Die Versammlungsfreiheit im amerikanischen und deutschen Verfassungsrecht [1 ed.] 9783428468973, 9783428068975

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Die Versammlungsfreiheit im amerikanischen und deutschen Verfassungsrecht [1 ed.]
 9783428468973, 9783428068975

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CHRISTOPH EHRENTRAUT

Die Versammlungsfreiheit im amerikanischen und deutschen Verfassungsrecht

Schriften zum Internationalen Recht Band 47

Die Versammlungsfreiheit im amerikanischen und deutschen Verfassungsrecht

Von Dr. Christoph Ehrentraut

Duncker & Humblot · Berlin

CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek

Ehrentraut, Christoph:

Die Versammlungsfreiheit im amerikanischen und deutschen Verfassungsrecht I von Christoph Ehrentraut - Berlin: Duncker u. Humblot, 1990 (Schriften zum Internationalen Recht; Bd. 47) Zugl.: Bonn, Univ., Diss., 1989 ISBN 3-428-06897-1 NE:GT

Alle Rechte vorbehalten © 1990 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Printed in Germany ISSN 0720-7646 ISBN 3-428-06897-1

Meinen Eltern

In this day of the violent confrontation, the harsh, non-negotiable demand, the disregard of the most elementary forms of civilized discourse, it is especially important that peaceful speech and courteous persuasion be given their rightful chance. Chief Judge Green, United States v. Nicholson, 97 W.L.R. 1213 (1217 f.) (1969).

Vorbemerkung Die Diskussion um das Grundrecht der Versammlungsfreiheit im deutschen Verfassungsrecht und in der Rechtspolitik findet kein Ende. Zahlreiche Gerichtsentscheidungen neueren Datums, voran die Brokdorf- und Sitzblockaden-Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, sowie Monographien der letzten Jahre zeigen, daß zumindest Detailfragen bei der Auslegung dieses Grundrechts noch nicht geklärt sind. Auch verdeutlichen immer neue Reformvorhaben des Gesetzgebers im Umfeld der Versammlungsfreiheit die ungebrochene Aktualität von Fragen des Versammlungsrechts. Die Auseinandersetzung mit Artikel 8 GG in Wissenschaft und Rechtsprechung setzte Ende der 60er Jahre ein, nachdem politisch ausgerichtete Versammlungen in verstärktem Maße durchgeführt wurden und bisher nicht erfahrene Kollisionen mit den Rechtsgütern anderer auslösten. Einige der Anlässe, die zu dieser Demonstrationswelle führten, wiesen eher einen nationalen Bezug auf - etwa der Protest gegen die Notstandsgesetze und die Ordinarienuniversität Andere Ursachen hingegen trafen für einen Großteil der westlichen Demokratien zu, so vor allem der Krieg in Südostasien. Gerade die Protestbewegung gegen den Vietnamkrieg nahm ihren Ausgang in den Vereinigten Staaten und war einer der maßgeblichen Auslöser für eine intensivere Inanspruchnahme der Kommunikationsgrundrechte zur Artikulierung von öffentlichem Protest (free speech movement). Freilich war in den USA die Bedeutung öffentlicher Kundgaben schon durch Veranstaltungen der Bürgerrechtsbewegung aufgezeigt worden. Diese Entwicklung in den USA bewirkte mit eine Besinnung auf die Grundrechte als Instrumente zur Einflußnahme auf den politischen Prozeß in der Bundesrepublik Deutschland und Europa, und sie wirkte hier auf das Demonstrationsgeschehen ein. Die Demonstrationsformen waren vielfach von amerikanischen Vorbildern (standins, sit-ins, teach-ins) beeinflußt, die schon bei den Bürgerrechtsdemonstrationen eine Rolle gespielt hatten. Hierbei ist allerdings zu beachten, daß unter dem Terminus sit-in durchgeführte Veranstaltungenneuerer Zeit mit den sit-ins der Bürgerrechtsdemonstrationen nicht mehr viel gemein haben. Wie in den 60er und 70er Jahren sind auch heute die Demonstrationstopoi nicht auf ein Land beschränkt; Protest gegen die nukleare Bewaffnung, Atomkraftwerke und Umweltzerstörung findet sich in einer Vielzahl von Demokratien, freilich in unterschiedlicher Intensität.

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Vorbemerkung

Diese Parallelität in den Demonstrationszielen und den Demonstrationsformen machten eine rechtsvergleichende Betrachtung der Auslegung der Versammlungsfreiheit und der rechtlichen Bewältigung bei der Durchfüluung von Versammlungen entstehender Kollisionen mit den Rechten anderer lohnenswert. Vor nahezu 20 Jahren befaßte sich eine Untersuchung des Max-Planck-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht mit der Problematik von Demonstration und Straßenverkehr in einigen westlichen Demokratien. Diese Arbeit beschäftigt sich umfassend mit dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit im amerikanischen Recht und unter dem Grundgesetz, dessen Grundrechte wesentlich von der amerikanischen Bill of Rights geprägt wurden. Die vorliegende Arbeit ist in drei Teile gegliedert: In Teil A findet sich die Darstellung des amerikanischen Rechts. Sie beinhaltet Grundzüge der historischen Entwicklung dieses Grundrechts, die Darstellung unterschiedlicher Versammlungsformen, die Einordnung des Grundrechts in die Dogmatik des 1. Amendment sowie die Auslegung des Schutzbereiches und die Diskussion der Schranken im Hinblick auf die wichtigsten Kollisionen mit Rechtsgütern anderer. Die Erörterung der letzten beiden Aspekte stützt sich insbesondere auf die Rechtsprechung des Supreme Court zu den Kommunikationsgrundrechten. Teil B der Untersuchung bringt sowohl eine Gegenüberstellung der Auslegung der Versammlungsfreiheit in den Vereinigten Staaten und unter dem Grundgesetz als auch eine Bewertung von Differenzen in Ergebnissen und Methodik bei der Bestimmung des Schutzbereichs und der Schranken des Grundrechts sowie bei der Lösung konkreter Kollisionslagen. Auf eine gesonderte Darstellung der deutschen Rechtslage wurde verzichtet, da es zahlreiche aktuelle Gesamtkommentierungen des Grundrechts gibt und eine solche Darstellung den Gang der rechtsvergleichenden Untersuchung auseinandergerissen hätte. Stattdessen ist eine Übersicht über die Streitstände im deutschen Recht in den jeweiligen Untersuchungsgegenstand eingearbeitet. Die Auswahl der rechtsvergleichend gewürdigten Problemkreise folgt- auch in der Gliederung - weitgehend der Darstellung des amerikanischen Rechts und berücksichtigt zugleich Schwerpunkte der Diskussion im deutschen Recht. Hierbei werden sowohl grundsätzliche - zum Teil schon durch den Verfassungstext vorgegebene - Fragen der Auslegung des Grundrechts behandelt wie auch aktuelle Detailfragen, die bei der Durchführung von Versammlungen in beiden Ländern aufgeworfen werden. Teil C beinhaltet eine kurze Zusammenfassung und Würdigung der Teile A und B. Diese Arbeit ist von der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn im WS 1988/89 als Dissertation angenommen worden. Das Manuskript war im wesentlichen im Sommer 1988 abgeschlossen; später erschienene Veröffentlichungen, ergangene Gerichtsentscheidungen und in Kraft getretene Gesetze- i.b. das Gesetz zur Änderung des StGB, der StPO und des VersG v. 15. Juni 1989 (BGBL I, 1057) -ließen sich nicht immer in der gebotenen Ausführlichkeit berücksichtigen. Zu danken

Vorbemerkung

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habe ich Herrn Professor Dr. Pietzcker für die Annahme als Doktorand, Betreuung und Begutachtung, Herrn Professor Dr. Tomuschat für die Anfertigung des Zweitgutachtens und Herrn Rechtsanwalt Sirnon für die Aufnahme der Arbeit in diese Schriftenreihe. Erleichtert wurde die Anfertigung der Arbeit durch Informationen zahlreicher Polizeibehörden, Stadtverwaltungen und Bürgerrechtsorganisationen in beiden Ländern, die für das Verständnis der Versammlungswirklichkeit wichtig waren. Meinen Gesprächspartnern gilt Dank hierfür ebenso wie dem DAAD für die Vergabe eines Promotionsstipendiums, der Law School der University of California in Berkeley für die Gewährung eines Forschungsaufenthalts und dem Bundesminister des Innern für den Druckkostenzuschuß. Vor allem aber danke ich meinen Eltern für die umfassende Unterstützung von Beginn der Arbeit bis zu ihrer Veröffentlichung. Bonn I Berlin, Sommer 1989 Christoph Ehrentraut

Inhaltsverzeichnis Teil A Die Versammlungsfreiheit im amerikanischen Recht

19

I. Kodiflkationsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

19

1. Vorkonstitutionelle Phase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. .

19

2. Staatenverfassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

20

3. Bundesverfassung . . . . .. . . . . ... . . . . . .. .. . ... . ... . . . . . . . . .. . . . . . . .. . . . . . ... ...

20

II. Die Beschränkung auf friedliches Versammeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23

ill. Zum Versammlungszweck .. . . . ....................... . ................. .......

25

1. Stellungnahmen in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

25

2. Versammlungszweck und First Amendment values . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

27

a) Self-government . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

28 28

aa) Meiklejohn und andere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Borkund BeVier . . .. . . .. . . . .. . . . . . ... . . . . . . .. . . ... . . . . . . . .. . . . ...

29

b) Free marketplace of ideas . . . .. . . . ... . . . .. . .. . . . . . .. . . . . . .. . . . . . . . . ... .

31

c) Individual self-fulftl/ment and self-realization . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

32

IV. Formen von Versammlungen . ...... .... . . . . . .. . .. . . . . . . . . .. . . . . . . ... . . . . . . . .. .

35

1. Versammlungen unter freiem Himmel . . . . . . . . .. .. . . . .. . . .. .. . . . . . . . . . ....

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2. Paraden und Märsche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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3. Pickering . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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a) Labor pickering . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

38

b) Public-issue-picketing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

41

4. Die sit-ins in privaten Gebäuden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. .

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V. Foren der Versammlungsfreiheit . . ...... .. . . . . . .. . .. . . . . . . . . . .. . . .. . . . . . .. ....

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1. Im öffentlichen Eigentum stehende Gebäude . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

44

a) Public fora . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

aa) Traditional public fora . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Straßen, Bürgersteige und Parks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

45 45 45

Der Schutz besonderer Örtlichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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ß)

Inhaltsverzeichnis

12

aa) Das Capitol . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

ßß)

Der Sitz des Präsidenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . yy) Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ÖÖ) Ausländische Vertretungen und Internationale Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Public fora by designation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Nonpublic fora . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . .. . . . . . . .

48 51 53 55 59 60

2. Im privaten Eigentum stehendes Gelände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundzüge der state-action-Doktrin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

62 62

b) .. Quasi-public places" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . .. .

64

aa) Marsh v. Alabama als Ausgangsentscheidung .. . . . .. . . .. . ... . . .

bb) Apartmentgebäude und private Wohnviertel:........... . . . ..... cc) Die shopping-center-Fälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Wohnlager für Saisonarbeiter....... . .. . .........................

64 65 66 67

c) Grundrechtsschutz aus den Staaten-Verfassungen . . . . . . . .. . . . . . . . . . . .

68

VI. Repressive Schranken der Versammlungsfreiheit . . . . . . . . ....... .. . . .. . . . . . . .

71

1. Riot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

71

2. Jncitement to riot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

72

3. Unlawful assembly . . . .. . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . .

75

4. Fighting words und hostile audiences . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

76

5. Trespass . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

79

6. Obstruction . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

81

VII. Präventive Beschränkungen der Versammlungsfreiheit ... . . . . . . .. . . . . . . . .. . .

82

1. Die doctrine of prior restraint . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

82

2. Genehmigungsvorbehalte für Versammlungen und Paraden . . . . . . . . . .. .. a) Versammlungsfreiheit und priorrestraint . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bestimmtheit der Normen .. . . . . . . .. . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . .. c) Verfahrensrechtliche Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Genehmigungsvorbehalte in Städten und auf staatlicher Ebene . . . . . aa) Antragsfristen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Ausnahmen . . . . ..... .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ... .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Gebühren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Handlungsfristen für die Behörde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Ablehnungs- und Widerrufsgründe . . . . . . . . . ... . . . . . .. . . . . ....... e) Sanktionen für ungenehmigtes Versammeln . . . . . .. . . . . . . .. . . . . . . . . . . . aa) Mißachtung verfassungswidriger Normen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Nichtbeachtung gerichtlich verfügter Versammlungsverbote cc) Versammelntrotz rechtswidriger Ablehnung . . .. . . . . . . .. . . . . . . .

84 84 86 87 88 88 89 90 91 91 92 93 93 94

Inhaltsverzeichnis

13

Teil B

Rechtsvergleich und Wertung

95

I. Die Diskussion um den Versammlungszweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . .

95

1. Parallelen im deutschen und amerikanischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

95

2. Zur extensiven Auslegung des Grundrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

96

a) Argumente der Befürworter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

96

b) Kritik

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aa) Die Gefährdung durch staatliche Eingriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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bb) Unterschiede zwischen Verein und Versammlung . . . . . . . . . . . . . 100 cc) Die Versammlungsfreiheit als demokratisches Grundrecht . . . . 101 3. Versammlungsfreiheit und Kommunikation . . . . . . . . . . .. . . .. . . . . . . . . . . . . . . . 103 a) Ablehnung einer Beschränkung auf öffentliche Angelegenheiten . . . 103 b) Versammlungsfreiheit und individuelle Seite der Meinungsfreiheit

106

aa) Der Schutz auch persönlicher Äußerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 bb) Übertragung der Auslegung auf die Versammlungsfreiheit . ...

109

II. Das Verhältnis der Versammlungsfreiheit zur Meinungsfreiheit: Die Abgrenzung der Schutzbereiche beider Grundrechte und ihre Schranken . . . . . . . . . . 110 1. Die Trennung zwischen speech und conduct . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

111

a) Conduct als Verhaltensbeschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 aa) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 bb) Der Schutz nichtkommunikativen Verhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 a) Die Anreise zur Versammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ~)

113

Die physisch-räumliche Dimension des Grundrechts . . . . . . 114

y) Die sich fortbewegende Versammlung . . . . . . . .. . . . . . . . . . . ..

116

b) Conduct als Kommunikationsbewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 2. Die Abgrenzung von Versammlungs- und Meinungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . 119 a) Ansätze im deutschen Recht . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 b) Der two-tiered approach im amerikanischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 c) Die Schranken der Meinungsfreiheit: Allgemeines Gesetz und das Verbot von content restrictions . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 aa) Die ausschließliche Betroffenheit der Meinungsfreiheit . . . . . . . 122 bb) Das Verbot bestimmter Meinungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

124

cc) Die Zielrichtung des Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 dd) Zur Güterahwägung .. . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . .. .. . . . . . . . . . . . . . .. . 127 d) Die Schranken der Versammlungsfreiheit . . . . . .. . . . .. ...... . .. . . .. . .. . 130 e) Die Lösung des Konkurrenzproblems . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . .. . 132

14

Inhaltsverzeichnis

III. Zum Vorbehalt der Friedlichkeit .... .. .. .. .. .. ... . .. .... .... .. .. .... .... .. .. ..

135

1. Friedlichkeit im Grundrechtsgefüge .. .. .. .. .. .. . .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ..

135

2. Friedlichkeit und Versammlungsfreiheit . .. .. .. .. .. .. .... .. .. .... .. . .. .. .. . 135 3. Zur Auslegung unter dem Grundgesetz .... .. .. .. .. .. .. .. .. .. ... .. .. .. .. .. a) Unfriedlichkeit unter versammlungsspezifischen Gesichtspunkten . . aa) Angriffe auf Leib und Leben .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . .. .. . bb) Sachbeschädigungen . . .. . . . . . . . .. . . .. . . . . . . ... . . . . . . .. . . . . . . . . . . . cc) Aufforderungen zu Angriffen auf Personen oder Sachen . . . . . . b) Unfriedlichkeit aufgrund schwerwiegender Beeinträchtigung: Menschenblockaden .. .. . . . . . .. . . . .. .. . . . . . . . . . . . .. . . . . .. .. .. . . . .. . . .. . .. . . . . aa) Kritik der "Geistigkeitstheorie" .. .. ... .. .. .. .... .. .... .... .... .. bb) Unfriedlichkeit als Entziehung der Fortbewegungsfreiheit cc) Mögliche weitere Formen .... .. .. .. .. .... .. .. ... .. .... .. .. ... .. .

137 139 139 140 141

4. Versammlungsfreiheit und Vermummungsverbote . . . .. . .. . ... . . . . . . . . . . . a) Zur Diskussion unter dem Grundgesetz .... .. .. . .. .. .... .... .. .. .... .. b) Zur Situation im amerikanischen Recht .. .. .... .. .. .. ... .... .... .... .. c) Stellungnahme . . . . . . . .. . . .. . . . . . . . .. . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . .. . .. . . .. . . . .. . . aa) Vermummung und Grundrechtsschutz ... .. .. . .... .. ... .. .. ... .. bb) Zur Zulässigkeit von Verboten .... .. .... .. ...... . .. . .. .. .. .. .. ..

147 147 148 149 149 151

142 143 144 146

IV. Versammlungen auf Eigentum von Trägem hoheitlicher Gewalt . . . . . . . . . . . 155 1. Öffentliche Straßen und Plätze . .. ... .. .. .. .. .. .. .. . .. . ...... .. . .. .... .... .. a) Kritik der straßenrechtlichen Lösung .. .. .. .... .. .. .. .... .... .... .. .. .. b) Der grundrechtliche Nutzungsanspruch .. ...... .. .... . .. .... .. .. .. .. .. c) Die Abwägung im Einzelfall .. .. .. .. .. .. .. .. .. . .. .. .. .. .. . .. .. .. . .. .. .

155 156 157 160

2. Schranken des Versammlungsrechts durch Bannkreise .. ... .... .. .. .... .. a) Das Parlament . . . . . . . .. . . ... . . .. . . .. . . . . . . . .. . .. . . . . . . . .. ... ... . . . . . . . . . b) Der Sitz der Regierung .. . .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. c) Gerichte . . .. . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . .. . . . . . .. . . . .. . . . . . . . .. .. .. . . .. . . .. . . . d) Ausländische Vertretungen .. .. .. .... .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . .. .... .. . .....

162 162 167 167 169

3. Originärer Versammlungsraum . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . ... . . . . . .. . . . . . . . . . . ..

170

4. Die Ausdehnung des public forum . . . .. .. . . . . .. . . . .. .. .. . . . . .. . .. . . . . . .. . .. a) BefürworteT im amerikanischen Recht .. .. .. . .. .. . .. .. .. . .. .. .. . .. . .. . b) Ansätze im deutschen Recht .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . c) Stellungnahme .... ...... ............ . .. ..... .. . .. ............. . .... . .. . .

172 172 173 174

V. Die Versammlungsfreiheit auf privatem Eigentum...........................

175

1. Zur Diskussion um Staatsrichtung und Drittwirkung der Grundrechte a) Die Bedeutung des Verfassungstextes ................................. b) Das Argument der parallelen Gefährdungslage .. .. ...... . ..... ....... c) Privatautonomie und Grundrechtsbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

175 175 176 177

Inhaltsverzeichnis

15

2. Zur Lösung von Kollisionen zwischen Eigentum und Versammlungen a) Fallkonstellationen .. . . . . . . . .. . .. . . .. . . . . . . .. . . . . . . .. . . . .. . . . . . . .. .. .. . .. b) Der Beurteilungsmaßstab zur Lösung der Kollisionsfälle .. .... ...... c) Anwendung des skizzierten Maßstabs .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . aa) Laborcamps .. .... ... . . .. .. . . . . ... . . . . . . .. .. . . ... . . . . .. . . .. . . .. . . . bb) Der Campus . . . . . . . .. . . .. . . .. . .. . . . . . . . . .. . . . .. .. . . . . .. . . .. . . .. . . . cc) Shopping center . .. . . . . . . .. . .. .. .. . . . . . . .. .. . . .. . . . . .. . .. .. . . .. . . . dd) Die Bonner Hofgartenwiese .. .. .. .. ...... .. ...... .. ...... .. .. .. . ee) Haus- und Betriebsbesetzungen .. .. . .. .. . .. ... .. .. .... .. .. .... ..

181 181 182 185 185 185 186 186 188

VI. Präventive Einschränkungen der Versammlungsfreiheit ... .. . . . . ..... . . .. . . . 189 I. Das Verhältnis von Anzeigepflicht und Genehmigungsvorbehalt . . . . . . . . a) Zur Diskussion im amerikanischen Recht . .. ................ .... ...... b) Möglichkeiten der Gleichstellung .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . c) Das Anzeigesystem als freiheitlichere Regelung . .. .. .. . .. .. .. .. .....

189 . 189 190 191

2. Zur Zulässigkeil der Anzeigepflicht .. .. .. .. . . . . .. . . .. .. .. .. .. .. .. .. . .. . .. . 192 a) Einwände . .. . . . . . . .. . . .. . . . . .. . . . . . .. . . . . . . .. . .. . . . .. . . . .. . .. . . . . . . . . .. .. 192 b) Stellungnahme . . . .. . . . . . . . . .. . . . . . .. . . . . . . . .. . . . . . .. . . . .. .. . . . . .. . .. . . .. 193 3. Anzeigepflicht und Kooperation .... .... .. .. .. .. .. .. .. .. .. ...... .. .. .... .. . 196 4. Ausnahmen von der Pflicht zur fristgerechten Anzeige .... .... .... .. .. .. a) Spontanversammlungen . :. . .. . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . .. . . .. . . .. . . .. .. . . . .. b) Eilversammlungen .. . .... . .... ... . .. .. .... .... . . ... .. .. .. .. ... . . ...... .. c) Großdemonstrationen? . .. ... . . . .. .. . ... .. . ... .. . .. . ... . . .... . . . . . .. .. .. .

198 198 200 202

5. Versammlungsverbote . . ... . .. . . . . . ..... .... . . . . . .... . . .. . . ..... . . ... ...... . a) Auflagen und Verbote .. .... .. .. .. .. . .... .. . .. . . ............. ... .. .. ... . b) Zur Zulässigkeit von Verboten .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. c) Polizeilicher Notstand und hostile audience . . .. . .. .. .. .. .. .. .. . . . . .. .

203 203 204 207

Teile Abschließende Betrachtung

211

Literaturverzeichnis

214

Abkürzungsverzeichnis Zu den verwandten Abkürzungen im deutschen Recht vgl. Hildebert Kirchner, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 4. Auflage, Berlin 1983. Die Titel abgekürzter amerikanischer Zeitschriften ergeben sich in Verbindung mit dem Autor aus dem Literaturverzeichnis. A. bzw. A.2d A.C.L.U. a.F. aff. Ala. A.L.R. Am.Jur. Ann. Ark. Ariz. Ca!. Cai.Rptr Cert.den. C.F.R. C.J. C.J.S. c.o. Co!. Conn. D.C. Delw. d.o. F. bzw. F.2d Flor. F.Supp. Geo. Haw. I da. Ill. Ind. J. Kans. Kent.

= Atlantic Reporter = American Civil Liberties Union = alte Fassung = affirmed = Alabama = American Law Reports = American Jurisprudence = Annotated = Arkansas = Arizona = Califomia = Califomia Reporter = Certiorari denied = Code of Federal Regulations = Chief Justice = Corpus Juris Secundum = concurring opinion = Colorado = Connecticut = District of Columbia = Delaware = dissenting opinion = Federal Reporter = Florida = Federal Supplement Georgia = Hawai = Idaho = Illinois = Indiana = Justice = Kansas = Kentucky

=

Abkürzungsverzeichnis L.Ed. L.Ed.2d Louis. Mass. Mich. Minn. NAACP N.Car. N.E. bzw. N.E.2d Nebr. n.F. N.Hamp. N.J. N.L.R.A.

N.L.R.B. N.Mex. N.W. bzw. N.W.2d NY N.Y. bzw. N.Y.2d N.Y.S. bzw. N.Y.S.2d Okl. Penn. Rev.Stat. R.l. S.Car.

S.ct.

S.E. bzw. S.E.2d So. bzw. So.2d S.o.S. Stat. S.W. bzw. S.W.2d Tenn. Tex.

us

U.S.C.A. Va. Wash. Wis. W.L.R. W.Va Wyo. 2 Ehrentraut

= Lawyers' Edition of United States Supreme Court Reports = = = = = =

Louisiana Massachusetts Michigan Minnesota National Association for the Advancement of Colored People North Carolina

= Northeastem Reporter = Nebraska = neue Fassung = New Hampshire = New Jersey = National Labor Relations Act = National Labor Relations Board = New Mexico

= Northwestem Reporter = New York

= New York Reporter = = = = =

New York Supplement Oklahoma Pennsylvania Revised Statutes Rhode Island South Carolina = Supreme Court Reporter

= = = =

Southeastem Reporter Southem Reporter Siehe oben Seite Statutes

= Southwestem Reporter = Tennessee =Texas = United States Reports = United States Code Annotated = Virginia = Washington = Wisconsin = The Daily Washington Law Reporter = West Virginia = Wyoming

17

Teil A

Die Versammlungsfreiheit im amerikanischen Recht I. Kodifikationsgeschichte 1. Vorkonstitutionelle Phase

Ihre erste Erwähnung als Schützenswertes Recht im Prozeß der Entkolonialisierung Nordamerikas fand die Versammlungsfreiheit in den Declaration and Resolves des First Continental Congress vom 14. Oktober 1774. Abgesandte der Kolonien, die bis dahin ein eher unabhängiges Dasein nebeneinander geführt hatten, waren in Philadelphia zur Beratung über die Auseinandersetzungen zwischen dem Mutterland und den Kolonien zusammengetroffen. In den Declaration and Resolves trat die Versammlungsfreiheit neben das schon in der Declaration of Rights and Grievances (1765, Stamp Act Congress, Art. XIII) 1 angeführte Petitionsrecht: Whereupon the Deputies so appointed now assembled in a full and free representation of these colonies, taking into their most serious consideration the best means of attaining the ends of aforesaid, do in the frrst place, as Englishmen, their ancestors, in like cases have usually done, for asserting and vindicating their rights and liberties declare their claim to the legal rights of free natural bom subjects, to the common law, to trial by jury, and to assemble peacefully to consider grievances and petition for redress 2 •

Die Dec/aration and Resolves sind zeitlich der unmittelbare Vorläufer für die Grundrechtsverbürgerungen der Staaten und Ausgangspunkt einer Gewährleistung von Grundrechten auf der Bundesebene. Läßt ihr Text auch naturrechtliche Anklänge erkennen, so sind die Declaration and Resolves doch in erster Linie Berufung auf das Recht des Mutterlandes, indem die durch die kolonialen charters und das common /aw traditionell verbürgten Rechte mit Protestcharakter reklamiert werden 3 •

Text bei Schwartz, Vol. I, 196 f. Bei Pound, 75 f. 3 Jellinek, Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, 64; Vossler, Studien zur Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, 191; Pound, 75. 1

2

2*

20

Teil A: Die Versammlungsfreiheit im amerikanischen Recht

2. Staatenverfassungen Verfassungsrang erhielt das Versammlungsrecht in der Periode der einzelstaatlichen Verfassungsentstehungen ab Mai 1776, nachdem die Kolonien durch eine Resolution des Second Contineotal Congress vom 15. Mai 1776- zwei Monate vor der Declaration of Independence -aufgefordert worden waren, selbständig Verfassungen zu entwerfen und unabhängige Regierungen zu bilden. Als vorbildhaftwerden die Grundrechtskataloge der ersten Verfassungen, der von Virginia -konzipiert von George Mason und James Madison- und der Verfassung von Pennsylvania angesehen, die von zahlreichen anderen Staaten später übernommen wurden 4 • In den Staaten-Verfassungen trat nunmehr - wie in der Declaration of Independence- die naturrechtliche Begründung der Individualrechte als allgemeine Menschenrechte eindeutig in den Vordergrund, wodurch der Bruch mit dem kolonialen Status und die Loslösung aus dem gemeinsamen Rechtsstand legitimiert werden sollte und die Proklamationen eigenständigen Rechtscharakter erhielten 5 • Die Versammlungsfreiheit war jedoch noch nicht in der Verfassung von Virginia aufgeführt, sondern zunächst nur in den Staaten Pennsylvania (Art. XVI), North Carolina (Art. XVIII), Massachusetts (Art. XIV) und New Hampshire (Art. XXXII) gewährleistet. Heute ist die Versammlungsfreiheit bis aufMaryland, Minnesota und New Mexico in den Grundrechtskatalogen aller amerikanischen Staaten verankert. Ganz überwiegend ist sie mit dem Petitionsrecht in einem Satz zusammengefaßt und in einigen Kodiflkationen ausdrücklich darauf beschränkt, sich friedlich zur Erörterung von Angelegenheiten des Allgemeinwohls zu versammeln 6 • 3. Bundesverfassung

Trotz der Bedeutung der Bill of Rights in den Staaten-Verfassungen enthielt die Bundesverfassung in ihrer ursprünglichen Form keine entsprechenden Gewährleistungen7. Die Constitutional Convention in Philadelphia war vor allem mit den Strukturen der Staatsorganisation befaßt, deren Ausgestaltung durch die Articles ofConfederation von 1777 als unbefriedigend empfunden wurde. Anträge zur Aufnahme einer Bill of Rights in die Bundesverfassung wie etwa von George Mason wurden mit großer Mehrheit abgelehnt; Hauptargument war die fehlende Kompetenz des Bundes zur Einschränkung der durch die Staaten-Verfassungen Simon, 33 U.Kans.L.Rev., 310; 318 ff. m.w.Nw. (1985). Jellinek, Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, 68 f.; Pound, 75; Kriele, Scupin-FS, 198. 6 Etwa New Hampshire, Art. 1, Sec. 32; Tennessee, Art. 1, Sec. 23; Califomia Art. 1, Sec. 10; Übersicht bei Jarrett I Mund, N.Y.U.L.Q.Rev., 16 ff. (1931). 7 Vgl. aber Art. 1, Sec. 9. 4

5

I. Kodifikationsgeschichte

21

geschützten Rechte, so daß eine Bundesgarantie nicht als notwendig erachtet wurde 8 • Nach Abschluß der Beratungen setzte sich die Diskussion auf den zur Ratifizierung einberufenen Konventen der Staaten fort. Das Fehlen einer Bill of Rights war für die Antifederalists einer der Hauptangriffspunkte der Verfassung, wobei durchaus bezweifelt wird, daß es ihnen primär um die Ideale persönlicher Freiheit ging, als vielmehr vor allem um eine Torpedierung des Verfassungsentwurfes9. Das Argument der Federalists, daß Freiheit durch die Unterscheidung von delegated und reserved powers vor der Bundesgewalt geschützt werde und die Warnung, daß durch eine Bill of Rights implizit die Befugnis des Bundes zu Kompetenzen über die ausdrücklich angeführten hinaus anerkannt werde 10, verlor an Überzeugungskraft Die Bedenken der Antifederalists vor einer übermächtigen Bundesgewalt, auch wegen der mangelnden Praktikabilität der Unterscheidung zwischen verliehenen und vorbehaltenen Kompetenzen - in Vorwegnahme der Doktrin der incidental and implied powers - setzten sich durch, zumal eben durch den Verfassungsentwurf einige Garantien individueller Freiheit (Art. I, Sec. 9) festgeschrieben waren. Ferner wurde auf die Notwendigkeit eines Schutzes individueller Freiheit vor jeder Form von Regierungsgewalt, insbesondere mit Blick auf Minderheiten, und die erhöhte Akzeptanz einer Verfassung durch das Volk hingewiesen: We do not by declarations change the nature of things, or create new truths, but we give existence, or at least establish in the minds of people truths and principles which they might never otherwise have thought of, or soon forget. If a nation means its systems, religious or political, shall have duration, it ought recognize the leading principles of them in the front page of every family book 11 • Der Disput verlagerte sich nunmehr auf die Frage, ob die Bill of Rights vor der Ratifizierung durch die Staaten einzufügen sei oder erst nach Inkrafttreten der Verfassung diese ergänzen solle. Einige Staatenkonvente zögerten mit der Ratifizierung und machten sie von der vorherigen Einfügung eines Grundrechtskataloges abhängig; durch das Nachgeben der Federalists fanden sich aber schließlich die erforderlichen neun Staaten zur Billigung des Verfassungsentwurfes bereit. Nach Zusammentreten des ersten Kongresses im April 1789 in New York war es James Madison, der sich der Bill of Rights annahm 12 • Am 8. Juni schlug er s Dargestellt bei Schwartz, Vol. I, 443 ff. 9 Levy, 224 ff.; Kritisch zu Levys sehr nüchternen Bewertung der Freiheitsvorstellungen der Verfassungsväter Anastaplo, 149 f.; Meiklejohn, 1961 Sup.Ct.Rev., 263. 10 So vor allem Andrew Rarnilton im Federalist No. 84 und James Wilson in der "State House Speech", bei Storing, 65 f. ; weitere Schriften der "Federalists bei Schwartz, Vol. I, 527 ff. 11 So der "Federal Farmer", bei Storing, 70; weitere Schriften der "Antifederialists" bei Schwartz, Vol. I, 505 ff. 12 Stark beeinflußt durch einen Briefwechsel mit Thomas Jefferson, bei Schwartz, Vol. li, 692 ff.

Teil A: Die Versammlungsfreiheit im amerikanischen Recht

22

in einer bekannt gewordenen Rede dem Kongress acht Verfassungszusätze mit Grundrechtsgarantien vor, die er in die Verfassung inkorporiert wissen wollte; der 4. Zusatz enthielt das Recht, sich friedlich zu versammeln und Petitionen gegen Beschwernisse einzureichen, und sollte Artikel I, Absatz 9, Satz 3 angefügt werden 13 • Im Select Committee wurden Meinungs- und Pressefreiheit sowie das Recht der Bürger, "peaceably to assemble and consult for their common good, and to apply to the govemment for redress of grievances" in einem Abschnitt zusammengefaßt. Bei der Diskussion im Committee of the Whole 14 beantragte der Abgeordnete Theodore Sedgwick die Streichung der Passage "to assemble and". Er hielt die Versammlungsfreiheit neben der Meinungsfreiheit für überflüssig, da freier Verkehr und Unterhaltung unter Menschen sowie das Recht zur Beratung über das Allgemeinwohl eine Versammlung voraussetzten. Es handele sich um ein selbstverständliches unveräußerliches Recht, dessen Geltung niemals in Frage gestellt werde; ebenso könne man, so Sedgwick, das Recht festschreiben, daß jedermann einen Hut tragen dürfe, zu Bett gehen oder aufstehen könne, wann er wolle. Gegen diesen - später mehrheitlich abgelehnten - Antrag wandten sich andere Abgeordnete mit der Begründung, daß es sich bei der Versammlungsfreiheit um ein wesentliches Recht handele, das vor staatlicher Gefährdung geschützt werden müsse. Ebenfalls zurückgewiesen wurde der Antrag auf Einfügung des Rechts der Bürger, "to instruct their representatives", da eine über die bereits anerkannten Rechte hinausreichende Gewährleistung die Freiheit der Abgeordneten zu sehr einschränke. Das Repräsentantenhaus nahm schließlich die Vorlage an, indes mit der Änderung, daß die Bill of Rights ausdrücklich als Ergänzung der Verfassung anzufügen ist 15• Im Senat wurde die Formulierung der Rechte nochmals überarbeitet und die Religionsfreiheit mit der Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Versammlungsfreiheit und dem Petitionsrecht in einem, dem dritten, Amendment zusammengefaßt. Meinungsverschiedenheiten über die Ausgestaltung der Religionsfreiheit wurden im Committee of Conferences beigelegt, und dem Komiteevorschlag stimmten am 24. September 1789 das Repräsentantenhaus, am 25. September 1789 der Senat zu. Die Ratifizierungen durch die Gesetzgebungsorgane der Staaten zog sich bis zum Dezember 1791 hin. Da die ersten beiden vorgeschlagenen Verfassungszusätze nicht von % der Staaten gebilligt wurden, ist heute als I. Amendment festgeschrieben: Congress shall make no law respecting an establishment of religion, or prohibiting the free exercise thereof; or abridging the freedom of speech, or of the press; or the right of the people peaceably to assemble, and to petition the Govemment for a redress of grievences.

Bei Schwartz, ebd., 1019 f.; 1023 ff. Zum folgenden 1 Annals of Congress, 759 ff. 15 Zur positiven Bedeutung dieses von einem Gegner der Grundrechte in der Bundesverfassung eingebrachten - Antrages für die Wirkkraft der Grundrechte Cahn, 65 Yale L.J., 468 ff. (1956); Schwartz, Vol. II, 1121. 13

14

II. Die Beschränkung auf friedliches Versammeln

23

II. Die Beschränkung auf friedliches Versammeln Eine nur geringe Bedeutung in der Diskussion des amerikanischen Verfassungsrechts hat die Beschränkung der Versammlungsfreiheit auf friedliches Verhalten. In Literatur und Rechtsprechung finden sich nur selten Bemühungen, diese einzige ausdrückliche Begrenzung der Rechte des 1. Amendment mit Inhalt zu erfüllen. Alexander Meiklejohn sieht in ihr den Ausdruck des Grundsatzes, daß es kein Recht gibt, in jeder Form und zu jedem Zeitpunkt Meinungen zu äußern, leitet aus ihr interessanterweise aber auch die staatliche Verpflichtung zum Schutz von Versammlungen vor Eingriffen von außen ab 16• Detaillierter sind die Erörterungen bei Edwin C. Baker; er erwägt eine Beschränkung unfriedlichen Verhaltens auf körperliche Angriffe auf Personen und fremdes Eigentum, erweitert die Auslegung aber schließlich auf jede absichtliche und nicht erforderliche Beeinträchtigung der Rechte anderer, da auch durch Zwang deren Autonomie unzulässig beschränkt wird 17 • In der Rechtsprechung des Supreme Court finden sich keine Stellungnahmen 18 , bei den übrigen Gerichten allenfalls Dicta, in denen etwa das Tragen von Waffen, die Androhung von Gewalt sowie persönliche Verunglimpfungen 19, Störungen des öffentlichen Friedens 20 oder generell die Beeinträchtigung der Rechte anderer 21 in den Zusammenhang mit der Beschränkung auf friedliches Verhalten gestellt werden. Auch wenn in Rechtsprechung und Literatur nicht immer ein ausdrücklicher Bezug zum Erfordernis der Friedlichkeit hergestellt wird, so werden durch diesen Vorbehalt auf jeden Fall Akte kollektiver Gewalt gegen Personen oder Sachen- erfaßt durch die Straftatbestände unlawful assembly und riot 22 - vom Grundrechtsschutz ausgenommen. In der Verfassungswirklichkeit hat die im Erfordernis der Friedlichkeit zumindest enthaltene Feststellung, daß Akte aggressiver Gewalt keinen Grundrechtsschutz genießen, in den letzten Jahren beträchtlich an Relevanz verloren. Die 60er und frühen 70er Jahre 23 kannten zahlreiche Ausbrüche kollektiver Gewalt: Die teilweise bürgerkriegsähnlichen Ausschreitungen vorwiegend in den schwarIn 1961 Sup.Ct.Rev., 259. In 78 Nw.U.L.Rev., 981 ff. (1983). 1s Den Gesetzesbegriff "peaceful" interpretierte der Supreme Court als Abwesenheit von Gewalt und Gesetzesverstößen, Senn v. Tile Layers Union, 301 US 468 (479) (1937). 19 Kline v. McBride & Co., 11 N.Y.S.2d 674 (682) (1939). 2o State v. Hopson, 263 A.2d 205 (209) (1970). 21 Cincinnati v. Coates, 255 N.E.2d 247 (248) (1970); Esteban v. Central Missouri State Collage, 290 F.Supp. 622 (629) (1968); Williams v. Wallace, 240 F.Supp. 100 (106) (1965). 22 s.unten A.VI.l. I 2. 23 Zu Gewalttätigkeiten bei Gruppenkonflikten in vorangegangenen Epochen, James McCague, The Second Rebellion, Ne"Y. York 1968 und Willard H. Heaps, Riots, U.S.A.: 1765-1965, New York 1965. Eine Ubersicht über Unruhen in den 60er Jahren bei Bassiouni, 496. 16 17

24

Teil A: Die Versammlungsfreiheit im amerikanischen Recht

zen Wohnvierteln amerikanischer Städte 24, die ihre Höhepunkte 1965 in Watts (L.A.) mit 34 Toten und 1967 in Detroit mit 43 Toten und jeweils mehreren hundert Verletzten fanden. Sie führten mit zum Federal Riot Act von 1968 (18 U.S.C.A. §§ 2101, 2102), entwickelten sich aber überwiegend nicht aus Situationen kollektiver Meinungskundgabe, sondern wurden durch vergleichsweise geringfügige Anlässe, meist polizeiliches Einschreiten gegen Ordnungswidrigkeiten und Kleinkriminalität, ausgelöst 25 • Demgegenüber entstanden die Unruhen auf dem Campus 26 überwiegend aus Demonstrationen; sie begannen Mitte der 60er Jahre in Berkeley mit sit-ins, wurden zunehmend zerstörefisch und gewalttätig, wobei auch die Diskussion um Vietnam und Kambodscha Aggressionen freisetzte, und forderten schließlich auch Menschenleben: 1970 wurden auf den Campus von Kent State und Jackson State Studenten von Sicherheitskräften erschossen. Zu nennen sind ferner die Gewaltakte des Ku-Klux-Klan, die gewalttätigen Zusammenstöße zwischen Demonstranten und der Polizei, aber auch Gegendemonstranten, nach der Ermordung Martin Luther Kings und im Zuge des Protests gegen die Beteiligung der USA am Südostasienkrieg, etwa beim Parteitag der Demokraten 1968 in Chicago, oderbei den "May-Day"-Demonstrationen 1971 in Washington D.C., nach Auffassung eines Bundesrichters in Größe, Umfang und Gewalt von den Dimensionen "of a Putsch or rebellion" 27 • Wenn auch aufgrunddes Ausgangspunktes der Friedlichkeil als Begrenzung der Versammlungsfreiheit hier an gewalttätiges Verhalten der Versammlungsteilnehmer angeknüpft wurde, so ist dennoch darauf hinzuweisen, daß eine der Ursachen für eine allgemeine Radikalisierung der Demonstranten oder für das V mschlagen in Ausschreitungen auch in unprovozierter Gewalt der Polizei - wie insbesondere bei den Bürgerrechtsmärschen in den Südstaaten -oder unverhältnismäßigen polizeilichen Reaktionen auf Provokationen oder Gewalt einzelner Versammlungsteilnehmer gesehen wird 28. Das Bild hat sich geändert. Nach Auskunft 29 von Polizeichefs größerer amerikanischer Städte ist heute aus Demonstrationen verübte Gewalt äußerst selten. San Francisco erlebte Ende der 70er Jahre die letzte gewalttätige Demonstration, und in Washington D.C. und New York verlaufen kollektive Proteste fast aus24 Vgl. Report ofthe National Advisory Commission on Civil Discorders, New York 1968, 19 ff. (zit. Report) sowie Commission Statement on Group Violence, Nt!. Comm. on the Causes and Prevention of Violence 1969, bei Etzioni, 81 ff. (zit.: Commission Statement). 2s Eine Analyse bei Report, 19 ff. und 71. 26 Vgl. Harris Jaret, Students in Revolt, New York 1970; Edward C. Bander, Turrnoil on Campus, New York 1970; Dissent and Disruption, Proposals for Consideration by the Campus, Carnegie Commission on Higher Education, New York 1971; M. Miller I S. Gilmore, Revolution at Berkeley, 1968. 21 Deliums v. Powell, 566 F.2d 167 (211)d.o. (1977). 2s Etzioni, 31 ff.; Commission Statement, 94 ff. und Report, z. B. 38. In dem offiziellen Walker-Report zu den Unruhen in Chicago 1968 wird die Bezeichnung "police riot" gebraucht, vgl. Bassiouni, 27. 29 Auf schriftliche und mündliche Anfragen des Verfassers.

III. Zum Versammlungszweck

25

nahmslos friedlich; kommt es doch einmal zu Ausschreitungen, wie im April 1986 anläßlich einer Anti-Apartheid-Demonstration auf dem Berkeley-Campus 30, so ist dies eine Nachricht in den CBS-News wert 31 . Hier über die Ursachen sowohl für die Veränderungen in den Vereinigten Staaten in den letzten 15 Jahren 32 als auch für die Differenz zum deutschen Demonstrationsgeschehen zu reflektieren, führte zu weit, doch verdeutlicht noch die Betrachtung aus der Normalität der Versammlungswirklichkeit in den USA die Pervertierung eines Grundrechts bei einer kleinen, aber konstanten Zahl von Versammlungen in der Bundesrepublik Deutschland.

111. Zum Versammlungszweck l. Stellungnahmen in Rechtsprechung und Literatur

Nur selten lassen sich auch in Rechtsprechung und Literatur Äußerungen zu der Frage nachweisen, ob sich der Schutz des 1. Amendment nur auf Versammlungen bestimmter Zweckrichtungen beschränkt. In älteren Gerichtsentscheidungen der Staaten findet sich verschiedentlich die Feststellung, daß das Recht, sich zu versammeln und Paraden durchzuführen, für jeden gemeinsamen33 oder rechtmäßigen34 Zweck besteht. In der Ausgangsentscheidung zur Versammlungsfreiheit, United States v. Cruikshank, erklärte der U.S. Supreme Court, daß das Recht, sich friedlich zu jedem gesetzmäßigen Zweck zu versammeln, nicht erst durch die Verfassung anerkannt werde, sondern als "one of the attributes of citizenship under a free government" schon vorher bestanden habe. "lt ,derives its source ... from those laws whose authority is acknowledged by civilized men throughout the world'" 35 . Diese naturrechtliche Ableitung spricht für eine weite Auslegung des Versammlungsrechts, dessen Schutz aber auf die Ebene der Staaten verwiesen wird. Demgegenüber sieht es das Gericht durch das 1. Amendment der Bundesverfassung geschützt an, sich zu dem Zweck zu versammeln, Petitionen an den Kongress zu richten oder sich ansonsten mit Angelegenheiten des Bundes zu befassen, denn "(t)he very idea of government, republican in form, implies a right on the part of the citizens to meet peaceably for consultation in respect to public affairs and to petition for a 30 V gl. The Daily Califomian, April 4, 1986 (33 verletzte Polizisten und Demonstran-

ten).

31 Wie auch die Ausschreitungen in Wackersdorf von Pfingsten 1986. 32 Ursachen für Gewalt bei Demonstrationen in den 60er Jahren in den USA und

Vorschläge für ihre Vermeidung bei Etzioni, 27 ff.; Commission Statement, 91 ff. 33 In re Fraze, 30 N.W. 72 (75) (1886). 34 In re Garrabad, 54 N.W. 1104 (1106) (1893); Rich v. Naperville, 42. lll.App. 222 (224) (1891). 35 92 us 542 (551) (1876).

26

Teil A: Die Versammlungsfreiheit im amerikanischen Recht

redress of grievances" 36. In dieser Spannung zwischen naturrechtlicher Begründung des Versammlungsrechts und seiner Ableitung aus der republikanischen Staatsform wie der Abgrenzung zwischen bundesstaatliehen und einzelstaatlichen Verfassungsordnungen läßt sich der Umfang des Versammlungsrechts unter dem I. Amendment nicht eindeutig ermitteln. In späteren Entscheidungen wurde, nicht zuletzt aufgrund der Einbeziehung der Versammlungsfreiheit in die dueprocess-Klausel des 14. Amendment 37, eine Beschränkung auf bundesstaatliche Angelegenheiten nicht mehr erörtert 38 . Vielmehr veränderte sich, wenn auch ein umfassendes Versammlungsrecht in einerneueren Entscheidung anklingt39, das Verständnis des Grundrechts dahin, daß zunehmend Meinungsäußerungen bei Versammlungen in den Vordergrund traten. Der Zweck eines Grundrechts der Versammlungsfreiheit wird darin gesehen, eine freie Diskussion zu ermöglichen40, und der Supreme Court führte die Differenzierung zwischen kommunikativem (speech) und nichtkommunikativem (conduct) Verhalten bei Versammlungen ein 41 . Ob Meinungsäußerungen bei Versammlungen für die Anwendbarkeit des 1. Amendment erforderlich sind, läßt sich der Rechtsprechung des Supreme Court und anderer Bundesgerichte 42 nicht eindeutig entnehmen; sicher ist nur, daß bei einer Verknüpfung der Versammlungsfreiheit mit der Meinungsfreiheit nicht nur die Erörterung politischer Angelegenheiten geschützt wird 43. Nicht eindeutig sind auch die wenigen Äußerungen in der Literatur. Wenn Jarrett/Mund im Jahre 1931 daraufhingewiesen haben, daß das Versammlungsrecht auch in Wohnungen und Klassenräumen, auf Märkten, in Theatern und bei Tanzveranstaltungen ausgeübt wird 44, so bedarf es keiner besonderen Zweckrichtung der Beteiligten. In einer Stellungnahme des Bill of Right Committee der American Bar Association nur wenig später wird das Recht, sich zur Diskussion politischer, wirtschaftlicher, religiöser und sozialer Probleme zu versammeln, als eines der wertvollsten und notwendigsten Rechte bezeichnet 45 • Abernathy sieht 36 ebd., 552. 37 De Jonge v. Oregon, 299 US 353 (1937); Hague v. CIO, 307 US 496 (1939). 38 Vgl. United Mine Workers v. Illinois State Bar Association, 389 US 218 (224),

" ... but rather on petitioner's freedom of speech, petition, and assembly under the First Amendment, and this freedom is, of course, as extensive with respect to assemb1y and discussion related to matters of local as to matters of federal concem" (1967). 39 Coates v. Cincinnati, 402 US 611 (615) (1971). 40 De Jonge v. Oregon, 299 US 353 (365) (1937); ähnlich Brown v. Louisiana, 383 USA 133 (141) (1966). 4t Cox v. Louisiana, 379 US 536 (555) (1965), Cox v. Louisiana, 379 US 559 (578) (1965); Shuttlesworth v. Birmingham, 394 US 147 (152) (1969); s. auch A.IV.2./3. 42 In White v. Keller, 43S F.Supp. 110 (116) (1977) neigt ein Federal Distriel Court zu dem Ergebnis, daß aus Geschichte, Wesen und Zweck des 1. Amendment folge, daß nicht jedes Zusammenkommen eine Versammlung i.S. des 1. Amendment darstelle. 43 United Mine Workers v. Illionois State Bar Association 389 US 217 (223) (1967); Thomas v. Collins, 323 US 516 (531) (1945). 44 In 9 N.Y.U.L.Q.Rev., 4 (1931). 45 In 25 Am.B.Ass.J., 8,75 (1939).

III. Zum Versammlungszweck

27

die primäre Bedeutung der Versammlungsfreiheit in der Teilnahme an Diskussionen und Debatten, lehnt aber eine Beschränkung auf diese Versammlungsformen ab 46 • Nur bei Edwin C. Baker47 findet sich eine Diskussion und Stellungnahme zum Umfang des Grundrechts. Kommunikation ist nach seiner Auffassung nur ein möglicher Aspekt des Grundrechts; geschützt wird in erster Linie Gruppenverhalten, so daß alle Veranstaltungen, in denen mehrere Personen in bewußter Gemeinsamkeit ihre Werte verwirklichen, Versammlungen im Sinne des 1. Amendment darstellen 48.

2. Versammlungszweck und First Amendment values

Daß sich nur wenige Äußerungen zum Umfang der Versammlungsfreiheit nachweisen lassen, liegt zum einen vor allem darin begründet, daß die theoretischen Grundlegungen zum 1. Amendment, die sich auch auf die Schutzbereichsbestimmung auswirken, auf die Meinungsfreiheit beschränkt werden: Theorien des 1. Amendment sind überwiegend Theorien zum Wesen der Meinungsfreiheit49. Diese erfaßt zwar auch kollektive Meinungskundgaben, das Verhältnis der Versammlungsfreiheit zur Meinungsfreiheit wird jedoch nicht erörtert; die Versammlungsfreiheit wird zumeist aber auch nicht ausdrücklich von der jeweils favorisierten Theorie zur Meinungsfreiheit ausgeschlossen. Zum anderen werden die im 2. Teil des 1. Amendment angeführten Rechte vielfach ohne weitere Diskussion als Kommunikationsgrundrechte angesehen und unter der umfassenden Gewährleistung einer freedom of expression zusammengefaßt 50 • In dieser Auslegung wird der Schutzbereich der Versammlungsfreiheit ohne die Erörterung anderer Lösungsmöglichkeiten und ohne Begründung nur auf Versammlungen zum Zweck der Meinungskundgabe und des Meinungsaustausches beschränkt; die genaue Bestimmung des grundrechtliehen Schutzbereiches der Versammlungsfreiheit gerät in Abhängigkeit vom Verständnis der Meinungsfreiheit. Im folgenden soll die Versammlungsfreiheit in die am häufigsten zur Dogmatik des 1. Amendment bzw. der Meinungsfreiheit vertretenen Theorien eingeordnet 46 Assembly, 41,83; unklar bleibt, ob sich Abemathy bei Beibehaltung der Bindung der Versammlungsfreiheit an die Meinungsfreiheit nur gegen die Beschränkung auf Diskussionsversammlungen wendet. 47 In 25 U.C.L.A.L.Rev., 1030 (1978) und 78 Nw.U.L.Rev., 945 (1983). 48 Als Beispiele Straßenfeste, Parties, gemeinsame Berufsausübung, ebd., 1030 und 1016. 49 Etwa Bork, 47 lndiana L.J.,1 (1971); Redish, 130 U.Pa.L.Rev., 591 (1982); BeVier, 30 Stanf.L.Rev.,297 (1978); Wellington, 88 Yale L.J., 1105 (1979); Scanlon, 40 U.Pitt.L. Rev.,519 (1979); Bollinger, 92 Yale L.J., 438 (1983). so Jayson I Killian I Beckey I Durbrin, 1034, "all four rights may weil be considered as elements of an inclusive right to freedom of expression". Ebenso Nowak I Rotunda I Young, 1007; ferner Tribe, Chapter 12: Right of Communication and Expression und Emerson, The System of Freedom of Expression, jeweils unter Einbeziehung der Versammlungsfreiheit.

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Teil A: Die Versammlungsfreiheit im amerikanischen Recht

werden und dargestellt werden, welche Auswirkungen sich jeweils für die Auslegung der Versammlungsfreiheit ergeben.

a) Self-government aa) Meiklejohn und andere Eine Beschränkung der Versammlungsfreiheit auf die Erörterung politischer oder öffentlicher Angelegenheiten 51 läßt sich auf Grundlage der von Alexander Meiklejohn entwickelten Theorie des 1. Amendment als funktionaler Basis des self-government erreichen. Ausgehend von der Declaration of Independence, der Präambel, Artikel 1, Absatz 2 sowie dem 10. Amendment der Bundesverfassung charakterisiert Meiklejohn die Struktur des amerikanischen Regierungssystems als identitärdemokratisch; Regierende und Regierte sind nicht zwei zu unterscheidende Gruppen, sondern die Verfassung kennt nur das sich selbst regierende Volk als einzig mögliche Form einer Herrschaft über freie Menschen 52 • Im Dienste der Ausbildung eines weitreichenden Verständnisses der nationalen Angelegenheiten garantiert das 1. Amendment ein Forum öffentlicher Diskussion und Information, um eine weise und verantwortungsbewußte Ausübung der Selbstregierung des Volkes durch das Volk zu gewährleisten. Die Rechte des 1. Amendment dienen so nicht privaten Interessen, sondern ausschließlich der Ausübung der Regierungsgewalt 53 und erstrecken sich auf die Erörterung aller Angelegenheiten, die bei ihrer Ausübung, insbesondere anläßlich von Wahlen, relevant sind 54• Beschränkte Meiklejohn seine Theorie zunächst auf die Meinungsfreiheit des 1. Amendment als ausschließliche Garantie von speech of public interest gegenüber dem Schutz von privatespeechdurch das 5. Amendment 55 , so dehnte er sie später nicht nur auf alle Rechte des 1. Amendment aus 56 , sondern interpretierte dieses umfassend als Gewährleistung politischer Freiheit schlechthin unter Einschluß etwa auch des Wahlrechtss7. Die über den Bezug zum self-government erreichte Beschränkung des 1. Amendment auf öffentliche oder politische Angelegenheiten wird von namhaften Autoren in der Literatur unterstützt, die sich aber allein zur Meinungsfreiheit äußern 58• 51 Nachweise zu einer solchen Beschränkung der Meinungsfreiheit in der Literatur um die Jahrhundertwende bei Rabban, 90 Yale L.J., 564 ff. (1984). 52 Self-government, 12 ff.; etwas abgemildert in 1961 Sup.Ct.Rev.,257. 53 Self-government, 55 f.; 73 ff.; 87 f. 54 In 1961 Sup.Ct.Rev., 255; Self-government, 55 ff. , 79. 55 Self-government, 36 f. 56 In 20 U.Chic.L.Rev., 464 (1953). 57 In 20 U.Chic.L.Rev., 471 (1953); zum Wahlrecht 1961 Sup.Ct.Rev., 256.

III. Zum Versammlungszweck

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Politische oder öffentliche Angelegenheiten werden in der Tendenz eher weit definiert; für Meiklejohn sind es Fragen, die "goveming" oder "social importance" haben, wozu er Angelegenheiten der Bildung und Erziehung, der Philosophie, der Naturwissenschaften, der Literatur und Kunst rechnet 59, während Anastaplo 60 und wohl auch Kalven 61 alle Formen von Kunst und Literatur ausklammern. Auch der Supreme Court stützt sich in einigen Entscheidungen bei der Auslegung der Rechte des 1. Amendment auf den Bezug zum self-government 62 und betont in ständiger Rechtsprechung, daß der Schutz von Meinungsäußerungen zu politischen und öffentlichen Angelegenheiten Hauptzweck des 1. Amendment ist 63 • Wenngleich das Gericht auch eine qualitative Differenz zwischen politischen und sonstigen Meinungsäußerungen herstellt 64, so hat es - im Gegensatz zu den angeführten Autoren in der Literatur - aber doch niemals die Konsequenz gezogen, das 1. Amendment auf erstere zu beschränken. Neben Äußerungen zu philosophischen, sozialen, künstlerischen, wirtschaftlichen, literarischen oder ethischen Fragen 65 werden auch private Äußerungen durch die Meinungsfreiheit geschützt 66, wenngleich Abgrenzungen und die Intensität des Schutzes nicht gänzlich klar erkennbar ist 67 • bb) Borkund BeVier Auf den Arbeiten von Meiklejohn bauen auch die Untersuchungen von Robert Bork 68 und Lilian BeVier 69 auf, die die Auslegung der Meinungsfreiheit zusätzlich aus dem Gebot des judicial se/frestraint gewinnen. 58 Etwa Frantz, 71 Yale L.J., 1449 f. (1962); Kalven, 1960 Sup.Ct.Rev., 16 und 1964 Sup.Ct.Rev., 221; Bickel, 62; Anastaplo, 192. 59 1961 Sup.Ct.Rev., 257,262 f.; im Ergebnis auch Frantz, 71 Yale L.J., 1449 (1962). 60 s. 185 f. 61 1960 Sup.Ct.Rev., 16; andererseits aber 1964 Sup.Ct.Rev., 221. 62 Etwa New York Times v. Sullivan, 376 US 252 (269) (1964); Mills v. Alabama, 384 US 214 (218) (1966); Buckley v. Valeo, 424 US 1 (14) (1976); Carey v. Brown, 447 US 455 (467) (1980)m.w.Nw. 63 Mills v. Alabama, 384 US 214 (218 f.) (1966); ferner Dun&. Bradstreet v. Greenrnass Builders, 472 US 749 (758 f.) (1985)m.w.Nw. 64 "(S)peech conceming public affairs more is than self expression, it is the essence of self-govemment", Garrison v. Louisiana, 379 US 64 (74 f.) (1964); Dun & Bradstreet v. Greenmoss Builders, 472 US 749 (758 f.). 65 NAACP v. Alabama, 357 US 449 (460) (1958); Wooley v. Maynard, 430 US 705 (714) (1977); Abood v. Detroit Board of Education, 431 US 209 (231) (1977). 66 Connick v. Meyers, 461 US 138 (146 f.) (1983). 67 Einerseits Abood v. Detroit Board of Education, 431 US 209 (231 ), "But our cases have never suggested that expression about philosophical, social, artistic, economic, literary or ethical matters - to make a nonexhaustive list of Iabels - is not entitled to fullest first Amendment protection (m.w.Nw.)"; andererseits Dun & Bradstreet v. Greenmoss Builders, 472 US 749 (758 f.). "We have long recognized that not all speech is of equal First Amendment importance (w.Nw.) ... speech on matters of pureley privat concem is of less First Amendment concem".

Teil A: Die Versammlungsfreiheit im amerikanischen Recht

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Die Verfassungsinterpretation durch Gerichte wird nur dann als legitimiert angesehen, wenn sie die fragliche Verfassungsnorm auf ein principle 70 zurückführt, das aus dem Text der Verfassung, ihren geschichtlichen Hintergründen oder der durch sie begründeten Regierungsform abzuleiten ist. Dadurch sollen subjektive Wertentscheidungen der Richter vermieden werden, da solche nach der Struktur der Verfassungsordnung nur von der Legislative getroffen werden können und der Supreme Court durch Anmaßung dieser Kompetenz das System der checks and balances zwischen den Gewalten unterlaufen würde 71 • Mangels Anhaltspunkten im Verfassungstext und fehlender Stellungnahmen über die Absichten der Väter des I. Amendment leiten Bork und BeVier eine Beschränkung der Meinungsfreiheit auf politische Äußerungen - unter Berufung auf Meiklejohn - aus der demokratischen Regierungsform ab. Sie verfestigen diese Auslegung mit der Erwägung, daß ein anderes Verständnis des Grundrechts nicht Ausdruck eines neutral principle ist, was sie durch Vergleich der verschiedenen Zwecke des Rechts auf Meinungsäußerung, die Justice Brandeis in seiner bedeutsamen concurring opinion in Whitney v. California 72 aufgeführt hatte, darlegen.· Während die Inanspruchnahme der Meinungsfreiheit zu privaten und persönlichen Zwecken im Wertgehalt dem aller anderen nichtkommunikativen Aktivitäten entspricht, unterscheiden sich politische Meinungsäußerungen dadurch, daß sie aufgrund ihrer Funktion und Wirkung im demokratischen Staat einzigartig sind. Dadurch heben sich politische Meinungsäußerungen von anderen Meinungsäußerungen ab, wie sich das I. Amendment vom Schutz anderer Freiheitsgarantien der Verfassung abhebt. Nur in einer solchen Auslegung gelingen wertfreie richterliche Entscheidungen, während es bei einer Ausdehnung des Schutzbereichs des 1. Amendment im Falle der Überordnung der dort genannten Rechte über ein beschränkendes Gesetz durch Aufhebung der Gleichrangigkeil aller persönlichen oder privaten Interessen einer Wertentscheidung bedarf, die nur der Gesetzgeber treffen kann 73. Im Gegensatz zu Bork, der die Gewinnung von neutral principles zur alleinigen Richtschnur zur Bestimmung des Umfangs verfassungsrechtlich geschützter Meinungsfreiheit macht und die Meinungsfreiheit ausschließlich auf deutlich politische Angelegenheiten unter Ausschluß von Wissenschaft, Kunst, Bildung, Wirtschaft oder Literatur beschränkt 74, berücksichtigt BeVier auch pragmatische und 47 Indiana L.J., I (1971). 30 Stanf.L.Rev., 297 (1978). 10 Vgl. BeVier, ebd., 303, Fn. 16: ",Principle' denotes a .general statement of a goveming normative value, an abstract proposition about a pervasive, ,ought' with which a derived rule or standard must be consistent." Ferner A. Bickel, The Least Dangerous Branch, Indianapolis 1962, S. 59; Borkund BeVier beziehen sich auf den grundlegenden Aufsatz von Wechsler, 73 Harv.L.Rev., I (1959). 11 Bork, 47 Indiana L.J., 10; BeVier, 30 Stanf.L.Rev., 304 f. 72 274 us 354 (375) (1927). 73 Bork, 47 Indiana L.J., 25 f .; BeVier, 30 Stanf.L.Rev., 315, 322. 74 Indiana L.J., 20, 28. 68

69

III. Zum Versammlungszweck

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institutionelle Argumente. Da die Rechte des 1. Arnendment permanent gefährdet sind, die Rechtswirklichkeit der Meinungsfreiheit vielschichtiger ist als durch die theoretische Begründung von principles erkennbar und auch eine Beschränkung aufpolitische Angelegenheiten die Gefahr einer Unterdrückung unpopulärer Ansichten hervorruft, erweitert BeVier aus diesen pragmatischen Erwägungen den Schutzbereich der Meinungsfreiheit über politische Äußerungen hinaus 75 • Mit dieser Extension soll auch dem Supreme Court eine erweiterte Grundlage zur Herausbildung rationaler Entscheidungskriterien bereitgestellt werden, durch die sich die Spannung zwischen der institutionellen Verpflichtung auf prinzipiengerechtes Judizieren und der Komplexität der zu entscheidenden Lebenssachverhalte verringern läßt 76 • b) Free marketplace of ideas

In Rechtsprechung und Literatur 77 wird das 1. Amendment häufig mit der Theorie des free marketplace of ideas begründet, durch die das liberale Wirtschaftsverständnis der Selbstregulierung des Marktes auf die Welt von Gedanken und Meinungen übertragen wird. Sie ist stark von aufklärerischem Gedankengut - dem Streben nach Erkenntnis von Wahrheit und der Herausbildung und Fortentwicklung der geistigen Fähigkeiten des Menschen - geprägt, findet ihre Grundlage in einem Kapitel des Werkes On Liberty 18 von John Stuart Mill und ist von Justice Oliver W. Holmes mit der dissenting opinion in Abrarns v. United States 79 in die Rechtsprechung des Supreme Court eingeführt worden. Diese Theorie wendet sich gegen die Unterdrückung als falsch angesehener Meinungen, da auch sie sich als wahr erweisen können und niemand die Legitimation habe, ein solches Urteil allgemein-verbindlich zu treffen. Wahrheitstindung als prinzipiell unbegrenzter Prozeß 80 wird vielmehr durch öffentliche Diskussion und Debatte gefördert, indem sich einerseits Meinungen durch Behauptung gegen 30 Stanf.L.Rev., 326 ff. ebd., 328 ff. 77 Chafee, Free Speech, 31, 560 ff.; Emerson, System, 6 und 77 Yale L.J, 881 f. (1963) als einem unter mehreren Ansätzen; Nimmer, § 1.02 [A]-[E], [G]; George Wright, 1985 Sup.Ct.Rev., 149; Stone, 46 U.Chic.L.Rev., 101 f.(l976). 78 Chapter II: Of Liberty of Thought and Discussion; Ansätze auch schon bei John Milton in Aeropagitica, vgl. Chafee, Free Speech, 3; Nimmer, § 1.02 [3] und Dicke 72 ff., der auf die Ursprünge der griechischen "agora" verweist, 69 ff. 79 250 US 616 (630) (1919); prägend auch Justice Brandeis in Whitney v. Califomia, 274 US 357 (375 ff.)c.o. (1927). so i.b. Nimmer,§ 1.02 [A], [B], vgl. auch Abrams v. United States, 250 US 616 (630), wo Justice Holmes von einem "best test of truth" spricht. Damit soll dem Einwand der Kritiker der Theorie entgangen werden, die auf die Gefahren hinweisen, wenn die Durchsetzung einer Meinung als verbindliche Aussage über ihre Wahrheit angesehen und damit die Erreichung der Wahrheit postuliert wird, vgl. Baker, 25 U.C.L.A.L.Rev., 974 (1978); Redish, 130 U.Pa.L.Rev., 617 (1982); Wellington, 88 Yale L.J., 1129 (1979); Tribe, 577; weitere Kritik bei Dicke, 81 ff. 75

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Teil A: Die Versammlungsfreiheit im amerikanischen Recht

Widerspruch und Mißbilligung als wahr durchsetzten können, andererseits aber falsche Auffassungen nachdrücklich widerlegt werden können. Der Gedankenund Meinungsaustausch vollzieht sich im Vertrauen auf die Kraft des freien Marktes ohne staatlich Reglementierung bis zu dem Punkt, wo durch eine Meinungsäußerung unmittelbare Gefahren drohen, denen nicht mehr durch Gegenargumente und Diskussion begegnet werden kann 81 • Begünstigt wird durch den aufklärerischen Ursprung eine Beschränkung auf Kommunikationsformen und Äußerungen, die einen gedanklichen Mindestgehalt aufweisen. Es kann als Konsequenz des free marketplace of ideas angesehen werden, wenn der Supreme Court mittels des Kriteriums von social value I importance Äußerungen aus dem 1. Amendment ausgeschieden hat, "that ... are no essential part of ideas and of such slight value as a step to truth that any benefit that may be derived from them is clearly outweighed by the social interest in order and morality" 82 • Stärker auf das Gemeinwohl ausgerichtet ist die Auslegung der Theorie bei George Wright. Er sieht eine Äußerung nur dann als vom 1. Amendment erfaßt an, wenn sie eine social idea enthält, was bei Stellungnahmen zu ethischen, religiösen, kulturellen, wissenschaftlichen. sozialen oder politischen Fragen, auch in verkürzter Form 83, nicht aber bei Äußerungen, die sich auf die private Existenz des Individuums beschränken 84 , zutrifft.

c) Individual self-fulfillment and self-realization Ein dritter verbreiteter Ansatz zur Interpretation des 1. Amendment sieht dessen zentrale Funktion in der Gewährleistung eines Freiraums individueller Selbstentfaltung und Selbsterfüllung. Edwin Baker 85 , einer der entschiedensten Befürworter, begründet die Garantie des individual self-fulfillment, die er neben der Möglichkeit zur Teilnahme am Prozeß gesellschaftlicher Veränderung als maßgeblichen Wert des 1. Amendment ansieht, als ein notwendiges Korrelat zum Verlangen nach Gehorsam gegenüber Mehrheitsentscheidungen. Dieses bedingt, daß die Gemeinschaft jedes ihrer Mit81 Vgl. Justice Holmes, 250 US 616 (630) und Justice Brandeis, 274 US 357 (376 f.). Damit wird der "clear-and present-danger"Test zur Ermittlung der Grenzen verfassungsrechtlich geschützter Meinungsäußerungen angesprochen; eingehend s.u. A.VI.2. 82 Chaplinsky v. New Hampshire, 315 US 568 (572) (1942): fighting words; Roth v. United States, 354 US 476 (485) (1957), Memoirs v. Massachusetts, 383 US 413 (419) (1966), Miller v. Califomia, 413 US 15 (24) (1973): obscenity, für einen beschränkten Schutz nunmehr, aber unter Beibehaltung der Begründung F.C.C. v. Pacifica Foundation, 438 US 726 (746) (1978); New York v. Ferber, 458 US 747 (753) (1982). 83 1985 Sup.Ct.Rev., 159, 164 sowie 170 unter Bezugnahme aufCohen v. Califomia, 403 US 15 (,,Fuck the draft"), " .. . a remarkably vague social idea about a reasonably clearly specified social phenomenon, the draft." 84 S. 156, 159; zustimmend Scanlon, 40 U.Pitt.L.Rev., 21 (1979). 85 Etwa in 25 U.C.L.A. L.Rev., 964 (1978); 78 Nw.U.L.Rev., 944 (1983); 62 Iowa L.Rev.,l (1976).

III. Zum Versammlungszweck

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gliederals autonomes Individuum mit gleichem Wertanspruch achtet; Entscheidungen, die der einzelne über Verständnis, Ausdruck und Entwicklung seiner selbst trifft, müssen respektiert werden, wenn der einzelne nicht zum Objekt der Herrschaft werden soll 86• Für Meinungsäußerungen bedeutet dies, daß durch das 1. Amendment die vielfältigen Zwecke, die der einzelne mit ihnen verfolgen kann, anzuerkennen sind. Äußerungen werden nicht nur um ihres kommunikativen Gehaltes willen, sondern als Ausdruck persönlicher Wertverwirklichungen - self-fulfillment - geschützt 87 • Über Meinungsäußerungen hinaus erstreckt Baker jedoch die Garantie des 1. Amendment auf alle Verhaltensformen, da der von ihm zugrundegelegte Wert des individual self-fulfillment durch Handlungen und Äußerungen gleichermaßen verwirklicht wird, eine Trennung somit willkürlich und auch kaum durchführbar ist 88 • Bis zur Grenze der Ausübung von Gewalt und Zwang - denn hierdurch wird die dem 1. Amendment zugrundeliegende individuelle Autonomie (anderer) verletzt - gewährleistet das 1. Amendment die Verwirklichung eigener Wertvorstellungen (substantively valued conduct), wobei die einzelnen Rechte jeweils unterschiedliche Aspekte hervorheben. Die Versammlungsfreiheit steht für plurality and action, wodurch Baker die Einbeziehung nichtkommunikativen Verhaltens in das 1. Amendment bestätigt sieht. Sie dient der gemeinschaftlichen Verwirklichung persönlicher Werte, etwa in Form von celebrations, entertainment, work, generafing and exercising power 89, nicht aber der Verfolgung rein kommerziell werbender Zwecke 90 • Für individuelle Selbsterfüllung als alleinigen Wert des 1. Amendment spricht sich auch Martin Redish aus, der das politische Demokratiemodell als nur partielle Ausprägung eines umfassenden demokratischen Rechts der Entscheidung über die eigene Lebensgestaltung und der Ausbildung der individuellen Fähigkeiten ansieht 91 . Anklänge finden sich ferner bei Emerson 92 und Tribe93. Neben Divergenzen bei der Schutzbereichsbestimmung 94 beschränken sich diese Autoren auch ausdrücklich auf die Meinungsfreiheit, durch die sie nur kommunikatives Verhaltenerfaßt ansehen95 • 86 87

In 25 U.C.L.A.L.Rev., 991 f., 1000.

In 25 U.C.L.A.L.Rev., 994 ff.

ss In 25 U.C.L.A.L.Rev., 1009 ff., 1026; 78 Nw.U.L.Rev., 945 f. 89 In 78 Nw.U.L.Rev., 948, 1026 und 25 U.C.L.A.L.Rev., 1030. 90 Gegen "commercial parades" als Ausübung der Versammlungsfreiheit 78 Nw.U. L.Rev., 1001, Fn. 151; ebense für "commercial speech" 62 Iowa L.Rev., 3 und 25 U.C.L.A.L.Rev., 991. 91 130 U.Pa.L.Rev., 601 ff. (1982). 92 System, 6 und 72 Ya1e L.J., 879 ff. (1963), als einem unter mehreren ,,First Amendment values". 93 Tribe, 578, "personal growth and self-realization". 94 So schließt Redish auch "commercial speech" ein, 130 U.Pa.L.Rev., 632; zu weiteren Differenzen vgl. einerseits Baker, Realizing Se1f-realization: Corporate Politica1 Expenditures and Redish's "The Value of Free Speech", 130 U.Pa.L.Rev., 646 (1982), andererseits Redish, Self Realization, Democracy, and Freedom of Expression: A Reply to Professor Baker, 130 U.Pa.L.Rev., 678 (1982). 3 Ehrentraut

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Teil A: Die Versammlungsfreiheit im amerikanischen Recht

Auch der Supreme Court hat das Interesse an individual self expression als Anliegen des I. Amendment anerkannt 96, dieses aber Meinungsäußerungen im Rahmen des self-government nachgeordnet 97 • Die Theorie des individual self-fulfillment ist im Rahmen von Bestrebungen in der amerikanischen Grundrechtsdogmatik zu sehen, die im Wortlaut der Verfassung verankerte unterschiedliche Schutzintensität zwischen den Rechten des 1. Amendment und anderen Verfassungsgarantien, etwa dem 4. Amendment, insbesondere aber der liberty-Klausel des 5. und 14. Amendment, zu überspielen, zumindest aber zu verringern. Eingeleitet wurde diese Entwicklung vom Supreme Court Ende des 19. Jahrhunderts auf dem Gebiet des Wirtschaftsrechts durch eine extensive Interpretation der due-pocess-Klausel des 14. Amendment im Sinne eines substantial due process 98• In neuerer Zeit zielen die Bemühungen auf einen verstärkten, über due process hinausgehenden Schutz von privacy und individuality, die vom Supreme Court zwar zu dem Schutz von Teilaspekten der Persönlichkeits- und Privatsphäre im 1. Amendment 99 sowie im 3., 4. und 5. Amendment in Beziehung gesetzt werden, als Rechtsgüter jedoch in der libertyKlausel des 14. Amendments verankert werden 100• Die Ansätze von Redish, insbesondere aber von Baker sind nunmehr der Versuch, individuelle Selbstentfaltung und Persönlichkeitsverwirklichung als Grundrecht aus dem 1. Amendment zu begründen, dessen Ausrichtung nicht nur auf den politischen Prozeß, sondern auch auf Kommunikation zu überwinden und damit die Abstufung der Schranken gegenüber staatlichen Eingriffen innerhalb der Bill of Rights, die der Supreme Court für die Rechte des 1. Amendment durch die preferred-position-Doktrin 101 zum Ausdruck gebracht hat, einzuebnen. Eine inhaltsbestimmende, insbesondere auf den politischen Prozeß bezogene Funktionalisierung des 1. Amendment wird abgelehnt, Freiheit und Autonomie schlechthin werden zum Wert erklärt.

Deutlich Redish, 130 U.Pa.L.Rev., 623, 629 sowie 684. Grundlegend Justice Brandeis in Whitney v. Califomia, 274 US 357 (375)c.o. (1927); ferner First National Bank v. Bellotti, 435 US 765 (777) (1977); Consolidated Edison Co. v. Public Service Comm., 447 US 530 (536) (1980); Cohen v. Califomia, 403 US 15 (24) (1971); Justice Brennan in Herbert v. Lando, 441 US 153 (183)d.o. (1979). 97 s.o. A.III.2.a. 98 Grundlegend Lochner v. New York, 198 US 45 (1965); zusammenfassend Tribe, 434ff; NowakiRotundaiYoung, 425 ff. jew.m.w.Nw. 99 Griswo1d v. Connecticut, 381 US 479 (483) (1965). 1oo Etwa Griswold v. Connecticut, 381 US 479 (1965); Roe v. Wade, 410 US 113 (1973); Darstellung von Fallgruppen mit unterschiedlicher Schutzintensität bei Brugger, AöR 108, 38 ff.; ferner Tribe, 887 ff. und Nowak I Rotunda I Young, 734 ff. 101 Jones v. Ope1ika, 316 US 548 (608); Murdoch v. Pennsy1vania, 319 US 105 (115) (1943); Thomas v. Collins, 323 US 516 (529) (1945); Marsh v. A1abama, 326 US 501 (509) (1946); zur Diskussion Cahn, 65 Ya1eL.J.,471 f. (1956); McKay, 34N.Y.U.L.Rev., 1188 f. (1959). 95

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IV. Formen von Versammlungen

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IV. Formen von Versammlungen 1. Versammlungen unter freiem Himmel Unter den möglichen Formen der Ausübung der Versammlungsfreiheit ist die Diskussionsversammlung unter freiem Himmel als Zusammenkunft zum Gedankenaustausch sicherlich der herausragende Typus. Sie ist offen für Teilnehmer und Zuhörer und entspricht als Forum von Rede, Meinungsempfang und Gegemede in ihrer Struktur in vollem Umfang der Theorie des free marketplace of ideas. Die hohe Bedeutung von Versammlungen unter freiem Himmel wird in einer Stellungnahme des Bill of Rights Committee der American Bar Association aus dem Jahre 1937 verdeutlicht, wo diese als "part of the tradition of American life" bezeichnet werden, da sie sowohl früher - wie die öffentliche Diskussion der Senatorenkandidaten Lincoln und Douglas im Jahre 1858 zeige- als auch in neuerer Zeit trotz des Radios eine der Hauptmedien in der öffentlichen Diskussion bei der Bildung der öffentlichen Meinung seien 102. Diese Einschätzung spiegelt sich jedoch nicht in der Rechtsprechung der Staaten-Gerichte um die Jahrhundertwende wider. Im Vordergrund dieser Urteile stand vielmehr das physisch-räumliche Element- die Versammlung als stehendes Hindernis-, was häufig Anknüpfungspunkt von Auflösungen von Versammlungen und Sanktionen gegen ihre Teilnehmer auf Grundlage von von obstruction-Gesetzen/Verordnungen war. Die Anwendung dieser Normen erfolgte vielfach in diskriminierender Weise gegen Veranstaltungen von MinderheitenOrganisationen wie etwa die Salvation Army, die Zeugen Jehovas, sozialistische Parteien oder Gewerkschaften. Wie Abernathy berichtet, lassen sich bis in die 30er Jahre kaum Urteile auffinden, die Verurteilungen von Anhängern vorherrschender Auffassungen oder Veranstaltern populärer Organisationen betreffen 103 • Genehmigungsvorbehalte für öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel wurden als zulässig angesehen; zu deren Rechtfertigung beriefen sich die Gerichte auf die Befugnis der Kommunen, den Gebrauch ihres Eigentums beliebig zu regeln 104, oder auf die störende Wirkung von Versammlungen für den Verkehr105. Für ungültig erklärt wurden derartige Normen verschiedentlich, wenn in ihnen keine Voraussetzungen für die Gewährung oder Verweigerung von Genehmigungen niedergelegt waren 106• Anstau sie zu verwerfen, konnten die Gerichte sie aber auch aufrecht erhalten und lediglich in ihrer diskriminierenden Anwendung im Einzelfall durch Erteilung der Genehmigung korrigieren, was to2

103

Vgl. 25 Am.B.Ass.J. 7, 71 (1939) und bei Chafee, Free Speech, 414 ff.

In 5 S.Car.L.Q., 398 f. (1952).

104 Commonwealth v. Davis, 39 N.E. 113 (1895); Fitts v. At1anta, 49 S.E. 793 (1905). 10s Peop1e v. Atwell, 133 N.E. 364 (365)(1921); Burkitt v. Beggans, 142 A.182 (1928). 106 Anderson v. Tedford, 10 A.L.R. 1481 (1920); State v. Co1eman, 113 A. 385 (386) (1921).

3•

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Teil A: Die Versammlungsfreiheit im amerikanischen Recht

eine Bestrafung der ohne Genehmigung versammelten Teilnehmer ermöglichte 107• Erst zwei Entscheidungen des U.S. Supreme Court bewirkten eine Änderung in der Beurteilung von Versammlungen unter freiem Himmel. In Hague v. CIO 108 erkannte der Supreme Court ein Recht auf Nutzung öffentlicher Straßen und Plätze für Versammlungen an; in Kunz v. New York 109 wurde eine Verordnung, die einen Genehmigungsvorbehalt für religiöse Versammlungen vorsah, wegen zu unbestimmter Eingriffsermächtigung verworfen, obwohl sie durch die vorinstanzliehen Gerichte eingeengt worden war; der Supreme Court sah es nicht als ausreichend an, daß jedem ersten Antrag auf Genehmigung stattzugeben war und die Genehmigung nur dann widerrufen bzw. weitere Genehmigungen nur dann verweigert werden konnten, wenn bei vorangegangenen Veranstaltungen Unruhen auftraten oder weitere Bestimmungen der Verordnung verletzt worden waren. 2. Paraden und Märsche

Von der Behandlung öffentlicher Versammlungen unter freiem Himmel durch Rechtsprechung und Verwaltung unterschieden sich um die Jahrhundertwende die Paraden. Als solche werden von der Rechtsprechung sich in fester Formation fortbewegende Gruppen angesehen, nicht jedoch eine eher lose verbundene Menschenansammlung, die auf- und abgehend Flugblätter verteilt oder Transparente trägt 110; daß die Menschenmenge sich fortbewegt, steht einer Qualiftkation als Versammlung nicht entgegen 111 • Schon vor der Jahrhundertwende erklärten Staaten-Gerichte Verordnungen, die einen Genehmigungsvorbehalt für Paraden auf öffentlichen Straßen vorsahen, für ungültig 112 • Sie taten dies mit weit ausholender, die traditionelle Bedeutung von Paraden hervorhebender Begründung 11 3, die sich erheblich von den vereinzelten Verwerfungen entsprechender Normen für Versammlungen unter freiem Himmel unterschied, die nicht an den Wirkungen für die Versammlungsteilnehmer anknüpften, sondern sich auf formale Aspekte be101 Duquesne v. Fincke, 112 A. 130 (134) (1920); People v. Atwell, 133 N.E. 364 (365) (1921). 108 307 us 496 (1939). 109 340 us 290 (1950). 110 State v. Cox, 16 A.2d 508 (1940). 111 West v. Commonwealth, 271 S.W. 1079 (1081) (1925); Pineville v. Marshall, 299 S.W. 1072 (1973) (1927); Williams v. Wallace, 240 F.Supp. 100 (105 f.) (1965). 112 In re Fraze, 30 N.W.72 (1886); Anderson v. Wellinton, 19 P. 719 (1888); Chicago v. Trotter, 26 N.E. 359 (1898); Rich v. Naperville, 42 Ill.App. 222 (1891); In re Garrabad, 54 N.W. 1104 (1893); anders aber der Supreme Court von Massachusetts, vgl. etwa Commonwealth v. Plaisted, 19 N.E. 224 (1889); Commonwealth v. Mervis, zitiert in 40 A.L.R. 956; Commonwealth v. Davis, 39 N.E. 113 (1895). 113 In re Fraze, 30 N.W. 72 (75); Anderson v. Wellington, 19 P. 719 (721 f.); Rieb v. Naperville, 42 Ill.App. 222 (224).

