, S. 875 (876); Theune, in: LeipzigerKomm StGB, § 46 Rn.  43 a. E. 100  Hörnle, S.  27 f. 101  Horn / Wolters, in: SystematischerKomm StGB, § 46 Rn. 26 ff. Horn, in: FS Schaffstein, S. 241 (245) hält das zwar der Spielraumtheorie entgegen, lässt das Ar­ gument aber nicht in Bezug auf die Stellenwerttheorie gelten. Krit. auch Frisch, in: FG BGH IV, S. 269 (282 f.); ders., in: FS Kaiser I, S. 765 (782); Hermann / Dölling, S. 72 (Generalprävention und negative Spezialprävention); Hörnle, S. 79 (zur negati­ ven Generalprävention) und S. 90 f. (zur positiven Generalprävention); Schöch, in: FS Schaffstein, S. 255 (256); Streng, in: NomosKomm StGB, § 46 Rn. 35 (negative Spe­ zialprävention). 102  Krit. auch Sonnen, in: FS Puppe, S. 1006 (1011). 103  BGHSt 24, 268 (270); Hörnle, S. 41, 49; Stratenwerth, S. 22 f.; Theune, in: LeipzigerKomm StGB, § 46 Rn. 21. 104  Siehe unten: 3. Teil 2. Kap. C. II. 2. und 3. a).

240

3. Teil: Die Strafzumessung

gen Schuldausgleich. In der maßgeblichen Ausprägung, die er durch die Rechtsprechung erlangt hat, also Vermeidung der Entsozialisierung bzw. Wiedereingliederung in die Gesellschaft, hat er eine begrenzende Funktion, die auch in Schuldgesichtspunkte umformulierbar sein könnte.105 Auch da­ nach darf eine über das notwendige Maß der Schuld hinausgehende Strafe nicht verhängt werden. Der Nutzen des Spielraums lässt sich nur revisionsrechtlich nachvollzie­ hen: Es findet keine Richtigkeitskontrolle im engen Sinne statt. Diese könnte wohl auch gar nicht geleistet werden.106 Die Obergerichte müssten die Strafzumessung umfassend überprüfen, was bereits angesichts zurzeit beste­ hender Kapazitätsprobleme ein aussichtsloses Unterfangen wäre. Es wäre im Übrigen auch nicht sinnvoll, denn das Tatgericht lässt in jede Strafbemessung zu einem gewissen Maß seine eigenen Ansichten und Überzeugungen bzw. Berufserfahrungen einfließen. Anders gewendet, ist die Strafzumessung eine individuelle Rechtsanwendung, welche zwar im Ergebnis durchaus mit ande­ ren Beurteilungen übereinstimmen könnte. Das ist jedoch nicht sinnvoller­ weise zu erwarten. Das Revisionsgericht prüft auf die allgemeine Sachrüge daher nur eine grobe Überschreitung des durch die Schuld gezogenen Rah­ mens.107 Die Grenzen des Rahmens sind folglich nicht klar umrissen, son­ dern verschwimmen wiederum. Damit wird etwas mehr an Rechtssicherheit gewonnen. Selbst wenn die Schuldrahmentheorie also revisionsrechtlich Vorteile bringt, weil u. a. nur eine grobe Unter- bzw. Überschreitung des Schuldrahmens zur Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils zwingt. Sie ver­ schiebt damit lediglich die (Rechts-)Unsicherheit über den Bestand des Ur­ teils weg von einer konkreten Punktstrafe hin zu den Endpunkten des noch angemessenen Rahmens. Eine überzeugende dogmatische Grundlage kann in der Theorie nicht gesehen werden. Sie ist allenfalls ein Kompromiss. Im Ergebnis ist mit der Spielraumtheorie nichts mehr gewonnen, als revi­ sionsrechtliche Handhabbarkeit. Gerade dieser Fokus verhindert aber die Hinwendung zur eigentlichen Aufgabe: der Entfaltung einer überzeugenden Theorie.108 Diese  – euphemistisch ausgedrückte  – „Flexibilität“ der Spiel­ 105  Frisch, in: FS Kaiser I, S. 765 (772 f.); Theune, in: LeipzigerKomm StGB, § 46 Rn. 19. Ähnlich: Stahl, S. 151 f. Praktisch: Köhler, Strafrecht AT, S. 50 f. 106  Mosbacher, in: FS Seebode, S. 227 (238 f.). 107  Theune, in: LeipzigerKomm StGB, § 46 Rn. 40; Miebach / Maier, in: Mün­ chenerKomm StGB, § 46 Rn. 69; Schäfer / Sander / van Gemmeren, Rn. 833. Horn, in: FS Schaffstein, S. 241 (246) spricht von einem Bemühen der Tatrichter, „das Urteil „revisionssicher“ zu machen“. Krit. auch Hörnle, S. 35 f. Zust. dagegen Schaffstein, in: FS Gallas, S. 99 (107). Für volle Revisibilität: Frisch, ZStW 99 (1987) II, S. 751 (802). 108  Hörnle, S. 62. Streng, in: FS Puppe, S. 875 (890) sieht die Spielraumtheorie dagegen als im Grundsatz hinreichend theoretisch legitimiert an.



2. Kap.: Die Theorie vom Schuldrahmen241

raumtheorie ist jedoch in der Literatur auf große Zustimmung getroffen. Die herrschende Auffassung in der Literatur folgt daher der Spielraumtheorie.109

B. Die Berücksichtigung der Sicherungsverwahrung bei der Strafzumessung nach der Rechtsprechung auf der Grundlage der „Spielraumtheorie“ Eine Berücksichtigung der Sicherungsverwahrung im Rahmen der Strafzu­ messungsentscheidung scheint nach der Spielraumtheorie auf mehrere Wei­ sen möglich. Im Folgenden wird, ausgehend von den möglichen prozessualen Situationen, die Rechtsprechung auf die Berücksichtigung einer Abstimmung der beiden Rechtsfolgen analysiert. Dazu wird sowohl die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, des Bundesgerichtshofs in Strafsachen als auch der Ausgangsgerichte Berücksichtigung finden. I. Die Anordnung der Sicherungsverwahrung im Ausgangsverfahren Als Erstes soll die naheliegende Konstellation der Anordnung der Unter­ bringung der Sicherungsverwahrung nach § 66 StGB im Ausgangsverfahren dargestellt werden. In dieser Konstellation sind Ausführungen zur Wechsel­ wirkung von Strafe und Sicherungsverwahrung einerseits in tatgerichtlichen Urteilen zu finden. Andererseits haben sich auch die Revisionsgerichte mit der Rechtsfrage auseinandergesetzt. Nicht zuletzt ist die Frage der Wechsel­ wirkung auch bereits vom Bundesverfassungsgericht thematisiert worden. Diese Rechtsprechung wird im Folgenden dargestellt. 1. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

Das Bundesverfassungsgericht geht davon aus, dass die Verhängung der Sicherungsverwahrung bei der Zumessung der Strafe mildernd zu berück­ sichtigen ist.110 Die Aussage findet sich im Zusammenhang mit der Ausei­ nandersetzung der Wesensverschiedenheit von Strafe und Sicherungsverwah­ 109  Spendel, Strafmass, S. 176 ff.; Bruns, Recht der Strafzumessung, S. 105 ff.; Schaffstein, in: FS Gallas, S. 99 (107 f.); Schäfer / Sander / van Gemmeren, Rn. 832; Fischer, § 46 Rn. 20; Kühl, in: Lackner / Kühl, § 46 Rn. 24 f.; Bußmann, in: Matt / Ren­ zikowski, § 46 Rn. 7; Theune, in: LeipzigerKomm StGB, § 46 Rn. 39 ff.; Radtke, in: MünchenerKomm StGB, Vor § 38 Rn. 65; Streng, in: NomosKomm StGB, § 46 Rn. 101; Stree / Kinzig, in: Schönke-Schröder, § 46 Rn. 5; von Heintschel-Heinegg, in: von Heintschel-Heinegg, StGB, § 46 Rn. 3 ff.; Zipf / Dölling, in: Maurach / Gössel / Zipf, § 62 Rn. 19; Meier, Sanktionen, S. 172; Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, S. 880. 110  BVerfGE 109, 133 (179).

242

3. Teil: Die Strafzumessung

rung. Aus dieser strafzumessungsrechtlichen Wechselwirkung soll sich kein Argument für die Wesensidentität ergeben. Vielmehr liegt nur eine teilweise Funktionsübereinstimmung vor. Diese betrifft die sowohl von der Strafe, als auch von der Maßregel zu erfüllenden präventiven Aufgaben. Werden beide staatlichen Rechtsfolgen nebeneinander verhängt bzw. angeordnet, dann fin­ den die präventiven Funktionen nur einmal Berücksichtigung. Mit anderen Worten sei die Strafe von den präventiven Funktionen entlastet und haupt­ sächlich auf den Schuldausgleich reduziert.111 Die Aussage betrifft also die Konstellation, dass im Ausgangsverfahren die Unterbringung nach § 66 StGB angeordnet wird. Das Bundesverfassungsge­ richt stellt fest, dass die Überschneidung der Funktionen auf der präventiven Ebene, genauer der Spezialprävention, stattfindet. Das steht im Einklang mit der weiteren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Diese geht da­ von aus, dass allgemein anerkannte Strafzwecke auf präventiver Ebene so­ wohl die negative wie die positive Generalprävention als auch die Spezial­ prävention sind.112 Die Funktion der Sicherungsverwahrung ist die Spezial­ prävention in sichernder wie bessernder Funktion.113 Eine Funktionsüber­ einstimmung ergibt sich somit für die Spezialprävention. Generalpräventive Erwägungen würden dagegen mit den Maßregeln nicht verfolgt und scheiden daher auch aus einer Funktionsübernahme aus. Die Berücksichtigung der weiteren staatlichen Reaktion aus Anlass der begangenen Straftaten erfolgt strafmildernd. Nicht angesprochen wird eine strafschärfende Berücksichti­ gung. Übrig bleibt hauptsächlich die schuldausgleichende Funktion der Strafe, die Grundlage der Strafzumessung in diesen Fällen sei. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erfolgt eine Wechselwirkung zwischen der Strafe und der ergänzenden Sicherungsver­ wahrung im Rahmen der Strafzumessung durch die Funktionsübernahme im Bereich der Spezialprävention. 2. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes

Der Bundesgerichtshof ist aus revisionsrechtlicher Sicht mit der Rechts­ frage der Wechselwirkung befasst worden. Es ist bereits angesprochen wor­ den, dass eine Beschränkung der Anfechtung des Rechtsfolgenausspruchs möglich ist, wenn eine getrennte Überprüfung und Bewertung möglich ist. Dagegen ist eine Beschränkung logisch nicht möglich, wenn die Anordnung einer anderen Maßregel in Betracht kommt. Denn nach § 72 StGB muss stets 111  BVerfGE

109, 133 (179). 45, 187 (253 ff.); 91, 1 (31); 109, 133 (173). 113  BVerfGE 109, 133 (174). 112  BVerfGE



2. Kap.: Die Theorie vom Schuldrahmen243

die am wenigsten einschneidende Maßnahme gewählt werden oder eine An­ ordnung nebeneinander erfolgen. Daraus folgt eine Verknüpfung der ver­ schiedenen Maßregeln, welche einer getrennten Anfechtung entgegensteht.114 Davon zu unterscheiden, ist die Frage, ob eine vom Strafausspruch getrennte Anfechtung der Anordnung der Sicherungsverwahrung möglich ist. Zumeist wird der Beschuldigte sich gegen die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zur Wehr setzen, seltener wird es die Staatsanwalt­ schaft sein. Das ist die prozessuale Situation, in welcher der BGH mit der Frage einer Wechselwirkung befasst ist. Der Bundesgerichtshof hat ursprünglich eine Wechselwirkung aufgrund des Nebeneinanders von Strafe und Sicherungsverwahrung im Grundsatz verneint und eine Trennbarkeit im revisionsrechtlichen Sinne befürwortet.115 Damit widersprach der Bundesgerichtshof der reichsgerichtlichen Rechtspre­ chung. Diese war von einer Untrennbarkeit von Straf- und Maßregelaus­ spruch ausgegangen.116 Die Entscheidung des Reichsgerichts erging zu einer Zeit, als § 20a RStGB noch einen Strafschärfungsgrund für Gewohnheitsver­ brecher vorsah. Die Anordnung der Sicherungsverwahrung war gemäß § 42e RStGB daran geknüpft.117 Inhaltlich knüpften beide Normen an die Gefähr­ lichkeit des Beschuldigten an, sodass ein „enge[r] innerer Zusammenhang“118 zwischen der Straf- und Maßregelfrage bestand. Die reichsgerichtliche Rechtsprechung bezog sich sowohl auf die obligatorische Strafschärfung nach § 20a Abs. 1 RStGB, als auch auf die fakultative Strafmilderung nach § 20a Abs. 2 RStGB.119 Auch die Entscheidung des Bundesgerichtshofes er­ ging zu dieser Rechtslage. Offen blieb in dem entschiedenen Fall jedoch, welche Norm angewandt wurde und ob eine Strafschärfung vom Tatgericht tatsächlich vorgenommen worden war. Trotz dieses Zusammenhangs wurde vom BGH kein logischer bzw. zwingender Zusammenhang zwischen der Strafe und der sie ergänzenden Sicherungsverwahrung angenommen. Man­ gels Feststellungen im erstinstanzlichen Urteil schloss der BGH eine Wech­ selwirkung im zugrundeliegenden Fall aus.120 Diese Rechtsprechung hat der BGH nach Einführung des § 13 StGB a. F. bzw. § 46 StGB und dem Fortfall des Strafschärfungsgrundes des § 20a 114  BGH

NStZ-RR 2014, 88. 7, 101 (103). 116  RGSt 68, 385 (386 f.). 117  Das soll unabhängig von einer tatsächlich vorgenommen Strafschärfung ge­ wesen sein, wenn nur die Voraussetzungen prozessordnungsgemäß festgestellt worden sind: RGSt 68, 385 (386); 68, 295 (296). 118  RGSt 68, 385 (386). 119  RGSt 68, 385 (386). 120  BGHSt 7, 101 (104). 115  BGHSt

244

3. Teil: Die Strafzumessung

StGB a. F., fortgeführt und konkretisiert. Auf der Grundlage der Spielraum­ theorie hat der BGH entschieden, dass eine Wechselwirkung zwar berück­ sichtigt werden kann, sie aber nicht dazu führen darf, dass der Rahmen schuldangemessenen Strafens verlassen wird. Das gilt sowohl für den Fall einer Unterschreitung der unteren Grenze des Schuldrahmens aufgrund einer Strafmilderung als auch für dessen Überschreiten aufgrund einer besonderen Gefährlichkeit des Beschuldigten.121 Als Milderungsgrund komme die Wir­ kung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach § 66 StGB für das weitere Leben des Beschuldigten als Bezugspunkt in Betracht.122 Die Anknüpfung an die Auswirkungen auf das weitere Leben legt nahe, dass § 46 Abs. 1 S. 2 StGB in Bezug genommen werden soll. Im Übrigen hatte der BGH keine Abstimmung von Strafe und Sicherungsverwahrung bei der Bildung der Einzelstrafen vorgenommen. Bei der Zumessung der Gesamt­ strafe müsse die Anordnung der Sicherungsverwahrung jedoch berücksich­ tigt werden.123 Festzuhalten ist daher, dass der Bundesgerichtshoff in den Fällen der An­ ordnung der Sicherungsverwahrung durch die Tatgerichte keinen zwingenden Zusammenhang zwischen der Straffrage und der Maßregel sieht. Vielmehr komme es auf den Einzelfall an. Hier bestehe möglicherweise eine Wechsel­ wirkung bei der Gesamtstrafenbildung. Innerhalb des Schuldrahmens könne die Strafe sowohl gemildert werden als auch schärfer zu bemessen sein. Als inhaltlicher Anknüpfungspunkt für eine Milderung sollen die Wirkungen der Strafe für das künftige Leben des Täters, § 46 Abs. 1 S. 2 StGB, in Betracht kommen. Einen Strafschärfungsgrund könne die Gefährlichkeit des Beschul­ digten darstellen. 3. Die Rechtsprechung der Ausgangsgerichte

Es ist zu erwarten, dass die Landgerichte als Tatgerichte diese Rechtspre­ chung umsetzen. Es sollen dazu Urteile, in denen die Unterbringung nach § 66 StGB angeordnet wurde, auf die Handhabung der Wechselwirkung un­ tersucht werden. Die Urteilsanalyse erfolgte hier nicht mit dem Anspruch, eine fundierte statistische Aussage zur Rechtsprechung der Tatgerichte zu erhalten. Aufgrund der möglichen vielfältigen Anknüpfungspunkte im Rah­ men der Spielraumtheorie sind vielmehr die in der Praxis vorgefundenen verschiedenen Strafzumessungserwägungen zusammengetragen worden. Es wird sich zeigen, dass die erstinstanzlichen Gerichte die höchstrichterliche 121  BGHSt 24, 132 (134). Zu Letzterem bereits BGH NJW 1968, 997 (998). Aus der neueren Rechtsprechung: BGH NJW 2002, 535 (536). 122  BGH NJW 2002, 535 (536). 123  BGH NJW 2002, 535 (536).



2. Kap.: Die Theorie vom Schuldrahmen245

Rechtsprechung nicht einheitlich umsetzen. Es lassen sich vielmehr verschie­ dene Fallgruppen ausmachen. a) Vorüberlegungen Die Ausgangs- bzw. Tatgerichte haben sich intensiv mit der Strafzumes­ sung zu befassen. Das sind stets die Landgerichte, aufgrund von § 24 Abs. 2 GVG keinesfalls die Amtsgerichte. Nach § 267 Abs. 3 S. 1 2. HS StPO müs­ sen nur die die Strafe bestimmenden Umstände im Urteil Erwähnung finden. Aus den bereits oben dargestellten Grundsätzen der Darstellung in den Ur­ teilsgründen sind Aussagen in den erstinstanzlichen Urteilen aus zweierlei Gründen zu erwarten. Erstens sind die naheliegenden Strafmilderungsgründe bestimmende Umstände i. S. v. § 267 Abs. 3 S. 1 2. HS StPO.124 Wenn der Bundesgerichtshof eine Strafmilderung in den Fällen einer gleichzeitig anzu­ ordnenden Sicherungsverwahrung regelmäßig vorschreibt, dann liegt für das Tatgericht eben ein naheliegender Strafmilderungsgrund vor.125 Das gilt vor allem für die Heranziehung einer spezialpräventiven Begründung anhand von § 46 Abs. 1 S. 2 StGB.126 Zweitens lässt die Rechtsprechung des Bundesge­ richtshofs vermuten, dass durch eine strafmildernde Berücksichtigung der Anordnung der die Strafe ergänzenden Sicherungsverwahrung jene sich als gerade noch schuldangemessen erweist und damit am unteren Ende des Schuldrahmens angesiedelt ist, bzw. dass der Schuldrahmen jedenfalls nicht verlassen werden darf. In Grenzfällen, sei es das Heranreichen an die Gren­ zen des Schuldrahmens oder an die Grenze zur Frage der Aussetzbarkeit ei­ ner Freiheitsstrafe zur Bewährung, besteht von vornherein ein erhöhter Be­ gründungsbedarf. Setzt man die Beachtung dieser Grundsätze durch die Ge­ richte voraus, sollten Aussagen zur Wechselwirkung von Strafe und Siche­ rungsverwahrung in den Strafurteilen der Tatgerichte zu finden sein. b) Nichterwähnung in den Urteilsgründen Dabei kann als Erstes danach unterschieden werden, ob eine Berücksichti­ gung Erwähnung in den Strafzumessungsgründen gefunden hat oder nicht. 124  Hagemeier, 125  So

in: Radtke / Hohmann, StPO, § 267 Rn. 22. zu § 64 StGB: BGH NStZ 1985, 91 (92). Im Erg. auch Fischer, § 46

Rn. 71. 126  Miebach / Maier, in: MünchenerKomm StGB, § 46 Rn. 50. s. a. BGHR StGB § 46 Abs. 1 Schuldausgleich 2: Die Nichterwähnung der Abstimmung der Strafe mit beamtenrechtlichen Nebenfolgen ist fehlerhaft, weil „ein für die Strafzumessung we­ sentlicher Gesichtspunkt unberücksichtigt geblieben ist“; OLG Dresden StV 2000, 560 (560).

246

3. Teil: Die Strafzumessung

Durch Urteil des Landgericht Kiel vom 6. September 2010127 beispiels­ weise ist der dortige Angeklagte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt worden. Gleichzeitig wurde die Unterbringung nach § 66 StGB angeordnet. In den Strafzumessungserwägungen des Urteils lässt sich jedoch keine Berücksichtigung der gleichzeitig angeordneten Sicherungsverwahrung bei der Strafzumessung finden.128 D. h. entweder hat die Große Strafkammer die strafzumessungsrelevanten Umstände zwar festgestellt, diese aber nicht als bestimmte Umstände i. S. v. § 267 Abs. 3 S. 1 StPO im Urteil aufgeführt. Das würde dann in der Unterscheidung zwischen materieller und prozessua­ ler Darlegungspflicht seinen Grund finden.129 Oder das Landgericht hat schlicht keine Feststellung getroffen und es hat aus diesem Grund keine Be­ rücksichtigung stattgefunden. Aufgrund der vorstehend dargestellten, nahe­ liegenden Strafzumessungsrelevanz ist von letzterem auszugehen. c) Strafmildernde Berücksichtigung der Sicherungsverwahrung bei der Strafzumessung Die Urteile der Tatgerichte, welche eine Berücksichtigung der zu verhän­ genden Unterbringung nach § 66 StGB in den Urteilsgründen erwähnen, verfahren wiederum auf verschiedene Weise. aa) Strafmildernde Berücksichtigung sowohl bei der Einzelals auch der Gesamtstrafenbildung Einerseits erfolgt die strafmildernde Berücksichtigung bei der Einzelstra­ fen- und Gesamtstrafenbildung. Durch Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 25. Oktober 2007130 wurde der Angeklagte wegen zweifacher Verge­ waltigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Ebenso wurde die Unterbringung nach § 66 StGB angeordnet. Eine strafmildernde Berücksichtigung erfolgte dabei bereits bei der Einzelstrafenbildung: „Bei der Bestimmung der Höhe der im obigen Strafrahmen zu verhängenden Ein­ zelstrafen hinsichtlich der […] festgestellten Taten hat die Kammer jeweils allge­ mein zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigt, dass er […] über die zu verhän­ gende Freiheitsstrafe hinaus auch noch die Freiheitsentziehung in der Sicherungs­ verwahrung […] zu erwarten hat.“131 127  LG

Kiel, Urteil vom 6.9.2010, Az.: 8 KLs 2 / 10, juris. Kiel, Urteil vom 6.9.2010, Az.: 8 KLs 2 / 10, juris Tz. 497–502, 524. So auch LG Göttingen, Urt. v. 27. Juni 2011, Az.: 6 Ks 2 / 11, BeckRS 2012, 02551. 129  Siehe oben: 3. Teil 1. Kap. A. III. 130  LG Magdeburg, Urteil vom 25.10.2007, Az.: 22 KLs 4 / 07, juris. 131  LG Magdeburg, Urteil vom 25.10.2007, Az.: 22 KLs 4 / 07, juris Tz. 187. 128  LG



2. Kap.: Die Theorie vom Schuldrahmen247

Die Kammer hat eine strafmildernde Wechselwirkung angenommen, ohne einen konkreten Strafzweck in Bezug zu nehmen oder an eine Norm anzu­ knüpfen. Grund für die strafmildernde Berücksichtigung ist hier die Erwar­ tung an die zusätzlich zu der Freiheitsentziehung durch die Strafe hinzutre­ tende Freiheitsentziehung durch die Sicherungsverwahrung. D. h. das Land­ gericht ging zum Zeitpunkt des Strafurteils von einem wahrscheinlichen späteren Vollzug der Sicherungsverwahrung aus. Eine weitere Berücksichti­ gung dieses zu erwartenden kumulierenden Freiheitsentzuges fand durch die nochmalige Verwertung aller Strafzumessungsaspekte bei der Gesamtstrafen­ bildung statt.132 Auf dieselbe Weise verfuhr die Große Strafkammer des LG Magdeburg im Urteil vom 14. März 2007133, in dem gegen den Angeklagten neben der Ver­ hängung einer Freiheitsstrafe die Unterbringung nach § 66 StGB angeordnet wurde: „Sowohl bei der Bemessung der Einzelstrafen, als auch bei der zu bildenden Ge­ samtstrafe hat die Kammer zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigt, dass neben der Strafe auch die freiheitsentziehende Maßregel der Sicherungsverwahrung ange­ ordnet wurde.“134

Auch hier scheint die Begründung dieselbe zu sein. Die strafmildernde Be­ rücksichtigung erfolgte aufgrund des Nebeneinanders von Strafe und Siche­ rungsverwahrung. Dennoch besteht hier ein gewisser Unterschied zu obiger Begründung. Während dort die strafmildernde Berücksichtigung aufgrund des zu erwartenden kumulierenden Vollzugs angenommen wurde, ist hier bereits die Anordnung der Sicherungsverwahrung das entscheidende Argument für die Berücksichtigung. Auf den möglichen Vollzug der Sicherungsverwahrung kommt es nach dem Urteil des Landgerichts dagegen nicht entscheidend an. Eine konkretere Begründung liefert das LG Kaiserslautern im Urteil vom 6.  April 2004.135 Es verurteilte den Angeklagten zu einer Gesamtfreiheits­ strafe von acht Jahren wegen Diebstahls und Raubes in Tateinheit mit Kör­ perverletzung. Gleichzeitig wurde die Sicherungsverwahrung angeordnet. Unter den allgemeinen Ausführungen zur Strafzumessung findet sich im Strafurteil das Folgende: „Die angeordnete Maßregel nach § 66 StGB war ebenfalls zu einem gewissen Maß strafmildernd zu berücksichtigen, da hierdurch bereits das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit als Strafgrund abgedeckt wird.“136 132  LG

Magdeburg, Urteil vom 25.10.2007, Az.: 22 KLs 4 / 07, juris Tz. 196. Magdeburg, Urteil vom 14.3.2007, Az.: 25 KLs 25 / 05, juris. 134  LG Magdeburg, Urteil vom 14.3.2007, Az.: 25 KLs 25 / 05, juris Tz. 277. 135  LG Kaiserslautern, Urteil vom 6.4.2004, Az.: 6210 Js 18063 / 03.4 KLs, 6210 Js 18063 / 03 – 4 KLs, juris. 136  LG Kaiserslautern, Urteil vom 6.4.2004, Az.: 6210 Js 18063 / 03.4 KLs, 6210 Js 18063 / 03 – 4 KLs, juris Tz. 175. 133  LG

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3. Teil: Die Strafzumessung

Auch hier wurden dieselben Erwägungen nochmal zur Gesamtstrafenbil­ dung herangezogen.137 Als Grund der strafmildernden Wirkung der Anord­ nung wird das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit, also die sog. negative Spezialprävention, genannt. Dass durch die Sicherungsverwahrung das Si­ cherheitsinteresse der Allgemeinheit als „abgedeckt“ angesehen wird, deutet auf eine Funktionsübernahme insoweit hin. Auch hier wird wiederum vom Vollzug der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung ausgegangen. Der Umfang der strafmildernden Berücksichtigung lässt sich dem landgerichtli­ chen Urteil jedoch nicht genau entnehmen. Die Berücksichtigung „zu einem gewissen Maß“ lässt viel Interpretationsspielraum offen. Festzuhalten ist hier, dass eine Berücksichtigung nicht lediglich bei der Gesamt- sondern auch bei der Einzelstrafenbildung stattfindet. Im Unter­ schied zur revisionsrechtlichen Rechtsprechung des BGH wird nicht auf die positive Spezialprävention abgestellt bzw. an § 46 Abs. 1 S. 2 StGB ange­ knüpft. Stattdessen wird auf das Sicherheitsinteresse der Gesellschaft abge­ stellt oder an die weitere Belastung durch die Anordnung bzw. den Vollzug der Unterbringung nach § 66 StGB angeknüpft. bb) Strafmildernde Berücksichtigung bei der Gesamtstrafenbildung Außerdem lassen sich Urteile finden, bei denen die Tatgerichte die Unter­ bringung nach § 66 StGB lediglich bei der Gesamtstrafenbildung strafmil­ dernd berücksichtigen und damit schon eher auf der Linie der Rechtspre­ chung des BGH liegen. Mit Urteil vom 28. März 2008 hat das LG Essen138 einen Angeklagten zu mehrjähriger Freiheitsstrafe und Sicherungsverwahrung verurteilt. Dabei hat es, ausweislich der Urteilsgründe, bei der Gesamtstrafenbildung  – nicht je­ doch bei der Einzelstrafenbildung139 – die gleichzeitig angeordnete Siche­ rungsverwahrung berücksichtigt: „Darüber hinaus hat die Kammer bei der Findung der Gesamtstrafe zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigt, dass der Angeklagte durch die gleichzeitig angeordne­ te Sicherungsverwahrung zusätzlich belastet wird.“140

137  LG Kaiserslautern, Urteil vom 6.4.2004, Az.: 6210 Js 18063 / 03.4 KLs, 6210 Js 18063 / 03 – 4 KLs, juris Tz. 196. 138  LG Essen, Urteil vom 28.3.2008, 56 (38 / 07), Az.: 56 (38 / 07) 300 Js 251 / 07. 139  LG Essen, Urteil vom 28.3.2008, 56 (38 / 07), Az.: 56 (38 / 07) 300 Js 251 / 07, juris Tz. 316–320. 140  LG Essen, Urteil vom 28.3.2008, 56 (38 / 07), Az.: 56 (38 / 07) 300 Js 251 / 07, juris Tz. 348.



2. Kap.: Die Theorie vom Schuldrahmen

249

Wie bereits das LG Magdeburg stellt auch das LG Essen auf die zusätzli­ che Belastung durch die Anordnung der Unterbringung gegenüber dem Straf­ täter ab. Auch das LG Kaiserslautern begründete die Wechselwirkung zwischen Strafe und Sicherungsverwahrung im Urteil vom 16.  Februar 2005141 mit der Berücksichtigung der Anordnung dieser bei der Strafzumessung i. R.d. Gesamtstrafenbildung: „Schließlich war in gleicher Weise der Umstand zu würdigen, dass gegen den An­ geklagten neben der Strafe mit der Anordnung der Sicherungsverwahrung eine ihn erheblich belastende Maßregel verhängt wird. Die Kammer hielt ausgehend von diesen Überlegungen die ausgesprochene Ge­ samtfreiheitsstrafe von sechs Jahren für schuldangemessen und auch unter Berück­ sichtigung der von dem Straf- und Maßregelausspruch ausgehenden Wirkungen für das künftige Leben des Angeklagten in der Gesellschaft für vertretbar.“142

Inhaltlich knüpft die Strafkammer an mehrere Aspekte an. Einerseits stellt auch sie auf eine erhebliche Mehrbelastung des Beschuldigten bereits durch die Anordnung der Sicherungsverwahrung ab. Andererseits berücksichtigt sie die vom Straf- und Maßregel(!)ausspruch ausgehenden Wirkungen für das künftige Leben des Täters. Damit wird – freilich ohne die Norm zu zitieren – an § 46 Abs. 1 S. 2 StGB angeknüpft. II. Die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung im Ausgangsverfahren Die zweite prozessuale Situation ist die Nichtanordnung der Unterbringung nach § 66 StGB im Ausgangsverfahren. Hier sind freilich keine Ausführun­ gen der Tatgerichte in den Urteilsgründen zu einer Wechselwirkung zu er­ warten. Allerdings wurden die Revisionsgerichte aufgrund staatsanwalt­ schaftlicher Urteilsanfechtung mit dieser Konstellation weitaus häufiger konfrontiert, weshalb hier eine deutlich ergiebigere Rechtsprechung ergangen ist. Unter Verweis auf oben aufgeführte Rechtsprechung hielt das Reichsge­ richt auch in dieser Konstellation eine Wechselwirkung nicht per se für aus­ geschlossen. Es hat eine Beschränkung der Revision auf die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung für unzulässig erklärt143 und den Strafausspruch aufgehoben, wenn die Strafe im Hinblick auf die unterlassene Anordnung 141  LG

Kaiserslautern, Urteil vom 16.5.2005, Az.: 6035 Js 19586 / 04 4 KLs, juris. Kaiserslautern, Urteil vom 16.5.2005, Az.: 6035 Js 19586 / 04 4 KLs, juris Tz. 206–207. 143  RGSt 70, 127 (128). 142  LG

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3. Teil: Die Strafzumessung

„besonders hoch bemessen“ wurde.144 Dem hatte sich der BGH im Grund­ satz zunächst angeschlossen.145 Auf der Grundlage der Spielraumtheorie muss der schuldangemessene Rahmen nach der Rechtsprechung auch hier beachtet werden.146 Das bedeutet regelmäßig, dass die zu verhängende Strafe aufgrund der ursprünglich nicht angeordneten Sicherungsverwahrung nunmehr mit der in Betracht zu ziehenden Unterbringung in der Sicherungsverwahrung niedriger ausfallen muss und das Urteil insoweit aufgehoben wird.147 Eine inhaltliche Begründung bleibt der Bundesgerichtshof regelmäßig schuldig. Stattdessen beschränkt er sich auf die floskelhafte Wiederholung der Formulierung: „Die Aufhebung des Urteils, soweit die Verhängung der Sicherungsverwahrung abgelehnt worden ist, führt zur Aufhebung des gesamten Strafausspruchs zugunsten des Angeklagten; auch wenn sich die verhängten Strafen jeweils im unteren Be­ reich des Strafrahmens bewegen, ist nicht mit der erforderlichen Sicherheit auszu­ schließen, daß die Strafen, wäre zugleich auf Sicherungsverwahrung erkannt wor­ den, niedriger ausgefallen wären.“148

Sofern vereinzelt Begründungen für die Wechselwirkung genannt werden, weichen diese voneinander ab. Einerseits hat der BGH entschieden: „Die Strafkammer hat bei der Strafzumessung nicht nur den Strafzweck der Tatsüh­ ne, sondern auch den der Abschreckung in den Vordergrund gestellt. Gerade im Hinblick hierauf ist nicht ohne weiteres auszuschließen, daß sie, wenn sie Siche­ rungsverwahrung angeordnet hätte, zu einer niedrigeren Strafe gekommen wäre.“149

Zunächst einmal bleibt unklar, ob die Strafe bei Anordnung der Unterbrin­ gung nach § 66 StGB aufgrund einer Wechselwirkung mit dem Prinzip der Tatsühne oder der Abschreckung milder ausgefallen wäre. Des Weiteren ist fraglich, welchen Bezugspunkt der Gesichtspunkt der Abschreckung hat. Auch aus den weiteren Urteilsgründen erhellt sich die Bezugnahme nicht. Vorstellbar ist sowohl ein general- als auch ein spezialpräventiver Bezug. Andererseits hat der BGH entschieden: 144  RGSt

73, 81 (83). NJW 1968, 997 (998); GA 1974, 175 (177). 146  BGH NJW 1968, 997 (998); NStZ 1994, 280 (281). s. a. BGHSt 24, 132 (133 f.); BGH, NStZ 2002, 535 (536). 147  BGHR § 66 Abs.1 Gefährlichkeit 1 und 2; dagegen: Hang 3 „anders bemessen“. 148  BGHR § 66 Abs.1 Gefährlichkeit 1 und 2 (wortgleich). Ohne ausdrückliche sachliche Begründung ähnlich auch: BGH NJW 1980, 1055 (1056); NStZ 1983, 71; wistra 1988, 22; NStZ 1994, 280 (281); NJW 2000, 3015 (3016); NJW 2005, 3155 (3157); NStZ 2007, 212 (213); BGH Urt. v. 03.  Februar 2011, Az.: 3 StR 466 / 10, juris Tz. 17 insoweit in NStZ-RR 2011, 172 f. nicht abgedruckt; BGH bei Cierniak /  Zimmermann, NStZ-RR 2011, 234 (Nr. 92); BGH, Urt. v. 11.  Juli 2013, Az.: 3 StR 148 / 13, juris Tz. 11 m. w. N. aus der Rspr. (jeweils auch ohne Begründung); BGH, Urt. v. 15. Oktober 2014, Az.: 2 StR 240 / 14, juris Tz. 35. 149  BGH GA 1974, 175 (177). 145  BGH



2. Kap.: Die Theorie vom Schuldrahmen251 „Im Hinblick auf die Erwägungen des Urteils zu den möglichen Auswirkungen des Vollzugs der Strafe vermag der Senat aber nicht auszuschließen, dass die Strafen niedriger bemessen worden wären, wenn das LG zugleich auf Sicherungsverwah­ rung erkannt hätte […].“ [Hervorhebung im Original]150

Der BGH stellt hier also vordergründig auf die Wirkungen des Strafvoll­ zugs ab. Was damit gemeint sein könnte, ergibt sich aus den weiteren Ur­ teilsgründen. Darin bemängelte der BGH, dass das Landgericht dem Straf­ vollzug des Angeklagten unsubstantiiert eine gefahrenreduzierende Verhal­ tensänderung des Straftäters zugeschrieben und daher von der Ermessenent­ scheidung nach §§ 66 Abs. 2, Abs. 3 StGB abgesehen hatte.151 Mit anderen Worten könne nicht allgemein von einer rückfallgefahrenreduzierenden Wir­ kung des Vollzuges von Strafe ausgegangen werden und damit die straf­ ergänzende Unterbringung nach § 66 StGB abgelehnt werden. Deswegen sei diese hier anzuordnen gewesen. Der Strafvollzug leistet nach der Auffassung des BGH also gerade keine allgemeine Gewähr zur Bewältigung der Rück­ fallgefahr. Entscheidend sind daher gerade nicht die „Wirkungen“ des Frei­ heitsstrafenvollzugs. Übrig bleibt das Nebeneinander von Strafe und Siche­ rungsverwahrung als eigentlicher Grund der Strafmilderung. In welchem Umfang diese sich auswirkt, bleibt wiederum offen. Dagegen blieb eine Wechselwirkung im Einzelfall ausgeschlossen und wurde eine Beschränkung der Revision auf die Anordnung der Unterbrin­ gung nach § 66 StGB für zulässig erklärt, wenn sich die verhängte Strafe bereits am untersten Ende des schuldangemessenen Rahmens oder gar des Strafrahmens befand.152 Denn aufgrund der von der Rechtsprechung vertre­ tenen Variante der Spielraumtheorie verbietet sich ein Unterschreiten des schuldangemessenen Rahmens. In neuerer Zeit lehnt der BGH dagegen eine Wechselwirkung zwischen der Strafe und der Sicherungsverwahrung ohne weitere Begründung grundsätz­ lich ab.153 Die insoweit stets in Bezug genommene Entscheidung aus dem Jahr 1994 verneint eine notwendige Abhängigkeit von Strafe und Unterbrin­ gung nach § 66 StGB154 und stellte, wie bisher auch, auf den Einzelfall ab. 150  BGH

NStZ-RR 2007, 10 (11). NStZ-RR 2007, 10 (10 f.). Grundsätzlich ist dieser Umstand aber zu berücksichtigen: BGH StV 2011, 482 (483). 152  BGH NJW 2000, 3015 (3016). So auch BGH NStZ 1994, 280 (281). 153  BGH NStZ-RR 2014, 88; NStZ-RR 2008, 336 (337); NStZ 2007, 212 (213); NJW 2000, 3015 (3016); 1996, 3018 (3019 insoweit in BGHSt 42, 191 nicht abge­ druckt); NStZ 1994, 280 (281) = BGHR § 66 StGB Strafausspruch 1. Ohne Begrün­ dung: BGH NStZ-RR 2016, 105 (107). 154  Das gilt auch für den umgekehrten Fall, dass die Nichtanordnung der Siche­ rungsverwahrung vom Revisionsangriff ausgenommen ist: BGH, Urt. v. 7. Mai 2009, Az.: 3 StR 122 / 09, juris Tz. 7 f. 151  BGH

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3. Teil: Die Strafzumessung

In diesem könne die Strafe milder ausfallen, wenn eine Sicherungsverwah­ rung angeordnet wird. Bei der dortigen Einzelfallprüfung stellte der BGH dann jedoch heraus, dass – ohne Anordnung der Sicherungsverwahrung – der Schuldrahmen bei der Strafzumessung nicht überschritten wurde und ein Unterschreiten ausgeschlossen werden konnte. Daher lehnte der Senat eine Wechselwirkung ab.155 Durch die Nichtanordnung der Unterbringung wurde also weder eine unvertretbar niedrige, noch eine den Schuldrahmen über­ schreitende Strafe verhängt. Dass sich die Strafe innerhalb des Spielraums befand, reichte dem BGH hin. Damit erkennt der BGH eine Wechselwirkung zwischen Strafe und Sicherungsverwahrung, welche zur Aufhebung des Strafausspruchs führt, für den Fall an, dass der Schuldrahmen verlassen wur­ de.156 Wie die Berücksichtigung innerhalb des Schuldrahmens erfolgt, bleibt dagegen völlig offen. Im Hinblick auf die konkrete Bemessung der Strafe befürwortet der BGH die Berücksichtigung bei der Einzel- wie bei der Ge­ samtstrafenbildung.157 Festzuhalten ist in dieser Konstellation erst einmal, dass die Rechtspre­ chung des Bundesgerichtshofes ein nicht eindeutiges Bild hinterlässt. Eine Wechselwirkung, und damit eine Untrennbarkeit im revisionsrechtlichen Sinne, werden sowohl grundsätzlich befürwortet als auch abgelehnt. Entschei­ dend sei aber jeweils der Einzelfall. Die Wechselwirkung ergibt sich sowohl bei der Einzel-, als auch bei der Gesamtstrafenbildung und darf nicht zum Verlassen des Schuldrahmens führen. Die sachlichen Gründe, soweit aus­ drücklich genannt, variieren zwischen verschiedenen präventiven Aspekten. III. Der Vorbehalt der Sicherungsverwahrung im Ausgangsverfahren Letztlich kann die Anordnung der Sicherungsverwahrung im Ausgangsver­ fahren auch insoweit in Betracht kommen, dass sie als Reaktion in Betracht zu ziehen wäre, ihre Voraussetzungen aber nicht voll hatten festgestellt wer­ den können. Dann kann die Unterbringung im Strafurteil nach § 66a StGB vorbehalten werden. Die Annahme einer Wechselwirkung durch das Tatge­ 155  BGHR § 66 StGB Strafausspruch 1 (insoweit in NStZ 1994, 280 f. nicht abge­ druckt). 156  So allgemein bereits: BGHSt 24, 132 (133 f.). Zuletzt: BGH bei Cierniak / Zimmermann, NStZ-RR 2011, 234 (Nr. 92). 157  BGH NJW 1980, 1055 (1056); wistra 1988, 22; NStZ-RR 2007, 10 (11); BGH, Urt. v. 04. September 2008, Az.: 5 StR 101 / 08, juris Tz. 22 insoweit in NStZ 2010, 387 ff. nicht abgedruckt; BGH, Urt. v. 7.  Mai 2009, Az.: 3 StR 122 / 09, juris Tz. 7 f.; BGH, Urt. v. 03.  Februar 2011, Az.: 3 StR 466 / 10, juris Tz. 17 insoweit in NStZ-RR 2011, 172 f. nicht abgedruckt; BGH, Urt. v. 11.  Juli 2013, Az.: 3 StR 148 / 13, juris Tz. 11 insoweit in NStZ 2013, 707 nicht abgedruckt.



2. Kap.: Die Theorie vom Schuldrahmen253

richt hat der BGH hier abgelehnt, weil die Anordnung des Vorbehalts vom Ausgangsgericht nicht zur Begründung der Strafzumessung herangezogen wurde. Der Strafausspruch war bereits aus anderem Grund aufzuheben.158 Den umgekehrten Fall, dass die Sicherungsverwahrung nicht vorbehalten wurde, aber mit der Revision gerade dieses Unterlassen gerügt wurde, hat der BGH  – soweit ersichtlich  – noch nicht entschieden. In diesen Fällen wurde mit der Revision bislang die primäre Anordnung nach § 66 StGB ver­ folgt. IV. Zusammenfassung Die bisherige Rechtsprechung zur Wechselwirkung von Strafe und Siche­ rungsverwahrung bei der Strafzumessung ist von einem einheitlichen Ziel geprägt. Pauschal wird von der Rechtsprechung regelmäßig formuliert, dass die Strafe niedriger ausfallen könne, wenn eine Unterbringung nach § 66 StGB angeordnet werde. In den dafür angeführten Begründungen endet die Einheitlichkeit. Unterschiede in der Rechtsprechung lassen sich bereits inner­ halb der jeweiligen Rechtsprechung der Tat- und Revisionsgerichte ausma­ chen. Außerdem folgen die Tatgerichte nicht stets der Rechtsprechung der Obergerichte. Das betrifft sowohl die Verfahrensweise der Berücksichtigung bei der Bestimmung der Strafe (Einzel- und / oder Gesamtstrafenbildung), als auch die inhaltlichen Argumente. Diese reichen von spezialpräventiven Be­ gründungen159 über eine möglicherweise negativ generalpräventive Begrün­ dung160 auf präventiver Ebene der Spielraumtheorie bis zu allgemeinen Er­ wägungen bezüglich der belastenden Folgen kumulierender Anordnung einer freiheitsentziehenden Strafe und einer Sicherungsverwahrung.161 Bei letzterer Begründung wird überwiegend auf die Anordnung, teilweise auf deren Voll­ zug abgestellt. Letztlich wird die Problematik durch die revisionsrechtliche Sicht des BGH verkompliziert. Hier trägt die Rechtsprechung zur Revisibili­ 158  BGHSt

50, 188 (197). dieser Allgemeinheit: BVerfGE 109, 133 (179); bezogen auf die negative Spezialprävention: LG Kaiserslautern, Urteil vom 6.4.2004, Az.: 6210 Js 18063 / 03.4 KLs, 6210 Js 18063 / 03  – 4 KLs, juris Tz. 175; uneindeutig BGH GA 1974, 175 (177). Teilweise wird explizit an § 46 Abs.1 S. 2 StGB angeknüpft, worin nach allge­ meiner Auffassung die positive Spezialprävention niedergeschrieben ist: BGH NJW 2002, 535 (536). Der dortige Verweis auf BGH NJW 1980, 1055 (1056) (und wiede­ rum auf BGH GA 1974, 175 (177)) zur Untermauerung der Begründung geht jedoch fehl. Die beiden letztgenannten Entscheidungen nennen weder § 46 Abs. 1 S. 2 StGB, noch ausdrücklich die Spezialprävention. 160  So möglicherweise BGH GA 1974, 175 (177). 161  BGH NStZ-RR 2007, 10 (11). Wohl auch BGHSt 7, 101 (104). Siehe im Üb­ rigen die oben aufgeführten Urteile des LG Magdeburg und LG Kaiserslautern, sowie des LG Essen. 159  In

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3. Teil: Die Strafzumessung

tät der Strafzumessungsentscheidung des Tatgerichts, sowie die beschränkte Anfechtung von Straf- und Maßregelausspruch mit ihrem eigenständigen Maßstab („nicht auszuschließen“) zur Uneinheitlichkeit der Rechtsprechung bei. In der Folge ist eine erhebliche Anwendungsunsicherheit entstanden. Die oben aufgeführte Rechtsprechung der Tatgerichte ist zwar ungeeignet, eine qualitative Aussage zu der Häufigkeit der auftretenden Argumente zu liefern. Dafür ist die Basisrate viel zu gering. Das ist auch nicht nötig. Einerseits besteht im Hinblick auf die zu erreichende Strafmilderung Einigkeit. Ande­ rerseits geht es hier lediglich um die Berechtigung der einzelnen Argumente, die in ihrer Abstraktheit auch ohne die Bezugnahme auf in der Praxis vor­ kommende Fälle hätte vorgenommen werden können. Die Darstellung er­ folgte daher zur Hervorhebung der Problemlage.

C. Kritik der Rechtsprechung zur Wechselwirkung zwischen Strafe und Sicherungsverwahrung Die Anwendungsunsicherheit liegt möglicherweise in den Prämissen der Spielraumtheorie begründet. Im Folgenden werden die argumentativen An­ sätze der Rechtsprechung geordnet und jeweils für sich kritisch beurteilt. Dabei wird sich herausstellen, dass die Rechtsprechung im Ergebnis, aber nicht in ihrer Begründung überzeugt. I. Kritik der präventiven Begründungen Im Rahmen der auf einer Vereinigungstheorie fußenden Spielraumtheorie der Rechtsprechung erfolgt eine Berücksichtigung und Abwägung der prä­ ventiven Strafzwecke im gegebenen Schuldrahmen. Spezial- und Generalprä­ vention bekommen so eine Berechtigung neben dem Schuldausgleich. Geht man davon aus, dass die Sicherungsverwahrung eine präventive Maßnahme zur Gewährleistung von Sicherheit durch Einwirkung auf den Gewohnheits­ täter ist, ergeben sich zwangsläufig Schnittstellen zur Strafe. Die Funktionen einer so interpretierten Maßregel und der Strafe überschneiden sich. Das Bundesverfassungsgericht hat richtigerweise herausgestellt, dass es sich da­ bei um den Bereich der Spezialprävention handelt.162 Die Sicherungsver­ wahrung hat nach überwiegender Sichtweise weder ein strafendes, noch ein generalpräventives Element. Sowohl die Freiheitsstrafe als auch die Unter­ bringung nach §§ 66, 66a StGB sollen aber durch Sicherung und bessernder Einwirkung auf den Straftäter bzw. den strafgleich Untergebrachten dessen Wiedereingliederung in die Gesellschaft ermöglichen. Ausgehend davon liegt 162  BVerfGE

109, 133 (179).



