Die Universität Straßburg zwischen Späthumanismus und Französischer Revolution [1 ed.] 9783412512545, 9783412512491

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Die Universität Straßburg zwischen Späthumanismus und Französischer Revolution [1 ed.]
 9783412512545, 9783412512491

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Hanspeter Marti / Robert Seidel (Hg.)

Die Universität Straßburg zwischen Späthumanismus und Französischer Revolution

Die Universität Straßburg zwischen Späthumanismus und Französischer Revolution Herausgegeben von Hanspeter Marti und Robert Seidel unter Mitarbeit von Karin Marti-Weissenbach Mit 21 s/w- und 55 Farbabbildungen

BÖHLAU VERLAG WIEN KÖLN WEIMAR

Der Druck dieser Publikation wurde von der Arbeitsstelle fur kulturwissenschaftliche Forschungen, Engi, unterstützt.

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar. © 2018 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Lindenstraße 14, D-50674 Köln Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Ausschnitt aus der Straßburger Stadtansicht von Matthäus Merian d. Ä. aus: Topographia Alsatiae. Frankfurt/Main 1644, koloriertes Exemplar der Bibliothèque nationale et universitaire de Strasbourg, Signatur: ICO.4 – M.1.032. In der Mitte, etwas rechts vor dem Münster erkennt man mit der Nr. 13 das ehemalige Dominikanerkloster, in dem die alte Universität untergebracht war. Satz: Satzpunkt Ursula Ewert GmbH, Bayreuth Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-412-51254-5

Inhalt Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Anton Schindling „Auf der Schanz“. Starkes Bildungszentrum zwischen Soldaten und Kanonen Die Straßburger Universitäten vom Dreißigjährigen Krieg bis zum Revolutionskrieg 1621 bis 1792 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Bernhart Jähnig Johannes Gisenius (1577‒1658) und seine Beteiligung an den Vorbereitungen zur Einrichtung einer Volluniversität in Straßburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 Reimund B. Sdzuj „mandatum esse officium elencticum, quod disputando exeritur“ Zu Johann Konrad Dannhauers Disputationslehrbuch Idea boni disputatoris et malitiosi sophistae (1629) und seinem historischen Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 Michael Hanstein Das carmen saeculare von Samuel Gloner (1598‒1642) zum Jubiläum des Straßburger Gymnasiums 1638 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 1. Aufführung und Autor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 2. Inhalt und Gattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 3. Johannes Sturm: Der Gründungsrektor im Urteil Gloners . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 4. Stilistische Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 Wilhelm Kühlmann Von der Aktualität der historisch-politischen Philologie Zum Themenspektrum der Straßburger akademischen Deklamationspraxis der Jahre 1637 bis 1643 anhand der Programmata academica des Johann Heinrich Boeckler (1611–1672). Mit einem Textanhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 Michael Philipp Bernegger ‒ Schaller ‒ Boeckler Die Straßburger historische Schule der Politikwissenschaft im 17. Jahrhundert . . . . 133 1. Das institutionelle und personelle Profil der ‚politica‘ Straßburgs . . . . . . . . . . . . 137 2. Tacitismus: Das politiktheoretische Profil der Straßburger Politikwissenschaft . . 154 3. Typen der Straßburger Dissertationen und ihre Respondenten . . . . . . . . . . . . . . 163

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Inhalt

4. Themenprofil der Straßburger historisch-politischen Wissenschaft . . . . . . . . . . . 180 5. Antike Geschichtsschreibung als Spiegel der Gegenwart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 Dorothée Rusque Enseigner à partir des collections d’histoire naturelle au XVIIIe siècle Les pratiques pédagogiques du professeur Jean Hermann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 1. Les collections comme équipements pédagogiques de l’université . . . . . . . . . . . . 341 2. Le spectacle instructif des collections . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 3.  Du „savoir savant“ au „savoir enseigné“: construire un savoir adapté aux publics . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 Patrick Schiele Das Besucherprofil der fürstbischöflichen Universität Straßburg im 18. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 2. Zur Matricula nova: Überlieferung und Quellenkritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 3. Besucherprofil an der fürstbischöflichen Universität anhand der Immatrikulationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 4. Regionale Herkunft der Studenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 5. Soziale Herkunft der Studenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 6. Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 Wolfgang Mährle Süddeutsche Reichsstädter an der Universität Straßburg (1621‒1793) Chronologie des Hochschulbesuchs, Bildungsziele, städtische und regionale Profile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 1. Institutionelle Entwicklung und akademische Lehre an der frühneuzeitlichen Universität Straßburg: Umprofilierung einer Hochschule . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388 2. Überlieferung und methodische Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 3. Die Universität Straßburg in der Frühen Neuzeit: Entwicklung der Studentenfrequenz, Bedeutung der Fakultäten, Graduierungen . . . . . . . . . . . . . . 398 4. Studenten aus süddeutschen Reichsstädten an der Universität Straßburg . . . . . . 408 5. Die frühneuzeitliche Universität Straßburg und die süddeutschen Reichsstädte: Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 456 Christian Scheidegger Die medizinische Fakultät der Universität Straßburg und ihre Zürcher Besucher . . . 463 1. Ein Blick zurück auf das Gymnasium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 465 2. Die Medizin an der Straßburger Universität im 17. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . 467 3. Der Medizinunterricht in Straßburg während des 18. Jahrhunderts . . . . . . . . . . 469

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4. Allgemeine Beobachtungen zu den Zürcher Medizinstudenten . . . . . . . . . . . . . . 475 5. Rückstrahlung der Straßburger Medizin auf Zürich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 478 Manfred Komorowski Graduierte aus Westfalen und vom Niederrhein an der Universität Straßburg im 17. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 499 1. Straßburger Doktoren aus Westfalen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 502 2. Westfalen mit Studium in Straßburg, aber Promotion an anderen Universitäten . 508 3. Graduierte aus dem Herzogtum Kleve . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 509 Manfred Komorowski Der Straßburger Universitätshistoriker Gustav Carl Knod und seine Matrikeledition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 511 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 521 Autoren und Herausgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 551

Einleitung I Die in diesem Band abgedruckten Aufsätze gehen zurück auf Vorträge, die auf einer interdisziplinären Tagung zum Thema Die Universität Straßburg zwischen Späthumanismus und Französischer Revolution am 4.–7. Juni 2015 in Engi (Kanton Glarus / Schweiz) gehalten wurden. Die Veranstaltung war Teil einer Reihe universitätsgeschichtlicher Konferenzen, auf denen seit 2001 über die institutionellen Gegebenheiten, über Lehr- und Lernformen, behandelte Gegenstände und profilierte Gelehrtenpersönlichkeiten an den Hohen Schulen von Leipzig, Königsberg, Altdorf, Zürich (Collegium Carolinum), Halle und eben Straßburg berichtet, reflektiert und diskutiert wurde. In der anregenden Atmosphäre des mittlerweile zu einiger Berühmtheit gelangten Ferienheims am Fuße des Gufelstock war es möglich, ebenso konzentriert wie unprätentiös auch entlegenere Forschungsfragen aufzugreifen und so zu einer neuen Sicht auf die bislang meist nur lückenhaft erforschte frühneuzeitliche Geschichte ausgewählter Universitäten des alten deutschen Kulturraums zu gelangen. So war auch die Geschichte der Straßburger Hohen Schule im 17. und 18. Jahrhundert bis dahin vergleichsweise wenig untersucht worden,1 ganz im Gegensatz zu deren Vorgängerinstitution, dem 1538 gegründeten und 1566 zur ‚Akademie‘ aufgewerteten Gymnasium, dem schon vor einigen Jahrzehnten Anton Schindling mit einer monographischen Studie die gebührende Aufmerksamkeit zuteil werden ließ.2 Es konnte in der Folge der Eindruck entstehen, als habe das höhere Bildungswesen in Straßburg während des nachreformatorischen Jahrhunderts, also zwischen der Etablierung des Gymnasiums unter Johannes Sturm3 und seiner Erhebung zur Volluniversität durch das kaiserliche Pri-

1 Eine knappe Übersicht der Universitätsgeschichte als Teil der Stadtgeschichte bietet Bernard Vogler: Straßburg. In: Handbuch kultureller Zentren der Frühen Neuzeit. Städte und Residenzen im alten deutschen Sprachraum. Hg. von Wolfgang Adam und Siegrid Westphal. Bd. 3. Berlin, Boston 2012, S. 1833–1876, besonders S. 1848–1853 u. 1856–1858. Nach wie vor nützlich: Wilhelm Erman u. Ewald Horn: Bibliographie der deutschen Universitäten. Zweiter, besonderer Teil. Leipzig, Berlin 1904, S. 953‒990. 2 Anton Schindling: Humanistische Hochschule und freie Reichsstadt. Gymnasium und Akademie in Straßburg 1538‒1621. Tübingen 1977. 3 Jean Sturm. Quand l’humanisme fait école. Catalogue de l’exposition à la Bibliothèque Nationale et Universitaire de Strasbourg. Hg. von Matthieu Arnold u. Julien Collonges. Straßburg 2007; Johannes Sturm 1507‒1589. Rhetor, Pädagoge und Diplomat. Hg. von Matthieu Arnold. Tübingen 2009; Johannes Sturm (1507–1589). Pädagoge der Reformation. Zwei seiner Schulschriften aus Anlass seines 500. Geburtstages. Lateinisch-deutsche Lese-Ausgabe. Hg. von Bernd Schröder. Jena 2009.

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vileg von 1621, seine Blütezeit erlebt4 und danach im Konzert der protestantischen Universitäten zunächst keine besondere Bedeutung mehr entfaltet. Das spätere 17. Jahrhundert fand in der Universitätsgeschichtsschreibung wenig Beachtung, und aus der Aufklärungszeit wird lediglich der Historiker Johann Daniel Schöpflin, dem bereits vor längerer Zeit Jürgen Voss eine grundlegende Untersuchung widmete,5 als Geschichtsschreiber des Elsass (Alsatia illustrata, 1751/61) und Begründer einer so genannten Diplomatenschule, der „ENA des Ancien Régime“, von der breiteren Öffentlichkeit diesseits und jenseits des Rheins mit der Universität Straßburg in Verbindung gebracht. Nur wenigen Spezialisten geläufig sind hingegen Gelehrte wie die einflussreichen Vertreter eines ‚politischen‘ Tacitismus Matthias Bernegger (1582–1640) und Johann Heinrich Boeckler (1611‒1692),6 der Theologe Johann Konrad Dannhauer (1603–1666), der als Begründer der wissenschaftlichen Hermeneutik und Theoretiker des Disputationswesens eine wichtige Rolle spielte,7 der Bibelphilologe Sebastian Schmidt (1617‒1696), der Jurist und Herausgeber altdeutscher Rechtsquellen Johann Schilter (1632‒1705), der Philologe Jeremias Jakob Oberlin (1735–1806),8 der ‚Statistiker‘ Christoph Wilhelm Koch (1737‒1813),9 der Naturforscher Johann Hermann (1738–1800) mit seinen für den Unterricht bedeut4 Vgl. die neueren, auf diesen Zeitraum fokussierten Monographien von Michael Hanstein: Caspar Brülow (1585–1627) und das Straßburger Akademietheater. Lutherische Konfessionalisierung und zeitgenössische Dramatik im akademischen und reichsstädtischen Umfeld. Berlin, Boston 2013, und Kerstin Brix: Sueton in Straßburg. Die Übersetzung der Kaiserviten durch Jakob Vielfeld (1536). Hildesheim, Zürich, New York 2017. 5 Jürgen Voss: Universität, Geschichtswissenschaft und Diplomatie im Zeitalter der Aufklärung. Johann Daniel Schöpflin 1694‒1771. München 1979. Vgl. weiterhin Strasbourg, Schoepflin et l’Europe au XVIIIe siècle. Hg. von Bernard Vogler u. Jürgen Voss. Bonn 1996; Jürgen Voss: JeanDaniel Schoepflin (1694–1771). Un Alsacien de l’Europe des Lumières. Straßburg 1999; Johann Daniel Schöpflin: Wissenschaftliche und diplomatische Korrespondenz. Hg. von Jürgen Voss. Stuttgart 2002. Ferner ders.: Les étudiants de l’Empire russe à l’université de Strasbourg au XVIIIe siècle. In: Deutsch-russische Beziehungen im 18. Jahrhundert. Kultur, Wissenschaft und Diplomatie. Hg. von Conrad Grau, Sergueï Karp, Jürgen Voss. Wiesbaden 1997, S.  351‒371. Vgl. auch Georges Livet: L’enseignement de l’histoire à Strasbourg aux XVIIe et XVIIIe siècles. In: Bulletin de la société de l’histoire du protestantisme français 135, 1989, S. 117‒141. 6 Zu beiden Gelehrten vgl. jetzt allerdings die ausführlichen, weitere Forschungen begünstigenden Artikel von Michael Hanstein (Bernegger) und Wilhelm Kühlmann (Boeckler) im 2018 erscheinenden ersten Band des Literaturwissenschaftlichen Verfasserlexikons Frühe Neuzeit in Deutschland 1620–1720. 7 Walter Sparn: Johann Conrad Dannhauer (1603–1666). Allgemeine und Biblische Hermeneutik. In: Studienbuch Hermeneutik. Bibelauslegung durch die Jahrhunderte als Lernfeld der Textinterpretation […]. Hg. von Susanne Luther u. Ruben Zimmermann. Gütersloh 2014, S. 187–197. 8 Gelehrtennetzwerke in Straßburg am Ende des 18. Jahrhunderts. Jérémie-Jacques Oberlin – JeanBaptiste-Gaspard d’Ansse de Villoison. Hg. von Marie-Renée Diot-Duriatti. Leipzig 2007. 9 Heinz Sproll: Christoph Wilhelm Koch (1737–1813). Jurist und Historiker an der Straßburger Universität und am Theologischen Seminar. In: Vogler, Voss: Strasbourg (Anm. 5), S. 83–109.

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samen Sammlungen10 oder der Chirurg Johann Friedrich Lobstein (1736‒1784), der das anatomische Museum der Universität gründete. Es war somit das erklärte Ziel der interdisziplinär ausgerichteten und international besetzten Tagung, die frühneuzeitliche Entwicklung der Straßburger Universität von ihrer Privilegierung 1621 bis in die Zeit der Französischen Revolution zu untersuchen. Ein Schwerpunkt sollte dabei auf der akademischen Praxis, also der Entwicklung von Unterrichtsformen und -medien einschließlich des Disputationswesens, liegen.11 Dabei konnten wissenschafts- und disziplinengeschichtliche Entwicklungen im engeren Sinne ebenso im Fokus stehen wie akademische Vermittlungs- und Kommunikationsstrategien, denen etwa auf dem Wege der Auswertung von Einladungsschriften, Thesendrucken, Lehrbüchern oder auch Dokumenten der Memorialkultur nachzugehen war. Auch demographisch-soziologische Erhebungen zu akademischen Karrieren von Professoren und Studenten einschließlich der interuniversitären Mobilität frühneuzeitlicher Gelehrter waren ausdrücklich erwünscht. Kontinuitäten wie das lange Fortwirken späthumanistischer Paradigmen bis in die Zeit des ausgehenden 18. Jahrhunderts galt es ebenso zu analysieren wie mögliche Umbrüche, die durch die französische Annexion Straßburgs im Jahre 1681 oder durch die Konkurrenz mit der Jesuitenuniversität in Molsheim im 18. Jahrhundert zu erwarten waren. Die insgesamt zwölf in diesem Band versammelten Beiträge von Autor/-innen aus verschiedenen Fachdisziplinen können naturgemäß nicht das gesamte Spektrum der Desiderate abdecken. Bedauerlich ist vor allem, dass es den Veranstaltern trotz erheblicher Bemühungen nicht gelang, Vertreter der an der frühneuzeitlichen Straßburger Universität so zentralen Rechtswissenschaft für die Mitarbeit zu gewinnen.12 Dasselbe galt für die Geschichte der Medizin, wo vor allem von französischer Seite in den letzten Jahren ein-

10 Jean Lescure, René Bour, Ivan Ineich: Jean Hermann (1738–1800), professeur d’histoire naturelle et herpétologiste strasbourgeois. In: Bulletin de la Société herpétologique de France 130/131, 2009, S. 1–21. 11 Dem Titel nach bekannt sind auch in breiteren Kreisen die Positiones iuris von Johann Wolfgang Goethe, dessen Straßburger Zeit (1770/71) wie alle seine Lebensphasen freilich bestens dokumentiert ist. Vgl. Gertrud Schubart-Fikentscher: Goethes 56 Straßburger Thesen vom 6. August 1771. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft. Weimar 1949; Goethes Straßburger Promotion. […] Urkunden und Kommentare. Hg. von Elisabeth Genton. Basel 1971. Forschungsgeschichtlich ergiebig sind aber auch Dokumente zum Studienverlauf der weniger prominenten Studenten; vgl. die Lebensbeschreibung eines gut hundert Jahre vor Goethe in Straßburg studierenden weiteren Frankfurters, in der minutiös Datum, Thema und besondere Umstände der unter den verschiedenen Professoren bestrittenen Disputationen dokumentiert sind. Memoria B. Joh. Simonis Franc de Lichtenstein. o. O., o. J. [1708], S. 4f. 12 Zum Grenzbereich von Jurisprudenz und Theologie vgl. Ulrike Rother: Die theologischen Fakultäten der Universität Straßburg. Ihre rechtlichen Grundlagen und ihr staatsrechtlicher Status von den Anfängen bis zur Gegenwart. Paderborn 2001.

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schlägige Studien vorgelegt wurden.13 Aus schweizerischer Sicht wäre ein Aufsatz über das Verhältnis der Universität Basel zu Straßburg willkommen gewesen. In wenigen Fällen konnten einschlägige Beiträge nicht in den Band integriert werden,14 und schließlich ist die geringe Beteiligung französischer Wissenschaftler zu beklagen, der auch durch intensive Werbemaßnahmen nicht entgegengesteuert werden konnte. Umgekehrt sind die Herausgeber glücklich darüber, dass einzelne Autoren sehr umfangreiche Studien eingereicht haben, die auch unter dem Aspekt der so notwendigen Dokumentation universitätsgeschichtlicher Fakten und Zusammenhänge als äußerst wertvoll einzustufen sind. Besonders zu nennen ist hier der monographische Dimensionen erreichende Beitrag von Michael Philipp, der ungeachtet partieller Überschneidungen mit früheren Studien des Verfassers eine im Ganzen neu aus den Quellen erarbeitete Abhandlung darstellt, die wir nicht zuletzt deswegen sehr gerne in voller Länge abdrucken, weil sie andernorts formulierte Forschungsdesiderate bereits zum gegenwärtigen Zeitpunkt einlöst.

II Den nachfolgenden zweiten Teil dieser Einleitung bilden knappe Zusammenfassungen der im Band abgedruckten Beiträge. In einem einleitenden Aufsatz mit dem Titel „Auf der Schanz“. Starkes Bildungszentrum zwischen Soldaten und Kanonen. Die Straßburger Universitäten vom Dreißigjährigen Krieg bis zum Revolutionskrieg 1621 bis 1792 skizziert Anton Schindling die Rolle der Straßburger Universität von ihren Anfängen 1621 bis in die Zeit der Französischen Revolution als Bildungszentrum in stadtpolitischem Kontext. Bereits die Umstände der Erhebung zur Volluniversität durch Kaiser Ferdinand  II. nach dem Ausscheiden Straßburgs aus der protestantischen Union verdeutlichen die Bedeutung der Stadt als Machtprojektion der österreichisch-spanischen Habsburger im Reich. Die anfangs durch Matthias Bernegger und die „Johanneische Trias“ Dannhauer, Dorsche und Schmidt geprägte Universität erblühte im vom Dreißigjährigen Krieg bis 1631 verschonten und zur Neutralität verpflichteten Straßburg, das einen Schonraum für Gewerbe und Handel sowie einen Zufluchtsort für lutherische Fürsten bildete und seine Machtposition 13 Histoire de la médecine à Strasbourg. Hg. von Jean-Marie Mantz u. Jacques Héran. Straßburg 1997; Louis-François Hollender, Emmanuelle During-Hollender: Chirurgiens et chirurgie à Strasbourg. Straßburg 2000; Jean-Marie Le Minor: Les sciences morphologiques médicales à Strasbourg du XVe au XXe siècle. Straßburg 2002; Paul-André Havé: Médecins, chirurgiens et apothicaires du roi. L’hôpital militaire de Strasbourg et ses praticiens au XVIIIe siècle. Diss. Univ. Straßburg 2011. 14 Aufgrund einer langfristig gegebenen Zusage musste einer der Herausgeber einen auf Straßburg bezogenen Aufsatz an anderem Ort publizieren. Robert Seidel: Über die Legitimation von Widmungsschriften. Elias Silberrads Straßburger Thesendruck De dedicationum literariarum moralitate [im Druck]. Leider konnte der Tagungsbeitrag von Daniel Bolliger (Konfessionsanalytische methodos als ideologiekritischer Lebens-Weg. Paradoxale Modernisierung beim Kontroverstheologen Johann Konrad Dannhauer) nicht für eine Publikation gewonnen werden.

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am Oberrhein noch auszubauen vermochte. Durch den zunehmenden Einfluss Frankreichs im Elsass ab 1635 und die Anerkennung französischer Besitzungen im Westfälischen Frieden 1648 wurde die Vormachtstellung Habsburgs geschwächt und Straßburg durch Territorialveränderungen an den Rand des Reiches gedrängt. Ludwig XIV. strebte nach der Rheingrenze und zwang Straßburg, sich 1681 zu unterwerfen, wodurch die Stadt aus dem Reichsverband ausschied. Dies rief keine militärischen Reaktionen hervor, weil die Reichsfürsten die französische Politik deckten und versuchten, ihren Nutzen daraus zu ziehen. Als nunmehr königliche Stadt wurde Straßburg einem Präfekten unterstellt und erhielt besondere Privilegien. So galt das Edikt von Fontainebleau im Elsass nicht, auch nicht für die protestantische Universität. Ludwigs  XIV. Reunionspolitik fand Anerkennung, und die Integration Straßburgs ins französische Königreich wurde 1713/14 völkerrechtlich bekräftigt. Es begann der Ausbau Straßburgs zum militärischen Bollwerk Frankreichs gegen das Reich, hinzu kamen eine Militarisierung und damit einhergehend eine partielle Rekatholisierung der Stadt, denn nur katholische Militärs durften in Straßburg stationiert werden, wodurch eine bikonfessionelle Stadtbevölkerung entstand. Straßburg bzw. die Straßburger Bischöfe, welche das Bistum als Lehen des Kaisers und somit Sitz im Reichstag hatten, fungierten als Vermittler zwischen Frankreich und dem Heiligen Römischen Reich. Sie waren es auch, die ein Jesuitenkolleg installierten, das unmittelbar neben der protestantischen Universität lag. Für die Universität bedeutete die Annexion anfangs den Verlust der reichspolitischen und reichsrechtlichen Funktion und die Aufgabe ‚moderner‘ Staatslehren in der Tradition Berneggers, welche fortan z. B. an der Universität Heidelberg behandelt wurden. Im 18. Jahrhundert warb Johann Daniel Schöpflin erfolgreich um deutsche Studenten, woraufhin sich die protestantische Universität zur ‚Eliteuniversität‘ für Studenten aus dem Reich (besonders Jurisprudenz und Medizin) entwickelte, während die katholische Universität klein und lokal begrenzt blieb. Straßburg zeichnete sich vor 1789 durch Toleranz und ein Nebeneinander von Konfessionen, Sprachen und Kulturen aus und blieb ein zentraler Ort in der Aussöhnung der Bourbonen und Habsburger. Im Straßburger Bürgertum fanden die revolutionären Ideen breite Zustimmung. Nach der Auflösung aller Universitäten 1793 wurde Straßburg Waffenplatz und Heerlager, wodurch es für die Bildungsgeschichte an Bedeutung verlor. Die Revolution ließ die humanistische Stadt vergessen, ihre vorwiegend militärische Funktion bleibt in dem Lied Zu Straßburg auf der Schanz greifbar. Dem Übersichtsbeitrag von Anton Schindling schließen sich eine Reihe von Fallstudien zur akademischen Praxis an, die gemäß der chronologischen Reihung ihrer Gegenstände präsentiert werden. Bernhart Jähnig widmet sich mit seinem Beitrag Johannes Gisenius (1577–1658) und seine Beteiligung an den Vorbereitungen zur Einrichtung einer Volluniversität in Straßburg einer bislang wenig beachteten Figur aus der Phase der Etablierung des Straßburger akademischen Gymnasiums als Volluniversität. Zur Vorbereitung dieses Übergangs wurde bereits 1619 der niedersächsisch-westfälische Theologe Johannes Gisenius, der davor zuletzt einen Lehrstuhl an der Universität Gießen innegehabt hatte, auf die Professur für alttestamentliche Bücher berufen und erhielt unter vier theologischen Lehr-

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stühlen den Rang des zweiten. Neben seinen alttestamentlichen Lehrveranstaltungen erhoffte man sich in Straßburg durch diese Berufung auch eine Verstärkung der theologischen Fakultät durch eine Fortsetzung von Gisenius’ kontroverstheologischen Arbeiten, wie er sie besonders in seinen Disputationen realisierte. Aus solchen ist die Mehrzahl seiner Buchveröffentlichungen sowohl aus der Gießener wie auch der Straßburger Zeit hervorgegangen. Gisenius’ Position war streng lutherisch, was in Schriften wie Calvinismus, hoc est errorum Zwinglio-Calvinianorum […] refutatio zum Ausdruck kommt. Aus dieser Perspektive erwog er auch eine eigene Politik der Reichsstädte gegenüber dem Kaiser, die diesen als weltliches Oberhaupt anerkannten. Von Gisenius’ zahlreichen Straßburger Schülern sind die erfolgreicheren unter den Respondenten seiner Disputationen zu finden. Eine persönliche Bekanntschaft führte dazu, dass er nicht nur aus der Großstadt Straßburg, sondern auch aus dem damals ebenfalls stark bevölkerten Ulm zahlreiche Studenten zu betreuen hatte, denn das hatte deren Stadtsuperintendent vermittelt, den Gisenius bereits in Gießen als Kondoktoranden und Kollegen kennen gelernt hatte. Die Straßburger Karriere des Theologen endete freilich schon nach anderthalb Jahren, als er sich, wohl vor allem auf Drängen seiner Frau, an die 1621 neugegründete Holstein-Schaumburgische Universität Rinteln abwerben ließ. Der Beitrag von Reimund B. Sdzuj („mandatum esse officium elencticum, quod disputando exeritur.“ Zu Johann Konrad Dannhauers Disputationslehrbuch ‚Idea boni disputatoris et malitiosi sophistae‘ [1629] und seinem historischen Kontext) skizziert die Entwicklung der Disputationslehre an der Hohen Schule zu Straßburg von Johannes Sturm über Johann Ludwig Hawenreuter und Daniel Rixinger bis zu Johann Konrad Dannhauer. Wie an anderen Orten zeigt sich auch hier eine zunehmende Verselbstständigung dieses Lehrstücks, das schließlich in systematischen Disputationslehrbüchern behandelt wurde. Der Beitrag charakterisiert diese in Abgrenzung zum einen von den mündlichen Disputationsakten, zum anderen von den Thesendrucken. Das Augenmerk richtet sich zudem auf die Frage der disziplinären Einordnung der ars disputandi: In der Tradition der Kommentierung der aristotelischen Topik stehend, wurde sie schon deshalb zur Logik, nicht zur Rhetorik gerechnet. Das gilt auch und besonders für Dannhauers Idea boni disputatoris. Die detaillierte Darstellung dieses Handbuches macht deutlich, worin ihr Verfasser das Wesen, den Wert und die Notwendigkeit der disputatio, vornehmlich der Religionsdisputation, sah. Deutlich wird dabei auch, dass für Dannhauer der Unterschied zwischen dialektischer und analytischer Disputation von entscheidender Bedeutung war und er mit der Verbindung von Disputation und Analytik ein Konzept apodiktischer Disputation vertrat. Aus literaturwissenschaftlicher Perspektive analysiert Michael Hanstein Das ‚Carmen saeculare‘ von Samuel Gloner (1598–1642) zum Jubiläum des Straßburger Gymnasiums 1638. Straßburg feierte das hundertjährige Bestehen seines 1538 gegründeten und seit 1621 zur Universität erhobenen Gymnasiums mit Predigten und akademischen Festreden, zu denen auch das Carmen saeculare des poeta laureatus Samuel Gloner zählt. Dieser wirkte nicht nur als Lehrer am Gymnasium, sondern gilt wegen zahlreicher lateinischer Epen und Kasualgedichte als einer der produktivsten Straßburger Dichter seiner Zeit.

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Gloner schildert die Geschichte des Gymnasiums in vier Phasen, die der etwa seit Augustinus bekannten, hier zyklisch konstruierten Jahreszeitenmetaphorik (Frühling, Sommer etc.) folgen. Dabei erwähnt er vergangene und zeitgenössische Gefährdungen des Gymnasiums wie Pestepidemien, aber auch private Schulen, das Alamode-Wesen und die schlechte Meinung von Eltern über Lehrer. Nach der aktuellen Phase des „Winters“, einer durch den Dreißigjährigen Krieg bedingten Zeit des Niedergangs, kündigt er einen neuen Frühling an. Außerdem verbindet Gloner die Gymnasialhistorie mit panegyrischen Passagen auf zentrale Gestalten des Straßburger Bildungswesens wie die örtlichen Schulherren und den, obwohl zwischenzeitlich theologisch und pädagogisch angegriffen, positiv bewerteten Gründungsrektor Johannes Sturm. Gerahmt wird das Epos durch einen Lobpreis Gottes, womit es Ähnlichkeiten zur biblischen Dankeshymnik besitzt. Stilistisch auffällig sind temporale Periphrasen zur Datumsangabe, metrisch kunstvolle Aufzählungen nichtlateinischer Namen im Hexameter und zahlreiche Ovid-Bezüge. Wilhelms Kühlmanns Beitrag Von der Aktualität der historisch-politischen Philologie. Zum Themenspektrum der Straßburger akademischen Deklamationspraxis der Jahre 1637 bis 1643 anhand der ‚Programmata academica‘ des Johann Heinrich Boeckler (1611–1672) widmet sich am Beispiel des namhaften Straßburger Historikers, Politologen und Philologen Johann Heinrich Boeckler einem bislang verhältnismäßig wenig behandelten Genre der älteren Universitätsliteratur, nämlich dem ‚Programm‘ im Sinne einer ankündigenden, empfehlenden und thematisch mehr oder weniger weit ausholenden gedruckten Einladung zu einer akademischen Veranstaltung im Rahmen eines actus publicus. Diese Programme traten an die Seite anderer akademischer Textsorten (Reden, Dissertationen). Vorgestellt werden in exemplarischer Weise nach einem späteren Sammeldruck von Boecklers Orationes et programmata (ediert 1705) die Programme der Jahre 1637–1643 (Nr. I–XIII, S. 339–385), gedacht vornehmlich als Vorspann zu Deklamationen tüchtiger Studierender (darunter bekannte Namen wie Melchior Freinsheim oder Veit Ludwig von Seckendorff), aber auch zu eigenen Vorlesungen (zu Tacitus). Im kontextbezogenen Referat der Texte mit biographischen Daten und aussagekräftigen Zitaten eröffnet sich für eine politisch brisante Phase der Straßburger Universität ein breites, durchaus farbiges Interessenspektrum von Fragen und Problemen historischer, politischer, aber auch religiöser, biblisch-hermeneutischer und kulturhistorischer Provenienz. Die erwähnte umfangreiche, gleichwohl im Rahmen dieses Sammelbandes sinnvoll zu platzierende Studie von Michael Philipp (Bernegger – Schaller – Boeckler. Die Straßburger historische Schule der Politikwissenschaft im 17. Jahrhundert) nimmt die historisch-politische Wissenschaft während eines längeren Zeitraums der Straßburger Universitätsgeschichte in den Blick. Das Ziel der akademischen Schule um Matthias Bernegger, Jakob Schaller und Johann Heinrich Boeckler war es, zeitgenössische politische Konflikte und Kriege sowie das Handeln von Staatsmännern auf der Basis historischer Reflexionen zu analysieren und zu deuten. Nach einleitenden Abschnitten (1.) zum institutionellen und personellen bzw. (2.) zum politiktheoretischen Profil sowie (3.) zu einer möglichen Typologisierung von Dissertationen entfaltet der Hauptteil das breite Spektrum der Themen,

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zu dem die Straßburger Professoren mit ihren Schülern Disputationen veranstaltet und Dissertationen publiziert haben. Unter den rund 200 einschlägigen Titeln werden vorrangig solche genauer analysiert, die inhaltlich Innovatives bieten oder die thematisch für die Straßburger Schule als profilbildend gelten können. Entstehungskontexte und Argumentationen der Dissertationen ließen dabei erkennen, dass sich neben den drei Professoren auch ihre Schüler inhaltlich eingebracht haben, nicht selten sogar maßgeblich. Charakteristisch für die Geschichtsbetrachtung der Elsässer Denkfabrik sind der Gegenwartsbezug und damit verknüpfte Rekurse auf Tacitus und Livius, auf Justus Lipsius, Niccolò Machiavelli und später auf Hugo Grotius. Grundlegend ist zudem ein pessimistisches Menschenbild und ein auf Akteure, deren politische Klugheit und Machterhalt fixiertes Politikverständnis. Auffallende Akzente setzten die Straßburger dementsprechend mit Abhandlungen zu – mehr oder minder guten – Fürsten, Räten und (antiken) Staatsmännern, aber auch zur Demokratie, zur Analyse innergesellschaftlicher Machtverhältnisse, zum Krieg und zur europäischen Mächteordnung. Dass die Straßburger Schule mit ihrem durch gründliche Geschichtskenntnis geschärften Blick auf das Politische im 17. Jahrhundert eine breite Außenwirkung entfaltet hat, kann freilich nur in Ansätzen skizziert werden. Die Reihe der Fallstudien schließt mit einem Beitrag von Dorothée Rusque, die sich einem prominenten Gelehrten des 18. Jahrhunderts widmet (Enseigner à partir des collections d’histoire naturelle au XVIIIe siècle. Les pratiques pédagogiques du professeur Jean Hermann).15 Für den Naturforscher Johann Hermann (1738‒1800) war der Unterricht in den Naturwissenschaften nicht möglich ohne den Rekurs auf pädagogische Ausstattung. Der Ruf auf den Lehrstuhl für Chemie, der medizinische und botanische Gegenstände umfasste, erlaubte es ihm, von 1784 an die Leitung des Botanischen Gartens wahrzunehmen. Indem er von dieser institutionellen Basis aus unterrichtete, folgten viele seiner Studenten seinen naturkundlichen Vorlesungen, die nach der Methode der Kabinettpräsentation angelegt waren. Hermann war Eigentümer eines reich ausgestatteten Naturalienkabinetts, das die drei Reiche der Natur umfasste und das er zwischen 1766 und 1800 mehr als 1700 Zuhörern zugänglich machte. Die beiden Sammlungen mit unterschiedlichem Status (öffentlich versus privat) behaupteten sich als universitäre Einrichtungen. Sie boten ein Schauspiel dar, das in der Lage war, die Neugier anzustacheln, um die Studenten besser für die Ausbildung zu motivieren. Die Präsentation von Objekten aus der Natur war das Schlüsselelement der Ausbildung. Es ging darum, den Blick des Laien zu schärfen, damit er lernte, gut zu beobachten. Die pädagogischen Methoden von Johann Hermann zeugen vor allem von dem Willen, ein Wissen zu vermitteln, das für ein gemischtes Publikum zugeschnitten war, das sich sowohl aus Medizinstudenten wie auch aus Gelehrten und Liebhabern zusammensetzte. Die Sammlungen bildeten den Kreuzungspunkt von 15 Vgl. auch Dorothée Rusque: Un dispositif matériel et visuel constitutif de la construction du savoir naturaliste au XVIIIe siècle: la collection de livres de Jean Hermann. In: Histoire et civilisation du livre: revue internationale 11, 2015, S. 97‒108.

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gelehrtem Wissen und Schulwissen und verkörperten die Idee, dass die Ausbildung des Blicks im Vordergrund steht. Einen weiteren zentralen Block des Sammelbandes bilden Studien, die sich den Studenten der Universität, ihrer Frequenz, ihrer Herkunft und ihren Bildungszielen zuwenden. Patrick Schiele untersucht Das Besucherprofil der fürstbischöflichen Universität Straßburg im 18. Jahrhundert. Nach der kampflosen Kapitulation der Stadt 1681 betrieb König Ludwig  XIV. von Frankreich den Ausbau der katholischen Position in der vormaligen Hochburg des Protestantismus im Elsass. In diesem Sinne verlegte der Monarch die fürstbischöfliche Universität 1701/02 von Molsheim nach Straßburg und unterstellte sie der Leitung der französischen Jesuiten aus der Ordensprovinz Champagne. In unmittelbarer Nachbarschaft zur städtischen protestantischen Universität sollten von der neu konstituierten Diözesanbildungsanstalt aus Katholizismus und französischer Einfluss in der ehemaligen freien Reichsstadt und im immer noch deutsch geprägten Elsass gefördert werden. Die Anziehungskraft des Hochschulstandorts im 18. Jahrhundert speiste sich aus der zentralörtlichen Bedeutung Straßburgs am Oberrhein sowie aus der besonderen Situation der Stadt als deutsch-französischem Begegnungsraum. Der Beitrag untersucht die Entwicklung der Besucherfrequenz der fürstbischöflichen Universität sowie die regionale und soziale Herkunft der Studentenschaft, um Aussagen zu Charakter und Ausstrahlung der Straßburger Hochschule zu ermöglichen. Neben der Frage nach deren fortdauerndem Reichsbezug wird auch die Verankerung in ihrem regionalen und gesellschaftlichen Umfeld sichtbar gemacht. Als Grundlage dient eine Auswertung der bisher in der Forschung weitgehend unbeachteten und noch nicht ediert vorliegenden Universitätsmatrikel mittels der in der Universitätsgeschichtsschreibung bewährten Methode der Matrikelanalyse. Wolfgang Mährle geht in seiner Studie Süddeutsche Reichsstädter an der Universität Straßburg (1621–1793). Chronologie des Hochschulbesuchs, Bildungsziele, städtische und regionale Profile anhand der Matrikeledition von Gustav C. Knod dem Besuch der frühneuzeitlichen Universität Straßburg durch Studenten aus süddeutschen Reichsstädten nach. Einbezogen in die Analyse sind diejenigen 42  Reichsstädte des Oberrheinischen, des Schwäbischen, des Fränkischen und des Bayerischen Reichskreises, die im Jahr 1792 noch bestanden haben. Die Untersuchung nimmt sowohl die Chronologie des Hochschulbesuchs als auch die Bildungsziele der süddeutschen Reichsstädter in den Blick. Die Ergebnisse werden zudem regional und stadtspezifisch differenziert. Insgesamt haben zwischen 1621 und 1793 etwa 3000 Personen aus den betreffenden Reichsstädten an der protestantischen Universität Straßburg studiert. Dies entspricht einem Anteil von etwa 15 Prozent an allen Studenten dieser Bildungseinrichtung. Die Chronologie des Hochschulbesuchs durch süddeutsche Reichsstädter weicht deutlich von der Gesamtfrequenz der Universität Straßburg ab. Etwa 60 Prozent aller Studenten aus den berücksichtigten Kommunen besuchten die oberrheinische Hochschule vor 1670, etwa 75 Prozent vor 1700. Dieser Befund zeigt, dass die Kriege des ausgehenden 17. Jahrhunderts, die im Jahr 1681 zur Annexion Straßburgs durch das Königreich Frankreich führten, sowie der Spanische Erbfolgekrieg in den süddeutschen Reichsstädten eine grundlegende Veränderung der

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Bildungsmuster bewirkten. Bis etwa 1670 folgte der Besuch der Universität Straßburg Paradigmen, die bis in die Reformationszeit zurückreichen. Die elsässische Hochschule bildete in dieser Zeit eines von mehreren Zentren einer protestantischen Bildungslandschaft, die den gesamten schwäbischen Raum sowie einige angrenzende Gebiete umfasste. Straßburg zog reichsstädtische Studenten aller Ausbildungsstufen und Fachrichtungen an. Die lutherische Universität am Oberrhein war insbesondere eine wichtige Bildungseinrichtung für das altsprachlich-philosophische Grundstudium der Jugendlichen aus den schwäbischen Reichsstädten. Die größte süddeutsch-reichsstädtische Studentengruppe bildeten die Ulmer. Während der Kriegsdekaden um 1700, die für die Universität Straßburg eine Krisenzeit darstellten, sanken die Immatrikulationszahlen süddeutscher Reichsstädter merklich. Sie blieben ungeachtet des Wiederaufschwungs der elsässischen Hochschule im 18. Jahrhundert dauerhaft niedrig. Einem Teil des Fächerspektrums wie auch der Studentenschaft gilt Christian Scheideggers Beitrag über Die medizinische Fakultät der Universität Straßburg und ihre Zürcher Besucher. Diese erlebte im 18. Jahrhundert einen Aufschwung, nachdem die Immatrikulationen 1681 als Folge der Machtübernahme durch Frankreich plötzlich eingebrochen waren. Als bedeutende französische Garnisonsstadt erhielt Straßburg ein Militärspital, während sich der königliche Prätor um eine Verbindung der medizinischen Fakultät zum königlichen Gesundheitsdienst bemühte. Zweifellos begünstigte die französische Militärmedizin die in der Anatomie und Chirurgie zu beobachtenden Fortschritte. Deshalb wurde nicht zufällig in Straßburg 1708 zum ersten Mal in der europäischen Geschichte die Chirurgie als universitäres Fach gelehrt. Gleichzeitig hatte die Anatomie international einen guten Ruf. 1756 kam der klinische Unterricht hinzu. Die Beliebtheit der medizinischen Fakultät der Universität Straßburg unter Zürcher Studenten ist hauptsächlich mit der Lehre und Praxis der Anatomie und Chirurgie zu erklären. Außer den regulären Veranstaltungen nutzten die Studenten die privaten Kurse der Professoren und Prosektoren, das Lehrangebot im Militärspital sowie in der städtischen Hebammenschule. Mehr als die Hälfte der immatrikulierten Zürcher Studenten waren Chirurgen, darunter mehrere Wundärzte aus Zürcher Landgemeinden. Die Bedeutung der Straßburger Medizin für die Zürcher Ärzte und Chirurgen im 18. Jahrhundert ist auch daran erkennbar, daß vier der acht Initianten des 1782 in Zürich gegründeten medizinisch-chirurgischen Instituts in Straßburg studiert hatten. Ebenfalls geographisch, aber nicht disziplinär begrenzt präsentiert sich Manfred Komorowskis Beitrag über Graduierte aus Westfalen und vom Niederrhein an der Universität Straßburg im 17. Jahrhundert. Diese Studie zur bisher eher lückenhaft erforschten westfälischen und rheinischen Bildungsgeschichte der Frühen Neuzeit stellt in einer bio-bibliographischen Dokumentation rund 50 bisher kaum bekannte Studenten vor, die im 17. Jahrhundert den begehrten Titel eines Lizentiaten oder Doktors erwarben. Angesichts der zahlreichen Kandidaten aus beiden größeren Regionen bot sich hier eine Beschränkung auf die Grafschaft Mark Westfalen, die Reichsstädte Dortmund und Essen sowie das Herzogtum Kleve an. Die untersuchten Personen waren ganz überwiegend Juristen, nur

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einige wenige Mediziner und Philosophen. Die ohnehin selten promovierten Theologiestudenten fehlen in dieser Aufstellung ganz. Nachgewiesen werden auch Studenten, die in Straßburg studierten, den akademischen Grad aber woanders erwarben, etwa in Basel, Heidelberg, aber auch in Padua oder Orléans. Von den nordrheinischen, aus dem Herzogtum Kleve stammenden Studenten hatten mehrere zunächst in Duisburg studiert. Angesichts des Fehlens umfassender historischer wie moderner Gelehrtenlexika für beide Regionen liefert die Dokumentation Bausteine für weitere Arbeiten zur Studentenmigration. Die Reihe der Beiträge zur Geschichte der Universität Straßburg beschließt eine weitere Studie von Manfred Komorowski, die sich mit Entstehung, Struktur und Anspruch eines von der Forschung viel genutzten prosopographischen Hilfsmittels auseinandersetzt (Der Straßburger Universitätshistoriker Gustav Carl Knod und seine Matrikeledition). Zum 25. Geburtstag der nach dem deutsch-französischen Krieg zunächst ‚Reichsuniversität‘, ab 1877 ‚Kaiser-Wilhelms-Universität‘ Straßburg genannten Neugründung publizierte der Straßburger Gymnasiallehrer Gustav Carl Knod (1850–1914) die Matrikeln der alten Universität Straßburg (1621–1793). Neben der Rektoratsmatrikel waren dies Adels-, Fakultäts- und Promotionsmatrikeln, aber auch Listen von weiteren Universitätsangehörigen (Sprach-, Fechtmeister, Pedelle). Die Handschriften befanden sich im örtlichen Thomas-Archiv, wiesen aber zum Teil beträchtliche Lücken auf. So berichtete die Matricula generalis maior nur über die Einschreibungen der Jahre 1766 bis 1793. Knod ergänzte seine Edition durch Auswertung weiterer Quellen wie etwa der Acta der vier Fakultäten. Die Promotionsmatrikeln der juristischen und der medizinischen Fakultät wiesen demnach nicht nur die Namen der Kandidaten, sondern auch ihre Inauguraldissertationen nach. Der Germanist und Historiker Knod zählte zu den zahlreichen Gymnasiallehrern, die damals auch nach ihrem Studium weiter wissenschaftlich arbeiteten. Der später zum Professor ernannte Oberlehrer machte sich bald einen Namen als Universitätshistoriker, arbeitete er doch nicht nur über Straßburg, sondern auch über die alten Hochschulen in Bologna, Padua, Orléans. Die Edition der Straßburger Matrikeln ermöglichte erstmalig einen tiefen Einblick in die Zusammensetzung der umfangreichen Straßburger Studentenschaft, die nicht nur aus vielen Teilen des Alten Reiches, sondern aus ganz Europa an die bald renommierte lutherische Universität strömte. Durch das berühmte sturmsche Gymnasium, die direkte Vorgängerin, hatte sich Straßburg bereits einen sehr guten Ruf erworben. Leider ist die Gymnasialmatrikel nicht überliefert. Es erstaunt nicht, dass die knodsche Matrikeledition viele Lokal- und Landeshistoriker inspirierte, nach Studenten aus ihren Städten und Regionen zu forschen. In dieser Tradition stehen in diesem Band die Beiträge von Wolfgang Mährle, von Christian Scheidegger und der ebenfalls von Komorowski verfasste Artikel über die Graduierten aus Westfalen und dem nördlichen Rheinland. Den Herausgebern bleibt die angenehme Pflicht, allen Beiträgern für ihr Engagement bei der Tagung und für die gute Zusammenarbeit während der arbeitsintensiven Phase der Druckvorbereitung zu danken. Unser Dank gilt ferner der Kulturkommission des Kantons Glarus (Lotteriefonds) für die großzügige finanzielle Förderung der Tagung, sodann

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den überaus gastfreundlichen Pächtern des Ferienheims am Gufelstock, Familie MartiMeile, sowie last not least dem Böhlau Verlag für die wie immer vertrauensvolle und effektive Zusammenarbeit. Sommer 2018 Frankfurt am Main und Engi / Glarus Süd Robert Seidel und Hanspeter Marti

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„Auf der Schanz“. Starkes Bildungszentrum zwischen Soldaten und Kanonen Die Straßburger Universitäten vom Dreißigjährigen Krieg bis zum Revolutionskrieg 1621 bis 1792

Die Hochschule der protestantischen freien Reichsstadt Straßburg, die renommierte und viel besuchte ‚Schule Johann Sturms‘, erhielt im Jahr 1621 von Kaiser Ferdinand II. das Privileg einer Volluniversität mit Promotionsrecht in allen vier Fakultäten, der Philosophie, Jurisprudenz, Medizin und Theologie.1 Der katholische Kaiser, der eben dabei war, die rigide Gegenreformation in Böhmen durchzuführen, zeichnete damit eine große und bedeutende lutherische Bildungsstätte aus.2 Dies war ein politischer Preis, den er für die Auflösung des protestantischen Ständebündnisses der Union zahlte, dem die freie Reichsstadt Straßburg angehört hatte und aus dem sie jetzt austrat, nachdem die Truppen der Union am Weißen Berg vor Prag im November 1620 eine militärische Niederlage erlitten hatten.3 Der Austritt erfolgte früh genug, dass er dem Habsburger Kaiser als Gegner noch etwas wert sein musste. Gern privilegierte Ferdinand II. eine protestantische Universität nicht. Immerhin stand Straßburg mit seiner Kirche und Hochschule fest auf dem Bekenntnisboden des Luthertums und damit der im Augsburger Religionsfrieden von 1555 anerkannten zweiten Konfession im Reich neben der alten katholischen Kirche.4 Mit lu1

Anton Schindling: Humanistische Hochschule und freie Reichsstadt. Gymnasium und Akademie in Straßburg 1538 bis 1621. Wiesbaden 1977. 2 Dieter Albrecht: Ferdinand II. 1619−1637. In: Die Kaiser der Neuzeit 1519−1918. Hg. von Anton Schindling u. Walter Ziegler. München 1990, S. 124–141, 478f. 3 Olivier Chaline: La bataille de la Montagne Blanche (8 novembre 1620). Un mystique chez les guerriers. Paris 2000; Der Winterkönig. Friedrich von der Pfalz. Bayern und Europa im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges. Hg. vom Haus der Bayerischen Geschichte. Stuttgart 2003; Peter Bilhöfer: Nicht gegen Ehre und Gewissen. Friedrich V., Kurfürst von der Pfalz – Winterkönig von Böhmen (1596–1632). Heidelberg 2004; Union und Liga 1608/09. Konfessionelle Bündnisse im Reich – Weichenstellung zum Religionskrieg? Hg. von Albrecht Ernst u. Anton Schindling. Stuttgart 2010. 4 Histoire de Strasbourg des origines à nos jours. 4 Bde. Hg. von Georges Livet u. Francis Rapp. Strasbourg 1981. Bd. 2: Strasbourg des Grandes Invasions au XVIe siècle; Manfred Rudersdorf u. Anton Schindling: Luthéranisme et université à l’époque confessionnelle. Une comparaison entre Strasbourg, Tubingen et Marbourg. In: Bulletin de la Société de l’Histoire du Protestantisme Français 135, 1989, S. 64–76; Franz Brendle u. Anton Schindling: Der Augsburger Religionsfrieden und die

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therischen Reichsständen, wie dem Kurfürsten von Sachsen, musste der Habsburger kooperieren, wollte er sich in Böhmen gegen die rebellischen Stände und den calvinistischen Gegenkönig, den ‚Winterkönig‘ Friedrich V. von der Pfalz, durchsetzen.5 Eine calvinistische Hochschule oder eine mit zweifelhafter ‚philippistischer‘ theologischer Ausrichtung hätte Ferdinand nicht privilegiert, hätte ihr zumindest die theologischen Promotionsrechte verweigert.6 Die im Jahr 1621 feierlich eröffnete Academia Argentinensis entsprach dem Reichsrecht, und durch den Austritt Straßburgs aus dem 1608 begründeten Verteidigungsbündnis der Union entfiel jetzt auch der politische Gegensatz zum Reichsoberhaupt. Am Krieg um die Kurpfalz, den der Kaiser, das katholische Ständebündnis der Liga und Spanien bis zur vollständigen Eroberung des rheinpfälzischen Territoriums 1622 führten, beteiligte sich Straßburg nicht.7 Die Stadt nahm die für ihren Handel nützliche Position der NeutGermania Sacra. In: Als Frieden möglich war. 450 Jahre Augsburger Religionsfrieden. Begleitband zur Ausstellung im Maximilianmuseum Augsburg. Hg. von Carl A. Hoffmann. Regensburg 2005, S. 104–118; Anton Schindling: 450 Jahre Pax Augustana. Bikonfessionalität und Parität im Alten Reich. In: Hahn und Kreuz. 450 Jahre Parität in Ravensburg. Hg. von Andreas Schmauder. Konstanz 2005, S. 9–24; ders.: Humanismus oder Konfessionsfundamentalismus in Straßburg? Fürstbistum und freie Reichsstadt. In: Konfessioneller Fundamentalismus. Religion als politischer Faktor im europäischen Mächtesystem um 1600. Hg. von Heinz Schilling. München 2007, S. 149–165. 5 Anton Schindling u. Walter Ziegler: Kurpfalz – Rheinische Pfalz und Oberpfalz. In: Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500– 1650. Hg. von Anton Schindling u. Walter Ziegler. Bd. 5: Der Südwesten. Münster 1993, S. 8–49; Volker Press: Fürst Christian I. von Anhalt-Bernburg, Statthalter der Oberpfalz, Haupt der evangelischen Bewegungspartei vor dem Dreißigjährigen Krieg (1568−1630). Hg. von Franz Brendle u. Anton Schindling. In: Staat und Verwaltung in Bayern. Festschrift für Wilhelm Volkert zum 75. Geburtstag. Hg. von Konrad Ackermann u. Alois Schmid. München 2003, S. 193–216; Friedrich Hermann Schubert: Ludwig Camerarius (1573−1651). Eine Biographie. Die Pfälzische Exilregierung im Dreißigjährigen Krieg. Ein Beitrag zur Geschichte des politischen Protestantismus. 2. Auflage. Mit Beiträgen zu Leben und Werk des Verfassers. Hg. von Anton Schindling u. Markus Gerstmeier. Münster 2013. 6 Gerhard Menk: Die Hohe Schule Herborn in ihrer Frühzeit (1584−1660). Ein Beitrag zum Hochschulwesen des deutschen Kalvinismus im Zeitalter der Gegenreformation. Wiesbaden 1981; Wolfgang Mährle: Academia Norica. Wissenschaft und Bildung an der Nürnberger Hohen Schule in Altdorf (1575−1623). Stuttgart 2000. 7 Volker Press: Bayerns wittelsbachische Gegenspieler. Die Heidelberger Kurfürsten 1505–1685. In: Um Glauben und Reich. Kurfürst Maximilian I. Beiträge zur Bayerischen Geschichte und Kunst 1573–1657. Katalog zur Ausstellung Wittelsbach und Bayern. Bd.  II,1. Hg. von Hubert Glaser. München, Zürich 1980, S. 24–39; Meinrad Schaab: Geschichte der Kurpfalz. Bd. 2: Neuzeit. Stuttgart, Berlin, Köln 1992; Axel Gotthard: Konfession und Staatsräson. Die Außenpolitik Württembergs unter Herzog Johann Friedrich (1608−1628). Stuttgart 1992; Thomas Brockmann: Dynastie, Kaiseramt und Konfession. Politik und Ordnungsvorstellungen Ferdinands II. im Dreißigjährigen Krieg. Paderborn 2011; Anton Schindling: Die reformierten Kurfürsten aus der Linie Pfalz-Simmern und das Heilige Römische Reich (1559 bis 1685). In: Die Wittelsbacher und die Kurpfalz in

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ralität ein.8 Als Straßenkreuz an Rhein und Ill mit der wichtigen Rheinbrücke und den west-östlichen sowie süd-nördlichen europäischen Verkehrsachsen musste die Stadt an die Sicherung der Handelswege denken und die massive Machtprojektion des Hauses Habsburg mit seinem österreichischen und spanischen Zweig in der näheren und weiteren Nachbarschaft, dem Elsass und der Franche-Comté, in Rechnung stellen. Die spanische Militärstraße von Mailand nach Brüssel verlief vor den Toren der Stadt durch das Elsass.9 In unmittelbarer Nachbarschaft war das Fürstbistum Straßburg in der Hand eines Bruders des Kaisers, des Erzherzogs Leopold V. von Österreich.10 Dieser hatte zur Bekräftigung der Gegenreformation im Elsass 1617 in der hochstiftischen Stadt Molsheim im Unterelsass eine Jesuitenuniversität gegründet, die von Kaiser Matthias ein Universitätsprivileg erhielt.11 Zwischen den Molsheimer Jesuiten und den Straßburger reichsstädtischen evangelischen Hochschulgelehrten kam es 1617 über die Neugründung und das hundertjährige Jubiläum der Reformation zu einer scharfen und polemischen Flugschriftenkontroverse.12 Die für Molsheim bereits gewährten Universitätsrechte stellten für die freie Reichsstadt und ihre sehr viel größere Hochschule eine Provokation dar. Der politisch kluge frühzeitige Rückzug der freien Reichsstadt aus der Union ließ sich hier nutzen. Die Kriegsjahre 1621 bis 1631 betrafen Straßburg und das Elsass nicht direkt, die neutrale Stadt konnte vom Krieg profitieren, an der neuen Universität hörten Studenten bei dem Späthumanisten Matthias Bernegger und der theologischen „Johanneischen Trias“, den für die lutherische Orthodoxie repräsentativen Professoren Johann Konrad

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der Neuzeit. Zwischen Reformation und Revolution. Hg. von Wilhelm Kreutz, Wilhelm Kühlmann u. Hermann Wiegand. Regensburg 2013, S. 13–43. Histoire de Strasbourg. Hg. von Georges Livet. Toulouse 1987. Nouvelle histoire de l’Alsace. Une région au coeur de l’Europe. Hg. von Bernard Vogler. Toulouse 2003; Bernard Vogler: Geschichte des Elsass. Stuttgart 2012. Volker Press: Graf Otto von Solms-Hungen und die Gründung der Stadt Mannheim. In: Mannheimer Hefte 1, 1975, S. 9–23; Geoffrey Parker: Spain and the Netherlands, 1559–1659. Ten studies. London 1979; ders.: The Army of Flanders and the Spanish Road, 1567–1659. The Logistics of Spanish Victory and Defeat in the Low Countries’ Wars. Cambridge 22004; Krieg und Kriegserfahrung im Westen des Reiches 1568−1714. Hg. von Andreas Rutz. Göttingen 2016. Le diocèse de Strasbourg. Hg. von Francis Rapp. Paris 1982; Francis Rapp: Straßburg. Hochstift und Freie Reichsstadt. In: Territorien des Reichs (Anm. 5). Bd. 5: Südwesten, S. 72–95. Joseph Schmidlin: Die katholische Restauration im Elsass am Vorabend des dreissigjährigen Krieges. Freiburg/Breisgau 1934; Karl Hengst: Jesuiten an Universitäten und Jesuitenuniversitäten. Zur Geschichte der Universitäten in der Oberdeutschen und Rheinischen Provinz der Gesellschaft Jesu im Zeitalter der konfessionellen Auseinandersetzung. Paderborn 1981; Anton Schindling: Die katholische Bildungsreform zwischen Humanismus und Barock. Dillingen, Dole, Freiburg, Molsheim und Salzburg. Die Vorlande und die benachbarten Universitäten. In: Vorderösterreich in der frühen Neuzeit. Hg. von Hans Maier u. Volker Press. Sigmaringen 1989, S. 137–176. Karl Bünger: Matthias Bernegger. Ein Bild aus dem geistigen Leben Strassburgs zur Zeit des Dreissigjährigen Krieges. Strassburg 1893.

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Dannhauer, Johannes Dorsche und Johannes Schmidt.13 Die zunächst vom Haus Habsburg und der katholischen Liga dominierte Machtkonstellation am Oberrhein veränderte sich allerdings radikal durch den Zug Gustavs II. Adolf von Schweden nach Süddeutschland 1631 und die Präsenz des schwedischen Heeres auch nach dem Tod des Königs bis 1634. Straßburg trat 1633 dem Heilbronner Bündnis protestantischer Reichsstände unter Führung Schwedens bei.14 Der erneute Wechsel des Kriegsglücks zugunsten der Habsburger führte 1634 die Stadt zurück zur Neutralität. Dank ihrer verkehrsmäßigen und kommerziellen Bedeutung für alle Parteien konnte der klug agierende Magistrat die Neutralität immer wieder absichern.15 Die Festungswerke wurden im barocken Fortifikationssystem verstärkt, und Straßburg diente sogar den benachbarten lutherischen Markgrafen von Baden-Durlach und den Herzögen von Württemberg als Zufluchtsstätte angesichts der Verheerung ihrer Territorien. Die freie Reichsstadt mit ihrer Rheinbrücke stellte eine Art Schonraum dar, was Gewerbe und Handel der etwa 30 000 Menschen zählenden Bevölkerung und gerade auch der Universität zugute kam. Der Magistrat konnte die Lebensmittelversorgung aus der Oberrheinregion sicherstellen und die im Gefolge der Heere drohenden Pestepidemien von der Stadt abwenden.16 Die Existenzsicherung konnte auch weitergeführt werden, als seit 1635 mit dem Kriegseintritt Frankreichs eine völlig neue politische und militärische Situation entstand.17 An die Stelle der dominanten Machtprojektion der Habsburger trat jetzt diejenige Frankreichs, dessen Heere über den Oberrhein zogen, um in Süddeutschland gegen den Kaiser und dessen Verbündete, etwa Bayern, Krieg zu führen.18 Gleichzeitig kam es zu Protektionsverträgen einzelner Reichsstände im Elsass und in Burgund mit dem König von Frank13 Johann Adam: Evangelische Kirchengeschichte der Stadt Straßburg bis zur Französischen Revolution. Straßburg 1922; Johannes Wallmann: Philipp Jakob Spener und die Anfänge des Pietismus. Tübingen 21986. 14 Johannes Kretzschmar: Der Heilbronner Bund. 3  Bde. Lübeck 1922; Herbert Langer: Der Heilbronner Bund (1633–35). In: Alternativen zur Reichsverfassung in der Frühen Neuzeit? Hg. von Volker Press u. Dieter Stievermann. München 1995, S. 113–122. 15 Josef B. Ellerbach: Der dreißigjährige Krieg im Elsaß (1618–1648) nach archivalischen Quellen dargestellt und mit zahlreichen zeitgenössischen Abbildungen versehen. 3 Bde. Bd. 1: Vom Beginn des Krieges bis zum Abzug Mansfelds (1618−1622). Carspach/Oberelsaß 1912; Bd. 2: Vom Abzug Mansfelds bis zur Aufhebung der ersten Belagerung von Breisach (1623−1633). Brumath, Mühlhausen/Oberelsaß 1925; Bd. 3: (1633–1648). Hg. von August Scherlen. Mühlhausen/Oberelsaß 1928. 16 Jean-Pierre Kintz: La société strasbourgeoise du milieu du XVIe siècle à la fin de la guerre de trente ans, 1560−1650. Essai d‘histoire démographique, économique et sociale. Paris 1984. 17 Hermann Weber: Frankreich, Kurtrier, der Rhein und das Reich. 1623–1635. Bonn 1969; Wolfgang Hans Stein: Protection royale. Eine Untersuchung zu den Protektionsverhältnissen im Elsass zur Zeit Richelieus 1622–1643. Münster 1978. 18 Carl Jacob Burckhardt: Richelieu. Der Aufstieg zur Macht. Behauptung der Macht und kalter Krieg. Großmachtpolitik und Tod des Kardinals. Ausgabe in einem Band. München 181984; Fritz Dickmann: Rechtsgedanke und Machtpolitik bei Richelieu. Studien an neuentdeckten Quellen. In: Historische Zeitschrift 196, 1963, S.  265–319; Uwe Schultz: Richelieu. Der Kardinal des Königs.

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reich. Straßburg konnte sich weiterhin bis zum Ende des Krieges als neutrale Stadt behaupten. Am Westfälischen Friedenskongress nahm die Stadt mit einem Gesandten teil, der in der Kurie der protestantischen freien Reichsstädte in Osnabrück Sitz und Stimme hatte.19 Die Stadt und ihr Landgebiet waren weder von den territorialen noch von den religionspolitischen Agenden des Friedenskongresses direkt betroffen; der Zustand von 1618 wurde stabilisiert, das konfessionelle Normaljahr 1624 spielte für Straßburg keine Rolle.20 Freilich war die Situation im Elsass ab sofort eine andere, da das habsburgische Gebiet im Oberelsass zu souveränem Besitz an Frankreich kam. Straßburg wurde damit zu einer Stadt direkt an der Westgrenze des Reiches. In dem nunmehr aus dem Reichsverband ausgeschiedenen französischen Territorium im Oberelsass begann der Aufbau neuer französischer Verwaltungsstrukturen, der Intendanz des Elsass, zunächst von Breisach aus.21 Straßburg wurde damit in ganz anderer Weise als jemals zuvor Nachbar eines absolutistischen monarchischen Staatswesens mit seinen Machtambitionen.22 Die folgenden Jahrzehnte waren für das an der allgemeinen Nachkriegskonjunktur teilhabende Straßburg von der Machtprojektion Frankeichs bestimmt – zunächst noch aus einer gewissen Distanz heraus, dann beginnend mit dem Holländischen Krieg 1672 bis 1678 und der anschließenden Politik der Reunionen 1679 bis 1681 unmittelbar an den Grenzen der Stadt und ihres Landgebietes im Unterelsass.23 Der Friede von NimweMünchen 2009; Jörg Wollenberg: Richelieu. Staatsraison und Kircheninteresse. Zur Legitimation der Politik des Kardinalpremier. Bielefeld 1977. 19 Fritz Dickmann: Der Westfälische Frieden. Münster 71998; Günter Buchstab: Reichsstädte, Städtekurie und Westfälischer Friedenskongress. Zusammenhänge von Sozialstruktur, Rechtsstatus und Wirtschaftskraft. Münster 1976; Andreas Neuburger: Konfessionskonflikt und Kriegsbeendigung im Schwäbischen Reichskreis. Württemberg und die katholischen Reichsstände im Südwesten vom Prager Frieden bis zum Westfälischen Frieden (1635−1651). Stuttgart 2011. 20 Anton Schindling: Der Westfälische Frieden und die deutsche Konfessionsfrage. In: Friedenssicherung: Bd. 3: Historische, politikwissenschaftliche und militärische Perspektiven. Hg. von Manfred Spieker. Münster 1989, S. 19–36; ders.: Ein historisches Beispiel für Gerechtigkeit und Fairneß im Verfahren: Der Westfälische Frieden. Die Regelung im konfessionellen Nebeneinander. In: Verfahrensgerechtigkeit. Rechtspsychologische Forschungsbeiträge für die Justizpraxis. Hg. von Günter Bierbrauer. Köln 1995, S. 245–255; ders.: Reichsinstitutionen und Friedenswahrung nach 1648. In: Frieden und Krieg in der Frühen Neuzeit. Die europäische Staatenordnung und die außereuropäische Welt. Hg. von Ronald G. Asch, Wulf Eckart Voß u. Martin Wrede. München 2001, S. 259–291. 21 Georges Livet: L’ intendance d’Alsace. Du Saint Empire romain germanique au Royaume de France de la guerre de Trente Ans à la mort de Louis XIV. 1634−1715. Strasbourg 21991. 22 Klaus Malettke: Ludwig XIV. von Frankreich − Leben, Politik und Leistung. Göttingen 22009. 23 Hans von Zwiedineck-Südenhorst: Deutsche Geschichte im Zeitraum der Gründung des preußischen Königtums. Bd. 1: Vom westfälischen Frieden bis zum Tode des großen Kurfürsten. Stuttgart 1890; Bd. 2: Vom Tode des großen Kurfürsten bis zum Ausgange der Regierung Kaiser Karls des Sechsten. Stuttgart 1894; Bernhard Erdmannsdörffer: Deutsche Geschichte vom Westfälischen Frieden bis zum Regierungsantritt Friedrich’s des Großen 1648−1740. Bd. 1. Berlin 1892; Bd. 2. Berlin 1893; Max Braubach: Von der Reformation bis zum Ende des Absolutismus. Handbuch der deut-

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gen 1678 brachte die zehn Reichsstädte der Dekapolis unter französische Souveränität, darunter das für den Straßburger Weinhandel wichtige Colmar. Danach folgten die Reunionen, die ehemalige Lehen von jetzt französisch gewordenen Feudalfürstentümern wie den lothringischen Bistümern Metz, Toul und Verdun für den französischen König als Rechtsnachfolger reklamierten. Der virtuose Wechsel von militärischer Gewaltanwendung und dem Einsatz von juristischen Argumenten in der Expansionspolitik König Ludwigs  XIV. erlebte seinen Höhepunkt. Der Sonnenkönig legte Wert auf zumindest eine juristische Fiktion seines Strebens nach der Rheingrenze für das französische Königreich gegenüber dem Heiligen Römischen Reich. Die Lehre vom gerechten Krieg sollte in der Selbstdarstellung des Königs und seiner christlichen Monarchie gewahrt werden.24 Straßburg freilich konnte so nicht gewonnen werden. Ludwig XIV. reiste 1681 persönlich ins Elsass und veranlasste die Stadt – in Anwesenheit starker Truppen − sich ihm in der Kapitulation von Illkirch-Graffenstaden als souveränem Monarchen zu unterstellen. Damit schied Straßburg aus dem Verband des Heiligen Römischen Reiches aus, ebenso aus dem Oberrheinischen Reichskreis und aus der Jurisdiktion der obersten Reichsgerichte, Reichskammergericht und Reichshofrat.25 Diese Unterwerfung der reichen und mächtigen freien Reichsstadt wurde zwar im verbleibenden rechtsrheinischen Reich mehrfach kritisiert, vor allem im Städterat des Regensburger Reichstags, aber die Proteste blieben in Grenzen und führten nicht etwa zu einer neuen Reichskriegserklärung.26 Sympaschen Geschichte. Bd. 2. Stuttgart 91970; John A. Lynn: The Wars of Louis XIV 1667–1714. London 1999. 24 Johannes Haller: Die Deutsche Publizistik in den Jahren 1668−1674. Ein Beitrag zur Geschichte der Raubkriege Ludwigs XIV. Heidelberg 1892; Anton Schindling: Religionskriege als Gerechte Kriege? Waffengewalt im Zeichen von Humanismus, Reformation und Gegenreformation. In: Ethik und Ästhetik der Gewalt. Hg. von Julia Dietrich u. Uta Müller-Koch. Paderborn 2006, S.  177–198; Religionskriege im Alten Reich und in Alteuropa. Hg. von Franz Brendle u. Anton Schindling. Münster 22010. 25 Karl Hölscher: Die öffentliche Meinung in Deutschland über den Fall Straßburgs während der Jahre 1681−1684. München 1896. Die Dreihundertjahrfeier der Annexion der Reichsstadt Straßburg (30. September 1681−30. September 1981) dargestellt anhand von Presseveröffentlichungen im Elsass, der Bundesrepublik Deutschland, Österreich und der Schweiz. Hg. von Eduard Haug u. Dietrich Pfähler. Bad Neustadt/Saale 1982; Anton Schindling: Die Straßburger Rheinbrücke. Von der Festungsstadt des Sonnenkönigs zur Europastadt der Fünften Republik. In: Baden-Württembergische Erinnerungsorte. Hg. von Reinhold Weber, Peter Steinbach u. Hans-Georg Wehling. Stuttgart 2012, S. 286–297. 26 Anton Schindling: Die Anfänge des Immerwährenden Reichstags zu Regensburg. Ständevertretung und Staatskunst nach dem Westfälischen Frieden. Mainz 1991; ders.: Der Reichstag wird permanent. Entstehungs- und Wirkungsgeschichte des Immerwährenden Reichstags. In: Politische Bühne Europas. Hg. von Konrad Maria Färber. Regensburg 2013, S. 28–37; ders.: Die Perpetuierung des Immerwährenden Reichstags in Regensburg und das Heilige Römische Reich um 1670. In: Die Zeit um 1670. Eine Wende in der europäischen Geschichte und Kultur? Hg. von Joseph S. Freedman. Wiesbaden 2016, S. 181–212.

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thisanten und Verbündete des Sonnenkönigs unter den Reichsständen hielten ihm den Rücken frei – so der mächtige Kurfürst von Brandenburg, der sich noch 1674 während des Holländischen Kriegs im Elsass am Reichskrieg gegen Frankreich mit Truppen beteiligt, aber inzwischen jäh das Bündnis gewechselt hatte.27 Ludwig XIV. war 1681 klug genug, die Annexion Straßburgs so zu gestalten, dass Proteste und Widerstände überschaubar und beherrschbar blieben. Die Stadt erhielt unter königlich französischer Souveränität ihre autonome Selbstverwaltung zugesichert. Die protestantische Konfession der Stadtbewohner wurde anerkannt.28 Allerdings sollten die Besitzverhältnisse an den Kirchen auf das Normaljahr des Passauer Vertrags 1552 zurückgeführt werden, das der Magistrat in seiner unangefochtenen Machtentfaltung nach dem Augsburger Religionsfrieden in Frage gestellt und im Jahr 1562 ohne eine reichsgesetzliche Grundlage einseitig geändert hatte.29 Ludwig XIV. verlangte jetzt das Münster für den katholischen Bischof und das Domkapitel zurück, ebenso die Chöre der beiden Stiftskirchen Alt-Sankt-Peter und Jung-Sankt-Peter für die beiden Kollegiatstifte. Damit wurden die Besitzverhältnisse nach dem Sieg Kaiser Karls V. über die Protestanten im Schmalkaldischen Krieg wiederhergestellt, wie sie zur Zeit des Passauer Vertrages 1552 bestanden hatten und durch den Augsburger Religionsfrieden als Norm legalisiert worden waren.30 Der Bischof, das Domkapitel und die beiden St. Petersstifte kehrten jetzt aus ihren Exilorten außerhalb von Straßburg zurück und nahmen die betreffenden Kirchen wieder in Besitz. Der Bischof hatte in Zabern Zuflucht gefunden, das Domkapitel in Molsheim (beides Städte im linksrheinischen Teil des Hochstifts Straßburg), die beiden Stifte in der rechtsrheinischen freien Reichsstadt Offenburg. Die beiden St.-Peters-Kirchen wurden seit 1681 zu Simultankirchen, das symbolträchtige Münster gehörte nunmehr wieder ausschließlich den Katholiken. Reichsrechtlich war dies auf der Grundlage des Passauer Vertrages und des Augsburger Religionsfriedens korrekt, so dass das corpus evangelicorum am Regensburger Reichstag keinen Anlass für Proteste gegen den französischen König und die Annexion Straßburgs geltend machen konnte.31 27 Anton Schindling: Kurbrandenburg im System des Reiches während der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Eine Problemskizze. In: Preußen, Europa und das Reich. Hg. von Oswald Hauser. Köln 1987, S. 33–46, ders.: Der Große Kurfürst und das Reich. In: „Ein sonderbares Licht in Teutschland“. Beiträge zur Geschichte des Großen Kurfürsten von Brandenburg (1640−1688). Hg. von Gerd Heinrich. Berlin 1990, S. 59–74. 28 Ingeborg Streitberger: Der königliche Prätor von Straßburg 1685−1789. Freie Stadt im absoluten Staat. Wiesbaden 1961. 29 Erdmann Weyrauch: Konfessionelle Krise und soziale Stabilität − Das Interim in Straßburg (1548−1562). Stuttgart 1978. 30 Anton Schindling: Der Passauer Vertrag und die Kirchengüterfrage. In: Der Passauer Vertrag von 1552. Politische Entstehung, reichsrechtliche Bedeutung und konfessionsgeschichtliche Bewertung. Hg. von Winfried Becker. Neustadt an der Aisch 2003, S. 105–123. 31 Anton Schindling: Corpus evangelicorum et corpus catholicorum. Constitution juridique et réalités sociales dans le Saint-Empire. In: 350e anniversaire des Traités de Westphalie 1648−1998. Une ge-

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Der Regensburger Immerwährende Reichstag erkannte denn auch 1684 mit dem Regensburger Stillstand auf zwanzig Jahre alle Reunionen des Sonnenkönigs einschließlich der Annexion Straßburgs vorläufig an. Ludwig XIV. stand im Zenit seiner Macht in Europa.32 „Clausa Germanis Gallia“ stand triumphierend auf einer Medaille, die jetzt geprägt und verteilt wurde. Die neue Grenze Frankreichs am Oberrhein wurde nach dem Pfälzer Erbfolgekrieg im Frieden von Rijswijk 1697 für dauerhaft erklärt und schließlich am Ende der Epoche Ludwigs XIV. nach dem Spanischen Erbfolgekrieg in den Friedensschlüssen von Utrecht, Rastatt und Baden im Aargau 1713/14 endgültig völkerrechtlich bekräftigt.33 Straßburg war damit eine Stadt im Königreich Frankreich mit einer inneren autonomen Selbstverwaltung und öffentlicher Stellung der protestantischen Konfession geworden: eine ‚libre ville royale‘. Der Punkt der Religion war sehr wichtig, weil Ludwig XIV. 1685 im Revokationsedikt von Fontainebleau die von seinem Großvater Heinrich IV. den Protestanten gewährte Toleranz widerrufen und die alleinige Geltung des Katholizismus in Frankreich verfügt hatte.34 In Straßburg und im Elsass galt das Revokationsedikt von 1685 nicht. Hier behielten die Protestanten ihre öffentliche Stellung nach Maßgabe des Zeitpunkts der Angliederung an Frankreich.35 Dies galt auch für die evangelische Univer-

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nèse de l’Europe, une société à reconstruire. Hg. von Jean-Pierre Kintz u. Georges Livet. Strasbourg 1999, S.  43–55; Frank Kleinehagenbrock: Die Erhaltung des Religionsfriedens. Konfessionelle Konflikte und ihre Beilegung im Alten Reich nach 1648. In: Historisches Jahrbuch  126, 2006, S. 135–156. Anton Schindling: Reichstag und europäischer Frieden. Leopold I., Ludwig XIV. und die Reichsverfassung nach dem Frieden von Nimwegen (1679). In: Zeitschrift für historische Forschung 8, 1981, S. 159–177. Der Friede von Rijswijk 1697. Hg. von Heinz Duchhardt. Mainz 1998; Anton Schindling: Karl VI. und das Heilige Römische Reich deutscher Nation im Jahr 1712. Rückkehr des Kaisers ins Reich? In: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein 111, 2012, S. 43–60; Der Friede von Rastatt. „[…] dass aller Krieg eine Thorheit sey“. Aspekte der Lokal- und Regionalgeschichte im Spanischen Erbfolgekrieg in der Markgrafschaft Baden-Baden und der Friede von Rastatt. Auswirkungen und Folgen. Katalog zur Sonderausstellung im Stadtmuseum Rastatt, 7. März 2014 bis 6. Januar 2015. Hg. von der Stadt Rastatt. Regensburg 2014. Anton Schindling: Der politische Mord im Konfessionellen Zeitalter. Das Attentat auf König Heinrich IV. von Frankreich. In: Politische Morde in der Geschichte von der Antike bis zur Gegenwart. Hg. von Anton Schindling u. Georg Schild. Paderborn 2012, S. 70–87; Barbara Dölemeyer: Die Hugenotten. Stuttgart 2006; Matthias Asche: Neusiedler im verheerten Land. Kriegsfolgenbewältigung, Migrationssteuerung und Konfessionspolitik im Zeichen des Landeswiederaufbaus. Die Mark Brandenburg nach den Kriegen des 17. Jahrhunderts. Münster 2006. Timotheus Wilhelm Roehrich: Das Simultaneum in den elsaessischen Kirchen. In: ders.: Mittheilungen aus der Geschichte der evangelischen Kirche des Elsasses. Bd. 2: Evangelische Zeitbilder, und die Kirche der Väter unter dem Kreuz. Straßburg 1855. S. 231–250; Christoph Schäfer: Das Simultaneum. Ein staatskirchenrechtliches, politisches und theologisches Problem des Alten Reiches. Freiburg/Breisgau 1995; Octave Meyer: Le Simultaneum en Alsace. Etude d’histoire et de droit. Saverne/Bas-Rhin 1961; René Metz: [Rezension:] Octave Meyer, Le Simultaneum en Alsace. Etude d’histoire et de droit, 1961. In: Revue des Sciences Religieuses 37/1, 1963, S.  98–100; Bernard

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sität der Stadt Straßburg, ihr Universitätsprivileg, ihre Organisation und akademische Selbstverwaltung sowie ihre bereits lange vor 1552 säkularisierten Immobilien. Die Jahrzehnte des Dreißigjährigen Krieges und nach dem Westfälischen Frieden waren eine Phase verstärkten gelehrten Bemühens um die Grundlagen der Reichsverfassung an den juristischen Fakultäten der protestantischen Universitäten. Die Verfassungskrise des Reiches und die Reflexion über mögliche Wege aus der Krise erwiesen sich als eine produktive intellektuelle Herausforderung, ein Thema, das dank gelehrter Juristen unter den Gesandten auch in die Arbeit des Friedenskongresses einfloss.36 Unter den Universitäten sind vor allem Gießen, Helmstedt, Jena und Marburg zu nennen.37 An der reichsstädtischen Universität Straßburgs müsste sich eigentlich auch eine Spur des neuen rechtsgelehrten Denkens finden. Die Problematik der französischen Grenze in unmittelbarer Nähe der Stadt und die von Frankreich politisch betriebene staatliche Souveränitätskonzeption hätten auch das Straßburger Rechtsstudium betreffen müssen und etwa zu einer frühen Rezeption des modernen Natur- und Völkerrechts führen können. Diese erfolgte jedoch an der Nachbaruniversität Heidelberg. Dorthin berief der pfälzische Kurfürst Karl Ludwig 1661 Samuel Pufendorf auf den neu eingerichteten Lehrstuhl für Natur- und Völkerrecht, einen jungen Gelehrten, der in der Folge zum wichtigsten Vertreter des neuen Denkens über das Reichsstaatsrecht wurde.38 Im Rahmen der juristischen Lehrveranstaltungen, aber auch in den Fächern Rhetorik und Historie, die an der Straßburger Universität im Zeichen des Späthumanismus durch Matthias Bernegger vertreten wurden, hätten auch zeitgenössisch inspirierte Vorlesungen und Disputationen ihren akademischen Platz finden können.39 Die neue Situation seit 1681 wirkte sich jedoch wahrscheinlich konservierend aus. Der Status quo des Zeitpunkts der Unterstellung unter Frankreich durfte protestantischerseits nicht in Frage gestellt werden, wenn die Zusagen zugunsten der Selbstverwaltung und der Konfession bewahrt werden sollten. Der absolutistische Staat machte sich gleichwohl massiv bemerkbar durch den administrativen Ausbau der Provinz Elsass mit dem Zentrum Colmar, wo vor allem der Conseil souverain d’Alsace als Obergericht residierte und damit als Ersatz für die weggefalle-

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Vogler: Simultaneum. In: Theologische Realenzyklopädie. Bd. 31. Berlin 2000, S. 280–283; ders.: Histoire des chrétiens d’Alsace des origines à nos jours. Paris 1994. Notker Hammerstein: Jus und Historie. Ein Beitrag zur Geschichte des historischen Denkens an deutschen Universitäten im späten 17. und im 18. Jahrhundert. Göttingen 1972; Staatsdenker in der frühen Neuzeit. Hg. von Michael Stolleis. München 31995. Friedrich Hermann Schubert: Die deutschen Reichstage in der Staatslehre der frühen Neuzeit. Göttingen 1966. Staatslehre der frühen Neuzeit. Hg. von Notker Hammerstein. Frankfurt/Main 1995; Detlef Döring: Samuel Pufendorf in der Welt des 17. Jahrhunderts. Untersuchungen zur Biographie Pufendorfs und zu seinem Wirken als Politiker und Theologe. Frankfurt/Main 2012. Wilhelm Kühlmann: Gelehrtenrepublik und Fürstenstaat. Entwicklung und Kritik des deutschen Späthumanismus in der Literatur des Barockzeitalters. Tübingen 1982. Vgl. auch Michael Philipps Beitrag in diesem Band, der Pionierarbeit leistet.

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nen Obergerichte des Reiches, Reichskammergericht und Reichshofrat, fungierte. In Straßburg wurde als Kontrollinstanz des Königs über der sich selbst verwaltenden freien Stadt das neue Amt eines königlichen Prätors, des ‚préteur royal‘, geschaffen. Aus Rücksicht auf die Bürgerschaft wurden Nichtadelige und Protestanten mit dieser Funktion betraut, die den absolutistischen Amtstypus des ‚commissarius‘ repräsentierte. Durch dieses städtische Straßburger Amt zwischen 1681 und 1789, die Funktion des ‚préteur royal‘, wird das wissenschaftstypologische ex-post-Konzept des ‚Absolutismus‘ gerade in seiner nachhaltigen Sinnhaftigkeit und durchgreifenden Erklärungsmacht bekräftigt; gelegentlich geäußerte Kritik erweist sich hier als sachfremd.40 Daneben stand als Säule des absoluten Staates die Armee, die in Straßburg jetzt einen eigenen Schwerpunkt ausbildete. Die Stadt wurde nach 1681 neu befestigt und zu einer der stärksten Festungen des Königreiches gestaltet. Sébastien Le Prestre, Marquis de Vauban, General und Festungsbaumeister Ludwigs XIV., Marschall von Frankreich, plante das neue Straßburg mit einer großen Zitadelle gegen den Rhein hin als ein Bollwerk sowohl zur Verteidigung der Rheingrenze als auch als eine Basis für offensive Kriegsführung über den Rhein hinweg in die Territorien des Heiligen Römischen Reiches in Richtung der Residenz des habsburgischen Hauptgegners Wien.41 Mit den neuen Militärbauten kamen auch neue Stadtbewohner, die Offiziere und Soldaten der königlichen Armee. Die Offiziere waren in der Regel französische Adelige, die Soldaten Söldner oft aus den deutschen Ländern und aus der Schweiz. Für die Armee wie für die Verwaltung galt verpflichtend die katholische Konfession, so dass der neue Zuzug von Menschen eine konfessionelle katholische Migration mit sich brachte.42 Manche Konversionen vom Protestantismus zum Katholizismus verstärkten diese Tendenz. Nur den Söldnern aus den reformierten Schweizer Kantonen wurde in der Armee ein protestantischer Privatgottesdienst gestattet.43 Im Übrigen blieb der protestantische Besitzstand in der Stadt auf den Status quo von 1681 festgeschrieben. Die bisherige evangelische freie Reichsstadt, die eineinhalb Jahrhunderte zuvor ein Zentrum der Reformation mit europäischer Ausstrahlung gewesen war, gewann unter französischer Herr-

40 Dietrich Gerhard: Ständische Vertretungen in Europa im 17. und 18. Jahrhundert. Göttingen 21974; Peter Baumgart: Brandenburg-Preußen unter dem Ancien Régime. Ausgewählte Abhandlungen. Hg. von Frank-Lothar Kroll. Berlin 2009; Späthumanismus, Absolutismus und moderne Geschichtswissenschaft. Aufsätze zu Ehren Peter Baumgarts. Hg. von Peter Herde u. Anton Schindling. In: Würzburger Diözesangeschichtsblätter 75, 2012, S. 13–145. 41 Jean-Denis G. G. Lepage: Vauban and the French Military under Louis XIV. Jefferson/North Carolina, London 2010; Reginald Blomfield: Sébastien le Prestre de Vauban, 1633–1707. London 1938. 42 Louis Châtellier: Tradition chrétienne et renouveau catholique dans le cadre de l’ancien diocèse de Strasbourg (1650−1770). Paris 1981. 43 Marc Höchner: Selbstzeugnisse von Schweizer Söldneroffizieren im 18. Jahrhundert. Göttingen 2014.

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schaft zunehmend zusätzlich einen bikonfessionellen Charakter.44 Damit glich Straßburg, wenn auch mit anderen verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen, dann doch wieder einigen freien Reichsstädten im Heiligen Römischen Reich, so etwa den gleichfalls wirtschaftlichen Metropolen Augsburg und Frankfurt am Main oder den verfassungspolitisch wichtigen Reichsstädten Regensburg und Wetzlar.45 Auch Danzig in der polnisch-litauischen Republik wäre zu erwähnen. Das Nebeneinander zweier Konfessionen begünstigte den Kommerz und auch den kulturellen und intellektuellen Pluralismus.46 Die neue Präsenz des Katholizismus in Straßburg nach 1681 wurde zunächst personifiziert durch zwei Fürstbischöfe aus der schwäbischen Grafenfamilie von Fürstenberg, Franz Egon von Fürstenberg (1626‒1682, Bischof ab 1663), und Wilhelm Egon von Fürstenberg-Heiligenberg (1629‒1704, Bischof ab 1682), die zu den Parteigängern Ludwigs  XIV. im Reich gehörten. Dann folgten vier Fürstbischöfe und Kardinäle aus der französischen Hochadelsfamilie von Rohan: Armand  I. Gaston Maximilien de RohanSoubise (1674‒1749, Bischof ab 1704), Armand II. François Auguste de Rohan-Soubise (1717‒1756, Bischof ab 1749), Louis César Constantin de Rohan-Guéméné (1697‒1779, Bischof ab 1756) und Louis René Édouard de Rohan-Guéméné (1734‒1803, Bischof ab 1779).47 Die vier geistlichen Fürsten von Rohan hatten eine besondere Nähe zu den Königen Ludwig XIV., Ludwig XV. und Ludwig XVI. Sie waren glanzvolle Repräsentanten der gallikanischen katholischen Kirche, nahmen aber zugleich eine bemerkenswerte Doppelstellung zwischen Frankreich und dem Heiligen Römischen Reich ein. Einerseits verdankten sie ihre Straßburger Position und ihre Kardinalshüte den Bourbonenkönigen, deren Untertanen sie für die linksrheinischen Teile ihrer Diözese und des Hochstifts waren. Für die rechtsrheinischen Teile von Diözese und Hochstift blieben sie andererseits jedoch Fürstbischöfe der deutschen Reichskirche und Lehensträger des Kaisers; sie hatten Sitz und Stimme auf dem Reichstag in Regensburg und im Oberrheinischen Reichskreis. Durch den prachtvollen Bau des neuen fürstbischöflichen Schlosses neben dem Münster in Straßburg, dem Palais Rohan, sollte die neue Präsenz des Fürstbischofs in seiner Kathedralstadt auch baulich zum Ausdruck gebracht werden: als „geistliche[r](n) Vorposten ei44 Wolfgang Mährle: Straßburg als Vorbild. Das akademische Gymnasium Johannes Sturms und das evangelische höhere Bildungswesen in Süddeutschland (1540–1620). In: Historisches Jahrbuch 133, 2013, S. 166–224. 45 Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500–1650. Hg. von Anton Schindling u. Walter Ziegler. 7 Bde. Münster 1989–1997. Vgl. die Artikel über Augsburg, Frankfurt am Main, Regensburg und Wetzlar. 46 Anton Schindling: Frankfurt am Main 1555−1685. Wachstum und Wandel vom Konfessionellen Zeitalter bis zum Zeitalter Ludwigs XIV. In: Frankfurt am Main. Die Geschichte der Stadt in neun Beiträgen. Hg. von der Frankfurter Historischen Kommission. Sigmaringen 21994, S. 205–260. 47 Claude Muller: Le siècle des Rohan. Une dynastie de cardinaux en Alsace au XVIIIe siècle. Strasbourg 2006; ders.: „Geistlicher Vorposten einer königlichen Macht“. Die vier Kardinäle von Rohan, Fürstbischöfe von Straßburg, zwischen Germania Sacra und Église Gallicane. In: Historisches Jahrbuch 126, 2006, S. 157–189.

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ner königlichen Macht“, wie der protestantische Student Johann Wolfgang Goethe bewundernd feststellte.48 Mit dem gleichen Ziel verband sich die Verlagerung der Jesuitenuniversität aus Molsheim in das Zentrum von Straßburg, die bereits Fürstbischof Wilhelm Egon von Fürstenberg König Ludwig XIV. vorgeschlagen hatte. Im Jahr 1701 ordnete der König an, die Molsheimer Universität nach Straßburg zu verlegen.49 Im Bereich des bisherigen Bruderhofes, des Häuserkomplexes des Domkapitels östlich des Münsterchores, entstand das neue katholische Bildungszentrum. In die bestehenden Gebäude war nach 1681 zuerst das Diözesanpriesterseminar eingezogen. In der Folge wurde unter den Rohans ein großformatiger Neubau für Jesuitenkolleg, Priesterseminar und Universität im klassischen französischen Architekturstil (style classique) errichtet.50 Nur wenige hundert Meter voneinander getrennt gab es jetzt für neunzig Jahre zwei Universitäten im Schatten des Münsterturms, der damals noch der höchste Kirchturm der Welt war. Ein solches Nebeneinander einer katholischen und einer protestantischen höheren Bildungsanstalt fand sich auf der Ebene von akademischen Gymnasien nur in einigen wenigen deutschen Städten: in Augsburg, Breslau, Erfurt, Hildesheim und Osnabrück.51 Die Rohans brachten höfischen Glanz nach Straßburg, wenn sie sich nicht gerade in Versailles am Königshof aufhielten. Auch sonst wurde Straßburg unter französischer Herrschaft zu einer eleganten Stadt der Aristokratie und des wohlhabenden Bürgertums.52 Wirtschaftlich blühte die Stadt auf – nicht zuletzt auch durch ihre militärische Bedeutung und die Armee als Wirtschaftsfaktor. Die adeligen Offiziere unterhielten eine standesgemäße Lebensführung. An ihr nahmen gern auch die deutschen Fürsten teil, die unter französischer Souveränität territorialen Besitz im Elsass hatten. In Straßburg erbauten sich die Herzöge von Pfalz-Zweibrücken und die Landgrafen von Hessen-Darmstadt neue Paläste im Louis-Quinze-Stil. Die Markgrafen von Baden-Durlach besaßen schon einen älteren Stadthof.53 Junge Adelige aus dem Reich kamen wie schon im 16. Jahrhundert zur Zeit Johannes Sturms auch jetzt wieder an die evangelische städtische Universität. 48 Histoire de Strasbourg des origines à nos jours. 4 Bde. Hg. von Georges Livet u. Francis Rapp. Strasbourg 1981. Bd. 3: Strasbourg de la Guerre de Trente Ans à Napoléon 1618−1815. Das Zitat Goethes bezieht sich auf das Rohanschloss in der fürstbischöflichen Residenzstadt Zabern / Saverne und findet sich in der Autobiographie Dichtung und Wahrheit (2. Buch, Kapitel 12). Vgl. Anm. 56. 49 Hierzu vgl. den Beitrag von Patrick Schiele in diesem Sammelband. 50 Victor-Lucien Tapié: Baroque et classicisme. Paris 1972. 51 Vgl. die Artikel über Augsburg, Frankfurt am Main, Hildesheim, Osnabrück, Regensburg, Schlesien, Westpreußen und Wetzlar in: Die Territorien des Reiches (Anm. 45); Etienne François: Die unsichtbare Grenze. Protestanten und Katholiken in Augsburg 1648−1806. Sigmaringen 1991. 52 Franklin L. Ford: Strasbourg in transition 1648−1789. Cambridge/Massachusetts 1958. 53 Hans Ammerich: Landesherr und Landesverwaltung. Beiträge zur Regierung von Pfalz-Zweibrücken am Ende des Alten Reiches. Saarbrücken 1981; Joachim Brüser, Anton Schindling: Geteiltes Land – entzweit und wiedervereint. In: Baden! 900 Jahre. Badisches Landesmuseum Karlsruhe, Ausstellungskatalog. Karlsruhe 2012, S. 64–67; dies.: Teilung, Zerstörung und kulturelle Blüte. Die badi-

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Das Straßburger Jurastudium entwickelte sich neben der Universität in Göttingen zu einem attraktiven Ausbildungsort für künftige Staatsdiener und Diplomaten. Der Geschichtsprofessor Johann Daniel Schöpflin trug hierzu entscheidend bei.54 Er warb um adelige und patrizisch-städtische Studenten aus dem Reich, die in Straßburg historische, juristische und staatenkundliche Studien betreiben wollten, um sich für den Fürstendienst zu qualifizieren. Schöpflin stand in seiner Wissenschaft zwischen französischer und deutscher Aufklärungsgelehrsamkeit. Er kannte die historiographischen Leistungen der französischen Mauriner und war königlicher Historiograph durch die Berufung König Ludwigs  XV. In Karlsruhe und Mannheim genoss er gelehrten Ruhm.55 Er war Gründungsmitglied der Kurpfälzischen Akademie der Wissenschaften, die Kurfürst Karl Theodor von der Pfalz im Jahre 1763 ins Leben rief, und in Karlsruhe übertrug ihm Markgraf Karl Friedrich von Baden die historische Darstellung der Geschichte seines Hauses. In lateinischer Sprache verfasste Schöpflin mit seiner Historia Zaringo-Badensis eine der besten landesgeschichtlichen Darstellungen des 18. Jahrhunderts. Die protestantische Universität in der Ära Schöpflins war eine Hochschule, die noch immer vor allem zur Bildungswelt der protestantischen Universitäten im Heiligen Römischen Reich zählte. Für geistig strebsame Studenten, vor allem aus den freien Reichsstädten, blieb sie weiterhin ein Anziehungsort. Der junge Goethe aus Frankfurt ist hierfür das bekannteste Beispiel.56 Aber auch Studenten vom Ufer der Ostsee wie Herder und Lenz bezeugen den überregionalen Ruf Straßburgs. Bemerkenswert waren nicht nur Geschichts- und Rechtswissenschaft, sondern auch die Medizin. In Verbindung mit dem großen Stadtspital führte Straßburg als eine der ersten Universitäten den klinischen Unterricht nach dem Muster Boerhaaves in Leiden ein. Eine frühe Hebammenschule und Geburtshilfeausbildung wurden hier institutionalisiert. Der Besucherzahl nach blieb die protestantische städtische Universität im Mittelfeld bezogen auf die protestantischen Universitäten im rechtsrheinischen Heiligen Römischen

schen Markgrafschaften zwischen dem Westfälischen Frieden und der Wiedervereinigung. In: Der Friede von Rastatt (Anm. 33), S. 21–31. 54 Jürgen Voss: Universität, Geschichtswissenschaft und Diplomatie im Zeitalter der Aufklärung. Johann Daniel Schöpflin (1694−1771). München 1979; Strasbourg, Schoepflin et l’Europe au XVIIIe siècle. Hg. von Bernard Vogler u. Jürgen Voss. Bonn 1996; Jürgen Voss: Schöpflin, Johann Daniel. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Bd. 23. Berlin 2007, S. 430–432. 55 Peter Fuchs: Palatinatus illustratus − die historische Forschung an der Kurpfälzischen Akademie der Wissenschaften. Mannheim 1963; Johann Daniel Schöpflin: Wissenschaftliche und diplomatische Korrespondenz. Hg. von Jürgen Voss. Stuttgart 2002; Karl Friedrich von Baden. Markgraf, Kurfürst, Großherzog. Hg. von Hermann Wiegand u. Ulrich Nieß. Mannheim 2012. 56 Johann Wolfgang Goethe: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. 3 Bde. Stuttgart und Tübingen 1811–1814; ders.: Poetische Werke. Bd. 8. Essen 1999, S. 9–536.

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Reich, sie wurde deutlich weniger frequentiert als die großen lutherischen Hochschulen in Göttingen, Halle, Helmstedt, Jena und Leipzig.57 Die katholische fürstbischöfliche Universität konnte noch weniger Studenten anlocken, auch fehlte ihr die starke überregionale Anziehungskraft, die für die städtische Anstalt kennzeichnend blieb. Wie schon in Molsheim blieb sie nach dem Jesuitenmodell im Prinzip auf die Fakultäten der Philosophie und der Theologie begrenzt. Das Studienmodell der Ratio studiorum der Jesuiten wirkte konservativ beharrend. Jedoch kam es auch hier zu Entwicklungen im Feld der quellenorientierten Kirchengeschichtsschreibung mit Philippe-André Grandidier als Archivar des Fürstbischofs.58 Die Jesuiten förderten die Naturwissenschaften. Nach der Aufhebung des Jesuitenordens in Frankreich 1765 traten Weltpriester an die Stelle der Jesuitenprofessoren. Insgesamt scheint das intellektuelle Klima in Straßburg am Vorabend der Französischen Revolution von Weltoffenheit und tolerantem spannungsfreiem Nebeneinander der Konfessionen und Sprachen gekennzeichnet gewesen zu sein. Die Aufklärung blieb in ihrer gemäßigten Form bestimmend. Radikale Denkweisen, etwa in der Religionskritik, waren hier ebenso wie in den deutschen Aufklärungszentren östlich des Rheins nicht auffällig vertreten.59 Die Zugehörigkeit Straßburgs zum Königreich Frankreich wurde nicht in Frage gestellt. Ein Höhepunkt der Identifikation mit der Bourbonenmonarchie war das Begräbnis des Marschalls Moritz von Sachsen 1750 in der St. Thomaskirche, wo dem unehelichen Sohn Augusts des Starken, der durch die Gunst des Königs auch als französischer Marschall Protestant bleiben durfte, 1765 bis 1776 von dem führenden Bildhauer Frankreichs Pigalle auf Geheiß Ludwigs XV. ein großartiges Grabdenkmal in der größten protestantischen Kirche Frankreichs errichtet wurde.60 Zwanzig Jahre nach Moritz von Sachsens Tod fand der triumphale Empfang für die Erzherzogin Marie Antoinette statt, die künftige Dauphine und Königin von Frankreich, die auf ihrer Reise von Wien nach Paris zur Hochzeit mit dem künftigen König Ludwig XVI. in Straßburg französischen Boden betrat. Diese Hochzeit von 1770 markierte einen Höhepunkt in der Annäherung der beiden früher verfeindeten Dynastien seit dem „renversement des alliances“ von 1756.61 Die neue katholische Verbindung zwischen Wien und Versailles wirkte sich in Süddeutschland po57 Anton Schindling: Bildung und Wissenschaft 1650−1800. München 21999; ders.: Katholische und protestantische Kulturlandschaften im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation. In: Religion und Kultur im Europa des 17. u. 18. Jahrhunderts. Hg. von Peter Claus Hartmann. Frankfurt/Main 2004, S. 25–49. 58 Philippe Dollinger: Grandidier, Philippe André. In: NDB (Anm. 54), Bd. 6, 1964. S. 743f. 59 Horst Möller: Vernunft und Kritik. Deutsche Aufklärung im 17. u. 18. Jahrhundert. Frankfurt/ Main 41997; Winfried Müller: Die Aufklärung. München 2002. 60 Gerd Treffer: Moritz von Sachsen. Marschall von Frankreich. Regensburg 2005; Eva Hausdorf: Monumente der Aufklärung. Die Grab- und Denkmäler von Jean-Baptiste Pigalle (1714−1785) zwischen Konvention und Erneuerung. Berlin 2012. 61 Klaus Malettke: Die Bourbonen. Bd. 2: Von Ludwig XV. bis Ludwig XVI. 1715–1789/92. Stuttgart 2008.

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sitiv auf die Akzeptanz der Stadt Straßburg gerade auch mit dem Renommee einer attraktiven Hochschulstadt aus.62 Die Rolle Straßburgs in der Revolution seit 1789 bekräftigte seine nunmehrige staatliche Zugehörigkeit.63 Das Elsass mit den ‚Princes allemands‘ unter französischer Souveränität spielte bei der Entstehung von außenpolitischen Spannungen zwischen Frankreich und dem Heiligen Römischen Reich und bei dem Ausbruch des Revolutionskrieges 1792 eine Schlüsselrolle. Die abrupte Abschaffung des Feudalismus durch die Nationalversammlung im August 1789 betraf in deren elsässischen und burgundischen Herrschaften auch die ‚Princes allemands‘, die jene jedoch nicht akzeptieren wollten.64 Die Kirchengesetzgebung der Zivilkonstitution des Klerus von 1790 vertrieb den letzten Rohan-Fürstbischof in seine rechtsrheinischen Besitzungen. Von diesen enteigneten Reichsfürsten ebenso wie von den zahlreichen Emigranten aus Adel und Klerus, die sich etwa in Koblenz am Hof des Kurfürsten von Trier sammelten, gingen Einflüsse zur militärischen Bekämpfung der Revolution aus. Das führende protestantische Bürgertum der Stadt Straßburg unterstützte die Revolution und sympathisierte mit der konstitutionellen Monarchie.65 Radikale, wie sie dann in der Phase des jakobinischen Terrors auch in Straßburg das Heft in die Hand nahmen, kamen eher von außen, wie der ehemalige Franziskanermönch und Bonner Professor Eulogius Schneider.66 Das Elsass, nunmehr in zwei neue Departements gegliedert, identifizierte sich mit Frankreich, es blieb moderat konservativ. Christoph Wilhelm Koch, Rechtsprofessor an der protestantischen Universität, wirkte als Straßburger Abgeordneter in der Nationalversammlung.67 Er rettete als guter Kenner des Staatskirchenrechts das Kirchenvermögen der Protestanten, indem er die Unterschiede zu dem 62 Max Braubach: Versailles und Wien von Ludwig XIV. bis Kaunitz. Die Vorstadien der diplomatischen Revolution im 18. Jahrhundert. Bonn 1952, Hans Joachim Berbig: Das kaiserliche Hochstift Bamberg und das Heilige Römische Reich vom Westfälischen Frieden bis zur Säkularisation. 2 Bde. Wiesbaden 1976; Gabriele Haug-Moritz: Württembergischer Ständekonflikt und deutscher Dualismus. Ein Beitrag zur Geschichte des Reichsverbands in der Mitte des 18. Jahrhunderts. Stuttgart 1992. 63 Deutschland und die Französische Revolution. 17. deutsch-französisches Historikerkolloquium des Deutschen Historischen Instituts Paris. Hg. von Jürgen Voss. München, Zürich 1983; Ernst Schulin: Die Französische Revolution. München 42004. 64 Erich Pelzer: Der elsässische Adel im Spätfeudalismus. Tradition und Wandel einer regionalen Elite zwischen dem Westfälischen Frieden und der Revolution (1648−1790). München 1990. 65 Gabriel G. Ramon: Frédéric de Dietrich, premier maire de Strasbourg sous la Révolution Française. Nancy 1919; Roger Jaquel: Problèmes historiographiques à propos de deux savants alsaciens engagés dans la Révolution Française. Le mathématicien Louis F. A. Arbogast (1759−1803), le minéralogiste Philippe-Frédéric de Dietrich (1748−1793). In: Actes du 113e et du 114e Congrès national des sociétés savantes, Strasbourg, 5–9 avril 1988 et Paris, 3–9 avril 1989, Section d’histoire moderne et contemporaine. Comité des travaux historiques et scientifiques CTHS. Paris 1991, S. 181–200. 66 Claude Betzinger: Vie et mort d’Euloge Schneider, ci-devant franciscain. Des lumières à la terreur, 1756−1794. Strasbourg 1997. 67 Joseph Fuchs: Koch, Christoph Wilhelm Edler von. In: NDB (Anm. 54), Bd. 12, 1979, S. 260f.

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1790 nationalisierten Besitz der katholischen gallikanischen Kirche betonte.68 Die Besitzgrundlage der protestantischen Universität blieb somit in der Revolution erhalten. Dennoch beendete die Revolution die Geschichte auch der traditionsreichen Schule Johannes Sturms. Die Revolution brachte 1793 die Auflösung für die beiden Straßburger Universitäten wie für alle anderen in Frankreich. Eine völlige Neuordnung des Studienwesens sollte an die Stelle der bisherigen konfessionell und korporativ bestimmten Hochschulen treten. Straßburg wurde jetzt seit 1792/93 mehr als je zuvor ein Waffenplatz und Heerlager, in noch höherem Maß unter Napoleon.69 Als Wissenschaftszentrum verlor die Stadt ihre Institutionen und ihr Renommee für eine geraume Zeit. Jetzt konnte das traurige Soldatenlied des desertierten Schweizer Söldners, das die Heidelberger Romantiker aufzeichneten, zu ihrem gesungenen ‚Erinnerungsort‘ werden. Zu Straßburg auf der Schanz, Da ging mein Trauren an, Das Alphorn hört ich drüben wohl anstimmen, Ins Vaterland mußt ich hinüber schwimmen, Das ging nicht an. Ein Stunde in der Nacht Sie haben mich gebracht: Sie führten mich gleich vor des Hauptmanns Haus, Ach Gott, sie fischten mich im Strome auf, Mit mir ists aus. Früh Morgens um zehn Uhr Stellt man mich vor das Regiment; Ich soll da bitten um Pardon, Und ich bekomm doch meinen Lohn, Das weiß ich schon. Ihr Brüder allzumahl, Heut seht ihr mich zum leztenmahl; Der Hirtenbub ist doch nur Schuld daran, Das Alphorn hat mir solches angethan, Das klag ich an.

68 Henri Strohl: Le protestantisme en Alsace. Strasbourg 1950. 69 Donatus E. Düsterhaus: Die Revolution als Schwester des Krieges. Deutungen und Wahrnehmungen von Lutheranern im Elsass in der Zeit der Französischen Revolution und des Napoleonischen Empires (1789−1815). Münster 2011.

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Ihr Brüder alle drey, Was ich euch bitt, erschießt mich gleich; Verschont mein junges Leben nicht, Schießt zu, daß das Blut ’raus spritzt, Das bitt ich Euch. O Himmelskönig Herr! Nimm du meine arme Seele dahin, Nimm sie zu dir in den Himmel ein, Laß sie ewig bey dir seyn, Und vergiß nicht mein.

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Johannes Gisenius (1577‒1658) und seine Beteiligung an den Vorbereitungen zur Einrichtung einer Volluniversität in Straßburg Straßburg war eine der großen Reichsstädte, die, abgesehen von Köln, zu Beginn der Neuzeit keine Universität hatten. Die Reichsstädte konnten sich länger gegen die Gründung einer Universität wehren als die einem Landesherrn unterstehenden Städte, denen von ihren Herrschern vielfach eine Universität aufgezwungen wurde. Straßburg war zwar am Ausgang des Mittelalters in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht die bedeutendste Reichsstadt im Südwesten, das galt jedoch im Bereich der Bildung lange Zeit nicht, denn die Stadtobrigkeit hatte wenig Interesse, mit den Universitäten benachbarter Landesherren in Konkurrenz zu treten.1 Die Gründung einer Universität war in den Städten unbeliebt, weil diese einen eigenen Rechtskörper darstellten, vergleichbar den Stiftsimmunitäten aus vorreformatorischer Zeit, von denen sich die größeren Städte infolge der Reformation oft hatten befreien können. Außerdem wurde auch in landesherrlichen Städten die studentische Jugend als ein Element angesehen, das die bürgerliche Ordnung gefährden konnte. Mit Einführung der Reformation hatten die Städte zumeist die Zuständigkeit für die Bildung und das Schulwesen zu übernehmen. Daher berief der Straßburger Magistrat, als Gremium nach der ursprünglichen Anzahl seiner Mitglieder auch die XXIer genannt, 1528 als einen seiner vielen Ausschüsse drei Schulherren (Scholarchen), zu denen noch zwei Pfarrer kamen.2 Diese machten es möglich, dass in Straßburg anstelle von drei Lateinschulen 1538 schließlich ein Gymnasium gegründet wurde.3 Durch die Vermittlung des Reformators Martin Bucer4 und des Stettmeisters Jakob Sturm von Sturmeck,5 der als 1 2 3 4 5

Vgl. Anton Schindling: Humanistische Hochschule und Freie Reichsstadt. Gymnasium und Akademie in Straßburg 1538–1621. Wiesbaden 1977, S. 21–33. Vgl. Ulrich Crämer: Die Verfassung und Verwaltung Straßburgs von der Reformationszeit bis zum Fall der Reichsstadt 1521–1681. Frankfurt 1931, S. 210. Vgl. Friedrich Paulsen: Geschichte des gelehrten Unterrichts auf den deutschen Schulen und Universitäten vom Ausgang des Mittelalters bis zur Gegenwart. Bd. 1. Leipzig 21896, S. 281–290. Vgl. u. a. Martin Greschat: Martin Bucer. Ein Reformator und seine Zeit. München 1990. Vgl. Erich Wenneker: Jakob Sturm von Sturmeck. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Bd. 11. Herzberg 1996, Sp. 141–145. In Straßburg gab es einen bürgerlichen Ammeister, der den Bürgermeistern in anderen Städten entsprach, sowie vier adelige Stettmeister; Crämer: Die Verfassung (Anm. 2), S. 20.

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Politiker eine weit über Straßburg hinausgehende Bedeutung hatte, wurde der Humanist Johannes Sturm6 als Professor für Eloquenz und ständiger Rektor gewonnen. Seit den Statuten von 1545 wird die Entwicklung eines Schulkonvents als Kollegium für die unterrichtenden Professoren und die rangniederen Präzeptoren erkennbar;7 daraus entstand die akademische Selbstverwaltung der späteren Universität. Mit Johannes Sturm hatte die Straßburger Einrichtung eine weit über die Region hinausgehende Bedeutung als humanistische Bildungsstätte gewonnen, die 1566 durch kaiserliches Privileg den gehobenen Rang einer Akademie erhielt. Damit war allerdings noch nicht der Status einer Volluniversität erreicht, zumal sich die Stadtobrigkeit aus den eingangs genannten Gründen weiter dagegen sträubte. Auch nachdem Johannes Sturm als Rektor entlassen worden und schließlich 1589 gestorben war, gingen die Auseinandersetzungen in der Stadt weiter. Doch gewann allmählich die Erkenntnis Oberhand, dass die Ortsanwesenheit einer Universität der Stadt auch Vorteile bringen könne. Eine Universität ist nicht nur ein Wirtschaftsfaktor, sondern trägt durch ihre Bedeutung für Bildung und Wissenschaft im Ganzen zu einer Hebung des Ansehens der jeweiligen Stadt bei. Im Fall von Straßburg hatte das jahrzehntelang von Johannes Sturm geleitete akademische Gymnasium Vorbildcharakter für einen während der Renaissance entstandenen Schultyp, der vielfach auch als ‚Gymnasium illustre‘8 bezeichnet wurde. Dieser Schultyp im Rang unterhalb einer Volluniversität wurde von zahlreichen kleineren Landesherren bevorzugt, weil diese aus wirtschaftlichen, besonders aber aus konfessionellen Gründen kein kaiserliches Privileg für eine Universitätsgründung anstrebten oder bekommen konnten. Diese akademischen Gymnasien verfolgten im Lehrangebot vor allem ihrer oberen Klassen einen hohen gelehrten Anspruch, der im Fall von Straßburg dem mancher Universität sehr nahe kam. Das galt in erster Linie für die Fächer, die an den artistischen Fakultäten der Universitäten gelehrt wurden. Dazu kamen theologische, juristische und medizinische Lehrveranstaltungen. Diese wurden in Straßburg von

6 Vgl. Crämer: Die Verfassung (Anm. 2), S. 212f.; Marc Lienhard, Jakob Willer: Straßburg und die Reformation. Kehl 21982, S. 62–66 u. ö.; ferner: Johannes Sturm (1507–1589) – Pädagoge der Reformation. Zwei seiner Schulschriften aus Anlass seines 500. Geburtstages. Lateinisch-deutsche Lese-Ausgabe. Hg. von Bernd Schröder. Jena 2009. 7 Vgl. Schindling: Humanistische Hochschule (Anm. 1), S. 102f. 8 Vgl. Paulsen: Geschichte (Anm. 3), S. 251, 320‒323. Auch Gymnasien, die nicht das Ansehen eines Gymnasium illustre hatten, suchten die Nähe zu wissenschaftlicher Ausbildung wie das Gymnasium Lemgo, dessen Rektor Johannes Gisenius 1610–1615 war; vgl. Bernhard Copius und das Lemgoer Gymnasium. Hg. von Friedrich Bratvogel. Göttingen 2011; Bernhart Jähnig: Disputationen als Quelle für den Schülerkreis des Universitätsgelehrten Johannes Gisenius. In: Dichtung – Gelehrsamkeit – Disputationskultur. Festschrift für Hanspeter Marti zum 65. Geburtstag. Hg. von Reimund B. Sdzuj, Robert Seidel u. Bernd Zegowitz. Wien, Köln, Weimar 2012, S. 410–429, hier S. 414– 416.

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Professoren übernommen,9 während die vorbereitenden Unterrichtsstoffe rangniederen Präzeptoren vorbehalten blieben. Die Auseinandersetzungen innerhalb Straßburgs um die Gründung einer Universität fanden im letzten Drittel des 16.  Jahrhunderts ihren Ausdruck vor allem in den Konflikten zwischen den Scholarchen als Ausschuss des Stadtregiments sowie dem akademischen Konvent, dem es zunehmend gelang, Grundsätze der akademischen Selbstverwaltung durchzusetzen. Auch der Kirchenkonvent – sein Präsident war 1610–1622 Johannes Bechtold,10 Professor für die Evangelien – setzte ein orthodoxes Luthertum durch und gewann größeren Einfluss nicht nur auf das Kirchenwesen, sondern auch auf die Schulen. Es war Aufgabe des Kirchenkonvents, im Fall einer Neuberufung zwei Kandidaten vorzuschlagen, von denen die Scholarchen und der akademische Konvent einen auszuwählen hatten. Das Ergebnis der Auseinandersetzungen waren die veränderten Statuten des Jahres 1604. Seitdem waren in Theologie vier Professuren vorgesehen, von denen drei mit Doktoren oder Lizentiaten besetzt werden sollten, während für die vierte einer der Straßburger Prediger vorgesehen war.11 Nach 1604 arbeitete auch die Straßburger Stadtobrigkeit konsequent auf ein kaiserliches Privileg hin, das im Februar 1621 von Kaiser Ferdinand II. erteilt wurde.12 Im Folgenden wird die Spätzeit der Akademie am Beispiel eines Theologen dargestellt, wobei die Bemühungen Straßburgs um den nunmehr angestrebten höheren Rang seiner Bildungseinrichtung nicht nur in politischer, sondern auch in intellektueller Hinsicht deutlich gemacht werden. Auf die politischen Begleitumstände wird nur am Rande eingegangen. Im Mittelpunkt steht der niedersächsisch-westfälische Theologe Johannes Gisenius (1577– 1658).13 Als dieser nach den Berufungsverhandlungen, die weit über ein Jahr gedauert 9 Vgl. Gerhard Meyer: Die Entwicklung der Straßburger Universität aus dem Gymnasium und der Akademie des Johann Sturm. Frankfurt/Main 1926, S. 47–87; Neudruck in: ders.: Zu den Anfängen der Straßburger Universität. Neue Forschungsergebnisse zur Herkunft der Studentenschaft und zur verlorenen Matrikel. Aus dem Nachlass des Verfassers hg. u. bearb. von Hans-Georg Rott u. Matthias Meyer. Hildesheim, Zürich, New York 1989, S. 207–247. 10 Vgl. Johann Heinrich Zedler: Großes vollständiges Universallexikon aller Wissenschaften und Künste. Bd. 3. Halle, Leipzig 1733, Sp. 868 (nach Henning Witte: Diarium biographicum [Teil 1]. Danzig 1688, Bl. [R4r]). Dass Straßburg damals streng lutherisch war, zeigte sich auch darin, dass 1617 das 100jährige Gedenken an Luthers Thesenanschlag mit auswärtigen Teilnehmern feierlich begangen wurde. 11 Gymnase, Académie, Université de Strasbourg. Hg. von Marcel Fournier u. Charles Engel (Les Statuts et Privilèges des Universités Françaises depuis leur fondation jusqu’en 1789, 4/1). Paris 1894, Neudruck Aalen 1970, S. 291–337, Nr. 2144; vgl. Johann Adam: Evangelische Kirchengeschichte der Stadt Straßburg bis zur französischen Revolution. Straßburg 1922, S. 384; Schindling: Humanistische Hochschule (Anm. 1), S. 150–159. 12 Vgl. Max Meyhöfer: Die kaiserlichen Stiftungsprivilegien für Universitäten. In: Archiv für Urkundenforschung 4, 1912, S. 308, 359, 363. 13 Am umfassendsten immer noch Karl Anton Dolle: Ausführliche Lebens-Beschreibung aller Professorum Theologiae […] an der Universität zu Rinteln. Bd. 1. Hannover 1751, S. 15–96; Bernhart Jähnig: Johannes Gisenius als akademischer Lehrer. In: Jahrbuch der Gesellschaft für niedersächsi-

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hatten, schließlich im September 1619 nach Straßburg kam, war nicht sogleich abzusehen, dass er nur anderthalb Jahre bleiben würde. Dennoch waren das sowohl für ihn als auch für die Akademie bedeutsame Jahre. Die auch außeruniversitären Rahmenbedingungen, die Gisenius in Straßburg antraf, wird ein englischer Pfarrerssohn ähnlich erlebt haben, der nur etwa ein Jahrzehnt vorher diese Stadt ebenfalls besuchte und einen ausführlicheren Reisebericht verfasste, aus dem hier Einschlägiges zitiert wird: Es gibt viel Schönes in dieser berühmten Stadt, wodurch sie sich auszeichnet, wie die Höhe der Häuser, die Breite ihrer Straßen, die stets sauber gefegt sind, die große Anzahl ihrer Bewohner, die ungeheure Festigkeit ihrer aus massiven Steinen errichteten Umwallung […]. Doch was die Stadt am herrlichsten schmückt, sind zwei unvergleichliche Kunstwerke, so unerreichbar großartig, daß keine Stadt in Europa Ähnliches aufweisen kann, über die ich ausführlicher schreiben muß. Es handelt sich um den Turm des Doms und um eine Uhr in seinem Innern, doch widme ich mich zuerst der Kirche selbst, da, wenn man sich so ausdrücken will, sie der Körper ist, dessen schönste und edelste Glieder diese beiden Dinge darstellen.14

Es folgen dann die angekündigten ausführlichen Beobachtungen. In unserem Zusammenhang interessiert gegen Ende der Beschreibungen Straßburgs eine Bemerkung des Verfassers, der die Akademie zwar als Universität bezeichnet, jedoch auf dem Hintergrund seines Studiums in Oxford feststellte: Es gibt auch eine Universität in der Stadt, doch ein sehr seltsames und ärmliches Ding, nicht zu verantworten bei der Größe einer so schönen Stadt; denn sie hat nur ein Kolleg, das ich aufsuchte, doch das im Bau und im Zustand seiner Erhaltung so armselig war, daß das einzig Bemerkenswerte, das ich von ihm berichten kann, ist, daß es einen hübschen Kreuzgang hat.15 sche Kirchengeschichte 100, 2002, S. 43–59; ders.: Gisenius, Johannes, Prof. Dr. theol. In: Schaumburger Profile. Bd. 1. Hg. von Hubert Höing. Bielefeld 2008, S. 118–122. 14 Thomas Coryate: Die Venedig- und Rheinfahrt A. D. 1608. Übersetzt u. hg. von Hans E. Adler. Stuttgart 1970, S. 258f. Im englischen Original heißt es: „There are many goodly things in this renowned City that do much beautifie the same. As the loftinesse of the building, the multitude of their houses, the beauty and spaciousnesse of their streets and the cleane keeping thereof, the great frequency of people, their strong walles made of hard stone […]. But the principall things of all which do especially illustrate and garnish Strasbourg are but two, which because they are the most matchlesse and incomparable fabrickes of all Christendome, no Citie whatsoeuer in all Europe yeelding the like, I will something particularly discourse thereof. These are the Tower of the Cathedral Church and a Clocke within the Church. But before I speak of eyther of these I will first make relation of their Church, because that is as it were the main body, whereof these two are the principall und fayrest members.“ Coryat’s Crudities Hastily gobled vp in five Moneths trauells in France, […] some parts of high Germany […]. London 1611. Neu hg. von William M. Schutte. London 1978, S. 450. 15 Coryate: Rheinfahrt (Anm. 14), S. 264. Im englischen Original heißt es: „There is in this City a Vniversity, but a very obscure and meane thing, nothing answerable to the maiesty of so beautifull a

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Während die mittelalterliche Kirche St. Thomas nach dem Münster die bedeutendste in der Stadt war und ist,16 wurde das hier gemeinte Stift St.  Thomas als Ort der ‚Hohen Schule‘ aus der Sicht dieses Besuchers als noch sehr entwicklungsbedürftig dargestellt. Dass er recht hatte, war den Verantwortlichen in Stadt und Akademie wohl bewusst. Gisenius war als Rektor des Gymnasiums Lemgo 1614 in Gießen unter Johannes Winckelmann17 zum Doktor der Theologie promoviert worden und nahm dort seit 1615 eine Professur wahr. Beide wurden seit 1616 mit ihrem Fakultätskollegen Balthasar Mentzer18 in einen immer heftiger werdenden Streit über einige christologische Fragen verwickelt, der es für Gisenius wünschenswert machte, über einen Ortswechsel nachzudenken. Denn Mentzer saß als landesherrlicher Günstling auf Dauer am längeren Hebel, auch wenn er innerhalb der Universität Gießen für seine Ansichten keine Mehrheit der Kollegen hinter sich hatte. Da war es für Gisenius günstig, dass zu den Verstorbenen unter den Professoren der Akademie in Straßburg im Jahre 1617 auch Johannes Taufrer (1584‒1617) zählte,19 der Professor für die geschichtlichen Bücher des Alten Testaments. Straßburg wollte sich mit der Wiederbesetzung fachlich verstärken, dabei fiel der Blick auf Gisenius, der sich durch seine Lehrveranstaltungen und Veröffentlichungen in den wenigen Jahren über Gießen hinaus bekannt gemacht hatte. Noch vor der Jahresmitte 1618 wurden vermutlich durch den Juristen Joachim Cluten20 erste Erkundigungen eingezogen, um festzustellen, ob es aussichtsreich sei, Gisenius nach Straßburg zu berufen. Nachdem der Kirchenkonvent außer Gisenius auch Justus Feurborn aus Gießen nominiert hatte, entschied sich der akademische Konvent am 5. Juni 1618 für Gisenius mit der Maßgabe, über alle bei den in internen Beratungen genannten Personen weitere Informationen einzuholen.21 Schließlich richtete der Schulkonvent am 31. Juli 1618 sein Berufungsschreiben an Gisenius; dessen Antwort ergab, dass in Gießen sein möglicher Weggang ungern gesehen werde.22 Nachdem Landgraf Ludwig V. von Hessen-Darmstadt, der Landesherr von Gießen,

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City. For it hath but one Colledge, which I visited, being both for building and maintenance one of the poorest Colledges that I euer saw, in so much that I cannot report any memorable thing of it, only it hath a prety Cloister belonging vnto it.“ Coryat’s Crudities (Anm. 14), S. 458. Vgl. Georg Dehio: Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler. Bd. 4 b. Elsaß-Lothringen. Berlin 41942, S. 91–93. Hinsichtlich des Stiftsgebäudes heißt es auf Seite 92: „Rom. und frühgot. Reste des Kreuzgangs jetzt an der Ostseite aufgestellt.“ Vgl. Julius Pistor: Winckelmann, Johannes. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Bd. 43. Leipzig 1898, S. 362f. Vgl. Theodor Mahlmann: Mentzer, Balthasar. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Bd. 17. Berlin 1994, S. 98–100. Vgl. Zedler: Universallexikon (Anm. 10). Bd. 42, 1744, Sp. 382f. Vgl. Schindling: Humanistische Hochschule (Anm. 1), S. 316–319 u. ö. Stadtarchiv Straßburg: AST 376, Bl. 38v. Ebd., Bl. 40r (Protokolleintrag); AST 341 (ohne Blattzählung, Entwurf ).

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1619 von einer Pilgerreise aus Rom zurückgekehrt war,23 trug Gisenius selbst zur weiteren Verzögerung um einige Monate bei, da sich an der Universität die Verhältnisse inzwischen beruhigt hatten. Er ließ dem Landgrafen mitteilen, dass er gerne in Gießen bleiben würde, wenn er nicht in Straßburg schon zugesagt hätte. Außerdem machte er geltend, dass für ihn als Westfalen der Wechsel aus biertrinkenden Landen in das für ihn ungewohnte weintrinkende Oberdeutschland gesundheitlich gefährlich werden könnte.24 Während die Berufungsverhandlungen mit Gisenius noch andauerten, wurde innerhalb der Straßburger Akademie an der Verbesserung des Lehrbetriebs gearbeitet. Bemerkenswert ist hier das Gutachten des Juristen Joachim Cluten vom 6. April 1619, da dieser bei der Erörterung des Lehrplans auch den Gisenius zugedachten Bereich behandelte und dessen Namen dabei hervorhob. In Straßburg gab es schon vor 1621 vier theologische Lehrstühle, die nicht nur nach Dienstalter vergeben wurden, sondern festgelegte thematische Bereiche hatten, nämlich erstens die geschichtlichen, zweitens die prophetischen Bücher des Alten Testaments sowie aus dem Neuen Testament drittens die Evangelien und viertens die paulinischen Briefe. Bevor Straßburg 1621 das Universitätsprivileg erhielt, waren die genannten Lehrstühle wie auch die der Juristen und Mediziner noch nicht in Fakultäten organisiert; daher gab es neben dem jährlich neuen Rektor nur einen ebenfalls jährlich wechselnden Dekan für bestimmte Verwaltungsaufgaben der gesamten Akademie.25 Clutens Darlegungen zeigen, dass es nicht nur um organisatorische, sondern auch um inhaltliche Fragen der Lehre ging, indem er sagte, dass es heute nicht mehr genüge, nur die biblischen Schriften zu lesen, dann erstlich Professor Pentateuchi, wann er nicht wider vorgeschriebene Leges handlen will, muss steif bei dem historico ordine verbleiben, kann nicht also gezwungen die Controversias, welche heutiges Tags zwischen der Augspurgischen Confession verwandten Theologen und den Papisten, Calvinisten und Photinianern,26 auch anderen Secten schweben, hineinbringen. Da23 Vgl. Sabina Brevaglieri: Die Wege eines Chamäleons und dreier Bienen. Naturgeschichtliche Praktiken und Räume der politischen Kommunikation zwischen Rom und dem Darmstädter Hof zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges. In: Praktiken der Frühen Neuzeit: Akteure – Handlungen – Artefakte. Hg. von Arndt Brendecke. Köln, Weimar, Wien 2015, S. 131–150. 24 Hessisches Staatsarchiv Darmstadt: Abt. E 6 Univ. Gießen, Konv. 1/6, Bl. 362, 386–389, 405–407. 25 Vgl. Schindling: Humanistische Hochschule (Anm. 1), u. a. S. 145–148. 26 Die Lehre des altchristlichen Bischofs Photinus oder Photeinos aus Sirmium (†376) von Christus als einer Art Adoptivsohn Gottes, die schon zu seiner Zeit als Irrlehre verurteilt worden war, fand auch im 17. Jahrhundert Anhänger, die von Zeitgenossen in die Nähe der Calvinisten gerückt wurden, so Jacobus Reneccius: Calvinianorum Ortus, Cursus, Exitus. Das ist: Der Calvinisten Anfang/ Lauff/ Außgang. Hamburg 1612, S. 73–83; vgl. Christian Wilhelm Franz Walch: Entwurf einer vollständigen Historie der Ketzereien, Spaltungen und Religionsstreitigkeiten bis auf die Zeiten der Reformation. Teil 3. Leipzig 1766, S.  3–70; Manfred Clauss: Photin. In: BBKL. Bd.  7. Herzberg 1994, Sp.  554f.; Thomas Böhm: Photin von Sirmium. In: Die Religion in Geschichte und Gegenwart (RGG). Bd. 6. Tübingen 42003, Sp. 1322.

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her es dann zue vermueten, dass ihn unmöglich fallen wurde, in fünfundzwantzig Jaren die Bücher Mosis zum Ende zu bringen. Ist also mit dieser Lection, so gestelten Sachen nach, den studiosis theologiae nicht allerdings gedienet. Weil dann Herrn D. Joanni Gisenio diese Profession anvertrawet, were meinem geringfügigem Beduncken nach gar rhatsam, weil er zu Giessen eine sonderbare nutzliche praelectionem bibliorum angestellet,27 dass er in jeder Lection ein gantz Caput kann absolviren, und zeiget dabei an, was im hebraischen Text sonderlicher Importantz, was sonsten für Controversiae daraus zu erzweigen und dergleichen mehr. Man behandlete ihn dahin, dass er zween Tage in der Wochen von Anfang der Bibel solche Lection möchte continuiren und in den anderen übrigen Tagen controversias ex professo tractiren. Weil auch anietzo die Controversiae zwischen den unserigen und Papisten und Calvinisten den Studiosis zimlich bekandt, könnte er anfangs die errores Photinianorum zu repetiren fur sich nehmen, nach Volführung dieses controversias Batavicas zwischen den Reformirten und Remonstranten28 den Studiosis zu Nutz und weiterer Nachrichtung tractiren.29

Diese Ausführungen sind bemerkenswert, weil der Gutachter als Mitwirkender an den Verhandlungen zwischen Straßburg und Gießen um Gisenius’ Berufung über sehr konkrete Personen- und Sachkenntnis verfügte, weil er zu Erkundungen nach Hessen gereist war. Darüber hinaus machen Clutens Forderungen auch die Frontstellung des Straßburger Luthertums deutlich. Nicht nur als Exeget, sondern offenbar auch als Kontroverstheologe hatte sich Gisenius aus Straßburger Sicht durch seine Gießener Arbeiten ausgezeichnet. Das wurde auch betont, als der Rektor30 der Straßburger Akademie nach Gisenius’ Ankunft in einem Programm vom 25. September 1619 diesen als Nachfolger des verstorbenen Johannes Taufrer vorstellte.31 Dabei wurde die bisherige wissenschaftliche und berufliche Laufbahn des neuen Professors von der Wittenberger Studienzeit an bis zur geplanten ersten Straßburger Lehrveranstaltung32 verhältnismäßig ausführlich gewürdigt. Gisenius hat dann tatsächlich dem clutenschen Gutachten entsprechend seine Vorlesun27 Erwähnt im Visitationsprotokoll der Darmstädter Kommission in Gießen vom 6. Juni 1618. Hessisches Staatsarchiv Darmstadt: Abt. E 6 Univ. Gießen, Konv. 6/1, Bl. 21 bzw. 24. Ebd. wird festgehalten, dass er zu gleichen Zeiten vier Stunden in der Woche „contra Photinianos“ (vgl. Anm. 26) gelesen habe. 28 Diese 1610 in den Niederlanden entstandene Bruderschaft, auch Arminianer genannt, lehnte die strenge reformierte Prädestinationslehre ab. Vgl. Willem Frederik Dankbaar: Arminianer. In: RGG. Bd. 1. Tübingen 31957, Sp. 620–622. 29 Gymnase, Académie, Université de Strasbourg (Anm. 11), S. 368, in der Diskussion von Cluten kurz wiederholt, S. 377. 30 1619/20: M. Laurentius Thomas Walliser (1569–1631), Professor für praktische Philosophie in Straßburg seit 1604. Vgl. Zedler: Universallexikon (Anm. 10). Bd. 52, 1747, Sp. 1700f. 31 Stadtarchiv Straßburg: AST 445/9. 32 Für den übernächsten Tag, den 27. September, 8 Uhr morgens, war Gisenius’ feierliche Eröffnungsvorlesung angekündigt, und zwar über das Thema „de via salutis“. Größere Werke zu diesem Thema veröffentlichte Gisenius erst später in Rinteln, in Straßburg nur einen Disputationsdruck vom 2. Dezember 1619.

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gen eingerichtet. So heißt es in der Ankündigung, dass er noch im Sommersemester 1619 in einer öffentlichen Vorlesung den Pentateuch behandeln werde, 1620 wolle er sowohl in der Erläuterung kontroverstheologischer Fragen wie in der Interpretation des ersten Buches Mose fortfahren.33 Auch beim Disputieren setzte Gisenius seine in Gießen begonnene Arbeit in Straßburg fort. Diese wurde hier nicht anders als vorher an der Volluniversität durchgeführt. Da Einzelausgaben der Dissertationen, aus denen seine Straßburger Bücher hervorgegangen sind, nur vereinzelt vorliegen, ist es nicht möglich, deren Entstehen lückenlos zu datieren. Die im zweiten Band von De Zwinglio-Calvinismo fugiendo vereinigten Texte sind wahrscheinlich erst in der Zeit von 1620 bis März 1621 durchdisputiert worden – mit Ausnahme des neunten, den Aegidius Konrad Gualtperius (1590–1634) am 13. Mai 1618 bereits in Gießen als „disputatio pro gradu“ (Doktordisputation) verteidigt hatte.34 Schon am Anfang des Jahres 1620 ließ Gisenius sein Calvinismus-Buch beim Drucker Hampel in Gießen in zweiter Auflage erscheinen.35 Noch in Gießen hatte sich Gisenius eingehender mit Luthers Katechismus befasst. Er begann, diesen in einer Disputationsreihe gegen abweichende Lehrmeinungen sowohl der Reformierten als auch der Katholiken zu verteidigen. Diese wurde in Straßburg fortgesetzt und erschien im Frühjahr 1620 als Buch.36 Dieses umfangreiche Werk stellte gegenüber dem Lemgoer Versuch von 161337 eine gewaltige Vermehrung des Textes dar. Dasselbe gilt für die gleichzeitig entstandene Katechismuserläuterung.38 33 Stadtarchiv Straßburg: AST 451, Bl. 9f. 34 Druck: Johannes Gisenius: De Zwinglio-Calvinismo fugiendo. Straßburg 1621, S. 130–178. Der aus Marburg gebürtige Gualtperius wurde unmittelbar darauf Superintendent in Jever; [Johannes Ramsauer:] Die Prediger des Herzogtums Oldenburg seit der Reformation. Oldenburg [nach 1903], S. 111. 35 Johannes Gisenius: Calvinismus, hoc est errorum Zwinglio-Calvinianorum […] refutatio. Gießen 21620. Widmungsverse des Druckers und des Gießener Kollegen Konrad Bachmann sind auf die letzten Tage des Jahres 1619 datiert. 36 Erweiterter Druck: Johannes Gisenius: Pia et perspicua catechismi b. Lutheri defensio. Straßburg 1620. An diesem Druck war auch der Gießener Drucker Chemlin beteiligt. Denn ein Fehler in der Seitenzählung macht es möglich, die in Gießen und Straßburg gedruckten Teile des Buches zu unterscheiden. Offenbar wusste der Straßburger Drucker Ledertz nicht, mit welcher Seitenzahl sein Gießener Kollege Chemlin aufgehört hatte. Der vordere Teil des Buches (sieben Disputationen, meist aus Gießen bekannte Respondenten) endet mit Seite 224. Der hintere Teil des Buches beginnt bereits mit Seite 209, er enthält 15 Disputationen, deren Respondenten aus Straßburg bekannt sind wie der spätere Straßburger Professor Johannes Schmidt aus Bautzen (Gisenius: Pia et perspicua defensio, S. 209). 37 Johannes Gisenius: Hierognomologia. Hoc est praecipua scripturae sacrae […] catechismus b. Lutheri parva biblia. Lemgo 1613. Exemplare dieses heute seltenen Werkes sind in Clausthal-Zellerfeld und Loccum nachgewiesen. 38 Johannes Gisenius: Catechismus b. Lutheri est parva biblia. Straßburg 1620. Es ist wohl dem kurzen Aufenthalt von Gisenius in Straßburg zuzuschreiben, dass diese beiden Werke im Elsass nicht so

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Gisenius ließ bald nach seiner Ankunft in Straßburg erkennen, dass er bereit sei, die Betreuung der Stipendiaten der Stadt Ulm in Straßburg zu übernehmen. Diese gab es in großer Zahl, denn schon die Akademie hatte vor ihrer Privilegierung als Universität hinsichtlich der dort Studierenden eine überregionale Bedeutung.39 Auch in der Zeit, bevor Straßburgs Akademie Volluniversität wurde, war eine große Stadt wie Ulm daran interessiert, dass ihre dort auswärts studierenden Stipendiaten unter fachlicher Betreuung und Aufsicht blieben. Dieses Thema beherrschte teilweise Gisenius’ Korrespondenz mit seinem früheren Gießener Kondoktoranden Konrad Dieterich (1575‒1639),40 der inzwischen Ulmer Superintendent geworden war. Dieser zeigte Gisenius’ Bereitschaft zur Betreuung der Ulmer Stipendiaten seiner Stadtobrigkeit an. Die Religionsherren der Stadt Ulm – bestehend aus zwei Ratsälteren (Patriziern) und dem ersten Geheimen Rat aus dem Handelsstand sowie den drei Kirchenbaupflegern, zu deren Aufgaben es gehörte, die auswärts studierenden Stipendiaten zu beaufsichtigen41 – beschlossen daraufhin am 15. November 1619, dass Gisenius durch ein Schreiben freundlich ersuecht werden, und ime neun Stipendiaten und Beneficianten […] an […] Dr. Johannis Tauffreri gewesenen Inspectoris seeligen statt de meliore voto commendiert und in ihrer Ehrwurden fleißige Inspection und Obacht vertraut, daneben begert werden, das er sie alle fur sich erfordern, nach erhaischender Notturfft examiniern, ihr Beschaffenhait beede Ämpter, dabei auch Herr Doctor Cunradt Dietterich ihr Ehrwurden eines jeden Qualitet in sonderhait berichten und verners die Gebur dariber entschaiden werden solle.42

Diese Betreuung war für Gisenius mit einer Nebeneinnahme verbunden.43 Nicht nur aus Ulm, sondern aus der noch volkreicheren Großstadt Straßburg selbst hatte Gisenius Schüler. Die besten Schüler zeichneten sich als Respondenten in öffentlichen Disputationen aus. Das waren aus der Stadt Straßburg selbst zehn Studenten, die insgesamt 15 Mal unter ihm disputierten.44 Als sein Lieblingsschüler galt von diesen der spätere Straßburger und Rostocker Theologieprofessor Johann Georg Dorsche (1597– 1659), der zweimal, am 2. Dezember 1619 und am 10. Juni 1620, öffentlich unter ihm disputierte und schließlich Gisenius auf dessen Reise nach Tübingen Ende Oktober 1620 bekannt wurden, sonst hätten sie von August Ernst, Johann Adam: Katechetische Geschichte des Elsasses bis zur Revolution. Straßburg 1897, berücksichtigt werden müssen. 39 Vgl. Meyer: Zu den Anfängen der Straßburger Universität (Anm. 9), S. 17–30, zu Ulm S. 20f. Vgl. zu den Ulmer Studenten in Straßburg den Beitrag von Wolfgang Mährle in diesem Band. 40 Zur Biographie vgl. Max Huber: Dieterich, Konrad. In: NDB. Bd. 3. Berlin 1957, S. 672. 41 Vgl. F[riedrich] Fritz: Ulmische Kirchengeschichte vom Interim bis zum dreißigjährigen Krieg (1548–1612). Stuttgart [1934], S. 241f. (Religionsherren) und S. 257 (Stipendien für Theologiestudenten). 42 Stadtarchiv Ulm: A [6876], S. 665f. 43 Näheres ist nicht zu ermitteln, da für die Jahre 1619–1621 weder Stadtrechnungen noch Rechnungen oder Protokolle des Baupflegeamtes im Stadtarchiv Ulm erhalten sind. 44 Vgl. Jähnig: Disputationen (Anm. 8), S. 423.

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begleitete, wo er auf Veranlassung seines Lehrers sein Studium fortsetzte.45 Gisenius hatte unter seinen Studenten nicht nur zu ‚Großstadtkindern‘ aus Straßburg und Ulm Beziehungen, sondern auch zu solchen aus kleineren Orten. Zu diesen gehörte der aus dem kurpfälzischen Mannheim stammende spätere württembergische Oberhofmeister Ludwig Berchtold (1600‒1686), der Gisenius kurz vor seinem Weggang aus Straßburg in sein Stammbuch einschreiben ließ.46 Gisenius beschäftigten in seinen Straßburger Jahren nicht nur theologische Probleme und solche des akademischen Unterrichts, sondern auch die große Politik, die für ihn in unmittelbarem Zusammenhang mit seinen theologischen Arbeiten stand. Die Auseinandersetzung mit ‚Calvinismus‘ und ‚Papismus‘47 war für ihn und seine theologischen Zeitgenossen nicht nur gelehrte Theorie, sondern ein Kampf von existenzieller Bedeutung in zweierlei Hinsicht; denn neben der letztlich eschatologischen Frage ging es auch um die politische Wirklichkeit, denn der Kampf der Konfessionen war auch einer um weltliche Macht. In einem landschaftlich engeren Rahmen hatte Gisenius dies in der lutherischen Stadt Lemgo in deren Konflikt mit dem reformierten Landesherrn Graf Simon VI. zur Lippe (1554‒1613) erlebt.48 Nunmehr im beginnenden Dreißigjährigen Krieg betrachtete Gisenius kritisch den Gegensatz von Reformierten und Katholiken, der sich zunächst im Krieg des Pfalzgrafen Friedrich  V. als Parteigängers der evangelischen Stände Böhmens gegen Kaiser Ferdinand II. um das Königreich Böhmen entlud. Gisenius sah durchaus die Gefahr, dass die lutherischen Mächte in die Auseinandersetzung hineingezogen werden könnten. Über seine Befürchtungen sprach er sich – gelegentlich sogar ausführlich – brieflich gegenüber Konrad Dieterich aus. Lutherischerseits war man geneigt, im katholischen Kaiser immer noch in erster Linie das Reichsoberhaupt zu sehen. Das zeigte die Haltung Landgraf Ludwigs V. von Hessen-Darmstadt, der den Kaiser gegen seinen reformierten Vetter Moritz in Kassel brauchte; so dachten in Gießen auch der Theologe Balthasar Mentzer49 und die 45 Vgl. Paul Freher: Theatrum virorum eruditione clarorum. Bd. 1 [Theologi]. Nürnberg 1688, S. 615 (hier ist als Datum der Reise der 18. Oktober genannt, doch brach Gisenius erst am 26. Oktober auf ); Wilhelm Horning: Dr. Johann Dorsch, Professor der Theologie und Münsterprediger zu Straßburg im 17. Jahrhundert. Straßburg 1886, S. 2. 46 Ingeborg Krekler: Die Autographensammlung des Stuttgarter Konsistorialdirektors Friedrich Wilhelm Frommann (1707–1787). Wiesbaden 1992, S.  739f.; Berchtold wurde in Straßburg am 26. Juli 1619 immatrikuliert; vgl. Meyer: Zu den Anfängen (Anm. 9), S. 144. 47 Johannes Gisenius: Papismus, h.e. errorum pontificiorum methodica enumeratio et brevis, pia atque modesta refutatio. [Partes] 1‒3. Gießen 1618‒1619; 2. Aufl. Gießen 1623‒1625. Dieses aus 65 Disputationen hervorgegangene Werk war seine umfangreichste Veröffentlichung. 48 Grundlegend Heinz Schilling: Konfessionskonflikt und Staatsbildung. Eine Fallstudie über das Verhältnis von religiösem und sozialem Wandel in der Frühneuzeit am Beispiel der Grafschaft Lippe. Gütersloh 1981. 49 So äußerte sich Gisenius am 10. September gegenüber Konrad Dieterich ausführlich über die ‚böhmische Sache‘; Bayer. Staatsbibliothek München: Cgm 1258, Bl. 673v‒674r.

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Juristen.50 Von Straßburg aus stand Gisenius mit seinen Gießener Kollegen weiter in Verbindung. Wie diese begrüßte er, dass sich Kursachsen der von Kurpfalz geführten politischen Union aus dem Jahre 1608 versagte. Mitglieder dieser Union waren jedoch die bedeutendsten oberdeutschen Reichsstädte, nämlich Nürnberg, Ulm und Straßburg. Gisenius erwog, ob die Städte nicht eine eigene Politik betreiben sollten; zum Vergleich betrachtete er die zeitgenössischen Versuche der Hansestädte. Die Verbindungen Straßburgs zur Pfalz und dessen Parteinahme für die böhmischen Stände belebten immer wieder sein Misstrauen hinsichtlich seiner eigenen Stellung als lutherischer Theologe in der Stadt. Diese Haltung gegenüber den Aktivitäten der reformierten Mächte blieb in seinem weiteren Leben bestimmend. Über die Einstellung zu den Calvinisten wurde wohl auch gesprochen, als Gisenius Ende Oktober 1620 seine theologischen Kollegen in Tübingen besuchte, waren doch die Theologen beider ‚Hohen Schulen‘ von Landgraf Ludwig V. von Hessen-Darmstadt um ein Gutachten in dieser Sache gebeten worden. Das persönliche Anliegen von Gisenius’ Besuch bestand darin, den Tübingern in ihrem bekannten christologischen Streit mit Mentzer und dessen Schwiegersohn Feurborn die Unterstützung der Straßburger zuzusagen.51 Zu einem anschließenden Besuch bei Konrad Dieterich in Ulm reichte jedoch die Zeit nicht mehr, da Gisenius sich nicht zu lange von Straßburg entfernen durfte. Gisenius’ Straßburger Zeit endete schließlich Ende März 1621, weil er einer Berufung an die in seiner weiteren Heimat ebenfalls 1621 gegründete und kaiserlich privilegierte holstein-schaumburgische Universität Rinteln folgte, um dort die Stellung eines Professor primarius der Theologen zu übernehmen.52 Familiäre Gründe dürften letztlich den Ausschlag gegeben haben, zur neuen Universität nahe Lemgo, der Heimatstadt seiner Frau, zu wechseln. Zum Abschied am 23. März 1621 widmeten ihm vermutlich besonders verbun-

50 Vgl. Karl Alfred Hall: Die Juristische Fakultät der Universität Gießen im 17. Jahrhundert. In: Ludwig-Universität. Justus Liebig-Hochschule. Festschrift zur 350-Jahrfeier. Gießen 1957, S. 3–7 über Gottfried Anton und Dietrich Reinking. 51 Universitätsarchiv Tübingen: UAT 12/6, Nr. 18 a und 28f.; vgl. Karl von Weizsäcker: Lehrer und Unterricht an der evangelisch-theologischen Fakultät der Universität Tübingen von der Reformation bis zur Gegenwart. Tübingen 1877, S.  54f.; Jörg Baur: Auf dem Wege zur klassischen Tübinger Christologie. In: Theologen und Theologie an der Universität Tübingen. Hg. von Martin Brecht. Tübingen 1977, S. 195–269, hier S. 238, 242. – Auch wenn die Zeit nicht mehr zu einer Weiterreise nach Ulm reichte, wurde am 31. Oktober 1620 ein Stammbucheintrag für Johann Ludwig Medinger (†1654, seit 1623 Stadtarzt von Backnang und anderen württembergischen Städten) möglich. Ingeborg Krekler: Stammbücher bis 1625 (Die Handschriften der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart, Sonderreihe 3). Wiesbaden 1999, Nr. 52, S. 151. 52 Vgl. Bernhart Jähnig: Gründung und Eröffnung der Universität Rinteln. In: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte 45, 1973, S. 351–360. Zur Universität im Ganzen vgl. Gerhard Schormann: Academia Ernestina. Die schaumburgische Universität zu Rinteln an der Weser (1610/21– 1810). Marburg 1982.

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dene Professoren und Studenten ein gedrucktes Bändchen mit Valediktionsgedichten.53 Zu den drei Professoren gehörte auch der Verfasser von Dramen für das Akademietheater und Poesieprofessor Kaspar Brülow.54 Nicht für alle der elf beteiligten Studenten, mit oder ohne Magistertitel, ist nachzuweisen, dass sie unter Gisenius disputiert haben. In Straßburg hatte Gisenius eine angesehene Stellung erreicht und war auf gutem Wege, wissenschaftlich eine tragende Rolle in der werdenden Universität zu spielen. Dies bezeugte der jüngere Kollege Isaak Fröreisen55, als er nach Gisenius’ Abgang bei Johann Gerhard in Jena wegen eines möglichen Nachfolgers anfragte. Bei der Stadtobrigkeit und im Kirchenkonvent habe Gisenius in hoher Gunst gestanden, so dass alles versucht worden sei, ihn zu halten. Aufgegeben habe er ein sehr geräumiges und mit einem schönen Garten umgebenes Haus sowie ein Einkommen von 400 Gulden mit 24 Metzen Getreide, je zur Hälfte aus normalem Weizen und Winterweizen.56 Gisenius wurde durch die bald einsetzenden kriegsbedingten Ereignisse in seiner niedersächsisch-westfälischen Heimat um eine größere wissenschaftliche Wirkung gebracht.57 Er hat daher seinen Schritt bald sehr bedauert und klagte, seine Ehefrau habe ihn dazu allzu sehr gedrängt. Andererseits hat er auch einen gewissen Reiz darin gesehen, in seiner Heimat zu wirken. Er konnte nicht mehr teilhaben an den Auswirkungen der im Februar 1621 erfolgten Privilegierung Straßburgs zur Volluniversität, obwohl sein anderthalbjähriger Einsatz und seine Mitarbeit einiges dazu beigetragen hatten.

53 Propemptika, quibus piis votis et bonis abeuntem […] dominum Johannem Gisenium […] ad novam academiam Rentelenam […] evocatum prosequuntur fautores, collegae, amici, discipuli. Straßburg 1621. 54 Vgl. Willi Flemming: Brülow, Kaspar. In: NDB. Bd. 2. Berlin 1955, S. 664; Michael Hanstein: Caspar Brülow (1585–1627) und das Straßburger Akademietheater. Berlin, Boston 2013. Vgl. auch Hansteins Aufsatz in diesem Band. 55 Vgl. Martin Schmidt: Fröreisen, Isaak. In: NDB. Bd. 5. Berlin 1961, S. 654. 56 Druck bei Erdmann R. Fischer: Vita Johannis Gerhardi. Leipzig 1723, Zitat auf S. 230 (Datum des Briefs vom 19. Mai 1621). 57 Vgl. Robert Stupperich: Johannes Gisenius und sein Kampf um die Universität Rinteln. In: Jahrbuch der Gesellschaft für niedersächsische Kirchengeschichte 63, 1965, S. 140–157; ähnlich, wenn auch nicht so konkret ders.: Äußere und innere Kämpfe im Weserraum während des 30-jährigen Krieges und ihre Nachklänge. In: Westfalen. Hefte für Geschichte, Kunst und Volkskunde 51, 1973, S. 225–237.

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„mandatum esse officium elencticum, quod disputando exeritur“ Zu Johann Konrad Dannhauers Disputationslehrbuch Idea boni disputatoris et malitiosi sophistae (1629) und seinem historischen Kontext Die Entwicklung der ars disputandi ist bislang nur in Umrissen dargestellt worden.1 Das gilt, allerdings nur mit größeren Einschränkungen, auch von der Geschichte des frühneuzeitlichen Disputationswesens insgesamt.2 Die Disputationslehre wurde in der Historiographie der Logik vernachlässigt; Wilhelm Risse hat sie in seiner Darstellung3 dieser Disziplin nicht mitbehandelt, in seiner Bibliographia logica4 sind Disputationshandbücher nur ausnahmsweise verzeichnet. Dabei wurde die Disputationskunst in der Prämoderne zur Logik gerechnet, nicht etwa zur Rhetorik, wie Wilfried Barner irrigerweise, aber sehr wirkungskräftig, meinte.5 „Ut declamandi exercitatio ad rhetorem pertinet, ita disputandi 1 Auf dieses Desiderat hat Hanspeter Marti, der führende Kopf der Disputationsforschung, mehrfach aufmerksam gemacht, unter anderem in ders.: Philosophieunterricht und philosophische Dissertationen im 17. und 18. Jahrhundert. In: Artisten und Philosophen. Wissenschafts- und Wirkungsgeschichte einer Fakultät vom 13. bis zum 19. Jahrhundert. Hg. von Rainer Christoph Schwinges. Basel 1999, S. 207–232, hier S. 217f. 2 Vgl. zum aktuellen Stand der Forschung auf diesem Gebiet die Einleitung zu: Rhetorik, Poetik und Ästhetik im Bildungssystem des Alten Reiches. Wissenschaftshistorische Erschließung ausgewählter Dissertationen von Universitäten und Gymnasien 1500–1800. Hg. von Hanspeter Marti, Reimund B. Sdzuj u. Robert Seidel unter Mitarbeit von Karin Marti-Weissenbach. Köln, Weimar, Wien 2017, S. 15–27. 3 Wilhelm Risse: Die Logik der Neuzeit. 2 Bde. Stuttgart-Bad Cannstatt 1964–1970. – Im Register fehlt das Stichwort ‚Disputation‘. 4 Wilhelm Risse: Bibliographia logica. Verzeichnis der Druckschriften zur Logik mit Angabe ihrer Fundorte. Bd. 1: 1472–1800. Hildesheim 1965. – In seiner Bibliographia philosophica vetus. Repertorium generale systematicum operum philosophicorum usque ad annum MDCCC typis impressorum. Partes 1–9. Hildesheim, Zürich, New York 1998, Pars 2: Logica, hat Risse einige einschlägige Handbücher verzeichnet, vgl. im Index Systematicus, S. 481, das Stichwort ‚Disputandi ratio‘ (hier fehlt, neben zahlreichen anderen Werken, auch Dannhauers Idea boni disputatoris, die indes im Haupttext, S. 271 u. ö., verzeichnet ist). 5 Wilfried Barner: Barockrhetorik. Untersuchungen zu ihren geschichtlichen Grundlagen. Tübingen 1970, S. 405, 407 u. ö. Dass die Passage, die Barner (S. 397) aus den Statuten der Tübinger Artis-

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ad Dialecticum“, heißt es etwa 1565 bei dem Straßburger Humanisten und Schulreformer Johannes Sturm (1507–1589),6 und der reformierte Danziger Philosoph und Theologe Bartholomäus Keckermann (1572–1609) stellte 1605 kategorisch fest: „ars autem disputandi Logica est, ideo disputationem Logicis regulis oportet conformari.“7 1635 versicherte der Wittenberger Professor für Logik und Metaphysik Johannes Scharf (1595– 1660): „Dialectica enim sola et unica est illa ars, quae laudabilem et fructuosam efficere potest disputationem.“8 Noch achtzig Jahre später stand für den Leipziger Philosophen, Mathematiker und Theologen Michael Gottlieb Hansch (1683–1749) fest: „Ars disputandi ad dialecticam pertinet. Hinc est, quod Augustinus Dialecticam disputandi peritiam vocat.“9 Förmliche Studien haben den Disputationshandbüchern bisher nur Ignacio Angelelli10 und vor allem Donald Leonard Felipe11 gewidmet. Die Disputationslehrbücher stehen zu den Thesendrucken und zu den mündlichen Disputationen in einem wechselnden Verhältnis. Während Thesendrucke in geradezu unüberschaubarer Zahl erhalten sind – und die Forschung vor eine gewaltige Aufgabe stellen –, ist von den mündlichen Disputationen und ihrem Verlauf in inhaltlicher Hinsicht

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tenfakultät von 1536 zum Beleg seiner Behauptung zitiert, genau das nicht hergibt, wird sofort deutlich, wenn man sie in ihrem Kontext betrachtet. In anderen Fällen verhält es sich ähnlich. Johannes Sturm: Classicarum epistolarum libri III. sive scholae Argentinenses restitutae. Straßburg 1565, Bl. 65v. Bartholomäus Keckermann: Gymnasium logicum, id est, de usu et exercitatione logicae artis absolutiori et pleniori, libri tres. (zuerst Hanau 1605) London 1606, S. 147. Keckermann fährt S. 147f. unmissverständlich fort: „Neque enim hic oportet commisceri Rhetoricas et Logicas actiones, cum disputatio tantum ad veritatem nudam et simplicem investigandam sit comparata: Rhetoricae autem declamationes pertineant ad commovendos affectus, quos ante diximus procul abesse debere à disputatione, in qua intellectus et notitia debet dominari.“ Johannes Scharf: Processus disputandi de requisitis, moribus, et principiis disputantium, cumprimis de officio opponentis, et respondentis, in usum disputantium conscriptus et editus. Wittenberg 1635, S. 152. Michael Gottlieb Hansch: Idea boni disputatoris, sive synopsis praeceptorum artis disputandi. Leipzig 1713, S. 9. – Diese Beispiele aus drei Jahrhunderten mögen für viele stehen. Dass es mannigfache Berührungspunkte zwischen beiden Disziplinen gibt, ist damit natürlich nicht in Abrede gestellt. Ihre Affinität hob schon Aristoteles mit seiner Kennzeichnung der Rhetorik als ‚Gegenstück‘ oder ‚Seitenspross‘ zur Dialektik, d. h. zur Topik, hervor. Ignacio Angelelli: The techniques of disputation in the history of logic. In: Journal of philosophy 67, 1970, S. 800–815. Donald Leonard Felipe: The post-medieval ars disputandi. Dissertation University of Texas 1991. Ann Arbor 2005; ders.: Ways of disputing and principia in 17th century German disputation handbooks. In: Disputatio 1200–1800. Form, Funktion und Wirkung eines Leitmediums universitärer Wissenskultur. Hg. von Marion Gindhart u. Ursula Kundert. Berlin, New York 2010, S. 33–61; ders.: Notes on some early disputation handbooks. In: Dichtung – Gelehrsamkeit – Disputationskultur. Festschrift für Hanspeter Marti zum 65. Geburtstag. Hg. von Reimund B. Sdzuj, Robert Seidel u. Bernd Zegowitz. Köln, Weimar, Wien 2012, S. 448–460.

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in der Regel nichts oder fast nichts überliefert,12 in den meisten Fällen sind nicht einmal die Namen der Opponenten bekannt, geschweige denn deren Einwände. Den frühneuzeitlichen Dissertationen ist – im Unterschied zur schriftlich ausgearbeiteten mittelalterlichen disputatio – die Auseinandersetzung ja nicht abzulesen. Sie bestehen aus disputablen Thesen, denen man nicht von vornherein ansehen kann, ob sie den in der Disputation vorgebrachten Gegenargumenten der Opponenten standhalten werden. Eine der wenigen Ausnahmen ist Immanuel Kants Opponentenrede zu einer am 28. Februar 1777 abgehaltenen Pro-loco-Disputation Johann Gottlieb Kreutzfelds (1745–1784); Kant hat sie auf den Durchschuss- und Textblättern des im Besitz der Universitätsbibliothek Tartu befindlichen Exemplars dieses Thesendrucks niedergeschrieben.13 Vergleichsweise besser ist die Überlieferungssituation im Falle Martin Luthers. Wie etwa von Luthers Predigten gibt es auch von mehreren seiner in den Jahren 1535 bis 1545 abgehaltenen Disputationen von Zuhörern angefertigte Nachschriften bzw. Abschriften von solchen.14 Paul Drews, der solche Disputationsnachschriften 1895 erstmals ediert hat, meinte dazu: „Manche sind von einer solchen Vollständigkeit und Genauigkeit, daß man vermuten könnte, sie seien eine Art offizielles Protokoll.“15 Aus dem 16. Jahrhundert ist aber nur eine einzige durch den Druck veröffentlichte Nachschrift bekannt (in einem kleineren, für Thesendrucke sonst unüblichen Format). Dabei handelt es sich um die Redaktion zweier Nachschriften derselben Disputation durch einen Dritten, der selbst nicht an der Disputation teilgenommen hatte.16 12 Dies ist in Abhebung von den zeremoniellen und symbolischen Aspekten der Disputationsveranstaltungen gesagt. Zum Versuch, Disputationen als rituelle Praktik zu rekonstruieren, was natürlich auch nur über sekundäre, schriftliche oder bildliche, Zeugnisse möglich ist, vgl. vor allem Marian Füssel: Gelehrtenkultur als symbolische Praxis. Rang, Ritual und Konflikt an der Universität der Frühen Neuzeit. Darmstadt 2006, S. 149–187. 13 Johann Gottlieb Kreutzfeld (Pr.) / Christian Jakob Kraus (Resp.): Dissertatio philologico-poetica de principiis fictionum generalioribus. Particula II. Königsberg 1777. Vgl. Reimund B. Sdzuj: [Nr.] 55. In: Marti, Sdzuj, Seidel (Hg.): Rhetorik, Poetik und Ästhetik im Bildungssystem des Alten Reiches (Anm. 2), S. 527‒535. – Einen weiteren Fall dokumentierte und beschrieb jüngst Ulrich Schlegelmilch: Andreas Hiltebrands Protokoll eines Disputationscollegiums zur Physiologie und Pathologie (Leiden 1604). In: Frühneuzeitliche Disputationen. Polyvalente Produktionsapparate gelehrten Wissens. Hg. von Marion Gindhart, Hanspeter Marti u. Robert Seidel unter Mitarbeit von Karin MartiWeissenbach. Köln, Weimar, Wien 2016, S. 49–88. 14 D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe (= WA). Bd. 39, Abt. 1. Weimar 1926, S. XI: „Keine der unmittelbaren Nachschriften scheint auf uns gekommen zu sein“, sondern eben nur Reinschriften von Nachschriften. Vgl. dazu insgesamt die informative Einleitung von Heinrich Hermelink in: WA, Bd. 39, Abt. 2. Weimar 1932, S. IX–XXXVII. 15 Disputationen Martin Luthers in d. J. 1535–1545 an der Universität Wittenberg gehalten. Zum ersten Male hg. von Paul Drews. Göttingen 1895, S. XLII. 16 Disputatio reverendi patris D. Martini Lutheri, de operibus legis et gratiae, cum argumentis oppositis et earundem solutionibus, bona fide collectis, per M. Albertum Christianum verbi divini ministrum Magdeburgae, ad S. Udalricum. Magdeburg 1553, Bl. A6v–A7r: „Proinde cum VVittenberge

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In den Disputationslehrbüchern geht es hingegen zumeist um die Anwendung von logischen Regeln und Verfahren, weniger um den mündlichen Akt der Disputation, obwohl jene von dessen Priorität ausgehen; zur Einrichtung von Thesenschriften äußern sie sich auffallend selten und wenn, dann nur kurz oder summarisch. Vielleicht darf man diesen letzteren Umstand als Indiz dafür werten, dass die Abfassung der Thesen, über deren Autor in der Regel keine sicheren Angaben vorliegen, überwiegend Sache der Professoren war, nicht bzw. nicht primär von Studenten, die dazu systematisch anzuleiten gewesen wären. Das kleine, Dialogistica genannte Handbuch des aus Wesel stammenden Johannes Santenus (†1650), das dieser als Konrektor des Gymnasiums seiner Heimatstadt angefertigt hat,17 bildet insofern eine Ausnahme, als das Material hier, zumindest teilweise, explizit nach der Chronologie der mündlichen disputatio gruppiert ist; auch macht Santenus etwas genauere Angaben zur Anlage einer Thesenschrift. Es muss hier offen bleiben, ob Santenus, der in Steinfurt, Herborn, Marburg und Heidelberg studiert hatte,18 bei der Titelwahl durch Clemens Timpler (1563/64–1624) angeregt wurde, der sein Logicae systema methodicum libris V. comprehensum (Hanau 1612) im fünften Buch mit einer „Logica specialis“ beendet, die als „ars bene disserendi“ zwei Teile hat: die „didascalica“ qua „doctrina bene docendi“, die in ihrem analytischen Teil eine „doctrina ministrum Christi agens ex uiri integerrimi, qui disputationi interfuit, exemplari, earundem propositionum argumenta contraria et solutiones collegissem, et hic mihi frater quidam in Christo aliud obtulisset, contuli utrunque, et operae precium me facturum iudicaui, si bona fide disputationem in ordinem redactam typis excudendam curarem, et praecipue eas argumentationes, quae spectant ad quaestionem de necessitate bonorum operum ad salutem, omissis de indistria [!] alijs uulgaribus, paucis tamen“. Vgl. Luther: WA, Bd. 39, Abt. 1, S. 198–257. Die Disputation (eine aus 45 Kurzthesen bestehende Promotionsdisputation von Petrus Palladius und dem nachmaligen Schleswiger Bischof Tilemann) hatte am 1.  Juni 1537 unter dem Vorsitz Luthers stattgefunden. Die Einwände hielten sich in keiner Weise an die Reihenfolge der Thesen. – Ausgerechnet Kenneth G. Appold: Orthodoxie als Konsensbildung. Das theologische Disputationswesen an der Universität Wittenberg zwischen 1570 und 1710. Tübingen 2004, vgl. S. 11, ist die Existenz dieser Nachschriften offenbar entgangen, Drews hat er nicht benutzt bzw. scheint er nicht zu kennen. 17 Johannes Santenus: Dialogistica seu modus disputandi scholasticus, in discipulorum logicorum usum ex praxi et excellentissimorum logicorum praescriptis collectus et concinnatus. Wesel, Dortmund 1630. 18 Vgl. die Matrikel der Hohen Schule und des Paedagogiums zu Herborn. Hg. von Gottfried Zedler u. Hans Sommer. Wiesbaden 1908, S. 59: immatrikuliert am 3. Mai 1612; Catalogus studiosorum scholae Marpurgensis per annos MDXXVII–MDCXXVIII descriptus. Hg. von Julius Caesar. Marburg 1875–1887, Teil 4, S. 66: immatrikuliert 1612; Die Matrikel der Universität Heidelberg von 1386 bis 1662. Bearb. u. hg. von Gustav Toepke. 2. Teil. Heidelberg 1886, S. 270, 476, 567: immatrikuliert am 1. Oktober 1614, Magister artium am 16. Februar 1615, ab 28. Mai 1616 Studium der Theologie. – Der Hinweis auf die Hohe Schule zu Steinfurt, deren Matrikel verloren ist, bei Adolf Kleine: Geschichte des Weseler Gymnasiums von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart. In: Gymnasium und Realprogymnasium zu Wesel. Festschrift zur Feier der Einweihung des neuen Gymnasialgebäudes am 18.  Oktober 1882. Veröffentlicht vom Lehrerkollegium. Wesel 1882, S.  91, vgl. S. 84–93.

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bene interpretandi“ ist, und eben die „dialogistica“ qua „doctrina bene disputandi“. Ein bekannteres und zugleich prägnanteres Beispiel als Santenus’ Dialogistica ist der Processus disputandi Johannes Scharfs.19 Scharf teilt in der Vorrede mit, er habe mehrere Jahre in seinen Wittenberger Topikvorlesungen den „modus disputandi“ behandelt und sich anschließend dem „processus disserendi“, also dem Disputationsakt, gewidmet.20 Dabei ging er ungewöhnlich eingehend auf die Ausarbeitung der Thesen ein.21 In diesem Zusammenhang stößt man auch auf eine Bemerkung, die zumindest für die allgemeine Beantwortung der Frage nach der Autorschaft von Dissertationen einen zusätzlichen Hinweis liefern könnte. Der Respondent, so Scharf, verteidigt Thesen, die er entweder selbst verfasst oder, verabredungsgemäß, gesammelt hat („theses, vel à se propositas, vel ex conventione collectas“).22 Andere Handbuchautoren haben sich gleichlautend geäußert,23 mitunter wurde die Unterscheidung selbstverfasst / kompiliert sogar auf die Argumente der Opponenten übertragen („In ϰατασϰευῇ argumenta vel excogitet: vel ab Authoribus petat“).24 In den frühneuzeitlichen Logiklehrbüchern sind, konfessionsübergreifend, Ausführungen zur disputatio, oftmals mit vielfältigem Bezug auf das achte Buch der aristotelischen Topica, häufig zu finden. Seit der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts tauchen ver19 Vgl. dazu Hanspeter Marti: Disputation und Dissertation. Kontinuität und Wandel im 18. Jahrhundert. In: Gindhart, Kundert (Hg.): Disputatio 1200–1800 (Anm. 11), S. 63–85, hier besonders S. 72f. 20 Scharf: Processus disputandi (Anm. 8), Bl. )(4v–)(6r: „superioribus annis in Electorali ad Albim Academiâ cepi Modum disputandi monstrare, illumque ex doctrinâ Topicâ seu dialecticâ tyronibus Logicis et studiosae juventuti publicitus praelegi. […] Postea etiam […] ad processum disputandi continuo tenore perrexi: in quo id operae dedi, ut ipsum actum disputandi exactiorem redderem, certisque legibus et regulis conformarem […]. Viam monstravimus in Topicis de modo disputandi, quâ eundum sit nunc in processu disserendi ipsi ambulantes et collocutores dirigantur oportet, ne fortè exorbitent, et devient“. 21 Ebd., S. 15–119 (korrigiert aus: 219), zu den Eigenschaften von Thesen, zu den verschiedenen Arten ihrer Anordnung und zu ihrer Auswahl. 22 Ebd., S. 122 (korrigiert aus: 222). 23 Vgl. Johann Paul Felwinger: Brevis commentatio de disputatione complectens totam methodum disputandi. Altdorf 1659, S. 8: „Respondens est, qui de thesibus vel à se propositis, vel ex conventione electis, respondet, easque propugnat“. – Felwinger (1606–1681), zeitweilig Schüler Johann Konrad Dannhauers in Altdorf, lehrte an der Academia Norica Metaphysik, Logik und Politik. 24 Johannes Botvidi: Tractatus brevis, de recta disputandi ratione, scriptus […], et cum consensu amplissimae facultatis philosophicae, in inclyta Rosarum editus. Lübeck 1614, Bl. B3v. – Der aus Norrköping stammende Botvidi (auch: Bothvidi, 1575–1635) studierte in Uppsala (1600), Marburg (1603) und Rostock (1604), von wo aus er 1616 als Kandidat der Theologie nach Schweden zurückkehrte (vgl. VD17 1:621848M). Er wirkte zunächst als Pfarrer in Uppsala, im Oktober 1617 erwarb er dort den Grad des Dr. theol., im Januar 1631 wurde er Bischof von Linköping. Sein heute kaum mehr bekanntes Disputationshandbuch scheint an der oder im Umfeld der Universität Rostock, der Academia Rosarum, mit deren Billigung es erschien, entstanden zu sein; bestimmt war es indessen „in utilitatem Scholarum Patriae carißimae“ (Bl. (2)r).

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mehrt selbstständige Disputationshandbücher auf; sie wurden vornehmlich im lutherischen Bereich angefertigt.25 Soweit bislang bekannt, stammt nur ein solches Handbuch von den Jesuiten;26 zu bedenken ist hier allerdings, dass die Studienordnungen der Jesuiten konzise Disputationsanleitungen enthielten.27 Die Ausgliederung bzw. eigenständige Behandlung eines in den Logiken üblichen Lehrstücks dürfte in mancher Hinsicht der Entwicklung der hermeneutica generalis vergleichbar sein. Freilich waren bereits auch im 16. Jahrhundert förmliche Handbücher zur Disputationstechnik nicht unbekannt, so zum Beispiel Augustinus Hunnaeus’ (1521–1577) De disputatione inter disceptantes, dialectice instituenda, libellus (Louvain 1551)28 oder Simon de Vallamberts De optimo genere disputandi colloquendique. Ad Ianum Gontaldum Bironem (Paris 1551), ein Werk,29 das, unter demselben Titel, 1608 in Freiburg nochmals herausgegeben wurde, und zwar von Joseph Lang (†1615), der einige Jahre an der Straßburger Akademie gelehrt hatte – zunächst als Klassenpräzeptor (nach Melchior Sebitz ab 1589), von 1599 bis 1600 als Professor für Logik,

25 Vgl. Felipe: Notes (Anm. 11), S. 460. – Felipe macht zwei Probleme für die Entstehung der Gattung von Disputationshandbüchern in „Lutheran circles“ verantwortlich: „1) the need to provide refutations and counterarguments in confessional disputes, 2) the need to provide educational practice and teaching with a firm theoretical foundation amid the many philosophical controversies that existed within Lutheran institutions themselves“ (ebd., S. 456). Das erklärt allerdings noch nicht das Fehlen derartiger Literatur bei den anderen Konfessionen. 26 Henricus Marcellius SJ: Ars disputandi ex optimis academicarum legibus concinnata […]. Köln 1658 (2. Auflage Dortmund 1664). – Vgl. dazu Joseph S. Freedman: Published academic disputations in the context of other information formats utilized primarily in Central Europe (c. 1550– c. 1700). In: Gindhart, Kundert (Hg.): Disputatio 1200–1800 (Anm. 11), S. 89–128, hier S. 93f. Anm. 13, und zur Vita von Marcellius (1593–1664), der ab 1648/49 an der Bamberger Akademie Theologie lehrte, Hans Schieber in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 16, 1990, S. 108f. – Die Severa disputandi methodus (Hg. von Ferdinando Nipho. Douai 1644) des Zisterziensers Juan Caramuel y Lobkowitz (1606–1682) konnte ich nicht mehr rechtzeitig einsehen. 27 Vgl. Ratio studiorum et institutiones scholasticae Societatis Jesu per Germaniam olim vigentes. Hg. von Georg Michael Pachtler. Bd. 2. Ratio studiorum ann. 1586. 1599. 1832. (Neudruck) Leipzig o. J. (ca. 1938), S. 100–107, 276–286. 28 Die zweite Auflage erschien in Rom 1553, später wurde die Schrift unter dem leicht veränderten Titel Erotemata de disputatione in überarbeiteter Fassung publiziert, zuerst Antwerpen 1563, doch immer zusammen mit Hunnaeus’ Werk über die Supposition, dem Fundamentum logices (später: Progymnasmata logices u. a.). – Dazu Freedman: Published academic disputations (Anm. 26), S. 120, Tafel 9 (referiert nach der Ausgabe von 1584). 29 Felipe: Notes (Anm. 11), S. 458, hat sie für ein Werk Langs gehalten; auch Risse: Bibliographia philosophica vetus (Anm. 4), Pars 2, S. 236, und John L. Flood: Poets laureate in the Holy Roman Empire. A bio-bibliographical handbook. Bd. 3. Berlin, New York 2006, S. 1080, haben die Herausgeberschaft Langs nicht erkannt. – Zur Biographie des Humanisten und Mediziners de Vallambert vgl. ders.: Cinq livres, de la manière de nourrir et gouverner les enfans dès leur naissance. Hg. von Colette H. Winn. Genf 2005, Introduction, S. 15–17.

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danach für Mathematik30 –, bevor er 1604 nach Freiburg ging,31 wo er zum Katholizismus konvertierte. Nicht zu vergessen ist, dass sich neben dieser Gattung der Lehrbücher zudem die Kommentierung von Topica und Sophistici elenchi bis weit ins 17. Jahrhundert hinein fortsetzte, als Separatkommentar oder im Rahmen der Kommentierung des gesamten Organon bzw. der Logica nova. Überdies waren die Disputationstheorie und das Disputieren häufig Gegenstand von Dissertationen.32 Und doch lässt die Beteuerung Georg Salzhubers, des Rektors der Stadtschule von Weimar, er habe die Mühe, ein Handbuch der Disputationsmethodik zu schreiben, nur deshalb auf sich genommen, weil die Professoren der Hohen Schulen dies bis dahin versäumt hätten,33 erkennen, dass entsprechende Anleitungen im frühen 17. Jahrhundert noch als Desiderate angesehen wurden. Schon im Winter 1538/39, gleich nach der im September 1538 erfolgten Eröffnung des protestantischen Gymnasium illustre der freien Reichsstadt Straßburg,34 das in seiner oberen Abteilung, den lectiones publicae, die Anfänge der künftigen Akademie enthielt, hatte Johannes Sturm eine Vorlesung über das achte Buch der Topica, also die aristoteli-

30 Vgl. Melchior Sebitz: Appendix chronologica. In: Straßburgischen Gymnasii christliches Jubelfest […] 1638 celebrirt und begangen. Straßburg 1641, S. 281f.; Oscar Berger-Levrault: Annales des professeurs des académies et universités alsaciennes 1523–1871. Nancy 1892, S. 133, und Tableau synoptique des cours, S. 3; Gerhard Meyer: Zu den Anfängen der Straßburger Universität. Neue Forschungsergebnisse zur Herkunft der Studentenschaft und zur verlorenen Matrikel. Aus dem Nachlaß des Verfassers hg. u. bearb. von Hans-Georg Rott u. Matthias Meyer. Hildesheim, Zürich, New York 1989, S. 215. 31 Die Matrikel der Universität Freiburg i. Br. von 1460–1656. Hg. von Hermann Mayer. 1. Bd. Freiburg/Breisgau 1907, S. 722: immatrikuliert am 9. Mai 1604. 32 Hanspeter Marti: Nov-antiquitas als Programm. Zur frühneuzeitlichen Schuldisputation an der Universität Jena (1580–1700). In: Erhard Weigel (1625–1699) und die Wissenschaften. Hg. von Klaus-Dieter Herbst. Frankfurt/Main 2013, S. 15–49, hier S. 27–33, stellt drei derartige Dissertationen über das Disputieren vor. 33 Georg Salzhuber: Methodus disputandi: hoc est, ratio et via recte et artificiose in omnibus artibus et scientiis disserendi: tradens aliquot doctrinas et regulas partim ex Aristotele; partim ex aliis probatis et classicis autoribus desumptas. Erfurt 1608, Praefatiuncula, Bl. A3r–v: „Nec est, quod dicas: Academicis haec Professoribus committenda; et privatas scholas disputandi leges non onerandas aut turbandas? […] Nam ingenue fateor: nihil gratius mihi jampridem accidere potuisse: quam si Academici ante hoc tempus hujus rei fecissent periculum; et compendiosam ac eruditam disputandi methodum publicassent, et studiosis communicassent. Quoniam autem hoc ab illis neglectum est hactenus, nescio quo consilio, aut qua Junonis ira: nec ulla in posterum etiam spes est de successu felici: nemo mihi, vel mei similibus crimini dabit: si hoc in scholis privatis curae et cordi nobis esse patiamur. Nec possum adduci, ut credam: ejusmodi progymnasmata pertinere tantum ad scholas publicas: et in privatis nullum habere usum.“ 34 Vgl. Paul Wentzcke: Die alte Universität Straßburg 1621–1793. In: Elsaß-Lothringisches Jahrbuch 17, 1938, S. 37–112; Histoire du gymnase Jean Sturm. Berceau de l’université de Strasbourg 1538– 1988. Hg. von Pierre Schang u. Georges Livet. Straßburg 1988.

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sche Disputationslehre, angekündigt.35 Sturms berühmte Programmschrift De literarum ludis recte aperiendis (1538) enthält eine kurze Anleitung zu den schulischen Disputationsübungen.36 Aus einer brieflichen Äußerung des Griechischprofessors Petrus Dasypodius (†1559) zur „discendi ratio totius Scholae Argentinensis“ aus dem Jahr 1556 geht hervor, dass regelmäßige Disputationsübungen am Straßburger Gymnasium damals vorgeschrieben und üblich waren.37 Sturm rechnete die Disputationen auch später (1565) zu den wichtigsten Arten von Übungen seines Unterrichts, wichtig vor allem für die Klärung religiöser Fragen.38 Im Zusammenhang mit den Bemühungen, das Gymnasium zur Akademie zu erheben, betonten er und der Theologe Johann Marbach (1521–1581) im Jahr 1566, dass „alle Gelärte wissen und bekennen, das in allen hochen Schulen nichts der Jugend groser notwendig ist, das auch die Schulen höher und mer zieret und berumpt machet, als eben die stete ubung des disputirens“.39 Den Statuten der Straßburger Akademie von 1568 (und ebenso den überarbeiteten Statuten von 1604)40 kann man entnehmen, dass Sturms Partitiones dialecticae als Lehrbuch in Gebrauch waren, deren zuerst 1548 erschienenes viertes Buch sich, vornehmlich am Leitfaden der aristotelischen Topik, ausführlich auch mit der collocatio dialectica, also der disputatio, befasst.41 Dem Lehrplan von 1572 (und ebenso den Statuten von 1604) zufolge wurden die Bücher 1 und 2 in der Secunda, die Bücher 3 und 4 in der Prima behandelt, deren Schüler zudem als Zuhörer an den Disputationen teilnehmen sollten.42 Die letzte vollständige Ausgabe dieses in Dialogform abgefassten Handbuches erschien 1591, herausgegeben von Johann Ludwig Hawen-

35 Vgl. Les statuts et privilèges des universités françaises depuis leur fondation jusqu’en 1789. Deuxième partie: Seizième siècle. Tome IV, fascicule I. Hg. von Marcel Fournier u. Charles Engel. Paris 1894, Nr. 1988, S. 31. 36 Johannes Sturm: De literarum ludis recte aperiendis liber. Straßburg 1538, Bl. 32r–33r. 37 Les statuts (Anm. 35), Nr. 2018, S. 70: „qui ad auscultationes publicas ex classibus aut aliunde venerunt, […] certis sunt adstricti legibus, et thematis ac argumentis a praeceptoribus acceptis sese nunc disputando nunc declamando coguntur exercere, idque in auditorum solito maiore frequentia.“ 38 Sturm: Classicarum epistolarum libri III (Anm. 6), Bl. 66r (= Les Statuts, Nr. 2031, S. 87): „Ecclesia multas et graues quaestiones habet: quas utile est disceptari in utramque partem. Sed delectu est opus: et ad disputandum nihil proponi debet, quod à scholarum praefectis non sit permissum.“ 39 Les statuts (Anm. 35), Nr. 2032, S. 94. 40 Les statuts (Anm. 35), Nr. 2047, S. 144 u. 145, Nr. 2144, S. 311. 41 Johannes Sturm: Dialectices liber tertius de demonstratione: et quartus de arte sophistarum et de collocatione dialectica. Straßburg 1548, Kapitel XVII–XXIII, Bl. 88v–119v. Die vollständige, alle vier Bücher umfassende Ausgabe erschien zuerst 1549: Partitionum dialecticarum libri quatuor. Emendati et aucti. Straßburg. Die Ausgabe von 1546 (Partitionum dialecticarum libri quatuor. Emendati et locupletati ab ipso autore) enthält tatsächlich nur die ersten beiden Bücher. – Zur Logik Sturms vgl. Risse: Die Logik der Neuzeit (Anm. 3), 1. Bd., S. 41–46. Auf das vierte Buch geht Risse nicht ein. 42 Les statuts (Anm. 35), Nr. 2065, S. 180f., und Nr. 2144, S. 311, 320f.

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reuter (1548–1618),43 einem Schüler Sturms, danach nur noch eine von Johannes Bentz (1547–1599) veranstaltete Epitome.44 In den Universitätsstatuten von 162145 werden die Partitiones dialecticae nicht mehr erwähnt. Mit der Einrichtung fester Lekturen für die aristotelische Philosophie etwa in der Mitte des 16. Jahrhunderts erfuhr diese ihre institutionelle Anerkennung.46 Mit Hawenreuters 1572 beginnender Lehrtätigkeit war das Aristotelesstudium endgültig an der Straßburger Akademie etabliert. „Nach 1600 herrschte das traditionelle Verständnis der aristotelischen Logik bereits so sehr vor, daß die Studenten wohl kaum mehr als Spuren der humanistischen Logikreform [Johannes Sturms] mitbekamen.“47 Programmatischen Antiaristotelismus hatte es unter den Straßburger Reformatoren und Humanisten nie gegeben.48 Hawenreuter, der ab 1589, als erster in Straßburg, den Lehrstuhl für Logik und Metaphysik, eine im 17. Jahrhundert auf den protestantischen Hochschulen üblich gewordene Fächerverbindung, innehatte, setzte sich nachdrücklich für das Studium der aristotelischen Quellen ein und machte, wie es später auch für Johann Konrad Dannhauer (1603–1666) charakteristisch ist, bereits intensiven

43 Johannes Sturm: Partitionum dialecticarum libri IIII. emendati et scholijs interlinearibus aucti, a Ioanne Ludovico Hawenreutero D. Straßburg 1591. – Sturm habe, so Hawenreuter in seiner Widmungsvorrede, wie kein anderer vor ihm das gesamte aristotelische Organon kompendiös zusammengefasst. Speziell Sturms Ausführungen zur Topik werden hervorgehoben: „Quae in Topicis de Problematum generibus, et disputatoris instrumentis, et ipso disputandi modo extant, suo instituto accommodauit aptißimè: et excellentis sui ingenij acumen in eo inprimis declarauit, quod cùm Aristoteles in singulis quaestionum generibus, quibus locis confirmari aut refutari poßint indicasset: ipse compendio singulos locos ad omnia Dialecticarum quaestionum genera comprobanda et refellenda applicauit“ (ebd., Bl. Aiijr). – Zu Hawenreuter vgl. Reimund B. Sdzuj in: Killy Literaturlexikon. Autoren und Werke des deutschsprachigen Kulturraumes. Hg. von Wilhelm Kühlmann. Bd. 5. Berlin, New York 2009, S. 99–101. 44 Johannes Sturm: Partitionum dialecticarum […] epitome: recognita et perspicuis exemplis illustrata a M. Ioanne Bentzio Bruxellensi. In usum scholae Argentinensis. Straßburg 1593 (21597, 31615). 45 Les statuts (Anm. 35), Nr. 2182. 46 Ebd., Nr. 2047 (Statuten von 1568, Tit. XI, S. 145). Die erste ordentliche Professur für Dialektik wurde 1563 eingerichtet. Vgl. dazu die unschätzbare Studie von Anton Schindling: Humanistische Hochschule und freie Reichsstadt. Gymnasium und Akademie in Straßburg 1538–1621. Wiesbaden 1977, S. 236f. 47 Schindling: Humanistische Hochschule (Anm. 46), S. 241f. 48 Ebd., S. 236. – Auf die humanistische Kritik an der scholastischen Disputation gehe ich im Rahmen der vorliegenden Untersuchung nicht ein. Es spricht viel dafür, dass diese Kritik keine grundsätzliche Ablehnung dieser Unterrichtsform bedeutete, sondern auf ‚Verfestigungen‘ der Disputation im Spätmittelalter reagierte. Vgl. die interessanten Überlegungen dazu von Olga Weijers: The various kinds of disputation in the faculties of arts, theology and law (c.1200–1400). In: Gindhart, Kundert (Hg.): Disputatio 1200–1800 (Anm. 11), S. 21–31, hier S. 31: „It is possible that during the 15th century the disputation became a mere technique that lacks flexibility, a kind of automatism of always repeating the same argument scheme. It probably lost the element of research that was so important in the 13th and 14th centuries.“

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Gebrauch von den spätscholastischen, auch den jesuitischen Aristoteleskommentaren.49 Hawenreuters in größerer Zahl überlieferte Dissertationen zeugen von einer regen Disputationstätigkeit, ein Disputationshandbuch hat er jedoch nicht verfasst. Ein solches Handbuch gibt es auch von seinem Schüler und Mitarbeiter Daniel Rixinger (1561–1633) nicht, der als Nachfolger des oben erwähnten Joseph Lang ab 1600 bis zu seinem Tod Logik, ab 1605 auch Metaphysik lehrte50 und bei dem Dannhauer diese beiden Fächer studierte. Von Rixinger sind, abgesehen von einer gegen den Molsheimer Jesuiten Martin Vauthier (1572–1622) gerichteten theologischen Kontroversschrift und diversen Widmungsgedichten, nur Dissertationen überliefert, und zwar vornehmlich zu den beiden von ihm vertretenen Lehrgebieten. Nach den Akademiestatuten von 1604 hatte der Dialektikprofessor täglich über das aristotelische Organon zu lesen, zudem gelegentlich über die Metaphysik oder einen platonischen Dialog.51 Von den Organonvorlesungen der Straßburger Professoren ist allerdings keine einzige erhalten geblieben.52 Rixinger hat zwar, wie erwähnt, kein Disputationslehrbuch geschrieben, er hat sich aber im Rahmen einer Reihe von neun öffentlichen Übungsdisputationen über alle Teile der aristotelischen Logik, die er zwischen November 1612 und März 1613 abhalten ließ,53 zusammenhängend auch zur Methodik der Disputation geäußert. Diese Ausführungen zur „disquisitio“ und zu der dieser entgegengesetzten „vitiosa disserendi ratio“ in den Dispu49 Zur ‚unbedenklichen Aneignung‘ der katholischen Scholastik im protestantischen Raum vgl. Emil Weber: Die philosophische Scholastik des deutschen Protestantismus im Zeitalter der Orthodoxie. Leipzig 1907, S. 45. 50 Berger-Levrault: Annales (Anm. 30), S. 198, und Tableau, S. 3 u. 5; Frank Muller in: Nouveau dictionnaire de biographie alsacienne. Fascicule  31. Straßburg 1998, S.  3250. – Der aus Straßburg stammende Daniel Rixinger wurde 1582 an der heimischen Akademie zum Bakkalar, 1584 zum Magister artium promoviert und am 1. Januar 1591 in die Rostocker philosophische Fakultät aufgenommen. Von 1595 bis 1597 war er Rektor in Durlach, danach zunächst Klassenpräzeptor, ab 1600 Professor für Logik und Metaphysik in Straßburg; 1602 erwarb er in Basel den Grad des Dr. med. 51 Les statuts (Anm. 35), Nr. 2144, Tit. XVIII, S. 311; bestätigt in den Statuten von 1621, Nr. 2182, Tit. XX, S. 425. 52 Schindling: Humanistische Hochschule (Anm. 46), S. 241. – Eine vierbändige Sammlung von Straßburger Programmata, einst im Besitz der Bibliothek des wissenschaftlichen Institutes der ElsaßLothringer im Reich in Frankfurt/Main, bevor sie 1944 durch Kriegseinwirkung vernichtet wurde, enthielt unter anderem Disputations- und Lektionskataloge der hier interessierenden Zeit. Leider gibt es von diesen verlorenen Quellen nur die vagen, zum Teil wertlosen Angaben, die Gerhard Meyer 1926 in seiner Dissertation über Die Entwicklung der Straßburger Universität aus dem Gymnasium und der Akademie des Johann Sturm (Nachdruck in: ders.: Zu den Anfängen, Anm. 30, S. 155– [262], hier S.  257, vgl. S.  31f. die Inhaltsübersicht der vier Bände) gemacht hat, vgl. besonders S. 191–205, Teil I, Kapitel II, § 3. „Die Disputation“. 53 Daniel Rixinger (Pr.) / Hieronymus Weixelberger [Jeremias Klohius] (Resp.): Logicae Aristotelicae, compendiose traditae, disputatio I [–II]. Straßburg 1612; ab der dritten Disputationsschrift lautet der Haupttitel: Compendii logicae Aristotelicae disputatio […]. Straßburg 1612–1613. Die Namen der Respondenten der Disputationen III bis IX werden hier aus Platzgründen weggelassen.

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tationen 6 bis 9 – sie beziehen sich auf Topik und Sophistische Widerlegungen, ohne deren fortlaufender Kommentar zu sein – hätten sich leicht ausgliedern und zu einem Handbuch umarbeiten lassen, was an sich nicht ungewöhnlich gewesen wäre, gingen doch viele frühneuzeitliche Lehrbücher aus Disputationsreihen hervor. Rixinger behandelt zuerst Prädikabilien und Kategorien (Disputatio I) qua „principia orationis verae atque falsae“ und wendet sich dann den vier Arten der „oratio vera“ zu: (1) „enunciatum“ (Aussagenlehre: Disputatio II), (2) „syllogismus“ (Erste Analytiken: Disputatio III und IV), (3) „scientia“ (Zweite Analytiken: Disputatio V) und eben (4) „disquisitio“ (Disputatio VI–VIII), an die sich die Bemerkungen zu den Zielen und Mitteln der Sophisten anschließen und wie man diesen begegnet (Disputatio IX). Während er in den Disputationen 6 und 7 die Instrumente bzw. principia der disquisitio erläutert (die dialektische These,54 Syllogismus und Induktion als Formen der disceptio sowie die den Arten der Fragen akkommodierten loci),55 geht es ihm in den 81 Kurzthesen der achten Disputation um die als „probabilis disceptio“ verstandene disquisitio selbst und genauer um die methodischen Regeln für diejenigen, die sich nicht in einem Gespräch zwischen Lehrenden und Lernenden oder in einem Streit befinden, sondern Argumente zur Ermittlung der Wahrheit austauschen.56 In vier Abschnitten („informatione interrogantis“, „institutione respondentis“, „expositione rationis reprehendendi objecta“ und „exercitationis instituendae explicatione“) behandelt Rixinger im Einzelnen die Findung und Bildung von Gegenargumenten, die Aufgaben des Respondenten, von beiden Parteien anwendbare Verfahren der Widerlegung von Einwänden sowie allgemeine Empfehlungen vorbereitender Art.57 Wie schon Sturm schenkt er den Verschleierungstaktiken und Ablenkungsmanövern als legitimen Mitteln der Auseinandersetzung ausführlich Beachtung. Explizit thematisiert er auch die Vertagung der Sache und damit die Möglichkeit der (vorläufigen) Nichtentscheidung einer Disputation 54 Daniel Rixinger (Pr.) / Georg Nagel (Resp.): Compendii logicae Aristotelicae disputatio sexta. De quartae speciei orationis logicae principiis primis, de instrumentis parandae copiae propositionum, modis constituendarum quaestionum, locis inventionis, et horum ad modos duos priores applicatione (13.  Februar). Straßburg 1613, Bl.  A2v, These  IX: „Θέσις positio dialectica esse dicitur ὑπόληψις praesumptio seu sententia παράδοξος, repugnans opinioni communi, probata tamen alicui eorum, qui inter Philosophos clari sunt.“ 55 Ebd., Bl. A3v, These XXI: „Haec in disputationibus ita sunt adhibenda, ut in contemplatione philosophicâ veritatem, in dialecticâ autem opinionem, et sententiam eorum, quibus cum de rebus conferimus, spectemus, ijsque concludamus, quae adversario probari novimus.“ 56 Daniel Rixinger (Pr.) / Andreas Schilling (Resp.): Compendii logicae Aristotelicae disputatio octava. De ipsa forma disquisitionis seu rationis probabilibus disserendi (3. März). Straßburg 1613, Bl. A2r, These III: „notandum hic esse genera tria eorum, sermones qui conferunt, quorum primo continentur docentes et discentes, secundo ἀγωνιζόμενοι certantes seu contendentes, tertiò conferentes rationes indagandae veritatis gratiâ“. 57 Ebd., Bl. B3r, These LXXIII: „definitionum et propositionum earum quae communiter probantur, copia paranda est“; Bl.  B3v, These  LXXIX: als Zuhörer aus Disputationen lernen; These  LXXX: nicht leichtfertig mit beliebigen Personen disputieren.

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(„rejectio difficultatis in tempus“).58 Auffällig ist das völlige Fehlen von theologischen Rücksichten und Exempla in dieser ganzen Disputationsreihe. Dies Letztere wird sich bei Dannhauer, dem diese Disputationsreihe Rixingers bekannt war, grundlegend ändern. Dannhauer, über dessen – hier nur sehr knapp skizzierten – Lebenslauf wir gut unterrichtet sind,59 absolvierte in Straßburg sein philosophisches Studium in schularistotelischer Logik und Metaphysik bei Rixinger. 1619 erlangte er an der Akademie das Bakkalaureat,60 1621 wurde er zum Magister promoviert61 und 1622 zum Dichter gekrönt.62 1624 nahm er das Studium der Theologie auf. Dieses setzte er an den Universitäten in Marburg63, Altdorf64 und Jena65 fort, wo er auch selbst Privatvorlesungen hielt. 1628 wurde er als Inspektor des Predigerseminars nach Straßburg zurückberufen und dort Anfang März 1629 zum Professor für Beredsamkeit ernannt,66 als Nachfolger von Matthias Bernegger (1582–1640), der diese Professur seit dem Sommer 1626 bekleidet hatte. 1633 wechselte Dannhauer auf einen theologischen Lehrstuhl; den theologischen Doktor-

58 Ebd., Bl. B2v, These LXVIII: „In tempus culpa transfertur, cum res, quae discutienda est considerationis longioris, gravioris et difficilioris esse dicitur quam quae absolvi pro tempore possit, atque hoc modo disputatio abrumpitur.“ 59 Vgl. Johann Georg Wetzel: Unsers Herrn Jesu Hirten Trew. In einer Leich-Predigt bey trauriger Begräbnuß […] deß […] hochgelährten Herrn Johann Conrad Dannhawers […]. Straßburg 1667, und das angehängte Funeralprogramm: Rector Universitatis Argentoratensis Jacobus Schaller […] civibus academicis S. P. D. (auf diesen beiden Schriften fußen die meisten späteren biographischen Darstellungen); Werner Westphal in: Nouveau dictionnaire de biographie alsacienne. Fascicule 7. Straßburg 1986, S. 576f.; Wilhelm Kühlmann in: Killy Literaturlexikon (Anm. 43), Bd. 2. Berlin, New York 2008, S. 552f. 60 Meyer: Zu den Anfängen (Anm. 30), S. 54. 61 Die alten Matrikeln der Universität Strassburg 1621 bis 1793. Bearb. von Gustav C. Knod. Bd. 1: Die allgemeinen Matrikeln und die Matrikeln der Philosophischen und Theologischen Facultät. Straßburg 1897, S. 518 (Matricula candidatorum magisterii seu doctoratus philosophici). 62 Ebd., S. 586 (Matricula candidatorum laureae poeticae). 63 Catalogi studiosorum scholae Marpurgensis cum annalibus brevibus coniuncti particula decima quarta. In: Diem natalem augustissimi et potentissimi imperatoris ac regis Guilelmi I. Ab academia Marburgensi […] celebrandum indicit Carolus Iulius Caesar. Marburg 1886, S. 4: immatrikuliert am 4. Oktober 1625. 64 Die Matrikel der Universität Altdorf. Hg. von Elias von Steinmeyer. Würzburg 1912, Teil 1, S. 197: immatrikuliert am 30. September 1626. 65 Die Matrikel der Universität Jena. Bearb. von Georg Mentz u. Reinhold Jauernig. Bd. 1. Jena 1944, S. 75: immatrikuliert im Sommersemester 1627. 66 Wilhelm Horning: Der Strassburger Universitäts-Professor, Münsterprediger und Präsident des Kirchenkonvents Dr. Johann Conrad Dannhauer geschildert nach unbenützten Druckschriften und Manuscripten aus dem 17. Jahrhundert. Straßburg 1883, S. 9.

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grad erwarb er erst im folgenden Jahr.67 Seine frühen, philosophischen Schriften,68 von denen mehrere, auch außerhalb Straßburgs, sehr erfolgreich waren, erwuchsen aus dem akademischen Unterricht. Dazu zählt auch die Idea boni disputatoris et malitiosi sophistae, die aus einer Logikvorlesung hervorgegangen ist, die Dannhauer in Jena gehalten hatte.69 Das Buch erlebte fünf Auflagen, die alle in Straßburg erschienen (1629, 21632 [leicht umgearbeitete, d. h. teils gekürzte, teils erweiterte und um Inhaltsverzeichnis und Sachregister ergänzte Ausgabe], 31647, 31648 [zwei Drucke mit unterschiedlicher Zier-Vignette], 41656 und 51674). Die Disputationslehre gehört (auch) für Dannhauer fraglos zur Logik, die er als Instrumentaldisziplin versteht: Die richtig angewandte Logik ist als „τρόπος ἐπιστήμης in omni scibili vestigando“ (29)70 das Instrument, „quô de veritate inventâ reddaris certus“ (4). Dabei hat er insbesondere diejenigen theologischen Wahrheiten im Blick, die zu kennen Gott vom Menschen verlange. Seine Ausführungen bezeichnet er selbst (in der Dedicatio) ausdrücklich als „logicae observationes“, mit denen er jedoch keine vollständige Logik habe entwerfen wollen.71 Es gibt jedenfalls keinen Anhaltspunkt, der es rechtfertigte, dieses Werk als ‚Lehrbuch der Rhetorik‘72 zu apostrophieren. Dannhauer teilt mit, er preise den Tag, an dem er Aristoteles und dessen Organon kennen gelernt habe (30), denn man bedürfe eines Lehrers gerade in der Philosophie, verfüge diese doch, anders als Theo-

67 Die alten Matrikeln der Universität Strassburg (Anm. 61), Bd. 1, S. 702 (Series eorum qui pro impetrandis supremis honoribus in facultate theologica nomina sua matriculae collegii theologorum […] inscripserunt): immatrikuliert am. 21. Juni 1633 („M. Johannes Conradus Dannhawer, P. L., SS. Theol. Prof. designatus“). 68 Vgl. das umfangreiche, aber noch unvollständige Schriftenverzeichnis in: Johann Konrad Dannhauer: Idea boni disputatoris et malitiosi sophistae […]. Mit einer Einleitung hg. von Walter Sparn. Unter Mitwirkung von Heiner Kücherer, Stephan Meier-Oeser u. Markus Matthias. Hildesheim, Zürich, New York 2010 (Reprint der 4. Auflage 1656), S. L–LX. 69 Johann Konrad Dannhauer: Idea boni disputatoris et malitiosi sophistae, exhibens artificium, non solum rite et stratagematice disputandi; sed fontes solutionum aperiens, e quibus quodvis spinosissimum sophisma dilui possit. Straßburg 1629, Widmungsvorrede, Bl. (:)3r: „has olim, quas typo nunc descriptas exhibeo, logicas observationes JENAE praelegi.“ Dannhauer widmete das Handbuch fünf seiner ehemaligen Jenaer Studenten, von denen zwei, Johann Friedrich Lerchenfelder und Georg Sigismund Adler, ab April bzw. Juni 1631 in Straßburg Jura studierten. 70 Zitate aus (der hier benutzten ersten Auflage) der Idea boni disputatoris und Verweise darauf belege ich mit einfacher Seitenangabe im laufenden Text bzw. in den Fußnoten. 71 „artificium Analyticum seu disputatorium (neque enim mens est integram logicam recudere) conscribere placuit, quo Tyrones adjuti non in philosophiâ solùm, sed et superioribus Facultatibus rectè progredi, bene disputare, omnem item Sophisticam emasculare feliciter, doceantur“ (5). 72 Vgl. Johannes Wallmann: Straßburger lutherische Orthodoxie im 17. Jahrhundert: Johann Conrad Dannhauer. Versuch einer Annäherung. In: Revue d’histoire et de philosophie religieuses 68, 1988, S. 55–71, hier S. 62f., unter Berufung auf Barner.

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logie und Recht, über kein schriftliches principium.73 Anders als für viele Peripatetiker konnte für ihn jedoch die aristotelische Philosophie schon deshalb nicht Prinzip der Philosophie sein, weil er sie nicht für in jeder Beziehung vollständig hielt. Dies, so fährt er fort, hätte der ‚bescheidene‘ und ‚unparteiische‘ Aristoteles (vgl. 30f.) selbst übrigens ohne weiteres eingeräumt. Das Buch ist, wie schon der Titel zu erkennen gibt, zweigeteilt, der erste Teil (7–128) beschreibt das logische Instrumentarium guten Disputierens, der deutlich umfangreichere zweite (129–382) dasjenige des Entkräftens sophistischer Argumentation.74 Die scheinbar einfache moralische Opposition von gutem Disputator und arglistigem Sophisten wird allerdings noch eine nicht unwesentliche Differenzierung erfahren. Die zu seiner Zeit nicht unumstrittene Frage nach der Berechtigung, ja der Notwendigkeit von Disputationen75 beantwortet Dannhauer, der bald zu einem der bedeutendsten Kontroverstheologen seiner Zeit werden sollte, entschieden affirmativ. Die Disputationsfähigkeit gehört für ihn überhaupt zur natürlichen Ausstattung des Menschen als eines kommunikativen Wesens. Da schon über die alltäglichsten Dinge (wie den Ölpreis) Uneinigkeit herrsche, seien Kontroversen natürlich und notwendig. Disputationen führen nicht an sich zu Streit und Unordnung, solche „turbae“ (8) sollen sich erst aus den sie begleitenden Affekten ergeben, von denen – mit Ausnahme der Wahrheitsliebe („Zelus veritatis“, 41) – Disputierende eben frei sein müssten. Speziell Religionsdisputationen politisch zu verbieten wäre so, als ob man Kranken die Medizin verweigerte, ja, die Bibel fordere jene geradezu. Und in diesem Zusammenhang taucht auch die im Titel des vorliegenden Aufsatzes zitierte Formulierung auf, die vollständig lautet: „mandatum esse officium elencticum, quod disputando exeritur iis, qui in statu hieratico versantur“ (9). Das von ihm auf die Bibel zurückgeführte Gebot des Widerlegens bzw. der Disputation be73 „Felix ille cui fidelis praeceptor contingit, non minus enim hoc Dei donum est, quàm ipsa ejus doctrina. Praeceptoris assistentia, in omni scientiâ ediscendâ perquàm est utilis: utilior in philosophiâ, cujus principium nullis literis descriptum legitur, sed ipsi naturae inhaeret, quae tamen sopita jacet tàm diu, donec folliculo aliquo forinsecus excitetur“ (29). 74 Stephan Meier-Oeser: Einleitung (zu dem in Anm. 68 genannten Reprint der Idea boni disputatoris), S. XI–XIV, bietet eine knappe, gut orientierende Zusammenfassung der Schrift, Felipe: The postmedieval ars disputandi (Anm. 11), S. 107–112, 214–232, und ders.: Ways of disputing (Anm. 11), S. 50–56, behandelt einige ausgewählte systematische Aspekte, vor allem die Prinzipien- und die Beweislastproblematik. 75 Die vermeintlich destruktiven Wirkungen der scholastischen Disputation hatte im protestantischen Lager vornehmlich Balthasar Meisner (1587–1626) scharf kritisiert, vgl. ders.: Dissertatio de antiqua vitiosa, theologice disputandi ratione, a scholasticis primum imprudenter introducta, a Luthero ex scholis utiliter educta, a Jesuwitis infeliciter reducta: in anniversaria festivitate academica admodum reverendi collegii theologici Tubingensis, mense Augusto, valedictionis ergo recitata […]. Gießen 1611. – Zu Meisner vgl. Hermann Schüling: Die Geschichte der axiomatischen Methode im 16. und beginnenden 17. Jahrhundert (Wandlung der Wissenschaftsauffassung). Hildesheim, New York 1969, S. 80f.

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zieht Dannhauer also unmittelbar auf die Geistlichen; das Recht, sich an religiösen Kontroversen zu beteiligen, will er aber auch den Laien nicht absprechen. Die Disputationsnotwendigkeit und ein bestimmten formalen Regeln gehorchendes Disputationswesen begründet er aber vornehmlich theologisch-dogmatisch: Die Wahrheitserkenntnis des durch die Erbsünde geschädigten Menschen erfolgt nicht mehr so natürlich wie das Sehen: „veritas enim sine disquisitione praeviâ vix acquiritur, quod λύσις τῆς ἀπορίας sit ἕυρεσις τῆς ἀληϑείας“ (7f.). Eben daraus leitet er die Notwendigkeit eines „artificium Analyticum seu disputatorium“ (5) ab, das er mit seinem Traktat an die Hand geben will. Schon Keckermann hatte in diesem Sinn geschrieben, „disputatio non est actio naturalis, vt edere, bibere, currere, sed artificialis: ideo etiam non regitur arbitrio nostro, sed certis praeceptis et normis, quos ars praescribit“.76 Auch für Dannhauer ist eine Disputation, in der man, wie er hier ohne Angabe seiner Quelle sagt, durch die Auflösung eines Problems die Wahrheit finde,77 eine höchst artifizielle Einrichtung. Genau wie im Fall der Hermeneutik ist er auch im Hinblick auf das angestrebte „disputare logicè“ (13) der Überzeugung, dass die bloße logica naturalis allein, also das angeborene, natürliche logische Vermögen, dafür – anders als die in den Schulen übliche syllogistische Disputationsweise – gerade nicht genügt.78 Die generelle Kritik Valentin Weigels (1533–1588) bzw. der Weigelianer79 am überlieferten, polemisch mit dem sophistischen gleichgesetzten syllogistischen Modus des Disputierens (vgl. 265) weist er demzufolge zurück. Das Postulat, die Auseinandersetzungen in den oberen Fakultäten „ad amußim logicam“ (14) zu analysieren, heißt für ihn freilich nicht, für die Logik die Entscheidungskompetenz über materiale Kontroversen zu beanspruchen: „non hoc nos dicere dialecticam normam esse scripturae S. aut Theologiae quâ talis est, sed consequentiarum, collectionum et: quae ab hominibus fiunt […] non imperat logica sed indicat“ (16). Die Logik ist kein eigenständiges Wissensprinzip, mit dem man die Prinzipien anderer Disziplinen beurteilen könnte, ihr wird nur ein formales Urteil zugebilligt.

76 Keckermann: Gymnasium logicum (Anm. 7), S. 147. 77 Dannhauer zitiert aus der Nikomachischen Ethik, Buch VII, Kapitel 4 (1146b 7): „ἡ γὰρ λύσις τῆς ἀπορίας ἕυρεσίς ἐστιν“. 78 „semper autem certius, expeditius et promtius agit qui ex habitu agit, quam qui soli suae naturae fidit“ (15); „eo disputandi artificio utamur, quod nunc in scholis nostris receptum et frequentatum est, syllogistico nimirum“ (17). 79 Vgl. etwa Valentin Weigel: Libellus disputatorius. Das ist ein Disputation-Büchlein/ spöttlicher Weyse schamroth zu machen/ und zu widerlegen alle Disputanten und gelehrten/ die wider daß Liecht der Natur studieren/ und de vero modo cognoscendi nichts wissen. [Vorrede von Jonas von Strein] Newenstadt (d.i. vermutl. Halle/Saale) 1618. Auf dieses „Disputirbüchlein“ bezieht sich Dannhauer auch in seiner Polemosophia seu dialectica sacra. Straßburg 1648, S. 9f. – Fritz Lieb: Valentin Weigels Kommentar zur Schöpfungsgeschichte und das Schrifttum seines Schülers Benedikt Biedermann. Eine literarkritische Untersuchung zur mystischen Theologie des 16.  Jahrhunderts. Zürich 1962, schreibt die Verfasserschaft des ‚Libellus disputatorius‘ Biedermann zu.

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Nach allem bisher Gesagten ist es nicht mehr verwunderlich, dass Dannhauer seinen guten Disputator als Analytiker konzipiert und einen klaren Unterschied macht zwischen den Disputationen des Dialektikers auf der einen und denen des Analytikers auf der anderen Seite. Schon allein deshalb führt Barners Rhetorikthese völlig in die Irre. Der Dialektiker erzeugt, gestützt auf topische, also nur probable Argumente und, wie der Redner, mit Hilfe des Enthymems bloßes Meinungswissen.80 Vom Analytiker verlangt Dannhauer hingegen im Blick auf die Kontroversen insbesondere, aber nicht nur der oberen Fakultäten streng syllogistisches Disputieren („quo certissimè concludas, quô ex veris nunquam possis falsum inferre, si scilicet in formam non sis injurius et verissimas praemissas posueris quas nemo negare possit“, 25). Die ältere Fragemethode wird damit gegenüber der syllogistischen klar herabgestuft, bleibt aber ein auch weiterhin in bestimmten Grenzen anwendbarer dialektischer Disputationsmodus („sine syllogismo dialecticus solùm interrogando disputare potest“, 21), als Vorübung für den Ernstfall etwa („inserviat […] πρὸς γυμνασίαν sive praeexercitamentum, quâ animi praeparantur ad serium certamen“, 89). Die Betonung der richtigen Form des Schließens ist aber nur das eine, ebenso wichtig ist sein Insistieren auf der Möglichkeit sicherer, apodiktischer Wahrheitserkenntnis. Man kann daran ablesen, dass Disputation und Beweis nach lutherischem Verständnis einander nicht etwa von Natur aus fremd sind.81 Im lutherischen Bereich, doch nicht nur dort, wird die eigene, dem Anspruch nach ausschließlich auf der Bibel und damit eben nicht auf menschlichen Traditionen basierende Theologie mit dem demonstrativen Verfahren gleichgesetzt: Im Unterschied zum Dialektiker, der nur wahrscheinliche Argumente benutzt,82 die nicht zu evidentem Wissen führen („quae non pariunt evidentem scientiam sed solùm opinionem imò saepe falsitatem“, 88) und mit denen man in einer wirklich entscheidenden Auseinandersetzung („in pugnâ decretoriâ“) nicht bestehen kann,83 stützt sich der Beweisende auf notwendig wahre Prinzipien, die nur die Bibel biete. Durch die Anwendung der richtigen Instrumente soll dieser seiner evangelischen Lehre unerschütterliche Gewissheit „citra erroris lapsum“ (3) verleihen können. Dass auch auf reformierter Seite in diesem Willen zur endgültigen Beendigung des Zweifelns und bloßen Meinens das entscheidende 80 „quae ex principiis remotis et maximis dialecticis fidem facere conantur, sed assequuntur pro fine solam opinionem et ludicrae sunt atque προγυμναστιϰαὶ non seriae. Hae, perinde ut rhetores, utuntur enthymematibus, exemplis et aliis non necessariò stringentibus ratiocinijs“ (21); „enthymema […] saepè ex verô elicit falsum, unde dialectico et rhetori, qui opinionem spectant, magis inservit quàm analytico“ (25). 81 Vgl. dazu Schüling: Die Geschichte der axiomatischen Methode (Anm. 75), hier besonders S. 70f. 82 „Dialectici porrò principia sunt τὰ ἔνδοξα, quae vulgò tanquam vera recepta sunt, quae qui negat, non is quidem illicò falsitatis sed absurditatis poscitur, quod statuat παράδοξον. Ejusmodi verò ἔνδοξα sunt e. g. proverbia, parabolae, versus sententiosi, χρεῖαι, principia etiam necessariò vera, quae quod tantae veritatis sint, disputator dialecticus saepe nescit, quia eatenus solùm ijs utitur, quatenus novit cum vulgi opinione ea consentire“ (87). 83 „Vana denique eorum persuasio est, qui è locis Topicis argumenta se habere posse, quibus in pugnâ decretoriâ et seriâ stare queant sperant“ (92f.).

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Motiv beim Gebrauch der Logik lag, wird deutlich, wenn Claude Aubery (†1596), seit 1576 Philosophieprofessor an der Akademie in Lausanne,84 in seinem Organonkommentar versichert, Gott hätte dem Menschen das Erkenntnisvermögen nutzloserweise gegeben, wenn dieser niemals über Meinungen hinaus zur unverrückbaren Wahrheit gelangen würde. Die Logik, das Werkzeug aller Disziplinen zur Gewinnung unbezweifelbaren Wissens, könnten freilich nur diejenigen richtig handhaben, die wahres Wissen (scientia) von Meinungswissen (opinio) genauestens unterscheiden.85 Dannhauer hätte sein zentrales Anliegen gewiss bei Aubery wiedererkannt, wenn es bei diesem heißt: „Theologus Analyticè vnam duntaxat partem contradictionis tractandam et tuendam suscipiet, nempe Partem contradictionis Veram et Necessariam. At Dialecticus vtramque partem contradictionis, tam Veram, quàm Falsam dialecticè et probabiliter tractandam et tuendam suscipiet“.86 Ein ganz eigenes, hier freilich nicht weiter zu verfolgendes Problem erkennt Dannhauer in der – nach seiner Überzeugung ebenfalls möglichen – zweifelsfreien Ermittlung des Sinns der Worte schriftlich fixierter ‚Prinzipien‘ (Bibel, Corpus iuris) und skizziert auch schon das Programm seiner hermeneutica generalis (22–25), deren baldiges Erscheinen er am Ende seiner Abhandlung in Aussicht stellt („Lucem autem σὺν ϑεῷ propediem quoque videbit Idea Boni Et Malitiosi Interpretis“, 382). Es ist unübersehbar, dass die Relation zwischen der Idea boni disputatoris et malitiosi sophistae und der Idea boni interpretis et malitiosi calumniatoris (Straßburg 1630) weitgehend derjenigen zwischen den beiden oben erwähnten Teilen „didascalica“ und „dialogistica“ der Logica specialis in Timplers Logicae systema methodicum entspricht. Dannhauer stellte seinen beiden Idea-Schriften später noch zwei theologische Pendants an die Seite: die Polemosophia seu dialectica sacra in qua methodus theologice disputandi […] monstratur: sophistica disputandi Κυβεία […] exenteratur (Straßburg 1648) und die Hermeneutica sacra (Straßburg 1654). Wird nun ein principium in der angegebenen Weise als notwendig wahr definiert, als „sententia verissima“ und „notissima“ (33), dann kann es, im Unterschied zu einem topi84 Vgl. Die Matrikel der Universität Basel. Hg. von Hans Georg Wackernagel. Bd. 2. Basel 1956, S. 223. 85 Claudius Alberius: Organon. Id est: instrumentum doctrinarum omnium: in duas partes divisum. Nempe, in analyticum eruditionis modum, et dialecticam: sive methodum disputandi in utramque partem. Morges 1584, Widmungsepistel, Bl. ¶ijv–¶iijr: „Quantus et quàm necessarius sit vsus INSTRVMENTI DOCTRINARVM OMNIVM in scientiis et artibus omnibus, perspectum est illis solis, qui SCIENTIAM ab OPINIONE sic distinguunt, vt Scientiae VNAM EAMQVE POTIOREM: Opinioni et Disputationibus in vtramque partem, ALTERAM INSTRVMENTI PARTEM aßignent. Cum enim DEVS OPT. MAX. intelligendi et ratiocinandi facultates homini non frustra dederit (quas certè frustra dedisset, si dubitare et opinari duntaxat liceret) non sunt ferendi illi, qui nos semper opinatores esse volunt, quique vt ad scientiam vllam perueniamus, fieri posse negant. Proinde haec est DIGNITAS INSTRVMENTI DOCTRINARVM OMNIVM, vt VTRAQVE PARS, nempe tum ANALYTICVS ERVDITIONIS MODVS, tum etiam METHODVS DISPVTANDI IN VTRAMQVE PARTEM, accuratißimè distinguantur et exponantur.“ 86 Ebd., S. 3.

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schen Argument, vernünftigerweise nicht negiert werden. Für einen Lutheraner erfüllt das (Schrift-)Prinzip der eigenen Theologie „Quicquid scriptura S. affirmat id sine dubio verum est“ (36) diese auf die Analytica posteriora zurückgehenden Kriterien. Anders ist es dort, wo etwas sophistisch als Prinzip ausgegeben wird, aber keines ist, sondern nur eine Schlussfolgerung, die bestritten werden kann. Den möglichen Gegenstand einer Disputation bilden deshalb für Dannhauer „conclusiones et principia nomine tenus talia“, allgemeiner mit Aristoteles’ Topica, I, 11, formuliert: „omnem thesin in disputationem venire posse […] de quâ dubitare poßit egens argumentis, non poenâ aut sensu“ (37). Zwar versieht Dannhauer die Disputationsinhalte nicht explizit mit einem Zeitindex, doch würde man wohl kaum fehlgehen in der Annahme, dass er entsprechenden, in anderen zeitgenössischen Handbüchern häufig zu findenden Postulaten seine Zustimmung nicht verweigert hätte: „Materia disputationis eiusmodi deligatur, quae hodie sit controuersa“,87 „conveniens est [sc. thesis], […] si est controversa, maximè nostro seculo: […] Quare pessimam consvetudinem esse judicamus, […] sepultasque ante multa secula controversias, quasi ab orco revocare“,88 oder „Theses autem sint accommodatae oportet […] ad tempora praesentium: tempori inserviendum est“.89 Von einem Verbot schwieriger Fragestellungen (wie etwa „Utrum Sol adureret manus si quis ei prope esset?“, 38) will Dannhauer dabei nichts wissen, sofern sie sich nicht auf schlechterdings unerkennbare Dinge beziehen. Ansonsten schätzt er sie ausdrücklich, weil der Mensch daran seine Fähigkeiten erproben könne und als Möglichkeiten, die Natur- und Gotteserkenntnis zu vergrößern.90 Hierher gehört auch seine Rechtfertigung des Gebrauchs der Schulterminologie: Wenn man die Dinge klar bezeichnen will, kommt man in den Disziplinen nicht umhin, Fachausdrücke wie „essentia entitas quidditas etc.“ (44) einzuführen; diese haben längst Bürgerrecht in der lateinischen Sprache erlangt, sprachästhetische Rücksichten („à delicatulis quibusdam Ciceronis mancipiis“, 44) haben für ihn jedenfalls zurückzustehen. Von einer dezidierten „Abwendung von den scholastischen Subtilitäten“91 kann gerade bei Dannhauer keine Rede sein, der in seinen für den akademischen Unterricht verfassten Werken die Lehrstücke der spätscholastischen Logik, und das heißt vor allem der zeitgenössischen Jesuitenlogik,92 in ganz ungewöhnlicher Reichhaltigkeit präsentiert und affirmativ rezipiert. 87 88 89 90

Keckermann: Gymnasium logicum (Anm. 7), S. 129. Botvidi: Tractatus brevis (Anm. 24), Bl. A2r. Scharf: Processus disputandi (Anm. 8), S. 118 (korrigiert aus: 218). „1. quaedam difficulter solum intelligibilia, in his hominem experiri vires suas, quis prohibeat? […] subtiliores igitur quaestiones in disputationem venire possunt, si faciant in gloriam veritatis divinae eruendae, si 2. inserviant indagationi naturae ac essentiae rerum accuratiori“ (38). 91 So Wallmann: Straßburger lutherische Orthodoxie (Anm. 72), S. 62. 92 Vgl. Karl Eschweiler: Die Philosophie der spanischen Spätscholastik auf den deutschen Universitäten des siebzehnten Jahrhunderts. In: Gesammelte Aufsätze zur Kulturgeschichte Spaniens. Erste Reihe. Hg. von Heinrich Finke. Münster 1928, S. 251–325, hier S. 268: „Die gewöhnlich ‚scholastische Orthodoxie‘ genannte Periode der lutherischen Theologie ist ihrem philosophischen und spekulativen Gehalt nach überwiegend von der Lehre der Jesuitenschule bestimmt worden.“

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Die noch näher zu bestimmenden logischen Instrumente benutzt der Disputator mit dem Ziel der Widerlegung („spectat ἔλεγχον id est redargutionem per deductionem ad impossibile vel ad contradictionem“, 48), das er mit dem Sophisten teilt. Die Charakterisierung des Disputators als Analytiker geht als generische Bestimmung in dessen Definition ein: „Definimus in genere Disputatorem, quod sit Analyticus omnium controversiarum in omni scibili occurrentium, ad discernendum verum à falso“ (49). Diese Zielsetzung – Wahrheitsfindung und Verteidigung der erkannten Wahrheit – entspricht im Wesentlichen dem zeitgenössischen Verständnis der Funktion von Disputationen, in denen es ja nicht um die voraussetzungslose Ermittlung einer anfangs völlig unbekannten Wahrheit ging.93 „Finis Disputationis est veritatis inventio, vel inventae confirmatio“, schreibt Botvidi,94 und Santenus: „Disputatio est […] veritatis cognoscendae et stabiliendae gratia instituta.“95 Keckermanns prima facie anders lautende Definition des Zwecks der Disputation, nämlich: „Quod inuestigatio sit veri penitus ignoti“,96 widerspricht dem nicht. Auch Dannhauer sagt im Grunde nichts anderes, wenn er die Aufgabe der Logik generell dahin bestimmt, „veritatem antea prorsus ignotam ex suis principiis elicere“, eine Aufgabe, die für ihn der demonstrative Syllogismus als „discursus à noto ad ignotum“ (317) in eminenter Weise erfüllt. Hier geht es also um die allgemeine Wesensbestimmung des Syllogismus als Offenlegung einer zuvor völlig unbekannten Verbindung („de cujus natura est connexionem aliquam prorsus antea ignotam producere“, 315). Man muss in diesem Kontext nur berücksichtigen, dass Dannhauer die dialektischen (Übungs-)Disputationen in utramque partem aus seinen Bemühungen ausklammert und nur hier und da zur besseren Abhebung seines eigentlichen Gegenstandes berücksichtigt. Deshalb betont er so nachdrücklich, wie wichtig die Kenntnis der ursprünglichen Einteilung des aristotelischen Organon sei und dass nur die doctrina analytica die wahre, eigentliche Logik im strengen Sinn ausmache, Topica und Sophistici elenchi habe Aristoteles für die Anfänger verfasst (vgl. 86f., 140–142). Dannhauers maßgebliches Paradigma ist, wie oben dargelegt, die theologische Auseinandersetzung, in der es nicht erlaubt war, übungs- oder spaßeshalber 93 Zur später erfolgenden Aufwertung von Dissertationen zur „Darstellungsplattform innovativer Denkleistungen“ vgl. Hanspeter Marti: Von der Präses- zur Respondentendissertation. Die Autorschaftsfrage am Beispiel einer frühneuzeitlichen Literaturgattung. In: Examen, Titel, Promotionen. Akademisches und staatliches Qualifikationswesen vom 13. bis zum 21. Jahrhundert. Hg. von Rainer Christoph Schwinges. Basel 2007, S. 251–274, hier S. 265. 94 Botvidi: Tractatus brevis (Anm. 24), Bl. C4r–v. 95 Santenus: Dialogistica (Anm. 17), Bl. A3r. 96 Keckermann: Gymnasium logicum (Anm. 7), S. 125: „quòd scili. triplex sit, videlicet. 1, Quod inuestigatio sit veri penitus ignoti. 2, Declaratio veri non planè ignoti, sed tantum obscurè cogniti, et 3, denique, confirmatio veri; cogniti quidem, sed ita tamen, vt de eo aliquid dubitemus“. – Friedrich Dedekind: Artificium disputandi contractum, sive compendium ex probatis autoribus contextum, cum praxi ad argumenta respondendi, et ad responsa excipiendi, ex colloquio Ratisbonensi decerpta. Greifswald 1675, S.  3, hat diese Definition später wörtlich übernommen. Seine (theologischen) Exempla illustrieren ausschließlich den dritten Aspekt.

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gegensätzliche Standpunkte zu vertreten.97 Allerdings räumt er unter Hinweis auf die grundlegende Disputationsregel, dass jede Disputation von gemeinsamen, von allen Beteiligten anerkannten Prinzipien ausgehen müsse („quod omnis disputatio ex quibusdam concessis oriri debeat“, 54), neben den Disputationen ad rem („ex principio genuino ac verè tali esto quod ab alijs pro tali non agnoscatur“, 51), also den eigentlich demonstrativen, auch die Notwendigkeit bzw. Unvermeidlichkeit solcher ad hominem ein („ex principio ab altero quô cum disputatur concesso, esto id principium saepe falsum sit, stat tamen pro principio“, 51). Dieser Unterscheidung kam offenkundig eine kompensatorische Funktion zu; ihre Notwendigkeit hatten die konfessionellen Kontroversen, in denen die Religionsparteien die Vorannahmen der jeweils anderen nicht als wahre Prinzipien anerkannten,98 zur Genüge vor Augen geführt. Dannhauer versäumt es nicht, eigens darauf hinzuweisen, dass diese „distinctio disputationum“ schon bei Aristoteles zu finden sei und es diverse neutestamentliche Exempla für das „ad hominem disputare“ (51) gebe. Dessen Notwendigkeit dehnt er ebenso auch auf philosophische Gegenstände aus: Ein Streitgespräch zwischen einem Ramisten und einem Aristoteliker wird fruchtlos verlaufen, wenn beide auf ihren Prinzipien beharren („Ineptè sanè disputabit cum Aristotelicô Ramaeus“, 54). Der sich geradezu aufdrängenden Frage, welche Konsequenzen dieser Befund für das von ihm favorisierte Konzept der apodiktischen, auf einem principium genuinum basierenden Disputation hat, geht er allerdings aus dem Weg. Vom guten Disputator verlangt Dannhauer die Kenntnis der ganzen Logik, gegen den Sophisten hilft aber nach seiner Überzeugung vor allem die Beherrschung der „doctrina terminorum“ (56). Er meint damit die Suppositions- und Exponibilienlehre und betont, darüber fast nichts bei den eigenen, d. h. der eigenen Konfession angehörenden Logikern („nostri logici“, 59) gefunden zu haben. In der Komplexität und Kompliziertheit dieser Lehrstücke der terministischen Logik bei den Spätscholastikern und Summulisten sieht Dannhauer den Grund dafür, dass viele von diesen99 die Beschäftigung damit als mit etwas vermeintlich völlig Unnützem ablehnen – zu Unrecht, wie er einwendet, und vor allem zum eigenen Schaden. Er selbst folgt in seinen Ausführungen zur suppositio und zu den

97 Es war nicht ungewöhnlich, dass zu Übungszwecken unter demselben Präses in aufeinander folgenden Dissertationen gegensätzliche Meinungen zu einer Frage vertreten wurden. Vgl. Marti: Philosophieunterricht (Anm. 1), S. 226. 98 „omnis disputatio ex aliquibus concessis progrediatur, secus impossibilis futura, cum in omni argumento relapsus fieret ad principium quod alter non concessurus esset, atque sic turbidè satis ac tumultuariè disputaretur et veritas nunquam in lucem protrahi posset“ (50). 99 Dannhauer verweist stellvertretend auf Konrad Horneius: De processu disputandi liber. Frankfurt/ Main 1624. – Horneius (1590–1649) übernahm an der Academia Julia in Helmstedt 1619 die Professur für Ethik, die er 1621 mit dem Lehrstuhl für Logik vertauschte, 1628 wechselte er in die theologische Fakultät. Vgl. Album Academiae Helmstadiensis. Bearb. von Paul Zimmermann. Bd. 1. Hannover 1926, S. 384f.

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exponibilia vornehmlich der Darstellung Pedro Hurtado de Mendozas SJ (1578–1651),100 weitere wichtige Gewährsmänner sind für ihn hier wie auch in anderen Zusammenhängen Pedro da Fonseca SJ (1528–1599)101 und Francisco Murcia de la Llana (†1684).102 Unter den von Dannhauer zitierten protestantischen Logikern ragt der Altdorfer Altaristoteliker Michael Piccart (1574–1620)103 heraus. Die Hervorhebung dieser Namen soll aber die immense Menge an Logikliteratur, die in der Idea boni disputatoris verarbeitet ist, nicht verdecken. Unter der suppositio, d.i. das ‚Stehen für‘ („quâ substituitur […] vox pro re significata“, 58), verstand man eine von der significatio unterschiedene Eigenschaft eines Terminus, die diesem nur innerhalb einer Aussage zukommt. Die Suppositionslehre suchte zu klären, bei welcher Auffassungsweise eines Terminus (vocis acceptio) eine diesen enthaltende Aussage wahr oder unwahr ist. An diversen Beispielen verdeutlicht Dannhauer, welche Auswirkungen etwa ein Wechsel der Suppositionsweise eines Terminus in einem Satz hat. Als exponibilia bezeichnete die spätscholastische Logik104 Satzgebilde, die aufgrund bestimmter Abweichungen von der Normalform des logischen (aus nomen logicum und verbum logicum bestehenden) Aussagesatzes schwer durchschaubar sind und daher der Auslegung (expositio) bedürfen, damit man entscheiden kann, ob sie wahr oder falsch sind. Als Arten des exponibile untersucht Dannhauer ausführlich komparative, exklusive, exzeptive und limitative Aussagen (70–85) und wird dabei nicht müde, den Nutzen, ja die Unentbehrlichkeit beider Theorien zu betonen. Die daran anschließenden Ausführungen zur Rolle und zu den Aufgaben von Opponent und Respondent in der akademischen Disputation (93–128) vermitteln einen weitgehend stabilen Bestand an traditionellen Regeln, die in ähnlicher Gestalt auch bei anderen Autoren zu finden sind. Diesen Aspekten des Disputierens, die in den Lehrbüchern der Disputationsmethodologie gewöhnlich ausführlich dargelegt werden, gilt offensichtlich nicht Dannhauers vordringliches Interesse, er handelt sie bemerkenswert kurz ab. Die wichtigsten Punkte sollen hier in geraffter Form referiert werden: Zuerst hat der Opponent präzise den „status controversiae“ festzustellen, um korrekt opponieren zu können, seine Konklusion muss der These des Respondenten kontradiktorisch und nicht nur konträr entgegengesetzt sein. Dannhauer nennt diese vielleicht willkürlich scheinende Regel nicht nur, sondern fügt für sie zugleich auch eine Begründung an, und er formuliert allge100 Petrus Hurtadus de Mendoza: Disputationes a summulis ad metaphysicam. Valladolid 1615; ders.: Disputationes de universa philosophia. Lyon 1617. 101 Petrus Fonseca: Institutionum dialecticarum libri octo. Lissabon 1564. Köln 1567 (und weitere Ausgaben). 102 Franciscus Murcia de la Llana: Selecta de ratione terminorum ad dialecticam Aristotelis […]. Madrid 1604 (und weitere Ausgaben). 103 Michael Piccart: Organon Aristoteleum in quaestiones et responsiones redactum, quae vicem commentarii esse possunt. Leipzig 1613. 104 Vgl. dazu auch Earline Jennifer Ashworth: The doctrine of exponibilia in the fifteenth and sixteenth centuries. In: Vivarium 11, 1973, S. 137–167.