IV. Fonnen von Versammlungen

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schränkten. Auch unternahmen hier die Gerichte nicht den Versuch, die Verordnungen durch korrigierende Anwendung im Einzelfall aufrechtzuerhalten. Der Grund für diese unterschiedliche Bewertung in der Öffentlichkeit stattfindender Versammlungen einerseits und Paraden andererseits wird heute weniger in dem unterschiedlichen Wesen beider Veranstaltungsformen gesehen, was es ermöglicht hätte, Paraden als sich fortbewegende Versammlungen eher in Übereinstimmung mit der Transportfunktion von Straßen und Wegen zu sehen als Versammlungen. Vielmehr sollen hinter dieser Differenzierung nach Veranstaltungstypen Diskriminierungen aufgrund des von den Teilnehmern einer Versammlung vertretenen Anliegens gestanden haben 114• Wurden Paraden sowohl von etablierten als auch von unpopulären Vereinigungen durchgeführt, so hielten Versammlungen unter freiem Himmel fast ausschließlich Minderheitenorganisationen ab. Die Anmietung großer Räumlichkeiten war ihnen finanziell nicht möglich oder sie wurde ihnen verwehrt, indem die Behörden in Städten, die auch für Versammlungen in Hallen eine Genehmigung erforderten, diese verweigerten oder in massiver Weise die Eigentümer der Hallen beeinflußten 115• Veranstaltungen unerwünschter Organisationen ließen sich so relativ unproblematisch einem die Möglichkeit zur Diskriminierung eröffnenden Genehmigungsvorbehalt unterwerfen, was bei Paraden nicht möglich war; versuchten hier die Kommunen die Verordnungen auf Paraden unpopulärer Veranstalter zuzuschneiden, so war dies ein offensichtlicher Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz 116• Diese unterschiedliche Beurteilung von Versammlungen und Paraden fand Mitte des 20. Jahrhundertsaufgrund der bereits angeführten Rechtsprechung des Supreme Court ein Ende. In der verfassungsrechtlichen Bewertung öffentlicher Paraden und Märsche ließ der Supreme Court in einigen Entscheidungen zu den Bürgerrechtsmärschen der 60er Jahre erkennen, daß diese nicht unter dem vollen Schutz des 1. Amendment stehen. Anders als "pure form(s) of expression as (a) newspaper comment or a telegram by a citizen" 117 sind Paraden, Märsche und auch Großdemonstrationen auf öffentlichen Straßen und Wegen eine Verknüpfung von speech und conduct, die in einem größeren Maße staatlichen Einschränkungen zugänglich ist: We emphatically reject the notion urged by appellant that the First and Fourteenth Amendment afford the same kind of freedom to those who would communicate 114 Übereinstimmend Note, 47 Yale L.J. 430 (1938); Abernathy, Assembly, 90 f., Fellman, 2lf; Baker, 78 Nw.U.L.Rev., 996 (1983). 115 So etwa bei gewerkschaftlichen Veranstaltungen in Jersey City, die Gegenstand der Entscheidung Hague v .CIO (307 US 496) waren, vgl. Chafee, Free Speech, 410; weitere Beispiele bei Note, 47 Yale L.J., 421 und Jarrett/Mund, 9 N.Y.U.L.Q.Rev., 29 f . (1931). 116 In re Garrabad, 54 N.W. 1104 (1893); Commonwealth v. Mervis, zitiert in 40 A.L.R. 956. 111 Cox v. Louisiana, 379 US 559 (564) (1965).

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Teil A: Die Versammlungsfreiheit im amerikanischen Recht ideas by conduct such as patrolling, marehing and picketing on streets and highways, as these amendments afford to those who communicate ideas by pure speech 11s.

Diese Trennung zwischen kommunikativem Gehalt und nichtkommunikativen begleitenden Umständen einer Meinungsäußerung geht auf die Rechtsprechung zum pickefing zurück und hat in der Dogmatik zum 1. Amendment eine zentrale Rolle eingenommen119. 3. Picketing

a) Labor pickefing Als weitere Form auch gemeinschaftlich ausgeübter Meinungskundgabe ist das pickefing anzuführen. In seiner ursprünglichen Form bezeichnet es den Protest gegen private Interessen anderer 12o, am häufigsten angewandt bei arbeitsrechtlichen Auseinandersetzungen als Maßnahme der Arbeitnehmer oder einer Gewerkschaft. Beim Iabor pickering wird vor einem Gewerbebetrieb durch eine, zumeist aber mehrere Personen, die mit Protestplakaten vor diesem stehen oder auf- und abmarschieren, eine pickef-line gebildet. Durch diese sollen Kunden, insbesondere aber gewerkschaftlich organisierte Arbeitnehmer, Zulieferer oder Abnehmer am Zutritt gehindert werden, um den so wirtschaftlich isolierten Arbeitgeber oder Unternehmer zum Eingehen auf die gewerkschaftlichen Forderungen zu veranlassen. Im common law des 19. und in den Anfängen des 20. Jahrhunderts wurde das Iabor pickering im Zusammenhang mit den häufig als criminal conspiracy angesehenen Tätigkeiten von Gewerkschaften als unzulässig betrachtet. Nach Anerkennung der Gewerkschaften und des Streikrechts fand das picketing Billigung bei rechtmäßigen Streiks 121 . Im Jahre 1925 stellte der Supreme Court erstmals ausdrücklich fest, daß pickering in Ausübung der Rechte des 1. Amendment stattfindet 122• Die Meinungsfreiheit schütze das Recht- so der Supreme Court in dem stark vom Gedanken einesfree markerplace ofideas geprägten Urteil- öffentlich und wahrheitsgemäß nicht nur über alle Angelegenheiten von öffentlichem Interesse (public concern) zu sprechen, sondern über alle Fragen zu diskutieren, die dem einzelnen die Bewältigung der Herausforderungen seiner Zeit ermöglichen. 118 Cox v. Louisiana, 379 US 536 (555) (1965); Shuttlesworth v. Birmingham, 394

us 147 (152) (1969).

119 S. sogleich 3. 120 Adderly v. Florida, 385 US 45 (52) (1966). 121 Zur Entwicklung Schneider, 82 Col.L.Rev., 1476 m.w.N (1982). 122 Thomhill v. Alabama, 310 US 88 (1940); als Dictum in Senn v. Tile Layers Protective Union, 301 US 468 (478) (1937).

IV. Formen von Versammlungen

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Hierzu zähle auch die Information über die Tatsachen eines Arbeitskampfes und die Diskussion über Arbeitsbedingungen für die Arbeitnehmer, da diese unverzichtbare Voraussetzungen für die Entwicklung einer modernen Industriegesellschaft sind 123 • Die Versammlungsfreiheit fand hier und in späteren Urteilen keine Erwähnung 124• Voraussetzung für den Schutz des pickering durch das I. Amendment ist jedoch, daß die Aussagen auf den Plakaten der Wahrheit entsprechen, die picker-line den freien Durchgang zum betroffenen Betrieb oder Unternehmen nicht versperrt und zugangswillige Kunden, Arbeitnehmer oder Geschäftspartner nicht eingeschüchtert, bedroht oder zu einem bestimmten Verhalten gezwungen werden 125 • In späteren Entscheidungen sah der Supreme Court im Labor pickering indes nicht mehr nur eine Information und Aufforderung zu einem bestimmten Verhalten, sondern konzentrierte die Betrachtung auf dessen Wirkungen und rückte auch das von den Gewerkschaften durchzusetzende Ziel in den Vordergrund, an dem die Zulässigkeil des pickering gemessen wurde. In Giboney v. Empire Storage and Iee Co. 126 hielt er ein durch gerichtliche Verfügung erlassenes Verbot des pickering aufrecht, mit dem der betroffene Arbeitgeber zu einer Verpflichtung veranlaßt werden sollte, seine Waren entgegen der bisherigen Praxis nur an gewerkschaftlich organisierte Händler zum Weiterverkauf abzugeben. Mit einer solchen Vereinbarung hätte sich der Unternehmer jedoch wegen Verstoßes gegen ein Gesetz über die Unzulässigkeil wettbewerbsbeschränkender Absprachen strafbar gemacht. Da die Rechte des 1. Amendments nicht zum Bruch bestehender Gesetze ausgeübt werden dürfen, sah der Supreme Court in dem Verbot des pickering auch keine Verletzung der Meinungsfreiheit 127• Aber nicht nur wenn der Adressat des pickering zu einem strafbaren Verhalten veranlaßt werden sollte, wurden Verbote gebilligt, sondern auch, wenn die Ziele des pickering als mit der in den Gesetzen niedergelegten oder offiziell - auch durch die Rechtsprechung - verkündeten Politik im Widerspruch stehend angesehen wurden 128• Der Supreme Court betonte in diesen Urteilen das Recht der Staaten, auf die Wettbewerbs- und Arbeitsbedingungen im Interesse der Allge123 ebd., 102; ferner Carlson v. California, 310 US 106 (112) (1940); Milk Wagon Drivers Union v. Meadowmoor Dairies 312 US 287 (296) (1941); Carpenters & Joiners Union v. Ritter's Cafe, 315 US 722 (725) (1942). 124 Vgl. aber Hall v. Hawaiian Pineapple Co., 72 F. Supp. 533 (536); Northwestern Pacific Railroad Co. v. Lumbers and Sawmill Workers Union, 189 P.2d 277 (278) (1948); Roth v. Local Union Nr. 1460, 24 N.E.2d 280 (282) (1939). 12s I.b. Carlson v. California, 310 US 106 (110) (1940); Bakery & Pastry IJn\'ers v. Wohl, 315 US 769 (773) (1942). 126 336 us 490 (1949). 121 ebd., 498, 502. 128 Hughes v. Superior Court, 339 US 460 (1950); International Brotherhood of Teamsters v. Hanke, 339 US 532 (1950); Building Service Employers Union v. Gazzam, 339 US 532 (1950); Local Union No. 10 v. Graham, 345 US 192 (1953); International Brotherhood of Teamsters v. Vogt, 354 US 284 (1957).

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meinheit Einfluß zu nehmen 129, mit der Folge, daß die Gewerkschaften zur Einhaltung dieser Entscheidungen verpflichtet sind. Für das Verständnis dieser Urteile ebenso wichtig ist, daß der Supreme Court dem pickefing nur einen verminderten Schutz aus dem 1. Amendment zuerkannte. Beim picketing handele es sich nicht um pure speech, die am ungeteilten Schutz des 1. Amendment teilhabe, sondern um more than free speech 130, um speech plus 131 • Das zusätzliche nicht-kommunikative Element sah das Gericht in dem die Meinungsäußerung begleitenden Verhalten, dem Auf- und Abmarschieren vor dem Gewerbebetrieb 132, und in dem Einsatz wirtschaftlicher Macht sowie in den Auswirkungen des pickering; das pickefing beinhalte ein Moment des Zwanges, 133 da es in Verbindung mit einem Boykottaufruf-anders als das gesprochene Wort- nicht nur an den Verstand appelliert 134 , sondern unmittelbare Handlungen hervorruft 135 • Der Supreme Court hielt auch in neueren Entscheidungen an diesen Grundsätzen fest und billigte Verbote des pickering als einer weniger intensiv geschützten Form der Meinungsäußerung, wenn dieses mit der Politik oder den Gesetzen im Widerspruch steht 136• Ausdrücklich geregelt sind heute zulässige und unzulässige Ziele des Iabor picketing durch den National Labor Relations Act (29 U.S.C.A. §§ 151-169). Hier ist insbesondere auf das Verbot des secondary picketing in§ 158(b) (4) (II) (B) hinzuweisen. Dessen Verfassungsmäßigkeit bestätigte der Supreme Court, legte das Gesetz aber auch wegen Bedenken aus dem 1. Amendment zunächst einschränkend dahin aus, daß von ihm nicht die Fälle erfaßt werden, in denen das pickefing vor einem nicht in einen Arbeitskampf verwickelten Warenhaus Kunden davon abhalten soll, Produkte zu kaufen, die von einem mit den picketers 129 Deutlich Giboney v. Empire Storage and Ice Company, 336 US 490 (494 f.); Carpenters and Joiners Union v. Ritter's Cafe, 315 US 722 (724) (1942). 130 Grundlegend Justice Douglas in Bakery & Pastry Drivers v. Wohl, 315 US 769 (776)c.o. (1942); ferner Giboney v. Empire Storage and Iee Company, ebd., 501; Hughes v. Superior Court, 339 US 460 (464); International Brotherhood ofTeamsters v. Hanke, 339 us 532 (474). 131 Justice Douglas in Amalgated Food Employes Union v. Logan Valley Plaza lnc., 391 US 308 (326)c.o. (1968). 132 Justice Douglas, Bakery & Pastry Drivers v. Wohl, 315 US 769 (776) bzw. Amalgated Food Employes Union v. Logan Valley Plaza lnc., 391 US 308 (326); Building Service Employers Union v. Gazzam, 339 US 532 (537) (1950). 133 Justice Douglas in Bakery & Pastry Drivers v. Wohl, 315 US 769 (776); Giboney v. Empire Storage and Iee Company, 336 US 490 (503); Building Service Employers v. Gazzam, 339 US 532 (537); International Brotherhood of Teamsters v. Vogt, 354 us 284 (289). 134 Giboney v. Empire Storage and Iee Company, 336 US 490 (503). 135 Hughes v. Superior Court, 339 US 460 (463); Justice Stevens in N.L.R.B. v. Retail Store Employes Union, 447 US 607 (619)c.o. (1980). 136 Etwa American Radio Association v. MobileSteamship Association, 419 US 215 (228ff) (1974); Babitt v. Farm Workers Union, 442 US 289 (310) (1979); N.L.R.B. v. Retail Store Employees Union, 447 US 607 (616) (1980).

IV. Formen von Versammlungen

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im Arbeitskampf befindlichen Unternehmer produziert oder weiterverarbeitet wurden 137• Später schränkte das Gericht dies wieder ein, und das pickering soll dann unzulässig sein, wenn hierdurch der unbeteiligte Dritte von erheblichen wirtschaftlichen Verlusten oder dem Ruin bedroht wird 138• b) Public issue picketing

Den Begriff des pickering hat der Supreme Court auch bei Demonstrationen zu öffentlichen Angelegenheiten, etwa gegen die Politik der Rassentrennung oder in neuerer Zeit gegen die Mittelamerika-Politik der amerikanischen Regierung, verwandt 139• Diese verschiedentlich als public issue pickering 140 dem Iabor pikketing gegenübergestellte Protestform ist nicht nur bei Kundgaben vor öffentlichen Gebäuden (Parlament, Gericht), sondern auch vor dem privaten Wohnsitz eines Amtsträgers gegeben, wenn sie eine öffentliche Angelegenheit betreffen 141 • Andererseits spricht der Supreme Court aber auch generell vom picketing und beruft sich in seiner Rechtsprechung ohne Differenzierung sowohl auf Urteile zum Iabor pickering als auch zum public-issue pickering 142, wie auch in einigen Rechtsnormen 143 das pickering neben Paraden, Versammlungen oder Demonstrationen als Formen kollektiver Meinungskundgabe gestellt wird. Beim public issue pickering handelt es sich um gleichgerichtete Meinungskundgaben, die sich wie das Iabor pickering-aber im Unterschied zu Paraden- an einen bestimmten Adressatenkreis wenden und gezielt an einem Ort stattfinden, der mit dem verfolgten Anliegen in engem Zusammenhang steht. Die bei der Darstellung von Paraden angeführte und im Iabor pickering wurzelnde Rechtsprechung zur Unterscheidung zwischen speech und conduct findet auch hier Anwendung. In der rechtlichen Beurteilung von Iabor pickering und public issue pickering zueinander hat der Supreme Court ausdrücklich eine Privilegierung des ersteren abgelehnt, als er Verordnungen, die dieses vom Verbot von Demonstrationen NLRB v. Fruit & Vegetable Packers Union, 377 US 58 (63) (1963). NLRB v. Retai1 Store Emp1oyees Union, 447 US 607 (614) (1980). In der zuvor angeführten Entscheidung hatte der Supreme Court Erwägungen dieser Art für die Beurteilung der Zulässigkeit des "picketing" zurückgewiesen, ebd., 72. 139 Edwards v. South Carolina, 372 US 229 (1963); Cox v. Louisiana, 379 US 559 (1965); Police Department of Chicago v. Mos1ey, 408 US 92 (1972); Grayned v. Rockford, 408 US 104 (1972); United States v. Grace, 461 US 171 (1983). 140 Ka1ven, 1965 Sup.Ct.Rev., 3, n. 15; Jayson I Killian I Beckey I Durbrin, 1024; Carey v. Brown, 447 US 455 (466) (1980). 141 Carey v. Brown, 447 US 455 (1980). 142 United States v. Grace, 461 US 171 (176) (1983); Carey v. Brown, 447 US 455 (470); Amalgated Food Emp1oyees Union v. Logan Valley Plaza, 391 US 308 (315) (1968). 143 Vgl. Cox v. Louisiana, 379 US 559 (560); City Code of Ann Arbor, § 10, 152 sowie die identischen Verordnungen in Chicago und Rockford, zitiert in Police Department of Chicago, 408 US 92 (1972); Grayned v. Rockford, 408 US 104 (107) (1972). 137 138

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Teil A: Die Versammlungsfreiheit im amerikanischen Recht

und picketing vor Schulen und in Wohngebieten vor Häusern (auch residential picketing) ausnahmen, wegen Verletzung des 1. Amendment und der equalprotection-K1ause1 des 14. Amendment aufhob 144 • Weitergehenden Einschränkungsmöglichkeiten unterliegt das Iabor picketing durch die Rechtsprechung des Supreme Court, die Verbote schon bei Unvereinbarkeit der Ziele des pickering mit der staatlichen Politik billigt. Dieser Maßstab 145 kann auf das public issue picketing nicht übertragen werden, denn er würde dem Ende einer freiheitlichen und staatskritischen Ausübung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit gleichkommen. Ferner ergeben sich Unterschiede in der Schutzintensität zwischen Iabor pickefing und pub/ic issue picketing aufgrundder Unterscheidung zwischen wirtschaftlichen und politischen Aktivitäten bei der Ausübung der Rechte des 1. Amendment in der Rechtsprechung des Supreme Court 146• Daher ist es nicht unbedenklich, wenn der Supreme Court ohne Differenzierung zwischen Iabor pickering und public issue pickering nur grundsätzlich vom pickering spricht und für dieses festgestellt hat, daß ein Verbot möglich ist, wenn seine Ziele mit den Gesetzen nicht vereinbar sind 147 • 4. Die sil-ins in privaten Gebäuden

In einer Reihe von Entscheidungen Anfang der 60er Jahre beschäftigte sich der Supreme Court mit der Zulässigkeit von sit-ins und stand-ins in Gebäuden oder Räumen, die in privatem Eigentum standen, frei zugänglich waren, zu denen Farbigen aber der Zutritt verwehrt war 148• Durchgeführt wurden diese Veranstaltungen ursprünglich nicht in einer Form, die eine Störung oder Aufhebung der Funktion der betreffenden Einrichtung bewirkte. Das Verhalten der Teilnehmer glich vielmehr vollständig dem der zugelassenen Weißen und hielt sich im Rahmen der Zweckbestimmung; in nur Weißen vorbehaltenen Cafeterias nicht der Rassentrennung unterliegender Warenhäuser, wo sit-ins häufig durchgeführt wurden, setzten sie sich an den Tischen nieder und äußerten sich über ihre Bestellung hinaus nicht. Nach der Aufforderung zum Verlassen blieben sie ruhig sitzen und wurden von der Polizei nach ebenfalls vergeblicher Aufforderung 144 Carey v. Brown, 447 US 455; Grayned v. Rockford, 408 US 106; Police Department of Chicago v. Mosley, 408 US 92; zuvor schon Carpenters & Joiners Union v. Ritter's Cafe, 315 US 722 (726) (1942). 145 Kritisch zu ihm Emerson, System 446; Cox, 94 Harv.L.Rev., 36 (1980); auch Justice Black in NLRB v. Fruit Vegetable Packers, 377 US 58 (78 ff.)c.o. (1963). 146 NAACP v. Claiborne Hardware Co., 458 US 886 (912 f.) (1982) sowie oben A.Ill.2.a. am Ende. Vgl. auch Justice Black in Adderly v. Florida, 385 US 39 (52)d.o., "I do not see how ru1es governing picketing are relevant to this express constitutional right to assembly and petition for redress of grievances". 147 Carey v. Brown, 447 US 455 (470) (1980). 148 Eine Übersicht über Urteile des Supreme Courts in Bell v. Maryland, 378 US 226 (1964); aus der Literatur Pollitt, 1960 Duke L.J. 315 ff.; Carl, 46 Corn.L.Q., 444 (1961); Kalven, The Negro and the First Amendment, 163 ff.

IV. Formen von Versammlungen

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zum Verlassen der Räume ohne Widerstand festgenommen. In den nachfolgenden Gerichtsverfahren wurden die Teilnehmer an den sit-ins und stand-ins entweder wegen trespass, also unbefugten Betretens von oder Verweilens auf fremdem Eigentum, oder wegen breach of peace verurteilt. Diese Urteile wurden fast durchgängig vom Supreme Court aufgehoben. Verurteilungen wegen Störung des öffentlichen Friedens scheiterten an der due-process-Klausel des 14. Amendment. Die Urteile waren ohne ausreichenden Nachweis strafbaren Handeins ergangen, da das vollkommen ruhige Verhalten der Angeklagten weder den Tatmodalitäten entsprach, die in den staatlichen Gesetzen als Voraussetzung eines breach ofpeace angeführt waren, noch mangels feindlicher Reaktionen der anwesenden Weißen eine unmittelbare Störung des öffentlichen Friedens bevorstand 149• Demgegenüber verstießen die trespass- Verurteilungen gegen das Diskriminierungsverbot des 14. Amendment, das den Staaten eine Ungleichbehandlung der Bürger untersagt. Zwar war das Zutrittsverbot für Farbige von den privaten Eigentümern ausgesprochen worden; da jedoch die Rassentrennung durch kommunale Verordnungen, staatliche Gesetze und Verlautbarungen von Trägern öffentlicher Ämter auch für Restaurants und ähnliche Einrichtungen gefordert und befürwortet worden war, schlug dieses staatliche Handeln auf die Verbote der Eigentümer durch. Als vom Staat gefordertes Handeln stellten die Zutrittsverbote state action im Sinne von Absatz 1, Satz 2 des 14. Amendment dar und verletzten das dort niederlegte Diskriminierungsverbot 150• Die sit-ins und stand-ins waren neben den Bürgerrechtsmärschen, dem Boykott von Warenhäusern und auch Formen zivilen Ungehorsams wichtige Maßnahmen bei der Bekämpfung und Abschaffung der Politik der Rassentrennung in den Südstaaten 151 • Sie führten mit zu dem Civi/ Rights Act von 1964 (42 U.S.C.A., §§ 2000a ff), durch den u.a. auch ein Diskriminierungsverbot bei Zutritt und Benutzung von Restaurants, Hotels und ähnlichen privaten Einrichtungen festgeschrieben wurde ts2. Obwohl sich die Teilnehmer der sit-ins weder äußerten noch Transparente o.ä. bei sich trugen, war der Charakter dieser Veranstaltungen als symbolischer Protest gegen die Rassentrennung offensichtlich. Dennoch spielten Meinungs- und Versammlungsfreiheit in der Argumentation der Beschwerdeführer 153 und den Entt49 Garner v. Louisiana, 368 US 157 (163 f., 169 ff.) (1961). Zur Frage, ob allein feindliche Außenreaktionen Grundlage für die Verurteilung friedlicher Demonstranten seien können, s.unten A.VI.4. . t5o Robinson v. Florida, 378 US 153 (156 ff.) (1964); Lombard v. Louisiana, 373 US 267 (273 f.) (1963); Peterson v. Greenville, 373 US 244 (247 f.) (1963); zur Problematik der Bestimmung von "state action", s. unten A.V.2.a. t5t Eingehend Pollitt, 1960 Duke L.J., 315 ff.; Kalven, The Negro and the First Amendment, 123 ff. ts2 Vgl. § 2000a(a) (b); zur Anwendung Hamm v. Rock Hill, 379 US 384 (1964).

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scheidungen nur eine geringe Rolle. Dies, weil das tatsächliche Interesse der Demonstranten primär auf Zutritt zu den Gebäuden zur bestimmungsgemäßen Nutzung gerichtet war und nicht auf Demonstrationen, sodaß der rechtliche Schwerpunkt auf dem 14. Amendment liegen mußte; die Erörterung des 1. Amendment hätte auch die Entscheidungen wegen der Problematik, ob der private Eigentümer nicht nur den Bindungen aus dem Gleichheitssatz, sondern darüber hinaus auch der Meinungs- und Versammlungsfreiheit unterliegt, unnötig kompliziert 154• Nur in zwei Supreme Court Entscheidungen finden sich Ausführungen zu den Kommunikationsgrundrechten. In Garner v. Louisiana betrachtete Justice Harlan in seinem Votum die sit-ins und stand-ins "as much apart of the ,free trade in ideas' (... ) as ... verbal expression, more commonly thought of as ,speech'", betonte aber zugleich, daß das 1. Amendment keine Demonstrationen schützte, die auf privatem Eigentum gegen den Willen des Eigentümers durchgeführt werden 155 • Ähnlich wiesen die Justices Black, White und Harlan in Bell v. Maryland die Berufung auf das 1. Amendment zurück, da aus diesem nicht das Recht folge, fremdes Eigentum gegen den Willen des Berechtigten zum Forum öffentlichen Protests zu machen 156•

V. Foren der Versammlungsfreiheit 1. Im öffentlichen Eigentum stehende Gebäude

Von zentraler Bedeutung für die Ausübung der Versammlungsfreiheit ist Raum, der ein Zusammenkommen einer Personenmenge ermöglicht. Der Ausgleich zwischen den Kommunikationsgrundrechten und den Zwecken, die ein gewünschter Ort primär zu erfüllen bestimmt ist, hat den Supreme Court schon bald nach dem Beginn der eingehenden Auseinandersetzung mit dem l . Amendment beschäftigt 157• Die Entscheidungen lassen unterscliiedliche Ansätze bei der Beurteilung der Zulässigkeit von Kommunikation auf öffentlichem Eigentum erkennen; Urteile, in denen abstrakte Kategorien öffentlichen Kommunikationsraumes mit abgestufter verfassungsrechtlicher Schutz- und verfassungsgerichtlicher Überprüfungsintensität gebildet werden, stehen Entscheidungen gegenüber, in denen stärker nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalles entschieden wird 158 • Erst in den letzten Jahren bemühte sich das Gericht um eine Systematisie153 Soweit ersichtlich nur in Gamer v. Louisiana, 368 US 157 (162); Peterson v. Greenville, 373 US 244 (247) und Bell v. Maryland, 176 A.2d 771 (772) (1962). 154 Ausführungen zum 1. Amendment indes bei einem "stand-in" in einer kommunalen Bibliothek in Brown v. Louisiana, 383 US 131 (1966); s.u. A.V.l.b. 155 In 368 US 157 (201)c.o. (1961). 156 In 378 US 226 (325, 345 f.)d.o. (1964). 157 Hague v. CIO, 307 US 496 (1939); Schneider v. State, 308 US 147 (1939). 158 Zusammenfassend Stone, 1974 Sup.Ct.Rev., 239 ff.; Gaal, 35 Stanf.L.Rev., 121 (1982).

V. Foren der Versammlungsfreiheit

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rung, die zugunsten des ersteren Ansatzes erfolgte 159, wodurch die Widersprüche in der Rechtsprechung aber nicht aufgehoben worden sind.

a) Public fora Im öffentlichen Eigenturn stehender Grund und Boden sowie Räumlichkeiten, die für Kommunikationszwecke grundsätzlich offenstehen, werden in der Rechtsprechung 160 und Literatur 161 in Anschluß an Harry Kalven 162 überwiegend als public forum bezeichnet. Für diese Charakterisierung kann nach der Rechtsprechung des Suprerne Court entweder die traditionelle Nutzung als Kommunikationsforum oder eine diesbezügliche staatliche Bestimmung maßgebend sein. aa) Traditional public fora a.)

Straßen, Bürgersteige, Parks

Meistbeanspruchtes Forum zur Ausübung des Versammlungsrechts unter freiem Himmel sind öffentliche Straßen, Bürgersteige und Parks. Ihre Nutzung zu Kommunikationszwecken war in den Vereinigten Staaten bis in die 30er Jahre dieses Jahrhunderts der Möglichkeit willkürlicher staatlicher Beschränkungen ausgesetzt. Der Grund war eine von Justice Oliver Wendeil Holmes in der Entscheidung Commonwealth v. Davis 163 vertretene Ansicht zu den Regelungsbefugnissen des Staates oder der Kommunen als Eigentümer von Straßen und Parks. In diesem 1895 ergangenen Urteil hatte der Suprerne Court von Massachusetts eine kommunale Verordnung, die einen Genehmigungsvorbehalt u.a. für öffentliche Reden auf öffentlichem Grund vorsah, mit der Begründung aufrechterhalten, daß dem Staat oder den Kommunen dieselben Befugnisse aus dem Eigenturn zustehen wie dem privaten Eigentümer eines Hauses: For the legislature absolutely or conditionally to forbid public speaking in a highway is no more an infringement of the rights of the members of the public than for the owner of a private house to forbid it in his house 164• Da es der Legislative des Staates freisteht, so das Urteil weiter, das Recht der Öffentlichkeit zur Benutzung öffentlicher Plätze gänzlich aufzuheben, kann diese die Zweckbestimmung auch einschränken und Einzelheiten der Nutzung der 159 Perry Educational Asso.v. Perry Local Educators Asso., 460 US 37 (44 f.) (1983); United States v. Grace, 461 US 171 (177 f.) (1983). 160 Vgl. die Nachweise bei Farber /Nowak, 70 Va.L.Rev., 1221, Fn.18 (1984). 161 Tribe, 688f; Cahill, 28 Stanf.L.Rev., 117 (1975); Stone, 1974 Sup.Ct. Rev., 223; Goldberger, 32 Buff.L.Rev., 175 (1983). 162 1965 Sup.Ct.Rev.,l. 163 39 N.E. 113 (1895). 164 ebd., 113.

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Teil A: Die Versammlungsfreiheit im amerikanischen Recht

Kommune überlassen. Die fragliche Verordnung war nach Ansicht des Gerichts auch nicht gegen freies Reden oder Predigen in der Öffentlichkeit gerichtet, sondern ihr Zweck war die Benutzungsregelung des öffentlichen Grundes der Stadt 165 • Der auf dieses Urteil hin angerufene Supreme Court der Vereinigten Staaten verneinte eine Verletzung des 14. Amendment der Bundesverfassung, da dieses nicht das Recht gewährt, öffentliches Eigentum unter Verletzung der Verfassung und Gesetze der Staaten zu benutzen 166• Den Einwand, daß die Verordnung aufgrund der fehlenden Voraussetzungen zur Erteilung der Genehmigung zu unbestimmt sei, wies der Supreme Court mit der Bestätigung des a maiore ad minus-Argument von Holmes ab: The right to absolutely exclude all right to use necessarily includes the authority to detennine under what circumstances such use may be availed of, as the greater power contains the lesser 167. Diese Rechtsprechung änderte sich erst im Jahre 1939 durch ein grundlegendes Urteil des Supreme Court zur Nutzung öffentlicher Straßen und Parks für kommunikative Zwecke. In dem der Entscheidung Hague v. Cl0 168 zugrundeliegenden Sachverhalt wandte sich der Bürgermeister von Jersey City gegen eine Verfügung eines Bundesgerichtes 169, die dem Bürgermeister die diskriminierende Anwendung einer Verordnung untersagte, die für Paraden sowie öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel und in geschlossenen Räumen eine Genehmigung vorsah. Justice Roberts 170 stellte fest: Wherever the title of streets and parks may rest, they have immemorially been held in trust for the use of the public and, time out of mind, have been used for purposes of assembly, communicating thoughts between citizens, and discussing public questions. Such use of the streets and public places has from ancient times, been a part of the privileges, immunities, rights, and liberties of citizens 171 • -

Für andere Formen der Meinungskundgabe- das Verteilen von Flugblättern verfestigte der Supreme Court mehrheitlich diese Rechtsprechung: But, as we have said, the streets are natural and proper places for the dissemination of ideas, infonnation and opinion and one is not to have the exercise of this liberty of expression abridged on the plea that it may be exercised in some other place 172•

ebd., 113. Davis v. Commonwealth, 167 US 43 (47) (1897). 167 ebd., 48. 168 307 us 496. 169 25 F.Supp. 127 (1938). 110 Seinem Votum schlossen sich Justice Black und Chief Justice Hughes an, 307 us 496 (532). m ebd.,515f. 112 Schneider v. State, 308 US 147 (161) (1939); ferner CantweH v. Connecticut, 310 US 296 (308) (1940) und Cox v. New Hampshire, 312 US 569 (574) (1941); Jamison v. Texas, 318 US 413 (416) (1943). 165

166

V. Foren der Versammlungsfreiheit

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In Urteilen zu Bürgerrechtsdemonstrationen in den 60er Jahren schien der Supreme Court indes die Grundsätze aus Hague v. CIO und den nachfolgenden Entscheidungen in Frage zu stellen. In Cox v. Louisiana 173 ließ er bei der Beurteilung einer obstruction ordinance, deren Anwendung zur Unzulässigkeil aller Versammlungen und Paraden geführt hätte, die Verfassungsmäßigkeit eines generellen Verbots von Versammlungen und Paraden auf öffentlichen Straßen offen und hob die Verurteilung der Versammlungsteilnehmer allein wegen der diskriminierenden Anwendung der Nonn im Einzelfall auf 174 • Weiter ging Justice Black in seinem Votum, der noch in Hague v. CIO und Jamison v. Texas den Wandel der Rechtsprechung eingeleitet und verfestigt hatte. Zwar erkannte er an, daß das 1. und 14. Amendment dort keine Beschränkungen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit zulassen, wo ein Recht besteht, sich zu diesen Zwecken aufzuhalten; gerade dies verneinte er aber für Paraden und pickefing auf öffentlichen Straßen 175 • So gelangte er zu dem Schluß: I have no doubt about the general power of Louisiana to bar all picketing on its streets and highways 176. Ebenfalls Justice Black war es, der in Adderly v. Florida für den Supreme Court bei der Bestätigung einer Verurteilung von Demonstranten auf dem Gelände eines Gefängnisses wegen trespass ausführte: The State, no less than a private owner of property, has power to preserve the property under its control for the use to which it is lawfully dedicated. For this reason there is no merit to the petitioners' argument that they had a constitutional right to stay on the property, over the jail custodian' s objections, because this ,area chosen for the peaceful civil rights demonstration was not only reasonable but also particularily appropriate... ' Such an argument has as its major unarticulated premise the assumption that people who want to propagandize protests or views have a constitutional right to do so whenever and ·however and wherever they please. That concept of constitutional law was vigorously and fortrightly rejected in two of the cases petitioners rely on, Cox v. Louisiana, supra, 379 US at 554-555 and 563564... We reject it again m. Diese Voten und Urteile sind jedoch keine Rückkehr zu den Grundsätzen der Davis-Entscheidung für Straßen, Bürgersteige und Parks. Der Supreme Court und wohl auch Justice Black betrachteten die Demonstration in Cox v. Louisiana als eine Fonn von "communication by conduct", der nur ein schwächerer verfassungsrechtlicher Schutz zukommt 178, für die aber - wie das Gericht später klarstellte- ebenso die Ausführungen aus Hague v. CIO gelten: 379 us 536 (1965). ebd., 555 f. 11s 379 US 559 (578)c.o. I d.o. 176 ebd., 581. 177 385 us 39 (47) (1966). t78 Cox v. Louisiana, 379 US 536 (555) und 379 US 559 (563 f. bzw. 578) siehe auch oben A.IV.2. I 3. 173

174

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Teil A: Die Versammlungsfreiheit im amerikanischen Recht The essence of those opinions is that streets, side walks, parks, and other similiar public places are so historically associated with the exercise of First Amendment rights that access to them for the purpose of exercising such rights cannot constitutionally be denied btoadly or absolutely. The fact that Lovell, Schneiderand Jamison were concerned with handbilling rather than picketing is immaterial so far as the question is solely one of the right of access for the purpose of expression of views. 179

Die Entscheidung Adderly v. Florida hingegen betrifft - wie auch spätere Entscheidungen, die Adderly v. Florida zustimmend zitieren 180 - mit dem Gelände eines Gefängnisses einen nicht traditionell zugänglichen Raum, für den als nonpublic forum andere Maßstäbe gelten. Für Straßen, Bürgersteige und Parks gilt, daß der Kongress ihren Status als traditional public forum nicht aufheben kann 181 • Alle Meinungen haben Zugang zu diesen Foren, Beschränkungen des Orts, der Zeit und sonstiger äußerer Umstände der Meinungsäußerung müssen in ihren Voraussetzungen eng bestimmt sein, einem bedeutsamen staatlichen Interesse dienen und alternative Kommunikationsmöglichkeiten offenlassen 182•

ß) Der Schutz besonderer Örtlichkeiten aa) Das Capitol

Zum Schutz des Capitol in Washington D.C. ist in§ 193g, U.S.C.A., Title 40 sowie in § 9-113 des District of Columbia Code folgende gleichlautende 183 Regelung getroffen: It is forbidden to parade, stand, or move in processions or assemblages in said United States Capitol Grounds, or to display therein any flag, banner, or device designed or adapted to bring into public notice any party. organization, or movement, except as here after provided . . . Das Verbot erstreckt sich jeweils über 3 Blöcke südlich, westlich und östlich sowie 6 Blöcke nördlich des Capitol (§ 193a, 40 U.S.C.A.), was ungefähr einer jeweiligen Entfernung von 500 m entspricht; es kann aus Anlässen von nationalem Interesse außer Kraft gesetzt werden (40 U.S.C.A., §§ 193j, k bzw. § 9124f D.C. Code). Verstöße gegen die Verbote können mit Strafen bis zu 500 179 Amalgamated Food Employees v. Logan Valley Plaza, Inc., 391 US 308 (315) (1968); ebenso Shuttlesworth v. Birmingham, 394 US 147 (152) (1969); Grayned v. Rockford, 408 US 104 (115f) (1972). 180 s.u. A.V.l.b. 181 U.S.Postal Service v. Council ofGreenburgh Civic Association, 453 US 113 (133) (1981); United States v. Grace, 461 US 171 (180) (1983). 182 Perry Educational Asso.v. Perry Local Educators Asso., 460 US 37 (45 f.) (1983)m.w.N. 183 Zum Verhältnis zueinander Jeannette Rankin Brigade v. Chief of Capitol Police, 342 F.Supp. 575 (580, Fn.8) (1972); zu den Befugnissen der Capitol Police und der Metropolitan Police, 40 U.S.C.A., § 212a.

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Dollar und/ oder bis zu 6 Monaten Gefängnis geahndet werden(§ 193h(b) bzw. § 114). Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit 184 der seit 1882 bestehenden Verbote wurden 1967 von einem Bundesanwalt und dem Präsidenten der A.C.L.U. bei einer Anhörung des zuständigen Senatsunterausschusses geäußert 185; diesem lag ein Änderungsantrag vor, demzufolge Demonstrationen und Versammlungen bei Einhaltung einer 5tägigen Anzeigefrist zulässig gewesen wären, der aber keine Mehrheit fand. Die noch bei der Anhörung betonte geringe praktische Bedeutung des Verbots änderte sich Ende der 60er Jahre, im wesentlichen ausgelöst durch die zunehmende Diskussion um das amerikanische Engagement in Vietnam, gegen das der Protest in Washington D.C. einen seiner Höhepunkte in den "MayDay"-Demonstrationen im Jahre 1971 fand 186• Im Zusammenhang mit Protesten gegen den Vietnamkrieg erging auch die Entscheidung United States v. Nicholson, in der der D.C. Court of General Sessions nur solches Verhalten von § 9-124 D.C. Code (heute § 9-113) als verboten ansah, das durch Einschüchterung, unverhältnismäßigen Druck oder Lärm die Sicherheit von Abgeordneten, Angestellten oder Besuchern gefahrdet, stört oder stören soll oder zu Beschädigungen am Gebäude oder an den Parkanlagen führt 187• Bei der Zurückweisung eines umfassenden Demonstrations- und Versammlungsverbotes konnte sich das Gericht auf ein Diktum des U.S. Supreme Court berufen, der in Edwards v. South Carolina eine Demonstration gegen die Politik des Staates (Rassentrennung) auf dem Gelände des Capitol von South Carolina als "exercise of these basic constitutional rights in their most pristine and dassie form" 188 bezeichnet hatte, was erst recht gegenüber den Bundesgewalten zu gelten habe 189• Noch weiter ging wenig später der zuständige U.S. District Court in Jeannette Rankin Brigade v. Chief of Capitol Police I90 bei der Beurteilung von § 193g U.S.C.A., Title 40, bei der er- da es sich um ein Verfahren nach Bundesrecht handelte - nicht an die Auslegung des lokalen Gerichts in der NieholsenEntscheidung gebunden war. Zunächst bejahte das Gericht das grundsätzliche 184 Zur Verfassungsmäßigkeit zunächst Feely v. District of Columbia, 220 A.2d 315 (328) (1966); Jeannette Rank.in Brigade v. Chief of Capitol Police, 278 F.Supp. 233 (235) (1968). 185 90th Congress, 1st Session, Senate Hearing, Committee on Public Works, Subcommittee on Public Building and Grounds S. 2310 (9 f.; 26) (im folgenden zitiert: SenateHearing). 186 Vgl. etwa Sullivan v. Murphy, 478 F.2d 938 (1973); Apton v. Wilson, 506 F.2d 83 (1974); zu Demonstrationen vor dem Capitol, Deliums v. Powell, 566 F.2d 167; 566 F.2d 216; 566 F.2d 231 (1977). 187 97 W.L.R. 1213 (1218) (1969). 188 372 US 229 (235) (1963); ferner Adderly v. Florida, 385 US 39 (41) (1966). 189 97 W.L.R. 1218. 190 342 F.Supp. 575 (1972).

4 Ehrentraut

Teil A: Die Versammlungsfreiheit im amerikanischen Recht

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Recht, das Capitol für kommunikative Zwecke zu nutzen 191 • Bei der Bewertung der Verhältnismäßigkeit der Einschränkung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit verneinte es die Erforderlichkeil eines Demonstrationsverbots zum Schutz der Abgeordneten des Gebäudes oder zur Offenhaltung der Wege. Ein solches Verbot ließe sich nur auf die auch von der Regierung angeführte Interessen von "peace", "serenity", "majesty", "maintenance of a ,park-like setting"' und "glorification of a form of government through visual enhancement of its public buildings" gründen, deren Berücksichtigung in diesem Umfang aber eine klare Verletzung der Rechte des 1. Amendment darstelle 192• Das Bundesdistriktgericht lehnte auch die von der Regierung vorgeschlagene Begrenzung auf Gruppen bis zu 15 Teilnehmern ab; an dieser Auslegung sah es sich aufgrund der Ablehnung einer Modifizierung von § 193g trotz vorgetragenener Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit beim Hearing 1967 und der höheren Sachkompetenz des Kongress zum Schutz seiner originären Funktion gehindert 193 • Da die verbleibenden Gesetze die Legislative in ausreichendem Umfang schützten, sah der District Court keinen Anlaß, § 193g von einer umfassenden Verwerfung zu bewahren. Im Anschluß an diese vom Supreme Court bestätigte 194 Entscheidung wurden die Regelungen zur Ausübung von Demonstrationen in die Traffic Regulations for Capitol Grounds eingefügt 195 • Nach diesen erfordertjede Demonstration eine grundsätzlich 5 Tage zuvor zu beantragende Genehmigung (§ 153). Diese soll erteilt werden, wenn kein früher eingereichter Antrag vorliegt (§ 155(a) (4)); reagiert das Capitol Police Board nicht bis 48 Stunden vor dem geplanten Zeitpunkt, gilt die Genehmigung als erteilt(§ 155(b)). Mit Ausnahme des Geländes westlich des Capitol besteht eine Begrenzung auf 300 Teilnehmer (§ 156(b)); eine Genehmigung kann nicht erteilt werden für mehr als 7 aufeinanderfolgende Tage und für einen längeren Zeitraum als 24 Stunden (156(a) (1), 159). Die Genehmigung kann, auch während der Veranstaltung, widerrufen werden, wenn Modalitäten der Genehmigung verletzt werden(§ 156(a) (2)) oder Körperverletzungen, Sachbeschädigungen oder eine Störung des öffentlichen Friedens unmittelbar drohen und nicht anders abgewendet werden können (157(a) (b). Genehmigungspflicht besteht für demonstration activity (§ 158~, worunter nach Auffassung des zuständigen U.S. District Court nur Aktivitäten fallen, d.ie wie picketing, sit-ins, Protestmärsche oder Reden sich der Umgebung akustisch oder optisch aufzwingen, nicht aber das Verteilen.\'lon Flugblättern oder das Hochhalten eines Transparentes 196. ebd., 580. Unter Berufung auf Edwards v. South Carolina, 372 US 229 (1963) und Jeannette Rankin Brigade v. Chief of Capitol Police, 421 F.2d 1090 (1109)d.o. (1969). 193 342 F.Supp. 575 (587 f.). 194 407 us 972 (1972). 195 Article XIX. 196 Kroll v. U.S. Capitol Police, 590 F.Supp. 1282 (1291) (1983). 191

192

V. Foren der Versammlungsfreiheit

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Durch§ 193f(b) (7), 40 U.S.C.A., bzw. § 9-112(b) (7) D.C. Code sind Paraden, Demonstrationen und pickering im Capitol selbst untersagt. Eine Auseinandersetzung mit diesen Vorschriften durch die Gerichte hat - soweit ersichtlich noch nicht stattgefunden. Mit der Zulässigkeil von Demonstrationen in einem State Capitol beschäftigte sich jedoch ein U.S. District Court; dieser hob das Verbot des Gouverneurs, aus Protest gegen die Sozialpolitik des Staates in der Rotunda des State House, Sitz des Parlaments und des Gouverneurs, gemeinsame Gebete, Lesungen und Gesänge unter der Leitung eines Geistlichen durchzuführen, auf und bezeichnete die Rotundaals public forum 197 • Für das Capitol in Washington D.C. besteht ferner ein Demonstrationsverbot in der Bibliothek (2 U.S.C.A. § 167c), und es ist ferner untersagt, die Gänge im Capitol zu blockieren (40 U.S.C.A., § 193(b) (8) bzw. § 9-112(b) (5) D.C.Code), durch laute, drohende oder ungebührliche Äußerungen oder sonstiges Verhalten Sitzungen des Congress zu stören(§ 193f(b) (4) bzw. § 9-112(b) (4)) sowie sich in einem für den Congress bestimmten Raum mit Störungsabsicht aufzuhalten (§ 193(f) (3) bzw. (§ 9-112(b) (3)), was beim Entfalten eines großen Transparentes auf der Galerie des Kongress während einer Debatte vorliegt 198•

ßß) Der Sitz des Präsidenten Die Zulässigkeil von Versammlungen, Paraden und sonstigen Formen kollektiver Meinungskundgabe in unmittelbarer Nähe des White House ist heute in Rechtsprechung und Literatur weithin anerkannt 199• Einzelheiten der Ausübung der Versammlungsfreiheit in der Umgebung des White House sind in den auf Grundlage von § 3, U.S.C.A., Title 16 bzw. § 8144 D.C.Code vom Innenministerium erlassenen Federal Regulations über die Nutzung der National Parks in Washington, D.C. niedergelegt 200• Dies ist in ungewöhnlicher Detailliertheit erfolgt 201 , die sich maßgeblich aus einem über 6 Jahre andauernden Rechtsstreit um einzelne Regelungen erklärt, der je fünfmal das Bundesdistriktgericht und das Appellationsgericht beschäftigte 202 • Zentraler Streitpunkt war die Intensität der gerichtlichen Nachprüfung. Nach Auffassung der Regierung sollten sich die Gerichte den Entscheidungen der zuständigen Sicherheitsbehörden, die den Regelungen zugrundelagen, beugen und in ihrer Überprüfung darauf beschränkt bleiben, ob diese "wholly irrational" sind, was Reilly v. Noel, 384 F.Supp. 741 (1974). Marcinski v. United States, 479 A.2d 856 (1984). 199 A Quaker Action Group v. Morton, 516 F.2d 717 (725) (1975) und 460 F.2d 854 (859) (1972); Women Strike for Peace v. Morton, 472 F.2d 1273 (1287) (1972); Comment, 119 U.Pa.L.Rev., 679 (1971). 2oo Code of Federal Regulations, Title 36, § 50.19. 201 § 50.19 erstreckt sich über 5 Seiten. 202 Abschließend A Quaker Action Group v. Angus, 559 F.2d 716 (1977) m.w.Nw. 197 198

4*

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Teil A: Die Versammlungsfreiheit im amerikanischen Recht

der Court of Appeals wegen der Betroffenheit der Rechte des 1. Amendment unter Hervorhebung der Zuständigkeit der Gerichte zur abschließenden Bewertung in einem Verfahren mithearingund Kreuzverhör zurückwies. 203 Nachdem der District Court dieses Verfahren durchgeführt hatte, unterwarf der Court of Appeals die Normen noch einmal einer eingehenden Überprüfung und legte hierbei auch detaillierte Modifikationen nahe, was der dissentierende Richter als Übergriffe der Judikative in Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen rügte 204• Nach der heute gültigen Rechtslage erfordern Demonstrationen eine Genehmigung, von der bei Gruppen bis zu 25 Teilnehmern und - sofern sie sich nicht in unmittelbarer Nähe des White House aufhalten - auch bei größerer Teilnehmerzahl, Ausnahmen möglich sind ((b) (1) (2)). Die Genehmigung ist grundsätzlich 48 Stunden vor der geplanten Veranstaltung zu beantragen und gilt bei Nichthandeln der Behörde innerhalb von 24 Stunden als erteilt ((c)). In der unmittelbaren Umgebung des White House sind Demonstrationen nur auf dem Bürgersteig der Pennsylvania Avenue, die sich an den Garten der Frontseite des White House anschließt, in dem auf der anderen Seite der Pennsylvania Avenue liegenden Lafayette Park sowie in der Ellipse, einem auf der E-Street liegenden, das White House rückseitig begrenzenden Park zulässig ((c) (1)). Die Zahl der Demonstranten ist auf dem Bürgersteig grundsätzlich auf 750, im Lafayette Park auf 3 000 begrenzt ((e) (1) (2)). Die ursprüngliche vorgesehenen Zahlen von 100 und 500 Teilnehmern war Auslöser des genannten langjährigen Rechtsstreits, und sie wurden vom District Court nach der schließlich anberaumten mündlichen Verhandlung aufgehoben und ersetzt 205 • Von den von der Regierung zur Rechtfertigung vorgebrachten Gründen erkannte der Court of Appeals nur die Sicherheit des Präsidenten als relevant an und hielt auch die Zahlen von 750 und 3 000 nur als Grundsatz mit der Notwendigkeit von Ausnahmen aufrecht 206• Zeitlich ist eine Demonstration auf dem Bürgersteig der Pennsylvania Avenue grundsätzlich auf eine Woche, im Lafayette Park auf 3 Wochen begrenzt; Einschränkungen sind ferner zwischen 7 und 9.30 Uhr und 16 und 18.30 Uhr möglich ((e) (6)). BiS.i1'1 das kleinste Detail vorgeschrieben ist die Verwendung von Schildern und Plakaten auf dem Bürgersteig der Pennsylvania Avenue. Ihre Größe ist begrenzt, sie müssen knapp 1 m vom Zaun des White House entfernt sein und sind in der Mitte des Bürgersteigs, unmittelbar gegenüber dem White House, nur zulässig, wenn sie permanent bewegt werden ((e) (9)). 2o3 A Qualcer Action Group v. Hickel, 421 F.2d 1111 (1118) (1969); A Qualcer Action Group v. Morton, 460 F.2d 854 (859) (1972). 204 A Qualcer Action Group v. Morton, 516 F.2d 717 (744) (1975), ,,imposition of judicial govemment", ferner 559 F.2d 716 (720)d.o. (1977) und 429 F.2d 187 (191)d.o. (1970). 205 A Qualcer Action Group v. Morton, 362 F.Supp. 1161 (1973). 206 A Qualcer Action Group v. Morton, 516 F.2d 717 (732) (1975); vgl. jetzt§ 50.19

(e) (3).

V. Foren der Versammlungsfreiheit

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Yf) Gerichte

In Reaktion auf starke Proteste vor und teilweise in den Gerichten bei Verfahren gegen Mitglieder der kommunistischen Partei 207 wurde 1950 folgendes Bundesgesetz- heute § 1507, U.S.C.A., Title 18 -erlassen: Whoever, with the intent of interfering with, obstructing, or impeding the administration of justice, or with the intent of influencing any judge, juror, witness, or court officer, in the discharge of his duty, pickets or parades in or near a building housing a court of the United States, or in or near a building or residence occupied or used by such judge, juror, witness, or court officer, or with such intent uses any Soundtruck or similar device or resorts to any other demonstration in or near any such building or residence, shall be fined not more than $ 5 000 or imprisoned not more than one year, or both.

Entsprechende oder ähnliche Regelungen bestehen in einigen Staaten 208 • Die dem Bundesgesetz im Regelungsgehalt identische Vorschrift des Staates Louisiana hielt der Supreme Court Mitte der 60er Jahre in Cox v. Louisiana 209 für zulässig. Er betonte die Notwendigkeit, äußere Einflußnahmen auf Gerichtsverfahren durch Protestkundgebungen, die dem Wesen der Rechtsfindung widersprechen- "mob law is the very antithesis of due process" 210 - zu verhindem sowie schon dem möglichen Eindruck von Auswirkungen von Demonstrationen vor Gerichten auf den Ausgang des Verfahrens vorzubeugen. Im Gegensatz zu sonstigen Formen öffentlicher Kritik an laufenden Prozessen - etwa durch Zeitungskommentare - sah der Supreme Court hier die Voraussetzungen der clear-and-present-danger-Formel für die Rechtspflege als erfüllt an 211 . Eine Verletzung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit verneinte er, indemer-zum ersten Mal - die für das picketing entwickelte Differenzierung zwischen speech und conduct auf Demonstrationen anwandte und für diese die als "speech ... intermingled with conduct" staatliche Beschränkungen in weiterem Maße zuließ212. Weit ausgelegt wird das Erfordernis der Absicht der Störung oder Beeinflussung; hierfür ist nicht erforderlich, daß das betroffene gerichtliche Verfahren schon begonnen hat 213, sodaß jede Demonstration mit Bezug auf ein bevorstehendes oder schwebendes Verfahren in der Nähe von Gerichtsgebäuden eine Verletzung des Gesetzes darstellt 214. 201

Vgl. Stellungnahme der American Bar Association, 33 J.Am.J.Soc.,53.

2os z.B. Pennsylvania (Stat.Ann., § 18-5102); Massachusetts (Gen.Laws, § 268-13A);

Louisiana (Rev.Stat., § 14-401), North Carolina, (Gen.Stat., § 14-225.1), California (§ 169 Penal Code). 209 379 us 559 (1965). 210 ebd., 562. 211 ebd., 565. 212 ebd., 563; s. bereits A.IV.2. I 3. sowie unten B.II.l. 213 ebd., 568; vgl. ferner United States v. Carter, 717 F.2d 1216 (1219) (1983). 214 Vgl. Cox v. Louisiana, ebd., 566, wo sich der Protest gegen die Festnahme der Demonstranten am Vortag richtete.

Teil A: Die Versammlungsfreiheit im amerikanischen Recht

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Besondere Regelungen bestehen für Meinungskundgaben auf dem Gelände des U.S. Supreme Court, das auch die umgebenden Bürgersteige einschließt (40 U.S.C.A. § 13p, 1985 Suppl.). § 13k, 40 U.S.C.A. stellt folgendes, mit Strafen bis zu 100 Dollar und I oder 60 Tagen Gefängnis bewehrte (§ 13m) und für offizielle Veranstaltungen ausnahmefähige (§ 13o) Verbot auf: It shall be unlawful to parade, stand, or move in processions or assemblages in the Supreme Court Building or grounds, or to display therein any flag, banner, or device designed or adapted tobring into public notice any party, organization, or movement. Die 1983 ergangene Entscheidung United States v. Grace 215 , in der sich der Supreme Court mit der Verfassungsmäßigkeit von§ 13k auseinandersetzte, zeigt die Grundzüge und Divergenzen der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Theorie des public forum deutlich auf. Zunächst bestätigte das Gericht für die 2. Variante des Verbots, daß es nahezu jedes Schild oder Flugblatt kommunikativen Inhalts erfaßt 216 und insoweit über den Regelungsgehalt von§ 1507 U.S.C.A., Title 18 hinausreicht, als es keine Absicht zur Einflußnahme auf ein Verfahren des Supreme Court erfordert. Die Zulässigkeil des Verbots von Demonstrationen im Gebäude und auf dem Vorplatz des Gerichts ließ der Supreme Court im Ergebnis offen 217 , legte sie aber nahe, als er dieses Gelände nicht als public forum bezeichnete, da es nicht traditionell zum Gebrauch für kommunikative Zwecke offenstehe; hierfür reiche nicht aus, daß jedermann das Gelände ungehindert betreten könne 218 • Demgegenüber ist der Bürgersteig um den Supreme Court ein traditional public forum, dessen Charakter der Congress auch bei einem Angrenzen an ein nonpublic forum nicht aufheben könne 219 • Verhältnismäßige Beschränkungen der Zeit, des Orts sowie sonstiger äußerer Umstände der Ausübung der Kommunikationsfreiheiten sind auch hier zulässig, doch rechtfertigte nach Ansicht des Gerichts weder das Ordnungsinteresse noch der Schutz der richterlichen Entscheidungsfreiheit ein vollständiges Demonstrationsverbot auf öffentlichen Bürgersteigen 220, sodaß dieses Verbot des § 13k verfassungswidrig ist. Somit sind Meinungskundgaben in der von § 13k umschriebenen Form auf dem Bürgersteig zulässig, wenn sie nicht auf die Beeinflussung eines Gerichtsverfahrens abzielen; insoweit greift das Verbot des § 1507, 18 U.S.C.A. ein, das sich auch auf den Supreme Court als Bundesgericht erstreckt 221 • Anders als der Supreme Court lehnte Justice Marshall in seinem Votum eine Differenzierung zwischen dem Bürgersteig als traditional public forum und dem 461 us 171 (1983). ebd., 176; ablehnend Justice Stevens, der weder das Medium Flugblatt noch den Text des 1. Amendment unter§ 13k subsumierte, S. 188,c.o. 211 Anders der Court of Appeals, der § 13k umfassend für verfassungswidrig ansah, Grace v. Burger, 665 F.2d 1193 (1981). 218 461 us 17 (177 f.). 219 ebd., 180. 220 ebd., 182 f. 221 Grace v. Burger, 665 F.2d 1193 (1197, 1205) (1981). 2 15

216

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übrigen Gelände des Gerichts ab. Er trat dafür ein, die Ausübung der Rechte des 1. Amendment auf dem gesamten Gelände des Supreme Court insoweit zuzulassen, als dies mit dem primären Zweck des öffentlichen Geländes vereinbar ist und zu keinen konkreten Störungen führt 222. Da§ 13k Demonstrationen unterschiedslos untersagt, insbesondere ohne Rücksicht darauf, ob sie - wie bei 18 U.S.C.A. § 1507- in der Absicht von Störung und Beeinflussung eines Gerichtsverfahrens erfolgen, gelangte er zur umfassenden Verfassungswidrigkeit der 2. Variante von § 13k223, Nicht ausdrücklich erörtert wurde die 1. Alternative von § 13k, doch läßt sich dem Urteil entnehmen, daß sich dann die Problematik verschiebt. Der Regierung, die die Vorschrift mit der Unangemessenheil von Protesten vor dem Gericht und dem hierdurch hervorgerufenen Eindruck für die Öffentlichkeit verteidigte, hielt der Supreme Court entgegen, daß die Anwesenheit eines einzelnen Demonstranten auf dem Bürgersteig vor dem Gericht keine andere Wirkung hat als auf der anderen Straßenseite 224• Dennoch werden nach der gegenwärtigen Praxis der Polizeikräfte des Supreme Court auch Versammlungen zur kollektiven Demonstrationen auf dem Bürgersteig vor dem Gericht geduldet, soweit sie nicht sonstige Gesetze- i.b. § 1507, 18 U.S.C.A. -verletzen. ÖÖ) Ausländische Vertretungen und internationale Organisationen

Zum Schutz der politischen Beziehungen der USA zu anderen Staaten vor Demonstrationen, die die Gefahr kollektiver Gewaltanwendung bergen oder Gefühle des Hasses gegen die USA entfachen können, zum Schutz der amerikanischen Botschaftsangehörigen im Ausland und zur Einhaltung der Verpflichtungen des internationalen Rechts 225 sieht § 22-1115 D.C.Code (früher 22 U.S.C.A., § 255a) folgende Beschränkung vor: lt shall be unlawful to display any banner, placard, or device designed or adapted to intimidate, coerce, or bring into public odium any foreign government, party, or organization, or any offleer or officers thereof, or to bring into public disrepute politieal, social, or economie acts, views, purposes, of any foreign govemment, party, or organization, or to intimidate, coeree, harass or bring into publie disrepute any offleer or officers or diplomatic or eonsular representatives or any foreign government or to interfere with the free and safe persuit of the duties of any diplomatic or consular representatives of any foreign govemment, within 500 feet of any building or premises within the Distriel of Columbia used or occupied by any foreign govemment or its representative or representatives as an embassy, Iegation, eonsulate, or for other offlcial purposes, except by, and in accordance 222

461

us 171 (184).

223 ebd., 186.

ebd., 183. So die Begründung von Senator Pittmann im Ausschuß für auswärtige Beziehungen, 81 Congressional Reeord, 8485, 8586 ff. (1937). 224 225

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with, a permit issued by the Chief of Police of the said District; or to congregate within 500 feet of any such building or premises, and refuse to disperse after having ordered so to do by the police authorities of the said district.

Die 1. Alternative ist so zu verstehen, daß sich die einleitende Handlungsbeschreibung "to display any flag ... designed or adapted to" auf alle vier Regelungsmodalitäten bezieht. Obwohl Wortlaut und Zweck des Gesetzes dies nicht zwingend erfordern, folgt diese Auslegung aus der Gesetzgebungsgeschichte und der Notwendigkeit der Bestimmtheit von Strafrechtsnormen 226; verbale Äußerungen rnnerhalb der 500-Fuß-Zone sind daher nicht verboten. Das von der 1. Variante untersagte Verhaltenerfaßtjede auf die Angelegenheiten des betreffenden Staates bezogene kritische Darstellung 227 • Die Verfassungsmäßigkeit von § 1115 D.C.Code wurde von verschiedenen Gerichten geprüft und bis zu einer Entscheidung des Supreme Court vom März 1988 228 bestätigt. Bereits im Jahre 1938, ein Jahr nach Erlaß des Gesetzes, sah der zuständige U.S. Court of Appeals in dem Verbot eine verhältnismäßige Einschränkung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit 229 • Gegen den Einwand der Unbestimmtheit der Voraussetzungen einer möglichen Genehmigung von Demonstrationen stellte das Gericht fest, daß diese Voraussetzungen denen entsprechen, die das Gesetz an die Zulässigkeil von Demonstrationen knüpft. Außerdem sei die Ermächtigung der Verwaltung, kritische Demonstrationen zu verbieten, unbedenklich, da es dem Gesetzgeber freistehe, die Nutzung zu kommunikativen Zwecken vollständig zu untersagen 230 • Ebenso billigten lokale und staatliche Gerichte sowie Bundesgerichte auch unter Berücksichtigung der neueren Rechtsprechung des Supreme Court zum 1. Amendment aufgrund des überragenden staatlichen Interesses an den auswärtigen Beziehungen beide Alternativen des § 1115 231 und sahen auch in der Ausnahme für Iabor pickefing in § 1116 keinen Verstoß gegen die equal-protection- Klausel 232 • Keine Berücksichtigung fand in der Rechtsprechung auch die Einwendung diskriminierender StrafZiami v. United States, 476 F.2d 511 (522 f.) (1973). Vgl. Pittmann, a.a.O. 8484, 8489 f.; Frend v. United States, 100 F.2d 691 (693) (1938); Jews for Urban Justice v. Wilson, 311 F.Supp. 1158 (1159) (1970). 228 Boos v. Barry, 108 S.Ct. 1157 (1988). 229 Frend v. United States, 100 F.2d 691 (1938). 230 ebd., 694 f. unter Berufung auf Davis v. Commonwealth, 167 US 43 (1895); s. 0. s. 45 f. 231 Zur l. Alternative: Jews for Urban Justice v. Wilson, 311 F.Supp. 1158 (1970); Ziami v. United States, 261 A.2d 233 (234) (1970); Jewish Defense League v. Washington, 347 F.Supp. 1300 (1301) (1972); United States v. Brown, 112 W.L.R. 441 (445 f.) (1984); Finzer v. Barry, 798 F.2d 1450 (1462) (1986); zur 2. Alternative: United States v. Travers, 98 W.L.R. 1505 (1509) (1970); United States v. Strinko, 113 W.L.R. 1921 (1927) (1985); Finzer v. Barry, 798 F.2d 1450 (1471) (1986), allerdings in verfassungskonformer Auslegung. 232 Jewish Defense League v. Washington, 347 F.Supp. 1300 (1301); United States v. Brown; 112 W.L.R. 441 (445). 226

227

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verfolgung (selective prosecution) aufgrund einer unterschiedlichen Anklagepraxis bei Verletzungen des § 1115 vor verschiedenen Botschaften. Demonstranten vor der südafrikanischen Botschaft waren nicht verfolgt worden, während Verletzungen von § 1115 vor der Botschaft der UdSSR zu Anklage und Verurteilungen geführt hatten. Nach Aussage des zuständigen Bundesanwalts wird bei der Entscheidung über die Anklageerhebung maßgeblich berücksichtigt, ob von den Vertretern des betroffenen Staates eine Verfolgung gefordert wird, wie es für die UdSSR zutrifft 233 • Da die Beziehungen der USA mit jedem Land anders ausgestaltet seien, so die Rechtsprechung, kämen als Vergleichsgruppe nur andere Demonstranten vor derselben Vertretung in Betracht, sodaß die Anwendung von § 1115 D.C.Code nach Staaten differenzieren könne 234 . Auch sah das Gericht keinen Anhaltspunkt für eine Diskriminierung ,,konservativer" Anschauungen gegenüber den "liberalen" Auffassungen der Südafrika-Demonstranten. Zur Verfassungswidrigkeit der I. Alternative des § 1115 (to display .. .) gelangte indes jüngst der U.S. Supreme Court. Er hob zunächst hervor, daß das Verbot einer sehr eingehenden verfassungsrechtlichen Überprüfung unterliege, da es politische Meinungsäußerungen betreffe, auf ein traditional public forum Anwendung finde und Meinungsäußerungen wegen ihres Inhalts (content-based) untersage 235 • Bei Beschränkungen dieser Art sei erforderlich, "that the ,regulation is necessary to serve a compelling state interest and that it is narrowly drawn to achieve that end"' 236. Ohne die Frage des zwingenden staatlichen Interesses für die geltend gemachten Verpflichtungen des internationalen Rechts zum Schutz von Botschaften und deren Personal abschließend zu beantworten, sah der Supreme Court - im Gegensatz zum Court of Appeals 237 - den entscheidenden Mangel der I . Variante des§ 1115 in der Verletzung des Gebots des geringstmöglichen Eingriffs. Begründen ließ sich dies aufgrund eines Vergleichs mit dem erheblich engeren Regelungsgehalt eines Bundesgesetzes zum Schutz ausländischer Vertretungen außerhalb von Washington D.C. 238 und Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit von § 1115, die der Kongress 1986 in einer Resolution zum Ausdruck gebracht hatte. Was der Kongress selbst nicht mehr als erforderliche Regelung ansehe, so der Supreme Court, könne nicht den Erfordernissen des I. Amendment genügen239. Demgegenüber billigte das Gericht die 2. Alternative von § 1115 in der verfassungskonformen Auslegung durch den Court of Appeals 240 • Hiernach sind nur 233 Bei Victor, Legal Times, March 3, 1986, S. 12 ff. 234 United States v. Strinko, 113 W.L.R. 1921 (1924 ff.) (1985). 235 Boos v. Barry, 108 S.ct. 1157 (1162 ff.) (1988). 236 ebd., 1164 m.w.Nw. 237 Finzer v. Barry, 798 F.2d 1450 (1462, 1470) (1986). 238 18 U.S.C.A., § 112(b); hierzu sogleich im folgenden. 239 Boos v. Barry, 108 S.Ct. 1157 (1167).

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Auflösungen von Versammlungen möglich, die sich gegen eine Botschaft richten, und dies auch nur dann, wenn die Polizei Grund zu der Annahme hat, daß eine gegenwärtige Bedrohung der Sicherheit und des Friedens der Botschaft vorliege. Der Begriff des Friedens genüge auch dem Bestimmtheitsgebot. Erforderlich sei ein Ausmaß von Störungen, die den gewöhnlichen Botschaftsbetrieb zu unterbrechen drohen 241 • Schließlich verneinte der Supreme Court eine Verletzung der equal-protection-Klausel durch die Ausnahmeregelung des § 1116, da diese aufgrundder Verfassungswidrigkeit der 1. Variante und der verfassungskonformen Auslegung der 2. Variante des § 1115 nahezu leerlaufe 242 • Für ausländische Vertretungen, internationale Organisationen sowie für Unterkünfte vonforeign officials oder official guests außerhalb von Washington, D.C. gilt gemäß § ll2(b) (3), 18 U.S.C.A.: (b) Whoever willfully (3) ... congregates with two or more other persans with intent to violate any other provision of this section shall be fined not more than $ 500 or imprisoned not more than six months, or both. Der Verbotsumfang hat folgende Reichweite: (b) Whoever willfully-

(l) intimidates, coerces, threatens, or harasses a foreign official or an official guest

or obstructs a foreign official in the performance of his duties;

Abschnitt (2) untersagt den Versuch derartiger Beeinträchtigungen. § 112(b) erging nach eingehender Diskussion um die Verfassungsmäßigkeit 243 und wurde 1976 aufgrund verfassungsrechtlicher Bedenken auf die oben zitierten Handlungsmodalitäten beschränkt. Den vom Wortlaut im Vergleich mit § 221115 D.C.Code engeren Verbotsradius dieses Gesetzes bestätigte 1985 ein U.S. Court of Appeals. Sofern nicht die Modalitäten von Abschnitt (b) (1) (2) erfüllt sind, die das Gericht unter Verweis auf die sorgfaltig zwischen geschützter und unzulässiger Meinungsäußerung differenzierende Rechtsprechung des Supreme Court sowie ähnlich formulierte Gesetze gegen die Einwände von vagueness und overbreadth verteidigte, sind individuelle und kollektive friedliche Demonstrationen auch dann innerhalb der 100-Fuß Zone zulässig, wenn sie sich gegen die Politik eines Landes oder eine vom Gesetz geschützte Person richten 244 • Es ist zu erwarten, daß nach Verwerfung der 1. Variante von § 1115 D.C.Code die Regelung des § 112(b) auch auf ausländische Vertretungen in Washington D.C. erstreckt wird 245 •

Finzer v. Barry, 798 F.2d 1450 (1472). Boos v. Barry, 108 S.Ct. 1157 (1168 f.). 242 ebd., 1170. 243 Vgl. 1972 U.S. Congr and Adminstr. News, S., 1255 ff. 244 CISPES v. F.B.I., 770 F.2d 468 (474) (1985). 245 Erste Schritte hierfür wurden schon 1986 vom Kongress und der Verwaltung des District of Co1umbia eingeleitet, vgl. Boos v. Barry, 108 S.Ct 1157 (1167 f.) (1988). 240

241

V. Foren der Versammlungsfreiheit

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Der weitere Freiheitsraum dieses Gesetzes wird jedoch dadurch wieder eingeengt, daß 1980 ein anderes Berufungsgericht § 112(b) nur als einen Mindestschutz ansah, was den kommunalen Behörden weitergehende Einschränkungen zum Schutz des Friedens und der Würde der Personen und Institutionen ermöglicht 246• So ist vor der sowjetischen UN-Mission die Beschränkung auf 12 Teilnehmer und eine Entfernung von über 100 Fuß zulässig 247 • Diese polizeilichen Auflagen entsprachen dem Inhalt einer zuvor von Anwohnern beantragten Verfügung des New York County Supreme Court 248 , die dieser 1980 dahin einschränkte, daß nurunehr 25 Demonstranten zulässig sind und diesen eirunal im Monat ein symbolischer Zugang zur Tür der Mission möglich ist 249 • Demgegenüber sind etwa vor dem sowjetischen Konsulat in San Francisco Demonstrationen auf dem Bürgersteig der gegenüberliegenden Straßenseite ohne spezifische Beschränkungen zulässig. bb) Public fora by designation Neben public fora, die durch ihre traditionelle Nutzung der Ausübung der Rechte des I. Amendment offenstehen, kann staatliches Eigentum auch aufgrund einer entsprechende Bestimmung für Meinungs- und Versammlungsfreiheit in Anspruch genommen werden. Eine verfassungsrechtliche Verpflichtung zur Schaffung derartiger Foren besteht jedoch ebensowenig wie zu ihrer Aufrechterhaltung. Wird aber die Ausübung der Rechte des I. Amendment zugelassen, so unterliegt das betreffende Forum den Grundsätzen, die für traditional public fora gelten 250• Als ein Forum "designed and dedicated to expressive acitivies" betrachtete der Supreme Court etwa ein städtisches Theater, zu dem der Zugang auch dann nicht verweigert werden könne, wenn Foren im privaten Eigentum bestanden hätten und verfügbar gewesen wären 251 • Ebenso sind Einrichtungen einer Universität dann ein public forum für Studenten, wenn ihr Gebrauch zu kommunikativen Zwecken grundsätzlich geduldet wird 252 • Die Nutzung von Universitätseinrichtungen oder Schulräumen für Außenstehende unterliegt entsprechenden Grundsätzen. Diese Grundsätze sind, wie die Theorie des public forum by designation Concerned Jewish Youth v. McGuire, 621 F.2d 471 (474) (1980). Concerned Jewish Youth v. McGuire, 469 F.Supp. 1296 (1303) (1979) und 621 F.2d 471. 248 McMillan House Inc. v. Murphy, zitiert in Concerned Jewish Youth v. McGuire, 621 F.2d 471 (476). 249 McMillan House Inc. v. Murphy, zitiert bei Tell, 3 National Law Journal, Dec. 8, 1980, 4. 250 Zusammenfassend Perry Educational Asso. v. Perry Local Educators Asso., 460 us 37 (45 ff.) (1983). 251 S.E. Promotions Ltd v. Conrad, 420 US 546 (555) (1975). 252 Widmar v. Vincent, 454 US 263 (268) (1981). 246

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generell, weitgehend durch die Rechtsprechung der Staaten und der unteren Bundesgerichte entwickelt worden. Bereits 1946 hatte der Supreme Court von Califomia ausgeführt: It is true that the state need not open the doors of a school building as a forum and may at any time choose to close them. Once it opens the door, however, it can not demand tickets of admission in the form of convictions and affiliations that it deems acceptable. Censorship of those who would use the school building as a forum cannot be rationalized by reference to its setting253. Im Zusammenhang mit der Nutzung von Schulräumen zu politischen Veranstaltungen stellte ein U.S. Court of Appeals klar, daß auch Vereinigungen mit diskriminierenden Mitgliedschaftspraktiken wie die National Socialist White Peoples Party Anspruch auf Zulassung haben 254. Obwohl der Staat die Einrichtung zur Verfügung stellt, ist dieses Handeln keine aktive Förderung der diskriminierenden Praktiken durch den Stadt und die Überlassung als state action auch kein Verstoß gegen die Diskriminierungsverbot des 14. Amendment. Die Verbindung zwischen staatlichem Handeln und den Diskriminierungen sei zu lose, und der Staat sei auch aus dem 1. Amendment verpflichtet, ein öffentliches Forum ohne Berücksichtigung der politischen Auffassungen der Benutzer bereitzustellen.

b) Nonpublic fora Die Charakterisierung eines in öffentlichem Eigentum stehendes Gelände als nonpublic forum wird maßgeblich durch Kriterien zur Bestimmung eines public forum gesteuert. Bei der Beurteilung der Zulässigkeit eines vollständigen Ausschlusses von Demonstrationen auf öffentlichem Gelände zeigt sich deutlich die Uneinheitlichkeit der Rechtsprechung des Supreme Court. In Adderly v. Florida 255 hatte der Supreme Court die Verurteilung von Demonstranten auf dem Gelände eines Gefängnisses, die der Aufforderung zum Verlassen nicht nachgekommen waren, wegen trespass aufrechterhalten. Da das Gelände des Gefängnisses nicht traditionell für die Öffentlichkeit offenstehe und die Demonstranten einen normalerweise nicht von der Öffentlichkeit benutzten Weg blockierten, sei die Aufforderung zum Verlassen rechtmäßig gewesen. Der Staat habe wie ein privater Eigentümer das Recht, die Funktion, der das betreffende Gelände zu dienen bestimmt ist, zu erhalten 256. Dieses Urteil ist kaum vereinbar mit Brown v. Louisiana 257 , wo zuvor - ebenfalls mit 5:4 Mehrheit - die Verurteilung von Teilnehmern eines schweigenden stand-in in einer kommunalen 253 Danskin v. San Diego Unified School District, 171 P.2d 885 (892); ferner Madole v. Bames, 229 N.E.2d 20 (22) (1967). 254 National Sodalist White Peop1es Party v. Ringer, 473 F.2d 1010 (1973). 255 385 us 39 (1966). 256 ebd., 46 f., s. auch oben S. 47. 257 383 us 131 (1966).

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Bibliothek wegen breach ofpeace aufgehoben worden war. Über die Diskussion um die Voraussetzungen des Gesetzes hinaus hatten die 5 Richter hier ein Recht zur Ausübung der Grundrechte dort anerkannt, wo freier Zugang möglich ist und der Kommunikationsmodus zu keiner aktuellen Störung der Funktion der Einrichtung führt 258 • Mit dieser Argumentation drangen vier dieser Richter später in Adderly v. Florida nicht durch; ihr Hinweis, daß keine Gewalt oder Unruhe gedroht habe und auch der blockierte Weg nicht genutzt werden sollte, somit keine konkrete Störung des Betriebs vorgelegen habe, fand keine Mehrheit 259 • Andererseits setzten sich die 4 dissentierenden Richter in Brown v. Louisiana, die eine Vereinbarkeit der Funktion einer Bibliothek mit Demonstrationen generell verneint hatten und ein Ausschlußrecht gegenüber Personen, die dieser Zweckbestimmung widersprechen, ohne Berücksichtigung des konkreten Kornmunikationsmodus und seiner Auswirkungen bestätigt hatten 260 , in der Sache in Adderly v. Florida durch. 10 Jahre nach diesen beiden Urteilen bestätigte der Supreme Court in erheblich veränderter Besetzung in Greer v. Spock 261 im wesentlichen die Grundzüge von Adderly v. Florida. Er hielt für Fort Dix das Verbot von Demonstrationen sowie einen Verbotsvorbehalt für das Verteilen von Flugblättern disziplingefährdenden Inhalts aufgrund der Notwendigkeit, die politische Neutralität des Militärs zu gewährleisten, aufrecht. Kasernen seien niemals ein traditioneller Ort zum Meinungsaustausch gewesen; daß Vorträge über Drogenmißbrauch, Business Management sowie Theater- und Musikaufführungen zugelassen und auch Gastprofessoren eingeladen worden waren, mache das Gelände ebensowenig zum public forumwie der freie Zugang der Öffentlichkeit 262 • Im Gegensatz zum Sachverhalt in Flower v. United States 263, wo der Supreme Court das Verteilen von Flugblättern auf einer durch ein Fort führenden öffentlichen Straße gebilligt hatte, handele es sich- wie das Verhalten des Kommandeurs zeige- hier nicht um einen open post, bei demjeder Anspruch auf eine besondere Kontrolle der Straßenbenutzer aufgegeben worden sei 264 • Die dissentierenden Richter Brennan und Marshall richteten ihre Kritik vornehmlich gegen die Erforderlichkeit der Verbotsvorschriften; anstelle der abstrahierenden Differenzierung zwischen public forum und nonpublic forum befürworteten sie einen individualisierenden Ansatz, der auf die konkrete Vereinbarkeit der Kommunikation mit der Funktion des staatlichen Geländes abstellt 265. 258 ebd., 142 sowie 146 c.o. und 150 c.o. (Fortas, J., Warren, C.J., Douglas, J., sowie Brennan, J. und White, J.). 259 385 US 39 (51)d.o. (1966) (Douglas, J., Warren, C.J., Brennan, J., Fortas, J.). 260 383 US 131 (165 bzw. 159 f.) (Black, J., Harlan, J., Clark, J., Stewart, J.). 261 424 us 828 (1976). 262 ebd., 836 ff. 263 407 us 197 (1972). 264 424 us 836 (852, 856). 265 ebd., 860.