2. Kap.: Die Theorie vom Schuldrahmen255

es scheinbar auf der Hand, eine Übernahme dieser Funktion der Strafe durch die strafergänzende Unterbringung zu postulieren und die Strafe davon „zu befreien“. Wenn dieser Aspekt in der Folge zur Ausfüllung des Schuldrah­ mens nicht mehr herangezogen werden braucht, könnte die Strafe an sich milder ausfallen.163 1. Straftheoretische Kritik der Übernahme von Strafzwecken durch die Sicherungsverwahrung

Der Gedanke der Funktionsübernahme ist bereits in seiner Allgemeinheit der Kritik ausgesetzt. Die Auseinandersetzung mit der Rechtfertigung von Strafe und Sicherungsverwahrung hat gezeigt, dass die Rechtfertigung einer Strafe für eine schuldhaft begangene Tat an sich konsensfähig ist. Demge­ genüber lassen sich die Maßregeln und insbesondere die Sicherungsverwah­ rung, die ihrer Rechtsnatur nach Strafe ist, zwar an sich rechtfertigen. Letz­ tere aber legitimatorisch neben die Strafe zu stellen, griff jedenfalls zu kurz. Ungeachtet dessen sei die Maßregel, insbesondere deren Vollzug, aufgrund ihres ultima ratio Charakters soweit wie möglich zu vermeiden. Aus dieser Sicht ist es aber bedenklich, wenn die Strafe milder ausfallen soll, damit die Funktionen von der Maßregel verfolgt werden können. Das hieße darauf zu verzichten, die zweifelsohne berechtigte Strafe zu einem bestimmten Teil zu verhängen und zu vollstrecken, damit daneben bzw. danach in Ergänzung zur Strafe eine weitere Maßnahme, nämlich die Unterbringung nach §§ 66, 66a StGB, angeordnet und vollstreckt werden kann. Die Maßregel erscheint so­ mit nicht mehr als ultima ratio, sondern als gleichberechtigte Rechtsfolge neben der Freiheitsstrafe.164 Aus straftheoretischer Sicht wäre es vielmehr zu befürworten, dass die Strafe ihre Funktionen voll erfüllt. Das bedeutet, dass sie auch in ihrer spezialpräventiven Wirkungsrichtung optimal zum Ein­ satz kommen würde. So gesehen würde man jedenfalls dem ultima ratio Charakter der Sicherungsverwahrung besser entsprechen. Im Kern ist das Argument der Übernahme der spezialpräventiven Funktion der Strafe durch die Sicherungsverwahrung aber berechtigt: Der individuel­ lere und behandlungsintensivere Vollzug der Unterbringung wird der spezial­ präventiven Einwirkung auf die Gewohnheitstäter besser gerecht, als die sich im Strafvollzug bietende Möglichkeit.165 Aus diesem Grund wird das Maß der Strafe um die individual präventiv erforderliche Funktion gekürzt und in 163  So

BVerfGE 109, 133 (179). auch Ziffer, in: FS Frisch, S. 1077 (1090), die insoweit die „Erforderlich­ keit“ der Sicherungsverwahrung bezweifelt. 165  Krit. zur Leistungsfähigkeit des Strafvollzugs insoweit auch Schneider, in: Göppinger, § 34 Rn. 159. 164  Krit.

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3. Teil: Die Strafzumessung

die strafergänzende Sicherungsverwahrung übertragen. Richtig ist daran si­ cherlich, dass die Behandlung und Therapie im Maßregelvollzug individuel­ ler, kompetenter und intensiver erfolgen kann. Auch das Bundesverfassungs­ gericht hat zuletzt den Resozialisierungsgedanken bei dem Vollzug einer ­Sicherungsverwahrung unterstrichen. Zugleich hat es aber betont, dass auch der Strafvollzug auf die Vermeidung der anschließenden Unterbringung hin auszurichten ist und bessere Behandlungsangebote eröffnen muss, als bisher vorlagen.166 Das Problem der besseren Einwirkungsmöglichkeit auf den Täter im Maßregelvollzug könnte dann auf andere Weise zu lösen sein: Im Anwendungsbereich der Unterbringung in einem psychiatrischen Kranken­ haus oder einer Entziehungsanstalt wird der Maßregelvollzug grundsätzlich strafvertretend vor dem Strafvollzug vollstreckt, §§ 67 Abs. 1, Abs. 4 StGB. Dagegen erfolgt der Vollzug der Sicherungsverwahrung bisher erst im An­ schluss an den Freiheitsstrafenvollzug. Darauf wird noch zurückzukommen sein.167 Aus straftheoretischer Sicht ist daher die durch diese Rechtsprechung in die Sicherungsverwahrung ausgegliederte Funktion der Spezialprävention in die Strafe zurückzuführen. Das gilt bereits auf dem Fundament der von der Rechtsprechung vertretenen Vereinigungstheorie. Denn hiernach bildet die Schuld die Grundlage der Strafe und die resozialisierende Einwirkung auf den Täter einen Nebenzweck. Die Notwendigkeit einer derartigen Einwir­ kung besteht in allen Fällen der Sicherungsverwahrung. Für den Straftäter ist eine derartige Einwirkung auch gut verständlich und annehmbar, soweit die zur Resozialisierung angebotene Behandlung schuldvermittelt im Strafvoll­ zug erfolgt. Zweifelhaft wird die Akzeptanz erst, wenn das Behandlungsan­ gebot ohne das schuldvermittelte Fundament strafergänzend, in einer zweiten Spur, daneben tritt. Wenn diese Funktion aber bereits durch den Vollzug der Freiheitsstrafe verwirklicht werden kann, ist nicht einzusehen, warum sie ausgegliedert werden soll. Dasselbe gilt im Ergebnis auch auf der Grundlage der hier befürworteten freiheitsgesetzlichen Theorie. Danach dienen Strafe und Sicherungsverwahrung, die ihrer Rechtsnatur nach ebenfalls Strafe ist, der Wiederherstellung des durch die Straftat(en) gestörten Rechtsverhältnis­ ses. Deren Vollzug ist maßgeblich am Gesichtspunkt der Wiedereingliede­ rung auszurichten. Gerade im Bereich habitueller Kriminalität folgt aus der gesellschaftlichen (Mit-)Verantwortung ein gesteigertes Resozialisationsinte­ resse und -bedürfnis der Straftäter. Auch hiernach bietet die Strafe und deren Vollzug die Möglichkeit der Integration dieser wichtigen Funktion.

166  BVerfGE 167  Siehe

128, 326 (379 ff.). unten: 3. Teil. 2. Kap. C. VI. 2. a) und 4. Teil 1. Kap. A.



2. Kap.: Die Theorie vom Schuldrahmen257 2. Kritische Beurteilung der Übernahme der Strafzwecke im Einzelnen

Über die eben geübte Kritik hinaus sind auch die konkreteren Begründun­ gen dieser Rechtsprechung zur Wechselwirkung aufgrund gleicher präventi­ ver Funktionen der Kritik ausgesetzt. Auf dieser präventiven Argumenta­ tionsebene hatte sich herausgestellt, dass die Rechtsprechung sowohl die ­Sicherungsinteressen der Allgemeinheit als auch den Verweis auf § 46 Abs. 1 S. 2 StGB ausdrücklich herangezogen hat. a) Nicht zwingende Wechselwirkung von Strafe und Sicherungsverwahrung nach der Rechtsprechung Fraglich scheint, ob die Übertragung der Strafzwecke auf die Sicherungs­ verwahrung strafzumessungstechnisch gesehen überhaupt zu einer Milderung der Strafe führen kann. Bisher war eine Funktionsübernahme nur abstrakt behauptet worden. Strafzumessungsrechtlich sind im Rahmen der Spielraumtheorie der Rechtsprechung die „für und gegen den Täter“ sprechenden Umstände zu bewerten und abzuwägen, § 46 Abs. 2 S. 1 StGB. Die Rechtsprechung lehnt bekanntermaßen die Bewertung der einzelnen Umstände ab und fordert le­ diglich die Gesamtbewertung.168 Die einzelnen, strafmodifizierenden Um­ stände müssen aber wenigstens festgestellt werden.169 Auch die für eine Funktionsübernahme in Betracht kommenden Tatsachen hat das Tatgericht damit festzustellen. Erscheint das Gesamtbild der Tat gerade aufgrund eines zumessungsrelevanten, präventiven Umstandes an sich milder, kann die Strafe innerhalb des Schuldrahmens bereits aufgrund dessen milder ausfal­ len. Das ist nach der Rechtsprechung soweit möglich, bis die Untergrenze des Schuldrahmens erreicht ist.170 In dieser Konstellation würde dann ledig­ lich die verwirklichte Schuld die Strafe rechtfertigen. Diese Rechtsprechung zu den Grenzen des Schuldrahmens ist auch für die Frage der Wechselwirkung von Strafe und Sicherungsverwahrung von Be­ deutung. Das gilt erstens für den Fall der Anordnung der Unterbringung nach §§ 66 StGB. Hier ist vor allem die Nichtunterschreitung des schuldangemes­ senen Bereichs zu beachten. Befindet sich die zu verhängende Strafe auf­ grund einer Gesamtbewertung bereits am unteren Ende des Schuldrahmens, kann die Strafe durch Berücksichtigung einer Wechselwirkung mit der Maß­ 168  BGHSt-GS 169  BGHSt

34, 345 (351). Siehe bereits oben: 3. Teil 1. Kap. A. II. 3. b). 34, 345 (349); Theune, in: LeipzigerKomm StGB, §  46 Rn.  74 m. w. N.

aus der Rspr. 170  BGHSt 24, 132 (134).

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3. Teil: Die Strafzumessung

regel nicht noch milder ausfallen.171 In diesem Fall käme daher gar keine Funktionsübernahme in Betracht. Aber auch die Obergrenze des Schuldrah­ mens ist zu beachten. Das könnte in Betracht kommen, wenn das Tatgericht geneigt ist, die Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit berücksichtigend, eine unvertretbar hohe Strafe zu verhängen, damit die Voraussetzungen der Anordnung der Sicherungsverwahrung überhaupt erst erfüllt werden.172 Das Gleiche gilt für den Fall der Nichtanordnung der Unterbringung nach § 66 StGB durch das Tatgericht. Hier ist wiederum die Untergrenze des Schuldrahmens zu beachten. Eine Wechselwirkung käme nur dann in Be­ tracht, wenn die Nichtanordnung durch das Tatgericht fehlerhaft wäre und die Strafe bei gleichzeitiger Anordnung der Sicherungsverwahrung überhaupt niedriger hätte bemessen werden dürfen. Wurde vom Tatgericht aber bspw. die Mindeststrafe verhängt, findet auch im Falle der Urteilsaufhebung bei einer erneuten Anordnung der Sicherungsverwahrung keine Wechselwirkung statt.173 Auch hier scheidet eine Funktionsübernahme aus. Zusammenfassung ist festzustellen, dass für die Rechtsprechung eine Wechselwirkung zwischen Strafe und Sicherungsverwahrung nicht zwingend ist. Das ist in den Prämissen der Spielraumtheorie angelegt. Diese Rechtspre­ chung ist an sich konsequent: Für die Straftat eine der Schuld nicht entspre­ chende Strafe zu verhängen, bedeutet den Straftäter nicht als Person im Recht wahrzunehmen und ihn nicht seiner Rechtspersönlichkeit, der Men­ schenwürde, entsprechend zu behandeln. Die Strafe erweist sich als über das erforderliche Maß der Wiederherstellung des gestörten Rechts hinausgehend oder dahinter zurückbleibend und ist damit gegenüber dem Straftäter nicht gerechtfertigt. Aus dieser Rechtsprechung können aber auch mehrere Schlüsse gezogen werden. Erstens findet die Wechselwirkung zwingend innerhalb des Spielraums, also auf präventiver Ebene statt. Denn anderenfalls müsste es zulässig sein, den Schuldrahmen zu verlassen. Zweitens wird bereits hier ein Mangel der Spielraumtheorie deutlich. Der Straftäter gegen den die Siche­ rungsverwahrung angeordnet bzw. vorbehalten wird, hat ein gesteigertes Bedürfnis auf Resozialisierung, also auf gesellschaftliche Teilhabe. Warum dieses Behandlungsbedürfnis einmal beachtlich, indem eine Wechselwirkung in Frage kommt, und in anderen Fällen irrelevant sein soll, ist nicht nachvoll­ ziehbar. Drittens ist eine Wechselwirkung nach der Rechtsprechung strafzu­ messungsrechtlich nur dann möglich, wenn die Strafe innerhalb des Schuld­ 171  BGHSt

24, 132 (133 f.). Fall lag BGH NStZ 2001, 595 zugrunde. 173  Dazu: BGHR § 66 StGB Strafausspruch 1 = NStZ 1994, 280 (281). Das äu­ ßert sich revisionsrechtlich, indem die Rechtsprechung in diesen Fällen eine Tren­ nung der Straffrage vom Maßregelausspruch annimmt; vgl. BGH NJW 2000, 3015 (3016). Siehe dazu bereits oben: 3. Teil 2. Kap. B. I. 2. 172  Dieser



2. Kap.: Die Theorie vom Schuldrahmen

259

rahmens überhaupt milder bemessen werden könnte. Dann dürfen nach der Rechtsprechung eine Wechselwirkung und damit eine Funktionsübernahme stattfinden. Dem schließt sich aber, die Problematik der unmöglichen Angabe eines insoweit in Betracht kommenden Strafquantums an; dazu im Folgenden zu den einzelnen Strafzwecken. b) Die einzelnen Strafzwecke aa) Positive Spezialprävention Ein Verweis auf die Spezialprävention klingt in der Rechtsprechung scheinbar verschiedentlich an. Zum einen wird auf die „vom Straf- und Maß­ regelausspruch ausgehenden Wirkungen für das künftige Leben des Ange­ klagten in der Gesellschaft“ abgestellt.174 Das ist eine fast wörtliche Wieder­ gabe von § 46 Abs. 1 S. 2 StGB. Zum anderen wird ausdrücklich auf § 46 Abs. 1 S. 2 StGB verwiesen.175 Beides ist freilich nur eine unbestimmte Bezugnahme und setzt voraus, dass man darin – wie die Rechtsprechung und der Gesetzgeber  – die Spezialprävention insgesamt verwirklicht sieht.176 Damit wäre dann auch die positive Spezialprävention gemeint. Diese betrifft in ihrem Kern die Einwirkung auf den Straftäter zur Ermöglichung eines rechtstreuen Lebens sowie die Vermeidung entsozialisierender Bestrafung. Die so verstandene Resozialisierungshilfe ist notwendig, wenn der Straftäter sich der Fähigkeit zu rechtstreuem Verhalten entwöhnt hat und wiedereinge­ gliedert werden muss. Das betrifft genau die hier zu betrachtende, alles in allem inhomogene, Tätergruppe der Gewohnheitsstraftäter, die aus einer ge­ bildeten Haltung heraus erhebliche Straftaten begehen. Zur Funktionsübernahme durch die Sicherungsverwahrung und damit die Wechselwirkung zwischen Strafe und Unterbringung in der Sicherungsver­ wahrung begründend, müsste der Strafzweck der Resozialisierung eine be­ stimmte Relevanz haben. Das scheint auf den ersten Blick offensichtlich, stellen doch das Gesetz in § 46 Abs. 1 S. 2 StGB und der Gesetzgeber auf diesen Umstand ab177. Abstrakt gesehen ist das sicherlich auch richtig. Aber es ist bereits ausgeführt worden, dass sich dieser Strafzweck nach der Recht­ sprechung maßgeblich auf die begrenzende Funktion der Vermeidung von Entsozialisierung konzentriert.178 Diese äußert sich bei den Entscheidungen 174  LG Kaiserslautern, Urteil vom 16.5.2005, Az.: 6035 Js 19586 / 04 4 KLs, juris Tz. 206–207. 175  BGH NJW 2002, 535 (536). 176  BGHSt 24, 40 (42 f.); BT-Drucks. V / 4094, S. 4 f. 177  Siehe oben: 1. Teil 1. Kap. B. II. 178  Siehe oben: 3. Teil 2. Kap. A. I.

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3. Teil: Die Strafzumessung

zur Strafart und kann so im Rahmen einer schuldangemessenen Strafe noch für die zur Bewährung aussetzungsfähige Freiheitsstrafe oder für Geld- statt Freiheitsstrafe sprechen. Im Bereich unbedingt zu verhängender Freiheits­ strafe geht es dagegen lediglich um eine Strafhöhenbestimmung. Die posi­ tive Spezialprävention, nunmehr vor allem gerichtet auf die Unterstützung zur Wiedereingliederung des Straftäters in die Gesellschaft, äußert sich in diesem Zusammenhang vor allem durch das Behandlungsangebot im Straf­ vollzug sowie in den Vollstreckungsentscheidungen über Vollzugslockerun­ gen und Aussetzungsentscheidungen179. Gerade die Behandlung im Vollzug ist auf die Länge des Strafvollzugs abgestimmt, um möglichst Erfolg zu ha­ ben. Denkbar wäre daher zumindest, dass ein Tatgericht bei der Strafhöhen­ bemessung die wahrscheinliche Dauer einer notwendigen Behandlung be­ rücksichtigt. Diesem Ansatz wären jedoch durch den Schuldrahmen Grenzen gesetzt. Damit bleibt es dabei, dass der eigentliche Einfluss der positiven Spezialprävention auf die Strafhöhenbemessung, wenn überhaupt, sehr be­ grenzt ist. Diese (wenigstens) begrenzte Wirkung unterstellt, ist aber fraglich, ob eine Strafschärfung mit der positiven Spezialprävention begründet werden könnte. Nur dann kann ja dieser Aspekt „von der ‚Sicherungsverwahrung‘ übernom­ men werden“ und die Strafe milder ausfallen. Wenn die positive Spezialprä­ vention auf Wiedereingliederung in die Gesellschaft gerichtet ist, erfordert sie zwar eine Unterstützung des in seiner rechtlichen Gesinnung entwöhnten Straftäters. Sie erfordert aber gleichzeitig, Entsozialisierung weitestgehend zu vermeiden.180 Das betrifft gerade die sehr langen, unbedingten Freiheits­ strafen. Hier besteht also ein Zielkonflikt zwischen der Notwendigkeit einer Einwirkung und der Vermeidung entsozialisierender Wirkung der langen Freiheitsstrafe. Sofern die Spezialprävention in der Rechtsprechung zur Strafschärfung herangezogen wird, ist nicht auf die positive Spezialpräven­ tion, sondern maßgeblich auf die anderen beiden spezialpräventiven Zwecke der Sicherung und Abschreckung abgestellt worden.181 Lediglich vereinzelt wurde die Behandlungs- und Einwirkungsnotwendigkeit auf den Beschuldig­ ten strafschärfend herangezogen. Es liegt daher durchaus nahe, dass die Tat­ gerichte auch die Länge einer nötigen Behandlung im Vollzug als Aspekt der Strafhöhenbestimmung ansehen. Der BGH hatte der strafschärfenden Bedeu­ tung einer Einwirkungsnotwendigkeit auf den Straftäter in einem Fall jedoch eine Absage erteilt, weil die vom Tatgericht festgestellte Notwendigkeit 179  Stahl,

S. 153; Frisch, in: FS Kaiser I, S. 765 (782 f.). 24, 40 (42 f.) wo der Gefahr eines entsozialisierenden Verwahrvoll­ zugs („unbeabsichtigte Nebenwirkung“) durch resozialisierende Ausrichtung begeg­ net werden soll. 181  Miebach / Maier, in: MünchenerKomm StGB, § 46 Rn. 52 m.  w. N. aus der Rspr. 180  BGHSt



2. Kap.: Die Theorie vom Schuldrahmen261

fehlte.182 Daraus lässt sich schließen, dass nach dem von Rechtsprechung zugrunde gelegten Konzept eine Funktionsübernahme im Grunde stattfinden darf. Zu bedenken ist jedoch, dass diese Wechselwirkung marginal ist. Denn sie findet lediglich innerhalb des Schuldrahmens statt. Keinesfalls kommt es zu einer kompletten Übernahme, die den Strafvollzug – gedanklich – als reinen Verwahrvollzug übrig lassen würde. Das ist zwar auf der Grundlage der Spielraumtheorie konsequent, aber bedenklich. Neben der unbedingten Freiheitsstrafe wird eine zeitlich unbefristete Maßregel angeordnet, die in ihrem Maß leicht Dauer und Gewicht der Freiheitsstrafe erreichen kann oder gar darüber hinausgeht. Dieses Nebeneinander dann durch eine marginale, nicht einmal konkret bestimmbare Milderung innerhalb des Schuldrahmens ausgleichen zu wollen, ist schlicht unangemessen. Die Tragweite der durch die Sicherungsverwahrung möglichen Rechtseinbußen für den Sicherungs­ verwahrten, insbesondere der Eingriff in sein Freiheitsrecht, kann dadurch nicht angemessen berücksichtigt werden. Das wird aber durch die unbe­ stimmte Heranziehung innerhalb der Spielraumtheorie verdeckt. bb) Negative Spezialprävention Der Bundesgerichtshof hat einmal ausdrücklich  – allerdings im Zusam­ menhang mit der Nennung der Tatsühne – die „Abschreckung“ als Grund der strafzumessungsrechtlichen Wechselwirkung herangezogen.183 Damit könnte neben der negativen Generalprävention auch die täterspezifische Abschre­ ckung, also die negative Spezialprävention gemeint sein. Strafzumessungs­ rechtlich wäre diesem Umstand regelmäßig eine strafschärfende Bedeutung beizumessen. Denn es handelt sich grundsätzlich um einen Tätertyp, welcher aufgrund eines Hanges zu erheblichen Straftaten neigt und gegebenenfalls sogar schon (mehrfach) vorbestraft ist. Hier kann also, nach dem Konzept der Rechtsprechung, durchaus eine Straferhöhung zur Abschreckung in Be­ tracht kommen.184 Fraglich wird der Aspekt vor dem Hintergrund, dass die abschreckende Wirkung von Strafen bei den genannten, gerade den hier vorliegenden Untersuchungsgegenstand abbildenden, Tätergruppen bisher kaum nachgewiesen werden konnte.185 Es kann aber festgehalten werden, dass – auf dem Boden der Spielraumtheorie – in diesen Fällen der Gedanke der negativen Spezialprävention regelmäßig eine innerhalb des Schuldrah­ 182  BGHR

§ 46 Abs. 1 Strafhöhe 3. GA 1974, 175 (177). Ferner kann das auch von der Rechtsprechung, die auf § 46 Abs. 1 S. 2 StGB abgestellt gemeint sein, denn darin wird ja bekanntlich ein allgemeiner Verweis auf die Spezialprävention gesehen. Allgemein auch: BVerfGE 109, 133 (179). 184  BGHSt 17, 321 (324); Streng, Sanktionen, Rn. 540. 185  Hermann / Dölling, S. 76, 85; Vilsmeier, MschrKrim 73 (1990), 273 (282). 183  BGH

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3. Teil: Die Strafzumessung

mens höhere Strafe rechtfertigen würde. Das ist jedoch einem fundamentalen Einwand ausgesetzt. Zwar kann die Individualabschreckung nach der herr­ schenden Auffassung durchaus als Strafzweck angesehen werden, welcher innerhalb des Spielraums zu berücksichtigen ist. Sie ist jedoch keine Aufgabe der Sicherungsverwahrung, die ihrer Rechtsnatur nach Strafe ist. Dann kann sie aber diese Funktion nicht übernehmen, sodass keine Wechselwirkung angenommen werden kann. Der BGH kann nur so verstanden werden, dass die Strafe um dieses abstrakte Quantum nicht erhöht werden muss, wenn die Unterbringung nach § 66 StGB angeordnet wird. In der Maßregel steckt, wenngleich sie keine Individualabschreckung verfolgt, ein weiteres Übel, welches wohl grundsätzlich das durch die Abschreckung indizierte Maß überschreiten wird. Damit wäre aber fraglich, ob der BGH noch mit der In­ dividualabschreckung argumentiert. Vielmehr würde er an die Belastung aufgrund mehrerer Sanktionen anknüpfen. cc) Sicherung Letztlich wird die strafmildernde Berücksichtigung ausdrücklich mit dem Sicherungsinteresse der Bevölkerung begründet. Die als Nebenzweck der Strafe anerkannten Sicherungsinteressen der Allgemeinheit brauchen bei der Strafe nicht berücksichtigt zu werden, weil sie bereits mit der Sicherungsver­ wahrung verfolgt werden.186 Diese Verfahrensweise der Ausgliederung der Straffunktionen in die Unterbringung nach § 66 StGB ist bereits kritisiert worden. Ebenso ist bereits gezeigt worden, dass die Notwendigkeit der Si­ cherung durchaus ein zulässiger Strafschärfungsgrund ist, wenn die Siche­ rungsverwahrung angeordnet wird.187 Auch dieser Einfluss zur Strafhöhen­ bestimmung ist nur marginal und lässt sich kaum bestimmen. Er wird dem Phänomen kumulierter Sanktionen nicht gerecht. Darüber hinaus ist hier kritisch anzumerken, dass die Sicherung vor dem Straftäter bereits zum Wesen der unbedingten Freiheitsstrafe gehört und da­ mit – in einer den Täter achtender Weise – nicht eigenständig zu verfolgen ist. Das betrifft den hier zu untersuchenden Bereich. Von den formellen Vo­ raussetzungen der Anordnung einer Sicherungsverwahrung betreffen zwar nicht alle genau diesen Bereich von unbedingten Freiheitsstrafen, vgl. § 66 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Nr. 3 StGB. In allen Fällen der Anordnung oder des Vorbe­ halts erfolgt aber eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens 186  LG Kaiserslautern, Urteil vom 6.4.2004, Az.: 6210 Js 18063 / 03 – 4 KLs, juris Tz. 175. 187  Siehe aber auch BGHR § 46 Abs. 1 Schuldausgleich 21: die insoweit erfolgte Strafschärfung kann das Revisionsgericht an der Schuldangemessenheit zweifeln las­ sen.



2. Kap.: Die Theorie vom Schuldrahmen263

zwei Jahren, vgl. §§ 66 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 2, Abs. 3 S. 1, Abs. 3 S. 2, 66a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 StGB. Damit liegt der Strafzumessungsentschei­ dung stets ein Schuldrahmen oberhalb des aussetzungsfähigen Bereichs zu­ grunde. Es handelt sich um unbedingte Freiheitsstrafe. Das betrifft sowohl die Fälle der Verurteilung aufgrund einer einzelnen Straftat als auch bei der Gesamtstrafenbildung. Der Aspekt der Sicherung der Gesellschaft vor dem Täter ist hier immer erfüllt. Er hat keine weitere Funktion. dd) Generalprävention Die Rechtsprechung hat – soweit ersichtlich – bisherig nicht ausdrücklich auf generalpräventive Erwägungen zur Strafmilderung abgestellt. Einzig in einer Entscheidung des BGH aus dem Jahr 1974 wurde auf die „Abschre­ ckung“ abgestellt. Das könnte zumindest die negative Generalprävention gemeint haben. Dagegen spricht erstens bereits die mangelnde generalprä­ ventive Funktion der Sicherungsverwahrung. Damit liegt keine Parallelität der Funktionen vor. Somit könnte es nicht zu einer Übernahme kommen. Außerdem wurden generalpräventive Aspekte bisher einerseits nur zur Straf­ schärfung herangezogen. Und zweitens gilt dies nur, wenn gesamtgesell­ schaftlich ein tatsächlicher Anstieg von Taten festgestellt wurde, zu welcher auch die abzuurteilende Tat gezählt werden kann.188 Nicht ausreichend wäre die Abschreckung zur Vermeidung einer künftigen Zunahme dieses Delik­ tes.189 Ein gesamtgesellschaftlicher Anstieg von gerade den der Unterbrin­ gung nach §§ 66, 66a StGB zugrundeliegenden erheblichen Straftaten liegt jedoch nicht vor. Das lässt sich anhand der vom Bundesministerium des In­ neren jährlich herausgegebenen Polizeilichen Kriminalitätsstatistiken (PKS) zeigen. Diese weisen den Bereich der Gewaltkriminalität gesondert aus. Un­ ter Gewaltkriminalität werden nach der PKS vor allem Mord und Totschlag, Vergewaltigung und sexuelle Nötigung, Raub und gefährliche und schwere Körperverletzungen gefasst. Alle diese Straftaten kommen grundsätzlich als Anlasstaten für die Sicherungsverwahrung in Betracht, vgl. § 66 Abs. 1 StGB. Seit Jahren weist dieser Kriminalitätsbereich annähernd gleiche Werte auf.190 In einer grundsätzlich sicheren Gesellschaft ist das auch nicht anders zu erwarten.

188  BGHSt 17, 321 (324); BGH NStZ 1992, 275; 2007, 702; NStZ-RR 2013, 240; Bruns, in: FS v. Weber, S. 75 (79 f.). Das gilt wiederum nur dann, wenn der Gesetz­ geber aufgrund der allgemeinen Zunahme nicht schon den Strafrahmen erhöht hat: BayObLG StV 2000, 368 (369). 189  Theune, in: LeipzigerKomm StGB, § 46 Rn. 29. 190  PKS 2011, S. 4; PKS 2012, S. 4 und jüngst der Flyer zur PKS 2015, S. 2 (abrufbar unter: www.bmi.bund.de / SharedDocs / Downloads / DE / Nachrichten / Presse

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3. Teil: Die Strafzumessung

Außerdem sind die empirischen Wirkungen generalpräventiv motivierter Strafen bisher nicht hinreichend überprüft und daher Angaben über insoweit indizierte Strafquanten nicht möglich.191 Bei den Untersuchungen stellt sich regelmäßig das Problem, dass der nachzuweisende generalpräventive Effekt nicht vereinzelt werden kann und etliche weitere Faktoren gleichermaßen zur Begründung herangezogen werden könnten.192 Lediglich eine im Vergleich zur Schuld deutlich geringere Strafe stößt in der Bevölkerung auf Ableh­ nung.193 Das ist nach hier vertretender Auffassung jedoch nur ein Reflex schuldgerechten Strafens.194 Generalpräventive Erwägungen können somit nicht zur Begründung einer strafzumessungsrechtlichen Wechselwirkung zwischen Strafe und Sicherungsverwahrung herangezogen werden. Nach der hier vertretenen Auffassung bildet die Generalprävention ohnehin lediglich einen Reflex einer auf Wiederherstellung des Rechts gerichteten, schuldad­ äquaten Strafe. Das gilt für die Abschreckung als negative Generalprävention und die auf Bestätigung der Norm abzielende positive Generalprävention. Ein eigenständiger Charakter käme ihnen nicht zu. Eine Wechselwirkung von Strafe und Sicherungsverwahrung aufgrund generalpräventiver Überlegungen kommt daher nicht in Betracht. 3. Ungewissheit über den Vollzug nach Anordnung der Sicherungsverwahrung

Ein bisher offen gelassenes Problem liegt in der Zukunftsgerichtetheit der Sicherungsverwahrung. Die Rechtsprechung hatte die Wechselwirkung teil­ weise auch mit dem Vollzug dieser zweiten Maßnahme begründet.195 Ob es aber nach der Anordnung überhaupt zum Vollzug der Maßregel kommt, ist ungewiss. Denn aufgrund von § 67c Abs. 1 S. 1 StGB ist deren Notwendig­ keit vor Ende des Strafvollzugs zu prüfen. Wird sie verneint, ist die Unter­ bringung zur Bewährung auszusetzen und es tritt Führungsaufsicht ein, § 67c Abs. 1 S. 1, 68 Abs. 2 StGB. Auch deren Funktion ist eine spezialpräventive Einwirkung auf den unter Aufsicht gestellten Straftäter.196. Dieser Aspekt ist

mitteilungen / 2016 / 05 / pks-2015-flyer-dt.pdf?_blob=publicationFile; abgerufen am 26.06.2016, 13:10). 191  Stahl, S. 148 f; Schneider, in: Göppinger, § 30 Rn. 50 ff.; Hermann / Dölling, S. 72; Bruns, in: FS v. Weber, S. 75 (78); Theune, in: LeipzigerKomm StGB, § 46 Rn. 47; Zipf / Dölling, in: Maurach / Gössel / Zipf, § 63 Rn. 100. 192  Schneider, in: Göppinger, § 30 Rn. 52 zur negativen Generalprävention. 193  Streng, in: FS Puppe, S. 875 (896 f.) m. w. N. 194  Siehe oben: 1. Teil 3. Kap. 195  Vgl. oben: 3. Teil 2. Kap. B. I. 3. c). 196  Vgl. oben: 2. Teil 1. Kap. A. I. 2.



2. Kap.: Die Theorie vom Schuldrahmen265

noch gesondert zu beurteilen.197 Die Rechtsprechung knüpft daran argumen­ tativ jedoch nicht an. Zurückzukommen ist daher auf die Vollstreckung der Sicherungsverwah­ rung. Nur in deren Vollzug kann in spezialpräventiv notwendiger Weise auf den Sicherungsverwahrten eingewirkt und dieser individuell betreut und be­ handelt werden bzw.  – die Berechtigung unterstellt  – die Allgemeinheit vor dem Gewohnheitstäter gesichert werden. Der Maßregelvollzug ist aber auf­ grund des „ultima ratio“ Charakters der Sicherungsverwahrung zum Zeit­ punkt des strafgerichtlichen Urteils, in welchem die Unterbringung angeord­ net wird, noch ungewiss. Das bedeutet, dass die Rechtsprechung eine Funk­ tionsübernahme postuliert, die so gar nicht stattfinden muss und darüber hin­ aus auch, soweit wie möglich, zu vermeiden ist. Die Anordnung an sich kann dagegen nicht zur Rechtfertigung der Übernahme der Funktion eines Straf­ zweckes herangezogen werden. Denn wie die Anordnung der Maßregel zur Besserung und Sicherung beitragen können soll, ist nicht ersichtlich. Sicher­ lich ist sie als drohendes „Damoklesschwert“ geeignet den Straftäter bereits im Strafvollzug zur Mitwirkung zu motivieren. Und auch der Strafvollzug ist alleinig aufgrund der Anordnung der Sicherungsverwahrung verschärft. Das betrifft aber nicht die mit der Unterbringung nach § 66 StGB verfolgten Zwecke der Besserung und Sicherung, sondern den Aspekt der Belastung mit einer weiteren, zur Strafe hinzutretenden Sanktion. Auch darauf wird zurück­ zukommen sein.198 4. Ergebnis

Zur möglichen Übernahme der präventiven Strafzwecke durch die Siche­ rungsverwahrung bei der Strafzumessung ist Folgendes festzuhalten: Bei der Begründung der Wechselwirkung auf präventiver Ebene kann es weder auf den Sicherungs- noch den Abschreckungsaspekt ankommen. Ersterer ist der unbedingten Freiheitsstrafe bereits immanent und Letzterer kein Zweck der Sicherungsverwahrung. Auch auf die Generalprävention kann die Funktions­ übernahme nicht bezogen sein, denn diese Funktion wird von der strafergän­ zenden Unterbringung nach §§ 66, 66a StGB nicht verfolgt und geht im Rahmen der Strafzumessung richtigerweise sowohl in seiner negativen wie auch positiven Variante in einer schuldangemessenen Strafe auf. Alleinig die positive Spezialprävention schien geeignet, die Wechselwirkung zu begrün­ den und den Strafabschlag zu rechtfertigen. Hier hat sich aber gezeigt, dass die positive Spezialprävention im Bereich unbedingter Freiheitsstrafen sich 197  Siehe 198  Siehe

unten: 3. Teil 2. Kap. D. II. unten: 3. Teil 2. Kap. D. I.

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3. Teil: Die Strafzumessung

vorwiegend in den Vollstreckungsentscheidungen verwirklicht. Ein Einfluss auf die Strafhöhe konnte dagegen kaum erkannt werden. Soweit man diesen theoretisch unterstellt, ist zu beachten gewesen, dass die positive Spezialprä­ vention regelmäßig strafbegrenzend und nicht strafschärfend wirkt. Das ließ den Anwendungsbereich abermals schrumpfen. Als besonders problematisch stellten sich die Fälle heraus, in denen eine Milderung der Strafe aufgrund des Erreichens der Untergrenze des Schuldrahmens unterblieb. Im Ergebnis konnte zwar herausgearbeitet werden, dass die positive Spezialprävention theoretisch als Aspekt für die Begründung der Wechselwirkung herangezo­ gen werden kann. Ihr Einfluss ist dagegen dermaßen gering, dass es dem Phänomen des Nebeneinanders von Freiheitsstrafe und Sicherungsverwah­ rung nicht gerecht wird. Im Übrigen war kritisch anzumerken, dass der zum Zeitpunkt des Strafurteils vollkommen offene Vollzug der Unterbringung die eigentliche Funktionsübernahme als ungewiss zurücklässt. Insgesamt ist damit noch nicht ausgeschlossen, dass eine Wechselwirkung zwischen Strafe und Sicherungsverwahrung im Rahmen der Spielraumtheo­ rie stattfinden kann. Lediglich auf die dargestellten Aspekte lässt sich die Wechselwirkung argumentativ kaum stützen. Nach der hier vertretenen An­ sicht ist bereits aus straftheoretischer Sicht zu fordern, dass die Strafe ihr Potential zur Wiederherstellung des gestörten Rechtsverhältnisses ausschöpft, anstatt dies der Sicherungsverwahrung, die ihrer Rechtsnatur nach ebenfalls Strafe ist, zu überlassen. Das verlangt, dass die Strafe zur Wiederherstellung des Rechts notwendig auf ihre Aufgabenerfüllung angewiesen ist und diese daher nicht in die Vollstreckung der Sicherungsverwahrung ausgelagert wer­ den sollten. Die Wiedereingliederung der Gewohnheitstäter ist von der Strafe und deren Vollstreckung zu leisten. II. Kritik der Gesamtabstimmung von Rechtsfolgen aufgrund und anlässlich von Straftaten Die Argumentation zur Wechselwirkung anhand von § 46 Abs. 1 S. 2 StGB hatte den Blick auf eine präventive Begründung gelenkt, welche sich jedoch als unzureichend herausgestellt hat. Die Wirkungen der Strafe auf das künf­ tige Leben des Täters zu berücksichtigen, kann auch in einem weiteren Sinne erfasst werden. 1. Die Rechtsprechung zur Abstimmung von Strafe und Sicherungsverwahrung

Neben den ausdrücklich präventiven Begründungen wird in der Rechtspre­ chung häufig auf einen weiteren Aspekt abgestellt. Dieser kann als Berück­



2. Kap.: Die Theorie vom Schuldrahmen267

sichtigung der zusätzlichen Belastung bzw. Folgenbelastung oder als Aus­ gleich der Verhängung bzw. Anordnung mehrerer und daher kumulierter Rechtsfolgen bezeichnet werden.199 Dabei wird die unbedingte Freiheits­ strafe im Hinblick auf die daneben angeordnete Sicherungsverwahrung mil­ der bemessen.200 Ein konkretes Maß wird nicht genannt. Offensichtlich soll aber die Kumulierung der Freiheitsstrafe und der Sicherungsverwahrung den Straftäter insgesamt nicht übermäßig belasten. Die strafmildernde Berück­ sichtigung wird überwiegend auf die Anordnung der Sicherungsverwahrung, vereinzelt auch auf die zu erwartbare Freiheitsentziehung, also den Vollzug der Sicherungsverwahrung, bezogen.201 Auf eine Übernahme präventiver Funktionen stellt die Rechtsprechung dabei jedenfalls nicht ausdrücklich ab. 2. Das Prinzip der Gesamtabstimmung der Rechtsfolgen in der Rechtsprechung

Dieser Argumentation liegt eine bestimmte Rechtsprechung zugrunde. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist anerkannt, dass eine Ge­ samtwürdigung der aufgrund und anlässlich von Straftaten verhängten bzw. angeordneten Rechtsfolgen vorgenommen wird. Das gilt für neben der (Haupt-)Strafe verhängte Nebenstrafen202 und -folgen203 sowie die Anord­ nung von Maßregeln der Besserung und Sicherung204. Die Grundlage dieser Rechtsprechung ist uneindeutig. Teilweise wird an § 46 Abs. 1 S. 2 StGB angeknüpft und auf die Wirkungen der Strafe für den Täter rekurriert.205 Andererseits erweist sich die Strafe für den Straftäter umso gewichtiger, je länger sie ist. Treten nun auch noch weitere Folgen neben die Strafe, intensi­ 199  LG Essen, Urteil vom 28.3.2008, Az.: 56 (38 / 07), 56 (38 / 07) 300 Js 251 / 07, juris Tz. 348: „zusätzliche Belastung“; LG Magdeburg, Urteil vom 25.10.2007, Az.: 22 KLs 4 / 07, juris Tz. 187: „Erwartung der Freiheitsentziehung in der Sicherungsver­ wahrung“; LG Magdeburg, Urteil vom 14.3.2007, Az.: 25 KLs 25 / 05, juris Tz. 277: „Anordnung der Sicherungsverwahrung neben der Strafe“. Deutlicher wieder: LG Kaiserslautern, Urteil vom 16.5.2005, Az.: 6035 Js 19586 / 04 4 KLs, juris Tz. 206: „erheblich belastende Maßregel“ neben der Strafe. 200  BGH NJW 1980, 1055 (1056); StV 2002, 480 (481). 201  Auf den zu erwartbaren Vollzug stellt das LG Madgeburg, Urteil vom 25.10.2007, Az.: 22 KLs 4 / 07, juris Tz. 187 ab. Vgl. im Übrigen die in der vorigen Fußnote aufgeführten Urteile. 202  BGHR StGB § 46 Abs. 1 Schuldausgleich 6, 12, 16, 39 [Einziehung]. 203  BGHR StGB § 46 Abs. 1 Schuldausgleich 2, 10 [beamtenrechtliche Nebenfol­ gen]. 204  BGHR StGB § 46 Abs. 1 Schuldausgleich 22 [Berufsverbot]; OLG Dresden StV 2000, 560 (560 f.) [Entziehung Fahrerlaubnis]; Stree / Kinzig, in: Schönke-Schrö­ der, § 46 Rn. 70 m. w. N. aus der Rspr. 205  BGHR StGB § 46 Abs. 1 Schuldausgleich 2, 7, 10, 13, 19, 22, 25, 33, 34.

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3. Teil: Die Strafzumessung

vieren diese die Belastung des Straftäters. Diese zusätzliche Rechtseinbuße zu erleiden sei an sich als ein Ausgleich für die strafrechtliche Schuld zu sehen, der es rechtfertigen würde, die (Haupt-)Strafe milder zu bemessen.206 Die zusätzliche Folge erhöht die Strafempfindlichkeit des Straftäters.207 Da­ mit wird trotz ausdrücklicher Anknüpfung an die hauptsächlich spezialprä­ ventiv gedeutete Klausel des § 46 Abs. 1 S. 2 StGB nicht ausdrücklich auf Prävention, sondern auf einen „Schuldausgleich“ abgestellt. Nicht ganz klar ist außerdem, ob die Berücksichtigung lediglich innerhalb des Schuldrah­ mens stattfindet.208 Hier setzen sich die eben dargestellten Begründungsdefi­ zite fort. Denn nach § 46 Abs. 1 S. 1 StGB bildet die Schuld die Grundlage und damit den Rahmen der schuldangemessenen Strafe. Die Wirkungen sind nach der gesetzlichen Regelung lediglich darin zu berücksichtigen, § 46 Abs. 1 S. 2 StGB. Gerade die Bezugnahme des erforderlichen Schuldausgleichs spricht dafür, dass diese weitere Belastung bereits zur groben Einordnung der Tat in den Strafrahmen, also zur Einordnung des Vorliegens eines Regel- oder Durch­ schnittsfalls209 und damit zur Festlegung des Spielraums herangezogen wer­ den sollen.210 Die neben der Strafe stehenden Folgen machen die Gesamt­ sanktion gegenüber dem Täter empfindlicher. Bei hoher Strafempfindlichkeit ist aber „eine geringere als sonst schuldangemessene Strafe“211 zum Schuld­ ausgleich ausreichend. Wenn das Schuldangemessene nach der Rechtspre­ chung durch einen Rahmen gekennzeichnet ist, dann muss sich die Milderung auf die Verschiebung des gesamten Rahmens beziehen. Folglich lässt die Rechtsprechung die Berücksichtigung der weiteren Folgen selbst bei Straf­ rahmenverschiebungen zu.212 Diese haben einen Schuldminderungscharakter und sind nicht präventiv legitimiert. Das spricht gegen eine präventive An­ knüpfung und für einen Schuldbezug der weiteren Folge. Die Rechtsprechung bestimmt den Grund der Berücksichtigung also nicht einheitlich und differenziert anhand der neben die Strafe tretende, weitere Rechtsfolge. Für die Nebenstrafen und Nebenfolgen mit Strafcharakter, also 206  BGHR

StGB § 46 Abs. 1 Schuldausgleich 7, 10, 33, 34. StGB § 46 Abs. 1 Schuldausgleich 2, 10. 208  So BGHR StGB § 46 Abs. 1 Schuldausgleich 33. 209  So ausdrücklich: BGHR StGB § 46 Abs. 1 Schuldausgleich 10. 210  BGHR StGB § 46 Abs. 1 Schuldausgleich 34: „Der Tatrichter darf Freiheits­ strafe und Geldstrafe so miteinander verbinden, daß die Freiheitsstrafe und die Geld­ strafe zusammen das Maß des Schuldangemessenen erreichen.“ [Hervorhebung nicht im Original]. 211  BGHR StGB § 46 Abs. 1 Schuldausgleich 7, 19, 25. 212  BGHSt 35, 148 (149 f.). Weil die Rechtsprechung freilich eine „Gesamtwürdi­ gung von Tat und Täter“ fordert, ist das Ergebnis nicht eindeutig. 207  BGHR



2. Kap.: Die Theorie vom Schuldrahmen

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beispielsweise die Abstimmung von Freiheits- und Geldstrafe, wird eine Be­ einflussung des Schuldrahmens angenommen.213 Der Grund liegt in der Schuldausrichtung der abzustimmenden Sanktionen.214 Nur innerhalb des Schuldrahmens wird die Berücksichtigung dagegen bei den Maßregeln der Besserung und Sicherung (und den sonstigen Folgen ohne Strafcharakter im strafrechtlichen Sinne215) stattfinden. Denn hier geht die Rechtsprechung davon aus, dass selbst die Anordnung einer Maßregel nicht zum Unterschrei­ ten der schuldangemessenen Strafe führen dürfe.216 Findet eine Gesamtabstimmung der Rechtsfolgen in der Rechtsprechung statt, ist die zur (Haupt-)Strafe hinzutretende Nebenstrafe, -folge oder Maß­ regel217 grundsätzlich bestimmt. Das soll heißen, dass das Ausmaß der Be­ lastung für den Straftäter zum Zeitpunkt des Strafurteils prozessual feststell­ bar ist. Das betrifft die zusätzlich zur Freiheitsstrafe hinzutretende Geld­ strafe218 und den  – festzustellenden  – Wert einzuziehender Gegenstände219 als Nebenstrafen. Das gilt ebenso für ein Berufsverbot und die Entziehung der Fahrerlaubnis. Das Berufsverbot ist zeitlich grundsätzlich auf die Dauer von einem bis fünf Jahre beschränkt, § 70 Abs. 1 S. 1 StGB. Und der Entzug der Fahrerlaubnis zieht grundsätzlich eine Sperre von sechs Monaten bis fünf Jahren nach sich, § 69a Abs. 1 S. 1 StGB. Nach der Rechtsprechung sind auch berufsrechtliche Folgen von Straftaten, wie beispielsweise der Aus­ schließung aus der Anwaltschaft, zu berücksichtigen.220 Hier ist die Maß­ nahme an sich zwar (noch) unbestimmt. Die aufgrund einer anwaltlichen Pflichtverletzung möglichen Maßnahmen reichen von einer Warnung, über Geldbuße bis hin zur Ausschließung aus der Anwaltschaft, vgl. § 114 Abs. 1 BRAO. Allerdings wird auf jeden Fall eine Maßnahme verhängt, § 113 Abs. 1 BRAO. Die Einordnung der Schwere der strafbaren Tat ermöglicht 213  BGHSt 41, 20 (25) m. w. N. Im Erg. auch Theune, in: LeipzigerKomm StGB, § 46 Rn. 10; Streng, in: NomosKomm StGB, § 46 Rn. 31; Köhler, Strafrecht AT, S. 600. 214  s. a. Kretschmer, S. 45. 215  Streng, in: NomosKomm StGB, § 46 Rn. 32a f. der diese als „poena naturalis“ bezeichnet. 216  BGHSt 24, 132 (133). Zustimmend: Schäfer / Sander / van Gemmeren, Rn. 433. 217  Die §§ 63, 64 StGB bleiben hier noch außen vor. Auf sie wird eigens einzuge­ hen sein. Siehe unten: 3. Teil 2. Kap. C. VI. 218  BGHR StGB § 46 Abs. 1 Schuldausgleich 34. 219  BGHR StGB § 46 Abs. 1 Schuldausgleich 6, 12, 16, 39; BGH NStZ 1984, 181; 1985, 362. 220  BGHR StGB § 46 Abs. 1 Schuldausgleich 8, 44. Ebenso für Steuerberater BGHR StGB § 46 Abs. 1 Schuldausgleich 22 und Apotheker BGHR StGB § 46 Abs. 1 Schuldausgleich 23. Theune, in: LeipzigerKomm StGB, § 46 Rn. 15 und Fischer, § 46 Rn. 9 m. w. N. zu anderen Berufsgruppen.

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3. Teil: Die Strafzumessung

eine Orientierung innerhalb der zulässigen Sanktionen. Die zu treffende Maßnahme lässt sich somit abschätzen.221 Damit ist auch das Gewicht dieser weiteren Folge grob bestimmt und gewiss. Die zusätzliche Belastung für den Straftäter ist damit im Grundsatz gewiss. Auch verwaltungsrechtliche Neben­ folgen, wie die Beendigung des Beamtenverhältnisses oder der Wegfall der Ruhestandsbezüge, sind nach der Rechtsprechung als den Täter besonders treffende Folge bei der Strafzumessung mildernd zu berücksichtigen.222 Eine Besonderheit besteht nun darin, dass der BGH eine strafzumessungs­ rechtliche Wechselwirkung zulässt, wenn entweder die Anordnung der weite­ ren Rechtsfolge noch nicht erfolgt oder aber durch die Strafzumessungsent­ scheidung sogar vermieden wird.223 Das ist als problematische „widersinnige doppelte Strafmilderung“ bzw. „ ‚Abschaukelung‘ der Rechtsfolgen“ be­ zeichnet worden.224 Für den BGH ergibt es sich recht apodiktisch aus „rechtsstaatlichen Gründen“.225 3. Kritische Beurteilung

Diese Rechtsprechung ist im Allgemeinen und in Bezug auf den vorliegen­ den Untersuchungsgegenstand kritisch zu beurteilen. a) Die Rechtsprechung zur Gesamtabstimmung von Rechtsfolgen überhaupt Das theoretische Fundament der Rechtsprechung zur Gesamtabstimmung von Rechtsfolgen ist nur scheinbar eindeutig. Angeknüpft wird an § 46 Abs. 1 S. 2 StGB und die Wirkungen der Strafe auf den Täter. Damit könnte durchaus die Spezialprävention gemeint sein. Dafür sprechen auch etliche Erwägungen innerhalb der Rechtsprechung. Es geht nämlich vordergründig darum, entsozialierende Wirkungen durch die Strafe zu vermeiden. Das tritt dort offen zu Tage, wo durch die Verhängung einer Geldstrafe neben der Freiheitsstrafe bestimmte Schwellen für letztere nicht überschritten werden 221  Die Bestimmung fällt ins Ermessen des Tatgerichts: BGHSt 35, 148 (150). Nach Terhorst, JR 1989, S. 184 (185) soll dagegen immer von der schwerst mögli­ chen Maßnahme und deren Belastung für den Täter auszugehen sein. 222  BGHSt 35, 148 = BGHR StGB § 46 Abs. 1 Schuldausgleich 10; BGHSt 46, 257 (260); BGHR StGB § 46 Abs. 1 Schuldausgleich 2. 223  BGHSt 35, 148 (150 f.). Im Erg. auch BGH wistra 1982, 225 (226); 1986, 217; 1987, 329; NStZ 1987, 550 (551). 224  Ersteres: Streng, NStZ 1988, S. 485 (485). Letzteres: Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, S. 891. Krit. auch Hörnle, S.  346 f. 225  BGHSt 35, 148 (151).