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meine Bedingungen für den Sieg des Opponenten.105 Dieser hat entweder die Wahrheit seiner Konklusion oder die Falschheit der vom Respondenten aufgestellten These zu erweisen. Die Last des Beweises wird damit auf den Opponenten übertragen. Die „onus probandi“-Frage erörtert Dannhauer vor dem Hintergrund der erst in der Frühen Neuzeit aufkommenden Analogie zwischen Disputation und Gerichtsverfahren und in Auseinandersetzung mit dem Digesten-Kommentar des Jenaer (später Wittenberger) Juristen Matthäus Wesenbeck (1531–1586).106 Die Beweislast soll niemand leichtfertig auf sich nehmen; der Respondent, der, um sich der Wahrheit des eigenen Standpunktes zu versichern, nur die Gegenargumente aufzulösen hat und sich insofern in einer privilegierten Position befindet, ist als ‚Angeklagter‘ dazu nicht verpflichtet, und es gibt dafür auch keine Präsumtion – man müsste denn unterstellen, er verteidige etwas Falsches.107 Ausdrücklich wird dem Opponenten der Gebrauch von in großer Zahl angeführten Überlistungstechniken gestattet. Daraus, dass der arglistige Sophist genau dieselben Strategeme benutzt, soll jenem gerade kein Vorwurf gemacht werden können („Saepe enim disputator pirastam agit, neque hoc ipsi fraudi est“, 105f.), weil beide damit unterschiedliche Ziele verfolgen. Der gute Zweck heiligt hier Mittel, die bei ‚sophistischer‘ Verwendung zu verteufeln sind („Quare disputatori licebit superioribus stratagematibus sine scelere uti, quibus si sophista uteretur, nihil esset perniciosius“, 133). Eine solche List besteht zum Beispiel darin, dem Respondenten die Beweislast zuzuschieben, indem von ihm eine Begründung für eine Negation verlangt wird, eine List, die dann am besten funktioniert, wenn der Respondent, statt vorsichtigerweise nur „nudae theses“ aufzustellen, seine Behauptungen mit Gründen versehen hat.108 Der Respondent muss demgegenüber prüfen, ob sich die Gegenthese genau auf seine These bezieht und ob das Schlussverfahren korrekt ist. Er kann vom Opponenten verlangen, dass dieser seine Argumente in der Form des kategorisch schließenden Syllogismus vorträgt. Dann hat sich der Respondent dem Inhalt zuzuwenden, also zu untersuchen, ob die beiden Prämissen des Schlusses auf einem genuinen oder fremden Prinzip beruhen, um dann entsprechend durch Negation, Distinktion oder Limitation zu reagieren, ohne sich jedoch auf eine Begründung einzulassen. Eingehender diskutiert Dannhauer exkursartig zwei damals aktuelle Streitfragen – 1) ob ein Respondent auf jedes Sophisma seiner Kontrahenten und 2) ob ein Vertreter der oberen Fakultäten auf ein phi105 „Quod si igitur id obtinuisti à respondente 1. tuam conclusionem verissimam ex suis principiis justè fluere 2. eam contradicere sine ignoratione elenchi ejus thesi, jam utique vicisti“ (94). 106 Matthäus Wesenbeck: Paratitla in Pandectarum iuris civilis libros quinquaginta: ex praelectionibus […]. Basel 1563, Digesten, Buch XXII, Tit. III. De probationibus et praesumptionibus, S. 190; Dannhauer hat eine der wesentlich erweiterten späteren Ausgaben benutzt, vgl. etwa: In Pandectas iuris civilis […] commentarii […]. Basel 1593, hier S. 495–502. 107 „cum […] partes Respondentis, sicut in foro rei, semper magis sint favorabiles, et quia ipse quodammodo est in possessione veritatis, nec praesumtio sit quicquam permissum fuisse se defendere quod absurdum sit aut falsum, ideò Respondens de jure nunquam tenetur probare“ (98). 108 „Longè igitur cautius disputationem scribit, qui nudas assertiones ponit, quàm qui easdem prolixis probationibus munit“ (107).

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losophisches Argument antworten muss – und geht, nur hier, im Rahmen der Behandlung der zweiten Frage, kurz auf die Rolle des Präses und speziell auf dessen dem Opponenten gegenüber direktive und dem Auditorium gegenüber belehrende Funktion in schulischen Übungsdisputationen ein. Zugleich nutzt er die Gelegenheit, nochmals den Unterschied zum ernsthaften Streitgespräch, in dem es für den Respondenten weniger komfortabel zugehe, gebührend herauszustreichen.109 Schließlich empfiehlt und erläutert er auf den Respondenten zugeschnittene Antistrategeme, denn den Einsatz solcher Techniken verwehrt er diesem ebenso wenig wie dem Opponenten. Im zweiten Teil seines Traktates entfaltet Dannhauer das logische Werkzeug zum Entkräften sophistischer Argumentationen. Als Haupteigenschaften des Sophisten nennt er mit Aristoteles das Gewinnstreben („lucri cupiditas, venalem enim profitetur sapientiam“) und die eitle Ruhmsucht („Κενοδοξία, quando sapientiam profitetur apparentem non tamen existentem“, 130). Somit erscheint die Sophistik eher als ein moralischer denn als ein intellektueller Fehler („vitium magis morale quàm intellectuale“), denn der Sophist sage wissentlich, aber mit geheuchelter Ignoranz („ex ignorantiâ compositâ“, 132), Unwahres. Das ist nicht verwunderlich, ist doch der Teufel der „Archisophista“ (127, mit Matth 4,3). Den Sophisten hebt Dannhauer, ebenfalls nach aristotelischem Vorbild, vom „pirasta“ (Versucher) ab,110 ohne allerdings ausdrücklich auf die förmliche Unterscheidung der vier Disputationsarten im zweiten Kapitel der Sophistici elenchi („Ἔστι δὴ τῶν ἐν τῷ διαλέγεσθαι λόγων τέτταρα γένη, διδασκαλικοὶ καὶ διαλεκτικοὶ καὶ πειραστικοὶ καὶ ἐριστικοὶ“, 165a 38–39) Bezug zu nehmen.111 Sind die Kriegslisten, die Sophist und Disputator benutzen, einander auch zum Verwechseln ähnlich, so strebt der erstere doch, unbekümmert um die Wahrheit, nur die Widerlegung („ἔλεγχος sive redargutio“) an, das heißt den Sieg („victoria sophistae, ut militi scopus est: veritas interim succumbat an emergat, nihil pensi habet“, 134). Doch geht es Dannhauer nicht um die Person des Sophisten, sondern, auch in diesem Teil, um die Sache, und das ist hier das durch zahlreiche instruktive Beispiele illustrierte, zum großen Teil aus dem Mittelalter stammende logische Handwerkszeug, das es Disputierenden erlaubt, Trug- und Fehlschlüsse (sophismata, fallaciae) zu erkennen und aufzulösen. Zunächst aber rechtfertigt er sein Vorgehen, stets zugleich beide Seiten, nicht nur die Gegenmittel, sondern auch die Mittel, vorzuführen, 109 „Hoc ita se habet, cum opponens praesidis discipulus est, atque ideò sustinere auctoritatem praeceptoris majorem utilitatem spectantis, aque [sic] ipso legem accipere patienter potest. Secus autem se res habet in pugnâ decretoriâ, in quâ negabit opponens se ullam opponendi legem à Respondente accepturum, suumque jus urgebit“ (119f.). „Neque enim Respondentis est legem ferre opponenti ex quâ parte eum adoriri debeat“ (123). 110 „sophista nequaquam dicendus […] ille, qui […] tentationis aut examinis gratia proponit argumentum […]: Unde pirastica argumenta à philosopho distinguuntur ab eristicis et litigiosis“ (132). 111 Dieses Lehrstück findet sich, mit leicht variierender Terminologie, in den Handbüchern häufiger, ich nenne nur Salzhuber: Methodus disputandi (Anm. 33), S. 3: „apodictica seu didascalica“, „dialectica seu topica“, „pirastica seu eristica“ und „sophistica seu paralogistica“, und Marcellius: Ars disputandi (Anm. 26), S. 5f.: „Doctrinalis“, „Dialectica“, „Tentativa“ und „Sophistica“.

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liege es doch in der Natur der Sache, mit den Lösungswegen nur denjenigen vertraut machen zu können, der zuvor die sophistischen Strategeme kennen gelernt habe.112 Ich beschränke mich wieder auf eine knappe, mitunter stichwortartige Zusammenfassung der wichtigsten Inhalte. Zunächst durchläuft Dannhauer diverse Arten von Fehlschlüssen und erläutert die logisch-semantischen Mittel, mit denen man ihnen begegnen kann: Beachtung der Homonymie von Wörtern bzw. der Mehrdeutigkeit von Phrasen und Sätzen (fallacia aequivocationis et amphiboliae), Unterscheidung zwischen dem sensus compositus und dem sensus divisus einer Aussage (fallacia compositionis et divisionis),113 zwischen kategorematischer und synkategorematischer Verwendung von Ausdrücken (am Beispiel von ‚nihil‘, vgl. 55–57), zwischen dem dictum secundum quid und dem dictum simpliciter, Anzeige unterschiedlicher Suppositionsweisen eines Terminus innerhalb einer Argumentation sowie des Wechsels von eigentlicher zu übertragener Bedeutung eines Ausdrucks (fallaciae accidentis). Zu den fallaciae wird auch die petitio principii gerechnet, und anhand der Kontroverse über die Infallibilität des Papstes werden Antwortmöglichkeiten erläutert. Es folgen die sophistischen Epichireme (Dannhauer spricht auch von „aggressus“, 196), zu denen der Gebrauch fehlerhafter Formen der Kontradiktionen gehört, denen man durch das Postulat ihrer Umformung in die oratio logica begegnen könne, sodann der von nicht-enuntiativen, also nicht wahrheitsfähigen Aussagen – wie etwa solchen, die sich selbst widerlegen: „Haec enunciatio est falsa (intelligendo de hâc ipsâ quam modo pronunciârat)“ (210f.) – als Prämissen eines Syllogismus und weiterhin verschiedenartige Verstöße gegen die logischen Konsequenzregeln (consequentiae). Hinzu kommen schließlich noch materialiter falsche Argumentationen (wie die μετάβασις εἰς ἄλλο γένος) samt den Verfahren, sich vor diesen zu schützen. Im Kontext der Disputationstheorie hat niemand, soweit ich sehe, mit solcher Ausschließlichkeit wie Dannhauer die apodiktische disputatio ins Zentrum seiner Bemühungen gestellt. Das musste auf Kosten der Topik gehen, die er mit seiner Charakterisierung um wesentliche Stücke verkürzt, denn die dialektische disputatio, und für die mittelalterliche quaestio gilt das allemal, leistete mehr, als in seinem Hinweis auf die Erzeugung bloßen Meinungswissens zum Ausdruck kommt. Als Diskussion eines gestellten Sachproblems geht sie ihrem konzilianteren Wesen nach nicht von einer als feststehend erachteten und nur noch zu verteidigenden Wahrheit aus, sondern erwägt das Pro und Contra einer 112 „Non seorsim sophistam instructuri sumus sed conjungemus semper fundamenta, cautelas, et modos responsionum. Telephum scilicet imitantes, qui quae vulnera inflixerat ea illicò rursus sanavit. Non enim Sophisticam docemus, sed fraudibus Sophistae expositis, singulis, singulas respondendi vias aperimus“ (143). 113 Der Satz „sedens ambulare potest“ (159) ist in sensu diviso wahr, in sensu composito falsch. Man fasst eine Aussage in sensu diviso auf, wenn man das Formalsignifikat des Prädikats mit dem Materialsignifikat des Subjekts, in sensu composito, wenn man die Formalsignifikate beider Außenglieder eines Satzes verbindet. Jeder konnotative Terminus, wie etwa ‚Pater‘, besteht aus einem Material- und einem Formalsignifikat: „Pater constat […] 1. ex homine qui Pater est, 2. ex paternitate“ (158), jenes hieß Material-, dieses Formalsignifikat.

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Entscheidung und prüft die vorgetragenen Argumente auf ihre Relevanz und Glaubwürdigkeit. Auf diese Weise gelangt man zwar nicht zur streng bewiesenen, aber doch zur hinreichend begründeten Wahrscheinlichkeit. Dannhauer benutzt seine Charakterisierung freilich vor allem als Repoussoir, um die apodiktische disputatio mit ihrem deutlich höheren Anspruch umso schärfer hervortreten lassen zu können. Aubery hatte eine solche Verbindung von Analytik und Disputation noch ausgeschlossen.114 Es ziehen sich allerdings auch leichte Irritationen – von Zweifeln zu sprechen, wäre zweifellos übertrieben – wie ein roter Faden durch die Idea boni disputatoris et malitiosi sophistae, die abschließend noch angedeutet werden sollen. Ein Punkt wurde bereits erwähnt: Dannhauer muss die Unvermeidlichkeit des disputare ad hominem einräumen, er unterlässt es aber wohlweislich, dessen unabsehbare Folgelasten zu durchdenken. Ein anderer ist die Indifferenz der logischen Instrumente, der Umstand, dass diese sowohl gebraucht als auch missbraucht werden können. Dannhauer bricht die Behandlung bestimmter Finessen ab mit der Begründung, es gehe ihm nicht darum, den Sophisten mit Listen auszustatten („Sed parciùs de his agendum, quia confutandus potius est sophista quàm informandus“, 138). Recht unangenehm ist schließlich auch die damit verwandte Frage, die er sich allerdings als selbstgestellten Einwand vorlegt, wie es denn überhaupt sein könne, dass ausgerechnet der Syllogismus, das „instrumentum veritatis“ schlechthin, statt den Betrug (falsitas) zu verhindern, diesen in den Händen des Sophisten noch befördert. Dannhauer versucht, sich mit einer dreigliedrigen Distinktion in Bezug auf den Gebrauch zu helfen, dass nämlich der sophistische Umgang mit dem Syllogismus dem Gebrauch, auf den dieses Werkzeug angelegt sei, weder entspreche noch widerspreche, sondern über ihn hinausgehe.115 Dies könne man jedenfalls dem Syllogismus nicht zum Vorwurf machen. Solche und ähnliche kleinere Verunsicherungen haben es freilich nicht vermocht, ihn zu nennenswerten Relativierungen seiner forcierten disputationsmethodologischen Ansprüche zu veranlassen.

114 Alberius: Organon (Anm. 85), S. 375f.: „Quinetiam ex hac ipsa Methodo [sc. dialectica] licebit disputare de principiis et axiomatis scientiarum et apodicticarum tractationum, de quibus ex analytico eruditionis modo disputare non liceret ideo, quia nullus doctor doctrinae suae principia probat.“ 115 „potest aliquid esse non quidem contrà usum alicujus instrumenti, nec secundum, sed praeter ejus usum ad quem natum aliàs erat: […] Ita contra syllogismi formalis usum est colligere ex veris falsum, secundum ipsum est elicere ex veris verum, uti rectè concludit argumentum: quod si verò à sophistâ accommodetur ad falsi extructionem, id est praeter ejus usum et per accidens“ (231f.). ‚Zweckentfremdung‘ dürfte das mit „praeter usum“ Gemeinte treffen.

Michael Hanstein

Das carmen saeculare von Samuel Gloner (1598‒1642) zum Jubiläum des Straßburger Gymnasiums 1638 1. Aufführung und Autor 1.1. Straßburger Festlichkeiten: Die Säkularfeier 1617, die Universitätsprivilegierung 1621 und das Jubiläum 1638 Drei Jubiläen sahen die Mauern Straßburgs in der ersten Hälfte des 17.  Jahrhunderts. Hundertmal jährte sich 1617 Luthers Thesenanschlag, den man mit zahlreichen Predigten, akademischen Festvorträgen und Disputationen beging. In den längsten Feierlichkeiten aller protestantischen Reichsstände schmückten kirchliche und akademische Festakte die Zeit vom 31. Oktober bis zum Heiligen Abend, an dem der Professor für Poesie, Caspar Brülow (1585‒1627), Luthers Biographie in epischer Form als ‚carmen heroicum‘ rezitierte.1 In konfessionelle sowie inszenatorische Konkurrenz zum nur wenige Kilometer entfernten, erst 1607 gegründeten Molsheimer Priesterseminar, dem Kaiser und Papst bewusst im Jahr des Lutherjubiläums die vollen Universitätsrechte verliehen, deren Promulgation im Sommer 1618 mit einer dreitägigen Theateraufführung gefeiert wurde, trat die Freie Reichsstadt 1621. Während kaiserliche Truppen in der linksrheinischen Pfalz standen und sich bereits Ernst von Mansfeld (1580‒1626) dem Elsass näherte, das er bis in das Folgejahr besetzt halten sollte, zelebrierte man in der Freien Reichsstadt den Abschluss der über zwanzig Jahre währenden Bemühungen des Straßburger Rates um die Universitätsprivilegien. Der zentrale Festakt bestand aus dem Eröffnungsgottesdienst in der Predigerkirche, feierlichen Reden, Prozessionen von Universitätsmitgliedern und Magistraten sowie der ersten theologischen Doktorpromotion samt anschließendem Festes-

1 Zum Jubiläum des Thesenanschlags siehe Ruth Kastner: Geistlicher Rauffhandel. Form und Funktion der illustrierten Flugblätter zum Reformationsjubiläum 1617 in ihrem historischen und publizistischen Kontext. Frankfurt/Main 1982, sowie Hans-Jürgen Schönstädt: Antichrist, Weltheilsgeschehen und Gottes Werkzeug. Römische Kirche, Reformation und Luther im Spiegel des Reformationsjubiläums 1617. Wiesbaden 1978, und mit ausführlicher Berücksichtigung von Brülows Luther Michael Hanstein: Caspar Brülow (1585‒1627) und das Straßburger Akademietheater. Lutherische Konfessionalisierung und zeitgenössische Dramatik im akademischen und reichsstädtischen Umfeld. Berlin 2013, S. 555‒624. Die genannten Predigten, akademischen Vorträge und Disputationen befinden sich in dem Festband Iubilaeum Lutheranum Academiae Argentoratensis (Straßburg 1617).

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sen. Ihn krönte eine opulente, zweitägige Theateraufführung, bei der abermals ein Werk des Poeten Brülow zu sehen war, sein Moses.2 Angesichts des auch am Elsass nicht vorüberziehenden Krieges, tausender Flüchtlinge, hoher Geldentwertung und grassierender Hungersnöte fielen 1638 die Feierlichkeiten zum hundertjährigen Jubiläum der Gründung des Straßburger Gymnasiums schlichter aus.3 Johann Schmidt (1594‒1658), Professor der Theologie und Präsident des Kirchenkonvents, hielt ab dem 8.  Mai Fünff Christliche Predigten von Geistlichen Schulbrunnen nach Num  21,16‒18, d. h. über den Brunnen, den die israelitischen Fürsten in der Wüste zur Rettung ihres Volkes gruben. In diesen Predigten stellte er im Wochenabstand den Nutzen von Bildungsinstitutionen dar und verband ihn mit Anweisungen an Magistrat, Präzeptoren und Alumni. Ergänzend dazu wurde im Straßburger Münster die ebenfalls zu Num 21 komponierte vokale Festmusik Fons Israelis aufgeführt, welche vom Stadtmusikus und ehemaligen Gymnasiallehrer Christoph Thomas Walliser (1568‒1648) stammte. Erst drei Monate später begann die akademische Feier, die Gymnasium und Universität trotz ihrer im Jahr 1621 erfolgten Trennung gemeinsam begingen.4 Sie dauerte drei Wochen und bestand aus insgesamt drei Festreden: Den Anfang machte am 30. August 1638 Johann Heinrich Boeckler (1611‒1672),

2 Die Straßburger Feierlichkeiten des Jahres 1621 betrachten Anton Schindling: Humanistische Hochschule und freie Reichsstadt: Gymnasium und Akademie in Straßburg 1538‒1621. Wiesbaden 1977, S. 75f., sowie Alfred Erichson: Das Straßburger Universitätsfest vom Jahr 1621. Straßburg 1884; zu Brülows Moses siehe Hanstein: Brülow (Anm. 1), S. 472‒552, sowie ders.: Die Verleihung der Universitätsprivilegien im frühneuzeitlichen Schuldrama ‒ der Molsheimer Carolus Magnus (1618), Caspar Brülows Moses (Straßburg 1621) und Christoph Speccius’ De Titi et Gisippi Amicitia (Altdorf 1623). In: Das Akademische Gymnasium zu Hamburg (gegr. 1613) im Kontext frühneuzeitlicher Wissenschafts- und Bildungsgeschichte. Hg. von Johann Anselm Steiger in Verbindung mit Martin Mulsow u. Axel E. Walter. Berlin, Boston 2017, S. 437‒454. Predigten, akademische Festvorträge, Doktorpromotionen sowie das Universitätsprivileg erschienen in der Festgabe Promulgatio academicorum privilegiorum ulteriorum (Straßburg 1623). 3 Kurze Bemerkungen über das Jubiläum des Gymnasiums 1638 finden sich in einer zeitgenössischen Chronik: Rudolf Reuss (Hg.): Strassburg im dreissigjährigen Kriege (1618–1648). Fragment aus der strassburgischen Chronik des Malers Johann Jakob Walther. Strassburg 1879 (auch in: Protestantisches Gymnasium zu Strassburg. Programm auf das Schuljahr 1879–1880. Strassburg 1879), S. 34. Die einzige ausführlichere Darstellung der Hundertjahrfeier bietet Karl Bünger: Matthias Bernegger. Ein Bild aus dem geistigen Leben Strassburgs zur Zeit des Dreissigjährigen Krieges. Strassburg 1893, S. 286‒293. Erst dem Jubiläum 1739 widmet A[dam] G[ualther] Strobel: Histoire du Gymnase protestant de Strasbourg. Strasbourg 1838, S. 54‒70, größere Aufmerksamkeit. – Zum soziopolitischen Kontext Straßburgs in den 1630er Jahren siehe Jean-Pierre Kintz: XVIIe siècle. Du SaintEmpire au Royaume de France. In: Histoire de Strasbourg des origines à nos jours. Hg. von Georges Livet u. Francis Rapp. 3 Bde. Strasbourg 1980–1982, Bd. 2, S. 3–114, hier S. 28‒30. 4 Zur Hierarchie zwischen Universität und Gymnasium nach 1621 vgl. Bünger: Bernegger (Anm. 3), S. 255, 258–260.

Das carmen saeculare von Samuel Gloner

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Professor für Rhetorik; ihm folgte Georg Bach (1593‒1649)5, der Rektor des Gymnasiums, am 6.  September und schließlich Samuel Gloner, der am 13.  September sein Carmen saeculare vortrug. Wie bei den vorherigen Feierlichkeiten erschien auch diesmal eine Festgabe. Sie enthält neben den titelgebenden Predigten des Theologen und Wallisers Komposition auch die erwähnten akademischen Festvorträge. Bach redete über die Bedeutung schulischer Disziplin, während Boeckler und Gloner über die Geschichte des Gymnasiums sprachen. Letzterer bezeichnet seinen Text im Umfang von knapp 1400  Hexametern übrigens in topischer Bescheidenheit als „non longum […] carmen“.6

1.2. Samuel Gloner: Ein ‚grammaticus Latinus in Prosa‘ als offizieller Poeta Wer war Gloner?7 Im Gegensatz zu Brülow, der vom Hilfslehrer am Straßburger Gymnasium zum Universitätsprofessor für Poesie und Rhetorik aufgestiegen war, konnte er ledig-

5 Zu Bach siehe Bünger: Bernegger (Anm.  3), S. 284, und Marie-Joseph Bopp: Die evangelischen Geistlichen und Theologen in Elsass und Lothringen von der Reformation bis zur Gegenwart. Neustadt/Aisch 1959‒1960, S. 32: etwas später als Gloner Lehrtätigkeit in Durlach (1627‒1634), danach in Straßburg Gymnasiarch und Präzeptor der Prima für Logik. 6 Fünff Christliche Predigten von geistlichen Schulbrunnen […] Auff dess Straßburgischen GYMNASII Jubelfest/ Anno 1538 Gehalten Von Johanne Schmidt […] Mit angehengten Unterschiedenen Orationibus, etc. zu bemeldtem Jubelfest gerichtet. Straßburg 1641. Hierin Gloner, S. 207: „Audi igitur ter summe Deus, ter maxime rector, / Audi non longum, sed ab imo corde profectum, / Quod tibi pro tanto recitamus munere, carmen.“ Angaben zu Werken von Gloner, Schmidt, Boeckler, Sebitz und Bach, die nicht gesondert ausgezeichnet sind, beziehen sich immer auf ihre Beiträge in der eben genannten Festschrift zur Hundertjahrfeier. Eingesehen wurden die beiden Exemplare Bayerische Staatsbibliothek (BSB) München (Signatur: 4 Hom. 1978; hier auch online zugänglich) sowie Württembergische Landesbibliothek Stuttgart (Signatur: MC Theol.qt.6232). In der Vorrede der Festgabe rechtfertigt Johann Schmidt die gemeinsame Feier mit der Unterordnung des Gymnasiums unter die Universität (Schmidt, Bl. b 2), während der amtierende Rektor Melchior Sebitz jun. ebendort die Verbindung beider Institutionen hervorhebt: „Cum enim festum hoc tam pro Academia, quam pro Gymnasio institutum sit, aequitati et rationi consentaneum erat, ut ex ordine utroque, Professorum Academiae, et Praeceptorum Gymnasii, deputarentur, qui illud solenniter celebrarent“ (Sebitz, S. 135). 7 Zu Leben und Werk vgl. Hellmut Thomke: Gloner, Samuel. In: Killy Literaturlexikon. Autoren und Werke des deutschsprachigen Kulturraums. 2., vollständig überarbeitete Auflage. Hg. von Wilhelm Kühlmann. Bd. 4. Berlin 2009, S. 253f., sowie unter ausführlicher Berücksichtigung von Gloners Korrespondenz Rudolf Reuss: Magister Samuel Gloner, ein Straßburger Lehrerbild. In: Festschrift zur Feier des 350jährigen Bestehens des protestantischen Gymnasiums zu Straßburg. Hg. von der Lehrerschaft des protestantischen Gymnasiums. 2  Bde. Straßburg 1888, hier Bd.  1, S.  143‒226. Eine vollständige Bibliographie von Gloners Œuvre steht noch aus, die bisher umfangreichste Darstellung gerade auch der Casualcarmina bieten John L. Flood: Poets Laureate in the Holy Roman Empire. A Bio-bibliographical Handbook. Bd. 2. Berlin 2006, S. 674‒679, und Jacques Betz: Ré-

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lich mit dem Amt eines ‚grammaticus Latinus‘ für die Prosaiker in der Prima aufwarten.8 Dass ihm in dieser Position dennoch zum Jubiläum die Aufgabe eines Poeten übertragen wurde, erklärt sich aus Gloners Vita und seinem literarischen Œuvre. Geboren 1598 in Straßburg als Sohn eines Goldschmieds, besuchte er das dortige Gymnasium und die Universität, auf welcher er 1615 das Bakkalaureat sowie 1621 den Magistergrad erhielt. Bereits 1620 wurde er zum ‚poeta laureatus caesareus‘ gekrönt und als Lehrer der Quarta auf das Gymnasium illustre in Durlach berufen, von wo er aufgrund des nahenden Krieges 1622 nach Straßburg zurückkehrte. In der Freien Reichsstadt fand er Anstellung als Hilfslehrer in der Decima des Gymnasiums, rückte 1627 zum Ordinarius der Sexta, 1632 in die Quinta bzw. 1634, nach der Reform des Gymnasiums, in die der Quinta entsprechende Tertia und 1637 als Nachfolger Boecklers, der auf die Rhetorikprofessur berufen wurde, in die Prima auf. Vor allem in den 1620er Jahren verfasste Gloner zahlreiche lateinische Bibelepen, um sich bei Straßburger Honoratioren – letztlich mit passablem Erfolg – zu empfehlen.9 Diese angestrebte Fürsprache und finanzielle Motive mögen außerdem Antrieb zu einer stupenden Produktion deutscher wie lateinischer Kasualgedichte gewesen sein, die ihm heute die Bezeichnung ‚Oberleichendichter in Straßburg‘ eingebracht haben.10 Die Poesieprofessur jedoch blieb ihm verwehrt, da man in der Freien Reichsstadt seit 1629 aus finanziellen Gründen auf eine Neubesetzung verzichtete. Eine Berufung auf ein ähnliches, durch die Reform des Gymnasiums geschaffenes Amt, den ‚grammaticus Latinus‘ der Prima für gebundene Rede, deren Inhaber zwar als ‚poeta‘ bezeichnet, aber weder mit professoraler Ehre noch mit entsprechendem Gehalt ausgestattet war, verhinderten Kreise um Johann Schmidt.11 Von diesem Theologen wurde Gloner, der dem irenisch gesinnten Straßburger Historiker Matthias Bernegger (1582‒1640) nahestand und auch mit Reformierten korrespondierte, zudem zu Unrecht des Calvinismus beschuldigt. Als man allerdings nach Gloners Tod in dessen Nachlass spöttische Dichtungen über Schmidt fand, strengte der Theologe eine beispiellose ‚damnatio memoriae‘ des Straßburger Dichters an. Indem Gloner 1638 das gemeinsam von Gymnasium und Universität gefeierte Jubiläum mit dem obligatorischen dichterischen Kunstwerk abschloss, fungierte er als offizieller Poet der Straßburger Bildungsinstitutionen. Nicht in Erscheinung trat dagegen der nomi-

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pertoire bibliographique des livres imprimés en France au XVIIe siècle. Bd. 7. Alsace. Baden-Baden 1984, siehe Register. Zu Brülow vgl. Hanstein: Brülow (Anm. 1), S. 51‒120. Vgl. Reuss: Gloner (Anm. 7), S. 168‒179. Hellmut Thomke: Josua Wetter und sein Straßburger Kostherr Samuel Gloner. In: Wolfenbütteler Beiträge 4, 1981, S. 205‒233, hier S. 214. Gloners Epen charakterisiert kurz Reuss: Gloner (Anm. 7), S. 168‒180. Zu den im Zuge der Gymnasialreform neu geschaffenen Ämtern siehe die vom Akademiekonvent herausgegebene Anleitungsschrift De restauratione et reformatione gymnasii Argentoratensis (Straßburg 1634, Bl. [B 3v] u. [C 3v]).

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nelle Poet Johannes Matthias Schneuber (1614‒1665), der spätere Gymnasiarch und Angehörige der Tannengesellschaft, der, obgleich erst 1634 nach Straßburg gekommen, mit dem Rückhalt des Akademiekonvents – und offenbar auch mit dem Wohlwollen Schmidts, der damals als Rektor amtierte – 1637 als ‚poeta‘ Gloner vorgezogen worden war.12 Gloners prominente Rolle während der Hundertjahrfeier lässt sich mit seiner hohen literarischen Produktivität und demzufolge Bekanntheit als lateinischer Dichter auch in den 1630er Jahren begründen. Neben zahlreichen Kasualepigrammen hatte er in über 4500 elegischen Distichen den Jesu Syracidis ecclesiasticus (1632), eine handschriftlich überlieferte Paraphrase der Apokryphe, angefertigt und stand zudem vor dem Abschluss einer lateinischen Prosodie.13 Obwohl auch Schneuber nicht wenige Gelegenheitsgedichte verfasste, konnte er zu diesem Zeitpunkt keine vergleichbaren epischen Werke vorweisen.14 Zudem stand Gloner in Kontakt mit dem Organisator der akademischen Festakte, dem Mediziner Melchior Sebitz d. J., der 1638 als Rektor der Universität vorstand.15 Auf dessen Geheiß hatte Gloner etwa zehn Jahre zuvor die Sebizias verfasst, ein biographisches Epos in 1700 Hexametern über Sebitz’ gleichnamigen Vater, der ebenfalls die Professur für Medizin innehatte, aber 1625 verstorben war (Melchior Sebitz d. Ä. 1539‒1625).16 Wie bei den Feiern 1617 und 1621 war es also auch 1638 üblich, dass man zu wichtigen öffentlichkeitswirksamen Ereignissen am Straßburger Gymnasium bzw. der Universität den poetischen Festakt einem erfahrenen lateinischen Dichter mit Renommee anver12 Vgl. Matricula Scholae Argentoratensis. Bd. 1. 1621‒1721. Publiée par un groupe de professeurs de l’école à l’occasion de son 4me centenaire. Strasbourg 1938, S. 60, sowie Reuss: Gloner (Anm. 7), S. 203f. 13 Neben Gloners lateinisches Œuvre, etwa seine Prosodia cum auctoritatum syllabo (Straßburg 1639), treten in den 1630er Jahren auch verstärkt deutsche Kasualgedichte wie nach der Schlacht von Lützen und dem Ableben des schwedischen Königs ein Klaglied über den hochbetrawerten jedoch glorwürdigsten und seeligsten Todt […] Gustavi Adolphi (Straßburg 1632) sowie ein bisher nicht auffindbares Trauergedicht auf den schwedischen General und Rheingrafen Otto Ludwig (1597‒1634). 14 Vgl. Wilhelm Kühlmann: Schneuber, Johannes Matthias. In: Killy Literaturlexikon (Anm. 7), Bd. 10, Berlin 2011, S. 505, sowie Gerhard Dünnhaupt: Personalbibliographien zu den Drucken des Barock. Bd. 5. Stuttgart 21991, S. 3696‒3723. Erst 1642 verfasste Schneuber ein aus ca. 1400 Alexandrinern bestehendes Trauerepos auf die Überführung des Leichnams des in schwedischen Diensten stehenden Offiziers und Diplomaten Bernhard Schaffalitzky von Mukadel (1591‒1641): Lobwürdiges an-gedänken Des HochEdel-gebornen Gestrengen Herren Herren Bernhart Schafalitzky von Mukodell auf Freudenthal […] Zu Ehren seines ohn-stärblichen Namens beschriben von Joh. Matthias Schneubern. Straßburg 1642. 15 Vgl. Matricula scholae Argentoratensis (Anm. 12), S. 64. 16 Einen Vorgänger hat die Sebizias in der Vita […] Joannis Guintherii Andernaci medici (Straßburg 1575), die der Straßburger Student und spätere Linzer Konrektor Georg Calaminus (1549‒1595) ebenfalls über einen Straßburger Arzt, Johann Winter aus Andernach (1505‒1574), verfasste. Die lokale Tradition der panegyrischen Personalepik setzte Gloner auch in der Vita atque obitus viri magnifici […] D. Petri Storckii (Straßburg 1627) über den Straßburger Stättmeister und Scholarchen Peter Storck (1554‒1627) fort.

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traute, von dessen Leistungen man sich eingehend überzeugt hatte.17 Dass 1638 Gloner dieses Vertrauen – wenn auch nicht qua Amt wie noch sein Lehrer Brülow – genoss, zeigt die Ankündigung seines Festvortrags in Sebitz’ Einladungsschrift, die der Mediziner wenige Tage vor der ersten Festrede an örtliche Honoratioren versandte.18 Carmine heroico elegans et celebris Poeta, D. M. Samuel Glonerus, Latinitatis in Gymnasio explicator dexterrimus, praemissis quibusdam de fundatione, itemque de incremento et certis quasi Gymnasii aetatibus, Deo Opt. Max. hymnum gratiarumque actionem recitabit, ac pro conservatione totius Scholae, nobilissimi patriae nostrae Depositi, supremi Numinis misericordiam implorabit. [Samuel Gloner, der im epischen Genre berühmte und versierte Dichter und überaus tüchtiger Lateinlehrer am Gymnasium, wird, nachdem er über Gründung, Wachstum und gleichsam gewisse Lebensalter des Gymnasiums gesprochen hat, dem allmächtigem Gott eine Dankeshymne darbringen und darum bitten, dass die gesamte Schule, welche die edelste Bestandsgarantie unserer Vaterstadt darstellt, erhalten und Gott uns barmherzig gesinnt bleibe.]

Sebitz lobt Gloner als Dichter („elegans et celebris Poeta“), der sich auf die Gattung des Epos („Carmen heroicum“) versteht, womit er auf die zahlreichen Epen der 1620er Jahre anspielt, die nun ein Werk desselben Genres erwarten lassen. Nur ungenau gibt er Gloners Position als Lateinlehrer am Gymnasium mit „Latinitatis explicator“ an. Präziser äußert sich Sebitz zum Carmen saeculare, das die Geschichte des Gymnasiums stufenweise schildert und mit Danksagungen an Gott verbindet.

2. Inhalt und Gattung 2.1. „res Davidico digna cothurno“: Gymnasialgeschichte und Patronatspanegyrik Mit den von Sebitz angekündigten Dankesworten, die sich auf den göttlichen Beistand für die Straßburger Schule während der vergangenen hundert Jahre beziehen, beginnt Gloner sein Werk, bevor auch er sich zu dessen Gattung und Inhalt äußert:19 17 So griff man zur Feier der Universitätspromulgation auf Brülow zurück, der zwischen 1612 und 1616 fünf Dramen verfasst hatte und auch 1617 beim Lutherjubiläum durch seine Festrede involviert war. 18 [Melchior Sebitz:] Rector universitatis Argentoratensis, Melchior Sebizius, medicinae doctor et professor […] lectori benevolo jubilaeum perpetuum [Straßburg:] [Johann Philipp Mülbe,] 1638, Bl. C3f. Im Gegensatz dazu erschien die Festgabe aller Beiträge des Gymnasialjubiläums 1641 bei Eberhard Zetzner; hier sind alle Beiträge, also auch Sebitz’ Einladungsschrift (ebd., S. 121‒136), mit Zierrahmen geschmückt. Eine ähnliche Inhaltsangabe gibt Schmidt im „Syllabus“ der Festgabe: „Carmen Saeculare, quo Argentoratensis Gymnasii fundatio, et diversae aetates cum eiusdem reformatione recensentur: tum etiam Dei ter Opt. Max. benignitas pro conservata hactenus Schola devote celebratur, et pro amplius conservanda pie et ardenter solicitatur“ (Schmidt, Anm. 6, Bl. [b3v]). 19 Sebitz (Anm. 6), S. 135, und Gloner (Anm. 6), S. 172f.

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Quae res Davidico quanquam sit digna cothurno Cantari, mereatque aliquem, qui dicere possit Suaviter et graphice, prisco de tempore vatem[.] Si tamen infantes etiam DEUS audit, et aequo Dignatur vultu, mea totam infantia vocem Edat, et a primo sed pauca recenseat ovo Tanta DEI monumenta meis concredita terris, Scilicet hos Musarum hortos, haec inclyta tecta, Quos ortus habeant illa, et cunabula vitae, Quas hinc aetates sint nacta, quibusque patronis, Usque sub hanc steterint et stent innoxia lucem[.] Tum mea lingua DEO fundatorique supremo [173] Tutorique Scholae meritarum encomia laudum Qua virtute potest, quo carmine cunque, frequentet. Jedoch ist es diese Sache wert, im erhabenen Ton Davids besungen zu werden, und verdient einen Dichter, wie es ihn in alter Zeit gab, der voller Anmut und Zierde dichten kann. Wenn jedoch Gott auch Kinder anhört und mit seinem Wohlwollen würdigt, dann soll auch meine beschränkte Ausdruckskraft eine ganze Rede halten und, auch wenn meine Wortgewandtheit gering ist, von den großen Werken Gottes, die er meinen Landen anvertraut hat, nämlich dem Musenhort und den hiesigen ruhmreichen Hallen, von Anfang an der Reihe nach erzählen: Welche Geburt und welches Wiegenbett sie haben und welche Lebensalter sie dann erreichten, unter welchen Schutzherren sie seitdem bis zu dem heutigem Tag unbeschadet gestanden haben und stehen. Darauf werde ich Gott, dem höchsten Gründer und Schutzherrn der Schule, so kräftig und wie auch immer ich kann, verdiente Ruhmeslieder immer wieder singen.

Ein Werk über Gründung, Bewahrung und Auswirkungen des Gymnasiums verbunden mit dem Lobpreis Gottes erfordert einen „Davidicus cothurnus“.20 Der Psalmist in Fußbekleidung römischer Tragöden betont die gattungstypologische Nähe des Festvortrags zur biblischen Dankeshymnik wie auch zum erhabenen Stil des ‚genus grave‘, der nach antiker und humanistischer aptum- und Dreistillehre Tragödien oder Epen zusteht.21 Anspielungen auf die epische Gattung setzen die Verben „cantari“ und „dicere“ fort, welche auf die Prologe der beiden berühmtesten lateinischen Epen hindeuten und Gloners Werk damit in die Nachfolge von Vergils Aeneis („arma virumque cano“) und Ovids Metamorphosen („mutatas dicere formas“) stellen.22 20 Die Konstruktion quamquam mit Konjunktiv anstatt des Indikativs ist in der Dichtung geläufig, in Prosa erscheint sie seit Tacitus häufiger, vgl. Raphael Kühner, Carl Stegmann: Ausführliche Grammatik der lateinischen Sprache. Darmstadt 1966, Bd. 2, 2, S. 442 bzw. § 221, 5. 21 Vgl. Kurt Spang: Dreistillehre. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hg. von Gert Ueding. Bd.  2. Tübingen 1994, Sp.  921‒972, sowie die Formulierung „grandis versus“ (Gloner, Anm.  6, S. 207). 22 Vgl. P. Ovidius Naso: Metamorphosen. Buch 1‒3. Kommentar von Franz Bömer. Heidelberg 1969, S. 12, sowie Michael von Albrecht: Zum Metamorphosenprooem Ovids. In: Rheinisches Museum 104, 1961, S. 269‒278.

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Wie ist jedoch die stilistische Anweisung „suaviter et graphice“ zu verstehen? Mit seiner Bedeutung ‚eleganter‘ besitzt ‚graphice‘ episches Gewicht, beschreibt hiermit doch Gellius die Annales des Ennius. ‚Suavitas‘ wiederum gilt laut der Imitatio oratoria (Straßburg 1574) des Straßburger Gründungsrektors und Rhetorikprofessors Johannes Sturm (1507‒1589) als Hauptcharakteristikum des ‚genus modicum‘, das auch panegyrische Textsorten umfasst.23 Gloner kündigt sein Werk demnach als episch-panegyrische Mischgattung mit enkomiastischen Passagen über zentrale Gestalten der Gymnasialhistorie („patroni“) und einem rahmenbildenden Lobpreis Gottes („meritarum encomia laudum“) an.24 Die Bescheidenheitsfloskel „quo carmine cunque“ korrespondiert mit der zu Beginn der Passage behaupteten sprachlichen Unfähigkeit.25 Indem die Junktur „prisco de tempore vates“ auf mustergültige antike Autoren verweist und der Titel des Carmen saeculare Horaz-Reminiszenzen weckt, hyptertrophiert Gloner die Ansprüche an den Dichter eines Werks über die Geschichte des Gymnasiums und übersteigert die Erwartungshaltung seiner Rezipienten gezielt, um sie mit Bescheidenheitstopik zu konterkarieren. Dadurch, dass er den intertextuellen Bezug auf David bzw. die Bibel fortsetzt, überträgt Gloner Psalm 8,3, die Offenbarung von Gottes Herrlichkeit an Kindern, mit der Paronomasie „infantes“ bzw. „infantia“ als Unfähigkeitsbeteuerung auf seine mangelnden („pauca“) rhetorischen Fähigkeiten, die mit dem Gegenstand des Carmen saeculare („tanta […] monumenta“) kontrastieren.26 Letzterer stellt eine in chronologischer Folge („a primo ovo recenseat“) geschilderte Historie des Gymnasiums dar, welche Gründung, Anfangsjahre und Entwicklungsstufen („ortus, cunabula vitae, aetates“) einschließlich personengeschichtlicher Aspekte („quique patroni“) sowie überwundener Gefährdungen („innoxia“) umfasst. Dabei nobilitiert Gloner seine Heimatstadt durch eine graeco-romanische Übersetzung des Stadtnamens. Straßburg wird nicht mit dem bekannten lateinischen Toponym „Argentoratum“ bezeichnet, sondern „Argyropa“ (Gloner, S. 172, 176) genannt.27 Dies 23 Thesaurus linguae Latinae. Bd. 6. Berlin 1925‒1934, Sp. 2197, sowie Gellius Noct. XII,14,1,1, und Johannes Sturm: De imitatione oratoria libri tres. Straßburg 1574, Bl. [F 5v] u. Bl. E 3‒4 (De genere dicendi Ciceronis). 24 Vgl. auch Gloner (Anm. 6), S. 202: „panegyricum carmen“. 25 Ähnlich Catull c. 1, 8f.: „quidquid hoc libelli qualecumque“. Für diesen Hinweis gilt Rüdiger Niehl Dank. 26 Am Ende des Carmen saeculare beteuert Gloner die eigene Unfähigkeit abermals mittels Ps 8: „[Marginal: Psal. 8.v.1. Deus infantes et lactentes audit.] Et quia te voces lactentum admittere dicis, / […] / Suscipies etiam placata fronte Camenas“ (Gloner, Anm. 6, S. 207). 27 ‚Argyropa‘ ist zuvor etwa belegt in einem Chronogramm des Martinus Knobelsdorff in Piae placrumae super obitum […] Iohannis Friderici, a Wernegk et Wartenberg. Straßburg 1623, Bl. [E 4v]. Siehe dazu Michael Hanstein: „valide et varie delectat hic lusus“. Lateinische Chronogramme in Straßburger Drucken (1610–1627) von Brülow, Dannhauer, Gloner, Moscherosch und Polus. In: Simpliciana 38, 2016, S. 529‒560.

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nimmt auf Griechisch ἄργυρος das in „Argentoratum“ namengebende Silber (lat. ‚argentum‘) auf und spielt zugleich auf ‚Argyrip(p)a‘ bzw. Arpi an, eine Handelsstadt in Apulien, deren Name aus den Epen des Vergil (Aen. XI, 246) und des Silius Italicus (IV, 554) bekannt ist und die nach Plinius (Nat. hist. III, 104.) von dem Heroen Diomedes gegründet wurde.28

2.2. Gloner, Sebitz und Boeckler: Intertextuelle Bezüge dreier Festreden Gloner rückt nicht nur sein Ansehen als Dichter, sondern auch den Inhalt seiner Dichtung in Sebitz’ Nähe. In seiner Einladungsschrift gliedert der Mediziner die Vergangenheit des Gymnasiums in drei „status“, die der graduellen Privilegierung der Bildungsinstitution entsprechen: Von der Gründung bis zum Akademieprivileg 1566, wobei auch Schulen und öffentliche Vorlesungen in Straßburg vor der Gründung des Gymnasiums Aufnahme finden, wird die Zeit bis sowie seit dem Universitätsprivileg 1621 getrennt. Dabei zeichnet Sebitz’ Darstellung aus, dass sie auf zeitgenössische Quellen zur Straßburger Bildungsgeschichte verweist, unter ihnen die Anleitungsschriften Johannes Sturms, dessen Antipappi, aber auch Werke Martin Bucers (1491‒1551), des Johannes Sleidanus (1506‒1556) oder die Korrespondenz des Straßburger Magistrates. Boeckler lehnt sich in seiner Gliederung der Gymnasialhistorie an dieses Schema an, unterteilt jedoch den auf die ‚prima aetas‘ der Gründung folgenden Abschnitt in eine ‚secunda aetas‘ bis zum Rücktritt des „rector perpetuus“ Johannes Sturm im Jahr 1581, woran sich ein drittes Zeitalter bis 1621 und ein viertes, seither andauerndes, anschließen. Gloner, der ebenfalls vier Zeitalter vorsieht, unterscheidet sich von seinen beiden Vorgängern in Einteilung, Anordnung und in den folgenden Versen auch in der Metaphorik: [S. 193] Hae sunt aetates, haec tempora quattuor anni, Ver, Aestas, Autumnus, Hyems, quae nostra peregit Tot Schola fulminibus gravibusque petita procellis, Ast hyemis positura nives et frigora, vernum dum redit, aut certe lumen requiesque redibit, Sicut post aliquot clanget mea buccina versus. Dies sind die Zeitalter, dies die vier Jahreszeiten, Frühling, Sommer, Herbst und Winter, die unsere Schule trotz Bedrohungen durch zahlreiche Blitze und gewaltige Stürme durchlaufen hat. Aber Schnee und Kälte des Winters vergehen, wenn der Frühling oder wenigstens Licht und Ruhe zurückkehren, wie es nach vielen Versen mein Horn schmettern wird.

28 Zur Etymologie von ‚Argentoratum‘ / ‚Straßburg‘ siehe etwa Johann Jakob Hofmann: Lexicon universale. Leiden 1698, Bd. 1, Sp. [319].

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Als einziger der drei Genannten setzt er die Entwicklungsphasen des Gymnasiums mit den Jahreszeiten gleich und überführt sie in einen zyklischen Verlauf, womit er auf eine gängige antike Vorstellung zurückgreift, die etwa aus Vergils vierter Ekloge über das Nahen eines neuen Goldenen Zeitalters bekannt ist.29 Womöglich spielt Gloner sogar auf Vergil an, da sowohl im Carmen saeculare als auch in der Ekloge (IV, 4‒7) „redire“ zweifach verwendet wird. Bei Gloner ist der erste Lebenszyklus des Gymnasiums geprägt von Gefahren, die mit den meteorologischen Metaphern „fulmina“ bzw. „procellae“ geschildert werden und in Wetterphänomenen des Winters („nives“, „frigora“) enden. Diese Phase des Stillstandes wird in einem neuen Frühling überwunden („positura“), den ein Verweis auf das Ende des Carmen saeculare evoziert („post aliquot clanget mea buccina versus“).30 So geht Gloner, ähnlich wie Sebitz, anlässlich des ersten Zeitalters auf Vorgänger und Gründung des Gymnasiums im Jahr 1538 ein, berücksichtigt jedoch auch das Schulprogramm und die Methodik, während die anschließende „aetas secunda“ von dessen florierender Entwicklung und überregionalem Ruhm – „progressus […] et fama“ (S. 181) – handelt. Im Gegensatz zu Sebitz und Boeckler betrachtet er in der folgenden Epoche, der „aetas crescentis tertia ludi“ (S. 192), institutionelle Veränderungen der Schule durch das Akademie- und Universitätsprivileg. Hierauf folgt die „quarta aetas“, die Gloner als Greisenalter personifiziert,31 dessen Verfallserscheinungen die Reform des Gymnasiums 1634 Abhilfe schafft. Allerdings gehen nur in wenigen Fällen inhaltliche Parallelen in den Festbeiträgen von Gloner und Sebitz auch mit wörtlichen Anleihen einher.32 So nennen beide Autoren anlässlich des Gründungsjahres der Akademie, 1538, den zu demselben Zeitpunkt zwischen Karl V. und Franz I. von Frankreich geschlossenen Waffenstillstand von Nizza. Im Gegensatz zu Sebitz’ knappen Worten findet sich im Carmen saeculare eine ausführliche Periphrase des Datums, welche zwölf Hexameter umfasst und die beiden Herrscher mit zahl29 Zur Lebensaltermetaphorik für geschichtliche Abschnitte vgl. etwa die Zusammenstellung antiker Schriftsteller und Kirchenväter bei Bodo Gatz: Weltalter, goldene Zeit und sinnverwandte Vorstellungen. Hildesheim 1967, S. 108‒113, und Bernhard Kötting, Wilhelm Geerlings: Aetas. In: Augustinus-Lexikon. Hg. von Cornelius Mayer. Basel 1986‒1994, Bd. 1, Sp. 150‒158. 30 Zu „nives et frigora positura“ vgl. Vergil Aen. VII, 27: „venti posuere“. Eine ungewöhnliche Verwendung liegt bei „bucina“, dem Hirtenhorn, für den etwa von der Hirtenpfeife (stipula, fistula) belegten metaphorischen Bezug auf Hirtendichtung vor; vgl. Thesaurus linguae Latinae (Anm.  23), Bd. 2, 1900‒1906, Sp. 2231‒2233. Auch vom biblischen Gebrauch von ‚bucina‘ für ‚Posaune‘ als Instrument für Signale im Krieg, darunter auch eines siegreichen Triumphes (etwa Ex  19,13; Lev 25,99), entfernt sich Gloner (Anm. 6), S. 193, hier, indem er wohl auf das angekündigte epische Genre anspielt. 31 Ebd., S. 192: „senectas“ sowie ebd., S. 172: „Quos ortus habeant illa, et cunabula vitae, / Quas hinc aetates sint nacta“. 32 Weitere Similien finden sich etwa, wenn Schleiden / Eifel, der Geburtsort Johannes Sturms, von Sebitz (Anm. 6, S. 122: „oppido inter Ubios“) und Gloner (Anm. 6, S. 175: „Urbs Ubios inter populos“) beschrieben wird.

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reichen panegyrischen Epitheta, darunter einem archaisierenden „induperator“ (statt „imperator“), schmückt. Der intertextuelle Bezug zu Sebitz wird erhärtet durch das Zitat „discordia“, während die folgenden Verse ex negativo die Segnungen des Friedens mit einem Polyptoton von „nullus“ und den abwesenden Kriegsgöttern Mars und Bellona untermauern: Gloner, S. 173 Ante decem totidemque annorum lustra, suborta Quae fuit, atque aliquot lente spiravit in annos, Inter Romanae caput inviolabile sedis Induperatorem CAROLUM, magnumque Monarcham, Inter et invictum Gallorum fulmen et ignem FRANCISCUM, postquam misit discordia motus, Inque salutiferam coepit coalescere pacem, Iamque timebantur nulli haec per regna tumultus, Nullum Martis onus, nulla has Bellona per oras, Protulit ista suos mox Pacificatio fructus, Ut toti Imperio, sic partibus eius, et isti Inprimis Patriae.

Sebitz, S. 123 Apertus autem fuit ludus Anno MDXXXVIII […] depositis armis, et pacata inter Carolum V. Imperatorem et Franciscum I. Galliae Regem gravi discordia.

Vor hundert Jahren setzte Frieden ein und währte allmählich so manche Jahre zwischen Karl, dem unverletzbaren Herrscher Roms, dem Kaiser und mächtigen Monarchen, und dem unbesiegbaren, feurigen, strahlenden Franz von Frankreich. Nachdem die Zwietracht Abstand davon genommen hatte, Störungen zwischen ihnen zu erregen, und einen heilsamen Frieden zusammenwachsen ließ, fürchtete in diesen Reichen niemand mehr Unruhen, niemand die Last des Kriegsgottes Mars, niemand in diesen Gefilden die Kriegsgöttin Bellona. Bald trug dieser Friedensschluss Früchte für das ganze römische Reich, seine einzelnen Gegenden und besonders für diese, unsere Vaterstadt.

Ähnliche Periphrasen verwendet Gloner auch für die übrigen Jahresangaben. In der „tertia aetas“ wird das Jahr des Akademieprivilegs 1566 mit der Eroberung Gothas durch Kurfürst August von Sachsen und der Gefangennahme Herzog Johann Friedrichs II. (1529‒1595) sowie der Absetzung Maria Stuarts (1542‒1587) umschrieben, das Todesjahr Johannes Sturms 1589 mit dem Mord an Heinrich  III. von Frankreich (1551‒1589) durch den Dominikaner Jacques Clément und der Beginn der „quarta aetas“ (1621) als jenes Jahr, das auf die Schlacht am Weißen Berg (1620) folgte.33 Des Weiteren werden temporale Periphrasen zur Datierung von Pestepidemien verwendet, die, von Gloner personifiziert,

33 Ebd., S. 188f.: „Anno namque Gotham quo Saxo ceperat urbem, / Capticumque ducem duxit misitque Viennam“, S.  190: „Tempore quo […] / […] Clemens (saeva licet inclementior hydra) / Foedus eum Monachus, quo non est foedior alter, / Tolleret heu tristi (dictu miserabile!) sica!“ und S. 191; das Jahr 1638 wird mit dem bereits zwanzig Jahre währenden Krieg in Deutschland umschrieben (ebd., S. 192).

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Straßburg viermal aus Neid auf den Musenhort heimgesucht hatten.34 Um die erste Krankheitswelle 1541, die im Gymnasium Opfer wie etwa den Theologen Wolfgang Capito (1478‒1541) forderte und es zum Umzug nach Weißenburg zwang, zeitlich einzuordnen, verweist Gloner mit einer Paronomasie auf die osmanische Eroberung der ungarischen Städte Buda bzw. Pest. Die Jahre der zwei folgenden Epidemien 1564 und 1584 werden mit dem Tod Kaiser Ferdinands I. (1503‒1564) bzw. Wilhelms I. von Oranien (1533‒1584) umschrieben, der jüngste Ausbruch der Krankheit 1633, indem der zeitliche Abstand, „spacium quinquenne“ (Gloner, S. 194), zur Deklamation der Festrede angegeben wird. Die Verwandtschaft von Gloners Carmen saeculare mit Sebitz’ Einladungsschrift wird nicht nur dadurch erhärtet, dass beide im Gegensatz zu Boeckler die Ausbrüche der Pest berücksichtigen, abermals lassen sich auch wörtliche Zitate nachweisen.35 Die intertextuelle Faktur des Carmen saeculare prägen folglich enge Bezüge zur Einladungsschrift des Mediziners, während Gloner nur einmal Kenntnis von Boecklers Oratio saecularis andeutet, als er ablehnt, das dort bereits genannte Lehrerkollegium der „secunda aetas“ erneut namentlich aufzuführen bzw. „bis coctam apponere cramben“.36 Gloner bedient sich einer Formulierung Juvenals, die sprichwörtlichen Ruhm erlangte und mit welcher der Satiriker in einem ähnlichen Kontext das Leiden von Lehrern an der steten Wiederholung des Unterrichtsstoffes illustriert.37 An derselben Stelle verweist das Carmen saeculare zudem auf einen im Erscheinen begriffenen „servantissimus index“.38 Dabei handelt es sich um die in ihrem Quellenwert unersetzliche „Appendix chronologica“ des Melchior Sebitz, eine Darstellung aller Scholarchen, Professoren und Präzeptoren am Straßburger Gymnasium bzw. an der Universität, die ebenfalls in der Festgabe 1641 abgedruckt ist, aber von Sebitz bereits während 34 Ebd., S. 193: „Pestis fuit invida, quartum / Quae totam patriam, et sanctas laceravit Athenas.“ 35 Sebitz (Anm. 6), S. 126: „Inde Sebusium, quod dicitur Weisseburgum: ubi Scholae Doctores totam hyemem perstiterunt […]. Eadem belua saeviit quoque Anno MDLXIV“ bzw. Gloner, S.  193: „Haec alio Musas migrare coëgit, et ire / Sebusium, totamque hyemem Brumamque morati; / Donec saevitiam mutavit mitior aër. / Altera saevivit, quo tempore Ferdinandus, / Pacis honoratae fortunatissimus auctor, / Pacis, concilium quam Passaviense probavit, / Excessit vivis“ [Unterstreichung von mir, M.H.]. 36 Gloner (Anm. 6), S. 188: „aufgewärmten Kohl aufzutischen“. Kursivierung im Original. 37 Juvenal VII, 154: „occidit miseros crambe repetita magistros“ – „Elend stirbt an dem Kohl, dem ewig erwärmten, der Lehrer“; Übersetzung: Römische Satiren. Hg. von Werner Krenkel. Aus dem Lateinischen übersetzt von Wilhelm Binder u. a. Berlin 1984, S. 387. Siehe dazu die Bemerkungen zur intertextuellen Faktur S. 106. 38 Gloner (Anm. 6), S. 188: „Nunc qui doctores fuerint, scholicique magistri / Per centum annorum numerum, narrare juvaret, / Si modo fas sineret […] / […] vocabula […] / Claudere, quae partim gravis hac de sede cathedrae / Protulit orator BOECLERUS, et edidit alto / Fertilis eloquio, dulcique retexuit orsu. / Partim qua serie, quo tempore quisque secutus, / Ordo recensebit, vel servantissimus index / Ordinis, atque typo patulum vulgandus in orbem, / Dignos luce viros nunquam patietur obire“.

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seiner Recherchen für die Einladungsschrift begonnen und mit Billigung des Akademiekonvents fertiggestellt worden war.39 Gloner war also genau über beide Schriften Sebitz’ informiert, während er Boecklers Rede spätestens seit deren Vortrag kannte.40 Sebitz’ Ankündigungen im „Programma ad Jubilaei celebrationem invitatorium“ (Schmidt, Bl. [b3v]) deuten jedoch darauf hin, dass alle Redner zumindest grobe Kenntnisse über den Inhalt der anderen Festvorträge besaßen. Sebitz, der vor allem als medizinischer Fachschriftsteller tätig war, gibt an, für die Appendix und somit auch für die Einladungsschrift auf seine eigene Bibliothek zurückgegriffen zu haben.41 Doch auch der Historiker Bernegger soll eine Darstellung der Straßburger Bildungsgeschichte geplant und dafür eine Sammlung aufgebaut haben,42 die vermutlich Boeckler benutzte. Leider lassen die Festbeiträge von Boeckler und Sebitz keine Rückschlüsse mehr darauf zu, ob ihre Autoren Einblicke in die Bestände des jeweils anderen besaßen oder anderweitig kooperierten.

39 Sebitz (Anm. 6), S. 209‒326, hier S. 209f.: „Etsi vero mei muneris atque officij non sit χρονολογίας scribere: quia tamen in Programmate, quod ante biennium, cum Jubilaeum Scholae et Academiae publice celebraretur, sic poscente Rectoris officio, divulgavi, rei istius jam fecissem initium, placuit venerando Dom. Professorum Consilio, ut eam perficerem, et qua dudum habebam collecta, in apertam lucem proferrem: praesertim cum ipse quoque Typographus summis a me precibus contenderit, ut laborem istum non modo utilem, sed et honorificum in me susciperem.“ 40 Auf den Inhalt von Bachs Festvortrag über schulische Disziplin geht Gloner dagegen nicht genauer ein: „BACCHIUS ex isto quem nuper ponte cathedrae / Hac de materia audistis quoque digna profari.“ (Gloner, Anm. 6, S. 192), seine allgemeine Kenntnis ist angesichts ähnlicher Passagen im Carmen saeculare etwa zur ‚indulgentia‘ (Bach, Anm. 6, S. 263; Gloner, Anm. 6, S. 194f.) jedoch vorauszusetzen. 41 Sebitz (Anm. 6), S. 209: „Appendix chronologica a Melchiore Sebizio […] ex ijs Collectaneis, quae jamdudum sua in Bibliotheca asservata habebat, confecta“. Zu Leben und Werk von Melchior Sebitz jun. siehe Julius Leopold Pagel: Sebisch, Melchior. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Bd. 33. Leipzig 1891 (Nachdruck Berlin 1971), S. 508f., Christian Wolff, Jean-Pierre Kintz: Sebitz, 2. Melchior. In: Nouveau dictionnaire de biographie alsacienne. Hg. von Christian Baechler u. JeanPierre Kintz. Strasbourg 1982–2007, S. 3604, sowie Peter Heßelmann: Unbeachtete oberrheinische Bäder-Lyrik aus dem 17. Jahrhundert. In: Die Ortenau 85, 2005, S. 345‒360, hier S. 354f. Eine ausführliche Bibliographie seiner Werke bietet neben Johann Heinrich Zedler: Grosses vollständiges Universallexikon. Bd. 36. Halle, Leipzig 1743, Sp. 836‒838, auch L[ouis-François] Hahn: Sebitz, Melchior. In: Amédée Dechambre: Dictionnaire encyclopédique des sciences médicales. Paris 1864‒1889, hier série 3, tome 8, S. 412f. 42 Vgl. Bünger: Bernegger (Anm. 3), S. 292. Zu Berneggers Bibliothek siehe ebd., S. 138‒142, und Ulrich Moenning: Matthias Berneggers Handexemplar des Glossarium graecobarbarum des Ioannes Meursius mit Korrekturen des Metrophanes Kritopulos. In: Graeca recentiora in Germania. Deutsch-griechische Kulturbeziehungen vom 15.‒19. Jahrhundert. Hg. von Hans Eideneier. Wiesbaden 1994, S. 161‒198, hier S. 176‒178. Ein allgemeines Lob spricht Boeckler in seiner Festrede den Beständen der Straßburger Universitätsbibliothek aus (Boeckler, Anm. 6, S. 156).

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2.3. ortus et prima aetas: Schulgeschichte und Reformationsgeschichte Nach den ersten Versen, welche sich der Anrufung Gottes und Bemerkungen zu Inhalt und Gattung des Carmen saeculare widmen, beginnt die Darstellung der Straßburger Schule mit jenem Abschnitt, der als „ortus et prima aetas“ tituliert ist. Hier, im Kontext der Gründung des Straßburger Gymnasiums, spricht Gloner Themen wie eine grundsätzliche Rechtfertigung von Bildungsanstalten, konfessionelle Konflikte, die institutionelle Binnenstruktur oder die Bedeutung der Scholarchen und des ersten Rektors Johannes Sturm an, die auch im weiteren Verlauf des Festvortrags aufgegriffen werden. Bevor das Carmen saeculare die Gründung des Gymnasiums beschreibt, stehen dessen Vorgänger im Mittelpunkt. Unter einem personengeschichtlichen Blickwinkel greift Gloner drei Lehrer der 1520er bzw. 1530er Jahre heraus, die an verschiedenen Schulen der Freien Reichsstadt unterrichteten: den ehemaligen Kartäusermönch Otto Braunfels (1488‒1534), den mit einer Paronomasie attribuierten „insipidus Sapidus“ (S. 174; „gewitzter Witz“; Johannes Sapidus / Witz, 1490–1561) und Gloners Urgroßvater Johannes Schwebel (1499‒1566). Statt pädagogischer Fähigkeiten hebt Gloner die „recta mens“ (S. 174 „richtige Gesinnung“) der drei Genannten hervor,43 sodass die Verbindung der Straßburger Schulgeschichte mit dem Verlauf der Reformation deutlich wird. Diese Verbindung zählt zu den prägenden Elementen der ‚prima aetas‘ und manifestiert sich auch bei der Erwähnung Martin Bucers. Der Straßburger Theologe, dem zwar zeitlich Matthäus Zell (1477‒1548) als protestantischer Prediger Straßburgs vorausging, wird in Schulangelegenheiten als spiritus rector – bzw. mit epischen Epitheta Jupiters als „pater rectorque“ (Ovid Met.  II, 747) – dafür gepriesen, dass er auf die Eröffnung kleinerer Trivialschulen und, nach einer Versammlung mit den Scholarchen im eigenen Haus, auf die entscheidende Vorlage für einen Ratsbeschluss zur Gründung des Gymnasiums hingewirkt habe.44 Die Räumlichkeiten der Schule dienen Gloner als assoziativer Ausgangspunkt für polemische Ausfälle gegen den Katholizismus, die auch im weiteren Verlauf des Carmen saeculare vorkommen. So richtet sich Gloner mit Schmähungen gegen katholische Mönche und Bischöfe, die früheren Besitzer des ehemaligen Dominikanerklosters, das jetzt vom Gymnasium genutzt wird. Sie werden mit einem Horazzitat, welches sich im Original auf die Freier der Penelope bezieht, als nutzlose Schmarotzer charakterisiert („numer[us]

43 Zur Straßburger Schulgeschichte der Jahre 1500‒1538 vgl. Schindling: Hochschule (Anm.  2), S. 24‒33, 323; Petrus Dasypodius (1509‒1559), der neben Sapidus und Schwebel die dritte Straßburger Lateinschule leitete, wird von Gloner nur beiläufig erwähnt. 44 Gloner (Anm. 6), S. 176f.; ähnlich bei Boeckler (Anm. 6), S. 142. Zu Bucers Beurteilung in der lutherisch-orthodoxen Freien Reichsstadt vgl. die Straßburger KirchenOrdnung (Straßburg 1598, ²1603. [Edition in: Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI.  Jahrhunderts, Bd.  20, Elsaß, 1. Teilband, Straßburg, bearb. von Gerald Dörner. Tübingen 2011, S. 537–699, hier S. 545‒581]).

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tantum, et fruges consumere nat[i]“).45 Die Vertreibung des katholischen Klerus wird sodann mit Anklängen an den biblischen Schöpfungsbericht geschildert und mit der Reformation und deren bildungspolitischen Konsequenzen kontextualisiert.46 Luthers Wirken beschränkt sich dabei nicht nur auf die Renaissance der wahren Religion und eines schlichten Kultes, sondern umfasst, wenn neben dem Reformator noch Erasmus von Rotterdam (ca. 1466‒1536) und Philipp Melanchthon (1497‒1560) berücksichtigt werden, auch die Förderung der ‚artes‘.47 Die aufgehende Sonne, die Tiere und Menschen zu ihrem Tagwerk antreibt, wird sodann mit den bildungspolitischen Begleiterscheinungen der Reformation verglichen.48 Ein Katalog demonstriert, wie zahlreiche protestantische Reichsstände – unter ihnen die Pfalz, Sachsen und Württemberg sowie Nürnberg oder Ulm – säkularisiertes Kirchengut zur Gründung von Schulen nutzten.49

2.4. secunda aetas: „progressus et fama“, Privatschulen und Alamode-Wesen Zu den zentralen Themen der ‚aetas secunda‘ zählen „progressus […] et fama“ (S. 181), d. h. der Ruhm des Gymnasiums und dessen weitere Entwicklung. Dabei wiederholt Gloner in den ersten Versen dieses Abschnittes eine vom Beginn seines Festvortrags bekannte Technik: Eine Adynata-Reihe, die hier zudem bei Catull Anleihen macht, bewirkt die Hypertrophierung des guten Rufes der Straßburger Schule, wird aber mit Bescheidenheitstopik kontrastiert.50 Die Anziehungskraft der Straßburger Schule manifestiert sich in ihrem breiten geographischen Einzugsgebiet, welches eine durch Fragen variierte Aufzäh45 Gloner (Anm. 6), S. 175: „nur Nullen, die dazu geboren wurden, die Früchte der Erde zu verprassen“, vgl. Horaz Epist. I, 2, 27: „numero tantum et fruges consumere natis“. Siehe ebd., S. 177: „foeda sordes Papatus“, „futtiles fuci“, „rasae catervae“ (garstiger Unflat des Papsttums, eitle Purpurträger, geschorener [d. h., die Tonsur tragender] Haufen). 46 Vgl. ebd., S. 177f., sowie ebd. „cum lux oreretur“ bzw. „fiat lux“ (Gen 1,3). 47 Siehe Luthers Sendschreiben An die Ratsherren […], daß sie christliche Schulen aufrichten sollen (1524) sowie Gloner (Anm. 6), S. 177: „sana renasci / Relligio […] et purior arae / Cultus“. 48 Ebd., S. 178: „Sic oriente Dei verbo, moresque politi, / Ingenuaeque artes, cultusque refulgere coepit / Musarum […]“. 49 Ebd., S. 178, ähnlich Schmidt (Anm. 6), S. 22f. Siehe hierzu Anton Schindling: Die Reformation in den Reichsstädten und die Kirchengüter. Straßburg, Nürnberg und Frankfurt im Vergleich. In: Bürgerschaft und Kirche. Hg. von Jürgen Sydow. Sigmaringen 1980, S. 67‒88, hier S. 75‒77, sowie Eike Wolgast: Die Einführung der Reformation und das Schicksal der Klöster im Reich und in Europa. Gütersloh 2014, S. 262‒268. 50 Gloner (Anm. 6), S. 181: „[fama], totum quae mox vulgata per orbem / Omnia regna, omnis complevit climata terrae. / Ast aliquis citius Libyci numerabit arenas / Littoris, indomito si murmure sibilat Auster, / Aequoris aut poterit vastas metirier undas, […] / […] quam dicere nostri / Incrementa queat nomenque extendere ludi. / Hic ego sum tenero puerorum infantior ore, / Nec possum dignis tantum decus edere verbis“ mit Allusion zu Catull 7, 1‒4: „Quaeris, quot mihi basiationes / tuae, Lesbia, sint satis superque. / Quam magnus numerus Libyssae harenae / lasarpiciferis iacet Cyrenis“.

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lung seiner Bewohner umschreibt, und in der sozialen Vielfalt ihrer Alumni bis hin zur hohen Aristokratie. Auch eine Anekdote von einem prominenten Gast soll Straßburgs Attraktivität als Studienort veranschaulichen. So geht Gloner auf den Besuch des Metrophanes Kritopulos (1589‒1639) in der Freien Reichsstadt ein. Der orthodoxe Mönch und spätere Patriarch von Alexandrien hatte nach ersten Jahren auf Athos von 1618 bis 1623 in Oxford studiert und auf seiner Rückreise nach Griechenland mehrere deutsche Universitäts- und Residenzstädte besucht, auch um Möglichkeiten einer Union zwischen orthodoxer Kirche und protestantischen Strömungen zu eruieren.51 Dabei hielt er sich etwa ein Jahr im lutherischen, aufgrund des Wirkens von Georg Calixt (1586‒1656) irenisch-humanistisch gesinnten Helmstedt auf, bevor er von Mitte Juli bis Ende August 1627 in Straßburg weilte. Nach einem offiziellen Empfang durch Honoratioren aus Universität und Senat wohnte Kritopulos in Berneggers Haus, dem er ein willkommener Ansprechpartner in Fragen neugriechischer Lexik und Grammatik war. Enge Freundschaftsbande zu dem Griechen sowie die Unterstützung durch den Straßburger Rat, der die Kosten für die Weiterreise nach Basel übernahm, hebt Gloner hervor, der Metrophanes bis in die Schweiz begleitete.52 Was die Interessen adliger Studenten an humanistischer Bildung betrifft, greift Gloner zu starker Kritik an zeitgenössischen Studentensitten, wie sie sich ähnlich in den Predigten Schmidts und auch in Bachs Festvortrag finden. Statt intellektueller Studien stehen in jüngster Zeit für Alumni aus der Aristokratie häufig körperlich-militärische Ertüchtigungen im Mittelpunkt: „Singen/ Reiten/ Fechten/ Dantzen: Inn Turnirn zubrechen Lantzen/ mit schönen Damen galantisirn/ das will einem Adelichen Gemüth gebühren.“53 Auch strebe man unter den Immatrikulierten statt nach akademischen Meriten lieber nach Aus51 Colin Davey: Pioneer for Unity. Metrophanes Kritopoulos (1589‒1639) and Relations between the Orthodox, Roman Catholic and Reformed Churches. London 1987, sowie Ion I. Ică: Kritopulos. In: Religion in Geschichte und Gegenwart. Hg. von Hans Dieter Betz u. a. Bd. 4. Tübingen 42001, Sp. 1786; Ferdinand R. Gahbauer: Metrophanes: In: Biographisch-bibliographisches Kirchenlexikon. Hg. und begründet von Friedrich-Wilhelm Bautz. Fortgeführt von Traugott Bautz. Bd.  5. Nordhausen 1993, S. 1386‒1389, und Iōannēs N. Karmires: [griech.] Mētrophanēs ho Kritopulos kai hē anekdotos allēlographia autu. Athen 1937, S. 131‒139. 52 Gloner (Anm. 6), S. 182: „Metrophanen […], cum quo mihi copula verae / Mansit amicitiae […] cum te, Basilea, tuosque / Iret et Helvetios rheda ducente penates, / Atque viae sumtus nostro exponente Senatu.“ Mit Bernegger überarbeitete Metrophanes unter anderem das neugriechische Glossar des Johann Meursius (1579‒1639) und verfasste eine Grammatik des zeitgenössischen Griechisch; beide wurden erst Jahrhunderte später gedruckt. Die zahlreichen Straßburger Einträge (darunter auch von Bernegger) in Kritopulos’ Stammbuch werden eröffnet durch Johann Schmidt; von Gloner ist ein Porträtgedicht auf den Griechen überliefert; vgl. Davey: Pioneer (Anm. 51), S. 241‒252. 53 Schmidt (Anm. 6), S. 51. Siehe auch die Klagen bereits in den 1604 reformierten Statuten der Straßburger Akademie, abgedruckt in L’Université de Strasbourg et les Académies Protestantes Françaises. Gymnase, Académie, Université de Strasbourg. Hg. von Charles Engel u. Marcel Fournier. Paris 1894 (Neudruck Aalen 1970), S. 333.

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zeichnungen als „Helden zu Sauffen“.54 Als Ursache dieser Unsitten diagnostiziert Gloner, wie zuvor der Gymnasialrektor Bach, Vorurteile gegenüber dem Lehrpersonal und vor allem erzieherische Milde im Elternhaus, welche die schulische Disziplin gefährden.55 Humanistisch-akademische Bildung – und somit auch die Existenz der Straßburger Schule – gilt Gloner jedoch nicht nur als vergangenes Ideal; sie wird gerechtfertigt als notwendige Voraussetzung zahlreicher Berufe vom Dichter über den Pfarrer bis zum Juristen, politischen Berater und König, die, eventuell einer Predigt Schmidts folgend, ein Katalog nennt.56 Wie zuvor der Theologe so betont auch Gloner die humanisierende bzw. zivilisierende Wirkung von Bildungsinstitutionen – „Hinc Homo prodivit.“ (S. 185: Hier geht man heraus als Mensch.) – und stellt ihre sozialen Folgen als Garant staatlicher Stabilität bzw. der auch vom Straßburger Rat angestrebten Sozialdisziplinierung heraus, was Schmidt in folgenden Worten seiner Predigt zusammenfasst: „daß die Schulen nicht nur ornamenta, eine Zierde und wolstand/ sondern auch fundamenta et bases Reipubl[icae] die Grundveste/ Pfeiler vnd Seulen der gantzen Policey seind“.57 Hierbei kommt Lehrern eine wichtige erzieherische Aufgabe zu, die auf ihrer Vorbildfunktion („[marginal:] Exempla praeceptorum manant in discipulos“, S. 186) und ihrer Methodik beruht. Letztere sei, dem als Lehrer gerühmten attischen Rhetor Isokrates58 gemäß, an die individuellen Bedürfnisse jedes Schülers anzupassen. Wohl nicht selbstlos unterstreicht Gloner am Ende dieser lobenden Passage, dass man Lehrkräfte mit einer derartigen, auch konfessionell zu verstehenden „recta probitas“ (S. 186) nur selten antreffe. Mit dieser Wertschätzung der Präzeptoren, die sich in abgeschwächter Form auch in den Festpredigten Johann Schmidts findet,59 sowie der Kritik an einigen Eltern, die eine ablehnende Meinung gegenüber der Schule und ihren Lehrern vertreten und zu große Nachsicht in der Erziehung üben („praeposterum judicium de praeceptoribus […] indulgentia patrum“, S. 186), korrespondiert die strikte Ablehnung privater Schulen.60 Beiden gemeinsam ist, dass Gloner sie als Gefahr der öffentlichen Ordnung deklariert, wobei er 54 55 56 57

Gloner (Anm. 6), S. 182f., 186f., und Schmidt (Anm. 6), S. 17. Gloner: (Anm. 6), S. 187, und Bach (Anm. 6), S. 163. Gloner (Anm. 6), S. 184f., und Schmidt (Anm. 6), S. 83f. Ebd., S. 88 sowie S. 77f.; Schindling: Hochschule (Anm. 2), S. 387‒389 über das Gymnasium als Instrument des Straßburger Rates zur Sozialdisziplinierung. 58 Quintilian II, 8, 11. 59 Siehe Schmidts zweite Predigt Welcher gestalt die […] Geistlichen Schulbrünnlein von den Praeceptoren sollen gebraucht werden (Schmidt, Anm. 6, S. 25‒45), der in unterschiedlichen ‚usus hortatorios‘ (ad magistratus, ad parentes, ad alios, ad discipulos) zu Respekt vor dem Lehrpersonal und letzteres zu einer guten Amtsführung auffordert, auch wenn die eigenen Bestrebungen, so der ‚usus consolatorius‘, häufig vergebens seien. 60 Siehe Horst F. Rupp: Schule / Schulwesen. In: Die Theologische Realenzyklopädie. Hg. von Gerhard Krause u. Gerhard Müller. Bd. 30, Berlin 1999, S. 591–627, hier S. 600f. zur Verdrängung privater Schulen durch die städtische Obrigkeit. Ähnliche Kritik übt Brülow im Nebucadnezar (Straßburg 1615, S. 21), hierzu Hanstein: Brülow (Anm. 1), S. 332f.

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die Leiter von Privatschulen zuerst an sich wertneutral als „αὐτοδίδακτοι“ bezeichnet61, dann jedoch als „insanum genus“ herabsetzt: [S. 188] Hunc refer ad coetum, auditor, quos αὐτοδιδάκτους Dicimus, insanum genus et discrimine plenum, Tam male privati sibi directoria ludi, Suadentesque suis felicia sidera coeptis, Quam male gens suadet faustum sine principe regnum, Et clarum sine sole diem, sine lumine coelum. Hunc refer ad coetum molles, morumque novorum Illepidos mimos, qui res imitantur ineptas, Vestitum, incessum variant, gestusque genasque Nescio quam vano exemplo mutare laborant. Hi dum sectantur peregrina crepundia stulti, Et depravatae captant vaga somnia plebis, Congenitae perdunt verum virtutis honorem. Werter Zuhörer, lenke deine Aufmerksamkeit auf jene, die wir ‚Autodidakten‘ nennen, eine gefährliche Bande voller Narren. Ebenso grundverkehrt verheißen sie sich selbst die Leitung ihrer Privatschule und ihren Unternehmungen eine glanzvolle Zukunft wie ein Volk, das sich eine glückliche Herrschaft ohne Fürsten vornimmt, einen hellen Tag ohne Sonne, einen Himmel ohne leuchtendes Gestirn. [Werter Zuhörer,] lenke deine Aufmerksamkeit [nun] auf jene verweichlichten und geistlosen Nachaffer neuer Sitten, die unangebrachtes Zeug nachahmen und ihre Art, sich zu kleiden und zu gehen, ändern und sich anstrengen, Gestik und Mimik nach irgendeinem eitlen Vorbild nachzubilden. Während diese Dummköpfe fremdem Kinderkram folgen und den vergänglichen Träumen des heruntergekommenen Pöbels hinterherhaschen, verlieren sie die wahre Ehre ihrer angeborenen Tugend.

Mit der Anapher „Hunc refer ad coetum“ wendet sich Gloner in einer zweiten Apostrophe an sein Publikum, um das Alamode-Wesen zu kritisieren, d. h. die Orientierung an ausländischem Aussehen und Verhalten („vestitus, gestus, genae“), wobei auch eine Veränderung der Gangart („incessus“) erwähnt wird, die sich auf das Stolzieren in der Öffentlichkeit bezieht. Mit seiner Kritik an der Übernahme fremder Sitten steht Gloner in einer breiten, sich seit dem Beginn des 17.  Jahrhunderts ausdehnenden Strömung, wobei im lateinischen Carmen saeculare die fremdsprachlichen Einflüsse auf das Deutsche, im Gegensatz zu zahlreichen volkssprachlichen Werken wie dem anonymen, 21 Strophen umfassenden

61 Vgl. die Wörterbücher von Melchior Weinrich: Aerarium poeticum. Frankfurt/Main 71677, S. 15; Adam Friedrich Kirsch: Abundantissimum cornu copiae linguae Latinae et Germanicae selectum. Leipzig 1774, Sp. 322, und Johannes Micraelius: Lexicon philosophicum terminorum philosophis usitatorum. Stettin 1661, Sp. 204.

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Gedicht Alamodo Monsiers (1628), unberücksichtigt bleiben.62 Zu diesen Kritikern des Alamode-Wesens zählt auch Johann Ellinger, der in seinem Allmodischen KleyderTeuffel den „[p]flastertretend[en] SpatzierTeuffel“ folgendermaßen beschreibt:63 Da weiß mancher nit wie Närrisch er nur sich stellen sol/ vnd gucket ihm der Allemodische Fantast zu allen Gliedmassen herauß/ vnd sperret sich Herr Omnes wie ein Haspel der Katz im Carniersack. Die lincke wirfft man in die Seyte/ die rechte spielet mit dem Allemodischen Bärtlein. Die Augen lauffen in alle winckel/ da speizet/ reuspert vnd hustet man jmmerdar/ daß ja jederman an die Fenster falle vnd zusehe/ wo vnser junge Herr vnd junge Frauw daher schwentze.

Innerhalb der Freien Reichsstadt beschäftigt sich während der 1640er Jahre der Theologe Johann Konrad Dannhauer (1603‒1666) in seinen Predigten mit dem Alamode-Wesen; Johann Michael Moscherosch (1601‒1669), ein Absolvent der Straßburger Universität und enger Bekannter Gloners, eröffnet den zweiten Teil seiner Gesichte Philanders von Sittewald mit einem „A la mode-Kehrauß“.64 Wie Gloner diagnostiziert auch Johann Rist (1607‒1667), dass immer mehr Bevölkerungsschichten, darunter auch „Stallbuben“ und „Spinnmägde“, fremde Sitten übernehmen.65 Gloner setzt deren mit Hoffnung auf soziale Aufwertung verbundene Orientierung nicht nur als Illusion einer depravierten Plebs herab („depravatae captant vaga somnia plebis“); er kritisiert wie auch Dannhauer diese Veränderung aus patriotischer Perspektive als Verlust vaterländischer Ehre („perdunt verum […] honorem“). 62 Vgl. Ernst Martin: Beiträge zur elsässischen Philologie. In: Jahrbuch für Geschichte, Sprache und Literatur Elsass-Lothringens 13, 1897, S. 203‒226, hier S. 207f.: Alamode-Kritik findet sogar Niederschlag in den Französischlektionen des in Sedan gebürtigen und nach Straßburg emigrierten Sprachlehrers Daniel Martin (1594‒1637). 63 Johann Ellinger: Allmodischer KleyderTeuffel. Frankfurt/Main 1629, S. 23. 64 Siehe Kenneth G. Knight: Johann Michael Moscherosch. Satiriker und Moralist des siebzehnten Jahrhunderts. Übersetzt von Michael Amerstorfer. Stuttgart 2000, S. 86‒91, sowie Willi Flemming, Ulrich Stadler: Barock. In: Deutsche Wortgeschichte. Hg. von Friedrich Maurer u. Heinz Rupp. Bd. II. Berlin ³1974, S. 3‒30, hier S. 10‒14 zu kulturgeschichtlichen Hintergründen hinsichtlich der Orientierung A-la-mode und zur Kritik an derselben. Letztere äußert etwa Johann Konrad Dannhauer in seiner Predigt über die „schnöde Kleyderpracht“ (Dannhauer: Catechismusmilch […] Ander Theil. Straßburg 1643, S. 95‒106). Zu Moscheroschs „Alamode-Kehrauß“ siehe Knight, ebd., und Wilhelm Kühlmann: Kombinatorisches Schreiben – Intertextualität als Konzept frühneuzeitlicher Erfolgsautoren (Rollenhagen, Moscherosch). In: Intertextualität in der Frühen Neuzeit. Studien zu ihren theoretischen und praktischen Perspektiven. Hg. von Wilhelm Kühlmann u. Wolfgang Neuber. Bern 1994, S. 111–139. 65 Vgl. Johann Rist: Lob- Trawr- vnd Klag-Gedicht/ Uber gar zu frühzeitiges/ jedoch seliges Absterben/ Des […] Herren Martin Opitzen. Hamburg 1640, Bl. [F 4v f.]: So nennen sogar die „Bernhäuter und Stallbuben einander Cavalier“, während „sich auch die Spinnmägde damit erlustigen/ ja die Barjungen hinter dem Pflug von Serviteur vnd Monsieur zu sagen wissen“, vgl. auch Johann Michael Moscherosch: Gesichte Philanders von Sittewald. Hg. von Felix Bobertag. Berlin [o.J.], S. 169.

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2.5. tertia aetas crescentis ludi: Privilegierungen, Patrone und Publikationen Der Abschnitt über das dritte Lebensalter des Straßburger Gymnasiums umfasst die Erweiterung der Schule („crescit“) infolge ihrer schrittweisen Privilegierung zur Universität mit vollen Promotionsrechten. Dabei datieren temporale Periphrasen das Akademie- und Universitätsprivileg66 und werden, wie in der Inhaltsübersicht des Carmen saeculare angekündigt, mit panegyrischen Versen auf „patroni“ (S. 172), d. h. auf die jeweils amtierenden, typographisch durch Majuskeln hervorgehobenen Kaiser und Scholarchen, verbunden. So preist Gloner etwa den Scholarchen Jakob Sturm (1489‒1553) als im ganzen Reich geachtete Persönlichkeit, war er doch abgesehen von der Gründung des Gymnasiums auch an der Confessio Tetrapolitana maßgeblich beteiligt.67 Dass Gloner auch die Kaiser mit Lob bedenkt, ist nicht nur in den hochschulrechtlichen Rahmenbedingungen begründet, wonach dem Reichsoberhaupt das Erteilen von Universitätsprivilegien oblag;68 Straßburg war zudem als Freie Reichsstadt dem Kaiser unmittelbar unterstellt. Somit verwundert es nicht, dass diese Beziehungen seit jeher ihren Niederschlag in zahlreichen panegyrischen Werken der protestantischen Humanisten Straßburgs und folglich auch in entsprechenden Passagen des Carmen saeculare fanden. In Letzterem fällt der Lobpreis allerdings recht kurz aus und ist von gängiger Topik geprägt. Kaiser Maximilian II. (1527‒1576) wird mit einer bekannten Etymologie seines Namens als größtes Mitglied der „gens Aemilia“ bezeichnet und durch diese Eingliederung in eine der ältesten römischen Familien mit zahlreichen Feldherren genealogisch erneut nobilitiert: „MAXIMus aemILIANUS […] Caesar“ (S. 189). Ferdinand II. (1578‒1637) wird nur mit dem gängigen Epitheton ornans „divus“ näher beschrieben.69 Dies lässt sich allgemein mit den Folgen des Dreißigjährigen Krieges, personen- bzw. dynastiegeschichtlich aber auch mit der Anwesenheit des Herzogs Friedrich von Württemberg-Neuenstadt (1615‒1682) im Publikum begründen, dem bzw. dessen Familie Ferdinand II. die Restitution ihres Herrschaftsgebietes verweigert hatte.70 Um die institutionelle Fortentwicklung der Schule zu schildern, nutzt Gloner Wachstumsmetaphern („crescere“ S. 189f.) oder die Bezeichnung dieser Epoche als ‚Blütezeit‘ der Schule, aber auch Vergleiche, die zwischen dem Gymnasium und biblischen sowie heidnischen Referenzen wie der aus Ps 92,13 bekannten Zeder auf dem Libanon und paradigmatischen Heimstätten Apolls und der Musen wie dem Pindus gezogen werden.71 66 67 68 69 70

Gloner (Anm. 6), S. 188f., 191. Ebd., S. 174. Schindling: Hochschule (Anm. 2), S. 44f. Vgl. Hanstein: Brülow (Anm. 1), S. 90f., 189, 478, 612. Gloner (Anm. 6), S. 173: „Vos quibus est audire quies […] / Teccensis Princeps Friderice ter inclyte terrae“. Erst 1638 gab Ferdinand III. das Herzogtum Württemberg an Eberhard III. zurück. 71 Ebd., S. 189f.: „Tertia Gymnasii fuit et robustior aetas. / Tunc velut in Libani procera cacumine cedrus / Crescit […] / Haud secus hoc isto Museum floruit aevo, / […]. hic posuit tentoria Phoebus,

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Dieses Urteil beruht auf berühmten Errungenschaften des Gymnasiums, „illustres operae“ (S. 190). Zu ihnen zählen die jährlichen, seit den 1580er Jahren beinahe lückenlos belegten, vor großem Publikum erfolgten Theateraufführungen. Trotz ihres Verbots 1622 waren sie also zum Zeitpunkt der Hundertjahrfeier noch bekannt und sollen die Inszenierungen der Italiener, Franzosen, Engländer und Jesuiten übertroffen haben.72 Sodann spricht Gloner den Depositionsritus an:73 Utilis hoc etiam prodivit tempore ritus: Qui iubet indignos juvenem dediscere mores, Et cassas odisse nuces nucleumque tueri; Seu velut appellant, foedum deponere cornu[,] infamem maculam, et S[t]udiosi nomen habere. Qui viget atque istos ritus servatur in annos. Es hat sich auch ein nützlicher Brauch heutzutage erhalten: Er befiehlt den jungen Männern, sich unwürdige Sitten abzugewöhnen, das Hohle der Nuss zu hassen und stattdessen ihren Kern zu betrachten oder, wie man sagt, sich die ekelhaften Hörner, diesen Schandfleck, abzustoßen und den Namen eines ‚Studiosus‘ zu tragen. Dieser Brauch lebt fort und wird [auch] über diese Jahre hinaus bewahrt.

So entfernt man bei der Deposition neuen Studenten symbolisch Insignien ihrer Unerfahrenheit wie etwa aufgesetzte Hörner („foedum deponere cornu“)74 und unterzieht sie einem Examen. Obwohl dies häufig mit übermäßiger Gewalt einhergeht – die Straßburger Universitätsstatuten betonen wohl nicht grundlos, dass „bescheidenheit“75 anzuwenden sei –, wird der Ritus im Carmen saeculare gutgeheißen. Dies wird damit gerechtfertigt, dass die Alumni grundsätzlich ihr Verhalten verbessern („indignos juvenem dediscere mo-

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et omnes / Aonides posuere domum, dulcesque tabernas, / Oblitae veteris […] Pindi. / Hic et aquas fontesque pari fodere paratu / Pertaesae prisci salientis et Hippocrenes“. Ebd., S. 190f. Ebd, S. 191. Siehe allgemein Ulrich Rasche: Deposition. In: Enzyklopädie der Neuzeit. Hg. von Friedrich Jaeger. Bd. 2. Stuttgart 2005, Sp. 924–927, sowie Marian Füssel: Riten der Gewalt. Zur Geschichte der akademischen Deposition und des Pennalismus in der frühen Neuzeit. In: Zeitschrift für Historische Forschung 32, 2005, S. 605–648, hier S. 621‒625 zu den Straßburger Verhältnissen. Diese schildern die seit 1580 mehrfach in Straßburg verlegten Orationes duae de ritu et modo depositionis beanorum (Straßburg: Johann Albert Dolopf 1680) anschaulich mit zahlreichen Illustrationen. Vgl. ferner die Beschreibung der Universität Wittenberg im beginnenden 16. Jahrhundert: Andreas Meinhardi: Dialogus […] urbis Albiorene […]. Leipzig 1508; Nachdruck mit deutscher Übersetzung von Martin Treu, Leipzig 1986, hier S. 161‒196). Siehe dazu den Kupferstich in den Orationes duae (Anm. 73), Illustration 13 samt dem lateinischen Begleitepigramm: „Cornua decutio: moriendum est namque Beano: / Ne nova recrescant, magne Beane cave!“ L’Université de Strasbourg (Anm. 53), S. 337.

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res“) und sich mit größerer Konzentration akademischen Studien statt nutzloser Nebentätigkeiten widmen, welche die Alliteration „cassas odisse nuces nucleumque tueri“ umschreibt. Durch beides verdienen sie sich die Bezeichnung „S[t]udiosi“.76 Hiermit bezieht sich Gloner auf den in den Universitätsstatuten festgeschriebenen Brauch, dass den zukünftigen Studenten unter Aufsicht von Professoren „der Nammen eines Studiosi fleissig ercleret“ werde, womit wohl die Etymologie bzw. Bedeutung des Wortes gemeint und Hinweise auf die Pflicht zum ernsthaften Studium verbunden waren.77 Folgt man der überlieferten Orthographie „Sudiosi“, so müsste ein auf einer Paronomasie basierendes Wortspiel zwischen ‚studiosus‘ und dem Neologismus ‚sudiosus‘ angenommen werden. Letzteres könnte von ‚sudor‘ (Schweiß) abgeleitet werden und würde auf die schweißtreibenden, d. h. anstrengenden akademischen Lehrjahre bzw. auf die im Schweiße ihres Angesichts lernenden Studenten anspielen. Jene Professoren, die grundlegende Studienliteratur (S. 191: „Scripta […] in usum / Pubis“) verfasst haben, stehen nun im Mittelpunkt des Carmen saeculare: der Orator Sturm und sein Nachfolger Melchior Junius (1545–1604), der wie der ebenfalls erwähnte Johannes Bentz (1547‒1599, Logik) zahlreiche einführende Werke zur Rhetorik verfasste, sowie die Dialektiker Theophilus Gol (1528‒1600) und Joseph Langius (um 1570‒1615), deren Latein- und Griechischlehrbücher lange an der Akademie in Gebrauch waren.78 Nach diesen werden die Kompositionen des Christoph Thomas Walliser gepriesen. Der als Straßburger „Orpheus“ (S.  191) bezeichnete Musiklehrer hatte im Zuge der Gymnasialreform des Jahres 1634 seinen Posten als ‚praeceptor octavae‘ verloren und fristete seitdem trotz großer Wertschätzung ein Leben in stetig wachsender Armut.79 Kann man 76 Vgl. Orationes duae (Anm. 73, S. 3): „Duplex autem omnino est id, quod in studioso requiritur, Studiorum scilicet conformatio et morum elegantia“. 77 L’Université de Strasbourg (Anm. 53), S. 337. Zum Straßburger Depositionsritus siehe auch einen Kupferstich im Speculum Cornelianum (Straßburg 1618) des Straßburger Druckers Jakob von der Heyden, den folgende Verse erläutern: „Hisce modis varijs tentatur cruda juventu[s]: / In studiosorum si petat esse choro“. 78 Von den meist in der Nachfolge Sturms verfassten rhetorischen Einführungs- bzw. Lehrwerken des Johannes Bentz erlebten etwa die Locorum communium genera IV (Straßburg 11588, 21601) zwei Auflagen; von Gol stammt u. a. die Educatio puerilis linguae Latinae (Straßburg 1578), die bis in die 1620er Jahre in Straßburg verwendet wurde, sowie für den Griechischunterricht die Educatio puerilis linguae Graecae (Straßburg 1541, 1596, 1651), welche zusammen mit Langs Epitome prosodiae Graecae (Straßburg 1596) benutzt wurde. Zu diesen siehe Schindling: Hochschule (Anm. 2), Register. 79 Vgl. die Darstellung der Gymnasialreform 1634 bei Bünger: Bernegger (Anm. 3), S. 274‒286; zu Walliser siehe Günther Morche: Walliser. In: Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Hg. von Ludwig Finscher. Bd. 17. Kassel 2007, hier Personenteil, Sp. 415–417, sowie August Bähre: Christoph Thomas Walliser. In: Festschrift Straßburg (Anm. 7), Bd. 1, S. 357–384, hier S. 359 u. 383. Seine Bezeichnung als „Orpheus“ findet sich auch in einem Begleitepigramm Brülows zu Wallisers Porträt in seinen Ecclesiodiae novae: Das ist Kirchengesäng ander Theil (Straßburg 1625. [Edition hg. von Danielle Guerrier Koegler. Straßburg 2000, S. XIV]): „Orphea miraris? miraris Ariona?“.

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in der lobenden Erwähnung Wallisers verklausulierte Kritik an dessen Entlassung sehen, so äußert sich diese deutlicher bei der Erwähnung der organisatorischen Trennung von Gymnasium und Universität, die sich im Ausschluss der Präzeptoren von der akademischen Selbstverwaltung im ‚conventus academicus‘ manifestierte, in welchem dem Gymnasiarchen nun als einzigem Schulvertreter ein Sitz verblieben war:80 Tunc praeceptores, gentis quasi facta minoris Numina[,] Conventu seclusit et arcuit omni Turba Professorum voto, longeque removit. Damals haben alle Professoren die Präzeptoren gleichsam als Betreuer des niederen Volkes abgestempelt und vom Akademiekonvent und von jeder Möglichkeit der Stimmabgabe ausgeschlossen und weit entfernt.

2.6. quarta aetas: renovatio et exhortatio; Verfall und Erneuerung Im Gegensatz zu den ausführlichen Abschnitten der ersten drei Zeitalter umfasst die „quarta aetas“ nur wenige Verse, die in Bildern des körperlichen Verfalls den Niedergang des Gymnasiums und seine Ursachen schildern.81 So habe der Dreißigjährige Krieg die Schülerschaft dezimiert und angesichts von Zerstörungen und Hungersnöten deren Interessen verändert.82 Abermals verlässt das Carmen saeculare seine chronologische Grundstruktur und geht auf weitere, grundsätzliche Gefahrenquellen für die Schule ein: auf die bereits erwähnten Pestepidemien, die bisweilen zur Schließung geführt hatten,83 und auf die Streitigkeiten zwischen den Theologen Johannes Marbach (1521‒1581) und Hieronymus Zanchi (1516‒1590) bzw. Johannes Pappus (1549‒1610) und dem Rektor Johannes Sturm sowie auf die Katholiken. Gegen deren Bedrohung wendet sich Gloner, indem er 80 Gloner (Anm.  6), S. 192. Zu den Institutionen und ihrer Trennung siehe Bünger: Bernegger (Anm. 3), S. 255, 258–260, sowie Schindling: Hochschule (Anm. 2), S. 119, 154‒156. Im Zusammenhang mit Sturms Tod nennt Gloner den organisatorischen Wechsel vom ‚rector perpetuus‘, dann die zwölfjährige Amtsdauer des Melchior Junius, schließlich das jährlich wechselnde Wahlrektorat der Akademie, weshalb er auch die ersten Rektoren des Gymnasiums nach 1621 erwähnt: Caspar Brülow, Martin Sinnitz u. Georg Bach (ebd., S. 190, 192, bzw. Schindling: Hochschule, Anm. 2, S. 97‒100, 142‒148). 81 Gloner (Anm. 6), S. 192: „Quae velut ingenitum robur depascit, et artus / Debilitat, lenteque humorem amittere pergit. / Sic (nec enim celanda cano) Schola vergit, et aevo / Exhaustas queritur vires.“ 82 Ebd., S. 192f. Ähnliches lässt sich über die Entwicklung der Universitätsmatrikel sagen, siehe den Beitrag von Wolfgang Mährle in diesem Band. Nach dem historischen Höchststand in den 1620er Jahren (206 Immatrikulationen) halbierte sich die Zahl der neu eingeschriebenen Studenten in den 1630ern. 83 Vgl. Sebitz (Anm. 6), S. 134f.

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Wissensbestände aus heidnisch-antikem Mythos und Bibel kombiniert. So wird Straßburgs Wohlergehen durch Trojas Palladium und die Bundeslade symbolisiert, die von Diomedes und Odysseus bzw. von den von Israel besiegten, aber aufständischen Philistern geraubt werden und damit den Intrigen der katholischen Kirche Inspiration bieten.84 Größere Gefahren als diese offenen Feinde stellen jedoch latente Bedrohungen, „latentia mala“ (S. 194) dar, die Gloner mit Krankheiten vergleicht. Dieses Spiel mit den unterschiedlichen Bedeutungen von „malum“ als allgemeines und körperliches Übel bewahrt die inhaltliche Kohärenz des Abschnittes, der nun auf eine als „Opinio pestilentis“ bezeichnete Einstellung von Schülern eingeht, die egoistischen Ehrgeiz, Dreistigkeit und frühreife Großsprecherei mit Zweifeln an Methode, Curriculum und Lehrpersonal des Gymnasiums verbindet.85 Ausführlich berücksichtigt Gloner ein weiteres „punctum fatale“ (S. 195) für den Niedergang des Gymnasiums, das auch Georg Bach, der Rektor der Straßburger Schule, an ähnlicher Stelle erwähnt: das Verhältnis zur Akademie bzw. Universität.86 Zahlreiche Vergleiche setzen die beiden Institutionen in Relation, wobei die sukzessive Privilegierung der weiterführenden Bildungsanstalt mit einem Ansehensverlust des Gymnasiums einhergeht. So verblasst das Gymnasium vor der Akademie bzw. Universität wie Sterne vor der Sonne, oder es unterliegt wie ein friedsamer Mensch einem bewaffneten Soldaten.87 Die Betrachtung der Verfallsursachen schließt mit dem Hinweis auf das Schicksal, dessen Rad die Menschen und somit auch Schulen unterworfen seien – eine Personifikation des Gymnasiums, die an den Beginn der ‚quarta aetas‘ gemahnt.88 Chronologisch fährt das Carmen saeculare fort, um die Gymnasialreform des Jahres 1634, die „Renovatio sive restauratio Gymnasii“, darzustellen. Dabei korrespondieren die Verse mit Themen und Motiven aus dem bisherigen Verlauf des Festepos. Wie bei den vorherigen Änderungen der institutionellen Binnenstruktur wenden sich auch jetzt panegyrische Verse an die Scholarchen. Ihre Bezeichnung als „naucleri“ (S.  196), d. h. als Schiffsherren bzw. Kapitäne, nimmt Metaphorik aus der ‚prima aetas‘ des Gymnasiums auf, in der Sturm mit paradigmatischen Steuermännern des antiken Mythos verglichen

84 Folgende Bezeichnungen gelten etwa dem katholischen Klerus: „Ausoni[ae] lupae socienni […] / Invidiaque odioque per ilia foetida rupti / Insolitas diro tentarunt omine fraudes“ (Gloner, Anm. 6, S. 194). 85 Gloner (Anm. 6), S. 194f.: „Scilicet errorum fatalis Opinio mater, / Cuique suum pulchrum quae suadet, […]. / Haec coepit methodum nunc fastidire docendi, / Nunc scripta autorum, quibus informanda juventus, / Carpere, nunc odio personas urere, […]. / Quantus amor coepit tenerorum fallere corda? / Quanta vel ambitio, vel confidentia?“ 86 Dazu auch Bach (Anm. 6), S. 265. 87 Gloner (Anm. 6), S. 196. Bemerkenswert ist die doppelte Herabsetzung des Gymnasiums in einem weiteren Vergleich „ut alga / Vilius occiperet, pede quae calcatur, haberi“ (ebd., S. 196). 88 Ebd., S. 196.

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wird.89 Gloner knüpft danach an die kurz zuvor geschilderten Krankheiten der Schule an, indem er die Scholarchen mit Ärzten, ja mit Hippokrates und Galen, den berühmtesten Medizinern der Antike, gleichsetzt. Hier wird außerdem zwischen jenen Scholarchen, unter denen die Reform einsetzte, und jenen, die seitdem für das Wohl der Schule sorgen, unterschieden. Wie bereits zuvor, als er in mythologischer Transposition als zweiter Atlas für Straßburgs Wohl Sorge tragen soll, gilt dem seit nunmehr 18  Jahren als Schulherr amtierenden Franz Rudolf Ingold (1572‒1642) besonderes Lob, das ihn als zentralen Straßburger Bildungspolitiker der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts hervorhebt.90 Hier erwähnt Gloner auch jene Professoren, die mit der Neuordnung des Gymnasiums 1634 beauftragt gewesen waren und unter denen sich mit Dannhauer und Bernegger zwei Schützlinge Ingolds befanden.91 Während Gloner die Lehrplanreform 1623 übergeht, spricht er die Reduzierung von Klassen und die neue Verteilung von Fach- und Klassenlehrern als Leistung der Scholarchen und beteiligten Professoren ausführlich und voller Lob an.92 Auf den folgenden Seiten wendet sich Gloner an Studenten und Präzeptoren. Vergleichbar mit Schmidts Festpredigten, die den Vorgaben der zeitgenössischen Homiletik folgen und im ‚usus hortatorius‘ unterschiedliche Lehrinhalte für verschiedene Gruppen

89 Vgl. ebd., S. 175, sowie die Bezeichnung des ersten Lehrerkollegiums als rudernde Schiffsbesatzung: „socios […], qui transtra obliqua prementes / Remigium properent, altoque celeusmate vires / Atque manus fortes et mutua robora jungant“ (ebd., S. 176). 90 Ebd., S. 192: „Atque utinam longum vivat, patriaeque salutem / Alter Atlas humeris sustentet“ sowie S.  196 u. S.  198 („his ducibus coepit mutatio“). Zu Ingolds Vita siehe Sebitz (Anm.  6), S. 219f., und Christian Wolff: Ingold, Franz Rudolf. In: Nouveau dictionnaire de biographie alsacienne (Anm. 41), S. 1750f., ferner Rodolphe Reuss: Vieux noms et rues nouvelles de Strasbourg. Straßburg 1883, S. 316‒324. Ingold amtierte seit 1620 als Scholarch und war für den Stadtrat auf zahlreichen diplomatischen Missionen in Deutschland unterwegs, welche zum Erlangen des Straßburger Universitätsprivilegs und zum Beitritt der Freien Reichsstadt zum Heilbronner Bund führten, an dessen Verhandlungen in Frankfurt/Main in den 1630er Jahren er ebenfalls teilnahm: „Et Francofurti vixit, studioque fideli / Tunc pro Germano sudavit et alsit honore“ (Gloner, Anm. 6, S. 198). Siehe auch Ingolds Ansehen etwa in der auf seinen Tod herausgegebenen Würdigung von Johann Heinrich Boeckler: Laudatio posthuma […] Francisci Rudolphi Ingoldi. Straßburg 1642. 91 Außer Dannhauer und Bernegger war auch der Theologe Johann Georg Dorsche (1597‒1659) an der Reform 1634 beteiligt: „Dorschaeus, Dannhavverus, coelestis uterque / Doctor et interpres verbi, tum gloria nostri / Temporis, et summum vir Berneggerus ad unguem / doctus […]“ (Gloner, Anm. 6, S. 197). 92 Gloner (Anm. 6), S. 197: „Si licet exemplum producere, remque probare / Testibus, et veris in apricum mittere verbis, / Ne quis adulari blando me murmuret ore, / Ante quod excurrit spatium vix quattuor annos / Correxere vetus, dum contraxere Lyceum, / Mutata exiguum methodo et ratione docendi.“ Vgl. die Darstellung der Gymnasialreform 1634 bei Bünger: Bernegger (Anm.  3), S. 274‒286.

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des Publikums zusammenfassen,93 wendet sich eine „Exhortatio ad iuventutem“ an die studentische Zuhörerschaft, wobei inhaltlich-stilistische Muster aus dem bisherigen Verlauf des Carmen saeculare auf das Publikum appliziert werden. Die Alumni sollen ernsthaft studieren und die Scholarchen ehren, welche im Gegensatz zur breit ausgemalten, verwüsteten Bildungslandschaft im übrigen Deutschland die Straßburger Schulen aufrechterhalten haben.94 Dabei wird die Jugend an ihre zukünftigen Führungsrollen in Magistrat, Kirche, Gericht und Schule bzw. Universität erinnert, wo sie als „gens supposititia“ in zwar leitender, doch dem Adel bzw. Stadtpatriziat („Caesar Proceresque“) letztlich untergeordneter Position zum Gemeinwohl beitragen werde.95 Diese Ansprüche gipfeln in einem Loblied („laudabile carmen“, S. 200) auf die Jugend, für das Gloner auf eine in Sparta gepflegte Tradition des Chorgesangs rekurriert, in der, getrennt nach Altersgruppen, drei Chöre sangen: junge Knaben, Jugendliche und Erwachsene:96 Si quid Spartano fas est de more profari, Ecce senes cantant Fuimus laudabile carmen, Nec magis ulli operam facto, me judice, navant Quam coeptis orare tuis bona vela viasque, Quam te consilio Musasque juvare beato. Nos Sumus accinimus, plausumque levamus in altum Aethera, et auxilio te confirmamus et arte. Tu quid ais juvenum grex o formose? quid isti Succinis harmoniae? quod turba fuistis avorum, Et quod adhuc estis fortissima turba virorum, Illud quondam Erimus, nos fortunante supremo Numine.

93 So wendet sich Schmidt am Ende seiner zweiten Festpredigt Welcher gestalt die […] Geistlichen Schulbrünnlein von den Praeceptoren sollen gebraucht werden in separaten Applikationen des ‚usus hortatorius‘ an den Magistrat, an Schüler und ihre Eltern, die Präzeptoren und die übrigen Einwohner Straßburgs (Schmidt, Anm. 6, S. 41‒44). Während Gloners Carmen saeculare gegen Ende Elemente der Predigt verwendet, ist der Prolog in Brülows Jona (1627), einem im Hexameter verfassten RedeActus, nach den Vorgaben der zeitgenössischen Homiletik gegliedert, vgl. Hanstein: Brülow (Anm. 1), S. 639, 669‒674. 94 Gloner (Anm. 6), S. 199. 95 Ebd., S. 199f.: „Tu civile bonum, commune augebis“. 96 Ebd., S. 200. Bezeugt sind derartige Chorgesänge etwa bei Plutarch (Lyk. 21,2; Mor. 238A-b), wobei die Moralia in der Ausgabe von Wilhelm Xylander (Basel 1574) zugänglich waren und Plutarchlektüre im 16. und 17. Jahrhundert durch die Straßburger Professoren Michael Beuther und Bernegger gut belegt ist (Schindling: Hochschule, Anm. 2, S. 265f., 273, 282f.). Am bekanntesten ist der spartanische Kult der ‚Gymnopaidiai‘, hierzu Michael Pettersson: Cults of Apollo at Sparta. The Hyakinthia, the Gymnopaidiai, and the Karneia. Stockholm 1992.

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Wenn ich nach Art der Spartaner vorsprechen darf, gebt acht!, die Alten singen „Wir waren“ als Loblied. Für nichts anderes wenden sie meiner Meinung nach mehr Mühe auf, als deinen Unternehmungen gute Winde und Wege zu wünschen, als dich[, Jugend,] und die Musen mit gutem Rat zu unterstützen. Wir singen „Wir sind“ und lassen unseren Applaus in die Höhen des Himmels steigen und machen dich stark mit unserer Hilfe und Kunst. Was sagst du, o schöne Schar der jungen Herren? Wie stimmst du in diese Harmonie ein? Was all ihr Großväter wart und ihr, ihr zahlreichen Männer voller Tatendrang, noch seid, das, mit Gottes Hilfe, „werden wir sein“, künftig.

Gloner evoziert einen Wechselgesang, bei dem er als Vorsprecher auftritt („profari“) und sich an seine Zuhörer wendet. Diesen kommt je nach Generation ein unterschiedlicher Text zu, welcher die Bedeutung des einzelnen Lebensalters für die Jugend in einem Polyptoton von „esse“ schildert: „Senum FVIMVS. Virorum SVMVS. Iuvenum et puerorum ERIMVS.“ (Gloner, S. 200) Der Großvätergeneration aus ehemaligen Führungskräften, worunter auch die Scholarchen zu verstehen sind, obliegt es, eine Ratgeberrolle einzunehmen und durch den Erhalt der Schule („Musas iuvare“) günstige Rahmenbedingungen zu schaffen. Die eigene Generation soll laut Gloner zu Bildung und Erziehung der Jugend beitragen („auxilio te confirmamus et arte“), während letztere in ihrem Streben dem Vorbild der Älteren folgen soll.97 Hier klingt die religiöse Fundierung jugendlichen Handelns („fortunante supremo / Numine“) bereits an, welche die folgenden Abschnitte eingehender betrachten. Sie schildern die Gefährdung der Straßburger Alumni durch die Verführungsversuche Satans anhand zweier abermals aus früheren Versen bekannten Metaphern: der durch die Philister bedrohten Bundeslade und des von Diomedes geraubten Palladiums. Waren diese jedoch bisher auf die politische und konfessionelle Integrität der gesamten Stadt bezogen, so werden sie nun auf das individuelle Seelenheil appliziert und mit einer durch zahlreiche Anaphern geprägten Aufforderung, „Pietatis verae commmendatio“, verbunden, welche die Bedeutung des rechten Glaubens für schulische und akademische Studien sowie für die häusliche und politische Gemeinschaft betont.98 Hier schließt sich eine kurze ‚adhortatio‘ an die Lehrer an („hortari“, S. 202), die Gloner variierend als irreale ‚praeteritio‘ gestaltet und mit der er seine Kollegen in freundlich mahnenden Worten („blandis […] monitis“, S. 202) zum Einschreiten gegen undankbare 97 In Epitaphien erscheint ein ähnliches zweistufiges Schema nach dem in Gloners Wechselgesang belegten Muster „eram, quod es, eris, quod sum“: Vgl. folgende antike römische Grabinschrift „Viator, viator! Quod tu es, ego fui; quod nunc sum, et tu eris.“ (Corpus inscriptionum Latinarum. Bd. 11. Berlin 1901, S. 930, Nr. 6243), folgende Belege aus dem Mittelalter in: Thesaurus proverbiorum medii aevi. Lexikon der Sprichwörter des romanisch-germanischen Mittelalters. Begründet von Samuel Singer. Bd. 10. Berlin 2000, S. 383f., und ein kurpfälzisches Epitaphium aus dem Jahr 1610: „Was ich bin mustu werden“. In: Die Inschriften der Stadt und des Landkreises Heidelberg. Hg. von Renate Neumüllers-Klauser. Stuttgart 1970, S. 344 bzw. Nr. 576. 98 Gloner (Anm. 6), S. 201.

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und Verachtung hegende Schüler auffordert.99 Deutlich mehr Raum nimmt in dieser lediglich 21 Verse umfassenden Passage – die „Exhortatio ad iuventutem“ erstreckte sich noch über zweieinhalb Seiten – das Lob seiner eigenen Präzeptorendynastie ein: Sie wirkte seit Gloners Urgroßvater Johannes Schwebel und somit seit 113 Jahren in Straßburger Schulen, auch wenn ihr der verdiente Dank bisher verwehrt geblieben sei.100

2.7. „Deo encomia laudum“: Bedrohung, Buße und Brunnen-Exegese Mit Schiffsmetaphorik, einer bereits in der Antike verbreiteten Bildlichkeit für Dichtung, deutet Gloner das Ende seines Festepos an, um danach den einzigartigen Charakter des ersten Jubiläums anzusprechen.101 Aufgrund der bereits vom Beginn des Carmen saeculare bekannten zyklischen Strukturierung der Zeitläufte kann Gloner auf das beginnende zweite Jahrhundert des Gymnasiums verweisen, in dem neben einer ähnlichen Jubilarfeier wieder mit besseren Rahmenbedingungen zu rechnen sei.102 Dies sowie Schöpfung und Gnade („grata mens“) rechtfertigen den anschließenden, in der Inhaltsübersicht zu Beginn der Festrede angekündigten Preis Gottes: „Deo encomia laudum“.103 Dem Schöpfer dankt das Carmen saeculare auch für die Gabe der Vernunft („rationis acumen“), was zwar im Gegensatz zur biblischen Paradieserzählung steht (Gen 2, 4b‒9. 15‒25; 3), jedoch mit der Erkenntnis der wahren Religion begründet wird. Gloner ‚akademisiert‘ die Vernunft als notwendige Grundlage wissenschaftlicher, d. h. theologischer Studien („studio, gnavaque indagine sciri“), die ihren Platz an Bildungsinstitutionen („certa ergasteria“) haben, deren

99 Ebd., S. 202: „Nunc vertere frontem / Ad vos deberem, quibus est concredita cura / Formandique fides juvenum praecordia; blandis / Deberem hortari monitis, ne grande sinatis / Vos onus, ingratosque animos, turpemque morari / Contemtum, et quae sunt huius crepitacula mundi.“ 100 Außer dem Urgroßvater Johannes Schwebel zählen auch noch der Großvater Samuel Hubert (1542‒1619) sowie der ehemalige Rektor Martin Sinnitz und Magnus Theodoricus Boschius (1579‒1634, Lehrer der Quarta), die mit Schwestern von Gloners Mutter Margaretha Hubert verheiratet waren, zu Gloners Verwandtschaft. Bosch wird dabei neben dem namentlich genannten Sinnitz als „gener alter Huberti“ umschrieben und kann durch ein Epithalamium auf Gloners zweite Hochzeit identifiziert werden, in dem er sich als „Affin[is]“ des Bräutigams bezeichnet (Bona vota in festum Nuptiarum […] Samuelis Gloneri […]. Straßburg 1628, Bl. A2v). 101 Gloner (Anm. 6), S. 202f. 102 Ebd., S. 203: „Haec est illa dies, quam nunquam vidimus, et quam / Nunquam visuri sumus, at ventura nepotum / Posteritas vitam te concedente videbit, / Et leget haec castoque sequetur iubila corde. / Haec est illa dies[,] qua per duodena nitentis / Sidera Zodiaci revolubilis annus in annos / Se centum extendit, primique volumina saecli / Claudit, et orditur nunc tempora laeta secundi / Palladio“. 103 Ebd., S. 172f.: „Tum mea lingua Deo fundatori supremo / Tutorique Scholae meritarum encomia laudum / […] frequentet.“ – Dabei bezeichnet Gloner das Vaterunser mit einer Ovid-Allusion (Met. I,4: „carmen perpetuum“) als „carmen perenne“ (S. 203).

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Gründung wiederum die Bezeichnung Gottes als „supremus Gymnasiarcha“ oder „primus rector“ erklärt.104 Anschließend schildern eindringliche Verse erneut die Bedrohung der Freien Reichsstadt und ihrer Schule, aber auch das Scheitern von Straßburgs Feinden. Deren Identität verrätselt Gloner vorerst („aenigmate dicam“, S. 205) – so ist von einem „herausgeputzten Kläffer“ („mundus latrans“, S. 204) sowie dem Kampf zwischen Jupiter und den Giganten die Rede, den paradigmatischen, erfolglosen Aufwieglern des antiken Mythos –, bevor der römische Katholizismus angesprochen und in bekannter Metaphorik als Hure Babylon bezeichnet wird.105 Ebenfalls auf katholische Mächte bezieht sich die Formulierung „haereticos alios aliosque Tyrannos“ (S. 204). Hierunter sind der altgläubige Klerus und dessen Anhänger zu verstehen, die sich nach dem Restitutionsedikt wieder in Straßburg angesiedelt hatten, aufgrund der Nähe ihrer Wohnstätten zu den Befestigungsanlagen in den 1630er Jahren umfangreichen Hausdurchsuchungen unterzogen und wegen „grosse[r] conspirationes“, die auch das Carmen saeculare anspricht, bestraft wurden.106 Mit „alii Tyranni“ sind wohl die Befehlshaber kaiserlicher Heere gemeint, die immer wieder in der Umgebung Straßburgs lagerten. Auf sie spielt Gloner womöglich mit einem Vergilzitat (Georg. I, 281‒283) an, wenn er die vergeblichen Bemühungen der Giganten Otus und Ephialtes schildert, Berge aufeinanderzutürmen, um von dort in den Himmel zu gelangen. Zu diesen Bergen zählte auch der zweimal im Prätext und im Carmen saeculare genannt thessalische Ossa, dessen Name mit dem des kaiserlichen Feldmarschalls Wolf Rudolf von Ossa (1574‒1639) auffällig übereinstimmt, der 1632 das nahe, rechtsrheinische Willstätt geplündert und in einem von Straßburg gut sichtbaren Brand zerstört hatte.107 Ausführliche antikatholische Polemik prägt die Beschreibung der Gegenreformation und des Restitutionsedikts, dessen verheerende Folgen man auch in Straßburg befürchtete.108 Das Lob des lutherischen Reformationswerks kontrastiert so mit der Zerstörung des 104 Ebd., S. 203f.: „En tamen, humanos quoniam densissima sensus / Caligo torporque premit, rationis acumen / Cordibus infudisti hominum, quod posse dedisti / Firmari studio, gnavaque indagine sciri, / Eruat ut tandem constans sapientia verum. / Hunc simul in finem ceu Gymnasiarcha supremus / Fecisti, et primus certa ergasteria rector“. 105 Ebd., S. 204f. Zum Papst als Hund siehe das etwa bei Johann Fischart (1546‒1590?) belegte Sprichwort über Bonifatius VIII.: „Intravit ut Vulpes, Regnavit ut Leo, Mortuus est ut Canis“; in Straßburg lässt es sich in Brülows Luther sowie bei Bernegger nachweisen; hierzu Hanstein: Brülow (Anm. 1), S. 596f. 106 Gloner (Anm. 6), S. 204: „quoties fuerit fera conspiratio mortem“. Siehe die Ausführungen zum Jahr 1633 in der Chronik des Johann Jakob Walther (Anm. 3), S. 28f., und Amy Leonard: Nails in the Wall. Catholic Nuns in Reformation Germany. Chicago 2005, S. 147. 107 Ebd., S. 26. Bernd Warlich: Ossa, Wolf Rudolf Freiherr von. In: http://www.30jaehrigerkrieg.de/ ossa-wolf-rudolf-freiherr-von-3/ (15.3.2015). 108 Vgl. Gloner (Anm. 6), S. 205: „Heu quam sudavit! Quantaque tyrannide passim / Extinxit sanas cum tot cultoribus artes! […] / His etiam funesta fuit meditata Camenis / Excidiam et tristes nuper

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protestantischen Bildungswesens in den betreffenden Regionen und der Ansiedlung der Jesuiten seit 1571. Auch wenn diese nicht namentlich genannt werden, da sich die entsprechenden Verse allgemein auf Mönche beziehen, wird ihr Wirken deutlich, wenn Gloner „aurum Hispanum“ (S. 205) erwähnt, dessen sich der römische Stuhl bedient. Hierauf folgt ein Schuldeingeständnis, das die drohende Katastrophe als gerechte Strafe für Verstöße gegen den Glauben rechtfertigt. Gloner artikuliert in seiner akademischen Festrede eine büßende Haltung, wie sie ähnlich Schmidt als ‚usus hortatorius‘ in seinen Festpredigten zum Jubiläum, ja in seinem gesamten kirchlichen Reformprogramm von den Gläubigen forderte.109 Angesichts der zahlreichen Bedrohungen, denen Straßburg im vergangenen Jahrhundert ausgesetzt war, spricht Gloner Gott für den Schutz der Schule Dank aus, den er in Bescheidenheits- und Unsagbarkeitstopik kleidet,110 und widmet sich der Auslegung von Num 21,16‒18 den zentralen, bereits in Schmidts Festpredigten behandelten Bibelversen des Jubiläums: Hic sacer iste latex, hic fons sacer iste vocatur, De quo dixisti DEUS, hanc mihi collige plebem, Hoc genus, hunc populum, siccae quem torpor eremi, Scilicet aetherei crassa ignorantia verbi, Atque superstitio papalis pene necavit.

[in margine:] Fons quem Israelitae in deserto foderunt Num. 21. v. 16. 17. & 18.

Dieses Wasser, diese Quelle nennt man heilig, von welcher du, Gott, sprachst: Versammle mein Volk und Geschlecht, das die dumpfe Erstarrung der trockenen Wüste, nämlich die himmelschreiende Unkenntnis des himmlischen Wortes und der Aberglaube des Papstes, beinahe getötet hätten.

Die Paraphrase des biblischen Prätextes wird verbunden mit exegetischen Versen über den Brunnen, den die Israeliten auf ihrem Exodus graben.111 Hierbei führt Gloner abermals polemisch aus, was Schmidt nur anklingen lässt, die spirituelle Gleichsetzung der moabitischen Wüste mit dem Katholizismus.112 Enger folgt das Carmen saeculare dem StraßburLupa regia casus“; in Straßburg drangen die Kaiserlichen vor allem auf das Vermögen von St. Thomas, welches zur Unterhaltung von Gymnasium und Universität diente; vgl. Schindling: Hochschule (Anm. 2), S. 28, und Bünger: Bernegger (Anm. 3), S. 371f. 109 Vgl. die fünfte Predigt Schmidts zur Hundertjahrfeier Wie wir vns gegen Gott dem Herrn/ vmb der grossen gutthat der edlen Schulbrunnen/ danckbar erzeigen sollen mit Verweisen auf zahlreiche Missstände in der Freien Reichsstadt (Anm.  6, S. 92‒117, hier S. 107f.). Zu Johann Schmidt siehe Walter E. Schäfer: Schmidt, Johann. In: Killy Literaturlexikon (Anm. 7), Bd. 10, 2011, S. 454f. mit weiterführenden Angaben. 110 Gloner (Anm. 6), S. 206f. 111 Biblia sacra vulgatae editionis Sixti V. Mainz 1609, S. 136: „Ex eo loco apparuit puteus, super quo locutus est Dominus ad Moysen: Congrega populum, et dabo ei aquam. Tunc cecinit Israel carmen istud: Ascendat puteus. Concinebant: Puteus, quem foderunt principes, et paraverunt duces multitudinis in datore legis, et in baculis suis.“ 112 Vgl. Schmidt (Anm. 6), S. 4, 7f.

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ger Kirchenpräsidenten in der Gleichsetzung des biblischen Brunnens mit der Straßburger Schule und der am Brunnenbau beteiligten Israeliten mit Akteuren des Straßburger Bildungssektors. Unter den israelitischen Aristokraten, die den Brunnen graben, sind die Scholarchen zu verstehen; im Vergleich zur Vorlage ergänzend genannt werden die Lehrer, die das Wasser, welches Bildung symbolisiert, unter großen Anstrengungen an die Jugend weiterreichen.113 Ein Gebet für den Schutz der Freien Reichsstadt beendet das Carmen saeculare. Auf welche Quellen greifen Gloner und Schmidt in dieser Exegese zurück? Der Rostocker Theologe David Chytraeus (1530–1600) deutet den Brunnen in seinem NumeriKommentar als Quell der Weisheit, der rechten Glaubenslehre und somit als Allegorie Christi.114 Schmidt kennt diese allegorischen Auslegungen von Num  21,16 und beruft sich zusätzlich auf einen Vers aus dem Buch der Sprüche Salomons: „die lehre der Weisen ist eine lebendige Quelle“ (Spr 13,14). So kann er den „Wasserbrunnen […] auff die heilsame Schulbrunnen“ applizieren und ein „Bildtnuß Christlicher wolbestelter Schulen“ bieten: „was Regenten vnd Obrigkeit/ Praeceptores vnd Lehrmeister/ Discipuli vnd schuler/ von dann menniglich ohn vnderscheid/ zu seiner Lehr vnd erinnerung dabey zubehalten“.115 Auch hier gilt der Magistrat als Brunnengräber, während die Lehrer und 113 Gloner (Anm. 6), S. 208: „O serva Deus[,] o serva Servator amoeni / Fossores fontis, curatoresque Scholarchas. / Serva qui gelidas urnis capientibus undas / Ex hoc fonte trahunt, sudantque humerosque fatigant, / Unde sitibundi possint potare, magistros.“ 114 David Chytraeus: In numeros seu quartum librum Mosis enarratio. Wittenberg 1580, S.  235f.: „Significat igitur hic Puteus Fontem vitae aeternae[,] Filium Dei[,] Dominum nostrum Iesum Christum […] Ad hunc puteum profundae sapientiae et salutaris ac vivificae doctrinae Christi, Moses populum […] congregare iubetur“. Zu Chytraeus siehe Otfried Czaika: Chytraeus, David. In: Frühe Neuzeit in Deutschland 1520–1620. Literaturwissenschaftliches Verfasserlexikon. Hg. von Wilhelm Kühlmann u. a. Berlin 2011ff., hier Bd. 1, 2011, Sp. 511–521 (bes. Sp. 514f. zu den Bibelkommentaren des Chytraeus), sowie Hermann Wiegand: David Chytraeus. In: Killy Literaturlexikon (Anm. 7), Bd. 2, 2008, S. 529f. Neben Chytraeus und Schmidt nutzt der Lübecker Superintendent Georg Heinrich Goetze (1667‒1728) Num  21 in seinem Lübecker Schul-Brunnen (Lübeck 1704). Leider konnte dieses Werk noch nicht eingesehen werden, da Exemplare in Lübeck zerstört oder nach kriegsbedingter Auslagerung – wie auch aus der Berliner Staatsbibliothek – nicht auffindbar sind, während ein in der Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek Weimar erhaltener Druck starke Brandschäden aufweist. Da der gebürtige Leipziger Goetze vor seiner Lübecker Zeit in Annaberg als Superintendent wirkte, bewahrt die historische Bibliothek der St. Annenkirche womöglich noch ein Exemplar. Mein Dank gilt Kerstin Letz (Stadtarchiv Lübeck), Britta Lukow (Stadtbibliothek Lübeck), Jörg Nicklaus (Stadtarchiv Annaberg-Buchholz) und Claudia Tanck (Archiv des Evangelischen Kirchenkreises Lübeck). 115 Schmidt (Anm. 6), S. 7f. – Spr 13,14 kann auch für ein Flugblatt Brülows mit Brunnensymbolik, die allerdings meist aus dem antiken Mythos entlehnt ist („O Fons Aonidum“), Pate gestanden haben: Fons philosophicus in honorem […] iuvenis dn. Antonii Cuvelier. Straßburg 1615; siehe hierzu auch Barbara Mahlmann-Bauer in Wolfgang Harms (Hg.): Deutsche illustrierte Flugblätter des 16. und 17. Jahrhunderts. Bd. 1. München 1985, S. 24f. Ausgehend von Spr 18,4 (Die Worte in eines Mannes Munde sind wie tiefe Wasser, und die Quelle der Weisheit ist ein voller Strom)

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Professoren „das Wasser der Weisheit […] allen […] zutragen vnd darbietten“ sollen.116 Ja, Schmidt nutzt die Metapher des ‚fons‘ auch, um die Amtsausübung des Lehrpersonals zu schildern. So plädiert er für ein Curriculum bewährter, grundlegender Inhalte, „das sie[, die Lehrer,] ebenmässig sich zu den fontibus halten“ (S. 33) wie z. B. zu den Werken des Aristoteles im Philosophieunterricht.

3. Johannes Sturm: Der Gründungsrektor im Urteil Gloners Wie erwähnt, kommt das Carmen saeculare auch auf die prägende Gestalt des Straßburger Gymnasiums zu sprechen: auf den Gründungsrektor Johannes Sturm. Als einziges Thema durchzieht die Darstellung seines Lebens und Werks, geschmückt mit zahlreichen panegyrischen Passagen, die Parallelen zwischen dem Gründungsrektor und Helden des Mythos ziehen, den gesamten Festvortrag. So rechtfertigt Gloner in der ‚aetas prima‘ Sturms Rolle als Rektor des Gymnasiums, der den Fortbestand der Schule garantiert, durch Vergleiche mit Palinurus und Typhis, den Steuermännern von Aeneas und Jason, die durch ihre Tätigkeit das Überleben ihrer Gefährten sicherten,117 und baut den Metaphernbereich der Nautik aus, wenn er Sturms Helfer, d. h. das erste Lehrerkollegium, als rudernde Schiffsbesatzung bezeichnet. Eine versifizierte Synopse von Sturms Anleitungsschrift De literarum ludis recte aperiendis (Straßburg 1538), in der er über den Aufbau des Straßburger Gymnasiums Auskunft gibt, schildert gegen Ende der ‚aetas prima‘ das Curriculum der zehn Gymnasialklassen. Diese zehn Jahre des Schulbesuchs, in denen die Schüler ihre angeborenen tierischen Neigungen („ferinos mores“) zugunsten der „studia humana“ bekämpfen, vergleicht Gloner mit der Dauer des trojanischen Kriegs bzw. den Anstrengungen Jasons bei der Suche nach dem Goldenen Vlies,118 um dann Sturms Methodik zu würdigen:119

finden sich ähnliche Deutungen des ‚fons sapientiae‘ etwa bei zwei früheren Straßburger Theologen: Wolfgang Capito: Hexemeron dei opus explicatum. Straßburg 1539, S. 164, und Matthias Flacius Illyricus: Clavis scripturae. Basel ²1580, S. 965f. 116 Schmidt (Anm. 6), S. 19‒22, 29f. 117 Vgl. Gloner (Anm. 6), S. 175f. wie Anm. 89. 118 Ebd., S. 178f., siehe etwa „Sturmius hic igitur distinctas ordine classes, / Nempe decem instituit, prudenti pectore ductus. / Prima rudes pueros ad blanda exordia ducit, / Litterulasque docet cognoscere, scribere voces. / […] / Insuper ignaros ad docta mathemata ducit, / […] / Cognitio tandem et sancti inquisitio fontis / Fertur ab Hebraeo doctore […]. / Tanto etiam spacio, aut paulum breviore juventus / Tot classes metiri, et debellare ferinos / Indolis ingenitae mores, humanaque suevit / Amplecti studia Iliacis meliora rapinis.“ 119 Ebd., S. 180.

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Ut vero pubes discenda, docenda magistri Uberius scirent, caperentque tenacius, aptam Sturmius ornavit methodum, lucique reliquit, Omniaque extremum recte deduxit ad unguem. Damit die Jugend das, was sie lernen solle, nachhaltiger erfasse und die Lehrer über das, was sie lehren sollen, besser Bescheid wissen, hat Sturm die passende Methode entwickelt, sie veröffentlicht und mit ihr alles auf seine kleinsten Verästelungen zurückgeführt.

Gloner bezieht sich auf Sturms Methode der ‚loci communes‘, bei denen der Gründungsrektor auf Rudolf Agricola (†1485) und Philipp Melanchthon aufbaute. Die Straßburger Lehrer sollten ihre Alumni dazu anhalten, neues Vokabular in systematischen Tabellen, d. h. nach übergeordneten und nachfolgenden Begrifflichkeiten, zu gliedern („extremum recte deduxit ad unguem“), wofür Sturm als oberste Kategorien ‚de deo‘, ‚de natura‘, ‚de homine‘ und ‚de artibus‘ vorsah.120 Diese Partitionsmethode fungierte besonders während der Spracherwerbsphase in den unteren Klassen als mnemotechnisches Hilfsmittel. Das so gewonnene universelle Ordnungsschema sollte jedoch auch im Rahmen der rhetorischen Ausbildung neben der Analyse von Texten die ‚inventio‘ erleichtern und als Instrument philosophischer Welterkenntnis dienen.121 Schließlich lobt das Carmen saeculare Sturms Bemühungen um die Bildung der Jugend in panegyrischen Versen, die den Gründungsrektor über die größten Heroen stellen. Die Vertreibung der ‚barbaries‘ durch die Wiederherstellung der ‚artes‘, welche PhoebusApollo und die Musen personifizieren, steht über den Prüfungen des Herkules122 und den erfindungsreichen Kunstgriffen des Odysseus. Gloner vergleicht Sturm, der die Jugend vor ihren unvernünftigen, zügellosen Begierden („bruta libido“) gerettet habe, sogar mit Perseus, der Andromeda vor dem Meerungeheuer bewahrte.123 So verwundert es nicht, wenn ein Horazzitat, das Sturms Tod periphrastisch schildert, den Gründungsrektor mit Vergil

120 Die Wendung ‚ad unguem deducere‘ nimmt sowohl Bezug auf die Nagelprobe, mit welcher antike Bildhauer und metaphorisch auch Dichter (vgl. Horaz Ars 294) die ‚Glätte‘ ihrer Werke überprüften, als auch auf die Wendung ‚ad umbilicum adducere‘ (Horaz Epod. 14, 8: zu Ende bringen), die sich auf den Stab (umbilicus) bezieht, um den eine antike Bücherrolle gewickelt war. 121 Vgl. hierzu ebenfalls Sturms De literarum ludis recte aperiendis sowie seine Rhetorikvorlesung, referiert bei Schindling: Hochschule (Anm. 2), S. 185, 194, 221‒223, sowie Maretta Nikolaou: Sprache als Welterschließung und Sprache als Norm. Überlegungen zu Rudolf Agricola und Johannes Sturm. München 1984, S. 128‒138. 122 Gloner (Anm. 6), S. 180: „Herculis immensos quis amat narrare labores? / Mirari victum Nemeaum Marte Leonem, / Hydram contusam, prostratum viribus Aprum, / Tum Cervam, Taurum, atque tuas Stymphale volucres, / Geryonem, Antaeum, Busirim, aliosque Tyrannos, / Cacum, Centauros, et equos Diomedis, et atrum / Cerberon oppressum, nec non de sorde situque / Purgatum Augiae stabulum?“ 123 Ebd., S. 181.

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sowie den mythischen römischen Königen Tullus Hostilius und Ancus Martius vergleicht.124 Gattung und Anlass, d. h. Personalpanegyrik zum Jubiläum des Gymnasiums, erklären, warum im Carmen saeculare keinerlei Kritik an dem Pädagogen Sturm geübt wird, obwohl dessen ambitionierte Vorgaben Lehrer und Schüler beständig vor Probleme stellten und zu Beginn des 17. Jahrhunderts Rufe nach curricularen Veränderungen immer lauter wurden, bevor man sie schließlich erhörte.125 Wie jedoch beurteilt Gloner den Ireniker Sturm, der mit Erstarken der lutherischen Orthodoxie in der Freien Reichsstadt in eine immer isoliertere Position geriet? Quid tentavit Eris? pomum projecit, et inter Magnum Marbachium Zanchumque inamabile movit Dissidium sacris fidei de rebus, et[,] atris Ut decertaret cum Pappo Sturmius armis[,] Compulit; heu nostro damnum ferale Lyceo! Worauf war die Göttin der Zwietracht aus? Einen Apfel warf sie und rief sowohl zwischen dem großen Marbach und Zanchi auf hässliche Weise Uneinigkeit über die heiligen Angelegenheiten des Glaubens hervor, als auch Sturm hat sie bedrängt, Pappus mit feindseligen Waffen bis auf das Blut zu bekämpfen; ach, ein schrecklicher Schaden für unsere Schule.

Das Carmen saeculare spart die beiden heftigsten theologischen Konflikte, welche innerhalb des Straßburger Gymnasiums und der Akademie in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts wüteten, nicht aus. Während die Freie Reichsstadt mit der Confessio Tetrapolitana (1530) noch eine Mittlerposition innerhalb des Protestantismus eingenommen hatte, gewannen orthodoxe Lutheraner unter Johannes Marbach, dem Präsidenten des Kirchenkonvents, an Einfluss. Im Streit mit Marbach über Prädestination und Abendmahl („sacris fidei de rebus“) musste der Theologe Hieronymus Zanchi, den Sturm an die Akademie berufen hatte, die Freie Reichsstadt verlassen. Nachdem Sturm eine Disputation des Marbach-Schülers und späteren Konventspräsidenten Johannes Pappus voller anticalvinistischer Thesen zurückgewiesen hatte, brach ein offener, publizistisch geführter Konflikt aus, auf den die Junktur „atris armis“ in ihrer konkreten Bedeutung als „(tinten-)schwarze Waffen“ anspielt.126

124 Ebd., S. 190: „STURMIUS […] fatis concessit et ivit / Qua veteres ivere patres, *qua Tullus et Ancus [marginal: Horat. 4. Od. 7]“ [Die Kursivierung folgt der Vorlage]. 125 Zu Problemen bei der Umsetzung von Sturms Anleitungsschriften siehe Schindling: Hochschule (Anm. 2), S. 187f., und Bünger: Bernegger (Anm. 3), S. 208‒268. Nach ersten Reformversuchen 1619, bei denen auf Basis von Gutachten der Präzeptoren und Professoren 1620 ein neuer, jedoch nicht umgesetzter Lehrplan erlassen wurde, trat 1623 ein neues Curriculum in Kraft. 126 Vgl. Schindling: Hochschule (Anm. 2), S. 34f., 39, 130–142, 359‒361.

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Gloner jedoch, der wie Bernegger mit einer gemäßigten Position den Argwohn Schmidts geweckt hatte, ignoriert theologische Aspekte und betrachtet die Auseinandersetzung lediglich in ihrer Bedeutung für die Integrität von Gymnasium und Akademie. Die Konflikte werden von einer übernatürlichen Instanz geschürt. So drängt Eris syntaktisch als Subjekt („compulit, ut“) Sturm zum Einschreiten gegen Pappus; außerdem provoziert die Göttin der Zwietracht eine Auseinandersetzung zwischen Marbach und Zanchi, die mit dem Urteil des Paris („pomum projecit“) und somit der Entstehung des Trojanischen Krieges gleichgesetzt wird. Gloner spielt darauf an, dass sich, wie Trojaner und Griechen im Streit um Ilion, in Straßburg humanistisch-irenisch geprägte Sturmschüler und orthodoxe Lutheraner gegenüberstanden. Dieses Zerwürfnis konnte nur durch den Weggang Zanchis und, nach Intervention des Magistrats und des lutherischen Kurfürsten Ludwig VI. von der Pfalz, den erzwungenen Rücktritt des Gründungsrektors gelöst werden, dessen nach wie vor positive Bewertung im Carmen saeculare der Ausruf „heu nostro damnum ferale Lyceo“ verdeutlicht. Das Urteil eines Rudolf Reuss, dass Gloner Sturm „die Neigung zu den calvinischen Ketzereien nicht verzeihen kann“, muss also zurückgewiesen werden.127

4. Stilistische Besonderheiten 4.1. congeries: Aufzählungen unter erschwerten Bedingungen Ein charakteristisches stilistisches Merkmal des Carmen saeculare sind zahlreiche ‚congeries‘. Mit ihnen gelingt es Gloner in kompakter, jedoch auch variierter Form etwa die Herkunft oder die zukünftigen Berufe der Straßburger Alumni und somit auch die überregionale Attraktivität und lokale Relevanz der Bildungsanstalt zu illustrieren.128 Wenn die Aufzählung der Professionen außerdem mit einem Juvenalzitat kombiniert und dem Metrum des Festvortrags angepasst wird, demonstriert Gloner sein dichterisches Können.129

127 Reuss: Gloner (Anm. 7), S. 209. 128 Vgl. Gloner (Anm. 6), S. 182, über auswärtige Studenten: „Quid Cimbros loquar et Suevos? quid Saxonas, et qui / Germanos habitant tractus Rhenum inter et Albim, / Inter Danubium, celerisque undosa Visurgis / Flumina? quid sylva inclusos frondente Bohemos?“ 129 Ebd., S. 184f.: „Hinc porro verbi divini interpres, et idem / Praeco bonus, vita simul et qui praedicat ore. / Hinc gemini Juris doctor prodivit et aequi. / Hinc Medicus Physicusque bonus, Logicusque disertus, / Oratorque potens, Aganippaeusque Poeta. / Musicus hinc etiam miris concentibus aures / Mulcere, et moestas didicit defendere mentes. / Hac Palamedeus prodivit ab arce repertor, / Hac bonus Astronomus, Geometra, Aedilis, Aliptes, / Pictor, et in varia sapiens exercitus arte.“ Siehe auch Juvenal III, 75‒78: „quemvis hominem secum attulit ad nos: / grammaticus, rhetor, geometres, pictor, aliptes, / augur, schoenobates, medicus, magus, omnia novit / Graeculus esuriens“ [Die Kursivierung folgt der Vorlage].

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Auch bei mythologischen Bezügen greift Gloner auf mehrere ‚congeries‘ zurück. So stellt er etwa Sturms Dienst für das Straßburger Gymnasium über die Taten des Herkules, indem er die anhand von Signalwörtern einzeln genannten Aufgaben des Heroen dem Wirken des Gründungsrektors, das summarisch erwähnt wird, konstatierend gegenüberstellt.130 Eine weitere Kombination von Vergleich und ‚congeries‘ illustriert Straßburgs Bedrohung, wofür die wiederholten Angriffe der Katholiken auf den Kampf Jupiters gegen die namentlich genannten Giganten bezogen werden.131 Am deutlichsten treten die ‚congeries‘ – auch typographisch – hervor, wenn die jeweils in Majuskeln hervorgehobenen Straßburger Lehrer und Scholarchen genannt werden.132 Schwierigkeiten, die sich aus solchen Aufzählungen ergeben können, verhehlt Gloner nicht:133 Tertius (at veniam verbis date, quando coactos Non faciles faciunt aliena vocabula versus) Jacobus Meierus erat Tredecimvir, et orae Huius inoffensum exemplum columenque Senatus. Der dritte [Scholarch] war der Dreizehner Jakob Meyer, aber habt Nachsicht mit meinem Ausdruck, wenn fremdsprachige Wörter die [durch ihr Metrum] eingeengten Verse nicht gerade leichtfüßig machen, Meyer, unangefochtenes Vorbild in diesen Landen und Stütze des Senats.

Bei der Erwähnung der ersten drei Schulherren der Freien Reichsstadt kommt Gloner auch auf Probleme, welche die Integration fremdsprachiger Namen („aliena vocabula“) in ‚oratio ligata‘ („coactos […] versos“) mit sich bringt, zu sprechen. So gelingt es zwar, den Namen des Scholarchen Jakob Meyer in den Hexameter zu integrieren, jedoch um den Preis eines schwerfälligen, mit zwei Spondeen beginnenden Hemistichions. Während Gloner diese Messung von „Jacobus“ in seiner Prosodia autoritativ absichert, so widerspricht 130 Gloner (Anm. 6), S. 180, wie Anm. 119. 131 Ebd., S. 204: „Prisca suos plorat, quibus est oppressa, Gigantes / Natio, quando humeris montes congessit, in unum / Portavitque locum, coelumque Jovemque supremo / Expugnare throno voluit stolidissima turba, / Audax Enceladus, Tityus, saevusque Typhoeus, / Antaeus, Briareus, Ephialtes fortis, et Otus.“ 132 Abgesehen von den Scholarchen bei der Gründung des Gymnasiums (Jakob Sturm, Nikolaus Kniebis, Jakob Meyer) nennt Gloner auch jene zum Zeitpunkt des Akademieprivilegs 1566 (Friedrich von Gottesheim, Karl Mueg, Heinrich von Müllnheim), der Universitätsprivilegierung 1621 (Peter Storck, Franz Rudolf Ingold, Adam Zorn von Blopsheim) und der Gymnasialreform 1634 (Johann Christoph von Traxdorf, Johann Jakob Meyer, Franz Rudolf Ingold); vgl. S. 174, 189, 191, 196, 198. Von den Lehrern werden das erste Lehrerkollegium, die Opfer der Pestepidemie 1541 und die an der Gymnasialreform 1634 beteiligten Professoren Dorsche, Dannhauer und Bernegger genannt (S. 176, 193, 197). 133 Gloner (Anm. 6), S. 174f.

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der Spondeus in „Mēiērus“ in einer lauten Lektüre, die lateinische Längen mit deutscher Betonung widergibt (Meiérus), dem deutschen Initialakzent (Méierus).134 Gloner waren diese inhomogenen Skandierungen bewusst. Nachdem er die Mitglieder des ersten Lehrerkollegiums noch namentlich aufgeführt hatte – „Capito fuit, Hedio, Martyr, / Delius, Herlinus, Sapidus, Bedrottus, et auctus / Arte Dasypodius“ (S. 176) –, verzichtet er auf die Nennung der Lehrer der ‚secunda aetas‘. Zur Begründung dienen ein Juvenal- und Ovidzitat. Mit Juvenal spricht sich Gloner gegen inhaltliche Wiederholungen aus, die zu Boecklers Festrede bestanden hätten. Das Vermeiden uneinheitlicher Messungen wird dagegen mit Versen Ovids geschildert, der bei einer Elegie an seinen Bekannten, den Dichter Tuticanus, vor ähnliche metrische Probleme gestellt war.135 Ein weiterer ästhetischer Einwand tritt hinzu: Fremdsprachige, d. h. nicht-lateinische Wörter zerstören die klangliche Harmonie des Hexameters („vocabula […] nimis rigida atque insuavia dictu“):136 Nunc qui doctores fuerint, scholicique magistri Per centum annorum numerum, narrare juvaret, Si modo fas sineret bis coctam apponere cramben, Sive laboratis non apta vocabula verbis Jam Tuticanum resonantia, jam Tuticanum, Tuticanumque, nimis rigida atque insuavia dictu Claudere[.] [Kursivierung im Original] Nun würde es mir gefallen, jene zu nennen, die in den hundert Jahren an der Schule Doktoren und Magister waren, wenn man Kohl aufgewärmt wieder auftischen oder Worte abmessen dürfte, die nicht zu einem wohl gearbeiteten Vortrag passen und bald als Tutícanús, bald als Tuticánus und Túticanús erklingen sowie zu sperrig sind und eine unschöne Aussprache aufweisen.

134 Sogar mit drei Längen ist „Meierus“ (gesprochen „Méierús“) an folgender Stelle zu messen: „Mēiērūs Consul, prisco cognomine illi“ (Gloner, Anm.  6, S.  196). Siehe außerdem Gloner: Prosodia (Anm. 13), S. 309: „Jacob vario modo ponitur“ mit drei Beispielen für den Spondeus, zwei für eine jambische Messung. 135 Ovid Pont. IV, 12, 9‒11: „et pudeat, si te, qua syllaba parte moratur, / artius adpellem Tuticanumque vocem. / Nec potes in versum Tuticani more venire, / fiat ut e longa syllaba prima brevis“ („Schämen soll ich mich, wenn ich dich, wo die Silbe lang ist, kürzen und Túticanús rufen würde. Auch in der Form Tuticánus kannst du nicht im Vers erscheinen, sodass aus der ersten Silbe, die lang ist, eine Kürze würde“). 136 Gloner (Anm. 6), S. 188.

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4.2. „animus fert dicere“: Die intertextuelle Faktur Abgesehen von den bereits untersuchten Bezügen zu den anderen Festvorträgen des Gymnasialjubiläums fehlen systematische Analysen zur intertextuellen Faktur von Gloners Œuvre, die Rückschlüsse auf seine Arbeitsweise und seine Stellung zur humanistischen ‚imitatio‘- bzw. ‚aemulatio‘-Ästhetik ermöglichen, die sich in der Integration unterschiedlicher, als mustergültig angesehener Prätexte auch im Carmen saeculare manifestiert. Dabei differenziert Gloner in seinem Festvortrag zwischen zwei Arten intertextueller Bezüge, die er, einzigartig für seine Epen, typographisch kennzeichnet:137 Etwa 15 direkte Zitate werden im Haupttext durch Kursive hervorgehoben, wobei eine Marginalglosse die jeweilige Herkunft angibt; über 30 inhaltliche Allusionen sind dagegen lediglich durch Marginalglosse, jedoch ohne Hervorhebung im Haupttext ausgezeichnet. Betrachtet man die verwendeten Prätexte, so dominieren die Bibel mit 20 intertextuellen Bezügen138 und Ovid, auf den Gloner 15mal zurückgreift, wobei Bezüge zu den Metamorphosen überwiegen. Insgesamt nur drei direkte Ovidzitate machen allerdings deutlich, dass Gloner die Werke des römischen Dichters vor allem als mythologisches Referenzwerk nutzt, so z. B. für den Durst des Tantalus, das Horn der Amalthea oder Phaeton.139 Hierauf folgen Vergil mit fünf und Horaz mit vier Nachweisen. In je einem Fall wird ein direktes Zitat lediglich durch Marginalie gekennzeichnet, die Kursivierung aber unterbleibt. Dies ist wohl auf Nachlässigkeiten des Setzers oder fehlende Auszeichnungen im Manuskript zurückzuführen.140 Vergleicht man Gloner und Brülow, so ähneln sich beide, was die herangezogenen Prätexte betrifft, stammen diese doch meist aus dem Curriculum des Straßburger Poesieunterrichts.141 137 Vereinzelte Bemerkungen zur Intertextualität bei Gloner bietet Reuss: Gloner (Anm. 7), S. 192, wonach sich der Autor des Carmen saeculare vor allem auf Ovid und Vergil sowie bei Bibelparaphrasen auf die Vulgata stützte; zu Brülow siehe Hanstein: Brülow (Anm. 1), S. 490‒514, 606‒624. 138 Abgesehen von den Verweisen auf Ps 8,3 im Rahmen proömialer Bescheidenheitstopik (Gloner, Anm. 6, S. 172, 207) nennt Gloner auch den Raub der Bundeslade (ebd., S. 200) oder die Hure Babylon (ebd., S. 205). 139 Gloner (Anm. 6), S. 183f., 190 bzw. Ovid Am. III, 750, und Ars am. II, 606 (Tantalus), Fast. V, 115 (Amalthea), Met. II, 324 (Phaeton). 140 Vgl. Gloner (Anm. 6), S. 195: „Nec pede se proprio metiri pusio discit“ bzw. Horaz Epist. I, 7, 98: „Metiri se quemque suo modulo ac pede verum est“ und ebd., S. 204: „Scilicet haereticos alios aliosque Tyrannos, / Qui ter conati committere Pelio Ossae, / Atque iterum frondoso Ossae superaddere Olympum“ bzw. Vergil Georg. I, 281f.: „ter sunt conati imponere Pelio Ossam / scilicet atque Ossae frondosum involvere Olympum“. 141 Zum Curriculum des Straßburger Poesieunterrichts nach der Gymnasialreform 1634 vgl. Bünger: Bernegger (Anm. 3), S. 279f., und die Anleitungsschrift De restauratione et reformatione gymnasii Argentoratensis (Straßburg 1634, Bl.  [A4]). So wurde die sechsbändige Anthologie des Johannes Sturm, Poetica volumina VI (Straßburg 1565), weiterhin im Unterricht der Quarta benutzt, ab der Tertia zog man Ausgaben von Terenz, Plautus, der Tragödien Senecas, von Ovids Tristien und von Vergil zu Rate. In den Poetica volumina sind alle genannten Autoren einschließlich Juvenal in Aus-

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Mehr als in ihren Quellen unterscheiden sich Gloner und Brülow in deren Adaptation. Während Brülow im Luther und Moses neben Einzelversen und Versgruppen bisweilen sogar ganze Passagen unter Anpassungen übernimmt, verwendet Gloner im Carmen saeculare deutlich kürzere Entlehnungen, ja er beschränkt sich meist auf einen Vers oder komprimiert diesen gar auf wenige zentrale Begriffe. Damit ist er dem Dissimulationsgebot der imitatio-Ästhetik, die in Straßburg Johannes Sturm vertreten hatte, stärker verpflichtet als Brülow.142 Dies zeigt sich bei dem bereits mehrfach erwähnten Juvenalzitat, als Gloner mit einem sprichwörtlichen Verweis auf den römischen Satiriker es ablehnt, die von Boeckler bereits namentlich genannten Lehrer der ‚secunda aetas‘ aufzuzählen, und die Verse des Prätextes auf das Signalwort „crambe“ reduziert. Ähnlich geht der Autor des Carmen saeculare auch bei einer Entlehnung aus Plautus’ Pseudolus vor. Erläutert im Prätext der Sklave Pseudolus seinem Besitzer Calidorus, dass jener mit Wehklagen seine Geliebte nicht wird zurückerlangen können,143 so unterstreicht Gloner mit dem ebenfalls sprichwörtlichen, jedoch auch auf das Signalwort „cribrum“ komprimierten Zitat das Scheitern von Lehrern, die nicht auf ihre Schüler eingehen:144 Insuper accessit vigilantia mira docendi, Mira fides studiumque perennis grande laboris. Quod quicumque nequit praestare, carebit amico Successu, et cribro fugituras hauriet undas. [Für einen guten Lehrer] kommt hinzu ein bewundernswerter Fleiß, was den Lehrstoff betrifft, eine bewundernswerte Gewissenhaftigkeit und ein großer Eifer für diese nie endende Arbeit. Jeder, der dies nicht leisten kann, wird ohne angenehmen Erfolg sein und wegrinnendes Wasser mit einem Sieb schöpfen.

zügen vertreten, letzterer jedoch nicht mit den von Gloner alludierten bzw. zitierten Passagen. Stellt dieser Rückgriff auf den römischen Satiriker gar Kritik oder Unzufriedenheit Gloners mit seiner Stellung an der Straßburger Schule dar? 142 Vgl. Johannes Sturm: De imitatione oratoria. Straßburg 1576, und Theodor Verweyen, Gunther Witting: Die Kontrafaktur. Vorlage und Verarbeitung in Literatur, bildender Kunst, Werbung und politischem Plakat. Konstanz 1987, S. 58, 64–66. Zur imitatio-Ästhetik siehe Nicola Kaminski: Imitatio auctorum. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hg. von Gert Ueding. Bd. 4. Tübingen 1998, Sp. 236‒285. 143 Plautus Ps. 99‒102: „Ut litterarum ego harum sermonem audio, / nisi tu illi lacrumis fleveris argenteis, / quod tu istis lacrumis te probare postulas, / non pluris refert quam si imbrem in cribrum geras.“ [Unterstreichung von mir, M.H.] 144 Gloner (Anm. 6), S. 186.

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Unklar bleibt, warum bisweilen Zitate weder durch Marginalie noch durch Kursivierung markiert werden. Eine unbewusst hergestellte Relation, auf die bereits Francesco Petrarca (1304‒1374) hinweist, wonach eine Wendung bereits in den eigenen Wortschatz übergegangen und nicht mehr als fremdes Sprachgut erkennbar sei,145 kann bei der Verbindung „fert animus … dicere“ ausgeschlossen werden.146 Sie stammt aus dem Proömium von Ovids Metamorphosen147 und steht im Carmen saeculare am Beginn jenes Abschnittes, welcher die Jahre 1566–1621 umfasst. Gloner leitet somit die Epoche des Straßburger Gymnasiums, die von den größten institutionellen Veränderungen geprägt war, mit einer Junktur aus jenem Epos ein, das ebenfalls von Verwandlungen handelt, und kombiniert sie in den folgenden Versen mit semantisch analogen Formulierungen („volumina rerum“, „mutare incipiunt, aliosque inducere vultus“):148 Fert animus reliquos audire et dicere casus, Ut sunt aetates, sunt certa volumina rerum, Regnorumque hominumque gradus et tempora, quando Mutare incipiunt, aliosque inducere vultus: Es steht der Sinn danach, die übrigen Wechselfälle zu hören und von ihnen zu erzählen. Mit Zeitaltern gehen auch gewisse Veränderungen der Welt einher und unterschiedliche Stufen und Zeiten von weltlicher Herrschaft und Menschen, wenn ihre Veränderung beginnt und sie andere Gestalten annehmen.

Obwohl es der Titel von Gloners Werk anders suggeriert, lassen sich Zitate aus dem Carmen saeculare des Horaz nicht nachweisen. Dennoch bestehen Parallelen zwischen beiden Dichtungen. Der Römer schrieb seine sapphischen Strophen als offiziellen Gesang zur Jahrhundertfeier 17  v. Chr., in denen er antike Gottheiten um ein neues Zeitalter der Prosperität bittet, während sich die sittliche Erneuerung durch die Rückkehr der personifizierten altrömischen Werte (fides, pax, honos, pudor) anzeigt. Gloner rezitierte sein im Hexameter, dem Vers des Epos, verfasstes Carmen saeculare ebenfalls als offizieller Poet 1638. Neben einer Darstellung der Gymnasialhistorie und panegyrischen Versen auf zentrale Gestalten der Bildungsgeschichte wie die jeweiligen Scholarchen und den Gründungsrektor Johannes Sturm wendet auch er sich, gleichsam an die Festtagspredigten Johann Schmidts und an den ‚usus hortatorius‘ der zeitgenössischen Homiletik angelehnt, 145 Vgl. Francesco Petrarca: Familiaria. Bücher der Vertraulichkeiten. Hg. von Berthe Widmer. 2 Bde. Berlin 2005, 2009, hier 22, 2 bzw. S. 104*–106* und S. 512–518. 146 Ein ähnlicher Fall liegt bei der Junktur „tumefacta per aequora“ (Gloner, Anm. 6, S. 176) vor, die lediglich bei Silius überliefertes „tumefacta sub aequora“ (XVI, 98) oder „tumefactum pontum“ (Ovid Met. XI, 158) alludiert. 147 Ovid Met. I, 1f.: „In nova fert animus mutatas dicere formas / corpora; di coeptis (nam vos mutastis et illas)“. 148 Gloner (Anm. 6), S. 188.

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an Lehrer und Alumni mit Verhaltensvorschriften. Diese sollen, göttlicher Beistand vorausgesetzt, um den ein Rahmen mit Dankesversen und Psalterreferenzen bittet, zum Gedeihen des Gymnasiums beitragen und, ebenfalls einem zyklischen Geschichtsbild gemäß, ein neues, günstigeres Säkulum einleiten.

Wilhelm Kühlmann

Von der Aktualität der historisch-politischen Philologie Zum Themenspektrum der Straßburger akademischen Deklamationspraxis der Jahre 1637 bis 1643 anhand der Programmata academica des Johann Heinrich Boeckler (1611–1672) Mit einem Textanhang

Johann Heinrich Boeckler, an der Universität Straßburg seit 1637 Professor für Rhetorik, seit 1640 als Nachfolger des berühmten Matthias Bernegger auch für Geschichte zuständig, über dessen umfangreiches historiographisches und politikwissenschaftliches Œuvre (selbst bibliographisch nicht vollständig oder gar exakt beschrieben) bisher nur knappe Zusammenfassungen existieren,1 gehört zu den ungeheuer fleißigen, intellektuell wachen Hochschullehrern, die neben historischer Editionstätigkeit auf der Basis eines prudentistisch modernisierten christlichen Aristotelismus in Vorlesungen, Abhandlungen, Lehrbüchern und Kommentaren die aktuellen Denkanstöße und Systemversuche europäischer Größen wie Lipsius (auch als Vertreter des sogenannten Tacitismus),2 Grotius, Bodin und Hobbes im Rahmen der komplexen deutschen Rechts- und Machtverhältnisse und nach Maßgabe des lutherisch orientierten Fürstenstaates kritisch aufzunehmen und zu verarbei-

1 Vgl. unter den Lexika zuletzt Wilhelm Kühlmann: Boeckler, Johann Heinrich. In: Killy Literaturlexikon. Autoren und Werke des deutschsprachigen Kulturraumes. 2., vollständig überarbeitete Auflage. Hg. von Wilhelm Kühlmann in Verbindung mit Achim Aurnhammer, Jürgen Egyptien, Karin Kellermann, Steffen Martus, Reimund B. Sdzuj. Bde. 1–13. Berlin, New York bzw. Boston 2008– 2012 (im Folgenden abgekürzt mit „KK“), hier Bd. 2, 2008, S. 22f. Ein größerer Artikel für VL 17 wird vorbereitet. 2 Dazu Wilhelm Kühlmann: Geschichte als Gegenwart. Formen der politischen Reflexion im deutschen ‚Tacitismus‘ des 17. Jahrhunderts. In: ders., Walter E. Schäfer: Literatur im Elsaß von Fischart bis Moscherosch. Gesammelte Studien. Tübingen 2001, S. 41–60, auch in ders.: Gelehrtenkultur und Spiritualismus. Studien zu Texten, Autoren und Diskursen der Frühen Neuzeit in Deutschland. Hg. von Jost Eickmeyer u. Ladislaus Ludescher in Zusammenarbeit mit Björn Spiekermann. 3 Bde. Heidelberg 2016, hier Bd. 1, S. 183–206.

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ten suchten.3 In engem Kontakt auch mit der in Straßburg wirksamen sogenannten ‚Tannengesellschaft‘ und als brüderlicher Freund von deren Gründer Jesaias Rompler von Löwenhalt (1605‒ nach dem 7. Juli 1674)4 wirkte er, mit Ausnahme einer kurzen, bald abgebrochenen Lehrtätigkeit im schwedischen Uppsala (1649/50), von Königin Christina 3 Dazu Ernst Jirgal: Johann Heinrich Bökler (1611–1672). In: Mitteilungen des Österreichischen Instituts für Geschichtsforschung 45, 1931, S. 322–384; Michael Stolleis: Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland. Bd. 1. Reichspublizistik und Policeywissenschaft 1600–1800. München 1988, S.  100–102 u. ö.; ders.: Lipsius-Rezeption in der politisch-juristischen Literatur des 17. Jahrhunderts in Deutschland. In: ders.: Staat und Staatsräson in der frühen Neuzeit. Studien zur Geschichte des öffentlichen Rechts. Frankfurt/Main 1990, S.  232–267, besonders S.  257–261; Wolfgang Weber: Prudentia gubernatoria. Studien zur Herrschaftslehre in der deutschen politischen Wissenschaft des 17. Jahrhunderts. Tübingen 1992, besonders S. 140–145; Fiammetta Palladini: Un nemico di S. Pufendorf: Johann Heinrich Böcler. In: Ius Commune 24, 1997, S. 133–152; Martin Disselkamp: Barockhheroismus. Konzeptionen ‚politischer‘ Größe in Literatur und Traktatistik des 17. Jahrhunderts. Tübingen 2002, besonders S. 69–82; Dietmar Till: Transformationen der Rhetorik. Untersuchungen zum Wandel der Rhetoriktheorie im 17. und 18. Jahrhundert. Tübingen 2004, besonders S. 157–159; Justin Stagl: Johann Heinrich Boeclers reisetheoretische Schrift „De Peregrinatione Germanici Caesaris“ (1654). In: Frühneuzeitliche Bildungsreisen im Spiegel lateinischer Texte. Hg. von Gerlinde Huber-Rebenich u. Walther Ludwig. Weimar, Jena 2007, S. 169–182. 4 Monika Bopp: Die ‚Tannengesellschaft‘: Studien zu einer Straßburger Sprachgesellschaft von 1633 bis um 1673. Frankfurt/Main 1998, besonders S. 119–123; Anna Kiel: Unveröffentlichte Briefe des Jesaias Rompler von Löwenhalt an Johann Heinrich Boecler (1647–1649). In: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins N.F. 56, 1943, S. 232–255. Die Korrespondenz Boecklers (im Folgenden B.) ist bisher kaum überschaubar und bedürfte dringend einer genauen Sichtung; ich verweise nur auf: 1. 37 Briefe (meist längere Briefauszüge) an Christophorus Forstner, Kanzler von WürttembergMömpelgard. In: Epistolae diversi argumenti […] ad […] Lucam Lossium […] et post eum a Duraeo, Langwedelio, Boeclero […] exaratae, partim excerptae […]. Hamburg 1728, Nr. 214–251, S. 430–476, lesbar im Internetportal CAMENA, Abt. Cera, sub verbo Lossius. – 2. Briefe von B. an Magnus G. de la Gardie und Axel Oxenstierna sowie an B. von Matthias Bernegger, Augustus Buchner, Christophorus Colerus, Andreas Gryphius, Johann Michael Moscherosch, Axel Oxenstierna, Johann Rist und Andreas Tscherning. In: Briefe G. M. Lingelsheims, M. Berneggers und ihrer Freunde. Hg. u. erläutert von Alexander Reifferscheid. Heilbronn 1889, passim (Register!). – 3. Fünf Briefe Philipp Jakob Speners an B. aus den Jahren 1667–1669. In: Philipp Jacob Spener: Briefe aus der Frankfurter Zeit 1666–1686. Bd. 1: 1666–1674. Hg. von Johannes Wallmann in Zusammenarbeit mit Udo Sträter u. Markus Matthias. Tübingen 1992, Nr. 8, 9, 29, 36, 43. – 4. Ein Brief von B. an Claude Saumaise, dazu Stefan Kiedroń: Andreas Gryphius zwischen Straßburg und Leiden […]. In: Wolfenbütteler Barock-Nachrichten 19, 1992, S. 86–89. – 5. Ca. 150 Briefe von B. (teils Originalausfertigungen, teils Briefentwürfe oder Abschriften) an zahlreiche Gelehrte, auch Mitglieder regierender Herrscherhäuser, verzeichnet in: Nilüfer Krüger: Supellex epistolica Uffenbachii et Wolfiorum. 2 Teilbände. Hamburg 1978, S. 94–96; das Verzeichnis der Verfasser von Briefen an B. (ebd. 2. Teilband, S. 1185–1187) umfasst ca. 250 (!) Briefpartner. – 6. 78 Briefe an B. von Johann Helwig Sinold, genannt Schütz, Kanzler von Braunschweig-Lüneburg (Universitätsbibliothek Gießen), verzeichnet im Internetportal Kalliope zusammen mit verstreuten Einzelbriefen in diversen Bibliotheken, aus denen u. a. auch die Kontakte mit Conring, Leibniz und Pufendorf hervorgehen.

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dort zum Reichshistoriographen ernannt, seit 1637 bis zu seinem Tod in Straßburg als unermüdlicher akademischer Lehrer mit einem weiten Schülerkreis, wovon neben zahlreichen gedruckten Dissertationen5 auch eine wertvolle Kollektion seiner um lateinische Gedichte bereicherten Orationes et programmata academica zeugen, zuletzt gedruckt und hier benutzt in einer Straßburger Ausgabe, die 1705 bei Johann Reinhold Dulssecker erschien.6 Der Begriff ‚Programm(a)‘ als Textsorte meint weder hier noch sonst im 17. Jahrhundert wie die Schulprogramme des 19. und noch des frühen 20. Jahrhunderts eine wissenschaftliche Abhandlung, sondern in der Regel die ankündigende, empfehlende und thematisch mehr oder weniger weit ausholende Einladung zu einer akademischen Veranstaltung im Rahmen eines actus publicus, in diesem, also Boecklers Fall ausdrücklich konzipiert als rhetorische Darbietung und gelehrter Leistungsnachweis (declamatio, manchmal auch in Versen) mehr oder weniger fortgeschrittener, namentlich genannter Studenten, die ihre Reden in der Regel nicht ohne intensive Mitwirkung Boecklers oder jedenfalls im Rückgriff auf seine akademischen Lehren und Schriften verfasst hatten. Über Art, Interessen, Ziele, Schwerpunkte und ideologische Signaturen dieser repräsentativ an die Öffentlichkeit tretenden Lehrpraxis geben solche (bisher generell in der Forschung wenig beachteten)7 Programme wertvolle Auskunft und sind Boecklers anderweitigen Reden oder den zahlreichen gedruckten Dissertationen an die Seite zu stellen, deren mündlicher Präsentation (als Disputation) Boeckler als Präses vorstand.8 Jedenfalls ist festzustel5 Großenteils gesammelt in: Johann Heinrich Boeckler: Dissertationes academicae. Editio secunda. Straßburg 1701 (lesbar im Internetportal CAMENA, Abteilung ‚Historica‘); vorher schon: Institutiones politicae. Accesserunt dissertationes politicae ad selecta veterum historicorum loca. Et libellus memorialis ethicus. Straßburg 1674. 6 Johann Heinrich Boeckler: Orationes et programmata academica cum quibusdam ejus poematibus. Straßburg 1705; die Programmata hier S. 337–460, Nr. 1–37. Zitate aus diesem Band sind im Folgenden direkt im Text nachgewiesen. 7 Mit Hinweisen auf einschlägige archivalische große Sammlungen und am Beispiel eines in vieler Hinsicht mit Boeckler vergleichbaren Zeitgenossen umreißt diesen Texttypus im Rahmen des Hochschulschrifttums Jean-Luc Le Cam: Vorlesungszettel und akademische Programme. Zur Rekonstruktion des akademischen Betriebs und Lebens jenseits der Lektionskataloge: das Beispiel des Helmstedter Rhetorikprofessors Christoph Schrader (Professor 1635–1680). In: Zwischen Konflikt und Kooperation. Praktiken der europäischen Gelehrtenkultur (12.–17. Jahrhundert). Hg. von Jan-Hendryk de Boer, Marian Füssel u. Jana Madlen Schütte. Unter Mitarbeit von Annika Goldenbaum. Berlin 2016, S. 89–137, speziell S. 100–104. Maßstäbe für die vielseitige historische Aufarbeitung literaturtheoretisch wichtiger, bisher großenteils ganz unbekannter Thesenschriften bietet nun Rhetorik, Poetik und Ästhetik im Bildungssystem des Alten Reiches. Wissenschaftshistorische Erschließung ausgewählter Dissertationen von Universitäten und Gymnasien 1500‒1800. Hg. von Hanspeter Marti, Reimund B. Sdzuj u. Robert Seidel unter Mitarbeit von Karin Marti-Weissenbach. Köln, Weimar, Wien 2017. 8 Zum Genus von Disputation bzw. Dissertation siehe die zusammenfassenden Artikel von Hanspeter Marti. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hg. von Gert Ueding. Bd. 2. Tübingen 1994, Sp. 866–880 bzw. 880–884; eine Sammlung neuerer Studien zur Dissertationsliteratur (hier abzule-

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len, dass viele der boecklerschen Programme in weitläufigen gelehrten Referenzen, Zitaten, aktuellen Bezugnahmen, intentionalen Reflexionen und manchmal recht ausführlichen Inhaltsangaben die zu erwartende Deklamation der studentischen Adepten bereits ‒ zum Teil sogar wörtlich ‒ vorwegnehmen. In einer lateinischen Einladungsschrift des frühen 18. Jahrhunderts wird der weite Bedeutungsradius des Terminus ‚programma‘ wie folgt umrissen:9 Wenn ein akademisches Leichenbegängnis anzukündigen, wenn eine feierliche Promotion zu verhandeln ist, wenn feierliche Feste anzukündigen sind, wenn eine Inauguraldisputation veranstaltet werden soll, wenn eine Änderung in der akademischen Verwaltung öffentlich bekannt zu machen ist, wenn eine Lobrede oder eine andere feierliche Ansprache zu halten ist und ähnliche Handlungen öffentlich zu vollziehen sind, dann muß dies nach der Sitte der Alten öffentlich in einem Programm bekannt gemacht werden.

Indem ich mich hier, auch aus Raumgründen, auf Boecklers Programmata academica der Jahre 1637 bis 1643 (Nr.  I‒XIII, S.  339‒385) beschränke, werden, texttypologisch zu trennen von den im Druck von 1705 später folgenden Trauerreden und amtlichen Verlautbarungen, Einladungsschriften Boecklers zu Deklamationen erfasst, mit denen er ausdrücklich die angeblich gerade in Straßburg heruntergekommene rhetorische Tradition im Sinne einer praktisch eingeübten Eloquenz, letzthin in der Nachfolge Melanchthons,10 restaurieren wollte; so in Nr. I, einer kurz nach Antritt seiner Rhetorikprofessor gehaltenen Rede, verfasst am 24. 5. 1637 und als Programm publiziert (S. 339‒343, hier S. 340): Igitur […] auspicatus professorios labores, statim in id incumbere coepi, ut situm his litteris ac ex situ contemtum detergerem, desidiamque circa eas publicam (patiantur quaeso Studiosi juvenes me non tam ipsis, quam saeculo id exprobrare) aliqua Exercitationum et amoenitate et varietate, ad strenua studia invitarem. Descripsi publicis dissertationibus earum genera, et rationes, partim veterum recentiumque doctissimis usurpatas, partim nostra observatione repertas: sen der Forschungsstand) bietet der zweite Teil von: Dichtung – Gelehrsamkeit – Disputationskultur. Festschrift für Hanspeter Marti zum 65. Geburtstag. Hg. von Reimund B. Sdzuj, Robert Seidel u. Bernd Zegowitz. Wien, Köln, Weimar 2012, S. 297–715, sowie der wertvolle Sammelband Frühneuzeitliche Disputationen. Polyvalente Produktionsapparate gelehrten Wissens. Hg. von Marion Gindhart, Hanspeter Marti u. Robert Seidel unter Mitarbeit von Karin Marti-Weissenbach. Köln, Weimar, Wien 2016. 9 Johann Samuel Friedrich Böhmer: Programma academicum quo praemissa meditatione de programmate iudiciali lectiones suas aestivas indicit […]. Halle 1726, zitiert nach der deutschen Übersetzung in Florian Neumann: Programm. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik (Anm. 8), Bd. 7, 2005, Sp. 155–158, hier Sp. 155. 10 Zur älteren Deklamationskultur im Rahmen des melanchthonschen Bildungssystems siehe nach wie vor Wilfried Barner: Barockrhetorik. Untersuchungen zu ihren geschichtlichen Grundlagen. Tübingen 1970, besonders S. 286–290, 340–342, 423, 433–447, hier S. 434 auch Bernegger und Boeckler erwähnt. Zu Typus und Tradition der Deklamation siehe den mehrteiligen Artikel von Jutta Sandstede. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik (Anm. 8), Bd. 2, 1994, Sp. 481–507.

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atque nunc adeo festino propediem videre egregios exercentium coetus, qui aemulatione industriae ad decus rectissimorum studiorum nitentes Auditoria eruditis vocibus, hebdomadas pulcris speciminibus, urbem ipsam sui laude et fama impleant. Sola enim est ad eloquentiam via, exercitatio. sine qua non ingenium oratorium, non studia oratoria, non observationes oratoriae, non erunt, inquam, haec omnia talia, id est Oratoria, sine oratoria exercitatione.

Auch in dem folgenden Programm Nr. II vom 6. 9. 1637 (S. 343‒347) hat Boeckler energisch Sinn und Aufgabe seiner rhetorischen Lehrtätigkeit jenseits einer ‚dürren‘ oder ‚schwülstigen‘ oder einer nur auf die Schule bezogenen Beredsamkeit umrissen, dies in klarer Ausrichtung auf eine ‚bürgerlich‘-öffentliche, in diesem (aristotelischen) Sinne durchaus ‚politische‘ Akzentuierung der rhetorischen Studien und Übungen, für die neben Historikern wie Thukydides, Sallust und Tacitus selbstverständlich mit Demosthenes und Cicero, aber auch mit Plinius und Seneca die Nobelgarde der antiken ‚Klassiker‘ aufgeboten wird. Unverkennbar plädiert Boeckler, gewiss im Einklang mit seinem Lehrer Matthias Bernegger11 und nicht ohne autobiographische Bezugnahme, wider ‚sterilen‘ ‚scholastischen‘ Schwulst für eine praxis- und sachbezogene, dem ‚Leben‘ und dem ‚Gemeinwohl‘ dienende Symbiose der rhetorischen, historischen und politischen Ausbildung. Den wöchentlichen mündlichen und schriftlichen Übungen sollen von Zeit zu Zeit feierliche, sorgfältig ausgearbeitete ‚Deklamationen‘ über interessante Themen an die Seite treten, eben jene also, zu denen Boecklers Programme einladen. Lernen und Reden gehören zusammen im Sinne der traditionellen Interdependenz der Verfügung über res und verba (zitiert S. 344 u. 346): Hinc jam officii quondam oratorii nomen, notitiae titulus ac discriminis extitit, ut πολιτικοὶ seu civiles dicerentur, qui foecundam magnarum artium prudentiam, et scholarum studia ad rem civilem, et humanos usus unice referrent, et φράσις πολιτικὴ, oratio quae relictis scholasticis floribus, et Sophistico tumore, decentior quam splendidior, gravior quam comptior esset. […] Quod ego mecum perpendens, cum et à puero non de studiis magis, quam de studiorum usu cogitare consuevissem, et officii praesertim, quod nunc gero, cura me commonefaceret, ut de praeparandis vitae et usui publico juvenum animis essem solicitus, visus mihi sum operae facturus esse pretium, si ad civilia potissimum lectiones publicas et privatas cum exercitationibus plerisque referrem, sepositaque sterili facundia, jejunisque dictionibus, ea ad discendum et dicendum proponerem, quae ut administrationem in ipso opere habent gravissimam, ita diligentem ante opus exercitationem ac studium suo quodam jure requirunt. Huc, secundum Plinianas Annaeanasque interpretationes, spectarunt hactenus praeexercitamina nostra, institutaeque per singulas hebdomadas scriptiones et recitationes: Huc in posterum, quod DEUS bene vertere jubeat, sollemnes quoque Declamationes spectabunt. Auctor, inquam, ero Auditoribus meis, ut materias ex omni Doctrina civili praecipuas, paulo accuratius elaboratas in publicum afferant, ac judiciis tam splendidi Auditorii submittant.

11 Boeckler hielt auf Bernegger die Gedenkrede (Oratio funebris, 1640), in dem hier benutzten Sammelband von 1705 (Anm. 6) abgedruckt unter Nr. IX, S. 155–185.

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Auch in den bisher zitierten ersten beiden Nummern der Programmata wird eingeladen zu Deklamationen von Studenten. Ich gebe nun, den Nummern der Programmata folgend, eine Aufstellung der Deklamatoren und ihrer Themen mit der Angabe des Datums (gewiss noch nach dem ‚alten Kalender‘) der von Boeckler unterschriebenen Einladungen. Dazu kommen in notwendiger Auswahl einige biographische Hinweise zu den genannten Persönlichkeiten sowie, auch mit sprechenden Zitaten, charakterisierende Bemerkungen zu den formulierten Themen und zu Boecklers jeweils einleitenden Darlegungen, darunter auch zu den Programmen Nr. XII und XIII, die hier als Exempel im Textanhang komplett abgedruckt werden. Beachtenswert erscheint mir dabei auch Boecklers Technik, immer wieder Zweier- oder Dreiergruppen von Rednern zu bilden und ein Oberthema unter diesen Akteuren sinnvoll zu verteilen, dabei bisweilen jenseits des deklamatorischen Redestils auch narrative oder disputationsähnliche (also wohl thesenhaft zugespitzte) Teile zu akzeptieren (siehe zum Beispiel unten zu Nr. VI). Nr. I, S. 339‒343, 24. 5. 1637; Elias Kolbius aus Straßburg:12 in Form einer ‚eleganten‘ Elegie zu einem biblischen Thema aus dem ‚Buch der Richter‘, speziell zum Kampf Gideons gegen die Midianiter in allegorisch-‚typologischer‘ heilsgeschichtlicher Auslegung zum Sieg Christi gegen Satan (S. 342): In quo, repetitam paulo altius populi Israëlitici conditionem, poenas scilicet ejus et à poenis liberationem, ad nobilem felicemque GEDEONIS adversus Midianitas, quae Judic. VII. describitur, pugnam deducit, victoriaeque ejus typum ad Servatoris nostri, quos devicto Satana, morte, inferno, reportavit triumphos, accommodat, eoque veluti Paeane Ascensionem ejus veneratur.

Nr. II, S. 343‒347, 6. 9. 1637; Melchior Freinsheim aus Ulm (immatrikuliert am 10. 7. 1634, Knod  I, S.  305), Bruder des bekannten Historikers Johann Kaspar Freinsheim (1608‒1660): „de Studio civilis prudentiae universo […] atque quibus res tam ardua auctoribus ex antiquitate, quibus recentioribus nitatur, quae praesidia in animo, quae in libris, quae in vita, tum quaerantur à multis, tum à cordatis quaerenda sint,13 quantum temporis feret ratio, explicabit. Argumentum quod per se difficile, difficilius etiam multitudine diversa sentientium redditur, (omnes enim Politici sunt, citiusque qui imperii administrandi, quam qui unius domus regendae scientiam profiteatur, invenias)“ (S. 347). 12 Später Pfarrer in Straßburg an St. Peter; immatrikuliert am 16. 3. 1635, am 8. 10. 1638 unter den Magisterkandidaten notiert, dies nach Gustav C. Knod (Bearb.): Die alten Matrikeln der Universität Straßburg 1621 bis 1793. Bd. I–II und Registerband. Straßburg 1897–1902, im Folgenden nur zitiert als „Knod“, hier Bd. I, S. 306 u. 531; Kolb verteidigte 1641 als Respondent unter dem Theologen Johann Konrad Dannhauer als Präses eine Disputation mit dem Titel: ΑΓΓΕΛΟΦΥΓΑΞΙΣ hoc est, dissertatio de custodia angelica, vgl. John L. Flood: Poets Laureate in the Holy Roman Empire. A Bio-bibliographical Handbook. 4 Bde. Berlin, New York 2006, hier Bd. 2, S. 419. 13 Die Kursivierungen im Zitat, hier und im Folgenden, entsprechen dem Druck bei Boeckler, wahrscheinlich handelt es sich hierbei jeweils um direkte Bezugnahmen auf den Wortlaut der angekündigten Deklamation.

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Nr. III, S. 348‒351, 20. 12. 1637: Drei Redner (S. 350): a) Elias Kolbius aus Straßburg (wie oben Nr.  I): „ut finientis anni prospera vel adversa, quatenus ad Rempublicam praecipue nostram pertinerent, commemoratione brevi collecta audientium meditationi committeret“, b) Joannes Jacobus Heidelius aus Straßburg (immatrikuliert am 10. 9. 1635, Knod I, S. 307): „consideratione divinorum beneficiorum ad solvendas nostro Conservatori laudes gratesque Auditorium excitabit, bonasque preces precabitur“, c) Johannes Sebastianus Gambsius (immatrikuliert am 22. 10. 1636 und am 17. 4. 1639, als Kandidat der Jurisprudenz am 24. 9. 1643; Knod I, S. 308 u. 310, II, S. 505):14 „de clausula huic anno feliciter et pie imponenda disseret, demissaque Infantis Servatoris veneratione bonam spem testabitur.“ Am Anfang des Programms lesen wir längere bewegende Ausführungen über den andauernden deutschen und europäischen Bürgerkrieg, auch mit Blick auf die bei Tacitus geschilderten Gräuel im Kampf zwischen Vitellius und Vespasian (Tacitus als „scriptorum gravissimus“; angeführt wird die drastische Stelle bei Tacitus, Historien 3,83,2, S. 348f.). Ich zitiere den Beginn des Programms als eine beachtenswerte zeitgeschichtliche Diagnose und Klage in Form eines Jahresrückblicks auf das ‚im Bürgerkrieg schon fast begrabene Deutschland‘, in dem (gewiss auch in Straßburg …) nicht zuletzt der Verlust des gesellschaftlichen Zusammenhalts, der Zerfall in feindliche Parteien, auch das schadenfrohe Desinteresse der vermeintlichen Kriegsgewinnler bedrohlich, ja skandalös erscheinen (S. 348): Versamur in fine anni, quem periculis varium, casibus atrocem, memorabilem eventibus, Europaeus orbis partim admiratur, partim deplorat, partim exosculatur, partim nihil aliud quam loquitur. Tale animorum divortium, tam diversa nationum judicia, tam pugnantia studia terrarum, primaevus error humano generi invexit, et sua cuique utilitas, detestabile imperiorum idolum, magis subinde magisque confirmavit. Lugent alii mala, alii faciunt: alii bellum execrantur, nonnulli odere pacem: incendia quidam restinguunt, plures excitant. Ipsa mortalium et universi societas, dissociabiles ubique animos; et commune jus, communionis hostes, invenit. Quae si inter eos fiunt, quorum nullo vitae, nullo morum, nullo linguae commercio coetus cohaerent, iniqua dixeris et infausta, sed exempli crebritate minus admiranda. Est enim aliqua in humanis mentibus peregrinitatis dedignatio: est aliqua rerum longinquarum neglectio: est aliquod ipsius ignorationis adversus ignorata fastidium. At vero, cum nec imperii et juris et civitatis communione sociati, communia laeta, communia tristia habent, sed alter quidem interitu alterius gaudet, alter moeret felicitate; tum vero infandae res indignitatis plena, luctuosissimique ad omnem posteritatem exempli haud immerito censetur. Utinam vero Germaniae nostrae, civili bello paene sepultae, ultima hujus rei exempla hic annus tulerit! Utinam civilis belli mala et flagitia ultima viderit! Quae an acerbiora dicas, an foediora, non parum dubites. ita permixta horrori deformitas, deformitati horror, omnia miseriis, et sceleribus replevere. Ultra quorum tamen immanitatem, eorundem inhumanam securitatem dixerim: dum plerique, nulla partium aut summae rei cura, malis publicis laeti auctique, divina humanaque omnia conculcant.

14 Wohl identisch mit dem späteren Straßburger Professor der Jurisprudenz (1654), dazu weiteres bei Bopp: Tannengesellschaft (Anm. 4), S. 479, mit anderem Immatrikulationsdatum.

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Nr. IV, S. 351‒355, 16. 10. 1638: Drei Redner: a) Johannes Sebastianus Gambsius (wie Nr. III): „Bestiam in hominem transiisse“, b) Elias Kolbius (wie Nr. I): „Hominem in Angelum (seu bonum genium) emersisse“, c) Johannes Jacobus Fridius (Frid; später immatrikuliert als Kandidat der Jurisprudenz am 2. 1. 1645, Knod  II, S.  505): „Argentoratum in Athenas transformatum esse“ (S. 353) Es geht mit Anspielung auf Ovids Metamorphosen um die geistreiche Auslegung des Begriffs ‚Metamorphose‘ bzw. (lat.) ‚transformatio‘ in anthropologischer, heilsgeschichtlicher und kulturgeschichtlicher Hinsicht, Letzteres akzentuiert in Erinnerung an das hundertjährige Bestehen der Straßburger Schule, weshalb gegen Ende des Programms (S. 354) wenigstens in Kürze des Begründers Johannes Sturm gedacht wird. Nr. V, S. 355‒358, 16. 1. 1639: Zwei Redner nach Maßgabe einer biblisch gegründeten ‚oratio ficta‘ (Rollenrede): Matthias Kornmannus aus Augsburg (immatrikuliert am 24. 1. 1639, Knod I, S. 531), Fridericus Wolfius aus Straßburg (immatrikuliert ohne Datum im Wintersemester 1637/38, Knod I, S. 469): „Quorum Ille; ex persona Zachariae, praeconio gaudii Sionem excitabit: Hic, in persona Sionis, denuntiatum gaudium prae se ferens, adventantem Regem excipiet“ (S. 357). Zu Beginn des Programms wendet sich Boeckler in Auslegung von Psalm 78 und ausdrücklicher Berufung auf Augustinus (De civitate dei 17,13), ganz im Sinne der lutherischen Orthodoxie, gegen eine in Straßburg offenbar Boden gewinnende, wohl spiritualistisch gefärbte Frömmigkeit, in welcher anhand von Weissagungen die Erwartung auf ein ‚Ende des Elends‘, auf eine totale Verbesserung der irdischen Verhältnisse („melior orbis status“) im Vorblick auf ein neues ‚Goldenes Zeitalter‘ gehegt wird (S. 356): Grave id cumprimis, et cordatum summi viri judicium (extat autem de C. D. 17, 13.) non tantum illis opponendum est, qui sacra quaedam oracula consentaneo cum suis votis intellectu, de nescio qua felicitate Ecclesiae, de fine miseriarum, de aureo denique quodam saeculo accipiunt: sed et sufflaminanda est hac ratione otiosa quorundam industria, quibus una sermonum materies, vitae non insuavis tenor; una cupiendi lubido, rerum copiae; una pietatem jactandi occasio, pro meliori orbis statu preces fundere.

Nr. VI, S. 358‒361, 18. 12. 1639: Drei Redner über den „Ostrakismos“ (Scherbengericht) als gemeinsames Thema: a) Wolfgangus Forstner aus Österreich (immatrikuliert am 6. 8. 1639, Knod  I, S.  310): „commemorata lucide ac simpliciter Aristidis expulsione, quale sit Ostracismi ingenium, tanquam praeviae cognitionis caussa, exponet“, b) M. Esaias Steudnerus aus Augsburg (immatrikuliert am 5. 6. 1639, Knod I, S. 310): „Calumniam, exilii tam celebris artificem magistramque, exultantem suo opere, et quos, quibus artibus in posterum petitura sit, confidenter edissertantem, inducet“, c) M. Jo. Philippus Weberus aus Augsburg (vielleicht identisch mit dem am 26. 7. 1639 immatrikulierten Philipp Heinrich Weber aus Augsburg, Knod I, S. 310): „postremo sermone, non tam orantis, quam disserentis ritu, philosophiam hujus loci Aristotelicam, comparatis eorum sententiis, qui , in quaestione juris, varie de Ostracismo pronuntiavere, tractabit“ (S. 358f.). Boeckler richtet im Programm sein Augenmerk nicht nur auf den Ostrakismos als politischen Akt, sondern auch, immer mit

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zahlreichen Beispielen, auf das fast gleichlautende ‚Scherbenspiel‘ („Ostrakinda“, „ludi quoddam veteris genus“) und dessen namhafte Liebhaber (unter ihnen Julius Cäsar nach Sueton). Nr. VII, S. 361‒365, 12. 3. („IV. Id. Martias“) 1640: Drei Redner (S. 364) über die Passion Christi, speziell auch über den ‚blutigen Schweiß‘ (gemeint: Lukas 22,44) Christi am Ölberg: a) Johannes Jacobus Federlinus aus Regensburg (immatrikuliert ohne Datum 1637, Knod I, S. 309): „oratione quasi praevia animos in pietatem toti salutiferae passioni debitam excitabit“, b) Joannes Spalthius aus Straßburg (immatrikuliert als Magisterkandidat im Mai 1639, Knod I, S. 470): „Qualis et quam mirabilis Sudor sanguineus Christi fuerit, reverenter inquiret“, c) Jacobus Fusseneggerus aus Augsburg (immatrikuliert am 13. 1. 1640 , Knod I, S. 311): „Quam sit idem sudor salutaris, brevi ostendet“ (S. 363f.). – Zum Beginn seines Programms widmet sich Boeckler dem Geheimnis der Menschwerdung Christi in der Vereinigung seiner göttlichen und menschlichen Natur, dies aber so, dass diese Vereinigung in einem syntaktisch hochpathetisch konstruierten, ja geradezu virtuosen Wortwirbel vor allem um die Begriffe ‚homo‘ und ‚deus‘ sprachlich unmittelbar versinnlicht und doch jederzeit dogmatisch fast überkorrekt formuliert erscheint (S. 361f.): Quam admirabile est, quod Deus voluit, quam admirabile, quod homo potuit; quam admirabile quod Deus et homo, homo et Deus, Deus-homo, inquam, Homo-Deus unum voluit, unum potuit; quod Dei voluntas est hominis voluntas, quod Dei potestas, est hominis potestas! imo vero quod Dei et hominis, in diversarum naturarum veritate ac distinctione, per intimum consensum ac unionem una est voluntas, una scilicet unius voluntas, unius potestas, qui nec Deus esse desiit, cum homo factus est; nec homo esse desinet, postquam in Deitatem est assumptus.

Nr. VIII, S. 365‒367, 26. 5. („VI. Kal. Jun.“) 1640: Vier Redner treten an (S. 367): Fridericus Stockerus aus Schaffhausen (Mitglied eines namhaften Patriziergeschlechtes, wohl identisch mit dem als Johann Friedrich Stocker (eigentlich Stokar) am 12. 7. 1639 Immatrikulierten, Knod I, S. 310) sowie aus Straßburg Philippus Franciscus König (immatrikuliert am 24. 10. 1638, Knod I, S. 309), Johannes Sebastianus Gambsius (wie Nr. III) und Basilius Geiger (wohl identisch mit dem am 24.  10. 1638 immatrikulierten Georgius Basilius Geiger, Knod I, S. 309): „De libertate et licentia Historicorum, Oratorum. Philosophorum, Poetarum, exercitatione declamatoria breviter agent et simpliciter“ (S. 367). Zentrales Thema ist die richtig verstandene Bedeutung und Begrenzung von ‚Freiheit‘(„libertas“) im Kontrast zur „licentia“, also zur ‚Willkür‘; so zu Beginn ausführlichst politisch wie auch in einer letzthin theologisch beglaubigten Anthropologie expliziert. Erkennbar wird dabei, wie sich Boeckler an der affekttheoretischen aristotelischen Regel der ‚Mäßigung‘ zwischen den Extremen sowie an der Vorstellung einer Harmonie von Gesetzgebung, Recht und Billigkeit orientiert. Die hier vorgetragene Position wirft ein Licht auf Boecklers grundsätzliche politische Überzeugungen und betrifft, zumal in Straßburg, auch die Normen des urbanen bürgerlichen Zusammenlebens jenseits einer depravierten Antithese von ‚Unterdrückern und Unterdrückten‘. Der postulierte göttliche Wille verschmilzt dabei

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immer wieder mit latent naturrechtlichen, auch empirisch-historisch ableitbaren Theoremen einer universalen „ratio vivendi“ (S. 365): Anima est ac veluti condimentum vitae; Libertas. Non loquor de periculosa, quidvis ex arbitrio agendi licentia; sed moderatum illud mediumque bonum intelligo, quo Principatus à dominationis infinita potestate, ad patriae auctoritatis temperamentum; Optimatium imperia, à privatis ad publicae rei augmenta; Popularis status ad aequabilitatem juris, exclusa violenti moris aut soluti deformitate; denique in omni vita, à vi ad leges, omnia rediguntur atque conformantur. Haec est ratio vivendi divinissima; quia divinissimum in terris lex est et jus et aequabilitas […]. Haec est ratio vivendi antiquissima: quia, quantum ad sacros Annales attinet, non alia in terris lege agere, creatos à se homines, Deum voluisse; neque dominationem et servos, sed rectores ac cives, non oppressores et oppressos, sed liberos et amicos instituisse, satis edocemur: quia, quantum profana retro colligere historia potuit, primas liberorum civitates extitisse, deprehenderunt Aristoteles, Polybius, alii.

Die Redner haben sich exemplarisch auseinanderzusetzen mit dem Gegensatz von libertas und licentia nicht nur, wie gesagt, in der politischen und sozialen Theorie wie auch Praxis, sondern auch „in literarum studiis“ (S. 366), gemäß den von Boeckler umrissenen, angeblich vielfach zu beobachtenden Bedrohungen und Verfehlungen, einer Art von ‚Degeneration‘, die offenbar als Aufweichung oder gar provokative Missachtung der implizierten Regeln und Tabuzonen des akademischen disziplinären Diskurses gedacht werden sollte. Die nicht erst im 18., sondern auch schon im 17. Jahrhundert unter anderem von Kepler, Galilei und Descartes zumindest dem Sinne nach formulierte Forderung einer ‚libertas philosophandi‘15 stieß hier an ihre institutionellen und sozialen Grenzen (ebd.): At illa libertas quotiens in licentiam degenerat! id est, se pariter ipsam et studia infamat. Possemus per multa ostendere, quod in praesens quatuor exemplis demonstrabitur: earum scilicet artium, quibus prae ceteris magna sui operis concessa publice existimatur libertas; Philosophiae, Oratoriae, Historiae, Poëtices. Quid enim excogitari potest, quod non mentiri aliquis, sub nomine Poetae; contorquere, sub Philosophi titulo; insectari, sub Historici velo; fucare et corrumpere, sub Oratoris jure audeat?

In seiner weit ausholenden, im selben Jahr gehaltenen Gedenkrede auf den verstorbenen Bernegger verstand Boeckler, ganz humorlos, unter fehlgeleiteter akademischer „libertas“ vor allem die Ablehnung solider Studien und die Verspottung der seriösen Grundlagendisziplinen, d. h. ihrer ‚Prinzipien‘ und ihrer Autoritäten vom Range eines Sturm und Bernegger:16

15 Dazu Robert B. Sutton: The Phrase Libertas Philosophandi. In: Journal of the history of Ideas 14, Nr. 2, 1953, S. 310–316, und neuerdings Kay Zenker: Denkfreiheit. Libertas philosophandi in der deutschen Aufklärung. Hamburg 2012. 16 Boeckler: Oratio funebris (Anm. 11), S. 170f.

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Habet hoc quoque vita Academica ex libertate vitium, quod temeritate pro judicio usi praefidentes juvenum, libere et impune, in clarorum virorum nomina et labores perpetuis censuris incurrunt. Si quis tria verba ex Sallustio sublegit, jam Sturmios et Berneggeros fastidiose judicat, ceteros ex abrupto damnat: si quis juris, divinarum literarum, medicinae, artium reliquarum prima rudimenta attigit, aut ea paululum supergressus est, de principibus horum studiorum inter pocula et in circulis arbiter sedet: si quis docentem, semel et negligenter audivit, male intellexit, statim quae libet, et quibus cujusque inflari vanitas potest, pronuntiat.

Nr. IX, S. 367‒371, 17. 3. 1642: Zwei Redner, nämlich „Benedictus et Ova [!] Brocktorffi Equites Holsati“, zwei Vettern („Patrueles“) aus dem holsteinischen Adelsgeschlecht derer von Brockdorf, die, ohne immatrikuliert zu sein (beim Adel nicht ungewöhnlich), Jurisprudenz studierten und ihr Thema mit staatsrechtlichen Fragen in Verbindung bringen wollten. Beide Redner lebten offenbar während ihres Straßburger Studiums bei Boeckler (S. 370). Es geht ihnen um die kontroverse Beschreibung und Bewertung der Herrschaftspraxis Alexanders des Großen, also um das, was aus dem historischen Exempel, diesmal aber nicht aus der römischen Kaiserzeit, sondern aus der Alexandervita im Rahmen einer „civilis prudentia“ (S. 369) für die Phänomene, Probleme, Herausforderungen und Gefährdungen einer moralisch und politisch, in Krieg und Frieden musterhaften oder auch ‚degenerierten‘ Herrschaftsführung abzunehmen ist (S. 368): „ALEXANDRUM, admirandi nominis Principem, tertiae conditorem Monarchiae,17 VIRTUTIBUS et iis, quibus orbem vicit, artibus, MAGNUM alter aestimandum dabit: alter EUNDEM, postquam degenerasset, VITIIS et quibus priorem gloriam foedavit facinoribus NON MINOREM, deplorandum exhibebit.“ Was an Tugenden und Lastern von Alexander zu lernen ist, soll dargestellt werden im Rückgriff auf die gerade im 17. Jahrhundert vielgelesene, wenn auch nicht vollständig erhaltene Alexandergeschichte (Historiae Alexandri magni) des Q. Curtius Rufus (1./2. Jahrhundert n.Chr.). Sie spielte auch im Rhetorikunterricht eine beachtliche Rolle, wie exemplarisch zu belegen ist am Beispiel einer von dem Königsberger Rhetorikprofessor Valentin Thilo (1607‒1662) herausgegebenen Anthologie (1646) der bei Curtius inserierten Reden (Curtius orator, sive orationes Curtianae), für die Simon Dach ein Begleitgedicht schrieb und die bis 1694 mindestens sieben Nachdrucke in Frankfurt, Leipzig und Amsterdam fand.18 Boeckler führt in seinem Programm lehrreich aus, welche Ziele die Lektüre dieses Historikers speziell und die Lektüre der antiken Historiographie im Allgemeinen mit Blick auf die offenkundige Aktualisierbarkeit der erzählten Geschehnisse und der pragmatischen bzw. psychisch-charakterologischen Verhaltensmuster verfolgt und welcher Lernwert und Erkenntnisnutzen daraus zu erwarten ist. Diese proponierte Strategie und Hermeneutik der Curtiusexegese stand demnach in einer Reihe mit 17 Das Alexanderreich als drittes der vier Weltreiche gemäß der gewohnten Exegese von Daniel 2 u. 7. 18 Zu Thilo siehe Wilhelm Kühlmann: Theorie und literarische Hermeneutik der Affektenlehre im 17. Jahrhundert. Zu Valentin Thilos Lehrbuch Pathologia oratoria (Königsberg 1647), mit der Publikation zweier Gedichte von Simon Dach (zuerst 2008), abgedruckt in Kühlmann: Gelehrtenkultur und Spiritualismus (Anm. 2), Bd. 2, S. 255–274.

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der sonst auch gerade von Bernegger und Boeckler in Straßburg gepflegten ‚politischen‘ Analogisierung und Interpretation der römischen Historiker, besonders des Tacitus19 und des Sueton.20 Gegen Skeptiker, die die Lektüre der alten Historiker „tam turbulento, tam negotioso hoc saeculo“ für unmodern, zu aufwendig und wenig sinnvoll halten, wendet sich Boeckler ausführlich, im Vorausblick auf die angekündigten Redner, indem er die Lehren der Alexandergeschichte in einem dichten exegetischen Werkporträt als wegweisend für alle Zeiten heraushebt (S. 368f.): in eo [Curtius, W. K.], praeter summam et incomparabilem stili venustatem, deprehenderunt gravissimas de praecipuis civilibus negotiis institutiones, imbiberunt reconditiora humani actus documenta, denique in singulis versibus plusquam singula prudentiae specimina observarunt. Ea cum viderent, non minus in praesentis et post futurae aetatis usus valere, suis quaeque temporibus et occasionibus usurpanda reservantes, maluerunt interim vetusti schematis habitum meditando excutere, atque describendo effigiare: praesertim cum recentia pleraque animum potius advertentem, quam stilum denotantem amare videantur. Quanquam hoc ad nominum et vocabulorum aetatem tantummodo pertinet. nam in rebus ipsis, quam absurdus foret, qui Historiam, remotissimi etiam temporis, ex praescripto artis et prudentiae, compositam, ab hodierni actus genio alienam autumaret? Intueri divinam in diruendis imperiorum fastigiis justitiam; in condendis regnorum fundamentis potentiam; in extruendis principatuum incrementis sapientiam: Persarum aurum et luxuriem despicere; Macedonum ferrum et virtutem aestimare: Darium felicitate nimia praepinguem et praegravem miserari; Alexandrum divina quadam indole excitatum, et Heroico Spiritu accinctum admirari: haec non unius temporis, sed omnis, quaqua patet aut patebit, aevi; nec unius gentis, sed universi nimirum orbis dis[ci]plinam continent. Aut, si in Alexandro manemus, quae est omnino pars civilis prudentiae, quam non complectitur vita tanti Regis, quam non attingit calamus tanti Scriptoris?

Nr. X, S. 371‒374, 14. 6. 1642: über den Zusammenhang und die Analogie weltlicher und kirchlicher bzw. geistig-geistlicher historischer Verlaufsformen, speziell im Blick auf Umwälzungen und Revolutionen wie zum Beispiel in der Synopse der verhängnisvollen Rollen von Catilina im Staat und von Arius in der Kirche; vorgesehen sind drei Redner (S.  373), nämlich die Straßburger Joannes Schmidius (immatrikuliert am 7. 4. 1640, Knod I, S. 311) und Joh. Joachimus Frantzius (1626‒1697, immatrikuliert ohne Datum im Wintersemester 1640/41; Knod I, S. 312, II, Dr. jur. 1649/50; später Ratsmitglied und in weiteren hohen Straßburger Positionen, seit 1654 Schreiber des Großen Rats),21 sowie der aus Emmendingen stammende Samuel Brothagius (immatrikuliert ohne Datum

19 Dazu Kühlmann: Geschichte als Gegenwart (Anm. 2). 20 Zur politisch-historischen Philologie am Beispiel einer Suetonexegese unter Bernegger in einer Dissertation (1623) des bekannten Literaten und Satirikers Johann Michael Moscherosch (1601–1669) siehe Wilhelm Kühlmann u. Walter E. Schäfer: Frühbarocke Stadtkultur am Oberrhein. Studien zum literarischen Werdegang Johann Michael Moscheroschs. Berlin 1983, besonders S. 33–46. 21 Bopp: Tannengesellschaft (Anm. 4), S. 490.

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im Wintersemester 1640/41, Magister 1644, in diesem Jahr auch Poeta laureatus,22 seit 1648 Pfarrer in Enzheim; gehörte zum Umkreis der Tannengesellschaft):23 „Quorum primus, origines, caussasque seditionum cum originibus caussisque Haeresium; alter, seditionum artes, consilia, instrumenta, cum Haereticorum molitionibus; tertius, utrorumque exitum ac fata comparabit.“ Nr. XI, S. 374‒377, 1. 11. 1642: Es geht um das Straßburg als Stadt („civitas“) unmittelbar betreffende geschichtsphilosophische Thema des Aufkommens, der Blüte und des Untergangs von Städten gemäß einer von Historikern oft benutzten Kreislaufmetapher („comparatio philosophiae“): „Urbes quoque, ut homines, dicunt nasci, vivere, mori“ (S. 374).24 Den hintergründigen Problemrahmen lieferte offenkundig der in der politischen Literatur der Zeit aus Italien und Frankreich (z. B. Bodin: De republica libri sex. U. a. Frankfurt/Main 1591, IV, Kap. 1‒3; auch Bodin: Methodus ad facilem historiarum cognitionem. Paris 1572, Kap. VI) einströmende Fragekomplex der Entstehung, Sicherung und des Verfalls von Herrschaft. Sensibilisiert wurde man in Deutschland, was den Status der Städte anging, gewiss durch prominente Konflikte zwischen Städten und Territorialfürsten (zu beobachten etwa am Beispiel Braunschweigs) und durch den Machtverlust vieler ehemaliger Hansestädte. Die spätere Erpressung und Überwältigung Straßburgs durch Ludwig XIV. konnte Boeckler, der im fortgeschrittenen Alter, obwohl reichstreu gesinnt, auch ‚Pensionen‘ von Ludwig XIV. entgegennahm, noch nicht erahnen. Es war kein Zufall, dass gerade in Straßburg 1596 ein einschlägiger Traktat des Italieners Giovanni Botero/Boterus (auch er ein Theoretiker der ‚Staatsräson‘) in deutscher Sprache erschienen war: Gründlicher Bericht Von Anordnung guter Policeyen und Regiments: auch Fürsten- und Herren Stands. Sampt gründlicher Erklärung der Vrsachen/ wadurch Stätt / zu Auffnemmen und Hochheiten kommen mögen […]. Boeckler entwirft für die verschiedenen Stadien dieser dynamischen Verlaufsformen von Herrschaft jeweils ein rhetorisch hoch elaboriertes Tableau von Beobachtungen und Ursachen, immer anhand der organologischen Leitmetapher, zuletzt nicht ohne tiefe Skepsis (S. 375): Ita nascuntur urbes, varia sui ortus occasione, varia parentum conditione, varia geniturae sorte. nascuntur ex cadaveribus aliarum; nascuntur, ut fiant cadavera; nascuntur ad expectationem gentium; nascuntur praeter opinionem hominum; nascuntur ad aetatis incrementa et decrementa. Igitur infantiam suam infirmitate, nec rarius ineptiis produnt: Adolescentiam ardore fatentur; Juventutem viribus ostentant; virilem maturitatem industria et dexteritate demonstrant; senium et senii incommoda plerumque dissimulare non possunt. Sic nascendo, sic vivendo discunt mori: serius an ocyus, nihil interest ad communem mortalitatem, et ad certissimam ejus mobilitatem. 22 Zu ihm John L. Flood: Poets Laureate in the Holy Roman Empire. A Bio-bibliographical Handbook. 4 Bde. Berlin, New York 2006, hier Bd. 1, S. 242. 23 Vgl. Bopp: Tannengesellschaft (Anm. 4), S. 470. 24 Zu diesem Kreislaufmodell ausführlich und anhand weiterer Texte (unter anderem von Bernegger) Wilhelm Kühlmann: Gelehrtenrepublik und Fürstenstaat. Entwicklung und Kritik des deutschen Späthumanismus in der Literatur des Barockzeitalters. Tübingen 1982, Kap. III, 2, S. 118–135.

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Demgemäß werden drei jugendliche Redner über die drei Stadien der historischen Verlaufsformen sprechen (S. 376): a) Jacobus Bentzius aus Straßburg (wohl identisch mit dem als Johann Jacob Bentzius ohne Datum im Wintersemester 1640/41 Immatrikulierten, Knod I, S. 312): „de Nativitate Urbium“, b) Joh. Henricus Schatzius, auch aus Straßburg (mit Bentz immatrikuliert, Knod I, S. 312): „de Vita Urbium“, c) Antonius Schmidius aus der Wetterau („Wetteraviâ Feuerbacensis“, nicht bei Knod): „Mortem Urbium cum morte hominum comparabit“. Abschließend macht Boeckler in drastischen Worten klar, dass keinesfalls nur abstrakte Theoreme zu besprechen sind, sondern auch ein aktuelles Erleben und Erleiden unter den Bedingungen des anhaltenden Krieges. Die Leichen von Städten (der Protestant Boeckler denkt gewiss auch an Magdeburg) liegen ‚uns‘ vor Augen (S. 377): Equidem vivimus eo tempore, quo non tam de propaganda civitatum vita cogitare, quam assiduas mortes Urbium et funera lugere necesse est. Jacent ante oculos cadavera, prospectant è ruinis feralibus passim busta nobilissimarum urbium, quas in communi Patria non tantum vidimus mori, sed sensimus. In tam tristi ergo tamque amplo coemiterio, magnum scilicet et copiosum habemus de Urbium fato commentarium.

Nr. XII, S. 377‒381, 23. 3. 1643 (vollständiger Abdruck unten im Textanhang). Ein im Thema aus der Reihe fallender Beitrag, der auf den ersten Blick allenfalls ganz am Rande zum Pensum des Rhetoriklehrers oder des Geschichtsprofessors gehört. Er entführt in die Sphären der religiösen frühchristlichen Literatur; tatsächlich aber greift er, wie sich zeigt, in eine höchst aktuelle, dabei auch ins Grundsätzliche führende Diskussion über die Zuverlässigkeit literarisch vermeintlich seriös, d. h. im Kreis der ‚Kirchenväter‘ beglaubigter Wunder ein. Was Boeckler vorträgt bzw. vortragen lässt, ist, wie sich herausstellt, nichts Geringeres als eine sorgfältig abwägende, zugleich traditionskritische Symbol- oder Zeichentheorie, entwickelt an einem ebenso berühmten wie prekären Beispiel. Es geht um die höchst fragliche Realität des, wie Boeckler gleich zu Beginn feststellt, von vielen Autoren behandelten rätselhaften Vogels Phönix (S. 377: „Mira sunt et mera aenigmata“) und um dessen symbolische und ‚emblematisch‘ verfestigte christologische Bedeutung als Sinnbild von Tod und Auferstehung. Etwa zwanzig Jahre vor Boecklers Programm war dieser Vogel in christologischer Deutung auch in einem deutschsprachigen Epos (Deutscher Phönix. Frankfurt/Main 1626)25 des sonst als virtuoser Neulateiner glänzenden Kaspar von Barth (1587‒1658) besungen worden.26 Boeckler beginnt mit einem längeren Zitat aus der sozusagen klassischen Phönix-Dichtung des bekannten ‚Kirchenvaters‘ L. Caecilianus Fir25 Dazu siehe Johannes Hoffmeister: Kaspar von Barths Leben und sein deutscher Phönix. Mit einem Manulneudruck des deutschen Phönix, Heidelberg 1931, hier auch materialreich zur literarischen Phönix-Rezeption. Zum epischen Werk (mit Textauszügen) neuerdings Wilhelm Kühlmann: Wissen als Poesie. Ein Grundriss zu Formen und Funktionen der frühneuzeitlichen Lehrdichtung im deutschen Kulturraum des 16. und 17. Jahrhunderts. Berlin, Boston 2016, S. 77–82. 26 Zu Barth zusammenfassend mit der Literatur der Artikel (sub verbo) von Wilhelm Kühlmann in: KK (Anm. 1), Bd. 1, 2008, S. 322f.

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mianus Lactantius (ca. 250‒325), worüber zahlreiche moderne Studien vorliegen,27 geht dann über, und hier verschiebt sich der Gesichtspunkt, zu einem längeren Zitat aus dem 1. Clemensbrief an die Korinther,28 zu einem Dokument, das, wie Boeckler notiert, erst neulich ans Licht getreten sei (S. 378: „nondum ille quidem in vulgus notus, quippe ex monumento nuper reperto“). Gemeint ist, wie sich zeigt (S. 379), die Edition des Clemensbriefes durch Patricius Junius, d.i. Patrick Young (1584‒1652), einen schottischen Gelehrten und berühmten Gräzisten, der, wie Boeckler vermerkt, in seinen Anmerkungen für die Glaubwürdigkeit der Phönixsage („pro veritate Historica Phoenicis“) eingetreten sei. Zur Debatte stehen also diverse Meinungen diverser Autoritäten. Der berühmte Vogelkundler Ulisse Aldrovandi (1522‒1605; seine Ornithologia erschien in drei Bänden zuerst 1599‒1603) habe bekräftigt, dass es sich bei der Phönix-Geschichte um eine Sage handle (S. 379): „fabulosam avem esse Phoenicem“, und auch der berühmte Philologe Gerhardus Johannes Vossius (1577‒1649) habe in seiner Physiologia Christi (Buch III, cap. 99, die Schrift war erst vor kurzem, 1641, erschienen!) bekräftigt (ebd.), „necesse non sit credere, Clementem scivisse omnia quae facerent ad arcana naturae“. Boeckler stimmt im Blick auf den Clemensbrief, dessen Autor er noch für unsicher hält, diesen Diagnosen zu (ebd.): „Nos et hanc annotationem, et in universum eorum sententiam amplectimur, quibus fabula videtur.“ Zwei kontroverse Meinungen und eine von Boeckler am Ende vorgeschlagene ausgleichende These sollen demnach nacheinander von drei Rednern vertreten werden (S. 380): a) Joannes Jodocus Schellius aus Straßburg (immatrikuliert ohne Datum im WS 1640/41, Knod I, S. 312): „ostendet, quid veri simile habeant, quae de Phoenice traduntur, sive qua fidei specie niti videantur“, b) Immanuel Eckhardus aus Sesenheim (immatrikuliert am 17. 4. 1639, Knod I, S. 310): „refutatis, quae in speciem adferebantur, mendacium rei et fabulam arguet“, c) Israel Spachius aus Straßburg (ohne Datum immatrikuliert im Wintersemester 1640/41, Knod I, S. 312): „quos vel ad elegantiam vel ad doctrinam usus habuerit illa traditio de Phoenice, aut habere possit, declarabit“ (S. 379f.). Der Weg zur Lösung des Problems abseits der Frage nach der historischen Wahrheit der Phönix-Tradition oder der Frage nach der Glaubwürdigkeit des Clemensbriefes wird abschließend schon von Boeckler, nicht erst von den Deklamatoren, ausführlich vorgezeichnet. Geschichte und Bild des Phönix stehen demnach allegorisch ein für die Unsterblichkeit und den quasi göttlichen Ursprung unvergleichlicher ‚Heroen‘ (s.u. im Textanhang S. 380f.), können deshalb auch sinnbildhaft an „Christi historia“ (S. 381) erinnern,

27 Siehe Bertold Altaner u. Alfred Stuiber: Patrologie. Leben, Schriften und Lehre der Kirchenväter. Freiburg/Breisgau 71966, S. 187f.; K[arl]-H[einz] Schwarte: Laktanz. In: Lexikon der antiken christlichen Literatur. Hg. von Siegmar Döpp u. Wilhelm Geerlings. Freiburg/Breisgau, Basel, Wien 1998, S. 387f. 28 Zum Clemensbrief siehe Altaner, Stuiber: Patrologie (Anm. 27), S. 46f.; Döpp, Geerlings, Lexikon (Anm. 27), S. 131f.

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so dass sich als Kompromiss ergibt (Schluss): „Phoenicis nostri mysteria (pie tamen ubique et caute) contemplemur, interpretemur, balbutiamus, etiam obstupescamus.“ Nr. XIII, S. 381‒385, 27. 9. 1643 (vollständiger Abdruck unten im Textanhang): Das Programm bezieht sich am Anfang auf Boecklers offenbar sehr beliebte, in den letzten Monaten erneut abgehaltene Vorlesung über Tacitus’ Annales. Dass Boeckler zu der maßgeblich von Lipsius ausgehenden tacitistischen Strömung der europäischen und deutschen Politikwissenschaft wie auch Historiographie beigetragen hat, habe ich schon andernorts nachgewiesen.29 Dies ließe sich aufschlussreich ergänzen durch eine Analyse der Einleitungs- und Abschlussrede seiner bereits 1636 gehaltenen Privatvorlesung über Tacitus’ Annales. Beide Reden sind abgedruckt in dem von mir benutzten Sammelband von 1705 (dazu s.o.), nämlich als Nr. XIV, S. 258‒268 (De C. Cornelii Taciti Historia, ac multa scribendi arte judicioque, Anno MDCXXXVI privatae Annalium interpretationi praemissa) sowie als Nr. XIX, S. 301‒322 (Post absolutum, in privata Annalium Taciti interpretatione, Anno MDCXXXVI, Principatum Tiberianum veluti Eπικριτικὴ ἀνακεφαλαίωσις). Wer Tacitus’ Annalen behandelte, stellte in den Mittelpunkt immer wieder die Frage nach den moralischen und vor allem den außermoralischen Faktoren monarchischer Herrschaft, insbesondere, am Beispiel des Tiberius, nach der Pragmatik, Taktik und Psychologie des potenziell depravierten (tyrannischen) regimentalen Handelns und Verhaltens. Auch im hier zur Rede stehenden akademischen Programm verdeutlicht Boeckler sein Interesse an Tiberius in einer Charakterisierung, die um die zentralen Stichworte der ‚Verstellung‘ und ‚Täuschung‘ kreist (S. 383): Fuit Tiberius singularis simulationum ac dissimulationum omnium artifex summusque fraudis civilis et sophismatum in gerenda republica architectus. cumque nihil non ex tyrannico more consilioque ageret, vitia tamen sua sub virtutum specie occultabat. […] Nos, ex loco multae profundaeque meditationis nihil aliud nunc, quam propositum illud Tiberianum consideramus: cum libidinem animi et ingenii sui pro suprema ratione habens, nihil illicitum, quod explendae dominationi; nihil turpe, quod aliquo colore involutum; denique omnia, modo clam, modo palam, tyrannidis impotentiae accommodanda aut indulgenda crederet. Id egit, cum sub schemate cultuque Principalis officii, opera tyrannorum faceret: id egit, cum remoto velo, ne famam quidem tyrannidis expavesceret.

Zwei Redner nehmen zu dem Thema Stellung, nämlich: a) der am 11. 10. 1642 in der juristischen Fakultät immatrikulierte Hermann Samsonius, ein Sohn des gleichnamigen livländischen Superintendenten und Oberpastors zu Riga (*1579),30 und b) kein Geringerer als der mit ihm ankommende, am selben Tag eben dort immatrikulierte Veit Ludwig von Seckendorff (1626‒1692), „Eques Francus“, der bald u. a. mit seinem Standardwerk Teutscher Fürsten-Staat (Frankfurt/Main, Leipzig 1656; 10 Auflagen bis 1737; Neudruck 29 S.o. Anm. 2. Vgl. auch den Beitrag Michael Philipps in diesem Band. 30 Zu ihm siehe Heinrich Diederichs. In: Allgemeine Deutsche Biographie. Bd.  30. Leipzig 1890, S. 312–315.

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der Ausgabe Jena 1737 Aalen 1972) als großer Staatstheoretiker und politischer Schriftsteller hervortreten wird, Inhaber bedeutender Positionen im territorialen Verwaltungsdienst. Die von mir in Auswahl konsultierte Seckendorff-Literatur31 weiß zwar, dass Seckendorff nach der Hinrichtung seines Vaters (1642) in Straßburg bei Boeckler studierte und auch später mit ihm in Kontakt verblieb, scheint aber dieses Programm übersehen zu haben, das jedenfalls auf die erste akademische historisch-politische Leistung des Siebzehnjährigen hinweist. Boeckler bietet in Kursivdruck eine verknappte Inhaltsangabe von Seckendorffs Rede (S. 385): Alter ostendet: frustra praeferri virtutum nomina et species, adhiberi verborum magnificentiam, laudari jura, jactari relligionem Principatuum; ubi omnia ad explendas tyrannidis et infinitae dominationis libidines referantur; neque συνυπόκρισιν πολιτικὴν et laudabilem illam extra regulae ordinem Prudentiam, quam necessitas aliquando suadet, nec honestas damnat, cum κακοπραγμοσύνῃ et prava calliditate confundendam esse.

Am Ende betont Boeckler, dass beide Deklamatoren ganz selbstständig gearbeitet und formuliert haben, also ohne seine vorwegeilende Hilfe (ebd.): „Ceterum sicut scripserant, ita recitabunt: i. e. sua, proprioque Marte elaborata; neque alienis insertis interpolata, aut compilatione locorum communium vane adornata.“ Auch dies ein Indiz dafür, dass es sich lohnt, den akademischen Denkhorizont des 17. Jahrhunderts in seinen vielfältigen, auch regionalen Färbungen, seiner expliziten und impliziten aktuellen Semiotik, seinen öffentlich entfalteten Problemkonfigurationen, fachspezifischen und allgemeinen ideengeschichtlichen Verflechtungen, zugleich in seinen eruditen interdisziplinären Textschichtungen auch anhand der vermeintlich nur routinierten und manchmal massenhaft überlieferten akademischen Programme zu erforschen. Der vorliegende kleine Beitrag sollte dazu eine Spur legen.

Textanhang XII. (377) Mira sunt et mera aenigmata, quae de ave unice-unica phoenice, scripserunt magno numero veteres Theologi, Oratores, Poëtae, Philosophi, Graeci Latinique. inter quos nota illa sunt ex Lactantii Phoenice: (378) Haec fortunatae sortis fatique volucris,    Cui de se nasci praestitit ipse Deus;   Femina vel mas haec, vel neutrum sit mage, felix,    Felix, quae Veneris foedera nulla colit. 31 Detlef Döring (sub verbo). In: Neue Deutsche Biographie. Bd. 24, Berlin 2010, S. 117f.; Bernd Roeck u. Solveig Strauch. In: KK (Anm. 1), Bd. 10, 2011, S. 718–721; Michael Stolleis: Veit Ludwig von Seckendorff. In: ders. (Hg.): Staatsdenker in der frühen Neuzeit. München 1995, S. 148–171.

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  Mors illi Venus est, sola est in morte voluptas,    Ut possit nasci, haec appetit ante mori.   Ipsa sibi proles, suus est pater et suus haeres,    Nutrix ipsa sui, semper alumna sibi.   Ipsa quidem, sed non eadem, quia et ipsa, nec ipsa est:    Aeternam vitam mortis adepta bono. Cui aenigmati ut aliquid lucis possit conciliari, dignus est, qui huc adscribatur Clementis Romani locus, ex epist. 1. ad. Cor. nondum ille quidem in vulgus notus, quippe ex monumento nuper reperto. [Das längere griechische Zitat, sofort in die folgende lateinische Fassung überführt, ist hier weggelassen]. Consideremus signum admirabile, quod in Orientalibus locis sive in Arabia accidit. Avis est, quae appellatur Phoenix: ea sui generis unica est et solitaria, vivitque quingentos annos, cum autem animadvertit suum finem instare, ipsa sibi loculum facit ex thure et myrrha aliisque aromatibus; revolutoque tempore ingreditur in eum et moritur. Soluta deinceps in putrefactionem carne, vermis inde generatur, qui ex humore defuncti animalis nutritur, plumescit, robustiorque factus tollit illum loculum, ubi ossa parentis sunt, et portans ea ex Arabia in Aegy[379]ptum, in civitatem Heliopolim pervolat, claroque die in conspectu omnium advolans super aram solis illa ponit, atque ita remetitur prius iter eo, unde venerat. Sacerdotes ergo inita ratione temporum, ex illa observatione inveniunt, quingentesimo quoque anno expleto avem illam venisse. Accommodatur postea haec narratio ad resurrectionis mysterium: cujus symbolum et alias sancti Patres à Phoenice crebro desumserunt. Praesertim autem admirandam de Christi Jesu Servatoris Persona, naturis, officio θεολογίαν, hac imagine, tanquam emblemate, subinde illustratam est videre. Licet autem multos moverit et numerus et auctoritas scriptorum, qui talia de Phoenice tradiderunt, ut pro historia mallent complecti, quam pro fabulis aspernari: consensu tamen doctorum obtinuit, fabulosam avem esse Phoenicem. sub quo elogio etiam diligentissimus vir Ulysses Aldrovandus in specioso opere Ornithologico eum annotavit. Verumenimvero, cum epistola illa Clementis esset reperta, non parum ponderis visa est habere viri Apostolici auctoritas. quare doctissimus Patricius Junius, primus tam memorabilis monumenti Editor, in notis, quas adjecit, denuo pro veritate Historica Phoenicis pronuntiavit. Cui tamen, et simul iis, qui propterea abjudicant Clementi illam epistolam, pro solita moderatione et prudentia obviam ivit Gerardus Joannes Vossius, in Physiolog. Christ. Lib. 3. cap. 99. cum necesse non sit credere, Clementem scivisse omnia quae facerent ad arcana naturae. Nos et hanc annotationem, et in universum eorum sententiam amplectimur, quibus fabula videtur, illa de Phoenice θαυματολογία dicam an αἰνιγματολογία. De cetero Clementis epistolam censemus non exigua aestimatione dignam, etiamsi de auctore certa asseveratione designando, sustineatur interim sententia. Unde porro tam contestata opinio et communis fama, quae tot viris magnis imposuit, originem traxerit, et an ex hominis alicujus historia, ut saepe factum est, fabulare commentum, an vero aliunde exortum sit, altioris est conjecturae, cui nunc indulgere non possumus. Scaliger exercitat.  233. de Indica ave Semenda conjecit, atque ita autumavit: Phoeni[380]cem haud esse penitus fabulosum, legimus in commentariis navigationum, in mediterraneis Indiae reperiri. Semenda vocatur ab incolis. Inciderunt

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autem in hoc argumentum tres ornatissimi Juvenes, magisterii Philosophici, quod vocant, candidati, illamque exercitationis Academicae materiem delegerunt. Dicturi ergo sunt die crastini hora VIII. matutina in auditorio majori hoc ordine: JOANNES JODOCUS SCHELLIUS, Argentoratensis ostendet, quid veri simile habeant, quae de Phoenice traduntur, sive qua fidei specie niti videantur; IMMANUEL ECKHARDUS, Sesenheimensis, refutatis, quae in speciem adferebantur, mendacium rei et fabulam arguet; ISRAEL SPACHIUS, Argentoratensis, quos vel ad elegantiam vel ad doctrinam usus habuerit illa traditio de Phoenice, aut habere possit, declarabit. Quibus commodum erit, recitantes auscultare, illorum prudentia et meditatio hac occasione, gravioribus leviora facile supplebit. Sunt illustria, nec pauca argumenta, quibus Phoenix noster accommodari potest. Ne dicam de ceteris, quam convenienter juvatur consideratio de Heroibus tali comparatione? Hi sunt Phoenices humani orbis, nisi Herois appellatione minus excelse, quam par est, utamur: hi incomparabiles sunt, et plerumque sine pari, sine socio; hi ad coeli momenta, id est, ad altioris instinctus moderamina, moventur dirigunturque; hi non semper, sed ominosis tantum magnisque temporibus veluti coelo missi apparent: horum genitura, indoles, vita, exortus, omnia admiranda sunt. ex horum rogo, busto, cineribus, ossibus, aliquando subnascitur Heroica proles; Deo nimirum fata Heroicarum familiarum, et successionum miracula resuscitante. Hi ex orientalibus locis proveniunt: quia divinior indoles è caelo emicat. hi sepulcrum sibi et conditorium ex aromatibus extruunt: quia omni odoramento et aromatibus fragrantior est virtutum spiritus, inter quas et per quas mori, quibus immori solent, ut vivant. Hi sunt Phoenices, et prodromi unius Phoenicis. qui illos per millenarias, et quingenarias et centenarias periodos disponit, donec expleto magno hujus aevi [381] mortalis anno, appareat ipse ille unus et unicus Phoenix, et instauret annum sine anno, saeculaque cum orbe toto aboleat, ut nova civitas, nova terra, novum caelum, Phoenicia, ut sic appellem, miracula, omnibus piis aeternum spectanda, tractanda praebeant. Haec et similia suppeditabit nobis tota Christi historia, Christi nativitas, vita, passio; quam praesertim nunc sollenniter et publice meditamur. Neque enim aversatur Deus talia Christianae pietatis inventa et symbola: quinimo statuendum firmiter habemus. nullam esse occasionem negligendum,32 qua ex quovis argumento argumentum nostrum faciamus, id est, Phoenicis nostri mysteria (pie tamen ubique et caute) contemplemur, interpretemur, balbutiamus, etiam obstupescamus. Perscriptum Argentorati, xxiii. Martii, Anno Chr. m d c xliii. XIII. Est inter exempla rarioris industriae et celebritatis Academicae publice numerandum praedicandumque, quod in pertractandis C. Cornelii Taciti annalibus, mecum superioribus mensibus collocavere studium, Generosi florentissimique Juvenes: qui ex variis terrarum oris, ad suum decus et spem saeculi, huc veluti in eximiarum curarum laborumque palaestram confluxerunt. Excitabatur ipsa difficultate gravissimi Auctoris, discentium alacritas: quam contentio sustentabat, aemulatio pulcri profectus magis magisque accende32 Konjekturvorschlag: ‚negligendam‘.