Teil A: Die Versammlungsfreiheit im amerikanischen Recht

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Auf der vom Supreme Court eingeschlagenen Linie liegt auch Jones v. North Carolina Prisoners' Union 266, wo der Supreme Court Versammlungsverbote für eine Gewerkschaft von Strafgefangenen in einem Gefängnis billigte. Wie die dissentierenden Richter stellte Justice Rehnquist für den Supreme Court darauf ab, ob die geltend gemachten Rechte mit dem Status eines Strafgefangenen und der Organisation eines Gefängnisses vereinbar sind 267 , betonte aber dabei die Notwendigkeit, den administrativen Entscheidungsorganen einen weiten Beurteilungsspielraum einzuräumen; di~ gerichtliche Überprüfung müsse darauf beschränkt bleiben, ob die Behörden eine ,,rational basis" anführen können, da es sich bei dem Gefängnis nicht um ein public forum handele 268 • Dies~ Rechtsprechung zum public forum hat der Supreme Court in neuerer Zeit weiter verfestigt. Aus dem I. Amendment fließt nicht schon deshalb ein Recht auf Zugang zu einem Gelände, weil dieses im Eigentum oder unter Kontrolle des Staates steht; weder der freie Zugang zu einem Gelände für jedermann noch die Zulassung von Kommunikation macht dieses allein zum public forum; entscheidend ist vielmehr die traditionelle Nutzung zu kommunikativen Zwecken 269 •

2. Im privaten Eigentum stehendes Gelände

a) Grundzüge der state-action-Doktrin Die Garantien der Bill of Rights sind allein gegen die staatlichen Gewalten gerichtet 270; dem Handeln des Bürgers werden durch die Grundrechte keine Grenzen gezogen. Ist jedoch der Staat an dem Handeln eines Bürgers in einer Weise beteiligt, die ihn als dessen Urheber oder maßgeblichen Förderer erscheinen läßt, so kann dies zur Annahme von state actionführen und die Verpflichtungen der Grundrechte auslösen. Lange im Vordergrund der Rechtsprechung stand die durch die Rassentrennung aufgeworfene Frage der Verpflichtung des Bürgers aus dem Gleichheitssatz; viele Entscheidungen beschäftigten sich aber auch mit der Bindung privater Eigentümer durch die Kommunikationsgrundrechte 271 • 433 us 119 (1977). ebd., 125 bzw. 140. 268 ebd., 134 sowie 125 f., 128, 136; kritisch die dissentierenden Justices Marshall und Brennan, 140 ff. 269 U.S. Postal Service v. Council of Greenburgh Civic Association, 453 US 114 (129 f.) (1981); Perry Educationa1 Asso. v. Perry Local Educators Asso., 460 US 37 (47) (1983); United States v. Grace, 461 US 171 (177 f.) (1983). 21o Civil Right Cases, 109 US 3 (11) (1883); C.B.S., Inc. v. Democratic National Committee, 412 US 94 (1973); m.w.Nw.; mit "state" i.S. des 14. Amendment ist auch der Gegensatz Einzelstaat-Bundesgewalt gemeint. 211 Zu neueren Rechtsprechung des Supreme Court Dorsen/Gora, 1982 Sup.Ct.Rev., 195. 266

267

V. Foren der Versammlungsfreiheit

63

Eine vollständige systematische Durchdringung der state-action-Doktrin, die klare eindeutige Kriterien dafür liefert, wie das Zusammenwirken zwischen Staat und Bürger beschaffen sein muß, um die Annatune oder Ablehnung von stateaction zu begründen, ist bis heute nicht gelungen 272 • In der Rechtsprechung des Supreme Court lassen sich die folgenden Kategorien von state actionerkennen 273 , die durch zahlreiche und nicht immer verständliche Urteile ausgefüllt werden. State action liegt vor, wenn die konkrete Beeinträchtigung individueller Freiheit durch den Bürger vom Staat befohlen, befürwortet oder sonst veranlaßt wird; dies war etwa der Fall in den Sachverhalten der sit-in-Entscheidungen, wo die Zutrittsverbote für Farbige zu privaten Einrichtungen durch die staatliche Rassentrennungspolitik veranlaßt worden waren 274 •

Ebenso können staatliche Genelunigungen und finanzielle Unterstützungen dem Handeln des Bürgers staatliche Qualität verleihen, wenn diese unmittelbar den Freiheitseingriff fördern oder ihm zugute kommen. Das Unmittelbarkeilskriterium erfordert eine enge Verknüpfung zwischen dem staatlichen Verhalten und dem jeweiligen beanstandeten Handeln des Bürgers; letzteres muß als nahe unvermittelte Konsequenz des ersteren erscheinen und von maßgeblicher Relevanz für die Freiheitsbeeinträchtigung sein. So reichte einerseits die staatliche Bücherversorgung aus, um in dem Betreiben einer der Rassentrennung unterliegenden Privatschule einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des 14. Amendment zu sehen 275 • Demgegenüber genügen staatliche Genehmigungen zum Betreiben eines Restaurants oder die Bereitstellung eines public forum nicht, um Rassendiskriminierungen in den Restaurants oder bei der Mitgliedschaft einer Vereinigung als Nutzer des Forum als Grundrechtsverstöße anzusehen 276 • Kommt aber die staatliche Begünstigung nur einer rassendiskriminierenden Vereinigung zugute, so verändert sich die Betrachtungsweise, da dann die staatliche Verbindung zu dem privaten Handeln unmittelbarer und von größerer Relevanz für dieses ist 277 • Dies trifft auch dann zu, wenn bei Versammlungen, die auf einem public forumoder auf privatem Eigentum, das aber staatlichen Reglementierungen unterliegt, in diskrimienierender Weise Personen ausgeschlossen werden sollen. Auch hier ist die Verbindung zwischen dem staatlichen Handeln und den Rassendiskriminierungen enger als in Fällen, in denen zu einer Veranstaltung einer Vereinigung mit diskriminierenden Mitgliedschaftspraktiken jedermann Zutritt hat. Aufgrund dieser Differenzierung untersagte es ein Federal District Court einer Gemeinde, für eine Versammlung des Ku-Klux-Klan auf einem privaten conceptual disaster area", Black, 81 Harv.L.Rev., 95 (1968). Vgl. Nowak I Rotunda I Young, 502 ff. 274 s. oben IV.4. 275 Norwood v. Harrison, 413 US 455 (1973). 276 Williams v. Howard Johnson's Restaurant, .268 F.2d 845 (1959) bzw. National Socialist White Peoples Party v. Ringer, 473 F.2d 1010 (1973), s. o. S. 60. 277 Gilmore v. Montgomery, 417 US 556 (1974); vgl. auch·National Sodalist White Peoples Party v. Ringer, 473 F.2d 1010 (1018). 2n

273

" ...a

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Teil A: Die Versammlungsfreiheit im amerikanischen Recht

Grundstück eine Genehmigung zu erteilen, derer es nach der einer kommunalen Verordnung bedurfte 278 • Staatliche Genehmigung und verkehrsleitende polizeiliche Maßnahmen wurden als state action betrachtet, wobei sich das Gericht auf den verschiedentlich angewandten Grundsatz stützte, daß Rassendiskriminierungen als besonders eklatante Verletzung des 14. Amendment ein geringeres Maß an staatlicher Verwicklung zur Begründung von state action erfordem 279• Auch ein enges symbiotisches Beziehungsverhältnis zwischen Staat und Bürger, das dem privaten Handeln den Anschein staatlicher Autorisierung verleiht, vermag state action zu begründen 280. Schließlich führt die Ausübung von public functions als Wahrnehmung von Aufgaben, die in der Regel unter staatlicher Verantwortung ausgeübt oder traditionell mit hoheitlicher Gewalt in Verbindung gebracht werden, zur Annahme von state action. Daher konnten die Vorwahlen der Parteien den Bindungen der Verfassung unterworfen werden und die Möglichkeit zur Beteiligung auch Farbiger wurde sichergestellt 281 • Relevanz hatte die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben auch in den sit-inEntscheidungen des Supreme Court; Justice Douglas maß Cafeterias, Restaurants, Hotels und Warenhäusem öffentliche Funktionen zu 282 , und sah darin neben ihrer staatlichen Linzensierung den Auslöser für eine auf den Gleichheitssatz beschränkte Grundrechtsbindung der Eigentümer, was jedoch nicht die Unterstützung des Gerichts fand.

b) Quasi-public places aa) Marsh v. Alabama als Ausgangsentscheidung Für Meinungsäußerungen und Versammlungen auf privatem Eigentum ist Anknüpfungspunkt für state action die Ausübung öffentlicher Funktionen auf dem fraglichen Grundstück, das dann als quasi-public place 283 Forum der Ausübung der Rechte des 1. Amendment werden kann. In Marsh v. Alabama 284 hob der Supreme Court die trespass-Verurteilung von Zeugen Jehovas, die entgegen einem Verbot im Geschäftszentrum der im Eigentum einer Schiffbaugesellschaft stehenden Stadt Chickasaw Flugblätter verteilt 278 N.A.A.C.P., Frederick County Chapter v. Thompson, 648 F.Supp. 195 (209) (1986). 279 ebd., 224 m.w.Nw. 280 Vgl. Burton v. Wilmington Parking Authority, 365 US 715 (1961): Rassendiskriminierung in einem Restaurant, das sich auf Regierungsgelände befand, vorwiegend von Regierungsangestellten besucht wurde und mit staatlicher Hilfe restauriert worden war. 281 Nixon v. Hemdon, 273 US 536 (1927); Nixon v. Condon, 286 US 73 (1932); Smith v. Allwright, 321 US 649 (1944); Terry v. Adams, 345 US 461 (1953). 282 Lombard v. Louisiana, 373 US 267 (279,282 f.)c.o., "public facilities" (1963); Garner v. Louisiana, 368 US 157 (177,183)c.o. "instrumentalities of the state" (1961). 283 Emerson, System, 307. 284 326 us 501 (1946).

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hatten, wegen Verletzung des 1. und 14. Amendment auf; in Parallele zu in privatem Eigentum stehenden Brücken und Eisenbahnen stellte der Supreme Court fest: The more an owner opens up his property for use by the public in general, the more do his rights become circumscribed by the statutory and constitutional rights of those who use it. (... ) ... Since these facilities are built and operated primarily to benefit the public and since their operation is essentially a public function, it is subject to state regulation 2ss. Sind somit die Stadt und das Geschäftsviertel frei zugänglich, so mache andererseits die Eigentumslage für das Kommunikationsinteresse der Bürger keinen Unterschied, sodaß bei der notwendigen Güterahwägung die Interessen des Eigentümers wegen der herausgehobenen Stellung der Rechte des 1. Amendment unterliegen. Die Geltung der Rechte des 1. Amendment für den Eigentümer einer Stadt blieb aufgrundder Veränderung der sozialen Wirklichkeit einzigartig. Es wurde in den darauffolgenden Jahren Aufgabe der Rechtsprechung zu entscheiden, ob die Grundsätze aus Marsh v. Alabama auf privates Eigentum ähnlicher Struktur übertragen werden können. bb) Apartmentgebäude und private Wohnviertel Eine Verwerfung eines Verbots, einen Apartmentkomplex zum Zwecke religiösen, politischen oder kommerziellen Werbens zu betreten, lehnte der New York Court of Appeals 286 im Jahre 1948 ab, da das Verbot Ausnahmen bei Zustimmung der Eigentümer und Mieter vorsah 287 und sich nicht auf die ebenfalls in privatem Eigentum stehenden Straßen und Parks erstreckte. Letzteres war bei zwei neueren Entscheidungen von Gerichten in California gegeben, die über das Zutrittsverbot für die Verteiler einer kostenlosen Zeitung zu einem Wohnviertel mit ca. 20 000 Bewohnern zu entscheiden hatten. Die Unzulässigkeit des Verbots begründeten sie aus den Grundrechten der Verfassung von California sowie mit der Erwägung, daß den Verteilern einer Konkurrenzzeitung der Zutritt gewährt worden war 288 ; aus dem 1. Amendment ein Recht auf Zugang abzuleiten, lehnten die Gerichte mit Hinweis auf funktionelle Unterschiede zu einer company town und die fehlende Öffnung für die Allgemeinheit ab 289 • ebd., 506. Watchtower Bible & Tract Soc. Inc. v. Metropolitan Life lns.Co., 79 N.E.2d 433 (435) (1948); auch Hall v. Commonwealth, 49 S.E.2d 369 (1948); vgl. aber auch State v. Kolcz, 276 A.2d 595 (1971). 287 Zu diesem Erfordernis Manin v. Struthers, 319 US 141 (1943). 288 Laguna Publishing Co v. Goiden West Publishing Corp., 167 Cal.Rptr. 1382 (1980), Laguna Publishing Co. v. Golden Rains Foundation, 182 Cal.Rptr. 813 (1982). 289 Laguna Publishing Co. v. Golden Rains Foundation, 182 Cal.Rptr. 813 (826 f.). 285

286

5 Ehrentraut

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cc) Die shopping-center-Fälle Im Vordergrund der Diskussion über eine Ausdehnung der Grundsätze aus Marsh v. Alabama standen shopping centerund malls 290 , in denen Demonstranten unter den Kunden vor den Eingängen der Geschäfte für ihre Auffassungen warben. Der Supreme Court billigte den Demonstranten zunächst ein Recht auf Nutzung dieses fremden Eigentums zu, änderte seine Auffassung in späteren Urteilen aber wieder ab. Daß das 1. Amendment Demonstrationen auf dem Gelände eines shopping center schützt, begründete der Supreme Court mit der freien Zugänglichkeit, der Bezugnahme des Anliegens der Demonstranten auf den Geschäftsbetrieb, vor allem aber mit der funktionalen Ähnlichkeit der shopping center mit dem Geschäftsviertel der Stadt Chickasaw; aus letzterem Grund hielt es das Gericht für irrelevant, daß das shopping center von kommunalem Eigentum umgeben war, sein Eigentümer somit nicht umfassend über die Ausübung der Kommunikationsgrundrechte entscheiden konnte 291 • War somit das pickering gegen die Beschäftigung nicht gewerkschaftlich organisierter Arbeitnehmer zulässig, so konnten sich die Verteiler von Flugblättern gegen den Vietnamkrieg nicht mit Erfolg auf das 1. Amendment berufen; in Lloyd v. Tanner 292 sah der Supreme Court den entscheidenden Unterschied darin, daß die Inhalte der Meinungsäußerung in keinem Zusammenhang mit dem Geschäftsbetrieb standen und so andere Möglichkeiten zur kommunikativen Einwirkung vorhanden waren. Zugleich distanzierte sich das Gericht aber - ohne daß dies der Sachverhalt erforderte - von dem Kriterium der funktionalen Ähnlichkeit eines shoppingcentermit dem Geschäftsviertel einer Stadt. Für ein Recht auf Zutritt zur Ausübung der Kommunikationsgrundrechte reiche nicht aus, daß das shopping center dieselbe Funktion erfülle wie ein städtisches Geschäftszentrum; vielmehr setze eine Grundrechtsbindung des Eigentümers voraus, daß das betreffende Gelände alle Charakteristika einer Stadt aufweise 293 • Daß das Gericht sich hierbei auf die dissenfing opinion von Justice Black in der vorangegangenen Entscheidung stützte, macht deutlich, daß es sich im Grunde schon hier wieder von der Logan-Valley-Entscheidung löst, wenn auch diese Ausführung das Urteil Lloyd v. Tanner nicht tragen. In der nächsten Entscheidung, Hudgens v. N.L.R.B. 294, setzte sich der Supreme Court dann von Lloyd v. Tanner ab, als er betonte, daß die inhaltliche Konnexität zwischen Meinungskundgabe und Geschäftsbetrieb für ein Recht auf Meinungskundgaben auf privatem Eigentum keine Bedeutung habe. Nur Beschränkungen Zu deren Ausgestaltung Note, 90 Yale L.J. 168 f. (1982). Amalgarnated Food Employees v. Logan Valley Plaza, Inc.,391 US 308 (318 f.) (1968). 292 407 us 551 (559 f., 564 f.) (1972). 293 ebd., 562 f. 294 424 us 507 (1976). 290 291

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des Orts, der Zeit und der äußeren Umstände einer Meinungskundgabe seien mit dem 1. Amendment vereinbar, nichtjedoch Regelungen, dieamInhalt der jeweiligen Meinungsäußerungen anknüpfen 295 • Das picketing von Arbeitnehmern eines Geschäfts des shopping center ließ sich so nicht mehr auf den Gesichtspunkt der inhaltlichen Konnexität stützen. Zugleich bestätigte der Supreme Court, daß es - wie in Lloyd v. Tanner angedeutet - auch nicht auf die funktionale Ähnlichkeit zwischen einem shopping center und dem Geschäftsviertel einer Stadt ankomme. Diese Erwägung sei im Urteil Lloyd v. Tanner, das die Grundsätze aus Logan-Valley aufgehoben habe, zurückgewiesen worden; eine Verpflichtung des privaten Eigentümers aus der Meinungsfreiheit erfordere state action, die nur gegeben sei, wenn dem Eigentümer alle Befugnisse zustehen, die traditionell der Staat innehabe 296 • Obwohl der Sachverhalt in Hudgens v. N.L.R.B. dem der Ausgangsentscheidung weitgehend glich, gelangte der Supreme Court nunmehr zu einem entgegengesetzten Ergebnis; weder habe der Eigentümer eines shopping center quasi-staatliche Befugnisse noch rechtfertige die Bedeutung des Einkaufszentrums als Bezugsobjekt der Meinungskundgabe eine Anwendung der Grundrechte. Nach dem derzeitigen Stand der Rechtsprechung des Supreme Court verpflichtet somit das 1. Amendment nicht den Eigentümer eines shopping center, auf seinem Grundstück Meinungskundgaben zu dulden 297 dd) Wohnlager für Saisonarbeiter Diskutiert wurde in der Rechtsprechung auch die Grundrechtsbindung der Eigentümer von migrant Iabor camps, die häufig von der nächsten Stadt weit entfernt sind und über Wohntrakt, Strassen, Geschäfte, Freizeitanlagen, Kirchen und zum Teil auch über Postämter, Feuerwehr und eine eigene Abfallentsorgung verfügen 298 • Hier waren es in erster Linie nicht die Bewohner, die sich auf die Grundrechte stützten, sondern Gewerkschaften und soziale Organisationen, die sich um Zutritt bemühten. Bei den Ausführungen zur Geltung des 1. Amendment 299 beriefen sich die Gerichte zunächst in weitgehender Anlehnung an Marsh v. Alabama auf eine Einschränkung der Herrschaftsbefugnisse des Eigentümers, dessen Eigentum wegen der Öffnung für andere der Ausübung der freien Meinungsäußerung ebd., 520 f. ebd., 518 f. 297 Für das "Iabor picketing" kann sich aber ein Recht auf Nutzung fremden Privateigentums aus dem National Labor Relations Act (29 U.S.C.A. §§ 151 ff.) ergeben; vgl. N.L.R.B. v. Babcock Wilcox Co., 351 US 105 (113) (1956); Eastex Inc. v. N.L.R.B., 437 us 556 (573) (1978). 298 Vgl. Kaplan, 55 Chic.-Kent L.Rev ., 285f m. w. N. (1979) sowie die Rechtsprechung. 299 Zum Teil wurden die Fälle auch oder ausschließlich unter miet- oder eigentumsrechtlichen Aspekten gelöst, vgl. Francheschina v. Margan, 346 F.Supp.833 (838) (1972); Folgueras v. Hassle, 331 F.Supp. 615 (624) (1971); State v. Fox, 510 P.2d 230 (1973). 295

296

s•

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Teil A: Die Versammlungsfreiheit im amerikanischen Recht

unterliege 300• Später begründeten sie in Übereinstimmung mit Logan Valley und Lloyd v. Tanner die Anwendbarkeit des 1. Amendment mit der inhaltlichen Bezugnahme der Meinungsäußerungen auf die Angelegenheiten des Camp 301 • Schließlich aber lehnte ein U.S. Court of Appeals eine Vergleichbarkeit des Camp mit einer privaten Stadt ab, da es nicht alle Funktionen einer Stadt aufweise und auch von kleinerem Ausmaß sei3°2 • Ebenso wie in Hudgens v. N.L.R.B. wurde Marsh v. Alabama in einem sehr formalen Sinn interpretiert, sodaß eine Anwendung der Rechte des 1. Amendment gegen einen privaten Eigentümer über eine company town hinaus ausscheiden dürfte. c) Grundrechtsschutz aus den Staaten-Verfassungen

Lehnen es die Bundesgerichte in neuerer Rechtsprechung ab, aus dem

1. Amendment eine Verpflichtung des privaten Eigentümers zur Duldung von

Meinungskundgaben über private Städte hinaus anzuerkennen, so hat sich daraufhin die Diskussion dieser Problematik in die Staatenverfassungen verlagert.

Bis Mitte I Ende der 70er Jahre waren die Staaten-Gerichte bei der Auslegung der Kommunikationsgrundrechte ihrer Verfassungen weitgehend der Rechtsprechung des Supreme Court zum 1. Amendment gefolgt 303 • Die Problematik der Ausübung der Kommunikationsfreiheiten auf fremden Privateigentum, und hier wohl der Umschwung in der Rechtsprechung des Supreme Court in den shoppingcenter-Fällen, führte mit zu einer Rückbesinnung auf die Grundrechte der StaatenVerfassungen, die durch Vorarbeiten in der Literatur gefördert worden war 304 und sich auch auf andere Aspekte der Meinungsfreiheit erstreckt 305• In der Mehrheit haben die Gerichte, die sich mit der hier zu erörternden Kollisionslage befaßt haben, nur das Grundrecht der Meinungsfreiheit erörtert 306. Dennoch wird man die Diskussion in der Rechtsprechung auch auf die Versammlungsfreiheit übertragen können: Zum einen handelt es sich in rechtlicher Hinsicht 300 Folgueras v. Hassle, 331 F.Supp. 615 (624) (1973); ähnlich auch Mid Hudson, lnc. v. G. & U., lnc, 437 F.Supp.60 (1977); People v. Rewald, 318 N.Y.S.2d 40 (1971). 301 Peterson v. Talisman Sugar Co., 478 F.2d 73 (82 f.) (1973); Asociacion de Trabajadores Agricolas v. Green Giant Co., 518 F.2d 130 (136) (1975); Illionois Migrant Council v. Campbell Soup Co., 519 F.2d 391 (394) (1975). 302 Illinois Migrant Council v. Campbell Soup Co., 574 F.2d 374 (378) (1977); anders noch 519 F.2d 391 (394) (1975). 303 Vgl. Cohen, 57 Chic.-Kent L.Rev., 38lff (1981) und Note, 90 Yale L.J. 180 ff. (1982) m.w.Nw. 304 Etwa Project Report, 8 Harv.C.R.-C.L.L.Rev. 296 ff. (1973); Countryman, 45 Wash.L.Rev., 489 ff. (1970); Brennan, 90 Harv.L.Rev., 489 (1972); für eine Verpflichtung einer privaten Vereinigung aus der Meinungs- und Gedankenfreiheit der State Bill of Rights schon Spayd v. Ringing Rock Lodge No. 665, 113 A. 70 (72) (1921); vgl. auch Erdmann v. Mitchell, 56 A. 327 (331) (1904). 305 Nw. bei Note, 95 Harv.L.Rev., 1403 ff. (1980). 306 Auch zur Versammlungsfreiheit etwa State v. Schmidt, 423 A.2d 615 (626) (1980).

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um Fragen der allgemeinen Grundrechtsdogmatik, und die angeführten Argumente treffen- auch soweit es um den Text der Verfassung geht- auch auf die Versammlungsfreiheit zu. Zum anderen standen nach dem Sachverhalt einige Urteile mehrere Demonstranten eng beieinander; insoweit ist bei diesen kollektiven Kundgaben die Versammlungsfreiheit einschlägig, selbst wenn sie nicht ausdrücklich erwähnt wurde. Auch ist in keinem der Urteile die Kollektivität problematisiert und individuellen Kundgaben gegenübergestellt worden; eine grundsätzliche Differenzierung zwischen einem Demonstranten - dann Meinungsfreiheit- und zwei, drei oder mehreren Demonstranten- dann Versammlungsfreiheit307 und damit grundsätzlich eine abweichende Beurteilung- wäre kaum sinnvoll 308 . Die Aktivierung der Staaten-Grundrechte basiert auf dem Grundsatz, daß die Bill ofRights der Bundesverfassung lediglich einen Mindeststandard persönlicher Freiheit schützt und es den Staaten möglich ist, den Freiheitsgarantien des Bürgers gegenüber dem Staat in ihren Verfassungen eine stärkere Wirkkraft zu verleihen309. Bei der Kollision zwischen Kommunikationsrechten und dem privaten Eigentum berufen sich die Staaten-Gerichte, die eine extensive Auslegung ihrer Kommunikationsgrundrechte befürworten, auf den Text ihrer Verfassungen. Da in diesen die Grundrechte in einem positiven Sinne gewährleistet sind 310 und nicht nur - wie im 1. Amendment - gegen staatliche Eingriffe geschützt werden, komme der Meinungsfreiheit bei der Abwägung mit den Rechten des Eigentümers ein stärkeres Gewicht zu 311 . State action wird als Erfordernis für die Anwendung der Grundrechte zurückgewiesen oder anders ausgelegt als unter der Bundesverfassung 312• Für die Abwägung zwischen Kommunikationsrechten und privatem Eigentum wird in der Rechtsprechung überwiegend der folgende Maßstab herangezogen 313 : (I) the nature, purposes, and primary use of such private property, generally, its "normal" use,

307 Die Frage, wieviel Personen eine Versammlung bilden, wird - soweit ersichtlich für das 1. Amendment weder in Rechtsprechung noch in der Literatur behandelt. 3os Problematisch kann nur im Einzelfall die Zahl der Versammlungsteilnehmer sein. 309 Oregon v. Hess, 420 US 714 (719) (1975); Paris Adult Theater, lnc. v. Slayton, 413 US 49 (64) (1973); Cooper v. Califomia, 386 US 58 (62) (1967). 310 Etwa New Jersey Constitution, Art. 1, Sec. 6: ,,Every person may freely speak, write and publish bis sentiments on all subjects, being responsible for the abuse of that right. .."und Art. 1, Sec. 18: "The people have the right freely to assemble together to consult for the common good..." 311 Robins v. Pruneyard, 592 P.2d 341 (346) (1979); Alderwood v. Washington Environmental Council, 635 P.2d 108 (114 f.) (1981). 312 State v. Schmid, 423 A.2d 615 (628, 639) (1980); Alderwood v. Washington Environmental Council, 635 P.2d 108 (115 f.). 313 Vgl. State v. Schmid, 423 A.2d 615 (630) (1980); ferner etwa State v. Brown, 513 A.2d 974 (977) (1986); Right To Life Advoc., v. Aaron Women's Clinic, 737 S.W.2d 564 (567) (1987) m.w.Nw.; ähnlich Robins v. Pruneyard, 592 P.2d 341 (347); Alderwood v. Washington Environmental Council, 635 P.2d 108 (116).

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(2) the extent and nature of the public's invitation to use that property, and (3) the purpose of the expressional activity undertaken upon such property in relation to both the private and public use of the property. In Anwendung dieser Kriterien gelangten die Supreme Courts, die eine extensive Auslegung der Grundrechte ihrer Verfassungen befürworten, zu einer Verpflichtung der Eigentümer von shopping center 314 und Universitäten 315 , Meinungskundgaben auf ihrem Eigentum zu dulden; der Zutritt für Demonstranten zu dem Gelände privater Bürogebäude oder etwa Abtreibungskliniken wurde abgelehnt 316• Daß eine solche Auslegung der Staaten-Grundrechte mit der Bundesverfassung vereinbar ist, hatte der U.S. Supreme Court schon 1980 gegenüber der ersten Entscheidung eines Staaten-Supreme-Court zum vorliegenden Problem 317 bestätigt: Eine Auslegung der Meinungsfreiheit der Verfassung von California, die eine Verpflichtung des Eigentümers eines shopping center zur Duldung von Meinungskundgaben begründet, verletze nicht die Eigentumsgarantie und die negative Meinungsfreiheit der Bundesverfassung 318 • Demgegenüber stützen sich die Supreme Courts jener Staaten, die eine extensive Auslegung der Grundrechte ihrer Verfassungen ablehnen, auf die Vorstellungen der Verfassungsväter und die im Wesen einer Demokratie verwurzelte Tradition einer klassischen - staatsgerichteten - Interpretation der Grundrechte. Grundanliegen einer Verfassung sei die Organisation staatlicher Kompetenzen und deren Begrenzung gegenüber dem Bürger durch den Schutz individueller Freiheitsbereiche 319.State actionals Voraussetzung von Grundrechtsgeltung wird vorrangig mit dem Schutz privater Autonomie und dem Prinzip der Gewaltenteilung erklärt, die auch auf der Staatenebene Geltung beanspruchen. Der Verkehr der Bürger untereinander müsse von den Bindungen der Verfassungen weitgehend befreit sein; die Abgrenzung der Freiheitsbereiche unter den Bürgern sei Aufgabe des Gesetzgebers, dürfe aber nicht von den Gerichten durch Anmaßung legislatorischer Kompetenzen und in Widerspruch zur Verfassung vorgenommen wer314 Robins v. Pruneyard, 592 P.2d 341(Cal.) Alderwood v. Washington Environmental Council, 635 P.2d. 108(Wash.); Shad Alliance v. Smith Haven Mall. 462 N.Y.2d 344 (N.Y.); beschränkt auf das Recht, Unterschriften für eine politische Kandidatur zu sammeln; Batchelder v. Allied Stores Int'l., Inc. 445 N.E.2d 590 (Mass.). 315 State v. Schmid, 423 A.2d 615(N.J. 1980); Commenwealth v. Tate, 432 A.2d 1382 (Penn. 1981). 316 State v. Brown, 513 A.2d 974 (1986) bzw. Ingram v. Problem Pregnancy of Worchester, 488 N.E.2d 408 (1986); Right To Life Advoc. v. Aaron Women's Clinic, 737 S.W.2d 564 (1987); State v. Horn, 407 N.W.2d 854 (1987); s. auch unten A.VI.5. 317 Robins v. Pruneyard, 592 P.2d 341 (1979). 318 Pruneyard v. Robins, 447 US 74 (81 ff.) (1980). 319 Woodland v. Michigan Citizens Lobby,387 N.W.2d 337 (347); Western Penn. Socialist Workers 1982 Campaign v. Con.Gen.Life Ins., 515 A.2d 1331 (1335) (1986) (im folgenden zitiert als 1982 Campaign); Jacobs v. Major, 407 N.W.2d 832 (838 f.) (1987).

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den 320. Diese Supreme Courts lehnten es somit ab, Demonstranten den Zugang zu shopping centers zu gestatten 321

VI. Repressive Schranken der Versammlungsfreiheit 1. Riot Der Tatbestand des riot hat seinen Ursprung im common law, ist aber heute in den Gesetzen der Einzelstaaten als Straftatbestand - zum Teil als felony, zum Teil noch als misdemeanor 322 - festgeschrieben. Wie die common /awDefinitionen323 divergieren in Details auch die Staaten-Gesetze bei der Bestimmung des Tatbestandes. Soweit eine solche nicht ausdrücklich erfolgt ist, kann auf die Begriffsbestimmung des common law zurückgegriffen werden 324. In der Tendenz ist riot ein gewalttätiges, auf Beeinträchtigung des Lebens, der körperlichen Unversehrtheit oder fremden Eigentums 325 abzielendes kollektives Verhalten. Der gesetzlich vorgesehene Strafrahmen reicht bis zu 2 Jahren Gefängnis und/ oder 5 000 Dollar Geldstrafe 326 und wird verschiedentlich noch bei bestimmten Erfolgsqualifizierungen - hoher Sachschaden, Geiselnahme, schwere Körperverletzung - bis zu 10 Jahren Gefängnis und 10 000 Dollar Geldstrafe ausgedehnt 327 • Zur Erfüllung des Tatbestandes des riot bedarf es neben der Anwendung von Gewalt- "use of force and violence" 328 oder auch unmittelbar "injury to persons or darnage to property" 329 - und dem darauf gerichteten Vorsatz auch einer bestimmten äußeren Form des Verhaltens. Die Gewaltanwendung muß "tumultuous"330 sein, "public terror and alarm" 331 zumindest hervorzurufen geeignet sein, wie ein offener Angriff auf ein Büro mit Steinen, Flaschen und anschließender 320 Woodland v. Michigan Citizens Lobby, 387 N.W.2d 337 (347); 1982 Campaign, 515 A.2d 1331 (1339); Jacobs v. Major, 407 N.W.2d 832 (840,842 f.). 321 State v. Feimet, 273 S.E.2d 708(N.Car. 1981); Cologne v. Westfarm Associates, 469 A.2d 1201 (Conn. 1983); Woodland v. Michigan Citizens Lobby, ebd. (Mich. 1985); 1982 Campaign, ebd., (Penn. 1986), anders aber für Universitäten, s. Commonwealth v. Tate, 432 A.2d 1382, da dort Veranstaltungen verschiedener Art zugelassen worden waren; Jacobs v. Major, 407 N.W.2d 832, (Wisc. 1987). 322 Ariz.Rev.Stat.Ann., § 13-2903; bzw. Ala.State Code, § 13A-11-3. 323 Vgl. 77 C.J.S. 421. 324 State v. Beasley, 317 So.2d 750 (1973). 325 Anders im englischen Recht, vgl. Crombach, 82 f. 326 Iowa Code Ann., § 903.1. 327 D.C.Code, § 22-1122(d); Okl.Stat.Ann., § 21-1312. 328 Ariz.Rev.Stat.Ann., § 13-2903. 329 Cal.Penal Code, § 404. 330 Utah Code Ann., § 76-9-101; D.C.Code, § 1122. 331 Ala.State Code, § 13A-ll-3.

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Brandstiftung 332 oder die Plünderung eines Geschäfts 333 • Nicht ausreichend ist indes "merely the muscular exertion", "the force necessary to do the act", sodaß etwa eine heimliche Brandstiftung oder das Beschmieren einer Hauswand mit Kreosot keinen riot darstellen 334. Kein riot liegt auch bei nur kurz andauernden Gewalttätigkeiten vor, wie beispielsweise beim Schlagen von Polizisten und nichtstreikenden Arbeitern beim Durchschreiten einer picket line 335• Neben der unmittelbaren tätlichen Verursachung von Eigentums- und Körperverletzungen ist in einigen Staaten ausdrücklich die Drohung mit Gewalt als riot strafbar, "if accompanied by immediate power of execution", was in anderen Staaten aber ebenfalls durch die Modalität des "tumultuous or violent conduct" miterlaßt angesehen wird 336. Am häufigsten findet dieser Tatbestand bei Auseinandersetzungen zwischen streikenden und arbeitswilligenArbeitnehmernbeim Iabor picketing, bei Gefängnisrevolten und bei gewalttätigen Demonstrationen Anwendung 337 . Letztere und die teilweise bürgerkriegsähnlichen Ausschreitungen in den Wohngebieten Farbiger in zahlreichen amerikanischen Städten Anfang und Mitte der 60er Jahre führten zum Federal Riot Act von 1968, U.S.C.A. §§ 2101, 2102, Title 18. Die Verfassungsmäßigkeit von riot-Gesetzen der Staaten und auch von § 2101, 18 U.S.C.A. wurde von zahlreichen Staaten-Supreme Courts und Bundesgerichten bestätigt. Die gesetzlichen Verbote verletzen nicht die Rechte des 1. Amendment, da diese nicht die Begehung von Gewalt schützen, und sie sind auch hinreichend bestimmt, sodaß die Einwände von overbreadth und vagueness keine Anerkennung fanden33s.

2. Incitement to riot

Die Ausfüllung des Straftatbestandes incitement to riot, der für Versammlungen vor allem bei aufwieglerischen Reden vor einer Menschenmenge von Relevanz ist, ist eng verknüpft mit der Diskussion um Interpretation und Geltung des clear332 Ferguson v. Estelle, 717 F.2d 730 (1983). 333 United States v. Matthews, 419 F.2d 1177 (1180) (1969). 334 Salem M.F.G., Co. v. First American Fire Insur. 111 F.2d 797 (804) (1940); Walter v. Northem Ins. Co., 18 N.E.2d 206 (1939). 335 People v. Edelson, 7 N.Y.S.2d 323 (1938). 336 Vgl. Ariz., Ca!. bzw. Ala. State Code, Commentary; Campbell v. Birmingham, 405 So.2d 65 (69) (1983). 337 Vgl. Annotation 38 A.L.R.4th 663, m.w.Nw.(1985). 338 Etwa Ferguson v. Estelle, 717 F.2d 730 (1983); In re Shead, 302 F.Supp. 560 (1969); State v. Ayers, 260 A.2d 162 (1969); Williams v. Osmundson, 281 N.W.2d 622 (1979); State v. Orange, 478 P.2d 220 (1970); State v. Riddle, 262 S.E.2d 322 (1980). Eine Verletzung der "dueprocess"-Klausel des 5. Amendment durch 18. U.S.C.A., § 2101 rügt Bassiouni, 364, da eine Bestrafung auch bei zeitlichem Auseinanderfallen von Vorsatz und verbotener Handlung möglich ist.

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and-present-danger-Test als Maßstab zur Ermittlung der Grenzen zulässiger Meinungsäußerungen. Von Justice Oliver Wendeli Holmes für den Supreme Court in Schenck v. United States339 eingeführt, trat er in nachfolgenden Urteilen hinter den bad-tendency-Test zurück, und dies gerade auch bei der Befürwortung von Gewalt und Gesetzesverstößen 340. Allein die Justices Holmes und Brandeis hielten in ihren Voten am clear-and present-danger-Test fest und bemühten sich um seine Präzisierung wie etwa in Whitney v. California: But even advocacy of violation however reprehensible morally, is not a justification for denying free speech where the advocacy falls short of incitement and there is nothing to indicate that the advocacy would be immediately acted on. The wide difference between advocacy and incitement, between preparation and attempt, between assembling and conspiracy must be bome in mind ... To courageous, selfreliant men ... no danger flowing from speech can be deemed clear and present, unless the incident of the evil apprehended is so imminent that it may befall before there is opportunity for full discussion ... Moreover, even imminent danger cannot justify resort to prohibition of these functions essential to effective democracy, unless the evil apprehended is relatively serious34I. Auf ihn schwenkte schließlich auch der Supreme Court mehrheitlich ein bei der Beurteilung der Zulässigkeil von Beschränkungen der Meinungsfreiheit in unterschiedlichen Zusammenhängen 342 . In der Formulierung der Justices Holmes und Brandeis erfordert der clear-and-present-danger-Test- soweit es um Gewaltanwendung geht - mithin die unmittelbare Gefahr eines Ausbruches von Gewalt, sodaß bei einer räumlichen Entfernung zwischen dem Aufrufenden und möglichen Gewalttätern seine Voraussetzungen nur selten vorliegen dürften. Er trifft aber damit typische Versammlungssituationen, denn mit den Versammlungsteilnehmern ist ein mögliches Aktionspotential anwesend; die Zulässigkeil aufstachelnder Reden ist davon abhängig, ob sie die Anwesenden zu einer unmittelbaren Umsetzung der propagierten Gewalt veranlassen können. Eine Modifizierung des clear-and-present-danger-Test nahmen vier Richter in Dennis v. United States bei der Entscheidung über die Verurteilung von Gründungsmitgliedern der kommunistischen Partei nach dem Smith Act vor: Das Erfordernis einer deutlichen und gegenwärtigen Gefahr sollte durch ihre Schwere und Wahrscheinlichkeit relativiert werden können und so die Möglichkeit staatlichen Eingreifens nach vorne verlagern 343. In dieser Gestalt zog der Test die 339 249 US 47 (52) (1919); ferner Prowerk v. United States 249 US 204 (1919); Debs v. United States, 249 US 211 (1919); zur Entwicklung Strong, 1969 Sup.Ct.Rev., 41; Linde, 22 Stanf.L.Rev., 1163 (1970). 340 Abrams v. United States, 250 US 616 (629) (1919); Gitlow v. New York, 268 US 652 (1925); Whitney v. Califomia, 274 US 357 (1927). 341 274 US 357 (377)c.o. (1927). 342 z.B. Thornhill v. Alabama, 310 US 88 ( 1940): "picketing"; Cantweil v. Connecticut, 310 US 296 (1940): ,,riot"; Bridges v. Califomia, 314 US 252 (1941): "contempt of court"; eingehend Tribe, 617 ff., 623 ff. m.w.Nw. 343 341 US 494 (508,570)c.o. (1951).

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Kritik der Richter Black und Douglas auf sich, die Eingriffe des Staates zur Abwehr subversiver Tätigkeit eng begrenzt wissen wollten und in der neuen Formel eine prinzipiell unbegrenzte Generalermächtigung zur Einschränkung verfassungsmäßig garantierter Rechte sahen 344. Im Bemühen, die Auswirkungen des nunmehr befürworteten Maßstabes zu begrenzen, betonte der Supreme Court in Yates v. United States den entscheidenden Unterschied zwischen advocacy and teaching of concrete action und advocacy of abstract doctrine: The essential distinction is that those to whom the advocacy is addressed must be urged to do something, ... rather than simply to believe in something345. Trotz dieser Klarstellung ließ der Supreme Court aber keinen Zweifel daran, daß die Gewaltanwendung nicht unmittelbar bevorstehen muß, sondern in der Zukunft liegen kann346. Neu formuliert wurde der Gefahrentest bei der Befürwortung von Gewalt vom Supreme Court im Jahre 1969 in Brandenburg v. Ohio347 . Einschränkungen der Rechte des 1. Amendment bei Aufrufen zu Gewalt und Gesetzesbrüchen sind nur zulässig, where ... advocacy is directed to inciting or producing imminent lawless action and is likely to incite or pro duce such action348. Diese Formel verbindet die Interpretation des clear-and-present-danger-Test durch den Supreme Court in Yates v. United States mit seiner ursprünglichen Formulierung durch die Justices Holmes und Brandeis. Erforderlich sind Meinungsäußerungen, die ihrem Inhalt nach auf Anwendung unmittelbarer Gewalt gerichtet sind und diese unter Berücksichtigung der äußeren Umstände auch hinreichend wahrscheinlich machen. Die Androhung von Gewalt für die unbestimmte Zukunft durch einen Demonstranten ("We'll take the fucking street later") reicht somit nicht aus 349. Brandenburg v. Ohio gibt den bis heute gültigen Stand der Rechtsprechung wieder, und im Sinne dieser Entscheidung werden auch die Gesetze der Staaten sowie§ 2102(a) (1) (A), 18 U.S.C.A., die incitement to riot unter Strafe stellen, ausgelegt, auch, wenn sie nicht ausdrücklich die erforderliche Absicht des Auffordernden und die Kriterien des Supreme Court festschreiben 350. 344 Etwa Konigsberg v. State, 366 US 36 (62)d.o. (1960). Im Gegensatz zu Justice Doug1as hatte Justice B1ack seine "dissenting opinion" in Dennis v. United States auch nicht auf die ursprüngliche Formulierung nach Holmes und Brandeis gestützt; beide ablehnend in Brandenburg v. Ohio, 395 US 444 (449)c.o.; (452 ff.)c.o. (1969). 345 354 us 298 (323 f.) (1957). 346 ebd.; ferner Scales v. United States, 367 US 203 (251) (1960); Noto v. United States, 367 US 290 (1960). 347 395 us 444 (1969). 348 ebd., 447 f. 349 Hess v. Indiana, 414 US 105 (1973). 350 Peop1e v. Winston, 314 N.Y.S.2d 489 (1970) sowie In re Shead, 302 F. Supp. 560 (566) (1960); United States v. Dellinger, 472 F.2d 340 (363) (1972).

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3. Unlawful assembly Durch dieses ursprüngliche common-law-Delikt wird nicht jegliches gesetzwidrige Verhalten erfaßt, vielmehr soll vorbeugend dem Ausbruch eines riot begegnet werden 351 • Es erfaßt somit ein dem riot vorgelagertes Stadium, das sich vom incitement to riot dadurch unterscheidet, daß sich die Menschenmenge mit dem Aufruf solidarisiert und es sich so um kollektiv rechtswidriges Verhalten handelt. Die historische Entwicklung läßt eine eher objektive und eine subjektive Akzentuierung des Verbots erkennen; durch die Charakterisierung als in terrorem populi sollte ein Handeln untersagt werden, das zu einer wohlbegründeten Annahme einer drohenden Störung des öffentlichen Friedens Anlaß gibt 352; in anderen Definitionen stand eine entsprechende Absicht der Versammlungsteilnehmer im Vordergrund 353. Das Verbot von unlawful assernblies ist heute gewöhnlich in den Gesetzen der einzelnen Staaten festgelegt; es setzt zumindest zwei Teilnehmer voraus 354, der Strafrahmen geht bis zu einem Jahr Gefängnis und I oder 1 000 Dollar Geldstrafe355. In der Mehrzahl der Gesetze liegt der Schwerpunkt des Delikts in der Entschlußfassung der Versammelten; untersagt wird, sich in der Absicht zu versammeln oder versammelt zu bleiben, einen riot 356 , breach I disturbance of the peace 351 oder einen unlawful act 358 durchzuführen. Letztere Variante haben einige Gerichte aufgrund mangelnder Bestimmtheit für verfassungswidrig erklärt359, andere als unlawful act einschränkend nur vom Strafrecht verbotenes Verhalten angesehen 360. Soweit für die Deliktsbegehung die Durchführung der Versammlung als relevant angesehen wird, ist das betreffende Verhalten als "acting in a violent manner" 361 oder "in a manner reasonable to believe that the assembly will cause injury to persans or property" beschrieben 362 . Die Hauptproblematik des Delikts besteht in der genauen Bestimmung des Zeitpunkts seiner Verwirklichung. Da es die Vorstufe gewalttätigen Verhaltens 351 State v. Woolman, 33 P.2d.640 (644) (1933); People v. Uptgraft, 87 Cal.Rptr. 495 (463) (1970). 352 State v. Butterworth, 142 A. 2d 57 (61) (1928); People v. Kerrick, 261 P. 756 (759) (1927). 353 Outeher v. State, 19 N.W. 970 (1884); Lair v. State, 316 P.2d 225 (235) (1957). 354 Cal. Penal Code, § 407. 355 Geo.Code Ann., §§ 26-2601, 27-2506. 356 Etwa Va.Code Ann., § 18.1-254 (1); Haw.Rev.Stat., § 711-1104. 357 Flor.Stat.Ann., § 870.62; Kan.Stat.Ann., § 21-4102. 358 Cal.Penal Code, § 407; Geo. Code Ann., § 26-2604. 359 Landrey v. Dailey, 280 F.Supp. 938 (955) (1968); Le Flore v. Robinson, 434 F.2d 933 (942) (1970), aus anderen Gründen aufgehoben, 446 F.2d 715. 360 In re Brown, 510 P.2d 1017 (1025) (1973); Chambers v. Municipal Court, 135 Cal.Rptr 695 (698) (1977). 361 Iowa Code Ann. § 723.2. 362 Wis.Stat.Ann., § 947.06.

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erfassen soll, besteht die Gefahr, daß das Verbot zu früh zum Einsatz gebracht wird. Dies war etwa der Fall bei einem Marsch von mit weißen Roben bekleideten Mitgliedern des Ku-Klux-Klan durch die bevölkerte Innenstadt, bei der aber kein Anzeichen für eine beabsichtigte Störung des öffentlichen Friedens gegeben war 363 • In People v. Uptgraft 364 billigte ein Superior Court von Califomia die Annahme eines gemeinsamen Willens zur Verletzung von Strafgesetzen bei einer Versammlung, in der einige Teilnehmer Steine, Helme und Sprechfunkgeräte bei sich führten, da in den vorausgegangenen Tagen ähnliche Versammlungen immer zu Sachbeschädigungen auf dem Campus geführt hatten. Zur Konkretisierung greifen die Gerichte auf den clear-and-present-danger-Test 365 zurück, was zu einer weitgehenden Angleichung der subjektiv und objektiv ausgerichteten Tatbestände führt.

4. Fighting words und hostile audiences Zeichnen sich die bisher dargestellten Schranken der Versammlungsfreiheit dadurch aus, daß sie in rechtswidrigem Verhalten der Versammelten oder einzelner Redner gründen, so sind hiervon Störungen zu unterscheiden, die von außen an die Versammlung herangetragen werden. So einfach diese Problematik in der Theorie aufzuzeigen ist, so schwierig ist ihre rechtliche Bewältigung. Diese Schwierigkeit hat ihre Ursache maßgeblich in der Relativität des clearand-present-danger-Test, bei dem die äußeren Umstände während einer Meinungskundgabe zur Beurteilung der Zulässigkeil der Meinungsäußerung herangezogen werden. Deutlich wird dies bei denfighting words, einer weiteren Kategorie nicht verfassungsrechtlich geschützter und strafbarer Meinungsäußerungen, "which by their very utterance inflict injury or tend to incite an immediate breach of the peace" 366 oder "have a direct tendency to cause acts of violence by the person to whom, individually, the remark is addressed" 367 • Konfliktsituationen im Spannungsfeld zwischen provozierenden, aber zulässigen Meinungsäußerungen verbunden mit Angriffen oder Drohungen aus einem hostile audience einerseits und Überschreitungen der Grenzen der Meinungsfreiheit andererseits anläßtich von Veranstaltungen unpopulärer Minderheitsgruppen lassen sich zahlreich ausmachen. Wie Anfang dieses Jahrhunderts die Heilsarmee, daran anschließend die ZeugenJehovasund in den 30/40er Jahren Gewerkschaften und sozialistische Parteien, so waren es in den 60er Jahren die BürgerrechtsbeShields v. State, 40 A.L.R. 945 (948) (1925). 87 Cal.Rptr 459 (463) (1970). 365 Divine v. Wood, 286 F.Supp. 102 (105) (1968); 1n re Brown, 510 P.2d 1017 (1025); People v. Uptgraft, 87 Cal.Rptr 459 (463). 366 Chaplinsky v. New Harnpshire, 315 US 568 (572 f.) (1942). 367 Gooding v. Wilson, 405 US 518 (523) (1972). 363

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wegung und später der Protest gegen die Beteiligung am Vietnamkrieg oder in jüngster Zeit Demonstrationen iranischer Studenten, die die Problematik einer Differenzierung zwischen der Versammlung als Subjekt und Objekt einer Störung aufwarfen. Am nachdrücklichsten und dramatischsten stellte sich diese Grenzziehung bei Demonstrationen amerikanischer Nazi-Gruppen in originalgetreuen Uniformen in Wohnvierteln von Bürgern jüdischen Glaubens, wie etwa Ende der 70er Jahre in Skokie 368. Zu Beginn der Entscheidungspraxis zu diesem Problemkreis ließ der Supreme Court einen großen Toleranzspielraum zugunsten provozierender Meinungsäußerungen zu, als er in Cantweil v. Connecticut 369 auch Übertreibungen und Herabsetzungen billigte und in Terminiello v. Chicago anläßlich einer aggressiven Rede, die von Sachbeschädigungen und Körperverletzungen außerhalb der gemieteten Halle begleitet wurde, feststellte: (A) function of free speech under our system of govemment is to invite dispute. lt may indeed best serve its high purpose when it induces a condition of unrest, creates dissatisfaction with conditions as they are, or even stirs people to anger. Speech is often provocative and challenging. It may strike at prejudices and preconceptions and have a profound unsettling ef fects as it presses for acceptance of an idea . . . 370 Läßt sich hier die Unwilligkeil erkennen, feindliche Reaktionen des Publikums vorschnell auf den Redner oder die Versammlung abzuwälzen, so unterlag der Supreme Court dieser Versuchung doch in Feiner v. New York371 . Obwohl nur einer der ca. 80 Zuhörer Gewalt androhte, falls die Polizei nicht einschreite, hielt er die Verurteilung des Redners, der sich dem Redeverbot zwei anwesender Polizisten nicht sofort gebeugt hatte, wegen disorderley conduct aufrecht. Der Supreme Court hinterfragte weder die Wahrscheinlichkeit einer Gewaltanwendung noch erörterte er - im Gegensatz zu den dissentierenden Justices Black, Douglas und Minton-eineVerpflichtung der Polizisten zum Schutz des Redners. Diese Mängel mußten zu dem Widerspruch führen, daß das Gericht einerseits ausführte "(p)etitioner was thus neither arrested nor convicted for the making or the content of his speech" 372, später aber doch zu der Feststellung gelangte, daß der Polizei das Handeln nicht verwehrt sei, "when, as here, the speaker passes the bounds of argument, and undertakes incitement to riot" 373 . In nachfolgenden Urteilen konnte sich der Supreme Court vor den Konsequenzen aus dieser Entscheidung bewahren, indem er deren Sachverhalte aufgrund 368 Eingehend Donald Dows, Nazis in Skokie, Notre Dame 1985 und David Hamlin, The Nazi I Skokie Conflict, Boston 1980 m.Nw.z.Rspr.; die Nat'I. Soc. Party of America wurde in den Prozessen von der A.C.L.U. vertreten. Aus der früheren Rspr.. etwa Rockweil v. Morris, 211 N.Y.S.2d 25 (1971); 176N.E.2d 836, 177 N.E.2d48 (jew. 1961). 369 310 us 296 (310) (1940). 370 337 us 1 (4) (1949). 371 340 us 315 (1951). 372 ,,Rather, it was the reaction which it actually engendered", ebd., 319. 373 ebd., 326 f.

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fehlender Drohung mit Gewalt oder der Anwesenheit einer größeren Zahl von Polizisten unterschied; dies führte zur Aufhebung der Verurteilung von Bürgerrechtsdemonstranten wegen breach of peace oder disorderly conduct 374• Die fighting-words-Doktrin ließ sich umgehen, da es sich bei kollektiver Demonstration gerade nicht um Aussagen handelt, die individuell an eine Person gerichtet werden 375 • Das Gericht sprach zugleich den Grundsatz aus, daß in verfassungsmäßig garantierte Rechte nicht allein wegen feindlicher Reaktionen Andersdenkender eingegriffen werden dürfe 376 und bestätigte damit implizit die unteren Bundesgerichte, die die Verpflichtung staatlicher Organe zum Schutz friedlicher Demonstrationen betont und verschiedentlich auch angeordnet hatten 377 • Ohne Feiner v. New York ausdrücklich durch overruling zu entkräften, gelangte der Supreme Court so zu akzeptablen Resultaten, die auch durch die dogmatische Entwicklung gefordert und erleichtert wurden. Die strafrechtliche Verantwortung für die zuvor dargestellten Delikte der Störung des öffentlichen Friedens erfordern zum einen eine entsprechende Absicht 378 , die die Versammelten in der Regel nicht haben dürften; auch erleichtert die in Brandenburg v. Ohio befürwortete Synthese aus Kontext und Inhalt einer Meinungsäußerung, die Abwälzung der Verantwortung für Störungen aus dem Publikum auf die Versammlung einzudämmen, da nicht mehr allein der Schadenseintritt von Bedeutung ist. Die Reichweite der staatlichen Verpflichtung zum Schutz der Versamml\lng wird aus der Rechtsprechung nicht gänzlich klar. In Gregory v. Chicago 379 verwarf der Supreme Court die Verurteilung von mit Steinen und Eiern beworfenen Demonstranten, die der Auflösungsverfügung der Polizei nicht Folge geleistet hatten, wegen disorderly conduct. Die Entscheidung beruht auf der Feststellung, daß eine friedliche Versammlung nicht disorderly sei und die Weigerung, einer Polizeiverfügung nachzukommen, weder nach dem Text des Gesetzes noch der Anklage disorderly conduct darstelle. Die Tendenz in der Mehrheit der Literatur und der Rechtsprechung geht dahin, bei unterlegenen Polizeikräften und erfolglosen Versuchen, Ausschreitungen durch Vorgehen gegen die Störer zu verhindern, 374 "This ... was a far cry from the Situation in Feiner v. New York...", Edwards v. South Carolina, 372 US 229 (236) (1963); Cox v. Louisiana, 379 US 539 (546) (1965); ferner Gamer v. Louisiana, 368 US 157 (1961). 375 Zu diesem Erfordernis Chaplinsky v. New Hampshire, 315 US 568 (573); Cohen v. Califomia, 403 US 15 (20) (1971). 376 Watson v. Memphis, 373 US 526 (535) (1963); Cox v. Louisiana, 379 US 539 (551); BacheBar v. Maryland, 397 US 564 (571) (1970). 377 Seilers v. Johnson, 163 F.2d 877 (880) (1947); Kelly v. Page, 335 F.2d 114 (119) (1964); Glassan v. Louisville, 518 F.2d 899 (906); Williams v. Wallace, 240 F.Supp. 100 (108) (1965); Cottonrader v. Johnson, 252 F.Supp. 492 (497) (1966); Houser v. Hili, 278 F.Supp. 920 (927) (1968). 378 Anders noch Cantweil v. Connecticut, 310 US 296 (309) (1940); für eine Lösung der Problematik des ,,hostile audience" durch subjektive Kriterien, Note, 49 Col.L.Rev., 1123 (1949); ablehnend Note, 75 Mich.L.Rev., 185 f. (1976). 379 394 us 111 (1969).

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eine Auflösung der Versammlung und bei Nichtbefolgen auch Sanktionen gegen die Teilnehmer für zulässig zu erachten 380.

5. Trespass Eine weitere häufig relevante Schranke der Versammlungsfreiheit sind die trespass-Gesetze, durch die unbefugtes Betreten oder Verweilen auf fremden Eigentum bei Strafen von durchschnittlich 6 Monaten Gefangnis und I oder 500 Dollar untersagt wird. Die Formulierungen des Verbotstatbestandes differieren; in einigen Staaten werden generalklauselartig Gebäude oder Grundstücke geschützt381, in anderen finden sich eher kasuistische Regelungen, in denen nach Schutzobjekten- etwa Wohnhäuser, öffentliche und private Gebäude und eingefriedetes Gelände - sowie verschiedenen Begehungsmodalitäten unterschieden wird382. Die Anwendung von trespass-Gesetzen auf Demonstranten wird- wie Adderly v. Florida 383 bei einer Demonstration auf dem Gelände eines Gefangnisses zeigt - durch die aus dem l. Amendment abgeleiteten Grundsätze zu den Foren der Kommunikationsgrundrechte gesteuert. Die unteren Bundesgerichte und einige Staatengerichte sind häufig der extensiven Auslegung der Grundrechte, die vom Supreme Court Ende der 60er Jahre vertreten wurde 384, gefolgt und haben diese ausgebaut. Meinungskundgaben, auch in kollektiver Form, sind danach grundsätzlich möglich etwa in Warteräumen von Arbeits- und Sozialämtern 385 , in der Rotunda eines State Capitol 386, auf Flughäfen 387 , Busbahnhöfen oder Eisenbahnstationen 388 sowie in Museen oder Kunstgalerien 389. 380 Abemathy, Assembly, 78; Bamum, 29 Am.J.Comp.L., 94 (1978); Note, 75 Mich.L.Rev., 183 f. (1977); Note, 80 Harv.L.Rev., 1775 (1967); Note, 19 Kans.L.Rev., 530 (1968); Chicago v. Gregory, 233 N.E.2d 422 (429) (1968); Beckerman v. Tupela, 664 F.2d 502 (510) (1981); gegen ein Vorgehen gegen die Versammlung, Blasi, 68 Mich.L.Rev., 1513 f. (1970); zuriickhaltend auch Emerson, System, 338 f. 381 Mass.Ann.Laws, §§ 266, 120, 266 123; Conn.Gen.Stat., §§ 53a-107 ff. 382 N.Y. Penal Law, §§ 140.05 ff.; Kent.Rev.Stat., § 511 030 ff. 383 385 US 39 (1966); s.o. A.V.I.b. 384 s.o. A.V.l.b. (Brown v. Louisiana, 383 US 131). 385 Hurley v. Hinckley, 304 F.Supp. 704 ( 1969); Massachusetts Welfare Rights Organization v. Ott, 421 F.2d 525 (1969); Unemployed Workers Union v. Hackett, 332 F. Supp. 1372 (1971); Albany Welfare Rights Organization v. Wyman, 493 F.2d 1319 (1974). 386 Reilly v. Noel, 384 F.Supp. 741 (1974). 387 Int.Soc. for Krishna Consciousness v. Eaves, 601 F.2d. 809 (1979); Chicago Area Military Project v. Chicago, 508 F.2d 921 (1975); Kuszynski v. Oakland, 479 F.2d 1130 (1973). 388 Wolin v. Port of New York Authority, 392 F.2d 83 (1968); In re Hoffmann, 434 P.2d 353 (1967). 389 United States v. Boesewetter, 463 F.Supp. 370 (1978).

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Teil A: Die Versammlungsfreiheit im amerikanischen Recht

Bei Abwägung der kollidierenden Interessen griffen die Gerichte auf die folgenden Kriterien zurück: 1. is the proposed situs dedicated to public use; 2. does the character of the place, the pattem of usual activity, the nature of its essential purpose and the population who take advantage of the generat invitation extended make it an appropriate place for communication of views on issues of political and social relevance; 3. does the proposed forum bear any particular relevance to the protest as either: a) the actual or symbolic object of the protest; or b) the place where the intended audience may be found390. In einigen trespass-Gesetzen finden diese Kriterien zum Teil Berücksichtigung, so etwa in North Carolina oder Colorado, wo als trespass in öffentlichen Gebäuden nur ein Verhalten strafbar ist, durch das der Arbeitsbetrieb oder die Verfolgung der Zweckbestimmung, der das Gebäude dient, behindert wird 39 1. Soweit ein Recht zu Demonstrationen nicht anerkannt wird oder deren Durchführung zu einer Störung des Geschäftsbetriebs führt, bedarf es zu einer Verurteilung wegen trespass bei einem frei zugänglichen Gebäude oder Gelände einer persönlichen Aufforderung zum Verlassen 392. Bei in privaten Eigentum stehenden Einrichtungen hat die Rechtsprechung über die bereits angeführten Örtlichkeiten hinaus kein Recht zum Zutritt für Demonstranten anerkannt. Demonstranten auf dem Gelände von Atomkraftwerken 393 , privater Unternehmen 394 oder etwa Abtreibungskliniken 395 werden auch dann aus trespass verurteilt, wenn durch die Meinungskundgaben der Geschäftsbetriebe nicht behindert wird; die Grundrechte, auch die der StaatenVerfassungen, werden in den meisten Entscheidungen nicht einmal erwähnt 396. Auch bei freiem Zugang, so einige Gerichte in Anknüpfung an die Rechtsprechung des Supreme Court zu den shopping-center-Fällen, verliert das Eigentum 390 Reilly v. Noel, 384 F.Supp. 741 (748) (1978) m.w.Nw. 391 N.Car.Gen.Stat., § 14-131.1; Col.Stat.Ann., § 18-9-110. 392 Ala.State Code, § 13A-7 -1 (4); N.Y. Penal Code, § 140.00, Commentary; Commonwealth v. Hood, 452 N.E.2d 188 (1983); State v. Martin, 398 A.2d 1197 (1978). 393 State v. Dorsey, 395 A.2d 855 (1978); State v. Koski, 411 A.2d 1122 (1980); State v. Brady, 424 A.2d 407 (1980); State v. Weitzman, 427 A.2d 3 (1981); People v. Hubbard, 343 N.W.2d 236 (1980); State v. Hunt, 630 S.W.2d 211 (1982); State v. Brown, 513 A.2d 974 (1986). 394 State v. Martin, 398 A.2d 1197 (1978); Commonwealth v. Hood, 452 N.E.2d 188 (1988); State v. Brechon, 352 N.W.2d 745 (1984); State v. Marley, 509 P.2d 741 (1973). 395 Northeast Women's Center, lnc. v. McMonagh, 665 F.Supp. 1147 (1987); Grogan v. United States, 435 A.2d 1069 (1981); Gaetano v. United States, 406 A.2d 1291 (1979); State v. Horn, 377 N.W.2d 176 (1985) und 407 N.W.2d 854 (1987); lngram v. Problem Pregnancy of Worchester, 488 N.E.2d 408 (1986); State v. Scholberg, 412 N.W.2d 339 (1987); Right To Life Advoc. v. Aaron Women's Clinic, 737 S.W.2d 534 (1987). 396 Eingehend nur State v. Martin, 398 A.2d 1197 (1201); Commonwealth v. Hood, 452 N.E.2d 188 (191).

VI. Repressive Schranken der Versammlungsfreiheit

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nicht seinen privaten Charakter, sodaß der Eigentümer die Demonstranten ohne Rücksicht auf die Rechte des 1. Amendment zum Verlassen auffordern kann 397•

6. Obstruction Unzulässig sind schließlich Versammlungen oder Meinungsäußerungen, die als Blockade oder Hindernis wirken. In Gesetzen der Staaten und auch Verordnungen aufkommunaler Ebene wird das Blockieren des Fußgänger- und Fahrzeugverkehrs auf öffentlichen Wegen und Straßen 398 sowie der Zugänge zu öffentlichen, auch privaten Gebäuden 399 als violationoder misdemeanor untersagt. Wie bereits dargestellt 400 , wurden auf Grundlage dieser Normen zu Beginn dieses Jahrhunderts zahlreiche Veranstaltungen von Minderheitenorganisationen aufgelöst und ihre Teilnehmer wegen obstruction verurteilt. Nach Auffassung einiger Gerichte bedurfte es hierfür nicht einer Beeinträchtigung der aktuellen Fortbewegungsmöglichkeiten anderer 401 wie auch eine vorher erteilte Genehmigung der Verurteilung nicht entgegenstanden. In den heute gültigen Kodifizierungen wird obstruction als eine unverhältnismäßige Beschränkung der Fortbewegung oder des Zugangs definiert 402 , die eine aktuelle Beeinträchtigung voraussetzt 403. Die Verfassungsmäßigkeit von obstruction-Gesetzen I Verordnungen hat der Supreme Court bestätigt. In Cox v. Lousiana 404 hob er die Verpflichtung des Staates hervor, öffentliche Wege frei zu halten, und sprach Demonstranten das Recht ab, eine Straße oder einen Zugang abzuriegeln und niemanden passieren zu lassen, der sich nicht die Äußerungen der Demonstrierenden anhören will. In Cameron v. Johnson 405 wies er die Einwände von vagueness und overbreadth gegen das obstruction-Gesetz des Staates Mississippi zurück. Ebenso herrscht in der Literatur - auch unter Autoren, die eine extensive Auslegung der Rechte des 1. Amendment befürworten- Einigkeit über die Nichtgeltung des 1. Amendment und über Zulässigkeil von Sanktionen gegen Blockadeteilnehmer, da Zwang ausgeübt wird und die Autonomie anderer unverhältnismäßig beschränkt wird 406. State v. Martin, ebd., Commonwealth v. Hood, ebd. Cal. Penal Code, § 647(c). 399 Conn.Gen.Stat., § 952-53a-182a bzw. Wisc.Stat.Ann., § 947.06. 400 s.o. A.IV.l. 401 Chariton v. Fitzsimmons, 54 N.W. 146 (1893); People v. Pierce, 83 N.Y.S. 79 (81) (1903); Commonwealth v. Surridge, 164 N.E. 480 (481) (1929). 402 Ala.State Code, § 13A-11-1 (1); Delw.Code Ann., § 26-1323. 403 Wisc. State Ann., § 947.06; Medrano v. Allee, 347 F.Supp. 605 (619) (1972); Ex parte Bodkin, 194 P.2d 588 (591 ) (1948). 404 379 US 539 (555) (1965); auch Schneider v. State 308 US 147 (160) (1939). 405 390 US 611 (616) (1968); ferner Shuttlesworth v. Birmingham, 382 US 87 (1965). 397

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6 Ehrentraut

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Teil A: Die Ver;;ammlungsfreiheit im amerik;mischen Recht

Als unzulässig, da nicht die Umstände des Einzelfalls berücksichtigend, sahen Bundesgerichte jedoch Verbote an, mit mehr als 2 Personen innerhalb einer bestimmten Entfernung (5 bzw. 50 feet) von Eingängen zu Wohnhäusern, Geschäften und öffentlichen Gebäuden zu demonstrieren 407 • Einige der Gesetze sehen ausdrücklich Ausnahmen von der Unzulässigkeil von obstruction für die Ausübung der Rechte des 1. Amendment vor. So haben die Verbote keine Geltung gegenüber einem Redner, dessen Zuhörer ein Hindernis bilden oder gegenüber Zuhörern oder Demonstranten, sofern die durch sie verursachte Behinderung leicht zu beseitigen ist 408 • In Los Angeles wurde die obstruction-Verordnung in diesem Sinne von den örtlichen Gerichten interpretiert 409 , was nach Aussagen der Polizeibehörden auch in anderen Städten die polizeiliche Praxis ist, sofern die Menschenmenge kein unüberwindbares Hindernis bildet.

VII. Präventive Beschränkungen der Versammlungsfreiheit 1. Die doctrine of prior restraint

Die grundsätzliche Unzulässigkeil präventiver Beschränkungen der Rechte des

1. Amendment als Inhalt der doctrine of prior restraint des amerikanischen

Verfassungsrechts geht zurück auf den Kampf um die Genehmigungsfreiheit für Herstellung und Verbreitung von Druckerzeugnissen in England, die 1695 durch Ober- und Unterhaus anerkannt wurde 410. Sie erklärt sich zunächst aus der freiheitsfeindlicheren Wirkung 411 von prior restraint im Gegensatz zu subsequent punishment; Beschränkungen der ersteren Art ergehen nur aufgrundeiner spekulativen Einschätzung von Meinungsäußerungen, verbannen diese vollständig aus der öffentlichen Diskussion, begünstigen bei ihrer Anwendung eine Eigendynamik und unterliegen in ihrer Durchsetzung nicht den gerichtlichen - zum Teil verfassungsrechtlich erforderten- Verfahrenssicherungen, die eine vielschichtigere (hearing, jury-Beteiligung) und ausgewogenere (richterliche Unabhängigkeit) Bewertung ermöglichen412. 406 Emerson, System, 89 ff.; Balcer, 78 Nw.U.L.Rev., 486 (1983); Wright, 22 Vand.L. Rev., 1084 (1969); Kalven, 1965 Sup.Ct.Rev., 27; Commission Statement (s.o. Fn. 24), 90; angedeutet auch bei Meiklejohn, Selfgovernment, 25 und 1961 Sup.Ct.Rev., 261. 407 Davis v. Francois, 395 F.2d 730 (732) (1968); Medrano v. Allee, 347 F.Supp. 605 (614 f.) (1972). 408 So Ala.State Code, § 13A-11-1 (1); Conn.Gen.Stat., § 952-53a-183a; Haw.Rev. Stat., § 711 - 1105; Kent.Rev .Stat., § 525 040; San Francisco Police Code, Art. 1, Sec. 22(c). 409 Anm. in City Charter, Sec. 41.18(a). 410 Emerson, 20 Law & Cont.Probl., 650 ff. (1955); Chafee, Free Speech, 9 ff.; 314 ff. 411 Zweifelnd Litwack, 12 Harv.C.R.-C.L.L.Rev., 521 ff. (1977). 412 Vgl. Bantarn Books lnc. v. Sullivan, 372 US 58 (69 f.) (1963) m.w.Nw.; Emerson, 20 Law & Cont.Probl., 655 ff.; Redish, 70 Va.L.Rev., 55 (1984); Monaghan, 83 Harv.L. Rev., 522 (1970); Blasi, 66 Minn.L.Rev. 24 ff. (1982). ·

VII. Präventive Beschränkungen der Versammlungsfreiheit

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Ausgehend von der Pressefreiheit wurde so in der frühen Rechtsprechung des Supreme Court der Hauptzweck des 1. Amendment in dem Schutz vor präventiven Beschränkungen der dort angeführten Rechte gesehen, wobei die Mehrzahl der Entscheidungen des Gerichts zur Meinungs- und Pressefreiheit ergingen. Die Doktrin findet auch Anwendung für kollektive Meinungsäußerungen, der Umfang ihrer Geltung für das Grundrecht der Versammlungsfreiheit ist indes nicht eindeutig zu erkennen 413 • Der Grundsatz der Unzulässigkeil präventiver Beschränkungen gilt nicht ausnahmslos und läßt vorbeugende Einschränkungen aus Gründen der nationalen Sicherheit, bei Aufrufen zu Gewalt und dem gewaltsamen Sturz der Regierung und obscenity zu 414. Aufgrund dieser eng begrenzten Ausnahmetatbestände besteht nach ständiger Rechtsprechung des Supreme Court eine schwerwiegende Vermutung der Verfassungswidrigkeit präventiver Beschränkungen, die eine intensive gerichtliche Überprüfung im Einzelfall erfordert 415 . Die vom Supreme Court als prior restraint eingeordneten staatlichen Maßnahmen gehen weit über das klassische Zensurschema - administrative Präventivkontrolle mit Genehmigungsvorbehalt - hinaus 416. So liegt eine präventive Beschränkung auch dann vor, wenn eine Meinungsäußerung erst nach ihrer Verbreitung für die Zukunft untersagt wird 417 oder sich das Verbot nicht auf alle Kundgabeforen einer Gattung bezieht 418 . Ferner sah der Supreme Court auch in gerichtlichen Verbotsverfügungenprior restraint 419 , so, als er in der Grundsatzentscheidung Near v. Minnesota 420 ein Gesetz verwarf, das es ermöglichte, unanständige und verleumderische Veröffentlichungen gerichtlich verbieten zu lassen; aufgrundder Strafbarkeit von Zuwiderhandlungen als contempt komme gerichtlichen Verbotsverfügungen die gleiche Wirkung zu wie der Zensur. Schließlich wurden auch in Gebühren für eine Lizenz zum Verkauf religiöser Schriften auf öffentlichen Straßen 421 und in der Errichtung einer Kommission zur Untersuchung obszöner Schriften, die aber nur unverbindliche Empfehlungen aussprechen konnte422, unzulässige präventive Beschränkungen gesehen. 413 Eingehend sogleich unter 2. 414 Near v. Minnesota, 283 US 697 (714) (1931); Times Film Corp.v. Chicago, 365 US 43 (46 f.) (1961); S.E. Promotions Ltd. v. Conrad, 420 US 546 (558) (1975) m.w.Nw. 415 Freedman v. Maryland 380 US 51 (57) (1965); New York Times Co. v. Sullivan, 403 US 713 (714) (1964) m.w.Nw. 416 Vgl. die kritische Darstellung bei Jeffries, 92 Yale L.J., 416 (1983). 417 Grosjean v. American Press, 297 US 233 (1936); Bantarn Books Inc. v. Sullivan, 372

us 58 (1963).

321

us 573 (1943).

418 S.E. Promotions Ltd. v. Conrad, 420 US 546 (1975): Verbot der Aufführung an einem Theater. 419 Zur Berechtigung einerseits Blasi, 66 Minn.L.Rev., 49 ff., 85 ff. und Jeffries, 92 Yale L.J., 426 andererseits. 420 283 us 697 (1931). 421 Murdock v. Pennsylvania, 319 US 105 (1943); Follett v. Town of McCormick, 422 Bantarn Books Inc. v. Sullivan, 372 US 58 (1963).

6*

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Teil A: Die Versammlungsfreiheit im amerikanischen Recht

Seit der Entscheidung Freedman v. Maryland 423 ist die Zulässigkeit präventiver Beschränkungen von bestimmten Sicherungen im administrativen und gerichtlichen Entscheidungsprozeß abhängig. Zunächst für Genehmigungsverfahren von Filmen, später auch für andere Formen der Meinungskundgabe forderte der Supreme Court, daß die Entscheidung über die Vergabe der Genehmigung innerhalb einer bestimmten Frist zu treffen ist, wobei für Filme später 57 Tage als zu lang und 12 Tage als zulässig angesehen wurde 424. Lehnt die Behörde die Erteilung einer Genehmigung ab, so kommt dieser Entscheidung nur eine vorläufige Wirkung zu; der Status Quo für den Antragsteller darf sich nicht - etwa durch Verfristung- verschlechtern. Die Behörde muß umgehend von sich aus eine gerichtliche Entscheidung herbeiführen, da die Verwaltungsorgane zu einer geringeren Sensibilität beim Schutz von Freiheitsrechten neigen als unabhängige Gerichte; hier wiederum haben Gerichte bei Filmen einen Zeitraum von 19 Tagen bis zur gerichtlichen Entscheidung gebilligt 425 . Auch muß das Gericht kurzfristig entscheiden, um den blockierenden Effekt einer möglicherweise rechtswidrigen Verweigerung der Genehmigung gering zu halten. 2. Genehmigungsvorbehalte für Versammlungen und Paraden

a) Versammlungsfreiheit und priorrestraint Präventive Beschränkungen in Form eines Genehmigungsvorbehaltes sind für die Durchführung von Versammlungen und Paraden auf öffentlichen Straßen und in Parks von der Rechtsprechung gebilligt worden. Nachdem sich diese nicht mehr auf die Eigentumsrechte der Kommunen stützen ließen 426, wurden sie nunmehr durch die Notwendigkeit eines Ausgleichs mit dem stärker aufkommenden Straßenverkehr und anderen konkurrierenden Nutzungsmöglichkeiten gerechtfertigt. In Cox v. New Hampshire führte der Supreme Court aus: Civilliberties, as guaranteed by the Constitution, imply the existence of an organized society without which liberty itself would be lost in the excesses of unrestrained abuses. The authority of a municipality to impose regulations in order to assure the safety and convenience of the people in the use of public highways has never been regarded as inconsistent with civil liberties but rather as one of the means of safe guarding the good order upon which they ultimately depend427.

Obwohl der Genehmigungsvorbehalt die klassische Form einer präventiven Beschränkung darstellt und Versammlungen unter keine der zugelassenen Ausnahmetalbestände fallen, ging der Supreme Court nicht ausdrücklich auf die 423 380 us 51 (1965). 424 Teitel Film Corp. v. Cusack 390 US 139 (1968) bzw. Interstate Circ. Inc. v. Dallas,

390 us 676 (1968).

425 Interstate Circ.Inc. v. Dallas, 390 US 676. 426 s.o. A.V.l.a.aa.a. 427 312 us 569 (574) (1941).

VII. Präventive Beschränkungen der Versammlungsfreiheit

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grundsätzliche Unzulässigkeil von priorrestraint ein. In späteren Entscheidungen stellte er aber fest, daß fehlende Voraussetzungen zur Verweigerung einer Genehmigung und ein unbeschränkter Entscheidungsspielraum der Behörde unzulässige präventive Beschränkungen begründen, da es hier der Behörde möglich ist, eine Genehmigung wegen Ablehnung der beabsichtigten Aussagen vorzuenthalten42s. Diese Begründung, verbunden mit der Feststellung in Cox v. New Hampshire, daß die Behörde bei der Erteilung der Genehmigung auf die Überprüfung der äußeren Umstände der Veranstaltung- time, place and manner-beschränkt sein müsse 429 , machen deutlich, daß die doctrine ofprior restraint auf den Schutz vor Beschränkungen des Inhalts einer Meinungsäußerung konzentriert ist 430. Ihr Ursprung liegt im Zensurverbot, und die Gefahr einer Meinungszensur wird wesentlich davon beeinflußt, ob die Behörde mangels gesetzlicher Maßstäbe völlig frei und damit unter Berücksichtigung eigener Präferenzen urteilen kann. Der Grundsatz der Unzulässigkeil präventiver Beschränkungen ordnet sich somit in den two-tiered approach ein, einer in der neueren Dogmatik zum l. Amendment gebräuchlichen Unterscheidung zwischen unzulässigen Regelungen des Inhalts von Meinungsäußerungen und Beschränkungen ihrer äußeren Umstände 431 . Auch hieraus läßt sich die nur kurze Zeit nach Cox v. New Hampshire getroffene und als Widerspruch empfundene 432 Feststellung des Supreme Court erklären, die Versammlungsfreiheit lasse keine präventiven Beschränkungen zu 433, denn in diesem Fall ging es den Behörden ersichtlich darum, die Werbung für Gewerkschaften auf Versammlungen zu untersagen. Ob als Konsequenz aus dieser Differenzierung ausreichend bestimmte Genehmigungsvorbehalte für Versammlungen schon kein prior restraint 434 oder nur eine weitere Ausnahme von ihrem Verbot darstellen 435 oder es sich doch um priorrestraint handelt, für das nur mildere Maßstäbe gelten 436, bleibt unklar. Im Ergebnis jedenfalls werden Genehmigungsvorbehalte für Versammlung und Paraden unter freiem Himmel, soweit sie den darzustellenden Erfordernissen entsprechen, von der Rechtsprechung437 ganz überwiegend als zulässig angesehen. 428 Nietmotko v. Maryland, 340 US 268 (271) (1951); Kunz v. New York, 340 US 290 (294) (1950); Shuttlesworth v. Birmingham, 394 US 147 (150) (1969). 429 312 us 569 (575 f.). 430 So deutlich in S.E. Promotions Ltd. v. Conrad, 420 US 546 (555); Poulos v. New Hampshire, 345 US 395 (403) (1953); Emerson, 20 Law & Cont.Probl., 670; Litwack, 12 Harv.C.R.-C.L.L.Rev., 529; Tribe, 733; Gorby /Ress, 183. 431 Eingehend s.u. B.II.2.b. 432 Baker, 78 Nw.U.L.Rev., 1017, Fn. 183 (1983). 433 Thomas v. Collins, 323 US 516 (539 f.) (1945). 434 Litwack, 12 Harv.C.R.-C.L.L.Rev., 529 (1977); wohl auch Kalven, 1965 Sup.Ct. Rev. 28. 435 Emerson, 20 Law & Cont.Probl., 670 sowie System, 372; S.E. Promotions Ltd. v. Conrad, 420 US 546 (555) (1975). 436 So wohl Progressive Labor Party v. Lloyd, 487 F.Supp. 1054 (1059) (1980); Rosen v. Port of Portland, 641 F.2d 1243 (1250) (1981).

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Teil A: Die Versammlungsfreiheit im amerikanischen Recht

b) Bestimmtheit der Normen Gesetze und Verordnungen, die einen Genehmigungsvorbehalt vorsehen, erfordern "objective und definite standards to guide the licensing authority" 438, um zu verhindern, daß die Verwaltung einen unbegrenzt eingeräumten Entscheidungsspielraum zur Meinungszensur ausnützt. Sie müssen die Bequemlichkeit und Leichtigkeit des Verkehrs und die Nutzung von Parks zur Erholung zur Richtschnur des behördlichen Handeins machen 439 • Mangels dieser Voraussetzungen verwarf der Supreme Court in Hague v. CI0 440 eine Verordnung, in der die Genehmigung - nach Untersuchung aller Tatsachen und Berücksichtigung aller Umstände - verweigert werden konnte, um Unruhen zu vermeiden. Aus der strikten Anwendung dieser Grundsätze auch in nachfolgenden Entscheidungen 441 schlossen Teile der Literatur, daß kaum den Anforderungen des Supreme Court genügende Regelungen denkbar, Genehmigungsvorbehalte somit nicht aufrecht zu erhalten seien 442 • Der Supreme Court bestätigte jedoch 1969 in Shuttlesworth v. Birmingham 443 seine Rechtsprechung, als er die Interpretation einer kommunalen Verordnung durch den Supreme Court des Staates Alabama billigte. Die Staatengerichte haben die Kompetenz, kommunale Verordnungen und Gesetze des Staates verbindlich auszulegen und sie so bei mangelnder Bestimmtheit vor der Verwerfung zu bewahren 444 • So wurde als der Zweck eines Gesetzes des Staates New Hampshire, das keine Voraussetzungen zur Erteilung oder Versagung von Genehmigungen aufstellte, vom Supreme Court des Staates die Verhinderung sich überschneidender Versammlungen, die Reduzierung der Gefahr von Unruhen und vor allem die Sicherung der Leichtigkeit des Straßen- und Fußgängerverkehrs festgelegt. Ferner hatte das Gericht erklärt, daß der verbleibende Entscheidungsspielraum "with uniformity of method of treatment upon the facts of each application, free from improper considerations and from unfair discrimination" ausgefüllt werden müsse und jeder Antragsteller ein Recht auf Erteilung einer Genehmigung habe, wenn keine Störungen der Öffentlichkeit zu erwarten seien 445. 437 Ablehnend, auch für Anzeigepflichten aber Robinson v. Coopwood, 292 F.Supp. 935 (1968); hierzu s.u. B.VI.2. 438 Shuttlesworth v. Binningham, 394 US 147 (151) (1969) m.w.Nw. 439 Hague v. CIO, 307 US 496 (516) (1939); Cox v. Hew Hampshire, 312 US 569 (574) (1941). 440 307 us 496 (1939). 44t Nietmotko v. Maryland, 340 US 268 (1951); Kunz v. New York, 340 US 290 (1950); Cox v. Louisiana, 379 US 536 (556) (1965). 442 Chafee, Free Speech, 431 f.;. Abemathy, Assembly, 67, 71; Stein, 1969 Public Law, 219. 443 394 us 147 (1969). 444 Cox v. Hew Hampshire, 312 US 569 (575 f.) (1941); Poulos v. New Hampshire, 345 US 395 (402) (1953); Shuttlesworth v. Birmingham, 394 US 147 (153) (1969) m.w.Nw.

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c) Verfahrensrechtliche Anforderungen

Auch wenn Gesetze oder Verordnungen ausreichend bestimmt sind, erfordern sie nach ganz überwiegender Ansicht die vom Supreme Court in Freedman v. Maryland angeführten Verfahrensgarantien. Ohne daß der Supreme Court dies für jede der Garantien ausdrücklich festgestellt hat, folgt die Unzulässigkeil eines zeitaufwendigen Verfahrens hier besonders nachdrücklich aus dem Wesen des Grundrechts, da der Zeitpunkt für die Durchführung von Versammlungen von zentraler Bedeutung ist 446• Die Verwaltung muß innerhalb einer bestimmten Frist ihre Entscheidung getroffen haben und sich die Ablehnung der Genehmigung gerichtlich bestätigen lassen. Die gerichtliche Entscheidung muß ohne zeitliche Verzögerungen herbeigeführt werden und innerhalb eines kurzen Zeitraumes ergehen 447 • Für das Gerichtsverfahren erfordern die Rechte des 1. Amendment eine Ladung des Veranstalters der Versammlung und die Durchführung eines hearing; Verbote, die durch gerichtliche Verfügungen im ex-parte-Verfahren ergehen, sind unzulässige prior restraints, da nur durch Beteiligung des Veranstalters eine ausgewogene Beurteilung möglich ist, deren es gerade bei Versammlungen bedarf 448 • Wird eine Versammlung durch eine gerichtliche Verfügung untersagt, so ist ferner aus dem 1. Amendment die Verpflichtung abzuleiten, nach Einlegung eines Rechtsmittels entweder unmittelbar ein Berufungsverfahren durchzuführen oder das Verbot auszusetzen 449 • Nur in einer Entscheidung eines Bundesgerichts findet sich Widerspruch gegen eine vollständige Übernahme der Grundsätze aus Freedman. Sofern die betreffende Norm auf die Regelung der äußeren Umstände einer Versammlung beschränkt bleibe, bestehe keine Notwendigkeit für umfassende Verfahrensgarantien 450 • Das Fehlen einer Frist zur Verwaltungsentscheidung bewirkte somit nicht die Ungültigkeit der Verordnung, und auch das Erfordernis einer von der Verwaltung zu beantragenden gerichtlichen Bestätigung eines ablehnenden Bescheides wurde für verzichtbar erklärt. 445 State v. Cox, 16 A.2d 508 (511 ff.) (1940); ähnlich später der Supreme Court von Alabama in Shuttlesworth v. Birrningham, 206 So.2d 348 (350 ff.) (1967); zur Verpflichtung der Behörde, bei Vorliegen der Voraussetzungen die Genehmigung zu erteilen auch Dillon v. Municipal Court, 484 P.2d 945 (953) (1971). 446 Shuttlesworth v. Birrningham, 394 US 147 (162)c.o.; Carroll v. Pres. and Comm. of Princess Anne, 393 US 175 (182) (1968). 447 Aus der Literatur Monaghan, 83 Harv.L.Rev., 541 (1970); Redish, 70 Va.L.Rev., 85 (1984); B1asi 68 Mich.L.Rev., 1534 m.Nw.z.Rspr. (1970); Wexler, 2 Urb.L., 361 (1970); auch A Quaker Action Group v. Morton, 516 F.2d 717 (733 f.) (1975); Chicago v. Park District, 460 F.2d 746 (757) (1972); Cent.Fla. Nuclear Freeze Campaign v. Walsh, 774 F.2d 1515 (1985); McGuire v. Roebuck, 347 F.Supp. 1111 (1118) (1972). 448 Carroll v. Pres. and Comm. of Princess Anne, 393 US 177 (180) (1968); anders noch Walker v. Birrningham, 388 US 307 (1967). 449 National Sodalist Party of America v. Skokie, 432 US 43 (1977). 450 Progressive Labor Party v. Lloyd, 487 F.Supp. 1054 (1057) (1980); wohl auch Cent. Fla. Nuclear Freeze Campaign v. Walsh, 774 F.2d 1515 (1527) c.o.; Zweifel auch bei Comment 119 U.Pa.L.Rev. 671 ff. (1971).