2. Kap.: Die Theorie vom Schuldrahmen271

sollen. Die gleichen Wirkungen sollen bei der Berücksichtigung berufsrecht­ licher Auswirkungen erzielt werden. Andererseits geht es um die wirkliche Vermeidung einer faktischen Mehrbelastung oder faktischen Doppelbestra­ fung. Das wird deutlich an der strafmildernden Berücksichtigung des Wertes der Einziehung unterliegender Gegenstände, dem Berufsverbot oder der Entziehung der Fahrerlaubnis. Hier verschiebt sich der Fokus der Betrach­ tung. Es steht nicht mehr die Bewertung der Tat nach dem Unrecht im Vor­ dergrund. Es wird vielmehr davon unabhängig mit der Mehrbelastung argu­ mentiert. Die Strafe selbst rückt in das Zentrum der Beurteilung226: Wenn die Strafe zu hart erscheint, wird sie gemildert. Das ist mit der Schuldgebunden­ heit der Strafe in Bezug auf das begangene Unrecht nur schwerlich in Ein­ klang zu bringen und letztlich eine Argumentation, die sich am Verhältnismä­ ßigkeitsprinzip orientiert.227 Damit würde die Schuld als Grund und Begren­ zung der Strafe bedenklich übergangen. Vor dem Hintergrund der Spielraum­ theorie lässt sich diese Rechtsprechung daher nur dann legitimieren, wenn die Berücksichtigung der weiteren Folge als Aspekt der Spezialprävention ausgewiesen wird. Insoweit muss eine Anknüpfung an die Täterpersönlich­ keit im Rahmen von § 46 Abs. 1 S. 2 StGB erfolgen. Denn dann findet die Berücksichtigung lediglich innerhalb des Schuldrahmens und unabhängig von der Schuld statt.228 Die Problematik löst sich auf, wenn man auch § 46 Abs. 1 S. 2 StGB als Ausdruck der Schuldgebundenheit der Strafe sieht und den Gedanken der Resozialisierung des Straftäters, wie es die freiheitsgesetzliche Straftheorie richtigerweise leistet, bereits aus dem Ziel der Wiederherstellung des gestör­ ten Rechtsverhältnisses ableitet. Das nimmt den Zusammenhang zwischen der Delinquenz Einzelner und der gesamtgesellschaftlichen Verantwortung auf und formuliert ihn in den Resozialisierungsanspruch schuldbezogen um. Der Anspruch auf Resozialisierung ist dann auch täterspezifisch. Alle haben gleichermaßen Anspruch auf eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Demzufolge muss aufgrund dieses Anspruchs des Straftäters auf die indivi­ duellen Verhältnisse des Täters eingegangen werden, die sog. Strafempfind­ lichkeit.229 So ist gewährleistet, dass alle Straftäter die Strafe gleichermaßen trifft. Nur so gesehen, ist die Berücksichtigung einer weiteren Folge (straf-) tatbezogen und verletzt das Schuldprinzip nicht. § 46 Abs. 1 S. 2 StGB ist 226  Terhorst, JR 1989, S. 184 (186); Streng, in: NomosKomm StGB, § 46 Rn. 32b, 144. Krit. auch Hörnle, S. 341. 227  So deutlich das Ausgangsgericht bei BGHSt 46, 257 (260): „unangemessen“. 228  Im Erg. auch Terhorst, JR 1989, 184 (185); Streng, NStZ 1988, 485 (487); Bruns, Recht der Strafzumessung, S. 254; Fischer, § 46 Rn. 7 ff.; Stree / Kinzig, in: Schönke-Schröder, § 46 Rn. 70; Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, S. 890. 229  Köhler, Strafrecht AT, S. 599, 603. Im Erg. auch Stahl, S. 155 und 160 f.

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3. Teil: Die Strafzumessung

dann in theoretischer wie praktischer Sicht die Einsicht in die Schuldgebun­ denheit der Strafe.230 b) Die Berücksichtigung lediglich möglicher Folgen als Ausdruck des Zweifelssatzes Im Vergleich mit den zur Gesamtabstimmung herangezogenen Nebenstra­ fen und -folgen sowie einiger Maßregeln hat sich gezeigt, dass diese zum Zeitpunkt des Strafurteils konkret feststehen. Sie sind daher in ihrer Belas­ tungswirkung für das Tatgericht klar erfassbar. Das rechtfertigt es auch, sie auf der Grundlage der Spielraumtheorie in die strafzumessungsrechtliche Gesamtwürdigung einzubeziehen und an sich „schuldausgleichend“ zu be­ rücksichtigen. Als problematisch erwies sich die Berücksichtigung lediglich möglicher Folgen. Die Rechtsprechung hatte das auf „rechtsstaatliche Gründe“ zurückgeführt.231 Fraglich ist jedoch, worin diese rechtsstaatlichen Gründe zu sehen sind. Eine Möglichkeit könnte der Bezug auf das Rechtsstaatsgebot und das im­ manente Verhältnismäßigkeitsprinzip sein. Dann liefe die Argumentation auf die Vermeidung eines unverhältnismäßigen Eingriffs in die Freiheitsrechte des Straftäters hinaus. Das entkoppelt die Betrachtung von der konkreten Un­ rechtsschwere, was im Hinblick auf den Schuldgrundsatz bedenklich ist.232 Es ist bereits dargelegt worden, dass der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zwar die einschlägige verfassungsrechtliche Prüfung ermöglicht, aber nicht zur ein­ fachrechtlichen Bestimmung des Strafmaßes herangezogen werden darf.233 Im Übrigen kann eine wirkliche Verhältnismäßigkeitsprüfung allenfalls hypothe­ tisch vorgenommen werden, weil die Folge noch ungewiss ist. Eine weitere Möglichkeit könnte die Inbezugnahme des Zweifelssatzes, „in dubio pro reo“, sein.234 Auch diesen hat die Rechtsprechung aus dem Rechtsstaatsgebot abgeleitet.235 Dagegen wird er teilweise als Substrat des Schuldgrundsatzes aufgefasst.236 Dann wäre freilich die Schuldrelevanz einer 230  Köhler, Begriff der Strafe, S. 77 f. Im Erg. ebenso: Hörnle, S. 341; Frisch, in: FS Kaiser I, S. 765 (772); Theune, in: LeipzigerKomm StGB, § 46 Rn. 8; Schäfer / Sander / van Gemmeren, Rn. 724. 231  BGHSt 35, 148 (151). Im Erg. zustimmend: Theune, in: LeipzigerKomm StGB, § 46 Rn. 15. 232  Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, S. 891. 233  Siehe oben: 2. Teil 2. Kap. D. II. 3. b) aa). 234  So Terhorst, JR 1989, S. 484 (485). 235  BGHSt 18, 274 (277). Zust. Wolter, S.  44 f. 236  Sax, JZ 1958, S. 178 (179); Stree, In dubio pro reo, S. 15. Dagegen Zopfs, passim. Für Zopfs ist der Zweifelssatz immer dann anzuwenden, wenn eine negative Statusänderung des Beschuldigten in Rede steht: Zopfs, S. 264 und öfter.



2. Kap.: Die Theorie vom Schuldrahmen273

strafzumessungserheblichen Tatsache ausschlaggebend. Würde diese fehlen, könnte der Grundsatz nicht angewendet werden.237 Daneben wird er auch aus dem Verbot der Aufopferung des Einzelnen angesehen, welches das Gericht dazu zwingt sich für die mildere von zwei Folgen zu entscheiden.238 Der Zweifelssatz gilt neben der Schuldfrage auch für die Straffrage und damit für die Strafbemessung. Als Entscheidungsregel setzt er nach hinrei­ chender Amtsaufklärung239 prozessuale Feststellungen zu einer strafzumes­ sungsrechtlich erheblichen Tatsache voraus, die letztlich nicht zur Überzeu­ gung des Gerichts feststeht. Für Strafmilderungsgründe gilt grundsätzlich, dass deren Fehlen bzw. Nichtvorliegen festgestellt werden muss. Nicht aber muss das Vorliegen des Strafmilderungsgrundes positiv festgestellt werden. Das hat Auswirkungen auf die Anwendung des Zweifelssatzes. Denn wenn das Nichtvorliegen des Milderungsgrundes ausschlaggebend ist, dann geht jeder Zweifel zugunsten des Beschuldigten.240 Mit anderen Worten: solange der Strafmilderungsgrund nicht erwiesenermaßen fehlt, ist strafzumessungs­ rechtlich zugunsten des Beschuldigten von seinem Bestehen auszugehen.241 Nach der Rechtsprechung können berufliche Folgen entscheidungsrelevant sein. Sie wären als persönliche Umstände des Beschuldigten, zu denen nach der Rechtsprechung die Strafempfindlichkeit gezählt wird, einzuordnen.242 Es müsste sich dabei um eine Tatsache handeln, die nicht aufklärbar ist. Fraglich ist bereits, ob es sich um eine Tatsache handelt. Eine Tatsache ist ein dem Wahrheitsbeweis zugänglicher Umstand der Wirklichkeit.243 Die berufliche Folge, beruht jedoch auf rechtlichen Wertungen, nämlich der Sub­ sumtion unter die jeweiligen Tatbestände. Rechtsfragen sind aber nicht vom Zweifelssatz erfasst.244 Die für die weitere Folge relevanten Umstände sind jedoch solche, die auch dem strafgerichtlichen Verfahren zugrunde liegen, 237  Hier muss dann letztlich doch wieder auf unbestimmte rechtsstaatliche Grund­ sätze, wie beispielsweise das Verhältnismäßigkeitsprinzip oder Gerechtigkeitserfor­ dernisse, abgestellt werden; siehe beispielsweise Stree, In dubio pro reo, S. 29 ff. Krit.: Zopfs, S. 267. 238  Frisch, in: FS Henkel, S. 273 (281 ff.); Velten, in: SystematischerKomm StPO, § 261 Rn. 80. Im Erg. dürften sich kaum Unterschiede zur Ableitung aus dem Rechts­ staatsprinzip ergeben. 239  Zopfs, S. 273. 240  Zopfs, S. 265 f. und S. 311; Velten, in: SystematischerKomm StPO, § 261 Rn. 91 f. Im Erg. auch Frisch, in: FS Henkel, S. 273 (284 f.). 241  BGHSt 10, 373 (374); Zopfs, S. 310 und Fn. 224 m. w. N. aus der Rspr. A. A. Stree, In dubio pro reo, S. 111 f. 242  Nach der auf den Schuldgrundsatz abstellenden Interpretation des Zweifelssat­ zes müsste dessen Anwendung mangels Schuldrelevanz der persönlichen Verhältnisse i. R.v. § 46 Abs. 1 S. 2 StGB abgelehnt werden. 243  Statt Aller: BVerfGE 90, 241 (247). 244  BGHSt 14, 68 (73); Sander, in: Löwe-Rosenberg, StPO, § 261 Rn. 105.

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3. Teil: Die Strafzumessung

denn die Folge ergibt sich aus dem strafrechtlich relevanten Fehlverhalten. Das rechtfertigt es, zum Zeitpunkt des strafgerichtlichen Urteils feststehende oder zeitgleich verhängte bzw. anzuordnende weitere Folgen zu berücksich­ tigen. Bezüglich lediglich zu erwartender Folgen ist jedoch zu berücksichtigen, dass deren Vorliegen nicht unaufklärbar ist. Sie liegen zum Zeitpunkt der Ent­ scheidung schlicht nicht vor. Eine Ungewissheit darüber besteht nicht, womit auch die Anwendung des Zweifelssatzes ausgeschlossen ist. Eine solche Un­ gewissheit kann sich nur in Bezug auf in die Vergangenheit gerichtete oder gegenwärtige Tatsachen ergeben; etwa, dass nicht aufklärbar ist, ob eine wei­ tere Folge eingetreten ist. Doch darum geht es hier nicht. Es geht hier um künftige Entwicklungen. Das deckt sich im Ergebnis mit der vorherrschenden Auffassung, dass der Zweifelssatz im Rahmen von (günstigen) Prognoseent­ scheidungen nicht, aber bezüglich der dieser zugrundeliegenden Tatsachen sehr wohl gilt:245 Die einer Prognose zugrundeliegenden Tatsachen sind straf­ prozessual ermittelbar. Soweit sie nicht hinreichend festgestellt werden kön­ nen, sind tätergünstige Umstände zugunsten des Beschuldigten zu unterstel­ len, belastende abzulehnen.246 Die Prognose wiederum schließt sich an die Feststellung der erheblichen Tatsachen an. Sie ist eine in die Zukunft gerich­ tete wertende Beurteilung von Wahrscheinlichkeiten. Im Rahmen dieser Beur­ teilung gilt der Zweifelssatz nach herrschender Auffassung nicht. Die Bewer­ tung erfolgt ausschließlich anhand der vorliegenden Wahrscheinlichkeiten. Liegt diese vor, ist von der Rechtsfolge auszugehen, anderenfalls nicht.247 Nach dem hier vertretenen freiheitsgesetzlichen Ansatz ist jede Prognose bereits im Grunde kritisch zu sehen, denn sie setzt die Berechenbarkeit menschliches Verhalten voraus, die so nicht absehbar ist.248 In einem strikt schuldgebundenen Strafrechtssystem sind alle relevanten Umstände vergan­ gen- oder gegenwartsbezogen, seien sie auch zukunftsoffen.249 So gesehen 245  OLG Koblenz NJW 1978, 2043 (2044) [zur Prognose bei § 56 StGB]; Stree, In dubio pro reo, S. 93 ff.; Miebach, NStZ-RR 2015, S. 297 (302); Sander, in: LöweRosenberg, StPO, § 261 Rn. 106 m. w. N.; Pollähne, in: Kammeier, Maßregelvoll­ zugsrecht, B 46 ff. Zweifelnd Velten, in: SystematischerKomm StPO, § 261 Rn. 95. Ausführlich Zopfs, S. 301 ff. der auch eine Geltung für die zugrundeliegenden Tatsa­ chen ablehnt, weil dadurch das Ergebnis verfälscht wird. 246  Schneider, Kriminalprognose, S. 42; Stree, In dubio pro reo, S. 93; Zopfs, S.  304 f. 247  Ausführlich: Schneider, Kriminalprognose, S.  42 ff. s. a. Stree, In dubio pro reo, S. 98; Zopfs, S.  303 m. w. N. 248  So auch Stree, In dubio pro reo, S. 94 f.; Köhler, Strafrecht AT, S. 588 ff.; Ziffer, in: FS Frisch, S. 1077 (1084). 249  Köhler, Strafrecht AT, S. 589, 650 (zur Bewährungsstrafe); ders., in: FS Ja­ kobs, S. 273 (288 f.).



2. Kap.: Die Theorie vom Schuldrahmen275

können weitere Folgen dann Berücksichtigung finden, wenn das „ob“ ihrer Anordnung gewiss ist, sie also an sich zwingend sind und lediglich das „wie“ in Frage steht. Ist die weitere Folge nicht zwingend, kann eine Berücksichti­ gung nicht erfolgen. Das betrifft insbesondere die Fälle, in denen ein beam­ tenrechtliches Verfahren noch nicht durchgeführt wurde und die dort jeweils u. U. anzuordnende Sanktion von der Höhe der Strafe abhängt. Die Rechtsprechung zur (strafmildernden) Berücksichtigung lediglich möglicher, künftiger weiterer Folgen der Straftat bzw. der Verurteilung kann nicht als Ausdruck des Zweifelssatzes anerkannt werden. Auch straftheore­ tisch unterfällt sie der Kritik und ist daher abzulehnen. c) Zur Frage der Wechselwirkung zwischen Strafe und Sicherungsverwahrung als Ausdruck des Zweifelssatzes Es hat sich gezeigt, dass die Gesamtabstimmung der Rechtsfolgen als Aus­ druck der Spezialprävention innerhalb des schuldangemessenen Spielraums erfolgt. Im Bereich der Maßregeln und damit auch der Sicherungsverwah­ rung bleibt die Rechtsprechung auf dem Standpunkt, dass die Gesamtabstim­ mung nicht zum Verlassen des schuldangemessenen Bereichs des gegebenen Spielraums führen darf. Für die Frage der Wechselwirkung zwischen Strafe und Sicherungsverwahrung ergibt sich nun ein differenziertes Bild. Mit dem Strafurteil wird die Unterbringung im Grundfall des § 66 StGB im Tenor le­ diglich angeordnet. Als solche stellt sie eine weitere Folge dar. Diese ist zum Zeitpunkt des Strafurteils gewiss und in ihrem Umfang bestimmt. Letzteres betrifft aber lediglich den Maßregelausspruch, das heißt, die Anordnung an sich. Sie äußert sich als Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Verurteil­ ten250, indem sie  – nach Auffassung der Rechtsprechung  – zum Ausdruck bringt, dass die Gesellschaft es mit einem aufgrund eines Hanges zu erhebli­ chen Straftaten rückfallgefährdeten Menschen zutun hat. Dieser Eingriff hat zweifelsohne erheblichen Charakter. Gewiss steckt darin eine Beschwer des Verurteilten, die es gestattet, diese Maßnahme anzufechten. Insoweit kann sie – nach der Rechtsprechung – strafmildernde Berücksichtigung bei der Strafzumessungsentscheidung auf präventiver Ebene finden. Deren Maß er­ weist sich wiederum als marginal. Denn der Eingriff in das Persönlichkeits­ recht ist nicht im Ansatz mit einem Eingriff in das Freiheitsrecht des Siche­ rungsverwahrten, im Falle des Vollzugs, aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG zu ver­ gleichen. Zwar ist aufgrund der Anordnung der Sicherungsverwahrung 250  Lagodny, S. 98 ff. [zum Eingriffscharakter des Tenors eines Strafurteils], S. 116 ff. [zur Einschlägigkeit des allgemeinen Persönlichkeitsrechts] und S. 287 [zur Übertragung auf die Maßregeln]. Offengelassen von Appel, S. 507 ff. bezüglich der Maßregeln im zweispurigen System; dagegen für Strafen: Appel, S. 492 f.

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3. Teil: Die Strafzumessung

gleichzeitig der Strafvollzug für den Täter belastender, als ohne die Anord­ nung. Durch die Beschränkung von vollzugsöffnenden Maßnahmen wird bereits durch die Anordnung auch in Freiheitsrechte des Straftäters eingegrif­ fen.251 Die Intensität dieses Eingriffs in die Persönlichkeits- und Freiheits­ rechte des Straftäters bleibt aber wiederum hinter dem Eingriff in seine Rechte im Falle der Vollstreckung der Sicherungsverwahrung zurück. Die Rechtsprechung, die auf die Wechselwirkung mit der Anordnung der Unter­ bringung nach § 66 StGB abstellt, wäre daher auf dem Boden der Spielraum­ theorie konsequent. Argumentativ hat die Rechtsprechung diesen Aspekt bisher ausdrücklich – soweit ersichtlich – nicht erwähnt. Viel näher würde es liegen, den insoweit deutlich schwerer wiegenden Vollzug als belastende Folge in die Gesamtabstimmung der Rechtsfolgen in­ nerhalb des Schuldrahmens schuldausgleichend einfließen zu lassen. Denn dieser intensive Eingriff in das Freiheitsrecht aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG stellt die hauptsächliche Belastung des Sicherungsverwahrten dar. Insoweit ist be­ reits zu bedenken, dass die Intensität der Belastung durch die Sicherungsver­ wahrung an die Belastung durch die Strafe nicht nur heranreichen, sondern sogar darüber hinausgehen kann, weil die Vollstreckung an sich unbefristet erfolgt. Eine Berücksichtigung dieser besonderen Belastung lediglich inner­ halb des Schuldrahmens der Strafe wird dem nicht gerecht. Es erscheint un­ angemessen, die unbedingte Freiheitsstrafe nur marginal (um wenige Mo­ nate?) zu mildern und dann eine mehrjährige Sicherungsverwahrung, die ihrer Rechtsnatur nach auch Strafe ist, zu vollstrecken. Letztlich muss vor allem beachtet werden, dass die Vollstreckung zum Zeitpunkt des Strafurteils unge­ wiss, möglicherweise aufgrund einer Entscheidung nach § 67c Abs. 1 StGB nicht erforderlich ist und damit vermieden werden kann. Auf die Vermeidung der Vollstreckung ist auch der Strafvollzug ausgerichtet, § 66c Abs. 1 Nr. 1 lit. b StGB. Der Maßregelvollzug ist keine zwangsläufige Folge der Anordnung bei § 66 StGB. Er ist aber eine mögliche Folge dieser. Fraglich ist daher, ob die Rechtsprechung zur Berücksichtigung weiterer, lediglich möglicher Folgen der Straftat übertragbar ist. Fraglich erscheint bereits, ob es sich bei der Frage des Vollzugs um einen, im Rahmen der Strafzumessungsentscheidung, entscheidungserheblichen Umstand handelt. Denn festzustellen sind die Vor­ aussetzungen der Schuld- und der Straffrage, sowie der Anordnung der Un­ terbringung in der Sicherungsverwahrung, nicht aber die der Vollstreckung der Maßregel. Hier ist zu berücksichtigen, dass zwar die Tatsachen, welche die Vollstreckung gestatten, im Strafurteil nicht festzustellen sind, aber der Vollzug maßgeblich auf den die Anordnung rechtfertigenden Umständen be­ 251  Ausführlich:

3. Teil 2. Kap. D. I. 1.



2. Kap.: Die Theorie vom Schuldrahmen277

ruht. Diese lassen einen Vollzug der Sicherungsverwahrung möglich und plausibel erscheinen. Der Eintritt der weiteren Folge, also des Vollzugs, bleibt aber zum Zeit­ punkt des Strafurteils ungewiss. Es könnte also auf die Anwendung des Zweifelssatzes im Rahmen von strafmildernden Umständen ankommen. Dann müsste es sich um eine relevante Tatsache handeln. Die Frage des Vollzugs der Sicherungsverwahrung ist jedoch eine Prognose. Die Siche­ rungsverwahrung ist nach dem Gesetz zu vollziehen, wenn es deren Zweck noch erfordert, § 67c Abs. 1 und Abs. 2 StGB. Entscheidend dafür ist die Prognose einer Rückfallgefahr.252 Auf eine Prognose ist, wie vorstehend dargestellt, der Zweifelssatz nicht anwendbar.253 Die strafmildernde Berück­ sichtigung des zum Zeitpunkt des Strafurteils noch nicht absehbaren Vollzugs der Sicherungsverwahrung kann daher nicht anhand der Anwendung des Zweifelssatzes gerechtfertigt werden. Das deckt sich im Ergebnis mit dem hier vertretenen straftheoretischen Fundament. Die Berücksichtigung hat zu unterbleiben. 4. Ergebnis

Die Rechtsprechung, die eine Gesamtabstimmung der Rechtsfolgen vor­ nimmt, kann – in toto – nicht in überzeugender Weise auf die Sicherungsver­ wahrung angewandt werden. Berücksichtigungsfähig wäre die Maßregel le­ diglich im schuldangemessenen Rahmen, der nicht verlassen werden darf. Hier wäre zwar an sich die Anordnung strafmildernd berücksichtigungsfähig. Das kann jedoch nur unter straftheoretischer Umformulierung des Resoziali­ sierungsanspruchs des Gefangenen, der dadurch kein verselbständigter prä­ ventiver Aspekt ist, sondern sich aus der Strafgerechtigkeit ableitet, erfolgen. Die schuldrechtliche Umformulierung ermöglicht es sodann, die Anordnung auch in den Fällen mildernd zu berücksichtigen, in denen nach der Recht­ sprechung bisher eine Berücksichtigung unterbleiben musste, weil die Unter­ grenze des Schuldrahmens erreicht war. Der noch ungewisse Vollzug kann als lediglich mögliche Folge keine Berücksichtigung finden. Das gilt sowohl für die differenzierende herrschende Meinung. Denn hier gilt der Zweifels­ grundsatz nicht für den an sich noch ungewissen Vollzug. Selbiges stellt sich aber auch unter dem freiheitsgesetzlichen Ansatz als Ausfluss der die Täter­ persönlichkeit achtenden Strafrechtspflege dar, die dazu zwingt nur vergan­ gene Umstände als Grundlage für die nötigen Feststellungen heranzuziehen.

252  Statt

Aller: Fischer, § 67c Rn. 3. oben: 3. Teil 2. Kap. C. II. 3. b).

253  Siehe

278

3. Teil: Die Strafzumessung

III. Zur Frage der Wechselwirkung in den Fällen des Vorbehalts der Sicherungsverwahrung nach § 66a StGB Soweit ersichtlich ist bisher in keiner Entscheidung eine strafzumessungs­ rechtliche Wechselwirkung zwischen der Strafe und der Sicherungsverwah­ rung für die Fälle des Vorbehalts letzterer nach § 66a StGB angenommen worden. In den Fällen des Vorbehalts ist genauso wie in den Fällen der pri­ mären Anordnung derselben der Vollzug der Sicherungsverwahrung zum Zeitpunkt des Strafurteils ungewiss. Das allein dürfte nach der Rechtspre­ chung die Wechselwirkung nicht ausschließen. Zu beachten ist freilich, dass hier bereits die spätere Anordnung ungewiss ist. Im Unterschied zu den Fäl­ len der primären Anordnung ist daher der Vollzug nur noch möglich, aber keineswegs plausibel oder absehbar. In der Literatur wird  – auf der Grund­ lage der Spielraumtheorie – dagegen weitgehend eine strafmildernde Berück­ sichtigung des Vorbehalts angenommen. Die Begründungen variieren. Teil­ weise wird auf die größere Belastung im Strafvollzug abgestellt. Dadurch, dass die Sicherungsverwahrung wie ein Damoklesschwert über dem Häftling schwebt, erweise sich der Strafvollzug als belastender.254 Größtenteils wird zugunsten des Straftäters die spätere Anordnung unterstellt und damit gleich­ zeitig vom Vollzug der Unterbringung ausgegangen.255 Vereinzelt wird die strafmildernde Berücksichtigung auch abgelehnt, weil die Betroffenen einer primären Anordnung ansonsten besser gestellt wären.256 Teilweise stellen die Argumente auf eine weitere Belastung des Straftäters bereits aufgrund des Vorbehalts ab. Einerseits soll sich der Strafvollzug als belastender erweisen, wenn zugleich der Vorbehalt der Unterbringung ange­ ordnet wurde. Das gibt die Vollzugspraxis im Ansatz richtig wieder. Die besseren Gründe sprechen jedoch dafür, dass in diesen Fällen der Strafvoll­ zug für den Gefangenen nicht intensiver ausfallen darf. Darauf wird noch ausführlich zurückzukommen sein.257 Daneben wird zugunsten des Beschul­ digten von der späteren Anordnung und dem Vollzug ausgegangen. Dieses Argument trifft denselben Einwand des ungewissen Vollzugs und damit der 254  Ullenbruch / Morgenstern,

in: MünchenerKomm StGB, § 66a Rn. 69. in: von Heintschel-Heinegg, StGB, § 66a Rn. 6; wohl auch Sinn, in: SystematischerKomm StGB8, § 66a Rn. 14 und Böllinger / Desseker, in: NomosKomm StGB, § 66a Rn. 40; durchaus krit.: Fischer, § 66a Rn. 9; nahe am Automatismus ei­ ner späteren Anordnung: Stree / Kinzig, in: Schönke-Schröder, § 66a Rn. 14. Entgegen vielfältiger Bezugnahme jedoch noch ausdrücklich offengelassen von Kinzig, NJW 2002, S. 3204 (3207). 256  Rissing-van Saan / Peglau, in: LeipzigerKomm StGB, § 66a Rn. 66 und § 66 Rn. 236. Ablehnend auch Finger, S. 88; Eschelbach, in: Matt / Renzikowski, § 66a Rn. 35. 257  Ausführlich unten: 3. Teil 2. Kap. D. I. 1. d). 255  Ziegler,



2. Kap.: Die Theorie vom Schuldrahmen

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ungewissen Belastung, wie bei der primären Anordnung. Darüber hinaus ist hier bereits die Anordnung an sich ungewiss. Die Rechtsprechung zur Be­ rücksichtigung lediglich möglicher Rechtsfolgen war genauso abzulehnen wie deren Übertragung auf die Sicherungsverwahrung im Bereich der Voll­ zugsfrage. Sie kann daher auch nicht auf diese Konstellation übertragen werden. Das tritt hier deutlicher zutage als bei der primären Anordnung der Sicherungsverwahrung. Denn hier reichen die dem Strafurteil zugrundelie­ genden Tatsachen nicht einmal aus, um die Anordnung zu rechtfertigen. Das heißt, die weitere Folge des Vollzugs kann auch nicht als Ausdruck zweifel­ haft gebliebener strafmildernder Umstände angesehen werden. Im Übrigen handelt es sich um eine Prognose, für die der Zweifelssatz nicht gilt. Soweit die Berücksichtigungsfähigkeit abgelehnt wird, weil es ansonsten zu einer Schlechterstellung im Vergleich zu den Straftätern kommt, gegen­ über denen die primäre Anordnung der Sicherungsverwahrung erfolgt, kann dem Argument auch nicht gefolgt werden. Das läuft auf eine Argumentation am Gleichheitssatz, Art. 3 Abs. 1 GG, hinaus. Dieser findet im Strafzumes­ sungsrecht keine Anwendung258: Probleme würden bereits bei der Feststel­ lung der Vergleichbarkeit der Fälle auftreten.259 Die Vergleichbarkeit unter­ stellt, ließe sich im Nachhinein nicht beurteilen, welches der beiden zu ver­ gleichenden Strafmaße das Richtige ist.260 Aufgrund der individuellen Abur­ teilung darf die Strafpraxis anderer Gerichte nicht ohne weiteres übernommen werden.261 Soweit mit dem Argument darauf abgestellt werden soll, dass es bei den Fällen der primären Anordnung zur Berücksichtigung des Vollzugs der Sicherungsverwahrung als besondere Belastung komme, aber nicht im Fall des Vorbehalts, wäre der Einwand berechtigt. Das wäre eine Ungleich­ behandlung von sachlich gleich gelagerten Fällen ohne sachlichen Grund. Denn in beiden Fällen bleibt der Vollzug ungewiss. Berücksichtigungsfähig wäre dagegen der Eingriff in die Persönlichkeitsund Freiheitsrechte des Beschuldigten durch den Ausspruch des Vorbehalts im Tenor des Strafurteils. Dieser Eingriff ist freilich noch geringer als im Fall der Anordnung. Ihm dürfte kaum schuldausgleichende Wirkung beikom­ men. Daher ist der Umstand zwar tatgerichtlich festzustellen. Ihm kommt aber kaum eine spürbare strafmildernde Wirkung zu. 258  Bruns, Recht der Strafzumessung, S. 199 f.; Meier, Sanktionen, S. 244; Schäfer / Sander / van Gemmeren, Rn. 870; Streng, Sanktionen, Rn. 504. Anders aber die besonderen Ausprägungen nach Art. 3 Abs. 2, Abs. 3 GG: Bruns, Recht der Strafzu­ messung, S. 200 f.; Meier, Sanktionen, S. 244. 259  BGHSt 15, 372 (377); Bruns, Recht der Strafzumessung, S. 199. 260  Bruns, Recht der Strafzumessung, S. 199; Streng, Sanktionen, Rn. 503. 261  BGHSt 1, 183 (184); 28, 318 (324). s. a. BVerfGE 1, 332 (345). Schäfer / Sander / van Gemmeren, Rn. 879.

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3. Teil: Die Strafzumessung

IV. Kritik der Rechtsprechung zur Beschränkbarkeit der Anfechtung in diesem Zusammenhang Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zur Frage der beschränkten Anfechtung des Maßregelausspruchs steht in Zusammenhang mit der Straf­ zumessungstheorie. Fraglich ist, ob sich daraus Rückschlüsse auf die Proble­ matik der Wechselwirkung von Strafe und Sicherungsverwahrung ergeben. Dabei wird zwischen der Rechtslage unter Geltung des Strafschärfungsgrun­ des einer Verurteilung als gefährlicher Gewohnheitsverbrecher und der aktu­ ellen Rechtslage zu unterscheiden sein. 1. Die Rechtsprechung zu §§ 20a, 42e StGB a. F.

Das Reichsgericht war von einer Untrennbarkeit von Straf- und Maßregel­ ausspruch für die Fälle der Anordnung und der unterlassenen Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung aufgrund eines inneren Zusammenhangs beider rechtlicher Fragen ausgegangen.262 Zu den Entscheidungszeitpunkten war die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 42e StGB freilich an eine Ver­ urteilung als gefährlicher Gewohnheitsverbrecher geknüpft und diese stellte wiederum einen Strafschärfungsgrund nach § 20a StGB dar. Dabei hat das Reichsgericht tatgerichtliche Urteile als rechtsfehlerhaft bemängelt, wenn eine Strafe im Hinblick auf die nicht angeordnete Sicherungsverwahrung zu hoch bemessen war, nach heutiger Wendung also der „Spielraum“ schuldan­ gemessenen Strafens überschritten wurde.263 Diese Rechtsprechung hat der Bundesgerichtshof bereits zur alten Rechtslage nicht fortgeführt. Aufgrund des grundsätzlichen Nebeneinanders von Strafe und Sicherungsverwahrung wurde eine getrennte Anfechtung befürwortet, wenn die Strafe unabhängig von der Unterbringung bemessen wurde. Ein notwendiger Zusammenhang wurde jedenfalls verneint und eine Wechselwirkung im Regelfall ausge­ schlossen.264 Der BGH ging folglich ursprünglich davon aus, dass eine Be­ rücksichtigung der anzuordnenden Sicherungsverwahrung keine Notwendig­ keit ist. Dagegen beschränkte er sich, wie vor ihm auch das Reichsgericht, auf die Aufhebung auch des Strafausspruchs, wenn die Strafe nach heutiger Wendung nicht mehr schuldangemessen war.265 Aufgrund des dargestellten Zusammenhangs zwischen der Straf- und der Maßregelfrage266 ist es richtig, mit dem Reichsgericht von einem logischen 262  RGSt

73, 81 (83); 70, 127 (128); 68, 385 (386 f.). 73, 81 (83). 264  BGHSt 7, 101 (103). 265  BGH NJW 1968, 997 (998). 266  Siehe oben: 3. Teil 2. Kap. B. I. 2. 263  RGSt



2. Kap.: Die Theorie vom Schuldrahmen

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Zusammenhang der beiden Institute zu sprechen. Die Feststellungen und Bewertungen laufen hier zwingend parallel. Wenn festgestellt wurde, dass es sich bei dem Beschuldigten um einen gefährlichen Gewohnheitsverbrecher handelt, konnte die Strafe geschärft werden. Nur unter der Prämisse der Fest­ stellung des Vorliegens von § 20a StGB konnte aber auch eine Sicherungs­ verwahrung angeordnet werden. Zumindest für die Fälle des § 20a Abs. 1 StGB war dieser Zusammenhang obligatorisch. Für die Fälle des §20a Abs. 2 StGB bestand die Strafschärfung zwar nur fakultativ. Die Feststellungen mussten aber auch hier getroffen werden.267 Damit war dieser logische Zu­ sammenhang auch in dem Fall gegeben. Umso mehr verwundert es, wenn der Bundesgerichtshof dann zur damali­ gen Rechtslage diesen „engen inneren Zusammenhang“ grundsätzlich ver­ neint und das Nebeneinander von Strafe und die diese ergänzende Siche­ rungsverwahrung betont. Der Bundesgerichtshof stellt zur Begründung auf den vorrangigen Strafvollzug und die speziellen Regeln zum Vollzug ab. Er betont lediglich, dass es dem Angeklagten frei stehen müsse, lediglich die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung anzufechten, wenn ihm die ­Anfechtung (auch) des Strafausspruchs aussichtslos erscheint.268 Das kann letztlich nur vor dem Hintergrund einer zum damaligen Zeitpunkt fehlenden Regelung zur Strafzumessung und der damals noch häufig undurchsichtigen Bemessung der Strafe erhellen. Unter diesem Aspekt konnte es ihm tatsäch­ lich nicht zugemutet werden, auch den Strafausspruch anzufechten. So wäre die tatgerichtliche Neubewertung häufig ein „unnützer Leerlauf“269 gewe­ sen. 2. Die Rechtsprechung zu §§ 46, 66, 66a StGB

Nach Einführung des § 13 StGB a. F. bzw. § 46 StGB und dem Fortfall des Strafschärfungsgrundes des § 20a StGB, hat der Bundesgerichtshof diese Rechtsprechung zur beschränkten Anfechtbarkeit des Maßregelausspruchs fortgeführt. Das heißt, er hat zwar keinen logischen Zusammenhang zwi­ schen Strafbemessung und (Nicht-)Anordnung der Unterbringung nach § 66 StGB angenommen. Aber er hat grundsätzlich eine Untrennbarkeit angenom­ men, wenn sie sich im Einzelfall nicht ausschließen ließ.270 Dagegen hat der BGH in neuerer Zeit einen Perspektivenwechsel vorgenommen. Er lehnt in neueren Entscheidungen eine Wechselwirkung zwischen der Strafe und der 267  RGSt

68, 385 (386). Offengelassen von RGSt 68, 295 (296). 7, 101 (103). 269  BGHSt 7, 101 (103). Krit. auch Frisch, in: SystematischerKomm StPO, § 344 Rn. 26. 270  BGH NJW 1968, 997 (998); GA 1974, 175 (177). 268  BGHSt

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3. Teil: Die Strafzumessung

Sicherungsverwahrung immer häufiger grundsätzlich ab und beschränkt die Untrennbarkeit auf Ausnahmefälle.271 Nach der Rechtsprechung ist es dabei bereits ausreichend, wenn sich die Wechselwirkung im Einzelfall nicht aus­ schließen lässt.272 Allerdings nennt der BGH kaum Kriterien, nach welchen sich die Ausnahmefälle bestimmen. Die von allen neueren Entscheidungen genannte Entscheidung des BGH stellt erstens auf ein Einhalten des schuld­ angemessenen Rahmens ab und fordert zweitens, dass die Strafe vom Tatge­ richt insgesamt nicht niedriger bemessen worden sein könnte.273 3. Beurteilung

Die tatgerichtliche und die revisionsrechtliche Rechtsprechung sind nicht aufeinander abgestimmt. Während von den Tatgerichten fast ausnahmslos eine Wechselwirkung angenommen wird, postulieren die Revisionsgerichte nunmehr die grundsätzliche Trennung. Dabei war die Rechtsprechung lange Zeit auch vor dem Hintergrund einer geänderten Gesetzeslage schwankend. Die revisionsrechtliche Sicht kommt der Trennung von Strafe und Siche­ rungsverwahrung im zweispurigen System näher. Die tatgerichtliche Recht­ sprechung ist dagegen an den praktischen Bedürfnissen der verurteilten Straftäter, eine übermäßige Belastung zu vermeiden, ausgerichtet. Die Prob­ lematik wird durch die beschränkte revisionsrechtliche Kontrolle der Strafzu­ messungsentscheidung des Tatgerichts durch die Revisionsgerichte und die relativ unbestimmte Rechtsprechung zur Gesamtabwägung aller relevanten Umstände verdeckt. Außerdem leidet die Rechtsprechung an ihren formelhaft bleibenden, allgemeinen Aussagen. Richtigerweise können lediglich die An­ ordnung bzw. der Vorbehalt an sich berücksichtigt werden, während der Vollzug unberücksichtigt bleiben muss. Insoweit besteht eine Wechselwir­ kung, nicht nur im Grundsatz, sondern im strikten Sinne. Diese ist marginal und würde sich, jedenfalls auf der Grundlage der Spielraumtheorie, im Rah­ men des Schuldangemessenen halten. Auf der Grundlage des freiheitsgesetz­ lichen Ansatzes ist der Schuldbezug freilich stets gewahrt, der Effekt aber genauso gering. Die Strafen werden damit stets geringer ausfallen, als ohne die Anordnung bzw. den Vorbehalt. Die bisher schwankende revisionsrechtliche Rechtsprechung ist zu korri­ gieren. Eine Wechselwirkung zwischen der Anordnung bzw. dem Vorbehalt 271  BGH NStZ-RR 2008, 336 (337); NStZ 2007, 212 (213); NJW 2000, 3015 (3016); NJW 1996, 3018 (3019 insoweit in BGHSt 42, 191 nicht abgedruckt); NStZ 1994, 280 (281) = BGHR § 66 StGB Strafausspruch 1. 272  BGHR § 66 Abs. 1 StGB Gefährlichkeit 1 und 2, Hang 3; NJW 1980, 1055 (1056); wistra 1988, 22; NStZ 2002, 535 (536); NStZ-RR 2007, 10 (11). 273  BGHR § 66 StGB Strafausspruch 1.



2. Kap.: Die Theorie vom Schuldrahmen

283

der Unterbringung nach §§ 66, 66a StGB und der Strafe besteht – schuldver­ mittelt – in jedem Fall. V. Kritik der Berücksichtigung der Wechselwirkung nur bei der Gesamtstrafenbildung bzw. auch bei der Einzelstrafenbildung Uneinheitlich ist auch die Rechtsprechung zur Berücksichtigung der Wech­ selwirkung bei der Strafzumessung. Urteile des Bundesgerichtshofs halten diese einerseits bei der Gesamtstrafenbildung274, andererseits sowohl bei der Einzel- als auch der Gesamtstrafenbildung275 für erforderlich. In der Folge variiert, wie dargelegt, auch die Rechtsprechung der Ausgangsgerichte.276 Auf den ersten Blick erscheint eine Berücksichtigung sowohl bei der Ein­ zel- als auch der Gesamtstrafenbildung einsichtig. Die Einzelstrafenbildung vollzieht sich nach Feststellung der zumessungsrelevanten Umstände durch deren Bewertung und Abwägung. Dabei sind nach der Spielraumtheorie die präventiven Aspekte zu berücksichtigen. Mithin wäre bereits bei der Einzel­ strafenbildung der gegebenen Wechselwirkung Rechnung zu tragen. Dieser Aspekt würde dann bei der Gesamtstrafenbildung erneut Berücksichtigung finden. Denn die Gesamtstrafenbildung ist ein selbständiger Strafzumes­ sungsvorgang, welcher die Berücksichtigung der bereits bei der Einzelstra­ fenbildung bewerteten Umstände ermöglicht.277 Problematisch wird diese Vorgehensweise jedoch dann, wenn das der Anordnung oder dem Vorbehalt der Unterbringung nach §§ 66, 66a StGB zugrundeliegende Strafurteil nicht alle Anlasstaten aburteilt. Eine Anordnung der Sicherungsverwahrung ohne frühere Verurteilung lässt §§ 66 Abs. 2, Abs. 3 S. 2 StGB zu. Den Vorbehalt ohne frühere Verurteilung gestattet §§ 66a Abs. 1, Abs. 2 StGB. Die Anknüp­ fung an mehrfache Verurteilungen ist jedoch der Regelfall, vgl. §§ 66 Abs. 1, 66a Abs. 1 StGB. In diesem Zusammenhang ergeben sich mehrere Zufälligkeiten. Eine Be­ rücksichtigung bei der Zumessung aller Einzelstrafen ist nur bei gemeinsa­ mer Verurteilung möglich. Sobald eine getrennte Verurteilung erfolgt, ist eine Berücksichtigung nur noch bei der oder den nun abgeurteilten letzten Einzelstrafe(n) möglich. Auch die Berücksichtigung bei der Gesamtstrafen­ bildung ist nur bei gleichzeitiger Aburteilung aller Anlasstaten voll möglich. Hier wird zwar durch die Zulässigkeit der Bildung einer nachträglichen Ge­ samtstrafe nach § 55 StGB und der Gestattung eines Härteausgleichs, wenn 274  BGH

NJW 2002, 535 (536). NJW 1980, 1055 (1056); wistra 1988, 22; NStZ-RR 2007, 10 (11). 276  Siehe oben: 3. Teil 2. Kap. B. I. 3. c). 277  BGHSt 24, 268 (269 f.). 275  BGH

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3. Teil: Die Strafzumessung

die Vollstreckung bereits stattgefunden hat,278 eine gewisse Korrektur durch eine Berücksichtigung der Wechselwirkung insoweit ermöglicht. Die ur­ sprünglich verhängte Gesamtstrafe wird aufgehoben, während die Einzelstra­ fen bestehen bleiben.279 Ihre Grenzen findet die Anwendung jedoch in der von § 55 Abs. 1 StGB vorausgesetzten Zäsurwirkung280, also dem Maßstab, dass bei gleichzeitiger Aburteilung eine Gesamtstrafenbildung möglich ge­ wesen wäre. Im Extremfall enthält das die Sicherungsverwahrung anordnende oder vorbehaltende Strafurteil eine einzige Straftat, die nicht gesamtstrafen­ fähig ist. Dann erfolgt die strafmildernde Berücksichtigung lediglich bei dieser Einzelstrafenbemessung. Im Einzelfall kann die Berücksichtigung aufgrund der Tatmodalitäten sogar ausgeschlossen sein, wenn auch ohne die Berücksichtigung der Sicherungsverwahrung eine Strafe bereits am unteren Ende des schuldangemessenen Rahmens oder gesetzlichen Strafrahmens ge­ boten ist.281 Dagegen wäre, bei der Aburteilung von drei Anlasstaten im Strafurteil und der gleichzeitigen Anordnung der Sicherungsverwahrung, eine vierfache Strafmilderung (dreimal bei den Einzelstrafen und einmal bei der Gesamtstrafe) möglich. Dass es hier zu erheblichen Abweichungen im Strafmaß durch die zufällige Aburteilung kommt, ist offensichtlich und wird lediglich durch die Unbestimmtheit der Quantität im Einzelfall kaschiert. Diese Unwägbarkeiten sind aber weder durch eine Beschränkung auf die Berücksichtigung bei der Gesamtstrafenbildung noch bei einer zweifachen Berücksichtigung innerhalb des Strafzumessungsvorgangs auszuschließen. Sie können auch bei einer Umformulierung in schuldstrafrechtlich relevante Kategorien auf der Basis des freiheitsgesetzlichen Ansatzes nicht vermieden werden. Hier erfolgt die Berücksichtigung zwar losgelöst von etwaigen prä­ ventiven Aspekten und damit grundsätzlich sowohl bei der Einzel- als auch bei der Gesamtstrafenbildung. Immerhin zu weniger zufälligen Ergebnissen würde eine Beschränkung der Wechselwirkung auf die Gesamtstrafenbildung führen. Denn aufgrund der Möglichkeit der nachträglichen Gesamtstrafenbil­ dung bzw. des Härteausgleichs kann hier noch eine Berücksichtigung bereits abgeurteilter Straftaten erfolgen. Die Einzelstrafen würden bestehen bleiben. Deswegen sollte bei diesen die Wechselwirkung nicht angenommen werden. Das wiederum ist mit den Vorgaben der Spielraumtheorie, insbesondere der erforderlichen Abwägung, schwer in Einklang zu bringen. Denn diese wird auch bei der Einzelstrafenbildung gefordert. Und im Extremfall der Aburtei­ lung einer einzelnen, nicht gesamtstrafenfähigen, Straftat bliebe dann gar kein Raum für die Annahme einer Wechselwirkung. Das wäre freilich kein 278  Fischer,

§ 55 Rn. 21 ff. § 55 Rn. 15, 17. 280  Fischer, § 55 Rn. 9 ff. 281  Siehe oben: 3. Teil 2. Kap. C. I. 2. a). 279  Fischer,



2. Kap.: Die Theorie vom Schuldrahmen

285

praktikables Ergebnis, sodass die Beschränkung der Berücksichtigung bei der Gesamtstrafenbildung nur dann gilt, wenn nicht im Einzelfall lediglich eine Einzelstrafe zu bemessen ist. Das regeln §§ 53 Abs. 4, 52 Abs. 4 S. 2 StGB. Danach ist die Anordnung einer Nebenstrafe, Nebenfolge oder Maß­ nahme entweder an die Gesamtstrafe, oder bei einem Fehlen dieser, an die Einzelstrafe zu knüpfen. Demzufolge ist beispielsweise ein Fahrverbot nach § 44 StGB als Nebenstrafe nur auf die Gesamtstrafe bezogen, unabhängig davon, wie viele Einzelstrafen dem Urteil zugrunde liegen.282 Dasselbe gilt grundsätzlich auch für die Einziehung als Nebenstrafe.283 Das muss dann auch für die Maßregel der Sicherungsverwahrung als Maßnahme i. S. v. § 11 Nr. 8 StGB gelten. Die Rechtsprechung, die eine Beschränkung auf die Gesamtstrafenbemes­ sung vornimmt, findet eine weitere Stütze im Gesetz. Nach § 55 Abs. 2 S. 1 StGB i. V. m. § 55 Abs. 1 StGB sind Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maß­ nahmen aufrechtzuerhalten, wenn nachträglich eine Gesamtstrafe gebildet wird. Die nachträgliche Gesamtstrafe wird unter Auflösung der vormals er­ gangenen Gesamtstrafe, aber unter Aufrechterhaltung der damals gebildeten Einzelstrafen neu bemessen. § 55 Abs. 2 S. 1 StGB ist damit zu entnehmen, dass, obwohl die Gesamtstrafe aufgehoben wird, unter anderem die Maßre­ gelanordnung grundsätzlich aufrechtzuerhalten ist und nicht neu angeordnet werden darf.284 Dieser Regelung bedürfte es nicht, wenn die Anordnung nicht an die Gesamtstrafe geknüpft wäre. Unmittelbar folgt daraus zwar le­ diglich, dass die Anordnung an die Gesamtstrafe geknüpft ist. Nicht aus­ drücklich ergibt sich ein fehlender Bezug zur Einzelstrafenbildung. Dass die Einzelstrafen in diesen Fällen aber bestehen bleiben, deutet darauf hin, dass ihre Bemessung unabhängig von einer Maßregelanordnung erfolgt. Demzu­ folge ließe sich schon annehmen, dass die Wechselwirkung zwischen Strafe und Sicherungsverwahrung lediglich bei der Gesamtstrafenbildung, oder wenn diese Möglichkeit nicht gegeben ist, im Ausnahmefall bei der Bemes­ sung der Einzelstrafe vorzunehmen ist. Dass das Ergebnis richtig ist, wird straftheoretisch durch die Einsicht vermittelt, dass die Sicherungsverwah­ rung, die ihrer Rechtsnatur nach Strafe ist, Ausdruck der habituellen Delin­ quenz des Straftäters ist. Sie ist nicht Ausdruck der jeweils einzelnen Tat, sondern aller Taten. Damit ist sie das Ergebnis der gesamten habituellen Schuld. Daher muss sie im Grundsatz an die Gesamtstrafe geknüpft sein. Die Rechtsprechung lässt jedenfalls eine gleiche Vorgehensweise in allen Fällen nicht zu. Vielmehr ist ihr Ergebnis durch Zufälligkeiten geprägt. Das Strafmaß kann dadurch mitunter sehr unterschiedlich ausfallen und entspricht 282  OLG

Thüringen NStZ-RR 2005, 276 (277). StGB § 46 Abs. 1 Schuldausgleich 39. 284  Fischer, § 55 Rn. 29 m. w. N. 283  BGHR

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3. Teil: Die Strafzumessung

folglich nicht in allen Konstellationen dem besonderen Resozialisierungsinte­ resse des Gewohnheitstäters. Die Rechtsprechung, die die Berücksichtigung lediglich bei der Gesamtstrafenbildung vornehmen will, geht dabei in die richtige Richtung. VI. Kritik aus der Sicht der Rechtsprechung zu den §§ 63, 64 StGB im vikariierenden System Die Rechtsprechung zur Wechselwirkung zwischen Strafe und Sicherungs­ verwahrung gilt es abschließend im Hinblick auf die Rechtsprechung zu §§ 63, 64 StGB und dem dortigen Umgang mit der Problematik der Wechsel­ wirkung zwischen der Strafe und einer Maßregel zu untersuchen. Diese Rechtsprechung steht wiederum im Zusammenhang mit dem vikariierenden System nach § 67 StGB, welches im Anschluss daran dargestellt wird. Wie gezeigt werden soll, ergeben sich daraus für die hier zu untersuchende Prob­ lematik der Wechselwirkung zwischen Strafe und Sicherungsverwahrung wichtige Folgerungen. 1. Die Rechtsprechung zu §§ 63, 64 StGB

Die Maßregeln der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt können ebenso wie die Sicherungsverwahrung nach der geltenden Rechtslage neben der Strafe ange­ ordnet werden.285 Im Fall des § 63 StGB setzt das zwingend das Vorliegen von verminderter Schuldfähigkeit beim Straftäter voraus. Dagegen muss dieser Zustand bei § 64 StGB nicht erreicht sein, kommt jedoch dennoch regelmäßig in Betracht. Ein Vergleich mit der Rechtsprechung zu diesen beiden freiheitsentziehenden Maßregeln ist deshalb angezeigt, weil es sich bei der verminderten Schuldfähigkeit nach § 21 StGB nicht um eine von der Schuldfähigkeit kategorial verschiedene Schuldform handelt. Es gibt keine (Schuld-)Trias i. S. v. Schuldunfähigkeit, verminderter Schuldfähigkeit und voller Schuldfähigkeit. Es gibt nur zwei Kategorien: Schuldunfähigkeit und Schuldfähigkeit.286 Innerhalb Letzterer kann die Feststellung des Vorliegens verminderter Schuldfähigkeit eine Strafrahmenverschiebung nach § 49 StGB 285  Zur straftheoretischen Umformulierung und Aufhebung in der Strafgerechtig­ keit, sofern sie sich nicht auf im Zustand der Schuldunfähigkeit begangene Straftaten beziehen: Köhler, Strafrecht AT, S. 675 ff. Die folgende Darstellung geht dagegen von der geltenden Gesetzeslage aus. 286  Schöch, in: LeipzigerKomm StGB, § 21 Rn. 1; Streng, in: MünchenerKomm StGB, § 21 Rn. 9; Schild, in: NomosKomm StGB, § 21 Rn. 4; Rudolphi, in: Systema­ tischerKomm StGB, § 21 Rn. 5; Perron / Weißer, in: Schönke-Schröder, § 21 Rn. 1. Im Grundsatz auch: Köhler, Strafrecht AT, S. 379.