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bat, cultura denique eruditionis et sollertioris judicii, non temnendis successibus remunerabatur. Quorum specimina hactenus insignia publicis splendidisque consessibus praebuere, institutae feliciter de nobilissimis argumentis dissertationes et collocutiones; praecipua laude hic memorandae, nisi in recenti Academiae nostrae memoria versarentur, atque alibi notitiae publicae forent à nobis commendatae. Cum praesertim ad novae laudis praedicationem nunc manum nostram calamumque invitet, duorum è praecipuis Commilitonibus strenuum et singulare circa praedictas occupationes studium. Sunt ii Nobilissimi Juvenes, HERMANNUS SAMSONIUS, [382] Livonus; VITUS LUDOVICUS À S E C K E N DORFF, Eques Francus. Qui, cum hactenus omni virtutis genere ac litterarum flagrantiore studio ad palmam et decus exsplenduissent, alter (SAMSONIUS) etiam in publico eruditionis praeclarae, alibi quaesitae, apud nos amplificatae, suscepta feliciterque propugnata commentatione in vi, viique caput lib. 1. Annalium, speciosa documenta edidisset: nunc profectui prudentiae, uterque exercitationem Eloquentiae, ex illo ipso Tiberii Principatu, quem publicae praelectionis argumentum, sicut coepimus dicere, delegeramus, destinarunt adjungere. Quibus ignota essent Nobilissimorum Juvenum ingenia, magnum, ni fallor, notitiae atque commendationis argumentum, ex hac ipsa judicii consiliique cordata rectitudine possent desumere. Quam usitatum enim plerisque est, divellere illa studia, sive potius utraque negligere: tam certum inter doctos omnisque aevi auctoritate testatum est, non valere in praesentes vitae usus et graviorem in rep. actum, nisi indivulso copulatas nexu, civilem sapientiam et civilem eloquentiam: quae propterea si non una voce appellari, certe sub una vi comprehendi debent ac intelligi. Sed nimirum oppido pauci aestimant sacrum illud vinculum, quod naturae societatique humanae Deus, tanquam fatale et aeternum pignus, intimae religionis caerimonia commendavit. Aliqui et contemnunt; ut plerumque ignorantiae comes est arrogantia: dum homines noluisse videri volunt, quod assequi nequiverunt. quod arcanum impudentiae, nonnemo Veterum observat dicam, an arguit. Sed nobis nunc cum bonae mentis Juvenibus, res est; et de iis sermo. Delegerunt sibi civilis eloquentiae exercendae, argumentum, quod Priores VI. Annalium Taciti libros, id est Principatum Tiberianum, sicut antea monui, exhauriret; forma scriptionis hunc in modum ordinata: ut è duabus orationibus, Prior SAMSONIANA, TIBERII LARVATI simulacrum, sive Rationem status, quam vocant sequiores, specioso vultu adornatam ex mente et scopo Tiberii ostentaret; Altera TIBERII REVELATI formam sive Ratio[383]nem status aperta facie deprehensam prostitueret. Fuit Tiberius singularis simulationum ac dissimulationum omnium artifex summusque fraudis civilis et sophismatum in gerenda republica architectus. cumque nihil non ex tyrannico more consilioque ageret, vitia tamen sua sub virtutum specie occultabat. unde illa Historicorum judicia: eum virtutibus et vitiis ex aequo usum, tanquam si alterutris operam tantum dedisset. Pro quo potius dicendum erat: virtutum simulatione veluti larva obtectum, denique in scelera et dedecora prorupisse. sicut rectissime Tacitus judicat, fine Sexti Annalis: ubi tempora potius morum diversa, quam duplicem indolem, quod alii faciunt, in eo agnoscit. Morum, inquit, tempora illi diversa: egregium vita famaque, quoad privatus, vel in imperiis sub Augusto fuit: oc-

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cultum et subdolum fingendis virtutibus, donec Germanicus ac Drusus superfuere; idem inter bona malaque mixtus, incolumi matre: intestabilis saevitia, sed obtectis libidinibus, dum Sejanum dilexit timuitue: postremo in scelera simul ac dedecora prorupit, postquam remoto pudore et metu suo tantum ingenio utebatur. Nos, ex loco multae profundaeque meditationis nihil aliud nunc, quam propositum illud Tiberianum consideramus: cum libidinem animi et ingenii sui pro suprema ratione habens, nihil illicitum, quod explendae dominationi; nihil turpe, quod aliquo colore involutum; denique omnia, modo clam, modo palam, tyrannidis impotentiae accommodanda aut indulgenda crederet. Id egit, cum sub schemate cultuque Principalis officii, opera tyrannorum faceret: id egit, cum remoto velo, ne famam quidem tyrannidis expavesceret. Ceterum illa posterior Tragoediae pars, nihil nisi luctu et sanguine theatrum implevit: priores fabulae actus, multa specie, ornatu, gravitate praefulserunt. itaque non ut fabula et sub persona res actitari plerisque videbatur: sed serio Principis veroque actui competere credebantur, quae tanta arte in nativae decus formae Romanus imperator concinnaverat. Plane sicut ii facere solent, qui omnem prudentiae actusque civilis summam, Ratione quadam status sequioribus annis metiuntur. Quod vocabu[384] lum si, quid portendat, exquiras; totam tibi pulcerrimarum rerum et decore splendidi spectaculi scenam instruent, ne quid ad salutis supremae legisque majestatem, ad interiorem et sacratam actus imperatorii prudentiam, ad sollertiam publici compendii, ad universam denique status intendendi, firmandi, locupletandi, ornandi artem, desiderare possis. Verum si ex ipso postea actu eventuque, id est, ex proprio interpretationis politicae fonte, singula investigaveris, apparebit hanc esse unam horribilis illius arcani legem; supremae legis titulo, quidquid ad utilitatem dominanti aut libidinem placuit, involvere; nihil pensi moderatique habere, justitiam postponere, honestatem deserere, aequum et bonum ultro negligere; nihil illicitum, quod fructuosum, putare. Haec commenta, vaframenta, artes, aulam Tiberii tanquam sedem et patriam praecipuam agnoscunt: indeque adeo fit, ut exemplum Tiberiani Principatus à Tacito deformatum, veluti regula aulicae politicae, contra mentem Taciti, à plurimis dominationum magistris, quos praeter Latinorum consuetudinem Statistas multi vocant, passim arripiatur. idque ipsum tacite ac dissimulanter: ne quid minus ex decoro artis, hic geri videatur. Quo pertinet etiam nuperum exoticae calliditatis inventum: cum de extraordinaria Prudentia, quam honesto titulo appellant, sive de ratione status non quidem scribere, sed scripta edere desinunt: atque in fatalibus et secretis libellis circumferunt furoris Pythici oracula; exemplo scilicet Florentini veteratoris cautiores facti; et sub aenigmate rem felicius gesturi. Hinc ergo Ratio illa status, si denuo quid sit interroges, non immerito vocabitur à nobis: larva Dominantium; histrionia aulicorum; virtutis ludibrium; conscientiae scopulus; sagena populorum; rete urbium; Pacis lolligo, armorum aerugo; tabes saeculi; mysterium iniquitatis; tormentum religionis: denique quid dicam de eo, quod est NIHIL, et est OMNIA? Unum illud nobis propositum est, ut Juventuti studiosae, subinde monita cautionis et Prudentiae, contra irritamenta calliditatis suggeramus. Quo etiam Orationes illae duae, ad quas crastini VIII. matutina, loco sollenni audiendas ipsa Nobilissimorum Ju[385]venum, qui perorandi provinciam in se recepere, virtus et doctrina, utriusque decoris amatores invitat, unice spectabunt. Quippe cum veram studiorum pub-

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lice salubrium viam cordate prudenterque pridem institissent, et hactenus prospere decurrissent, hac occasione industriae suae specimen publicabunt. Et Alter quidem, ut supra coepimus dicere, exemplo Tiberii declarabit, quibus coloribus, qua specie, Ratio prava status in aulis elaborata extra aulas soleat ostentari; et quam solicite praeferantur illi tituli: Omnia ad vim Principatus dirigenda esse; in qua sit tutela regnorum: igitur Principes instar Deorum habendos, omnemque irreverentiam et audaciam erga summa fastigia legibus, viribus, ordinariis extraordinariis rationibus, districte, acriter, et ubi res postulat, atrociter vindicanda; auctoritati serviendum juxta et tempori, et utriusque ingenio accommodandas agendi artes; quo recto cursu perveniri nequitum est, obliquo tramite incedendum; admittendas necessitatis aut utilitatis caussa fraudes, dissimulationes, odia, amicitias; denique utilitatem status pro praecipua status ratione agnoscendam. Alter ostendet: frustra praeferri virtutum nomina et species, adhiberi verborum magnificentiam, laudari jura, jactari relligionem Principatuum; ubi omnia ad explendas tyrannidis et infinitae dominationis libidines referantur; neque συνυπόκρισιν πολιτικὴν et laudabilem illam extra regulae ordinem Prudentiam, quam necessitas aliquando suadet, nec honestas damnat, cum κακοπραγμοσύνῃ et prava calliditate confundendam esse. Ceterum sicut scripserant, ita recitabunt: i.e. sua, proprioque Marte elaborata; neque alienis insertis interpolata, aut compilatione locorum communium vane adornata. Etiamsi enim omnia, ad exactam scribendi normam limata non erunt; talia tamen judicavi, quae ingenii et eruditionis praestantiam abunde possent declarare. Script. Argentor. xxvii. Septembr. m d xliii.

Michael Philipp

Bernegger ‒ Schaller ‒ Boeckler Die Straßburger historische Schule der Politikwissenschaft im 17. Jahrhundert Die Straßburger Universität entwickelte sich mit ihrer Lehre der Politik zu einer der führenden Hochschulen des 17. Jahrhunderts.1 Die Anfänge der Politikwissenschaft in Straßburg reichen jedoch ins 16. Jahrhundert zurück: In den 1540er Jahren lassen sich erste Vorlesungen zur aristotelischen Politik nachweisen. Das Fach galt hier während des 16. Jahrhunderts allerdings als peripher.2 Daran änderten auch die langjährigen Aktivitäten Theophil Gols und seines gleichnamigen Sohnes wenig. Ihre Epitome doctrinae politicae markierte immerhin den Höhepunkt der Aristotelesexegese in Straßburg.3 Wichtiger war Melchior Junius,4 der nach der Jahrhundertwende mit seinen Politicarum quaestionum 1 Grundlegend für die Geschichte der Politikwissenschaft und vergleichende Einordnung der Straßburger Schule ist die unveröffentlichte Habilitationsschrift des Verfassers: Polyarchiewissenschaft. Die Geburt der Politikwissenschaft in Deutschland im 17. Jahrhundert. Augsburg 2003. 2 Anton Schindling: Humanistische Hochschule und Freie Reichsstadt. Gymnasium und Akademie in Straßburg 1538‒1621. Wiesbaden 1977, S. 243‒245. Der führende Straßburger Gelehrte Johann Sturm sah in der Beredsamkeitslehre, die ja auch der politischen Bildung dienen sollte, einen höherwertigen Ersatz für die Politik. 1565 scheint dann zwar „ein fester Lehrstuhl ‚ad professionem ethicae et politicae‘ geschaffen“ (ebd., S. 243) worden zu sein, der, bedingt durch zahlreiche Wechsel der Inhaber, vorerst aber ohne nachhaltige Wirkung blieb. 3 Mit dem 1572 berufenen Theophil Gol (1528‒1600) und seinem gleichnamigen Sohn entwickelte die Lehre der Politik eine gewisse Kontinuität. Gol d.Ä. vertrat bis zu seinem Tod 1600 die praktische Philosophie, überließ aber seit 1590 Politik und Ökonomik seinem Sohn, einem promovierten Juristen. Vermutlich auf Letzteren geht der häufig aufgelegte Aristoteleskommentar Epitome doctrinae politicae. Ex octo libris politicorum Aristotelis collecta (Straßburg 1601, 1606, 1614 u. ö.) zurück. Zur Biographie Horst Dreitzel: Monarchiebegriff in der Fürstengesellschaft. Semantik und Theorie der Einherrschaft in Deutschland von der Reformation bis zum Vormärz. 2  Bde. Köln, Weimar, Wien 1991, S. 1176f. Als in Straßburg zumindest zeitweise wirksamer Vertreter der aristotelischen Politik ist zudem Hubert van Giffen (Obertus Giphanius, 1534‒1604) zu nennen. Schindling: Humanistische Hochschule (Anm. 2), S. 245 Anm. 47, vermutet, dass van Giffens vom Straßburger Großbuchhändler Lazarus Zetzner verlegter Aristoteleskommentar auf Mitschriften seiner Vorlesungen in Straßburg basiert. 4 Schindling: Humanistische Hochschule (Anm. 2), S. 227‒234. Zur Biographie siehe Deutsches Biographisches Archiv (DBA) 615, 421‒423, das zu dem aus Wittenberg stammenden Rhetorikprofessor (1545‒1604) wenig Informationen bietet. Immerhin wird ein gleichnamiger Jurist und Straßburger

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centum ac tredecim (1601/02) ein umfangreiches Werk zur Politik vorlegte, das, so der Untertitel, „in eloquentiae studiosorum, stylum exercere cupientium, gratiam“ gedacht war, zugleich aber einen starken rechtlichen Schwerpunkt aufwies. Neben den Genannten verstärkte um die Wende zum 17. Jahrhundert eine Reihe weiterer Juristen in verschiedenen Positionen die Lehre der Politik. Zu nennen sind der französische Emigrant Dionysius Gothofredus, der Schlesier Nikolaus Reusner und der aus Königsberg stammende Zacharias Friedenreich.5 Friedenreich verfasste wie Junius mit seinem Politicorum liber von 1609 ein Politiklehrbuch, das im Unterschied zu den Quaestiones politicae aber kaum Einfluss entfalten konnte.6 In welch starkem Maße schließlich auch Studierende zur EntfalRechtsprofessor (1572‒1613) erwähnt. Dabei handelt es sich, wie zwei Thesendissertationen aus dem Jahr 1602 belegen, um den in Straßburg geborenen Sohn des Melchior Junius, der in Basel 1602 zum Doktor der Rechte promoviert worden war. Vermutlich arbeiteten an der rund 1000 Seiten umfassenden Quästionensammlung, die bis 1640 siebenmal nachgedruckt wurde, Vater und Sohn Junius. Dies erklärt den starken rechtlichen Schwerpunkt der ansonsten für das Rhetorikstudium gedachten Fragensammlung. Der erste Teil des Werks erörtert auf 264 Seiten Staat, Staatsformen und Verfassungswandel sowie den Magistrat, dessen Aufgaben, Tugenden und Kompetenzen. Erst der zweite Teil (274 S.) thematisiert Fragen der Gesellschaftsordnung. Der dritte und letzte Teil ist mit seinen 459 Seiten der umfangreichste. Er widmet sich ausschließlich den Rechtsfragen und enthält beispielsweise eine Hunderte von Seiten lange Aufzählung von Gesetzesmaterien (S. 69‒332). 5 Gothofredus (Denis Godefroy, 1549‒1621) wirkte mit kurzer Unterbrechung von 1591 bis 1604 in Straßburg, edierte verschiedene Klassiker und ließ 1598 über Quaestiones politicae ex iure communi et historia – die erste Straßburger Publikation dieser Art – disputieren, was auf eine entsprechende Lehrtätigkeit schließen lässt. Reusner (1545‒1602) wirkte dagegen schon von 1583 bis 1589 in Straßburg. Erwähnung verdient er, weil er neben zahllosen juristischen Werken und einer Edition von Fürstenspiegeln (Aureolorum dogmatum de principe et principis officio sylloge variorum et diversorum auctorum, Jena 1596) auch einen Politicarum disputationum libellus verfasste. Dieses Büchlein war erstmals 1579 als Anhang zu seinen Disputationum iuris civilis libri III in Straßburg erschienen, ein zweites Mal dann als Anhang zu Reusners Ethica philosophica et christiana (Jena 1590). Reusner bezeichnet in den 14 Dissertationen seine Thesen als ‚politisch‘; tatsächlich werden dort aber Themen der Ethik behandelt. 6 Zu Friedenreich siehe Die Matrikel der Universität Basel. Hg. von Hans Georg Wackernagel unter Mitarbeit von Marc Sieber, Hans Sutter u. Andreas Tammann. Bd. 3. Basel 1962, S. 105, Nr. 28. Friedenreich (Lebensdaten unbekannt) hatte 1609 den Doktor der Rechte in Basel erworben und nahm später eine Stellung als Rat im Dienste von Pfalz-Neuburg ein. Zuvor am Reichskammergericht in Speyer tätig, kam er 1606 nach Straßburg, um – so das Vorwort (Monita auctoris) seines Politicorum liber – begabte junge Männer in der Politik zu unterrichten; dazu zählte er auch das Recht, namentlich das römische wie auch das Reichsrecht. Wesentliches Motiv war für ihn aber die Ausrichtung aller Staatsverfassungen auf Gott. Er kritisierte die unfrommen und verschlagenen Politikautoren seiner Zeit und die inkonsequenten Verfechter einer christlichen Politik. Er wollte daher eine Politik- und Staatslehre nach christlichen Grundsätzen vorlegen in Opposition zu jenen, die in übermütigem Stolz meinten, eine „perfectam virtutum ac politiae scientiam ex libris Philosophorum“ konstruieren zu können. Mit dieser betont christlichen Politikauffassung und seiner Tugendund Pflichtenlehre blieb Friedenreich in Straßburg seinerzeit eher isoliert. In den Dissertationen der Folgezeit wird nur selten auf sein Werk rekurriert.

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tung der akademischen Politik beitrugen, belegen die Excerptorum politicorum disputationes des Jurastudenten Kaspar Pansa. Mit einer Reihe von Respondenten, darunter einige vornehme Nürnberger, hielt er ebenfalls 1609 in Straßburg 27 Disputationen ab und erörterte darin 262 quaestiones zur Politik.7 Mit Pansa endete in Straßburg die Phase der Politiklehre, die vorrangig durch Juristen geprägt war. Fortan sollten es Historiker sein, die sich nachhaltig des Faches annahmen. Sie verliehen der Straßburger ‚politica‘ ihre ganz spezifischen Konturen und begründeten mit ihrer weiträumigen Anziehungskraft eine akademische Schule. Die institutionelle Verankerung des Faches, für das kein expliziter Lehrstuhl vorgesehen war, blieb aber weiterhin vage.8 Daran änderte auch das Universitätsprivileg nichts, das die Reichsstadt 1621 für ihre Hochschule im Gegenzug dafür verliehen erhielt, dass sie eine neutrale Position zur protestantischen Union einnahm.9 Das stark wachsende Interesse der Studierenden und die Offenheit der Professoren der Geschichte und der Moralphilosophie für Fragen der Politik ließen die Straßburger Universität gleichwohl zu einem Zentrum der Politikwissenschaft im Reich werden. Dazu trug auch bei, dass die Stadt bis 1632 von den unmittelbaren Auswirkungen des Dreißigjährigen Krieges verschont blieb. Die seit 1614 wachsenden konfessionellen Spannungen und der von Erzherzog Leopold ausgehende gegenreformatorische Druck schufen allerdings schon vorher unter der lutherischen Bevölkerung der Reichsstadt ein Klima der Bedrohung, das den Boden für die Annäherung an die französische Krone bereitete.10 Der Schwerpunkt der folgenden Ausführungen liegt bei Straßburger Dissertationen als dem Hauptprodukt der Schule um Matthias Bernegger (1582‒1640), Jakob Schaller (1604‒1676) und Johann Heinrich Boeckler (1611‒1672).11 Diese summieren sich auf 7 Pansa (um 1590 ‒ mindestens 1647) war nur 1608 bis Anfang 1609 in Straßburg. Zuvor hatte der Franke fünf Jahre in Altdorf studiert; nach seiner Promotion in Basel 1609 zum Magister und 1610 zum Doktor der Rechte kehrte Pansa nach Nürnberg zurück, wirkte hier einige Jahre als Advokat, nahm dann aber eine Stellung als Rat beim Erzherzog von Österreich in Innsbruck an. Zu Person und Werk vgl. Michael Philipp: ‚auctor et respondens‘. Die Entwicklung der Altdorfer Politikwissenschaft unter dem Philosophen Michael Piccart und ‚seinen‘ Schülern. In: Nürnbergs Hochschule in Altdorf. Beiträge zur frühneuzeitlichen Bildungs- und Wissenschaftsgeschichte. Hg. von Hanspeter Marti u. Karin Marti-Weissenbach. Köln, Weimar, Wien 2014, S. 212‒257, hier S. 217‒239. 8 So konstatiert auch Schindling: Humanistische Hochschule (Anm. 2), S. 244, eine „etwas unklare Stellung der Politikwissenschaft zwischen den benachbarten Lehrstühlen“ der Ethik, Rhetorik und Historie. 9 Francis Rapp: Straßburg. Hochstift und freie Reichsstadt. In: Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500‒1650. Bd. 5: Der Südwesten. Hg. von Anton Schindling u. Walter Ziegler. Münster 1993, S. 72‒95, hier S. 89. 10 Ebd., S. 90f. 11 Hinweis zur Zitierweise: Die Dissertationen werden, soweit sie keine Paginierung aufweisen, nach Abschnitten zitiert. Dabei verwende ich folgende Kürzel: ‚th‘ für thesis, ‚q‘ für quaestio, ‚p‘ für positio, ‚pr‘ für propositio. Die Quellentexte, auf die in den Dissertationen Bezug genommen wird, werden einheitlich nach Buch, Kapitel und gegebenenfalls Abschnitt oder Paragraph mit arabischen

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zu einem etwa 200 Titel umfassenden Schriftenkorpus, das in seinen Dimensionen der modernen Forschung nur rudimentär bekannt ist und dementsprechend bruchstückhaft rezipiert wurde. Ein erster Abschnitt befasst sich mit dem institutionellen und personellen Profil der Straßburger ‚politica‘; er charakterisiert zusammen mit dem zweiten Abschnitt zum politiktheoretischen Profil sozusagen die Produktionsverhältnisse, unter denen die Dissertationen entstanden. Der dritte Abschnitt entwickelt eine neue Typologie dieser Quellengattung, die neben deren unterschiedlicher Qualität zu berücksichtigen hat, dass solche Abhandlungen nicht nur Produkte professoraler Gelehrsamkeit darstellen, sondern auch unterschiedliche akademische Ambitionen und politische Interessen der Schüler artikulieren. Die grundlegende Analyse der biographischen Entstehungskontexte und -konstellationen macht dann auch die sozialen Dimensionen der Wissensgenerierung und -kommunikation greifbar.12 Was in den Dissertationen inhaltlich-argumentativ geboten wird, ist teils ‚state of the art‘ und nicht selten Resultat des Wissenstransfers zwischen den Hochschulen, teils aber auch innovativ. Dies arbeitet der Hauptteil (4.) dieser Untersuchung heraus, der das Themenspektrum vorstellen und dabei insbesondere solche Dissertationen fokussieren wird, die mit ihren Themenstellungen Neuland betraten und/oder für die Straßburger historisch-politische Wissenschaft profilbildend waren. Die gemeinsame ideengeschichtliche Ausgangsbasis bildet ein Set von Autoritäten, die vom römischen Historiker Tacitus sowie von Justus Lipsius angeführt werden und denen des Weiteren Livius und Machiavelli sowie Hugo Grotius zuzurechnen sind. Der an den meisten anderen Hochschulen die Politiklehre dominierende Aristoteles rangierte in Straßburg zusammen mit einer Vielzahl antiker und frühneuzeitlicher Autoren in zweiter Reihe. Grundlegend für die Straßburger Schule ist sodann ein akteurzentrierter Politikbegriff. In ihrer historisch-exemplarischen Ausrichtung konzentriert sie sich auf strategisch und begrenzt rational handelnde Akteure, analysiert Akteurskonstellationen sowie Handlungsmuster und Entscheidungssituationen, die an „kulturell sanktionierte Regelsysteme“ rückgebunden sind.13 Solche Regelsysteme waren im 17. Jahrhundert nicht nur religiösmoralischer, sondern zunehmend auch säkular-politischer Natur, was darin zum Ausdruck kam, dass man als – über das Studium der Geschichte und Politik zu generierende – KernZahlen, abgetrennt durch Punkt bzw. Komma, zitiert. Die Angabe 1.2,3 beispielsweise ist aufzulösen als Buch eins, Kapitel zwei, Abschnitt oder Paragraph drei. Die Kürzel „Aut./T“ und „Aut./W“ machen auf einen Autor-Vermerk beim Namen des Respondenten auf dem Titelblatt (T) oder in der Widmung (W) aufmerksam. 12 Grundlegend dazu Michael Philipp: Konstellationen und Kontexte. Eine typologische Analyse der Beziehungen zwischen Präsiden und Respondenten bei Politikdisputationen zur Souveränität. In: Frühneuzeitliche Disputationen. Polyvalente Produktionsapparate gelehrten Wissens. Hg. von Marion Gindhart, Hanspeter Marti und Robert Seidel unter Mitarbeit von Karin Marti-Weissenbach. Köln, Weimar, Wien 2016, S. 89‒150. 13 Hier wird eine Begriffsbildung der modernen Politikwissenschaft übernommen, vgl. Rainer-Olaf Schultze: Akteurzentrierter Institutionalismus. In: Lexikon der Politikwissenschaft. Hg. von Dieter Nohlen u. Rainer Olaf Schultze. München 2005, S. 9f.

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kompetenz der politischen Akteure die prudentia civilis bzw. calliditas temporum beschrieb. Man könnte dieses Politikverständnis auf das Motto bringen: ‚Männer machen Geschichte‘, und zwar auch ‚Männer mit Makel‘. Politische Klugheit hat sich für die Straßburger nämlich unter moralisch oft fragwürdig handelnden und von Leidenschaften getriebenen Akteuren sowie in einem von der Neigung zu Gewalt und Widerstand geprägten gesellschaftlichen Umfeld zu bewähren. Im Fokus stehen damit nicht der Staat, seine Souveränität oder eine abstrakte Staatsräson, sondern die ‚Staatslenker‘ und ihre Herrschaftsverbände, die aufgrund vielfältiger Verflechtungen eben nicht so leicht voneinander abgrenzbar sind, wie es das Konzept des souveränen Staates suggeriert. Diesem tendenziell statisch angelegten Denkmodell stellen die Straßburger zudem ein dynamisches, von permanentem Wandel durch die drei zentralen Antriebskräfte ‚Macht‘, ‚Krieg‘ und ‚Recht‘ geprägtes Bild vom ‚Staat‘ entgegen. Machtbildung und -verfall, aber auch Machtmissbrauch, Konflikt und Krieg sowie das Recht, das zu deren Regulierung dienen kann, analysieren die Dissertationen in einem weiten Spektrum von Themen stets aufs Neue. Ein grundlegender anthropologischer Pessimismus durchzieht dabei, wie der Kanon der Leitautoren vermuten lässt, den Großteil der hier untersuchten Texte. Mit der Wertschätzung dieser Autoritäten einher geht schließlich der weit gespannte geschichtliche Horizont, unter dem die Elsässer Denkfabrik Fragen des Politischen analysierte.

1. Das institutionelle und personelle Profil der ‚politica‘ Straßburgs Überblickt man das gesamte 17. Jahrhundert, ragen in Straßburg als Lehrer der Politik drei Professoren heraus: Matthias Bernegger, Jakob Schaller und Johann Heinrich Boeckler. Der Umstand, dass alle drei an der Geschichte, insbesondere der der Antike, stark interessiert waren und zwei von ihnen zudem als Geschichtsprofessoren wirkten, verlieh der ‚politica‘ Straßburgs ihre spezifisch historische Prägung. Die Anbindung der Politik an die Geschichte gab es zu Beginn des 17. Jahrhunderts mit Christoph Coler auch in Altdorf.14 In Straßburg erlangte dieses Zusammengehen aber nachhaltige Intensität und bot damit eine attraktive Alternative zu anderenorts dominierenden Kombinationen von Politik und Moralphilosophie bzw. Politik und Staatsrechtslehre.

14 Vgl. Michael Philipp: Über das Studium der Politik. Propädeutische Ratschläge des Altdorfer Gelehrten Christoph Coler aus dem Jahr 1601. In: Politikwissenschaftliche Spiegelungen. Festschrift für Theo Stammen. Hg. von Dirk Berg-Schlosser, Gisela Riescher u. Arno Waschkuhn. Opladen, Wiesbaden 1998, S. 47‒59; Merio Scattola: Geschichte der politischen Bibliographie als Geschichte der politischen Theorie. In: Wolfenbütteler Notizen zur Buchgeschichte 20, 1995, S. 1‒37. Ders.: Der ‚Anweisende Bibliothecarius‘. Politische Bibliographien als Instrumente der Bewahrung und Vermittlung von Wissen. In: Wissensspeicher der Frühen Neuzeit. Formen und Funktionen. Hg. von Frank Grunert u. Anette Syndikus. Berlin, Boston 2015, S. 165‒202.

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Alle drei Straßburger Professoren waren als Leiter von Disputationen derart beliebt, dass bis in die 1670er Jahre praktisch jeder Student, der über ein politisches Thema disputieren wollte, sich an einen der drei Gelehrten wandte. Man kann daher zu Recht von einer genuinen Straßburger Schule der Politik sprechen.15 Begünstigt war diese Schulbildung dadurch, dass 1634 endgültig der Vorschlag abgelehnt wurde, Extraordinarien und Privatdozenten als Präsiden zuzulassen.16 In Straßburg blieben daher junge Gelehrte wie Kaspar Pansa, der 1609 noch nicht einmal den Magistergrad erworben hatte, eine Ausnahmeerscheinung, während etwa an den mitteldeutschen Universitäten Wittenberg, Leipzig und Jena zahlreiche junge Magister und Adjunkten der philosophischen Fakultät als Präsiden eine prägende Rolle spielten. Typisch für die Soziologie wissenschaftlicher Schulen ist ja, dass „nur einer oder zumindest nur wenige akademische Lehrer“ mit einer standardisierten Methode der Wissensgenerierung – hier die philologische Exegese der Klassiker der antiken und bald auch der neueren Geschichtsschreibung unter aktueller politischer Fragestellung – prägend werden, weiter, dass sich quasi-familiale „Lehrer/Schüler-Beziehungen“ und in der Regel ortsgebundene „Mehr-Generationen-Zusammenhänge“ entfalten konnten.17 Personell begünstigt wurde die Straßburger Schulbildung in ihrer Gründungsphase dadurch, dass der Professor für praktische Philosophie Laurentius Thomas Walliser kein Interesse an der Politik zeigte.18 Bernegger konnte so zum Schulgründer avancieren, sein Schüler Boeckler die zweite Generation anführen. Und dem Sog dieser Schule wollte sich dann auch der Moralphilosoph Schaller nicht entziehen. Grundbedingungen für die Entfaltung der Straßburger Schule waren ‚dialogische Lehrformen‘, im 17.  Jahrhundert insbesondere die disputatio, die im Unterschied zur Vorlesung Lehrern wie Schülern Freiräume im Umgang mit den Lehrgegenständen ermöglichte. Dazu gehörte „das Ausprobieren von Gedanken“, die „Wahl und Darstellung des Gegenstandes“ und die eigenständige Aneignung und Verarbeitung des dafür grund-

15 Vgl. allgemein dazu: Schulen in der deutschen Politikwissenschaft. Hg. von Wilhelm Bleek u. Hans J. Lietzmann. Opladen 1999. 16 Ernst Anrich: Die Geschichte der deutschen Universität Straßburg. In: Zur Geschichte der deutschen Universität Straßburg (= Festschrift aus Anlass der feierlichen Wiederaufnahme der Lehr- und Forschungstätigkeit an der Reichsuniversität Straßburg). Straßburg 1942, S. 7‒148, hier S. 78. 17 Rudolf Stichweh: Zur Soziologie wissenschaftlicher Schulen. In: Schulen in der Politikwissenschaft (Anm. 15), S. 19‒32, hier S. 25‒29. Stichweh erläutert die Soziologie der Schulen zwar an Beispielen des 19. Jahrhunderts, doch passt seine Argumentation zur Straßburger historischen Schule der Politik. 18 Thomas Walliser (1569‒1631) war seit 1604 in der Nachfolge Theophil Gols in dieser Position tätig. Bernegger hatte in einem Gutachten zwar angemahnt, dass der Ethiker die Politik zumindest im Rahmen von Kollegdisputationen behandeln sollte, zeigte gleichwohl aber Bereitschaft, dies selbst zu übernehmen. Karl Bünger: Matthias Bernegger. Ein Bild aus dem geistigen Leben Strassburgs zur Zeit des Dreissigjährigen Krieges. Strassburg 1893, S. 133; Schindling: Humanistische Hochschule (Anm. 2), S. 244f.

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legenden Materials.19 Ein weiteres Charakteristikum wissenschaftlicher Schulen ist die Integration der zahlreicheren Schüler mit durchschnittlicher oder mittlerer Begabung, die zumindest teilweise zu „außergewöhnlichen Resultaten geführt hat.“20 Neben der Qualität der wissenschaftlichen Erträge ist in diesem Kontext wichtig, dass man im 17. Jahrhundert mit der Einbeziehung solcher durchschnittlichen Schüler das Prestige einer Schule dann erheblich aufwerten konnte, wenn diese einen gehobenen gesellschaftlichen Status etwa als Edelleute und Patrizier aufwiesen. Als ein bemerkenswertes Resultat der vagen Verankerung der Politik in Straßburg ist allerdings auch zu konstatieren, dass keiner der drei Lehrer zu Lebzeiten ein Lehrbuch zur ‚politica‘ publizierte. Erst nach dem Tod Boecklers erschienen 1674 dessen Institutiones politicae. Das Werk sollte zu einer der wichtigsten politikwissenschaftlichen Gesamtdarstellungen des 17. Jahrhunderts avancieren.21 Das langwährende Fehlen einer grundlegenden systematischen Gesamtdarstellung zur Politik konnten die für den Rhetorikunterricht konzipierten Quaestiones politicae des Melchior Junius (1601/02) und Zacharias Friedenreichs Politicorum liber (1609) nur begrenzt kompensieren. Als besserer Ersatz für ein solches Lehrbuch aus der Feder eines Straßburger Gelehrten dienten Berneggers Bearbeitung der Politicorum libri des Justus Lipsius,22 die Johannes Freinsheim 1641 herausgab, und die in Straßburg 1624‒1626 gedruckten Opera politica des Tübingers Christoph Be-

19 Stichweh: Soziologie (Anm. 17), S. 26 u. 28. Stichwehs Bemerkungen rekurrieren auf die 1810 gegründete Berliner Hochschule als eine „interaktionsintensive[n] Universität“, in deren Wissenschaftsbetrieb die beiden erstgenannten Freiheiten primär dem ‚Schul‘-Lehrer zugeordnet werden. Für Straßburg und das Disputationswesen allgemein ist das dahingehend zu variieren, dass auch die ‚Schüler‘, insbesondere die Respondenten-Autoren, solche Freiheiten in einem gewissen Rahmen in Anspruch nehmen konnten. 20 Stichweh: Soziologie (Anm. 17), S. 28. 21 Vgl. Wolfgang Weber: Prudentia gubernatoria. Studien zur Herrschaftslehre in der deutschen politischen Wissenschaft des 17.  Jahrhunderts. Tübingen 1992, S.  140‒144. Die Institutiones politicae artikulieren ein Lipsianismus bzw. Neustoizismus und politischen Aristotelismus vereinigendes Politikverständnis, das für die Straßburger ‚politica‘ prägend gewesen sei. Der Staat basiere für Boeckler, so Weber, auf einer klaren Herrschaftsordnung mit entsprechenden iura maiestatis (Buch II) einerseits, dem ‚ruhmreichen‘ Gehorsam der Untertanen andererseits. Aristotelisch sind die Darstellung des Staatsaufbaus aus verschiedenen societates (Buch I) und der Verfassungsrelativismus (Buch III), auch wenn gewisse Präferenzen für die Einherrschaft erkennbar seien. Ausführlich widmet sich das Werk den Mitteln und Wegen der conservatio reipublicae sowie den Ursachen für Wandel und Niedergang von Staaten (Bücher IV‒VI), wobei Boeckler die diesbezügliche Bedeutung von virtus und prudentia, die neustoizistisch-lipsianischen Elemente seiner Politiktheorie, hervorhebt. In das vierte Buch ist u. a. seine Disputation über die Macht und ihre Ressourcen eingeflossen; vgl. unten, Abschnitt 4.7. Das siebte Buch mit kursorischen Thesen zu den arcana imperii und zur Staatsräson sowie ein kurzer Abriss zur Staatenkunde und ein Kapitel über die ‚bibliotheca politica‘ beschließen das Werk. Beigefügt sind 20 ‚disputationes politicae‘. 22 Vgl. zu Lipsius und seinem Werk Weber: Prudentia gubernatoria (Anm. 21), S. 90f. u. S. 104‒107.

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sold.23 Und wenn es an einer eigenen Straßburger Darstellung zum ‚politicus‘ fehlte, mit der man gewöhnlich das Leitbild des Staatsmannes skizzierte, der durch das Studium der Politik und der ihr sekundierenden Wissenschaften, allen voran der Ethik, der Jurisprudenz und der Geschichte, ausgebildet werden sollte, fand sich auch hier Ersatz: So wurde das einschlägige Werk Georg Gumpelzhaimers, das auf einer Jenaer Dissertation von 1619 basierte, 1621 in Straßburg nachgedruckt.24 Ein weiteres Desiderat der Straßburger Schule waren Anleitungen zum Studium der Politik. Boecklers Dissertatio de scientia et studio politices erschien wiederum erst postum im Anhang zu seinen Institutiones politicae.25 Als mittelbares Produkt der Straßburger Schule berücksichtigt werden muss die Schrift De comparanda prudentia iuxta et eloquentia civili des Boeckler-Schülers Johann Andreas Bose (1626‒1674); sie entstand vor 1672, wurde aber ebenfalls erst postum in Jena gedruckt. Es handelt sich um die „insgesamt bedeutendste, weil methodisch am konsequentesten durchgearbeitete theoretisch-bibliographische Anleitungsschrift“ zur Politikwissenschaft.26 Mit ihrer starken historischen Ausrichtung und Boeckler als dem mit Abstand am häufigs-

23 Zu Besolds Opera politica vgl. Michael Philipp: Christoph Besold und die Souveränität. Zur Rezeption Bodins im Deutschland des frühen 17. Jahrhunderts. In: Debatten um die Souveränität. Hg. von Michael Philipp. Baden-Baden 2016, S. 123‒159, hier S. 138. 24 Georg Gumpelzhaimer (Pr.) / Johannes Simerlin (Resp.): Dissertatio de politico (Januar). Jena 1619; die zweite Auflage erschien als Anhang zu Georg Gumpelzhaimer: Gymnasma. De exercitiis academicorum. Straßburg 1621. Zu Georg Gumpelzhaimer (1596 ‒ vor 1650) und seinem Werk vgl. Weber: Prudentia gubernatoria (Anm. 21), S. 31‒42. Der Autor muss allerdings der politisch-öffentlich-rechtlichen Jenaer Schule zugerechnet werden, nicht (wie Weber unter Verweis auf ältere Literatur meint) der Straßburger Schule um Matthias Bernegger. 1652 wurde De politico erneut zusammen mit dem Gymnasma durch Johann Michael Moscherosch in Straßburg herausgegeben. 25 Johann Heinrich Boeckler: Institutiones politicae. Accesserunt dissertationes politicae ad selecta veterum historicorum loca. Et libellus memorialis ethicus. Straßburg 1674, dort S. 303‒316. In der Dissertation De scientia et studio politices gibt Boeckler für die Straßburger ‚politica‘ erstmals auch einen Abriss zur Geschichte dieser Wissenschaft und der sie umgreifenden philosophischen Denkschulen von der Zeit der alttestamentarischen Gesetzgeber und der griechisch-römischen Antike bis zur Gegenwart. Eine vergleichbare Schrift (De studio bene instituendo dissertatio epistolica), die Weber (Prudentia gubernatoria, Anm. 21, S. 44) zufolge bereits 1656 entstanden sei, konnte ich nicht nachweisen. Zusammen mit der gleichfalls Boeckler zugeschriebenen Schrift Bibliographia historicopolitico-philologica curiosa (Germanopoli 1677 bzw. als identischer Nachdruck ebd. 1696) erschien, so verspricht es das Titelblatt, die De studio politico bene instituendo dissertatio epistolica posthuma. Diese 90 Seiten umfassende Abhandlung firmiert dann jedoch unter dem Titel Bibliotheca politica contracta, hoc est, recensus et judicia de scriptoribus politicis und erweist sich als identisch mit Johann Andreas Boses De comparanda prudentia iuxta et eloquentia civili; vgl. das Folgende. 26 Johann Andreas Bose: De comparanda prudentia iuxta et eloquentia civili, deque libris et scriptoribus ad eam rem maxime aptis, dissertationes isagogicae. Jena 1677; weitere Auflagen 1678, 1689, 1699; Zitat: Weber: Prudentia gubernatoria (Anm.  21), S.  60; zum Inhalt der Diatribae ebd., S. 61‒65.

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ten genannten Namen ist sie gewissermaßen als Programmschrift der neustoizistisch-tacitistischen Straßburger Schule zu lesen.27 Das Hauptprodukt der Straßburger historisch-politischen Schule sind gedruckte Disputationen, im hier zu untersuchenden Zeitraum von etwa 1620 bis 1670, wie erwähnt, rund 200 Stück. Teils sind sie im Titel schon als politisch oder historisch-politisch eingestuft, teils hat die Zuordnung aufgrund des behandelten Themas zu erfolgen. Eine Abhandlung über den Rat (consiliarius) oder das Gemeinwesen (respublica) wird hier auch dann mit erfasst, wenn die Dissertation kein fachliches Attribut im Titel aufweist, also nur als „Disputatio de republica“ gedruckt ist. Richtig in Schwung kam das Geschäft mit den Dissertationen durch Matthias Bernegger.28 Er brach mit der alten Form des Kolleglesens und führte als „wichtige Auflockerung“ der akademischen Lehre – im Unterschied zu Gol, Junius und Friedenreich – nachhaltig die Disputationsübungen ein.29 Bernegger hat zudem die „beherrschende Stellung von Dialektik und Rhetorik zurückgedrängt und […] der Geschichtswissenschaft ihr volles Gewicht gegeben, indem er sie zu einem Fach der philosophischen Fakultät machte im bewußten Anschluß an den politischen Charakter der Straßburger Akademie.“30 Der aus Österreich stammende Bernegger, zunächst Lehrer am Gymnasium, dann ab 1613 Professor der Geschichte, begann sich 1616 anhand der Politicorum libri des Justus Lipsius mit der Politik zu befassen. Nicht mehr die Politik des Aristoteles, sondern das Werk des Niederländers schien ihm dafür geeignet zu sein, die krisenhaften Zeiterfahrungen zu verarbeiten.31 Nicht minder wichtig waren dem Straßburger Historiker freilich die antiken Geschichtsschreiber und Biographen, allen voran Tacitus.32 Und dies gilt auch für seine Nachfolger Boeckler sowie in etwas abgeschwächter Form für den Moralphilosophen

27 Bose: Prudentia (Anm. 26), nennt Boeckler 33 mal. Mit 22 bzw. 17 Nennungen folgen Lipsius und Tacitus. 28 Zur Biographie: Wilhelm Kühlmann: Matthias Bernegger. In: Killy Literaturlexikon. Autoren und Werke des deutschsprachigen Kulturraumes, 2., vollständig überarbeitete Auflage. Hg. von Wilhelm Kühlmann. Bd. 1. Berlin, New York 2008, S. 478f. 29 Anrich: Universität Straßburg (Anm. 16), S. 77. Disputationsveranstaltungen gab es auch schon um 1600, doch lagen diesen keine gedruckten Dissertationen zugrunde; sie scheinen offener und unter Beteiligung vieler Disputanten abgelaufen zu sein. Vgl. unten, Anm. 203. 30 François Joseph Fuchs: Matthias Bernegger und die Anfänge der Universität Straßburg. In: Zum 400. Geburtstag von Wilhelm Schickard. Zweites Tübinger Schickard-Symposion 25. bis 27. Juni 1992. Hg. von Friedrich Seck. Sigmaringen 1995, S. 27‒40, hier S. 29. 31 Vgl. allgemein zu Berneggers Denken Wilhelm Kühlmann: Gelehrtenrepublik und Fürstenstaat. Entwicklung und Kritik des deutschen Späthumanismus in der Literatur des Barockzeitalters. Tübingen 1982, S.  13f. u. S.  43‒66. Zur Bedeutung des Justus Lipsius für Bernegger vgl. Bünger: Bernegger (Anm. 18), S. 108f. u. S. 131‒133. 32 Vgl. Wilhelm Kühlmann: Geschichte als Gegenwart: Formen der politischen Reflexion im deutschen „Tacitismus“ des 17. Jahrhunderts. In: ders. u. Walter Ernst Schäfer: Literatur im Elsaß von Fischart bis Moscherosch. Gesammelte Studien. Tübingen 2001, S. 41‒60.

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Schaller.33 Neben der Analyse der Politicorum libri des Lipsius, aus der 1616 und 1617 acht Dissertationen hervorgingen,34 ließ Bernegger seine Schüler auch über den Legatus (1604) Hermann Kirchners arbeiten,35 bei dem sich im übrigen Lipsius gleichfalls größter Wertschätzung erfreute.36 Neben Tacitus interessierten den Historiker Bernegger weitere römische Geschichtsschreiber. Über Suetons Kaiserviten hat Bernegger beispielsweise gleich zwei Serien produziert, die insgesamt fast 30 Einzeldissertationen umfassen.37 Thematisiert wurde darin die „Lehre von den Eigenschaften und Tugenden der Monarchen“.38 Speziell aus Suetons Biographie des Kaisers Vespasian erarbeitete er eine umfangreiche Dissertation, die das Musterbeispiel eines akademischen Fürstenspiegels aus der Elsässer Denkfabrik darstellt. Diese 70 Textseiten umfassende Arbeit ließ er im März 1625 vom preußischen Adeligen Peter Wiebers vorstellen.39 Das nur in den Auszügen des Justinus 33 Zum Tacitismus wie auch zur Lipsius-Rezeption (Neustoizismus) vgl. Horst Dreitzel: § 15. Neustoizismus, Tacitismus und Staatsräson. In: Die Philosophie des 17. Jahrhunderts. Bd. 4: Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation, Nord- und Ostmitteleuropa (Ueberweg IV: Philosophie des 17. Jahrhunderts). Hg. von Helmut Holzhey u. Wilhelm Schmidt-Biggemann. Basel 2001, S. 694‒714; speziell zu Boeckler ebd., S. 704f. 34 Diese Dissertationen konzentrierten sich auf die Bücher vier bis sechs der Politik des Lipsius. Sie behandeln die prudentia principis, die Stabilisierung der Königsherrschaft, aber auch die Ursachen des Verfassungswandels von Königreichen, den Bürgerkrieg und die von Lipsius so genannte prudentia mixta als politische Verhaltensmaxime zwischen Moral und machiavellistischer Staatsräson. Aus dem fünften und sechsten Buch der Politik des Lipsius werden als Themen die Kriegführung, die militärische Klugheit und schließlich die Tyrannis sowie die Möglichkeiten zur Beendigung des Bürgerkriegs aufgegriffen. 35 Hermann Kirchner: Legatus. Cunctis tum in jurisprudentiae, politicarumque artium studiis, tum in reip. administratione versantibus lectu scitus, et scitu necessarius. Marburg 1604. Das Werk wurde 1610 und 1614 nachgedruckt und war eines der wegweisenden Traktate zu diesem Thema; vgl. Thomas Klein: Conservatio Reipublicae per bonam educationem. Leben und Werk Hermann Kirchners (1562‒1620). In: Academia Marburgensis. Beiträge zur Geschichte der Philipps-Universität Marburg. Hg. von Walter Heinemeyer u. a. Marburg 1977, S. 181‒230, hier S. 188‒194. 36 Vgl. Michael Philipp: Neues zur Souveränität und zum Alten Reich. Die Lehre der maiestas duplex und der Antibodinianismus zu Beginn des 17. Jahrhunderts. In: Geschichte(n) des Wissens. Festschrift für Wolfgang E. J. Weber zum 65. Geburtstag. Hg. von Mark Häberlein, Stefan Paulus u. Gregor Weber. Augsburg 2015, S. 557‒575, hier S. 564f. 37 Diese beiden Serien mit ihren 15 (1622f.) bzw. 13 Einzeldissertationen (1632‒1639) bleiben hier unberücksichtigt, da sie Bernegger nicht als ‚politische‘ Dissertationen hat drucken lassen. Im Unterschied dazu veröffentlichte Boeckler, der ebenfalls Suetons Leben der Caesaren in einer Reihe von Disputationen erörtern ließ, die gedruckten Versionen explizit als Dissertationes politicae. 38 Schindling: Humanistische Hochschule (Anm. 2), S. 285. 39 Matthias Bernegger (Pr.) / Peter Wiebers „Nobilis Borussus“ (Resp.): Speculum boni principis, hoc est, imp. Titi Flavii Vespasiani vita, scriptore Suetonio Tranquillo. Cum animadversionibus ac notis (März). Straßburg 1625 (Nachdrucke 1654 u. 1655). Zum Respondenten Wiebers sind weder weitere Schriften nachweisbar noch biographische Informationen greifbar. Die Dissertation enthält eine fünfseitige Widmung des Präses Bernegger an Wilhelm Schickard. Vgl. dazu Bünger: Bernegger

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überlieferte Geschichtswerk des Pompeius Trogus würdigte Bernegger in einer dreiteiligen Dissertation, welche drei aus Memmingen stammende Studierende präsentierten.40 Zwischenzeitlich beschäftigte sich der Historiker mit genuin politischen Themen speziell zur Verfassung des Reiches. So ließ er in einer weiteren dreiteiligen Dissertation vom November 1627 „den Vorrang der Wahl- vor der Erbmonarchie verteidigen, die Umstände der deutschen Königswahl darlegen und die päpstlichen Ansprüche auf die Kaiserkrönung zurückweisen“.41 Der erste Teil diskutiert die electio-successio-Frage und geht vorrangig auf die europäischen Monarchien sowie das Reich ein. Erläutert werden die jeweiligen Vorzüge der Wahl- und der Erbmonarchie, wobei, so das Resümee (th113), keine der beiden absolut „vorzuziehen sei“ und man am besten „immer die bestehende Regierungsform“ beibehalte.42 Den Schluss bilden Erläuterungen zur deutschen Kaiserwahl. Die zweite Teildissertation befasst sich mit den zu Wählenden, vorrangig dem Kaiser, und – (Anm. 18), S. 296f., sowie Seck (Hg.) Zum 400. Geburtstag (Anm. 30). Die an der Vespasiani vita Suetons orientierte Dissertation Speculum boni principis ist in elf Kapitel gegliedert. Bernegger erörtert darin die Erziehung des Vespasian, seine körperlichen und geistigen Vorzüge sowie seine Aversion gegen Luxus, seine „Benevolentia“ und „Clementia et mansuetudo“. Auch würdigt er seinen Aufstieg in der Ämterlaufbahn, seine militärischen Erfolge und die Erfahrungen in der „Administratio Imperii“ (Kap.4‒6). Interessant ist die Thesenschrift insofern, als mit Vespasian ein bonus princeps idealisiert wird, der aus eher bescheidenen Verhältnissen und einer eher unbedeutenden Familie stammt. Auch wurde Vespasian, was für den Kontext des 17. Jahrhunderts ziemlich ungewöhnlich ist, weder durch Erbfolge noch durch eine Wahl von Optimaten oder Kurfürsten Kaiser. Vielmehr erwiesen ihn Verhandlungen der Heerführer als mehrheitsfähigen Kandidaten, der dann durch Akklamation der Legionen auf den Thron kam. 40 Matthias Bernegger (Pr.) / Christian Jenisch, Eitel Sigismund Lupin u. Joseph Jenisch (Resp.): Anthologia Justiniana. H.e. sententiae miscellae, maximam partem politicae, ex […] Justino, Trogi Pompeii historiarum breviatore. Straßburg 1626. Inhaltlich bietet das Werk auf knapp 60 Seiten lediglich eine Art Inhaltsverzeichnis in kurzen ‚sententiae‘ zu Gnaeus Pompeius Trogus (Anfang 1. Jahrhundert n.Chr.) bzw. zu dessen ‚breviator‘ Marcus Junianus Justinus (2. oder 3. Jahrhundert n.Chr.), der einen Auszug aus dem ansonsten nicht erhaltenen Geschichtswerk des Trogus verfasste. Die zwei Brüder Jenisch widmen die Arbeit ihrem Vater, dem Ratsadvokaten und Syndikus Jakob Jenisch, der dritte Respondent einer Reihe Memminger Räte und Magistrate. Lupin ist später als ‚consul‘ Memmingens nachweisbar; Joseph Jenisch, von dem als einzigem auch eine juristische Dissertation (1632) belegbar ist, wurde wie sein Vater Advokat und Syndikus in Memmingen. 41 Schindling: Humanistische Hochschule (Anm. 2), S. 285. Matthias Bernegger: Disputationes politicae de iure eligendi reges atque imperatores tres. Straßburg 1627. 42 Bünger: Bernegger (Anm. 18), S. 341. Die Dissertation zu diesem ersten Teil verteidigte Paul Stettner aus Wien. Die 23 Textseiten umfassende Disputationum de jure eligendi reges atque imperatores, prima, generalia quaedam de electione continens, et quomodo illa se respectu electorum habere debeat, breviter docens ist Karl Vinckher, einem Bediensteten der römisch-kaiserlichen Majestät, sowie dem Juristen Franz Höffleiner aus Wien gewidmet. Stettner wird am 1.10.1630 in den Matrikeln der Universität Altdorf als Jurastudent erwähnt, vgl. Die Matrikel der Universität Altdorf. Hg. von Elias von Steinmeyer. 1. Teil. Würzburg 1912, S. 217; von ihm sind jedoch keine weiteren Publikationen nachweisbar.

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ausgehend von der Goldenen Bulle – mit Verfahrensfragen. Wie bei den FürstenspiegelDissertationen Berneggers werden hier Kompetenzanforderungen aufgelistet: Der Thronbewerber müsse Kenntnisse in Geschichte, Geographie, Geometrie und Festungsbauwesen, in Jurisprudenz, Logik und Rhetorik besitzen.43 Die Disputatio politica de iure electionis tertia: ejus effecta atque consequentia continens kreist um Formalitäten der Wahl und der Krönung, um die marginalisierte Rolle des Papstes und den Ablauf der Krönung Karls des Großen.44 Die drei Dissertationen demonstrieren Berneggers breite Kenntnisse nicht nur der antiken Klassiker, sondern auch der zeitgenössischen Literatur: Neben international renommierten Autoritäten wie Jean Bodin, François Hotman oder Traiano Boccalini zitiert er Christoph Besold, Bartholomäus Keckermann, Reinhard König (mit dessen Theatrum politicum) und Georg Schönborner, sodann Juristen wie Matthias Stephanus, Georg Obrecht, Benedikt Carpzov (1595‒1666), Dionysius Gothofredus, Daniel Otto, Heinrich von Rosenthal, Gottfried Antonius und Hermann Vulteius. Freilich fehlen auch nicht die Geschichtsschreiber (Philippe de Commynes, Jacques-Auguste de Thou/Thuanus) und die Historiographen des Reiches (Johannes Sleidanus, Johannes Aventinus, Johannes Cuspinianus). Im Unterschied zu den sonstigen Dissertationen Berneggers werden hier kaum antike Autoritäten herangezogen. Neben diesen Präsesdissertationen entstanden in den Jahren zwischen 1616 und 1636 gut 50 weitere Dissertationen zu historisch-politischen und politischen Fragen und Themen, bei denen der Präses den Respondenten erlaubte, sich zugleich als Autoren zu präsentieren.45 In zahlreichen als Quästionensammlungen ausgearbeiteten Dissertationen ließ Bernegger seinen Studenten zudem den Spielraum, das zu thematisieren, was sie interessierte und bewegte. Bernegger war damit im Vergleich zum Ethiker Walliser für politische Dissertationen der eindeutig beliebtere Präses. Auch relativ eigenständig arbeitende Respondenten (etwa der aus Genf stammende Andreas Pictet, der Frankfurter Adam Schile, der Pressburger Martin Schödel, der aus Wien stammende Blasius Schreiber, der Schlesier Johann Baptist Schwopius), unter denen manche nicht historisch-tacitistisch geprägte 43 Bünger: Bernegger (Anm. 18), S. 341. Diese Disputatio politica de iure electionis secunda docens, quinam elegendi sint widmete der Ulmer Respondent David Wickh seinem Onkel Johann Rudolf Wickh, einem promovierten Juristen und Ulmer Advokaten, sowie dem Juristen und Pfalz-Neuburger Rat Philipp Andreas Fröhlich. Er wird in den Matrikeln gleichfalls als Jurastudent geführt (Immatrikulation 27.4.1626), vgl. Gustav C. Knod: Die alten Matrikeln der Universität Straßburg 1621‒1793. Bd.  2: Die Matrikeln der medicinischen und juristischen Facultät. Straßburg 1897, S. 213. 44 Der aus Wien stammende Christoph Sigismund Keller verteidigte am 23. November 1627 die ‚tertia‘. Seine Widmungsadressaten sind Magistrate im Dienst der römisch-kaiserlichen Majestät. Von ihm sind keine weiteren Publikationen ermittelbar. 45 Bei mindestens 39 dieser Schriften ist dies anhand von Digitalisaten der Schlüsselseiten belegbar. Die Zahl dürfte tatsächlich höher liegen, da diese Dissertationen nicht alle eingesehen werden konnten bzw. nicht von allen im Internet Schlüsselseiten greifbar sind. Zur Bedeutung solcher Autor-Vermerke vgl. Philipp: ‚auctor et respondens‘ (Anm. 7), S. 212‒257.

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Arbeiten vorlegten, wählten ihn zum Leiter ihrer Disputationen. Selbst mit Themen, die, wie im Fall des Rothenburgers Georg Albrecht mit seinem Discursus de iudiciorum cura politica,46 weniger in das Spektrum der Straßburger Schule passten, konnte man in Bernegger einen akademischen Förderer finden. Diese liberale Praxis trug dazu bei, ihn zum Begründer der Schule der historischen Politikwissenschaft Straßburgs zu machen. Jakob Schaller (1604‒1676) war im Unterschied zu seinem Vorgänger Walliser deutlich mehr an der ‚politica‘ interessiert. Der 1633 promovierte Theologe, der noch im gleichen Jahr auf den Lehrstuhl für praktische Philosophie berufen wurde, leitete zwischen 1633 und 1672 63 Disputationen zu Themen der Politik. Auch von diesen wurde mehr als die Hälfte (mindestens 34) durch die jeweiligen Respondenten mit Anspruch auf Autorschaft vorgestellt, und Schaller verfasste wie Bernegger keine Gesamtdarstellung zur Lehre der Politik. Der Sohn eines Elsässer Pfarrers hatte seine akademische Prägung in Straßburg, Tübingen, Marburg und Jena (hier bei Johann Gerhard) erhalten und im Laufe seines Studiums mehrere theologische Disputationen verteidigt.47 Die Publikationen Schallers, 46 Matthias Bernegger (Pr.) / Georg Albrecht (Resp.): Discursus historico-politicus de iudiciorum cura politica (Mai). Straßburg 1624. Georg Albrecht (1603‒1666) aus Rothenburg/Tauber, der später Ratsherr und Bürgermeister seiner Heimatstadt wurde, widmete den Discursus vier heimischen Magistraten. Von Albrecht sind keine weiteren Publikationen nachweisbar. Da Bernegger ansonsten nicht zum Bereich der Rechtspolitik publizierte, der „Clar[issimus] D[omi]n[us] Praeses“ zudem mehrfach mit einer seiner Suetondissertationen (th32) und seinem Tacituskommentar (th51f.) zitiert wird, scheint eine alleinige Verfasserschaft des Präses unwahrscheinlich. Ein Autor-Vermerk Albrechts unterbleibt aber. Die Arbeit ist, obgleich als historisch-politisch deklariert, tatsächlich eine Analyse zeitloser Fragen zur Gerichtsbarkeit, die auch konträre Thesen reflektiert. Der über 40 Seiten starke Discursus mit seinen 20 quaestiones stützt sich mehrheitlich auf moderne Autoren, und das in ungewöhnlich intensivem Ausmaß. Zu den häufiger angeführten Namen (Reihung nach erster Nennung) gehören Christoph Besold, Jean Bodin, John Case, Justus Lipsius, Bartholomäus Keckermann, Julius Caesar Scaliger, Konrad Rittershausen, Petrus Termineus, Christian Matthiae, Hieronymus Treutler, Melchior Junius, Georg Obrecht, Christian Liebenthal, Johann Hensler, Dionysius Gothofredus, Sigmund Baron Herberstein, Hermann Kirchner, Georg Richter, Helfrich Ulrich Hunnius, Henning Arnisaeus, Paul Matthias Wehner, Regner Sixtin und Georg (Jurga) Valentin Winther. Diese (sowie weitere Juristen, desgleichen Historiker) und die gleichfalls herangezogenen Rechtsquellen werden zudem sehr präzise (mit Kurztitel, Kapitel bzw. Dissertationstitel, Thesennummer) zitiert. Auch Machiavelli mit seinen Discorsi (2.31: Wie gefährlich es ist, den Verbannten Glauben zu schenken) und Konrad Heresbach werden als Autoritäten angeführt. Der akademische Anspruch ist folglich sehr hoch. Die Verfasserschaftsfrage muss jedoch eingehenderen Untersuchungen vorbehalten bleiben. 47 Über sein Leben ist wenig bekannt; vgl. Richard Zoepffel: Schaller, Jakob. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Bd. 30. Leipzig 1890, S. 561. Schaller verteidigte insgesamt fünf Theologiedissertationen. Darunter finden sich: Isaak Fröreisen (Pr.) / Jakob Schaller (Resp.): Disputatio theologica de creatione. Straßburg 1625; Johann Gerhard (Pr.) / Jakob Schaller (Resp.): Disputationum theologicarum, in quibus Bellarminus orthodoxias testis producitur, hoc est, catholica et evangelica veritas in praecipuis quibusdam articulis cum Romano-catholicis ecclesiae nostrae controversis ex ipsomet Bellarmino asseritur. Jena 1630; Johann Gerhard (Pr.) / Jakob, Schaller (Resp.): Conside-

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der neben akademischen auch kirchliche Ämter (Kanoniker, Probst) bekleidete, betreffen die Moralphilosophie, die Theologie und das Kirchenrecht, wobei es sich fast ausschließlich um Dissertationen handelt. Unter den hier einschlägigen Schriften ragt seine Abhandlung zur Folterproblematik heraus. Mit dieser vom Augsburger Friedrich Keller verteidigten Dissertation blieb Schaller noch bis ins Zeitalter der Aufklärung hinein bekannt.48 Wie Bernegger interessierten Schaller die Werke der Antike. Neben Tacitus und Livius waren es beim Moralphilosophen verstärkt die Biographen Plutarch und Cornelius Nepos. Grundlegend sind im Kontext der zahlreichen Straßburger Dissertationen zu antiken ‚Staatsmännern‘, die ein Markenzeichen der Straßburger historisch-politischen Schule werden sollten, seine Abhandlungen De studiis personarum illustrium, die auch ein Edelmann verteidigte,49 und zur Idea viri excellentis nach Cornelius Nepos.50 Doch auch die aktuelle Politik und die diese begleitende Publizistik rezipierte Schaller. So widmete er dem englischen Dichter und Republikaner John Milton gleich mehrere Abhandlungen, in denen er sich kritisch mit dessen Defensio pro populo Anglicano auseinandersetzte. Der Engländer hatte den Prozess gegen den englischen König Karl I. und dessen Hinrichtung legitimiert und zudem gegen den in Leiden lehrenden Franzosen Claudius Salmasius (Claude de Saumaise, 1588‒1653) und dessen Defensio regia pro Carolo I (1649) polemiratio quarundam quaestionum theologicarum in compositione pacis Dillingensi propositarum. Jena 1631. Bei seiner Doktordisputation präsidierte er: Jakob Schaller (Pr.) / Joachim Will (Resp.): Christus lapis offensionis […] pro doctoratu theologico obtinendo. Straßburg 1633. 48 Jakob Schaller (Pr.) / Friedrich Keller (Resp.): Paradoxon de tortura in christiana republica non exercenda (September). Straßburg 1658. Die mit 39 Textseiten recht umfangreiche Analyse der Folterproblematik gehört zu Schallers wichtigsten Dissertationen. Der Präses diskutiert dieses Thema auf breiter Quellen- und Literaturbasis. Die Dissertation wurde dreimal nachdruckt (1688, 1697), zuletzt 1742 auf 48 Seiten in Leipzig mit dem Titelzusatz: „[…] Oder: daß die Tortur in Christlichen Republiquen nicht zu dulten sey?“ Friedrich Keller ist explizit nur „Respondens“. Seine Widmungsempfänger sind die Augsburger Räte und Amtsträger Anton Langenmantel, Johann Christoph Amman, Gabriel Müller und der promovierte Jurist und Stadtschreiber Johann Jakob Kolb, allesamt Scholarchen, sowie der Rektor des Gymnasiums zu St. Anna, Matthias Wilhelm. Keller lassen sich keine weiteren Schriften zuordnen. 49 Jakob Schaller (Pr.) / Georg Kasimir Kölderer von Höch (Resp.): Discursus politicus de studiis personarum illustrium (Mai). Straßburg 1648. Über den Respondenten aus einem Salzburger Rittergeschlecht waren keine weiteren Informationen zu ermitteln. Er widmet den Discursus den Grafen Philipp, Eberhard Ludwig und Johann Ludwig von Leiningen-Westerburg. Georg Kölderer von Höch, womöglich ein Verwandter oder gar der Vater, hatte 1614 Besolds Disputation De educatione, studiis litterarum, peregrinatione, et cura religionis im Rahmen des collegium politicum verteidigt. 50 Jakob Schaller (Pr.) / Wilhelm Rayger (Resp.): Idea viri excellentis ex Cornelio Nepote (November). Straßburg 1652. Die vom Wiener Wilhelm Rayger vorgestellte, über 60 Textseiten umfassende Abhandlung wurde vom Präses Schaller verfasst. Sie enthält keine Widmung, jedoch Gratulationsverse auf den Respondenten u. a. aus der Feder des Rechtsprofessors und Dekans Johannes Rebhan (1604‒1689). Dem Respondenten können keine weiteren Publikationen zugeordnet werden, eine juristische Ausbildung ist aber aufgrund der Gratulation Rebhans wahrscheinlich.

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siert.51 Schaller reagierte zunächst unmittelbar noch 1651 mit einer exercitatio, die als Anhang einer Dissertation über Timoleon beigefügt ist.52 Im Jahr darauf folgte der erste Teil einer Doppeldissertation; die Vorstellung des zweiten Teils zog sich dann aber fünf Jahre hin.53 In dieser Zeit scheint Schaller zunehmend Brücken zwischen Politik und Theologie geschlagen zu haben. Nun entstehen auch Dissertationen, die beispielsweise das Bild des Fürsten „ex sacris potissimum literis“ herleiten54 und die sich mit dem Regnum Davidicum oder Regnum Saulis befassen.55 Beide biblischen Herrschergestalten spielten auch in der Debatte zwischen Salmasius und Milton um die Legitimation von Königsherrschaft und Tyrannenmord eine wichtige Rolle.56 Die erwähnten Dissertationen sind wohl auch als Versuche des Moralphilosophen Schaller zu werten, sich in der theologischen Fakultät Ansehen zu verschaffen und den beruflichen Aufstieg anzubahnen.

51 Vgl. zu Milton Henning Ottmann: Geschichte des politischen Denkens. Bd. 3/1: Die Neuzeit. Von Machiavelli bis zu den großen Revolutionen. Stuttgart 2006, S. 334‒337, sowie Milton and Republicanism. Hg. von David Armitage, Armand Himy u. Quentin Skinner. Cambridge 1995. 52 Vgl. unten mit Anm. 274. 53 Jakob Schaller (Pr.) / Erhard Kiefer (Resp.): Dissertationis ad quaedam loca Miltoni pars prior (September, handschriftlich korrigiert zu 13. November). Straßburg 1652. Jakob Schaller (Pr.) / Christoph Güntzler (Resp.): Dissertationis ad quaedam loca Miltoni pars posterior. Straßburg 1657. Der erste Teil der Dissertation wurde vom Durlacher Kiefer vorgestellt. Er umfasst über 40 Seiten. Die Widmung richtete der Respondent an Markgraf Friedrich von Baden (Exemplar der Staats- und Universitätsbibliothek Dresden; das Exemplar der Universitätsbibliothek [UB] Jena enthält dagegen keine Widmung). Von Kiefer sind keine weiteren Publikationen nachweisbar. Der Straßburger Güntzler (1636‒1695) stellte den zweiten Teil vor; diese pars secunda umfasst die Seiten 53‒92. Sein Widmungsadressat ist der Jurist und Straßburger Rat Markus Otto. Güntzler studierte auch Rechtswissenschaften; vgl. ders.: Disputatio inauguralis de fictione iuris. Straßburg 1663. Zur Doppeldissertation von 1652 und 1657 vgl. Hans-Dieter Kreuder: Milton in Deutschland. Seine Rezeption im latein- und deutschsprachigen Schrifttum zwischen 1651 und 1732. Berlin 1971, S. 28‒31. 54 Jakob Schaller (Pr.) / Johann Joachim Rehm (Resp.): Princeps ex sacris potissimum literis delineatus (Mai). Straßburg 1653. Diese 42 Textseiten umfassende Dissertation dürfte von Schaller verfasst worden sein. Die Widmung Johann Joachim Rehms ist an drei Straßburger adressiert: den Bürgermeister Joachim Brackenhoffer, den „XVvir“ Johann Kaspar Pfützer und – auf einer gesonderten Seite gedruckt – an den Theologen Johann Konrad Dannhauer. Dannhauer tritt in diesem Dissertationsdruck aber auch als Verfasser von Gratulationsversen in Erscheinung. Dies und die Wahl des Themas machen Planungen Rehms hinsichtlich einer Laufbahn als Geistlicher oder in der Kirchenverwaltung wahrscheinlich. Von Rehm sind keine weiteren Publikationen nachweisbar. 55 Jakob Schaller (Pr.) / Andreas Burger (Resp.): Regni Davidici pars prima (März). Straßburg 1670; Jakob Schaller (Pr.) / Johann Markus Göbel (Resp. et Aut./T): Regni Davidici pars secunda (Dezember). Straßburg 1670. Jakob Schaller (Pr.) / Johann Ulrich Schmidt (Resp. et Aut./T): Regnum Saulis (März). Straßburg 1670. 56 Vgl. dazu allgemein Hans-Dieter Metzger: David und Saul in Staats- und Widerstandslehren der Frühen Neuzeit. In: König David – biblische Schlüsselfigur und europäische Leitgestalt. Hg. von Walter Dietrich u. Hubert Herkommer. Stuttgart 2003, S. 437‒484.

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Der ungefähr zeitgleich amtierende Historiker Johann Heinrich Boeckler ließ seinen Studenten weniger Freiraum. Zwischen 1637 und 1670 leitete er 64 Disputationen zu historisch-politischen und politischen Themen. Im Unterschied zu Bernegger und Schaller finden sich unter seinen Respondenten aber nur 12 ‚Autoren‘.57 Boeckler war 1637 zunächst Professor für Rhetorik, ab 1640 auch für Geschichte geworden.58 Dass für ihn die Beredsamkeit regelmäßig politisch konnotiert war, zeigt die Doppeldissertation zur eloquentia politici.59 Den Ausgangspunkt bildet hier eine Episode aus den Annalen (13.3) des Tacitus, welche die rhetorischen Fähigkeiten der römischen Kaiser thematisierte und dabei insbesondere die diesbezügliche Unfähigkeit Neros betonte.60 Die Überzeugung, dass die Beredsamkeit eine Kernkompetenz des Politikers sei, drückt sich auch in Boeck-

57 Auch für diese Zahl gilt der oben, Anm. 45, genannte Vorbehalt. 58 Zur Biographie: Wilhelm Kühlmann: Boeckler, Johann Heinrich. In: Killy Literaturlexikon (Anm. 28), Bd. 2, 2008, S. 22f.; ausführlicher und immer noch grundlegend: Ernst Jirgal: Johann Heinrich Bökler. In: Mitteilungen des österreichischen Instituts für Geschichtsforschung 45, 1931, S. 322‒384. Im Druck: Wilhelm Kühlmann: Boeckler, Johann Heinrich. In: Frühe Neuzeit in Deutschland 1620–1720. Literaturwissenschaftliches Verfasserlexikon (VL 17), Bd. 1. 59 Johann Heinrich Boeckler (Pr.) / Johann Heinrich Willius (Resp.): De eloquentia politici dissertatio, ad C. Corn. Tacit. XIII. a[nnales] 3. pars prima ([Tag handschriftlich] 25. November). Straßburg 1647; ders. (Pr.) / Johann Leonhard Fröreisen (Resp.): Dissertationis de eloquentia politici ad C. Corn. Tacit. XIII. annal. 3. pars altera (Januar, handschriftlich korrigiert zu 7. März). Straßburg 1648. Die Doppeldissertation erschien 1649 und 1654 als Abhandlung Boecklers. Der Respondent des ersten Teils, Johann Heinrich Willius aus Landau, scheint der Abhandlung keine Widmung beigegeben zu haben (diesen Schluss zu ziehen erlaubt zumindest das Exemplar der Staatlichen Bibliothek [SB] Regensburg). Er studierte die Rechte und verteidigte 1651 in Tübingen eine juristische Dissertation. Die pars altera setzt die Abschnittszählung des ersten Teils beginnend mit These 41 fort. Auch hier enthalten die Exemplare der SB Regensburg und der Herzog August Bibliothek (HAB) Wolfenbüttel keine Widmung. Ihrem Respondenten, dem Straßburger Johann Leonhard Fröreisen (1629‒1690), sind keine weiteren Publikationen zuzuordnen. Fröreisen wurde Ammeister (Bürgermeister) und Dreizehner. 60 Das 13. Buch der Annalen beginnt mit den Morden, die zu Beginn der Herrschaft Neros begangen wurden. Burrus und Seneca verhinderten als „Führer des jungen Kaisers“ weitere Morde. Unter ihnen herrschte Eintracht, auch im Kampf gegen „Agrippinas wilden Übermut“. Der „princeps“ hielt die Leichenrede auf seinen Vorgänger Claudius, welche, obwohl von Seneca verfasst, streckenweise und unfreiwillig wie eine „Trauerkomödie“ gewirkt habe. Man hörte daraufhin Bemerkungen, dass „Nero der erste römische Machthaber gewesen sei, der sich fremder Redegabe bedienen mußte. Denn der Diktator Caesar konnte mit den größten Rednern wetteifern, auch Augustus besaß eine schlagfertige und fließende Beredsamkeit, wie sie einem Fürsten gut ansteht. Tiberius verstand sich auch auf die Kunst, seine Worte genau abzuwägen, außerdem sprach er gehaltvoll oder mit Absicht zweideutig. Selbst Caligulas Geisteszerrüttung konnte nicht die Kraft seiner Rede schwächen, und auch bei Claudius fand man, so oft er vorbereitet sprach, eine gewisse Gewähltheit des Ausdrucks.“ Tacitus: Annalen. Lateinisch – deutsch. Hg. von Carl Hoffmann. München 1954, S. 583.

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Abb. 1: Titelblatt zu Johann Heinrich Boeckler (Pr.) / Wolfgang von Alefeld „Eques Holsatus“ (Resp.): Historia schola principum (August). Straßburg 1640. Exemplar der Staats- und Stadtbibliothek Augsburg, Signatur 4 Stw 18.

lers Maecenas aus.61 Diese Dissertation analysiert die im Geschichtswerk des Cassius Dio (ca.155‒235 n.Chr.) überlieferte Rede, mit der Maecenas als Berater des Augustus diesen von der Notwendigkeit des Verfassungswandels hin zum Prinzipat überzeugt. Sie gilt Boeckler als Lehrstück für die rhetorisch kompetente Überredung eines Fürsten bei politischen Grundsatzentscheidungen.62 Auch Gerichtsreden des Lysias, nämlich jene über die 61 Johann Heinrich Boeckler (Pr.) / Friedrich Barnewitz „Eques Danus“ (Resp.): Maecenas, seu consiliator regius ex Dion. libr. 52. expressus (März). Straßburg 1643. 62 Die Rhetorik als Schlüsselqualifikation für den Politicus findet auch in der viele bibliographische Hinweise enthaltenden Doppeldissertation des Johann Andreas Bose zur politischen prudentia und eloquentia ihren sinnfälligen Ausdruck (vgl. oben mit Anm. 26), wo die Maecenasreden von Cassius Dio zudem als Lektürempfehlung auftauchen (ebd., th108). Vgl. weiter Dietmar Till: Politicus. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hg. von Gert Ueding. Bd. 6. Tübingen 2003, Sp. 1422‒1445, hier Sp. 1432f. u. Sp. 1435f. (zu Christian Weises Politischer Redner).

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Dokimasie, erachtete Boeckler als interessant. Die entsprechende Dissertation ließ er in diesem Fall jedoch den offenbar kompetenten Ulmer Respondenten Elias Veiel als „Autor“ ausarbeiten.63 Sie diente diesem als Inauguraldissertation zur Erlangung des Magistergrades und sei von Boeckler nur mit einer Disposition angeregt worden.64 Als wie eng er das Verhältnis der Geschichte zur Politik erachtete, dokumentierte der gerade 29jährige Gelehrte im Jahr der Übernahme des Geschichtslehrstuhls mit der Dissertation Historia schola principum.65 Paradigmatisch formulierte Boeckler darin den Vorrang der Geschichte als Lehrmeisterin der Staatsklugheit vor der experientia; dem stimmte Jahrzehnte später Johann Andreas Bose nach wie vor zu.66 Dem Erfahrungswissen fehle die Distanz zum Geschehen, weshalb dessen richtige Beurteilung kaum möglich sei.67 Erst die aus der historia erarbeiteten Einblicke in Ursachen- und Wirkungszusammenhänge befähigten dazu.68 Die Geschichte schule die drei Bestandteile der prudentia, nämlich die memoria, die intelligentia

63 Johann Heinrich Boeckler (Pr.) / Elias Veiel (Resp. et Aut./W): Dissertatio politica ad Lysiae summi oratoris orationes XV et XXX […] quo ratio et historia δοκιμασίας Ἀττικής exhibetur (September). Straßburg 1656. Elias Veiel (1635‒1706) aus Ulm hat neben Straßburg auch an zahlreichen weiteren Universitäten (Heidelberg, Leipzig, Jena, Wittenberg) studiert, wurde 1657 Magister und 1664 Doktor der Theologie. Bereits seit 1662 wirkte er als Prediger in Ulm, wenig später auch als Lehrer und (ab 1671) als Rektor des Gymnasiums sowie als Superintendent und Bibliothekar Ulms. Die Politikdissertation von 1656 ist seine erste akademische Arbeit; sie ist insgesamt 13 Ulmer Persönlichkeiten aus Kirchen- und Zivilverwaltung gewidmet. – Die Dissertation mit ihren 19 Textseiten (einschließlich einer Seite mit Korollarien) kreist um die Überprüfung von Amtsbewerbern (Dokimasie) im antiken Griechenland, welche insbesondere bei Besetzungen politischer und militärischer Ämter (aber auch bei der Einschreibung von Neubürgern) zur Anwendung kam. Der ‚Logograph‘ (Verfasser von Gerichtsreden) Lysias (ca. 445‒ ca. 380 v. Chr.) hatte Musterreden für DokimasieVerfahren verfasst. 64 Veiel habe sie zu Boecklers „vollkommener satisfaction“ geschrieben, ohne dass der Präses „das geringste daran verbessern“ musste, vgl. Johann Hieronymus Lochner: Samlung Merkwürdiger Medaillen. Fünftes Jahr 1741. In welcher wöchentlich ein curieuses Gepräg […] ausgesuchet. Nürnberg 1741, S. 29. 65 Johann Heinrich Boeckler (Pr.) / Wolfgang von Alefeld „Eques Holsatus“ (Resp.): Historia schola principum (August). Straßburg 1640. 66 Bose: De comparanda prudentia (Anm. 26), th13. Bose empfiehlt hier Boecklers Buch De politicis Iusti Lipsii zusammen mit dem Vorwort des Polybios zu dessen Geschichtswerk als die Schriften, welche musterhaft die Geschichte als Basis der politischen Bildung herausarbeiten. 67 Vgl. auch Jirgal: Bökler (Anm. 58), S. 368‒370. 68 „Die Erfahrung zeigt den Gegenstand, die Historia den Zusammenhang; jene erklärt, was erscheint, diese, was darin, ja, was darunter steckt; jene, was in die Augen fällt, diese die Umstände; jene das Naheliegende, diese darüber hinaus das Entlegene; jene das Äußere, diese das Innerste; jene erklärt mancherorts, diese überall; jene manchmal, diese immer.“ Boeckler / Alefeld: Historia (Anm. 65), Kapitel 1, th16; Übersetzung nach Martin Disselkamp: Barockheroismus. Konzeptionen ‚politischer‘ Größe in Literatur und Traktatistik des 17. Jahrhunderts. Tübingen 2002, S. 77.

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und die providentia, was Boeckler anhand zahlreicher Beispiele erläutert.69 Die prudentia umfasst also „ein retrospektives, diagnostisches und prognostisches Vermögen“, welche es dem politisch Handelnden erlauben, die historischen Exempel zu ordnen, Vergleiche zu ziehen, Einsicht in die inneren Zusammenhänge der Ereignisse zu gewinnen und Entwicklungen vorherzusehen.70 Freilich genüge für das kluge Beurteilen und Abwägen etwa der gegenwärtigen Politik des in Unordnung geratenen Deutschlands nicht allein die antike Historie. „Judicare […] de praesenti statu“ und „deliberare de futuris“ vermag nur, wer die gesamte deutsche Geschichte bis zur Gegenwart überblickt.71 Die Geschichte erhält „als Vermittlungsinstanz politisch-technischer Fertigkeiten“ und als „Äquivalent politischer Erfahrung“ grundlegende Bedeutung für die Ausbildung des Fürsten, da allein sie mit der „anders nicht zugänglichen Einsicht in Hintergründe, Umstände und Zusammenhänge“ die Ausbildung politischer Klugheit gewährleiste.72 Wie sein Lehrer Bernegger befasste sich Boeckler mit Lipsius, ferner mit Tacitus73 und anderen antiken Schriftstellern, etwa Plinius d.J., Lucius Annaeus Florus, Cornelius Nepos und Sueton. In der römischen Geschichte insbesondere der Kaiserzeit fand Boeckler die Konflikte und Probleme des modernen Fürstenstaates vorgezeichnet, weshalb er einige der antiken Autoren in ganzen Serien von Dissertationen bearbeitete.74 1648 berief ihn die schwedische Königin Christina mehrmals nach Uppsala, wo schon zwei seiner Schüler, Johannes Freinsheim (1608‒1660) und Johannes Scheffer (1621‒1679), als Professoren für Rhetorik und Politik wirkten; 1649 folgte Boeckler die69 Boeckler / Alefeld: Historia (Anm. 65), Kapitel 1, th10. Vgl. weiter th11‒33. Die Ausführungen darüber, „quid Principi et quomodo Historia prosit“, bilden den mit 41 Textseiten umfangreichsten Teil der Dissertation. 70 Zitat aus Disselkamp: Barockheroismus (Anm. 68), S. 70. Zur providentia beispielsweise gehöre die Kunstfertigkeit des Beratens, Abwägens und Entscheidens. Aus richtig erwogenen und dementsprechend erfolgreich durchgeführten Unternehmungen können Regeln für die Zukunft abgeleitet werden. Boeckler / Alefeld: Historia (Anm. 65), Kapitel 1, th33: „Pertinet huc tota consultandi, deliberandi statuendi, sollertia. Nam ex iis, quae olim recta consulta, recta suscepta sunt, decernendi in futurum regula nascitur et methodus.“ 71 Boeckler / Alefeld: Historia (Anm. 65), Kapitel 2, th6. Dieses zweite Kapitel unterteilt die historia in Universal- und Partikulargeschichte und erläutert, inwieweit ein Fürst beide kennen sollte. 72 Disselkamp: Barockheroismus (Anm. 68), S. 71 u. 77. 73 Johann Heinrich Boeckler: Dissertatio […] de politicis Iusti Lipsii. Straßburg 1642 (zahlreiche Nachdrucke als Beigabe zu anderen Werken). Ders.: In Corn. Taciti quinque libros histor. superstites. Annotatio politica. Straßburg 1648. 74 Boeckler begann 1637‒1641 mit den Commentationes Plinianae, die in sieben Einzeldissertationen kapitelweise das Werk des Plinius erläuterten. Thematisiert wurden darin der Prinzipat, die electio Traiani, die auctoritas sive maiestas imperantium, der Hof und die Schmeichelei sowie anderes mehr. 1643 folgten sieben Dissertationes historico-politicae zum vierten Buch des Geschichtswerkes des Lucius Annaeus Florus, 1645 bis 1647 insgesamt acht Politikdissertationen zu den Caesarenleben Suetons. Verteidigt haben all diese Dissertationen Studierende, die überwiegend aus Straßburg und anderen Reichsstädten stammten. Keiner von ihnen beanspruchte die Autorschaft.

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sem Ruf.75 Hier entstand die für seine Staatstheorie grundlegende Dissertatio de notitia reipublicae (1649), die wiederum in Tacitus die Hauptautorität fand.76 Boecklers Lehrtätigkeit an der Universität Uppsala war jedoch mit Schwierigkeiten behaftet, weshalb ihn die Königin bald als Hofhistoriograph beschäftigte. Auch dies währte nicht lange. 1654 kehrte der aus Cornheim in Mittelfranken stammende Gelehrte auf seinen Straßburger Lehrstuhl zurück. Der Aufenthalt in Schweden bewirkte eine Horizonterweiterung, wodurch „aus dem Philologen ein Staatswissenschaftler“ wurde.77 Produkte dieser Horizonterweiterung sind die Dissertationen über die potentia civitatum (1655) und die Disquisitio politica de dominio eminente (1659), durch welche Boeckler machttheoretische Elemente in sein Konzept der historisch-politischen Wissenschaft einarbeitete. Auch die Consideratio politica über den Handel (1655) und die Disquisitio de civitate maritima (1664), die sich mit den Seehandelsstaaten und der Seeherrschaft befasst, fügen sich in diesen Kontext. Sie zeigen, dass die Mehrung der Macht des Staates im Regelfall nicht durch Krieg, sondern durch Handel geschehen sollte.78 Es waren im Übrigen keine Zufälle, dass die Arbeit über die notitia reipublicae an der 1626 wiedereröffneten schwedischen Universität in Uppsala entstand und dass De potentia civitatum von einem schwedischen Adeligen (Jakob Maclier) verteidigt wurde, der sie wiederum dem schwedischen Reichsrat (Senator) und Großkanzler Erich Oxenstierna (1624‒1656), dem jüngsten Sohn Axel Oxenstiernas, widmete. Die Impulse zur Machtstaatslehre durch Schweden erklären sich aus der historischen Situation des Landes. Zum einen befand sich Schweden in der Hochphase seiner Expansion, nachdem es 1648 zur Garantiemacht des Westfälischen Friedens geworden war und nicht zuletzt von Boeckler als „Retter der deutschen Freiheit“ gewürdigt wurde.79 Zur Vormacht im Ostseeraum aufgestiegen, erreichte es 1658 unter Karl Gustav X. seine größte territoriale Ausdehnung.80 Zum anderen begannen sich innenpolitisch ein gewisses Erlahmen der libertären 75 Jirgal: Bökler (Anm. 58), S. 326f. Zur Bedeutung der Straßburger Schule für die historische und politische Wissenschaft in Schweden, welche bislang kaum erforscht ist und auf die hier nur andeutungsweise eingegangen werden kann, vgl. die Bemerkungen bei Nils Runeby: Monarchia mixta. Maktfördelningsdebatt i Sverige under den tidigare stormaktstiden. Stockholm 1962, S. 349‒366 u. (zu Scheffer) S. 456‒466. 76 Johann Heinrich Boeckler (Pr.) / Paul Kewenhüller (Freiherr von Aichelberg; Resp.): Dissertatio de notitia reipublicae ad C. Corn. Taciti lib. 4, 33 (Oktober). Uppsala 1649. 77 Jirgal: Bökler (Anm. 58), S. 326. 78 Johann Heinrich Boeckler (Pr.) / Johann Andreas Forer (Resp.): Consideratio mercaturae politica (März). Straßburg 1655; Johann Heinrich Boeckler (Pr.) / Friedrich Binder (Resp.): Civitas maritima (Juni). Straßburg 1664. In der „Dissertatio politica“ (so die Überschrift auf S. 1) über den Handel wird beispielsweise von König Heinrich VII. von England berichtet, er habe den Ausbau der Flotte im Bewusstsein befördert, „ut regni potentia non minus mari quam terra augeretur“; ebd. S. 6. 79 Jirgal: Bökler (Anm. 58), S. 327. 80 Günter Barudio: Das Zeitalter des Absolutismus und der Aufklärung 1648‒1779. Frankfurt/Main 1981, S. 39‒43. Karl Gustav X. versuchte mit seinem Testament einen „patrimonialen Absolutismus“ durchzusetzen. Für die Feldzüge gegen Polen und Dänemark gelang es ihm auf dem Reichstag von 1655, den Adel zu überreden, auf ein Viertel seiner Güter zu verzichten.

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Verfassungstradition Schwedens und ein schleichender politischer Wandel hin zum Absolutismus abzuzeichnen.81 Es lag von daher nahe, dass sich die historisch-politische Wissenschaft einerseits mit den empirischen Grundlagen innerer und äußerer Machtentfaltung befasste, andererseits auch die inneren Wandlungsprozesse in den Blick nahm, die sich nach Auffassung Boecklers eben keineswegs so eindeutig mit der klassischen Lehre der Staatsformen beschreiben ließen.82 Nach der Zeit in Schweden und unter dem Eindruck der westfälischen Friedensverträge trat bei Boeckler die Beschäftigung mit der Lehre des Völker- und Naturrechts hinzu. Dem Werk Hugo Grotius’ widmete er nicht nur einen Kommentar,83 sondern ließ einzelne Themen auch im Rahmen von Disputationen erläutern.84 Mit Arbeiten über Kriegsmanifeste, die potentia civitatum und Fürstenkongresse setzten Boecklers Dissertationen zudem neue Akzente. Er ist auch der einzige der drei Protagonisten, der an einer Gesamtdarstellung der Politik arbeitete, wenngleich seine Institutiones politicae, wie erwähnt, erst postum 1674 erschienen. Wenig mit politischen Dissertationen in Erscheinung traten in dieser Hochphase der historisch-politischen Wissenschaft Straßburgs die Juristen. Erwähnenswert sind in dieser Hinsicht nur Joachim Cluten und Ulrich Obrecht. Cluten (1582‒1636) hatte sich schon während seiner Rostocker Studienzeit unter dem Philosophen und Juristen Willebrand mit der praktischen Philosophie und der Politik befasst.85 Im Rahmen seiner Straßburger Lehrtätigkeit entstanden vier politisch-juristische Dissertationen. Themen sind das ius vectigalium (1618), verschiedene staatsrechtliche Fragen (1624), das ius belli (1626) und die kurfürstlichen Wahltage (1628). Boecklers Schwiegersohn Obrecht (1646‒1701), der 1667 seine juristische Inauguraldissertation vorlegte, erhielt nach dem Tod des Schwiegervaters 1676 zunächst den Lehrstuhl für Geschichte und Eloquenz, 1682 dann auch die Professur für öffentliches Recht. Die für die Politik relevanten Dissertationen entstanden in den 1670er Jahren, in denen Obrecht die Geschichte vertrat. Neben Arbeiten über römische Agrargesetze (1674) und Kriegskunst (1675) setzte er zu dieser Zeit schon einen 81 Da sich die Stände dem entgegenstemmten, erinnert die innenpolitische Situation Schwedens an diejenige des römischen Prinzipats, die von Tacitus in den Annalen beschrieben wurde und auf die wiederum die Disputation über die notitia reipublicae rekurriert. 82 Neben Schweden hätten im Übrigen auch die nördlichen Niederlande und das England der 1640er Jahre die paradigmatischen Analyseobjekte einer solchen Staatslehre darstellen können. Boeckler ging aber auf solche aktuellen Entwicklungen nur mit knappen Randnotizen ein. 83 Johann Heinrich Boeckler: In Hugonis Grotii jus belli et pacis […] commentatio. Straßburg 1663; ders.: In Hugonis Grotii jus belli et pacis […] libri II capita priora septem […] commentatio. Straßburg 1664. 84 Vgl. unten mit Anm. 149. 85 Nicolaus Willebrand (Pr.) / Joachim Clutenius (Resp.): Proaulion disputationum politicarum de philosophia practica. Rostock 1601. Die von verschiedenen weiteren Studenten verteidigten Disputationen dieser über 600 Seiten (im Oktavformat) umfassenden Sammlung sind jedoch wie bei Reusners Politicarum disputationum libellus (vgl. oben, Anm. 5) durchweg der Ethik zuzuordnen.

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Schwerpunkt bei Themen zur Reichsverfassung. So behandelte er die Abdankung Kaiser Karls V., das Bündnisrecht der Reichsstände, die Einheit des römisch-deutschen Reiches (alle drei 1676), dann auch die Reichsfahne (1673) und die Reichskleinodien (1677). Nach seinem Übertritt zum Katholizismus und der Übernahme des neuen Postens eines Prätors, der als Mittler zwischen dem französischen König und dem Rat Straßburgs fungieren sollte, versiegten diese Aktivitäten.86

2. Tacitismus: Das politiktheoretische Profil der Straßburger Politikwissenschaft Das politische Denken, das sich in Schriften zur ‚politica‘ des 17. Jahrhunderts artikulierte, lässt sich vier grundlegenden Paradigmen zuordnen. Als erstes und ältestes ist das auf der aristotelischen Politik und Ethik basierende Politikverständnis zu nennen. Bereits im frühen 16. Jahrhundert bildete sich als zweites eigenständiges Konzept die ‚politica christiana‘ aus. Mit den religiösen Fundamentalkonflikten und der Krise der Monarchie im späten 16. Jahrhundert prägten sich die sogenannte monarchomachische Theorie und ungefähr zeitgleich auch das tacitistisch-lipsianistische Politikverständnis aus.87 In Straßburg und allgemein am Oberrhein dominierte der Tacitismus, der in der civilis prudentia seinen auf die Politicorum libri des Justus Lipsius rekurrierenden Leitbegriff erhalten hat.88 Die aristotelische Politik, die noch in der Phase um 1600 auch in Straßburg stärker präsent war, bildet zwar weiterhin eine gewisse Basis.89 In ihren Fragestellungen und Themen setzt die tacitistisch-lipsianistische Politik jedoch andere Akzente. Das Paradigma des Tacitismus ist dem Späthumanismus zuzurechnen, insofern hier ein klassischer Autor der Antike direkt oder indirekt die Hauptquelle für die Analyse von Politik darstellt.90 Tacitus wurde, ausgehend vom Italien der Spätrenaissance, geradezu zu 86 Harry Breßlau: Obrecht, Ulrich. In: ADB (Anm. 47), Bd. 24, 1887, S. 119‒121. 87 Den besten Überblick dazu bietet Horst Dreitzel: Politische Philosophie. In: Die Philosophie des 17. Jahrhunderts. Bd. 4: Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation, Nord- und Ostmitteleuropa (= Ueberweg, 17. Jahrhundert). Hg. von Helmut Holzhey u. Wilhelm Schmidt-Biggemann. Basel 2001, S. 607‒748. 88 Dazu prägnant und seine älteren Studien zusammenfassend Kühlmann: Geschichte als Gegenwart (Anm. 32), sowie Dreitzel: Monarchiebegriff (Anm. 3), S. 567‒590. 89 Dies gelte beispielsweise für Boeckler, so Wolfgang Weber (Prudentia gubernatoria, Anm. 21, S. 140): Boeckler kombiniere aristotelische und zum Teil naturrechtliche Prämissen mit tacitistischlipsianistischer Herrschaftspraxis. 90 Dies muss wie beim politischen Aristotelismus dahingehend präzisiert werden, dass es neben Tacitus auch eine Reihe weiterer Autoren gab, die im Rahmen des tacitistischen Politikverständnisses verwertbar waren. Dazu zählte Sueton mit seinen Kaiserviten, des Weiteren Sallust mit seinem Werk über die catilinarische Verschwörung oder Velleius Paterculus (1. Jh. n.Chr.), aus dessen Historia Romana der Straßburger Boeckler Characteres politici (1672) herausarbeitete.

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einem gesamteuropäischen Modeautor, denn seine Werke erfuhren auch in Frankreich, im habsburgisch-spanischen Herrschaftsbereich einschließlich der Niederlande und im protestantischen Deutschland vielfältige Beachtung.91 Ähnlich wie die christliche Politik gingen die Tacitisten von der politischen Praxis aus, freilich mit einem ganz anderen Blick für die politische Realität. Im Zentrum standen für sie die Methoden des Machtgewinns und der Macht- bzw. Selbstbehauptung der politisch Handelnden, der Herrschaftssicherung und der Staatserhaltung (Staatsräson), des Weiteren die Interessen von Herrschern und Staaten sowie schließlich die geheimen Mittel der Durchsetzung politischer Ziele (arcana imperii). Als Variante kann dabei die von Lipsius – selbst einer der wichtigsten TacitusKommentatoren – begründete Konzeption des Machtstaates mit der zugehörigen Klugheitslehre im Neustoizismus ausdifferenziert werden.92 Gleichfalls als eigenständiger Diskurs entwickelte sich die Lehre von der Staatsräson und den politischen Geheimnissen (arcana); sie ging ebenfalls von Italien aus, war indirekt mit dem Namen Machiavelli und direkt mit einer ganzen Reihe von Autoren verknüpft, deren bekanntester Giovanni Botero (1540‒1617) mit seiner Schrift Della Ragion di Stato (1589) wurde.93 Gemeinsam war diesen Konzeptionen ein Fokus auf den psychologischen Faktoren politischen Handelns. Gefragt wurde weniger nach Tugenden und Normen, sondern nach den Interessen, Leidenschaften, Trieben, Fähigkeiten und Bedürfnissen der Akteure. Damit unterschieden sich diese Politiklehren grundsätzlich von denen der ‚politica christiana‘. Die Grundausrichtung blieb konservativ: Ziel war die Erhaltung des Machtstaates und seiner Träger (fundatio, conservatio und amplificatio dominii); konsequenterweise wurde deshalb die absolute Monarchie bevorzugt. Die Mittel zur Erhaltung und Mehrung des ‚Staates‘ muteten im Verhältnis zum christlich-konfessionellen Grundtenor der Zeit dagegen ‚neu‘ an. Den Kern bildeten hier die Macht, ihre Grundlagen, Formen und Entfaltungsspielräume sowie deren Sicherung, aber auch deren Gefährdungen. Neben ratio 91 Grundlegend dazu Else-Lilly Etter: Tacitus in der Geschichte des 16. und 17. Jahrhunderts. Basel 1966. 92 Grundlegend zu Neustoizismus, Tacitismus und Staatsräson: Dreitzel: Politische Philosophie (Anm. 87), S. 694‒714, zu Lipsius S. 700f. 93 Michael Stolleis: Arcana Imperii und Ratio Status. Bemerkungen zur politischen Theorie des frühen 17. Jahrhunderts (1980). In: ders.: Staat und Staatsräson in der frühen Neuzeit. Studien zur Geschichte des öffentlichen Rechts. Frankfurt/Main 1990, S. 37‒72, hier S. 41f. mit Hinweisen zur italienischen Forschungsliteratur. Vgl. weiter Herfried Münkler: Staatsraison und politische Klugheit. In: Pipers Handbuch der politischen Ideen. Hg. von Iring Fetscher und Herfried Münkler. Bd.  3: Neuzeit. Von den Konfessionskriegen bis zur Aufklärung. München, Zürich 1985, S. 23‒72, hier S. 50f., sowie Artemio Enzo Baldini (Hg.): Botero e la ‚Ragion di Stato‘. Florenz 1992; Artemio Enzo Baldini (Hg.): Aristotelismo politico e ragion di stato: atti del convegno internazionale di Torino, 11‒13 febbraio 1993. Florenz 1995; Gianfranco Borrelli (Hg.): Ragion di stato. L’arte italiana della prudenza politica. Neapel 1994 (mit zahlreichen Titelblättern der einschlägigen italienischen Literatur); Gianfranco Borrelli (Hg.): Prudenza civile, bene comune, guerra giusta. Percorsi della Ragion di stato tra seicento e settecento. Neapel 1999.

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status, im Übrigen selbst ein schillernder Begriff,94 und arcana imperii kursierte ein Bündel weiterer Termini, etwa secreta, simulacra, sophismata, flagitia sowie simulatio und dissimulatio, anhand deren die spezifischen Probleme der Machtpolitik zum Ausdruck gebracht wurden. Sie bezogen sich auf moralisch noch vertretbare Mittel (arcana, secreta, simulacra) der Durchsetzung von Politik und auf ihre verbrecherischen Varianten (sophismata, flagitia dominationis) sowie auf die Notwendigkeit der Verschleierung eigener Ziele (simulatio, dissimulatio) und die in Ratskollegien und fürstlichen Kabinetten erfahrbare „prekäre Balance zwischen Entscheidungs- und Verhüllungszwängen“, denen die politisch Handelnden ausgesetzt waren.95 Dahinter stand eine allgemeine Tendenz zur Arkanisierung politischer Entscheidungsprozesse. Der Zwang dazu resultierte aus dem im Zuge des Dreißigjährigen Krieges wachsenden Bestreben, den Staat aus dem ruinösen Konkurrenzkampf der Konfessionen herauszuhalten.96 Leittugend bzw. -kompetenz war die prudentia civilis (politische Klugheit). Mit ihrer Hilfe galt es in wechselnden Personen- und Machtkonstellationen die Handlungsspielräume auszuloten, die situative Gelegenheit einzuschätzen, die eigenen Ziele festzulegen sowie die der anderen Beteiligten zu erkennen und von bloßen Vorwänden zu unterscheiden und schließlich eigene sowie fremde Durchsetzungschancen und Erfolgsaussichten zu beurteilen. Im Zentrum dieser Regimentslehren stand also eine von christlicher Moral und ethischen Normen relativ unabhängige Urteils- und Handlungskompetenz, die dem Nutzen des Handelnden verpflichtet ist. Diese Form der prudentia zielte auf die Maximierung der utilitas unter Wahrung eines Restbestands an honestas. Der tacitistischen Klugheit ging es in summa „nicht um die Struktur des politischen Gemeinwesens, sondern um die Selbstbehauptung des politisch Handelnden,“ nicht um „die universale und systematische Theorie des Staates, sondern die theorielose, aber scharfsinnige Erfahrung des Historikers und Staatsmannes“, nicht um „die Funktionen, Aufgaben und Pflichten der Herrschaft, sondern die Klugheit und Technik ihrer Durchsetzung und Erhaltung“.97 Insofern unterscheidet sich der Zugriff des Tacitismus und der Staatsräsonlehre auf das Politische von dem des politischen Aristotelismus und der christlichen Politik. Weitere über den Erhalt des Staates sowie von Frieden, Ordnung und Sicherheit hinausgehende Herrschaftsaufgaben, die unter das Postulat des bonum commune und der allgemeinen Wohlfahrt subsumiert wurden (etwa die Armenfürsorge), sind dabei nur mittelbar – etwa im Hinblick auf 94 Vgl. Dreitzel: Monarchiebegriff (Anm. 3), S. 580‒590, der u. a. auf die unterschiedlichen Übersetzungen des Wortes ,status‘ (sozialer Stand, Herrschaftsstand, Zustand, Verfassung) verweist. Vgl. des Weiteren Stolleis: Arcana Imperii (Anm. 93), S. 38‒45, der die zeitgenössischen Probleme im Umgang mit diesem Leitbegriff, seiner adäquaten Übersetzung und der ‚Einbürgerung‘ als Lehnwort skizziert. 95 Kühlmann: Geschichte als Gegenwart (Anm. 32), S. 47. 96 So auch Johannes Kunisch: Absolutismus und Öffentlichkeit. In: Der Staat. Zeitschrift für Staatslehre und Verfassungsgeschichte, deutsches und europäisches öffentliches Recht 34, 1995, S. 183‒198, hier S. 185. 97 Dreitzel: Monarchiebegriff (Anm. 3), S. 567.

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Erfordernisse der militärischen Machterhaltung – relevant. Völlig konträr ist die Positionierung schließlich zur christlichen Politik mit ihrer Indienstnahme des Staates für die Religion und eine umfassende Christianisierung der Gesellschaft. Was hat nun aber dazu geführt, dass Tacitus zwischen 1570 und 1650 zum meistbehandelten antiken Autor aufstieg und damit Livius besonders in Deutschland als dominierender Modellautor städtisch-republikanischer Denktraditionen zurückgedrängt wurde? Die Frage erhellt ein Blick auf das taciteische Geschichtswerk und die spezifischen Zeiterfahrungen der Tacitisten. Zunächst zu Tacitus: Mit seinen Historiae, welche die Zeit nach dem Tod Neros bis zum Sturz Domitians, also das Vier-Kaiser-Jahr und die Epoche der Flavier-Dynastie, behandelten, und den Annales wird die spezifisch römische moralisierende Geschichtsschreibung vollendet.98 Seine Geschichtsdarstellung personalisiert die Vorgänge, um die Handelnden moralisch bewerten zu können; soziale Gruppen und Gegensätze sowie strukturelle Handlungszwänge blendet er aus. Tacitus nimmt die Pose des römischen Zensors ein, der das standesgemäße Verhalten zahlreicher Akteure beurteilt. Damit konstituiert sich ein Ensemble negativer und positiver exempla für Tugenden bzw. Untugenden wie Selbstbeherrschung, Mäßigung, Mut und Aufrichtigkeit bzw. Machtund Habgier, Feigheit, Kriecherei und Schmeichelei. In den Annales, die auch in der Frühneuzeit im Vordergrund standen, zeichnet er zum einen ein äußerst detailreiches Charakterbild des Kaisers Tiberius, das – in sich widersprüchlich – verschleiert, was Maske und was Wahrheit war; darin entfaltet sich auch jenes Klima „ständiger Ungewissheit, in welcher die Akteure im Senat und am Hof leben und handeln mussten.“ Des Weiteren liefert Tacitus hier „das erste antike Szenarium einer Hofkultur“, in der Familienmitglieder des Kaiserhauses, Höflinge, Senatoren und Prätorianerpräfekten um Macht und Einfluss buhlen und in der Geheimhaltung und Ausschluss der Öffentlichkeit oberste Herrschaftsmaximen werden. Und schließlich rückt er das Verhalten der senatorischen Oberschicht – in der sich die frühneuzeitliche Reichsaristokratie spiegeln konnte – als wichtigster Gruppe politischer Akteure neben dem Kaiser in den Mittelpunkt und zeichnet kritisch den Wandel der Verhaltensformen (Verlust an Aufrichtigkeit, Courage, Verzicht auf den Gebrauch des freien Wortes, Schmeichelei) in dieser düsteren politischen Atmosphäre nach. Für das Militär und das gemeine Volk hat Tacitus nur Verachtung übrig; mit Freiheit könnten beide nichts anfangen, weshalb sie beherrscht werden müssten. Zur Monarchie in Gestalt des Prinzipats gibt es für ihn daher keine Alternative, auch wenn diese Herrschaft auf Bestechung beruht, wie er, sich auf Augustus beziehend, ausführt: Der Vorgänger des Tiberius habe „die Truppen mit Geschenken, das stadtrömische Volk mit einer funktionierenden Getreideversorgung und alle insgesamt durch den einlullenden Frieden für sich gewonnen“.99 98 Beide Werke sind nur in Teilen erhalten, was der Rezeptionsgeschichte keinen Abbruch tat. Die folgende Inhaltsskizze nach Egon Flaig: Publius Cornelius Tacitus. In: Hauptwerke der Geschichtsschreibung. Hg. von Volker Reinhardt. Stuttgart 1997, S. 617‒623. 99 Flaig: Tacitus (Anm. 98), S. 620 (erste Zitate) u. 619f.

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Den allgemeinen Hintergrund der Tacitusrezeption im 16. und 17. Jahrhundert bilden Erfahrungen mit Verfassungskonflikten, Glaubensgegensätzen und Kriegen. Für Deutschland sind der krisenhafte Übergang vom mittelalterlichen Kaiserreich zum deutschen polyarchischen Reichssystem und die Ausbildung der zahlreichen fürstlichen Territorialstaaten maßgebend. Im Wahrnehmungshorizont der Tacitisten lag aber mindestens ebenso der gesamteuropäische Raum, in dem sich seit Kaiser Karl V. die Entwicklung einer spanisch-habsburgischen Universalmonarchie abzuzeichnen begann. Von wem man eher die Gewährleistung von Frieden und Stabilität erwarten konnte, vom polyarchischen Nebeneinander der Souveräne und Halbsouveräne oder dem habsburgischen Universalismus, blieb eine nicht eben leicht zu beantwortende Frage. Jedenfalls aber boten passend zu dieser Gesamtlage die historischen Werke des Tacitus „die exemplarische Formierungsgeschichte einer Monarchie“ in all ihren Facetten und Komplexitäten.100 Was die Tacitisten dabei besonders interessierte, waren die Handlungsweisen, die Motive und Techniken der Kaiser, aber auch ihrer Räte, des römischen Senates und des Volkes. Sie faszinierte, was Tacitus „über die Haltung der Untertanen, über Tyrannen und Freiheitshelden, über Staatsverbrechen und Bürgermoral“ schrieb.101 Grundlegend war für sie also ein akteurzentriertes Politikverständnis; politische Strukturen und Verfassungsordnungen waren nur als Rahmenbedingungen relevant. Wie die Humanisten allgemein gingen auch sie von der similitudo temporum aus.102 Lipsius erachtete das Werk des Tacitus als theatrum hodiernae vitae,103 und der Straßburger Bernegger erklärte seinen Lesern und Studenten, dass Tacitus „der Fürst der Historiker“ sei: Wenn jemals, dann, so glaube ich, ist es gewiß zu diesen Zeiten und bei dieser Weltlage geraten, daß speziell dieser Autor […] in die Hände der Studenten gebracht wird, damit sie aus diesem überreichen Quell Rat schöpfen, um später, jeder an seinem Platz, besser gerüstet an alle Fälle des Lebens heranzugehen.104

Die Geschichte galt in humanistischer Tradition somit weiterhin als magistra vitae, doch war sie in ihrer tacitistischen Lesart eine Lehrmeisterin, die nicht mehr „handlungstheore100 Therese Schwager: Militärtheorie im Späthumanismus. Kulturtransfer taktischer und strategischer Theorien in den Niederlanden und Frankreich (1590‒1660). Berlin, Boston 2012, S. 122. 101 Ulrich Muhlack: Der Tacitismus – ein späthumanistisches Phänomen? In: Späthumanismus. Studien über das Ende einer kulturhistorischen Epoche. Hg. von Notker Hammerstein u. Gerrit Walther. Göttingen 2000, S. 160‒182, hier S. 166f. 102 Etter: Tacitus in der Geistesgeschichte (Anm. 91), S. 16f.; die similitudo temporum war die Grundlage für die humanistische Auffassung von der historia als magistra vitae, die sich auf Cicero berufen konnte; ebd., S. 18f. 103 Vgl. Harro Höpel: History and Exemplarity in the Work of Lipsius. In: (Un)masking the Realities of Power: Justus Lipsius and the Dynamics of Political Writing in Early Modern Europe. Hg. von Erik Bom, Marijke Janssens, Toon van Houdt u. Jan Papy. Leiden 2011, S. 43‒72, hier S. 70f. 104 So Bernegger in seinem Kommentar zum Agricola des Tacitus, übersetztes Zitat nach Kühlmann: Geschichte als Gegenwart (Anm. 32), S. 46.

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tisch vordisponiert“ war von einem „biblisch-naturrechtlich gesetzten moralischen Koordinatennetz“, einem auf der Vier-Reiche-Lehre basierenden universalistischen Geschichtsverständnis und dessen religiös-eschatologischer Ausrichtung. Sie beschränkte sich auf politische Tatsachen, die freilich nicht offenkundig waren, sondern deren Erkenntnis beträchtlichen Scharfsinn erforderte. „An Tacitus lernte man, durch einen Verhüllungszusammenhang taktischer Positionskämpfe und scheinhafter Machtfassaden hindurchzudringen […] bis zu den, wie es Boeckler unübersetzbar ausdrückt, ‚ingenia rerum‘.“105 Der Tacitist entwickelte seine Erklärungs- und Urteilskompetenz dabei nicht nur an der einfachen Beobachtung dessen, was geschehen war. Er untersuchte vielmehr, „bei welcher Gelegenheit, in welcher Absicht, unter welchem Vorwand und mit welchem Erfolg“ jemand handelte.106 Die Tacitisten nahmen ihre Zeit als Epoche äußerer und innerer Bedrohung von Herrschaft durch Krieg, Revolten und Verschwörungen wahr. Dezidiert rückten sie außenpolitische sowie militärische und militärstrategische Probleme ins Blickfeld, was sich für den Oberrhein mit Straßburg, dem wichtigsten Zentrum des deutschen Tacitismus, auch durch die mächtepolitisch schwierige Situation zwischen dem machtstaatlichen Frankreich und der habsburgischen Universalmacht erklärte. In Kaiser Tiberius, der Zentralfigur der deutschen Tacitusexegeten, sahen sie den janusköpfigen Exponenten dieser Zeit des krisenhaften Übergangs von der Republik zum Prinzipat, an dem „man die ‚arcana imperii‘, die politisch-instrumentelle Doppelgesichtigkeit von ‚Tugend‘ und ‚Lastern‘, vor allem aber die Spannung von ‚fides‘ und ‚dissimulatio‘ als epochale Dissoziation von Gewissensethik und machttaktischem Habitus“ studieren konnte.107 Neben Tiberius bot sich im Werk des Tacitus ein ganzes Arsenal von Figuren an, die sich zu bestimmten Charakteren und Rollen, dem schlechten Fürsten und Tyrannen (Nero), dem bonus consiliarius, der sich auch unter einem Tyrannen zu behaupten weiß, oder dem tückisch-wendehälsischen Günstling verdichten ließen.108 Ein letztes Kennzeichen des Tacitismus war schließlich die enge Verknüpfung von politischem Handeln mit einer spezifischen nachklassischen Form der Rhetorik, galt es doch, wie man aus Tacitus erfahren konnte, die Kunst zu erlernen und zu pflegen, sich zu verstellen (simulatio), seine eigenen Absichten zu verbergen (dissimulatio) sowie das Verhalten und die Reden anderer entsprechend zu entschlüs-

105 Kühlmann, Geschichte als Gegenwart (Anm. 32), S. 47 mit Anm. 24. Den Ausdruck ‚ingenia rerum‘ gebrauchte Boeckler in seiner Vorrede zu den Annalen des Tacitus. 106 So Boeckler, zitiert nach Kühlmann: Geschichte als Gegenwart (Anm. 32), S. 49. 107 Ebd., S. 54. 108 Nicht zufällig erschien die Erstauflage des Werks von Georg Achatius Ennenckel über Aelius Seianus in Straßburg: Seianus seu de praepotentibus regum ac principum ministris, commonefactio. Straßburg 1620; deutsch: Sejanus, oder Lehr und Erinnerung Von der Könige/ und Fürsten grossen gewalthabenden Dienern. Ulm 1658; englisch: Gymnasiarchon, or, The schoole of potentates. London 1648.

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seln. Der „Analyse des situativen und pragmatischen Redeverhaltens“ (vornehmlich in den Werken des Tacitus) widmete etwa Boeckler große Aufmerksamkeit.109 Die Nähe dieser Gedankenwelt zu Machiavellis Analyse verbrecherischer Machenschaften in der Politik wurde in diesem Kontext zwar zur Kenntnis genommen, dem verfemten Autor aber Originalität abgesprochen.110 Während die Hinwendung zu Tacitus im katholischen Frankreich und in Italien Ersatz für die dort verbotenen Schriften Machiavellis war, stießen diese im protestantischen Deutschland, wo ihre Lektüre erlaubt war, auf andere Rezeptionsbedingungen. Die gesteigerten Formen des Absolutismus in Süd- und Westeuropa lagen im polyarchischen Reichssystem am Rande der Erfahrungswelt des protestantischen Adels. Daher stellte die Einbeziehung von Machiavellis Schriften für die Tacitisten kein Problem dar. Tatsächlich ist, wie noch zu zeigen sein wird, der Florentiner eine in den Straßburger Dissertationen gern zitierte Autorität und alles andere als der Erzfeind christlich moralisierender Antimachiavellisten. Freilich, das muss hier hinzugefügt werden, sind es weniger die moralisch anstößigen Tipps des Fürstenberaters, sondern zumeist die militärstrategischen Überlegungen Machiavellis, welche von den Straßburgern in Betracht gezogen werden. Wesentlich stärker als der unterschwellige Machiavellismus irritierte die Tacitisten „die sozusagen religiöse Obdachlosigkeit der taciteischen Geschichtsbetrachtung“, die eine größere Herausforderung bedeutete als die angeblich von „N.M.“ enthüllten arcana dominandi.111 Was die Religionspolitik anbelangte, argumentierten die Autoren zwar regelmäßig zugunsten einer für die Erhaltung des Staats unerlässlichen Kontrolle der Kirche; diese galt als instrumentum dominationis über das von Leidenschaften getriebene und schwer zähmbare Volk, das meist verächtlich als Pöbel bezeichnet wurde. In konkreten Fragen – etwa bezüglich des Toleranzproblems und der Bedeutung der religiösen Einheit des Staates – blieben aber auch die Tacitisten der Haltung ihrer jeweiligen Konfession verpflichtet. Besonders in der Literatur zur Staatsräson wird daher gegen Machiavellis These polemisiert, dass die christliche Religion mit wahrer Staatsräson unvereinbar sei.112 Das frühneuzeitliche Lesepublikum des Tacitus war, wie das oben angeführte Zitat Boecklers belegt, die studierte „Funktionselite der fürstlichen Administration“, darunter auch viele Adelige.113 Kennzeichnend für den deutschen Tacitismus ist seine Akademisierung vor allem im protestantischen Kulturraum. Universitätslehrer erläuterten mit Kommentaren, Reden, Aphorismen- und Florilegiensammlungen, Einzeldissertationen sowie Hof- und Fürstenlehren das Werk des römischen Geschichtsschreibers und arbeiteten seinen politischen Wert für die eigene Zeit heraus. Dabei erwies sich der Tacitismus mit 109 Kühlmann: Geschichte als Gegenwart (Anm. 32), S. 53f., Zitat S. 54. 110 Zum engen Verhältnis von Tacitismus und Machiavellismus vgl. Stolleis: Arcana Imperii (Anm. 93), S. 45‒51. 111 Kühlmann: Geschichte als Gegenwart (Anm. 32), S. 52. 112 Dreitzel: Politische Philosophie (Anm. 87), S. 710. 113 Kühlmann: Geschichte als Gegenwart (Anm. 32), S. 43.

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seinem akteurzentrierten und praxisbezogenen Politikbegriff als wichtige Ergänzung zum stärker an Strukturen orientierten politischen Aristotelismus.114 Für beide bildeten Kommentarwerke das grundlegende Textformat. Die wichtigsten deutschen Kommentatoren waren der Mömpelgarder Kanzler Christoph Forstner (1598‒1668), der Herborner Cyriacus Lentulus (ca. 1608‒1678) und Boeckler.115 Zu charakteristischen Literaturformen avancierten jedoch Minister- und Fürstenspiegel sowie Hof- und Regimentslehren, die häufig von politischen Praktikern verfasst wurden. Beispiele protestantischer Autoren wären etwa der Princeps absolutus (1663) und die Aula Tiberiana (1662) des Lentulus, ähnlich betitelte Werke des Gießeners Jakob Le Bleu (1610‒1668) und der Tacitus axiomaticus de principe, ministris et bello (1655) von Johann Theodor Sprenger (1630‒1681). Als katholische Varianten tacitistischer Fürsten- und Regimentslehren können das Werk Wilhelm Ferdinand von Efferens († um 1639) sowie die Neu-entdeckte Staats-Klugheit (1710) des Franz Albrecht Peltzhofer (1643‒1710) gelten.116 Gelegentlich entstanden auch tacitistische Gesamtkonzeptionen der Politik wie etwa die Institutiones politicae des Altdorfer Politologen Johann Paul Felwinger (1606‒1681).117 Typisch für die Straßburger ‚politica‘ sind denn auch auffallend viele Fürstenspiegel im Format akademischer Dissertationen, des Weiteren eine Gruppe von Abhandlungen über herausragende Politiker. Diese Porträts und Charakterstudien zu antiken Herrschern und ‚Staatsmännern‘ verliehen der Straßburger Politikwissenschaft bei ihren primären Adressaten, den Fürsten und den Politikern in den Ratskollegien und Kabinetten, attraktive Anschaulichkeit. Mit Zitaten aus den (bei Tacitus, Livius, Plutarch usw. überlieferten) Reden und Briefen solcher historischen Figuren konnte man zudem zum Ausdruck bringen, was an direkter Herrschafts114 Dreitzel: Monarchiebegriff (Anm. 3), S. 571. Nach Dreitzel bestand zwischen Tacitismus und Aristotelismus weniger eine Konkurrenzbeziehung, „sondern überwiegend ein Verhältnis wechselseitiger Ergänzung: Beide Konzeptionen gingen vom ‚ordo imperandi et parendi‘ aus, beide konzentrierten sich auf die säkularen Pflichten und Techniken der Politik, und beide waren stark an der Historie und der Staatenkunde interessiert.“ 115 Forstner, der u. a. in Tübingen bei Besold studiert hatte, verfasste mehrere Kommentare zu den Annalen des Tacitus, die ab 1628 in mehreren Auflagen in Straßburg und Frankfurt erschienen. Zugleich war er württembergischer Rat und Diplomat auf dem westfälischen Friedenskongress. Der Straßburger Boeckler verfasste 1669 eine Gedenkschrift über ihn. Vgl. zu Forstner Dreitzel: Monarchiebegriff (Anm. 3), S. 1065. Zu Lentulus vgl. Kühlmann: Geschichte als Gegenwart (Anm. 32), S. 43. 116 Vgl. zu den genannten Autoren Michael Stolleis: Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland. Bd. I: Reichspublizistik und Policeywissenschaft 1600‒1800, München 1988, S. 201f. Speziell zum Juristen Sprenger, der zunächst verschiedene Ratsstellen in protestantischen Territorien – zuletzt war er Hofrat in Pfalz-Zweibrücken – versah, später konvertierte und Kanzler in Salzburg wurde, vgl. ebd., S. 249. 117 Vgl. zu Felwinger Dreitzel: Monarchiebegriff (Anm. 3), S. 573‒580 u. S. 1062. Felwinger war Professor für Politik und Metaphysik und als solcher sowohl Aristoteliker wie auch Tacitist. Hinweise zur absolut unbefriedigenden Forschungslage zu Felwinger bei Philipp: Konstellationen und Kontexte (Anm. 12), S. 92.

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kritik nicht sagbar war. Dass die Straßburger Politiklehrer dabei auch andere antike Historiker zur Herausarbeitung tacitistischer Herrschaftspraktiken verwendeten, belegen Berneggers Speculum boni principis (1625), das auf Sueton basiert, und Boecklers Characteres politici in Velleio Paterculo (1672). Aufgrund seiner Wirkungsmächtigkeit gesondert zu betrachten ist das Werk des Niederländers Lipsius, das sich allerdings weitgehend in den Tacitismus einfügen lässt.118 Zum einen war Lipsius selbst Philosoph und Philologe an verschiedenen Universitäten und einer der wegweisenden Kommentatoren des Tacitus; zum anderen kann sein politisches Hauptwerk, die Politicorum sive civilis doctrinae libri sex, qui ad principatum maxime spectant (1589), das zahllose Ausgaben und Übersetzungen erfuhr,119 als Fürstenspiegel gelesen werden, der erheblichen Einfluss in der Politikwissenschaft des 17. Jahrhunderts entfaltete.120 Seine auf der prudentia civilis ruhende Tugend- und Machtstaatslehre brachte vier wesentliche Elemente in die politische Diskussion ein: Erstens definierte er die maiestas nicht staatsrechtlich, sondern als inszenierte charismatische Herrschaft. Dementsprechend ist die tacitistisch-lipsianistische Politiklehre Straßburgs am anderenorts recht beliebten Dissertationsthema ‚Souveränität‘ kaum interessiert. Zweitens betonte er „die Notwendigkeit, die Eigenarten, Meinungen sowie die Charaktere der sozialen Gruppen des beherrschten Volkes – meist als Pöbel bezeichnet – zu erkennen“; weniger Aufmerksamkeit widmen die Straßburger dementsprechend der aristotelischen Lehre von den menschlichen Gemeinschaften (Ehe, Familie, Haushalt) sowie der diese reglementierenden Rechtsordnung. Das dritte Element der Politiklehre des Lipsius besteht in der differenzierten Analyse der Macht und der Machtmittel (Reichtum, Waffen, Ratgeber, Bündnisse), die für ihn wesentliche Untersuchungsobjekte des Philosophen und ‚Politologen‘ sind. Dementsprechend weist er viertens dem Militärwesen und dem Krieg eine zentrale Rolle in der Politik des Fürsten zu, der selbst Feldherr sein soll.121 Die Politiklehre des Lipsius, der im Übrigen zum Katholizismus konvertierte und anschließend mit den Monita et exempla politica (1605) auch eine ebenfalls vielfach nachgedruckte altgläubige Variante seiner politischen Philosophie publizierte, wurde in allen Konfessionen rezipiert. Wirkungsgeschichtlich tritt er deswegen sowohl als Theoretiker des neuzeitlichen Militär- und Machtstaates sowie der Sozialdisziplinierung wie auch als politischer Philosoph der katholischen Reform und Gegenreformation hervor. Im protestantischen Raum trugen das Werk des Lipsius und seine Rezeption in der ‚politica‘ zur 118 Der Neustoizist Lipsius kann hier außer Acht bleiben, da dessen zeitgenössische Bedeutung mehr in der „Rationalisierung der Klugheitslehre“ als relativ autonomem Teil der praktischen Philosophie lag denn in seiner in De constantia vertretenen Lehre von der unerschütterlichen Selbstdisziplin des Geistes, vgl. Dreitzel: Monarchiebegriff (Anm. 3), S. 571. 119 Vgl. die Lipsius-Bibliographie bei Gerhard Oestreich: Antiker Geist und moderner Staat bei Justus Lipsius. Hg. von Nicolette Mout. Göttingen 1989, S. 213‒219. 120 Vgl. Michael Stolleis: Lipsius-Rezeption in der politischjuristischen Literatur des 17. Jahrhunderts in Deutschland (1987). In: ders.: Staat und Staatsräson (Anm. 93), S. 232‒267. 121 Dreitzel: Politische Philosophie (Anm. 87), S. 703f., Zitat S. 704.

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inneren Differenzierung dieser Wissenschaft bei. In seiner Dissertatio de politicis Lipsii (1642) unterschied beispielsweise Boeckler „scharf zwischen der Strukturwissenschaft des Aristotelismus und der Handlungslehre von Lipsius hinsichtlich Methode, Absicht und pädagogischen Nutzens.“122

3. Typen der Straßburger Dissertationen und ihre Respondenten Dissertationen sind – quantitativ gesehen – das Hauptprodukt der Straßburger historischpolitischen Wissenschaft. Nach langem Dornröschenschlaf hat sie die neuere Forschung seit einigen Jahren als „polyvalente Produktionsapparate gelehrten Wissens“ entdeckt und vielfältige Nutzungsmöglichkeiten für die beteiligten Akteure herausgearbeitet.123 Der hier zugrunde gelegte wissenssoziologische Ansatz geht davon aus, dass die Generierung, Ordnung, Verarbeitung und Vermittlung von Wissen im Rahmen von Denkkollektiven oder eben Schulen im oben beschriebenen Sinne geschieht.124 Die Vorstellung vom einsamen Denker, der in seiner Studierstube oder Bibliothek (neues) Wissen hervorbringt, ist eher ein Trugbild. Gerade im Falle der drei Straßburger Leitfiguren kann man feststellen, dass die Studierenden ihre inhaltlichen politischen Interessen mit einbringen konnten. Die Dissertationen vermitteln zum einen daher den besten Eindruck vom kollektiven Lehren und Lernen, von der Reflexion des Wissens sowie seiner Weiterentwicklung. Welche Fragen die Studierenden beschäftigten und worüber sie diskutieren wollten, zeigt sich in den spezifischen Zusammenstellungen von historisch-politischen quaestiones, dann aber auch in der Wahl eines bestimmten Themas für ihre Dissertation. Zum anderen werden auch soziale Dimensionen des Lehrens und Lernens in solchen Drucken mit ihren Paratexten fassbar. Das beginnt bei den Respondenten mit den Fragen nach ihrer Herkunft und ihrem gesellschaftlichen Status. Auf ihre soziale Vernetzung lassen die sogenannten ‚Beiträger‘ schließen, die Verfasser lobender Verse auf den Respondenten, welche den Drucken häufig beigegeben sind. Finden sich unter den Dichtenden neben Mitstudenten etwa auch mehrere Professoren, kann man auf ein gehobenes akademisches und/oder soziales Prestige des Respondenten schließen. Die Dedikationen geben 122 Ebd., S. 705; zur Wirkungsgeschichte vgl. ebd., S. 706, unter Verweis auf verschiedene Untersuchungen Gerhard Oestreichs sowie Robert Bireleys Counter-Reformation Prince (Chapel Hill, NC, London 1990). 123 Gindhart: Disputationen (Anm. 12). Zum Spektrum der Nutzeffekte politischer Dissertationen für Präsiden und Respondenten vgl. Michael Philipp: Politische Dissertationen im 17. Jahrhundert. In: Promotionen und Promotionswesen an deutschen Hochschulen der Frühmoderne. Hg. von Rainer A. Müller. Köln 2001, S. 21–44, hier S. 32–38. 124 Der Ansatz geht auf Ludwik Fleck zurück; vgl. meine Bemerkungen in: Gescheiterte ratio status. Wilhelm von Schröters Dissertatio academica von 1663. In: Dichtung – Gelehrsamkeit – Disputationskultur. Festschrift für Hanspeter Marti zum 65. Geburtstag. Hg. von Reimund B. Sdzuj, Robert Seidel u. Bernd Zegowitz. Wien, Köln, Weimar 2012, S. 540‒562, hier S. 540.

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ebenfalls Aufschlüsse in diese Richtung. Oft handelt es sich bei den hier aufgelisteten Förderern und Mäzenen nämlich um Verwandte und Freunde der Familie des Respondenten, womit dessen Herkunftsmilieu sichtbar wird. Kaum weniger selten werden hier aber auch höhergestellte Persönlichkeiten aus Politik und Gelehrtenwelt nominiert, welche das berufliche Fortkommen des Dissertanten begünstigen sollten. Mit der Benennung von Widmungsadressaten deuteten die Autoren zudem an, welche Personenkreise außerhalb der Universität am präsentierten politischen Wissen (und freilich auch an dem damit verknüpften Studenten) interessiert gewesen seien könnten.125 Ein weiterer Aspekt ist hier das Verhältnis des Respondenten zu seinem Präses. Dieses kann erheblich variieren und muss keineswegs immer als Lehrer-Schüler-Verhältnis ausgebildet sein.126 Schließlich lassen sich anhand von Dissertationen nicht selten Bildungsverläufe oder Wege des Wissenstransfers fassen. Greifbar werden sie, wenn in den Abhandlungen, sei es in den Widmungen oder im Haupttext, auf ehemalige Lehrer verwiesen wird oder wenn unter den zitierten Autoren einzelne Autoritäten mit wertschätzenden Attributen besonders hervorgehoben werden. Joseph Karg aus Augsburg etwa widmet seine Politikdissertation zur staatlichen Kirchenhoheit seinen ehemaligen Augsburger Lehrern am AnnaGymnasium, darunter seinem gleichnamigen Vater. Wenn der Autor-Respondent an die erste Stelle der namentlich Genannten zwei Straßburger Diakone setzt, dürfte er bei der – für die Straßburger Schule ungewöhnlichen – Themenwahl auch berufliche Perspektiven im Hinterkopf gehabt haben.127 Bildungsweg wie Wissenstransfer sind im Legislator 125 Zu den Funktionen von Widmungsadressen vgl. Michael Philipp: Politica und Patronage. Zur Funktion von Widmungsadressen bei politischen Dissertationen des 17. Jahrhunderts. In: Disputatio 1200‒1800. Form, Funktion und Wirkung eines Leitmediums universitärer Wissenskultur. Hg. von Marion Gindhart u. Ursula Kundert. Berlin 2010, S. 231‒268. 126 Philipp: Konstellationen und Kontexte (Anm. 12), S. 94‒96. Nicht selten liegt hier keine asymmetrische Lehrer-Schüler-Konstellation vor, etwa dann, wenn der Präses nur ein fortgeschrittener Student mit Magisterexamen ist (was in Straßburg aber – sieht man von Kaspar Pansa ab – nicht vorkam). 127 Jakob Schaller (Pr.) / Joseph Karg (Resp. et Aut./W): Disputatio politica de iure sacrorum (April, handschriftlich korrigiert zu Mai). Straßburg 1658. Widmungsadressaten sind neben den beiden Straßburgern der Rektor des Anna-Gymnasiums, Matthias Wilhelm, weiter die drei Augsburger Kaufleute Andreas und Markus Huber sowie Sebastian Fingerlin, ferner Karg Senior. – Inhaltlich entwickelt Karg sein Thema von der maiestas und ihren jeweiligen Trägern in den drei Staatsformen her. Grundlegend ist ein aristotelisches Herrschaftsverständnis. Die ‚politica‘ sei eine architektonische Kunst, die dem Souverän (zumindest im Rahmen des Augsburger Bekenntnisses) u. a. die Einsetzung von Magistraten anheimstellt. Problematisch ist das Verhältnis von status ecclesiae und politicus status, das Karg anders deutet als der Straßburger Theologe Johannes Pappus in seinem Kommentar zum Augsburger Bekenntnis (th16‒20). Die Debatte dreht sich um die Frage, ob der Klerus, die ministri ecclesiae, vom Volk, also von der Kirchengemeinde, oder vom Souverän einund auch abgesetzt werden sollen. Abzugrenzen sei das Verständnis der Augsburger Konfession von Kirche und dem ius episcopale denn auch von dem der Puritaner bzw. der Genfer Lehre, die eine destabilisierende Wirkung auf den Staat habe (th31). Die kirchenpolitische Arbeit argumentiert in

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Germanicus des Lüneburger Edelmanns Otto Grote nachzuvollziehen. Als fortgeschrittener Student gehörte er zudem zur kleinen Zahl der Respondenten Boecklers, die sich als Autor ‚ihrer‘ Dissertationen präsentieren durften.128 Dissertationen sind – das ist bei Qualifikationsarbeiten heutiger Studierender ja nicht anders – von recht unterschiedlicher Qualität.129 Daran hatte offenbar der recht großzügige Bernegger Anteil, denn gerade bei einigen der von ihm geleiteten Dissertationen zeigten sich Qualitätsmängel.130 Insgesamt betrachtet sind vielfältige Abstufungen erkennbar. Die Vermutung, dass ein akademisches Erstlingswerk in Umfang und Qualität der Disserihren zentralen Passagen mit einschlägigen Schriften von Johann Gerhard und Benedikt Carpzov (1595‒1666) sowie mit der Bibel. Der akademische Anspruch der 16 Textseiten bzw. 40 Thesen umfassenden Dissertation ist durchschnittlich. 128 Johann Heinrich Boeckler (Pr.) / Otto Grote (Resp. et Aut./W): Legislator Germanicus (März). Straßburg 1659. Der „Eques Luneburgicus“ (ca. 1636‒1693) hatte, wie aus der vorliegenden Dissertation hervorgeht (S. 2 wird Conring als „olim Praeceptor et Fautor“ bezeichnet), zuvor in Helmstedt bei Conring studiert (Immatrikulation im Mai 1652) und dort das Interesse für das gewählte Thema entwickelt. Der Reichsfreiherr wurde braunschweig-lüneburgischer Geheimer Rat, Kammerpräsident und ‚Ambassadeur‘, vgl. Ferdinand Frensdorff: Grote [zu Schauen], Otto [Reichsfreiherr]. In: ADB (Anm. 47), Bd. 9, 1879, S. 758–762, bzw. Widmung zu: Johann Ludwig Behrens: Dissertatio inauguralis de iure clavium. Straßburg 1670. Gewidmet ist seine Dissertation Herzog Christian Ludwig von Braunschweig-Lüneburg (1622‒1665). – Der Legislator Germanicus handelt vom Gesetzgeber im Reich. Grote beginnt mit einem langen Kapitel zum Thema, wer in Deutschland die Gesetzgebungskompetenz innehat, wobei auch die verschiedenen ‚staatlichen‘ Ebenen und spezifische Bereiche der Gesetzgebung berücksichtigt werden (S. 2‒25). In diesem Kontext setzt sich der Autor gleich zu Beginn mit der zentralen Frage der Reichspublizisten auseinander: „Qualis Imperii nostri sit status, an simplex, hoc est Monarchicus vel Aristocraticus, an vero mixtus ex utroque?“ (S. 3). Selbstverständlich wird hier Bodins These von der aristokratischen Staatsform des Reichs kritisch hinterfragt (S.  16). Weitere wichtige Autoritäten neben Conring sind Arnisaeus, Benedikt Carpzov, Balthasar Cellarius, Grotius, Jakob Lampadius und Johannes Limnaeus; auch der geschätzte Präses wird nicht vergessen. Dazu kommen Historiker und die Editoren von Reichsrechtssammlungen. Das Ergebnis ist das bekannte: Die Macht „legum universalium ferendarum in Imperio nostro Germanico penes Caesarem et Status esse simul“ (S. 26), d. h. liege beim Kaiser und den Reichsständen zugleich. Die weiteren Kapitel erörtern die Pflichten dieses Gesetzgebers hinsichtlich der Rechtsnovellierung, die unterschiedlichen Typen des deutschen Rechts (fundamentale und normale Gesetze), das Verfahren der Gesetzgebung und im fünften und letzten Kapitel „Virtus et Prudentia Legislatoris Germanici“. Die 47 Textseiten umfassende Dissertation zum öffentlichen Recht ist von gehobenem akademischem Anspruch und kann als Schlüsselwerk für die spätere Karriere des Lüneburger Ritters gelten (weitere Dissertationen von ihm sind nicht bekannt). 129 Als Qualitätskriterien erachtet werden Umfang und Konzeption der Dissertation, die Qualität der Argumentation sowie das Ausmaß der Einarbeitung von Quellen und Literatur. Die historische Ausrichtung der Politiklehre in Straßburg führte etwa dazu, dass sich viele Dissertationen nur auf antike Autoren stützen, zeitgenössische Politik- und Rechtsgelehrte dagegen nur sporadisch berücksichtigen. 130 Bünger: Bernegger (Anm. 18), S. 310f.: Einige der berneggerschen Sueton-Dissertationen zeigen, „mit wie wenig unter den damaligen Verhältnissen die Fakultät zufrieden war“. „Die Milde der

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tation eines fortgeschrittenen Studierenden, der womöglich eine Karriere als Universitätsgelehrter anvisierte, zwangsläufig hinterherhinkt, geht jedoch fehl. Zwar erfüllt eine vom Professor und Disputationsleiter verfasste, vom Studenten nur verteidigte Abhandlung im Allgemeinen viel höhere Ansprüche als eine Dissertation, welche ein Student der Übung halber ausarbeitete und die der Professor abschließend nur flüchtig durchsah. Doch auch solche Übungsschriften, bei denen Respondenten Anspruch auf Autorschaft erhoben,131 wurden nicht selten gehobenen akademischen Anforderungen gerecht. Das Erstlingswerk des Ulmers Sebastian Otto gehört nicht zu ihnen. Dieser präsentierte sich schon auf der Titelseite seiner Dissertation als „Autor“ und wählte ein für die Elsässer Schule eher untypisches Thema. Seine unter Bernegger vorgestellten Positiones historico-politicae handeln nämlich von den Gesetzen, was sich freilich aus der angestrebten Qualifikation Ottos als Jurist erklärt. Da der Ulmer zu diesem Zweck noch mehrere juristische Disputationen abzuleisten hatte, beließ er es hier bei einer eher anspruchslosen Abhandlung geläufiger Thesen und Fragen zum Rechtswesen, die immerhin aber auf einer durchschnittlichen Literaturgrundlage basiert.132 Otto brachte es im Übrigen zum Ratskonsulenten, Syndikus Strassburger Prüfungen wurde bald berüchtigt“, so dass die Fakultät sich des Eindrucks erwehren musste, „magistros misericordiae“ zu produzieren. 131 Vgl. allgemein Hanspeter Marti: Von der Präses- zur Respondentendissertation. Die Autorschaftsfrage am Beispiel einer frühneuzeitlichen Literaturgattung. In: Examen, Titel, Promotionen. Akademisches und staatliches Qualifikationswesen vom 13. bis zum 21.  Jahrhundert. Hg. von Rainer Christoph Schwinges. Basel 2007, S. 251–274. 132 Matthias Bernegger (Pr.) / Sebastian Otto (Resp. et Aut./T): Positiones historico-politicae de legibus (Februar). Straßburg 1627. Otto (1607‒1678) studierte Rechtswissenschaft in Straßburg, Tübingen, Ingolstadt und Basel und verteidigte in den Folgejahren unter Christoph Besold eine Disputatio iuridica de iure monetarum (Tübingen 1628), unter Erasmus Ungepaur die juristische Disputatio circularis de syndico (Tübingen 1629) und schließlich in Basel seine Disputatio inauguralis de emtione-venditione (1631). Zur Biographie: August Eisenhart: Otto, Jakob. In: ADB (Anm. 47), Bd. 24, 1887, S. 755. – Seine Positiones de legibus umfassen immerhin 12 Textseiten. Sie enthalten zwei Widmungen: Der Autor und Respondent adressiert die seinige an den Ulmer Gymnasiallehrer Johann Baptist Hebenstreit sowie u. a. an den Pastor Josef Gufer und den „Gymnasii Ulmensis moderator“ Johann Georg Nachtigal. Eine zweite, zwei Seiten umfassende Zuschrift an denselben Hebenstreit verfasste der Präses Bernegger. Die insgesamt 16 Positionen De legibus thematisieren Gemeinplätze der politischen Rechtslehre. Die Gesetze, die auch aus schlechten Sitten hervorgehen können (p5), sollen gut und nicht zahlreich sein (p7) und sind den Zeitverhältnissen und dem Nutzen der Untertanen anzupassen (p8). Der Souverän, summus princeps, ist an göttliches und Naturrecht sowie an das Völkerrecht gebunden (p9‒12), und auch die Fundamentalgesetze haben für ihn bindende Wirkung (p14). Die Zivilgesetze habe er zwar zu beachten, sei aber ihrer Strafwirkung nicht unterworfen. Nur der letzte Abschnitt geht auf eine Regelungsmaterie ein, nämlich die leges vestiariae zur Wahrung der ständischen Unterschiede, welche in Reichspolizeiordnungen wie auch in Polizeiordnungen der Städte Augsburg, Nürnberg und Frankfurt enthalten sind. Das Leitbild der am Recht orientierten Regierung findet in der dritten positio („Rempubl. praestat ab optima lege, quam arbitrio Regis administrari“) seinen Ausdruck. Otto zitiert mehrheitlich antike Autoritäten, zumeist die Historiker Tacitus, Sallust sowie Cicero. Als neuere Autoren finden sich Lip-

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und Scholarchen in Ulm, der mehrfach als Gesandter auf Reichstagen und bei den Friedensverhandlungen zu Münster und Osnabrück tätig wurde. Dissertationen angehender gelehrter Räte, die sich beispielsweise im Rahmen ihrer Bildungstour an der einen oder anderen Universität mit ihrem Wissen präsentieren wollten, zeichnen sich jedoch regelmäßig durch gehobene Qualität aus. Neben dem eben genannten Otto Grote ist hier der Ungar Balthasar Frisowitz zu nennen, der sich 1627 bei der Vorstellung seiner Dissertation über den Adel in der Endphase seines Studiums befand. Auch er studierte die Rechte und präsentierte sich wie Otto auf dem Titelblatt als Autor der Schrift, deren Thema zudem enge Bezüge zur Person des Verfassers aufweist: Frisowitz war nämlich ein „Nobilis Hungarus“.133 Seine Schrift wirbt nicht zufällig für das Leitbild eines sich durch Bildung und Leistung qualifizierenden Adels, dessen gesellschaftlicher Status auch durch Armut nicht beeinträchtigt werde. Sie stellt mit ihren 24 dicht bedruckten Textseiten zudem eine äußerste Belesenheit verratende, mit einer Fülle an Literatur argumentierende Abhandlung von hohem akademischem Niveau dar.134 sius (p4), Bodin (p8), Eberhard von Weyhe (p11), Alberico Gentili (p14) sowie Gregor Richter und Jakob Bornitz (p16), ohne dass ein prägender Einfluss erkennbar wird. Einzig Bodin erfreute sich bei Otto als „Politicorum egregius“ besonderer Wertschätzung. 133 Matthias Bernegger (Pr.) / Balthasar Frisowitz (Resp. et Aut./T): Dissertatio de nobilitate, id est de nobilitatis virtutibus, immunitatibus, privilegiis, et honoribus etc. (Juni). Straßburg 1627. Dass sich der ungarische Adlige Frisowitz (Frisovic) aus Neusohl in der Endphase seines Studiums befand, geht aus der Widmung hervor, welche der Präses verfasste. Bernegger wendet sich darin an den ungarischen Freiherrn Franciscus Listius (Liszt), der etwa zehn Jahre zuvor selbst die Universität Straßburg besucht, 1616 unter Bernegger Quaestiones politicae zum Agricola des Tacitus vorgestellt hatte und bei Lehrern wie Schülern noch in bestem Andenken stehe; eine Reihe weiterer Adeliger seien dem Beispiel des Listius gefolgt. – Wichtig als biographischer Hintergrund auch für Frisowitz: Der Widmungsadressat Listius war Rat von Gábor Bethlen (um 1580–1629), dem Fürsten von Siebenbürgen und Anführer anti-habsburgischer Aufstände. – Unter den Schülern, die jetzt die Elsässer Hochschule besuchen, sei Frisowitz einer der vorzüglichsten. Dieser habe seinen Bildungsweg an den Gymnasien in Leutschau und in Sárospatak begonnen, wo er mit Johannes Listius, einem Bruder des Franz, Freundschaft geschlossen habe. Von da aus führte ihn sein Weg nach Elbing ans dortige Gymnasium, dann an die Universität in Frankfurt/Oder. Hier widmete sich der ungarische Nobilis mehr als zwei Jahre dem Studium der Beredsamkeit und der Rechte. Eine Disputatio iuridica de successione ab intestato erschien ebenda 1624; Präses war Matthias von Krockow, ein „Nobilis Pomeranus“. 1625 und 1626 publizierte Frisowitz ebenfalls in Frankfurt/Oder zwei Reden, darunter De clementia et iustitiae temperamento oratio. Endlich kam er nach Straßburg, um nun neben den Rechten auch Geschichte und Politik zu studieren. Außer der Dissertatio de nobilitate veröffentlichte der Ungar im gleichen Jahr die 200seitige Schrift Gymnasma Argentoratense de praecipuis requisitis consiliarii conscriptum (Straßburg 1627), die auch als Bewerbungsschreiben um eine Stelle als fürstlicher Rat zu lesen ist. 134 Die Dissertation kreist um die zeitgenössische Stellung und Bedeutung des Adels. Leitbild ist eine sich nicht nur durch Abstammung legitimierende Nobilität. Diskutiert wird unter anderem die Frage der wirtschaftlichen Betätigung des Adels (th47f.). Gleich im Anschluss daran konstatiert der ungarische Adlige, dass zum einen „Paupertas non tollit Nobilitatem“ (th50), zum anderen auch

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Nicht unerheblich für die Qualität von Dissertationen ist die Tatsache, dass die meisten adeligen und etwa die Hälfte aller bürgerlichen Respondenten während ihres Studiums nur eine einzige Disputationsschrift in Druck gegeben haben.135 Wer nur einmal die Mühen und – nicht unerheblichen – Kosten dafür aufzuwenden plante, legte sich bei der inhaltlichen Ausarbeitung wohl ordentlich ins Zeug. Das gilt auch für die hier einschlägigen, unter Bernegger, Schaller und Boeckler verteidigten Dissertationen: Beinahe exakt die Hälfte der knapp 180 Respondenten hat sich nur einmal auf einem Titelblatt verewigt.136 Vereinfacht kann man vier Typen und Qualitätsstufen unterscheiden, wobei im hier untersuchten Zeitraum ein genereller Trend hin zu themenspezifischen wie auch umfangreicheren und akademisch anspruchsvolleren Dissertationen zu beobachten ist. Dem untersten Niveau sind die Thesendissertationen zuzuordnen. Auf wenigen Druckseiten und teils ohne übergreifenden thematischen Zusammenhang reihen hier die Verfasser einfach Satz für Satz aneinander, ohne dass Erläuterungen und Literaturbelege beigefügt sind. Dieser Typ tritt vornehmlich in den ersten beiden Jahrzehnten der Straßburger historischpolitischen Schule auf. Von politischer Reflexion kann hier kaum die Rede sein, was freilich keineswegs für den mündlichen Akt der disputatio gelten muss, dem die Thesendrucke als Diskussionsgrundlage dienten. Es scheint, als habe man in dieser Phase solchen Publikationen, weder was den Inhalt noch was die mögliche Außenwirkung anbelangt, einen hohen Stellenwert beigemessen. Die erwähnten Dissertationen Berneggers zur Politik des Lipsius und zu Kirchners Legatus, aber auch viele der aus vermischten historischpolitischen Fragen oder positiones bestehenden Schriften bewegen sich auf diesem bescheidenen Niveau.137 Die zeitlich spätesten Beispiele sind zwei Dissertationen des agricultura, also das Betreiben von Landwirtschaft, die nobilitas nicht mindere (th51). Wie unschwer erkennbar, spricht Frisowitz pro domo, skizziert damit aber zugleich die problematische Situation von (adeligen) Flüchtlingen. Wie bei so vielen der aus der Heimat ausgewanderten Studierenden ist über seinen weiteren Lebensweg nichts bekannt. Sollte er trotz großer Gelehrsamkeit und Fachwissen auf dem Arbeitsmarkt für gelehrte Räte keine Beschäftigung gefunden haben? 135 Dies gilt zumindest für die Politikdissertationen; vgl. Michael Philipp: Berufsperspektiven von Politikstudenten des 17. Jahrhunderts. In: Bilder – Daten – Promotionen. Studien zum Promotionswesen an deutschen Universitäten der frühen Neuzeit. Hg. von Rainer A. Müller. Stuttgart 2007, S. 126–149, hier S. 139f. 136 Die Zahlen – bei den Bernegger-Respondenten waren es 31 von 56, bei denen Schallers 30 von 60 und bei denen Boecklers 26 von 60 – sind, wie immer, mit Vorbehalt aufzunehmen, da in den Bibliotheken Europas sicher noch die eine oder andere einschlägige Dissertation zu entdecken ist. Bei Respondenten mit geläufigen Vor- und Nachnamen war gelegentlich eine exakte Zuordnung nicht möglich. Eine Mehrzahl der anderen Respondenten hat mindestens noch eine juristische Dissertation verteidigt oder aber mehrfach unter einem der drei Präsiden Arbeiten vorgelegt. 137 Zum Inhalt der Lipsius-Dissertationen vgl. oben, Anm. 34. Die Autoren-Respondenten bieten zumeist nur thesenartige Inhaltsangaben auf jeweils etwa zehn Textseiten. Analytische Gedanken fehlen; die Einarbeitung einschlägiger Literatur unterbleibt. Zu den ‚quaestiones‘ bzw. ‚positiones politicae‘ betitelten Dissertationen vgl. das Folgende.

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Schlesiers Thomas Antonius, die dieser 1648 kurz nacheinander unter Schallers Ägide präsentierte. Ihm scheinen Zeit und Geld für eine gründlichere Ausarbeitung gefehlt zu haben, so dass seine Dissertation über die prudentia iudiciaria und die politischen Aphorismen über den consiliarius sehr knappe Schriften wurden, die zudem fast jeglichen Quellen- und Literaturverweis vermissen lassen.138 Die nächste Stufe bilden Abhandlungen, die zu ihren Themen zwar eine Konzeption entwickeln, in ihrer gedanklichen Durchdringung aber eher oberflächlich und im Umfang – um die 10 bis 15 Seiten – recht knapp bleiben. Auch die Einarbeitung von Quellen und Literatur ist bei diesem Typ eher dürftig und wenig reflektiert. Solche Texte gehen dementsprechend auch nicht auf Kontroversen der Forschung ein und verzichten auf Kritik an oder gar Polemik gegenüber Autoritäten. Man wird den Verfassern unterstellen dürfen, dass sie mit einer solchen Dissertation keine weiterführenden akademischen Ambitionen verknüpften. Wohl aber konnte so ein Grundwissen unter Beweis gestellt und der Pflicht, sich im Rahmen des Studiums dem akademischen Publikum mit einer Disputation zu präsentieren, Genüge getan werden. Beispiele sind die Abhandlungen über den Gesandten von Johann Hippolyt Eisenmenger und von Andreas Perlowitz über den bonus civis, bei denen Bernegger präsidierte.139 Nur wenig anspruchsvoller fiel die unter Schaller präsen138 Jakob Schaller (Pr.) / Thomas Antonius (Resp.): Disputatio publica de prudentia iudiciaria (März). Straßburg 1648; Jakob Schaller (Pr.) / Thomas Antonius (Resp.): Aphorismi politici de consiliariis (April). Straßburg 1648. Beide Dissertationen füllen gerade einmal je sechs Textseiten und haben keinen wissenschaftlichen Apparat. Die erste Schrift ist eine reine Thesensammlung, und auch die politischen Aphorismen sind recht oberflächlich und inhaltlich enttäuschend. Einziger Beiträger ist hier der Theologiestudent Georg Sebizius aus Schlesien, der mit Antonius, einem späteren Geistlichen, studiert haben dürfte. Antonius aus Neiße („Nissa“) in Schlesien hatte zuvor in Wittenberg studiert und dort eine Disputatio physica de intellectu (Wittenberg 1646) unter dem Magister Christian Trentsch, einem Adjunkten der philosophischen Fakultät, vorgestellt. Eigentlich gehörte er damit zu den fortgeschrittenen Studenten. Die dürftige Qualität seiner Straßburger Arbeiten könnte sich damit erklären, dass er für die Wittenberger Dissertation, die eine ausgearbeitete Argumentation und einen Belegapparat enthält, bereits größeren Aufwand betrieben hatte. In Straßburg beschränkte sich Antonius vermutlich darauf, im mündlichen Disputationsakt zu ‚brillieren‘, während ihm die schriftliche Ausarbeitung der Thesen nicht mehr so wichtig war. 139 Matthias Bernegger (Pr.) / Johann Hippolyt Eisenmenger (Resp. et Aut./W): Dissertatio historicopolitica de legato (April). Straßburg 1626. Die 55 Thesen auf acht Textseiten bleiben, obgleich gelegentlich Seneca oder Plutarch zitiert werden, ohne Autoritätsbelege. Der „Author et Respondens“ Eisenmenger aus Heidelberg widmete die Dissertation zwei Straßburger Räten mit juristischem Grad (Johann Helfenstein und Ernst Heisius) sowie zwei Verwandten (Johann Friedrich Heisius und Johann Zincgref ). Er erwarb einige Jahre später den juristischen Doktorgrad: Johann Hippolyt Eisenmenger (sine praeside): Dissertatio iuridica inauguralis de bonis paraphernalibus (Mai). Straßburg 1640. ‒ Matthias Bernegger (Pr.) / Andreas Perlowitz (Resp.): Disputatio politica de veris ac genuinis boni civis notis, bonique reipubl[icae] moderatoris requisitis, ex quibus tali fortuna dignus judicetur (Januar). Straßburg 1629. Diese 10 Textseiten umfassende Arbeit erfüllt keine nennenswerten akademischen Ansprüche. Sie stellt nur Thesen zusammen und gibt dazu keine Quellen oder Autoritäten an. Es handelt sich um die zweite Disputation des Ungarn Perlowitz, die dieser unter

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tierte Dissertation des Johann Peter Pflüger über Scipio Africanus aus; sie stellt eine Art Fürstenspiegel dar, der nicht ohne karriereorientierte Hintergedanken mehreren Grafen gewidmet ist.140 Mehr Mühe bezüglich der Einarbeitung von Literatur bekunden die RespondentenDissertationen des nächsten Typs, dem sich ein Großteil der hier analysierten Arbeiten zuordnen lässt. Diese kennzeichnet eine gründlichere Argumentation zum gewählten Thema, das nun auf etwa 20 bis 30 Textseiten ausgearbeitet ist. Die Dissertation des Darmstädters Bernhard Jakob Wagner über Staat und Staatsformen entspricht gerade eben dem Status einer solchen durchschnittlichen Arbeit, auch wenn sie in ihren inhaltlichen Ausführungen gemessen am Wissensstand ihrer Entstehungszeit (1671) doch noch recht oberflächlich bleibt.141 Eine in der Qualität ähnliche Arbeit ist die Exercitatio politica de clementia principis vom November 1643, die auf 24 Textseiten eine brauchbare Analyse der fürstlichen Milde bietet. Ihr ‚Autor‘, der Straßburger Johann Jakob Bentz, rekurrierte dabei aber fast ausschließlich auf antike Texte.142 Thematisch vergleichbare Arbeiten, die Bernegger verteidigte; eine erste mit Conclusiones politicae aus dem Leben des Kaisers Augustus war 1628 publiziert worden und ist mit 16 Blatt wesentlich umfangreicher. Seine zweite Dissertation widmete er dem Juristen und Syndikus der Stadt Pressburg, Jakob Szelecki, einem weiteren Ungarn (Martin Schödel) sowie vier Wiener Honoratioren. 140 Jakob Schaller (Pr.) / Johann Peter Pflüger (Resp. et Aut./T): Scipio Africanus, hoc est comitatis speculum (September). Straßburg 1665. Pflügers Porträt des Scipio Africanus stellt die comitas in den Mittelpunkt und bleibt mit ihren zehn Textseiten recht knapp. Der historisch-moralphilosophisch argumentierende Text stützt sich fast nur auf antike Literatur, die zudem recht ungenau zitiert wird. Der akademische Anspruch ist damit und im Vergleich zu anderen Dissertationen dieser Zeit doch eher unterdurchschnittlich. Der sich auf der Titelseite als „Autor“ präsentierende Pflüger widmet die Dissertation mehreren Grafen von Hanau und Zweibrücken, unter anderem Friedrich Casimir (1623‒1685), der sich durch Schulgründungen bildungspolitisch engagierte. Dieser Graf stammte wie Pflüger aus Buchsweiler, einer Residenzstadt der Grafschaft. Weitere bio-bibliographische Informationen zu Pflüger waren zwar nicht zu ermitteln, doch darf man hinter seinem ‚Spiegel fürstlicher Freundlichkeit‘ Ambitionen auf ein berufliches Fortkommen in der Grafschaft vermuten. 141 Jakob Schaller (Pr.) / Bernhard Jakob Wagner (Resp. et Aut./W): Ex politicis, de republica, eiusque speciebus (März). Straßburg 1671. Wagners Abhandlung hat ein klassisches Thema der aristotelischen ‚politica‘ zum Gegenstand, das 1671 aber schon etwas angestaubt wirkt. Neben Monarchie und Aristokratie wird von ihm als dritte Staatsform die „Politia“ behandelt, die er wie der „Excell.“ Balthasar Cellarius von der Demokratie als deren schlechter Abart abgrenzt. Autoritäten neben Cellarius sind Arnisaeus, Junius (s. Anm. 4), Christian Liebenthal, Heinrich Velsten, Thomas Lansius und andere mit ihren schon mehrere Jahrzehnte alten Werken. Mit ihren 20 Textseiten bleibt dieser Thesendruck im Vergleich mit anderen Arbeiten dieser Zeit argumentativ sehr konservativ und eher undifferenziert. Über den Respondenten, der seiner Arbeit anscheinend keine Widmung beigegeben hat, waren keine weiteren biographischen Informationen zu ermitteln. 142 Jakob Schaller (Pr.) / Johann Jakob Bentz (Resp. et Aut./W): De clementia principis exercitatio politica (27. November). Straßburg 1643. Der Straßburger Bentz präsentierte diese Thesenschrift als Autor und widmete sie dem Straßburger „Ἀρχιγραμματεῖ“ Nikolaus Iunta. Er beginnt mit der

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hinsichtlich der verwendeten Literatur jedoch breiter aufgestellt sind, legten die AutorRespondenten Adam Schile und Johann Baptist Schwopius unter der Leitung Berneggers vor.143 Neben solchen Fürstenspiegel-Dissertationen bewegen sich auch viele der in Straßburg besonders beliebten Arbeiten über antike ‚Staatsmänner‘, viri illustres, auf diesem Qualitätsniveau.144 Des Weiteren wäre eine Dissertation zum gleichfalls populären Genre der ‚Bildungsreise‘ hier einzuordnen. Ihr Autor, der Straßburger Beamtensohn Johann Strohecker, erörtert in seiner Quästionendekade geläufige Fragen des Reisens und bezieht dabei sogar Dissertationen von Kommilitonen ein.145 Ein letztes hier einschlägiges Beispiel Darstellung des finis externus (dies sei das Gemeinwohl) und den interni fines clementiae, worunter er unter anderem die regni firmitas, securitas und gloria subsumiert. Ein zweiter Sinnabschnitt erläutert, wie die clementia principis mit der iustitia und mit metus bzw. timor in Einklang zu bringen (th14–19) und was bei der Ausübung der clementia zu meiden sei (th20–28), nämlich die beiden Extreme crudelitas und lentitudo. Im Zentrum stehen die verschiedenen Ausprägungen der clementia: beneficentia und liberalitas (th30–41), die insbesondere in „nova imperia“ zur Festigung der Herrschaft geboten seien (th33 in Rekurs auf Tacitus, Annalen 1.2), sodann „dißimulatio“ (th42– 45), indulgentia (th46–50) und lenitas (th51–56) sowie als „quinta et ultima“ jene „species, quae in raritate poenarum sita est“ (th57‒61). Auch dissimulatio und lenitas seien im Übrigen speziell bei neu erworbenen Gebieten bzw. „in novis belloque subactis subditis“ (th55) wichtige ‚Tugenden‘ zur Festigung der Fürstenherrschaft. Bentz beschränkte sich auf die Auswertung antiker Autoren wie Seneca, Polybios, Sallust und vor allem wieder Tacitus. Einziger neuzeitlicher Autor ist Lipsius, der regelmäßig zitiert wird. Dementsprechend dominieren die Exempel der Römerzeit, etwa das des mehrfach genannten Kaisers Tiberius. Der wissenschaftliche Anspruch ist damit annähernd durchschnittlich. Die auf Konsens ausgerichtete Argumentation blendet Kontroversen und Konflikte um das Thema weitgehend aus. Die Zurückweisung der „Machiavellistarum opinio“ (th16), dass Herrschaft auf Furcht (metus) bauen solle, ändert an diesem Bild wenig. Der Autor meint, dass zwar ein „metus temperatus“ im Sinne der „Imperii et potentiae firmitas“ durchaus sinnvoll sei, nicht jedoch eine durch Grausamkeit erzeugte Furcht. Derartiger Terror lasse Fürsten zu Tyrannen werden, die sich nach der falschen Maxime „oderint, dum metuant“ (mögen sie mich hassen, wenn sie mich nur fürchten) an der Herrschaft zu halten trachteten. Tatsächlich gefährdeten sie damit ihre Sicherheit, weshalb solche Tyrannenherrschaften nicht lange währten. Eine mit Terror einhergehende Herrschaft erzeuge bei den Untertanen nämlich Hass, aus dem Rebellion erwachse (th18f.). Mit der Fokussierung auf Sicherheit und Herrschaftsstabilität als den Zielen der clementia principis, die zudem mit maßvollem „metus et terror“ vereinbar sei, fügt sich das hier präsentierte Leitbild des Fürsten in die Tradition späthumanistisch-tacitistischer Fürstenspiegel, das in Lipsius seinen Hauptverfechter hatte. Bentz strebte eine juristische Qualifikation an und verteidigte 1651 folglich eine Inauguraldissertation De casu fortuito […] ex decreto et authoritate […] ictorum ordinis. 143 Auf ihre Dissertationen wird im nächsten Teil (4.2.) eingegangen. 144 Dazu gehören die Abhandlungen der Autor-Respondenten Paul Reichard (Themistocles, 1644), Johann Jakob Gambs (Epaminondas, 1644), Michael Riebel (Agesilaus, 1644), Ernst Bogislav Moscherosch (Alcibiades, 1655) und Georg Briel (Lysander, 1658); vgl. oben mit Anm. 140. 145 Matthias Bernegger (Pr.) / Johann Strohecker (Resp. et Aut./W): Decas historico-politicarum de peregrinatione quaestionum (Juli). Straßburg 1624. Strohecker erörtert insbesondere die Zuträglichkeit und Nützlichkeit des Reisens hinsichtlich verschiedener Personengruppen: Adelige, Studierende, Menschen aus niederen Ständen, Senioren, Kinder und Jünglinge. Die vorletzte der Fragen-

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ist die zwar nicht originelle, aber recht solide Arbeit des Nördlingers Vitus Ulrich Güntzler über die Spielarten der Demokratie. Sie basiert wesentlich auf der Politik des Aristoteles, profitierte aber auch vom Jenaer Paul Slevogt und von Anregungen Boecklers.146 Auf den ersten Blick scheint auch eine Reihe von Dissertationen Boecklers diesem dritten Typ zu entsprechen, da sie in Umfang und wissenschaftlichem Belegapparat den vorgenannten Beispielen ähneln. Genauer betrachtet handelt es sich bei diesen räsonierend und essayistisch geschriebenen Arbeiten um innovative Präsesdissertationen, in denen Boeckler bislang nicht oder nur selten eigenständig erörterte Materien analysierte. Typisches Beispiel hierfür ist die Disputatio de potentia civitatum, eine 26 Textseiten umfassende Dissertation, die auf Literaturverweise weitgehend verzichtet.147 Gleiches gilt für seine Disquisitio politica zum dominium eminens, die Resultat der Beschäftigung mit dem Hauptwerk des Hugo Grotius ist.148 Boeckler nutzte das Format der Dissertation dazu, Themen ausführlicher zu dekade streicht mit stolzer Brust Deutschland als vornehmstes Reiseziel in Europa heraus, nicht zuletzt wegen seiner Vielzahl an blühenden Hochschulen. Die 23 Textseiten umfassende Schrift kennt die Standardliteratur zur Politik und zur Apodemik. Unter den Zitierten finden sich zudem die „Herren“ Daniel Gruber und Wilhelm Besserer, die sich einige Jahre zuvor in ihren Dissertationen mit der peregrinatio beschäftigt hatten. Vgl. zu Besserer unten mit Anm. 162. Die meistgelesene Straßburger Arbeit zu diesem Thema stammt vom Österreicher Gruber: Matthias Bernegger (Pr.) / Daniel Gruber (Resp. et Aut./W): Discursus historico-politicus de peregrinatione studiosorum (Mai). Straßburg 1619 (weitere Auflagen: 1625, Jena 1680, Jena 1714). 146 Jakob Schaller (Pr.) / Vitus Ulrich Güntzler (Resp. et Aut./W): Disputatio politica de speciebus democratiae (Februar). Straßburg 1659. Der Nördlinger beginnt mit der Diskussion unterschiedlicher Definitionen von Demokratie und hält sich hier ausnahmsweise nicht an Aristoteles, sondern an Balthasar Cellarius. Demzufolge finde sich eine Volksherrschaft da, „ubi multitudo seu plebs summam habet potestatem et suam respicit utilitatem“; eine Reduktion der Herrschaftsträger auf „liberi et pauperes“ hält Güntzler für problematisch (S. 2; beide Definitionen werden auch in griechischer Sprache wiedergegeben). Auch verteidigt er die ‚Masse‘ bzw. die plebs gegen den Vorwurf, wie Barbaren und Tiere zu agieren. Die Differenzierung von Armen und Reichen sei für die Bestimmung der Demokratie wie auch allgemein für die Analyse der Staatsformen unerheblich. Den Hauptteil der Dissertation bildet eine an die Politik des Aristoteles angelehnte Beschreibung unterschiedlicher Demokratietypen. Demnach differieren Demokratien je nach Zusammensetzung des demos aus Reichen, Armen bzw. Mittellosen und der Mittelschicht bzw. aus Bauern, Handwerkern, Kaufleuten oder Händlern und anderen Berufsgruppen. Deren unterschiedliche Gewichtung prägt den Gesamtcharakter der Gesellschaft, woraus notwendig Varianten der Demokratie resultierten. Nach diesen Vorbemerkungen wird das Spektrum der fünf Demokratietypen vorgestellt, von den gemäßigten Varianten bis zur extremen „quinta […] species“, die nicht mehr die Bezeichnung „respublica“ verdiene. Vgl. Henning Ottmann: Geschichte des politischen Denkens. Bd. 1: Die Griechen. Teilband 2: Von Platon bis zum Hellenismus. Stuttgart, Weimar 2001, S. 205‒207; C. I. Papageorgiou: Four or five Types of Democracy in Aristotle? In: History of Political Thought 11, 1990, S. 1‒8. 147 Vgl. dazu unten, Abschnitt 4.7. 148 Johann Heinrich Boeckler (Pr.) / Michael von Oppenbusch (Resp.): Disquisitio politica de dominio eminente (März). Straßburg 1659. ‚Dominium eminens‘ bezeichnete die Kompetenz des Staates

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analysieren, die ihm im Rahmen seiner Kommentierungen der Werke des Tacitus und des Hugo Grotius als bedeutsam aufgefallen waren, die er dort aber nicht mehr berücksichtigen konnte.149 In diese Sparte fällt auch die kommentierende Erläuterung weniger bekannter antiker Texte, etwa des Iosephus des Philo, den Boeckler erstmals eigenständig würdigte.150 zum Eingriff in das Eigentumsrecht der Bürger im Dienste des Gemeinwohls, der im Falle des Staatsnotstandes in Form von Steuern und Abgaben, aber auch durch Enteignung und Konfiskation geschehen konnte. Wenige Monate zuvor war das Thema in Wittenberg durch Johann Friedrich Horn erstmals im Rahmen einer Politikdissertation behandelt worden. Johann Friedrich Horn (Pr.) / Johann Georg Calov (Resp.): Ex politicis dominium supereminens (Oktober). Wittenberg 1658. Boecklers Respondent war ein angehender Geistlicher, der zuvor in Rostock und Wittenberg studiert und bereits den Magistergrad erworben hatte. Vermutlich hatte er die Wittenberger Disputation miterlebt. Grotius (Ius belli et pacis, im Folgenden IBP) hatte das dominium eminens, wie der Straßburger einleitend feststellt, den „Maiestatis jura“ zugerechnet (IBP 1.3,6). Es sei jenes Recht, das die „Civitas […] in Cives et res Civium ad usum publicum“ habe und das die Inhaber der höchsten Staatsgewalt „utilitatis publicae causa“ gebrauchen; ebd. S. 1. Boeckler formuliert dazu eine Reihe weiterführender Fragen (etwa S. 4 nach der utilitas publica oder S. 5 nach dem Unterschied zwischen imperium und dominium), die er in Anlehnung an Grotius sowie die einschlägigen Werke von Arnisaeus, Bodin und Johannes von Felden entwickelt und mit Beispielen aus der alten und neueren Geschichte erörtert. Zu Horns Dissertation vgl. Christoph Link: Herrschaftsordnung und bürgerliche Freiheit. Grenzen der Staatsgewalt in der älteren deutschen Staatslehre. Wien 1979, S. 170‒174. 149 Beispiele zur Tacitusrezeption durch Boeckler sind die erwähnten Dissertationen über die Beredsamkeit des Politikers (vgl. Anm. 59) und über die notitia reipublicae (vgl. Anm. 76). Dazu kommt jene über die Hindernisse des Friedens und eine über die Wahl des Herrschernachfolgers: Johann Heinrich Boeckler (Pr.) / Johann Nikolaus Pistorius (Resp. et Aut./T): Commentatio super Corn. Taciti 2. historiarum, 37. et 38. de impedimentis pacis, in statu rei publicae, vitiis corrupto, et civilibus armis aestuante, praesertim Romano, certantibus de principatu Othone et Vitellio (September, handschriftlich korrigiert zu 3. Oktober). Straßburg 1640; Johann Heinrich Boeckler (Pr.) / Johann Ulrich Pregitzer (Resp.): Comitia imperii sive electio successoris describente C. Cornelio Tacito 1. histor. 12. et seqq. (Mai). Straßburg 1667. Aus Boecklers Arbeit am Werk des Grotius gingen hervor: Johann Heinrich Boeckler (Pr.) / Johann Zech (Resp.): De eo, quod civitas egit [zu Grotius IBP 2.9.] (Januar). Straßburg 1660; Johann Heinrich Boeckler (Pr.) / Johann Ulrich Pöckh (Resp.): Miles captivus (Februar). Straßburg 1660; Johann Heinrich Boeckler (Pr.) / Johann Sibrand (Resp.): Quies in turbis sive societatis bellicae declinatio (September). Straßburg 1660. Auch bei diesen Dissertationen beanspruchte mit Ausnahme des Lothringers Pistorius keiner der Respondenten Autorschaft. 150 Johann Heinrich Boeckler (Pr.) / Johann Adam Otto (Resp.): Iosephus Philonis, sive βίος πολιτικοῦ, vita viri civilis (März). Straßburg 1660. Der Respondent Otto (1640‒1703) entstammte einer Ulmer Juristenfamilie. Er widmete die Arbeit (1.) dem Rechtsgelehrten Markus Otto, einem Verwandten sowie Rat und Advokat in Straßburg, (2.) dem Theologen Johann Konrad Dannhauer und (3.) dem Vater Sebastian Otto, gleichfalls einem Rechtsgelehrten, Ulmer Rat und Advokaten (vgl. oben mit Anm. 132). Als Gratulanten würdigen den Respondenten der Professor für orientalische Sprachen Balthasar Scheidt, der Rhetorikprofessor Robert Königsmann und der junge Magister Elias Veiel, der 1656 unter Boeckler disputiert hatte und zum führenden Ulmer Theologen werden sollte

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Es ist daher sinnvoll, solche Präsesdissertationen als eigenständigen Haupttypus gesondert neben die hier skizzierten Typen von Respondentendissertationen zu stellen. Den vierten Typus bilden Respondentendissertationen, die durch inhaltliche Ausführlichkeit, argumentative Dichte und eine Vielzahl von Literaturverweisen eine intensive Beschäftigung mit dem gewählten Thema einschließlich der hierzu einschlägigen Publikationen erkennen lassen. Solche um 30 bis 40, gelegentlich sogar 80 Textseiten umfassenden Schriften zeigen zwar graduelle Unterschiede hinsichtlich der Konsistenz der Gedankenführung auf, stellen aber insgesamt gleichwohl eine hohe akademische Qualifikation sowie nicht selten auch berufliche oder politische Ambitionen der Verfasser deutlich unter Beweis. Der Discursus historico-politicus zum Gerichtswesen des späteren Rothenburger Bürgermeisters Georg Albrecht wurde erwähnt.151 Gut fassen lässt sich ein zielgerichteter Ehrgeiz auch bei Cornelius Schmidt, in dessen Arbeit sich der Erfahrungshintergrund des Vaters, eines Verwaltungsbeamten der Grafschaft Hanau, wie auch qualifizierte Ambitionen auf eine solche Stellung artikulieren.152 Seine Dissertation über die Gründung und Einrichtungen einer Stadt ist mit ihren fast 80 Seiten zudem eine besonders umfangreiche Fleißarbeit. Schmidt stellt ausgehend von sakralen und öffentlich-profanen Gebäuden das ganze Aufgabenfeld städtischer Infrastruktur- und Ordnungspolitik vor. Das Spektrum reicht von Kirchen, Schulen und Bibliotheken über Rathäuser, Gerichtsgebäude, Gefängnisse und Wehrbauten bis hin zu Brunnen, Bädern, Latrinen sowie zwei Reihen von aedificia, welche der sozialen Fürsorge und öffentlichen Vergnügungen dienen. Mit den Funk-

(vgl. oben mit Anm. 63). Otto studierte später Theologie in Tübingen und wurde Pfarrer; vgl. Johann Adam Otto: Schuldige Pflicht/ Welche Als Dem Edlen […] Christian-Friedrich Melbern/ […] Seinem […] hochgeehrten Patron und Foerderer/ Auff vorhergehende ordentliche Wahl und folgende Churfuerstl. Saechs. gnaedigste Confirmation, am 1. Decembr. des 1672sten Christ-Jahres/ Das Stadt:Richter:Ambt daselbst […] conferiret und auffgetragen ward/ Aus Dienst-Vetterlicher Gebuehrniß abstattete Johann-Adam Otto. Zwickau 1672. – Gegenstand der Dissertation ist die Schrift Über Joseph oder Lebensbeschreibung des Staatsmannes (βίος πολιτικοῦ) des jüdischen Philosophen Philon von Alexandria (ca. 15 v. bis mindestens 40 n.Chr.). Da es sich bei Joseph um eine biblische Figur handelt, korrespondierte der Gegenstand mit der Berufsplanung des Respondenten. Philon hatte den Staatsmann Josephus porträtiert, der mit standhaftem Charakter Demagogie verabscheute und den Begierden des Pöbels entgegentrat. Vgl. Philo von Alexandria. Die Werke in deutscher Übersetzung. Hg. von Leopold Cohn, Isaak Heinemann, Maximilian Adler u. Willy Theiler. Bd. 1. Berlin (2. Auflage) 1962, S. 155‒215: „Ueber Joseph“. 151 Vgl. Anm. 46. 152 Matthias Bernegger (Pr.) / Cornelius Schmidt (Resp. et Aut./T): Dissertatio de urbis constitutione et eius partibus (November). Straßburg 1624. Schmidt aus dem Städtchen Wörth an der Sauer widmete seine Arbeit einem gelehrten Rat des Grafen Johann Reinhard von Hanau (Hartmann Ostringer) und unter anderen seinem gleichnamigen Vater. Schmidt studierte die Rechte, legte unter Besold 1626 in Tübingen auch eine entsprechende Disputatio iuridica de fideiussoribus vor und schlug damit vermutlich die gleiche Berufslaufbahn wie sein Vater ein (Näheres nicht bekannt).

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tionen der Gebäude werden dann die ordnungspolitischen Fragen verknüpft.153 Ab und an wird gegenüber der einen oder anderen Autorität Kritik geübt, in kontroversen Fragen der Forschung Position bezogen, oder es werden zumindest gegensätzliche Standpunkte ausführlich referiert. Ähnlich kritikfreudig zeigt sich eine Dissertation über die Staatsformen, die ein Gemeinschaftsprodukt Schallers und seines Respondenten Johann Jakob Frid mit Boeckler als spiritus rector darstellt.154 Darin wird beispielsweise das Politiklehrbuch des Petrus Lauremberg (1585‒1639), in dem dieser die Mischverfassung als „confusum chaos“ bezeichnet hatte,155 einer mehrseitigen kritischen Analyse unterzogen. Auch zur Debatte um die Verfassungsform des antiken Rom bezieht diese Arbeit differenziert Position und geht diesbezüglich u. a. mit Jean Bodin ins Gericht.156 Dass sich Zeitkritik 153 In Bezug auf die Wehrbauten (im elften von insgesamt 17 ‚aphorismi‘ genannten Teilen) wird im Anschluss an Machiavelli nach deren grundsätzlichem Nutzen gefragt bzw. danach, ob solche Kastelle, Burgen und Türme „in Urbe liberae civitatis“ überhaupt sinnvoll seien. Mit ihnen gehe ja die Gefahr einher, dass ein führender Bürger im Schutze solcher Wehrbauten eine Tyrannis etablieren könnte. In diesem mit 12 Seiten recht ausführlichen Teil, der noch weitere Fragen zu städtischen Verteidigungsanlagen – etwa: Sollten Stadtgräben mit Wasser gefüllt sein oder nicht? – aufgreift, weiß der Autor mit Kenntnissen der Fachliteratur, z. B. Daniel Specklins Architectura Von Vestungen (Straßburg 1589), zu glänzen. Auf dieser Basis werden verschiedene Aspekte des Festungsbaues, so die Stabilität von Mauern und Türmen auch gegen Regen und Frost, erörtert. Bezüglich der Mühlen, die gleichfalls als öffentliche Gebäude erachtet werden, wird geklärt, ob jemand ohne „licentia Principis, vel ejus, cui Princeps Regalia concessit“, eine solche betreiben dürfe. Regelungsbedarf besteht hier auch bezüglich der Nutzung der Wasserkraft, insbesondere wenn diese von zwei Mühlen genutzt wird und die eine davon höher gelegen ist (XII., c). Und bei den Badeanstalten klärt Schmidt, ob beide Geschlechter sie gleichzeitig und gemischt nutzen können sollten (XII., e). Die Erfahrungswelt seiner Widmungsadressaten hat Schmidt in umfassender Weise und auf breiter Literaturbasis zu einer politischen Dissertation ausgearbeitet. Der „well-ordered police state“ (Marc Raeff) ist für ihn nach wie vor die Stadt. 154 Jakob Schaller (Pr.) / Johann Jakob Frid (Resp.): Exercitatio historico-politica qua Polybianum ἀποσπασμάτιον lib. 6. histor. de formis rerumpublicarum, earum naturali orbe, ac praecipue de Romanae ingenio ac praestantia, in theses redigitur, commentatione technica, practica, philologica illustratur, et adversus reprehensiones aliorum vindicatur (April). Straßburg 1640. Der Dissertation fehlt ein Autor-Vermerk des Respondenten. Dieser gibt in den „Prolegomena“ (Bl. B3v) zu erkennen, dass er die Anregung zu dieser Dissertation vom „Vir clariss[imus]“ und „Praeceptor noster“ Boeckler erhielt. Frid hatte im Jahr zuvor unter Boeckler eine Dissertation De aula et […] de amicis principum nach Plinius d.J. verteidigt. Wenngleich damit die Autorschaft des Respondenten naheliegt, muss die Verfasserfrage offenbleiben. 155 Petrus Lauremberg: Epitome prudentiae civilis, quae politica appellatur. Rostock 1638, S. 9. Auf sechs Seiten gehen die Verfasser Schaller u. Frid drei Hypothesen des Rostocker Autors nach und zeigen in ihrer „antithesis“, dass die Mischverfassung sehr wohl als eigenständiger Typ Staatsform zu erachten sei. Schaller / Frid: De formis rerumpublicarum (Anm. 154), pars 4, Abschnitt II, q1. 156 Schaller / Frid: De formis rerumpublicarum (Anm. 154), pars 4, Abschnitt II, q2 (Bl. E3r): „An Resp. Romana et ex quibus formis fuerit mixta?“ Nicht wenige der zeitgenössischen Politiklehrer ordneten sie der Demokratie zu, etwa Petrus Gregorius Tholosanus, Christoph Besold, Zacharias Friedenreich oder auch Johannes Althusius. Adam Contzen stufte sie dagegen als Aristokratie ein.

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häufig nur zwischen den Zeilen findet und amtierende Fürsten und Staatsmänner oder auch die Autorität der Kirche bestenfalls indirekt – etwa mittels antiker Exempel – getadelt werden konnten, muss man für diese Epoche freilich berücksichtigen. Auffällig ist bei diesem vierten Typ, dass die Autor-Respondenten zumeist eine juristische Qualifikation anstrebten und sich ihre Dissertationen thematisch häufig im Bereich der Staatstheorie bewegten. Der Straßburger Adam Hünerer etwa legte 1624 als Erstlingswerk eine akademisch sehr fundierte Arbeit zum Verfassungswandel vor, der er 1627 Theses iuridicas und 1631 die juristische Inauguraldissertation folgen ließ.157 Mit dem politischen Erfahrungshintergrund eines Rates und Bürgermeisters der Reichsstadt Heilbronn

An Bodin wird kritisiert, dass er aus der römischen lex Valeria, die den Tyrannenmord zuließ, folgerte, dass Roms Verfassung demokratisch gewesen sei (pars 4, II, q2, th13 [Bl. F1r]). Das Resümee betont den historischen Wandel der römischen Verfassung seit der Königszeit. Aus der Aristokratie der frühen Republik sei die polybianische Mischverfassung entstanden, die aber eben nicht als Demokratie bezeichnet werden könne; aus der Mischverfassung wurde im Zeitalter der Gracchen eine Oligarchie, die sich bald zum Dominat wandelte (pars 4, II, q2, th20). In der abschließenden dritten quaestio dieses vierten Teils („An Reip. Rom. forma fuerit optima“? [vgl. Bl. F2r, Marginalie]) betonen die Verfasser, dass eine solche Mischverfassung zwar wegen der ihr inhärenten Harmonie und ihrer Mittelstellung zwischen schädlichen Extremen wünschenswert sei. Ganz im Sinne Boecklers (und mit dem Verweis auf Tacitus) wird jedoch auch festgehalten, dass eine derartige Verfassungsform „ob difficultatem tum instituendi, tum institutas conservandi, rarius evenire“ (Bl. F2v). Aufgrund der Schwächen der Menschen sei die reipublicae forma mixta kaum realisierbar, die monarchische Verfassung daher „magis sit obtabilis“. 157 Matthias Bernegger (Pr.) / Adam Hünerer (Resp. et Aut./W): Discursus historico-politicus de eversionibus rerumpublicarum (August). Straßburg 1624. Hünerer widmet den Discursus einer Reihe von Akademikern (Juristen bzw. Advokaten und einem Mediziner und Hagenauer Arzt) sowie in erster Linie dem Straßburger Bürgermeister („consul“) Johann Heller. Seine 34 Textseiten umfassende Analyse von Staatswandel und zerfall vom August 1624 thematisiert zunächst die Vier-Reiche-Lehre, analysiert dann die vom „Magistratus“ zu verantwortenden Ursachen für Wandel und Niedergang; der dritte Teil geht schließlich auf die Auswirkungen für die Untertanen ein. Hünerer baut immer wieder analytische Fragen in seine Abhandlung ein, etwa die nach dem Einfluss der Sterne oder Kometen auf den Staatsverfall (th15) oder dem Widerstandsrecht gegen Tyrannen (th21). Die für die Straßburger Politiklehre typische These, dass Ehrgeiz und Habsucht sowie „regnandi cupido“ Gründe des Niedergangs seien, wird ebenso aufgegriffen (th26) wie Machiavellis Empfehlung an den Fürsten, die Untertanen in Armut zu halten (th36). Der breite Literaturfundus umfasst neben antiken Autoren Lipsius, Bodin, Kirchner, Schönborner, Keckermann, Althusius – dies sind die am häufigsten genannten Namen –, aber auch Dietrich Reinking, Arnisaeus und viele andere mehr, deren Schriften benannt und auch exakt zitiert werden; im ersten Teil stellt Hünerer zudem seine Kenntnis der reichspublizistischen Literatur (Dominicus Arumaeus, Thomas Michael, Daniel Otto) unter Beweis. Die „clariss[imus]“- bzw. „ampliss[imus]“-Attribute für Thomas Lansius (th4) und Christoph Besold (th14 u. 19; ähnlich th23) legen nahe, dass Hünerer zuvor in Tübingen studierte.

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ging der spätere Jurist Johann Georg Spölin ans Werk.158 Seine Dissertation zu den Schwächen der Demokratie und den Möglichkeiten ihrer Linderung füllt fast 50 Seiten und zeigt sich von Boeckler wie auch vom Altdorfer Johann Paul Felwinger geprägt.159 Der aus Hamburg stammende Georg Heintz schließlich trat mit einer fundierten Dissertation

158 Spölin war der Sohn des Johann Konrad Spölin, eines Steuerherrn, Assessors des inneren Rates und späteren Bürgermeisters von Heilbronn. Dieser ist zusammen mit dem Pastor Daniel Zuckwolf Widmungsadressat der Arbeit. Johann Georg Spölin studierte Rechtswissenschaften (vgl. Johann Georg Spölin: De repressaliis, earumque iure dissertatio inauguralis pro licentia summos in utroque iure honores et privilegia doctoralia […] consequendi. Straßburg 1673) und war 1674‒1680 Mitglied des sogenannten neuen Rates in seiner Vaterstadt. 159 Jakob Schaller (Pr.) / Johann Georg Spölin (Resp. et Aut./W): Disputatio politica publica de morbis et remediis curandarum democratiarum (Juni). Straßburg 1664. Spölins Dissertation ist konzeptionell klar strukturiert, argumentativ – auch durch zahlreiche Rückverweise – gut durchdacht und inhaltlich entsprechend differenziert. Sie basiert auf solider Literaturkenntnis, die mit exakten Belegen eingearbeitet ist. Die wichtigsten Autoren sind Henning Arnisaeus, Christoph Besold, Jean Bodin, Melchior Junius (s. Anm. 4), Michael Piccart, Petrus Gregorius Tholosanus, Georg Schönborner und Nicolaus Vernulaeus. Der Verfasser kennt aber auch das Hauptwerk des Hugo Grotius und Thomas Hobbes’ De cive. Im Vergleich dazu treten antike Autoritäten – von Aristoteles abgesehen – ganz in den Hintergrund. Besonders hervorgehoben werden neben Lipsius und Boeckler, von dessen collegium politicum Spölin profitiert hat, der Altdorfer Johann Paul Felwinger (vgl. S. 26f.) u. a. mit seiner Dissertation über den Demagogen (1659). Das lässt vermuten, dass Spölin zuvor in Altdorf studierte. In seiner Arbeit werden zum einen grundlegende, mittelbar und unmittelbar wirksame Ursachen für die politischen Krankheiten analysiert (S. 9‒34); den zweiten Teil bilden Ausführungen zur „medicina et curatio“ der Demokratie (S. 35‒48). Zu den Krankheitsursachen rechnet Spölin neben der „diversitas Religionis“ (S.  14) die „dissimilitudo Nationum“ (S. 13). Wenn sich viele Fremde im Gemeinwesen ansiedeln, die andere Sprachen sprechen und fremde Sitten mitbringen, könne dies einer Demokratie schaden: „Sedem enim mutant peregrini, non animum“, wie Horaz schreibe (ebd.). Problematisch sei das auch insofern, als die Gesellschaftsstruktur damit extrem verzerrt werden könne, etwa weil das soziale Gleichgewicht dann ins Wanken gerate, wenn sehr viele Wohlhabende ins Land kommen. Ein Symptom für die ‚Krankheit‘ sei das Auftreten von Demagogen und „Concionatores“, womit die religiösen Hassprediger gemeint sind (S. 26‒29). Diese ‚Aufrührer‘ seien die zeitgenössische Variante der antiken Demagogen, nämlich Rhetoren und Oratoren, die sich nur mehr die facundia aneignen, nicht mehr aber die „Rei militaris scientia“ (S. 28). Das führt Spölin zur Beschreibung unterschiedlicher Formen des Wandels des demokratischen Gemeinwesens. Ausgelöst durch ungerechte Politik und die „Pauperum oppressio“, erhalte dieser Wandel durch Verräterei, Verschwörungen und Aufstände bis hin zum Bürgerkrieg eine gefährliche Dynamik, hinter der vor allem die Oberschichten, die „praepotentes et ambitiosi“, stünden. Mit ihren Faktionen seien sie die treibenden Kräfte im Prozess der Destabilisierung der Demokratie. Beispiele aus neuerer Zeit sind die Konflikte bei den Florentinern und Mailändern. Insgesamt spürt man in Spölins Dissertation das politische Engagement eines jungen reichsstädtisch-republikanischen Denkers, das sich auch bei einigen Straßburger Autor-Respondenten artikulierte; vgl. Abschnitt 4.6.

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über Reichstage erstmals an die gelehrte Öffentlichkeit; ihn führte seine Berufslaufbahn auf einen Lehrstuhl für Rechtswissenschaften in Leipzig.160 Zwischen diesen als idealtypisch zu bezeichnenden Dissertationen gibt es freilich diverse Übergangsformen. So kann eine einfache Thesendissertation durchaus Kontroversen und innovative Ansätze zum Ausdruck bringen.161 Schon einige der Sammlungen gemischter Fragen wurden gründlich ausgearbeitet. Die Arbeit des Memminger Patriziers Wilhelm Besserer von 1622 füllt beispielsweise 30 Textseiten, auf denen insgesamt sechs Themen auf breiter Literaturbasis fundierter erörtert werden.162 Spätere Beispiele dieses Dissertationen-Typs werden thematisch noch konsistenter, was ein Indiz dafür ist, dass reine Fragensammlungen nicht mehr dem Stand der Wissenschaft entsprachen; ab den 1630er Jahren kamen sie denn auch langsam aus der Mode. Ein bemerkenswertes Beispiel ist die Exegesis historico-politica quaestionum quatuor miscellanearum des Nürnbergers Erasmus Ruffer. Trotz des wenig aussagekräftigen Titels ist diese Dissertation keine Sammlung beliebiger Fragen mehr, sondern eine nur mehr vier Fragen umfassende Erörterung der Monarchie als bester Staatsform sowie des Streits um die heilsgeschichtliche Bedeutung und die Verfassungsqualität des römisch-deutschen Reiches. Der reichspatriotische Verfasser hätte sie mit vollem Recht De statu Imperii Romano-Germanici betiteln können.163 Eine 160 Jakob Schaller (Pr.) / Georg Heintz (Resp. et Aut./W): Exercitatio politica de comitiis (Oktober, handschriftlich geändert zu 21. November). Straßburg 1661. Georg Heintz (1644‒1683) widmete die 35 Textseiten umfassende Arbeit dem Erbherrn Peter Werdermann, einem Rat und Präfekten des sächsischen Kurfürsten. Vgl. dazu Friedrich Hermann Schubert: Die deutschen Reichstage in der Staatslehre der Frühen Neuzeit. Göttingen 1966, S. 448f. 161 Vgl. Sabine Schlegelmilch: Eine frühneuzeitliche Dissertation aus Marburg (1663) als Spiegel medizinischer Theorie und ärztlicher Praxis. In: Gindhart: Disputationen (Anm. 12), S. 151‒177, hier S. 153‒159. 162 Matthias Bernegger (Pr.) / Wilhelm Besserer (Resp. et Aut./T): Exegesis historico-politica rubricarum sex miscellanearum (Februar). Straßburg 1622. Der ‚Autor‘ Wilhelm Besserer widmet seine historisch-politischen Fragen verschiedenen Ulmer und Augsburger Verwandten aus dem Patriziat, darunter Wolfgang Leonhard Welser, sowie seinem Vater Wilhelm. Weitere akademische Qualifikationsschriften Besserers sind nicht nachweisbar. Seine heterogene Themenpalette beginnt mit der Erörterung geeigneter Orte zur Ansiedelung von Bienenschwärmen, geht dann mit zwei Fragen über zum Militärwesen und (4.) zur Diskussion der Druckerkunst als deutscher Erfindung; anschließend vertritt er (5.) die These, dass Petrus nicht der erste römische Pontifex gewesen sei. Den Abschluss bildet die „rubrica“ zur Bildungsreise (6.), in der auf acht Seiten erläutert wird, wer wann und zu welchem Zweck eine solche peregrinatio unternehmen und wohin diese führen soll. 163 Matthias Bernegger (Pr.) / Erasmus Ruffer (Resp. et Aut./T): Exegesis historico-politica quaestionum quatuor miscellanearum (Januar). Straßburg 1630. Vom Nürnberger Ruffer sind keine weiteren Druckschriften nachweisbar; biographische Informationen fehlen. Das Digitalisat seiner Exegesis aus der Bayerischen Staatsbibliothek (BSB) München (Signatur: 4 Pol.g. 18 x#Beibd.4) enthält keine Widmung. Er dürfte, wie aus seiner reichsrechtlich fundierten Argumentation hervorgeht, Rechtswissenschaft studiert und eine Advokatenkarriere angestrebt haben. – Der Autor Ruffer fragt erstens, ob die Einherrschaft die beste Staatsordnung sei, (q2) „An foemina sit capax imperii?“, (q3) ob das Heilige Römische Reich die „quarta Monarchia” sei und (q4) ob der gegenwärtige Status des römisch-

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eigenartige Zwitterstellung nimmt auch die Dissertatio de iuribus maiestatis des Johann Kaspar Schmied ein.164 Sie bietet auf 22 Textseiten wenig Originelles, handelt vor allem die bekannten Majestätsrechte ab und geht auf Kontroversen nur recht oberflächlich ein. Doch wartet diese Dissertation mit einer überbordenden Fülle an Literaturverweisen auf, die zum Teil die inhaltlichen Aussagen zu überwuchern drohen, so dass sie in dieser Hinsicht einem hohen akademischen Anspruch Genüge leistet. Auch bei umfangreichen Dissertationen des vierten Typs können Schwächen in Konzeption oder Gedankenführung auftreten. Das gilt für die erwähnte theoretisch wenig anspruchsvolle Arbeit über städtische Verwaltungsaufgaben von Cornelius Schmidt, aber auch für die mit 200 Seiten umfangreichste, zudem mit zahlreichen Abbildungen versehene historisch-politische Dissertation über das Königreich Ungarn. Der Autor Martin Schödel, Sohn eines Pressburger Bürgermeisters, habe auf Basis von Geschichtsquellen, die er kompetent zu benennen wusste, eigentlich „die Hauptmomente der ungarischen Geschichte zusammenstellen“ wollen, sei aber nicht über die sehr ausführliche Analyse der Ursachen der Gründung des Königreichs durch die Hunnen hinausgelangt. Gleichwohl wurde das Werk bereits 1630 nachgedruckt und 1634 unter dem Titel Respublica et status regni Hungariae in die renommierte Reihe der Staatsbeschreibungen des Amsterdamer Verlagshauses Elzevir aufgenommen.165 Das Beispiel Schödels zeigt aber auch, wie stark das Herkunftsmilieu Dissertationen präkonfigurieren konnte. Die Wahl des Themas, die vermutlich schon durch väterliche Fürsorge fundierte Kenntnis der Literatur und der Quellen (u. a. der abgedruckten Münzen) und der finanzielle Rückhalt, der die opulente Ausstattung des Druckes ermöglichte, spielten hier zusammen. Dass Söhne aus städtischen Führungseliten regelmäßig akademisch ambitioniertere Dissertationen vorlegten, zeigen des Weiteren die Beispiele des Gendeutschen Reiches noch als monarchisch zu erachten sei. All diese Fragen werden ausführlich auf je etwa fünf Seiten und unter Angabe von (zumeist verfassungsrechtlichen) Quellen und Referenztexten sowie in verfassungsvergleichender Perspektive erörtert, wenngleich die Antworten letztlich konservativ und konventionell ausfallen. Ruffer argumentiert mit Politologen – besonders häufig Schönborner – und Juristen, mit antiken wie frühneuzeitlichen Historikern und Philosophen. Unter vielen anderen wird auch Georg Lauterbecks Regentenbuch zitiert (q4); Johann Philipp Pareus, der Philosoph und Theologe am Hanauer Gymnasium, wird als zu ehrender „Patronus meus“ (q4) bezeichnet. 164 Jakob Schaller (Pr.) / Johann Kaspar Schmied (Resp. et Aut./W): Dissertatio de iuribus maiestatis (Juni). Straßburg 1658. Schmied aus Rotheim in der Grafschaft Hanau widmet seine Dissertation dem Grafen Friedrich Casimir von Hanau. Er studierte die Rechte und legte 1662 in Basel eine Disputatio inauguralis de cessione bonorum vor. 165 Bünger: Bernegger (Anm. 18), S. 308‒310. Matthias Bernegger (Pr.) / Martin Schödel (Resp. et Aut./T): Disquisitio historico-politica de regno Hungariae (Oktober). Straßburg 1629. Schödel, der sich – wie Bünger meint, glaubhaft – schon auf dem Titelblatt als „Auctor“ zu erkennen gibt, widmet die Arbeit (1.) dem „Palatinus“ des Königreichs Ungarn, Nikolaus Esterhazy („Ezterhazi“), (2.) kollektiv den Richtern, Räten und Bürgermeistern der königlichen, freien und „primaria civitas“ Pressburg. Bernegger richtet ein dreiseitiges Begleitschreiben an den Pressburger Bürgermeister Johann Schödel.

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fer Bürgermeistersohnes Andreas Pictet und des Ungarn Johann Feyerabend. Bei Adeligen geschah dies seltener, doch war z. B. der Lüneburger Ritter Johannes Grote ein bildungsbeflissener Kopf. Vom Typ solcher wissenschaftlich ambitionierten Respondenten, zu denen grundsätzlich auch all jene zu rechnen sind, die, wie Pictet, eine juristische Qualifikation anstrebten, ist aber noch ein anderer Typ zu unterscheiden, nämlich der des politisch engagierten Studenten. Im Unterschied zu politisch interessierten studiosi sind damit jene Respondenten gemeint, die aus ihrem Elternhaus eine ausgeprägte Leidenschaft für politische Fragen mit an die Universitäten brachten. Zu nennen wären etwa Markus von Rechlingen, dessen Vater als Augsburger Großhändler und Kapitalgeber zunehmend in massive Konflikte mit der kaiserlichen Regierung geraten war, und die beiden Straßburger Patriziersöhne Franz Reißeissen und Jakob Wencker, die durch das historische Interesse und die politische Tätigkeit ihrer Väter an die Politik herangeführt wurden. Alle drei haben stark politisch (nicht nur politikwissenschaftlich) ambitionierte Dissertationen vorgelegt, auf die ebenso einzugehen sein wird wie auf die Arbeiten der drei vorgenannten Respondenten.

4. Themenprofil der Straßburger historisch-politischen Wissenschaft Wer das thematische Spektrum der Straßburger historisch-politischen Schule im Überblick betrachtet, erkennt schnell einige auffallende Schwerpunkte. Während andernorts beliebte Themen etwa zur Gesellschaftslehre (den aristotelischen societates) oder zur Souveränität (maiestas bzw. iura maiestatis) in Straßburg selten aufgegriffen wurden, häufen sich Dissertationen zu anderen Sachgebieten. Besondere Akzente setzten die Straßburger beispielsweise mit Abhandlungen zum Leitbild des Fürsten (4.2.), zu berühmten ‚Staatsmännern‘ der Antike (4.3.) und zur Politikberatung (4.4.), indem sie explizit vom ‚semibonus princeps‘ und von ebensolchen Politikern und Räten ausgingen. Charakteristische Deutungen finden sich des Weiteren zur Staatstheorie, insbesondere zur Theorie der Mischverfassung und der Demokratie: Erstere wird als eine zu optimistische und zu wenig empirisch tragfähige Theorie infrage gestellt (4.5.); hinsichtlich der Demokratie wird jedoch entgegen der herrschenden Lehre ein provokativ positives Leitbild präsentiert (4.6.). Im Rahmen der Lehre von Krieg und Frieden liefert die Elsässer Denkfabrik bemerkenswerte Deutungen des Dreißigjährigen Krieges und macht mit dem Verweis auf die Unverzichtbarkeit eines geregelten Verfahrens der Kriegserklärung Vorschläge zur Einhegung des Bellizismus (4.8.). Auf dem Feld der ‚internationalen‘ Beziehungen entwickelt sie kritische Ansätze zur Analyse des europäischen Mächtesystems und spezifische Konzepte zur völkerrechtlichen Normierung der zwischenstaatlichen Politik und des Rechts auf Neutralität (4.9.). Innovativ schließlich ist Boecklers Konzept des Machtstaates (4.7.).166 166 Vgl. Harm Klueting: Die Lehre von der Macht der Staaten. Das außenpolitische Machtproblem in der „politischen Wissenschaft“ und in der praktischen Politik im 18.  Jahrhundert. Berlin 1986, auch wenn dessen Untersuchung die Beiträge des 17. Jahrhunderts unberücksichtigt lässt.

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Das Themenprofil der Straßburger Schule mit seinen charakteristischen Akzenten soll im Folgenden anhand einiger exemplarischer Dissertationen genauer vorgestellt werden. Neben den inhaltlichen Aspekten sind dabei regelmäßig auch die jeweils in diesen Thesenschriften aufscheinenden personellen Konstellationen sowie die Kontexte, in welche sie einzuordnen sind, zu beleuchten.167 In Bezug auf die Argumentationen interessiert zudem, ob sich die Dissertationen in das für die Elsässer Denkfabrik prägende historisch-tacitistische Politikverständnis einfügen oder ob man sie als Produkte des Wissenstransfers von anderen Hochschulen erachten muss.168 Den Anfang bilden Dissertationen mit vermischten Fragen zur Geschichte und Politik (4.1).

4.1. Quaestiones und positiones historico-politicae In den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts erfreuten sich lose Zusammenstellungen von Fragen oder Thesen bei den Studierenden besonderer Beliebtheit. Sie wiesen keine systematische Ordnung, oft nicht einmal einen thematischen Schwerpunkt auf, da Bernegger seinen Studenten offensichtlich die Freiheit einräumte, nach eigenem Gusto beliebige Sets von quaestiones (q) oder positiones (p) für ihre Disputationen zusammenzustellen. Dabei konnten sie auf die Werke etwa von Melchior Junius, Kaspar Pansa oder Johann Gerhard zurückgreifen.169 Ein solches Sammelsurium zu höchst unterschiedlichen Themen ist dasjenige des Johann Wilhelm Metzler von 1617.170 Es stellt „dubia“ zum Ursprung und Zweck von Neujahrsgeschenken, zur Frühgeschichte der Israeliten und zur Existenz von Riesen, dann auch zur Bestrafung von Gesandten, zur Konstantinischen Schenkung, zur Päpstin Johanna sowie zu Karl dem Großen und zur translatio imperii zusammen. „Das Schriftchen“ zeige immerhin, „welche Fragen damals die besten Köpfe beschäftigten.“171 Die 44 Positiones historico-politicae miscellae (1625) des Philipp Ludwig Hoffmann füllen sechs Druckseiten, kommen ohne Literaturbelege aus und bleiben ana167 Vgl. dazu Philipp: Konstellationen und Kontexte (Anm. 12), S. 94‒97. 168 Indizien dafür bilden die Autoritätsverweise, die verwendeten Exempel und der argumentative Duktus, der, wenn man idealtypisch abstrahiert, historisch-exemplarisch oder systematisch geprägt ist. 169 Zu den Schriften von Melchior Junius und Kaspar Pansa vgl. oben mit Anm. 4 u. 7. Beim einen finden sich über 100, beim anderen gut 260 Quästionen zur Auswahl. Eine gern genutzte Vorlage dürfte zudem Johann Gerhards Centuriae quaestionum politicarum, decades 1–10 (Jena 1603/04) gewesen sein. 170 Matthias Bernegger (Pr.) / Johann Wilhelm Metzler (Resp. et Aut./T): Disputatio historico-politica, aliquam multa, multum historicis et politicis dubia continens (Januar). Straßburg 1617. Metzler († 1667) aus Reipoltskirchen im Nordpfälzer Bergland (einer reichsunmittelbaren Herrschaft) widmete die Arbeit dem Senat von Worms. Er hatte im Jahr zuvor bereits unter dem Vorsitz Lorenz Thomas Wallisers Problemata aliquot ethica, ex Aristotelis morali philosophia deprompta (1616) vorgestellt. 171 Bünger: Bernegger (Anm. 18), S. 135.

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lytisch dürftig.172 Geboten werden nur Fragen mit kurzen Antworten, etwa: „Quis status omnium accommodatissimus humanae societati? Monarchicus cum Aristocratico temperatus“ (p6). Interessant daran ist allenfalls wiederum das thematische Spektrum, das die Studierenden offenbar gerne zusammen mit ihrem Lehrer diskutieren wollten.173 Ist Trunkenheit strafwürdig, fragt 1624 der Ungar Ferdinand Heindel.174 Daniel Heinrici wollte im Rahmen seiner Positiones von 1626 erörtern, ob körperliche Fehlbildungen auf mangelnde Geisteskraft schließen lassen.175 Über die Muse des Gelehrten sowie über Gefahren, 172 Matthias Bernegger (Pr.) / Philipp Ludwig Hoffmann (Resp.): Positiones historico-politicae miscellae (Juni). Straßburg 1625. Der Heidelberger Hoffmann erwarb einen juristischen Grad; vgl. ders.: Dissertatio iuridica inauguralis, qua distincte ostenditur, cui feudum finitum vel amissum aperiatur (August, handschriftlich zu 7. September korrigiert). Straßburg 1637. Weitere Qualifikationsschriften sind nicht nachweisbar. 173 Bernegger / Hoffmann: Positiones (Anm. 172): Hoffmann fragt etwa, (p8) welche Staatsform wegen ihrer Instabilität abzulehnen sei (Antwort: Der status „Democraticus“, es sei denn, er werde durch aristokratische Beimischung gemäßigt), dann (p9) „Successio estne salutarior electione? Est, est.“ Des Weiteren interessieren den Respondenten die Frauenherrschaft (p13) und die Stellung von Ephoren (p15: „An Ephori superiores Principe? Sunt, nec sunt. Universi superiores censentur Principe […] speciali pacto: Singuli non item.“ – eine ‚Position‘ zur Politik des Johannes Althusius!). Unter den positiones zur inneren Ordnung des Gemeinwesens findet sich neben Üblichem – Sind für ein Gemeinwesen Kaufleute notwendig? (p28) Ist die Immunität des Klerus rechtens? (p31) – auch Überraschendes: So fragt Hoffmann (p33), ob die Leichen Hingerichteter den Medizinern zu anatomischen Studien überlassen werden sollten; die Antwort: „Ita jubeo.“ Weitere Aspekte sind das Ämter- und das Kriegswesen (p36‒40). Sind beispielsweise Bündnisse mit Unfrommen bzw. Ungläubigen erlaubt? Die Antwort (p41): „Licet, si necessitas urgeat, salus Reipub. poscat.“ Quellenangaben macht Hoffmann durchweg keine. Die lose Zusammenstellung politischer Fragen recht unterschiedlicher Tragweite zeigt wenig Eigenständigkeit. Im Vergleich mit anderen zeitgleich entstandenen Bernegger-Dissertationen fallen Hoffmanns Positiones durch fehlenden wissenschaftlichen Anspruch und inhaltliche Dürftigkeit auf. Bemerkenswert ist die Arbeit nur deshalb, weil sie zeigt, dass man als Respondent auch mit einem derartigen Produkt offenbar akademische Meriten erwerben konnte. 174 Matthias Bernegger (Pr.) / Ferdinand Heindel (Resp. et Aut./W): Disputatio historico-politica, continens quaestiones tres miscellaneas (Oktober). Straßburg 1624. Heindel aus dem damals ungarischen Pressburg („Posoniensis“) widmet seine Disputation von 1624 dem Wiener Bürger Johann Zillinger, der zugleich sein „avunculus“ ist. Die auf nur acht Textseiten zusammengestellten Quästionen basieren ganz auf antiken Autoren. Der akademische Anspruch ist gering. Heindel bespricht nur drei auf Cicero bzw. Aristoteles rekurrierende Themen, die Todesstrafe für Räuber, die Strafwürdigkeit der Trunkenheit und die Pflicht zur Aufrichtigkeit gegenüber dem Feind. 175 Matthias Bernegger (Pr.) / Daniel Heinrici (Resp.): Positionum historico-politicarum dodecades duae (Juni). Straßburg 1626. Heinrici scheint keine Widmung beigegeben zu haben (so das Exemplar der Stadtbibliothek [StB] Augsburg). Dem Respondenten sind keine weiteren Werke zuzuordnen (es gibt zahlreiche Autoren dieses Namens). Die Arbeit stellt auf 14 Textseiten ohne einen übergreifenden Themenrahmen insgesamt 24 Thesen zusammen. Neben der Erörterung körperlicher Fehler (p4) proklamiert Heinrici, dass Vater und Sohn oder zwei Brüder nicht Amtskollegen sein sollten (p6), erörtert Fragen des Rechtswesens (p12‒14), die Aufgaben von Räten (p15‒17) sowie abschließend Ehe und Familie. Eine Reihe von positiones kreist um das Thema ‚Krieg‘, begin-

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in welche sich dieser begebe, wenn er sich in der Politik engagiere, wollte 1626 Robert Königsmann sprechen.176 Wie bei Königsmann verraten auch einige der Quästionen des Julius Friedrich Thevenot etwas über das politisch-soziale Milieu des Verfassers. Der aus der Mömpelgarder Beamtenschicht stammende Respondent erklärt, dass Wohlhabende für die städtische bzw. Staatsverwaltung besser geeignet seien als Arme, dass Bankrotteure davon gänzlich ausgeschlossen werden und dass Magistraten Handelsgeschäfte sowie die Annahme von Geschenken untersagt sein sollten.177 Thevenot arbeitete wie Heinrici zwar etwas fundierter, doch lassen beide Arbeiten analytische Tiefe vermissen. Argumentativ gründlicher ist hingegen die auf gut 28 Textseiten vorgelegte Sammlung vermischter Fragen des Freiherrn Andreas Kochtitzky. Standesgemäß interessiert ihn das Kriegswesen, weshalb er fragt: „Belline vel pacis artes magis necessariae Principi?“ (q4). Seine Quästionen thematisieren aber auch die Nutzung sakraler Güter für profane Zwecke (q2), die nend mit der These des Augustinus (Kap. 6 der Civitas dei), dass diejenigen, welche andere ohne gerechten Grund überfallen, Räuber und Plünderer seien (p7). Aktuell und brisant sind hier auch die Positionen zum bellum iustum ex utraque parte (p8) und zum Religionskrieg (p10: „Nemo ad aliam religionem amplectandam cogi potest.“). Der kundige Leser vermisst freilich etwa im Kontext der p8 den Rekurs auf die einschlägigen Werke von Francisco de Vitoria oder Alberico Gentili. Quellen sind fast ausschließlich antike Schriften, insbesondere die Ciceros und der römischen Historiker; zeitgenössische Autoritäten fehlen meist. Nur vereinzelt werden neuere Autoren wie Gaspare Contarini (p6), Paulus Aemilius Veronensis (p8), Johann Valentin Andreae (p17) oder Jean Bodin (p22) genannt. 176 Matthias Bernegger (Pr.) / Robert Königsmann (Resp. et Aut./T): Quaestiones historico-politicae (Februar). Straßburg 1626. Königsmann (1606‒1663) widmete die Quästionen dem Straßburger Magistrat Matthäus Braun sowie den Professoren für Rhetorik (Marcus Florus), Theologie (Johann Schmidt) und Medizin (Johann Rudolph Saltzmann). Er studierte die Rechte, verteidigte 1626 sowie 1628 zwei entsprechende Dissertationen in Straßburg und wurde dort Professor der Rhetorik. Seine Arbeit erörtert vier Fragen. Er geht u. a. auf die Probleme ein, die in einem aus verschiedenen Nationen gebildeten Heer bestehen. Der wissenschaftliche Anspruch der nur sieben Textseiten umfassenden Dissertation ist bescheiden. Offenbar hatte der „Autor“ Königsmann einfach nur unter Bernegger disputieren wollen; seine akademische Profilierung dürfte er mit anderen Arbeiten betrieben haben. Die Verse auf den Respondenten am Ende der Dissertation, verfasst unter anderem vom Dichter Balthasar Venator und von Christoph Coler, lassen auf das literarische Milieu schließen, in das Königsmann eingebunden war. 177 Matthias Bernegger (Pr.) / Julius Friedrich Thevenot (Resp. et Aut./T): Quaestionum miscellanearum historico-politicarum dodecades duae (März). Straßburg 1625, q3‒4 und q14‒15. Dazu passt seine These, dass wahrer Adel nicht durch Geburt generiert, sondern „ex propria virtute“ erworben werde (q6). Darin spiegeln sich die Interessen auch seiner Widmungsadressaten, und man darf vermuten, dass der Respondent gleichfalls eine Beamtenlaufbahn anstrebte. Thevenot widmet die Arbeit sechs Mömpelgarder Beamten, von denen vier einen juristischen Doktorgrad (bzw. Lizentiat) erworben hatten; darunter finden sich auch der Vater Johann und der Bruder Jakob, ein Lizentiat der Rechte und Hofrat in Mömpelgard. Thevenot erwarb eine juristische Qualifikation; vgl. Sigismund Flach (Pr.) / Julius Friedrich Thevenot (Resp. et Aut.): Disputatio iuridica de contractibus. Straßburg 1628.

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„Delatores et ausculatores“ im Umfeld des Fürsten (q5), dann den Magistrat, seine Herkunft und seine Amtsdauer (q9 u. 10); abschließend spekuliert er, ob der Antike „occidentalis India“ bzw. „America“ unbekannt gewesen sei (q12).178 Die regelmäßig auftauchenden Fragen zu Außenpolitik, Krieg und Militärwesen verdichten sich nicht selten zu einem Schwerpunkt. Greifbar wird ein solcher bei den genannten Dissertationen von Heinrici und Thevenot,179 aber auch in den Quästionen Ulrich Weißlandts von 1625.180 Wenig überraschen kann diese Akzentuierung militärischer Aspekte bei adeligen Respondenten, etwa dem Ungarn Franciscus Listius, der, wie erwähnt, später Rat des Siebenbürger Fürsten Gábor Bethlen wurde.181 Der mittlerweile schon weite Gegenden des Reiches tangierende Dreißigjährige Krieg dürfte auch Johann

178 Matthias Bernegger (Pr.) / Andreas Kochtitzky „L.B. a Kochtitz et Lublienitz“ (Resp. et Aut./T): Quaestionum, praecipue politicarum, ex Agricola C. Cornelii Taciti collectarum, dodecas II. (25. Oktober). Straßburg 1617. Kochtitzky erörtert insgesamt 12 Quästionen. Die Literaturbasis bilden die Werke des Tacitus sowie Livius, dazu weitere antike sowie nun auch humanistische und zeitgenössische Historiker (Antonius Bonfinius, Polydorus Virgilius, Thuanus u. a.). Der wissenschaftliche Anspruch ist damit einigermaßen erkennbar. Der Name des „Autors“ Kochtitzky ist, dem sozialen Status entsprechend, auf dem Titelblatt über dem des Geschichtsprofessors Bernegger gesetzt. Er widmet die Arbeit seinem gleichnamigen Vater, der in Wittenberg, Altdorf und Padua studiert hatte, 1610 in den Freiherrenstand erhoben wurde, als schlesischer Offizier seit 1628 in schwedischen Diensten kämpfte und 1634 dann in kaiserlicher Gefangenschaft in Wien verstarb. 179 Zu Heinrici vgl. oben, Anm. 175. Bernegger / Thevenot: Quaestionum dodecades duae (Anm. 177), q7‒13: Ein gerechter Grund zum Krieg, den zu führen auch christlichen Fürsten grundsätzlich erlaubt sei, lasse nicht immer auf einen erfolgreichen Ausgang desselben schließen. Der Verteidigungskrieg sei grundsätzlich erlaubt („vim vi repellere“), und die Bürger seien in der Kriegskunst zu üben. Im Notfall können zur Finanzierung des Krieges auch Kirchengüter herangezogen werden. 180 Matthias Bernegger (Pr.) / Ulrich Weißlandt (Resp.): Dodecas quaestionum miscellanearum historico-politicarum (März). Straßburg 1625. Auf elf Textseiten werden insgesamt zwölf Quästionen erläutert, sechs (q5‒10) kreisen um das Thema ‚Krieg‘. Autoritäten sind wiederum meist die antiken Klassiker (Tacitus etc.); Ausnahme ist quaestio VII. zur Neutralität im Krieg, wo auch Bodin und Francesco Guicciardini genannt werden. Der akademische Anspruch ist relativ gering. Ulrich Weißlandt aus Isny gab, geht man vom Exemplar der StB Augsburg aus, seinen Quästionen keine Widmung bei. Er studierte die Rechte: Sigismund Flach (Pr.) / Ulrich Weißlandt (Resp.): Disputatio iuridica de codicillis. Straßburg 1626. Über ihn sind keine weiteren biographischen Informationen verfügbar. 181 Matthias Bernegger (Pr.) / Franciscus Listius (Resp. et Aut./W): Quaestionum, praecipue politicarum, ex Agricola C. Cornelii Taciti collectarum, fasciculus I. Straßburg 1616. Der Oberlehrer Bünger: Bernegger (Anm. 18), S. 125, urteilt über die Arbeit, sie mache in ihrer „Kürze und Dürftigkeit“ doch „einen recht schülerhaften Eindruck“. Just diesen Listius lobt Bernegger elf Jahre später (im Rahmen der Widmung zu Bernegger / Frisowitz: De nobilitate; vgl. oben mit Anm. 133) dafür, dass er so viele vornehme Ungarn an die Straßburger Hochschule gezogen habe. Listius war offenbar für das Renommee der Straßburger Hochschule eine wichtige Persönlichkeit.

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Wagner bewogen haben, 1626 ähnliche Akzente zu setzen.182 Gänzlich Fragen zu Krieg und Militärwesen gewidmet ist die Decas quaestionum politicarum des Wimpfeners Johann Bernhard Wild. Kann ein Krieg, der zur Erweiterung des Herrschaftsbereiches gegen Nachbarn geführt wird, als bellum iustum erachtet werden? Ist der Krieg der Untertanen gegen eine tyrannische Obrigkeit gerecht?183 Des Weiteren thematisiert Wild Aspekte der militärischen Klugheit, der Kriegsstrategie und der Bündnispolitik. Ausführlich rekurrierte er hier auf Machiavelli, der in der Straßburger Schule offenbar als Militärexperte geachtet wurde.184 Die Frage nach der Legitimität des Tyrannenmordes bzw. des Widerstandes gegenüber tyrannischen Herrschern ist öfters aufgegriffen worden. Nicht nur Wild, sondern beispielsweise auch Leo Eberhard Roth und Andreas Neumann debattierten sie.185 Am aus182 Matthias Bernegger (Pr.) / Johann Wagner (Resp. et Aut./T): Decas gemina quaestionum miscellanearum historico-politicarum (April). Straßburg 1626. Der „Autor Johannes Wagnerus“ erläutert mit knappen Bemerkungen insgesamt 20 „Quaestiones“, darunter eine Mehrzahl zu Krieg und Militär. So fragt er beispielsweise, (q13) „An bellum ex utraque parte esse iustum?“, (q10) „An liceat vim vi repellere?“ oder ob man ein dem Feind gegebenes Wort halten müsse (q14). Dann aber wird auch erörtert, (q6) „an pro salute Principis, vel amicorum, bibendum?“ Abgesehen von Marquard Freher und Justus Lipsius werden wieder nur antike Historiker zitiert. Der Verfasser scheint, so das Exemplar der Österreichischen Nationalbibliothek (ÖNB) Wien, der Disputation keine Widmung beigegeben zu haben. Vermutlich strebte Wagner eine juristische Qualifikation an. Darauf schließen lässt eine Freiburger juristische Dissertation: Friedrich Martini (Pr.) / Johann Wagner (Resp.): Centuria iuris utriusque quaestionum miscellanea. Freiburg/Breisgau 1629. 183 Jakob Schaller (Pr.) / Johann Bernhard Wild (Resp. et Aut./W): Decas quaestionum politicarum de re militari (Juni). Straßburg 1636. Die zehn Quästionen erörtern auf 19 Textseiten u. a. die Führung der „matricula militaris“ (q1), den gerechten Krieg (q3: „An iustum dicatur bellum quod dilatandi Imperii causa vicinis infertur?“; q4: „An iustum sit bellum, quod Subditi inferunt Magistratui tyrannice cum iisdem agenti?“) sowie Fragen der Kriegsstrategie (q5: „An hostem domi exspectare […] expediat in bello defensivo?“). Gewidmet ist die akademisch durchschnittliche Dissertation unter anderem dem Straßburger Juristen Johann Otto Tabor, dem Syndikus (Samson Scherer) und dem Stadtschreiber (Johann Fr. Textor) der Reichsstadt Wimpfen sowie dem ehemaligen Lehrer Jakob Zückwolf in Heilbronn. 184 Schaller / Wild: De re militari (Anm. 183), q6 und q7. Hier geht es um die Frage: „An Ducem exercitus ipsum praeliis semper interesse et in exercitu acieque stare oporteat?“ (q6) und um Machiavellis These, dass das Geld nicht der Nerv des Krieges sei (q7). Beide Male wird auf die Discorsi (2.10 „Das Geld ist nicht der Nerv des Krieges“) Bezug genommen. Ähnlichen Fragen ging der im vorigen Abschnitt erwähnte Memminger Wilhelm Besserer nach; vgl. oben mit Anm. 162. Ihn interessierte der Nutzen der Artillerie (rubrica 2), den Machiavellis Discorsi (2.17) erörterten; auf die These des Florentiners von der generellen Schädlichkeit von Festungen (Discorsi 2.24) geht Besserer in rubrica 3 ein. Ebenso diskutierte der Hanauer Cornelius Schmidt auf der Basis der genannten Kapitel aus den Discorsi Nutzen und Gefahren von Wehrbauten; vgl. oben mit Anm. 152f. 185 Matthias Bernegger (Pr.) / Leo Eberhard Roth (Resp.): Disputatio politica quaestiones aliquot miscellas continens. Straßburg 1626. Roth fragt, wie das Widerstandsrecht auszulegen sei und ob der Tyrann, wenn andere Mittel scheitern, getötet werden dürfe (q6). Insgesamt kompilierte er acht

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führlichsten befasste sich damit der aus einem Kärntner Adelsgeschlecht stammende Rudolf von Dietrichstein im Rahmen seiner an den Agricola des Tacitus angelehnten Sammlung von 12 Quästionen. Die fast 40 Seiten umfassende Abhandlung, die sich vor allem um Fragen der Herrschaftslegitimation sowie der Mächtepolitik dreht und dabei die politischen Ideen der Monarchomachen und Machiavellis adaptiert, widmet dieser Problematik über ein Fünftel ihres Umfangs. Dahinter lässt sich unterschwellige Kritik an den Habsburgern vermuten.186 Eine spannende und damals wie heute aktuelle Frage ist auch, ob es ausländischen Fürsten zustehe, einem Volk militärisch zu Hilfe zu kommen, das in seinem Glauben vom eigenen Herrscher in tyrannischer Weise unterdrückt wird. Der Augsburger Markus von Rechlingen (Rehlinger) griff dieses Problem in seinen politischen Quästionen unter dem Eindruck der Bedrohung durch die habsburgische Kriegsmacht auf und fand in der Antipolitische Fragen ganz unterschiedlicher Tragweite. So untersucht er auch, ob ein verschwörerischer Gesandter vom Fürsten, zu dem er geschickt worden ist, bestraft werden könne (q1), ob die Grenzen des Reiches durch Krieg erweitert werden dürften (q5), dann aber auch, wie Trunkenheit zu bestrafen sei (q4). Die Literaturbasis der neun Textseiten umfassenden Dissertation ist eher unterdurchschnittlich, die Argumentation recht oberflächlich. Roth widmete seine Dissertation fünf Ulmer Politikern, darunter einem „Duum-vir“ (Daniel Schad), zwei „consules“ (Johann Krafft und Leo Roth) und zwei Advokaten (Leo Krafft und Constantin Varenbüler). Roth war als Jurastudent eingeschrieben und weilte bis mindestens 1628 in Straßburg. ‒ Matthias Bernegger (Pr.) / Andreas Neumann (Resp.): Decas quaestionum historico-politicarum, ex Tiberii Caesaris vita […] deprompta (Juli). Straßburg 1629. Neumann wartet mit zwei korrespondierenden Fragen auf: Darf man sich gegen Tyrannen erheben? (q3) und: Braucht der Fürst dauerhaft Leibwächter? (q10). Neumann interessiert des Weiteren, ob Fremde das Bürgerrecht erhalten sollten (q1), ob man Bündnisse eingehen solle und ob diese zeitlich befristet sein sollten, (q2), dann auch, ob die Erbfolge der Wahl vorzuziehen sei (q6). Insgesamt werden zehn Fragen „ex Tiberii Caesaris vita“ ohne erkennbare systematische Ordnung auf jeweils zwei bis drei Seiten abgehandelt. Die Literaturbasis bilden überwiegend antike Autoren, vorrangig die Geschichtsschreiber (Livius, Sallust, Tacitus, Valerius Maximus) und Biographen (Plutarch, Sueton). Nur gelegentlich wird auf moderne Autoritäten (Arnold Clapmar, Innocent Gentillet, Jean Bodin, William Barclay, Justus Lipsius, Waremund von Ehrenberg, Julius Wilhelm Zincgref ) rekurriert; Machiavelli wird im Rahmen der q7 („Num summus belli dux communicare cum aliis consilia debeat?“) nur erwähnt. Der aus dem vorpommerschen Gartz stammende Neumann, der seinen Quästionen anscheinend keine Widmung beigab (Exemplar der SB Regensburg), bleibt biographisch ein leeres Blatt. 186 Matthias Bernegger (Pr.) / Rudolf von Dietrichstein „L.B. in Holenburg“ (Resp.): Quaestionum, praecipue politicarum, ex Agricola C. Cornelij Taciti collectarum, dodecas III. (Januar). Straßburg 1620. Dieser vierten quaestio zur Legitimität der Tötung von Tyrannen sind zwei Zitate aus dem Agricola des Tacitus vorangestellt, die wohl auf die Vorherrschaft der Habsburger in Europa gemünzt sind. Zum einen heißt es: „Nihil profici patientia, nisi ut graviora tamquam ex facili tolerantibus imperentur“ (Tacitus: Agricola, 15. Durch Fügsamkeit werde nichts erreicht, höchstens dass ihnen noch Schwereres zugemutet würde). Zum anderen: „Romanorum superbiam frustra per obsequium et modestiam effugeris“ (Tacitus: Agricola, 30. Vergeblich versucht man der Überheblichkeit der Römer durch Unterwürfigkeit und Loyalität zu entgehen).

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Tyrannenschrift des Stephanus Junius Brutus (Hubert Languet, 1518‒1581) eine bestätigende Antwort.187 Der Bernegger-Biograph Bünger meinte, dass in diesem Kontext auch der Präses gelegentlich eingegriffen und einige klarstellende Bemerkungen beigesteuert habe.188 Ob dies auch in Bezug auf Machiavelli geschehen ist, muss an dieser Stelle offen bleiben. Fest steht aber, dass der Florentiner immer wieder gerne und ohne antimachiavellistische Bemerkungen zitiert wurde. Seine provokante Gegenthese zum Topos ‚pecunia nervus belli‘ fand unter anderen der Kärntner Dietrichstein anregend.189 Neben den Discorsi verwendete er zudem Machiavellis Vita des Castruccio Castracani. Und der These aus dem Büchlein Il Principe, dass es für den Fürsten besser sei, gefürchtet als geliebt zu werden, widmet er gleich einen ganzen Abschnitt. Nachdem er einleitend erklärt hat, dass ein Fürst, der nicht gefürchtet ist, sein Volk nicht in der Pflicht halten könne, referiert Dietrichstein die Argumentation aus dem (nicht angegebenen, weil sattsam bekannten) 17. Kapitel des Fürsten: Die Menschen würden nach eigenem Gutdünken den Fürsten lieben, gefürchtet zu werden liege hingegen in dessen Macht. Wünschenswert sei es für den Fürsten, wenn beides zugleich zutreffe, dass er geliebt und gefürchtet bzw. geachtet werde. Ein kluger Fürst dürfe sich aber nur auf das verlassen, was von ihm selbst gesteuert werden könne und worin er nicht von anderen abhänge. Und weil es schwierig sei, beides miteinander zu verknüpfen, sei es sicherer, „timeri quam amari“. Da Machiavelli aber nicht zwischen dem Tyrannen und dem bonus princeps unterscheide, sei sein Ratschlag zu undifferenziert und deshalb irreführend. Zum einen ließen sich Furcht und Zuneigung sehr wohl verknüpfen; zum anderen sei es für den guten Fürsten auch sicherer, geliebt als gefürchtet zu werden. Machiavellis Differenzierung zwischen Furcht und Hass (sowie Verachtung) hält Dietrichstein nur in Bezug auf den Tyrannen für relevant.190 Starkes Interesse an Machiavelli dokumentieren schließlich die erwähnten ‚politischen Fragen‘ des Markus von Rechlingen. So wird etwa mit Rekurs auf die Discorsi (1.58) dem 187 Matthias Bernegger (Pr.) / Markus von Rechlingen (Resp.): Quaestionum miscellanearum politicarum decades duae (Dezember). Straßburg 1624, hier q16. Rechlingen verweist auf die vierte Untersuchung der Vindiciae contra tyrannos des Junius Brutus. Der akademische Anspruch dieser Arbeit ist zwar gering, da die Fragen nur knapp beantwortet, zumeist auch nicht erläutert und nur rudimentär mit Literaturhinweisen versehen werden. Inhaltlich bergen die quaestiones aber oft erheblichen politischen Sprengstoff. 188 So angeblich geschehen in: Matthias Bernegger (Pr.) / Andreas Perlowitz (Resp.): Conclusiones aliquot politicae, […] privata collectae industria ex Augusti Caesaris vita. Straßburg 1628. Der Respondent habe, so Bünger: Bernegger (Anm. 18), S. 311f., nur einige Sentenzen aus Sueton zusammengetragen, Bernegger „noch eine Menge Belege aus anderen Schriften“ hinzugefügt und seine eigenen Ansichten kundgetan, indem er sich im Rahmen der elften conclusio gegen die Verteidiger des Tyrannenmordes gewandt habe; zum ungarischen Adelsrepondenten vgl. oben, Anm. 139. 189 Bernegger / Dietrichstein: Quaestiones politicae (Anm. 186), q3. Auch Wild griff sie 1636 wieder auf; vgl. oben in Anm. 183. 190 Bernegger / Dietrichstein: Quaestiones politicae (Anm. 186), q6: „Vera ne [sic] Machiavelli sententia, quod metui quam amari tutius sit?“ Die wichtigeren Autoritäten Dietrichsteins sind hier neben Tacitus der „Antimachiavellus“, Aristoteles, Isokrates und Scipione Ammirato.