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Teil A: Die Versammlungsfreiheit im amerikanischen Recht

d) Genehmigungsvorbehalte in Städten und auf staatlicher Ebene Von der Möglichkeit eines Genehmigungsvorbehalts für die Durchführung von Versammlungen und Paraden unter freiem Himmel 451 wird in der USA verbreitet Gebrauch gemacht. Von 25 untersuchten city codes 452 großer und mittlerer amerikanischer Städte 453 wiesen alle einen Genehmigungsvorbehalt auf. Der Umfang der Regelungen differiert; alle Verordnungen erfordern eine Genehmigung für Paraden auf öffentlichen Straßen und Plätze. Mehrheitlich trifft dies auch für Demonstrationen und in einem Drittel der Kodifikationen für Versammlungen (meetings, assemblies, gatherings) zu; pickering ist in Montgomery genehmigungsbedürftig454, in zwei anderen Städten ausdrücklich ausgenommen 455 : Ebenfalls jeder dritte city code erstreckt den Genehmigungsvorbehalt auch auf Bürgersteige oder Parks. Neben diesen Regelungen für Versammlungen auf kommunaler Ebene ist für Massenversammlungen bereits in einigen Staaten-Gesetzen ein Genehmigungserfordernis festgeschrieben 456. Als solche gelten nach den nahezu übereinstimmenden Normen Menschenansammlungen von mindestens 3 000 bzw. 5 000 Menschen über einen Zeitraum von mindestens 18 oder 24 Stunden Dauer; Veranstaltungen in feststehenden Gebäuden wie Sportstadien, Arenen oder auf für große Menschenansammlungen dauernd geeignetem Gelände sind ausgenommen. aa) Antragsfristen Die notwendigen Zeiträume zwischen Beantragung der Genehmigung und dem Zeitpunkt der Veranstaltung differieren auf kommunaler Ebene erheblich. In San Francisco ist die Genehmigung grundsätzlich 60 Tage im voraus zu beantragen, wobei aber Ausnahmen möglich sind 457 ; einen Zeitraum von mindestens 40 451 Eine Genehmigungspflicht für Versammlungen in geschlossenen Räumen besteht heute - soweit ersichtlich - nicht mehr; zur früheren Rechtslage Jarrett I Mund, 9 N.Y.U.L.Q.Rev., 29 (1931). 452 Verschiedentlich ist das Genehmigungserfordernis auf staatlicher Ebene festgeschrieben, während Einzelheiten durch die Kommunen geregelt werden, vgl. N.Hamp. Rev.Stat., § 286.2; Nev.Rev.Stat., § 484:471. 453 Berkeley, San Francisco, Sacramento, Los Angeles, Richmond, Oakland (Cal.) Montgomery, Huntsville, Mobile (Ala.) Omaha (Nebr.) New York (N.Y.), Seattle, (Wash.) Albuquerque (N.Mex.) Denver (Col.) Concord (N.Ha.), Honolulu (Haw.), Des Moines (lowa), Fort Lauderdale (Flor.) Arm Arbor (Mich.) Atlanta, (Geo.) San Antonio (Tex.) Danville (Va.), Chester (S.Car.) Boston, (Mass.) Philadelphia (Penn.) Der Stand der Korliftkationen ist Juli 1986. Wesentliche Änderungen in den hier relevanten Punkten sind seitdem nicht eingetreten. 454 Traffic Code, Art. XVII, Sec. 17- 2a: 455 Albuquerque Traftic Code, § 9-4-2(c) (8); Ann Arbor City Code, § 10:152. 456 Etwa Conn.Gen.Stat., § 368-19a-436; lnd. Code,§ 16-1-42-2; N.Car.Gen. Stat., § 130A-252; Tenn. Code, § 68-42- 102; Wyo.Stat., § 35-15-101. 457 Police Code, Sec., 367(b).

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Tagen sehen die codes in Los Angeles 458 und Honululu 459 vor. Demgegenüber können Genehmigungen in Seattle 48 Stunden4(i(), in New York 36 Stunden 461 und in Huntsville noch 24 Stunden 462 vor dem geplanten Ereignis beantragt werden. Keine Fristen sind in Omaha, Ann Arbor und Des Moines vorgesehen. Die Staaten-Gesetze erfordern für Massenversammlungen einen Zeitraum von 60 oder 30 Tagen zwischen Antrag und Durchführung der Veranstaltung 463 • Der Supreme Court hat sich bisher nicht zur Bemessung der Antragsfristen geäußert, doch auch diese in den Zusammenhang mit den Grundsätzen aus Freedman v. Maryland gestellt 464 • Schon 1967 hatte der Supreme Court von Virginia einen Zeitraum von 30 Tagen und 1984 auch ein Berufungsgericht des Bundes einen Zeitraum von 20 Tagen zu unzulässigen, da unverhältnismäßigen Beschränkungen der Versammlungsfreiheit erklärt 465 • Fristen von 24 Stunden und 48 Stunden wurden gebilligt 466, ebenso wie ein Zeitraum von mindestens 4 Tagen 467 • bb) Ausnahmen In 8 der 25 kommunalen Kodifikationen sind Regelungen für Ausnahmen von der Antragsfrist für Genehmigungen vorgesehen. In einigen Städten wird das Absehen vom Fristerfordernis auf Fälle beschränkt, in denen seine Einhaltung aufgrundeines besonderen Anlasses dem Antragsteller nicht möglich oder zumutbar ist 468 ; andere Verordnungen führen wesentlich weitere Formulierungen an 469 oder begnügen sich mit dem schlichten Hinweis auf die Möglichkeit der Behörde, Ausnahmen anzuerkennen 470• Gegen die Zulässigkeil der Regelungen letzter Art bestehen erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken, nachdem Gerichte gleichlautende und ähnliche Bestimmungen als zu unbestimmt verworfen haben 47 1• City Charterand Code Sec. 103 (111 (1) (d). Rev.Ord., Sec. 15-24.30 (2) (b). 4(i() Sec. 11. 25. 020. 461 City Charterand Code,§ 435-9.0 462 City Code, Sec, 18- 102. 463 Tenn. Code, § 68-42-05 bzw. N.Car.Gen.Stat., § 130A-254(a). 464 Shuttlesworth v. Birmingham, 394 US 147 (155 n. 4 sowie 162)c.o. 465 York v. Danville 152 S.E.2d 254 (257) (1967) bzw. NAACP v. Richmond, 743 F.2d 1346 (1355 f.) (1984). .. 466 Commonwealth v. Hessler 125 A.2d 486 (1940); ähnlich Jackson v. Dobbs, 329 F.Supp. 288 (292) (1970) bzw. Powe v. Miles, 407 F.2d.73 (84) (1968); A Qualcer Action Group v. Morton 516 F.2d 717 (735) (1975). 467 Handley v. Montgomery, 401 So.2d 171 (184) (1981). 468 San Francisco Police Code, Sec. 367(c); Berkeley Code, Sec. 13.44 025(A); Sacramento City Code, § 38 155; auch § 154(a) Traffic Reg. for Capitol Grounds. 469 San Antonio Code, Sec. 19-435 (3), ("where a good cause is shown"). 470 Albuquerque Traffic Code, Sec. 9-4-6 bzw. Los Angeles City Charterand Code, Sec. 103 111 (0). 471 York v. Danville, 152 S.E.2d 254 (264); bzw. NAACP v. Richmond, 743 F.2d 1343 (1357 f.). 458 459

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Teil A: Die Versammlungsfreiheit im amerikanischen Recht

cc) Gebühren In einigen kommunalen und staatlichen Kodifikationen ist eine Gebühr festgesetzt, die der Antragsteller bei Erteilung der Genehmigung zu entrichten hat. Sie beträgt in Denver 4 Dollar 472 , in Los Angeles 50 Dollar 473 und kann in Des Moines- je nach Versammlungsgelände- 100 Dollar 474 erreichen. Für den Staat New Hampshire ist eine Höchstgrenze von 300 Dollar 475 vorgesehen, die Kosten für eine Genehmigung für Massenversammlungen in anderen Staaten liegen bei 100 bzw. 250 Dollar 476• Der Zweck der Gebühr ist überwiegend nicht ausdrücklich bestimmt; in New Hampshire dient sie als Nutzungsgebühr für öffentliche Straßen, in Atlanta ist 12 Dollar für jeden zugeteilten Polizisten vorgesehen. Geringe Gebühren dürften eher auf das Verwaltungsverfahren, höhere Beträge auf die Inanspruchnahme öffentlicher Straßen und die Kosten für den Einsatz staatlicher Ordnungskräfte bezogen sein. In Cox v. New Hampshire erklärte der Supreme Court einen Gebührenrahmen bis 300 Dollar 477 zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung unter Berücksichtigung der jeweiligen Veranstaltung und der obwaltenden Umstände für zulässig. In der neueren Literatur sind Gebühren für Genehmigungen von Versammlungen auf öffentlichen Straßen wegen Zweifeln an der Vereinbarkeil mit Urteilen des Supreme Court zum Verbot von Lizenzgebühren für den Verkauf religiöser Schriften 478 und zum public forum zunehmender Kritik ausgesetzt479. Eine kritische Beurteilung erfolgte jüngst auch durch einen U.S. Court of Appeals480. Er verwarf eine Verordnung, die den Polizeichef ermächtigte, Polizisten der Veranstaltung zuzuteilen und die Kosten mit der Genehmigung einzufordern, da sie keine Ausnahmen für finanziell schwache Veranstalter, keinen Höchstbetrag sowie keine Beurteilungsmaßstäbe für die Entscheidung des Polizeichefs festlegte; letzteres ermögliche- wie auch geschehen-, daß durch Berücksichtigung von Außenstörungen unzulässig auch auf das Anliegen der Versammlung abgestellt werden könne.

Denver Code, § 54-378. City Carter and Code, Sec. 113 111 (5). 474 Municiplal Code, Sec. 6-17.03. 475 Rev.Stat., § 286:4. 476 Conn.Gen.Stat., § 368-19a-436; Indiana Code, § 16-1-42; N.Car.Gen.Stat., § 130A-254; Tenn.Code, § 68-42-106 bzw. Wyoming Stat., § 35-15-105. 477 312 US 569 (577). Die Entscheidung ist 1941 ergangen. Nach Goldberger, 62 Tex.L.Rev., 415, Fn.65 (1983) entspräche dies heute einem Betrag von 2 130 Dollar. 478 s. o. s. 83. 479 Ablehnend, ohne Rücksicht auf Zweck und Höhe Goldberger, 62 Tex.L.Rev., 435 ff.; Baker, 78 Nw.U.L.Rev. 965 f. (1983); differenzierend Blasi, 68 Mich.L.Rev., 1528 ff. (1970). 480 Cent.Fla.Nuclear Freeze Campaign v. Walsh, 774 F.2d 1515 (1985); cert.den. 90 L.Ed.2d 183. 472

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VII. Präventive Beschränkungen der Versammlungsfreiheit

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dd) Handlungsfristen für die Behörde Ist in allen der 25 Städte eine Genelunigung für die Durchführung verschiedener Formen von Versammlungen unter freiem Himmel erforderlich, so findet sich nur in ca. einem Drittel aller Verordnungen eine Frist, in der die Behörde zur Entscheidung über den Antrag verpflichtet ist. Es handelt sich ausschließlich um Städte, die grundsätzlich einen Zeitraum von mindestens 10 Tagen zwischen Antrag und Durchführung der Veranstaltung vorsehen; übereinstimmend ist festgelegt, daß der Antragsteller bei Verweigerung der Genelunigung mindestens eine Woche vor der Veranstaltung zu benachrichtigen ist. Kann die Antragsfrist in Ausnalunefällen unterschritten werden, so hat die Behörde den Antragsteller nach einem angemessenen Zeitraum zu benachrichtigen. Vier der fünf StaatenGesetze für Massenversammlungen schreiben vor, daß die Behörde in den nächsten 20 Tagen zu entscheiden hat. Nur in einem city code4f> 1 sowie in den Vorschriften für Demonstrationen vor dem White House 482 und dem Capitol 483 in Washington D.C. ist geregelt, daß bei Nichtentscheidung der Behörde im festgesetzten Zeitraum die Genelunigung als erteilt gilt. In keiner der Verordnungen ist schließlich vorgesehen, daß die Verwaltung eine Genelunigung nur durch eine gerichtliche Entscheidung ablehnen kann und diese unmittelbar gesucht und getroffen werden muß. Soweit ersichtlich, sind Verordnungen in nur zwei Entscheidungen aufgrund dieses Mangels für verfassungswidrig angesehen worden 484 • Auf staatlicher Ebene findet sich in Connecticut eine Bestimmung, nach der ein Rechtsmittel des Bürgers gegen eine ablehnende Entscheidung von den Gerichten vorrangig zu behandeln ist 485 • ee) Ablehnungs- und Widerrufsgründe Verglichen mit den Gesetzen und Verordnungen, die durch die Bundesgerichte als zu unbestimmt verworfen wurden, sind die heute niedergelegten Voraussetzungen zur Erteilung bzw. Verweigerung der beantragten Genelunigung erheblich detaillierter 486• Die in den ausgewerteten Kodifikationen am häufigsten genannten Gründe sind: San Francisco Police Code, Sec. 367(h). s.o.A.V.l.a.aa.jl~~· (36 C.F.R., § 50.19(c).) 483 s.o.A.V.l.a.aa.~.a.a. (§ 155(b) Traffic Reg. for Capitol Grounds). 484 Le Flore v. Robinson, 434 F.2d 933 (948) (1970); vacated and withdrawn 446 F.2d 715; Collin v. Chicago Park District, 460 F.2d 746 (756 f.) (1972); gegen dieses Erfordernis Progressive Labor Party v. Lloyd, 487 F.Supp. 1054 (1057) (1980); nicht gerügttrotzeingehender Überprüfung der Verordnungen in Beckerman v. Tupelo, 664 F.2d 502 (1981); Handley v. Montgomery, 401 So.2d 171 (1981); A Quaker Action Group v. Morton, 516 F.2d 717 (1975); Koenen v. Spiee, 318 F.Supp. 630 (1970); Chester v. Addison, 284 S.E.2d 579 (1981). 485 Gen.Stat., § 368-19a-441. 481

482

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Teil A: Die Versammlungsfreiheit im amerikanischen Recht

-

Wahrscheinlichkeit ("reasonable cause to believe", "reasonable likely to cause") körperlicher Verletzungen, erheblichen Sachschadens oder eines breach of peace

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unverhältnismäßige oder erhebliche Störung des Verkehrs

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Unvollständigkeit der Antragsunterlagen oder Weigerung, Voraussetzungen in den Verordnungen oder Auflagen der Genehmigung zu erfüllen

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Notwendigkeit eines so umfangreichen Aufgebots an Polizisten und Krankenwagen, daß keine ausreichenden Reserven für andere Anlässe bereitstehen

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Vorliegen eines früher eingereichten Antrags für denselben Ort und dieselbe Zeit.

Massenversammlungen sind nach den untersuchten Staaten-Gesetze dann zu genehmigen, wenn der Antragsteller die detaillierten Angaben über Einzelheiten der Veranstaltung macht und die vorgeschriebenen Vorbereitungen (z.B. Ordner, sanitäre Einrichtungen, Parkplätze) trifft. Widerrufen werden können Genehmigungen, wenn sie nicht hätten erteilt werden dürfen, aufgrund später veränderter Umstände oder wenn Einzelheiten der Genehmigung oder Erfordernisse der Verordnungen nicht beachtet werden. Eine Rücknahme ist auch noch während der Veranstaltung möglich; diese findet dann ohne Genehmigung statt, kann aufgelöst werden und die Teilnehmer können wegen ungenehmigten Versammeins verurteilt werden.

e) Sanktionen für ungenehmigtes Versammeln In den Verordnungen und Gesetzen, die Genehmigungen erfordern, finden sich auch Vorschriften über die Unzulässigkeil ungenehmigten Versammeins und die möglichen Sanktionen für die Teilnehmer. Der in den kommunalen Kodifikationen vorgesehene Sanktionsrahmen reicht von einer Geldstrafe bis zu 25 Dollar und/ oder einer Freiheitsstrafe von 10 Tagen in New York 487 bis zu maximal 1 000 Dollar und I oder 6 Monate Gefängnis in Los Angeles 488 • Die Organisation von oder die Teilnahme an ungenehmigten Massenversammlungen ist mit Strafen bis zu 10 000 Dollar und I oder bis zu einem Jahr Gefängnis bedroht. Ob im Verfahren wegenungenehmigten Versammeins die Rechte des 1. Amendment einer Verurteilung entgegengehalten werden können, ist Gegenstand einiger Entscheidungen des Supreme Court gewesen. Nach diesen Urteilen muß danach unterschieden werden, ob sich die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen 486 Vgl. auch Le Aore v. Robinson, 434 F.2d 933 (945); Progressive Labor Party v. Lloyd, 487 F.Supp. 1054 (1057). 487 City Charterand Code, § 435 -9.0(c). 488 City Charterand Code, Sec. 103 lll(t), ll.Ol(m).

VII. Präventive Beschränkungen der Versammlungsfreiheit

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die Norm selbst richten oder gegen das diese konkretisierende Verbot, wobei zwischen gerichtlich verfügten und behördlichen angeordneten Versammlungsverboten zu trennen ist. aa) Mißachtung verfassungswidriger Normen Ist die Rechtsnorm wegen mangelnder Bestimmtheit verfassungswidrig, so kann sich der Bürger im Verfahren wegen ihrer Verletzung mit Erfolg hierauf berufen, und zwar auch dann, wenn er sich zuvor nicht um eine Genehmigung für die Versammlung bemüht hat. Eine so ungültige Rechtsnorm entfaltet keine rechtlichen Wirkungen, der Bürger kann sie- freilich mit dem Risiko, daß das Gericht seine Auffassung nicht teilt- ignorieren 489 • Ist die Norm jedoch durch die Gerichte des betreffenden Staates einschränkend ausgelegt und so vor der Verfassungswidrigkeit bewahrt worden, so bleiben auch die Sanktionen für Verstösse wirksam. Eine Verurteilung setzt hier aber voraus, daß die Umformulierung der Norm zumindest nach dem Urteil in der Verwaltungspraxis beachtet worden ist; trifft dies nicht zu, kann der Bürger zu Recht auf ihre Verfassungswidrigkeit vertrauen 490• bb) Nichtbeachtung gerichtlich verfügter Versammlungsverbote Anders fällt die rechtliche Beurteilung aus, wenn die Veranstaltung durch eine gerichtliche Verfügung untersagt wird, die auf Grundlage einer offensichtlich verfassungswidrigen Verordnung ergeht. Obwohl die gerichtliche Verfügung den Wortlaut der Verordnung weitgehend in sich aufnahm und so deren Mängel teilte, hielt die knappe Mehrheit des Supreme Court die Veranstalter der Versammlung für verpflichtet, gegen die Verfügung auf dem vorgesehenen Rechtsweg vorzugehen 491• Sie rechtfertigte die Verurteilung wegen contempt mit dem notwendigen Respekt vor gerichtlichen Entscheidungen und der Erwägung, daß sich niemand zum Richter in eigenen Angelegenheiten machen dürfe. Ausnahmen von diesem Grundsatz deutete der Supreme Court aber an, wenn es den Veranstalternaufgrund des knapp bemessenen Zeitraums zwischen dem Erlaß der Verfügung und der Veranstaltung nicht mehr möglich ist, ein Rechtsmittel einzulegen 492 , die gerichtliche Entscheidung 489 Shuttlesworth v. Birmingham, 394 US 147 (151) (1969); Walker v. Birmingham, 388 US 307 (320) (1967) jew.m.w.Nw. 490 Cox v. New Hampshire, 312 US 569 (577) (1941); Shuttlesworth v. Birmingham, 388 us 307 (320). 491 Walker v. Birmingham, 388 US 307 (328 ff.). 492 So die Ratio aus Thomas v. Collins, 323 US 516 (1945); vgl. Blasi, 68 Mich.L.Rev ., 1569; ferner National Socialist Party of America v. Skokie, 432 US 43 (1977); s. 0. s. 87.

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Teil A: Die Versammlungsfreiheit im amerikanischen Recht

verzögert wird oder bei ihr die verfassungsrechtlichen Einwände nicht berücksichtigt werden 493 . Ferner sei anders zu entscheiden, wenn die Verfügung eindeutig ungültig (transparently invalid) gewesen wäre, was nicht schon der Fall ist, wenn sie auf einer offensichtlich verfassungswidrigen Verordnung gründet. cc) Versammeln trotzrechtswidriger Ablehnung Ist schließlich allein die ablehnende Entscheidung der Behörde rechtswidrig, die zugrundeliegende Verordnung aber rechtsgültig, so machen sich die Versammlungsteilnehmer strafbar, wenn sie, ohne gegen die Verwaltungsentscheidung die notwendigen Rechtsmittel eingelegt zu haben, die Versammlung durchführen494. Die durch den Rechtsstreit entstehenden zeitlichen Verzögerungen seienangesichtsder durch ungenehmigtes Versammeins drohenden Gefahren für die öffentliche Sicherheit hinzunehmen. Nach der später ergangenen Entscheidung Freedman v. Maryland ist dieses Ergebnis kaum aufrechtzuerhalten, spricht diese doch klar gegen eine endgültige Wirkung eines behördlichen Verbots. Es ist zumindest dahingehend zu korrigieren, daß beim Fehlen einer unmittelbaren gerichtlichen Überprüfbarkeit die Teilnahme an einer Versammlung keine Sanktion auslösen darf495.

493 Walker v. Birmingham, 388 US 307 (318). 494 Poulos v. New Hampshire, 345 US 395 (409, 414) (1953). 495 So Monaghan, 83 Harv .L.Rev., 542 (1970); Tribe, 727; vgl. auch Justice Frankfurter, 345 US 395 (419)c.o.

Teil B

Rechtsvergleich und Wertung I. Die Diskussion um den Versammlungszweck 1. Parallelen im deutschen und amerikanischen Recht

Im Gegensatz zum amerikanischen Recht wird die Frage, ob die Versammlungsteilnehmer einen bestimmten Zweck verfolgen müssen, um unter den Schutzbereich der Versammlungsfreiheit zu fallen, im deutschen Recht als Problem klar angesprochen und noch immer heftig diskutiert. Trotz Unterschieden in der dogmatischen Begründung und auch im Detail beim Ergebnis lassen sich im deutschen wie im amerikanischen Recht drei Auslegungsrichtungen des Grundrechts der Versammlungsfreiheit erkennen. Wieder stärkere Fürsprache findet im deutschen Recht die Ansicht, die als Voraussetzung für den Grundrechtsschutz die Befassung mit öffentlichen Angelegenheiten fordert 1• Sie entspricht im Ergebnis weitgehend der vor allem von Alexander Meiklejohn vertretenen Auslegung des 1. Amendment in Anwendung auf die Versammlungsfreiheit. Ende der 60er Jahre kam unter dem Grundgesetz die Ansicht auf, daß es über den Willen zum gewollten Zusammensein hinaus zur Ausübung der Versammlungsfreiheit keines weiteren Zweckes bedarf2, wie in den USA es ähnlich in der frühen Rechtsprechung der Staaten-Gerichte und heute vor allem bei Edwin C. Baker zu finden ist. Nach wie vor herrschend und wohl auch vom Bundesverfassungsgericht 3 befürwortet ist auch hier die Auffassung, derzufolge die Versammlungsfreiheit an der Meinungsfreiheit zu orientieren ist, somit jede der kommunikativen Entfaltung dienende Veranstaltung in Ausübung von Art. 8 GG stattfindet 4 • I Nw. bei Förster, 4 Fn. 1,2; nachzutragen Samper, BayVBI 1969, 78; Janknecht, GA 1969, 33; Wind, VerwRdschau, 1982, 405; Zitzmann, 79f; Hofmann, BayVBl. 1987, 104; BayVGH, BayVBl. 1979, 629 (630); KG, NJW 1985, 209. 2 Maunz I Dürig-Herzog, Art. 8, 13 ff.; 51; Klein, Der Staat 10, 164; W. Müller, 47 ff.; Geck, DVBI. 1980, 802; Förster, S. 8; Pieroth/Schlink, 181; wohl auch Schneider, Mühlmann-FS, 254. 3 BVerfGE 69, 315 (343); so auch Frowein, NJW 1985, 2376; weiter deutet Gusy, JuS 1986,614, enger wohl Hofmann, BayVBl. 1979, 106 i.Vbdg. 104 die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts. 4 Nw. bei Förster, 3, Fn. 3; ferner etwa Blumenwitz, Samper-FS, 132; Frowein, NJW 1969, 1081; AK-Hoffmann-Riem, Art. 8, 12; BVerwGE 56, 63 (69).

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Teil B: Rechtsvergleich und Wertung

Im folgenden Abschnitt sollen Unterschiede und Parallelen zwischen grundrechtstheoretischen Wertungen, die hinter der Diskussion um den Schutzbereich der Versammlungsfreiheit im deutschen und amerikanischen Verfassungsrecht stehen, aufgezeigt, und der Streit um den Versammlungszweck einer Lösung zugeführt werden. 2. Zur extensiven Auslegung des Grundrechts

a) Argumente der Befürworter Die Befürworter einer extensiven Auslegung der Versammlungsfreiheit im deutschen Recht stützen sich zunächst systematisch auf die Nähe zu anderen den privaten Lebenskreis schützenden Grundrechten - genannt werden Art. 4 I, 10, 11, 12, 13, 14 GG- und die Entfernung zu den in Art. 20 und 21 niedergelegten Grundsätzen. Sie berufen sich auf die dem Wesen der Grundrechte immanente Zweckfreiheit, die es dem einzelnen überlasse, in welcher Weise er die Grundrechte ausübt. 5 Ferner führen sie für ihre Auffassung die enge Verknüpfung zwischen den Grundrechten der Versammlungsfreiheit und Vereinsfreiheit an6; für letzteres Grundrecht wurde niemals und wird auch heute nicht eine entsprechende Beschränkung des Schutzbereiches erwogen 7 • Schließlich wird auf die Schutzbedürftigkeit des menschlichen Bedürfnisses nach Gemeinschaft hingewiesen, die eine Erstreckung der Versammlungsfreiheit auf jede Zusammenkunft erfordere 8 • Die zuerst angeführten Argumente lassen einen Bezug zu einer Auslegung eines konkreten Grundrechts vermissen, denn mit der Berufung auf die angeführten Grundrechte ist nicht mehr dargetan, als daß es sich auch bei Art. 8 um ein Grundrecht, also nach klassischem Verständnis ein (Freiheits-)Recht im Verhältnis Bürger- Staat handelt; daß aber der Schutz des Eigentums oder der Wohnung etwas darüber aussagen können, worum es der Versammlungsfreiheit geht, er5 Maunz/Dürig-Herzog, Art. 8, 12; Geck, DVBI. 1980, 801; Klein, Der Staat 10, 164, der sich zur Stützung der Auffassung, daß die Verfolgung jedes gemeinsamen Zweckes ausreiche, auf John Stuart Mill beruft. Ob die Berufung auf Mill zutreffend ist, erscheint fraglich. Trotz der Würdigung des Schutzes menschlicher Individualität in Chapter III von "On Liberty" und damit der Anerkennung einer Freiheit beliebiger Zweckverwirklichung stellt Mill dort (Zeile 11 f.) fest: ,,No one pretends that actions should be as free as opinions". Dies läßt eine Abstufung zumindest zwischen der Schutzbedürftigkeit einer Freiheit beliebiger Zweckverwirklichung und der Freiheit von Meinungsäußerungen erkennen. Vgl. auch Charakterisierung Mills durch Wright, 1985 Sup.Ct.Rev., 155, Fn. 25, .... . his defense of ,freedom of thought and discussion' has much more to do with ,flourishing' than with any value associated more broadly with ,doing as on likes'". 6 Geck, DVBI. 1980, 801; W. Müller, 44. 7 vgl. Friedrich Müller, Korporation und Assoziation, Berlin 1965, 256 ff.; v. Münch, Art. 9, 12 m.w.Nw. s W. Müller, 48, 52; Maunz I Dürig-Herzog, Art. 8, 13 ff.

I. Die Diskussion um den Versammlungszweck

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scheint kaum einleuchtend. Indem ein generelles Verständnis von Freiheit auf Art. 8 GG übertragen wird, stehen die Argumentevon Herzog, Geck und Klein deutlich in der Tradition der liberalen, bürgerlich-rechtsstaatliehen Grundrechtstheorie; deren Grundlagen hatte Jellinek durch die Charakterisierung von Freiheit im Sinne des status negativus als einem dem einzelnen durch das Fehlen staatlicher Eingriffe gewährleisteten Bereich persönlicher Zweckverwirklichung prägnant ausformuliert und sie fand bei Carl Schmitt im Verteilungsprinzip des bürgerlichen Rechtsstaats ihre Vollendung 9 • Rechtsvergleichend ist darauf hinzuweisen, daß in den Argumenten Herzogs, Gecks und Kleins Parallelen zum Verständnis des 1. Amendment als Garantie individueller Selbstentfaltung durch Baker und Redish 10 anklingen. Individuelle Freiheit wird nicht als Mittel zur Verfolgung vorgegebener Ziele angesehen, eine Funktionalisierung der Grundrechte als Garantien persönlicher Freiheit, insbesondere zu politischen Zwecken, wird abgelehnt; Freiheit wird als Freiheit individueller Beliebigkeit um ihrer selbst willen geschützt 11 • Zwar lassen sich bei der Garantie eines Freiraumes persönlicher Freiheitsentfaltung durch die Grundrechte im deutschen und amerikanischen Recht durchaus Unterschiede in der dogmatischen Begründung und auch im Ergebnis feststellen. So gewinnen Redish und Baker ihre Auslegung vorrangig aus dem Demokratieprinzip, während unter dem Grundgesetz die Begründung einer Sphäre individueller Zweckverwirklichung aus dem Rechtsstaatsgedanken abgeleitet wird, der zur Verteidigung dieser Freiheitssphäre vor einer Funktionalisierung der Grundrechte für den politischen Prozeß dem Demokratieprinzip gerade entgegengesetzt wird 12• Ferner ist für Bakerund Redish ein einzelnes Grundrecht der Ausgangspunkt ihrer Konzeption, die dann - zumindest bei Baker - auf andere Grundrechte übertragen wird, wohingegen im deutschen Recht eine eher abstrakt gewonnene Grundrechtstheorie in die einzelnen Freiheitsrechte hineingelesen wird. Schließlich ist die Theorie Bakers stärker auf die positive Werteverwirklichung gerichtet als auf ,,negative Freiheit", und er schließt auch commercial speech vom 1. Amendment aus 13 • Dennoch istes-bei aller Vorsichtaufgrund dieser Unterschiede- interessant 9 Schmitt, Verfassungslehre, 158; eingehende Darstellung bei Grabitz, 3 ff.; Klein, Grundrechte, 32 ff.; Böckenförde, NJW 1974, 1534 f. 10 Als einem Aspekt von "individual self-realization" , 130 U.Pa.L.Rev., 593 (1982). 11 Wright, 1985 Sup.Ct.Rev., 155, charakterisiert die Theorie des "individual selffulfillment", die er als Gewährleistung von "autonomy2" bezeichnet (im Gegensatz zu "autonomy 1": Entwicklung der Fähigkeiten des Menschen, vgl. auch Redish, ebd.) wie folgt: ,,Autonomy2 or autonomy in the broader sense is more associated with simply doing as one likes, generally, or with an absence of socially imposed restraints on one's actions and choices". Emerson, 68 Cal.L.Rev., 476 (1980), kritisiert- wie es auch dem deutschen liberalen Grundrechtsdenken vorgeworfen wird - an der Theorie Bakers, daß sie einseitig auf die Interessen des Individuums ausgerichtet ist, ohne die gesellschaftliche Dimension der Grundrechte zu berücksichtigen. 12 Deutlich bei Klein, Grundrechte, 37 ff. 13 s. o. S. 33, Fn. 90.

7 Ehrentraut

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Teil B: Rechtsvergleich und Wertung

festzustellen, daß sich in beiden Ländern in der Tendenz Teile der Literatur von dem jeweiligen historischen Grundrechtsverständnis lösen und sich im Ergebnis dem traditionellen Verständnis des anderen Landes nähern. In den USA findet die Ansicht BefürworteT, die die für das 1. Amendment betonte Ausrichtung auf den politischen Prozeß überwinden will und ungeteilte grundrechtliche Freiheit proklamiert; hier werden zunehmend die kommunikativen Rechte aus einem allgemeinen und abstrakten Freiheitsverständnis gelöst und für den demokratischen Prozeß funktionalisiert 14. b) Kritik

Lenkt man die Blicke von der Theorie in die Verfassung, so wird deutlich, daß weder der amerikanischen Verfassung noch dem Grundrechtskatalog des Grundgesetzes eine allgemeine und abstrakte Freiheit oder Freiheitstheorie zugrundeliegt, sondern Freiheitsschutz durch die Absicherung einzelner Lebensbereiche oder Verhaltensformen in unterschiedlichen Grundrechtstatbeständen systematisiert worden ist, die unterschiedlich intensiv vor staatlichen Eingriffen geschützt werden 15 • Grundrechte gewährleisten Freiheit nur im Rahmen ihres jeweiligen Normbereiches, dessen Bestimmung nicht mit dem Hinweis auf eine Freiheit individueller Beliebigkeil geleistet werden kann. Die Aufsetzung eines abstrakten Freiheitsverständnisses auf die Grundrechte muß zu einer Überdehnung und Verwässerung der einzelnen Grundrechtstatbestände führen, wie es für die Meinungsfreiheit deutlich bei Baker zu erkennen ist. Die Auslegung hat bei dem jeweiligen Grundrecht anzusetzen, seiner individuellen Entwicklungsgeschichte und seiner Funktion in der Verfassung, in der es verankert ist. aa) Die Gefahrdung durch staatliche Eingriffe Verfolgt man die Entwicklungsgeschichte der Versammlungsfreiheit, so zeigt sich, daß staatliche Eingriffe auf politische oder der Meinungsbildung dienende Versammlungen zielten. Diese warenangesichtsdes in ihnen liegenden Gefährdungspotentials für den Staat Adressat zahlreicher Sondernormen 16 und in Zeiten staatlicher Repression Objekt hoheitlicher Übergriffe. Dies gilt entsprechend für die Vereinigten Staaten 17, und Urteile des Supreme Court und deutscher Gerich14 Zur funktional-demokratischen Grundrechtsauslegung unter dem Grundgesetz vgl. Böckenförde, NJW 1974, 1356 f. ; Klein, Die Grundrechte, 25 ff. jew. m.w.Nw.; zur Versammlungsfreiheit eingehend Schwäble, 74 ff. 15 Zutreffend Scheuner, VVDStRL 22, 43 ff.; Hesse, 164; Friesenhahn, G 11 f. ; Bleckmann, 175 f., 246. 16 vgl. etwa Artikel3 der sog. Zehn Artikel von 1832; § 1 des Preußischen Vereinsgesetzes von 1890; § 5 Bundesvereinsgesetz von 1854; § 5 Reichsvereinsgesetz von 1908 sowie jeweils § 1 der Notverordnungen vom 28. 3. 1931 (RGBI., 79), vom 17. 3. 1932 (RGBI., 133) vom 14. 6. 1932 (RGBI., 297) und vom 28. 6. 1932 (RGBI., 339).

I. Die Diskussion um den Versammlungszweck

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te 18 zeigen, daß auch unter freiheitlichen Verfassungen Konflikte zwischen Staat und Individuum bei politischen Versammlungen fortdauern. Demgegenüber waren Versammlungen, die sich in dem gemeinsamen Willen ihrer Teilnehmer zum Beieinandersein erschöpften, in nur unerheblichem Maße von staatlichen Gefahrdungen bedroht, und sie sind auch nur schwer als Objekt spezifischer staatlicher Eingriffe vorstellbar. Insoweit entsprechen Versammlungen, die allein der gemeinsamen Verwirklichung von Handlungszielen dienen, einer allgemeinen (individuellen) Handlungsfreiheit 19, die im deutschen Recht nach herrschender Auffassung durch Art. 2 I GG 20 , im amerikanischen Recht über die due-process-Klausel des 5. und 14. Amendment geschützt ist. Zutreffend wird daher bei der Auslegung der Versammlungsfreiheit auf die geschichtliche Entwicklung verwiesen 21 , denn in dieser haben sich Versammlungen zur Verfolgung gemeinsamer beliebiger Handlungsziele nicht in Auseinanderstzung mit der Staatsmacht als besonderen rechtlichen Schutzes bedürftiger Typus qualifiziert. Gerade wenn Grundrechte aus ihrer Abwehrrichtung gegen den Staat interpretiert werden, wie es das Credo der Befürworter einer liberalen, bürgerlich-rechtsstaatliehen Grundrechtstheorie ist, wenn Grundrechte also dazu bestimmt sind, "wichtige Bereiche der individuellen Freiheit, die nach der geschichtlichen Erfahrung der Bedrohung durch die Staatsmacht besonders ausgesetzt sind, vor eben dieser Bedrohung zu sichern" 22, muß die weite Auslegung überwunden werden 23 • Dies verkennt Werner Müller, der den Gegnern eines weiten Versammlungsbegriffs einen "Schluß von den Schranken auf den Inhalt des Grundrechts" vorwirft 24• Die Beschränkungen, denen Versammlungen im Laufe der Zeit ausgesetzt waren, formen den Schutzbereich des Grundrechts mit, denn es soll gerade vor diesen Beschränkungen sichern. Die Zurückweisung des weiten Versammlungszweckes ist somit zunächst Konsequenz aus der fehlenden Schutzbedürftigkeit von Versammlungen zu jeglichem gemeinsamen Handeln. Das Argument der Schutzwürdigkeit des Menschen auch in seinem privaten Bedürfnis nach Gemeinschaft 25 geht fehl.

11

z.B. der Smith Act von 1940, Sec. 2(a) (3) zitiert in Dennis v. United States, 341

us 494 (496) (1951).

18 BVerfGE 69, 315 (Atomenergie); 73, 206 (Rüstungspolitik); BVerwGE 64, 56 (Chile); 56, 63 (politische Partei); 26, 135 ("Internationale Kriegsdienstgegner"). 19 Daher nicht überzeugend Geck, DVBI. 1980, 800, der auf bau-, feuer-und gesundheitspolizeiliche Versammlungsbeschränkungen hinweist. 20 v. Münch, Art. 12, 170 m.w.Nw. 21 v. Mangoldt/Klein, Art. 8, 111.2; Füßlein, 443; Frowein, NJW 1969, 1081; NJW 1085, 2376; im amerikanischen Recht White v. Keller, 438 F.Supp. 110 (115, Fn.7) (1977). 22 Böckenförde, NJW 1974, 1530; BVerfGE 7, 32 (39); auch Scheuner, VVDStRL 22, 41 ff. 23 Anders aber wohl Böckenförde, NJW 1974, 1531. 24 s. 43. 2s W. Müller, 49; Geck, DVBI. 1980, 800.

7*

IOO

Teil B: Rechtsvergleich und Wertung

Allerdings wird über den weiten Versammlungszweck auch eine "totale Isolierung des Individuums"- wie etwa die A. Sacharows in Gorki - , die "menschliche Existenz in ihrem Kern trifft", verhindert 26 • Durch diesen spezifischen Aspekt unterscheiden sich Versammlungen zur Verfolgung gemeinsamer Handlungsziele von beliebigem individuellen Handeln insofern, als die charakteristische gewollte Gruppenbildung auch dem menschlichen Bedürfnis nach Gemeinschaft Rechnung trägt 27 • Insoweit würde das Wesen der Gruppenbildung der Versammlungsfreiheit eine eigenständige Schutzintention gegenüber einer allgemeinen individuellen Handlungsfreiheit sichern. Aber dieser Gesichtspunkt hat eben in der Entwicklungsgeschichte des Grundrechts keinen prägenden Einfluß gehabt, sodaß er nicht zum zentralen Anliegen der Versammlungsfreiheit gemacht werden kann. Damit soll nicht in Abrede gestellt werden, daß der von Herzog geschilderte Sachverhalt nicht vorstellbar ist; aber gerade unter dem Grundgesetz bedarf es nicht der Versammlungsfreiheit, um hier wirksamen Schutz zu gewähren. Vielmehr sind hier schon unmittelbar Art. 1 I GG oder Art. 1 I GG in Vbdg. mit Art. 2 I GG als Grundrechte einschlägig 28 , die den Schutz von Kernbereichen der Persönlichkeit gewährleisten. Durch die extensive Auslegung der Versammlungsfreiheit bestünde zudem die Gefahr, daß der existentiell wichtige Schutz vor "totaler staatlicher Isolierung" entwertet und aufgeweicht würde. Denn das Grundrecht müßte dann mit gleicher Intensität Versammlungen schützen, die primär der Verwirklichung gemeinsamer Handlungsziele dienen und denen das Bedürfnis nach menschlicher Gemeinschaft nur noch reflexhaft zugrundeliegt, obgleich diese eines geringeren, der individuellen Handlungsfreiheit vergleichbaren Schutzes bedürfen. bb) Unterschiede zwischen Verein und Versammlung Berücksichtigt man die Entwicklungsgeschichte des Grundrechts der Versammlungsfreiheit, so können sich dieBefürwortereines weiten Versammlungszwecks im deutschen Recht auf die hier in Wissenschaft und Gesetzgebung häufig hergestellte Verknüpfung von Versammlungs- und Vereinsfreiheit 29 berufen. Letztere wurde aber schon im Vormärz nicht nur auf politische Vereine beschränkt, und sie gilt auch heute für Vereine aller Zwecke 30• Diese Verbindung besteht nicht im amerikanischen Recht, wo das Grundrecht der Versammlungsfreiheit mit dem Petitionsrecht verknüpft war und die verfassungsrechtliche GaSo Maunz/Dürig-Herzog, Art. 8, 5, 43 (1981). Vgl. auch In re Fraze, 30 N.W. 72 (75) (1886). 28 So auch Zitzmann, 69; Frowein, NJ'W Jl)()> S. 55.

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Teil B: Rechtsvergleich und Wertung

Sammlungsfreiheit für die demokratische Staatsordnung hervor, wobei die Gerichte und auch die Literatur dies mit ähnlichen Erwägungen begründen: Kontroll- und Korrektivfunktion gegenüber den politischen Organen 36, größere Akzeptanz der Mehrheitsentscheidungen für Minderheiten 37, denen häufig andere Möglichkeiten der Einflußnahme verschlossen sind 38, und eine das Gemeinwesen stabilisierende Wirkung durch Artikulationsmöglichkeiten unzufriedener Minderheiten, wodurch die Zuflucht zu Gewalt verhindem werden kann 39 • Auch in dieser Funktion des Grundrechts zeigt sich ein Unterschied zwischen dem Wirken einer Versammlung einerseits und einem Verein andererseits, dem hier die politische Partei gegenübersteht 40 • Diese demokratische Dimension ist in den USA in dem historischen Verständnis der Rechte des 1. Amendment als Grundlage der Volkssouveränität verwurzelt 41 und gerade für die Versammlungsfreiheit durch die funktionelle Anhindung an das Petitionsrecht zum Ausdruck gebracht worden. In der deutschen Grundrechtsdogmatik ist die Betonung der staatsaufbauenden Funktion trotz einer unterschiedlichen Einschätzung des Grundrechtsverständnisses des Vorrnärz 42 ein neuerer Ansatz. In Überwindung der das liberale Grundrechtsdenken prägenden Antinomie von Staat und Individuum tritt der Mensch als Bürger aus der ihn vor staatlichen Eingriffen schützenden Sphäre des Abwehrrechts heraus und in eine aktive, den Staat mitgestaltende Rolle ein 43 • Gewinnt somit die Versammlungsfreiheit im Rahmen der status-Lehre Jellineks in der Tat eine andere grundrechtliche Dimension 44 , so ist aber auch nicht 34 Cox v. Louisiana, 379 US 536 (554) (1965); Schneider v. State, 308 US 147 (161) (1939); Thomas v. Collins, 379 US 16 (30) (1945). 35 BVerfGE 20, 56 (98); 69, 315 (348 ff.). 36 Quilisch, 149; Ress, XXXf.; BVerfGE 69, 315 (346 f.); Blasi, 1977 Am.B.Found. Res.J., 529 ff. ("checking-value"). 37 BVerfGE 69, 346 f.; Stellungnahme der American Bar Association zu Hague v. CIO (307 US 496) in 25 Am.B.Ass.J., 9 (1938); Adderly v. Aorida, 385 US 39 (52) (Douglas, J. Warren, C.J., Brennan, J., Fortas, J.,d.o.) 38 De Jonge v. Oregon, 299 US 353 (365) (1937); Kalven, 1965 Sup.Ct.Rev., 30; Etzioni, 1; BVerfGE 69, 346 f. 39 De Jonge v. Oregon, 299 US 353 (365); Chief Justice Hughes zitiert in 25 Am.B. Res.J., 9 ("safety-valve"); Blumenwitz, Samper-FS, 133 (,,Sicherheitsventil"); Quilisch, 149 ("Revolutionsventil"). 40 Eingehend Schwäble, 53 ff. 41 Grabitz, 148; Grimmer, 26; Stromberg v. Califonia, 283 US 359 (369) (1931); Mills v. Alabama, 384 US 214 (218) (1966). 42 Einerseits Grabitz, 173 f.; Huber, Verfassungsgeschichte, 378; Klein, Grundrechte, 33; für die Versammlungsfreiheit W. Müller, 37; andererseits Schwäble, 32 ff.; F. Müller, Korporation und Assoziation, Berlin 1965, S. 258, 265 und Quilisch, 57, 67. 43 Für die Meinungsfreiheit etwa Smend, VVDStRL 4, 47 f.; grundlegend Hesse, 116 f.; Grimmer, Demokratie und Grundrechte; Schuppert, Grundrechte und Demokratie, EuGRZ 1985, 527 ff. 44 BVerfGE 69, 315 (343 f.) m.w.N.; demgegenüber verharrt v. Mangoldt/KleinStarck, Art. I, 113 mangels ausschließlicher Mitwirkungsrichtung der Kommunikationsgrundrechte in der Zuordnung der Grundrechte zum status negativus; im Ergebnis auch Klein, Grundrechte, 60, 71; Schwabe, Grundrechtsdogmatik, 283 ff.

I. Die Diskussion um den Versammlungszweck

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das Fortwirken des traditionellen Grundrechtsverständnisses zu verkennen; die Auslegung der Versammlungsfreiheit unter dem Grundgesetz führt in der Tendenz eher zu einem Sowohl- als auch mit jeweils unterschiedlicher Gewichtung der aktivbürgerliehen und der staatsausgrenzenden Komponente 45, als zu den Konsequenzen, wie sie in den USA insbesondere von Alexander Meiklejohn für das I. Amendment gezogen wurden 46• 3. Versammlungsfreiheit und Kommunikation

Nach den bisherigen Ausführungen steht fest, daß die Argumente zugunsten einer extensiven Auslegung der Versammlungsfreiheit nicht zu überzeugen vermögen; weder aus der Entwicklungsgeschichte des Grundrechts noch seiner Funktion im Grundrechts- und Verfassungsgefüge läßt sich ableiten, daß die Versammlungsfreiheit jegliches gewolltes Zusammenkommen schützt. Es verbleibt somit die Entscheidung zwischen einer Beschränkung des Schutzbereiches auf die Erörterung oder Meinungskundgabe von öffentlichen Angelegenheiten und einem Verständnis des Grundrechts, das jede Versammlung zum Meinungsaustausch und zur Meinungskundgabe dem Grundrecht unterstellt. Diese beiden Auslegungsrichtungen sind nicht notwendig ein Gegensatz; sie führten zu demselben Ergebnis, wenn auch die Auslegung der Meinungsfreiheit nur auf der Kundgabe von Angelegenheiten von öffentlichem Interesse beschränkt würde, eine Interpretation, die - wie noch eingehend zu erörtern - unter beiden Verfassungen mehrheitlich abgelehnt wird.

a) Ablehnung einer Beschränkung auf öffentliche Angelegenheiten Die Argumente, die gegen den weiten Versammlungszweck angeführt wurden, legen eine Beschränkung des Schutzbereichs auf öffentliche Angelegenheiten nahe. Auf Versammlungen dieser Ausrichtung konzentrierten sich in der Entwicklungsgeschichte des Grundrechts die staatlichen Bedrohungen, und zugleich vollzieht sich in ihnen am deutlichsten die Teilnahme an der Vorformung der politi45 Etwa Ossenbühl, Der Staat 10, 55; Schwäble, 66 f.; Hofmann, BayVBl 1987, 102 ff.; Maunz I Dürig-Herzog, Art. 8, 10 ff.; generell zu diesen beiden Seiten der Grundrechte etwa Häberle, 20; Hesse, 116; Kröger, 41 f.; Merten, VerwArchiv 73, 117. 46 "The First Arnendment was not written primarily for the protection of those intellectual aristocrats who persue knowledge solely for the fun of the game, whose search for truth expresses nothing more than a private intellectual curiosity or an equally private delight and pride in mental achievement. lt was written to clear the way for thinking which serves the general welfare." In Self-government, 42. Ferner seine Kritik an der "marketplace"-Theorie: ,,Each one of us, therefore, feels free tothink as he pleases, to believe whatever will serve his own private interests. We think, not as members of the body politic of ,We, the people of the United States', but as farmers, as trade-union workers, as employers ...", ebd., 73.

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Teil B: Rechtsvergleich und Wertung

sehen Willensbildung durch Ausübung der Grundrechte. Dennoch werden gegen eine Beschränkung des Schutzbereichs auf Versammlungen zur Diskussion über oder Demonstration für öffentliche Angelegenheiten Bedenken erhoben, die Berücksichtigung verdienen. Frowein weist auf die aus der Unschärfe des Begriffs 47 resultierende Gefahr hin, daß bestimmte Angelegenheiten als nicht öffentlich deklariert werden können und so dem Schutzbereich der Versammlungsfreiheit entzogen werden 48. Ein entsprechender Einwand wird im amerikanischen Recht gegen die Beschränkung der Meinungsfreiheit auf public affairs oder matters of public interest vorgebracht49. Diese Gefahr wird deutlich bei der heute gültigen Regelung von Honolulu50, in der die Genehmigung für eine Parade von der Entscheidung des Polizeichefs darüber abhängig gemacht wird, daß die Veranstaltung einem public purpose dient. Hier haben die staatlichen Instanzen die Definitionsmacht über diesen Begriff, die es ihnen ermöglicht, mißliebige Veranstaltungen aus der Öffentlichkeit zu verbannen. Gegen die Beschränkung der Versammlungsfreiheit auf öffentliche Angelegenheiten sprechen somit Bedenken aufgrund der Unklarheit des Begriffes; er lädt zu Diskriminierungen nach inhaltlichen Kriterien ein, denn der Öffentlichkeitsbezug eines Anliegens ist nur aufgrundeines spekulativen Urteils zu ermitteln und damit unvermeidlich von den eigenen Auffassungen darüber beeinflußt, was für die Allgemeinheit von Bedeutung ist oder zu sein hat 51 . Der Charakter des Grundrechts als Abwehrrecht gegen nach der geschichtlieben Erfahrung besonders bedrohte Freiheitsbereiche wäre weitgehend entwertet, wenn der staatliche Institutionen als Adressaten der Grundrechte darüber entscheiden könnte, ob eine Thematik ein öffentliches Anliegen ist oder nicht. Zudem sind öffentliche und private Angelegenheiten nicht immer in der Klarheit zu trennen, wie bisweilen angenommen wird 52, sondern häufig miteinander verschmolzen 53• Handelt es sich etwa bei Streitigkeiten aus einem Arbeitsverhältnis bis hin zum Streik oder Iabor picketing um politische bzw. öffentliche oder 47 Vgl. auch die Divergenzen bei der Bestimmung im amerikanischen Recht, s. o. A.III.2.a. am Ende. 48 Prowein NJW 1969, 1082; ähnlich Schwäble, 99 f.; AK-Hoffmann-Riem, Art. 8, 12. 49 BeVier, 30 Stanf.L.Rev., 327 (1978); Scanlon, 40 U.Pitt.L.Rev., 539 (1979). 5o Traffic Code, § 15-24.00 (7) (a). 51 Auch Schmitt Glaeser, AöR 97, 293; Klein, Der Staat 10, 163; Scheuner, DÖV 1971, 509; für die USA BeVier, 30 Stanf.L.Rev., 328 (1978); Scanlon, 40 U.Pitt. L.Rev., 539 (1979). 52 Vgl. Meiklejohn, Self-government, 80, ,.We know, clearly or vaguely, that under the American plan of self-government every citizen has two radically different sets of purposes ... They ,.care for" their country. But they care, also, for themselves". 53 Rosenbloom v. Metromedia, 308 US 29 (79) (Marshall, J., Stewart, J.,d.o.): ,.All human events are arguably within the area of public concern."; Curtis Publishing Co. v. Butts, 388 US 130 (163) (Warren, C.J.,c.o.): ,.Increascingly in this country, the distinction between government and private sectors are blurred...";ferner etwa SchmittGlaeser, AöR 97, 79, 294; AK-Hoffmann-Riem, Art. 5, 22.

I. Die Diskussion um den Versammlungszweck

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private Angelegenheiten 54 ? Der Protest eines Asylbewerbers gegen die drohende Abschiebung ist kein die Allgemeinheit unmittelbar betreffendes Anliegen, und dennoch wird man eine öffentliche Angelegenheit oder ein öffentliches Interesse bejahen. Zumindest mittelbare Bezüge zur Allgemeinheit lassen sich für nahezu jedes Thema herstellen. Versuche, dem Begriff der öffentlichen Angelegenheit klare Konturen zu geben, etwa durch Qualifizierung einer Angelegenheit als öffentlich aufgrund ihrer Behandlung in den Medien 55 , beseitigen die Bedenken ebensowenig wie der Hinweis, daß der Begriff weit auszulegen ist 56 • Denn gerade wenn der Normbereich der Versammlungsfreiheit auf den politischen Prozeß abgestimmt wird, ist die Beschränkung auf öffentliche Angelegenheiten - wie immer man diesen Begriff bestimmen will - schon im Ansatz verfehlt. "Öffentlich" sind Angelegenheiten, wenn sie vom lokalen bis internationalen Bereich im allgemeinen Interesse liegen oder die Allgemeinheit beschäftigen 57, was voraussetzt, daß ein Anliegen von einer größeren Gruppe als problematisch befunden wird oder diese sich von ihm betroffen fühlt. Damit wird aber die Versammlungsfreiheit einer wichtigen Funktion entkleidet, nämlich mit Randthemen, unpopulären Ansichten oder Einzelauffassungen den Bereich eigener Überzeugung zu überschreiten, diese in das Bewußtsein der Öffentlichkeit zu bringen und damit erst zu einer "öffentlichen Angelegenheit" zu machen. Auch die Funktion der Versammlungsfreiheit als Mitwirkungsrecht bei der Vorformung der demokratischen Willensbildung spricht somit gegen eine Beschränkung des Schutzbereiches auf öffentliche Angelegenheiten. Die Willensbildung des Bürgers durch Diskussion und Demonstration muß sich staatsfrei und unreglementiert vollziehen, jeder Ansicht einer Minderheit oder eines Einzelnen muß es möglich sein, sich in die öffentliche Diskussion einzubringen, um die Unterstützung der Mehrheit zu gewinnen. Diese Grundsätze freier demokratischer Willensbildung wären aber entscheidend beeinträchtigt, wenn von der Versammlungsfreiheit ein öffentliches Werben nur für solche Auffassungen geschützt würde, die schon eine bestimmte Position in der Diskussion errungen haben. Dieselben Einwände ergeben sich gegen die von Crombach vorgeschlagene Lösung, der durch die Verwendung des im englischen Versammlungsrecht gebräuchlichen Begriffs des public interest zur Bestimmung des Normbereichs der Versammlungsfreiheit einen größeren Themenkreis einbeziehen will 58 • Ob dies 54 Einerseits Schneider, 82 Col.L.Rev., 1486 (1982), andererseits Cox, 94 Harv.L. Rev.,38 f. (1980). 55 So Justice Douglas in Gertz v. Robert Welch lnc., 418 US 323 (357)d.o. (1974); ähnlich Crombach, 122. 56 Zitzmann, 80; Dietel I Gintzel, § 1, 7, jedoch beschränkt auf das VersG; für das amerikanischeRecht Anastaplo, 187. 57 Dietel I Gintzel, § 1, 7 bzw. Frowein, NJW 1969, 1080; vgl. auch Wolfgang Martens, Öffentlichkeit als Rechtsbegriff, Berlin 1969, S. 168, Fn. 2. 58 S. 120; im Ergebnis auch Zitzmann, 79.

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wirklich zu nennenswerten Divergenzen gegenüber einer Beschränkung auf öffentliche Angelegenheiten führt und dann andererseits das Kriterium nicht zur Leerformel wird, mag dahinstehen, denn auch Crombach fordert durch das Interesse einer breiten Öffentlichkeit einen starken Öffentlichkeitsbezug 59 • Berücksichtigt man schließlich, daß heute auch der Schutz von Privatheit öffentliches Anliegen ist und die Quellen der öffentlichen Meinung im privaten Bereich liegen 60, so muß auch aus diesen Erwägungen der Schutzbereich der Versammlungsfreiheit über öffentliche Angelegenheiten hinaus ausgedehnt werden.

b) Versammlungsfreiheit und individuelle Seite der Meinungsfreiheit Die Bedenken, die gegen eine Beschränkung der Versammlungsfreiheit auf Veranstaltungen über öffentliche Angelegenheiten angeführt wurden, erfordern eine Ausdehnung des Schutzbereichs der Versammlungsfreiheit auf Themen von nicht allgemeinem Interesse. Eine solche Auslegung soll aber nicht nur aus der Schwäche der Gegenauffassungen resultieren, sondern bedarf auch einer eigenständigen Begründung, die gerade dieses Verständnis als zutreffend rechtfertigt. Da der weite Versammlungsbegriff abgelehnt wurde und nunmehr nur noch zu untersuchen ist, wie die Ausrichtung der Versammlungsfreiheit auf die Meinungsfreiheit vorzunehmen ist, bedarf es zunächst einiger Ausführungen zur Meinungsfreiheit, die dann auf die Versammlungsfreiheit übertragen werden. Wenn der Schutzbereich der Versammlungsfreiheit nicht nur auf Kundgaben und Erörterungen öffentlicher Angelegenheiten beschränkt wird, so müssen auch Äußerungen zu privaten und persönlichen Angelegenheiten miterlaßt werden. Dies entspricht im Ergebnis der überwiegenden Ansicht bei der Auslegung der Meinungsfreiheit im deutschen6 1 und wohl auch im amerikanischen62 Verfassungsrecht Wird aber über Meinungskundgaben zu privaten oder persönlichen Themen auch die individuelle, auf Persönlichkeitsentfaltung gerichtete Seite von Meinungsäußerungen von der Meinungsfreiheit geschützt und wird dies auf die Versammlungsfreiheit übertragen, so scheint sich ein Widerspruch zu der Argumentationslinie zu ergeben, mit der der weite Versammlungsbegriff abgelehnt wurde. Während in der Literatur der weite Versammlungsbegriff mit dem ArguCrombach, 120. Klein, Der Staat 10, 171 f.; Schwäble, 62, 100. 61 BVerfGE 7, 198 (208); 12, 113 (129); 61, 1 (7); v. Münch, Art. 5, 5; v. Mangoldt/ Klein I Starck, Art. 5, 1 f.; Maunz I Dürig-Herzog, Art. 5, 7; AK-Hoffmann-Riem, Art. 5, 22; Schmin Glaeser, AöR 97, 83 ff.; Klein, Der Staat 10, 160; anders aber Leisner, UFITA, 37, 147; ferner Ridder, 257 (Art. 5 I GG: private Meinungsäußerungen, Art. 21 GG: öffentliche Meinungsfreiheit). 62 Chafee, Free Speech, 33; Emerson, System, 6 f.; Nimmer, § 3.02; Baker, 25 U.C.L. A.L.Rev., 964 (1978); Redish, 130 U.Pa.L.Rev., 591 (1983); Connick v. Myers, 461 59

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us 138 (147) (1983).

I. Die Diskussion um den Versammlungszweck

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ment des Schutzes "geringfügiger Nichtigkeiten" bekämpft wird 63 , findet sich dieser Einwand gegenüber der individuellen Seite der Meinungsfreiheit nicht. Die Meinungsfreiheit wird herausgehoben als Gewährleistung "geistiger Freiheit schlechthin", die "Kommunikation um ihrer selbst willen" schützt 64, was in der bekannten, auch vom Bundesverfassungsgericht 65 übernommenen Charakterisierung der Meinungsfreiheit durch Justice Cardozo als "the matrix, the indispensable condition of nearly every other form of freedom" 66 gipfelt. Abgesehen davon, daß dies auch für andere Grundrechte behauptet wird 67, fallen die Ergebnisse bei der Bestimmung des Normbereiches der Meinungsfreiheit vergleichsweise nüchtern aus. In der deutschen Literatur und Rechtsprechung ist man sich heute einig, daß Art. 5 I 1 jede Meinungsäußerung erfaßt, unabhängig davon, ob sie wertvoll ist, emotional oder rational begründet wird oder eine grundsätzliche Stellungnahme enthält 68 • Gewährt die Meinungsfreiheit aber schlechthin das Recht, seine Meinung zu äußern, so ist die Meinungsfreiheit auch Ausprägung des Rechts auf Lebensbetätigung, insbesondere auf Äußerung der Persönlichkeit 69 • Indem sie damit "ein Stück sittlich notwendiger Lebensluft für den Einzelnen, die Wahrheit sagen zu dürfen" schützt 70 und wie Chafee 71 es ausdrückt "the need of many men to express their opinions on matters vital to them if life is worth to be living" entspricht, erscheint es ungereimt, für die Meinungsfreiheit diese individuelle Seite als Gewährleistung eines Freiraums beliebiger Meinungsäußerungen anzuerkennen, andererseits aber nicht jede Versammlung der Versammlungsfreiheit zu unterstellen. Ist das Bedürfnis nach menschlicher Gemeinschaft nicht ebenso elementar, wenn das Leben lebenswert sein soll? aa) Der Schutz auch persönlicher Äußerungen Den Schutz der individuellen, auf Entfaltung der Persönlichkeit gerichteten Seite der Meinungs- und Gedankenfreiheit wird man aus dem historischen Kontext heraus erklären können, aus dem heraus der Ruf nach diesen Freiheiten entsprang. Die Gegenüberstellung von Staat und Individuum ließ die NotwendigSchwäble, 93. Hesse, 151 bzw. AK-Hoffmann-Riem, Art. 5, 11. 65 BVerfGE 7, 198 (208). 66 Palko v. Connecticut, 302 US 319 (327)d.o. 67 Für die persönliche Freiheit (,,habeas corpus") als Grundlage aller anderen Freiheiten Kriele, Scupin-FS, 204. 68 BVerfGE 30, 336 (347); 33, 1 (15); v. MangoldtiKleiniStarck, Art. 5, 1; v. Münch, Art. 5, 5; Maunz I Dürig-Herzog, Art. 5, 55a; AK-Hoffmann-Riem, Art. 5, 20; Schmidt-Bleibtreu I Klein, Art. 5, 3, jew.m.w.N.; anders noch Rothenbücher, VVDStRL 4, 16 (1928). 69 So Rothenbücher, VVDStRL 4, 12; vgl. auch BVerfGE 7, 198 (208). 1o Smend, VVDStRL 4, 50. 11 Free Speech, 33. 63

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keit des Schutzes geistiger Freiheit dort hervortreten, wo sie aufgrund obrigkeitlicher Vorgaben und Beschränkungen eingeengt war. Diese Bereiche positiv zu umgrenzen durch eine abschließende Aufzählung, ist kaum möglich; eher läßt sich sagen, daß Äußerungen rein egozentrischen Inhalts, die nicht auf die soziale Einbindung des Individuums in der Gemeinschaft zielten, nicht die Forderung nach Gedankenfreiheit auslösten. Die Mitteilung einer persönlichen Wertschätzung als Erklärung der Sympathie oder Liebe, war ebenso wie die Gruppenbildung, die sich im gemeinsamen Willen zum Beisammensein erschöpfte, nicht von staatlichen Eingriffen in einem Maße bedroht, das dieses Verhalten zum Ausgangspunkt für die Herausbildung eines Grundrechts der Gedanken- und Meinungsfreiheit hätte machen können. Wenn dennoch Gedanken- und Meinungsfreiheit in einem umfassenden Sinne gefordert wurden und heute auch geschützt werden, so läßt sich dies mit dem Wesen dieser Freiheit rechtfertigen. Der Mensch ist als reflektierende und denkende Kreatur eine Quelle permanenter Infragestellung bestehender Strukturen und damit gerade hier Objekt des Mißtrauens staatlich organisierter Macht. Nicht nur politische, sondern eine Vielzahl vordergründig unpolitischer Äußerungen, wie etwa eine Theorie über die Entstehung der Erde 72, rufen die Neigung zur Unterdrückung von Meinungen hervor, soweit diese für staatlich definierte und staatlich strukturierte Interessen als gefährlich angesehen werden. Die Außenwirkung einer Meinung und damit die gesteigerte Gefahr ihrer Unterdrückung sind aber nur tendenziell erkennbar und lassen sich nicht abstrakt prognostizieren und kategorisieren, sodaß- anders als bei der Versammlungsfreiheit- gerade nicht ein bestimmter Typus von Meinungen aus dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit ausgegrenzt werden kann. Gedanken- und Meinungsfreiheit müssen ungeteilt gewährleistet sein, wenn nicht die Gefahr staatlicher Übergriffe, die die grundrechtlichen Sicherungen zu vermeiden trachten, durch eine Verengung des Normbereichs wieder heraufbeschworen werden sollen. Hier kann angeknüpft werden an die Ausführungen gegen eine Einengung der Versammlungsfreiheit auf öffentliche Angelegenheiten; es wurde dort deutlich, daß jeder Versuch einer Konzentration des Grundrechtstatbestandes auf tendenziell in stärkerem Maße gefährdete, da sozialbezogene Meinungen, sich nur zuungunsten des intendierten Grundrechtsschutzes auswirkt. Zu Recht stellte daher der Supreme Court zu Beginn seiner Rechtsprechung zum 1. Amendment fest: (l)f there is any fixed star in our constitutional constellation, it is that no official, high or petty, can prescribe what shall be orthodox in politics, nationalism, religion, or other matters of opinion . .. 73

Daher müssen auch Äußerungen, die sich auf die private Existenz und die persönliche Sphäre beschränken und in ihrer Tendenz einen geringeren Gefahr72 Der Buchhändler Dufief wurde wegen Verkauf eines Buches dieses Inhalts angeklagt und von Thomas Jefferson verteidigt, vgl. Chafee, 62 Harv.L.Rev., 897 (1949). 73 West Virginia State Board of Education v. Barnette, 319 US 624 (642) (1943).

I. Die Diskussion um den Versammlungszweck

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dungsgrad aufweisen, notwendig mit vom Grundrecht erlaßt werden. Die unter dem Grundgesetz fast einmütig vorgenommene und in den USA verbreitete Zuordnung auch der individuellen Seite von Meinungsäußerungen zu diesem Grundrecht ist daher im Ergebnis zutreffend. Daß dennoch in Randbereichen Meinungsäußerungen geschützt werden, die in ihrem Gefahrdungsgrad und ihrem Wertgehalt eher als Unterfall der Freiheit beliebigen Handeins erscheinen, was als systematischer Widerspruch zur Abstufung der Schutzintensität zwischen I. Amendment und 5. bzw. 14. Amendment 74, aber auch zwischen Art. 5 I GG und Art. 2 I GG 75 angeführt wird, ist zuzugestehen. Stellt man aber die Meinungsfreiheit und die Freiheit beliebigen Handeins in ihrem Kernbereich gegenüber und wertet die Schutzintentionen der diese Freiheitsbereiche garantierenden Grundrechte, so ist es gerechtfertigt, Meinungsäußerungen umfassend in einem eigenständigen Grundrecht und abgehoben von beliebigem Handeln zu schützen. Eine Lösung, die in allen Konsequenzen dem Streben nach rigider Systemreinheit in der Verfassung völlig genügt, wird sich niemals finden lassen. bb) Übertragung der Auslegung auf die Versammlungsfreiheit Überträgt man diese Auslegung der Meinungsfreiheit auf die Versammlungsfreiheit und richtet diese inhaltlich an der Meinungsfreiheit aus, so läßt eine Auslegung, die jede der kommunikativen Entfaltung dienende Veranstaltung durch die Versammlungsfreiheit schützt, ein Grundrecht der Versammlungsfreiheit zunächst als überflüssig erscheinen. Während andere Formen kollektiver Grundrechtsausübung zumindest auch dem Grundrecht zugeordnet werden, das die jeweilige Freiheit sachlich schützt 76 , soll dies nicht für kollektive Meinungskundgaben und Meinungsaustausch gelten. Warum bedarf es hier rl:es Schutzes durch ein eigenständiges Grundrecht? Man wird dies damit begründen können, daß durch die anderen Grundrechte geschütztes Verhalten unter dem Aspekt staatlicher Gefahrdung einerseits und aktiver Gestaltung des Gemeinwesens andererseits seinen Charakter nur unwesentlich dadurch verändern, daß es anstatt allein in gewollter Gemeinsamkeit ausgeübt wird; dies gilt jedoch nicht für die Meinungsäußerungen. Für die politische Meinungsäußerung ist dies evident; Großdemonstrationen vermögen die Adressaten des Protestes erheblich intensiver zu beeindrucken, als dies andere Formen der Äußerung können 77 ; für die USA belegen dies die Kundgebungen der Bürgerrechtsbewegung in den 60er und die Demonstrationen gegen die amerikanische Beteiligung am Vietnam-Krieg in den 70er Jahren. Aber auch im allgemeinen gewinnen Gedanken- und Meinungsfreiheit eine andere Qualität, insbe74

75 76 77

So Bork, 47 lndiana L.Rev., 26f (1971) und Frantz, 51 Cai.L.Rev., 734 f. (1963). So Leisner, UFITA 37, 147. Nw. bei Schwäble, 94. Ossenbühl, Der Staat 10, 54, 64, "punktuelle Plebiszite".

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Teil B: Rechtsvergleich und Wertung

sondere bei Diskussionsversammlungen: Nur rudimentär vorhandene Erkenntnisse der Teilnehmer können im dialektischen Prozeß korrigiert und fortentwickelt werden, die Grenzen eigenen Denkvermögens und der nur rezeptiven Aufnahme aus Literatur und anderen Meinungsträgem werden gesprengt, ein Prozeß, der strukturell von der Theorie des marketplace of ideas treffend erfaßt ist. Angesichts dieser Wirkungen gegenseitigen Gedankenaustauschs und gemeinsamer Meinungskundgabe wird die Notwendigkeit eines eigenständigen Grundrechts zur Gewährleistung eines Forums kommunikativer und geistiger Entfaltung (und damit permanenter Infragestellung bestehender Strukturen als auch aktiver Mitgestaltung des Gemeinwesens) auch nicht dadurch in Frage gestellt, daß Meinungsäußerungen faktisch auf Gruppenbildung abzielen, letzteres also als selbstverständliche Konsequenz des ersteren erscheint 78 •

II. Das Verhältnis der Versammlungsfreiheit zur Meinungsfreiheit: Die Abgrenzung der Schutzbereiche beider Grundrechte und ihre Schranken Ist die Ausübung der Versammlungsfreiheit an Meinungsäußerungen geknüpft, so stellt sich die Frage nach dem Verhältnis beider Grundrechte zueinander. In der amerikanischen Rechtsprechung wird darauf verwiesen, daß sie zwar nicht identisch, aber eng verwandt und untrennbar sind 79; ihrer Kennzeichnung als complementary freedoms 80 entspricht die der Versammlungsfreiheit gegenüber der Meinungsfreiheit zugesprochene Komplementärfunktion im deutschen Recht 81 • In formeller Hinsicht gewährleistet die Versammlungsfreiheit zumindest den äußeren Rahmen von Meinungsaustausch und Meinungskundgabe und ermöglicht so durch ihre funktionelle Ausrichtung auf die Meinungsfreiheit eine tiefere Ausschöpfung von Meinungsbildung und Meinungskundgabe. Die Klärung des Verhältnisses beider Grundrechte zueinander hat aber auch rechtliche Relevanz, unter dem Grundgesetz insbesondere aufgrund der Schrankendivergenzen in Art. 8 I und II und Art. 5 II sowie des unterschiedlichen persönlichen Schutzbereichs. Demgegenüber wird im amerikanischen Verfassungsrecht die Notwendigkeit einer systematischen Bestimmung der Schutzberei78 So der Kongressabgeordnete Sedgwick, der eine Normierung der Versammlungsfreiheit neben der Meinungsfreiheit für überflüssig ansah, s. o. S. 22; zur sozialen gruppenbildenden Funktion der Meinungsfreiheit auch Smend, VVDStRL 4, 50 (1928). 79 De Jonge v. Oregon, 299 US 353 (364) (1937); Thomas v. Collins, 323 US 516 (530) (1945); United Mine Workers Union of America v. Illinois State Bar, 389 US 213 (222) (1967); vgl. aber auch Utah v. Chima, 463 P.2d 803 (806) (1971), "identical twins". 80 State v. Schmid, 423 A.2d 615 (618) (1980). 81 Hesse, 157; Ossenbühl, Der Staat 10, 60.

II. Das Verhältnis der Versammlungsfreiheit zur Meinungsfreiheit

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ehe beider Grundrechte nicht durch Verfassungsvorgaben erfordert; für alle Rechte des 1. Amendment gilt das Verbot einschränkender Gesetze, was zu erklären scheint, daß Versammlungs- und Meinungsfreiheit sowie das Petitionsrecht in den Urteilen zu den Bürgerrechtsdemonstrationen ohne Differenzierung schlicht aneinander gereiht werden 82• Dennoch hat die Verfassungsdogmatik in den USA verschiedene Ansätze entwickelt, die für die Zulässigkeit staatlicher Einschränkungen der Grundrechte- und dies gerade auch in abgestufter Form bei kollektiven Meinungskundgaben - herangezogen werden. l. Die Trennung zwischen speech und conduct

a) Conduct als Verhaltensbeschreibung Die Rechtsprechung des Supreme Court, die die Schutzintensität des 1. Amendment nach dem kommunikativen Gehalt von pure speech über speech plus bis conduct abstuft, trifft in den Kernbereich der Versammlungsfreiheit; zentrale Veranstaltungsformen wie Aufzüge, Märsche, public issue pickefing und Großdemonstrationen als speech plus werden von Meinungsfreiheit als pure speech getrennt und zum Freiheitsgebrauch mit vermindertem Grundrechtsschutz 83• Untersucht man die einschlägigen Entscheidungen zu kollektiven Meinungskundgaben nach dem Anknüpfungspunkt von conduct, so ist dieser das nach außen erfahrbare Verhalten, das Auf- und Abgehen- patrolling and marehing -als körperliche nichtkommunikative Aktivität 84• Beimpicketing, wo die Unterscheidung in speech und conduct ihren Ursprung hat, mag dies noch plausibel erscheinen, denn hier lassen sich das kommunikative Element, die SandwichSchilder, und das Auf- und Abgehen nach außen erkennbar trennen. Dies ist aber kaum möglich, wenn der kommukative Gehalt gerade durch eine körperliche Handlung vermittelt wird. Gerade bei symbolic speech oder expressive conduct zeigt sich die Fragwürdigkeit der Unterscheidung zwischen speech und conduct. aa) Kritik Zwar erkennt der Supreme Court an, daß auch konkludente oder symbolische Meinungsäußerungen dem 1. Amendment unterfallen 85 , doch ist einigen Urteilen 82 Adderly v. Florida, 385 US 39 (46) (1966); Brown v. Louisiana, 383 US 131 (141 f.) (1966); Cox v. Louisiana, 379 US 536 (551) und 379 US 559 (574) (1965); Edwards v. South Carolina, 372 US 229 (235) (1963). 83 s.o. A.IV.2. 3. 84 Deutlich Justice Douglas in Amalgamated Food Employees v. Logan Valley Plaza, lnc., 391 US 302 (313 f.)c.o. (1968); Cox v. Louisiana, 379 US 536 (554) (1965); Justice Black in Cox v. Louisiana, 379 US 559 (581)c.o. I d.o. (1965); Chief Justice Burger in Clark v. CCNV, 468 US 288 (300)c.o. (1984).

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Teil B: Rechtsvergleich und Wertung

zu entnehmen, daß der verfassungsrechtliche Schutz hier geringer ist 86• Der Grund hierfür liegt zunächst in pragmatischen Erwägungen: We cannot accept the view that an apparently limitless variety of conduct can be labeled ,speech' whenever the person engaging in the conduct intends thereby to express an idea 87. Deutlich kommt die Befürchtung zum Ausdruck, daß durch eine umfassende Erstreckung des 1. Amendment auf jegliches meinungsvermittelndes Verhalten bestehende Strafvorschriften unterlaufen werden könnten. Dies mag den Supreme Court auch veranlaßt haben, bei symbolischen Meinungskundgaben die Beweislast für die Anwendbarkeit des l. Amendment dem Bürger zuzuweisen 88• Der stillschweigenden Prämisse des Gerichts, daß conduct in der Tendenz gefahrlieber sein kann als speech, wird man zustimmen können 89• Aber auch pure speech ist nicht immun gegen staatliche Eingriffe, sodaß es nicht überzeugt, wenn ohne den Nachweis der Untauglichkeit der hier zulässigen Regelungsmechanismen symbolhafte Meinungsäußerung oder speech plus generell in geringerem Maße vor staatlichen Eingriffen geschützt werden als verbale oder schriftliche Meinungsäußerungen 90 • Diese auch qualitative Unterscheidung verschiedener Äußerungsformen dürfte letztlich auf die Theorie des free marketplace of ideas zurückzuführen sein. Im aufklärerischen Streben um Erkenntnis der Wahrheit und Fortbildung des Menschen gewinnen solche Äußerungsformen zentrale Bedeutung, die im besonderen Produkt des vernunftmäßig handelnden Menschen sind und in ihrer Wirkung an den menschlichen Verstand appellieren. Reden, die den vertretenen Standpunkt ausführlich begründen, schriftliche Ausarbeitungen, die sich eingehend mit Gegenauffassungen auseinandersetzen, entsprechen stärker einer an den Idealen von Bildung und Aufklärung orientierten Theorie des 1. Amendment als verkürzte, symbolhaft dargestellte Äußerungen 91 • Wird auch eine solche Differenzierung 85 Stromberg v. California, 283 US 359 (369) (1931); Edwards v. South Carolina, 372 US 229 (235) (1963); Carey v. Brown, 447 US 455 (460) (1980); zum Maßstab: Spence v. Washington, 418 US 405 (409) (1974). 86 Richmond Newspapers, Inc., v. Virginia, 448 US 555 (588), (Stevens, J., c.o.); Clark v. CCNV, 468 US 288 (293 f.) (1984). 87 United States v. O'Brien, 391 US 367 (376) (1968): Verbrennen eines militär. Erfassungsbescheides. 88 C1ark v. CCNV, 468 US 288 (293 f., Fn. 5) (1984). 89 So grundsätzlich auch Redish, 130 U.Pa.L.Rev., 601 (1982); Henkin, 82 Harv.L. Rev., 81 (1968); zweifelnd Wellington, 88 Yale L.J., 1006 f. (1979); vgl. auch Garner v. Louisiana, 368 US 157 (170) (1961). 90 So auch die Justices Marshall und Brennan in Clark v. CCNV, 468 US 288 (307 f.)d.o. 91 So auch Wright, 1985 Sup.Ct.Rev., 163 f., Fn. 57; ähnlich Wellington, 88 Yale L.J., 1122 (1979). Vgl. auch Etzioni, 21, der bei Demonstrationen von einem "flattening effect" spricht. Eine stärkere Rationalisierung der politischen Auseinandersetzung fordert auch Hättich in seiner Schrift über Sinn und Unsinn des Demonstrieren&, der Protest zu

li. Das Verhältnis der Versammlungsfreiheit zur Meinungsfreiheit

113

vorn Text des 1. Arnendrnent begünstigt, der speech als eine besondere Form der Äußerung erwähnt, so sind Ansätze zu einer rechtlichen Differenzierung nach der Form einer Äußerung willkürlich und können nicht aufrechterhalten werden 92. Der Wortlaut des Art. 5 I GG erlaßt das Wesen freier Meinungsäußerung zutreffender, indem eine inhaltliche Qualifizierung der Äußerung als Meinung erforderlich ist, zugleich aber durch die nicht als abschließend anzusehende93 Aufzählung der Kommunikationsmedien deren rechtliche Gleichwertigkeit festgelegt ist. Wie die Prämissen der Unterscheidung vonpure speech, speech plus, symbolic speechund conduct sind auch ihre Konsequenzen nicht haltbar. Jede Meinungsäußerung beinhaltet Verhaltenselernente, durch die der Gedanke umgesetzt und anderen zugänglich gernacht wird, sei es durch die mündliche Äußerung oder das Niederschreiben und Verbreiten. Dies erfolgt als Kornmunikation notwendig in einem bestimmten Umfeld, was räumliche Präsenz des sich Äußernden voraussetzt. "All speech is necessary conduct" 9\ "speech is conduct, and action speaks" 95 , mit diesen Einwänden wird zu Recht in der amerikanischen Literatur die Theorie des Suprerne Court mangels eindeutigen, die Differenzierung steuernden Kriteriums kritisiert. bb) Der Schutz nichtkommunikativen Verhaltens Daß die Differenzierung zwischen speech und conduct keine tragfähige Grundlage fürdie Bestimmung des Schutzbereiches und der Schranken der Kommunikationsgrundrechte bilden kann, erweist sich gerade auch bei der Versammlungsfreiheit. Vorn Schutzbereich dieses Grundrechts werden auch Verhaltensweisen erlaßt, die keinen eigenständigen kommunikativen Gehalt aufweisen oder mit denen ein solcher nicht notwendig verbunden ist. Für diese Verhaltensweisen kann aber nicht als conduct nur ein verminderter Grundrechtsschutz anerkannt oder jeglicher Grundrechtsschutz abgelehnt werden. a) Die Anreise zur Versammlung

So ist die Anreise zu einer Versammlung, was im deutschen Recht umstritten ist 96, dem Schutzbereich der Versammlungsfreiheit auch dann zuzuordnen, wenn den "primitiveren Stufen der Partizipation" zählt und bei Demonstrationen vom ,,Jahrmarkt der Schlagworte" spricht, S. 71, 81 ff. 92 Auch Note, 68 Col.L.Rev., 1107 (1962); Nimmer, § 3.03 (F); Blasi, 1977 Am.B. Found.Res.J., 640. 93 Maunz/Dürig-Herzog, Art. 5, 55a; v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 5, 21 ; v. Münch Art. 5, 10; anders, aber nicht überzeugend Stöcker, DÖV 1983, 10()1. 94 Kalven, 1965 Sup.Ct.Rev., 23; ähnlich Tribe, 559 und Emerson, System, 297. 95 Henkin, 82 Harv.L.Rev., 79 (1968); ähnlich Baker, 78 Nw.U.L.Rev., 940 (1983). 8 Ehrentraut

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Teil B: Rechtsvergleich und Wertung

sie nicht in Form einer Versammlung- etwa als Stemmarsch- erfolgte. Denn wenn polizeiliche Maßnahmen, die im Vorfeld einer Versammlung stattfinden, Teilnahmewillige daran hindern, eine Versammlung zu besuchen oder an ihr ohne zeitliche Verzögerung teilzunehmen, wird das Recht auf Teilnahme an einer Versammlung in gleicher Weise angegriffen wie bei einem Verbot oder einem Vorgehen gegen eine bestehende Versammlung. Die Anreise ist in der Terminologie Kloepfers 97 ein notwendiges Element der Entstehenssicherung, dessen Erfassung vom Grundrecht aus dem Gedanken grundrechtlicher Sinneinheit gefordert wird. Für sie kann nichts anderes gelten als für sonstige Akte der Vorbereitung und Organisation, die- wie auch bei anderen Grundrechten- unter dem Schutz des jeweiligen Grundrechts stehen 98 • Schon eine sorgfältige Auslegung des Worttlauts spricht für diese Betrachtung. Das Verbum "sich versammeln" impliziert -vielleicht noch in stärkerem Maße- auch den Prozeß des Zusammenkommens als finales Handeln der eine Versammlung bildenden Individuen; dies verschließt sich aber dann der Erkenntnis, wenn bei der Bestimmung des sachlichen Schutzbereiches- im Widerspruch zum Wortlaut des Grundrechts- die Versammlung als schon zusammengefügter Verband im Vordergrund steht 99 • Daß hinter der Versammlungsfreiheit der Schutz der "Versammlung" steht, über das Grundrecht für diese Bestandsschutz vermittelt wird, ist eindeutig; dieser Schutz setzt aber nicht erst dann ein, wenn die Versammlungsteilnehmer zusammengetreten sind, sondern erstreckt sich auch auf die Anreise zur Versammlung. Nur wenn diese als Ausübung d~r Versarnrnlungsfreiheit angesehen wird, beschränkende polizeiliche Maßnahmen im Vorfeld einer Versammlung- Identitätskontrollen, Durchsuchungen, Sicherstelll,lngen - somit als Eingriff markiert werden, ist es möglich, bei der Beurteilung der Zulässigkeil dieser Maßnahmen auch das Gewicht der Versammlungsfreiheit als betroffenes Grundrecht in eine Abwägung einzubringen.