2. Kap.: Die Theorie vom Schuldrahmen

287

gebieten, § 21 StGB. Sie ist deshalb ein Schuldminderungsgrund und eine Strafzumessungsregel.287 Diese Maßregeln können gegenüber Straftätern neben der Strafe angeord­ net werden. Sie setzen dann die Schuldfähigkeit der Täter voraus. Bezüglich dieser liegt nur ein gradueller, nicht ein qualitativer Unterschied vor. An diesen kann eine Maßregel geknüpft sein. So liegt der Fall bei § 63 StGB, welcher zwingend die verminderte Schuldfähigkeit des Täters voraussetzt. Sie muss aber nicht daran anknüpfen. Im Rahmen von § 64 StGB und § 66 StGB kann die Anordnung auch erfolgen, wenn der Täter voll schuldhaft handelt. a) Wechselwirkung zwischen Strafe und Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus Die Unterbringung nach § 63 StGB erfolgt, wenn der Täter eine rechtswid­ rige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit oder verminderten Schuldfähigkeit begangen hat und eine Gesamtwürdigung seiner Tat und seiner Person erge­ ben, dass infolge des genannten Zustandes von ihm erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er aufgrund einer Rückfallgefahr für die Allge­ meinheit gefährlich ist. Die Sicherungsverwahrung und die Unterbringung in einem psychiatri­ schen Krankenhaus unterscheiden sich phänomenologisch im Detail. Die Anordnung ersterer ist auch bei voller Schuldfähigkeit des Täters zulässig, während die Anordnung letzterer in diesem Fall ausgeschlossen ist. Im Be­ reich der verminderten Schuldfähigkeit, kann es daher zu Überschneidungen im Anwendungsbereich beider kommen, die grundsätzlich auch ein Nebenei­ nander der Unterbringungen nach §§ 63 und 66 StGB rechtfertigen. Sie können neben der Strafe angeordnet werden. Beide Maßregeln zielen auf die Besserung und Sicherung des Straftäters ab. Es besteht daher Identität in den Aufgaben. Letztlich sind sowohl die Unterbringung nach § 63 StGB als auch die Unterbringung nach § 66 StGB unbefristet anzuordnen. Die drohenden Freiheitsentziehungen sind daher in ihrem Ausmaß vergleichbar. aa) Rechtsprechung zu § 63 StGB Es ist ständige Rechtsprechung zu § 63 StGB, das eine Wechselwirkung zwischen der Anordnung der Maßregel und dem Schuldspruch besteht. Das ist vor allem von revisionsrechtlicher Bedeutung. Hier sind verschiedene Konstellationen zu unterscheiden. Sind die Feststellungen zur verminderten 287  Krit.

in Bezug auf diese Beschränkung Köhler, Strafrecht AT, S. 382, 387.

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3. Teil: Die Strafzumessung

oder ausgeschlossenen Schuldfähigkeit, also §§ 20, 21 StGB, fehlerhaft, dann kann die Nichtanordnung der Unterbringung nicht von der Revision ausge­ nommen werden. Denn beide stehen hier nach Auffassung der Rechtspre­ chung in einem untrennbaren Zusammenhang.288 Sind die Feststellungen zur Schuld(un)fähigkeit dagegen nicht zu beanstanden, kann die Revision nach der Rechtsprechung auch auf die im Urteil unterbliebene Anordnung beschränkt werden.289 Auch zwischen der Straffrage und der Anordnung der zusätzlich angeord­ neten Maßregel ergeben sich nach der Rechtsprechung Wechselwirkungen. So hat der BGH entschieden, dass die Anordnung der Unterbringung nach § 63 StGB nicht unabhängig von der Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 StGB entschieden werden kann, die Aufhebung des Strafausspruchs in diesem Fall der Anordnung vielmehr die Grundlage entziehe.290 Gleiches gilt auch bei ansonsten fehlerhaften Feststellungen zur verminderten Schuld­ fähigkeit.291 Der Bundesgerichtshof hat der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus eine in Bezug auf die Strafe grund­ sätzlich mildernde Wirkung ausdrücklich zuerkannt.292 Eine nähere Begrün­ dung lässt sich der Entscheidung jedoch nicht entnehmen. bb) Würdigung Es hat sich gezeigt, dass die Rechtsprechung eine Wechselwirkung im Bereich der Strafzumessung annimmt. Parallel zur Frage der Maßregelanord­ nung ist bei der Anordnung nach § 63 StGB stets das Maß der Schuld des Täters betroffen, denn jene setzt die verminderte Schuldfähigkeit voraus. Und die verminderte Schuldfähigkeit ist ein Schuldminderungsgrund. Die Wechselwirkung betrifft im Rahmen von § 63 StGB durch diese Rückkoppe­ lung an das Maß der Schuld des Täters einerseits bereits die Einordnung der 288  BGHSt 5, 267 (268); 46, 257 (260 f.); BGH NStZ-RR 2003, 18 (18 f.); 2013, 239 (240); BGH bei Becker, NStZ-RR 2006, 1 (5). Problematisch BGHSt 15, 279 (285): Aufhebung der Feststellungen „mit Ausnahme der zum Schuldspruch festge­ stellten Tatsachen“ und Erfordernis erneuter Feststellungen zur „beschränkten Zu­ rechnungsfähigkeit des Angeklagten“ in neuer Hauptverhandlung; bestätigt durch BGH NJW 1963, 1414 (1414 f.). Krit.: Schöch, in: LeipzigerKomm StGB, § 63 Rn. 199. Ersteres legt eine Trennung nahe, weil kein  – weitergehender  – logischer Zusammenhang besteht. Letzteres konterkariert das unverständlicherweise wieder. Dagegen interpretiert Schild, in: NomosKomm StGB, § 21 Rn. 33 das Merkmal in § 21 StGB unabhängig von dem in § 63 StGB, was obige Rechtsprechung erklären könnte. 289  BGHSt 5, 267 (268); BGH NStZ 1982, 483; 1995, 609 (610). 290  BGH StV 2004, 651 (651 f.). 291  BGHSt 46, 257 (260). 292  BGH NStZ-RR 2012, 139 (140).



2. Kap.: Die Theorie vom Schuldrahmen

289

Tat in den Strafrahmen nach ihrer Schwere (und gegebenenfalls die Strafrah­ menverschiebung). Damit beeinflusst sie nach der Rechtsprechung die Aus­ richtung des Schuldrahmens an sich. Das ist im Rahmen von § 66 StGB nach der Rechtsprechung ausgeschlossen. Hier fehlt der Maßregelanordnung nach der Rechtsprechung ein derartiger Bezug. Die Rückkoppelung an das Maß der Schuld ergibt sich bei der zusätzlich zur Strafe erfolgenden Anordnung nach § 63 StGB dagegen automatisch, denn sie ist im Falle der strafergän­ zenden Anordnung stets an das Vorliegen des Schuldminderungsgrundes nach § 21 StGB geknüpft. Zieht man nun in Betracht, dass es im Anwen­ dungsbereich von § 63 StGB und § 66 StGB zu Überschneidungen kommen kann, wenn das Vorliegen von § 21 StGB festgestellt wird und bedenkt man außerdem, dass die verminderte Schuldfähigkeit keine eigene Kategorie ist, dann liegt es nahe, dass sich in die Wechselwirkung zwischen der Strafe und der Sicherungsverwahrung jedenfalls in den Fällen des § 21 StGB auch auf die Schuld beziehen müsste; ein Ergebnis, dass ihrer hier vertretenen straf­ theoretischen Begründung entspricht. Eine zweite Beeinflussung des Strafmaßes könnte sich innerhalb des Spielraums ergeben. Die Rechtsprechung war hierzu nicht eindeutig. Der Anordnung wurde zwar eine allgemein strafmildernde Wirkung zugeschrie­ ben. Das könnte argumentativ auf vorstehend dargestellte Schuldrelevanz hinauslaufen. Diese allgemeinen Aussagen fanden sich aber auch zu § 66 StGB häufiger in den Strafurteilen. Dort bezogen sie sich auf eine Wechsel­ wirkung innerhalb des Schuldrahmens. Aufgrund der Identität der Funktionen von Sicherungsverwahrung und der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus wäre es auch im Rahmen von § 63 StGB möglich, dass die letztere diese Straffunktionen übernimmt. Deswegen ist es wahrscheinlich, dass die Rechtsprechung auch ausdrücklich auf die strafmildernde Wirkung der Funktionsübernahme im Bereich der Spezialprävention abstellen wür­ de.293 Nicht eindeutig ist das Verhältnis der revisionsrechtlichen Rechtsprechung zu eben dargestellter Rechtsprechung zur Strafzumessungsentscheidung des Tatrichters. Denn revisionsrechtlich hat der BGH die Beschränkung der Re­ vision auf die (beantragte) Anordnung zugelassen. Im Bereich der Rechtspre­ chung zu § 66 StGB war das die klassische Konstellation zur Berücksichti­ gung einer strafmildernden Wechselwirkung: im Hinblick auf die unterblie­ bene Anordnung konnte  – aus Sicht des Revisionsgerichts  – im Nachhinein nicht ausgeschlossen werden, dass die Strafe milder ausgefallen wäre, wenn die Sicherungsverwahrung angeordnet worden wäre. Das wäre auf der Grundlage der Spielraumtheorie auch im Rahmen der Rechtsprechung zu § 63 StGB zu erwarten gewesen. Stattdessen blieb die Aufhebung der Ent­ 293  Im

Erg. ebenso Schöch, in: LeipzigerKomm StGB, § 63 Rn. 155.

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3. Teil: Die Strafzumessung

scheidung über die Nichtanordnung der Maßregel aber regelmäßig unabhän­ gig vom Schuld- und Strafausspruch. Das setzte die Richtigkeit der Feststel­ lungen zur verminderten Schuldfähigkeit voraus. Dann dürfte aber kein weitergehender Zusammenhang zwischen der Schuldfrage und der Maßregel­ anordnung vorliegen. Ein logischer Zusammenhang, unabhängig von Schuld­ relevantem, müsste verneint werden. Dadurch wird nahegelegt, dass die Wechselwirkung sich nur auf den Bereich der Schuld bezieht. Eine Wechsel­ wirkung im Hinblick auf die Übernahme von präventiven Strafzwecken wäre ausgeschlossen. In Anbetracht der Spielraumtheorie wäre das inkonsequent, auf der Grundlage der freiheitsgesetzlichen Theorie konsequent und richtig. Möglicherweise liegt die Begründung im vikariierenden System. Darauf wird noch eigens einzugehen sein.294 b) Wechselwirkung zwischen Strafe und Unterbringung in einer Entziehungsanstalt Wenn jemand aufgrund einer Abhängigkeit von berauschenden Mitteln rechtswidrige Taten begeht und deswegen die Gefahr besteht, dass er weitere erhebliche Taten begehen wird, erfolgt die Unterbringung in einer Entzie­ hungsanstalt nach § 64 StGB. Die Maßregel kann sowohl anstatt einer Strafe, als auch neben einer Strafe, und das sogar, wie auch die Sicherungsverwah­ rung, bei voller Schuldfähigkeit des Täters, angeordnet werden. Im Unter­ schied zur Sicherungsverwahrung ist jedoch keine Gefahr für die Allgemein­ heit erforderlich. Ebenso ist die Maßregel nach § 64 StGB grundsätzlich auf zwei Jahre befristet. Damit unterscheidet sie sich gerade in ihrer Intensität maßgeblich von der Sicherungsverwahrung. Wechselwirkungen können sich aber auch hier ergeben. Daher lohnt ein Vergleich mit der Rechtsprechung zu § 64 StGB. aa) Rechtsprechung zu § 64 StGB Die Rechtsprechung zu § 64 StGB geht davon aus, dass eine Wechselwir­ kung zwischen der Anordnung der Maßregel und dem Schuldspruch bestehen kann.295 Das betrifft wie bei § 63 StGB die festzustellenden Tatsachen im Bereich des § 21 StGB und der Maßregelanordnung. Aus revisionsrechtlicher Sicht nimmt der BGH eine logische Verbindung dieser an. Eine Frage ist nicht unabhängig von der anderen zu beurteilen, sodass eine Trennbarkeit ausscheidet, um widersprechende Entscheidungen zu vermeiden.296 Das 294  Siehe

unten: 3. Teil 2. Kap. C. IV. 2. NStZ-RR 2010, 171 (172); 2013, 239 (240); StV 2012, 72. 296  BGH StV 2012, 72; NStZ-RR 2010, 171 (172); 2012, 72 (73). 295  BGH



2. Kap.: Die Theorie vom Schuldrahmen

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Gleiche gilt auch für die Beziehung von Strafausspruch und Anordnung, also insbesondere die Frage der Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 StGB.297 Der Bundesgerichtshof geht auch hier davon aus, dass die Strafe und die Maßregel im zweispurigen Rechtsfolgensystem grundsätzlich getrennt von einander zu bemessen bzw. anzuordnen sind. Dennoch stellt er fest, dass beide in der Praxis aufeinander abgestimmt sind. Sie zeigen also Wechsel­ wirkungen.298 Ist die Anordnung im Ausgangsverfahren fehlerhaft unterblie­ ben, hebt der BGH auch den Strafausspruch auf, weil „nicht auszuschließen ist, dass“ die Strafzumessungsentscheidung davon „beeinflusst ist“.299 Ist die Anordnung dagegen zu Recht unterblieben, ergeben sich für das Revisions­ gericht regelmäßig keine Beanstandungsgründe.300 Eine nähere Begründung für die Wechselwirkung lässt sich der Rechtsprechung zu § 64 StGB nicht entnehmen. Die meisten Entscheidungen verweisen diesbezüglich, direkt oder indirekt, auf ein Urteil des BGH, welchem sich keine inhaltliche be­ gründete Aussage entnehmen lässt.301 bb) Würdigung Die Rechtsprechung zu § 64 StGB geht richtigerweise von einer Wechsel­ wirkung zwischen der Schuld- und der Maßregelfrage sowie des Straf- und Maßregelausspruchs aus. Das hat seinen Grund darin, dass hier die Feststel­ lung schuldrelevanter Tatsachen zugrunde liegt. Dieser Zusammenhang ergibt sich freilich im Gegensatz zu § 63 StGB nicht automatisch, denn der Zustand der verminderten Schuldfähigkeit ist hier nicht Voraussetzung für die Anord­ nung der Maßregel. Soweit aber § 21 StGB betroffen ist, reiht sich die Rechtsprechung in die zu § 63 StGB ein. Deutlicher als die Rechtsprechung zu § 63 StGB stellt die Rechtsprechung zu § 64 StGB die strafmildernde Berücksichtigung einer Maßregel im Strafausspruch heraus. Allerdings bleibt die Begründung auch hier vage. Daher erhellt nicht, ob die strafmildernde Berücksichtigung innerhalb des Schuldrahmens aufgrund einer Funktions­ übernahme der positiven Spezialprävention erfolgt, ob es zu einer Gesamtab­ stimmung der Rechtsfolgen kommen soll oder ob gar ein ganz anderer Aspekt 297  BGHSt

(203).

298  BGHSt

38, 362 (363); BGH StV 2012, 72; 2012, 203; NStZ-RR 2012, 202

38, 362 (365); BGH StV 2012, 72; NStZ-RR 2012, 72 (74). 28, 327 (330); 37, 5 (10); BGHR StGB § 64 Ablehnung 2 (=St 37, 5), 3, 5 (=NStZ 1992, 33); Anordnung 2; BGH NStZ 2009, 441 (442); NStZ-RR 2012, 139 (140). 300  BGHSt 38, 362 (365); BGH StV 2012, 203. 301  Regelmäßig wird entweder auf BGHSt 37, 5 (= BGHR StGB § 64 Ableh­ nung  2) verwiesen, welcher wiederum auf BGHSt 28, 327 verweist, oder es wird gleich auf letztgenannte Entscheidung verwiesen. 299  BGHSt

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3. Teil: Die Strafzumessung

der Rechtsprechung zugrunde liegt. Einen solchen könnte das vikariierende System liefern. c) Kritische Beurteilung in Bezug auf die Rechtsprechung zur Sicherungsverwahrung Die weit überwiegende Rechtsprechung zur Wechselwirkung von Strafe und Maßregel bei §§ 63, 64 StGB erging zu Fällen, in denen die verminderte Schuldfähigkeit vorlag oder nicht auszuschließen war.302 In einer Entschei­ dung wurde davon unabhängig die strafmildernde Wirkung postuliert.303 Die Rauschmittelabhängigkeit kann aber auch unterhalb der für § 21 StGB erheb­ lichen Stelle schuld- und strafmildernd berücksichtigt werden.304 Oberhalb dieser Stelle stellt sie einen (fakultativen) Strafmilderungsgrund, §§ 21, 49 StGB, dar. In allen Fällen des § 64 StGB besteht daher eine parallele Rele­ vanz von Schuld- und Straffrage einerseits und den Voraussetzungen der Anordnung der Maßregel andererseits. Das gilt auch für § 63 StGB, weil dort bereits die verminderte Schuldfähigkeit erforderlich ist. Die Voraussetzungen der Maßregel zeigen folglich Schuldrelevanz. Das betrifft den Hang305, den Zustand der Abhängigkeit bei § 64 StGB306, aber auch die Feststellung einer Symptomtat307. Das wird bei § 66 StGB von der Rechtsprechung grundsätz­ lich anders beurteilt. Hier wird weder dem Hang noch den abzuurteilenden Symptomtaten eine solche Relevanz zugesprochen. Dafür gibt es aber keinen Grund. Dies war bereits aus straftheoretischer Sicht zu kritisieren, denn die Merkmale sind durchaus als schuldrelevant zu interpretieren. Die Differen­ zierung lässt sich auch nicht mit dem Argument der verminderten Schuldfä­ higkeit aufrechterhalten. Erstens ist es keine zwingende Voraussetzung bei § 64 StGB. Zweitens besteht lediglich ein gradueller Unterschied zwischen verminderter und „voller“ Schuldfähigkeit, aber kein qualitativer. 302  BGHSt 37, 5 (7, 10); BGHR StGB § 64 Ablehnung 3, 5; BGH NStZ 2009, 441 (442); NStZ-RR 2012, 202 (203). Wurde § 21 StGB vom Tatgericht lediglich nicht ausgeschlossen, so wurden die Fälle dieser Konstellation zuschlagen, weil der Grundsatz „in dubio pro reo“ gilt: BGHSt 8, 113 (124); StV 2013, 560; Schild, in: NomosKomm StGB, § 21 Rn. 9; Perron / Weißer, in: Schönke-Schröder, § 21 Rn. 9 m. w. N. aus der Rspr.; a. A. zur Frage der Erheblichkeit als Rechtsfrage: Schöch, in: LeipzigerKomm StGB, § 21 Rn. 5; BGH NStZ 2005, 281 (282) [wo bereits die nöti­ gen Feststellungen fehlten]. 303  BGHR StGB § 64 Anordnung 2 [unter Verweis auf BGHSt 37, 5]. 304  BGH StV 1992, 318; 1993, 185; 1993, 638; Schöch, in: LeipzigerKomm StGB, § 21 Rn. 19; Schild, in: NomosKomm StGB, § 21 Rn. 29; Perron / Weißer, in: Schönke-Schröder, § 21 Rn. 25. 305  OLG Hamm NStZ-RR 2015, 53. 306  BGH NStZ-RR 2012, 72 (74). 307  BGH NStZ-RR 2010, 171 (172).



2. Kap.: Die Theorie vom Schuldrahmen

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Die Auswertung zeigt, dass offen bleibt, mit welchem Argument die Rechtsprechung die strafzumessungsrechtliche Wechselwirkung begründet. Die Ausführungen bleiben regelmäßig genauso vage wie zu § 66 StGB. Auf die mögliche Spezialprävention hat die Rechtsprechung nicht abgestellt. Trotz der außerdem vorliegenden Schuldrelevanz erscheint das auf der Grundlage der Spielraumtheorie aber möglich und zulässig. Denn strafmil­ dernd wurde jedes Mal das Hinzutreten der Maßregel als weitere Folge ge­ wertet. Dagegen ist die höhere Empfindlichkeit des Straftäters gegenüber der Strafe, wenn eine Maßregel strafergänzend hinzutritt, richtigerweise als Ausdruck eines strikten Schuldstrafrechts anzusehen. Ausschlaggebend war dagegen nicht, dass ein Zustand nach § 21 StGB festgestellt worden ist, der dann schuld- und strafmildernd zu berücksichtigen wäre. Es konnte aber auch nicht geklärt werden, ob damit eine Gesamtabstimmung der Rechtsfol­ gen, wie zu § 66 StGB durchaus vertreten, gemeint ist. Insgesamt erscheint die Rechtsprechung zu §§63, 64 StGB aus diesem Blickwinkel noch frag­ würdiger als die zu § 66 StGB. Eine Erkenntnis zur theoretischen Untermau­ erung der dort aufgestellten Thesen konnte deshalb vorläufig nicht gewonnen werden. Eine solche könnte sich jedoch aus dem vikariierenden Systems er­ geben. Auf dieses ist daher folgend einzugehen. 2. Das vikariierende System nach § 67 StGB

Das vikariierende System ist mit dem Zweiten Strafrechtsreformgesetz vom 4. Juli 1969308 in geltendes Recht umgesetzt worden.309 Es zielt darauf ab, den Vollzug von Freiheitsstrafe und den einer freiheitsentziehenden straf­ ergänzenden Maßregel entsprechend dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auszugestalten, insbesondere einen kumulativen Vollzug zu vermeiden.310 Der deutlich individueller ausgestaltete Vollzug einer Maßregel ermöglicht ein besseres Eingehen auf den Straftäter und ist damit eher geeignet, die für die Anordnung der Maßregel ausschlaggebende Rückfallgefahr therapeutisch anzugehen.311 Würde die Strafe demgegenüber vor der Maßregel vollzogen, würde es sich der Sache nach oftmals um einen nutzlosen Vollzug han­ deln.312 Das liegt daran, dass der auf Wiedereingliederung in die Gesell­ 308  BGBl. 1969

I, S. 717 ff. Gesetzesgeschichte siehe Maier, in: MünchenerKomm StGB, § 67 Rn. 1 f. 310  BVerfGE 109, 133 (178 f.). 311  BVerfGE 130, 372 (396) zu § 63 StGB; Schöch, in: LeipzigerKomm StGB, § 67 Rn. 7; Maier, in: MünchenerKomm StGB, § 67 Rn. 7; Pollähne, in: Nomos­ Komm StGB, § 67 Rn. 2; Zipf / Dölling, in: Maurach / Gössel / Zipf, § 68 Rn. 61. s. a. BT-Drucks. V / 4095, S. 30 f. 312  Krit. bereits Jescheck, ZStW 80 (1968), S. 54 (83): unsinnige Vorbereitung auf die Verwahrung im Strafvollzug. 309  Zur

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3. Teil: Die Strafzumessung

schaft abzielende Strafvollzug nicht darauf ausgerichtet ist, die bei den Straftätern vorliegenden psychischen Defekte oder Abhängigkeiten zu thera­ pieren. Das wäre in diesen Fällen jedoch vorrangig. Durch das Angebot ei­ ner vorrangigen Behandlung kann dagegen der psychische Defekt etc. zeit­ nah intensiv angegangen und damit ein erster Schritt auf dem Weg der Wie­ derherstellung des gestörten Rechtsverhältnisses gemacht werden. Er ist grundsätzlich auch der logisch Vorrangige. Denn bevor an eine Wiederein­ gliederung gedacht werden kann, muss erst einmal die vom Straftäter ausge­ hende spezifische Rückfallgefahr angegangen werden.313 Diese Konsequenz ist Ausdruck des in diesen Fällen gesteigerten Anspruchs auf Resozialisie­ rung, wie er sich aus dem freiheitsgesetzlichen Strafbegriff und damit der Verteilungsgerechtigkeit als Aspekt der Strafgerechtigkeit ergibt.314 a) Das vikariierende System im geltenden Recht Das vikariierende System bezieht sich dem Wortlaut nach auf die Fälle, in denen neben einer Strafe eine freiheitsentziehende Maßregel nach §§ 63, 64 StGB angeordnet wird, und legt den Grundsatz fest, dass die strafergänzende Maßregel vor der Strafe zu vollziehen ist, § 67 Abs.1 StGB. Damit soll der von dem verurteilten Täter ausgehenden Rückfallgefahr bereits zu Beginn des Vollzugs wirksam begegnet werden können.315 Das ist gerade bei langen oder gar lebenslangen Freiheitsstrafen der Fall.316 Ist der Zweck der strafer­ gänzenden Maßregel jedoch durch einen (auch nur teilweisen) Vorwegvoll­ zug der Strafe leichter zu erreichen, wird dieser durch das Tatgericht ange­ ordnet, § 67 Abs. 2 S. 1 StGB.317 Das soll beispielsweise statthaft sein, um dem Täter die Schwere seiner Lage „vor Augen zu halten“ und ihn so zur Therapiebereitschaft zu motivieren, sog. „Leidensdruck“.318 Lediglich allge­ 313  Siehe dazu: BGHR StGB § 67 Abs. 2 Vorwegvollzug 6; BGH, Beschl. v. 16.02.2016, Az.: 1 StR 624 / 15, juris Tz. 2, insoweit in NStZ-RR 2016, 138 nicht abgedruckt. Im Erg. ebenso: Klesczewski, Rolle der Strafe, S. 330. 314  So auch: Köhler, Strafrecht AT, S. 676 f. 315  BT-Drucks. V / 4095, S. 31; s. a. Marquardt, S. 35. 316  BGHR StGB § 67 Abs. 2 Vorwegvollzug 5, 6; Maier, in: MünchenerKomm StGB, § 67 Rn. 57 f. m. w. N. aus Rspr und Lit. 317  § 67 Abs. 2 S. 2–4 StGB betreffen Rückausnahmen von diesem Grundsatz, die mit Gesetz vom 16.  Juli 2007, BGBl. I, S. 1327 ff., eingeführt wurden und betreffen fast ausschließlich § 64 StGB. Aufgrund dessen zeitlicher Befristung kam es immer wieder zu einem langen Reststrafenvollzug, welcher die Therapie konterkarierte. Au­ ßerdem sollen durch die Rückausnahme auch die zur Resozialisierung möglichen Wirkungen des Freiheitsstrafenvollzugs genutzt werden können. Vgl. BT-Drucks. 15 / 3652, S. 13. Zu Letzterem bereits: BT-Drucks. 10 / 2720, S. 13. 318  BGHSt 33, 285 (286 f.); BT-Drucks. V / 4095, S. 31. Krit. zur Motivation über einen „Leidensdruck“ Pollähne, in: NomosKomm StGB, § 67 Rn. 7; Stree / Kinzig, in:



2. Kap.: Die Theorie vom Schuldrahmen

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meine Erwägungen sind dabei ausgeschlossen. Es muss stets die konkrete Motivation für den Vorwegvollzug der Strafe dargelegt werden.319 Findet der Vorwegvollzug der strafergänzenden Maßregel statt, wird er bis zu zwei Drittel auf die verhängte, (un-)bedingte Freiheitsstrafe angerechnet, § 67 Abs. 4 StGB. Die Anrechung ist unabhängig von einem erfolgreichen Maßregelvollzug.320 Die Maßregel wird also anstelle der Strafe vollzogen. Terminologisch handelt es sich daher in diesen Fällen um eine strafvertre­ tende Maßregel.321 Die in der ursprünglichen Gesetzesfassung noch vorgese­ hene vollständige Anrechnung wurde wieder abgeschafft, damit die Unterge­ brachten unter dem Druck eines drohenden Strafvollzugs zur weiteren Mit­ wirkung motiviert bleiben.322 Eine einschränkende Auslegung des § 67 Abs. 4 StGB derart, dass nur die im Strafverfahren mitsamt der Maßregelan­ ordnung verhängten Strafen der Anrechnung zugänglich sind, ist mit dem Freiheitsrecht der Untergebrachten aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG nicht vereinbar. Daher sind auch verfahrensfremde Strafen in die Anrechnung einzubezie­ hen.323 Bei (auch nur teilweisem) Vorwegvollzug der Maßregel wird dem Straftäter außerdem die Möglichkeit der Strafrestaussetzung ab (angerechne­ tem) Vollzug der Hälfte der Strafe in Aussicht gestellt, § 67 Abs. 5 S. 1 StGB. Werden im Urteil mehrere Strafen ausgesprochen, erfolgt eine Anrechnung so, dass möglichst alle Strafen zum frühestmöglichen Zeitpunkt nebeneinan­ der aussetzungsfähig sind.324 Anderenfalls wird der Vollzug der Maßregel fortgesetzt oder der Strafvollzug angeordnet, § 67 Abs. 5 S. 2 StGB. Ersteres soll sicherstellen, dass die möglichen Erfolge des Maßregelvollzugs nicht Schönke-Schröder, § 67 Rn. 11 m. w. N. Aufgabe des Strafvollzugs ist nach § 2 S. 1 StVollzG die Resozialisierung und nicht das Schaffen einer emotionalen Drucksitua­ tion. Krit. auch Köhler, Strafrecht AT, S. 676, 678. Dagegen unbeanstandet gelassen von BVerfGE 91, 1 (33); 109, 133 (178), 130; 372 (394). 319  So bezüglich des „Leidensdrucks“: BGHSt 33, 285 (286); bezüglich Konter­ karierung des erfolgten Maßregelvollzugs: BGH NStZ-RR 2002, 26. s. a. Fischer, § 67 Rn. 7 m. w. N. aus der Rechtsprechung. 320  BVerfG NStZ 1995, 174 (175). 321  Siehe oben: 2. Teil 1. Kap. A. II. 3. 322  BGBl. 1986 I, S. 393 ff. Zum gesetzgeberischen Willen: BT-Drucks. 10 / 2720, S. 13. Krit.: Pollähne, in: NomosKomm StGB, § 67 Rn. 10 „unbegrenzte Anrechen­ barkeit“; so auch: OLG Celle NStZ 1990, 453 f. (Vorlagebeschluss nach Art. 100 GG); Grünebaum, in: Volckart / Grünebaum, Teil II Rn. 20; Hanack, in: Leipziger­ Komm StGB10, § 67 Rn. 19 m. w. N. Unbeanstandet von BVerfGE 91, 1 (35); 109, 133 (178); BVerfG NStZ 1995, 174 (174). 323  BVerfGE 130, 372 (394 ff.). Das BVerfG hat § 67 Abs. 4 StGB deswegen für nichtig erklärt. Der Gesetzgeber (BGBl. 2012 I, S. 2425) hatte die Regelung bis vor kurzem unverändert gelassen. Seit dem 01.08.2016 gilt insoweit der neu eingefügte § 67 Abs. 6 StGB (BGBl. 2016 I, S. 1610). 324  LG Hildesheim NStZ-RR 2009, 370; Fischer, § 67 Rn. 22.

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3. Teil: Die Strafzumessung

gefährdet oder weiter vorangetrieben werden325; letzteres, insbesondere bei noch langem Strafrest, aus täterspezifischen Gründen und nicht etwa einem allgemeinen Abschreckungsinteresse.326 b) Zur Frage der strafzumessungsrechtlichen Relevanz Findet ein (teilweiser) Vorwegvollzug der Strafe statt, kann die Dauer der gesamten Freiheitsentziehung das für sich betrachtet schuldangemessene Maß für die abgeurteilten Straftat(en) überschreiten. Das liegt in der be­ schränkten Anrechnungsmöglichkeit des Maßregelvollzugs begründet. Unter der bis ins Jahr 1986 geltenden Rechtslage war nur der vollständige Vorweg­ vollzug der Strafe (aber auch die volle Anrechnung der vorweg vollzogenen Maßregel) möglich, § 67 Abs. 2, Abs. 4 StGB a. F. Erfolgte der vollständige Vorwegvollzug der Strafe, kam es zu einer erheblichen Mehrbelastung des Straftäters durch den sich daran erst anschließenden Maßregelvollzug. Hier hatte der Bundesgerichtshof entschieden, dass bei einem Vorwegvollzug der Strafe die zusätzliche Belastung der weiteren Freiheitsentziehung in einer Entziehungsanstalt bei der Strafbemessung strafmildernd zu berücksichtigen sei.327 Maßgeblich sollte die zusätzliche Belastung sein. Das war der Ein­ griff in das Freiheitsrecht des Untergebrachten nach Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG. Dies rechtfertige „eine Herabsetzung der sonst angemessenen Strafe“328. Problematisch ist bereits, dass das Gericht hier nicht formuliert, dass es um die schuldangemessene Strafe geht. Damit tritt offen zu Tage, dass diese Rechtsprechung auf eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit bzw. Angemessen­ heit der staatlichen Reaktion insgesamt hinausläuft. Das verfassungsrechtli­ che Übermaßverbot ist aber nicht mit der Schuldgebundenheit der Strafe in Einklang zu bringen. Denn danach ist ja der Schuldrahmen auch bei der Anordnung von Maßregeln zu beachten. Schwerlich dürfte aber eine ange­ messene Berücksichtigung des zusätzlichen Übels innerhalb des Schuldrah­ mens möglich sein. Das mag – wenn überhaupt – bei einer der Entscheidung zugrundeliegenden zeitlich befristeten Maßregel nach § 64 StGB möglich sein. Aber auch hier steht der Vollzug der Maßregel unter dem Vorbehalt der Notwendigkeit, § 67c Abs. 1 StGB. Dieser und damit die zusätzliche Belas­ tung, an die das Urteil gerade anknüpft, bleibt ungewiss. 325  OLG

Koblenz NStZ-RR 2011, 387. NStZ 2001, 166 (166). s. a. BT-Drucks. V / 4095, S. 32. 327  BGH NStZ 1985, 91 (92) [zu § 64 StGB]. Marquardt, S. 19, 131 f. konnte dagegen in einer Rechtsprechungsanalyse in den Landgerichtsbezirken Bonn, Hanno­ ver und Kiel der Jahre 1950 bis 1965 „in keinem einzigen Falle ausdrückliche Hin­ weise“ auf eine strafzumessungsrechtliche Berücksichtigung finden, vermochte sie jedoch auch nicht auszuschließen. 328  BGH NStZ 1985, 91 (92). 326  KG



2. Kap.: Die Theorie vom Schuldrahmen

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Noch unter der alten Rechtslage hatte der Bundesgerichtshof von dieser Rechtsprechung Abstand genommen. Anstatt einer strafzumessungsrechtli­ chen Lösung strebte er nun eine vollzugsrechtliche Lösung der Problematik an.329 Diese Rechtsprechung wurde zur aktuellen Rechtslage (also mögli­ chem teilweisen Vorwegvollzug der Strafe) konkretisiert: Auszugehen sei danach von dem Wiedereingliederungsanspruch des Gefangenen, dem sog. „Rehabilitationsinteresse“. Dieses orientiert sich an der Möglichkeit der Reststrafenaussetzung nach dem Maßregelvollzug, d. h. gem. § 57 Abs. 1 Nr. 1 StGB bei verbüßten zwei Dritteln der zugrundeliegenden Freiheitsstrafe unter Anrechnung des Maßregelvollzugs.330 Dieser Zwei-Drittel-Zeitpunkt stellt den Ausgangspunkt dar. Von dort ist gewissermaßen zurück zurechnen: Der teilweise Vorwegvollzug der Strafe ist von seiner Dauer her so auszu­ richten, dass der sich anschließende Vollzug der Maßregel beim Erreichen des Zwei-Drittel-Zeitpunkts abgeschlossen ist.331 Denn ein weiterer Vollzug der Maßregel stelle sich für den Untergebrachten wie ein zusätzliches Straf­ übel dar. Einerseits dürfte damit ein vollständiger Vorwegvollzug der Strafe ausgeschlossen sein. Andererseits ist diese vollstreckungsrechtliche Judikatur unabhängig vom Strafausspruch und der Strafzumessungsentscheidung des Tatgerichts. Das hat revisionsrechtliche Konsequenzen. Die Revisionen kön­ nen auf die Frage des Vorwegvollzugs beschränkt werden. Eine Beeinflus­ sung des Strafmaßes ist ausgeschlossen. Daher werden vom BGH bei Miss­ achtung des Rehabilitationsinteresses des Straftäters die Strafurteile auch nur insoweit aufgehoben.332 Anstatt einer strafzumessungsrechtlichen Lösung, wird eine vollzugsrecht­ liche Lösung angestrebt. Der BGH erkennt auch weiterhin an, dass sich die Kumulierung staatlicher Reaktionen über das an sich schuldangemessene Maß hinaus für die Straftäter übermäßig belastend auswirken kann. Um die­ ser zusätzlichen Belastung wirksam zu begegnen, wird eine strafzumessungs­ rechtliche Wechselwirkung jedoch nicht mehr befürwortet. Das reiht sich in die auch hier gefundenen Ergebnisse ein: Eine Berücksichtigung innerhalb des Schuldrahmens333 wird dem Phänomen in den seltensten Fällen und wohl allenfalls im Rahmen der zeitlich befristeten Unterbringung in der Ent­ ziehungsanstalt gerecht. Hauptsächlich ist sie aufgrund der verbleibenden 329  BGH

NJW 1986, 142 (143). NStZ-RR 1999, 44 (44 f.); 2001, 93. 331  BGHR StGB § 67 Abs. 2 Vorwegvollzug, teilweiser 7; BGH NStZ 2007, 30 (30); NStZ-RR 1999, 44 (45); 2001, 93; 2003, 295; BGH, Beschl. v. 16.02.2016, Az.: 1 StR 624 / 15, juris Tz. 2 insoweit in NStZ-RR 2016, 138 nicht abgedruckt; Fischer, § 67 Rn. 9; Stree / Kinzig, in: Schönke-Schröder, § 67 Rn. 14. 332  BGH NStZ 2007, 30 (30). 333  Siehe: BGH, Beschl. v. 28. April 1992, Az.: 1 StR 181 / 92, juris Tz. 10 unter ausdrücklichen Verweis auf BGHSt 24, 132. 330  BGH

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3. Teil: Die Strafzumessung

Ungewissheit über den Vollzug und damit über die zusätzliche Belastung an sich abzulehnen. Insoweit ist zu bedenken, dass auch im Rahmen von §§ 63, 64 StGB der Vollzug zur Bewährung ausgesetzt werden kann. Eine zusätzli­ che Strafmilderung führt dann zu Ungleichheiten in der Anwendung, wenn die Maßregel einmal vollzogen und einmal ausgesetzt wird.334 Vielmehr ist das Prinzip des Vikariierens in Anspruch zu nehmen.335 Straf- und Maßre­ gelvollzug können so in optimaler Weise aufeinander abgestimmt werden. Das ermöglicht es, dem Ziel der Wiedereingliederung des Straftäters volle Wirksamkeit zu verschaffen und die Wiederherstellung der gestörten Rechts­ verhältnisse zu erreichen. Die Strafe wird ihrer Funktion, gerechter Schuld­ ausgleich zum Zwecke der Wiederherstellung des gestörten Rechtsverhältnis­ ses zu sein, gerecht. Die Parallelität mit den Funktionen der Maßregel auf der Vollzugsebene, richtigerweise sowieso Ausdruck der Strafgerechtigkeit, ändert daran nichts. Eine strafzumessungsrechtliche Wechselwirkung bleibt außen vor. Eine optimale Lösung bietet die Abstimmung auf Vollzugsebene. Teilweise hat der BGH jedoch auch nach diesem Paradigmenwechsel eine strafmildernde Berücksichtigung erwogen.336 Das ist nicht unproblematisch. Das Rehabilitationsinteresse des Straftäters erfordert die Abstimmung des Vollzugs der nebeneinander angeordneten Rechtsfolgen. Das geschieht, in­ dem dem Straftäter die Möglichkeit der Strafrestaussetzung zur Bewährung eröffnet wird und damit sogar eine Vollverbüßung vermieden werden kann. Wird dieser Grundsatz missachtet, liegt ein Rechtsfehler vor, der insoweit zur Aufhebung des tatgerichtlichen Urteils zwingt. Eine gleichzeitige straf­ mildernde Berücksichtigung erscheint dann nicht gerechtfertigt. Denn so ge­ sehen gibt es keine zusätzliche Belastung durch die Kumulierung der Rechts­ folgen. Das Argument läuft leer. Der Vollzug der strafvertretenden Maßregel ist lediglich eine Modifikation des Strafvollzugs, aber kein hinzutretendes Übel. Diese Rechtsprechung ist daher abzulehnen.

334  Tolksdorf, in: FS Stree / Wessels, S. 753 (755 f.); Kretschmer, S. 47 f.; Mushoff, S. 266. Krit. auch Horn / Wolters, in: SystematischerKomm StGB, § 46 Rn. 165. 335  Tolksdorf, in: FS Stree / Wessels, S. 753 (756). So wohl auch Frisch, ZStW 99 (1987) I, S. 349 (374 f.): „Freilich hat das [die Wechselwirkung, Anm. des Verf.] keine Bedeutung für die Strafzumessung (die vielmehr unbeeinflusst von der Anord­ nung der Maßregel erfolgt bzw. nur geringfügig – in den Grenzen der Schuld – Maß­ regelbedürfnisse übernehmen kann). Es wirkt sich vielmehr nur dann aus, wenn die Maßregel vor der Strafe vollstreckt wird, und ist insoweit grundsätzlich auch vom Gesetzgeber anerkannt (vgl. § 67 Abs. 4 StGB).“ Im Grundsatz für §§ 63, 64 StGB auch Freund, GA 2010, S. 193 (200). 336  BGHR StGB § 67 Abs. 2 Vorwegvollzug, teilweiser 10; BGH NStZ-RR 2012, 202 (203); StV 1994, 80 = MDR 1993, 1039; StV 1991, 460. So auch: Kretschmer, S. 199; Pollähne, in: NomosKomm StGB, § 67 Rn. 45.



2. Kap.: Die Theorie vom Schuldrahmen

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c) Implikationen für die Rechtsprechung zu § 66 StGB Auf der Grundlage des vikariierenden Systems erfolgt eine Abstimmung der aufgrund und anlässlich von Straftaten angeordneten Maßregeln nach §§ 63, 64 StGB auf Vollzugsebene und – richtigerweise – nicht auf der Ebene der Strafzumessung. Danach ist im Grundsatz eine Mehrbelastung ausge­ schlossen. Straf- und Maßregelvollzug sind variabel auf den Rehabilitations­ anspruch des Straftäters ausgerichtet. Die Behandlung der spezifischen Rückfallgefahr des Täters wird in den durch das Strafmaß vorgegebenen Grenzen angegangen. Die vollzugsrechtliche Lösung läuft darauf hinaus, dass ein vollständiger Vorwegvollzug der Strafe nicht mehr möglich er­ scheint, weil er dem Rehabilitationsanspruch des Täters entgegensteht. All das gilt nach bisher herrschender Auffassung in der Rechtsprechung und Literatur für die Sicherungsverwahrung nach geltendem Recht nicht. Mithin kann das Bedürfnis einer strafzumessungsrechtlichen Abstimmung von Strafe und Sicherungsverwahrung mangels anderweitiger Abstimmungs­ möglichkeit darin begründet liegen. Freilich wird man durch eine Berück­ sichtigung innerhalb des Schuldrahmens dem Problem erstens nicht gerecht und zweitens ist das zusätzliche Übel noch ungewiss. Das verfiel vielfacher Kritik. 3. Ergebnis

Die Analyse der Rechtsprechung zu §§ 63, 64 StGB hat gezeigt, dass bei Geltung des vikariierenden Systems eine strafzumessungsrechtliche Wechsel­ wirkung nicht angezeigt ist. Außerdem wird die Problematik des Nebenein­ anders von strafergänzender Maßregel und Strafe insoweit entschärft, als dass die Maßregel grundsätzlich strafvertretend innerhalb des durch die Schuld vorgegebenen Strafmaßes vollstreckt wird. Es hat sich auch gezeigt, dass hier offener als bei der Sicherungsverwahrung der Schuldbezug der Voraussetzungen der Maßregeln bestätigt wird, ohne dass zwischen den Schuldvoraussetzungen von §§ 63, 64 StGB und § 66 StGB ein qualitativer Unterschied besteht; ein Ergebnis, welches auf Basis des freiheitsgesetzli­ chen Ansatzes unmittelbar einleuchtet. VII. Ergebnis Die Rechtsprechung zur Wechselwirkung von unbedingter Freiheitsstrafe und Sicherungsverwahrung auf der Ebene der Strafzumessung ist von einem einfachen praktischen Bedürfnis getragen. Es geht darum, die aufgrund und anlässlich der Straftat(en) verhängten strafrechtlichen Sanktionen in einem

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3. Teil: Die Strafzumessung

weiten Sinn gegenüber dem Straftäter nicht unverhältnismäßig auszugestalten. Diesem hehren Ziel kann die Rechtsprechung jedoch nicht Genüge tun. Auf der Basis der Spielraumtheorie kommt eine Berücksichtigung lediglich inner­ halb des Schuldrahmens der zur Aburteilung stehenden Straftaten in Betracht. Dort bemüht die Rechtsprechung verschiedene Argumente, um die Wechsel­ wirkung zu begründen. Als tragfähig stellte sich dabei lediglich der Aspekt der Gesamtabwägung von Rechtsfolgen heraus. Rechtstheoretisch soll er dem Strafzweck der positiven Spezialprävention zuzuordnen sein. Richtigerweise ist er schuldstrafrechtlich umzuformulieren und in das Verhältnis zu Täter und Tat zu setzen. Aufgrund der Beschränkung auf den Schuldrahmen wird die Berücksichtigungsfähigkeit der in ihrer Dauer ungewissen Sicherungsverwah­ rung derart eingeschränkt, dass es der drohenden bzw. tatsächlich stattfinden­ den übermäßigen Belastung des Sicherungsverwahrten nicht gerecht wird. Verdeckt wird diese ungenügende Ausgestaltung lediglich durch die Unbe­ stimmtheit des Maßes der Wechselwirkung. So gut wie die Forderung nach einer Berücksichtigung zugunsten des Straftäters klingt, so gering wird ihr Effekt letztlich sein. Bedenkt man außerdem, dass der Vollzug der Sicherungs­ verwahrung zum Zeitpunkt des Strafurteils ungewiss ist und der Zweifelssatz nicht gilt, verbietet sich die strafmildernde Berücksichtigung des Vollzugs vollends. Lediglich der in der Anordnung an sich liegende grundrechtsrele­ vante Eingriff kann bei der Anordnung nach § 66 StGB als belastender Ein­ griff und weitere Folge neben der Strafe mildernd berücksichtigt werden. Letzteres ist aufgrund des Vorbehalts im Strafurteil und den damit einherge­ henden Belastungen im Strafvollzug auch bei der nachträglichen Anordnung nach § 66a StGB möglich. Hier ist eine Wechselwirkung zwischen der Strafe und dem Vorbehalt der Anordnung zulässig. Deren strafmildernde Auswir­ kung ist faktisch aufgrund des geringen Eingriffscharakters jedoch fraglich. Die Rechtsprechung der Revisionsgerichte muss sich jedenfalls daran orien­ tieren, dass eine Wechselwirkung stets besteht. Ein Vergleich mit der Rechtsprechung zu den weiteren freiheitsentziehen­ den Maßregeln der Besserung und Sicherung hat ergeben, dass es einer strafmildernden Berücksichtigung dann nicht bedarf, wenn aufgrund des Vi­ kariierens von Strafe und strafergänzender Maßregel eine Abstimmung des Vollzugs möglich ist. Eine Mehrbelastung kann damit grundsätzlich vermie­ den werden. Auch die Gewissheit über den Maßregelvollzug verlangt keine weitere Berücksichtigung als die Anrechenbarkeit auf den Strafvollzug.

D. Argumentative Neuausrichtung der Rechtsprechung Die derzeitige Rechtsprechung geht im Ansatz von einem richtigen Punkt aus. Die Strafe und die Sicherungsverwahrung sind aufeinander abzustim­



2. Kap.: Die Theorie vom Schuldrahmen301

men. Argumentativ konnte die Rechtsprechung jedoch nicht überzeugen. Unter den Prämissen der Spielraumtheorie bieten sich jedoch zwei weitere Argumente an, um die Wechselwirkung zu begründen. Das betrifft einmal die höhere Belastung der Strafgefangenen im Vollzug der Freiheitsstrafe nur aufgrund der Anordnung bzw. dem Vorbehalt der Sicherungsverwahrung. Zum anderen betrifft es die stets zur Freiheitsstrafe in den Fällen der Anord­ nung oder dem Vorbehalt der Sicherungsverwahrung hinzutretende Füh­ rungsaufsicht. I. Höhere Belastung des Gefangenen im Strafvollzug Wird die Sicherungsverwahrung mit dem Urteil angeordnet oder vorbehal­ ten, schwebt deren Vollzug gleichsam eines Damoklesschwertes über dem Strafgefangenen. Dieser drohende Vollzug konnte zwar nicht als Argument einer Wechselwirkung herangezogen werden. Offen ist aber bisher geblieben, ob diese offene Folge in tatsächlicher Hinsicht bereits Wirkungen auf den Vollzug der Freiheitsstrafe hat. Es wird nachfolgend gezeigt, dass aufgrund der Anordnung bzw. des Vorbehalts der Sicherungsverwahrung der Vollzug der Freiheitsstrafe für die Gefangenen deutlich intensiver ausfällt. Diese Folge kann nach der Rechtsprechung zur Abstimmung von Rechtsfolgen bei der Bemessung der Strafe berücksichtigt werden. 1. Intensiverer Strafvollzug

Der Vollzug der Freiheitsstrafe ist auf die Wiedereingliederung des Straf­ täters in die Gesellschaft gerichtet, vgl. § 2 S. 1 StVollzG337, und dement­ sprechend auszugestalten, vgl. § 3 Abs. 3 StVollzG338. Zur Vorbereitung auf ein Leben in Freiheit gehören im weiteren Sinne auch alle Lockerungen des Vollzugs wie insbesondere der Hafturlaub.