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Volk größere Beständigkeit und Klugheit bescheinigt als dem Fürsten (q18). Ebenfalls auf die Discorsi (1.29) rekurriert des Weiteren die vorangehende quaestio: Ist das Volk oder sind Fürsten gegenüber verdienten Männern undankbarer? Antwort: „Populus“ (q17). Last not least wird die Frage aufgeworfen, ob Monarchien oder Republiken ihre Grenzen mit Waffengewalt besser erweitern können. Hier folgt der Augsburger aber nicht Machiavelli, sondern Girolamo Frachetta, der diesbezüglich die Monarchie als leistungsfähiger erachtete.191

4.2. Leitbilder des guten Fürsten Dissertationen zum bonus princeps oder zur idea principis bilden einen markanten Schwerpunkt unter den Publikationen der Straßburger Schule. Unter Bernegger sind vier solcher Arbeiten entstanden, auf die im Folgenden eingegangen wird; unter Schaller kommen in den Jahren 1643, 1649, 1653, 1664 vier weitere hinzu. Diesen ist die Dissertation De educatoribus principum von 1638 zuzurechnen.192 Boeckler schließlich präsidierte 1644 bei einer Dissertation, die im Spartaner Agesilaos das Urbild eines guten Fürsten vorstellte. Nimmt man die Arbeiten des Schaller-Nachfolgers Johann Joachim Zentgraf hinzu, addiert sich die Zahl solcher Fürstenspiegel-Dissertationen für die Zeit zwischen 1625 und 1691 auf vierzehn.193 Vergleichbare Abhandlungen zum Leitbild des Fürsten ‒ Dissertationen zur summa potestas principis oder zum princeps legibus solutus bleiben hier unberücksichtigt ‒ sind an anderen Universitäten weit weniger häufig entstanden. In Leipzig sind es während des 17. Jahrhunderts vier, in Wittenberg sieben.194 Mit der aus 191 Bernegger / Rechlingen: Quaestiones politicae (Anm. 187), q19. Girolamo Frachetta: Il Prencipe […]. Nel quale si considera il Prencipe, et quanto al gouerno dello Stato, et quanto al maneggio della Guerra. Distinto in due Libri. Rom 1597 (weitere Auflagen u. a. Venedig 1599). Rechlingen verweist auf das 25. Kapitel des zweiten Buches („Chi sia piu atto a far gran progressi per via d’armi, o il Monarca, o la Republica“, S. 399‒413). 192 Schaller / Bentz: De clementia principis (Anm. 142); Jakob Schaller (Pr.) / Johann Ludwig Sattler (Resp.): Disputatio politica de gravitate principis in sermone (Dezember). Straßburg 1649; Jakob Schaller (Pr.) / Johann Joachim Rehm (Resp.): Princeps ex sacris potissimum literis delineatus (25. Mai). Straßburg 1653; Jakob Schaller (Pr.) / Johann Friedrich Wibel (Resp. et Aut./W): Idea boni principis breviter adumbrata (Mai). Straßburg 1664; Jakob Schaller (Pr.) / Johann Sebastian Gambs (Resp.): Burrhus et Seneca, id est, dissertatio politica de educatoribus principum. Straßburg 1638. 193 Als typisches Produkt der Straßburger Schule kann hier außerdem eine Dissertation des BerneggerSchülers und Schwiegersohns Freinsheim gelten, der zwischen 1642 und 1647 an der Universität Uppsala die von Johan Skytte (1577–1645) gestiftete Professur für Politik und Rhetorik innehatte. Johannes Freinsheim (Pr.) / Johann Jakob Barkmann (Resp.): Disputatio politica de principe Pliniano, hoc est, axiomata quaedam politica, quibus pleraque boni principis officia explicantur, excerpta ex panegyrico Plinij, quem Trajano imperatori dixit (Oktober). Uppsala 1646. 194 Nur einige Beispiele seien genannt: Johann Avenarius (Pr.) / Paulus Alberti (Resp.): Discursus politicus de virtutibus principum (Oktober). Wittenberg 1624; Michael Wendeler (Pr.) / Gottfried Schleicher (Resp.): Ideam boni principis, ex politicis […] submittit (10. September). Wittenberg

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sechs Disputationen bestehenden Idea boni et mali principis des Reinhard König (1653/54) ist diesen Rinteln zur Seite zu stellen.195 Vorgearbeitet hatten zum einen Johann Sturm (1507‒1589), der Gründer und Rektor des Straßburger Gymnasiums, mit einem Büchlein über die fürstliche Erziehung,196 zum anderen der Jurist Nikolaus Reusner (1545‒1602), der zwischen 1583 und 1589 in Straßburg wirkte und – allerdings erst in seiner Jenaer Zeit – verschiedene Fürstenspiegel edierte.197 Auch der Straßburger Drucker und Verleger Lazarus Zetzner (1551‒1616) hatte schon früh das Genre für sein Geschäft entdeckt und entsprechende Sammelbände herausgebracht.198 Schließlich ist der 1616 in Straßburg gedruckte Princeps Plinianus des schlesischen Humanisten Jakob von Bruck, genannt Angermundt, zu erwähnen. Die Beliebtheit dieser Themenstellung erklärt sich vor allem aber aus dem spezifisch akteurzentrierten und stark auf exempla fixierten Politikverständnis der Straßburger Schule. Bernegger wirkte von 1613 an prägend mit seinen regelmäßig wiederholten Vorlesungen zu den Kaiserviten Suetons, die zahlreiche Dissertationen über fürstliche Tugenden

1659; Martin Chladni (Pr.) / Johann Christian Dressler (Resp.): Dissertatio politica de exemplo principis (Oktober). Wittenberg 1691; Johann Strauch (Pr.) / Johann Jeremias Reusner (Resp. et Aut./W): Idea boni principis (Juni). Leipzig 1651; Jakob Thomasius (Pr.) / Benedikt Strauß (Resp. et Aut./T): Dissertatio politica de principe eiusque virtutibus (September). Leipzig 1653. 195 Die erste dieser Dissertationen ist zuvor als selbstständiger Druck publiziert worden: Reinhard König (Pr.) / Johann Georg Flach (Resp.): Disputatio, de bono et malo principe (April). Rinteln 1651 (spezifisch formulierter Titel auf S. 1: Disquisitio de institutione et educatione boni principis: quae res bonos vel malos principes reddat); auch in: Reinhard König: Idea boni et mali principis. Rinteln 1653, hier „Disquisitio I“. Zu diesem Werk vgl. Eva Bender: Die Prinzenreise. Bildungsaufenthalt und Kavalierstour im höfischen Kontext gegen Ende des 17. Jahrhunderts. Berlin 2011, S. 55‒58. Zu König vgl. Philipp: Konstellationen und Kontexte (Anm. 12), S. 100‒109. 196 Johann Sturm verfasste eine kleine Schrift De educatione principum, die zumeist als Beigabe zu anderen Werken von 1551 an vielfach gedruckt wurde. Vgl. Bruno Singer: Die Fürstenspiegel in Deutschland im Zeitalter des Humanismus und der Reformation. Bibliographische Grundlagen und ausgewählte Interpretationen: Jakob Wimpfeling, Wolfgang Seidel, Johann Sturm, Urban Rieger. München 1981, S. 98‒100 u. S. 271‒286. 197 Nikolaus Reusner (Hg.): Aureolorum dogmatum de principe et principis officio sylloge. Jena 1596. Dieser Band enthält Giovanni Gioviano Pontanos De principe, Francesco Petrarcas De principis officio, Filippo Beroaldos De principe et principis officio sowie das gleichnamige Werk des Raphael Voltarenus. Vgl. Singer: Fürstenspiegel (Anm. 196), S. 77. 198 Vgl. Marcus Antonius Pitsillius: De instruendo principe, commentariorum imago: Ad Philippum III. Austr[iacum] in utroque orbe regem potentiss[imum]. Accesserunt duo de eadem materia libelli (II. Jakob Wimpfeling: Agatharchia, id est, bonus principatus, vel epitome conditionum boni principis. S. 181‒206. III. Johannes Jovianus Pontanus: Educandi principis praecepta: vel de principis officiis, liber sive epistola ad Alphonsum Calabriae ducem. S. 207‒239). Straßburg 1606. Zetzner verlegte außerdem eine lateinische Übersetzung des Fürsten Machiavellis (Frankfurt 1608) und den Fürstenspiegel des Francesco Patrizi (De regno et regis institutione. Mömpelgard 1594; Straßburg 1608).

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und Eigenschaften anregten.199 Ein weiteres wichtiges Motiv, sich etwa mit einer Idea boni principis der akademischen Öffentlichkeit zu präsentieren, dürfte sich schließlich aus der Präsenz vieler Adeliger in Straßburg, einige auch aus regierenden Fürstenhäusern, ergeben haben.200 Beispielsweise fand sich in Straßburg als Student Johann Christian von Brieg (1591‒1639) zusammen mit seinem Hofmeister Adam von Stange ein, bevor er Deutschland und Frankreich bereiste und 1609 dann zur Übernahme der Regierung seines Fürstentums nach Brieg zurückkehrte.201 König Gustav II. Adolf hielt sich im Sommer 1620 inkognito in Straßburg auf.202 Und der Württemberger Herzog Eberhard III. (1614‒1674), der – als Mitglied des Heilbronner Bundes und im Zuge der Niederlage in der Schlacht bei Nördlingen (1634) – ins Exil gehen musste, kam gleichfalls nach Straßburg und heiratete dort im Jahr 1637. Die Bedeutung des Adels lag u. a. darin, dass er schon um die Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert „den Anstoß zu politischen und staatsrechtlichen Fragen“ gab, die Akademie ihm damit „wertvolle Anregungen“ zu verdanken hatte.203 Die Reihe der Straßburger Fürstenspiegel-Dissertationen setzt 1625 ein mit Berneggers Speculum boni principis, das oben erwähnt wurde.204 Auf den ersten Blick nicht als Fürstenlehre erkennbar sind die unter Bernegger von Johann Jakob Röslin erarbeiteten historisch-politischen Aphorismen.205 Der Heilbronner, der sich in der Widmung als „Au199 Schindling: Humanistische Hochschule (Anm. 2), S. 281 u. 285. Beispiele dazu oben mit Anm. 37. 200 Vgl. zu Straßburg als bevorzugter Universität des Adels Paul Wentzcke: Die alte Universität Strassburg. In: Elsaß-Lothringisches Jahrbuch 17, 1938, S. 37‒112, hier S. 62f. 201 Karl Krebs: Johann Christian, Herzog von Brieg. In: ADB (Anm. 47), Bd. 14, 1881, S. 189–200. 202 Simone Giese: Studenten aus Mitternacht. Bildungsideal und peregrinatio academica des schwedischen Adels im Zeichen von Humanismus und Konfessionalisierung. Stuttgart 2009, S. 549. 203 Gerhard Meyer: Die Entwicklung der Straßburger Universität aus dem Gymnasium und der Akademie des Johann Sturm. Frankfurt/Main 1926, S. 34 u. 38. Meyer berichtete auf der Basis von Disputations- und Promotionskatalogen der Straßburger Akademie aus den Jahren 1585 bis 1621 von verschiedenen Disputationen zu politischen Fragen aus der Zeit um 1600, an denen eine Vielzahl adeliger Disputanten beteiligt war. 204 Bernegger / Wiebers: Speculum boni principis (Anm. 39). Vespasian wurde im Übrigen auch in Wittenberg als Leitbild des bonus princeps erörtert: Adam Etzler (Pr.) / Christoph Joachim Felgenhauer „Nobil. Misnic.“ (Resp.): Dissertatio politica de principe bono e vita imp. Titi Flavii Vespasiani a C. Suetoni tradita, descripto. Wittenberg 1651. 205 Matthias Bernegger (Pr.) / Johann Jakob Röslin (Resp. et Aut./W): Dodecas aphorismorum historico-politicorum (Januar). Straßburg 1625. Röslin aus Heilbronn verteidigte diese historisch-politischen Aphorismen im Januar 1625. Die Widmung des „Autors“ ist adressiert an den Heilbronner Bürgermeister Simon Weinmann, den Pfalz-Neuburger Rat und Heilbronner Syndikus Kaspar Heuchel (J.U.D.) und an den Heilbronner Gymnasialkonrektor Johann Melchior Thaler. Weiteres ist zu Röslin derzeit nicht nachweisbar. Die insgesamt 12 Fragen behandeln auf 20 Textseiten das Verhältnis des Fürsten zu seinen Untertanen, seinen Räten und Nachfolgern; den einzelnen Quästionen sind jeweils Zitate aus antiken Schriften vorangestellt. Als Autoren werden von Röslin mehrheitlich antike Klassiker (Cicero, Livius, Sueton, Tacitus etc.) genannt, aber auch Hippolyt von Colli (q1), Lipsius (q3, 10, 11), Commynes (q4), Guicciardini und Furius Ceriolanus (q7), Zechius und Clapmar (q8), Heresbach (q10; zitiert wird Heresbach mit seinem Fürstenspiegel De educandis

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tor“ vorstellt, behandelt jedoch fast nur klassische Fragen dieses Genres: Darf der gute Fürst die Untertanen mit außergewöhnlichen Abgaben (exactiones insolitae) belasten? Soll der bonus princeps Schulen gründen und die Lehrer besolden? Und soll auch ein wirklich kluger Fürst noch Räte heranziehen? (q4, q5 u. q7). Des Weiteren wird die Notwendigkeit von eruditio und eloquentia für Fürsten wie Magistrate erörtert (q10). Dem Machiavellismus entlehnt scheint die dritte quaestio: „An bonus Princeps subditis pennas, ne insurgant, accidere debeat?“ Doch so zugespitzt, wie es sich zunächst liest, werden den Untertanen dann doch nicht die Flügel (pennae) gestutzt. Überschrieben ist die Frage denn auch mit dem vom fiktiven Autor Aelius Spartianus tradierten Motto des Kaisers Hadrian, er wolle den Staat, den er regiere, als „rem populi […], non suam“ erachten. Machiavellis Büchlein über den Fürsten wird nicht erwähnt; auch übt Röslin an keiner Autorität Kritik oder greift aktuelle Kontroversen auf. Insgesamt ist seine FürstenspiegelDissertation in Gestalt einer konzeptionslosen Quästionensammlung damit argumentativ eher von Zurückhaltung geprägt, was freilich ganz allgemein dem moralisch-pädagogischen Duktus der Fürstenspiegel in Deutschland entspricht. Das gilt auch für die Dissertationen der Folgezeit. Obwohl in anderen Kontexten gerne Machiavelli zitiert wurde, gehen die Autor-Respondenten der hier einschlägigen Schriften nicht auf den Florentiner ein – zumindest bis nach der Jahrhundertmitte. Im Übrigen hat auch Erasmus von Rotterdam, der mit seiner Institutio principis christiani noch den Humanisten des 16. Jahrhunderts als Leitstern galt, bei den Straßburgern keine Bedeutung mehr. So stellt sich die Frage nach dem spezifischen Fürstenbild der Straßburger Schule und seinem möglichen Wandel im Laufe des 17. Jahrhunderts. Die Bandbreite der Fürstenspiegel des 16. und 17. Jahrhunderts reicht von rein politischen, an Staatsräson orientierten und von Tacitismus und Machiavellismus geprägten Klugheitslehren über humanistische Erziehungs- sowie praxisorientierte Regierungs- und Verwaltungslehren bis hin zu religiös-moralisch geprägten und an der ‚politica christiana‘ orientierten Regentenspiegeln.206 Interessant sind des Weiteren Erfahrungshintergründe und Anlässe, aus denen heraus Disputationen über die qualitates, virtutes und officia des guten Fürsten entstanden. Nach Röslins Dodecas aphorismorum historico-politicorum vom Januar und der Dissertation Berneggers und seines Respondenten Wiebers vom März wurde im Dezember des Jahres 1625 noch eine dritte Straßburger Fürstenspiegel-Dissertation verteidigt. Die Frage, warum sich in diesem Fall ein Frankfurter Bürgersohn Adam Schile (1604‒1658) mit der bonus princeps-Thematik befasste und seine Arbeit auch noch Honoratioren seiner erudiendisque principum liberis. Frankfurt/Main 1570; ebd. 1592), mit Buch 1, Kap. 12: Ist denn Bildung beim Fürsten erforderlich?). Überwiegend wird auf antike Exempel zurückgegriffen, was für die Bernegger-Schule charakteristisch ist. 206 Vgl. Michael Philipp u. Theo Stammen: Fürstenspiegel. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hg. von Gert Ueding. Bd. 3. Tübingen 1996, Sp. 495‒507, sowie Fürstenspiegel der Frühen Neuzeit. Hg. von Hans-Otto Mühleisen, Theo Stammen u. Michael Philipp. Frankfurt/Main 1997.

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Heimatstadt widmete, gibt keine großen Rätsel auf.207 In Frankfurt hatten 1612 und 1619 wichtige Wahltage stattgefunden, aus denen die Habsburger Matthias bzw. Ferdinand als römische Könige hervorgingen. Schile nutzte das beliebte Medium des Fürstenspiegels auch dazu, interessierten Kreisen seine Bildungsbeflissenheit in den Bereichen Geschichte und Politik zu unterbreiten. Umfassender als bei den anderen akademischen Fürstenspiegeln des Bernegger-Kreises wusste er nämlich auf eine Reihe einschlägiger Werke dieses Genres zurückzugreifen.208 Bereits zwei Jahre später trat Schile in die Dienste seiner Heimatstadt, wurde hier Rats- und Stadtschreiber sowie Archivar.209 Schiles Dissertation über die Bildungsvoraussetzungen regierender Fürsten ist mit ihren 60 Thesen auf 21 Textseiten eine durchkomponierte Arbeit auf gehobenem akademischem Niveau. Die Argumentation basiert methodisch auf der Zerlegung zentraler Begriffe in unterschiedliche Subbegriffe. Nachdem der Frankfurter im Vorwort politiktheoretische Grundlagen (Sozialnatur des Menschen, Notwendigkeit herrschaftlicher Ordnung) angesprochen hat, umschreibt er in der ersten These die zentrale Stellung des bonus princeps mit einem Aristoteleszitat (Politik 6, 15): „Princeps est persona publica, cui data est legitima potestas, de rebus et personis sibi subjectis statuendi, judicandi et imperandi.“ Die einzelnen Elemente dieser Definition werden anschließend (th2‒6) erläutert. Sein Hauptaugenmerk gilt allerdings den „bona“ des Fürsten, die er in solche des Geistes und des Körpers und von denen er erstere wiederum in „bona […] moralia vel intellectualia“ unterteilt (th7). Die ‚intellektuellen‘ Fähigkeiten resultieren aus der Vertrautheit mit verschiedenen Disziplinen. Der Reihe nach werden Dialektik, Fremdsprachenkenntnisse, Rhetorik und die Geschichte (th9‒14), sodann Arithmetik, Geometrie und Astronomie 207 Matthias Bernegger (Pr.) / Adam Schile (Resp. et Aut./W): Disputatio historico-politica de boni principis qualitatibus, virtutibus et officio (Dezember). Straßburg 1625. Der Autor-Respondent Schile widmete sie u. a. dem Rat und Schultheiß Johann Schwind, dem Kaufmann Johann Porsius und dem Ratssekretär Georg Schile. 208 Eine hohe Zahl an Autoren der Antike und der Frühneuzeit wird von Schile angeführt. Neben ‚Politologen‘ (Christoph Besold, Jean Bodin, Bartholomäus Keckermann, Justus Lipsius, Christian Matthiae, Georg Schönborner) und Historikern (Aimonus Floriacensis, Antonius Bonfinius, Philippe de Commynes, Jacques-Auguste de Thou/Thuanus, Wilhelm Zenocarus) finden sich bei ihm auch Verfasser von Fürstenspiegeln (Hippolyt von Colli, Sebastian Foxius, Juan de Mariana, Francesco Patrizi, Giovanni A. Viperani, König Jakob I.). Besonders häufig nennt Schile den fest zum Traditionskanon gehörenden Isokrates mit seinen Reden des Nikokles. Vgl. Otto Herding: Isokrates, Erasmus und die Institutio Principis Christiani. In: Dauer und Wandel der Geschichte. Festgabe für Kurt von Raumer zum 15. Dezember 1965. Münster 1966, S. 101‒143. Auch Schile lässt sowohl Machiavelli wie auch Erasmus von Rotterdam unerwähnt. 209 Rudolf Jung: Das historische Archiv der Stadt Frankfurt am Main. Seine Bestände und seine Geschichte. Frankfurt/Main 1897, S. 202‒204. Demnach trat Schile 1627 als Kanzleischreiber in die Dienste der Stadt, heiratete 1632 die Tochter eines Amtsvorgängers, wurde 1635 Rats- und 1640 Stadtschreiber. Er arbeitete nebenamtlich als Stadtarchivar, verfasste eine Stadtchronik und erstellte ein Repertorium der Reichstagsakten der Jahre 1414‒1613. Von ihm sind keine weiteren Publikationen nachweisbar.

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(th16‒18), schließlich Moralphilosophie und Jurisprudenz genannt. Insbesondere die beiden letzten befördern die prudentia als die zentrale Geisteskraft des Fürsten zur Lenkung des Gemeinwesens. Diese sei die „optima vitae magistra, et consiliorum praeceptrix, actionum gubernatrix, felicitatis procreatrix, omnium denique virtutum […] moderatrix“ (th21), welche ein Gemeinwohl beförderndes und inneren Frieden wahrendes Regieren durch gute Gesetzgebung gewährleiste (th22). Ein sich durch derartige Klugheit auszeichnender Fürst verstehe sich auf Fragen des Militärwesens und der Staatsfinanzen, der außenpolitischen Bündnisse sowie auch auf die Sitten und die Natur des Volkes. Er stützt sich bei seinen Entscheidungen auf kompetente Räte und vermag unter den beiden Übeln simplicitas (ehrliche Einfachheit) und calliditas (listige Schlauheit) das geringere zu wählen. Erstere sei dem Fürsten zwar als Mensch angemessen, nicht aber dem Fürsten als Herrscher, der seine „jura […] majestatis“ zu wahren habe (th25). Die bona moralia betreffen den Fürsten als den guten Verwalter des Gemeinwesens und friedfertigen Regenten seiner Untertanen. Unter den Tugenden nimmt die pietas, welche mit Lipsius definiert wird als „rectus de Deo sensus, rectus in Deum cultus“, den ersten Rang ein. Der Fürst habe „in suo territorio et regno“ den Ruhm Gottes sowie die reine Glaubenslehre zu fördern und Götzendienst zu bekämpfen (th30). Keinem Untertan sei in Glaubensfragen Lehr- und Meinungsfreiheit zuzugestehen, weshalb die Utopier mit ihrer toleranten Religionspolitik kein Vorbild seien. Mit Schönborner (Politicorum libri septem 3.11) stehe fest: „Unum siquidem corpus Imperii una religione regi necesse est.“ Doch sei die Religion nicht mit dem Schwert, sondern durch Überzeugung und die Kraft der Lehre in die Herzen der Menschen einzupflanzen (th31f.). Das Pariser Parlament habe deshalb das strenge Edikt des französischen Königs von 1555210 bezüglich der Hugenotten kritisiert und dazu gemahnt, den Glauben nicht durch Gewalt, sondern durch reine Lehre und den vorbildhaften Lebenswandel der Kirchenvorsteher zu befördern. Im römischdeutschen Reich sei dagegen mit dem Passauer Vertrag von 1552 und durch den Konsens der Stände des Reiches im Reichsabschied von 1555 die freie Ausübung der „Augustana et Catholica religio“ zugestanden worden (th32). Die zweite, wesentlich ausführlicher erörterte Tugend ist die Gerechtigkeit (th33‒39). Schile unterscheidet iustitia universalis bzw. communis und particularis. In Bezug auf die universale Gerechtigkeit fragt er, ob der König über den Gesetzen stehe. Auch hier müsse differenziert werden: Als Autor und Beschützer der Gesetze stehe er über diesen, doch sei auch er gehalten, diesen ‚Vorschriften‘ entsprechend zu leben. In dieser Hinsicht sei er dann „inferior et subjectus“ (th34). Die partikulare iustitia habe zwei Erscheinungsformen, die austeilende und die ausgleichende Gerechtigkeit. Während sich die iustitia distributrix auf die Organisation der Verwaltung (etwa die Auswahl von geeigneten Beamten) und die Strafverfolgung bezieht, umfasst die iustitia commutatrix die Pflichten zur Ordnung von Handel und Wirtschaft. Weitere virtutes sind die clementia (th40), die Tapfer210 Dieses Edikt ist nicht genau verifizierbar. Gegen Hugenotten gerichtete Edikte Heinrichs II. gab es 1551 (Châteaubriant) und 1557 (Compiègne).

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Abb. 2: Titelblatt zu Matthias Bernegger (Pr.) / Johannes Baptista Schwopius (Resp. & Aut./T): Dissertatio historico-politica de principe eiusque officio (Dezember). Straßburg 1630. Exemplar der Österreichischen Nationalbibliothek Wien, Signatur 123029-B.

keit (fortitudo) in Krieg und Frieden (th42‒44), sodann die Mäßigung (temperantia mit vier Erscheinungsformen: abstinentia, continentia, sobrietas und castitas), die Freigebigkeit und die Erhabenheit (th45‒48). Bevor Schile abschließend auf die Treue zu sprechen kommt, geht er noch auf den moralischen Streitpunkt der Zulässigkeit von Täuschung (simulatio) ein und konzediert, dass sie „in imperio maxime utilis est et necessaria“ (th49). Bezüglich der fides wird die Frage der Vertragstreue fokussiert (th50). Eine Episode um den Ungarnkönig Ladislaus I. und den türkischen Sultan Amurath (Murad II.) soll zeigen, dass Wortbruch ein schweres Vergehen sei, das Gott nicht ungestraft lasse.211 211 Der von mehreren Autoren (Paulus Jovius, Bonfinius, Matthäus Dresser) berichteten Geschichte zufolge habe der Ungarnkönig Ladislaus I., der als Ladislaus III. zugleich König von Polen war, auf Drängen seiner Bundesgenossen, darunter Papst Eugen IV. und der Republik Venedig, einen Waffenstillstandsvertrag mit dem Sultan gebrochen und Krieg gegen die Türken begonnen. Amurath habe darauf dem christlichen König mit heftigen Worten den Bruch des Vertrages vorgeworfen. Der Moral der Geschichte entsprechend wurde Ladislaus in der Schlacht von Varna (1444) getötet und einer der Anstifter des Vertragsbruchs, der päpstliche Legat Kardinal Julian (Cesarini), auf der Flucht von Straßenräubern (latrunculi) ermordet.

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Die abschließenden Thesen (52‒60) zu den natürlichen Qualitäten des guten Fürsten gehen auf Körpermerkmale und das Alter des Fürsten, auf seine Herkunft und seinen Reichtum ein. So sollte der Fürst von guter körperlicher Verfassung, weder zu jugendlich noch zu alt sein und elegant auftreten können. Höchst umstritten ist die Frage nach dem Geschlecht (th57), in der sich der Frankfurter den Gegnern der Frauenherrschaft anschließt. Schile resümiert, dass dies jene „qualitates“ seien, auf welche man bei der Wahl eines Fürsten zu achten habe. Er beschließt seine historisch-politische Erörterung mit dem Wunsch, Gott möge „principes nostros in vera pietate ac justitia conservare, eosque semper […] elargire“. Insgesamt ergibt sich somit das für den Humanismus typische Fürstenleitbild, das die Bildungsvoraussetzungen des princeps betont und unter den Tugenden die prudentia den anderen Tugenden wie der pietas, der iustitia usw. voranstellt. Fünf Jahre später wurden erneut die Pflichten und Qualitäten des Fürsten unter Bernegger thematisiert. Auch hier präsentierte sich der Respondent als Autor, doch ist seine Dissertatio historico-politica de principe eiusque officio, wie Widmung und Paratexte zu erkennen geben, in einem anderen Umfeld zu verorten. Johann Baptist Schwopius aus dem schlesischen Brieg verteidigte seine Dissertation vom Dezember 1630 als Student der Rechte.212 Seine Widmungsadressaten sind vier schlesische Herzöge von Brieg, nämlich die Brüder Georg (1611‒1664), Ludwig (1616‒1663), Rudolph (1617‒1633) und Christian (1618‒1672). Die Ankunft dieser Söhne des Johann Christian von Brieg (1591‒1639) und seiner Frau Dorothea Sibylla von Brandenburg (†1625) in Straßburg war, wie ein mehr als dreiseitiger Dedikationstext des Landeskindes Schwopius zu erkennen gibt, der Hauptanlass für die Dissertation und die Wahl des Themas. Herzog Johann Christian, der selbst gut zwanzig Jahre zuvor in Straßburg studiert hatte und 1614 mit seinem Hof zum calvinistischen Glauben konvertiert war,213 gilt als der „führende Ständepolitiker Schlesiens bei Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges“.214 Er wird in dieser Dissertation als positives Exempel eines die litterae fördernden und Schulen gründenden Fürsten gewürdigt (th17). Bedingt wohl durch die Wirren des Dreißigjährigen Krieges, die auch den regierenden Herzog und seine Söhne ins Exil 212 Matthias Bernegger (Pr.) / Johann Baptist Schwopius (Resp. et Aut./T): Dissertatio historico-politica de principe eiusque officio (Oktober, handschriftlich korrigiert zu Dezember). Straßburg 1630. Schwopius unterzeichnete die Widmung als „legibus studiosus“. Er hatte sich im Juni 1627 in der philosophischen Fakultät immatrikuliert und 1628 eine Rede gehalten; vgl. Johannes Baptist Schwopius: In novi anni auspicium oratiuncula. Straßburg 1628. 213 Zu konfessionellen Konstellationen in Schlesien vgl. Die Reformierten in Schlesien: Vom 16. Jahrhundert bis zur Altpreußischen Union von 1817. Hg. von Joachim Bahlcke u. Irene Dingel. Göttingen 2016. 214 Norbert Conrads: Das preußische Exil des Herzogs Johann Christian von Brieg. In: ders.: Schlesien in der Frühmoderne. Zur politischen und geistigen Kultur eines habsburgischen Landes. Neue Forschungen zur schlesischen Geschichte. Hg. von Joachim Bahlcke. Weimar 2009, S. 39‒52, hier S. 39.

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gehen ließen, ist das weitere Leben des Schwopius nur in Umrissen bekannt. Zwei von ihm stammende Leichenreden belegen immerhin, dass er zunächst Archidiakon „bey der Stadt-Kirchen zum Brieg“, später dann Pastor und Assessor des Fürstlichen Konsistoriums des Fürstentums Brieg wurde.215 Schwopius wechselte offensichtlich sein Studienfach und verlegte sich auf die Theologie.216 Nicht zufällig findet sich unter den vier Verfassern von Gratulationsgedichten am Ende der Dissertation auch der Name des später führenden lutherischen Streittheologen Johann Konrad Dannhauer (1603‒1666).217 Allem Anschein nach ließ sich Schwopius von ihm für die Sache der Lutheraner gewinnen, was im „überwiegend von lutherischen Pastoren und lutherischem Adel bevölkerten Herzogtum“ mit seinen calvinistischen Herzögen eine gewisse Herausforderung darstellte.218 Diese Umorientierung des Autors vom Rechts- zum Theologiestudenten deutet sich denn auch schon in seiner Dissertation an. Die Dissertatio historico-politica de principe eiusque officio bietet nach der Widmungsvorrede eine aus 50 Thesen bestehende Darstellung fürstlicher Tugenden auf 23 Textseiten, der (auf fünf weiteren Seiten) zehn ausführlicher erläuterte politische Quästionen angefügt sind. Manche der Fragen gehen auf Aspekte ein, die im Haupttext noch nicht zur Sprache kamen, so etwa die dritte („Successione an Electio praestet?“) oder die für einen Rechtsstudenten einschlägige neunte quaestio („An Princeps legibus sit solutus?“).219 Dass die Monarchie – wenig überraschend – als beste Staatsform erachtet wird, kommt hinge215 Johannes Baptist Schwopius: Piorum christianorum dulce animae refrigerium. Geist- und trostreiches Prophetisches Sprüngbrünlein […] Bey Ansehnlicher Leichbegängnis und beerdigung des […] Herren Martini Müntzers Gewesenen Stadt und Gericht Vogts allhier im Brieg. o. O. 1659; ders.: Geistlicher Abriß Christ-Davidischen Ambt-Bildes/ Bey ansehnlicher Volckreicher Funeration Des […] Herren Martin Schmidts. Brieg 1668. 216 Schon 1633 signierte Schwopius ein deutschsprachiges Trauergedicht (XI. Sonnet. In: Lacrumae quas acerbo funeri generosi nobilissimique dn. Sebaldi a Saurma in Schlantz/ Sadewitz und klein Pitterwitz […] affuderunt fautores et amici. Straßburg) mit „S.S. Theolog. Stud.“ 217 Dannhauer hatte 1627‒1633 in Straßburg zunächst eine Professur für Rhetorik inne, erhielt dann aber mit dreißig Jahren, obwohl er erst 1634 den theologischen Doktorgrad erwarb, bereits einen Theologielehrstuhl. Er wurde zum profiliertesten Straßburger Streittheologen, der mit lutherischem Sendungsbewusstsein Katholiken, Calvinisten, Ireniker und Wiedertäufer gleichermaßen bekämpfte. Wilhelm Kühlmann: Dannhauer, Johann Conrad. In: Killy Literaturlexikon (Anm. 28), Bd. 2, 2008, S. 552f. 218 Johannes Wallmann: Schlesische Erbauungsliteratur des 17. Jahrhunderts. Die Schriften des Liegnitzschen Landeshauptmanns David von Schweinitz (1600‒1667). In: ders.: Pietismus und Orthodoxie. Gesammelte Aufsätze. Bd. 3. Tübingen 2010, S. 144‒190, hier S. 167. 219 Beantwortet wird diese quaestio mit den typischen Differenzierungen: Einerseits führt Schwopius die potestas ordinaria und extraordinaria, andererseits die Direktiv- und die Zwangsgewalt von Gesetzen an. Die außerordentliche Macht des Fürsten stehe über den Gesetzen, nicht aber über dem Naturrecht und dem göttlichen Recht. Der Direktivgewalt der Gesetze unterstelle sich der Fürst, da dies mit seiner Würde vereinbar sei, doch die Zwangsgewalt könne er nur ausüben, wenn er selbst in dieser Hinsicht über den Gesetzen stehe.

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gen schon in der Widmung zur Sprache und wird in der zweiten quaestio erneut bestätigt.220 Der Hauptteil, die Behandlung fürstlicher Tugenden, orientiert sich zwar an Keckermanns Politik,221 leitet die virtutes zum einen aus der Ethik, zum zweiten aus der Politik, zum dritten dann aber nicht aus der Ökonomik, sondern aus der Theologie ab. Und diese Darstellung der ‚theologischen‘ Tugenden steht am Beginn dieses Hauptteils.222 Schwopius setzt hier die Frömmigkeit (pietas) an die erste Stelle (th3‒17). Sie bilde die Grundlage für eine richtige Religionspolitik, die wiederum das Fundament für die Treue der Untertanen gegenüber dem Fürsten, den Gehorsam der Magistrate und die „charitas“ eines jeden Einzelnen darstelle (th10). In diesen Kontext stellt Schwopius auch die Pflicht des Fürsten zur Verteidigung des wahren Glaubens gegen Feinde, die – wir befinden uns mitten im Dreißigjährigen Krieg – notfalls auch mit Gewalt erfolgen müsse (th11). Weitere aus der Theologie hergeleitete Aspekte seiner idea boni principis sind die Notwendigkeit der Gründung und Unterhaltung von Schulen und Akademien mitsamt der Förderung der artes liberales (th14‒17). Mit der Ethik (th18‒30) kontextualisiert der Autor vornehmlich die Gerechtigkeit, die sich in Rechtsprechung und Gesetzgebung sowie in der angemessenen Zuteilung von Prämien und Strafen artikuliere. Auch der Fürst möge sich an seine Gesetze halten, vor allem aber müsse er diese den wechselnden Zeitumständen anpassen. Gesetze seines Vorgängers solle er bestätigen, gegebenenfalls aber ergänzen, abändern oder gar abschaffen (th22). Ruhe und Frieden im Gemeinwesen fördere der Fürst durch die Vergabe von Belohnungen und die Verhängung von Strafen (th23‒29). Dabei habe er stets seine Autorität zu wahren und Majestätsverbrechen zu ahnden (th26). Allerdings kommt der Tugend der Milde (clementia) zentrale Bedeutung zu. Der dritte und zur Politik ausführlichste Teil stellt die Tugend der Klugheit (prudentia) in den Mittelpunkt (th31‒50). Sie sei von solcher Notwendigkeit, dass ein Fürst „nullam actionem sine hac feliciter perficere possit“ (th31). Zur Anwendung komme sie im Frieden und im Krieg. Quelle der Klugheit ist das Studium, das die „bonarum vel mala220 „Quaenam ex tribus istis Rerumpublicarum formis, Monarchia, Aristocratia et Democratia, sit praestantissima, caeterisque praeferenda?“ Die communis politicorum sententia spreche dafür, in dieser Frage „pro Monarchia“ zu entscheiden. Aristoteles und Arnisaeus sind die Repräsentanten dieser herrschenden Lehre. 221 Bartholomäus Keckermann: Systema disciplinae politicae. Hanau 1607, Buch I, Kap. 3 [nicht 32] „De virtutibus morum, nempe de Ethicis, Oeconomicis et Politicis“. Diesen konzeptionellen Überlegungen vorangestellt ist eine Arnisaeus entlehnte Definition des princeps als persona publica, „cui summa in imperio, divinitus est in subditos communicata potestas“ (th1). 222 Schwopius variiert damit das klassische Gliederungsschema der Fürstenspiegel, das Aegidius Romanus in Anlehnung an Aristoteles entwickelt hatte; vgl. Singer: Fürstenspiegel (Anm. 196), S. 19 u. 178. Da er sich nicht mit der Erziehung und der Familie des Fürsten befasst, entfällt die Ökonomik; sie wird durch die Theologie ersetzt, die, ihrem Status unter den akademischen Disziplinen entsprechend, den ersten Platz einnimmt.

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rum rerum notitia“ anhand von Beispielen aus alter und neuer Zeit vermittelt. Der Behauptung, Fürsten gezieme die Kenntnis der Wissenschaften nicht, wird die Erwiderung des König Alphons von Aragon entgegengestellt, der gesagt haben solle: „hanc vocem bovis non hominis esse“ (th34). Der Fürst benötige zudem gute Räte und den Meinungsaustausch mit diesen, um schwierige Entscheidungen treffen zu können. In geheimen Politikprojekten sollte er nur wenige, besonders vertrauenswürdige und gemäßigte Männer beiziehen. Intensiver Beratungen bedarf es in Kriegsangelegenheiten, weswegen die prudentia militaris ausführlicher erörtert wird (th39‒50): „Res enim bellicae, summa cum prudentia sunt […] accurata cum deliberatione tractandae“ (th42), wozu tugendhafte und sachkompetente Männer erforderlich seien (th45). Hier dominiert die Frage des bellum iustum, doch hält sich Schwopius aus Kontroversen heraus. So erwähnt er zwar die Unterscheidung von Defensiv- und Offensivkrieg, geht aber insbesondere auf Letzteren nicht weiter ein. Wichtiger ist ihm, dass die göttliche Vorsehung in die Kriegsberatung einbezogen werde und dass sich die Fürsten nicht allein auf ihre Armeen verließen. Krieg müsse zudem so geführt werden, dass stets der Friede angestrebt werde. Nicht zu rechtfertigen sei der Krieg „ad propagandos imperii fines“. Zu hüten habe man sich in der ‚Außenpolitik‘ auch davor, die „regnandi cupiditas“ der Feinde zu reizen (th43). Hier spielt der Verfasser auf die Situation des schlesischen Herzogtums im Nahbereich zum Habsburger Imperium an. Rechtsverletzungen, der Hauptgrund des gerechten Kriegs, solle man primär auf friedlichem Wege zu bereinigen suchen. Wenn aber die einzige Hoffnung im Waffengang liege und das Wohl des Gemeinwesens auf dem Spiel stehe, dann sei der Krieg notwendig und gerecht. Die seinerzeitigen Klagen über den Sittenverfall der Militärs veranlassen Schwopius, den Fürsten zur Wiederherstellung der militärischen Disziplin der Alten zu ermahnen. Das funktioniere jedoch nur dann, wenn die Truppen besoldet würden, was wiederum solide Staatsfinanzen erfordere – alles kaum gelöste Probleme des Dreißigjährigen Krieges. Dazu müsse der Fürst den Untertanen Kontributionen abverlangen, was besonderer Rechtfertigung bedürfe und mit Vorsicht und Augenmaß zu bewerkstelligen sei. Die Kriegsabgaben ‚verkaufe‘ man den subditi am besten als den zu bezahlenden Preis für Frieden und Sicherheit sowie für die Verteidigung gegen Tyrannen (th48). Mögliche Widerstände gegen die Tributspflicht seien zu unterbinden. Versierte und treue Männer, die glaubhaft als Wächter des Gemeinwohls auftreten, sollen diese Kriegsabgaben einziehen (th49). Die prudentia leite den Fürsten schließlich vor, während und nach dem Sieg. Er habe sich gegenüber dem Feind milde zu erweisen und Grausamkeit zu meiden. Nach dem Sieg hüte er sich vor Übermut und schreibe den glücklichen Ausgang des Kriegs der göttlichen Vorsehung zu. Sind diese Ausführungen zum tugendhaften Fürsten wenig strittig, so bringen die abschließenden Quästionen dann doch noch einige Kontroversen zur Sprache, die um das Verhältnis von Fürst und Religion kreisen und die konfessionelle Lage des heimatlichen Herzogtums spiegeln. So erachtet Schwopius zunächst einen rechtmäßigen und nicht tyrannischen Fürsten auch dann als legitim, wenn er sich zu einer anderen Religion als die

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Untertanen bekennt, da er ja nur des allgemeinen Nutzens und der Ehre willen eingesetzt sei (q4). Doch sind verschiedene Religionen in einer Republik zu dulden? Allgemein sei die Glaubenseinheit ein wichtiger Garant für Eintracht und den wechselseitigen Konsens unter den Bürgern. Auch sei die wahre Religion gegen Unrecht und Unterdrückung durch ihre Feinde zu verteidigen. Andersgläubige könnten dann aber geduldet werden, wenn sie ruhig und friedlich lebten, Hoffnung auf ihre Konversion bestehe oder der öffentliche Friede ihre Duldung geboten erscheinen lasse (q5). Glaubenszwang sei nicht zulässig (q6). Ganz gefährlich sei es aber, über das Widerstandsrecht zu disputieren (q7). Im Allgemeinen kläre man die Frage „An licitum sit subditis resistere Principi?“ auf der Basis der Heiligen Schrift. Auf dieser Grundlage erweise sich Gehorsam, notfalls ein leidender, als grundsätzlich richtig, da der Fürst bzw. der Magistrat „in se habet aliquid divinum“ und den Königen und Fürsten ihre imperia von Gott gegeben seien. Einzig im Falle einer lebensbedrohenden manifesten Tyrannis sei, dem Naturrecht entsprechend, Widerstand möglich. Die Wahrnehmung dieses Rechts stehe jedoch nicht der Masse der Menschen zu, sondern nur Optimaten, Ephoren und all denjenigen, denen in einem solchen Staatsnotstand mit allgemeiner Zustimmung öffentliche Gewalt zugesprochen werde. Wenngleich Schwopius es in dieser die sogenannten Monarchomachen betreffenden Frage vermeidet, Junius Brutus oder Althusius als Autoritäten zu benennen, so kommt er dennoch zu ähnlichen Antworten. Antike wie moderne Autoren werden von Schwopius gleichermaßen herangezogen. Unter den zeitgenössischen dominieren mit Arnisaeus, Besold, Keckermann und Althusius die Verfasser von Werken zur Politik. Kritik wird an keiner der Autoritäten geübt. Der wissenschaftliche Anspruch der Dissertation ist somit durchschnittlich. Auf Machiavelli wird wie auch in Schiles De boni principis qualitatibus (1625) nicht und auf Kontroversen nur kursorisch eingegangen. Im Vordergrund steht ein Fürstenbild, das zwar die pietas an den Anfang stellt, was wohl dem Einfluss Dannhauers geschuldet ist. Das größte Gewicht hat aber nach wie vor die Klugheit mit ihren zwei Varianten, der prudentia civilis und der prudentia militaris. Diese noch überwiegend humanistische idea principis wird in Straßburg nach der Jahrhundertmitte jedoch verdrängt durch ein nun betont christliches Ideal des guten Fürsten. Dies lässt sich gut zeigen anhand der Dissertation des Pforzheimers Johann Friedrich Wibel vom Mai 1664.223 Wibel, Sohn eines Pastors und Scholarchen, hatte zunächst in Straßburg ein Studium der Theologie begonnen, wechselte dann aber zur Jurisprudenz.224 Seine Studien verliefen damit spiegelverkehrt zu denen Schwopius’. Der promovierte Jurist stieg, nach Aufenthal-

223 Schaller / Wibel: Idea boni principis (Anm. 192). 224 Gerhard von Stökken (Pr.) / Johann Friedrich Wibel (Resp.): Delibata ex iure usucapionum. Straßburg 1666; Johann Friedrich Wibel: Forum competens e continentia caussae, aurea praxi, in iure civili et camerali honoratum, […] pro licentia. Straßburg 1667.

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ten an verschiedenen Reichsgerichten, in Schwäbisch Hall zum Bürgermeister (Stättmeister) und Steuerherrn auf.225 Der Fürstenspiegel Wibels, der mit 33 Textseiten und fundierter Literaturkenntnis gehobene akademische Qualitäten aufweist, entstand allem Anschein nach noch während dessen Theologiestudium.226 Dementsprechend wird Johann Konrad Dannhauer als „incomparabilis et venerandus Theologus“ und als „cordatissimus Theologus“ hervorgehoben.227 Im Unterschied zu den vorherigen Fürstenspiegeln wird nun das Ideal des dezidiert christlichen princeps bonus gezeichnet, dessen erste Haupttugend nicht mehr die prudentia, sondern die pietas, die „Regina virtutum“, ist. Klar Stellung bezogen wird gegen jene, welche Politik und Religion auseinanderdividieren, mittels simulatio und dissimulatio eine falsche Religion dulden wollen, damit aber den wahren Glauben verleugnen (th9). Gewarnt wird „ne Princeps amphibium vel potius omnium religionum homo sit“, der „pro temporis opportunitate“ bald dieser, bald jener Lehre anhänge (ebd.). In diesem Kontext befasst sich Wibel dann ausführlich mit Diskussionsfragen zu den Themen Glaubenszwang und Religionstoleranz (th10‒13). An zweiter Stelle folgt die fides (th14). Hier wettert der Autor gegen die – auch von den „Pontificii“ befürwortete – Meinung Machiavellis, dass man an beeidete Verträge, die man mit Feinden und Häretikern eingegangen ist, nicht gebunden sei. Erst danach kommt Wibel zur Klugheit, die dem Fürsten bezeichnenderweise primär durch das Studium der Heiligen Schrift vermittelt wird (th15). Weitere diesbezüglich grundlegende Disziplinen sind die Jurisprudenz und verschiedene philosophische Fächer (Physik, Geographie, Astronomie usw.). Am auffälligsten zeigt sich der Wandel des Fürstenideals darin, dass nun auch in Straßburg die Keule des Antimachiavellismus geschwungen und vom verdammenswerten „Florentinum monstrum Machiavellus“, den „Machiavellisticae sycophantiae“ sowie den „Pseudo Politici“ gesprochen wird. Die ratio status wird als machiavellistisches bzw. staats225 Der promovierte Jurist war Sohn des Superintendenten Johann Georg Wibel und wurde in Pforzheim geboren. 1647 zog die Familie nach Schwäbisch Hall. Er hatte vermutlich ein Stipendium der Stadt, weswegen er die Dissertation dem Magistrat, Patriziat sowie Räten und Syndici der Stadt Schwäbisch Hall widmete. Wibels Wechsel des Studienfachs geschah auf Anweisung des Rates der Stadt. Nach Praxisjahren an Reichsgerichten in Speyer und Wien wurde der promovierte Jurist 1672 in den Rat gewählt; ab 1675 war er auch Stadtschreiber. Nach dem Tod seines Schwiegervaters rückte er 1687 ins Amt des Stättmeisters nach. Informationen über Wibel sind zu finden unter: http://www.dr-bernhard-peter.de/Heraldik/Galerien/galerie834.htm und http://portraits.hab.de/ person/13688/ (Zugriff: 11.4.2016). 226 Jakob Schaller (Pr.) / Johann Friedrich Wibel (Resp. et Aut./W): Idea boni principis breviter adumbrata (Mai). Straßburg 1664. 227 Ebd., S. 4 u. 12. Weitere Autoritäten sind Diego de Saavedra Fajardo (1584‒1648), Schönborner, Liebenthal und Lipsius, sodann Sleidanus, Antonius Peres, Johann Theodor Sprenger, Carolus Scribanius (Politicus christianus liber. Antwerpen 1624) und andere mehr. Auch Boeckler und Forstner sowie Johannes Loccenius fehlen mit ihren Kommentaren zu den antiken Historikern (Sallust, Velleius Paterculus, Tacitus, Cornelius Nepos) nicht.

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räsonistisches Trugbild („Statistarum idolum“) skizziert, das den Fürsten suggeriere, angebliche politische Sachzwänge („necessitates reipublicae“) über die ehrenvolle Staatsverwaltung stellen und Politik „contra jus divinum, religionem, honestatem et aequitatem“ betreiben zu dürfen (th8).228 Auffällig sind auch die starken Bezüge zur jüngeren Geschichte, insbesondere der Verweis auf deutsche Fürsten (etwa Landgraf Wilhelm von Hessen, th15) sowie auf Martin Luther, den „Germaniae nostrae Phoenix“ (th17). Die Dissertation ist repräsentativ für den Trend des späteren 17. Jahrhunderts hin zur protestantischen Moralistik und zum christlichen Naturrecht, wie es auch Schallers Nachfolger Johann Joachim Zentgraf vertrat.229 Die pietas als Leittugend des bonus princeps noch vor der iustitia präsentiert auch eine Dissertation Zentgrafs aus dem Jahr 1680.230 Die von Bernegger und Boeckler hochgehaltene prudentia büßte ihre Vorrangstellung ein, überhaupt verlor das Paradigma des Tacitismus seine Prägekraft. Schaller, der schon 1653 das Fürstenideal aus der Heiligen Schrift entwickelte, und dann auch Zentgraf gingen nun dazu über, anhand biblischer Figuren das Leitbild des Fürsten diskutieren zu lassen. Die antiken Kaiser und heidnischen principes mitsamt den für ihre Biographien grundlegenden Quellen (Sallust, Plutarch, Cornelius Nepos etc.) wurden damit verdrängt.231

4.3. Charakterbilder antiker Staatsmänner Einen für die Straßburger Schule besonders charakteristischen Akzent setzten Dissertationen über berühmte Männer der griechischen und römischen Antike. Sie entstanden – von einer späten Arbeit Berneggers über Alexander den Großen abgesehen232 – ab den 1640er Jahren, nachdem bis dahin eine offenbar erschöpfende Anzahl Dissertationen zu den Kaiserviten und Fürstenleitbildern entstanden war. Den Grundstein dafür hatte Boeckler 1640 mit seiner mehrfach erschienenen kommentierten Textausgabe des Werks des Cor-

228 Wibel verweist in diesem Kontext u. a. auf Boecklers De ratione status, oratio (Straßburg 1648). Gehalten hatte diese allerdings der dänische Edelmann Christian Urne. 229 Vgl. Hans-Peter Schneider: § 18. Christliches Naturrecht. In: Die Philosophie des 17. Jahrhunderts. Bd. 4: Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation, Nord- und Ostmitteleuropa. Hg. von Helmuth Holzhey u. Wilhelm Schmidt-Biggemann. Basel 2001, S. 813–835, hier S. 826f. 230 Johann Joachim Zentgraf (Pr.) / Leonhard Fischer (Resp.): Symbolum boni principis: pietate et iustitia. commentatione morali illustratum (September). Straßburg 1680. 231 Vgl. die oben (Anm. 192) genannten Dissertationen Schallers. Johann Joachim Zentgraf (Pr.) / Johann Christian Brandt (Resp.): Moses princeps Ebraeorum charactere politico expressus (Oktober). Straßburg 1686; Johann Joachim Zentgraf (Pr.) / Philipp Adam Rapp (Resp.): Josua princeps Ebraeorum, charactere politico expressus (Dezember). Straßburg 1686. 232 Matthias Bernegger (Pr.) / Georg Christoph Stirn (Resp. et Aut./W): Alexander Magnus idem seipso minor i.e. dissertatio historico-politica, in qua ex Q. Curtio artes et instrumenta magnitudinis Alexandreae eruuntur […], vitiaque breviter etiam ostenduntur (April). Straßburg 1634.

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nelius Nepos gelegt, die später auch Johann Andreas Bose wieder auflegte.233 In ihr habe Boeckler vorgeführt, wie man die biographischen Schriften Suetons, des Cornelius Nepos und Plutarchs zur Erforschung umfassender Klugheit nutzen und auf welche Weise man sie für die Praxis anwendbar machen könne.234 Bose erklärt auch den Wert solcher historischen Werke: Die Zusammenschau von Kleinigkeiten wie Außerordentlichem und die Betrachtung des gesamten Lebens der großen Männer in ihrem engeren und weiteren Umfeld könne viel dazu beitragen, den Geist mit Klugheit und Gewandtheit im Handeln auszurüsten. Weil Biographien – im Unterschied zu Chroniken und zu Berichten über besondere Ereignisse – eine einzelne Person als Gegenstand nähmen, bei der notwendigerweise ebenso sehr geringfügige wie schwerwiegende, unbedeutende wie erhabene und private wie öffentliche Taten nebeneinander stünden und vermengt würden, böten sie lebendige und getreue Geschichtsdarstellungen, die geeignete Exempel verfügbar machten.235 Die Tugenden und Laster, die Sitten, Gewohnheiten, Wünsche, Leidenschaften und Interessen der Menschen nicht nur abstrakt zu kennen, sondern anhand solcher Biographien geradezu erfahrbar zu machen, darin lag das Potenzial dieses Schrifttums. Das Wissen um die charakterlichen Veranlagungen solcher ‚Staatsmänner‘, die Erforschung der von Boeckler so genannten ingenia oder characteres politici, ermöglichte der communis opinio der Elsässer Denkfabrik zufolge tiefergehende Einblicke in das politische Geschehen. In diesem Sinne bearbeitete und kommentierte Boeckler auch die Historia Romana des Velleius Paterculus.236 In diesem Werk stehen Pompeius, Caesar, Augustus, Cicero und Cato im Zentrum. Bose empfahl über 30 Jahre später gleichfalls dieses Buch, zeigten die ‚Velleianischen Charakterbilder‘ Boecklers doch, wie groß die Notwendigkeit sei, die Veranlagungen der Menschen mit ihren Gewohnheiten und Leidenschaften zu kennen.237 Der Bibliograph der Straßburger Schule erläutert auch, warum hier antike Autoren und Exempel im Vordergrund stehen: Es sei der schlichte Mangel an Biographien zu zeitgenös233 Johann Heinrich Boeckler: Corn. Nepotis. vulgo Aemilii Probi, de excellentibus viris, quae extant. Straßburg 1640, 1644, 1648; sechste Auflage ebd. 1656; weitere Ausgaben: Leipzig 1653, 1657 u. 1662, Goslar 1658, Jena 1675, Frankfurt/Oder 1689 u. 1695. 234 Bose: Prudentia civilis comparanda (Anm. 26), th69: „Qui [d. h. Boeckler] et in eodem commentario, quomodo hoc genus scripta ad prudentiae uberioris indagationem et usum transferri possint ac debeant, docet, seu potius indicat.“ 235 Ebd., th68: „Quandoquidem enim personam singularem pro subiecto sibi proponant, in qua necesse est actiones non minus leves quam graves, parvas quam grandes, privatas quam publicas, componi et commisceri, sane magis vivas et fidas rerum narrationes, et quas ad exemplum tutius et felicius transferre possis, eas exhibere.“ 236 Johann Heinrich Boeckler (Pr.) / Michael Uhlen (Resp.): Characteres politici Velleiani. Sive notitia ingeniorum (capita 1 et 2) (November). Straßburg 1641; Johann Heinrich Boeckler (Pr.) / Georg Düranthall (Resp.): Characteres politici Velleiani. Sive notitia ingeniorum (capita 3 et 4) (März). Straßburg 1642; Johann Heinrich Boeckler (Pr.) / Adam Schiffmann (Resp.): Characteres politici Velleiani. Sive notitia ingeniorum (capita 5 et 6) (August, handschriftlich zu 9. September korrigiert). Straßburg 1642. Gesamtausgabe: Characteres politici Velleiani. Straßburg 1642. 237 Bose: Prudentia civilis comparanda (Anm. 26), th96.

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sischen viri illustres, der den Rekurs auf Sallust, Nepos und Plutarch und die von ihnen porträtierten ‚Staatsmänner‘ unumgänglich mache.238 Warum Dissertationen über berühmte Männer der Antike auch bei den Studenten populär waren, erklärt sich auch vor dem Hintergrund des Dreißigjährigen Krieges und seiner Hauptakteure. Um die Persönlichkeit und das Handeln eines Albrecht von Wallenstein, eines Christian von Braunschweig-Wolfenbüttel, Ernst von Mansfeld oder Bernhard von Sachsen-Weimar, eines Christian IV. von Dänemark oder Gustav II. Adolf begreifen zu können, bot es sich an, diese in den viri illustres zu spiegeln. Charakterliche Vorzüge und Schwächen dieser Heerführer mitsamt den Auswirkungen ihres Agierens konnten damit historisch-exemplarisch nachvollziehbar gemacht werden. Das lag auch deshalb nahe, weil Alkibiades (451‒404 v. Chr.), Thrasybulos (ca. 440‒388 v. Chr.), Lysander (ca. 454‒395 v. Chr.), Agesilaos (ca. 444‒359/58 v. Chr.) oder Epaminondas (415‒362 v. Chr.) als Feldherren in den militärischen Konflikten, etwa dem Peloponnesischen Krieg (431‒404 v. Chr.) oder dem Korinthischen Krieg (395‒387 v. Chr.), teils direkt miteinander zu tun hatten, teils auch innenpolitisch Gegenspieler waren. Dies gilt auch für Themistokles (525‒ nach 459 v. Chr.), Aristides (550‒467 v. Chr.) und Kimon (ca. 509‒450 v. Chr.), die in den Perserkriegen (500‒479/465 v. Chr.) gekämpft und den Aufstieg Athens vorangetrieben hatten, dabei jedoch Rivalen gewesen waren. Den Auftakt zu diesen Analysen sogenannter viri illustres markiert eine Dreifachdissertation zu Thrasybulos vom August 1640. Dass solche Persönlichkeiten mit ihren Taten und Tugenden nicht nur von historischem Interesse waren, strich Boeckler damit heraus, dass er den attischen Strategen als pacificator charakterisiert und mit seiner Biographie die Institution der Amnestie verknüpft.239 Cornelius Nepos, dessen Schrift die zentrale Quel238 Ebd., th69: Obwohl es nicht an herausragenden Persönlichkeiten gefehlt habe, hätten nur wenige Publizisten sich an solchen Biographien versucht. Für erwähnenswert hält Bose nur die anonyme Lebensbeschreibung des Hugenottenführers Gaspard de Coligny, die Viten Karls V. und Ferdinands I. von Alfonso de Ulloa, die Vita des Genuesers Pinelli (Vita Joannis Vincentii Pinelli, patricii Genuensis) von Paolo Gualdo und diejenige des Peirescius (Viri illustris Nicolai Claudij Fabricij de Peiresc, senatoris Aquisextiensis vita) von Pierre Gassendi sowie die Autobiographien von JacquesAuguste de Thou/Thuanus und Hieronymus Cardanus. 239 Johann Heinrich Boeckler (Pr.) / Philipp Franz König, Johann Friedrich Stocker u. Johann Sebastian Gambs (Resp.): Thrasybulus pacificator, sive dissertatio de amnestia ex Cornelio Nepote, quam […] tribus exercitationibus tuebuntur (August). Straßburg 1640. Der wichtigste unter den drei Respondenten war Johann Sebastian Gambs (1621‒1658), der dreimal unter dem Vorsitz Boecklers (1637, 1638, 1640) und einmal unter Schaller (1638) disputierte. Der Straßburger studierte die Rechte in Straßburg und verteidigte 1643 unter Johann Otto Tabor eine entsprechende Dissertation; seine Disputatio inauguralis de iure superficiario folgte 1644, ebenfalls in Straßburg. Er war zunächst Professor für Geschichte und Eloquenz, ab 1654 Professor der Rechte in Straßburg. Seine Witwe heiratete den Sohn Berneggers, Johann Kaspar (1612‒1675), der als Jurist, Archivar und Diplomat sowie schließlich auch als Bürgermeister in Straßburg wirkte. Johann Friedrich Stocker aus Schaffhausen, Sohn eines gleichnamigen Syndikus, war schon 1639 unter Bernegger an der Verteidigung von dessen Diatriben zu Suetons Augustus-Vita beteiligt (Diatribe 11). Er verstarb,

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le darstellt, hatte fides, constantia, magnitudo animi und Vaterlandsliebe bei Thrasybulos besonders hervorgehoben. Seine Leistungen bestanden darin, dass er Athen von den dreißig Tyrannen befreite, dabei auch ein Gesetz initiierte und dessen Durchsetzung gewährleistete, das lex oblivionis bzw. ‚Gesetz des Vergessens‘ genannt worden sei.240 Vor allem mit diesem Amnestie-Gesetz musste die Figur des ‚pacificator‘ Thrasybulos im Kontext wachsender Friedensbemühungen in der Spätphase des Dreißigjährigen Krieges das besondere Interesse der Zeitgenossen finden.241 Die auf Cassius Dio basierende MaecenasDissertation, in der Boeckler den Hauptakzent allerdings auf die Kunst der Politikberatung bzw. die politische Rhetorik legte, folgte drei Jahre später.242 Im Sommer 1644 wollten dann gleich drei Straßburger Studenten je einen Staatsmann der griechischen Antike – Themistokles, Epaminondas und Agesilaos – vorstellen und sich dabei auch als Autoren präsentieren. Schaller führte ab 1648, offenbar als sich Boecklers Weggang nach Schweden abzeichnete, diese Serie fort, beginnend mit dem grundlegenden Discursus politicus de studiis personarum illustrium; einen zweiten Anstoß für solche Abhandlungen lieferte er 1652 dann mit der Idea viri excellentis ex Cornelio Nepote.243 In den sieben Jahren ab 1651 entstanden unter Schallers Präsidium dann zehn solcher Arbeiten. Die Quellenbasis bildeten die antiken Biographen Plutarch und Cornelius Nepos, wobei auch Schallers Dissertationen das für Straßburg grundlegende Verständnis des Politischen artikulieren, den tacitistisch-lipsianischen „Prudentismus“.244 Und abgesehen von den ersten beiden Abhandlungen Boecklers von 1640 und 1643 wurden alle diese ‚Staatsmännerspiegel‘ von Autor-Respondenten präsentiert. Sie umfassen etwa 20 Seiten und sind zumeist essayistisch geschrieben. Ihre wie mehrere Leichenreden dokumentieren, bereits 1641 mit 21 Jahren in Straßburg. Zum Straßburger Philipp Franz König sind keine weiteren Informationen verfügbar. 240 Vgl. Robert J. Buck: Thrasybulus and the Athenian Democracy. The Life of an Athenian Statesman. Stuttgart 1998. 241 Die Dissertation findet sich wiederabgedruckt in Boecklers Dissertationes academicae von 1658 (S. 584‒635). Sie sei, so eine Randbemerkung (ebd., S. 584), erst 1642 von Boeckler geschrieben worden, doch ist die Schrift von 1658 identisch mit der Dreifachdissertation von 1640. Zum Inhalt des Wiederabdrucks vgl. Jirgal: Bökler (Anm. 58), S. 326. Demnach sah der Verfasser für den aktuell tobenden Bruderkrieg – im Unterschied zum Barbaren- bzw. Türkenkrieg – den einzigen Weg zum Frieden in der Amnestie. Dafür nennt er im dritten Kapitel Beispiele (unter anderem im Rekurs auf Bodins De republica 2.5) und verweist im vierten Kapitel auf Billigkeit, Christlichkeit und Vernunft als Begründungen für eine volle Amnestie. Im zweiten Kapitel ist diese definiert (th3) als „decretum sive lex, qua ad expediendam tollendamque, inter partes discordantes, firmae pacis difficultatem, anteactorum abolitio publica, solennis, jurata, communi utrinque consensu sancitur“. 242 Vgl. oben mit Anm. 61f. 243 Vgl. Schaller / Kölderer von Höch: De studiis (Anm. 49) bzw. Schaller / Rayger: Idea viri excellentis (Anm. 50). 244 Kühlmann: Geschichte als Gegenwart (Anm. 32), S. 44. Besonders einschlägig hierfür sind Schaller / Becht: Aristides (Anm. 245), wo häufig auf Lipsius und Berneggers Quästionen zu Tacitus verwiesen wird, und mehr noch die explizite Tacitusexegese Schaller / Feyerabend: M. Lepidus (Anm. 246).

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Qualität variiert abhängig von ihrem Stellenwert im akademischen Werdegang der Verfasser. Die Arbeiten von Michael Riebel (Agesilaos), Paul Reichard (Themistokles), Johann Jakob Gambs (Epaminondas) – alle drei wurden im Mai und Juni 1644 unter Boeckler präsentiert – sowie der Aristides Jakob Eberhard Bechts, der Alcibiades Ernst Bogislav Moscheroschs und Georg Briels Lysander markieren den Durchschnitt.245 Abgesehen von Briel bestritten die genannten ‚Autoren‘ entweder unmittelbar vorher oder im Anschluss daran weitere Disputationen. Die Dissertationen zu Atticus von Johann Erasmus Seiffart (1651), zu Manius Lepidus von Johann Feyerabend (1651), zu Kimon von Johann Jakob Schattmann (1653) und zu Sokrates von Johann Jakob Gerold (1658) gehen hinsichtlich Umfang und qualitativem Aufwand teils deutlich über die Vorgenannten hinaus.246 Das größere Engagement der zuletzt erwähnten Studenten erklärt sich aus dem Umstand, dass ihre Arbeiten die einzigen akademischen Leistungen geblieben sind. Im Fall von Seiffart, dem Sohn eines Juristen und Frankfurter Bürgermeisters, sind es die Ambitionen auf eine Ratsstellung, die ihn zu einer etwas aufwendigeren Arbeit motivierten.247 Der Mehrzahl der Verfasser ging es weniger darum, akademische Gelehrsamkeit unter Beweis zu stellen 245 Johann Heinrich Boeckler (Pr.) / Paul Reichard (Resp. et Aut./W): Themistocles sive idea magni civis ex Cornelii Nepotis Themistocle breviter delineata (22. Mai). Straßburg 1644. Johann Heinrich Boeckler (Pr.) / Johann Jakob Gambs (Resp. et Aut./T): Epaminondas, quem ex Cornelio Nepote […] proponit (27. Mai). Straßburg 1644. Johann Heinrich Boeckler (Pr.) / Michael Riebel (Resp. et Aut./W): Agesilaus princeps pace belloque bonus ex Cornelio Nepote […] repetitus (Juni). Straßburg 1644. Jakob Schaller (Pr.) / Jakob Eberhard Becht (Resp. et Aut./W): Aristides sive vir justus (Oktober). Straßburg 1652. Jakob Schaller (Pr.) / Ernst Bogislav Moscherosch (Resp. et Aut./W): Alcibiades pseudopoliticorum mores adumbrans (August). Straßburg 1655. Jakob Schaller (Pr.) / Georg Briel (Resp. et Aut./W): Lysander (März). Straßburg 1658. 246 Jakob Schaller (Pr.) / Johann Feyerabend (Resp. et Aut./ W): Manius Lepidus, sive bonus consiliarius sub malo principe ex Taciti annalium IV.20.3 delienatus (21. Januar, handschriftlich korrigiert zu 19.  Februar). Straßburg 1651. Jakob Schaller (Pr.) / Johann Jakob Schattenmann (Resp. et Aut./W): Dissertatio historico-politica de Cimone ex Cornel. Nepot. (März). Straßburg 1653. Jakob Schaller (Pr.) / Johann Jakob Gerold (Resp. et Aut./W): Socrates (März). Straßburg 1658. 247 Jakob Schaller (Pr.) / Johann Erasmus Seiffart (Aut. et Resp./W): T. Pomponius Atticus, sive civis tranquillus in republica turbata ex Corn. Nepot. XXV (April). Straßburg 1651. Seiffart studierte die Rechte und übernahm eine Stellung als Rat in Hessen-Homburg. Seine Dissertation über Atticus umfasst 34 Textseiten und ist akademisch anspruchsvoller als die Mehrzahl der anderen viri illustres-Dissertationen. Sie basiert auf den bekannten antiken Klassikern, allen voran Nepos und Tacitus, zitiert aber auch Bernegger, Boeckler und den „Excell. Dn.“ Präses (th35), dann auch den „Reverend. Dn.“ Dannhauer und den „Max. Reverend. Dn.“ Johann Georg Dorsche (1597‒1659; th37). Wichtige Autoritäten sind Jean Bodin (über die mit der Neutralität einhergehenden Gefahren), Justus Lipsius, Antonio de Guevara, Georg Schönborner, Lambertus Danaeus, Waremund von Erenberg, die Historiker Jacques-Auguste de Thou/Thuanus und Pierre Matthieu sowie Johann Balthasar Schupp mit der De arte ditescendi dissertatio (o. O. 1648; th20). Herangezogen werden zudem heute weniger bekannte Autoren wie der „Seigneur de Haillan“ (Bernard de Girard du Haillan) mit De l’éstat de succez dés affaires de France (Paris 1572, 1611, 1619 u. ö.; th22) und Friedrich H. Flayders Rede Vita, mors et opera maximi virorum Jani Gruteri (Tübingen 1628).

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als vielmehr eine spannende historische Persönlichkeit einem breiteren Publikum bekannt zu machen. Dass dies Anklang fand, belegt die dichte Kette dieser viri illustres-Dissertationen. Auffällig ist dabei das größere Interesse für die Griechen: Zehn der 15 Dissertationen zu einer solchen Figur widmen sich Strategen und Politikern aus dem antiken Athen und Sparta sowie Theben (Epaminondas) und Korinth (Timoleon). Als Nachzügler kann man dieser Gruppe von Dissertationen den erwähnten Scipio Africanus des Johann Peter Pflüger (1665) und Boecklers Lebensbeschreibung des Josephus (1660) anfügen, womit der Straßburger auch die antike Vorlage des Philon von Alexandria wieder einem breiteren Publikum in Erinnerung rief.248 Welche Tugenden und Taten die Straßburger Autor-Respondenten bei ihren Charakterbildern besonders interessierten und wie sie den Stoff arrangierten, soll nun an einigen Beispielen dargestellt werden. Der Straßburger Michael Riebel, der gleich drei Disputationen unter Boecklers Leitung verteidigte,249 wählte sich König Agesilaos (II.) von Sparta als Thema und schrieb seine Dissertation im Duktus eines Fürstenspiegels. Dementsprechend geht es im zweiten und mit zehn Seiten ausführlichsten Kapitel der Arbeit um die Tugenden dieses princeps in Kriegs- und Friedenszeiten. Die Einleitung erläutert die durch Ephoren beschränkte Macht des spartanischen Königtums,250 und das erste Kapitel schildert die Probleme des Agesilaos auf dem Weg zum Königtum (Konflikt mit Leotychidas und die Förderung durch Lysander251). Das abschließende dritte Kapitel ist den Früchten der zahlreichen Fürstentugenden gewidmet. Im Zusammenhang mit dem ‚Krieg‘, d. h. dem Korinthischen Krieg (395‒387 v. Chr.), in dem Agesilaos erfolgreiche Feldzüge unternahm und seinen Ruhm als Feldherr begrün248 Vgl. zu Schaller / Pflüger: Scipio, oben mit Anm. 140; zu Boeckler / Otto: Iosephus, vgl. oben mit Anm. 150. 249 Auf die Dissertation über den Mutinensischen Krieg nach Florus (1643) folgte 1644 die über Agesilaos nach Cornelius Nepos und 1647 eine auf Sueton rekurrierende über die Kaiser Vespasian, Titus und Domitian. Nur bei der Arbeit über Agesilaos reklamierte Riebel im Rahmen der Widmung die Autorschaft. Er widmete sie dem Straßburger Rechtsprofessor Gregor Biccius. Der Präses Boeckler und Johann Jakob Gambs fügten Carmina auf den Jurastudenten „Rübel“ bei. Die juristische Dissertation Periculum academicum usum iurisprudentiae syntheticae in analytica ostendens (Straßburg 1648) bildet den Schlussstein von Riebels akademischem Werdegang. Den Vorsitz hatte hier Johann Otto Tabor; als Patrone werden dessen Kollegen Gregor Biccius und Johann Rebhan genannt. 250 Boeckler / Riebel: Agesilaus (Anm.  245), [Einleitung] th4: Die Ephoren hätten nach Cornelius Nepos das „summum imperium“ innegehabt, während die reges eher dem Namen, nicht der Herrschaftsgewalt nach Könige gewesen seien. Diese Auffassung findet Riebel in Niels Krags De republica Lacedaemoniorum (Heidelberg 1593) bestätigt. 251 Boeckler / Riebel: Agesilaus (Anm. 245), caput 1., th4, fragen daher: „An Agesilaus Leotychidi jure sit praelatus?“ Der seinerzeit mächtige Lysander, ein „homo factiosus“, habe Agesilaos seinem Konkurrenten vorgezogen und seine Erhebung zum König durchgesetzt. Das Gelingen der Intrige sei aber der divina providentia zu verdanken, die jenen als König vorgesehen habe, der für das Gemeinwesen nützlich und notwendig gewesen sei (ebd., th6f.).

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dete, werden seine Schnelligkeit bei der Umsetzung von Entscheidungen (th6), seine Großherzigkeit und Aufrichtigkeit (th9‒12),252 seine strategische Klugheit und seine Fähigkeit, die Truppen in militärischer Disziplin zu üben (th13f.), betont. Im Kontext der „expeditio Asiatica“ werden civilitas und modestia des Agesilaos herausgearbeitet (th17). In Friedenszeiten zeichnete ihn seine Tugend als guten Bürger aus, die sich insbesondere in der Liebe zum „status“ einer „libera Respublica“ mit all ihren Gesetzen und Einrichtungen zeige (th18), des Weiteren seine clementia nach dem Sieg über die Athener und ihre Verbündeten (th22), seine einzigartige fortitudo (th23) sowie seine liberalitas und modestia (th25f.). Dass Agesilaos gleich nach Amtsantritt die Lakedämonier zu einem Offensivkrieg gegen die Perser überredete, den er selbst befehligte und bei dem er Teile Asiens mehrfach plünderte, wird damit legitimiert, dass es besser sei, den Feind in dessen eigenem Land zu bekriegen (th3). Dazu bringt Riebel auch Beispiele aus anderen Epochen, etwa das des Schwedenkönigs Erich, der den Krieg nach Dänemark getragen habe; eine Quelle wird nicht genannt. Überhaupt ist der akademische Anspruch gering. Beigezogen werden die einschlägigen antiken Geschichtswerke (Nepos, Xenophon, Plutarch), mit zeitgenössischen Autoritäten wird kaum gearbeitet. Einzig Justus Lipsius kommt mehrfach zu Wort. Alles in allem mag man auch Quellenkritik – etwa an Xenophons sehr positiver Darstellung des Agesilaos – vermissen,253 doch ging es Riebel primär ja darum, das Leitbild des guten ‚Königs‘ und Feldherrn zu zeichnen. Mit Alkibiades, dem antiken Staatsmann, Redner und Feldherrn, der als klassisches Beispiel eines emanzipierten, „den Rahmen der Polis sprengenden Machtmenschen“ gilt,254 wählte Ernst Bogislav Moscherosch (ca.1636 ‒ ca.1702) eine noch interessantere 252 Boeckler / Riebel: Agesilaus (Anm. 245), caput 2., th12, rühmen hier das Festhalten des Agesilaos am mit dem Perser Tissaphernes geschlossenen Waffenstillstandsvertrag, obwohl die Gegenseite diesen verletzt hatte. 253 Xenophon war mit Agesilaos befreundet und schilderte ihn als Vorbild eines Herrschers. Kritisches zu dieser Quelle Riebels bei Hermann Bengtson: Griechische Staatsmänner. München 1983, S. 184f. 254 Franz Kiechle: Alkibiades 2. In: Der Kleine Pauly 1, 1973, Sp. 261‒264, hier Sp. 262. Der attische Stratege während des Peloponnesischen Krieges war verantwortlich für die Vernichtung der neutralen Insel bzw. Stadt Melos und Protagonist der imperialistischen sizilianischen Expedition. Nach seiner Verurteilung zum Tode in Abwesenheit – er wurde der Beteiligung am sogenannten Hermenfrevel bezichtigt – wandelte er sich vom Anhänger zum Gegner der Demokratie, deren Sturz er u. a. von Sparta aus betrieb. Geschickt nutzte er die politischen Stimmungen und ließ sich nach dem oligarchischen Umsturz von der demokratisch gesinnten Flotte erneut zum Strategen wählen. Mit ihr betrieb er Machtpolitik nach eigenem Gusto. Nach der Wiedererrichtung der Demokratie wurde der erfolgreiche Militärführer zunächst feierlich nach Athen zurückberufen; jedoch betrieben die Demagogen bald darauf erneut seine Absetzung. Dadurch habe sich Athen des aussichtsreichsten Widersachers des Spartaners Lysandros entledigt. Auf dessen Betreiben hin wurde der ins Ausland geflohene Alkibiades ermordet. Vgl. auch Wolfgang Schuller: Alkibiades. In: Große Gestalten der griechischen Antike. 58  Portraits von Homer bis Kleopatra. Hg. von Kai Brodersen. München 1999, S. 337‒346, und Karen Piepenbrink: Alkibiades. In: Historische Gestalten der Antike. Re-

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Figur.255 An dieser Person ließ sich zeigen, was die frühneuzeitliche Politikwissenschaft unter einem ‚politicus‘ verstand: den weltgewandten, klugen bis verschlagenen Politiker, der sich mit den Zeitumständen bestens zu arrangieren wusste, dessen Ehrgeiz aber auch kaum Grenzen kannte. Das Thema übernahm der Autor-Respondent auf Empfehlung Schallers, der ihm auftrug, „Alcibiadis Mores pro Disputationis materie tractare“. Sowohl der Präses als auch Boeckler sowie der Rhetorikprofessor Königsmann bedachten Moscheroschs Arbeit mit Gratulationsversen. Der nach dem Studium als Dichter und Lehrer am städtischen Gymnasium in Frankfurt am Main256 wirkende Moscherosch schildert zunächst Kindheit und Jugend des Alkibiades. Zeichneten ihn einerseits edle Veranlagung und Vollkommenheit des Körpers aus, so sei andererseits zu bemängeln, „quod literas virtutemque non propter se didicerit, sed ex ambitione et gloriae cupiditate, ut hac ratione famam sibi compararet, ad Rempubl. viam sibi sterneret“ (th4). Der durch Lehrer wie Sokrates unterrichtete „Politicus Alcibiades“ habe es dann schon beim Betreten der politischen Bühne verstanden, die Herzen der Menschen für sich einzunehmen und beim Volk Begeisterung für seine Person zu wecken. Zu seinen Fähigkeiten und Charakterzügen hätten außerordentliche Klugheit und Sachverstand in allen Fragen (th6), aber auch astuta vafritia (verschlagene Schlauheit) und diffidentia (Misstrauen) gehört (th7). Exemplarisch für seine Schlauheit sei die Episode um die spartanische Gesandtschaft, welche bei den Athenern nach dem Nikias-Frieden (421  v. Chr.) für eine weitere Zusammenarbeit werben sollte. Durch listiges Taktieren hintertrieb Alkibiades dieses Ansinnen und manövrierte seine innenpolitischen und spartafreundlichen Gegner aus. Die spartanische Gesandtschaft wurde von ihm dabei – „O Machiavellisticam calliditatem!“ – in betrügerischer Weise vorgeführt.257 Er verstand es zeption in Literatur, Kunst und Musik (= Der Neue Pauly. Supplemente. Bd. 8). Hg. von Peter von Möllendorff, Annette Simonis u. Linda Simonis. Stuttgart, Weimar 2013, Sp. 59–68, wo unsere Dissertation aber nicht erwähnt wird. 255 Schaller / Moscherosch: Alcibiades (Anm.  245). Die Dissertation umfasst 18 Textseiten mit 16 Abschnitten. Sie ist exklusiv dem Herzog Ernst Bogislav von Croy (1620‒1684) gewidmet. Der Vater des Respondenten, der Dichter Johann Michael Moscherosch (1601‒1669; Pseudonym Philander von Sittewald), war 1636 von diesem Herzog in Dienst gestellt worden und hatte daher seinem kurze Zeit später geborenen Sohn die Vornamen seines Dienstherren gegeben. Ernst Bogislav Moscherosch war als „Vinstingensis“ (Finstingen an der Saar) im April 1654 in die Matrikel der Bakkalaureatskandidaten der philosophischen Fakultät eingeschrieben; im Januar 1656 taucht sein Name dann unter den Magisterkandidaten auf – hier mit der Herkunftsangabe „Arg[entinensis]“, also Straßburg. Für seine 1658 unter Boeckler erarbeitete Abhandlung Votum imperatorium. Ad Tac. 4 A. 38 benannte Ernst Bogislav einen weiteren Dienstherrn seines Vaters, den Grafen Friedrich Casimir von Hanau, als Widmungsadressaten und Förderer. 256 Vgl. Walter Ernst Schäfer: Moral und Satire. Konturen oberrheinischer Literatur des 17. Jahrhunderts. Tübingen 1992, S. 139f. 257 Schaller / Moscherosch: Alcibiades (Anm. 245), th6. Alkibiades hatte die spartanische Delegation hinter verschlossenen Türen überredet, ihr volles Verhandlungsmandat zu verheimlichen. In der darauffolgenden Volksversammlung konnte er daher diese Legaten des Wortbruchs und der

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auch, sich allen Zeitumständen schlau anzupassen (th8) und seine wohlgefällige Stimme („Suavitas oris“; th9) so gekonnt einzusetzen, dass er mit seinen Reden das Volk ob seines Schicksals zu Tränen rühren vermochte. Vor allem aber faszinierte seine Fähigkeit, das Wohlwollen seiner Mitmenschen zu erwerben und sie für seine Ziele einzunehmen. Ein offenes Ohr zu haben, heitere Miene und freundliche Umgangsformen zu zeigen, auch darin sei Alkibiades, „ut in aliis Politicorum artibus, […] excellentissimus“ gewesen (th10). Sein Charakterbild des Alkibiades stellte der ‚Autor‘ überwiegend auf der Grundlage antiker Schriftsteller zusammen, allen voran Cornelius Nepos und Plutarch, und arbeitete auch zahlreiche Dichter (Hesiod, Horaz, Ovid sowie den von Moscheroschs Vater geschätzten Engländer John Owen) ein. Auf neuere Autoren, etwa das einschlägige Werk Gumpelzhaimers,258 das Vater Moscherosch 1652 „auctior“ herausgab,259 wird selten rekurriert. Auch wird nicht systematisch entwickelt, was unter ‚pseudopolitici‘ und deren ‚mores‘ zu verstehen sei, doch muss den Lesern klar gewesen sein, dass damit der machiavellistische Machtpolitiker gemeint war, der hier und dort mit dem politicus christianus konfrontiert wird. So erinnert die einem Chamäleon vergleichbare Anpassungsfähigkeit des Alkibiades an seine jeweilige Umgebung – an die auf Ruhm und Würde angelegte Lebensweise seiner Athener Heimat, an die disziplinierte Lebensweise der Spartaner, an die lasterhafte der Thraker und die dem Luxus ergebene der Perser – den jungen Moscherosch an die „hodiernorum politicorum consuetudo“, sich überall, wo sie sich gerade aufhalten, als bestens angepasst zu präsentieren und beliebt zu machen (th12). Mit ‚Machiavellismus‘ konnotierte das politische Denken der Frühen Neuzeit auch die Vita des Lysander.260 Der spartanische Staatsmann und Feldherr hatte im Peloponnesischen Krieg die Athener besiegt und den Verfassungswechsel hin zur Oligarchie bewirkt. Sein Ehrgeiz und Hochmut, die ihm in der eigenen Polis viele Feinde verschafften, lassen ihn zur Parallelfigur zum Athener Alkibiades werden. Der Straßburger Georg Briel porträtierte ihn 1658 in einer Dissertation.261 Wenngleich Briel ihn nicht explizit mit Machiavelli in Verbindung bringt, so weist er doch schon im Rahmen der Erziehung des Lysander auf die „gloriae cupiditas atque ambitio“ hin (th5) und bezeichnet ihn als „callidissimus Treuelosigkeit bezichtigen, womit er den Abbruch der Verhandlungen erreichte. Quelle hierfür ist Plutarch (Alkibiades 14). Vgl. Bengtson: Griechische Staatsmänner (Anm. 253), S. 156f. 258 Vgl. oben (Abschnitt 1) mit Anm. 24. 259 Schäfer: Moral und Satire (Anm. 256), S. 30‒37. Georgii Gumpelzhaimeri […] dissertatio de politico, auctior prodit opera et studio Joh[annis] Mich[aelis] Moscherosch[ii]. Straßburg 1652. 260 Vgl. Christian Hoffmann (Pr.) / Karl Maximilian von Hopffstock „Eques Silesius“ (Resp.): Machiavellus ante Machiavellum, ex historia Lacedaemoniorum productus. Jena 1668, eine Boeckler und Bose verpflichtete Dissertation. 261 Schaller / Briel: Lysander (Anm. 245). Von diesem „Auth[or] et Resp.“, der offenbar im selben Jahr 1658 an die Universität Altdorf wechselte (Briel trat hier im August 1658 als Beiträger zur Disputatio metaphysica eines Straßburgers auf ), sind keine weiteren Publikationen nachweisbar und keine zusätzlichen biographischen Informationen greifbar. Ernst Bogislav Moscherosch, der knapp drei Jahre zuvor Alkibiades porträtiert hatte, steuerte der Dissertation Briels Glückwunschverse bei.

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Abb. 3: Titelblatt zu Jakob Schaller (Pr.) / Jakob Eberhard Becht (Resp. & Aut./W): Aristides sive vir justus (Oktober). Straßburg 1652. Exemplar der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, Signatur 8 AUCT LAT II, 5245 (6).

expertus“ (th10), dessen „callida liberalitas“ mit „arrogantia“ (th11) und einem „ingenium factiosum“ gepaart gewesen sei. Hinzu kommen Jähzorn und Unredlichkeit dieses „politicus semibonus“, der sein Handeln religiös bemäntelt habe („omnibus actionibus suis colorem religionis praetexere“, th14). Grausamkeit hielt er verdeckt, Freundschaft täuschte er vor.262 Machiavelli brachte den Zeitgenossen Lysander in Erinnerung, indem er dessen von Plutarch (Lysandros 7) überlieferten Ausspruch „wo das Löwenfell nicht hinreicht, da muß man das Fuchsfell annähen“ in seinem Principe aufgriff; im Zeitalter des Frühabso262 Schaller / Briel: Lysander (Anm. 245), th15: „dissimulatae crudelitatis et simulatae amicitiae“. Briel nennt neben Plutarch und weiteren antiken Quellen auch Werke moderner Autoren wie Lipsius, Bernegger, Boeckler und Freinsheim (sie erhalten das Attribut „Cl[arissimus]“), vereinzelt auch Grotius, Konrad Horneius, Piccart und Friedrich Taubmann sowie Arnisaeus.

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lutismus avancierte dieser Spruch zum Leitmotto des um die Staatsräson kreisenden politischen Denkens.263 Gewissermaßen Gegenpole zu Alkibiades und Lysander bildeten Aristides (Aristeides) und Timoleon. Die Abhandlung über Aristides ließ der Autor-Respondent Jakob Eberhard Becht (1633‒1684) aus Straßburg 1652 mit einem großen Titelbild drucken, welches das Konterfei des griechischen Staatsmannes zeigt.264 Exklusiv gewidmet ist sie dem Juristen Daniel Imlin (1602‒1668), einem gefragten politischen Berater, hochrangigen Verwaltungsbeamten und geschätzten Mäzen, der sich um 1650 durch „geschickte juristische Argumentation gegen die französischen Schuldforderungen an die Stadt“ ausgezeichnet hatte.265 Becht, der zwischen 1650 und 1660 studierte, den juristischen Doktorgrad erwarb und später selbst als Advokat und Magistrat in Straßburg wirkte,266 scheint seine essayistisch formulierte Dissertation auch als eine Art Festschrift für Imlin verstanden zu haben.267 Aristides, der Konkurrent des Themistokles und Gegner von dessen Flottenbauprogramm, wird schon bei Herodot mit dem Beinamen ‚der Gerechte‘ erwähnt.268 Cornelius Nepos beschrieb ihn als Mann von großer Rechtschaffenheit, der als Stratege an den Perserkriegen teilgenommen und großen Anteil an der Gründung des ersten Attischen Seebundes hatte. Sein Gerechtigkeitssinn habe bewirkt, „dass fast alle Staaten Griechenlands sich einem Bündnis mit den Athenern anschlossen und diese als Anführer gegen die

263 Vgl. Michael Stolleis: Löwe und Fuchs. Eine politische Maxime im Frühabsolutismus. In: ders.: Staat und Staatsräson in der frühen Neuzeit. Frankfurt/Main 1990, S. 21‒36. 264 Schaller / Becht: Aristides (Anm. 245). 265 Walter Ernst Schäfer: Johann Michael Moscherosch. Staatsmann, Satiriker und Pädagoge im Barockzeitalter. München 1982, S. 154. 266 Vgl. Johann Melchior Sachs (Pr.) / Jakob Eberhard Becht (Resp.): Disputatio de consensu in genere. Straßburg 1659. Sachs war promovierter Jurist und Professor der Institutionen. Vermutlich förderte er Becht schon früh, was seine Gratulationsverse andeuten, die er zum Aristides beisteuerte. Weitere Beiträger waren der Jurist und Advokat Johann Adam Schragius und der Mediziner Johann Schilling. Bei der Dissertation von 1659 war, wie die Widmung zeigt, Becht nur „Resp.“. Der Titel der juristischen Doktordissertation lautet: Jakob Eberhard Becht: Disputatio inauguralis iuridica de minimis. Straßburg 1660. 267 Becht war nicht daran gelegen, Belesenheit und Gelehrsamkeit unter Beweis zu stellen. Zwar tauchen neben den antiken Klassikern (allen voran Plutarch, aber auch Cassius Dio, Livius, Sallust, Sueton, Tacitus und Valerius Maximus) hier und dort auch ein paar moderne Autoritäten auf, etwa Bodin, Carolus Sigonius, Lipsius, Grotius und der „Clariss[imus] Berneggerus“ (S.  23); genaue Belegstellen werden in der Regel aber nicht angegeben, oft nicht einmal die Werke genannt. Es ging also wohl eher darum, einem breiteren Publikum eine antike Leitfigur in Wort und (Titel)Bild vorzustellen und dabei auch dem Widmungsadressaten und Förderer Daniel Imlin zu huldigen. 268 Elke Stein-Hölkeskamp: Aristeides (1). In: Der Neue Pauly. Hg. von Hubert Cancik u. Helmut Schneider. Bd. 1. Stuttgart, Weimar 1996, Sp. 1094f., mit Korrekturen der neueren Forschung zum Verhältnis von Aristides und Themistokles.

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Barbaren wählten.“269 Aristides organisierte die Finanzierung des Flottenbaus und der Truppen des Bundes. Seinen Beinamen erhielt er aufgrund des Verteilschlüssels, nach welchem er die Beiträge der Bundesgenossen festsetzte. In seinem politischen Handeln sei er so uneigennützig gewesen, dass er, obwohl sehr viel Geld durch seine Hände gegangen war, 468 v. Chr. in größter Armut gestorben sei. Becht erwähnt zunächst die mansuetudo und humanitas bzw. civilitas des Aristides, konzentriert sich aber auf dessen iustitia, deren ‚Wurzeln und Wurzelfasern‘ (fibra) er freilegt.270 Gleichfalls als eine „der wenigen Lichtgestalten der griechischen Geschichte“ konnte Timoleon gelten,271 ja, sein Image als uneigennütziger Tyrannentöter machte ihn zu einer ungleich spektakuläreren Figur als Aristides. Cornelius Nepos beginnt die Lebensbeschreibung des Korinthers mit dem Bericht über die von Timoleon veranlasste Ermordung seines Bruders Timophanes. Dieser hatte sich mit Hilfe von Söldnern zum Tyrannen von Korinth aufgeschwungen und beabsichtigte, mit seinem Bruder zu regieren, der sich aber an diesem ‚Verbrechen‘ (Tyrannenherrschaft) nicht beteiligen wollte. Timoleon habe ‚die Freiheit seiner Mitbürger dem Wohlergehen seines Bruders vorgezogen‘ („ut antetulerit civium suorum libertatem fratris saluti“) und es für besser gehalten, ‚den Gesetzen zu gehorchen als über sein Vaterland zu herrschen‘. Deshalb ließ er diesen durch einen Verwandten töten.272 Die zweite wichtige Lebensaufgabe erwuchs Timoleon, als er von seiner Heimatstadt als Stratege nach Syrakus entsandt wurde, um die Stadt von der Bedrohung durch den Tyrannen Dionysios II. und die Karthager zu befreien. Dazu schmiedete er eine Symmachie aller sizilianischen Griechenstädte und einiger der dortigen Tyrannen gegen Karthago. So erreichte er schließlich einen Frieden, der die Karthager zur Nichteinmischung auf Sizilien verpflichtete. Dionysios wurde vertrieben und er selbst als Befreier und ‚Oikist‘ verehrt. Timoleon stellte die Eigentumsverhältnisse der Bürger wieder her und holte Siedler nach Sizilien. Er beseitigte die Bollwerke der Tyrannei, ordnete die Verfassungen der Stadt Syrakus und anderer Städte neu und gab diesen ‚ihre Gesetze und ihre Autonomie wieder zurück‘ („civitatibus leges libertatemque reddidit“). Von da an galt er als Gründer dieser Städte, der ohne Widerstände die Macht in ganz Sizilien hätte an sich bringen können. Er aber wollte ‚eher geliebt als gefürchtet werden. Deshalb legte er, sobald er nur konnte, den Oberbefehl nieder und verbrachte den Rest seines Lebens als Privatmann in Syrakus‘.273

269 Cornelius Nepos: Berühmte Männer. De viris illustribus. Lateinisch-deutsch. Hg. u. übersetzt von Michaela Pfeiffer unter Mitarbeit von Rainer Nickel. Düsseldorf 2006, S. 53. 270 Beschrieben wird das stets korrekte und uneigennützige Verhalten des Aristides (1.) in Beratungen (S. 11‒14), (2.) in der Rechtsprechung, (3.) in der Finanzverwaltung (Flottenbau), (4.) „in bello iusto“ und (5.) „in censu“, also bei der Festlegung der Bundesbeiträge (S. 25‒27). 271 Hans-Joachim Gehrke: Timoleon. In: Große Gestalten (Anm. 254), S. 354‒360, hier S. 354. 272 Nepos: Berühmte Männer (Anm. 269), S. 268f. 273 Ebd., S. 272f. u. 275. Zitiert bei Schaller / Münch: Timoleon (Anm. 274), th55.

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Die Straßburger Dissertation über Timoleon, die der Frankfurter Autor-Respondent Johann Matthäus Münch im Juli 1651 präsentierte, erweist sich mit ihren 32 Textseiten (80 Thesen) als ähnlich anspruchsvoll wie die erwähnten Arbeiten von Seiffart und Feyerabend.274 Der spätere Schöffe und Rat seiner Heimatstadt, der auch einen juristischen Grad erwarb,275 zog nicht nur die einschlägigen Werke von Cornelius Nepos und Plutarch sowie weitere antike Klassiker heran,276 sondern auch deren zeitgenössische Editoren und Kommentatoren (Bernegger, Boeckler, Freinsheim, Jacobus Zevecotius). Zudem zitiert er die wichtigen politischen und staatsrechtlichen Autoritäten des 16. und 17. Jahrhunderts (Lipsius, Schönborner, Lambertus Danaeus, Reinking, Botero und Besold bzw. Bodin, Limnaeus, Grotius). Explizite Referenz erweist Münch den Straßburger Gelehrten, darunter dem offenbar immer beliebter gewordenen Kontroverstheologen Dannhauer.277 Besondere Aufmerksamkeit verdient die Dissertation nicht zuletzt deshalb, weil der Präses im 274 Jakob Schaller (Pr.) / Johann Matthäus Münch (Resp. et Aut./W): Timoleon, sive liberator patriae ex Corn. Nepote et Plutarcho. Adiecta est in fine a praeside delineatio exercitationis ad Joh. Miltoni defensionem pro populo Anglicano (Mai, handschriftlich korrigiert zu Juli). Straßburg 1651. Seine Widmung adressierte Münch an Frankfurter Senatoren, Kaufleute und Geistliche, darunter den Vater und einige Verwandte. 275 Johann Matthäus Münch: Dissertatio inauguralis iuridica de expromissoribus vulgo freywilligen Selbst-Schuldnern. Gießen 1683. Vgl. Martin Difenbach: Quietismus sanctorum biblicus, Das ist: Der Stillen im Lande Gottgefällige Furcht und Hoffnung, […] an dem Exempel Des […] Hn. Johann Matthäi Münchs, Gewesenen Hochverdienten Mit-ältisten Schöffen und des Raths allhier […] gezeigt. Frankfurt 1699. Nach dem hier abgedruckten „Lebens-Lauff“ war der Autor-Respondent Sohn des Kaufmanns und Rates Johann Anshelm Münch, besuchte zunächst das Frankfurter Gymnasium und nahm dann unter der Aufsicht des Freundes Daniel Braun, eines Kandidaten der Rechte, sein Studium in Straßburg auf. Braun ist einer der Beiträger von Versen zum Timoleon Münchs. In Straßburg studierte letzterer ab 1649 zunächst Logik und Ethik, dann auch die Rechte; 1653 wechselte er nach Heidelberg und anschließend nach Tübingen, wo er bei Gottfried von Jena und Johann Theodor Sprenger bzw. bei Wolfgang Adam Lauterbach und Johann Grafft studierte. Bei der Tübinger Disquisitio politica de genuina reipublicae constitutione (1656), vorgestellt vom Frankfurter Johann Hermann Zwick unter der Leitung von Grafft, taucht sein Name unter den Beiträgern auf. Nach neun Jahren Studium kehrte er 1658 nach Frankfurt zurück, heiratete dort Anna Margaretha Ulmer, die Tochter des Rates Hieronymus Ulmer, und begann seine Ämterlaufbahn. 276 Nepos zeichnet im Vergleich zu Plutarch ein deutlich positiveres Charakterbild des Timoleon. Vgl. Sabine Anselm: Struktur und Transparenz. Eine literaturwissenschaftliche Analyse der Feldherrnviten des Cornelius Nepos. Stuttgart 2004, S.  144f. Auch Diodors Griechische Geschichte ist eine wichtige Quelle, die manches aus der beschönigenden Darstellung des Nepos infrage stellt. Auf solche Divergenzen geht Münch nicht ein. Quellenkritik ist nicht seine Sache, geht es ihm doch um das Ideal eines vir illustris. 277 Die Hervorhebung Dannhauers ist insofern bemerkenswert, als die in seinen ethisch-politischen Exercitationes angesprochenen „Problemata“ eher kursorischen Charakter haben, er von Münch aber im Kontext der Spezialfrage nach den Auswahlkriterien für fürstliche Räte als maßgebliche Autorität neben Lipsius präsentiert wird. Vgl. Johann Konrad Dannhauer: Collegium exercitationum ethico-politicarum, in quo controversiae in philosophia practica celebriores discutiuntur. Mar-

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Kontext des Themas ‚Tyrannenbekämpfung‘ und in Reaktion auf die Hinrichtung des englischen Königs Karl I. sowie die diese Tat rechtfertigende Publizistik der Dissertation Münchs eine kurze Abhandlung beigab, in der er auf eine Schrift des englischen Dichters und Republikaners John Milton (1608‒1674) reagierte. Den eher losen Rahmen bildet die Gliederung in drei Kapitel. Während das erste nur knapp auf die Herkunft (Korinth) des Helden eingeht, bildet das zweite den umfangreichen Hauptteil. Hier folgt Münch einem Set von Leittugenden, nämlich prudentia, iustitia, magnanimitas, fortitudo sowie pietas und fortuna, verknüpft diese mit verschiedenen Episoden aus dem Leben des Timoleon, greift aber auch auf andere antike Leitfiguren wie Alexander den Großen zurück. Der Schlussteil erörtert „memorabilia post liberationem patriae“, welche die politische Neuordnung der von den Tyrannenherrschaften befreiten Stadtstaaten thematisieren. In der im Stil eines „discursus politicus“ geschriebenen Dissertation behandelte der Verfasser zudem zahlreiche politische Streitfragen und nutzte diesen Anlass, seine Belesenheit zu demonstrieren. So kommen hier Fachschriftsteller wie der Jurist Reiner Bachoff von Echt, der Mediziner Jean Fernel und der Militärtheoretiker Konrad Dieterich zu Wort;278 auch Machiavelli fehlt nicht.279 Seiner Konzeption entsprechend arrangiert Münch den biographischen Stoff um. Das wichtigste Element bildet die prudentia des Tyrannentöters. An den Anfang stellt er die militärische Klugheit des Timoleon, die sich in der Vorbereitung und Durchführung des Kriegs wie auch in seinen Taten und seiner Haltung als Sieger gezeigt habe. So habe der liberator die Rechtmäßigkeit des Krieges propagiert und damit, flankiert durch religiöse Zeremonien, das Wohlwollen der Menschen gewonnen. „In bello gerendo“ habe er unterschiedliche Waffengattungen genutzt und seine experientia unter Beweis gestellt. Seine Kriegführung offenbarte die kluge Kombination aus Milde gegenüber dem Feind und Strenge gegenüber den eigenen Soldaten.280 Obwohl er gemäß dem Kriegsrecht den Tyrannen hätte töten können, habe er darauf verzichtet, was Münch zum Anlass nimmt, einen kurzen Exkurs zur Frage des Widerstands gegen Tyrannen einzubinden. In diesem Kontext erörtert der Frankfurter dann auch die erwähnte Episode mit dem Bruder Timoburg 1626, hier disputatio 3, problema 9 (S. 62‒64): „Consiliarios Principis ut comparatos esse oporteat?“ 278 Den Institutionenkommentar (1628, 1643) des Bachovius zitieren Schaller / Münch: Timoleon (Anm. 274), th34, bei der Diskussion der Rechtmäßigkeit der Sklaverei im Gefolge von Kriegen. Auf der Basis von Fernels Pathologia (1555) geht Münch der Frage nach, ob die Erblindung des Timoleon altersbedingt oder erblich war; ebd., th61. Die Dissertation Dieterichs bzw. Theodoricus’ (De munitionibus et propugnaculis, 1608, 1643) zieht der Frankfurter bei der Diskussion um den Nutzen von Befestigungsanlagen heran; vgl. die folgende Anm. 279. 279 Im Kontext verteidigungspolitischer und militärstrategischer Fragen (Schaller / Münch: Timoleon, Anm. 274, th73‒76) wird auf die Discorsi verweisen, wo Machiavelli (2.24) den Nutzen von Festungen kritisch hinterfragt und diskutiert (2.12), ob man Feinde besser im eigenen Land erwarte oder den Krieg eher in das Land des Feindes trage. 280 Schaller / Münch: Timoleon (Anm. 274), th37: „in militum desertores severum fuisse“.

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phanes, die offensichtliche Schwachstelle im Leben des tugendhaften Helden.281 Den letzten Aspekt in dieser langen Passage zur prudentia bildet die Kompetenz, verdeckte Gefahren zu erkennen, die aus dem Neid und der Eifersucht auf die Erfolge eines anderen entstehen. Timoleon habe diese Fähigkeit gegenüber Hiketas, dem Machthaber von Syrakus, bewiesen, wie in Plutarchs Vita zu lesen sei (th49). Unter der Rubrik ‚iustitia‘ verbucht Münch, dass Timoleon sich lieber den Gesetzen seines Staates unterworfen, sich seinen Mitbürgern gleichgestellt und das Angebot seines Bruders zur Mitregentschaft abgelehnt habe. In diesem Kontext wiederholt er die positive Sichtweise der Ermordung des Timophanes: „Civium libertas […] praefertur fratris saluti“ (th52). Ebenfalls seine Gerechtigkeit unter Beweis gestellt habe Timoleon damit, dass er nach dem Sieg über den Tyrannen nicht auf Kriegsbeute aus war, sondern die Besitzstände der Bürger wiederhergestellt habe. Er wollte zudem eher geliebt als gefürchtet werden, weshalb er, sobald dies eben möglich war, die Befehlsgewalt niedergelegt habe. Mäßigkeit und Bescheidenheit bewies Timoleon, indem er – als Antwort auf andere, die ihn seiner Verdienste wegen priesen – seine Leistungen und Erfolge nicht sich, sondern den Göttern zuschrieb, die ihn als Anführer ausgewählt hätten. Allen Fürsten gezieme es, so Münch, ihr Kriegsglück den Göttern und den Erfolg den eigenen Soldaten zuzuschreiben (th56). Auch willkürliche Anklagen und Schmähungen (durch Laphytios bzw. „Lamestius“ und Demainetos) habe Timoleon stoisch hingenommen, sie gar mit dem Argument der Freiheit explizit verteidigt. Seiner Meinung nach habe, so Münch mit Nepos, wirkliche Freiheit darin bestanden, dass ein jeder tun könne, was er für richtig halte, solange die Gesetze beachtet würden. Die Freiheit, für deren Wiederherstellung er gekämpft habe, müsse auch die Möglichkeit umfassen, dass man ungestraft über andere sagen könne, was man wolle.282 Im vorgerückten Alter zeigte sich Timoleons Beständigkeit darin, dass er als Privatmann trotz seiner Erblindung weiterhin für das Gemeinwesen engagiert blieb (th61). Zur constantia gesellte sich die pietas des Timoleon, deren Erwähnung Münch zum Anlass nimmt, um auf die Frage einzugehen, ob es Fürsten erlaubt sei, den Untertanen durch Zwang einen bestimmten Glauben aufzunötigen (th63). Nicht Gewalt sei aber, so die Quintessenz, das richtige Mittel, sondern die Unterweisung in der reinen Lehre. Timoleons religiöse Überzeugung drückte sich in dem Glauben aus, ‚dass nichts, was die Menschen angehe, ohne den Willen der Götter geschehe‘.283 Zur religio kommt schließlich noch fortuna: Göttliche Hilfe im Kampf und der Zufall, dass seine bedeutenden Schlachten auf seinen Geburtstag gefallen seien, hätten Timoleons Erfolge begünstigt. 281 Ebd., th43f. Die grausame Strenge, die Timoleon hier gezeigt habe, sei ambivalent beurteilt worden. Während viele den Brudermord verteidigt und die Großherzigkeit des Helden gepriesen hätten, weil dieser das Wohl des Vaterlandes höher geschätzt habe als das des Bruders, tadelten ‚ingrati homines‘ (th47) die Tat als pietätlos. Als dann auch noch seine Mutter den Kontakt zu ihm abbrach, verursachte dies bei Timoleon tiefe Verunsicherung und jahrelangen Rückzug aus dem öffentlichen Leben. 282 Ebd., th58; Nepos: Timoleon, 5,2‒3. 283 Nepos: Berühmte Männer (Anm. 269), S. 275. Schaller / Münch: Timoleon (Anm. 274), th64.

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Das dritte Kapitel der Dissertation ist der „liberatoris providentia“ gewidmet, die sich „circa rempublicam augendam atque formandam“ gezeigt habe. Timoleon war nicht nur erfolgreicher Kriegsherr und Befreier von der Tyrannis, er hatte zudem die Kompetenz eines weisen Gesetzgebers. Mit der ‚Mehrung‘ des Staates ist seine Anwerbung von Kolonisten gemeint, die Münch auch für seine Zeit als „magnum stabiliendi imperii adiumentum“ und gerade nach dem Dreißigjährigen Krieg als Notwendigkeit zur Wiederbesiedelung entvölkerter Gebiete erachtet.284 Die Formierung bzw. Festigung des Gemeinwesens nach der Überwindung der Tyrannenherrschaft umfasst zum einen den Wiederaufbau der Befestigungsanlagen; der Kontext veranlasst den Autor wiederum zu einem Exkurs über deren Kosten und Nutzen.285 Zum anderen ist das Gemeinwesen durch Gesetze so einzurichten, dass die freiheitliche Ordnung286 bewahrt und der „transitus ad tyrannidem“ künftig verhindert wird. Wahre Freiheit bestehe in der den Gesetzen gemäßen Herrschaft. Zu einer solchen Ordnung gehören schließlich Beamte, „qui leges administrarent, conservarent, jus dicerent“. Um Machtmissbrauch zu verhindern, sollten sie abwechselnd amtieren und ihre Ämter zeitlich begrenzt sein.287 Mit der Figur des Timoleon ließ sich das Ideal eines vir illustris zeichnen, der sich als erfolgreicher Militärführer, Gesetzgeber und Politiker bewährte, zugleich aber im Unterschied etwa zu Alkibiades nicht an seiner Macht klebte und deshalb auch als Privatmann eine gefragte Persönlichkeit blieb. Sein Rückzug aus der Politik ermöglichte es, den Zirkel der Gewalt, der stets aufs Neue aus Militärführern Tyrannen werden ließ, zu durchbrechen.288 Mit seiner Vita verknüpft ist schließlich ein doppelter Begriff von Freiheit, einmal der negative, der die Abwehr tyrannischer Herrschaft mitsamt den institutionellen Sicherungen gegen einen Rückfall des status libertatis in die Tyrannis umfasst, sodann der positive Begriff, der die Freiheit der Bürger bezeichnet, ihre Meinung ungehindert äußern und alles tun zu können, was mit den Gesetzen konform geht. Mit einem längeren Zitat aus Velleius Paterculus (Historia 2.89,3f.) stellt Münch abschließend zwischen dem Griechen aus Korinth und Augustus eine Parallele her: Mit dessen Rückkehr nach Rom waren Bürgerkrieg und auswärtige Kriege beendet, der Friede wiederhergestellt, die Gesetze, zum 284 Schaller / Münch: Timoleon (Anm. 274), th71. 285 Ebd., th73‒76. Sinnvoll seien Festungen nur an den Grenzen des Herrschaftsbereiches. Ansonsten meint Münch, der hier auf die von Machiavelli in den Discorsi vertretene Ansicht verweist (vgl. oben mit Anm. 279), man solle es mit den Römern und Spartanern halten, welche die Tapferkeit der Soldaten als bestes Bollwerk zur Verteidigung erachtet hätten. 286 Münch verwendet wie Nepos hier nicht den Begriff ‚Demokratie‘, spricht stattdessen vom „status libertatis“. In der Timoleon-Vita des Plutarch hingegen werden das Niederreißen der Tyrannenfestung und die Zerstörung der übrigen Bauten des Tyrannen, auf deren Grund Gerichtsgebäude errichtet wurden, als Symbol für die Etablierung einer Demokratie gewertet. Plutarch: Große Griechen und Römer. Eingeleitet u. übersetzt von Konrat Ziegler. Bd. 4. München ²1980, S. 195. 287 Schaller / Münch: Timoleon (Anm. 274), th80. Bezüglich der Annuität verweist Münch letztmalig auf eine anhaltende Debatte unter den politici. 288 Anselm: Struktur und Transparenz (Anm. 276), S. 146.

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Teil verbessert, zum Teil durch neue ergänzt, wieder in Kraft, den Gerichten ihre Autorität und dem Senat seine Würde zurückgegeben, die Amtsgewalt der Magistrate auf ihr früheres Maß eingeschränkt, insgesamt die „antiqua reipublicae forma revocata“. Die Menschen genossen Ruhe und Frieden und waren im sicheren Besitz ihres Eigentums (th80).289 Er schließt mit dem Wunsch, dass es um „nostra liberata Germania“ nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges ebenso bestellt sein möge. Die viri illustres-Dissertationen arbeiten die Biographien recht unterschiedlicher Persönlichkeiten der Antike auf. Auf der einen Seite stehen integre Gestalten wie Timoleon oder Aristides, der als Inbegriff des vir iustus vorgestellt wurde. Das andere Extrem markieren die semiboni bzw. pseudopolitici wie Alkibiades oder Lysander. Die Straßburger Dissertationen zu diesen berühmten Männern sind, insgesamt betrachtet, den akademischen Fürstenspiegeln recht ähnlich, stellen doch auch sie Tugenden und Taten in den Mittelpunkt. Dem Mainstream der Straßburger Schule entsprechend, nimmt dabei die prudentia häufig die führende Stelle ein. Besser noch als die idea principis-Dissertationen erlauben es die über die antiken ‚Staatsmänner‘ aber auch, Makel und moralisch fragwürdige Charakterzüge deutlich sichtbar zu machen. Vor allem vermögen sie anhand konkreter Personen die Folgen von Tugenden wie auch Lastern für den Gang der Ereignisse aufzuzeigen. Mit diesem historisch-exemplarischen Zugriff konnten nach den Vorstellungen der Vertreter der Straßburger historisch-politischen Wissenschaft antike wie auch Zeitgeschichte anschaulicher und leichter fassbar gemacht werden.

4.4. ‚Politikberater‘ und Gesandte Eng verwandt mit den beiden vorgenannten Gruppen von Abhandlungen zum bonus princeps und zu den viri illustres sind Dissertationen zum Politikberater. Das Thema konnte sowohl exemplarisch, im Rekurs auf konkrete Persönlichkeiten wie Aelius Seianus, als auch systematisch-abstrakt angegangen werden, indem man das Leitbild des bonus consiliarius skizzierte.290 Der Themenbereich, dem auch Werke zum Minister (ministrissimus) und zum Gesandten bzw. Diplomaten (legatus) zuzurechnen sind, war nicht zuletzt deshalb attraktiv, weil es sich um das klassische Berufsfeld für Studierende der politischjuristischen Fächer handelte. Das Anwachsen solcher Publikationen lasse auf ein „wachsendes beamtliches Selbstbewußtsein und eine fortschreitende Spezialisierung der Beamtenrollen“ schließen. Räte und hohe Beamte wollten als „[…] ‚effigies Majestatis‘ anerkannt und damit auch strafrechtlich, über das Sonderrecht des Crimen laesae Majestatis, beson-

289 C. Velleius Paterculus: Historia Romana. Römische Geschichte. Lateinisch /deutsch. Übersetzt u. hg. von Marion Giebel. Stuttgart 1999, S. 196f. 290 Schon erwähnt (vgl. oben mit Anm. 108 u. Anm. 133) wurden das in Straßburg gedruckte Werk des Baron von Ennenckel über Seianus (1620) sowie die Schrift des Balthasar Frisowitz De praecipuis requisitis consiliarii (Straßburg 1627).

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ders geschützt“ werden.291 Diese hohen Beamten suchten dabei „die innere Distanz […] zum Fürsten“ zu wahren und wollten weder ergebene Fürstendiener noch rein sachergebene Funktionäre sein. Die consiliarii artikulierten einen latenten Mitentscheidungsanspruch, der den autokratisch regierenden Fürsten unter Rechtfertigungszwang stellte und ihm Selbstdisziplin und Arbeitsethos abverlangte. Der princeps als ‚Verhandlungspartner‘ der Räte war also auch in solchen Abhandlungen mehr oder minder stark präsent. „Launenhaftigkeit, Undankbarkeit, Faulheit und Anfälligkeit der Fürsten für Schmeichelei“ sowie Favoriten- und Mätressenunwesen untergruben seine Vorrangstellung gegenüber seinen Räten.292 Die Beratungsresistenz eines schlechten Fürsten oder die Gewaltbereitschaft eines Tyrannen stellten andererseits einen consiliarius vor Probleme. Die früheste hier einschlägige Straßburger Arbeit ist die Dissertatio de consiliario principis aus dem Jahr 1623.293 Johann Jakob Vinther verteidigte sie unter der Leitung Berneggers und präsentierte sich dabei schon auf dem Titelblatt als „Author“.294 Die 33 Textseiten umfassende Schrift des aus Lahr im Breisgau stammenden Studiosus erweist sich inhaltlich allerdings als Frucht eines vorangegangenen Studienaufenthalts in Tübingen.295 Gewidmet ist sie nämlich neben verschiedenen Räten und Magistraten Vinthers wichtigstem Lehrer Christoph Besold. Und dieser Tübinger Politik- und Staatsrechtswissenschaftler wird von Vinther nicht nur häufig zitiert, sondern dabei auch regelmäßig in geradezu emphatischer Weise mit wechselnden Attributen wie „Consultiss[imus] […] Patronus et Fautor meus“, „Promotor et Favitor meus“ oder „IC. Celebratissimus, Maecenas meus“ gewürdigt.296 Besold dürfte ihn nicht nur durch verschiedene seiner Schriften geprägt ha-

291 Wolfgang [E.J.] Weber: „Ein vollkommener Fürstlicher Staats-Rath ist ein Phoenix“. Perspektiven einer politischen Ideengeschichte der hohen Beamtenschaft. In: Zeitschrift für Historische Forschung (ZHF) 21, 1994, S. 221‒233, hier S. 226. 292 Ebd., S. 229 u. 231. 293 Matthias Bernegger (Pr.) / Johann Jakob Vinther (Resp. et Aut./T): Dissertatio de consiliario principis. Straßburg 1623. 294 Auch Bünger: Bernegger (Anm. 18), S. 307f., mutmaßt, dass angesichts der Verweise auf Besold und des Großteils der inhaltlichen Ausführungen „Bernegger selbst wenig daran gearbeitet hat“. 295 Vinther hatte sich im Juni 1619 in Straßburg immatrikuliert, im Mai 1621 dann in Tübingen; Gerhard Meyer: Zu den Anfangen der Straßburger Universität. Neue Forschungsergebnisse zur Herkunft der Studentenschaft und zur verlorenen Matrikel. Aus dem Nachlaß des Verfassers hg. u. bearb. von Hans-Georg Rott u. Matthias Meyer. Hildesheim u. a. 1989, S. 143; Die Matrikeln der Universität Tübingen. Bd.  2: 1600‒1710. Bearb. von Albert Bürk u. Wilhelm Wille. Tübingen 1953, S. 132. Spätestens 1623 muss Vinther dann nach Straßburg zurückgekehrt sein. Weitergehende biographische Informationen zu ihm waren nicht zu ermitteln: Im Deutschen Biographischen Archiv findet sich kein Eintrag zu Vinther, und aus seiner Tübinger Zeit lassen sich akademische Qualifikationsschriften (bislang) nicht nachweisen. 296 Die anderen in dieser Dissertatio als „Praeceptor“ bezeichneten Gelehrten, nämlich der Tübinger Heinrich Bocer und der Straßburger Joachim Cluten, treten deutlich hinter Besold zurück.

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ben, sondern auch durch seine Multilingualität und durch seine Leidenschaft fürs Büchersammeln; von seiner Bibliothek profitierten seine Schüler denn auch.297 Die Themenwahl und der Kreis der Widmungsadressaten lassen den Schluss zu, dass der Lahrer eine Karriere in einer landesfürstlichen Administration anstrebte.298 In Frage kommen etwa die Markgrafen von Baden, die 1612 schon ein Namensvetter Vinthers mit einer Widmung bedacht hatte.299 Die Dissertation von 1623 liest sich denn auch als eine Art Bewerbungsschrift für entsprechende Ämter. Vinther entwickelt ein differenziertes und akademisch bestens fundiertes Leitbild eines fürstlichen Rats, dem der Verfasser wohl selbst nahezukommen beabsichtigte. In diese Richtung deutet nicht zuletzt, dass der Aspirant auf einen Ratsposten seine Vielsprachigkeit unter Beweis stellt: Neben griechischen und deutschen finden sich in seinem ‚consiliarius‘ auch französische und italienische Zitate.300 Freilich bedurfte es für eine solche Tätigkeit auch einer juristischen Qualifikation, die Vinther 1624 mit den Conclusiones de regalibus (Präses war der Jurist Georg David Locamer) und 1625 mit einer weiteren juristischen Thesensammlung denn auch erwarb. Nun scheinen sich die beruflichen Perspektiven konkretisiert zu haben, denn die letztgenannte Arbeit widmete der Lahrer dem Markgrafen Friedrich von Baden (1594‒1659).301 297 Vinther benutzte Besolds De consilio politico, axiomata aliquammulta (Tübingen 1615, 1622 u. ö.); das Werk wird über 20-mal zitiert. – Zum Büchersammler, dessen Bibliothek annähernd 4000 Titel umfasst haben soll, vgl. Laetitia Boehm: Christoph Besold (1577‒1638) und die universitäre Politikwissenschaft seiner Zeit. Zum Bildungs- und Erfahrungshorizont seiner Staatslehre. In: Christoph Besold: Synopse der Politik. Hg. von Laetitia Boehm, übersetzt von Cajetan Cosmann. Frankfurt/Main 2000, S. 291‒377, hier S. 303f. 298 Als Patrone werden genannt: Der Rat des Erzherzogs Leopold von Österreich, Johannes von Giffen, der Präfekt des Markgrafen von Baden, Balthasar vom Ruest, und der fürstlich-nassauische Rat und Präfekt Philippus Streüff von Lawenstein; hinzu kommen neben Besold der Straßburger Scholarch Franz Rudolph Ingold und ein Verwandter, Eusebius Drach. 299 Besagte Zuschrift findet sich in Christoph Besold (Pr.) / Johann Jakob Vinther (Resp.): De republica, dissertatio politico-juridica. Tübingen 1612. Widmungsadressat war der Markgraf Georg Friedrich von Baden-Durlach (1573‒1638), der im Übrigen zwanzig Jahre zuvor auch in Straßburg studiert und die lateinische, französische und italienische Sprache erlernt hatte; Karl Friedrich Ledderhose: Georg Friedrich, Markgraf von Baden-Durlach. In: ADB (Anm.  47), Bd.  8, 1878, S. 596‒600. Die Dissertation von 1612 hat als programmatisch für Besolds Lehre der Politik und des Reichsstaatsrechts zu gelten, da der Polyhistor darin sein später in zahlreichen weiteren Publikationen ausgearbeitetes System der Politik entwickelte. Vgl. dazu Philipp: Christoph Besold (Anm. 23), S. 123‒159. 300 Auf Französisch zitiert Vinther aus den Essays Michel de Montaignes (z. B. p10 u. 21), in italienischer Sprache aus L’hore di ricreatione Lodovico Guicciardinis (z. B. p12 u. 34); diese beliebten Erquickstunden lagen bereits seit den 1570er Jahren auch in deutschen und englischen (Garden of pleasure) Übersetzungen vor. 301 Friedrich von Baden-Durlach regierte ab 1622, nachdem sein Vater Georg Friedrich abgedankt hatte. Zweiter Widmungsadressat war hier allerdings auch ein Kammerherr des Erzherzogs Maximilian von Österreich, nämlich Eberhard von Rappoltstein, der zudem Präses der vorderösterreichischen Stände war. Die Thesensammlung Kaspar Bitsch (Pr.) / Johann Jakob Vinther (Resp.): Deca-

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Vor diesem Hintergrund wäre es verfehlt, eine Arbeit zu erwarten, die mit provokativen Thesen zur herrschenden Lehre aufwartet. Vinthers Argumentation sucht die möglichst breite Erfassung des herrschenden Konsenses zu seinem Thema in der akademischen Lehre und in der Politik. Seine Dissertation zeigt sich gleichwohl wissenschaftlich ambitioniert, indem sie eine große Zahl insbesondere moderner Autoren heranzieht und diese durchweg exakt zitiert. Dazu zählt eine Reihe von Verfassern einschlägiger Fachbücher, darunter – um nur die häufiger angeführten Namen zu nennen – Hippolyt von Colli, Durus de Pascalo, Georg Achatius Ennenckel, Furius Ceriolanus, Hermann Kirchner, Pietro Magno, Kaspar Pansa, Andreas Rey a Naglowice, Rudger Rulant, Jeremias Setzer und Jaroslaus Baron von Smirziz.302 Auch zahlreiche Autoritäten der Politikwissenschaft kommen zu Wort.303 Einzig Krides quatuor positionum iuridicarum theorico-practicarum ex iure civili, feudali, canonico, et publico, depromptarum. Straßburg 1625, umfasste nur vier Blatt. Als Vermittler könnte der Tübinger Jurist Johann Harpprecht fungiert haben, der den Titel eines Hofrats in Baden-Durlach führte; womöglich kam der Kontakt aber auch über einen Gelehrten der Straßburger Hochschule zustande. 302 Hippolyt von Colli: Consiliarius. Heidelberg 1596 u. ö. (auch in: Andreas Schott [Hg.]: De consilio et consiliarii senatorisque officio tractatus. Köln 1618, und in: Speculum aulicarum atque politicarum. Straßburg 1599, 1600, 1610 u. 1621). Durus de Pascalo (= Eberhard von Weyhe, 1553‒1637): Aulicus politicus, diversis regulis, praeceptis, sive […] definitionibus selectis […] instructus. Hanau 1596, Rostock 1597, Straßburg 1600 u. ö. (auch in: Speculum aulicarum). Ennenckel: Seianus (Anm. 108). Furius Ceriolanus (Fadrique Furió Ceriol): De consiliariis, eorumque qualitatibus, virtute ac electione, liber unus. Basel 1563, Straßburg 1599 u. ö. (auch in: Schott: De consilio, und in: Speculum aulicarum). Hermann Kirchner: Morvillerius: De officio et dignitate cancellarii libri 4. Marburg 1613 u. 1620. Pietro Magno: De consilio et consiliarii officio ad Octavium Farnesium Parmae ac Placentiae ducem. Rom 1587 (Hg. von Thomas Avalus, der das Werk Ranuccio Farnese, dem Herzog von Parma und Piacenza, widmete), Köln 1618 (auch in: Speculum aulicarum). Kaspar Pansa: De consiliariis disputationes II, quarum priorem exercitii gratia, mense septemb. an. M DC IX, posteriorem vero pro magisterii gradu, mense novemb. eiusdem anni, publice habuit. Basel 1609. Bartholomäus Keckermann (Pr.) / Andreas Rey a Naglowice (Resp.): Discursus politici de consilio, consiliario, concilio sive consultatione. Danzig 1607 (auch in: Keckermann: Disputationes practicae. Hanau 1612). Rudger Rulant: Tractatus de commissariis, et commissionibus camerae imperialis. Frankfurt 1597, 1604, 1617 u. ö. (deutsch: Basel 1599). Jeremias Setzer (Pr.) / Gottfried von Wolfersdorf (Resp.): De consiliis et consiliariis principum et rerumpublicarum deque senatore optimo, et eorum virtutibus atque excellentia discursus politicus. Jena 1598. Kaspar Dornau (Pr.) / Jaroslaus Baron von Smirziz (Resp.): De consiliariis florilegium politicum. Basel 1605 (auch in: Speculum aulicarum); zur letzteren Schrift vgl. Robert Seidel: Caspar Dornau (1577‒1631). Leben und Werk. Tübingen 1994. S. 121‒125. 303 In alphabetischer Reihe: Philipp Heinrich Hoen, Bartholomäus Keckermann, Christian Liebenthal, Justus Lipsius, Christian Matthiae, Georg Schönborner und Petrus Gregorius Tholosanus. Dazu kommen verschiedene Juristen und Historiker, darunter der Tacituskommentator Pietro Andrea Canoniero (Dissertationes politicae, ac discursus varii in C. Cornelii Taciti annalium libros. Rom 1609, Frankfurt 1610), aber auch Georg Lauterbeck mit seinem deutschsprachigen Regentenbuch (1556 u. ö.), ja selbst einige der Kommilitonen Vinthers aus der Tübinger Zeit werden mit ihren unter Besold angefertigten Dissertionen berücksichtigt. Neben dem oben genannten Namenvetter (Anm. 299) sind dies: Christoph Besold (Pr.) / Friedrich Richard Mockel (Resp.): Dissertatio de

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tik an der einen oder anderen Autorität sucht man – abgesehen von einer Bemerkung zu Machiavelli304 – bei Vinther vergeblich. So beginnt die Dissertation nach Vorbemerkungen zur Bedeutung von Räten und einigen Begriffsklärungen mit einer auf verschiedene Fachschriftsteller rekurrierenden Definition des consiliarius.305 Anschließend stellt Vinther verschiedene Ratsgremien vor, welche sich nicht nur durch ihre spezifischen Geschäftsbereiche, sondern auch ihrer Macht und Würde nach unterscheiden. Die Reihe beginnt mit dem wichtigsten, dem „concilium Politicum sive Togatum“ oder „OberRaht“, der gleichsam als „caput aliorum subsequentium“ zu betrachten sei. Es folgen der Geistliche Rat bzw. das Konsistorium, der „CammerRaht“ oder das Quaestorium und das „Concilium Annonae“. Für die Bereiche ‚Recht‘ und ‚Sitten‘ werden ein Rat für Justiz- und einer für Strafrechtsfragen sowie ein für öffentliche Ordnung und Moral zuständiges „Censorium“ angeführt, das auch über die Vergabe von Auszeichnungen (praemia) befindet. Als letztes schließlich müsse es einen mit dem Militärwesen betrauten Rat geben. Zu unterscheiden seien die Räte „in Politicos et Ecclesiasticos“, erstere wiederum in Hof- und Kammerräte („Aulici“ bzw. „Curiales“); der voranschreitenden Differenzierung der landesfürstlichen Verwaltung entsprechend wird des Weiteren zwischen fest angestellten Räten und extraordinarii sowie zwischen „Ober und Under-Räht“ unterschieden.306 Die Auswahl der Personen, welche als Räte berufen werden sollen, hat durch den Fürsten persönlich zu erfolgen; das sei eine wichtige und aufwendige Arbeit. Die maßgeblichen Kriterien (das richtige Alter, ein guter Ruf, körperliche Vorzüge) werden im nächsten Abschnitt erläutert; „Infames“ und Frauen sind nicht zuzulassen. Eingestreut werden Streitfragen wie etwa die, ob auch ein kluger Fürst Räte benötige oder ob dem „Regni status“ ein schlechter Fürst mit guten Räten eher zuträglich sei als ein von schlechten Räten umgebener guter Fürst. Eine „quaestio controversa“ sei auch, praemiis. Tübingen 1620. Christoph Besold (Pr.) / Johann Reinhard Theurer (Resp.): Dissertatio de crimine laesae maiestatis. Tübingen 1622; der aus Straßburg stammende Theurer wird explizit als „amicus meus singularis“ (th50) bezeichnet. 304 Bei der Erörterung der Bildungsanforderungen bemerkt unser Autor, dass sich der Florentiner geirrt habe, indem er die „theoretica Philosophia“ als unnütz für die „prudentia politica“ bezeichnete; diese Kritik übernimmt Vinther von Pansa. Kaspar Pansa (Pr.) / Dennemann Müller (Resp.): Disputatio excerptorum politicorum undecima. Straßburg 1609, hier q6: „An studia Philosophiae theoreticae homines reddant ineptos ad prudentiam politicam.“ – Zu Pansa, dessen Disputationenserie erst jüngst von mir entdeckt wurde, vgl. Philipp: ‚auctor et respondens‘ (Anm. 7), S. 217‒239. 305 Im Prooemium wird festgestellt, dass die „Consiliarii cum ipso Principe unum constituant corpus“, an deren Notwendigkeit und Nutzen somit kaum Zweifel bestünden. Die komplexer werdende administratio reipublicae sei mit ihrer Hilfe besser und vorausschauender zu bewerkstelligen. In Abgrenzung zu Senatoren und Räten von Städten definiert Vinther: „Consiliarius est Persona Idonea, quae a Principe suo consulitur, salutaria de Repub. feliciter administranda consilia fideliter et prudenter suggerens.“ Bernegger / Vinther: De consiliario (Anm. 293), p5. 306 Ebd., p7 u. 8. Zur „rangmäßigen Differenzierung“ vgl. auch Weber: Prudentia gubernatoria (Anm. 21), S. 205f.

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ob man Geistliche in die mit weltlichen Angelegenheiten betrauten Räte berufen solle.307 Bemerkenswerterweise beschäftigt den bürgerlichen Verfasser dagegen nicht, ob Adelige als Räte bevorzugt zu berücksichtigen seien.308 Der nächste Abschnitt (p19‒31) handelt von den „qualitates cum corporis tum animi“.309 Das Hauptaugenmerk liegt auf den geistigen Vorzügen eines Rates, wobei die prudentia besondere Beachtung erfährt. In diesem Kontext werden die Anforderungen an die Bildung eines Rates ausführlich erörtert (p24‒31): ‚Philosophiae cognitio‘, ‚iuris prudentia‘ und ‚historiarum notitia‘ stehen hier im Vordergrund. Diese werden sekundiert von eloquentia, Fremdsprachenkenntnissen, Auslandserfahrung und grundsätzlich von „usus et experientia“.310 Auf der Basis dieser Schlüsselqualifikationen ist ein Rat in der Lage, „futura prospicere, praesentia sapienter et optimè administrare, ac consilium ex tempore dare“.311 Als Konzession an die Zeit wird die pietas zwar als erste der „dotes“ genannt, doch steht der säkular denkende „Vir bonus, justus et prudens“ im Zentrum.312 Der längste Abschnitt der Dissertation erläutert Pflichten eines Rates und Richtlinien für sein Verhalten während und nach den consultationes (p33‒47). Die Vorbereitungsphase besteht hauptsächlich darin, sich über den Beratungsgegenstand, die Ziele und geeignete Maßnahmen eine Meinung zu bilden.313 Die „utilitas publica“ müsse stets höchste 307 Bernegger / Vinther: De consiliario (Anm. 293), p5, 11 u. 18. Bei der letzten Frage konstatiert Vinther einen Gegensatz von rechtlicher Norm und der Praxis der Gegenwart. Ohne klare Position zu beziehen, erinnert der Autor an die Tübinger Universität, wo „Cancellarii munere fungantur Theologi“. Doch solle man diesbezüglich Hermann Kirchners Buch De officio et dignitate cancellarii lesen, der diesen Punkt gründlich erörtere (p18). 308 Vgl. zur sozialen Herkunft von Räten auf der Basis des zeitgenössischen Schrifttums Michael Stolleis: Grundzüge der Beamtenethik (1550‒1650). In: ders.: Staat und Staatsräson in der frühen Neuzeit. Frankfurt/Main 1990, S. 197‒231, hier 209f.; ebd., S. 207‒212, auch Bemerkungen zur politisch-geographischen Herkunft und zum richtigen Lebensalter der zu berufenden consiliarii. Vinther spricht einige dieser Diskussionspunkte nur in den „Corollaria“ an. So fragt er hier, ob das Vermögen (etwa das eines reichen Kaufmanns) als positives Argument bei der Auswahl von Räten zu werten ist oder ob auch Ausländer zu Räten berufen werden sollen – Letzteres bejaht er. 309 Bernegger / Vinther: De consiliario (Anm. 293), p19. Der Abschnitt beginnt mit der Erörterung charakterlicher Eigenheiten, speziell der Frage, ob Räte eher zögerlich oder wagemutig sein sollten. Es folgen Bemerkungen zum Körperbau (corporis structura) und ob daraus auf geforderte Qualifikationen geschlossen werden könne. Ebd., p20f. 310 Vinthers Bildungskanon entspricht dem Standard der zeitgenössischen Literatur; vgl. Stolleis: Beamtenethik (Anm. 308), S. 212‒214. 311 Bernegger / Vinther: De consiliario (Anm. 293), p21. 312 Grundsätzliche Bedeutung hat die pietas bei den humanistischen Autoren der Zeit im Allgemeinen nicht; die „Forderung nach Frömmigkeit“ habe sich laut Stolleis: Beamtenethik (Anm. 308), S. 215, vielmehr zunehmend „zur Floskel“ verdünnt. 313 Vinther bleibt hier freilich im Allgemeinen. Hinsichtlich der „obiecta“ geht es vor allem darum, deren Bonität und Ehrenhaftigkeit zu bewerten sowie die diesbezügliche Reichweite und den Umfang fürstlicher Macht einzuschätzen. Als Ziele seines Ratschlages habe der consiliarius „Dei gloria“ sowie das Wohl des Fürsten und des Gemeinwesens im Auge zu behalten. Vorsichtig bleibt der

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Priorität haben. Während der Beratung selbst ist der gute Rat zu freimütiger Aufrichtigkeit, Billigkeit und Diskretion verpflichtet, darf weder Schmeichelei noch Furcht an den Tag legen, muss seine Affekte beherrschen sowie Habsucht und Stolz meiden.314 Schließlich hat sich der consiliarius sowohl um die Wahrung als auch um die Mehrung der Autorität seines Fürsten zu kümmern. Freilich ist das Hofleben berüchtigt für seine Gefahren. So sei die Gunst des Fürsten einem Feuer gleich, das wärme, das aber auch, komme man ihm zu nahe, Verbrennungen verursache. Eine zu große Vertrautheit mit dem Fürsten wird dann gefährlich, wenn dessen Gunst plötzlich verloren gehe. Dann habe ein consiliarius nicht nur den Fürsten selbst, sondern auch eine Vielzahl Rivalen zu fürchten. Die Schmeichler und falschen Räte, die nur ihren privaten Vorteil suchen und diesen geschickt mit öffentlicher Notwendigkeit und utilitas principis bemänteln, mögen dazu beigetragen haben, dass Fürsten „hodie non rarum“ nur einem Einzigen ihre besondere Gunst schenkten und diesem alles anvertrauten, obwohl dies nicht zu empfehlen sei. Der gute Rat hingegen nimmt den Schwur, den er geleistet hat, ernst: Er wird „von Ampts wegen [s] eines Genädigen Herren Nutzen beförderen“, ist zudem „in minores comis, in majores reverens, in pares facilis et tractabilis“.315 Das Verhalten nach erfolgter Beratschlagung schließlich ist der taciturnitas und der constantia verpflichtet. Die Verschwiegenheit auch gegenüber Ehefrau und Freunden diene der Wahrung der Autorität und Würde des Fürsten sowie dem Schutz des Gemeinwohls. Die Beständigkeit eines Rats garantiere zugleich seine Verlässlichkeit. Einen Ratschlag (sententia) abzuändern und zu verbessern sei jedoch zulässig, wenn es die „necessitas Reipub[licae]“ erfordere.316 Die Dissertation endet mit einer Passage zum Salär und zu den weitreichenden Privilegien eines consiliarius, die auch als Prämien für die Risiken einer Ratstätigkeit am fürstlichen Hof zu verstehen sind. Wolle der Fürst einen guten Ratgeber in Amt und Würden halten, müsse er dessen Aufwand entschädigen und für dessen Auskommen Sorge tragen. Da Fürst und Räte, wie Vinther schon einleitend bemerkt, einen gemeinsamen Körper bilden, komme auch einem consiliarius eine spezifische dignitas zu; er sei ebenfalls durch das crimen laesae maiestatis zu schützen, von Abgaben und Diensten freizustellen und dürfe keiner Strafandrohung ausgesetzt sein, falls von ihm vorgeschlagene Maßnahmen nicht den gewünschten Erfolg zeitigten.317 Sollte dem Rat, während er anderenorts Dienste für den Fürsten tut, Schaden entstehen, habe eine restitutio in integrum zu erfolgen, Breisgauer auch hinsichtlich des Mitteleinsatzes: Der Erfolg rechtfertige keine moralisch verwerflichen Mittel. Private Feindschaften dürfen das Beratungsvotum nicht beeinflussen. Bernegger / Vinther: De consiliario (Anm. 293), p33f. 314 Zur Bedeutung solcher tugendorientierten Verhaltensnormen Stolleis: Beamtenethik (Anm. 308), S. 199. 315 Bernegger / Vinther: De consiliario (Anm. 293), p40 bzw. p43. 316 Ebd., p47. 317 Es liege nämlich nicht in der Hand und Macht des Rates, „consilii eventum dirigere. Hunc siquidem Deus et fortuna moderantur.“ Bernegger / Vinther: De consiliario (Anm. 293), p55 (die Zählung der positiones ist gegen Ende fehlerhaft; sie springt von 51 auf 54).

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Abb. 4: Titelblatt zu Johann Heinrich Boeckler (Pr.) / Friedrich Barnewitz „Eques Danus“ (Resp.): Maecenas, seu consiliator regius ex Dion. libr. 52. expressus (März). Straßburg 1643. Exemplar der Staatsund Stadtbibliothek Augsburg, Signatur Diss Jur 160.

und schließlich sollte dem Sohn eines verdienten Rates vor anderen die Anwartschaft auf vergleichbare Ehrenstellungen eingeräumt werden.318 Vinthers Schrift von 1623 über den consiliarius erweist sich somit als eine akademisch wie praktisch ambitionierte Abhandlung. Zum einen dokumentiert sie die breite Belesenheit des Autors und muss mit ihrem Gesamtumfang von 35 Seiten – gerade auch im Vergleich zu den beiden nur achtseitigen juristischen Dissertationen der beiden Folgejahre – als die zentrale Qualifikationsschrift dieses Studierenden angesehen werden. Zum anderen zeichnet die Dissertation das Leitbild des Rates als eines umfassend gebildeten und einsetzbaren Generalisten. Sie sollte den Fürsten nicht nur bei der schwierigen Rekrutierung von Räten behilflich sein, sondern auch ihren Verfasser selbst empfehlen. Die Multifunktionalität der frühneuzeitlichen Dissertation geht aber noch weiter, erweist sich Vinthers Arbeit doch als Produkt des Wissenstransfers, das Tübinger Gelehrsamkeit an der Straßburger 318 Bernegger / Vinther: De consiliario (Anm. 293), p56f.

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Universität in Szene setzte. Der „Author“ gibt sich als begeisterter Schüler Christoph Besolds zu erkennen. Dem Präses der consiliarius-Dissertation, Matthias Bernegger, der im Übrigen nicht einmal zitiert wird, blieb kaum mehr als die Rolle des Leiters der Disputationsveranstaltung, welche dem Respondenten das Forum bot, sein politisch-juristisches Wissen dem interessierten Publikum zu präsentieren. Dem anderen, personalistisch-exemplarischen Typ entspricht eine Dissertation, die Johann Heinrich Boeckler 1643 zusammen mit dem dänischen Edelmann Friedrich (Frederik) Barnewitz (1622‒1653) vorstellte. Ihr Thema ist der antike Staatsmann und kaiserliche Berater Maecenas, den Boeckler zu jenen Leitfiguren des politischen Lebens zählte, die er im Rekurs auf Tacitus als „callidi temporum“ bezeichnete.319 Boeckler war nicht am Förderer der Künste interessiert, als der Maecenas namengebend wurde,320 sondern am „consiliator“ des Augustus, als der er im Geschichtswerk des antiken Historikers Cassius Dio auftrat.321 Der Respondent der Disputation brachte einschlägiges Vorwissen mit, hatte er zuvor doch an der heimischen Ritterakademie Sorø (Academia Sorana) studiert. 1641 war Barnewitz dort mit einer Rede De munitionum in republica usu und als Respondent bei einer Disputation über Miltiades in Erscheinung getreten.322 Im Vorwort an den Leser würdigt Boeckler seinen adeligen Studenten, der offenbar über die Niederlande an den Oberrhein gekommen war. Der Respondent finanzierte vermutlich auch die Arbeit des Kupferstechers Peter Aubry, der für den Druck das für eine Dissertation an einer protestantischen Universität ungewöhnliche Titelkupfer anfertigte. Boeckler führt in der Vorrede des Weiteren aus, dass der Zweck der akademischen Übung im Erwerb der prudentia civilis liege. Die recht umfangreiche Abhandlung, die gut 40 dichtbedruckte Textseiten umfasst, fokussiert eine Episode aus dem 52. Buch der Römischen Geschichte des Cassius Dio. Demnach stand Augustus nach dem Sieg bei Actium vor der Frage, was aus der Verfassung 319 Boeckler / Barnewitz: Maecenas (Anm. 61), Zitat: S. 2. Der Respondent widmete die Dissertation Hartwich von Passow, einem Geheimrat des Herzogs von Mecklenburg und väterlichen Verwandten. Der aus Nykøbing auf Seeland stammende Studiosus war später als Verwaltungsbeamter (Landkommissar in Laaland) und dänischer Philologe tätig. 320 Zum historischen Maecenas vgl. Peter L. Schmidt: Maecenas [2]. In: Der Neue Pauly. Hg von Hubert Cancik u. Helmut Schneider. Bd. 7. Stuttgart, Weimar 1999, Sp. 633‒635. 321 Als solcher wurde Maecenas wenige Jahre später auch in Leipzig gewürdigt: Andreas Rivinus (Pr.) / Johann Christian Gueinzius (Resp.): Maecenas, isque serius consiliator, e lib. LII. Dionis Cassii, seu commentatio grammatico-politico-historica, de optimo reipub[licae] statu monarchico mixto, eoque literis et armis una fulciendo (1. September). Leipzig 1649. 322 Die Rede wurde im April 1641 unter dem Vorsitz Henrik Ramels (1601‒1653) gehalten. Johann Raue (Pr.) / Fridericus Barnewitz (Resp.): Corn. Nepotis Miltiades, hoc est speculum viri in re publica principis bene meriti, male multati. Sorø 1641. – Zu der 1623 von König Christian IV. zur Ritterakademie ausgebauten Schule in Sorø vgl. Norbert Conrads: Ritterakademien der frühen Neuzeit. Göttingen 1982, S. 143–148. In Sorø war neben einem Lehrstuhl für Rechtslehre und Ethik auch ein „Professor historiarum et politices“ vorgesehen. Zu Ramel siehe Die Universität Greifswald in der Bildungslandschaft des Ostseeraums. Hg. von Dirk Alvermann, Nils Jörn, Jens E. Olesen. Berlin 2007, S. 322.

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Roms werden sollte. Seine zwei Berater nahmen dazu ausführlich Stellung. Der erste, Agrippa, sprach sich für die Beibehaltung einer ‚demokratischen‘ Verfassung aus, warnte vor allem aber den „Caesar“ davor, eine Monarchie zu errichten. Für einen Alleinherrscher bringe die Aufgabe, ein so großes Territorium regieren zu wollen, ungeheure Lasten und Gefahren mit sich. Sein Widerpart, Maecenas, riet hingegen zur Übernahme der Macht bzw. zu Fortführung und Ausbau der Alleinherrschaft. Das Titelkupfer zeigt denn auch diese drei Hauptprotagonisten: Links steht mit erhobener Hand Maecenas, rechts der zur Zurückhaltung ratende Agrippa, erhöht zwischen beiden auf einem Thron sitzend Augustus. Diese ‚Verfassungsdebatte‘ ist, wie auch eine in den Historien Herodots überlieferte,323 freilich erfunden. Das stört aber nicht.324 Die Rede des Maecenas wie auch die seines Gegenspielers Agrippa galten nämlich als grundlegende Texte der politischen Beredsamkeit, die wiederum – was Boeckler ja auch mit anderen Schriften unterstrich – zum Programm der Ausbildung des Politikers gehörte.325 Die Dissertation von 1643 konzentriert sich auf die Analyse der Rede des Maecenas, in der Boeckler ein Lehrstück für angehende consiliarii sah, wie man als Politikberater überzeugend argumentiert und die Argumente seiner Gegner schwächt. So entlarvt Maecenas den Rat des Agrippa als „speciosus“ (täuschend) und eigennützig.326 Einem „Prooemium“ folgt die „Expositio orationis“, welche mit über 30 Seiten den Hauptteil der Schrift einnimmt. Ein zweiter Teil beschreibt die artes des Maecenas, durch welche er sich „favorem et potentiam apud Augustum“ erworben habe – eine Tugendlehre, vergleichbar mit denen, die in den anderen Straßburger Dissertationen über viri illustres vorkommen. Ein kurzes Schlusskapitel ist Augustus und seiner Reaktion „erga Consilium et Consiliatorem“ gewidmet. Neben dem schon im Titel genannten Cassius Dio zog der Verfasser als Autoritäten wiederum Tacitus, des Weiteren Sallust, Aristoteles, Polybios, Cornelius Nepos und Valerius Maximus heran. 323 José Miguel Alonso-Nuñez: Die Verfassungsdebatte bei Herodot. In: Politische Theorie und Praxis im Altertum. Hg. von Wolfgang Schuller. Darmstadt 1998, S. 19‒29. 324 Kritisch zur ‚Verfassungsdebatte‘ Dios: Henning Ottmann: Geschichte des politischen Denkens. Bd. 2/1: Die Römer. Stuttgart, Weimar 2002, S. 300f. Ottmann meint, „wer wie Cassius Dio die römische Republik eine Demokratie nennt, zeigt, daß er keine Ahnung von dieser Staatsform hat“. Ebd., S. 300. Die Kritik geht freilich fehl. So eindeutig und dominant sind die Züge der Mischverfassung nicht, und Bodin (Respublica 2.1) etwa sprach – nicht ohne Polemik gegen die Mischverfassungsdenker – in Bezug auf die römische Republik von einer Demokratie. Dieser Lesart folgten auch viele deutsche Gelehrte, wenngleich die diesbezügliche Debatte stets kontrovers blieb. Für den Tübinger Christoph Besold stand fest, dass die römische Republik eine Demokratie war, weil das „höchste Recht immer beim Volk“ verblieben sei, den Plebejern „das Urteil über die Senatoren zugestanden“ habe und „Senatsbeschlüsse vom Volk bestätigt wurden.“ Besold: Synopse der Politik (Anm. 297), S. 117. 325 Vgl. Bose: De comparanda prudentia (Anm. 26), th108. Als Lektüreempfehlung für künftige fürstliche Räte taucht Boecklers Maecenas auch in anderen Bibliographien auf; vgl. Weber: Prudentia gubernatoria (Anm. 21), S. 28. 326 Boeckler / Barnewitz: Maecenas (Anm. 61), S. 6.

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Wichtig ist die oratio des Maecenas für Boeckler zum einen, weil sie „omnes instituendae firmandaeque Monarchiae artes sollertissime exposuit“, so dass sie, d. h. die Rede, mit vollem Recht „Politica Monarchica“, d. h. eine monarchische Politiklehre, genannt werden könne.327 Boeckler charakterisierte damit die ausführlichen Reformvorschläge des Maecenas, die sich sowohl auf die Verfassungsinstitutionen (Senat, Magistratur in Stadt und Provinzen, Militär mitsamt Staatsfinanzen) wie auch auf die Organisation aller Bereiche der Staatstätigkeit bis in die Provinzverwaltung hinein erstreckten.328 Ein eigener Abschnitt ist den virtutes principum gewidmet. Das gesamte Reformprojekt zielte auf eine gemäßigte Monarchie, welche die „simulacra Aristocratica“, die aristokratische Fassade des im Kern nun monarchischen Verfassungsgebäudes, beibehält und „veram libertatem non excludet“.329 Zum anderen schätzte der Straßburger Historiker-Politologe die Rede des Maecenas, weil sie mustergültig vorführte, wie wichtig für einen Politikberater die weitreichende Kenntnis des status temporum, der Zeitumstände, ist. Den consiliator des Augustus qualifizierten, so Boeckler im Rekurs auf Tacitus und Seneca, insbesondere das Wissen um die discordiae civiles, die certamina potentium, die avaritia magistratuum und um die Wirkungslosigkeit der Gesetze in inneren Konfliktlagen.330 Frieden und Stabilität gewähre unter diesen Umständen nur die Alleinherrschaft: „Suadet ergo Maecenas ut conditio temporum ac necessitas postulabat, et ita omnem simul Monarchici imperii rationem et arcana suggerit.“ Dabei führe der Verfassungsentwurf des Maecenas neue Elemente „cum ratione prioris status“ zusammen. Seine Klugheit zeige sich darin, dass er in Sorge um Anstand und Würde, um die Achtung der Gerichte und die Treue gegenüber Augustus durch seine Voraussicht, seine Vor- und Umsicht sowie seine „notitia status et temporum et ingeniorum“ alles abwägend und mäßigend miteinander verbunden habe.331 Insgesamt vereint die Dissertation Passagen zu Fürstentugenden und zum bonus consiliarius mit politiktheoretischen Überlegungen zur – in Relation zu den Zeitumständen – besten Staatsform, der temperierten Monarchie. Boeckler brachte hier wohl seine eigenen Präferenzen zum Ausdruck. Maecenas ist denn auch der Gewinner der Beratungsdebatte im Text der Dissertation. Die fingierte Ausgangssituation war für den Hauptredner freilich günstig, da offensichtlicher Handlungs- wie auch Beratungsbedarf gegeben schienen und sein Fürst deswegen ein offenes Ohr für ihn hatte. Eine solche Beratungssituation

327 Ebd., S. 2. 328 Vgl. zu Cassius Dio: Dieter Flach: Einführung in die römische Geschichtsschreibung. Darmstadt 1992, S. 260‒270, zur Maecenas-Rede und den darin enthaltenen Reformvorschlägen des Historikers ebd., S. 262‒267. 329 Boeckler / Barnewitz: Maecenas (Anm. 61), S. 23 bzw. S. 6. 330 Ebd., S. 3. 331 Ebd., S. 4. Wozu Agrippa geraten habe, sei, so Boeckler (ebd.), weder den Zeitumständen noch dem „reipublicae status“ angemessen. Der Entwurf des Maecenas hingegen sei nicht etwa nur im Allgemeinen nützlich, sondern „accommodatissime“, d. h. er passe bestens zu den aktuellen Verhältnissen.

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wird der Praxis aber oft nicht gerecht, wie eine weitere Dissertation eindrücklich demonstriert. Tugenden und Pflichten, aber auch Lebenssituation und Handlungsspielräume von Räten wurden schon Mitte des 17. Jahrhunderts häufig thematisiert. Neben abstrakten Abhandlungen zu diesem Thema entstanden gerade in den dem Tacitismus verpflichteten Denkschulen auch solche, die konkrete historische Persönlichkeiten zum Gegenstand der Analyse machten. Neben der Figur des Seianus wurde so auch Manius Lepidus neu entdeckt. Der spätere Hofrat und Vizekanzler in Wolfenbüttel, Kaspar Alexander, widmete ihm 1649 während seiner Zeit als Wittenberger Dozent eine Dissertation.332 Zwei Jahre darauf folgte die unter Schaller gefertigte Arbeit zu Manius Lepidus, die gleichfalls auf die einschlägige Passage in den Annalen des Tacitus Bezug nimmt.333 Sie gilt Wilhelm Kühlmann als Beleg dafür, dass nicht nur die beiden Straßburger Historiker, sondern auch der Moralphilosoph Schaller „den Tacitustext in ihrer Lehrtätigkeit“ verwendet hätten.334 Allerdings gibt sich der aus dem damals ungarischen Rechlitz (heute Burgenland) stammende und dort der Führungselite angehörende Respondent Johann Feyerabend335 in der Widmung als Autor der Abhandlung aus und benennt eine Reihe von Räten und Senatoren als Widmungsadressaten, auf welche das erörterte Thema zugeschnitten zu sein scheint.336 Die 35 Textseiten umfassende Dissertation beleuchtet das Spannungsverhältnis zwischen Räten und ihren Fürsten. Feyerabend kritisiert die bisherige Literatur, die entweder nur den Rat und seine „natura et qualitates“ oder den Fürsten thematisiert habe. Auch bemängelt er die regelmäßig erörterte Frage, ob ein von schlechten Räten umgebener gu332 Kaspar Alexander (Pr.) / Abraham Gey (Resp.): Ex Corn. Tacito. Manius Lepidus politicus dissertatione politica […] propositus (6. Juni). Wittenberg 1649. Die Dissertation basiert auf den Annalen (4.20) des Tacitus. Sie umfasst 18 Textseiten, enthält aber keine Widmung und keine Gratulationsgedichte. Alexander (1623‒1681) war nach seinem Studium in Wittenberg und Leipzig auch als Gesandter am Reichstag in Regensburg tätig. 333 Schaller / Feyerabend: Manius Lepidus (Anm. 246). 334 Kühlmann: Geschichte als Gegenwart (Anm. 32), hier S. 56. 335 Den gehobenen gesellschaftlichen Status Feyerabends, der sich im Mai 1649 in die Matricula studiosorum iuris der Straßburger Universität eingeschrieben hatte, belegen der Kreis der Widmungsadressaten wie auch die Autoren der Gratulationsgedichte, zu denen der Straßburger Theologieprofessor Johann Georg Dorsche, der Rhetorikprofessor und amtierende Dekan Robert Königsmann, der Rechtsprofessor Johann Rebhan sowie der Präses gehören. Des Weiteren steuerten der fränkische Ritter Karl vom Stein, der Feyerabend als den „nobilissimus Autor“ der Dissertation würdigt, der Stettiner Petrus Wendt, der Straßburger Joseph Iunta und der Ungar Johann Beigler teils längere Lobgedichte bei. Feyerabend sind im Übrigen keine weiteren Publikationen zuzuordnen. 336 Die Reihe wird angeführt vom Brandenburger Kammerrat Markus Feyerabend in Bayreuth, gefolgt vom Königsberg-Löbenichter Senator Johann Albert Feyerabend und dem Bürgermeister der Freistadt Güns (heute Kőszeg in Westungarn) Johannes Feyerabend, alle drei Verwandte des Respondenten aus der „universa Familia Feyerabendiana“. Auf diese „Triga virum nobilissima“ geht der sechsseitige Widmungstext mit überschwänglicher Dankesrhetorik näher ein.

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ter Fürst der gegenteiligen Konstellation aus guten Räten und schlechtem Fürst vorzuziehen sei, als realitätsfern. Wann habe man jemals die Wahl zwischen diesen Optionen? Der Autor geht vielmehr dezidiert von der wirklichkeitsnahen Situation des guten Rates unter einem schlechten Fürsten aus. Diese exerziert er, dem Diktum Senecas „longum iter est per praecepta, breve et efficax per exempla“ folgend, auf der Basis von Beispielen durch, die ‒ wie könnte es anders sein ‒ der römischen Geschichte entnommen sind. Den Ausgangspunkt bildet eine Passage aus den Annalen des Tacitus (4.20) zum Konsul Manius Lepidus. Dieser Lepidus muß, wie ich sehe, einer der wenigen würdigen und klugen Männer jener Zeiten gewesen sein. Denn er hat sehr oft die in Schmeichelei gekleidete Boshaftigkeit anderer ins Bessere gewendet. Dabei hatte er keine besondere Zurückhaltung nötig, da er bei Tiberius eine stets gleichbleibende Achtung und Wertschätzung genoß. Dieser Umstand nötigt mich zu der Frage, ob wie alles andere so auch die Zuneigung der Herrscher gegen die einen, ihre Abneigung gegen andere durch Schicksal und Geburt bestimmt ist oder ob es nicht auch eine Selbstbestimmung gibt, die es uns erlaubt, in der Mitte zwischen starrem Trotz und entehrender Willfährigkeit seinen Lebensweg zu gehen, frei von Ehrgeiz und Gefahren.337

Daraus leitet Feyerabend das Erkenntnisinteresse seiner Untersuchung ab: Wie sah das Erfolgsrezept dieses Manius Lepidus aus? Der Hauptteil der Dissertation zum consiliarius unter einem schlechten Fürsten (S. 16‒34) ist ein ausführlicher Kommentar zu dieser Tacitus-Passage. Dazu muss der Verfasser zunächst klären, was „politice“ unter einem „malus Princeps“ zu verstehen sei (S. 2), denn aus dem Zitat sei ja indirekt zu schließen, dass Tiberius kein guter Fürst gewesen sei. Man könne nun nach der Art der Philosophen den bonus princeps bestimmen und ihn mit einem negativen Gegenbild kontrastieren. Als guter Fürst gelte, wer entsprechend dem göttlichen und Naturrecht sowie den selbst – nach den Geboten der Gerechtigkeit und Billigkeit – erlassenen Gesetzen regiere und dabei das Wohl der Untertanen verfolge. Der schlechte Fürst oder Tyrann handle dem entgegengesetzt, verfolge insbesondere seinen eigenen Nutzen, woraus zahlreiche Widerwärtigkeiten erwachsen. Doch eine solche Kontrastierung werde der Realität wenig gerecht, gebe es doch kaum Fürsten, die von allen Lastern frei seien. Die obersten Machthaber, so Feyerabend, tun sich nämlich stets schwer, ihren Begierden Fesseln anzulegen. Was für die weitere Untersuchung als politisch relevant in Betracht gezogen wird, sind jene Charakterschwächen, welche die Herrschaft unmittelbar beeinträchtigen. Es sei also zu unterscheiden zwischen „vitia privata“ und „publica“, ebenso wie auch „inter virtutes 337 „Hunc ego Lepidum, temporibus illis, gravem et sapientem virum fuisse comperio. Nam pleraque a saevis adulationibus aliorum, in melius flexit; neque tamen temperamenti egebat, cum aequabili auctoritate et gravitate apud Tiberium viguerit. Unde dubitare cogor, fato et sorte nascendi, ut caetera, ita principum inclinatio in hos offensio in illos: an sit aliquid in nostris consiliis, liceatque inter abruptam contumaciam et deforme obsequium, pergere iter ambitione et periculis vacuum.“ Schaller / Feyerabend: Lepidus (Anm. 246), S. 2. Deutsche Übersetzung in Anlehnung an Tacitus: Annalen (Anm. 60), S. 319.

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regias et toti hominum generi communes“ differenziert werden müsse. Die einen betreffen den Fürsten als Menschen, die anderen denselben als „persona publica“. Die Zügellosigkeit eines Tyrannen zum Beispiel ist nur dann relevant, wenn mit ihr schädliche Folgen für den Staat verknüpft sind.338 ‚Öffentliche‘ Tugenden seien primär Gerechtigkeit und Milde, „publica vitia“ dementsprechend „iniustitia et crudelitas“. Mit der Unterscheidung zweier Typen von schlechten Fürsten durch Plutarch und Aristoteles kommt zur Grausamkeit die „simulatio regiarum virtutum“ als Merkmal eines schlechten Fürsten hinzu. Gemeint ist damit der Tyrann, der den tugendhaften, guten Fürsten vortäuscht. Justus Lipsius habe auf dieser Basis Abstufungen zwischen dem Tyrannen, dem „princeps semimalus“ und „princeps semi-bonus“ sowie dem „plane bonus“ entwickelt, doch findet Feyerabend auch diese Differenzierung zwischen „semi-bonitas et semi-malitia“ nicht zielführend.339 Er wolle lieber auf die exempla eingehen. Die zwei Grundübel bei schlechten Fürsten, nämlich das rechts- und gesetzeswidrige Herrschen und die Grausamkeit, lassen sich nämlich gut am Beispiel des Tiberius erläutern, der eine Mischung aus Peisistratos und Phalaris (dem Tyrannen von Akragas im 6. Jahrhundert v. Chr.) gewesen sei, die für je eine der Untugenden Pate stünden.340 Die Herrschaft des Tiberius offenbare nämlich alle Anzeichen einer Tyrannis: „omnia illa calliditatis, arrogantiae, tristitiae, crudelitatis indicia.“341 Episoden, welche die Grausamkeit des Tiberius und dessen Vortäuschung herrscherlicher Tugenden illustrieren, liefern Tacitus und Sueton. Anschließend geht Feyerabend über zur Darstellung der Tugenden des bonus consiliarius. Zunächst stellt er die Frage nach dem Anforderungsprofil der guten Räte (S. 7‒16). Dieses bestehe ganz allgemein aus einer Verbindung von Menschenkenntnis mit Erfahrungen in Friedens- und Kriegszeiten. Viele hätten es bereits beschrieben, etwa Lipsius, 338 Schaller / Feyerabend: Lepidus (Anm. 246), S. 2f. Feyerabend geht hier beispielsweise auf die Knabenliebe und auf die Trunksucht als Charaktermängel ein, die aber eben nicht grundsätzlich politisch relevant seien. 339 Feyerabend diskutiert hier ausführlich Passagen aus der Politik (4.14) des Lipsius. Schaller / Feyerabend: Lepidus (Anm. 246), S. 4f. 340 Im Übrigen hatte zwei Jahre zuvor eine Dissertation die Ähnlichkeit des Tiberius mit den beiden griechischen Herrschern herausgearbeitet. Sie war unter der Leitung des zwischenzeitlich als Historiker in Straßburg tätigen Johann Sebastian Gambs verfasst worden. Johann Sebastian Gambs (Pr.) / Johann Kaspar Lentz (Resp. et Aut./W): Dissertatio historico-politica de Pisistratismo et Phalarismo per Tiberium repraesentatis. Straßburg 1649. Gambs, ein promovierter Jurist, übernahm die Professur für Geschichte und Eloquenz während Boecklers Schwedenaufenthalt. Der Straßburger, der in seiner Heimatstadt studiert und unter Schaller (1638) sowie mehrfach unter Boeckler (1637, 1638, 1640) disputiert und 1644 seine juristische Inauguraldissertation vorgelegt hatte, stieg 1652 in die juristische Fakultät auf. Auch Gambs war von der tacitistischen Ausrichtung der Straßburger historisch-politischen Wissenschaft geprägt. Der Respondent und angehende Jurist Lentz (1630‒1667) aus Regensburg wurde im Übrigen Bürgermeister seiner Heimatstadt. 341 Schaller / Feyerabend: Lepidus (Anm. 246), S. 5.

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Keckermann, Furius Ceriolanus, Hippolyt von Colli und andere mehr.342 Für Feyerabend stehen Klugheit (prudentia) und Tugend (virtus) im Vordergrund.343 Doch auch hier müsse man – analog zur aristotelischen Unterscheidung des vir bonus vom guten Bürger – differenzieren zwischen dem Leitbild des absolut guten Rates, der noch dazu unter einem guten Fürsten tätig ist, und dem aus Gründen der Staatsräson gemäßigt guten, d. h. seine Qualitäten nur maßvoll einsetzenden consiliarius. Mit anderen Worten: Unter einem guten Fürsten könne man herausragende Tugenden haben und diese auch offen zeigen. Unter einem malus princeps dagegen seien eminentes virtutes in Mäßigung ‚einzuhüllen‘. Die ganze Problematik veranschaulicht wieder das Beispiel des Tiberius, der „auf ausgezeichnete Vorzüge nicht achtete“. Gleichwohl „haßte er doch auf der anderen Seite die Laster. Von den Besten fürchtete er Gefahr für sich, von den Schlechtesten Schande für den Staat.“344 Nun dürfe man nicht so weit gehen wie Lipsius, der die „schola Tiberii“ zur Grundlage für die Unterweisung des Fürsten gemacht und diesem die daraus abgeleiteten „arcana dominationis“ eingeflüstert habe. Lipsius verwische damit die Unterschiede zwischen einem Tiberius und dem Tyrannen. Der Tyrann fürchte nämlich wie Hieron bei Xenophon die Tapferen wie auch die Weisen und die Gerechten. Solche Sorgen hätten die besseren Fürsten, etwa Marcus Antonius oder Alexander Severus, nicht geplagt. Doch müsse sich ein Rat der je nach Zeitumständen kleineren oder größeren Gefahren stets bewusst sein. Tiberius beargwöhnte den Arruntius wegen seines Reichtums, seiner Wendigkeit und hervorragenden Eigenschaften sowie seines dementsprechend hohen Ansehens. Und unter Domitian war militärischer Ruhm unerwünscht; er wurde hervorragenden Männern negativ ausgelegt und bedeutete damit eine nicht geringere Gefahr als ein schlechter Ruf.345 Eine „optima respublica“ und die „benevivendi facultas“ mögen von der freundschaftlichen Zusammenarbeit von Herrschern und ihren Ministern profitieren, nichtsdestoweniger geraten die Erfolgreichen und Tugendhaften bei den Fürsten immer wieder in Verdacht. Agrippa sei zweifelsohne der „bellorum victoriarumque sociu[s]“ des Augustus gewesen, doch sei ein durch Kriegsruhm berühmter Mann einem unkriegerischen Fürsten lästig und gelte als dem Frieden gefährlich.346

342 Ebd., S. 8. Zu den genannten Autoren vgl. oben bei Bernegger / Vinther (Consiliarius) mit Anm. 293. 343 Sie werden mit Lipsius (Politik 1.7) auch genauer definiert: Demnach sei die prudentia „intellectus et dilectus rerum, quae publice privatimque fugiendae aut appetendae“. Die virtus bezeichnet er als „perfectam et ad summum perducta ratione rerum agendarum appetitionem.“ Schaller / Feyerabend: Lepidus (Anm. 246), S. 8. 344 „nec eminentes virtutes sectabatur et rursum vitia oderat: ab optimis periculum sibi; a peßimis dedecus publicum metuebat.“ Schaller / Feyerabend: Lepidus (Anm. 246), S. 9. Deutsche Übersetzung nach Tacitus: Annalen (Anm. 60), S. 109. 345 Schaller / Feyerabend: Lepidus (Anm. 246), S. 12, mit Rekurs auf die Annalen (1.13) und die Agricolavita (5,3) des Tacitus. 346 Schaller / Feyerabend: Lepidus (Anm. 246), S. 13.

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Nach diesen Bemerkungen zu den allgemeinen Anforderungen an den bonus consiliarius kommt Feyerabend nun zu den Qualitäten, die in Relation zum Zustand des Staates stehen. „Sub bono Principe“ seien dies Großmut, Beständigkeit sowie Freimut (magnanimitas, constantia animi, libertas). „Sub malo Principe“ sei die Lage wesentlich komplizierter, doch führen „noster Lepidus“ und andere die hier nötigen Verhaltensmaximen vor. Der erste Halt gebende Anker sei arbeitsamer Gehorsam (obsequium laboriosum), wofür Velleius Paterculus den Seianus gelobt habe. Ausführlicher wird zweitens die Würde (gravitas, S. 17‒20) thematisiert, welche von Feyerabend als eine spezifisch „ad tempora sub Tyrannis“ erforderliche Qualität betont wird. Sie habe frei zu sein von Eigensinn (contumacia) und Launenhaftigkeit (morositas). Die Untiefen der Leichtfertigkeit (facilitas), eines zu vertrauten Umgangs mit dem Fürsten und überhöhte Zuversicht seien zu meiden. Als dritten Anker setzt der ungarische Autor die modestia (S. 20‒24), die er an den Beispielen des Lepidus und des Agricola erörtert, da ihm beide als vergleichbare Persönlichkeiten gelten. Die Mäßigung habe sich insbesondere in Gesten und Sprache sowie im Umgang mit Geld zu zeigen; sie lege der Selbstverherrlichung Fesseln an und gewähre insbesondere unter einem undurchsichtigen und charakterlich schwierigen Fürsten wie Tiberius ein sicheres Leben. Auch „noster Tacitus“, dessen Würde von den Kaisern Vespasian, Titus und Domitian geschätzt wurde, habe „incorrupta fide“ am Hof dieser Herrscher lange Jahre zubringen können (S. 23). Trotz oder gerade wegen der Unwägbarkeiten und Gefahren, die von schlechten Fürsten ausgehen, müsse sich der consiliarius die Fähigkeit zum ausgewogenen Urteil (aequum iudicium) bewahren.347 Wie schwierig Herrscherpersönlichkeiten sein können, hat das Beispiel des Tiberius gezeigt, dessen latente Neigung zur Tyrannei in verschiedenen Schattierungen zum Ausdruck gekommen sei. Sein Eigensinn und seine Verschlossenheit, die Undurchsichtigkeit seiner Verlautbarungen hätten seiner Umgebung stets das Leben schwer gemacht. Solche Herrscher sind jedoch keine Seltenheit. Auch Hadrian wird ein Charakter nachgesagt, in dem gute und schlechte Eigenschaften ineinander verwoben waren. Er sei zugleich streng und heiter, leutselig und unangenehm, ausgelassen und bedächtig, geizig und freigebig, ein Meister in der Kunst der Verstellung, grausam und gütig, kurz, immer und in jeder Hinsicht wandelbar gewesen.348 Vor welch schwierigen Aufgaben ein Rat stehen kann, lässt sich schließlich auch demonstrieren am Beispiel des von Jähzorn besessenen Domitian, der kaum zu besänftigen war.349 Agricola vermochte jenen Fürsten „durch die kluge Mäßigung“ zu beschwichtigen, „weil dieser weder durch Trotz noch durch eine nichtige

347 Ebd., S. 25. 348 Ebd., S. 24: Hadrian „erat severus, laetus: comis, gravis: lascivus, cunctator: tenax, liberalis, simulator: saevus, clemens, et semper in omnibus varius“ (Zitat aus der Historia Augusta 14). 349 Domitian ist für Tacitus der Inbegriff des bösartigen Fürsten; vgl. Christiana Urner: Kaiser Domitian im Urteil antiker literarischer Quellen und moderner Forschung. Augsburg 1993.

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Pose des Freimuts Ruhm und Schicksal“ herausgefordert habe.350 Unbedingt zu vermeiden sei es, den Verdacht der Unbeugsamkeit auf sich zu ziehen („fuga contumaciae“) und eine größere Beständigkeit an den Tag zu legen, als sie ein Herrscher wie Nero ertragen konnte. Das Beispiel des Senators und Stoikers Publius Clodius Thrasea Paetus (†66 n.Chr.), dessen Standhaftigkeit schließlich das Maß überschritten habe, zeige die Gefahren auf.351 Grundsätzlich rät Feyerabend mit Tacitus (Historien 4.74,2), dass man Ausschweifung und Habgier der Herrschenden ertrage wie Dürre und Starkregen. Laster werde es immer geben, doch würden sie durch die Tugenden besserer Regenten aufgewogen. Ein weiterer Baustein seines Erfolgsrezepts für consiliarii, das zugleich auch eine Überlebensstrategie darstellt, ist die „fuga ambitionis“ (S. 26‒29). Lepidus war es möglich, „frei von Ehrgeiz und Gefahr“ leben zu können. Dass ambitio gefährlich sei, illustriert das Schicksal des hochgebildeten Bruttedius Niger (Annalen 3.66,5f.), der, ungeduldig die noch unreifen Früchte seines Erfolges einfordernd, seinen Untergang bewirkt habe. Bekannter als dessen Fall ist der des mit Bruttedius befreundeten Prätorianerpräfekten Aelius Seianus, der zeitweise zum einflussreichsten Römer aufgestiegen war, dann aber einen plötzlichen Absturz erlebte.352 Tacitus (Annalen 4.1,5) charakterisiert dessen Wesensart so: Sein Mut [war] verwegen. Sich selbst deckte er vorsichtig, andere verleumdete er. Unterwürfige Schmeichelei und Hochmut waren in ihm vereint. Nach außen zeigte er geheuchelte Bescheidenheit, innerlich beherrschte ihn ein hemmungsloser Ehrgeiz, der ihn manchmal zu Verschwendungssucht und Üppigkeit trieb, häufiger aber zu rastloser Betriebsamkeit und Wachsamkeit, die beide nicht weniger verhängnisvoll sind, wenn sie zur Erlangung höchster Macht nur vorgetäuscht werden.353

Solchen von Ehrgeiz getriebenen Räten ist wiederum das positive Beispiel des Agricola gegenüberzustellen: Dieser mied große Feiern und das Bad in der Menge, betrat, um nicht aufzufallen, bei Nacht die Stadt und suchte seinen Kriegsruhm, da dieser Müßiggängern

350 Schaller / Feyerabend: Lepidus (Anm. 246), S. 25: „quia non contumacia, nec inani jactatione libertatis famam fatumque provocabat“. Quelle ist Tacitus’ Agricola (42,3). Deutsche Übersetzung nach Tacitus: Das Leben des Iulius Agricola. Lateinisch und deutsch von Rudolf Till. Darmstadt 1961, S. 55. 351 Schaller / Feyerabend: Lepidus (Anm. 246), S. 26; Quelle ist Tacitus (Annalen 14.49 u. 14.12). 352 Das Thema ‚Sturz des Favoriten‘ und speziell die Figur des Seianus beschäftigte das 17. Jahrhundert intensiv. Vgl. Ennenckel: Seianus (Anm.  108). Zur frühneuzeitlichen Bedeutung der ‚Favoriten‘ Ronald G. Asch: Favorit. In: Enzyklopädie der Neuzeit. Bd. 3: Dynastie ‒ Freundschaftslinien. Hg. von Friedrich Jaeger. Stuttgart u. a. 2006, Sp. 840‒844. 353 „animus, ait [Tacitus], audax, sui obtegens in alios criminator, juxta adulatio et superbia; palam compositus pudor, intus summa apiscendi libido, eiusque causa modo largitio et luxus, saepius industria et vigilantia haud minus noxiae, quoties parando regno finguntur.“ Schaller / Feyerabend: Lepidus (Anm. 246), S. 27. Deutsche Übersetzung in Anlehnung an Tacitus: Annalen (Anm. 60), S. 395.

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lästig war, mit anderen Tugenden und einer besonnenen, im Gespräch umgänglichen und leutseligen Lebensweise zu überspielen.354 Dem fügt Feyerabend noch die „fuga deformis obsequii“ sowie die Vermeidung sklavischer Schmeichelei (S. 31‒33) hinzu. Zu guter Letzt darf auch die von Tacitus übergangene göttliche Fürsorge, die „custodia divina“, nicht unerwähnt bleiben. Ihr habe Manius Lepidus ebenso seinen Fortgang verdankt, wie es „hodierno tempore“ eben Gott sei, der die am Hofe Lebenden schütze.355 Feyerabend schließt sich der Klage des Tacitisten Melliet (Discours politiques et militaires sur Corneille Tacite) an, dass es in den letzten Jahrhunderten und in allen Staaten und Fürstentümern kaum mehr dem Lepidus oder Agricola vergleichbare Persönlichkeiten gegeben habe.356 Dass die Zeitgenossen nicht mehr mit den Grausamkeiten von Tyrannen zu kämpfen hätten, da solche nicht mehr an der Macht seien und auch von der christlichen Religion nicht mehr geduldet würden, lasse den Mangel nicht weniger bedauerlich erscheinen. Insgesamt erweist sich die unter Schallers Ägide vorgestellte Dissertation des Ungarn Feyerabend als argumentativ differenziert und konzeptionell durchdacht; sie ist ein musterhaftes Produkt des deutschen Tacitismus. Der „Autor“ erarbeitete seinen Manius Lepidus vornehmlich auf der Basis der Werke des Tacitus und, in Bezug auf Tiberius, der Kaiserbiographien Suetons, verwendete dabei aber auch verschiedene weitere antike Autoren (Aristoteles, Cassius Dio, Herodian, Isokrates, Nepos, Plato, Plutarch, Seneca, Velleius Paterculus und Xenophon), die er zum Teil in griechischer Sprache zitiert. Mit Lipsius wirkt ein wichtiger moderner Gelehrter prägend, den der Verfasser aber auch kritisch zu hinterfragen versteht. Feyerabend beherrschte zudem die italienische und französische Sprache, vermochte daher auch die Oberservationi des Giorgio Pagliari dal Bosco und die französischsprachigen Tacitusdiskurse Laurent Melliets heranzuziehen.357 Welche persönlichen Erfahrungen mit mehr oder minder schlechten Fürsten der Ungar dabei verarbeitet hat, muss offen bleiben. Seine zu Zurückhaltung mahnenden Empfehlungen an die Fürstenberater, die auch eine Art Überlebensstrategie eines bonus consiliarius sub malo principe entwickeln, lassen freilich nichts Gutes ahnen.

354 Schaller / Feyerabend: Lepidus (Anm. 246), S. 28, auf Tacitus (Agricola 40,4) Bezug nehmend. 355 Ebd., S. 33. 356 Vgl. Frédéric Gabriel: Melliet, Laurent. In: The Dictionary of Seventeenth-Century French Philosophers. Hg. von Luc Foisneau. London, New York 2008, S. 844‒846. 357 Giorgio Pagliari dal Bosco: Oberservationi […] sopra i primi cinque libri de gli annali di Cornelio Tacito. Mailand 1612; Laurent Melliet: Discours Politiques et Militaires, sur Corneille Tacite, excellent Historien, et grand Homme d’Estat. Traduits, paraphrasez, et augmentez. Lyon 1618, 1619, 1628, Rouen 1633, 1642 u. ö.

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4.5. Staatstheorie und Staatsformen Abhandlungen über den Ursprung und das Wesen des ‚Staates‘, über Wandel und Verfall von Staatsgebilden, ebenso über die verschiedenen Staatsformen gehörten zum Standardprogramm der frühneuzeitlichen Politikwissenschaft. Man findet sie seit Beginn des 17. Jahrhunderts entweder als Teil von Sammelwerken oder als eigenständige Dissertationen. An der Universität Basel wurden 1602 zwei entsprechende Thesenschriften verteidigt.358 An den Universitäten Altdorf, Tübingen und Wittenberg entstanden zwischen 1609 und 1619 gleichfalls je zwei einschlägige Arbeiten,359 in Leipzig waren es drei, in Gießen sogar vier.360 Greifswald, Heidelberg, Helmstedt, Herborn, Jena, Kassel, Marburg und Rostock treten als Druckorte bis 1619 zumindest einmal in Erscheinung.361 Nur die 358 Balthasar Crosnievicius (Pr.) / Erich Brahe (Resp.): Theses politicae de republica et eius formis. Basel 1602. Ferdinand Praetorius (Pr.) / Nicolaus Potocki de Potok (Resp.): De republica et ejus formis, earum constitutione, praestantia, proprietatibus, conservatione et interitu (August). Basel 1602. 359 Michael Piccart (Pr.) / Andreas Ludwig Schopper (Resp. et Aut./W): Theses de republica et eius formis in genere (April). Altdorf 1612. Michael Piccart (Pr.) / Tobias Oelhafen v. Schöllenbach (Resp.): De origine et divisionibus reipublicae disputatio politica (Juni). Nürnberg 1619. Christoph Besold (Pr.) / Johann Jakob Vinther (Resp.): De republica dissertatio politico-juridica (November). Tübingen 1612. Christoph Besold (Pr.) / Johann Ulrich Wolff von Todtenwarth (Resp.): Discursus politico-historico-iuridicus de republica. Tübingen 1614. Heinrich Velstenius (Pr.) / Kaspar Sternenbeke (Resp.): Decas V. quaestionum politicarum de rep[ublica] eiusque forma, rerum communione, ordine et legibus (16. Oktober). Wittenberg 1610. Martin Titius (Pr.) / German Luidtke (Resp.): Exercitationum politicarum quarta. De republica in genere, et in specie de republica mixta (3. Juni). Wittenberg 1612. 360 Christoph Preibis (Pr.) / Michael Wieder (Resp.): Collegii politici disputatio tertia tum reipublicae naturam, tum eius species exhibens. Leipzig 1617. Georg Tobias Schwendendörffer (Aut./W): Disputatio publica. De republica tum in genere, tum in specie (pro loco, 3. Mai). Leipzig 1617. Andreas Spiller (Pr.) / Benjamin Dedekind (Resp.): Disputatio politica de republica et ejus speciebus (22. August). Leipzig 1618. Johann Crüger (Pr.) / Joachim Vontzendt (Resp.): Collegii politici disputatio tertia de civitate et republica in genere. Gießen 1609. Christian Matthiae (Pr.) / Christoph Muckhius (Resp.): Disputationum politicarum quinta. De republica. Gießen 1611. Christoph Scheibler (Pr.) / Peter Wibe (Resp.): Theses politicae de republica ejusque origine atque constitutione. Gießen 1616. Christian Liebenthal (Pr.) / Peter Burchtorph (Resp.): Collegii politici disputatio quinta de civitate et republica in genere. Gießen 1619. 361 Alexander Christiani (Pr.) / Friedrich Rungius (Resp.): Exercitationum politicarum quarta, de republica in genere (Dezember). Greifswald 1615. Johann Kasimir Jordan (Pr.) / Johann Christoph Wolffskeel (Resp.): Disputatio politica de republica. Heidelberg 1614. Henning Arnisaeus (Pr.) / Mauritius Canne (Resp.): Disputationum politicarum quinta, de rebuspublicis in genere: item de mixta republica an detur (März). Helmstedt 1605. Philipp Heinrich Hoenonius (Pr.) / Christoph Theodor Essel, Paul Reutter [handschriftlich hinzugefügt] (Respondenten): Disputatio I. de definitione et objecto politicae; item de origine et legibus reipublicae. In: Philipp Heinrich Hoenonius: Libri duo disputationum: prior politicarum methodice digestarum. Herborn 1608, S. 1‒14. Rein-

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Straßburger Universität hat bis 1620 keine vergleichbare Arbeit zu diesem für den politischen Aristotelismus klassischen Thema aufzuweisen. Das kann mit der auf Tacitus und Lipsius fokussierten Ausrichtung der Straßburger Schule erklärt werden, aber wohl auch mit der zwischen Walliser und Bernegger ungeklärten Zuständigkeit für die Politik. Die Lage änderte sich ab 1620 mit der Dissertation des Wieners Blasius Schreiber, der schon erwähnten Arbeit des Straßburgers Adam Hünerer und der des in Genf beheimateten Andreas Pictet.362 Bei diesen Schriften handelt es sich um eigenständige Dissertationen, wie sie nun zunehmend auch an anderen Universitäten produziert wurden.363 Systematisch grundlegendes Thema sind Natur und Ursprung des ‚Staates‘. Der aus einer Genfer Magistratenfamilie stammende Pictet stufte seine Dissertation explizit als „Disputatio politica“ ein und unterzeichnete die zugehörige Dedikation als „Auth[or] et Resp[ondens]“.364 Der spätere Jurist, Genfer Syndikus und Rat hatte sich gerade erst im Juli 1626 an der Juristenfakultät Straßburgs immatrikuliert, bevor er wenig später unter Berneggers Leitung seine Arbeit präsentierte.365 Der in der Mutterstadt des hard König (Pr.) / Valentin von Lützow „Eques Megapolitanus“ (Resp.): Acies disputationum politicarum, disputatio prima de republica in genere. Jena 1618. Joseph Puiadius (Poujade; Pr.) / Hermann Adolph Graf Solms (Resp.): Disputatio politica prima de republica, eiusque variis formis (Februar). Kassel 1619. Hermann Kirchner (Pr.) / Jonas Melideus (Resp.): Disputatio prima politica [Definitionen der ‚politica‘ und der ‚respublica‘]. In: Hermann Kirchner: Respublica. Marburg 1608, Bl. A1r‒A4v. Johann Ulrich Wolff von Todtenwarth (Pr.) / Friedrich Nordanus (Resp.): Biga juridico-politica XIV. disputationibus absoluta et completa. Disputatio prima de ortu reipublicae, eius progressu, definitione, statu integritatis. Rostock 1615. 362 Bernegger / Schreiber: De tribus reipublicae formis (Anm. 387). Bernegger / Hünerer: De eversionibus rerumpublicarum (Anm. 157). Bernegger / Pictet: Natura reipublicae (Anm. 364). 363 Vier weitere Beispiele aus den 1620er Jahren: Andreas Virginus (Pr.) / ? (Resp.): Disputatio politica de republica. Greifswald 1622. Johann Lüder (Pr.) / Johann Voege [Volge?] (Resp.): Disputatio politica de republica eiusque speciebus. Helmstedt 1623. Christian Liebenthal (Pr.) / Georg Friedrich von Schachten (Resp.): Disputatio politica de republica eiusque formis: monarchia, aristocratia et democratia (April). Gießen 1622. Heinrich Julius Scheurl (Pr.) / Theodor Illing (Resp.): Dissertatio philosophica de natura politicae ac reipublicae causis (pro loco, April). Leipzig 1626. 364 Matthias Bernegger (Pr.) / Andreas Pictet (Resp. et Aut./W): Disputatio politica de natura et statu reipublicae. Straßburg 1626. Der Genfer widmet seine Disputatio politica zwei Mitgliedern des Kleinen Rats der Republik Genf, nämlich David Colladonus und seinem Vater Jakob Pictet. Der dritte Adressat ist Johann Gambs, Senator und Quindecimvir in Straßburg. Die Abhandlung des Ratsherrensohnes erstreckt sich auf 25 Textseiten und ist in 108 Thesen gegliedert, denen ein Proömium vorangeht. Den Abschluss bilden vier Diskussionsfragen zum Thema. Zwischen- und Kapitelüberschriften sowie Randnoten fehlen. 365 Pictet, der sich 1625 an der Genfer Akademie immatrikulierte (vgl. Le Livre du Recteur. Catalogue des Etudiants de l’Académie de Genève de 1559 à 1859. Genève 1860, S. 95), strebte eine juristische Qualifikation an; vgl. Jacques Godefroy (Pr.) / André Pictet (Resp.): De ap[p]ellationibus cum in genere tum in specie. Genf 1627. Die Angaben zu seiner Karriere gehen aus verschiedenen Dedikationen an Pictet hervor, der offenbar auch ein beliebter Mäzen gewesen ist. Vgl. etwa: Daniel Tossanus: Panegyricus summo et eminentissimo theologo Friderico Spanhemio dictus. Basel 1649.

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Abb. 5: Titelblatt zu Matthias Bernegger (Pr.) / Andreas Pictet (Resp. & Aut./W): Disputatio politica de natura et statu reipublicae. Straßburg 1626. Exemplar der Staats- und Stadtbibliothek Augsburg, Signatur 4 Gs 523–33.

Calvinismus beheimatete ‚Autor‘ scheint in Straßburg nicht vernetzt gewesen zu sein, sind seiner Abhandlung doch keinerlei Paratexte von hiesigen Professoren oder Kommilitonen beigegeben. Der Blick auf die von ihm herangezogenen Autoritäten offenbart denn auch eine Prägung durch die calvinistische Staatstheorie.366 Im lutherischen Straßburg gibt sich 366 Literatur- und Quellenbasis bilden neben der hier zentralen Politik des Aristoteles, die Staats- und Politiklehren des Jean Bodin, Lambertus Danaeus, Bartholomäus Keckermann, Hermann Kirchner, Petrus Gregorius Tholosanus und Clemens Timpler; kaum genannt werden die sonst in Straßburger Arbeiten üblichen antiken Klassiker (Cicero, Plutarch) und Lipsius. Zwar wird keine der Autoritäten von Pictet besonders hervorgehoben, doch hat mit Danaeus, Keckermann und Timpler der politische Calvinismus Gewicht. Danaeus (Daneau; 1530‒1595) hatte einige Jahre als Geistlicher im reformierten Genf gewirkt, bevor er Kollege des Lipsius in Leiden wurde; postum erschienen seine Politices christianae libri septem (Genf 1596, ²1606). Keckermann (1571‒1609), gleichfalls ein reformierter Philosoph, wirkte in Danzig. Sein wichtiges Werk ist das Systema disciplinae politicae

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Pictet aber als konsensorientierter politischer Aristoteliker. In diesem Sinne leitet er seine Abhandlung mit der Feststellung ein, dass für das Zusammenleben der Menschen Gesetze und eine Herrschaftsordnung notwendig seien. Zwar sei dem Menschen eine natürliche Neigung zum gemeinschaftlichen Leben angeboren, gleichfalls habe er aber auch Schwächen, die ihn vom rechten Weg würden abirren lassen, wenn er sich weder einer Regierung noch Gesetzen unterordne. Letztere bewahren die Gemeinschaft vor beständiger Zwietracht und dem Rückfall in die Barbarei.367 Im ersten Hauptteil der Dissertation De natura et statu reipublicae wird zunächst der Begriff ‚respublica‘ bzw. ‚politeia‘ bestimmt. Der Genfer konstatiert, dass die politici die respublica unterschiedlich definieren,368 und lobt die Begriffsbestimmungen Bodins und Keckermanns,369 aus denen er schließlich seine eigene ableitet: ‚Staat‘ sei eine Einheit aus vielen Familien, nach einer gewissen Ordnung zusammengefügt und durch klare Regelungen sowie eine höchste Gewalt auf das Allgemeinwohl ausgerichtet.370 In dieser Definition seien ein materieller (die Familien und deren genügend hohe Anzahl) und ein formaler Aspekt (der durch Gerechtigkeit, Klugheit und andere Tugenden geprägte ordo; th16‒18) enthalten.371 Erneut hält Pictet fest, dass ohne moderatio durch die summa potestas, die alle einzelnen Mitglieder und Familien der civitas zu einem Körper vereine, kein Gemein(Hanau 1607); seine Opera omnia erschienen 1614 postum in Genf. Clemens Timpler (1567/68‒1624) war reformierter Philosophielehrer am Gymnasium in Steinfurt; er verfasste Philosophiae practicae systema methodicum. Complectens politicam integram (Hanau 1611). Vgl. Stefan Bildheim: Calvinistische Staatstheorien. Historische Fallstudien zur Präsenz monarchomachischer Denkstrukturen im Mitteleuropa der Frühen Neuzeit. Frankfurt/Main u. a. 2001; Christoph Strohm: Calvinismus und Recht. Weltanschaulich-konfessionelle Aspekte im Werk reformierter Juristen in der Frühen Neuzeit. Tübingen 2008. 367 Bernegger / Pictet: Natura reipublicae (Anm. 364), Prooemium: „Inde Politiae et Respublicae constitutae, quarum necessitas tanta est, ut sine his societas humana subsistere nequeat. Ubi enim forma regiminis nulla est“, herrsche beständige Zwietracht und sei alles in Konfusion („ibi omnia confusa sunt“). 368 Ebd., th9. Cicero definiere ‚Staat‘ als Sache des Volkes, wie bei Augustinus (De civitate die  1.2) überliefert sei. Andere wie Timpler (Politik 1.2) meinen, es handle sich um eine communitas „hominum et rerum civilium, magistratus Politici Imperio“ subiecta. Kirchner (Respublica 1.1) erachte ihn als eine durch legitime Herrschaft politischer Macht zusammengehaltene Gemeinschaft des Volkes („societatem populi legitimo Civilis Potestatis imperio coalitam“). Wiederum andere folgen Aristoteles (Politik 8.1 u. 4) und beschreiben ihn als Vereinigung und Ordnung vieler Bürger, als „multorum civium unitatem, et rectam ordinationem“. 369 Bernegger / Pictet: Natura reipublicae (Anm. 364), th10: Bodin (De republica 1.1) bestimme den Staat als „familiarum rerumque inter ipsas communium summa potestate ac ratione moderatam multitudinem“, Keckermann (Systema politicum) als „coetum ex pluribus familiis domesticis certo ordine collectum, et ad foelicitatem publicam directum“. 370 Ebd., th11: „coetus ex pluribus familiis domesticis certo ordine collectus, et certa ratione, ac summa aliqua potestate ad faelicitatem publicam moderatus.“ 371 Ebd., th19f. Mit Aristoteles wird festgestellt, dass es unter den Bürgern eine politische und eine ethische Gemeinschaft („communio politica et ethica“) gebe, wobei politische Gemeinschaft den

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wesen existieren könne (th21).372 Wirkursachen seien die von Gott gegebene Sozialnatur des Menschen und das angenehme Leben („vitae commoditas“, th25).373 Nicht in Abrede stellen möchte Pictet mit Verweis auf Danaeus allerdings, dass Furcht vor anderen und die „necessitas“ der Verteidigung gegen Unrecht Ursachen des politischen Zusammenlebens sind (th33). Die Staatszielbestimmung unterscheidet einen „finis ultimus“, nämlich die irdische Glückseligkeit, und ein prinzipielles Ziel, nämlich das ehrenhafte und ruhige Leben der Bürger, zu dem auch die propagatio der wahren Religion und der Gerechtigkeit gehöre. Dies schließe als „finis minus principalis“ den äußeren Frieden, die rechtmäßige Verteidigung gegen Unrecht von Feinden und das ausreichende Vorhandensein der zum bürgerlichen Leben notwendigen externen Güter mit ein (th34‒36). Mit den verschiedenen Staatsformen sind außerdem spezielle Ziele (th38) verbunden: mit der Monarchie die „conservatio populi et honor“, mit dem Optimatenregiment die ehren- und tugendhafte Regierungsführung, mit dem „imperium politicum“ Tugend, Freiheit und Gemeinwohl. Allen gemeinsam sei jedoch das Ziel des glücklichen Lebens.374 Damit leitet der Genfer über zum zweiten Teil, welcher die Staatsformen behandelt375 und knapp zwei Drittel der Dissertation einnimmt. Und auch hier geht er von Aristoteles aus, der nach der Zahl der Regierenden und nach der Gemeinwohlorientierung unterscheidet sowie zwischen legitimen und „aberrantes respublicas“ differenziert (th42). Die erste Staatsform sei die Einherrschaft (th43‒68), in der einer die höchste Gewalt innehat – entweder rechtmäßig als König oder unrechtmäßig als Tyrann.376 Die von Aristoteles erörterten fünf Arten der Königsherrschaft (th45) reduziert der Genfer auf den vollkommenen und unvollkommenen Typ (th46). Im Kontext der perfekten Monarchie werden die summa potestas und die iura maiestatis sowie die principia maiestatis erläutert. Bezeichnend für den Aristoteliker ist, dass die Darstellung der legibus soluta potestas nicht gemeinsamen Besitz von Märkten, Häfen, Straßen, Gesetzen, Gerichten, Gewohnheiten, Theatern, öffentlichen Gebäuden usw. meint (Bodin, De republica 1.2). 372 Ebd., th21. Hieran schließt das beliebte Cicerozitat (th22): „Quin et sine imperio sive potestate aliqua nec domus ulla, nec hominum ipsum genus, nec rerum natura omnis, nec mundus ipse stare potest.“ Von Lipsius ‒ hier eine der seltenen Bezugnahmen auf ihn ‒ werde die Herrschaftsgewalt u. a. als „spiritus vitalis Reipublicae“ bezeichnet. 373 Anschließend werden die verschiedenen Formen der Vergemeinschaftung, die „conjunctio Maris et Foeminae“ (ebd., th26), die Gemeinschaft von Eltern und Kindern (th27), die Haus- oder Familiengemeinschaft, die Dörfer (th29) und Städte (th30), behandelt, wobei letztere aus einfachen (societas coniugalis, Familien usw.) und zusammengesetzten Teilen bestehen (th31). 374 Bernegger / Pictet: Natura reipublicae (Anm. 364), th39f. Daran knüpft Pictet die Frage, ob der Mensch in diesem irdischen Leben volle Glückseligkeit erlangen könne. Zu unterscheiden sei hier zwischen irdischem und himmlischem Glück; ersteres könne sehr wohl angestrebt und durch die Einrichtung von Staaten („constitutio Reip.“) erreicht werden. 375 Ebd., th41: „Nomen Reipublicae unum est, sed modi administrandi secundum diversam constitutionem diversi sunt.“ 376 Höchste Gewalt bedeute, dass einer den Staat im Sinne des Gemeinwohls unter Beachtung der Natur und der rechten Vernunft lenkt (th44).

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auf Bodin rekurriert, sondern auf die Politik des Stagiriten.377 Ein souveräner Monarch ist demnach aus verschiedenen Gründen nicht an die (menschlichen) Gesetze gebunden – wenngleich er sie freiwillig achtet –, wohl aber an natürliches und göttliches Recht. Dies gehört gleichfalls zum Lehrkonsens des politischen Aristotelismus.378 Von einer unvollkommenen Monarchie sei dann zu sprechen, wenn die Herrschaft „vel ratione potestatis, vel ratione honoris et gradus principatus, vel ratione specialium pactorum, vel ratione mixtionis, vel denique ratione temporis“ eingeschränkt sei, etwa wenn ein Fürst einen Höheren anerkennt, mit Untertanen Verträge eingegangen ist, welche seine potestas einschränken, seine Herrschaft zeitlich begrenzt oder seine Königsherrschaft einem anderen Staat tributpflichtig ist.379 Das Gegenstück zur Monarchie ist die Tyrannis, in welcher der Herrscher nach eigener Willkür regiert. Der Tyrann missachte göttliches Recht und Naturrecht, Religion und Gerechtigkeit sowie das Gemeinwohl. Die zwei grundlegenden Typen des Tyrannen sind: „alius absque titulo, alius vero exercitio.” Der eine hat das Regiment illegitim an sich gerissen, der andere hat es zwar rechtmäßig inne, regiert aber tyrannisch. Zu differenzieren gilt es aber auch „inter morosum difficilemque Principem et inter tyrannum.“ Denn so wie der strenge und harte Familienvater kein Tyrann oder Wolf sei, sollte auch der Fürst, „qui per vim aliquando civibus imperat“, nicht als Tyrann gebrandmarkt werden.380 Bezeichnend für den argumentativ konsensorientierten Duktus der Dissertation ist es, dass Pictet hinsichtlich der Charakteristika der Tyrannis zwar auch auf Stephanus Junius Brutus verweist, auf die kontroverse Frage des Widerstandsrechts aber nur am Rande eingeht.381

377 Bernegger / Pictet: Natura reipublicae (Anm. 364), th48‒54, hier th54. „Absoluto et summo monarchae tandem competit potestas legibus soluta, quia si legibus teneretur illas, vel a subditis, vel a seipso, vel ab aequali, vel tandem a superiori acciperet. Non a subditis quia illorum est accipere, non dare leges. Non a seipso, quia nemo sibi imperare […] potest, non ab aequali, quia omne agens suo patiente superius, non par esse debet. Non denique a superiori quia talem cognoscit neminem, ergo a nullo, ac proinde legibus solvitur. […] Rex, inquit Aristoteles, tanquam Deus aliquis legibus est immunis“ (Politik 3.13). Und weiter th55: „Excipiuntur tamen leges naturales et divinae, quib[us] instar aliorum hominum et civium obtemporare debet.“ 378 In diesem Kontext wird auch die Unterscheidung der Gesetze in „leges […] directivas et coactivas“ getroffen. Der Princeps sei zwar nicht dem Gesetzeszwang (leges coactivae) unterworfen, binde sich jedoch freiwillig an die Gesetze; Bernegger / Pictet: Natura reipublicae (Anm. 364), th56. 379 Ebd., th57‒59; Zitat: th57. 380 Ebd., th60‒68; Zitate: th63 und 67. Die Passage zur Tyrannis fällt recht ausführlich aus, weil Pictet hier auch auf die geschichtliche Entwicklung – Kain als erster Tyrann, Nimrod als der Tyrann nach der Sintflut – eingeht. 381 Diese wird in einer der vier quaestiones politicae im Anhang angesprochen, doch bleibt Pictet eine klare Antwort schuldig. Bernegger / Pictet: Natura reipublicae (Anm. 364), [letzte Seite] „4. Num licite tyrannus a quolibet impune necari possit. Disting.“ Zu Stephanus Junius Brutus vgl. Ottmann: Politisches Denken Bd. 3/1 Neuzeit (Anm. 51), S. 92f.

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Nach dem gleichen Schema – aristotelische Untertypen, vollkommene und unvollkommene Form, Oligarchie als entartete Form – wird anschließend die Aristokratie abgehandelt.382 Die „tertia species Reipubl. legitima vocatur ab Aristotele ἡ πολιτεία specialiter sic dicta“, womit das legitime und dem Gemeinwohl verpflichtete Regiment des Volkes gemeint gewesen sei. Genauer betrachtet handle es sich dabei um eine Mischung aus Aristokratie und Demokratie, welche Gemeinwesen mit einer starken Mittelschicht angemessen sei.383 Sobald entweder die pauperes oder die potentes bzw. ambitiosi mehr Einfluss erlangten, wandle sich das Gemeinwesen in eine Oligarchie oder in eine „mala democratia“. Im Unterschied zu den beiden vorangehenden Staatsformen differenziert Pictet hier nicht zwischen einer vollkommenen und einer unvollkommenen Unterform. Zwar habe der Philosoph ‒ gemeint ist Aristoteles ‒ der Politia die Demokratie gegenübergestellt und diese dadurch charakterisiert, dass in letzterer zum Nutzen der Armen regiert werde. Andere hätten sie jedoch weniger auf diesen Aspekt zugespitzt definiert. Gregorius Tholosanus sah im status popularis die Herrschaft des Volkes unter Ausschluss des Adels. Für Bodin definierte sie sich durch die Herrschaft der Mehrheit des Volkes, welche sich in unterschiedlichen Versammlungsformen artikuliere. Das Volk setze sich, so Pictet unter Verweis auf Kirchner, zudem sowohl aus Reichen und Patriziern wie auch aus Armen und Plebejern zusammen.384 Es umfasse also nicht nur die Armen. Auf dieser Basis folgt der Genfer wieder Aristoteles, wenn dieser Unterformen der Demokratie in Abhängigkeit von mehr oder minder restriktiven Regelungen für den Ämterzugang ausdifferenziert.385 Zur Stabilität der Demokratie tragen regelmäßige, die Eintracht befördernde Versammlungen bei. Weitere solcher „arcana instituta democratiae“ sind der turnusmäßige Wechsel der Magistratsinhaber sowie deren Installierung entweder durch Los oder durch Wahl (th103). Wie bei der Aristokratie kann auch in der Demokratie der Wandel der Verfassung entweder von den Magistraten oder von den Untertanen ausgehen (th107f.). Im einen Fall münde dies in eine Monarchie oder in eine Oligarchie. Im anderen Fall, wenn also das Volk den Magistraten nicht gehorche, vielmehr alle zugleich regieren wollten, führe dies zur Anarchie.

382 Bernegger / Pictet: Natura reipublicae (Anm. 364), th69‒90. Der Philosoph, d. h. Aristoteles (Politik 4.7), habe vier Formen der Aristokratie unterschieden (th70). Eine „imperfectior Aristocratia“ liege etwa dann vor, wenn das Volk bei der Wahl der Optimaten mitbestimme, wenn die Aristokratenherrschaft einen Höheren anerkenne (ratio potestatis) oder wenn in zeitlichen Abständen (ratio temporis) neue Optimaten gewählt werden (th77). Das schlechte Gegenstück der Aristokratie werde Oligarchie genannt, in welcher der Reichtum der Herrschenden im Vordergrund stehe (th82f.). „Subjectum hujus status sunt pauci divites sive nobiles, qui quatenus nobilitate, divitiis et potentia ceteris sunt superiores“ (th84). 383 Bernegger / Pictet: Natura reipublicae (Anm. 364), th91‒94, Zitat th91. 384 Ebd., th100. 385 Dies wird im Folgenden nochmals aufgegriffen, wenn Bernegger / Pictet: ebd., th105, den „democraticus status laxior“ vom „status restrictior“ unterscheiden. Im ersten Fall steht der Zugang zu den Ämtern allen offen, im zweiten ist er durch Regelungen etwa hinsichtlich Eignung eingeschränkt.

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Etwas abrupt endet damit Pictets Dissertation. Sie verharrt aufs Ganze gesehen sehr im abstrakt Theoretischen. Hinsichtlich der Definitionen der zentralen Begriffe werden zwar regelmäßig unterschiedliche Standpunkte referiert und zum Teil auch eigenständige Positionen bezogen. Konkrete Beispiele bleiben grundsätzlich aber ausgespart. Auf die Diskussion um die Verfassung des Reiches, die im Kontext der Thesen zur Monarchie hätte angesprochen werden können, verzichtet der Autor. Der Kontroverse um Tyrannenmord und Widerstandsrecht geht der Genfer Calvinist aus dem Weg, benennt sie nur in den abschließenden ‚Politikfragen‘ als möglichen Diskussionsgegenstand.386 Sie ist nach der Ratsdissertation Vinthers ein weiteres Beispiel für eine zwar in Straßburg präsentierte Dissertation, die inhaltlich aber kein genuines Produkt der dortigen Schule war. Die Disputatio de tribus reipublicae formis des in Wien beheimateten Blasius Schreiber weist inhaltlich einige Überschneidungen zur Arbeit des Andreas Pictet auf. Grundlegend ist für beide der Aristotelismus. Jedoch sucht sich Schreiber mit einem einleitenden Tacituszitat in die Straßburger Schule zu integrieren, in der er auch sozial gut vernetzt ist.387 Im Unterschied zur eher ‚scholastisch‘ wirkenden Arbeit des Genfers finden sich beim Österreicher zudem zeitkritische Anspielungen. Aber auch er erhielt seine akademische Prägung nicht in Straßburg, sondern durch Christoph Besold in Tübingen, wo er sich im Mai 1618 immatrikuliert hatte. Grundlegende Gemeinsamkeit aller Gemeinwesen sei eine aus Herrschenden und Gehorchenden bzw. aus potestas und subiectio bestehende Ordnung. Hinsichtlich der ‚Unterwerfung‘ gebe es jedoch Abstufungen, wie am Beispiel der freiheitlichen Germanen deutlich werde. Nicht umsonst habe Kaiser Karl V. zugeben müssen, dass er in anderen seiner Königreiche und Besitzungen über Sklaven herrsche, in Deutschland jedoch über Freie und Könige (th1). Die gängige Trias der Staatsformen könne, so Schreiber gestützt

386 Hier bietet er aber auch anderes an. Die zweite seiner abschließenden quaestiones politicae lautet: „An feminae a Reipublicae administratione sint plane excludendae“. Pictet argumentiert, dass man von Gott mit herausragenden Begabungen ausgestattete Frauen nicht von der Herrschaft ausschließen dürfe, falls ihre Männer dazu ungeeignet seien. 387 Matthias Bernegger (Pr.) / Blasius Schreiber (Resp. et Aut./T): Disputatio de tribus reipublicae formis (Mai). Straßburg 1620. Als Beiträger tritt neben anderen Studierenden aus den habsburgischen Ländern Georg Gumpelzhaimer auf, der zuvor in Jena studiert und dort seine dann auch in Straßburg nachgedruckte Dissertation über den Politicus verfasst hatte. Schreiber steuerte seinerseits zum Discursus über den reisenden Studenten (1619) des Österreichers Daniel Gruber Gratulationsverse bei. Gewidmet ist die Dissertation über die drei Staatsformen u. a. dem erzherzoglichen Rat und Wiener Patrizier Lazarus Henckel von Donnersmarck sowie dem kaiserlichen Präfekten der städtischen Wasserversorgung, Stephan Wigster. Weitere Publikationen Schreibers sind nicht nachweisbar, auch fehlen biographische Hinweise. Die Widmungsadressaten und die fundierte, die akademische Literatur in großer Breite ausschöpfende Argumentation lassen jedoch darauf schließen, dass Schreiber eine Karriere als iurisconsultus und Rat anstrebte. Dass er die Rechte studierte, geht aus seiner Erwähnung des Straßburger Juristen Joachim Cluten als „Clarissimus Dominus Praeceptor“ hervor (th51).

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auf 28 Autoritätsnachweise,388 auf Fürstenherrschaft (principatus) und Polyarchie reduziert werden (th3‒5). Die „ardua inter politicos […] controversia“ bezüglich der besten Staatsform will er aber noch zurückstellen (th7). Stattdessen wendet er sich zunächst ausführlich der Einherrschaft zu (th9‒36), bei der er in Anlehnung an Paulus Busius und Christoph Besold zwischen „Dominatus et principatus“ (th9) bzw. zwischen dominikaler und königlicher Monarchie unterscheidet.389 Bemerkenswert ausführlich werden sechs Untertypen des Dominats vorgestellt (th12‒21), der mit Busius definiert wird als „status absolutus, in quo rei summa in populum eum, qui Dominatui paret, a libero dominantis arbitrio dependet“ (th10). Der Bogen reicht von der „Monarchia absolutissima“ bis hin zur so genannten legitimen Tyrannis. Solche Herrschaftsformen kenne man im heutigen Europa bei den Türken und den Moskovitern. Auch die Spanier übten „dominatum in Asia, Africa, America et Peruana “ aus (th20). Mit der Erörterung der „Monarchia regalis sive principatus“ (th22) verknüpft der Wiener wie nach ihm Pictet eine ausführliche Diskussion der legibus solutio des Herrschers. Insgesamt sei die „principis boni potestas“ zwar nicht an die Gesetze gebunden, jedoch nur insofern, als ihn die Zwangsgewalt der Gesetze nicht betreffe.390 Ausgenommen sind die die Verfassungsordnung betreffenden leges fundamentales. Es gebe kein Volk ‒ außer bei den Barbaren ‒, das seinem Fürsten nicht gewisse Gesetze vorschreibe. Am Ende dieses Abschnitts folgt dann noch die ‚wahre Tyrannis‘, die den Gegenpol zur Monarchie, sei es der königlichen oder der dominikalen, bildet. Die Bewertung des Dominats, zu dem Schreiber unter anderem die absolute Monarchie, die auf dem Eroberungsrecht basierende Militärmonarchie und die legitime Tyrannis zählte, ist in der Politikwissenschaft auch der Folgezeit umstritten. Hermann Conring und sein Schüler Daniel Clasen erachteten ihn als nicht per se ungerecht, sondern „als eine legitime Zwischenform“. Güte und Qualität eines Gemeinwesens seien nämlich nicht nur nach normativen Kriterien zu bewerten, sondern auch nach der Angemessenheit seiner Verfassung für die Geisteshaltung und Mängel des Volkes. Tatsächlich könnten Gemeinwesen mit einer Dominatsverfassung „historisch-empirisch belegbar dauerhafter sein […] als legi388 Unter den hier genannten Autoren finden sich in der Mehrzahl zeitgenössische Politologen, Staatsrechtler und gelehrte Räte. Genannt werden beispielsweise Hermann Vulteius, Hermann Kirchner, Jean Bodin, Bartholomäus Keckermann, Lambertus Danaeus, Jacobus Simanca, Franciscus Patritius, Hippolyt von Colli, Melchior Junius und Georg Schönborner. Häufig zitiert werden auch Christoph Besold, Jakob Bornitz, die Niederländer Justus Lipsius und Paulus Busius, dann auch der in anderen Straßburger Dissertationen kaum genannte Zacharias Friedenreich, des Weiteren Henning Arnisaeus, Alberico Gentili, Daniel Otto, Johannes Althusius und viele andere mehr. 389 Vgl. Besold: Synopse der Politik (Anm. 297), S. 90‒93. Als ‚dominikal‘ (man könnte sie daher auch ‚herrschaftlich‘ nennen) bezeichnete Besold die Variante der Monarchie, in welcher der König zu einer strengeren Ausübung seiner Herrschaft gezwungen ist. Sie sei der Herrschaft des Hausherrn (dominus) über die Sklaven vergleichbar. 390 Diese Unterscheidung einer Direktiv- und einer Zwangsgewalt der Gesetze lehrte u. a. Christoph Besold. Sie findet sich auch in der Dissertation des Genfers Pictet; vgl. Bernegger / Pictet: Natura reipublicae (Anm. 364), th56.

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time regna“.391 Die Gegenposition nimmt z. B. Balthasar Cellarius ein. Er zählte den „Dominat als Zwischenform zwischen Königtum und Tyrannei ausdrücklich zur Tyrannei […]. Eine Berücksichtigung des Gemeinwohls oder der Gesetzestreue in der Administratio nur an zweiter Stelle oder wenn sich das [sic] Salus Principis nicht anders durchsetzen läßt“ habe für Cellarius nicht ausgereicht, um den Dominat als rechtmäßige bzw. gesetzeskonforme Herrschaftsform zu qualifizieren.392 Im Anschluss daran wird kurz die Aristokratie dargestellt (th37‒41), dann etwas ausführlicher die Demokratie mit ihren beiden Untertypen, der ‚freien‘ (libera) und der ‚straffen‘ oder „adstricta democratia“ (th43‒50), womit sich Schreiber stark an Besold orientiert.393 Als Gegenpol der Demokratie (zur Aristokratie wird keiner genannt) erwähnt Schreiber abschließend die Anarchie. Während die libera democratia eher kritisch und kursorisch besprochen wird, erhält die straffe Demokratie eine gute Bewertung. Hier regiere nicht das ganze Volk unmittelbar und fälle seine Entscheidungen nach dem arithmetischen Prinzip, sondern wechselseitig einzelne seiner Vertreter; Herrschen und Gehorchen alternierten. Die Gleichheit vor dem Gesetz werde gewahrt, aber auch Unterschiede im gesellschaftlichen Ansehen würden berücksichtigt. Zur Erhaltung dieser Form der Demokratie liefert Schreiber zudem verschiedene Regeln. Die Gesetzgebung soll auf Vorschlag der Magistrate, aber durch Beschluss des Volkes erfolgen. Gegen Anordnungen der Beamten sollen Bürger das Recht haben, an das Volk zu appellieren, vor dem die Amtsträger auch zur Rechenschaft gezogen werden können. Spezielle Gesetze sollen verhindern, dass einzelne Bürger zu mächtig werden, die Verfassung außer Kraft setzen und eine Fürstenherrschaft einführen können. Die Alten hatten dafür das Ostrakismos-Verfahren vorgesehen. Weitere Regelungen sollen unterbinden, dass Hass, Neid, Bestechlichkeit und andere Laster in der Politik Fuß fassen. Allen legitimen Staatsformen inhärent sei aber eine Neigung zur Degeneration. Die „aberrationes“ des römischen Volkes könnten geradezu als exemplarisch gelten (th51), da es den ganzen Kreislauf der Verfassungsformen erlebte. Am Beginn stand die Königsherrschaft, auf welche nach Vertreibung der Könige durch die „factio optimatum“ die Aristokratie folgte. Deren oligarchische Degeneration löste die Umwandlung in eine Demokratie aus. Bedingt durch Aufstände und Korruption der Magistrate stand am Ende dann wieder die Einherrschaft, welche der zwischenzeitlichen Anarchie ein Ende bereitete. Folgerichtig stelle sich die Frage nach der Mischverfassung als Ausweg aus diesem verhängnisvollen Kreislauf, doch seien die Meinungen hierzu kontrovers. Daniel Otto, Jean Bodin, Philipp Heinrich Hoen, Zacharias Friedenreich, Jakob Bornitz und andere mehr (Schreiber nennt insgesamt zehn Autoritäten) bestreiten die Existenz einer solchen Verfassungs391 Weber: Prudentia gubernatoria (Anm. 21), S. 132, in Bezug auf Clasens Compendium politicae succinctum (Helmstedt 1675). 392 Ebd., S. 124 in Bezug auf Cellarius’ Politicae succinctae libri II (Jena 1645). 393 Vgl. Besold: Synopse der Politik (Anm. 297), S. 115‒119, sowie Philipp: Christoph Besold (Anm. 23), S. 148f.

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form. Alle anderen „politici“ sähen die respublica mixta dagegen vielfach realisiert. Bei dieser handle es sich um eine Verbindung und Mäßigung (temperatio und moderatio) der reinen Verfassungsformen. Bemerkenswert ist der illustrierende Vergleich, den Schreiber von Aristoteles, Patritius und Althusius übernimmt: Die Familie nämlich sei eine Art Staat im Kleinen. In ihr komme dem Vater die „regia authoritas“ zu, die Ehefrau, die beratend und disponierend am häuslichen Leben mitwirke, repräsentiere das aristokratische Element, und der Bruder des Hausvaters bilde, weil ja Letzterem gleichgestellt, bei der Sorge um die Familie das demokratische Element. Dem Hausvater wird also nur eine „authoritas“ zugesprochen, und die Ehefrau hat eine überraschend starke Position im Haushalt, der damit sozusagen eine Mischverfassung en miniature darstellt (th55). Erst auf dieser Basis kann der Wiener Politikstudent auf die eingangs genannte Frage nach dem Vorrang der einen oder anderen Staatsform zurückkommen. Typisch für die aristotelische Prägung seiner Dissertation ist die Feststellung, dass es keine absolut beste, sondern nur eine relativ beste Verfassung gibt. Diese müsse den Sitten und den Geisteshaltungen der Völker angemessen sein. Schreiber entwickelt eine Rangliste, die dann zwar doch der Monarchie den ersten Platz einräumt. Auf Platz zwei folgt aber die aus Monarchie und Aristokratie gemischte Verfassung. Die Niederländer hätten eine solche, die sich bei der Abwehr der spanischen Oberherrschaft – diese wird als ‚dominatus‘ bezeichnet – und in anderen Kriegen bewährt habe. Den dritten Platz bekommt die Mischverfassung aus aristokratischen und demokratischen Elementen. Insbesondere für Städte mit blühendem Handel und Handwerk, die sich ihrer Freiheit erfreuten, sei sie angemessen. Den letzten Platz unter den empfehlenswerten Verfassungen erhält die Demokratie, doch kenne man als Beispiel für eine erfolgreiche Volksherrschaft nur die der Athener. Die Dissertation Blasius Schreibers zeigt sich damit als eindeutig dem aristotelischen Politikverständnis mit seinem Verfassungsrelativismus verpflichtet. Sie argumentiert – wie am Beispiel des Dominats erkennbar – differenziert und ziemlich fundiert, operiert zudem mit interessanten Exempeln. Trotz der ausführlichen Analyse monarchischer Herrschaftsformen gilt die Sympathie des Verfassers letztlich den republikanischen Mischformen, was er mit der Metapher von der Familie unterstreicht. Das römisch-deutsche Reich scheint er, wie das einleitende Zitat Kaiser Karls V. andeutet, ebenfalls als eine solche Mischform gesehen zu haben. Dass mit den Ausführungen zum Dominat unterschwellig Kritik geübt wird an der gegenreformatorischen Politik des neuen Kaisers Ferdinand II., der ja zugleich Erzherzog von Österreich sowie König von Böhmen war, darf wohl vermutet werden. Sagbar aber war für Schreiber ‒ wie später offenbar auch für Boeckler ‒ nicht, „was offenbar gefährlich nahelag“, nämlich „omnem Dominatum esse tyrannidem“.394 Thematisch verwandte Dissertationen entstanden auch in den folgenden Jahrzehnten. Abgesehen von der Dissertation des Ungarn Lorenz Vörös, der nochmals eine die Lehre

394 Kühlmann: Geschichte als Gegenwart (Anm. 32), S. 50. Kühlmann zitiert aus Boecklers Dissertationes academicae, hier aus der 15. Dissertation über die Königsherrschaft.

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vom Staat, seinen Formen und von der Souveränität vereinende Arbeit vorlegte,395 konzentrieren sich diese aber zunehmend auf eine einzelne Staatsform, insbesondere auf die Mischverfassung und die Demokratie. Wie aus der erwähnten Exercitatio historico-politica de formis rerumpublicarum Jakob Schallers und Johann Jakob Frids hervorging, teilte man in Straßburg den Optimismus hinsichtlich der Stabilität der Mischverfassung nicht.396 Diese Arbeit von 1640 scheint stark von Boeckler geprägt zu sein,397 der seine Sicht neun Jahre später ausführlich in seiner Dissertation über die notitia reipublicae entwickelte, der bis dahin wichtigsten Arbeit des politischen Historikers und Tacitisten.398 Die von einem österreichisch-schwedischen Adeligen399 verteidigte Dissertation blieb die einzige, die wäh395 Jakob Schaller (Pr.) / Lorenz Vörös (Resp. et Aut./W): Consideratio politica civitatis (Juli, handschriftlich korrigiert zu 13. August). Straßburg 1653. Die Dissertation enthält eine Widmung an drei Grafen aus Österreich (Steyr) und den Freiherrn Franciscus von Weltz, des Weiteren an den Rittmeister Adolf Dümler sowie den Vater des Autors und Respondenten, den Bürgermeister der Stadt „Modrensium“ (Modern, heute Modra, Slowakei). Franz von Weltz hat eine Grußadresse an den Respondenten beigesteuert. Dessen hohen sozialen Status unterstreicht die große Zahl von neun Lobgedichten am Ende der Dissertation. Unterzeichner sind beispielsweise der Wiener Doktorand der Rechte, Johann Christoph Rauscher, dann drei Landsleute aus dem damals ungarischen Pressburg/Bratislava sowie Johann Andreas Preining aus Oedenburg/Sempronium. Vom Autor sind keine weiteren Dissertationen und Schriften nachweisbar. – Inhaltlich geht es um Staatstheorie, Souveränität (maiestas, S. 11f.) und Staatsformen. Die civitas definiert der Ungar ganz aristotelisch als „societas seu communio perfecta, secundum naturam, ex pluribus pagis constans, omnibusque rebus ad vitam necessariis instructa, non solum vivendi sed etiam bene vivendi causa constituta“ (S. 3). Mit anderen Worten: Der Begriff ‚civitas‘ steht für das, was die Politik- und Staatslehre zuvor als respublica bezeichnet hat. Die eingestreuten Fragen, etwa ob in Monarchien bei der Ämtervergabe „peregrini indigenis sint praeferendi?“ (S. 13), thematisieren Gemeinplätze. Insgesamt legte Vörös eine wissenschaftlich ambitionierte Politikdissertation vor, die auf 25 Textseiten mit sehr umfangreichem Anmerkungsapparat einen breiten Literaturfundus zu verarbeiten sucht. Er kennt nicht nur die Klassiker, sondern auch Bodin, Danaeus, Keckermann, Liebenthal, Lipsius und Schönborner. Auch Machiavelli (Discorsi, zitiert S. 20) und Hobbes (De cive, zitiert S. 23) werden als Autoritäten geführt, am häufigsten Arnisaeus, Bernegger und Besold genannt; der verstorbene Bernegger wird zudem als „clarissimus“ hervorgehoben (S. 12). 396 Zur politischen Ideengeschichte der Mischverfassung: Alois Riklin: Machtteilung. Geschichte der Mischverfassung. Darmstadt 2006. 397 Vgl. Anm. 154. 398 Boeckler / Kewenhüller: De notitia reipublicae (Anm. 76). Dieser Druck hat weder Seitenzahlen noch eine Abschnittszählung, sondern lediglich eine grobe Gliederung in fünf Kapitel; vgl. unten mit Anm. 403. Ich zitiere im Folgenden den leichter zugänglichen Wiederabdruck dieser schwedischen Dissertation Boecklers in Johann Heinrich Boeckler: Dissertationes academicae. Straßburg 1658, S. 59‒105. 399 Wie sich aus der Widmung an den gleichnamigen Vater Paul Kewenhüller, einen „Lib. Baro de Aichelbergh/ Dominus in Juletha“, erschließen lässt, entstammte Paul Kewenhüller d.J. dem österreichischen Adel. Beim Vater dürfte es sich um den 1593 in Kärnten geborenen protestantischen Adeligen handeln, der zunächst dem Kaiser diente, dann aber aus Glaubensgründen in schwedische Dienste wechselte und dort 1632 Oberst der Kavallerie, 1645 schwedischer Adeliger, 1647 bzw.

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rend Boecklers kurzer Wirkungszeit als Professor für Eloquenz in Uppsala gedruckt wurde.400 Mit ihr warb der Straßburger nun auch beim schwedischen Publikum für seinen Leitautor. Besondere Aufmerksamkeit verdient diese Dissertation vor allem deshalb, weil der Straßburger Gelehrte darin seine dezidiert historisch fundierte Lehre vom Staat und den Staatsformen entwickelte und mit dem eigenständigen Etikett ‚notitia‘ versah. Mit Tacitus geht er davon aus, dass die bekannten Staatsformen nicht als statisch zu betrachten sind, sondern mehr oder minder starken Wandlungsprozessen unterliegen. Boeckler vertritt damit eine dynamisierte Sicht auf die innere Ordnung von Gemeinwesen und deren Verfassungsstrukturen, die durch permanente innere Konflikte erschüttert würden. Für ihn existieren weder Monarchie noch Aristokratie oder Demokratie in Reinform, vielmehr geht er bei diesen grundsätzlich von unterschiedlich starken und sich wandelnden Beimischungen anderer Verfassungselemente aus. Bei solchen Mischverfassungen sei schwierig zu erfassen, wer die tatsächliche Macht innehabe, insbesondere weil die realen Machtverhältnisse, so Boecklers Überzeugung, durch verschiedene Schein- oder Trugbilder – auch religiöser Art – verschleiert und eingehüllt würden. Deswegen benötige man eine genaue „interiorem reipublicae notitiam“.401 Die Erfassung der forma reipublicae erfordere daher die Analyse der „utilitates imperantium“ und der „arcana status“ sowie das „studium animi affectusque“. Nicht die Souveränität, die iura maiestatis und die Frage nach dem Inhaber der summa potestas sind für ihn also das Entscheidende, sondern die innergesellschaftlichen Machtverhältnisse, die geheimen Funktionsprinzipien, welche diese stabilisieren, sowie die Gesinnung und die Leidenschaften der führenden Gruppen des Gemeinwesens.402 Die Geschichte der römischen respublica von der anfänglichen Königszeit über die Jahrhunderte währende Phase der freiheitlichen Republik bis zur Begründung des Prinzipats liefert dem Historiker den Musterfall für seine ‚Staatslehre‘. Da bei Tacitus die Zeit des Prinzipats im Vordergrund gestanden habe und diese Verfassungsform von jenem konzise beschrieben worden sei, konzentrierte sich Boeckler mit seiner Dissertation von 1649 auf die römische Republik und ihre aristokratischen und demokratischen Verfassungsele-

1648 Freiherr sowie Hofmarschall, 1653 dann auch Reichsrat wurde. Er hatte König Gustav Adolf eine erhebliche Geldsumme geliehen, wofür er mit dem Gut Julita Gard in Södermannland abgefunden wurde; 1655 starb er in Stockholm. Paul Kewenhüller d.J., einer der sieben Söhne, wurde „zu Haag ermordet“; weitere Schriften von ihm sind nicht zu ermitteln. Angaben nach: Acta pacis Westphalicae, Reihe 2 C 3: Die schwedischen Korrespondenzen. Bd. 3: 1646‒1647. Bearb. von Gottfried Lorenz. Münster 1975, S. 157, und Constant von Wurzbach: Khevenhüller, [27.] Paul. In: Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich. Bd. 11. Wien 1864, S. 222 (Zitat). 400 Nach längerem Zaudern folgte Boeckler im Februar 1649 dem Ruf nach Uppsala. Probleme mit dem Klima und mit den dortigen Kollegen und Studenten ließen ihn bereits nach drei Jahren die Rückkehr nach Straßburg antreten. Vgl. Jirgal: Bökler (Anm. 58), S. 327. 401 Boeckler: Notitia reipublicae. In: Dissertationes (Anm. 398), S. 60. 402 Ebd., S. 64f.

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mente.403 Polybios hatte sie als Mischverfassung gedeutet, in der die Konsuln das monarchische, der Senat das aristokratische und die Volksversammlung das demokratische Element gebildet hätten.404 Boeckler meint dazu, dass eine Mischverfassung nur in der Theorie leicht zu entwerfen sei; in der Praxis bleibe sie aber schwer umsetzbar.405 Zudem äußert er erhebliche Zweifel bezüglich der Stabilität einer solchen Verfassung und folgt der Auffassung des Tacitus: Eine aus den drei einfachen Verfassungen gebildete „reipublicae forma“ sei ein kaum realisierbares Ideal; werde es ausnahmsweise doch verwirklicht, könne es kaum Bestand haben.406 Nicht Stabilität, sondern „fragilitas et inconstantia“ prägen nach der Überzeugung des oberrheinischen Tacitisten solche aus drei Elementen gebildeten Mischverfassungen. Man sehe sich die Geschichte der respublica Romana an. Hier sei das ius imperandi zwischen Volk und Senat aufgeteilt gewesen, ohne dass man dafür klar definierte und dauerhaft gültige verfassungsrechtliche Regeln festgelegt hätte. Vielmehr habe zeitweise das Volk dominiert, dann hätten wieder die Optimaten die Oberhand bekommen. Zwischen Volk und Adel bestand eine grundsätzliche Rivalität, weil jede Partei sich über die andere zu stellen suchte. Daraus resultierten permanente, gewaltsame und gefährliche innere Machtkämpfe, ausgefochten von Unruhe stiftenden Tribunen auf der einen und übermächtigen Konsuln auf der anderen Seite. An dieser Stelle zitiert Boeckler ausführlich die schon auf dem Titelblatt erwähnte Passage aus den Annalen des Tacitus (4.33): Damals nämlich, als das Volk mächtig war oder die Senatoren das Übergewicht hatten, musste man zum einen das Wesen der großen Masse kennen und wissen, auf welche Weise man es lenkt und in Schranken hält; zum anderen hat man diejenigen, die den Charakter des Senats und der Optimaten am besten kannten, als wahre Kenner der Zeitumstände und Weise erachtet. Nach dem Wandel der Verfassung, durch den Rom praktisch zu einer Monarchie geworden ist, dürfte es nun nützlich sein, dass diese Dinge (welche die Annalen des Tacitus beschreiben) gesammelt und überliefert werden.407 403 Nach einem einleitenden Kapitel und dem grundlegenden zweiten zur Theorie der Mischverfassungen und ihres Wandels analysiert Boeckler im dritten und vierten Kapitel die demokratischen und aristokratischen Verfassungstypen (ebd., S. 77‒89 bzw. S. 89‒102). Ein nur zwei Seiten umfassendes fünftes Kapitel der Notitia reipublicae widmet sich abschließend dem Prinzipat. 404 Vgl. Riklin: Machtteilung (Anm. 396), S. 73‒89. 405 Diesen seinen Standpunkt referierte schon die unter Schaller präsentierte Exercitatio historico-politica de formis rerumpublicarum (Straßburg 1640); vgl. oben mit Anm. 154. 406 Boeckler: Notitia reipublicae. In: Dissertationes (Anm. 398), S. 62: „ex his […] constituta reip. forma laudari facilius, quam evenire, vel si evenit, haud diuturna esse potest“ (= Tacitus: Annalen 4.33). 407 „Igitur ut olim plebe valida, vel cum patres pollerent, noscenda vulgi natura, et quibus modis temperanter haberetur; senatusque et optimatium ingenia qui maxime perdidicerant, callidi temporum et sapientes credebantur: sic converso statu, neque alia rerum quam si unus imperitet, haec (quae Annales Taciti memorant) conquiri tradique in rem fuit.“ Boeckler: Notitia reipublicae. In: Dissertationes (Anm. 398), S. 68. Übersetzung in Anlehnung an: Tacitus: Annalen (Anm. 60), S. 333. Tacitus fährt an dieser Stelle fort: „Denn nur wenige können aufgrund ihrer Klugheit Ehrenvolles von Schlechtem, Nützliches von Schädlichem unterscheiden. Die Mehrzahl wird nur durch die Geschi-

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Diese Worte des Tacitus zeigten, so Boeckler, zur Genüge, dass sich die Verfassungen der Gemeinwesen mit der Zeit verändern, dass sie zwischen gemischten und reinen Typen alternieren und von der einen Verfassungsform schleichend in eine andere übergehen, schließlich, dass es „momenta temporis“ gebe, wo der Wandel ins Stocken gerät und der Staat in einem unentschiedenen Stadium verharrt. Vielfach vollziehe sich der Wandel im Verborgenen und unter dem Einfluss unvorhersehbarer Umstände. Um das Gemeinwesen unter solchen Umständen zu erhalten, brauche es die von Tacitus so genannten „callidi temporum et sapientes“, also jene geschichts- bzw. zeitklugen und weisen Köpfe, welche ihr Gemeinwesen samt der Bevölkerung in allen Belangen und zu allen „temporum momenta“ zu beurteilen sowie die weitere Entwicklung vorherzusehen in der Lage seien.408 Wie man solche Fähigkeiten und eine solche Geschichtsklugheit erlangt, ist für den Tacitisten klar: Es ist die Geschichte, „quae nobilissimam hanc civilis sapientiae partem nobis promittit“.409 Die Gewandtheit im Beobachten und Beurteilen des Zeitgeschehens, die „ratio et inclinatio temporum“, welche den „habitus reipublicae“ variieren lassen, zu erfassen und Entwicklungen vorauszusehen, das sind die entscheidenden Kompetenzen, welche das Studium der Geschichte verleiht. Für Boeckler ist diesbezüglich Tacitus der Musterautor schlechthin, der in seinen Annalen nichts habe vermissen lassen, „quod ad ingenium principatus et principum, ad consilia et artes dominationis, ad habitum denique rei Romanae […] pertineret“.410 Ergänzend kommen eigene Beobachtung und auf Reisen erworbenes Wissen hinzu und führen zur Vertrautheit mit dem eigenen und mit fremden Gemeinwesen. Das dritte Kapitel wendet sich dann der „cognitio reipublicae interior in Democratia“ zu, indem die „summa prudentia Democratica“, die „Natura vulgi“, die „popularis gubernandi ratio“ sowie die „regulae status popularis“ erörtert werden. Boeckler zeigt außerdem „Σοφίσματα“, d. h. zur Überredung geeignete Scheinbeweise, auf und grenzt dabei die „prudentia popularis“ von der Verschlagenheit der Demagogen sowie der Rücksichtslosigkeit der Tribunen ab. Der vir democraticus, so wird Tacitus zitiert, müsse die Natur des Volkes mitsamt den Möglichkeiten, wie diese zu mäßigen und moderieren sei, kennen. Die römische Geschichte weise verschiedene Beispiele solcher „artifices tractandi animos

cke anderer belehrt. Im Übrigen werden diese Dinge zwar nützlich sein, aber sehr wenig Vergnügen bereiten. Denn Örtlichkeiten von Völkerschaften, verschiedene Arten von Schlachten, ruhmvolle Tode von Führern fesseln und wecken das Interesse der Leser: Ich aber lasse grausame Befehle, ununterbrochene Anklagen, trügerische Freundschaften, das Verderben Unschuldiger und stets dieselben Ursachen für die Katastrophe aufeinander folgen, wobei sich Ähnlichkeit und Überdruss der Begebenheiten aufdrängen.“ 408 Boeckler: Dissertationes (Anm. 398), S. 69f., braucht die taciteische Umschreibung „Callidi temporum et sapientes“ im Übrigen in bewusster Abgrenzung gegenüber jenen, welche das neumodische und unpräzise „vocabulum Politici“ verwenden. 409 Ebd., S. 71. 410 Ebd., S. 72.