ßJ Die physisch-räumliche Dimension des Grundrechts Durch die gewollte Zusammenkunft einer Personenvielzahl auf engerem Raum ist in der Versammlung eine räumlich-physische Dimension angelegt, die in ihrer körperlich wahrnehmbaren Existenz und Wirkung auf die Außenwelt spezifischer Ausdruck des Grundrechts der Versammlungsfreiheit ist. Im deutschen Verfassungsrecht ist diese Komponente des Grundrechts in Rechtsprechung 100 und 96 Ablehnend Birk, JuS 1982, 497; Zitzmann, 185; Hofmann, BayVBl. 1987, 135; VG Würzburg, NJW 1980, 2541; anders Drosdzol, JuS 1983, 412; Ott, § 2, 13; AKHoffmann-Riem, Art. 8, 24; nicht eindeutig BVerfGE 69, 315 (349); offengelassen bei BayVGH, BayVBI. 1983, 434 (435 f.). 97 s. 30. 98 Zu Art. 8 GG: Quilisch, 149; Maunz /Dürig-Herzog, Art. 8, 58; zur Pressefreiheit etwa v. Mangoldt I Klein I Starck, Art. 5, 41. 99 So die ganz überwiegende Literatur unter dem Grundgesetz, deutlich anders nunmehr Maunz/Dürig-Herzog, Art. 8, 36, 116.

Il. Das Verhältnis der Versammlungsfreiheit zur Meinungsfreiheit

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Literatur 101 im Grundsatz anerkannt, wenn auch über ihre Reichweite und die hieraus abzuleitenden Konsequenzen Meinungsunterschiede bestehen. Diese räumlich-physische Komponente verbindet sich bei gemeinschaftlicher Meinungskundgabe mit dem von den Teilnehmern vertretenen Anliegen dadurch zu einer Wirkungseinheit, daß eine Personenmenge durch unmittelbare körperliche Präsenz für einen bestimmten Standpunkt eintritt; das Bundesverfassungsgericht hat dies anschaulich durch die Formulierung zum Ausdruck gebracht, daß "die Teilnehmer nach außen - schon durch die bloße Anwesenheit, die Art des Auftretens und des Umgangs untereinander oder die Wahl des Ortes - im eigentlichen Sinn des Wortes Stellung nehmen und ihren Standpunkt bezeugen" 102• Die Schweigemärsche der Mütter der Verschwundenen auf der Plaza de Mayo gegen die Militärdiktatur in Argentinien und die Demonstrationen durch bloße Anwesenheit farbiger Amerikaner in der Rassentrennung unterliegenden Einrichtungen illustrieren dies anschaulich. Das Wesen der Versammlungsfreiheit wird aber dann nur unzutreffend erfaßt, wenn Kommunikation einseitig vom idealisierten Äußerungstypus speech - als ausführliche schriftliche oder mündliche Meinungsäußerungen - gedeutet wird, wie es im amerikanischen Recht die Theorie des free marketplace of ideas nahelegt In der überhöhten Bewertung dieser Formen von Meinungskundgaben aufgrund ihrer Bedeutung für die geistige Fortentwicklung des Menschen liegt wohl der Hauptgrund für die vernachlässigte Behandlung der Versammlungsfreiheit in der Literatur der Vereinigten Staaten. Kommt es bei der Ausübung des 1. Amendment entscheidend darauf an, "that everything worth saying shall be said" 103, so wird die Versammlung mit ihren sachspezifischen Eigenheiten, die das Korsett der marketplace-Theorie sprengen, notwendig an den Rand der Gewährleistung gedrängt. Dies zeigt sich deutlich bei Abernathy, der die maßgebliche Legitimation dieses Grundrechts in der Ermöglichung zahlreicher Teilnahme am Gedanken- und Meinungsaustausch in Diskussionsveranstaltungen sieht 104• Seine Entsprechung findet dies im deutschen Verfassungsrecht in den unhaltbaren Auffassungen, daß Versammlungen mündliche Erörterungen oder das Auftreten eines Redners erfordern 105 oder daß die Aussagen von Großdemonstrationen als an den Herdeninstinkt appellierender Veranstaltungen nicht unter die Meinungsfreiheit fallen, da sie ungeistig sind und auf die politische Durchsetzung längst bekannter Auffassungen zielen 106• wo BVerfGE 69, 315 (343 ff.); BGH, NJW 1972, 1366 (1367) und 1571 (1573). Vor allem Preuß, R., Schmid-FS, 425, 433 ff.; B1umenwitz, Samper-FS, 138; Quilisch, 119. 102 BVerfGE 69, 345; vgl. auch Preuß, R. Schmid-FS, 436, "psychisch-physische Dimension" und Ott, Demonstration, 46. 103 Meiklejohn, Self-government, 64. 104 Assembly, 83; s. auch o. A.Ill.1; anders aber Emerson, System, 293. 10s Sandweg, DRiZ 1969, 73 m.w.N. 101

s•

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Teil B: Rechtsvergleich und Wertung

y) Die sichfortbewegende Versammlung

Ein weiteres Beispiel für die Anwendung der Versammlungsfreiheit auf nicht notwendig kommunikatives Verhalten sind sich fortbewegende Versammlungen. Daß diese in Ausübung des Versammlungsrechts stattfinden, wird im deutschen Verfassungsrecht von Samper 107 und jüngst auch von Stöcker 108 bestritten. Ausgangspunkt beider Autoren ist die Frage, ob Demonstrationen von der Meinungs- und Versammlungsfreiheit geschützt werden, was sie im Ergebnis verneinen. Doch schon diese Fragestellung ist falsch, enthält zumindest aber terminologische Unklarheiten. Demonstration kann ebenso die individuelle, zumeist - aber nicht notwendig - nichtverbale Meinungsäußerung sein wie auch eine kollektive und sich nicht fortbewegende Versammlung 109, die in ihrem Bestand über das Teilnahmerecht der Anwesenden durch Art. 8 GG geschützt wird. Die These von Samper und Stöcker ist somit entweder irreführend, da sie im Ergebnis nur für einen Teil von Demonstrationen -nämlich die Demonstrationsumzüge - behauptet wird; oder sie ist handgreiflich falsch, weil sie den Schutz der Ein-Mann-Demonstration aus der Meinungsfreiheit verkennt und zumindest für stehende kollektive Meinungskundgaben zu der absurden Konsequenz gelangen muß, daß über Art. 8 kein Bestandsschutz vermittelt wird, das Grundrecht somit nicht über den Zeitpunkt fortwirkt, in dem die Versammlungsteilnehmer zusammengetroffen sind. Für die wohl von beiden Autoren im Ergebnis vertretene Auffassung 110, daß Demonstrationszüge nicht von der Versammlungsfreiheit geschützt werden, berufen sie sich zum einen auf den Wortlaut des Art. 8 GG; da der Text den Begriff des Aufzuges nicht erwähnt, schütze Art. 8 GG nur das Zusammenkommen und das Zusammenbleiben, nicht aber darüber hinaus auch die gemeinsame Fortbewegung. Nun ist es bei der hier vertretenen Auslegung der Versammlungsfreiheit unvermeidlich, daß der Wille der Teilnehmer über das Zusammenbleiben hinausgeht, denn sie versammeln sich zu dem Zweck der Meinungskundgabe oder I und des Meinungsaustauschs. Zutreffend - und wohl auch gemeint- ist aber, daß die Fortbewegung kein notwendiges Element der Versammlung ist. Allein für diesen Aspekt ließe sich sinnvoll die Nichtanwendbarkeit des Grundrechts der Versammlungsfreiheit befürworten, denn auch bei sich fortbewegenden Versammlungen kann kein Zweifel darüber bestehen, daß sie in ihrer physischen Integrität über die Versammlungsfreiheit geschützt werden; dies muß unabhängig 106 Stöcker, DÖV 1983, 1001 f.; dazu, daß Meinungsäußerungen auf Versammlungen durch die Versammlungsfreiheit zu schützen sind, s.u. B.II.2.e.; gegen die Anwendbarkeit auch der Versammlungsfreiheit, Stöcker, DÖV 1983, 997. 107 BayVBI. 1969, 78 f. ws DÖV 1983, 993. 109 W. Müller, 69, m.w.N.; BayObLG NJW 1971, 97; Etzioni, 4. 110 Samper, BayVBI. 1969, 78 f.; im Ergebnistrotz Unklarheiten wohl auch Stöcker, DÖV 1983, 997, 999 f.

II. Das Verhältnis der Versammlungsfreiheit zur Meinungsfreiheit

117

davon gelten, ob eine Versammlung steht oder sich - wie auch immer fortbewegt. Daß die Fortbewegung kein notwendiges Erfordernis einer Versammlung ist, dürfte auch den Supreme Court mit veranlaßt haben, hierin das plus zu sehen, das sich von der kommunikativen Seite als speech unterscheiden läßt. Die Berechtigung einer maßgeblich am äußeren Erscheinungsbild anknüpfenden Trennung zwischen der Fortbewegung als nichtkommunikativem Element und der Meinungskundgabe selbst läßt sich indes bezweifeln. Häufig kann bei Demonstrationszügen, die sich über einen längeren Zeitraum erstrecken wie die Märsche der Bürgerrechtsbewegung von Selma nach Montgomery oder nach Washinton, der Zug Gandhis und seiner Anhänger zu den Salzvorräten Indiens oder die Friedensmärsche neueren Datums, ein beabsichtigter Kundgabeeffekt nicht geleugnet worden. Dieser besteht darin, daß mehrere Personen in gewollter Gemeinsamkeit in einem Marsch einen für die Aussage wichtigen Bezugspunkt anstreben und damit die Ernsthaftigkeit ihres Anliegens unterstreichen. Insoweit erscheint es nicht als sachgerecht, die Fortbewegung allein als conduct zu bewerten oder - wie es Samper und Stöcker befürworten - ihr den Schutz eines Kommunikationsgrundrechts vorzuenthalten. Dieses Ergebnis sollte aber auch dann gelten, wenn man in der Fortbewegung eines Demonstrationszuges keinen Kundgabeeffekt erblickt. Man kann heute davon ausgehen, daß der Demonstrationszug, den die frühe Rechtsprechung in den USA als Form der Kundgabe und Werbung für Überzeugungen gerade aufgrund der Kollektivität anerkannte 111 , ein eigenständiger Versammlungstypus ist. Die gemeinsame Fortbewegung ist als Mittel gemeinschaftlicher Meinungskundgabe in besonderer Weise tauglich; es läßt sich - ohne daß es der zwangsweisen Schaffung von Publikum bedarf - eine Vielzahl von Personen ansprechen, und es können mehrere für die Aussage relevante Orte in die Demonstration einbezogen werden. Wenn die Verhaltensmodalität Fortbewegung bei Demonstrationszügen durch die Versammlungsfreiheit geschützt wird, entstehen auch keine Probleme bei der Schrankenziehung 112 • Der Gesetzesvorbehalt des Grundgesetzes in Art. 8 II GG erlaubt die Berücksichtigung der Besonderheiten sich fortbewegender Versammlungen, und dies ist auch im Versammlungsgesetz erfolgt, indem die §§ 14 ff VersG "Versammlungen" und "Aufzüge", wo es geboten ist, gleichbehandeln und§ 19 VersG eine Sonderregelung für Aufzüge trifft. b) Conduct als Kommunikationsbewertung

Neben der vornehmlich am äußeren Erscheinungsbild anknüpfenden Deutung der speech-conduct-Differenzierung im amerikanischen Recht findet sich ein 111 In re Fraze, 30 N.W. 72 (75) (1886); Chicago v. Trotter, 33 Ill.App. 206 (208) (1889); Anderson v. Wellington, 19 P. 719 (721) (1888). 112 So der weitere Einwand von Samper, BayVBI. 1969, 77 f. und Stöcker, DÖV 1983, 998.

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Teil B: Rechtsvergleich und Wertung

weiterer Interpretationsansatz. Durch diese unterschiedlichen Ansätze wird die Tauglichkeit der Unterscheidung von speech und conduct bei der Ermittlung des Schutzbereiches und der Schranken der Kommunikationsgrundrechte weiter vermindert, da sie gerade für die Versammlungsfreiheit zu erheblichen Unsicherheiten und Risiken führen. Nach der zweiten Interpretationsrichtung der Kategorienspeech und conduct dienen diese Begriffe nicht der Umschreibung eines nach außen sichtbaren Verhaltens, sondern vor allem unter normativen Gesichtspunkten der Bewertung der Schutzwürdigkeit von Kommunikation unter dem I . Amendment. So steht in einigen Entscheidungen des Supreme Court für die Charakterisierung als speech oder conduct die aus Inhalt oder Kontext einer Meinungskundgabe resultierende Störungs- oder Gefährdungsintensität einer Äußerung im Vordergrund 113 , obwohl diese sich in der Form ihres Vortrages sich nicht von pure speech unterscheidet. In dieser Ausrichtung, die sich im deutschen Recht etwa bei Rotbenbücher 114 und HäntzscheJ1 15 , die zwischen "Meinung" und "Handlung" trellllen, oder für die Versammlungsfreiheit bei Schwäble 116 findet, der "Diskussion" von "Aktion" unterscheidet, fügt sich die speech-conduct-Differenzierung in die vornehmlich beim Staatsschutzrecht verwandten Kategorien von expression und action ein 117 • Auf der Unterscheidung zwischen vom 1. Amendment geschützter expression und davon ausgeschlossener action baut auch die Konzeption einer Theorie des 1. Amendment durch Thomas Emerson 118 auf, die jedoch eindeutig normativ ausgerichtet ist und nicht auch zwischen verbal conduct und nonverbal conduct bzw. expressing und doing trellllt 119• Emerson sieht somit auch - was gerade für die Versammlungsfreiheit von Bedeutung ist- im Auf- und Abgehen oder der Fortbewegung einer Versammlung vom 1. Amendment geschützte Verhaltensmodalitäten, sofern sie in einem funktionalen Zusammenhang mit der Äußerung stehen; die Grenze von action zu expressionisterst beim Einsatz körperlicher Gewalt und verschiedenen Formen des Zwanges überschritten 120• Man mag Aktivitäten, die von der Meinungsfreiheit nicht erlaßt werden, als conduct oder action bezeichnen; die durch den zweiten Interpretationsansatz in den Vordergrund gestellte enge Verknüpfung zwischen einer Meinungsäußerung und der Anwendung körperlicher Gewalt ist sicherlich ein wichtiger Aspekt bei 113 Deutlich etwa Tinker v. Des Moines Indep.Comm.School Distr., 393 US 503 (503, 508) (1969); Justice Harlan in Garner v. Louisiana, 368 US 157 (201 f.)c.o. (1961); Cox v. Louisiana, 379 US 559 (563) (1965). 114 So in VVDStRL 4, 22 f. (1928). 115 s. 660. 116 s. 118. 111 Eingehend dargestellt bei Steinberger, 380 ff. 118 System, 17 f., 80; Kritik etwa bei Baker, 25 U.C.L.A.L.Rev., 1009 ff. (1978); BeVier, 30 Stanf.L.Rev., 319 (1978); Ely, 88 Harv.L.Rev., 1494 f. (1975); Tribe, 601 f.; Replik von Emerson in 68 Cal.L.Rev., 478 ff. (1975). 119 So in 68 Cal.L.Rev., 478 (1980). 120 System, 293 f., 298.

II. Das Verhältnis der Versammlungsfreiheit zur Meinungsfreiheit

119

der Ermittlung der Grenzen verfassungsrechtlich geschützter Kommunikation. Die Problematik liegt aber in der unterschiedlichen Verwendbarkeit und Verwendung der Begriffe conduct, action, Handlung oder Aktion. Durch sie läßt sich einmal als neutrale Beschreibung kommunikativ indifferenten Verhaltens die Nichtanwendbarkeit des Grundrechts begründen. Sie kann aber auch als Kategorie für nichtverbale, auf Meinungsdurchsetzung zielende Akte dienen wie auch für verbale Äußerungen, deren Inhalte die Grenzen zulässiger Meinungsäußerung überschreiten und die aufgrund von Kriterien vom Grundrechtsschutz ausgeschlossen werden, die gerade nicht am nach außen erfahrbaren Verhalten anknüpfen. Diese Interpretationsvielfalt ermöglicht, der Bewertung und damit Abwertung von Äußerungen und Kommunikationsformen durch die Bezeichnung conduct den Schein einer rationalen Begründung zu verleihen, obgleich eine solche nicht gegeben wird. So stellte der Supreme Court bei der Beurteilung einer Plakette mit der Aufschrift "Fuck the Draft" fest, "the only ,conduct' which the state sought to punish is the fact of communication" und schloß daraus, "thus, we deal here with a conviction resting solely upon ,Speech' .. . not upon any separable identifiable conduct" 121 , während die dissentierenden Richter ohne nähere Ausführung von "mainly conduct and little speech" sprachen 122• Daß dies gerade bei Versammlungen, die maßgeblich durch nichtkommunikatives Verhalten (conduct) und symbolische Meinungsdarstellungen (speech plus I expressive conduct) geprägt sind, weitgehende Eingriffsmöglichkeiten eröffnet, zeigt die concurring opinion des früheren Chief Justice Burger in Clark v. Community for Creative Non-Violence 123 • Er erklärte das Übernachten von Demonstranten in Zeltlagern, das als Teil einer Demonstration gegen die Folgen der Sozialpolitik gedacht war, schlicht und ohne weitere Erörterungen zu conduct 124 und sah sich so wie die dissentierenden Richter in Cohen v. California einer Begründung für die Nichtanwendbarkeit des l. Amendment enthoben. 2. Die Abgrenzung von Versammhmgs- und Meinungsfreiheit

Im vorigen Abschnitt hat sich gezeigt, daß die Versammlungsfreiheit durch starke Elemente nichtkommunikativen Verhaltens geprägt wird, denen jedoch nicht als conduct der Schutz dieses Grundrechts vorenthalten oder nur in vermindertem Umfang zuerkannt werden darf. Nunmehr ist zu untersuchen, ob das Grundrecht der Versammlungsfreiheit auch den kommunikativen Gehalt kollektiver Meinungskundgaben und gegenseitigen Meinungsaustauschs schützt. Wie angedeutet, wird die Klärung dieser Frage durch die Tatbestands- und Schrankendivergenzen von Meinungs- und Versammlungsfreiheit unter dem 121 122 123 124

Cohen v. California, 403 US 15 (18). ebd., 27. Clark v. CCNV, 468 US 288 (1984). ebd., 300.

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Teil B: Rechtsvergleich und Wertung

Grundgesetz gefordert. So wird aus Sicht der Meinungsfreiheit befürchtet, daß unter Ausnutzung des Vorbehalts des Art. 8 II GG der durch die Allgemeinheit der Gesetze vermittelte Schutz unterlaufen wird 125• Für die Versammlungsfreiheit wird von einigen die Übertragung der Schranke der allgemeinen Gesetze abgelehnt 126, während andere Stimmen in der Literatur die Geltung der Schranken der allgemeinen Gesetze gerade für notwendig erachten 127 • a) Ansätze im deutschen Recht In einem Teil von Rechtsprechung und Literatur findet sich die Auffassung, daß die Versammlungsfreiheit umfassend als spezielleres Grundrecht anzusehen ist, somit auch Meinungsäußerungen auf Versammlungen Ausübung der Versammlungsfreiheit sind 128. In der Mehrheit werden auf eine Versammlung beide Grundrechte angewandt, dies aber für jeweils unterschiedliche Aspekte. Nach einem Lösungsansatz ist die in der schlichten Teilnahme an einer Versammlung und deren Leitung liegende Kundgabe allein durch die Versammlungsfreiheit als spezielles Grundrecht geschützt, während sich für alle anderen Eingriffe in eine Versammlung das einschlägige Grundrecht bzw. die anwendbaren Schranken 129 danach bestimmen, ob das staatliche Handeln durch die kollektive Seite - die Menschenmenge oder die Inhalte der Meinungsäußerung motiviert wird 130• Eine andere Auffassung trennt ähnlich zwischen der technischen Seite des kollektiven Handeins und der in der Versammlung zum Ausdruck kommenden Form gemeinschaftlicher Meinungskundgabe als Ausübung der Versammlungsfreiheit einerseits und den Inhalten der Meinungsäußerung und den zu ihrer Vermittlung gewählten Äußerungsformen - unter Ausschluß der Versammlung selbst - andererseits 131 • An welchem Grundrecht eine staatliche Maßnahme zu messen ist, wird nach dem 125 Schwäble, 103 Fn. 453, 135 f.; MaunziDürig-Herzog, Art. 5, 36; v. Mangoldtl KleiniStarck, Art. 5, 171; Ott, Demonstration, 48; Preuß, R. Schmid-FS, 435. 126 W. Müller, 72; Drosdzol, JuS 1983, 411; wohl auch Jahn, JZ 1988, 547. 121 Merten, 61 und in MDR 1968, 623; Hoffmann, JuS 1967, 398; Guradze, ZRP 1968, 6; Berg, 166; Lerche, Peter: Verfassungsrechtliche Zentralfragen des Arbeitskampfes, Bad Hornburg 1968, S. 35; wohl auch Bettermann, JZ 1964, 604. 128 So Quilisch, 169; VG Köln, NJW 1971,210 (211); Sympathien auch bei Ossenbühl, Der Staat 10, 61 und Schwabe, Grundrechtsdogmatik, 411 Fn. 65; wohl jetzt auch Maunz I Dürig-Herzog, Art. 8, 22. 129 Ob das jeweilige Grundrecht allein gelten soll oder nur seine Schranken, wird worauf Schwabe, Grundrechtsdogmatik, 411 hinweist - nicht immer deutlich. 13o Maunz I Dürig-Herzog, Art. 8, 29 (1981) und 5, 38; anders jetzt Art. 8, 22; Dietel I Gintzel, § 1, 39; Maul, JR 1970, 84; OVG Münster, DÖV 1970, 344 (345). Für die Prüfung von Eingriffen in eine Versammlung an den Schranken beider Grundrechte v. Mangoldt I Klein I Starck, Art. 5, 171. 131 Schwäble, 102; W. Müller, 73 ff.; AK-Hoffmann-Riem, Art. 8, 15; v. Münch, Art. 8, 37; Rüfner, BVerfG-FG, 478; Drosdzol, JuS 1983, 410; Schwark, 128; BVerfGE 69, 315 (343).

II. Das Verhältnis der Versammlungsfreiheit zur Meinungsfreiheit

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Motiv des staatlichen Handeins 132, nach einer Gegenauffassung objektiv nach der ,,Richtung" 133 des staatlichen Eingriffes bestimmt.

b) Der two-tiered approach im amerikanischen Recht Ein der Trennung zwischen der Versammlung als einem durch Art. 8 GG geschütztem Medium der Kommunikation und an der Meinungsfreiheit zu messenden Einschränkungen des Inhalts von Meinungsäußerungen auf Versammlungen partiell vergleichbares Schema wird in den USA in Form des two-tiered approach 134 inderneueren Rechtsprechung des Supreme Court angewandt. Während die Regelung der äußeren Umstände einer Meinungskundgabe - time, place and manner - weniger schwerwiegenden Erfordernissen unterworfen werden 135 , hat der Supreme Court für die Beschränkung des Inhalts von Meinungsäußerungen festgestellt: (A)bove all eise the First Amendment means that govern ment has·rio power to restriet expression because of its message, its ideas, its subject matter or its content. 136

Auch hier wird somit zwischen modalen, sich auf die Versammlung als Medium der Meinungsäußerung beschränkenden und inhaltlichen Eingriffen differenziert, wobei letztere für unzulässig erklärt werden. In der Differenzierung zwischen content restrictions und time, place and manner regulationslöst sich die in den 50er und 60er Jahren unter den Schlagwörtern absolute approach und balancing geführte Debatte über die Zulässigkeil von Einschränkungen der Rechte des 1. Amendment durch Abwägung mit konkurrierenden Interessen nahezu zur Synthese auf. Alexander Meiklejohn und Justice Hugo L. Black, die herausragendenBefürwortereines absolute approach, lehnten- mit Differenzen im Detail- Einschränkungen des Inhalts von Meinungsäußerungen ab 137, ließen aber keinen Zweifel daran, daß das 1. Amendment kein Recht gibt, zu jeder Zeit, an jedem Ort und in jeder Form Meinungen zu äußern 138 • Für Beschränkungen letzterer Art, die nicht den Inhalt von Meinungsäußerungen zu reglementieren suchen (incidental abridgement), billigte auch Justice Black das balancing 139 • Dennoch verbleiben unter dem neuen Ansatz m So BVerfGE, 69, 343. 133 134

s. 85.

So W. Müller, 86 f. Diese Bezeichnung in Clark v. CCNV, 468 US 288 (313)d.o.(1984); s. auch schon

vgl. Clark v. CCNV, 468 US 288 (293) m.w.Nw. Police Department of Chicago, 408 US 92 (95) (1972). 137 Meiklejohn, Self-goverment, 25; Black bei Cahn, 37 N.Y.U.L.Rev., 557 (1962). 138 Meiklejohn, Self-government, 27; Justice Black in Adderly v. Florida, 385 US 39 (48) (1966) und Brown v. Louisiana, 383 US 131 (166)d.o. (1966). 139 Marsh v. Alabama, 316 US 501 (509) (1946); Konigsberg v. State Bar, 366 US 36 (69 f.)d.o. (1960). 135

136

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Teil B: Rechtsvergleich und Wertung

ähnliche Meinungsunterschiede, wie sie dem Disput um das absolute Verständnis des 1. Amendment zugrundelagen. Umstritten ist vor allem, worauf genau sich das Verbot inhaltlicher Einschränkungen bezieht. Der Konkretisierung in "message, ideas, subject matter or content" widersprechen Entscheidungen, in denen Äußerungen vom Schutz des 1. Amendment ausgenommen oder nur mit verminderter Intensität geschützt werden 140• Dies veranlaßte Justice Stevens, die Theorie auf das Verbot einer Beschränkung des in einer Meinungsäußerungen vertretenen Standpunktes (viewpoint) zu beschränken 141 , was jedoch von der Mehrheit des Gerichts zurückgewiesen wurde 142• Auch werfen das Verhältnis des Verbots von content restrictions zur equal-protection-Klause1 143 sowie die Abgrenzung der beiden Stränge Probleme auf.

c) Die Schranken der Meinungsfreiheit: Allgemeines Gesetz und das Verbot von content-restrictions aa) Die ausschließliche Betroffenheit der Meinungsfreiheit Von entscheidender Bedeutung für die Abgrenzung von Meinungs- und Versammlungsfreiheit unter dem Grundgesetz ist die Schranke des allgemeinen Gesetzes in Art. 5 II GG. Ursprünglich war es Zweck der Allgemeinheit eines Gesetzes sicherzustellen, daß die Presse als besonders wirksames, da verbreitungsintensives Kommunikationsmedium nicht schärferen Strafgesetzen unterworfen wird als sonstige Meinungsäußerungen 144• Nach der Erstreckung der Schranke der allgemeinen Gesetze auf die Meinungsfreiheit lag es - sofern der Klausel überhaupt Bedeutung zuerkannt wurde 145 - nahe, die Bedeutung, die den Strafgesetzen im Verhältnis der Pressefreiheit zur Meinungsfreiheit zukam, auf alle Gesetze im Verhältnis von Meinungsfreiheit und allgemeiner Freiheit zu übertragen: Die Schranken, denen jedermann in seiner Freiheit unterliegt, gelten auch für Meinungsäußerun140 Etwa New York Times Co. v. Sullivan, 376 US 254 (1964); Brandenburg v. Ohio, 395 US 447 (1969); Central Hudson Gas & Eletric Corp. v. Public Service Comm., 447 US 557 (1980); New York v. Ferber, 458 US 744 (1982). 141 Young v. American Mini Theaters, 427 US 50 (67) (1976); FCC v. Pacifica Foundation, 438 US 726 (746) (1978); Consolidated Edison Co. v. Public Service Commission, 447 US 530 (546)c.o. (1980); Widmar v. Vincent, 454 US 263 (280)c.o. (1981). 142 Consolidated Edison Co. v. Public Service Comm., 447 US 530 (537); Carey v. Brown, 447 US 455 (462) (1980); zur Kritik der Rechtsprechung Stephan, 68 Va.L.Rev., 205 ff. (1982); Farber, 68 Geo.L.J., 727 ff. (1980). 143 Vgl. Police Department of Chicago v. Mosley, 408 US 92 (96) ( 1972); Erznoznik v. Jacksonville 422 US 208 (215) (1975); Carey v. Brown, 447 US 455 (464) (1980). 144 v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 5, 121; Schwark, 36f m.w.Nw. 145 Zu entgegengesetzten Tendenzen in der Weimarer Staatsrechtslehre vgl. Maunz I Dürig-Herzog, Art. 5, 250 f. m.w.Nw.

II. Das Verhältnis der Versammlungsfreiheit zur Meinungsfreiheit

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gen, woraus sich aber dann als Umkehrschluß ergab, daß "Sondergesetze" gegen die Meinungsfreiheit unzulässig sind 146• Damit ist im deutschen Verfassungsrecht eine ähnliche These aufgestellt wie im amerikanischen Recht durch das Verbot von content-restrictions. Dürfen aber Gesetze nicht nur die treffen, die das Grundrecht der Meinungsfreiheit ausüben 147 oder darf ihr sachlicher Gehalt nicht über jenes Grundrecht hinausreichen 148 , so führt dies zu kaum akzeptablen Konsequenzen. Zwar ist unter dem Grundgesetz durch die Schranken des Ehren- und Jugendschutzes die Problematik etwas entschärft, aber auch für Anstiftungen zu Straftaten (§ 26 StGB), Aufruf zu denselben (§ 111 StGB) oder zu Ordnungswidrigkeiten (116 OWiG), für die Äußerungsdelikte in den §§ 153 ff StGB, die Vorschriften über Landesverrat (§§ 93 ff StGB) oder das Verbot in§ 219b StGB trifft zu, daß sie ein Verhalten erfassen, das ausschließlich durch kommunikatives Einwirken erfolgt. Der hierdurch herausgeforderten Kritik 149 versucht man in Parallele und unter Bezugnahme zum amerikanischen Recht durch eine immanente Beschränkung des Grundrechts zu entgehen. So wird im Zusammenhang mit der Erörterung des allgemeinen Gesetzes das auf Überzeugung durch Argumentation, mithin auf Auslösung einer geistigen Wirkung gerichtete Wesen der Meinungsfreiheit betont 150; Meinungsäußerungen, die darüber hinausgehen und unmittelbar Schäden auslösen, werden nicht vom Grundrecht geschützt erfaßt, sodaß der so verengte Normbereich umfassend vor staatlichen Eingriffen geschützt werden kann 151 • Sicherlich werden bei Berücksichtigung des Wesens von Meinungsäußerungen bestimmte Kundgaben gar nicht erst vom Grundrecht geschützt, wenn sie unmittelbar und ohne einsetzenden Überzeugungsprozeß zu massiven Rechtsgutverletzungen - etwa Körperverletzungen - führen. Hierin liegt ein zutreffender Kern der Betonung der geistigen Wirkung einer Meinungsäußerung sowie der Unterscheidung vonspeechund conduct oder expression und action im amerikanischen Verfassungsrecht, die in der Sache für die genannten Autoren zutrifft. Aber wann liegt eine über die reine Überzeugungswirkung hinausgehende unspezifische Wirkung einer Meinungsäußerung vor? Wer für den Abbruch der Schwangerschaft wirbt oder zu Begehung einer Ordnungswidrigkeit oder Straftat aufruft, 146 So die wohl herrschende Meinung zu Art. 118 WRV (Häntzschel, 659 ff.; Rothenbücher, VVDStRL 4, 20; Anschütz, Art. 118, 3) und unter dem Grundgesetz (Klein, Der Staat 10, 155; Ridder, JZ 1961, 539, Schwark, 131, Schwäble, 181; Schlink, 201 und jene, die in der Sondergesetztheorie ein wichtiges, aber nicht allein entscheidendes Kriterium sehen, BVerfGE 7, 198 (210ff.); 28,175 (185); st. Rspr..; Schmitt Glaeser, AöR 97, 280f; v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 5, 122). Für die Sondergesetztheorie, aber gegen den Umkehrschluß Betterrnann, JZ 1964, 603 f. und 609. 147 Ridder JZ 1961, 539; BVerfGE 21, 271 (280). 148 v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 5, 122. 149 Smend, VVDStRL4, 51; Scheuner, VVDStRL 22, 81; Schnur, VVDStRL 22, 121 . 15o Häntzschel, 659 f.; Ridder, Meinungsfreiheit, 282; Frowein, AöR 105, 180 ff.; auch Rothenbücher, VVDStRL, 4, 22. 151 Vgl. Frowein, AöR 105, 178, 182.

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Teil B: Rechtsvergleich und Wertung

löst einen Überzeugungsvorgang aus, der sich strukturell nicht von dem eines Aufrufes zu einer Spende oder Stimmabgabe unterscheidet; die ungeistige Wirkung liegt schwerlich darin, daß "aufgefordert" wird 152, sondern läßt sich allenfalls daraus entnehmen, wozu aufgefordert wird. Der Möglichkeit, Einschränkungen oder Grenzen des Grundrechts ausschließlich über den Begriff der "Meinung" zu entwickeln, sind Schranken gesetzt ts3, die untypische Wirkung einer Meinungsäußerung läßt sich häufig nur mit Blick auf den Inhalt der Äußerung und so unter Berücksichtigung der bestehenden Gesetzeslage bestimmen. Damit wird aber das angeblich entscheidende, den Gesetzgeber bindende Merkmal dem Werk des Gesetzgebers selbst entnommen ts4• Die These der Unzulässigkeit von Einschränkungen, die nur die Meinungsfreiheit betreffen, ist nicht haltbar. bb) Das Verbot bestimmter Meinungen Einwänden ausgesetzt ist auch die andere Variante der Sondergesetztheorie, nach der ein allgemeines Gesetz nur dann nicht vorliegt, wenn es sich gegen eine bestimmte Meinung richtet. Von den Befürwortem der Sondergesetztheorie werden beide Ausdeutungen häufig nebeneinander angeführt, als bestünde zwischen ihnen kein Unterschied tss. Daß ein solcher besteht, macht die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts deutlich, in der in wohl nur einem Fall ein Gesetz für verfassungswidrig erklärt wurde, weil es sich nur im Schutzbereich der Pressefreiheit niederschlug 156, in anderen Fällen aber, in denen diese Voraussetzungen für die Meinungsfreiheit vorzuliegen schienen, auf die Formel des Verbots einer bestimmten Meinung Zuflucht genommen wurde ts7 • In Übereinstimmung mit dieser Deutung nicht allgemeiner Gesetze steht im amerikanischen Verfassungsrecht die von Justice Stevens befürwortete und in der Literatur unterstützte ts8 Auffassung, das Verbot von content restrictions auf den vertretenen Standpunkt zu beschränken. Wie konkret muß aber die jeweilige Meinung inhaltlich umschrieben sein, daß von einem Sondergesetz gegen eine bestimmte Meinung gesprochen werden kann? Wo eine inhaltliche Konkretisierung erfolgt ist- wie in § 86 a I Nr. 4 StGB ts9 oder § 219 b StGB -verbleibt immer noch die Möglichkeit, im privaten So Schwäble 163 f. Auch v. MangoldtiKlein I Starck, Art. 5, 125; F. Müller, 71; v. Hippel, 28 f. t54 So deutlich Schnur, VVDStRL 22, 125, Fn. 58. t55 Rothenbücher, VVDStRL 4, 20; Anschütz, Art. 118, 3; BVerfGE 7, 198 (209); 28,175 (185); 50,234 (241); v. MangoldtiKleiniStarck, Art.5, 122f.; Klein, Der Staat 10, 155, 158; auf Unterschiede weisen hin Schmitt Glaeser, AöR 97, 278 und Maunz I Dürig-Herzog, Art. 5, 251. t56 BVerfGE 21, 272 (280). t57 BVerfGE 28, 191 (200 f.); 28, 282 (292); 33, 52 (65); 47, 198 (232). t58 Farber, 68 Geo.L.J., 729 (1980); Stephan, 68 Va.L.Rev., 238 ff. (1982); Stone, 25 W.& M.L.Rev., 198 f. (1983) spricht von "particu1ar idea, viewpoint, or item of information". Zur Kritik Tribe, 672; Karst, 43 U.Chi.L.Rev., 28 (1975). t52 t53

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Gespräch für derartige Auffassungen zu werben, sodaß eine bestimmte Meinung nicht umfassend aus der Diskussion ausgeschlossen ist. Das Erfordernis eines allgemeinen Gesetzes als Schutz der Meinungsfreiheit droht in dem Maße leerzulaufen, indem für ein nicht allgemeines Gesetz eine inhaltliche Konkretisierung für notwendig erachtet wird, da Gesetze als abstrakt-generelle Regelungen selten eine inhaltlich definierte Meinung untersagen werden. Aber auch aus einem anderen Grund verkürzt die Auffassung, daß gegen bestimmte Meinungen gerichtete Gesetze als nichtallgemeine Gesetze unzulässig sind, den Schutz der Meinungsfreiheit. Hinter der Postulierung eines Verbots der Beschränkung bestimmter Meinungen stehen vor allem Gleichheitserwägungen; wenn bestimmte Ansichten unterdrückt werden, so führt dies zu einer Verletzung der Chancengleichheit zwischen konkurrierenden Auffassun~en auf dem Markt der Meinungen. Wird aber die Gewährung von Chancengleichheit zum entscheidenden oder alleinigen Anliegen der Meinungsfreiheit gemacht, wie es auch im amerikanischen Recht befürwortet wird 160, so gerät aus dem Blickfeld, daß die Meinungsfreiheit auch durch Regelungen empfindlich eingeschränkt werden kann, die alle Meinungen in gleichem Umfang treffen 16 1• Gleichheit auf dem Markt der Meinungen kann auch auf niedrigem Niveau hergestellt werden; werden dann auch keine bestimmten Inhalte untersagt, so kann doch auch eine generelle Beschränkung der Wahl der äußeren Umstände einer Meinungskundgabe die Meinungsfreiheit erheblich einschränken. Die Gefahren einer Reduzierung der Meinungsfreiheit auf die Gewährleistung gleicher Chancen wird deutlich im Votum von Justice Black in Cox v. Louisiana 162• Justice Black sah die Verurteilung von Versammlungsteilnehmern wegen obstruction nur deshalb als unzulässig an, weil bei anderen Demonstrationen mit gleichen Wirkungen keine Verfolgung eingeleitet worden war; gegen ein generelles Verbot von Demonstrationen hätte er aber keine Bedenken gehabt' 63, obwohl die Meinungs- bzw. Versammlungsfreiheit dadurch ebenfalls in erheblichem Maße beeinträchtigt worden wäre. cc) Die Zielrichtung des Gesetzes Die Schwierigkeiten bei der Anwendung der Sondergesetztheorie werden noch verstärkt, wenn für nichtallgemeine Gesetze als kennzeichnend angesehen wird, daß ihr ,,Ziel" oder ,,Zweck" die Einschränkung der Meinungsfreiheit ist 164• v. Münch, Art. 5, 53 sieht hierin das Verbot einer bestimmten Meinung. Vor allem Karst, 43 U.Chic.L.Rev., 43, 67; auch Farber, 68 Geo.L.J., 731; zum Supreme Court s. o. S. 121. 161 So auch in weitgehender Übereinstimmung Redish, 34 Stanf.L.Rev., l36f (1981); Stone, 25 W.& M.L.Rev., 204 (1983); Baker, 78 Nw.U.L.Rev., 946 (1983); Bettermann, JZ 1964, 603. 162 379 us 559 (1965). 163 ebd., 578, 581,c.o. I d.o. Vgl. ferner die Argumentation des Suprerne Court in Hudgens v. N.L.R.B., 424 US 516 (520) (1976); andererseits aber Carey v. Brown, 447 us 455 (458) (1976). 159

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Ähnlich wird von amerikanischen Autoren, die den two-tiered approach im Grundsatz zustimmend, wenngleich mit Modifikationen übernommen haben 165 , die Prüfung, ob eine Regelung content-based oder speech-related ist, auch von der Motivation oder dem Zweck der Regelung abhängig gemacht 166• Das Motiv oder Ziel staatlichen Handeins ist jedoch ein Kriterium, durch das nicht nur der äußeren Gestalt nach nicht meinungsbezogene Maßnahmen oder Normen als gegen die Meinungsfreiheit gerichtet entlarvt werden können, sondern dessen spekulative Ermittlung es ebenso ermöglicht, ein unbedenkliches Motiv oder Interesse in den Vordergrund zu stellen. In der amerikanischen Rechtsprechung wird in zahlreichen Urteilen zur Meinungs- und Versammlungsfreiheit hervorgehoben, daß die Regelungen nicht wegen der geäußerten Meinungen ergangen sind 167 • Im amerikanischen Verfassungsrecht sind die Folgen einer Fehleinschätzung des Motivs weniger weitreichend, da sie auf der 2. Stufe, bei der Zulässigkeit der nach einem weniger strengen Maßstab zu beurteilenden time, place, and manner regulations, korrigiert werden können, vorausgesetzt, daß hier überhaupt eine auf das 1. Amendment ausgerichtete Abwägung erfolgt 168 • Unter der Sondergesetztheorie sind jedoch die Konsequenzen fatal. Läßt sich ein Rechtsgut anführen, das nicht nur gegen Meinungsäußerungen geschützt wird, so ist die Einschränkung dieses Grundrechts nicht Ziel oder Zweck des Gesetzes, und die Meinungsfreiheit hat zu weichen 169.

164 Anklänge in dieser Richtung bei Schlink, 201; v. Mangoldt I Klein I Starck, Art. 5, 123; AK-Hoffmann-Riem, Art. 5, 40; Hesse, 155. 165 Ely, 88 Harv.L.Rev., 1490 (1975); Tribe, 602; Nimmer, § 2.04; Stone, 25 W.& M.L.Rev., 189 (1983); einen "three-tiered approach" vertreten Farber INowak, 70 Va.L. Rev., 1235 (1984). Ablehnend Emerson, 68 Cal.L.Rev., 473 (1980); Redish, 34 Stanf.L. Rev.,142 ff. (1981); Gaal, 35 Stanford L.Rev., 133ff (1982); kritisch auch Goldberger, 32 Buff.L.Rev.,l78, 214 (1983). 166 Tribe, 594 ff.; Nimmer, § 2.04; § 3.06(0); Ely, 88 Harv.L.Rev., 1498 (1975); Stone, 46 U.Chi.L.Rev., 81 (1978). 167 Boos v. Barry, 108 S.Ct 1157 (1163f) (1988), kritisch Brennan, J., Marshall, J., 1171f; Adderly v. Florida, 385 US 39 (47) (1966); Feiner v. New York, 340 US 315 (319 ff.) (1951); Concemed Jewish Youth v. McGuire, 621 F.2d 471 (474) (1980); Whaley v. Cavanagh, 237 F.Supp.900 (903) (1963); Love v. Phalen, 87 N.W. 785 (787) (1901); Commonwealth v. Davis, 39 N.E. 113 (1895); Ely, 88 Harv.L.Rev., 1497 will die Gefahr eines unbegrenzten Rückgriffs auf ein nicht meinungsbezogenes Interesse durch Abstellen auf die kausale Verknüpfung zwischen Meinungsäußerung und staatlichem Handeln vermeiden, was aber nur möglich ist, wenn objektiv an die Auswirkungen für die Meinungsfreiheit angeknüpft wird, vgl. auch Emerson, 68 Cal.L.Rev., 472, Fn. 116 (1980). 168 Daran mangelte es in Clark v. CCNV, 468 US 288 (1984); bedenklich auch Nimmer, § 2.04, " ... in a sense no First Amendment issue is posed". 169 So klar MaunziDürig-Herzog, Art. 5, 251.

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dd) Zur Güterahwägung Die Interpretation der Allgemeinheit eines Gesetzes im Sinne der Sondergesetztheorie als Gewähr eines absoluten Schutzes des Inhalts von Meinungsäußerungen stellt ebenso wie das Verbot von content restrictions einen Grundsatz auf, der nicht mit der vorgegebenen Konsequenz durchzuhalten ist 170; andererseits wird mit dem Verbot der Beschränkung bestimmter Meinungen eine Formel herangezogen, die unzureichend und zu unbestimmt ist, um die Meinungsfreiheit zu schützen. Der richtige Weg liegt in der für die Meinungsfreiheit von Smend herausgearbeiteten Lösung, die nur solche Gesetze als Schranken der Meinungsfreiheit anerkennt, die ein gegenüber der Meinungsfreiheit höherrangiges Rechtsgut schützen 171 • Die hierdurch notwendige Abwägung ermöglicht es einerseits, auch Gesetze, die sich in ihrem Anwendungsbereich auf die Grundrechte des Art. 5 I 1 GG beschränken, aufrecht zu erhalten; andererseits kann Berücksichtigung finden, daß die Meinungsfreiheit auch durch "allgemeine Gesetze" empfindlich getroffen werden kann, die das Grundrecht nicht bedingungslos einschränken dürfen. Die vom Bundesverfassungsgericht praktizierte Güterahwägung zur Ermittlung von Geltungsumfang und Schranken der Grundrechte 172 hat in der Literatur grundsätzliche 173 und auf die Einzelfallabwägung gerichtete 174 Kritik herausgefordert. Den der Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls entgegengesetzten Bedenken aus der Rechtssicherheit 175 karrespendieren Einwände in der amerikanischen Literatur gegen das vom Supreme Court praktizierte ad hoc balancing als Einzelfallabwägung 176• Doch so überzeugend diese Kritik in ihrer theoretischen Darlegung ist, so selten kann für Kollisionen zwischen Grundrecht und durch Gesetz geschütztem Rechtsgut für alle Fälle und damit absolut eine Höherrangigkeit festgestellt werden. Auch heute finden sich unter den Befürwortem einer abstrakten Abwägung keine Lösungsvorschläge, die über die Betonung der herausragenden Stellung menschlichen Lebens, menschlicher Würde und körperlicher Unversehrtheit hinausgehen 177 , so daß häufig dann doch die Einzelfallabwä110 Vgl. Shiffrin, 25 U.C.L.A.L.Rev., 955, (1983) "(A)ny assessment of the legal regulation of communication must begin with the recognition that govemment does have power to restriet expression because of its content". 111 VVDStRL 4, 52 (1928); Schnur, VVDStRL 22, 125 (1965); Scheuner, VVDStRL 22, 81 f.; Häberle, 32; v. Hippel, 26; unter starken Einschränkungen auch Maunz I DürigHerzog, Art. 5, 261ff; AK-Hoffmann-Riem, Art. 5, 40 ff. 172 Eingehend Schneider, 41 ff. m.w.Nw. 173 Etwa Hesse, 127 f., 155; F. Müller, 26, 47 ff., 69; Schlink, 152. 174 Maunz I Dürig-Herzog, Art. 5, 260; Schnur, VVDStRL 22, 127 f.; Klein, Der Staat 10, 124; Schwark, 87; Lerche, 150; v. Mangoldtl Klein I Starck, Art. 5, 124; zustimmend aber Bethge, 277; Scheuner, VVDStRL 22, 81 f.; v. Münch, Art. 5, 52; W. Müller, 277. 175 Schnur, VVDStRL 22, 128; Herzog, Art. 8, 260. 176 Frantz, 71 Yale L.J., 1435 f.; 1441 ff. (1962); Nimmer, § 2.02. 177 Dietel I Gintzel, § 15, 50; AK-Hoffmann-Riem, Art. 5, 42; Berg, 109.

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gung bemüht wird. Aber auch bei jenen, die an einer abstrakten Abwägung festhalten, sind durchaus differenzierende Lösungen erkennbar, die gerade nicht zu einer pauschalen Überordnung des einen Rechtsguts über das andere führen 178 • Andererseits finden sich unter den Vertretern der Einzelfallabwägung weitgehende Tendenzen zu deren Abstrahierung wie etwa durch die Vermutung zugunsten der Zulässigkeit freier Rede in einer die Öffentlichkeit beschäftigenden Frage bei der Meinungsfreiheit 179• Die Diskrepanz der sich im Ausgangspunkt unversöhnlich gebenden Positionen wird durch eine weitgehende Angleichung in Methode und Inhalt relativiert. Es ist somit jene abstrahierende und generalisierende Fallgruppenbildung erfolgt, die in der Literatur aus der Erkenntnis der Undurchführbarkeit rein abstrakter Wertabwägung zur Rationalisierung der Abwägung befürwortet worden ist 180• Ähnlich kann das in der amerikanischen Verfassungsrechtsliteratur aus der Diskussion um absolute approach und balancing entwickelte definitional balancing 181 oder categorization 18 2 eingeordnet werden. Es dient der Entwicklung einzelfallunabhängiger standardsoder rules, an denen die Zulässigkeit von Meinungsäußerungen in spezifischen Kollisionslagen zwischen Meinungsfreiheit und anderen hochrangigen Rechtsgütern gemessen werden kann, und kommt damit den maßgeblich durch die fehlende Methodik der Abwägung begründeten Befürchtungen der absolutists 183 entgegen. Da aber auch sachspezifisch angereicherte Abstraktion und Generalisierung die Komplexität der jeweiligen Lebenssachverhalte nur unzureichend wiedergeben kann, öffnen sich durch die abstrakt vorgegebenen Kategorien Freiräume für eine- indes gebändigte- Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls. Insoweit enthält die kritische Feststellung, daß zwischen definitional balancing oder categorization auf der einen und dem ad-hoc balancing auf der anderen Seite keine nennenswerte Unterschiede bestehen 184, ein Stück Wahrheit.

178 So die typologisierenden Ansätze bei v. Mangoldt I Klein I Starck, Art. 5, 137 ff.; Maunz I Dürig-Herzog, Art. 8, 272 f. 179 BVerfGE 54, 129 (139); 60, 234 (241); 61, 1 (7, 11); 66, 116 (150); zur Tendenz des BVerfG, Teilbereiche kollidierender Grundrechte in Abwägung zu bringen, H. Schneider, 184 ff, 198. Vgl. auch v. Münch, Art. 5, 37. 180 v. Hippe!, 34; Ossenbühl, Der Staat 10, 80. 181 Frantz, 71 YaleL.J. 1435 f. (1962); Nimmer,§ 2.03; Farber INowak, 70 Ya.L.Rev., 1237 (1984). 182 Ely, 88 Harv.L.Rev., 1491 f., 1500 f. (1975); Tribe, 582 ("categorical definitions"); Shiffrin, 25 U.C.L.A.L.Rev., 958 f. (1983); auch New York v. Ferber, 458 US 747 (763) (1982); Justice Harlan in Rosenbloom v. Metromedia, Inc., 403 US 29 (63)d.o. (1971). 183 Frantz, 51 Cal.L.Rev., 747 f. m.w.Nw.(1963). 184 Emerson, 68 Cal.L.Rev., 493 (1980); vgl. auch den Disput um den "clear and present danger test", den Tribe, 602 und Nimmer, § 2.05(B) (4) als Ausdruck von "categorization" bzw. "definitional balancing" befürworten, der aber von Ely, 88 Harv.L. Rev., 1493 Fn. 44 wegen der Notwendigkeit von "ad hoc balancing" abgelehnt wird.

II. Das Verhältnis der Versammlungsfreiheit zur Meinungsfreiheit

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Wie abstrakte Kategorisierung und Individualvorbehalt im Interesse eines Ausgleichs von Rechtssicherheit und Einzelfallgerechtigkeit ineinandergreifen, zeigt die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Kollision von Meinungsfreiheit und Ehrenschutz; die hier entwickelte Theorie des Gegenschlags, die auch von den Befürwortern einer abstrakten Güterahwägung akzeptiert wird 185 , ist unabhängig von ihrer Reichweite ein abstrakt formulierter Grundsatz; seine Ausfüllung erfordert - je nach Standpunkt - entweder die Entscheidung, daß eine die Öffentlichkeit interessierende Frage vorliegt 186 oder daß eine Erwiderung an den von der Gegenseite erhobenen Ansprüchen oder Behauptungen gemessen nicht unverhältnismäßig ist oder gegenüber jemandem erfolgt, der sich im öffentlichen Leben hervorgetan hat 187 • Der Unterschied liegt nicht darin, daß im ersten Fall eine konkrete, und im zweiten eine abstrakte Abwägung erfolgt 188 , sondern er betrifft die Formulierung der Standards und damit auch den Wertungsspielraum im Einzelfall. Setzt man diese Erwägungen zur Güterahwägung auf die Versammlungsfreiheit um, so wird hier eine abstrakte Höherrangigkeit eines Rechtsguts durch den Fundamentalvorbehalt der Friedlichkeit festgeschrieben; unabhängig von den Umständen des Einzelfalls hat das Interesse der Versammlungsteilnehmer an bestimmten Modalitäten der Durchführung einer Versammlung dem Leben, der körperlichen Unversehrtheit und der Fortbewegungsfreiheit anderer, soweit diese aufgehoben wird, zu weichen 189• Auch wenn sich über die letztere Wertung streiten läßt, so wird auch von den Kritikern der Güterahwägung für die ersten beiden Kollisionen nicht bestritten werden, daß hier ein Rechtsgut in der spezifischen Kollisionslage "auf Kosten des anderen realisiert" wird 190• Weniger eindeutig fallt die Abwägung zwischen Versammlungsrecht und dem Eigentum aus: hier gilt es Formen und Intensität der Beeinträchtigung des Eigentums zu berücksichtigen, was dazu führt, daß das Eigentum häufig, aber nicht in jeder Kollisionslage den Vorrang hat 19 1• Für das Verhältnis von Versammlung und Straßenverkehr schließlich führt die Abwägung zu einer differenzierenden Würdigung unter Berücksichtigung vielfaltiger Gesichtspunkte des Einzelfalls 192, die ohnehin nicht einen "pauschalen Vorrang" des einen Rechtsguts bedeutet 193 •

Maunz I Dürig-Herzog, Art. 5, 278; v. Mangoldt I Klein I Starck, Art. 5, 133. In dieser Richtung immer stärker das BVerfGE 54, 29 (138); 61, 1 (13). 187 v.Mangoldt I Klein I Starck, Art. 5, 133, 138. 188 So aber Starck, ebd., 124 a. E. 189 Eingehend s.u. B.Ill.3.b.bb. 190 So die Kritik von Hesse, 27 an der Güterabwägung; ähnlich F. Müller, 27, 35. 19 1 Eingehend s.u. B.III.3.a.bb. und B.V.2.b. 192 Eingehend s.u. B.IV.l.c. 193 Gegen die Kritik an der Güterahwägung Schwabe, Grundrechtsdogmatik, 320 ff.; H. Schneider, 207 ff.; Häberle, 32, 38 f. 185

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9 Ehrentraut

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Teil B: Rechtsvergleich und Wertung

d) Die Schranken der Versammlungsfreiheit Die Auseinandersetzung mit dem Inhalt des Erfordernisses eines allgemeinen Gesetzes in Art. 5 II GG hat zu dem Ergebnis geführt, daß dieses als Ausdruck des Grundsatzes zu verstehen ist, daß nur höherrangige Rechtsgüter die Meinungsfreiheit beschränken können; die Schranke allgemeiner Gesetze bedeutet nicht, daß Gesetze, die ausschließlich die Meinungsfreiheit betreffen oder den Inhalt von Meinungsäußerungen einschränken, unzulässig sind. Nunmehr ist die Diskussion um die Schrankendivergenz zwischen Meinungs- und Versammlungsfreiheit unter dem Grundgesetz aus Sicht der Versammlungsfreiheit zu beurteilen. Hier wird die Auffassung vertreten, daß der Gesetzesvorbehalt, unter dem die Versammlungsfreiheit unter freiem Himmel steht, nur Gesetze erfaßt, "die sich ausschließlich auf das Problem ,Versammlungsfreiheit' beziehen und in dessen Bereich die Lösung von Kollisionen mit anderweitigen Rechtsgütern anstreben, nichtjedoch lediglich zufallige ,Einschränkungen' durch Gesetze, die im Rahmen gänzlich anderer Regelungsbereiche ergehen" 194 • Diese Ansicht erscheint konsequent bei Berücksichtigung des unterschiedlichen Wortlauts von Art. 5 II GG und Art. 8 II GG sowie aufgrunddes Zitiergebots in Art. 19 I 2 GG, das nur gilt, wenn es um Einschränkungen eines Grundrechts aufgrund eines Gesetzesvorbehalts geht 195 • Dennoch stellt sich die Frage, ob mit diesen beiden Argumenten ein Gegensatz zwischen versammlungsspezifischen Gesetzen und allgemeinen Gesetzen (im Sinne der Sondergesetz1ehre) aufgezeigt ist, der für Art. 8 II GG eine unterschiedliche Behandlung beider Gesetzestypen - von Art. 19 I 2 GG abgesehen - begründet. Ein solcher Gegensatz läge dann vor, wenn der Gesetzesvorbehalt in Art. 8 II GG bedeuten würde, daß allgemeine Gesetze die Versammlungsfreiheit nicht einschränken dürfen 196• Diese Konsequenz läßt sich jedoch kaum aufrechterhalten, wenn man berücksichtigt, daß die Meinungsfreiheit ihre Schranken in den allgemeinen Gesetzen findet. Bedeutet dies aber nach Auffassung der Sondergesetzlehre, daß spezifische Beschränkungen der Meinungsfreiheit - vor allem solche des Inhalts von Meinungsäußerungen - ausgeschlossen sind, so sind andererseits Regelungen zulässig, die nicht ausschließlich die Meinungsfreiheit betreffen und sich etwa auf die äußeren Umstände einer Meinungskundgabe auswirken. Dies dürfte dann aber nicht für Versammlungen gelten, da - soweit es um die versammlungstechnische Seite geht- die Versammlungsfreiheit anwendbar ist 197, Art. 8 II GG die Anwendung der allgemeinen Gesetze aber aus194 Schwäble, 136; im Ergebnis auch Drosdzol, JuS 1983, 411; W. Müller, 120; AKHoffmann-Riem, Art. 8, 55; Zitzmann, 91 f. 195 So auch Schwäble, 136; W. Müller, 120 f. 196 Angedeutet bei Drosdzol, JuS 1983, 412; W. Müller, 72; wohl auch Jahn, JZ 1988, 547. 197 s. o. S. 120 unter a).

II. Das Verhältnis der Versammlungsfreiheit zur Meinungsfreiheit

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schließt. Mithin wäre die Gestaltung der äußeren Modalitäten bei kollektiven Meinungsäußerungen gegenüber individuellen Meinungskundgaben privilegiert. Eine solche Differenzierung zwischen kollektiven und individuellen Meinungsäußerungen wäre aber kaum sachgerecht. Insoweit ist die Argumentation jener, die die Anwendung der Schranken der allgemeinen Gesetze für Versammlungen auch 198 deshalb fordern, weil kollektive Kommunikation nicht gegenüber individueller Meinungsäußerung privilegiert werden darf 199, zutreffend. Relevanz hätte die Schrankendivergenz aber, wenn der Gesetzesvorbehalt in Art. 8 II GG deshalb keine allgemeinen Gesetze im Sinne der Sondergesetzlehre erfaßt, weil diese nicht in die Grundrechte eingreifen, sondern am Normbereich der Grundrechte vorbeizielen 200 • Zielen sie aber am Grundrecht vorbei, so kann dieses nicht zur Beurteilung der Zulässigkeil des Gesetzes oder von Maßnahmen aufgrund des Gesetzes herangezogen werden 201 • Auch diese Folgerung vermag nicht zu überzeugen. Auch nichtversammlungsspezifische Gesetze und auf sie gestützte Anordnungen können durchaus erhebliche Beschränkungen des Freiheitsraums des Grundrechtsträgers bewirken, was es notwendig macht, bei der Beurteilung der Zulässigkeil das jeweilige Grundrecht entgegenzusetzen. Gerade die Besonderheiten bei der Ausübung des betreffenden Grundrechts gegenüber der Ausübung allgemeiner Freiheit lassen sich nur berücksichtigen, wenn auch allgemeine Gesetze an den einzelnen Grundrechten gemessen werden. Die Auffassungen, die den Gesetzesvorbehalt in Art. 8 II GG als Ausschluß nicht versammlungsspezifischer Gesetze interpretieren, sind somit abzulehnen. Die Gleichbehandlung allgemeiner und nichtallgemeiner Gesetze im Sinne der Sondergesetztheorie im Hinblick auf Art. 8 II GG 202 ermöglicht, daß auch allgemeine Gesetze die Versammlungsfreiheit einschränken können, sie aber an der Versammlungsfreiheit zu messen sind. Zulässig sind sie nur, wenn- und hier kann nichts anderes gelten als bei der Meinungsfreiheit- die Gesetze höherrangi198 Der andere, zunächst vorrangige Grund für die Anwendung der Schranke der allgemeinen Gesetze ist der (vermeintliche) Schutz der inhaltlichen Seite kollektiver Meinungsäußerungen durch das Erfordernis der Allgemeinheit. S. o. S. 119 f. unter 2. 199 Merten, 61 und in MDR 1968, 623; Hoffmann, JuS 1967, 398; Guradze, ZRP 1969, 6; Berg, 166; Lerche, Peter: Verfassungsrechtliche Zentralfragen des Arbeitskampfes, Bad Hornburg 1968, 35 f.; wohl auch Bettermann, JZ 1964, 604. Vorwiegend geht es diesen Autoren jedoch um die Inhalte von Meinungsäußerungen. 200 Schwäble, 136, 181. 2o1 So offensichtlich Schwäble, 177 zu bau- und feuerpolizeilichen Vorschriften bei der Versammlungsfreiheit; ebenso für Art. 5 I GG, S. 181. Anders aber AK-HoffmannRiem, der auch nicht versammlungsspezifische Gesetze an der Versammlungsfreiheit messen will, Art. 8, 55. Kritik an den Auffassungen, allgemeine Gesetze nicht als Einschränkungen der Grundrechte anzuerkennen bei Schwabe, Grundrechtsdogmatik, 168 ff. m.w.Nw. Der Ansicht Schwäbles kommt im amerikanischen Recht die Auffassung nahe, die bezweifelt, daß bei nicht "speech-related" oder "content-based"-Regelungen überhaupt das I. Amendment betroffen ist: s. o. S. 126, Fn. 168. 2o2 Generell gegen ein..: Umerscheidung allgemeiner und nicht allgemeiner Gesetze Schwabe, Grundrechtsdogmatik, 175.

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Teil B: Rechtsvergleich und Wertung

ge Rechtsgüter schützen, so daß sie im Lichte der Bedeutung der Versammlungsfreiheit auszulegen und anzuwenden sind 203 ; eine Beschränkungsautomatik" 204 findet auch hier nicht statt. Als Indiz für die Berechtigung der Geltung des Gesetzesvorbehalts auch für nichtversammlungsspezifische Gesetze läßt sich auch§ 15 I, II VersG anführen, der über die öffentliche Sicherheit die allgemeinen Gesetze in das Versammlungsrecht einfließen läßt. Daß dies ohne Widerspruch erfolgt, zeigt, daß das Ergebnis einer Gleichbehandlung nichtversammlungsspezifischer und allgemeiner Gesetze im Sinne des Sondergesetztheorie für die Versammlungsfreiheit als sachgerecht anerkannt wird 205 • Schließlich hat die hier vertretene Auffassung auch nicht zur Folge, daß das Zitiergebot entleert wird 206. Seine Geltung für nichtallgemeine Gesetze bleibt sinnvoll; gerade hier besteht die Gefahr einer Überreaktion des Gesetzgebers, die es erfordert, die Warn- und Sesinnungsfunktion des Zitiergebots auszulösen. Andererseits erscheint die Gefahr bei allgemeinen Gesetzen in der Tendenz geringer, und es ist dem Gesetzgeber hier auch nicht möglich, die betroffenen Grundrechte anzuführen.Das Zitiergebot kann aber nicht die Funktion haben, den Gesetzesvorbehalt nicht auf allgemeine Gesetze (im Verständnis der Sondergesetzlehre) zu erstrecken, mit der Konsequenz, daß diese die Versammlungsfreiheit nicht einschränken dürfen oder nicht am Grundrecht gemessen werden.

e) Die Lösung des Konkurrenzproblems Daß Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit unter freiem Himmel sowohl den Schranken der "allgemeinen Gesetze" als auch von "Sondergesetzen" unterliegen, die jedoch jeweils keine Beschränkungsautomatik auslösen, läßt die Diskussion um das Verhältnis beider Grundrechte zueinander beträchtlich an Dramatik verlieren. Insoweit kann Ossenbühl zugestimmt werden, daß die Schrankendivergenz in der mit der Wechselwirkungstheorie verbundenen topischen Denkweise der Grundrechtsanwendung untergeht 207 • Dennoch soll die aufgeworfene Konkurrenzfrage einer Lösung zugeführt werden. Hier ist zu bedenken, daß So auch für die Versammlungsfreiheit BVerfGE 69, 315 (348t). Schmitt Glaeser, AöR 97, 283. 205 So überrascht es auch nicht, mit welcher Selbstverständlichkeit § 15 I, II VersG von jenen angenommen wird, die die Versammlungsfreiheit nicht den allgemeinen Gesetzen unterwerfen wollen (vgl. etwa W. Müller, 129 ff.; Drosdzol, JuS 1983, 412 f.), obwohl die öffentliche Sicherheit in § 15 VersG genau das ermöglicht, was durch die Betonung der Schrankendivergenz zwischen Art. 5 li GG und Art. 8 li GG ausgeschlossen sein soll. W. Müller (S. 129) hebt hervor, daß die Straßen- und Wegegesetze weder dazu bestimmt noch rechtlich geeignet sind, das Versammlungsrecht einzuschränken, sieht aber zugleich§ 15 VersG als "Einfallstor" für straßen-und wegerechtliche Gesichtspunkte in das Versammlungsrecht. "Einfallstor" ist§ 15 VersG für die gesamte Rechtsordnung, die die Versammlungsfreiheit ebensowenig automatisch einschränken kann wie versammlungsspezifische Gesetze. 206 So aber Schwäble, 136 f. und W. Müller, 120 f . 201 Der Staat 10, 61. 203

204

li. Das Verhältnis der Versammlungsfreiheit zur Meinungsfreiheit

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sich keine Konkurrenzlösung ohne geringe systematische Mängel finden lassen wird; die gleichzeitige Ausübung einer vom Wortlaut her formal-kollektiven Garantie und eines auf einen sachlich spezifizierten Lebensbereich angelegten Grundrechts führt zu einer tatsächlichen Verklammerung, die rechtlich kaum friktionsfrei zu lösen ist. Im Vordergrund muß somit stehen, welche Lösung das Wesen gemeinsamer Meinungskundgabe und gegenseitigen Gedankenaustauschs am besten erfaßt. Eine Anwendung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit auf jeweils unterschiedliche Aspekte einer Versammlung - ob diese nun durch das niemals zweifelsfrei zu ermittelnde Motiv staatlichen Handelns 208 oder die als objektiv ausgegebene "Richtung" des Eingriffs 209 erreicht wird- hat den Nachteil, daß dadurch die für Versammlungen charakteristische Verzahnung der physischräumlichen und der kommunikativen Dimensionen aufgespalten wird 210 • Daß so Versammlungen ihres eine spezialgrundrechtliche Verbürgung rechtfertigenden Wesens beraubt werden, zeigt sich schon bei staatlichen Maßnahmen, die nur eines der Grundrechte zu berühren scheinen. Ein Verbot der Äußerung einer bestimmten Meinung auf einer Versammlung läßt zwar deren physische Integrität unberührt, beeinträchtigt ihre Wirkungschancen aber beträchtlich. Bei einer Diskussionsversammlung will der Äußernde seine Meinung in den dialektischen Prozeß von Rede und Gegenrede einbringen und dessen Wirkungen aussetzen; dies erfordert ebenso die Teilnahme einer Personenmehrheit wie eine Demonstrationsversammlung, die gerade aus der Masse der Teilnehmer ihre Aussagekraft bezieht. Der Zusammenhang von Kollektivität und dem Inhalt einer Meinungsäußerung muß auch bei einer Prüfung der Regelung der äußeren Umstände einer Versammlung wie ihrem Ort oder Zeitpunkt (Spontanversammlungen!) gewahrt bleiben. Im Grunde gelten hier dieselben Einwände wie gegen die speech I conduct-Differenzierung; die Teilnahme an meinungsdarstellenden und meinungsaustauschenden Versammlungen läßt sich nicht in rein technische, nur die Kollektivität betreffende Gesichtspunkte und die "Meinungsäußerungsseite" aufspalten. Um eine optimale Erfassung der Interessen des Grundrechtsträgers zu gewährleisten, bietet sich die umfassende - auch auf Meinungsäußerungen bezogene -Spezialität der Versammlungsfreiheit an, wodurch die künstliche Differenzierung zwischen Meinungsäußerungen in einer Versammlung und durch dieselbe vermieden wird. Zugleich findet auch die Beschränkung des Grundrechts auf Deutsche Berücksichtigung. Wenn Versammlungsfreiheit nur für Deutsche als Grundrecht geschützt wird und Versammlungen i.S. des Art. 8 GG nur solche zum Zwecke der Meinungsäußerung und des Meinungsaustausches sind, darf die Beschränkung des persönlichen Schutzbereiches nicht für Meinungsäußerun2os 209 210

Zur Kritik Schwabe, Grundrechtsdogmatik, 413 und W. Müller, 84. Widerlegt bei Schwabe, Grundrechtsdogmatik, 174. So für kollektive Meinungskundgaben auch Ossenbühl, Der Staat 10, 61.

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Teil B: Rechtsvergleich und Wertung

gen durch die gleichzeitige oder alleinige Geltung des Art. 5 I GG für die "Meinungsäußerungsseite" einer Versammlung unterlaufen werden. Eine ausschließliche Geltung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit für alle Aspekte einer Versammlung provoziert den Einwand, daß mit der Herauslösung von Meinungsäußerungen auf Versammlungen aus dem Grundrecht der Meinungsfreiheit auf die Übernahme der für dieses Grundrecht geltenden Grundsätze verzichtet wird; die schützende und zugleich begrenzende 211 Funktion der Allgemeinheit eines Gesetzes würde entwertet. Da aber durch das Erfordernis der Allgemeinheit eines Gesetzes kein absoluter Schutz des Inhalts von Meinungsäußerungen festgeschrieben wird, es vielmehr als Ausdruck des Grundsatzes der Güterahwägung anzusehen ist, wird durch Art. 5 II GG kein Schutz vermittelt, der sich nicht auch bei der für die Versammlungsfreiheit notwendigen Güterahwägung berücksichtigen läßt. Auch wird durch die Anwendung der Versammlungsfreiheit auf Meinungsäußerungen keine weitergehende Zulässigkeit von Meinungsäußerungen auf Versammlungen gegenüber individuellen Meinungsäußerungen präjudiziert 212 • Natürlich ließe sich nun einwenden, daß dann doch Art. 5 I, II GG unmittelbar heranzuziehen sei, was sich aber nicht ohne die dargestellten Nachteile erreichen läßt. Dennoch bleibt eine Berücksichtigung des kollektiven Wirkungszusammenhangs bei der Beurteilung der Inhalte von Meinungsäußerungen auf Versammlungen möglich. Dies ist in zweifacher Hinsicht von Relevanz. Zum einen bietet die Diskussionsversammlung die Möglichkeit zu einer sinnvollen Anwendung einer Vermutung zugunsten der Zulässigkeil freier Rede. Dieser Grundsatz, der inderneueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu undifferenziert nahezu zugunsten jeder Äußerung über eine Angelegenheit von allgemeinem Interesse Anwendung findet 213 , ist dann sachgerecht, wenn bei einer durch emotionale und hitzige Atmosphäre geprägten Diskussionsversammlung verletzende Äußerungen fallen. Aufgrund des unmittelbaren Austausches von Rede und Gegenrede und der äußeren Umstände ist hier eine vorsichtige Ausdehnung des Bereiches zulässiger Meinungsäußerungen auf Versammlung zu Lasten des Ehrenschutzes gerechtfertigt 214 • Zum anderen kommt Meinungskundgaben bei Demonstrationen insofern ein indirekter Begünstigungsreflex zugute, als aufgrund der hier notwendigen Verkürzung des Argumentationsganges bei Parolen u.ä. eine genaue Sinnermittlung und so eine eindeutige rechtliche Qualiftkation sowie Sanktionen häufig nicht möglich sind 215 • 211 Insoweit, als die Schranken für individuelle Meinungsäußerungen auch auf Versammlungen gelten müssen, s. o. S. 119 f. unter 2. 212 So aber wohl Quilisch, 170. 213 BVerfGE 54, 129 (139); 60, 234 (241); 61, 1 (7, 11); 66, 116 (150). 214 Zu pauschal zugunsten von Meinungsäußerungen auf Versammlungen und zulasten des Ehrenschutzes Quilisch, 174 f.; Ott, Demonstration, 48; Schwäble, 102; Denninger, DRiZ 1968, 45; Drosdzol, JuS 1983, 410. 21s Bei Wandparolen BGH, NJW 1984, 1631; eindeutig zu weitgehend "Buback, Ponto, Schleyer-der nächste ist ein Bayer"; "Pawelczyk, Pawelczyk aus der Traum-

III. Zum Vorbehalt der Friedlichkeil

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111. Zum Vorbehalt der Friedlichkeit 1. Friedlichkeit im Grundrechtsgefüge Durch das Erfordernis der Friedlichkeit in Art. 8 GG wird ebenso wie durch das Attribut peaceable im I. Amendment deutlich, daß dem Recht, sich zu versammeln, allein kein grundrechtlicher Schutz zukommt. Daß grundrechtliche Freiheit nicht prinzipiell unbegrenzt ist, wird hier bereits verfassungsunmittelbar festgeschrieben, Anerkennung des Rechts erfolgt hier nur als Anerkennung in vorgegebenen Grenzen, das Grundrecht schützt nur friedliches Versammeln. This Iimitation is significant in demonstrating that a citizen's goveming is often both ,,regulated" and "free". 216 Sind auch die anderen Kommunikationsgrundrechte, sowohl im Grundgesetz als auch im 1. Amendment, nicht in entsprechender Weise ausgestaltet, so muß doch der mit der Friedlichkeit ausgedrückte Gedanke auch für diese sowie für die Freiheitsbetätigung des Bürgers schlechthin gelten 217 ; Verletzungen der Rechte anderer, die bei Ausübung des Versammlungsrechts von der Verfassung als unfriedlich aus dem grundrechtliehen Schutzbereich ausgegrenzt sind, können nicht anders beurteilt werden, wenn sie bei Ausübung anderer Grundrechte durchgeführt werden. Das Erfordernis der Friedlichkeil hat somit als Ausdruck eines grundlegenden immanenten Verfassungspostulats eher deklaratorischen Charakter; der Bürger ist zur Respektierung der Freiheit seiner Mitbürger auch dann verpflichtet, wenn dies im fraglichen Grundrecht nicht ausdrücklich vorgesehen ist. Es drückt - wie auch immer friedlich letztendlich auszulegen ist - die Gemeinschaftsgebundenheit aus, der das Individuum auch bei der Ausübung der Kommunikationsgrundrechte unterliegt und durch die Terror und Gewalt als Mittel der Kommunikation ausgeschieden werden. 218

2. Friedlichkeit und Versammlungsfreiheit Daß gerade bei der Versammlungsfreiheit in den Verfassungen beider Länder so nachdrücklich und unmittelbar die Grenzen eines Grundrechts aufgezeigt werden, ist Konsequenz aus der entstehenden Eigendynamik beim räumlichen bald liegst auch Du im Kofferraum", vgl. FAZ, 22. 12. 1986, S. 3; nicht wesentlich anders schon: "Killt ab den Wa1ther Rathenau, die gottverdammte Judensau", zitiert als Parole völkischer Stoßtrupps bei Hans-Jochen Gamm, Judentumskunde, 4. Auflage, Frankfurt 1962, S. 55. Zur Diskussion der Parolen der 60er Jahre, Denninger, ZRP 1968, 43 f.; Vogel, 31; Schwäble, 1ll; Guradze, ZRP 1969, 9; Ossenbühl, Der Staat 10, 63. 216 Meiklejohn, 1961 Sup.Ct.Rev., 259. 217 Scholz, NJW 1983, 708; Merten, Rechtsstaat und Gewaltmonopol, Tübingen 1975, S. 44; Preuß, R. Schmid-FS, 427. 218 Scheuner, DÖV 1971, 509; Schwäble, 112; Förster, 21 f., 137.

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Teil B: Rechtsvergleich und Wertung

Zusammenschluß von Menschen zu gemeinsamer Zweckverfolgung, die mehr ist als nur die Summe aus dem Verhalten der den Zusammenschluß bildenden Individuen. Nicht nur die zahlerunäßige Überlegenheit kennzeichnet die Masse, sondern auch die aus der Eingliederung des Individuums resultierende Minderung eigenverantworteter Entscheidungsfindung. 219 Diese Gefahr muß bei der Bestimmung des Schutzbereichs der Versammlungsfreiheit berücksichtigt werden, indem Ansätzen zur Gewalt früh und eindeutig begegnet wird, denn bei der Ausübung keines anderen Grundrechts ist der Übergang von Legalität zu gewalttätiger Illegalität so nahtlos zu erfahren wie bei der Versammlungsfreiheit. Dies erhöht die Notwendigkeit kategorischer Lösungen, klarer auch praktikabler Trennungen, was freilich auch nicht zu einer pauschalen Auflösung der Spannung zwischen dem Schutz von Kollektivität (Versammlungsrecht) und der Gefahrdung durch Kollektivität (friedlich) zugunsten letzterer führen darf. Cancerted action is a powerful weapon. History teaches that special dangers are associated with conspiratorial activity. And yet one of the foundations of our society is the right of individua1s to combine with other persons in persuit of a common goal by lawful means. 22o Weiter folgt aus dem sozialen Bezug von Kommunikation sowie aus der Funktion, die dem Grundrecht auch im Prozeß der demokratischen Willensbildung zukommt, daß der Gedanke einer effektiven Möglichkeit der Ausübung der Versammlungsfreiheit von Bedeutung ist. Unter den zahlreichen Modalitäten einer Einflußnahme auf den Willensbildungsprozeß qua Grundrecht ist die Versammlung die einzige, die für organisierten Protest nur die Investition von Zeit erfordert. In höchstrichterlicher Rechtsprechung und Literatur der Bundesrepublik und der Vereinigten Staaten ist der aus der demokratischen Funktion des Grundrechts folgende Gedanke einer effektiven Ausübung heute im Grundsatz anerkannt221. So wird es zu Recht als Bestandteil der verfassungsrechtlichen Gewährleistung der Versammlungsfreiheit angesehen, daß die Versammlung an einem zentral gelegenen oder sonst relevanten Ort und zu einem angemessenen Zeitpunkt zusammentreten kann 222• Darüber hinaus ist bei der Umsetzung des Effektivitätsgedankens Vorsicht geboten. Wird bei der Bemessung der Friedlichkeit darauf abgestellt, ob die konkrete Durchführung einer Veranstaltung erforderlich ist, um die Möglichkeit öffentlicher Kommunikation zu schaffen 223 , so kann durch diese Relativität bei 219 Grundlegend, wenn auch zuehmend differenzierter betrachtet, die Untersuchungen von Gustave Le Bon zur Psychologie der Masse; zur Diskussion im Zusammenhang mit der Versammlungsfreiheit Baker, 78 Nw.U.L.Rev., 981 (1983); Kostaras, 42 ff. jew.m.w.Nw. 22o NAACP v. C1aibome Hardware Co., 458 US 881 (932 f.) (1982). 221 s.o. B.I.2.b.cc. 222 Baumann/Frosch, JZ 1970, 115; Merten, MDR 1968, 625; Fortas, 70f. 223 So Erichsen, 172; ähnlich Förster 17 f.; 167 f.; AK-Hoffmann-Riem, Art. 8, 18.

III. Zum Vorbehalt der Friedlichkeit

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Veranstaltungen über schon in der Diskussion befindliche Angelegenheiten das Versammlungsrecht einerseits übermäßig beschränkt, in anderen Fällen aber eine Spirale sich steigernder Zwangsmissionierung Andersdenkender eröffnet werden. Resonanzsicherung ist für eine Versammlung trotz Reizüberflutung 224 ausreichend dadurch gewährleistet, daß sie räumlich und zeitlich in die Allgemeinheit integriert wird und damit optisch und akustisch präsent ist. Damit ist sichergestellt, daß die Versammlungsteilnehmer zur Kenntnis genommen werden. Die angesichts dieser Konfrontation mit einer Versammlung getroffene Entscheidung, sich nicht weiter mit ihrem Anliegen auseinanderzusetzen, kann nicht eine noch intensivere Konfrontation rechtfertigen. Resonanzsicherung ist ein Problem des Grundrechts schlechthin, bei dessen Schutzbereichsbestimmung seine Bedeutung für Minderheitsgruppen unddie beklagte "Übermacht etablierter und organisierter Interessen" 225 generell Berücksichtigung findet und nicht zu einer vom Anliegen einer Versammlung abhängigen Beurteilung der Friedlichkeit führen darf. Auch daß die Kundgabewirkung mit steigender Häufigkeit von Demonstrationen eine Abnutzung erleidet, kann nicht Anlaß sein, die Rechte andere in immer weiterem Maße zu beeinträchtigen, um die Effektivität von Demonstrationen zu sichern. 3. Zur Auslegung unter dem Grundgesetz

Die Auslegung des Begriffs friedlich ist noch stärker als durch verfassungsund allgemeine grundrechtssystematische Erwägungen von der konkreten Ausgestaltung des Grundrechts abhängig, in dem es verankert ist. Hier zeigt sich, daß nach dem Text des 1. Amendment "peaceably" die einzige Begrenzung der Versammlungsfreiheit- ja des 1. Amendment überhauptist und Eingriffe des Gesetzgebers ausdrücklich ausgeschlossen sind, wohingegen Art. 8 II GG Versammlungen unter freiem Himmel Eingriffen des Gesetzgebers unterwirft. Angesichts der Bedeutung, die zumindest nach dem Text des 1. Amendment dem Vorbehalt friedlicher Grundrechtsausübung zukommt, überraschen die nur spärlichen Interpretationsansätze in Rechtsprechung und Literatur. Die aus den vorliegenden Äußerungen mehrheitlich erkennbare Tendenz, unfriedlich extensiv zu interpretieren 226, ist eine für das amerikanischeRecht naheliegende Lösung, die allerdings beim Supreme Court in den allgemeinen Beschränkungstechniken zum 1. Amendment aufgeht 227 • Sie kommt der im deutschen 224 BVerfGE 24, 278 (287); 54, 129 (137); Blumenwitz, Samper-FS 139; sie steigt in dem Maße, wie keine festen Grenzen gezogen werden; wie hier Baumann I Frosch, JZ 1970, 115 und im amerikanischen Recht Groll, I 15. 225 Quilisch, 183; auch BVerfGE 69, 315 (346). 226 s.o. A.II. 227 Insbesondere der Gedanke eines geordneten Zusammenlebens (s. o. S. 84 unter 2.a), die "speech I conduct"-Differenzung (s. A.IV.213. und B.II.l.) und der "two-tiered approach" (s. B.ll.2.b.).

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Teil B: Rechtsvergleich und Wertung

Verfassungsrecht vertretenen Auffassung nahe, die jedes den Rechtsfrieden 228 oder die öffentliche Sicherheit und Ordnung 229 beeinträchtigende Verhalten als unfriedlich ansieht. Für das Grundgesetz ist eine solche extensive Auslegung unfriedlichen Verhaltens abzulehnen, da sie sich nicht systematisch mit dem Gesetzesvorbehalt in Art. 8 II GG und dem Erfordernis der Waffenlosigkeit in Art. 8 I GG vereinbaren läßt. Den Rechtsfrieden und die öffentliche Sicherheit stören auf jeden Fall Verletzungen bestehender Gesetze; wäre dies aber schon als unfriedlich anzusehen, verlöre der Gesetzesvorbehalt in Art. 8 II GG für Versammlungen unter freiem Himmel weitgehend sein Funktion 230• Erst recht gilt dies, wenn über die öffentliche Ordnung auch Verstöße gegen die ungeschriebenen Regeln des Zusammenlebens die Unfriedlichkeit begründen würden; der rechtsstaatliche Aspekt des Gesetzesvorbehalts, der für Eingriffe in die Freiheitssphäre des Bürgers eine gesetzliche Grundlage erfordert, wäre entwertet. Zudem macht der hier notwendige Rekurs auf die herrschenden sozialen und ethischen Anschauungen 231 die öffentliche Ordnung ohnehin zu einem fragwürdigen Rechtsgut zur Regelung der Versammlungsfreiheit als ein Grundrecht mit besonderer Bedeutung für die Äußerung unpopulärer Ansichten 232 • Unfriedlich muß enger interpretiert werden, um der Abstufung zwischen dem unmittelbaren Verfassungsvorbehalt für alle Versammlungen und dem Gesetzesvorbehalt für Versammlungen unter freiem Himmel sowie auch dem systematischen Zusammenhang zur Waffenlosigkeit gerecht zu werden. Aus der Waffenlosigkeit als zweiter unmittelbarer Begrenzung des grundrechtliehen Schutzbereiches wird man ableiten können, daß auch unfriedliches Verhalten schwere Beeinträchtigungen der Rechte anderer erfordert 233• Die Auslegung muß maßgeblich aus der Verfassung entwickelt werden 234, vom Wesen von Kommunikation und Demonstration ausgehend die gesteigerte abstrakte Gefahrdung kollektiven Auftretens berücksichtigen und intensive und massive Beeinträchtigungen erfassen, denen "die Illegalität auf die Stirn geschrieben steht" 235 und die kategorisch und ohne diffizile Abwägung im Einzelfall aus dem Geltungsbereich des Grundrechts auszuscheiden sind. Hierbei müssen zwei Aspekte Berücksichtigung finden. Zum einen gilt es, der Funktion der Friedlichkeil als einer unmittelbaren Verfassungsgrenze-im Sinne eines "Fundamentalvorbehalts", durch den Verletzungen elementarer verfassungsrechtlich geschütz22s

B.3.