337  § 1 JVollzGB III B-W; Art. 2 S. 2 BayStVollzG; § 2 StVollzG Bln; § § 2 S. 1 BbgJVollzG; § 2 S. 1 BremStVollzG; § 2 S. 1 HmbStVollzG; § 2 S. 1 HStVollzG; § 2 S. 1 StVollzG M-V; § 5 S. 1 NJVollzG; § 1 StVollzG NRW; § 2 S. 1 LJVollzG R-P; § 2 S. 1 SLStVollzG; § 2 S. 1 SächsStVollzG; § 2 Abs. 1 S. 1 JVollzGB LSA; § 2 LStVollzG SH; § 2 Abs. 1 S. 1 ThürJVollzGB. 338  § 2 Abs. 4 JVollzGB III B-W; Art. 5 Abs. 3 BayStVollzG; § 3 Abs. 2 StVollzG Bln; § 8 Abs. 2 BbgJVollzG; § 3 Abs. 2 BremStVollzG; § 3 Abs. 2 S. 1 HmbStVollzG; § 3 Abs. 3 HStVollzG; § 3 Abs. 2 StVollzG M-V; § 2 Abs. 3 NJVollzG; § 2 Abs. 1 S. 2 StVollzG NRW; § 8 Abs. 2 LJVollzG R-P; § 3 Abs. 2 SLStVollzG; § 3 Abs. 2 SächsStVollzG; § 8 Abs. 2 JVollzGB LSA; § 3 Abs. 3 S. 2 LstVollzG SH; § 8 Abs. 2 ThürJVollzGB.

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3. Teil: Die Strafzumessung

a) Vollzugslockerungen und Hafturlaub Als Vollzugslockerungen339 kommen regelmäßig Freigang (das Verlassen der JVA ohne Aufsicht eines Vollzugsbediensteten), Außenbeschäftigung (eine regelmäßige Beschäftigung außerhalb der JVA unter Aufsicht), Ausfüh­ rung (das Verlassen der JVA tagsüber unter Aufsicht) und Ausgang (das Verlassen der JVA tagsüber ohne Aufsicht) in Betracht.340 Daneben können Lockerungen aus besonderen Gründen, bspw. Gerichtsterminen, gewährt werden.341 Außerdem kann Hafturlaub342 gewährt werden, § 13 Abs. 1 StVollzG.343 b) Einschränkungen aufgrund der Anordnung der Sicherungsverwahrung Diese vollzugsöffnenden Maßnahmen stehen unter einem allgemeinen Flucht- und Missbrauchsvorbehalt. Steht zu befürchten, dass ein Gefangener die Lockerungen oder den Urlaub zur Flucht oder zur Begehung von Strafta­ ten missbraucht, werden sie nicht gewährt, § 11 Abs. 2 StVollzG.344 Die Be­ 339  In den Strafvollzugsgesetzen der Länder wird von „vollzugsöffnenden Maß­ nahmen“ gesprochen. 340  § 9 Abs. 2 S. 1 JVollzGB III B-W; Art. 13 Abs. 1 BayStVollzG; § 42 Abs. 1 StVollzG Bln; § 46 Abs. 1 BbgJVollzG; § 38 Abs. 1 BremStVollzG; § 12 Abs. 1 S. 1 HmbStVollzG; § 13 Abs. 3 HStVollzG; § 38 StVollzG M-V; § 13 Abs. 1 NJVollzG; § 53 Abs. 2 StVollzG NRW; § 45 Abs. 1 LJVollzG R-P; § 38 Abs. 1 SLStVollzG; § 38 Abs. 1 SächsStVollzG; § 45 Abs. 1 JVollzGB LSA; § 55 Abs. 1 LStVollzG SH; § 46 Abs. 1 ThürJVollzGB. Bisher: § 11 Abs. 1 StVollzG. 341  § 10 JVollzGB III B-W; Art. 37 BayStVollzG; § 47 BbgJVollzG; § 43 StVollzG Bln; § 39 BremStVollzG; § 13 HmbStVollzG; § 15 HStVollzG; § 39 StVollzG M-V; § 14 NJVollzG; § 55 StVollzG NRW; § 46 LJVollzG R-P; § 39 SLStVollzG; § 39 SächsStVollzG; § 46 JVollzGB LSA; § 56 LStVollzG SH; § 47 ThürJVollzGB. Bis­ her: § 35 StVollzG. 342  Die Terminologie der Strafvollzugsgesetze der Länder ist hier uneinheit­ lich. Teilweise wird auch von „Langzeitausgang“ und „Freistellung aus bzw. von der Haft“ gesprochen. 343  § 9 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 JVollzGB III B-W; Art. 14 Abs. 1 S. 1 BayStVollzG; § 42 Abs. 1 Nr. 3 StVollzG Bln; § 46 Abs. 1 Nr. 3 BbgJVollzG; § 38 Abs. 1 Nr. 3 Brem­ StVollzG; § 12 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 HmbStVollzG; § 13 Abs. 3 Nr. 4 HStVollzG; § 38 Abs. 1 Nr. 3 StVollzG M-V; § 13 Abs. 1 Nr. 3 NJVollzG; § 53 Abs. 2 Nr. 3, 54 StVollzG NRW; § 45 Abs. 1 Nr. 3 LJVollzG R-P; § 38 Abs. 1 Nr. 3 SLStVollzG; § 38 Abs. 1 Nr. 3 SächsStVollzG; § 45 Abs. 1 Nr. 3 JVollzGB LSA; § 5 Abs. 1 Nr. 3 LSt­ VollzG SH; § 46 Abs. 1 Nr. 3 ThürJVollzGB. 344  Inhaltsgleich für die Bundesländer mit eigenen Strafvollzugsgesetzen: § 9 Abs. 1 JVollzGB III B-W; Art. 13 Abs. 3 BayStVollzG; § 46 Abs. 2 S. 1 BbgJVollzG; § 38 Abs. 2 BremStVollzG; § 11 Abs. 1 S. 2 HmbStVollzG; § 13 Abs. 2 S. 1 HSt­ VollzG; § 38 Abs. 2 StVollzG M-V; § 13 Abs. 2 NJVollzG; § 53 Abs. 1 StVollzG NRW; § 45 Abs. 2 LJVollzG R-P; § 38 Abs. 2 SLStVollzG; § 38 Abs. 2 SächsSt­



2. Kap.: Die Theorie vom Schuldrahmen303

urteilung erfolgt am konkreten Fall im Hinblick auf die konkrete vollzugsöff­ nende Maßnahme.345 Die Gefahr muss aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte begründet sein.346 Ein sowieso niemals auszuschließendes Restrisiko ist je­ doch zu akzeptieren und steht der Gewährung der Maßnahme nicht entge­ gen.347 Zum Strafvollzugsgesetz des Bundes waren bundeseinheitliche Verwal­ tungsvorschriften erlassen worden, welche zwar die Gerichte nicht binden, aber eine einheitliche Praxis gewährleisten sollten.348 Nach Nr. 6 Abs. 1 lit. d), Abs. 2 S. 1 dieser Verwaltungsvorschriften zu § 11 StVollzG sind Au­ ßenbeschäftigung, Freigang und Ausgang grundsätzlich ausgeschlossen, wenn gegen den Strafgefangenen eine freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet und noch nicht vollzogen ist. Diese Verwaltungsvorschrift konkretisiert den Tatbestand, in dem Fälle typischer Flucht- und Missbrauchsgefahr aufgeführt werden, und das Ermessen der Vollzugsbehörde.349 Das gesetzliche Regel-Ausnahme-Verhältnis wird in diesen Fällen verkehrt. Die vollzugsöffnende Maßnahme unterbleibt in der Regel. Das führt im Ergebnis dazu, dass der Strafgefangene im Fall einer gleichzeitig angeordneten Sicherungsverwahrung praktisch keine Chance auf Lockerungen des Strafvollzugs hat.350 Dasselbe gilt für Hafturlaub nach Nr. 3 Abs. 1 lit. d) der Verwaltungsvorschriften zu § 13 StVollzG. Mithin er­ weist sich bereits der Strafvollzug für den Straftäter als einschneidender aufgrund einer lediglich angeordneten Sicherungsverwahrung. Rein praktisch beschwört diese Konfliktlage im Strafvollzug das Problem von „Scheinan­ passungen“ herauf351: Um in den Genuss von Lockerungen im Vollzug zu VollzG; § 45 Abs. 2 und 3 JVollzGB LSA; § 46 Abs. 2 ThürJVollzGB. Im Falle der Lockerungen aus wichtigem Grund wird der allgemeine Flucht- und Missbrauchsvor­ behalt nach den Regelungen für entsprechend anwendbar erklärt. Dasselbe gilt für den Hafturlaub nach § 13 Abs. 1 S. 2 StVollzG. Die Landesgesetze verweisen aus­ drücklich auf den Flucht- und Missbrauchsvorbehalt, denn der Hafturlaub stellt nach deren Systematik eine vollzugsöffnende Maßnahme dar. 345  Laubenthal / Nestler / Neubacher / Verrel, Abs. E Rn. 140, 173, 190. 346  BVerfG StV 2011, 488 (490) m. w. N. [zur lebenslangen Freiheitsstrafe]; KG StV 2010, 644 (646). 347  Laubenthal / Nestler / Neubacher / Verrel, Abs. E Rn. 140. Die Belastungserpro­ bung bei vollzugsöffnenden Maßnahmen erfolgt zu einem gewissen Teil nach dem „trial and error“-Prinzip und hat damit zwangsläufig Experimentcharakter mit kalku­ liertem Risiko; vgl. dazu Rasch, in: Prognoseentscheidungen, S. 235 (240, 247). 348  Laubenthal / Nestler / Neubacher / Verrel, Abs. E Rn. 150, 176 f. 349  Laubenthal / Nestler / Neubacher / Verrel, Abs. E Rn. 150, 177. 350  Bartsch, S. 245 f.; Finger, S. 101; Köhne, ZRP 2012, 89 (89); Kaiser, Krimi­ nologie, § 93 Rn. 64. Allgemein: Rasch, in: Prognoseentscheidungen, S. 235 (235). 351  Dazu Finger, S. 101. Allgemein auch: Schneider, StV 2006, S. 99 (103); ders., ZfStrVo 2004, S. 139 (141).

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3. Teil: Die Strafzumessung

kommen, täuschen die Gefangenen eine legale Einstellung und Haltung zum Recht vor. Das führt zu Begutachtungen, die lediglich dem Schein nach diese rechtliche Gesinnung attestieren. Dadurch werden sowohl das Resozialisie­ rungs- als auch das Sicherungsziel des Strafvollzugs verfehlt. Die bisherige einheitliche Rechtslage ist durch die landeseigenen Straf­ vollzugsgesetze uneinheitlich geworden. In zwei Bundesländern galten die bisherigen bundeseinheitlichen Verwaltungsvorschriften mangels eigenen Strafvollzugsgesetzes nach Art. 125a Abs. 1 GG bis vor kurzem noch im­ mer.352 Demzufolge erwies sich der Strafvollzug in diesen Bundesländern unter dem Eindruck des drohenden Vollzugs der Sicherungsverwahrung als intensiver. Einige Bundesländer haben die Verwaltungsvorschriften des Bun­ des in ihre Strafvollzugsgesetze aufgenommen.353 Teilweise wird eine Begut­ achtung und körperliche Untersuchung im Vorfeld der Vollzugslockerung gefordert, deren Verweigerung in der Regel zum Ausschluss der Lockerung führt.354 In anderen Bundesländern wird eine derartige Begutachtung und körperliche Untersuchung an die zugrundeliegenden Straftaten, insbes. §§ 174 bis 180, 182, 211 und 212 StGB geknüpft.355 Weil diese Straftaten sog. Anlasstaten für die Anordnung und den Vorbehalt der Sicherungsver­ wahrung nach §§ 66 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. a), 66 Abs. 2 S. 1, 66 Abs. 3 S. 1, 66a Abs. 1, 66a Abs. 2 StGB sind, werden somit mittelbar auch möglicher­ weise künftig Sicherungsverwahrte erfasst. Nach all diesen Regelungen ha­ ben die Strafgefangenen Einschränkungen alleinig aufgrund des drohenden Vollzugs der Sicherungsverwahrung hinzunehmen. Ihnen gegenüber erweist sich der Strafvollzug als intensiver. Darüber hinaus enthalten einige Straf­ vollzugsgesetze der Bundesländer allgemeine Sicherheitsvorbehalte im Hin­ blick auf die Interessen der Allgemeinheit oder besondere Prüfpflichten.356 Weil gerade die rückfallgefährdeten Straftäter, gegen die die Sicherungsver­ wahrung angeordnet oder vorbehalten ist, ein Gefahr für die Allgemeinheit darstellen, liegt es nahe, dass bereits dieser allgemeine Vorbehalt zu Ein­ schränkungen führen wird und sich der Strafvollzug als intensiver erweist.

352  Nunmehr gelten auch in Berlin und Schleswig Holstein eigene Landesstraf­ vollzugsgesetze. 353  § 38 Abs. 5 S. 1 Nr. 4, S. 2 SLStVollzG; § 13 Abs. 5 Nr. 2 HStVollzG. Siehe auch: Laubenthal / Nestler / Neubacher / Verrel, Abs. E Rn. 155, 157. 354  § 48 Abs. 1 S. 1 und 2 Nr. 2, Abs. 3 S. 2 JVollzGB LSA. Ohne unmittelbare Sanktion: § 56 Abs. 2 S. 1 StVollzG NRW. 355  § 16 Abs. 1 S. 1 und 2 Nr. 2, Abs. 3 S. 2 NJVollzG. 356  Art. 15 BayStVollzG und § 46 Abs. 3 S. 1 ThürJVollzGB (in den Fällen von schwerwiegenden Straftaten gegen Leib oder Leben oder gegen die sexuelle Selbstbe­ stimmung mit Ausnahme von §§ 180a und 181a StGB); § 13 Abs. 2 S. 2 HStVollzG; § 53 Abs. 1 S. 2, Abs. 5 StVollzG NRW; § 45 Abs. 3 S. 3 JVollzGB LSA.



2. Kap.: Die Theorie vom Schuldrahmen305

Soweit die Bundesländer nicht bereits ausdrücklich gesetzlich Einschrän­ kungen von vollzugsöffnenden Maßnahmen aufgrund der Anordnung oder dem Vorbehalt der Sicherungsverwahrung vorsehen, haben sie teilweise den bisherigen Verwaltungsvorschrift zu § 11 und § 13 StVollzG inhaltlich ent­ sprechende Verwaltungsvorschriften erlassen.357 Im Übrigen ist zu erwarten, dass die weiteren Bundesländer den bisherigen bundeseinheitlichen Verwal­ tungsvorschriften entsprechende Regelungen und damit Einschränkungen verabschieden.358 Damit gleicht die Eingriffsintensität dieses Strafvollzugs der bereits vorstehend Dargestellten. Im Ergebnis erweist sich der Strafvollzug für die Gefangenen aufgrund der Anordnung der Sicherungsverwahrung intensiver. Das lässt die Strafe für diese Gefangenen empfindlicher wirken. c) Keine Einschränkungen aufgrund bloßen Vorbehalts der Sicherungsverwahrung Auch in den Fällen, in denen die Sicherungsverwahrung lediglich vorbe­ halten wird, erweist sich der Strafvollzug in der Praxis als eingriffsintensi­ ver.359 Auch hier kommt es auf den individuellen Fall an. Zwar enthielten die bundeseinheitlichen Verwaltungsvorschriften zu § 11 und § 13 StVollzG zum Vorbehalt keine ausdrückliche Regelung. Dennoch werden in der Praxis Lockerungen verwehrt. Das ist nicht unproblematisch.360 Dadurch wird die Aufgabe des Strafvollzugs, auf ein Leben in Freiheit vorzubereiten, konter­ kariert. Im Unterschied zur Anordnung der Sicherungsverwahrung im Urteil konnte die Gefährlichkeit in dieser Konstellation gerade nicht festgestellt werden. Daher stellt sich auch die zugrundeliegende Interessenlage anders dar. Im Gegensatz zur primären Anordnung der Sicherungsverwahrung liegt die Missbrauchsgefahr im Falle der Gewährung von vollzugsöffnenden Maß­ nahmen hier ferner. Das heißt das Wiedereingliederungsinteresse des Strafge­ fangenen wiegt gewichtiger im Vergleich zu den Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit. Auch ist zu berücksichtigen, dass gerade bei einem länger andauernden Strafvollzug das Freiheitsgrundrecht des Gefangenen in den 357  Nr. 7.6 VV-JVollzGB zu § 9 JVollGB III B-W; Nr. 3 Abs. 1 lit. d) VV-BaySt­ VollzG. Siehe dazu: Laubenthal / Nestler / Neubacher / Verrel, Abs. E Rn. 152 f. und 191 f. 358  In den Richtlinien betreffend die Verlegung in den offenen Vollzug und voll­ zugsöffnende Maßnahmen des Justizministeriums NRW vom 29.01.2015 (4511-IV.19) findet sich dagegen in Nr. 2.3 lediglich die Pflicht dem zuständigen Gericht Gelegen­ heit zur Äußerung zu geben, wenn es um vollzugsöffnende Maßnahmen gegenüber Strafgefangenen mit angeordneter oder vorbehaltener Sicherungsverwahrung geht. 359  Finger, S.  101 f. 360  Finger, S. 101; Köhne, ZRP 2012, S. 89 (89).

306

3. Teil: Die Strafzumessung

Vordergrund tritt.361 Im Gegensatz zur vorstehenden Konstellation ergibt sich damit, entgegen einer anderweitigen Praxis, aus der Aufgabe des Strafvoll­ zugs, die Wiedereingliederung des Gefangenen in die Gesellschaft zu ermög­ lichen, keine grundsätzliche Einschränkung vollzugsöffnender Maßnahmen. Vielmehr ist insoweit gerade aufgrund des Gewichtes des Freiheitsgrund­ rechtes der Gefangengen die Ausnahme von dem Grundsatz der Gewährung vollzugsöffnender Maßnahmen zu begründen. 2. Anwendbarkeit der Rechtsprechung zur Folgenabstimmung

Es ist bereits dargestellt worden, dass in der Rechtsprechung anerkannt ist, dass eine Gesamtwürdigung der aufgrund und anlässlich von Straftaten ver­ hängten bzw. angeordneten Folgen vorgenommen wird.362 Das gilt auch für die Maßregeln der Besserung und Sicherung. Eine zusätzliche Rechtsfolge erhöht die Strafempfindlichkeit des Straftäters. Auf dem Boden der Spiel­ raumtheorie erwies sich dieser Zusammenhang als spezialpräventiver im Rahmen von § 46 Abs. 1 S. 2 StGB. Mithin kann die höhere Strafempfind­ lichkeit lediglich innerhalb des Schuldrahmens Berücksichtigung finden. Der ausgewiesene Begründungszusammenhang ist bereits kritisiert worden und die Strafempfindlichkeit auf der Grundlage der freiheitsgesetzlichen Strafthe­ orie als Ausdruck der Schuldgebundenheit der Strafe vermittelt worden.363 Dennoch soll folgend, ausgehend von der Spielraumtheorie, die Anwendbar­ keit der Rechtsprechung zur Folgenabstimmung gezeigt werden. Im Gegensatz zu den oben aufgezeigten Anwendungsschwierigkeiten bei der Berücksichtigung des nicht absehbaren Vollzugs der Sicherungsverwah­ rung364, steht die intensivere Belastung des Gefangenen im Strafvollzug zum Zeitpunkt des Strafurteils im Wesentlichen fest. Zwar würde die jewei­ lige vollzugsöffnende Maßnahme erst im Strafvollzug und damit in der Zu­ kunft ergehen. Die Belastung geht aber mit der gleichzeitigen Anordnung der Sicherungsverwahrung im Strafurteil einher und ist in dem oben aufgezeigten Umfang bestimmbar. Das berechtigt ihre strafmildernde Berücksichtigung innerhalb des Schuldrahmens auf dem Boden der Spielraumtheorie. 3. Ergebnis

Die intensivere Belastung des Gefangenen im Strafvollzug aufgrund der Anordnung der Sicherungsverwahrung im Urteil zeigt sich in der einge­ 361  BVerfG

NJW 1998, 1133 (1134). oben: 3. Teil 2. Kap. C. II. 363  Siehe oben: 3. Teil 2. Kap. C. II. 3. a). 364  Siehe oben: 3. Teil 2. Kap. C. I. 3. c). 362  Siehe



2. Kap.: Die Theorie vom Schuldrahmen307

schränkten Gewährung von vollzugsöffnenden Maßnahmen. Das erhöht die Strafempfindlichkeit des Strafgefangenen. Auf dem Boden der Spielraumthe­ orie ist sie in Anwendung der Grundsätze zur Folgenabstimmung innerhalb des Schuldrahmens strafmildernd zu berücksichtigen. Auch in diesem argu­ mentativ zwingenden Zusammenhang kann nicht unerwähnt bleiben, dass sich eine Bestimmung des Strafabschlages als äußerst schwierig erweist. II. Gesamtabstimmung der Strafe mit der Maßregel der Führungsaufsicht nach § 68 StGB Mit der Anordnung der Sicherungsverwahrung geht stets Führungsaufsicht einher. Mithin wäre  – auf der Grundlage der Spielraumtheorie,  – daran zu denken, diese in die Wechselwirkung einzubeziehen. Die Berücksichtigung der Führungsaufsicht im Rahmen der Strafzumessung mag auf den ersten Blick sicherlich fernliegen. Wie zu zeigen sein wird bietet sie einen erhebli­ chen Vorteil gegenüber der doch sehr begrenzten Wechselwirkung zwischen der Strafe und der Sicherungsverwahrung nach Auffassung der Rechtspre­ chung. In den Fällen der Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwah­ rung nach § 66 StGB im Strafurteil tritt stets Führungsaufsicht kraft Gesetzes ein. Wird die Sicherungsverwahrung im Strafurteil angeordnet und fällt die Prüfung über die weiterhin bestehende Erforderlichkeit der Unterbringung vor Ende des Strafvollzugs nach § 67c Abs. 1 S. 1 StGB negativ aus, so wird die Sicherungsverwahrung zur Bewährung ausgesetzt und es tritt Führungs­ aufsicht ein, §§ 67c Abs. 1 S. 2 i. V. m. 68 Abs. 2 StGB. Befindet sich der Straftäter bereits im Vollzug der Sicherungsverwahrung, so kann deren wei­ tere Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt werden. Damit tritt wiederum Führungsaufsicht ein, §§ 67d Abs. 2 i. V. m. 68 Abs. 2 StGB. Wird der Siche­ rungsverwahrte nach zehn Jahren in der Unterbringung mangels besonders negativer Sozialprognose aus dem Vollzug entlassen und die Maßregel für erledigt erklärt, tritt Führungsaufsicht ein, §§ 67d Abs. 3 i. V. m. 68 Abs. 2 StGB. Das gilt ebenso für die sich daran anschließenden jährlichen Prüfun­ gen nach § 67e Abs. 1 S. 1, Abs. 2 StGB.365 Erst mit dem Ablauf der Füh­ rungsaufsicht ist die Vollstreckung der Sicherungsverwahrung endgültig erle­ digt, § 67g Abs. 5 StGB. 365  Theoretisch kommt dann nach dem Gesetz auch eine Aussetzung der weiteren Vollstreckung zur Bewährung in Betracht. Daran würde sich einerseits ebenfalls die Führungsaufsicht anschließen (§ 67d Abs. 2 i. V. m. § 68 Abs. 2 StGB). Andererseits scheint es praktisch ausgeschlossen, die negative Prognose nach § 67d Abs. 3 StGB zu stellen, aber die Vollstreckung gleichzeitig zur Bewährung auszusetzen: Rissingvan Sann / Peglau, in: LeipzigerKomm StGB, § 67d Rn. 74.

308

3. Teil: Die Strafzumessung

Mit der Maßregel der Führungsaufsicht wird nach geltendem Recht die Sicherung und Resozialisierung verfolgt.366 Nach dem Vollzug einer Frei­ heitsstrafe und dem sich daran gegebenenfalls anschließenden Vollzug der Sicherungsverwahrung werden die Straftäter eng überwacht und kontrolliert, wodurch die Allgemeinheit gesichert wird. Das geschieht beispielsweise durch (strafbewehrte) Weisungen nach § 68b StGB. Durch eine Betreuung nach teils langjährigem Freiheitsentzugs soll die Wiedereingliederung in die Gesellschaft „helfend und betreuend“, vgl. § 68a Abs. 2 StGB, gefördert werden. Ihre Dauer beträgt mindestens zwei Jahre, § 68c Abs. 1 S. 1 StGB und regelmäßig höchstens fünf Jahre, kann aber auch unbefristet angeordnet oder verlängert werden, §§ 68c Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1, Abs. 3 S. 1 StGB. Vor Ablauf der zweijährigen Mindestdauer kann die Führungsaufsicht nicht aufgehoben werden, § 68e Abs. 2 S. 2 StGB. Zur Vermeidung unnötiger Doppelbetreuungen können lediglich bestehende oder neu hinzutretende ­Führungsaufsichten durch Gerichtsbeschluss entfallen, §§ 68e Abs. 1 S. 3, 4 StGB.367 In allen Fällen, in denen die Sicherungsverwahrung im Strafurteil angeord­ net wird, tritt somit Führungsaufsicht kraft Gesetzes und unabhängig vom ihrem Vollzug für mindestens zwei Jahre ein. Damit steht fest, dass es in den hier thematisierten Fällen stets zu einer mindestens zweijährigen Belastung des Straftäters durch die Maßregel der Führungsaufsicht kommt. Diese Be­ lastung tritt strafergänzend neben die Strafe und ist außerdem bereits zum Zeitpunkt des Strafurteils gewiss. Letztlich ist sie auch erheblich.368 Die möglichen Weisungen nach § 68b Abs. 1 StGB greifen teilweise tief in die persönliche Lebensgestaltung und damit in die Handlungsfreiheit der unter die Führungsaufsicht Gestellten nach Art. 2 Abs. 1 GG ein.369 Sie können auch kumulativ angeordnet werden.370 Deren Verletzung ist nach geltendem Recht strafbewehrt, § 145a StGB. Weitere Weisungen können nach § 68b Abs. 2 StGB erteilt werden. Ihre Verletzung ist zwar nicht strafbewehrt und ihre Eingriffsqualität nicht mit denjenigen in Abs. 1 aufgeführten Weisungen vergleichbar. Ein gröblicher und beharrlicher Verstoß führt aber auch hier

366  Siehe

oben: 2. Teil 1. Kap. A. I. 2. 17 / 3403, S. 40; Eschelbach, in: Matt / Renzikowski, § 68e Rn. 4; Fischer, § 68e Rn. 8a. § 68e Abs. 1 S. 3 StGB ist also nicht so zu lesen, dass die Führungsaufsicht bei Aussetzung der Sicherungsverwahrung zur Bewährung gänzlich entfällt. 368  Zu diesem Kriterium: BGHSt 44, 125 (126). 369  Krit. und daher eine „sachgerechte Handhabung im Einzelfall“ fordernd: Schneider, in: LeipzigerKomm StGB, § 68e Rn. 14. 370  Groß, in: MünchenerKomm StGB, § 68e Rn. 5; Schneider, in: Leipziger­ Komm StGB, § 68e Rn. 12. 367  BT-Drucks.



2. Kap.: Die Theorie vom Schuldrahmen

309

beispielsweise zum Widerruf der Aussetzung der Sicherungsverwahrung, vgl. § 67g Abs. 1 Nr. 2 StGB. Weil die Rechtsprechung zur Folgenbelastung für sämtliche, auch für nicht freiheitsentziehende Maßregeln gilt371, ist sie auf die vorliegende Konstella­ tion übertragbar. Die zusätzlich zur Strafe hinzutretende Belastung des Straf­ täters durch die sich in jedem Fall anschließende Führungsaufsicht ist folg­ lich bei der Strafzumessungsentscheidung des Tatgerichts im gegebenen Schuldrahmen strafmildernd zu berücksichtigen. Im Vergleich zum tiefgrei­ fenden Eingriff in die Rechte des Sicherungsverwahrten durch den Vollzug der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung, ist das Gewicht der Be­ schränkung der Freiheit durch die Führungsaufsicht zwar schwächer, sodass sich in geringerem Umfang eine strafmildernde Berücksichtigung ergibt. Es ist aber deutlich größer als das des Eingriffs in das Persönlichkeits- und Frei­ heitsrecht des Straftäters aufgrund der Anordnung bzw. des Vorbehalts der Sicherungsverwahrung und des verschärften Strafvollzugs. Für die Rechtsprechung würde sich diese Berücksichtigung sogar auf prä­ ventiver Ebene der Strafzumessungsentscheidung des Tatgerichts ergeben. Die Funktionen der Führungsaufsicht stimmen mit denen der Sicherungsver­ wahrung überein. Diese Funktionen bestimmen als Nebenzwecke auch die Strafe. Eine Übernahme dieser Strafzwecke durch die Führungsaufsicht ist daher möglich. Weil sich die Führungsaufsicht in jeder Konstellation an die zur Bewährung ausgesetzte bzw. für erledigt erklärte Sicherungsverwahrung anschließt, findet die Funktionsübernahme auf jeden Fall auch tatsächlich statt. Die Strafe kann deshalb innerhalb des schuldangemessenen Spielraums milder ausfallen. So gesehen bestehen auf dem Boden der Spielraumtheorie keine Bedenken gegen eine grundsätzlich strafmildernde Berücksichtigung der strafergänzenden Führungsaufsicht in den Fällen der Anordnung oder des Vorbehalts der Sicherungsverwahrung. Anstatt auf den Vollzug der Unter­ bringung abzustellen, sollte argumentativ auf die strafergänzende Führungs­ aufsicht rekurriert werden. Aus der oben kritisch beurteilten Rechtsprechung ergaben sich verfahrens­ technische Bedenken, die in diese Neuausrichtung einzugliedern sind. Die Begründung ist also sowohl mit Präventionserwägungen als auch unter dem Aspekt des erforderlichen Schuldausgleichs möglich. Straftheoretisch bilden die präventiven Zwecke nach der Rechtsprechung lediglich Nebenzwecke zum erforderlichen Schuldausgleich. Das bestimmt auch die Strafzumes­ sungstheorie der Rechtsprechung. Die Begründung sollte daher anhand des Erfordernisses einer Gesamtabstimmung erfolgen. Der spezialpräventive As­ pekt tritt dagegen in den Hintergrund. 371  Siehe

oben: 3. Teil 2. Kap. C. II. 2.

310

3. Teil: Die Strafzumessung

III. Verfahrensrechtliches Zum einen ist zu fordern, dass der Umstand der Berücksichtigung der strafmildernden Wirkung Eingang in die Urteilsfeststellungen findet. Sowohl eine spezialpräventive Begründung, als auch die Folgenbelastung knüpfen an die zu berücksichtigenden Wirkungen der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft, § 46 Abs. 1 S. 2 StGB, an. Dieser ist ein bestim­ mender Strafzumessungsgrund i. S. v. § 267 Abs. 3 S. 1 2. HS StPO.372 Weil zweitens die strafmildernde Berücksichtigung regelmäßig zum Erreichen des (gerade) noch schuldangemessenen Niveaus führen dürfte, ist ein für das Tatgericht besonders begründungsbedürftiger Bereich betroffen. Eine Nicht­ erwähnung in den Urteilsgründen, wie teilweise vorgefunden, wäre damit ausgeschlossen. Ist eine Gesamtstrafe zu verhängen, so darf die Berücksich­ tigung grundsätzlich nur bei der Zumessung der Gesamtstrafe erfolgen. Die Berücksichtigung bei einer Einzelstrafenbildung führt regelmäßig zu großen Zufälligkeiten. Sie kann nur erfolgen, wenn sie an die Stelle einer Gesamt­ strafe tritt, weil das die Sicherungsverwahrung anordnende Strafurteil keinen, auch nicht nachträglich, gesamtstrafenfähigen Tatbestand enthält. Das führt zu gleichmäßigerer Handhabung im Vergleich zu der jetzigen Rechtspre­ chung, die insoweit uneinheitlich ist. Daher wäre im Strafurteil zu formulie­ ren: „Bei der Bemessung der (Gesamt-)Strafe hat die Strafkammer zugunsten des Ange­ klagten berücksichtigt, dass sich der Vollzug der Freiheitsstrafe gegenüber dem Angeklagten aufgrund der Anordnung der Sicherungsverwahrung intensiver erweist und sich die Führungsaufsicht an den Strafvollzug oder die Vollstreckung der Si­ cherungsverwahrung anschließt.“

Revisionsrechtlich ist, auf dem Boden der Spielraumtheorie, von einer Wechselwirkung der Strafe mit der Führungsaufsicht aufgrund des Erforder­ nisses der Gesamtabstimmung auszugehen. Fehlen im tatgerichtlichen Urteil Feststellungen dazu, die erforderlich wären, dann ist fraglich, ob eine Be­ rücksichtigung stattgefunden hat. Aus revisionsrechtlicher Sicht ist es ausrei­ chend, dass dieser Mangel lediglich „nicht auszuschließen“ ist. Daher muss in diesen Fällen der Strafausspruch aufgehoben werden. Die Anordnung oder der Vorbehalt der Sicherungsverwahrung und deren Unterbleiben können selbständig angefochten werden. Eine Aufhebung des Maßregelausspruchs hat keine strafzumessungsrechtliche Auswirkung. Ebenso ist es strafzumes­ sungsrechtlich irrelevant, wenn das Revisionsgericht das Strafurteil aufhebt, weil die Sicherungsverwahrung angeordnet werden musste. 372  BGHR StGB § 46 Abs. 1 Schuldausgleich 2; OLG Dresden StV 2000, 560 (560); Schaffstein, in: FS Gallas, S. 99 (106); Miebach / Maier, in: MünchenerKomm StGB, § 46 Rn. 50. Im Erg. auch Fischer, § 46 Rn. 71.



2. Kap.: Die Theorie vom Schuldrahmen311

E. Zusammenfassung Im Rahmen der hier interessierenden Frage der Wechselwirkung von Strafe und Sicherungsverwahrung war als erstes die von der Rechtsprechung und der herrschenden Auffassung in der Literatur vertretene „Spielraumtheorie“ zu würdigen. Nach dem hier vertretenen straftheoretischen Ansatz unterfiel bereits die theoretische Ausrichtung dieser herrschenden Meinung der Kritik. In der Folge konnte gezeigt werden, dass in der Rechtsprechung argumenta­ tiv etliche Ansätze vertreten werden, um eine strafmildernde Wechselwirkung zwischen der Strafe und die dieser ergänzenden Maßregel zu begründen. Die einzelnen Begründungsansätze waren entweder nicht geeignet eine Wechsel­ wirkung zu begründen oder, waren zwar legitim, aber blieben in ihrer prakti­ schen Auswirkung beschränkt oder vernachlässigenswert im Hinblick auf ein Strafquantum. Das erwies sich als unangemessen im Hinblick auf den erheb­ lichen strafergänzenden Eingriff in die Freiheit der Straftäter. Weitere Frikti­ onen zeigten sich auch in der Verfahrensweise der Gerichte. Hier war einer­ seits die Abstimmung sowohl bei der Einzel- als auch bei der Gesamtstrafen­ bildung zu kritisieren. Ebenfalls unterlag die Rechtsprechung zur begrenzten Anfechtbarkeit des Rechtsfolgenausspruchs in diesem Zusammenhang der Kritik. Letztlich hat ein Vergleich mit der Rechtsprechung zu den weiteren strafergänzenden und im Besonderen auch strafvertretenen Maßregeln nach §§ 63 und 64 StGB ergeben, dass es einer strafmildernden Berücksichtigung dann nicht bedarf, wenn aufgrund des Vikariierens von Strafe und strafergän­ zender Maßregel eine Abstimmung der Vollstreckung möglich ist. Als tragfähige Begründung einer Wechselwirkung erwies sich der Gedanke der „Gesamtabstimmung von Rechtsfolgen“. Freilich unterfiel die spezialprä­ ventive Ableitung nach dem hier vertretenen Standpunkt der Kritik. Im Kern ist der Gedanke jedoch berechtigt. Die Empfindlichkeit einer Strafe ist durch eine weitere Maßnahme erhöht. Die praktische Ausrichtung der Rechtspre­ chung durch Berücksichtigung des Vollzugs der Sicherungsverwahrung war wiederum zu kritisieren. Es wurde aber dargelegt, dass es hier wesentlich auf weitere, bisher nicht deutlich hervorgehobene Aspekte ankommen muss. Das betrifft einerseits den bereits empfindlicheren Vollzug der Freiheitsstrafe im Fall einer angeordneten Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach § 66 StGB. Andererseits wurde auch die in allen Fällen strafergänzende Maßregel der Führungsaufsicht bisher nicht hinreichend beachtet. Beide As­ pekte konnten in die Rechtsprechung zur Gesamtabstimmung von Rechtsfol­ gen integriert werden. Damit wurde die bisher bereits vom Ergebnis überzeu­ gende Rechtsprechung inhaltlich umformuliert. Damit einhergehend wurde vorgeschlagen diese Wechselwirkung grundsätzlich nur bei der Gesamtstra­ fenbildung vorzunehmen.

312

3. Teil: Die Strafzumessung

Gleichzeitig wurde herausgearbeitet, dass eine Berücksichtigung des Vor­ behalts der Sicherungsverwahrung nach § 66a StGB im Rahmen der Strafzu­ messungsentscheidung des Tatgerichts theoretisch, und entgegen der Hand­ habung in der Praxis, keine Bedeutung zukommt. Der Vollzug der Strafe ist durch den Vorbehalt der Sicherungsverwahrung von Gesetzes wegen nicht empfindlicher für die Täter. In der Theorie konnte folglich lediglich der Ein­ griff in das Persönlichkeitsrecht des Straftäters durch die Anordnung des Vorbehalts an sich als weitere Folge herangezogen werden. Dessen Strafmaß­ relevanz konnte jedoch nicht als relevant betrachtet werden. Im Ergebnis ließ sich die Rechtsprechung also auf zulässige Argumente zur Begründung der Wechselwirkung zwischen Strafe und Sicherungsver­ wahrung zurückführen. Aus der hier vertretenen straftheoretischen Sicht muss es jedoch dabei verbleiben, dass die strafzumessungsrechtliche Abstim­ mung den Zusammenhang zwischen der abzuurteilenden Tat(en) und der habituellen Schuld des Täters nur unzureichend aufgreift und in der Folge den gesteigerten Resozialisierungsanspruch des Gewohnheitstäters nur einge­ schränkt umsetzt. 3. Kapitel

Weitere theoretische Ansätze Neben der von der herrschenden Meinung vertretenen Spielraumtheorie zur Strafzumessung werden eine Reihe weiterer theoretischer Ansätze vertre­ ten. Diese werden im Folgenden vorgestellt und im Hinblick auf das in dieser Arbeit interessierende Problem der Wechselwirkung zwischen Strafe und Sicherungsverwahrung untersucht.

A. Die Strafzumessung nach der Spielraumtheorie auf der Grundlage der präventiven Vereinigungstheorie Die insbesondere von Roxin vertretene präventive Vereinigungstheorie steht – strafzumessungsrechtlich – der Auffassung der Rechtsprechung nahe, weswegen zuerst auf diese einzugehen ist. I. Allgemeines zur Strafzumessung Nach der präventiven Vereinigungstheorie ist neben der strafrechtlichen Tatschuld ein präventives Strafbedürfnis zur Rechtfertigung staatlicher Strafe erforderlich.373 Im Rahmen der Bemessung der Strafe nimmt die Spezialprä­ 373  Ausführlich

zum Ganzen: 1. Teil 1. Kap. C. I. 1. b).



3. Kap.: Weitere theoretische Ansätze313

vention den entscheidenden ersten Rang ein. Die (positive) Generalpräven­ tion dient lediglich dazu, eine zu niedrige und mit dem Rechtsgefühl der Allgemeinheit nicht zu vereinbarende Strafe zu vermeiden; sie bildet also die Untergrenze. Die Schuld wirkt lediglich begrenzend, indem sie ein Obermaß angibt. Die konkrete Strafe findet sich für Roxin, wie für die Rechtsprechung auch, innerhalb eines Spielraumes.374 Der entscheidende Unterschied ist je­ doch, dass es für Roxin, entgegen der Rechtsprechung, zulässig ist, den Spielraum aus spezialpräventiven Gründen bis zur Grenze des generalprä­ ventiv Vermittelbaren zu unterschreiten. Das stellt freilich die Ausnahme dar, wohingegen grundsätzlich innerhalb des Rahmens in spezialpräventiver Hin­ sicht die konkrete Strafe bestimmt wird.375 Gegen diese Strafzumessungstheorie sind dieselben Einwände geltend zu machen, die auch gegen die Spielraumtheorie vorgebracht wurden.376 So­ weit eine Unterschreitung der Schuld für zulässig erachtet wird, widerspricht das der ausdrücklichen Vorgabe von § 46 Abs. 1 S. 1 StGB, wonach die Schuld auch die Grundlage (und nicht lediglich die Obergrenze) der Strafe darstellt.377 II. Auswirkungen auf den Untersuchungsgegenstand Soweit ersichtlich hat Roxin bisher nicht ausdrücklich Stellung zur Wech­ selwirkung von Strafe und Maßregel, insbesondere der Sicherungsverwah­ rung, bezogen. Den allgemeinen Ausführungen nach ergibt sich Folgendes: Nach der präventiven Straftheorie besteht erstens eine Funktionsidentität zwischen der Strafe und der davon zu unterscheidenden Maßregel. Eine Übernahme der Funktion der Strafe durch die Maßregel dürfte daher in Be­ tracht kommen. Damit wäre eine Wechselwirkung anzunehmen. Zweitens bestimmt sich das Maß der Strafe innerhalb des Spielraums wesentlich nach den Bedürfnissen der Spezialprävention. Das zielt weitgehend darauf ab, entsozialisierende Wirkungen der Strafe zu vermeiden. Damit dürfte sich auch für Roxin die Wechselwirkung als strafmildernd darstellen. Soweit liegt Roxin auf einer Linie mit der Rechtsprechung. Fraglich ist nun, ob aufgrund der Funktionsübernahme auch die Unterschreitung des Spielraums zulässig wäre. Dadurch könnte das zusätzliche Übel der strafergänzenden Maßregel 374  Roxin,

in: FG Schultz, S. 463 (466, 469); ders., in: FS Bruns, S. 183 (183). Ganzen: Roxin, in: FG Schultz, S. 463 (479 f.). Die Schuldunterschrei­ tung ebenfalls für zulässig erachtend: Lackner, in: FS Gallas, S. 117 (122); Frisch, ZStW 99 (1987) I, S. 349 (369); Sonnen, in: FS Puppe, S. 1006 (1011); Stree / Kinzig, in: Schönke-Schröder, § 46 Rn. 5 und Vorbem. §§ 38 ff. Rn. 21 m. w. N. 376  Siehe oben: 3. Teil 2. Kap. A. II. 377  Zipf / Dölling, in: Maurach / Gössel / Zipf, § 62 Rn. 17 siehe aber auch Rn. 81. 375  Zum

314

3. Teil: Die Strafzumessung

weitergehend berücksichtigt werden, als nach der Rechtsprechung. Die Aus­ führungen Roxins zu den Konstellationen, in welchen eine Schuldunter­ schreitung in Betracht kommt, sind recht knapp. Exemplarisch werden regel­ mäßig nur Fälle geringfügiger Kriminalität erwähnt.378 Dagegen soll im Falle schwerer Kriminalität der Spielraum eher ausgeschöpft als unterschrit­ ten werden.379 Hier käme dann die strafmildernde Berücksichtigung zum Zuge. Gleichzeitig dürften für Roxin generalpräventive Erwägungen, deren Maß freilich kaum anzugeben ist, einer Schuldunterschreitung in diesen Fäl­ len entgegenstehen. Denn der Allgemeinheit dürfte es schwer vermittelbar sein und nicht auf Akzeptanz stoßen, wenn die Strafe für ein schweres Delikt zu milde ausfällt. Im Ergebnis laufen die Erwägungen Roxins parallel zu der Auffassung der Rechtsprechung auf eine Wechselwirkung innerhalb des Schuldrahmens hi­ naus und unterliegen daher derselben Kritik.380 Eine Auswirkung der Zuläs­ sigkeit schuldunterschreitender Strafen im Einzelfall ergibt sich wohl nicht.

B. Die Strafzumessung auf der Grundlage des freiheitsgesetzlichen Ansatzes Einen strafzumessungsrechtlich eigenen Weg geht die freiheitsgesetzliche Theorie Köhlers. Es wurde bereits dargestellt, dass nach diesem Ansatz die Strafe in ihrer Begründung aus dem freiheitsgesetzlichen Strafbegriff entwi­ ckelt wird und strikt schuldgebunden ist.381 Im Folgenden soll die Strafzu­ messungentscheidung des Tatgerichts im Falle habituellen Unrechts darge­ stellt und kritisch beurteilt werden sowie die Frage der Wechselwirkung zwischen Strafe und Sicherungsverwahrung, die auch nach Köhler ihrer Rechtsnatur nach Strafe ist, kritisch hinterfragt werden. I. Die konkrete Strafbemessung unter Einbeziehung habitueller Schuld Die Bemessung der Strafe i. w. S. erfolgt konsequenterweise strikt schuld­ gebunden. Das durfte jedoch nicht dahingehend verstanden werden, dass folgenorientierte Aspekte gänzlich unberücksichtigt bleiben. Nach Auffas­ sung Köhlers können sie Berücksichtigung bei der Bestimmung der Art und Höhe der Strafe finden, sofern sie sich als Ausdruck der Willensschuld refor­ 378  Roxin, in: FS Müller-Dietz, S. 701 (712): kleine bis mittelschwere Delikte; ders., in: FS A. Kaufmann, S. 519 (522): „gerinfügige Fahrlässigkeit oder geringes Verschulden beim Verbotsirrtum“. 379  Roxin, in: FS Müller-Dietz, S. 701 (712). 380  Siehe oben: 3. Teil 2. Kap. C. I. 2. 381  Siehe oben: 1. Teil 1. Kap. C. II. 2.



3. Kap.: Weitere theoretische Ansätze315

mulieren lassen. Ansonsten sind sie abzulehnen.382 Der Resozialisierungsan­ spruch des Straftäters wird in die Strafgerechtigkeit integriert und damit, de lege lata betrachtet, § 46 Abs. 1 S. 2 StGB entsprochen. Die Findung der konkreten Strafe ist nach dem freiheitsgesetzlichen An­ satz ein Prozess.383 Die gedankliche Untergliederung in Abschnitte, das sog. Stufenmodell, zur Findung der konkreten Strafe findet, wenngleich freiheits­ gesetzlich modifiziert, Anwendung. Ausgangspunkt sind die Strafrahmen als Ausdruck der möglichen Schuldmaße (nicht aber auch präventiver Aspekte). Innerhalb derer wird vom Tatgericht verlangt, aufgrund des verschuldeten Unrechts (unter Berücksichtigung der umformulierten präventiven Aspekte) zu einer konkreten Strafe zu gelangen. Damit folgen aus dem Maß des ver­ schuldeten Unrechts auch eine konkrete Strafe und kein Spielraum schuldan­ gemessener Strafen, wie in die Rechtsprechung annimmt. Das Tatgericht hat die relevanten Umstände festzustellen, zu bewerten und sich an vergleichba­ ren Fällen orientieren. Dabei hält Köhler zwar die Einordnung des in der Praxis am häufigsten vorkommenden Falls, dem sog. Regelfall, im unteren Drittel des Strafrahmens für bedenklich, aber im Ergebnis für zulässig. Das Auseinanderfallen von Regelfall zum gedanklichen Durchschnittsfall, für den die Mitte des Strafrahmens eine schuldadäquate Strafe abbildet, entstünde nämlich durch eine Nichtanpassung der Strafrahmen durch den Gesetzgeber im Laufe der Zeit.384 Die dem Strafgesetz ursprünglich zugrundeliegenden Vorstellungen und Wertungen in Bezug auf die Schwere des Rechtsgutsein­ griffs und die erforderliche Sanktion unterliegen jedoch Änderungen. Konse­ quenter Weise müssten die Strafrahmen ständig angepasst werden, damit idealerweise der Regelfall in der Mitte des gegebenen Strafrahmens einge­ ordnet werden kann.385 Wird das vom Gesetzgeber (einer stabilen Gesell­ schaft) nicht geleistet, muss der Regelfall von der Mitte des Strafrahmens abweichend im unteren Drittel des Strafrahmens verortet werden. Die tatrich­ terliche Strafzumessungsentscheidung ist auch nach Köhler revisionsrechtlich nur begrenzt überprüfbar. Dem Tatgericht wird grundsätzlich ein Beurtei­ lungsspielraum zugestanden.386 Habituelles Strafunrecht wird in dieser Strafzumessungstheorie schuld­ rechtlich gedeutet und in die Strafe aufgenommen. Anknüpfungspunkt ist die fehlerhaft gebildete Haltung bzw. Einstellung zum Recht als Teil der Wil­ lensschuld. Durch sie erweisen sich die Lebensentscheidungen des Täters 382  Das gilt gleichermaßen für den nachfolgenden Vollzug: Köhler, Strafrecht AT, S.  637 f. 383  Zum Ganzen: Köhler, Strafrecht AT, S. 595 ff. 384  Köhler, Strafrecht AT, S. 597. 385  Köhler, Strafrecht AT, S. 596. 386  Köhler, Strafrecht AT, S. 605.