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plebis“ auf.411 Die Herausforderung bestehe insbesondere darin, den richtigen Mittelweg bei der Wahrung der Freiheit – die libertas ist ja das Ziel des imperium populi – einzuschlagen. Die Masse des Volkes lasse sich durch übergroße Freiheitshoffnungen leiten, verstehe es selbst aber nicht, die libertas maßvoll zu gebrauchen. Gleichwohl achte das Volk auf die Wahrung seiner Freiheit mit höchster Aufmerksamkeit, so Livius (2.2); selbst in kleinsten Dingen verteidige es diese verbissen. Hinzu komme sein Streben nach Gleichheit, nach „aequalitas iuris et status“. In den Optimaten sieht das Volk dabei häufig eher Gegner als Mitbürger. Dies habe sich insbesondere in den Streitigkeiten um Ehrenstellungen und Machtpositionen gezeigt, wo das Volk „semper plus ultra“ erwartet habe. Denunzianten und Demagogen hätten diese Konflikte verschärft. Daher habe Tacitus dezidiert die Frage thematisiert, wie man die Natur des Volkes mäßigen und die Masse steuern könne. Die Freiheit erfordere ein Maßhalten, die Plebs aber gebe sich ihrer Natur entsprechend der Maßlosigkeit hin. Die demokratische Klugheit bestehe daher wesentlich darin, die immoderata populi natura an ein Leitbild gemäßigter Freiheit heranzuführen, das mit dem Wohl des Staates kompatibel sei und die Demokratie festige. Dazu brauche es „leges accurate repertae, et sanctissime perscriptae“ und Gesetzgeber wie Solon und Lykurg, durch welche das Volk angeleitet werde, seine Macht maßvoll anzuwenden und seine summa potestas verfassungs- und gesetzeskonform zu gebrauchen.412 Dies richte sich insbesondere auf die beiden Stützbalken der Freiheit, die tribunizische Gewalt und die „provocatio ad populum“. Diese Institutionen seien aber anfällig für die „tribunitia importunitas et demagogica calliditas“ gewesen, die wider die demokratische Klugheit gewirkt hätten. In der Rede des Quinctius habe Livius (3.68) die „mores demagogicos“ beschrieben, welche von der Zwietracht im Gemeinwesen profitiert hätten, weswegen sie – so ergänzt Boeckler – „turbarum ac seditionum duces“ sein wollten (S. 86). Zur Erhaltung des status democraticus dienen verschiedene Kunstgriffe, nämlich „arcana et σοφίσματα et simulacra Democratica“. Diese seien, so wird klargestellt, nicht etwa „artes populi“, sondern artes „in populum“: Das Volk sei also nicht der Akteur, sondern das Objekt dieser Regierungstechniken (S. 87). Boeckler wiederholt sein Credo, wonach Demokratien ohne mäßigende aristokratische Elemente nicht funktionieren können. Mit Isokrates argumentiert er, dass Leichtfertigkeit (petulentia) nicht mit Freiheit gleichgesetzt werden und es für den ‚gemeinen Mann‘ keine Lizenz zum Handeln nach eigenem Gutdünken geben dürfe. Ausgezeichnete Männer hätten die Natur des Volkes zu mäßigen, und zwar auch durch Schmeichelei oder durch Täuschung und Verheimlichung unangenehmer Fakten, um so dem Gemeinwohl oberste Geltung zu verschaffen. Ja selbst die „magistratus vere populares“, die Volkstribunen, Redner und wer auch immer sich als 411 Ebd., S. 78. Es fallen die Namen Sextius, Licinius und Fabius. 412 Boeckler: Notitia reipublicae. In: Dissertationes (Anm. 398), S. 82. Der demokratische Gesetzgeber müsse wissen, „quomodo in gerenda Democratia natura vulgi temperanter sit habenda“, ebd., S. 83.

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Vertreter des Volkes ausgeben wolle, handelten weder klug noch im Sinne ihrer demokratischen Pflicht, wenn sie nicht manches dem Volk verheimlichten und dessen Ungestüm mit klugen Ratschlägen auf das öffentliche Wohl hinlenkten (S. 88). Solche Ratschläge, die Clapmar als ‚arcana et simulacra democratica‘ bezeichnete, finden sich schon in der Politik des Aristoteles, dann aber auch bei den attischen Rednern sowie den antiken Historikern und Biographen. Das vierte Kapitel der notitia-Dissertation wendet sich dann den „ingenia senatus et optimatium“ zu, die vornehmlich anhand der römischen Geschichte des Livius erörtert werden. Erneut führte Boeckler damit auch das vieldeutige lateinische Wort „ingenium“ als Schlüsselbegriff zur Analyse der politisch-sozialen Verhältnisse ein.413 Die Thematik war dem Historiker zudem besonders wichtig, weshalb er dieses Kapitel 1657 in einer besonderen Disputation an der Straßburger Universität ein zweites Mal präsentieren ließ.414 Wie am Ende dieser Ausführungen erkennbar wird, sind die Kenntnisse über die Geisteshaltung der Optimaten oder auch des Adels nämlich wichtig für die Analyse der Verfassung des Reiches. Als Respondenten konnte er für diese De ingeniis optimatium annotatio politica den Theologiestudenten Johann Bernhard Wehner gewinnen.415 Gleich zu Beginn dieser Abhandlung betont Boeckler mit Tacitus, dass die Kenntnis der charakterlichen Eigenheiten bzw. Geisteshaltungen des Volkes und des Adels – „populi et optimatium ingenia“ – für die politische Weisheit höchst wichtig sei. Ganz exakt seien 413 Erstmals geschah dies im Rahmen der drei Dissertationen über die Characteres politici Velleiani sive notitia ingeniorum aus den Jahren 1641 und 1642. Auch sein Schüler Johann Andreas Bose betonte die Bedeutung dieses Analysebegriffs für die politische Wissenschaft; vgl. Bose: De comparanda prudentia (Anm. 26), th96‒102. Der Begriff spielte aber auch in anderen fachlichen Kontexten eine wichtige Rolle. Vgl. Robert Seidel: Karrieresorgen eines Magisters. Basilius Christian Bernhard Wiedeburgs Jenaer Dissertation Utrum oratores et poetae fiant an nascantur von 1744. In: Gindhart: Disputationen (Anm. 12), S. 285‒309, hier S. 294f., wo Seidel auf drei philosophische Dissertationen De varietate ingeniorum eingeht. 414 Johann Heinrich Boeckler (Pr.) / Johann Bernhard Wehner (Resp.): De ingeniis optimatium annotatio politica. Ad Taciti  4. A.  33 (März). Straßburg 1657. Diese lediglich neun Textseiten und 26 Thesen umfassende Arbeit ist also identisch mit dem vierten Kapitel der 1649 in Uppsala entstandenen Dissertatio de notitia reipublicae. Dessen ungeachtet wurden beide Schriften in die postum gedruckten Dissertationes academicae Boecklers aufgenommen. Johann Heinrich Boeckler: Dissertationes academicae. Editio secunda. Straßburg 1701, hier die 37. (De ingeniis optimatium, S. 1061‒1072) sowie die zweite Dissertation (De notitia reipublicae, S. 45‒78). 415 Der Straßburger Wehner wird explizit schon auf dem Titelblatt (und dann auch in der Widmung) als „Respondens“ bezeichnet. Seine Widmungsadressaten sind – wie bei Reichsstädtern üblich – zahlreich: Zunächst werden drei Straßburger Magistraten genannt, dann in einer zweiten Gruppe mit Gelehrten und Geistlichen der Philosophieprofessor Jakob Schaller und der Gräzist Balthasar Scheidt. Am Ende der Reihe von insgesamt 15 Mäzenen, Patronen und Förderern findet sich ein Franz Werner, „secundae laureae Candidatus“. Die Dissertation beschließen sieben Glückwunschgedichte von Freunden und Kommilitonen, darunter drei Theologiestudenten. Wehner studierte selbst Theologie und wurde 1662 in Straßburg promoviert.

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die „proposita, studia, propensiones, inclinationes, inventa, artes, regulas, mores“ zu erfassen, welche in Aristokratien – und davon handelt diese Dissertation (bzw. das vierte Kapitel von De notitia reipublicae) – zur Formierung, Festigung und zum Funktionieren des „status Aristocratiae“ beitragen bzw. welche diesen prägen (th2). Am Beispiel der Claudier werde ersichtlich, dass es unter den Optimaten viele vehemente, ja fanatische Verteidiger der Macht des Patriziats gegeben habe, die kompromisslos und auch mit Gewaltanwendung gegenüber dem Volk und dessen Magistraten ihren Status zu behaupten suchten.416 Das in der Natur der Aristokraten verwurzelte Streben nach Macht und Ehre arte also leicht aus in Gewalttätigkeit, stolze Unbeugsamkeit und eine oligarchische Gesinnung. Auf der anderen Seite vermische sich die aristokratische Tugend häufig mit einem Streben nach Volksgunst (popularitas). In jedem Fall seien „virtus ac honestas optimatium“ durch Gesetze so zu schützen, dass dieser Stand von Tadel frei und den übrigen Ständen ein Vorbild sein könne. In einer wahren Aristokratie entspreche die „maiestas Aristocratica Patrum“ zwar der eines Königs in einer Monarchie, doch unterschieden sich Aristokratien hinsichtlich der bürgerlichen Gleichheit in Form und Erscheinungsbild erheblich. Das zeige das bei Livius (3.36) geschilderte Beispiel der Decemvirn, die sich wie zehn Könige aufgespielt und damit Adel wie Volk in Schrecken versetzt hätten. Eine Grundregel der aristokratischen Staatsräson laute, dass das gemeine Volk von der Teilhabe an Ehren und Machtpositionen ausgeschlossen sei (th8). Dazu gehöre, dass man für das Volk, das zwar den Willen, nicht aber die Fähigkeit zur Herrschaft besitze, ein Scheinbild der Demokratie aufbaue. Bodin lobe diesbezüglich die Republik Venedig, in der man dem gemeinen Volk Zugang zu unteren Magistratsämtern eingeräumt habe, ohne dass der aristokratische Verfassungsstatus beeinträchtigt worden wäre. Zu meinen, die Verfassung Venedigs sei ein erfolgreiches Beispiel eines status mixtus, wie Gaspare Contarini das tut,417 ist nach Boecklers Auffassung aber dasselbe wie einem Märchen Glauben schenken. Gleiches gelte für das 1654 erschienene Büchlein über die Ratio constitutae nuper reipublicae Angliae, Scotiae, et Hiberniae, das der aktuellen Verfassung Britanniens demokratische Elemente zugeschrieben habe. Das Volk dürfe freilich nicht den Eindruck haben, unterdrückt und ungerecht behandelt zu werden. Im Falle der römischen Republik sorgten der Ausschluss des Volkes von hohen Ämtern, das Heiratsverbot zwischen Plebejern und Optimaten und gewisse Vorrechte des Adels für Debatten, die Livius (4.3‒5) in der Wiedergabe einer ausführlichen Rede des Volkstribuns Canuleius dokumentierte. Demnach hätten die Patrizier unter dem Druck eines drohenden Krieges der Plebs den Zugang zum Militärtribunat mit konsularischer Vollmacht eingeräumt, bei späteren Wahlen jedoch in ihre Trickkiste gegriffen: Sie präsentierten neben den fähigen Kandidaten auch eine Anzahl völlig ungeeigneter Anwärter mit dem Erfolg, dass das Volk nur die Würdigen aus ihren Reihen wählte. Es habe sich damit begnügt, dass man seine Kan416 Boeckler rekurriert diesbezüglich auf die Charakterisierung der Claudier in der Tiberiusvita des Sueton. Boeckler / Wehner: Ingenia optimatium (Anm. 414), th3. 417 Vgl. Riklin: Machtteilung (Anm. 396), S. 113‒140.

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didaten in Erwägung zog. Boeckler lobt mit Livius (4.6) dieses Verhalten als einzigartiges Maßhalten und attestiert dem Volk in dieser Situation außerordentliches Gerechtigkeitsgefühl und Seelengröße. Eine solche moderatio dauerhaft aufrechtzuerhalten, sei im Ringen um die Freiheit aber kaum möglich. Nach der überzeugenden Analyse dieser Konstellation durch Livius seien eher die folgenden Handlungsmuster die Regel:418 [Indem] jeder vorgibt, er wolle nur gleichgestellt werden, strebt er so hoch empor, daß er andere niederdrücken kann; und indem man dafür sorgt, daß man sich nicht zu fürchten braucht, macht man sich selbst zu einem Menschen, der zu fürchten ist; und das Unrecht, das wir von uns selbst abgewehrt haben, fügen wir andern zu, als wäre es unvermeidlich, Unrecht entweder zu tun oder zu erleiden.

In der Folge davon mündete der permanente Gegensatz zwischen Volk und Optimaten in die Bildung dauerhafter Faktionen, wobei die auctoritas der Vornehmen zunehmend erodiert und die Macht des Volkes gewachsen sei. In nun ausgebrochenen Kämpfen habe sich die moderatio optimatium besser bewährt als deren Unnachgiebigkeit. Führende Optimaten mussten Konflikte zwischen Konsuln und Volkstribunen entschärfen. Den vom Volk als Henker gefürchteten Konsul Appius beispielsweise hätten Standeskollegen daher gebeten, sich mit einer der Eintracht der Bürgerschaft angemessenen Konsulatshoheit zufrieden zu geben. Würden nämlich Konsuln einerseits und Tribunen andererseits alles an sich ziehen, so bliebe in der Mitte keine Macht mehr übrig. Das Gemeinwesen wäre zerrissen und zerstückelt, und es ginge nur noch um die Frage, wer in ihm die Oberhand behalte, nicht mehr aber darum, ob es unversehrt sei.419 Der ‚Staat‘ würde zur Beute der Faktionen. Das durch das Handeln der Volkstribune aufgebrachte Patriziat musste durch kluge Männer aus den eigenen Reihen (Appius Claudius) mit dem Hinweis besänftigt werden, dass man doch stets den einen oder anderen aus dem Kollegium der Tribunen für die Sache des Gemeinwesens gewinnen könne, der dann auch den Konsuln beistehen werde. Einer allein sei schon ausreichend: „et unum vel adversus omnes satis esse“ (th14). Die concordia – in der reinen Aristokratie allein unter den Optimaten, in einem status mixtus zwischen Optimaten und Volk – ließe sich am besten durch Gesetze wahren. Damit sollte auch jene Tugend der moderatio bei den Vornehmen wie bei den Magistraten befördert werden, wofür Camillus ein herausragendes Beispiel gewesen sei. Das Ansehen dieses Mannes habe bewirkt, dass ihm als Militärtribun die Leitung des Staates zugefallen sei, weil sich ihm seine Kollegen freiwillig untergeordnet hätten, ohne dass ihr Ansehen, wie sie meinten, darunter gelitten hätte. Dies habe, so der von Boeckler zitierte Bericht des Livius (4.6,18) weiter, auch die Senatoren mit großer Zuversicht für den anstehenden 418 Boeckler / Wehner: Ingenia optimatium (Anm. 414), th11, mit Rekurs auf Livius (3.65,11). Titus Livius: Römische Geschichte. Buch I‒III. Lateinisch u. deutsch hg. von Hans Jürgen Hillen. Darmstadt 1987, S. 471. 419 Boeckler / Wehner: Ingenia optimatium (Anm. 414), th14, mit Rekurs auf Livius (2.57,3, nicht, wie Boeckler / Wehner angeben, 3.67).

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Krieg und die gesamte politische Entwicklung erfüllt. Und niemals werde der Staat einen Diktator nötig haben, wenn von solcher Eintracht erfüllte Männer im Amt seien, die gleichermaßen zu gehorchen und zu befehlen bereit seien und ihren Ruhm lieber mit anderen teilten, als dass sie den gemeinsamen Erfolg für sich allein beanspruchten.420 Dieser Eintracht höchst förderlich sind diverse Kunstgriffe zur Einhegung des Ehrgeizes einzelner Optimaten (th16). Die mit hoheitlicher Gewalt verbundenen Ämter sollten unter mehrere Träger gleichen Rechts aufgeteilt werden; eine Zensurinstanz müsse die Handlungen der Optimaten auf ihre Rechtskonformität hin kontrollieren und Gesetzesübertretungen ahnden; die Ratsordnung solle festschreiben, dass Debatten nicht ausarten und in die Bildung von Faktionen münden; Schenkungen und Bestechung seien zu untersagen. Schließlich sollte ein spezielles Gesetz für die Adelsfamilien die Machtverhältnisse mäßigend ordnen. In einer derart geregelten Aristokratie vermöge man einen mittleren Kurs zu steuern zwischen einer ‚populistischen‘ und einer vom Ehrgeiz Einzelner geprägten Politik. Die Gefahren beider Extreme seien evident: Während die volksfreundliche Politik wie die Volksherrschaft selbst mit einem (kaum eingrenzbaren) Streben nach Freiheit verknüpft sei, tendiere das Regiment der Wenigen zu königlicher Willkürherrschaft.421 Auf die eingangs angesprochenen „viri vere Aristocratici“ nun eingehend, konstatiert Boeckler in Anlehnung an Cicero ein Set von Handlungskompetenzen und Tugenden, das wiederum in einer Figur aus der Römischen Geschichte des Titus Livius paradigmatisch zum Ausdruck gebracht werden kann.422 Die Rede ist von Konsul Quinctius, welcher die Machtfülle seines Amtes rhetorisch derart überzeugend darstellte, dass man ihn anschließend im Senat als den einzigen Verteidiger der römischen Größe betrachtete. Andere Konsuln hätten entweder die Würde des Senats preisgegeben und dem gemeinen Volk geschmeichelt oder aber die Rechte ihres Standes vehement verteidigt und damit das Volk, das sie hätten beschwichtigen sollen, erst recht aufgebracht. Die mit digna gravitas vorgetragene Rede des Quinctius hingegen habe ausgewogen sowohl die maiestas patrum wie auch die concordia ordinum und nicht zuletzt die aktuelle politische Situation berücksichtigt. Er habe als mehrfacher Konsul, so Boeckler weiter Livius zitierend, Eintracht und Frieden im Inneren gefördert, indem er jedermann sein Recht zukommen ließ und sich damit bei den Patriziern das Image eines strengen, bei den Plebejern das eines recht freundlichen Konsuls erworben. „Auch gegenüber den Tribunen erreichte er mehr durch

420 Boeckler / Wehner: Ingenia optimatium (Anm. 414), th15: „nec dictatura unquam opus fore Reipublicae, si tales viros in magistratu habeat; tam concordibus animis iunctos, parere atque imperare iuxta paratos, laudemque potius conferentes in medium, quam ex communi ad se trahentes“ (leicht abgewandelt nach Livius 6.6). 421 Boeckler / Wehner: Ingenia optimatium (Anm. 414), th17, mit dem Zitat aus Tacitus (Annalen 6.42): „Nam populi imperium, juxta libertatem; paucorum dominatio regiae libidini proprior est.“ 422 Boeckler / Wehner: Ingenia optimatium (Anm. 414), th20, unter Bezugnahme auf Livius 3.69 und 4.42 (es werden 3.79 und 4.2 als Belegstellen angegeben).

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sein Ansehen als im Streit.“423 Dieser wahrhafte Aristokratenpolitiker konnte also aufgrund seiner auctoritas sowohl in der Administration wie auch in der Gesellschaft als Moderator zwischen Adel und Volk eine informell leitende Position in der Republik einnehmen und behaupten. Boeckler schließt mit der Auflistung von Autoren, die dem Studium der aristokratischen Staatsklugheit nützlich sind und über die ingenia der Optimaten und des Volkes sowie die certamina potentium aufklären. Unter den Griechen hält er Aristoteles und Platon, den Historiker Thukydides sowie „ex oratoribus“ Demosthenes und Isokrates für erwähnenswert, in römischer Zeit sind es Dionysios von Halikarnass, Plutarch, Cassius Dio, unter den lateinischen Autoren Sallust und Cicero mit seinen Reden und Briefen, vor allem aber Livius, aus dessen Werk allein man entnehmen könne, „quicquid ad Aristocraticam prudentiam pertinet“.424 Als zeitgenössische Autoren erwähnt Boeckler schließlich noch Laurentius Grimalius mit seinen De optimo senatore libri duo (1568) und John Barclay mit seinem Werk Icon animorum (1614; ‚Das Bild der Seelen‘), doch bleiben seine Hinweise zu diesen recht kursorisch. Diese Autoritäten nützten jedenfalls aber denen, welche sich in gegenwärtigen Gemeinwesen wie der aristokratischen Republik Venedig und dem aus Aristokratie und Monarchie gemischten status Imperii Germanici als Politiker verdient machen wollten. Seine mit dem Begriff ‚notitia‘ inaugurierte historisch-empirische Staatslehre, die der traditionellen Politikwissenschaft mit ihrer auf Systematisierung und Typisierung von Herrschaftsformen zielenden Lehre kritisch gegenübersteht, wendete Boeckler mit einem erst 1670 gedruckten Werk auf das deutsche Reich an.425 Dieses sei „gänzlich verschieden […] vom römischen“, gab es doch „schon innerhalb seiner Entwicklung ganz verschiedene Epochen, in denen sich die Staatsform immer neu modulierte“.426 Aus der Erbmonarchie unter den Karolingern sei seit Kaiser Konrad II. eine Wahlmonarchie geworden, die sich mit der Goldenen Bulle und den Wahlkapitulationen dann zur aristokratisch-monarchischen Mischverfassung gewandelt habe.427 Boecklers Notitia des Reichs wird man sicher auch als Reaktion auf die Erneuerung der Debatte um die Staatsform und Staatsräson des Reiches durch die Dissertatio de ratione status in Imperio nostro Romano-Germanico (1647) des Hippolithus a Lapide lesen müssen.428 Wirkungsgeschichtlich wichtiger ist, 423 Titus Livius: Römische Geschichte. Buch IV‒VI. Lateinisch u. deutsch hg. von Hans Jürgen Hillen. Darmstadt 1991, S. 33. 424 Boeckler / Wehner: Ingenia optimatium (Anm. 414), th23. 425 Johann Heinrich Boeckler: Notitia S. R. Imperii. Straßburg 1670. Vgl. zum Inhalt Jirgal: Bökler (Anm. 58), S. 355‒357. 426 Jirgal: Bökler (Anm. 58), S. 357, unter Verweis auf Boecklers Notitia Imperii (1.4, S. 11): „Sunt sine dubio omnes illae tamquam solennes Epochae.“ 427 Ebd. unter Verweis auf Boecklers Notitia Imperii (4.1, S. 48f.). 428 Ebd. Johann Heinrich Boeckler: In Hippoliti a Lapide dissertationem de ratione status in imperio nostro Romano Germanico animadversiones. Straßburg 1674. Zum Werk des unter dem Pseudonym schreibenden Bogislaw Philipp von Chemnitz vgl. Rudolf Hoke: Hippolithus a Lapide. In:

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dass der Straßburger mit seinen beiden Notitia-Schriften zum Mitbegründer der Staatenkunde neben Hermann Conring und Johann Andreas Bose avancierte.429 Seine grundlegende Annahme bestand darin, mit Hilfe der notitia bzw. cognitio interior hinter die Fassaden monarchischer, aristokratischer oder demokratischer Staaten blicken und die wahren Verfassungszustände, mithin also die wirksamen Machtstrukturen in einem Gemeinwesen, erfassen zu können. Die Geschichtsschreiber liefern die Kenntnisse, die helfen, den äußeren Schein einer Verfassung zu durchdringen und zu durchschauen. In ähnlicher Weise sollte im Übrigen rund 200 Jahre später der Engländer Walter Bagehot (1826‒1877) zwischen den dignified und den efficient parts einer Verfassung unterscheiden.430

4.6. Demokratietheorie nach Straßburger Lesart Mit vier Abhandlungen zur Demokratie, die unter der Leitung Schallers präsentiert wurden, setzte die Straßburger Schule einen weiteren profilbildenden Akzent.431 Eigenständige Dissertationen zu diesem Thema sind nämlich relativ selten. An den Universitäten Europas lassen sich im 17. Jahrhundert gerade einmal elf solcher Abhandlungen nachweisen, und zwar überwiegend aus den gut zwei Jahrzehnten zwischen 1643 und 1664.432 In der MehrStaatsdenker in der frühen Neuzeit. Hg. von Michael Stolleis. 3.  Auflage, München 1995, S. 118‒128. 429 Arno Seifert: Staatenkunde. Eine neue Disziplin und ihr wissenschaftstheoretischer Ort. In: Statistik und Staatsbeschreibung in der Neuzeit, vornehmlich im 16.‒18. Jahrhundert. Hg. von Mohammed Rassem u. Justin Stagl. Paderborn 1980, S. 217‒248, zu Boeckler als ‚Miterfinder‘ der Staatenkunde neben dem Helmstedter Conring und dem Jenaer Bose ebd., S. 220 u. 236. 430 Walter Bagehot: The English Constitution. London 1867 (zahlreiche weitere Auflagen und Nachdrucke, zuletzt Cambridge 2001). Eine erste deutsche Übersetzung wurde bereits 1868 von Franz von Holtzendorff, einem liberalen preußischen Aristokraten und Juristen an der Berliner Universität, mit dem passenden Titel Englische Verfassungszustände (Berlin) herausgegeben. Vgl. Franz Nuscheler: Walter Bagehot, The English Constitution. London 1867. In: Schlüsselwerke der Politikwissenschaft. Hg. von Steffen Kailitz. Wiesbaden 2007, S. 28‒31. 431 Neben den beiden im Folgenden vorzustellenden Dissertationen von 1651 und 1654 zählen dazu die bereits erwähnten: Schaller / Güntzler: De speciebus democratiae (Anm. 146) und Schaller / Spölin: De morbis democratiae (Anm. 159). 432 Aus dem genannten Zeitraum stammen neun der elf Demokratiedissertationen. Neben den vier Schaller-Dissertationen sind dies: Hermann Conring (Pr.) / Andreas Müller (Resp.): Dissertatio politica de democratia. Helmstedt 1643. Georg Horn (Pr.) / Gerhard Wolff (Resp.): Disputatio politica de democratia. Harderwijk 1650. Friedemann Bechmann (Pr.) / Johann Christian Mühlenkampf (Resp.): Disputatio politica de democratia. Jena 1654. Johann Paul Felwinger (Pr.) / Friedrich Adolf von Haugwitz (Resp.): Disputatio politica de democratia. Altdorf 1654. Christian Friedrich Franckenstein (Pr.) / Kaspar Albhard (Resp.): Exercitatio politica de republica populari. Leipzig 1655. Eine entstand 1629 in Uppsala, eine weitere 1675 in Jena. Dazu rechnen könnte man je eine Gymnasialdissertation aus Danzig (1610), Halle (1645), Stettin (1650) und Riga (1681). Anzumer-

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zahl wurden sie von Respondenten vorgestellt, die zugleich Anspruch auf Autorschaft erhoben. Das gilt auch für die vier Straßburger Arbeiten. Insbesondere die beiden ersten dieser Demokratiedissertationen sind einer näheren Untersuchung wert, da sie entgegen der vorherrschenden Meinung ein betont positives Bild der Demokratie entwerfen. Ihre Respondenten entstammten der Straßburger politischen Elite und hatten zudem beide ein grundlegendes Interesse an der Geschichte ihrer Stadt. Die Reihe beginnt mit dem Civis democraticus des Franz Reißeissen (1631‒1710).433 Der Verfasser machte eine seinem Stand gemäße Karriere, wurde unter anderem Senatsassessor und schließlich Ammeister.434 Der junge Reißeissen möchte, wie er im Vorwort ausführt, zur Abwechslung nicht wie so viele andere über Fürsten, deren Tugenden und Laster, sprechen, sondern über den Bürger, genauer über den civis democraticus. Gemeint ist damit der „Homo liber cui habilitas est participandi magistratum publicum, judiciarium et deliberativum“.435 Einleitend setzt sich der Straßburger mit dem Begriff ‚democratia‘ auseinander, sieht diesen zunächst ganz wertneutral als Volksherrschaft, die in seinen Augen keineswegs die gesetzlose Variante der aristotelischen politeia darstelle. Bemerkenswerterweise übergeht er dabei die häufige Polemik gegenüber der Demokratie als wankelmütiger Pöbelherrschaft, wie sie sich etwa bei Bodin oder einigen der deutschen Politikgelehrten findet.436 Stattdessen beken ist, dass die Demokratie auch in systematisch strukturierten Dissertationsreihen berücksichtigt wird: Johann Gryphiander (Pr.) / Abraham de La Faye (Resp.): Velitatio politico-juridica decima tertia de democratia. Jena 1614. Johann Deutschmann (Pr.) / Heinrich Kleinschmied (Resp.): Exercitationum politicarum disputatio IX. de democratia in genere. Wittenberg 1655. Und selbstverständlich finden sich in den Lehrbüchern zur Politik beispielsweise von Arnisaeus, Besold und Liebenthal Kapitel zur Demokratie. Dass aber außerhalb Straßburgs das Thema nur selten exklusiv für eine Disputation ausgewählt wurde, obwohl doch auch – freilich der Einschätzung der Epoche entsprechend – zeitgenössische Beispiele gegeben waren, bleibt ein wichtiger Befund. 433 Jakob Schaller (Pr.) / Franz Reißeissen (Resp. et Aut./W): Civis democraticus (20. September). Straßburg 1651. Die Abhandlung umfasst 38 Textseiten. Im Anhang der Dissertation finden sich, wie bei Studierenden aus gehobenen Verhältnissen üblich, Gratulationsverse auch von Professoren der Universität, nämlich dem Rektor Johann Georg Dorsche, dem Präses Schaller, dem Rhetorikprofessor Robert Königsmann und dem Mediziner Jakob Becker. Gewidmet ist sie Johann Michael Staemler (Stemmler), dem amtierenden Bürgermeister und „Tredecimvir“ in Straßburg. 434 Reißeissen verfasste zudem eine straßburgische Chronik, die 1877 und 1880 gedruckt wurde. Ein Franz Reiseisen, vielleicht sein Sohn, promovierte in der Rechtwissenschaft: Vgl. Disputatio inauguralis iuridica de media iurisprudentia iurisconsultorum Romanorum. Straßburg 1686. 435 Schaller / Reißeissen: Civis democraticus (Anm. 433), S. 1. Diese Definition des civis erfolgt in Anlehnung an Bodin und auch an Aristoteles. 436 Vgl. Merio Scattola: Demokratievorstellungen in der Frühen Neuzeit. In: Rechtsgeschichte. Zeitschrift des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte 15, 2009, S.  77–96. Scattolas Skizze, die anhand von Johannes Althusius und Henning Arnisaeus, dann Samuel Pufendorf und Ulrich (Ulrik) Huber sowie schließlich Michael Christoph Hanov den Wandel der Idee der Demokratie im 17. und 18. Jahrhundert nachzeichnet, wäre in die eine oder andere Richtung ergänzungsbedürftig. Insbesondere die Annahme, dass sich politisches Denken in Deutschland in prägender Weise im Rahmen gelehrter Diskurse vollziehe, ist angesichts der vorliegenden Dissertationen zu

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tont er, dass zum populus eben nicht nur Arme, sondern auch Reiche, Adelige wie Nichtadelige, Optimaten wie Plebejer, zählen. Damit ist der Auffassung von der Demokratie als der Herrschaft der ungebildeten und wankelmütigen Masse des einfachen Volkes der Boden entzogen und einer grundsätzlich positiven Wertung dieser Staatsform der Weg bereitet, mit der sich Reißeissen wie auch drei Jahre später sein Standeskollege Wencker dem Mainstream des zeitgenössischen politischen Denkens entgegenstellten.437 Fundament, Prinzip und Ziel der Demokratie sei die libertas, womit, negativ bestimmt, die Abwesenheit von Tyrannei, von äußerer Bedrohung durch Barbaren und von Aufständen gemeint ist. Das Modell dafür sind der Stadtstaat der Athener, die sich durch ihre Freiheit Ruhm in Kriegen, in der Politik und in den Wissenschaften verschafften, und die Schweizer Eidgenossenschaft. Der wesentliche effectus ex libertate liege in der isonomia oder iuris aequalitas, die es den Bürgern erlaube, an öffentlichen Ämtern der Rechtsprechung, der Verwaltung und der politischen Beratung zu partizipieren. Sicher können nicht alle gleichzeitig herrschen, entscheidend sei jedoch, so Reißeissen im Rekurs auf Bodins Kritik an Aristoteles, dass der civis democraticus dazu grundsätzlich als befähigt und tauglich erachtet wird. Freilich gibt es, auch wenn dies nur indirekt zum Ausdruck kommt, sehr wohl informelle Einschränkungen für den Zugang zu Ämtern und Ratsstellen. Der civis democraticus, der dem Verfasser vorschwebt, ist nicht jeder beliebige Bürger, sondern der sich durch Tugenden und Klugheit auszeichnende Politiker, was im Verlauf der Abhandlung an einer Reihe von antiken Persönlichkeiten exemplifiziert wird. Nachdem die „modi, quibus civitas acquiritur“, unter besonderer Würdigung der „cooptatio“ ausführlich erörtert wurden,438 stehen Richtlinien bezüglich der Erziehung des Bürgers im Blickpunkt. Fehlender demokratischer Unterricht sei einer der Hauptgründe für Korruption und Verfall des Gemeinwesens. Zu erfolgen hat die Erziehung zu Hause durch die Eltern – sie sollen lehren, was ehrenvoll ist – und in öffentlichen Schulen. Erzielt werden sollen virtus civilis und prudentia, mithin die Fähigkeit, sich und andere zu regieren. Weitere Tugenden sind die Liebe zur Republik, die Aufrichtigkeit im sozialen erweitern: Auch angehende Politiker ohne akademische Ambitionen lieferten bemerkenswerte Beiträge zum deutschen politischen Denken. 437 Vgl. den kursorischen Überblick von Wolfgang E.J. Weber: Demokratie. In: Enzyklopädie der Neuzeit 15, 2012, Sp. 706‒712. Die meisten politischen Denker des 16. und 17. Jahrhunderts hätten im Gefolge Bodins am negativ besetzten Begriff ‚Demokratie‘, wie ihn Aristoteles in Abgrenzung zur politeia entwickelt hatte, festgehalten und demokratische Komponenten nur aus herrschaftstaktischen Gründen zugelassen; ebd., Sp. 708. 438 Schaller / Reißeissen: Civis democraticus (Anm. 433), S. 5‒14, wobei die cooptatio allein die Seiten 7‒13 einnimmt. Damit verband der Autor zahlreiche aktuelle Fragen. Die ersten Quästionen thematisieren die Verleihung des Bürgerrechts an Ausländer, speziell an Mächtige oder an Menschen anderer Religion. Erörtert wird des Weiteren, ob es nützlich und auch ehrenhaft sein könne, wohlhabende Andersgläubige wegen ihrer Steuerkraft zu integrieren und Juden zu tolerieren. Hier wie auch in der Frage des mehrfachen Bürgerrechts zeigt sich der Straßburger eher konservativ, ablehnend und sieht mehr Probleme als Vorteile.

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und politischen Leben sowie die Eintracht. Sodann geht Reißeissen auf drei Funktionsvoraussetzungen der Demokratie ein: amor libertatis, modestia und ehrenhafte Arbeitsamkeit.439 Die Freiheitsliebe werde gestützt durch den gleichberechtigten Zugang zu Ämtern, durch die Gleichheit vor dem Gesetz und durch Genügsamkeit (frugalitas), d. h. die Reichen sollten in der Öffentlichkeit nicht mit ihrem Reichtum prunken. Der Aufstieg des C. Terentius Varro aus ‚schmutzigen Verhältnissen‘ – er war Sohn eines Metzgers – bis hinauf ins Amt des Prätors illustriere Ersteres, der Freiheitsbegriff des Timoleon, der seinen Mitbürgern alle Handlungen zugestand, welche die Gesetze nicht verbieten, das zweite Element. Mit einem Gesetz, das die Erziehung der Jugend auf Sparsamkeit und Arbeitsamkeit ausrichtete, habe Lykurg auf Mäßigung hingewirkt. Gesetze zur Wahrung und Festigung der Demokratie („ad conservandum praesentem statum“) schließlich sollen den Wandel zur Oligarchie verhindern und die harmonia politica fördern. Notwendig seien diese wegen der „multitudinis natura“: Die Masse der Menschen sei ohne rechtliche Schranken nicht in der Lage, den vernünftigen Mittelweg im Gebrauch der Freiheit einzuschlagen; sie handle vielmehr entweder servil oder überheblich.440 Indem Reißeissen der Mehrheit des Volkes nun doch Wankelmütigkeit attestiert, klingen auch die kritischen Töne an, welche Bodin im Rekurs auf (Pseudo-)Xenophons Analyse der demokratischen Verfassung der Athener laut werden ließ.441 Die Menschennatur kennt aber – hier kommt Tacitus zu Wort – auch die Machtgier. Die modestia sei deshalb die „Virtus maxime popularis“, die freilich auch in verfassungsrechtliche Regelungen gegossen werden müsse: Ämteriteration muss unterbunden, die Herrschaftsbefugnis zeitlich begrenzt und für die ambitiosi, die Unruhestifter unter den Vornehmen, als Strafe die Verbannung ins Exil vorgesehen werden. Schließlich sollen die Bürger ehrenhaften Beschäftigungen nachgehen, als da sind: mercatura, agricultura und opificium. Wenn Reißeissen hier bemerkt, dass sich ‚heutzutage‘ die hervorragendsten Männer in Italien, England und den Niederlanden als Kaufleute betätigten, so wird man dies als politische Aufwertung der ökonomi-

439 Ebd., S. 18‒25. 440 Ebd., S. 19 (Varro), S. 20 (Timoleon, Lykurg), S. 21 (Schranken für die Massen). Reißeissen bezieht sich hier wie auch zuvor mit dem Beispiel des C. Terentius Varro auf Livius. Die Aussage zu Timoleon basiert auf Cornelius Nepos. Zu ihm legte wenige Monate vorher der Frankfurter Johann Matthäus Münch ebenfalls unter dem Vorsitz Schallers eine Dissertation vor, vgl. oben mit Anm. 274. 441 Vgl. Bodins De republica libri, hier das vierte Kapitel im sechsten Buch über den Vergleich der Staatsformen. Bodin polemisiert an dieser Stelle – sich stark auf (Pseudo-)Xenophon stützend – gegen die Volksherrschaft, die auf ungerechter Gleichmacherei basiere, die zudem ein Feind der Rechtschaffenen sei, da nur die Allerschlechtesten in die Ämter eingesetzt würden. Tobsüchtige, Dummköpfe und Irre profitierten von der politischen Gleichheit, dominierten die Klugen und Weisen und missbrauchten damit die politische Freiheit für eine zügellose und das Recht beugende Politik.

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schen Elite Straßburgs lesen dürfen, welche zugleich die politisch tonangebende ‚guild aristocracy‘ bildete.442 Daran anschließend betrachtet Reißeissen den civis in seiner Doppelrolle als Herrschenden und als Gehorchenden. Als civis imperans habe er sich wie alle anderen dem Gesetz zu unterwerfen und sich nicht über die anderen zu stellen. Lykurg, Cato und Valerius Publicola werden als positive Beispiele hervorgehoben, der bei Tacitus (Annalen 3.9) erwähnte, überhebliche und arrogante Piso als negatives Exempel. Der gehorchende Bürger habe die libertas der Republik zu verteidigen und im Gemeinwohl das oberste Leitprinzip zu sehen. Sein bene beateque vivere basiere auf privater Sparsamkeit, gepaart mit öffentlicher Freigebigkeit, auf Eintracht, Freundschaft, Rechtsgleichheit und der Bereitschaft, sein Geld für die Verteidigung der Republik zu opfern, anstatt es für privaten Luxus auszugeben. Und dieses Bürgerideal mit seinen Tugenden bedarf, so wird wiederholt, der Erziehung in Schulen und durch Lehrer der Klugheit, für die man dementsprechend Sorge zu tragen habe. Sind nun aber reiche Bürger oder eher arme besser für die Demokratie? Dieser quaestio widmet Reißeissen größeren Raum. Es gebe nicht wenige wie Aulus Gellius, Noctes Atticae 16,10,443 die mit Verweis auf die Griechen und Römer, die ja die Amtsfähigkeit an einen Vermögenszensus gebunden hatten, den Wohlhabenden eine höhere Bedeutung einräumten. Der Straßburger sieht darin aber Ansätze für den Wandel zur aristokratischen Herrschaft. Reichtum befördere zudem Habsucht, Stolz und Grausamkeit. Besser für eine Demokratie sei es, wenn die libido dominandi der Reichen und ihre superbia gebändigt werden und die Liebe der Armen zu ihrer freiheitlichen Demokratie die Oberhand behalte. Argumente für die Höherbewertung der pauperes findet der Verfasser in deren probitas (Redlichkeit), industria und amor erga rempublicam. Ohne Machiavelli zu nennen, wird dem Florentiner hier also das Wort geredet, der in seinen Discorsi es als Gesetz einer wohlgeordneten Republik bezeichnet hatte, dass man „den Staat reich und die Bürger arm halten“ sollte.444 Eine ganze Reihe von Beispielen belegt, dass Demokratie eher durch die Armut der besten Männer begünstigt werde. Phokion und Aristides werden hier ebenso genannt wie (als römisches Beispiel) Publius Valerius Publicola, der in der Frühzeit der römischen Republik der führende Staatsmann war. Bei seinem Tod im Jahr 509 v. Chr. sei, so die Bemerkungen des Livius (2.16), sein Ruhm gewaltig gewesen, „sein Vermögen aber 442 Schaller / Reißeissen: Civis democraticus (Anm. 433), S. 22 (modestia), S. 23‒25 (honesti labores). Thomas A. Brady: Ruling Class, Regime and Reformation at Strasbourg, 1520‒1555. Leiden 1978, S. 110. Dabei handelt es sich um die Gruppe von reichen Rentiers und Händlern, die den Rat der Stadt dominierten. Sie standen zwischen dem eigentlichen Patriziat und dem einfachen Zunfthandwerk, waren selbst in Zünften organisiert, in ihrer Lebensweise aber längst dem Handwerk entwachsen. 443 Schaller / Reißeissen: Civis democraticus (Anm. 433), S. 28‒33, S. 29 („Agellius, l. 16 c. 10“). 444 Niccolò Machiavelli: Discorsi. Gedanken über Politik und Staatsführung. Übersetzt, eingeleitet u. erläutert von Rudolf Zorn. Stuttgart 2007, S. 102 (Buch 1, Kapitel 37: Welche Unruhen in Rom das Ackergesetz hervorbrachte).

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so gering, daß es nicht für die Bestattungskosten“ ausgereicht habe.445 Auch die paupertas des Atilius ist deshalb berühmt, weil er, wie die Vorgenannten, trotzdem oder gerade deshalb Ruhmreiches für den Staat geleistet habe.446 In der Armut wird sozusagen eine Grundlage für die Integrität des Politikers gesehen. Freilich, wenngleich Reißeissen hier – im Sinne einer anregenden disputatio vielleicht etwas provokativ – eine Lanze bricht für die pauperes in der Demokratie, so ist damit, wie sich im abschließenden Teil über die Arkana zeigen wird, nur eine relative Armut gemeint. Gleichwohl gilt das Credo: Nur (relativ) Arme lieben den demokratischen status, während Reiche mit ihrer libido dominandi und superbia eher zu dessen Destabilisierung neigen. Ein Zwischenfazit stellt die Vorteile, aber auch die Lasten „ex hac civili societate ad civem“ zusammen. Als commoda firmieren das für alle formal gleiche Recht auf Zugang zu Ämtern und die Rechtssicherheit. Reißeissen zitiert aus Ciceros Rede Pro domo sua: Es ‚sei überhaupt das Merkmal eines freien Staates: daß den Rechten oder dem Eigentum eines Bürgers nichts entzogen werden kann, ohne daß ein Urteil des Senates, des Volkes oder der für eine jede Sache zuständigen Richter ergangen ist‘.447 Bezüglich des Ämterzugangs stelle sich freilich die Frage, ob die Amtsdauer unbefristet oder begrenzt sein solle. Hier werden das Für und Wider abgewogen, generell wird dann aber mit Verweis auf die Praxis bei Griechen und Römern (Annuität, Kollegialität) zugunsten der Begrenzung und eines regelmäßigen Wechsels votiert, da die custodia libertatis eine zu große Aufgabe für Wenige sei. Die Lasten für den Bürger bestehen in den Abgaben, die er für den Bau und Unterhalt von Schulen, Kirchen und öffentlichen Gebäuden, für die Armenversorgung und zur Mehrung des Staatsschatzes zu leisten hat. Ein gesonderter Abschnitt am Ende der Dissertation ist den „Arcana status democratici“ gewidmet (S. 33‒36), die schon Aristoteles in seiner Politik (4.13 u. 5.3f.) erörtert habe. Zwar entsprächen nicht alle den gewandelten Verhältnissen heutiger Demokratien, doch seien einige zu Recht noch immer in Gebrauch. Da wäre zuallererst die Kenntnis des „genium populi“ oder nach Tacitus (Annalen 4.33,2) der „natura vulgi“ und das Wissen darüber, auf welche Weise die Masse gemäßigt und gelenkt werden könne. Die Kunst des Herrschenden bestehe darin, dass er „animos omnium in se converteret“.448 Eine zweite Regel zum Erhalt der Demokratie lautet, dass weder allzu arme Menschen, insbesondere verschuldete oder schlecht beleumdete, noch die Ehrgeizigen unter den Wohlhabenden zu 445 Schaller / Reißeissen: Civis democraticus (Anm. 433), S. 30. Livius: Ab urbe condita liber II. Römische Geschichte, 2. Buch. Lateinisch / Deutsch. Übersetzt u. hg. von Marion Giebel. Stuttgart 1987, S. 51. 446 Ebd. Die Episode, auf die Reißeissen hier rekurriert, wird berichtet bei Valerius Maximus: Facta et dicta memorabilia. Denkwürdige Taten und Worte. Lateinisch / Deutsch. Übersetzt u. hg. von Ursula Blank-Sangmeister. Stuttgart 1991, S. 111 u. 113. 447 Schaller / Reißeissen: Civis democraticus (Anm. 433), S. 30f., Cicerozitat S. 31. Marcus Tullius Cicero: Sämtliche Reden. Eingeleitet, übersetzt u. erläutert von Manfred Fuhrmann. Bd. 5. Zürich, München 1978, S. 219. 448 Schaller / Reißeissen: Civis democraticus (Anm. 433), S. 33.

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Ämtern und Ehren zugelassen werden. Die ambitiosi und turbulenti sähen ihre Chancen nämlich vor allem dann steigen, wenn es ihnen gelinge, Zwietracht zu stiften und das Gemeinwesen in Unordnung zu bringen. Das dritte Arkanum lautet: „Populum non omnem simul, sed tributim convocare. Hoc tutissimo remedio consensus multitudinis attenuatur.“ Weil das Volk sich gerade in hochbrisanten Fragen von irrationalen Stimmungen hinreißen lasse, sei es besser, wenn man es nicht in seiner Gesamtheit beraten und abstimmen lasse, sondern immer nur Bürger einzelner Bezirke zusammenrufe. Das sei ‚das sicherste Mittel, die Einmütigkeit einer Masse zu untergraben‘.449 In hitzigen Debatten gehe der civis democraticus – eine Lehre aus den Historien des Tacitus (2.18) – zum Schein auf unbesonnene Vorschläge der ‚Populisten‘ ein, um hernach, wenn sich die Emotionen gelegt hätten, seinen Ratschlägen mehr Nachdruck zu verleihen. Auch mit Worten dem Volk zu schmeicheln, um damit mehr bewirken zu können, ist eine Technik der „Politici democratici“. Schließlich wird am Beispiel des Peisandros die Steuerung einer Debatte illustriert, die darauf zielt, dass nur Redner mit zuvor abgesprochenen Argumenten das Wort ergreifen.450 Um langwierige und für das Volk unbequeme Entscheidungen durchsetzen zu können, lässt man diese viertens am besten durch Kirchenvorsteher verfechten. Das Bündnis von Thron und Altar existiere ja nicht zuletzt deswegen seit Urzeiten. Kommt dem Politiker eine Entscheidungssituation ungelegen, so kann er fünftens durch Verzögerungstaktiken die Abstimmung verhindern, wie Livius dies am Beispiel des Terentilius ausführte: „acta dilata in speciem, re ipsa sublata.“ 451 Die beiden letzten Arkana betreffen den Umgang mit mächtigen Bürgern sowie mit Aufrührern und Unruhestiftern. Letztere sind, gerade wenn sie das Volk durch den Begriff ‚Freiheit‘ und andere wohlfeile Worte zu verführen trachten, durch Strafen zu bändigen, damit Aufstände verhindert werden.452 Die für eine libera respublica allzu Mächtigen hingegen schickt man am besten mit einem ehrenvollen Auftrag außer Landes. So wurde Vitellius nach Germanien gesandt, damit unterdessen das Gemeinwesen wieder zur Ruhe komme. Zum Schluss appelliert Reißeissen noch an den civis democraticus als Privatmann: Zur Regelung seiner privaten Streitigkeiten sollte er nicht versuchen, die Macht seines Amtes zu instrumentalisieren. Wie klug 449 Ebd., S. 34. Das zweite Zitat entstammt den Historien (4.46) des Tacitus (nicht, wie Schaller / Reißeissen angeben, den Annalen). P. Cornelius Tacitus: Historien. Lateinisch / Deutsch. Übersetzt u. hg. von Helmuth Vretska. Stuttgart 1984, S. 520f. 450 Die bei Thukydides (Buch 8) überlieferte Figur ist in diesem Kontext nicht ohne Brisanz, hatte Peisandros doch darauf hingewirkt, dass die Athener ihre Volldemokratie abschafften und eine Art Aristokratie oder demokratische Elitenherrschaft etablierten. 451 Schaller / Reißeissen: Civis democraticus (Anm. 433), S. 35: „Negotia minus placentia […] specie dilationis abscindere.“ Vgl. Livius: Römische Geschichte (Anm. 418), 3.9. Es dreht sich um die Lex Terentilia des Volkstribuns C. Terentilius Harsa, durch welche die Volkspartei die Macht der römischen Konsuln beschränken wollte. Die Patrizier verzögerten die Entscheidung, um in Wahrheit die Verfassungsänderung insgesamt zu verhindern. 452 Schaller / Reißeissen: Civis democraticus (Anm. 433), S. 35: „Homines turbulenti, impudenter loquaces, Tacito prave facundi, gravi poena reprimendi sunt.“

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Abb. 6: Titelblatt zu Jakob Schaller (Pr.) / Jakob Wencker (Resp.): Παράδοξον politicum democratia est optima res publica (März). Straßburg 1654. Exemplar der Staatlichen Bibliothek Regensburg, Signatur 999/A.Diss.8802.

habe Aristides den Themistokles aufgefordert, er möge doch ihre private Feindschaft zurückstellen, um die drängenden öffentlichen Aufgaben gemeinsam zu bewältigen. So könne insgesamt, resümiert der Straßburger, vieles in den Schriften über die Republiken der Athener und Römer gefunden werden, was auch für die Demokratien der Gegenwart nicht unnütz sei, wenngleich Clapmar und andere dies übergingen.453

453 Ebd., S. 36. Mit dieser Bemerkung zu Arnold Clapmar, dem wichtigsten deutschen Theoretiker der arcana rerumpublicarum im 17. Jahrhundert, zeigt Reißeissen, dass er auch die zeitgenössische Literatur im Blick hatte. Vgl. zu Clapmar: Stolleis: Arcana Imperii (Anm. 93), S. 51–57, sowie Gideon Stiening: Das Recht auf Rechtlosigkeit. Arnold Clapmarius’ De arcanis rerumpublicarum zwischen politischer Philosophie und Klugheitslehre. In: Nürnbergs Hochschule in Altdorf (Anm. 7), S. 191‒211.

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Reißeissens Dissertation mit ihrer durchaus positiven Sichtweise der Demokratie positioniert sich kritisch zum Mainstream der Politiklehre der damaligen Zeit. Gezeichnet wird das Bild eines auf rechtlicher Gleichheit basierenden demokratischen Gemeinwesens, welches zwar in Parteien von Armen und Reichen gespalten ist, aber trotz der wankelmütigen Volksmasse und der Ehrgeizigen unter den Vornehmen durch kluge Führungspolitiker erfolgreich gelenkt wird. Das sah Jakob Wencker (1633‒1715) genauso. Er teilte mit seinem Vater Johann, einem mehrfachen Straßburger Ammeister, ein starkes Interesse für Geschichte. Eine 1637 vom Vater begonnene Chronik der Stadt, die auch Abrisse zur Stadtverfassung und zur Geschichte des Reiches enthielt, setzte der Sohn bis zum Jahr 1709 fort.454 Der gebildete Kaufmann Johann Wencker (1590‒1659) besaß zudem eine ansehnliche Bibliothek mit zahlreichen historischen Werken,455 von der der Sohn in seinem Studium profitierte. Dies beweist auch die Dissertation zum politischen Paradoxon, dass die Demokratie die beste Staatsform sei.456 Der Respondent trat nach seinem Studium der Rechte 1658 eine zweijährige Bildungsreise durch die Schweiz und Frankreich an.457 Zurück in Straßburg heiratete er 1661 Maria Eva Stemmler, die Tochter eines Bürgermeisters, und stieg dann die Karriereleiter über den Rat der Dreizehn bis zum Ammeister empor. Dieses Amt hatte er ab 1682 insgesamt fünf Mal inne. Wenckers Dissertation zur Volksherrschaft ist in 13 Paragraphen gegliedert und mit gut 40 Textseiten überdurchschnittlich umfangreich, vor allem aber mit ihrer komparatistischen Konzeption akademisch wie auch inhaltlich-argumentativ ambitioniert. Wencker will nämlich in einer vergleichenden Gegenüberstellung von Demokratie einerseits und Monarchie sowie Aristokratie andererseits eine positive Neubewertung der Demokratie erreichen und widersetzt sich damit wie zuvor Reißeissen der herrschenden Lehre in der 454 Von dieser Chronik sind nur mehr Exzerpte vorhanden; vgl. Klaus Garber: Elegie auf die Straßburger Stadtbibliothek. In: Literatur und Kultur im deutschen Südwesten zwischen Renaissance und Aufklärung. Neue Studien, Walter E. Schäfer zum 65. Geburtstag gewidmet. Hg. von Wilhelm Kühlmann. Amsterdam 1995, S. 13‒73, hier S. 50f. mit weiteren Hinweisen. 455 Vgl. Wilhelm Weigand: Wencker, Johannes. In: ADB (Anm. 47), Bd. 41, 1896, S. 711f. Ein Auktionskatalog des späten 18. Jahrhunderts lässt die Dimensionen der Bibliothek und ihren historischen Schwerpunkt deutlich werden: Catalogus bibliothecae Wenckerianae. Straßburg 1783 (Digitalisat der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek [SUB] Göttingen). 456 Jakob Schaller (Pr.) / Jakob Wencker (Resp.): Παράδοξον politicum. Democratia est optima res publica (März). Straßburg 1654. Mit großer Wahrscheinlichkeit ist Jakob Wencker der Autor; eine Widmung, die vermutlich den „Autor et Respondens“-Vermerk enthält, fehlt allerdings im hier verwendeten Exemplar der SB Regensburg. Die Dissertation blieb die einzige akademische Publikation Wenckers. 457 Vgl. Rühmlichst geführter und seelig geschlossener Lebens-Lauff/ Weiland des […] Hochgelehrten Herrn Jacob Wenckers/ In […] Straßburg gewesenen Höchstverdienten ältesten Ammeisters/ Dreyzehners und Scholarchen. Straßburg 1715. Weiteres zur Biographie auch unter: http://maisons-destrasbourg.fr.nf/histoire/index/proprietaires/jacques-wencker-1661/ (letzter Zugriff: 21. September 2016).

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Politikwissenschaft.458 Wenckers Modell war seine Heimatstadt, deren Verfassung er aus der Chronik seines Vaters kannte: Er sah in ihr weder eine Aristokratie bzw. eine politeia noch ein Gemeinwesen mit Mischverfassung, sondern eben eine Demokratie, was der Mehrheitsauffassung der in Straßburg regierenden „rentier-merchant aristocracy“ entsprochen haben dürfte.459 Mit dieser Deutungsmacht im Rücken verteidigte Wencker die Volksherrschaft gegen die Vorurteile eines Bodin, aber auch gegen verschiedene weitere Autoritäten, darunter den Monarchiebefürworter Claudius Salmasius. Seine wichtigsten Quellen sind Livius, auf dessen Römische Geschichte sich der Autor bis zu 15-mal pro Seite bezieht, dann das Geschichtswerk des Cassius Dio, das mit der Verfassungsdebatte zwischen Agrippa und Maecenas im 52. Buch Argumente liefert und von Wencker auch in griechischer Originalsprache zitiert wird. Für Exempel aus der neueren Geschichte ist Thuanus maßgebend. Die wichtigsten Autoritäten neben den schon genannten sind Aristoteles, Arnisaeus, Besold, Clapmar und Saavedra.460 Der „juratus Germanorum hostis“ (S. 4) Jean Bodin lieferte offensichtlich den theoretischen Anstoß für die Verteidigung der Demokratie. Bodins Urteil über diese Staatsform, das er im von Wencker häufig zitierten vierten Kapitel des sechsten Buches seiner Respublica liefert, ist ziemlich vernichtend. Die auf den ersten Blick positiven Prinzipien der Demokratie, nämlich Gleichheit und Freiheit, würden sich bei näherer Hinsicht als ungerecht und wider die Natur erweisen. Die Menschen sind in Bodins Augen eben ungleich, das Streben nach Gleichheit an Besitz und Ehren daher naturwidrig, falsch und zudem nicht realisierbar. Und die viel gepriesene Freiheit der Demokratien werde durch das Faktum konterkariert, dass „keine andere Staatsform so viele Gesetze, Magistrate und Kontrolleure“ kenne wie eben gerade die Volksherrschaft.461 Wencker schreibt, Bodin paraphrasierend, der Franzose habe denjenigen als „optimus civis“ der Demokratie deklariert, der „omnium virtutum interitum earumque oppressionem tetram ac detestabilem probat“.462 458 Vgl. Weber: Demokratie (Anm. 437). 459 Brady: Ruling Class (Anm. 442), S. 195. 460 Der wenckersche Bibliothekskatalog (Anm. 455) verzeichnet die Werke aller genannten Autoren. Viele davon waren in verschiedenen Auflagen und Ausgaben vorhanden, die Politik des Aristoteles etwa in einer zweisprachigen Edition sowie in lateinischen und französischen Übersetzungen, Bodins Hauptwerk in drei Auflagen (1586, 1594 u. 1599), ebenso Clapmars De arcanis rerum publicarum (1605, 1624 und die von Wencker benutzte Ausgabe: Leiden 1644). Selbstverständlich sind auch die in Straßburg gedruckten Opera politica (1626) Christoph Besolds und De republica seu relectio politica (1636) des Henning Arnisaeus sowie weitere Werke des Helmstedter Gelehrten verzeichnet. Die Defensio regia pro Carolo I. (1649) des Salmasius ist ohne Nennung des Verfassers gelistet. Neben zahllosen Ausgaben der Klassiker der antiken Geschichtsschreibung standen dem jungen Wencker schließlich die Historiarum sui temporis libri des Thuanus im fünf Bände umfassenden Druck von 1606 zur Verfügung. Einen Großteil der über 4200 in diesem Katalog verzeichneten Titel bilden bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts entstandene Drucke. 461 Jean Bodin: Sechs Bücher über den Staat. Übersetzt von Bernd Wimmer, hg. von Peter C. MayerTasch. 2 Bde. München 1981‒1986, hier Bd. 2: 1986, S. 394. 462 Schaller / Wencker: Democratia (Anm. 456), S. 4.

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Dem angeblichen Vorzug dieser Staatsform, nämlich dass sie mehr hervorragende Persönlichkeiten in der Kriegskunst und in der Gesetzgebung, mehr bedeutende Redner, Rechtsgelehrte und Künstler hervorbringe als andere Herrschaftssysteme, begegnete Bodin mit (Pseudo-)Xenophons Behauptung, dass „das Lebenselixier der Demokratie darin“ bestehe, „die Allerschlechtesten und Unwürdigsten in die Ämter“ gelangen zu lassen. Sie sei insgesamt also der Feind der Rechtschaffenen.463 Provozieren musste den Straßburger schließlich auch Bodins Darstellung der Genese der Demokratie. Städte wie Straßburg hätten bei der Umwandlung der Aristokratie in eine Demokratie den Adel vertrieben oder getötet. Die Abscheu vor der Aristokratie habe hier dann zu spezifischen Verfassungsregelungen geführt. So hätten „die Bewohner von Straßburg, nachdem sie den gesamten Adel erschlagen hatten, bei der Einführung der Demokratie“ festgelegt, „daß jeder Bewerber um das Amt des Großbürgermeisters den Nachweis zu erbringen habe, daß sein Großvater Bauer, Handwerker, Metzger oder ähnlicher Herkunft gewesen sei“.464 Sollte Straßburg also eine auf Mord und Vertreibung basierende Handwerker- und Bauerndemokratie sein? Das Selbstverständnis der Straßburger ‚Zunftaristokratie‘ konnte solche Deutungen nicht unwidersprochen hinnehmen. Bodin räumte zwar ein, dass die Aristokraten mit ihren permanenten Rivalitäten den Verfassungswandel selbst zu verantworten hatten. Der jähzornigste und ehrgeizigste unter den Machthabern habe nämlich Zuflucht beim Volk gesucht und darauf hingearbeitet, dass „der Pöbel die Herrschenden“ davonjagte, umbrachte, verbannte oder ausplünderte.465 Weil Bodin mit solchen Bemerkungen aber „nostrum Argentoratum male habet“, so Wencker (S. 4), könnten seine Deutungen der Geschichte der Stadt wie auch der Demokratie im Allgemeinen nicht unwidersprochen bleiben. Es gibt viele Irrtümer auf der Welt, so beginnt Wencker seine Argumentation. Einer davon sei der Glaube der „Papicolae hodierni“ (S. 2) an das Fegefeuer. Und so werde denn auch die Demokratie von vielen fälschlich negativ bewertet, obwohl doch viele hervorragende Völker die „servitus regia“ für unerträglich erachtet hätten und den europäischen Völkern das Wort ‚König‘ verhasst sei. Viele Politikgelehrte lehnten die Demokratie ab und zählten sie nicht zu den guten Staatsformen (§ 2). Man unterstelle ihr, sie sei „honestati inimicam, bonorum morum pestem, […] stultitiae sedem, perditorum ac flagitiosorum hominum sentinam, invidiae domicilium, discordiaeque seminarium“.466 Dieser Auffassung stellt sich der Straßburger mit der These entgegen, dass die Demokratie in 463 Bodin: Sechs Bücher über den Staat (Anm. 461), Bd. 2, S. 398. Die Demokratie sei, so Bodin weiter (Pseudo-)Xenophon referierend, „Ursprung und Hort all jener Unruhestifter, Meuterer, Aufrührer und Verbannten, die dem niederen Volk Rat, Trost und Hilfe spenden, um die Großen zu vernichten“. Heute geht man davon aus, dass nicht Xenophon, sondern ein anonymer Autor Verfasser des Werks Staat der Athener war. Vgl. Pseudo-Xenophon: Die Verfassung der Athener. Griechisch und deutsch. Hg., eingeleitet u. übersetzt von Gregor Weber. Darmstadt 2010. 464 Bodin: Sechs Bücher über den Staat (Anm. 461), Bd. 2, S. 403. 465 Ebd., S. 409. 466 Schaller / Wencker: Democratia (Anm. 456), S. 4.

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Relation zu anderen Staatsformen nicht nachrangig sei, dass eine optima democratia vielmehr sogar besser sei als ‚optimale‘ Monarchien und Aristokratien. Wenckers komparatistischer Ansatz besteht darin, die demokratische Regierungsform mit spezifischer Funktionslogik vergleichend zu analysieren und die für alle Staatsformen wirksamen Schwächen der Menschen davon gesondert zu betrachten. Vitia hominum imperantium et parentium separabimus a forma administrandi, eamque nudam ex regulis prudentiae naturaeque tutiore modo aestimabimus (S. 4).

Dabei gehe es nicht um realitätsferne Ideen und utopische Entwürfe, erfreuten sich doch im zeitgenössischen Europa die Hansestädte, die Schweizer und die Städte Oberdeutschlands der Demokratie, „praecipue autem Argentoratum, Patria mea optima, dulcissima, florentissima“. Die real bestehende democratia optima will Wencker dann mit der Monarchie und der Aristokratie vergleichen, ihre Vorzüge und Mängel mit den Vorzügen und Mängeln jener, wie sie sich jeweils „ex ratione status“ herleiten ließen. Was Wencker als theoretisches Leitbild zugrunde legt, ist die von Christoph Besold so bezeichnete democratia adstricta, die ‚straffe‘ Volksherrschaft (§  3).467 In dieser behalte sich, so der traditionell in Straßburg geschätzte Tübinger Gelehrte, das Volk zwar das höchste Recht vor, lasse aber alles durch eingesetzte Magistrate erledigen. Vor allem aber kenne es die Grenzen seiner Macht. Das Volk sei nämlich an Gesetze gebunden, die es sich selbst auferlegte, „was jedoch seine außerordentliche Macht nicht aufhebt“.468 Diese Form der ‚Republik‘ genieße bei den Schweizern, den hanseatischen und den reichsunmittelbaren Städten Deutschlands hohe Wertschätzung.469 Der straffen oder auch (durch Gesetze) regulierten Demokratie stellte Besold jene ‚freie‘ gegenüber, die er mit übertriebener Freiheit und Gleichberechtigung aller Volksgruppen – Reiche und Arme, Patrizier und Plebejer –, mit Populismus, d. h. einer „allzu großen Volkssinnigkeit“ der Politik,470 und Willkürherrschaft der Demagogen konnotiert. In einer freien Demokratie werde Willkür mit Freiheit gleichgesetzt, weshalb sie „plötzlichen Veränderungen ausgesetzt“ sei. Sie werde dann stabiler, wenn sich ihre Verfassung der adstrikten Volksherrschaft annähere. Diese nämlich besitze innere Stärke und sei keineswegs, wie Besold betont, an Macht der Fürstenherrschaft unterlegen.471

467 Vgl. Philipp: Christoph Besold (Anm. 23), S. 148f. 468 Besold: Synopse der Politik (Anm. 297), S. 118. Bei Wencker heißt es: Diese „adstricta forma“ sei dadurch gekennzeichnet, dass in ihr „populus retinet quidam jus summum, sed per Magistratus a se ex melioribus constitutos omnia agit, et nescit se omnia posse, et legibus semetipsum devincit“. Schaller / Wencker: Democratia (Anm. 456), S. 6. 469 Auch die Republik der Vereinigten Niederlande wird von Besold als regulierte Demokratie eingeschätzt, die aktuell allerdings die Regierung den Demagogen preisgegeben habe. Besold: Synopse der Politik (Anm. 297), S. 119. 470 Ebd., S. 117. Besold spricht von „popularitas“. 471 Ebd., S. 118; vorheriges Zitat: S. 116.

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Vom Modell dieser adstricta oder auch „temperata democratia“ (S. 6) geht Wencker nun aus, und nicht von Bodins überzeichneter Willkürherrschaft des Volkes. Sie kennzeichne die vom herodoteischen Otanes gerühmte ἰσονομία (Gleichberechtigung), die im (auch von Dios Agrippa gelobten) wechselseitigen Regieren und Regiertwerden der Bürger zum Ausdruck komme. Daraus resultiere das von Polybios beschriebene ἰσόρροπον (politisches Gleichgewicht, politischer Ausgleich), welches das Aufkommen von Zwietracht verhindert. Dem wird gleich darauf noch die ἰσοτιμία (Gleichwertigkeit der Bürger) zur Seite gestellt, die zusammen dann das aus „modestia et mediocritas“ bestehende Fundament des Gemeinwesens bilden, die einzigartige Zierde und Stütze der Demokratie.472 In diesem ersten Argumentationsschritt, der Gerechtigkeit, Sicherheit, Beständigkeit – diesbezüglich geht der Verfasser auch kurz auf die Verfassung Straßburgs ein473 – und Sittlichkeit einbezieht, kommt Wencker zum Schluss, dass „sine omni dubio Democratia nostra est naturae convenientissima“ (S. 8). Sie schließe die Klugen nicht aus dem Senat aus, missbillige daher den Ostrakismos der Athener und generiere die optimale Entscheidung aus dem freien Votum vieler: „optima ex singulis sententiis eligi potest“. Nur so könne der Vielfalt der „populorum mores, varia gentium instituta, ingenia et leges“ sowie den verschiedenen Wünschen und Hoffnungen der Menschen, seien sie Gelehrte, Handwerker, Baumeister oder Künstler, Rechnung getragen werden (S.  10). Man fragt sich, so Wencker in kritischer Wendung gegen die Befürworter der Monarchie, wie ein einzelner Mensch auf all dies eingehen könne. Zu Recht machen Demokratien nach konkreten Bedingungen ausgewählte Bürger zu Magistraten, welche aus ihrer Sachkenntnis heraus in spezifischen Entscheidungsfragen kompetenten Rat erteilten. Das Wesen einer solchen Demokratie kennzeichne denn auch, dass sie weder für höfische Verschwendungssucht noch für ehrgeiziges Streben nach Beherrschung anderer, weder für permanentes Machtstreben noch für parasitäre Schmeichelei anfällig sei. Gleiches Bürgerrecht, Eintracht, Gerechtigkeit, Milde und Beständigkeit, Klugheit, Bildung und Frömmigkeit sind ihre Vorzüge, weshalb es für Wencker einen „melior reipublicae status“ nicht geben kann (S. 11). Hinzu kommen historische Argumente, die im Rekurs auf monarchomachische Ideen polemisch gegen Bodin gewendet sind (§  5). Die ältesten Königreiche seien eigentlich Demokratien gewesen, in denen das Volk einem Einzelnen die administratio wie einem treuhänderischen Verwalter übertragen, sich selbst aber die potestas vorbehalten habe. Die 472 „Democratiae ornamentum et stabilimentum“; Schaller / Wencker: Democratia (Anm. 456), S. 9. 473 Ebd., S. 8: Zur diuturnitas gehören Gewaltenteilung und -verschränkung. Zum einen sollen die Konsuln nicht ohne Konsens mit dem Rat handeln können; zum anderen müsse ihre Amtszeit zeitlich befristet werden. Weil man den Schutz der Freiheit am besten dadurch gewährleiste, dass „die hohen Ämter, deren Befugnisse nicht eingeschränkt werden könnten, […] zeitlich eingeschränkt würden“, so wird aus Livius (4.23,4; vgl. Livius: Römische Geschichte, Anm. 423, S. 61) zitiert, hätte auch Straßburg seine Verfassung in dieser Weise geändert. Das zunächst auf Lebenszeit vergebene Amt des Bürgermeisters sei 1372 auf zehn Jahre und 1382 auf ein Jahr begrenzt worden.

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Könige bei den alten Römern hätten mehr durch Autorität denn durch tatsächliche Befehlsgewalt regiert, und auch die Könige in der „Democratia Spartana“ hätten nur eine „limitata potestas“ besessen. Aus solchen Beispielen gehe klar hervor, dass „multa antiquissima Regna fuisse Democratica, Regesque tantum fiduciarios populi ministros“ (S. 13). Und ein König mit beschränkter Macht, so Wencker, nun zum Vergleich mit Monarchie und Aristokratie überleitend (§ 6), unterscheide sich nicht von einem Magistrat. Bei der Einherrschaft werden Wahl- und Erbmonarchie unterschieden. In beiden Fällen stellen der Tod des Herrschers und die Bestimmung des Nachfolgers die Schwachstelle dar. Zwietracht unter den Elektoren sowie rivalisierende Thronanwärter sorgen für Gefahren, welche zu Anarchie und Krieg führen können. Belege sind die von Karl V. und König Franz I. entfachte ‚Feuersbrunst‘ sowie die Unruhen in Polen nach dem Tod König Sigismunds. In der Erbmonarchie entstehen Thronfolgekriege, wenn der Nachfolger noch ein Kind ist. Auf das Frankreich unter Franz II. und seiner Mutter Katharina von Medici verweist Wencker hier wie auch an späterer Stelle. Aristokratien hätten mit den gleichen Problemen zu kämpfen, so dass sich die Frage stelle, wie man diesen Gefahren begegnen könne. Die Demokratie mit ihren schon genannten Vorzügen präsentiert er als Vorbild. Institutionen der moderatio der Herrschaft sind die Lösung, wie sie in Polen mit den „nuncii terrestres“ (Abgeordnete der Landschaften für die Reichstage), im antiken Rom mit den Tribunen und in Frankreich mit den Parlamenten gegeben sind. Sie sollen die Könige zur Achtung der Gesetze zwingen (S. 17). Auf die angeblichen Mängel der Demokratie (§  7) muss freilich auch eingegangen werden. Demokratie bedeute, so heißt es, Herrschaft der Dummheit, die den Tugendhaften feindlich gesinnt, gesetzeswidrig, nur zu einer wankelmütigen, willkürlichen und vernunftlosen Politik fähig sei und beim Fehlen eines äußeren Feindes zu Bürgerkrieg neige. Darauf entgegnet Wencker erstens, dass diese negativen Aspekte der Demokratie nicht von der Regierungsform selbst herrühren, sondern von den Schwächen der Menschen im Allgemeinen. Zweitens treffe die Polemik des von Bodin zitierten (Pseudo-)Xenophon nur die extreme Form der Demokratie, wie sie die Athener entwickelt hatten, nicht aber die gemäßigte bzw. regulierte Volksherrschaft. Die Demokratiekritiker irrten sich zudem, wenn sie meinten, dass in der temperata democratia nur dumme und pflichtvergessene Plebejer zu Ämtern und Ehren gelangten, während die meliores davon ausgeschlossen würden. Und wenn man auch annehmen wollte, dass dies tatsächlich so wäre, warum, so fragt der Straßburger, sollte es in der Monarchie und Aristokratie denn anders sein? Historische Empirie und gegenwärtige Erfahrung würden ohnehin das Gegenteil erweisen. Selbst Bodin räume ein, dass es „in popularibus Imperiis“ stets hervorragende Befehlshaber, kluge Gesetzgeber, sorgfältige Juristen, geniale Baumeister, berühmte Redner und die besten Philosophen gegeben hat. Mit dem livianischen Canuleius konfrontiert Wencker seine Gegner mit der rhetorischen Frage: „Halten wir es denn wirklich für unmöglich, daß ein tapferer und tüchtiger Mann, bewährt in Krieg und Frieden, aus der Plebs hervorgehen kann?“ Mit diversen Zitaten aus dem Geschichtswerk des Livius lassen sich die indignitas, malitia, inertia (die angebliche inscitia imperandi des Volks) und infamia der

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Volksherrschaft widerlegen sowie die iustitia, liberalitas, auctoritas und fides demokratischer Politik herausarbeiten.474 Problemlos vermag der Verfasser diverse Schwächen von Monarchen und Aristokraten zu benennen (§ 8). So zeigten die römischen Kaiser Wollust (libido), Betrügerei (fraudulentia), stolze Verachtung (fastus), Tölpelhaftigkeit (stoliditas), Grausamkeit (crudelitas) und Gottlosigkeit (impietas). Machtgier und Herrschsucht (ambitio) sind unter Königen weit verbreitet, ebenso Unaufrichtigkeit (deceptio), aber auch die Anfälligkeit dafür, sich zum Spielball ihrer Minister zu machen, und Leichtfertigkeit gegenüber Vertrauten.475 So wurde Karl  IX. zum Sklaven der Guisen, und die schottische Königin Maria gab sich leichtfertig dem Sänger Rizius (David Rizzio) hin, machte ihn zu ihrem secretarius und provozierte damit dessen Ermordung. Unter Aristokraten sind ähnliche Übel verbreitet: Neid, Zwietracht, Rohheit der Sitten und Ungerechtigkeit. Bei der Widerlegung der Demokratiekritik (§ 9) geht Wencker ein weiteres Mal auf einige der eingangs aufgezählten Schwächen der Demokratie ein: Die Neigung zu Unruhen, die Dominanz der Dummen und Unfähigen in der Politik sowie ihre Anfälligkeit für Populismus und Demagogie. Ausgangspunkt dafür sind die jährlichen Amtsbewerbungen, alljährliche Zwietracht die Folge. Doch diese Mängel treten, so Wencker, nur in der democratia absoluta auf, in der die Gesetze nichts gelten und die Demagogen das Sagen haben. Und wie die Tyrannis „non est Regnum, nec huic vitia eius sunt imputanda, ita nec Ὀχλοκρατία est Δημοκρατία legitima“ (S. 25). Mit anderen Worten: Wer Tyrannis und Königsherrschaft unterscheidet, hat auch zwischen Ochlokratie und legitimer Demokratie zu differenzieren. Den mit Wahlen einhergehenden Problemen begegnet man dadurch, dass man dazu nicht das Volk versammelt, sondern dass der Magistrat als Gesamtkörperschaft geeignete Amtsanwärter kooptiert. Dies sei das wirksamste Heilmittel „contra ambitiosos illos Demagogos, qui olim Athenis et Romae […] populum corrumpebant“. Damit nicht die Masse des einfachen (und dummen) Volkes die Wahlen prägt, soll man es nach dem Vorbild des römischen Zensors Fabius auf verschiedene ‚Tribus‘ aufteilen und so die Eintracht der Stände (concordia ordinum) befördern. Sehen wir weiter, so Wencker, ob Monarchien und Aristokratien solche Mängel fremd sind (§ 10). Gerade Wahlmonarchien verfallen beim Tod des Fürsten oft in Anarchie oder, wenn es mehrere gleichberechtigte Nachfolger gibt, in einen Bürgerkrieg. Wenn der princeps noch unmündig ist, kann es auch geschehen, dass entweder dessen Mutter die Herrschaft an sich reißt oder die Vormünder und Prokuratoren des Königreichs die höchste Gewalt an sich ziehen. „Galliae ruina abunde hoc testatur“ (S. 26). In Frankreich hätten 474 Schaller / Wencker: Democratia (Anm. 456), S. 21f. Im Kontext der iustitia weist er das dumme Geschwätz Bodins und anderer zurück, dass für Demokratien das Verbrechen der Unterschlagung ein ganz massives Problem sei. Zum Zitat siehe Livius: Römische Geschichte (Anm. 423), S. 15 (= 4.3,16). 475 „Quis ministrorum ludibrio magis est expositus, quam Rex? […] Quae major est levitas quam Regum, quique in eo statu vivunt?“ Schaller / Wencker: Democratia (Anm. 456), S. 23.

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nach dem Tod Heinrichs II. die Guisen die Herrschaft usurpiert, den Staatsschatz ausgeplündert und die „patriae libertatem“ unterdrückt. England ist nach dem Tod Heinrichs VIII. mit der Geschichte der Lady Jane Gray hierfür ebenso ein Exempel wie das Königreich Schweden mit den rivalisierenden Halbbrüdern König Erik (XIV.) und Herzog Johann von Finnland. „Sic novi Reges, novae Leges, novae mutationes et tumultus“ (S. 27). Und in Aristokratien gehe es nicht anders zu. Dies belegen die Rivalitäten der „Duces“ nach dem Tod Alexanders des Großen und das Gemeinwesen der Genuesen, das durch die Faktionen des Adels in einen bedauernswerten Zustand geraten sei. Somit gilt auch hierfür, was Maecenas bei Cassius Dio über die Demokratie gesagt hat: „Wo die Mächtigeren nach führenden Stellungen streben und die Schwächeren in ihren Sold nehmen“, bringen sie „alles durcheinander“.476 Ein weiterer Kritikpunkt an der Demokratie war die von Bodin bemängelte personelle Aufblähung des Magistrats, welche häufige Wahlen erfordere, die mit Unruhen einhergingen. Dagegen könne eingewendet werden, dass auch eine Königsherrschaft eine Vielzahl von Ministern, Räten, Gesandten und Magistraten benötige. Und die häufigen Wahlen seien für die gemäßigte Demokratie kein Problem, da man hier auf das richtige Maß an Freiheit achte. Wencker lässt erneut Maecenas, den Verfechter des Prinzipats, in seinem Sinne sprechen: Erweist sich doch jene übertriebene Freiheit der Masse als die bitterste Sklaverei der Besten und stürzt beide Gruppen ins Verderben. Diejenige Freiheit hingegen, von der ich rede, gibt überall vernünftigen Menschen den Vorzug und verschafft gleichzeitig allen eine ihrem Verdienste entsprechende Gleichheit und macht so jedermann, der sich ihrer bedient, ohne Unterschied glücklich.477

Die Bürger erfreuten sich „an den Ehren, die sie von ihresgleichen empfangen“, und selbstverständlich billigten Demokraten („Cives democratici“) „die Strafen, welche ihnen auf Grund der Gesetze auferlegt werden“.478 Zahlreiche Beispiele der Römer belegen zudem ihre militärische Disziplin, ihre Strenge in Fragen der Sittlichkeit, ihre Unerbittlichkeit gegenüber Freiheitsmissbrauch und Trägheit im Krieg. Mit Aristoteles (Politik 1.2) gesprochen seien die demokratischen Bürger keineswegs gesetzlos, ungesellig und träge 476 „Et licet interdum οἱ δυνατώτεροι, τῶν τε πρώτων ὀρεγόμενοι, καὶ τοὺς ἀσθενεστέρους μισθούμενοι, πάντα ἄνευ καὶ κάτω φέρουσι.“ Schaller / Wencker: Democratia (Anm. 456), S. 28 (= Cassius Dio: Historia Romana 52.15,5); deutsche Übersetzung: Cassius Dio: Römische Geschichte. Bd. IV, Bücher 51‒60. Übersetzt von Otto Veh. Stuttgart 2009, S. 62. 477 „Addimus hoc loco Maecenatis, illud: ἐκείνη μὲν ἡ τοῦ ὄχλου ἐλευθερία, τοῦ τε βελτίστου δουλεία πικροτάτη γίγνεται, καὶ κοινὸν ἀμφοῖν ὄλεθρον φέρει, αὕτη δὲ τό τε σῶφρον πανταχοῦν προτιμῶσα καὶ τὸ ἴσον ἅπασι κατὰ τὴν ἀξίαν ἀπονέμουσα, πάντας ὁμοίως εὐδαίμονας τοὺς χρωμένους αὐτῇ ποιεῖ.“ Schaller / Wencker: Democratia (Anm. 456), S. 29 (= Cassius Dio: Historia Romana 52.14,5); deutsche Übersetzung: Dio: Römische Geschichte (Anm. 476), S. 61. 478 Schaller / Wencker: Democratia (Anm. 456), S. 29 (= Cassius Dio: Historia Romana 52.4,5); deutsche Übersetzung: Dio: Römische Geschichte (Anm. 476), S. 47.

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(S. 30). Die Mär von der nachlässigen und unheilvollen Pflichtauffassung demokratischer Magistrate will der Straßburger nicht mehr hören. Das seien Einzelfälle, und solche könne man doch bei Königen und all ihren Amtsträgern ebenfalls nicht ausschließen. Demokratien bauen dem vor, indem sie, so wird Clapmar zitiert, beim Volk beliebte und zugleich die gegenwärtige Herrschaftsform verfechtende Männer herrschen lassen.479 Ein weiteres Arkanum der Demokratie sei, dass „reipub[licae] callentes sunt Cives“.480 Und als politisch gebildete bzw. erfahrene Bürger beanspruchen sie, so wieder der Agrippa des Cassius Dio, „das Recht zu herrschen und lassen sich darum auch abwechselnd beherrschen. Sie lehnen es hingegen ab, wenn sie von anderen übervorteilt werden, und lassen sich darum auch selbst nicht zwingen, andere zu übervorteilen.“481 Gute Bürger bekommt man, so zitiert Wencker aus der Rede des Volkstribuns Canuleius bei Livius, wenn tüchtigen und tapferen Männern die Aussicht auf die hohen Ämter und der Zugang zu ihnen gegeben wird; wenn sie Chancengleichheit erhalten, als Partner im politischen Leben behandelt werden und wenn sie, was Zeichen eines gleichen Maßes an Freiheit ist, abwechselnd den Jahresbeamten gehorchen und die Befehlsgewalt selbst ausüben dürfen.482

Zusammenfassend ist die democratia optima seiner Auffassung nach eine in spezifischer Weise temperierte und gemäßigte Volksherrschaft (§  12). Grundlegend für sie ist ein mehrfach austariertes „Aequilibrium“. Das Verhältnis der einzelnen Stände müsse durch kluge Verteilung der Macht und Achtung voreinander bestimmt sein. Keiner der Amtsträger dürfe sich über die anderen Magistrate und Räte erheben und sie durch Bildung einer Faktion unterdrücken; die Gesamtheit der Räte und Beamten habe im Volk ihr Gegengewicht, das sie zu achten und zu fürchten haben. Und schließlich habe das Volk in den Gesetzen die Fessel seiner Freiheit. Damit dieses Gleichgewicht (ἰσόρροπον) aufrechterhalten werden kann, sei es höchst notwendig, dass man dem Volk seine Vollgewalt verheimliche. Es möge glauben, dass es den Gesetzen, dem Magistrat und dem Senat unterworfen sei: „Populum celare suam potentiam. Magnum hoc arcanum [est], si putet se legibus, Magistratui, ac Senatui esse subjectum.“483 Höchst gefährlich handle, wer wie der Volkstribun Canuleius (Livius 4.5,1) von der Macht des Volkes öffentlich rede, sie geradezu zur 479 Schaller / Wencker: Democratia (Anm. 456), S. 30f.: „Permagni enim interest in Democratia eos imperare, qui et populares sunt, et praesentem Imperii statum amant“, zitiert nach Arnold Clapmar: De arcanis rerum publicarum. Leiden 1644, S. 86. 480 Schaller / Wencker: Democratia (Anm. 456), S. 31, zitiert nach Christoph Besold: De arcanis rerumpublicarum. Leiden 1644, S. 42. 481 Schaller / Wencker: Democratia (Anm. 456), S. 31 (= Cassius Dio: Historia Romana 52.4,5); deutsche Übersetzung: Dio: Römische Geschichte (Anm. 476), S. 47. 482 Schaller / Wencker: Democratia (Anm. 456), S. 31 (= Livius: Römische Geschichte 4.5,5); deutsche Übersetzung: Livius: Römische Geschichte (Anm. 423), S. 19. 483 Schaller / Wencker: Democratia (Anm. 456), S. 32, zitiert nach Besold: De arcanis (Anm. 480), S. 41f.: „Magnum arcanum est, ut in Democratia nesciat Populus se habere omnem potestatem: sed putet Legibus, Magistratui ac Senatui se esse subiectum.“ Vgl. auch Christoph Besold (Pr.) / Daniel

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Durchsetzung politischer Ziele instrumentalisiere. Dies führe zur Entartung in die ‚freie‘ Demokratie, in der das Volk zügellos herrsche, die Magistrate nach Gunst bestellt werden und die Frechheit der Redner die Masse nach Belieben umstimme. Im Rekurs auf zahlreiche Stellen aus der Römischen Geschichte des Titus Livius zählt Wencker die Fehlentwicklungen auf, welche den Verfall der römischen Republik geprägt hätten, nicht ohne den von Ehrgeiz und Ruhmsucht getriebenen „Patres“ eine erhebliche Mitschuld daran zuzumessen (S. 33f.). Er bleibt aber bei seinem Standpunkt, dass den Demokratien nicht per se die Neigung zur Zwietracht angeboren sei. Erneut attackiert er die Demokratiekritiker mit einer Frage: Weshalb sollte man diese Neigung nicht auch Monarchien und Aristokratien attestieren? Entscheidendes Heilmittel sei die Mäßigung. Die Geschichte Roms biete dafür genügend positive Beispiele. Valerius Publicola, Servilius und andere mehr hätten die Eintracht zwischen Volk und Patriziat immer wieder hergestellt, durch Menschenfreundlichkeit, Wohlgefälligkeit und Sanftmut soziale Konflikte gemeistert und das Gemeinwesen zur Ruhe gebracht. Ein solches Verhalten der Führenden unterstreiche die similitudo der Menschen, welche wiederum Fundament aller Freundschaft sei. Noch einmal lässt Wencker den Agrippa des Dio sprechen, der gefragt habe: Wenn Bürger von gleicher Wesensart und Abstammung unter denselben Sitten aufgewachsen sowie nach gleichen Gesetzen ausgebildet wurden, sich außerdem in gleichem Maße mit Leib und Seele dem Dienst am Vaterland verschrieben haben, ist es da nicht recht und billig, daß sie auch an all den anderen Dingen gleichen Anteil besitzen?484

Nicht nur die Billigkeit (aequitas) fordere diese Gleichstellung, sondern auch die securitas. Wie in der Monarchie mächtige Untertanen im Verdacht stehen, nach dem Königtum zu streben, so müssen Demokratien verhindern, dass sich Einzelne über die anderen stellen und damit die Freiheit bedrohen (S. 35). Scipio ist hier ein Vorbild. Als ihn das Volk zum „perpetuus Consul et Dictator“ machen und ihm an verschiedenen Plätzen Ehrendenkmäler errichten wollte, lehnte er dies ab.485 Zum Abschluss werden die modestia, lenitas und liberalitas des Senats und der Magistrate thematisiert (§  13). Als rühmliches Beispiel erwähnt Wencker den Beschluss, die Soldaten aus der Staatskasse zu besolden. Darüber sei die römische Plebs höchst erfreut gewesen, habe die Senatoren deshalb als wirkliche „Patres“ gefeiert und bekundet, für das von Rantzow (Resp.): De arcanis rerumpublicarum, et principum inter ipsos dignitatis praerogativa (Juli). Tübingen 1614, S. 9. 484 „Audi prudentiorem tantum Agrippam: τήν […] φύσιν τινὰς εἰληχότας ὁμοφύλους ἀλλήλοις ὄντας, ἔν τε τοῖς αὐτοῖς ἤθεσι τεθραμμένους καὶ ἐν τοῖς ὁμοίοις νόμοις πεπαιδευμένους, καὶ κοινὴν καὶ τὴν τῶν σωμάτων καὶ τὴν τῶν ψυχῶν χρῆσιν τῇ πατρίδι παρέχοντας, πῶς μὲν οὐ δίκαιον καὶ τ’ἆλλα πάντα κοινοῦσθαι.“ Schaller / Wencker: Democratia (Anm. 456), S. 35 (= Cassius Dio: Historia Romana 52.4,1f.); deutsche Übersetzung in Anlehnung an: Dio: Römische Geschichte (Anm. 476), S. 47. 485 Schaller / Wencker: Democratia (Anm. 456), S. 36. Die Quelle ist Livius (38.56). Auch habe Scipio das ihm angebotene „Regis nomen“ zurückgewiesen.

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Vaterland Leib und Leben opfern zu wollen (S. 36f.). Doch gibt es auch hier wieder eine Schattenseite, nämlich die Rivalität (aemulatio), den Ehrgeiz (ambitio) und die Eifersucht (invidia) einzelner Amtsträger, welche zwischen Magistrat und Volk, zwischen Plebejern und Patriziern sowie innerhalb des Patriziats Zwietracht gesät hätten. Tadel verdienten die Volkstribune, die über Streit unter den Patres erfreut waren und nichts zur Schlichtung der Konflikte beitragen wollten. Freie Städte müssten sich, so Wencker, der hier wohl im Hinblick auf die Situation Straßburgs mit einem Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit argumentiert, insbesondere davor hüten, zur Schlichtung innerer Gegensätze auswärtige Fürsten als Schiedsrichter herbeizurufen. Das tragische Beispiel Rostocks, das die Mecklenburger Herzöge als ‚arbitri‘ eingesetzt habe, zeige dies. Die Stadt habe dadurch ihre Freiheit verloren (S. 37). Um Zwietracht einzuhegen und das innergesellschaftliche „aequilibrium“ aufrechtzuerhalten, sind verschiedene Regeln der politischen Klugheit zu beherzigen. Wenn in einer Demokratie die Macht der Volkstribune groß sei, müsse man dafür sorgen, dass man den größeren Teil des Volkes auf seine Seite ziehe, um so eine Gegenmacht gegen die Demagogen zu formieren. Auf diese Weise werde das Gleichgewicht gewahrt und verhindert, dass ein Teil dominiere. Wenn man die Zwietracht unter den Mächtigen nicht verhindern könne, solle man versuchen, die Kontrahenten auf verschiedene Orte zu verteilen. Grundsätzlich seien unkontrollierte Zusammenkünfte, Versammlungen und heimliche Beratungen zu unterbinden. Um Zusammenrottungen und Verschwörungen des Volkes leichter verhindern zu können, nutzten die römischen Patrizier mehrfach den Kunstgriff, innere Konflikte auf äußere Feinde abzulenken. Rebellische Bürger wurden sie dadurch los, dass sie ansehnliche Kolonien gründeten. (S.  38). Am besten aber begegne man Zwietracht und Unbeugsamkeit damit, dass Patrizier mit gutem Beispiel vorangehen und den Untergeordneten nur das zumuten, was sie selbst zu tragen bereit sind. Keine Forderung sei schwer, wenn das Volk sehe, „daß gerade die Vornehmsten an Beiträgen mehr übernehmen, als auf ihren Anteil entfällt“.486 Wencker schließt mit den Worten ‚seines‘ Livius (26.22,14): Wenn es irgendwo jenen Staat der Weisen gäbe, von dem die Gelehrten mehr träumen, als dass sie ihn kennen, könnten weder seine führenden Männer ehrwürdiger und von aller Herrschsucht freier noch seine Volksmenge gesitteter werden als in der Demokratie.487 Den Epilog bilden Lobgesänge auf die gemäßigte Demokratie und auf Straßburg mit seinem Jahrhunderte währenden status popularis.

486 Schaller / Wencker: Democratia (Anm. 456), S. 39; Zitat aus Livius (26.36,3); deutsche Übersetzung: T.  Livius: Römische Geschichte. Buch XXIV‒XXVI. Lateinisch u. deutsch herausgegeben von Josef Feix. München, Zürich 21986, S. 349. 487 Schaller / Wencker: Democratia (Anm. 456), S. 39: „Non E[quidem], ut cum Livio meo concludam, si qua sit sapientium civitas, quam docti fingunt magis quam norunt, aut principes graviores temperantioresque a cupidine imperii, aut multitudinem melius moratam censeam fieri posse, quam in Democratia.“

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Wie sein Standesgenosse Reißeissen erweist sich Wencker als leidenschaftlicher Verfechter einer beschränkten Demokratie, der eine Reihe angeblicher Mängel der Volksherrschaft dekonstruiert. Für eine Dissertation eher untypisch arbeitet der Verfasser mit rhetorischen Stilelementen, richtet an die Demokratiekritiker entlarvende Gegenfragen und verkehrt ihre pro-monarchische Argumentation zugunsten der Volksherrschaft. Sein Demokratiekonzept basiert auf der Gleichberechtigung und -wertigkeit der Bürger, einer beschränkten Freiheit und der Herrschaft der Gesetze. Zwar bildet eine Art Volkssouveränität das Fundament, doch sollte diese – unausgesprochen nur für Grundsatzentscheidungen relevant – in der alltäglichen Praxis der politischen Entscheidungsprozesse nicht zum Tragen kommen. Institutionelle Arrangements der Demokratie zielten auf ein mehrfach justiertes Gleichgewicht der Kräfte, was bei den Magistraten etwa den Wechsel von Herrschen und Beherrschtwerden, Annuität und Kollegialität bedeutete. Um die mit jährlichen Wahlen einhergehenden Unruhen und das Auftreten von Populisten und Demagogen zu verhindern, kooptiert der Magistrat fähige und gebildete Bürger nach festen Regeln selbst. Familiäre und schulische Bildung sorgen dafür, dass entsprechende Kandidaten zur Verfügung stehen. Einer vernünftigen und gerechten Politik abträgliche Schwächen und Leidenschaften der Menschen werden nicht bestritten, doch in gleichem, wenn nicht höherem Maße auch Monarchien und Aristokratien attestiert. Dank der ausgleichenden und mäßigenden Elemente in der Verfassung sei die reglementierte Demokratie weit besser als die anderen Staatsformen imstande, diese vitia hominum zu beherrschen. Den Optimismus bezüglich der Funktionsfähigkeit demokratischer Elitenherrschaft, die an Effizienz der Monarchie nicht nachzustehen scheint, dürften die Standeskollegen des jungen Straßburgers geteilt haben. Seine Dissertation drückt sozusagen das demokratische Selbstverständnis der herrschenden Klasse Straßburgs aus. Dass seine Demokratie im Unterschied zu Monarchien keine Großmachtambitionen hat, erklärt das Fehlen von Bemerkungen zum Kriegs- und Militärwesen. Eine gewisse Machtvergessenheit wird man der Argumentation Wenckers gleichwohl attestieren müssen. Unerwähnt lässt er zudem das Eingebundensein seiner demokratischen Reichsstadt in das Reich. Offenbar hatte dieses seine integrative Kraft für die Hauptstadt des Elsass verloren. Zur Wirkungsgeschichte dieser Dissertation gehört, dass sich ein Nürnberger Patrizier und späterer Ratsherr, nämlich Jodocus Lazarus Haller von Hallerstein (1639‒1684), zu einer Art Gegendarstellung herausgefordert fühlte. Er stellte 1660 nämlich die Nürnberger Verfassung als Aristocratia optima forma vor,488 bediente sich dabei allerdings recht 488 Jakob Schaller (Pr.) / Jodocus Lazarus Haller von Hallerstein (Resp. et Aut./W): Aristocratia optima forma, quam aeternae memoriae almae reipublicae Noribergensis […] sacram esse vult (Juli). Straßburg 1660. Von Haller sind keine weiteren Publikationen nachweisbar. Die Widmung mit zweiseitigem Text benennt Nürnberger Patrizier, Räte und Juristen als Förderer, darunter Burchard Löffelholtz von Kohlberg, Johann Sigismund Haller von Hallerstein, des Weiteren Georg Achaz Heher, Georg Wölker und Wolfgang Martin Im Hof (Imhof ). Beiträger sind dem sozialen Status entsprechend der Präses, der amtierende Dekan der philosophischen Fakultät Boeckler, der Rechtsprofessor

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ungeniert bei Wencker. So übernimmt er manche Passagen fast wörtlich, ersetzt dabei lediglich Demokratie oder demokratisch durch Aristokratie bzw. aristokratisch.489

4.7. Die Macht des Staates Der Aufenthalt in Schweden führte bei Johann Heinrich Boeckler, wie im ersten Teil erwähnt, zu einer erheblichen Horizonterweiterung. Neben die politische Welt der Antike rückte nun auch die gegenwärtige Staatenwelt, neben Tacitus zunehmend Grotius. Als neues Thema entdeckte Boeckler nun die Machtstaatslehre. Zusammen mit dem Respondenten, dem schwedischen Adeligen Jacobus Maclier, legte er 1655 die erste der wenigen Dissertationen vor, die sich im 17. Jahrhundert explizit mit der Macht des Staates befassten.490 Auf ihre Bedeutung hat Wolfgang Weber mehrfach hingewiesen. Zum einen habe Boeckler, das Haupt der „lipsianisch-aristotelisch-grotianischen Schule“, Mächtekonflikte als „strukturelles Moment der politischen Welt“ begriffen und ihnen einen „theologisch fundierten Sinn“ abgewonnen, indem er den Machtkampf als einen „von Gott den Souveränen verordnete(n) Bewährungsraum“ fasste. Zum anderen entwickelte der Straßburger Gelehrte eine systematische Theorie der Machtmittel.491 Ausgangspunkt ist das häufig zitierte Diktum Ciceros aus dessen Schrift De inventione (2.169): „Potentia est ad sua conservanda et alterius attenuanda idonearum rerum

Johann Melchior Sachs und der Rhetoriker Robert Königsmann. Die Dissertation ist in zwei Kapitel mit insgesamt 24 Thesen gegliedert und umfasst 61 Textseiten! Boeckler wird als „Excellentissimus“ hervorgehoben (S. 17), Felwinger mit seiner Dissertation De aristocratia ausführlich zitiert (S. 5, 12 u. ö.), ferner Cellarius (Politica succincta), Caselius (S. 11), Lipsius (S. 42 u. ö.) sowie im Kontext der Debatte um die Staatsform des Reiches Reinking und Bodin (S. 14). Antike Historiker kommen vergleichsweise selten zu Wort, stattdessen werden verschiedentlich Acta publica aus Michael Kaspar Londorps (Lundorps) Sammlung herangezogen. 489 Dass Wenckers Democratia optima als Vorlage genutzt worden ist, zeigt sich beispielsweise auf S. 47: Hier wurde Wencker fast wörtlich übernommen, nur eben „Democraticus civis“ durch „ex optimatibus“ ersetzt: „Quis autem ex optimatibus Augustum libidine, Tiberium fraudulentia, Caligulam fastu, Claudium stoliditate, Neronem crudelitate, Commodumque impietate superavit unquam?“ Vgl. Schaller / Wencker: Democratia (Anm. 456), S. 23. 490 Johann Heinrich Boeckler (Pr.) / Jacobus Maclier „Nobilis Suecus“ (Resp.): De potentia civitatum (August). Straßburg 1655. Zu den wenigen anderen hier einschlägigen Arbeiten zählen: Sigismund Pichler (Pr.) / Andreas v. Kreytzen „Eques Borussus“ (Resp.): Discursus politicus de potentia reipublicae. Königsberg 1667; Elias Obrecht (Pr.) / Sveno Cameen (Resp.): Dissertatio historico-politica: Macedoniae et Romanae potentiae comparatio. Uppsala 1691; Adam Rechenberg (Pr.) / Heinrich Sigismund Pflug „Eques Misnicus“ (Resp.): De potentia S. R. Imperii Germanici. Leipzig 1698. 491 Wolfgang Weber: Potestas et Potentia Imperii. Bemerkungen zum Bild des Reiches in der deutschen Politikwissenschaft des 17. Jahrhunderts. In: Bilder des Reiches. Hg. von Rainer A. Müller. Sigmaringen 1997, S. 97‒122, hier S. 110‒112; Zitat: S. 110. Vgl. auch Weber: Prudentia gubernatoria (Anm. 21), S. 143‒145.

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facultas.“492 Im Verständnis der Römer der späten Republik bezeichnete ‚potentia‘ im Unterschied zu ‚potestas‘ die Macht in einem allgemeineren Sinne. Sie bezog sich auf Einzelpersonen oder Gruppen, die teils erhebliche Machtmittel insbesondere in Form von opes, etwa auch in Gestalt von Truppen, und von gratia, von Freunden und Klienten, akkumulierten und damit in der Tendenz den guten Sitten der aristokratischen Gesellschaft zuwider handelten sowie den Verdacht der Bildung einer factio paucorum hervorrufen konnten.493 Während Cicero hinsichtlich des Subjekts der Macht vage bleibt (Einzelne, Gruppen oder ganze Gemeinwesen), wird er bezüglich der Reichweite konkreter: Potentia gehe nämlich über bloße Unversehrtheit und Freiheit hinaus. Die auf den Staat (civitas) bezogene incolumitas bezeichne das in Form von Feldern, Häfen, Geld, Flotte, Militär und Bundesgenossen für das corpus civitatis materiell Nützliche und Notwendige. Eine „urbis egregia exornatio atque amplitudo“, des Weiteren eine herausragende Menge Geldes oder eine besonders große Anzahl von Freundschaften und societates, also eine jeweils über das notwendige Maß hinausgehende multitudo, bewirken hingegen etwas Großartigeres, nämlich dass beispielsweise „civitates amplae atque potentes sint“.494 Während die incolumitas also nur die den Bestand des Gemeinwesens sichernden Faktoren umgreift, ist Macht der weiter reichende Terminus, der potenziell auch ein Übermaß an den genannten Machtmitteln beinhalten kann. Die frühneuzeitliche Politikwissenschaft trennt die moralphilosophischen (und die hier im Sinne Max Webers potenziell mit angelegten sozialen) Aspekte des Phänomens ‚Macht‘ konsequent ab und rückt potentia vorrangig in den Kontext der zwischenstaatlichen Beziehungen. So konzentriert sich auch Boeckler, der auf die einschlägigen Passagen aus De inventione ausführlich eingeht, allein auf die Macht des Staates und ihre inneren und äußeren Ressourcen. Da es bei der „alterius obtinenda facultas“ – so die Formulierung

492 M. Tullius Cicero: Rhetorici libri duo, qui vocantur de inventione / […] Über die Auffindung des Stoffes. Hg. u. übersetzt von Theodor Nüßlein. Düsseldorf, Zürich 1998, S. 328. Es wird beispielsweise auch von Adam Contzen in seinen Politicorum libri (8.1, S. 621) zitiert, die als eines der ganz wenigen systematischen Lehrbücher der potentia einen eigenen Hauptteil widmen. Bei Cicero hat dieses Diktum eigentlich jedoch nur eine exemplarische Funktion im Rahmen der Erörterung der beratenden Beweisführung des Rhetorikers. 493 Christian Meier: Macht, Gewalt, II. Terminologie und Begrifflichkeit in der Antike. In: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Hg. von Otto Brunner, Werner Conze u. Reinhart Koselleck. Bd. 3. Stuttgart 1982, S. 830 u. 833. 494 Cicero: De inventione / Über das Auffinden des Stoffes (Anm. 492), S. 328f. Vgl. Boeckler / Maclier: De potentia (Anm. 490), th3. Die potentia wird von Cicero deshalb denjenigen Dingen zugeordnet, die – im Unterschied zu den ausschließlich die Ehrenhaftigkeit befördernden Arten der virtus und andererseits ausschließlich den materiellen Nutzen mehrenden Dingen – um ihres materiellen und auch der Größe dienenden Nutzens willen erstrebt werden.

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bei Boeckler495 – auch darum geht, Macht gegenüber anderen Staaten einzusetzen, wird erkennbar, dass die Politikwissenschaft implizit von einem Konkurrenzkampf um Machtanteile ausgeht, der aufgrund der Begrenztheit der Ressourcen als Nullsummenspiel begriffen wird. Das Bestreben, sich dabei nicht nur zu behaupten, sondern die Oberhand gewinnen und – etwas weiter interpretiert – den eigenen Willen auch gegen den Widerstand anderer durchsetzen zu können, wirft letztlich die Frage nach den vernünftigen Grenzen der potentia auf. Im Unterschied zur incolumitas bleibt diese hinsichtlich der multitudo an einzelnen Machtfaktoren unbestimmt und kann daher – wie oben erwähnt – innerhalb der Gesellschaft ein sittlich verwerfliches Ausmaß annehmen und im zwischenstaatlichen Verhältnis ins politisch Grenzwertige führen. Als diesbezüglich negatives Beispiel porträtierte die frühneuzeitliche ‚politica‘ gerne die Machtentfaltung des türkischen Reiches. In der essayistisch angelegten Dissertation, die oft auf die Nennung der Werke der erwähnten Autoren und grundsätzlich auf die Angabe genauer Belegstellen verzichtet,496 stellt Boeckler nach dieser Hinführung die einzelnen Machtquellen der civitas vor. Dabei wird zwischen domesticae und externae partes unterschieden. Zu ersteren gehören Bevölkerungsreichtum, natürliche Lage, Staatsvermögen und Waffen, zu letzteren Verträge und Bündnispartner sowie gleichfalls armorum vis bzw. milites (th4). Die Auflistung der verschiedenen Quellen der potentia sei folglich einfach, schwieriger sei es dagegen, zu sagen, wie Macht erlangt werden könne („quomodo ea paretur“) und welche Probleme und Vorsichtsmaßregeln dabei beachtet werden müssten (th6). Boeckler und Maclier gehen daher allen genannten Bestandteilen innerer und äußerer Macht nach und analysieren ihre Qualität und innere Beschaffenheit. Bei deren Erörterung machen sie jeweils auf Gefahren aufmerksam, die aus dem einseitigen Ausbau nur einer dieser partes potentiae entstehen oder die von einem Übermaß an einzelnen Machtmitteln herrühren. Als erstes gelte es, über eine „hominum multitudo“ zu verfügen. Diese ist zweifelsohne die grundlegende Basis für alle weiteren Machtmittel. Ganz wichtig dabei sind die Ord495 Boeckler / Maclier: De potentia (Anm. 490), th3. Bei Cicero heißt es: „[…] alterius attenuanda […] facultas“. De inventione / Über das Auffinden des Stoffes (Anm. 492), S. 328. Nüßlein übersetzt: „Macht ist die Fähigkeit […] den [Besitz] eines anderen […] zu vermindern.“ Ebd., S. 329. 496 Boeckler nennt zwar einige Gewährsleute wie eben Cicero sowie Aristoteles und Tacitus, dann auch in th24 die Historiker Thomas Rivius (Historia navalis. London 1629) und Claudius Bartholomaeus Morisotus (Orbis maritimi sive rerum in mari […] gestarum historia. Dijon 1643), in th32 Jacques-Auguste de Thou/Thuanus und Bartholomaeus Gramondus (Historiarum Galliae […] libri. Toulouse 1643; Amsterdam 1653 u. ö.), des Weiteren Machiavelli (th43 u. 66) und Scipione Ammirato (th49), Jean Bodin und den Duc de Rohan (th55f.), schließlich Giovanni Botero (th65 u. 77, mit seinem Vergleich der potentia der verschiedenen europäischen Mächte) sowie, ohne namentliche Erwähnung des Autors, Martin Schoocks Imperium maritimum (Amsterdam 1654). Er scheint es in seiner 82 Thesen auf 26 Textseiten umfassenden Arbeit aber nicht für nötig befunden zu haben, mittels eines exakten Anmerkungsapparates seine Gelehrsamkeit zu dokumentieren. So wird auch Ciceros Umschreibung des Machtbegriffs nicht nachgewiesen.

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nung und die gezielte Förderung der gesamten Bevölkerung durch verschiedene „inventa et artes“ in den Bereichen des Rechtswesens (Gesetzgebung), der Wirtschaft (Förderung von Handel und Gewerbe) und der Bildung. Eine um den Ausbau ihrer Macht bemühte civitas habe zudem dafür Sorge zu tragen, dass im Rahmen von entsprechenden Lehrveranstaltungen, verwendet wird der Begriff „scholae mathematicae“, Kenntnisse nicht nur zur Zivil- und Festungsarchitektur, sondern auch „ad Geographicos usus, ad rem nauticam“ sowie zu verschiedenen Handwerkskünsten vermittelt werden. Nützlich sei auch eine Handels- und Wirtschaftslehre zu den „modos artesque acquirendi et mercandi“.497 Hinzu kommt der Bereich der Kultur in Gestalt eines glanzvollen Hofes. Dazu bedarf es einer vielfältig ausdifferenzierten Bevölkerungsstruktur, die den Anforderungen der „diversae vitae civilis utilitates“ entspricht (th10‒22). Den zweiten Komplex der inneren Machtgrundlagen bilden die natürlichen Gegebenheiten des Landes, seine Flüsse und Häfen, seine Bodenschätze („opes nativae locorum“), die Größe des Territoriums, seine Städte und gegebenenfalls Kolonien. Eine geringere „amplitudo locorum“ werde dabei oft durch „ingenium et industria“ kompensiert, wofür Deutschland ein gutes Beispiel sei (th23‒32). Insbesondere aber trage Geldreichtum des Landes zu seinem Machtpotenzial bei, und zwar entscheidend: „Pecuniae autem ac divitiis, vel ad parandam, vel ad augendam potentiam maximam vim inesse“ (th36). Die „parandae pecuniae modi“ sind die Nutzung von Bodenschätzen, die Steuererhebung, der Handel (etwa der Export heimischer Produkte) und der Krieg. Mercatura und Seehandel samt den „rei nauticae et mercaturae arcana“ hebt Boeckler mit Verweis auf andere seiner Dissertationen zu diesen Themen besonders hervor (th36‒42).498 Allgemein habe man jedoch zum einen zu bedenken, dass die Erschließung von Quellen des Reichtums leichter sei als deren Erhaltung, und zum anderen, dass viele Könige, Städte und Völker „per opulentiam magna imperia amiserint.“ Reichtum kann also, wenn er im Übermaß erworben wird, auch zu einer Gefahr für den Staat werden, weil damit Sittenverfall einhergehe. Der Hauptverwendungszweck des Geldreichtums ist das Militärwesen: „Pecunia nervus belli.“ Folgerichtig schließt deshalb die Darstellung des Militärwesens und der verschiedenen Arten des Krieges, der Heeresgliederung, der diversen Waffengattungen und sonstiger Kriegstechniken an, wobei gesondert auf die „commentarii Regnorum ac Rerumpublicarum, ac descriptiones Armorum apud nationes singulas“ hingewiesen wird. Kriegsfähigkeit ist letztlich doch die entscheidende Machtquelle. Durch sie kommt der Wettbewerb um Macht erst richtig in Gang. Wer „potentiae amplificandae causa“ hochrüstet, erzeuge Neid, der einen Rüstungswettlauf in Gang setze. In dieser Situation könne 497 Boeckler / Maclier: De potentia (Anm. 490), th17. Diese Passage übernahm Johann Friedrich Reinhard in seinem Theatrum prudentiae elegantioris ex Justi Lipsii libris politicorum erectum (Wittenberg 1702, S. 722) ohne Angabe der Quelle. 498 Boeckler / Forer: Consideratio mercaturae politica (Anm. 78). Boeckler / Binder: Civitas maritima (Anm. 78).

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dann kaum mehr genau angegeben werden, wo das sinnvolle Maß der Aufrüstung liege und welche Art von Waffensystemen den „reipublicae opibus“ entspreche (th43‒55). Dass der Erwerb sämtlicher Machtmittel auf dem Fundament einer christlichen Moralität erfolgen sollte, bleibt ein schwaches Regulativ. So ist die Forderung, die gegenwärtigen Staatsmänner sollten die Religion ernst nehmen, d. h. sie „non inter strategemata regnandi, sed inter fundamenta regni“ verorten (th64), wohl mehr als Zeitkritik zu verstehen. Die Erörterung verschiedener Formen von Bündnissen bildet den Kern der Analyse der „externae partes potentiae“ (th56‒62). Die politische Klugheit gebiete, dass die Macht mit Hilfe von Bündnissen nur insoweit gemehrt wird, wie es den gegebenen Verhältnissen eines Gemeinwesens zuträglich ist. Dabei gilt: „nullum foedus firmius est, quam inter eos, quorum utilitates arctissime inter se cohaerent.“499 In diesem Sinn werden Verträge, durch welche sich ein Staat in die Abhängigkeit eines anderen begibt („se una Civitas alteri dat in clientelam“; th56), als gefährlich erachtet, da zwischen der Schutzmacht und ihren Klienten keine echte Interessenkongruenz bestehe. Dauerhaft sind hingegen Bündnisse gegen gemeinsame äußere Feinde, etwa das der Provinzen der Niederländer „adversus Hispanos“ oder der Schweizer Orte „adversus Austriacos“. Auch „foedera, quae potentiae augmenta in commerciis quaerunt“ (th60), sind vorteilhaft. Dass solche Bündnisse nicht nur der Erleichterung des Handels dienen, sondern teils auch „bellicas societates“ darstellen, gerichtet gegen nationes, welche nach Handelsmonopolen streben, zeigt wiederum die grundsätzliche Bedeutung des Militärischen für die Macht der Staaten. Wie schon bei den Machtmitteln Geld und Militär steht auch bei der Bündnispolitik der Aspekt der augmentatio potentiae im Vordergrund. Damit leiten Boeckler und sein Schüler über zum letzten Teil, der Analyse des Türkischen Reiches, das als negatives Beispiel eines bezüglich seiner Quellen unharmonisch ausgebauten Machtstaates vorgestellt wird. Zwar stünden verschiedene innere Machtressourcen zur Verfügung, etwa hohe Staatseinkünfte. Sie seien jedoch nicht hoch genug, um der ungeheuren Größe des Landes zu entsprechen. Deshalb setze die „Turcicarum tyrannis“ mehr Hoffnung „in vi et rapinis“. Das Militär sei das einzige Hilfsmittel, auf welches „omnis ratio dominationis Ottomannicae“ ausgerichtet sei (th69). Für den Ausbau ihrer Militärmacht rekrutierten die Türken Reiter aus der Bevölkerung unterworfener Feinde. Ihr Reich sei derart auf Militär und Waffen aufgebaut, dass die ‚summa regiminis ratio‘ in eine ‚cupiditas invadendi‘ münde. Konsequenz sei, dass die Unterworfenen, besonders die Christen, ständig unterdrückt und ins Verderben gestürzt würden. Die Unangemessenheit des Machterwerbs zeige sich schließlich auch bei der Analyse der internationalen Lage des türkischen Imperiums. Die außenpolitischen Beziehungen der Türken zu den Franzosen, mit denen sie ein Bündnis haben, des Weiteren zu den Spaniern, Venezianern, Deutschen, Polen und Moskovitern entspreche nicht der oben beschriebenen ratio foederis; ihre Bündnispolitik werde den Türken daher auf Dauer schaden. Das Türkenreich habe zudem

499 Boeckler / Maclier: De potentia (Anm. 490), th58.

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zu befürchten, dass die unterworfenen Bulgaren, Serben, Bosnier und Griechen sich aus der servitus zu lösen trachteten und sich den Moskovitern anschließen würden. Die Verfasser resümieren abschließend, dass man die Macht eines Staates nur in der Zusammenschau aller Machtressourcen beurteilen könne. Die Dissertation kombiniert damit die theoretische Analyse der Grundlagen der potentia civitatum mit der Betrachtung eines konkreten Falles. Auch bezüglich der einzelnen partes potentiae wird immer wieder auf eine Vielzahl konkreter Beispiele Bezug genommen. Die Straßburger Machtstaatslehre fokussiert das Außenverhältnis der respublica. Hier liegt das Haupteinsatzgebiet der potentia, deren Analyse auf quantitativen Daten etwa zur Bevölkerungszahl, zum Staatsvermögen und zur Heeresgröße, aber auch auf qualitativen Faktoren wie der Angemessenheit der Militärmacht für den Staat oder der Qualität seines Bündnissystems basiert. Der Machtbegriff ist also grundsätzlich auf den Staat als Akteur im internationalen System bezogen. Die Konzentration politischer Macht im Inneren, die in der Souveränität, in der Vereinigung verschiedener Herrschaftsrechte zur maiestas kulminiert, ist davon unberührt. Die potentia civitatum ist das Instrument der Selbstbehauptung des Gemeinwesens in einem von ständigen Kriegen geprägten Konkurrenzkampf der Reiche und Völker (nationes). Boeckler behandelte auch einzelne Quellen der potentia, darunter neben dem Handel und der Seeherrschaft die Bündnispolitik. Wie so häufig interessierten ihn dabei spezifische Fragen mit ihren historischen Dimensionen. Ein interessantes Beispiel ist hier die Cliens betitelte Dissertation von 1659.500 Sie thematisiert Machtbeziehungen nicht nur zwischen Gemeinwesen, sondern im Unterschied zur potentia-Dissertation auch innerhalb von Gesellschaften, was dem Thema und, diesem entsprechend, einer historisch weiter ausgreifenden Konzeption geschuldet ist. Diese über 40 Textseiten mit 65 Thesen umfassende Dissertation stellte Johannes Grote vor, der einem in Diensten der Braunschweiger Herzöge stehenden Rittergeschlecht entstammte. Er hatte seit 1652 in Helmstedt studiert,501 war 1659 also schon in einem fortgeschrittenen Stadium seines Studiums und konnte wohl nicht zuletzt deshalb seine Dedikation als Autor et Respondens signieren.502 Der Gegenstand der Dissertation ist die Analyse von Beziehungen zwischen Klienten und Patronen, von „mos et ius clientelarum“ (th1) als einer universalgeschichtlichen Ins500 Johann Heinrich Boeckler (Pr.) / Johannes Grote (Resp. et Aut./W): Cliens (24. März). Straßburg 1659. 501 Johann Grote und sein Bruder Otto hatten sich als „nobiles Lunaeburgenses“ im Mai 1652 in die Helmstedter Matrikel eingeschrieben. Die Matrikel der Universität Helmstedt. Bd. 2: 1636‒1685. Bearb. von Werner Hillebrand. Hildesheim 1981, S. 88. Mitte Juni 1658 immatrikulierten sich beide dann als Studenten der Rechte in Straßburg. 502 Gewidmet ist die Dissertation Herzog Christian Ludwig von Braunschweig-Lüneburg (1622‒1665). Der Präses Boeckler, der 1659 Rektor der Universität war, spricht in seinem Glückwunschgedicht zu dieser Arbeit Grote als den „nobilissimus scriptor huius libelli et defensor“ an. Für den Inhalt dürfte er gleichwohl in erheblichem Maße mitverantwortlich gewesen sein. Weitere Publikationen von Johann Grote sind nicht nachweisbar.

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Abb. 7: Titelblatt zu Johann Heinrich Boeckler (Pr.) / Johannes Grote (Resp. & Aut./W): Cliens (März). Straßburg 1659. Exemplar der Bayerischen Staatsbibliothek München, Signatur 4 Diss. 971#Beibd.4.

titution, deren Wurzeln sich in historischen, politischen und literarischen Quellen bis in die Antike zurückverfolgen lassen. Die Argumentation basiert in starkem Maße auf Martin Mager von Schönbergs Traktat über das Recht der Patronage503 und auf Bodins De republica libri, die zahlreiche Anknüpfungspunkte hinsichtlich der historischen Genese und der systematischen Verortung des Themas liefern.504 Weitere wichtige zeitgenössische 503 Martin Mager von Schönberg: De advocatia armata sive clientelari patronum iure et potestate clientumque officio, vulgo Schutz und Schirms-Gerechtigkeit dicto, in et extra Romano-Germanicum Imperium […] tractatus iuridico-historico-politicus. Frankfurt 1625; über diesen Autor und seinen mehr als 800 Textseiten umfassenden Folianten findet sich leider wenig, selbst bei Johann Heinrich Zedler: Großes vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschaften und Künste. Bd. 35. Leipzig, Halle 1743, Sp. 749. 504 Einschlägig in Bodin: Sechs Bücher über den Staat (Anm. 461), sind das siebte Kapitel im ersten Buch über jene, die einem Schutzherrn unterstehen, und über den Unterschied zwischen Bundesgenossen, Fremden und Untertanen sowie das fünfte Kapitel im sechsten Buch über die Festigkeit

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Autoren sind Hugo Grotius, der „Nobilissimus“ Hermann Conring und Henning Arnisaeus. Unter den antiken Schriftstellern sind insbesondere Dionysios von Halikarnass und Aristoteles wichtige Stützen der Argumentation. Ein wichtiges Quellenwerk stellt die als „incomparabilis opus“ gelobte Inschriftensammlung Janus Gruters (Jan de Gruytere) dar.505 Dem gehobenen akademischen Anspruch dieser Dissertation gemäß wird im Übrigen recht genau und unter Angabe der Seitenzahlen zitiert. Am Beginn stehen Begriffsklärungen. Für „clientes“ gebe es unterschiedliche Bezeichnungen, doch könne man allgemein festhalten: „clientes dicebantur antiquis temporibus, qui se et sua tuenda ac defendenda potentioribus addicebant“ (th4). Auf alle möglichen Arten von Untertanen, Sklaven und Freie, Vasallen und Bürger, finde der Begriff Anwendung. Das können auch Personen sein, die rechtlichen Beistand in einem Gerichtsverfahren suchen und sich deshalb einen Patron wählen. Über die verschiedenen „genera Patrocinii“ wollen sich die Autoren aber nicht auslassen, da Mager von Schönberg sie schon ausführlich erörtert habe. Es geht ihnen vielmehr um die Ursprünge des ius clientelare und seine europaweite Ausbreitung (origo, th10‒17), sodann die Absichten (fines, th18‒28) sowie die Pflichten der Klienten und Patrone (th29‒48); am Ende steht ein Vergleich zwischen Klientel- und Feudalwesen (th59‒64). Immer wieder eingestreut sind Bemerkungen zum „abusus“ und Verfall etwa in Form gekaufter Patronate, welche „in aulis in usu esse solent.“506 Das Klientelrecht wurzelt im Streben der Menschen nach Sicherheit vor der Gewalt anderer. Der Patron oder Schutzherr habe von seinem Klienten als Gegenleistung ursprünglich nichts anderes erwartet „quam honorem et reverentiam“ (th11). Das Bestreben, Schutz und Verteidigung „a vi potentiorum“ zu erlangen, sei schon im antiken Griechenland zu beobachten gewesen. Der erste römische König, Romulus, habe das Klientelrecht in der Verfassung verankert und es damit aus dem Privatrecht in das öffentliche Recht übertragen. Mit der Ausbreitung des römischen Reiches sei es dann auch in Gallien, Germanien und England heimisch geworden. Nach der translatio imperii „a Romanis ad Germanos“ seien Schutzverhältnisse weiter ein wichtiges Instrument der Integration geblieben, denn nicht nur „urbes, sed et Ducatus ac integrae provinciae“ und Königreiche hätten sich unter die Schirmherrschaft des Reiches („sub Imperio nostrorum clientela“; th14) begeben. Boeckler und Grote nennen im Rekurs auf Conring die Beispie-

von Bündnissen und Verträgen zwischen Fürsten bzw. – gemäß der lateinischen Fassung der République, die grundsätzlich wesentlich differenzierter argumentiert als die französischsprachige Ausgabe – über die Aushandlung und Absicherung von Verträgen und Bündnissen zwischen Völkern. 505 Janus Gruterus: Inscriptiones antiquae totius orbis Romani, in corpus absolutissimum redactae. Heidelberg 1602f.; 2. Aufl. ebd. 1616. Auch der „Magnificus Dominus Praeses“ wird (th39, S. 24) mit seinen Annotationes in VI. comoedias Terentii, et chrestomathia (Straßburg 1657) zitiert. 506 Boeckler / Grote: Cliens (Anm. 500), th62. Vom mit der Zeit wachsenden Missbrauch ist die Rede in den Thesen 12, 33, 35 u. 59.

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le Burgund, Ungarn und das Herzogtum Savoyen.507 In jüngerer Zeit seien, wie Mager von Schönberg belegt, die Herzöge von Lothringen von Kaiser Ferdinand „in specialem […] tutelam“ aufgenommen worden; und das Schutzverhältnis des Reiches gegenüber Burgund habe Kaiser Karl V. auf dem Augsburger Reichstag von 1548 erneuert. Seit langer Zeit stünden des Weiteren die Stadt Erfurt sowie die Reichsstädte Mühlhausen und Nordhausen „in clientela“ des Kurfürsten von Sachsen. Diese Schutzverhältnisse zwischen Fürsten (darunter Königen) und dem Kaiser des römisch-deutschen Reiches, aber auch zwischen Fürsten und Städten unterstreichen die Aktualität des Themas, doch lassen sie sich ebenfalls schon in der römischen Antike beobachten.508 Damit stellt sich für die Verfasser die Frage, mit welchem Ziel das „jus clientelare in bene constitutis rebus publicis“ eingeführt und durch Gesetze fest verankert worden sei. Wesentlich seien Eintracht und Ruhe unter Bürgern und Ständen, indem mittels PatronKlient-Beziehungen in der hierarchisch gegliederten Gesellschaft vertikale Verbindungen entstehen, durch die letztlich auch das Gemeinwohl befördert werde (th18). Freilich hätten sich die Bemühungen, durch Normierung des ius clientelare die concordia zu wahren und zu festigen, selbst für kluge Gesetzgeber aufgrund der „dissentientes hominum opiniones“ als höchst schwierige Aufgabe erwiesen (th20). Das Rezept des Aristoteles, eine „ordinum harmonia“ zu erreichen, bestand darin, insbesondere die Mittelschicht als ausgleichendes Element zwischen den Reichen und Mächtigen einerseits und den Armen und von Unterdrückung Bedrohten andererseits zu fördern. Ein so generiertes inneres Gleichgewicht des Friedens festige das Gemeinwesen, das ansonsten in Parteiungen zu zerfallen und dem ein ‚Klassenkampf‘ der Armen gegen die Reichen drohe. Romulus verdiene hier Lob, da er das ius clientelare schon bei der Staatsgründung mit Erfolg als Instrument eingesetzt habe, um die „animae divitum et pauperum“ zu harmonisieren. Die wechselseitigen Bande zwischen Arm und Reich währten viele Jahrhunderte, bis die Gracchen diese ordinum harmonia zerstört hätten (th23). Neben dem Hauptziel concordia gebe es aber weitere, welche „minus proprios vocare possumus“. Die Patrone sind in der Realität nämlich oft keine selbstlosen Beschützer, sie erstreben vielmehr eigenen Ruhm und Größe und haben mehr das private denn das öffentliche Wohl im Auge. Neben gloria und magnificentia habe insbesondere die Hoffnung auf Reichtum die Patrone motiviert, immer mehr Schutzbefohlene in ihre Klientel aufzunehmen, anstatt sich für die vorhandenen wirksam einzusetzen. Gegenwärtig sei die Ge-

507 Ebd., th16, mit Verweis auf Hermann Conring: De finibus Imperii Germanici libri duo. Helmstedt 1654. 508 Boeckler / Grote: Cliens (Anm. 500), th29. Nachdem Romulus das ius clientelare eingeführt hatte, sei es in späterer Zeit üblich geworden, dass nicht nur in der Stadt Rom Plebejer „patrocinia“ erstrebten, „sed et multae civitates, coloniae, et denique etiam bello subactae, suos sibi […] e Romanis elegerint tutores atque patronos“.

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winnerwartung sogar zum beherrschenden Motiv geworden.509 Einen dritten und zugleich den gefährlichsten Typ von Patronen bilden die ehrgeizigen und aufrührerischen Köpfe, die mit wachsender Zahl ihrer Klienten so mächtig werden können, dass sie das Gemeinwesen in Turbulenzen bringen. Daher haben die Regierenden Vorkehrungen zu treffen, die verhindern, dass solche Patrone ein „tyrannicum in suos […] imperium“ ausüben. Diesen müsse man, da sie lieber gefürchtet als geliebt werden, die Möglichkeiten nehmen, anderen zu schaden (th28). Weil unter den Vornehmen ein Wettstreit um „socii atque clientes“ wie auch um Reichtum und Ansehen bestehe, der dann zunehmend mit Mord und Totschlag einhergehe, sind die Gefahren des Missbrauchs des ius clientelare evident. Diese Disputation kreist wie De potentia civitatum von 1655 um das Thema ‚Macht und Machtmissbrauch‘; insbesondere gelte es, die auf Klienten, Reichtum und Ansehen beruhende potentia der nobiliores und divites in Grenzen zu halten.510 Die Schutzmaßregeln, die im Kontext des Verfahrens der Klientelbildung und der Pflichten von Patron und Klient erörtert werden, finden die Autoren bei Bodin mustergültig vorgezeichnet, der zudem intensiv auf die Gefahren solcher Schutzallianzen hinwies.511 Prinzipiell gehen Boeckler und Grote davon aus, dass vom ursprünglichen Ideal des ius clientelare kaum mehr etwas übrig sei. Kein Patron begnüge sich mehr mit „honor et reverentia“ und damit, dass die Klienten ihre Pflichten erfüllten. Im Gegenteil: Aus Klienten machten sie Sklaven, sich selbst zu Herren oder auch Tyrannen. Die Gefahr der Unterdrückung sei groß, mit Hinterlist und Wortbrüchigkeit schlechter Patrone („malorum patronorum fraudes, atque perfidiam“) sei zu rechnen. Ein Klient, der nicht seine Freiheit verlieren wolle, sei grundsätzlich vor leichtfertigen Patronageersuchen zu warnen. Zudem sei zu bedenken, dass man sich mit einem Schutzvertrag auch die Feinde seines Protektors einhandle. Obgleich gerade Schwächere kaum ohne den Schutz der Starken sicher sein könnten, müssten gerade sie darauf achten, dass ihnen durch das Eingehen von Klientelverträgen nicht mehr Schaden als Nutzen entstehe. Vor dem Hintergrund der politischen Lage Straßburgs im Spannungsfeld der Großmächte wird in dieser Dissertation explizit aus der Perspektive der Schutzsuchenden argumentiert, während Bodin eher die Position der souveränen Patrone im Auge hat. Gleichwohl erachten Boeckler und Grote seine Ratschläge im Allgemeinen für zutreffend. 509 Das Motiv („spes lucri“), das in der Gegenwart das eigentliche Ziel beinahe aller Patronageverhältnisse sei („hodie praecipuus omnium fere clientelarum scopus esse“; th24), konstatieren die Verfasser mehrfach; Boeckler / Grote: Cliens (Anm. 500), th24 und 34. 510 Ebd., th26: Aus den Erfahrungen mit Machtmissbrauch sei die „communis politicorum regula“ geboren, dass man sorgfältig verhindere, „ne quis unus honoribus, aut opibus, genere, clientelisque supra alios nimis exsurgat“. 511 Die „Clientelares cautiones“ beschreibt Bodin in De republica 5.6. Freilich bleibt die Argumentation Bodins da nicht ohne Widerspruch, wo sie – etwa in Bezug auf die ehemaligen Reichsstädte Metz, Toul und Verdun und ihre Einverleibung in die Klientel des französischen Königs – eine allzu frankreichfreundliche Färbung an den Tag legt. Vgl. Boeckler / Grote: Cliens (Anm. 500), th33, die entgegen Bodin klarstellen, dass Heinrich II. diese Städte zu Untertanen herabgewürdigt habe.

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Konkret werden folgende Vorsichtsmassnahmen genannt: Erstens solle man, da es nun einmal allgemein üblich geworden ist, den Patronen für die eigene Sicherheit Geldzahlungen zu leisten, diese genau fixieren. Zweitens wird zu einer zeitlichen Befristung der patrocinia geraten, die deren Missbrauch verhindern soll. Dringend geboten ist es drittens, die Konditionen in Schutzbriefen, „patrocinii tabulae, […] hodie protectionis literas“, genau festzuhalten und dabei auch exakte Interpretationsregeln aufzustellen, wie sie Grotius erörterte.512 Hüten müsse man sich des Weiteren davor, zum falschen Zeitpunkt, etwa „instante periculo“, solche Schutzverträge einzugehen, da man Hilfe zur Gefahrenabwehr dann oft nur mehr um den Preis der eigenen Freiheit bekomme. Die wichtigste Regel zum Schutz vor dem Beschützer sei aber, dass der Klient dem Patron nicht erlaube, in den eigenen Städten und Festungen Besatzungstruppen zu stationieren. Die cupido regnandi beherrsche die Seelen derart, dass die Menschen, insbesondere die mächtigeren, lieber anderen ihren Willen aufzwingen wollten als mit ihnen „aequali jure“ zusammenzuleben (th38). Wien, Konstanz und Utrecht, aber auch die Provinzen bzw. „ordines inferioris Germaniae“ sowie die Reichsstädte Metz, Toul und Verdun hätten so ihre Freiheit und Eigenständigkeit verloren und seien dem österreichischen Erzherzog, dem spanischen Reich oder Frankreich untertan gemacht worden. Das von Boeckler und Grote erörterte Thema betrifft, wie spätestens hier deutlich erkennbar ist, nicht nur die innergesellschaftliche Ordnung von Gemeinwesen, etwa die des Reiches, sondern – offenbar zunehmend – auch die europäische oder ‚internationale‘ Politik, wenngleich diese beiden Politikbereiche von der frühneuzeitlichen Politikwissenschaft noch nicht unterschieden wurden. Als clientes treten jedenfalls nicht nur Einzelpersonen auf, sondern ganze Städte und (quasi-) souveräne Landesherrschaften. Bodin hatte die Erörterung der Schutz- oder Protektionsverträge daher – wenngleich zunächst nicht ganz konsequent – im Rahmen des Themas ‚Bündnisse‘ zwischen Fürsten bzw. Völkern verortet.513 Auch der Tübinger Jurist Chris512 Boeckler / Grote: Cliens (Anm. 500), th36, unter Verweis auf die „optimae interpretationis regulae“ des Grotius (IBP 2.16: „Über die Auslegung“). 513 In der französischen Erstausgabe hatte Bodin zu Beginn des siebten Kapitels im ersten Buch Schirmherrschaft nur auf Untertanen bezogen, nämlich auf die, welche sich einem Souverän unterstellen. Inkonsequent erörtert er hier dann aber auch die Schirmherrschaft unter souveränen Fürsten. Er definiert: „Eine Schirmherrschaft ist doch nichts anderes als ein Zusammenschluß oder ein Bündnis zweier Fürsten oder souveräner Herrschaften, durch den der eine Teil den anderen als den Höheren anerkennt und in dessen Schutz und Schirm aufgenommen wird.“ Eine solche Schirmherrschaft habe „keineswegs Unterwerfung, sondern lediglich die Einräumung eines höheren Ranges und gewisser Ehrenvorrechte zur Folge“; Bodin: Sechs Bücher über den Staat (Anm. 461), Bd. 1, S. 190f. Im Kontext dieses Kapitels unpassend ist des Weiteren die Vorstellung verschiedener Typen von Bündnissen. Für die spätere lateinische Fassung hat Bodin dies korrigiert, diese Passagen in das sechste Kapitel des fünften Buches übertragen und dort auch noch differenzierter dargestellt (vgl. dazu auch oben, Anm. 504). Dort unterscheidet er drei Typen von Verträgen in Abhängigkeit von der Qualität der Paktierenden. Diese seien entweder Freunde oder Feinde oder aber weder das eine noch das andere, sondern neutrale Partner. Verträge über Schirmherrschaft (patrocinium) sind für ihn ein Spezialfall des dritten Typs. Diesen charakterisiert ein ungleicher Rang der Vertragspartner:

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toph Besold analysierte knapp vier Jahrzehnte vorher Patronage bzw. Protektion und Klientel im Kontext des Vertragsrechts.514 Die Erörterung der Pflichten der Klienten und Patrone führt dann zum Vergleich mit dem in vielerlei Hinsicht ähnlichen Feudalwesen. Zwar seien die „jura patronorum atque clientum mere […] personalia“, während das Feudalrecht auf Lehngüter und Sachen bezogen ist; auch sei das eine System – zumindest in der Theorie – in Friedenszeiten gültig, die Verbindung von „dominus feudi et Vasallus“ dagegen auf den Krieg ausgerichtet. In der Praxis aber werden Vasallen wie Klienten zu Militärdiensten für Patrone oder Feudalherrn herangezogen. Das sei schon bei den Römern so gewesen.515 Ein gewichtiger Unterschied scheint aber darin zu bestehen, dass der „nexus feudalis“ für die Reichsverfassung von grundlegender Bedeutung ist (th63) und, so wird indirekt angedeutet, nicht unter Missbrauch leidet, während das Klientelrecht bei vielen Völkern „in abusum“ geraten sei. Während man in den Anfängen ohne konkrete Vereinbarungen ausgekommen sei, basiere Protektion heute nur mehr auf vertraglichen Regelungen. Der wachsende Missbrauch habe rechtliche Vorkehrungen notwendig gemacht, die verhindern sollen, dass weder die Klienten vom Patron unterdrückt noch die Patrone von den Klienten perfide hintergangen werden. Ein aktuelles Beispiel ist der Trierer Erzbischof und Kurfürst, der sich 1632 „in Regis Galliae patrocinium certis conditionibus concessit“ (th60). Philipp Christoph von Sötern (1567‒1652) wollte unter dem Schutz Frankreichs neutral und vor den anrückenden Schweden sicher bleiben, scherte mit seiner Politik aber aus der kaiserlichen Klientel aus.516 Er musste den Franzosen wichtige Festungen überlassen, wurde dafür aber von diesen eine Zeit lang verteidigt, bis sein Domkapitel sich gegen ihn mit den Spaniern verbündete, was 1635 zu seiner Gefangennahme und Deportation führte. Nachdem Frankreich vergeblich die Freilassung seines Schutzbefohlenen verlangt hatte, nutzte es die Weigerung als Vorwand, um in den Krieg einzutreten. Sowohl der französische König wie auch der Trierer Kurfürst von Sötern hätten, so die Bewertung der Vorgänge durch Boeckler und Grote, das Klientelprinzip missbraucht, indem sie Faktionen geschaffen hätten; Der eine erkennt die Souveränität des anderen an, gesteht ihm einen höheren Rang zu, erklärt sich bereit, Gefolgschaft und in der Regel Tribut- oder Pensionszahlungen zu leisten. Da es sich um ein freiwillig eingegangenes Vertragsverhältnis handle, erfolge aber beiderseits „in keinerlei Hinsicht irgendeine Beeinträchtigung ihrer Souveränität“. Bodin: Sechs Bücher über den Staat (Anm. 461), Bd. 2, S. 566f. 514 Christoph Besold: Dissertatio politico-iuridica de foederum jure, ubi insimul de patrocinio et clientela ac item de neutralitate disputatur. Straßburg 1622. Einschlägig ist hier das fünfte Kapitel: „De conditionibus, sub quibus Foedera contrahuntur: ubi pluribus de Foedere clientelari tractatur“, S. 49‒72. 515 Boeckler / Grote: Cliens (Anm. 500), th50: Nach Dionysios von Halikarnass hätten schon bei den Römern die „potentiores bellum parantes, suos convocarent clientes atque amicos“. 516 Vgl. Christoph Kampmann: Europa und das Reich im Dreißigjährigen Krieg. Geschichte eines europäischen Konflikts. Stuttgart (2. Aufl.) 2013, S. 83f.

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insbesondere von Sötern habe sowohl hinsichtlich der inneren Verhältnisse seines Kurfürstentums wie auch des Reiches die politische Eintracht zerstört und sich letztlich selbst gefährdet. Die Wiederbelebung der ursprünglichen Idee dieses „summae amicitiae atque concordiae vinculum“ wäre wohl erstrebenswert, doch scheine die moralische Basis dafür nicht mehr gegeben. Die Hoffnung, dass man wie einst die Römer unter Vespasian nach dem ruinösen Wettbewerb der Aristokraten um Ansehen und eine große Klientel, der zu Mord und Totschlag geführt hatte, zu einer bescheideneren Lebensweise zurückfinden werde,517 hegen Boeckler und Grote am Ende ihrer Ausführungen jedenfalls nicht. Rezepte zur Erneuerung dieser Institution geben die Verfasser wohl auch deshalb nicht, weil sich die Rahmenbedingungen im Vergleich zur römischen Antike, wo das Klientelrecht im Kontext der Reichsbildung seinen genuinen Wirkungsraum gefunden hatte, grundlegend geändert haben.518 Im sich entfaltenden Polyzentrismus Europas mit seiner Konkurrenz der Mächte bildeten Schutzverträge für Patrone wie den König von Frankreich ein Mittel der Machterweiterung. Im Reich war durch die Glaubensspaltung kaum mehr eine wirkliche concordia der Stände zu erzielen, lag es doch schon seit dem 16. Jahrhundert nahe, sich als Klient ‚ausländische‘ Protektion dann einzukaufen, wenn, wie im Fall des Trierer Erzbischofs, die Schutzfunktion von Kaiser und Reich wirkungslos erschien. In einer genuin politikwissenschaftlichen Abhandlung wären auch Reflexionen darüber zu erwarten gewesen, ob nicht die unterschiedlichen Interessen von fürstlichen Patronen einerseits und ständischen oder städtischen Klienten andererseits für solche Schutzbündnisse zu starke interne Spannungen ausgelöst hätten. Im Rahmen der historisch-politischen Analyse zum Klientelrecht werden solche Überlegungen zwar nicht entwickelt. Man darf aber sehr wohl annehmen, dass in der Straßburger Schule um Boeckler darüber gleichwohl diskutiert wurde.

517 Die entsprechende Passage aus Tacitus (Annalen 3.55) wird referiert bei Boeckler / Grote: Cliens (Anm. 500), th28. 518 In diesem Punkt weicht meine Interpretation von derjenigen Wolfgang Webers ab, der das ius clientelare vor allem als Medium innerstaatlicher Machtbildung interpretiert. Boeckler habe die „klientelare Erfassung des gesamten Landes“ mit dem Souverän als Patron aller Untertanen vorgeschwebt. Da jedoch auch Fürsten dieses Medium tyrannisch missbrauchen konnten, habe Boeckler, so Weber, auf die „Befürwortung des Ausbaus der fürstlichen Klientel“ und eine „Diskussion entsprechender Rezepte“ verzichtet. Weber: Prudentia gubernatoria (Anm. 21), S. 243f., und ders.: Bemerkungen zur Bedeutung der Freundschaft in der deutschen politischen Theorie des 16. bis 18.  Jahrhunderts. In: Il concetto di amicizia nella storia della cultura europea (Der Begriff der Freundschaft in der Geschichte der europäischen Kultur). Hg. von Luigi Cotteri. Meran 1995, S. 756‒766, hier S. 760f. (hier leider ohne Angabe der Belegstellen im Cliens).

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4.8. Krieg und Frieden Politikdissertationen über den Krieg sind an den deutschen Universitäten des 17. Jahrhunderts in großer Zahl entstanden.519 Für die Straßburger Schule war charakteristisch, dass in ihren Abhandlungen zum Thema ‚Krieg‘ historische Fragestellungen dominierten. In einer Serie von sechs Dissertationen ließ Boeckler 1643/44 verschiedene Kriege der römischen Antike auf der Basis des Werks des Lucius Annaeus Florus analysieren.520 Sieht man von den Quästionensammlungen ab, in denen regelmäßig Fragen zu Militärwesen, Krieg, Kriegsstrategie und Kriegsrecht erörtert wurden, so war das Thema ‚Krieg‘ in Straßburg vergleichsweise selten Hauptgegenstand von Dissertationen. Zu erwähnen sind zwei Arbeiten De bello, die Bernegger 1617 zum Werk des Lipsius verteidigen ließ, eine unter der Leitung des Juristen Cluten entstandene Dissertatio de iure belli in genere und die unter Schaller präsentierte Arbeit zu Kriegsstrategien.521 In dieses Umfeld gehören auch die Consilia bellica, die Albrecht Baldinger 1624 unter Berneggers Leitung vorstellte.522 Besondere Beachtung verdienen zwei historisch-politische Dissertationen De bello civili, da beide den (noch nicht) Dreißigjährigen Krieg als Bürgerkrieg deuten. Als Verfasser der ersten vom 519 Antje Oschmann: Der metus iustus in der deutschen Kriegsrechtslehre des 17. Jahrhunderts. In: Angst und Politik in der europäischen Geschichte. Hg. von Franz Bosbach. Dettelbach 2000, S. 111‒131, hier S. 107, zählte für das 17. Jahrhundert rund 250 Dissertationen zur Kriegsrechtslehre. 520 Es handelt sich um die historisch-politischen Dissertationen De bello civili Caesaris et Pompeii (1643), De bello Mutinensi (1643), De bello Perusino (1643), De bello Cassii et Bruti (1643), De bello cum Sex. Pompeio (1644), De bello Parthico (1644) und De bellis Caesaris cum Antonio et Cleopatra (1644). Einige der Respondenten, etwa Paul Reichard, Michael Riebel und Johann Jakob Gambs, traten in diesen Jahren auch als Autor-Respondenten mit Dissertationen zu antiken Staatsmännern in Erscheinung, vgl. oben mit Anm. 245. 521 Matthias Bernegger (Pr.) / Gabriel Haas (Resp.): Justi Lipsii politicorum libri sexti capita priora quatuor in quibus agitur de civili bello, eiusque causis tam propinquis, quam remotis, origine itidem, progressu ac remediis (Mai). Straßburg 1617. Matthias Bernegger (Pr.) / Karl Julius Ingold (Resp.): Justi Lipsii politicorum libri quinti decem a sexto capita […] de duobus ad gerendum bellum requisitis (Juli). Straßburg 1617. Joachim Cluten (Pr.) / Friedrich Tüncel (Resp. et Aut./W): Dissertatio de iure belli in genere (Mai). Straßburg 1626. Jakob Schaller (Pr.) / Friedrich Lerse (Resp.): Exercitatio de rebus strategematicis (Februar). Straßburg 1657. 522 Matthias Bernegger (Pr.) / Albrecht Baldinger (Resp. et Aut./W): Disputatio historico-politica, continens bellica regum Romanorum consilia (Oktober). Straßburg 1624. Der bereits zwei Jahre später verstorbene Ulmer Autor-Respondent legte eine akademisch anspruchsvolle Arbeit vor, die auf 40 Textseiten 20 kriegerische Begebenheiten aus der frühen römischen Geschichte abhandelt. Neben antiken Klassikern lässt er Arnold Clapmar, Scipione Ammirato und Machiavelli mit seinem Fürsten und der Kriegskunst ebenso zu Wort kommen wie Jean Bodin, Justus Lipsius und Heinrich Bocer (De bello et duello). Zitiert wird außerdem aus der deutschen Übersetzung der Kriegskunst des Mario Savorgnano (übersetzt von Johann Wilhelm Neumair von Ramsla. Frankfurt 1618), aus den Kriegs-Vortheilen des Francesco Maria della Rovere (1620, übersetzt wiederum von Ramsla) und aus dem Kriegs Discurs (Frankfurt/Main 1593, 1594, 1605 und später) des Lazarus von Schwendi.

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Abb. 8: Titelblatt zu Matthias Bernegger (Pr) / Friedrich Kilburger von Biedburg (Resp. & Aut./W): Discursus historico-politicus de bello civili (April). Straßburg 1625. Exemplar der Staats- und Stadtbibliothek Augsburg, Signatur 4 Gs 523–32.

April 1625 trat der Lothringer Beamtensohn Friedrich Kilburger von Biedburg auf,523 für die zweite vom März 1633 war der Österreicher Hieronymus Haidt (Haidius) verantwortlich, der gleichfalls, wie seine Widmung andeutet, dem Beamtenmilieu entstammte.524 523 Matthias Bernegger (Pr.) / Friedrich Kilburger von Biedburg (Resp. et Aut./W): Discursus historicopoliticus de bello civili (April). Straßburg 1625. Die 32 Textseiten umfassende Arbeit ist Brüdern und Verwandten Kilburgers, die als promovierte Juristen verschiedene Rats- und Magistratsstellen in Dachstul (Kleinstadt in Lothringen) und Finstingen (Lothringen, nördlich von Saarburg gelegen) innehatten, des Weiteren Bernhard Wöfflin, Prätor in Saarbrücken, und Matthias Kilburger, Präfekt in „Stauff“, gewidmet. Kilburger publizierte keine weiteren Dissertationen oder sonstige Schriften. 524 Matthias Bernegger (Pr.) / Hieronymus Haidius (Resp. et Aut./T): Dissertatio historico-politica de bello civili (März). Straßburg 1633. Hieronymus Haidt aus Wien hatte sich im Mai 1631 in die Matricula studiosorum iuris der Straßburger Universität eingeschrieben. Seine Widmungsadressaten sind: (1.) Ferdinand Friedrich Genger, Freiherr von Gruenpihel und Oberhöflein und „cultor“ des

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Beide treten unter Berneggers Präsidium als Autor-Respondenten auf, definieren ihre zentralen Begriffe identisch, greifen im Wesentlichen auf dieselbe Literatur zurück und gehen ihr Thema auch ähnlich an: Beide Autoren machen einerseits factiones, andererseits seditiones als die Triebkräfte von Bürgerkriegen aus.525 Der Jurastudent Haidt profitiert zusätzlich von zwei neueren Straßburger Dissertationen, nämlich der Dissertatio politica de universali monarchia (1625) von Markus von Rechlingen – auf sie wird noch eingegangen – und der historisch-politischen Dissertation seines Kommilitonen Michael Johann Moslehner De odio subditorum adversus principem, die im Jahr zuvor einen wesentlichen Teilaspekt des Themas erörterte.526 Bei Kilburger prägen neben dem üblichen Set antiker Klassiker einige zeitgenössische Autoritäten der Politiktheorie (so Bodin, Lipsius, Schönborner, Althusius) die Argumentation, darunter auffallend häufig Machiavelli mit seinen Discorsi. Der Lothringer beginnt mit einer Definition des bellum civile,527 gefolgt von Klärungen zum Wortfeld dieses Begriffs, einer Unterscheidung des legitimen vom illegitimen Bürgerkrieg (th5) und einigen Bemerkungen zu den rechtlichen Rahmenbedingungen, wie sie im Reich etwa durch die „constitutio de pace publica“ gegeben waren (th7‒9). Der Hauptteil befasst sich mit „factiones“ (th13‒19) und Aufständen (th20‒42) als den Hauptursachen des Bürgerkriegs. Hier untersucht Kilburger jeweils Gründe und Anlässe, dann Schemnitzer Bergbaus, (2.) Michael Wenger, kaiserlicher Kammerherr in Schemnitz, (3.) Georg Ulrich Reutter, Senator der königlich-freien Stadt „Schemnicia“, (4.) der Pastor Valentin Rülich ebenda und (5.) der Syndikus der Stadt Schemnitz, Gabriel Haas. Haas hatte 1617 bei Bernegger studiert und die Lipsius-Dissertation De civili bello (Anm. 521) verteidigt. Auf den letzten Seiten der Dissertation finden sich zahlreiche carmina gratulatoria, u. a. von Johannes Freinsheim, dem Theologiestudenten Joachim Becher und von Michael Johann Moslehner, dessen Verse in ungarischer Sprache formuliert sind! Haidts Arbeit ist mit 31 Textseiten ähnlich umfangreich wie die Kilburgers. Auch er stellt die Kriegshandlungen, über die er berichtet, in den Kontext des Themas ‚Bürgerkrieg‘. 525 Nur in der Reihenfolge der Abhandlung der beiden Hauptaspekte unterscheiden sich Kilburger und Haidt. Letzterer beginnt mit den Aufständen, die maßgeblich durch tyrannische Magistrate ausgelöst würden (th16‒68); den factiones widmet der Österreicher die Thesen 69‒74. Kilburger beginnt hingegen mit Letzteren; vgl. das Folgende. Für beide ist Lipsius mit dem sechsten Buch seiner Politicorum libri eine Hauptautorität, wenngleich der Niederländer die tyrannis neben factio und seditio als unmittelbare Hauptursache des Bürgerkriegs und nicht nachgeordnet als „causa seditionum […] ex parte Magistratuum“ (so Bernegger / Kilburger: De bello civili, Anm. 523, th21) beurteilte. Vgl. zu Lipsius Michael Behnen: Der gerechte und der notwendige Krieg. ‚Necessitas‘ und ‚Utilitas reipublicae‘ in der Kriegstheorie des 16. und 17. Jahrhunderts. In: Johannes Kunisch (Hg.), Staatsverfassung und Heeresverfassung in der europäischen Geschichte der frühen Neuzeit. Berlin 1986, S. 43‒127, hier S. 79‒81. 526 Matthias Bernegger (Pr.) / Michael Johann Moslehner (Resp. et Aut./T): Dissertatio historico-politica de odio subditorum adversus principem (September). Straßburg 1632. 527 Bürgerkriege werden definiert als „arma subditorum in principem, aut inter se, vel ipsius principis, adversus subditos rebelles, mota“; Bernegger / Kilburger: De bello civili (Anm. 523), th1.

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die Akteure und ihre Motive. Dem schließen sich kurze Bemerkungen zum „modus belli civilis gerendi“ und zu den verschiedenen Zielen (th43‒46) an. Zwei abschließende Abschnitte erläutern die schädlichen Wirkungen (th48‒53) und die „remedia et contraria belli civilis“ (th57‒71). Grundlegend für die Argumentation ist das Menschenbild des Tacitismus, das hauptsächlich charakterisiert wird durch „nocendi cupiditas, ulciscendi crudelitas, impacatus atque implacabilis animus, feritas rebellandi, libido dominandi“ (th6). Das Zusammenleben der Menschen prägen also nicht Geselligkeit und Freundschaft, sondern wechselseitige Furcht, Hass und Feindschaft, die vom Ehrgeiz, von Grausamkeit, rebellischer Wildheit und Herrschsucht der Menschen herrühren. Bei den factiones werden zwei Typen unterschieden, die Rivalitäten (aemulatio) der Fürsten und Wohlhabenden einerseits und die Verschwörungen vieler andererseits. Für beide Typen sind tiefe gesellschaftliche Gegensätze grundlegend, welche auf Hass zurückgeführt werden. Dieser entsteht zum einen und ganz wesentlich aus der ambitio, dem Streben nach Ehre, Herrschaft, Macht und Kriegsruhm. „In maximis animis, splendidissimisque ingeniis, plerunque existunt honoris, imperii, potentiae, gloriae cupiditates“ (th14). Weitere Triebkräfte sind Neid, Missgunst sowie Beleidigungen. Konkrete Anlässe für gewaltsame Auseinandersetzungen bieten Schändung und Raub (insbesondere, wie aus den historischen Erläuterungen hervorgeht, Frauenraub), Abweisung als Amtsbewerber, Unterschlagung öffentlicher Gelder, Verstoßung oder Verbannung, dann auch falsche Anschuldigungen, Arglist und die böswillige Auslegung von Aussagen („virulentae interpretationes“; th18). Bürgerkriege, die aus solchen Motiven heraus, also „propter privatas simultates“, geführt werden, können grundsätzlich nicht rechtens sein. Zwei Ausnahmefälle sind allerdings zu konstatieren, nämlich Kriege zur Verteidigung von Nachbarn und Bundesgenossen sowie solche zur Bestrafung von Unrecht wider Gott, die Natur, den Staat und den Menschen (th19). Solche „justa bella“ sind bereits in der sechsten These beschrieben und mit Beispielen – genannt wird der Krieg gegen Catilina – illustriert. Sie setzen allerdings voraus, dass den Kriegsparteien der Gang vor Gericht verwehrt und damit der Rechtsweg ausgeschlossen war (th7).528 Für die seditio, umschrieben als „subitus et violentus multitudinis adversus principem aut magistratum motus“ (th20),529 können sowohl die Untertanen wie auch die Magistrate verantwortlich sein. Bezüglich des Magistrats sind eine tyrannische Fürstenherrschaft oder – in nichtmonarchisch verfassten Gemeinwesen – die übermäßige Unterdrückung der Bürger die grundlegenden Ursachen. In einer längeren Passage zur Tyrannis wird diese zunächst definiert und nach verschiedenen Typen (Usurpator und entartete 528 Der Österreicher Haidt lässt diese Differenzierung beiseite. Für ihn ist Bürgerkrieg grundsätzlich nicht legitimierbar, das Theoriemodell des bellum iustum für einen Krieg, den „inter se gerunt cives, et eiusdem loci incolae“, nicht anwendbar. Schon gar nicht sei er als heiliger Krieg zu rechtfertigen. Bernegger / Haidt: De bello civili (Anm. 524), th9. 529 Diese Definition findet sich auch bei Bernegger / Haidt: De bello civili (Anm. 524), th16. Sie ist, wie der Österreicher angibt, der Politik (6.4) des Justus Lipsius entnommen.

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Fürstenherrschaft) unterschieden, dann unter Einbeziehung verschiedener quaestiones ausführlich das Recht auf Widerstand diskutiert (th23‒32). In diesen weitgehend mit Bibelstellen argumentierenden Abschnitten werden die geläufigen Topoi bezüglich der Formen des Widerstandes und der dazu berechtigten Personen und Gruppen angeführt.530 Den Untertanen wird demnach selbst dann nicht ein Recht zum bewaffneten Aufstand gegen den Tyrannen konzediert, wenn der Fürst sie zur Annahme einer „impia religio“ zwingt und die Vornehmen und Optimaten dies untätig hinnehmen. Sollte selbst Flucht nicht möglich sein, so ist leidender Gehorsam geboten (th32). Die „Religionis violatio“ ist in polyarchisch verfassten Gemeinwesen die primäre Ursache für Aufstände, gefolgt von der „nimia oppressio et intolerabilis subditorum compilatio“ (steuerliche Ausbeutung); an dritter Stelle rangieren die unverhältnismäßig häufige Einbürgerung von Ausländern, an vierter gesetzliche Neuerungen bzw. die Abschaffung alter Traditionen und Gewohnheiten (th33‒ 36).531 Die „novi calendarii introductio“ habe beispielsweise 1584 in Augsburg zu einem gefährlichen Aufstand geführt. Kilburger interessiert in diesem Kontext insbesondere die Frage, ob unangemessen hohe Abgaben einen gerechten Grund für einen Aufstand bieten (th35f.). Habsucht seitens der Obrigkeit errege den Zorn der Steuerpflichtigen, die dann entweder ihren König absetzen, ihn zumindest bekämpfen oder auch, wie im Fall der Niederländer, einen Sezessionskrieg beginnen. Man müsse sich darüber insbesondere dann nicht wundern, wenn man zum Hüten der Herde statt Hunden und Hirten Wölfe eingesetzt habe. Doch auch in dieser Frage („Sed iniqua tributorum exactio, estne justa causa ob quam seditionem moveant subditi?“) gelte, dass die Untertanen mit dem Argument überhöhter Steuerlasten kein Recht auf einen Aufstand begründen können. Selbst wenn die Habsucht der Fürsten und Regierenden offensichtlich sei, sich die Vornehmen und die Magistrate den „injustis principum exactionibus, tributis et vectigalibus“ aber nicht widersetzten, hätten die Untertanen Ruhe zu bewahren und Gehorsam zu leisten (th36). Auf Seiten der Untertanen würden übermäßiger Reichtum und Erfolgsverwöhntheit den Boden für einen Aufstand bereiten, denn aus „nimia opulentia“ erwachsen Luxus und Verschwendungssucht, welche den Reichtum dahinschmelzen lassen; dies führe in die Mit530 Haidt diskutiert diese Problematik acht Jahre später auf der Basis von Theodor von Reinkingks Tractatus de regimine seculari et ecclesiastico (Gießen 1619; Basel 1622 und später) sowie des Werks von Hugo Grotius, das zwischenzeitlich Eingang in die Lehre der Straßburger Schule gefunden hatte. Bernegger / Haidt: De bello civili (Anm. 524), th23‒26 u. th31‒36. Er kommt in Bezug auf die subditi zum vergleichbaren Ergebnis: „tolerandos potius esse Tyrannos, quam necandos“; ebd., th36. Immerhin gesteht aber auch er vor dem Hintergrund der kaiserlichen Machtpolitik und der Diskussion um das ständische Widerstandsrecht in den habsburgischen Ländern den Vornehmen (proceres, optimates, ephores) als ultima ratio die Vertreibung oder gar Tötung des Tyrannen zu, etwa wenn dieser die „leges Reipublicae fundamentales“ und die „substantialia consociationis iura“ mit Füßen trete. Ebd., th31f. 531 Im Kontext der Vorstellung dieser seditionis causae (th36) wird Machiavelli erstmals zitiert, der (Discorsi 1.37) darauf hingewiesen hatte, dass neue Gesetze, die altem Herkommen widersprechen, ernsthafte Unruhen heraufbeschwören.

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tellosigkeit, aus der wiederum Verbrechen wie Raub und Diebstahl resultierten. Die Angst vor Strafe für diese Vergehen lasse viele zum Aufstand schreiten. Die bei Obrigkeit wie Untertanen gleichermaßen wirksame Triebfeder für Unterdrückung bzw. Aufstand ist die unersättliche ambitio. Sie lasse die Menschen nie mit dem Erreichten zufrieden sein, sondern nach immer mehr verlangen. Ehrgeiz und Habsucht erzeugten Argwohn unter den Menschen und verleiten sie zu Feindschaften und Krieg. Die zu großer Macht Gelangten treibe die ambitio in den Wahnsinn, und es offenbare deren Geistesverwirrung, wenn sie das Machtstreben an sich schon als ein Gut erachten. Daraus entstehe Verwirrung im Staat, und dieser gehe schließlich im Gefolge der so ausgelösten Aufstände unter.532 Das Ziel von Bürgerkriegen sei ‒ mit Blick auf die eingangs genannte Unterscheidung von bellum licitum und illicitum ‒ zunächst die Wiedergutmachung von Unrecht. Doch sei, wie aus der bisherigen Argumentation schon hervorgeht, der erlaubte Bürgerkrieg die rare Ausnahme. Das Ziel „in bello civili illicito“ ist dagegen die Befriedigung der „dominationis appetitio.“ Sie wird, flankiert von „ambitio et avaritia“, regelmäßig bemäntelt und versteckt hinter angeblichen Zielen wie der Verteidigung der Freiheit, der Wahrung des Gemeinwohls und der „injuriae vindicatio“ (th44‒46). Vermehrt in neuerer Zeit, in der für Kriege wie für Kriegsgründe das Etikett ‚heilig‘ reklamiert und der Feind als Ketzer gebrandmarkt werde, sei auch die Religion – so gleichsam die communis opinio der Straßburger Schule unter Berneggers Führung – nur ein Mantel zur Verhüllung verschiedener Verbrechen.533 Dass gewaltsame gesellschaftliche Konflikte bis hin zum Bürgerkrieg grundsätzlich negative Auswirkungen haben, bedarf daher keiner ausführlichen Erläuterung mehr.534 Aber gibt es auch Umstände, unter denen sie nützliche Nebenwirkungen zeitigen? Der Lothringer Beamtensohn differenziert dazu nach Ausmaß des Dissenses und nach den Trägergruppen. Ein „Dissensus levis inter optimates et Magistratus“ sei dem Gemeinwohl manchmal förderlicher – so die hier an Machiavelli erinnernde Argumentation Kilburgers – als Eintracht, weil wechselseitiger Respekt die Zivilgesellschaft stärken könne.535 Das gilt auch für maßvolle Streitigkeiten unter Frauen, wenn daraus ein Wetteifer um Keuschheit und Sauberkeit resultiere (th53), nicht aber für einen Konflikt zwischen Adel 532 Bernegger / Kilburger: De bello civili (Anm. 523), th40. Mit der ambitio korrespondiere die „nimia indulgentia“ der Obrigkeit, eine übertriebene Nachsicht gegenüber machtgierigen Menschen und allgemein gegenüber Straftaten (th41). Last not least sind auch die mit Kriegen einhergehenden Hungersnöte („annonae gravitas“) und Naturkatastrophen auslösende Faktoren für Aufstände (th42). 533 Ebd., th46: „Suum quisque bellum sacrum praedicat, hostesque suos impios dictitat, suam quisque causam sanctam nominat. In ore omnium sanctum piumque versatur, consilio, conatu, animo secus afficitur.“ 534 Ebd., th47: „Effectus belli civilis nunquam felix ac prosper esse potest.“ 535 Ebd., th50. Die positiven Wirkungen der Parteigegensätze zwischen Plebs und Optimaten auf die Verfassungsentwicklung Roms, die Machiavelli ausführlich beschrieben hatte, werden in der Straßburger Dissertation nicht weiter in den Blick genommen, obgleich das entsprechende Kapitel aus den Discorsi (1.4) an anderer Stelle (th66) zitiert wird.

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und Volk. Die principes hätten sich insbesondere vor dem Hass des Volkes zu hüten und deshalb auf ihre Beliebtheit zu achten bzw. auf sie hinzuarbeiten. Es gebe keine festere Grundlage für ihre Herrschaft als „benevolos subditorum animos“ (th52). Wechselseitige Furcht ist der Nährboden für Tyrannis, denn unvermeidlich fürchtet derjenige die vielen, den diese wiederum fürchten. In diesem Kontext wirft Kilburger die Frage nach der Rolle des vir bonus (th54‒56) auf, die sich insbesondere im Fall des bellum illicitum stelle. Soll sich dieser neutral verhalten oder Partei ergreifen? Hier kommen dem Verfasser die Überlegungen Machiavellis sehr entgegen, der (Discorsi 1.54) die herausragende Bedeutung angesehener Männer für die Schlichtung innerer Konflikte betonte, da diese in der Lage seien, eine empörte Menge im Zaum zu halten (th55). Der abschließende Teil der Dissertation befasst sich mit den remedia, welche zur Verhinderung von Bürgerkriegen, während und nach solchen einzusetzen sind. Zu den vorbeugenden Maßnahmen gehört es, die Untertanen durch Milde und Humanität zum Gehorsam zu erziehen, sie nicht durch Furcht und Grausamkeit abzuschrecken, sondern sie durch Wohltätigkeit an die Herrschenden zu binden. Potenzielle Aufrührer sollten präventiv mit Ehrenämtern und diplomatischen Missionen ins Ausland geschickt werden; das Heer sollte entlassen oder aus dem eigenen Herrschaftsbereich entfernt, die Untertanen grundsätzlich entwaffnet sowie geheime Verschwörungen durch spezielle Beamte ‒ gemeint sind, ohne dass das erläutert wird, Geheimdienste ‒ verhindert werden (th59‒65). Im Bürgerkrieg ist es, wie eben bemerkt, die Aufgabe angesehener und ausgezeichneter Männer, das Volk von einer weiteren Eskalation der Gewalt abzubringen. Da man, wie Plutarch es bildhaft formulierte, den Wolf nicht an den Ohren ziehen könne, das Volk und das Gemeinwesen hingegen ganz besonders ‚über die Ohren lenken‘ müsse, sei auf die Kraft der überzeugenden Rede zu setzen. Überhaupt sei die „plebs seditiosa“ durch verschiedene Kunstgriffe und Listen zu steuern. Man könne das aufrührerische Volk über die Religion beeinflussen, ihm verlockende Vertragsangebote machen oder Prämien in Aussicht stellen (th66‒70). Zusätzlich rät Haidt mit Nachdruck zum Erlass von Zensurgesetzen und zur Einrichtung entsprechender Behörden, Maßnahmen, die er vorbildhaft in Reichsstädten wie Straßburg, Augsburg, Nürnberg und Frankfurt realisiert sieht. Klarer als der Lothringer sieht er nämlich die Gefahren, die von den „turbulenti cives“ ausgehen, die privat gescheitert und verschuldet seien und sich von gesellschaftlicher Zwietracht und politischer Destabilisierung Vorteile erhofften. Als Profiteure sozialer Umwälzungen bilden sie das breite Unterstützerfeld jener ambitiosi, welche – womöglich selbst durch Verschwendung finanziell mittellos – einen Aufstand oder eine Adelsfaktion anführen.536 Nach dem Bürgerkrieg sind, so Kilburger weiter, die Rädelsführer zu bestrafen, doch solle man gleichwohl die „clementiae fama“ mehren und nicht auf jene hören, welche rücksichtslose Urteile und grausame Sanktionen fordern. In diesen Passagen erfährt die Kompetenz Machiavellis als Politikberater besondere Wertschätzung. Was Fürsten bei Verschwörungen zu beachten hätten (th65 mit Rekurs auf Discorsi 3.6), dass man, wie die 536 Bernegger / Haidt: De bello civili (Anm. 524), th54f. Zur Zensur vgl. ebd., th57‒62.

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Römer, die Religion als Mittel nutzen solle, um die Ordnung aufrecht zu erhalten und Aufstände zu unterdrücken (th67 bzw. Discorsi 1.13), und dass sich das Volk leicht durch Trugbilder und durch maßlose Versprechungen verführen lasse (th69 bzw. Discorsi 2.53), sind typische Empfehlungen einer an Machiavelli orientierten prudentia politica. Dazu gehört auch die Warnung davor, dass sich ein Gemeinwesen vermeintlich dann leicht angreifen und erobern lasse, wenn es unter inneren Konflikten leidet (Discorsi 2.25). Denn ein „bellum externum firmam concordiam peperit“. Die Angst vor Krieg bewirke „concordes civium animos“ (th70), das Fehlen eines äußeren Feindes dagegen lasse innere Zwietracht aufkommen. Die moderne Geschichtswissenschaft hat den Dreißigjährigen Krieg als Religionsoder Konfessions- sowie auch als Staatsbildungskrieg diskutiert.537 Ein Vorschlag, welcher der hier vorgestellten Argumentation nahekommt, spricht – allerdings mit kritischen Vorbehalten – vom „konfessionellen Bürgerkrieg“.538 Bernegger und seine Schüler Kilburger und Haidt haben mit ihrem Analysemodell den Dreißigjährigen Krieg explizit als ‚Bürgerkrieg‘ begriffen. Die Argumentation beider Dissertationen De bello civili läuft darauf hinaus, dass die Elsässer Denkfabrik die seit 1618 an verschiedenen Orten ausgebrochenen Kriegshandlungen als die Summe aus sich überlagernden Faktionskämpfen und Aufständen betrachtete, für deren Analyse sich das Beschreibungsmodell des bellum iustum nicht eignete. Und diese Teilkriege kennzeichnete von Beginn an auch ein ‚internationales‘ 537 Vgl. beispielsweise Konrad Repgen: Was ist ein Religionskrieg? In: ders.: Von der Reformation zur Gegenwart. Paderborn 1988, S. 84‒97; Franz Brendle: Der Religionskrieg und seine Dissimulation: Die »Verteidigung des wahren Glaubens« im Reich des konfessionellen Zeitalters. In: Krieg und Christentum. Religiöse Gewalttheorien in der Kriegserfahrung des Westens. Hg. von Andreas Holzem. Paderborn u. a. 2009, S. 457‒469; Axel Gotthard: Der Gerechte und der Notwendige Krieg: Kennzeichnet das Konfessionelle Zeitalter eine Resakralisierung des Kriegsbegriffs? In: ebd., S.  470‒504, und ders.: Der Dreißigjährige Krieg. Eine Einführung. Köln 2016, insbesondere S. 291‒298. Zur These vom Staatsbildungskrieg Johannes Burkhardt: Der Dreißigjährige Krieg als frühmoderner Staatsbildungskrieg. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht  45, 1994, S.  487‒499; ders.: Worum ging es im Dreißigjährigen Krieg? Die frühmodernen Konflikte um Konfessions- und Staatsbildung. In: Wie Kriege entstehen. Zum historischen Hintergrund von Staatenkonflikten. Hg. von Bernd Wegner. Paderborn u. a. 2000, S. 67‒87. 538 Anton Schindling: Türkenkriege und ‚konfessionelle Bürgerkriege‘. Erfahrungen mit ‚Religionskriegen‘ in der Frühen Neuzeit. In: Holzem (Hg.): Krieg und Christentum (Anm. 537), S. 596‒621; zum Begriff „konfessioneller Bürgerkrieg“ ebd., S. 599, wobei allerdings mit einem nicht zeitgenössischen Verständnis von ‚bellum civile‘ operiert wird. Gleiches gilt für Anton Schindling: Gab es Religionskriege in Europa? Landfrieden und Völkerrecht statt Glaubenskampf und „Strafgericht Gottes“. In: Studien zur politischen Kultur Alteuropas. Festschrift für Helmut Neuhaus zum 65.  Geburtstag. Hg. von Axel Gotthard, Andreas Jakob u. Thomas Nicklaus. Berlin 2009, S. 277‒298; zum „konfessionellen Bürgerkrieg“ ebd., S. 281: Der Begriff ‚Bürgerkrieg‘ setze ein „Maß an Kohärenz innerhalb des weltlichen Herrschaftssystems“ voraus, „das staatliche Einheiten […] im 16. Jahrhundert nur begrenzt aufwiesen“. Das 17. Jahrhundert hatte, wie gezeigt, einen anderen Bürgerkriegsbegriff.

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Element, welches dem Lothringer in der Gestalt des für Spanien kämpfenden Ambrogio Spinola (1569‒1630) und dem Österreicher in der des in savoyischen Diensten agierenden Ernst von Mansfeld (1580‒1626) oder der des Fürsten von Siebenbürgen, Gábor Bethlen, greifbar wurde. Die Abgrenzung von Bürgerkrieg und bellum externum spielte für das politische Denken der Straßburger Schule von Beginn an keine Rolle, entsprechende Kriterien werden denn auch gar nicht genannt. Entscheidendes Merkmal des bellum civile war vielmehr das besondere Ausmaß der Zerstörungswut und der Kriegsverbrechen, welche die Militärführer dulden mussten, um das in einem solchen Krieg besonders einfache Überlaufen ihrer Soldaten zur Gegenseite zu verhindern. Charakteristisch ist schließlich auch, dass es keine richtigen Sieger und nur eine „Cadmea victoria“ geben konnte, einen Sieg also, der niemandem nützte nach einem Krieg, der allen nur großen Schaden bereitet hatte.539 Dem Sieger in einem Bürgerkrieg werde daher auch kein Ehrentitel verliehen und kein Triumph gewährt, da ja nicht fremdes, sondern eigenes Blut vergossen worden sei.540 Gründe zur Rechtfertigung eines solchen Krieges gibt es – von der bei Kilburger genannten Ausnahme abgesehen – praktisch nicht. Die Anlässe für die Bildung von Faktionen – als solche in Betracht kamen Verteidigungsbündnisse wie die protestantische Union, die katholische Liga und die confoederatio Bohemica der Stände Böhmens, Schlesiens, Mährens und der Lausitz – und die Organisation von Aufständen sind dagegen vielfältig: religiöse oder politische Unterdrückung oder auch nur die Angst davor und vor dem Verlust der Freiheit, überhöhte Steuerforderungen, kriegsbedingte Zwangskontributionen und anderes mehr. Sie erzeugen bei den Untertanen Hass und Verachtung gegenüber der Obrigkeit, worin Haidt die Hauptursachen für Aufstände gegenüber einer präsumtiv tyrannischen Herrschaft ausmacht.541 Die grundlegenden Ursachen für den Bürgerkrieg aber liegen in der Natur des Menschen, u. a. in dessen Ehrgeiz, Herrschsucht, Machtgier, Grausamkeit, Gewaltbereitschaft. Der heutigen Diskussion um den Religions- bzw. Konfessionskrieg hätten die Straßburger entgegnet, dass die religionis vindicatio lediglich einer der vielen Vorwände gewesen sei, welche die wahren Ursachen verschleiern und diverse Verbrechen verhüllen sollten. Von einem dissimulierten Religionskrieg542 konnte für Bernegger und seine Schüler gar keine Rede sein, da das Religionsargument – wie im Übrigen auch das der Verteidigung der ‚Libertät‘ – als Teil der Kriegspropaganda omnipräsent war. Die im Sinne der Offenhaltung politischer Lösungswege erfolgte „Umdefinition des Glaubenszwiespalts zur Landfrie-

539 Dazu ausführlich Bernegger / Haidt: De bello civili (Anm. 524), th3‒6. 540 Ebd., th80, mit Rekurs auf die Facta et dicta memorabilia (2.8,7) des Valerius Maximus. 541 Bernegger / Haidt: De bello civili (Anm. 524), th17. 542 Anton Schindling spricht explizit von Religions- als „Dissimulationskriegen“; ders.: Kriegstypen in der Frühen Neuzeit. In: Formen des Krieges. Von der Antike bis zur Gegenwart. Hg. von Dietrich Beyrau, Michael Hochgeschwender u. Dieter Langewiesche. Paderborn u. a. 2007, S. 99‒119, hier S. 110.

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densfrage“543 – also zum Krieg als Kampf gegen Rebellen und Aufständische – hätte die Elsässer Tacitisten vielleicht überzeugt, würde die moderne Geschichtswissenschaft dahinter nicht Glaubensfragen und konfessionelle Besitzstände als die „intern maßgeblichen Motive“,544 als die „tatsächlichen“ Beweggründe und „eigentlichen Kriegsursachen“545 sehen. Objekt verschleiernder Umdefinition war in den Augen der Straßburger nicht der Religionskrieg, sondern der säkulare Krieg um Macht, um rechtliche und materiell-territoriale Besitzstände.546 Wäre das Deutungskonzept ‚Konfessionskrieg‘ nicht auch mit dem Ringen um religiöse Wahrheit amalgamiert und würde man unter Konfessionen ‚factiones‘ verstehen, hätten sich Bernegger und seine Schüler womöglich damit anfreunden können.547 Neben dieser Absage an das stark erfahrungsgeschichtlich geprägte Deutungsmuster ‚Religionskrieg‘ hätten die Straßburger auch Kritik an der strukturgeschichtlichen These vom Staatsbildungskrieg geübt. Ein grundsätzlicher, auch die Religionskriegsthese betreffender Einwand wäre, dass eine die Politik in den Mittelpunkt rückende Geschichtswissenschaft eben gerade nicht epochenspezifische, sondern grundlegende Faktoren der Bellizität fokussieren müsste. Äußere wie auch Bürgerkriege kenne man schließlich schon seit der Antike. Strukturelle Faktoren, etwa verschiedene Wachstumsdefizite der Staatlichkeit,548 verantwortlich machen zu wollen, hieße den Menschen als Hauptakteur zu ignorieren. 543 Brendle: Religionskrieg (Anm. 537), S. 461; gleichlautend Schindling: Religionskriege in Europa (Anm. 538), S. 293. 544 Gotthard: Der Gerechte und der Notwendige Krieg (Anm. 537), S. 478. 545 Schindling: Religionskriege in Europa (Anm. 538), S. 277 u. S. 291; Brendle: Religionskrieg (Anm. 537), S. 460. 546 Das entspräche manchen etwas älteren Deutungen der modernen Geschichtswissenschaft, die Religionskriege als „Machtkämpfe“ erachteten, in denen die Religion als „Ideologie mit der breitesten Massenwirkung“ instrumentalisiert wurde; vgl. Johannes Burkhardt: Der Dreißigjährige Krieg. Frankfurt/Main 1992, S. 136. 547 Zum „Konfessionskrieg um konfessionelle Besitzstände“, an den sich europäische Großmachtkonflikte und ein mitteleuropäischer Verfassungskampf anlagerte, Gotthard: Der Dreißigjährige Krieg (Anm. 537), S. 291‒298. Der „Dissens der Konfessionen“ sei „Ursache und lange Zeit Hauptmotiv“ dieses Krieges gewesen. Sähe man als Wurzel dieses Dissenses der Konfessionen nicht, wie Gotthard (ebd., S. 100 u. S. 209), ein Ringen um religiöse Wahrheit, sondern das tacitistische Menschenbild, könnten man diese „Konfessionen“ als factiones im Sinne der Straßburger historischpolitischen Wissenschaft bezeichnen. Die bei Kilburger und Haidt genannten Ursachen hätten, so die Straßburger Deutung des ‚Konfessionskriegs‘, diesen Faktionen den Nährboden bereitet; mittels konfessioneller Identitäts- und Feindbildkonstruktionen, mittels religiöser Überhöhung ihrer Führerfiguren und anderem mehr hätten diese dann um Geschlossenheit gerungen und, da sie darin begrenzt erfolgreich waren, dann in unterschiedlichen bündnispolitischen Formationen ihren Machtkampf um (verfassungs)rechtliche, territoriale und auch ‚religiöse‘ „Besitzstände“ ausgetragen. 548 So Johannes Burkhardt, der Egalitäts-, Institutionalisierungs- und Autonomiedefizite ausmacht. Vgl. ders.: Der mehr als Dreißigjährige Krieg ‒ Theorie des Staatsbildungskrieges. In: Handbuch Kriegstheorien. Hg. von Thomas Jäger u. Rasmus Beckmann. Wiesbaden 2011, S. 335‒349, hier S. 336‒345.

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Und ist die Kehrseite kriegerischer Staatsbildung nicht der ‚Staats‘- bzw. der Reichszerfall? Damit wäre man wieder bei dem von Lipsius inspirierten Konzept des bellum civile. ‚Staaten‘ erachteten die Straßburger grundsätzlich als labile Herrschaftsverbände, was Boeckler wenig später in seiner Notitia reipublicae herausarbeitete und was die Elsässer Denkfabrik in der modernen politikwissenschaftlichen Analyse von failing bzw. failed states hätte bestätigt finden können. Noch am ehesten hätte man sich in Straßburg mit der auf Thukydides zurückgehenden These von der anarchischen Struktur der ‚internationalen‘ Politik anfreunden können, welche die Herrschaftsverbände zur Machtakkumulation zwingt, ein Vorgang, den wiederum Boeckler in seiner De potentia-Dissertation thematisierte. Was im modern anmutenden Theorem ‚Staatsbildung‘ heißt, wäre demnach nichts anderes als das – kaum begrenzbare – Streben nach Macht zur inneren Befriedung und zur Gewährleistung äußerer Sicherheit. In jedem Fall standen für diese Schule aber die von ambitio, libido dominandi, feritas rebellandi und sonstigen Leidenschaften getriebenen Akteure des Bürgerkriegs in Deutschland im Zentrum. Dass sie in den Druckfassungen der Dissertationen nicht namentlich genannt werden, bedeutet freilich nicht, dass man über solche Kriegstreiber im geschützten Raum des Hauses Bernegger nicht diskutierte. Hier standen wohl Reihen mutmaßlicher Tyrannen, machtsüchtiger Faktionschefs und rebellischer Aufstandsführer zur Debatte. Viel schwieriger war die Frage nach den viri boni zu beantworten, welche die remedia handhaben, also das Reich aussöhnen und es von der Last des Bürgerkrieges hätten befreien können. Ein Aristides, der Themistokles zur Beendigung ihrer Feindseligkeiten aufgefordert, oder ein Menenius Agrippa, der mit seiner Parabel vom Magen und den Gliedern Eintracht gestiftet hatte,549 scheint nicht in Sicht gewesen zu sein. Die Möglichkeit einer vertraglichen Lösung als Alternative zum Pyrrhussieg erwähnt Haidt zwar, verfolgt sie als unrealistisch aber nicht weiter.550 Aufgrund des pessimistischen Menschen- und Gesellschaftsbildes ist den Autoren hinsichtlich der Beendigung dieses Krieges offenbar nur die Hoffnung auf Gott geblieben. An ihn richtet Kilburger seinen abschließenden Appell, er möge dem zerrütteten Vaterland doch wieder Frieden und Eintracht schenken. Und Haidt bittet am Ende Gott, dass er dem vom Feuer des Bürgerkrieges heimgesuchten Europa und dem zerrütteten Deutschland friedliebende Fürsten schenken sowie die „disceptationes, studia, ac factiones“ in Kirche und Staat beenden möge. Die vielen Hindernisse, die dem Frieden in Zeiten des Sittenverfalls und des Bürgerkrieges im Wege stehen, ließ Boeckler 1640 aufarbeiten.551 Die wiederum von einem Lothringer Autor-Respondent vorgestellte Arbeit rekurriert zwar auf die römische Ge549 Bernegger / Kilburger: De bello civili (Anm. 523), th19 zu Aristides und th66. 550 Bernegger / Haidt: De bello civili (Anm. 524), th68. 551 Johann Heinrich Boeckler (Pr.) / Johann Nikolaus Pistorius (Resp. et Aut./T): Commentatio super Corn. Taciti 2. historiarum, 37. et 38. de impedimentis pacis, in statu reipublicae, vitiis corrupto, et civilibus armis aestuante, praesertim Romano, certantibus de principatu Othone et Vitellio (September, handschriftlich korrigiert zu 3. Oktober). Straßburg 1640. Pistorius aus Mörchingen (Loth-

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schichte und zeichnet das Niedergangsszenario des römischen Kaiserreiches nach, das Tacitus in seinen Historien liefert. Die Gegenwartsbezüge sind dabei aber vielfältig.552 Zum Thema ‚Frieden‘ publizierte Boeckler 1656 noch eine weitere Dissertation, die nun explizit auf das römisch-deutsche Reich und dessen Religionsfriedensordnung Bezug nimmt und dazu sechs Beschützerinnen der pax präsentiert. Diese Praesidia pacis stellte ein fortgeschrittener Student der Rechte vor.553 ringen) widmete die Commentatio dem Grafen Johann von Saarbrücken, Saarwerden etc. Von ihm sind keine weiteren Publikationen nachweisbar. 552 Die Arbeit ist eine typische Straßburger historisch-politische Dissertation. Hauptautoritäten sind neben Tacitus antike Historiker wie Livius, Sallust, Valerius Maximus, Velleius Paterculus und andere mehr, Hauptgegenstand ist die Rivalität zwischen Otho und Vitellius um die Herrschaft. Ausgangspunkt der Dissertation ist eine Passage aus den Historien des Tacitus (2.37f.), die ein pessimistisches Sittengemälde des römischen Staates liefert. Nach der Unterwerfung des Erdkreises seien mit der Größe des Reiches zugleich Machtgier und Lust am Krieg grenzenlos geworden. Marius und der grausamste unter den Adeligen, Lucius Sulla, hätten die mit Waffen besiegte Freiheit in eine Tyrannis verwandelt. Die Schandtaten und die Ehrlosigkeit des Vitellius und Othos seien Ausdruck einer durch und durch entarteten Zeit. Die Rivalität der beiden um die Macht im Staat habe daher nur bei wenigen den Wunsch nach Ruhe und nach untadeligen Herrschern aufkommen lassen. Vgl. Tacitus: Historien (Anm. 449), S. 205‒207. Das Thema der Dissertation ist gleichwohl höchst aktuell. Hinter der Frage nach den Hindernissen für den Frieden (impedimenta pacis) in einem Gemeinwesen, dessen Status durch Sittenverfall und Bürgerkrieg korrumpiert ist, steht 1640 auch das Problem des nicht zu bändigenden Krieges in Deutschland, der kein Ende zu finden schien. Der Lothringer Autor fügte daher seiner Arbeit eine Appendix mit Vorschlägen an, wie ein durch Bürgerkrieg erschöpfter Staat gefestigt werden könne. 553 Johann Heinrich Boeckler (Pr.) / Matthias Bexius (Resp.): Praesidia pacis (März). Straßburg 1656. Die in essayistischem Stil verfasste Dissertation – es werden nur selten Autoritäten genannt und Belegstellen dann auch nur recht vage angegeben – befasst sich mit der inneren Entwicklung des Reiches seit der Mitte des 16. Jahrhunderts. Thematisiert wird u. a. die Rolle der Kaiser Karl und Ferdinand, der Päpste und der „Loiolistici“ sowie des „germanicae libertatis assertor“ Moritz von Sachsen in Sachen Religionsfrieden, dann auch die Bedeutung des instrumentum pacis und der capitulationes Caesaris für den Frieden im Reich. Sie stellt sechs ‚Beschützerinnen‘ der pax vor: ‚pietas‘, ‚boni mores‘, ‚legum autoritas‘ (S. 8‒15), ‚aequitas iudiciorum‘ (S. 15f.), ‚prudentia administrandae reipublicae‘ (S. 17‒24) und schließlich ‚rei literariae constitutio‘ (S. 24‒26). Den Schluss markiert eine Analyse der ‚goldenen‘ Rede des Isokrates De pace (S. 26‒28), in welcher der griechische Rhetor für die Eintracht unter den griechischen Staaten und den Verzicht auf imperiale Ambitionen geworben hatte. Bexius aus Leipzig hatte seine Studentenzeit zunächst in Jena verbracht, war dann nach Leiden und weiter nach Straßburg gezogen, wo er sich im Februar 1656 als Jurastudent eingeschrieben hatte. Anschließend kehrte er nach Jena zurück, um seine juristische Qualifikation zu erlangen. Der Jurist wurde kursächsischer Rat. Die Boeckler-Dissertation von 1656 enthält eine Widmung (Exemplar der UB Jena – in den digitalisierten Exemplaren der SUB Göttingen, der SB Regensburg und der Nationalbibliothek Rom fehlt diese), adressiert an den Leipziger Bürgermeister und Beisitzer der juristischen Fakultät Friedrich Kühlwein (1606‒1663) und den Leipziger Ratsherrn und Universitätsrektor Johann Philippi (1607‒1674). Beiträger sind u. a. Johann Konrad Dannhauer und der Theologieprofessor Johann Schmidt.

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Der Krieg bleibt im Vergleich aber zur Anzahl der ‚Friedensdissertationen‘ das dominierende Thema. Dazu passt, wenngleich nicht auf den ersten Blick erkennbar, auch eine Dissertation De clarigatione et manifestis, ut appellantur.554 Publiziert wurde sie von Johann Heinrich Boeckler im Frühjahr 1648, während die letzten Schlachten des Dreißigjährigen Krieges (etwa im Mai bei Zusmarshausen) geschlagen wurden. Ihre Verteidigung hatte der dänische Edelmann Christian Barnekow übernommen, der auch an der Ausarbeitung beteiligt gewesen sein muss.555 Den zeitgeschichtlichen Hintergrund der Dissertation bilden die westfälischen Friedensverhandlungen wie auch die Erfahrungen des Dreißigjährigen Krieges mit seinen Gewaltexzessen. In Münster und Osnabrück galt es, die verschiedenen Interessen und Forderungen der am Krieg beteiligten Parteien so abzuarbeiten, dass die Bereitschaft zur Einstellung aller Kriegshandlungen endlich erwirkt werden konnte. Während der vorangegangenen 30 Jahre hatten die Kombattanten ihr Eingreifen in den Krieg mit Kriegserklärungen und sogenannten Kriegsmanifesten legitimiert.556 Wie berechtigt ihre Gründe waren und ob sich die kriegführenden Mächte dabei richtig verhielten – diese Fragen drängten sich der Öffentlichkeit und den akademischen Beobachtern auf. Als wesentliche Grundlage zur Analyse und Bewertung dieser Kriegsmanifeste entstand das frühneuzeitliche Völkerrecht, das, geht man von der vorliegenden Dissertation aus, in prägender Weise von Hugo Grotius entwickelt wurde.557 In seinem Hauptwerk De iure 554 Johann Heinrich Boeckler (Pr.) / Christian Barnekow „Eques Danus“ (Resp.): Dissertatio de clarigatione et manifestis, ut appellantur (März). Straßburg 1648. 555 Die Widmung adressierte Barnekow an den Erbherrn Henricus Ramel, einen Verwandten und Leiter der Ritterakademie von Sorø sowie königlichen Präfekten in „Börlumb et Mariebow“. Wenngleich weitere Informationen zum Respondenten derzeit nicht zu ermitteln sind, dürften er wie auch sein Landsmann Friedrich Barnewitz, Respondent des Maecenas von 1643, an dieser dänischen Ritterakademie ihr Studium begonnen haben. Seiner gesellschaftlichen Stellung entsprechend haben eine Reihe von Ordinarien der Straßburger Universität, darunter der amtierende Rektor und Rechtsprofessor Rebhan, die Theologieprofessoren Dorsche und Dannhauer, der Mediziner Melchior Sebizius (Sebisch, 1578‒1671) sowie der Präses selbst, dem Druck Geleitverse beigesteuert. Barnekow erhebt keinen Autorschaftsanspruch. Die Schrift scheint aber vom Dänen ausgearbeitet worden zu sein, da Boeckler mit seinem Tacitus-Kommentar häufig zitiert wird. In seinem kurzen Vorwort dankte Barnekow zudem seinem Lehrer für die Anregung zu diesem Thema. Die Komplexität der Argumentation und die Masse an Quellen und Literatur, die in die Abhandlung eingearbeitet sind, lassen jedoch vermuten, dass die Gedankenführung im Wesentlichen vom Präses bestimmt wurde. 556 Zu den Kriegserklärungen und -begründungen vgl. Anuschka Tischer: Offizielle Kriegsbegründungen in der Frühen Neuzeit. Herrscherkommunikation in Europa zwischen Souveränität und korporativem Selbstverständnis. Berlin 2012; Bernd Klesmann: Bellum solemne. Formen und Funktionen europäischer Kriegserklärungen des 17. Jahrhunderts. Mainz 2007. 557 Aus heutiger Sicht ist dies freilich zu relativieren; vgl. Wilhelm G. Grewe: Grotius – Vater des Völkerrechts? In: Der Staat 23, 1984, S. 161‒178; Karl-Heinz Ziegler: Die Bedeutung von Hugo Grotius für das Völkerrecht – Versuch einer Bilanz am Ende des 20. Jahrhunderts. In: Zeitschrift für Historische Forschung 23, 1996, S. 355‒371.

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belli ac pacis war es dem Niederländer ganz überwiegend um den Krieg gegangen, konkret um einhegende Bestimmungen des ius ad bellum wie auch um rechtliche Schranken in der Kriegführung (ius in bello). Beide Aspekte stehen auch bei der zweiteiligen Abhandlung des Straßburger Historikers und seines dänischen Studenten über clarigationes und ‚Manifeste‘ im Blickpunkt, wobei sie dem ersten Teil zu den ‚Kriegsansagen‘ deutlich mehr Raum (34 Seiten) widmeten. Bei dieser 44 Textseiten umfassenden Dissertation, die im März des Jahres 1648 der akademischen Öffentlichkeit präsentiert wurde, handelt es sich im Übrigen um die erste zu diesem Thema. Man kann sie als Regelwerk lesen für jene, die mit der Abfassung von Kriegserklärungen beauftragt werden oder die Manifeste schreiben wollen, aber auch als Deutungshilfe für jene, welche solche Dokumente rechtlich beurteilen sollten. Im ersten der vier Kapitel des ersten Teils wird zunächst der Begriff ‚clarigatio‘ hergeleitet, unterschiedliche Formen werden erläutert und diese von der unmittelbaren Erklärung des Krieges (Unterscheidung von diffidatio bzw. „Absagbrief“, denuntiatio und indictio belli) abgegrenzt; etwas ausführlicher werden anschließend das Aufkommen, die Riten und Zeremonien der Kriegsansage bei verschiedenen Völkern der Antike dargestellt (S. 5‒10). Das zentrale dritte Kapitel (S. 10‒32) ist der Frage gewidmet, ob die clarigatio im Rahmen eines gerechten Krieges notwendig sei. Den Schluss bilden Bemerkungen zum Nutzen bzw. zu den praktischen und rechtlichen Wirkungen der Kriegsankündigung. Eingeleitet wird dieser Teil mit einem Referat zum Prozedere von der Kriegsansage bis zur eigentlichen Kriegserklärung bei den Römern auf der Basis der Römischen Geschichte des Titus Livius (1.32). Boeckler und Barnekow betonen dabei die Mehrstufigkeit des Verfahrens: Beauftragte Gesandte tragen zunächst die Forderungen nach Wiedergutmachung in Verbindung mit der Kriegsandrohung den Gegnern vor, nehmen dann deren Stellungnahme entgegen und kehren mit dieser nach Hause zurück. Dort finden die Beratungen statt, an deren Ende die Entscheidung für oder gegen den Krieg steht.558 Der Begriff ‚clarigatio‘ kann auf dieser Basis dann näher bestimmt werden: Von einer privatrechtlichen Form zu unterscheiden sei die clarigatio publica,559 die allein im Kontext des Krieges von Interesse ist. Das Verfahren („clarigationem exercere“) ist nicht ohne Grund mehrstufig gestaltet, gilt es doch, wie im vierten Kapitel näher erläutert wird, durch seine zeitliche Streckung eine rationale Lagebeurteilung sine ira et studio zu ermöglichen. Die clarigatio stelle nun einen Sonderfall der „belli denuntiatio“ dar, und zwar die – im Unterschied zur „denuntiatio pura“560 – mit rechtlichen Forderungen verknüpfte Kriegsansage (denuntiatio 558 Boeckler / Barnekow: Clarigatio (Anm. 554), S. 4f. Das Verfahren beginnt also mit dem „per feciales [recte: fetiales = Kriegsherolde] bellum indicere“, gefolgt von Beratung und Entscheidungsfindung („bellum censere et iubere“) und schließlich der Kriegserklärung, dem „bellum denuntiare“. 559 Bei Livius (Römische Geschichte 8.14,6) wird der Begriff nur im privatrechtlichen Sinn gebraucht. 560 Diese Unterscheidung findet sich bei Grotius, De iure belli ac pacis, in Buch  3, Kapitel  3, Abschnitt 7 (künftig IBP, gefolgt von der Angabe des Buches, des Kapitels und des Abschnitts, hier also IBP 3.3,7).

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conditionata).561 Die eigentliche Kriegserklärung, die auch ohne rechtliche Begründung auskomme und oft aus Machtgier erfolge, sei davon zu unterscheiden. Hinsichtlich der zentralen Frage nach der Notwendigkeit der clarigatio für einen gerechten Krieg lassen Boeckler und Barnekow zunächst pessimistische Stimmen zu Wort kommen. Gibt es überhaupt ein Recht im Krieg? Viele seien heute – ‚o Schande!‘ – der Meinung, dass Waffengewalt an keine Gesetze gebunden sei.562 Sie halten es mit Marius, der meinte, im Lärm der Waffen seien die Gesetze nicht hörbar. Grotius hingegen verlieh im Vorwort seines Werkes der Überzeugung Ausdruck, dass es sehr wohl ein gemeinsames Recht unter den Völkern gebe, welches sowohl „ad bellum“ wie auch „in bellis“ wirksam sei. Doch habe auch er einräumen müssen, dass nicht nur die breite Masse, sondern auch kluge und gelehrte Männer die Meinung vertreten, dass der Krieg mit dem Recht nichts zu schaffen habe. Vielmehr setzten, so auch das Diktum des Euphemos nach Thukydides, die Könige und mächtigen Staaten das ihnen Nützliche mit dem Recht gleich („utilitatem pro iure esse“). Heutzutage sei es dazu gekommen, dass sämtliche Streitigkeiten unter Königen und Völkern nur noch den Kriegsgott als Schiedsrichter hätten. Was spricht in einer solchen Lage dann für und was gegen die Sitte der Kriegsankündigung bzw. der bedingten Kriegsandrohung? Überflüssig muss sie erscheinen, wenn man, wie Bodin, den Krieg als Heilmittel gegen aufrührerische Menschen erachtet, die man am besten in den Krieg schicke, um inneren Unruhen zu begegnen. Auch König Tullus habe, so der Bericht des Livius, stets den Krieg gesucht in der Überzeugung, nur so dem inneren Zerfall des Gemeinwesens Einhalt gebieten zu können.563 Dieser Auffassung widersetzen sich Grotius und die Straßburger Akademiker, indem sie darstellen, was nach Natur- und Völkerrecht ein rechtmäßiger Krieg sei. Herrschsucht, Machtgier und die Erweiterung der Grenzen der Herrschaft seien damit keinesfalls vereinbar. Einzig eine Rechtsverletzung und die Ablehnung einer Forderung nach Wiedergutmachung sowie das Scheitern anderer Mittel der friedlichen Konfliktschlichtung rechtfertigen ihn. Theologen wie Johann Gerhard sowie verschiedene sacra exempla lassen die Ankündigung des Krieges als Gebot des göttlichen Rechts erscheinen und leiten aus der Heiligen Schrift (5 Mos. 20,10) zudem die Pflicht ab, die clarigatio mit einem Friedensangebot zu verknüpfen. 561 Boecklers Dissertation erfasst dabei die Frühphase eines Trends, der sich aus Kriegsmanifesten und Kriegsdeduktionen rekonstruieren lässt, dass man nämlich den gerechten Krieg zunehmend „als eine Art Rechtsverfahren zu legitimieren“ trachtete, das „die öffentliche Anzeige und Ansage militärischer Handlungen mit einer Spezifizierung der Kriegsgründe“ umfasste: Ralf Pröve: Vom ius ad bellum zum ius in bello. Legitimation militärischer Gewalt in der Frühen Neuzeit. In: Gewalt in der Frühen Neuzeit. Hg. von Claudia Ulbrich, Claudia Jarzebowski u. Michaela Hohkamp. Berlin 2005, S. 261‒270, hier S. 265. 562 Boeckler / Barnekow: Clarigatio (Anm. 554), S. 11. „Haud desunt tamen proh! hodie et nostro seculo homines, qui in bello omnia iura cessare, armatisque nullas leges positas esse putant.“ 563 Ebd., S. 13. Livius lässt Tullus sagen: „Er glaubte, die Bürgerschaft verkümmere im Frieden; daher suchte er überall nach einem Anlaß zum Krieg.“ Livius: Römische Geschichte (Anm. 418), S. 19 (= 1.22,2).

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Auch mit dem Völkerrecht lasse sich die Kriegsankündigung begründen, gehöre doch zu einem förmlichen Krieg nach Grotius nicht bloß, dass er von denen nur geführt werde, welche die höchste Gewalt im Staate haben, sondern auch, dass bestimmte Verfahren („ritus“) eingehalten werden.564 Und diese Verfahren, die Boeckler und Barnekow im zweiten Kapitel erläutern, begründen ein clarigationis ius. Insbesondere die Römer hätten, wie die Geschichte belege, „clarigationis iura“ durchaus respektiert. Veranschaulicht wird dies mit einem Negativbeispiel aus der Zeit der späteren Republik: Römische Gesandte berichteten voller Stolz, sie hätten den Feind der Römer mit einem Waffenstillstand und der Hoffnung auf Frieden getäuscht, damit man aufrüsten und den Krieg besser vorbereitet beginnen könne. Die älteren unter den Senatoren missbilligten dieses Vorgehen mit Verweis auf die Sitten der Vorväter. „Nicht durch Waffenstillstände und durch nächtliche Kämpfe und nicht durch vorgebliche Flucht und unvorhergesehene Rückkehr zu einem unvorsichtigen Feind und nicht so, daß sie sich ihrer Verschlagenheit mehr als wirklicher Tugend rühmten, hätten die Ahnen ihre Kriege geführt.“ Redlichkeit auch im Kampf entspreche dem Wesen der Römer, und dieses „habe nichts zu tun mit der Verschlagenheit der Punier und der Durchtriebenheit der Griechen, bei denen es rühmlicher gewesen sei, einen Feind zu täuschen, als ihn mit Waffengewalt zu überwinden.“565 Die Rechtmäßigkeit des Krieges sei, wie bei Cicero zu lesen, in unantastbarer Weise im Fetialrecht definiert.566 Demnach sei kein Krieg gerecht, „nisi quod aut rebus repetitis geratur, aut denuntiatum ante sit et indictum“.567 Zwar habe es auch Ausnahmen dazu gegeben, da die Römer, wie Clapmar erwähnt, gelegentlich Kriege auch „ob praemia et divitiarum cupidinem“ geführt hätten. Dies lasse sich zumindest aus einer Rede des Calgacus im Agricola des Tacitus folgern, der behauptet habe, dass die Römer reiche Nachbarn aus Habgier, arme dagegen aus Ruhmsucht bekriegt hätten.568 Insgesamt aber stand für 564 Boeckler / Barnekow: Clarigatio (Anm. 554), S. 16, zitieren Grotius (IBP 1.3,4): „Ut bellum solenne sit ex iure gentium, duo requiruntur; primum ut geratur utrimque authore eo, qui summam potestatem habeat in civitate; deinde, ut ritus quidam adsint, et […] haec quia conjunctim requiruntur, ideo alterum sine altero non sufficit.“ (Zu einem förmlichen Kriege gehören nach dem Völkerrecht zweierlei: l. daß er auf beiden Seiten von dem ausgehe, der im Staate die höchste Gewalt hat; 2. daß gewisse Gebräuche hinzukommen. Beides zugleich ist nötig. Eines allein genügt nicht.“ Hugo Grotius: De jure belli ac pacis libri tres, drei Bücher vom Recht des Krieges und des Friedens. Paris 1625. Nebst einer Vorrede von Christian Thomasius zur ersten deutschen Ausgabe des Grotius vom Jahre 1707. Neuer deutscher Text u. Einleitung von Walter Schätzel. Tübingen 1950, S. 87). 565 Boeckler / Barnekow: Clarigatio (Anm. 554), S. 16f., mit Verweis auf Livius, vgl. Titus Livius: Römische Geschichte. Buch XLII‒XLIV. Lateinisch u. deutsch, hg. von Hans Jürgen Hillen. Darmstadt 1988, S. 101 (= 41.47). 566 Zur Fortwirkung des römischen Fetialrechts vgl. Klesmann: Bellum solemne (Anm. 556), S. 36‒40. 567 Boeckler / Barnekow: Clarigatio (Anm. 554), S. 17. 568 Ebd., S. 18f., mit Rekurs auf Tacitus (Agricola 30,6). In dieser Rede des Calgacus, die auch in anderen Straßburger Dissertationen zitiert wurde und in der die Römer als die Welt durchwühlende Räuber denunziert werden, heißt es unter anderem: „si locuples hostis est, avari, si pauper, ambitiosi.“

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Boeckler und Barnekow fest, dass sie vor allen anderen Völkern die Gerechtigkeit im Krieg am meisten geachtet hätten. Im Anschluss an die römische durchstreifen die Verfasser – und hier zeigt sich die Breite des historischen Wissens Boecklers – die gesamte Geschichte bis in die Frühneuzeit, um aufzuzeigen, wie andere Völker (Ägypter, Gallier, Dänen, Langobarden, Germanen) und Herrscher (u. a. die Dänenkönige Frotho, Harald und Friedrich II. sowie der englische König Eduard IV.) es mit der Kriegseröffnung hielten. Die jüngsten Beispiele sind die Kriegsansagen zum Schmalkaldischen Krieg und die Kaiser Karls V. sowie des Herzogs Moritz von Sachsen an Albrecht Alcibiades von Brandenburg-Kulmbach zum zweiten Markgrafenkrieg.569 Die Unabdingbarkeit der clarigatio, die sich in analoger Anwendung auch aus dem Zivilrecht herleiten lasse, dürfte den Autoren aber vor allem wegen der Erfahrungen des Dreißigjährigen Krieges am Herzen gelegen haben. Mit Augustinus illustrieren sie, welche ungeheuren Übel ein ungehemmter Krieg freisetze. Die „nocendi cupiditas, ulciscendi crudelitas, impacatus atque implacabilis animus, feritas rebellandi, libido dominandi“ müssten durch die Verrechtlichung des Krieges eingedämmt werden.570 Potenziellen Kriegsherren erklären sie, dass dies aus drei triftigen Gründen auch ratsam sei. Erstens verleihe die Legitimierung eines Krieges durch das clarigatio-Verfahren sowie durch die damit einhergehende Selbstvergewisserung über dessen Rechtmäßigkeit die notwendige Kraft zur erfolgreichen Kriegführung. Eine vor Gott und den Verbündeten gewonnene Überzeugung, für eine gerechte Sache zu kämpfen, bestärke die Hoffnung auf den Sieg. Zweitens nehme das Bewusstsein der Rechtmäßigkeit des Krieges den Kämpfenden die Furcht vor dem Tod. Und schließlich wahre man mit einer derartigen Verfahrensweise der Kriegseröffnung bei den Nachbarn den guten Ruf eines verlässlichen Bündnispartners. Eine Ausnahme bildet der Verteidigungskrieg, der gemäß dem naturrechtlichen Grundsatz „vim vi repellere“ ohne denuntiatio auskomme. Der Schwedenkönig Gustav II. Adolf habe sich bei seinem Vorgehen gegen die Kaiserlichen auf dieses Verteidigungsrecht berufen und sei „sine ulla indictione“ in Deutschland eingefallen, weil er gezwungen gewesen sei, „ad iniuriam propulsandam arma sumere“.571 Der Strafkrieg jedoch, der auf die Bekämpfung eines Unrechts und die Wiedererstattung eines Gutes ziele, könne nicht ohne clarigatio auskommen. Affekte wie Hass, Rachsucht sowie der Wunsch, anderen Schaden zuzufügen und sich an ihrem Schmerz zu weiden, seien dabei zu vermeiden. Sie 569 Boeckler / Barnekow: Clarigatio (Anm. 554), S. 19‒24. 570 Ebd., S. 25f. Das beliebte Zitat, das schon Bernegger und Kilburger verwendeten (vgl. oben, S. 292), stammt aus Augustinus: Contra Faustum Manichaeum 22.74: Zerstörungswut, grausame Rache, eine unfriedliche und unversöhnliche Geisteshaltung, rohe Widersetzlichkeit, Herrschsucht und anderes mehr seien die die Kriege begleitenden Rechtsverletzungen. 571 Ebd., S. 29f. Allerdings ließ der Schwedenkönig unmittelbar darauf ein Kriegsmanifest zur Rechtfertigung folgen. Vgl. Tischer: Kriegsbegründungen (Anm. 556), S. 15 u. 36. Die wohlwollende Bewertung des Einfalls der Schweden in Deutschland erklärt sich nicht zuletzt aus den engen personellen Beziehungen zwischen Straßburg und Uppsala; vgl. oben mit Anm. 75 und 193.

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sind, wie Grotius (IBP 2.20,3) feststellt, weder mit dem Naturrecht noch mit der Natur des Menschen als eines auf die Gemeinschaft hin angelegten Wesens vereinbar. Vielmehr gebiete die Vernunft, so wird mit Lipsius argumentiert, dass die Leidenschaften beherrscht werden. Hinzu komme, dass nicht jedes beliebige Vergehen eine Bestrafung rechtfertige. Man habe auch Feinden gegenüber Pflichten zu erfüllen, wie Cicero betont. So habe man zuerst einmal denjenigen, der einem – möglicherweise unwissend – Schaden zugefügt habe, darüber in friedlicher Weise in Kenntnis zu setzen und Wiedergutmachung zu fordern. Ein gerechter Krieg sei nur der absolut notwendige, so Boeckler und Barnekow mit Livius, und sittlich vertretbar sei Waffengewalt nur, wenn keine andere Hoffnung bleibe. Christliche Moral gebiete zudem Nachsicht und Verzeihung, nicht kompromissloses Festhalten an Rechtsansprüchen. Nicht selten sei es redlicher und besser, so wiederum mit Grotius (IBP 2.24,1), auf sein Recht zu verzichten, als dieses mit Waffengewalt und unter Inkaufnahme all der Übel, die mit dem Krieg einhergehen, durchzusetzen. Der Krieg muss, so könnte man es auf den Punkt bringen, die ultima ratio bleiben. Die clarigatio sei, so resümiert das abschließende vierte Kapitel „De usu et effectu clarigationis“ gleich zu Beginn, ein Gebot der Menschlichkeit und gehöre zu den Rechten der societas humana, die auf Tugenden wie der Gerechtigkeit und der Mäßigkeit beruhe. Einen Krieg rechtfertigten oft nicht so sehr die zahllosen Kriegsgründe als vielmehr die rechtlichen Wirkungen, welche von der clarigatio ausgehen. So gewährleisten sie, dass der Krieg so lange nicht eröffnet wird, bis alle anderen Wege, zum Recht zu gelangen, ausgeschöpft worden sind. Die dem Krieg vorausgehende clarigatio bewirke, dass die „pericula bellorum“ nicht ins Unermessliche gesteigert würden, sondern der Wahnsinn der Waffengewalt gemindert werde. Die kriegshemmende Wirkung, die aus der zeitlichen Streckung des Verfahrens der Kriegsankündigung resultiere, lasse dem Frieden eine Chance. Wenn Gelegenheit zur Beratung und zum Überdenken bleibe, machten die Menschen, um den Krieg zu vermeiden, freiwillige Zugeständnisse, zu denen sie sich unter dem Eindruck von Krieg und Waffengewalt nicht mehr bewegen ließen.572 Das von den Römern entwickelte Verfahren bewirke einen Aufschub, welcher den „bellandi furor“ mäßige. Sollten alle friedlichen Wege der Konfliktschlichtung scheitern und keine „satisfactio sive restitutio“ erfolgen, sei der Krieg erlaubt. Dann sei es auch, so weitere aus der clarigatio herrührende Effekte, zulässig, Feinde ohne jegliche Strafandrohung zu töten und rechtmäßig Eigentum an deren Gütern zu erwerben („effectus dominii“). Dies stehe unter den genannten Voraussetzungen – aber eben nur unter diesen – auch in Einklang mit dem Natur- und Völkerrecht, wie Grotius nachweist.573 Der Krieg wurde demnach grundsätzlich nicht infrage gestellt. Grotius wie auch Boeckler und sein Schüler suchten jedoch Möglichkeiten und Verfahren aufzuzeigen, wel572 Boeckler / Barnekow: Clarigatio (Anm. 554), S. 33. Es handelt sich um ein Liviuszitat (Römische Geschichte 35.45, nicht, wie in der Dissertation angegeben, 36.45), das auch Grotius (IBP 2.23,7) bringt. 573 Grotius (IBP 3.4 u. 6).

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che den Kriegsgott in seinem Handeln rechtlich einhegen, sinnlose Grausamkeiten eindämmen und die Rückkehr zum friedlichen Zusammenleben offenhalten konnten. Neben den clarigationes, welche, adressiert an den Gegner, die Rechtsforderungen des Absenders enthielten, kursierte im Umfeld von Kriegen regelmäßig noch eine andere Art von Schriften, die ebenfalls der Rechtfertigung des Krieges dienten. Diesen Manifesten widmet sich der kürzere, zweite Teil der Dissertation von Boeckler und Barnekow. Bezüglich der Kriegsmanifeste, einer „ardua et difficilis materia“, kennen die Verfasser keine einschlägigen Abhandlungen. Sie können beschrieben werden als „scripta publica“, mit denen Fürsten und Staaten den Kriegsgegnern ihren Rechtsstandpunkt und die „iusta causa belli“ darlegen und die an eine weitgefasste Öffentlichkeit, an die ‚ganze Welt‘, gerichtet sind.574 Der moderne Historiker kann im Übrigen mittels solcher Kriegsmanifeste, mit denen die Kriegsparteien sich zudem wechselseitig Rechtsverletzungen vorwarfen, die These bestätigen, dass schon der Dreißigjährige Krieg ein Medienkrieg war.575 Nicht erst die Aufklärer erkannten, dass Kriegsmanifeste nur selten die wahren Beweggründe für Kriege benennen, wie auch Konrad Repgen betont.576 Schon Boeckler hatte dies nämlich mit seiner Dissertation von 1648 thematisiert. Mit Thukydides und Polybios sei, so Boeckler und Barnekow, zwischen vorgeschobenen Begründungen und wahren Ursachen („causae vulgatae“ und „causae verae et interiores“) zu unterscheiden.577 Dabei dienten die präsentierten Gründe („causae praetextae“) häufig nur dazu, die wahren Kriegsanlässe zu verschleiern. Augustus habe sich angeblich zum Bürgerkrieg getrieben gesehen, um die Ermordung Caesars zu bestrafen; Pietät gegenüber dem Vater und die Verhältnisse in der Republik hätten ihn dazu gezwungen. In Wirklichkeit habe er aber, so kommentiert Boeckler eine Tacituspassage (Annalen 1.10,1), alles aus Herrschsucht (cupido dominandi) getan. Ziel der Manifeste sei es, den Krieg und die Anwendung von Waffengewalt als legitim und gerecht erscheinen zu lassen, alle Kriegshandlungen mit dem Mantel der Gerechtigkeit einzuhüllen. Der Verschleierung von Gewalt dienen, wie wiederum ein Tacituszitat illustriert, beispielsweise „Freiheit und andere prächtige Namen […]: denn noch nie hat jemand anderer Völker Knechtung und Herrschaft für sich angestrebt, ohne gerade jene Worte zu gebrauchen“.578 574 Kriegsmanifeste seien „scripta publica, quae Princeps vel Resp. in bellorum principiis, ad ius suum declarandum, itemque belli iustas causas omnibus et singulis demonstrandas, toti orbi exponit, omniumque lectioni commendat.“ Boeckler / Barnekow: Clarigatio (Anm. 554), S. 35. Zum Verhältnis Manifest und Öffentlichkeit vgl. Tischer: Kriegsbegründungen (Anm. 556), S. 56f. (Öffentlichkeit als Richter und Kontrollinstanz) u. S. 79‒88. 575 Burkhardt: Der Dreißigjährige Krieg (Anm. 546), S. 225‒232. Ders.: Deutsche Geschichte in der Frühen Neuzeit. München 2009, S. 59‒63. 576 Konrad Repgen: Kriegslegitimationen in Alteuropa. Entwurf einer historischen Typologie. In: Historische Zeitschrift 241, 1985, S. 27‒49, hier S. 46. 577 Vgl. dazu auch Holger Sonnabend: Thukydides. In: Kriegstheorien (Anm. 548), S. 151‒154. 578 Boeckler / Barnekow: Clarigatio (Anm. 554), S. 37. Das Zitat stammt aus der Rede des Cerealis bei Tacitus (Historien 4.73,3); deutsche Übersetzung: Tacitus: Historien (Anm. 449), S. 573.

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Bei den manifesta können Typen danach unterschieden werden, ob sie tatsächliche oder nur scheinbare Rechtsgründe für den Krieg benennen. Einige vermischen auch solche iustae causae mit fiktiven. Inhaltlich sind einige Manifeste den clarigationes insofern ähnlich, als sie „veras et proprias bellorum causas“ enthielten; diese könnte man daher als „instrumenta iuris“ bezeichnen. Andere solcher Schriften bieten aber eben nur Vorwände und „speciosa vocabula“ (wohlfeile Schlagworte), welche über die internen Ursachen hinwegtäuschen und diese mit dem Schleier des Schweigens umhüllen.579 Solche vorgeschobenen Motive sind „iniuriarum vindicata, subditorum defensio, libertatis tuitio“ und oft – so eine erneute Absage an das Religionskriegsnarrativ – „religionis necessitas“.580 Ihre grundsätzlichen Ziele liegen stets darin, die Unterstützung der öffentlichen Meinung zu gewinnen und die berechtigte Hoffnung auf den glücklichen Ausgang des Krieges zu bestärken. Als verborgene wahre Motive benennen die Verfasser zusammenfassend „die Lust, andere zu ruinieren; ein ungeheures Verlangen nach eigenem Gewinn, Habsucht und Machtstreben“.581 Nicht Tugend sei bestimmend, sondern nur der Schein derselben, nicht Aufrichtigkeit, sondern deren äußerer Anstrich, „non amicitia, sed species amicitiae; non pax, sed imago pacis; non fedus, sed simulatio federis, non facta, sed verba locum habent“.582 Anhand von Beispielen der neueren Geschichte wird belegt, dass hier zusätzlich der Ruhm Gottes einen solchen Vorwand bildet.583 Die abschließenden Hinweise zur Lektüre von Kriegsmanifesten warnen daher vor Leichtgläubigkeit: Man solle diese Schriften „sine ira et studio“ lesen und vorsichtig seine Schlüsse ziehen.584 Nur beim ungebildeten Volk mögen die vorgeschobenen Kriegsgründe, welche die Manifeste benennen, ihre Wirkung tun. Der Gelehrte hingegen, der Tacitus und Sallust gelesen habe, wisse die verborgenen Ursachen zu erkennen. Theoretische Grundlagen, rechtlich fundierte Kriegsgründe von bloßen Vorwänden zu unterscheiden, werden zwar nicht systematisch entwickelt. Doch muss man in Rechnung stellen, dass mehr noch als die Aufklärung über die in 579 Boeckler / Barnekow: Clarigatio (Anm. 554), S. 39f. Boeckler und Barnekow zitieren aus einer Rede des Diktators der Albaner, Mettius Fufetius (fälschlich „Suffetius“), an die Römer und ihren König Tullus nach Livius (Römische Geschichte 1.23,7 [nicht 1.33]): „Übergriffe, für die die Wiedergutmachung unterblieb, die aufgrund des Vertrages gefordert wurde, hätten zu diesem Krieg geführt, und ich bin überzeugt, daß du, Tullus, dasselbe vorbringst. Wenn man aber lieber die Wahrheit sagen soll als schön klingende Worte, so ist es Herrschsucht, was die beiden verwandten und benachbarten Völker zu den Waffen treibt.“ Livius: Römische Geschichte (Anm. 418), S. 63. 580 Boeckler / Barnekow: Clarigatio (Anm. 554), S. 40. 581 Repgen: Kriegslegitimationen (Anm. 576), S. 47. „amor ruinae aliorum, immensa proprii lucri cupido, avaritia, et ambitio“: Boeckler / Barnekow: Clarigatio (Anm. 554), S. 41. 582 Boeckler / Barnekow: Clarigatio (Anm. 554), S. 41. 583 Boeckler und Barnekow rekurrieren hierbei auf Francis Bacon: Historia regni Henrici septimi Angliae regis opus vere politicum. London 1638; Leiden 1642 u. 1647; Famiano Stada: De bello Belgico decas prima et secunda. Antwerpen 1640, 1648 u. ö.; Johannes van Meurs: Gulielmus Auriacus sive de rebus toto Belgio tam ab eo quam ejus tempore gestis, ad excessum Ludovici Requesensii. Leiden 1622; Amsterdam 1638. 584 Repgen: Kriegslegitimationen (Anm. 576), S. 47.

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Kriegsmanifesten genannten causae belli dem Verfasser das Verfahren der clarigatio am Herzen lag, von dem er sich eine gewisse Einhegung des Krieges erhoffte.

4.9. Europäische Mächtepolitik Im Kontext der Analyse zeitgenössischer militärischer Konflikte entwickelte die Straßburger historisch-politische Schule schon früh Ansätze zu einer Lehre der ‚Internationalen Beziehungen‘.585 Von besonderem Interesse ist dabei die erwähnte Dissertation über die Universalis monarchia aus dem Jahr 1625.586 Ihr Thema ist nämlich ‚Weltherrschaft‘, genau genommen das militärische Ringen um eine globale Vormachtstellung, das nach Auffassung der beiden Hauptverantwortlichen, des Präses Bernegger und seines Respondenten Markus von Rechlingen, unter anderem im ‚Teutschen Krieg‘ ausgefochten wurde. Der (noch nicht) Dreißigjährige Krieg, von Kilburger und Haidt als Bürgerkrieg aufgefasst, erfährt hier folglich eine zweite, zum bellum civile-Konzept komplementäre Interpretation, indem er in einen gesamteuropäischen Kontext eingeordnet wird und dabei zu einem Teilkonflikt jenes Ringens der Habsburger mutiert – die Gegner der Habsburger sahen die österreichische und die spanische Linie als Einheit, wobei sie die spanische Linie für tonangebend hielten –, das auf die Errichtung einer weltumspannenden Monarchie abzielte. Der Respondent, der sich im Oktober 1623 als „Marcus a Rechlingen in Ritzekoven [richtig: Kitzighofen] et Burgwalten, Augustanus“ in Straßburg immatrikuliert hatte,587 war bereits durch sein Elternhaus für Fragen der Politik sensibilisiert worden. Sein Vater war der erfolgreich Handels- und Finanzgeschäfte tätigende Marx Konrad Rehlinger (1575‒1642), dessen europaweite Geschäftsbeziehungen dazu führten, dass man sich im Hause Rehlinger ein Bild von der politischen Großwetterlage Europas verschaffte und beispielsweise auch über den Kampf der Provinzen der Niederlande gegen die spanischen Habsburger Bescheid wusste.588 Das politische Bewusstsein des jungen Gutsbesitzers589 wurde des Weiteren dadurch gefördert, dass sein Vater als lange Zeit kaisertreuer, obwohl protestantischer Groß585 Vgl. allgemein Heinz Schilling: Konfessionalisierung und Staatsinteresse. Internationale Beziehungen 1559‒1660. Paderborn u. a. 2007, S. 147‒159. Die Straßburger Schule bleibt hier aber noch unberücksichtigt. 586 Matthias Bernegger (Pr.) / Markus von Rechlingen (Resp.): Ad C. Cornelii Taciti lib. 4. histor. cap. 74. dissertatio politica de universali monarchia (Juni). Straßburg 1625. Eine zweite Auflage dieser Dissertatio erschien 1631 ebenfalls in Straßburg, jedoch ohne Nennung des Präses. 587 Meyer: Zu den Anfängen der Straßburger Universität (Anm. 295), S. 153. Rechlingen hatte zudem bereits im Dezember 1624 unter Bernegger die Quaestionum miscellanearum politicarum decades duae verteidigt; vgl. oben mit Anm. 187. 588 So besaß Marx Konrad Rehlinger Aktien sowohl der Niederländisch-Ostindischen wie auch der Westindischen Handelskompanie; Franz Josef Schöningh: Die Rehlinger von Augsburg. Ein Beitrag zur deutschen Wirtschaftsgeschichte des 16. und 17. Jahrhunderts. Paderborn 1927, S. 44. 589 Markus von Rechlingen, der älteste Sohn von Marx Konrad, hatte bereits 1613 einen Gutshof geschenkt bekommen. Schöningh: Rehlinger von Augsburg (Anm. 588), S. 31.

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händler und Finanzier zwischen den politisch-konfessionellen Fronten lavierte. So unterhielt Marx Konrad wegen seiner Geschäfte mit ungarischem Kupfer gute Kontakte nach Wien, aber auch nach Heidelberg zu Ludwig Camerarius, dem Geheimen Rat des Kurfürsten von der Pfalz; letztere sollten ihm jedoch wachsende Probleme bereiten.590 Rehlinger, der Vater, entwickelte sich zu einem „politisch engagierten kämpferischen Protestanten“, der sich durch die „zunehmende Konfessionalisierung der Politik existenziell bedroht“ sah.591 Mitte der 1620er Jahre begann er daher, sein mobiles Vermögen ins Ausland zu transferieren, um es dem Zugriff des Kaisers zu entziehen. Eine „politisch entschieden anti-habsburgische Haltung“, die ihn zum Kreditgeber der Schweden und zum Mitorganisator und Finanzier des Heilbronner Bundes werden ließ, waren die Folge. „In seinen Augen bedrohte ein übermächtiger Kaiser die reichsständische ‚Libertät‘.“592 Sein Sohn Markus von Rechlingen hatte sich diese Auffassungen offenbar schon früher zu eigen gemacht. Ihm ließ sein Vater, der selbst in Pisa und Padua Rechtswissenschaften studiert hatte, eine gute Ausbildung zuteilwerden. So verwundert es nicht, dass der junge Augsburger mehrere Sprachen beherrschte und die Widmung seiner Dissertation in italienischer Sprache formulierte.593 Ein Studium der Politik und der Geschichte mit anschließender Bildungsreise war daher obligatorisch. Die Politisierung des jungen Augsburgers ging so 590 Mit Ludwig Camerarius, der ab 1619 Leiter der pfälzischen Kriegskanzlei in Prag sowie ab 1623 Leiter der pfälzischen Exilpolitik im Haag war, habe Rehlinger „gefährliche Correspondenzien“ geführt, vgl. Quellen und Regesten zu den Augsburger Handelshäusern Paler und Rehlinger 1539‒1642. Wirtschaft und Politik im 16./17. Jahrhundert. Teil 1: 1539‒1623, hg. u. eingeleitet von Reinhard Hildebrandt. Stuttgart 1996, S. 34. Der Briefwechsel mit Camerarius, der bis mindestens Ende 1620 geführt wurde, scheint, so Hildebrandt (ebd.), nicht mehr vorhanden zu sein. Vgl. Quellen und Regesten zu den Augsburger Handelshäusern Paler und Rehlinger 1539‒1642. Wirtschaft und Politik im 16./17. Jahrhundert. Teil 2: 1624‒1642, hg. u. eingeleitet von Reinhard Hildebrandt. Stuttgart 2004, S.  26. Zusätzlich in Misskredit geriet Marx Konrad Rehlinger ab 1629, weil ihm unterstellt wurde, er habe anlässlich der Krönung des Pfalzgrafen Friedrich sein Haus mit dessen Insignien geschmückt und dem neuen König damit „ad Imperium Bohemicum gleichsamb“ gratuliert. Das Gerücht wurde vom bayerischen Kurfürsten Maximilian I. kolportiert, der wohl in Augsburg seine Informanten hatte. Hildebrandt (Hg.): Quellen und Regesten Teil 1, S. 34; Teil 2, S. 27. 591 Hildebrandt (Hg.): Quellen und Regesten Teil 1 (Anm. 590), S. 35. 592 Ebd., Teil 2, S. 29. 593 Widmungsadressat ist der aus Augsburg stammende Ferdinand Geizkofler (1592‒1653). Der Sohn des Reichspfennigmeisters Zacharias Geizkofler war ein Verwandter (Vetter) des Respondenten und just 1625 in den Freiherrenstand erhoben und zum Regimentsrat ernannt worden. Enthalten ist diese Widmung im Exemplar der BSB München mit der Signatur „4 Diss. 4049#Beibd.1“. Sie fehlt dagegen in einem zweiten Exemplar der BSB München sowie in den Exemplaren der Staats- und Stadtbibliothek (SB) Augsburg und der ÖNB Wien, die allesamt als Digitalisate verfügbar sind. Bei der zweiten Auflage der Dissertation von 1631 scheint die Widmung dann grundsätzlich mit abgedruckt worden zu sein, wie Digitalisate von Exemplaren der BSB München und der Bibliothèque nationale de France (BNF) Paris belegen.