Schmidt-Bleibtreu I Klein, Art. 8, 4; Maunz-Zippelius, 199; Hamann I Lenz, Art. 8,

Samper, 14; Guradze, ZPR 1969, 6. BVerfGE 73, 206 (248 f.); MaunziDürig-Herzog, Art. 8, 71; Förster, 45 f. 231 Vgl. BVerfGE 69, 315 (353). 232 Zutreffend Förster, 39 ff. 233 Maunz 1 Dürig-Herzog, Art. 8, 71. 234 Blumenwitz, Samper-FS, 137; Erichsen, 169; v. Münch, Art. 8, 19; zu Gegenansichten s. u. S. 142 unter b. 235 Schwäble, 121 f.; ähnlich Maunz I Dürig-Herzog, Art. 8, 72. 229

230

III. Zum Vorbehalt der Friedlichkeit

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ter Rechtspositionen erfaßt werden - Rechnung zu tragen, unabhängig von der Fonn der Verletzung. Andererseits müssen aber auch die versammlungsspezifischen Erwägungen in die Auslegung einbezogen werden; dieser Ansatz zielt eher auf die Art der Durchführung einer Rechtsgutsbeeinträchtigung, auf die Umsetzung des Aggressionspotentials einer Versammlung in einen aktiven körperlichen Angriff durch die Versammlungsteilnehmer und die mit den massenpsychologischen Eigenheiten kollektiven Auftretens verbundenen Eskalationsgefahren. Diese beiden Aspekte unfriedlichen Verhaltens können - wie vor allem bei der Beeinträchtigung des Lebens und der körperlichen Unversehrtheil-miteinander verbunden sein; notwendig ist dies aber nicht. Wie jede Systematisierung wird auch die folgende - nicht als abschließend gedachte - Typologie unfriedlichen Verhaltens Abgrenzungsschwierigkeiten aufwerfen, die sich aber aufgrundder Ausgestaltung der Versammlungsfreiheit durch die Verfassung nicht venneiden lassen. a) Unfriedlichkeit unter versammlungsspezifischen Gesichtspunkten aa) Angriffe auf Leben und Leib Anknüpfend am versammlungsspezifischen Aspekt der Friedlichkeit sind zunächst Angriffe auf das Leben, die körperliche Unversehrtheit und die Gesundheit anzuführen; aufgrund der überragenden Stellung dieser Rechtsgüter liegt hier zugleich die schwerwiegende Verletzung eines elementaren verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgutes vor, die vor allem in Fonn eines aggressiv vorgetragenen Angriffs von Relevanz ist. Daß diese elementarste und eindeutigste aller Aussagen im Versammlungsrecht in zunehmendem Maße mißachtet wird, wenn Molotowcocktails, Präzisionszwillen mit Stahlkugeln, Wurfeisen, Pflastersteine und Feuerwerkskörper zum selbstverständlichen Rüstzeug eines kleinen, aber beständig harten Kerns von Personen bei einigen Großdemonstrationen gehören, ist - zumal unter Berücksichtigung der Versammlungsnonnalität in den USA - alarmierend und unverständlich zugleich. Verletzungen von Polizeibeamten gehören dann zum Demonstrationsalltag236, die von den Medien, der Bevölkerung und der Mehrzahl friedlicher Demonstranten achselzuckend, ohne Zeichen besonderer Betroffenheit zur Kenntnis genommen werden. Diese rührt sich erst, wenn Schußwaffen "erfolgreich" zum Einsatz gebracht werden, obwohl diese weitere Gewalteskalation in engerer und zwingenderer Verbindung zum bisherigen Verlauf einiger Demonstrationen stehen als diese zu einer unbewaffneten und friedlichen Versammlung. Erwartet 236 1986 wurden bei Versammlungen 818 Polizeibeamte verletzt gegenüber 237 im Vorjahr (Angaben nach BMI). Vgl. ferner den Bericht über die Anhörung vom 13. 11. 1987 über Änderungen des VersO und des StOB im BMI (im folgenden Anhörungsbericht).

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Teil B: Rechtsvergleich und Wertung

hatte die tödlichen Schüsse von der Startbahn West am Abend des 2. November 1987 kaum einer, gewollt hat sie - außer den Tätern - niemand, aber die Erwartung, daß lebensgefährliche Körperverletzungen und Tod von Polizeibeamten nicht eintreten würden, beruhte allein auf der immer stärker gesicherten polizeilichen Schutzrüstung und der polizeilichen Einsatztaktik, die die bisherigen Manifestationen von Körper- und Lebensgefahrdungsvorsatz weitgehend zur Wirkungslosigkeit verdammten. Lauter ist diese Erwartung ebensowenig, wie der Versuch, durch effektivere Mittel Leib und Leben von Polizeibeamten zu gefährden, überraschend ist. bb) Sachbeschädigungen Unfriedlich sind aber auch Beschädigungen oder Zerstörungen fremden Eigentums durch Demonstrationsteilnehmer. In der deutschen Literatur löst sich hier die Einigkeit bei der Bestimmung des Begriffs der Friedlichkeit auf. Selten nur wird Unfriedlichkeit nur auf Gefährdungen von Leib und Leben beschränkt 237; stärker umstritten ist, ob nur Beschädigungen oder Zerstörungen von Sachen mit erheblichem Wert als unfriedlich anzusehen sind 238• Besteht auch eine qualitative Differenz zwischen Gewalt gegen Personen und Gewalt gegen Sachen, so sind beschädigende oder zerstörende Beeinträchtigungen fremden Eigentums insgesamt als unfriedlich aus dem Schutzbereich der Versammlungsfreiheit auszuscheiden 239• Sie sind Rechtsverletzungen, die sich faktisch häufig nur aufgrund der zahlenmäßigen Überlegenheit gegen einen abwehrbereiten Eigentümer durchsetzen lassen und vom Wesen auch kollektiver Meinungskundgabe so weit entfernt, daß sie unter keinen Umständen als Ausübung grundrechtlicher Freiheit in Betracht kommen. In den Vereinigten Staaten besteht, soweit ersichtlich, Einigkeit darüber, daß force oder violence auch bei Demonstrationen Verletzungen von Personen und Sachbeschädigungen jeder Art sind 240• Nun befürworten nicht alle Autoren in der deutschen Literatur mit der Friedlichkeit von Sachbeschädigungen geringerwertiger Sachen auch deren Zulässigkeit, die sich auch noch über das Strafrecht vermeiden läßt 241 • Mag dann auch die Füßlein, 445; Tiedemann, JZ 1969, 722; Hannover KJ 1968, 58. So Denninger, ZRP 1968, 45; Janknecht, GA 1969, 38; Wielthölter, KJ 1970, 136; AK-Hoffmann-Riem, Art. 8, 18; Preuß, R. Schmid-FS, 428; Rinken, KJ 1984, 46. 239 So auch die h.M.; vgl. W. Müller, 100; Schwäble, 119; Quilisch, 181; Kostaras, 33; Crombach, 23; Maunz I Dürig-Herzog, Art. 8, 72; BVerfGE 73, 206 (248); OLG Stuttgart, NJW 1984, 1909. 240 Landrey v. Daley, 280 F.Supp. 938 (945) (1968); Esteban v. Centrat Missouri State College, 290 F.Supp. 622 (629) (1968); State v. Williams, 238 N.W.2d. 203 (207) (1976); Baker, 78 Nw.U.L.Rev., 981 (1983); Wright, 22 Vand.L.Rev. 1047 (1969). 241 So etwa AK-Hoffmann-Riem, Art. 8, 18; Füßlein, 452; Preuß, R. Schmid-FS, 439; für die Rechtmäßigkeit von Sachbeschädigungen aber Denninger, ZRP 1968, 45; Hannover, KJ 1968, 58 und Wielthölter, KJ 1970, 136. 237

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III. Zum Vorbehalt der Friedlichkeit

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rechtliche Bewertung im Ergebnis übereinstimmen, so wird durch diese Differenzierung die Funktion des Vorbehalts der Friedlichkeil entwertet. Dieser erfordert angesichts der massenpsychologischen Eigenheiten einer Versammlung klare nachzuvollziehende Trennungen. Wäre nur die Beeinträchtigung erheblicher Sachwerte unfriedlich, so ist vorauszusehen, daß diese Grenze im konkreten Demonstrationsgeschehen nicht einzuhalten wäre, und die Gewalt würde schnell eskalieren. Auch für die Wechselwirkungstheorie 242, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit 243 oder gar ein Recht zum Gegenschlag 244 ist hier kein Raum, denn die Friedlichkeit ist eine verfassungsunmittelbare Begrenzung, für die Erwägungen für Eingriffe des Gesetzgebers gerade nicht gelten. cc) Aufforderungen zu Angriffen auf Personen oder Sachen Da nach hier vertretener Auffassung auch der Inhalt von Meinungsäußerungen durch die Versammlungsfreiheit geschützt wird, müssen auch Meinungsäußerungen auf Versammlungen am Friedlichkeitsgebot geprüft und- soweit sie die genannten Gesichtspunkte unfriedlichen Verhaltens erfüllen - als unfriedlich aus dem Schutzbereich der Versammlungsfreiheit ausgegrenzt werden. Der Erstreckung des Erfordernisses der Friedlichkeil auch auf Meinungsäußerungen auf Versammlungen steht nicht entgegen, daß das Grundrecht der Meinungsfreiheit nicht ausdrücklich unter diesem Vorbehalt steht. Bei Versammlungen nehmen die Adressaten von Meinungsäußerungen diese unmittelbar entgegen, der Redner kann seine Äußerungen direkt auf das Verhalten und die Reaktionen der Versammlungsteilnehmer, die aufgrund der massenpsychologischen Eigenheiten leichter zu beeinflussen sind, abstimmen. Die Fähigkeit verantwortungsbewußten Handeins wird durch die Eingliederung in die Menschenmenge und die stärkere Emotionalisierung der Versammlungsteilnehmer gesenkt 245 • Die Gefahr eines erfolgreichen Aufstacheins friedlicher Versammlungsteilnehmer zu Gewalt besteht in größerem Maße als bei Meinungsäußerungen, die ihre Empfanger vereinzelt, mit zeitlicher Verzögerung und aus räumlicher Entfernung erreichen. Mit der Hervorhebung dieser Unterschiede in der kommunikativen Einwirkung auf andere geraten Redner vor Menschenmengen nicht generell in den Verdacht, Gewalt zu befürworten. Es gilt vielmehr den Besonderheiten von Versammlungssituationen gerecht zu werden und das Erfordernis der Friedlichkeit, das seine maßgebliche Rechtfertigung auch gerade durch diese Besonderheiten erhält, sachgerecht umzusetzen. Das Gebot der Friedlichkeit wirkt somit auch als Grenze für Meinungsäußerungen auf Versammlungen, die unter Berücksichtigung der Förster, 82 ff.; ähnlich Maul JR 1970, 84. Hoffmann, JuS 1967, 395. 244 Hannover, KJ 1968, 58. 245 Insoweit auch Kostaras, 51, der sich kritisch mit Le Bons Massenlehre auseinandersetzt. Eine gute Darstellung dieser Aspekte bei Hättich, 26. 242

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Teil B: Rechtsvergleich und Wertung

erhöhten abstrakten Gefahrlichkeit einer Menschenmenge eindeutig als Überschreitung des grundrechtliehen Schutzbereiches erkennbar sind. Da Gewalt gegen Personen und Sachen in den zuvor geschilderten Formen niemals Mittel der Auseinandersetzung in einer Demokratie sein kann, käme in Betracht, ihrer Befürwortung generell als unfriedlich den Grundrechtschutz zu versagen. Die Fragwürdigkeit einer solchen Lösung zeigt sich aber in der Rechtsprechung des Supreme Court zum Staatsschutz 246; ihr Verlauf verdeutlicht, daß es einer feiner abgestimmten Lösung bedarf, um nicht auch der abstrakten Befürwortung revolutionärer Theorien jeglichen grundrechtliehen Schutz zu entziehen. Fordern Redner aber unmittelbar zu körperlicher Gewalt gegen Personen oder Sachen auf, so sind Äußerungen dieser Art geeignet, ein Aktionspotential für Gewalt zu aktivieren und die Versammlungsteilnehmer zur Umsetzung der propagierten Gewalt zu veranlassen. Die Ausgrenzung von Aufforderungen zu unmittelbarer Gewalt gegen Personen oder Sachen aus dem Schutzbereich der Versammlungsfreiheit trägt dem weniger berechenbaren Reaktionsverhalten einer Menschenmenge Rechnung und ermöglicht weitgehend - da entscheidend auf den Inhalt der Meinungsäußerungen abzustellen ist - klare und eindeutige Bewertungen.

b) Unfriedlichkeit aufgrundschwerwiegender Beeinträchtigungen: Afenschenblockaden Daß auch ein Verhalten von Versammlungsteilnehmern unfriedlich ist, wenn diese nicht in nach außen manifestierter Weise aggressiv handeln, wird im deutschen Recht von jenen abgelehnt, die bei der Bestimmung unfriedlichen Verhaltens auf§ 5 Nr. 3 VersG zurückgreifen und unfriedlich mit "gewalttätig" oder "aufrührerisch" gleichsetzen 247 • Wenngleich die durch die Gewalttätigkeit vermittelte äußere Aggressivität der Rechtsverletzungen ein Aspekt unfriedlichen Verhaltens ist, so kann doch unfriedliches Verhalten - wohl auch entgegen dem Bundesverfassungsgericht 248 nicht hierauf beschränkt bleiben. Die Nähe zur Waffenlosigkeit erfordert einerseits eine gewisse Schwere des Eingriffs, schließt aber andererseits eine Interpretation aus, die sich in den typischen Formen und Wirkungen eines Waffeneinsatzes erschöpft. Problematisch an der Gleichsetzung von Unfriedlichkeit im Sinne Art. 8 I GG mit gewalttätigem und aufrührerischem Handeln gemäß § 5 Nr. 3 s.o. A.VI.2. W. Müller, 103; Crombach, 23; Kostaras, 33; AK-Hoffmann-Riem, Art. 8, 18; Janknecht, GA 1969, 36; auch Schwäble, 120, der aber zugleich die "Geistigkeit" als weitere immanente Schranke der Kommunikationsgrundrechte anführt, 113, 126 f.; w.Nw. bei Förster. 248 Vgl. BVerfGE 73, 206 (248), wonach Sitzblockaden friedlich sind, da sie nicht "ersichtlich äußerliche Handlungen von einiger Gefährlichkeit wie etwa Gewalttätigkeiten oder aggressive Ausschreitungen gegen Personen oder Sachen" sind. 246 247

III. Zum Vorbehalt der Friedlichkeit

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VersO ist auch, daß damit mehr oder minder offen die Diskussion um den Gewaltbegriff des Strafrechts fortgesetzt wird 249. So wird dieser Disput ohne Not in das Verfassungsrecht übertragen und dessen Auslegung in Abhängigkeit zum einfachen Recht gebracht 250, das anderen sachlichen Erwägungen unterliegt und beim Strafrecht streng auf den Wortlaut verpflichtet ist. Wird aber entscheidend in den Vordergrund gestellt, daß schon unmittelbar von der Verfassung her die Beeinträchtigung bestimmter fundamentaler Rechtsgüter bzw. die besonders schwere Beeinträchtigung bestimmter Rechtsgüter unzulässig ist, so ist das strafrechtliche Problem, ob Gewalt nur aktiv oder auch passiv verübt und auch unter Berücksichtigung der Auswirkungen beim Opfer angenommen werden kann, hier von geringer Bedeutung. Die Ausformung dieses Aspekts der Unfriedlichkeit soll im folgenden auf Blockaden beschränkt bleiben, da diese seit geraumer Zeit im Zentrum der rechtspolitischen, strafrechtlichen und verfassungsrechtlichen Diskussion stehen. aa) Kritik der "Geistigkeitstheorie" Die Unfriedlichkeit von Blockaden wird in Literatur und Rechtsprechung häufig damit begründet, daß sie als Ausübung von Zwang eine "ungeistige", körperliche Wirkung haben und damit dem Wesen verfassungsrechtlich geschützter Kommunikation widersprechen 251 . Auch das Bundesverfassungsgericht schien in der Brokdorf-Entscheidung diesem Standpunkt zuzuneigen; es bezeichnete "jedenfalls Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen" als unfriedlich, sah aber auch in der Friedlichkeil die Verpflichtung auf eine geistige Auseinandersetzung252, woran anknüpfend in der Literatur das Gericht als Befürworter der Unfriedlichkeit von Blockaden angeführt worden war253. Daß das Gericht diese Ausformung der Friedlichkeil in seiner Entscheidung zu Sitzblockaden 254 nicht wieder aufgegriffen hat, ist zu billigen 255. Dies weniger aufgrund des emotionalen, irrationalen Charakters kollektiver Meinungskundgabe 256, denn auch individuelle Meinungsäußerung hat eine emotive function, die durch das Grundrecht geschützt wird 257. Vielmehr ist auch eine zur Diskussion 249 Deutlich etwa Förster, 52 ff.; 72 ff.; Frowein, NJW 1969, 1083. 250 Kritisch Blumenwitz, Samper-FS, 137 und Erichsen, 168 m.w.Nw. unter dem Aspekt der "Gesetzmäßigkeit der Verfassung". 251 BGHZ 59,30 (36); NJW 1972, 1571 (1573); v. Münch, Art., 8, 23; Merten, NJW 1970, 1626; Neuberger, GA 1969, 4 f.; Dietel I Gintzel, § 1, 46 und 15, 61; wohl auch Brohm, JZ 1985, 51 0; im Ergebnis auch, ohne indes Unfriedlichkeit anzunehmen Schwäble, 126 f. 252 BVerfGE 69, 315 (360). 253 Götz, DVBI. 1985, 1347; Frowein, NJW 1985, 2378. 254 BVerfGE 73, 208. 255 Kritisch auch Erichsen, 170; Förster, 158; Preuß, R.Schmid-FS, 437. 256 So aber Ballerstedt, JZ 1973, 106; ähnlich Stöcker, DÖV 1985, 1001.

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und Demonstration zusammengetretene Versammlung ein vornehmlich körperlich wahrnehmbares und wirkendes Phänomen, somit gerade das Gegenteil "rein geistigen Wirkens", das für die Meinungsfreiheit hervorgehoben wird 258 • Sie bezieht ihre Wirkung im kommunikativen Prozeß aus der Verbindung von Masse und Meinung, von ihr geht - vor allem wenn sie im raumknappen und intensiv genutzten Innenstadtbereich stattfindet - Zwang aus; die Teilnehmer drängen sich körperlich, optisch und akustisch auf und beeinträchtigen dadurch die Rechte anderer stärker als individuelle Meinungsäußerungen. Wollte man die beabsichtigte Behinderung anderer, die im Normbereich angelegt ist, schon zur Begründung der Unfriedlichkeit heranziehen 259 , so läuft man Gefahr, über die Friedlichkeil charakteristische Eigenschaften einer Versammlung wegzuinterpretieren. Dies ist weder Intention noch - wie die Beispiele zeigen 260 - Ergebnis der kritisierten Autoren, ebensowenig wie in den Vereinigten Staaten, wo eine ähnliche Interpretation etwa von Baker und Teilen der Rechtsprechung befürwortet wird. Aber dort ist eine weite Auslegung der Unfriedlichkeit systematisch zu begründen, da die Friedlichkeil vom Verfassungstext her die einzige Begrenzung der Versammlungsfreiheit ist. Unter dem Grundgesetz ist diese Auslegung nicht erforderlich. bb) Unfriedlichkeit als Entziehung der Fortbewegungsfreiheit Da unfriedliches Verhalten auch eine Intensität der Beeinträchtigung der Rechte anderer erfordert, kann nicht ausreichen, daß durch Blockaden die Freiheit der Fortbewegung beschränkt wird. Entscheidend ist, ob die Blockade den Charakter einer Freiheitsentziehung gewinnt, also dem mit einer Blockade Konfrontierten das Verlassen des gegenwärtigen Aufenthaltsortes unmöglich macht. Das Grundgesetz läßt erkennen, daß die Freiheit der Fortbewegung als elementares Rechtsgut dann in massiver Weise verletzt ist, wenn jemand gegen seinen Willen an einem Ort festgehalten wird (Art. 2 II GG, Art. 104 II GG). Daß diese Aussage nur für staatliche Beschränkungen gilt, steht einer Übernahme dieser Wertung, die allein auf die Intensität der Beeinträchtigung abstellt, nicht entgegen. Errichten Versammlungsteilnehmer eine freiheitsentziehende Blockade, so wird durch ihr gemeinschaftliches Handeln ein verfassungsrechtlich geschütztes Rechtsgut in massiver Weise beeinträchtigt. Es liegt hier das Paradebeispiel eines captive audience vor, eine Argumentationsfigur, mit der im amerikanischen Recht häufig bei der Lösung der Interessen257 Cohen v. Califomia, 403 US 15 (26) (1971); Redish, 130 U.Pa.L.Rev., 628 (1982); BVerfGE 33, 1 (14). 258 BVerfGE 7, 198 (208); v. Mangoldt/ Klein/ Starck, Art. 5, 23; Ridder, Meinungsfreiheit, 245 ff. 259 So etwa Merten, NJW 1970, 1626; Dietel I Gintzel, § 15, 61; Borchert, 96 f.; Brohm, JZ 1985, 510. 260 Es geht durchweg um Sitzblockaden.

III. Zum Vorbehalt der Friedlichkeil

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kollision zwischen Meinungsäußerndem und angezieltem Meinungsempfänger gearbeitet wird 261 und die auch zunehmend im deutschen Recht Verwendung findet 262 • Da eine meinungskundgebende Versammlung - wie dargestellt eine Quelle vielfältiger Zwangswirkungen ist und auch der Schutz der Privatsphäre des Bürgers auf öffentlichen Straßen und Plätzen gemindert ist 263 , erfordert die Umsetzung dieser Argumentationsfigur bei der Versammlungsfreiheit Augenmaß und häufig Einzelfallabwägungen; diese können allzu schnell in der pauschalen Feststellung, die Versammlungs- oder Meinungsfreiheit gebe kein Recht, gehört oder beachtet zu werden 264, untergehen. Eindeutig läßt sich aber sagen, daß aus der Versammlungsfreiheit niemals das Recht folgen kann, anderen zum Zwecke der Konfrontation mit einer Meinungskundgabe die Fortbewegungsfreiheit zu entziehen. Diese sollte hier aber nur angenommen werden, wenn die Blockade zu einer Aufhebung der aktuellen Fortbewegungsfreiheit führt 265, die eine weitaus intensivere Beeinträchtigung ist als nur die Einschränkung der potentiellen Fortbewegungsmöglichkeiten, wo die Blockade in ihrer freiheitsentziehenden Wirkung nicht erfahrbar ist. Bringen die Eingeschlossenen ihren Willen zum Verlassen des gegenwärtigen Aufenthaltsortes zum Ausdruck, so gibt diese Konfrontation mit den Blockierern diesen die Möglichkeit zur Reflexion über ihr Verhalten und macht ihnen bewußt, daß sie bei einer Weigerung, den Weg freizugeben, ihres Grundrechtsschutzes verlustig gehen. In der Aufrechterhaltung der Blockade gegen den aktualisierten Fortbewegungswillen der ihrer Freiheit Beraubten manifestiert sich der Unrechtsgehalt des Handelns, und es ist dann ausgeschlossen, daß die freiheitsentziehende Wirkung nur ungewollter Nebeneffekt und nicht Hauptzweck der Versammlung ist. Der Eintritt freiheitsentziehender Wirkungen durch eine Blockade ist von den Umständen des Einzelfalles abhängig, was dem Erfordernis möglichst eindeutiger Abgrenzungen bei der Bestimmung unfriedlichen Verhaltens zu widersprechen scheint. Da aber bisherige Blockaden weitgehend immer wiederkehrende Standardsituationen betrafen - Absperren eines Geländes, Blockade eines einzelnen Gebäude, Besetzen einer Straße - und dies auch für zukünftig vorstellbare Blockaden zutreffen dürfte, lassen sich doch durch eine "Blockadetypologie" häufig klare Bewertungen vornehmen. Eine Freiheitsentziehung liegt auf jeden Fall dann vor, wenn die Versammlungsteilnehmer- zumeist stehend- unwider261 Etwa Rowan v. U.S. Post Office Dep., J97 US 728 (736 ff.) (1970); Cohen v. California, 403 US 15 (21) (1971); Erznoznik v. Jacksonville, 422 US 205 (209) (1975); Haiman, 67 Nw.U.L.Rev., 177 ff. (1973); Nimmer,§ 1.02[2]. 262 Kimminich, Der Staat 3, 61; Ossenbüh1, Der Staat 10, 83; Förster, 163. 263 Rowan v. U.S. Post Office Dep., 397 US 728 (736 ff.); Erznoznik v. Jacksonville, 422 us 205 (209). 264 Maunz I Dürig-Herzog, Art. 5, 61; Dietell Gintze1 § 15, 16; BayObLG, NJW 1969, ll27; OLG Kar1sruhe, NJW 1970, 64 (65); LG Bonn, StrV 1985, 191 (193). 265 Anders aber die fast einhellige Auffassung zu§ 239 StGB, OLG Köln, NStZ 1985, 550 (551) (Kasernenblockade) m.w.Nw.

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stehliehen Zwang ausüben, der als "Einkesselung" allenfalls mit körperlicher Kraft zu durchbrechen wäre 266 • Steht den Eingeschlossenenjedoch ein Fluchtweg offen, dessen Inanspruchnahme zurnutbar ist, so ist die Versammlung noch friedlich. Dies ist etwa der Fall, wenn bei Blockaden von Räumen oder Gebäuden deren Verlassen ohne die Gefährdung eigener Rechtsgüter möglich ist oder bei einer Blockade einer Straße, wenn die Autofahrer ihren Wagen wenden können 267 • Freiheitsentziehend kann die Blockade aber auch in psychischer Hinsicht wirken, so etwa wenn die Versammlungsteilnehmer auf der Straße liegen oder dicht gedrängt vor einem Gebäude, sodaß das Hindernis zwar körperlich zu überwinden ist, aber eben nur um den Preis von Körperverletzungen oder mehr 268 • cc) Mögliche weitere Formen Die Kollision zwischen dem Interesse an kollektiver Meinungskundgabe der Versammlungsteilnehmer und dem Fortbewegungsinteresse anderer dürfte die überwiegende Anzahl der Blockaden betreffen. Daß aber bei Blockaden auch andere Kollisionslagen möglich sind, zeigen die Blockaden gegen Wirtschaftsunternehmen in den 60er/70er Jahren und in jüngster Zeit im Zusammenhang mit Tarifauseinandersetzungen. Auch hier und in anderen Fällen muß es ebenso wie bei den die Fortbewegungsfreiheit entziehenden Blockaden für die Beurteilung der Friedlichkeit auf die Intensität und Schwere der Beeinträchtigung ankommen. Einzelheiten lassen sich hier nicht darstellen, und sie müssen typologisch, nach Sachverhaltskonstellationen differenzierend, entwickelt werden. So ließe sich beispielsweise erwägen, ob für Blockaden, durch die Eigentümer von der Nutzung ihres Eigentums abgeschnitten werden, bezüglich der Schwere und Intensität der Beeinträchtigung auf die Grundsätze zum Enteignungsrecht zurückgegriffen werden können, da durch die Verfassung Eingriffe dieser Art als besonders schwerwiegend hervorgehoben werden.

266 Insoweit "vorbildhaft" die rechtswidrige EinkesseJung durch die Harnburger Polizei arn 8. 6. 1986, vgl. VG Harnburg, NVwZ 1987, 829. 267 Das dürfte bei Autobahnen und Bundesstraßen ausgeschlossen sein; die Autofahrer können hier- wie auch sonst- nicht darauf verwiesen werden, sich zu Fuß weiterzubewegen. 268 So wohl der Sachverhalt in OLG Köln, NJW 1986, 333, wo zu Recht eine unfriedliche Versammlung angenommen wurde.

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4. Versammlungsfreiheit und Vermummungsverbote

a) Zur Diskussion unter dem Grundgesetz Die Vermummung von Versammlungsteilnehmern ist das in jüngster Zeit 269 wohl am intensivsten diskutierte Problemfeld der Versammlungsfreiheit, das, wenn auch nicht in allen Verästelungen, einen sachlichen Bezug zum Gebot der Friedlichkeil aufweist. Die ab Ende der 70er Jahre zu beobachtende und sich verstärkende Tendenz, Straftaten aus einer Versammlung heraus unter Verdekkung des eigenen Gesichts zu begehen, hat seit 1977 zu verschiedenen erfolglosen Initiativen zur Einführung eines gesetzlichen Vermummungsverbots geführt 270. Im Jahre 1985 schließlich wurde die Vermummung in§ 17a II VersG zur Ordnungswidrigkeit, in § 125 II Nr. 2 StGB unter weiteren Voraussetzungen zur Straftat. Die Reaktionen auf gesetzliche Vermummungsverbote in der Fachliteratur waren differenziert. Verschiedentlich werden sie generell abgelehnt 271 , und auch den Gesetzesänderungen im einzelnen wird häufig mit dem Verdikt der Verfassungswidrigkeit272 oder mit diesbezüglichen Zweifeln 273 begegnet. Nach einer Auffassung sind Vermummungsverbote gar geeignet, die betroffenen Grundrechte in ihrem Bestand zu gefährden 274• Seit Ende 1987 ist die rechtspolitische Diskussion um gesetzliche Vermummungsverbote erneut entflammt. Als Reaktion auf zunehmende Militanz vermummter Demonstranten, insbesondere aber auf die tödlichen Schüsse am 3. 11. 1987 an der Frankfurter Startbahn West beschloß die Bundesregierung, einen Gesetzentwurf einzubringen, durch den u.a. das Tragen die Identität verhüllender Aufmachungen bei Versammlungen und auf dem Wege zu ihnen zum Straftatbestand erhoben werden soll; dieser ist am 15. Juni 1989 in Kraft getreten 275 .

269 Es bedurfte keines Geringeren als F.G. Nagelmanns, um Ende der 50er Jahre auf dieses Problem aufmerksam zu werden. "Die verfassungsrechtliche Problematik de.s Vermummungsverbots, dargestellt an einem Extremfall: Alberich aus dem Nibelungenlied" (Manuskript Archiv von Erckenschwick/Wonsberbear/Waldersbear), in: Das wahre Verfassungsrecht, Gedächtnisschrift für F.G. Nagelmann, Baden-Baden 1984, 447, Fn. 39. Dieser Aufsatz scheint leider das Schicksal seines Verfassers geteilt zu haben. 210 Nw. bei Kast, S. 14 ff. 271 AK-Hoffmann-Riem, Art. 8, 20; Ott, E 33; Preuß, R. Schrnid-FS, 437; wohl auch v. Münch, Art. 8, 39; anders aber Scholz, NJW 1983, 711. 2n Wolski, KJ 1983, 285; Strohrnaier, StrV 1985, 472; Hofmann, BayVB11987, 130; dagegen Kast, 49; Honig!, BayVBl. 1987, 138 f.; Meyer, § 17a, 3. 273 Zu§ 17a II VersG: Schönke/Schröder-Lenckner, § 125, 28; Kühl, NJW 1986, 875; Zu§ 125 II Nr. 2 StGB: Kühl, NJW 1986, 881; SK-Rudolphi, § 125, 3c. 274 Wolski, KJ 1983, 286. 275 BGBI. I, 1059. 10*

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Teil B: Rechtsvergleich und Wertung

b) Zur Situation im amerikanischen Recht Vermummungs- oder Maskierungsverbote sind hier traditionell verankert. Sie können in einigen Staaten bis in das 19. Jahrhundert zurückverfolgt werden 276 und lassen zwei unterschiedliche Zielrichtungen erkennen. Überwiegend sind sie Reaktion auf Aktivitäten von Geheimbünden 277 , insbesondere des Ku-Klux-Klan, für die die Maskierung vor allem Bestandteil einschüchternder Uniformierung, aber auch Identitätsschutz bei der Begehung von Straftaten ist. Andere Gesetze stellen stärker auf den Identitätsschutz ab, indem etwa die Maskierung in der Absicht, Straftaten zu begehen, unter Strafe gestellt wird 278 oder sie generell oder bei einzelnen Delikten zur Strafschärfung führt 279 • Verbote der ersteren Art untersagen das maskierte oder sonst die Identität verbergende Erscheinen auf öffentlichen Straßen, sowie häufig auch die Teilnahme an Versammlungen auf privatem Eigentum ohne Zustimmung des Eigentümers. Diese Verbote gelten überwiegend nur für Personen über 16 Jahren und sehen Ausnahmen etwa für traditionelle Veranstaltungen an Feiertagen, Theateraufführungen und Vergnügungsveranstaltungen sowie für das Tragen mit der Ausübung bestimmter Berufe verbundener Gesichtsschutzvorrichtungen vor. Der Strafrahmen für Verstöße (misdemeanor) liegt in der Regel bei Geldstrafen bis 500 Dollar und I oder Gefängnis bis zu einem Jahr. In der Rechtsprechung wurden derartige Gesetze bis in die 60er Jahre ohne Bedenken für zulässig angesehen 280 , und sie wurden auch von einem breiten gesellschaftlichen Konsens getragen 281 • Zwar hoben die Gerichte Verurteilungen von Teilnehmern an Paraden des Ku-Klux-Klan, wenn diese sich friedlich verhielten und auch keine Gewalttaten von außen drohten, wegen Störung des öffentlichen Friedens auf282 ; Spezialgesetze gegen Vermummung und Maskierung rechtfertigten sie aber mit dem Interesse des Staates, die durch Vermummung gerade bei Versammlungen geförderte Begehung von Straftaten zu unterbinden 283• Erst in den letzten Jahren zeichnete sich eine veränderte Betrachtung ab. Generelle Vermummungsverbote wurden trotz Ausnahmeregelungen für verfassungswidrig angesehen, da sie in ihrem Anwendungsbereich zu weit sind und verfassungsmäßige Rechte, darunter auch die des 1. Amendment, verletzen 284• Somit sind das Vgl. Swertfeger, 1952 Joum. Pub.L., 195 f. So etwa N.Car.Gen.Stat., §§ 14-12-3 ff.; D.C.Code, § 22-3112.3; Flor.Stat. Ann., §§ 876.13 ff. 278 Ca!. Penal Code, § 185. 279 Ari.Rev.Stat., § 13-983 bzw. Mass.Ann.Laws, § 265.17. 280 Hobbs v. State, 32 N.E. 1019 (1893); Pineville v. Marshall299. S.W. 1072 (1927); Dellinger v. State, 28 S.W.2d 537 (1930); Schumann v. State, 270 F.Supp. 730 (1967). 281 Vgl. Swertfeger, 1952 Journ. Pub.L., 186 f. m.w.Nw. 282 Shields v. State, 264 N.W. 486 (488) (1925); West v. Commonwealth, 271 S.W. 1079 (1081) (1925). 283 s.o.Fn. 280. 276

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III. Zum Vorbehalt der Friedlichkeil

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deutsche und amerikanische Recht heute vor ähnliche Probleme bei der Anordnung von Vermummungsverboten gestellt, die im folgenden- soweit es um die Teilnahme an Versammlungen geht- auf ihre Vereinbarkeil mit der Versammlungsfreiheit zu überprüfen sind.

c) Stellungnahme aa) Vermummung und Grundrechtsschutz Schon der Ausgangspunkt der Untersuchung, nämlich die Frage, ob Vermummung oder Maskierung überhaupt vom Grundrecht der Versammlungsfreiheit geschützt wird, ist im deutschen Recht umstritten. Unter Berufung auf die Brokdorf-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wird die Meinungskundgabe unter Verhüllung des Gesichts als dem Grundgehalt der Versammlungsfreiheit als Kommunikationsgrundrecht widersprechend betrachtet, sodaß eine Einschränkung des Grundrechts durch Vermummungsverbote nicht vorliege 285. Da nach hier vertretener Auffassung auch die Meinungsäußerung auf Versammlungen durch die Versammlungsfreiheit geschützt wird und auch identitätsverhüllende Aufmachungen meinungsdarstellenden Charakter haben können 286, ist insoweit das Grundrecht der Versammlungsfreiheit anwendbar. Dient die Vermummung jedoch allein der Verhüllung der Identität, so wird das Recht auf Teilnahme an einer Versammlung unmittelbar ebensowenig beeinträchtigt wie die Meinungskundgabe durch die Versammlungsteilnehmer. Daß aber auch staatliches Handeln, das materiell vor dem durch die Grundrechtsintention geschützten Verhalten ansetzt, an dem betroffenen Grundrecht gemessen werden muß, wenn seine Wirkung einem unmittelbaren Eingriff gleichkommt, ist im deutschen wie im amerikanischen Verfassungsrecht im Ergebnis anerkannt287 . Voraussetzung für den Schutz des Tragens identitätsverhüllender Aufmachungen durch die Versammlungsfreiheit ist ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Vermummung und der Teilnahme an einer Versammlung, der ersteres zum Erfordernis des letzteren macht. Ist die Verknüpfung zwischen Anonymität und Meinungsäußerung so eng, daß die Beschränkung der Anonymität einem Verbot der Meinungsäußerung gleichkommt, so muß die Beschränkung der Anonymität an den Kommunikationsgrundrechten gemessen werden. Dieser Maß284 Ghafari v. Municipal Court, 150 Cal.Rptr 813 (1978); Robinson v. State, 393 So.2d 1077 (1981); gegen eine entsprechende Auflage Aryan v. Mackey, 462 F.Supp. 90 (1978); Bedenken auch in Note, 68 Col.L.Rev., 1125 Fn.l80 (1968). 285 Frowein, NJW 1985, 2378; Honig!, BayVBl. 1987, 139; unklar v. Münch, Art. 8, 39. 286 Vgl. Ott, E 33m. Bsp. sowie Aryan v. Mackey, 462 F.Supp. 90 (93) (1978). 287 Vgl. Bleckmann, 272 ff.; Schwabe, Grundrechtsdogmatik, 187 ff. jew.m.w.Nw.; NAACP v. Alabama, 357 US 449 (461) (1958); rechtsvergleichend Frowein, AöR 105, 186 m.w.Nw.

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stab, der in der amerikanischen Rechtsprechung für Meinungsäußerungen in unterschiedlichen Formen angewandt worden ist 288 , ist zutreffend. Bewirkt das Verbot, bei einer Meinungskundgabe seine Identität zu verbergen, daß der Meinungsäußernde wegen der drohenden Gefahren im Falle seiner Identifizierung von der Meinungsäußerung abläßt, so wird damit zugleich in die Meinungs- bzw. Versammlungsfreiheit eingegriffen. Dieamerikanische Rechtsprechung hat eine solche Verknüpfung bei Demonstrationen iranischer Studenten gegen die Herrschaft des Schah in den USA aufgrund der Beobachtung durch regimetreue und als Spitzel verdächtige Perser bejaht 289 • Man wird sie auf andere Demonstrationen gegen Diktaturen übertragen können, wobei der Grad der Wahrscheinlichkeit der drohenden Gefahren von ihrer Schwere beeinflußt wird. Allerdings ist im deutschen Recht für diese Fälle die Versammlungsfreiheit wegen der Beschränkung des persönlichen Schutzbereiches des Grundrechts nicht einschlägig; hier beruft sich aber die Literatur auf das Interesse der deutschen Versammlungsteilneluner, nicht durch Observationen erfaßt und in Datensammlungen registriert zu werden 290• Diese Sachverhalte unterscheiden sich von den in den USA entschiedenen Fällen erheblich dadurch, daß sowohl die Wahrscheinlichkeit staatlicher Diskriminierungen wie auch die Intensität der bei einer Identifizierung befürchteten Maßnahmen weitaus geringer ist. Auch sind gewisse Aufklärungsmaßnalunen von Sicherheitsorganen bei Versammlungen zulässig, sodaß das Interesse an einer Vermummung insoweit nicht schützenswert ist 291 • Aber gerade die Grenzen zulässigen Observierensund Speicherns sind nicht zuletzt aufgrund neuererhöchstrichterlicher Vorgaben 292 unklar. Ferner werden bei der Observierung von Versammlungen wegen des engen räumlichen Zusammenseins unvermeidlich zumindest in der Anfangsphase auch Versammlungsteilneluner unterschiedslos erfaßt; die faktische Umsetzung rechtlich gebotener Differenzierungen ist schwierig. Schließlich ist es nach deutscher Gesetzeslage nicht sichergestellt, daß der einzelne Versammlungsteilneluner in Erfahrung bringen kann, ob er observiert, identifiziert, erfaßt oder gespeichert worden ist. Aus diesen Gründen ist eine von der Teilnahme an Versammlungen abschreckende Wirkung von Observationen nicht fernliegend 293 • Sind so Observation und Registrierung wegen der Eignung, die Teilnahme an Versammlungen 288 Aryan v. Mackey, 462 F.Supp. 90 (93); Ghafari v. Municipal Court, 150 Cal.Rptr 813, jeweils unter Berufung auf NAACP v. Alabama, 357 US 449 ( 1958): Geheimhaltung der Mitgliedschaft in Vereinen und Talley v. Califomia, 362 US 60 (1960): Anonymität der Autoren von Flugblättern. 289 Aryan v. Mackey, 462 F.Supp. 90 (93); Ghafari v. Municipal Court, 150 Cal.Rptr 813. 290 Wolski, KJ 1983; 285; Strohrnaier, ZRP 1985, 156; AK-Hoffmann-Riem, Art. 8, 20; Hofmann, BayVBI. 1987, 130; Gusy, JuS 1986, 614. 291 Hier zutreffend Honig!, BayVBI. 1987, 138; Blumenwitz, Samper-FS, 141 m.w.Nw. 292 BVerfGE 65, 1 (43); 69, 315 (349). 293 So im Ergebnis auch Kühl, NJW 1985, 2382; Gusy, JuS 1986, 614.

III. Zum Vorbehalt der Friedlichkeit

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zu beschränken, an der Versammlungsfreiheit zu messen 294, so sollte ebenso der Schutz vor Observationen durch Vermummung von der Versammlungsfreiheit geschützt werden. Eindeutig und unbestritten nicht unter die Versammlungsfreiheit fallen aber Vermummungen zu dem alleinigen oder auch weiteren Zweck, unerkannt Gewalt auszuüben, da hier der Vorbehalt der Friedlichkeit überschritten wird 295 • bb) Zur Zulässigkeit von Verboten Schwieriger als diese Differenzierung nach den Intentionen der Versammlungsteilnehmer bei der Frage, ob die Versammlungsfreiheit anwendbar ist, sind die Umsetzungen dieser Differenzierungen in rechtliche Regelungen. Wegen der Unvermeidlichkeit von Prognosen und der Notwendigkeit, am objektiven Erscheinungsbild- Vermummung- anzuknüpfen, können die theoretischen und auf subjektive Gesichtspunkte abstellenden Differenzierungen nur unvollkommen im Gesetz reflektiert werden. Die Zulässigkeit von Vermummungsverboten muß aus einer Abwägung zwischen den staatlichen Interessen, Gewalt bei Versammlungen zu verhindern, und den dargestellten Interessen der Versammlungsteilnehmer beurteilt werden. In dem Bestreben, die Ausnutzung von Vermummung zu Gewalttaten zu unterbinden, hat der deutsche Gesetzgeber rechtstechnisch zu einem scharfen Mittel gegriffen. Durch§ 17a li, III VersG hat er ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt festgeschrieben, wobei die Erteilung der Erlaubnis - sieht man von den hier irrelevanten Fällen des§ 17 VersGab-gemäß § 17a III S. 2 im Ermessen der Behörde steht. Diese im Vergleich zur Anwendung von§ 15 I VersG freiheitsfeindlichere Regelung hatte zu Kritik unter dem Gesichtspunkt des geringstmöglichen Eingriffs geführt 296 • Indes unterscheidet sich ein generelles Verbot in einigen Punkten von einem im Einzelfalle durch Auflage angeordneten Vermummungsverbot. Sofern bei Spontanversammlungen eine Auflage überhaupt möglich ist, ist diese, da während der Durchführung der Versammlung angeordnet, nicht sanktionsbewehrt (§ 29 I Nr. 3 VersG). Auch läßt sich bei Großdemonstrationen nur selten nachweisen, daß deren Teilnehmer die Auflage bzw. ihre Vollziehbarkeit gekannt haben. Diese Begründung des Rechtsausschusses des Bundestages 297

294

472.

Maunz/Dürig-Herzog, Art. 8, 87; Evers, Reinhardt-FS, 386; Bäumler, JZ 1986,

295 Maunz I Dürig-Herzog, Art. 8, 75; AK-Hoffmann-Riem, Art. 8, 20; Hofmann, BayVBI. 1987, 144; Kühl, NJW 1985, 2382; zu weitgehend Frowein, NJW 1985, 2378 und Honig!, BayVBI. 1987, 139, die die Vermummung allein unter dem Gesichtspunkt der Unfriedlichkeit würdigen; ähnlich auch Shields v. State, 204 N.W. 486 (49l)d.o. (1925). 296 AK-Hoffmann-Riem, Art. 8, 20; v. Münch, Art. 8, 39; Strohmaier, StrV 1985, 471; zweifelnd auch Kühl NJW 1986, 875.

152

Teil B: Rechtsvergleich und Wertung

ist insoweit zutreffend, was allerdings weiter voraussetzt, daß ein derart starkes Interesse an der Effektivität eines Vermummungsverbotes besteht. Dieses wird man aufgrund der Erfahrungen mit vermummten Versammlungsteilnehmern annehmen können. Wenn die Identitätsverhüllung auch verschiedenen Zwecken dienen kann, so hat sich in der deutschen Demonstrationswirklichkeit gezeigt, daß sie ganz überwiegend bei oder zur Gewaltausübung eingesetzt wird 298 • Daß hieran anknüpfend der Gesetzgeber eine grundsätzliche Vermutung unfriedlicher Absichten als Regel aufstellt und die Vermummung zu friedlichen Zwecken als Ausnahme ansieht, ist verständlich, wenn man berücksichtigt, daß die unter dem Schutz der Vermummung begangene Gewalt immer stärkere Ausmaße annimmt. Aufgrund der Schwere der Beeinträchtigung der Rechte anderer durch Vermummte wird man das Anliegen des Gesetzgebers, den Schutz der Rechte anderer durch Gesetzesverschärfungen sicherzustellen, billigen können. Dies im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten, wo zwischen Vermummung bei kollektiver Meinungskundgabe und Gewalt nicht oder nicht mehr ein so enger Zusammenhang besteht; dort werden zu Recht generelle Vermummungsverbote zunehmend von Gerichten in Frage gestellt und an ihre Anordnung im Einzelfall strenge, den Voraussetzungen von § 15 I VersG entsprechende Anforderungen erhoben 299 • Indes bedingt die Zulässigkeil einer gesetzlichen Festschreibung der generellen Vermutung unfriedlicher Absichten Ausnahmeregelungen. § 17a III S. 2 VersG sieht eine solche vor, doch läßt es sich - sieht man schon von grundsätzlichen Bedenken gegen die Figur des Verbots mit Erlaubnisermessen ab 300 - hier kaum vertreten, daß der Behörde ein Ermessen eingeräumt ist. Welche zusätzlichen Erwägungen sollen bei der Ermessensausübung eine Rolle spielen als die, die hinter dem grundsätzlichen Verbot stehen und die auf der Tatbestandsseite von § 17a III 2 aufgeführt sind? Überwiegen die Zweifel an einem störungsfreien Verlauf der Versammlung, so wird die Behörde keinen Dispens erteilen. Da § 17a II VersG aber wie auch § 125 II StGB a.F. die Absicht voraussetzen, die Feststellung der Identität zu vereiteln, bleibt die Vermummung zu ausschließlich anderen Zwecken vom Verbot ausgenommen. Maskierung und Verdeckung des Gesichts als Mittel der Meinungskundgabe bleiben unberührt, sodaß unter diesem Gesichtspunkt die Verbote im Versammlungsgesetz und im StGB unbedenklich sind. Nicht zulässig ist indes bei Nichterteilung eines Dispenses die Verhüllung der Identität in der Absicht, einer behördlichen Erfassung zu entgehen. Die Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Vermummungsverbote hängt maßgeblich davon 297

34ff.

Bericht v. 27. 6. 1985, BT-DrS 10/3580, 2ff; ferner Scholz, NJW 1983, 712; Kast,

Vgl. Kast, 33 m.w.Nw.; Anhörungsbericht, 17. s.o. B.III.4.b.; ferner State v. Bryant, 585 S.W.2d 586 (1979). 300 BVerfGE 20, 150 (157f); Friauf, JuS 1962, 426; a. A. Ossenbüh1, DÖV 1968, 624; Schwabe, JuS 1973, 130. 298

299

III. Zum Vorbehalt der Friedlichkeit

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ab, ob der vom Bundesverfassungsgericht betonten Verpflichtung zur Zurückhaltung bei Observation und Registrierung 301 tatsächlich genügt wird. Einzelheiten bei der Umsetzung dieser Postulate können hier nicht entwickelt werden 302, doch müssen Gefahrenabwehr und Strafverfolgung durch die Polizei ebenso wie die Ermittlungstätigkeit des Verfassungsschutzes auf Personen, gegen die aufgrund von Tatsachen der Verdacht einer erheblichen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit, einer Straftat oder verfassungsfeindlicher Aktivitäten besteht, konzentriert werden. Gerade weil es unvermeidlich ist, daß auch nicht ermittlungsrelevante Personen bei Observationen von Versammlungen als mutmaßliche Störer, Straftäter oder Verfassungsfeinde zumindest bildlich fixiert werden, kann die bloße Anwesenheit bei einer Versammlung, soweit sie nicht dem Kampf gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung dient, nicht ausreichen, um eine Person zu individualisieren (Fotovergrößerung, Feststellung persönlicher Daten) und zu registrieren 303• Das Gebot, nicht einschlägiges Ermittlungsmaterial unverzüglich zu vernichten, folgt auch hier aus der Versammlungsfreiheit mit besonderer Dringlichkeit, und es ist ebenso wie die Grundsätze der Observation nunmehr zu Recht in § 12a VersG festgeschrieben worden. § 12a VersG berücksichtigt für Bild- und Tonaufnahmen der Polizei weitgehend die hier aufgestellten Forderungen. Bedenken bestehenjedoch gegen die Ermächtigung zugunsten der öffentlichen Ordnung. Welche Fälle ihrer erheblichen Gefahrdung sich der Gesetzgeber hier vorgestellt hat, bleibt unerfindlich. Die fehlende Notwendigkeit dieses Ermächtigungstatbestandes zusammen mit seiner Unbestimmtheit und seiner Ausrichtung auf die vorherrschenden Anschauungen sprechen auch hier gegen seine Zulässigkeit 304• Eine Regelung zur Überwachung von Versammlungsteilnehmern im Rahmen des Verfassungsschutzes ist nicht erfolgt. Grundsätzlich wird man aber unter einer Verfassungsordnung, deren rechtsstaatliche Komponente den Bürger schützt und deren demokratisches Element dem öffentlichen Äußern einer Meinung erst durch das Auftreten als individualisierbare Person Kundgabe und Überzeugungskraft verleiht 305 , ein gesetzliches Vermummungsverbot für zulässig ansehen können. Das Restrisiko bei einer Identifizierung hinsichtlich der Schwere der erwarteten Nachteile und der Wahrscheinlichkeit ihres Eintritts ist äußerst gering; es wird sich auch als subjektives Gefühl der Unsicherheit vollständig niemals ausschließen lassen, da die Versammlungsteilnehmer die Öffentlichkeit suchen. Im Vergleich dazu ist das Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und das Interesse jener, die mit vermummten Demonstranten BVerfGE 69, 315 (349). Gesetzgebungsdefizite bei der datenschutzrechtlichen Komponente der Versammlungsfreiheit rügte Gusy, JuS 1986, 614; nunmehr§ 12a VersG. 303 Eingehend Bäumler, JZ 1986, 475; auch AK-Hoffmann-Riem, Art. 8, 36; Gusy, JuS 1986, 613. 304 Zur Kritik bereits B.III.3 und unten B.VI.5.b. 305 Insoweit zutreffend v. Münch, Art. 8, 39; VG Minden, NVwZ 1984, 331 (332). Die ,,Entmummung" ist aber nicht wie die Friedlichkeil und die Waffen1osigkeit verfassungsunmittelbare Voraussetzung von Grundrechtsschutz. 3o1 302

154

Teil B: Rechtsvergleich und Wertung

konfrontiert werden, aufgrunddes in der Versammlungswirklichkeit erkennbaren Gefahrdungsgehalts von Vermummungen höher einzuschätzen. Problematischer ist die Bewehrung des generellen, wenn auch nicht ausnahmslosen Vermummungsverbotes. Bedenken gegen eine Stratbewehrung rühren nicht daraus, daß durch die vom Legalitätsprinzip geforderte Pflicht zum Einschreiten gegen Vermummte erst Ausschreitungen provoziert werden können 306• Ihrer Pflicht zum Einschreiten und Erforschen von Straftaten(§§ 152 II, 163b StPO) genügt die Polizei durch die Einleitung von Ermittlungen 307 • Welche Zwangsmaßnahmen im Einzelfall zu treffen sind, wird durch das Legalitätsprinzip nicht festgelegt. Sie stehen unter dem Vorbehalt des rechtlich wie tatsächlich Möglichen und Vertretbaren, wobei insbesondere Ermittlungen gegen schwerwiegendere Straftaten sowie die Gefahrenabwehr, die mit dem unmittelbaren körperlichen Vorgehen gegen Vermummte relevant werden kann, zu berücksichtigen sind 308• Mit dem Argument der Provozierung von Ausschreitungen durch Einschreiten der Polizei wird unzutreffend behauptet, daß diese generell verpflichtet ist, unmittelbar und ohne Zögern Zugriff auf Straftäter zu nehmen. Dies gilt weder bei anderen Straftaten(§ 239 StGB) noch gerade bei Straftaten auf Versammlungen (§ 125 I StGB), und hier zieht niemand die Konsequenz, daß das Legalitätsprinzip gegen eine Strafbewehrung spricht. Im Vordergrund der Diskussion um die Sanktionsbewehrung des Vermummungsverbots muß vielmehr der Unrechtsgehalt der Vermummung stehen. Daß sich eine grundsätzliche Vermutung einer Gewaltförderung bei Demonstrationen und Versammlungen begründen läßt, sagt noch nichts darüber aus, ob der abstrakte Gefährdungsgehalt von der Qualität kriminellen Unrechts ist. Hier führt gerade der Vergleich mit einem anderen abstrakten Gefährdungsdelikt im Versammlungsgesetz, dem Verbot des Bei-Sich-Führens von Waffen und anderen Gegenständen in § 2 II 1 VersG, zu Zweifeln 309• Der Eintritt einer konkreten Gefahr ist hier naheliegender und eindeutiger als bei Vermummung, die allein von geringerer Gefabrlichkeit ist und eben auch anderen Zwecken dienen kann. Bei der Vermummung als Straftatbestand ist jeder Vermummte als potentieller Gewalttäter zu behandeln, auch wenn sich die Prognose der Behörde über die Absichten der Versammlungsteilnehmer und den Verlauf der Veranstaltung bei der Ablehnung eines Dispenses als unzutreffend erweist. Das Legalitätsprinzip ermöglicht es nicht, korrigierend von Sanktionen abzusehen; wenn ein gefahrloser Zugriff auf Vermummte möglich ist, dann muß er erfolgen, auch wenn keine Gewalt begangen wird oder droht. Hierin liegt die Problematik der Stratbewehrung des § 17a II, durch die die sinnvolle Regelung des § 125 II Nr. 2 StGB So aber Strohmaier, ZRP 1985, 156; Anhörungsbericht, 8, 25; Jahn, JZ 1988, 548 ff. Jahn, JZ 1988, 549 scheint davon auszugehen, daß die Polizei noch nicht einmal Ermittlungen einleitet. 3os Zutreffend für die Vermummung Benrath, JR 1984, 2 f. m.w.Nw. 309 Kühl, NJW 1986, 879. 306 307

IV. Versammlungen auf Eigentum von Trägem hoheitlicher Gewalt

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a. F. Geltung verloren hat. Dieser Straftatbestand rechtfertigte sich aus der erhöhten abstrakten Gefahrdung durch die Anwesenheit vermummter Versammlungsteilnehmer bei schon ausgebrochenen Gewalttätigkeiten, durch die sowohl die Neigung, selbst unter Verhüllung der Identität Straftaten zu begehen, als auch die Eignung, die Aggression anderer noch zu steigern, vergrößert wird 310• Die Berufung auf das Fehlen empirisch abgesicherter Forschungsergebnisse über die Wirkung Vermummter in gewalttätigen Demonstrationen und Versammlungen 311 vermag angesichts des bei der Anhörung am 13. 11. 1987 ganz überwiegend festgestellten gleichförmigen Ablaufes derartiger Demonstrationen 312 kaum zu überzeugen. Durch das in § 125 II StGB a.F. vorausgesetzte Ermessen bei der Aufforderung zur Ablegung von Aufmachungen oder zur Entfernung ermöglicht der Tatbestand eine flexible und den Umständen angemessene Anwendung. Andererseits ist nicht zu verkennen, daß die Vermummung gerade den Griff zu Waffen und ähnlichen Gegenständen sowie ihren Einsatz bei Versammlungen begünstigt und eine Strafbewehrung insoweit die präventive Wirkung der Verbote in § 2 III VersG ergänzt. Auch läßt sich zugunsten eines strafbewehrten Gefährdungstatbestandes anführen, daß Gewalt durch Vermummte oder Gewalt bei Vermummung in zunehmendem Maße gegen Personen gerichtet wird, es sich somit um den Schutz von Leib und Leben handelt. Dies läßt sich auch mit Blick auf den nicht nur im Vergleich zum Waffentragen geringeren Unrechtsgehalt der Uniformierung von Versammlungsteilnehmern vertreten, für die § 28 VersG einen doppelt so hohen Strafrahmen vorsieht. Hält man Vorzüge und Nachteile einer Strafbewehrung des Vermummungsverbotes gegeneinander, so ist die Kombination aus Ordnungswidrigkeit in §§ 17a II, 29 I Nr. lb VersG a.F. und Straftatbestand in § 125 II Nr. 2 StGB a.F. vorzuziehen. Da aber mit der Vermummung ein Verhalten unter Strafe gestellt wird, das die Ausübung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit nur unwesentlich beeinträchtigt, zum anderen aber dem Schutz hochrangiger Rechtsgüter dient, kann in der Reform des § 17a II VersG noch kein unverhältnismäßiger Eingriff in die Versammlungsfreiheit gesehen werden.

IV. Versammlungen auf Eigentum von Trägern hoheitlicher Gewalt 1. Öffentliche Straßen und Plätze

Die Bedeutung öffentlicher Straßen als Forum zur Ausübung der Versammlungsfreiheit ist im deutschen wie im amerikanischen Recht im Ergebnis anerkannt; dennoch ist die verfassungsrechtliche Absicherung der Nutzung von Straßen im deutschen Recht noch immer umstritten. 310 311 312

Zutreffend Schönke/Schröder-Lenckner, § 125, 3la Kühl, NJW 1986, 880; Systematischer Kommentar-Rudolphi, § 125, 3. s. 16.

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Teil B: Rechtsvergleich und Wertung

a) Kritik der straßenrechtlichen Lösung Mit Hinweis auf den Abwehrcharakter der Grundrechte, der einem Anspruch auf Nutzung öffentlicher Straßen für Versammlungen oder einer staatlichen Verpflichtung zu ihrer Bereitstellung entgegensteht, wird von Teilen der Literatur eine grundrechtliche Erfassung eines Straßennutzungsrechts abgelehnt und dieses allein auf einfachgesetzlicher Ebene behandelt 313 • Dies zwingt dann zur Einordnung von Versammlungen in das Gemeingebrauch-Sondernutzungs-Schema, eine Lösung, deren Konsequenzen in keinem Fall überzeugen. Die Versammlung als Gemeingebrauch 314 profitiert von einer Mehrdeutigkeit des Begriffs "Verkehr" als Widmungszweck, die - wie der Vergleich zum anglo-amerikanischen Lebenskreis 315 zeigt- eher als zufallige terminologische, mit dem "engen Verkehrsbegriff' nur schwierig zu vereinbarende Entwicklung erscheint. Auch ist diese Auslegung angesichts des vollständigen Schweigens des BFStrG und der Straßengesetze der Länder zum Verkehr als zwischenmenschliche und kommunikative Begegnung in Form von Versammlungen ungereimt. Sieht man hingegen in Versammlungen Sondernutzungen 316, so markiert bereits diese Klassifizierung- ungeachtet des dann entstehenden Harmonisierungsproblems mit dem Versammlungsgesetz- ebenso wie die Anerkennung von "traffic" als "primary usage" 317 in den USA die Versammlung als atypische Störungsquelle und als Fremdkörper, der sich dem Interesse an der Fortbewegung unterzuordnen hat3 1s. Vor allem aber läßt sich die Wirkkraft des Grundrechts bei einer rein straßenrechtlichen Lösung einem Verbot oder einer unverhältnismäßigen Einschränkung der Straßennutzung für Versammlungsteilnehmer nicht entgegensetzen 319 , und das Versammlungsrecht unter freiem Himmel wird dann weitgehend eine Frage des rechtspolitischen Beliebens des Gesetzgebers oder der Exekutive. Diesem Einwand ist auch die ursprüngliche Begründung des Supreme Court in Hague v. CI0 320 ausgesetzt, wo die kommunikative Nutzung von Straßen und Parks nicht verfassungsrechtlich über das 1. Amendment abgesichert wird, sondern auf 313 Merten, Demonstration, 60; Maunz I Dürig-Herzog, Art. 8, 43; Dietel I Gintzel,

§ 1, 17; für Art. 5G GG auch v. Mangoldt I Klein I Starck, Art. 5, 24.

314 v. Münch, Art. 8, 35; Salzwedel, 636; Quilisch, 178; Zeidler, 77; Ott, § 15, 9. 315 Die Begriffe "traffic", Schneider v. State, 308 US 147 (160) (1939), "travel", People v. Atwell, 133 N.E. 364 (1921) und "passing andrepassing", Harwood v. Tremble, 116 A. 430 (431) (1922) sind insoweit eindeutig. 316 Merten, MDR 1968, 626; DieteliGintzel, § 1, 17; Brohm, JZ 1985, 507. 317 So etwa Justice Frankfurter in Nietmotko v. Maryland, 340 US 268 (276)c.o. (1951). 318 Zutreffend Kalven, 1965 Sup.Ct.Rev., 15; Baker, 78 Nw.U.L.Rev., 1006; BairlVaslin, 113. 319 Bedenklich Merten, Demonstration, 61. 320 307 us 496 (515) (1939).

IV. Versammlungen auf Eigentum von Trägern hoheitlicher Gewalt

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dem common-law-Ansatz der Davis-Entscheidung 321 beruht, nur eben unter Betonung der traditionell verbürgte Belastung des Eigenturns zu kommunikativen Zwecken. Ob öffentliche Straßen und Plätze in der abendländischen Welt traditionelle Foren öffentlicher Kommunikation sind, mag zutreffen oder nicht 322, kann aber nicht ausschlaggebend sein, da ein negativer Befund, wie die Davis-Entscheidung zeigt, auch auf einer Verkennung der verfassungsrechtlichen Implikationen oder auf dem besonderen Charakter der Örtlichkeit beruhen kann.

b) Der grundrechtliche Nutzungsanspruch Muß somit die Nutzung öffentlicher Straßen für Versammlungen auf die Ebene der Verfassung gehoben werden, so ist die Heranziehung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit im deutschen Recht in zwei verschiedenen Konzeptionen möglich. Einmal kann das Grundrecht als Element objektiver Ordnung im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 323 wirken und so das staatliche Handeln bis zu einer objektiv-rechtlichen Verpflichtung zur Duldung von Versammlungen auf öffentlichen Straßen lenken 324 • Es läßt sich aber auch aus Art. 8 GG unmittelbar ein Anspruch auf Nutzung öffentlicher Straßen für Versammlungen befürworten 325. Mit einem grundrechtliehen Leistungsanspruch, aber auch mit einer objektivrechtlichen Verpflichtung ist indes das traditionelle Verständnis der Grundrechte als Abwehrrechte nur schwer zu vereinbaren, soweit nach diesem ein grundrechtlieh vermittelter Anspruch auf Bereitstellung von Foren zur Ausübung der Versammlungsfreiheit oder eine entsprechende staatliche Verpflichtung abgelehnt wird. Zwar ist aufgrund der aus Art. 1 III GG folgenden Bindungswirkung der Grundrechte, der haushaltsrechtlichen Implikationen und der drohenden Gewaltenverschiebung zu Lasten von Legislative und Exekutive 326 grundsätzlich an der Abwehrrichtung der Grundrechte festzuhalten. Wie es aber nicht Zweck der Grundrechte ist, unqualifiziert den Staat zu Leistungen an den Bürger zu verpflichten, kann es ebensowenig befriedigen, diese Funktion der Grundrechte mit apodiktischem Hinweis auf den Abwehrcharakter der Grundrechte zu leugnen. Grund167 us 43; s. 0. s. 46. Bejahend Hague v. CIO, 307 US 496 (515) (1939); Ress, XVI; Bak.er, 78 Nw.U.L. Rev., 1004 (1983); ablehnend Steinberg, NJW 1978, 1900; Duquesne v. Fincke, 112 A. 130 (132). 323 BVerfGE 7, 198 (205); 12, 205 (259) st. Rspr .. 324 Brohm, JZ 1985, 507; Salzwedel, 635 f.; für Art. 5 GG auch Steinberg, NJW 1978, 1902. 325 BVerfGE 73, 208 (249 f.); Frowein, NJW 1969, 1084; Schwäble, 109, 171; Ott, § 15, 9; Bairl-Vaslin, 154; wohl auch Ossenbühl, Der Staat 10, 69; unter unverständlicher Beschränkung auf die politische Opposition Frankenberg, KJ 1981, 380. 326 So die Einwände gegen grundrechtliche Leistungsfunktionen in Form von Ansprüchen, vgl. Starck, BVerfG-FG, 518 f.; Hesse, 117; Grabitz, 43 ff. jew. m.w.Nw. 321

322

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Teil B: Rechtsvergleich und Wertung

rechte verbürgen persönliche Freiheit, sodaß mögliche Grundrechtswirkungen nur unter Berücksichtigung der sachspezifischen Eigenheiten jedes Grundrechts und des Inhalts einer in Frage stehenden Leistungspflicht beurteilt werden können 327• Dem im deutschen 328 wie im amerikanischen 329 Recht stattfindenden Wandel des Grundrechtsverständnisses weg von einer rein liberalistischen Grundrechtssicht zu grundrechtliehen Leistungsfunktionen liegt die zutreffende Erkenntnis zugrunde, daß die von den Grundrechten geschützte Freiheit sachspezifischer Lebensbereiche dann nur unvollkommen erreicht wird, wenn die Funktion der Grundrechte ausschließlich auf eine staatliche Verpflichtung zum Unterlassen beschränkt und so in kategorischer Trennung Grundrechtsschutz als Gewährleistung rechtlicher Freiheit bejaht und Grundrechtsvoraussetzungsschutz 330 als Gewährleistung auch realer Freiheit verneint wird. Ausgangspunkt für eine in Ausnahmefallen mögliche Ausdehnung der Grundrechte auch auf eine Leistungsfunktion muß der vom Bundesverfassungsgericht im Numerus-Clausus-Urteil herangezogene Gedanke der Notwendigkeit staatlicher Leistungen als Voraussetzung für die Ausübung von Freiheitsrechten 331 sein, wie er ähnlich auch in der amerikanischen Literatur 332 zu finden ist. Entscheidende Voraussetzung für die Annahme grundrechtlicher Leistungsfunktionen, die die Verschaffung der tatsächlichen Voraussetzungen zur Grundrechtsausübung beinhalten, ist somit, daß diese Leistungen zur Aufrechterhaltung des grundrechtlich geschützten Freiheitsbereiches notwendig sind; es muß staatliche Leistungen erfordern, um das Grundrecht vor seinem "Leerlaufen" zu bewahren. Damit ist es ausgeschlossen, staatliche Leistungspflichten bzw. Ansprüche des Grundrechtsträgers gegen den Staat auch dann anzuerkennen, wenn diese auf Optimierung der sozialen Bedingungen für die Ausübung der Grundrechte zielen sollen 333• Diese Aufgabe könnte vom Staat kaum in befriedigender Weise erfüllt werden; die Einwände im deutschen - und entsprechend zum Teil auch im amerikanischen- Verfassungsrecht aus Art. 1 III GG, dem Grundsatz der Gewaltenteilung und der Aushöhlung des freiheitssichemden Abwehrcharakters der Grundrechte gegen grundrechtliche Leistungsfunktionen sind hier zutreffend. Unter dieser Einschränkung erscheint die Befürchtung, daß der Weg in Richtung 327 Zu dem Zirkelschluß des Arguments aus dem Abwehrcharakter Kloepfer, 22, Fn. 87; für ein grundrechtsindividuelles typologisches Vorgehen Breuer, BVerwG-FG, 94. 328 Eingehend Friesenhahn, G 1; Ossenbühl, NJW 1976, 2100; Breuer, BVerwG-FG, 89; zum vorliegenden Problem Ress, XXXVI f. 329 Rechtsvergleichend Currie, AöR 111, 230m.w.Nw .; zum 1. Amendment: Emerson, 15 Ga.L.Rev., 795 (1981); Baker, 78 Nw.U.L.Rev., 976 (1983); Chafee, Free Speech, 559; Abemathy, 49; zum Recht auf Zugang zu den Medien, Schauer, 61 Minn.L.Rev., 456 m.w.Nw. (1977). 330 Mögliche Formen bei Kloepfer, 17 ff. 331 BVerfGE 33, 303 (331 f.). 332 Currie, AöR 111, 241 ; Emerson, 15 Ga.L.Rev., 823. 333 Zutreffend Schwabe, Grundrechtsdogmatik, 243, 261; Rüfner, Wannagat-FS, 386; Breuer, BVerwG-FG, 94; wohl auch Emerson, 15 Ga.L.Rev., 830; weitergehend aber wohl Grimmer, 258 und Stone, 1974 Sup.Ct.Rev., 259.

IV. Versammlungen auf Eigentum von Trägem hoheitlicher Gewalt

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auf grundrechtliche Leistungsfunktionen bei einem sozialistischen Grundrechtsverständnis unter Aufgabe der Freiheit endet 334, unbegründet. Für die Versammlungsfreiheit trifft es zu, daß die grundrechtliche Freiheit ohne die Bereitstellung öffentlicher Foren in diesem Sinne "notleidend" 335 wäre336, da sonst die Durchführung von Versammlungen unter freiem Himmel kaum möglich ist. Daß diese Versammlungen aber "Bestandteil" des grundrechtliehen Schutzbereiches sind, folgt aus einem Umkehrschluß aus Art. 8 II GG, wobei der dort vorgesehene Gesetzesvorbehalt seinerseits durch Art. 19 II GG begrenzt wird. Hinzu tritt die demokratische Funktion der Versammlungsfreiheit; läßt sich aus dieser auch kein Recht ableiten, andere zum Zuhören zu zwingen, so muß das Grundrecht angesichts seiner Bedeutung für die demokratische Willensbildung doch die Möglichkeit zur Kenntnisnahme schützen; diese wäre aber unterbunden, wenn Versammlungen in der Öffentlichkeit generell untersagt werden könnten. Da mit öffentlichen Straßen ein taugliches Leistungssubstrat zur Verfügung steht, das Versammlungen prinzipiell an jedem Ort ermöglicht, geht der Inhalt eines möglichen Anspruchs auf Bereitstellung von Foren zur Ausübung der Versammlungsfreiheit unter freiem Himmel auf die Nutzung bestehender Einrichtungen und erfordert in seiner Konkretisierung nicht den Einsatz finanzieller Mittel. Indem die Umsetzung des möglichen Anspruchs bzw. einer entsprechenden staatlichen Verpflichtung vom Staat nicht mehr verlangt als ein schlichtes Dulden, erscheint es zweifelhaft, ob einem so konkretisierten Anspruch bzw. einer über das Grundrecht vermittelten staatlichen Verpflichtung überhaupt Leistungscharakter zukommt 337 und sie nicht nur Ausprägung der dem Abwehrrecht innewohnenden staatlichen Unterlassungsverpflichtung sind. Eine eindeutige Qualifizierung in den Kategorien "staatliche Leistung" und "staatliche Unterlassung" ist schwierig. Zwar gleicht ein möglicher Anspruch auf Nutzung von Straßen für Versammlungen aus dem genannten Grund einem Abwehranspruch aus dem status negativus; ermöglicht wird der Anspruch bzw. die staatliche Verpflichtung aber aus einem Leistungsaspekt, der den Staat zur Bereitstellung von Foren unter freiem Himmel verpflichtet. Ob die Straßennutzung aus dem Abwehrrecht folgt, weil ein entsprechendes Verbot einen Eingriff darstellt oder Leistungscharakter hat, weil erstere Ansicht die Straßennutzung erst in das Grundrecht hineinlesen muß, um dies dann einem Verbot entgegenzusetzen, ist aber unerheblich, wenn im Ergebnis feststeht, daß die Versammlungsfreiheit die Nut334 So Martens, VVDStRL 30, 33 gerade auch unter Hinweis auf die Bereitstellung öffentlicher Straßen für Versammlungen in Verfassungen sozialistischer Länder. 335 Rüfner, Wannagat-FS, 385; Breuer, BVerwG-FG, 94. 336 Anders Brohm, JZ 1985, 507. 337 So aber von Mangoldt I Klein I Starck, Art. 1, 114 und Martens, VVDStRL 30, 33, die die Nutzung öffentlicher Straßen unter dem Gesichtspunkt des "status positivus" ansprechen. Grundsätzlich zweifelnd bei reiner staatlicher Unterlassung Schwabe, Grundrechtsdogmatik, 244 ff.

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Teil B: Rechtsvergleich und Wertung

zung öffentlicher Straßen gewährleistet. Daran kann, wie die Ausführungen zur Notwendigkeit von Versammlungsraum unter freiem Himmel zeigen, kein Zweifel bestehen. Wenn Teile der Literatur dagegen die Nutzung "bestehender Einrichtungen" ausschließlich über den Gleichheitssatz regeln wollen 338, so ist die verfassungsrechtliche Absicherung der Inanspruchnahme öffentlicher Straßen für Versammlungen nicht ausreichend. Straßen sind dem Verkehr gewidmet, und es gilt gerade ihre Öffnung für Versammlungen als eindeutiges Aliud gegenüber der Fortbewegung zu begründen. Daß auch Versammlungen auf öffentlichen Straßen zuzulassen sind, folgt primär aus dem Wesen der Versammlungsfreiheit. Da sich eine gleichheitswidrige Privilegierung im Grundsatz auch durch die vollständige Beseitigung der Begünstigung heilen läßt 339, ist die ausschließliche Heranziehung des Gleichheitssatzes unzureichend. Zu Recht betont daher auch der Supreme Court in neueren Entscheidungen die Unentziehbarkeit der Funktion öffentlicher Straßen als public forum durch den Gesetzgeber 340, die sich nur aus dem sachlich einschlägigen Grundrecht ergeben kann. Wird aber die Nutzung öffentlicher Straßen für Versammlungsteilnehmer unmittelbar aus der Versammlungsfreiheit begründet, so macht auch die eingangs angeführte Differenzierung zwischen einer über die Grundrechte als Elemente objektiver Ordnung vermittelten Öffnung der Straßen für Versammlungen und einem entsprechenden Anspruch aus dem Grundrecht keinen Sinn. Da es nicht in das Belieben des Staates gestellt sein kann, ob Versammlungen auf öffentlichen Straßen stattfinden, muß auch die objektiv-rechtliche Lösung im Ergebnis zu einer entsprechenden staatlichen Verpflichtung gelangen, ohne daß dies freilich den generellen Vorrang von Versammlungen auf den Straßen impliziert. Unter dem Aspekt der Unbedingtheit der staatlichen Grundrechtsverpflichtung sind aber dann keine Bedenken ersichtlich, einen unmittelbar aus der Versammlungsfreiheit fließenden Anspruch auf Nutzung öffentlicher Straßen zu befürworten. c) Die Abwägung im Einzelfall Aus der grundrechtliehen Verbürgung des Rechts auf Nutzung öffentlicher Straßen und Parks zur Durchführung von Versammlungen muß folgen, daß eine generelle Unterordnung unter die Bequemlichkeit und Leichtigkeit des Verkehrs 341 nicht zulässig sein kann, da anderfalls Versammlungen wegen ihrer unvermeidlich beeinträchtigenden Wirkung schlechthin untersagt oder in menschenleere Gegenden verbannt werden könnten. Andererseits ist aber auch ein 338 Ossenbühl, NJW 1976, 2104; Kröger, 29; Starck, BVerfG-FG, 527; Friesenhahn, G 21, 29; kritisch Breuer, BVerwG-FG, 115. 339 Martens, VVDStRL 30, 41; Lerche, 67; BVerfGE 43, 58 (74); 45, 104 (141). 340 s.o. A.V.l.a.aa.. am Ende. 341 Hague v. CIO, 307 US 496 (515) (1939); Cox v. Hew Hampshire, 31 2 US 569 (574) (1941); Klein, DVBI. 1971, 242.

IV. Versammlungen auf Eigentum von Trägern hoheitlicher Gewalt

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genereller Primat der Versammlungsfreiheit nicht anzuerkennen 342, da dies dann für jede Versammlung unabhängig von den Umständen des Einzelfalles gelten würde. Vielmehr ist es zutreffend, für das Versammlungsrecht und das Interesse an der Fortbewegung auf öffentlichen Straßen eine abstrakte Gleichrangigkeil anzunehmen und so eine Abwägung unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalles vorzunehmen 343 , wie es auch im amerikanischen Recht durch den Grundsatz "not subordination, but accommodation" 344 seinen Ausdruck findet. Dieser Wertung widerspricht auch nicht der in der deutschen Literatur verschiedentlich befürwortete Vorrang der Sicherheit des Straßenverkehrs vor der Versammlungsfreiheit345. Hierbei handelt es sich um eine Scheinkollision, denn Versammlungen, die nur in friedlicher Durchführung Grundrechtsschutz genießen, können kaum Leib, Leben, Gesundheit oder Eigentum der Verkehrsteilnehmer gefährden; die Vorrangigkeit der aufgeführten Rechtsgüter vor dem Versammlungsrecht steht vielmehr grundsätzlich und ohne verkehrsrechtliche Bezüge fest, sodaß keine spezifisch straßenverkehrsrechtliche Problematik vorliegt. Die für die Einzelfallabwägung im Straßenverkehr maßgeblichen Faktoren sind von Merten 346 beispielhaft aufgeführt worden; sie finden sich ähnlich in der amerikanischen Literatur 347 und für die Kollision Meinungsfreiheit und Straßenverkehr im Ansatz auch in einem Votum von J ustice Frankfurter 348, dem engagiertesten Vertreter des hier angebrachten individualisierenden ad-hoc balancing. Für die Frage, ob eine Versammlung auf bestimmten Straßen zulässig ist, kommt es zunächst auf das Zahlenverhältnis der Demonstranten zu den in ihrer Fortbewegung beeinträchtigten Verkehrsteilnehmern an. Übersteigt die erstere Anzahl die letztere, so ist eine Versammlung an dem vom Veranstalter in Aussicht genommenen Ort auf Kosten des Straßenverkehrs zulässig. Soweit wegen der hohen Teilnehmerzahlen ein Nebeneinander beider Nutzungsformen ausscheidet, unterliegt das Interesse der beeinträchtigten Verkehrsteilnehmer aber nicht vollständig. Es findet Berücksichtigung über den Faktor der Dirigierbarkeit des Straßenverkehrs, sodaß die Versammlungsteilnehmertrotz lokalen Vorrangs Einschränkungen hinzunehmen haben, wenn keine Ausweichstraßen zur Verfügung stehen. Ebenso aber kann das bloße Überwiegen der Anzahl der beeinträchtigten 342 So aber Ott, § 15, 9; Preuß, R. Schmid-FS, 435. 343 Auch v. Münch, Art. 8, 35; Dietel/Gintzel, § 15, 61; Hollerbaum, 52. 344 So Emerson, 15 Ga.L.Rev., 808 (1981); ähnlich Chafee, Free Speech, 418 und Baker, 78 Nw.U.L.Rev., 1007 (1983); Williams v. Wallace, 240F.Supp. 100(106)(1965). 345 Ossenbühl, Der Staat 10, 70; Dietel/Gintzel, § 15, 61; Neuberger, GA 1969, 7. 346 MDR 1968, 626. 347 Blasi, 68 Mich.L.Rev., 1941 ff., 1503 ff. (1970); Note, 80 Harv.L.Rev., 1775 f. (1967). 348 Nietmotko v. Maryland, 340 US 268 (279 f.)c.o. (1951). II Ehrentraut

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Teil B: Rechtsvergleich und Wertung

Verkehrsteilnehmer, wie es häufig aufgrunddes gewählten Zeitpunkts der Demonstration bei Verkehrsstoßzeiten auftreten kann, nicht zu einem vollständigen Zurücktreten des Versammlungsrechts führen; Veranstaltungen mit geringer Teilnehmerzahl müssen möglich bleiben. Wie zugunsten des Verkehrs die Verfügbarkeil von Ausweichmöglichkeiten zu berücksichtigen ist, wirkt hier für das Versammlungsrecht die Sachbezogenheit zu dem gewählten Ort als Sitz der Adressaten oder als Symbol des Protestes. Insoweit ist auch eine staatliche Differenzierung zwischen vermutlich gleichstarken Versammlungen möglich; die räumliche Sachbezogenheit ist ein sachgerechtes Differenzierungskriterium, das ein gleichsam mittelbares Anknüpfen am Anliegen der Versammlung zuläßt, was dem Staat ansonsten verwehrt sein muß 349• 2. Schranken des Versammlungsrechts durch Bannkreise

a) Das Parlament Die wohl bedeutsamste Differenz bei den Foren der Versammlungsfreiheit zwischen deutschem und amerikanischem Recht betrifft die Ausübung der Versammlungsfreiheit vor dem Parlament. Man ist versucht, den weiten Freiheitsraum für Versammlungen in den USA mit grundrechts-oder verfassungsspezifischen Besonderheiten zu erklären. So ließe sich die enge historische Verknüpfung mit dem Petitionsrecht anführen, die stärkere plebiszitäre Ausgestaltung des amerikanischen Verfassungssystems, aus der heraus sich die räumliche Isolierung des Parlaments vom Volk als Träger der Souveränität überwinden läßt, und auch die traditionelle aktiv-demokratische Interpretation der Grundrechte als Funktionselement von se/f-government und popular government. Aus der Verknüpfung mit dem Petitionsrecht folgt aber noch ni.:ht notwendig, daß das Versammlungsrecht gerade vor dem Sitz der Legislative ausgeübt werden muß, die plebiszitäre Struktur trifft nur für die Verfassungen der Einzelstaaten zu 350 und die demokratische Auslegung der Grundrechte ist nunmehr auch unter dem Grundgesetz verbreitet, wenngleich hier die Trennung zwischen organisierter Willensbildung durch das Parlament in Ausübung der Staatsgewalt und unorganisierter Willensbildung durch das Volk im Rahmen der Grundrechte deutlicher ist 351 • Vor allem aber reichen derartige allgemeine verfassungssystematische Erwägungen und der Hinweis auf den repräsentativen Charakter des grundgesetzliehen Demokratiemodells 352 nicht aus, um diese weitreichenden Einschränkungen des grundrechtliehen Gewährleistungsbereiches zu rechtfertigen. 349 Ossenbühl, Der Staat 10, 62; Merten, MDR 1968, 626; für eine Privilegierung politischer Versammlungen W. Müller, 144. 350 Vgl. Silagi, Direkte Demokratie in den OS-Staaten, JöR 31, 271. 351 So gerade auch Schneider, Mühlmann-FS, 257; eine intensive Inanspruchnahme des Prinzips der Volkssouveränität in Verbindung mit der Versammlungsfreiheit bei Frankenberg, KJ 1981, 373 ff.; kritisch zu ihm Förster, 92 ff.