316

3. Teil: Die Strafzumessung

(vermittelt durch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen) als Kompo­ nente der Tatschuld. Das wiederum bedeutet, dass der Straftäter, der einen Hang zu erheblichen Straftaten hat, größere (strafrechtliche) Schuld aufweist, weil seine Handlungsmaxime besonders gravierend von einer an sich rechtli­ chen Maxime abweicht als beispielsweise bei einer vereinzelten Konflikttat. Diese schlägt sich dann in einer höheren Strafe nieder.387 Gleichzeitig ver­ langt die Strafgerechtigkeit aber auch, dem Täter intensivere Behandlungs­ möglichkeiten anzubieten.388 Das liegt in der gesellschaftlichen Mitverant­ wortung begründet. Die erhöhte Strafe muss freilich den Anforderungen des Schuldprinzips fol­ gend bestimmt sein; eine unbestimmte Sicherungsstrafe verbietet sich. Für die Bestimmung eines habituell schuldhaft vermittelten Strafmaßes erachtet Köh­ ler die geltenden Strafrahmen als unzureichend, weil der Gesetzgeber bei der Aufstellung dieser regelmäßig von einer isoliert zu betrachtenden Einzeltat ausgeht.389 Bereits begrifflich können diese Strafrahmen habituelles Unrecht nicht vollständig abbilden. Insofern wird de lege ferenda für höhere Strafrah­ men plädiert.390 De lege lata wird damit habituelle Delinquenz zu milde be­ straft. Schuld- und Strafmaßquantifizierungen im Bereich habitueller Delin­ quenz wurden zwar noch nicht abschließend vorgestellt. Der Grad der Verfes­ tigung geltungsverneinender Normhaltung sowie das Maß der gesellschaftli­ chen Verantwortung müssen jedoch in maßgerechter Strafe aufgehoben werden.391 Eine weitere Konsequenz ist freilich, die Begrifflichkeiten des geltenden Rechts unter Schuldgesichtspunkten umzuformulieren, also insbe­ sondere „Hang“ und „Gefährlichkeit“ als Komponenten habitueller Schuld auszuweisen.392 So soll dann eine unzuverlässige Prognose durch eine in der Tatschuld zum Ausdruck kommende Habitualität ersetzt werden. Auf ein qua­ lifiziertes Rückfallerfordernis muss unbedingt bestanden werden, um die 387  Köhler,

in: FS Jakobs, S. 273 (283, 287). in: FS Jakobs, S. 273 (288); Klesczewski, HRRS 2010, S. 394 (402). Grundsätzlich zur Ableitung des Resozialisierungsanspruchs aus der Verteilungsge­ rechtigkeit oben: 1. Teil 1. Kap. C. II. 1. c). 389  Köhler, Strafrecht AT, S. 595; ders., in: FS Jakobs, S. 273 (291). 390  Köhler, in: FS Jakobs, S. 273 (291); Klesczewski, HRRS 2010, S. 394 (402 f.). Klesczewski will den geltenden Strafrahmen für die zugrundeliegenden Anlasstaten darüber hinaus eine Aussage über die zulässige Dauer der weiteren Freiheitsentzie­ hung entnehmen: Klesczewski, Strafrecht AT, Rn. 30. Anders offenbar: OLG Olden­ burg, Beschl. v. 28.  April 2015, Az.: 1 Ws 220 / 16, juris: Unbedenklichkeit eines­ 13-jährigen Vollzugs [§ 63 StGB] bei Strafrahmenobergrenze von zehn Jahren [§ 224 StGB]. 391  Köhler, Strafrecht AT, S. 449, 643. 392  Köhler, in: FS Jakobs, S. 273 (291). Zur Umformulierung der „formellen“ Voraussetzungen: ders., NJW 1975, S. 1150 (1152 f.). s. a. Klesczewski, HRRS 2010, S. 394 (402). 388  Köhler,



3. Kap.: Weitere theoretische Ansätze317

Schuldschweresteigerung als Ausdruck habitueller Schuld auszuweisen. Das sei bspw. bei Rückfallkriminalität der Fall. Hier ergibt sich das höhere Schuld­ maß bereits daraus, dass trotz Auseinandersetzung mit einer Vortat im Straf­ verfahren und dem Vollzug der Strafe, der Täter erneut delinquiert.393 Auch wenn Köhler de lege ferenda für eine Abschaffung der Sicherungs­ verwahrung plädiert, zieht er für die Anwendung de lege lata Schlüsse aus der freiheitsgesetzlichen Theorie. So forderte er den Bereich der mittleren Vermögenskriminalität aus dem Anwendungsbereich der Sicherungsverwah­ rung auszunehmen394, was mittlerweile der geltenden Gesetzeslage entspricht. Im Bereich schwerer Vermögenskriminalität sowie im Bereich der Verletzung schwer wiegender persönlicher Rechtsgüter würde nach Köhler unter Fest­ stellung der habituellen Schuld die Sicherungsverwahrung anzuordnen sein.395 Dabei wäre dann auch die Strafe mit der Sicherungsverwahrung „abzustimmen“.396 II. Kritische Beurteilung Richtig ist, dass die Sicherungsverwahrung ihrer Natur nach als Strafe ausgewiesen wird. Die Bemühungen, die für die Strafe geltenden Prinzipien auf die Sicherungsverwahrung nach geltendem Recht anzuwenden, sind da­ her im Prinzip zutreffend. Habituelle Schuld und die Rückfallgefährdetheit eines Straftäters ergeben sich aus seinen bisher getroffenen Entscheidungen, vor allem den Entschlüssen Straftaten zu begehen, und sind vermittelt durch die dem Täter gebotenen gesamtgesellschaftlichen Bedingungen. Tatschuld und habituelle Schuld haben daher einen gemeinsamen Ursprung. Die nach geltendem Recht zu treffende Prognose ist letztlich nur Ausdruck der Fest­ stellung der Verschuldung einer Person in der Vergangenheit. Habituelle Kriminalität ist damit schuldrelevant. Die Begrifflichkeiten des geltenden Rechts können ohne weiteres umformuliert werden. Ob auch höhere Straf­ rahmen geschaffen werden müssen, ist fraglich. Nach Köhler werden der Regel- und der Durchschnittsfall höchstens in der Mitte des geltenden Straf­ rahmens eingeordnet. Das lässt zur Erfassung der Fälle habitueller Delin­ quenz im Strafrahmen Spielraum oberhalb der Mitte des Strafrahmens. Letzten Endes sind die Bemühungen aber aus einem anderen Grund zu kritisieren. Die habituell bedingte rechtliche Entwöhnung kann zwar der Art nach, aber  – trotz der bereits geleisteten Schuldmaßdifferenzierun­ 393  Köhler,

in: FS Jakobs, S. 273 (291). Strafrecht AT, S. 642. 395  Köhler, Strafrecht AT, S. 642 f. 396  Köhler, Strafrecht AT, S. 643. 394  Köhler,

318

3. Teil: Die Strafzumessung

gen397 – in ihrem Ausmaß im Strafprozess nicht umfassend festgestellt wer­ den. Obwohl die für eine Feststellung nötigen Tatsachen vorliegen, unter­ scheidet sich deren Bezug doch maßgeblich von dem der Tatschuld de lege lata und damit der Aufwand, welcher in einem Prozess zu betreiben wäre. Dazu kommt die Zukunftsoffenheit menschlichen Verhaltens, welche eine in die Vergangenheit gerichtete Feststellung habitueller Schuld nur ungenü­ gend abbilden kann. Das hatte es gesetzgeberisch gerechtfertigt, die Strafe ohne die habituelle (Tat-)Schuld zu bemessen.398 Aufgrund der Unsicher­ heiten ergibt sich außerdem das Problem der unzureichenden Wiederher­ stellung des Rechts: Jede bestimmte Angabe im Voraus, sei es der Strafe im Urteil oder des Vollzugs der „Maßregel“, scheitert daran, dass es nicht ge­ wiss ist, ob dieser zeitliche Rahmen zum Ausgleich der weiten Tatschuld und zur Wiedereingliederung des Straftäters in die Gesellschaft ausreicht. Was im Rahmen der vereinzelt bleibenden Kriminalität nicht besonders ins Gewicht fällt, wird hier offensichtlich: Es ist möglich, dass ein rückfallge­ fährdeter Straftäter in die Freiheit entlassen werden müsste. Diese Un­ sicherheit zwingt zu einer im Grunde unbestimmten Strafe. Den bestehen­ den Unsicherheiten ist daher nur im flexibleren Recht der Sicherungsver­ wahrung nach derzeitiger gesetzlicher Ausgestaltung besser beizukommen. III. Die Wechselwirkung von Strafe und Sicherungsverwahrung nach der freiheitsgesetzlichen Theorie Es ist fraglich, ob sich in dieser Strafzumessungstheorie die Frage der Wechselwirkung von Strafe und Sicherungsverwahrung überhaupt stellt. 1. Möglichkeit der Wechselwirkung nach der freiheitsgesetzlichen Theorie

Die Strafe wird strikt nach Schuldmomenten bemessen. Die Tatschuld enthält sowohl ein habituelles als auch ein aktuelles Element (die Tatschuld nach der herrschenden Auffassung). Die Strafe und die Sicherungsverwah­ rung, die ihrer Rechtsnatur nach ebenso Strafe ist, werden somit aus der Natur der Sache aufeinander abgestimmt, denn sie erweisen sich als Kompo­ nenten ein und derselben Tatschuld des Straftäters.

397  Siehe

oben: 2. Teil 2. Kap. A. I. 4. war klargestellt worden, dass auch die Tatschuld der vereinzelt blei­ benden Straftat unter Berücksichtigung der Willensschuld im eigentlichen Sinne fest­ gestellt werden muss, obgleich sich auch hier gewisse Schwierigkeiten in der Bestim­ mung des Maßes zeigen. Siehe oben: 1. Teil 3. Kap. 398  Eingangs



3. Kap.: Weitere theoretische Ansätze

319

Aber auch de lege lata wären die Strafe und die Sicherungsverwahrung nach Köhler aufeinander abzustimmen.399 Auch wenn Köhler dazu keine Ausführungen gemacht hat, dürfe sich das Ergebnis aus folgendem Zusam­ menhang ergeben: Zur Findung der konkreten Strafe ist die Schuld zu ge­ wichten und dadurch zu einem konkreten Maß zu gelangen. Zur Bestimmung der Schuldangemessenheit muss nach Köhler das Unrecht und die Schuld ins Verhältnis zur in Betracht kommenden Strafe gesetzt werden.400 Dadurch können den Täter individuell treffende Folgen, bspw. verschiedene Vermö­ gensverhältnisse bei der Geldstrafe, oder eine natürliche Strafe, wie das Versterben eines Familienangehörigen im Auto während eines alkoholbe­ dingten Verkehrsunfalls, berücksichtigt werden. Mit anderen Worten ist die Strafempfindlichkeit des Straftäters zu berücksichtigen.401 Die Anordnung der Sicherungsverwahrung erhöht, wie gezeigt, die Strafempfindlichkeit des Täters aufgrund des Eingriffs in sein Persönlichkeits- sowie sein Freiheits­ recht.402 Dasselbe gilt für die in jedem Fall zur Strafe ergänzend hinzutre­ tende Führungsaufsicht. Daher kann die Strafe milder ausfallen. Auf die Frage der Wechselwirkung zwischen Strafe und vorbehaltener Unterbringung nach § 66a StGB ist Köhler  – soweit ersichtlich  – bisher noch nicht einge­ gangen. Weil sich der Strafvollzug hier von Gesetzes wegen, wie darge­ stellt403, nicht intensiver darstellt, ist die Strafempfindlichkeit des Täters nicht erhöht. Somit dürfte kein Raum für eine Abstimmung de lege lata sein. Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht durch den Vorbehalt ist ohne prakti­ sche Relevanz. 2. Kritische Würdigung

Auch wenn Köhler zur Frage der Wechselwirkung zwischen Strafe und Si­ cherungsverwahrung bisher nur knapp Stellung genommen hat, lässt sich aus den Prämissen seiner Straf(zumessungs)theorie eine Aussage ableiten. Das Ergebnis ist unmittelbar einleuchtend. Zwar kommt keine strafmildernde Wir­ kung im Sinne der Rechtsprechung, also gewissermaßen ein Strafabschlag, in Betracht. Die Abstimmung von Strafe und Sicherungsverwahrung ergibt sich auf der Grundlage seiner Theorie aus der Natur der Sache schuldvermittelt aus der Strafgerechtigkeit.404 Die Wechselwirkung erweist sich damit nicht bloß als ein irgendwie gefundenes Strafmaß am unteren Ende des Schuldrahmens 399  Köhler,

Strafrecht AT, S. 643. Strafrecht AT, S. 597. 401  Köhler, Strafrecht AT, S. 598. 402  Siehe dazu oben: 3. Teil 2. Kap. D. I. 3. 403  Siehe oben: 3. Teil 2. Kap. D. I. 1. c). 404  So Köhler, Strafrecht AT, S. 643. 400  Köhler,

320

3. Teil: Die Strafzumessung

aus nicht näher abgeleiteter und bestimmbarer Prävention, sondern als das konkrete, schuldgerechte Maß der Strafe. Die Ergebnisse zur „Wechselwir­ kung“ de lege lata dürften in der Praxis mit denen der Rechtsprechung über­ einstimmen. Nach beiden ist die zutreffende Erwägung des zusätzlichen Übels, welche die Strafempfindlichkeit des Täters erhöht das ausschlaggebende Kri­ terium der Abstimmung. Vorzugswürdig ist die konsequente Ableitung aus dem Schuldprinzip im Vergleich zu einem kritikwürdigen Nebeneinander ver­ schiedener Elemente der Strafe nach der Rechtsprechung. Aus dem gesteigerten Resozialisationsbedürfnis des Gewohnheitstäters, aufgrund der individuellen Schuld einerseits und der gesellschaftlichen Mit­ verantwortung andererseits, ergeben sich zwangsläufig auch bestimmte Vor­ gaben für den Strafvollzug. Die rehabilitierende Ausrichtung, als Angebot an den Täter, muss nach Köhler in besonderem Maße der habituellen Krimina­ lität entsprechen.405 Der Strafvollzug hat sich vorrangig der Aufgabe zu widmen, mit bestimmten Behandlungsangeboten auf die depravierten Ver­ hältnisse (Haltungsschwäche und deren Verfestigung, Gewicht der gesell­ schaftlichen Mitverantwortung) einzugehen und die Persönlichkeitsbildung und -haltung beim Straftäter insoweit zu fördern, dass ein verantwortungsbe­ wusstes Leben in der Gesellschaft ermöglicht wird.406

C. Die Stellenwerttheorie Ein weiterer theoretischer Ansatz ist die von Henkel so bezeichnete „Stellenwerttheorie“.407 Ihm folgend hat vor allem Horn diesen Ansatz aus­ differenziert. I. Die Theorie Bei der Stellenwerttheorie wird der Akt richterlicher Strafzumessung zwei­ stufig gesehen. Ausgangspunkt ist die Bestimmung des dem Tatunrecht und der Tatschuld im Wesentlichen entsprechenden Strafmaßes, wobei dem Tat­ richter ein Beurteilungsspielraum zugestanden wird.408 Nach Horn orientiert sich das Tatgericht dabei am Regelfall, d. h. dem in der Realität am häufigs­ 405  Köhler,

Strafrecht AT, S. 449. Strafrecht AT, S. 449. 407  Henkel, Strafe, S. 23. 408  Henkel, Strafe, S. 21, 49 f.; Horn, in: SystematischerKomm StGB8, § 46 Rn. 33 f.; ders., in: FS Bruns, S. 165 (170). Nunmehr auch Horn / Wolters, in: Syste­ matischerKomm StGB, § 46 Rn. 33 ff. Lediglich im Jugendstrafrecht will Horn, in: FS Bruns, S. 165 (173) zwingend auch die Spezialprävention zur Strafhöhenbemes­ sung heranziehen. 406  Köhler,



3. Kap.: Weitere theoretische Ansätze321

ten vorkommende Konstellation, die im unteren Drittel des Strafrahmens zu verorten ist.409 Dabei ist das Gericht angehalten, in Umsetzung der von § 46 Abs. 1 S. 2 StGB geforderten Berücksichtigung der Wirkungen der Strafe für das künftige Leben des Straftäters die Strafe am unteren Maß einzuordnen.410 Auf der zweiten Stufe muss der Tatrichter von diesem Maß ausgehend die Art der konkret zu verhängenden Strafe bestimmen. Während auf der ersten Stufe alleinig unrechts- und schuldrelevante Merkmale ausschlaggebend für die Einordnung waren, sollen auf der zweiten Ebene nur die präventiven Aspekte Beachtung finden.411 Das heißt die zweite Ebene betrifft die Fragen der Strafaussetzung zur Bewährung, der kurzen Freiheitsstrafe, des Abse­ hens von Strafe etc. Dabei kann es vorkommen, dass das in Betracht gezo­ gene Strafmaß an der Grenze zu einem nächst höheren Maß liegt, also bei­ spielsweise an der Grenze einer noch zur Bewährung aussetzungsfähigen Freiheitsstrafe. In diesen Fällen hat der Tatrichter innerhalb seines Beurtei­ lungsspielraums von der weniger intensiv eingreifenden Kategorie auszuge­ hen.412 II. Kritische Stellungnahme Auch die sog. „Stellenwerttheorie“ ist ein Konzept, welches versucht, den Vorgang der richterlichen Strafbemessung auf Grundlage der gesetzlichen Anforderungen nachvollziehbar zu machen und diesen somit von seiner ur­ sprünglich recht freien Handhabung durch die Tatrichter auf sichere Füße stellen will.413 Im Ausgangspunkt unterscheiden sich die Stellenwerttheorie und die Theorie des Schuldrahmens nicht wirklich.414 In beiden Konzepten wird als erstes ein gewisses Maß an Schuld unter Hinzuziehung eines Beur­ teilungsspielraums quantitativ bestimmt. Die erste Stufe ist daher strikt tat­ schuldgebunden. Im Rahmen der Spielraumtheorie wird sodann das konkrete Strafmaß innerhalb des Schuldrahmens durch die Berücksichtigung präventi­ ver Aspekte bestimmt. Dagegen steht das Maß der Strafe bei der Stellenwert­ theorie durch die Tatschuld bereits unumstößlich fest. Dem wird ganz über­ 409  Horn,

StV 1986, S. 168 (169, 170). Strafe, S. 50; Horn, in: SystematischerKomm StGB8, § 46 Rn. 35; ders., in: FS Bruns, S. 165 (176 f.). Strikter noch ders., in: FS Schaffstein, S. 241 (247). 411  Horn, in: FS Schaffstein, S. 241 (246 ff). Ähnlich: Henkel, Strafe, S. 22. 412  Horn, in: SystematischerKomm StGB8, § 46 Rn. 36. 413  Horn, in: FS Bruns, S. 165 (172). Sympathisierend: Bruns, in: FS Dreher, S. 251 (263). 414  Nach Eschelbach, in: SSW StGB, § 46 Rn. 40 wird die Stellenwerttheorie je­ doch in der Praxis unausgesprochen angewandt, weil dort die Prävention bei der Strafhöhenbestimmung kaum eine Rolle spielt. 410  Henkel,

322

3. Teil: Die Strafzumessung

wiegend der eindeutige Wortlaut des § 46 Abs. 1 StGB entgegengehalten.415 Danach ist die Schuld lediglich die „Grundlage“ der Strafzumessung und die Auswirkungen der Strafe auf das zukünftige Leben des Straftäters „sind zu berücksichtigen“. § 46 Abs. 1 S. 2 StGB und damit die positive Spezialprävention wurde je­ doch anfangs von den Vertretern der Stellenwerttheorie als unverbindlich angesehen.416 Das entspricht jedoch keineswegs dem gesetzgeberischen Wil­ len417. Horn ist sich dessen ausdrücklich bewusst, beharrt aber auf der Über­ legenheit des Konzepts, welches es berechtigen würde, den historischen Willen des Gesetzgebers zu vernachlässigen.418 Das zeigt, dass es ihm weni­ ger auf die Vereinbarkeit mit der Gesetzeslage, als vielmehr auf die Präsen­ tation eines alternativen Konzepts ankommt.419 Zieht man aber in Betracht, dass die hehren Vorstellungen des historischen Gesetzgebers an die Spezial­ prävention sich auch aufgrund der Schwierigkeit der konkreten Bestimmung nicht erfüllt haben, so liegt eine Übereinstimmung im Ergebnis durchaus nicht fern: Nach der derzeitigen Rechtsprechung beschränkt sich die Funk­ tion der Resozialisierung gerade auf die Vermeidung von Entsozialisierung. Gleichzeitig haben die Vertreter der Stellenwerttheorie die anfängliche Kritik aufgenommen. Der Tatrichter soll (neuerdings), sofern eine unbe­ dingte Freiheitsstrafe in Betracht kommt, angehalten sein, ein Maß am unte­ ren Ende der eigenen Beurteilung zu wählen, um die Vorgaben des § 46 Abs. 1 S. 2 StGB umzusetzen.420 Das führt stets zum geringstmöglichen und damit am wenigsten entsozialisierenden Eingriff in die Freiheit des Straftä­ ters. Letztlich wird der Versuch der Vereinbarung des Konzepts mit der Ge­ setzeslage aber mit der Preisgabe des Konzepts bezahlt.421 Denn erstens wird durch die Berücksichtigung der Spezialprävention im Rahmen der Be­ messung der Strafe diese nicht mehr alleinig unter Schuldgesichtspunkten 415  Bruns, in: FS Dreher, S. 251 (263 f.); Streng, in: FS Puppe, S. 875 (891). Am Eindringlichsten von allen: Roxin, in: FS Bruns, S. 183 (186 ff.). 416  So: Horn, in: SystematischerKomm StGB, § 46 Rn. 35 spricht von einem Be­ mühen(!) des Tatrichters insoweit und in: FS Schaffstein, S. 241 (253) und in: FS Bruns, S. 165 (166) von einem Programmsatz. Schöch, in: FS Schaffstein, S. 255 (259) nennt § 46 Abs. 1 S. 2 StGB eine „allgemeine Richtlinie“. 417  Roxin, in: FS Bruns, S. 183 (188) unter ausdrücklicher Inbezugnahme der Gesetzesbegründung in BT-Drucks. V / 4094, S. 4 f. Krit. auch Streng, Strafzumessung und relative Gerechtigkeit, S. 38. 418  Horn, in: FS Bruns, S. 165 (167). 419  Roxin, in: FS Bruns, S. 183 (187) weist darauf hin, dass die ursprüngliche Konzeption von Henkel auch so gedacht war. 420  Horn, in: SystematischerKomm StGB, § 46 Rn. 35, 39. Insoweit zustimmend Hörnle, S. 331. 421  So auch: Streng, Strafzumessung und relative Gerechtigkeit, S. 39.



3. Kap.: Weitere theoretische Ansätze323

bestimmt.422 Und zweitens wird die Strafhöhe doch wieder unter Berück­ sichtigung der Strafart bestimmt. Genau das war aber ursprünglich ein maß­ geblicher Kritikpunkt und sollte umgekehrt werden.423 Der Unterschied zur Spielraumtheorie ist daher gering. Die Aspekte von Schuld und Prävention werden wiederum unvermittelt nebeneinandergestellt. Bedenken gegen die Stellenwerttheorie werden außerdem dahingehend vorgebracht, dass im Rah­ men von in Betracht kommenden Freiheitsstrafen über zwei Jahren, also un­ bedingten Freiheitsstrafen, eine Berücksichtigung der Präventionszwecke  – neben der eben erörterten Ausnahme – bei der richterlichen Bewertung kom­ plett ausfällt.424 Im Ergebnis wird die Strafe in dieser Kategorie damit allei­ nig nach Unrechts- und Schuldkriterien bestimmt. Das ist im Ansatz richtig und zeigt gleichzeitig das Defizit der Stellenwerttheorie. Das unvermittelte Nebeneinander von Schuld und Prävention kann nicht überzeugend aufgeho­ ben werden. Dagegen leitet der freiheitsgesetzliche Ansatz letzteres aus ers­ terem ab und kann damit die üblicherweise unter dem Stichwort „Präven­ tion“ firmierenden Aspekte auch im Bereich unbedingter Freiheitsstrafen berücksichtigen ohne einem legitimatorischen Widerspruch zu verfallen. Letztlich wird an der Stellenwerttheorie kritisiert, dass eine Strafe unterhalb der schuldangemessenen Grenze nicht in Betracht käme.425 Doch das ist kein rechtliches Problem der Strafzumessungstheorie. Vielmehr ist dafür die vertretene Straftheorie maßgeblich. Auf dem Boden einer präventiven Verei­ nigungstheorie wäre es jedenfalls konsequent. Dem ist aber bereits an ande­ rer Stelle inhaltlich widersprochen worden.426 Die Theorie ist im Ergebnis der Schuldrahmentheorie weitgehend angenä­ hert. Hervorzuheben ist die anfänglich klare Strukturierung der Theorie. Die Strafe wurde alleinig an dem Unrechts- und Schuldgehalt bemessen. Die Generalprävention wird bei der Strafhöhenbemessung ausgeschlossen.427 Lediglich der Aspekt der Spezialprävention fand nicht ausreichend (ver­ pflichtend) Berücksichtigung. Die unvermittelte Integration lässt den Ansatz jedoch wieder kritikwürdig erscheinen. Ein Gewinn gegenüber der Theorie der Rechtsprechung ist der Ausschluss der letztlich vollkommen unbestimm­ ten und damit willkürlichen Berücksichtigung von negativer Generalpräven­ 422  Frisch, in: FS Kaiser I, S. 765 (772 f.) zweifelt durchaus an, ob damit wirklich Aspekte betroffen sind, die alleinig aus der Spezialprävention folgen oder nicht gar nur umformulierte Schuldaspekte. 423  Horn, in: SystematischerKomm StGB, § 46 Rn. 34. 424  Roxin, in: FS Bruns, S. 183 (202 f.). Das kritisiert selbst Schöch, in: FS Schaffstein, S. 255 (265). 425  Bruns, in: FS Dreher, S. 251 (261). 426  Siehe oben: 3. Teil 3. Kap. A. II. 427  Darin sehen auch Roxin, in: FS Bruns, S. 183 (195 f.) und Streng, Strafzumes­ sung und relative Gerechtigkeit, S. 36 einen wesentlichen Vorteil des Konzepts.

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3. Teil: Die Strafzumessung

tion im Rahmen der Strafzumessung. Auch die positive Generalprävention findet bei der Höhenbemessung nach diesem Ansatz keine Berücksichtigung. Das ist im Ansatz richtig und entspricht auch der Erwartung, dass eine schuldangemessene Strafe stets auf die Akzeptanz der Gesellschaft stößt und damit in optimaler Weise zur Rechtstreue der Bürger beiträgt. Richtig ist auch, die präventiven Aspekte weitgehend in das viel flexiblere Vollstre­ ckungs- und Vollzugsrecht zu verlagern. Für dieses ist die Resozialisierung maßgeblich. Sie kann hier auch, beispielsweise über die Frage der Strafrest­ aussetzung zur Bewährung nach § 57 StGB und dieser begleitender strafvoll­ zugsrechtlicher Maßnahmen klarer und damit bestimmter berücksichtigt werden. Das ist gegenüber der Berücksichtigung im Schuldrahmen, wie nach der Spielraumtheorie gefordert, überlegen. III. Die Einordnung des Untersuchungsgegenstandes in die Theorie 1. Die Wechselwirkung zwischen Strafe und Sicherungsverwahrung

Die Stellenwerttheorie bestimmt das Maß der Strafe ausschließlich nach Schuldgesichtspunkten. Dabei werden im Grunde die nicht abschließenden Umstände des § 46 Abs. 2 S. 2 StGB herangezogen.428 Eine Berücksichti­ gung des gebotenen Vorbehalts oder der Anordnung einer Sicherungsverwah­ rung auf der ersten Stufe der Strafzumessung gelänge daher nur, wenn man darin einen tatschuldrelevanten Umstand sehen würde. Eine derartige Umfor­ mulierung wird vom freiheitsgesetzlichen Ansatz vorgenommen. Die Stellen­ werttheorie trennt dagegen kategorisch zwischen den Aspekten der Schuld und denen der Prävention. Von Horn wird die bereits ausführlich dargestellte Rechtsprechung zur Gesamtabstimmung von Rechtsfolgen angesprochen („Härteausgleich“) und als schuldrelevant eingeordnet.429 Eine Berücksichti­ gung könne insbesondere dazu führen, dass der schuldangemessene Bereich der Strafe verlassen werden muss.430 Für den Bereich der freiheitsentziehen­ den Maßregeln erwägt Horn eine strafmildernde Berücksichtigung für die Fälle, in denen – innerhalb des vikariierenden Systems – ein Vorwegvollzug der Strafe stattfindet. Diese lehnt Horn aber aufgrund der bereits dargestell­ ten möglichen Ungleichbehandlungen im Einzelfall ab.431 Für die Siche­ rungsverwahrung wird die strafmildernde Berücksichtigung dagegen generell in Frage gestellt. Erstens würde es hier einen besonderen Rechtfertigungs­ 428  Horn,

in: SystematischerKomm StGB, § 46 Rn. 97. in: SystematischerKomm StGB, § 46 Rn. 137, 139. 430  Horn, in: SystematischerKomm StGB, § 46 Rn. 140. 431  Horn, in: SystematischerKomm StGB, § 46 Rn. 140. Siehe oben: 3. Teil 2. Kap. C. I. 3. 429  Horn,



3. Kap.: Weitere theoretische Ansätze325

grund in der Therapiebedürftigkeit der Gewohnheitstäter geben und zweitens sei der Vollzug der Sicherungsverwahrung an sich verhältnismäßig auszuge­ stalten, was einer strafmildernden Berücksichtigung entgegenstehen wür­ de.432 Zur Berücksichtigungsfähigkeit einer nicht freiheitsentziehenden straf­ ergänzenden Maßregel, wie der Führungsaufsicht, hat Horn – soweit ersicht­ lich  – bisher nicht Stellung genommen. Weil nach seiner Auffassung aber selbst die Berücksichtigung von freiheitsentziehenden strafergänzenden oder -vertretenden Maßregeln zweifelhaft ist, ist anzunehmen, dass eine Berück­ sichtigung einer im Eingriff in die Rechte des Straftäters dahinter zurückblei­ bende freiheitsbeschränkende Maßregel unterbleiben würde. Im Ergebnis steht damit die Höhe der zu verhängenden Strafe unabhängig von der Anord­ nung oder dem Vorbehalt der Sicherungsverwahrung bereits unumstößlich fest. 2. Kritische Bewertung

Durch die Beschränkung der Strafhöhe auf Schuldaspekte im Bereich un­ bedingter Freiheitsstrafen findet eine strikte Trennung von Strafe und Siche­ rungsverwahrung bei der Bemessung der Strafe statt. Die Thematik der Wechselwirkung ist allerdings bisher nicht hinreichend ausdifferenziert erör­ tert worden. Nach den Ausführungen Horns geht es um eine Wechselwirkung bezüglich des Vollzugs, nicht aber mit der Anordnung oder mit dem Vorbe­ halt. Wenn Horn einerseits davon ausgeht, dass die Gesamtabstimmung der Rechtsfolgen schuldrelevant ist und er außerdem für eine strafmildernde Berücksichtigung der strafergänzenden Maßregeln plädiert, wenn die Strafe vorab vollzogen wird, dann wäre zu erwarten, dass auch der Vollzug der die Strafe ergänzenden Sicherungsverwahrung in diese Systematik aufgenommen wird. Dann müsste eine strafmildernde Berücksichtigung eigentlich erfolgen. Dem würde jedoch wiederum der eigene Einwand Horns, nämlich die Unge­ wissheit darüber, ob die Maßregel wirklich vollzogen wird, entgegenstehen. Das liegt im Ergebnis auf der Linie der Rechtsprechung. Eine strafzumes­ sungsrechtliche Abstimmung von Strafe und Sicherungsverwahrung durch Berücksichtigung des unsicheren Vollzugs der Unterbringung unterbleibt nach der Stellenwerttheorie. Bisher von Horn nicht betrachtet wurde jedoch, dass es sich bei der An­ ordnung und dem Vorbehalt durchaus um erhebliche Grundrechtseingriffe handelt, die gewiss sind. Dasselbe gilt für den durch die Anordnung bereits empfindlicher wirkenden Strafvollzug und die im Fall der Anordnung der Sicherungsverwahrung in jedem Fall zur Freiheitsstrafe hinzutretende Maß­ regel der Führungsaufsicht. Es läge in der Konsequenz der, das Erfordernis 432  Horn,

in: SystematischerKomm StGB, § 46 Rn. 140.

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3. Teil: Die Strafzumessung

einer Gesamtabstimmung anerkennenden, Stellenwerttheorie den intensive­ ren Strafvollzug und die Führungsaufsicht im Fall der Anordnung der Siche­ rungsverwahrung strafmildernd zu berücksichtigen. Der Eingriff in das Per­ sönlichkeitsrecht ist trotz Erheblichkeit dagegen wohl ohne Relevanz auf das Strafmaß. Richtigerweise interpretiert kommt es durch die Berücksichtigung auch nicht zu einem Verlassen der Schuldangemessenheit der staatlichen Reaktion, weil beide Institute Ausdruck der Tatschuld sind.

D. Die Theorie tatproportionalen Strafens Ein weiteres Konzept ist die von Hörnle so benannte Theorie tatproportio­ nalen Strafens.433 Sie knüpft unmittelbar an die Arbeiten v. Hirschs an.434 Ausgangspunkt dieser Strafzumessungstheorie ist keine konkrete Straftheo­ rie. Vielmehr geht Hörnle lediglich davon aus, dass der Strafe ein expressiver Charakter zukommt, weil ein Unwerturteil über den Täter gesprochen wird. Darüber hinaus sei es, aufgrund der Vielfältigkeit der in der Praxis vorkom­ menden Straftaten nicht möglich, den Grund der Übelszufügung einheitlich zu benennen.435 I. Die theoretischen Annahmen Nach der Theorie tatproportionalen Strafens richtet sich die vom Tatrichter zu verhängende Strafe an der Schwere des begangenen Unrechts aus.436 Die Bedeutung der Grundlagenformel in § 46 Abs. 1 S. 1 StGB wird auf die Ver­ pflichtung des Tatgerichts, nur vom Täter verschuldete Umstände der Straf­ zumessung zugrunde zu legen, reduziert.437 Die Wirkungen der Strafe auf das künftige Leben des Täters, § 46 Abs. 1 S. 2 StGB, sind nicht zwingend zu berücksichtigen. Die Strafe wird strikt am verwirklichten Unrecht und dem Täterverschulden ausgerichtet. Ersteres definiert sich maßgeblich durch den üblichen Kriterien von Erfolgs- und Handlungsunrecht. So erfolgt eine erste Einordnung des Gewichts der Tat. Durch die Berücksichtigung des Tä­ terverschuldens kann sich diese Bewertung des Gewichts der Tat ändern.438 Faktoren, die außerhalb von Unrecht und Schuld stehen, können, wenn über­ 433  Hörnle,

passim. Nahestehend Silva Sánchez, in: FS Hassemer, S. 625 (629). von Hirsch / Jareborg. Vgl. Hörnle, S. 135 und öfter. 435  Hörnle, S. 124. Differenzierter: Hörnle, Straftheorien, S. 32 f., 37 ff. eine Täter und Opfer berücksichtigende expressive Straftheorie. 436  Hörnle, S.  324. s. a. von Hirsch / Jareborg, S. 12, 55 f. 437  Hörnle, S. 325. Ausdifferenzierter Silva Sánchez, in: FS Hassemer, S. 625 (633 ff.). 438  Hörnle, S. 145, 151. 434  Insbesondere:



3. Kap.: Weitere theoretische Ansätze327

haupt, nur strafmildernd berücksichtigt werden.439 Eine strafschärfende oder -mildernde Berücksichtigung der klassischen Strafzwecke findet nicht statt. Stattdessen soll in bestimmten, engen Grenzen eine abweichende Strafemp­ findlichkeit des Täters, also beispielsweise hohes Alter, strafmildernd berück­ sichtigt werden.440 Nach der Feststellung der Tatschwere erfolgt die Bestimmung eines konkre­ ten Strafmaßes. Dafür wird die Tatschwere in eine fünfstufige Skala von sehr niedrig bis sehr hoch eingeordnet und sodann die Tat in den ebenso unterteil­ ten Strafrahmen übertragen.441 Die einzelnen Strafzumessungsumstände sind dann strafmodifizierend auf der Grundlage des normativen Normalfalls einzu­ ordnen und damit das endgültige Strafmaß zu finden.442 Bei der Wahl der Strafart werden die verschiedenen Möglichkeiten, also beispielsweise Geldund Freiheitsstrafe oder unbedingte und bedingte Freiheitsstrafe in ein Ver­ hältnis zueinander gesetzt, um die Vergleichbarkeit zu garantieren. Danach soll zwischen Geld- und Freiheitsstrafe, sowie zwischen unbedingter und be­ dingter Freiheitsstrafe jeweils ein Verhältnis von 1:3 bestehen: 180 Tagessätze Geldstrafe würden so einer sechsmonatigen, zur Bewährung ausgesetzten bzw. einer zweimonatigen Freiheitsstrafe ohne Bewährung entsprechen.443 Dem Tatgericht steht zur Einordnung des Einzelfalls ein Beurteilungsspiel­ raum zu, welcher einer nur eingeschränkten revisionsrechtlichen Kontrolle unterliegt.444 II. Kritische Würdigung Hörnle entkoppelt die Ebene der Strafzumessung von einer vorangestellten Straftheorie. Die Theorie greift unter Verweis auf die expressive Wirkung der Strafe445 lediglich im Ansatz straftheoretische Grundlagen auf. Ein Zusam­ menhang zwischen Strafbegründungs- und Strafzumessungsschuld wird ver­ neint.446 Das ist zwar konsequent, aber genauso kritikwürdig, wie der weit­ 439  Hörnle,

S. 149. S. 169, 330 und S. 339 ff. Dagegen ließen von Hirsch / Jareborg, S. 31, 56 spezialpräventive Erwägungen in engen Grenzen zu: aufgrund spezialpräventiver Erwägungen sei bei einer Wahlmöglichkeit die mildere Strafart zu wählen. 441  Hörnle, S. 372 (anschaulich die Tabelle S. 375). Ähnlich Streng, NStZ 1989, S. 393 (398). 442  Hörnle, S. 380 f. 443  Hörnle, S. 172. 444  Hörnle, S. 158 f. 445  Hörnle, S. 126 f. Ausführlicher: Hörnle, Straftheorien, S. 32, 37 ff. Krit. aber auch Kaspar, ZStW 127 (2015), S. 654 (675 f.). 446  Hörnle, S. 328 f. Anders Silva Sánchez, in: FS Hassemer, S. 625 (629). 440  Hörnle,

328

3. Teil: Die Strafzumessung

gehende Verzicht auf ein theoretisches Fundament. Denn aus einem solchem Fundament ergeben sich stets die Anforderungen an die Anwendung im Einzelfall. Schließlich kommt auch Hörnle nicht ohne einen Bezug zur Straf­ theorie aus. Doch aus dem Verweis auf die expressive Wirkung der Strafe lässt sich die Bestimmung anhand der Schwere des Unrechts im individuel­ len Einzelfall nicht zwingend folgern. Nahe gelegen hätte auch eine general­ präventive Bestimmung. Das war immerhin der Ausgangspunkt der Überle­ gungen von Hirschs und Jareborgs.447 Dann ist aber nur schwer verständlich, wie dieser generalpräventive Ansatz mit einem strikt schuldgebundenen Maßprinzip zu vereinbaren ist.448 Der Verzicht auf präventive Gesichtspunkte bei der Strafbemessung im engeren Sinne, also der Strafhöhenbemessung, mag jedenfalls in der Hinsicht zu überzeugen, dass auf empirisch nicht belegte und insgesamt vage blei­ bende präventive Umstände verzichtet wird.449 Das macht den Vorgang der Bestimmung der konkreten Strafe rationaler. Außerdem führt es zu mehr Voraussehbarkeit, Vergleichbarkeit und Überprüfbarkeit der tatrichterlichen Entscheidungen und damit im Ergebnis zu einem höheren Maß an Rechtssi­ cherheit. Eine grundsätzliche Verbannung jeglicher Zukunftsorientierung der Strafzumessung ist aber erstens mit der bestehenden Gesetzeslage nicht ver­ einbar450 und zweitens auch nicht erstrebenswert. Bereits die Bewertung der in § 46 Abs. 1 S. 1 StGB enthaltenen Grundlagenformel bereitet aus Sicht einer tatproportionalen Strafzumessung Schwierigkeiten. Diese Klippe um­ schifft Hörnle noch semantisch unter Bezugnahme auf wortverwandte Be­ griffe der „Quelle“ und des „Ursprungs“, die nicht zwingend weitere Ele­ mente hätten.451 Die Problemlage ist aber dieselbe wie bei der bereits kritisch erörterten Stellenwerttheorie. Die vom Gesetzgeber in § 46 Abs. 1 S. 2 StGB zum Ausdruck gebrachte Folgenorientierung darf nach geltender Rechtslage nicht unterlaufen werden. Aber auch Hörnle sieht – insoweit wie Horn – die Orientierung der Strafe an den Wirkungen für den Täter nicht für zwingend verpflichtend an.452 Das wird der gesetzgeberischen Entscheidung jedoch in keiner Weise gerecht. Soweit die Nichtberücksichtigung in kritischer Abwen­ dung von dem bloßen Nebeneinander von Schuld und Prävention nach der 447  Das war ja auch das theoretische Fundament von vonHirsch / Jareborg, S. 15. s. a. von Hirsch, in: Tatproportionalität, S. 47 (53 f.). 448  Weigend, in: Tatproportionalität, S. 199 (200 ff.). 449  So auch: Maurer, Komparative Strafzumessung, S. 187; Radtke, in: Mün­ chenerKomm StGB, Vor §§ 38 ff. Rn. 63. Problematisch wird der Verzicht erst im Hinblick auf das Institut der Aussetzung der Strafe zur Bewährung: Ellscheid, in: FS Müller-Dietz, S. 201 (204 ff.). 450  Streng, in: FS Puppe, S. 875 (892). 451  Hörnle, S. 328. 452  Hörnle, S. 330.



3. Kap.: Weitere theoretische Ansätze

329

herrschenden Auffassung erfolgt, ist sie zu begrüßen. Im Übrigen ist diese Ausblendung präventiver Aspekte deswegen nicht erstrebenswert, weil man sich damit die Möglichkeit abschneidet, durch eine umfassende Bewertung von Tat und Täter, eine angemessene staatliche Reaktion auf die Straftat zu finden.453 Aber selbst die Umsetzung der Idee tatproportionalen Strafens unterliegt Bedenken. Nach Hörnle ist eine relative Proportionalität die Grundlage für die Einordnung der Schwere des Unrechts. Das heißt, dass es die Einordnung der Schwere der in Betracht kommenden Straftat nicht ohne die Betrachtung davon unabhängiger Taten auskommt.454 Anders könnte auch kein Verhält­ nis hergestellt werden. Die Relationsbildung stößt hier auf Bedenken, wenn ein Verhältnis unterschiedlich schwerer Straftaten hergestellt werden soll. Die Vergleichbarkeit wird umso fragwürdiger, je verschiedener die den Straf­ taten zugrundeliegenden, durch den Täter angegriffenen Rechtsgüter sind. Innerhalb eines Strafrahmens ist die Verhältnisbildung dagegen weitgehend unbedenklich.455 Das setzt freilich voraus, dass hinreichend Fälle eine ein­ deutige Gewichtung der abzuurteilenden Straftat ermöglichen. Zuzugeben ist, dass damit einem praktischen Bedürfnis unter Tatrichtern nachgekommen wird. Diese tendieren dazu, sich an vergleichbaren Fällen und Straftaxen zu orientieren.456 Nicht zuletzt wirkt sich hier auch die straftheoretische Fundierung aus. Vorstehend ist bereits ausgeführt worden, dass die spärlichen Ausführungen auch eine generalpräventive Bestimmung nahegelegt hätten. Diese Problema­ tik setzt sich hier fort. Wenn allein die Schwere der Tat entscheidend für die Einordnung ist, so ergibt sich daraus grundsätzlich kein die Strafe wirklich begrenzenden Prinzip.457 Oder, mit den Worten von Hörnle,: „Je schwerer die Tat, desto höher die Strafe.“458 Das erinnert doch stark an eine Ausrich­ tung der Bewertung an der Störung bzw. Erschütterung der Rechtsordnung und ist daher den Einwänden, die auch gegen eine generalpräventive Bestim­ mung geltend gemacht wurden, ausgesetzt.

453  Theune, in: LeipzigerKomm StGB, § 46 Rn. 49. Dagegen integriert Maurer, Komparative Strafzumessung, S. 208 und S. 209 ff. eine komparative Idee der Straf­ zumessung in das geltende Recht. 454  Hörnle, S. 155. 455  Theune, StV 1985, S. 205 (207). Ansatzpunkte dafür finden sich auch in der Rechtsprechung, vgl. Theune, StV 1985, S. 205 (208). 456  Streng, NStZ 1989, S. 393 (393 f.). Ausführlich: Streng, Strafzumessung und relative Gerechtigkeit, S. 236 ff. 457  Radtke, in: MünchenerKomm StGB, Vor §§ 38 ff. Rn. 18. 458  Hörnle, S. 157.

330

3. Teil: Die Strafzumessung

III. Die Berücksichtigung der Sicherungsverwahrung im Rahmen der Theorie tatproportionalen Strafens 1. Möglichkeiten der Wechselwirkung

Nach der Theorie tatproportionalen Strafens werden die Strafzwecke aus der Strafzumessungsentscheidung verbannt. Dagegen erfolgt eine strikt am – vor allem objektiven – Tatunrecht gebundene Strafbemessung. Nur für einen einzigen Fall erwägt Hörnle eine strafschärfende Berücksichtigung eines Strafzwecks. Für die Fälle äußerster Gefahrenpotentiale kann sie sich vor­ stellen, dass der Sicherungsaspekt strafschärfend wirken könnte.459 Aller­ dings verwirft sie diesen Aspekt aufgrund mangelnder Notwendigkeit. In ei­ nem auch von ihr angenommenen zweispurigen Rechtsfolgensystem würden die Maßregeln der Besserung und Sicherung die entsprechenden Funktionen übernehmen und sich deshalb als unverzichtbar erweisen.460 Es bleibt aber fraglich, ob sich die im Strafurteil anzuordnende oder vor­ zubehaltende Sicherungsverwahrung nicht doch auch nach dieser Theorie in die Strafzumessungsentscheidung integrieren lässt. Hörnle selbst betrachtet ihr Konzept als noch keine abschließende Theorie. Vielmehr konzentriert sie sich hauptsächlich auf die Interpretation von § 46 StGB. Daneben sind für sie relevante Umstände für die Strafzumessungsentscheidung auch außerhalb der Kategorien Unrecht und Täterschuld vorstellbar. Diese können sich aber ausschließlich strafmildernd auswirken.461 Eine Möglichkeit könnte die von Hörnle in das Individualisierungsgebot hineingelesene Berücksichtigung der Strafempfindlichkeit des Täters bieten, die bei ihr nicht Ausdruck der Prä­ vention ist.462 Hier wäre unter Umständen die Schwere einer strafrechtlichen Reaktion gegenüber dem Straftäter strafmildernd zu berücksichtigen. Hörnle unterscheidet dabei eine strafmildernde Berücksichtigung aufgrund der per­ sönlichen Situation des Täters, beispielsweise hohes Alter, von einer solchen aufgrund der Folgen der Verhängung bzw. der Vollstreckung der Strafe. Bei Letzterer können auch nur mittelbare zusätzliche Übel berücksichtigt wer­ den.463 Erforderlich wäre in diesem Zusammenhang, dass die mittelbare Folge vorhersehbar und gravierend ist. Hörnle führt hier beispielsweise stan­ des- oder beamtenrechtliche Konsequenzen an.464

459  Hörnle, 460  Hörnle, 461  Hörnle, 462  Hörnle, 463  Hörnle, 464  Hörnle,

S. 334. S. 335. S. 149. S. 341. S. 345. S. 346.



3. Kap.: Weitere theoretische Ansätze331

Fraglich ist, ob diese Argumentation auf die Berücksichtigung der Siche­ rungsverwahrung übertragbar ist. Die Anordnung und Vollstreckung der Si­ cherungsverwahrung stellt in einem zweispurigen Rechtsfolgensystem eine gegenüber der Strafverhängung und -vollstreckung lediglich mittelbare Folge dar. Sie müsste aber auch gravierend sein. Die von Hörnle erwähnten Bei­ spiele in diesem Zusammenhang stellen tiefgreifende Eingriffe in die Berufs­ freiheit dar. Der Vollzug der Sicherungsverwahrung stellt jedenfalls einen tiefgreifenden Eingriff in das Freiheitsrecht des strafgleich Untergebrachten dar, ihre Anordnung bzw. ihr Vorbehalt einen zumindest erheblichen Eingriff in das Persönlichkeits- aber auch Freiheitsrecht des Straftäters, weil sich der Freiheitsstrafenvollzug als empfindlicher erweist. Der Vollzug der Siche­ rungsverwahrung wird daher als gravierend im vorstehend genannten Sinne anzusehen sein. Ob das gleiche auch für den in der Anordnung und deren Vorbehalt liegenden Eingriff in das Persönlichkeitsrecht gilt, ist dagegen fraglich. Diese sind zwar durchaus erheblich. Im Vergleich zu den nach Hörnle durchaus als gravierend geltenden Eingriffen in die Berufsfreiheit, bleiben Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht dahinter zurück. Sie wären da­ her nicht als gravierend anzusehen. Eine weitere Folge stellt der sich gegenüber dem normalen Strafvollzug intensivere Freiheitsstrafenvollzug im Falle der Anordnung der Unterbrin­ gung nach § 66 StGB dar. Auch diese Folge ist aufgrund der Beschränkungen in den vollzugslockernden Maßnahmen als gravierend anzusehen. Letztlich stellt die sich in jedem Fall an den Straf- oder Maßregelvollzug anschlie­ ßende Führungsaufsicht eine weitere Folge neben der Strafe dar. Auch diese ergänzende Maßregel enthält aufgrund der zahlreichen möglichen und teil­ weise auch strafbewehrten Weisungen einen intensiven Eingriff in die Frei­ heitsrechte des unter Führungsaufsicht Gestellten. Sie ist daher gravierend im hiesigen Zusammenhang. Das spricht für die Berücksichtigungsfähigkeit dieser Aspekte. Die Folge müsste, nach Hörnle, aber letztlich auch vorhersehbar sein. Hier könnte man nun argumentieren, dass die Sicherungsverwahrung sowie deren Vollzug bereits aufgrund der Anordnung bzw. des Vorbehalts im Urteil vor­ hersehbar sind. Durch dieses Kriterium sollen letztlich nur vage Folgen für unerheblich erklärt werden.465 Zu unterscheiden wäre jedoch zwischen der Anordnung bzw. dem Vorbehalt und dem Vollzug der Sicherungsverwahrung. Während erstere im Strafurteil erfolgen, bleibt letzterer nach geltender Rechtslage bis zur Entscheidung nach § 67c StGB ungewiss. Die eigentlich gravierende Folge, nämlich der Vollzug, bleibt offen. Diese letztlich voll­ kommen offene Frage, kann nicht als vorhersehbare Folge angesehen wer­ den. Ihre Berücksichtigung müsste unterbleiben. Der empfindlichere Straf­ 465  Hörnle,

S. 346.

332

3. Teil: Die Strafzumessung

vollzug und auch die Führungsaufsicht sind als weitere Folge jedoch nicht nur vorhersehbar, sondern sicher. Diese Umstände sind nach der Theorie tatproportionalen Strafens daher im Rahmen der Strafzumessungsentschei­ dung des Tatgerichts zu berücksichtigen. 2. Kritische Würdigung

Die Integration einer Wechselwirkung von Strafe und Sicherungsverwah­ rung in die Strafzumessungsentscheidung erscheint nach der Theorie tatpro­ portionalen Strafens möglich. Auch nach dieser Theorie wird die Rechtspre­ chung zur Gesamtabstimmung der Rechtsfolgen aufgenommen, aber wiede­ rum nicht präventiv gedeutet. Das ist im Ansatz richtig. Durch die Abkoppe­ lung von der Täterschuld stellt es jedoch einen gewissen Bruch mit der Prämisse der strikten Tatbindung dar. Die ansonsten strikte Zuwendung zum Tatunrecht und zur Tatschuld soll für mehr Vergleichbarkeit und im Endef­ fekt auch für Rechtssicherheit sorgen. Zutreffend ist es daher, den Vollzug der Sicherungsverwahrung nicht als maßgeblich für die Wechselwirkung zu halten. Die darüber bestehende Ungewissheit würde die strikte Unrechtsbin­ dung auflockern. Dafür spricht auch, dass nach diesem Ansatz die „Zweispu­ rigkeit“ des Rechtsfolgensystems hingenommen wird. Anderes gilt richtiger­ weise für die mit der Anordnung der Unterbringung nach § 66 StGB einher­ gehenden Eingriff in das Freiheitsrecht des Täters im Rahmen des Strafvoll­ zugs sowie der sich anschließenden Führungsaufsicht. Da Hörnle die Strafempfindlichkeit als Ausnahme strikter Tatbindung zulässt, muss konse­ quenterweise dieser Eingriff in die Rechte des Straftäters Berücksichtigung finden. Der Einfluss auf das Strafmaß dürfte dagegen, im Hinblick auf die grundsätzliche Problematik des Hinzutretens einer weiteren Rechtsfolge und damit dem Kumulieren mehrerer Freiheitsentziehungen, nicht angemessen sein. Das Ergebnis entspricht aber demjenigen der herrschenden Auffassung.