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weit, dass er seine peregrinatio academica dazu nutzte, im Mantuanischen Erbfolgekrieg (1628‒1631)594 auf französischer Seite gegen die Habsburger zu kämpfen. Ab 1630 engagierte er sich dann als Kriegsunternehmer für die schwedisch-protestantische Partei, kämpfte mit auf eigene Kosten angeworbenen Soldaten in einigen Schlachten und warb im September 1631 unter Einsatz erheblicher Geldsummen bei verschiedenen Ständen und Städten für ein Bündnis mit Schweden. U. a. diese Bemühungen führten eineinhalb Jahre später zum Heilbronner Bund.595 Unter den umworbenen Städten war im Übrigen auch Straßburg, und so erklärt sich auch, warum just 1631 Rechlingens Politikdissertation vom Straßburger Universitätsdrucker Wilhelm Christian Glaser neu aufgelegt wurde; sie fügt sich in die politische Agenda der antihabsburgischen Kräfte ein. Der Augsburger, der zwischenzeitlich von Gustav II. Adolf „zum Kommandanten von Kempten und des Gebiets zwischen Bodensee und Lech“ ernannt worden war,596 starb im Januar 1633 an den Verletzungen, die er sich in der Schlacht bei Lützen im November 1632 zugezogen hatte. Wie sah nun sein literarischer Kampf aus? Die Dissertatio politica de universali monarchia von 1625 war weniger als Ausweis akademischer Gelehrsamkeit gedacht. Sie dokumentiert vielmehr, worüber politisch engagierte junge Studierende diskutierten und wie sich ein solches Engagement unter Anleitung eines nicht minder politisch interessierten Professors in eine akademische Abhandlung übersetzen ließ. Der Respondent erhebt keinen Anspruch auf Autorschaft, auch wenn auf dem Titelblatt der zweiten Auflage dieser Dissertation von 1631 nur mehr sein Name auftaucht. Tatsächlich aber bezog die Arbeit vielfältige Anregungen von Bernegger und übernahm aus dessen Tuba pacis von 1621 mehrere Passagen teils wörtlich.597 Auch mit ihrem Gliederungskonzept lehnt sich die Dissertatio politica an die Tuba pacis an, indem sie nach der Legitimität, dem Nutzen und der Realisierbarkeit der Universalis monarchia fragt. Das reiche Material, das Berneggers ‚Friedensposaune‘ bot, wurde vom Respondenten unter erheblichen Kürzungen neu ar594 Vgl. Schilling: Konfessionalisierung und Staatsinteressen (Anm. 585), S. 548f. Es handle sich dabei um „die erste Konfrontation zwischen dem Kaiser und Spanien einerseits und Frankreich andererseits“, die von den beteiligten Mächten nur formal vom Dreißigjährigen Krieg getrennt gehalten wurde. 595 Hildebrandt (Hg.): Quellen und Regesten Teil 2 (Anm. 590), Nr. 478, S. 173f. Die Mission des Markus von Rechlingen, der sich deshalb auch im fränkischen Reichskreis und in Nürnberg aufhielt, hatte offenbar die Funktion, die Bereitschaft möglicher Partner eines solchen Bündnisses auszuloten. Die Einladung zum Gründungskonvent erfolgte dann durch Gustav II. Adolf im November 1632 nach der Schlacht von Lützen. Vgl. allgemein Johannes Kretzschmar: Der Heilbronner Bund 1632‒1635. 3 Bde. Lübeck 1922. 596 Hildebrandt (Hg.): Quellen und Regesten Teil 2 (Anm. 590), S. 170. 597 Matthias Bernegger: Tuba pacis, occenta Scioppiano belli sacri classico. Straßburg 1621; unveränderter Nachdruck Straßburg 1623. Zu dieser 400 Seiten starken Schrift Berneggers vgl. Waltraud Foitzik: Tuba pacis. M. Bernegger und der Friedensgedanke des 17. Jahrhunderts. Diss. phil. Münster 1955. Das Werk sei zu verstehen als „ein Aufruf zum Frieden zwischen den Konfessionen, ein Appell zur Wiedervereinigung der gespaltenen Christenheit“; Kühlmann: Gelehrtenrepublik und Fürstenstaat (Anm. 31), S. 45.

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rangiert und mit einigen Ergänzungen auf den Leitbegriff der Universalmonarchie hin zugespitzt.598 Argumentative Stoßrichtung dieser Dissertation ist nicht mehr die Mahnung zu interkonfessioneller Verständigung und zum Frieden, sondern der Aufruf an die politische Öffentlichkeit, sich nicht auf das politische Großprojekt der Habsburger einzulassen. Berneggers Hoffnung auf eine Verständigung schien nun geschwunden, die ‚spanische‘ Gefahr dagegen bedrohlich angewachsen zu sein. Der Straßburger Historiker, in dessen Tuba pacis Warnungen vor dem spanischen Streben nach Weltherrschaft ebenfalls schon formuliert worden waren, wie auch sein junger Augsburger Schüler dürften sich 1625 darin einig gewesen sein, dass das Hauptziel in den nun ausgebrochenen europaweiten Kriegen darin bestehen musste, Verbündete im Kampf gegen die Übermacht katholischer Kräfte zu gewinnen und wankelmütige Koalitionäre von den Gefahren einer Kompromisspolitik zu überzeugen. Mithin ist diese Dissertatio politica eine anti-imperiale Kampfschrift in Gestalt einer akademischen Abhandlung. Bernegger und Rechlingen machten ein Schlagwort der politischen Debatten ihrer Zeit599 erstmals zum Thema einer akademischen Abhandlung. Die Grundidee der monarchia universalis, die sich u. a. auf Dante zurückführen lässt, war durch Mercurino Arborio di Gattinara (1465‒1530) Anfang des 16. Jahrhunderts zu einem positiv ausgedeuteten Leitbegriff spanisch-habsburgischer Politik avanciert.600 Nach der Niederlage der Protestanten in der Schlacht am Weißen Berg (1620), der Eroberung der Pfalz durch spanische und bayerische Truppen (1623), den Siegen der Liga unter Tilly und der erfolgreichen Belagerung Bredas durch Spinola (1625) bedurfte das Schlagwort nun dringend einer kritisch reflektierten ‚protestantischen‘ Sinnstiftung. So erfolgte die Dekonstruktion der ursprünglich idealistischen, auf Wahrung des Weltfriedens zum Nutzen der gesamten Menschheit ausgerichteten Konzeption einer monarchischen Weltherrschaft. Unter den 598 Der Bernegger-Biograph Bünger bewertet diese Arbeit daher kritisch. Sie sei nur „ein schwacher Abklatsch“ der ‚Friedensposaune‘. Bünger: Bernegger (Anm. 18), S. 308. Er übersieht allerdings die geänderte Stoßrichtung der Argumentation dieser Dissertation. 599 Franz Bosbach: Die Habsburger und die Entstehung des Dreißigjährigen Krieges. Die „Monarchia Universalis“. In: Konrad Repgen (Hg.): Krieg und Politik 1618‒1648. Europäische Probleme und Perspektiven. München 1988, S.  151‒168. Bosbach hat das Schlagwort bzw. seine zahlreichen Synonyme (imperium totius mundi, Weltmonarchie oder -herrschaft etc.) in Stellungnahmen von Regierungen, in staatstheoretischen und bzw. -publizistischen Erörterungen, in Flugschriften sowie in Gesandteninstruktionen und Ratsprotokollen ausmachen können. Die hier vorgestellte Dissertation fehlt. Auch bei Peer Schmidt bleibt sie unberücksichtigt, obgleich sie noch dem 18. Jahrhundert bekannt war. Peer Schmidt: Spanische Universalmonarchie oder „teutsche Libertet“. Das spanische Imperium in der Propaganda des Dreißigjährigen Krieges (Habilitationsschrift Eichstätt 1996). Stuttgart 2001. Vgl. zur Rezeption Nicolaus Hieronymus Gundling: Philosophischer Discourse anderer und dritter als letzter Theil oder Academische Vorlesungen. Frankfurt, Leipzig 1740, S. 804: Demnach habe Markus von Rechlingen die „Universal Monarchie“ als Träumerei entlarvt. 600 Vgl. Franz Bosbach: Monarchia universalis. Ein politischer Leitbegriff der frühen Neuzeit. Göttingen 1988, S. 55f., und Schmidt: Spanische Universalmonarchie (Anm. 599), S. 101–103.

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Vorzeichen eines konfessionell zerrissenen Europa war sie den Befürwortern ein mit legitimer Gewalt und gerechtem Krieg gegen Ketzer durchsetzbares Großprojekt, den Gegnern hingegen eine die Freiheit vernichtende, sich auf Zwangsherrschaft stützende und letztlich zum Scheitern verurteilte Utopie oder besser: Dystopie. Die Debatte um die monarchia universalis tangierte die Frage des gerechten Krieges, dann auch das überkonfessionell anerkannte Geschichtsbild von der Abfolge der vier Weltreiche gemäß der Danielprophetie sowie die Rolle des antiken Imperium Romanum als des vielzitierten Vorbilds. Dementsprechend beginnt die Dissertation von 1625 – eingeleitet mit dem Tacituszitat (Historien 4.74), auf welches schon der Titel verweist: „Pulsis (quod dii prohibeant) Romanis, quid aliud quam bella omnium inter se gentium existent?“601 – mit einem Referat von Lobeshymnen auf das römische ‚Weltreich‘. Es habe die zuvor zerstrittenen Völker und Reiche geeint und ihnen Ruhe und Frieden gebracht, wie man bei Plutarch602 und bei Cicero lesen könne.603 Zu Recht werde die gemeinschaftliche Verbindung aller Menschen unter einer Regierung mit überall gleichen Gesetzen, gleichen Gewichts- und Maßeinheiten, einer Währung, mit freien Verkehrswegen und Handelsmöglichkeiten und anderes 601 Bernegger / Rechlingen: Monarchia (Anm. 586), S. [1], sowie (leicht abgewandelt) pr5. „Sollten, was die Götter verhindern mögen, die Römer aus dem Land getrieben werden, was wird dann anderes entstehen als Kriege aller Völker gegeneinander?“ Tacitus: Historien (Anm. 449), S. 575. Das Zitat entstammt der Rede des Petilius Cerialis an die Treverer und Lingonen (Historien 4.73f.); den Hintergrund bildet der Bataveraufstand 70 n.Chr. Der Redner lobt die Vorzüge der Frieden stiftenden Oberherrschaft des Imperium Romanum über die ansonsten zerstrittenen Völker. Das Land der Gallier hätten die römischen „Feldherrn und Imperatoren betreten, nicht aus Eigennutz, sondern auf ein Hilfegesuch eurer Vorfahren, die innerer Hader bis an den Rand des Untergangs trieb“; ebd., S. 573. 602 Bernegger / Rechlingen: Monarchia (Anm. 586), pr2: Ausführlich wird aus Plutarchs Glück der Römer zitiert: Was die Naturforscher über die Entstehung der Erde sagen, nämlich dass sie aus chaotischen Bewegungen und dem Zusammenprallen größerer Körper langsam geformt wurde, das gelte auch für die großen Herrschaften und Reiche der Erde. „Sie wurden durch den Zufall herumgetrieben und an einander gestoßen, weil niemand herrschte, alle aber herrschen wollten. So herrschten unbeschreibliches Unheil, Verwirrung und ständiger Wandel aller Dinge vor, bis Rom Stärke und Kraft gewann und sowohl benachbarte Stämme und Völker als auch fremde, über dem Meere liegende Königreiche unter sich vereinte. Nun erst fanden die wichtigsten Dinge Festigkeit und Sicherheit, was dem Imperium Ordnung und Frieden gewährte und es in ruhige Bahnen lenkte.“ Übersetzung in Anlehnung an Plutarch: Moralia. Bd. 1. Hg. von Christian Weise u. Manuel Vogel. Wiesbaden 2012, S. 557. 603 Bernegger / Rechlingen: Monarchia (Anm. 586), pr4. Cicero schrieb im ersten Brief an den Bruder Quintus: „Im übrigen sollte Asien doch bedenken, daß ihm das Unheil auswärtiger Kriege und innerer Zwistigkeiten nicht erspart geblieben wäre, wenn wir es nicht unter unsrer Herrschaft hielten. Da sich diese Herrschaft aber ohne Abgaben einfach nicht aufrechterhalten läßt, so mag es auch diesen ewigen, ungestörten Friedenszustand getrost mit einem Teil seiner Erträgnisse bezahlen.“ M. Tullius Cicero: Epistulae ad Quintum Fratrem. […] An Bruder Quintus […], Lateinisch-deutsch. Hg. von Helmut Kasten. München 1965, S. 33.

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mehr gepriesen. „Haec olim“, dies war einmal. Heute hingegen seien Harmonie und Einmütigkeit des römischen Imperiums kläglich aufgelöst und Europa fortwährend von Kriegen und Zwistigkeiten gebeutelt. Dafür gibt es nach Meinung der Straßburger keinen anderen Grund als den, dass die Königreiche und die auf enge Grenzen verwiesenen Dynastien gegenüber ihren Nachbarn immer einen Grund haben, Ängste zu hegen, zu klagen oder auf Rache zu sinnen. Daher gebe es nicht wenige, die das in so viele Herrschaftsbereiche zerschnittene Europa wieder unter das zügelnde Kommando eines einzigen Wagenlenkers bringen wollten. Manche seien gar vehement darauf aus, für sich die universale Alleinherrschaft nicht nur über Europa, sondern den ganzen Erdkreis zu gewinnen, und pirschten dieses Ziel sozusagen auf ‚leisen Sohlen‘ bereits mit nicht gering einzuschätzendem Erfolg an.604 Für Bernegger und Rechlingen stellt sich nun die grundsätzliche Frage, ob eine Europa und den Erdkreis umspannende Universalmonarchie tatsächlich ratsam sei: „An consultum sit, universalem aliquam Europae, atque adeo Orbis Monarchiam constitui?“ Diese „Quaestio I.“ (eine quaestio secunda gibt es allerdings nicht) präzisieren die Verfasser gleich darauf noch, denn es kann angesichts der derzeitigen politischen Lage Europas eigentlich nur um die Frage einer katholisch-spanischen Vor- oder Weltherrschaft gehen.605 Die 38 Textseiten (mit 74 Propositionen) umfassende Untersuchung erfolgt, so wird ebenfalls hier erklärt, in Anlehnung an Berneggers Tuba pacis (1621) unter drei Aspekten, dem ‚honestum‘ (pr14‒42), dem ‚utile‘ (pr42‒68) und dem ‚facile‘ (pr69‒74) einer solchen Monarchie.606 Die Analyse des honestum umfasst Fragen nach der Gerechtigkeit bzw. der Legitimität der Weltherrschaft und nach der Aufrichtigkeit derer, die ihre Realisierung anstreben. Dazu untersuchen die Verfasser zunächst, wie denn eine solche neue Weltherrschaft im gegenwärtigen Europa begründet werden könnte. Kann sie, wenn man vom Vorbild des römischen Imperiums ausgeht, anders entstehen als durch Anwendung von Gewalt, Krieg und Unterdrückung? Wahl und Erbfolge scheiden jedenfalls aus. Und weil Herrscher nur unter Zwang ihre Vorrangstellung abgeben: „Wer könnte denn da wirklich glauben, dass so viele überaus mächtige Könige und hocherhabene Fürsten dazu veranlasst werden können, von ihrem Thron herabzusteigen und dann selbstverständlich jenem neuen katholischen Monarchen ihren Platz aus freien Stücken zu räumen und ihre Hoheitsgewalt

604 Bernegger / Rechlingen: Monarchia (Anm. 586), pr8‒12. 605 Ebd., pr13: „an ejusmodi vel Europae vel Orbis universi Monarchia catholica probabilis.“ 606 Im Unterschied zur Dissertatio politica beginnt die Tuba pacis Berneggers jedoch mit dem „argumentum ab Utili“. Den Hauptteil dieser Schrift nehmen die Frage nach dem „Honestum“ und die Diskussion der Gerechtigkeit des Krieges ein (S. 58‒372). Bevor Bernegger zum „Tertium pacis argumentum generale, a Facili“ kommt, bricht er die Arbeit überraschend mit dem Argument ab, die aktuelle Lage ließe keinen Aufschub für die Publikation seiner ‚Friedensposaune‘ mehr zu. Vgl. Foitzik: Tuba pacis (Anm. 598), S. 130.

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unterzuordnen?“607 Daher bleibe dem, der nach der Weltherrschaft strebe, nur ein Weg, nämlich dass er „alle anderen von der Herrschaft verdrängt und sie gewaltsam ihrer Hoheitsgewalt beraubt, was nach völlig ungeschönter Beurteilung heißt, dass man einen gewaltigen Raubzug [grande latrocinium] durchführt.“608 Immer wieder fallen von da an Stichworte wie ‚latrocinium‘, ‚latrones gentium‘ und ‚raptores orbis‘.609 Mit einer Reihe von Klassikerzitaten illustrieren Bernegger und Rechlingen, welch treibende Kraft die Gier nach Ruhm darstellt. Bezeichnend ist die Klage Alexanders des Großen, dessen Verlagen nach Ruhm grenzenlos gewesen sei: „Ach, ich Unglücklicher, der ich bisher nicht einmal eine einzige [Welt] erobert habe!“610 Die Herrschsucht stecke, so wird mit Sallust argumentiert, hinter vielen Kriegen, denn die Herrschenden wähnten „maximam Gloriam in maximo imperio“ (pr24). Tatsächlich aber sei, so die Verfasser weiter, das planvolle Vorgehen „derer, die in ihrem Verlangen, für immer in die Geschichte einzugehen, keine Bedenken hatten, sogar durch Verbrechen bekannt zu werden“,611 alles andere als ruhmreich. Mit Gerechtigkeit, mit den Gesetzen der Frömmigkeit, Menschlichkeit und der Natur sei ein solches Machtstreben schwerlich vereinbar. Zu Unrecht habe sich daher auch Alexander der Große mit Herkules verglichen. Während dieser nämlich uneigennützig die Welt durchzog und keinen Sieg für sich selbst errungen habe, vielmehr ein Feind der Schlechten, ein Befreier der Guten und ein Friedensstifter zu Lande und auf dem Meer gewesen sei, war der Eroberer Alexander, so Senecas Charakterisierung, der große „latro gentiumque vastator“ und Schrecken des Erdkreises (pr29).612 Nicht besser seien die

607 „Ecquis vero credat, eo adduci posse tot potentissimos Reges, celsissimosque Principes, ut solio suo degressi, novo scilicet illi Monarchae catholico locum ultro cedant, fascesque submittant?“ Bernegger / Rechlingen: Monarchia (Anm.  586), pr21; für die Übersetzung dieser und der folgenden Passagen danke ich Manfred Keßler, Donauwörth. 608 Bernegger / Rechlingen: Monarchia (Anm. 586), pr22, fährt fort: „Gerade dies rechnen sich manche freilich als Ruhmestat an: Welches Laster hat nämlich noch keinen Verteidiger gefunden? sagt Seneca (De ira 2.13).“ Übersetzung: Manfred Keßler (Anm. 607). 609 Aus Augustinus (De civitate dei 4.6), der hier auf die Entstehung des assyrischen Großreiches eingeht, wird zitiert (Bernegger / Rechlingen: Monarchia, Anm. 586, pr28): „Inferre bella finitimis […] ac populos […] subdere, quid aliud quam grande Latrocinium nominandum est?“ („Wie anders denn als Räuberei in großem Stil könnte man ein Handeln bezeichnen, das darin besteht, Nachbarn zu bekriegen und allein aus Herrschsucht ohne Unterlass Völker, die einem nichts zu Leide getan haben, zu vernichten und zu unterwerfen?“) – Diese wie auch die folgenden Passagen zu Alexander sind aus Berneggers Tuba pacis (Anm. 597), S. 313‒317, übernommen. 610 Überliefert bei Valerius Maximus: Facta et dicta (Anm. 446), S. 249f. (= Buch 8.14). 611 Bernegger / Rechlingen: Monarchia (Anm. 586), pr26: „Nec enim gloriosa eorum existimanda Gloria est, qui, dummodo aeternam memoriam assequantur, etiam sceleribus innotescere non dubitarunt.“ – Wiederum ein Zitat aus Valerius Maximus: Facta et dicta (Anm. 446), S. 251. 612 Eine von Humanisten immer wieder gern zitierte Stelle aus dem Gottesstaat des Augustinus (4.4) kommt auch bei Bernegger und Rechlingen vor (pr29): Alexander der Große bezichtigt einen Piraten, das Meer unsicher zu machen. Dieser entgegnet, dass Alexander dasselbe mit dem gesamten

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Römer, die „Ausplünderer der Völker“,613 wie auch aus einer im Agricola des Tacitus überlieferten Rede des britischen ‚Herzogs‘ Calgacus hervorgehe: „Diese Räuber der Welt […] sind habsüchtig, wenn der Feind reich ist; wenn er arm ist, sind sie ruhmsüchtig. Weder der Orient noch der Okzident hat sie gesättigt. Plündern, Morden und Rauben „nennen sie mit falschem Namen Herrschaft, und wo sie eine Einöde schaffen, heißen sie es Frieden.“614 Als Ursachen dieses Strebens nach Weltherrschaft werden avaritia und ambitio genannt.615 Auch mit dem Argument der Ausbreitung der Religion könne ein Streben nach Weltherrschaft nicht gerechtfertigt werden. Zwar sei das Christentum zum Fundament des Imperium Romanum geworden, doch sei unzweifelhaft, dass der christliche Glaube nicht mit Waffengewalt propagiert werden dürfe, wie Alberico Gentili mit Nachdruck dargelegt habe.616 In den folgenden Epochen sei die Religion zunehmend als Vorwand zur Rechtfertigung sogenannter heiliger oder Religionskriege missbraucht worden, seien Feinde als Ungläubige diskreditiert und die eigenen Kriegsgründe als unantastbar (sanctum) proklamiert worden.617 Tatsächlich aber seien Kriege aus Herrschsucht geführt worden, aus einer Erdkreis tue. Und nur, weil er in kleinem Maßstab so handle, werde er als Räuber bezeichnet, während der im Weltmaßstab raubende Alexander als Herrscher angesehen werde. 613 Bernegger / Rechlingen: Monarchia (Anm. 586), pr30: „Latrones Gentium“. Diese Titulierung der Römer findet sich in einem bei Sallust überlieferten Brief des Königs Mithridates. Die zitierte Passage, wiederum aus der Tuba pacis (S. 36) übernommen, lautet: Die Römer hätten von „Anfang an nur Geraubtes […], Haus, Weib, Land und Reich“ besessen. Sie seien „ein zusammengelaufenes Volk […] ohne Vaterland und Eltern, geschaffen zum Unheil der Welt“. Ein Volk, das „kein menschliches und kein göttliches Recht hindert, Bundesgenossen und Freunde, nah und fern Wohnende, Schwache und Mächtige auszuplündern und zu verderben. […] Indem sie wagten und täuschten und Krieg an Krieg reihten, sind sie groß geworden“. Sallust: Werke. Lateinisch u. deutsch von Werner Eisenhut u. Josef Lindauer. Darmstadt 1985, S. 317. 614 Übersetzung in Anlehnung an: Tacitus: Das Leben des Iulius Agricola. Lateinisch u. deutsch von Rudolf Till. Darmstadt 41984, S. 43. 615 Bernegger / Rechlingen: Monarchia (Anm. 586), pr31. Vgl. Bosbach: Monarchia universalis (Anm. 600), S. 94. 616 Bernegger / Rechlingen: Monarchia (Anm. 586), pr36. Bezug genommen wird auf Alberico Gentilis De iure belli libri tres (London 1598 u. ö.), Buch I, Kapitel 9: „An bellum iustum sit pro religione.“ 617 Bernegger / Rechlingen: Monarchia (Anm. 586), pr36. Der Augsburger Respondent belegt diese Aussagen mit einem längeren Zitat aus Buch VI der Geschichte Frankreichs des Paolo Emili (1460‒1529), einem in Frankreich wirkenden Historiker aus Verona. Vgl. Paulus Aemilius Veronensis: De rebus gestis Gallorum ad regem Franciscum primum, libri 10. Paris 1539; ebd. 1550 (Erstauflage in vier Büchern: Paris ca. 1520; zahlreiche weitere Auflagen, u. a. Basel 1569, 1574 u. 1601; erschienen auch unter dem Titel Annalium et historiae Francorum libri 10. Paris 1598); deutsche Übersetzung: Frantzösischer und anderer Nationen mit einlauffender Historien, das ist, gedechtnuß wirdiger Geschichten, Kriegen, Thaten, Worten und Wercken […] Basel 1572. Die Passage, die sich auf die Zeit der Kreuzzüge bezieht und die Bernegger auch in der Tuba pacis (S. 155) zitiert, findet sich in der Ausgabe Paris 1550, Bl. 134f.: „Jeder verkündet seinen eigenen Krieg als heilig; jeder bezeichnet mit Nachdruck seine Feinde als gottlos; jeder nennt gerade seinen eigenen

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„inexplebilis propagandi imperii cupiditas“, wie der „aevi nostri Livius“, Thuanus, in Bezug auf Ferdinand von Aragon bemerkt habe (pr37).618 In diesem Kontext greifen die Verfasser den Pfälzer Konvertiten Kaspar Schoppe an,619 den sie – ohne den Namen zu nennen – schlicht als „Alastor“ (mit ‚Dämon‘ oder ‚Teufel‘ übersetzbar) bezeichnen. Dessen „horribile belli sacri classicum“ (Fanfare zum Heiligen Krieg) – diese Schrift hatte schon Bernegger zur Abfassung seiner Friedensposaune (Tuba pacis) veranlasst – zeige, mit welchem Mittel die Verfechter einer katholischen Universalmonarchie diese ins Werk zu setzen gedächten: mit Krieg nämlich, einem vermeintlich Heiligen Krieg gegen angebliche Ketzer und Ungläubige.620 Reißt man den Invasoren fremder Königreiche und den Schmieden der Universalmonarchie ihre Maske herunter, so bleibe das, was einst die Gal-

Grund heilig; in aller Munde findet sich unablässig die Wendung ‚heilig und fromm‘; im Herzen aber hegen sie andere Pläne und Absichten. […] Der Begriff Frömmigkeit wird nun für jedwedes ruchlose Verbrechen als Vorwand verwendet. Der Begriff ‚heiliger Kriegsdienst‘ bezieht sich – oh, wie erbärmlich – auf solche Waffengewalt.“ 618 Jacques Auguste de Thou (1553‒1617; Präsident des Parlaments in Paris und Historiker) verfasste in zahllosen Ausgaben verbreitete Historiarum sui temporis libri (1604 u. ö.). Thuanus erweiterte die anfänglich 18 Bücher umfassende Historia bis zu seinem Tod auf 80 Bücher. Rechlingen zitiert aus dem ersten Buch dieses Werkes. Vgl. Ingrid A.R. de Smet: Thuanus: The Making of JacquesAuguste de Thou (1553–1617). Genf 2006. 619 Kaspar Schoppe: Classicum belli sacri, hoc est ad Carolum V. imperatorem suasoria de christiani Cesaris erga principes ecclesiae rebelles officio. Ticinum (= Pavia) 1619. Von dieser Schrift entstanden in kürzester Zeit verschiedene deutschsprachige Kurzfassungen: Extract Aus Gasparis Scioppii/ eines Osterreichischen vnd Spanischen bestelten Raths (wie er sich nennet) diß 1619. Jahr zu Pavia in offenen Druck gegebenen Lateinischen Büchlein/ Dessen Titul: Classicvm Belli Sacri. Das ist: Von eines Christlichen Keysers Ampt gegen die jenigen Chur- vnd Fürsten/ so sich von der Römischen Catholischen Kirchen abgesondert: Vnd was für Mittel und Weg zu gebrauchen/ damit die Ketzer außgetilget/ und gedachter Kirchen Friede und Ruhe geschaffet werden möge. o. O. 1619. Alarm zum Religions-Krieg in Teutschland: Das ist: Gasparis Scioppii/ eines Oesterreichischen und Spannischen bestelten Raths (wie Er sich nennet) im Jahr 1619. zu Pavia in offenen Druck gegebenen Lateinischen Büchlein: Dessen Titul: Classicum Belli Sacri. o. O. 1633; eine weitere deutsche Adaption (Ein gründliches und ohnpassionirtes Bedencken, was von deß Abtrinnigen Manns Caspari Scioppi blutdürstigen Buch, genannt Classicum Belli sacri, […] zu halten. o. O. 1619) spricht von einer „Sturmglock zum Heiligen Krieg“. Bedauerlicherweise geht keiner der Beiträge in Herbert Jaumann (Hg.): Kaspar Schoppe (1576‒1649). Philologe im Dienst der Gegenreformation. Beiträge zur Gelehrtenkultur des europäischen Späthumanismus. Frankfurt/Main 1998, auf Schoppes Schrift ein. In der Einleitung (ebd., S. 146) meint der Herausgeber nur, dass sich Schoppes Classicum belli sacri „mit bestem Willen nicht mehr“ als Fanfare zum Heiligen Krieg und „zur Ausrottung der Protestanten mit Feuer und Schwert“ lesen lasse. Dieses Argument ist so nicht stichhaltig. Vgl. auch Schmidt: Spanische Universalmonarchie (Anm. 599), S. 135f. 620 Zum Inhalt der Propagandaschrift Schoppes vgl. Foitzik: Tuba pacis (Anm. 597), S. 65‒69. Die Formulierungen der Proposition 38 sind wörtlich aus Bernegger: Tuba pacis (Anm. 597), S. 154, übernommen.

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lier einer römischen Gesandtschaft als Begründung für ihre Invasion lieferten: In den Waffen liege ihr Recht.621 „Jus et Vis“ seien freilich Gegensätze, wie Hesiod zeige (pr40). Wie steht es nun um den möglichen Nutzen (utilitatis rationes) einer Universalmonarchie? Was kann man sich von einem im Vergleich mit dem Imperium Romanum noch viel größeren Weltreich erhoffen? Die Antwort lautet: Probleme, und zwar riesige! Schon Rom habe, wie Livius einleitend zur Römischen Geschichte (1.4) bemerkt, unter seiner Größe gelitten. Seneca (De beneficiis 6.31,3) stelle fest, dass „übermäßig Großes niemals richtig beherrscht werden könne. Und alles, was sich nicht beherrschen lässt, ist auch nicht von langer Dauer, weil gerade aus seiner Größe auch die Ursache für sein Verderben erwächst“.622 Wie übergroße und unproportionierte Körper, so der Tacitus-Kommentator Scipione Ammirato, so leiden auch „sehr große Reiche unter dem allzu großen Gewicht ihrer eigenen Kräfte und erliegen ihm“. Selbst Mercurino Arborio di Gattinara, der einflussreichste Berater Kaiser Karls V. und Verfechter der universellen Monarchie, meint, dass ein allzu unförmiges Königreich gerade durch seine Ausdehnung ins Wanken gerate und sich unter seinem eigenen Ungestüm auflöse.623 Zu diesen Problemen der Herrschaft über ein Großreich kommen Gefahren. Ohne äußere Feinde könne kein „magnum imperium“ dauerhaft friedlich bleiben, vielmehr erwachsen ihm Feinde im Inneren (Livius 30.44). Innere Zwietracht werde damit zur dominierenden Kraft (Livius 2.44). Da der Staatskörper eine Einheit bilden und vom Willen eines Einzelnen gelenkt werden müsse, nehme die Schwerregierbarkeit mit wachsender Ausdehnung immer zu (pr48 [= 47]). Diokletians vielzitierte Erkenntnis „nihil difficilius, quam bene imperare“ bewahrheite sich nur zu sehr: Das gute Regieren leide nicht zuletzt darunter, dass der Herrscher von seinen Räten nicht mehr umfassend informiert werde und nur gesagt bekomme, was er gutheißen solle, während er die Wahrheit nicht kenne (pr49). Wenn die Beamten dann noch ungerecht, habsüchtig und grausam handeln, drohen Empörungen der Völker gegen ihre Herrscher (pr51). Und wer da glaube, der große Hass, der von Unterdrückung und Rechtsverletzungen herrühre, könne durch großen Terror gebändigt werden, der sei von Cicero (De officiis 2.7) gewarnt: Keine Herrschaftsgewalt ist so groß, dass sie unter dem Druck der Furcht dauerhaft bestehen kann.624 621 Bernegger / Rechlingen: Monarchia (Anm. 586), pr39: „se in armis jus ferre“ – ein Zitat aus Livius (Römische Geschichte 5.36). 622 Bernegger / Rechlingen: Monarchia (Anm. 586), pr44. Übersetzung: Manfred Keßler (Anm. 607). Die Diskussion um die schädliche Größe von Gemeinwesen wurde später in einer gleichfalls vom Tacitismus geprägten Wittenberger Dissertation aufgegriffen: Adam Etzler (Pr.) / Antonius von Blansdorf „Nobilis Misnicus“ (Resp.): De noxia reipublicae magnitudine (Mai). Wittenberg 1650. 623 Bernegger / Rechlingen: Monarchia (Anm. 586), pr44. Übersetzung: Manfred Keßler (Anm. 607). Referenzwerk ist die Italienische Geschichte des Francesco Guicciardini (Historiarum sui temporis libri viginti. Basel 1566). 624 Bernegger / Rechlingen: Monarchia (Anm. 586), pr52. Übersetzung in Anlehnung an Cicero: De officiis. Vom pflichtgemäßen Handeln. Lateinisch / deutsch. Übersetzt, kommentiert u. hg. von Heinz Gunermann. Stuttgart 1992, S. 163.

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Die Vielfalt der Völker mit ihren unterschiedlichen Sprachen und Sitten verhindere, dass der für jede Herrschaft grundlegende Konsens der Beherrschten erreicht werde. Große Nachteile seien zudem die Ausdehnung einer solchen Herrschaft und die großen Distanzen zwischen Zentrum und Peripherie.625 Dass die Entdeckung der ‚Indianer‘ den Spaniern mehr Schaden als Nutzen gebracht habe, sei von Linscotanus in seinem Itinerarium nachgewiesen worden.626 Der überaus scharfsinnige Machiavelli („acutissimus Machiavellus“) bestätige dies, wenn er in seinen Discorsi nachweise, dass Eroberungen durch schlecht organisierte Staaten nicht zur Größe, sondern zum Untergang führen.627 Mit solchen „incommoditates“ gehen viele weitere Widerwärtigkeiten einher. So multipliziere die Universalherrschaft Korruption, Herrschsucht, Habsucht und Arroganz. Unter Herrschern, die nur nach Erweiterung ihrer Herrschaft streben, leiden besonders die eigenen Untertanen. Mit Thukydides gesprochen: „Principatus augendis opibus et ambitioni studens, omnium malorum causa est“; und mit Livius: „Magnum cupiditas imperii malum inter mortales est.“ 628 Habgier und Anmaßung, „Avaritia et Arrogantia“, die Hauptlaster der 625 Bernegger / Rechlingen: Monarchia (Anm. 586), pr53: „nimia extremorum a centro distantia.“ Bereits im 16.  Jahrhundert hatten spanische Gelehrte (Francisco de Vitoria, Domingo de Soto, Diego de Covarrubias, Fernando Vázques) auf die Probleme der Regierbarkeit eines Universalreiches hingewiesen und dessen Grundidee kritisch hinterfragt, vgl. Daniel Damler: Herr der Welt und König der Frösche. Von der ästhetischen zur teleologischen Weltherrschaftsidee. In: Renate Dürr, Gisela Engel u. Johannes Süßmann (Hg.): Expansionen in der Frühen Neuzeit. Berlin 2005, S. 279–305, hier S. 289–300. Sie werden von Bernegger und Rechlingen jedoch nicht erwähnt. 626 Vgl. Linscotanus (Jan Huyghen van Linschoten, 1563‒1611): Navigatio ac itinerarium Iohannis Hugonis Linscotani in orientalem sive Lusitanorum Indiam. Descriptiones eiusdem terrae […]. Den Haag 1599; Itinerario, Voyage ofte Schipvaert, van Jan Huygen van Linschoten naer Oost ofte Portugaels Indien. Amsterdam 1594. 627 Bernegger / Rechlingen: Monarchia (Anm. 586), pr54. Das zitierte 19. Kapitel aus dem zweiten Buch der Discorsi („Eroberungen durch schlecht organisierte Staaten, die nicht nach dem großen Beispiel der Römer zu Werke gehen, führen zum Untergang, nicht zur Größe“) benennt die Mittel der Erweiterung und Erhaltung der Macht, die ein Staat bzw. – in diesem Kontext – eine Republik oder ein Freistaat anwenden müsse, um nicht selbst erobert zu werden. Machiavelli sieht einen grundsätzlichen Zwang zu offensiver Außenpolitik gegeben, der selbst auf einen defensiv verfassten Staat einwirke: „denn wenn er andere auch nicht bedrängt, so wird er selbst von anderen bedrängt werden. Aus dieser Bedrängnis aber werden bei ihm der Wunsch und die Notwendigkeit zu Eroberungen entstehen. Und wenn er außerhalb seiner Grenzen keinen Feind hätte, so würde er ihn im Innern finden.“ Machiavelli: Discorsi (Anm. 444), S. 226. Wohlwollend zur Kenntnis genommen haben dürfte der Augsburger die weiteren Ausführungen Machiavellis zur Sondersituation der freiheitliebenden Reichsstädte in Deutschland unter einem relativ schwachen Reichsoberhaupt, das gleichwohl – zumindest im frühen 16.  Jahrhundert – „in solchem Ansehen“ stand, dass es „als Friedensstifter“ wirken und mit seiner Autorität als Vermittler auftreten konnte. Im Gegenzug unterlagen die Reichsstädte nach Machiavelli nicht dem Zwang der Expansion. Ebd., S. 226‒228. 628 Bernegger / Rechlingen: Monarchia (Anm. 586), pr55. Livius (28.21) schildert die Rivalität zweier angesehener Männer, der Vettern Corbis und Orsua, um die Führung in ihrer Gemeinde, die Scipio vergeblich durch einen Schiedsspruch beizulegen suchte. Die beiden boten „ein abschreckendes

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Mächtigen (Tacitus, Historien 1.51), müssten in einem Reich von solcher Größe zwangsläufig in ungeheurer Weise zunehmen (pr56). Und, so wieder Tacitus, „niemals bietet Macht genügend Sicherheit, sobald sie das Maß überschritten hat“.629 Soweit zu den Problemen im Zentrum der Herrschaft. Wie sieht es in den Provinzen und bei den unterworfenen Völkern aus? Schon in der späten römischen Republik litten diese unter den Machtkämpfen der Großen und der Habsucht der Beamten; die Gesetze waren ihnen zudem keine Hilfe mehr, da sie „durch Gewalt, durch Einfluß, zuletzt durch Bestechung in Verwirrung gebracht“ und „unwirksam geworden“ waren.630 Während des Prinzipats habe sich daran aber nichts geändert, „nisi in deterius“ (pr60). Wie kann man sich die Lage der Unterworfenen vorstellen? Dazu wird der Agricola des Tacitus herangezogen (pr61): Die Britannier berieten über die Leiden ihrer Knechtschaft und meinten, durch Fügsamkeit nichts erreichen zu können, als daß ihnen noch mehr zugemutet werde. Während früher jeder Stamm einen König gehabt habe, würden ihnen von den Römern nun „zwei aufgezwungen, von denen der Statthalter gegen ihr Blut, der Prokurator gegen ihr Gut wüte. Für die Unterworfenen sei die Zwietracht der Machthaber ebenso verderblich wie ihre Eintracht. Die Centurionen als des einen, die Sklaven als des anderen Handlanger taten ihnen Gewalt und Schmach an. Nichts mehr sei vor ihrer Begehrlichkeit, nichts vor ihren Lüsten sicher.“631 Erneut wird aus der Rede des Calgacus zitiert, der die Bedingungen der römischen Universalherrschaft eindringlich schildert: Gefährlicher als Meereswogen und Klippen seien diese Römer, deren Überheblichkeit man vergeblich durch Unterwürfigkeit und loyales Verhalten zu entgehen meint. […] Kinder und Angehörige […] werden uns durch Aushebungen entrissen, um anderswo Sklavendienste zu tun; Frauen und Schwestern, auch wenn sie des Feindes Begierde entgingen, werden von solchen geschändet, die sich Freunde und Gäste nennen. Hab und Gut werden zu Steuern, der Jahresertrag der Felder zur Getreideabgabe, unsere Leiber aber und Hände beim Bau von Straßen durch Wälder und Sümpfe unter Schlägen und Beschimpfungen zerschunden. […] Britannien kauft täglich seine Knechtschaft aufs Neue und nährt sie täglich selbst.632

An die gegenwärtigen Herrscher adressiert ist die Beschreibung des Schicksals der Könige unter der Herrschaft Roms. Sie seien noch schlechter gestellt gewesen als heutige Vasallen, Beispiel dafür, ein wie großes Übel die Herrschsucht unter den Menschen ist“. Titus Livius: Römische Geschichte. Buch XXVII‒XXX. Lateinisch u. deutsch hg. von Hans Jürgen Hillen. München, Zürich, Düsseldorf 1997, S. 247. 629 Bernegger / Rechlingen: Monarchia (Anm. 586), pr57: „Potentia nunquam satis fida, ubi nimia est.“ Zitat: Tacitus: Historien (Anm. 449), S. 287 (Historia 2.92). 630 Tacitus: Annalen (Anm. 60), S. 9. 631 Bernegger / Rechlingen: Monarchia (Anm. 586), pr61. Deutsche Übersetzung: Tacitus: Agricola (Anm. 614), S. 29. 632 Bernegger / Rechlingen: Monarchia (Anm. 586), pr61. Deutsche Übersetzung: Tacitus: Agricola (Anm. 614), S. 43.

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da sie von den römischen Kaisern nach Belieben und ohne eine vorangehende Untersuchung, die den Nachweis eines Vergehens hätte erbringen können, abgesetzt worden seien. Tacitus stellt das bezeichnende Beispiel der überaus grausamen Behandlung des Icenerkönigs Prasutagus durch die Römer vor,633 das sich ganz mit dem Verhalten deckte, welches die Iberer gegenüber ‚Atabalipas‘ (Atahualpa), dem König der Peruaner, an den Tag legten.634 Ähnliche oder noch dramatischere Berichte seien von denen zu erwarten, die gegenwärtig einer Weltherrschaft unterworfen sind, nämlich von den Amerikanern und den Niederländern, doch „ego nihil dico, qui non ita sum offensionum avidus“.635 Nach dem „Honestum et Utile“ der monarchia universalis wird abschließend nach dem „Facile“ gefragt, was gleich mit „Impossibile“ beantwortet wird (pr69). Viele große Pläne hörten sich in Reden gut an, scheiterten dann aber bei der Umsetzung.636 Campanella,637 Hoius638 und ihresgleichen könnten leicht das Bild einer „Monarchia Catholica“ entwerfen, eine solche aber zu verwirklichen, gelinge nicht. Für sie gilt der Rat: „Alle, die Pläne für große Unternehmungen fassen, müssen bedenken, ob ihr Beginnen für den Staat nützlich, für sie selbst ruhmvoll, ob es leicht durchführbar oder doch nicht allzu schwierig sei.“639 Auf Abwegen befänden sich die, welche nach dem Imperium Romanum, das unter den bedeutendsten Weltreichen als viertes und letztes gilt, auf der Basis 633 Tacitus: Annalen (Anm. 60), S. 687 (14.31): „Prasutagus, der seit langem durch seinen Reichtum berühmt war, hatte den Kaiser neben seinen beiden Töchtern zum Erben eingesetzt, weil er glaubte, Reich und Familie durch eine solche Unterwürfigkeit sicherstellen zu können. Es trat aber das Gegenteil ein: Sein Land wurde von Centurionen, sein Palast von Sklaven wie nach einer Eroberung verwüstet. Gleich anfangs wurde seine Gattin Boudicca mißhandelt, seine Töchter wurden geschändet. Die vornehmsten Icener beraubte man ihrer Erbgüter, die Verwandten des Königs behandelte man wie Sklaven.“ 634 Bernegger / Rechlingen: Monarchia (Anm. 586), pr62. Gemeint ist die Zerstörung des Inkareichs (1532) durch die spanischen Konquistadoren, insbesondere durch Francisco Pizarro (um 1476‒1541). 635 Bernegger / Rechlingen: Monarchia (Anm. 586), pr63. „Ich sage dazu nichts, weil ich nicht darauf aus bin, mich verhasst zu machen“; ein Zitat aus Tacitus (Annalen 3.54). 636 So wird Livius: Römische Geschichte (Anm. 565), S. 311 (= 44.41), zitiert mit den Worten: „Die meisten neuen Erfindungen der Menschen haben ihre Kraft in bloßen Worten; bei der Anwendung aber, wenn es darauf ankommt, daß etwas geschieht, und nicht, daß erörtert wird, wie etwas geschehen soll, versagen sie ohne jede Wirkung.“ 637 Anspielung auf: Thomas Campanella: Von der Spanischen Monarchy/ Oder Außführliches Bedencken/ welcher massen/ von dem König in Hispanien/ zu nunmehr lang gesuchter Weltbeherrschung/ […] allerhand Anstalt zu machen sein möchte. o. O. 1620. Vgl. Bosbach: Habsburger (Anm. 599), insbesondere S. 155 u. S. 162f. 638 Gemeint ist Andreas Hoius bzw. van Hoye (1551‒1631) aus Brügge. Er hatte 1598 eine Oratio de novae apud Europaeos monarchiae […] ad stabiliendum Christianae statum utilitate publiziert und war Professor für Griechisch, Rhetorik und Geschichte in Douai (damals Niederlande, heute Nordfrankreich). Die genannte Rede erschien zusammen mit zwei anderen in: Orationes tres. Douai 1598, als Einzelausgabe auch o. O. 1609. 639 Tacitus: Historien (Anm. 449), S. 259.

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biblischer Prophezeiungen irgendeine fünfte Weltherrschaft (monarchia) begründen zu können glaubten. Diese Meinung teile, so Bernegger und Rechlingen, die Mehrheit in der Gelehrtenwelt. Ein universales Reich (imperium universale), wie es gewisse Leute errichten wollten, sei mit dem göttlichen Willen und der göttlichen Vorsehung nicht vereinbar (pr70f.). Außerdem: Gibt es eine größere Überheblichkeit als den Versuch, eine der göttlichen Herrschaft vergleichbare universale Weltmonarchie errichten zu wollen? Den „divinae rationes“ schließt sich eine Überlegung ad hominem an: Die Aufteilung der Welt in Reiche und Königsherrschaften, die schon längst Tatsache sei, könne ohne Aufstand der gesamten christlichen Welt nicht rückgängig gemacht werden. Eine Destabilisierung der gesamten Staatenwelt durch das Weltmachtstreben eines Reiches wäre unvermeidlich. Allein die Angst vor einer möglichen Unterwerfung erzeuge die Gefahr, dass die davon bedrohten Magnaten präventiv Kriege beginnen, was schon in der Antike immer wieder geschehen sei. Die Bürger von Fidenae sahen „allzu nahe bei ihnen […] eine starke Macht“, nämlich die Römer, heranwachsen, „und bevor diese Macht so stark würde, wie sie offensichtlich zu werden drohte, fingen sie rasch einen Krieg an“.640 So endet die Dissertation mit der Aufforderung, sich mit dem Gegebenen zu begnügen, was mit dem Adagium des Erasmus: „Spartam nactus es, hanc orna“ zum Ausdruck gebracht wird. Eine monarchia universalis ist, fasst man die Argumentation zusammen, weder zu rechtfertigen noch ist sie den Herrschenden wie den Unterworfenen nützlich. Ja, sie ist praktisch nicht durchsetzbar. Indirekt schufen Bernegger und Rechlingen um diesen Leitbegriff herum auch ein Erklärungsmodell für die europäische Mächtepolitik.641 Es konnte dazu dienen, die Politik der Verfechter dieser Herrschaftsform einzuordnen und kritisch zu bewerten. In der Situation der 1620er Jahre gerieten die spanischen Habsburger ins Schussfeld, doch konnte dasselbe Analysekonzept auch auf spätere Machtkonstellationen der europäischen Politik angewandt werden,642 wie sich an Politikdisputationen der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zeigen lässt.643 Charakteristisch für die Straßburger historische Schule der Politik war, dass der Beweisführung geschichtliche Exempel und Sentenzen aus den Werken der antiken Klassiker, allen voran denen des Tacitus, zugrunde gelegt 640 Bernegger / Rechlingen: Monarchia (Anm. 586), pr74. Deutsche Übersetzung: Livius: Römische Geschichte (Anm. 418), S. 43 (mit leichten Änderungen). 641 Vgl. Bosbach: Habsburger (Anm. 599), S. 162. 642 Warf man zunächst den spanischen Habsburgern das Streben nach der Universalmonarchie vor, so in der zweiten Hälfte des 17.  Jahrhunderts dem Frankreich Ludwigs  XIV. Bosbach: Habsburger (Anm. 599), S. 166f. Dieser Vorwurf wurde – zumindest in englischen Flugschriften nach der Jahrhundertmitte – für so flexibel einsetzbar erachtet, dass man selbst die Niederlande als „Universal Monarchy“ attackieren konnte; Robert Rebitsch: Die englisch-niederländischen Seekriege. Wien, Köln, Weimar 2014, S. 147. 643 Vgl. Adam Rechenberg (Pr.) / Gottlob Christian Dölau „Eques Misnicus“ (Resp.): De monarchia universali, quae Europae imminere dicitur (16. Juli). Leipzig 1681; Michael Hoynovius (Pr.) / Heinrich Liedert (Resp.): Exercitatio historico-politica de monarchia universali (Mai). Königsberg 1691.

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wurden. Dabei nahm man auch die theoretisch-literarischen Befürworter einer spanischen Weltherrschaft wie Tommaso Campanella oder Kaspar Schoppe als Kontrahenten unter Beschuss.644 Im Grunde haben Bernegger und Rechlingen aber nur auf akademischem Niveau formuliert, was auch in zahlreichen Flugschriften, in politischen Korrespondenzen und offiziellen Verlautbarungen im Verlauf des Dreißigjährigen Krieges artikuliert wurde:645 Das Streben nach Weltherrschaft konnte nur durch Eroberungskriege vorangetrieben werden und hätte die zwangsläufige Unterdrückung zahlreicher Gemeinwesen bedeutet. Die Ausbreitung der christlichen Religion wäre dabei als bloßer Vorwand missbraucht worden. Der aktive Widerstand gegen solche Ambitionen galt insbesondere dem jungen Augsburger als notwendig und legitim sowie ein in diesem Sinne geführter Krieg, auch ein präventiver, als gerecht. Das Nebeneinander der christlichen Staaten Europas war für die Straßburger Schule alternativlos; mit einem universalmonarchischen Überbau, gleich ob normativ-ethisch oder christlich-religiös legitimiert, war es nicht vereinbar. Die Straßburger Sichtweise auf europäische Machtverhältnisse entspricht mittelbar jener bilateralen Konstellation, von der die moderne Forschung ausgeht.646 Demnach bildeten sich seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zwei Bündnissysteme, das habsburgische mit dem Königreich Spanien als Gravitationszentrum und das anti-habsburgische, heraus. Um die Mitte des 17. Jahrhunderts wandelten sich mit dem Niedergang der iberischen Hegemonialmacht, dem Westfälischen sowie dem Pyrenäenfrieden die Machtverhältnisse hin zu einem multipolaren System.647 Durch das Hinzutreten neuer Führungsmächte scheinen sich für die Zeitgenossen Pluralisierung und eine wachsende Unübersichtlichkeit ergeben zu haben. Als Konstante blieb nur der Krieg als das zentrale Problem der internationalen Beziehungen. Es war wiederum Boeckler, der Fragen zur und Probleme der europäischen Staatenwelt nach dem Dreißigjährigen Krieg in den Blick nahm. Dieser Krieg und der Aufenthalt in Schweden hatten sein Interesse an den zeitgenössischen Mächtekonflikten geweckt. Daraus resultierten nicht nur sein Kommentar zum Werk des Hugo Grotius, sondern auch verschiedene Dissertationen zum Verhältnis von Macht und Recht in den internationalen Beziehungen. In diesem Kontext ist die erwähnte Arbeit über Kriegsansagen und -manifeste zu verorten, mit der Boeckler auf die Unerlässlichkeit bedingter Kriegserklärungen hinarbeitete. Auf die zunehmende Zahl multilateraler Fürstenkongresse im 17.  Jahrhundert reagierte er mit einer weiteren Ab644 Zum in deutscher Übersetzung verbreiteten Werk Campanellas Von der Spanischen Monarchy vgl. Schmidt: Spanische Universalmonarchie (Anm.  599), S.  57 u. S.  131‒136, sowie oben mit Anm. 637; zur Schrift Classicum belli sacri Schoppes, auf die schon Bernegger reagiert hat, vgl. ebd., S. 136‒139, sowie oben mit Anm. 619. 645 Bosbach: Habsburger (Anm. 599), S. 152‒160; ausführlicher Schmidt: Spanische Universalmonarchie (Anm. 599), S. 115–162. 646 Heinhard Steiger: Bündnissysteme um 1600. Verflechtungen – Ziele – Strukturen. In: Jahrbuch für Europäische Geschichte 12, 2011, S. 77‒101. 647 Vgl. Klaus Malettke: Hegemonie – Multipolares System – Gleichgewicht. Internationale Beziehungen 1648/59‒1713/14. Paderborn, München, Wien 2012.

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Abb. 9: Titelblatt zu Johann Heinrich Boeckler (Pr.) / Johann Sibrand (Resp.): Quies in turbis sive societatis bellicae declinatio (September). Straßburg 1660. Exemplar der Staatlichen Bibliothek Regensburg, Signatur 999/4 Hist.Pol.1526(11.

handlung. In ihr befasste er sich mit Anlässen, Formen und Problemen solcher Kongresse und „colloquia“ von Fürsten und betrat damit einmal mehr Neuland für die historischpolitische Wissenschaft.648 Eine dritte Dissertation, die sich mit dem Stillhalten von Staaten bei Konflikten in der societas bellica befasst, zielt auf die genauere Bestimmung des Rechts auf Neutralität. Un648 Johann Heinrich Boeckler (Pr.) / Johann Maximilian Lersner (Resp.): De congressibus et colloquiis principum (Juli). Straßburg 1669. Der Respondent war Sohn eines Frankfurter Patriziers und Bürgermeisters. Er wurde hessen-darmstädtischer Rat und Oberamtmann und zählte zu den frühen Teilnehmern an Philipp Jakob Speners collegia pietatis. Auch bei dieser Arbeit stehen mehr oder minder der Krieg bzw. seine Vermeidung oder Beendigung im Zentrum. Die wichtigsten Beratungsgeschäfte der Fürstentreffen benennt These 7: „Negotiosi sunt vel causa Belli, tum vitandi, tum finiendi: vel causa Pacis, tum conservandae, per amicitias, et varias necessitudines, tum amplificandae ornandaeque per commercia, foedera, communicationes consiliorum, connexiones utilitatum.“

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ter Beizug zahlreicher Werke zur Zeitgeschichte, aber auch von internationalen Verträgen beleuchtete Boeckler hier die Probleme sogenannter ‚Zwischenmächte‘, die sich aus Kriegen anderer heraushalten wollten, und suchte natur- und völkerrechtliche Regeln für das Verhalten der Kriegführenden wie der Neutralen zu entwickeln. Er reagierte damit auf die zunehmende Praxis von Neutralitätserklärungen und -verträgen seit dem Dreißigjährigen Krieg.649 Seine Überlegungen zum ius ad bellum wie auch zu den Rechten der am Krieg Unbeteiligten bilden einen weiteren Straßburger Beitrag zu dem, was man – nicht ganz präzise – als „Theorie der internationalen Politik“ in der Frühen Neuzeit bezeichnen kann.650 Die Dissertation mit dem ungewöhnlichen Titel Quies in turbis stellte Boeckler zusammen mit seinem Studenten Johann Sibrand im September 1660 vor.651 Sie wurde vom Straßburger Historiker selbst in den Kontext seiner Arbeiten zum Werk von Grotius gestellt652 und als solche noch in der Staats- und Völkerrechtslehre des 18. Jahrhunderts rezipiert.653 Ihr Thema ist – allgemein gesprochen – die Neutralität im Krieg, genauer gesagt, das Stillhalten von Staaten bei militärischen Konflikten anderer Mächte. Können sich an649 Vgl. Stefan Oeter: Ursprünge der Neutralität. Die Herausbildung des Instituts der Neutralität im Völkerrecht der Frühen Neuzeit. In: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 48, 1988, S. 447‒488, hier S. 459‒467. Ausführlich zur Neutralität jetzt Axel Gotthard: Der liebe vnd werthe Fried. Kriegskonzepte und Neutralitätsvorstellungen in der frühen Neuzeit. Köln, Weimar, Wien 2014. 650 Vgl. Schilling: Konfessionalisierung und Staatsinteresse (Anm. 585), S. 147‒159. Wie sich an Boecklers Dissertation zeigen lässt, ist eine von der politischen Theorie gesonderte Darstellung des „Völker- und Kriegsrecht[s]“ (ebd., S. 138‒144) nicht ganz unproblematisch. 651 Johann Heinrich Boeckler (Pr.) / Johann Sibrand (Resp.): Quies in turbis sive societatis bellicae declinatio (September). Straßburg 1660. Die Dissertation umfasst 24 Textseiten und wurde vom Geschichtsprofessor und damaligen Dekan der Philosophenfakultät selbst verfasst; der Respondent, der später eine Gelehrtenkarriere in seiner Heimatstadt Rostock durchlief, verteidigte sie lediglich. Johann Sibrand (1637‒1701) gehört gleichwohl zu den bedeutenderen Schülern Boecklers. Der Sohn eines Syndikus wurde Professor an der Universität Rostock, zunächst für Ethik, ab 1674 dann für Jurisprudenz (Dekretalen). Seine Widmungsadressaten sind der schwedische Rat, Mecklenburger Hofgerichtsassessor und ehemalige Rostocker Syndikus Reinhold von Gehren, der mit Anna Sibrand, wohl einer nahen Verwandten, verheiratet war, dann ein im Dienst der schwedischen Krone stehender Rat am pommerschen Hofgericht in Greifswald, Matthäus Liebeherr, sowie ein Jurist. Unter den Gratulanten finden sich der Metaphysikprofessor Johann Faust, der Mecklenburger Ritter Lorenz von Preen und der Ulmer Elias Veiel, der 1656 unter Boeckler die Dokimasie erörtert hatte und nun bereits den Magistertitel führte. 652 Die Abhandlung wurde als Dissertatio V. ad Grotii lib. 3. c. II. n. 8. quies in turbis, sive, societatis bellicae declinatio in den Anhang (Dissertationes quinque ad commentationem Grotianam, S. 186‒224) zu Johann Heinrich Boeckler: In Hugonis Grotii jus belli et pacis […] commentatio. Straßburg 1663; ebd., 1704, dort S. 872‒912, aufgenommen. 653 Dietrich Hermann Kemmerich (Pr.) / Johann Adolph Wilhelm von Gohren (Resp.): Dilucidationes iuris publici de neutralitate prouti illa inter gentes liberas atque inprimis inter ordines S. R. Imperii usitata est. Jena 1747. Diese Dissertation, die 1735 im Erstdruck (mit leicht variiertem Titel) er-

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gesichts der komplexer gewordenen europäischen Mächteordnung insbesondere kleinere und Mittelmächte aus Kriegen der Großmächte heraushalten, ohne Schaden zu nehmen? Wie können sie sich, gerade wenn sie in verschiedene bi- oder multilaterale Verträge eingebunden und wirtschaftlich verflochten sind, der Vereinnahmung durch eine der Kriegsparteien entziehen? Ist es überhaupt rechtlich oder moralisch vertretbar, in einem gerechten Krieg einer sich im Recht wähnenden Kriegspartei den militärischen Beistand zu verweigern? Noch im konfessionellen Zeitalter hatte man dies für verwerflich gehalten.654 Die Arbeit will demnach Schwierigkeiten und Grenzen, aber auch Perspektiven der Normierung von Mächtebeziehungen in der europäischen societas bellica aufzeigen.655 Boeckler illustriert die Probleme des ‚Stillhaltens‘ zunächst am Beispiel von Einzelpersönlichkeiten. Atticus etwa sei bestrebt gewesen, sich aus dem politischen Leben herauszuhalten, um nicht in den Sog von Ereignissen hineingezogen zu werden, auf die er nicht steuernd einwirken konnte. Dass dies oft nicht möglich ist, zeige der Fall des römischen Feldherrn Spurinna, der große Mühe hatte, sich einem Aufruhr zu entziehen. Über ihn schrieb Tacitus: „Fit temeritatis alienae comes Spurinna, primo coactus, mox velle simulans, quo plus auctoritatis inesset consiliis, si seditio mitesceret.“656 Als zeitgenössisches Beispiel wird ein namentlich nicht genannter Ritter erwähnt, der im 16. Jahrhundert gegen seinen Willen zur Beteiligung an den Unruhen im Bauernkrieg gezwungen worden sei.657 Es sei nicht relevant, ob es sich um Aufstände, Tumulte oder Bürgerkriege handle. In der Praxis seien diese nämlich schwer voneinander unterscheidbar, wie man an den Kriegen zwischen Caesar und Pompeius sehen könne. Diese seien weder echte Bürgerkriege noch externe Kriege gewesen. Am ehesten noch könne man sie dem Typus eines „bellum commune“ zuordnen. Dieser Typus des ‚allgemeinen‘ Krieges bildet nun den Ausgangspunkt für die weitere Darstellung, in deren Rahmen Boeckler Probleme und Handlungsoptionen Neutraler bzw. jener auslotet, die in Feindseligkeiten anderer gegen schien, enthält einen Wiederabdruck der Arbeit Boecklers (sowie am Ende einen „Syllabus observationum de quiete in turbis“, vgl. ebd., S. 35‒85) und zitiert Boeckler zudem mehrmals. 654 Axel Gotthard: Neutralität. In: Enzyklopädie der Neuzeit 9, 2009, Sp. 152‒157, hier Sp. 153f. 655 Auf Boecklers Dissertation geht auch Gotthard: Der liebe Fried (Anm. 649), S. 477f., ein, wenngleich recht oberflächlich, mit fraglichen Wertungen sowie falscher fachlicher und zeitlicher Verortung. 656 Boeckler / Sibrand: Quies in turbis (Anm. 651), S. 2. Tacitus: Historien (Anm. 449), S. 177 (Historiae 2.18): „Dem unbesonnenen Vorgehen der anderen schloß sich Spurinna an, zunächst gezwungen, dann zum Schein freiwillig, um seinen Ratschlägen mehr Nachdruck zu verleihen, wenn sich der Aufruhr lege.“ 657 Als Quelle benennt Boeckler Petrus Gnodalius: Rusticanorum tumultuum in Germania, anno MDXXV. excitatorum. Erstmals erschien das Werk unter dem Titel: Seditio repentina vulgi, praecipue rusticorum, anno MD XXV. Basel 1569; deutsche Übersetzung: Der Peürisch und Protestierende Krieg Das ist, Historischer, warhafftiger und grundlicher Bericht der Bewrischen empörungen und auffrhur, so im Jar M.D.XXV. bey zeiten der Regierung Caroli des V. Römischen Keisers, in Teutschlandt entstanden. Basel 1573.

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ihren Willen hineingezogen werden. Ausgehend von historischen Exempeln analysiert er eine Vielfalt möglicher Konstellationen. Die Komplexität von Mächte- und Bündniskonstellationen schon in der Antike illustriert die Situation der Athener im ersten Mithridatischen Krieg (89‒84 v. Chr.), die auch Grotius auf der Basis von Velleius Paterculus erwähnt hatte. Eigentlich den Römern in Treue verbunden, befanden sich die Athener in diesem Krieg gezwungenermaßen im Lager des Mithridates, der die Stadt in seiner Gewalt hatte. Zugleich wurde sie 86 v. Chr. von den Römern unter Sulla belagert und schließlich erobert. Das Unglück der Athener bestand also darin, dass der Feind sie in der Hand hatte, während sie sich von den Freunden belagert sahen. Ihre Herzen waren „außerhalb der Mauern, ihre Leiber waren, der Notwendigkeit gehorchend, innerhalb der Mauern“.658 Grotius stellte diese Episode in den Kontext der Frage nach Beschränkungen des Tötungsrechts in einem gerechten Krieg, bei Boeckler dürfte die Lage der Stadt Straßburg im Konflikt der Großmächte Schweden, Frankreich und Habsburg den Hintergrund gebildet haben.659 Ein Stillhalten, das grundsätzlich ratsam erscheint, ist in solchen Fällen nicht möglich. Im Allgemeinen stehen Neutrale folglich vor dem Problem, unfreiwillig in die Feindseligkeiten anderer hineingezogen zu werden; zudem laufen sie Gefahr, zwischen den Kriegsgegnern zerrieben zu werden. Es gebe gute Gründe, so Boeckler, sich aus einem Krieg herauszuhalten. Gemäß dem Natur- und Völkerrecht habe man die Freiheit, „armis aliorum abstinere, et inter dissidia externorum quiescere“.660 Für Kriegsparteien wäre es ja auch unvernünftig, sich auf widerwillige Bundesgenossen zu stützen. Es gibt aber auch Argumente gegen neutrales Stillhalten. Sucht man etwa aus Feigheit oder verkehrter Schlauheit der Beteiligung am Kampf aus dem Wege zu gehen, so zieht man den Hass der Kriegführenden auf sich, die keine passiven Nutznießer ihres Erfolges dulden. Wie die Drohung des Königs Mithridates bei Sallust zeige,661 könne die Weigerung, sich am Krieg zu beteiligen, schwerwiegendere Folgen haben als die Parteinahme. Zu warnen sei auch davor, dass jemand sich die Rolle eines Schiedsrichters in einem Mächtekonflikt anmaße, um so dem Krieg fernbleiben zu können. Nur wer die Macht habe, sein Urteil durchzusetzen, könne diese Rolle gefahrlos in Anspruch nehmen. Gegenüber jenen Gewalten aber, die außer Gott keinen Richter anerkennen, stehe einem kein Urteil zu – und damit fehle auch der Entscheidungsspielraum zwischen Stillhalten und Parteinahme. 658 Boeckler / Sibrand: Quies in turbis (Anm. 651), S. 3: „ab inimicis tenerentur, oppugnabantur ab amicis; et animos extra moenia; corpora necessitati servientes intra muros habebant.“ Vgl. Grotius IBP 3.11,3; Velleius: Römische Geschichte (Anm. 289), 2.23,5. 659 Straßburg hatte, wie im ersten Teil erwähnt, gleich zu Beginn des Krieges die protestantische Union verlassen und sich zum Stillhalten verpflichtet, war dann aber Teilnehmer am Leipziger Konvent (vgl. Anm. 663) und ab 1633 als Mitglied des oberrheinischen Kreises am schwedisch geführten Heilbronner Bund beteiligt. 660 Boeckler / Sibrand: Quies in turbis (Anm. 651), S. 4. 661 Ebd., S. 4: „Illi, quos ignavia aut prava calliditas, uti meis laboribus tuti essent, armis abstinuit, acerbissimas poenas solvunt.“

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Für den Fall, dass das Tor des Janustempels bereits geöffnet und die Macht der Gerichte zur Schlichtung von Streitigkeiten nicht mehr wirksam sei, wäre eine weiteres Szenario durchzuspielen. Der Kriegführende könnte behaupten, dass die Verweigerung der Unterstützung im Krieg für ihn großen Schaden bedeute und sein Gemeinwesen bedrohe. Nicht jeder gerechte Grund, so Boeckler mit Grotius, legitimiere auch schon einen Krieg. Vielmehr könne man einer Aufforderung zum militärischen Beistand entgegenhalten: „Hinc ius meum est, revocare vos a dissidio, et si sequi non vultis, trahere.“ Nicht zu rechtfertigen sei nämlich, dass man eigenes Recht unter Inkaufnahme der Minderung der Rechte anderer durchsetzen wolle. Zudem missachte man ja die Autorität eines anderen nicht, wenn man das eigene Wohlergehen den Beschwerden des anderen voranstelle.662 Freilich sind die Entscheidungssituationen, in denen Partizipation am Krieg oder Abstinenz zur Debatte stehen, oft alles andere als eindeutig. Dies illustriert die Situation der Achäer im Zweiten Makedonisch-Römischen Krieg (200‒197 v. Chr.), die im Übrigen gewisse Parallelen zur Lage kleinerer und mittlerer Reichsstände im Mächteringen der Habsburger mit Schweden und Frankreich aufweist. Die strategische Position des Achaiischen Bundes im Spannungsfeld der Großmächte war derart kompliziert, dass sich bei der Versammlung, auf der Römer wie Makedonen um ein Bündnis bzw. den Beistand im Krieg warben, keine klare Präferenz für die eine oder andere Seite ergab. In dieser großen Unsicherheit ergriff nach der Schilderung des Livius Aristainos aus Megalopolis, der Stratege der Achäer, das Wort und stellte das Bündnis mit dem Makedonenkönig infrage, der wiederum schon zufrieden gewesen wäre, wenn sie sich neutral verhalten hätten. Aristainos warb stattdessen für das Bündnisangebot der Römer; den Mittelweg zwischen den Fronten einschlagen und sich heraushalten zu wollen, sei nicht die sicherste Lösung, sondern überhaupt keine. Die Achäer hätten also nur die Wahl zwischen Ablehnung oder Annahme des römischen Bündnisangebots, zwischen Feindschaft oder Freundschaft der Römer, gehabt. Für Boeckler war Aristainos vermutlich das Vorbild Hans Georgs von Arnim, der seinen Dienstherrn, den sächsischen Kurfürsten Johann Georg, zur Abkehr von einer „Politik der bewaffneten Neutralität“ und zu „einer begrenzten Zusammenarbeit mit Schweden“ überreden konnte.663 Der Straßburger Historiker fragt hier aber: Was ist von dieser Rede zu halten? Hatten die Achäer tatsächlich nur diese zwei Optionen? Das glaubt er nicht, unterstellt dem Redner, den Livius in dieser Weise hat sprechen lassen, vielmehr eigennützige Voreingenommenheit, welcher zudem rechtliche Erwägungen ent-

662 Boeckler / Sibrand: Quies in turbis (Anm. 651), S. 6; Referenz ist Grotius IBP 2.24,1. 663 Kampmann: Reich im Dreißigjährigen Krieg (Anm. 516), S. 76 u. 78. Von Arnim war Befehlshaber des 1631 aufgestellten Heeres der von Sachsen angeführten reichsständisch-protestantischen Mittelpartei, die sich zu Beginn dieses Jahres mit dem Leipziger Konvent gebildet hat. Zu dieser ‚Partei‘ gehörten neben verschiedenen Reichsfürsten auch einige Reichsstädte wie Straßburg, Nürnberg und Frankfurt/Main.

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gegenstünden.664 Eine neutrale Haltung wäre seiner Meinung nach nämlich gleichfalls möglich gewesen. Allerdings haben Neutrale bestimmte Pflichten zu beachten, damit sie in ihrer Rolle anerkannt werden.665 Sie müssen aufrichtig ihren Mittelweg verfolgen, dürfen weder die eine Seite favorisieren noch die andere hassen. Sie dürfen „nichts tun, was den Verteidiger der schlechten Sache stärke oder was das Unternehmen dessen, der die gerechte Sache führe, hindern könnte. […] In zweifelhaften Fällen müssen beide Teile gleich behandelt werden, sowohl in Bezug auf den Durchmarsch wie in der Gewährung des Unterhalts für die Truppen und in der Enthaltung jeder Unterstützung der Belagerten.“666 Das ergibt sich auch aus der Bestimmung des bellum iustum.667 Demnach spreche man von einem rechtmäßigen Krieg nicht nur wegen des gerechten Grundes, sondern auch wegen der damit verbundenen Rechtswirkung – ein Aspekt, den Boeckler schon 1648 in der Dissertation über die clarigatio betonte. Wer sich aus einem Krieg heraushalten wolle, habe sich eines Urteils über die Legitimität der Gründe beider Konfliktparteien zu enthalten und sie als rechtmäßige Feinde anzuerkennen. Solchen Kriegsgegnern könne de iure dann auch ein Durchzugsrecht durch das eigene Gebiet nicht verweigert werden. Wer dies dennoch tue, wie seinerzeit Caesar gegenüber den Helvetiern, der müsse Waffengewalt einsetzen und werde damit selbst zur Kriegspartei. Als wichtiger Streitpunkt entpuppt sich sodann die Frage nach der Gewichtung der Rechte der Kriegführenden im Verhältnis zur Verkehrs- und Handelsfreiheit der Unbeteiligten. Grotius hatte letztere aus dem Naturrecht hergeleitet, weil er aus der Geschichte nicht habe entnehmen können, „dass das freiwillige Völkerrecht [ius gentium voluntarium] hierüber etwas bestimmt“.668 Dies nimmt Boeckler zum Anlass, sein breites historisches Wissen in Stellung zu bringen, um die nötigen Beispiele – nun alle aus der neueren Geschichte – nachzutragen. Problematisch sei der Handel neutraler Länder mit einer der Kriegsparteien, weil der Handelsfreiheit dann das Recht des Krieges entgegenstehe. Mit der Bekanntmachung des Krieges benenne eine Kriegspartei nicht nur den Feind und die Gründe für den Waffengang, sondern artikuliere auch die berechtigte Hoffnung auf eine glückliche Durchführung des letzteren. Diese dürfe von Unbeteiligten durch ihre Handelsbeziehungen mit dem Gegner nicht einfach unterminiert werden. Grotius differenzierte hier zwischen kriegstauglichen und -untauglichen Waren und konzedierte der Kriegspartei auch in Bezug auf Gegenstände, die „eines doppelten Gebrauches fähig sind“, 664 Boeckler / Sibrand: Quies in turbis (Anm. 651), S. 9f., mit Rekurs auf Livius: Römische Geschichte 32.20f. 665 Vgl. Oeter: Ursprünge der Neutralität (Anm. 649), S. 467‒472. 666 Boeckler / Sibrand: Quies in turbis (Anm. 651), S. 10: „Eorum, qui a bello abstinent, officium est […]“ Grotius, IBP 3.17,3. Deutsche Übersetzung nach Grotius: Recht des Krieges (Anm. 564), S. 544. 667 Boeckler / Sibrand: Quies in turbis (Anm. 651), S. 11, mit Verweis auf Grotius (IBP 3.3,1). 668 Grotius: Recht des Krieges (Anm. 564), S. 422 (= IBP 3.1,5).

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ein Notrecht zur Beschlagnahme, wenn solche Waren die Kriegsfähigkeit des Gegners förderten und der Händler derselben dies hätte wissen können.669 In der Praxis kann, so Boeckler, ein solcher Warenhandel aber oft nicht oder nur mit Gewalt verhindert werden. Im Schwedisch-Russischen Krieg (1554‒1557) versuchte Gustav I. Wasa den englischen Warenhandel mit dem Moskauer Großfürstentum zu unterbinden und bat den dänischen König, sich dementsprechend bei der englischen Königin Maria Tudor zu verwenden. Diese habe zur Antwort gegeben, dass sie aufgrund von Privilegien ihren Untertanen die Handelsfreiheit nicht beschneiden könne. Tatsächlich gab es kommerzielle Interessenkonvergenzen zwischen England und Moskau; 1555 wurde daher eine russische Handelsgesellschaft, die ‚Muscovy Company‘, gegründet. Vergleichbare Meinungsverschiedenheiten gab es zu Beginn des 16. Jahrhunderts auch zwischen dem Schwedenkönig Johann II., der mit dem Reichsverwalter Sten Sture im Krieg lag, und den Hansestädten, allen voran Lübeck. Johann II. ermahnte diese, dass sie, wollten sie neutral sein, seinem Gegner keine Waffen und anderes Kriegsdienliche liefern sollten. Als die Lübecker auf dem Freihandel bestanden, ließ der König ihre Schiffe mit Waffengewalt beschlagnahmen.670 Idealerweise bedenkt man solche Problemkonstellationen beim Abschluss von Handelsabkommen mit, um Konflikten vorzubeugen. Als lobenswert erachtete Boeckler daher Handelsverträge wie den zwischen dem Schwedenkönig Gustav I. Wasa und dem König von Frankreich aus dem Jahr 1559. Auch der schwedisch-niederländische Vertrag von 1645 ist Boeckler eine ausführliche Erörterung wert. Dieser hatte das grundsätzliche Recht auf freien Handel und freie Schifffahrt ebenso festgehalten wie die Fälle, in denen die Vertragspartner sich verpflichteten, dieses Recht etwa bei Belagerungen für sich und ihre Untertanen auszusetzen.671 Wie das bisher Gesagte schon zeigt, bestand die Herausforderung darin, in der komplexer gewordenen und vertraglich vielfach verflochtenen Staatenwelt des 17.  Jahrhunderts das Handeln der Akteure in den militärischen Konflikten natur- und völkerrechtlich zu normieren. Verkomplizierend wirkte nicht nur, dass neue Mächte wie etwa die Nieder669 Ebd., S. 421. 670 Quelle für beide Episoden ist Johannes Loccenius: Rerum Svecicarum historia. Stockholm 1654; Uppsala 1662. 671 Boeckler / Sibrand: Quies in turbis (Anm. 651), S. 13f. Der 1640 vereinbarte und 1645 dann veröffentlichte Vertrag zwischen Schweden und den Generalstaaten sah in Artikel sechs vor, dass keiner der Vertragspartner den Feinden des anderen mit „Rath, Gütern, Geld, Proviant, Soldaten, Schiffen, Schiffsleuten, Waffen, Pulver, Munition oder anderen Kriegssachen assistieren“ dürfe. Artikel sieben, gleichfalls von Boeckler in Gänze zitiert, stellt dann klar, dass Schifffahrt und Handel mit den Feinden des Bundesgenossen grundsätzlich frei sein sollten. Der einzige Vorbehalt lautet, dass im Falle einer Belagerung des einen der andere „Confoederierte die Schiffart an selben Ort so lang aufschiebe und sich der Commercien Gebrauch enthalte“ und auch seine Untertanen dazu veranlasse, bis die Belagerung erfolgreich beendet oder aufgegeben worden ist. Deutsche Übersetzung (hier leicht modernisiert wiedergegeben) in Johann Peter Lotichius: Theatri Europaei Fünffter Theil: Das ist […] vom Jahr 1643 biß in gegenwärtiges 1647 […] beschrieben. Frankfurt 1651, S. 738.

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lande ihre Ansprüche stellten,672 sondern auch die Überlagerung von machtpolitischen durch handels- und wirtschaftspolitische Interessen. Im vollen Umfang Neutrale konnte es in einem solchen internationalen Umfeld gar nicht mehr geben, weswegen Boeckler seine Abhandlung auch nicht De neutralitate betitelte. Die Sondierung der Rechte der bei Kriegen ‚Dazwischenstehenden‘ (medii) bzw. der – mehr oder minder – unparteiischen Zwischenmächte, aber auch die Rechte der Kriegführenden gegenüber jenen stellte eine nicht gerade einfache Aufgabe dar. Zu einer stillhaltenden Zwischenmacht wurde 1604 England unter König Jakob I. mit dem Londoner Vertrag,673 der den seit 1585 währenden spanisch-englischen Seekrieg entschärfen sollte, einen Teilkonflikt des Ringens der 1596 gebildeten Tripelallianz aus Frankreich, England und den Niederlanden mit der Hegemonialmacht Spanien. Spanier und Engländer vereinbarten unter anderem, dass keiner des anderen Feinde oder gegen ihn Rebellierende unterstützen wolle und dass der Ärmelkanal für spanische Schiffe geöffnet sein sollte. Jakob I. verpflichtete sich weiter dazu, dass er den Warenhandel, den seine Untertanen im Auftrag der Niederländer betrieben, beschneiden werde. Eine weitere Vereinbarung betraf die englischen Besatzungen von Festungen in Seeland und Holland, welche dort aufgrund eines Vertrages zwischen Jakobs Vorgängerin Elisabeth I. und den Niederländern stationiert waren. Auch diese sollten die Rebellen, also die Niederländer, nicht unterstützen. Jakob I. war aber aufgrund des genannten älteren Vertrages verpflichtet, diese Festungen niemand anderem als den niederländischen Ständen zu übergeben, wenngleich er vorgab, eine Einigung zwischen den niederländischen Ständen und den Habsburgern abwarten zu wollen. Die Niederlande sahen sich mit dem Londoner Vertrag – trotz der vorangehenden Verträge mit Elisabeth  I. – nicht nur eines Bündnispartners beraubt, sondern darüber hinaus veranlasst, dem nun angeblich neutralen England zu misstrauen. Wie Boeckler weiter aus der niederländischen Geschichte des Grotius referiert,674 kam es daher auch zu Konflikten mit England. So hinderten die Niederländer englische Schiffe am freien Zugang zur Scheldemündung und nach Antwerpen, obwohl doch, so der Einspruch König Jakobs  I., einem neutralen Land der freie Handel hätte zugestanden werden müssen. Auch stände es den „bellantes“ nicht zu, in Gebieten der stillhaltenden Zwischenmächte ihr Kriegsrecht auszuüben und ebenda gegen Aktivitäten ihrer Gegner vorzugehen. Voraussetzung dafür sei freilich, dass sich die zum Stillhalten Verpflichteten auch tatsächlich in keiner Weise in Kriegshandlungen einmischten. Dazu 672 Die nördlichen Provinzen der Niederlande wurden schon bald nach der Utrechter Union von 1579 zu begehrten Bündnispartnern der anti-habsburgischen Mächte Frankreich und England. Aus verschiedenen bilateralen Abkommen mit antispanischer Stoßrichtung ging 1596 die Haager bzw. Tripelallianz hervor. Steiger: Bündnissysteme (Anm. 646), S. 82. 673 Boeckler / Sibrand: Quies in turbis (Anm. 651), S. 14f. Zur Bedeutung des Londoner Vertrages in der verworrenen europäischen Bündnisarchitektur Steiger: Bündnissysteme (Anm. 646), S. 84. 674 Hugo Grotius: Annales et historiae de rebus Belgicis. Amsterdam 1657; ebd. 1658; die paraphrasierten Passagen ebd. (Buch 13), S. 453f.

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gehörte in diesem Fall etwa auch, dass englische Schiffe die spanischen Streitkräfte nicht mit Waren versorgten oder Dienstleistungen wie den Transport von Truppen für sie erbrachten, was die Niederländer zu Recht befürchteten. Schwer zu entscheiden sei, so Boeckler, wie in konkreten Einzelfällen das Recht auf freien Handel einerseits und der Kriegszustand mit den damit einhergehenden Rechten andererseits gegeneinander abzuwägen seien. Die ‚Bataver‘ jedenfalls begegneten dem vom englischen König geäußerten Vorwurf der Rechtsverletzung mit dem Hinweis, sie hätten, so die Darstellung des Grotius, mehr auf ihre Feinde Acht zu geben als auf Grenzverläufe zu Lande und zu Wasser. Obgleich England die Niederlande weiterhin militärisch gegen die Spanier unterstützte, fanden die unterschwelligen handels- und wirtschaftspolitischen Gegensätze auch nach dem erneuten Aufflammen des niederländischen Befreiungskampfes ab 1621 ihren Fortgang. Ausführlich geht Boeckler auf den niederländischen Admiral Maarten Tromp (1598‒1653) ein, der den Kampf gegen die spanischen Seestreitkräfte auch in englischen Gewässern führte. Vom englischen Admiral John Pennington sei er deshalb aufgefordert worden, die Kampfhandlungen an der englischen Küste einzustellen. Das ‚neutrale‘ England unter König Karl I. wollte den Krieg von der eigenen Küste fernhalten, indirekt aber auch seine Politik des mare clausum und die Vorherrschaft auf dem Meer durchsetzen. Die Generalstaaten wiederum waren über die englische Rüge nicht zuletzt deshalb aufgebracht, da sie ihren Kampf auch im Sinne der Engländer zu führen wähnten. Erneut betonten sie, dass das Kriegsrecht hier den Vorrang habe: „Necessitas […] ante rationem est, maxime in bello.“675 Und dementsprechend handelten sie. Die Seeschlacht bei den Downs (Oktober 1639) und der Sieg über die spanische Flotte wurde Tromps berühmteste Tat.676 Sie fiel in eine vorübergehende Phase des Rückzugs „Englands aus dem internationalen Kriegsgeschehen“;677 die geschilderten Konflikte zwischen den beiden Staaten diesseits und jenseits des Ärmelkanals sind somit nur bedingt zur Vorgeschichte der späteren englisch-niederländischen Seekriege zu rechnen. Boeckler interessierte das diplomatische Hin und Her zwischen Tromp und den Niederländern einerseits und Pennington als Befehlshaber seines Königs andererseits. Dazu diskutiert er, ob Tromps Angriff auf die spanische Flotte in englischen Gewässern und Häfen nach dem Kriegsvölkerrecht vertretbar und die dafür vorgebrachten Argumente stichhaltig gewesen seien. Eine wesentliche Rechtswirkung der Kriegserklärung bestehe darin, dass man auch die Untertanen des Feindes überall als Feinde behandeln dürfe. Überall meint im eigenen und im Land des Feindes, im Niemandsland und auf dem Meer.678 Diesem Recht zur Verfolgung des Feindes sind aber selbst in einem gerechten Krieg Grenzen gesetzt, nämlich 675 Boeckler / Sibrand: Quies in turbis (Anm. 651), S. 16. 676 Vgl. J.J.A. Wijn: Maarten Harpertszoon Tromp. In: The Great Admirals Command at Sea, 1587‒1945. Hg. von Jack Sweetman. Annapolis 1997, S. 36‒57. 677 Rebitsch: Seekriege (Anm. 642), S. 27. 678 Die Kriegserklärung richtet sich nicht nur an den Souverän, sondern auch an dessen Volk: „Nam cum alicui bellum indicitur, simul indicitur ejus populi hominibus“ (Grotius IBP 3.4,8). Und ein

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durch die territoriale Integrität befriedeter Neutraler. „In territorio autem pacato, quod eos interficere aut violare non licet: id jus non ex ipsorum venit persona, sed ex jure ejus qui ibi imperium habet.“679 Staaten (civiles societates) können bestimmen, dass nur auf gerichtlichem Weg gegen Personen eingeschritten werden dürfe. Wo Gerichte wirksam arbeiten („ubi […] Judicia vigent“), da höre das blinde Recht auf Schädigung des Feindes (ius nocendi) im Krieg auf. Wenn dies in der Praxis oft missachtet werde, so mindere dies die Autorität des Völkerrechts nicht, zeige aber die Schwäche der befriedeten Neutralen. So komme es vor, dass ein abgewehrter Feind sich auf das Gebiet eines befriedeten Drittstaates zurückziehe und die andere Kriegspartei, weil der Feind dort eingelassen wurde, sich veranlasst sehe, den Krieg eben dorthin zu tragen. Boeckler fragt nach der Rechtmäßigkeit dieses Tuns und schildert – ohne Namen zu nennen – das Beispiel eines Feldherrn, der es nicht gewagt habe, die in das Gebiet eines neutralen Landes geflohenen feindlichen Truppen zu verfolgen. Ein kluger Feldherr würde das dann nicht tun, wenn er dazu kein Mandat von seinem Souverän hätte oder im Zweifel wäre, ob sein Souverän dies genehmigen würde. Nun aber seien, wie Boeckler vorliegende Dokumente belegen, jene des Wortbruchs beschuldigt worden, durch deren Gebiet den Fliehenden der Weg offen gestanden habe. Jene gaben zu Antwort, sie hätten den Bittenden den Durchzug verweigert, ihn aber nicht verhindern können, weil die Fliehenden sich diesen Weg gewaltsam gebahnt hätten und davon nicht abzuhalten waren. Die Dokumente der anderen Partei legten demgegenüber dar, dass der Souverän, dem der Feldherr unterstand, den Waffenstillstand für gebrochen hielt, weil den Feinden der Weg in eben das Land offen stand, mit welchem er eigentlich einen Waffenstillstand vereinbart hatte. Beide Seiten hätten zwar die Gültigkeit desselben und ihre aufrichtigen Absichten betont, doch könne insbesondere bei einem zu wenig befestigten Gebiet doch das geschehen, was weder der Absicht des souveränen Kriegsherrn noch dem Gelübde des neutralen Landes entspreche.680 Mit anderen Worten: Ohne ausreichende militärische Abwehrkräfte werde man zum Spielball der Mächtigen. Vergleichbar sind Fragen nach dem, was gegenüber befriedeten Neutralen bzw. in deren Ländern erlaubt ist. Die Kriegführenden rechtfertigen sich häufig mit dem ‚ius necessitatis‘ und der ‚ratio belli‘, um einen Ort in einem befriedeten Land zu besetzen, den auch der Feind zu besetzen trachtet und von dem aus dieser größten Schaden anrichten könnte. Nach Grotius (IBP 2.2,10) sei aber die bloße Besetzung (nuda custodia) des Ortes erlaubt, die auch nur so lange währen dürfe, wie es die necessitas erfordere; dem Eigentümer müsse sein Recht und die Nutznießung des Ortes verbleiben. In der Praxis werden, das beobachtete Boeckler „ex bellis huius Saeculi Germanicis“, die Rechte des Eigentümers jedoch kaum beachtet und der besetzte Ort nach Wegfall der Notwendigkeit nicht geräumt.681 solcher „Kriegsfeind kann […] nach dem Völkerrecht überall angegriffen werden“; Grotius: Recht des Krieges (Anm. 564), S. 451. 679 Grotius IBP 3.4,8. Sinngemäß zitiert bei Boeckler / Sibrand: Quies in turbis (Anm. 651), S. 17. 680 Boeckler / Sibrand: Quies in turbis (Anm. 651), S. 20. 681 Ebd., S. 18.

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Aus der Perspektive der „pacati“ sei aber prinzipiell zu fordern, so der Straßburger Gelehrte, dass vor der präventiven Besetzung eines neutralen Ortes geprüft wird, ob man seinen Feind nicht anderweitig von demselben Vorhaben abbringen könne. Vage Vermutungen über einen möglichen Machtzuwachs und über mögliche Aktivitäten des Feindes erlaubten ‒ so auch Grotius (IBP 2.1,17) ‒ grundsätzlich keine Gewaltanwendung. Mit den Pflichten von Neutralen unvereinbar ist die „callida […] quietis et amicitiae ostentatio“.682 Karl VIII. von Frankreich (regierend 1483‒1498) ermahnte im Rahmen seines Italienfeldzuges zur Eroberung des Königreichs Neapel die Venezianer, sich an das mit seinem Vater Ludwig  XI. geschlossene Bündnis zu halten und keine neuen, gegen Frankreich gerichteten Bündnisse einzugehen.683 Aus Furcht vor der französischen Hegemonie aber bildeten diese 1495 dann doch zusammen mit König Ferdinand II. von Aragon, Kaiser Maximilian I., dem Herzogtum Mailand und dem Papst die Heilige Liga von Venedig.684 Das eigentliche Ziel, nämlich die Abwehr der Franzosen, wurde verschleiert mit der angeblichen Absicht der Türkenabwehr. Man müsse, so Boeckler, untersuchen, was gegenüber den in der Mitte Stehenden erlaubt sei, welche zwar Unparteilichkeit zur Schau stellen, dann aber durch geheime Aufrüstungen dem einen oder dem anderen Widerwärtigkeiten bereiten. Entweder sind sie mit dem einen verbündet, begünstigen aber heimlich dessen Gegner, oder sie sind mit beiden verbündet und wünschen, aus unterschiedlichen Interessen, den einen unterstützt und den anderen unterdrückt. Wenn dafür objektive Zeugnisse vorliegen, über die – unvoreingenommen beurteilt – keine Zweifel möglich seien, so müssten diejenigen, welche unter Vortäuschung von Freundschaft pflichtwidrig handeln, als Feinde betrachtet und nach Möglichkeit verfolgt und bestraft werden. Gegen solche unaufrichtigen ‚Freunde‘ könne, wie die meisten Autoren meinen, mit den gleichen Maßnahmen vorgegangen werden, mit denen sie die anderen getäuscht haben. Man könne etwa den Anschein von Verhandlungsbereitschaft erwecken und Gesandte austauschen, bis man unversehens die Waffen gegen die Hinterlistigen richte. Die Möglichkeit dazu werde allerdings durch die Wechselfälle des Krieges eingeschränkt. Unter Umständen diktierten neu eingetretene Entwicklungen, dass man mehr für seine Sicherheit als für Rache sorgen müsse. Im Allgemeinen aber werde, so Boeckler auf den letzten Aspekt seiner Abhandlung eingehend, jenen, „qui medii sunt“, gerne die Aufgabe übertragen, „ut discordantes ad pacem et consensionem temperare summa ope studeant“.685 Die Situation ernsthafter 682 Ebd., S. 20. 683 Diesem ausführlich erörterten Exempel liegt als Quelle zugrunde: Philippe de Commynes: De Carolo Octavo, Galliae rege, et bello Neapolitano, commentarii. Straßburg 1548; ebd. 1562. 684 Vgl. Hermann Wiesflecker: Maximilian I. und die Heilige Liga von Venedig (1495). In: Festschrift Wladimir Sas-Zaloziecky zum 60. Geburtstag. Hg. von Gertrude Gsodam. Graz 1956, S. 178‒199. 685 Boeckler / Sibrand: Quies in turbis (Anm. 651), S. 21. Vgl. Christoph Kampmann: Friedensstiftung von außen? Zur Problematik von Friedensvermittlung und Schiedsgerichtsbarkeit in frühneuzeitlichen Staatenkonflikten. In: Gewalt in der Frühen Neuzeit. Beiträge zur 5. Tagung der Arbeits-

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Friedensvermittler ist ebenfalls nicht einfach. Für die, welche außerhalb der Kriegsparteien stehen, „praesertim Christiani inter Christianos“, ist es verdienstvoll, sich um den Frieden zu bemühen und entsprechende Verhandlungen zu initiieren. Diese schwierige Aufgabe zu übernehmen ist aber, so Boeckler, für die nicht vernünftig, welche wenig mächtig und von geringer Autorität sind. Zu den Pflichten solcher Vermittler, Unterhändler oder Mediatoren gehöre es, dass sie rechtzeitig die Zornausbrüche der Kriegführenden unterbinden und nicht warten, bis Morde mit Mordtaten, Verluste mit Zufügung weiterer Verluste vergolten werden. Sie müssen sich gerecht gegenüber beiden Seiten zeigen, mit Klugheit und Mäßigung alles vereiteln, was den Verhandlungen schaden könnte; sie sollten sich nur an Tatsachen halten und frei von Drohungen und Anschuldigungen agieren. Aber dürfen sie dabei auch eigene Vorteile erstreben? Es wäre wohl vergeblich und auch unangemessen, ihnen dies untersagen zu wollen. Dem Zeitgeist entsprechend wünsche heute kaum jemand ernsthaft den Frieden und setze sich für ihn ein, wenn er davon nicht auch selber einen Nutzen habe. Weil solche Verhandlungen von Leidenschaften, geheimen Rivalitäten, Hoffnungen und Ängsten sowie dem Abstumpfen der Sinne und des Verstandes geprägt seien, komme es nicht selten vor, dass Krieg führende Parteien derartige ‚Makler‘ samt ihren Ratschlägen und Ermahnungen zum Frieden ausdrücklich nicht akzeptierten, sondern ohne solche Vermittler in die Friedensverhandlung einträten. Darf man aber das Angebot, ernsthafte Anstrengungen zur Friedensvermittlung zu unternehmen, tatsächlich ablehnen? „Quidni?“ Jeder Staat könne beanspruchen, allein über seine Angelegenheiten zu entscheiden. Wenn sich andere einmischen wollten, so könne er dies unterbinden oder solchen Aktivitäten Grenzen setzen. Doch sei auch hierbei klug abwägende Vorsicht geboten und darauf zu achten, was man wem und wie abschlagen wolle. Das Ansehen des für den Frieden Intervenierenden sei dabei entscheidend. Der Straßburger Gelehrte unterscheidet abschließend mit Grotius unterschiedliche Typen von Schiedssprüchen der ‚arbitratores‘, ‚arbitri compromissarii‘ oder ‚mediatores‘ und führt ein letztes Exempel an.686 Insgesamt kulminiert die Argumentation der Dissertation Boecklers im Bestreben, das Stillhalten von Staaten bei militärischen Konflikten anderer völkerrechtlich zu verankern und ihren Anspruch auf Neutralität zu legitimieren. Die Kriegsparteien müssen sie zwar nicht als Schiedsrichter akzeptieren, haben aber die Pflicht, die territoriale Integrität der ‚Stillhalter‘ zu achten, soweit diese nicht ihre Neutralitätspflichten verletzen. „Die europäische Mächteordnung erscheint somit als rechtliche Ordnung“, die „gegenseitige Rechte

gemeinschaft Frühe Neuzeit im VHD [Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands]. Hg. von Claudia Ulbrich u. a. Berlin 2005, S. 245‒259. 686 Boeckler / Sibrand: Quies in turbis (Anm. 651), S. 22‒24. Vgl. dazu auch Kampmann: Friedensstiftung (Anm. 685), S. 248, der bezüglich der Mediation zeigt, „wie flexibel die politisch und diplomatisch Verantwortlichen agieren konnten“.

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und Pflichten begründet“. Jedoch blieb „dieses Europa […] ein kriegerisches Europa“.687 Das Spannungsverhältnis zwischen Macht und Recht bestand fort. Der formalen Gleichheit der souveränen Mächte stand, was Boeckler gelegentlich einräumen musste, deren recht unterschiedlich ausgeprägtes militärisches Gewaltpotential gegenüber, das die Chancen auf die Durchsetzung eines völkerrechtlichen Anspruchs auf unbehelligtes Stillhalten und auf Achtung der Neutralität letztlich doch erheblich beschränkte.

5. Antike Geschichtsschreibung als Spiegel der Gegenwart Die Straßburger Schule der historisch-politischen Wissenschaft hat mit einer großen Zahl von Publikationen, darunter Editionen, Kommentare und vor allem Dissertationen, ein eigenständiges Profil entwickelt, das an den Universitäten Europas seinesgleichen sucht. Grundlage des Erfolges war, dass es schon ihrem Gründer Matthias Bernegger gelang, eine große Zahl von Schülern, darunter viele von adliger Abstammung, aus weiten Teilen des Reiches und des österreichisch-habsburgischen Machtbereichs anzuziehen. Unter den rund 200 einschlägigen Dissertationen, die allgemein von recht unterschiedlicher Qualität waren, ragen nicht wenige durch originelle Themenstellungen oder politisch ambitionierte Argumentation heraus. Die eher einfacheren Abhandlungen und Fragensammlungen lassen immerhin die Vielfalt politisch brisanter Gegenstände erkennen, welche die Studenten mit ihren Professoren im Rahmen der Disputation, also der mit der Dissertation verknüpften mündlichen Veranstaltung, diskutierten. Auffallende Schwerpunkte bildeten Abhandlungen zu Leitbildern des Fürsten, Porträts antiker ‚Staatsmänner‘ und Handlungsanleitungen für Räte. Profilbildende Akzente setzte die akteurzentrierte und Machtverhältnisse fokussierende Elsässer Denkfabrik zudem auf den Feldern der Staatenkunde, der Lehre des Krieges und der ‚internationalen‘ Beziehungen. Dabei brachte es der historisch-empirische Ansatz und der damit einhergehende Anspruch der Straßburger auf eine stärkere Praxisrelevanz ihrer Politiklehre mit sich, dass man hier im Unterschied zu vielen anderen Universitäten auf die Erörterung der tendenziell abstrakteren Standardthemen der ‚politica‘ – etwa das des ‚politicus‘, der ‚Souveränität‘ oder des ‚gerechten Kriegs‘ – weitgehend verzichtete. Auch die Dichotomie von imperium und obsequium, welche sowohl die aristotelische Politica wie auch das ius publicum als grundlegendes Instrument zur Analyse von Herrschaft und ‚Staat‘ nutzte,688 erschien der Elsässer Denkschule als weniger tauglich. 687 Heinhard Steiger: Rechtliche Strukturen der Europäischen Staatenordnung 1648‒1792. In: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 59, 1999, S. 609‒647, hier S. 622f. 688 Vgl. Wolfgang E. J. Weber: Imperium et obsequium. Regierung und Gehorsam im frühneuzeitlichen Reich aus der Sicht des zeitgenössischen Öffentlichen Rechts und der Politikwissenschaft. In: Mitregieren und Herrschaftsteilung in der Frühen Neuzeit. Beiträge zur Machtfrage im Alten Reich und in Bayern. Hg. von Wolfgang Wüst. Erlangen 2016, S. 3‒16.

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Die Interpretation der in Auswahl analysierten Thesenschriften suchte neben inhaltlichen Aussagen auch die Konstellationen und Kontexte ihrer Entstehung zu erfassen. Dabei zeigte sich, dass die ‚Straßburger Schule‘ zwar von ihren Lehrern – Bernegger, Schaller, Boeckler – geprägt wurde, dass aber auch die Schüler unter dem Einfluss ihrer schulischen Bildung oder aufgrund der politischen Erfahrungen in ihrem Herkunftsmilieu Themenstellungen eigenständig zu entwickeln vermochten. Die spannungsgeladene Atmosphäre des 17. Jahrhunderts förderte grundsätzlich ein breites gesellschaftliches Interesse an politisch-historischer Bildung, welches durch den in Straßburg dominierenden Tacitismus in spezifischer Weise kanalisiert wurde. Den Resonanzboden für die Deutung der politischen Welt des 17. Jahrhunderts lieferte überwiegend die römische Geschichte. Wie ihre zeitgenössischen Leitautoren Justus Lipsius und Hugo Grotius zogen die Verfasser der Dissertationen die Klassiker der Antike heran und extrahierten daraus, dem methodischen Ansatz ihrer Schule entsprechend, aussagekräftige Exempel und Sentenzen. Die Werke des Livius und des Tacitus sowie vieler griechischer und weiterer römischer Autoren lieferten demnach den Stoff, aus dem politische Reflexionen zur Gegenwart erarbeitet wurden. Hinter dieser sozusagen im historischen Gewand präsentierten Welt steht der Tacitismus als ideengeschichtliches Paradigma mit seinem vor allem von Machtgier, Hab- und Ehrsucht geprägten Menschenbild, mit dem sich die Elsässer Politikwissenschaft vom andernorts dominierenden Aristotelismus und dessen Anthropologie des zoon politikon abgrenzte. Wenngleich sich Zeitkritisches in den hier untersuchten Publikationen zumeist nur zwischen den Zeilen findet, so sind doch die Anspielungen auf zeitgenössische politische Akteure und deren oft selbstsüchtiges, gewaltbereites oder rechtswidriges Handeln unschwer zu erahnen. Darin sah der Kreis um Bernegger, Schaller und Boeckler denn auch die grundlegenden Ursachen für Verfassungskonflikte, Aufstände, Bürgerkriege und Hegemonialstreben. Die Fokussierung der Dissertationen hat allerdings einige Aspekte der Geschichte der Straßburger Denkfabrik in den Hintergrund treten lassen. Da wäre etwa die Rolle des Hauptrepräsentanten Boeckler zu erwähnen, der nicht zufällig in manchen Dissertationen Schallers als spiritus rector auftritt und an dessen Person sich zudem die Fortwirkung der Schule bis ins 18. Jahrhundert verfolgen ließe. Ihr Einfluss auf andere Universitäten wie die Salana (Jena) und den dort lehrenden Johann Andreas Bose oder die schwedische Universität Uppsala wäre dabei genauer in den Blick zu nehmen. An Schaller, aber auch an Johann Konrad Dannhauer, der sich zunehmend mit carmina gratulatoria als Beigabe zu den Dissertationen in Szene setzte, ließe sich eine Untersuchung über das Ende der Schule und ihres tacitistischen Paradigmas festmachen. Lohnenswert wäre nicht zuletzt eine Analyse der Bedeutung Niccolò Machiavellis für die ‚politica‘ an der reichsstädtischen Universität, galt er hier doch zumindest in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts keineswegs als verfemter Autor, sondern als scharfsinniger Denker. Die Erforschung der historisch-politischen Wissenschaft Straßburgs und der ‚politica‘ des 17. Jahrhunderts im Allgemeinen weist also noch zahlreiche Desiderate auf.

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Enseigner à partir des collections d’histoire naturelle au XVIIIe siècle Les pratiques pédagogiques du professeur Jean Hermann

Pour le naturaliste strasbourgeois Jean Hermann (1738–1800), „l’instruction de l’histoire naturelle sera toujours très imparfaite & même mauvaise, sans cabinet“.1 Créé en 1762, son riche cabinet ouvert aux trois règnes de la nature, associé à une bibliothèque de près de 12 000 ouvrages, lui sert d’équipement privilégié pour la recherche et l’enseignement. Ouvert aux étudiants, aux savants comme aux curieux, il enregistre plus de 1700 auditeurs et près de 3600 visiteurs entre 1764 et 1800.2 Dès 1764, Hermann enseigne effectivement l’histoire naturelle à titre privé, sous la forme d’une démonstration des spécimens naturels. Ce champ de savoir a une place centrale dans sa carrière de professeur, mais elle se situe aux marges de son parcours universitaire. Dans la seconde moitié du XVIIIe siècle, les chaires d’histoire naturelle sont encore rares en France. Avant d’obtenir en 1784 la chaire de chimie, botanique et matière médicale au sein de l’université luthérienne de médecine de Strasbourg, il professe des savoirs variés plus ou moins éloignés de son domaine de prédilection. À partir de 1778, il a ainsi occupé successivement la chaire de logique et de métaphysique, puis la chaire de pathologie en 1782, tout en continuant à être professeur extraordinaire de médecine. Dans les universités, la filiation de l’histoire naturelle avec la médecine perdure jusque dans la seconde moitié du XVIIIe siècle. Au sein de l’université strasbourgeoise, elle se limite à une de ses branches, la botanique. Le nombre limité de chaires explique qu’elle soit successivement associée à l’anatomie, à la pathologie, puis à la chimie et à la matière médicale. Même si elles sont organisées en dehors du cadre universitaire, les leçons privées de Jean Hermann viennent compléter l’offre de formation existante. L’université leur accorde une reconnaissance institutionnelle, car elles sont largement ouvertes à ses étudiants. À la suite de la suppression de l’université en 1792, Hermann poursuit sa carrière professorale au sein de l’École de Santé et de l’École centrale du Bas1 Bibliothèque nationale universitaire de Strasbourg (BNUS), Ms 1887, „Quatrième minute. Cours d’histoire naturelle donné par le professeur Hermann“, mémoire de Jean Hermann relatif à ses pratiques pédagogiques. 2 Archives de la ville et de l’Eurométropole de Strasbourg (AVES), 88Z 11/3, registre des visiteurs du cabinet Hermann (1762–1800); BNUS, Ms 1887, registre des auditeurs des cours d’histoire naturelle de Jean Hermann (1766–1797).

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Rhin. Avec la création des écoles centrales en 1795, la confusion entre science et discipline d’enseignement est opérante, car le professeur est chargé d’y enseigner l’histoire naturelle. Longtemps ignorée, l’histoire de la pédagogie scientifique a été renouvelée par les travaux récents qui s’attachent à examiner les outils et les pratiques pédagogiques des professeurs.3 En suivant ces nouvelles approches, nous questionnerons le rôle des collections dans les pratiques pédagogiques du professeur Hermann et plus particulièrement dans la transmission de l’art de l’observation. Au XVIIIe siècle, l’histoire naturelle est d’abord une science du cabinet. Les naturalistes établissent leur utilité générale, mais les sources sont souvent silencieuses sur la dimension cognitive et pédagogique des collections. En 1799, l’enquête du Ministère de l’Intérieur sur les pratiques pédagogiques utilisées dans les écoles centrales donne l’occasion à Jean Hermann de lever partiellement le mutisme entourant les objets.4 Il envisage le cabinet comme un dispositif aussi bien matériel que visuel. Il faut avoir les objets, bien les voir et les donner à voir. Ce discours normatif est complété par un riche corpus de sources. Les cours du professeur, son ouvrage élémentaire d’histoire naturelle destiné aux enfants et la correspondance engagée avec ses collègues ou avec la direction des établissements scolaires permettent d’esquisser ses pratiques pédagogiques5. Elles seront étudiées à la fois dans le cadre de l’université de médecine strasbourgeoise et en dehors. Hermann enseigne à partir de deux types de collections qui n’ont pas le même statut institutionnel. Une fois nommé professeur de chimie, matière médicale et botanique en 1783, il obtient la direction du jardin botanique de l’université. Créé en 1619, le jardin est dévolu à ses origines à l’enseignement de la pharmacopée. Le cabinet du professeur est quant à lui un pôle d’enseignement autonome mais complémentaire de l’université. Il pallie l’absence d’une chaire d’histoire naturelle et accueille nombre de ses étudiants. Il nous faudra d’abord considérer les modalités selon lesquelles le jardin et le cabinet se sont imposés comme des équipements pédagogiques au sein de l’université de Strasbourg. Nous aborderons ensuite le rôle des collections dans la formation de l’œil des étudiants. Il conviendra enfin interroger les liens entre „savoir savant“ et „savoir enseigné“ en examinant les méthodes pédagogiques développées pour délivrer un savoir adapté à des publics différenciés.

3 David Kaiser (éd.): Pedagogy and the practice of science: historical and contemporary perspectives. Cambridge, London 2005. 4 BNUS, Ms 1887, mémoires de Jean Hermann relatifs à ses pratiques pédagogiques. 5 BNUS, Ms 0438–0439, cours d’histoire naturelle de Jean Hermann; Jean Hermann: Coup d’œil sur le tableau de la nature à l’usage des enfants. Strasbourg 1796.

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1. Les collections comme équipements pédagogiques de l’université Si le cabinet et le jardin sont tous deux les supports de l’enseignement de Jean Hermann, seul le jardin botanique est attaché à l’université de médecine de Strasbourg. Le premier mouvement de création des jardins engagé dès le XVIIe siècle a effectivement été le fait d’universités telles que Montpellier (1598), Strasbourg (1619) et Paris (1635). La vocation utilitaire du jardin l’emporte, car ils sont à l’origine destinés à la culture des plantes médicinales. Il garantit un enseignement pratique, utile aux médecins et apothicaires. Au XVIIIe siècle, ces jardins tendent à s’émanciper de cette tutelle en devenant des jardins d’essai ouverts à toutes les espèces. À Strasbourg, l’adoption d’un système de classification botanique vers 1720, le système de Tournefort, en fait un objet d’étude pour la science botanique en elle-même.6 Le jardin est la première installation universitaire, suivi plus tard par le théâtre anatomique7 et l’observatoire. Le fonctionnement, le financement et le personnel du jardin sont régis par une réglementation universitaire dans laquelle les modalités pédagogiques sont peu développées.8 Sa direction est attribuée au professeur de chimie, matière médicale et botanique à partir de 1708. Elle est subordonnée à la gestion matérielle et financière du jardin, dont le directeur doit rendre compte chaque année au sénat académique. À partir de 1784, Hermann est secondé par le jardinier Jean-Adam Schoelhammer et par des journaliers employés ponctuellement. Les étudiants concourent à l’entretien du jardin en participant à son financement. Les démonstrations ont un coût individuel de six livres, auquel il faut ajouter le paiement de trente-six livres par étudiant étranger pour la dispensation de la première soutenance de médecine9 et les six livres pour la collation du grade.10 Institution à la fois universitaire et municipale, le jardin reçoit également six cents livres accordés annuellement par le Magistrat et douze livres11 tirés du trésor de la Ville. Ses revenus dépendent de l’attractivité exercée par l’université, notamment auprès des étrangers qui sont les plus sollicités financièrement. Selon Hermann, „les étrangers ont contribué autrefois en partie aux frais de l’entretien, et ils ont été fort éloignés de s’en plaindre. Il a été dit plus d’une fois, mais il a toujours été dit à des oreilles sourdes que les étrangers arrivés à Strasbourg pour y faire leurs études y ont

6 Antoine Laurent Apollinaire Fée: Discours d’ouverture du cours de botanique de la faculté de médecine prononcé le 4 mai 1836. Histoire du jardin botanique de Strasbourg. Strasbourg 1836. 7 Jacques Héran, Jean-Marie Mantz (dir.): Histoire de la médecine à Strasbourg. Strasbourg  1997, p. 114. 8 AVES, AST 343, mémoire du Conseil des XIII, 1738. 9 À l’université de médecine de Strasbourg, les étudiants sont soumis à la soutenance de deux thèses pour être gradués. 10 AVES, 88Z 27, folio 27, mémoire de Jean Hermann sur le jardin botanique. 11 AVES, 88Z 27, folio 27, mémoire de Jean Hermann sur le jardin botanique. Les douze livres sont les intérêts du capital de 300 livres légué par l’ammeistre Froereisen au jardin à la fin du XVIIIe siècle.

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dépensé un million par an“.12 Mais le tableau peint semble surévalué si on se réfère aux chiffres de matricules de l’université: 139 étudiants sont immatriculés en 1750‒1751, 76 en 1788‒1789, avec une moyenne annuelle de 40 élèves entre 1750 et 1789.13 Malgré un essor depuis le premier tiers du XVIIIe siècle, l’université de Strasbourg reste, en France, une institution de second rang par rapport à Montpellier et à Paris. Le poids des étudiants étrangers est en revanche attesté, car la majorité d’entre eux provient de l’Europe germanophone, notamment du Saint-Empire et de la Suisse alémanique.14 Les étudiants alsaciens représentant un quart des effectifs alors que les Français, souvent issus de la Lorraine voisine, sont peu nombreux. L’université de Strasbourg tourne le dos à l’espace universitaire français pour s’ouvrir à l’espace germanophone, en raison de sa situation géographique et de la communauté de langue. Mais son attractivité est à relativiser. Elle s’ancre surtout dans un espace régional élargi qui ignore les frontières politiques. L’importance du recrutement étranger n’en demeure pas moins une source non négligeable de revenus qui est prioritairement affectée à la gestion du jardin. Son ralentissement lors des deux dernières décennies de l’Ancien Régime, imputable en partie à la concurrence des universités allemandes, préfigure les difficultés de la gestion du jardin. À partir de la période révolutionnaire, son entretien ne peut plus reposer sur les taxes payées par les étudiants. Le cabinet d’histoire naturelle de Jean Hermann est une collection privée qui forme un pôle d’enseignement autonome dans la ville de Strasbourg. Il est à l’origine d’un véritable commerce du savoir organisé autour des cours privés d’histoire naturelle. S’il ne relève pas de l’université de médecine, il est reconnu comme un équipement pédagogique par l’institution. Dès l’ouverture de son cabinet en 1762, Hermann a le souci de le rendre instructif. Les pièces exotiques et curieuses y ont leur place, cependant il est essentiellement formé de spécimens locaux, prélevés sur le terrain environnant. Le professeur se défend du souci d’ostentation cultivé par une partie des collectionneurs: Ce n’est que pour l’utilité publique, & non pas par une curiosité frivole ou par ostentation que je l’ai formé. Il contient surtout les objets de notre département & du voisinage: il est formé surtout d’objets préparés pour l’instruction. Prétendre enseigner l’histoire naturelle sans cabinet, c’est vouloir enseigner la musique sans instruments, ou apprendre à chasser en restant dans sa chambre. […] Je n’ai point d’idée d’un cours d’histoire naturelle sans cabinet, je ne saurais comment m’y prendre à l’enseigner sans cabinet […].15

12 AVES, 88Z 27, folio 19, observations de Jean Hermann relatives à la lettre du Ministre de l’Intérieur datée du 12 pluviôse de l’an 5. 13 Gustav Carl Knod: Die alten Matrikeln der Universität Straßburg 1621 bis 1793. Die Matrikeln der medicinischen und juristischen Facultät. Straßburg 1897, Bd. 2. 14 Dominique Julia et Jacques Revel: Les universités européennes du XVIe au XVIIIe siècle. Histoire sociale des populations étudiantes. Paris 1989, tome 2, p. 333–335. 15 BNUS, Ms 1887, mémoires de Jean Hermann sur ses pratiques pédagogiques, en réponse à l’enquête du Ministère de l’Intérieur menée auprès des professeurs des écoles centrales (1799).

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Abb. 1: Les collections pédagogiques utilisées par Jean Hermann: le jardin botanique et le cabinet d’histoire naturelle. Plan du jardin botanique de Strasbourg en 1784 (AVES, Pl. 611a).

Les spécimens naturels sont les premiers outils d’observation du naturaliste et ils sont alors spécifiquement préparés pour éduquer l’œil des étudiants. Deux ans seulement après la création du cabinet, Hermann l’ouvre au public pour proposer des cours privés qui participent largement à sa promotion en tant que savant et professeur. Les modalités pédagogiques de l’enseignement de cabinet réalisé en dehors des institutions scolaires ont été peu étudiées. Il est largement pratiqué par les professeurs strasbourgeois, en parallèle du cours public universitaire. Ils font valoir que l’assiduité des élèves tient au prix donné à l’enseignement et que les leçons privées contribuent au rayonnement de la Faculté. En plus de leurs avantages matériels, les professeurs titulaires de chaires en tirent

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Abb. 2: Planche du Motacilla Longicaudata, un oiseau conservé dans le cabinet de Jean Hermann (BNUS, Ms 442, „Catalogue des dessins d’histoire naturelle“ de Jean Hermann).

l’essentiel de leurs revenus16. Plus de 75 % du public des cours privés d’Hermann sont des étudiants en médecine, avec une minorité de professionnels, docteurs, chirurgiens, professeurs ou vétérinaires. Cela en fait un pôle d’enseignement fonctionnant en complémentarité avec l’université. Le professeur propose un enseignement à la carte, adapté au niveau des élèves, à leurs besoins ou à leur emploi du temps. Il leur laisse également le choix de la langue utilisée. Les leçons privées cultivent un esprit encyclopédique par l’étendue des domaines de savoirs professés. L’histoire naturelle générale est la plus enseignée. Seulement un quart des cours sont directement liés aux chaires d’enseignement d’Hermann, à savoir la médecine, la botanique, la chimie, la chirurgie ou la physiologie. Le registre des auditeurs est une source précieuse pour appréhender la fréquence et l’organisation des leçons. Elles prennent rarement la forme de leçon particulière. Elles se font le plus souvent en groupe réduit, de 5 à 10 personnes. À côté des leçons professées ponctuellement, les cours s’étirent 16 Les professeurs ordinaires ont le statut de professeur chanoine de Saint Thomas, ils disposent notamment des avantages matériels suivants: une maison, une portion fixe de farine et de bois de chauffage.

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généralement sur plusieurs mois, voire sur plus d’une année. Le registre tient lieu de document comptable en affichant les bénéfices retirés par les leçons. Elles sont la source principale du capital économique du professeur.17 Les pratiques tarifaires semblent normalisées avec un prix de base de 36 francs par leçon et par personne, ce qui peut aller jusqu’à deux ou trois louis, en fonction du niveau de richesse. Des arrangements personnels sont possibles, certains élèves payant parfois pour le reste du groupe. Dans leur défense des cours privés, les professeurs arguent que les pauvres y sont admis gratuitement. Hermann accorde effectivement la gratuité à certains élèves par la mention „pauper-gratis“, mais ils représentent moins de 2 % de l’auditoire. Il tire surtout parti des revenus assurés par les cours de longue durée donnés au „grand nombre d’étrangers riches“18. Un certain Menicci débourse ainsi la somme de 30 louis par mois pour une leçon sur la classification des corps naturels, deux fois par jour, sur une période de dix mois (août 1781‒1782). Les étrangers, nombreux à l’université de Strasbourg, sont largement mis à contribution. En recoupant le registre des auditeurs avec le registre des matricules de l’université, l’origine d’un peu plus de 50 % des auditeurs a pu être retracée. Plus de la moitié d’entre eux viennent de l’Europe germanophone (Saint-Empire romain germanique, Suisse), 30 % de la France et 15 % de l’empire russe. Le recrutement du cabinet confirme le positionnement d’une université alors largement tournée vers l’espace germanophone. Cette dernière reconnaît l’utilité de l’enseignement proposé par Hermann. Il contribue au développement d’une offre de formation plus complète grâce à l’enseignement de la zoologie. C’est pourquoi l’université souhaite s’attacher le cabinet pour en faire un équipement institutionnel, au même titre que le jardin.19 L’acquisition ne sera finalement jamais faite du vivant de son propriétaire, dans la mesure où il l’a largement ouvert aux étudiants. Dans la seconde moitié du XVIIIe siècle, l’enseignement „par manière de démonstration de cabinet“20 attire en effet un public relativement important à Strasbourg. Son succès peut être évalué quantitativement grâce au registre des auditeurs tenu par le professeur.21 De 1766 à 1797, près de 1150  auditeurs sont dénombrés, avec une moyenne de 30 à 40 élèves par an. Quelques années sont exceptionnelles, telles que les années 1778–1779 durant laquelle près de 140 élèves sont enregistrés. Le pic de fréquentation est atteint dans les années 1770–1780, avant qu’Hermann ne rejoigne l’université de médecine. L’obtention de différentes chaires n’a pas non plus d’impact significatif sur le nombre des auditeurs. 17 Selon le registre des auditeurs, les cours auraient rapporté 21 163 livres, 919 louis et 300 écus au professeur Hermann. 18 Émile Longin: Souvenirs d’un étudiant de l’Université de Strasbourg (1783–1793). Strasbourg 1922, p. 10. 19 AVES, AST 343, mémoire sur l’organisation de la Faculté de médecine et sur la constitution médicale à Strasbourg. 20 BNUS, Ms 1887, affiche de Jean Hermann relative à ses cours privés d’histoire naturelle, parue dans le n° 44 de la Gazette de Strasbourg pendant la période révolutionnaire. 21 BNUS, Ms 1887, registre des auditeurs de Jean Hermann (1766–1797).

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Abb. 3: Les auditeurs des cours privés de Jean Hermann (1766–1797). BNUS, Ms 1887, registre des auditeurs des cours de Jean Hermann, 1766–1797. Infographie Dorothée Rusque.

Plus que son statut, ce sont les qualités personnelles du professeur et le dispositif matériel qui entrent en ligne de compte. Selon un étudiant polonais, son succès tient à son esprit, sa clarté et surtout à son „cabinet extrêmement bien choisi et étonnement riche pour celui d’un particulier“.22 Le professeur reconnaît que la collection est le facteur déterminant de son succès,23 au point de regretter qu’une partie des élèves ne viennent „que pour voir“24 un spectacle attrayant. Dans la pratique quotidienne, le spectacle se trouve entravé 22 Longin: Souvenirs (n. 18), p. 10. 23 BNUS, Ms 1887, remarques de Jean Hermann au sujet de la lettre du Ministre de l’Intérieur du 17 vendémiaire an VII. 24 Archives nationales de France, F17/1344, réponse à l’enquête du 20 floréal an VII.

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Abb. 4: Les auditeurs des cours privés de Jean Hermann (1766–1797). BNUS, Ms 1887, registre des auditeurs de Jean Hermann (1766–1797). NR: date non renseignée.

par de nombreuses contraintes matérielles. L’espace fait défaut au domicile du savant. Il est contraint d’accueillir les élèves dans la plus grande pièce de son logement.25 La forte fréquentation du cabinet peut causer des dégâts matériels pour le mobilier, les planchers et surtout pour les spécimens. Ils sont exposés à l’humidité, à la malpropreté générée par les manteaux, les chaussures, les parapluies ou encore à la curiosité de certains élèves qui les touchent sans y être autorisés. Hermann rend même compte des objets cassés par les élèves. C’est pourquoi il en vient à réglementer l’accès et l’exposition des objets, par quelques consignes de comportement visant à limiter les désordres et les bris d’objets.26 Les conditions optimales de l’observation sont garanties par un nombre réduit d’élèves, dont la limite est fixée par le professeur à 12 personnes. Le manque de place est tout aussi problématique au jardin. L’orangerie ne permet pas de présenter à la fois les plantes, les herbiers et les livres nécessaires aux explications. Si seul le jardin relève institutionnellement de l’université, le cabinet Hermann devient un autre lieu de formation pour les étudiants en médecine. Considérés comme des équipements pédagogiques à part entière, ils sont tous deux représentatifs des nouvelles manières d’enseigner les sciences développées dans la seconde moitié du XVIIIe siècle. Pour Jean Hermann, les collections sont d’abord associées à un spectacle instructif.

25 BNUS, Ms  1887, mémoire destiné aux citoyens administrateurs sur l’enseignement de l’histoire naturelle à l’École centrale du Bas-Rhin. Note: „non présenté, pas même achevé“. 26 BNUS, Ms 1027, „Conditions de la démonstration du cabinet d’Histoire naturelle du professeur Hermann“, note rédigée par Jean Hermann vers 1794.

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2. Le spectacle instructif des collections Dans son cours d’histoire naturelle, l’histoire naturelle est considérée comme un des premiers objets d’études „que l’on devrait traiter avec les enfants“. „Comme tout ce que l’on y traite tombe sous les yeux, elle est la plus propre à leur fournir des idées“, et à leur donner „l’esprit d’observation“.27 Elle fait appel aux sens et en premier lieu à l’œil. Son discours pédagogique s’inspire du sensualisme de Condillac qui fait dériver des sens les connaissances et les facultés.28 Il valorise le spectacle de la nature matérialisé dans l’espace du cabinet. Les spécimens sont associés à „un moyen de délassement aussi agréable, aussi instructif et aussi honnête qu’un spectacle quelconque“.29 Une fois leur curiosité attisée, les spectateurs sont amenés à s’instruire. Dans le mémoire consacré à ses pratiques pédagogiques, Hermann démontre la dimension cognitive des collections. La valeur scientifique du cabinet est mise sur le même plan que celle du laboratoire, avec des spécimens assimilés à des instruments. Leur rassemblement dans un seul espace suffit à en faire le dispositif matériel empirique le plus performatif pour les sens. Rien ne vaut le spécimen pour donner „une idée infiniment plus juste de la nature“30 avec laquelle il a le rapport le plus immédiat. Les échantillons mis les uns aux côtés des autres frappent davantage les sens, si bien qu’ils fonctionnent comme les meilleurs expédients de l’apprentissage visuel. Pourtant les objets ne suffisent pas, encore faut-il „les bien voir“. Le cabinet est un espace organisé en fonction de la vue. Trois conditions sont nécessaires pour en faire un outil pédagogique efficace. Les spécimens doivent d’abord être „bien arrangés, exposés, étiquetés“.31 Il s’agit de donner à voir non pas des objets bruts, mais des échantillons préparés pour devenir immuables. Ils sont mis en scène et soumis à des stratégies d’exposition afin de faire ressortir leurs caractères distinctifs. Pour donner sens à la mise en ordre du cabinet, il reste à leur adjoindre des inscriptions sous la forme d’étiquettes. Le second paramètre évoqué concerne l’instrumentation optique. Le microscope est indispensable pour dévoiler les parties cachées ou invisibles des objets. Enfin, le cabinet doit être associé avec une bibliothèque avec laquelle les frontières sont abolies. Au XVIIIe siècle, l’histoire naturelle „se trouve dans une logique qui place au premier plan la connaissance par voie de comparaison“.32 Elle est un outil d’investigation qui procède par analogie entre les formes. Les objets placés côte à côte au sein de l’espace du cabinet contribuent à exacerber les traits de ressemblance et de différence. Rassembler les objets, c’est déjà comparer. „Plus il y en a, 27 BNUS, Ms 438, folio 100–111, cours d’histoire naturelle de Jean Hermann. 28 Étienne Bonnot de Condillac: Traité des sensations. Londres, Paris 1754. 29 BNUS, Ms 1887, affiche de Jean Hermann relative à ses cours privés d’histoire naturelle, parue dans le n° 44 de la Gazette de Strasbourg pendant la période révolutionnaire. 30 BNUS, M 12 643, „Jury d’Instruction publique du Bas-Rhin. École centrale du département du Bas-Rhin. Cours de l’an VIII […]“, Strasbourg, an VIII, plaquette imprimée. 31 BNUS, Ms 1887, „Remarques du Professeur d’histoire naturelle à la lettre du Ministre de l’Intérieur datée du 17 Vend. 7“, mémoire rédigé par Jean Hermann. 32 Thierry Hoquet: Buffon: histoire naturelle et philosophie. Paris 2005, p. 180.

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mis à côté l’un de l’autre, plus on peut comparer, mieux on peut distinguer“.33 Face aux collections, l’œil est plus à même „d’abstraire les caractères génériques“ et de bien cerner les „caractères spécifiques“. Plus l’échantillon regardé est vaste, plus il est possible de distinguer les traits individuels propres à un individu et ses caractéristiques génériques en tant que représentant d’une espèce. La pertinence de la classification qui en résulte relève directement de ces conditions matérielles enrichies. La science du cabinet fait naître des rapports qu’il serait impossible de saisir dans la nature elle-même. Du discours théorique, il nous faut plonger dans les pratiques à travers un exercice inhérent à l’enseignement de l’histoire naturelle, la démonstration. Les démonstrations sont intégrées aux cours de botanique de l’université dès le XVIIe siècle.34 Elles se font généralement à la belle saison quand le plus grand nombre de plantes est en fleur. Elles ont lieu à l’orangerie qui offre la seule place disponible pour les réaliser efficacement. Hermann en fait le moment clé de l’observation et de l’assimilation des connaissances. Elles sont l’occasion d’exposer les méthodes d’investigation du naturaliste dont le cheminement est reproduit par le professeur devant les élèves. Ils s’essayent alors à saisir les caractères des spécimens. Le professeur laisse la possibilité aux auditeurs d’utiliser les leçons théoriques pour se repérer eux-mêmes parmi les systèmes et les analyser.35 Elles viennent compléter le cours théorique sans s’y substituer. Si les démonstrations d’anatomie ou de botanique ont fait l’objet de travaux récents qui valorisent sa dimension „spectaculaire“, sa pratique dans l’enseignement de la zoologie est moins bien documentée. Dans sa démonstration de l’éléphant, Hermann signale qu’il renonce à expliciter les mœurs, l’économie de l’animal que les auditeurs peuvent trouver dans les livres. Il met plutôt à profit les dents mâchelières de son cabinet pour prouver l’existence de deux espèces d’éléphants différentes.36 L’exercice tend à orienter le regard des élèves en direction de certains éléments anatomiques. La leçon procède par dévoilement, ce qui nécessite de recourir à différents instruments, les pincettes, la loupe ou le microscope. Elle présente même un statut épistémologique comparable à l’expérimentation. La confrontation entre la théorie et les objets du cabinet est retranscrite dans une note marginale du Tableau élémentaire de l’histoire naturelle des animaux (1798) de Georges Cuvier.37 Afin de démontrer la méthode de classification des animaux à sang blanc de Cuvier, Hermann réunit un théâtre matériel de la preuve. Il procède d’abord à une sélection de spécimens pris dans chacune des divisions des animaux à sang blanc établies par son confrère. Les mollusques sont représentés par 33 BNUS, Ms 1887, „Remarques du Professeur […]“, (n. 31). 34 AVES, AST 343, mémoire du Conseil des XIII, 1738. 35 BNUS, Ms 1887, „Exposé de la méthode d’enseignement du Citoyen Hermann, Professeur à l’École de médecine de Strasbourg, 26 pluviôse an 3“, mémoire de Jean Hermann relatif à ses pratiques pédagogiques. 36 BNUS, Ms 1887, „Remarques du Professeur […]“, (n. 31). 37 BNUS, Ms  3399, Georges Cuvier: Tableau élémentaire de l’histoire naturelle des animaux, Paris 1798, tome 2, p. 376.

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une seiche, un nautile, un bivalve du genre Pinne, des polythalames de Rimini38 et des camérines. Les insectes et les vers sont étudiés à l’aide d’une écrevisse, divers insectes et un tænia. Pour les zoophytes, il a enfin recours à une étoile de mer et à un oursin. Il s’agit de sélectionner des spécimens „parlant aux yeux“. Pour rendre visible l’invisible, le professeur mobilise des planches révélant l’anatomie interne de certains des objets exposés. En faisant dialoguer les spécimens et les images, les auditeurs sont à même de pratiquer une véritable anatomie comparée. Le professeur pointe du doigt les analogies et les différences entre les mollusques, les insectes, les vers et les zoophytes. L’œil de l’auditeur est guidé par le professeur. Malgré les critiques soulevées, la classification de Cuvier est approuvée. La démonstration fonctionne comme une instance collective de validation de la théorie, car les élèves sont invités à tirer leurs propres conclusions. La démonstration est complétée par une autre pratique pédagogique spécifique à l’histoire naturelle, l’herborisation. À l’université de Strasbourg, les herborisations sont instituées tous les samedis pendant l’été. La belle saison est plus agréable pour les promenades et plus propice à l’observation des organes de génération des plantes lors de la floraison. Elles se font dans les campagnes environnantes, sur une durée courte, certaines pouvant même s’effectuer sur plusieurs jours dans les montagnes vosgiennes.39 Une division est opérée entre le jardin botanique et le terrain. Le jardin est le théâtre d’observation privilégié des plantes étrangères alors que le terrain permet de découvrir les plantes indigènes. Les étudiants sont supposés prendre connaissance des plantes communes et s’attacher plus particulièrement aux spécimens types les plus représentatifs du territoire alsacien. Les herborisations assurent un calibrage du regard des étudiants. Placés dans le théâtre de la nature, ils répètent les gestes et les pratiques des naturalistes, depuis la collecte des graines, jusqu’à la sélection d’herbes rares susceptibles d’enrichir le jardin botanique. Une fois prélevées, les plantes font l’objet d’essais de transplantation dans le jardin botanique. En plus de contribuer à l’enrichissement du jardin botanique et de l’herbier, la collecte de plantes développe une pédagogie du territoire local. Le spectacle de la nature offert aux yeux des spectateurs des collections fonctionne comme un dispositif matériel organisé en fonction de la vue. En plus de garantir la précision de l’observation, les objets rassemblés sont les supports indispensables de l’anatomie comparée. Dans le cadre de la démonstration, les objets deviennent des instances de validation des théories. Le professeur y restitue les méthodes du naturaliste, dans l’optique d’aligner le savoir enseigné sur le savoir savant. Le cabinet attire des publics diversifiés avec des attentes spécifiques. S’y côtoient des savants, des étudiants et des curieux venus visiter les collections. Face à la diversité des publics, quelles stratégies sont mises en place pour produire un savoir adapté? 38 Polythalames: coquilles séparées en plusieurs cavités par des cloisons. 39 BNUS, Ms 1887, „Exposé de la méthode d’enseignement du Citoyen Hermann, Professeur à l’École de médecine de Strasbourg, 26 pluviôse an 3“, mémoire de Jean Hermann relatif à ses pratiques pédagogiques.

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3. Du „savoir savant“ au „savoir enseigné“: construire un savoir adapté aux publics Le cours d’histoire naturelle dispensé aux étudiants de l’université est marqué par une volonté d’abolir la distance entre „savoir savant“ et „savoir enseigné“. L’objectif est de former des naturalistes professionnels. Le contenu pédagogique des leçons données à la fin du XVIIIe siècle est délivré par un cahier manuscrit, dont deux tomes sont consacrés à la zoologie et un seul à la botanique.40 La zoologie suit les différentes classes de la nomenclature de Cuvier, à savoir les mammifères, les oiseaux, les amphibies, les poissons, les insectes et les vers à l’exception des mollusques. Chaque classe est introduite par un développement sur ses propriétés générales et caractères propres, avant de donner une description des spécimens réunis en ordres ou familles. La botanique est quant à elle étudiée en deux temps. La terminologie des végétaux, les parties anatomiques de la plante et les systèmes de classifications sont évoqués en premier lieu. Puis le professeur aborde la physiologie des plantes et leurs propriétés médicinales. Le savoir-faire technique n’est pas oublié, par l’évocation de l’outillage du microscope, des cabinets et des images. Les collections font l’objet de longs développements parce qu’elles sont placées au cœur des pratiques savantes. Hermann s’attarde notamment sur les étapes de la confection d’un herbier, depuis le choix des plantes collectées, jusqu’à leur préparation et leur classification.41 Plus que les connaissances, il organise un véritable transfert de compétences. L’objectif est de former des naturalistes complets, maîtrisant les techniques de collecte et de conservation des spécimens. Il fait même part de son travail de recherche en partageant ses observations et expérimentations. Pour être en adéquation avec le savoir savant, il n’hésite pas à actualiser son enseignement. Un professeur „avance et fait avancer ses élèves avec les progrès de l’art“.42 Les découvertes récentes amènent à renouveler le contenu de son cours. Pendant trente ans, Hermann a suivi les préceptes du Systema naturae de Carl von Linné et du livre élémentaire de Nathanael Gottfried Leske.43 À la fin du XVIIIe siècle, ils sont dépassés. De nouvelles figures d’autorité sont alors adoptées, en accord avec les vues du professeur et avec le public visé. Il porte son choix sur le Tableau élémentaire de l’histoire naturelle des animaux44 de Georges Cuvier pour la zoologie et sur le Tableau du règne végétal (1799) d’ÉtiennePierre Ventenat45 pour la botanique.

40 BNUS, Ms 438–440, cours d’histoire naturelle de Jean Hermann, fin XVIIIe siècle. 41 BNUS, Ms 438, tome 1, folio 416–427, cours d’histoire naturelle de Jean Hermann. 42 AVES, AST 343, mémoire des professeurs de l’Université de Strasbourg sur l’enseignement qui y est dispensé. 43 BNUS, Ms 1887, „Quatrième minute. Cours d’histoire naturelle donné par le professeur Hermann“, mémoire de Jean Hermann relatif à ses pratiques pédagogiques. 44 Georges Cuvier: Tableau (n. 37). 45 Étienne-Pierre Ventenat: Tableau du règne végétal, selon la méthode de Jussieu. Paris 1798.

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„Il y a une autre manière de traiter l’histoire naturelle dans les écoles primaires, une autre pour les lycées, et les établissements de haute science“.46 Pour Jean Hermann, le pédagogue doit être en mesure de sélectionner les connaissances à la portée de son public. Il doit s’adapter à l’âge, au niveau de son auditoire et aux finalités données à l’enseignement. La rédaction d’un ouvrage élémentaire d’histoire naturelle confirme les qualités de pédagogue du savant. Dans le Coup d’œil sur le tableau de la nature à l’usage des enfants,47 les systèmes de classification et les détails des caractères sont omis pour simplifier le propos. Destiné aux enfants des campagnes, il y développe les connaissances les plus utiles, en lien avec l’agriculture, l’élevage ou avec les animaux nuisibles. Hermann est tout aussi attentif à l’hétérogénéité des publics de ses cours „par manière de démonstration de cabinet“. L’affiche promotionnelle de ses cours privés, parue dans un numéro de la Gazette de Strasbourg lors de la Révolution, introduit une véritable échelle de la démonstration. Il y distingue les amateurs du public étudiant: Les amateurs seront les maîtres, les uns de contenter en général leur curiosité, tels que ceux qui n’ont jamais rien vu de pareil, et qui souhaiteraient avoir du moins une idée d’un cabinet d’histoire naturelle, leurs occupations ne leur permettant pas de se livrer davantage à cette partie; les autres s’instruiront pendant autant de temps, et prendront autant d’heures que chacun jugera lui convenir. […] Ces démonstrations superficielles n’empêcheront pas que je continue de donner des cours d’histoire naturelle, soit complets, soit pour une partie seulement, autant de fois qu’il m’en sera demandé, soit en allemand, soit en français.48

En accord avec le discours révolutionnaire qui prône la démocratisation des savoirs, l’histoire naturelle est décrite comme „le genre de sciences qui convient pour tous les sexes, tous les états“, femmes et enfants y compris. Le spectacle instructif de la nature est accessible à tous par les sens. Si les étudiants et les savants cherchent d’abord à observer et à bien décrire, les amateurs cherchent à „contenter en général leur curiosité“. Pour l’amateur, le plaisir de l’œil prévaut. Hermann reprend l’idée commune selon laquelle il est empreint de la culture de la curiosité. Il ne peut être instruit que par des „démonstrations superficielles“ qui restent à la surface des spécimens sans pouvoir saisir leurs mécanismes. L’amateur a besoin d’une mise en scène et d’une vision esthétisée de la nature pour être éduqué. La „démonstration superficielle“ est adaptée à ses connaissances pour l’amener à retirer un savoir élémentaire. Hermann laisse en outre aux visiteurs le choix de la langue, en français ou en allemand. La démonstration de type académique dévolue à la formation d’un regard plus spécialisé est réservée aux étudiants et aux savants. À chaque régime de savoir correspond une pratique pédagogique différenciée. Hermann cherche enfin à placer les specta46 BNUS, Ms 1887, „Seconde pièce donnée au cit. Keil d.II. Vendem. III“, mémoire rédigé par Jean Hermann. 47 Jean Hermann: Coup (n. 5). 48 BNUS, Ms 1887, affiche de Jean Hermann relative à ses cours privés d’histoire naturelle, parue dans le n° 44 de la Gazette de Strasbourg pendant la période révolutionnaire.

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Abb. 5: Affiche de Jean Hermann proposant un cours privé d’histoire naturelle, parue dans le n° 44 de la Gazette de Strasbourg (fin XVIIIe siècle). BNUS, Ms 1887.

teurs en situation de spectateurs actifs. Voir, c’est aussi „faire“. Lors de la démonstration, les étudiants sont incités à comparer, à imiter les méthodes des savants et à bâtir leur propre raisonnement. Dans la visite routinière du cabinet, étudiants et amateurs sont appelés à s’instruire eux-mêmes. La mise en scène, le rangement et l’étiquetage des objets comptent autant que le professeur. L’étiquette a une portée pédagogique importante. Elle rend l’objet à la fois visible et lisible. L’identité des objets déclinée sur les étiquettes se résume bien souvent à l’indication du nom de l’espèce auquel peuvent se rajouter des informations relatives à l’origine du spécimen ou au lieu de collecte. Dans le cabinet Hermann, les plantes de l’herbier et les animaux sont tous étiquetés d’après la nomenclature binominale linnéenne latine. Elle s’adresse d’abord à un public savant capable de la comprendre. Or les étiquettes ont aussi vocation à être lues par un public de curieux et d’apprentis naturalistes. Dans un de ses mémoires pédagogiques, Hermann propose d’accompagner chaque pièce du cabinet d’une „description raisonnée“ afin de les transformer en objets d’instruction autonomes. „Chaque morceau mettrait chacun à portée de s’instruire soi-même, dans l’absence du professeur, et d’en apprendre plus, s’il en a envie, que le professeur n’est en état de lui enseigner dans ses leçons“.49 Le projet est en partie réalisé pour les collections minéralogiques. Sur les 162  étiquettes encore conservées au Musée de Minéralogie de Strasbourg, près de 80 % d’entre elles constituent des „étiquettes annotées“. En plus de nommer le minéral, le naturaliste peut y compiler des extraits d’ouvrages en lien avec l’échantillon, des observations d’autres naturalistes ou ses observations personnelles. Une partie des textes se rapprochent des cartels du musée en proposant une description sommaire des minéraux. Le recours aux langues vernaculaires facilite l’accessibilité des inscriptions à un public élargi. En plus du latin, les trois quarts des inscriptions sont écrites en 49 BNUS, Ms 1887, „Remarques du Professeur […]“, (n. 31).

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Abb. 6: Étiquette „annotée“ de la collection minéralogique de Jean Hermann. Musée de Minéralogie de Strasbourg, collection Hermann: Agathe, Schlottwitz, Osterzgebirge (d’après l’inventaire de Denis Leypold).

français, suivi par l’allemand. Le texte y est conçu comme un guide pour l’œil. Le texte du savant vise à éduquer l’œil du novice. Les définitions incitent à s’absorber davantage dans l’acte d’observation en canalisant le regard. Elles le dirigent sur les caractères les plus saillants des minéraux et contribuent à rendre explicite ce qui ne l’est pas de prime abord. Les notes de lecture et les observations donnent quant à elles accès à ce qui ne se voit pas à l’œil nu, à savoir la composition chimique et la structure interne des objets. Ces étiquettes „annotées“ ont une portée didactique importante. Elles font parler les objets tout en aidant les spectateurs à les regarder correctement. L’enseignement porté par Jean Hermann s’appuie avant tout sur les collections, ce qui encourage la mise en œuvre de pratiques pédagogiques novatrices. L’acquisition de techniques d’observation prime. Le calibrage de l’œil des étudiants est mis en jeu lors du spectacle de la démonstration. Cet exercice pratique met à l’épreuve les théories des naturalistes tout en apprenant ce qu’il faut voir et comment le voir. Ici montrer équivaut à démontrer. L’observation se veut le point de rencontre entre „savoir savant“ et „savoir enseigné“. L’enseignement de l’histoire naturelle est un autre „lieu de la formalisation des savoirs“.50 Jean Hermann délivre des savoirs adaptés aux différents publics venus voir son cabinet. Le contenu des leçons destinées aux étudiants témoigne d’une volonté d’abolir la distance 50 Jean-François Bert: L’atelier de Marcel Mauss. Un anthropologue paradoxal. Paris 2012, p. 164.

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avec la science en train de se faire. Mais il propose des pratiques pédagogiques différenciées aux amateurs, dont l’instruction passe par le plaisir de l’œil. Le cabinet et le jardin fonctionnent en définitive comme des outils didactiques autonomes. Le spectateur est invité, par la consultation des objets et des étiquettes, à s’instruire par lui-même. À défaut d’être de véritables laboratoires scientifiques, les collections peuvent être considérées comme des „laboratoires pédagogiques“. En 1795, la création des écoles centrales dans chaque département le confirme. Selon l’article IV de la loi Daunou, chacune d’entre elles doit être dotée d’équipements scientifiques pour garantir un enseignement pratique51. Pour l’histoire naturelle, l’outillage indispensable au professeur prend la forme d’un jardin botanique et d’un cabinet d’histoire naturelle.

51 Article 3 du titre II de la loi du 3 Brumaire an IV et article 5 de la loi du 7 ventôse an III. Chaque école centrale devait être dotée d’une bibliothèque, d’un cabinet de physique et de chimie expérimentale, d’un jardin et d’un cabinet d’histoire naturelle.

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Das Besucherprofil der fürstbischöflichen Universität Straßburg im 18. Jahrhundert 1. Einleitung Im 18. Jahrhundert befanden sich innerhalb der mächtigen Mauern Straßburgs zwei konfessionell verschiedene Universitäten in unmittelbarer Nachbarschaft: die protestantisch-städtische Universität am ‚Temple neuf‘ und die unmittelbar am Straßburger Münster gelegene katholisch-fürstbischöfliche Universität (vgl. Plan der Straßburger Altstadt, Anhang 1). Dass die beiden Einrichtungen nach der Verlegung der fürstbischöflichen Universität von Molsheim nach Straßburg durch den französischen König Ludwig XIV. 1701/02 weitgehend konfliktfrei nebeneinander bestehen konnten, wäre keine hundert Jahre zuvor nur schwer vorstellbar gewesen. Die mächtige Freie Reichsstadt hatte sich bereits im 13.  Jahrhundert von der bischöflichen Stadtherrschaft emanzipieren können und stand als frühes Zentrum der Reformation dem in Zabern residierenden katholischen Fürstbischof in den Auseinandersetzungen des Konfessionellen Zeitalters feindlich gegenüber. Das 1538 in Straßburg von Johannes Sturm gegründete protestantische Gymnasium, aus dem später die städtische Universität hervorgehen sollte, entfaltete weit über die Stadtgrenzen hinaus seine reformatorische Wirkung im Elsass.1 Mit der Gründung eines Jesuitenkollegs in der nur 20  Kilometer vor Straßburg gelegenen bischöflichen Stadt Molsheim im Jahre 1580 beabsichtigte der Straßburger Bischof Johann von Manderscheid (1538‒1592), dem protestantischen Gymnasium ein katholisches Bildungszentrum entgegenzusetzen.2 Den schnellen, planmäßigen Aufbau der höheren Studien der Philosophie und der Theologie gemäß dem typischen Schema einer Jesuiten1 Zum protestantischen Gymnasium in Straßburg s. Anton Schindling: Humanistische Hochschule und Freie Reichsstadt. Gymnasium und Akademie in Straßburg 1538–1621. Wiesbaden 1977. 2 Anton Schindling: Die katholische Bildungsreform zwischen Humanismus und Barock. Dillingen, Dole, Freiburg, Molsheim und Salzburg. Die Vorlande und die benachbarten Universitäten. In: Vorderösterreich in der frühen Neuzeit. Hg. von Hans Maier u. Volker Press. Sigmaringen 1989, S. 137–176, hier besonders S. 163–167; zur Gründungsintention vgl. Karl Hengst: Die erzherzogliche Akademie Molsheim – eine Universität der katholischen Reform. Zur Gründungsgeschichte einer Jesuitenuniversität. In: Société d’Histoire et d’Archéologie de Molsheim et environs. Annuaire 1980. Numéro spécial du 4e centenaire des Jésuites. Obernai 1980, S. 31–53; ebenso ders.: Jesuiten an Universitäten und Jesuitenuniversitäten. Zur Geschichte der Universitäten in der Oberdeutschen und Rheinischen Provinz der Gesellschaft Jesu im Zeitalter der konfessionellen Auseinandersetzung. Paderborn 1981, S. 218–227; überdies ausführlich Karl Hahn: Das Aufkommen der Jesuiten in der

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universität mit nur zwei Fakultäten3 konnte Erzherzog Leopold von Österreich auf dem Straßburger Bischofsstuhl bereits 1617 mit der Erlangung der Universitätsprivilegien für seine ‚Archiducalis Academia Molshemensis‘ krönen – und damit wohl nicht zufällig ausgerechnet in dem Jahr, als die Protestanten im nahen Straßburg die erste Hundertjahrfeier der Reformation begingen.4 Die scharfe Feindschaft zwischen den Straßburger Gelehrten und den Molsheimer Jesuiten trat bei dieser Gelegenheit auch in einem heftig geführten Flugschriftenstreit offen zutage.5 Wie bereits rund dreißig Jahre zuvor bei der Gründung der Jesuitenuniversität in Graz durch Erzherzog Karl von Innerösterreich rückte Leopold 1618 die „erzherzogliche Universität“ im Ankündigungsschreiben für die Inaugurationsfeier ausdrücklich in die gegenreformatorische Tradition des Hauses Habsburg.6 Die erhoffte Entwicklung der fürstbischöflichen Universität sollte durch den ausbrechenden Krieg, dessen wechselhaftem Verlauf das kleine Städtchen schutzlos ausgeliefert war, früh unterbrochen werden.7 Die protestantische Hochschule, die im Gegenzug für den frühzeitigen Austritt Straßburgs aus der Protestantischen Union 1621 durch kaiserliche Privilegien ebenfalls zur Universität erhoben worden war,8 blieb dagegen inner-

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Diözese Straßburg und die Gründung des Jesuitenkollegs in Molsheim. In: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins N.F. 25, 1910, S. 246–294. Zum Aufbau des jesuitischen Studiums vgl. Hengst: Jesuiten (Anm. 2), S. 55–79. Silvio Reichelt: Die Universität als Instrument der Konfessionalisierung. Die akademische Reformationsjubelfeier in Straßburg 1617. In: Konstruktion von Geschichte. Jubelrede – Predigt – protestantische Historiographie. Hg. von Klaus Tanner. Leipzig 2012, S. 67–87. Timotheus Wilhelm Röhrich: Mittheilungen aus der Geschichte der evangelischen Kirche des Elsasses. Bd. 2. Paris, Straßburg 1855, S. 201–203; Joseph Schmidlin: Die katholische Restauration im Elsass am Vorabend des dreissigjährigen Krieges. Freiburg/Breisgau 1934, S. 290–330; Ruth Kastner: Geistlicher Rauffhandel. Form und Funktion der illustrierten Flugblätter zum Reformationsjubiläum 1617 in ihrem historischen und publizistischen Kontext. Frankfurt/Main 1982, S. 54; Jean Schillinger: Jubilé ou Pseudojubilé? Polémiques entre protestants de Strasbourg et jésuites de Molsheim à l’occasion de la commémoration du centenaire de la Réforme (1617). In: Glaubensformen zwischen Volk und Eliten. Frühneuzeitliche Praktiken und Diskurse zwischen Frankreich und dem Heiligen Römischen Reich / Autorités, foi, perceptions. Croyances populaires et pratiques religieuses en France et dans le Saint Empire à l’époque moderne. Hg. von Thomas Nicklas. Halle/Saale 2012, S. 179–202. Vgl. Hengst: Jesuiten (Anm. 2), Anlage 13, S. 349–352. Spätestens als die schwedischen Truppen zu Beginn der 1630er-Jahre Südwestdeutschland erreicht hatten, wurde der Studienbetrieb an der Jesuitenuniversität erheblich beeinträchtigt. Zumindest waren in den späten 1630er- und in den 1640er-Jahren kaum noch Lehrstühle besetzt. Für das Jahr 1639 sind lediglich zwei Professoren an der theologischen Fakultät und einer an der philosophischen Fakultät nachzuweisen. Zwischen 1641 und 1649 lassen sich sogar nur ein Professor der Rhetorik und ein weiterer für Grammatik feststellen; Bernhard Duhr: Geschichte der Jesuiten in den Ländern deutscher Zunge. Bd. 2. Freiburg/Breisgau 1913, S. 592f. Schindling: Hochschule (Anm. 1), S. 160.

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halb der starken Mauern der wehrhaften Reichsstadt von den Auswirkungen des Krieges nahezu verschont.9 Indem durch den Westfälischen Frieden die Bourbonen zu Nachfolgern der habsburgischen Rechte im Elsass bestimmt wurden, sollten sich auch die politischen Rahmenbedingungen für die beiden elsässischen Universitäten grundlegend ändern:10 Die Garantie ihrer gegenwärtigen Rechte – einschließlich der freien Religionsausübung, die der französische König der Stadt Straßburg im Gegenzug für ihre kampflose Kapitulation 1681 gewährt hatte,11 ‒ bildete die Grundlage für die sichere Fortexistenz der städtisch-protestantischen Universität. Bereits zwei Jahre nach dem Wiedereinzug des Katholizismus in die vormalige Hochburg des Protestantismus im Elsass durch die Rückverlegung der fürstbischöflichen Residenz nach Straßburg und der Rekatholisierung des Münsters gründete der frankreichfreundliche Bischof Wilhelm Egon von Fürstenberg-Heiligenberg (1629– 1704) 1683 ein bischöfliches Priesterseminar in Straßburg, 1685 stiftete Ludwig  XIV. überdies ein Jesuitenkolleg. Beide Einrichtungen wurden in den Anlagen des ‚Bruderhofes‘ untergebracht und auf Empfehlung des Königs den französischen Jesuiten aus der Ordensprovinz Champagne anvertraut. Die Übertragung der Molsheimer Universitätsprivilegien an die Straßburger Einrichtungen 1701/02 bedeutete eine weitere Maßnahme im Sinne der seither vom König betriebenen Förderung der katholischen Religion in der neuen Bischofsresidenz. In der besonderen Stellung Straßburgs als weithin größter Stadt der Region mit zentralörtlicher Bedeutung am Oberrhein sah Ludwig  XIV. einen entscheidenden Standortvorteil.12 Von hier aus sollte die höchste Bildungseinrichtung des Bistums durch die Ausbildung loyaler Eliten und als Ausgangspunkt jesuitischen Wirkens künftig dazu beitragen, Hochstift und Diözese Straßburg zu Katalysatoren der Französisierung und Katholisierung des Elsass zu machen. Dabei blieb Straßburg auch nach der Durchsetzung der französischen Oberherrschaft im Elsass und der Wandlung von der lutherischen freien Reichsstadt zu einer ‚libre ville royale‘ ebenso wie das gesamte Elsass das 18. Jahrhundert hindurch – auch über die Revo9 Matthias Asche, Susanne Häcker u. Patrick Schiele: Studieren im Krieg. Die Universitäten entlang des Rheins im (Wind-)Schatten des Dreißigjährigen Krieges. In: Krieg und Kriegserfahrung im Westen des Reiches 1568–1714. Hg. von Andreas Rutz. Göttingen 2016, S. 205–236, hier S. 213– 215. 10 Einen knappen Überblick über diese Entwicklungen gibt Klaus-Jürgen Matz: Das Elsass als Teil der französischen Monarchie (1648–1789). In: Das Elsass. Historische Landschaft im Wandel der Zeit. Hg. von Michael Erbe. Stuttgart 2002, S. 85–101. 11 Grundlegend neuerdings Laurent Jalabert: Catholiques et protestants sur la rive gauche du Rhin. Droits, confessions et coexistence religieuse de 1648 à 1789. Bruxelles u. a. 2009. 12 So auch ausdrücklich in den entsprechenden Lettres patentes angeführt; Pierre Delattre: Art. Strasbourg. In: Les établissements des Jésuites en France depuis quatre siècles. Bd. 4: Poitiers – Valenciennes. Hg. von demselben. Enghien, Wetteren 1956, Sp. 1140–1188, hier Sp. 1159; René Epp: Le séminaire épiscopal, le collège royal et l’université épiscopale de Strasbourg (1683–1791). In: Archives de l’Eglise d’Alsace 35, 1971, S. 225–247, hier S. 229; 37, 1974, S. 87–128.

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lution hinaus – kulturell sowie sprachlich überwiegend deutsch geprägt. Unter diesen Vorzeichen erwies sich auch der Rhein mehr als kulturelle Brücke denn als Grenze. Der große Anteil an Franzosen in Straßburg, vor allem Militärs und Beamte,13 machte die neue Garnisons- und Provinzhauptstadt zu einem deutsch-französischen Begegnungsraum und verlieh ihr Anziehungskraft als ein Zentrum des kulturellen Austauschs. In keiner anderen deutschen Universitätsstadt trafen in der Frühen Neuzeit Studenten aus dem Reich auf eine so signifikant hohe Zahl von Franzosen.14 Zudem mag die Möglichkeit, an einem Hochschulstandort Vorlesungen an zwei verschiedenkonfessionellen Universitäten zu hören – auch im 18. Jahrhundert noch eine absolute Ausnahme –, zusätzlich attraktiv gewirkt haben.15 Der wohl prominenteste Zeuge für die fortdauernde Anziehungskraft der städtisch-protestantischen Universität auf die deutschen Reichsstädte ist Johann Wolfgang Goethe, der 1770/71 in Straßburg studierte.16 Während die Zugehörigkeit der protestantischen Universität zu den Bildungsinstitutionen des Heiligen Römischen Reiches von der Forschung allgemein anerkannt wird und bereits umfangreichere universitätsgeschichtliche Studien zu dieser Einrichtung vorliegen,17 hat die fürstbischöfliche Universität Straßburg bisher vergleichsweise wenig Beachtung ge13 Hierzu siehe Georges Livet: L’intendance d’Alsace de la guerre de Trente Ans à la mort de Louis XIV, 1634–1715. Du Saint Empire romain germanique au Royaume de France. Strasbourg 1991; Hanna Sonkajärvi: Qu’est-ce qu’un étranger? Frontières et identifications à Strasbourg (1681–1789). Strasbourg 2008. 14 Während sich rechtsrheinische Studenten seit jeher häufig an Universitäten in Frankreich aufhielten, galt für französische Studenten an Universitäten des Reiches genau das Gegenteil. Vgl. Rainer Christoph Schwinges: Französische Studenten im spätmittelalterlichen Reich. In: Studenten und Gelehrte. Studien zur Sozial- und Kulturgeschichte deutscher Universitäten im Mittelalter. Hg. von demselben. Leiden 2008, S. 135–158. Dass sich die deutsch-französische Begegnung in hohem Maße auch auf der Ebene des Adels abspielte, wurde nicht zuletzt durch die zahlreichen Palais von Hochadeligen aus dem Reich im Straßburger Stadtbild sichtbar; Volker Press: Die Oberrheinlande zwischen Westfälischem Frieden und Französischer Revolution. In: Barock am Oberrhein. Hg. von demselben, Eugen Reinhard u. Hansmartin Schwarzmaier. Karlsruhe 1985, S. 3–18. 15 Obwohl der Besuch der beiden Hochschulen offiziell noch ein Bekenntnis zur jeweiligen Konfession voraussetzte, zeigt ein Vergleich der Universitätsmatrikeln, dass katholische Adelige im 18. Jahrhundert gleichzeitig an der bischöflichen und an der protestantischen Universität immatrikuliert waren; Josef Gass: Adelige und Kleriker an Strassburgs Hochschulen im XVIII.  Jahrhundert. Straßburg 1917, S. 7f. Der Besuch jesuitischer Bildungseinrichtungen ist bislang für protestantische Studenten aus Skandinavien, insbesondere für Schweden und Finnen, nachgewiesen worden. Vgl. Oskar Garstein: Rome and the Counter-Reformation in Scandinavia. Jesuit Educational Strategy 1553– 1622. Leiden 1992, S.  69–71; Henry Biaudet: Om finske studerande i Jesuitcollegier [Über finnische Studenten an Jesuitenkollegs]. In: Historiallinen Arkisto 19, 1905, S. 179–221. 16 Zu Goethe in Straßburg vgl. etwa Ernst Traumann: Goethe, der Straßburger Student. 2. Auflage. Leipzig 1923. 17 Zum 16. Jahrhundert siehe Schindling: Hochschule (Anm. 1); zum 18. Jahrhundert siehe Jürgen Voss: Universität, Geschichtswissenschaft und Diplomatie im Zeitalter der Aufklärung. Johann Daniel Schöpflin (1694–1771). München 1979.

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funden.18 Generell existieren nur eine Handvoll Studien, die für eine Untersuchung der Anbindung der fürstbischöflichen Universität Straßburg an die sie umgebende Bildungslandschaft19 nutzbar gemacht werden können.20 Im Folgenden werden mithilfe der klassischen, in der Universitätsgeschichtsschreibung bereits seit langem bewährten Methode der Matrikelanalyse21 die entsprechenden 18 Die Gründe für dieses Desiderat sind vielfältig: Die Erforschung der Bildungsgeschichte des Alten Reiches stand lange Zeit unter dem Eindruck der Konstruktion einer teleologischen Erfolgsgeschichte des im 19. Jahrhundert dominierenden Berliner (Universitäts-)Modells. Dieser dezidiert protestantisch-kleindeutsch geprägten Geschichtsschreibung galten die katholischen höheren Bildungseinrichtungen, namentlich die zumeist untergegangenen Jesuitenuniversitäten, als rückständig und reformunfähig. Deshalb traten diese erst spät und nur vereinzelt in den Fokus universitätsgeschichtlicher Forschungen; vgl. Forschungsbericht bei Matthias Asche, Stefan Gerber: Neuzeitliche Universitätsgeschichte in Deutschland. Entwicklungslinien und Forschungsfelder. In: Archiv für Kulturgeschichte 90, 2008, S.  159–201. Selbst das vielzitierte Grundlagenwerk zur Frequenzentwicklung deutscher Universitäten bezieht zwar selbstverständlich die städtisch-protestantische, nicht aber die katholisch-bischöfliche Universität in Straßburg ein: Franz Eulenburg: Die Frequenz der deutschen Universitäten von ihrer Gründung bis zur Gegenwart. Berlin 1994 (Nachdruck der Ausgabe von 1904). Hinzu kommt, dass Universitätsgeschichtsschreibung bis heute meist im Zusammenhang mit entsprechenden Jubiläen entsteht – diese Anlässe entfallen für die 1792 aufgelöste bischöfliche Universität Straßburg. Auch die Lage des Gegenstandes – quasi im Grenzgebiet zwischen der französischen und deutschen Universitätsgeschichtsforschung – spielt hier möglicherweise eine Rolle. Zumindest liegen für zahlreiche deutsche Jesuitenuniversitäten bereits wesentlich differenziertere Forschungen vor. 19 Zum Konzept der „Bildungslandschaften“ vgl. Thomas Töpfer: Gab es „Bildungslandschaften“ im Alten Reich? Dimensionen und Möglichkeiten einer aktuellen Kategorie der frühneuzeitlichen Universitätsgeschichte am Beispiel Mitteldeutschlands. In: Jahrbuch für Universitätsgeschichte 9, 2006, S. 101–112; ders.: Bildungsgeschichte, Raumbegriff und kultureller Austausch in der Frühen Neuzeit. „Bildungslandschaften“ zwischen regionaler Verdichtung und europäischer Ausstrahlung. In: Kultureller Austausch. Bilanz und Perspektiven der Frühneuzeitforschung. Hg. von Michael North. Köln, Weimar, Wien 2009, S. 115–139; Matthias Asche: Bildungslandschaften im Reich der Frühen Neuzeit. Überlegungen zum landsmannschaftlichen Prinzip an deutschen Universitäten in der Vormoderne. In: „Orte der Gelahrtheit.“ Personen, Prozesse und Reformen an protestantischen deutschen Universitäten des Alten Reiches. Hg. von Daniela Siebe. Stuttgart 2008, S. 1–44; Andreas Rutz: Bildung und Region. Schul- und Bildungslandschaften als Forschungsaufgabe. In: Das Rheinland als Schul- und Bildungslandschaft (1250–1750). Hg. von dems. Köln, Weimar, Wien 2010, S. 9–30. 20 Die ältere Übersicht, Oscar Berger-Levrault: Annales des professeurs des académies et universités alsaciennes (1523–1871). Nancy 1892, enthält nicht nur grundlegende Dokumente, sondern auch biographische Skizzen aller Professoren beider Straßburger Hochschulen und gibt eine Übersicht zur Besetzung sämtlicher Lehrstühle. Für eine Übersicht bis zur Unterdrückung des Jesuitenordens in Frankreich 1765 siehe etwa Delattre: Strasbourg (Anm. 12). Einen kursorischen Überblick zur Geschichte der drei Straßburger Einrichtungen bis zur Revolution gibt Epp: Séminaire (Anm. 12). 21 Zur Methode vgl. Rainer Christoph Schwinges: Deutsche Universitätsbesucher im 14. und 15. Jahrhundert. Studien zur Sozialgeschichte des alten Reiches. Gießen 1986; Matthias Asche: Von der

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Daten ausgewertet, so dass sich Aussagen zur Entwicklung des Studentenbesuchs sowie zur regionalen und sozialen Herkunft der Studentenschaft an der fürstbischöflichen Universität machen lassen. So sollen Rückschlüsse auf den Charakter und die Ausstrahlung, mithin auf die Verankerung der Straßburger Hochschule in Gesellschaft und Region, möglich werden.

2. Zur Matricula nova: Überlieferung und Quellenkritik Angesichts des wechselhaften Laufes der Ereignisse während der Französischen Revolution, die letztlich zum Untergang der fürstbischöflichen Universität Straßburg führten, und der teilweisen Zerstörung der bischöflichen Archive durch die nachfolgenden Kriege, ist es als Glücksfall anzusehen, dass die Matricula nova bis heute erhalten blieb. Die zuvor in Molsheim geführte Matrikel der fürstbischöflichen Universität gilt dagegen als verschollen. Der letzte Eintrag in die Straßburger Matrikel ist auf den 15. August 1791 datiert und wurde durch den provisorischen Kanzler der Universität bestätigt. Die Matricula nova wurde demnach vermutlich zunächst an der bischöflichen Universität zurückgelassen, als die meisten Straßburger Professoren und Studenten im Frühjahr 1791 über den Rhein ins Exil gingen. Danach gibt es keine Informationen über ihren Verbleib, bis die Matrikel im Jahr 1878 bei der Versteigerung der Bibliothek von Pfarrer Johann Joseph Ahlfeld von Alt-Sankt-Peter in Straßburg wieder auftauchte. Es ist zu vermuten, dass dieser sie aus dem Besitz von seinem Vorgänger auf der Pfarrstelle, Franz Xaver Clauer, übernommen hatte. Clauer war der letzte Direktor des königlichen Kollegs vor der Revolution gewesen und hatte ebenfalls in die Verbannung gehen müssen. Nach seiner Rückkehr nach Straßburg hatte er eine umfangreiche Sammlung von Drucken und Handschriften aus der Revolutionszeit zusammengetragen. Im Zuge der erwähnten Versteigerung fand die wertvolle, in Kalbsleder gebundene und mit einem Aufdruck des bourbonischen Lilienwappens verzierte Handschrift für 800 Franken ihren Weg zurück in das Straßburger Priesterseminar, in dessen Besitz sie sich vor der Revolution befunden hatte.22 Die Matricula nova enthält – neben einer kunstvollen Darstellung des Universitätssiegels und der lateinischen Immatrikulationsformel auf den Vorblättern – das 174 Seiten reichen hansischen Bürgeruniversität zur armen mecklenburgischen Landeshochschule. Das regionale und soziale Besucherprofil der Universitäten Rostock und Bützow in der Frühen Neuzeit (1500–1800). 2. Auflage. Stuttgart 2010. 22 Almae Episcopalis Universitatis Argentinensis […] matricula nova […] (1710–1791). In: Bibliothèque du Grand Séminaire de Strasbourg, Signatur: Ms 100 (Serie I). Für die Möglichkeit, während der Vorbereitungen für meine Tübinger Masterarbeit (Die Bischöfliche Universität Straßburg im 18. Jahrhundert – Frequenz, soziale und regionale Herkunft der Studenten, 2014) in Straßburg ein Digitalisat der Handschrift anzufertigen, sei an dieser Stelle Herrn Dr. Louis Schlaefli von der Bibliothek des ‚Grand Séminaire‘ herzlich gedankt; Hinweise zur Überlieferungsgeschichte finden sich bei Gass: Adelige (Anm. 15), S. 6f.

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lange handschriftliche Verzeichnis der immatrikulierten Studenten und Professoren an der fürstbischöflichen Universität. In dem 1710 angelegten Matrikelbuch wurden zunächst die Professoren und Absolventen der Universität ab 1702 nachgetragen. Ab 1710 lässt sich die jährliche Erfassung der vorgenommenen Immatrikulationen nachvollziehen. Für die Auswertung der knapp 5200  verzeichneten Immatrikulationseinträge gilt zu beachten, dass in der Praxis der Führung von frühneuzeitlichen Universitätsmatrikeln23 zahlreiche Fehlerquellen angelegt sind: So wurden Einträge in die Matrikel der fürstbischöflichen Universität Straßburg nicht von den Studenten selbst vorgenommen, sondern zunächst auf Zetteln gesammelt. Bei der Übertragung der Listen in die Matrikel handelte es sich offenbar um einen äußerst fehleranfälligen Vorgang.24 Zudem war die Entzifferung der häufig wechselnden Handschriften ebenso wie die Identifikation der latinisierten Herkunftsorte schwierig, deren korrekte Wiedergabe stets auch von den geographischen Kenntnissen des jeweiligen Einträgers abhing.25 Durch die daraus resultierende Anzahl nicht identifizierbarer Personen und Orte haftet den entsprechenden Ergebnissen letztlich immer eine gewisse Ungenauigkeit an. Auch Qualität und Umfang der einzelnen Einträge unterscheiden sich mitunter erheblich, wodurch sich Einschränkungen bezüglich der Quantifizierbarkeit einzelner Angaben ergeben.26 Für die Erfassung der einzelnen Jahrgänge stellt sich überdies das Problem, dass die Ordnung der Jahrgänge in der Matrikel zwischen akademischem Jahr und Kalenderjahr wechselt.

23 Zu Quellenwert und Auswertungsproblemen frühneuzeitlicher Universitätsmatrikel siehe beispielsweise Matthias Asche, Susanne Häcker: Matrikeln. In: Quellen zur frühneuzeitlichen Universitätsgeschichte. Typen, Bestände, Forschungsperspektiven. Hg. von Ulrich Rasche. Wiesbaden 2011, S. 243–267. 24 Dies kann in der Matricula nova anhand eines Versehens der Einträger gut nachvollzogen werden: Dieselbe Liste von Studenten wurde von zwei unterschiedlichen Schreibern einmal für das Jahr 1783 und einmal – nur wenige Zeilen tiefer – für das Jahr 1784 eingetragen. Dabei enthalten die beiden Abschriften zahlreiche Abweichungen. Die erste Abschrift umfasst 29, die zweite Abschrift 30 Namen. Überdies tauchen ein Student aus der ersten Abschrift und zwei Studenten aus der zweiten Abschrift in der jeweils anderen Liste nicht auf. Bei mindestens zwölf Familiennamen und zwei Ortsnamen liegen zudem Abweichungen vor, welche für die Identifikation der Personen bzw. Orte relevant sein dürften. Sämtliche Vornamen wurden durch den zweiten Schreiber abgekürzt, der zudem im Gegensatz zum ersten Schreiber auf die Nennung der Herkunftsdiözesen verzichtete; vgl. Matricula nova (Anm. 22), S. 157–159. 25 So finden sich etwa zahlreiche, teils erheblich unterschiedliche Schreibweisen von Orten. Häufig kommt es auch vor, dass die Schriftführer die Herkunftsorte nicht den richtigen Diözesen zuordneten. 26 Normalerweise ist neben dem Namen des Studenten zumindest das Inskriptionsdatum vermerkt, in den meisten Fällen auch der Herkunftsort und oftmals sogar das Studienfach. Seltener sind Angaben zum sozialen Status des Studenten.

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3. Besucherprofil an der fürstbischöflichen Universität anhand der Immatrikulationen 3.1. Entwicklung der Immatrikulationsfrequenz Mithilfe der auf einer Auszählung sämtlicher Jahrgänge (Anhang 2) basierenden Frequenzkurve (Anhang  3) lässt sich die Entwicklung der Immatrikulationszahlen an der fürstbischöflichen Universität Straßburg während des 18. Jahrhunderts darstellen. Hier ist auf den ersten Blick ein Anstieg der durchschnittlichen jährlichen Immatrikulationen in zwei Stufen erkennbar, d. h. es lassen sich in quantitativer Hinsicht drei Phasen deutlich unterschiedlichen Niveaus an durchschnittlichen jährlichen Einschreibungen an der fürstbischöflichen Universität feststellen: – Zwischen 1710 und 1727 immatrikulierten sich durchschnittlich knapp 23 Studenten pro Jahr – die Jahre 1723 (2), 1724 (5) und 1725 (0) ausgenommen. Äußere Umstände, die diesen Einbruch der Einschreibungen erklären, konnten nicht nachgewiesen werden. Auffällig ist, dass sich für diese Jahre an der städtisch-protestantischen Universität in Straßburg eine gegenläufige Entwicklung ihrer Frequenzkurve – ein starker Ausschlag der Immatrikulationszahlen nach oben – feststellen lässt (Anhang 4). Da für die städtische Universität unmittelbar vorher (1721, 1722) ebenfalls ein Einbruch der Immatrikulationszahlen erkennbar ist, könnte auch für eine parallele Entwicklung argumentiert werden, die sich lediglich zeitversetzt vollzog (vgl. auch Anhang 5). – Zwischen 1728 und 1775 liegt die Zahl der jährlichen Einschreibungen bei durchschnittlich 66 Studenten pro Jahr. Bei der Berechnung der durchschnittlichen Zahl der Immatrikulationen ist der Jahrgang 1747, in dem die Zahl der Immatrikulationen mehr als dreimal so hoch liegt (198) wie der Durchschnitt, nicht berücksichtigt worden. Eine Auswertung sämtlicher Angaben zu den eingeschriebenen Fächern in der Universitätsmatrikel ergab in diesem Zusammenhang, dass in diesem Jahr zwei komplette Jahrgänge in die Matrikel eingetragen wurden.27 Woher dieser zweite Jahrgang stammt, konnte bisher nicht ermittelt werden. Nach der Unterdrückung des Jesuitenordens im Jahr 1764 kam es zudem zur vermehrten Aufnahme von Philosophie- und Theologiestudenten der in Molsheim verbliebenen Akademie in die Straßburger Matrikel, während für die Zeit zuvor nur vereinzelt Studenten aus Molsheim festzustellen sind. Der dortigen Einrichtung war bei der Übertragung ihrer Universitätsprivilegien nach Straßburg das Recht zugestanden worden, weiterhin höhere Studien der Philosophie und Theologie zu betreiben und ihre Studenten in die Matrikel der fürstbischöf27 Die Eintragungen in die Matrikel wurden zu dieser Zeit durchgehend nach Fächern geordnet vorgenommen. Für das fragliche Jahr wurden zunächst wie üblich nacheinander die Studenten der Theologie (23), der Physik (9) und der Logik (70) verzeichnet. Anschließend folgt eine zweite Eintragung von Studenten der Theologie (19), der Physik (8) und der Logik (69).

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lichen Universität eintragen zu lassen. Zudem hatten Molsheimer Studenten weiterhin die Möglichkeit, durch eine entsprechende Prüfung an der Universität in Straßburg Grade zu erwerben. Der hier angegebene Durchschnitt von jährlichen Immatrikulationen berücksichtigt lediglich die Straßburger Studenten. Im Jahr 1766 liegt die Zahl der Einschreibungen an der fürstbischöflichen Universität Straßburg doppelt so hoch wie in den Jahren zuvor und danach. Dies könnte mit der offiziellen Durchsetzung des Ausscheidens der Jesuiten aus den elsässischen Bildungseinrichtungen zum Ende des Vorjahres zusammenhängen: 1766 schloss Ludwig XV. die Jesuitenkollegien in Hagenau und Schlettstadt vollständig und finanzierte aus deren Mitteln Bursenplätze an den Kollegien in Straßburg und Molsheim.28 – Zwischen 1776 und 1787 liegt die Zahl der jährlichen Einschreibungen dann bereits durchschnittlich bei 101 Studenten pro Jahr. Eine genaue Auswertung der einzelnen Jahrgänge zeigt, dass hier eine Änderung in der Praxis der Matrikelführung infolge einer Statutenänderung von 1775 die Ursache war. Im Jahr 1776 werden erstmals auch Teilnehmer der unterhalb der universitären Philosophie- und Theologiestudien angesiedelten Fächer der Rhetorik (27) und Humanitas (29) in die Matrikel aufgenommen.29 Diese Änderung gilt auch in Bezug auf die Eintragungen von Besuchern der Molsheimer Akademie, von welcher ab 1777 ebenfalls Schüler der Humanitas- und Rhetorikklassen in die Straßburger Matrikel eingetragen werden. Im Gegensatz zu den lediglich vereinzelten Molsheimern in den Jahren zuvor, die vermutlich aus Anlass einer Prüfung in Straßburg immatrikuliert wurden, scheinen nun komplette Jahrgänge eingetragen worden zu sein. Nimmt man diese Molsheimer Studenten aus der Rechnung, liegt die Zahl der jährlichen Einschreibungen von 1776 bis 1787 durchschnittlich nur noch bei 76 Studenten pro Jahr. Da wohl nicht alle verzeichneten Schüler aus den unteren Klassen auch die eigentlich universitären Philosophie- und Theologiekurse besucht haben – so reichte etwa für die „Mehrzahl des niederen Kirchenpersonals, also auch die meisten Pfarrer“ eine Ausbildung am Gymnasium mit angeschlossenen Dia-

28 Epp: Séminaire (Anm. 12), S. 91f. 29 Zuvor kam es lediglich in den Jahren bis 1728 zur Immatrikulation jeweils nur einzelner Schüler der Rhetorik oder der Humanitas. Die Eintragung der Schüler der beiden obersten Klassen des Gymnasiums in die Universitätsmatrikel findet sich nicht nur an der fürstbischöflichen Universität in Straßburg, sondern auch an weiteren Jesuitenuniversitäten während der Frühen Neuzeit. So z. B. auch in Fulda, Würzburg, Dillingen, Freiburg im Breisgau und Wien; vgl. Bernhard Spörlein: Die Matrikel der Akademie und Universität Bamberg 1648‒1803. Bd.  1: Text. Stegaurach 2014, S.  20 sowie Anm. 43 (hier die bibliographischen Angaben der jeweiligen Matrikeleditionen). Bemerkenswert ist, dass die (vermutlich) geschlossene Eintragung der genannten Klassen in Straßburg erst nach dem offiziellen Ausscheiden der Jesuiten eingeführt wird. Wegen der daraus für das Jahr 1776 resultierenden Doppelung der Einschreibungsjahrgänge sind diese bei der Berechnung des jährlichen Durchschnitts der Einschreibungen in dieser Phase nicht berücksichtigt worden.

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lektik- und ‚casus conscientiae‘-Kursen aus30 –, ist ein tatsächlicher Anstieg der Studentenzahlen für diese Zeit fraglich. Es kann eher sogar ein Rückgang der Philosophie- und Theologiestudenten gegenüber der vorherigen Phase vermutet werden. Möglicherweise sollte hier sogar das Schrumpfen der universitären Rechts- und Personengemeinschaft durch eine Änderung der Matrikelpraxis kaschiert werden. Erst ab 1788, unmittelbar vor dem Ausbruch der Französischen Revolution, beginnen die Einschreibungen deutlich zurückzugehen, bis im Jahr 1791 die letzten neun Immatrikulationen an der fürstbischöflichen Universität Straßburg in der Matrikel verzeichnet werden.

3.2. Vergleichende Einordnung der Immatrikulationsfrequenz Die Immatrikulationsfrequenz der bischöflichen Universität Straßburg lässt sich auf lokaler und konfessionell-typologischer Ebene mit den Frequenzen verschiedener Hochschulen vergleichen. Die entsprechenden Zahlen für die anderen Universitäten sind dem grundlegenden statistischen Werk von Franz Eulenburg zu den Frequenzen der frühneuzeitlichen Universitäten entnommen. Auf die Probleme hinsichtlich der Vergleichbarkeit dieser Zahlen wurde bereits hingewiesen.31 Während Eulenburg auch für die städtische Universität Straßburg das akademische Jahr auf die Zeit zwischen den (beweglichen) Osterfeiertagen festlegte, sind die Immatrikulationen in der Matrikel der fürstbischöflichen Universität Straßburg – wie oben erwähnt – mal nach akademischen, mal nach Kalenderjahren geordnet. Die akademischen Jahre erstrecken sich hier zudem von November zu November. Für den Vergleich mit der städtischen Universität Straßburg wurde daher, zusätzlich zur Gegenüberstellung der jährlichen Immatrikulationszahlen (Anhang  4), noch eine Darstellung der Fünfjahrestrends32 beigefügt (Anhang  5). Dieses Verfahren soll gleich zwei Vorteile bieten: Zum einen erhöht es deutlich die Übereinstimmung der verglichenen Zeiträume. Zum anderen lassen sich die allgemeinen Entwicklungen der Immatrikulationen mithilfe derart ‚geglätteter‘ Frequenzkurven besser erkennen und vergleichen. Ein solcher Vergleich offenbart, dass über weite Strecken ein paralleler Verlauf von Wachstum und Abnahme der Studentenzahlen vorliegt. Es lässt sich daraus schließen, dass die Entwicklung der jeweiligen Frequenz maßgeblich durch Faktoren geprägt wurde, die 30 Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte. Bd. II: 18. Jahrhundert. Vom späten 17. Jahrhundert bis zur Neuordnung Deutschlands um 1800. Hg. von Notker Hammerstein u. Ulrich Herrmann. München 2005, S. 331–333 (Zitat S. 332). 31 Eulenburg: Frequenz (Anm. 18); Hinweis auf die Schwächen des Verfahrens von Eulenburg etwa bei Schwinges: Universitätsbesucher (Anm. 21), S. 23. 32 Dargestellt wird ein gleitender Durchschnitt für einen Zeitraum von jeweils fünf Jahren. Das heißt, es werden für jedes Jahr die Werte der zwei vorausgehenden und der zwei nachfolgenden Jahre hinzugenommen, und es wird der Durchschnitt errechnet.

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beide Straßburger Hochschulen gleichermaßen betrafen, nämlich neben der Entwicklung von Lebenshaltungskosten innerhalb der Stadt auch Epidemien sowie die Auswirkungen naher Truppendurchzüge oder Kriegshandlungen. Zu untersuchen wären etwa denkbare Auswirkungen des Polnischen Erbfolgekriegs (1733–1738) oder der drei Schlesischen Kriege (1740–1742, 1744/45, 1756–1763) insbesondere in Bezug auf die Sicherheit studentischer Reiserouten, die auch über die Schlachtfelder am Oberrhein führten. Lediglich für den Zeitraum von den späten 1750er- bis zum Ende der 1760er-Jahre lässt sich hier eine gegenläufige Entwicklung der Einschreibungen ablesen. Es ist anzunehmen, dass das Abfallen der Einschreibungen an der Jesuitenuniversität mit der feindlichen Stimmung gegen die Gesellschaft Jesu zusammenhängt, die in dieser Zeit von Portugal und Spanien ausgehend zunehmend auch nach Frankreich übergriff. Dass gleichzeitig die Einschreibungen an der städtischen Hochschule zunehmen, könnte darauf hindeuten, dass sich beide Universitäten bis zu einem gewissen Maß in einem Konkurrenzverhältnis um den Besuch einer Studentenklientel befanden, welche im Hinblick auf die Universitätswahl konfessionell flexibel agierte.33 Aus einem Vergleich der beiden Frequenzkurven geht zudem hervor, dass sich an der städtischen Universität im Schnitt durchgehend etwa doppelt so viele Studenten immatrikulierten wie an der fürstbischöflichen Universität.34 In diesem Zusammenhang ist nochmals zu betonen, dass die städtische Universität auch über doppelt so viele, nämlich vier Fakultäten verfügte, wodurch der Größenunterschied der beiden Straßburger Hochschulen etwas relativiert wird. Ein Vergleich mit der um die Immatrikulationen an der juristischen und an der medizinischen Fakultät bereinigten Frequenzkurve der städtischen Universität zeigt auf, dass sich an der fürstbischöflichen Universität seit 1728 bis 1791 durchgehend beinahe zweieinhalbmal so viele (2377) Studenten an der philosophischen und an der theologischen Fakultät einschrieben wie an der protestantischen Universität. Lediglich im Jahr 1741 lag die Zahl der entsprechenden Einschreibungen an der städtischen Universität noch einmal knapp über derjenigen der fürstbischöflichen Universität. Dieses Ergebnis deutet auf die hohe Bedeutung der katholischen Hochschule für die theologische Ausbildung entsprechend der neuen Staatsreligion unter der französischen Herrschaft hin, die sich seit Ende der 1720er-Jahre auch in den entsprechenden Immatrikulationszahlen widerspiegelte. Ein Vergleich auf konfessionell-typologischer Ebene mit den verfügbaren Zahlen anderer Zwei-Fakultäten-Jesuitenuniversitäten im Reich (Anhang 6) zeichnet folgendes Bild: 33 Hinweise darauf, dass die konfessionelle Abgrenzung bereits vor dem Ausscheiden der Jesuiten im 18. Jahrhundert nicht mehr undurchlässig war, finden sich etwa bei Gass: Adelige (Anm. 15), S. 7f. 34 Es handelt sich hierbei um einen Vergleich mit der Gesamtfrequenz der städtischen Universität Straßburg anhand des Zahlenmaterials bei Eulenburg: Frequenz (Anm. 18). Neben der Hauptmatrikel wurden an der städtischen Universität Straßburg auch Fakultätsmatrikel sowie eine Adelsmatrikel angelegt. Welche Zahlen Eulenburg für die Berechnung der Immatrikulationsfrequenz verwendet hat, ist nicht klar.

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Bis 1750 befanden sich die Einschreibungen etwa auf demselben Niveau wie an der Paderborner Universität. Danach kam es an den Universitäten in Paderborn und Bamberg zu einem zwar langsamen, aber kontinuierlichen Abfall der Immatrikulationszahlen. Die Zahl der jährlichen Einschreibungen an der bischöflichen Universität Straßburg blieb dagegen stabil, wobei die oben ausgeführten Umstände ebenfalls einen möglichen Rückgang der Philosophie- und Theologiestudenten nahelegen. Angesichts der von den Diözesanuniversitäten zu besorgenden Ausbildung des Klerus erscheinen die Immatrikulationszahlen von Straßburg, Paderborn und Bamberg generell sehr niedrig. Dies gilt insbesondere im Vergleich zum akademischen Großbetrieb an der Jesuitenuniversität in Dillingen, die zusätzlich zu den an Jesuitenuniversitäten üblichen Philosophie- und Theologiefakultäten auch über eine juristische Fakultät sowie über ein medizinisches Lehrangebot verfügte. Hier ist nochmals darauf zu verweisen, dass die allermeisten einfachen Landpfarrer wohl nicht die höheren Universitätsstudien absolvierten, so dass diese Gruppe – in Straßburg zumindest bis zur Änderung der Praxis der Matrikelführung 1776 – auch nicht in den Matrikeln in Erscheinung tritt. Den verhältnismäßig wenigen eingeschriebenen Studenten an der bischöflichen Universität Straßburg standen bis 1765 im Schnitt 325 nichtimmatrikulierte Schüler am Kolleg gegenüber.35

4. Regionale Herkunft der Studenten Die folgenden Ausführungen zur regionalen Zusammensetzung der Straßburger Studentenschaft beruhen auf einer Zeitreihenanalyse mit Stichjahren (1710, 1720 usw. bis 1790),36 für die knapp 10 % der Einträge (493) in die Matrikel der fürstbischöflichen Universität ausgewertet wurden (Anhang 7). Für 37 (7 %) der ausgewerteten Einträge lagen keine Angaben zur Herkunft vor, beziehungsweise die vorhandenen Angaben konnten nicht identifiziert werden. Diese Einträge wurden bei der Auswertung der Zusammensetzung der regionalen Herkunft der Studenten an der fürstbischöflichen Universität (Anhang 8) entsprechend nicht berücksichtigt. Die für die übrigen 456 Einträge der genannten Jahrgänge geleistete Analyse der in der Matrikel enthaltenen Angaben zur regionalen Herkunft der Studenten zeigt, dass sich mit 275 Studenten 60 % der Studentenschaft an der fürstbischöflichen Universität aus dem Straßburger Diözesangebiet rekrutierte. Dieses erstreckte sich linksrheinisch über den größten Teil des Unterelsass und rechtsrheinisch – auf dem Gebiet des Heiligen Römischen Reiches – über Teile der Ortenau (Anhang 9).37 Jeder fünfte Student (90) nannte die 35 Epp: Séminaire (Anm. 12), S. 94. 36 Analog zu Schwinges: Universitätsbesucher (Anm. 21). 37 Zur besonderen Lage der Diözese Straßburg zwischen Frankreich und dem Heiligen Römischen Reich siehe Claude Muller: Politische Grenze und religiöse Grenze. Das Elsass im 18. Jahrhundert. In: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 154, 2006, S. 241–270; siehe auch die Karte des

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Stadt Straßburg selbst als Herkunftsort, während aus dem übrigen linksrheinischen Teil der Straßburger Diözese 35 % (160) und aus dem rechtsrheinischen Teil immerhin 5% (25) der Studenten stammten. Für das gesamte 18. Jahrhundert blieb der Anteil der Studenten aus der Straßburger Diözese auf einem relativ stabilen Niveau. Schwankungen der absoluten Immatrikulationszahlen sind daher in erster Linie auf einen wechselnden Besucherzustrom von jenseits der Diözesangrenzen zurückzuführen. Hinzu kommen 51 Studenten (11 %) aus den elsässischen Teilen der Diözesen Basel (33) und Speyer (18), die über keine eigenen Diözesanuniversitäten verfügten. Zusammen mit dem linksrheinischen Teil der Diözese Straßburg beläuft sich die Zahl der elsässischen Studenten an der fürstbischöflichen Universität in den herausgegriffenen Jahrgängen damit auf 301. Die 40 Studenten (9 %) aus Lothringen bilden gemeinsam mit den 38 Studenten (8 %) aus Frankreich einen Anteil von 17% französischer Universitätsbesucher.38 Für eine Einschätzung des tatsächlichen französischen Anteils an der Studentenschaft müssten auch die Söhne französischer Beamten und Militärs an der Hochschule berücksichtigt werden, die bei ihrer Einschreibung Straßburg als Herkunftsort angaben. Dieser Gruppe ließe sich jedoch nur mithilfe umfangreicher biographischer Forschungen nachspüren, für die im Rahmen der Vorbereitung dieses Beitrags keine Zeit war. Für die untersuchten Stichjahre wurden noch 14 % der Immatrikulationen von Studenten aus dem Heiligen Römischen Reich (ohne Lothringen) vorgenommen. Zu den bereits genannten 25 Studenten (5 %) aus dem rechtsrheinischen Teil der Diözese Straßburg kamen in den Untersuchungsjahren immerhin noch 44 Studenten (10 %) aus verschiedenen Diözesen des Reiches: etwa aus den Diözesen Konstanz (16), Mainz (4), Trier (4), Würzburg (3), Worms (2), Bamberg (2), Köln, Fulda, Münster, Osnabrück und Bremen (je 1) sowie aus den Gebieten der Diözesen Speyer (7) und Basel (1), die auf Reichsgebiet lagen. Die hohe Zahl von Studenten aus den benachbarten Diözesen legt nahe, dass das Argument der räumlichen Nähe für den Besuch durch auswärtige Studenten eine große Rolle spielte. Mit 8 Studenten kommt lediglich ein Bruchteil von 2 % der Studentenschaft der untersuchten Jahrgänge aus anderen Regionen Europas, beispielsweise aus Luxemburg (Österreichische Niederlande), der Schweiz, aus Italien, Spanien und Polen.

Straßburger Diözesangebietes bei Francis Rapp: Straßburg. Hochstift und Freie Reichsstadt. In: Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500–1650. 5: Der Südwesten. Hg. von Anton Schindling u. Walter Ziegler. Münster 1993, S. 72– 95, bzw. Anhang 9 in diesem Beitrag. 38 Die Hochstifte der lothringischen Bistümer gehören bereits seit 1552 zu Frankreich, werden hier aber noch zu Lothringen gezählt, da eine belastbare Zuordnung der lothringischen Herkunftsorte für die hier ausgewerteten Jahrgänge noch aussteht. Das größtenteils französischsprachige Herzogtum Lothringen gehörte allerdings erst nach 1766 offiziell zu Frankreich und schied damit endgültig aus dem Reichsverband aus.

370

Patrick Schiele

5. Soziale Herkunft der Studenten In der Matrikel der bischöflichen Universität Straßburg tauchen erst ab dem Jahr 1777 entsprechende Vermerke („p.“ oder „pauper“) für mittellose Studenten auf. Eventuell geschieht dies bereits im Zusammenhang mit der Einrichtung eines Pensionats für mittellose elsässische Adelige im Jahr darauf. Unklar ist, weshalb diese Vermerke, die in den allermeisten frühneuzeitlichen Universitätsmatrikeln zu finden sind und dort vor allem auf eine Befreiung der so gekennzeichneten Personen von der Zahlung einer Immatrikulationsgebühr hinweisen, für die frühere Zeit fehlen. Denn trotz der oft proklamierten grundsätzlichen Unentgeltlichkeit des jesuitischen Unterrichts39 – hinsichtlich der Universitätsstudien ist damit wohl der Verzicht auf Hörergelder gemeint – hatten externe Studenten auch an der Straßburger Jesuitenuniversität Immatrikulations- und Prüfungsgebühren zu entrichten.40 In den letzten Jahren vor der Schließung der Universität stellte diese Gruppe der ‚pauperes‘ im Durchschnitt 12% der Straßburger Studentenschaft, ihr jährlicher Anteil schwankte dabei zwischen 2 und 20%. Eine erste Auswertung bezüglich der Anzahl adliger Studenten an der bischöflichen Universität ergibt einen stabilen Adelsanteil von etwa 5% der Studentenschaft für das gesamte 18. Jahrhundert. Bei einer Durchsicht der Familiennamen unter Zuhilfenahme der einschlägigen Arbeit von Josef Gass41 zeigt sich, dass trotz des wachsenden französischen Einflusses auf das reiche Straßburger Domkapitel dieses auch im 18. Jahrhundert noch Bezugspunkt für die Söhne zahlreicher katholischer Adelsfamilien aus den Oberrheinlanden und dem übrigen Südwestdeutschland war. Daneben lassen sich in der Matrikel spätere Mitglieder von Domkapiteln im Süden und Westen des Reiches (u. a. Basel, Konstanz, Speyer, Mainz, Trier, Worms, Augsburg, Würzburg und Köln) oder adeliger Stifte (zum Beispiel Bruchsal und Ellwangen) nachweisen. Unter den Adeligen an der bischöflichen Universität Straßburg befanden sich bezeichnenderweise auch Angehörige schwäbischer und oberrheinischer Reichsritterfamilien (u. a. Bodmann, Beroldingen und Königsegg).

39 Bernhard Duhr: Die Studienordnung der Gesellschaft Jesu. Freiburg 1896, S.  46–50; Rainer A. Müller: Zur Finanzierung der Kollegien und Hochschulen der oberdeutschen Ordensprovinz der Societas Jesu in der Frühen Neuzeit. In: Finanzierung von Universität und Wissenschaft in Vergangenheit und Gegenwart. Hg. von Rainer Christoph Schwinges. Basel 2005, S. 143 –173, hier S. 151. Dazu exemplarisch aus jüngerer Zeit Matthias Asche: Kollegien, Kompetenz und Kostenkalkül. Jesuitische Erfolgsrezepte an Universitäten im Konfessionellen Zeitalter. In: Historisches Jahrbuch 133, 2013, S. 57–75. 40 Angehörige der Bettelorden zahlten stark ermäßigte Gebühren, gänzlich von Zahlungen ausgenommen war nur der eigene Ordensnachwuchs der Jesuiten; Epp: Séminaire (Anm. 12), S. 244f. 41 Gass: Adelige (Anm. 15).

Das Besucherprofil der fürstbischöflichen Universität Straßburg im 18. Jahrhundert

371

6. Schluss Während sich im protestantischen Bildungswesen seit dem 16. Jahrhundert der Typus der Landesuniversität etablierte, war die Ausbildung der zukünftigen Eliten auf katholischer Seite ganz überwiegend Territorien übergreifend an bischöflichen Hochschulen für die jeweilige Diözese organisiert. Das relativ stabile Niveau der Einschreibungen sowie die durchweg anhaltende Dominanz der Studenten aus dem Straßburger Diözesangebiet bestätigen das Bild von der fürstbischöflichen Universität Straßburg als einer typischen Diözesanbildungsanstalt.42 Sie befriedigte in erster Linie den Bedarf des eigenen Bistums und der benachbarten Diözesen, im Falle Straßburgs insbesondere für die elsässischen Teile der Diözesen Basel und Speyer, die über keine eigenen Universitäten verfügten. Folgerichtig nahm mit zunehmender räumlicher Entfernung auch die Anziehungskraft ab. Über die Diözesen Konstanz im Osten, die mittelrheinischen im Norden, die lothringischen im Nordwesten und die nahe gelegenen französischen Diözesen im Westen hinaus entfaltete sie kaum noch Wirkung. Bezeichnenderweise existierten in diesen Nachbardiözesen auch eigene Universitäten (Freiburg im Breisgau, Mainz, Trier, Pont-à-Mousson, Nancy, Dole u. a.). Insgesamt spiegelt die Zusammensetzung der Studentenschaft an der fürstbischöflichen Universität die ambivalente kulturelle Situation im Elsass wider: Trotz einer fortschreitenden französischen Prägung des Elsass blieb während des 18.  Jahrhunderts der Reichsbezug dieser Institution – namentlich der personelle Bezug zur Reichskirche – durchaus erhalten.

42 Zum Begriff der ‚Diözesanuniversität‘ vgl. Matthias Asche: Zu den Funktionen der Universität Greifswald von ihrer Gründung bis zum Ende der schwedischen Herrschaft. Eine Überprüfung von historiographischen Attributen. In: Die Universität Greifswald in der Bildungslandschaft des Ostseeraums. Hg. von Dirk Alvermann, Nils Jörn u. Jens E. Olesen. Berlin 2007, S. 29–68, hier S. 66.

372

Patrick Schiele

Anhang 1: Straßburg (Altstadt). Eigener Entwurf, umgesetzt von Herbert Kneidl (Regensburg). Der Stadtplan gibt die heutige Situation der Straßburger Altstadt wieder mit den noch existierenden Gebäuden. Die ehemalige katholische Universität ist heute das Gebäude des ‚Grand Séminaire‘ der Erzdiözese Strasbourg. Das Gebäude des ehemaligen städtischen Gymnasiums und der Universität ist das ‚Lycée Jean Sturm‘. Das ehemalige städtische Rathaus ist in seinem erhaltenen Teil das Gebäude der Industrie- und Handelskammer. Die Kommende des Johanniterordens dient der ENA (École nationale d’administration). An der Stelle des „badischen Hofes“ steht eine Primärschule.

Das Besucherprofil der fürstbischöflichen Universität Straßburg im 18. Jahrhundert

373

Anhang 2: Jährliche Immatrikulationen an der fürstbischöflichen Universität Straßburg. Eigene Auszählung der Matricula nova (Anm. 22). Die hier genannten Zahlen weichen von Epp: Séminaire (Anm. 12), S. 98, ab. In Klammern der ab 1777 deutlich erhöhte Anteil an Studenten der in Molsheim verbleibenden Akademie unter der angegebenen Zahl von Immatrikulationen an der fürstbischöflichen Universität Straßburg.

1710 23 1711 28 1712 21 1713 21 1714 17 1715 32 1716 25 1717 17 1718 34 1719 16 1720 24 1721 37 1722 13 1723 2 1724 5 1725 – 1726 14 1727 21 1728 79 1729 48 1730 56 1731 49 1732 50 1733 49 1734 41 1735 46 1736 61 1737 60 1738 60

1739 73 1740 77 1741 36 1742 69 1743 84 1744 51 1745 96 1746 85 1747 198 1748 77 1749 60 1750 74 1751 65 1752 92 1753 68 1754 92 1755 78 1756 81 1757 92 1758 67 1759 65 1760 54 1761 65 1762 64 1763 77 1764 71 1765 55 1766 108 1767 56

1768 56 1769 81 1770 58 1771 70 1772 53 1773 66 1774 73 1775 60 1776 131 1777 105 (26) 1778 93 (27) 1779 109 (16) 1780 96 (23) 1781 104 (18) 1782 102 (31) 1783 100 (27) 1784 102 (29) 1785 103 (22) 1786 106 (29) 1787 94 (24) 1788 80 1789 68 1790 54 1791 9

374

Patrick Schiele

Anhang 3: Immatrikulationsfrequenz der fürstbischöflichen Universität Straßburg. Eigene Zählung aus der Matricula nova (Anm. 22).

Anhang 4: Vergleich der Immatrikulationsfrequenzen der beiden Straßburger Universitäten. Daten für die Gesamtfrequenz aus Eulenburg: Frequenz (Anm. 18).

Das Besucherprofil der fürstbischöflichen Universität Straßburg im 18. Jahrhundert

375

Anhang 5: Vergleich der Immatrikulationsfrequenzen der beiden Straßburger Universitäten (Fünfjahrestrends).

Anhang 6: Vergleich der Immatrikulationsfrequenzen der fürstbischöflichen Universität Straßburg und der Jesuitenuniversitäten in Bamberg, Dillingen und Paderborn. Daten aus Eulenburg: Frequenz (Anm. 18).

376

Summe (Jahrgang)

Stadt Straßburg

übrige Diözese Straßburg (linksrhein./rechtsrhein.)

elsässische Gebiete der Diözesen Basel und Speyer (Basel/Speyer)

übrige Territorien und Städte des Heiligen Römischen Reiches (ohne Lothringen)

Lothringen (bis 1766)

Frankreich

übriges Europa

keine Angabe/nicht identifiziert

Patrick Schiele

1710

23

3

3 (2/1)

4 (3/1)

4

5

1

0

3

1720

24

6

3 (3/0)

1 (1/0)

7

0

4

1

2

1730

56

11

16 (13/3)

7 (2/5)

3

7

5

3

4

1740

77

13

26 (22/4)

4 (2/2)

3

7

10

0

14

1750

74

7

36 (33/3)

4 (3/1)

1

6

10

3

7

1760

54

5

25 (20/5)

5 (4/1)

6

7

4

0

2

1770

58

11

24 (19/5)

11 (7/4)

5

4

1

2

1780

73

18

24 (23/1)

9 (5/4)

13

7

0

2

1790

54

16

28 (25/3)

6 (6/0)

2

1

0

1

90

185 (160/25)

51 (33/18)

44

78

8

37

Summe (Herkunft)

493

Anhang 7: Regionale Herkunft der Studenten an der fürstbischöflichen Universität Straßburg (in absoluten Zahlen, Stichjahre).

Anhang 8: Regionale Herkunft der Studenten an der fürstbischöflichen Universität Straßburg (in Prozent).

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Anhang 9: Karte des Straßburger Diözesangebietes. Entnommen aus Rapp: Straßburg (Anm. 37), S. 72.

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Süddeutsche Reichsstädter an der Universität Straßburg (1621‒1793) Chronologie des Hochschulbesuchs, Bildungsziele, städtische und regionale Profile Da ich eigentlich nach Straßburg gegangen war, um zu promovieren, so gehörte es freilich unter die Unregelmäßigkeiten meines Lebens, dass ich ein solches Hauptgeschäft als eine Nebensache betrachtete.1

Johann Wolfgang Goethe, aus dessen Werk Dichtung und Wahrheit diese Worte stammen, mag vielleicht nicht der fleißigste Student gewesen sein, der an der frühneuzeitlichen Universität Straßburg eingeschrieben war.2 Er ist aber zweifellos derjenige, dessen Studium die größte Bekanntheit erlangte. Goethe studierte an der elsässischen Hochschule seit dem 18. April 1770 vor allem Jurisprudenz oder, wie er sich ausdrückte, „zuförderst die Distincktionen und Subtilitäten, wodurch man Recht und Unrecht einander ziemlich ähnlich gemacht hat“.3 Daneben besuchte der Frankfurter Patrizier Vorlesungen über Medizin und Chemie. Aus der Literaturgeschichte ist bekannt, dass der Aufenthalt des 21-jährigen 1 Goethes Werke. Hg. im Auftrag der Herzogin Sophie von Sachsen. Bd. 28: Dichtung und Wahrheit 3. Weimar 1890, S. 39. Vgl. auch Goethe in Straßburg. Das neunte, zehnte und elfte Buch von Goethes „Dichtung und Wahrheit“. Hg. und erläutert von Michael Scherer. München 1962 (hier das Zitat auf S. 105). 2 Vgl. u. a. Ernst Traumann: Goethe, der Straßburger Student. Leipzig 1910 (21923); Jean de Pange: Goethe en Alsace. Paris 1925 (deutsche Ausgabe: Goethe im Elsass. Baden-Baden 1950); Edmond Vermeil: Goethe à Strasbourg. In: Goethe, études publiées pour le centenaire de sa mort. Paris 1932, S. 3‒93. Zum Kontext vgl. u. a. Georges Livet: Entre France et Empire: Notes sur le protestantisme en Basse-Alsace à l’époque de Goethe. Le cas de Sessenheim. In: Terres d’Alsace, Chemins de l’Europe. Mélanges offerts à Bernard Vogler. Hg. von Dominique Dinet u. François Igersheim. Strasbourg 2003, S. 345‒365. Zum Studienaufenthalt in Straßburg in der biografischen Literatur über Goethe vgl. besonders Nicholas Boyle: Goethe. Der Dichter in seiner Zeit. Bd.  1: 1749‒1790. München 1999 (Erstausgabe Oxford 1991), S. 115‒134; Rüdiger Safranski: Goethe: Kunstwerk des Lebens. München 2013, hier S. 75‒101. 3 Goethes Briefe. Textkritisch durchgesehen und mit Anmerkungen versehen von Karl Robert Mandelkow unter Mitarbeit von Bodo Morawe. Bd. 1: Briefe der Jahre 1764‒1786. Hamburg 21968, Brief an Ernst Theodor Langer vom 11. Mai 1770 (Nr. 38).

380

Wolfgang Mährle

aufstrebenden Dichters in Straßburg in den Jahren 1770/71 für sein weiteres Leben eine wichtige Wegmarke bedeutete: In der elsässischen Metropole lernte Goethe Johann Gottfried Herder kennen, erweiterte durch diese Begegnung seinen geistigen Horizont erheblich und wurde unter anderem zu seiner Schrift Von deutscher Baukunst (1773) angeregt. Auch die Affäre Goethes mit der Pfarrerstochter Friederike Brion fällt in die Zeit im Elsass; sie inspirierte den jungen Frankfurter zu den Sesenheimer Liedern. Goethes Studium in Straßburg, auch das ist bekannt, stand in einer familiären Tradition. Bereits der Vater des Dichters, Johann Kaspar, hatte ab 1741 an der Straßburger Universität Rechtswissenschaften studiert.4 Der Vater war es auch, der Johann Wolfgang nachdrücklich zum Abschluss seiner in Leipzig begonnenen juristischen Studien aufgefordert hatte, die durch eine schwere Erkrankung seit Juli 1768 unterbrochen gewesen waren. Er hatte seinem Sohn den Besuch der Straßburger Hochschule empfohlen, deren guter Ruf als Bildungsinstitution sich maßgeblich auf die Lehre in den Rechts- und Staatswissenschaften gründete.5 Bei der Wahl des Studienortes mag zudem eine Rolle gespielt haben, dass Straßburg auch unabhängig von der Qualität der dortigen Universität ein attraktiver Studienort war.6 Die bikonfessionelle, seit 1681 zum Königreich Frankreich gehörende Stadt bildete aufgrund ihrer geografischen Lage im Oberrheintal ein Zentrum des kulturellen Austauschs zwischen dem französischen und dem deutschen Sprachraum.7 Goethe plante, vom Elsass aus nach Paris weiterzureisen. 4 Johann Kaspar Goethe trug sich am 25. Januar 1741 in die Studentenmatrikel der rechtswissenschaftlichen Fakultät ein. Knod: Matrikeln (Anm. 12), Bd. 2, S. 384. 5 Anton Schindling stellte heraus, dass Goethes Bildungsweg mit den Stationen Frankfurt am Main, Leipzig, Straßburg und Wetzlar einen explizit städtischen Charakter aufwies. Er spricht in diesem Zusammenhang von einem „Bildungsraum evangelischer Städte“ (Anton Schindling: Bildung und Wissenschaft in der Frühen Neuzeit 1650‒1800. München 1994, S. 21). 6 Instruktiv hierzu Jürgen Voss: Universität, Geschichtswissenschaft und Diplomatie im Zeitalter der Aufklärung: Johann Daniel Schöpflin (1694‒1774). München 1979, hier S. 108‒138. 7 Überblicksdarstellungen zur Geschichte Straßburgs im 17. und 18. Jahrhundert: Rodolphe Reuss: Histoire de Strasbourg depuis ses origines jusqu’à nos jours. Paris 1922; Histoire de Strasbourg des origines à nos jours. Hg. von Georges Livet u. Francis Rapp. Bd. 3: Strasbourg de la guerre des Trente Ans à Napoléon 1618‒1815. Strasbourg 1981; Histoire de Strasbourg. Hg. von Georges Livet u. Francis Rapp. Toulouse 1987 (hier die von Georges Livet verfassten Kapitel ‚Le tragique XVIIe siècle‘, ‚La «ville royale» au siècle des lumières, foyer d’appel et capitale de la province‘ und ‚Une ville nouvelle dans un cadre ancien. Espace urbain, espace culturel. La «conjoncture Louis XVI»‘, S. 165‒254); Bernard Vogler: Straßburg. In: Handbuch der kulturellen Zentren der frühen Neuzeit. Städte und Residenzen im alten deutschen Sprachraum. Hg. von Wolfgang Adam u. Siegrid Westphal in Verbindung mit Claudius Sittig u. Winfried Siebers. Bd.  3. Berlin, Boston 2012, S.  1833‒1876 (mit weiterer Literatur). Zur politischen, ökonomischen, gesellschaftlichen und kirchlichen Entwicklung Straßburgs vgl. vor allem Karl Engel: Straßburg als Garnisonstadt unter dem Ancien Régime. In: Beiträge zur Landes- und Volkeskunde von Elsaß-Lothringen 27, 1901, S. 1‒146; Johann Adam: Evangelische Kirchengeschichte der Stadt Straßburg bis zur Französischen Revolution. Straßburg 1922; Ulrich Crämer: Die Verfassung und Verwaltung Straßburgs von der

Süddeutsche Reichsstädter an der Universität Straßburg

381

Sind die biografischen Hintergründe und die philosophisch-literarischen Wirkungen des Aufenthalts Goethes in Straßburg weitgehend bekannt, so gilt dies nicht für den bildungshistorischen Kontext. Die Studienwege sowohl der jungen Frankfurter als auch anderer Reichsstädter im 17. und 18.  Jahrhundert wurden bisher nur unzureichend erforscht. Studien über die frühneuzeitliche Bildungsmigration, die in jüngerer Vergangenheit erschienen sind, waren in erster Linie an der Aufhellung transnationaler Beziehungen interessiert.8 Wir haben daher lediglich fragmentarische Kenntnisse darüber, inwieweit in den Reichsstädten der Frühen Neuzeit stadttypische oder regionale Muster der Bildung und Ausbildung existierten und ob diese gegebenenfalls einem Wandel unterlagen.9 Das Fehlen fundierter Kenntnisse zu den Bildungs- und Ausbildungswegen der Reichsstädter im 17. und 18. Jahrhundert hat erhebliche Konsequenzen für die Forschung. Dies betrifft vor allem die Stadtgeschichtsschreibung. Bildungsspezifische Faktoren hatten Reformationszeit bis zum Fall der Reichsstadt (1521‒1681). Frankfurt/Main 1931; Ingeborg Streitberger: Der königliche Prätor von Straßburg 1685‒1789. Freie Stadt im absoluten Staat. Wiesbaden 1961; Suzanne Dreyer-Roos: La population strasbourgeoise sous l’Ancien Régime. Strasbourg 1969; Peter Hertner: Stadtwirtschaft zwischen Reich und Frankreich. Wirtschaft und Gesellschaft Straßburgs 1650‒1714. Köln, Wien 1973; Jean-Pierre Kintz: La société strasbourgeoise du milieu du XVIe siècle à la fin de la guerre de Trente Ans 1560‒1650. Strasbourg 1984; Paul Greissler: La classe politique dirigeante à Strasbourg 1650‒1750. Strasbourg 1987; Simone Herry: Une ville en mutation. Strasbourg au tournant du grand siècle. Société militaire et société civile de langue française dans la ville libre et royale de Strasbourg d’après les registres paroissiaux, les registres de bourgeoisie et les actes notariés (1681‒1702). Strasbourg 1996. Zum kulturellen Leben in Straßburg vgl. vor allem Otto Winckelmann: Zur Geschichte des deutschen Theaters in Straßburg unter französischer Herrschaft. In: Jahrbuch für Geschichte, Sprache und Literatur Elsaß-Lothringens 14, 1898, S. 192‒237; Pantaléon Deck: Histoire du théâtre français à Strasbourg (1631‒1830). Strasbourg, Paris 1948; Monika Bopp: Die „Tannengesellschaft“: Studien zu einer Straßburger Sprachgesellschaft von 1633 bis um 1670. Johann Matthias Schneuber und Jesaias Rompler von Löwenhalt in ihrem literarischen Umfeld. Frankfurt/Main u. a. 1998; Simone Meyder: „Mehr königlich als frei“. Robert de Cotte und das Bauen in Straßburg nach 1681. Münster u. a. 2010. 8 Vgl. besonders Peregrinatio Hungarica. Studenten aus Ungarn an deutschen und österreichischen Hochschulen vom 16. bis zum 20.  Jahrhundert. Hg. von Márta Fata, Gyula Kurucz u. Anton Schindling. Stuttgart 2006; Simone Giese: Studenten aus Mitternacht: Bildungsideal und peregrinatio academica des schwedischen Adels im Zeichen von Humanismus und Konfessionalisierung. Stuttgart 2009. In neueren Matrikelanalysen zu einzelnen Hochschulen des Alten Reiches spielten die reichsstädtischen Studenten aus geografischen Gründen keine bedeutende Rolle, vgl. besonders Uwe Alschner: Universitätsbesuch in Helmstedt 1576‒1810. Modell einer Matrikelanalyse am Beispiel einer norddeutschen Universität. Braunschweig 1998; Matthias Asche: Von der reichen hansischen Bürgeruniversität zur armen mecklenburgischen Landeshochschule. Das regionale und soziale Besucherprofil der Universitäten Rostock und Bützow in der Frühen Neuzeit (1500‒1800). Stuttgart 2000 (2. Aufl. Stuttgart 2010). 9 Für die Zeit des 16. Jahrhunderts vgl. Rolf Häfele: Die Studenten der Städte Nördlingen, Kitzingen, Mindelheim und Wunsiedel bis 1580. Studium, Berufe und soziale Herkunft. 2 Bde. Trier 1988. Zu den Studenten aus dem Allgäu vgl. Alfred Weitnauer: Allgäuer auf hohen Schulen. Kempten 1939.

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eine hohe Relevanz für die intellektuelle, kulturelle und religiöse Entwicklung der Reichsstädte.10 Sie spielten jedoch auch für die Einbindung der kommunalen Eliten in regionale und überregionale Netzwerke eine wichtige Rolle. Zum Beispiel erlangten sie im Kontext der städteübergreifenden Koordination und Kooperation politische Bedeutung.11 Der vorliegende Aufsatz beleuchtet einen Ausschnitt aus dem skizzierten Forschungsfeld. Ausgehend von den in den Jahren 1897 bzw. 1902 von Gustav C. Knod edierten Matrikeln der frühneuzeitlichen Straßburger Universität12 soll der Besuch dieser Hochschule durch Studenten aus den Reichsstädten des Oberrheinischen, des Schwäbischen, des Fränkischen und des Bayerischen Reichskreises untersucht werden.13 In die Analyse einbezogen wurden alle Städte, die in der Reichsmatrikel von 1792 eingetragen waren, die also bis in die letzten Jahre des Heiligen Römischen Reiches ihren Status als Reichsstadt

10 Zur Verknüpfung von Bildungs- und (Reichs-)Stadtgeschichte vgl. besonders Ernst Riegg: Konfliktbereitschaft und Mobilität. Die protestantischen Geistlichen zwölf süddeutscher Reichsstädte zwischen Passauer Vertrag und Restitutionsedikt. Leinfelden-Echterdingen 2002. 11 Vgl. zu diesem Themenkomplex die jüngst erschienene Publikation Kaiser, Reich und Reichsstadt in der Interaktion. Hg. von Thomas Lau u. Helge Wittmann. Petersberg 2016. 12 Die alten Matrikeln der Universität Straßburg 1621 bis 1793. Bearb. von Gustav C. Knod. 3 Bde. Straßburg 1897‒1902. 13 Überblick über die Geschichte der frühneuzeitlichen Reichskreise: Winfried Dotzauer: Die deutschen Reichskreise in der Verfassung des Alten Reiches und ihr Eigenleben (1500‒1806). Darmstadt 1989. Zur Entwicklung der süddeutschen Reichsstädte nach dem Westfälischen Frieden vgl. besonders Richard Schmidt: Deutsche Reichsstädte. München 1957; Hessisches Städtebuch. Hg. von Erich Keyser. Stuttgart 1957; Badisches Städtebuch. Hg. von Erich Keyser. Stuttgart 1959; Württembergisches Städtebuch. Hg. von Erich Keyser. Stuttgart 1962; Städtebuch Rheinland-Pfalz und Saarland. Hg. von Erich Keyser. Stuttgart 1964; Bayerisches Städtebuch. Hg. von Erich Keyser u. Heinz Stoob. 2 Bde. Stuttgart u. a. 1971‒1974; Klaus Gerteis: Die deutschen Städte in der Frühen Neuzeit. Zur Vorgeschichte der „bürgerlichen“ Welt. Darmstadt 1986; Reichsstädte in Franken. Hg. von Rainer A. Müller u. Brigitte Buberl. 3 Bde. München 1987; Fränkische Reichsstädte. Hg. von Wolfgang Buhl. Würzburg 1987; Heinz Schilling: Die Stadt in der Frühen Neuzeit. München 1993; Handbuch der baden-württembergischen Geschichte. Hg. von Meinrad Schaab, Hansmartin Schwarzmeier u. Gerhard Taddey. Bd. 2: Die Territorien im Alten Reich. Stuttgart 1995, S. 647‒769 (Kapitel  III: Reichsstädte); Rudolf Endres: Die Reichsstädte. In: Handbuch der bayerischen Geschichte. Neu hg. von Andreas Kraus u. Alois Schmid. Bd. III,2: Geschichte Frankens bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts. München 1997, S. 716‒726; Urs Hafner: Republik im Konflikt. Schwäbische Reichsstädte und bürgerliche Politik in der frühen Neuzeit. Tübingen 2001; Reichsstädte im deutschen Südwesten. Hg. von Rainer Redies u. André Wais. Leinfelden-Echterdingen 2004; Ulrich Rosseaux: Städte in der Frühen Neuzeit. Darmstadt 2006; André Krischer: Reichsstädte in der Fürstengesellschaft. Politischer Zeichengebrauch in der Frühen Neuzeit. Darmstadt 2006; Alexander C. H. Bagus: Schwäbische Reichsstädte am Ende des Alten Reiches. Zeiten des Umbruchs in Nördlingen, Aalen und Schwäbisch Gmünd. Aachen 2011; Bernd Roeck: Lebenswelt und Kultur des Bürgertums in der Frühen Neuzeit. München 2011 (Erstauflage 1991); Thomas Lau: Unruhige Städte. Die Stadt, das Reich und die Reichsstadt (1648‒1806). München 2012.

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bewahren konnten.14 Nicht berücksichtigt wurden demgegenüber alle Kommunen, die lediglich in bestimmten Abschnitten des Untersuchungszeitraums Reichsstädte gewesen sind: so alle im Lauf des 17. Jahrhunderts in das Königreich Frankreich eingegliederten Städte, an der Spitze Straßburg selbst, daneben Donauwörth, aber – zumindest rechtlich betrachtet – auch die Schweizer Städte Basel, Bern, Freiburg im Üechtland, Luzern, St. Gallen, Schaffhausen, Solothurn, Zug und Zürich.15 Insgesamt umfasst das untersuchte Städtekorpus 42 Kommunen. 27 Städte waren evangelisch, vier seit dem Westfälischen Frieden paritätisch, elf katholisch. In mehreren Reichsstädten, vor allem in einigen evangelischen Gemeinwesen (z. B. Nürnberg, Frankfurt am Main, Regensburg, Wetzlar), siedelten zahlenmäßig bedeutende konfessionelle Minderheiten.16 Die aus den genannten 42 Kommunen stammenden Straßburger Universitätsbesucher werden im Folgenden vereinfachend als ‚süddeutsche‘ bzw. als ‚oberdeutsche Reichsstädter‘ bezeichnet. Die gewählte Studentengruppe ist in vieler Hinsicht heterogen. Ihre Angehörigen verbindet, dass sie aus Städten kamen, welche im Heiligen Römischen Reich dieselbe verfassungsrechtliche Stellung innehatten.17 Die identische politisch-rechtliche Position wirkte 14 Zur Geschichte der Reichsstädte im Zeitalter der Französischen Revolution und zur Mediatisierung vgl. Klaus-Peter Schroeder: Das Alte Reich und seine Städte. Untergang und Neubeginn: Die Mediatisierung der oberdeutschen Reichsstädte im Gefolge des Reichsdeputationshauptschlusses 1802/03. München 1991; Das Ende reichsstädtischer Freiheit 1802. Zum Übergang schwäbischer Reichsstädte vom Kaiser zum Landesherrn. Begleitband zur Ausstellung „Kronenwechsel“ ‒ das Ende reichsstädtischer Freiheit 1802. Hg. von Daniel Hohrath, Gebhard Weig u. Michael Wettengel. Stuttgart 2002; Die Mediatisierung der oberschwäbischen Reichsstädte im europäischen Kontext. Hg. von Peter Blickle u. Andreas Schmauder. Epfendorf 2003; Das Ende der kleinen Reichsstädte 1803 im süddeutschen Raum. Hg. von Rainer A. Müller, Helmut Flachenecker u. Reiner Kammerl. München 2007. 15 Zur elsässischen Dekapolis vgl. besonders Christian Ohler: Zwischen Frankreich und dem Reich. Die elsässische Dekapolis nach dem Westfälischen Frieden. Frankfurt/Main u. a. 2002; La Décapole. Dix villes d’Alsace alliées pour leurs libertés 1354‒1679. Hg. von Bernard Vogler. Strasbourg 2009. Die eidgenössischen Städte schieden formell 1648 aus dem Reichsverband aus. In der Studie berücksichtigt wurde die Reichsstadt Offenburg, die von 1701 bis 1777 der Lehensherrschaft der Markgrafen von Baden-Baden unterstand. 16 Überblick über die Entwicklung bis etwa 1650: Anton Schindling: Nürnberg. In: Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500‒1650. Hg. von demselben u. Walter Ziegler. Bd. 1: Der Südosten. Münster 1989, S. 32‒42; Anton Schindling, Georg Schmid: Frankfurt am Main, Friedberg, Wetzlar. Ebd., Bd. 4: Mittleres Deutschland. Münster 1992, S. 40‒59; Wilfried Enderle: Ulm und die evangelischen Reichsstädte im Südwesten. Ebd., Bd.  5: Der Südwesten. Münster 1993, S.  194‒212; ders.: Rottweil und die katholischen Reichsstädte im Südwesten. Ebd., S. 214‒230; Herbert Immenkötter, Wolfgang Wüst: Augsburg, Freie Reichsstadt und Hochstift. Ebd., Bd. 6: Nachträge. Münster 1996, S. 8‒35; Peter Schmid: Regensburg, Freie Reichsstadt, Hochstift und Reichsklöster. Ebd., S.  36‒57. Zu Regensburg vgl. auch die Anm. 87 u. 89. 17 Volker Press: Die Reichsstadt in der altständischen Gesellschaft. In: Neue Studien zur frühneuzeitlichen Reichsgeschichte. Hg. von Johannes Kunisch. Berlin 1987, S. 9‒42; Karl Otmar von Aretin: Das Alte Reich 1648‒1806. Bd. 1. Stuttgart 1993, S. 105‒112.

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sich in vielfältiger Weise praktisch aus. Die Reichsstädte, vor allem diejenigen, die jeweils demselben Reichskreis angehörten, standen im engen politischen Kontakt und pflegten darüber hinaus häufig auf den unterschiedlichsten Ebenen wechselseitige Beziehungen. Nicht zuletzt aufgrund dieser Verbindungen verspricht eine gemeinsame und vergleichende Analyse des Studienverhaltens der süddeutschen Reichsstädter einen erheblichen historischen Erkenntnisgewinn. Im Mittelpunkt der Untersuchung steht die quantitative Erfassung des süddeutschreichsstädtischen Universitätsbesuchs in Straßburg. Hierzu wurde auf der Grundlage der Matrikeledition Knods eine Access-Datenbank erstellt. Die auf dieser Datenbank aufbauenden Analysen haben vor allem drei Ziele. Erstens soll die Chronologie des Besuchs der Straßburger Universität durch die oberdeutschen Reichsstädter rekonstruiert werden. Zweitens bietet die Straßburger Überlieferung die für den Untersuchungszeitraum seltene Möglichkeit, die Studienziele der immatrikulierten Studentenschaft eingehend zu analysieren.18 Sowohl die Fakultätszugehörigkeit der Studenten als auch Graduierungen sind dokumentiert.19 Drittens zielt die Analyse darauf ab, regionale und stadttypische Profile der reichsstädtischen Studentengruppe zu ermitteln. Andere Aspekte des Themas, so zum Beispiel die Frage nach der sozialen Zusammensetzung der süddeutsch-reichsstädtischen Studentenschaft in Straßburg, fanden hingegen keine Berücksichtigung.20 Die Analysen dieses Aufsatzes haben über die erwähnten stadthistorischen Aspekte hinaus eine erhebliche Relevanz für die Erforschung der frühneuzeitlichen Universität Straßburg. Es ist bekannt, dass die Reichsstädter in der elsässischen Metropole eine zahlenmäßig bedeutende Studentengruppe bildeten. Doch lässt sich die Frage nach dem ‚reichsstädtischen‘ Profil der Straßburger Hochschule bisher nur sehr undifferenziert beantworten. Arthur Schulze konnte in seiner 1926 erschienenen Untersuchung der Straßburger Matrikeln zeigen, dass der Anteil der Studenten aus Reichsstädten im Verlauf des

18 Vgl. Franz Eulenburg: Die Frequenz der deutschen Universitäten von ihrer Gründung bis zur Gegenwart. Leipzig 1904, S. 192. 19 Zu frühneuzeitlichen Universitätsmatrikeln vgl. Thomas Otto Achelis: Universitätsmatrikeln und ihre Benutzung. Neustadt/Aisch 1963; Eva Giessler-Wirsig, Johanna Böhm-Klein: Universitäts- und Hochschulmatrikeln. In: Taschenbuch für Familiengeschichtsforschung. Hg. von Wolfgang Ribbe u. Eckhart Henning. Neustadt/Aisch 111995, S. 235‒269; Matthias Asche: Universitäts- und Hochschulmatrikeln als genealogische Quelle. In: Zeitschrift für Niederdeutsche Familienkunde 74, 1999, S. 183‒187; Ulrich Rasche: Über die deutschen, insbesondere über die Jenaer Universitätsmatrikeln. In: Genealogie 25, 2001, S. 29‒46, 84‒109; Susanne Häcker, Florian Lang: Hochschulmatrikel. In: Enzyklopädie der Neuzeit. Hg. von Friedrich Jaeger. Bd. 5: Gymnasium ‒ Japanhandel. Stuttgart, Weimar 2007, Sp. 550f.; Matthias Asche, Susanne Häcker: Matrikeln. In: Quellen zur frühneuzeitlichen Universitätsgeschichte. Typen, Bestände, Forschungsperspektiven. Hg. von Ulrich Rasche. Wiesbaden 2011, S. 243‒267. 20 Vgl. hierzu besonders Arthur Schulze: Die örtliche und soziale Herkunft der Straßburger Studenten 1621‒1793. Frankfurt/Main 1926, hier S. 115‒139.