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Die Schärfe des Versammlungsverbotes vor Bundes- und Länderparlamenten aufgrund § 16 VersG in Verbindung mit den Gesetzen des Bundes 353 und der Länder 354 wird durch die gleichzeitig vorgesehene Möglichkeit von Ausnalunegenehmigungen 355 gemildert, deren Erteilung ohne Anführung von Genehmigungsgründen im freien Ermessen der Exekutivorgane steht. Daß gegen freies Ermessen bei Ausnalunen von einem (repressiven) Verbot dann keine Bedenken bestehen sollen, wenn ein uneingeschränktes Verbot zulässig ist 356, gleicht dem Argument, mit dem der Supreme Court 1897 in Davis v. Commonwealth die Verordnung der Stadt Boston verteidigt hatte 357• Wenn auch dieser Erst-recht-Schluß Kritik aus den Prinzipien der Gewaltenteilung und der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung herausfordert 358 , so wird man ihn aus der Sicht des Grundrechts unter der genannten Prämisse billigen können. An der überwiegend befürworteten Zulässigkeil eines Verbotes, das undifferenziert jede zumindest politisch ausgerichtete Versammlung 359 erfaßP60 , wird in der neueren Literatur zu Recht zunehmend Kritik geübt. Mangels Erforderlichkeil eines Schutzes des Parlaments soll dann eine Verpflichtung zu einer Ausnalunegenehmigung bestehen, wenn die Versammlung sich nicht gegen das Parlament richtet 361 • In Harnburg sind seit 1985 Genehmigungen dann zu erteilen, wenn die Tätigkeit der Bürgschaft nicht beeinträchtigt wird und die Versammlung nicht am Tage einer Bürgerschafts- oder Ausschußsitzung stattfindet 362 • Diesen Einschränkungen ist zuzustimmen, denn die Parlamente liegen häufig im Zentrum der Stadt oder in unmittelbarer Nachbarschaft anderer protestrelevanter Institutionen, die zweckwidrig vom Bannmeilengesetz begünstigt werden. Spätestens hier wird das geltende Bannmeilenrecht des Bundes fragwürdig, das 352

So etwa Schwarze, DÖV 1985, 222.

m BGBl. 1954, 504 und 1969, 449. Die Strafvorschrift des § 106a StGB wird hier

nicht erörtert; strafrechtliche Sanktionen werden aber durch die folgenden Ausführungen beeinflußt. 354 Übersicht bei Dietel I Gintzel, § 16, 9; kein Ausführungsgesetz ist in Bremen ergangen. 355 V gl. § 3 BannmeilenG des Bundes sowie die entsprechenden Länderregelungen mit Ausnahme von Berlin (GVBI. 1970, 941). 356 Ossenbühl, DÖV 1968, 625; Schwabe, JuS 1973, 130. 357 " ••• the greater power contains the lesser", s. o. S. 46. 358 Friauf, JuS 1962, 426; auch BVerfGE 20, 150 (157 f.); im amerikanischen Recht Abernathy, Assembly, 11 f. 359 Der Verbotsumfang h~gt vom Versammlungsbegriff des VersG ab, vgl. Dietel I Gintzel, § I, 7; Schwarze, DOV 1985, 218. 360 So DieteliGintzel, § 16, 1; Preuß, R. Schmid-FS, 440; Schwarze, DÖV 1985, 219; Busch, NVwZ 1985, 634; Blumenwitz, Samper-FS, 131; Schwäbl~. 235 f.; Merten, Demonstration, 63; v. MangoldtiKlein, Art. 8, 5; OVG Saarlouis, DOV 1974, 277. 361 Ott, § 16, 1; Borchert, 136; Crombach, 135f; AK-Hoffmann-Riem, Art. 8, 48; Bair1-Vaslin, 239f; weitergehend Breitbach, NVwZ 1988, 590, der Verbote nur zum Schutz vor physischen Beeinträchtigungen der parlamentarischen Arbeit anerkennen will. 362 GVBI. 1985, 61 und 1986, 326. II*

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Teil B: Rechtsvergleich und Wertung

seine Befürworterunter dem Maßstab "so groß wie nötig, so klein wie möglich" 363 offensichtlich als unbedenklich ansehen. Im Bereich der Bannmeile liegen das Bundeskanzleramt, der Sitz des Bundespräsidenten, Bundesministerien, Landesvertretungen, und man kann ferner den Regierungen ausländischer Staaten nur raten, ihre Botschaften in der Bannmeile anzusiedeln. Aber auch das offenbar fast einmütig gebilligte 364 Verbot an das Parlament gerichteter Versammlungen ist in Frage zu stellen. Daß Versammlungen in einer Entfernung von 2 km und auf der anderen Rheinseite zu einer Gefährdung der Freiheit der Abgeordneten führen können, ist auch mit viel Phantasie nicht vorstellbar. Insoweit gebietet schon der Grundsatz der Erforderlichkeit auch bei Annahme eines Abwägungsspielraums des Gesetzgebers 365 eine Einschränkung der Weite des Bannkreises. Darüber hinaus legt der Vergleich mit dem amerikanischen Recht auch eine Überprüfung der Verhältnismäßigkeit eines Verbots von Versammlungen in der Nähe des Parlaments nahe. Die Notwendigkeit, das Parlament vor dem "Druck der Straße" zu sichern, 366 wird auch von amerikanischen Gerichten, die ein generelles Versammlungsverbot verworfen haben, anerkannt 367 ; sie ist aufgrund einschlägiger deutscher Erfahrungen sehr ernst zu nehmen 368. Auch spricht nicht allein die Tatsache, daß sich immer konkrete gefahrirrelevante Einzelfälle anführen lassen 369, gegen die Zulässigkeit abstrakt formulierter Verbote. Die Generalisierung der Gefahren einer Versammlung ist indes zu weit getrieben, wenn jede kollektive, an das Parlament gerichtete Demonstration in die Nähe einer "plebiszitären Nötigung" 370 gerückt wird und die Freiheit der Abgeordneten durch jeden friedlichen Versuch kollektiver Willensbeeinflussung und durch Protestkundgaben gefährdet sein soll. Erfahrungsgemäß sind Abgeordnete vor ihrer Wahl einer harten innerparteilichen Auslese sowie einem zunehmend robust geführten Wahlkampf371 und nach ihrer Wahl vielfaltigen weitaus subtileren Beeinflussungen - insbesondere durch das Lobbying - ausgesetzt, sodaß Demonstrationen vor 363 Dietel I Gintzel, § 16, 11; Schwäble, 237; Merten, Demonstration, 63; Bairl-Vaslin,

239.

364 Ansätze der Kritik nur bei H. Vogel, Demonstrationsfreiheit, 32 sowie Breitbach, NVwZ 1988, 588. 365 Grundsätzlich BVerfGE 13, 97 (107). 366 Vgl. nur Schwarze, DÖV 1985, 218 m.w.Nw. 367 United States v. Nicholson, 97 W.L.R. 1213 (1218) (1969). 368 Ausschreitungen vor dem Reichstag am 13. 1. 1920 führten zum Bannmeilengesetz vom 8. 5. 1920 (RGBI. 909); fernerdie Umstände beider Abstimmungüberdas Ermächtigungsgesetz am 23. 3. 1933, Nw. bei Bairl-Vaslin, 237 und Breitbach, NVwZ 1988,586. 369 Am 24. 4. 1986 zogen nach Meldung des General-Anzeigers für Bonn 8 Milchkühe in Begleitung von 40 Bauern durch die Bannmeile zum Bundestag, GAZ vom 20. 2. 1987,

s. 3.

370 So Preuß, R.Schmid-FS, 440; im Tenor ähnlich Schwarze, DÖV 1985, 218; Schwäble, 236; Merten, MDR 1968, 626; Meyer, § 16, 1; Dietel/Gintzel, § 16, 3. 371 Gebilligt durch das Bundesverfassungsgericht E 61,1 ( 11 ).

IV. Versammlungen auf Eigentum von Trägem hoheitlicher Gewalt

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dem Parlament nicht schlechthin die befürchteten Auswirkungen haben können. Auf der anderen Seite wird die originäre Funktion der Versammlungsfreiheit erheblich eingeschränkt. Als Mitwirkungsrecht im Prozeß der politischen Willensbildung kommt der Versammlungsfreiheit besondere Bedeutung bei Äußerungen von Protest oder Zustimmung gegenüber den politischen Entscheidungsträgern zu. Dies gilt vor allem dort, wo die Abgeordneten ihre Funktion als Repräsentanten des Volkes erfüllen und unmittelbare Entscheidungen treffen; die Appellwirkung einer Meinungskundgabe ist aufgrund ihrer unmittelbaren Adressierung an das Parlament verstärkt, dem in einer Demokratie auch ein hoher symbolischer Wert als Ort des Protestes zukommt. In unmittelbaren Meinungskundgaben vor dem Parlament vollzieht sich ein Optimum von Mitwirkung des Bürgers an der Vorformung des politischen Willens durch die Ausübung der Grundrechte, und es findet zugleich eine Rückbindung der Repräsentanten an den Bürger 372 statt, ohne daß dies- da den Meinungsäußerungen keine Verbindlichkeit zukommt- dem repräsentativen Charakter einer Demokratie zuwiderläuft. Das verschiedentlich auftauchende Argument, daß Demonstrationen auch außerhalb des Bannkreises durchgeführt werden können 373, verkennt dies. Es befreit den Staat auch letztlich von der ihm obliegenden Rechtfertigungslast für Eingriffe in die Grundrechte, indem der Bürger die Wahl seines Versammlungsortes, und nicht der Staat das Verbot, sich an diesem Ort zu versammeln, begründen muß 374• Der Supreme Court jedenfalls hatte schon 1939 für öffentliche Straßen und Parks dieses Argumentationsmuster zurückgewiesen 375 • Muß aber ein absolutes Verbot gegen das Parlament gerichteter Versammlungen als unverhältnismäßig angesehen werden, so kann auch ein repressives Verbot mit freiem Erlaubnisvorbehalt nicht aufrechterhalten werden. Die freie parlamentarische Willensbildung darf nicht vollständig auf Kosten der Versammlungsfreiheit realisiert werden; Versammlungen, durch die Zustimmung oder Protest an das Parlament gerichtet werden, müssen möglich bleiben. Die Gefahren, die von Versammlungen zur Meinungskundgabe und zum Meinungsaustausch ausgehen, lassen sich völlig ausreichend im Rahmen .des allgemein gültigen Anzeigeverfahrens gern.§§ 14ff VersG bewältigen 376• Bei konkreter Gefahr von Angriffen auf Mitglieder des Parlaments, dort Beschäftigte oder 372

?Off.

Zu diesem Postulat aus dem Demokratieprinzip Maunz/Dürig-Herzog, Art. 20,

373 Busch, NVwZ 1985, 635; Schwarze, DÖV 1985, 221 und der VGH Kassel bei Schwarze, ebd. 374 Für ein aus Art. 8 GG folgendes Selbstbestimmungsrecht über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung BVerfGE 69, 315 (343); ebenso Breitbach, NVwZ 1988, 590. 375 Schneider v. State, 308 US 147 (163) (1939), s. o. S. 46. 376 Anders Breitbach, NVwZ 1988, 590f, der am Verbot mit Erlaubnisermessen fest-

hält.

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Teil B: Rechtsvergleich und Wertung

andere, bei drohenden Sachbeschädigungen, Blockaden oder einer Besetzung des Parlaments können Versammlungen verboten werden; hier gilt nichts anderes als bei Versammlungen vor anderen Institutionen. Allerdings erscheint es erwägenswert, hier die Prognosevoraussetzungen für die Ausübung von Gewalt zu verringern, da gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei in unmittelbarer Nähe des Gesetzgebungsorgans mit der Würde eines Parlaments, die es als Rechtsgut insoweit zu schützen gilt, unvereinbar sind. Grundsätzlich läßt sich aber die Entscheidungsfreiheit der Abgeordneten und das Vertrauen des Bürgers in eine freie parlamentarische Willensbildungangesichts von Massendemonstrationen vor dem Parlament durch eine Teilnehmerbegrenzung sicherstellen wie dadurch auch der stärkeren Emotionalisierung von Demonstranten vor dem Parlament begegnet werden kann. In welcher Nähe eine Teilnehmerbegrenzung aus parlamentsspezifischen Gründen zulässig ist, welche Grenze gesetzt wird und ob hierbei auch das Interesse an einer pluralistischen Meinungsdarstellung zu berücksichtigen ist, soll hier offenbleiben. Die hier befürwortete Zulässigkeit von Demonstrationsversammlungen im Bannkreis auch während Sitzungen 377 provoziert den Einwand, daß die Anlehnung an die amerikanische Rechtslage nicht die Weite des Geländes des Capitol in Washington, D.C. berücksichtigt, die die Möglichkeit einer Beeinträchtigung der parlamentarischen Willensbildung durch Demonstrationen gering erscheinen läßt. Aber Versammlungen sind auch in den USA bis unmittelbar auf die Stufen des Capitols zulässig und werden dort auch durchgeführt; zudem lassen sich die räumlichen Gegebenheiten ausreichend über die Teilnehmergrenze berücksichtigen. Zum anderen wird die vorgeschlagene Lösung angesichts der gegenwärtig vorherrschenden Debatte um die rechtliche und tatsächliche Bewältigung gewalttätiger Ausschreitungen bestenfalls auf wenig Gegenliebe stoßen. Doch so wichtig die gegenwärtige Diskussion auch ist, sie betrifft nur einen kleinen Teilausschnitt der Demonstrationswirklichkeit 378, und es ist Chief Judge Green zuzustimmen, wenn er in United States v. Nicholson ausführte: In this day of the violent confrontation, the harsh, non-negotiable demand, the disregard of the most elementary forms of civilized discourse, it is especially important that peaceful speech and courteous persuasion be given their rightful chance. It would be strange, indeed, if our constitutional system, and especially the First Amendment, were to countenance the congregation on the grounds occupied by the national legislature of all manner of groups except those who wish to speak out peacefully on the controversial issues of the day. That is not the mark set by the Bill of Rights379.

377 Anders aber die jetzt gültige Regelung in Hamburg, GVBI. 1985, 61 (§ 1 Il). 378 Nach Bericht des BMI verliefen 1986 weniger als 4% aller Versammlungen unfriedlich. 379 97 W.L.R. 1213 (1217t) (1969).

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b) Der Sitz der Regierung Versammlungen vor dem Sitz der Regierung werden in der Bundesrepublik Deutschland aufgrund der Bannkreisregelung für das Parlament erheblich eingeschränkt; sie sind nur auf dem die Rückseite des Kanzleramtes begrenzenden Bürgersteig parallel zur Adenaueralle erlaubt. Hier zeigt sich die Unhaltbarkeit schon einer extensiven Bannkreisregelung, die weit über den Zweck des Gesetzes hinausreicht. Weitgehende Beschränkungen des Versammlungsrechts können auch nicht durch Sicherheitsbedenken gerechtfertigt werden. Der Hinweis auf eine mögliche Schutzwirkung einer Versammlung für Attentäter 380 geht fehl, da sich eine demonstrierende Menschenansammlung in dieser Funktion nicht von einer sonstigen Menschenmenge, wie etwa Touristen, unterscheidet. Vorbildhaft ist das Bemühen in den Federa/ Regulations und den Traffic Regulations for Capitol Grounds, durch wohlabgewogene individualisierende Regelungen zu einer Zuordnung der kollidierenden Interessen zu gelangen, die die allzu vergröbernde Einfachheit des deutschen Bannmeilenrechts vermeidet. c) Gerichte Nachdem der Supreme Court in United States v. Grace die 2. Variante von

§ 13k U.S.C.A., Title 40 für verfassungswidrig erklärt hat und im Zuge dieser

Entscheidung auch kollektive Demonstrationen vor dem Supreme Court geduldet werden 381 , sind Versammlungen, die nicht auf Beeinflussung eines Verfahrens vor dem Supreme Court zielen, zulässig. Dies im Gegensatz zur Rechtslage in der Bundesrepublik Deutschland, wo durch § 16 VersGin Verbindung mit § 2 BannmeilenG ein ebenso strukturiertes Verbot besteht wie vor dem Parlament.

Demgegenüber kennt das deutsche Recht kein generelles Verbot auf Gerichtsverfahren zielender Demonstrationen vor Gerichten. Ein Beschluß des Sonderausschusses für Strafrechtsreform zur Einführung eines § 16 Absatz 2, demzufolge innerhalb eines Bannkreises erkennbar gegen ein Bundes- oder Landesgericht oder ein dort anhängiges Verfahren gerichtete Versammlungen verboten sein sollten 382, wurde nicht Gesetz. Daß aber dennoch nach geltendem Recht Einschränkungen der Versammlungsfreiheit vergleichbaren Inhalts möglich sind, zeigt ein Urteil des VG München aus dem Jahre 1969. Das Gericht hielt ein Verbot einer Versammlung unmittelbar vor dem Justizgebäude aufrecht, da nur so die freie und ungestörte Rechtspflege als Schutzgut der öffentlichen Ordnung aufrecht erhalten werden könne 383. 38o A Quaker Action Group v. Hickel, 429 F.2d 185 (190)d.o. (1970) sowie 516 F.2d 717 (743)c.o./d.o. (1975). 381 s.o. A.V.l.a.aa.a.yy. 382 Vom 13. 3. 1969, bei Vogel, 53.

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Die Zulässigkeil von § 1507, 40 U.S.C.A., begründen die amerikanischen Gerichte mit der Gefahr einer tatsächlichen Beeinflussung der Richter und eines entsprechenden Eindrucks für die Öffentlichkeit sowie mit der prinzipiellen Unvereinbarkeit von Rechtsprechung und öffentlicher, auf ihre Beeinflussung zielender Demonstration 384• Wenn auch der Parlamentarier bei seinem Abstimmungsverhalten nach dem Grundgesetz allein seinem Gewissen unterworfen ist (Art. 38 I 2 GG) und gerade nicht unter dem "Druck der Straße" entscheiden soll, so ist es ihm doch möglich, sich durch eine Demonstration beeinflussen zu lassen, die Position der Versammelten kraft eigenen Entschlusses zu berücksichtigen. Bei dem Beschluß eines Gesetzes handeln die Abgeordneten als Repräsentanten des Willens des Volkes und befinden sich so in Rückbindung zum Volk als Träger der Staatsgewalt. Ist dieser Wille vollzogen und zum Gesetz geworden, so ist seinerseits der Richter nur noch zur Anwendung und Auslegung des Gesetzes berufen (Art. 20 III GG), mag dies auch "im Namen des Volkes" erfolgen. Hierbei ist für eine Einflußnahme von Demonstranten kein Raum. In der Tat liegt hier ein prinzipieller Unterschied zwischen Legislative und Judikative, der sich auf das Gewicht des Interesses der Versammlungsteilnehmer und auf die Wirkkraft des Grundrechtes bei einer Abwägung auswirkt. Im Gegensatz zu Demonstrationen vor dem Parlament oder dem Sitz der Regierung vermag das Grundrecht hier nicht als Funktionselement bei der Vorformung des politischen Willens zu wirken, denn dieser Prozeß sieht eine Einflußnahme von Demonstranten auf die Anwendung und Auslegung der Gesetze durch die Gerichte nicht vor. Der verminderte Impuls aus der Versammlungsfreiheit schwächt das Gewicht des Grundrechts bei einer Abwägung mit kollidierenden Interessen, reicht aber allein zur Rechtfertigung eines Verbots von Versammlungen vor Gerichten nicht aus. Dieses setzt voraus, daß der Schutz der Rechtsprechung ein Verbot von Demonstrationen vor einem Gericht erfordert. Daß Meinungskundgaben vor Gerichten die Unabhängigkeit der Richter tatsächlich gefahrden, erscheint angesichts des Wissens der Richter um ihre Unabhängigkeit und der daraus resultierenden Verantwortung nicht wahrscheinlich. Demonstrationen dürfte unter diesem Gesichtspunkt kaum eine stärkere Wirkung zukommen als Einflußnahmen durch die Medien 385 • Ernster zu nehmen ist das Argument des Vertrauens der Öffentlichkeit in eine unabhängige Rechtsprechung; dieses könnte unter dem Eindruck langandauernder Demonstrationen vor einem Gericht, in denen ein später ergangenes gerichtliches Urteil gefordert wird, beeinträchtigt werden. Wie fest verwurzelt der Glaube an eine unabhängige Rechtsprechung auch unter solchen Umständen ist, ist SpekulaDRiZ 1969, 285 (286). Insbesondere Jeannette Rankin Brigade v. Chief of Capitol Police, 421 F.2d 1090 (1109)d.o. (1969); Grace v. Burger, 665 F.2d 1193 (1202) (1981). 385 Anders für die USA aber Cox v. Louisiana, 379 US 559 (565) (1965). 383

384

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tion. Ihn vollständig zu bezweifeln, mag auch für die Bundesrepublik Deutschland angesichts einer 40-jährigen soliden rechtsstaatliehen Entwicklung zu pessimistisch erscheinen. Dennoch wird man aber angesichts der hohen Bedeutung der friedensstiftenden Funktion richterlicher Urteile und des geminderten Gewichts der Versammlungsfreiheit eine auf die unmittelbare Umgebung des Gerichts beschränkte Anwendung der für die USA geltenden Regelungen durch Auflage oder eine Gesetzesnovelle nicht als unverhältnismäßige Beschränkung der Versammlungsfreiheit bezeichnen können. d) Ausländische Vertretungen Die polizeiliche Praxis für Versammlungen vor ausländischen Vertretungen in der Bundesrepublik liegt in ihrem Freiheitsgehalt zwischen der liberalen, aber wegen der Geltung nur außerhalb von Washington, D.C. praktisch wenig relevanten Regelung des § 112(b) (3 ), 18 U.S.C.A. und der restriktiven nunmehr teil weise für verfassungswidrig erklärten Normierung in§ 1115, 22 D.C.Code. Außerhalb von Washington, D.C. sind auf die ausländische Vertretung bezogene Demonstrationen auch innerhalb der 100-Fuß-Zone grundsätzlich möglich, während durch § 1115 D.C. Code jede botschaftsbezogene Kundgebung in einem Umkreis von ca. 150m verboten war. Vom Polizeipräsidenten in Bonn wird Demonstranten ein Abstand von 50 m aufgegeben 386; außerhalb dieses Radius sind Versammlungen ohne spezifische Teilnehmerzahlbegrenzungen zulässig, sofern die bestehenden Gesetze (i.b. §§ 102 ff StGB) eingehalten werden. Daß diese Festlegungen jeweils unter dem Vorbehalt des Einzelfalles stehen müssen, ist bei den unterschiedlichen lokalen Gegebenheiten unausweichlich. Nicht sachgerecht erscheint es aber, wenn es in den USA nach Auffassung des Court of Appeals den kommunalen Behörden generell freisteht, auch aus Gründen des Friedens und der Würde der Vertretung über § 112(b) (3), 18 U.S.C.A. hinausgehende Beschränkungen aufzuerlegen 387 • Mit der gesetzlichen Festlegung hat der für auswärtige Beziehungen und die Ahndung für Verstöße gegen das Völkerrecht zuständige Bund (Art. 1, Sec. 8, CL 10 U.S. Constitution) die nach seinem Verständnis erforderlichen Maßstäbe zur Einhaltung der internationalen Verpflichtungen gesetzt, die nicht unter demselben sachlichen Anknüpfungspunkt durch kommunale Entscheidungsträger unterlaufen werden dürften. Bedenken gegen die Zulässigkeil von § 112(b) (3), 18 U.S.C.A., und die im deutschen Versammlungsrecht gewöhnlichen Auflagen bestehen nicht; es handelt sich um verhältnismäßige Einschränkungen der Versammlungsfreiheit im Interesse der Würde und des Friedens der Missionen, die die Bundesrepublik und die Vereinigten Staaten gemäß § 22 II des Wiener Übereinkommens über die diplo386 387

Auskunft auf Anfrage des Verfassers. Concemed Jewish Youth v. McGuire, 621 F.2d 471 (474) (1980).

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matischen Beziehungen zu schützen verpflichtet sind. Mit diesen Zielsetzungen wäre ein ,,Spießrutenlaufen" der Botschaftsangehörigen vorbei an unmittelbar vor dem Botschaftseingang postierten Demonstranten nicht vereinbar; offen ist jedoch, inwieweit "Friede und Würde" der Vertretungen einen über die einschlägigen Strafrechtsnormen (vgl. § 112(b) (1) (2), 18. U.S.C.A. und§§ 103ff StGB) hinausgehenden Schutz erfordern, etwa bei Slogans auf Transparenten. Zu weitgehend war indes - wie nunmehr auch der Supreme Court festgestellt hat 388 - das Verbot des§ 1115 D.C. Code, wodurchjede nichtverbale Meinungskundgabe in Sichtweite der Vertretungen untersagt wurde. Seine Erforderlichkeit war schon wegen der erheblichen Divergenz zu § 112(b) fraglich. Daß dem Gesetzgeber bei der Bemessung des Bannkreises ein Ermessen zusteht, konnte als Rechtfertigung nicht ausreichen 389, da der Kongress durch die abweichende Regelung in § 112(b) gerade dargetan hat, daß er eine über die Maßstäbe von § 112(b), 18 U.S.C.A. hinausgehende Regelung nicht für erforderlich hält 390 • 3. Originärer Versammlungsraum

Über öffentliche Straßen hinaus kommt ein aus der Versammlungsfreiheit abgeleiteter Anspruch zur Nutzung auch für Räumlichkeiten wie Hallen und Säle, Stadien oder ähnliche öffentliche Einrichtungen in Betracht, deren Zweck gerade darin besteht, einer großen Anzahl von Personen das Zusammenkommen zu ermöglichen. Für derartiges originäres Versammlungsgelände besteht jedoch im Gegensatz zu den Foren der Versammlungsfreiheit unter freiem Himmel keine grundrechtlich begründete Verpflichtung oder ein entsprechender Anspruch auf Schaffung oder Aufrechterhaltung als Stätten der Kommunikation und Demonstration 391 • Es läßt sich nicht die Auffassung vertreten, daß das Grundrecht der Versammlungsfreiheit ohne die Möglichkeit, in großen Sälen und Hallen Versammlungen durchzuführen, "leerläuft", zumal erfahrungsgemäß auch private Anbieter vorhanden sind. Hier bestünde trotz der Bestimmbarkeit des Anspruchobjekts als weiteres Erfordernis eines grundrechtliehen Leistungsanspruchs 392 die Gefahr einer Verrechtlichung der Finanz- und Haushaltskompetenz, die den Entscheidungsspielraum der zuständigen Organe über Prioritäten bei der Schaffung von Einrichtungen der Daseinsvorsorge aufheben würde. Boos v. Barry, 108 S.Ct. 1157 (1988). So aber United States v. Brown, 112 W.L.R. 441 (445, Fn. 13) (1984); anders nunmehr der Supreme Court in Boos v. Barry, 108 S.Ct. 1157 (1166 ff.). 390 Bei den Beratungen im Repräsentantenhaus wurde das Bemühen um eine möglichst enge Fassung des Verbotes erkennbar, 1976 Congr. and Adminstr. News, 4484. Vgl. auch Boos v. Barry, 108 S.Ct. 1157 (1166). 391 Zur amerikanischen Rechtsprechung A.V.l.a.bb.; aus der Literatur Emerson, System, 306 und 15 Ga.L.Rev., 808 (1981); aus deutscher Sicht Schwäble, 82; Ott, E 20; generell ablehnend für öffentliche Einrichtungen OVG Münster, NJW 1976, 820 (821). 392 Starck, BVerfG-FG, 518. 388

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Die Frage kann somit nur sein, ob sich aus der Versammlungsfreiheit ein Anspruch auf Nutzung der bestehenden, als originäres Versammlungsgelände in Betracht kommenden Einrichtungen ergibt. Die Rechtsprechung in den Vereinigten Staaten erkennt ein solches Recht nicht an, eine Benutzung wird entweder über die Widmung 393 oder die faktische Zulassung 394 von Versammlungen ermöglicht; allein der Gleichheitssatz verbietet eine Unterscheidung zwischen verschiedenen Veranstaltern und kann eine Möglichkeit zur Nutzung eröffnen, wenn andere Veranstalter schon zugelassen wurden. Demgegenüber befürworten Stimmen in der amerikanischen Literatur eine grundrechtlich verbürgte Pflicht bzw. eine Anspruch auf Nutzung derartiger Foren 395 • Im deutschen Recht wird ähnlich der amerikanischen Rechtsprechung ein über die Kommunikationsgrundrechte vermittelter Anspruch auf Nutzung abgelehnt. Soweit es sich um öffentliche Einrichtungen der Kommunen handelt, folgt ein Benutzungsrecht allein aus den entsprechenden Vorschriften der Gemeindeordnung (etwa§ 18 II GO NW), bei Parteiveranstaltungen in Verbindung mit Art. 21 I 2, II GG. Hieraus kann sich in Verbindung mit Art. 3 I, III GG auch ein Anspruch ergeben, wenn Versammlungen anderer politischer Parteien bereits zugelassen wurden 396 • Das in der Gemeindeordnung festgeschriebene Benutzungsrecht als Anspruch auf Zulassung zu öffentlichen Einrichtungen besteht jedoch nur "im Rahmen des geltenden Rechts", das heißt auch im Rahmen der Widmung, bei der die Gemeinde freie Hand hat 397 • Dies läßt ihr die Möglichkeit, über die Widmung Versammlungen ganz auszuschließen oder nur bestimmte Formen von Versammlungen zuzulassen. Daß dann weder das Grundrecht der Versammlungsfreiheit noch das einfache Recht eine Nutzung von Räumen ermöglicht, die objektiv für Versammlungen tauglich und gerade für das Zusammenkommen einer Personenvielzahl geschaffen sind, ist nicht verständlich. Auch hier vermag der Gleichheitssatz, auf den- wie erwähnt 398 - derivative Teilhabeansprüche des Bürgers in der Literatur gerne abgeschoben werden, keine ausreichende Hilfestellung zu leisten. Denn wenn man bei der Vergabe von Leistungen eine "weitgehende Gruppierungskompetenz" des Staates anerkennt 399, so ergibt sich aus dem Verbot unsachgemäßer Differenzierungen nicht notwendig, daß 393 "designed for and dedicated to expressive activities", S.E. Promotions Ltd. v. Conrad, 320 US 546 (555) (1975). 394 "Through its policy of accomodating their meetings, the university has created a forum", Widmar v. Vincent, 454 US 263 (267) (1981); so auch Tribe, 690. 395 Emerson, System, 306 und 15 Ga.L.Rev., 808 (1981); Stone, 1974 Sup.Ct.Rev., 255; Baker, 78 Nw.U.L.Rev., 964f (1983). 396 BVerwGE 31, 368 (370); 32, 333 (336); Merten, Demonstration, 60; Ott, E 20; Dietel I Gintzel, § 1, 17; Maunz I Dürig-Herzog, Art. 8, 21 ff.; Bairl-Vaslin, 152 f. 397 OVG Münster, NJW 1976, 820 (822) m.w.Nw. 398 s.o. B.IV.l.b. 399 Martens, VVDStRL 30, 22 ff., 40 f. (1972).

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Teil B: Rechtsvergleich und Wertung

auch Versammlungen i.S. der Versammlungsfreiheit zuzulassen sind. Woraus, wenn nicht aus dem Grundrecht selbst, soll sich ein "Verbot prinzipieller Versammlungsfeindlichkeit" ergeben, das Herzog bei der Vergabe von Versammlungslokalitäten aufstellt 400? Geht man davon aus, daß bei bestehendem originären Versammlungsraum als Räume oder Gelände, die zu einem Beisammensein einer Personengruppe geeignet und bestimmt sind, über die Versammlungsfreiheit eine Möglichkeit zur Nutzung vermittelt wird 401 , so führt dies nicht zu einer pauschalen Vorrangstellung der Veranstalter einer Versammlung. Die Versammlungsfreiheit sichert allein den Zugang zur Nutzung für Versammlungen, der mit den durch Widmung in Verbindung mit dem Gemeinderecht oder durch andere Grundrechte 402 vermittelten Nutzungsmöglichkeiten gleichrangig ist. Wie bei der Straßennutzung so lassen sich auch bei der Inanspruchnahme von originärem Versammlungsraum keine Bedenken erkennen, diese nicht über einen Anspruch aus der Versammlungsfreiheit zu ermöglichen. Dieser reicht nicht grundsätzlich weiter als eine über die Grundrechte als Elemente objektiver Ordnung vermittelte Nutzungsmöglichkeit, und dem Begünstigten wird zugleich die Möglichkeit einer gerichtlichen Durchsetzung eröffnet 403 •

4. Die Ausdehnung des public forum

a) Befürworter im amerikanischen Recht Schließlich bedarf es der Erörterung, ob über diese Foren hinaus grundrechtliehe Benutzungsansprüche oder über sie vermittelte staatliche Duldungsverpflichtungen anzuerkennen sind. Wie angedeutet 404 haben einige Bundes- und Staatengerichte der USA die vom Supreme Court vorübergehend angedeutete ,,raumgreifende" Grundrechtsauslegung 405 auf unterschiedliche öffentliche Einrichtungen ausgedehnt. Ähnlich wird in der Literatur befürwortet, die Inanspruchnahme des Eigentums von Trägern hoheitlicher Gewalt durch einen "unitary

In Maunz I Dürig, Art. 8, 43; ähnlich auch Schwäble, 82. Im Ergebnis auch S.E. Promotions Ltd. v. Atlanta, 334 F.Supp.635 (640); einen Nutzungsanspruch für öffentliche Einrichtungen aus der Abwehrfunktion der Grundrechte bejaht Schwabe, Grundrechtsdogmatik, 244 f.; ebenso für die Wissenschaftsfreiheit Friesenhahn, G 32; Grabitz, 45 f., Fn. 208. · 402 Künstlerische Darbietungen, Wissenschaftskongresse, Messen, religiöse Veranstaltungen. 403 Eingehende Kritik an der Berechtigung einer Unterscheidung zwischen Leistungspflichten und Ansprüchen bei den Grundrechten bei Schwabe, Grundrechtsdogmatik, 204 ff. 404 s.o. A.Vl.5. 405 s.o. A.V.l.b. 400 401

IV. Versammlungen auf Eigentum von Trägem hoheitlicher Gewalt

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test" 406 zu ermitteln, der sich gegen die vom Supreme Court getroffene Kategorisierung in public und nonpublic fora wendet 407 • b) Ansätze im deutschen Recht In der deutschen Grundrechtsdogmatik finden sich nur selten Ansätze für ein derart extensives Grundrechtsverständnis. Hier werden schon im Rahmen des öffentlichen Sachen- und Anstaltsrechts die Weichen gestellt, in dem durch die Kategorien "öffentliche Sache im Gemeingebrauch", öffentliche Einrichtung", "Anstalt des öffentlichen Rechts" und "öffentliche Sache im Verwaltungsgebrauch" eine unterschiedliche Zugangsregelung festgelegt ist 408, durch die die Möglichkeit zur Ausübung der Grundrechte mit determiniert wird. Zwar forderte Stern zur Korrektur des "absolutistischen Zug(s)" des öffentlichen Sachenrechts, der auf den Grundrechtslehren von Gerber und Laband beruhe, auf409 , zog aber keine über das Straßenrecht hinausgehende Konsequenzen. Ebenso ventiliert BairlVaslin aus Art. 1 III GG die "Utopie" eines das öffentliche Sachenrecht dutchprägenden Grundrechtsverständnisses, das die Grundrechte als Ursache für den Aufbau der Benutzungsregelungen des öffentlichen Sachenrechts und den Hauptzweck der öffentliche Sache in der Grundrechtsverwirklichung sieht 410, beschränkt seine Ausführungen aber ebenfalls auf ein aus Art. 8 folgendes Straßenbenutzungsrecht 411 • Frankenberg will unter Bezug auf das amerikanische Recht aus der Versammlungsfreiheit als positivem Statusrecht den Zugang zu öffentlichen Foren gesichert wissen 412 , schweigt sich aber die genaue Reichweite aus. Bezüge zu der hier aufgeworfenen Problematik finden sich verschiedentlich bei der Diskussion um das öffentliche Hausrecht im Rahmen des Straftatbestandes des Hausfriedensbruches. Schall nimmt eine Verletzung des Hausrechts öffentlicher Diensträume nur bei erheblicher Beeinträchtigung ihrer bestimmungsgemäßen Funktion an, was er beim Betreten eines Raumes mit roten Fahnen und Spruchbändern verneint 413 • Denninger lehnt eine Anwendung des § 123 StGB für der relativen Öffentlichkeit zugängliche Verwaltungsräume (z.B. Hörsaal, Gaal, 35 Stanf.L.Rev., 143 (1982). Vgl. Stone, 1974, Sup.Ct.Rev., 252, "The streets parks, public libraries, and other publicly owned places are all brought under the same roof'. Im Ergebnistrotz Nuancen im Detail ferner Emerson, System 304 ff. und 15 Ga.L.Rev., 808 f. (1981); Goldberger, 32 Buff.L.Rev., 215 ff. (1983); Baker, 78 Nw.U.L.Rev. 962 f. (1983); Note, 80 Harv.L. Rev., 1777 (1967). 408 Kritisch zu dieser Differenzierung Haak, DVBl 1968, 136. 409 VVDStRL 21, 218. 410 s. 70 f. 411 s. 154. 412 KJ 1981, 380. 413 s. 165. 406 407

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Teil B: Rechtsvergleich und Wertung

Treppenhaus, Lesesaal) ab und will so eine friedliche demonstrierende Gruppe vor der Strafbarkeit bewahren414. Die Möglichkeit einer Zulassung von Demonstranten kann sich auch bei jenen Befürwortern eines öffentlich-rechtlichen Hausrechts an Sachen im Verwaltungsgebrauch ergeben, die die Rechtmäßigkeit zutrittsbeschränkender Maßnahmen von einer Funktionsstörung des Verwaltungsbetriebs abhängig machen 41 5, an der es bei bestimmten Formen der Meinungskundgabe durchaus fehlen kann.

c) Stellungnahme Können sich so für die Ausübung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit Parallelen im deutschen und amerikanischen Recht ergeben, so ist ihre Absicherung über die Grundrechte abzulehnen. Es ist eine Überstrapazierung des Gedankens positiver Grundrechtsfunktionen 416, aus den Grundrechten über die bereits genannten Fälle hinaus Ansprüche zur Nutzung jeglichen im Eigentums eines Trägers hoheitlicher Gewalt stehenden Raumes oder Geländes anzuerkennen. Dem Staat muß es möglich sein, Einrichtungen verwaltungsinternen Zwecken vorzubehalten, ohne im Einzelfall den Nachweis einer fehlenden konkreten Beeinträchtigung des Dienstbetriebes führen zu müssen. Diesen Nachweis als grundrechtliches Postulat zu verlangen und damit bis zu dieser Grenze einen grundrechtliehen Anspruch auf Zutritt zur Ausübung der Kommunikationsgrundrechte anzuerkennen, läßt Grundrechtsausübung fast zur Verwaltungsobstruktion werden. Die Durchführung von Versammlungen in Bürogebäuden oder ähnlichen öffentlichen Gebäuden oder Einrichtungen ist zur Aufrechterhaltung des grundrechtlich geschützten Lebensbereichs nicht erforderlich; daß die in Aussicht genommenen Gebäude eine hohe Protestrelevanz besitzen 417 , ist als Kriterium kaum tauglich und begründet nicht, daß dieser Protest gerade durch Zutrittsmöglichkeiten ausgeübt werden muß 418. Auch weisen Gebäude, die ausschließlich verwaltungsinternen Zwecken dienen, weder in ihrer tatsächlichen Ausgestaltung noch in ihrer rechtlichen Bestimmung eine Nähe zu einem Versammlungsforum auf, die eine Gleichbehandlung mit originärem Versammlungsraum rechtfertigen würde.

414 ZRP 1968, 45 f.; im Ergebnis auch Ott, E 22; Maul, JR 1970, 85. 415 Haak, DVBl 1968, 138; Knemeyer, DÖV 1971, 598; Zeiler, DVBl 1981, 1001 m.w.Nw. 416 Insoweit trifft die Feststellung von Currie, AöR 111, 249, positives Grundrechtsdenken sei in stärkerem Maße unter dem Grundgesetz verbreitet, nicht zu. 417 Zu diesem Kriterium s.o. A.VI.5; ferner Tribe, 690. 418 Zutreffend der Hinweis des Supreme Court auf die Konsequenzen für öffentliche Krankenhäuser und militärisches Gelände, Lehman v. Shaker Heights, 418 US 298 (304) (1974).

V. Die Versammlungsfreiheit auf privatem Eigentum

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Garantiert die Versammlungsfreiheit nicht den Zutritt zu Gebäuden der oben angeführten Art, so sind Versammlungsverbote kein Eingriff in den Schutzbereich der Versammlungsfreiheit; aus diesem Grundrecht folgt somit nicht das Erfordernis einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage für Hausverbote 419 • Ob das Petitionsrecht ein Recht auf Zutritt zur Übergabe von Petitionen gibt 420, mag offenbleiben, kann es sich doch nur auf Übergabe und Verlesung des Schriftstückes beschränken. Konsequenz der hier vertretenen Auffassung ist nun nicht, daß das Hausrecht an öffentlichen Verwaltungsgebäuden oder öffentlichen Einrichtungen willkürlich ausgeübt werden kann; jeder Zutritt zur funktionsgerechten Nutzung bleibt aufrechterhalten. Ob darüberhinaus solche Tätigkeiten geduldet werden, die nicht den funktionsgerechten Gebrauch stören 421 oder aber dem durch die öffentliche Zweckbindung beschränkten Privateigentümer das Recht zusteht, alle auszuschließen, die nicht den Widmungszweck erfüllen 422, ist eine Frage, die insbesondere mit Blick auf die strafrechtlichen Konsequenzen - auf der Ebene des Rechtsstaatsprinzips angesiedelt ist. Es können somit zwar im Einzelfall je nach Auffassung faktische Freiräume zur Ausübung des Versammlungsrechts entstehen, grundrechtlich gefordert werden sie aber nicht.

V. Die Versammlungsfreiheit auf privatem Eigentum Die Diskussion über die Inanspruchnahme fremden Privateigentums für Meinungsäußerungen und Versammlungen ist eng mit der im deutschen Recht als "Drittwirkung" erörterten Geltung der Grundrechte in Privatrechtsverhältnissen verknüpft. Im amerikanischen Recht ist diese Problematik durch die Rechtsprechung der Supreme Courts der Staaten wieder aktualisiert worden. 1. Die Diskussion um Staatsrichtung und Drittwirkung der Grundrechte

a) Die Bedeutung des Verfassungstextes Der Wortlaut der Grundrechtsgarantien sollte bei der Bestimmung der Grundrechtsadressaten nicht im Vordergrund stehen. Aus dem Grundgesetz ist eine eindeutige Antwort ohnehin nicht zu gewinnen. Die einzelnen Grundrechte treffen Zur Diskussion Zeiler, DVBI 1981, 1002 m.w.Nw. So Emerson, System, 306; Adderly v. Aorida, 385 US 39 (51) (Douglas, J., Burger, C.J., Brennan, J., Fortas, J., d.o.); Arshack v. United States, 321 A.2d 845 (1974); ablehnend Zeiler, DVBI 1981, 1002; v. Münch-Rauball, Art. 17, 11. 421 So die Tendenz der genanntenBefürwortereines öffentlich-rechtlichen Hausrechts. 422 BGHZ 33, 230 (232); Schönke I Schröder-Lenckner, § 123, 19; BayObLG, NJW 1977, 261; OLG Düsseldorf, VRS 57, 281. 419

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Teil B: Rechtsvergleich und Wertung

- von Art. 9 III 2 GG abgesehen- keine eindeutige Feststellung. Dem Hinweis auf Art. 1 III GG 423 läßt sich entgegenhalten, daß hierdurch nur eine staatliche Bindungswirkung sichergestellt, nicht aber die Verpflichtung auch des Bürgers ausgeschlossen wird 424 und Bindungswirkungen nur nach Maßgabe des materiellen Gehalts der Grundrechte eintreten 425 • Andererseits kann den zugunsten einer extensiven Auslegung angeführten Argumenten der staatlichen Verpflichtung zum Schutz der Menschenwürde und damit auch der nachfolgenden Grundrechte (Art. 1 II GG) sowie der Schranke der Rechte anderer in Art. 2 I GG 426 mit dem argurnenturn e contrario aus Art. 9 111 2 GG 427 begegnet werden. Soweit sich die Supreme Courts der amerikanischen Staaten für eine absolute Grundrechtsgeltung auf den Wortlaut ihrer Verfassungen stützen 428 , ist es nicht sehr wahrscheinlich, daß die Väter der Staatenverfassungen in diesem Punkt von anderen Vorstellungen beherrscht waren als später die des 1. Amendment, das vom Wortlaut eindeutig staatsgerichtet ist; im Vordergrund der Diskussion um das 1. Amendment standen vielmehr bundesstaatliche Gesichtspunkte. Noch weniger wahrscheinlich ist, daß dies im Verhältnis der Verfassungen der einzelnen Staaten zueinander zutrifft; gleichlautende oder ähnliche Bestimmungen beruhen weitgehend auf der unreflektierten Übernahme der Grundrechte der NeuenglandStaaten, Unterschiede zwischen positiver affirmativer Gewährleistung und abwehrender Schutzrichtung dürften kaum auf Divergenzen über die Geltungsrichtung zurückzuführen sein 429. Schließlich weisen einige der von den Gerichten nicht ausschließlich als staatsgerichtet angesehenen Grundrechte Zusätze auf, die diese Einschätzung zu relativieren vermögen. 430

b) Das Argument der parallelen Gefährdungslage Wichtiger als der Wortlaut und die in diesem sich vermeintlich niederschlagende Vorstellung der Verfassungsväter ist die Argumentation aus der Schutzfunktion der Grundrechte, die es angesichts einer Bedrohung individueller Freiheit in den privatrechtliehen Beziehungen zu aktualisieren gilt. Klein, Grundrechte, 60; v. Mangoldt I Klein I Starck, Art. 1, 198. Bleckmann, 161. 425 Grabitz, 48. 426 Bleckrnann, 161 m.w.Nw. 427 Klein, Grundrechte, 60; v. Mangoldt I Klein I Starck, Art. 1, 197. 428 s.o. A.V.2.c.; ferner Note, 90 Yale L.J., 179. 429 Selbst bei nahezu identischem Verfassungstext gelangen die Gerichte zu unterschiedlichen Ergebnissen. Ein der Grundrechtsbestimmung von New Jersey (s.o. A.V.2.c.) fast gleichlautendes Grundrecht sieht der Supreme Court von Wisconsin als eindeutig nur staatsgerichtet, der Supreme Court von Washington als nicht nur staatsgerichtet an, vgl. einerseits Jacobs v. Major, 407 N.W.2d 832 (836 f.) (1987), andererseits Alderwood Associates v. Washington Environmental Council, 635 P.2d 108 ( 114) (1981 ). 430 Vgl. Art. 2, Abs. 2, Satz 2; der Verfassung von California, "A law may not restrain or abridge liberty of speech and press"; ähnlich New Jersey, Art. 1, Sec. 6. 423

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V. Die Versammlungsfreiheit auf privatem Eigentum

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In den einschlägigen Entscheidungen der Staaten-Gerichte findet sich dieser Gesichtspunkt nur selten 431 , während in der amerikanischen Literatur verschiedentlich die Grundrechtsbindung von Gewerkschaften, Unternehmen und anderen mächtigen Organisationen gefordert wird 432.

Im deutschen Verfassungsrecht ist die Parallelität der Gefährdung des Bürgers durch staatliche Gewalt einerseits und private "soziale Mächte" wie Verbände, Monopolbetriebe und andere durch hierarchische Strukturen gekennzeichnete privatrechtliche Rechtsverhältnisse andererseits das Standardargument zur Überwindung der ausschließlichen Staatsrichtung der Grundrechte, wenngleich die hieraus gezogenen Konsequenzen divergieren 433. Lassen sich auch durch diese Kategorien nicht die Fälle einer Anwendung von Grundrechten im Privatrechtsverkehr abschließend erfassen, so ist doch die Argumentation mit dem Schutz vor "sozialer Macht" der richtige Ansatzpunkt, um die grundrechtliehen Sicherungen über das Staat-Bürger-Verhältnis hinaus fruchtbar zu machen. Auch sollte insoweit schon von einer Geltung der Grundrechte in den privatrechtliehen Beziehungen gesprochen werden; Versuche, mit einer "analogen Anwendung des den Grundrechten zugrundeliegenden Rechtsgedankens" 434 zu operieren, sowie die Berücksichtigung des "in den Grundrechten zum Ausdruck gebrachten Menschenbildes"435 weichen der Problematik aus und können auch den Rückgriff auf die normative Kraft der Grundrechte nicht vermeiden, wenn es gilt, deren Wertungen im Privatrechtsverhältnis durchzusetzen.

c) Privatautonomie und Grundrechtsbindung Wirken die Grundrechte auf die privatrechtliehen Beziehungen ein, so stellt sich aber die Frage, ob das die Anwendung der Grundrechte fordernde Modell privater "sozialer Macht" die Beziehungen der Bürger untereinander in einem Maße prägt, daß hier eine dem Verhältnis des Bürgers zum Staat gleichartige Grundrechtsgeltung gerechtfertigt ist. Um diese Frage rankt sich die unter dem Grundgesetz geführte Auseinandersetzung über die Methodik der Grundrechtsanwendung im Privatrecht. Die Befürchtung, daß bei einer unmittelbaren Geltung der Grundrechte die für die Beziehungen der Privatrechtssubjekte charakteristische Freiheit eigenver431 Soweit ersichtlich nur Cologne v. Westfarms Associates, 469 A.2d 1201 (1216)d.o. (1984). 432 Countryman, 45 Wash.L.Rev., 473 (1970); Berle, 100 U.Pa.L.Rev., 932 m.w.Nw. (1952); ferner Carr, 895f; Ehrnke, 615, 664. 433 v. MangoldtiKlein, Vorb. 1 II 4a; Nipperdey, 752 f.; Scheuner, DÖV 1971, 507; Klein, Grundrechte, 59; Hesse, 142 f.; Grabitz, 49; BAGE I, 185 (193 f.); kritisch Schwabe, AöR 100, 461. 434 Klein, Grundrechte, 60. 435 v. Mangoldt I Klein I Starck, Art. 1, 200. 12 Ehrentraut

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Teil B: Rechtsvergleich und Wertung

antwortlieber Entscheidung geopfert wird, führt bei der herrschenden Meinung im deutschen Recht zur Kompromißlösung der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte 436 • Ebenso wird im amerikanischen Recht die Bewahrung individueller Freiheit und Autonomie gegen eine extensive Auslegung von state action oder einen Verzicht hierauf als Voraussetzung der Anwendung der Grundrechte in das Feld geführt 437 • Die Berechtigung der Argumentation aus der Privatautonomie zur Begründung der Mittelbarkeil der Grundrechtseinwirkung ist von Leisner 438 insbesondere für außervertragliche Rechtsbeziehungen bezweifelt worden. In der Tat ist es kaum plausibel, daß die Eingriffsbefugnisse etwa des Deliktsrechts oder aufgrund der §§ 227, 228, 229, 906, 917 BGB als Ausdruck privatautonomer Rechtsgestaltung eine engere Sachstruktur zum Vertragsrecht aufweisen als zum öffentlichen Recht. Diese Diskrepanz verringern die Befürworter der mittelbaren Drittwirkung zwar dadurch, daß sie in Anwendung von Art. 1 III GG auch Legislativakte im Zivilrecht an den Grundrechten messen wollen 439 • Aber Inkonsequenzen ergeben sich, woi:auf Schwabe 440 hinweist, bei generalklauselartigen gesetzlichen Eingriffsbefugnissen, deren Konkretisierung durch den Richter im öffentlichen Recht unmittelbar grundrechtliehen Bindungen unterliegt, während dies im Privatrecht wegen der Maßgeblichkeil der materiell rechtlichen Rechtsbeziehungen ausgeschlossen sein soll 441 • Die Replik Dürigs, daß auch im außervertraglichen Bereich eine qualitativ andersartige Bedeutung der Grundrechte gerechtfertigt sei, da sich zwei Grundrechtsträger gegenüberstunden 442 , vermag diese Einwände nicht zu entkräften. Die zivilrechtliche Gesetzestechnik ist nicht festgelegt, der Gesetzgeber ist bei der Wahl zwischen konkret umrissenen Eingriffstatbeständen und durch die Gerichte auszufüllenden Generalklauseln frei. Je nach Entscheidung des Gesetzgebers würden dann die Grundrechte in einer unterschiedlichen Weise Anwendung finden. Ferner trifft auch das öffentliche Recht Regelungen der Rechtsbeziehungen der Bürger untereinander (etwa im Baurecht), die sich dann qualitativ von den Rechtsbeziehungen der Bürger untereinander im Privatrecht unterscheiden müßten 443. Die Konzeption, die Schwabe befürwortet, entspricht im Ergebnis der unmittelbaren Drittwirkung der Grundrechte und in ihrer Struktur der state-action-Theorie 436 BVerfGE 7, 189 (204); 25, 256 (263); st. Rspr.. ; Maunz/Dürig-Dürig, Art. I, 129 f.; Art. 3, 506 ff.; Ehmke, 642, 665; Hesse, 142; Ossenbühl, NJW 1976, 2102; Bleckmann, 169 f.; AK-Denninger, vor Art. 1, 32 f., jew.m.w.Nw. 437 Tribe, 1149; Glennon/Nowak, 1976 Sup.Ct.Rev., 231 sowie oben A.V.2.c. 438 Grundrechte und Privatrecht, S. 319 f. 439 Hesse 140; B1eckmann, 154, 169. 440 Drittwirkung, 93 f., 105 f. und in AöR 100, 446. 441 Hesse, 141; Bleckmann, 155; Bethge, 500; v. Münch, vor Art. 1-19, 33. 442 In Maunz I Dürig, Art. 3, 513. 443 Eingehend Schwabe, Drittwirkung, 26 ff., der darauf hinweist, daß Sanktionen in unterschiedlichen Rechtsgebieten (etwa BGB einerseits, StGB oder Po1R andererseits) für denselben Sachverhalt auf eine einheitliche Primärnorm zurückzuführen sind.

V. Die Versammlungsfreiheit auf privatem Eigentum

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im amerikanischen Recht, wenn er Eingriffe der Privatrechtssubjekte den Grundrechten mit der Begründung unterwerfen will, daß diese auf staatlicher Rechtssetzung beruhen 444 • Existenz und Ausgestaltung der Rechtsordnung, unter der die Bürger verkehren, geraten so zu state action, " . . . the state can be said to authorize all conduct that it does not prohibit, andin this sense is ,involved' in allprivate conduct that it does not condemn" 445 . Mit einem solchen Verständnis von state action 446 würde noch hinter die Begründung in einigen vereinzelt gebliebenen Entscheidungen des Supreme Court zurückgegriffen, in denen die gerichtliche Durchsetzung vertraglicher Befugnisse und Verpflichtungen als state actionzum Auslöser grundrechtlicher Bindungen von Bürgern wurde 447. Ob indes durch die über die Existenz einer staatlichen Rechtsordnung begründete unmittelbare Geltung der Grundrechte die Probleme der privatrechtliehen Rechtsbeziehungen unter Bürgern, insbesondere im Vertragsrecht, sachgerecht erfaßt werden, ist fraglich. Insbesondere im Vertragsrecht 448 ist die staatliche Ermächtigung formal so umfassend ausgestaltet und durch die Einräumung von Privatautonomie auch inhaltlich so ausgerichtet, daß auf dem von staatlicher Determinierung weitgehend befreiten Markt freien Verhandeins und Einigens über die Interessen das rechtsgeschäftliche Wollen dominiert und der Verweis auf die staatliche "Verleihung" von Privatautonomie sehr weit hergeholt erscheint. Das Argument der "Eigenständigkeit des Privatrechts" gewinnt hier an Gewicht, und an ihm muß sich der Streit um die Form der Grundrechtsgeltung entscheiden. Haben Private prinzipiell weitergehende Eingriffsbefugnisse in grundrechtlich geschützte Freiheitsbereiche, als sie dem Staat zustehen, so ist es aufgrund dieser grundrechtliehen Strukturverschiedenheit "von personaler Freiheit zu personaler Freiheit" einerseits und "personaler Freiheit zu staatlicher Herrschaftskompetenz"449 andererseits zutreffend, die unterschiedliche Grundrechtsintensität durch eine modifizierte, da relativierende Grundrechtsgeltung zum Ausdruck zu bringen. Wenn es aber zutrifft, daß im öffentlichen und privaten Recht dieselben Sachgesetzlichkeiten herrschen und - wie es insbesondere Schwabe behauptet -auch im privaten Vertragsrecht die Grundrechtsbindung nicht weniger intensiv ist als im öffentlichen Recht 450, so ist es nicht verständlich, warum die Grundrechte Drittwirkung, 19 ff. und AöR 100, 460. 445 Karst/Horowitz, 1967 Sup.Ct.Rev., 55. 446 Diskutiert, aber ebenfalls abgelehnt bei Ehrnke, 649 ff.; Schauer, 61 Minn.L.Rev., 451 (1977); Ansätze aber bei Glennon/Nowak, 1976 Sup.Ct.Rev., 229 ff. und Quinn, 64 Cal.L.Rev., 157 f. (1976). 447 Shelley v. Kramer, 334 US 1 (17ff) (1948); Barrows v. Jackson, 346 US 249 (1953); New York Times v. Sullivan, 376 US 254 (265) (1964); Kritik bei Wechsler, 73 Harv.L.Rev., 29 f. (1959); Schauer, 61 Minn.L.Rev., 443 (1977); Schwelb, 36 N.Y. U.L.Rev., 779 (1961); zustimmend Quinn, 64 Cal.L.Rev., 157. 448 Gegen eine Unterscheidung zwischen vertraglichen und außervertraglichen Rechtsbeziehungen für die Grundrechtsgeltung, Schwabe, Drittwirkung, 66 ff.; ebenso für "torts" und "contracts" Tribe, 1169. 449 Rupp, DVBI. 1972, 67. 450 Drittwirkung, 79 f. , 105 ff. 444

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Teil B: Rechtsvergleich und Wertung

nicht unmittelbar angewandt werden sollten. Hiervon soll allerdings - zur Bewahrung der Privatautonomie - der Gleichheitssatz ausgenommen werden 451 , was in gegenläufiger Tendenz zu den USA steht, wo aufgrundder Rassentrennung gerade diesem Verfassungsgebot zur Wirksamkeit im Privatrecht verholfen werden sollte 452 • Trotz der Grundsätzlichkeit der Auseinandersetzung um die Grundrechtseinwirkung im Privatrecht sind die Auswirkungen des Disputs eher gering einzuschätzen. Die mit der Privatautonomie als unvereinbar empfundene Rigidität der unmittelbaren Grundrechtsgeltung wird dadurch vermieden, daß sich beide Privatrechtssubjekte auf Grundrechte berufen können und die Kollision - wie im öffentlichen Recht- durch Güterahwägung gelöst wird 453 oder sich die Privatautonomie bis zum Kernbereich der Grundrechte entfalten kann 454 • Daß hierbei gewisse Rechtsunsicherheiten auftreten, unterscheidet die Theorie der unmittelbaren Grundrechtsgeltung nicht von der herrschenden Meinung im deutschen Recht; auch sie vermag nicht verläßlich anzugeben, wann und in welcher Intensität die Grundrechte in das Privatrecht ausstrahlen. Das Argumentationsmuster der "sozialen Macht" ist eine zutreffende Richtlinie, die aber kaum in eine "rational durchschaubare(n) Kategorienbildung" 455 umgesetzt worden ist und unter die sich nicht alle vom Bundesverfassungsgericht zur Drittwirkung entschiedenen Fälle fassen lassen 456 • Die Theorie der mittelbaren Drittwirkung lebt gerade von ihrer Unbestimmtheit, in dem sie zwar eine Vermutung zugunsten einer Präponderanz des Zivilrechts begründet, es aber jederzeit möglich ist, die grundrechtliehen Wertentscheidungen zu aktualisieren und durch sie die privatrechtliehen Normen zu determinieren. Wenn die grundrechtliche Wertordnung eine bestimmte Regelung erfordert, so wird sich wohl immer eine Generalklausel finden lassen, durch die als Einbruchstelle diese Wertung in das Privatrecht einfließen kann, wobei sich etwa Hesse 457 , wenn entsprechende Gesetze fehlen, auch eine unmittelbare Bindung Privater an die Grundrechte - als Elemente objektiver Ordnung vorbehält. Ähnlich liegen im amerikanischen Recht die Gerichtsentscheidungen im Ergebnis weniger weit auseinander, als es die hier noch in stärkerem Maße divergierenden Grundsatzpositionen vermuten lassen. Vergleicht man die Rechtsprechung der eine extensive Auslegung der einzelstaatlichen Grundrechte befürwortenden 451 Schwabe, Drittwirkung, 149 ff.; BAGE 13, 103 (105); relativierend auch Leisner, Grundrechte und Privatrecht, 359. 452 Vgl. Schauer, 61 Minn.L.Rev., 448 m.w.Nw. (1977). 453 Schwabe, Drittwirkung, 107 ff.; abwägend auch Nipperdey, 18. 454 Leisner, Grundrechte und Privatrecht, 332. 455 So aber Maunz/Dürig-Dürig, Art. 3, 510. 456 vgl. Schwabe, AöR 100, 461. 457 s. 143.

V. Die Versammlungsfreiheit auf privatem Eigentum

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Staaten-Gerichte mit den früheren Urteilen des U.S. Supreme Court, so ergeben sich in Argumentation und Ergebnis zahlreiche Parallelen. Wie in Logan-Valley wird das shopping-center als funktionales Äquivalent eines städtischen Geschäftszentrums angesehen, dessen Inanspruchnahme der Eigentümer wegen der Freigabe für die Öffentlichkeit dulden muß 458 • Diese Übereinstimmungen müssen überraschen, sahen sich doch die Gerichte nicht oder nicht in diesem Maße an das Erfordernis von state action gebunden, das hinter den Entscheidungen des Supreme Court steht. Auch hier endet das Bekenntnis zur Grundrechtsbindung auch des Bürgers in einer Abwägung der kollidierenden Interessen 459 , bei der sich vermeintliche Unterschiede zwischen den Grundrechten der Staaten-Verfassungen und des 1. Amendment wieder einebnen lassen. Die Auflösung der kollidierenden Interessen wird so weniger dadurch beeinflußt, ob und in welcher Form die Grundrechte in Privatrechtsverhältnissen gelten, sondern bei der unmittelbaren Grundrechtsgeltung dadurch, welches Gewicht den jeweils betroffenen Grundrechten zugebilligt wird, bei der mittelbaren Grundrechtsgeltung dadurch, ob der Freiheitsbereich in einer Intensität beeinträchtigt wird, die zur Aktualisierung der grundrechtliehen Wertentscheidung im Privatrecht oder zur Annahme von state action führt, was ebenfalls eine Frage der Gewichtung des betreffenden Grundrechts ist. 2. Zur Lösung von Kollisionen zwischen Eigentum und Versammlungen

a) Fallkonstellationen Sanktionen gegen die Durchführung von Demonstrationen und Versammlungen auf fremden Privateigentum, die im amerikanischen Recht in den trespassGesetzen, im deutschen Recht in den §§ 823, 1004 BGB sowie gegebenenfalls in § 123 StGB ihren gesetzlichen Anknüpfungspunkt haben, werden aufgrund anderer tatsächlicher Gegebenheiten in der deutschen Rechtsprechung 460 in weitaus geringerem Maße verhängt als in den USA. Soweit in der deutschen Literatur eine Verpflichtung des privaten Eigentümers aus der Versammlungsfreiheit erörtert wird, ist die Beurteilung trotz unterschiedlicher Auffassungen über eine 458 Vgl. 391 US 308 (318 f.) (1968) und Alderwood v. Washington Environmental Council, 635 P.2d 108 (116) (1981); Shad Alliance v. Smith Haven Mall, 462 N.Y.S.2d 344 (348) (1983). 459 So deutlich Alderwood, 635 P.2d 108 (116); State v. Schmid, 423 A.2d 615 (628 ff.) (1980); ferner Giennon I Nowak, 1976 Sup.Ct.Rev., 229 ff.; Quinn, 64 Cal.L. Rev., 155 ff. (1976); die Formel des Supreme Court von Washington in der AlderwoodEntscheidung, daß die Meinungsfreiheit dann den privaten Eigentümer bindet, wenn sie in der Güterahwägung obsiegt (S. 116), führt ebenso wie die Theorien von Giennon I Nowak und Quinn die "state action" mit "state deprivation of a guaranteed right" gleichsetzen, zum Zirkelschluß, denn das Obsiegen oder die Verletzung des Grundrechts setzt voraus, daß es überhaupt unter Privaten gelten kann. 460 Zur Kollision Eigentum- Meinungsfreiheit BVerfGE 7, 230.

Teil B: Rechtsvergleich und Wertung

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Drittwirkung der Versammlungsfreiheit 461 einhellig: Der Eigentümer wird nicht für verpflichtet angesehen, Versammlungen auf seinem Grundstück zu dulden 462 • In den letzten Jahren sind indes neue Problemkreise diskutiert worden, die sich unter die hier behandelte Thematik fassen lassen. So könnten Haus- und Betriebsbesetzungen mit Protestcharakter über die Versammlungsfreiheit legitimiert werden. Auch hat die Nutzung der im Eigentum der Universität Bonn stehenden Hofgartenwiese als Demonstrationsforum der Bundeshauptstadt Bonn eine rechtliche Kontroverse ausgelöst, und es ist schließlich vorstellbar, daß Demonstranten auf den Parkplätzen großer Einkaufszentren Zugang zu den Kunden suchen, um zu Boykott von Waren aus bestimmten Ländern aufzurufen, die Firmenpolitik zu kritisieren oder für ein nicht inhaltlich auf die Eigentumsnutzung bezogenes Anliegen zu werben. b)

Der Beurteilungsmaßstab zur Lösung der Kollisionsfälle

Nimmt man die Sachverhaltensgestaltung in Marsh v. Alabama als Ausgangspunkt, so ist die vom Supreme Court festgestellte Verpflichtung des Eigentümers zur Duldung der Meinungskundgaben im Ergebnis zutreffend und dürfte kaum auf begründbaren Widerspruch stoßen 463 • Die Parallelen zwischen einer Stadt im herkömmlichen Sinn und Chickasaw sind zu deutlich, als daß die unterschiedliche Eigentumslage für die rechtliche Bewertung ins Gewicht fallen dürfte. Die Argumentation aus der public-function-Theorie zur Begründung von state action war naheliegend. Städte sind Träger hoheitlicher Gewalt, und so ließ sich die "Unterhaltung" einer Stadt als öffentliche Aufgabe betrachten, was es ermöglichte, die in Hague v. CIO und späteren Urteilen zur Kommunikationsfreiheit aufgestellten Grundsätze auch auf Chickasaw anzuwenden. Dennoch gerät die state-action-Theorie in konstruktive Schwierigkeiten, die hier am deutlichsten offenbaren, daß sie nur mit einer Fiktion staatlichen Handeins arbeiten kann. Eine aktive Beteiligung des Staates liegt gerade nicht vor; seine Rolle beschränkte sich auf ein bloßes Gewährenlassen. Der Eigentümer von Chickasaw handelte in staatlich analogen Funktionen und vergleichbarer Machtfülle, dies aber nicht aufgrund staatlicher Ermächtigung, die im deutschen Recht die Grundrechtsbindung des Beliehenen begründen würde 464• Die Annahme von state-action bei Wahrnehmung öffentlicher Funktionen wird aufgrunddes Spielraums bei der Bestimmung einer öffentlichen Aufgabe zur flexibel handhabba461 Ablehnend Samper, BayVBI. 1969, 78; Maunz/Dürig-Herzog, Art. 8, 41; für eine beschränkte Drittwirkung, Ott, E 22; AK-Hoffmann-Riem, Art. 8, 34. 462 Leisner, Grundrechte und Privatrecht, 387; Merten, Demonstration; 60; Quilisch, 176; Dietel /Gintzel, § 1, 17; Samper, BayVBI. 1969, 78; Maunz/Dürig-Herzog, Art. 8, 41; Ossenbühl, Gutachten 33. 463 Ablehnend indes die dissentierenden Richter, 326 US 501 (511) (Reed, J., Vinson, C.J., Burton, J.) 464 Hesse, 140; Bleckrnann, 152 m.w.Nw.

V. Die Versammlungsfreiheit auf privatem Eigentum

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ren46s Ausnahme vom Grundsatz der ausschließlichen Staatsrichtung der Grundrechte der amerikanischen Bundesverfassung. Trotz dieser Flexibilität verbaut sich die stare-action-Lehre durch die dann zwingende Gleichsetzung von Staat und Individuum eine die Besonderheiten von Privatrechtsbeziehungen berücksichtigende Lösung, die sich die Befürwortereiner mittelbaren Drittwirkung unter dem Grundgesetz offenhalten. Wenn der Eigentümer in Marsh v. Alabama für verpflichtet angesehen wurde, Meinungskundgaben auf seinem Grundstück zu dulden, so hat dies deshalb seine Berechtigung, weil er die umfassende Herrschaft über die Kommunikationsmöglichkeiten der Bewohner von Chickasaw ausüben konnte. Kommunale Straßen, Wege oder Parks als public fora bestanden nicht. Nicht entscheidend für die Lösung der Kollision zwischen Eigentum und Kommunikationsinteressen ist die Erwägung von Leisner, der danach differenzieren will, ob das Eigentum "aktiv" auf andere Rechte einwirkt oder nur wegen der Rechtsinhaberschaft nicht Grundlage für die Ausübung der Rechte anderer ist 466• Ursache für die Beeinträchtigung der Kommunikationsrechte ist hier weniger ein aktiver Angriff aus dem Eigentum als die reine Ausübung des Bestimmungsrechts des Eigentümers über sein Eigentum. Führt diese formale Ausübung der Eigentümerbefugnisse aber zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Rechte anderer, so müssen aus diesen materiellen, die Intensität der Beeinträchtigung berücksichtigenden Gründen die Grundrechte aktiviert werden. Zutreffend ist somit hier der von Hesse für die Einwirkung der Grundrechte im Privatrecht in den Vordergrund gestellte Gedanke, daß es nicht Sinn der Freiheit von den Bindungen der Grundrechte ist, freiheitsvernichtende Ausübung privater Macht verfassungsrechtlich zu sanktionieren 467. Daß aber ein Verbot der Meinungsäußerung, soweit sie primäres Handlungsziel ist und nicht nur beiläufig, "bei Gelegenheit" der Fortbewegung erfolgt, auf den Straßen von Chickasaw freiheitsvernichtenden Charakter hat, die Kommunikationsgrundrechte in ihrem "Kernbereich" beeinträchtigt468, läßt sich schwerlich bezweifeln. Dies ergibt sich aus den gleichen Erwägungen, die im Verhältnis zum Staat zu einem Nutzungsanspruch für kommunale Straßen und Wege aus der Versammlungsfreiheit geführt haben. Offenbleiben soll hier, ob die Auffassung von Schwabe zutrifft, daß eine "Drittwirkung" nur dann in Betracht kommt, wenn private Gewalt oder private Eingriffe mit einem Grundrecht des status negativus kollidieren 469. Daß sich 465 Aus diesem Grund kritisch Tribe, 1163; Glennon/Nowak, 1976 Sup.Ct.Rev., 232 f.; zustimmend Quinn, 64 Cal.L.Rev., 170 (1976). 466 Grundrechte und Privatrecht, 393. 467 Hesse, 142 f. 468 Dieser Aspekt auch bei Leisner, Grundrechte und Privatrecht, 389 ff. für die Drittwirkung im Vertragsrecht. 469 Schwabe, Drittwirkung, 15 f.; ähnlich Rüesch, 170, 325.

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Teil B: Rechtsvergleich und Wertung

Rechte des status activus nur gegen den Staat richten 470, ist zutreffend, schließt es aber nicht aus, diesen Aspekt der Kommunikationsgrundrechte 471 gegenüber einer Beeinträchtigung durch den privaten Eigentümer zu berücksichtigen. Auch für grundrechtliche Leistungsansprüche lehnt Schwabe eine Verpflichtung des Bürgers ab 472 • Ob es sich bei der hier in Frage stehenden Nutzung von Straßen um einen Leistungsaspekt aus dem status positivus oder einen Abwehrimpuls aus dem status negativus handelt, ist - wie die Ausführungen zur Nutzung öffentlicher Straßen zeigen - nicht eindeutig zu beantworten. Die Kategorien "Leistung" und "Unterlassung" sind nicht klar genug abzugrenzen, um die hier zu entscheidende Frage davon abhängig zu machen. Übt ein Bürger indes seine Rechte in freiheitsvernichtender Weise aus, so lassen sich die Grundrechte der hiervon Betroffenen entgegensetzen. Hier hat für die vorliegende Kollision das Privateigentum zurückzustehen, sodaß die fast einhellige Auffassung unter dem Grundgesetz, die Versammlungsfreiheit finde ihre Grenzen am Eigentumsrecht, insoweit einer Korrektur bedarf. Nicht als ausschlaggebend wird man es aber anzusehen haben, daß der Eigentümer sein Gelände der Öffentlichkeit frei zugänglich gemacht hat. Diesen vom Supreme Court in Marsh v. Alabama und Logan-Valley herausgehobenen Aspekt 473 haben andere Gerichtsentscheidungen als Entscheidungsgrundlage übemommen 474 • Der Supreme Court hat sich später zu Recht hiervon distanziert 475 , denn der Eigentümer will, auch wenn er den Zutritt ungehindert geschehen läßt, sein Eigentum nur für bestimmte Zwecke öffnen, und er unterliegt keiner Rechtfertigungslast, wenn er auch grundrechtlich geschütztes Verhalten von seinem Eigentum fernhalten will. Wenn fremdes Privateigentum zur Ausübung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit in Anspruch genommen werden soll, muß die Begründung aus diesen Rechten hergeleitet werden, was die mangelnde Verfügbarkeit von Kommunikationsraum erfordert. Erst unter dieser Voraussetzung kann bei einer Abwägung mit dem Eigentum berücksichtigt werden, ob die Schutzwürdigkeit der Interessen des Eigentümers durch die freie Zugangsmöglichkeit gemindert wird und Meinungskundgaben mit den von dem Eigentümer verfolgten Zwecken vereinbar sind.

Schwabe, Drittwirkung, 15. Sofern man die Kommunikationsgrundrechte auch als Ausdruck des "status activus" ansieht; ablehnend indes Schwabe, Grundrechtsdogmatik, 278 ff. 472 Schwabe, Drittwirkung, 16 f. 473 326 US 501 (506,508) (1946) bzw. 391 US 308 (313,318 ff.,323,326) (1968). 474 s.o. A.V.2.c.; ferner In re Lane, 457 P.2d 560 (561) (1961); Diamond v. Bland, 477 P.2d 733 (739) (1971); Commonwealth v. Tate, 432 A.2d 1382 (1386) (1981). 475 Centtal Hardware Co. v. N.L.R.B., 407 US 540 (547) (1972); Lloyd v. Tanner, 407 US 551 (556) (1972); Hudgens v. N.L.R.B., 424 US 507 (537) (1976). 470 471

V. Die Versammlungsfreiheit auf privatem Eigentum

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c) Anwendung des skizzierten Maßstabes Setzt man diese Wertung in die angeführten Kollisionsfalle um, so führt dies zu folgenden Ergebnissen: aa) Labor camps Bei der Beurteilung, ob die Eigentümer der Iabor camps umfassend über die Ausübung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit bestimmen können, ist die räumliche Entfernung zur nächsten Stadt sowie die soziale und wirtschaftliche Autarkie der Lager zu berücksichtigen. Gelangt man so zu dem Ergebnis, daß sie das Lebenszentrum der häufig ausländischen Arbeiter sind, so können diese nicht auf Meinungsäußerungs-, Versammlungs- oder Informationsmöglichkeiten außerhalb des Lagers verwiesen werden. Bei einem Verbot besteht keine Möglichkeit von Meinungsaustausch und Meinungskundgabe, insbesondere mit Nichtbewohnern, denen auch der Zugang zu den Wohnräumen der Arbeiter versagt wäre. Auf die Größe des Lagers kommt es ebenso wenig an wie auf das Vorhandensein aller auch in einer Stadt vorhandenen Einrichtungen; die Ausstattung mit Abfallverwertungsanlagen oder Postämtern 476 hat für die Ausübung der Kommunikationsfreiheiten keine Bedeutung, zumal es dann den Arbeitgebern freistünde, durch eine karge Lagerausstattung die Kommunikationsmöglichkeiten der Arbeiter zu vereiteln. bb) Der Campus Ebenso sollte im Ergebnis die Beurteilung für Meinungsäußerungen und Versammlungen auf dem Campus privater Universitäten ausfallen. Wenn diese auch stärker in die Städte integriert sind, so bildet der Campus doch in der Regel einen abgeschlossenen Lebensbereich mit verselbständigter Sozial- und Infrastruktur. Er ist Lebensmittelpunkt der Studenten und für diese Forum der Meinungskundgabe und des Meinungsaustausches über studentische, universitäre, aber auch allgemein-politische Belange. Zu diesem Ergebnis gelangte auch der Supreme Court von New Jersey für die Universität Princeton, allerdings nur aufgrundder Anwendung und Abwägung der Grundrechte der Staatsverfassung, während er sich an der Anwendung der Rechte des 1. Amendment aufgrund der neueren Rechtsprechung des Supreme Court zur state-action-Theorie gehindert sah 477 • Ist es auch möglich, die Staaten476 Vgl. Hudgens v. N.L.R.B., 424 US 507 (516) (1976); m.w.Nw.; ähnlich Illinois Migrant Council v. Campbell Soup Co., 574 F.2d 374 (377 f.) (1978); zu Recht kritisch Kaplan, 55 Chic.-Kent L.Rev., 249 (1979). 477 State v. Schmid, 423 A.2d 615 (1980); für eine Anwendung der Rechte des 1. Amendment auf dem Gelände einer privaten Universität, aber in der Begründung unklar Powe v. Miles 407 F.2d 73 (82 f.) (1968).

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Teil B: Rechtsvergleich und Wertung

Grundrechte extensiver zu interpretieren als die Grundrechte der Bundesverfassung478, so würde bei dem hier vorgeschlagenen Maßstab auch aus letzteren ein Recht zur Durchführung von Demonstrationen auf dem Campus folgen. cc) Shopping-centers Die Shopping-Center-Fälle erfordern grundsätzlich eine andere Beurteilung. Auch die amerikanischen Städte verfügen über einen Stadtkern mit Rathaus, Gericht, Parks sowie einer Ansammlung von Geschäften. Die Bedeutung des Stadtkerns als Geschäftszentrum ist zwar zurückgegangen, doch reicht allein dies nicht aus, um Demonstrationen auf dem Gelände von shopping-centers durchzuführen. Es geht hier - wie bei der Diskussion um das public forum - um eine Effektivierung der Kommunikationsgrundrechte 479, für die Eigentümer eines privaten Grundstücks in noch geringerem Maße zuständig sind. Wenn diese- aus welchen Gründen auch immer 480 - keine politischen oder sonstigen Kundgaben auf ihren Grundstück dulden wollen, so steht ihnen das Recht zu, dies zu untersagen. dd) Die Banner Hofgartenwiese Einer eingehenden gerichtlichen Klärung 481 bedarf noch die Nutzung der Hofgartenwiese in Bonn für Demonstrationen. Sie ist bevorzugter, da zentral gelegener Kundgabeort für Großdemonstrationen, steht indes seit 1818 im Eigentum der Universität Bonn, die die Unterhaltung des Geländes durch einen Vertrag von 1895 der Stadt übertragen hat482. Ossenbühl hat in einem von der Universität in Auftrag gegebenen Gutachten eingehend begründet, daß die Universität nicht verpflichtet ist, die Hofgartenwiese für Demonstrationen zur Verfügung zu stellen 483 . Eine Qualifizierung als 478 Entsprechende Ansätze im deutschen Recht sind nicht erkennbar. Die mangelnde systematische Fundierung der extensiven Auslegung der Grundrechte durch die StaatenGerichte, die nur Reaktion auf die Rechtsprechung des Supreme Court sei, kritisiert Sirnon 33 Kans.L.Rev., 308, 316 ff. (1985); ähnlich Jacobs v. Major, 407 N.W.2d 832 (841) (1987). 479 So ausdrücklich die Justices Brennan und Marshall in Hudgens v. N.L.R.B., 424 US 507 (533)d.o. (1976). 480 Ob er nur auf die "Wahrung seiner formellen Eigentümerbefugnisse pocht" (BVerfGE 7, 230 (237)) oder Meinungsäußerungen als schädlich für seinen Geschäftsbetrieb ansieht, kann nicht entscheidend sein. 481 Nach Abschluß der Arbeit lehnte das VG Köln einen Anspruch auf Nutzung für eine Versammlung mit 100 000 Teilnehmern sowohl aus einfachem Recht wie aus den G_rundrechten ab (Urteil vom 17. 3. 1989- 20 K 4703/87). 482 Einzelheiten bei Ossenbühl, Gutachten 7 ff. 483 Aus denkmalschutzrechtlichen Gründen ist die Universität als Eigentümer gern. § 7 DSchG NW sogar verpflichtet, den Rasen beeinträchtigende Nutzungen zu untersagen, Ossenbühl, ebd., 10 ff.

V. Die Versammlungsfreiheit auf privatem Eigentum

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öffentliche Einrichtung scheitere an der Widmung bei vorangegangener Zustimmung der Universität als Eigentümer; soweit eine Widmung kraft Vermutung aber angenommen werde, sei diese auf Erholungszwecke beschränkt, sodaß das Eigentum der Universität nur insoweit öffentlich-rechtlich belastet ist 484 • Bei der Entscheidung über die Zulassung darüber hinausgehender nichtuniversitärer Nutzungen handele es sich um fiskalisches Handeln der Universität als Körperschaft des öffentlichen Rechts, die zwar in gewissem Rahmen an den Gleichheitssatz, nicht aber an die Versammlungsfreiheit gebunden sei 485 • Eine Inanspruchnahme der Universität aus polizeilichem Notstand - wie es im Juni 1987 aufgrund mangelnder Ausweichmöglichkeiten bei der erwarteten Teilnehmerzahl erfolgt war 486 - wird man nur als Ausnahmelösung wegen des knappen Zeitraums zum Veranstaltungstermin gelten lassen können. Die Voraussetzungen des polizeilichen Notstandes, dietrotzdes Ausnahmecharakters einer Inanspruchnahme des Nichtstörers wohl nur recht oberflächlich geprüft wurden, lassen sich in der Regel durch eine Begrenzung der Teilnehmerzahl und die Zuweisung von Ausweichorten umgehen. Wird aber die Universität bei ihrer Entscheidung, Demonstrationen auf ihrem Eigentum zuzulassen, durch die Versammlungsfreiheit gebunden, bedarf es der Konstruktion über den polizeilichen Notstand nicht. Daß in der Bundeshauptstadt Demonstrationsgelände auch zur Durchführung von Großdemonstrationen bereitstehen muß, wird man als Konsequenz aus dem im beschränkten Umfang bestehenden Leistungsaspekt der Versammlungsfreiheit anzuerkennen haben. Insoweit besteht eine Verpflichtung der Stadt, ein auch für Großveranstaltungen geeignetes Gelände zu Verfügung zustellen, es gegebenenfalls auch zu schaffen. Indes sind derartige Flächen und Arenen in Bonn vorhanden (Rheinauenwiesen, Poppelsdorfer Allee, Sportpark Nord), sodaß ein Verbot der Nutzung des Hofgartens nicht freiheitsvernichtend wirkt. Daher wird man -auch wenn nicht alle diese Versammlungsforen im unmittelbaren Innenstadtbereich liegen -einen Anspruch auf Nutzung der Hofgartenwiese nicht anerkennen können. Die Beschränkung des Demonstrationseffektes erscheint auch deshalb geringfügig, weil mit den Rheinauenwiesen ein Versammlungsraum bereitsteht, der in der näheren Umgebung von Regierung und Parlament liegt; gerade diese Institutionen haben für die Mehrzahl der Massenversammlungen als Sitz der Adressaten der Kundgabe besondere Relevanz, und der Leistungsanspruch für die Bereitstellung eines Versammlungsforums folgt gerade aus dem Hauptstadtcharakter. Auch soweit- was aber auf Grund bisheriger Versammlungen nicht vorstellbar erscheint- eines der bestehenden Versammlungsforen für alle Teilnehmer einer Versammlung nicht ausreicht, läßt sich kein Anspruch auf Nutzung der Hofgartenwiese begründen. Zwar liegt in einer Verteilung von Versammlungs484 485 486

ebd. 27 f. ebd. 32 f.

OVG Münster v. 11. 6.1987-4 B 1316/87- (unveröffentlicht).

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Teil B: Rechtsvergleich und Wertung

teilnehmern auf mehrere Versammlungsorte eine erhebliche Minderung des Kundgabeeffektes, doch stellt diese nicht eine "Vernichtung" der Versammlungsfreiheit dar. Eine Beeinträchtigungsintensität des Grundrechts, die die Inanspruchnahme fremden Privateigentums rechtfertigen würde, ist nicht gegeben. Insoweit kann hier auch zugunsten der Universität außer Betracht bleiben, daß die Inanspruchnahme der Hofgartenwiese durch ca. 100 000 Teilnehmer unmittelbar eine erhebliche Substanzverletzung bewirkt 487 und durch die Massenversammlungen der Universitätsbetrieb auch vor der Versammlung in der Regel zum Erliegen kommt. ee) Haus- und Betriebsbesetzungen Schließlich haben auch Eigentümer leerstehender Häuser nicht die Durchführung von Versammlungen oder Demonstrationen in diesen zu dulden. Ob eine Hausbesetzung eine Meinungskundgabe darstellt, ist im Einzelfall schwierig zu beurteilen; es wird in dem Maße zutreffen, in dem sie von Beginn an nur als vorübergehend geplant ist und von plakativer Meinungskundgabe begleitet wird 488 • Nach Auffassung von Küchenhoff489 sind demonstrative Hausbesetzungen gegen als "schweres verfassungsrechtliches Unrecht" empfundene "mieterverdrängende spekulative Wohnraumvernichtung" zulässig; ebenso sehen einige Untergerichte 490 und auch Förster 491 den Eigentümer zur Duldung demonstrativer Hausbesetzungen als verpflichtet an, wenn dieser durch sein Verhalten die Hausbesetzung mit veranlaßt hat und das Leerstehen der Häuser wegen Dauer und lokaler Wohnungsnot ein Mißstand von öffentlichem Interesse ist. Unter dem hier skizzierten Maßstab zur Zulässigkeit von Versammlungen und Demonstrationen auf fremden Eigentum ist diese Auffassung abzulehnen 492 • Es bestehen in ausreichendem Umfang Möglichkeiten, durch Demonstrationen im Stadtzentrum oder vor leerstehenden Häusern gegen das Verhalten des Eigentümers zu protestieren. Unter diesen Voraussetzungen ist die Form der Nutzung des Eigentums irrelevant; der Eigentümer kann mit allen rechtlichen Mitteln gegen die Demonstranten vorgehen. 487 Die Versammlungsfreiheit schützt keine Kundgaben durch Sachbeschädigen, s.o. B.III.3.a.bb. Daher ist fraglich, ob das Grundrecht für die Durchführung von Veranstaltungen herangezogen werden kann, die so unmittelbar die Sachsubstanz fremden Privateigentums beschädigen. 488 Förster 19; eine Typologie von Demonstrationszielen bei Küchenhoff, Freiheit und Gleichheit 3!1981, 90 f. 489 Freiheit und Gleichheit 3 I 1981, 85 und das Parlament Nr. 32-33/1982, 8. 490 Zitiert bei Küchenhoff, Hausbesetzer vor Gericht, KJ 1982, 162 ff. 491 Förster beschränkt seine Ausführungen einerseits nur auf die Frage der Friedlichkeit (S. 182), setzt aber zugleich friedlich und rechtmäßig gleich (S. 184) und spricht weiter davon, daß der Eigentümer die Rechtsbeeinträchtigungen als "Demokratierisiko" hinzunehmen habe (S. 187 f.). 492 Im Ergebnis auch v. Münch, Art. 8, 28; VG Hannover, DVBl 1981, 786 (787).