E. Die Theorie der Strafzumessung als sozialer Gestaltungsakt Abschließend soll Erwähnung finden, dass neben den dargestellten Straf­ zumessungstheorien die Strafzumessungsentscheidung des Tatgerichts auch als „sozialer Gestaltungsakt“ gesehen wird.466 Damit soll vor allem ausge­ drückt werden, dass die Strafzumessung eigene Aufgabe des Strafrichters ist und seine persönlichen Wertungen in die Entscheidung einfließen.467 Der 466  Dreher, JZ 1967, S. 41 (43 f.); ders., in: FS Bruns, S. 141 (163 f.). Aus schwei­ zerischer Sicht: P. Albrecht, SchwZStr 124 (2006), S. 68 (73 f.). 467  Dreher, JZ 1967, S. 41 (44). s. a. ders., Gerechte Strafe, S. 73.



3. Kap.: Weitere theoretische Ansätze333

Strafrichter orientiert sich an der im Gerichtsbezirk vorzufindenden Strafpra­ xis und bildet im Laufe der Zeit seine eigene Zumessungspraxis heraus, welche wiederum zur Orientierung für nachfolgende Richtergenerationen dient.468 Oberstes Prinzip der Entscheidung ist die Gerechtigkeit, sodass der Strafrichter darauf zu achten hat, dass die Strafe gegenüber dem Straftäter als auch der Gemeinschaft als gerecht empfunden und anerkannt werden kann.469 Dieser Ansatz verfällt jedoch sofort durchgreifenden Einwänden. Zwar sind die getroffenen Aussagen allesamt im Ansatz richtig. Die Vorgaben die­ ser Zumessungstheorie sind jedoch nicht konkret genug. Daher wäre eine Strafbemessung danach ein bedauerlicher Rückfall in die Zeiten von freier richterlicher Strafzumessung. Die Theorie des sozialen Gestaltungsaktes ge­ währleistet außerhalb des maßgeblichen Gerichtsbezirks zudem keine Straf­ gleichheit und ist bereits deswegen problematisch, weil die Revisibilität der Zumessungsentscheidung weitgehend ausgeschlossen wäre.470 In der Praxis dürften sich im Vergleich zu der von der Rechtsprechung vertretenen Spiel­ raumtheorie jedoch keine Unterschiede ergeben.471 Für die Frage der Wechselwirkung zwischen Strafe und Sicherungsver­ wahrung lassen sich den Ausführungen Drehers keine ausdrücklichen Aussa­ gen entnehmen. Wenn die Bestimmung der Strafe ins Belieben des Tatge­ richts gestellt ist und die persönlichen Einstellungen zur Strafe maßgeblich sind, könnte eine Wechselwirkung je nach zuständigem Richter anzunehmen sein, muss aber eine Abstimmung der Rechtsfolgen andererseits auch nicht stattfinden. Die Theorie führt im Hinblick auf den hier untersuchten Gegen­ stand nicht weiter.

F. Zusammenfassung Die Strafzumessung nach der Spielraumtheorie ist nach Einführung von § 46 StGB und dessen Vorgängerreglung in § 13 StGB a. F. erheblich ver­ rechtlicht wurden. Nichts desto trotz verblieben etliche Kritikpunkte. Die al­ ternativen Theorien bzw. Konzepte zur Strafzumessung haben zum Ziel, den Vorgang der Bemessung der Strafe weiter zu konkretisieren. Das würde dem Tatgericht die Handhabung vereinfachen, dem Straftäter die Rechtsfolgen vorhersehbarer und die Anwendung insgesamt vergleichbarer machen. Dazu wird der Fokus weitgehend auf das verwirklichte Unrecht der Tat gelegt. 468  Dreher,

JZ 1967, S. 41 (44). JZ 1967, S. 41 (44 f.). 470  Theune, in: LeipzigerKomm StGB, § 46 Rn. 50; Streng, in: NomosKomm StGB, § 46 Rn. 122. 471  Zipf / Dölling, in: Maurach / Gössel / Zipf, § 62 Rn. 17. 469  Dreher,

334

3. Teil: Die Strafzumessung

Lediglich die präventive Zumessungstheorie Roxins und die Theorie des so­ zialen Gestaltungsaktes berücksichtigen präventive Aspekte auch bei der Strafhöhenbestimmung. Sie waren aus den gleichen Gründen abzulehnen, wie die Auffassung der Rechtsprechung. Weil die Wirkungsweise der präven­ tiven Strafzwecke für die Strafzumessung bisher nicht hinreichend nachge­ wiesen wurde, werden jene sowohl nach der Stellenwerttheorie, der Theorie tatproportionalen Strafens und der freiheitsgesetzlichen Theorie aus der Strafhöhenbestimmung ausgeschieden. Damit entfällt bereits der erste argu­ mentative Anknüpfungspunkt für eine Berücksichtigung der anzuordnenden oder vorzubehaltenden Sicherungsverwahrung für die Strafzumessung. Des­ wegen interpretieren die vorstehend genannten Zumessungstheorien, soweit auf die hier zu untersuchende Frage eingegangen wird, die Wechselwirkung zwischen Strafe und Sicherungsverwahrung überwiegend nicht präventiv. Auch soweit von den Vertretern der jeweiligen Theorien bisher ausdrücklich keine Stellung zu der vorliegenden Thematik bezogen wurde, konnte der Zusammenhang in Ergänzung der bisherigen Ausführungen als Ausdruck ei­ nes schuldangemessen Strafens ausgewiesen werden. Die Hinwendung zum Unrecht der Tat und der Schuld des Täters nach der Stellenwerttheorie, der Theorie tatproportionalen Strafens und der freiheits­ gesetzlichen Straftheorie ließ es auch hier nicht zu, den Vollzug der Siche­ rungsverwahrung als Grund für eine Wechselwirkung zu nehmen. In einem strikt auf das Tatunrecht und die Tatschuld bezogenen Strafsystem verbietet sich eine Berücksichtigung des Vollzugs der Sicherungsverwahrung im Rah­ men der Strafzumessung. Die offenbleibende (Prognose-)Entscheidung darf keinen Einfluss auf die Höhe der Strafe haben. Das stimmt zwar im Ergebnis mit der Auffassung der Rechtsprechung überein. Danach war die Wechsel­ wirkung von Strafe und Sicherungsverwahrung durch Berücksichtigung des Vollzugs der Maßregel mangels Anwendbarkeit des Zweifelsgrundsatzes ab­ zulehnen.472 Der Umstand des empfindlicher wirkenden Strafvollzug im Falle der primären Anordnung nach § 66 StGB sowie die sich anschließende Führungsaufsicht lassen sich jedoch auch auf der Grundlage dieser Strafzu­ messungstheorien in die Zumessungsentscheidung des Tatgerichts integrie­ ren. Auch dieses Ergebnis stimmt mit dem der Rechtsprechung überein. Der Umstand des Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht durch die Anordnung bzw. den Vorbehalt der Sicherungsverwahrung zeigt dagegen, ungeachtet seiner Integrierbarkeit, keine praktische Relevanz. Die alternativen Konzepte über­ zeugen im Vergleich mit der Rechtsprechung dagegen durch ihre Klarheit: sie weisen den Zusammenhang zwischen Strafe und Sicherungsverwahrung als Aspekt eines strikt unrechts- und schuldgebundenen Zumessungsvorgangs aus. 472  Siehe

oben: 3. Teil 2. Kap. C. II. 3. c.).



3. Kap.: Weitere theoretische Ansätze335

Auch nach diesen Strafzumessungstheorien ist die Reichweite der Wech­ selwirkung beschränkt. Die strafmildernde Berücksichtigung dürfte in der Praxis keine großen Strafmaßabschläge nach sich ziehen. Das ist zwar einer­ seits richtig. Andererseits bleibt das Problem bestehen, dass habituell bedingte Krimi­ nalität auf einer eingeschliffenen Gewohnheit beruht. Vorrangig ist daher an der Auflösung dieser Haltung zu arbeiten. Dieser Zusammenhang dürfte nach der Auffassung Köhlers bestehen, denn jene ist die Voraussetzung für eine Wiedereingliederung in die Gesellschaft. Maßgeblich können insoweit nur Behandlungsangebote an den Straftäter sein. Das ist ein Gebot der Strafge­ rechtigkeit. Andererseits resultiert aus eben dieser auch das Verbot der Be­ rücksichtigung des ungewissen Vollzugs der Sicherungsverwahrung im Rah­ men der Strafzumessung. Eine intensive Abstimmung von Strafe und Siche­ rungsverwahrung als Recht des Täters zum Nutzen der Gesellschaft kann aber auf andere Weise erfolgen. Hierfür ist, wie sogleich zu zeigen sein wird, das vikariierende System in Anspruch zu nehmen.

4. Teil

Eigener Ansatz Es ist gezeigt worden, dass die Strafe nach geltender Gesetzeslage und die Sicherungsverwahrung, die ihrer Rechtsnatur nach Strafe ist, im freiheitsge­ setzlichen Begründungsansatz einen einheitlichen Rechtfertigungsgrund auf­ weisen und sich die derzeitige gesetzliche Ausgestaltung im Rahmen des le­ gislatorischen Spielraums befindet. So gesehen ist die Abstimmung von Strafe und Sicherungsverwahrung bei der Strafzumessung eine logische Konsequenz. Sie ist durch das Schuldprinzip vermittelt. Nach der herrschen­ den Auffassung haben die beiden Institute verschiedene Rechtfertigungs­ gründe. Von diesem Standpunkt würde sich eine Wechselwirkung an sich verbieten. Die Strafe wäre unabhängig von der „Maßregel“ gegenüber dem Straftäter zu bemessen. Schnittstellen würden sich nicht per se ergeben. Nach herrschender Auffassung bestünde lediglich eine teilweise Funktionsidentität der Strafe mit der Besserungsfunktion der „Maßregel“. Nach hiesiger Auffas­ sung besteht bereits eine wesensmäßige Identität beider. Für die Wechselwir­ kung auf der Ebene der Strafzumessung wurde ein Anwendungsbereich he­ rausgearbeitet. Die Auswirkung in Bezug auf Strafquanten war jedoch margi­ nal. Offen bleibt daher nach allen Ansichten die Frage, wie die Abstimmung von Strafe und Sicherungsverwahrung optimal umgesetzt werden kann. Fraglich ist daher abschließend, ob eine Abstimmung im Vollzug erfolgen kann, d. h. ob die strafvertretende Vollstreckung der Sicherungsverwahrung geboten ist. Diesem Thema widmet sich der letzte Teil der Untersuchung. Es wird sich herausstellen, dass die Aufnahme der Sicherungsverwahrung in das vikariierende System zu fordern ist. 1. Kapitel

Die Erstreckung des vikariierenden Systems auf die Sicherungsverwahrung Im Folgenden soll in einem ersten Schritt der Frage nachgegangen, ob die bestehenden Regelungen auf die Sicherungsverwahrung Anwendung finden können. Weil das im Ergebnis nicht der Fall ist, wird in einem zweiten Schritt die Notwendigkeit eines strafvertretenden Vollzugs der Sicherungsverwah­



1. Kap.: Erstreckung vikariierendes System auf Sicherungsverwahrung 337

rung begründet. Abschließend werden die Grundsätze der Anwendbarkeit einer neu zu schaffenden Regelung entwickelt.

A. Unanwendbarkeit der bestehenden Regelungen auf die Sicherungsverwahrung Um die Frage zu beurteilen, ob eine Neuregelung zur Erstreckung des vi­ kariierenden Systems auf die Sicherungsverwahrung erforderlich ist, muss zunächst betrachtet werden, ob sich dieses Ergebnis nicht bereits durch Aus­ legung der bestehenden Gesetze oder gegebenenfalls einer Analogiebildung erreichen lässt. Es wird sich zeigen, dass beides im Ergebnis ausscheidet. Im Strafrecht gilt das Bestimmtheitsgebot, Art. 103 Abs. 2 GG, § 1 StGB. Tatbestand und Rechtsfolge von Strafgesetzen müssen so gefasst sein, dass der Normadressat die verbotene Verhaltensweise und die angedrohte Sank­ tion erkennen kann.1 Es ist bereits dargelegt worden, dass nach der herr­ schenden Auffassung dieses strikte Bestimmtheitsgebot nicht für die Maßre­ geln der Besserung und Sicherung gilt.2 Auch im Vollstreckungsrecht gilt es nicht.3 Hier gilt aber das allgemeine Bestimmtheitsgebot.4 Das vika­ riierende System nach §§ 67, 67a StGB regelt die Reihenfolge der Vollstre­ ckung von Strafe und ordnet den strafvertretenden Vollzug der Maßregel an. Deswegen ist es dem Vollstreckungsrecht zuzuordnen, sodass lediglich das allgemeine Bestimmtheitsgebot gilt. I. Unmöglichkeit einer erweiternden Auslegung Das Erfordernis der Fassung bestimmter Gesetze unter der Geltung des allgemeinen Bestimmtheitsgebotes steht deren Auslegung nicht entgegen.5 Stets ist die Reichweite der Anwendbarkeit eines Gesetzes anhand dessen Wortsinns, der Systematik, dem Willen des Gesetzgebers und seinem Sinn und Zweck zu beurteilen.6 Der Wortsinn bildet dabei die Grenze der Ausle­ gung.7 Sofern eine Auslegung nicht mehr vom Wortsinn erfasst ist, kann die 1  BVerfGE 48, 48 (56); 83, 130 (145) jeweils m. w. N.; Eser / Hecker, in: Schönke-Schröder, § 1 Rn.17 ff., 22 f. 2  Siehe oben: 2. Teil 2. Kap. D. II. 4. b). 3  BVerfGE 64, 261 (280); 86, 288 (311); 117, 71 (110 f.); Dannecker, in: Leipziger­ Komm StGB, § 1 Rn. 237; Eser / Hecker, in: Schönke-Schröder, § 1 Rn. 24 m. w. N. 4  Dannecker, in: LeipzigerKomm StGB, § 1 Rn. 237. 5  BVerfGE 83, 130 (145); 84, 133 (149); 117, 71 (111 f.); 131, 88 (122, 125); Klesczewski, Strafrecht BT, § 1 Rn. 23 ff.; Roxin, Strafrecht AT I, § 5 Rn. 26 ff. 6  Larenz, Methodenlehre, S.  320 ff. 7  Larenz, Methodenlehre, S. 324.

338

4. Teil: Eigener Ansatz

Anwendbarkeit eines Gesetzes lediglich im Wege einer Analogie begründbar sein.8 Auf die vorliegende Untersuchung übertragen, bedeutet das Folgendes: § 67 Abs. 4 StGB ordnet die strafvertretende Wirkung einer „Maßregel“ an. Unter den Begriff der „Maßregel“ fallen vom Wortlaut her alle freiheitsbe­ schränkenden und freiheitsentziehenden Maßregeln nach § 61 StGB und da­ mit auch die Sicherungsverwahrung nach § 61 Nr. 3 StGB. Dem Wortlautar­ gument nach zeigt sich die Regelung offen für eine Erstreckung auf die Si­ cherungsverwahrung. § 67 Abs. 1 StGB schränkt jedoch in (intra-)systemati­ scher Auslegung die Anwendbarkeit der strafvertretenden Wirkung des Vollzugs der Maßregel auf „die Unterbringung in einer Anstalt nach den §§ 63 und 64“ ein. In systematischer Hinsicht ergibt sich damit ein Argument gegen die Erstreckung des vikariierenden Systems auf die Sicherungsver­ wahrung. Ein weiteres Kriterium der Auslegung stellt der Wille des Gesetz­ gebers dar. Im Gesetzgebungsverfahren zur Einführung des vikariierenden Systems durch das Zweite Strafrechtsrefomgesetz ist dessen Geltung für alle freiheits­ entziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung intensiv diskutiert wor­ den. Der Sonderausschuss des deutschen Bundestages für die Strafrechtsre­ form hat sich in mehreren Sitzungen mit der Frage der Erstreckung des Vor­ wegvollzuges der Sicherungsverwahrung sowie dessen Anrechnung auf den Strafvollzug befasst.9 Insbesondere von dem Vertreter der SPD, Dr. MüllerEmmert, wurde anfangs eine Aufnahme der Sicherungsverwahrung in das vi­ kariierende System gefordert.10 Dabei argumentierte er mit der Behandlungs­ notwendigkeit von Rückfalltätern, rechtsvergleichend mit ähnlichen Normen im westeuropäischen Ausland und einem mangelnden Unterschied im Vollzug zwischen Freiheitsstrafe und Sicherungsverwahrung.11 Die Mehrheit im Son­ derausschuss war jedoch gegen eine Aufnahme der Sicherungsverwahrung in das vikariierende System. Dabei erkannte sie grundsätzlich die Problematik des mangelnden Unterschiedes zwischen Strafvollzug und dem Vollzug der Sicherungsverwahrung, sog. „Etikettenschwindel“, an.12 Nach Auffassung des 8  Krey, ZStW 101 (1989), S. 838 (844); Roxin, Strafrecht AT I, § 5 Rn. 36. Krit. bzgl. einer Trennbarkeit: Jakobs, Strafrecht AT, 4 / 35 ff. 9  s. insbesondere: Protokolle des Sonderausschusses, S. 12 (3. Sitzung), S. 331 ff. (18. Sitzung), S. 357 ff. (19. Sitzung), S. 2011 ff. (102. Sitzung), S. 2041 ff. (105. Sit­ zung), S. 2313 ff. (117. Sitzung) und öfter. 10  Protokolle des Sonderausschusses, S. 12 (3. Sitzung), S. 357 f. (19. Sitzung). Auch der Bund der Strafvollzugsbediensteten und der Bundeszusammenschluss für Straffälligenhilfe sprachen sich, allerdings auf der Grundlage eines einspurigen Rechts­ folgensystems, für eine Aufnahme der Sicherungsverwahrung in das vikariierende System aus; vgl. Protokolle des Sonderausschusses, S. 333 (18. Sitzung). 11  Protokolle des Sonderausschusses, S. 357 f. (19. Sitzung). 12  Protokolle des Sonderausschusses, S. 333 (18. Sitzung).



1. Kap.: Erstreckung vikariierendes System auf Sicherungsverwahrung  339

Bundesjustizministeriums sprachen jedoch die folgenden Erwägungen gegen eine Erstreckung des vikariierenden Systems auf die Sicherungsverwahrung13: Mit der Sicherungsverwahrung war zum damaligen Zeitpunkt kein gezieltes Behandlungsprogramm verbunden. Vielmehr stand der Aspekt der Sicherung im Vordergrund. Der ultima-ratio-Charakter der Sicherungsverwahrung sei in­ frage gestellt, wenn ein strafvertretender Vollzug der Sicherungsverwahrung erfolgen würde. Außerdem würden im Rahmen eines Vorwegvollzuges deut­ lich mehr Straftäter im Vollzug der Sicherungsverwahrung geraten. Nicht zu­ letzt stelle der vorrangige Vollzug der Sicherungsverwahrung eine Besserstel­ lung gegenüber normalen Straftätern (ohne angeordnete Sicherungsverwah­ rung) dar, weil der Vollzug der Sicherungsverwahrung im Vergleich zum Strafvollzug milder sei. Ein weiteres vorgebrachtes Argument betraf die Be­ fürchtung, dass durch ein Vikariieren sich Straf- und Maßregelvollzug in der Praxis auf Dauer nicht mehr unterscheiden würden.14 Ebenso wurden Beden­ ken angemeldet, dass die im Anschluss an den Strafvollzug erforderliche Prü­ fung der Notwendigkeit des Vollzugs der Sicherungsverwahrung leerlaufen könnte.15 Neben dem Bundesjustizministerium haben sich im Laufe der Bera­ tungen auch die Länderkommission16, der Vertreter der Bundesrechtsanwalts­ kammer17 und die Verfasser des Alternativ-Entwurfes zum StGB18 für die Nichtaufnahme der Sicherungsverwahrung in das vikariierende System ausge­ sprochen. Später hat Dr. Müller-Emmert (SPD) unter dem Eindruck der gleichzeitig vorgeschlagenen Verschärfung der Anordnungsanforderungen für die Sicherungsverwahrung seinen Standpunkt aufgegeben.19 Erfolgten die ers­ ten Abstimmungen über die Rechtsfrage noch mehrheitlich zugunsten der Nichtaufnahme der Sicherungsverwahrung in das vikariierende System20, so erging die letzte Abstimmung diesbezüglich einheitlich gegen einen strafver­ tretenden Vollzug der Sicherungsverwahrung.21 Ausweislich der offiziellen Gesetzesbegründung wurden die Argumente des Sonderausschusses aufgegrif­ fen22: Er ging davon aus, dass mit der Unterbringung nach §§ 66, 66a StGB keine gezielte Behandlung verbunden sei, ansonsten der ultima-ratio-Charak­ 13  Protokolle des Sonderausschusses, S. 333 f. (18. Sitzung). s. a. Protokolle des Sonderausschusses, S. 357 (19. Sitzung). 14  Protokolle des Sonderausschusses, S. 356, 358 (19. Sitzung). 15  Protokolle des Sonderausschusses, S. 334 (19. Sitzung). 16  Protokolle des Sonderausschusses, S. 335 (18. Sitzung), S. 2025 f. (102. Sit­ zung). 17  Protokolle des Sonderausschusses, S. 2053 f. (105. Sitzung). 18  Vgl. Protokolle des Sonderausschusses, S. 2320 (117. Sitzung). 19  Protokolle des Sonderausschusses, S. 2322 (117. Sitzung). 20  Protokolle des Sonderausschusses, S. 361 (19. Sitzung). 21  Protokolle des Sonderausschusses, S. 2322 f. (117. Sitzung). 22  BT-Drucks. V / 4095, S. 31.

340

4. Teil: Eigener Ansatz

ter der Sicherungsverwahrung unterlaufen werde, schwerste Verbrecher durch den milderen Maßregelvollzug prämiert, die Gefahr begründet sei, dass sich Straf- und Maßregelvollzug in der Praxis nicht ausreichend unterscheiden würden und die Prüfung der Entbehrlichkeit des nachfolgenden Maßregelvoll­ zugs, also des heutigen § 67c StGB, leerlaufen würde. Der Wille des damaligen Gesetzgebers war damit unmissverständlich ge­ gen eine Aufnahme der Sicherungsverwahrung in § 67 StGB gerichtet. Um­ stritten ist, inwieweit dieser gesetzgeberische Wille für die Auslegung maß­ geblich ist. Nach einem subjektiven Ansatz soll dieser Wille von entschei­ dender Relevanz für die Auslegung sein, sofern er eine eindeutige Interpreta­ tion zulässt.23 Der damalige Gesetzgeber hat das Problem erstens erkannt. Wie dargestellt wurde es auch intensiv diskutiert und im Ergebnis die Erstre­ ckung des heutigen § 67 StGB auf die Sicherungsverwahrung verworfen. Damit lässt der Wille des Gesetzgebers eine eindeutige Interpretation zu und würde sich nach dieser Auffassung als maßgebliches Auslegungskriterium erweisen. Der subjektiven Auffassung folgend wäre damit eine Erstreckung des vikariierenden Systems auf die Sicherungsverwahrung im Wege der Aus­ legung von § 67 Abs. 4 StGB unzulässig. Nach einem objektiven Ansatz ist der Wille des Gesetzgebers dagegen le­ diglich ein Auslegungskriterium unter den Anderen und damit nicht mit letzter Konsequenz verbindlich.24 Danach könnte in diesem Fall trotz der eindeutigen Stellungnahmen im Gesetzgebungsverfahren die Auslegung wei­ ter offen sein. Für die Frage einer Erstreckung des vikariierenden Systems auf die Sicherungsverwahrung käme es dann maßgeblich auf den Sinn und Zweck der Regelung an. Zu prüfen ist daher, ob die Argumente des histori­ schen Gesetzgebers gegen die Aufnahme der Sicherungsverwahrung in das vikariierende System im heutigen europa-, verfassungs- und einfachrechtli­ chen Kontext noch überzeugen. Das erste Argument des historischen Gesetz­ gebers zielte darauf ab, dass mit der Unterbringung nach §§ 66, 66a StGB keine gezielte Behandlung verbunden sei.25 Das mag für die Praxis zum damaligen Zeitpunkt zutreffend gewesen sein, weil man in dem Institut der Sicherungsverwahrung lediglich ein Mittel der Verwahrung und damit der Sicherung der Gesellschaft vor dem Täter gesehen hat.26 In den letzten Jah­ 23  s. dazu BVerfGE 122, 248 (285 f.); 133, 168 (205); Bydlinski, Methodenlehre, S. 454; Krey, JZ 1978, S. 361 (364)). 24  Sauer, Methodenlehre, S. 294. 25  BT-Drucks. V / 4095, S. 31. Krit. auch Mushoff, S. 295. 26  Vgl. bspw. Grünwald, ZStW 80 (1968), S. 89 (117); Hanack, in: Leipziger­ Komm StGB10, § 66 Rn. 1: „Der Täter soll […] in erster Linie sicher verwahrt wer­ den; daneben soll ihm, […] freilich auch geholfen werden, sich in das Leben in Freiheit wiedereinzugliedern […].“



1. Kap.: Erstreckung vikariierendes System auf Sicherungsverwahrung 341

ren ist jedoch  – richtigerweise  – der Anspruch des Gewohnheitstäters auf Wiedereingliederung in die Gesellschaft deutlich betont worden.27 Dieser setzt eine gezielte Behandlung des „Hanges“ zu erheblichen Straftaten vor­ aus. Wenn darauf bereits der Strafvollzug nach § 66c StGB hinwirken soll, gilt gleiches auch für den Vollzug der Sicherungsverwahrung.28 Das Argu­ ment ist im heutigen Kontext so nicht mehr aufrechtzuerhalten. Der damalige Gesetzgeber sah zudem die Gefahr begründet, dass sich durch den Vorwegvollzug der Sicherungsverwahrung die Differenzierung zwischen Maßregel- und Strafvollzug nivelliere.29 Das mag für die dama­ lige Gesetzeslage sicherlich im Kern Geltung beanspruchen. Denn damals war dem Vollzug der Sicherungsverwahrung kein besonderes Behandlungs­ element eigen. Dabei hätte es gerade am Gesetzgeber gelegen für eine ent­ sprechende Unterscheidung zu sorgen.30 So gesehen unterschied sich der Vollzug der Sicherungsverwahrung, ganz im Gegensatz zum Vollzug der Maßregeln nach §§ 63, 64 StGB, nicht deutlich vom Strafvollzug. Gerade im Anschluss an die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung der letzten Jahre ist jedoch die Notwendigkeit der Behandlung und Resozialisierung der Si­ cherungsverwahrten betont worden. Gleichzeitig ist auch die besondere Be­ handlungsbedürftigkeit der Sicherungsverwahrten im Strafvollzug hervorge­ hoben worden. War die Vollzugssituation zum damaligen Zeitpunkt insgesamt noch von einem Mangel an Behandlungsangeboten gekennzeichnet, so sollen nunmehr von Gesetzes wegen sowohl der Straf- als auch der Maßregelvoll­ zug besondere Behandlungsangebote enthalten. Dennoch gewährleistet nur der Maßregelvollzug eine optimale Behandlung der habituellen Straftäter und hebt sich dadurch nochmals vom Strafvollzug ab. Das Argument des histori­ schen Gesetzgebers überzeugt aber aus einem anderen Grund nicht. Denn schließlich kaschiert weder der der Strafe zeitlich nachfolgende, noch der vorangehende Vollzug der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung die grundsätzlich unterschiedliche Ausgestaltung. Der Gefangene befindet sich entweder im Straf- oder im Maßregelvollzug. Das Argument kann daher, weder im damaligen, noch im heutigen Kontext wirklich nachvollzogen wer­ den. Marginale Erleichterungen brachte der Vollzug der Sicherungsverwah­ rung nach damaliger Rechtslage aber auch mit sich. Aufgrund dessen emp­ fand es der damalige Gesetzgeber ebenso als Ungerechtigkeit, dass gerade schwerste Verbrecher in den „Genuss“ des in der Ausgestaltung milderen 128, 326 (377). s. a. Freund, GA 2010, S. 193 (202 f.). 128, 326 (379 ff.). 29  So aber BT-Drucks. V / 4095, S. 31. 30  Von einer deutlicheren Unterscheidung ging der Sonderausschuss für die Strafrechtsreform auch zwischenzeitlich aus; s. Protokolle des Sonderausschusses, S. 333 (18. Sitzung). 27  BVerfGE 28  BVerfGE

342

4. Teil: Eigener Ansatz

Maßregelvollzugs kommen und gewissermaßen „prämiert“ würden.31 Diese Betrachtungsweise ist nicht unproblematisch. Es stellt sicher keine Erleichte­ rung dar, wenn über dem Strafvollzug noch das Damoklesschwert einer weiteren Freiheitsentziehung schwebt. Vielmehr ist es gerade aufgrund des, auch durch die gesellschaftliche Mitverantwortung legitimierten, Resoziali­ sierungsanspruchs des habituellen Delinquenten gerechtfertigt, eine Hal­ tungsänderung frühestmöglich und ebenso bestmöglich zu begegnen. Im Übrigen müsste das Argument der ungerechtfertigten Wohltat konsequenter­ weise auch gegen die übrigen am vikariierenden System teilhabenden Maß­ regeln vorgebracht werden, soweit sie gegenüber Schuldfähigen angeordnet werden und damit strafergänzend sind. Es gilt aber hier wie dort nicht. Nach einem weiteren Argument würde der strafvertretende Vollzug der Sicherungsverwahrung mit dem „ultima ratio“ Charakter der Sicherungsver­ wahrung in offenem Widerspruch stehen.32 Das ist vor dem Hintergrund des Wiedereingliederungsanspruchs des Gefangenen so nicht aufrechtzuer­ halten. Zwar hat auch zuletzt das Bundesverfassungsgericht betont, dass so­ wohl die Anordnung als auch der Vollzug der Sicherungsverwahrung aller­ letztes Mittel sind und letzterer gegebenenfalls durch eine effektivere Ausge­ staltung des Strafvollzugs zu vermeiden ist.33 Diese Aussage ist aber erstens vor dem Hintergrund der geltenden Rechtslage zu sehen. Danach ist die Strafe vor der Maßregel zu vollziehen und erst nach dem Strafvollzug die Notwendigkeit eines Vollzugs der Unterbringung zu prüfen, § 67c Abs. 1 StGB. So gesehen ist es vollkommen richtig, dass der Strafvollzug daher darauf ausgerichtet sein muss, den Vollzug der Maßregel als weiteren inten­ siven Eingriff in das Freiheitsrecht des Gewohnheitsverbrechers zu vermei­ den. Daraus lässt sich der Gedanke entnehmen, dass der Staat verpflichtet ist, in optimaler Weise die rechtliche Entwöhnung der habituellen Täter anzuge­ hen. Deswegen formuliert das Bundesverfassungsgericht auch, dass der im Maßregelvollzug Untergebrachte individuell und intensiv zu betreuen und zur Mitwirkung zu motivieren sei.34 Diese Zielsetzung zu erreichen, ist der strafvertretende Vollzug der Sicherungsverwahrung gerade in besonderer Weise geeignet, weil die habituelle Entwöhnung der rechtlichen Gesinnung frühzeitig gezielt angegangen werden kann. Der „ultima ratio“ Charakter der Sicherungsverwahrung verlangt daher nur, dass die Sicherungsverwahrung nur in den Fällen angeordnet werden soll, wo eine herkömmliche Reaktion mittels Freiheitsstrafe nicht mehr ausreicht. Wird sie allerdings angeordnet, so sollte aus dem „ultima-ratio“-Charakter nicht ein Zuwarten auf die Be­ V / 4095, S. 31. Krit.: Mushoff, S. 296 f. V / 4095, S. 31. Ablehnend auch: Mushoff, S. 295. 33  BVerfGE 128, 326 (379). 34  BVerfGE 128, 326 (379 f.). 31  BT-Drucks. 32  BT-Drucks.



1. Kap.: Erstreckung vikariierendes System auf Sicherungsverwahrung 343

handlung des habituellen Delinquenten bis nach dem Strafvollzug gefolgert werden. Denn dem Schutz der Interessen der Allgemeinheit ist dann am besten gedient, wenn die Entwöhnung rechtlicher Orientierung möglichst frühzeitig und mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln angegangen wird. Ausdruck des „ultima-ratio“-Charakters ist demzufolge die Vermeidung eines über die Schuld hinausgehenden Freiheitsentzuges. Daraus muss aber nicht zwingend geschlossen werden, dass ein strafvertretender Vollzug der Siche­ rungsverwahrung nicht infrage kommt. Auch das letzte Argument des dama­ ligen Gesetzgebers überzeugt nicht. Zwar ist es richtig, dass durch ein Vika­ riieren bei der Sicherungsverwahrung die Entbehrlichkeitsprüfung, also der heutige § 67c StGB, weitestgehend obsolet würde.35 Aber das ist schlicht die Folge der Aufnahme der Sicherungsverwahrung in das vikariierende Sys­ tem und weder damals noch heute ein eigenständiges Argument. Nach alledem erweisen sich nach Sinn und Zweck von § 67 StGB die Argu­ mente des historischen Gesetzgebers unter Berücksichtigung aktueller rechtli­ cher Entwicklungen als überholt. Der Telos von § 67 StGB spricht daher nicht gegen eine Erstreckung auf die Sicherungsverwahrung. Nach der objektiven Auslegungsvariante könnte, im Gegensatz zur subjektiven Auslegungsvari­ ante, in erweiternder Auslegung eine Einbeziehung der Sicherungsverwah­ rung in das vikariierende System angenommen werden. Gegen die objektive Theorie bestehen jedoch gewichtige Einwände: Nach der subjektiven Auffas­ sung sind zwar der Telos eines Gesetzes nur bedingt sowie geänderte wirt­ schaftliche, politische oder allgemein gesellschaftliche Verhältnisse nicht be­ rücksichtigungsfähig, wenn sich der Wille des Gesetzgebers eindeutig aus den Materialien ergibt. Nach der objektiven Theorie können dagegen geänderte rechtliche Rahmenbedingungen berücksichtigt werden.36 Denn danach ist im Weiteren nach dem Telos einer Regelung zu fragen. Eine objektive Auslegung nach Sinn und Zweck unter bewusster Ausblendung der rechtspolitischen Ent­ scheidung des historischen Gesetzgebers negiert jedoch dessen Beurteilungs­ spielraum und zwangsläufig den Gewaltenteilungsgrundsatz, Art. 20 Abs. 2 GG. Sie ist daher abzulehnen.37 § 67 Abs. 4 StGB findet somit bereits auf­ grund des eindeutigen Willens des Gesetzgebers keine Anwendung auf die Sicherungsverwahrung. Eine erweiternde Auslegung muss unterbleiben. Of­ fen bleibt aber, ob einerseits eine analoge Anwendung möglich ist oder auf­ grund der aktuellen rechtlichen Rahmenbedingungen aufgrund des Telos des Gesetzes ein strafvertretender Vollzug der Sicherungsverwahrung mittlerweile geboten ist. Das soll im Folgenden beurteilt werden. 35  BT-Drucks.

V / 4095, S. 31. Larenz, Methodenlehre, S. 317. 37  BVerfGE 122, 248 (285 f.); 133, 168 (205); Krey, JZ 1978, S. 361 (364)). Im Erg. auch Larenz, Methodenlehre, S. 318; Roxin, Strafrecht AT I, § 5 Rn. 28. 36  Dazu:

344

4. Teil: Eigener Ansatz

II. Unmöglichkeit einer Analogiebildung Sofern sich die Anwendbarkeit einer Regelung nicht aufgrund der Ausle­ gung des Gesetzes ergibt, kommt dessen analoge Anwendung in Betracht.38 Zulässig sind sowohl eine die Anwendbarkeit des Gesetzes erweiternde, als auch einschränkende Analogie (teleologische Reduktion).39 Analogien zu­ gunsten des Normadressaten sind unproblematisch im Gegensatz zu den verbotenen Analogien zulasten des Normadressaten.40 Voraussetzung für eine Analogiebildung ist das Bestehen einer planwidrigen Regelungslücke.41 Diese wäre dann in analoger Anwendung des Gesetzes zu schließen, wenn eine vergleichbare Interessenlage zwischen der vom Gesetz intendierten Konstellation und dem vorliegenden Fall besteht.42 Im Hinblick auf die vorliegende Frage gilt Folgendes: Ausweislich des vorstehend gefundenen Ergebnisses zur Auslegung von § 67 Abs. 4 StGB findet das vikariierende System auf die Unterbringung nach §§ 66, 66a StGB keine Anwendung. Es besteht daher eine Gesetzeslücke. Die Gesetzeslücke müsste aber auch plan­ widrig sein. Planwidrigkeit ist nach hier vertretener Ansicht anzunehmen, wenn der der Analogiebildung zugrundeliegende Sachverhalt vom Gesetzge­ ber nicht bedacht wurde.43 Im Gesetzgebungsverfahren zur Einführung des vikariierenden Systems durch das Zweite Strafrechtsrefomgesetz hatte der damalige Gesetzgeber die Erstreckung auf die Fälle der Sicherungsverwah­ rung, wie vorstehend dargestellt, nicht nur diskutiert, sondern auch abgelehnt. Die Argumente sind, wie gezeigt, umfassend in den Gesetzgebungsmateria­ lien aufgeführt.44 Daraus ergibt sich, dass der Gesetzgeber in Kenntnis dieser Konstellation bewusst davon abgesehen hat, die Sicherungsverwahrung als strafvertretende Maßregel anzusehen. Die Regelungslücke ist folglich nicht planwidrig und eine Analogie scheidet deswegen aus.

38  Larenz, Methodenlehre, S. 366; Klesczewski, Strafrecht BT, § 1 Rn. 28; Roxin, Strafrecht AT I, § 5 Rn. 36. 39  Larenz, Methodenlehre, S. 370 ff. und S. 391 ff. 40  Für das Strafrecht ergibt sich das Analogieverbot unmittelbar aus Art. 103 Abs. 2 GG; s. dazu: Klesczewski, Strafecht BT, § 1 Rn. 30; Roxin, Strafrecht AT I, § 5 Rn. 40 ff., 44. Außerhalb des Strafrechts in diesem Sinne, also bspw. für die Maßre­ geln der Besserung und Sicherung nach herrschender Auffassung, ergibt sich diese Folge aus dem allgemeinen Gesetzesvorbehalt: Krey, ZStW 101 (1989), S. 838 (840, 854 f.). 41  BVerfG NJW 1990, 1593; BGHSt 9, 310 (312); Larenz, Methodenlehre, S. 370, 374. 42  BGHSt 7, 190 (193 f.); Larenz, Methodenlehre, S. 381 ff. 43  Larenz, Methodenlehre, S. 373; Krey, JZ 1978, S. 361 (364 f.); Eser / Hecker, in: Schönke-Schröder, § 1 Rn. 35. 44  BT-Drucks. V / 4095, S. 31. Siehe oben: 4. Teil 1. Kap. A. I.



1. Kap.: Erstreckung vikariierendes System auf Sicherungsverwahrung 345

B. Die Notwendigkeit einer Erstreckung des vikariierenden Systems auf die Sicherungsverwahrung Die Erstreckung des geltenden vikariierenden Systems auf die Sicherungs­ verwahrung konnte, wie gezeigt, weder im Wege der Auslegung, noch durch Analogiebildung erfolgen. In einzelnen Fällen hat die Rechtsprechung die Grenze der Analogiefähigkeit einer Regelung überschritten und contra legem Rechtsfortbildung betrieben.45 Das gerät in Konflikt mit dem Grundsatz der Gewaltenteilung und der Bindung des Richters an das Gesetz.46 Denn da­ durch wird die Rechtssetzungsbefugnis des Gesetzgebers untergraben und die Gesetzesunterworfenheit des Richters aufgelöst.47 Eine Rechtsfortbil­ dung contra legem ist daher abzulehnen.48 Stattdessen ist der Gesetzgeber in diesen Fällen dazu aufgerufen eine Regelung zu schaffen. Deshalb soll es im Folgenden darum gehen, mittels einer straftheoretischen Betrachtung die Notwendigkeit der Erstreckung des vikariierenden Systems auf die Siche­ rungsverwahrung zu begründen. I. Die Notwendigkeit der Anwendung der Grundsätze des Vikariierens auf die Sicherungsverwahrung aus straftheoretischer Sicht Aus der hier vertretenen Ansicht werden die Strafe sowie die Sicherungs­ verwahrung, die ihrer Rechtsnatur nach Strafe ist, durch denselben freiheits­ gesetzlichen Begründungsansatz gerechtfertigt. Daher ist es konsequent, dass diese Wesensidentität sich auch im Vollzug widerspiegelt. Das Ziel ist die Wiederherstellung des gestörten Rechts(verhältnisses) durch ein Angebot zur Behandlung der habituell bedingten Rückfallgefahr einerseits und der Wie­ dereingliederung in die Gesellschaft andererseits. Dabei stellt sich die Ausei­ nandersetzung mit der habituellen Schuld als Teilelement der Wiedereinglie­ derung dar. Sie ist als Ausdruck der Verteilungsgerechtigkeit vorrangig anzu­ gehen. Ein gefährlicher Täter wäre auch nach dem Strafvollzug weiter unter­ zubringen. Ein nicht (mehr) Rückfallgefährdeter könnte dagegen durch 45  BVerfGE 34, 269 (284) „Soraya“; 122, 248 (286) „Rügeverkümmerung“; wohl auch BGHSt 50, 40 (50 ff.) „Urteilsabsprache“. 46  Ausführlich Krey, JZ 1978, S. 465 ff.; ders., ZStW 101 (1989), S. 838 (863 f.). s. a. BVerfGE 122, 248 (285 f.). 47  Krey, JZ 1978, S. 361 (363); ders., ZStW 101 (1989), S. 838 (864) m. w. N. 48  Larenz, Methodenlehre, S.  426 f. Krey, JZ 1978, S. 465 (467 f.); ders., ZStW 101 (1989), S. 838 (869) lässt eine Ausnahme von diesem grundsätzlichen Verbot beim Vorliegen eines gesetzlichen Wertungswiderspruchs zwischen mehreren an sich verfassungsmäßigen Gesetzen zu. Das mag im Einzelfall zulässig sein, kann aber keine dauerhafte Rechtsanwendung begründen. Vielmehr ist der Gesetzgeber in der Pflicht für eine entsprechende Änderung zu sorgen.

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4. Teil: Eigener Ansatz

resozialisierende Maßnahmen, also beispielsweise Vollzugslockerungen, auf ein Leben in Freiheit optimal vorbereitet werden. Folglich sind Straf- und Maßregelvollzug aufeinander abzustimmen. Diese Abstimmung leistet einerseits das vikariierende System. Anderer­ seits erscheint es auch denkbar, im Rahmen des Vollzugs die Zweispurigkeit von Strafe und Sicherungsverwahrung aufzugeben. Für den Vollzug bräuchte die Unterscheidung zwischen Strafe und Sicherungsverwahrung möglicher­ weise nicht mehr aufrechterhalten zu bleiben. Parallelen enthält bereits das geltende Gesetz. Der Strafvollzug ist am Prinzip der Resozialisierung ausge­ richtet, § 2 S. 1 StVollzG.49 Auch der Vollzug der strafergänzenden Unter­ bringung nach §§ 66, 66a StGB ist nicht lediglich auf die Sicherung der Gesellschaft vor dem Täter beschränkt. Vielmehr ist auch dieser maßgeblich an dem Gedanken der Besserung des Sicherungsverwahrten auszurichten.50 Der einheitliche Vollzug ist an der Resozialisierungsaufgabe ausgerichtet.51 Nach geltender Rechtslage ergibt sich eine solche Annäherung von Freiheits­ strafen- und Maßregelvollzug auch im Bereich habitueller Kriminalität aus §§ 66c Abs. 2, 67c Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB. Danach soll der Vollzug der Frei­ heitsstrafe ein hinreichendes Behandlungsangebot beinhalten, um möglichst frühzeitig auf die Behandlungsbedürftigkeit der habituell Kriminellen einge­ hen zu können und im Ergebnis eine zusätzliche Belastung durch den Vollzug der Sicherungsverwahrung zu vermeiden. Vor dem Hintergrund eines „ein­ spurigen“ Rechtsfolgensystems kann ein einheitlicher Vollzug im Ansatz nachvollzogen werden.52 Ein allgemein einheitlicher Vollzug würde in der Praxis jedoch zu Schwierigkeiten in der Abgrenzung zwischen den schon behandlungsbedürftigen und den noch nicht besonders behandlungsbedürfti­ gen Straftätern führen. Würde allerdings der einheitliche Vollzug an die An­ ordnung der Sicherungsverwahrung geknüpft werden, bestünde diese Ab­ grenzungsschwierigkeit nicht. Das würde aber wiederum bedeuten, im Voll­ zug doch zwischen normaler Kriminalität und habitueller Kriminalität zu unterscheiden. Des Weiteren wäre fraglich, ob die intensive Behandlung und Aufarbeitung der habituellen Kriminalität in einem solchen „behandlungsin­ tensiven“ Strafvollzug in Gänze wirklich geleistet werden kann. Nach der hier vertretenen Ansicht ist nur der Maßregelvollzug geeignet, das entspre­ chende Umfeld und Behandlungsangebot zur Verfügung zu stellen. Eine 49  Zu den entsprechenden Landesstrafvollzugsgesetzen siehe oben: 3. Teil 2. Kap. D. I. 1. 50  BVerfGE 109, 133 (151); 128, 326 (377); 130, 326 (390). Zu den Landessiche­ rungsverwahrungsvollzugsgesetzen siehe oben: 3. Teil 2. Kap. D. I. 1. 51  Siehe dazu bspw.: Eisenberg, S. 57 ff., 61 ff.: „angewandte Einspurigkeit“; Peters, S. 95, 290. 52  Auch Eisenberg, S. 57 und Peters, S. 93 gehen von der Einspurigkeit der Rechtsfolgen im Strafrecht aus.



1. Kap.: Erstreckung vikariierendes System auf Sicherungsverwahrung 347

fehlende Anrechnung nach dem Vorbild des § 67 Abs. 4 StGB wäre dagegen lediglich von nachrangiger Bedeutung. Denn in einem einheitlichen Vollzug kann aus der Natur der Sache heraus nichts angerechnet werden. Im Ergebnis muss daher nach hier vertretener Auffassung an der Differen­ zierung zwischen dem Maßregel- und Freiheitsstrafenvollzug festgehalten werden. Dennoch ist eine frühzeitige Behandlung des habituellen Delinquen­ ten sein Recht und gleichzeitig gesellschaftliche Verantwortung für den Täter. Das leistet ein strafvertretender Vollzug der Maßregel. Die Sicherungsver­ wahrung ist daher in das vikariierende System aufzunehmen. II. Erforderlichkeit einer Neuregelung Es wurde bereits dargelegt, dass die Argumente des historischen Gesetzge­ bers gerade vor dem Hintergrund der aktuellen rechtlichen Entwicklungen nicht mehr aufrechterhalten werden können53: Der gesteigerte Behand­ lungs- und Resozialisierungsanspruch des habituell Kriminellen verlangt eine, über die im Strafvollzug mögliche, intensivere Behandlung der habitu­ ellen Entwöhnung vom Recht. Dem steht der „ultima ratio“-Charakter der Sicherungsverwahrung nicht entgegen. Eine Nivellierung der Unterschiede zwischen Straf- und Maßregelvollzug geht damit nicht einher. Richtigerweise werden die habituell Kriminellen dadurch auch nicht „prämiert“. Zwar beste­ hen im Vollzug der Maßregel Erleichterungen im Unterschied zum Strafvoll­ zug. Darin eine Prämie zu sehen, wäre jedoch zu kurz gegriffen. Hier muss beachtet werden, dass es gesellschaftlich nicht darauf ankommen kann, Be­ handlungsmöglichkeiten verstreichen zu lassen, nur „damit jedermann das widerfahre, was sein Taten wert sind“.54 Eine solche Betrachtung sollte als überholt gelten. Hinzu kommt, dass der, nach der hier vertretenen Auffassung aufgrund gesellschaftlicher Mitverantwortung für habituelle Kriminalität, gesteigerte Resozialisierungsanspruch des Gewohnheitstäters gerade eine vorrangige Behandlung fordert. Die derzeitige gesetzliche Regelung kommt diesem Anspruch seit Einführung des § 66c StGB schon nahe. Eine optimale Verwirklichung verlangt aber die Aufnahme der Sicherungsverwahrung in das vikariierende System nach §§ 67 f. StGB. Dadurch wird gleichzeitig den Interessen der habituell Kriminellen als auch den Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit in optimaler Weise entsprochen. Entscheidend ist, dass die Gewohnheitstäter durch eine intensive Betreuung an ihrer rechtlichen Hal­ tung arbeiten können und künftig ein Leben in Verantwortung zu führen in der Lage sind. 53  Siehe 54  Kant,

oben: 4. Teil 1. Kap. A. I. MS, AA VI, S. 333.