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17. und 18.  Jahrhunderts deutlich abgenommen hat.21 Doch unterblieben eine exakte Quantifizierung sowie eine Analyse dieser studentischen Gruppe nach Herkunftsstädten bzw. -regionen, nach Fakultätszugehörigkeit sowie nach dem sozialen Profil der Inskribenten. Derartige Untersuchungen können für die Erforschung der frühneuzeitlichen Universität Straßburg neue Perspektiven eröffnen. Eine spannende Frage in diesem Kontext ist diejenige nach den Interdependenzen zwischen akademischer Lehre und studentischem Besuch. Hierbei handelt es sich um ein Problemfeld, das bisher noch nicht systematisch behandelt worden ist und das aufgrund der Überlieferungslage auch nur für wenige Hochschulen des 17. und 18. Jahrhunderts analysiert werden kann. Des Weiteren stellt die vorliegende Untersuchung wichtige Bausteine zur Erforschung von säkularen Phänomenen der frühneuzeitlichen Bildungsgeschichte bereit. Erwähnt sei hier lediglich der Prozess der Territorialisierung von Bildung und Ausbildung, der sich zwischen dem 16. und dem 18. Jahrhundert vollzogen hat. Wie spiegelt sich diese Entwicklung im Studienverhalten der süddeutschen Reichsstädter, die – von den Nürnbergern abgesehen – allesamt aus Städten ohne eigene Universität kamen? Ist bei dieser Studentengruppe eine Tendenz zur ‚Regionalisierung‘ der Ausbildung zu beobachten? Die vertiefte Analyse des Hochschulbesuchs der reichsstädtischen Studenten scheint geeignet, die bisher vor allem an den Territorien ausgerichteten Forschungen zum Wandel der frühneuzeitlichen ‚peregrinationes academicae‘ um neue Aspekte zu bereichern und auf diese Weise eine Differenzierung zu ermöglichen. Schließlich können Analysen zum Studium süddeutscher Reichsstädter wie die vorliegende auch Impulse zu aktuellen Forschungsdiskussionen liefern. Dies gilt etwa für die in jüngerer Vergangenheit intensiv geführten Debatten um die Definition und die Abgrenzung von frühneuzeitlichen Bildungslandschaften.22 Wie fügen sich die geografisch ver21 Ebd., S. 98, 109. 22 Vgl. besonders Schindling: Bildung (Anm. 5), S. 3‒44; Wolfgang Neugebauer: Zu Stand und Aufgaben moderner europäischer Bildungsgeschichte. In: Zeitschrift für historische Forschung 22, 1995, S. 225‒236, hier S. 234f.; Matthias Asche: Der Ostseeraum als Universitäts- und Bildungslandschaft im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit (1500‒1800). In: Blätter für deutsche Landesgeschichte 135, 1999, S. 1‒20; Regionale Aspekte des frühen Schulwesens. Hg. von Ulrich Andermann u. Kurt Andermann. Tübingen 2000; Peter Claus Hartmann: Kulturgeschichte des Heiligen Römischen Reiches 1648 bis 1806. Verfassung, Religion und Kultur. Darmstadt 2001, hier S. 373‒375; Rolf Kießling: „Schullandschaften“. Ein Forschungsansatz für das Spätmittelalter und die Frühe Neuzeit. Entwickelt anhand süddeutscher Beispiele. In: Erziehung und Schulwesen zwischen Konfessionalisierung und Säkularisierung. Forschungsperspektiven, europäische Fallbeispiele und Hilfsmittel. Hg. von Heinz Schilling u. Stefan Ehrenpreis. Münster, New York 2003, S. 35‒54; Thomas Töpfer: Die Leucorea am Scheideweg. Der Übergang von Universität und Stadt Wittenberg an das albertinische Kursachsen 1547/48. Eine Studie zur Entstehung der mitteldeutschen Bildungslandschaft. Leipzig 2004; Schullandschaften in Altbayern, Franken und Schwaben. Untersuchungen zur Ausbreitung und Typologie des Bildungswesens in Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Hg. von Helmut Flachenecker u. Rolf Kießling. München 2005, darin vor allem dieselben: Städtelandschaften ‒ Schullandschaften. Eine Einführung, S. 1‒14; Anton Schindling: Katholische und protestan-

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streut liegenden Reichsstädte als großteils mindermächtige, nicht über eine akademische Bildungseinrichtung verfügende Reichsstände in die bislang sehr disparaten wissenschaftlichen Konzeptionen frühneuzeitlicher Bildungs- bzw. Kulturlandschaften ein? Muss die Berücksichtigung der Ausbildungswege reichsstädtischer Studenten in diesen Überlegungen nicht zwangsläufig die unter anderem von Anton Schindling und Matthias Asche geäußerte Vermutung bestärken, bei den frühneuzeitlichen Bildungslandschaften handle es sich eher um virtuelle als um reale Räume?23 Meine Analysen konnten sich nur auf wenige Vorarbeiten stützen. Während zum intellektuellen Profil und zum Lehrangebot des Straßburger akademischen Gymnasiums bzw. der ‚semiuniversitas‘ eine fundierte wissenschaftliche Studie vorliegt,24 ist die Getische Kulturlandschaften im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation. In: Religion und Kultur im Europa des 17. und 18.  Jahrhunderts. Hg. von Peter Claus Hartmann. Unter Mitarbeit von Annette Reese. Frankfurt/Main u. a. 22006, S. 25‒49; Michael Müller: Konfessionelle Universitätslandschaften im Heiligen Römischen Reich und in Frankreich. Ebd., S. 455‒471; Thomas Töpfer: Gab es „Bildungslandschaften“ im Alten Reich? Dimensionen und Möglichkeiten einer aktuellen Kategorie der frühneuzeitlichen Universitätsgeschichte am Beispiel Mitteldeutschlands. In: Jahrbuch für Universitätsgeschichte 9, 2006, S. 101‒112; Rolf Kießling: Schullandschaft Schwaben. Überlegungen zu einer räumlichen Strukturierung von Bildungsgeschichte. In: Schule, Universität und Bildung. Festschrift für Harald Dickerhof zum 65. Geburtstag. Hg. von Helmut Flachenecker u. Dietmar Grypa. Regensburg 2007, S. 49‒66; Hilde de Ridder-Symoens: Bildungslandschaften des Mittelalters und der Frühen Neuzeit im Deutschen Reich und in Europa. In: Die Universität Greifswald in der Bildungslandschaft des Ostseeraums. Hg. von Dirk Alvermann, Nils Jörn u. Jens E. Olesen. Münster, Berlin 2007, S. 13‒28; Matthias Asche: Bildungslandschaften im Reich der Frühen Neuzeit. Überlegungen zum landsmannschaftlichen Prinzip an deutschen Universitäten in der Vormoderne. In: „Orte der Gelahrtheit“. Personen, Prozesse und Reformen an protestantischen Universitäten des Alten Reiches. Hg. von Daniela Siebe. Stuttgart 2008, S. 1‒44; Thomas Töpfer: Bildungsgeschichte, Raumbegriff und kultureller Austausch in der Frühen Neuzeit. „Bildungslandschaften“ zwischen regionaler Verdichtung und europäischer Ausstrahlung. In: Kultureller Austausch. Bilanz und Perspektiven der Frühneuzeitforschung. Hg. von Michael North. Köln, Weimar, Wien 2009, S. 115‒139; Das Rheinland als Schul- und Bildungslandschaft (1250‒1750). Hg. von Andreas Rutz. Köln, Weimar, Wien 2010, darin vor allem ders.: Bildung und Region. Schul- und Bildungslandschaften als Forschungsaufgabe, S. 9‒30; Thomas Töpfer: Die „Freyheit“ der Kinder. Territoriale Politik, Schule und Bildungsvermittlung in der vormodernen Stadtgesellschaft. Das Kurfürstentum und Königreich Sachsen 1600‒1815. Stuttgart 2012; Transnationale Bildungsräume. Wissenstransfers im Schnittfeld von Kultur, Politik und Religion. Hg. von Esther Möller u. Johannes Wischmeyer. Göttingen 2013. Nicht mehr berücksichtigt wurde folgende Publikation: Thomas Töpfer: „Bildungsräume“ und „Bildungslandschaften“ ‒ Raumbezogene Forschungskategorien aus Sicht der Bildungsgeschichte. Konzeptionelle und methodische Perspektiven. In: Zeitschrift für Erziehungswissenschaft 19, 2016, S. 83‒99. 23 Schindling: Kulturlandschaften (Anm. 22), S. 33f., spricht von „mentalen Landkarten“; Asche: Bildungslandschaften (Anm. 22), S. 17f., 21f. 24 Zur Zeit vor 1621 vgl. vor allem Anton Schindling: Humanistische Hochschule und Freie Reichsstadt. Gymnasium und Akademie in Straßburg 1538‒1621. Wiesbaden 1977. Gekürzte französi-

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schichte der Universität lediglich partiell gut erforscht. Speziellere Forschungen beziehen sich vor allem auf die Zeit des 18 Jahrhunderts; im Mittelpunkt stehen die Dekaden um 1750.25 Wertvolle Informationen zur Universitätsgeschichte enthalten daneben ältere Überblicksdarstellungen sowie Zusammenfassungen in stadtgeschichtlichen Werken.26 Eine moderne Studie über das regionale und soziale Profil der Studentenschaft fehlt. Einschlägig für diesen Themenkomplex sind nach wie vor die älteren Arbeiten von Franz Eulenburg über die Frequenzentwicklung an den mitteleuropäischen Universitäten sowie die erwähnte, aus dem Jahr 1926 stammende Untersuchung von Arthur Schulze über die Straßburger Studentenschaft.27 Informationen zur Frequenz der elsässischen Universität enthalten zudem einige weitere Studien wie etwa die Arbeit von Jürgen Voss über Daniel Schöpflin sowie Publikationen, die bestimmte Studentengruppen oder Zeitabschnitte der Universitätsgeschichte, etwa die Zeit des Dreißigjährigen Krieges, thematisieren.28 In der Arbeit Schulzes, die gegenwärtig den besten Überblick bietet, finden sich grundlegende

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sche Übersetzung: L’Ecole latine et l’Académie de 1538 à 1621. In: Histoire du Gymnase Jean Sturm. Berceau de l’Université de Strasbourg 1538‒1988. Hg. von Pierre Schang u. Georges Livet. Strasbourg 1988, S. 17‒154. François-Georges Dreyfus: L’Université protestante de Strasbourg dans la seconde moitié du XVIIIe siècle. In: Revue d’Allemagne 3, 1971, S. 84‒97; Voss: Schöpflin (Anm. 6); Bernard Vogler: L’université de Strasbourg au milieu du XVIIIe siècle. In: Strasbourg, Schoepflin et l’Europe au XVIIIe siècle. Hg. von demselben u. Jürgen Voss. Bonn 1996, S. 10‒16. Die Arbeit von Daniel Schneider: L’Université de Strasbourg au XVIIIe siècle. D.E.S. Strasbourg 1965 (masch.) stand mir während der Arbeit an diesem Aufsatz nicht zur Verfügung. August Schricker: Zur Geschichte der Universität Straßburg. Festschrift zur Eröffnung der Universität Straßburg am 1. Mai 1872. Straßburg 1872; Reuss: Histoire de Strasbourg (Anm. 7), S. 296‒298, 329‒331; Paul Wentzcke: Die alte Universität Straßburg. In: Elsaß-Lothringisches Jahrbuch  17, 1938, S. 37‒112; Louis Châtellier, Bernard Vogler, Marcel Thomann: Cultures, religions, société. L’esprit européen. In: Livet, Rapp: Histoire de Strasbourg (Anm. 7), 1980‒1982, S. 421‒434. Eulenburg: Frequenz (Anm. 18); Schulze: Herkunft (Anm. 20). Weitere Arbeiten zum Profil der Straßburger Studentenschaft, die jedoch zumeist nur Aufstellungen von Einträgen in die Matrikel ohne eigentliche Auswertung darstellen: Karl August Barack: Württemberger auf der Straßburger Universität von 1612‒1793. In: Vierteljahresschrift für Landesgeschichte 2, 1879, S. 161‒206; ders.: Badische Studenten auf der Straßburger Universität von 1616 bis 1791. In: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 38, 1884, S. 158‒209; Franz Iwand: Elsässische Adelige auf der Universität Straßburg 1621‒1789. Leipzig 1915; Sebastian Hausmann: Die Schweizer Studenten an der alten Universität Straßburg. In: Zeitschrift für Schweizerische Geschichte 8, 1928, S. 64‒103; ders.: Die Pfälzischen Studenten der alten Universität Straßburg. In: Pfälzisches Museum ‒ Pfälzische Heimatkunde 1928, S. 234‒244. Vgl. daneben Wentzcke: Alte Universität (Anm. 26), vor allem S. 68‒76, 89‒92. Alexander Persijn: Pfälzische Studenten und ihre Ausweichuniversitäten während des Dreißigjährigen Krieges. Waldfischbach 1959; Matthias Asche, Susanne Häcker, Patrick Schiele: Studieren im Krieg. Die Universitäten entlang des Rheins im (Wind-)Schatten des Dreißigjährigen Krieges. In: Krieg und Kriegserfahrung im Westen des Reiches 1568‒1714. Hg. von Andreas Rutz. Göttingen 2016, S. 205‒236.

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Informationen zu den reichsstädtischen Studenten. Doch schöpft Schulze die Auswertungsmöglichkeiten, welche die Straßburger Überlieferung bietet, bei Weitem nicht aus.

1. Institutionelle Entwicklung und akademische Lehre an der frühneuzeitlichen Universität Straßburg: Umprofilierung einer Hochschule Die im Jahre 1621 gegründete Universität Straßburg ging aus einem sogenannten akademischen Gymnasium hervor.29 Es handelte sich dabei um eine Bildungseinrichtung, an der Unterricht sowohl in mehreren Lateinschulklassen als auch in propädeutischen wissenschaftlichen Vorlesungen angeboten wurde. Das Straßburger Gymnasium war im Jahre 1538 durch Vereinigung mehrerer kleinerer Stadtschulen eingerichtet worden und stellte die erste langfristig erfolgreiche Institution dieser Art dar.30 Im Jahre 1566 wurde der Straßburger Hohen Schule von Kaiser Maximilian II. (1527‒1576, regierend 1564‒1576) das Recht eingeräumt, Promotionen in der philosophischen Fakultät vorzunehmen, d. h. die Titel eines Bakkalaureus und eines Magisters zu vergeben. Das Straßburger Gymnasium wurde seit diesem Zeitpunkt auch als ‚semiuniversitas‘ (Halbuniversität) bezeichnet. Es diente im 16.  Jahrhundert vielen Territorien und Städten im Heiligen Römischen Reich (und darüber hinaus) als Vorbild bei der Reorganisation des Bildungswesens.31 29 Zum Folgenden vgl. Schindling: Humanistische Hochschule (Anm. 24). 30 Bereits 1526 war in der Reichsstadt Nürnberg eine ähnliche Bildungsinstitution gegründet worden; vgl. Hugo Steiger: Das Melanchthongymnasium in Nürnberg (1526‒1926). Ein Beitrag zur Geschichte des Humanismus. München 1926, hier S. 20‒47; Gerhard Hirschmann: Die Errichtung des Gymnasiums 1526 im Spiegel der amtlichen Dokumente. In: Melanchthon-Gymnasium. Humanistisches Gymnasium. 450. Schuljahr. Festschrift und Jahresbericht 1975/76. Nürnberg 1976, S. 13‒21; Wolfgang Mährle: Academia Norica. Wissenschaft und Bildung an der Nürnberger Hohen Schule in Altdorf (1575‒1623). Stuttgart 2000, S. 51‒58; ders.: Bildungspolitik im Zeichen Melanchthons. Die Familie Camerarius und das höhere Schulwesen in Nürnberg 1526‒1624. In: Nürnbergs Hochschule in Altdorf. Beiträge zur frühneuzeitlichen Wissenschafts- und Bildungsgeschichte. Hg. von Hanspeter Marti u. Karin Marti-Weissenbach. Köln, Weimar, Wien 2014, S. 17‒40. 31 Zum süddeutschen Raum vgl. besonders Anton Schindling: Die katholische Bildungsreform zwischen Humanismus und Barock. Dillingen, Dole, Freiburg, Molsheim und Salzburg: Die Vorlande und die benachbarten Universitäten. In: Vorderösterreich in der frühen Neuzeit. Hg. von Hans Maier u. Volker Press. Sigmaringen 1989, S. 137‒176; ders.: Der Straßburger Schulrektor Johannes Sturm, die Schule in Lauingen und die Jesuiten in Dillingen. Humanistische Bildungsreform an Oberrhein und oberer Donau. In: Grenzüberschreitungen. Die Außenbeziehungen Schwabens in Mittelalter und Früher Neuzeit. Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben. 100. Band. Hg. von Wolfgang Wüst, Georg Kreuzer u. David Petry. Augsburg 2008, S. 327‒366 (Wiederabdruck ohne Abbildungen unter dem Titel: Scholae Lauinganae. Johannes Sturm, das Gymnasium in Lau-

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In den Jahrzehnten vor der Privilegierung zur Volluniversität wies die Straßburger Hohe Schule nicht nur ein markantes institutionelles, sondern auch ein eindrucksvolles intellektuelles Profil auf. Gründungsrektor und bestimmende Figur im Straßburger Bildungswesen war in den Jahrzehnten nach der Reformation Johannes Sturm (1507‒1589) gewesen.32 Sturm entwickelte für das Gymnasium der elsässischen Reichsstadt einen ingen und die Jesuiten in Dillingen. In: Johannes Sturm (1507‒1589). Rhetor, Pädagoge und Diplomat. Hg. von Matthieu Arnold. Tübingen 2009, S. 261‒292); Wolfgang Mährle: Straßburg als Vorbild. Das akademische Gymnasium Johannes Sturms und das evangelische höhere Bildungswesen in Süddeutschland (1540‒1620). In: Historisches Jahrbuch 133, 2013, S. 167‒224; demnächst erscheint: ders.: Le modèle et sa fortune. L’académie de Strasbourg et l’enseignement supérieur protestant en Allemagne du sud. In: La naissance des académies protestantes: Lausanne 1537 ‒ Strasbourg 1538 et la diffusion du modèle. Hg. von Ruxandra I. Vulcan. Zum Einfluss Straßburgs auf das calvinistische Bildungswesen vgl. besonders Gerhard Menk: Die Hohe Schule Herborn in ihrer Frühzeit (1584‒1660). Ein Beitrag zum Hochschulwesen des deutschen Kalvinismus im Zeitalter der Gegenreformation. Wiesbaden 1981; ders.: Die kalvinistischen Hochschulen und ihre Städte im konfessionellen Zeitalter. In: Stadt und Universität. Hg. von Heinz Duchhardt. Köln 1993, S. 83‒106; Vierhundert Jahre Arnoldinum 1588‒1988. Festschrift. Greven 1988; 400 Jahre Hohe Schule Steinfurt. Symposium 1988. Hg. von Heinz Holzhauer u. Richard Toellner. Steinfurt 1991; Thomas Elsmann: Humanismus, Schule, Buchdruck und Antikenrezeption. Anmerkungen zur Bremer Entwicklung bis 1648. In: Stadt und Literatur im deutschen Sprachraum der Frühen Neuzeit. Bd. 1. Hg. von Klaus Garber, Stefan Andres u. Thomas Elsmann. Tübingen 1998, S. 203‒238; Joachim Castan: Hochschulwesen und reformierte Konfessionalisierung. Das Gymnasium Illustre des Fürstentums Anhalt in Zerbst 1582‒1652. Halle/Saale 1999; Anton Schindling: Jean Calvin et l’École de Jean Sturm. In: Jean Calvin: Les Années Strasbourgeoises (1538‒1541). Actes du colloque de Strasbourg (8‒9 octobre 2009) à l’occasion du 500e anniversaire de la naissance du Réformateur. Hg. von Matthieu Arnold. Strasbourg 2010, S. 79‒92. Zum Einfluss auf das ostmittel- und osteuropäische Bildungswesen vgl. besonders Martin Klöker: Literarisches Leben in Reval in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts (1600‒1657). Institutionen der Gelehrsamkeit und Dichten bei Gelegenheit. 2 Bde. Tübingen 2005; Zdzisław Pietrzyk: Johannes Sturms Studenten aus der polnisch-litauischen Republik. In: Arnold: Johannes Sturm [wie oben], S. 293‒302; Martin Holý: Johannes Sturm, das Straßburger Gymnasium und die Böhmischen Länder in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Ebd., S. 303‒319; Martin Klöker: Sturm in Riga. Einflüsse Johannes Sturms auf das altlivländische Bildungswesen. Ebd., S. 321‒336; Zdzisław Pietrzyk: Die Ausstrahlung Straßburgs im Zeitalter des Humanismus. Peregrinatio academica aus der polnisch-litauischen Republik und die Hohe Schule Johannes Sturms im 16. und 17. Jahrhundert. In: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 158, 2010, S. 193‒240, hier besonders S. 230‒235; Martin Holý: Zrození renesančního kavalíra. Výchova a vzdĕlávání šlechty z českých zemí na Prahu novovĕku (1500‒1620). Prag 2010. Zum Einfluss auf Ungarn vgl. Deutschland und Ungarn in ihren Bildungs- und Wissenschaftsbeziehungen während der Renaissance. Hg. von Wilhelm Kühlmann u. Anton Schindling. Stuttgart 2004; Fata, Kurucz, Schindling: Peregrinatio Hungarica (Anm. 8); Calvin und Reformiertentum in Ungarn und Siebenbürgen. Helvetisches Bekenntnis, Ethnie und Politik vom 16. Jahrhundert bis 1918. Hg. von Márta Fata u. Anton Schindling. Münster 2010. 32 Vgl. besonders Charles Schmidt: La vie et les travaux de Jean Sturm. Straßburg 1855 (Nachdruck Nieuwkoop 1970); Ernst Laas: Die Pädagogik des Johannes Sturm. Leipzig 1872; Georg Schmid:

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maßgeblich von seinem humanistischen Bildungsideal der ‚sapiens atque eloquens pietas‘ geprägten Studienplan, in dessen Mittelpunkt die Ausbildung in der Rhetorik stand. Dieser Lehrplan Sturms verlor spätestens nach der Absetzung des langjährigen Rektors durch den Straßburger Magistrat (1581) an Bedeutung. In einer intellektuellen Atmosphäre, die nach wie vor stark von methodischen Fragestellungen geprägt war, setzte sich in den folgenden Jahrzehnten in vielen Fächern eine von empirisch-deskriptiven Tendenzen geprägte Wissenschaft durch.33 Vor allem in der politischen Theorie entwickelte Straßburg ein sehr eigenständiges intellektuelles Profil, wobei auch neustoizistische Lehren rezipiert wurden (Lipsianismus).34 Bei ihrer Gründung im Jahr 1621 verfügte die Universität Straßburg über insgesamt 14  Lehrstühle.35 An der Hochschule lehrten sechs Philosophen, je drei Theologen und Juristen sowie zwei Mediziner.36 Straßburg zählte damit zu den mittelgroßen protestantischen Universitäten im Heiligen Römischen Reich. Die Zahl der Lehrstühle wurde im 17. Jahrhundert auf 15 erhöht, 1761 jedoch aus finanziellen Gründen wieder auf 14 reduziert.37 Ein Ausbau der Universität war nach 1681 nicht mehr möglich, da vom französischen Königtum lediglich der Status quo der protestantischen Bildungseinrichtung garantiert worden war, eine Weiterentwicklung der Hochschule jedoch keine politische Unterstützung fand. Vor allem aus diesem Grund unterschied sich der Lehrkörper von 1761 von demjenigen des Jahres 1621 nur dadurch, dass ein philosophischer Lehrstuhl zugunsten einer Dozentur in der medizinischen Fakultät weggefallen war.38 Für das Straßburger Studium charakteristisch war insgesamt ein elitärer Charakter. Im 17. wie im 18. Jahrhundert besuchten zahlreiche Adelige, darunter hochgestellte fürstliche Persönlichkeiten, die Universität. Ein Aufenthalt in Straßburg ersetzte für die gesellschaftlichen Eliten Mittel- und Osteuropas häufig die früheren ‚peregrinationes academicae‘

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Die vier großen protestantischen Rektoren des 16. Jahrhunderts und ihre Schulen. In: Geschichte der Erziehung vom Anfang an bis auf unsere Zeit. Hg. von Karl Adolf Schmid u. a. Bd. 2, Abt. 2. Stuttgart 1889 (Neudruck Aalen 1970), S. 276‒461, hier S. 302‒388; Anton Schindling: Humanistische Hochschule (Anm. 24); Matthieu Arnold: Sturm, Johannes (1507‒1589). In: Theologische Realenzyklopädie. Hg. von Gerhard Müller, Bd. XXXII: Spurgeon ‒ Taylor. Berlin, New York 2001, S. 281‒284; Jean Sturm. Quand l’humanisme fait école. Catalogue de l’exposition à la Bibliothèque Nationale et Universitaire de Strasbourg. Hg. von Matthieu Arnold u. Julien Collonges. Straßburg 2007; Johannes Sturm (1507‒1589). Pädagoge der Reformation. Zwei seiner Schulschriften aus Anlass seines 500. Geburtstages. Lateinisch-deutsche Lese-Ausgabe. Hg. von Bernd Schröder, übersetzt von Ernst Eckel u. Hans-Christoph Schröter. Jena 2009; Arnold: Johannes Sturm (Anm. 31). Schindling: Humanistische Hochschule (Anm. 24), S. 380. Karl Bünger: Matthias Bernegger. Ein Bild aus dem geistigen Leben Strssburgs zur Zeit des Dreissigjährigen Krieges. Strassburg 1893 (mit zahlreichen Informationen zur Hochschulgeschichte Straßburgs). Vgl. auch den Beitrag von Michael Philipp in diesem Band. Zum Folgenden vgl. die unter Anm. 25 und Anm. 26 genannte Literatur. Wentzcke: Alte Universität (Anm. 26), S. 55f. Schricker: Geschichte (Anm. 26), S. 39f. Wentzcke: Alte Universität (Anm. 26), S. 82f.

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nach Italien; auch konnte er an die Stelle einer Ausbildung an einer der neu gegründeten Ritterakademien treten.39 Das Studium der Adligen prägte das universitäre Milieu in Straßburg: Hohe Bedeutung hatte die Vermittlung von Kenntnissen in den modernen Sprachen, vor allem aber die Unterweisung im Reiten, Fechten und Tanzen. Die Adligen trugen sich seit 1657, die Sprach- und Exerzitienmeister sowie die Hofmeister der Adligen seit 1692 in eine eigene Matrikel ein.40 Prägend für die Entwicklung der Straßburger Universität im 17. und 18. Jahrhundert wurde die weitgehende Rekrutierung des akademischen Personals aus der Bürgerschaft der elsässischen Metropole. Bereits August Schricker konnte belegen, dass von insgesamt 129 zwischen 1621 und 1793 an die Hochschule berufenen Professoren 105 aus Straßburg stammten (= 81 %).41 Dabei etablierten sich an der zunächst reichsstädtischen, später französischen Universität wie auch an anderen frühneuzeitlichen Hochschulen Gelehrtenfamilien: So stellte etwa die Familie Boeckler insgesamt sechs Professoren der Medizin und der Rechtswissenschaft.42 Einige Fächer, zum Beispiel Mathematik, Physik und Medizin, wurden praktisch ausschließlich von Einheimischen gelehrt.43 Die Auswirkungen dieser Entwicklung, die einen Bruch mit der Berufungspraxis des 16. Jahrhunderts darstellte,44 auf die Qualität des Lehrangebots dürften ambivalent gewesen sein.45 Sie bedürfen noch der differenzierten Analyse. Das wissenschaftliche Profil der Straßburger Universität unterlag im 17. und 18. Jahrhundert deutlichen Veränderungen. Zur Zeit der ‚semiuniversitas‘ hatte sich der Ruf der elsässischen Hochschule außer auf die philologisch-philosophische und die theologische Ausbildung stark auf die Lehre in den Rechtswissenschaften gegründet. Die Privilegierung der Straßburger Hohen Schule zur Volluniversität zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges bedeutete keinen Einschnitt für das Lehrprofil. Bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts blieb Straßburg eine anerkannte Bildungseinrichtung für das altsprachliche und philosophische

39 Vgl. zusammenfassend Hilde de Ridder-Symoens: Mobilität. In: Geschichte der Universität in Europa. Hg. von Walter Rüegg. Bd. 2: Von der Reformation zur Französischen Revolution (1500‒1800). München 1996, S. 335‒359. 40 Vgl. das folgende Kapitel ‚2. Überlieferung und methodische Fragen‘. 41 Schricker: Geschichte (Anm. 26), S. 49. 42 Wentzcke: Alte Universität (Anm. 26), S. 58. 43 Am spätesten, erst gegen Ende der reichsstädtischen Zeit, zeigte sich das Phänomen der Berufung von Stadtkindern in der juristischen Fakultät, vgl. Wentzcke: Alte Universität (Anm. 26), S. 58f. 44 Während der Jahre 1538 bis 1621 stammten von 112 berufenen Professoren nur 36 aus Straßburg (= 32%); vgl. Schricker: Geschichte (Anm. 26), S. 48. Vgl. auch Schindling: Humanistische Hochschule (Anm. 24), S. 393f. 45 Julian Kümmerle: Luthertum, humanistische Bildung und württembergischer Territorialstaat. Die Gelehrtenfamilie Bidembach vom 16. bis zum 18. Jahrhundert. Stuttgart 2008; ders.: „Absinkendes Niveau, fehlende Kritik und geringe Leistung“? Familienuniversitäten und Universitätsfamilien im Alten Reich. In: Siebe: Orte (Anm. 22), S. 143‒157.

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Grundstudium sowie für die Jurisprudenz, daneben auch für die Theologie.46 Im 18. Jahrhundert trat hingegen neben der Ausbildung in den Rechtswissenschaften die Lehre in der Medizin in den Vordergrund. Etwa seit dem vierten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts begründete sich der wissenschaftliche Ruf der Straßburger Universität fast ausschließlich durch ihre rechtswissenschaftlichen und medizinischen Lehrveranstaltungen; der Lehrbetrieb in der philosophischen Fakultät und in der lange beim orthodoxen Luthertum verharrenden Theologie hatte demgegenüber – von Ausnahmen abgesehen – keine hohe Qualität. Zwischen den beiden erwähnten Phasen der Universitätsgeschichte im 17. und im 18. Jahrhundert lagen Jahrzehnte einer schweren Krise der Straßburger Hochschule. Hatte bereits der Dreißigjährige Krieg eine Zäsur für den Lehrbetrieb dargestellt, so trafen der Holländische Krieg (1672‒1678) und die daran anschließende Reunionspolitik Ludwigs  XIV. (1679‒1684) die Universität mit voller Wucht.47 Nach der Annexion Straßburgs im Jahr 1681 bestätigte der französische König zwar die Korporationsrechte der Hochschule, doch lähmten die Unsicherheit über die weitere politische Entwicklung, die Diskriminierung des Protestantismus im französischen Königreich sowie die notwendige Rücksichtnahme der universitären und städtischen Entscheidungsträger auf die Regierung in Paris die Bildungspolitik in vielen Fällen. Sie führten nicht selten auch zu einer konservativen Verhärtung, etwa in der Theologie. Schließlich war es eine Folge der politischen Veränderungen am Oberrhein, dass sich die protestantische Universität Straßburg seit 1701 in einem direkten Konkurrenzverhältnis zu der von Molsheim in die ehemalige Reichsstadt verlegten katholischen Universität befand.48 Die Erholung der Straßburger Hochschule im 18. Jahrhundert war möglich, weil in der Medizin und in den politisch-juristischen Disziplinen innovative Wege beschritten wurden. In der Medizin war Straßburg eine der wenigen Universitäten, an der im 18. Jahr46 Zur Theologie vgl. auch Adam: Kirchengeschichte (Anm. 7), S. 384‒390, 462‒468. Zur konfessionellen Entwicklung in Straßburg bis 1650 vgl. zusammenfassend Francis Rapp: Straßburg, Hochstift und Freie Reichsstadt. In: Schindling, Ziegler: Territorien (Anm. 16), Bd. 5: Der Südwesten. Münster 1993, S. 72‒95. 47 Neuere Überblicksdarstellungen über die Geschichte des Elsass im 17. und 18. Jahrhundert: Bernard Vogler: Histoire culturelle de l’Alsace. Du Moyen Age à nos jours, les très riches heures d’une région frontière. Strasbourg 1994, S.  103‒181; ders.: Histoire des chrétiens d’Alsace des origines à nos jours. Paris 1994, S. 127‒174; ders.: Histoire politique de l’Alsace. De la Révolution à nos jours, un panorama des passions Alsaciennes. Strasbourg 1997, S. 13‒46; ders., Michel Hau: Histoire économique de l’Alsace. Croissance, crises, innovations: vingt siècles de développement régional. Strasbourg 1997; Das Elsass. Historische Landschaft im Wandel der Zeiten. Hg. von Michael Erbe. Stuttgart 2002 (darin vor allem die Beiträge ‚Reformation und konfessionelles Zeitalter‘ von Franz Brendle, S. 61‒83, und ‚Das Elsass als Teil der französischen Monarchie (1648‒1789)‘ von KlausJürgen Matz, S. 85‒101); Bernard Vogler: La période moderne: De L’Empire germanique à la France. In: Nouvelle Histoire de l’Alsace. Une région au cœur de l’Europe. Hg. von demselben. Toulouse 2003, S. 127‒180; ders.: Geschichte des Elsass. Stuttgart 2012, S. 90‒127. 48 Vgl. hierzu den Beitrag von Anton Schindling in diesem Band.

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hundert klinischer Unterricht angeboten wurde. Seit 1738 bestand in der elsässischen Metropole eine Schule für Geburtshilfe mit angegliederter eigener Entbindungsanstalt.49 Die Lehre in den medizinischen Fächern erfolgte nach der modernen Leidener Methode von Herman Boerhaave (1668‒1738). Durch die Berufung profilierter Persönlichkeiten zählte die medizinische Fakultät der Universität Straßburg vor allem zwischen 1746 und 1777 zu den besten in Europa. Für den Aufschwung der politisch-juristischen Fächer war insbesondere die ab etwa 1752 erfolgte Einrichtung einer Diplomatenschule in Straßburg von Bedeutung. Spiritus rector dieser Bildungseinrichtung, die aus privaten Lehrveranstaltungen hervorgegangen war und die organisatorisch in die Universität integriert blieb, war der aus Sulzburg in Baden stammende Johann Daniel Schöpflin (1694‒1771).50 Schöpflin, der in seiner wissenschaftlichen Arbeit an ältere Straßburger Traditionen (Lipsianismus) anknüpfte, machte die geographische Position Straßburgs an der Schnittstelle von deutschem und französischem Kulturkreis für seine Gründung fruchtbar. In der Straßburger Diplomatenschule wurden Vorlesungen über Friedensverträge, europäische Fürstenhäuser und andere historisch-politische Themen angeboten. Die zeitweise fünfzig bis siebzig Hörer aus den verschiedensten Ländern, welche die Schule anzog, studierten teilweise auch an der Universität Rechtswissenschaften. Nach dem Tod Schöpflins wurde die Diplomatenschule von seinem Schüler Christoph Wilhelm Koch (1737‒1813) mit großem Erfolg weitergeführt und das Lehrangebot ausgebaut. Es umfasste Vorlesungen in Völkerrecht, Naturrecht und Statistik sowie Unterrichtsveranstaltungen über Friedensverträge und die Geschichte des europäischen Staatensystems.

2. Überlieferung und methodische Fragen Die Matrikelüberlieferung der Straßburger Hochschule setzt, sieht man von der medizinischen Fakultät ab, mit der Privilegierung dieser Bildungsinstitution zur Universität im Jahr 1621 ein.51 Die Schulmatrikeln, die im 16. und frühen 17. Jahrhundert geführt wurden, sind – vermutlich in den Wirren der Französischen Revolutionszeit – verloren gegangen.52 Bei den Arbeiten an der Edition der Straßburger Matrikeln konnte Gustav C. Knod

49 Zum Kontext: Médecine et assistance en Alsace XVIe‒XXe siècle. Recherches sur l’histoire de la Santé. Hg. von Georges Livet u. Georges Schaff. Strasbourg 1976; Robert Steegmann: Le Milieu médical à Strasbourg au XVIIIe siècle. Strasbourg 1977 (masch.). 50 Voss: Schöpflin (Anm. 6), S. 156‒185. 51 In der medizinischen Fakultät wurde ‒ im Gegensatz zu den anderen Fakultäten ‒ bereits seit 1612 eine fakultätsinterne Immatrikulationsliste geführt. 52 Zum studentischen Besuch der Straßburger Hochschule vor 1621 vgl. Gerhard Meyer: Zu den Anfängen der Straßburger Universität. Neue Forschungsergebnisse zur Herkunft der Studentenschaft und zur verlorenen Matrikel. Hildesheim, Zürich, New York 1989.

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in den Archiven der ehemaligen Reichsstadt insgesamt 15 Immatrikulationsbücher ermitteln.53 Es handelt sich dabei um folgende Matrikeln: 1. Allgemeine Matrikeln: – Matricula generalis maior (3.1.1766–22.6.1802) – Matricula serenissimorum et illustrissimorum (1657‒1792) – Matricula chirurgorum, didascalorum et servorum (1692‒1792) 2. Fakultätsmatrikeln: a. Philosophie – Matricula studiosorum facultatis philosophicae (1622‒1793, 2 Bde.) – Matricula candidatorum facultatis philosophicae (1621‒1789, 2 Bde.) b. Theologie – Matricula studiosorum facultatis theologicae (1621‒1792) – Matricula facultatis philosophicae (1621‒1789) c. Jurisprudenz – Matricula studiosorum facultatis juridicae (1621‒1792, 2 Bde.) – Matricula candidatorum facultatis juridicae (1621‒1792, 2 Bde.) d. Medizin – Matricula studiosorum facultatis medicae (1612‒1792) – Matricula candidatorum facultatis medicae (1621‒1792) Die in Straßburg geführten allgemeinen Matrikeln unterlagen demnach einem Prozess der Ausdifferenzierung. Existierte zunächst lediglich eine Generalmatrikel, so bestanden seit 1657 bzw. 1692 zusätzlich allgemeine Matrikeln für bestimmte Personengruppen, nämlich hochrangige Adlige sowie die Universitätsverwandten. Nach 1770 wurde die Matrikel für die Universitätsverwandten in je eine Matrikel für die Chirurgen, das universitäre Lehrpersonal sowie die Hofmeister aufgespalten. Auf Fakultätsebene wurden die Universitätsbesucher jeweils durch eine Studenten- und eine Kandidatenmatrikel erfasst. Sowohl die allgemeinen Matrikeln als auch die Studentenmatrikeln der Fakultäten verwaltete in der elsässischen Metropole der Rektor der Hochschule. Lediglich die Führung der Kandidatenmatrikeln oblag den jeweiligen Fakultätsdekanen. Die Auswertung der Straßburger Matrikeln wirft zahlreiche methodische Probleme auf. Diese Schwierigkeiten sind zum einen durch die Immatrikulationspraktiken an frühneuzeitlichen Hochschulen im Allgemeinen und an der Straßburger Hochschule im Besonderen, zum anderen aber auch durch die spezifische Überlieferungssituation in der elsässischen Metropole bedingt.54 So ist bei einer Auswertung von frühneuzeitlichen 53 Knod: Matrikeln (Anm. 12), Bd. 1, S. XXXI‒XXXV. Barack: Württemberger (Anm. 27), S. 162f., nennt für die medizinische Fakultät einen dritten Matrikelband, der wiederum die Namen der Kandidaten umfasste. Dieser Band ist bei Knod nicht ediert. 54 Zusammenfassend zur Immatrikulation vgl. Maria Rosa di Simone: Die Zulassung zur Universität. In: Rüegg: Geschichte (Anm. 39), S. 235‒262; Asche, Häcker: Matrikeln (Anm. 19). Zu den me-

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Matrikeln grundsätzlich zu bedenken, dass sich in der Regel nicht nur Studenten im engeren Sinne, sondern auch Universitätsverwandte (z. B. Hofmeister) in die Verzeichnisse eingetragen haben. Ein Motiv hierfür war etwa die Absicht, bestehende Universitätsprivilegien zu nutzen. Auf der anderen Seite sind jedoch gerade in Straßburg nicht wenige Fälle belegt, in denen ordentliche Studenten mit Erfolg versucht haben, eine Immatrikulation zu umgehen, etwa um die in diesem Fall zu entrichtenden Gebühren zu sparen. Auch die an Schöpflins Diplomatenschule Studierenden haben sich nur zum Teil in die Universitätsmatrikel eingetragen.55 Die Zahl der Inskribenten ist vor diesem Hintergrund nicht mit der Zahl der Studenten gleichzusetzen. Den quantifizierenden Auswertungen dieses Aufsatzes liegen die in den Straßburger Matrikeln dokumentierten Einschreibungen zugrunde. Auf die Bestimmung eines Aufenthaltskoeffizienten im Sinne Eulenburgs wurde verzichtet.56 Alle bisherigen Versuche, die Aufenthaltsdauer der Studenten frühneuzeitlicher Universitäten zu ermitteln und auf diese Weise die tatsächliche Studentenzahl zu einem bestimmten Zeitpunkt zu errechnen, haben sich als methodisch angreifbar erwiesen.57 Hinsichtlich der Überlieferungssituation ist besonders der Verlust der Straßburger Generalmatrikel in der Zeit vor 1766 von gravierender Bedeutung. Aufgrund dieser Überlieferungslücke kann nicht überprüft werden, wie hoch in älterer Zeit der Anteil derjenigen Studenten gewesen ist, die sich nur in diese allgemeine Matrikel und nicht in eine der Fakultätsmatrikeln eingeschrieben haben. Für die rekonstruierbaren Jahre von 1766 bis 1793 zeigt sich, dass eine solche Praxis durchaus häufig vorkam.58 Insgesamt haben sich in den letzten 27  Jahren des Bestehens der frühneuzeitlichen Straßburger Universität 22,4 % der im Rahmen dieses Aufsatzes untersuchten reichsstädtischen Studenten nicht in eine Fakultätsmatrikel (bzw. die Matrikeln der Universitätsverwandten), sondern nur in die Generalmatrikel oder in die Matricula serenissimorum et illustrissimorum eingeschrieben. Der weit überwiegende Anteil dieser Inskriptionen entfällt dabei auf die Generalma-

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thodischen Schwierigkeiten bei der Auswertung der Straßburger Matrikeln vgl. die Einleitung von Knod: Matrikeln (Anm. 12), Bd. 1, S. XI‒XXXVII, sowie die einleitenden Bemerkungen von Schulze: Herkunft (Anm. 20), S. 6‒8. Vgl. auch Manfred Komorowskis Aufsatz über Knod und dessen Matrikeledition in diesem Band. Voss: Schöpflin (Anm. 6), S. 170. Eulenburg: Frequenz (Anm. 18), S. 29‒42. Vgl. besonders Willem Frijhoff: Surplus ou déficit? Hypothèses sur le nombre réel des étudiants en Allemagne à l’époque moderne (1576‒1815). In: Francia 7, 1979, S. 173‒218; ders.: Grandeur des nombres et misères des réalités. La courbe de Franz Eulenburg et le débat sur le nombre d’intellectuels en Allemagne 1576‒1815. In: Les universités européennes du XVIe au XVIIIe siècle. Histoire sociale des populations étudiantes. Hg. von Dominique Julia, Jacques Revel u. Roger Chartier. Bd. 1. Paris 1986, S. 23‒63. Schulze: Herkunft (Anm. 20), S. 103.

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trikel.59 Inwieweit man den genannten Prozentsatz auf die nicht-reichsstädtischen Studenten sowie auf die Zeit vor 1766 übertragen kann, ist unklar. Doch ist zu erwarten, dass die Gesamtzahl der Straßburger Universitätsbesucher auch in der Zeit vor 1766 deutlich höher war als die Summe derjenigen Studenten, die sich in eine der Fakultätsmatrikeln einschrieben. Des Weiteren zeigt eine Auswertung der Fakultätsmatrikeln, dass diese auch unabhängig von der Tatsache, dass sich eine größere Zahl von Studenten nur in eine der allgemeinen Matrikeln einschrieb, kein vollständiges Bild über die Gesamtzahl der Studierenden bieten. Es lässt sich feststellen, dass in Straßburg – zumindest in einigen Phasen der Hochschulgeschichte – bestimmte Immatrikulationsmuster gebräuchlich waren, die eine exakte Rekonstruktion der Studentenzahl in den einzelnen Fächern unmöglich machen. Diese Immatrikulationsmuster waren – soweit erkennbar – zum Teil von der Herkunft der Studenten, zum Teil jedoch auch von ihrem Bildungsziel bestimmt. So stellte bereits Gustav C.  Knod fest, dass die Universitätsbesucher aus Straßburg sich in der Regel nur in die Matrikel der philosophischen Fakultät einschrieben, während sie eine Immatrikulation an einer der höheren Fakultäten unterließen.60 Es ist ungewiss, ob sich auch andere Studentengruppen so verhielten. Im Kontext dieser Untersuchung konnte festgestellt werden, dass Theologiestudenten, die parallel Lehrveranstaltungen in den alten Sprachen oder in der Philosophie besuchten und eine Graduierung zum Magister anstrebten, sich nicht selten ausschließlich an der theologischen Fakultät sowie in die Kandidatenmatrikel der philosophischen Fakultät eingeschrieben haben. Eine Inskription in die Studentenmatrikel der philosophischen Fakultät unterblieb hingegen. Ein derartiges Verhalten lässt sich für die angehenden Juristen und Mediziner nicht beobachten. Doch finden sich in allen Fakultäten Studenten, die sich ausschließlich in die Kandidatenmatrikel und nicht in die Studentenmatrikel ihrer Fakultät inskribierten.61 Im Falle der oberdeutschen Reichsstädter folgen ca. 2,6 % der Eingeschriebenen einem derartigen Immatrikulationsmuster. Diese Studenten haben nichtsdestotrotz nicht nur einen Studienabschluss erworben, sondern auch Lehrveranstaltungen besucht. Ein berühmtes Beispiel ist der eingangs erwähnte Johann Wolfgang Goethe, der, wie erwähnt, in Straßburg Vorlesungen sowohl in der juristischen als auch in der medizinischen Fakultät hörte. In den Straßburger Matrikeln findet sich sein Name allerdings lediglich in der juristischen Kandidatenmatrikel – und zwar unter dem Datum des 22. September 1770. Der Eintrag erfolgte also über fünf Monate nach dem Eintreffen des Frankfurters in der oberrheinischen Metropole.62 59 Es haben sich 42 von insgesamt 187 oberdeutschen Reichsstädtern lediglich in eine der beiden allgemeinen Matrikeln eingeschrieben. 37 der 42 Studenten immatrikulierten sich nur in die Generalmatrikel. 60 Knod: Matrikeln (Anm. 12), Bd. 1, S. XXVII. 61 Schulze: Herkunft (Anm. 20), S. 103. 62 Goethe trug sich als „Joannes Wolfgang Goethe, Moenofrancofurtensis“ unter der Immatrikulationsnummer 2255 in die juristische Kandidatenmatrikel ein.

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Neben den genannten grundlegenden methodischen Problemen stellen sich noch weitere. So ist ungeklärt, ob sich in den Jahrzehnten um 1700 tatsächlich in mehreren Studienjahren keine Studenten in einzelnen Fächern einschrieben haben oder ob sich die fehlenden Eintragungen nicht öfters auch durch spezifische Immatrikulationspraktiken erklären. Schließlich stellen sich in verschiedenen Fällen Probleme bei der Zuordnung von einzelnen Studenten zu bestimmten Städten. Dies spielt bei den reichsstädtischen Studenten etwa dann eine Rolle, wenn diese als Heimatorte ‚Rothenburg‘, ‚Altdorf‘ oder ‚Hall/ Halle‘ angegeben haben.63 Aus dem Gesagten folgt, dass es aufgrund der Quellenlage nicht mehr möglich sein wird, die Gesamtzahl der an der frühneuzeitlichen Universität Straßburg studierenden Personen zu ermitteln. Ebenso wenig ist es möglich, die exakte Zahl der Studenten festzustellen, die in den verschiedenen Phasen der Universitätsgeschichte an den einzelnen Fakultäten der Straßburger Hochschule studiert haben. Die geschilderten Überlieferungsprobleme betreffen selbstverständlich auch die reichsstädtische Studentenschaft: Das Straßburger Studium der in diesem Aufsatz untersuchten studentischen Gruppe lässt sich ebenfalls nurmehr näherungsweise rekonstruieren. Diese Tatsache muss man sich bewusst machen, wenn im Folgenden exakte Zahlen genannt werden, die sich bei der Auswertung der Straßburger Matrikeln ergaben. Auf der anderen Seite sind die Trends, die sich durch die Analyse der Immatrikulationsverzeichnisse ermitteln lassen, methodisch abgesichert. Die Auswertung der Straßburger Matrikeln in der vorliegenden Untersuchung orientiert sich prinzipiell an der Edition von Gustav C. Knod. Dies bedeutet, dass Knods Vorgaben, z. B. bei der Entscheidung über die Zuordnung von Studierenden zu bestimmten Orten oder bei der Zusammenführung von verschiedenen Einträgen einzelner Studenten in den Matrikeln, in der Regel gefolgt wurde. Ausnahmen wurden lediglich dann gemacht, wenn die Angaben Knods offensichtlich fehlerhaft waren. Bestanden Unsicherheiten über den Herkunftsort von Studierenden, wurden entsprechende Einträge grundsätzlich nicht berücksichtigt. Ein weiteres Prinzip, das der vorliegenden Analyse zugrunde liegt, ist die Gleichbehandlung aller verfügbaren Matrikeln, d. h. der Studenten- und der Kandidatenmatrikeln. So wurde für die Bestimmung von Immatrikulationsdaten prinzipiell der erste Eintrag des Studenten in eine Matrikel herangezogen, unabhängig davon, ob sich dieser in einer Studenten- oder in einer Kandidatenmatrikel findet. Schließlich erfolgte die Analyse der Straßburger Matrikeln aus arbeitstechnischen Gründen prinzipiell auf der Basis der Einschreibungen pro Kalender-, nicht pro Studienjahr.

63 Vgl. hierzu Knod: Matrikeln (Anm. 12), Bd. 3, S. 556f.

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3. Die Universität Straßburg in der Frühen Neuzeit: Entwicklung der Studentenfrequenz, Bedeutung der Fakultäten, Graduierungen 3.1. Entwicklung der Studentenfrequenz Die Zahl der Personen, die an der frühneuzeitlichen Universität Straßburg studierten, dürfte bei etwa 24 000 bis 26 000 gelegen haben.64 Dies entspricht einer durchschnittlichen Inskriptionszahl von 140 bis 151 pro Jahr. Die Studentenfrequenz an der Straßburger Hochschule weist dabei – das ist seit der Arbeit von Eulenburg bekannt – ein chronologisches Muster auf, das von dem der Mehrheit der Universitäten im Reich abweicht.65 Vor allem die politisch-militärischen Gegebenheiten am Oberrhein, aber auch die spezifische Straßburger Hochschulpolitik sind für die besondere Entwicklung der elsässischen Universität verantwortlich. Die Abweichungen der Straßburger Studentenfrequenz vom

64 Zu den methodischen Problemen, die insbesondere der Verlust der Generalmatrikel vor 1766 aufwirft, siehe das vorherige Kapitel. Die Zahl von 24 000 bis 26 000 Studenten errechnet sich folgendermaßen: Addiert man die Immatrikulationszahlen der Studentenmatrikeln der Fakultäten für Theologie (2631), Jurisprudenz (8691), Medizin (2895) und Philosophie (5657), so erhält man eine Zahl von 19 874 eingeschriebenen Studenten (ohne die angehenden Chirurgen). Unter der Voraussetzung, dass der für die süddeutschen Reichsstädter für die Zeit von 1766 bis 1793 ermittelte prozentuale Anteil derjenigen Studenten, die sich lediglich in eine der allgemeinen Matrikeln (vor allem in die Generalmatrikel) eintrugen, auch für die anderen Studentengruppen sowie für die Zeit vor 1766 einen brauchbaren Richtwert abgibt, ergäbe sich eine Studentenzahl von gut 24 000 (19 874 x 1,22). Zudem muss bedacht werden, dass sich die Gesamtzahl der Studenten um diejenigen erhöht, die sich lediglich in eine Kandidatenmatrikel eingetragen haben (bei den reichsstädtischen Studenten etwa 2,6 % der in die Fakultätsmatrikeln immatrikulierten). Es ergibt sich ‒ wiederum bei Übertragung der Analyseergebnisse für die Reichsstädter ‒ eine Gesamtzahl von knapp 25 000 Studenten. Aufgrund der hohen Unsicherheiten der getroffenen Annahmen handelt es sich bei dieser Zahl lediglich um einen rechnerischen Wert. Die ermittelte Studentenzahl wird zudem um diejenigen Studenten gemindert, die sich in mehrere Matrikeln eintrugen, weil sie an mindestens zwei Fakultäten studierten, z. B. zunächst an der philosophischen Fakultät, später an einer der höheren Fakultäten Lehrveranstaltungen besuchten. Die Zahl dieser Studenten ist im Fall der reichsstädtischen Universitätsbesucher statistisch kaum relevant (vgl. Kapitel 4.2.). Doch ist davon auszugehen, dass sie bei anderen Studentengruppen größer ist. In erster Linie dürften sich Studenten aus der näheren Umgebung Straßburgs sowie Studenten, die an ihrem Heimatort nicht über qualitativ gute Lateinschulen verfügten, für ein ‚Vollstudium‘ in Straßburg entschieden haben. Nicht berücksichtigt bei diesen Berechnungen wurden die Chirurgen und die Universitätsverwandten (z. B. Sprach- und Exerzitienmeister, Hofmeister). Von den Hofmeistern dürfte ein gewisser Teil auch Lehrveranstaltungen besucht haben. Einzukalkulieren ist zudem die Tatsache, dass sich Studenten entgegen den Bestimmungen überhaupt nicht in eine Matrikel einschrieben. 65 Die folgenden Zahlen zur Immatrikulationsfrequenz an deutschen Hochschulen nach Eulenburg: Frequenz (Anm. 18), besonders die Grafiken auf S. 49, 75 und 132; daneben Asche: Bürgeruniversität (Anm. 8), S. 160‒184 (vor allem Grafiken).

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Reichstrend treten besonders deutlich in den hundert Jahren zwischen 1670 und 1770 hervor. Die Privilegierung des Straßburger akademischen Gymnasiums zu einer Volluniversität im Jahre 1621 war zu einem Zeitpunkt erfolgt, als die Studentenzahlen an den deutschen Hochschulen seit der ‚Bildungskrise der Reformation‘ neun Jahrzehnte lang nahezu ununterbrochen gestiegen waren. Man geht davon aus, dass sich die Gesamtzahl der Studierenden im Reich in den Jahrzehnten seit dem Tiefpunkt um 1530 bis 1620 etwa versiebenfachte. Die starke Zunahme der Studentenfrequenz war begleitet von einem massiven Ausbau der Bildungsinstitutionen in den deutschen Territorien und Städten. Bestandteil dieser – in erster Linie konfessionell motivierten – ‚Bildungsoffensive‘ war auch eine größere Zahl an Hochschulneugründungen.66 In den Jahrzehnten des Dreißigjährigen Krieges erlebten die meisten Universitäten und Hohen Schulen im Reich einen dramatischen Einbruch. Die Zahl der Hörer ging rapide zurück, einzelne Lehranstalten mussten zeitweise ihren Unterrichtsbetrieb erheblich reduzieren oder ganz einstellen. Der Rückgang der Studentenzahlen betraf auch die neu gegründete Straßburger Universität, allerdings im Vergleich mit der Mehrheit der deutschen Hochschulen mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung. Die Entwicklung der jährlichen Immatrikulationen in Straßburg zeigt Grafik 1. Demnach schrieben sich in den 1620er Jahren durchschnittlich 206 Personen pro Jahr an der elsässischen Universität ein; dies entsprach einer mittelgroßen evangelischen Hochschule.67 Eine solche Immatrikulationsfrequenz wurde in den Jahrzehnten bis zur Auflösung der frühneuzeitlichen Straßburger Universität nicht wieder erreicht. Die Hochschule am Oberrhein konnte in den ersten eineinhalb Jahrzehnten des Dreißigjährigen Krieges, als sie nicht direkt vom Kriegsgeschehen betroffen war, zum Teil von den militärischen Ereignissen profitieren, indem sie – in ähnlicher Weise wie z. B. die mecklenburgische Universität Rostock – als Ausweichuniversität diente.68 Straßburg kam dabei vor allem zugute, dass Teile Süddeutschlands, die traditionell zum Einzugsgebiet der Hochschule zählten, zum Kriegsschauplatz geworden oder zumindest vom Krieg bedroht waren. Der Einbruch der Studentenzahlen erfolgte in Straßburg erst in der zweiten Hälfte der 1630er Jahre, als sich nach der Schlacht bei Nördlingen (1634) und dem Kriegseintritt Frankreichs die militärischen Aktionen auch ins Elsass verlagerten. Der Unterrichtsbetrieb an der Straßburger Universität wurde daraufhin für einige Jahre nur mit sehr wenigen Hörern 66 Überblick: Arno Seifert: Das höhere Schulwesen. Universitäten und Gymnasien. In: Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte. Bd. 1: 15. bis 17. Jahrhundert. Von der Renaissance und der Reformation bis zum Ende der Glaubenskämpfe. Hg. von Notker Hammerstein. München 1996, S. 197‒374; Notker Hammerstein: Bildung und Wissenschaft vom 15. bis zum 17. Jahrhundert. München 2003. 67 Eulenburg: Frequenz (Anm. 18), S. 85. 68 Persijn: Pfälzische Studenten (Anm. 28); Asche, Häcker, Schiele: Studieren im Krieg (Anm. 28), S. 213f. Zu Rostock: Asche: Bürgeruniversität (Anm. 8), S. 208‒213.

400

Wolfgang Mährle Grafik 1: Jährliche Immatrikulationen an der Universität Straßburg

Zahl der Immatrikulationen

250,0 200,0 5

150,0 100,0 50,0

6

5

118

115

5 37

31

4

206 121

128

153

179 2 89

80

3

2 42

62

73

94

148

0,0

156 121

112 8 27

9 9 3 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 -8 -7 -9 -6 -4 -5 -3 -2 -1 -0 -7 -9 -6 -5 -8 -3 -4 -2 21 630 640 650 660 670 680 690 700 710 720 730 740 750 760 770 780 790 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 16 Zeitraum Fakultätsmatrikeln

Sonstige Matrikeln

Grafik 1: Jährliche Immatrikulationen an der Universität Straßburg.

durchgeführt; auch in den 1640er Jahren lag die Zahl der jährlichen Neuinskriptionen mit 128 noch knapp 40% unter dem Niveau der 1620er Jahre. Nach dem Ende des Krieges folgten die Immatrikulationszahlen an der Universität Straßburg zunächst der allgemeinen Entwicklung im Reich. So sind die 1650er Jahre an der elsässischen Hochschule wie in der deutschen Universitätslandschaft insgesamt von einer deutlichen Erholung der Frequenz gekennzeichnet. Durchschnittlich schrieben sich in Straßburg jährlich 153 Studenten in die Fakultätsmatrikeln ein. Im Jahr 1660 erreichte diese Entwicklung mit 267 Inskriptionen einen Höhepunkt. Seit den 1660er Jahren wich die Frequenz an der Universität Straßburg von den im Reich allgemein erkennbaren Paradigmen ab. Während die Immatrikulationszahlen deutscher Universitäten seit 1660, vor allem seit 1665 zunächst rückläufig waren, sich jedoch seit den 1680er Jahren wieder erholten, setzte sich in Straßburg in den 1660er Jahren der Nachkriegstrend noch eine Zeitlang fort: Durchschnittlich 179 Studenten schrieben sich zwischen 1660 und 1669 jährlich an der elsässischen Hochschule ein. Im folgenden Jahrzehnt brach die Zahl der Immatrikulationen an der Straßburger Universität dann allerdings ein. Vor allem der Holländische Krieg sowie die daran anschließende Reunionspolitik Ludwigs XIV. im Elsass, die 1681 zur Eingliederung der Reichsstadt in das Königreich Frankreich führte, hatten zur Folge, dass sich die Zahl der jährlichen Inskriptionen in den 1670er Jahren im Vergleich zum Vorjahrzehnt auf 89 halbierte, um in den folgenden beiden Jahrzehnten auf 80 bzw. 44 zu sinken. Gegen Ende des 17.  Jahrhunderts war die Straßburger Hochschule damit weitgehend marginalisiert. Auch im 18. Jahrhundert wies die Entwicklung der Immatrikulationen in Straßburg eine vom Reichstrend abweichende Tendenz auf. Während die Zahl der Einschreibungen

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reichsweit zwischen 1700 und 1750 stagnierte und dann bis 1790 um über 20 % fiel, stiegen die Inskriptionszahlen an der Straßburger Universität in den ersten sieben Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts ziemlich konstant an. Nach Jahrzehnten gerechnet, verringerte sich im Zeitraum zwischen 1700 und 1770 die Zahl der durchschnittlichen jährlichen Immatrikulationen lediglich ein einziges Mal geringfügig gegenüber dem davorliegenden Zeitabschnitt (in den 1740er Jahren). Zwischen 1760 und 1769 schrieben sich durchschnittlich wieder 156 Studenten pro Jahr in Straßburg ein, ein Wert, der in etwa der Zahl der Inskriptionen in der Mitte des 17. Jahrhunderts entsprach. Rechnet man die Universitätsverwandten, die zum Teil auch am Studienbetrieb teilgenommen haben dürften, mit ein, ergibt sich eine Zahl von durchschnittlich 161 Immatrikulationen pro Jahr. In den 1770er- und 1780er Jahren war auch in Straßburg die Zahl der Inskriptionen rückläufig. Die durchschnittlichen jährlichen Immatrikulationszahlen sanken von 156 bzw. 161 (1760‒1769) auf 121 bzw. 158 (1770‒1779) und 112 bzw. 143 (1780‒1789). Die ab 1770 feststellbare große Diskrepanz zwischen der Zahl der studentischen Einschreibungen sowie der Zahl der Inskriptionen insgesamt erklärt sich dadurch, dass seit diesem Jahr regelmäßig eine große Zahl an Chirurgen ihre Ausbildung in Straßburg begann. Die angehenden Chirurgen werden in den Straßburger Matrikeln regelmäßig als ‚Studenten‘ bezeichnet, sind aber nicht als Akademiker im engeren Sinn zu verstehen. Seit dem 27. November 1770 trugen sie sich in eine neu geschaffene Universitätsmatrikel ein. Beträgt der Rückgang der Studentenzahlen in Straßburg in den Dekaden zwischen 1760 und 1789 etwa 30 %, so ist der Rückgang der Immatrikulationszahlen – das Lehrpersonal, die Hofmeister und die Auszubildenden in der Chirurgie eingerechnet – moderat. In den letzten Jahren des Bestehens der Hochschule, als die Auswirkungen der Französischen Revolution spürbar wurden, stürzte die Inskriptionszahl ab.

3.2. Immatrikulationen an den einzelnen Fakultäten Die etwa 24 000 bis 26 000 Studenten, die aller Wahrscheinlichkeit nach an der frühneuzeitlichen Universität Straßburg studierten, verteilen sich höchst ungleichmäßig auf die verschiedenen Fakultäten. Die Matrikelüberlieferung zeigt, dass während des Zeitraums von 1621 bis 1793 die juristische Fakultät die mit Abstand meisten Studenten aufwies (8691 Immatrikulationen in die Fakultätsmatrikel). An zweiter Stelle folgte die philosophische (5667), an dritter die medizinische Fakultät (2895). Die wenigsten Studenten immatrikulierten sich in Straßburg an der theologischen Fakultät (2631). In die erwähnte Matrikel der Chirurgen schrieben sich 614 Personen ein. Die geschilderte Umprofilierung der protestantischen Universität Straßburg, die sich in den 172 Jahren ihres Bestehens vollzog, bedingte, dass die Zahl der Immatrikulationen an den einzelnen Fakultäten während der verschiedenen Phasen der Hochschulgeschichte deutlichen Veränderungen unterlag. Die Grafiken  2 und 3 zeigen die Entwicklung der Inskriptionszahlen an den vier Fakultäten zwischen 1621 und 1793 sowie den relativen Anteil der Fachbereiche an der Gesamtzahl der Studierenden.

Grafik 2: Immatrikulationen an der Universität Straßburg: Wolfgang Mährle Jährlicher Durchschnitt der Inskriptionen an den einzelnen Fakultäten

402 90,0

Zahl der Immatrikulationen

80,0 70,0 60,0 50,0 40,0 30,0 20,0 10,0

16 21 -2 9 16 30 -3 9 16 40 -4 9 16 50 -5 9 16 60 -6 9 16 70 -7 9 16 80 -8 9 16 90 -9 9 17 00 -0 9 17 10 -1 9 17 20 -2 9 17 30 -3 9 17 40 -4 9 17 50 -5 9 17 60 -6 9 17 70 -7 9 17 80 -8 9 17 90 -9 3

0,0

Zeitraum Theologie

Jurisprudenz

Medizin

Philosophie

Grafik 2: Immatrikulationen an der Universität Straßburg: Jährlicher Durchschnitt der Inskriptionen an den einzelnen Fakultäten. Grafik 3: Relativer Anteil der einzelnen Fakultäten an den Immatrikulationen an der Universität Straßburg 70%

Prozentualer Anteil

60% 50% 40% 30% 20% 10% 0%

9 9 9 9 9 9 9 9 9 3 9 9 9 9 9 9 9 9 -4 -3 -2 -5 -9 -8 -7 -6 -6 -9 -5 -8 -4 -0 -7 -3 -2 -1 40 650 30 21 90 80 70 60 770 60 90 50 80 40 00 710 30 20 16 16 16 1 16 16 16 17 16 17 17 17 17 17 1 17 17 1 Zeitraum Theologie

Jurisprudenz

Medizin

Philosophie

Grafik 3: Relativer Anteil der einzelnen Fakultäten an den Immatrikulationen an der Universität Straßburg.

In den Jahren nach ihrer Gründung war die Universität Straßburg zunächst vor allem für Studenten der Jurisprudenz und der Philosophie attraktiv. In die Matrikeln beider Fakultäten schrieben sich in den 1620er Jahren 79 bzw. 73 Studenten jährlich ein, was einem prozentualen Anteil dieser Fächer an der Gesamtzahl der Immatrikulierten von 38 % bzw. 35 % entspricht. Vergleichsweise gering war die Bedeutung der theologischen

Süddeutsche Reichsstädter an der Universität Straßburg

403

sowie vor allem der medizinischen Fakultät mit durchschnittlich 40 bzw. 14 Einschreibungen pro Jahr (= 19 % bzw. 7 % der Gesamtimmatrikulationen). In den folgenden Jahrzehnten waren die Studentenzahlen in den philologisch-philosophischen Fächern insgesamt rückläufig. Fielen die Rückgänge bis 1670 vergleichsweise moderat aus, ist in den letzten drei Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts ein Einbruch zu registrieren. Die Zahl der jährlichen Immatrikulationen reduzierte sich von 51 in den 1660er Jahren über 29 in den Jahren 1670 bis 1679 und 20 in den Jahren 1680 bis 1689 auf schließlich 18 im letzten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts. Der relative Anteil der Inskriptionen an der philosophischen Fakultät an allen Straßburger Immatrikulationen weist im 17. Jahrhundert keinen linearen Trend auf. Die letzten beiden Jahrzehnte des Dreißigjährigen Krieges bringen zunächst einen Anstieg auf 46 bzw. 51 %, in den folgenden vier Jahrzehnten bewegen sich die Werte auf deutlich niedrigerem Niveau zwischen 25 % und 33 %. In den 1690er Jahren steigt der Anteil wieder auf 40 %, im ersten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts sogar auf 47 %. Diese Entwicklung zeigt, dass die philosophische Fakultät in Straßburg insgesamt von kriegs- und krisenbedingten Rückgängen der Immatrikulationenzahlen weniger betroffen war als die anderen Fachbereiche. Eine Erklärung hierfür könnte sein, dass die sprachlich-philosophischen Fächer vor allem einheimische Studenten oder solche angezogen haben, die aus der näheren Umgebung der elsässischen Reichsstadt stammten.69 Im 18. Jahrhundert waren die Immatrikulationszahlen an der philosophischen Fakultät der Universität Straßburg – wie an den meisten protestantischen Universitäten des Heiligen Römischen Reiches – stets niedrig.70 Obwohl im Zeitalter der Aufklärung mit dem Historiker Johann Daniel Schöpflin eine überragende Gelehrtenpersönlichkeit an der Hochschule am Oberrhein wirkte, überstieg die Anzahl der jährlichen Neuinskriptionen an der philosophischen Fakultät den Wert 30 nicht mehr.71 In den Jahrzehnten seit 1770 sank die Zahl der jährlichen Einschreibungen sogar noch weiter auf Werte unter 20. Der relative Anteil der an der philosophischen Fakultät Immatrikulierten an der Gesamtzahl der Inskribierten verringerte sich dementsprechend im 18. Jahrhundert kontinuierlich und lag zwischen dem dritten und dem fünften Jahrzehnt bei 19 % bis 25 %, zwischen 1760 und 1789 stets bei etwa 15 %.72 Das altsprachlichphilosophische Studium, das im 16.  Jahrhundert maßgeblicher Auslöser für die Gründung der Straßburger Hochschule gewesen war, hatte damit in den letzten Jahrzehnten der Universität nurmehr eine sehr schwache Stellung innerhalb der elsässischen Bildungsinstitution; im Vordergrund stand eindeutig die Ausbildung in den Rechtswissenschaften und in der Medizin.

69 Vgl. hierzu Asche: Bürgeruniversität (Anm. 8), S. 212f. 70 Eulenburg: Frequenz (Anm. 18), S. 138; Asche: Bürgeruniversität (Anm. 8), S. 225. 71 Zum historischen Studium in Straßburg im 18. Jahrhundert vgl. Voss: Schöpflin (Anm. 6), S. 139‒156. 72 Die Jahre 1790‒1793 geben ein verzerrtes Bild wieder.

404

Wolfgang Mährle

Die Entwicklung der Immatrikulationszahlen an der juristischen Fakultät wies im 17. Jahrhundert Ähnlichkeiten mit derjenigen an der philosophischen Fakultät auf. Erkennbar wird allerdings, dass die Studentenzahl in den Rechtswissenschaften stärker als diejenige in den philologisch-philosophischen Fächern von den politischen Ereignissen abhängig war. So machte sich die Verlagerung militärischer Aktionen an den Oberrhein in den 1630er- und 1640er Jahren in einem dramatischen Rückgang der Immatrikulationen von Rechtsstudenten an der Universität Straßburg bemerkbar. Die Zahl der jährlichen Einschreibungen halbierte sich von knapp 80 auf unter 40. Nachdem sich die Studentenzahl in der Friedenszeit der 1650er- und 1660er Jahre kräftig erholt hatte und wieder auf dem Niveau der Jahre 1620‒1629 angelangt war, brachen die Immatrikulationszahlen in den darauffolgenden Jahrzehnten völlig ein. Zwischen 1670 und 1689 lag die Zahl der angehenden Juristen, die sich in Straßburg pro Jahr durchschnittlich einschrieben, wiederum bei 40, im letzten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts nurmehr bei 17. Der relative Anteil der immatrikulierten Rechtsstudenten, der in den beiden letzten Jahrzehnten des Dreißigjährigen Krieges auf jeweils 31 % abgesunken war, blieb allerdings relativ konstant. Er lag in den Jahren 1650‒1680 zwischen 40 % und 46 %, zwischen 1680 und 1689 sogar bei 51 %, um im letzten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts auf 38 % abzusinken. Im 18. Jahrhundert stiegen, nach Dekaden gerechnet, die durchschnittlichen jährlichen Immatrikulationszahlen in den Rechtswissenschaften – abgesehen von einem geringfügigen Rückgang in den 1740er Jahren – zunächst bis 1770 kontinuierlich an; in den beiden darauffolgenden Jahrzehnten fielen sie etwas unter das Niveau der 1760er Jahre. Durchschnittlich schrieben sich an der Universität Straßburg zwischen 1750 und 1789 pro Jahr zwischen 61 und 74 Rechtsstudenten ein. Da sich der Anstieg der Immatrikulationszahlen an der juristischen Fakultät parallel zur Steigerung der Zahl der Gesamtimmatrikulationen an der Straßburger Hochschule vollzog, blieb der relative Anteil der Inskriptionen angehender Juristen an der Zahl aller Einschreibungen vergleichsweise konstant. Er lag – nach Jahrzehnten ausgewertet – zwischen 1710 und 1789 stets zwischen 43 % und 58 %, damit bei Werten, die etwas über denen lagen, die für das 17. Jahrhundert ermittelt werden konnten. Die theologische Fakultät der Straßburger Hochschule hatte zu keinem Zeitpunkt eine große Zahl an Inskribenten. Die für das knappe Jahrzehnt von 1621 bis 1629 feststellbare Zahl von durchschnittlich 40 jährlichen Immatrikulationen wurde nur in einem weiteren Jahrzehnt der Universitätsgeschichte – in den 1660er Jahren – nochmals erreicht. In den beiden Jahrzehnten zwischen 1630 und 1649 hatten sich durchschnittlich lediglich 20 bzw. 19  Studenten pro Jahr an der theologischen Fakultät eingeschrieben. In den 1650er Jahren lag der Durchschnittswert bei 35 Immatrikulationen. Einen völligen Bedeutungsverlust, von dem sie sich nicht mehr erholte, erlitt die theologische Fakultät in der Zeit nach 1670. In den Jahrzehnten zwischen 1670 und 1689 schrieben sich durchschnittlich 14 bzw. 16 Studenten pro Jahr ein. Von 1690 bis 1793 war die Zahl der durchschnittlichen jährlichen Inskriptionen – von einer Ausnahme in den 1760er Jahren abgesehen – in allen Jahrzehnten geringer als zehn. Der relative Anteil der Theologie an allen

Süddeutsche Reichsstädter an der Universität Straßburg

405

Immatrikulationen an der Universität Straßburg, der im 17. Jahrhundert stets um 20 % gependelt hatte, sank im 18. Jahrhundert auf Werte zwischen 13 % und 4 %. Schwer abzuschätzen ist allerdings, inwieweit in der theologischen Fakultät die Zahl der Inskribenten mit der Zahl der tatsächlichen Hörer gleichzusetzen ist. Da viele Studenten der philosophischen Fakultät den Pfarrberuf anstrebten, ist nicht auszuschließen, dass eine größere Zahl von diesen Universitätsbesuchern häufiger oder sogar regelmäßig theologische Vorlesungen besuchte, ohne in der höheren Fakultät förmlich eingeschrieben zu sein. Eine sehr geringe Bedeutung hatte während der ersten hundert Jahre der Straßburger Universitätsgeschichte die medizinische Ausbildung. Nachdem die Zahl der durchschnittlichen Immatrikulationen pro Jahr zwischen 1621 und 1629 noch bei 14 gelegen hatte, schrieben sich, wiederum nach Jahrzehnten gerechnet, zwischen 1630 und 1719 durchschnittlich nicht mehr als sieben Studenten pro Jahr in die Matrikel der medizinischen Fakultät ein. Der relative Anteil der Inskriptionen durch angehende Mediziner an der Gesamtzahl der Immatrikulationen belief sich in diesen 90 Jahren im Höchstfall auf 8 %. Im 18. Jahrhundert setzte dann, wie erwähnt, ein bedeutender Aufschwung des medizinischen Studiums an der Universität Straßburg ein. Durch die Modernisierung des Lehrangebots stieg die Zahl der Straßburger Medizinstudenten in den Jahrzehnten zwischen 1720 und 1759 um ein Vielfaches an. Zwischen 1750 und 1769, als sich durchschnittlich ungefähr 50 Medizinstudenten pro Jahr einschrieben, wurden die höchsten Immatrikulationszahlen während des Bestehens der medizinischen Fakultät an der protestantischen Universität Straßburg erreicht. In den folgenden Jahrzehnten sank die Zahl wieder deutlich ab: Zwischen 1770 und 1779 immatrikulierten sich durchschnittlich 34, im darauffolgenden Jahrzehnt 23 Medizinstudenten pro Jahr. Der relative Anteil der angehenden Mediziner an allen Straßburger Studenten lag in den Dekaden zwischen 1730 und 1789 stets über 20 %, in den 1750er- und 1760er Jahren sogar über 30 %. Wie angedeutet, blieb Straßburg trotz des Rückgangs der Immatrikulationszahlen an der medizinischen Fakultät nach 1770 ein wichtiger Ausbildungsort für Heilberufe. In die 1770 neu begonnene Matrikel für angehende Chirurgen trugen sich in den folgenden beiden Jahrzehnten pro Jahr durchschnittlich 30 bzw. 28 Personen ein. Die Zahl der Immatrikulationen in der Chirurgie übertraf demnach bereits in den 1780er Jahren die Zahl der medizinischen Inskriptionen.

3.3. Graduierungen Universitätsabschlüsse hatten in der Frühen Neuzeit eine andere Funktion als im 19., 20. und 21. Jahrhundert.73 Das Bestehen eines Hochschulexamens bzw. eine erfolgreiche Disputation und der damit verbundene Erwerb eines akademischen Grades (Bakkalaureat, 73 Zum Folgenden vgl. Willem Frijhoff: Der Lebensweg der Studenten. In: Rüegg: Geschichte (Anm. 39), S. 287‒334 (besonders S. 287‒311); Promotionen und Promotionswesen an deutschen Hochschulen der Frühmoderne. Hg. von Rainer A. Müller. Köln 2001. Zusammenfassend: Ulrich Rasche:

406

Wolfgang Mährle Grafik 4: Graduierungen an der Universität Straßburg 1621-1793 Poeta laureatus; 27; 0%

Theologie; 43; 1%

Magister; 1224; 21%

Bakkalaureus; 752; 13%

Jurisprudenz; 2969; 51%

Medizin; 810; 14%

Grafik 4: Graduierungen an der Universität Straßburg 1621‒1793.

Magisterium, Lizentiat, Doktorat) waren nicht berufsqualifizierend und in der Regel wenig entscheidend für den späteren Berufsweg des Studenten. Dieser wurde wesentlich von der sozialen Stellung des Universitätsbesuchers bestimmt, zum Teil führten einstellende Institutionen (Kirche, Staat) auch eigene Prüfungen durch. Entsprechend dieser von den Verhältnissen der Moderne abweichenden Ausgangssituation dienten die Graduierungen in der Frühen Neuzeit weniger als heute dem Leistungsnachweis, sondern hatten einen stark zeremoniellen Charakter.74 Für den Studierenden, der eine Graduierung erwog, galt es abzuschätzen, ob die mit dem Hochschulabschluss verbundenen Vorteile die zum Teil hohen Kosten rechtfertigten, die der Erwerb eines akademischen Titels verursachte. Insgesamt verließ der Großteil der frühneuzeitlichen Studenten ohne Abschluss die Universität. Die erhaltenen Kandidatenmatrikeln der Universität Straßburg vermitteln ein anschauliches Bild von den in der elsässischen Metropole durchgeführten Graduierungen (Grafik 4). Zwischen 1621 und 1793 erwarben in Straßburg 5825 Studenten einen akademischen Titel, also etwa jeder vierte. Der Anteil der einzelnen Disziplinen an den Hochschulabschlüssen war dabei sehr unterschiedlich. Mehr als die Hälfte der Graduierten waren Juristen (2969 = 34 % aller Rechtsstudenten). Daneben promovierten 2003 Studenten an der philosophischen Fakultät (= 35 % aller dort Inskribierten): Davon schlossen 752 ihr Studium mit dem Bakkalaureat ab, 1224 mit dem Magisterium, 27 wurden zum ‚poAkademische Grade. In: Enzyklopädie der Neuzeit. Hg. von Friedrich Jaeger, Bd. 1: Abendland ‒ Beleuchtung. Stuttgart, Weimar 2005, Sp. 159‒161. 74 Vgl. besonders Marian Füssel: Gelehrtenkultur als symbolische Praxis. Rang, Ritual und Konflikt an der Universität der Frühen Neuzeit. Darmstadt 2006.

Süddeutsche Reichsstädter an der Universität Straßburg Grafik 5: Graduierungen an der juristischen, an der medizinischen und an der philosophischen Fakultät der Universität Straßburg

407

40

Zahl der Graduierungen pro Jahr

35 30 25 20 15 10 5

16 21 -2 9 16 30 -3 9 16 40 -4 9 16 50 -5 9 16 60 -6 9 16 70 -7 9 16 80 -8 9 16 90 -9 9 17 00 -0 9 17 10 -1 9 17 20 -2 9 17 30 -3 9 17 40 -4 9 17 50 -5 9 17 60 -6 9 17 70 -7 9 17 80 -8 9 17 90 -9 3

0

Zeitraum Jurisprudenz

Medizin

Philosophie (Bac.)

Philosophie (Mag.)

Poeta laureatus

Grafik 5: Graduierungen an der juristischen, an der medizinischen und an der philosophischen Fakultät der Universität Straßburg.

eta laureatus‘ gekürt. An der medizinischen Fakultät zählte man in Straßburg zwischen 1621 und 1793 810 Promotionen (= 28 % aller Medizinstudenten), an der theologischen Fakultät lediglich 43 (= 2 % aller Theologiestudenten). Die Veränderungen des Lehrprofils, welche die Geschichte der frühneuzeitlichen Universität Straßburg prägten, schlugen sich auch in der Zahl der Graduierungen nieder. Die absolute Zahl der Studienabschlüsse in den einzelnen Fächern schwankte in den verschiedenen Phasen der Hochschulgeschichte stark (vgl. Grafik 5). In der juristischen Fakultät, in der das Lizentiat und das Doktorat erlangt werden konnten, lassen sich zwei Phasen unterscheiden. Während die durchschnittliche Zahl der jährlichen Graduierungen im 17. Jahrhundert in allen Dekaden mit einer Ausnahme stets unter zehn blieb (1650‒1659: 14), stieg sie im 18. Jahrhundert sprunghaft an. In den Jahren zwischen 1700 und 1709 erwarben durchschnittlich elf Studierende pro Jahr einen akademischen Titel, in den Dekaden zwischen 1710 und 1759 waren es jeweils 21 bis 26 und in den Jahrzehnten zwischen 1760 und 1789 sogar jeweils über 35. An der medizinischen Fakultät wurden lange Zeit nur sehr wenige Promotionen durchgeführt. In den Jahrzehnten vor 1720 erwarben durchschnittlich nie mehr als vier Studenten pro Jahr einen Doktortitel. Danach erhöhte sich die Zahl der Studienabschlüsse parallel zur Gesamtzahl der Straßburger Medizinstudenten. In den 1760er- und 1770er Jahren wurden Werte von durchschnittlich zehn bzw. zwölf Graduierungen pro Jahr in der Medizin erreicht. Ein geringfügig rückläufiger Trend auf sehr niedrigem Niveau lässt sich bei den Promotionen an der theologischen Fakultät erkennen. Die Zahl der Studenten, die das Dok-

408

Wolfgang Mährle

torat der Theologie anstrebten, blieb in allen Dekaden durchschnittlich deutlich unter einem Studenten pro Jahr (Höchstwert: 1650‒1659: 0,6). Mit sinkender Studentenzahl im 18. Jahrhundert ging auch die Zahl der theologischen Studienabschlüsse auf durchschnittlich 0,3 bis 0,2 pro Jahr zurück. Ein gegenüber der Jurisprudenz und der Medizin gegenläufiges Bild zeigt sich in der philosophischen Fakultät. Die Zahl der Graduierten verringerte sich deutlich. Unterzogen sich zwischen 1621 und 1629 jährlich durchschnittlich 38 Studenten einem Bakkalaureus- oder Magisterexamen bzw. wurden zum ‚poeta laureatus‘ gekrönt, so sank dieser Wert bereits in den folgenden Jahrzehnten dramatisch ab. Zwischen 1630 und 1669 betrug die Zahl der Promotionen an der philosophischen Fakultät durchschnittlich zwischen zwölf und 19 pro Jahr mit fallender Tendenz. In den Jahrzehnten um 1700 trugen sich jährlich zumeist zwischen etwa sieben und elf Studenten in die Kandidatenmatrikel des Fachbereichs ein. Seinen absoluten Tiefpunkt erlangte das Graduierungswesen an der philosophischen Fakultät in den 1720er Jahren. In dieser Dekade erwarben durchschnittlich fünf Studenten pro Jahr einen akademischen Titel. In den folgenden Jahrzehnten bis 1790 stieg die Zahl der Graduierten wieder auf sieben bis elf Studenten pro Jahr an. Die Attraktivität der Studienabschlüsse, die an der philosophischen Fakultät erworben werden konnten, unterlag in der über 170jährigen Geschichte der Straßburger Universität signifikanten Veränderungen: In den knapp hundert Jahren zwischen 1621 und 1719 wurde der Magistertitel etwa doppelt so häufig verliehen wie der Titel des Bakkalaureus (948 : 462). In den letzten Dekaden der frühneuzeitlichen Straßburger Universität war hingegen die Zahl der Magisterkandidaten etwa gleich hoch wie die Zahl derjenigen, die sich einer Prüfung für das Bakkalaureat unterzogen. Ernennungen zum ‚poeta laureatus‘ spielten zahlenmäßig stets nur eine unbedeutende Rolle; nach 1737 wurden keine Dichter mehr gekrönt.

4. Studenten aus süddeutschen Reichsstädten an der Universität Straßburg 4.1. Entwicklung der Studentenfrequenz In den Matrikeln der frühneuzeitlichen Universität Straßburg sind insgesamt 2946 Personen nachzuweisen, die aus den in diesem Aufsatz berücksichtigten Reichsstädten des Oberrheinischen, des Schwäbischen, des Fränkischen oder des Bayerischen Reichskreises stammten (= 3031 Immatrikulationen). Dies entspricht einem Anteil von etwa 15 % an den insgesamt an der elsässischen Hochschule zwischen 1621 und 1793 eingeschriebenen Universitätsbesuchern. Tatsächlich dürfte die Zahl der Straßburger Studenten aus süddeutschen Reichsstädten klar über 3000 gelegen haben; die erwähnten Lücken in der Matrikelüberlieferung betreffen auch die hier untersuchte Personengruppe. Die süddeutschen Reichsstädter frequentierten die Universität Straßburg vor allem in den Jahrzehnten nach der Gründung dieser Bildungseinrichtung (Grafik 6). Die Immat-

Reichsstädter an der an Universität StraßburgStraßburg: GrafikSüddeutsche 6: Süddeutsche Reichsstädter der Universität Chronologie des Hochschulbesuchs

409

500 450

Zahl der Immatrikulationen

400 350 300 250 200 150 100

438

387

 340

345

277 168

203

50

 97

67







87

92

100

 69

93



80

65

 20

 3

16 21 -2 16 9 30 -3 16 9 40 -4 16 9 50 -5 16 9 60 -6 16 9 70 -7 16 9 80 -8 16 9 90 -9 17 9 00 -0 17 9 10 -1 17 9 20 -2 17 9 30 -3 17 9 40 -4 17 9 50 -5 17 9 60 -6 17 9 70 -7 17 9 80 -8 17 9 90 -9 3

0



Zeitraum Fakultätsmatrikeln

Sonstige Matrikeln

Grafik 6: Süddeutsche Reichsstädter an der Universität Straßburg: Chronologie des Hochschulbesuchs.

rikulationszahlen oberdeutsch-reichsstädtischer Studenten erreichten zwischen 1621 und 1629 ihren höchsten Wert. In den ersten neun Jahren der Straßburger Universitätsgeschichte schrieben sich 438 Studenten aus den süddeutschen Reichsstädten ein, das heißt durchschnittlich 49 pro Jahr. Nachdem die Zahl der Inskriptionen in den 1630er Jahren kriegsbedingt auf 277 Studenten gesunken war, lag sie in den drei Jahrzehnten zwischen 1640 und 1669 jeweils zwischen 340 und 387. Die folgenden beiden Dekaden stellten mit 168 und 204 Immatrikulationen eine Übergangsphase dar. Nach 1690 blieb der Besuch der Straßburger Hochschule durch süddeutsche Reichsstädter dauerhaft schwach. Pro Jahrzehnt inskribierten sich in den letzten hundert Jahren des Bestehens der frühneuzeitlichen Straßburger Universität zwischen 54 und 104 Studenten: In sieben Jahrzehnten lag die Zahl bei etwa einhundert, in drei Jahrzehnten war sie erheblich geringer: 1700‒1709 betrug sie 69, 1740‒1749 71 und 1780‒1789 54. Die Frequenz der süddeutschen Reichsstädter weicht von der Gesamtfrequenz der Universität Straßburg signifikant ab. Diese Abweichung lässt sich quantifizieren, indem man den relativen Anteil bestimmt, den die Inskriptionen von Personen der hier analysierten Gruppe an allen Straßburger Immatrikulationen hatten. Grafik 7 zeigt, dass sich dieser Anteil im 17. Jahrhundert in einer vergleichsweise engen Spannbreite, jedoch stets über dem Durchschnittswert von 15 % bewegte. Mit Ausnahme der Zeit zwischen 1640 und 1649 betrug er in den einzelnen Jahrzehnten jeweils zwischen 19 % und 25 %. Im letzten Dezennium des Dreißigjährigen Krieges stieg er auf 30 % an. Im 17. Jahrhundert stammte demnach regelmäßig etwa jeder fünfte bis jeder vierte Student, der sich an der Straßburger Hochschule immatrikulierte, aus einer süddeutschen Reichsstadt. Auffallend hoch war der relative Anteil der oberdeutschen Reichsstädter im Gefolge von ausgesprochenen Kri-

Grafik 7: Prozentualer Anteil der Immatrikulationen süddeutscher Wolfgang Mährle Reichsstädter an allen Inskriptionen an der Universität Straßburg

410 35%

Prozentualer Anteil

30%

0,1%

25% 20% 30%

15% 10%

24% 23%

22%

25% 19% 19%

22%

0,3% 0,4%

0,3%

11% 11% 9%

5% 0%

0,3% 8%

0,2% 6%

1% 6%

2% 5%

4%

2% 1%

2% 2%

9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 3 9 -4 -3 -7 -8 -2 -6 -7 -1 -5 -6 -0 -4 -5 -9 -3 -8 -9 -2 21 630 640 650 660 670 680 690 700 710 720 730 740 750 760 770 780 790 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 16 Zeitraum Inskription in Fakultätsmatrikeln

Inskription in sonstigen Matrikeln

Grafik 7: Prozentualer Anteil der Immatrikulationen süddeutscher Reichsstädter an allen Inskriptionen an der Universität Straßburg.

senzeiten der Universität: so in den 1640er Jahren nach dem zuvor erfolgten, durch den Dreißigjährigen Krieg bedingten schweren Einbruch der Studentenzahlen, so auch in den 1680er Jahren nach dem Holländischen Krieg und im Gefolge der Einverleibung Straßburgs in den französischen Staat. Wie aus Grafik  6 zu ersehen war, stieg die Zahl der süddeutsch-reichsstädtischen Immatrikulationen in den 1680er Jahren im Gegensatz zum Gesamttrend verglichen mit dem Jahrzehnt zwischen 1670 und 1679 an. Die ermittelten Werte zeigen zweierlei: Erstens war die Universität Straßburg im 17.  Jahrhundert eine Hochschule, die sich durch einen hohen Anteil reichsstädtischer Studenten auszeichnete. Will man die Gesamtzahl der in Straßburg studierenden Reichsstädter feststellen, sind in den ersten Jahrzehnten der Universitätsgeschichte zu den im Rahmen dieser Studie erfassten Immatrikulationen noch weitere Inskriptionen zu addieren: so vor allem die Einschreibungen von Studenten aus Straßburg (bis 1681), aus den anderen elsässischen Reichsstädten (bis 1679), aus Besançon (bis 1679) sowie aus den Hansestädten Lübeck, Bremen und Hamburg.75 Im letzten Jahrzehnt des Dreißigjährigen Krieges belief sich der Anteil der Immatrikulationen von Reichsstädtern an der Universität Straßburg auf über 40 % aller Inskriptionen. Zweitens belegen die ermittelten Werte, dass die reichsstädtischen Studenten eine sehr enge Bindung an die Straßburger Hochschule 75 Der reichsrechtliche Status von Hamburg und Bremen war jahrhundertelang umstritten. Bremen wurde erst 1741, Hamburg 1768 endgültig als Reichsstadt anerkannt; vgl. Aretin: Das Alte Reich (Anm. 17), S. 110. Die Reichsstandschaft der lothringischen Reichsstädte Metz, Toul und Verdun sowie der Schweizer Reichsstädte Basel, Bern, Freiburg im Üechtland, Luzern, St. Gallen, Schaffhausen, Solothurn, Zug und Zürich bestand bis 1648 nurmehr formal.

Süddeutsche Reichsstädter an der Universität Straßburg

411

auszeichnete. Dies lässt sich daraus schließen, dass sie nach Krisen schneller an diese Bildungsinstitution zurückkehrten als andere Studierende. Offensichtlich griffen gerade nach Notzeiten tief verwurzelte Studientraditionen, vermutlich auch ein Bewusstsein der kommunalen Solidarität. Ein völlig verändertes Bild zeigt sich im 18. Jahrhundert. Der relative Anteil der Immatrikulationen durch süddeutsche Reichsstädter an den Gesamtinskriptionen der Straßburger Universität war nun deutlich geringer. Zwischen 1700 und 1739 betrug er regelmäßig zwischen 8 % und 12 % (mit fallender Tendenz), nach 1740 verharrte er vier Jahrzehnte lang bei 6 %, um schließlich in den 1780er Jahren auf 3 % zu sinken. Insgesamt bildeten die Studenten aus süddeutschen Reichsstädten an der Universität Straßburg im Vergleich zum 17. Jahrhundert eine sichtlich weniger bedeutende, spätestens seit der Mitte des 18. Jahrhunderts eine quantitativ als unbedeutend zu charakterisierende Studentengruppe. Der erhebliche Anstieg der Immatrikulationszahlen an der elsässischen Hochschule während des 18. Jahrhunderts fand keine Entsprechung im Studium der süddeutschen Reichsstädter. Das im 17. Jahrhundert in der Studentenschaft der Universität Straßburg deutlich erkennbare ‚reichsstädtische‘ Profil wurde nach 1648 zudem dadurch abgeschwächt, dass eine größere Zahl an Reichsstädten, aus denen Studenten an den Oberrhein kamen, durch die französische Expansion nach Osten aus dem Reichsverband ausschied. Seit 1679 waren die elsässischen Städte der Dekapolis sowie Besançon französisch. Vor allem zählten seit 1681 auch die zahlreichen Studierenden aus Straßburg nicht mehr zu den reichsstädtischen Universitätsbesuchern. Welche Gründe waren für den schwächeren Besuch der Universität Straßburg durch Studenten aus süddeutschen Reichsstädten im 18. Jahrhundert verantwortlich? Die Frequenzentwicklung gibt erste Anhaltspunkte über die Motive, welche die Hochschulwahl der in diesem Aufsatz untersuchten Studentengruppe bestimmten. Offensichtlich ist, dass sich die teilweise abrupte Entwicklung der Immatrikulationszahlen nicht allein durch langfristige bildungsgeschichtliche Trends bzw. stadthistorische Einflussfaktoren erklären lässt.76 Vor allem gegen Ende des 17. Jahrhunderts verlor die Universität Straßburg für die angehenden Akademiker aus süddeutschen Reichsstädten innerhalb weniger Dezennien dramatisch an Attraktivität. Es handelte sich dabei um eine Epoche, in welcher das Oberrheingebiet mehrfach zum Kriegsschauplatz oder zumindest vom Krieg bedroht wurde und in der zudem die Eingliederung des Elsasses mit der Reichsstadt Straßburg in den französischen Staat erfolgte. Dieser Prozess war begleitet von erheblichen politischen Unsicherheiten sowie einer Diskriminierung des Protestantismus. Die elsässische Universität durchlitt nicht zuletzt aufgrund der genannten Entwicklungen eine schwere Krise. Versucht man abzuwägen, welche Ereignisse und Tendenzen des ausgehenden 17. Jahrhunderts langfristig das süddeutsch-reichsstädtische Studienverhalten beeinflusst haben 76 Vgl. in diesem Kontext etwa das Argument von Wentzcke, der wirtschaftliche Niedergang der Reichsstädte habe den Rückgang der Immatrikulationszahlen bewirkt; Wentzcke: Alte Universität (Anm. 26), S. 91.

412

Wolfgang Mährle

könnten, so spricht die ermittelte Frequenzentwicklung für die – bereits von der älteren Forschung geäußerte – Vermutung, dass das Ausscheiden Straßburgs aus dem Reichsverband ein Schlüsselereignis gewesen ist.77 Die französische Okkupation Straßburgs, die sich als irreversibel erweisen sollte, veränderte die Beziehungen der süddeutschen Reichsstädte zur Metropole im Elsass grundlegend: Aus einer ‚Schwesterstadt‘ wurde das militärische Bollwerk der französischen Monarchie – und damit des Hauptgegners des reichsstädtischen Stadtherren, des jeweiligen römisch-deutschen Kaisers, in der europäischen Politik. Die Tatsache, dass in der Friedensepoche nach 1714, als die Universität Straßburg wieder an intellektuellem Profil gewann, im Unterschied zur Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg keine Erholung der Immatrikulationszahlen süddeutscher Reichsstädter erfolgte, deutet darauf hin, dass die Eingliederung Straßburgs in den französischen Staat die bis in die 1680er Jahre hinein feststellbare enge Bindung dieser Studentengruppe an die elsässische Universität gelöst hatte.

4.2. Bildungsziele Die Untersuchung der Immatrikulationszahlen an den vier Fakultäten der Straßburger Universität hat gezeigt, dass die Attraktivität der verschiedenen Fachbereiche und Disziplinen in den gut 170 Jahren des Bestehens dieser Hochschule einschneidenden Veränderungen unterlag. Zogen im 17. Jahrhundert regelmäßig die philosophische und die juristische Fakultät die meisten Studenten an, so immatrikulierte sich im 18. Jahrhundert die Mehrheit der Studierenden an der rechtswissenschaftlichen oder an der medizinischen Fakultät. Wie fügt sich der Hochschulbesuch der süddeutschen Reichsstädter in diese Entwicklung? Die Auswertung der Fakultätsmatrikeln ergibt für den Gesamtzeitraum von 1621 bis 1793 die in Grafik 8 dargestellte Verteilung der Immatrikulationen: Diese erfolgten demnach zu ungefähr je einem Drittel an der philosophischen und an der juristischen Fakultät. 19 % der reichsstädtischen Inskribenten aus Süddeutschland studierten Theologie, etwa 11 % Medizin. Wie bei der Gesamtheit der Straßburger Studenten, so zeigen sich auch bei den süddeutschen Reichsstädtern zwischen 1621 und 1793 deutliche Veränderungen bei der Fakultätszugehörigkeit (Grafiken 9 und 10). Drei Phasen lassen sich unterscheiden: die Zeit von 1621 bis 1659, die neun Jahrzehnte zwischen 1660 und 1749 sowie die vier Dekaden von 1750 bis 1789. Nach Ausbruch der Französischen Revolution schrieben sich nur noch sechs Reichsstädter an der Universität Straßburg ein. In den ersten vier Jahrzehnten der Straßburger Universitätsgeschichte immatrikulierte sich jeweils eine deutliche Mehrheit – zwischen 45 % und 58 % – der süddeutschen Reichs77 Vgl. z. B. Wentzcke: Alte Universität (Anm. 26), S. 87, 89. Das Urteil von Voss: Schöpflin (Anm. 6), S. 112, die Reichsstädter hätten auch im 18. Jahrhundert eine wichtige Studentengruppe in Straßburg dargestellt, ist nur mit großen Einschränkungen haltbar.

Grafik 8: Studienfächer deranStudenten aus süddeutschen Süddeutsche Reichsstädter der Universität Straßburg Reichsstädten an der Universität Straßburg 1621-1793 Universitätspersonal, Hofmeister; 19; 1%

413

Generalmatrikel; 49; 2%

Chirurgie; 32; 1%

Theologie; 570; 19%

Philosophie; 1045; 34%

Jurisprudenz; 980; 32% Medizin; 336; 11%

Grafik 8: Studienfächer der Studenten aus süddeutschen Reichsstädten an der Universität Straßburg 1621–1793. Grafik 9: Studienfächer der Studenten aus süddeutschen Reichsstädten an der Universität Straßburg: Chronologie der Immatrikulationen 500

450

Zahl der Immatrikulationen

400 350 300 250 200 150 100 50 0

3 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 -9 -8 -7 -6 -5 -4 -3 -2 -1 -0 -9 -8 -7 -6 -5 -4 -3 -2 21 630 640 650 660 670 680 690 700 710 720 730 740 750 760 770 780 790 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 16 Zeitraum Theologie

Jurisprudenz

Medizin

Philosophie

Chirurgie

Sonstige/ Studienfach unbekannt

Grafik 9: Studienfächer der Studenten aus süddeutschen Reichsstädten an der Universität Straßburg: Chronologie der Immatrikulationen.

städter an der philosophischen Fakultät. An zweiter Stelle stand zumeist das Rechtsstudium, das zwischen 22 % und 28 % der Studenten dieser Gruppe anzog, also etwa halb so viele Studierende wie die philologisch-philosophischen Fächer. Der relative Anteil der Immatrikulationen an der theologischen Fakultät schwankte stärker: Er lag zwischen 13 % und 24 %. Unbedeutend blieb das Studium der Medizin mit einem relativen Anteil von 3 % bis 9 %.

414

Wolfgang Mährle Grafik 10: Relativer Anteil der von den Straßburger Studenten aus süddeutschen Reichsstädten gewählten Studienfächer 100%

Prozentualer Anteil

80% 60% 40% 20%

16 21 -2 9 16 30 -3 9 16 40 -4 9 16 50 -5 9 16 60 -6 9 16 70 -7 9 16 80 -8 9 16 90 -9 9 17 00 -0 9 17 10 -1 9 17 20 -2 9 17 30 -3 9 17 40 -4 9 17 50 -5 9 17 60 -6 9 17 70 -7 9 17 80 -8 9 17 90 -9 3

0%

Zeitraum Theologie

Jurisprudenz

Medizin

Philosophie

Chirurgie

Sonstige/ Studienfach unbekannt

Grafik 10: Relativer Anteil der von den Straßburger Studenten aus süddeutschen Reichsstädten gewählten Studienfächer.

In den neun Dekaden zwischen 1660 und 1749, in der die Gesamtzahl der Immatrikulationen von süddeutschen Reichsstädtern an der Universität Straßburg zunächst deutlich rückläufig war und dann auf niedrigem Niveau verharrte, bildete die Jurisprudenz das quantitativ wichtigste Studienfach dieser Studentengruppe. Der Anteil der Einschreibungen an der rechtswissenschaftlichen Fakultät an allen Inskriptionen süddeutscher Reichsstädter lag in dieser Phase zumeist relativ konstant zwischen 38 % und 44 %. Lediglich in zwei Jahrzehnten wurden höhere Werte erreicht: In den 1720er Jahren schrieben sich 49 % der Straßburger Studenten aus oberdeutschen Reichsstädten an der rechtswissenschaftlichen Fakultät ein, in den 1730er Jahren sogar 54 %. Nach den angehenden Juristen bildeten in den vier Dekaden zwischen 1660 und 1699 die Studenten der philologisch-philosophischen Fächer die zweitgrößte Gruppe unter den süddeutschen Reichsstädtern. Ihr Anteil an allen im vorliegenden Aufsatz untersuchten Universitätsbesuchern umfasste in dieser Zeit zwischen 29 % und 39 %. Die relative Bedeutung der Inskriptionen an der theologischen Fakultät schwankte wie auch in den ersten Jahrzehnten der Universitätsgeschichte stark. Die Theologiestudenten machten zwischen 1660 und 1699 zwischen 16 % und 28 % der in Straßburg studierenden süddeutschen Reichsstädter aus. Die Bedeutung der Medizin für das reichsstädtische Studium blieb gering: Der Anteil der Inskriptionen süddeutscher Reichsstädter an der medizinischen Fakultät lag im gleichen Zeitraum bei 3 % bis 7 %. In den ersten fünf Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts verlor das altsprachlich-philosophische Studium der süddeutschen Reichsstädter an der Universität Straßburg nochmals an Bedeutung: Die relativen Anteile der Immatrikulationen an der philosophischen Fakultät an allen süddeutsch-reichsstädtischen Inskriptionen sanken

Süddeutsche Reichsstädter an der Universität Straßburg

415

in den ersten beiden Dezennien von 22 % auf 12 % und fielen nach 1720 – wiederum nach Jahrzehnten gerechnet – in den einstelligen Bereich (5 %, 9 % und 6 %). An der Stelle der philosophischen Fakultät wies drei Jahrzehnte lang der Fachbereich Theologie nach der Jurisprudenz die zweithöchste Zahl an Neueinschreibungen süddeutscher Reichsstädter auf. Der Anteil der Inskribenten an der theologischen Fakultät war allerdings ebenfalls stark rückläufig; er betrug in den fünf Jahrzehnten zwischen 1700 und 1749 32 % (1700‒1709), 34 % (1710‒1719), 22 % (1720‒1729), 10 % (1730‒1739) und 8 % (1740‒1749). Einen klaren Bedeutungszuwachs erfuhr hingegen die Medizin, deren Anteil an den Immatrikulationen süddeutscher Reichsstädter im selben Zeitraum von 0 % (1700‒1709) über 10 % (1710‒1719), 20 % (1720‒1729) und 24 % (1730‒1739) auf 39 % (1740‒1749) anstieg. Seit den 1730er Jahren übertraf die Zahl der Einschreibungen an der medizinischen Fakultät die Zahl der Inskriptionen sowohl an der theologischen als auch an der philosophischen Fakultät deutlich. Nach 1750 setzte sich der seit den 1720er Jahren erkennbare Trend fort, dass die Zahl der Straßburger Medizinstudenten aus oberdeutschen Reichsstädten zunahm. In den Jahrzehnten zwischen 1760 und 1789 schrieb sich jeweils die Mehrheit der in diesem Aufsatz untersuchten Studierenden, deren Studienfach bekannt ist, in die Matrikel der medizinischen Fakultät ein (Anteile der Inskriptionen an der medizinischen Fakultät zwischen 55 % und 60 %). Berücksichtigt man nicht nur diejenigen Studierenden, die sich in eine Fakultätsmatrikel inskribierten, sondern alle Universitätsbesucher aus süddeutschen Reichsstädten, also auch diejenigen, die sich ausschließlich in die Generalmatrikel eintrugen, sowie die Universitätsverwandten, das universitäre Lehrpersonal und die angehenden Chirurgen, dann liegt der Anteil der angehenden Mediziner in der Zeit von 1750 bis 1779 – nach Jahrzehnten gerechnet – zwischen 47 % und 39 %, sank allerdings in den 1780er Jahren deutlich auf 22 %. Nach den Medizinstudenten waren in der zweiten Hälfte des 18.  Jahrhunderts die angehenden Juristen die quantitativ wichtigste süddeutsch-reichsstädtische Studentengruppe. Die Inskriptionen an der rechtswissenschaftlichen Fakultät hatten einen deutlich rückläufigen Anteil von 42 % (1750‒1759), 24 % (1760‒1769), 27 % (1770‒1779) und 11 % (1780‒1789) an allen Immatrikulationen oberdeutscher Reichsstädter. Unbedeutend war in der letzten Phase der Straßburger Universitätsgeschichte die Zahl der reichsstädtischen Inskriptionen an der theologischen und an der philosophischen Fakultät: Der Anteil der Immatrikulationen an der theologischen Fakultät an allen Einschreibungen von Universitätsbesuchern aus süddeutschen Reichsstädten lag zwischen 2 % und 7 %. Der Anteil der Inskriptionen an der philosophischen Fakultät bewegte sich zwischen 0 % und 4 %. Ein Studium in Straßburg sowohl an der philosophischen Fakultät als auch an einer der drei höheren Fakultäten lässt sich für 81 süddeutsche Reichsstädter nachweisen. Die zeitliche Verteilung eines derartigen ‚Vollstudiums‘ zeigt Grafik 11. Demnach besuchten 29 (= 36 %) der 81 Studenten, die sich an zwei Fakultäten einschrieben, die Straßburger Universität in den 1620er Jahren. 49 (= 60 %) dieser Universitätsbesucher kamen bis zum Ende der 1640er Jahre nach Straßburg. Die Zahlen sind insgesamt mit Vorsicht zu betrachten, da vor dem

Grafik 11: Studium süddeutscher Reichsstädter an der philosophischen Wolfgang Mährle und an einer höheren Fakultät der Universität Straßburg

416 35

Zahl der Personen

30

29

25 20 15 10 5

12 8

7

8 4

4 1

3

2

0

0

1

0

1

0

1

0

16 21 -2 16 9 30 -3 16 9 40 -4 16 9 50 -5 16 9 60 -6 16 9 70 -7 16 9 80 -8 16 9 90 -9 17 9 00 -0 17 9 10 -1 17 9 20 -2 17 9 30 -3 17 9 40 -4 17 9 50 -5 17 9 60 -6 17 9 70 -7 17 9 80 -8 17 9 90 -9 3

0

Zeitraum

Grafik 11: Studium süddeutscher Reichsstädter an der philosophischen und an einer höheren Fakultät der Universität Straßburg. Grafik 12: Prozentualer Anteil der süddeutschen Reichsstädter an allen Immatrikulationen an den vier Fakultäten der Universität Straßburg 40% 35%

Prozentualer Anteil

30% 25% 20% 15% 10% 5%

16 21 -2 9 16 30 -3 9 16 40 -4 9 16 50 -5 9 16 60 -6 9 16 70 -7 9 16 80 -8 9 16 90 -9 9 17 00 -0 9 17 10 -1 9 17 20 -2 9 17 30 -3 9 17 40 -4 9 17 50 -5 9 17 60 -6 9 17 70 -7 9 17 80 -8 9 17 90 -9 3

0%

Zeitraum Theologie

Jurisprudenz

Medizin

Philosophie

Grafik 12: Prozentualer Anteil der süddeutschen Reichsstädter an allen Immatrikulationen an den vier Fakultäten der Universität Straßburg.

Hintergrund der von Knod festgestellten, oben erwähnten Inskriptionspraktiken der Straßburger zu erwarten ist, dass auch ein größerer Prozentsatz der süddeutschen Reichsstädter beim Wechsel der Fakultät eine zweite Immatrikulation unterließ.78

78 Knod: Matrikeln (Anm. 12), Bd. 1, S. XXVII.

Süddeutsche Reichsstädter an der Universität Straßburg

417

Die ermittelten Werte über die Immatrikulationen von süddeutschen Reichsstädtern in den einzelnen Fachbereichen ermöglichen es, die relative Bedeutung dieser Studentengruppe an der Universität Straßburg nach Fakultäten getrennt zu analysieren (Grafik 12, zum Vergleich Grafik 7). Dabei zeigt sich, dass im 17. Jahrhundert die Zahl der Studenten aus süddeutschen Reichsstädten vor allem in den philologisch-philosophischen Disziplinen im Vergleich zu ihrer Gesamtbedeutung innerhalb der Universität überdurchschnittlich hoch war. In der Medizin war die relative Bedeutung der Reichsstädter vor allem in Krisenzeiten (1630er Jahre, 1680er- und 1690er Jahre) sehr hoch; dieses Phänomen ist schwer zu erklären. Unterdurchschnittlich im Vergleich zum Gesamtanteil war hingegen der Anteil der Immatrikulationen an der juristischen Fakultät. Im 18. Jahrhundert fallen vor allem das überdurchschnittliche relative Gewicht der süddeutschen Reichsstädter im Fach Theologie in den ersten drei Jahrzehnten sowie der kontinuierlich unterdurchschnittliche relative Anteil der Immatrikulationen an der philosophischen Fakultät ins Auge. Neben der Fakultätszugehörigkeit sind Graduierungen ein wichtiger Indikator für die Bildungsziele der an der frühneuzeitlichen Universität Straßburg eingeschriebenen Studenten aus süddeutschen Reichsstädten. Zwischen 1621 und 1793 finden sich in den Kandidatenmatrikeln der elsässischen Hochschule 461 Einträge von Reichsstädtern aus Oberdeutschland. Insgesamt beläuft sich der Anteil derjenigen, die einen förmlichen Studienabschluss anstrebten, auf knapp 16 % der nachweisbaren Personen dieser Studentengruppe. Da die Zahl der Studenten aus süddeutschen Reichsstädten, wie in Abschnitt 4.1. dargelegt, etwas höher gewesen ist, als sich durch die Matrikelanalyse nachweisen lässt, dürfte der Anteil der Graduierten in Wirklichkeit bei etwa 14 % gelegen haben. Er war damit um ungefähr 10 Prozentpunkte niedriger als der Anteil der Studienabsolventen an allen Straßburger Studenten. Grafik 13 zeigt, wie sich die Graduierungen süddeutscher Reichsstädter auf die einzelGrafik Überliefert 13: Graduierungen Reichsstädter nen Abschlüsse verteilen. sind 213süddeutscher Promotionen an der philosophischen Faan der Universität Straßburg 1621-1793

Poeta laureatus; 1; 0%

Theologie; 0; 0% Jurisprudenz; 139; 30%

Magister; 206; 45%

Bakkalaureus; 6; 1%

Medizin; 109; 24%

Grafik 13: Graduierungen süddeutscher Reichsstädter an der Universität Straßburg 1621–1793.

418 10

Grafik 14: Graduierungen süddeutscher Reichsstädter Wolfgang Mährle an der Universität Straßburg: Jährlicher Durchschnitt der an den einzelnen Fakultäten abgelegten Prüfungen

9

Zahl der Prüfungen

8 7 6 5 4 3 2 1 0

Zeitraum Philosophie (Magisterium)

Philosophie (Bakkalaureat)

Medizin

Jurisprudenz

Grafik 14: Graduierungen süddeutscher Reichsstädter an der Universität Straßburg: Jährlicher Durchschnitt der an den einzelnen Fakultäten abgelegten Prüfungen.

kultät (= 46 % aller Promotionen von Personen dieser Studentengruppe), darunter 206 Graduierungen zum Magister. In der Kandidatenmatrikel der juristischen Fakultät finden sich 139 Einträge (= 30 % aller Promotionen) und in der Kandidatenmatrikel der medizinischen Fakultät 109 (= 24 % aller Promotionen). An der Straßburger theologischen Fakultät erwarb kein einziger Student aus einer süddeutschen Reichsstadt das Doktorat.79 Der Vergleich der Studienabschlüsse der süddeutschen Reichsstädter mit denjenigen der gesamten Studentenschaft der Universität Straßburg zeigt mehrere Besonderheiten. Ins Auge sticht vor allem der höhere Anteil von Graduierungen an der philosophischen Fakultät (46 % : 34 %). Die süddeutschen Reichsstädter haben sich dabei im Gegensatz zur Gesamtheit der Straßburger Studenten fast ausschließlich für das Magisterium interessiert. Dies spricht für die Vermutung, dass sie an der Universität am Oberrhein ihre in der jeweiligen Heimatstadt begonnene Ausbildung fortsetzten. Auch an der medizinischen Fakultät haben die Studenten aus süddeutschen Reichsstädten wesentlich häufiger als die Straßburger Studenten insgesamt akademische Titel erworben (24 %  :  14 %). Deutlich geringer war hingegen das Interesse der Reichsstädter an einem förmlichen Studienabschluss an der juristischen Fakultät (30 % : 51 %). 79 Zum Lebensweg reichsstädtischer Theologen vgl. Riegg: Konfliktbereitschaft (Anm. 10) und Wolfgang Mährle: Die kirchliche Elite der Reichsstadt Nürnberg im konfessionellen Zeitalter (1553‒1648). In: Krakau ‒ Nürnberg ‒ Prag. Die Eliten der Städte im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit. Herkunft, Nationalität, Mobilität, Mentalität. Hg. von Michael Diefenbacher, Olga Fejtová u. Zdzisław Noga, Praha 2016, S. 281‒311.

Reichsstädter an der Reichsstädter Universität Straßburg Grafik 15:Süddeutsche Graduierungen süddeutscher an der Universität Straßburg: Relativer Anteil der Abschlüsse an den einzelnen Fakultäten

419

100% 90% 80% Prozentualer Anteil

70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0%

Philosophie (Magisterium)

Zeitraum Philosophie (Bakkalaureat)

Medizin

Jurisprudenz

Grafik 15: Graduierungen süddeutscher Reichsstädter an der Universität Straßburg: Relativer Anteil der Abschlüsse an den einzelnen Fakultäten.

Die Chronologie der Graduierungen von Studenten aus süddeutschen Reichsstädten steht in einem engen Zusammenhang mit der Frequenz dieser Studentengruppe an den einzelnen Fakultäten der Universität Straßburg (Grafik 14). Die Zahl der Inskriptionen in die Kandidatenmatrikeln durch oberdeutsche Reichsstädter unterlag in der 172jährigen Geschichte der elsässischen Hochschule einschneidenden Veränderungen. Auffällig sind zwei Entwicklungen: Erstens zeigt sich ein klarer Rückgang der Graduierungen während der ersten Jahrzehnte des Bestehens der Straßburger Universität; anschließend verharrte die Zahl der Studienabschlüsse auf einem niedrigen Niveau. Erwarben in den 1620er Jahren noch durchschnittlich 9,1 süddeutsche Reichsstädter pro Jahr in Straßburg einen akademischen Titel, so waren es in den folgenden vier Jahrzehnten zwischen 4,5 und 5,7. In den 1670er Jahren sank der Wert auf 3,7, um anschließend bis zum Ende der frühneuzeitlichen Universität Straßburg mit Ausnahme der 1770er Jahre stets unter 2 zu bleiben. Insgesamt datieren 75 % der Graduierungen von Studenten aus süddeutschen Reichsstädten in das 17. Jahrhundert. Zweitens zeigen sich auch deutliche Verschiebungen bei den Abschlüssen, welche die süddeutschen Reichsstädter anstrebten (Grafik 15). Signifikant ist zum einen ein drastischer Rückgang der Einträge in die Kandidatenmatrikel der philosophischen Fakultät. Betrug der Anteil der Bakkalaureus- und Magisterpromotionen an allen Graduierungen von Studenten aus süddeutschen Reichsstädten in den 1620er Jahren über 80 %, so reduzierte er sich bis zum Ende der 1670er Jahre auf 30 %. In den Jahren um 1700, als insgesamt nur sehr wenige Studienabschlüsse zu registrieren waren, stieg er nochmals auf bis zu 70 %, doch graduierte seit den 1730er Jahren überhaupt kein süddeutscher Reichsstädter mehr an der Straßburger philosophischen Fakultät. Die Promotionen von Studenten aus

420

Wolfgang Mährle

oberdeutschen Reichsstädten in der juristischen Fakultät hatten, abgesehen von den ersten beiden Jahrzehnten der Straßburger Universitätsgeschichte, einen stark schwankenden Anteil von 25 % bis 57 % an allen Graduierungen dieser Studentengruppe. Bei den Kandidaten zum medizinischen Doktorat bewegen sich die entsprechenden Werte bis zum zweiten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts stets im Bereich von 25 % oder darunter. Danach erfolgte ein starker Anstieg auf 67 % bis 75 % in den Jahrzehnten zwischen 1740 und 1779. Welche Rückschlüsse lassen sich aus den bisherigen Analyseergebnissen zum Besuch der Universität Straßburg durch Studenten aus oberdeutschen Reichsstädten ziehen? Folgendes Bild zeichnet sich ab: Die Universität Straßburg war für die reichsstädtischen Studenten in den ersten fünf Jahrzehnten ihres Bestehens eine wichtige Ausbildungsstätte. Die elsässische Hochschule hatte in dieser Zeit vor allem eine große Bedeutung als Ort des philologisch-philosophischen Studiums. Zahlreiche süddeutsche Reichsstädter erwarben in Straßburg den Magistertitel. Sie brachten damit ihre Studien der alten Sprachen sowie der philosophischen Disziplinen zum Abschluss, die sie in vielen Fällen in ihrer Heimat an Lateinschulen oder Gymnasien begonnen hatten.80 Auch wenn die Matrikel der ‚semiuniversitas‘ nicht erhalten ist, kann als sehr wahrscheinlich gelten, dass diese Tradition des philologisch-philosophischen Studiums in Straßburg bis in die Zeit des 16. Jahrhunderts zurückreicht. Straßburg war jedoch auch ein Ort, an dem zahlreiche süddeutsche Reichsstädter die Grundstudien durch eine akademische Ausbildung an einer der höheren Fakultäten ergänzten. Quantitativ bedeutsam war vor allem die rechtswissenschaftliche Ausbildung, in geringerem Maß auch das Studium der Theologie. Hingegen fielen die Studenten der Medizin zahlenmäßig kaum ins Gewicht. Titel an den höheren Fakultäten erwarb man vorzugsweise in den Fächern, in denen man sie beruflich im städtischen Kontext verwerten konnte, d. h. vor allem in der Jurisprudenz. Die Eroberungskriege Ludwigs XIV. und die Eingliederung Straßburgs in das französische Königreich führten in den 1670er- und 1680er Jahren zu einem deutlichen Rückgang der Zahl süddeutsch-reichsstädtischer Studenten. Sie veränderten allerdings die Paradigmen des reichsstädtischen Studiums in der elsässischen Metropole zunächst nicht grundlegend. Erkennbar ist eine graduelle Verschiebung der Bildungsziele, die sich bereits seit dem Ende des Dreißigjährigen Krieges angedeutet hatte: Die juristischen Studien gewannen an relativer Bedeutung, während das Studium in den alten Sprachen und in den philosophischen Fächern rückläufig war. Insgesamt sind die Dekaden zwischen 1670 und 1689 als Übergangszeit zu charakterisieren.

80 Überblick über die Entwicklung des Bildungswesens: Geschichte des humanistischen Schulwesens in Württemberg. Hg. von der Württembergischen Kommission für Landesgeschichte. Bd. 2,1: Geschichte des humanistischen Schulwesens der Reichsstädte. Stuttgart 1920; Hans Ockel: Geschichte des höheren Schulwesens in Bayerisch-Schwaben in der vorbayerischen Zeit. Berlin 1931.

Süddeutsche Reichsstädter an der Universität Straßburg

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Seit 1690 war die Zahl der süddeutsch-reichsstädtischen Studenten an der Universität Straßburg stets gering. Die hier untersuchte Studentengruppe hatte nach den Krisenjahrzehnten der elsässischen Hochschule um 1700 am anschließenden Wiederanstieg der Immatrikulationszahlen keinen Anteil. Allerdings spiegeln die Bildungsziele der süddeutschen Reichsstädter im 18.  Jahrhundert das Lehrprofil der Straßburger Universität, wenngleich im Detail Abweichungen erkennbar sind. Signifikant ist vor allem, dass die Straßburger Hochschule als Ort des altsprachlich-philosophischen Grundstudiums für die reichsstädtischen Studenten aus Oberdeutschland jede Bedeutung verlor. Der Rückgang der Zahl süddeutsch-reichsstädtischer Sprach- und Philosophiestudenten fällt prozentual noch deutlicher aus als die Abnahme der Studentenzahlen an der – nunmehr vor allem von elsässischen Universitätsbesuchern dominierten – philosophischen Fakultät insgesamt.81 Die süddeutschen Reichsstädter schrieben sich, wie die Gesamtheit der Straßburger Studenten, im 18. Jahrhundert vor allem in der Jurisprudenz und in der Medizin ein. Dabei fällt auf, dass bei der hier untersuchten Studentengruppe die Medizin im Vergleich zur Rechtswissenschaft eine größere relative Bedeutung erlangte als bei allen Straßburger Universitätsbesuchern. Seit 1750 studierten in der elsässischen Metropole – pro Jahrzehnt gerechnet – stets mehr süddeutsche Reichsstädter Medizin als Jurisprudenz. Insgesamt lässt die Analyse der Bildungsziele den Schluss zu, dass die Umprofilierung der Straßburger Hochschule, die sich zwischen dem 17. und dem 18. Jahrhundert vollzog, neben den erwähnten politischen Umständen einen maßgeblichen Anteil an der Entwicklung der Immatrikulationszahlen süddeutscher Reichsstädter hatte. Die Profilbildung der elsässischen Universität in den Rechtswissenschaften und in der Medizin im 18. Jahrhundert war nur für eine begrenzte Zahl an Reichsstädtern attraktiv. Ein nicht unwesentlicher Faktor in diesem Kontext dürfte auch gewesen sein, dass sich der seit jeher elitäre Charakter des Straßburger Ambientes im Aufklärungsjahrhundert eher noch verstärkte, etwa durch die Einrichtung der mit der Universität verbundenen Diplomatenschule Schöpflins und Kochs. Vor diesem Hintergrund wäre von hohem Interesse zu erfahren, wie sich die Gruppe der reichsstädtischen Rechtsstudenten in Straßburg im 18. im Vergleich zum 17. Jahrhundert zusammensetzte.

4.3. Städtische und regionale Profile Die bisherigen Analyseergebnisse bedürfen der Differenzierung nach Städten und Regionen. In diesem Kontext stellen sich viele Fragen. Die wichtigsten sind: Aus welchen süddeutschen Reichsstädten kamen Universitätsbesucher in welchen Jahren nach Straßburg? Welche Bildungsziele versuchten die Studenten der einzelnen Städte zu erreichen? Lassen sich gemeinsame Bildungsprofile mehrerer Städte feststellen? Zeigen sich regionale Muster des Straßburger Hochschulbesuchs?

81 Schulze: Herkunft (Anm. 20), S. 90.

422

Wolfgang Mährle

Die in diesem Aufsatz untersuchten 42 Reichsstädte unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Einwohnerzahl, ihrer Verfassung sowie ihrer Wirtschafts- und Sozialstruktur grundlegend. Erwähnt wurde, dass sie auch in konfessioneller Hinsicht divergierten. Einigen Kommunen, so vor allem Nürnberg, Ulm, Rothenburg ob der Tauber, Schwäbisch Hall und Rottweil, war es zudem im Lauf des Spätmittelalters bzw. des 16. Jahrhunderts gelungen, ein größeres geschlossenes Landgebiet zu erwerben.82 Die meisten Reichsstädte waren hingegen bei entsprechenden Versuchen gescheitert. Die Entwicklung der süddeutschen Reichsstädte verlief im Untersuchungszeitraum dieses Aufsatzes ebenfalls sehr unterschiedlich. Für viele Reichsstädte bedeutete die Zeit des 17. und des 18. Jahrhunderts eine Phase der Stagnation oder des Bedeutungsverlusts. Ein Musterbeispiel hierfür ist die fränkische Metropole Nürnberg, die um 1500 als Zentrum Europas angesehen werden konnte und in deren Mauern 1622 etwa 50 000 Menschen lebten. Im Jahr 1806 beherbergte Nürnberg nurmehr 25 000 Einwohner.83 Aber es gab auch wachsende Reichsstädte wie etwa Frankfurt am Main, dessen Einwohnerzahl sich zwischen dem Beginn des Dreißigjährigen Krieges und dem ausgehenden 18. Jahrhundert von knapp 20 000 mehr als verdoppelte.84 Hingewiesen sei zudem auf Änderungen in der religiösen Struktur der bikonfessionell-paritätischen Städte.85 Augsburg bei82 Wolfgang Leiser: Territorien süddeutscher Reichsstädte. Ein Strukturvergleich. In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 38, 1975, S. 967‒981. 83 Nürnberg. Geschichte einer europäischen Stadt. Hg. von Gerhard Pfeiffer. München 1971 (unveränderter Nachdruck 1982); Rudolf Endres: Nürnberg im 18. Jahrhundert. In: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg 75, 1988, S. 133‒153; Stadtlexikon Nürnberg. Hg. von Michael Diefenbacher u. Rudolf Endres. 2., verbesserte Auflage Nürnberg 2000 (darin besonders Rudolf Endres: Bevölkerungsentwicklung, S. 142); Michael Diefenbacher, Horst-Dieter Beyerstedt u. Martina Bauernfeind: Kleine Nürnberger Stadtgeschichte. Regensburg 2012; Michael Diefenbacher, Horst-Dieter Beyerstedt: Nürnberg. In: Adam, Westphal: Handbuch (Anm.  7), Bd.  3, S. 1569‒1610. 84 Die Stadt Goethes. Frankfurt am Main im XVIII. Jahrhundert. Hg. von Heinrich Voelcker. Frankfurt/Main. 1982 (Nachdruck der Ausgabe von 1932); Anton Schindling: Wachstum und Wandel vom Konfessionellen Zeitalter bis zum Zeitalter Ludwigs XIV. Frankfurt am Main 1555‒1685. In: Frankfurt am Main: Die Geschichte der Stadt in neun Beiträgen. Hg. von der Frankfurter Historischen Kommission. Sigmaringen 1991, S.  205‒260; Heinz Duchhardt: Frankfurt am Main im 18. Jahrhundert. In: ebd., S. 261‒302; Marina Stalljohann: Frankfurt am Main. In: Adam, Westphal: Handbuch (Anm. 7), Bd. 1, S. 535‒593. 85 Martin Heckel: Parität. In: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Kanonistische Abteilung 49, 1963, S. 261‒420; Paul Warmbrunn: Zwei Konfessionen in einer Stadt: Das Zusammenleben von Katholiken und Protestanten in den paritätischen Reichsstädten Augsburg, Biberach, Ravensburg und Dinkelsbühl von 1548 bis 1648. Wiesbaden 1983; Peter Rummel: Katholisches Leben in der Reichsstadt Augsburg (1650‒1806). In: Jahrbuch des Vereins für Augsburger Bistumsgeschichte 18, 1984, S. 9‒161; Etienne François: Die unsichtbare Grenze. Protestanten und Katholiken in Augsburg 1648‒1806. Sigmaringen 1991; Wolfgang Wallenta: Katholische Konfessionalisierung in Augsburg 1548‒1648. Hamburg 2003; Hahn und Kreuz. 450 Jahre Parität in Ravens-

Süddeutsche Reichsstädter an der Universität Straßburg

423

spielsweise war um 1620 eine mehrheitlich evangelische Stadt, auch um 1648 waren von 20 000 Einwohnern etwa 70 % Protestanten.86 Am Ende des 18. Jahrhunderts waren hingegen von knapp 30 000 Einwohnern etwa 60 % katholisch. In Regensburg hatten Veränderungen im Verhältnis der Konfessionen schon am Ende des 17. Jahrhunderts dazu geführt, dass die Zahl der Katholiken diejenige der Protestanten übertraf.87 Die Erwähnung derartiger und anderer divergierender Entwicklungen ließe sich fortsetzen.

4.3.1. Herkunft der süddeutschen Reichsstädter Aus welchen Kommunen kamen die süddeutschen Reichsstädter, die sich an der frühneuzeitlichen Universität Straßburg immatrikulierten? Grafik 16 zeigt die 25 süddeutschen Reichsstädte, aus denen im Gesamtzeitraum von 1621 bis 1793 mindestens 20 Studenten die Straßburger Hochschule besuchten, sowie die jeweiligen Inskriptionszahlen. Ulm steht mit 497 Einschreibungen mit weitem Abstand an der Spitze, gefolgt von Frankfurt am Main und Nürnberg mit 366 bzw. 322 Immatrikulationen. Etwa halb so viele Straßburger Studenten wie aus Ulm stammten aus Augsburg. Regensburg sowie fünf weitere, jeweils mittelgroße Reichsstädte weisen über 100 Inskribenten auf. Aus fünf anderen mittelgroßen Kommunen kamen zwischen 50 und 100 Studenten. Die Grafik lässt drei zentrale Einflussfaktoren auf den Besuch der frühneuzeitlichen Universität Straßburg durch süddeutsche Reichsstädter erkennen. Der erste Faktor ist die Größe der Kommune, genauer gesagt: die Größe ihrer evangelischen Einwohnerschaft. Die – bei allen Schwankungen – einwohnerstärksten süddeutschen Reichsstädte Nürnberg, Augsburg und Frankfurt am Main finden sich unter den Städten, aus denen sich am meisten Studenten in Straßburg immatrikulierten. Übertroffen wurde die Zahl der Inskribenten aus den großen Städten lediglich durch diejenige aus dem etwas kleineren Ulm.88 burg. Hg. von Andreas Schmauder. Konstanz 2005; Nicole Horvath: Ravensburg zwischen Reichsfrieden und Konfessionskonflikt 1648‒1802. Epfendorf 2013. 86 Ingrid Bátori: Die Reichsstadt Augsburg im 18. Jahrhundert. Verfassung, Finanzen, Reformversuche. Göttingen 1969; Geschichte der Stadt Augsburg. 2000 Jahre von der Römerzeit bis zur Gegenwart. Hg. von Gunther Gottlieb u. a. Stuttgart 21985; Augsburger Stadtlexikon. Hg. von Günther Grünsteudel u. a. Augsburg 21998; Bernd Roeck: Geschichte Augsburgs. München 2005; Silvia Serena Tschopp: Augsburg. In: Adam, Westphal: Handbuch (Anm. 7), Bd. 1, S. 1‒50. Zum Bürgertum: Franz Herre: Das Augsburger Bürgertum im Zeitalter der Aufklärung. Augsburg, Basel 1951; Leonhard Lenk: Augsburger Bürgertum im Späthumanismus und Frühbarock (1580‒1700). Augsburg 1968. 87 Karl Hausberger: Zum Verhältnis der Konfessionen in der Reichsstadt Regensburg. In: Reformation und Reichsstadt. Protestantisches Leben in Regensburg. Hg. von Hans Schwarz. Regensburg 1994, S. 134‒146, hier S. 139 (mit Verweis auf ältere Literatur). 88 Hans Eugen Specker: Ulm: Stadtgeschichte. Ulm 1977; Herbert Wiegandt: Ulm. Geschichte einer Stadt. Weißenhorn 21989; Martin Nestler: Ulm. Geschichte einer Stadt. Erfurt 2003; StadtMenschen: Die Stadt und ihre Menschen. Hg. vom Stadtarchiv Ulm. Ulm 2004; Theo Pronk: Ulm. In: Adam, Westphal: Handbuch (Anm. 7), Bd. 3, S. 2005‒2059.

Grafik 16: ImmatrikulationenWolfgang süddeutscher MährleReichsstädter an der Universität Straßburg 1621-1793 (Städte ≥ 20 Immatrikulationen)

424

Zahl der Immatrikulationen

500 400

497

366 322

300 200 100

246 177

144 141 131 125

105

83 76 73 70 59

41 36 29 28 27 27 24 23 21 20

Fr an kf U ur lm t N a. M ür n . A ber ug g sb u Sp rg ey W er Sc Reg orm hw en s äb sbu isc rg R h ot he He Ha nb ilb ll ur ro g n o n N .d ör . T M dli . em ng m en in g Li en Es nda Sc slin u hw ge ei n Fr nfu ie r t O db e ffe rg W nb in ur W dsh g e i ei ße m n W bur im g p W fe D et n in zl ke ar R lsbü eu h tli l K nge R emp n av t en en sb ur g

0

Grafik 16: Immatrikulationen süddeutscher Reichsstädter an der Universität Straßburg 1621–1793 (Städte ≥ 20 Immatrikulationen).

Regensburg, das eine ähnliche Größe wie Ulm aufwies und seit 1663 Tagungsort des Immerwährenden Reichstages war, steht in der Rangfolge der Straßburger Einschreibungen an siebter Stelle.89 Der zweite wesentliche Einflussfaktor auf die Frequenz ist – wenig überraschend – die Konfession. Mit Ausnahme Offenburgs findet sich unter den 25 Reichsstädten, die auf der Grafik gezeigt werden, keine katholische Stadt. Das bikonfessionelle Augsburg steht auf Rang vier, während aus den anderen paritätischen Städten 89 Zu Regensburg vgl. Edmund Neubauer: Das geistig-kulturelle Leben der Reichsstadt Regensburg (1750‒1806). München 1979; 1542‒1992. 450 Jahre Evangelische Kirche in Regensburg. Eine Ausstellung der Museen der Stadt Regensburg in Zusammenarbeit mit der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Regensburg. Regensburg 1992; Alois Schmid: Regensburg. Reichsstadt, Fürstbischof, Reichsstifte, Herzogshof. München 1995; Geschichte der Stadt Regensburg. 2 Bde. Hg. von Peter Schmid. Regensburg 2000; Matthias Freitag: Kleine Regensburger Stadtgeschichte. Regensburg 42011. Zum Reichstag vgl. Anton Schindling: Die Anfänge des Immerwährenden Reichstags zu Regensburg. Ständevertretung und Staatskunst nach dem Westfälischen Frieden. Mainz 1991; Andreas Müller: Der Regensburger Reichstag von 1653/54. Eine Studie zur Entwicklung des Alten Reiches nach dem Westfälischen Frieden. Frankfurt/Main u. a. 1992; Reichsstadt und Immerwährender Reichstag (1663‒1806). 250 Jahre Haus Thurn und Taxis in Regensburg. Kallmünz 2001; Susanne Friedrich: Drehscheibe Regensburg. Das Informations- und Kommunikationssystem des Immerwährenden Reichstages. Berlin 2007; Regensburg zur Zeit des Immerwährenden Reichstags. Kultur-historische Aspekte einer Epoche der Stadtgeschichte. Hg. von Klemens Unger, Peter Styra u. Wolfgang Neiser. Regensburg 2013; Anton Schindling: Die Perpetuierung des Immerwährenden Reichstags in Regensburg und das Heilige Römische Reich um 1670. In: Die Zeit um 1670. Eine Wende in der europäischen Geschichte und Kultur? Hg. von Joseph S. Freedman. Wiesbaden 2016, S. 181‒212.

Süddeutsche Reichsstädter an der Universität Straßburg

425

Dinkelsbühl, Ravensburg und Biberach nur vergleichsweise wenige Studenten nach Straßburg zum Studium gingen. Insgesamt stammten von den 3031 Immatrikulationen durch Studenten aus den süddeutschen Reichsstädten in Straßburg 2620 von Universitätsbesuchern aus evangelischen Kommunen (= 86 %), 309 (= 10 %) aus bikonfessionell-paritätischen Reichsstädten, wobei hier Augsburg mit 245 Einschreibungen klar dominiert, 102 (= 3 %) aus katholischen Städten. Der dritte Faktor, der den Besuch der Universität Straßburg maßgeblich beeinflusste, ist die geografische Nähe zum Hochschulort. Dies erklärt beispielsweise zu einem erheblichen Teil den hohen Zustrom von Studenten aus Speyer sowie die relativ hohe Zahl von Universitätsbesuchern aus dem katholischen Offenburg in der elsässischen Metropole. Bei aller Bedeutung, die den drei genannten Einflussfaktoren zukommt, verdeutlicht die Auswertung der Grafik jedoch auch, dass diese Kriterien nicht hinreichend sind, um die reichsstädtische Studentenfrequenz in Straßburg vollständig zu erklären. Offensichtlich wurde das Studienverhalten darüber hinaus durch städtische Bildungsmuster bzw. -traditionen beeinflusst, die verschiedene Ursachen haben konnten. So lässt sich beispielsweise die sehr hohe Zahl von Inskriptionen durch Studenten aus Ulm nicht allein auf die Einwohnerzahl der Stadt und noch weniger auf ihre geografische Lage zurückführen. Auch die geringe Zahl von Straßburger Studenten aus dem immerhin mittelgroßen Reutlingen bedarf einer anderen Erklärung. Man kann vermuten, dass für die jungen Reutlinger – im Unterschied zu den Ulmern ‒ bei der Studienortwahl die geografische Nähe zur Universität Tübingen, also ein attraktiveres alternatives Studienangebot, eine erhebliche Rolle gespielt hat. Die große Mehrheit der Inskribenten, die im Rahmen dieses Aufsatzes in den Blick genommen wird, lebte in den Mauern einer der 42 analysierten Reichsstädte. Der Anteil derjenigen, die in Gemeinden der reichsstädtischen Landgebiete beheimatet waren, lag nach Ausweis der Matrikeln bei lediglich 1,6 % aller Personen. Die ermittelbaren 48 Inskribenten aus reichsstädtischen Landgebieten kamen fast ausschließlich aus dem Nürnberger und aus dem Ulmer Territorium (23 bzw. 21 Studenten). Festgestellt werden konnte zudem je ein Student aus dem Esslinger, dem Heilbronner, dem Speyerer und dem Schwäbisch Haller Landgebiet. Vor allem die Zahl der Studenten, die aus dem Nürnberger Territorium stammten, dürfte etwas über dem angegebenen Wert gelegen haben: In den Straßburger Matrikeln finden sich die Einträge von 14 Studenten, die als Heimatort ‚Altdorf‘ ohne weiteren Namenszusatz wie etwa ‚Noricus‘ oder ‚Suevus‘ angaben. Es ist zu vermuten, dass ein größerer Teil dieser Personen aus der Nürnberger Landstadt Altdorf kam, die wegen der dort befindlichen Universität ein bildungshistorisch wichtiger Ort war.90 Vier der 14 Inskribenten konnten als Angehörige von Altdorfer Gelehrtenfamilien 90 Horst Claus Recktenwald: Aufstieg und Niedergang der Universität Altdorf. In: Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte 30, 1967, S. 242‒263; ders.: Die fränkische Universität Altdorf. Nürnberg 1990; Hans Recknagel: Die Nürnbergische Universität Altdorf. Altdorf 1993; Mährle: Academia Norica (Anm.  30); Johann Christoph Sturm (1635‒1703). Hg. von Hans Gaab, Pierre Leich u.

426

Wolfgang Mährle

identifiziert werden. Diese sind in die obige Zahl von 23 Personen aus dem Nürnberger Landgebiet eingerechnet. Alle Zweifelsfälle wurden hingegen nicht berücksichtigt.

4.3.2. Stadtspezifische und regionale Chronologie des Universitätsbesuchs Die Chronologie des Besuchs der Universität Straßburg durch Personen aus einzelnen süddeutschen Reichsstädten war maßgeblich vom religiösen Bekenntnis der jeweiligen Kommune bestimmt. Eine von der großen Mehrheit der oberdeutsch-reichsstädtischen Universitätsbesucher abweichende Chronologie zeigt der Straßburger Hochschulbesuch von Studenten aus katholischen Städten. 89 der im Rahmen dieses Aufsatzes ermittelten 102 Immatrikulationen von Katholiken, d. h. 87 %, stammen aus dem 18. Jahrhundert (Grafik 17). Die chronologischen Muster des Straßburger Studiums von Bürgersöhnen aus den evangelischen und den paritätischen Reichsstädten weisen insgesamt eine hohe Ähnlichkeit auf. Dies spricht für die Vermutung, dass in den reichsrechtlich als bikonfessionell anerkannten Reichsstädten in erster Linie die evangelischen Bevölkerungsteile, und hier vor allem die Lutheraner, Studenten nach Straßburg geschickt haben. Das Gleiche gilt für die protestantischen Reichsstädte, die größere konfessionelle bzw. religiöse Minderheiten – Katholiken, Calvinisten, Juden – beheimateten (z. B. Frankfurt am Main, Wetzlar, Regensburg, Nürnberg). Die Chronologie des Hochschulbesuchs der Studenten aus evangelischen und bikonfessionell-paritätischen Reichsstädten, die 97 % der in diesem Aufsatz untersuchten Universitätsbesucher bildeten, entspricht naturgemäß weitestgehend den für die Reichsstädter insgesamt festgestellten Paradigmen. Im Detail weist die Chronologie des Hochschulbesuchs der evangelischen Studenten freilich Unterschiede auf. Exemplarisch sei dies zunächst an den Immatrikulationen von Personen aus den vier großen Reichsstädten Ulm, Frankfurt am Main, Nürnberg und Augsburg illustriert. Die Gesamtzahl der Inskriptionen durch Universitätsbesucher aus diesen Städten beträgt 1431; dies entspricht einem Anteil von 47 % an allen Immatrikulationen durch süddeutsche Reichsstädter an der frühneuzeitlichen Universität Straßburg. Grafik 18 zeigt zunächst die Entwicklung der Immatrikulationszahlen durch Studenten aus den vier Städten. Am interessantesten sind die Unterschiede im Verlauf des 17. Jahrhunderts. Während das Interesse der Nürnberger an einem Studium in Straßburg in den ersten Dekaden der Straßburger Hochschulgeschichte fast kontinuierlich abnahm, schwankte die Zahl der Immatrikulationen durch Augsburger und vor allem durch Ulmer wesentlich stärker. Die Zahl der Frankfurter Studierenden Günter Löffladt. Frankfurt/Main 2004; Akademie und Universität Altdorf. Studien zur Hochschulgeschichte Nürnbergs. Hg. von Hanns Christof Brennecke, Dirk Niefanger u. Werner Wilhelm Schnabel. Köln, Weimar, Wien 2011; Athena Norica. Bilder und Daten zur Geschichte der Universität Altdorf. Hg. von Werner Wilhelm Schnabel. Nürnberg 2012 (DVD-ROM); Marti, MartiWeissenbach: Altdorf (Anm. 30).

Grafik 17: StudentenReichsstädter aus katholischen Reichsstädten Süddeutsche an der süddeutschen Universität Straßburg an der Universität Straßburg

427

20

Zahl der Immatrikulationen

18 16 14 12 10 8 6 4 2

16 21 -2 9 16 30 -3 9 16 40 -4 9 16 50 -5 9 16 60 -6 9 16 70 -7 9 16 80 -8 9 16 90 -9 9 17 00 -0 9 17 10 -1 9 17 20 -2 9 17 30 -3 9 17 40 -4 9 17 50 -5 9 17 60 -6 9 17 70 -7 9 17 80 -8 9 17 90 -9 3

0

Zeitraum

Grafik 18: Immatrikulationen durch Personen aus den Reichsstädten Ulm, Grafik 17: Studenten aus katholischen süddeutschen ander derUniversität Universität Straßburg. Frankfurt am Main, Nürnberg undReichsstädten Augsburg an Straßburg

90

Zahl der Immatrikulationen

80 70 60 50 40 30 20 10

16 21 -2 9 16 30 -3 9 16 40 -4 9 16 50 -5 9 16 60 -6 9 16 70 -7 9 16 80 -8 9 16 90 -9 9 17 00 -0 9 17 10 -1 9 17 20 -2 9 17 30 -3 9 17 40 -4 9 17 50 -5 9 17 60 -6 9 17 70 -7 9 17 80 -8 9 17 90 -9 3

0

Zeitraum Ulm

Frankfurt a. M.

Nürnberg

Augsburg

Grafik 18: Immatrikulationen durch Personen aus den Reichsstädten Ulm, Frankfurt am Main, Nürnberg und Augsburg an der Universität Straßburg.

erhöhte sich in den ersten fünf Jahrzehnten der Straßburger Universitätsgeschichte im Unterschied zu den drei anderen Städten sogar stetig. Das gewonnene Bild lässt sich verfeinern, indem man für die einzelnen Jahrzehnte den relativen Anteil der Inskriptionen an der Gesamtzahl der Immatrikulation aus der jeweiligen Reichsstadt ermittelt. Grafik  19 macht deutlich, dass der Besuch der Universität Straßburg durch Nürnberger und vor allem Augsburger Studenten in den 1620er Jahren eine Größenordnung hatte, die in späteren Jahrzehnten nicht mehr annähernd erreicht

Grafik 19: Relativer Anteil der Immatrikulationen in den einzelnen JahrWolfgang Mährle durch Personen aus Ulm, zehnten an allen Straßburger Inskriptionen Frankfurt am Main, Nürnberg und Augsburg

428 35%

Prozentualer Anteil

30% 25% 20% 15% 10% 5%

16 21 -2 9 16 30 -3 9 16 40 -4 9 16 50 -5 9 16 60 -6 9 16 70 -7 9 16 80 -8 9 16 90 -9 9 17 00 -0 9 17 10 -1 9 17 20 -2 9 17 30 -3 9 17 40 -4 9 17 50 -5 9 17 60 -6 9 17 70 -7 9 17 80 -8 9 17 90 -9 3

0%

Zeitraum Ulm

Frankfurt a. M.

Nürnberg

Augsburg

Grafik 19: Relativer Anteil der Immatrikulationen in den einzelnen Jahrzehnten an allen Straßburger Inskriptionen durch Personen aus Ulm, Frankfurt am Main, Nürnberg und Augsburg.

wurde. So begannen 30 % aller Augsburger, die sich an der Universität Straßburg zwischen 1621 und 1793 immatrikulierten, ihr Studium bereits in den ersten neun Jahren der Hochschulgeschichte. Aufgrund der Überlieferungsverluste ist nicht mehr zu klären, inwieweit die hohe Zahl von Einschreibungen durch Augsburger Studierende eine kriegsbedingte Ausnahme darstellte oder Studientraditionen aus der Zeit vor 1621 fortschrieb. Interessant ist auch die Beobachtung, dass im 18. Jahrhundert bei allen vier Reichsstädten der relative Anteil der Inskriptionen pro Jahrzehnt an allen Immatrikulationen durch Studenten aus der jeweiligen Stadt bei maximal 5 % liegt. Die Frequenz der jungen Ulmer, Frankfurter, Nürnberger und Augsburger bildete also in den letzten Jahrzehnten der frühneuzeitlichen Universität Straßburg keine ausgeprägten Spitzen aus. Dies könnte darauf hindeuten, dass ein eher abgeschlossener, kleiner Kreis von Bürgern die eigenen Kinder regelmäßig zum Studium nach Straßburg schickte. In Grafik 20 wird die Chronologie des Besuchs der Universität Straßburg durch Studenten aus den vier Reichsstädten Ulm, Frankfurt am Main, Nürnberg und Augsburg mit der Gesamtfrequenz der süddeutschen Reichsstädter in Beziehung gesetzt. Die Darstellung zeigt den Anteil der bis 1670 bzw. 1690 erfolgten Immatrikulationen an allen Inskriptionen von Studenten aus den vier ausgewählten Städten. Die gewählten Stichjahre stellten, wie in Kapitel 4.1. ermittelt, Zäsuren des oberdeutsch-reichsstädtischen Studiums in Straßburg dar. Die Divergenz des Studienverhaltens in den vier großen Reichsstädten zeigt sich in der Grafik eindrücklich. Während bereits 74 % der Augsburger und 70 % der Nürnberger, die sich in Straßburg im Gesamtzeitraum von 1621 bis 1793 einschrieben, vor 1670 ihr Studium begannen, lag der entsprechende Anteil der Frankfurter lediglich bei 46 %. Ulm nimmt mit einem Wert von 62 % eine Mittelstellung ein. Setzt man 1690

Grafik 20: Relativer Anteil der vor 1670 bzw. vor 1690 erfolgten ImmatriReichsstädterInskriptionen an der Universität kulationenSüddeutsche an allen Straßburger von Straßburg Personen aus Ulm, Frankfurt am Main, Nürnberg und Augsburg

429

100% 90%

Prozentualer Anteil

80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0% Ulm

Frankfurt a. M. Immatrikulationen vor 1670

Nürnberg

Augsburg

Immatrikulationen vor 1690

Grafik 20: Relativer Anteil der vor 1670 bzw. vor 1690 erfolgten Immatrikulationen an allen Straßburger Inskriptionen von Personen aus Ulm, Frankfurt am Main, Nürnberg und Augsburg.

als Stichjahr, so reduziert sich die Spanne zwischen dem höchsten und dem geringsten Anteil (Augsburg bzw. Frankfurt) von 28 % auf 19 %. 83 % aller Augsburger, die an der frühneuzeitlichen Universität Straßburg studierten, immatrikulierten sich vor 1690. Ermittelt man die Anteile der vor 1670 bzw. 1690 erfolgten Immatrikulationen an allen Inskriptionen für eine Reihe von mittelgroßen Reichsstädten, so erhält man Werte, die sich in einer ähnlichen Spanne bewegen wie diejenigen der einwohnerstarken Städte Ulm, Frankfurt am Main, Nürnberg und Augsburg (Grafik 21). Kommunen, aus denen auch im 18. Jahrhundert noch eine vergleichsweise große Zahl an Studenten die Universität Straßburg besuchten, sind beispielsweise Esslingen, Worms, Heilbronn und Friedberg (Anteile der Inskriptionen vor 1690 zwischen 63 % und 66 %). In diese Gruppe gehören auch das größere Regensburg sowie einige in der Grafik nicht abgebildete kleinere Reichsstädte, aus denen allerdings nur wenige Studenten nach Straßburg zum Studium kamen (z. B. Kempten, Isny). Hingegen endete bei einer Reihe von Städten der Besuch der Universität Straßburg – von wenigen Ausnahmen abgesehen – im ausgehenden 17. Jahrhundert. Aus Rothenburg ob der Tauber beispielsweise, das einen Extremfall darstellt, immatrikulierten sich nach 1700 gesichert nur noch fünf Studenten an der Universität Straßburg.91 Der prozentuale Anteil der Straßburger Studierenden aus Rothenburg ob der Tauber, die sich vor 1690 immatrikulierten, lag bei 92 %. Auch aus Nördlingen und Weißenburg (je 82 %), Dinkelsbühl (83 %), Schweinfurt und Wimpfen (je 85 %) sowie Windsheim (93 %) besuchten über 80 % der Studenten die elsässische Hochschule in der 91 Wie in Kapitel 2 erwähnt, kann die Zahl der Straßburger Studenten aus Rothenburg ob der Tauber ohne vertiefende prosopografische Recherchen nicht exakt ermittelt werden.

430

Grafik 21: Relativer Anteil der vor 1670 bzw. 1690 erfolgten ImmatrikulaWolfgang Mährle tionen an allen Straßburger Inskriptionen von Personen aus der jeweiligen Reichsstadt (Städte ≥ 40 Immatrikulationen) 100% 90%

Prozentualer Anteil

80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10%

Sc

da u

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Immatrikulationen vor 1670

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0%

Immatrikulationen vor 1690

Grafik 21: Relativer Anteil der vor 1670 bzw. vor 1690 erfolgten Immatrikulationen an allen Straßburger Inskriptionen von Personen aus der jeweiligen Reichsstadt (Städte ≥ 40 Immatrikulationen).

Zeit vor 1690. Bei Speyer (79 %) und Schwäbisch Hall (78 %) lagen die entsprechenden Werte nur knapp darunter, bei Memmingen und Lindau immerhin noch bei 76 % bzw. 74 %. Welche Erklärung gibt es für das unterschiedliche Studienverhalten in den einzelnen Reichsstädten? Auf der Basis der bisherigen Analysen kann man erkennen, dass die Universität Straßburg tendenziell ihre Anziehungskraft auf die Studenten derjenigen Städte verlor, die geografisch weit von der elsässischen Metropole entfernt lagen. Viele der Kommunen, aus denen im 18. Jahrhundert nur noch sehr wenige Universitätsbesucher nach Straßburg kamen, lagen im östlichen Schwaben oder gehörten dem Fränkischen Reichskreis an. Hingegen haben Studenten aus Städten, die Straßburg geografisch nicht allzu fern lagen (Esslingen, Worms, Heilbronn) oder die im nördlichen Teil des langgestreckten Oberrheinischen Reichskreises angesiedelt waren (Frankfurt, Friedberg), auch nach 1700 eher den Weg zum Studium nach Straßburg gefunden. Von diesen Mustern gibt es jedoch Ausnahmen in beide Richtungen: So immatrikulierten sich beispielsweise 33 % der Straßburger Studenten aus Regensburg nach 1690, hingegen nur 21 % aus Speyer und 15 % aus Wimpfen. Der Eindruck, der von der Bedeutung der geografischen Komponente für das Studienverhalten der süddeutschen Reichsstädter gewonnen wurde, lässt sich präzisieren, indem man die 42 Kommunen in regionale Gruppen einteilt und dann die gruppenspezifischen Muster des Besuchs der frühneuzeitlichen Universität Straßburg ermittelt. Um eine Quantifizierung regionaler Bildungsparadigmen zu ermöglichen, wies ich die in diesem Aufsatz berücksichtigten Reichsstädte vier Großregionen zu: Gruppe 1 umfasst die oberund ostschwäbischen Städte Augsburg, Biberach, Bopfingen, Buchau, Buchhorn, Gien-

Süddeutsche Reichsstädter an der Universität Straßburg

431

gen, Isny, Kaufbeuren, Kempten, Leutkirch, Lindau, Memmingen, Nördlingen, Pfullendorf, Ravensburg, Überlingen, Ulm und Wangen. Auch das zwischen Schwarzwald und Schwäbischer Alb gelegene Rottweil wurde dieser Gruppe zugerechnet. Es handelt sich demnach um insgesamt 19 Reichsstädte sehr unterschiedlicher Größe und Struktur. Zehn Städte waren protestantisch, drei paritätisch und sechs katholisch. Die große Mehrheit der ober- und ostschwäbischen Städte liegt geografisch von Straßburg etwa 200 bis 300 Kilometer entfernt. Aus einer größeren Zahl von Städten, vor allem den katholischen, kamen nur sehr wenige Studenten in die Metropole am Oberrhein. Gruppe 2 setzt sich aus den fünf Reichsstädten des Fränkischen Reichskreises (Nürnberg, Windsheim, Weißenburg, Rothenburg ob der Tauber, Schweinfurt) sowie dem zum Bayerischen Reichskreis gehörenden Regensburg zusammen. Alle diese Städte waren evangelischen Bekenntnisses. Die Städte der Gruppe 2 liegen von den Reichsstädten, die in diesem Aufsatz in den Blick genommen werden, durchschnittlich am weitesten von Straßburg entfernt. Die Wegstrecke in die elsässische Metropole betrug etwa 300 bis 400 Kilometer. Gruppe 3 umfasst die fünf niederschwäbischen Reichsstädte Aalen, Esslingen, Reutlingen, Schwäbisch Gmünd und Weil der Stadt sowie die zum Schwäbischen Reichskreis gehörenden vier fränkischen Städte Dinkelsbühl, Heilbronn, Schwäbisch Hall und Wimpfen. Sechs dieser Städte waren protestantisch, eine paritätisch, zwei katholisch. Die Entfernung zwischen den Kommunen der Gruppe  3 und Straßburg betrug etwa 130 bis 200  Kilometer, war also im Vergleich zu den anderen Städten eher gering. In Gruppe 4 wurden die acht im westlichen Schwarzwald, am Oberrhein und im heutigen Hessen gelegenen Reichsstädte zusammengefasst: Frankfurt am Main, Friedberg, Gengenbach, Offenburg, Speyer, Wetzlar, Worms und Zell am Harmersbach. Es handelt sich um fünf evangelische und drei katholische Kommunen. In geografischer Hinsicht ist diese Gruppe heterogener als die anderen: Städte in unmittelbarer Nachbarschaft Straßburgs gehören ihr ebenso an wie das deutlich über 200 Kilometer entfernte Wetzlar. Mit Ausnahme der im Kinzigtal gelegenen Städte bildeten die Reichsstädte der Gruppe 4 Stände des Oberrheinischen Reichskreises. Insgesamt wurden also bei der Einteilung der Reichsstädte in die vier Gruppen die geografische Komponente sowie die Zugehörigkeit zu Reichskreisen stärker als landsmannschaftliche Kriterien gewichtet. Da die Gruppenbildung ausschließlich dem Zweck dient, regionale Trends festzustellen, ist es nicht erheblich, dass einige Städte mit guten Gründen auch einer anderen Gruppe hätten zugeordnet werden können. Bei den diesbezüglich vor allem in Rede stehenden Städten (z. B. Dinkelsbühl, Rottweil) handelt es sich um Kommunen, aus denen lediglich eine kleine Zahl an Personen an der frühneuzeitlichen Universität Straßburg studierte. Die vier Regionen haben unter den Straßburger Inskribenten aus süddeutschen Reichsstädten ein unterschiedliches Gewicht. Grafik 22 zeigt die Zahl der Studenten aus den jeweiligen Regionen sowie deren prozentuale Anteile an allen süddeutsch-reichsstädtischen Universitätsbesuchern: Die Gruppe der Ober- und Ostschwaben stellt demzufolge mit 1132 Personen (= 37 % der Gesamtgruppe) die meisten Studenten. Es folgen die heterogene Region Westlicher Schwarzwald, Oberrhein, Hessen mit 809 Inskribenten

Grafik 22: Regionale Herkunft der an der Universität Straßburg immatrikulierten süddeutschen Reichsstädter 1621-1793

432

Wolfgang Mährle Westl. Schwarzwald/ Oberrhein/ Hessen; 809; 27%

Östliches Franken/ Bayern; 684; 23%

Oberschwaben/ Ostschwaben; 1132; 37%

Niederschwaben/ Südwestliches Franken; 406; 13%

Grafik 22: Regionale Herkunft der an der Universität Straßburg immatrikulierten süddeutschen ReichsGrafik 23: Chronologie des Universitätsbesuchs durch Personen aus südstädter 1621–1793. deutschen Reichsstädten: Durchschnittliche jährliche Frequenz nach Regionen

Zahl der Immatrikulationen

25,0

20,0 15,0 10,0 5,0

16 21 -2 9 16 30 -3 9 16 40 -4 9 16 50 -5 9 16 60 -6 9 16 70 -7 9 16 80 -8 9 16 90 -9 9 17 00 -0 9 17 10 -1 9 17 20 -2 9 17 30 -3 9 17 40 -4 9 17 50 -5 9 17 60 -6 9 17 70 -7 9 17 80 -8 9 17 90 -9 3

0,0

Zeitraum

Oberschwaben/ Ostschwaben Östliches Franken/ Bayern

Niederschwaben/ Südwestliches Franken Westl. Schwarzwald/ Oberrhein/ Hessen

Grafik 23: Chronologie des Universitätsbesuchs durch Personen aus süddeutschen Reichsstädten: Durchschnittliche jährliche Frequenz nach Regionen.

(= 27 % der Gesamtgruppe), dann die Region Östliches Franken, Bayern mit 684 Studenten (= 23 % der Gesamtgruppe). Aus Niederschwaben und dem südwestlichen Franken immatrikulierten sich 406 Personen in Straßburg (= 13 % der Gesamtgruppe). Die chronologischen Muster des Universitätsbesuchs in Straßburg durch Studenten aus den jeweiligen Städten der vier Gruppen illustriert Grafik 23. Deutlich wird der drastische Rückgang des studentischen Zuzugs aus den Regionen, aus denen in den ersten fünf Jahrzehnten der Straßburger Universitätsgeschichte die meisten süddeutschen Reichsstädter stammten: Ober- bzw. Ostschwaben und das östliche Franken inklusive des bayeri-

Grafik 24: Relativer Anteil an derder Regionen anStraßburg allen Straßburger Süddeutsche Reichsstädter Universität Inskriptionen durch Personen aus süddeutschen Reichsstädten

433

100%

Prozentualer Anteil

80% 60% 40% 20% 0%

9 9 3 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 -0 -9 -9 -8 -8 -2 -7 -1 -7 -6 -6 -5 -5 -4 -4 -3 -3 -2 21 630 640 650 660 670 680 690 700 710 720 730 740 750 760 770 780 790 6 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 Zeitraum Oberschwaben/ Ostschwaben Östliches Franken/ Bayern

Niederschwaben/ Südwestliches Franken Westl. Schwarzwald/ Oberrhein/ Hessen

Grafik 24: Relativer Anteil der Regionen an allen Straßburger Inskriptionen durch Personen aus süddeutschen Reichsstädten.

schen Regensburg, d. h. die geografisch am weitesten von Straßburg entfernten Gebiete. Auch die anderen Regionen haben Einbußen zu verzeichnen, doch fallen diese prozentual moderater aus. Im Ergebnis führt die festgestellte Entwicklung zu einer Angleichung der Immatrikulationszahlen aus den vier Regionen, die in den ersten Dekaden der Straßburger Hochschulgeschichte sehr unterschiedlich gewesen waren. Hatte in den 1620er-, in den 1640er- und in den 1650er Jahren die Zahl der reichsstädtischen Inskribenten aus Ober- bzw. Ostschwaben diejenige aus den im westlichen Schwarzwald, am Oberrhein und im heutigen Hessen gelegenen Reichsstädten um das Zwei- bis Dreifache übertroffen, so war im 18. Jahrhundert die Zahl der Studenten aus den Städten der zweitgenannten Gruppe in mehreren Jahrzehnten sogar geringfügig höher. Die Veränderung der Anziehungskraft, welche die Universität Straßburg auf die Studenten aus den vier Städtegruppen ausübte, verdeutlicht Grafik 24. Der relative Anteil der Immatrikulationen von Personen aus Regensburg, aus den Städten des Fränkischen Reichskreises sowie aus den Kommunen Ober- und Ostschwabens an allen süddeutschreichsstädtischen Inskriptionen war im Verlauf der Straßburger Hochschulgeschichte erkennbar rückläufig. Betrug er in den ersten Dekaden der elsässischen Universität zumeist über 60 %, wurden solche Werte nach der Krise der Straßburger Hochschule in den Jahrzehnten um 1700 nicht wieder erreicht. In den Dekaden nach 1720 pendelten die relativen Anteile der Studenten aus Regensburg, aus dem östlichen Franken sowie aus Ost- und Oberschwaben zwischen 39 % und 58 %. Der Anteil der Studenten aus Niederschwaben bzw. dem südwestlichen Franken an allen süddeutschen Reichsstädtern blieb hingegen während der Straßburger Universitätsgeschichte vergleichsweise stabil. Eine insgesamt an-

434

Wolfgang Mährle

steigende Tendenz zeigte der Anteil der Studenten aus den Reichsstädten des westlichen Schwarzwalds, des Oberrheingebietes und des heutigen Hessen. Die beiden Grafiken 23 und 24 bieten über das Gesagte hinaus einen Einblick in die Krisenanfälligkeit der studentischen Migration in der Frühen Neuzeit. Am Beispiel der süddeutsch-reichsstädtischen Studenten in Straßburg lässt sich quantifizieren, in welcher Weise Kriege und andere Krisen zu einem Rückgang der ‚peregrinationes academicae‘ aus geografisch weiter entfernten Hochschulen führten.92 So bedingten die Kriegsereignisse der 1630er Jahre, dass sich der Zustrom von Studenten aus ober- und ostschwäbischen Reichsstädten in die elsässische Metropole im Vergleich zur vorhergehenden Dekade fast drittelte (durchschnittliche jährliche Immatrikulationen 1621‒1629: 21,6; 1630‒1639: 8). Zwischen 1636 und 1638 kam der Zustrom dieser Studentengruppe fast zum Erliegen: In diesen drei Jahren schrieb sich jeweils nur eine Person an der Universität Straßburg ein. Auch in den Kriegen des ausgehenden 17. Jahrhunderts brachen die Inskriptionszahlen von Personen aus den geografisch weit von Straßburg entfernt liegenden Reichsstädten am deutlichsten ein. Dies betraf die Universitätsbesucher aus den ober- und ostschwäbischen Kommunen, daneben in etwas schwächerer Form die Studenten aus den Reichsstädten des Fränkischen Reichskreises bzw. aus Regensburg. Während die Zahl der Immatrikulationen durch die Erstgenannten in den 1670er Jahren auf 37 % des Wertes sank, der in der Vordekade erreicht worden war, reduzierte sie sich bei den Angehörigen der zweiten Gruppe auf etwas weniger als die Hälfte. Bei den Ober- und Ostschwaben folgte auf die beiden Einbrüche in den 1630er- und in den 1670er Jahren jeweils ein starker Wiederanstieg der Immatrikulationszahlen, die indes das vorige Niveau bei Weitem nicht mehr erreichten. Die Kriegszeiten müssen daher als Katalysatoren eines fundamentalen Negativtrends interpretiert werden.

4.3.3. Stadtspezifische und regionale Bildungsziele Zu den Bildungszielen der oberdeutschen Reichsstädter sind verschiedene stadt- und regionenbezogene Auswertungen möglich. Für die historische Analyse wertvolle Informationen erhält man, wenn man die statistischen Auswertungsmöglichkeiten kombiniert, etwa ermittelte absolute Zahlen über den Hochschulbesuch von Personen aus einzelnen Städten und Regionen in Straßburg in Beziehung setzt zu errechneten relativen Größen, die das jeweilige kommunale bzw. regionale Studienverhalten spezifizieren. Neue Erkenntnisse verspricht zudem die Kombination von universitätsbezogenen sowie von stadt- bzw. regionenbezogenen Analyseperspektiven.

92 Vgl. Asche: Bürgeruniversität (Anm. 8), S. 208‒215.

435

Süddeutsche Reichsstädter an der Universität Straßburg

4.3.3.1. Philosophische Fakultät Die in Kapitel 4.2. durchgeführten Analysen haben gezeigt, dass Straßburg im 17. Jahrhundert eine wichtige Bildungsstätte der oberdeutschen Reichsstädter in den altsprachlich-philosophischen Fächern war. Aber aus welchen Reichsstädten kamen die Studenten der Straßburger philosophischen Fakultät genau? Der Blick auf die absolute Zahl der Immatrikulationen ergibt folgendes Bild (Grafik  25): Ulm stellt mit weitem Abstand die meisten Hörer, gefolgt von Augsburg, Frankfurt am Main und Speyer. Die Bedeutung Straßburgs für die philologisch-philosophische Ausbildung der süddeutschen Reichsstädter wird deutlich, wenn man die erwähnte zeitliche Verdichtung des Hochschulbesuchs in Rechnung stellt. Für Ulm ist beispielsweise festzustellen, dass sich in den 48 Jahren zwischen 1621 und 1669 im Durchschnitt 3,9 Studenten pro Jahr an der Straßburger philosophischen Fakultät immatrikulierten, im Ganzen 189 Personen. Dehnt man den Zeitraum bis 1699, ergibt sich in 78 Jahren ein Wert von 230 Inskriptionen. Dies entspricht einem jährlichen Durchschnittswert von 2,9 Einschreibungen. Obwohl in Ulm seit 1622 ein akademisches Gymnasium existierte, absolvierte also ein nicht unerheblicher Teil der städtischen Elite ein altsprachliches oder philosophisches Studium in Straßburg bzw. ergänzte dort die in der Heimatstadt erworbenen Kenntnisse.93 Für die Augsburger war der philologisch-philosophische Unterricht an der elsässischen Hochschule Fakultät lediglich während Grafik 25: Herkunft der an der Straßburger philosophischen immatrikulierten süddeutschen Reichsstädter

300

Zahl der Immatrikulationen

250

238

200 150 107 100 50

78

72

65

58

56

54

53

39

33

32

31

22

13

13

13

12

9

7

U lm A Fr ugs an bu kf ur rg ta .M . Sp ey Ro e r th en Wo bu r rg ms o. d. T. Sc Hei hw lbr äb on isc n h H N a ll ür n N ber ör g dl M ing e em n m in ge n Li nd Es au sli Re nge n ge n Sc sbu hw rg ei nf W urt im W pfe n in ds he Fr im ie db D in erg ke lsb ü G hl ie ng en

0

Grafik 25: Herkunft der an der Straßburger philosophischen Fakultät immatrikulierten süddeutschen Reichsstädter. 93 Johannes Greiner: Die Ulmer Gelehrtenschule zu Beginn des 17. Jahrhunderts und das akademische Gymnasium. Darstellung und Quellenmaterial. Ulm 1912 (zugleich erschienen in: Ulm ‒ Oberschwaben. Mitteilungen des Vereins für Kunst und Altertum in Ulm und Oberschwaben 18, 1912); ders.: Geschichte der Ulmer Schule. In: Ulm ‒ Oberschwaben. Mitteilungen des Vereins für Kunst

436

Wolfgang Mährle

eines wesentlich kleineren Zeitraums ähnlich attraktiv. In den 1620er Jahren immatrikulierten sich im Durchschnitt vier Augsburger pro Jahr an der Straßburger philosophischen Fakultät. Bis zum Jahr 1658 gerechnet, beträgt der Durchschnitt der jährlichen Einschreibungen immerhin noch 2,5. Doch nach diesem Jahr riss die Tradition des altsprachlich-philosophischen Studiums in Straßburg durch Augsburger fast schlagartig ab. In den Jahren von 1659 bis 1669 schrieb sich nur noch ein einziger Student aus der Fuggerstadt an der Straßburger philosophischen Fakultät ein. Auch in den Folgejahren blieb die Zahl der Inskriptionen gering. Ein ähnlich abrupter Abbruch von Studientraditionen lässt sich bei anderen Städten beobachten (z. B. Nördlingen nach 1662, Speyer nach 1665, Worms nach 1668, Memmingen und Heilbronn nach 1670, Rothenburg ob der Tauber nach 1673). Auffallend ist, dass sich Nürnberger und Regensburger Bürgersöhne vergleichsweise selten in die Matrikel der Straßburger philosophischen Fakultät einschrieben. Bei den Nürnberger Inskriptionen zeigt sich eine gewisse Verdichtung in den Jahren um 1630, als die fränkische Reichsstadt und ihr Territorium wiederholt von Truppendurchzügen und Einquartierungen heimgesucht und schließlich unmittelbar zum Kriegsschauplatz wurde.94 Auf welches Interesse aber stieß das Bildungsangebot der Straßburger philosophischen Fakultät in den einzelnen süddeutschen Reichsstädten? Indizien zur Beantwortung dieser Frage erhält man, indem man ermittelt, zu welchem prozentualen Anteil die Studenten, die aus einer bestimmten Stadt in die elsässische Metropole kamen, dort ein altsprachlichphilosophisches Grundstudium absolvierten. Eine Auswertung der Straßburger Matrikeln ergibt, dass die Universitätsbesucher aus zahlreichen schwäbischen und – was angesichts der Studienalternative Altdorf überraschen könnte – auch einigen fränkischen Reichsstädten zu einem hohen prozentualen Anteil Hörer an der philosophischen Fakultät waren. Bei insgesamt 14 schwäbischen und fränkischen Reichsstädten, darunter die einwohnerstarken Kommunen Ulm und Augsburg sowie die Mehrheit der mittelgroßen Städte, betrug der Anteil der Studenten philologisch-philosophischer Fächer an allen Straßburger Inskribenten über 40 % (Grafik 26). Einen entsprechenden Befund ergibt die Analyse der Studentenschaft aus Worms und Speyer. Hingegen zeigt die statistische Auswertung für andere Städte ein völlig divergierendes Bild: Bei den Straßburger Studenten aus Frankfurt und Altertum in Ulm und Oberschwaben 20, 1914 (wieder in: Geschichte des humanistischen Schulwesens, Anm. 80, Bd. 2,1, S. 1‒90); Hans Eugen Specker: Das Gymnasium academicum zu Ulm. Sein Aufbau und seine Bedeutung für das Bildungswesen der Reichsstadt. In: Beiträge zur Landeskunde. Regelmäßige Beilage zum Staatsanzeiger für Baden-Württemberg 1975 (Nr.  6), S.  7‒12; ders.: Das Gymnasium academicum und seine Zielsetzung. Lehrer und Studenten im reichsstädtischen Ulm. In: Ulmer Forum 38, 1976, S. 52‒55; ders.: Das Gymnasium academicum in seiner Bedeutung für die Reichsstadt Ulm. In: Stadt und Universität im Mittelalter und in der früheren Neuzeit. Hg. von Erich Maschke u. Jürgen Sydow. Sigmaringen 1977, S. 142‒160. 94 Vgl. hierzu zusammenfassend Rudolf Endres: Politische Haltung bis zum Eintritt Gustav Adolfs in den Dreißigjährigen Krieg. In: Pfeiffer: Nürnberg (Anm. 83), S. 269‒273, hier besonders S. 272, sowie ders.: Endzeit des Dreißigjährigen Krieges. In: ebd., S. 273‒279, hier besonders S. 273‒276.

60%

Grafik 26: Relativer Anteil der Immatrikulationen der philosophischen Süddeutsche Reichsstädter an der UniversitätanStraßburg Fakultät an allen Straßburger Inskriptionen aus der jeweiligen Reichsstadt

437

Prozentualer Anteil

50% 40% 30% 20% 10%

Ro

th

en b

ur

g

o. d K .T au . fb (58 e ) W ure im n ( pf 3) en U (13 l N ör m ( ) dl 2 in 38 ge ) W n (3 W orm 9) in ds s (6 5 h H eim ) ei lb (13 r Es onn ) sli ( ng 56) e Li n (3 nd 1) a G u (3 ie ng 2) en (7 ) A I s ug n sb y ( M ur 7) Sc em g ( hw mi 10 äb nge 7) isc n ( h H 33) al l Sp (5 ey 4) Le er ( ut 72 D kir ) in ke ch ( 4 ls Fr büh ) ied l be (9) r K g (1 em 2 pt ) en (6 )

0%

Stadt (Gesamtzahl der Inskribenten an der philosophischen Fakultät)

Grafik 26: Relativer Anteil der Immatrikulationen an der philosophischen Fakultät an allen Straßburger Inskriptionen aus der jeweiligen Reichsstadt.

am Main lag der Anteil der Immatrikulationen an der philosophischen Fakultät lediglich bei 21 %. Im Fall von Nürnberg und Regensburg war der Wert noch niedriger (je 16 %). Eine Erklärung für dieses Phänomen zu finden fällt nicht ganz leicht. Der Verweis auf die Qualität des lokalen Bildungsangebots greift im Fall Nürnbergs.95 Den angehenden Akademikern aus der fränkischen Reichsstadt bot sich die Möglichkeit, an einer der vier – qualitativ sehr guten – städtischen Lateinschulen oder an der Universität Altdorf Kenntnisse in den alten Sprachen sowie Grundwissen in den philosophischen Fächern zu erwerben. Sie haben diese Chance einer Kosten sparenden Ausbildung häufig genutzt. Bei den anderen großen süddeutschen Reichsstädten lässt sich kein direkter Zusammenhang zwischen dem lokalen Bildungsangebot und dem Besuch der Universität Straßburg feststellen. Die Gymnasien in Ulm und in Augsburg, zwei Städten, aus denen viele Hörer der Straßburger philosophischen Fakultät stammten, waren nicht weniger leistungsfähig als diejenigen in Frankfurt am Main und Regensburg.96 Eher das Gegenteil war der Fall: Vor 95 Zur Entwicklung des gymnasialen Unterrichts im 17. und 18. Jahrhundert vgl. zusammenfassend Seifert: Das höhere Schulwesen (Anm. 66), sowie Jens Bruning: Das protestantische Gelehrtenschulwesen im 18. Jahrhundert: Pietismus ‒ Aufklärung ‒ Neuhumanismus. In: Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte. Bd.  2: 18.  Jahrhundert. Vom späten 17.  Jahrhundert bis zur Neuordnung Deutschlands um 1800. Hg. von Notker Hammerstein u. Ulrich Herrmann. München 2005, S. 278‒323. 96 Zum höheren Bildungswesen in Ulm vgl. Anm. 93. Zu Augsburg vgl. Paul Joachimsohn: Augsburger Schulmeister und Augsburger Schulwesen in vier Jahrhunderten. In: Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben und Neuburg 23, 1896, S. 177‒247; Karl Köberlin: Rektor M. Hier. Andreas Mertens und das Gymnasium bei St. Anna in Augsburg in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhun-

438

Wolfgang Mährle

allem das Frankfurter städtische Gymnasium fiel gegenüber den Bildungseinrichtungen in den anderen großen Reichsstädten qualitativ ab. Bekanntlich hat auch Johann Wolfgang Goethe diese Lehranstalt nicht besucht. Geht man von den lokalen Bildungsmöglichkeiten aus, hätte die Immatrikulation an einer philosophischen Fakultät gerade für die Frankfurter Bürgersöhne attraktiv sein müssen. Inwieweit die jungen Frankfurter außer in Straßburg an Universitäten Grundkenntnisse in den alten Sprachen und in der Philosophie erwarben, ist nicht systematisch erforscht. Folgt man der wissenschaftlichen Literatur, so stellte auch der Besuch auswärtiger Gymnasien, etwa des Coburger Casimirianums, eine wichtige Bildungsalternative dar. Das häufige Fehlen eines Zusammenhangs zwischen den lokalen Schulverhältnissen in den süddeutschen Reichsstädten und dem Besuch der philosophischen Fakultät der Universität Straßburg spricht für die These, dass das reichsstädtische Bildungsverhalten bis weit in das 17. Jahrhundert hinein stärker als von den konkreten städtischen Gegebenheiten von Traditionen beeinflusst wurde, die zum Teil bereits im Reformationszeitalter, zum Teil im späteren 16. Jahrhundert geprägt wurden. Sie ruhten in vielen Fällen auf einem religiösen Fundament, teilweise auch auf engen politischen Verbindungen. So hatten sich zahlreiche schwäbische und einige fränkische Reichsstädte in den Jahrzehnten zwischen 1540 und 1620 bei der Durchführung von Schulreformen am Straßburger Vorbild orientiert oder schulisches Lehrpersonal eingestellt, das den Unterricht nach den didaktischmethodischen Richtlinien des bedeutenden Straßburger Pädagogen und Gymnasialrekderts. Augsburg 1899; ders.: Geschichte des humanistischen Gymnasiums bei St. Anna in Augsburg von 1531 bis 1931. Zur Vierhundertjahrfeier der Anstalt. Augsburg 1931; Ockel: Geschichte (Anm. 80), S. 13‒119; 1531‒1981. 450 Jahre Gymnasium bei Sankt Anna in Augsburg. Augsburg 1981; Martin Niesseler: Augsburger Schulen im Wandel der Zeit. Ein Beitrag zur Geschichte des Augsburger Schulwesens. Augsburg 1984; Eine Augsburger Schule im Wandel der Zeit. Das Gymnasium bei St. Anna. Begleitbuch zur gleichnamigen Ausstellung vom 8.11.2000‒7.12.2000. Hg. vom Gymnasium bei St. Anna. Augsburg 2000; Gymnasium bei St. Anna in Augsburg. 475 Jahre von 1531 bis 2006. Hg. im Auftrag der Societas Annensis zum 475. Jubiläum des Gymnasiums und zum 80. Jubiläum der Societas Annensis von Karl-August Keil. Augsburg 2006. Zu Frankfurt vgl. besonders Otto Liermann: Das Schul- und Bildungswesen in Frankfurt am Main. In: Voelcker: Die Stadt Goethes (Anm. 84), S. 149‒172; daneben Schindling: Wachstum (Anm. 84), S. 248; Duchhardt: Frankfurt (Anm. 84), S. 284f. Zu Regensburg vgl. Christian Heinrich Kleinstäuber: Ausführliche Geschichte der Studien‒Anstalten in Regensburg 1538‒1880. Erster Teil: Geschichte des evangelischen reichsstädtischen Gymnasii poetici. In: Verhandlungen des historischen Vereins von Oberpfalz und Regensburg 35, 1880, S. 1‒152, und 36, 1882, S. 1‒142; Georg Lurz: Mittelschulgeschichtliche Dokumente Altbayerns, einschliesslich Regensburgs. 2 Bde. Berlin 1907/08, hier Bd. 1, S. 130‒136, Bd. 2, S. 431‒521 (Dokumente); Alois Schmid: Das Gymnasium poeticum zu Regensburg im Zeitalter des Humanismus. In: Albert-Magnus-Gymnasium Regensburg. Festschrift zum Schuljubiläum 1988. Regensburg 1988, S. 25‒57; Walter Fürnrohr: Das Regensburger Gymnasium Poeticum. In: Handbuch der Geschichte des bayerischen Bildungswesens. Hg. von Max Liedtke. Bd. 1: Geschichte der Schule in Bayern. Von den Anfängen bis 1800. Bad Heilbrunn/Oberbayern 1991, S. 456‒465.

Grafik 27: Regionale Herkunft der Inskribenten aus süddeutschen Reichsstädten an der philosophischen Fakultät der Universität Straßburg 1621-1793 Süddeutsche Reichsstädter an der Universität Straßburg

439

Westl. Schwarzwald/ Oberrhein/ Hessen; 231; 22%

Östliches Franken/ Bayern; 166; 16%

Oberschwaben/ Ostschwaben; 516; 49%

Niederschwaben/ Südwestliches Franken; 132; 13%

Grafik 27: Regionale Herkunft der Inskribenten aus süddeutschen Reichsstädten an der philosophischen Fakultät der Universität Straßburg 1621–1793.

tors Johannes Sturm organisierte.97 Zu diesen Städten zählten die größeren Kommunen Ulm und Augsburg (mit Einschränkungen), daneben jedoch auch Lindau, Memmingen, Nördlingen, Schwäbisch Hall und Heilbronn. Alle diese Städte wiesen im 17. Jahrhundert einen hohen Anteil an Sprach- und Philosophiestudenten unter den in Straßburg Inskribierten auf. Das Gleiche gilt für das in der Oberrheinebene gelegene Speyer. Ein wichtiges Instrument für die Ausformung und Erhaltung von Bildungstraditionen bildete die Vergabe von Stipendien, die an den Besuch einer bestimmten Ausbildungseinrichtung gebunden waren. Nach dem bisher Gesagten überrascht nicht, dass die regionale Herkunft der aus oberdeutschen Reichsstädten stammenden Studenten, die an der philosophischen Fakultät immatrikuliert waren, im Vergleich zur Gesamtheit der Straßburger Universitätsbesucher aus diesen Kommunen erhebliche Abweichungen aufweist (Grafik  27). Etwa 49 % der süddeutsch-reichsstädtischen Studenten, die in der elsässischen Metropole ein philologisch-philosophisches Grundstudium absolvierten, stammten aus Ober- bzw. Ostschwaben. Diese Region ist demnach in der philosophischen Fakultät gegenüber ihrem Anteil von 37 % an allen Straßburger Universitätsbesuchern aus süddeutschen Reichsstädten deutlich überrepräsentiert. Das Gegenteil trifft für die Städte des Fränkischen Reichskreises einschließlich Regensburgs sowie für die im westlichen Schwarzwald, entlang des Rheins und im heutigen Hessen gelegenen Städte zu (relativer Anteil am Studium an der philosophischen Fakultät 16 % bzw. 22 % – relativer Anteil an allen Studenten 23 % bzw. 27 %). Bei den niederschwäbischen und im südwestlichen Teil Frankens gelegenen Städten entsprechen sich die jeweiligen Anteile exakt (jeweils 13 %).

97 Mährle: Straßburg als Vorbild (Anm. 31).

440

Grafik 28: Studium süddeutscher Reichsstädter an der philosophischen Wolfgang Mährle Fakultät der Universität Straßburg: Herkunftsstädte der Graduierten Worms; 7 Wimpfen; 1

Augsburg; 48 Biberach; 1

Esslingen; 5 Frankfurt a. M.; 8 Friedberg; 2 Giengen; 1 Heilbronn; 5 Isny; 1

Ulm; 92

Lindau; 3 Speyer; 5 Schweinfurt; 1

Schwäbisch Hall; 7

Leutkirch; 2 Memmingen; 5

Nördlingen; 3 Nürnberg; 6 Reutlingen; 1 Regensburg; 2 Rothenburg o. d. T.; 2

Grafik 28: Studium süddeutscher Reichsstädter an der philosophischen Fakultät der Universität Straßburg: Herkunftsstädte der Graduierten.

Zusätzliche Erkenntnisse zum Studium der süddeutschen Reichsstädter an der philosophischen Fakultät verspricht die Analyse der Graduierungen. Untersucht man, woher die 208 Studenten kamen, die in Straßburg den Titel eines Bakkalaureus bzw. – in weit größerer Zahl – eines Magisters erwarben, gelangt man zu einem bemerkenswerten Ergebnis (Grafik  28).98 Es zeigt sich, dass 67 % dieser Graduierten aus Ulm oder Augsburg stammten. Die beiden Städte stellten jedoch nur 33 % der süddeutsch-reichsstädtischen Studenten an der philosophischen Fakultät. Dies bedeutet, dass für die Ulmer und für die protestantischen Augsburger ein Besuch der Universität Straßburg in hohem Maße deswegen von Interesse war, weil man dort im Unterschied zu den heimischen Gymnasien akademische Grade erwerben konnte. Angestrebt wurde fast immer der Magistertitel. Für die Studenten aus anderen Städten spielte das Motiv, in Straßburg einen akademischen Titel zu erwerben, offenkundig eine weit geringere Rolle. Der hohe Anteil von Studenten aus Ulm und Augsburg an den Graduierungen von oberdeutschen Reichsstädtern an der Straßburger philosophischen Fakultät schlägt sich auch in der regionenbezogenen Analyse nieder (Grafik  29). Insgesamt 75 % der süddeutsch-reichsstädtischen Universitätsbesucher, die ihr Studium mit einem Bakkalaureusoder Magistertitel abschlossen, entstammten ober- bzw. ostschwäbischen Kommunen. Der Anteil der anderen Regionen an den Graduierungen ist demgegenüber mit 5 % bis 11 % sehr gering. Er liegt aber durchaus im Bereich der ober- und ostschwäbischen Reichsstädte, wenn man die großen Städte Ulm und Augsburg herausrechnet. Vor allem Studen98 Vier Reichsstädter erwarben sowohl den Bakkalaureus- als auch den Magistertitel. Ein Reichsstädter erwarb sowohl den Magistertitel als auch den Titel eines Poeta laureatus.

80

Grafik 29: Graduierungen süddeutscher Reichsstädter Süddeutsche Reichsstädter an der Universität Straßburgan der philosophischen Fakultät der Universität Straßburg (Baccalaureat, Magisterium, Poeta laureatus)

441

Zahl der Prüfungen

70 60 50 40 30 20 10

16 21 -2 16 9 30 -3 16 9 40 -4 16 9 50 -5 16 9 60 -6 16 9 70 -7 16 9 80 -8 16 9 90 -9 17 9 00 -0 17 9 10 -1 17 9 20 -2 17 9 30 -3 17 9 40 -4 17 9 50 -5 17 9 60 -6 17 9 70 -7 17 9 80 -8 17 9 90 -9 3

0

Zeitraum Oberschwaben/ Ostschwaben Östliches Franken/ Bayern

Niederschwaben/ Südwestliches Franken Westl. Schwarzwald/ Oberrhein/ Hessen

Grafik 29: Graduierungen süddeutscher Reichsstädter an der philosophischen Fakultät der Universität Straßburg (Bakkalaureat, Magisterium, Poeta laureatus).

ten aus den Reichsstädten des Fränkischen Reichskreises hatten wenig Interesse an einer Graduierung an der Straßburger philosophischen Fakultät. Nur elf Einträge in die Kandidatenmatrikel lassen sich ermitteln, sieben davon datieren in die Zeit des Dreißigjährigen Krieges. Es ist zu vermuten, dass die geringe Zahl an Graduierungen durch Personen aus dem östlichen Franken mit der erwähnten Studienalternative in Altdorf zusammenhing: An der Nürnberger Universität bestand wie in Straßburg die Möglichkeit, den Bakkalaureus- oder den Magistertitel zu erwerben.

4.3.3.2. Theologische Fakultät In der Matrikel der Straßburger theologischen Fakultät finden sich 570 Einträge von Studenten aus süddeutschen Reichsstädten. Grafik 30 zeigt die Herkunftsstädte der Inskribenten. Dabei lassen sich im Vergleich mit den Hörern der philosophischen Fakultät sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede erkennen. Wie bei den Studierenden der philologisch-philosophischen Fächer stellte Ulm das mit Abstand größte Kontingent: 132 Straßburger Theologiestudenten kamen aus der Donaustadt. In der Rangfolge schließen sich die einwohnerstarken Reichsstädte Nürnberg, Augsburg und Frankfurt am Main mit jeweils knapp halb so vielen Studenten wie Ulm an. Schließlich folgt eine Reihe mittelgroßer Städte, deren Studentenzahl an der theologischen Fakultät in der Spannweite von zehn bis 31 liegt. Auffallend ist, dass sich lediglich vier Studenten aus Esslingen am Fachbereich ‚Theologie‘ der elsässischen Universität immatrikulierten. Auch aus den kleineren und den paritätischen Reichsstädten schrieben sich nur wenige Studenten an der Straßburger theologischen Fakultät ein.

Grafik 30: Herkunft derWolfgang an der Straßburger theologischen Fakultät Mährle immatrikulierten süddeutschen Reichsstädter

442

Zahl der Immatrikulationen

140

132

120 100 80

62

60 40

60

58 31

20

24

18

18

18

16

16

15

13

12

11

11

10

8

5

5

0

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Grafik 30: Herkunft der an der Straßburger theologischen Fakultät immatrikulierten süddeutschen Reichsstädter.

Die relativen Anteile der Theologiestudenten an allen Straßburger Studenten bewegen sich bei der großen Mehrzahl der (evangelischen und paritätischen) Reichsstädte in dem vergleichsweise engen Bereich zwischen 15 % und 30 % (Grafik 31). Höhere prozentuale Anteile verzeichnen die kleineren Städte Bopfingen, Weißenburg und Isny sowie das mittelgroße Reutlingen, aus denen jedoch insgesamt nur wenige Straßburger Studenten stammten. Von den Städten, in denen der Anteil der Theologiestudenten an allen Studenten geringer als 15 % ist, sind neben Esslingen vor allem Worms, Speyer und Regensburg erwähnenswert. Bei den beiden am Oberrhein gelegenen Kommunen ist der niedrige relative Anteil der an der theologischen Fakultät Inskribierten nicht zuletzt dadurch zu erklären, dass eine große Studentenzahl an der philosophischen eingeschrieben war. Insgesamt belegt die statistische Auswertung, dass die theologische Fakultät der Universität Straßburg auf die Studenten fast aller süddeutschen Reichsstädte eine gewisse Anziehungskraft ausübte. Die Immatrikulationszahlen waren allerdings nicht allzu hoch. Wie erwähnt, ist schwer abzuschätzen, inwieweit die Straßburger theologischen Lehrveranstaltungen von Studenten besucht wurden, welche den Pfarrberuf anstrebten, jedoch allein an der philosophischen Fakultät immatrikuliert waren. Der Blick auf die regionale Herkunft der Straßburger Theologiestudenten aus süddeutschen Reichsstädten zeigt ein ähnliches Bild wie in der philosophischen Fakultät (Grafik 32). Wiederum ist – nicht zuletzt bedingt durch die hohe Zahl Ulmer Universitätsbesucher – Ober- und Ostschwaben mit einem Anteil von 49 % (= 279 Personen) an den süddeutsch-reichsstädtischen Theologiestudenten gegenüber dem Anteil dieser Region an allen in diesem Aufsatz untersuchten Studenten (37 %) deutlich überrepräsentiert. Das Gegenteil gilt erneut für die Städte des Fränkischen Reichskreises inklusive des baye-

90%

Grafik 31: Süddeutsche Relativer Anteil der Immatrikulationen der theologischen Reichsstädter an der Universitätan Straßburg Fakultät an allen Straßburger Inskriptionen aus der jeweiligen Reichsstadt

443

80%

Prozentualer Anteil

70% 60% 50% 40% 30% 20% 10%

Bo

p Re fing ut en W ling (5 ) ei ße en ( nb 12 ur ) g (1 Is 1) Le ny u ( W tkir 5) in ch ds (3 Fr hei ) ied m be (8) rg U (11 Sc Au lm ) hw gs (13 äb bu 2) isc rg ( h H 60) a Li ll (3 N nda 1) ör dl u (1 in g 6) K en ( em 18 H pte ) ei lb n ( Ro ro 4) n th en W n ( i bu m 24 rg pfe ) o n M .d ( em . T 5) . m ( 1 in 8 N gen ) ü Sc rnbe (13 hw rg ) (6 ei K nfu 2) Fr au rt ( an fbe 10 kf ur uren ) ta . M (1) Bi . ( be 58 ra ) ch (3 )

0%

Stadt (Gesamtzahl der Inskribenten an der theologischen Fakultät) Grafik 32: Regionale Herkunft der Inskribenten aus süddeutschen Reichsstädten an der theologischen Fakultät der Universität Grafik 31: Relativer Anteil der Immatrikulationen an der theologischen Fakultät an allen Straßburger Straßburg 1621-1793 Inskriptionen aus der jeweiligen Reichsstadt.

Westl. Schwarzwald/ Oberrhein/ Hessen; 104; 18%

Östliches Franken/ Bayern; 125; 22%

Oberschwaben/ Ostschwaben; 279; 49%

Niederschwaben/ Südwestliches Franken; 62; 11%

Grafik 32: Regionale Herkunft der Inskribenten aus süddeutschen Reichsstädten an der theologischen Fakultät der Universität Straßburg 1621–1793.

rischen Regensburg sowie für die im westlichen Schwarzwald, entlang des Rheins und im heutigen Hessen gelegenen Kommunen (relativer Anteil am Theologiestudium 22 % bzw. 18 % – relativer Anteil an allen Studenten 23 % bzw. 27 %). Bei den niederschwäbischen bzw. südwestfränkischen Städten entsprechen sich die Anteile annähernd (11 % der Theologiestudenten – 13 % Anteil an allen Studenten). Insgesamt lässt die Analyse der Immatrikulationen an der theologischen Fakultät, verbunden mit den Befunden über das philologisch-philosophische Grundstudium, keinen Zweifel daran, dass die Universität Straßburg im 17. Jahrhundert eine beachtenswerte, nur

444

Wolfgang Mährle

mit der Universität Tübingen vergleichbare Ausbildungsfunktion für den Pfarrernachwuchs in den evangelischen Städten des Schwäbischen Reichskreises ausfüllte.99 Bei der theologischen Fakultät ragt in ähnlicher Weise wie bei der philosophischen die hohe Zahl der Ulmer Inskriptionen aus dem Gesamtbefund heraus. Außerhalb des Schwäbischen Reichskreises finden sich wenige Städte, aus denen – in Relation zur Gesamtzahl ihrer Straßburger Studenten – eine größere Zahl an Theologiestudenten stammte. Zu nennen sind die kleinen fränkischen Reichsstädte Weißenburg und Windsheim, daneben Friedberg. Aus den bevölkerungsstarken Reichsstädten Frankfurt am Main und Nürnberg kamen ebenso wie aus Regensburg, gemessen an der Gesamtzahl der von dort stammenden Straßburger Universitätsbesucher, unterdurchschnittlich viele Inskribenten der theologischen Fakultät. Der Verfasser konnte jüngst nachweisen, dass die Nürnberger Prediger, die in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts ihr Amt antraten, in den meisten Fällen in Altdorf und/oder im thüringischen Jena studiert hatten.100 Bei der Analyse der Chronologie des Studiums süddeutscher Reichsstädter in Straßburg konnte herausgearbeitet werden, dass die Attraktivität der theologischen im Vergleich zur philosophischen Fakultät für diese Studentengruppe etwas länger erhalten blieb. Zwar machten sich auch in der Theologie die Frequenzeinbrüche des ausgehenden 17.  Jahrhunderts bemerkbar, doch immatrikulierten sich während der Krisenjahre der Straßburger Hochschule in den Jahrzehnten zwischen 1670 und 1730 pro Jahrzehnt immerhin 16 bis 44 Theologiestudenten, die aus einer oberdeutschen Reichsstadt stammten. Von besonderem Interesse ist dabei wiederum das Studienverhalten der Ulmer: Während zwischen 1700 und 1730 nur noch sechs Studenten aus der Donaustadt in Straßburg ein altsprachlich-philosophisches Grundstudium absolvierten, inskribierten sich im selben Zeitraum immerhin 34 (!) Theologiestudenten aus Ulm an der elsässischen Universität.

4.3.3.3. Juristische Fakultät Die Herkunft der insgesamt 980 angehenden Juristen aus süddeutschen Reichsstädten, die sich zwischen 1621 und 1793 an der Straßburger Universität immatrikulierten, ist in Grafik 33 dargestellt. Es zeigen sich deutliche Unterschiede zu den Verhältnissen in der philosophischen und in der theologischen Fakultät. Mit 159 bzw. 154 Inskribenten kamen die meisten süddeutsch-reichsstädtischen Rechtsstudenten aus Frankfurt am Main und Nürnberg. Aus Ulm, aus Speyer und aus Regensburg, die eine zweite Gruppe bilden, stammten zwischen 92 und 76, aus Augsburg und Worms 45 bzw. 44 Jurastudenten. Von 99 Eine Vorstellung von der Bedeutung der Universität Straßburg als theologischer Ausbildungseinrichtung für die süddeutschen Reichsstädter vermitteln die Zahlen bei Riegg: Konfliktbereitschaft (Anm. 10), S. 61‒74, die allerdings auf einen früheren Zeitraum bezogen sind. Riegg berücksichtigt auch nur einen Teil der in diesem Aufsatz analysierten Reichsstädte. Nicht erforscht ist die Bedeutung der Altdorfer theologischen Fakultät für die schwäbischen Städte. 100 Mährle: Kirchliche Elite (Anm. 79), S. 294‒298.

Grafik 33: HerkunftReichsstädter der an der Straßburger rechtswissenschaftlichen Süddeutsche an der Universität Straßburg Fakultät immatrikulierten süddeutschen Reichsstädter 180 160

445

159 154

Zahl der Immatrikulationen

140 120 100 80 60 40 20

92

80

76 45

44

31

28

27

25

25

23

16

14

14

12

11

10

10

Fr an kf ur ta . N M. ür nb er g U lm S Re pey ge e r ns b A urg ug sb ur W g or H ms ei l Sc bro hw nn ei n O furt ffe nb u Sc Ess rg hw lin Ro g ä th bisc en en bu h H al rg o. l N d. T ör dl . in ge n Li n da Ü be u r M ling em en m in ge W n et z Fr lar ie G dbe en ge r g nb ac h

0

100% 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0%

Bu

Bu

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Prozentualer Anteil

Grafik 34: Anteil der Immatrikulationen an der rechtswissenGrafik 33: Herkunft derRelativer an der Straßburger rechtswissenschaftlichen Fakultät immatrikulierten süddeutschaftlichen Fakultät an allen Straßburger Inskriptionen aus der schen Reichsstädter. jeweiligen Reichsstadt

Stadt (Gesamtzahl der Inskribenten an der rechtswissenschaftlichen Fakultät)

Grafik 34: Relativer Anteil der Immatrikulationen an der rechtswissenschaftlichen Fakultät an allen Straßburger Inskriptionen aus der jeweiligen Reichsstadt.

den mittelgroßen und kleinen Reichsstädten wiesen zudem Heilbronn, Schweinfurt, das katholische Offenburg, Esslingen, Schwäbisch Hall und Rothenburg ob der Tauber mehr als 20 angehende Juristen in Straßburg auf. Untersucht man die relativen Anteile der Rechtsstudenten an allen Straßburger Studenten aus den jeweiligen Reichsstädten, so wird das Ergebnis durch eine größere Zahl von katholischen Kommunen geprägt, aus denen sich insgesamt nur sehr wenige Studenten an der

Grafik 35: Regionale Herkunft der Inskribenten aus süddeutschen Reichsstädten an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Straßburg 1621-1793

446

Wolfgang Mährle

Westl. Schwarzwald/ Oberrhein/ Hessen; 342; 35%

Oberschwaben/ Ostschwaben; 244; 25%

Niederschwaben/ Südwestliches Franken; 97; 10% Östliches Franken/ Bayern; 297; 30%

Grafik 35: Regionale Herkunft der Inskribenten aus süddeutschen Reichsstädten an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Straßburg 1621–1793.

elsässischen Universität immatrikulierten, die jedoch zu einem hohen Anteil oder ausschließlich angehende Juristen waren (Grafik 34). Bei den protestantischen Städten zeichnen sich Regensburg, Nürnberg, Schweinfurt, Speyer, Frankfurt am Main und Wetzlar durch sehr viele Rechtsstudenten unter den Straßburger Inskribenten aus. Es handelt sich um vier geografisch von Straßburg relativ weit entfernt gelegene Reichsstädte sowie um die zwei Städte, die im Untersuchungszeitraum das Reichskammergericht beherbergten.101 Demgegenüber lag der Anteil der Rechtsstudenten in den im Schwäbischen Reichskreis gelegenen Reichsstädten in fast allen Fällen unter 30 %, vielfach sogar unter 20 % (z. B. Ulm 19 %, Augsburg 18 %). Die regionale Herkunft der Straßburger Rechtsstudenten aus süddeutschen Reichsstädten wies demzufolge im Vergleich zu den Sprach- bzw. Philosophie- sowie den Theologiestudenten ein divergierendes Profil auf (Grafik 35). Stammten von den Inskribenten an der philosophischen und an der theologischen Fakultät – gemessen an allen süddeutschreichsstädtischen Studenten – jeweils überdurchschnittlich viele aus den Städten Oberund Ostschwabens, so waren diese Kommunen bei den Rechtsstudenten mit 25 % (gegenüber 37  % Gesamtanteil) deutlich unterrepräsentiert. Überdurchschnittlich viele angehende Juristen stammten hingegen aus den im westlichen Schwarzwald, am Oberrhein und im heutigen Hessen gelegenen Reichsstädten sowie aus den Reichsstädten des Fränkischen bzw. Bayerischen Reichskreises (35 bzw. 30 % der Rechtsstudenten; Gesamtanteil an den süddeutsch-reichsstädtischen Studenten: 27 bzw. 23 %). Bei diesem Ergebnis wirken sich die hohen Inskriptionszahlen von Studenten aus Frankfurt am Main und Speyer bzw. aus Nürnberg und Regensburg an der Straßburger juristischen Fakultät aus. Bei den im nördlichen Teil des Schwäbischen Reichskreises gelegenen Städten entsprechen sich die jeweiligen Anteile auch im Fall der rechtswissenschaftlichen Fakultät annähernd (10 % bzw. 13 %). 101 Von 79 Rechtsstudenten aus Speyer besuchten 60 die Universität Straßburg vor 1689. Die elf Rechtsstudenten aus Wetzlar immatrikulierten sich in Straßburg zwischen 1719 und 1776.

Grafik 36: Graduierungen Reichsstädter Süddeutsche Reichsstädtersüddeutscher an der Universität Straßburg an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Straßburg (Lizentiat, Doktorat)

447

25

Zahl der Prüfungen

20 15 10 5

16 21 -2 9 16 30 -3 9 16 40 -4 9 16 50 -5 9 16 60 -6 9 16 70 -7 9 16 80 -8 9 16 90 -9 9 17 00 -0 9 17 10 -1 9 17 20 -2 9 17 30 -3 9 17 40 -4 9 17 50 -5 9 17 60 -6 9 17 70 -7 9 17 80 -8 9 17 90 -9 3

0

Zeitraum Oberschwaben/ Ostschwaben Östliches Franken/ Bayern

Niederschwaben/ Südwestliches Franken Westl. Schwarzwald/ Oberrhein/ Hessen

Grafik 36: Graduierungen süddeutscher Reichsstädter an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Straßburg (Lizentiat, Doktorat).

Die stadt- und die regionenbezogene Analyse verdeutlicht, dass die Straßburger juristische Fakultät im Vergleich zur philosophischen und theologischen Fakultät in stärkerem Maße Studenten aus Reichsstädten angezogen hat, die außerhalb des Schwäbischen Reichskreises lagen. Es handelte sich dabei vor allem um angehende Juristen aus den größeren Städten Frankfurt am Main, Nürnberg und Regensburg sowie einigen mittelgroßen Städten wie Speyer, Worms und Schweinfurt. Aus den schwäbischen Zentren Ulm und Augsburg kamen zwar auch Rechtsstudenten nach Straßburg, jedoch – vor allem im Falle Augsburgs – in relativ geringer Zahl. Dieses Bildungsverhalten prägte auch die mittelgroßen und kleinen Reichsstädte Schwabens. Anders als an der theologischen Fakultät haben die süddeutschen Reichsstädter an der juristischen Fakultät der Universität Straßburg auch in größerer Zahl Graduierungen (Lizentiat, Doktorat) angestrebt. Die 139 belegten Studienabschlüsse verteilen sich auf Studenten aus insgesamt 25 Reichsstädten. Lediglich sieben Städte haben einen Anteil von mehr als 5 % an den Promotionen: Aus Frankfurt kamen 30 Graduierte (= 22 % aller Graduierten), aus Speyer 17 (= 12 %), aus Ulm zwölf (= 9 %), aus Nürnberg und Regensburg je zehn (= 7 %) und aus Heilbronn und Worms neun bzw. acht (= 6 %). Grafik 36 zeigt die Chronologie der Immatrikulationen in die Kandidatenmatrikel der juristischen Fakultät nach Regionen. Auffällig ist vor allem, dass die Promotionen von Nürnbergern und Regensburgern ausschließlich in der Zeit vor 1690 stattfanden. Dies spiegelt in hohem Maße das Studienverhalten: 131 von 154 Nürnbergern und 53 von 76 Regensburgern, die an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Straßburg studierten, immatrikulierten sich vor 1690. Studenten aus Frankfurt strebten hingegen nicht nur mit Abstand am häufigsten, sondern zwischen 1630 und 1781 auch vergleichsweise kontinu-

448

Wolfgang Mährle

ierlich Graduierungen an der juristischen Fakultät der Universität Straßburg an. Von den 17 Promotionen von Studenten aus Speyer fielen 14 in die Zeit bis 1689, dem Jahr, als das Reichskammergericht kriegsbedingt nach Wetzlar verlegt wurde. Die vier Graduierungen von Wetzlarern fanden allesamt im 18. Jahrhundert statt. Der Anteil der Graduierten an allen Rechtsstudenten ist bei den süddeutschen Reichsstädtern mit 14 % weniger als halb so hoch wie bei der Gesamtheit der an der Straßburger juristischen Fakultät Inskribierten (34 %). Von den Städten, aus denen eine größere Zahl angehender Juristen in Straßburg studierte, weist Frankfurt am Main mit 19 % Graduierten an allen Rechtsstudenten einen vergleichsweise hohen Wert auf. Von den Ulmer und von den Regensburger Rechtsstudenten erwarben an der Straßburger Hochschule jeweils 13 % einen akademischen Titel, von denjenigen aus Speyer und Worms 21 % bzw. 18 %. Sehr gering war der Anteil der Graduierten an den 154 Jurastudenten aus Nürnberg (10 = 6 %) und an den 45 aus Augsburg (3 = 7 %). Bei den mittelgroßen Reichsstädten Schwabens und Frankens ergibt sich kein einheitliches Bild: Städte, deren Straßburger Rechtsstudenten vergleichsweise häufig promovierten, wie Lindau (6 von 14 = 43 %) und Heilbronn (9 von 31 = 29 %) stehen Städten wie Esslingen (4 von 25 = 16 %), Schwäbisch Hall (3 von 25 = 12 %) und Schweinfurt (3 von 28 = 11 %) gegenüber, aus denen nur wenige Studienabsolventen der juristischen Fakultät kamen. Von den 16  Straßburger Rechtsstudenten aus Nördlingen erwarb kein einziger an der elsässischen Universität einen Doktorgrad bzw. das Lizentiat. Die Gründe für dieses Studienverhalten sind ohne die Kenntnis der an anderen Universitäten durchgeführten Graduierungen und ohne eine detaillierte Rekonstruktion der sozialen Zusammensetzung der Studentenschaft aus den einzelnen Städten nur unzureichend zu erhellen. Verschiedene Aspekte dürften eine Rolle gespielt haben. Tragfähige Erklärungsansätze existieren insbesondere für das geringe Interesse der Nürnberger am Erwerb eines akademischen Grades in Straßburg. Zwei Faktoren sind hier aller Wahrscheinlichkeit nach von erheblicher Bedeutung gewesen. Zum einen verfügte die fränkische Reichsstadt in Altdorf über eine eigene Universität, die Doktoren der Jurisprudenz kreieren konnte.102 Zum anderen dürfte eine lokale Tradition der Stadtpolitik eine Rolle gespielt haben: In Nürnberg war Doktoren der Rechtswissenschaft grundsätzlich der Zugang zum reichsstädtischen Rat verwehrt. Aus diesem Grund war für die nicht unerhebliche Zahl an Nürnberger Patriziern, die in Straßburg Rechtswissenschaften studierten, eine Graduierung praktisch ausgeschlossen.

4.3.3.3. Medizinische Fakultät Das Herkunftsprofil der Straßburger Medizinstudenten aus süddeutschen Reichsstädten weist große Ähnlichkeiten mit demjenigen der Rechtsstudenten auf (Grafik 37). Wiederum stammten die mit Abstand meisten Studenten aus Frankfurt am Main und Nürnberg 102 Barbara Maigler: Zum Promotionswesen an der Universität Altdorf. In: Müller: Promotionen und Promotionswesen (Anm. 73), S. 119‒130.

Grafik Süddeutsche 37: Herkunft der an der an Straßburger medizinischen Reichsstädter der Universität Straßburg Fakultät immatrikulierten süddeutschen Reichsstädter 60

Zahl der Immatrikulationen

50

449

54 47

40 30 20 10

27

25 17

16

16

16 10

9

9

8

8

7

6

6

6

6

5

5

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0

Grafik 37: Herkunft der an der Straßburger medizinischen Fakultät immatrikulierten süddeutschen Reichsstädter. Grafik 38: Relativer Anteil der Immatrikulationen an der medizinischen 35%

Fakultät an allen Straßburger Inskriptionen aus der jeweiligen Reichsstadt

Prozentualer Anteil

30% 25% 20% 15% 10% 5%

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0%

Stadt (Gesamtzahl der Inskribenten an der medizinischen Fakultät)

Grafik 38: Relativer Anteil der Immatrikulationen an der medizinischen Fakultät an allen Straßburger Inskriptionen aus der jeweiligen Reichsstadt.

(54 bzw. 47 Immatrikulationen). Etwa halb so viele Inskribenten kamen aus Ulm und Augsburg (27 bzw. 25 Immatrikulationen). Eine weitere Gruppe bilden Personen aus den Reichsstädten Memmingen, Regensburg, Schwäbisch Hall und Worms; jeweils 17 bzw. 16 Medizinstudenten immatrikulierten sich aus diesen Kommunen. Die Zahl der Inskribenten aus den anderen Städten lag bei 10 oder darunter.

Grafik 39: Regionale Herkunft der Inskribenten aus süddeutschen Reichsstädten an der medizinischen Fakultät der Universität Straßburg 1621-1793

450

Wolfgang Mährle Westl. Schwarzwald/ Oberrhein/ Hessen; 99; 29%

Östliches Franken/ Bayern; 72; 21%

Oberschwaben/ Ostschwaben; 127; 39%

Niederschwaben/ Südwestliches Franken; 38; 11%

Grafik 39: Regionale Herkunft der Inskribenten aus süddeutschen Reichsstädten an der medizinischen Fakultät der Universität Straßburg 1621–1793.

Der Vergleich des relativen Anteils der Medizinstudenten mit allen Studenten, die sich aus den einzelnen Reichsstädten an der Straßburger Hochschule immatrikulierten, lässt erkennen, dass – analog zu den Verhältnissen in der juristischen Fakultät – viele Städte, aus denen nur eine kleine Zahl an Universitätsbesuchern stammte, einen hohen Anteil an angehenden Medizinern aufwiesen (Grafik 38). Von den mittelgroßen Reichsstädten trifft dasselbe lediglich auf Memmingen zu (22 % Anteil Medizinstudenten). Bei den großen Kommunen Frankfurt am Main und Nürnberg lag der Anteil der Studenten an der medizinischen Fakultät jeweils bei 15 %. Die regionale Herkunft der süddeutsch-reichsstädtischen Medizinstudenten zeigt Grafik 39. Die relativen Anteile der vier Regionen an den angehenden Medizinern stimmen weitgehend mit ihrem jeweiligen Anteil an allen Straßburger Inskribenten aus süddeutschen Reichsstädten überein: Aus Ober- bzw. Ostschwaben stammten 39 % der in diesem Aufsatz untersuchten Medizinstudenten (37 % Gesamtanteil), aus den Reichsstädten des Fränkischen Kreises und Regensburgs 21 % (23 %), aus Niederschwaben und dem südwestlichen Franken 11 % (13 %) sowie aus dem westlichen Schwarzwald, dem Oberrheingebiet und dem heutigen Hessen 29 % (27 %). Im Unterschied zu den philologisch-philosophischen Fächern, zur Theologie und zur Jurisprudenz ist bei den Inskriptionen süddeutscher Reichsstädter an der medizinischen Fakultät der Universität Straßburg demnach keine ausgesprochene regionale Schwerpunktbildung erkennbar. Vielmehr fand das Straßburger Lehrangebot in den meisten Kommunen das Interesse einer kleinen Gruppe von Studenten. 109 der 336 süddeutschen Reichsstädter, die in Straßburg Medizin studierten, erwarben den Doktortitel, also jeder dritte. Die 109 Studienabschlüsse verteilen sich auf Personen aus 24 Städten. Lediglich zwei Städte weisen einen Anteil von mehr als 10 % an allen oberdeutsch-reichsstädtischen Graduierten auf: Frankfurt mit 17 und Augsburg mit 13  Absolventen (= 16 % bzw. 12 %). Von den Straßburger Medizinstudenten aus Ulm promovierten neun, von denjenigen aus Regensburg und Schwäbisch Hall erlangten je sieben, von denjenigen aus Heilbronn, Lindau, Memmingen und Worms je sechs das

Grafik 40: Graduierungen süddeutscher Reichsstädter Süddeutsche Reichsstädter an der Universität Straßburg an der medizinischen Fakultät der Universität Straßburg (Doktorat)

451

16

Zahl der Prüfungen

14 12 10 8 6 4 2

16 21 -2 9 16 30 -3 9 16 40 -4 9 16 50 -5 9 16 60 -6 9 16 70 -7 9 16 80 -8 9 16 90 -9 9 17 00 -0 9 17 10 -1 9 17 20 -2 9 17 30 -3 9 17 40 -4 9 17 50 -5 9 17 60 -6 9 17 70 -7 9 17 80 -8 9 17 90 -9 3

0

Zeitraum Oberschwaben/ Ostschwaben Östliches Franken/ Bayern

Niederschwaben/ Südwestliches Franken Westl. Schwarzwald/ Oberrhein/ Hessen

Grafik 40: Graduierungen süddeutscher Reichsstädter an der medizinischen Fakultät der Universität Straßburg (Doktorat).

Doktorat (Anteile von 8 % bzw. 6 %). Die Zahl der promovierten Mediziner aus allen anderen 15 Städten beträgt fünf oder weniger. Auffallend ist an diesem Befund, dass die Zahl der Medizinstudenten aus den verschiedenen Städten vielfach nicht mit der jeweiligen Zahl der Graduierten korrespondiert. So haben von 25 Augsburgern, die in Straßburg Medizin studierten, 13, d. h. mehr als die Hälfte, dort einen akademischen Abschluss erworben. Bei den Frankfurtern lag der Anteil der promovierten Mediziner lediglich bei 31 %, bei den Ulmern bei 33 %. Eine etwas höhere relative Zahl an Graduierten als bei diesen beiden Kommunen lässt sich für Regensburg (44 %) und für mehrere mittelgroße Reichsstädte ermitteln: Von den Straßburger Medizinstudenten aus Schwäbisch Hall promovierten ebenfalls 44 %, in Worms lag die entsprechende Zahl bei 38 %, in Memmingen bei 35 %. Hoch war der Anteil der Graduierten in mehreren mittelgroßen Städten, aus denen nur eine vergleichsweise kleine Zahl an angehenden Medizinern (zehn oder weniger) kam: Esslingen 50 %, Heilbronn 60 %, Friedberg und Lindau 67 %, Rothenburg ob der Tauber 83 %. Eine Ausnahme bei den Promotionen bilden in der Medizin wie bereits in der Jurisprudenz die Nürnberger Studenten: Von den 47 Inskribenten aus der fränkischen Reichsstadt, die in Straßburg Medizin studierten, erwarben nur drei (= 6 %) das medizinische Doktorat. Grafik 40 zeigt die Chronologie der Immatrikulationen in die Kandidatenmatrikel der Fakultät für Medizin nach Regionen. Der Unterschied zu den Verhältnissen in der juristischen Fakultät ist augenfällig: Sowohl im 17. als auch im 18. Jahrhundert strebten Studenten aus allen Regionen Graduierungen an der medizinischen Fakultät an. Lediglich zwischen 1680 und 1719, d. h. während der Krisenjahre der Straßburger Universität, trugen sich nur sehr wenige Personen in die Matrikel ein.

452

Wolfgang Mährle

Auch der Befund über das Interesse der süddeutschen Reichsstädter an einer Promotion an der Straßburger medizinischen Fakultät ist ohne eine genaue Kenntnis der an anderen Hochschulen durchgeführten Graduierungen und ohne vertiefende Studien zur sozialen Zusammensetzung der jeweiligen Studentenschaft nicht befriedigend zu erklären. Da in vielen Städten die Zahl der Medizinstudenten wie der Graduierten vergleichsweise gering war, dürften zum Teil familiäre Gewohnheiten sowie kontingente Faktoren die jeweiligen Messgrößen nicht unerheblich beeinflusst haben. Wirklich auffällig ist wiederum der Nürnberger Befund: Das überaus geringe Interesse der Studenten aus der fränkischen Reichsstadt an einer Graduierung an der Straßburger medizinischen Fakultät dürfte in erster Linie mit den Promotionsmöglichkeiten in Altdorf zusammenhängen. Durch die Chance, an einer stadteigenen Universität einen akademischen Titel zu erwerben, unterschied sich die Situation der Nürnberger von derjenigen aller übrigen reichsstädtischen Studenten, auch derjenigen aus den anderen größeren Städten Augsburg, Frankfurt am Main, Ulm und Regensburg. Es ist zu vermuten, dass Straßburg für die Nürnberger Medizinstudenten vielfach nur eine Station auf einer mehrere Universitäten einschließenden ‚peregrinatio academica‘ war und dass die Graduierung in vielen Fällen andernorts erfolgte.

4.3.3.4. Chirurgie Insgesamt 32 süddeutsche Reichsstädter schrieben sich an der Universität Straßburg nach 1770 als Studenten der Chirurgie ein. Grafik 41 zeigt, dass einzig aus Frankfurt am Main, Augsburg und Wetzlar mehr als zwei angehende Chirurgen stammten. Dieser Befund untermauert die Tatsache, dass die Universität Straßburg speziell für das Medizinalwesen Grafik 41: Herkunft der an der Universität Straßburg im Fach Chirurgie der Reichsstadt Frankfurt am Main eine wichtige Ausbildungsstätte gewesen ist. immatrikulierten süddeutschen Reichsstädter

7

Zahl der Immatriikulationen

6

6

5 4 3 2

4 3 2

2

2

2 1

1

1

1

1

1

1

1

1

1

1

1

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0

Grafik 41: Herkunft der an der Universität Straßburg im Fach Chirurgie immatrikulierten süddeutschen Reichsstädter.

453

Süddeutsche Reichsstädter an der Universität Straßburg

4.3.4. Studenten aus katholischen Reichsstädten: Herkunft, Chronologie des Universitätsbesuchs, Bildungsziele Die Zahl der Katholiken, die aus süddeutschen Reichsstädten stammten und sich an der frühneuzeitlichen Universität Straßburg immatrikulierten, lässt sich ohne vertiefende prosopografische Recherchen nicht bestimmen. Bei den insgesamt 102 Studenten aus katholischen Reichsstädten handelte es sich mit großer Sicherheit um Katholiken. Denkbar ist darüber hinaus, dass sich unter den Studenten aus den paritätischen Städten (Augsburg, Dinkelsbühl, Biberach, Ravensburg) oder aus den evangelischen Städten mit bedeutenden konfessionellen Minderheiten Katholiken befanden. Wie erwähnt, ist allerdings davon auszugehen, dass ihre Zahl nicht allzu hoch war. Von den paritätischen Städten weist lediglich Augsburg eine größere Zahl an Studenten auf. Doch lässt der Straßburger Universitätsbesuch durch Augsburger ein Verlaufsmuster erkennen, aus dem geschlossen werden kann, dass zum ganz überwiegenden Teil die Protestanten ihre Söhne an die elsässische Hochschule schickten. Zudem spricht der hohe Anteil von Hörern an der philosophischen und an der theologischen Fakultät an den Straßburger Universitätsbesuchern aus Augsburg (68 %) gegen eine größere Zahl von katholischen Studenten. Aus Dinkelsbühl, Biberach und Ravensburg immatrikulierten sich nach 1681 ebenfalls nur wenige Studenten an den Straßburger Fakultäten für Medizin und Recht, die für Katholiken primär in Frage kamen. Ein Gesamtbild des Hochschulbesuchs durch Studenten aus paritätischen Städten einschließlich der gewählten Studienfächer gibt Grafik 42. Die Bildungsziele der katholischen Studenten aus süddeutschen Reichsstädten lassen sich vor dem skizzierten Hintergrund am bestenReichsstädten durch eine Analyse Studienverhaltens Grafik 42: Studenten aus paritätischen an derdes Universität Straßburg: Chronologie des Hochschulbesuchs und Studienfächer

Zahlr der Immatrikulationen

90 80 70 60 50 40 30 20 10

16 21 -2 9 16 30 -3 9 16 40 -4 9 16 50 -5 9 16 60 -6 9 16 70 -7 9 16 80 -8 9 16 90 -9 9 17 00 -0 9 17 10 -1 9 17 20 -2 9 17 30 -3 9 17 40 -4 9 17 50 -5 9 17 60 -6 9 17 70 -7 9 17 80 -8 9 17 90 -9 3

0

Zeitraum Theologie

Jurisprudenz

Medizin

Philosophie

Chirurgie

Universitätspers., Hofmeister

Generalmatrikel

Grafik 42: Studenten aus paritätischen Reichsstädten an der Universität Straßburg: Chronologie des Hochschulbesuchs und Studienfächer.

Grafik 43: Studenten aus katholischen süddeutschen Reichsstädten an der Wolfgang Mährle Universität Straßburg: Herkunft und Studienfächer

454

Zahl der Immatrikulationen

40 35 30 25 20 15 10 5

Jurisprudenz

Medizin

Philosophie

.H . la

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Chirurgie

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Bu

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0

Universitätspersonal, Hofmeister

Generalmatrikel

Grafik 43: Studenten aus katholischen süddeutschen Reichsstädten an der Universität Straßburg: Herkunft und Studienfächer.

der aus katholischen Reichsstädten stammenden Straßburger Universitätsbesucher in den Blick nehmen. Die Studenten aus den – jeweils mittelgroßen oder kleinen – elf katholischen Reichsstädten Süddeutschlands stammten zu über 70 % aus drei Städten: aus den beiden im Kinzigtal in unmittelbarer geografischer Nachbarschaft zu Straßburg gelegenen Städten Offenburg der aus Studenten) undsüddeutschen GengenbachReichsstädten (17 % der Studenten) sowie Grafik 44: (36 % Studenten katholischen an der aus ÜberlingenUniversität (19 % derStraßburg: Studenten) (Grafik  43). Aus der mittelgroßen Chronologie des Hochschulbesuchs und katholischen

Zahl der Immatrikulationen

Herkunftsstädte

20 18 16 14 12 10 8 6 4 2 0

9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 3 9 -2 -4 -3 -5 -6 -8 -7 -9 -1 -0 -2 -3 -5 -4 -6 -7 -9 -8 21 630 640 650 660 670 680 690 700 710 720 730 740 750 760 770 780 790 6 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 Zeitraum Buchau Pfullendorf Wangen

Buchhorn Rottweil Weil der Stadt

Gengenbach Schwäbisch Gmünd Zell am Harmersbach

Offenburg Überlingen

Grafik 44: Studenten aus katholischen süddeutschen Reichsstädten an der Universität Straßburg: Chronologie des Hochschulbesuchs und Herkunftsstädte.

Süddeutsche Reichsstädter an der Universität Straßburg

455

Reichsstadt Schwäbisch Gmünd sowie aus Rottweil kamen demgegenüber nur wenige Studierende in die elsässische Metropole. Dasselbe gilt für Weil der Stadt, Zell am Harmersbach und die kleinen, in Oberschwaben gelegenen katholischen Reichsstädte Buchau, Buchhorn, Pfullendorf und Wangen. Setzt man die Herkunftsorte der Straßburger Inskribenten aus katholischen Reichsstädten in Beziehung zur Chronologie des Hochschulbesuchs dieser Studentengruppe, erhält man das in Grafik 44 gezeigte Bild. Daraus geht hervor, dass sich von den Universitätsbesuchern aus katholischen Kommunen vor 1680 lediglich einige Personen aus Offenburg sowie ein Student aus Rottweil an der Universität Straßburg immatrikulierten. Unmittelbar vor der Okkupation der elsässischen Reichsstadt kam im genannten Jahr 1680 noch ein Wangener hinzu. Alle übrigen katholischen Studenten schrieben sich nach 1681 an der Universität Straßburg ein. Grafik 43 lässt erkennen, dass die Straßburger Studenten aus den katholischen süddeutschen Reichsstädten in ihrer großen Mehrheit Rechtswissenschaften studierten. Insgesamt beträgt der Anteil der angehenden Juristen an allen Personen dieser Studentengruppe, deren Studienfach bekannt ist, 77 %.103 Demgegenüber spielte das medizinische Studium mit einem Anteil von 20 % eine nachgeordnete Rolle. 3 % der Straßburger Studenten aus katholischen Reichsstädten Süddeutschlands waren Hörer an der philosophischen Fakultät. Grafik  45 zeigt die nach Bildungszielen spezifizierte Chronologie des Grafik 45: Studenten aus katholischen süddeutschen Reichsstädten an der Hochschulbesuchs durch Straßburg: StudierendeChronologie aus katholischen Reichsstädten.und Demnach setzten Universität des Hochschulbesuchs Studienfächer

Zahl der Immatrikulationen

20 18 16 14 12 10 8 6 4 2 0

3 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 -9 -8 -6 -7 -4 -5 -3 -1 -2 -9 -0 -8 -6 -7 -4 -5 -3 -2 70 780 790 50 760 20 730 740 00 710 70 680 690 50 660 21 630 640 1 1 1 17 1 17 1 1 17 1 17 1 1 16 1 16 1 16 Zeitraum Jurisprudenz

Medizin

Philosophie

Chirurgie

Universitätspersonal, Hofmeister

Generalmatrikel

Grafik 45: Studenten aus katholischen süddeutschen Reichsstädten an der Universität Straßburg: Chronologie des Hochschulbesuchs und Studienfächer.

103 Hierbei sind nicht berücksichtigt: Studenten der Chirurgie (3 Immatrikulationen), Hofmeister bzw. Bedienstete (1 Immatrikulation), 3 Einträge in die Generalmatrikel.

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Wolfgang Mährle

Immatrikulationen an der medizinischen Fakultät, von zwei Inskriptionen im 17. Jahrhundert abgesehen, erst in den 1730er Jahren ein. Dominant blieb in allen Phasen der Straßburger Hochschulgeschichte das juristische Studium.

5. Die frühneuzeitliche Universität Straßburg und die süddeutschen Reichsstädte: Zusammenfassung und Ausblick Die frühneuzeitliche Universität Straßburg war Teil des mitteleuropäischen Bildungs- und Hochschulwesens. Dies gilt auch für die Zeit nach 1681, nachdem die frühere Reichsstadt Straßburg in das Königreich Frankreich eingegliedert worden war. Im ausgehenden 17. und im 18.  Jahrhundert nahm die elsässische protestantische Universität innerhalb der französischen Monarchie in vieler Hinsicht eine Sonderrolle ein.104 Von anderen Hochschulen verschieden war unter anderem die geografische Herkunft der Studenten; die Straßburger Hörer stammten auch in den hundert Jahren zwischen 1681 und 1780 zu großen Teilen aus den Territorien und Städten des Heiligen Römischen Reiches.105 Erst nach 1780 setzte ein deutlicher Rückgang der Inskriptionen von rechtsrheinischen Universitätsbesuchern ein.106 Der Anteil der französischsprachigen Studenten, die zumeist aus Lothringen oder aus dem Elsass stammten, blieb lange Zeit gering und stieg nach den Berechnungen Schulzes erst in den letzten Jahrzehnten der Universitätsgeschichte auf einen Wert von 21 %.107 Dennoch markiert die Annexion Straßburgs durch das Königreich Frankreich eine einschneidende Zäsur in der Geschichte der elsässischen Universität. Die vorliegende Untersuchung der Chronologie des Hochschulbesuchs durch süddeutsche Reichsstädter hat dies an einem konkreten Beispiel eindrücklich belegt. Mit der Reichsfreiheit Straßburgs endete langfristig eine wirkmächtige Tradition des Studiums reichsstädtischer Funktionseliten an der Hochschule am Oberrhein, die bis in die Mitte des 16. Jahrhunderts zurückreichte. Für die Veränderung der Bildungs- und Ausbildungswege süddeutscher Reichsstädter waren zwar außer der Eingliederung Straßburgs in das französische Königreich auch andere Gründe verantwortlich: die europäischen Kriege in den Jahrzehnten um 1700, die den Oberrhein wiederholt zum Kriegsschauplatz werden ließen, die gleichzeitige Diskriminierung des Protestantismus im Elsass, die durch diese Entwicklungen maßgeblich bedingte Krise der Universität Straßburg, die anschließenden Änderungen im Lehrprofil der Hochschule, die Verstärkung des aristokratisch-elitären Charakters des Straßburger akademischen Milieus im 18. Jahrhundert, Veränderungen in der frühneuzeitlichen Schul- und Hochschullandschaft sowie vermutlich auch gewandelte Bildungs104 Vgl. hierzu die Ausführungen von Voss: Schöpflin (Anm. 6), S. 112. 105 Schulze: Herkunft (Anm. 20), S. 69‒114. 106 Ebd., S. 108. 107 Ebd., S. 89, 95‒97, 103‒107.

Süddeutsche Reichsstädter an der Universität Straßburg

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anforderungen in den Reichsstädten selbst, die vielfach unter einem schleichenden Bedeutungsverlust litten. Ungeachtet dessen spricht vieles für die These, dass die französische Annexion Straßburgs einen sehr wichtigen Faktor für den nach 1690 kontinuierlich schwachen Besuch der elsässischen Universität durch Studenten aus süddeutschen Reichsstädten bildete. Diese Vermutung lässt sich vor allem durch einen Vergleich der Situation zu Beginn des 18. Jahrhunderts mit derjenigen um die Mitte des 17. Jahrhunderts plausibilisieren. Wie in den Jahrzehnten um 1700 war während des Dreißigjährigen Krieges, vor allem in den 1630er Jahren, die Zahl der reichsstädtischen Inskribenten an der Universität Straßburg eingebrochen; im Unterschied zur Zeit nach 1713/14 erholte sie sich jedoch nach 1648 rasch wieder. Die Tatsache, dass die süddeutsch-reichsstädtische Studentenfrequenz an der Universität Straßburg sich nach der Mitte des 17. völlig anders als zu Beginn des 18. Jahrhunderts entwickelte, lässt sich nicht allein auf säkulare bildungs- und stadthistorische Trends zurückführen. Vielmehr spricht vieles für die Vermutung, dass die bis in die 1680er Jahre hinein feststellbare enge Bindung der süddeutschen Reichsstädter an die Hochschule der elsässischen ‚Schwesterstadt‘ sich sukzessive auflöste, als erkennbar wurde, dass Straßburg den Reichsstadtstatus nicht wieder erlangen würde und stattdessen zum militärischen Bollwerk der französischen Monarchie – und damit des politischen Hauptgegners der römisch-deutschen Kaiser – ausgebaut wurde. Auch als die Universität Straßburg nach 1714 ihre Krise schrittweise überwand, stieg daher die Zahl süddeutschreichsstädtischer Studenten nicht mehr in nennenswertem Umfang an. Die Auswertung der überlieferten Matrikeln hat gezeigt, dass die Universität Straßburg in den ersten Jahrzehnten ihres Bestehens Studenten aller Fachrichtungen aus den süddeutschen Reichsstädten anzog; vor allem war die elsässische Universität eine beliebte Ausbildungseinrichtung für das altsprachlich-philosophische Grundstudium der Bürgersöhne aus den zum Schwäbischen Reichskreis gehörenden evangelischen Reichsstädten sowie den am Oberrhein gelegenen Kommunen Speyer und Worms. Die zahlenmäßig bedeutendste Gruppe, die sich in Straßburg an der philosophischen Fakultät in dieser Zeit immatrikulierte, waren die Ulmer, mit erheblichem Abstand gefolgt von den Augsburgern. Außer aus den genannten Städten kam auch aus Frankfurt am Main eine größere Zahl an Sprach- und Philosophiestudenten nach Straßburg; der zeitliche Schwerpunkt der Frankfurter Immatrikulationen lag jedoch im Unterschied zu den schwäbischen Städten erst in der Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg. Besonders die Ulmer und die Augsburger erwarben in Straßburg sehr häufig den Magistergrad und brachten damit ihre in der jeweiligen Heimatstadt begonnenen Studien zum Abschluss. Diese Tradition des altsprachlich-philosophischen Studiums war es vor allem, die zwischen 1670 und dem Beginn des 18. Jahrhunderts fast vollständig abriss und zu einem erheblichen Rückgang der Gesamtzahl süddeutsch-reichsstädtischer Studenten in Straßburg führte. Zu beachten ist allerdings, dass es stadttypische Sonderentwicklungen gab. So besuchten etwa die Augsburger, die während des Dreißigjährigen Krieges und auch noch in den 1650er Jahren ein beachtliches Studentenkontingent gestellt hatten, bereits seit etwa 1660 nur noch in sehr kleiner Zahl die Straßburger Universität.

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Die Gesamtzahl der Immatrikulationen süddeutscher Reichsstädter an der Universität Straßburg ging des Weiteren deshalb zurück, weil sich in der theologischen eine ähnliche Entwicklung wie in der philosophischen Fakultät vollzog. Die Straßburger Hochschule hatte vor allem für die Studenten aus den Reichsstädten des Schwäbischen Reichskreises lange Zeit eine wichtige Einrichtung für die Ausbildung des Pfarrernachwuchses dargestellt. Theologiestudenten kamen ebenfalls hauptsächlich aus Ulm in die elsässische Metropole. Mit einer gewissen zeitlichen Verschiebung gegenüber dem altsprachlich-philosophischen Studium endete diese Tradition der reichsstädtischen theologischen Ausbildung in Straßburg zu Beginn des 18. Jahrhunderts fast vollständig. Das Lehrprogramm, das die Universität Straßburg im 18. Jahrhundert anbot und das vornehmlich in der Jurisprudenz und den damit verbundenen staatswissenschaftlichen Fächern sowie in der Medizin profiliert war, besaß nur für eine vergleichsweise kleine Gruppe der süddeutsch-reichsstädtischen Studenten Attraktivität. Eine herausgehobene Bedeutung der Universität Straßburg als Bildungsinstitution für die oberdeutschen Reichsstädter ist nach der Umbruchszeit um 1700 nicht mehr erkennbar. Umgekehrt bildeten die reichsstädtischen Studenten aus Süddeutschland innerhalb der Straßburger Hochschule im 18. Jahrhundert nurmehr eine Gruppe von zahlenmäßig geringem Gewicht. Diejenigen Studenten aus den Reichsstädten des Oberrheinischen, des Schwäbischen, des Fränkischen und des Bayerischen Reichskreises, die sich nach 1700 für ein Studium an der Universität Straßburg entschieden, immatrikulierten sich mehrheitlich an der rechtswissenschaftlichen oder an der medizinischen Fakultät, d. h. sie studierten an der elsässischen Hochschule vor allem diejenigen Fächer, in denen die dortige Lehre eine hohe Reputation aufwies. In der Jurisprudenz war die absolute Zahl der süddeutsch-reichsstädtischen Studenten im 18. Jahrhundert nichtsdestotrotz deutlich geringer als im Jahrhundert zuvor. Die quantifizierenden Analysen des vorliegenden Aufsatzes bilden wichtige Bausteine für die Rekonstruktion der ‚peregrinationes academicae‘ süddeutscher Reichsstädter im 17. und 18. Jahrhundert. Ähnliche Untersuchungen zum Studium dieser Studentengruppe an anderen Hochschulen des Alten Reiches fehlen bislang.108 Sie sind allerdings in der hier praktizierten Form auch vielfach nicht möglich. Die Straßburger Matrikelüberlieferung, die seit 1621 sowohl allgemeine Matrikeln als auch Fakultätsmatrikeln umfasst, bietet Auswertungsmöglichkeiten, die andernorts fehlen. Der aktuelle Forschungsstand bedingt, dass die durchgeführten Analysen mehr Fragen aufwerfen, als sie beantworten können. Vor allem stellt sich die Frage nach den von den süddeutschen Reichsstädtern im 17. und 18. Jahrhundert außer Straßburg in Anspruch genommenen Bildungsinstitutionen. In welchem Maße wurde beispielsweise das Wissen, das bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts häufig an der philosophischen Fakultät der Universität Straßburg erworben wurde, in der nachfolgenden Zeit in den – für die Grundlagenausbildung immer wichtiger werdenden – städtischen Gymnasien vermittelt? In welchem Maße wurden andere Hochschulen besucht? An welchen Universitäten außer 108 Der Verfasser plant weitere Untersuchungen zu diesem Themenkomplex.