VI. Präventive Einschränkungen der Versammlungsfreiheit

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Ebenso ist unter rein versammlungsspezifischen Gesichtspunkten für Betriebsbesetzungen durch Arbeitnehmer als demonstrativer Protest, etwa gegen Aussperrungen, zu entscheiden. Aber auch während der Arbeitszeit läßt sich eine Verpflichtung des Eigentümers, Versammlungen und Demonstrationen auf dem Betriebsgelände durchzuführen, aus den Grundrechten der Meinung- und Versammlungsfreiheit nicht begründen 493 . Eine andere Frage ist indes, ob Versammlungen und Demonstrationen von Arbeitsnehmern auf dem Betriebsgelände während und außerhalb der Arbeitszeit oder auch Betriebsbesetzungen durch das Streikrecht erfaßt werden 494.

VI. Präventive Einschränkungen der Versammlungsfreiheit l. Das Verhältnis von Anzeigepflicht und Genehmigungsvorbehalt

a) Zur Diskussion im amerikanischen Recht Während in den Vereinigten Staaten die Ausübung des Versammlungsrechts in der Öffentlichkeit weithin dem Erfordernis einer Genehmigung unterworfen ist 49S, sieht§ 14 VersG lediglich eine Anzeige vor. Die Festlegung des Genehmigungsvorbehalts setzt sich so dem Einwand der Verletzung des Gebotes des geringstmöglichen Eingriffes aus, wenn die deutsche Lösung den staatlichen Interessen in demselben Maße dienen kann wie ein Genehmigungsvorbehalt. Obwohl im amerikanischen Verfassungsrecht das Gebot des geringstrnöglichen Eingriffs eine Parallele im Grundsatz der less restrictive alternative I least restrictive means 496 hat und dieser von den Gerichten auch bei Einschränkungen der Versammlungsfreiheit angewendet wird 497, findet er in Urteilen zur Zulässigkeil eines Genehmigungsvorbehalts keine Berücksichtigung. Nur in Smith v. Montgomery498 deutet ein U.S. District Court das Verhältnis der beiden Regelungstechniken zueinander an; die Verurteilung von Teilnehmern eines nicht genehmigten Bürgerrechtsmarsches hob er mit der Begründung auf, daß nach den Umständen des Sachverhalts die (vorliegende) Mitteilung an die zuständige Behörde ausrei493 So Gerhard Müller, Arbeitskampf und Recht, Frankfurt, 1987, S. 141; a.A. Sieback, in Däub1er, Arbeitskampfrecht, Baden-Baden 1984, Anm. 420 ff. m.w.Nw. 494 Zur Diskussion, Gerhard Müller, 141; Sabine Wendt, Die Betriebsbesetzung, Frankfurt 1984. 495 Wie dargestellt, treffen die Kodifizierungen häufig Differenzierungen nach Form, Ort und Größe der Versammlung. 496 Etwa United States v. O'Brien, 391 US 367 (377); Boos v. Barry, 108 S.Ct 1157 (1165 ff.) (1988); eingehend E1y, 88 Harv.L.Rev., 1484 ff. (1975). 497 Boos v. Barry, 108 S.Ct 1157 (1165 ff.); NAACP v. Richmond, 743 F.2d 1346 (1355) (1984); A Quaker Action Group v. Morton, 516 F.2d 717 (734) (1975); York v. Danville, 152 S.E.2d 259 (264) (1967). 498 251 F.Supp. 849 (851) ( 1966); wohl auch in A Quaker Action Group v. Hickel, 421 F.2d 1111 (1119) (1969).

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Teil B: Rechtsvergleich und Wertung

chend und die Erfordernisse eines formellen Antrages und des Zuwartens auf die Genehmigung unverhältnismäßig gewesen seien. Die Erklärung für die fehlende Auseinandersetzung zwischen Genehmigungsvorbehalt und Anzeigepflicht läßt sich aus zwei Gerichtsentscheidungen ableiten: In A Quaker Action Group v. Morton 499 wird die Anzeigepflicht als unzureichend zur Vermeidung zeitlicher und räumlicher Überschneidungen von Versammlungen angesehen; in Handley v. Montgomery 500 hielt der Supreme Court die Grundsätze der Entscheidung Smith v. Montgomery für nicht anwendbar, da aufgrund des Charakters der geplanten Veranstaltung - eines Marsches von 200 KuKlux-Klan-Mitgliedern- behördliche Auflagen notwendig gewesen wären. Der Zweck der Genehmigung ist es somit, durch sie der Behörde eine Reaktion gegenüber den Veranstaltern der Versammlung zu ermöglichen, sei es durch beschränkende Auflagen, sei es gar durch ein Verbot; das Anzeigesystem wird offensichtlich überwiegend so verstanden, daß die Behörde hier nur auf die passive Entgegennahme der Anzeige und die Vormerkung der angezeigten Versammlung beschränkt bleibt 501 • Dies macht verständlich, daß- hält man präventive Beschränkungen der Versammlungsfreiheit für erforderlich - die Anzeige nicht als weniger belastendes Mittel erörtert wird, denn sie stellt dann keine taugliche Alternative dar. b) Möglichkeiten der Gleichstellung Ist die Genehmigung nicht in das Ermessen der Verwaltung gestellt und entsprechen die Voraussetzungen zu ihrer Erteilung denen zum Verbot einer Versammlung im Anzeigesystem, so läßt sich eine weitgehende Ähnlichkeit beider Regelungsmechanismen erreichen. Eine solche bestand zwischen dem heute nicht mehr gültigen Berliner Gesetz über die Vereins- und Versammlungsfreiheit 502 und dem Bundesversammlungsgesetz. Ein wesentlicher Unterschied, der das Genehmigungssystem zur belastenderen Regelung macht, liegt darin, daß sich die Untätigkeit der Behörde oder eine stark verzögerte Entscheidung hier zuungunsten des Bürgers auswirkt. Dem läßt sich zunächst durch die Aufstellung eines Zeitlimits für die Verwaltungsentscheidung abhelfen, wie es im amerikanischen Recht in Anschluß an Freedman v. Maryland gefordert wird und auch im Berliner Versammlungsgesetz (§ 9 II 3) festgelegt war. Der Einwand, eine solche Frist führe zu einer dem Bürger ungünstigen Vorverlegung des Zeitpunkts zur Beantragung der Genehmigung 503, wird durch 499

516 F.2d 717 (727) (1975).

soo 401 So.2d 171 (183) (1981). so1 So wohl auch Abemathy, Assembly 67; Chafee, Free Speech, 431; vgl. auch State

v. Cox, 16 A.2d 508 (513) (1940). 502 Vom 29. 9. 1950, VOBI., 442, abgelöst durch Übernahme des BundesVersG, Gesetz vom 15. 10. 1968, GVBI., 1509.

VI. Präventive Einschränkt.ngen der Versammlungsfreiheit

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die Ausgestaltung der meisten Kodifizierungen in den USA gestützt, die grundsätzlich einen Mindestzeitraum von 10 Tagen zwischen dem Antrag und der Veranstaltung vorsehen. Zwingend ist diese Konsequenz jedoch nicht; der Behörde ist es durchaus möglich, auch in einem kürzeren Zeitraum Entscheidungen zu fallen 504• Ergänzt werden müßte die Auferlegung einer Handlungsfrist für die Verwaltung durch die Fiktion der Genehmigung, wenn die Behörde in dem ihr gesetzten Zeitraum keine Entscheidung getroffen hat. Ohne diese Regelung erweist sich der Genehmigungsvorbehalt auch dann als belastender für den Bürger, wenn im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes Abhilfe möglich ist, denn er wird zum Handeln verpflichtet, wennertrotz noch nicht ergangener Verwaltungsentscheidung die Versammlung durchführen will. c) Das Anzeigesystem als freiheitlichere Regelung Selbst wenn durch eine Handlungsfrist und eine Genehmigungsfiktion eine rechtstechnische Angleichung der beiden präventiven Regelungsmechanismen gelingt, so ist doch das Verbot mit Genehmigungsvorbehalt die für den Bürger ungünstigere Regelung. Dies folgt weniger aus schon urunittelbar im Gesetz erkennbaren Differenzierungen als aus dem unterschiedlichen Freiheitsbild, das sich in den beiden Gestaltungsmöglichkeiten ausdrückt und unvermeidlich die Anwendung der Gesetze durch Verwaltung und Justiz beeinflußt. Ohne Genehmigungsvorbehalt wird die Grundrechtsausübung zum Grundsatz, ihr Verbot zur Ausnahme. Der Behörde wird nicht nur für eine Untersagung der Ausübung des Grundrechts die Verpflichtung zum Handeln auferlegt, die sie nachhaltiger zur Reflektion über die Rechtmäßigkeit ihrer Entscheidung veranlaßt als eine die Gesetzesvermutung vollziehende Ablehnung eines Antrages auf Ausnahme vom Grundsatz. Der Staat wird auch deutlicher als Eingreifender, als ,,Störer der Freiheit" markiert. Trotz Anzeigepflicht trifft auch hier zu, was Herbert Krüger beim Vergleich von Verbot mit Erlaubnisvorbehalt und Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt ("Gewährung mit Auslesevorbehalt") festgestellt hat. Durch die Wahl des einen oder anderen Systems wird auch eine materielle Vorentscheidung getroffen, die die Rechtsposition des Betroffenen beeinflußt 505 • Ein Verbot mit Genehmigungsvorbehalt läßt zwar noch die Alternative zwischen repressivem oder präventivem Verbot, durch die ein unterschiedliches Freiheitsverständnis der Regelungen ausgedrückt werden soll, die aber in ihrer Trennung nur schwer einsehbar und nachvollziehbar ist 506• Die Progressive Labor Party v. Lloyd, 487 F.Supp. 1054 (1059) (1980). A Quaker Action Group v. Morton, 516 F.2d 717 (735) (1975); Blasi, 68 Mich.L. Rev., 1543 (1970). 505 DÖV 1958,677 f.; ferner Friauf, JuS 1962,422 f. ; zur Versammlungsfreiheit auch Frowein, NJW 1969, 1085. 503

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Teil B: Rechtsvergleich und Wertung

Einfügung von Handlungsfristen und Genehmigungsfiktion in das System des Genehmigungsvorbehalts entschärft dieses zwar; indem aber zugleich das ihm zugrundeliegende Regel-Ausnahme-Schema angegriffen wird, wird es entstellt und in sich widersprüchlich. Auch erreicht es in seiner Kompliziertheit und Schwerfälligkeit nicht die Flexibilität der Erlaubnis mit Anzeigepflicht und Verbotsmöglichkeit. Gerade für die Versammlungsfreiheit hat dies Auswirkungen etwa für die Durchführung spontan entstehender oder kurzfristig veranstalteter Versammlungen, auf die Form der Mitteilung an die Behörde 507 und auch auf die Auferlegung von Kosten für ein förmliches Verwaltungsverfahren. Die Ausgestaltung der präventiven Kontrolle der Versammlungsfreiheit wird man somit nicht dem Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers überlassen können 508 , ein Genehmigungsvorbehalt für Versammlungen unter freiem Himmel ist als freiheitsfeindlichere Regelung gegenüber einem Anzeigesystem mit Verbotsmöglichkeit nicht zu rechtfertigen 509• 2. Zur Zulässigkeif der Anzeigepflicht

a) Einwände Im deutschen Verfassungsrecht wird die Zulässigkeit der Anzeigepflicht für Versammlungen unter freiem Himmel kaum in Frage gestellt, vorausgesetzt freilich, daß Ausnahmen möglich bleiben 510 • Allein Geulen 511 hält § 14 VersG umfassend für verfassungswidrig, da er die in Art. 8 II GG festgelegte Anzeigefreiheit in vollem Umfang aufhebt und damit gegen Art. 19 II GG verstoße. Nachdrücklicherer Kritik ist die Pflicht zur Anzeige im amerikanischen Recht ausgesetzt. In Robinson v. Coopwood 512 verwarf ein U.S. District Court eine kommunale Verordnung, die eine Anzeigepflicht für Paraden und Märsche vorsah, mangels unmittelbar drohender Gefahren für die öffentliche Sicherheit bei Kritisch zu Recht Schwabe, JuS 1973, 134. Für§ 14 reicht eine mündliche Anzeige aus Dietel I Gintzel, § 14, 15; Schriftform ist für die Anträge im amerikanischen Recht erforderlich. 508 So aber Merten, MDR 1968, 624; ebenso das Bundesverfassungsgericht für Sondernutzungen im Straßenrecht, zitiert bei Steinberg I Herbert, JuS 1980, 111, Fn. 42. 509 Wie hier Frowein, NJW 1969, 1085; Ott, § 14,1 ; AK-Hoffmann-Riehm, Art. 8, 48; anders aber Maunz/Dürig-Herzog, Art. 8, 92; Dietell Gintzel, § 14, 10; Werbke, NJW 1970, 7, Fn. 43; Merten, MDR 1968, 624; zur Diskussion im schweizerischen Recht Rüesch, 283 ff., der selbst die Anzeigepflicht als milderes Mittel bezeichnet, aber daraus nicht auf die Verfassungswidrigkeit der Genehmigungsvorbehalte schließt. 510 Vgl. nur BVerfGE69, 315 (352); BVerwGE 26, 135 (137); Maunz/ Dürig-Herzog, Art. 8, 106; AK-Hoffmann-Riem, Art. 8, 45; Schwäble, 198; insoweit auch Frowein, NJW 1969, 1085. 511 KJ 1983, 195. 512 292 F.Supp.926 (932 ff.); aff. 415 F.2d 1327 (1968). 506· 507

VI. Präventive Einschränkungen der Versammlungsfreiheit

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nicht angezeigten Veranstaltungen als unzulässige präventive Beschränkung der Versammlungsfreiheit. Auch zerstöre die Anzeigepflicht das Gefühl der Freiheit von staatlichen Beschränkungen, ferner wirke sie abschreckend auf Teilnehmer und Veranstalter und mache spontane Versammlungen unmöglich. In der Literatur lehnt Edwin Baker bei seiner kritischen Auseinandersetzung mit dem im amerikanischen Recht gebräuchlichen Genehmigungsvorbehalt auch eine Anzeigepflicht für Versammlungen ab. Auch sie sei eine Verletzung des Verbots spezifisch gegen die Rechte des 1. Amendment gerichteter Beschränkungen und des Rechts auf Nutzung der Straßen für kommunikative Zwecke 513 • Im Rahmen einer zusätzlichen Abwägung gelangt er zu einem Überwiegen der Nachteile einer Anzeigepflicht, die er in den Konsequenzen für spontane und unorganisierte Versammlungen, dem Zwang zur Unterwerfung unter ein staatliches Organisationsschema für staatskritische Veranstalter und der Mißbrauchsgefahr aufgrund der Neigung zur Voreingenommenheit der Verwaltungsorgane gegenüber Minderheitenorganisationen sieht 514• Ihre möglichen Vorteile hält Baker auch im Rahmen des von ihm vorgeschlagenen frei willigen Anzeigesystems 515 für erreichbar, das auch nicht zu einer häufig erst die Gewalt bewirkenden Auflösung nicht genehmigter oder nicht angezeigter Veranstaltung zwinge 516• b) Stellungnahme Bakers zuerst angeführtes Argument gegen die Zulässigkeil einer Abzeigepflicht ist das eines Verbotes von Sondergesetzen gegen die Versammlungsfreiheit, eine These, die im deutschen Recht aufgrund des Gesetzesvorbehalts in Art. 8 II GG und des argurnenturn e contrario aus der Schranke der allgemeinen Gesetze in Art. 5 II GG nur selten aufgestellt wird 517 • Für das amerikanische Recht läßt sich entgegenhalten, daß zahlreiche Korliftkationen einen Genehmigungsvorbehalt auch etwa für Sportveranstaltungen, Konzerte, dramatische Aufführungen, Ausstellungen, Shows, Jahrmärkte und ähnliche Veranstaltungen vorsehen518. Aufgrund dieser Regelungen knüpfen Anzeigepflicht oder Genehmigungsvorbehalt auch dann nicht am grundrechtlich geschützten FreiIn 78 Nw.U.L.Rev., 955 f., 1001 bzw. 990 f. (1983). ebd., 1013 ff. 515 Was Baker als "voluntary permit system" bezeichnet, stellt dem Bürger frei, die Versammlung anzuzeigen, der Behörde, dem Anzeigenden zusätzliche Vergünstigungen - Reservierung des Geländes, Polizeischutz o.ä. - in Form einer "Genehmigung" zuzusichern, ebd., 1002, 1008. 516 ebd., 1009 ff. 517 Wohl nur Preuß, R. Schmid-FS, 438 f. 518 Etwa 36 C.F.R. § 50.19(a) (2),(b); Nev.Rev.Stat., § 286-2; Atlanta Code, Sec. 11-20-72; New York City Charterand Code,§ 435-9.0; Denver Code, § 54 - 332; San Antonio Code, § 19 432; Berkeley Code, § 13.44 010; Fort Lauderdale Code, Sec. 28361. 513

514

13 Ehrentraut

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Teil B: Rechtsvergleich und Wertung

heitsaspekt an, wenn man mit Baker519 die Versammlungsfreiheit nicht auf Versammlungen zur Meinungsdarstellung und zum Meinungsaustausch beschränkt. Aber selbst wenn dies nicht der Fall ist, folgt allein hieraus nicht die Unzulässigkeil der Anzeigepflicht. Sind Versammlungen in besonderem Maße geeignet, mit den Rechten anderer oder Gemeinschaftsinteressen zu kollidieren, und ist die Anzeigepflicht zur Verminderung dieses Konflikts geeignet, erforderlich und verhältnismäßig, so wird dieses Resultat nicht dadurch in Frage gestellt, daß es der Normgeber unter Umständen unterlassen hat, andere Veranstaltungen ebenfalls zu erfassen. So wird auch bei der Diskussion im deutschen Versammlungsrecht von jenen, die § 17 VersG nicht als Aufzählung typischer Formen von "Nichtversammlungen" 520, sondern als eine gegen Art. 3 I GG verstoßende Ausnahmevorschrift ansehen 521 , nicht die Konsequenz gezogen, daß damit auch die Regelung des § 14 VersG verfassungswidrig ist. Daß Versammlungen in ihren unterschiedlichen Formen unter freiem Himmel in besonderem Maße konfliktgeeignet sind, läßt sich kaum von der Hand weisen. Den Versammlungsteilnehmern kommt es darauf an, Kollektiv zu sein und zu bleiben, was dem Verhalten eine andere Qualität verleiht als individuellem Handeln. Gerade Versammlungen zur Meinungskundgabe, die zur Effektivitätssteigerung an belebten Orten abgehalten werden, führen bei beschränktem Raumangebot zu einer erhöhten Kollisionsmöglichkeit zwischen den unterschiedlichen Nutzungsformen. Die nur über eine Anzeigepflicht sicherzustellende Kenntnis der Behörde ermöglicht allen Interessenten eine optimale Ausnutzung des Raumes und verhindert die Durchsetzung der eigenen Interessen nach dem Prinzip des Rechts des Stärkeren, die bei der unvorbereiteten Inanspruchnahme öffentlicher Straßen mit Gefahren für Leben und Gesundheit für die Versammlungsteilnehmer verbunden wäre. Durch die Anzeigepflicht für Versammlungen wird weder die Gleichrangigkeil zwischen Transportfunktion und kommunikativer Nutzung der Straßen aufgehoben noch das Recht zu letzterer Nutzung verletzt, da sie die Versammlung allein wegen ihres quantitativen Ausnahmecharakters und ihrer stärkeren Organisierung trifft. Der bisherige Argumentationsgang legt Ausnahmen für Veranstaltungen nahe, bei denen die Gefahr einer Kollision unterschiedlicher Nutzungsformen geringer ist oder auszuschließen ist. Entsprechend einigen amerikanischen Kodifikationen wäre dies bei Versammlungen mit geringer Teilnehmerzahl und auch für weiträumige Flächen wie Grünanlagen (Englischer Garten, Rheinauenwiesen) denkbar522. Über die Teilnehmerzahl werden jedoch die Veranstalter selbst nur in 519 s. A.III.l . und 2.c. 520 Konsequenz dieser Ansicht wäre dann eine Genehmigungspflicht nach § 29 II StVO, so etwa Dietel/Gintzel, § 17, 28; Guradze, ZRP 1968, 69; Schwäble, 99. 521 Ott, § 17, 1; Schneider, Mühlmann-FS, 240 f.; Zitzmann 98 ff. 522 vgl. etwa Ann Arbor City Code, Sec. 10 152, wo eine Genehmigung nur für Paraden über 25 Teilnehmer auf öffentlichen Straßen und über 50 Teilnehmer auf

VI. Präventive Einschränkungen der Versammlungsfreiheit

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groben Zügen Vorstellungen haben, zumal viele Demonstrationen die spontane Einbeziehung Gleichgesinnter, Diskussionswilliger und interessierter Zuschauer bezwecken. Auch sollten Schätzungen der Veranstalter zurückhaltend beurteilt werden, da einerseits die Neigung zu überhöhten Angaben besteht, andererseits aber auch vorstellbar ist, daß offiziell eine niedrige Zahl verlautbart wird, um aus dem durch die fehlenden Vorbereitungen mitverursachten Störungseffekt vieler Teilnehmer Publizität zu gewinnen. Neben der Notwendigkeit, durch vorbeugende Maßnahmen eine möglichst optimale Nutzung öffentlichen Raumes zu gewährleisten, ist die Anzeigepflicht aber auch auf das durch massenpsychologische Besonderheiten erhöhte abstrakte Gefahrdungspotential von Versammlungen zu stützen. Emotionsgeladene Reden, schlagwortartige Argumentation, durch die die Solidarisierung unter den Teilnehmern und die Provokation nach außen erhöht werden sollen, prägen das Bild zahlreicher Versammlungen. Sie sind auf Polarisierung angelegt und suchen zentrale Orte auf, sodaß das Argument der Nutzung großer freier Flächen nicht realitätsgerecht ist. Entindividualisierung und Emotionalisierung senken die Fähigkeit verantwortungsbewußten Handeins der Versammlungsteilnehmer, wirken aber auch aggressionssteigernd auf Andersdenkende. Das Argument Bakers, die Veranstalter könnten sich durch freiwillige Anzeige Polizeischutz sichern, berücksichtigt nicht, daß die Vermeidung von Ausschreitungen bei Versammlungen auch im öffentlichen Interesse liegt. Diese Funktionen der Anzeigepflicht machen sie bei Abwägung mit ihren Nachteilen nicht zu einem unverhältnismäßigen Eingriff in die Versammlungsfreiheit523. Unter der Vorau-ssetzung, daß Ausnahmen möglich sind 524, hat sie nur eine gering belastende Wirkung, die sie auch dann unbedenklich macht, wenn man berücksichtigt, daß sich nicht immer das abstrakte aktive und passive Gefahrdungspotential der Versammlung zu einer konkreten Störung verdichtet. Sie fordert vom Bürger allein den Kontakt mit der Behörde, die Angabe des Veranstalters und weiterer Einzelheiten, was angesichts des öffentlichen Charakters der Veranstaltung nicht unzulässig ist 525 • Der von Baker hierin erkannte Zwang zur Anerkennung staatlicher Autorität, die er in Beziehung zur höchstrichterlich für unzulässig erklärten Abforderung staatsloyaler Meinungsäußerungen setzt 526, überschreitet ebenso wie die Beeinträchtigung des Gefühls, von staatlicher Reglementierung frei zu sein, kaum den Bereich subjektiver Empfindlichkeiten. Verfehlt ist die Heranziehung des clear-and-present-danger-Tests zum NachBürgersteigen notwendig ist. In San Francisco (Sec. 366(c)), Sacramento (§ 38 150) und Albuquerque (Sec. 9-4-3) ist eine Genehmigung nur erforderlich, wenn der Straßenverkehr beeinträchtigt wird. 523 Daß die Anzeigepflicht als reine verfahrensbezogene Pflicht des Bürgers in das Grundrecht eingreift, folgt hier schon aus Art. 8 I GG, zutreffend Schwäble, 197. 524 s.o. B.VI.2.a. und eingehend B.VI.4. 525 Zutreffend Werbke, NJW 1970, 2; Borchert, 71. 526 78 Nw.U.L.Rev., 1016 f. (1983). 13*

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Teil B: Rechtsvergleich und Wertung

weis der Unzulässigkeit von Anzeigepflichten als prior restraint, da diese Formel für Verbote von Meinungsäußerungen entwickelt wurde und so allein für Verbote von Versammlungen sinnvoll sein kann. Auch ist die Deklarierung der Anzeigepflicht als prior restraint problematisch, wenn diese Kennzeichnung allein auf der präventiven Wirkung einer staatlichen Maßnahme beruht, ohne daß ihre konkrete Ausgestaltung und ihre Eingriffsintensität berücksichtigt werden. Die faktische Ausübung des Grundrechts kann allein durch eine Anzeigepflicht nicht verhindert werden, sodaß auch eine Beeinträchtigung des Wesensgehalts nach Art. 19 II GG ausscheidet. Aufgrund vorbereitender Maßnahmen durch die Behörde profitieren die Versammlungsteilnehmer auch von der Anzeige, da andernfalls drohendes repressives Einschreiten vermieden werden kann 527 • Die grundsätzliche Pflicht, Durchführungen von Versammlungen der Behörde anzuzeigen, ist zulässig.

3. Anzeigepflicht und Kooperation

Zur Begründung einer Anzeigepflicht für Versammlungen unter freiem Himmel wird vom Bundesverfassungsgericht 528 auch der hierdurch hergestellte Kontakt zwischen Veranstalter und Verwaltung im Vorfeld der Versammlung angeführt. Wie zuvor schon in der Literatur gefordert 529, wandelt sich damit die Funktion der Anzeige von einem möglichen Auslöser beschränkender Verfügungen zur Grundlage gleichgerichteter gemeinschaftlicher Erörterung des mit der Versammlung verbundenen Gefahrenpotentials. Berücksichtigung findet eine stärkere Einbeziehung des Bürgers in das Verfahren zur Entscheidung über die Genehmigung der Versammlung auch im amerikanischen Recht. So sehen Blasi und Bakerinder Kooperation zwischen Veranstalter und Verwaltung bei einem hearing, das in einigen Kodifikationen vor der Entscheidung der Behörde vorgesehen ist 530, eine Möglichkeit des Bürgers, durch bargaining und negotiating eine günstigere Entscheidung der Behörde zu erreichen und eine etwaige Voreingenommenheit gegenüber dem Veranstalter abzubauen531. Die Begründungen des Gedankens der Kooperation zeigen leichte Unterschiede zwischen dem deutschen und amerikanischen Recht. Dort wird die Einbeziehung 527 Werbke, NJW 1970, 2; Rüesch, 279. 528 BVerfGE 69, 315 (355 ff.). 529 Quilisch, 177; Werbke, NJW 1970, 7; Schwäble, 197; AK-Hoffmann-Riem, Art. 8, 42. 530 Etwa Los Angeles City Charterand Code, § 103 lll(f) und Honululu Rev.Ord., § 15-24.20(c). Überwiegend ist aber ein ,,hearing" erst nach Ablehnung des Antrags vorgesehen, vgl. Berkeley Code, § 13.44 040; Sacramento Code, § 38 153(b); Concord Code, Sec. 15-10-11; Des Moines Code, § 6-17.01(g). 531 Blasi, 68 Mich.L.Rev., 1501, 1553 (1970); Baker, 78 Nw.U.L.Rev., 1008 f. (1983).

VI. Präventive Einschränkungen der Versammlungsfreiheit

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des Bürgers ausschließlich als unmittelbares grundrechtliches Postulat im Sinne des First Amendment due process 532 erörtert 533 • Sie steht ausschließlich im Interesse des Bürgers und gewinnt den Charakter eines Rechts, das er wahrnehmen kann, aber nicht muß. Auch das Bundesverfassungsgericht führt die verfahrensund organisationsrechtliche Dimension der Grundrechte an 534, stützt sich aber zugleich auf den staatlichen Auftrag der Behörde zur Gefahrenabwehr 535 • Wenn auch auf deren Wahrnehmung die Grundrechte einwirken, was das Gericht durch die behördliche Verpflichtung zur Kooperation als Folgerung aus dem Verhältnis. mäßigkeitsprinzip zum Ausdruck bringt, so handelt es sich doch insoweit nur um einen eher mittelbaren Begünstigungsreflex für den Veranstalter. Die Behörde mag zwar zur Zusammenarbeit verpflichtet sein, ein Recht hierauf hat der Bürger aber wohl nicht, und ihm kann vor allem im Interesse der Gefahrenabwehr die Teilnahme an einem Erörterungstermin zur Pflicht gemacht werden 536• Dieser ambivalente Charakter der Kooperation - als Konsequenz aus dem status activus processualis einerseits und der staatlichen Aufgabe der Gefahrenabwehr andererseits - birgt Gefahren, die auch das Bundesverfassungsgericht selbst angesprochen hat 537 • Einerseits darf das Handeln der Behörde durch die Zusammenarbeit im Vorfeld einer Versammlung nicht die primäre Verpflichtung auf die Gefahrenabwehr verlieren. Zuständig und verantwortlich zur Entscheidung ist allein die Behörde, ein Recht des Veranstalters zur Mitgestaltung der eigentlichen Entscheidung 538 kann es nicht geben. Die staatliche Verantwortung für die Gefahrenabwehr wird hier auch nicht durch die im Rahmen der begrenzten Autonomie von Versammlungen bestehende Pflicht des Leiters zur Aufrechterhaltung der Ordnung (§§ 8 S. 2, 18 I, 19 I, III VersG) und seinem Recht zum Ausschluß von Störern (§ 11 I, 18 I, 19 II) relativiert, die in der Versammlungspraxis nur ungenügend Beachtung zu finden scheinen. Auch die Zwangsläufigkeit, mit der das Bundesverfassungsgericht die Schwelle für polizeiliches Eingreifen durch eine Kooperation des Veranstalters angehoben sieht, ist nicht recht verständlich. Die Polizei muß ihre Maßnahmen allein danach treffen, was in der konkreten Situation geeignet, erforderlich und verhältnismäßig ist; hierbei kann die vorangegangene Zusammenarbeit mit dem Veranstalter allein die Beurteilungsbasis verbessern 539. So nach Monaghan, 83 Harv.L.Rev., 518 (1970). Gegen eine staatliche Verpflichtung zur Durchführung eines ,,hearing" aus dem l. Amendment Blasi, 68 Mich.L.Rev., 1554; zurückhaltend auch Baker, 78 Nw.U.L.Rev., 532 533

1013.

So auch Quilisch, 177; AK-Hoffrnann-Riem, Art. 8, 42. BVerfGE 69, 355; hierauf beschränkt Götz, DVBl 1985, 1349. 536 Die von der Bundesregierung als § 14a vorgeschlagene bußgeldbewehrte Pflicht des Veranstalters zur Kooperation mit der Behörde- BIDrS 11/2834- ist nicht Gesetz geworden. 537 BVerfGE 69, 315 (356). 538 So Werbke, NJW 1970, 7. 534

535

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Teil B: Rechtsvergleich und Wertung

Andererseits muß die Staatsfreiheit der Versammlung gewahrt bleiben. Einseitige staatliche Maßnahmen verlieren nicht deshalb ihren Eingriffscharakter, weil der Bürger in die Vorausplanung und Erörterung eingebunden wird. Die Behörde darf ihre stärkere Position nicht dazu mißbrauchen, den Veranstalter "freiwillige" Verzichte aufzureden, die dieser als deutlich einseitig hoheitlich verfügte Auflagen oder Verbote sicher angefochten hätte. Grundsätzlich ist der Gedanke der Kooperation zwischen dem Veranstalter und der Verwaltung aber ein wichtiger Faktor, gewalttätige Ausschreitungen bei Versammlungen vermeiden zu helfen 540, der die Einführung einer entsprechenden Verpflichtung seitens der Veranstalter rechtfertigen würde.

4. Ausnahmen von der Pflicht zur fristgerechten Anzeige

a) Spontanversammlungen Bei der Erörterung der Anmeldepflicht von Versammlungen unter freiem Himmel wurde ihre Zulässigkeil unter dem Vorbehalt von Ausnahmetatbeständen anerkannt. Diese müssen Versammlungen, bei denen eine Einhaltung der Anzeigemodalitäten nicht möglich oder unzumutbar ist, erfassen. Die Notwendigkeit einer Ausnahme von der Anzeige- bzw. Genehmigungspflicht für sich spontan bildende Versammlungen ist im deutschen 541 wie amerikanischen 542 Recht anerkannt. Diese Versammlungen, deren Charakteristikum das Fehlen eines Veranstalters ist 543, liegen vor, wenn sich Personen in Anschluß auf ein unerwartetes Ereignis ohne vorherige Absprache auf den Straßen versammeln, um unvermittelt Meinungen zu äußern. Sie können aber auch- was selten berücksichtigt wird - ohne ein aktuelles zeitgeschichtliches Ereignis entstehen, so etwa, wenn sich Personen um einen einzelnen Demonstranten gruppieren, um seine Demonstration zu unterstützen oder eine Diskussion auszulösen oder als Reaktion auf eine angezeigte Versammlung eine Gegendemonstration durchführen wollen 544• Insbesondere in ersterem und letzterem Fall ist das abstrakte 539 Hierin sieht auch Hofmann, BayVBl 1987, 133 den Hauptzweck der Anmeldung und Kooperation. 540 Von positiven Erfahrungen in den USA berichtet Etzioni, 96 f. 541 BVerfGE 69, 315 (350 ff.); Maunz I Dürig-Herzog, Art. 8, 84, 107; Schwäble, 199ff; Borchert, 73 ff.; Hofmann, BayVBl. 1987, 133 m.w.Nw. 542 Abemathy, Assembly, 71 f.; Blasi, 68 Mich.L.Rev., 1568 (1970); Baker, 78 Nw.U.L.Rev., 1014 (1983); Note, 80 Harv.L.Rev. 1784 (1967); Powes v. Miles, 407 F.2d. 73 (84) (1968); Koenen v. Spiee, 318 F.Supp. 630 (632) (1970). 543 Borchert, 50; Schwäble, 198. 544 Daß Spontanversammlungen in der Praxis unbedeutend sind, dürfte daher kaum zutreffen; so aber Quilisch, 171; Götz, DVBl 1985, 1350; ferner Baumann I Frosch, JZ

VI. Präventive Einschränkungen der Versammlungsfreiheit

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Störungs- und Gefährdungspotential nicht nur wegen fehlender staatlicher Vorbereitungen höher; es fehlen - zumindest im Anfangsstadium - Personen, die sich um die Ordnung der Versammlung kümmern, und der Verlauf ist unberechenbarer, da die Teilnehmer unter dem Eindruck des auslösenden Ereignisses stehen. Wenn dennoch die fehlende Anzeige hier nicht die Rechtswidrigkeit der Versammlung begründet und die Teilnehmer nicht auf die Möglichkeit ordnungsgemäßen Versammelos verwiesen werden dürfen, so vor allem aufgrundder besonderen Wirkkraft dieser Veranstaltungen, die sich aus dem unmittelbaren zeitlichen Bezug zu dem auslösenden Ereignis erklärt: . ..timing is of the essence in politics. It is almost impossible to predict the political future; and when an event occurs, it is often necessary to have one's voice heard promptly, if it is to be considered at all. 545

Spontane Demonstrationen haben eine stärkere Aussagekraft, indem die Ernsthaftigkeit des Engagements der Teilnehmer dadurch zum Ausdruck gebracht wird, daß sie der Kundgabe höchste Priorität einräumen und buchstäblich alles stehen und liegen lassen, was sie gerade beschäftigt hat. Auch ist der Überzeugungseffekt nach außen nachhaltiger, da die Öffentlichkeit unter dem Eindruck des unmittelbar vorangegangenen Ereignisses noch sensibilisiert ist. Daß Spontanversammlungen von der Pflicht zur Anzeige befreit sein müssen, läßt sich im Versammlungsgesetz elegant dadurch verankern, daß § 14 VersG die Absicht, eine Versammlung zu veranstalten, voraussetzt 546. Diese Ausgestaltung, eher willkommenes Produkt des Zufalls als der juristischen und sprachlichen Scharfsinnigkeil der Verfasser des Gesetzes 547 , findet sich in entsprechender Form nur in zwei der untersuchten Kodifikationen der USA 548 • Ausdrücklich vorgesehen ist eine Regelung für Spontanversammlungen in Sacramento 549, wo die Behörde zur Genehmigung der Versammlung als Reaktion auf ein Ereignis von offensichtlicher Bedeutung verpflichtet ist. Sie geht jedoch an der Problematik vorbei, ist doch schon die vorgelagerte Kontaktaufnahme mit der Behörde nicht möglich. Hierin verdeutlicht sich das unterschiedliche Freiheitsbild zwischen einem System mit Genehmigungsvorbehalt und einer Anzeigepflicht, in das sich Spon1970, 114 und Ossenbühl, Der Staat 10,58, Fn. 19, jedoch beschränkt auf Spontandemonstrationen. 545 Justice Harlan in Shuttlesworth v. Birmingham, 394 US 147 (163)c.o.; (1969); ähnlich Carroll v. Pres. and Comm. of Princess Anne, 393 US 175 (182) (1968); Concerned Jewish Youth v. McGuire, 469 F.Supp. 1296 (1303) (1979). 546 Etwa Merten, MDR 1968, 624; Schwäble, 199; Ott, Demonstration, 56; AKHoffmann-Riem, Art. 8, 52. 547 Zur Frage, ob der Gesetzgeber das Problem der Spontanversammlungen gesehen hat Gusy, JuS 1986, 612, Fn. 40 m.w.Nw. 548 San Francisco Police Code, Sec. 367(a); Denver Code, Sec. 54-357 (2). 549 City Code, § 38 155.

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Teil B: Rechtsvergleich und Wertung

tanversammlungen weitaus friktionsfreier einbetten lassen. Unter dem Grundgesetz muß nur von der Kenntnis der Behörde abgesehen werden, in den Vereinigten Staaten auch von dem konstitutiven Akt der Genehmigung, durch den die Ausübung der Versammlungsfreiheit erst legalisiert wird. Dort bedarf es somit einer Ausnahmeregelung für Spontanversammlungen 550. Eine ausdrückliche Ausnahme sollte aber auch in § 14 VersGangefügt werden551. Daß diese aufgrund der angeführten Auslegung des § 14 VersG nur deklaratorische Bedeutung hätte, die Praxis die Zulässigkeit von Spontanversammlungen anerkennt und auch in§ 14 VersG selbst keine Sanktionen vorgesehen sind, steht dieser Forderung nicht entgegen. Denn so eindeutig ist der Wortlaut des § 14 VersG nicht, und schon mit der Anerkennung einer gesetzlichen Pflicht mit Ausnahmen werden Vorentscheidungen für die Sanktionsnormen getroffen. Ohne ausdrückliche Ausnahmen aber setzten sich Spontanversammlungen zumindest dem Verdacht der Rechtswidrigkeit aus, und ihre Teilnehmer wie ihr etwaiger Leiter unterfallen dem Wortlaut der §§ 15 II l.Var., 26 Nr. 2 VersG. Gerade auch die verunglückte Ermächtigungsgrundlage des § 15 II 1. Var. 552, deren Wortlaut keine Differenzierung nach dem Grund für die fehlende Anmeldung erkennen läßt, spricht gegen eine Lösung allein über die Rechtsfolgen der Verletzung der Anmeldepflicht 553 und fordert eine ausdrückliche Normierung der Anzeigefreiheit von Spontanversammlungen. Der im Versammlungsrecht so novellierungsfreudige Gesetzgeber sollte auch zu klarstellenden Regelungen zugunsten der Versammlungsteilnehmer in der Lage sein.

b) Eilversammlungen Ein unerwartet eintretendes Ereignis kann auch Anlaß sein, kurzfristig -etwa am nächsten Tag- eine hierauf bezogene Versammlung durchzuführen. Diese Eilversammlungen 554 unterscheiden sich von Spontanversammlungen dadurch, daß sie als organisierte Versammlungen einen Veranstalter oder Initiator haben, wenngleich etwa bei der Absprache einiger Personen, unverzüglich eine Demonstration durchzuführen 555, die Abgrenzung beider Typen schwierig ist.

55o Auch Abemathy, Assembly, 72; Blasi, 68 Mich.L.Rev., 1568. 551 Kodifikationsvorschläge bei Borchert, 145 f.; und Vogel, Ein student. Entwurf zur Neuregelung des Versammlungsrechts, DVBl. 1972, 293. 552 Kritisch Schwäble, 232, Fn. 338; die Feststellung des Bundesverfassungsgerichts, daß die Verletzung der Anzeigepflicht nicht schematisch zum Verbot oder zur Auflösung berechtigt (E 69, 350 f.), betrifft eher sog. unechte Spontanversammlungen, da bei echten Spontanversammlungen schon gar keine Pflicht zur Anzeige besteht. 553 So etwa Schreiber, 71; BVerwGE 26, 135 (140); BGHSt 23, 46 (60). 554 Quilisch, 134; Ott, § 14, 2; Dietel I Gintzel, § 14, 13; bei Schwäble, 201 als Blitzversammlungen, bei Borchert, 103 als Sofortversammlungen bezeichnet. 555 Für eine Spontanversammlung Quilisch, 134; Ott, 57.

VI. Präventive Einschränkungen der Versammlungsfreiheit

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Bei der Eilversammlung ist nicht die Anzeige unmöglich, sondern es ist die Einhaltung der Frist zur Anzeige oder Beantragung der Genehmigung unzumutbar. Aus den gleichen Gründen wie bei Spontanversammlungen müssen auch bei Eilversammlungen Ausnahmen anerkannt werden, die sich im deutschen Recht nur auf die Befreiung von der Einhaltung der festgelegten Frist, nicht aber auch von der Verpflichtung zur Anzeige überhaupt erstrecken kann 556. In einigen der amerikanischen Kodifikationen sind Ausnahmen von der Frist zur Beantragung der Genehmigung vorgesehen 557 • Auch hier wiederum zeigt sichtrotz möglicher Verfahrensgarantien das freiheitsfeindlichere Wesen des Systems mit Genehmigungsvorbehalt Erforderlich ist eine zweistufige Prüfung durch die Behörde, die zunächst über die Berechtigung der Unterschreitung der Antragsfrist, dann über die Erteilung der Genehmigung entscheiden muß. Dies macht das Verfahren zeitaufwendiger und schwerfälliger, insbesondere, wenn der Veranstalter das Risiko des Zugangs und der Verspätung trägt. Demgegenüber kann unter dem Anzeigesystem der Veranstalter nach Information der Behörde unverzüglich mit den Vorbereitungen der Veranstaltung im Vertrauen auf ihr Stattfinden beginnen. Es bedarf auch hier in weitaus geringerem Maße der nicht unproblematischen Bewertung der Dringlichkeit der Veranstaltung, die hier nur beim repressiven Einschreiten relevant wird; ein repressives Einschreiten wird aber entscheidend vom Ist-Zustand der Versammlung beeinflußt und macht Prognosen verzichtbar558. Anders als bei der Spontanversammlung ist die Anerkennung der heute einhellig gebilligten Ausnahme für Eilversammlungen im deutschen Recht de lege lata nur schwierig mit§ 14 VersG zu vereinbaren. In der Literatur ist umstritten, ob der Wortlaut des§ 14 VersG einer entsprechenden Auslegung zugänglich ist. Ist er es nicht, so wäre § 14 VersG in Anwendung auf Eilversammlungen verfassungswidrig und nichtig559. Ist die immerhin "stringente Formulierung" nur scheinbar eindeutig, so bleibt eine verfassungskonforme Auslegung möglich 560. Wenn es aber stimmt, daß der mögliche Wortsinn die Grenze der Auslegung ist 561 , erscheint die erste Ansicht zutreffend, denn § 14 VersG läßt nicht die geringste Andeutung für Ausnahmen von der Pflicht zur fristgerechten Anzeige erkennen. Soll dies, was sich unter dem Gesichtspunkt des Vorbehalts des Gesetzes vertreten ließe, nicht bei den Bürger begünstigenden Regelungen gelten, so muß dies deutlich formuliert werden. 556 So Dietel I Gintzel, § 14, 13; Götz, DVB11985, 1351; anders Ott, § 14,2; Hofmann, BayVBI. 1987, 133; unklar BVerfGE 69, 315 (350f). 557 s.o. A.VII.2.d.bb. 558 Beachte hier wiederum die Äußerungen des Bundesverfassungsgerichts zum Vorgehen bei Verletzung der Vorschriften zur Anmeldung, BVerfGE 69, 315 (350). 559 Frowein, NJW 1969, 1085; NJW 1985, 2377; Borchert, 108; Schenke, JZ 1986,35. 560 So Schwäble, 203 ff.; ferner Maunz I Dürig-Herzog, Art., 8, 84, Fn. 94; Ott, § 14. 2; LG Köln, JZ 1969, 80 (84). 561 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 5. Aufl. 1983, 308; Engisch, Einführung in das juristische Denken, 8. Aufl. 1983, 150.

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Teil B: Rechtsvergleich und Wertung

Eine Teilverfassungswidrigkeit von § 14 VersG aufgrundeiner fehlenden Ausnahmeregelung für Eilversammlungen läßt sich somit nicht vermeiden. Der Gesetzgeber ist aufgerufen, eine Ausnahme vom Erfordernis einer fristgerechten Anzeige in § 14 VersG anzufügen. Auch wenn die §§ 15 II 1. Var., 26 Nr. 2 VersG in ihrem Wortlaut und damit wohl auch in ihrem Anwendungsbereich auf nicht angemeldete Versammlungen beschränkt sind, spricht doch die Systematik des Versammlungsgesetzes auch für Sanktionen bei Verletzung der Anzeigefrist. Dies ist wiederum Konsequenz aus der mißlungenen Formulierung der §§ 14, 15 VersG, sodaß auch hier eine Lösung allein über die Rechtsfolgen der Verletzung der Anzeigefrist 562 abzulehnen ist. c) Großdemonstrationen?

Erörtert, aber abgelehnt wurde vom Bundesverfassungsgericht 563 die Freistellung von Großdemonstrationen von der Anzeigepflicht. Dies ist in der Literatur von Geulen 564 gefordert worden, der die Voraussetzungen des § 14 VersG Veranstalter, Leiter, Bekanntgabe- bei Großdemonstrationen als nicht gegeben ansieht und die Anwendung des § 14 VersG hier für verfassungswidrig hält. Geulens Ansicht ist Teil einer auch von anderen Autoren 565 geteilten Kritik an der dem Versammlungsgesetz zugrundeliegenden Struktur der Versammlung als obrigkeitsstaatlich-hierarchisch, wie sie auch im amerikanischen Recht für dortige Kodiflkationen geäußert wird. Baker 566 wendet sich gegen einen Genehmigungsvorbehalt oder eine Anzeigepflicht mit dem Argument, daß die dabei vorausgesetzte Existenz eines clear Leader oder organizer der Veranstaltung auf ideologisch beeinflußtem staatlichen Ordnungsdenken beruht, das der Spontanität, Flexibilität sowie den anarchistischen und egalitären Strukturen von Kommunikation widerspricht. Dem Bundesverfassungsgericht ist darin zuzustimmen, daß die Anzeigepflicht auch für Großdemonstrationen zulässig ist. Gerade diese bedürfen der vorbereitenden Planung durch staatliche Organe, die zwar häufig auch auf anderem Wege von der Veranstaltung, nicht aber von den notwendigen Einzelheiten erfahren. Diese Informationsfunktion der Anzeige wie auch der hier wichtige Gedanke der Kooperation lassen diese nicht zum obrigkeitsstaatliehen Formalismus werden. Zwar wird sich die Planung der Veranstaltung, wenn ihr die Initiativen mehrerer Gruppierungen zugrundeliegen, nicht immer von der faktischen Bekanntmachung systematisch trennen lassen; wenn aber die Entscheidung über Ort und Zeitpunkt getroffen ist, muß die Behörde darüber informiert werden. 562 563 564

565

566

So Werbke, NJW 1970, 1; Frowein, NJW 1969, 1086. BVerfGE 69, 315 (357 ff.). KJ 1983, 193 f. AK-Hoffmann-Riem, Art. 8, 7, 54; Frankenberg, KJ 1981, 281 f. In 78 Nw.U.L.Rev., 1014 (1983).

VI. Präventive Einschränkungen der Versammlungsfreiheit

203

Diese Intention liegt auch erkennbar§ 14 I VersG zugrunde, denn das Veranstalten einer Versammlung wird vor allem durch deren Ort und Zeitpunkt festgelegt. Damit hat die Versammlung Veranstalter, für deren Eigenschaft allein ihre Rolle als initiierende und planende Instanz entscheidend ist 567 • Wollen sich weitere Organisationen an der Mitgestaltung der Versammlung beteiligen, so müssen auch deren Vertreter die Behörde informieren. Einer Gesamtanmeldung bedarf es eigentlich nicht. Ebenso ist es dem oder den Veranstaltern möglich, Leiter und Ordner zu benennen, die zumindest in ihrem Interesse handeln. Dies ist dann allerdings keine Gesamtleitung der Veranstaltung, die aber von § 14 II VersG auch nicht vorausgesetzt wird und die die Behörde im Rahmen der Kooperation mit den verschiedenen Veranstaltern herstellen kann. Im übrigen ist die Kritik an der vermeintlich obrigkeitsstaatlich-hierarchische Struktur des Versammlungsbildes des Versammlungsgesetzes in diesen Punkten verfehlt. Die Verpflichtung zur Bereitstellung von Leitern und Ordnern und deren Kompetenzen sind primär Konsequenz aus der Anerkennung einer begrenzten Versammlungsautonomie 568 ; die Ordnung der Versammlung, deren Notwendigkeit angesichts einer Menschenmenge auf engem, unterschiedlich genutztem und frei zugänglichen Raum nicht ernsthaft in Frage gestellt werden kann, liegt zunächst im Interesse der Versammlung in deren Händen. Verständlich ist das Zögern zur Übernahme von Leitungs- oder Ordnungsfunktionen bei Versammlungen aber dann, wenn dies mit persönlicher Verantwortlichkeit verbunden ist, die die Handlungsmöglichkeiten der Leiter, Veranstalter und Ordner überschreitet. Daß dies durch die§§ 25, 26 VersG möglich ist, wird seit längerer Zeit als verfassungsrechtlich bedenklich oder unzulässig zu Recht gerügt569. Auch hier sind die Unterlassungen des Gesetzgebers im Vertrauen auf richterliche Normkorrekturen nicht nachvollziehbar.

5. Versammlungsverbote

a) Auflagen und Verbote

Die Ermächtigung zum präventiven Verbot einer Versammlung ermöglicht den schwerwiegendsten der in§ 15 VersGangeführten Eingriffe. Der Versammlung wird jede Wirkungschance genommen, ein flexibles, den tatsächlichen Umständen angemessenes Einschreiten scheidet aus 570 •

Dietel I Gintzel, § 1, 23; Götz, DVBl 1985, 1350. Götz, DVBl. 1985, 1350; insoweit auch Quilisch, 177. 569 Insbesondere zu § 26 VersG: Breitbach, Die Crux mit der Anmeldepflicht, Strafrechtliche Verantwortlichkeit von Versammlungsleitem?, NJW 1984, 841; Dietel/Gintzel, § 26, 8 ff.; Ott, § 26, 4 ff.; Frowein, NJW 1969, 1086; Werbke, NJW 1970, 5 f. 567

568

204

Teil B: Rechtsvergleich und Wertung

Die Unterscheidung zwischen einem Verbot und den ebenfalls nach § 15 I VersG möglichen Auflagen als time, place or manner restrictions ist bisweilen schwierig. Jede geringfügige Beschränkung der Versammlung hat einerseits den Charakter eines Teilverbots. Andererseits hat jeder weitergehende staatliche Eingriff nur begrenzte Wirkungen, denn er trifft die Versammlung nur in der durch die Anzeige konkretisierten Form und läßt somit die Möglichkeit unberührt, sich etwa an anderen Orten oder zu anderen Zeiten zu versammeln. Zwar können Verbot und Auflage in ihren Extremformen noch geschieden werden, sodaß eine Auflage immer dann vorliegt, wenn keine der die Versammlung identifizierenden Modalitäten- Veranstalter, Zeitpunkt, Ort- betroffen ist, ein Verbot immer dann, wenn die Veranstaltung in allen diesen Identifikationsmerkmalen erlaßt wird. Erstreckt sich die Beschränkung hingegen nicht auf den Zeitpunkt und den Ort und setzt die Behörde noch für die beschränkte Modalität eine andere fest, ist eine Entscheidung zwischen Auflage oder Verbot (verbunden mit einer Zusicherung) schwierig 571. Die Qualifizierung ist hier jedoch von untergeordneter Bedeutung: formellrechtlich, weil immer die Anfechtungsklage zu erheben ist, materiellrechtlich, weil die Eingriffsintensität und Zulässigkeil einer Beschränkung nicht durch ihre Kennzeichnung präjudiziert wird, sondern davon abhängt, welche Bedeutung der Ort oder Zeitpunkt für den Veranstalter hat. Entscheidend ist, daß man sich auch der weitgehenden Eingriffseignung von Maßnahmen bewußt ist, die nicht eindeutig Verbote sind, wobei vor allem Beschränkungen des Ortes und Zeitpunktes einer Versammlung eine eingehende Prüfung erfordern. Auch in diesem Zusammenhang zeigt sich die Wichtigkeit eines über die reine Anzeige hinausgehenden Kontakts zwischen Behörde und Veranstalter, hier allerdings mit Wirkungen zugunsten des letzteren, indem dieser die mit der Versammlung verfolgten Intentionen verdeutlichen und die Behörde dies berücksichtigen kann.

b) Zur Zulässigkeif von Verboten Aufgrund der schwerwiegenden Eingriffsintensität präventiver Verbote gibt es in der amerikanischen Literatur Stimmen, die ihre Zulässigkeil in Frage stellen, zumindest aber die Gründe für ein Versammlungsverbot erheblich einschränken w6llen. 570 Siehe bereits A.VII.l. Unverständlich Dietel/Gintzel, § 15, 14, "Da das Verbot gegenüber der Auflösung der weniger schwerwiegende Eingriff ist,. . ." Wohl auch der Bundesminister des Inneren in der Stellungnahme zum Brokdorf-Verfahren, zitiert BVerfGE 69, 315 (351), 351. Unklar auch Justice Jackson, in Kunz v. New York, 340 US 290 (312)d.o. (1951). 571 Einerseits Dietel/Gintzel, § 15, 17, andererseits Ott, § 15, 11; vgl. auch Dr. M.L.King Jr. Movement v. Chicago, 419 F.Supp. 667 (673) (1976) für Genehmigungen.

VI. Präventive Einschränkungen der Versammlungsfreiheit

205

Nach Ansicht einiger Autoren sollen die Veranstalter einer Versammlung zwar zur Bekanntgabe verpflichtet bleiben, diese hat aber allein die Funktion, sich überschneidende Veranstaltungen zu vermeiden sowie Vorbereitungen und Begleitungen durch Ordnungskräfte zu ermöglichen 572 • Die Genehmigung hat nur eine Reservierungsfunktion, die auch die Position des Veranstalters gegenüber polizeilichen Maßnahmen bei Durchführung der Veranstaltung verbessert. Diese Autoren stützen sich aufUrteile des Supreme Court, der Genehmigungsvorbehalte vorrangig aus der Notwendigkeit einer Koordination der Nutzungsformen gerechtfertigt hat 573 und in Kunz v. New York 574 die Aufhebung einer Verurteilung wegen nicht genehmigten Versammeins auch damit begründet hatte, daß bei Störungen der öffentlichen Sicherheit ein repressives polizeiliches Einschreiten ausreiche. Diese Erwägungen sind zwar Anlaß, präventive Beschränkungen, vor allem ein Verbot, kritisch zu überprüfen, nicht aber, Versammlungsverbote auf die genannten Fälle zu beschränken oder gar auszuschließen. Sieht man von Versammlungsverboten aufgrundder Identität des Veranstalters 575 (§ 5 Nr. I VersG) ab, so besteht die Schwäche des präventiven Verbots in der unvermeidlichen Prognose über den Ablauf der Versammlung, bei deren Erstellung Fehleinschätzungen und die Gefahr von Mißbräuchen nicht auszuschließen sind. Dies erfordert als klare Prognosebasis Tatsachen 576, die eine konkrete Gefährdung durch die Versammlungsteilnehmer für die jeweilige Veranstaltung nahezu mit Gewißheit 577 erwarten lassen. Erfahrungen aus früheren Veranstaltungen dürfen niemals einem Verbot zugrundeliegen 578, da dies einer Verwirkung des Grundrechts gleichkäme. Beabsichtigen der Veranstalter und sein Anhang Gewaltakte gegen Personen und Sachen, so bewegt sich die Veranstaltung als unfriedlich außerhalb des grundrechtliehen Schutzbereichs, und ein Verbot ist unbedenklich zulässig, wenn sich die Absicht mit entsprechenden Tatsachen belegen läßt. Hierüber besteht im deutschen Recht Einigkeit 579, und es erscheinttrotzder insoweit klaren sn Bei leichten Divergenzen im Detail Abemathy, Assembly, 67 ff.; Emerson, 20 Law & Cont.Probl., 670 ff. (1955) und System, 371; Chafee, Free Speech, 430; erst recht Baker, 78 Nw.U.L.Rev., !Oll (1983); Ansätze auch bei Stein, 1969 Public Law, 129 und Redish, 70 Va.L.Rev., 85 (1984); zweifelnd Wex1er, 2 Urban L., 359 (1970). 573 Hague v. CIO, 307 US 496 (516) (1939); Cox v. New Hampshire, 312 US 569 (576) (1941). 574 340 us 290 (294) (1950). 575 Eher kritisch der Supreme Court: "The question . . . is not as to the auspices under which the meeting is he1d but as to its purpose"; De Jonge v. Oregon, 299 US 353 (365) (1937). 576 BVerfGE 69, 315 (354); B1asi, 68 Mich.L.Rev., 1509 (1970). 577 So Ott, § 15, 5; Werbke, NJW 1970, 2. 578 Nicht eindeutig im amerikanischen Recht, einerseits Justice Frankfurter, in Nietmotko v. Maryland 340 US 268 (286)c.o. (1951); Krause v. Rhodes, 570 F.2d 563 (573) (1977); Stacy v. Williams, 306 F.Supp.963 (976) (1969); Collin v. Chicago Park District, 460 F.2d 746 (754) (1972); andererseits B1asi, 68 Mich.L.Rev., 1519; Rockweil v. Morris, 211 N.Y.S.2d 25 (36) (1971); Hurwitt v. Oakland, 247 F.Supp. 995 (1005) (1965). 579 vgl. auch § 5 Nr. 1 VersG.

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Teil B: Rechtsvergleich und Wertung

Aussagen amerikanischer Autoren zweifelhaft, daß sie hier ein Verbot der Versammlung nicht billigen wollen. Daß die clear-and-present-danger-Formel einem Verbot entgegensteht, ist nicht überzeugend 580, denn sie soll nicht zur Konsequenz haben, gegen Gewalt erst dann einschreiten zu können, wenn diese schon verübt wird 581 • Ebenso ist dem Bundesverfassungsgericht 582 zuzustimmen, daß ein Verbot bei einer hohen Wahrscheinlichkeit von Gewalt durch Versammlungsteilnehmer, die durch die Veranstalter gebilligt wird, zulässig ist. Darüberhinaus läßt sich ein Verbot auch dann vertreten, wenn nach dem dargestellten Maßstab feststeht, daß die Veranstalter gegen Strafgesetze verstoßen wollen oder ein entsprechendes Verhalten anderer billigen. Wesentlich weiter geht die Ermächtigung des§ 15 I VersG für Versammlungen unter freiem Himmel. Die Öffnung zugunsten der öffentlichen Sicherheit erscheint nicht unproblematisch, da nach dem Wortlaut jede hinreichend wahrscheinliche Verletzung der positiven Rechtsordnung ein Verbot zuläßt. Diese erhebliche Ausdehnung gegenüber der Ermächtigung des § 5 VersG läßt sich kaum allein damit begründen, daß die Versammlung unter freiem Himmel stattfindet. Bei Geltung des Gebots der Verhältnismäßigkeit und der Notwendigkeit einer Güterahwägung treten diese Bedenken jedoch zurück: Diese Grundsätze gebieten die weitestmögliche Beschränkung auf einzelne Modalitäten der Veranstaltung unter Vermeidung einer Erfassung der Versammlung in ihrer vollen Identität und lassen Verbote nur zum Schutz "elementarer" und "gleichwertiger" Rechtsgüter zu 583 • Kaum zu rechtfertigen ist aber der Eingriffstatbestand der Gefahrdung der öffentlichen Ordnung. Ohne die Diskussion um die Bestimmtheit erneut aufzugreifen, ist aus Sicht der Kommunikationsgrundrechte und gerade der Versammlungsfreiheit als eines Grundrechts mit besonderer Bedeutung für die Artikulation von Minderheitenpositionen eine Ermächtigung zugunsten eines Rechtsguts, das sich nach den herrschenden sozialen und ethischen Anschauungen bestimmt 584, nicht aufrechtzuerhalten 585 • Wenn auch als Schutzgüter der öffentlichen Ordnung anerkannte Interessen- Leichtigkeit des Verkehrs und Lärmschutz 586 - Relevanz gegenüber der Versammlungsfreiheit haben, so sind diese doch positivrechtlich verankert und bedürfen schwerlich einer Anerkennung über die öffentliche Ordnung. So wohl Iranian Muslim Org. v. San Antonio, 615 S.W.2d 202 (207) (1981). Im Ergebnis auch Blasi, 68 Mich.L.Rev., 1509; Krause v. Rhodes, 570 F.2d 563 (571); Collin v. Chicago Park District, 460 F.2d 746 (752 ff.); U.S. Servicemen's Fund v. Shands, 440 F.2d 44 (46) (1971); RockweH v. Morris, 211 N.Y.S.2d 25 (32), die Ausf. aufS. 37 betreffen das ,,hostile audience". 582 BVerfGE 69, 315 (360). 583 BVerfGE 69, 315 (353). 584 Vgl. nur BVerfG, ebd. 352. 585 Ablehnend auch Förster, 37ff; AK-Hoffmann-Riem, Art., 8, 133, jew.m.w.Nw.; s. auch B.III., vor a. 586 Dietel/Gintzel, § 15, 60; Schwäble, 211 f. 580 581

VI. Präventive Einschränkungen der Versammlungsfreiheit

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Ob Verbote zugunsten des Strassenverkehrs zulässig sind 587 , hängt auch von der Definition eines Versammlungsverbotes ab. Sieht man von Bundesautobahnen ab, so sind absolute räumliche Verbote, die für jede Versammlung unabhängig von Größe und Zeitpunkt gelten, nicht zulässig; ebenso läßt sich ein generelles Versammlungsverbot auf einer bestimmten Straße zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht aufrechterhalten, ohne die Modalitäten der jeweiligen Versammlung zu berücksichtigen. Bei der notwendigen Abwägung im Einzelfall ist auf die bereits angeführten Abwägungsfaktoren zurückzugreifen 588 , wobei auch die Verknüpfung des Versammlungsanliegens mit einem bestimmten Ort oder Zeitpunkt zu berücksichtigen ist. Ebenso scheidet ein totales Versammlungsverbot aus Gründen des Lärmschutzes an bestimmten Orten oder zu bestimmten Zeitpunkten aus, da sich dieser Aspekt auch über Auflagen regeln läßt. Bei genereller Betrachtung der Ermächtigungsgrundlagen für Verbote im deutschen und amerikanischen Recht macht das Bemühen um eine präzise Auflistung von Verbotsgründen im amerikanischen Recht als Reaktion auf die konsequente Verwerfung zu unbestimmter Ermächtigungen durch den Supreme Court, die auch Rechtsgüter wie public welfare, decency, morals erfaßten 589, deutlich, daß man es dem Gesetzgeber im deutschen Recht mit dem pauschalen Hinweis auf die Unverzichtbarkeit unbestimmter Rechtsbegriffe und die möglichen Korrekturen durch Gerichte etwas zu leicht macht 590; dies insbesondere dann, wenn es wie hier um Ermächtigungen zu schwerwiegenden Eingriffen in ein wichtiges Grundrecht geht. c) Polizeilicher Notstand und hostile audience Situationen, in denen die öffentliche Sicherheit nicht durch den Veranstalter gefährdet wird, er und andere friedliche Versammlungsteilnehmer aber dennoch Adressat beschränkender staatlicher Maßnahmen sind, werden im deutschen Recflt unter den Rechtsfiguren des Zweckveranlassers oder des polizeilichen Notstandes erörtert. Diese Konstruktionen unterscheiden sich dadurch, daß beim Zweckveranlasser die Versammlungsteilnehmer selbst Störer sind, während sie im polizeilichen Notstand als Nichtstörer in Anspruch genommen werden. Ohne daß von der Entscheidung für die eine oder andere Rechtsfigur die Zulässigkeit eines Vorgehens gegen die Versammlungsteilnehmer abhängt, so ist doch eine Qualifizierung friedlicher und sich selbst rechtmäßig verhaltender Versammlungs587 Ablehnend Ott, § 15, 9; Denninger, ZRP 1968, 42 f.; Resistance v. Comm. of Fairmont Park, 286 F.Supp. 961 (963) (1969); zurückhaltender BVerfGE, 69, 315 (353); VGH München, NVwZ 1984, 2116; Götz, DVBl. 1985, 1351. 588 s.o. B.IV.l.c. 589 Shuttlesworth v. Binningham, 394 US 147 (153) (1969). 590 Für völlig unproblematisch hält Götz, DVBl. 1985, 1351, § 15 II VersG; ebenso Merten, MDR 1968, 624; Schwäble, 214; zurückhaltender Vogel, 28; gegen die Verfassungsmäßigkeit Ott, § 15, 2; Geulen, KJ 1984, 195 f.

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Teil B: Rechtsvergleich und Wertung

teilnehmerals Störer, nur weil sie Angriffe anderer "bezwecken" oder als naheliegende Folge bewirken, kaum zu rechtfertigen. Die in der Literatur zunehmende Tendenz, die Figur des Zweckveranlassers bei Versammlungen abzulehnen''", ist zu unterstützen, sodaß im folgenden nur der polizeiliche Notstand erörtert wird. Polizeilicher Notstand kommt dann in Betracht, wenn vor Durchführung der Veranstaltung erkennbar ist, daß Personen mit unfriedlichen Absichten sich der Versammlung anschließen wollen, und die Behörde aus diesem Grund die Veranstaltung verbietet. Daß dies nur in seltenen Ausnahmefallen unter Ausschöpfung aller möglichen Maßnahmen gegen die Störer zulässig ist, hat das Bundesverfassungsgericht in der Brokdorf-Entscheidung 592 zu Recht deutlich gemacht. Hier ist es aus Sicht der Versammlungsfreiheit notwendig, die Gefahr eines Ausbruchs von Gewalt in begrenztem Umfang hinzunehmen und das polizeiliche Vorgehen auf repressive Maßnahmen zu beschränken. Dennoch kann die Inanspruchnahme friedlicher Versammlungsteilnehmer durch Verbote der Veranstaltung nicht ausgeschlossen werden. Sie wird aber nur in Betracht kommen, wenn nach dem angeführten Maßstab feststeht, daß die Störungshandlungen auf schwerwiegende Beeinträchtigung von Rechtsgütern zielen (i.b. Leben, Gesundheit, Sachbeschädigungen erheblichen Ausmaßes) und diese sich nicht durch ein Eingreifen bei Durchführung der Veranstaltung verhindern lassen, was jeweils nach den Umständen des Einzelfalls- Zahl der unfriedlichen Demonstranten, räumliche Umgebung etc. - zu beurteilen ist. Ein Fall des polizeilichen Notstandes liegt auch vor, wenn die Behörde aufgrundvon Drohungen von außen gegen die insgesamt friedliche Versammlung ein Verbot erwägt, was im amerikanischen Recht unter dem Stichwort hostile audience 593 diskutiert wird. Dort wird fast durchgängigkonsequent darauf verwiesen, daß feindlich gesinnte Zuhörer oder Gegendemonstranten nicht als Gesichtspunkt bei der Entscheidung über den Antrag auf Genehmigung berücksichtigt werden dürfen 594, was in dieser Klarheit bei der Relativität des clear-and-presentdanger- Test 595 -vielleicht aber auch gerade wegen derselben- bemerkenswert 591 Etwa Schenke, JZ 1986, 36; Maunz I Dürig-Herzog, Art. 8, 117, Fn. 114; Rüh1, NVwZ 1988, 578 jew. m.w.Nw. generell ablehnend zum Zweckveranlasser Erbe!, JuS 1985, 237. 592 BVerfGE 69, 315 (361). 593 s. bereits A.VI.4. 594 Collin v. Chicago Park District, 460 F.2d 746 (754); Rockweil v. Morris, 211 N.Y.S.2d 25 (32 ff.) (1971); Village of Skokie v. Nt!. Socialist Party, 373 N.E.2d 21 (25) (1978) (alle zu Nazigruppen); U.S. Servicemen's Fund v. Shands, 440 F.2d 44 (46); Stacy v. Williams, 306 F.Supp. 963 (977) (1969); Hurwitt v. Oakland, 247 F.Supp. 995 (1001); Faculty ad Hoc v. Borough of Glassboro, 268 A.2d 75 (77f) (1970) (alle zu Anti-Vietnam-Demonstrationen); Heckerman v. Tupelo, 664 F.2d 502 (509) (1981); Williams v. Wallace, 240 F.Supp.100 (109) (1965); Dr. M.L. King Jr. Movement v. Chicago, 419 F.Supp. 667 (673) (Bürgerrechtsmärsche Farbiger); aus der Literatur, Blasi, 68 Mich.L.Rev., 1515; McGaffey, 57 Marqu.L.Rev., 64ff (1973). 595 s.o. A.IV.2.

VI. Präventive Einschränkungen der Versammlungsfreiheit

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ist. Demgegenüber ist im deutschen Recht im Rahmen des polizeilichen Notstandes die Zulässigkeil von Versammlungsverboten grundsätzlich auch dann anerkannt, wenn bei erheblichen gegenwärtigen Gefahren die Inanspruchnahme der Störer unmöglich ist 596 oder zu unverhältnismäßigen Schäden führt 597, was von Gerichten bei Veranstaltungen politischer Minderheiten bisweilen bestätigt wird 598• Die Grundsätze des polizeilichen Notstandes bedürfen jedoch für Versammlungen erheblicher Einschränkungen, und sie sind selbst dann nur schwer durch Beispiele mit Leben zu füllen. Durch das Aufgebot von Polizeikräften, das zur Verhinderung von Gewalt durch die Versammlungsteilnehmer bei Großdemonstrationen eingesetzt wird, lassen sich ebenso friedliche Versammlungen vor Gewalt von außen schützen; Gefährdungen der friedlichen Versammlungsteilnehmer durch feindliche Angriffe von außen, die ein Verbot der Versammlung zulassen, dürften selten sein. Der Aspekt der Unverhältnismäßigkeit des Aufwandes staatlicher Mittel zum Schutz der Versammlung istangesichtsdes Polizeiaufgebots zur Sicherung der Friedlichkeit einer Versammlung und aufgrundder aus Art. 8 GG folgenden Verpflichtung zur Inanspruchnahme von Amts- und Vollzugshilfezum Schutz der Versammlungsteilnehrner 599 von geringer Bedeutung. Auch sollte bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit des Vorgehens gegen die Störer der diesen drohende Schaden unberücksichtigt bleiben 600 • Wenn Gegendemonstranten oder andere aus freier Entscheidung und in rechtswidriger Weise eine Versammlung angreifen und der Schutz dieser Versammlung nur durch massiven Einsatz gegen die Störer zu gewährleisten ist, darf dies nicht dazu führen, daß die unfriedlichen Gegendemonstranten durch die ,,Aufopferung" eigener Rechtsgüter eine friedliche und rechtmäßige Versammlung verhindem können. Der Schaden, der durch die Inanspruchnahme der Störer droht und der den überschreiten muß, der ohne Durchsetzung der Störerhaftung einträte, kann sich hier nur auf die Versammlungsteilnehmer und vor allem auf unbeteiligte Dritte beziehen; deren Rechtsgüter lassen sich aber wegen der Kenntnis der Konfliktlage und durch polizeiliche Absperrungen häufig ausreichend schützen. Dies birgt freilich noch immer die Gefahr, daß die Störer durch das Bekunden von Widerstand gegen das polizeiliche Einschreiten und die Androhung von Gewalt das Risiko eigener Inanspruchnahme gering halten und so die Polizei gegen die Versammlung lenken können. Aber es ist auch kaum vorstellbar, daß 596

172.

Hierauf beschränkt VG Köln, NJW 1971, 210 (212); auch Abernathy, Assembly,

597 Drosdzol, JuS 1983, 414f.; Dietel/Gintzel, § 15, 14; Rühl, NVwZ 1988, 583; OVG Münster, DVBI. 1968, 842 (846); vgl. auch die Normierungen in den Polizeigesetzen der Länder. 598 OVG Saarlouis, DÖV 1970, 53; VGH München, DVBI. 1979, 737; OVG Lüneburg, NVwZ 1985, 925 und NVwZ 1988, 638. Daß es sich teilweise um nicht-öffentliche Versammlungen in geschlossenen Räumen handelte, bleibt hier außer Betracht. 599 VG Köln, NJW 1971, 212; W. Müller, 110; Rühl, NVwZ 1988, 582; im amerikanischen Recht McGaffey, 57 Marqu.L.Rev., 66. 600 Anders Drosdzol, JuS 1983, 414; Pappermann, JZ 1970, 286 f.

14 Ehrentraut

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Teil B: Rechtsvergleich und Wertung

die Störerüberein Potential verfügen, das Schäden in einem Ausmaß für unbeteiligte Dritte erwarten läßt, die auch noch ein Vorgehen gegen die Versammlung als verhältnismäßig erscheinen lassen. Die Intensität der Beeinträchtigung der Rechte der Versammlungsteilnehmer findet bei Vorliegen der Voraussetzungen des polizeilichen Notstandes Berücksichtigung, kann aber nicht schon bei seiner Begründung in Verhältnis zu den Konsequenzen eines Vorgehens gegen die Störer gesetzt werden 601 • Da es für die Versammlungsteilnehmer um die Realisierung ihres Versammlungsrechts geht und dieses für Minderheiten, die häufig durch feindliche Reaktionen betroffen sind, von erheblicher Bedeutung ist, wird hier nur eine geringfügige zeitliche oder örtliche Verlegung der Versammlung zulässig sein, wenn hierdurch nicht die Intention der Versammlung beeinträchtigt wird. Nimmt man hinzu, daß es sich allein um - wenn auch auf Tatsachenbasis 602 gewonnene- Prognosen handelt, unfriedliche Absichten gegen die Versammlung also bei Konfrontation mit der schutzbereiten Polizei fallengelassen werden können, und daß es wohl keinen sichereren Weg zur Förderung von Ausschreitungen gibt, als das Eingeständnis der Polizei, ihrer nicht vor Ort, sondern nur durch ein Verbot friedlicher Versammlungen Herr werden zu können 603, so ist doch - wenn man auch de iure hier am polizeilichen Notstand festhalten wird kaum eine Situation einer Außenstörung einer Versammlung in der Praxis denkbar, die ein präventives Verbot rechtfertigt.

601 Überzeugend auf Grundlage von§ 9 I PolG BW, VGH Mannheirn, NVwZ 1987, 237; ferner Rühl, NVwZ 1988, 583; anders etwa Drosdzol, JuS 1983, 415. 602 Daran mangelte es in VGH München, DVBI. 1979, 737; zu pauschal auch OVG Lüneburg, NVwZ 1985, 925 und NVwZ 1988, 638, wo nur von Aktionen zur Verhinderung des Jahrestreffens und erhöhtem Sicherheitsrisiko die Rede ist. 603 So Rockweil v. Morris, 211 N.Y.S.2d 25 (37) (1971).

Teil C

Abschließende Betrachtung Bei einer Gesamtwürdigung der Auslegung der Versammlungsfreiheit im amerikanischen und deutschen Verfassungsrecht läßt sich - trotz Differenzen bei Detailfragen - feststellen, daß die unter beiden Verfassungsordnungen mehrheitlieh vertretenen Auffassungen keine allzu gravierenden Unterschiede aufweisen. Dieser Befund ist angesichts der Bedeutung der Bill of Rights für Ursprung und Entwicklung der Grundrechte in Europa sowie Parallelen in den Verfassungsbestimmungen, die Berührungen mit den Grundrechten aufweisen, sicherlich nicht überraschend; er relativiert aber aus deutscher Sicht Befürchtungen, der Bestand eines freien Versammlungswesens sei durch gegenwärtige gesetzgebefische Reformen bedroht. Für das amerikanischeRecht fällt auf, daß der Versammlungsfreiheit im Vergleich mit dem deutschen Recht nur wenig Aufmerksamkeit gewidmet wird, obgleich doch die Versammlungspraxis der 60er und 70er Jahre, aber auch schon zuvor, von erheblichem Einfluß war. Man wird dies nicht damit erklären können, daß der Konsens über die Bedeutung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit im politischen Prozeß und die verbreitete Akzeptanz von Versammlungen dieses Grundrecht für die USA zu einem wenig reizvollen Untersuchungsgegenstand macht, während die Publikationsflut unter dem Grundgesetz durch die Herausarbeitung der politischen Funktion von Versammlungen und Demonstrationen sowie deren Befreiung von der Aura des Ungehorsams begründet ist. Der Grund liegt hauptsächlich- wie angesprochen- in einer vollständigen Unterordnung der Versammlungsfreiheit unter die Meinungsfreiheit, deren Konsequenzen über die zutreffende Auffassung hinausführen, daß die Versammlungsfreiheit nur gemeinschaftliche Meinungskundgabe und gegenseitigen Meinungsaustausch schützt. Bei der Abgrenzung der Schutzbereiche von Versammlungs- und Meinungsfreiheit im deutschen Recht zeigen sich Überschneidungen zum amerikanischen Recht, wo die Versammlung als Meinungsäußerungsmodalität von den Inhalten einer Meinungskundgabe getrennt wird. Ob es sich bei modalen Beschränkungen einer Meinungsäußerung grundsätzl.ich um weniger schwerwiegende Freiheitsbeeinträchtigung handelt, erscheint zweifelhaft, läßt sich aber hier nicht abschließend beurteilen. Auf keinen Fall aber trifft dies - wie unter beiden Verfassungsordnungen verbreitet angenommen wird - deshalb zu, weil die Inhalte von Meinungsäußerungen absolut vor staatlichen Beschränkungen geschützt werden. 14*

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Teil C: Abschließende Betrachtung

Der- vom Verfassungstext begünstigte- Versuch; die Kommunikationsgrundrechte umfassend in ein grundrechtstheoretisches Konzept einzupassen, findet sich im amerikanischen Recht nicht nur bei den First Amendment theories, sondern auch bei der speech-conduct-Differenzierung, dem two-tiered-approach und der doctrine of prior restraint als Maßstäben zur Ermittlung der Grenzen des Schutzbereichs der Kommunikationsgrundrechte. Liegen diesen Ansätzen auch zutreffende Bewertungen zugrunde, so sind diese umfassenden Theorien bei der Bewältigung spezifischer Probleme der Grundrechte und gerade auch der Versammlungsfreiheit häufig zu starr und nicht mit der behaupteten Stringenz durchzuhalten. Das Verständnis von Wesen und Funktion eines Grundrechtes der Versammlungsfreiheit wird zum einen bei einer grundsätzlichen Annäherung an das Grundrecht über die Grundrechtstheorien erkennbar; deren unterschiedliche Ausgangspunkte und Konsequenzen für die Bestimmung des Schutzbereichs lassen sich gerade für die Versammlungsfreiheit beim Versammlungszweck gut ableiten. Für diese Grundrechtstheorien ist deren unterschiedliche Entwicklung in beiden Ländern interessant zu verfolgen, wobei aber die Bedeutung derartiger Konzeptionen für die Auslegung eines Grundrechts verschiedentlich überschätzt wird. Aufschluß über das Verständnis des Grundrechts kann aber andererseits auch aus einer Erörterung von Detailfragen bei der Auslegung gewonnen werden, so etwa bei der Bannmeilenproblematik. Hier zeigt sich im amerikanischen Recht ein weitaus unbefangenerer Umgang mit der demokratischen Funktion des Grundrechts als im deutschen Recht. Dabei ist man sich auch in den Vereinigten Staaten der Gefahren von Demonstrationen vor dem Parlament bewußt und nimmt diese doch in Anerkennung der Bedeutung dieser Versammlungen in Kauf. An einer derart positiven, vielleicht auch optimistischen Einschätzung mangelt es im deutschen Recht. Der Hinweis auf neuerliche Gewalttaten im Rahmen von Versammlungen mag zur Verteidigung der gegenwärtigen Rechtslage eine gewisse Plausibilität haben, wie das Bannmeilengesetz auch mit Erfahrungen vom Ende der Weimarer Republik und dem Beginn des 3. Reiches aus Sicht der Väter des Grundgesetzes und des Gesetzgebers erklärbar ist. Es leuchtet jedoch nicht ein, warum in der Zwischenzeit die Bannmeilenregelung widerspruchslos akzeptiert wurde. Vor allem für diese demokratische Dimension sind das Problembewußtsein und die Lösungsvorschläge bei Kollisionen des Grundrechts mit anderen Rechtsgütern im amerikanischen Recht ausgewogener als im deutschen Recht. So entspricht die sehr verhaltene Diskussion um die Verfassungsmäßigkeit von Vermummungsverboten im amerikanischen Recht der wirklichen Bedeutung dieser Verbote für die Ausübung der Versammlungsfreiheit, während die Kontroverse im deutschen Recht mit einem unverhältnismäßigen Aufwand geführt wird. Diese Unausgewogenheit verstärkt sich noch, wenn man berücksichtigt, daß andererseits die Bannmeilenregelung unter dem Grundgesetz bis vor kurzem nahezu

Teil C: Abschließende Betrachtung

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kritiklos gebilligt wurde. Auch wird in der neueren amerikanischen Rechtsprechung der Schutz von Versammlungen politisch extremer bis hin zu nationalsozialistischer Ausrichtung vor Störern weitergehend berücksichtigt als von deutschen Gerichten, die in den NPD-Urteilen und ähnlichen Fällen vorschnell zur Annahme des polizeilichen Notstandes zuungunsten der Versammlungsteilnehmer neigen. Schließlich ist man sich in den Vereinigten Staaten darin einig, daß Sachbeschädigungen aller Art sowie auch Sitzblockaden nicht vom Grundrecht der Versammlungsfreiheit geschützt werden; das Anliegen der Demonstranten wird dort bei der Bestimmung des Schutzbereichs des Grundrechts - zu Recht - nicht berücksichtigt, sondern allenfalls im Zusammenhang mit der Diskussion um zivilen Ungehorsam. Dies sind Indizien dafür, daß eine kontinuierliche demokratische Entwicklung - auch wenn sie erhebliche Defizite bei der Behandlung von Minderheiten aufweist - am besten eine ausgewogene und gemessene Bestimmung von Schutzbereich und Grenzen der Freiheitsrechte und einen harmonischen Ausgleich zwischen der demokratischen und der freiheitssichemden Funktion der Grundrechte ermöglicht. Demgegenüber spiegelt sich die wechselvolle Entwicklung des deutschen Staatswesens entsprechend in der Auslegung der Grundrechte wider, wenn diese von Gewährleistungen an Untertanen und unpolitischen Freiheitssicherungen vor dem Staat nach ihrer vorübergehenden vollständigen Außerkraftsetzung heute vereinzelt zu Rechten gegen den Staat im Sinne eines Widerstandsrechts gegen rechtmäßige Mehrheitsentscheidungen und zu Instrumenten der Revolution 1 werden sollen.

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