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4. Teil: Eigener Ansatz

C. Maßstäbe der Anwendung Dieses Ziel bedarf der konkreten Umsetzung. Im geltenden „zweispuri­ gen“ Rechtsfolgensystem des Strafgesetzbuches ist die Sicherungsverwah­ rung, die ihrer Rechtsnatur nach Strafe ist, in das vikariierende System neben den anderen beiden freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Si­ cherung aufzunehmen. Für sie muss, wie für die anderen Maßregeln auch, der Grundsatz des Vorwegvollzugs gelten. Das verlangt die Strafgerechtig­ keit. Ein in Ausnahme zu dieser Regel möglicher  – höchstens  – teilweiser Vorwegvollzug der Strafe ist abzulehnen.55 Denn er ist nicht Ausdruck des erhöhten Wiedereingliederungsanspruchs des Straftäters. Das gilt bereits für die der Sache nach unzulässige Schaffung eines „Leidensdrucks“ nach gel­ tender Rechtslage und muss erst Recht für die Sicherungsverwahrung gelten. Im Vorwegvollzug der Unterbringung nach § 66 StGB kann sodann ein Angebot zur Behandlung der in habitueller Weise verkehrten inneren Haltung des Verbrechers, üblicherweise bezeichnet als sich im Hang zeigende Gefähr­ lichkeit des Täters, erfolgen. Insoweit kann ein konkreter Behandlungs- und Vollzugsplan erstellt werden. Das kommt den rechtlichen wie praktischen Bedürfnissen der habituellen Delinquenten sehr entgegen und bietet einen entscheidenden Vorteil gegenüber der jetzigen Rechtslage.56 Nimmt der Sicherungsverwahrte das Angebot nicht an, wird er in den Strafvollzug zu überstellen sein. Es ist nicht Aufgabe des Strafrechts eine Zwangsbehandlung schuldfähiger Menschen durchzuführen. Der Gefangene kann allerdings je­ derzeit57 das Angebot annehmen und so in den Maßregelvollzug zurück­ kehren. Die Anordnung des Strafvollzugs sollte daher in diesen Fällen von vornherein auf einen Teil der Strafe beschränkt bleiben. Im Ganzen entspricht das der geltenden Rechtslage zu §§ 63, 64 StGB, vgl. § 67 Abs. 3 S. 1 StGB. Der Vollzug der Maßregel ist außerdem vollständig auf die Strafe anzurech­ nen. Das Bundesverfassungsgericht hat die Notwendigkeit dafür zwar nicht gesehen und es für zulässig gehalten, dass eine nur teilweise Anrechnung erfolgt.58 Die volle Anrechnung gebietet jedoch die Strafgerechtigkeit deren zwei Elemente Strafe und Sicherungsverwahrung, die ihrer Rechtsnatur nach 55  So auch Klesczewski, Rolle der Strafe, S. 330. Eine Ausnahme davon könnte bei Ausreisepflicht des Betroffenen, vgl. § 67 Abs. 2 S. 4 StGB, anerkannt werden. Das würde darin begründet liegen, dass ein anderer Staat verpflichtet ist, für die Re­ sozialisierung des Betroffenen zu sorgen. Rein faktisch könnten die Behandlungsme­ thoden bereits an Sprachbarrieren bzw. verschiedenen rechtlich-gesellschaftlichen Rahmenbedingungen scheitern, die eine andere als die in bundesdeutschen Anstalten mögliche Behandlung erfordert. 56  Dazu Klesczewski, HRRS 2010, S. 394 (399 f.). 57  Vorbehaltlich einer Missbrauchsschranke. 58  BVerfGE 91, 1 (35).



2. Kap.: Ergebnis

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Strafe ist, sind. Eine Zweidrittelanrechnung zur Schaffung einer Mitwir­ kungsmotivation ist als unzulässiger Druck abzulehnen. Ist die Behandlung erfolgreich abgeschlossen, schließt sich der Verbleib im Maßregelvollzug oder der normale Strafvollzug an, vgl. § 67 Abs. 5 S. 2 StGB. In letzterem wird gemäß seines Ziels an der Resozialisierung des Gefangenen gearbeitet. In diesem Stadium können dann vor allem die weiteren Lockerungen des Maßregel- bzw. Freiheitsstrafenvollzugs in Betracht kommen. Ist bereits die Aussetzungsreife der Freiheitsstrafe erreicht, kann auch eine Aussetzung dieser zur Bewährung und damit die Entlassung des Gefangenen in die Frei­ heit erfolgen, vgl. § 67 Abs. 5 S. 1 StGB. Theoretisch ist davon auch die Halbstrafenregelung erfasst. Das dürfte einerseits durch die Länge der Be­ handlung ausgeschlossen sein und stellt andererseits lediglich eine Ermes­ sensvorschrift dar. In der Regel dürfte aber eine Aussetzung zum Zweidrittel­ zeitpunkt in Betracht kommen. Das fügt sich in die Rechtsprechung zu §§ 63, 64 StGB ein, die unter Resozialisierungsgesichtspunkten auch auf diesen Zeitpunkt ausgerichtet ist. Wird das Behandlungsangebot vom Sicherungsverwahrten abgelehnt oder dauert es länger als vorgesehen, dann ist die Sicherungsverwahrung gegebe­ nenfalls auch über das Maß der verhängten Freiheitsstrafe hinaus zu vollzie­ hen. Ab dem Zeitpunkt, zu welchem das Maß der (Gesamt-)Freiheitsstrafe überschritten ist, greifen die geltenden Regeln zur Aussetzungsfähigkeit bzw. Erledigung der Sicherungsverwahrung mitsamt der engmaschigen Kontrollund Prüfpflichten. Dieser weitere Vollzug findet seine Rechtfertigung in der habituellen Schuld des Täters und erweist sich damit auch als sein Recht. Die weitere Unterbringung ist damit legitimatorisch nicht lediglich ein Wegsper­ ren zum Nutzen der gesellschaftlichen Mehrheit. Die Aussetzung zur Bewäh­ rung bzw. die Erledigterklärung erfolgen erst, wenn eine Haltungsänderung beim Sicherungsverwahrten insoweit stattgefunden hat, die es rechtfertigt der Gesellschaft unter Hinnahme eines gegebenenfalls bestehenden restlichen Risikos zuzumuten, den Untergebrachten in das soziale Leben zu entlassen. Die Haltungsänderung kann freilich auch altersbedingt geschehen, indem ein Entschluss zu Straftaten schon an der physischen Umsetzbarkeit scheitert. 2. Kapitel

Ergebnis Das Ergebnis stellt sich folgendermaßen dar: Strafe und Sicherungsver­ wahrung erweisen sich als zwei Komponenten der Strafgerechtigkeit. Daher ist ein Austausch im Vollzug nicht nur möglich. Der konsequente Vorweg­ vollzug der Sicherungsverwahrung beruht auf dem gesteigerten Resozialisie­ rungsinteresse und -anspruch des Straftäters sowie der gesellschaftlichen

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4. Teil: Eigener Ansatz

Mitverantwortung. Durch die Aufnahme in das vikariierende System des § 67 StGB erfolgt eine Anrechnung des Maßregelvollzugs auf die Höhe der Freiheitsstrafe. Außerdem findet eine Orientierung an der Aussetzung zur Bewährung zum Zweidrittelzeitpunkt statt. Dadurch ist eine weitergehende strafmildernde Berücksichtigung der Sicherungsverwahrung bei der Strafzu­ messung der unbedingten Freiheitsstrafe nicht notwendig. Das gilt sowohl auf der Grundlage eines „zweispurigen“ Rechtsfolgensys­ tems, als auch für die hier befürwortete freiheitsgesetzliche Straftheorie. Für letztere erweist sich die Aufnahme ins vikariierende System als konsequente Umsetzung des Schuldprinzips. Für erstere können unauflösliche Friktionen vermieden werden.

Zusammenfassung Die Ergebnisse der Arbeit können wie folgt zusammengefasst werden: Die Aufarbeitung der Straftheorie hat zu der Erkenntnis geführt, dass die staatliche Strafe nicht lediglich präventiven Zwecken dienen darf. Gleichzei­ tig darf eine reine Vergeltung nicht Sinn der Strafe sein. Diese Extremposi­ tionen waren daher zu verwerfen. Als genauso kritikwürdig hat sich die bloße Kombination der vielfältigen Ansichten erwiesen. Als inhaltlich über­ zeugende Straftheorie konnte dagegen der freiheitsgesetzliche Ansatz heraus­ gearbeitet werden. Die Ableitung des Strafrechts als Recht der Person mit dem Ziel der Wiederherstellung des Rechts überzeugt. Der Täter wird nicht lediglich instrumentalisiert. Inhaltlich lassen sich daraus in vorzüglicher Weise die Parameter der Strafe ableiten. Die freiheitsgesetzliche Straftheorie weist einen strikten Tat- und Täterbezug auf. Auf der Grundlage der Schuld­ gebundenheit der Strafe werden weitere Aspekte staatlichen Strafens aus ihr entwickelt. Im Gegensatz zu einem unvermittelten Nebeneinander liegt der Vorteil in der stringenten Ableitung. Sie ermöglicht es, die Systematik bis ins kleinste Detail beizubehalten, ohne zu Widersprüchen zu gelangen. Eine Strafzweckantinomie besteht nicht. Vielmehr geht es ausschließlich um die wertgleiche Auferlegung eines Strafübels mit dem Ziel der Wiedereingliede­ rung des Straftäters in die Gesellschaft. Die freiheitsgesetzliche Straftheorie gilt universell, ihr Anspruch ist die vorpositive Begründung. Das führt zwangsläufig zu gewissen Schwierigkei­ ten bei der Auslegung der bestehenden Gesetze. Wie gezeigt, sind die Vor­ stellungen von Strafe des bundesdeutschen Strafgesetzbuches und auch der Rechtsprechung eine andere. Ein Unterschied zwischen dem hier vertretenen Standpunkt und der herrschenden Auffassung hat sich bereits in der Frage der Rechtfertigung der Sicherungsverwahrung gezeigt. Der freiheitsgesetzli­ che Ansatz sieht darin in überzeugender Weise eine staatliche Strafe gegen­ über dem Gewohnheitstäter. Zur theoretischen Untermauerung ist dazu das Konzept der Willensschuld von grundlegender Bedeutung. Die Orientierung an den durch die staatlichen Rahmenbedingungen vermittelten und in Inter­ aktionsverhältnissen getroffenen Entscheidungen der Verbrecher ermöglicht die Integration Haltungsbildung und aktueller Haltung, eben der habituellen Schuld. Nach der wohl herrschenden Auffassung in der Literatur und Recht­ sprechung wird dagegen zur Rechtfertigung dieser Maßregel auf die staat­ liche Schutzpflicht und das Prinzip des überwiegenden Interesses abgestellt.

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Zusammenfassung

Letzteres ist als Maßprinzip problematisch. Ersteres ist positivrechtlich der richtige Ansatz. Er greift freilich zu kurz. Der freiheitsgesetzliche Ansatz erst fundiert die staatliche Schutzpflicht in hinreichender Weise. Der verfassungs- und europarechtliche Rahmen lässt eine Einordnung der Sicherungsverwahrung zu. Verfassungsrechtlich zeigt die Bestimmung der Sicherungsverwahrung als Komponente von Strafe Auswirkungen bei den anzuwendenden Verfassungsnormen. Es konnte jedoch gezeigt werden, dass die nach herrschender Auffassung komplizierten Begründungen und schwer auflöslichen Verhältnisbestimmungen durch den einspurigen Rechtfertigungs­ ansatz eine einfache Stringenz erhalten. So sind die Zuständigkeit des Bun­ desgesetzgebers und die Anwendung des Bestimmtheitsgebotes (mitsamt der Unterprinzipien) ohne weiteres begründbar. Ebenso ließen sich die in der Auslegung und Anwendungsreichweite schwer abgrenzbaren materiellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung straftheoretisch neu ordnen. Das sich aus der Strafgerechtigkeit ableitende Resozialisierungserfordernis ließ letztlich auch keinen Zweifel an der Vereinbarkeit der Unterbringung nach §§ 66, 66a StGB mit der verfassungsrechtlichen Menschenwürdegarantie. Denn als Strafe ist sie gerade Recht des Täters und vermittelt die Wiederher­ stellung des durch die konkrete Geltungsnegation im Strafunrecht gestörten Rechtsverhältnisses. Auch nach der EMRK stellt die Sicherungsverwahrung grundsätzlich eine zulässige Freiheitsentziehung dar. Lediglich die nach frü­ herer Rechtslage mögliche nachträgliche Anordnung oder Verlängerung der Unterbringung nach §§ 66, 66a StGB entsprach nicht den Vorgaben der Kon­ vention. Dass die Sicherungsverwahrung nach deutschem Recht konventi­ onsrechtlich als „Strafe“ i. S. v. Art. 7 Abs. 1 EMRK einzustufen ist, bestätigt die hier vertretene Auffassung. Aus Sicht des freiheitsgesetzlichen Ansatzes erwies sich die „zweispurige“ Ausgestaltung der Rechtsfolgen im geltenden Strafgesetzbuch an sich als kritikwürdig. Die Kritik ist jedoch nach der hier vertretenen Ansicht insofern unberechtigt, soweit sie die zwar subsidiäre, aber im Maß offengelassene Anwendung der Sicherungsverwahrung betrifft. Denn es obliegt den staatli­ chen Gewalten, wie sie ihre Aufgaben umsetzen und erfüllen. Den Spielraum hat der Gesetzgeber in zulässiger Weise durch die zweispurige Ausgestaltung genutzt. Insoweit war nämlich zu bedenken, dass die nötigen Feststellungen im Zusammenhang mit der Anordnung und der Vollstreckung, soweit sich den „Hang“ bzw. die habituelle Schuld des Täters betreffen, sich zwar dem Grunde, aber nicht dem Umfang nach im Strafverfahren treffen lassen. Hin­ reichende Schuld- und Strafmaßdifferenzierungen für habituelle Delinquenz wurden noch nicht abschließend herausgearbeitet. Zur Aufarbeitung habituel­ ler Schuld ist nach hier vertretener Ansicht stets eine tiefenpsychologische Betreuung nötig, die weder Aufgabe des Strafverfahrens ist, noch innerhalb



Zusammenfassung353

desselben geleistet werden kann. Die gesetzliche Trennung von Strafe und Sicherungsverwahrung war damit vertretbar. Gleichzeitig sagt die Art und Weise des Vollzugs nichts über den inhaltlichen Gehalt der Sicherungsver­ wahrung aus. Sie bleibt ein Teil der Strafe. Unter diesen straftheoretischen Prämissen wurde der Frage der Wechsel­ wirkung zwischen Strafe und Sicherungsverwahrung im Bereich der Strafzu­ messung nachgegangen. Dazu wurden die verschiedenen strafzumessungs­ rechtlichen Theorien und Konzepte vorgestellt, kritisch beurteilt und im Hinblick auf den Untersuchungsgegenstand gewürdigt. Im Mittelpunkt der Betrachtung stand dabei die von der Rechtsprechung und der herrschenden Auffassung in der Literatur vertretene Spielraumtheorie. Als strafzumes­ sungsrechtliche Fortsetzung einer Vereinigungstheorie unterfiel sie nach hier vertretener Auffassung der Kritik. Ihre Beliebtheit in der Anwendung ist al­ leinig ihrer revisionsrechtlichen Handhabbarkeit geschuldet. Die Betrachtung der Rechtsprechung zur Wechselwirkung von Strafe und Sicherungsverwah­ rung bei der Strafzumessung förderte ein einheitliches Ziel zutage: die Straf­ milderung bei gleichzeitiger Anordnung der Sicherungsverwahrung. In den Begründungen zeigten sich teilweise erhebliche Unterschiede. Sowohl inhalt­ lich als auch verfahrenstechnisch wichen Ausgangs- und Revisionsgerichte deutlich voneinander ab; ein Ergebnis, welches bei der Beliebigkeit der Spielraumtheorie nicht überrascht und welches wiederum durch die revisi­ onsrechtlichen Beschränkungen kaschiert wird. Inhaltlich unterfielen die einzelnen präventiven Aspekte der Spezial- und Generalprävention der Kritik. Als tragfähig stellte sich lediglich der Aspekt der Gesamtabwägung von Rechtsfolgen heraus. Über dessen theoretische Einordnung besteht jedoch kaum Einigkeit. Richtigerweise ist er schuldstraf­ rechtlich aufzunehmen und in das Verhältnis zu Täter und Tat zu setzen. Eine schuldstrafrechtliche Deutung würde jedoch der präventiven Prämisse der Rechtsprechung, die Wechselwirkung innerhalb des Schuldrahmens vorzu­ nehmen, widersprechen. Aufgrund der Beschränkung auf den Schuldrahmen wird die Berücksichtigungsfähigkeit der in ihrer Vollzugsdauer ungewissen Sicherungsverwahrung wiederum derart eingeschränkt, dass es dem entspre­ chenden Eingriff in die Rechte des Sicherungsverwahrten nicht gerecht wird. Des Weiteren erwies es sich als problematisch, dass der Vollzug der Unter­ bringung zum Zeitpunkt des Strafurteils ungewiss ist. Weil der Zweifelssatz hier, wie gezeigt, keine Anwendung findet, verbietet sich die strafmildernde Berücksichtigung des Vollzugs. Es wurde sodann aufgezeigt, dass nach der herrschenden Auffassung im Rahmen der Spielraumtheorie der in der Anordnung an sich liegende grund­ rechtsrelevante Eingriff und der empfindlicher wirkende Strafvollzug bei der primären Anordnung nach § 66 StGB als belastende Eingriffe und weitere

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Zusammenfassung

Folgen strafmildernd berücksichtigt werden können. Der in der Verhängung des Vorbehalts liegende belastende Eingriff in das Persönlichkeitsrecht kann ebenfalls beim bloßen Vorbehalt der Unterbringung nach § 66a StGB strafzu­ messungsrechtlich berücksichtigt werden. Dessen faktische strafmildernde Auswirkung, also Relevanz in Strafquanten, ist aufgrund des geringen Ein­ griffscharakters jedoch nicht erkennbar. Dergestalt ließe sich eine Wechsel­ wirkung auf der Grundlage der Spielraumtheorie jedoch konsequenterweise fortbilden. Die Betrachtung der Führungsaufsicht hat ergeben, dass eine Wechselwirkung der Strafe mit dieser freiheitsbeschränkenden und spezial­ präventiv wirkenden Maßregel erfolgen könnte. Ihr Vollzug erfolgt in jedem Fall. Rechtliche Probleme betreffend Unsicherheiten über deren Vollstre­ ckung bestehen insoweit nicht. Allerdings dürfte auch diese Berücksichtigung nur eine geringe Relevanz in Form von Strafquanten haben. Ein Vergleich mit der Rechtsprechung zu den weiteren freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung hat schließlich ergeben, dass es einer strafmildern­ den Berücksichtigung dann überhaupt nicht bedarf, wenn aufgrund des Vika­ riierens von Strafe und Maßregel eine Abstimmung des Vollzugs möglich ist. Eine Mehrbelastung des Straftäters konnte damit nämlich grundsätzlich ver­ mieden werden. Das deutete bereits daraufhin, dass die überzeugende Lösung des Problems im Vikariieren zu suchen war. Vor dieser abschließenden Betrachtung wurden die weiteren strafzumes­ sungstheoretischen Ansätze gewürdigt. Die alternativen Theorien bzw. Kon­ zepte zur Strafzumessung haben allesamt zum Ziel, den Vorgang der Strafbe­ messung weiter zu konkretisieren und zu vereinfachen. Das würde dem Tat­ gericht die Handhabung erleichtern, dem Straftäter die Rechtsfolgen vorher­ sehbarer und die Anwendung insgesamt vergleichbarer machen. Es konnte gezeigt werden, dass der Fokus dabei auf das verwirklichte Unrecht der Tat gelegt wird. Dagegen bleiben die Strafzwecke in den alternativen Zumes­ sungstheorien zur Strafhöhenbestimmung regelmäßig außen vor. In Anbe­ tracht der Tatsache, dass deren Wirkung immer noch weitgehend ungeklärt ist, ist darin ein Gewinn gegenüber der herrschenden Spielraumtheorie zu sehen. Soweit auf die hier zu untersuchende Frage der Wechselwirkung zwi­ schen Strafe und Sicherungsverwahrung überhaupt eingegangen wird, wird diese konsequenterweise schuldstrafrechtlich gedeutet. Das kommt dem hier vertretenen freiheitsgesetzlichen Konzept sehr nahe. Gleichzeitig sind die alternativen Theorien, insbesondere die Stellenwerttheorie, die Theorie tat­ proportionalen Strafens und eben die freiheitsgesetzliche Theorie, in ihren Prämissen konkreter als noch die Spielraumtheorie. Innerhalb dieser maß­ geblich auf das Tatunrecht und die Tatschuld bezogenen Zumessungstheo­ rien, ist eine Wechselwirkung zwischen der Strafe und dem Vollzug der Si­ cherungsverwahrung genauso ausgeschlossen, wie schon nach der Spiel­ raumtheorie. Die offenbleibende (Prognose-)Entscheidung über den Vollzug



Zusammenfassung355

der strafergänzenden Unterbringung in der Sicherungsverwahrung darf keinen Einfluss auf die Höhe der Strafe haben. Lediglich der in der Anordnung bzw. dem Vorbehalt sich äußernde Grundrechtseingriff, der aufgrund der Anord­ nung bereits an sich empfindlichere Strafvollzug und die sich stets anschlie­ ßende Maßregel der Führungsaufsicht ließen sich auf der Grundlage der al­ ternativen Konzepte in die Zumessungsentscheidung integrieren. Die Aus­ wirkungen eines derartigen Strafabschlages auf die Höhe der Freiheitsstrafe bleiben aber auch hiernach genauso beschränkt, wie schon nach der Spiel­ raumtheorie. Im Ergebnis kann man daher festhalten, dass eine strafzumessungsrecht­ liche Wechselwirkung zwischen der Strafe und der Sicherungsverwahrung allgemeinhin angenommen werden kann. Straftheoretisch liegt sie in der ge­ sellschaftlichen Mitverantwortung für habituelle Kriminalität und damit in der Strafgerechtigkeit begründet. Diesen Zusammenhang weist die geltende Rechtslage nur unzureichend aus. Sie muss die Sicherungsverwahrung als von der Strafe grundsätzlich zu unterscheidende Rechtsfolge betrachten. Deswegen ist die herrschende Auffassung gezwungen, auf die „Abstimmung von Rechtsfolgen“ abzustellen. Im Ergebnis gelangen zwar – soweit das hier zu untersuchende Problem thematisiert wird  – alle Zumessungstheorien zu einem Strafabschlag. Als entscheidender strafzumessungsrechtlicher Um­ stand konnte dafür der grundrechtsrelevante Eingriff in das allgemeine Per­ sönlichkeitsrecht einerseits sowie ein empfindlicherer Strafvollzug im Falle der Anordnung der Sicherungsverwahrung im Strafurteil sowie die sich an­ schließende Führungsaufsicht als weitere Folge andererseits herausgearbeitet werden. Dieser im Kern richtige Zusammenhang zwischen Strafe und Sicherungs­ verwahrung stellt sich jedoch sowohl gegenüber dem Straftäter, als auch ge­ genüber der Gesellschaft, als der zugrundeliegenden Problematik unange­ messene Lösung dar. Letztlich wurde daher untersucht, ob das Problem nicht auf andere Weise optimal gelöst werden kann. Ausgehend von dem Strafcha­ rakter der Sicherungsverwahrung und der habituellen Schuld des Täters in ihrer individuellen und institutionellen Komponente, führte die gesellschaft­ liche Mitverantwortung auf der Grundlage der hier vertretenen freiheitsge­ setzlichen Straftheorie zu einer gesteigerten Resozialisierungsverantwortung der Gesellschaft. Ein Vergleich mit der Rechtsprechung zu den strafvertrete­ nen Maßregeln der Besserung und Sicherung i. R.d. Würdigung der Spiel­ raumtheorie hatte außerdem ergeben, dass es einer strafmildernden Berück­ sichtigung dann nicht bedarf, wenn aufgrund des Vikariierens von Strafe und Maßregel eine Abstimmung des Vollzugs möglich ist. In der Konsequenz dessen liegt es, die Aufnahme der Sicherungsverwahrung in das vikariierende System zu fordern. Das gilt selbst vor dem Hintergrund, dass der Strafvoll­

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Zusammenfassung

zug bereits nach geltender Rechts- und Gesetzeslage in den Fällen der An­ ordnung oder des Vorbehalts der Sicherungsverwahrung auf dessen Vermei­ dung hinwirken und daher resozialisierend wirken muss. Es war nicht einzu­ sehen, warum die intensiveren Behandlungsmöglichkeiten des Maßregelvoll­ zugs nicht zum frühestmöglichen Zeitpunkt zur Anwendung gelangen sollten. Die Argumente des historischen Gesetzgebers konnten jedenfalls nicht (mehr) überzeugen. Die Erstreckung des Prinzips des Vikariierens auf die Siche­ rungsverwahrung ergab sich sowohl auf der Grundlage des hier vertretenen freiheitsgesetzlichen Ansatzes als auch bei zweispuriger Rechtfertigung nach herrschender Auffassung, denn es setzt die Schutzpflicht des Staates optimal um. Die Interessen aller Beteiligten werden optimal berücksichtigt: Den Ge­ wohnheitstätern wird frühzeitig ein Angebot zur Hilfe zur Seite gestellt und damit ihrem gesteigerten Wiedereingliederungsinteresse Rechnung getragen. Durch die frühzeitige Arbeit mit den Sicherungsverwahrten wird andererseits das Sicherheitsbedürfnis der Allgemeinheit optimal umgesetzt. Denn das In­ teresse der Allgemeinheit ist ebenfalls auf die Wiederherstellung des gestör­ ten Rechts und damit die Wiedereingliederung von Straftätern in das gesell­ schaftliche Leben gerichtet. Mit anderen Worten ist es allgemeines Interesse Aller, das niemand für immer weggesperrt bleibt. Ein frühzeitiges Eingehen auf die in habitueller Weise verkehrte Rechtseinsicht fördert dieses Ziel im Vergleich zu einem nachfolgenden Vollzug besser.

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Literaturverzeichnis377 – 9. Aufl. des von Hans-Joachim Rudolphi, Eckhard Horn und Erich Samson be­ gründeten Werkes, hrsg. v. Jürgen Wolter, Band  II (§§ 38–79b), Köln, 2016, zit.: Bearbeiter, in: SystematischerKomm StGB, § Rn. Systematischer Kommentar zur Strafprozessordnung. Mit GVG und EMRK, 4. Aufl. des von Hans-Joachim Rudolphi und Ellen Schlüchter mit Wolfgang Frisch, Klaus Rogall und Jürgen Wolter begründeten Werkes, hrsg. v. Jürgen Wolter, Band V (§§ 246a–295), Köln, 2012, Band  VI (§§ 296–332), Köln, 2013, Band  VII (§§ 333–373a), Köln, 2014, Band  X (EMRK), Köln, 2012, zit.: Bearbeiter, in: SystematischerKomm StPO, § Rn. Terhorst, Bruno: Die Folgen der Tat und ihre Auswirkungen auf den Täter, JR 1989, S. 184–188 Theune, Werner: Grundsätze und Einzelfragen der Strafzumessung; aus der Recht­ sprechung des Bundesgerichtshofs Teil I und II, StV 1985, S. 162–168 und S. 205–210 – Gerechte Strafe – Notwendigkeit und Möglichkeiten einer Überprüfung der Straf­ zumessung durch die Revisionsgerichte, in: Strafrecht, Unternehmensrecht, An­ waltsrecht, Festschrift für Gerd Pfeiffer zum Abschied aus dem Amt als Präsident des Bundesgerichtshofes, S. 449–460, hrsg. v. Otto Friedrich Freiherr von Gamm, Peter Raisch und Klaus Tiedemann, Köln, 1988, zit.: Theune, in: FS Pfeiffer, S. 449 ff. Tolksdorf, Klaus: Die unterbliebene Unterbringung, in: Beiträge zur Rechtswissen­ schaft, Festschrift für Walter Stree und Johannes Wessels zum 70.  Geburtstag, S. 753–767, hrsg. v. Wilfried Küper und Jürgen Welp, Heidelberg, 1993, zit.: Tolksdorf, in: FS Stree / Wessels, S. 753 ff. Ullenbruch, Thomas: Walter H. in den Rückfängen des ThUG – aktuellster Spaltpilz zwischen EGMR und BVerfG?, StV 2012, S. 44–51 – Walter H. in den (soeben noch erweiterten) Rückfängen des ThUG – nach wie vor aktueller Spaltpilz zwischen EGMR und BVerfG? – Teil II, StV 2013, S. 268–278 – Walter H. ist frei, das ThUG ist tot  – raffinierte Entsorgung eines europa-völker­ rechtlichen Spaltpilzes in letzter Sekunde? – Teil III, StV 2014, S. 174–184 Umbach, Dieter C. / Clemens, Thomas / Dollinger, Franz-Wilhelm: Bundesverfas­ sungsgerichtsgesetz. Mitarbeiterkommentar und Handbuch, 2. Aufl., Heidelberg, 2004, zit.: Bearbeiter, in: Umbach / Clemens / Dollinger, BVerfGG, § Rn. Vieweg, Klaus: Die bürgerliche Gesellschaft als „Verstandesstaat“, in: Autonomie und Normativität, S. 190–206, hrsg. v. Kurt Seelmann und Benno Zabel, Tübingen, 2014, zit.: Vieweg, in: Autonomie und Normativität, S. 190 ff. Vilsmeier, Markus: Empirische Untersuchung der Abschreckungswirkung strafrecht­ licher Sanktionen, MSchrKrim 73 (1990), S. 273–285 Volckart, Bernd / Grünebaum, Rolf: Maßregelvollzug. Das Recht des Vollzugs der Unterbringung nach §§ 63, 64 StGB in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt, 8. Aufl. d. v. Bernd Volckart begr. und Rolf Grünebaum hrsg. Werkes, Köln, 2015, zit.: Grünebaum, in: Volckart / Grünebaum, Teil Rn.

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Stichwortverzeichnis Abstandsgebot  150, 170, 174 Alternativentwurf  93, 94 Bestimmtheitsgebot  209 –– strafrechtliches 203 –– und Sicherungsverwahrung  203 –– und Strafvollstreckung  337 dialektische Straftheorie –– Strafbegründung  78 f. –– Strafzumessung  79 f., 312 f. Entziehungsanstalt, Unterbringung in der  103, 107, 115, 286 ff. –– strafmildernde Wirkung  291 –– Wechselwirkung mit Strafe  290 f. –– Zweck  104 f. Etikettenschwindel  168, 338 Europäische Grundrechtscharta  176 Europäische Menschenrechtskonvention –– autonome Begriffsbildung  160, 167, 204 –– Strafbegriff  167 ff., 204, 207 –– völkerrechtsfreundliche Ausle­ gung  159 f., 177, 207 Feuerbach, Paul Johann Anselm von –– Abschreckung  64 f. –– negative Generalprävention  61, 63 –– psychologischer Zwang  61 f. –– Rechtsbegriff 61 –– Strafandrohung 62 –– Strafbegründung 62 –– Strafzumessung  64 f. Folterverbot –– Anti-Folter-Konvention  174 –– CPT  173 f.

–– und EMRK  172 ff. –– unmenschliche Behandlung  172 f. Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG) –– Beurteilungsspielraum des Gesetzge­ bers  191 f., 220 –– staatliche Schutzpflicht  191 freiheitsgesetzliche Straftheorie –– Rechtfertigung der Maßregeln  133 f. –– Rechtsbegriff  82 –– Regelfall  315, 317 –– Strafbegriff  82 f. –– Strafbegründung  84 –– Strafzumessung  85, 314 ff. –– Stufenmodell 315 –– und Generalprävention  85 f. –– und Gesamtabstimmung von Rechts­ folgen  317, 318 f. –– und Spezialprävention  85 –– Unrecht  82, 133 –– Verbrechen  82 –– Wiederherstellung des Rechts  siehe Wiederherstellung –– Willensschuld  siehe Schuldbegriff –– Zumessung habituellen Unrechts  315 Freiheitsstrafe –– lebenslang  siehe lebenslange Freiheitsstrafe –– unbedingt  213, 217 Führungsaufsicht  105 f., 194 f., 264, 307 f. –– Tätertypen 106 –– Wechselwirkung mit Strafe  siehe Wechselwirkung Generalprävention, negative  97, 100, 228, 237, 242

380 Stichwortverzeichnis –– Abschreckung  59, 62, 63 f., 88, 100, 228, 263, 296 –– strafschärfende Berücksichtigung  236 –– Wirkungsweise  64, 264 Generalprävention, positive  59, 78, 80, 94 f., 97, 100, 228, 242, 264, 313, 324 –– Probleme der  80 –– strafschärfende Berücksichti­ gung  260 f. Gesamtabstimmung von Rechtsfol­ gen  266 ff., 317, 319, 327 –– Anwendungsbereich  266 f. –– Rechtsnatur  268 f. –– und unbestimmte weitere Rechtsfol­ ge  269 f., 272 ff. –– und Zweifelssatz  272 ff. –– Wechselwirkung  275 ff., 317, 319, 324, 326 Gesamtstrafe –– Härteausgleich  283 f., 324 –– nachträgliche  285 gesellschaftliche Verantwortung  83 f., 152, 256, 316, 342, 347 –– und Delinquenz  87, 140, 143, 317 –– und Strafzumessung  316 Gewohnheitsverbrecher / -täter  74, 75, 123, 143 f., 146, 151 f., 153, 194 f., 195, 200, 208, 210 ff., 217, 243, 254, 255, 259, 265, 266, 280 f., 286, 312, 320, 325, 341, 342 habituelle Delinquenz  83, 88, 101, 133, 135, 182, 194, 256, 347 habituelle Schuld  88, 101, 133, 135 f., 140, 142, 144, 184, 191 f., 194, 196, 200, 218, 314 ff., 317, 345 –– Maßbestimmung  142 f., 152, 199, 201, 317 –– Probleme der Feststellung  88, 135 f., 141, 192, 199, 212, 318 –– Typologie 142 –– und Strafmaß  143, 314 ff., 317 Hang  103, 135, 141, 144, 148, 154, 155, 156 f., 210 ff., 218, 292, 316, 348

–– Begriff  210 f. –– Probleme des   211 –– Schuldrelevanz  292 –– und habituelle Schuld  212, 348 –– Verhältnis zur Gefährlichkeit  218 f. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich –– abstraktes Recht  48 ff. –– Anerkennung  46 –– bürgerliche Gesellschaft  50 f. –– Moralität  58 –– Rechtsbegriff  45 f. –– Resozialisierungsanspruch 57 –– Sittlichkeit  50 f. –– Strafbegründung  48 ff., 54 ff. –– Strafzumessung  52 f., 57 ff. –– Unrecht  46 f. –– Verbrechen 47 –– Wiedervergeltung 52 Hobbes, Thomas  121 f., 125 in dubio pro reo  272 –– bei Prognoseentscheidungen  274 –– und Strafzumessung  siehe Strafzu­ messung Jakobs, Günther –– Entpersonalisierung  139 –– funktionaler Schuldbegriff  66, 68, 71 –– Maßregeltheorie  129 ff. –– Normanerkennung  66, 69 f. –– Normbruch 66 –– Normvertrauen 67 –– Strafbegriff 67 –– Strafzumessung  67 f. Kant, Immanuel –– kategorischer Imperativ  39 –– Rechtsbegriff  38 –– Selbstzweckformel  181 –– Strafbegriff  38, 40, 42 f. –– Strafbegründung 43 –– Strafzumessung  41 f., 44 –– Unrecht  39 –– Verbrechensbegriff 40

Stichwortverzeichnis lebenslange Freiheitsstrafe  198 Liszt, Franz von –– Sicherungsstrafe  123 f. –– Straftheorie  73 f., 123 –– Strafzweck 73 Locke, John  122 f., 125 Maßregeln der Besserung und Sicherung –– freiheitsbeschränkend  105 f. –– freiheitsentziehend  103 ff. –– Rechtfertigung  108 ff., siehe auch Maßregeltheorie –– strafergänzend  101, 107, 131, 136, 139, 193 f., 199, 255, 289, 308 –– strafersetzend  107, 130, 134 –– strafvertretend  108, 131, 135, 256, 298 Maßregeltheorien –– freiheitsgesetzlich  133 f. –– generalpräventiv  129 ff. –– Notwehr  111 ff. –– Schutzpflicht  118 ff., 125, 167, 191 –– Sonderopfer  128 –– sozialethisch  108 f. –– überwiegendes Interesse  119, 128 Menschenwürde  42, 68, 71, 79 f., 111, 112 ff., 173, 180 ff., 182 f., 184 f., 193, 203, 220, 224, 258 –– unmenschliche Behandlung  173 f., 184 f. –– Verwahrvollzug  184 Polizeiliche Kriminalstatistik  263 psychiatrischen Krankenhaus, Unterbrin­ gung im  103, 107, 114 f., 150, 165, 286 ff. –– strafmildernde Wirkung  288 –– Wechselwirkung mit Strafe  287 f. –– Zweck  104 f. Punktstrafe  240, 315 Rache  43, 48, 50, 100 Recht auf Freiheit (EMRK) –– Präventivhaft  163 f.

381

–– psychische Krankheit  164 f. –– und nachträgliche Sicherungsverwah­ rung 166 –– und Therapieunterbringung  165 –– Zulässigkeit der Sicherungsverwah­ rung  160 f. –– Zulässigkeit des Vorbehalts der Sicherungsverwahrung 162 Recht auf Sicherheit  129, 139 Rechtsfolgensystem –– einspuriges  87, 292 –– Einspurigkeit im Vollzug  346 –– zweispuriges  101, 141, 167, 182, 191, 212, 229, 282, 320, 331, 348 Rechtssicherheit, Grundsatz der  202 f. –– und Strafzumessung  224 Rechtsstaatsprinzip  189 Resozialisierung  93 f., 108, 140, 193 –– Anspruch auf  198 f. –– Anspruch bei habitueller Delin­ quenz  57, 84, 86, 100 f., 133 f., 140, 183, 194 f., 200, 271, 294, 315, 341, 342, 347 Rückfallgefahr  104, 106, 110, 115, 123, 135, 137, 143, 162, 192 f., 194, 277, 287, 293, 317, 345 Rückwirkung –– echte  208 –– unechte 206 Schuld  53 f., 57 f., 68 ff., 77, 79, 82 f., 88, 127, 135, 182, 198, 257, 258, 264, 268, 271, 313, 316, 319 f., 334, 343 –– Grundlage der Strafe  96 f., 227, 236, 256, 268, 322 –– habituelle  siehe habituelle Schuld –– strafbegrenzende Funktion  80 f., 91, 182, 190 f., 271, 313 –– strafbegründende Funktion  238, 271 –– Tatschuld  88, 100 f., 112, 135, 140, 142, 144 f., 182, 238 –– und Willensfreiheit  80 Schuldausgleich  90, 92, 93, 95, 100, 240, 242, 298, 309

382 Stichwortverzeichnis Schuldbegriff –– funktional  66, 68, 71 –– Lebensentscheidungsschuld  87 –– normativ  77 f. –– Willensschuld  82 f., 86 f., 100 f., 133, 140, 314 ,315 Schuldfähigkeit  112, 127, 210, 286 f., 290, 292 –– Schuldunfähigkeit  112, 114 f., 127, 130, 135, 286 f. –– verminderte  103, 286, 289, 292 Schuldprinzip  90, 98, 107, 182, 189 ff., 220, 237 –– strafbegründend  190 f., 238 Schulenstreit  89 Sicherungsstrafe  89, 98, 123 f., 139, 316 Sicherungsverfahren  116, 127 Sicherungsverwahrung –– Alternativen  150 f. –– Gefährlichkeit  135, 141, 153, 156 f., 193 f., 217 ff., 282, 305, 316, 348 –– Gesetzgebungskompetenz  178 ff., 203 –– Hang  siehe Hang –– nachträgliche 104 –– Nachverfahren  156, 162, 166, 168, 187 –– Rechtfertigung  138 ff. –– Rechtsnatur nach Strafe  152 f., 157, 160, 182, 220, 255, 256, 266, 276, 285, 318, 345, 348 –– strafergänzend 255 –– Tätertypen  151 ff., 212 –– ultima ratio  187, 194, 201, 204, 213, 255, 265, 338, 339, 342 f., 347 –– und Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 GG)  185 ff. –– und Menschenwürde  180 ff., siehe auch Menschenwürde –– und vikariierendes System  siehe vikariierendes Sytem –– Vollstreckung der  siehe Sicherungs­ verwahrung, Vollstreckung –– Vollzug  siehe Sicherungsverwahrung, Vollzug

–– Vorbehalt der  siehe Sicherungsver­ wahrung, Vorbehalt –– Wechselwirkung  siehe Wechselwir­ kung zwischen Strafe und Sicherungs­ verwahrung Sicherungsverwahrung, Anordnung –– Anfechtung der Nichtanordnung  249 –– beschränkte Anfechtung  235, 249, 251 –– Eingriff in Persönlichkeitsrecht  275, 309, 319, 331 –– und intensiver Strafvollzug  276, 302 ff., 319 ,331 Sicherungsverwahrung, Prognose –– Rückfall 157 –– und Vorbehalt der Sicherungsverwah­ rung 156 –– Unsicherheiten der  154 ff. Sicherungsverwahrung, strafvertretender Vollzug  345 ff. –– Anspruch auf Resozialisierung  349 –– Etikettenschwindel  338 –– Gesetzgeber  339 f. –– Problem der Besserstellung  342, 347 –– Problem der Ununterscheidbarkeit zum Strafvollzug  341, 347 –– Problem der Verwahrung  340 f. –– Sonderausschuss der Großen Straf­ rechtsreform  338 f. –– und ultima ratio der Sicherungsver­ wahrung  342, 347 –– Vollzugslockerungen  349 Sicherungsverwahrung, Vollstre­ ckung  143, 145, 187 –– Erledigung  196 –– gerichtliche Entscheidung  197 –– Problematik der Höchstfristen  197 ff. –– straftatbezogene Höchstfristen  200 f. –– Ungewissheit 276 Sicherungsverwahrung, Vollzug  103, 186, 195 ff., 199, 206 –– Aussetzung  194 f., 199 –– Behandlungsangebote  151, 170, 174, 255 f., 341

Stichwortverzeichnis –– (unbestimmte) Dauer  169, 192 f., 276 –– einheitlicher Vollzug  346 –– Erforderlichkeit  193 f. –– Frage des strafvertretenden Voll­ zugs  siehe Sicherungsverwahrung strafvertretender Vollzug –– intensive Betreuung  179, 212, 255 f., 341, 342 –– Legalprognose  196 –– Privilegien im  169 –– Problematik der Dauerbegutach­ tung  197 –– Resozialisierung  183, 200, 256, 341 –– Sachverständigengutachten  196, 200 –– Sicherungsinteresse 338, 340 –– Überprüfung der Erforderlich­ keit  195 ff. –– und habituelle Schuld  192 ff., 196 f. –– und Menschenwürde  183 f. –– und Strafvollzug  338 –– Vermutung der Gefährlichkeit  196, 200 –– vollzugslockernde Maßnahmen  199, 346 Sicherungsverwahrung, Vorbehalt  103, 148 f., 154 ff., 157 f., 161 ff., 170 ff., 184 f., 187 f., 193, 210, 213, 219, 226, 252, 258, 262, 282, 283, 284, 278 f., 300 f., 305, 309 f., 319, 324 f., 331 –– Eingriff in das Persönlichkeits­ recht  279, 309, 331 –– Frage der Einschränkungen im Strafvollzug  305 f. Spezialprävention, negative –– Abschreckung  42, 70, 72, 73 f., 97, 99, 100, 125, 228, 260, 261 f. –– Strafmilderung 250 –– strafschärfend  236, 261 –– Wirkungsweise  64 f. Spezialprävention, positive  97, 100, 228, 237, 248, 259 f., 265 f., 322 –– Besserung  93 –– Problematik der strafschärfenden Berücksichtigung  260 f.

383

–– Strafmilderung  236 f., 242, 244 f., 257, 313 –– Wirkungsweise 260 Spielraumtheorie  91 f. –– Prävention 236 –– Problematik der Schuldunterschrei­ tung  238, 313 –– Probleme der  237 ff. –– Schuldausgleich 237 –– Schuldrahmen  91, 97, 236 f., 238, 240, 244, 245, 250, 252, 255, 257 f., 260, 261, 263, 266, 268, 269, 271, 276, 289, 291, 296 f., 299, 306, 309, 314, 321 –– Strafzwecke  236 f. Stellenwerttheorie –– Beurteilungsspielraum  320, 321 –– Regelfall 320 –– und präventiver Aspekte  321, 323 f. –– und Wechselwirkung  324 f. Strafempfindlichkeit  239, 268, 271, 273, 306 f., 319, 321, 327, 330, 332 strafgleich Untergebrachter  145, 199, 254, 331 strafgleiche Unterbringung  144 f. Strafrechtsreform  93, 98, 147, 338 Straftheorie –– absolute  37 ff. –– Feuerbach  61 ff., siehe auch Feuer­ bach –– freiheitsgesetzliche  81 ff., 100 f., 131, 256, siehe freiheitsgesetzliche Straftheorie –– Hegel  45 ff., siehe auch Hegel –– Jakobs  65 ff., 129, siehe auch Jakobs –– Kant  38 ff., siehe auch Kant –– Liszt, v.  72 ff., siehe auch Liszt –– Rechtsprechung  89 ff. –– Roxin  78 ff., siehe auch dialektische Straftheorie –– Vereinigungstheorie  77 ff. Strafvollzug 137 –– Betreuungsangebote 170 –– Entlassungszeitpunkt  198

384 Stichwortverzeichnis –– Hafturlaub  198, 302 –– Problem der Scheinanpassun­ gen  303 f. –– Problematik der Rückfallbewälti­ gung 251 –– Resozialisierungsangebote  156, 194, 256 –– und Anordnung der Sicherungsver­ wahrung  siehe Sicherungsverwah­ rung, Anordnung –– und Wiedereingliederung 240, 292, 306 –– Vollzugslockerungen  302, 349 –– Vollzugsziel 346 Strafzumessung –– Historie  223 f. –– in dubio pro reo  224, 226, 271, 273 –– und Gleichheitssatz  279 –– und Schuldprinzip  190 Strafzumessungsentscheidung –– Anfechtung  siehe Strafzumessungs­ entscheidung, Anfechtung –– bestimmende Umstände  232, 245 –– Beurteilungsspielraum, richter­ licher  224, 234, 313, 315, 320, 327 –– Darlegung im Urteil  226, 232 f., 246 –– Durchschnittsfall  231, 268, 315 –– Regelfall  231, 268, 315, 320 –– Strafrahmenwahl 225 Strafzumessungsentscheidung, Anfech­ tung der  233 ff. –– Beschränkung  234 f., 280 ff. –– Richtigkeitskontrolle 233 –– Trennbarkeit vom Maßregelaus­ spruch  243, 280 ff., 310 –– Trennbarkeitsformel 234 Strafzumessungstatsachen –– Doppelverwertungsverbot 230 –– Feststellung  226 –– Gesamtbetrachtung  231 f., 257, 282 –– normativer Normalfall  229 f. –– Regeltatbild  229 –– Schuld 227

–– strafmodifizierend  229 –– tatgerichtliche Bewertung  229 –– und Strengbeweisverfahren  226 Strafzumessungstheorien –– freiheitsgesetzliche Theorie  siehe freiheitsgesetzliche Straftheorie –– Schuldrahmen- / Spielraumtheo­ rie  235 ff. –– sozialer Gestaltungsakt  332 f. –– Stellenwerttheorie  320 ff. –– tatproportionales Strafen  326 ff. Strafzweck –– Antinomie der Strafzwecke  80, 100 –– negative Generalprävention  siehe Generalprävention, negative –– Normanerkennung 67 –– positive Generalprävention  siehe Generalprävention, positive –– positive Spezialprävention  siehe Spezialprävention, positive –– Resozialisierung  siehe Resozialisie­ rung –– Sicherung  70, 74, 76, 260, 262 f. –– Spezialprävention  72 f., 100, 228, 242, 255 –– Vergeltung  37 f., 52, 54, 74, 78 f., 97, 99 f. –– Wiedereingliederung  75, 79, 84, 85, 88, 90, 93, 100, 106, 239, 240, 254, 256, 260, 266, 293, 298, 301, 306, 318, 335, 341, 345 Talionsprinzip  44, 52, 85, 100 Tatproportionale Strafzumessung  326 ff. –– Prävention  326, 328 f. –– Strafempfindlichkeit  327, 330 –– Wechselwirkung zwischen Strafe und Sicherungsverwahrung  330 ff. Therapieunterbringung  104, 165, 168 –– psychische Störung  104 –– Vollzug 170 Vergeltung  siehe Strafzweck Verhältnismäßigkeitsgrundsatz  189

Stichwortverzeichnis –– und Schuld  189 ff. Verteidigung der Rechtsordnung  228 Vertrauensschutz  202 ff. –– nachträgliche Anordnung der Siche­ rungsverwahrung  207 f. –– nachträgliche Verlängerung der Sicherungsverwahrung  206 f. vikariierendes System –– Anrechnung  295, 348 –– Historie  148 –– Strafrestausetzung  295 –– strafvertretender Maßregelvoll­ zug  256, 295 –– und Sicherungsverwahrung 337 ff. –– Vorwegvollzug  siehe Vorwegvollzug –– Zweck  293 f. Vorwegvollzug  294, 324, 348 –– und Beschränkung der Anfech­ tung  297 –– und Strafmilderung  296, 298 –– und Wiedereingliederungsan­ spruch  297 Wechselwirkung –– zwischen Strafe und Führungsauf­ sicht  309, 324, 331 –– zwischen Strafe und der Unterbrin­ gung in einem psychiatrischen Krankenhaus  287 f. –– zwischen Strafe und der Unterbrin­ gung in einer Entziehungsanstalt 290 f. Wechselwirkung zwischen Strafe und Sicherungsverwahrung –– Ablehnung der  261 f. –– Anordnung der Sicherungsverwah­ rung  245, 247, 249 –– Bundesgerichtshof  242 ff. –– Bundesverfassungsgericht  241 f.

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–– Einzelstrafe  244, 246, 251, 283 ff. –– Funktionsübernahme  242, 254, 255, 257, 259, 263, 313 –– Gesamtabstimmung von Rechtsfol­ gen  siehe Gesamtabstimmung von Rechtsfolgen –– Gesamtstrafe  244, 247 f., 248 f., 251, 283 ff., 310 –– intensiverer Strafvollzug  276, 278, 301 ff., 306, 319 –– Kumulation von Rechtsfolgen  247, 275 ff., 292, 306, 309, 310, 332 –– Nebeneinander von Strafe und Sicherungsverwahrung 247 –– Prävention  242, 254 –– Schuldrahmen 244 –– Sicherheitsinteresse  248, 262 f. –– Spezialprävention  242, 244 f., 249, 254, 293, 313 –– Strafempfindlichkeit  276, 278, 301 ff., 306, 319 –– Vollzug der Sicherungsverwah­ rung  247, 264 f. –– Vorwegvollzug 324 Wesensidentität  242, 345 Wiedereingliederung  siehe Strafzweck Wiederherstellung –– des gestörten Rechtsverhältnis­ ses  84 ff., 100, 183, 191, 192, 201, 216, 218, 219, 256, 264, 266, 271, 294, 298, 345 –– des Rechts  49, 54, 56 f., 58 f., 84 f., 100, 318 –– Probleme der unzureichenden  318 Willensfreiheit  77 f., 80 –– Hegel  45 f. Zweispurigkeit  siehe Rechtsfolgenssys­ tem