Süddeutsche Reichsstädter an der Universität Straßburg

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Straßburg immatrikulierten sich die angehenden Theologen, Juristen und Mediziner aus süddeutschen Reichsstädten im 17. und 18. Jahrhundert? Welche Veränderungen im Studienverhalten vollzogen sich in dieser Zeit? Welche stadt- und regionenbezogenen Bildungsprofile lassen sich erkennen? Diese Fragen harren noch der systematischen Erforschung. Universitäre Bildungsalternativen für die angehenden Akademiker aus den protestantischen Reichsstädten des Schwäbischen, des Fränkischen, des Bayerischen und des Oberrheinischen Reichskreises bildeten in Oberdeutschland vor allem die Hochschulen in Tübingen und in Altdorf, in weit geringerem Maße die Einrichtungen in Heidelberg sowie im eidgenössischen Basel.109 Im 18. Jahrhundert ergänzten die 1743 gegründete markgräfliche Universität in Erlangen sowie die 1781 privilegierte Hohe Karlsschule in Stuttgart die süddeutsch-protestantische Universitätslandschaft.110 Doch beschränkte sich der Hochschulbesuch der süddeutschen Reichsstädter nicht auf die genannten Bildungseinrichtungen. Vor allem der mitteldeutsche Raum mit den frequenzstarken Universitäten Leipzig, Jena, Halle und Göttingen übte auch auf die in diesem Aufsatz untersuchte Studentengruppe eine erhebliche Anziehungskraft aus. Solange quantifizierende Analysen zum Studium süddeutscher Reichsstädter an weiteren Universitäten des Alten Reiches fehlen, verbietet es sich, aus dem Straßburger Befund allzu weitgehende Schlüsse zu ziehen. Beispielsweise lässt sich die Beobachtung, dass an der elsässischen Hochschule die Immatrikulationen von Studierenden aus geografisch entfernt gelegenen Reichsstädten tendenziell früher rückläufig gewesen sind als diejenigen aus nahe gelegenen Kommunen, nicht ohne Weiteres als Indiz für eine ‚Regionalisierung‘ des reichsstädtischen Hochschulbesuchs werten. Es ist durchaus denkbar, dass die geringere Attraktivität der Studienmöglichkeiten in Straßburg dazu führte, dass die angehenden Akademiker aus den süddeutschen Reichsstädten weiter entfernt liegende Universitäten, vor allem im mitteldeutschen Raum, aufsuchten. Einen konkreten Beitrag vermag die vorliegende Studie zur aktuellen wissenschaftlichen Diskussion um vormoderne Bildungslandschaften zu liefern. Der derzeitige Forschungsstand zur süddeutschen Bildungsgeschichte sowie die hier präsentierten Ergebnis109 Zur Entwicklung der mitteleuropäischen Hochschullandschaft vgl. zusammenfassend Willem Frijhoff: Grundlagen. In: Rüegg: Geschichte (Anm. 39), S. 53‒102; Notker Hammerstein: Universitäten. In: ders., Herrmann: Handbuch (Anm. 95), S. 369‒400. 110 Zur Universität Erlangen vgl. besonders: 250 Jahre Friedrich-Alexander-Universität ErlangenNürnberg. Festschrift. Hg. von Henning Kößler. Erlangen 1993; Alfred Wendehorst: Geschichte der Universität Erlangen-Nürnberg 1743‒1993. München 1993; Friedrich Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Geschichte einer Universität. Redaktion Ute Missel. Erlangen 2014. Zur Hohen Karlsschule vgl. besonders Robert Uhland: Geschichte der Hohen Karlsschule in Stuttgart. Tübingen 1953; Werner Gebhardt: Die Schüler der Hohen Karlsschule. Ein biographisches Lexikon. Stuttgart 2011; Matthias Asche: Zwischen Polytechnicum und Universität – zur Stellung der Hohen Carlsschule im höheren deutschen Bildungswesen der späten Aufklärung. In: Aufgeklärte Herrschaft im Konflikt. Herzog Carl Eugen von Württemberg 1728‒1793. Hg. von Wolfgang Mährle. Stuttgart 2017, S. 286–298.

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se lassen sehr deutlich die Umrisse einer historischen Formation erkennen, die man mit guten Gründen als frühneuzeitliche Bildungslandschaft bezeichnen kann.111 Konturiert man eine solche Konfiguration nicht primär auf der Grundlage von landes-, sondern von bildungsgeschichtlichen Kriterien (was einzig sinnvoll erscheint),112 so bildet Straßburg von der Mitte des 16. Jahrhunderts bis etwa 1670 einen der zentralen Orte einer Bildungslandschaft, welche die protestantischen Territorien und Reichsstädte des Schwäbischen Reichskreises umfasst.113 Eingeschlossen in diese bildungsgeografische Formation sind auch einige Städte in den benachbarten Reichskreisen, so etwa Rothenburg ob der Tauber und Speyer. Das entscheidende Kriterium für die Konturierung der schwäbisch-südfränkisch-oberrheinischen Bildungslandschaft des 16. und 17. Jahrhunderts ist die erkennbare Verdichtung von Beziehungen im Bereich der höheren Bildung.114 Diese Verdichtung zeigt sich nicht allein daran, dass Straßburg ein wichtiger Studienort für die angehenden 111 Einschlägige Forschungsliteratur zu dieser Diskussion ist unter Anm. 22 zitiert. Ein konziser Forschungsbericht findet sich bei Rutz: Rheinland (Anm. 22). Rutz’ Forderung, Bildungslandschaften müssten eine „epochenübergreifende Perspektive“ (S. 23) aufweisen, teilt der Verfasser ausdrücklich nicht. Eine solche Sichtweise, die in der Forschungspraxis vermutlich auf eine landeshistorische (Vor)Konturierung von Bildungslandschaften hinauslaufen würde, verstellt den Blick auf den Wandel bildungshistorischer Gegebenheiten. 112 Die von Rutz als „quantitative Ansätze“ bezeichneten Diskussionsbeiträge zu vormodernen Bildungslandschaften, die primär von historischen (oder modernen) Landschaften bzw. von landesgeschichtlichen Gegebenheiten (z. B. Urbanisierung) ausgehen und dann nach den bildungshistorischen Entwicklungen in den interessierenden Räumen fragen, führen nach Ansicht des Verfassers zu Ergebnissen, die aus bildungshistorischer Sicht irreführend sind; vgl. Rutz: Rheinland (Anm. 22), S. 9‒12. Beispielsweise lässt sich die von Rolf Kießling in mehreren Aufsätzen konturierte Bildungslandschaft ‚Ostschwaben‘ bzw. ‚Schwaben‘ (im Wesentlichen identisch mit dem heutigen Regierungsbezirk Bayerisch-Schwaben) auf der Grundlage einer genuin bildungshistorischen Argumentation kaum verifizieren; vgl. Rolf Kießling: Gymnasien und Lateinschulen ‒ Bemerkungen zur Bildungslandschaft Ostschwaben im Zeitalter der Konfessionalisierung. In: Die Universität Dillingen und ihre Nachfolger. Stationen und Aspekte einer Hochschule in Schwaben. Festschrift zum 450jährigen Gründungsjubiläum. Hg. von demselben. Dillingen/Donau 1999, S. 243‒270; ders.: Schullandschaft (Anm.  22); Flachenecker, Kießling: Städtelandschaften (Anm.  22); Kießling: Schullandschaft Schwaben (Anm. 22). Gleiches gilt für die Vorstellung von einer ‚oberschwäbischen Bildungslandschaft‘; vgl. Peer Friess: Das Schulwesen der oberschwäbischen Reichsstädte im 16.  Jahrhundert. In: Flachenecker, Kießling: Schullandschaften (Anm.  22), S.  303‒329, hier S. 328f. Zu diesem Themenkomplex vgl. bereits Mährle: Straßburg als Vorbild (Anm. 31), besonders S. 218. 113 Vgl. hierzu Wentzcke: Alte Universität (Anm. 26), S. 107f. 114 Frühneuzeitliche Bildungslandschaften können ‒ wie z. B. Rutz: Rheinland (Anm. 22), S. 18‒23, mit Recht festhält ‒ nicht ausschließlich durch Analysen zum höheren Bildungswesens abgegrenzt werden. Es scheint aber zweifelhaft, ob die von Rutz vorgeschlagene Ausweitung des Betrachtungsfeldes auf die „verschiedenen Sektoren des Schul- und Bildungswesens“, darüber hinaus auch auf „nichtinstitutionelle Formen von Bildung und Ausbildung sowie Bildungskultur im weitesten Sinne“ (S. 22) zielführend ist.

Süddeutsche Reichsstädter an der Universität Straßburg

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Akademiker aus den evangelischen Reichsstädten und Territorien des Schwäbischen Reichskreises gewesen ist. Ebenso wird sie am Transfer von Studienkonzepten, etwa den didaktisch-methodologischen Leitlinien Johannes Sturms oder den Lehrvorgaben der württembergischen Schulordnung von 1559, erkennbar, darüber hinaus aber auch an der institutionellen Vorbildwirkung der Straßburger Hochschule und an den bestehenden personellen Verflechtungen im Bereich des Schulwesens.115 Letztere bedürfen freilich vor allem für das 17. Jahrhundert noch der genaueren Untersuchung. Im Unterschied zu der von Thomas Töpfer erforschten mitteldeutschen, maßgeblich von Kursachsen geprägten Bildungslandschaft weist die hier erforschte Formation kein echtes Kernterritorium auf.116 Neben dem Herzogtum Württemberg, das mit der Universität Tübingen über eine akademische Einrichtung mit überregionaler Ausstrahlung verfügte, bildete die geografisch randständige Reichsstadt Straßburg ein zweites wichtiges Zentrum dieser Bildungslandschaft. Darüber hinaus lassen sich weitere, temporär oder regional beachtenswerte Bildungszentren identifizieren: vor allem das pfalz-neuburgische Lauingen, wo von 1562 bis 1616 eine bedeutende Landesschule bestand, daneben jedoch auch einige Reichsstädte, deren Gymnasien bzw. Lateinschulen in gewissem Umfang auch Schüler von außerhalb der Stadtgrenzen anzogen (z. B. Ulm, Rothenburg ob der Tauber).117 Entgegen der These von Andreas Rutz ist daher festzuhalten, dass ein dominierendes Fürstentum keineswegs als ein konstituierendes Element einer protestantischen Bildungslandschaft angesehen werden muss.118 Auch die Forschungen von Gerhard Menk stehen einem derartigen Urteil entgegen.119 Die Ergebnisse dieses Aufsatzes lassen kaum Verbindungen der hier konturierten protestantischen (seit den 1570er Jahren de facto lutherischen) Bildungslandschaft zum katholischen Bildungswesen erkennen. Bis zur Einverleibung Straßburgs 115 Walther Koch: Das Straßburger protestantische Gymnasium als Vorbild der pfalz-zweibrücker Landesschule in Hornbach und der pfalz-neuburger Landesschule in Lauingen an der Donau. In: Studien der Erwin von Steinbach-Stiftung. Bd. 1. Frankfurt 1965, S. 29‒48; Anton Schindling: Humanistische Reform und fürstliche Schulpolitik in Hornbach und Lauingen. Die Landesgymnasien des Pfalzgrafen Wolfgang von Zweibrücken und Neuburg. In: Neuburger Kollektaneenblatt 133, 1980, S. 141‒186; ders.: Der Straßburger Schulrektor (Anm. 31); Mährle: Straßburg als Vorbild (Anm. 31). 116 Vgl. besonders Töpfer: Leucorea (Anm. 22); ders.: Bildungslandschaften (Anm. 22). 117 Zu Lauingen vgl. die unter Anm. 115 genannte Literatur. Daneben Gernot Ludwig: Von der Fürstlichen Schule zum Albertus-Gymnasium Lauingen. In: Jahrbuch des historischen Vereins Dillingen an der Donau  85, 1983, S.  89‒104. Zu Ulm vgl. Specker: Gymnasium academicum 1977 (Anm. 93), S. 153f. Zu Rothenburg vgl. Walter Bauer: Die Reichsstadt Rothenburg und ihre Lateinschule. Rothenburg 1979, S. 216‒222. Keine Hinweise auf auswärtige Schüler in größerer Zahl fand der Verfasser in der wissenschaftlichen Literatur über das Augsburger Gymnasium bei St. Anna, vgl. Anm. 96. 118 Rutz: Rheinland (Anm. 22), S. 17f. 119 Gerhard Menk: Die Hochschul- und Wissenschaftslandschaft zwischen Main und Weser in der frühen Neuzeit. In: Wege der Neuzeit. Festschrift für Heinz Schilling zum 65. Geburtstag. Hg. von Stefan Ehrenpreis u. a. Berlin 2007, S. 585‒619.

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Wolfgang Mährle

in die französische Monarchie haben an der elsässischen Universität so gut wie keine Katholiken studiert. Zwar gab es selbstverständlich in Schwaben und den angrenzenden fränkischen und oberrheinischen Regionen im 16. und im 17. Jahrhundert vielfältige konfessionsübergreifende Kontakte, Beziehungen und Verbindungen, welche die Entwicklung der konkurrierenden konfessionellen Bildungssysteme nachhaltig beeinflussten. So wurden beispielsweise die Studienprogramme des zum Calvinismus neigenden Johannes Sturm in zahlreichen lutherischen wie katholischen Territorien und Städten des Schwäbischen Reichskreises rezipiert.120 Ganz direkt zeigte sich die religiöse Konkurrenzsituation im bikonfessionellen Augsburg.121 In der Gesamtabwägung wird man jedoch trotz dieser unbestreitbaren Interdependenzen zwischen den Bildungssystemen der verschiedenen religiösen Bekenntnisse nicht von einer konfessionsübergreifenden Bildungslandschaft im deutschen Südwesten sprechen können.122 Schließlich hat die vorliegende Untersuchung gezeigt, dass das Studium von süddeutschen Reichsstädtern in Straßburg von einer Vielzahl an Faktoren beeinflusst gewesen ist. Die Angehörigen der analysierten Studentengruppe berücksichtigten bei ihrer Hochschulwahl Aspekte, die unmittelbar ausbildungsbezogen waren wie zum Beispiel die Qualität der Lehre in Straßburg, daneben aber auch praktische Kriterien wie die geografische Entfernung zum Studienort. Darüber hinaus wurde die Wahl der Universität jedoch in nicht unerheblichem Maße durch regionale, vor allem aber lokale Traditionen und Gewohnheiten beeinflusst, die ihrerseits wiederum einem – oft abrupten – Wandel unterlagen. Die lokalen Ausprägungen des reichsstädtischen Studiums und die Gründe hierfür sind lediglich durch stadtbezogene Forschungen zu erhellen. Eine diesbezügliche, über die Analysen dieses Aufsatzes hinausgehende Differenzierung zählt zu den wichtigen Aufgaben zukünftiger Forschung. Ein zweites, ebenso bedeutendes Aufgabenfeld stellt die nähere Untersuchung des sozialen Profils der Studenten aus süddeutschen Reichsstädten an der Universität Straßburg dar. Durch eine solche Analyse könnte die Bedeutung der frühneuzeitlichen Universität Straßburg als Bildungseinrichtung für die süddeutschen Reichsstädte noch besser ausgeleuchtet werden.

120 Vgl. Anm. 115. 121 Vgl. Anm. 96. 122 Dies gilt ebenso für regionale Spezifikationen wie z. B. ‚Bildungslandschaft Ostschwaben‘, vgl. die unter Anm. 22 u. Anm. 112 genannten Publikationen von Kießling.

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Die medizinische Fakultät der Universität Straßburg und ihre Zürcher Besucher In den Jahren 1621 bis 1792 haben sich 126 Studenten aus Zürich an der Straßburger Universität immatrikuliert, was nicht besonders viele sind, aber ungefähr den Zahlen anderer eidgenössischer Stände entspricht. Aus Basel zum Beispiel lassen sich in demselben Zeitraum 83 Studenten in Straßburg nachweisen.1 Die überwiegende Mehrheit der Zürcher Studenten (106 von 126) schrieb sich an der medizinischen Fakultät und in die seit 1770 separat geführte Matrikel der Chirurgen ein, wobei die Immatrikulationen im 17. Jahrhundert nur vereinzelt erfolgten und sich erst nach 1720 häuften. Die Zahl der Mediziner ist verhältnismäßig hoch. In Basel etwa studierten deutlich weniger Zürcher Medizin.2 Wenn man die überlieferten Matrikeln als Rechengrundlage nimmt, stammten knappe drei Prozent aller Straßburger Medizin- und Chirurgiestudenten aus Zürich. Die erwähnten Zahlen werfen Fragen auf. Warum absolvierten zum Beispiel nicht mehr Zürcher ihr Medizinstudium in Basel angesichts der Tatsache, dass sich dort die einzige medizinische Fakultät im Gebiet der Eidgenossenschaft befand? Und warum besuchten auch Basler Medizinstudenten die Universität Straßburg,3 obschon sie dasselbe Studium mit geringeren Kosten in ihrer Heimat hätten absolvieren können? Die alte Universität Straßburg war in den 171 Jahren ihres Bestehens nie ein Massenbetrieb. Die Matrikel der medizinischen Fakultät enthält 2888 Einträge, 968 Einschreibungen finden sich in der seit 1770 geführten Matrikel der Chirurgen, und weni1

Gezählt wurden die aus dem gesamten Zürcher bzw. Basler Territorium stammenden Studenten. Als Basis der Zahlen diente der Aufsatz von Sebastian Hausmann: Die Schweizer Studenten an der alten Universität Straßburg. In: Zeitschrift für schweizerische Geschichte 8, 1928, S. 64‒103, der die von Gustav Knod edierten Universitätsmatrikeln auswertete. Hinzu kommen für den Kanton Zürich zwei weitere Studenten, die Hausmann übersah: die Chirurgen Hans Rudolf Fries und Johann Jakob Hausheer, vgl. Die alten Matrikeln der Universität Straßburg 1621‒1793. Hg. v. Gustav C. Knod. Bd. 1: Die allgemeinen Matrikeln und die Matrikeln der philosophischen und theologischen Facultät. Bd. 2: Die Matrikeln der medicinischen und juristischen Facultät. Straßburg 1897, hier Bd. 1, S. 190 u. 243. 2 In den Jahren 1666 bis 1725 immatrikulierten sich 43 Stadtzürcher in Basel, während es im Zeitraum von 1726 bis 1818 nur 27 waren. Vgl. Die Matrikel der Universität Basel. Hg. v. Hans Georg Wackernagel u. a. Bde. 4 u. 5. Basel 1975‒1980. 3 Hausmann: Die Schweizer Studenten (Anm. 1), S. 69f.

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Abb. 1: Quelle: Knod: Matrikeln (Anm. 1).

Abb. 2: Quelle: Knod: Matrikeln (Anm. 1).

ger als ein Viertel der immatrikulierten Medizinstudenten erwarb in Straßburg den Doktorgrad. Durchschnittlich verließen pro Jahr nur etwa vier promovierte Ärzte die Alma Mater.4 4

Vgl. Knod: Matrikeln (Anm. 1), Bde. 1 u. 2. Insgesamt 810 Kandidaten der Medizin trugen sich fürs Examen ein und hinterlegten die Kosten, während schließlich 686 Kandidaten promoviert wurden, vgl. Knod: Matrikeln (Anm. 1), Bd. 2, S. 200, und Friedrich Wieger: Geschichte der Medicin und ihrer Lehranstalten in Straßburg vom Jahre 1497 bis zum Jahre 1872. Straßburg 1885, S. 74f.

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Das Ziel des vorliegenden Beitrages ist es, die aufgeworfenen Fragen zu beantworten, indem die Geschichte der Medizin in Straßburg unter besonderer Berücksichtigung der Anatomie und Chirurgie dargestellt werden soll, weil in diesen Gebieten die größten Fortschritte zu verzeichnen sind.5 Dabei wird sich zeigen, ob Lehre und Praxis in diesen Sparten für die Beliebtheit der Straßburger Universität bei den Studenten aus Zürich verantwortlich waren. Am Schluss wird dem Leser ein biobibliographisches Verzeichnis der identifizierten Zürcher Medizin- und Chirurgiestudenten geboten.

1. Ein Blick zurück auf das Gymnasium Lange bevor aus der akademischen Schule im Jahr 1621 eine Volluniversität wurde, zog es Zürcher Studenten nach Straßburg, wo sie das 1538 von Johannes Sturm eingerichtete Gymnasium besuchten. Gründe dafür waren vermutlich die im 16. Jahrhundert besonders engen Verbindungen dorthin6 und vor allem das didaktische und humanistisch-reformatorische Profil dieser höheren Bildungsanstalt, die 1566 ein kaiserliches Akademieprivileg erhielt und seither Studenten promovieren durfte.7 Leider ist die Matrikel des Gymnasiums verloren, doch geben andere Quellen Auskunft über den Aufenthalt von Zürcher Studenten an der Straßburger Schule. Zu nennen sind der Briefwechsel des Reformators Heinrich Bullinger8 und verschiedene Schülerverzeichnisse, die Wilfried Westphal und Jean Rott in einer unveröffentlichten Arbeit ausgewertet haben,9 sowie die Untersuchungen Gerhard Meyers zu den Anfängen der Straß5 Vgl. dazu verschiedene Überblicksdarstellungen: Jean-Marie Le Minor: Les sciences morphologiques médicales à Strasbourg du XVe au XXe siècle. Straßburg 2002. Louis-François Hollender u. Emmanuelle During-Hollender: Chirurgiens et chirurgie à Strasbourg. Straßburg 2000. Histoire de la médecine à Strasbourg. Hg. von Jean-Marie Mantz u. Jacques Héran. Straßburg 1997. Wieger: Geschichte (Anm. 4). Im Gegensatz zu diesen Werken sind die meisten Einzeluntersuchungen schwer zugänglich, da es sich in der Regel um unveröffentlichte medizinhistorische Dissertationen handelt. Eine Übersicht bietet das Literaturverzeichnis von Paul-André Havé: Médecins, chirurgiens et apothicaires du roi. L’hôpital militaire de Strasbourg et ses praticiens au XVIIIe siècle, Thèse de doctorat. Strasbourg 2011. 6 Historisch-biographisches Lexikon der Schweiz. Bd. 6. Neuenburg 1931, S. 570. Allgemein zum Thema vgl. Sophie Elisabeth von Jakubowski: Beziehungen zwischen Straßburg, Zürich und Bern im XVII. Jahrhundert. Straßburg 1898. 7 Zum sturmschen Gymnasium vgl. Anton Schindling: Humanistische Hochschule und Freie Reichsstadt. Gymnasium und Akademie in Straßburg 1538‒1621. Wiesbaden 1977. 8 Vgl. zum Beispiel die Briefe des Schülers Ludwig Lavater mit interessanten Einzelheiten über das Studentenleben und Schulwesen in Straßburg in Heinrich Bullinger: Briefe von Januar bis Mai 1546. Bearb. von Reinhard Bodenmann, Alexandra Kess u. Judith Steiniger. Zürich 2014, Nrn. 2320, 2337 u. 2440. 9 In den von Westphal bearbeiteten Namenlisten tauchen die Zürcher Schüler Nikolaus Zwingli, Johannes Sardenus u. Felix Bluntschli auf, Wilfried Westphal: Elèves et étudiants de la Haute Ecole et de l’Académie de Strasbourg entre 1534 et 1621. Typoskript. Straßburg [1988?], S. 88, 98, 102.

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burger Universität. Meyer benützte in den 1920er Jahren eine im Zweiten Weltkrieg zerstörte umfangreiche Sammlung von Programmata der Jahre 1585 bis 1621 sowie Listen von Bakkalaurei und Magistri.10 In diesen beiden Quellen fehlten jedoch Zürcher Namen, während Schüler aus Schaffhausen und Basel verzeichnet waren.11 Seit in den Akademiestatuten von 1568 die Confessio Augustana zum verpflichtenden Bekenntnis erhoben worden war, besuchten wahrscheinlich deutlich weniger Zürcher das Straßburger Gymnasium.12 Schon zuvor begannen der Theologe Johannes Marbach (1521‒1581) und seine Kollegen den Einfluss der reformierten Theologen systematisch zurückzudrängen, was die endgültige Abkehr Straßburgs von der Confessio Tetrapolitana und von der Tradition der oberdeutschen Reformation zur Folge hatte. Die neue konfessionelle Distanz zu Straßburg führte innerhalb der reformierten Eidgenossenschaft zu unterschiedlichen Reaktionen. Während sich die Kirchenleitung in Zürich äußerst zurückhaltend verhielt, hatte der Schaffhauser Antistes Johann Konrad Ulmer (1519‒1600), dem eine Nähe zum Luthertum nachgesagt wurde, offenbar keine Bedenken, seine Zöglinge weiterhin in die lutherische Reichsstadt am Rhein zu schicken.13 Die Medizin sollte am Straßburger Gymnasium wenigstens mit propädeutischen Vorlesungen vertreten sein. Medizinische Lehrveranstaltungen wurden ab 1540 angeboten, aber bald wieder eingestellt, weil die Zuhörer fernblieben. Als 1544 Johann Winter von Andernach (1505‒1574), der zu den großen Medizinern des 16. Jahrhunderts gehörte, zum Straßburger Lehrkörper stieß, unterrichtete er zunächst nur Griechisch. Später las er auch über Galen und machte die Straßburger Studenten mit der humanistischen Medizin vertraut. Winter war bekannt für seine lateinischen Übersetzungen der Werke Galens sowie anderer griechischer Ärzte und unterzog die galenische Lehre, zumindest während seines Aufenthalts in Paris, durch Leichensektionen einer empirischen Überprüfung. Zudem trug er zur Entwicklung der heute noch gültigen anatomischen Nomenklatur bei. Weniger bekannt ist, dass Winter ein Anhänger des schlesischen Reformators und Spiritualisten Kaspar Schwenckfeld (1490‒1561) war und seine konfessionelle Überzeugung mit 10 Gerhard Meyer: Zu den Anfängen der Straßburger Universität. Neue Forschungsergebnisse zur Herkunft der Studentenschaft und zur verlorenen Matrikel. Hildesheim 1989. 11 Vgl. die Abschriften von Meyer: Zu den Anfängen (Anm. 10), S. 36‒153. 12 Ein Beispiel ist der Pfarrerssohn Balthasar Maler, vgl. Josua Maler: Selbstbiographie eines zürcherischen Pfarrers aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. In: Zürcher Taschenbuch 8, 1885, S. 123‒214, hier S. 210. 13 Zur Biographie Ulmers vgl. Endre Zsindely: Johann Conrad Ulmer. In: Schaffhauser Beiträge zur Geschichte 58, 1981. Biographien Band IV, S. 358–369. Zu den Schaffhauser Schülern in Straßburg vgl. die überlieferten Schülerbriefe in der Ulmeriana (Schaffhausen, Ministerialbibliothek, Cod. 125‒131). Über diese Quelle referierte am 21. Februar 2013 Renato Fischer in seinem Vortrag Den Rhein entlang: Schaffhauser lernen Latein anlässlich des 5. Arbeitsgesprächs der Deutschen Neulateinischen Gesellschaft (Latein am Rhein 1400‒1800. Zur Kulturtopographie und Literaturgeographie eines europäischen Stromes. Zürich 21.‒23. Februar 2013). Das Referat wurde nicht publiziert.

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dem elsässischen Arzt und Paracelsisten Michael Toxites (1514‒1581) teilte.14 Winters letzte Schrift15 stellt eine interessante Synthese galenischer und paracelsischer Medizin dar. Doch Winter und Toxites wirkten in Straßburg nicht schulbildend. Die Medizin am akademischen Gymnasium, seit 1586 mit zwei Lehrstühlen vertreten, blieb im Gegenteil lange von einem dogmatischen Galenismus geprägt.16

2. Die Medizin an der Straßburger Universität im 17. Jahrhundert Die Straßburger Medizinprofessoren des akademischen Gymnasiums verknüpften die Medizin mit logisch-methodologischem Interesse und lehrten die galenische Medizin auf der Grundlage der antiken Quellen. Daran änderte sich vorerst nichts, als 1621 aus dem Gymnasium eine Volluniversität wurde. Auch Professor Johann Rudolf Salzmann (1573‒1656), der gleichzeitig Stadtarzt war, lehnte das anatomische System Andreas Vesals und den Anatomiebegriff der paracelsischen Ärzte im Wesentlichen ab, weil er nach wie vor von der Richtigkeit der galenischen Lehre überzeugt war. Professor Melchior Sebitz  d.J. (1578‒1674), der bis 1668 den anderen medizinischen Lehrstuhl bekleidete, dachte nicht anders als sein Kollege und ließ Galens Schriften von seinen Studenten in Disputationen verteidigen.17 Die Verehrung der antiken Autoren und die Eingrenzung der medizinischen Wissenschaft auf Kommentare war in Straßburg stärker verwurzelt als an anderen Universitäten, was sehr wahrscheinlich mit der in Straßburg vorherrschenden humanistischen Methode zu tun hatte. Obschon dies und die Verbindung der Medizin mit der aristotelischen Naturphilosophie die Entfaltung der empirischen Naturwissenschaften hemmte, finden sich schon bei Salzmann und Sebitz d.J. erste Ansätze eines neuen Wissenschaftsverständnisses. Die Sachprobleme traten gegenüber methodologisch-didaktischen Fragestellungen nämlich in den Vordergrund.18 Dazu passt, dass Salzmann noch zur Zeit des akademischen

14 Heinz-Peter Mielke: Kirche im Geheimen. Orthodoxes und liberales Schwenkfeldertum in Süddeutschland und seine Auswirkung auf Geistesgeschichte und politisches Handeln in der Spätrenaissance. Nordhausen 2013, Bd. 1, S. 89‒105 u. 483‒486. Der Frühparacelsismus, hg. von Wilhelm Kühlmann u. a. Teil 2. Tübingen 2004. Karl-Heinz Weimann: Der Renaissance-Arzt Johann Winter von Andernach. Seine Beziehungen zum oberrheinischen Paracelsismus und zum Paracelsus-Lexikon des Michael Toxites. In: Würzburger medizinhistorische Mitteilungen 7, 1989, S. 215‒232. 15 Johann Winter: De medicina veteri et nova tum cognoscenda, tum faciunda commentarii duo. Basel 1571. 16 Schindling: Humanistische Hochschule (Anm. 7), S. 322‒327, und Le Minor: Les sciences (Anm. 5), S. 19. 17 Schindling: Humanistische Hochschule (Anm. 7), S. 334‒339, und Le Minor: Les sciences (Anm. 5), S. 23f. 18 Schindling: Humanistische Hochschule (Anm. 7), S. 339‒341.

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Gymnasiums mehrere Leichensektionen durchführte, die zwei seiner Schüler später durch eine Publikation bekannt machten.19 1652 erhielt die medizinische Fakultät neben den Lehrstühlen für theoretische bzw. für praktische Medizin einen dritten für Anatomie und Botanik, auf den der Straßburger Magistrat Johann Albert Sebitz (1614‒1685), einen Sohn von Melchior Sebitz d.J., berief. Unter dessen Leitung wurden seit der Gründung des Theatrum anatomicum 1670 jährlich eine oder zwei Leichen seziert.20 Ab 1690 befand sich der anatomische Hörsaal im Chor der gotischen St. Erhard-Kapelle unmittelbar neben dem Bürgerspital. Nachdem Straßburg 1681 unter französische Herrschaft gekommen war, änderte sich für die deutsche lutherische Universität organisatorisch nur wenig. Die meisten Professoren entstammten weiterhin der elsässischen Oberschicht und waren durchweg Lutheraner. 1685 gesellte sich zu den drei vom Straßburger Rat gewählten Scholarchen, die der Universität vorstanden, der königliche Prätor als vierter hinzu. In der medizinischen Fakultät sorgte der Prätor für eine lose Verbindung zum königlichen Gesundheitsdienst, was für die Medizin in Straßburg vorteilhaft war, stand doch damals die französische Militärmedizin europaweit an der Spitze.21 Im Januar 1687 unterstützte der junge Chirurg Jean d’Aumergues vom militärischen Gesundheitsdienst den Anatomieprofessor Johann Valentin Scheid (1651‒1731), seit 1685 Nachfolger von Sebitz, bei der minutiös durchgeführten Sektion einer Leiche, die 16 Tage lang dauerte und von den Ärzten als (Neu)einweihung des anatomischen Theaters gefeiert wurde. Wegen seiner Kunstfertigkeit erlaubte die medizinische Fakultät d’Aumergues, anatomische Übungen für Medizinstudenten zu veranstalten. Professor Scheid, der seit 1686 zugleich Arzt am Bürgerspital war, erhielt wie sein Vorgänger vom Straßburger Magistrat das Recht, die Körper der im Spital Verstorbenen für die Sektionen zu übernehmen. Außer den gewöhnlichen Sektionen führte er jährlich zwei Veranstaltungen in großem Rahmen durch, so im Januar 1687, und sezierte in den Jahren 1686 bis 1690 insgesamt 80 Leichen.22 Eine weitere Neuheit waren in Straßburg die Vorlesungen über Chemie, die Scheid während seiner Professur für Anatomie und Botanik (1685‒1701) einführte.23 Andererseits markierte die französische Herrschaft eine Zäsur, weil sie einen massiven Einbruch der Immatrikulationen zur Folge hatte. In den Jahren 1681 bis 1720 schrieben sich nur 134  Medizinstudierende ein, von denen 70 Prozent aus der Stadt Straßburg stammten. Allgemeine Unsicherheit wegen der neuen politischen Verhältnisse, die Kriege 19 Johann Rudolf Salzmann: [Epistola de observationibus quibusdam anatomicis]. In: Gregor Horst: Observationum medicinalium singularium libri IV priores. Ulm 1628, S.  447‒449, und Johann Rudolf Salzmann: Observata anatomica. Hg. von Theodor Wynants. Amsterdam 1669. 20 Le Minor: Les sciences (Anm. 5), S. 47, und Théodore Vetter: Die Straßburger Anatomie und Museologie im 18. Jahrhundert und die Einflüsse der Stadtverwaltung. In: Medizinhistorisches Journal 11, 1976, S. 306. 21 Vetter: Straßburger Anatomie (Anm. 20), S. 299, und Le Minor: Les sciences (Anm. 5), S. 43. 22 Le Minor: Les sciences (Anm. 5), S. 47f., und Vetter: Straßburger Anatomie (Anm. 20), S. 306f. 23 Wieger: Geschichte der Medicin (Anm. 4), S. 62.

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Ludwigs  XIV. und die Gründung verschiedener Ritterakademien in deutschen Städten wurden als Ursachen für die Stagnation genannt.24 Vor allem aus den deutschen Territorien kamen kaum noch Studenten nach Straßburg. Bei den Zürcher Studenten kann in dieser Phase kein Rückgang festgestellt werden. Denn in den Jahren 1681 bis 1720 sind zwei Medizinstudenten aus Zürich nachweisbar, während sich in der Zeit davor nur die drei Stadtzürcher Johann Jakob Schweizer (1613‒1685/1687), Heinrich Ulrich (†1668) und Johann Kaspar Wolf (1651‒1715) in die Matrikel der medizinischen Fakultät einschrieben.25 Schweizer und Ulrich arbeiteten später als Chirurgen in der Stadt Zürich, während Johann Kaspar Wolf nach seinem Medizinstudium in Marburg, Basel und Straßburg eine Ämterlaufbahn einschlug; seit 1693 gehörte er dem Kleinen Rat in Zürich an und amtete ab 1699 gleichzeitig als Verwalter des Kranken- und Pfrundhauses Spannweid.

3. Der Medizinunterricht in Straßburg während des 18. Jahrhunderts Das 1692 erbaute Militärspital in Straßburg entwickelte sich im Lauf des 18. Jahrhunderts, gemessen an den dort verfügbaren Betten, zum größten in ganz Frankreich, was mit dem Ausbau Straßburgs zu einer wichtigen französischen Garnisonsstadt zu erklären ist.26 Rund ein Viertel der Bevölkerung der elsässischen Metropole waren Armeeangehörige. Paul-André Havé konnte in seiner Dissertation 258 Namen des militärischen Spitalpersonals im Zeitraum von 1708 bis 1788 identifizieren.27 Etwa ein Drittel dieser Personen stammte aus dem Elsass, während die anderen zwei Drittel aus dem übrigen Frankreich kamen. Mehr als zwei Drittel des identifizierten Spitalpersonals waren Chirurgen, darunter einige von hoher Reputation.28 Das Militärspital war im Gegensatz zum Bürgerspital, wo nicht nur Patienten Aufnahme fanden, ausschließlich für Kranke und Verletzte reserviert und bot eine Medizin auf hohem Niveau, wobei das positive Urteil nicht von allen Zeitgenossen geteilt wurde.29 Darüber hinaus diente das Spital als Ort des Unterrichts, 24 Robert Steegman: Les étudiants en médecine de l’Université de Strasbourg au XVIIIe siècle. Etat des recherches. In: Journal de Médecine de Strasbourg 11, 1980, S. 185f. 25 Vgl. den beigefügten Anhang, Nrn. 48, 59 u. 65. 26 Havé: Médecins (Anm. 5), S. 48‒50 u. 361. Eine Zusammenfassung der Dissertation bietet der Autor in einem gleichlautenden Artikel, vgl. Paul-André Havé: Médecins, chirurgiens et apothicaires du roi. L’hôpital militaire de Strasbourg et ses praticiens au XVIIIe siècle. In: Revue d’Alsace 139, 2013, S. 423‒427. 27 Havé: Médecins (Anm. 5), S. 387‒462. 28 Ebd., S. 259. 29 Albrecht von Haller bemängelte z. B. 1728 die fehlende Sauberkeit im Spital, während Johann Peter Frank 1770 die Arztvisiten unzumutbar fand. Vgl. Albrecht Hallers Tagebuch seiner Studienreise nach London, Paris, Straßburg und Basel, 1727‒1728. Hg. von Erich Hintzsche. Bern 1968, S. 47, und Johann Peter Frank: Seine Selbstbiographie. Hg. von Erna Lesky. Bern 1969, S. 45.

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von dem sowohl chirurgische Lehrlinge und Hebammen30 als auch zahlreiche Studenten der Universität profitierten.31 Nirgendwo sonst bekamen Medizinstudenten mehr chirurgische Patienten zu Gesicht.32 Doch nicht alle Professoren der medizinischen Fakultät waren mit dieser Situation zufrieden, weil sie die kostenpflichtigen Kurse im Militärspital mehr als Konkurrenz denn als Zusatzangebot wahrnahmen.33 Die Fortschritte in der Anatomie und der Chirurgie, zu denen die französische Militärmedizin zweifellos beitrug, führten 1708 zur Reorganisation des universitären Lehrstuhls für Anatomie. Nun umfasste dieser die Fächer Anatomie und Chirurgie, was international eine Neuheit war. Zum ersten Mal in der europäischen Geschichte wurde die Chirurgie, die bis dahin die Domäne der handwerklich ausgebildeten Wundärzte und Scherer (Tonsoren) war, als universitäres Fach gelehrt.34 Unter Johannes Salzmann  d.J. (1679‒1738) erreichte der Anatomieunterricht sein bis dahin höchstes Niveau. Salzmann machte regelmäßige Sezier- und Präparierübungen für die Studierenden zur Pflicht, weil er in den anatomischen Kenntnissen eine zwingende Voraussetzung für eine erfolgreiche chirurgische Tätigkeit sah. Die Zahl der jeweils verfügbaren Leichen schwankte. Während im Wintersemester 1725/26 30 Leichen seziert wurden, waren es 35 Jahre später doppelt so viele.35 Die unter Salzmann teilweise mit neuen Techniken sehr präzis hergestellten Präparate wurden zu einer Spezialität der Straßburger Anatomie und dienten den Abbildungen in dem 1741 von Philipp Konrad Fabricius (1714‒1774) verfassten anatomischen Lehrbuch Idea anatomiae practicae als Vorlage.36 Die Lehrtätigkeit Salzmanns war vermutlich der Grund, warum sich der junge Berner Arzt und spätere Universalgelehrte Albrecht von Haller (1708‒1777) während seiner Studienreise für einen kurzen Aufenthalt in Straßburg entschied. Am 8. März 1728 befand er sich unter den dreißig Studenten, die Salzmann über die weiblichen Genitalien lesen hörten. Bezeichnenderweise besuchte Haller zwei Tage später auch das Militärspital, wo er einer Blasensteinoperation Pierre-François Lemaires (um 1672‒1751)37 beiwohnte. Obschon der Kurs nicht Teil des Universitätsstudiums und deshalb kostenpflichtig war, nahmen rund dreißig vorwiegend deutschsprachige Studenten daran teil, wie aus dem Tage-

30 Zur Schule für Geburtshilfe am Militärspital vgl. Histoire de la médecine à Strasbourg (Anm. 5), S. 132f. 31 Havé: Médecins (Anm. 5), S. 362, und Hollender, During-Hollender: Chirurgiens (Anm. 5), S. 64. 32 Vgl. den Brief des Studenten Georg Ludwig Alefeld vom 27. November 1755, zitiert von Havé: Médecins (Anm. 5), S. 322. 33 In diesem Sinn muss sich 1755 Georg Heinrich Eisenmann geäußert haben, vgl. Havé: Médecins (Anm. 5), S. 321f. 34 Le Minor: Les sciences (Anm. 5), S. 58. 35 Ebd, S. 58 u. 62, und Hollender, During-Hollender: Chirurgiens (Anm. 5), S. 66. 36 Le Minor: Les sciences (Anm. 5), S. 58, und Hollender, During-Hollender: Chirurgiens (Anm. 5), S. 66. 37 Über Lemaire vgl. Havé: Médecins (Anm. 5), S. 425f.

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buch des jungen Arztes hervorgeht.38 Die Tagebucheinträge Hallers zeigen nicht nur die Bedeutung Salzmanns und des Militärspitals für den Medizinunterricht in Straßburg, sondern verraten auch, dass mehr Studenten die anatomischen Vorlesungen hörten, als sich in die Matrikel der medizinischen Fakultät eingeschrieben hatten.39 Die zu Beginn genannten Zahlen müssen also relativiert werden, da viele Studenten, vermutlich besonders einheimische, auf eine Immatrikulation verzichteten.40 Als Salzmann 1731 zum Lehrstuhl für Pathologie und Klinik wechselte, erhielt Heinrich Albert Nicolai (1701‒1733) die Professur für Anatomie und Chirurgie und ließ während seiner kurzen Amtszeit zahlreiche Präparate für das anatomische Kabinett anfertigen. Nicolai war außerdem ein guter Chirurg, der sich auf Augenoperationen spezialisierte und sich mit der Pathologie der Stirnhöhle befasste.41 Ein Hinweis auf die Augenheilkunde mag zeigen, dass für ein besseres Bild des Unterrichts genaue medizinhistorische Untersuchungen nötig sind. Der Zürcher Student Johann Heinrich Freitag (1702‒1725) beschrieb 1721 in einer Straßburger Dissertation den grauen Star als eine krankhafte Haut zwischen Linse und Iris sowie die Operationsmethode seines Vaters.42 Nach Konrad Meyer-Ahrens (1813‒1872) kam hier, jedoch ohne dass die Beteiligten es wussten, erstmals die intrakapsulare Starextraktion zur Anwendung.43 Anders als Freitag ging Nicolai zwei Jahrzehnte später beim Katarakt von einer Entzündung der Linse aus.44 Dank Professor Salzmann erlangte die medizinische Fakultät in Straßburg einen guten Ruf und zog zahlreiche Studenten aus ganz Europa an.45 Ob aus diesem Grund damals die regelmäßige Frequenz von Zürchern an der Straßburger Universität einsetzte, ist nicht klar ersichtlich. In den drei gedruckten Dissertationen von Zürcher Medizinstudenten aus dieser Zeit wird Professor Salzmann nicht erwähnt, obschon die behandelten Themen die Chirurgie betreffen: Punktion der Bauchhöhle, Leistenbrüche und Katarakt.46 38 Albrecht Hallers Tagebuch (Anm. 29), S. 46f. 39 Für das Wintersemester 1727/28 fehlt zwar die Matrikel der medizinischen Fakultät, doch immatrikulierten sich vorher und nachher im Durchschnitt nur elf Medizinstudenten pro Semester. Vgl. Knod: Matrikeln (Anm. 1), Bd. 2, S. 41‒43. 40 Ebd., Bd. 1, S. XXIII u. XXVII. 41 Hollender, During-Hollender: Chirurgiens (Anm. 5), S. 67, und Le Minor: Les sciences (Anm. 5), S. 59. 42 Johann Boecler (Pr.) / Johann Heinrich Freitag (Resp.): Dissertatio medica de cataracta. Straßburg 1721. 43 Konrad Meyer-Ahrens: Johann Conrad Freitag und sein Sohn Johann Heinrich Freitag von Zürich. Berlin [1856], S. 66. 44 Hollender, During-Hollender: Chirurgiens (Anm. 5), S. 67. Im Rahmen des vorliegenden Beitrages ist es leider nicht möglich, Einzelfragen exakt zu behandeln und tiefer in einzelne medizinische Fachgebiete vorzudringen. 45 Hollender, During-Hollender: Chirurgiens (Anm. 5), S. 67. 46 Johann Sigismund Henninger (Pr.) / Johann Heinrich Thomann (Resp.): Disputatio medico-chirurgica de paracentesi abdominis. Straßburg 1710. Johann Heinrich Freitag: Dissertatio medica inau-

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Johann Heinrich Thomann (1687‒1740) legte 1710 seine Thesen zur Punktion der Bauchhöhle nicht im Rahmen einer Promotion vor, genau so wenig wie Johann Heinrich Freitag die erwähnte Dissertation über den Katarakt. Die vorgelegten Thesen dienten in diesen Fällen entweder lediglich der akademischen Übung oder wollten eine neue Operationsmethode bekannt machen. Die Promotion Freitags erfolgte im Mai 1721 nach der Verteidigung seiner Dissertation über Leistenbrüche unter dem Vorsitz von Johann Valentin Scheid.47 Der berufliche Werdegang dieses Zürcher Arztes ist besonders interessant, da er eine allgemeine Entwicklung ankündigt. Freitag machte zunächst eine handwerkliche Lehre als Wundarzt bei seinem Vater Johann Konrad (†1738), der aus Höngg stammte und in Zürich Spitalschnittarzt wurde, ohne ein Universitätsstudium absolviert zu haben. Im Gegensatz dazu genoss der Sohn im Anschluss an seine Berufslehre eine akademische Ausbildung, welche die Akademisierung der Chirurgie in jener Zeit widerspiegelt. Seit die Chirurgie zum akademischen Lehrplan gehörte, ließen sich immer mehr Chirurgen an den Universitäten ausbilden. Im Verlauf des 18. Jahrhunderts drängten deshalb auch immer mehr Zürcher Wundärzte an die Universitäten, insbesondere nach Straßburg. Als ein weiteres Beispiel diene im Folgenden der Werdegang Johann Konrad Meyers d. Ä. (1715‒1788) (vgl. Anhang, Nr. 38). Nach seiner wundärztlichen Berufslehre bei Johann Konrad Freitag und einer chirurgischen Tätigkeit an der Charité in Berlin immatrikulierte sich Meyer im Wintersemester 1738/39 an der Universität Straßburg. Dort besuchte er nicht nur Lehrveranstaltungen der medizinischen Fakultät, sondern außerhalb der Universität auch den Geburtshilfeunterricht in der Hebammenschule und die Operationskurse von Nicolas Le Riche (1702‒1788) im Militärspital. Der promovierte Arzt Johann Jakob Fried (1689‒1769) war seit dem Gründungsjahr 1728 bis zu seinem Tod Leiter der städtischen Hebammenschule, die als erste in der Geschichte der Geburtshilfe auch Medizinstudenten offen stand. Sein Unterricht basierte auf anatomischen Erkenntnissen, zog Studenten und Gelehrte aus dem Ausland an und veranlasste zahlreiche Dissertationen.48 Meyer logierte während seines Studienaufenthalts in Straßburg bei Fried.49 Wieder zurück in Zürich, arbeitete er als Stadtschnittarzt, stand der chirurgischen Gesellschaft zum Schwarzen Garten vor und war Mitgründer der Naturforschenden Gesellschaft. Als nach Nicolais Tod 1733 Salzmann interimistisch wieder für die Anatomie zuständig war, wählte der Magistrat auf Empfehlung des königlichen Prätors Johann Christian May (1701‒1736) zum Prosektor, welcher den Anatomieprofessor in der Lehre unterstütguralis de oscheoentero et bubonocele Helvetiae incolis frequentibus. Straßburg 1721. Boecler / Freitag: De cataracta (Anm. 42). 47 Hierzu und zu Folgendem vgl. die Literatur im Anhang unter Nr. 11. 48 Histoire de la médecine à Strasbourg (Anm. 5), S. 128‒132. 49 Johann Caspar Hirzel: Biographische Nachrichten von Herrn Stadtarzt Meyer von Zürich. o. O. 1788, S. 5f.

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zen sollte und den Medizinstudenten auch Kurse in deutscher Sprache erteilen durfte.50 Unter Georg Heinrich Eisenmann (1693‒1768), der ein Enkel von Johann Albert Sebitz war und den Lehrstuhl für Anatomie und Chirurgie von 1734 bis 1756 innehatte, beantragte May den Titel eines Professors extraordinarius, was die zuständige Behörde mit der Begründung ablehnte, er verfüge weder über ein medizinisches Studium noch beherrsche er die lateinische Sprache. Der Rat lobte zwar seine Arbeit als Prosektor, attestierte ihm aber nur eine „cognitio anatomica“ und keineswegs eine „scientia anatomica“.51 Der königliche Prätor intervenierte daraufhin, verlangte erfolgreich eine Gehaltserhöhung und erreichte, dass May wenigstens am Militärspital den Titel „Professeur et Démonstrateur royal en anatomie“ führen durfte.52 Johann Ludwig Hommel (1706‒1743), der die Universität in Straßburg besucht hatte und gleichzeitig den Operationskursen von PierreFrançois Lemaire im Militärspital gefolgt war, wurde 1736 Mays Nachfolger.53 Wie sein Vorgänger lag Hommel mit Eisenmann im Streit, und zwar weil er Leichen für Demonstrationen, welche die Studenten bezahlen mussten, in sein Privathaus brachte. Für den Fortschritt der pathologischen Anatomie sind die vielen Sezierübungen der Prosektoren nicht zu unterschätzen, erlaubten diese den Straßburger Studenten und Anatomen doch eine genauere Beobachtung der menschlichen Organe und damit auch eine bessere Identifikation von Körperfehlern, Verletzungen und Tumoren.54 Das anatomische Kabinett, verwahrt im anatomischen Theater, erfuhr im 18. Jahrhundert dank den Prosektoren May und Hommel einen starken Zuwachs. Nach Mays Tod kaufte die Stadt dessen private Sammlung anatomischer Präparate für 3500 Pfund. Darunter sind sechzehn Präparate des inneren Gehörorgans, die 1734 in der Académie Royale in Paris präsentiert wurden, zu erwähnen. Nach dem handschriftlichen Katalog Hommels gehen sechs Flüssigpräparate und 54 Trockenpräparate auf May zurück, während zwölf Flüssigpräparate und 53 Trockenpräparate vom Verfasser des Katalogs stammen.55 Interessant mag hier der Hinweis sein, dass die Stadt 1780 eine große Anzahl tierischer Präparate aus der Sammlung des Zürcher Arztes und Universalgelehrten Johann Jakob Scheuchzer (1672‒1733) für das anatomische Kabinett kaufte.56 Am Ausbau desselben hatte möglicherweise ein weiterer Zürcher Anteil. Einige der späteren menschlichen Präparate könnten das Werk des Zürcher Chirurgen Heinrich Burkhard (1752‒1799) sein, der sich 1770 vorübergehend in Straßburg niederließ. Jedenfalls verdiente Burkhard 50 Vetter: Straßburger Anatomie (Anm. 20), S. 308, und Le Minor: Les sciences (Anm. 5), S. 62. Zur Stellung und Tätigkeit des Prosektors allgemein vgl. Helmke Schierhorn: Der Prosektor und seine Stellung in der Hierarchie anatomischer Institutionen, demonstriert vor allem an den Anatomien in Berlin, Halle, Leipzig, Rostock und Greifswald. In: Anatomischer Anzeiger 159, 1985, S. 311‒346. 51 Zitiert nach Vetter: Straßburger Anatomie (Anm. 20), S. 309. 52 Vetter: Straßburger Anatomie (Anm. 20), S. 308f. 53 Über Hommel vgl. Peter Gart: Johann Ludwig Hommel (1706‒1743). Bern 1958. 54 Le Minor: Les sciences (Anm. 5), S. 65. 55 Ebd., S. 63f., und Vetter: Straßburger Anatomie (Anm. 20), S. 312f. 56 Vetter: Straßburger Anatomie (Anm. 20), S. 313.

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seinen Lebensunterhalt mit der Herstellung anatomischer Präparate und soll nicht selten ganze Nächte hindurch gearbeitet haben. Ferner stand er in einer Garnison, die in Straßburg stationiert war, als Chirurg im Dienst, hatte also wahrscheinlich auch im Militärspital eine Anstellung gefunden. Dank der Vermittlung eines Medizinprofessors, vermutlich Johann Friedrich Lobsteins (1736‒1784), und der erneuten finanziellen Unterstützung des Vaters fand der mittellose Chirurg endlich die Zeit, sein Universitätsstudium fortzusetzen.57 Der Eintrag in die Matrikel erfolgte erst im Oktober 1773.58 Johann Friedrich Lobstein, 1764 Prodemonstrator der Anatomie und seit 1768 Professor der Anatomie und Chirurgie, lehrte topographische sowie chirurgische Anatomie und spezialisierte sich auf dem Gebiet der Okulistik und in der Lithotomie. Lobstein genoss dank den beachtlichen Leistungen auf diesen Gebieten international einen guten Ruf, veröffentlichte aber, abgesehen von seiner Dissertation, nur kurze Programmreden als Universitätsrektor, was eine Beurteilung seiner Forschung und Lehre erschwert. Umso wertvoller ist ein Dokument, das sich in der Zentralbibliothek Zürich befindet: die Nachschrift einer deutschen Vorlesung oder die Abschrift eines deutschen Skripts von Professor Lobstein über operative Chirurgie aus dem Jahr 1777.59 Die Handschrift stammt von Heinrich Burkhard60 und harrt noch der Auswertung. Inhalt und Sprache des Dokuments lassen vermuten, dass die Veranstaltung für Chirurgen, die sich seit 1770 in einer eigenen Matrikel eintragen mussten, bestimmt war. Die meisten fremden Chirurgen schrieben sich dort im Anschluss an eine Berufslehre ein, besuchten die deutschen Vorlesungen und Übungen der Prosektoren, verfügten aber nicht über die nötigen Lateinkenntnisse für das eigentliche Medizinstudium. Seit 1772 unterrichtete der Prosektor Johann Arnold Isengrath (1746‒1785) die Chirurgen, weil Lobstein sich anfangs weigerte, Kurse in deutscher Sprache zu geben. Später zeigte der Anatomieprofessor Bereitschaft dazu61 und lehrte offensichtlich nicht nur in Latein. Seit 1756 und definitiv seit 1782 gab es an der medizinischen Fakultät vier Lehrstühle. Schon 1749 schlug der königliche Prätor Franz Joseph Klinglin (1687‒1753) für die Chirurgie die Schaffung eines eigenen Lehrstuhls vor und nannte als Kandidaten den erwähnten Nicolas Le Riche, der am Militärspital als Chirurg-Major arbeitete.62 Die me57 [Johann Konrad Meyer-Hofmeister]: Die Aerzte Zürich’s. In: Neujahrsblatt zum Besten des Waisenhauses Zürich 93, 1872, S. 22f. Vgl. zudem den Anhang, Nr. 6. 58 Knod: Matrikeln (Anm. 1), Bd. 1, S. 104, u. Bd. 2, S. 104. 59 Zentralbibliothek (ZB) Zürich, Ms Z VII 87. Die Handschrift umfasst 75 beschriebene Seiten (21,8 x 17,6 cm), trägt keinen Titel und enthält unter anderem Kapitel über den Katarakt, die Tränenfistel und den Steinschnitt. Das Kolophon lautet „Finis omnium operationum chirurgicarum, Strassburg anno 1777, a professore Lobstein“. 60 Das Datum widerspricht Burkhards Biographie, wie sie Johann Konrad Meyer-Hofmeister: Die Aerzte (Anm. 57), S. 22f., skizziert, wonach Heinrich Burkhard bereits 1773 nach Zürich zurückgekehrt sein und dort eine Praxis eröffnet haben soll. 61 Wieger: Geschichte der Medizin (Anm. 4), S. 98f. 62 Hollender, During-Hollender: Chirurgiens (Anm. 5), S. 69.

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dizinische Fakultät wies den Vorschlag kategorisch zurück, weil Le Riche Katholik und Franzose war. Dafür wurde sieben Jahre später neben den bereits etablierten Professuren für Anatomie und Chirurgie (Philipp Heinrich Boecler), Pathologie (Georg Heinrich Eisenmann) sowie Pharmakologie und Chemie (Johann Philipp Boecler) faktisch ein vierter Lehrstuhl geschaffen, als die Fakultät Johann Jakob Sachs (1686‒1762) mit dem klinischen Unterricht beauftragte. Von 1756 bis 1762 lehrte Sachs die Studenten die Medizin am Krankenbett im Bürgerspital. Nach einer Unterbrechung von zwanzig Jahren wurde die Professur für Klinik 1782 mit Johann Friedrich Ehrmann (1739‒1794) besetzt, der vermutlich bereits seit 1768 als Extraordinarius lehrte.63 Abschließend sei erstens festgehalten, dass in Straßburg die Universität kein Monopol für den medizinischen Unterricht besaß, sondern nur eine neben anderen Einrichtungen war. Viele Studenten der Universität belegten außer den regulären Veranstaltungen auch die privaten Kurse der Professoren und Prosektoren64 und nutzten das Lehrangebot im Militärspital sowie in der städtischen Hebammenschule. Für die Chirurgen waren die Lehrveranstaltungen außerhalb der Universität wahrscheinlich sogar wichtiger. Zweitens genoss die medizinische Fakultät international einen guten Ruf, wofür die auf hohem Niveau unterrichteten Fächer Anatomie und Chirurgie wesentlich verantwortlich waren. Bei den Zürcher Medizinstudenten in Straßburg fällt die Dominanz der Chirurgen gegenüber den Ärzten auf, wie im folgenden Kapitel gezeigt wird. Außerdem studierten nicht wenige Zürcher Landstudenten, die in ihrer Heimat eine handwerkliche chirurgische Lehre absolvierten und häufig über keine oder nur rudimentäre Lateinkenntnisse verfügten, in Straßburg. Beides sind deutliche Hinweise, dass Lehre und Praxis der Anatomie und Chirurgie wichtige Gründe waren, warum sich viele Zürcher für ein Studium in Straßburg entschieden.

4. Allgemeine Beobachtungen zu den Zürcher Medizinstudenten Das vorherige Kapitel gibt Anworten auf die Frage, warum im 18. Jahrhundert viele Zürcher in Straßburg Medizin studiert haben. Auffällig und erklärungsbedürftig bleibt die Tatsache, dass nur acht der 106 Immatrikulierten in Straßburg den Doktorgrad erlangten. Überliefert sind insgesamt zehn medizinische Dissertationen von Zürcher Studenten aus den Jahren 1721 bis 1780. Während die zwei frühesten, wie oben dargelegt, nicht im Zusammenhang mit einer Promotion entstanden, wurden die nachfolgenden „pro licentia summos in arte medica honores et privilegia doctoralia rite capessendi“ verfasst.65 Diese 63 Histoire de la médecine à Strasbourg (Anm. 5), S. 123f. 64 Vetter: Straßburger Anatomie (Anm. 20), S. 314‒316, und Le Minor: Les sciences (Anm. 5), S. 43. 65 Oder wie es auch heißt: „pro licentia gradum doctoris rite consequendi“. Autoren und Titel der Dissertationen sind im biobibliographischen Anhang unter den Nummern 4, 11, 18, 31, 55, 57, 58, 60 u. 61 angegeben.

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Inauguraldissertationen nennen auf den Titelblättern das behandelte Thema, ausgenommen die zwei spätesten Drucke, welche allgemeine medizinische Thesen enthalten. Sowohl die Titelblätter als auch die Matrikeln nennen das Datum der Disputationen, die mehrheitlich in Abwesenheit eines Präses (sine praeside) stattfanden. Erst nach bestandenem Examen und der öffentlichen Verteidigung der Dissertation erhielt der Kandidat den Doktorgrad.66 Außer den Doktorurkunden überreichte die Universität gelegentlich auch Diplome für Chirurgen, was zu Konflikten mit den zünftisch organisierten Wundärzten führte, weil diese die Examinierung nicht aus der Hand geben wollten.67 Als die medizinische Fakultät 1779 in Anspruch nahm, die Chirurgen selber zu prüfen und so die chirurgische Praxis einer wissenschaftlichen und universitären Kontrolle zu unterstellen, intervenierte die Straßburger Obrigkeit und bestätigte die Rechte des Collegium medicum, welchem auf Seiten der Universität nur der Anatomieprofessor angehörte.68 Das Collegium durfte auch fremden Chirurgen das Examen abnehmen. Als Beispiel für den Erwerb eines chirurgischen Diploms sei der Zürcher Student Hans Rudolf Fries (1762‒1832) genannt, der sich 1782 immatrikulierte und 1789 vom Anatomieprofessor ein solches Zeugnis erhielt.69 Nicht alle schlossen ihr Medizinstudium in der elsässischen Metropole ab. Von sechzehn Zürcher Medizinstudenten ist bekannt, dass sie in Straßburg zwar die medizinische Fakultät besuchten, den Doktorgrad jedoch an einer anderen Universität erlangten.70 Gelegentlich besuchten Ärzte erst nach ihrer Promotion die Universität Straßburg, wie dies bei Albrecht von Haller der Fall war. Zwei Zürcher Ärzte immatrikulierten sich im Anschluss an ihre Promotion in Leiden an der Straßburger Universität, was im Rahmen einer Bildungsreise erfolgt sein mag.71 Rund die Hälfte der 106 an der medizinischen Fakultät eingeschriebenen Zürcher Studenten können als Chirurgen oder angehende Chirurgen identifiziert werden, während 20 Ärzte mit Doktorgrad ohne Bezug zur Chirurgie und drei Apotheker nachweisbar sind.72 Hinzu kommen einige nicht promovierte Ärzte und ein paar nicht identifizierbare Medizinstudenten, wobei sich vermutlich unter beiden auch Chirurgen befinden. Die Dominanz der Chirurgen gegenüber den promovierten Ärzten erklärt bei genauer Betrachtung die geringe Zahl der Zürcher Dissertationen und Promotionen in Straßburg. Denn wer in Zürich als Chirurg anerkannt werden wollte, brauchte keinen Doktorgrad, 66 Wieger: Geschichte der Medicin (Anm. 4), S. 74‒77. 67 Ebd., S. 95‒97. 68 Hollender, During-Hollender: Chirurgiens (Anm. 5), S. 71, und Wieger: Geschichte der Medicin (Anm. 4), S. 95‒97. 69 Christoph Mörgeli, Bruno Weber: Zürcher Ärzte aus vier Jahrhunderten. Die Porträtgalerie im Medizinhistorischen Museum der Universität Zürich. Zollikon 1998, S. 103. 70 Vgl. Anhang, Nrn. 8, 9, 15, 17, 23, 30, 33‒35, 45, 47, 53, 57, 66, 68 u. 69. 71 Vgl. Anhang, Nrn. 36 u. 44. 72 Auf der Grundlage der seit 1770 separat geführten Matrikel der Chirurgen und von biographischen Nachforschungen können 60 Chirurgen, 23 Ärzte mit einem Doktorgrad, 20 weitere Ärzte und drei Apotheker gezählt werden.

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sondern musste sich vor der zunftähnlich organisierten Gesellschaft zum Schwarzen Garten einer Prüfung unterziehen, nachdem er in der Regel eine zweijährige Lehrzeit absolviert und als Geselle fünf Jahre auf Wanderschaft verbracht hatte. Als Gesellenzeit angerechnet wurden sowohl die klassische Wanderung von Meister zu Meister als auch der Solddienst in der Stellung eines Feldscherers oder, seit die Chirurgie als akademisches Fach unterrichtet wurde, der Besuch einer Universität.73 Mehrere Zürcher Chirurgen wählten im 18. Jahrhundert eine Kombination der genannten Weiterbildungsformen für Gesellen. Anton Werdmüller (1742‒1813) zum Beispiel besaß Lateinkenntnisse und reiste 1762 im Anschluss an die wundärztliche Lehre bei Konrad Vögeli in Hüttlingen nach Straßburg, wo er sich an der medizinischen Fakultät immatrikulierte. Noch im selben Jahr begann er als Feldscherer in holländischen Diensten zu arbeiten und besuchte zu dieser Zeit auch das Spital in Maastricht. Fünf Jahre später setzte er sein Studium in Straßburg fort. 1770 muss er das chirurgische Examen in Zürich bestanden haben, da er in die Gesellschaft zum Schwarzen Garten aufgenommen wurde.74 Traditionell gab es die Einteilung in eine hohe und eine niedere Chirurgie. Doch fällt es in den im Anhang vorgestellten, oft nur fragmentarisch fassbaren Biographien schwer zu unterscheiden zwischen akademischen Chirurgen einerseits, welche die hohe Chirurgie praktizierten, also Gliedmaßen amputierten, anspruchsvolle Operationen wie den Starstich durchführten, schwere Verletzungen behandelten und Geburtshilfe leisteten, und den handwerklich ausgebildeten Scherern andererseits, welche die lateinische Sprache nicht beherrschten und sich hauptsächlich mit Aderlassen, Schröpfen, einfacher Wundversorgung, Zähneziehen und der Behandlung von Brüchen beschäftigten. Die Unterscheidung schwieriger, wenn nicht unmöglich, macht auch der Umstand, dass viele handwerkliche Wundärzte mittels universitärer Zusatzausbildung sich der höheren Chirurgie zuwandten. Die Wundarztlehre in Verbindung mit einem Universitätsbesuch konnte durchaus dazu führen, dass das Wissen des handwerklichen Chirurgen dem Wissen des Arztes sehr nahe kam.75 Während dies für die Mehrheit der Zürcher Landstudenten, die in der zweiten Hälfte des 18.  Jahrhunderts die Universität Straßburg besuchten, nicht zutreffen mag,76 ist bei verschiedenen städtischen Chirurgen, so bei Heinrich Burkhard und Hans Rudolf Fries, eben damit zu rechnen. In einem Brief von 1787 beklagte sich Lobsteins Nachfolger Thomas Lauth (1758‒1826), dass es außer den gelehrten Chirurgen, welche sich an den Lehrplan der medizinischen Fakultät hielten, weiterhin die nur rudimentär ausgebildeten handwerklichen Chirurgen gebe.77 Johann Heinrich Rahn (1749‒1812) überliefert zur typischen 73 Sebastian Brändli: Die Retter der leidenden Menschheit. Sozialgeschichte der Chirurgen und Ärzte auf der Zürcher Landschaft (1700‒1850). Zürich 1990, S. 232‒240. 74 Monatliche Nachrichten Schweizerischer Neuheiten. Ausgabe Mai 1813, S. 44. 75 Histoire de la médicine à Strasbourg (Anm. 5), S. 127f. 76 Brändli: Die Retter (Anm. 73), S. 418f. 77 Hollender, During-Hollender: Chirurgiens (Anm. 5), S. 71.

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Ausbildung eines Zürcher Landchirurgen den drastischen Bericht eines angesehenen, nicht genannten Zürcher Arztes: Alsdann gehet er zu einem anderen Barbiermeister entweder als Gesell unter, und verschaft sich seinen Unterhalt mit Bartputzen, Aderlassen und Umherlauffen, oder er kommt unter die Soldaten als Feldschärer, oder er bezahlt eine Kost in Straßburg und verwendet hier, für den Titel Studieren, und um einst seinen Bauren sagen zu können, er seye in frembden Landen gewesen, eine ziemliche Summe Geld. Kommt er nach verflossenen dreyen Jahren wieder zurück, so muß er sich, ehe er practizieren darf, zuerst von den Meistern bey der Lade examinieren lassen – und dann ist er Meister, darf Lehrjungen und Gesellen halten, und practiziren so gut er kann, und wie er will. Er schaft sich nun Gläser, Schachteln und Schubladen an (je mehr, je bunter, desto grösseren Credit erwirbt er sich bey den Bauren), […] und das ganze Dorf nimmt seinen gereisten und examinierten Mitbürger als Doktor auf, und schenkt ihm sein ganzes Zutrauen, wenn er nur viele unerhörte Sachen aus fremden Landen und Wunderkuren erzählet […].78

5. Rückstrahlung der Straßburger Medizin auf Zürich Wohl nicht alle ehemaligen Medizinstudenten brachten aus Straßburg nur abenteuerliche Geschichten und Behandlungsmethoden mit nach Hause, sondern viele dürften die erlernten Kenntnisse im Beruf angewandt und in einigen Fällen zusätzlich ihr Wissen in den gelehrten Gesellschaften oder in Privatkursen weitergegeben haben. Die Kurzbiographien im Anhang machen freilich deutlich, dass die Möglichkeit zur Aus- und Weiterbildung nicht nur der Ärzte, sondern auch der Chirurgen in Zürich ungenügend und der Besuch einer Universität im Ausland für jeden unerlässlich war, wollte er einen medizinischen Beruf kunstgerecht ausüben. Zwar regelte die chirurgische Gesellschaft zum Schwarzen Garten die Grundausbildung der Zürcher Wundärzte und besaß seit 1741 auf dem Spitalareal für den Unterricht ein Anatomiegebäude (Theatrum anatomiae), doch blieb die Situation für angehende Chirurgen, besonders für diejenigen außerhalb der Stadt, unbefriedigend.79 Auch die verschiedenen naturwissenschaftlichen Gesellschaften, die im Verlauf des 18. Jahrhunderts in Zürich entstanden, konnten den Mangel an medizinischem Unterricht nicht wettmachen.80 Nicht zuletzt die Situation der Landärzte, man denke hier auch an die hohen Ausbildungskosten, hatte Johann Heinrich Rahn in der oben zitierten 78 Johann Heinrich Rahn: Anfrage an das Publikum und besonders an die Subscribenten auf das gemeinnützige medicinische Magazin. Zürich 1783, S. 10f. 79 Hierzu vor allem Gustav Adolf Wehrli: Die Wundärzte und Bader Zürichs als zünftige Organisation. Geschichte der Gesellschaft zum Schwarzen Garten. Zürich 1931. Vgl. auch Ernst Viktor Guyer: Von der Gesellschaft zum Schwarzen Garten zum Anatomischen Institut der Universität Zürich. 1. Teil. Zürich 1980, S. 1‒22, und Brändli: Die Retter (Anm. 73), S. 51‒61. 80 Zu diesen Gesellschaften vgl. Emil Erne: Die schweizerischen Sozietäten. Lexikalische Darstellung der Reformgesellschaften des 18. Jahrhunderts in der Schweiz. Zürich 1988, S. 72‒74, 81, 125‒127 und 135‒143.

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Abb. 3: Kantonschirurg Johann Konrad Meyer (1747–1813), von Johann Heinrich Lips gestochenes Porträt nach Franz Joseph Menteler, 1813/1814. Zentralbibliothek Zürich, Graphische Sammlung und Fotoarchiv.

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Abb. 4: Johannes Hotze (1734–1801), Zeichnung von 1784. Zentralbibliothek Zürich, Graphische Sammlung und Fotoarchiv.

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Passage im Blick. Sie bewog ihn, Salomon Schinz (1734‒1784) und andere, auf privater Basis eine moderne medizinische Lehranstalt in Zürich zu gründen. Am 28. April 1782 wurde das medizinisch-chirurgische Institut eröffnet, wobei die Chirurgie der inneren Medizin gleichgestellt sein sollte, was sich mit der Akademisierung der Chirurgie seit längerem angebahnt hatte.81 Nur die Hälfte der Initianten, die gleichzeitig die ersten Lehrer wurden, hatte einen Doktorgrad erworben, während ein Apotheker und drei Chirurgen über keinen akademischen Titel verfügten. Vier der acht Gründungsmitglieder, davon alle drei Chirurgen, hatten in Straßburg Medizin studiert, was die Bedeutung der medizinischen Fakultät und besonders der Chirurgie in Straßburg für diese Generation von Zürcher Chirurgen und Ärzten zeigt. Mit Namen sind dies Dr. med. Johann Konrad Rahn (1737‒1787) sowie die Chirurgen Johann Konrad Meyer (1747‒1813), Heinrich Burkhard (1752‒1799) und Johann Jakob Hess (1756‒1834). Später stießen die Straßburger Absolventen Johann Jakob Balber (1757‒1822) und Hans Rudolf Fries (1762‒1832) zum Lehrkörper.82 Im ersten Jahr seines Bestehens immatrikulierten sich rund 40 Studenten am medizinisch-chirurgischen Institut in Zürich.83 Daher ist der Einbruch um 1780 im eingangs gezeigten Diagramm, das die Anzahl der Immatrikulationen von Zürcher Medizin- und Chirurgiestudenten in Straßburg zeigt, keine Überraschung. Das plötzliche Fernbleiben ist damit zu erklären, dass die Schüler die nicht-akademische medizinische Ausbildung in Zürich für gleichwertig hielten. Während das obligatorische Universitätsstudium für angehende Ärzte durch die Ausbildung am medizinisch-chirurgischen Institut deutlich verkürzt wurde, drängte sich der Besuch einer Universität für angehende Chirurgen nur noch auf, wenn sie einen akademischen Titel erwerben oder sich auf einem Gebiet spezialisieren wollten.

Anhang: Verzeichnis der Zürcher Medizinstudenten in Straßburg Die Zusammenstellung enthält 72 Kurzbiographien mit Literatur- und Quellenangeben zu Zürcher Medizin- und Chirurgiestudenten, bei denen eine Identifikation mit Sicherheit oder mit einiger Wahrscheinlichkeit möglich ist.84 Davon ausgenommen sind 81 Moritz Leisibach: Das medizinisch-chirurgische Institut in Zürich 1782‒1833. Vorläufer der medizinischen Fakultät der Universität Zürich. Zürich 1982, S. 43‒51. 82 Vgl. Anhang, Nrn. 3, 6, 12, 20, 39 u. 44. 83 Leisibach: Das medizinisch-chirurgische Institut (Anm. 81), S. 52. 84 Einzig bei Johann Joachim Rudolf Hess (Nr. 20) handelt es sich nicht um einen Zürcher. Er ist bei den eingangs genannten Zahlen nicht berücksichtigt. An handschriftlichen Quellen sind hauptsächlich benützt worden: Wilhelm Hofmeister: Zur Genealogie der Zürcher Geschlechter. Um 1780‒1814 (Stadtarchiv Zürich, VIII.D.1‒3), Johann Jakob Hirschgartner: Stemmatologia Turicensis. 1797/98 (Zentralbibliothek [ZB] Zürich, Ms V 801‒810) und Antonius Künzli: Geschlechterbuch der Winterthurer Bürger. o.J. (Stadtarchiv Winterthur, JB 1).

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22 Landstudenten, die in einer Arbeit über die Professionalisierung der Zürcher Landchirurgen aufgelistet sind.85 14 Studenten bleiben unidentifiziert.86 1 Abegg, Hans Heinrich 13.8.1754‒1827, von Zürich, studierte 1774 Chirurgie in Straßburg und wohnte bei Chirurg Zeiller; Chirurg in Zürich, 1782 Heirat mit Anna Magdalena von Muralt, 1785 Gschauschreiber.87. Quellen: Stadtarchiv Zürich, VIII.D.1‒3. Knod: Matrikeln (Anm. 1), Bd. 1, S. 233. 2 Abegg, Johann Kaspar 9.3.1739‒März 1761, von Zürich, studierte 1760 Medizin in Straßburg, wo er starb. Quellen: Stadtarchiv Zürich, VIII.D.1‒3. Knod: Matrikeln (Anm. 1), Bd. 2, S. 84. 3 Balber, Johann Jakob 25.12.1757‒1822, Wundarztlehre in Nürtingen (Württemberg), studierte 1779 Chirurgie in Straßburg, Prosektor bei Johann Gottlieb Walter (1734‒1818) in Berlin, 1782 Mitglied der Gesellschaft zum Schwarzen Garten, 1804 Chirurg am Spital Oetenbach, Lehrer am medizinisch-chirurgischen Institut. Quellen, Literatur: Stadtarchiv Zürich, VIII.D.1‒3. Knod: Matrikeln (Anm.  1), Bd. 1, S. 243. [Johann Konrad Meyer-Hofmeister]: Die Aerzte Zürichs II. In: Neujahrsblatt zum Besten des Waisenhauses Zürich 94, 1872, S. 17. 4 Biedermann, Hans Jakob 1749‒21.1.1805, von Winterthur, studierte 1768 Medizin in Straßburg, promovierte 1770 ebd. mit einer Dissertation über die Hasenscharte, Arzt in Winterthur, 1770 Heirat mit Anna Katrina Steiner (1748‒1806). Quellen, Literatur: Stadtarchiv Winterthur, JB 1. Knod: Matrikeln (Anm. 1), Bd. 1, S. 74, u. Bd. 2, S. 98 u. 181. Urs Leo Gantenbein: Schwitzkur und Angstschweiß. Praktische Medizin in Winterthur seit 1300. Zürich 1996, S. 361. Werk: De labio leporino specimen inaugurale. Straßburg 1770. 5 Biedermann, Johann Jakob 30.3.1760‒26.2.1826, studierte 1780 Chirurgie in Straßburg, Chirurg in Winterthur, 1785 Heirat mit Anna Margretha Bucher (1750‒1820), Kantonsprokurator. Quellen, Literatur: Stadtarchiv Winterthur, JB 1. Knod: Matrikeln (Anm. 1), Bd. 1, S. 245. Gantenbein: Schwitzkur (Anhang Nr. 4), S. 362. 85 Brändli: Die Retter (Anm. 73), S. 418f. Der Anhang enthält dennoch einige Landstudenten, weil diese in der Matrikel Zürich als Herkunftsort angegeben haben. 86 Es sind dies (in Klammern jeweils das Jahr der Immatrikulation): Salomon Bodmer (1770), Rudolf Fries (1770), Jakob Gessner (1724), Johann Heinrich Hagenbuch (1733), Heinrich Haupt (1773), Johann Hauser (1768), Johann Kaspar Hotz (1753), Konrad Hotz (1764), Johann Jakob Rosenstock (1752), Johann Jakob Scheuchzer (1752), Johann Georg Steiner (1790), Johann Sulzer (1771), Johann Heinrich Tobler (1751) und Andreas Zimmermann (1728). 87 ‚Gschau‘ nannte man die erste Begutachtung bei der Aufnahme Kranker, vgl. Huldrych M.F. Koelbing: Burkhard, Johann Rudolph. In: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS). Bd. 3. Basel 2004, S. 119.

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6 Burkhard, Felix 18. Jahrhundert, studierte 1758 Medizin in Straßburg, Chirurg in Erlenbach (Kanton Zürich). Quellen, Literatur: Knod: Matrikeln (Anm.  1), Bd.  2, S.  80. Brändli: Die Retter (Anm. 73), S. 411. 7 Burkhard, Heinrich 15.1.1752‒19.4.1799, von Zürich, besuchte die Schule der Herrnhuter in Neuwied, Uhrmacherlehre, wundärztliche Lehre bei seinem Vater in Zürich, studierte 1773 Medizin in Straßburg, 1781 Anatomielehrer am medizinisch-chirurgischen Institut Zürich. Quellen, Literatur: Stadtarchiv Zürich, VIII.D.1‒3. Knod: Matrikeln (Anm. 1), Bd.  1, S.  104, u. Bd.  2, S.  104. Guyer: Von der Gesellschaft (Anm. 79), Bd. 1, S. 38‒42.  Werk: Nachschrift einer Vorlesung von Professor Johann Friedrich Lobstein über operative Chirurgie, 1777 (ZB Zürich, Ms Z VII 87). 8 Ernst, Johann Heinrich 7.2.1762‒16.3.1826, von Winterthur, studierte am Carolinum in Zürich, besuchte 1778 die Militärakademie in Stuttgart, studierte 1779/80 Medizin in Straßburg, promovierte 1783 in Erlangen mit einer Dissertation über die Therapie der Wassersucht, anschließend medizinische Studien in Wien, 1784 Arzt in Winterthur und Heirat mit Johanna Helena Sulzer (1765‒1808), 1803 und 1814 Zürcher Kantonsrat, weitere politische Ämter, Konventsmitglied der Stadtbibliothek Winterthur. Quellen, Literatur: Verhandlungen der medicinisch-chirurgischen Gesellschaft des Kantons Zürich. Zürich 1826, S. 54‒62. Knod: Matrikeln (Anm. 1), Bd. 1, S. 142, u. Bd. 2, S. 112. Gantenbein: Schwitzkur (Anhang Nr. 4), S. 364f.  Werk: Dissertatio inauguralis medica de therapia hydropis. Erlangen 1783. Diverse Beiträge im Museum der Heilkunde, vgl. hierzu Gantenbein: Schwitzkur (Anhang Nr. 4), S. 365. 9 Escher, Johann Wilhelm 6.6.1730‒9.9.1800, studierte am Carolinum in Zürich, 1750 Medizin in Göttingen, 1752 in Straßburg, promovierte 1753 in Basel mit einer Dissertation über die Lähmung der unteren Gliedmaßen, 1779 Arzt am Waisenhaus in Zürich. Quellen, Literatur: Knod: Matrikeln (Anm. 1), Bd. 2, S. 69. Matrikel Basel (Anm. 2), Bd. 5, 1980, S. 204. Urs Boschung: Johannes Gessner (1709‒1790). Neujahrsblatt der Naturforschenden Gesellschaft 198, 1996. Zürich 1996, S. 99.  Werk: Specimen medicum inaugurale de paralysi artuum inferiorum. Basel 1753. 10 Fäsi, Heinrich 1723‒1.7.1785, studierte 1745 Medizin in Straßburg, Chirurg in Zürich, Mitglied der Gesellschaft zum Schwarzen Garten, 1751 Gschauschreiber. Quellen: Stadtarchiv Zürich, VIII.D.1‒3. Knod: Matrikeln (Anm. 1), Bd. 2, S. 58.

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11 Freitag, Johann Heinrich 25.3.1702‒13.2.1725, Wundarztlehre bei seinem Vater Johann Konrad (†1738), der Spitalschnittarzt in Zürich war, studierte Medizin in Straßburg, wo er 1721 mit einer Dissertation über Leistenbrüche promovierte und eine zweite Dissertation über den grauen Star verfasste, 1721 Rückkehr nach Zürich und Tätigkeit bei seinem Vater, Mitglied der chirurgischen Gesellschaft zum Schwarzen Garten, verheiratet mit Anna Maria Ruff. Quellen, Literatur: Knod: Matrikeln (Anm. 1), Bd. 2, S. 153. Meyer-Ahrens: Johann Conrad Freitag (Anm. 43).  Werke: Dissertatio medica inauguralis de oscheoentero et bubonocele Helvetiae incolis frequentibus. Straßburg 1721. Johann Boecler (Pr.) / Johann Heinrich Freitag (Resp.): Dissertatio medica de cataracta. Straßburg 1721. 12 Fries, Hans Rudolf 12.12.1762‒27.3.1832, von Zürich, Wundarztlehre bei Jakob Geilinger (Nr. 14) in Winterthur, studierte 1782 Chirurgie in Straßburg, Aufenthalte in Berlin und Hamburg, 1789 chirurgisches Diplom in Straßburg, Chirurg in Zürich, 1795 Heirat mit Anna Maria Mamin, 1799 Anatomielehrer am medizinisch-chirurgischen Institut, 1800 Operator ebd., 1803 Gschauherr. Quellen, Literatur: Knod: Matrikeln (Anm. 1), Bd.  1, S.  190 (immatrikuliert am 7.4.1788). Meyer-Hofmeister: Die Aerzte (Anhang Nr.  3), S.  17. Mörgeli, Weber: Zürcher Ärzte (Anm. 69), S. 103‒106.  Werk: Über den Galvanismus, Handschrift von 1818 (ZB Zürich, Ms Z VII 63). 13 Geiger [Gyger], Johann Heinrich 27.10.1710‒14.5.1730, von Zürich, studierte 1728 Medizin in Straßburg. Quellen: Stadtarchiv Zürich, VIII.D.1‒3. Knod: Matrikeln (Anm. 1), Bd. 2, S. 42. 14 Geilinger, Jakob 9.1.1734‒18.3.1806, von Winterthur, studierte 1756 Medizin in Straßburg, Chirurg, 1763 Heirat mit Anna Barbara Kronauer (1741‒1820), 1777 Stadtarzt in Winterthur, 1783 Großrat, Mitglied des Musikkollegiums. Quellen Literatur: Stadtarchiv Winterthur, JB 1. Knod: Matrikeln (Anm. 1), Bd. 2, S. 77. Gantenbein: Schwitzkur (Anhang Nr. 4), S. 367f. Werke: Handschriftliche Gesuche und Befunde, vgl. dazu Gantenbein. 15 Gessner, Hans Jakob 1711‒18.8.1787, von Wangen (Kanton Zürich), studierte 1724 am Carolinum in Zürich, wo er bei seinem Onkel wohnte, nahm gleichzeitig Privatunterricht bei Johann Jakob Scheuchzer, studierte 1729 Medizin in Basel, 1730 in Leiden und 1732 in Straßburg, promovierte 1733 in Basel mit einer Dissertation über das Thema ‚Schmerz‘. 1735 Mitglied der Gesellschaft zum Schwarzen Garten in Zürich, unterrichtete dort Naturwissenschaft, Pharmakologie und Therapie, Mitgründer der Naturforschenden Gesellschaft, 1754 Mitglied des Großen Rates, 1759 Amtmann des Tösstals, 1784 Resignation von seinen politischen Ämtern. 

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Quellen, Literatur: Monatliche Nachrichten Schweizerischer Neuheiten, Ausgabe August 1787, S. 78. Knod: Matrikeln (Anm. 1), Bd. 2, S. 46. Matrikel Basel (Anm. 2), Bd. 5, 1980, S. 121. Eduard Rübel: Festschrift zur 200-Jahr-Feier der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich. 1746‒1946. Zürich 1946, S. 52. Sabine Heller: Boerhaaves Schweizer Studenten. Ein Beitrag zur Geschichte des Medizinstudiums. Zürich 1984, S. 83f.  Werk: Dissertatio inauguralis physico-medica de dolore. Basel 1733. 16 Hausheer, Johann Jakob 18.5.1756‒31.7.1826, von Wollishofen, studierte 1779 in Straßburg, Chirurg in Wollishofen.  Quellen, Literatur: Stadtarchiv Zürich, VIII.C.110. Knod: Matrikeln (Anm. 1), Bd. 1, S. 243. Brändli: Die Retter (Anm. 73), S. 418. 17 Hegner, Johann Ulrich 3.2.1682‒11.4.1735, von Winterthur, studierte 1699/1700 am Carolinum in Zürich, 1700 Medizin in Altdorf, 1701 in Straßburg und 1702 in Basel, promovierte 1703 in Basel mit einer medizinischen Dissertation über Mandelfrüchte. 1712 Heirat mit Anna Barbara Schellenberg (1692‒1772), 1724 Großrat in Winterthur, Pietist, Mitglied des Musikkollegiums und des Bibliothekskonvents. Quellen, Literatur: Stadtarchiv Winterthur, JB 1. Knod: Matrikeln (Anm. 1), Bd. 2, S. 32 (liest Heyner statt Hegner). Matrikel Basel (Anm. 2), Bd. 4, 1975, S. 330. Gantenbein: Schwitzkur (Anhang Nr.  4), S.  373. Kaspar Bütikofer: Der frühe Zürcher Pietismus (1689‒1721). Der soziale Hintergrund und die Denk- und Lebenswelten im Spiegel der Bibliothek Johann Heinrich Lochers (1648‒1718). Göttingen 2009, S. 510, Nr. 52. Werke: Johann Jakob Scheuchzer (Pr.) / Johann Ulrich Hegner (Resp.): ΣΤΟΙΧΕΙΟΛΟΓΙΑΝ ad Helvetiam applicatam […] submittunt (Oktober). Zürich 1700. Dissertatio botanico-medica inauguralis, amygdalarum fructus analysin exhibens. Basel 1703. 18 Hegner, Ulrich 9.2.1759‒3.1.1840, von Winterthur, studierte 1775 Medizin in Straßburg, wo er 1781 promovierte. 1785 Heirat mit Elisabetha Sulzer (1759‒1830), 1790 Großrat in Winterthur, 1798 Kantonsrichter, weitere politische Ämter, Schriftsteller, Konventsmitglied der Stadtbibliothek Winterthur. Quellen, Literatur: Stadtarchiv Winterthur, JB 1. Knod: Matrikeln (Anm. 1), Bd. 1, S. 115, u. Bd. 2, S. 106 u. 191. Georg Geilfus: Ulrich Hegner zum Frieden im Hauskäppchen. In: Zürcher Taschenbuch 11, 1888, S. 1‒64. Gantenbein: Schwitzkur (Anhang Nr. 4), S. 373. Meinrad Suter: Hegner, Ulrich. In: HLS (Anm. 87), Bd. 6. 2007, S. 194f.  Werke: Theses medicae. Straßburg 1781. Ulrich Hegner’s gesammelte Schriften. Berlin 1828‒1830.

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19 Heidegger, Wilpert 18.10.1753‒1.10.1775, studierte 1772 Medizin in Straßburg, wo er starb. Quellen: Stadtarchiv Zürich, VIII.D.1‒3. Knod: Matrikeln (Anm. 1), Bd. 2, S. 103. 20 Hess, Johann Jakob 23.5.1756‒27.1.1834, studierte 1775 Medizin in Straßburg, Operator in Zürich, 1781 Heirat mit Susanna Nüscheler, 1782 Lehrer und Sekretär des medizinisch-chirurgischen Instituts, 1788 Gschaumeister. Quellen, Literatur: Stadtarchiv Zürich, VIII.D.1‒3. Knod: Matrikeln (Anm. 1), Bd. 1, S. 116, u. Bd. 2, S. 107. Meyer-Hofmeister: Die Aerzte (Anhang Nr. 3), S. 9. Wilhelm Heinrich Ruoff: Stammliste der Familie Hess von Zürich, ursprünglich Schmid genannt Hess aus Reutlingen. Zürich [1961]. Leisibach: Das medizinischchirurgische Institut (Anm. 81). 21 Hess, Johann Joachim Rudolf 1711‒8.9.1742, von Zug, studierte 1731 Medizin in Basel und 1733 in Straßburg (in der Matrikel irrtümlich „Helveto-Tigurinus“), 1734 Ratsherr in Zug. Quellen: Knod: Matrikeln (Anm. 1), Bd. 2, S. 47. Matrikel Basel (Anm. 2), Bd. 5, 1980, S. 40. 22 Holzhalb, Johann Konrad 1729‒1817 (gemäß Hofmeister: 14.3.1805), studierte 1751 Medizin in Straßburg. Chirurg, Perückenmacher und Alchemist in Zürich, 1760 Mitglied der Gesellschaft zum Schwarzen Garten. Quellen, Literatur: Stadtarchiv Zürich, VIII.D.1‒3. Knod: Matrikeln (Anm.  1), Bd. 2, S. 68. Hans Pestalozzi-Keyser: Geschichte der Familie Pestalozzi. Zürich 1958, Stammtafel 21. 23 Hotze, Johannes 27.6.1734‒4.7.1801, Studium der Medizin in Straßburg (1753), Leipzig und Tübingen, wo er 1758 mit einer Dissertation über Badekuren für Kinder promovierte. Arzt in Richterswil, Cousin von Johann Heinrich Pestalozzi, stand in Kontakt mit Johann Georg Zimmermann, Johann Kaspar Lavater und Johann Wolfgang Goethe, übersiedelte 1796 nach Frankfurt am Main. Quellen, Literatur: Knod: Matrikeln (Anm. 1), Bd. 2, S. 73. Kurt Wild: Johannes Hotze. Ein begnadeter Arzt des 18. Jahrhunderts, zu seinem 200. Todestag. Richterswil 2001. Christoph Mörgeli: Hotz [Hotze], Johannes. In: HLS (Anm. 87), Bd. 6, 2007, S. 493. Werk: Georg Friedrich Sigwart (Pr.) / Johannes Hotze (Resp.): De balneis infantum dissertatio adnexa buprestis descriptione cum tabula aenea. Tübingen 1758. 24 Kaufmann, Christoph *16.8.1753 in Winterthur, †21.3.1795 in Berthelsdorf bei Herrnhut, 1774 Apothekergehilfe in Straßburg und Studium der Medizin, 1775 Rückkehr in die Schweiz, 1776/77 Reisen durch Deutschland. Prominenter Vertreter des Sturm und Drang, 1778 Heirat mit Anna Elise Ziegler (1750‒1826), seit 1781 in Herrnhut.

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Quellen, Literatur: Knod: Matrikeln (Anm. 1), Bd. 1, S. 108; Bd. 2, S. 105. Heinrich Düntzer: Christoph Kaufmann. Der Apostel der Geniezeit und der Herrnhutische Arzt. Ein Lebensbild mit Benutzung von Kaufmanns Nachlaß entworfen. Leipzig 1882. Werner Milch: Christoph Kaufmann. Frauenfeld 1932.  Werke: [Christoph Kaufmann u. a.]: Allerley gesammelt aus Reden und Handschriften großer und kleiner Männer. Frankfurt, Leipzig 1776/77. 25 Kölla, Johann 16.1.1729‒?, studierte 1747 Medizin in Straßburg, Chirurg, Kirchenpfleger und Landrichter in Stäfa. Quellen, Literatur: Staatsarchiv Zürich, E III 115.4a. Knod: Matrikeln (Anm.  1), Bd. 2, S. 61. Brändli: Die Retter (Anm. 73), S. 411. 26 Koller, Hans Konrad 23.1.1754‒17.3.1799, studierte 1774 Chirurgie in Straßburg, 1778 Mitglied der Gesellschaft zum Schwarzen Garten, Chirurg in Zürich. Quellen: Stadtarchiv Zürich, VIII.D.1‒3. Knod: Matrikeln (Anm. 1), Bd. 1, S. 233. 27 Koller, Johann Konrad 1719‒1784, studierte 1745 Medizin in Straßburg. Chirurg in Zürich, 1748 Mitglied der Gesellschaft zum Schwarzen Garten, 1748 Heirat mit Küngold Fäsi, 1768 Ratsdiener. Quellen: ZB Zürich, Ms V 805. Knod: Matrikeln (Anm. 1), Bd. 2, S. 58. 28 Koller, Leonhard 13.1.1748-?, studierte 1768 Medizin in Straßburg, Chirurg. Gab 1791 das Zürcher Bürgerrecht auf und heiratete nach Giesmannsdorf (Gościeszowice) in Niederschlesien. Quellen, Literatur: Stadtarchiv Zürich, VIII.D.1‒3. Knod: Matrikeln (Anm.  1), Bd. 1, S. 67, u. Bd. 2, S. 97. 29 Kramer, Johann Jakob 13.7.1754‒3.7.1824, Apotheker, studierte 1776 Medizin in Straßburg. Eröffnete 1779 die Elefantenapotheke in Zürich, verheiratet mit Anna Barbara Locher. Quellen, Literatur: Stadtarchiv Zürich, VIII.D.1‒3. Donnstags-Nachrichten, Ausgabe vom 16.12.1779. Knod: Matrikeln (Anm. 1), Bd. 1, S. 121; Bd. 2, S. 108. Armin Wankmüller: Lebensdaten Schweizer Apotheker. In: Beiträge zur Württembergischen Apothekengeschichte 18, 1993, S. 63f., hier S. 63. 30 Kronauer, Johann Heinrich 16.7.1713‒11.3.1773, von Winterthur, studierte 1732 Medizin in Straßburg, promovierte 1734 in Basel mit einer Dissertation über blutige Genitaltumore. 1735 Heirat mit Anna Maria Sulzer (1717‒1781), 1762 Stadtarzt in Winterthur. Aus seiner und der Bibliothek seines Sohnes (Nr. 31) stammen verschiedene Bücher in der Stadtbibliothek Winterthur.  Quellen, Literatur: Stadtarchiv Winterthur, JB 1. Knod: Matrikeln (Anm. 1), Bd. 2, S. 46. Matrikel Basel (Anm. 2), Bd. 5, 1980, S. 63. Gantenbein: Schwitzkur (Anhang

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Nr. 4), S. 377. Handbuch der historischen Buchbestände in der Schweiz, Bd. 3, Hildesheim, Zürich, New York 2013, S. 233.  Werk: Dissertatio medico-chirurgica inauguralis de tumore genitalium post partum sanguineo. Basel 1734. 31 Kronauer, Johann Heinrich (Jean-Henri) *26.12.1741 in Winterthur, †28.5.1813 in Rolle, Sohn von Nr. 30, studierte 1760 Medizin in Straßburg, promovierte 1762 ebd. mit einer Dissertation über die Zusammensetzung des menschlichen Blutes. 1769 Arzt in Orbe, heiratete 1774 Margreth von Muralt (1739‒1791) und 1792 Jeanne-Adriane Vivian, lebte seit 1798 in Rolle, schenkte 1811 der Stadtbibliothek Winterthur seine Bücher- und Naturaliensammlung. Quellen, Literatur: Stadtarchiv Winterthur, JB  1. Knod: Matrikeln (Anm.  1), Bd.  2, S. 84 u. 175. Eugène Olivier: Médecine et santé dans le pays de Vaud au XVIIIme siècle, 1675‒1798. Lausanne 1939, S. 969; Gantenbein: Schwitzkur (Anhang Nr. 4), S. 377f. Werk: Dissertatio physiologico-medica inauguralis de natura et compositione sanguinis humani sani. Straßburg 1762. 32 Kronauer, Jonas 21.12.1743‒24.8.1804, von Winterthur, studierte 1767 in Straßburg. Chirurg in Winterthur, 1771 Heirat mit Anna Elisabetha Zinninger (1753‒1813), 1786 Winterthurer Großrat, Mitglied der Helvetischen Gesellschaft korrespondierender Ärzte und Wundärzte. Quellen, Literatur: Knod: Matrikeln (Anm.  1), Bd.  1, S.  71. Erne: Sozietäten (Anm. 80), S. 44. Gantenbein: Schwitzkur (Anhang Nr. 4), S. 378.  Werk: Geschichte einer Bauchwunde. In: Museum der Heilkunde, 1792, S. 144‒148. 33 Künzli, Heinrich *29.10.1717 in Winterthur, †25.2.1744 in Surinam, studierte 1736 Medizin in Straßburg, promovierte im selben Jahr in Halle. Quellen, Literatur: Stadtarchiv Winterthur, JB1. Knod: Matrikeln (Anm. 1), Bd. 2, S. 49. Wolfram Kaiser, Werner Piechocki: Schweizer Medizinstudenten und Ärzte des 18. Jahrhunderts als Absolventen der Medizinischen Fakultät Halle. In: Gesnerus 26, 1969, S. 189‒212, hier S. 197.  Werk: Michael Alberti (Pr.) / Heinrich Künzli (Resp.): Dissertatio inauguralis continens haematologiam physico-medicam. Halle 1736. 34 Landolt, Johann Kaspar 16.1.1708‒19.7.1751, studierte 1722 am Carolinum in Zürich, 1727 Medizin in Straßburg, promovierte 1730 in Basel mit einer Dissertation über gynäkologische Erkrankungen. 1732 Unterstadtarzt in Zürich, 1738 Oberstadtarzt. Quellen, Literatur: Knod: Matrikeln (Anm. 1), Bd. 2, S. 41. Matrikel Basel (Anm. 2), Bd. 5, 1980, S. 30. Denkschrift der medizinisch-chirurgischen Gesellschaft des Kantons Zürich zur Feier des fünfzigsten Stiftungstages den 7. Mai 1860. Zürich 1860, S. 15. 

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Werk: Dissertatio medica inauguralis de morbis a catameniorum suppressione oriundis. Basel 1730. 35 Landolt, Matthias 10.3.1725‒3.7.1762, Bruder des Johann Kaspar (Nr. 34), studierte 1745 Medizin in Straßburg, promovierte 1747 in Basel, 1748 Mitglied der Gesellschaft zum Schwarzen Garten.  Quellen: Johann Jakob Leu: Allgemeines helvetisches, eydgenössisches, oder schweitzerisches Lexicon. XI. Teil: K bis Le. Zürich 1754, S. 332. Knod: Matrikeln (Anm. 1), Bd. 2, S. 58. Matrikel Basel (Anm. 2), Bd. 5, 1980, S. 163.  Werk: Dissertatio inauguralis medica de angina inflammatoria cum febre acuta. Basel 1747. 36 Locher, Heinrich 20.10.1743‒13.6.1807, mehrjähriger Aufenthalt in Straßburg, studierte 1763 Medizin in Straßburg. 1764 Rückkehr nach Zürich und Übernahme des väterlichen Barbiergeschäfts, 1764 Mitglied der Gesellschaft zum Schwarzen Garten, 1781 Gschauherr, 1784 Spitalarzt, Teilhaber der medizinisch-chirurgischen Bibliothek, gründete eine Einrichtung für Krankenmöbel, verheiratet mit Anna Dorothea Fries. Quellen: [David Rahn: Spitalarzt Heinrich Locher]. In: Neujahrsblätter der Chorherrenstube 30, [Zürich] 1808. Knod: Matrikeln (Anm. 1), Bd. 2, S. 90. 37 Locher, Johann Georg Februar 1739‒2.10.1787, studierte 1753 Physik und Mathematik am Carolinum in Zürich und lernte 1755‒1757 bei Chorherr Johannes Gessner Medizin sowie Anatomie bei Johann Rudolf Burkhard, studierte Medizin in Leiden, promovierte 1761 mit einer Dissertation über Drüsensekrete. 1761 medizinische Studien in Straßburg, wo er die Bekanntschaft mit Professor Jakob Reinbold Spielmann und mit Dr. med. Georg Albrecht Fried (1736‒1773) machte. Rückkehr nach Zürich und Heirat mit Regula Leu; verzichtete auf den Arztberuf zugunsten einer politischen Laufbahn, seit 1772 Großrat, vertreten in verschiedenen Behörden, u. a. in der Bücherzensur und im Sanitätsrat (Vorbeugung gegen Viehseuchen), Mitglied der Naturforschenden Gesellschaft und Vorsteher des Botanischen Gartens, Kommissionsmitglied der Stadtbibliothek, übernahm von Johann Jakob Leu (1689‒1768) und von seinem Schwiegervater eine Sammlung schweizerisch-historischer und statistischer Schriften, die er der Stadtbibliothek schenkte. Quellen, Literatur: Johann Kaspar Hirzel: Biographische Nachrichten von Herrn Doktor Locher von Zürich. o. O. [1787]. Knod: Matrikeln (Anm. 1), Bd. 2, S. 86. Rübel: Festschrift (Anhang Nr. 15), S. 29.  Werke: Dissertatio physiologico-medica inauguralis de secretione glandularum in genere. Leiden 1761. Verzeichnuss einicher essbaren Pflanzen, die dem Landmann zu seiner Gesundheit und Nahrung dienen, im Namen der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich herausgegeben. Zürich 1771. [Berichte über den Anbau von Getrei-

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dearten]. In: Neue Sammlung physisch-ökonomischer Schriften 2, 1782, S.  XVI, XLV‒XLVIII. 38 Meyer, Johann Konrad d.Ä. 18.8.1715‒20.4.1788, Wundarztlehre bei Johann Konrad Freitag, 1735 Feldscherer, 1736 an der Charité in Berlin, studierte 1738/39 Medizin in Straßburg, besuchte gleichzeitig den Geburtshilfeunterricht des Dr. med. Johann Jakob Fried, bei dem er auch logierte, und die Operationskurse von Nicolas Le Riche im Militärspital. 1739 Rückkehr nach Zürich, 1743 geschworener Chirurg, 1745 Stadtschnittarzt, 1752 Obmann der Wundärzte, 1765 Verwalter der Gesellschaft zum Schwarzen Garten, Mitgründer der Naturforschenden Gesellschaft. Quellen, Literatur: Johann Kaspar Hirzel: Biographische Nachrichten von Herrn Stadtarzt Meyer von Zürich. o. O. 1788. Knod: Matrikeln (Anm. 1), Bd. 2, S. 51. Meyer-Hofmeister: Die Aerzte (Anm. 57), S. 25. 39 Meyer, Johann Konrad d.J. 10.1.1747‒17.5.1813, Sohn von Johann Konrad (Nr. 38), studierte am Carolinum und hatte gleichzeitig chirurgischen Untericht bei seinem Vater, studierte 1766 Medizin und Chirurgie in Straßburg, besonders bei Professor Johann Friedrich Lobstein, verbrachte 1767/68 eineinhalb Lehrjahre bei Chirurg Johann Leonard Hoffmann (1710‒1782) in Maastricht, setzte 1769‒1771 sein Studium in Straßburg fort. 1771 Rückkehr nach Zürich und Tätigkeit als Chirurg bei seinem Vater, 1772 geschworener Chirurg, 1782 Mitglied der Physikalischen Gesellschaft und Lehrer am medizinisch-chirurgischen Institut, 1783 Großrat, 1784 Gschauherr, 1787 Mitglied des Sanitätsrates, 1788 Stadtschnittarzt (später Kantonschirurg), Obmann der Wundärzte und Verwalter der Gesellschaft zum Schwarzen Garten, galt als einer der besten Chirurgen in Zürich. Quellen, Literatur: Biographische Nachrichten von Herrn Hans Conrad Meyer, gewesenen Cantons-Wundarzt in Zürich. Beilage zu: Monatliche Nachrichten Schweizerischer Neuheiten, Ausgabe Mai 1813. Paul Usteri: Denkrede auf Hans Conrad Meyer, ersten Wundarzt am Kantonshospitale und Lehrer am medicinisch-chirurgischen Kantonalinstitute in Zürich. o. O. 1814. Knod: Matrikeln (Anm. 1), Bd. 1, S. 59, u. Bd. 2, S. 96. Leisibach: Das medizinisch-chirurgische Institut (Anm. 81), S. 48f. 40 Muralt, Johann von Studierte 1748 Medizin in Straßburg. Wahrscheinliche Identifikation: 6.1.1723 bis Februar 1806, von Zürich, Chirurg, lebte in Rehetobel und starb in Schwellbrunn. Quellen: Stadtarchiv Zürich, VIII.D.1‒3. Knod: Matrikeln (Anm. 1), Bd. 2, S. 62. 41 Näf, Heinrich *1725 in Hausen am Albis, †12.3.1774 in Wollishofen, Sohn des Chirurgen und Untervogts Hans Heinrich Näf (1681‒1770), studierte 1744 Medizin in Straßburg. Chirurg in Wollishofen. Quellen, Literatur: Stadtarchiv Zürich, VIII.C.110. Knod: Matrikeln (Anm. 1), Bd. 2, S. 56. Sebastian Brändli: „Und was das Schönste ist: Ein feuerfester Patriot“. Die hel-

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vetische Generation. Dargestellt am Beispiel des Hans Caspar Näf von Hausen. Unveröffentlichte Lizentiatsarbeit. Zürich 1984, S.  42f. Ders.: Die Retter (Anm.  73), S. 411. Werk: Abhandlung über drei Fragen betreffs Düngung mit Stallmist und Jauche, Preisabhandlung der Naturforschenden Gesellschaft 1769, Handschrift von Heinrich Näf (Staatsarchiv Zürich, B IX 19. Nr. 32). 42 Näf, Johann Jakob 1742‒1763, Halbbruder von Heinrich Näf (Nr. 41), studierte 1761 Medizin in Straßburg, starb nach seiner Rückkehr in Hausen am Albis an Tuberkulose. Quellen, Literatur: Stadtarchiv Zürich, VIII.D.1‒3. Knod: Matrikeln (Anm.  1), Bd. 2, S. 85. Brändli: Patriot (Anhang Nr. 41), S. 43. 43 Ott, Peter 7.12.1706‒24.1.1768, studierte 1725 Medizin in Straßburg, Arzt in Zürich. Quellen: Stadtarchiv Zürich, VIII.D.1‒3. Gottlieb Emanuel von Haller: Bibliothek der Schweizer Geschichte und aller Theile, so dahin Bezug haben. Erster Theil. Bern 1785, Nr. 1624. Knod: Matrikeln (Anm. 1), Bd. 2, S. 40. Werk: P[eter] O[tt]: Auszug eines Briefs von Pfeffers, datiert den 15. Julii 1741. Samt einer Kurtzen Beschreibung des Pfefferser-Wassers und Benennung einiger der vornehmsten Authoren, die darvon geschrieben. Zürich 1741. 44 Rahn, Johann Heinrich 24.3.1709‒3.3.1786, studierte am Carolinum in Zürich, 1728‒1730 Medizin in Straßburg, 1730 in Halle, 1730/31 in Berlin und Leiden, wo er 1732 mit einer chemischen Dissertation über Kaliumsalz promovierte, chirurgische Ausbildung in London, Rückkehr nach Zürich und Eröffnung einer Arztpraxis, 1742 Großrat, 1745 Mitgründer der Physikalischen Gesellschaft, 1748 Ratsherr, 1749‒1783 Sanitätsrat, 1753‒1766 Obervogt von Erlenbach, 1755 Verwalter des Großmünsterstifts, Mitgründer der Naturforschenden Gesellschaft. Quellen, Literatur: Knod: Matrikeln (Anm. 1), Bd. 2, S. 42. Festschrift der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich, 1746‒1896, Vierteljahrsschrift der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich 41, 1896, S. 23f. Heller: Boerhaaves Schweizer Studenten (Anhang Nr. 15), S. 86f. Hanspeter Marti: Eine medizinische Schweizer Zeitschrift im Dienst der Aufklärung: Johann Heinrich Rahns Gazette de Santé. In: Gesundheit und Krankheit im 18. Jahrhundert. Referate der Tagung der Schweizerischen Gesellschaft zur Erforschung des 18. Jahrhunderts Bern, 1. und 2. Oktober 1993. Hg. von Helmut Holzhey u. Urs Boschung in Zusammenarbeit mit Stefan Hächler u. Martin Stuber. Amsterdam 1995, S. 107‒116. Karin Marti-Weissenbach: Rahn, Johann Heinrich. In: HLS (Anm. 87), Bd. 10, 2011, S. 74. Werke: Dissertatio medico-chymica inauguralis de arcano Tartari seu terra foliata Tartari. Leiden 1732. Abhandlung von der Natur, Eigenschaft, Wirkung und dem Gebrauch des Nydel-Bads. Zürich 1766. Zudem verschiedene Beiträge in: Abhandlun-

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gen der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich (1761‒1766). Vgl. auch Rahns Nachlass in der ZB Zürich (Ms Z II 609. Ms VII 118 & a‒b und FA Rahn 2201). 45 Rahn, Johann Konrad 29.1.1737‒19.6.1787, studierte Medizin in Leiden, wo er 1757 mit einer Dissertation über die Mineralquelle in Pfäfers promovierte, danach 1757 in Straßburg. 1772 Mitglied des Großen Rats, 1778 Beisitzer der Kirchensynode, 1779 Verwalter des Großmünsterstifts, 1781 Examinator und Zensor, 1782 Lehrer der Physiologie am medizinisch-chirurgischen Institut, 1785 Spitalverwalter. Quellen: Monatliche Nachrichten Schweizerischer Neuheiten, Ausgabe Juni 1787, S. 57f. Knod: Matrikeln (Anm. 1), Bd. 2, S. 79. Werk: Dissertatio physico-medica inauguralis de aquis mineralibus Fabariensibus seu Piperinis. Leiden 1757. 46 Rordorf, Christoph 9.8.1738‒4.10.1793, studierte 1763 Medizin in Straßburg, Chirurg in Zürich. Quellen: Stadtarchiv Zürich, VIII.D.1‒3. Knod: Matrikeln (Anm. 1), Bd. 2, S. 91. 47 Schulthess, Salomon 9.2.1745‒18.1.1801, von Zürich, studierte 1760 Medizin in Straßburg und 1764 in Tübingen, wo er 1765 promovierte. Tätigkeit als Arzt, gestorben in Affeltrangen.  Quellen: Stadtarchiv Zürich, VIII.D.1‒3. Knod: Matrikeln (Anm. 1), Bd. 2, S. 84. Die Matrikeln der Universität Tübingen (1477‒1817). Hg. von Heinrich Hermelink u. a. Bd. 3. Stuttgart 1953, S. 208.  Werk: Philipp Friedrich Gmelin (Pr.) / Salomon Schulthess (Resp.): Dissertatio inauguralis medica de sero lactis dulci Hoffmanniano. Tübingen 1765. 48 Schweizer, Johann Jakob 14.1.1613‒1685/87, studierte 1634 Medizin in Straßburg. Chirurg in Zürich, 1665 Zwölfer der Zunft zur Schmiden. Quellen: Stadtarchiv Zürich, VIII.D.1‒3. Knod: Matrikeln (Anm. 1), Bd. 2, S. 13. Werk: Beschreibung der Heilquelle Spannweid, undatiertes Autograph von Johann Jakob Schweizer (ZB Zürich, Ms L 487,29). 49 Spörri, Johann Rudolf 1724‒25.9.1802, studierte 1747 Medizin in Straßburg, Chirurg und Untervogt in Embrach, wurde entweder als verständiger und gebildeter Landarzt oder als patriarchalisch im negativen Sinn beschrieben, starb an den Folgen einer Misshandlung durch helvetische Soldaten. Quellen, Literatur: Johann Jakob Schweizer: Rede bey der Beerdigung des am 13.  Herbstmonat 1802 von barbarischen Horden grausam misshandelten und verwundeten Herrn Rudolf Spörri, Chirurgus und gewesenen Graffschafts-Untervogt in Embrach. Nebst der Geschichte der unmenschlichen Misshandlung. Zürich 1802. Knod: Matrikeln (Anm. 1), Bd. 2, S. 61. Brändli: Die Retter (Anm. 74), S. 373f. u. 414.

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50 Steinbrüchel, Johann Heinrich 1727‒26.6.1811, studierte 1748 Medizin in Straßburg, Chirurg in Thalwil, Untervogt in Bonstetten. Quellen, Literatur: Staatsarchiv Zürich, E III 121. Knod: Matrikeln (Anm. 1), Bd. 2, S. 62. Erwin W. Kunz: Die lokale Selbstverwaltung in den zürcherischen Landgemeinden im 18. Jahrhundert. Affoltern/Albis 1948, S. 155. Brändli: Die Retter (Anm. 73), S. 414. 51 Steiner, Jakob 1739‒7.9.1760, von Winterthur, studierte 1758 Medizin in Straßburg. Chirurg in preußischen Diensten. Quellen, Literatur: Knod: Matrikeln (Anm. 1), Bd. 2, S. 80. Gantenbein: Schwitzkur (Anhang Nr. 4), S. 388. 52 Steiner, Johann Georg 27.6.1734‒18.3.1806, von Winterthur, studierte 1755 Medizin in Straßburg. Chirurg in Winterthur, 1761 Heirat mit Anna Dorothea Hegner (1732‒1802), 1772 Spitalschreiber, 1798 Präsident der Gemeindekammer Winterthur. Quellen, Literatur: Stadtarchiv Winterthur, JB 1. Knod: Matrikeln (Anm. 1), Bd. 2, S. 75. Gantenbein: Schwitzkur (Anhang Nr. 4), S. 387. 53 Sulzer, Hans Heinrich 8.3.1736‒20.4.1827, von Winterthur, studierte ab 1751 in Basel und seit 1752 Medizin in Basel und Straßburg, promovierte 1753 in Basel mit einer Dissertation über das Gehirn. 1773 Großrat in Winterthur, 1782 Stadtarzt, Mitglied des Musikkollegiums und der Bibliothekskommission. Quellen, Literatur: Knod: Matrikeln (Anm. 1), Bd. 2, S. 70. Matrikel Basel (Anm. 2), Bd. 5, 1980, S. 191. Gantenbein: Schwitzkur (Anhang Nr. 4), S. 391. Werk: Specimen medicum inaugurale de actione cerebri decussata. Basel 1753. 54 Sulzer, Johann Georg Ca. 1743‒?, von Winterthur, studierte in Tübingen und Straßburg (1766), wegen Schulden in Gefängnishaft in Winterthur, Stadtarzt in Bischweiler. Quellen, Literatur: Almanach d’Alsace pour l’année 1783, S. 161. Knod: Matrikeln (Anm. 1), Bd. 1, S. 59. Alice Denzler: Die Sulzer von Winterthur. Bd. 1. Winterthur 1933, S. 183‒185. Gantenbein: Schwitzkur (Anhang Nr. 4), S. 391f. 55 Sulzer, Johann Kaspar *12.7.1716 in Winterthur, †2.6.1799 in Gotha, studierte 1739/40 Medizin in Straßburg, promovierte ebd. mit einer Dissertation über die Geschichte der endemischen Krankheiten in der Schweiz. Arzt in Winterthur, 1748 Heirat mit Johanna Luise Tavel, 1748‒1799 Leibarzt der Herzöge Friedrich III. und Ernst II. von Sachsen-Gotha, Geheimer Hofrat in Gotha, stand im Kontakt mit Johann Kaspar Lavater, Johann Kaspar Füssli und Johann Wolfgang Goethe.

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Quellen, Literatur: Knod: Matrikeln (Anm. 1), Bd. 2, S. 52 u. 162. Urs Leo Gantenbein: Sulzer, Johann Caspar. In: HLS (Anm. 87), Bd. 12, 2013, S. 127. Gantenbein: Schwitzkur (Anhang Nr. 4), S. 391. Werk: Dissertatio inauguralis medica sistens historiam morborum quorundam Helvetiis endemiorum. Straßburg 1740. 56 Sulzer, Johann Rudolph 7.5.1749‒25.3.1798, von Winterthur, studierte 1771 Medizin in Straßburg. Apotheker in Winterthur, 1773 Heirat mit Susann Sulzer (1751‒1774) und 1774 mit Anna Margretha Hofmeister (1756‒1802), 1781 Großrat, 1784 Kleinrat. Quellen, Literatur: Stadtarchiv Winterthur, JB 1. Knod: Matrikeln (Anm. 1), Bd. 2, S. 102. Gantenbein: Schwitzkur (Anhang Nr. 4), S. 392. Werk: Auszug aus der Beschreibung des Bads bey Waldstatt im Canton Appenzell Außer-Rhoden. In: Gemeinnüzige Wochenschrift physischen und medicinischen Innhalts 1, 1792, S. 412‒430. 57 Thomann, Johann Heinrich 20.2.1687‒15.12.1740, Wundarztlehre, studierte 1709‒1710 Medizin in Straßburg, wo er eine Dissertation über die Punktion der Bauchhöhle vorlegte, promovierte 1712 in Jena mit einer Dissertation über das Ausbürsten des Magens, 1732 Verwalter der Gesellschaft zum Schwarzen Garten und Mitglied des Großen Rats, 1737 Beisitzer der Kirchensynode, 1738 Schildner zum Schneggen, verheiratet mit Dorothea Ziegler (†1725), anschließend mit Anna Hirzel. Quellen, Literatur: Stadtarchiv Zürich, VIII.D.1‒3. Knod: Matrikeln (Anm.  1), Bd. 2, S. 33. Mörgeli, Weber: Zürcher Ärzte (Anm. 69), S. 67‒69. Werke: Johann Sigismund Henninger (Pr.) / Johann Heinrich Thommann (Resp.): Disputatio medico-chirurgica de paracentesi abdominis. Straßburg 1710. Georg Wolfgang Wedel (Pr.) / Johann Heinrich Thommann (Resp.): Dissertatio inauguralis medica de excutia ventriculi. Jena 1712. 58 Troll, Johann 9.7.1754‒19.2.1802, von Winterthur, studierte 1775 Medizin in Straßburg, wo er 1779 promovierte. 1781 Heirat mit Barbara Dorothea Egloff (†1813), starb im Militärspital Münchenbuchsee. Quellen, Literatur: Knod: Matrikeln (Anm. 1), Bd. 1, S. 115, u. Bd. 2, S. 106 u. 189. Gantenbein: Schwitzkur (Anhang Nr. 4), S. 394. Werk: Theses inaugurales medicae. Straßburg 1779. 59 Ulrich, Heinrich 17.9.1633‒6.12.1668, chirurgische Ausbildung in London, studierte 1651 Medizin in Straßburg. Chirurg in Zürich, Mitglied der Gesellschaft zum Schwarzen Garten. Verheiratet mit Veronika Ziegler. Quellen, Literatur: Stadtarchiv Zürich, VIII.D.1‒3. Knod: Matrikeln (Anm.  1), Bd. 2, S. 18. Conrad Ulrich: Die Familie Ulrich von Zürich. Bd. 2. Zürich 2016, S. 695, 703f. u. 958.

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60 Waser, Johann Jakob  1737‒1775, studierte 1761 Medizin in Straßburg, wo er sich 1764 erneut einschrieb (derselbe?) und 1767 promovierte. Arzt in Zürich, 1774 Mitglied der Gesellschaft zum Schwarzen Garten. Quellen: Stadtarchiv Zürich, VIII.D.1‒3. Knod: Matrikeln (Anm. 1), Bd. 2, S. 86, 92 u. 179. Werk: Dissertatio inauguralis medico-chirurgica recessum ossium nasi exhibens. Straßburg 1767. 61 Welti, Johann Heinrich 1719‒1790, von Kilchberg, studierte 1741 Medizin in Straßburg, wo er 1745 mit einer Dissertation über die Schenkelhernie promovierte. Chirurg in Kilchberg. Quellen, Literatur: Knod: Matrikeln (Anm. 1), Bd. 2, S. 54 u. 165. Brändli: Die Retter (Anm. 73), S. 415. Werk: Dissertatio anatomico-chirurgica inauguralis de hernia crurali. Straßburg 1744. 62 Werdmüller, Anton 3.1.1742‒17.5.1813, Wundarztlehre bei Konrad Vögeli in Hüttlingen, 1762 Feldscherer und Studium der Medizin in Straßburg, Aufenthalt in Maastricht, Fortsetzung des Studiums in Straßburg (ca. 1767/68). 1769 Mitglied der Gesellschaft zum Schwarzen Garten, 1786 deren Verwalter, 1774‒1783 Administrator der Herrschaft Elgg, verheiratet mit Cleophea Escher. Quellen: Donnstags-Blatt, Ausgabe vom 16.3.1786, S. 91. Monatliche Nachrichten Schweizerischer Neuheiten, Ausgabe Mai 1813, S. 43f. Knod: Matrikeln (Anm. 1), Bd. 2, S. 88. 63 Wirth, Joseph Martin Studierte 1754 Medizin in Straßburg. Wahrscheinliche Identifikation: 1733‒1807, Chirurg in Eglisau. Quellen, Literatur: Knod: Matrikeln (Anm. 1), Bd.  2, S.  77. Brändli: Die Retter (Anm. 73), S. 415. 64 Wiser, Johann Ludwig 11.11.1736‒Juli 1815, studierte 1757 Medizin in Straßburg. Chirurg in Zürich, 1759 Mitglied der Gesellschaft zum Schwarzen Garten, 1760 Heirat mit Katharina Waser und 1783 mit Küngold Grob, 1783 Gerichtsherr von Wetzikon. Quellen: Stadtarchiv Zürich, VIII.D.1‒3. Zürcherisches Wochen-Blatt, Ausg. 10. Juli 1815. Knod: Matrikeln (Anm. 1), Bd. 2, S. 79. 65 Wolf, Johann Jakob 5.4.1730‒16.3.1778, Sohn des Johann Rudolf (1687‒1736) aus der Familie der Wolf zum Bach, studierte ab 1746 am Carolinum, 1749 Medizin in Göttingen, 1752 in Straßburg und 1753 in Basel, wo er mit einer Dissertation über Erbkrankheiten promovierte. 1754 Eintritt in die Zunft der Schiffleute, verheiratet mit Anna Elisabetha Hartmann.

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Quellen, Literatur: Knod: Matrikeln (Anm. 1), Bd. 2, S. 69. Matrikel Basel (Anm. 2), Bd. 5, 1980, S. 205. Boschung: Johannes Gessner (Anhang Nr. 9), S. 98. Werk: Dissertatio inauguralis medica de morbis haereditariis. Basel 1753. 66 Wolf, Johann Kaspar 15.1.1651‒16.9.1715, von Zürich, studierte 1664 am Carolinum in Zürich, 1668 in Marburg, 1670 Medizin in Basel und Straßburg. Heiratete Anna Spöndli, 1692/93 Obervogt in Erlenbach, 1693 als Zunftmeister zur Schiffleuten Mitglied des Kleinen Rates, 1694 Eherichter, 1698/99 Obervogt in Küsnacht, 1699 Verwalter des Krankenund Pfrundhauses Spannweid (Zürich). Quellen, Literatur: Knod: Matrikeln (Anm. 1), Bd. 2, S. 24. Matrikel Basel (Anm. 2), Bd. 4, 1975, S. 36. Werner Schnyder: Die Zürcher Ratslisten, 1225 bis 1798. Zürich 1963, S. 455‒477. 67 Ziegler, [Hans?] Jakob Studierte 1749 Medizin in Straßburg. Wahrscheinliche Identifikation: 21.12.1727‒15.5.1811, von Winterthur, Chirurg, 1762 Großrat, 1776 Kleinrat, 1780 Bauherr.  Quellen, Literatur: Knod: Matrikeln (Anm. 1), Bd. 2, S. 64. Gantenbein: Schwitzkur (Anhang Nr. 4), S. 396. 68 Ziegler, Johann Heinrich 23.3.1738‒4.11.1818, von Winterthur, studierte 1754 am Carolinum in Zürich, 1758 ordiniert, französischer Prediger in Zürich, studierte 1763 Medizin und Chemie in England, 1764 in Straßburg, promovierte 1769 in Basel. 1771 Großrat in Winterthur, weitere Ämter folgten, Chemiker, Industrieller, Schriftsteller. Quellen, Literatur: Knod: Matrikeln (Anm. 1), Bd. 2, S. 92. Matrikel Basel (Anm. 2), Bd. 5, 1980, S. 313. Gantenbein: Schwitzkur (Anhang Nr. 4), S. 163‒166 u. 213‒217. Christian Baertschi: Ziegler, Johann Heinrich. In: HLS (Anm.  87), Bd.  13, 2014, S. 708.  Werke: siehe angegebene Literatur. 69 Ziegler, Johann Jakob 26.4.1733‒10.7.1768, von Winterthur, studierte am Carolinum in Zürich, 1749 Medizin in Straßburg, promovierte 1752 in Basel über den Mechanismus der Muskelkontraktion, studierte 1754 Medizin in Tübingen. Quellen, Literatur: Knod: Matrikeln (Anm. 1), Bd. 2, S. 67. Matrikel Basel (Anm. 2), Bd. 5, 1980, S. 189. Gantenbein: Schwitzkur (Anhang Nr. 4), S. 397. Werk: Specimen inaugurale medicum de mechanismo contractionis. Basel 1752. 70 Ziegler, Johann Rudolf 23.7.1758‒17.11.1779, von Winterthur, studierte 1775 Medizin in Straßburg. Quellen, Literatur: Knod: Matrikeln (Anm. 1), Bd. 1, S. 115, u. Bd. 2, S. 106. Gantenbein: Schwitzkur (Anhang Nr. 4), S. 396.

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71 Zimmermann, Konrad Studierte 1753 Medizin in Straßburg. Wahrscheinliche Identifikation: Hans Konrad, 2.8.1732‒23.9.1770, von Zürich, Arzt, lebte in Hallum (niederländische Provinz Friesland). Quellen: Stadtarchiv Zürich, VIII.D.1‒3. Knod: Matrikeln (Anm. 1), Bd. 2, S. 72. 72 Zwingli, Johann Ulrich 1726‒15.5.1795, studierte 1746 Medizin in Straßburg. Chirurg in Zürich, Mitglied der Gesellschaft zum Schwarzen Garten, Stadtgerichtsweibel. Quellen: Stadtarchiv Zürich, VIII.D.1‒3. Knod: Matrikeln (Anm. 1), Bd. 2, S. 59.

Manfred Komorowski

Graduierte aus Westfalen und vom Niederrhein an der Universität Straßburg im 17. Jahrhundert In meinem Beitrag über die Matrikeledition von Gustav C. Knod (s.u.) geht es unter anderem um die Herkunft der Straßburger Studenten. Für die westlichen Territorien des Alten Reiches fehlen derartige Übersichten noch weitgehend. Da nicht alle aus jenen Gebieten Stammenden vorgestellt werden können, beschränke ich mich auf die Studenten, die im 17. Jahrhundert in Straßburg den begehrten Titel eines Lizentiaten oder Doktors1 erwarben oder dort studierten, aber später an anderen Universitäten promovierten. Die wichtigsten Quellen sind bei dieser Fragestellung die von Knod im zweiten Band seiner großen Edition vorgestellten allgemeinen Matrikeln und die Promotionsmatrikeln der juristischen und der medizinischen Fakultät.2 Da eine Berücksichtigung aller Westfalen und Niederrheiner den Rahmen des Beitrags sprengen würde, konzentriere ich mich auf die Reichsstadt Dortmund, die Grafschaft Mark/Westfalen mit den städtischen Zentren Bochum, Hamm, Hagen und Soest, Stadt und Stift Essen sowie das Herzogtum Kleve mit der Universitätsstadt Duisburg und mit Wesel. Es handelte sich dabei um überwiegend protestantische Gebiete. Dortmund, Essen und Soest waren lutherisch, Duisburg, Wesel und Hamm reformiert geprägt. Lutheraner, besonders natürlich angehende Theologen, zog es an die lutherische Universität Straßburg. Bei den Juristen und Medizinern, um die es hier vorrangig geht, spielte die Konfession bei der Wahl des Studienortes kaum eine Rolle. Da angehende Pfarrer gewöhnlich nicht promovierten, konnte für sie keine Graduierung nachgewiesen werden, wohl aber zwei Magisterpromotionen in der philosophischen Fakultät, für die keine ausdrückliche Inauguraldissertation verlangt wurde.

1 Zur frühneuzeitlichen Promotion grundlegend: Promotionen und Promotionswesen an deutschen Hochschulen der Frühmoderne. Hg. von Rainer A. Müller. Köln 2001; Bilder – Daten – Promotionen. Studien zum Promotionswesen an deutschen Universitäten der frühen Neuzeit. Hg. von Rainer A. Müller. Bearb. von Hans-Christoph Liess u. Rüdiger vom Bruch. Stuttgart 2007; Examen, Titel, Promotionen: Akademisches und staatliches Qualifikationswesen vom 13. bis zum 21. Jahrhundert. Hg. von Rainer Christoph Schwinges. Basel 2007. 2 Gustav Carl Knod: Die alten Matrikeln der Universität Straßburg 1621 bis 1793. Bd. 1: Die allgemeinen Matrikeln und die Matrikeln der philosophischen und theologischen Facultät. Bd. 2: Die Matrikeln der medicinischen und juristischen Facultät. Straßburg 1897. Bd. 3: Personen- und Ortsregister. Straßburg 1902. Nachdruck der Bde. 1 bis 3 Nendeln 1976.

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Den späteren Lebensweg der Studenten nachzuzeichnen ist mangels einschlägiger Quellen eine aufwendige, wenn auch letztlich sehr lohnende Arbeit. Die meisten sind ja nicht in biographischen Lexika nachgewiesen, und die diversen Matrikelauszüge von Genealogen bieten selten Zusatzinformationen. Dies gilt auch für Schnettlers Übersicht.3 Im Gegensatz zu einigen anderen Teilen des Alten Reiches gibt es für unsere Regionen kaum einschlägige Personen- oder Gelehrtenlexika. In jüngster Zeit sind zwar biographische Nachschlagewerke für Dortmund4 und Essen,5 die größten Städte, sowie für das Ruhrgebiet6 herausgekommen. Ihre Lücken im Bereich der Frühen Neuzeit sind jedoch enorm. Fachliche Lexika wie der leider Fragment gebliebene ‚Ranieri‘7 bei den Juristen helfen etwas weiter. Es ist schade, dass die Matrikeln der Akademischen Gymnasien in Dortmund, Essen, Hamm und Soest verloren gegangen sind.8 Dort erhielten die späteren Studenten den ersten Unterricht. Da viele danach ihr Studium an der nahe gelegenen Universität Duisburg aufnahmen, finden wir in deren Matrikel9 so manchen Hinweis auf früheren Schulbesuch. Sie hat auch hier bei der Rekonstruktion der Biographien, der akademischen Wanderungen und des späteren Lebensweges der Studenten vielfach geholfen. Es sollten und konnten an dieser Stelle keine ausgearbeiteten Biographien der in Straßburg promovierten 23 Juristen, drei Mediziner und zwei Magister aus Westfalen geliefert werden,10 wohl aber Querverweise auf Studien an anderen Hochschulen oder auf wichtige biographische Belegstellen, etwa auf zeitgenössische Publikationen wie Gratula3 Otto Schnettler: Studierende aus Dortmund und der Grafschaft Mark in Frankfurt, Straßburg und Kassel. In: Beiträge zur Geschichte Dortmunds und der Grafschaft Mark 21, 1912, S. 167‒185, hier S. 175‒185. 4 Biographien bedeutender Dortmunder. Menschen in, aus und für Dortmund. Hg. von Hans Bohrmann. Bde. 1‒3. Dortmund 1994‒2001. Mit dem dritten Band wurde das Erscheinen leider eingestellt. 5 Essener Köpfe. Begründet von Erwin Dickhoff. Essen 2015. 6 Willi Gorzny: Biographisches Lexikon des Ruhrgebietes: geboren ‒ gewirkt ‒ gestorben zwischen Wesel und Hagen, Moers und Unna. Pullach/Isartal 2011. 7 Biographisches Repertorium der Juristen im Alten Reich. 16. ‒ 18. Jahrhundert. Hg. von Filippo Ranieri [Buchstaben] A, C, D, E. Frankfurt/Main 1987‒1991. Die CD-ROM-Ausgabe dieser BioBibliographie (Frankfurt 1997) wurde um den Buchstaben B erweitert. 8 Mit Verzeichnissen der dort verteidigten Dissertationen liegen für Dortmund und Hamm Alternativen vor: Manfred Komorowski: Die Schriften des Akademischen Gymnasiums Hamm/Westfalen (1657‒1781): eine vorläufige Bilanz. In: Gutenberg-Jahrbuch 67, 1992, S. 275‒297; ders.: Dortmunder Dissertationen des 17. Jahrhunderts: Eine bibliographische Zwischenbilanz. In: Beiträge zur Geschichte Dortmunds und der Grafschaft Mark 94, 2003, S. 87‒137. Für beide Schul- bzw. Hochschulorte habe ich inzwischen eine beträchtliche Anzahl von neuen Titeln gesammelt. Eine Veröffentlichung steht noch aus. 9 Duisburger Universitätsmatrikel 1652‒1818:  https: www.uni-due.de/ub/archiv/universitaetsmatrikel-shtml. 10 Einige Straßburger Promotionen sind nicht mit letzter Sicherheit belegt.

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tionsschriften (Himmelreich), Leichenpredigten (Löbbecke, Saalmann, Dresing) oder auf moderne Forschungsliteratur (Huyssen). Manche Lebensdaten konnten aus dem VD 17 ergänzt werden. Elf weitere Westfalen erwarben ihre akademischen Grade, nachdem sie Station in Straßburg gemacht hatten, an einem anderen Ort, besonders an der Universität Basel, deren Matrikeledition auch umfangreiche biographische Notizen enthält,11 und in dem bei Juristen sehr beliebten Orléans.12 Gleiches gilt für die elf Straßburger Studenten und späteren Doktoren aus dem Herzogtum Kleve.13 Ein beliebter Promotionsort für junge Juristen und Mediziner aus unseren Regionen blieb auch Heidelberg bis zu seiner Zerstörung im Jahre 1693.14 Von den elf Straßburger Studenten aus dem Herzogtum Kleve erwarb keiner den akademischen Grad in Straßburg, sondern eben bevorzugt an den genannten Orten. Die rund 50 hier vorgestellten Personen sind nur ein minimaler Teil der Straßburger Studentenschaft des 17. Jahrhunderts. An ihrem Beispiel kann man aber deutlich erkennen, in welchem Umfang die prosopographische Erforschung frühneuzeitlicher Straßburger Absolventen intensiviert und Bausteine für eine regionale Gelehrtengeschichte geliefert werden können. Aus Platzgründen verzichte ich hier auf Einzelbelege im ‚Knod‘, der Straßburger Matrikel, sowie auf Fundstellen in anderen Matrikeln.

11 Die Matrikel der Universität Basel. Hg. von Hans Georg Wackernagel, Max Triet u. Pius Marrer. Bde. 1‒5. Basel 1951‒1980. 12 Eine systematische Überprüfung der in den Archives du Loiret in Orléans aufbewahrten universitätsgeschichtlichen Quellen, vor allem der chronologisch angelegten Acta Procuratoria (Bestand D 221 u. D 222) der deutschen Nation, würde viele weitere Graduierungen belegen. Erste Ansätze findet man bei Manfred Komorowski: Die Universität Orléans im 17. Jahrhundert: ihre Bedeutung für Juristen aus dem deutschsprachigen Raum. In: Dichtung – Gelehrsamkeit – Disputationskultur. Festschrift für Hanspeter Marti zum 65. Geburtstag. Hg. von R. Sdzuj, R. Seidel u. B. Zegowitz. Wien u. a. 2012, S. 386‒409. Neben den unten Genannten promovierten weitere Westfalen an der Loire: Gerhard Ernst aus Hamm (1669: De sequestrationibus), Bertram Zacharias Kumpsthoff (1670) und Johann Kaspar Hopmann (1674), beide aus Dortmund, sowie Franz Heinrich Offerhauss aus Hamm (1685: De iure retractus). Sie studierten allerdings nicht in Straßburg. 13 Wie bei der Duisburger Matrikel konnte der Verfasser hier auf eine eigene Arbeit zurückgreifen: Manfred Komorowski: Graduierte aus dem Herzogtum Kleve und der Grafschaft Moers 1575‒1700. Eine bio-bibliographische Dokumentation. In: Schwinges: Examen, Titel, Promotionen (Anm. 1), S. 535‒574. 14 Zu Heidelberg: Manfred Komorowski: Heidelberger Inauguraldissertationen und Promotionen im 17. Jahrhundert. In: Müller: Bilder – Daten – Promotionen (Anm. 1), S. 319‒377. Der Beitrag behandelt die oberen Fakultäten. Ein Straßburger Student, Bernhard Theodor Zythopoeus aus Dortmund, promovierte 1655 in Heidelberg zum Doktor der Rechte (s.u.). Dort promovierten auch Heinrich Marquardt aus Soest (1662) und Arnold Albert von Munster aus Dortmund (1663), und zwar bei Johann Friedrich Boeckelmann (S. 347). Beide machten aber auf ihrer ‚peregrinatio academica‘ nicht Station in Straßburg.

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1. Straßburger Doktoren aus Westfalen Affelmann, Anton (1599‒1651, Soest/Westfalen). In Straßburg 11.4.1629, Kandidat der Rechte 4.1629, Inauguraldissertation De actu condicionali 27.4.1629, Promotion 30.4.1629. Ranieri: Biographisches Repertorium (Anm. 7), A 222. Alstede, Kaspar Heinrich (Lünen/Westfalen). In Straßburg 28.5.1668, Kandidat der Rechte 9.12.1669, Promotion am 24.3.1670 mit der Inauguraldissertation De evictionibus. Studium in Hamm/Westfalen 1664 bis 1668, dort 1664 unter dem Vorsitz von Theodor Nisius Dissertation De servitutibus. Ranieri A 528. Bielfeld, Clemens alias Otto v. (Essen). Promotion zum Magister der Philosophie 1654 ohne Inauguraldissertation.

Abb. 1: Georg Bruning 1662: VD17: 1: 014842N: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Signatur: Gg 14156, Provenienz: Hlg 3126 [Gymnasialbibliothek in Heiligenstadt].

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Verteidigte am 17.1.1652 am Gymnasium zu Dortmund unter dem Vorsitz von Christoph Scheibler die theologische Dissertation De iudicio Babylonis apocalypticae. Boggen, Bernhard (Dünschede/Westfalen). In Straßburg 7.12.1685, Kandidat der Rechte 23.1.1686, Inauguraldissertation De variis, et lectissimis iurium capitibus 16.2.1686, Promotion 30.1.1687. Brökelmann, Hermann Georg (Dortmund). In Straßburg 21.9.1669, Kandidat der Rechte 13.12.1670, Inauguraldissertation De innocentia in causis criminalibus 15.6.1671, Promotion 30.6.1671. Studium in Jena 8.5.1665, dort Übungsdissertation De errore 2.1669 (Präses: Johann Strauch). Bruning, Georg (1639‒1679, Essen/Westfalen). In Straßburg 5.3.1662, Kandidat der Rechte 3.7.1662, Inauguraldissertation De condictione indebiti 4.9.1662 (Abb. 1), Promotion 27.9.1662. Studium in Duisburg 11.5.1658, Jurist und Bürgermeister in Essen 1670 bis 1679. Degingk, Bertram Theodor (Dortmund). In Straßburg 25.4.1665, Kandidat der Rechte 16.4.1667, Inauguraldissertation Ex triplici iure canonico, civili et feudali desumpta, de contractu et iure emphyteutico 12.9.1667, Promotion 5.3.1668. Ranieri D 176. Degingk, Johann Philipp (Dortmund). In Straßburg 25.4.1672, Kandidat der Rechte 25.4.1672, Inauguraldissertation De protopraxia 27.5.1672 [Titelblatt 29.5.], Promotion 30.5.1672. Ranieri D 179. Deginck, Johannes (Dortmund). In Straßburg 10.5.1630, Kandidat der Rechte 6.4.1631, Inauguraldissertation Dodecas theorematum iuridicorum intricatissimam […] materiam de pignoribus et hypothecis […] exhibentium 23.6.1631. Ranieri D 178: Studium in Köln 1625. Gerlinghauss, Salomon (Dortmund). In Straßburg 11.1.1627, Kandidat der Medizin 8.1.1628, Inauguraldissertation De scorbuto 2.1628 (Abb. 2). Grolmann, Alexander Johann (Mark/Westfalen) [Bochum]. In Straßburg 16.8.1665, Kandidat der Rechte 31.7.1669, Inauguraldissertation De personis ad iudicium pertinentibus 23.8.1669, Promotion 26.8.1669. Außerdem Übungsdissertation De iure retorsionis adversus iniurias verbales 6.1666 (Präses: Johannes Rebhan), dort Herkunftsort Bochum angegeben. Himmelreich, Johann Theodor (Dortmund). In Straßburg 1661? (nicht in der Juristenmatrikel), Kandidat der Rechte 11.6.1661, Inauguralis de felonia, Germanis ein Schelmenstuck. Cum annexa thesi generali, disputatio 20.10.1661. Promotion 14.11.1661.

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Abb. 2: Salomon Gerlinghauß 1628: VD17: 23: 692838G: Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Signatur: Xb 5282 (6).

Gratulationsschrift 1661 für Himmelreich und zwei weitere Doktoren: VD17 23:670910Y. Holtzbrinck, Arnold Kaspar (Altena/Mark). In Straßburg 1660? (nicht in der Juristenmatrikel), Kandidat der Rechte 25.3.1660, Inauguraldissertation De matrio iure 9.5.1661, Promotion 13.6.1661. Studium in Duisburg 1.1655, Basel 11.7.1660 [!], Jurist in Kleve. Huyssen, Heinrich (1666‒1739, Essen). In Straßburg 1689? (nicht in der Juristenmatrikel), Kandidat der Rechte 15.2.1689, Inauguraldissertation De iustitio vom Stillstand des Gerichts 23.5.1689 (Abb. 3). Studium in Duisburg (Huysz) 11.4.1682, Leipzig 1686. Erik Amburger: Huyssen, Heinrich Freiherr von. In: Neue Deutsche Biographie. Bd.  10. Berlin 1974, S. 106f.; Gorzny: Biographisches Lexikon (Anm. 6), S.  320;

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Abb. 3: Heinrich Huyßen 1689: VD17: 12: 141378Z: München, Bayerische Staatsbibliothek, Signatur: 4 Diss. 720/12.

Svetlana Korzun: Heinrich Huyssen (1666‒1739). Prinzenerzieher, Diplomat und Publizist in den Diensten Zar Peters I., des Großen. Wiesbaden 2013; Essener Köpfe (Anm. 5), S. 166. Jacobi, Theodor (1632‒1676, Soest). In Straßburg 23.4.1654, Kandidat der Rechte 5.9.1660, Inauguraldissertation De emphyteusi et laudemio 17.1.1661, Promotion 17.9.1663. Konig [König], Johann Wenemar (Herbede/Mark, Westfalen). In Straßburg 1662? (nicht in der Matrikel), Kandidat der Rechte 10.1.1662, Inauguraldissertation De differentiis utriusque sexus in iure 24.9.1662 (Titelblatt des Exemplars der Bayerischen Staatsbibliothek München 4 Diss. 250/16 nennt 24.7.1662), Promotion 27.9.1662.

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Abb. 4: Zacharias Löbbeke 1634: VD17: 3: 688401L: Halle, Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt; Signatur: Strassburg, Diss., 1630–37 (25).

Langrötger, Arnold Georg (Hattingen/Westfalen). In Straßburg 16.5.1666, Kandidat der Rechte 4.3.1667, Disputatio iuridica inauguralis continens analysin § 1. l. 12.ff. de acquir[enda] velamitt[endi] possess[ione] 18.4.1667, Promotion 2.5.1667. Frühere Studien in Jena: Dissertation, enthalten in Dominicus Arumaeus: Exercitationes XXVI ad pandectas. Jena 1665, S. 65‒80. Leimgart, Heinrich (Essen/Westfalen). In Straßburg 16.5.1666, Kandidat der Rechte 25.3.1667, Inauguraldissertation De antichresi 25.4.1667, Promotion 2.5.1667. Studium in Duisburg 14.9.1664, Bürgermeister in Essen.

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Löbbecke, Zacharias (1604‒1679, Dortmund). In Straßburg 15.2.1631, Kandidat der Rechte 18.2.1634, Inauguraldissertation Selectae aliquot conclusiones ex materia renunciationum 5.3.1634 (Abb. 4), Promotion 6.3.1634. Studium in Marburg 1627 (Lebecke), Basel 1633. Leichenpredigt von Bernhard Dresingk 1679 über den als Dortmunder Oberbürgermeister Verstorbenen (Memoria Davidis Tremoniani, VD17 23: 318373M). Meybusch, Gerhardt (Essen/Westfalen). In Straßburg 12.4.1665, Kandidat der Rechte 1.11.1666, Inauguraldissertation De regali postarum iure 7.3.1667. Studium in Duisburg (Meibusch) 11.5.1658. Deutsches Biographisches Archiv 1, 817, 42 = Christian Gottlieb Jöcher: Allgemeines Gelehrten=Lexicon. 3.  Theil: M‒R. Leipzig 1751 (Maybusch, ohne weitere Angaben!). Moller [Möller], Johann Nikolaus (Lünen). In Straßburg 13.9.1662, Kandidat der Rechte 6.2.1663, dort Promotion 1.1664 mit der Disputatio inauguralis exhibens feudorum materiam. Bei der Promotion ‚Consiliarius Palatino-Veldentinus‘. Reck, Mordius von der („Dominus in Scheppen et Berge, Dynasta in Witten“). In Straßburg Dissertation De piscatione 9.4.1662 (Präses Friedrich Deckherr), Kandidat der Rechte 23.7.1663, Dissertation (ohne Präses) De collatione bonorum, Germanicè, Die Einwerffung der Güter; 20.10.1663 Promotion. Saalman(n), Jakob (1648‒1673, Breckerfeld). In Straßburg 9.9.1667, dort 7.5.1668 Promotion mit der Inauguraldissertation De pleuritide. Leiden 6.8.1668, Arzt in Dortmund, Leichenpredigt von Johann Scheibler (Panacea, 1673, VD 17 1: 035834G). Trent(aeus), Adolph (Unna/Westfalen) 1660. In Straßburg 25.5.1659, Kandidat der Rechte 3.9.1660, dort Promotion 10.11.1660 mit der Inauguraldissertation De patrio in liberos eorumque bona iure, „promotus absens“. Studium nach der Promotion in Leiden 14.1.1663, siehe Album studiosorum academiae Lugduno Batavae (Den Haag 1875), dort Sp. 512: ‚Trente‘. Westhoff, Rudger (1645‒1727, Iserlohn). In Straßburg 9.9.1667 als Student der Theologie, Kandidat der Medizin 8.4.1668, Inauguraldissertation De affectu hypochondriaco 7.4.1668. Wilstach [Wilstius, Wilstoch], Bertram Kaspar (Hattingen). Kandidat der Philosophie 10.2.1662, ohne Inauguraldissertation, aber Disputationum philologicarum super psalterium Davidis Hebraicum undecima. De psalmo decimo 6.1662 (Präses: Balthasar Scheidt).

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Witgenstein, Wirich Wilhelm (Bochum) [Vorlage: Marco Guestphalus]. In Straßburg Kandidat der Rechte 19.5.1666, Inauguraldissertation De iure in re speciali, quod dominium dicitur 11.6.1666, Promotion. Zum Broich, Balthasar Konrad (Unna/Westfalen). In Straßburg Kandidat der Rechte 5.1.1700, dort Promotion 3.1700 mit der Disputatio inauguralis exhibens delibata iuris publici, circa nonum electoratum.

2. Westfalen mit Studium in Straßburg, aber Promotion an anderen Universitäten Degingk, Dietrich (Dortmund). In Straßburg 23.2.1643, in Basel 4.1644, dort Promotion (Jurisprudenz) 16.7.1644 mit der Dissertation Successio legitima intestati civilis, feudalis ac regia. Ranieri D 177; Matrikel Basel (Anm. 11), Bd. 3, 1962, S. 421. Dresing [Knod: Dressing], Peter Johann (1663‒1720, Dortmund). In Straßburg 2.11.1684, Dissertatio iuridica solennis de vetustate (wohl nicht Inauguraldissertation), Promotionsort unbekannt. Ranieri D 641; Trauergedichte über den als Gerichtsschultheiß der Städte Schöningen und Königslutter Verstorbenen Das Tugend-Bild Des Weyland Hoch-Edlen […] Herrn Petri Johannis Dresings, Beyder Rechte Doctoris. Helmstedt 1720. Gruter, Johann (Breckerfeld). In Straßburg 10.9.1669, Promotion (Jurisprudenz) Orléans 1670. Studium außerdem in Herborn 4.1.1665, Duisburg 23.12.1665, Basel. Hasselhoven, Elias (Dortmund). In Straßburg 5.5.1669 (Haselfoug!), Duisburg 14.6.1670, dort Promotion zum Doktor der Rechte, Inauguraldissertation bisher nicht nachweisbar. Kettering, Jodokus (Lünen/Mark). In Straßburg 1669, Promotion (Jurisprudenz) Orléans 1671. Studium in Hamm/Westfalen 1665, Dissertation De usufructu 7.3.1665 (Präses Theodor Nisius). Magirus, Georg (Hattingen/Westfalen) [nicht Magirus, Johannes, wie bei Knod: Matrikel (Anm. 2), Bd. 2, S. 3]. In Straßburg 1616, Basel 5.1620, dort im selben Jahr Doktor der Medizin mit der Inauguraldissertation De syncope, damals bereits Magister der Philosophie. Matrikel Basel (Anm. 11), Bd. 3, 1962, S. 225. Mallinckrodt, Arnold (Dortmund). In Straßburg 1.9.1669, Tübingen 19.4.1669, Duisburg 1670, dort Doktor der Rechte mit der Inauguraldissertation De frequentissima nec non utilissima protestationum materia 23.6.1670.

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Rahmacker, Arnold (Iserlohn). In Straßburg 10.11.1656, Marburg 13.5.1654, Duisburg 9.6.1659, dort Doktor der Rechte mit der Disputatio inauguralis iuridica ex jure civili canonico et feudali deprompta 20.6.1659. Schultze, Heinrich (Dortmund). In Straßburg 8.4.1670, Köln, Duisburg 15.12.1665, Gießen, Duisburg, dort Doktor der Rechte mit der Inauguraldissertation Religio iurisiurandi 31.3.1672. Ubelgun, Johann Gerhard (Hattingen). In Straßburg 2.7.1685, Promotion (Jurisprudenz) Groningen 20.10.1690 mit der Dissertation De lege „Ab Anastasio“ vet. C. mandati (so der Wortlaut im Album studiosorum academiae Groninganae. Groningen 1915, Sp. 453). Zythopoeus alias Brauer oder Brawer, Bernhard Theodor (1629‒1686, Dortmund). In Straßburg 10.1653, Promotion (Jurisprudenz) Heidelberg 6.1655 mit der Dissertation Centum et triginta positiones ex universo iure civili, canonico, feudali (Präses: Heinrich David Chuno). Am Gymnasium Dortmund verteidigte der Autor am 23.3.1650 unter dem Vorsitz des Konrektors Heinrich Beurhaus die Dissertation Historico-theologicum paradoxon, negans Petrum per vigintiquinque annos Romanum papam fuisse.

3. Graduierte aus dem Herzogtum Kleve Einige der elf Kandidaten weilten nur sehr kurz in Straßburg (Beyer, Bresser, Gohr), zogen bald weiter nach Basel, einer der bevorzugten Promotionsuniversitäten der Epoche. Die dortige Matrikeledition hält vielfältige biographische Informationen bereit. Als Promotionsort beliebt war auch Duisburg, bei den Philosophen und Medizinern Padua. In Straßburg erwarb keiner der Genannten den Titel eines Lizentiaten oder Doktors. Beyer, Johann von (Wesel). In Straßburg 20.9.1654, Basel 9.1654, dort juristische Inauguraldissertation De successione testata particulari, sive de legatis et fideicommissis particularibus, Promotion 2.2.1655. Bresser, Hermann (Wesel). In Straßburg 18.4.1655, Basel 4.1655, dort juristische Inauguraldissertation De praecipuis actionum in rem speciebus, Promotion 2.2.1656. Elber, Wenemar [so das Titelblatt der Dissertation] (Wesel). In Straßburg 1669 (Student der Theologie), Duisburg, dort Doktor der Medizin mit der Inauguraldissertation De apoplexia 14.2.1678. Gohr, Johann von (Wesel). In Straßburg 9.5.1664, Basel 1664, dort Doktor der Rechte mit der Inauguraldissertation De pariatione seu unione prolium 21.10.1664, Promotion 1.11.1664.

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Janssen, Johannes (Duisburg). In Straßburg 30.7.1669, Duisburg, dort Doktor der Rechte mit der Inauguraldissertation De amicabili litis compositione 1.1673. Noey (Noije), Heinrich (Emmerich). In Straßburg 11.10.1643, Padua, dort Promotion zum Doktor der Philosophie und der Medizin 1649 [?]. Ohsterwick, Heinrich von (Emmerich). In Straßburg 7.10.1670, Basel, dort Inauguraldissertation Theses inaugurales iuridicae, Promotion 12.12.1673. Peill, Arnold (Emmerich) In Straßburg 10.4.1649, Basel, dort Inauguraldissertation De hereditatibus, quae ab intestato deferuntur, Promotion 11.6.1650. Rasfeldt, Richard von (Wesel). In Straßburg 12.4.1665, Duisburg, Harderwijk, dort Promotion in Jurisprudenz 15.6.1666. Rodenberg, Justin von (1646‒1721, Wesel). In Straßburg 28.11.1673, Basel 1673, dort Disputatio inauguralis iuridica continens quaestiones illustres, Promotion zum Doktor der Rechte 11.9.1674. Schwem, Hermann (Rees). In Straßburg 13.11.1629 (Swen), Padua, dort Promotion zum Doktor der Philosophie und der Medizin 14.8.1632.

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Der Straßburger Universitätshistoriker Gustav Carl Knod und seine Matrikeledition Die frühneuzeitliche Universität Straßburg hatte schon seit über 100 Jahren ihre Pforten geschlossen, als der Straßburger Gymnasiallehrer Gustav Carl Knod (1850‒1914) deren Matrikel, richtiger deren Matrikeln, herausbrachte.1 Die ersten beiden Bände erschienen zum 25jährigen Gründungsjubiläum der sogenannten Reichsuniversität (ab 1877 KaiserWilhelms-Universität) Straßburg im Jahre 1897. Der Registerband, der die 16 überwiegend im Thomas-Stift aufbewahrten Einzelmatrikeln erschloss, folgte fünf Jahre später. Die Edition reihte sich in die Phalanx der kurz vorher publizierten Universitätsmatrikeln ein. Personalverzeichnisse weiterer Hochschulen folgten bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs. Ihre Bearbeiter waren überwiegend Professoren, Archivare, Bibliothekare oder Genealogen, unter anderen Georg Erler für Leipzig und Königsberg, Elias von Steinmeyer für Altdorf, Gustav Toepke für Heidelberg, Ernst Friedländer für Frankfurt/Oder und Greifswald.2 Mit Gustav Carl Knod begegnet uns ein Gymnasiallehrer, der sich wie viele seiner Kollegen neben seinen dienstlichen Aufgaben intensiv wissenschaftlich betätigte. Davon zeugen etliche als Schulprogramme veröffentlichte Schriften, Artikel in diversen Zeitschriften, Beiträge in Standardwerken wie der Allgemeinen Deutschen Biographie und fundamentale Abhandlungen zur Universitätsgeschichte, etwa zu Bologna, Padua, Orléans, zur frühneuzeitlichen Studentenmigration und eben zur Historie der Hochschule an seinem langjährigen Wirkungsort.3 1 Gustav Carl Knod: Die alten Matrikeln der Universität Straßburg 1621 bis 1793. Bd. 1: Die allgemeinen Matrikeln und die Matrikeln der philosophischen und theologischen Facultät. Bd. 2: Die Matrikeln der medicinischen und juristischen Facultät. Straßburg 1897. Bd. 3: Personen- und Ortsregister. Straßburg 1902. Nachdruck der Bde. 1 bis 3 Nendeln 1976. Digital auch in den digitalen Sammlungen der Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf: http://digital.ub.uni-duesseldorf. de/. 2 Die beste, wenn auch nicht ganz vollständige und aktuelle Übersicht über publizierte Universitätsmatrikeln findet man bei Eva Giessler-Wirsig und Johanna Böhm-Klein: Universitäts- und Hochschulmatrikeln. In: Taschenbuch für Familiengeschichtsforschung. Hg. von Wolfgang Ribbe u. Eckart Henning. 12. aktualisierte u. ergänzte Aufl. Neustadt/Aisch 2001, S. 232‒266. Mittlerweile liegt eine Reihe von Matrikeln auch digital vor. 3 Die Bibliographie am Ende des Beitrags vereint seine universitätsgeschichtlichen Arbeiten. Die Schulprogramme findet man in Franz Kössler: Katalog und Bibliographie der Schulprogramme (http://digibib.ub.uni-giessen.de/cgi-bin/populo/sp.pl).

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Er wurde als Sohn des Konrektors Heinrich Knod am 19. April 1850 in Trarbach an der Mosel geboren, studierte ab 1869, unterbrochen von der Teilnahme am DeutschFranzösischen Krieg, in Halle, Marburg, Utrecht und Straßburg. Am letztgenannten Studienort legte er 1875 das Staatsexamen ab. Die Promotion zum Doktor der Philosophie erfolgte am 17.  Februar 1876 in Tübingen4 mit einer altgermanistischen Dissertation über Gottfried von Neifen und seine Lieder, die 1877 erschien. Inzwischen hatte Knod 1875 Augusta Anna Luise Ramdohr geheiratet. Der Schuldienst führte ihn kurz ins lothringische Forbach, dann in verschiedene Städte des Elsass, zunächst nach Gebweiler/ Guebwiller (1877, dort 1881 Oberlehrer), Schlettstadt/Sélestat (1883), schließlich als Professor ab 1890 bis zu seiner Pensionierung an das Straßburger Lyzeum. Er starb in Straßburg am 24.  Juni 1914.5 Seine Witwe zog 1916 nach Berlin um, übergab der Straßburger Universitäts- und Landesbibliothek aber nur einen kleinen Teil seines Nachlasses, nämlich das Manuskript von Knods Vorarbeiten zu einer Matrikel deutscher Studenten an der Universität Orléans 1441‒1724.6 Die von Knod mehrfach erwähnten eigenen Vorarbeiten zu einer Rekonstruktion der Straßburger Gymnasialmatrikel von 1538 bis 1621 befanden sich nicht in seinem Nachlass. Gerhard Meyer (Anm. 10), später Anton Schindling,7 die Bearbeiter der großen Schulgeschichte,8 und Zdzisław Pietrzyk9 haben im Rahmen ihrer Forschungen über das renommierte sturmsche Gymnasium vergeblich danach gesucht. Knods Biographie und auch seine universitätsgeschichtlichen Forschungen können als gut erforscht gelten. Die Suche nach der Straßburger Gymnasialmatrikel und nach Knods Vorarbeiten zu einer Rekonstruktion wird wohl nicht zum Erfolg führen.10 4 Freundliche Auskunft Universitätsarchiv Tübingen Dezember 2014. 5 Nouveau dictionnaire (Anm. 10, Rott), S. 2028. Meyer: Zu den Anfängen (Anm. 10), S. 33, nennt den 14. Juni 1914 als Todesdatum. Einige Bibliographien und Datenbanken sprechen gar von „um 1920“. 6 Index nominum suppositorum inclytae Nationis Germanicae Aureliensis 1441‒1734. Manuskript Bibliothèque nationale et universitaire (BNU) de Strasbourg MS 2884 (nicht MS 3884 wie im Nouveau dictionnaire, Anm. 10, Rott). Es handelte sich um eine Liste der Studenten, ganz überwiegend Juristen, der Universität Orléans aus den Livres des procurateurs und anderen Akten der dortigen deutschen Nation. 7 Anton Schindling: Humanistische Hochschule und freie Reichsstadt. Gymnasium und Akademie in Straßburg 1538‒1621. Tübingen 1977. 8 Histoire du Gymnase Jean Sturm: Berceau de l’Université de Strasbourg 1538‒1988. Hg. von Pierre Schang u. Georges Livet. Straßburg 1988. 9 Zdzisław Pietrzyk: W kręgu Strasburga: z peregrynacji młodzieży z rzeczypospolitej polsko-litewskiej w latach 1538‒1621 (Im Umkreise Straßburgs: zu den Wanderungen der Jugend aus der polnischlitauischen Republik in den Jahren 1538‒1621). Krakau 1997. 10 Die umfassendsten Biographien Knods findet man im Nouveau dictionnaire de biographie alsacienne. Redaktion Jean-Pierre Kintz. Bd. 21: Kie‒Koe. Straßburg 1993, S. 2028 (Jean Rott), sowie bei Franz Kössler: Personenlexikon von Lehrern des 19. Jahrhunderts: Kaak‒Kysaeus: http://geb.unigiessen.de/geb/volltexte/2008/6116. Auch biographisch ergiebig sind Arthur Schulze: Die örtliche

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Die ‚alten Matrikeln‘11 der Straßburger Hochschule von ihrer Erhebung zur Volluniversität im Jahre 1621 bis zu ihrer Auflösung 1792 fand Knod im örtlichen Thomas-Archiv im ‚Fonds de l’Université‘ vor. Eine ausführliche Beschreibung der benutzten Archivalien finden wir im ersten Band der Matrikeledition.12 In den Wirren der Französischen Revolution waren allerdings so manche Akten verloren gegangen. So fehlten große Teile der Rektoratsmatrikel. Die verfügbare Matricula generalis maior (3281 Personen) deckte nur den Zeitraum von 1766 bis 1794 ab. Glücklicherweise führten alle vier Fakultäten zusätzlich Fakultätsmatrikeln, die die Verluste weitgehend ausglichen. Zudem konnte Knod auf die erhaltenen Dekanatsbücher, die Acta der Fakultäten, zurückgreifen. Im Gegensatz zu den meisten anderen deutschen Hochschulen führte man in Straßburg eine separate Adelsmatrikel, die Matricula serenissimorum et illustrissimorum (1657‒1791, 718 Personen), und ein Verzeichnis weiterer Universitätsangehöriger, die Matricula chirurgorum, didascalorum et servorum (1692‒1792, 1041 Personen), in der neben den Badern Sprach-, Fechtmeister, Pedelle und Sekretäre nachgewiesen waren. Unter der Überschrift ‚Allgemeine Matrikeln‘ fasste Knod die Dokumente im ersten Band seiner Edition zusammen. Dort findet man auch die Matrikeln der philosophischen (1621‒1793, 5657  Personen) und der theologischen Fakultät (1621‒1792, 2630 Personen). Diese betreffen den Gesamtzeitraum. Die philosophischen Matrikeln weisen nicht nur die Gesamtzahl der Studenten nach, sondern separat auch die Bakkalaren (1621‒1789, 752 Personen), die Magister (1621‒1789, 1224 Personen) und die gekrönten Poeten (1622‒1737, 27 Personen). Die großen Lücken der Rektoratsmatrikel wie der beiden anderen allgemeinen Teilmatrikeln (Adlige, Universitätsangehörige) fallen auf. Deutlich vollständiger sind die im zweiten Band der Edition zusammengefassten Matrikeln der juristischen (1621‒1792, 8690  Personen) und der medizinischen Fakultät (1621‒1793, 2895 Personen). Sie beziehen sich auf den Gesamtzeitraum und liefern zusätzlich die Matricula candidatorum (2969 Juristen und 810 Mediziner), die Promotionsmatrikeln, in der Medizin zudem 96 Studenten der voruniversitären Epoche von 1612 bis 1620. Die Einträge der knodschen Edition sind bei den Studenten knapp bemessen. Sie enthalten in der Regel nur das Immatrikulationsdatum, den Namen und die Herkunft (vgl. Abb. 1). Wie noch zu sehen, konnte Knod nur in wenigen Fällen Einträge nicht entziffern. und soziale Herkunft der Straßburger Studenten 1621‒1793. Frankfurt/Main 1926, S. 9; Gerhard Meyer: Zu den Anfängen der Straßburger Universität. Neue Forschungsergebnisse zur Herkunft der Studentenschaft und zur verlorenen Matrikel. Aus dem Nachlaß des Verfassers hg. u. bearb. von Hans-Georg Rott u. Matthias Meyer. Hildesheim, Zürich, New York 1989, S. 32f. 11 Zur Charakteristik frühneuzeitlicher Matrikeln grundlegend Matthias Asche u. Susanne Häcker: Matrikeln. In: Quellen zur frühneuzeitlichen Universitätsgeschichte. Typen, Bestände, Forschungsperspektiven. Hg. von Ulrich Rasche. Wiesbaden 1977, S. 243‒267. 12 Knod: Die alten Matrikeln (Anm. 1), Bd. 1, S. XXX‒XXXV.

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Abb. 1: Kandidatenmatrikel 1669/70 mit dem Eintrag des Kandidaten Brökelmann (Archives de Strasbourg. Matricula professorum et candidatorum iuridicae facultatis. 1 AST 430, f°105).

Aus den Fakultätsakten ermittelte Knod die Titel der meisten Inauguraldissertationen, beinahe ein Unikum in Editionen älterer Universitätsmatrikeln, und schuf damit eine bibliographische Quelle ersten Ranges. Ein Gesamtverzeichnis Straßburger Dissertationen unter Einschluss der Übungsdisputationen gibt es bis heute nicht. Eine kombinierte Suche im VD 17 unter dem Ort ‚Straßburg‘ und der Gattung ‚Dissertation‘ ergab 3534 Treffer (Zugriff 19. Januar 2017), darunter zwar eine Reihe von Mehrfachnennungen, aber eben auch viele Titel aus der Zeit vor 1621. Das 17. Jahrhundert dürfte damit bibliographisch gut abgedeckt sein. Überholt und nur in Straßburg verfügbar ist eine Auswahlliste juristischer Dissertationen von Marcel Thomann.13 Da neben dem VD 17 auch andere bibliographische Verzeichnisse und Datenbanken Dissertationen aus der Zeit des Gymnasiums, also vor 1621, nachweisen, bilden die entsprechenden Hochschulschriften mit ih13 Marcel Thomann: Liste des thèses juridiques de la Faculté de droit de Strasbourg qui à la date du 1.1.1981 n’ont pu être retrouvées dans un fonds de bibliothèque. Strasbourg: Faculté de droit, 1981. 52 S.

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ren Respondenten, Beiträgern und Widmungsempfängern eine vorzügliche Quelle zur Rekonstruktion der verlorenen Gymnasialmatrikel. Wohl nicht zuletzt wegen der intensiven Arbeiten an den 1899 erschienenen Deutschen Studenten in Bologna (siehe Bibliographie im Anhang), einem weiteren Großprojekt, das Knod schon 1888 im Auftrag der Berliner Akademie der Wissenschaften übernommen hatte, kamen die in Matrikeleditionen unabdingbaren Personen- und Orts- bzw. Herkunftsregister erst 1902 heraus.14 Im Vorwort des dritten Bandes ging Knod ausführlich auf all die Probleme ein, die damals wie heute Herausgeber von Matrikeln beschäftigen, etwa die schwer lesbaren Einträge des Manuskripts, die oft nicht leichten Namensansetzungen, verbunden mit all den Varianten für ein- und dieselbe Person, aber auch die mühselige Ermittlung kleinster Ortschaften. Wie in alle Matrikeleditionen schlichen sich Fehler ein. So kritisierte Schulze 192615 vor allem das Ortsregister. Nach etlichen Stichproben kann ich dieses Urteil allerdings nicht vollständig bestätigen. Es gibt Fälle wie den des 1616 immatrikulierten Mediziners Johannes Magirus,16 der in Wirklichkeit Georg mit Vornamen hieß und 1620, bereits Magister der Philosophie, in Basel promovierte. Er stammte aus dem westfälischen Hattingen (siehe meinen Beitrag Graduierte aus Westfalen in diesem Band). Lücken aufgrund unleserlicher Eintragungen wie bei den Juristen „Alexander de St…, Gallus“ (15. März 1624) oder „Balzar von… Rugianus“ (8. Juli 1625) sind selten.17 Immerhin erfahren wir die Herkunft ‚Frankreich‘ bzw. ‚Rügen‘. Eklatante Fehlinterpretationen wie im Falle des Dortmunder Juristen Elias Hasselhoven (1669 in Straßburg), bei dem Knod „Haselfoug“, allerdings mit Fragezeichen, liest, sind die Ausnahme.18 Ohne meine Duisburger Vorarbeiten hätte ich in diesem Fall den richtigen Namen kaum ermitteln können. Immerhin standen Knod dank der Inauguraldissertationen in zahlreichen Fällen gedruckte und somit gut lesbare Quellen als Korrektiv zum vielfach schwer lesbaren Matrikelmanuskript zur Verfügung. Die Registerbände sind überwiegend zuverlässig. Das Ortsregister differenziert zusätzlich nach Staatsangehörigkeit, innerhalb des damaligen Deutschen Kaiserreichs nach Teilstaaten bis hin zu Regierungsbezirken. Ein Beispiel mag die umfassenden Recherchen Knods illustrieren: Der 1621 in Straßburg promovierte Jurist Jakob Synzius stammte aus dem kleinen fränkischen Dorf „UnterYckelheim“. Im Ortsregister wird von dort auf

14 Im Gegensatz zu den Deutschen Studenten in Bologna, die vielfach besprochen wurden, gab es kaum Rezensionen der Straßburger Matrikeln. Zu ermitteln waren nur zwei Besprechungen des Registerbandes: Hans Kaiser, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins. Neue Folge  17, 1902, S. 397f.; Camille Bloch, in: Bibliothèque de l’école des chartes 63, 1902, Numéro 1, S. 411f. Dazu: Bibliographie der deutschen Rezensionen mit Einschluß von Referaten und Selbstanzeigen. Hg. von Felix Dietrich u. Reinhard Dietrich. Bde. 1‒13. Leipzig 1901–1912. 15 Schulze: Die Herkunft (Anm. 10), S. 8. 16 Knod: Matrikeln (Anm. 1), Bd. 2, S. 3. 17 Ebd., S. 210f. 18 Ebd., S. 287.

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‚Ickelheim‘ verwiesen,19 was zeigt, dass Knod hier wie in anderen nicht einfachen Fällen sorgfältig recherchiert hat. Nach Goldmann20 trugen sich 32 340 Studenten in die Straßburger Matrikeln ein, eine Zahl, die deutlich zu hoch angesetzt ist, waren doch viele doppelt oder sogar mehrfach in den Einzelmatrikeln erwähnt. Besonders markant sind die Überschneidungen bei den allgemeinen Fakultätsmatrikeln und den Graduiertenlisten. Die meisten Studenten, wenn auch nicht alle, findet man in beiden Aufstellungen. Keine Studenten waren zudem die erwähnten übrigen Universitätsangehörigen. Realistischer dürften nach eigenen und Zählungen Wolfgang Mährles 24 000 bis 25 000 Straßburger Studenten sein. Obwohl sie zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt, zu Beginn des 30jährigen Krieges, gegründet worden war,21 strömten doch zahlreiche Studenten an die lutherische Universität, die sich bald großer Beliebtheit im Alten Reich und darüber hinaus erfreute.22 Man apostrophierte sie schon als ‚Fremdenuniversität‘, die Studenten aus oft weit entfernten Regionen im Rahmen ihrer ausgedehnten akademischen Wanderungen besuchten. Ein kurzer Blick in das Ortsregister bestätigt dies schnell. Schon im ersten Jahrfünft von 1621 bis 1625 fanden sich 980 Studenten in Straßburg ein. Zwischen 1626 und 1630 waren es dann schon 1180. Von den Kriegswirren blieb man weitgehend verschont. Mit einer durchschnittlichen Jahresfrequenz von 213 Studenten lag man im 17. Jahrhundert im Mittelfeld der deutschen Universitäten. Nach 1700 erreichte Straßburg mit 252  Studierwilligen einen Rang im oberen Drittel.23 Die Rechtsfakultät sollte stets bedeutend bleiben, die medizinische, fast überall recht klein, erlangte erst nach 1750 größere Bedeutung. In dieser Zeit zog es auch etliche Duisburger Medizinstudenten rheinaufwärts.24 Knod und auch Eulenburg, der statt ‚Knod‘ ‚Knood‘ schrieb,25 betonten nachdrücklich den deutschen Charakter der Hochschule, obwohl Straßburg seit 1688 zum französischen Königreich gehörte.

19 Ebd., Bd. 3, Verweis von S. 524 („Unter-Yckelheimensis“) auf S. 446 („Ickelheim“, mit geographischen Erläuterungen). 20 Karlheinz Goldmann: Verzeichnis der Hochschulen. Neustadt/Aisch 1967, S. 344. 21 Allerdings wurde nahezu zeitgleich das Akademische Gymnasium Altdorf zur Universität erhoben und in Rinteln an der Weser eine neue Hochschule gegründet. 22 Dazu Matthias Asche, Susanne Häcker u. Patrick Schiele: Studieren im Krieg: Die Universitäten entlang des Rheins im (Wind-)Schatten des Dreißigjährigen Krieges. In: Krieg und Kriegserfahrung im Westen des Reiches 1568‒1714. Hg. von Andreas Rutz. Göttingen 2016, S. 205‒236. 23 Franz Eulenburg: Die Frequenz der deutschen Universitäten von ihrer Gründung bis zur Gegenwart. Photomechanischer Nachdruck der Ausgabe von 1904. Mit einem Nachwort von Elisabeth Lea u. Gerald Wiemers. Berlin 1994. 24 Duisburger Universitätsmatrikel 1652‒1817: https://www.uni-due.de/ub/archiv/universitaetsmatrikel.shtml (Link überprüft 11. Januar 2017). Bei einer Suche nach weiteren Studienorten findet man dort 104 Studenten, die zwischen 1652 und 1818 auch in Straßburg studierten. 25 Eulenburg: Die Frequenz (Anm. 23), S. 321.

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Weist die Literatur über die frühneuzeitliche Universität Straßburg nach wie vor viele Lücken auf,26 ist die dortige Studentenschaft doch schon genauer analysiert worden. Neben der erwähnten Gesamtdarstellung von Arthur Schulze verfügen wir über eine Reihe von regionalen oder lokalen Aufstellungen, die aber in vielen Fällen nur die Matrikel exzerpieren. Schon bevor die knodsche Edition herauskam, hatten die Matrikelmanuskripte das Interesse einiger Heimatforscher und Genealogen gefunden,27 deren Aufstellungen aber einen deutlich geringeren Umfang hatten als die Arbeiten des damaligen Direktors der Straßburger Universitäts- und Landesbibliothek Karl August Barack (1827‒1900). Dieser legte umfangreiche Listen der aus geographischen Gründen besonders zahlreichen württembergischen und badischen Studenten vor.28 Mit zusätzlichen biographischen Notizen zum weiteren Lebenslauf der Studenten konnte Barack nicht dienen. Als dann ‚der Knod‘ 1902 vollständig vorlag, untersuchten zahlreiche Heimatforscher und Genealogen die Matrikel auf Studenten aus ihren jeweiligen Heimatregionen. Es kamen nun die Balten,29 die Dortmunder und Märker,30 die Pfälzer,31 die Schweizer,32 die Ost-

26 Dazu der Überblick von Anton Schindling in diesem Band. Die ältere Forschungsliteratur findet man bei Wilhelm Erman u. Ewald Horn: Bibliographie der deutschen Universitäten. Bd. 2. Leipzig 1904 (Nachdruck Hildesheim 1965), S. 953‒990, Nr. 16638‒17342. Viele Titel betreffen dort allerdings das 19. Jahrhundert. Zudem Simonne Guenée: Bibliographie de l’histoire des universités françaises des origines à la révolution. T. 2: D’Aix-en-Provence à Valence et académies protestantes. Paris 1978, S. 382‒418, 441 Einträge. Aus neuerer Zeit, zwar nicht personengeschichtlich, aber ansonsten sehr wichtig Ulrike Rother: Die theologischen Fakultäten der Universität Straßburg: ihre rechtlichen Grundlagen und ihr staatsrechtlicher Status von den Anfängen bis zur Gegenwart. Paderborn 2001. 27 Erman, Horn: Bibliographie (Anm. 26), S. 974. 28 Karl August Barack: Württemberger auf der Straßburger Universität 1621‒1793. In: Württembergische Vierteljahreshefte für Landesgeschichte 2, 1879, S. 161‒206 (1983 Personen, chronologisch, mit Registern der Personen und der Heimatorte bzw. -regionen); ders.: Badische Studenten auf der Straßburger Universität von 1616 bis 1791. In: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 38, 1885, S. 157‒209 (1161 Personen, chronologisch, Personenregister, kein geographisches Register). 29 Wilhelm Arnold Christiani: Liv-, Est- und Kurländer auf der alten Universität Straßburg. In: Baltische Monatsschrift 1907, Heft 7/8, S. 33‒55 (133 Studenten, mit biographischen Notizen). 30 Otto Schnettler: Studierende aus Dortmund und der Grafschaft Mark in Frankfurt, Straßburg und Kassel. In: Beiträge zur Geschichte Dortmunds und der Grafschaft Mark 21, 1912, S. 167‒185 (Straßburg S. 175‒185, Personen- und Ortsregister). 31 Sebastian Hausmann: Die pfälzischen Studenten an der alten Universität Straßburg. In: Pfälzisches Museum ‒ Pfälzische Heimatkunde 1928, Heft 9/10, S. 234‒244. 32 Sebastian Hausmann: Die Schweizer Studenten an der alten Universität Straßburg. In: Zeitschrift für schweizerische Geschichte 8, 1928, S. 64‒103 (1025 Personen, nach Herkunft chronologisch, Personenregister).

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und Westpreußen,33 die Schlesier,34 die Vorarlberger35 hinzu. Der vorliegende Band enthält Analysen der Studentenschaft aus Zürich (Christian Scheidegger) und aus den süddeutschen Reichsstädten (Wolfgang Mährle). Einem kleinen Kreis der Straßburger Absolventen widmet sich der Verfasser dieser Zeilen in seinem Beitrag über die Graduierten aus Westfalen und vom Niederrhein, fast ausnahmslos Juristen und Mediziner. Wie angesprochen plante Knod zudem, die verschollene Matrikel des renommierten, 1538 gegründeten ‚sturmschen Gymnasiums‘ aus anderen Quellen zu rekonstruieren und herauszubringen, des höchst einflussreichen Vorgängers der Universität, über den wir durch Anton Schindling und andere (Anm. 7‒9) vorzüglich informiert sind. Im Gegensatz zur wohl endgültig verlorenen Gymnasialmatrikel vor 1621 verfügen wir über die Matrikeln der Schola Argentinensis / Gymnase Jean Sturm, des Gymnasiums von 1621 bis ins 20. Jahrhundert.36 Die Akten der alten Universität Straßburg befinden sich heute in den örtlichen Archives municipales (Archives de la ville et de la communauté urbaine) im Fonds St. Thomas. Ein Findbuch aus dem Jahre 1937 informiert ausführlich über den Bestand.37 Höchst interessant und bisher nicht ausgewertet oder gar publiziert sind die dort verfügbaren Druckschriften, die programmata inauguralia (Nr. 445), programmata funebria (Nr. 446), programmata lectionum academiae bzw. gymnasii (Nr. 450f.), die Invitations aux cérémonies universitaires, etwa zu Promotionen (Nrn. 452‒457). Verwandte, wenn nicht identische Bestände dürfte die Bibliothèque nationale et universitaire besitzen. Der Forscher findet in Straßburg überreiche Quellen für weitere Forschungen zur frühneuzeitlichen Straßburger Universitätsgeschichte. Nach 1900 widmete sich Knod der natio Germanica der besonders bei promotionswilligen Juristen beliebten Universität Orléans, die auch von etlichen Straßburger Studen-

33 Horst Kenkel: Studenten aus Ost- und Westpreußen an außerpreußischen Universitäten vor 1815. Hamburg 1981 (darin Straßburg S. 465‒472). 34 Claudia Zonta: Schlesische Studenten an italienischen Universitäten. Eine prosopographische Studie zur frühneuzeitlichen Bildungsgeschichte. Köln, Weimar, Wien 2004. Auf ihrem ‚iter Italicum‘ machten zwischen 1621 und 1740 380  Schlesier (vgl. S. 28), die meisten Juristen, in Straßburg Station. Die inhaltsreichen einschlägigen Biogramme kann man leicht über das Personen- und Ortsnamenregister ermitteln, unter ‚Straßburg‘ (S. 533). 35 Karl Heinz Burmeister: Vorarlberger Studenten in Straßburg im 17. und 18. Jahrhundert. In: Alemannia studens 1, 1991, S. 11‒19. 36 Matricula Scholae Argentoratensis / Gymnase Jean Sturm. Hg. von Werner Westphal. T.  1 (1621‒1721). Straßburg 1938. T. 2 (1721‒1827). Straßburg 1976. T. 3 (1827‒1880). Straßburg 1980. T. 4 (1880‒1939). Straßburg 1983. 37 Inventaire des archives du chapitre de St. Thomas de Strasbourg [hg. von Jean Adam]. Straßburg 1937. D: Gymnase, Académie, Université, Nr. 323‒457. Die Matrikeln findet man unter den Nummern 409, 422, 423, 430, 434, 442, 443.

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ten besucht wurde. Er arbeitete deshalb 1910/11 einige Monate in den Archives du Loiret, wo auch das Manuskript aus dem Nachlass (s. Bibliographie) entstanden sein dürfte.38 Wie die Straßburger Gymnasialmatrikel vor 1621 ist auch die Matrikel der 1618 gegründeten fürstbischöflichen Universität Molsheim für das 17. Jahrhundert nicht überliefert. Erhalten ist die Matrikel dieser katholischen Gegengründung für die Zeit nach deren Verlegung nach Straßburg, d. h. für das 18. Jahrhundert. Diese Matrikel erscheint nun nach mehreren Anläufen (Beitrag Schiele in diesem Band). In seiner Matrikeledition konnte Gustav Carl Knod einige Namensvettern, vielleicht sogar Vorfahren, vorstellen, die Studenten der Theologie Johann Franz Knod (1712 in Straßburg), der Jurisprudenz Johann Georg Knod (1656) und der Philosophie Johann Peter Knod (1654). Sie alle stammten aus Enkirch an der mittleren Mosel, ganz in der Nähe von Trarbach. Johann Georg promovierte 1664 in Duisburg.

Universitätsgeschichtliche Publikationen und Handschriften Gustav Carl Knods Elsässische Studenten in Heidelberg und Bologna. In: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins. Neue Folge 7, 1892, S. 329‒355 (sehr kritische Analyse zweier Monographien Paul Ristelhubers, nämlich ‚Heidelberg et Strasbourg. Recherches biographiques et littéraires sur les étudiants alsaciens immatriculés à l’université de Heidelberg, Paris 1888‘ und ‚Strasbourg et Bologne: recherches biographiques et littéraires sur les étudiants alsaciens immatriculés à l’université de Bologne de 1289 à 1562, Paris 1891). Ein Urteil der Philosophischen Fakultät der alten Universität Straßburg aus dem Jahre 1636 über Thomas Murners Chartiludium Logicae. In: Mitteilungen der Gesellschaft für Deutsche Erziehungs- und Schulgeschichte 7, 1897, Heft 2, S. 107‒110. Deutsche Studenten in Bologna 1289‒1562. Biographischer Index zu den Acta nationis Germanicae universitatis Bononiensis. Berlin 1899 (Register zu: Acta nationis Germanicae universitatis Bononiensis ex archetypis tabularii Malvezziani. Hg. von Ernst Friedländer u. Carlo Malagola. Berlin 1887).

38 Dazu auch: Manfred Komorowski: Die Universität Orléans im 17. Jahrhundert: ihre Bedeutung für Juristen aus dem deutschsprachigen Raum. In: Dichtung – Gelehrsamkeit – Disputationskultur. Festschrift für Hanspeter Marti zum 65. Geburtstag. Hg. von Reimund B. Sdzuj, Robert Seidel u. Bernd Zegowitz. Wien, Köln, Weimar 2012, S. 386‒409. Die schon von Knod ausgewerteten Livres des procurateurs liegen nunmehr bis 1602 ediert vor: Les Livres des Procurateurs de la Nation Germanique de l’ancienne Université d’Orléans 1444‒1602. Hg. von Cornelia M. Ridderikhoff. T. 1‒4. Leiden 1971‒2015. Eine Fortsetzung für das 17. Jahrhundert wäre sehr wünschenswert. Viele Studenten aus dem Alten Reich, ja aus ganz Europa machten sowohl in Orléans wie auch in Straßburg Station.

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Rheinländische Studenten im 16. und 17. Jahrhundert auf der Universität Padua. In: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein, insbesondere die alte Erzdiözese Köln 68, 1899, S. 133‒189. Album Studiosorum Aurelianensium. Natio Germanica. [Druckfragment um 1899, Original unbekannt], 3 S. (Universitäts- und Stadtbibliothek Köln). Oberrheinische Studenten im 16. und 17. Jahrhundert auf der Universität Padua. In: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins. Neue Folge 15, 1900, S. 197‒258 u. 432‒453; 16, 1901, S. 246‒262 u. 612‒637; 17, 1902, S. 620‒638. Index nominum suppositorum inclytae Nationis Germanicae Aureliensis 1441‒1734. Manuskript BNU Strasbourg (Ms 2884). Liste deutscher Studenten, überwiegend Juristen, der Universität Orléans aus den Livres des procurateurs und anderen Akten der dortigen deutschen Nation. Unveröffentlichte Korrespondenzen Knods weist die Datenbank Kalliope nach (http:// kalliope.staatsbibliothek-berlin.de), etwa mit seinem Straßburger akademischen Lehrer und Bearbeiter der Altdorfer Universitätsmatrikel Elias von Steinmeyer (1848‒ 1922) oder dem später in Bonn wirkenden Historiker und Archivar Aloys Schulte (1857‒1941), dem wir Teile des Urkundenbuches der Stadt Straßburg verdanken, jener Reihe, in der dann auch die knodsche Matrikeledition herauskam.

Personenregister Abegg, Hans Heinrich 482 Abegg, Johann Kaspar 482 Achelis, Thomas Otto 384 Ackermann, Konrad 14 Adam, Johannes/Jean 16, 33, 39, 380, 392, 518 Adam, Wolfgang 1, 380, 422, 423 Adler, Georg Sigismund 55 Adler, Hans E. 34 Adler, Maximilian 174 Aemilius, Paulus, Veronensis 183, 316 Affelmann, Anton 502 Agesilaos II., Sparta, König 188, 203, 204, 205, 206, 207 Agricola, Gnaeus Iulius 231, 232, 233, 234, 316, 320 Agricola, Rudolf 101 Agrippa, Marcus Vipsanius 226, 227, 231, 265, 272, 273 Agrippina d.J. 148 Ahlfeld, Johann Joseph 362 Aimonus, Floriacensis 192 Alberius, Claudius s. Aubery, Claude  Albert, Arnold 501 Alberti, Michael 488 Alberti, Paulus 188 Albhard, Kaspar 256 Albrecht Alcibiades, Brandenburg-Kulmbach, Markgraf 305 Albrecht, Dieter 13 Albrecht, Georg 145, 174 Albrecht, Michael von 75 Aldrovandi, Ulisse 125, 128 Alefeld, Georg Ludwig 470 Alefeld, Wolfgang von 149, 150, 151 Alexander III. (der Große), Makedonien, König 121, 122, 201, 214, 271, 315f. Alexander, Kaspar 228 Alfons II. (von Aragon), Neapel, König 189, 198 Alkibiades 203, 205, 207, 208, 209, 211, 216, 217

Alonso-Nuñez, José Miguel 226 Alschner, Uwe 381 Alstede, Kaspar Heinrich 502 Altaner, Bertold 125 Althusius, Johannes 175, 176, 182, 199, 243, 245, 257, 291 Alvermann, Dirk 225, 371, 386 Amburger, Erik 504 Amerstorfer, Michael 87 Amman, Johann Christoph 146 Ammerich, Hans 24 Ammirato, Scipione 187, 278, 289, 318 Andermann, Kurt 385 Andermann, Ulrich 385 Andreae, Johann Valentin 183 Andres, Stefan 389 Angelelli, Ignacio 44 Angermundt s. Bruck, Jakob von  Anrich, Ernst 138, 141 Anselm, Sabine 213, 216 Antonius, Gottfried 41, 144 Antonius, Marcus, Triumvir 231, 289 Antonius, Thomas 169 Appius Claudius, Crassus 253 Appold, Kenneth G. 46 Arbogast, Louis F. A. 27 Arborio di Gattinara, Mercurino 312, 318 Aretin, Karl Otmar von 383, 410 Aristainos 328 Aristeides von Athen 118, 203, 205, 210, 211, 212, 217, 260, 263, 299 Aristoteles 6, 47, 49, 50, 51, 52, 53, 54, 55, 56, 57, 59, 60, 61, 62, 63, 65, 67, 100, 118, 119, 120, 133, 136, 139, 141, 154, 155, 156, 161, 162, 163, 164, 170, 172, 177, 180, 182, 187, 192, 197, 226, 230, 231, 234, 236, 237, 238, 239, 240, 241, 242, 245, 246, 251, 255, 257, 258, 261, 265, 271, 276, 278, 283, 284, 336, 337 Arius, Haeresiarcha 122 Armitage, David 147

522

Personenregister

Arnim, Hans Georg 328 Arnisaeus, Henning 145, 165, 170, 173, 176, 177, 197, 199, 210, 235, 243, 246, 257, 265, 283 Arnold, Matthieu 1, 389, 390 Arruntius 231 Arumaeus, Dominicus 176, 506 Asch, Ronald G. 17, 233 Asche, Matthias 20, 359, 361f., 363, 370, 371, 381, 384, 385, 386, 387, 394, 398, 399, 403, 434, 459, 513, 516 Ashworth, Earline Jennifer 63 Atahualpa 321 Atilius 261 Atticus, Titus Pomponius 205, 326 Aubery, Claude 59, 67 Aubry, Peter 225 August II., Polen, König 26 August, Sachsen, Kurfürst 79 Augustinus 7, 44, 118, 183, 238, 305, 315 Augustus, Römisches Reich, Kaiser 130, 148, 149, 170, 187, 202, 203, 216, 225, 226, 227, 231, 276 Aurnhammer, Achim 111 Avalus, Thomas 220 Avenarius, Johannes 188 Aventinus, Johannes 144 Bach, Georg 71, 81, 84, 85, 91, 92 Bachmann, Konrad 38 Bachoff von Echt, Reiner 214 Bacon, Francis 308 Baechler, Christian 81 Baertschi, Christian 496 Bagehot, Walter 256 Bagus, Alexander C. H. 382 Bahlcke, Joachim 195 Bähre, August 90 Balber, Johann Jakob 481, 482 Baldinger, Albrecht 289 Baldini, Artemio Enzo 155 Barack, Karl August 387, 394, 517 Barclay, John 255 Barclay, William 186 Barkmann, Johann Jakob 188

Barnekow, Christian 301, 302, 303, 304, 305, 306, 307, 308 Barner, Wilfried 43, 55, 58, 114 Barnewitz, Friedrich 149, 224, 225, 226, 227, 301 Barth, Kaspar von 124 Barudio, Günter 152 Bátori, Ingrid 423 Bauer, Walter 461 Bauernfeind, Martina 422 Baumgart, Peter 22 Baur, Jörg 41 Bautz, Friedrich Wilhelm 84 Bautz, Traugott 84 Becher, Joachim 291 Bechmann, Friedemann 256 Becht, Jakob Eberhard 204, 205, 210, 211 Bechtold, Johannes 33 Becker, Jakob 257 Becker, Winfried 19 Beckmann, Rasmus 298 Bedrott, Jakob 105 Behnen, Michael 291 Behrens, Johann Ludwig 165 Beigler, Johannes 228 Bellarmin, Robert 145 Bender, Eva 189 Bengtson, Hermann 207, 209 Bentz, Jakob 124 Bentz, Johann Jakob 124, 170, 171, 188 Bentz, Johannes 51, 90 Berbig, Hans Joachim 27 Berchtold, Ludwig 39 Berger-Levrault, Oscar 49, 52, 361 Berg-Schlosser, Dirk 137 Bernegger, Johann Kaspar 203 Bernegger, Matthias 2, 4, 5, 7, 15, 21, 54, 70, 71, 72, 81, 84, 90, 91, 93, 94, 97, 98, 102, 103, 104, 106, 111, 112, 114, 115, 120, 121, 122, 123, 133, 135, 137, 138, 139, 140, 141, 142, 143, 144f., 146, 148, 151, 158, 162, 163, 165, 166, 167, 168, 169, 170, 171, 172, 174, 176, 179, 181, 182, 183, 184, 185, 186, 187, 188, 189, 190, 191, 192, 194, 195, 201, 203, 204, 205, 211, 213, 218, 221, 222, 223, 224, 225,

Personenregister

231, 236, 237, 238, 239, 240, 241, 242, 243, 246, 289, 290, 291, 292, 293, 294, 295, 296, 297, 298, 299, 305, 309, 311, 312, 313, 314, 315, 316, 317, 318, 319, 320, 321, 322, 323, 336, 337, 390 Bernhard, Sachsen-Weimar, Herzog 203 Beroaldo, Filippo 189 Beroldingen, Familie 370 Bert, Jean-François 354 Besold, Christoph 139f., 144, 145, 146, 161, 166, 174, 175, 176, 177, 192, 199, 213, 218, 219, 220f., 225, 226, 235, 243, 244, 246, 257, 265, 267, 272, 286f. Besserer, Wilhelm 172, 178, 185 Bethlen, Gábor 167, 184, 297 Betz, Hans Dieter 84 Betz, Jacques 71 Betzinger, Claude 27 Beurhaus, Heinrich 509 Beuther, Michael 94 Bexius, Matthias 300 Beyer, Johannes von 509 Beyerstedt, Horst-Dieter 422 Beyrau, Dietrich 297 Biaudet, Henry 360 Biccius, Gregor 206 Bidembach, Familie 391 Biedermann, Benedikt 57 Biedermann, Hans Jakob 482 Biedermann, Johann Jakob 482 Bielfeld, Clemens von 502f. Bierbrauer, Günter 17 Bildheim, Stefan 238 Bilhöfer, Peter 13 Binder, Friedrich 152, 279 Binder, Wilhelm 80 Bireley, Robert 163 Biro, Ianus Gontaldus 48 Bitsch, Kaspar 219, 220 Blank-Sangmeister, Ursula 261 Blansdorf, Antonius von 318 Bleek, Wilhelm 138 Blickle, Peter 383 Bloch, Camille 515 Blomfield, Reginald 22 Bluntschli, Felix 465

523

Bobertag, Felix 87 Boccalini, Traiano 144 Bocer, Heinrich 218, 289 Bodenmann, Reinhard 465 Bodin, Jean 111, 123, 140, 142, 144, 145, 165, 167, 173, 175, 176, 177, 183, 184, 186, 192, 204, 205, 211, 213, 226, 237, 238, 239, 240, 241, 243, 244, 246, 252, 257, 258, 265, 266, 268, 269, 270, 271, 276, 278, 282, 285, 286, 287, 289, 291, 303 Bodmann, Familie 370 Bodmer, Salomon 482 Boeckelmann, Johann Friedrich 501 Boeckler/Boecler, Familie 391 Boeckler, Johann Heinrich 2, 7, 70, 71, 72, 77, 78, 80, 81, 82, 93, 105, 107, 111‒132, 133, 135, 137, 138, 139, 140f., 142, 148, 149, 150, 151, 152, 153, 154, 159, 160, 161, 162, 163, 165, 168, 172, 173, 175, 176, 177, 180, 188, 200, 201, 202, 203, 204, 205, 206, 207, 208, 209, 210, 213, 224, 225, 226, 227, 230, 245, 246, 247, 248, 249f., 251, 252, 253, 254, 255, 256, 275, 276, 277, 278, 279, 280, 281, 282, 283, 284, 285, 286, 287, 288, 289, 299, 300, 301, 302, 303, 304, 305, 306, 307, 308, 323, 324, 325, 326, 327, 328, 329, 330, 331, 332, 333, 334, 335, 336, 337 Boecler, Johann Philipp 475 Boecler, Johannes 471, 472, 484 Boecler, Philipp Heinrich 475 Boerhaave, Herman 25, 393, 485, 491 Boggen, Bernhard 503 Böhm, Laetitia 219 Böhm, Thomas 36 Böhmer, Johann Samuel Friedrich 114 Böhm-Klein, Johanna 384, 511 Bohrmann, Hans 500 Bolliger, Daniel 4 Bom, Erik 158 Bömer, Franz 75 Bonfinius, Antonius 184, 192, 194 Bonifatius VIII., Papst 97 Bopp, Marie-Joseph 71 Bopp, Monika 112, 117, 122, 123, 381 Bornitz, Jakob 167, 243, 244

524

Personenregister

Borrelli, Gianfranco 155 Bosbach, Franz 289, 312, 316, 321, 322, 323 Boschius, Magnus Theodoricus 96 Boschung, Urs 483, 491, 496 Bose, Johann Andreas 140f., 149, 150, 202, 203, 209, 226, 251, 256, 337 Botero, Giovanni 123, 155, 213, 278 Botvidi, Johannes 47, 60, 61 Boudicca 321 Bour, René 3 Boyle, Nicholas 379 Brackenhoffer, Joachim 147 Brady, Thomas A. 260, 265 Brahe, Erich 235 Brändli, Sebastian 477, 478, 482, 483, 485, 487, 490, 491, 492, 493, 495 Brandt, Johann Christian 201 Bratvogel, Friedrich 32 Braubach, Max 17f. Brauer, Bernhard Theodor s. Zythopoeus, Bernhard Theodor  Braun, Daniel 213 Braun, Matthäus 183 Braunfels, Otto 82 Brecht, Martin 41 Brendecke, Arndt 36 Brendle, Franz 13, 14, 18, 296, 298, 392 Brennecke, Hanns Christof 426 Bresser, Hermann 509 Breßlau, Harry 154 Brevaglieri, Sabina 36 Briel, Georg 171, 205, 209, 210 Brion, Friederike 380 Brix, Kerstin 2 Brockmann, Thomas 14 Brocktorf, Benedikt 121 Brocktorf, Ova 121 Brodersen, Kai 207 Brökelmann, Hermann Georg 503, 514 Brothagius, Samuel 122, 123 Bruck, Jakob von 189 Brülow, Kaspar 2, 42, 69, 70, 71, 72, 74, 76, 85, 90, 91, 94, 97, 99, 106, 107 Bruning, Georg 502, 503 Bruning, Jens 437 Brunner, Otto 277

Brüser, Joachim 24 Bruttedius, Niger 233 Brutus, Marcus Iunius 289 Brutus, Stephanus Junius s. Languet, Hubert  Buberl, Brigitte 382 Bucer, Martin 31, 77, 82 Bucher, Anna Margretha 482 Buchner, August 112 Buchstab, Günter 17 Buck, Robert J. 204 Buffon, Georges Louis Le Clerc de 348 Buhl, Wolfgang 382 Bullinger, Heinrich 465 Bünger, Karl 15, 70, 71, 81, 90, 91, 93, 98, 102, 106, 138, 141, 142, 143, 144, 165, 179, 181, 184, 187, 218, 312, 390 Burchtorph, Peter 235 Burckhardt, Carl Jacob 16 Burger, Andreas 147 Bürk, Albert 218 Burkhard, Felix 483 Burkhard, Heinrich 473, 474, 477, 481, 483 Burkhard, Johann Rudolph 482, 489 Burkhardt, Johannes 296, 298, 307 Burmeister, Karl Heinz 518 Burrus, Sextus Afranius 148, 188 Busius, Paulus 243 Bütikofer, Kaspar 485 Caesar, Carolus Julius 54 Caesar, Gaius Julius 46, 119, 148, 202, 289, 307, 326, 329 Calaminus, Georg 73 Calgacus 304, 316, 320 Caligula, Römisches Reich, Kaiser 148, 276 Calixt, Georg 84 Calov, Johann Georg 173 Calvin, Jean 6, 389 Cameen, Sveno 276 Camerarius, Familie 388 Camerarius, Ludwig 14, 310 Camillus, Marcus Furius 253 Campanella, Tommaso 321, 323 Cancik, Hubert 211, 225 Canne, Mauritius 235 Canoniero, Pietro Andrea 220

Personenregister

Canuleius 252, 272 Capito, Wolfgang 80, 100, 105 Caramuel Lobkowitz, Juan 48 Cardanus, Hieronymus 203 Carpzov, Benedikt (1595‒1666) 144, 165 Case, John 145 Caselius, Johannes 276 Cassius Dio 149, 204, 211, 224, 225, 226, 227, 234, 255, 265, 268, 271, 272, 273 Cassius Longinus, Gaius, Cäsarmörder 289 Castan, Joachim 389 Castruccio Castracani 187 Catilina, Lucius Sergius 122, 154, 292 Cato Minor 202, 260 Catull 76, 83 Cellarius, Balthasar 165, 170, 172, 244, 276 Cerealis s. Petillius Cerialis Caesius Rufus, Quintus  Ceriolanus, Furius 190, 220, 231 Cesarini, Julian 194 Chaline, Olivier 13 Chartier, Roger 395 Châtellier, Louis 22, 387 Chemlin, Kaspar 38 Chemnitz, Bogislaus Philipp von 255 Chladni, Martin 189 Christian I., Anhalt-Bernburg, Fürst 14 Christian II., Braunschweig-Wolfenbüttel, Herzog 203 Christian IV., Dänemark, König 203, 225 Christian Ludwig, Braunschweig-Lüneburg, Herzog 165, 281 Christian, Schlesien-Liegnitz-Brieg, Herzog 195 Christiani, Alexander 235 Christiani, Wilhelm Arnold 517 Christianus, Albertus 45 Christina, Schweden, Königin 112f., 151, 152 Chuno, Heinrich David 509 Chytraeus, David 99 Cicero, Marcus Tullius 60, 76, 158, 166, 182, 183, 190, 202, 237, 238, 239, 254, 255, 261, 276f., 278, 304, 306, 313, 318 Cicero, Quintus Tullius 313 Cincinnatus, Lucius Quinctius 250

525

Clapmar, Arnold 186, 190, 251, 263, 265, 272, 289, 304 Clasen, Daniel 243, 244 Claudius, Römisches Reich, Kaiser 148, 276 Clauer, Franz Xaver 362 Clauss, Manfred 36 Clément, Jacques 79 Clodius Thrasea Paetus, Publius 233 Cluten, Joachim 35, 36, 37, 153, 218, 242, 289 Cohn, Leopold 174 Coler, Christoph 112, 137, 183 Coligny, Gaspard de 203 Colladonus, David 236 Colli, Hippolyt von 190, 192, 220, 231, 243 Collonges, Julien 1, 390 Commynes, Philippe de 144, 190, 192, 334 Condillac, Étienne Bonnot de 348 Conrads, Norbert 195, 225 Conring, Hermann 112, 165, 243, 256, 283, 284 Contarini, Gaspare 183, 252 Contzen, Adam 175, 277 Conze, Werner 277 Copius, Bernhard 32 Coryate, Thomas 34, 35 Cosmann, Cajetan 219 Cotte, Robert de 381 Cotteri, Luigi 288 Covarrubias, Diego de 319 Crämer, Ulrich 31, 32, 380f. Crosnievicius, Balthasar 235 Crüger, Johannes 235 Curtius Rufus, Quintus 121, 122, 201 Cuspinianus, Johannes 144 Cuvelier, Antoine 99 Cuvier, Georges 349, 350, 351 Czaika, Otfried 99 D’Ansse de Villoison, Jean-Baptiste-Gaspard 2 D’Aumergues, Jean 468 Dach, Simon 121 Damler, Daniel 319 Danaeus, Lambertus 205, 213, 237, 239, 243, 246 Dankbaar, Willem Frederik 37

526

Personenregister

Dannhauer, Johann Konrad 2, 4, 6, 15, 16, 43, 47, 51, 52, 54‒67, 76, 87, 93, 104, 116, 147, 173, 196, 199, 200, 205, 213, 214, 300, 301, 337 Dante, Alighieri 312 Dasypodius, Petrus 50, 82, 105 Daunou, Pierre 355 Davey, Colin 84 De Boer, Jan-Hendryk 113 De la Gardie, Magnus Gabriel 112 De Ridder-Symoens, Hilde 386, 391 De Smet, Ingrid A. R. 317 De Vitoria, Francisco 183, 319 Dechambre, Amédée 81 Deck, Pantaléon 381 Deckherr, Friedrich 507 Dedekind, Benjamin 235 Dedekind, Friedrich 61 Degingk, Bertram Theodor 503 Degingk, Dietrich 508 Degingk, Johann Philipp 503 Degingk, Johannes 503 Dehio, Georg 35 Delattre, Pierre 359, 361 Delius, Michael 105 Demosthenes 115, 255 Denzler, Alice 493 Descartes, René 120 Deutschmann, Johannes 257 Di Simone, Maria Rosa 394 Dickerhof, Harald 386 Dickhoff, Erwin 500 Dickmann, Fritz 16, 17 Diederichs, Heinrich 126 Diefenbacher, Michael 418, 422 Dieterich, Konrad 39, 40, 41, 214 Dietrich, Felix 515 Dietrich, Frédéric de 27 Dietrich, Julia 18 Dietrich, Philippe-Frédéric de 27 Dietrich, Reinhard 515 Dietrich, Walter 147 Dietrichstein, Rudolf von 186, 187 Difenbach, Martin 213 Dinet, Dominique 379 Dingel, Irene 195

Diodorus, Siculus 213 Diokletian, Römisches Reich, Kaiser 318 Dionysios II., Syrakus, Tyrann 212 Dionysius, Halicarnassensis 255, 283, 287 Diot-Duriatti, Marie-Renée 2 Disselkamp, Martin 112, 150, 151 Dölau, Gottlob Christian 322 Dölemeyer, Barbara 20 Dolle, Karl Anton 33 Dollinger, Philippe 26 Dolopf, Johann Albert 89 Domitian, Römisches Reich, Kaiser 157, 206, 231, 232 Döpp, Siegmar 125 Döring, Detlef 21, 127 Dornau, Kaspar 220 Dörner, Gerald 82 Dorothea Sibylla, Brieg, Herzogin 195 Dorsche, Johann Georg 39, 93, 104, 205, 228, 257, 301 Dorsche, Johannes 4, 16, 40 Dotzauer, Winfried 382 Drach, Eusebius 219 Dreitzel, Horst 133, 142, 154, 155, 156, 160, 161, 162 Dresing, Peter Johann 501, 508 Dresingk, Bernhard 507 Dresser, Matthäus 194 Dressing s. Dresing  Dressler, Johann Christian 189 Drews, Paul 45, 46 Dreyer-Roos, Suzanne 381 Dreyfus, François-Georges 387 Drusus 130 Du Haillan, Bernard de Girard 205 Duchhardt, Heinz 20, 389, 422, 438 Duhr, Bernhard 358, 370 Dulssecker, Johann Reinhold 113 Dümler, Adolf 246 Dünnhaupt, Gerhard 73 Düntzer, Heinrich 487 Duraeus, Johannes 112 Düranthall, Georg 202 During-Hollender, Emmanuelle 4, 465, 470, 471, 474, 476, 477 Dürr, Renate 319

Personenregister

Dury, John s. Duraeus, Johannes  Düsterhaus, Donatus E. 28 Eberhard III., Württemberg, Herzog 88, 190 Eckel, Ernst 390 Eckhardus, Immanuel 125, 129 Eduard IV., England, König 305 Efferens, Wilhelm Ferdinand von 161 Egloff, Barbara Dorothea 494 Egyptien, Jürgen 111 Ehrenberg, Waremund von 186 Ehrenpreis, Stefan 385, 461 Ehrmann, Johann Friedrich 475 Eickmeyer, Jost 111 Eideneier, Hans 81 Eisenhart, August 166 Eisenhut, Werner 316 Eisenmann, Georg Heinrich 470, 473, 475 Eisenmenger, Johann Hippolyt 169 Elber, Wenemar 509 Elisabeth I., England, Königin 331 Ellerbach, Josef B. 16 Ellinger, Johannes 87 Elsmann, Thomas 389 Emili, Paolo s. Aemilius, Paulus, Veronensis  Enderle, Wilfried 383 Endres, Rudolf 382, 422, 436 Engel, Charles 33, 50, 84, 380 Engel, Gisela 319 Ennenckel, Georg Achatius 159, 217, 220, 233 Ennius 76 Epaminondas 203, 204, 205, 206 Epp, René 359, 361, 365, 368, 370, 373 Erasmus von Rotterdam 83, 191, 192, 322 Erbe, Michael 359, 392 Erdmannsdörffer, Bernhard 17 Erenberg, Waremund von 205 Erichson, Alfred 70 Erik XIV., Schweden, König 271 Erik, Schweden, König 207 Erler, Georg 511 Erman, Wilhelm 1, 517 Erne, Emil 478, 488 Ernst Bogislaff, Croy, Herzog 208 Ernst II., Sachsen-Gotha, Herzog 493 Ernst, Albrecht 13

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Ernst, August 39 Ernst, Gerhard 501 Ernst, Johann Heinrich 483 Ernst, Mansfeld, Graf 203, 297 Escher, Cleophea 495 Escher, Johann Wilhelm 483 Eschweiler, Karl 60 Essel, Christoph Theodor 235 Esterhazy, Nikolaus 179 Etter, Else-Lilly 155, 158 Etzler, Adam 190, 318 Eugen IV., Papst 194 Eulenburg, Franz 361, 366, 367, 374, 375, 384, 387, 395, 398, 399, 516 Fabricius, Philipp Konrad 470 Färber, Konrad Maria 18 Farnese, Ottavio 220 Farnese, Ranuccio 220 Fäsi, Heinrich 483 Fäsi, Küngold 487 Fata, Márta 381, 389 Faust, Johannes 325 Faustus Manichaeus 305 Federlin, Johann Jakob 119 Fée, Antoine Laurent Apollinaire 341 Feix, Josef 274 Fejtorová, Olga 418 Felden, Johannes von 173 Felgenhauer, Christoph Joachim 190 Felipe, Donald Leonard 44, 48, 56 Felwinger, Johann Paul 47, 161, 177, 256, 276 Ferdinand I., Heiliges Römisches Reich, Kaiser 80, 203, 284 Ferdinand II., Aragonien, König 317, 334 Ferdinand II., Heiliges Römisches Reich, Kaiser 4, 13, 14, 33, 40, 88, 192, 245, 300 Ferdinand III., Heiliges Römisches Reich, Kaiser 88 Fernel, Jean 214 Fetscher, Iring 155 Feurborn, Justus 35, 41 Feyerabend, Johann Albert 228 Feyerabend, Johannes, Bürgermeister 228 Feyerabend, Johannes, Resp. 180, 204, 205, 213, 228, 229, 230, 231, 232, 233, 234

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Personenregister

Feyerabend, Markus 228 Fingerlin, Sebastian 164 Finke, Heinrich 61 Finscher, Ludwig 90 Fischart, Johannes 97, 111, 141 Fischer, Erdmann R. 42 Fischer, Leonhard 201 Fischer, Renato 466 Flach, Dieter 227 Flach, Johann Georg 189 Flach, Sigismund 183, 184 Flachenecker, Helmut 383, 385, 386, 460 Flacius Illyricus, Matthias 100 Flaig, Egon 157 Flayder, Friedrich Hermann 205 Fleck, Ludwik 163 Flemming, Willi 42, 87 Flood, John L. 48, 71, 116, 123 Florus, Lucius Annaeus 151, 206, 289 Florus, Marcus 183 Foisneau, Luc 234 Foitzik, Waltraud 311, 314, 317 Fonseca, Pedro da 63 Ford, Franklin L. 24 Forer, Johann Andreas 152, 279 Forstner, Christoph 112, 161, 200 Forstner, Wolfgang 118 Fournier, Marcel 33, 50, 84 Foxius, Sebastian 192 Frachetta, Girolamo 188 Francesco Maria II. (Rovere), Urbino, Herzog 289 Franckenstein, Christian Friedrich 256 François, Etienne 24, 422 Frank von Lichtenstein, Johann Simon 3 Frank, Johann Peter 469 Frantz, Johann Joachim 122 Franz I., Frankreich, König 78, 79, 269 Franz II., Frankreich, König 269, 330 Freedman, Joseph S. 18, 48, 424 Freher, Marquard 185 Freher, Paul 40 Freinsheim, Johann Kaspar 116 Freinsheim, Johannes 139, 151, 188, 210, 213, 291 Freinsheim, Melchior 7, 116

Freitag, Johann Heinrich 471f., 484 Freitag, Johann Konrad 471, 472, 484, 490 Freitag, Matthias 424 Frensdorff, Ferdinand 165 Frid, Johann Jakob 118, 175, 246 Fried, Georg Albrecht 489 Fried, Johann Jakob 472, 490 Friedenreich, Zacharias 134, 139, 141, 175, 243, 244 Friedländer, Ernst 511, 519 Friedrich, Susanne 424 Friedrich Casimir, Hanau, Graf 170, 179, 208 Friedrich II., Dänemark, König 305 Friedrich II., Preußen, König 17 Friedrich III., Sachsen-Gotha, Herzog 493 Friedrich V., Baden-Durlach, Markgraf 219 Friedrich V., Pfalz, Kurfürst 13, 14, 40, 310 Friedrich VI., Baden-Durlach, Markgraf  147 Friedrich Wilhelm, Brandenburg, Kurfürst 17, 19 Friedrich, Württemberg-Neuenstadt, Herzog 88 Fries, Anna Dorothea 489 Fries, Hans Rudolf 463, 476, 477, 481, 484 Fries, Rudolf 482 Friess, Peer 460 Frijhoff, Willem 395, 405, 459 Frisowitz, Balthasar 167, 168, 184, 217 Fritz, Friedrich 39 Froereisen, Ammeister 341 Fröhlich, Philipp Andreas 144 Frommann, Friedrich Wilhelm 40 Fröreisen, Isaak 42, 145 Fröreisen, Johann Leonhard 148 Frotho, Dänemark, König 305 Fuchs, François-Joseph 141 Fuchs, Joseph 27 Fuchs, Peter 25 Fuhrmann, Manfred 261 Fürnrohr, Walter 438 Fürstenberg, Franz Egon von 23 Fürstenberg-Heiligenberg, Wilhelm Egon von 23, 24, 359 Füssel, Marian 45, 89, 113, 406

Personenregister

Fussenegger, Jakob 119 Füssli, Johann Kaspar 493 Gaab, Hans 425 Gabriel, Frédéric 234 Gahbauer, Ferdinand R. 84 Galen 93, 466, 467 Galilei, Galileo 120 Gambs, Johann Jakob 171, 205, 206, 289 Gambs, Johann Sebastian 117, 118, 119, 188, 203, 230 Gambs, Johannes 236 Gantenbein, Urs Leo 482, 483, 484, 485, 487f., 493, 494, 496 Garber, Klaus 264, 389 Garstein, Oskar 360 Gart, Peter 473 Gass, Josef 360, 362, 367, 370 Gassendi, Pierre 203 Gatz, Bodo 78 Gebhardt, Werner 459 Geerlings, Wilhelm 78, 125 Gehren, Reinhold von 325 Gehrke, Hans-Joachim 212 Geiger, Basilius 119 Geiger, Georg Basilius 119 Geiger, Johann Heinrich 484 Geilfus, Georg 485 Geilinger, Jakob 484 Geizkofler, Ferdinand 310 Geizkofler, Zacharias 310 Gellius 76, 260 Genger, Ferdinand Friedrich 290 Gentili, Alberico 167, 183, 243, 316 Gentillet, Innocent 186 Genton, Elisabeth 3 Georg Friedrich, Baden-Durlach, Markgraf 219 Georg, Schlesien-Liegnitz-Brieg, Herzog 195 Gerber, Stefan 361 Gerhard, Dietrich 22 Gerhard, Johannes 42, 145, 165, 181, 303 Gerlinghauß, Salomon 503, 504 Germanicus 130 Gerold, Johann Jakob 205 Gerstmeier, Markus 14

529

Gerteis, Klaus 382 Gessner, Hans Jakob 484 Gessner, Jakob 482 Gessner, Johannes 483, 489, 496 Gey, Abraham 228 Giebel, Marion 217, 261 Giese, Simone 190, 381 Giessler-Wirsig, Eva 384, 511 Giffen, Hubert van 133 Giffen, Johannes von 219 Gindhart, Marion 44, 45, 47, 48, 51, 114, 136, 163, 164, 178, 251 Giphanus, Obertus s. Giffen, Hubert van  Gisenius, Johannes 5, 6, 31, 32, 33, 34, 35, 36, 37, 38, 39, 40, 41, 42 Glaser, Hubert 14 Glaser, Wilhelm Christian 237, 311 Gloner, Samuel 6, 7, 69, 71‒108 Gmelin, Philipp Friedrich 492 Gnodalius, Petrus 326 Göbel, Johann Markus 147 Godefroy, Denis s. Gothofredus, Dionysius  Godefroy, Jacques 236 Goethe, Johann Kaspar 380 Goethe, Johann Wolfgang 3, 24, 25, 360, 379, 380, 381, 396, 438, 486, 493 Goetze, Georg Heinrich 99 Gohr, Johannes von 509 Gohren, Johann Adolph Wilhelm von 325 Gol, Theophil d.Ä. 90, 133, 138, 141 Gol, Theophil d.J. 133 Goldenbaum, Annika 113 Goldmann, Karlheinz 516 Gorzny, Willi 500, 504 Gothofredus, Dionysius 134, 144, 145 Gottesheim, Friedrich von 104 Gotthard, Axel 14, 296, 298, 325, 326 Gottlieb, Gunther 423 Grafft, Johannes 213 Gramondus, Bartholomaeus 278 Grandidier, Philippe-André 26 Grau, Conrad 2 Greiner, Johannes 435 Greissler, Paul 381 Greschat, Martin 31 Grewe, Wilhelm G. 301

530

Personenregister

Grimalius, Laurentius 255 Grob, Küngold 495 Grolmann, Alexander Johann 503 Grote, Johannes 180, 281, 282, 283, 284, 285, 286, 287, 288 Grote, Otto 165, 167, 281 Grotius, Hugo 8, 111, 136, 153, 165, 172, 173, 177, 210, 211, 213, 276, 283, 286, 293, 301f., 303, 304, 306, 323, 325, 327, 328, 329, 331, 332, 333, 334, 337 Gruber, Daniel 172, 242 Grunert, Frank 137 Grünsteudel, Günther 423 Gruter, Johannes 508 Gruterus, Janus 205, 283 Grypa, Dietmar 386 Gryphiander, Johannes 257 Gryphius, Andreas 112 Gsodam, Gertrude 334 Gualdo, Paolo 203 Gualtperius, Aegidius Konrad 38 Gueinzius, Johann Christian 225 Guenée, Simonne 517 Guerrier Koegler, Danielle 90 Guevara, Antonio de 205 Gufer, Josef 166 Guicciardini, Francesco 184, 190, 318 Guicciardini, Lodovico 219 Gumpelzhaimer, Georg 140, 209, 242 Gundling, Nicolaus Hieronymus 312 Gunermann, Heinz 318 Güntzler, Christoph 147 Güntzler, Vitus Ulrich 172, 256 Gustav Adolf II., Schweden, König 16, 73, 190, 203, 247, 305, 311, 436 Gustav I., Schweden, König 330 Guyer, Ernst Viktor 478, 483 Gyger s. Geiger  Haas, Gabriel 289, 291 Häberlein, Mark 142 Hächler, Stefan 491 Häcker, Susanne 359, 363, 384, 387, 394, 399, 513, 516 Hadrian, Römisches Reich, Kaiser 191, 232 Häfele, Rolf 381

Hafner, Urs 382 Hagenbuch, Johann Heinrich 482 Hahn, Karl 357f. Hahn, Louis-François 81 Haidt, Hieronymus 290f., 292, 293, 295, 296, 297, 298, 299, 309 Hall, Karl Alfred 41 Haller von Hallerstein, Jodocus Lazarus 275 Haller von Hallerstein, Johann Sigismund 275 Haller, Albrecht von 469, 470, 471, 476 Haller, Gottlieb Emanuel 491 Haller, Johannes 18 Hammerstein, Notker 21, 158, 366, 399, 437, 459 Hampel, Nicolaus 38 Hanov, Michael Christoph 257 Hansch, Michael Gottlieb 44 Hanstein, Michael 2, 6, 42, 69, 70, 72, 76, 85, 88, 94, 97, 106 Harald II., Dänemark, König 305 Harms, Wolfgang 99 Harpprecht, Johannes 220 Hartmann, Anna Elisabetha 495 Hartmann, Peter Claus 26, 385, 386 Haselfoug s. Hasselhoven  Hasselhoven, Elias 508, 515 Hau, Michel 392 Haug, Eduard 18 Haug-Moritz, Gabriele 27 Haugwitz, Friedrich Adolf von 256 Haupt, Heinrich 482 Hausberger, Karl 423 Hausdorf, Eva 26 Hauser, Johannes 482 Hauser, Oswald 19 Hausheer, Johann Jakob 463, 485 Hausmann, Sebastian 387, 463, 517 Havé, Paul-André 4, 465, 469, 470 Hawenreuter, Johann Ludwig 6, 50f., 52 Hebenstreit, Johann Baptist 166 Heckel, Martin 422 Hedio, Kaspar 105 Hegner, Anna Dorothea 493 Hegner, Johann Ulrich 485 Hegner, Ulrich 485 Heher, Georg Achaz 275

Personenregister

Heidegger, Wilpert 486 Heidelius, Johann Jakob 117 Heindel, Ferdinand 182 Heinemann, Isaak 174 Heinemeyer, Walter 142 Heinrich II., Frankreich, König 193, 271, 285 Heinrich III., Frankreich, König 79 Heinrich IV., Frankreich, König 20 Heinrich VII., England, König 152, 308 Heinrich VIII., England, König 271 Heinrich, Gerd 19 Heinrici, Daniel 182, 183, 184 Heintz, Georg 177, 178 Heisius, Ernst 169 Heisius, Johann Friedrich 169 Helfenstein, Johannes 169 Heller, Johannes 176 Heller, Sabine 485, 491 Henckel von Donnersmarck, Lazarus 242 Hengst, Karl 15, 357, 358 Henning, Eckhart 384, 511 Henninger, Johann Sigismund 471, 494 Hensler, Johannes 145 Héran, Jacques 4, 341, 465 Herberstein, Sigmund von 145 Herbst, Klaus-Dieter 49 Herde, Peter 22 Herder, Johann Gottfried 25, 380 Herding, Otto 192 Heresbach, Konrad 145, 190f. Herkommer, Hubert 147 Herlin, Christian 105 Hermann, Jean/Johannes 2, 3, 8, 9, 339, 340, 341, 342, 343, 344, 345, 346, 347, 348, 349, 350, 351, 352, 353, 354 Hermelink, Heinrich 45, 492 Herodian 234 Herodot 211, 226, 268 Herre, Franz 423 Herrmann, Ulrich 366, 437, 459 Herry, Simone 381 Hertner, Peter 381 Hesiod 209, 318 Hess, Johann Jakob 481, 486 Hess, Johann Joachim Rudolf 481, 486 Heßelmann, Peter 81

531

Heuchel, Kaspar 190 Heyden, Jakob von der 90 Hieron I., Syrakus, Tyrann 231 Hiketas, Syrakus, Tyrann 215 Hildebrandt, Reinhard 310, 311 Hillebrand, Werner 281 Hillen, Hans Jürgen 253, 255, 304, 320 Hiltebrand, Andreas 45 Himmelreich, Johann Theodor 501, 503f. Himy, Armand 147 Hintzsche, Erich 469 Hippokrates 93 Hirschgartner, Johann Jakob 481 Hirschmann, Gerhard 388 Hirzel, Anna 494 Hirzel, Johann Kaspar 472, 489, 490 Hobbes, Thomas 111, 177, 246 Hochgeschwender, Michael 297 Höchner, Marc 22 Hoen, Philipp Heinrich 220, 244 Hoenonius, Philipp Heinrich 235 Höffleiner, Franz 143 Hoffmann, Carl 148 Hoffmann, Carl A. 14 Hoffmann, Christian 209 Hoffmann, Friedrich 492 Hoffmann, Johann Leonard 490 Hoffmann, Philipp Ludwig 181, 182 Hoffmeister, Johannes 124 Hofmann, Johann Jakob 77 Hofmeister, Anna Margretha 494 Hofmeister, Wilhelm 481, 486 Hohkamp, Michaela 303 Hohrath, Daniel 383 Höing, Hubert 34 Hoius, Andreas 321 Hoke, Rudolf 255 Hollender, Louis-François 4, 465, 470, 471, 474, 476, 477 Hölscher, Karl 18 Holtzbrinck, Arnold Kaspar 504 Holtzendorff, Franz von 256 Holý, Martin 389 Holzem, Andreas 296 Holzhalb, Johann Konrad 486 Holzhauer, Heinz 389

532

Personenregister

Holzhey, Helmut 142, 154, 201, 491 Homer 207 Hommel, Johann Ludwig 473 Höpel, Harro 158 Hopffstock, Karl Maximilian von 209 Hopmann, Johann Kaspar 501 Hoquet, Thierry 348 Horaz 76, 82, 83, 101, 102, 106, 108, 177, 209 Horn, Ewald 1, 517 Horn, Georg 256 Horn, Johann Friedrich 173 Horneius, Konrad 62, 210 Horning, Wilhelm 40, 54 Horst, Gregor 468 Horvath, Nicole 423 Hotman, François 144 Hotz, Johann Kaspar 482 Hotz, Konrad 482 Hotze, Johannes 480, 486 Hoynovius, Michael 322 Huber, Andreas 164 Huber, Markus 164 Huber, Max 39 Huber, Ulrich 257 Huber-Rebenich, Gerlinde 112 Hubert, Margaretha 96 Hubert, Samuel 96 Hünerer, Adam 176, 236 Hunnaeus, Augustinus 48 Hunnius, Helfrich Ulrich 145 Hurtado de Mendoza, Pedro 63 Huyßen, Heinrich 501, 504, 505 Ică, Ion I. 84 Igersheim, François 379 Illing, Theodor 236 Im Hof, Wolfgang Martin 275 Imlin, Daniel 211 Immenkötter, Herbert 383 Ineich, Ivan 3 Ingold, Franz Rudolf 93, 104, 219 Ingold, Karl Julius 289 Isengrath, Johann Arnold 474 Isokrates 85, 187, 192, 234, 250, 255, 300 Iunta, Joseph 228 Iunta, Nikolaus 170

Iustinus, Marcus Iunianus 142, 143 Iwand, Franz 387 Jacobi, Theodor 505 Jaeger, Friedrich 89, 233, 384, 406 Jäger, Thomas 298 Jähnig, Bernhart 5, 31, 32, 33, 39, 41 Jakob I., England, König 192, 331 Jakob, Andreas 296 Jakubowski, Sophie Elisabeth von 465 Jalabert, Laurent 359 Jane (Gray), England, Königin 271 Janssen, Johannes 510 Janssens, Marijke 158 Jaquel, Roger 27 Jarzebowski, Claudia 303 Jauernig, Reinhold 54 Jaumann, Herbert 317 Jena, Gottfried von 213 Jenisch, Christian 143 Jenisch, Jakob 143 Jenisch, Joseph 143 Jirgal, Ernst 112, 148, 150, 152, 204, 247, 255 Joachimsohn, Paul 437 Jöcher, Christian Gottlieb 507 Johann Christian, Schlesien-Liegnitz-Brieg, Herzog 190, 195 Johann Friedrich II., Sachsen, Herzog 79 Johann Friedrich, Württemberg, Herzog 14 Johann Georg I., Sachsen, Kurfürst 14, 328 Johann II., Schweden, König 330 Johann III., Schweden, König 271 Johann Reinhard, Hanau, Graf 174 Johann, Finnland, Herzog s. Johann III., Schweden, König  Johann, Nassau-Saarbrücken, Graf 300 Jordan, Johann Kasimir 235 Jörn, Nils 225, 371, 386 Jovius, Paulus 194 Jung, Rudolf 192 Junius, Melchior d.Ä. 90, 91, 133f., 139, 141, 145, 170, 177, 181, 243 Junius, Melchior d.J. 133f. Junius, Patricius 125, 128 Jussieu, Bernard de 351 Juvenal 80, 103, 105, 106, 107

Personenregister

Kailitz, Steffen 256 Kaiser, David 340 Kaiser, Hans 515 Kaiser, Wolfram 488 Kaminski, Nicola 107 Kammerl, Reiner 383 Kampmann, Christoph 287, 328, 334, 335 Kant, Immanuel 45 Karg, Joseph d.Ä. 164 Karg, Joseph d.J. 164 Karl Eugen, Württemberg, Herzog 459 Karl Friedrich, Baden, Markgraf 25 Karl Gustav X., Schweden, König 152 Karl I. (der Große), Heiliges Römisches Reich, Kaiser 144, 181 Karl I., England, König 146, 147, 214, 265, 332 Karl II., Innerösterreich, Erzherzog 358 Karl VIII., Frankreich, König 334 Karl IX., Frankreich, König 270 Karl Ludwig, Pfalz, Kurfürst 21 Karl Theodor, Pfalz, Kurfürst 25 Karl V., Heiliges Römisches Reich, Kaiser 19, 78, 79, 154, 158, 203, 242, 245, 269, 284, 300, 305, 317, 318, 326 Karl VI., Heiliges Römisches Reich, Kaiser 17, 20 Karmires, Iōannēs N. 84 Karp, Sergueï 2 Kasten, Helmut 313 Kastner, Ruth 69, 358 Katharina (von Medici), Frankreich, Königin 269 Kaufmann, Christoph 486, 487 Keckermann, Bartholomäus 44, 57, 60, 144, 145, 176, 192, 197, 199, 220, 231, 237, 238, 243, 246 Keil, Karl-August 438 Keller, Christoph Sigismund 144 Keller, Friedrich 146 Kellermann, Karin 111 Kemmerich, Dietrich Hermann 325 Kenkel, Horst 518 Kepler, Johannes 120 Kess, Alexandra 465 Keßler, Manfred 315, 318

533

Kettering, Jodokus 508 Kewenhüller, Paul d.Ä 246f. Kewenhüller, Paul d.J. 152, 246f. Keyser, Erich 382 Kiechle, Franz 207 Kiedroń, Stefan 112 Kiefer, Erhard 147 Kiel, Anna 112 Kießling, Rolf 385, 386, 460, 462 Kilburger, Friedrich 290f., 292, 293, 294, 295, 296, 297, 298, 299, 305, 309 Kilburger, Matthias 290 Kimon 203, 205 Kintz, Jean-Pierre 16, 20, 70, 81, 381, 512 Kirchner, Hermann 142, 145, 168, 176, 220, 222, 236, 237, 238, 241, 243 Kirsch, Adam Friedrich 86 Klein, Thomas 142 Kleine, Adolf 46 Kleinehagenbrock, Frank 20 Kleinschmied, Heinrich 257 Kleinstäuber, Christian Heinrich 438 Kleopatra 207, 289 Klesmann, Bernd 301, 304 Klinglin, Franz Joseph 474 Klohius, Jeremias 52 Klöker, Martin 389 Klueting, Harm 180 Kneidl, Herbert 372 Kniebis, Nikolaus 104 Knight, Kenneth G. 87 Knobelsdorff, Martin 76 Knod, Gustav Carl 9, 11, 54, 116, 117, 118, 119, 122, 124, 125, 144, 342, 380, 382, 384, 393f., 395, 396, 397, 416, 463, 464, 471, 474, 482, 483, 484, 485, 486, 487, 488, 489, 490, 491, 492, 493, 494, 495, 496, 497, 499, 508, 511‒520 Knod, Heinrich 512 Knod, Johann Franz 519 Knod, Johann Georg 519 Knod, Johann Peter 519 Köberlin, Karl 437 Koch, Christoph Wilhelm 2, 27, 393, 421 Koch, Walther 461 Kochtitzky, Andreas d.Ä. 184

534

Personenregister

Kochtitzky, Andreas d.J. 183, 184 Koelbing, Huldrych M.F. 482 Kolb, Johann Jakob 146 Kolbius, Elias 116, 117, 118 Kölderer von Höch, Georg 146 Kölderer von Höch, Georg Kasimir 146, 204 Kölla, Johannes 487 Koller, Hans Konrad 487 Koller, Johann Konrad 487 Koller, Leonhard 487 Komorowski, Manfred 10, 11, 395, 499, 500, 501, 511, 519 Konig, Johann Wenemar 505 König, Philipp Franz 119, 203, 204 König, Reinhard 144, 189, 235f. Königsegg, Familie 370 Königsmann, Robert 173, 183, 208, 228, 257, 276 Konrad II., Heiliges Römisches Reich, Kaiser 255 Konstantin I., Römisches Reich, Kaiser 181 Kornmann, Matthias 118 Korzun, Svetlana 505 Koselleck, Reinhart 277 Kössler, Franz 511, 512 Kößler, Henning 459 Kötting, Bernhard 78 Krafft, Johannes 186 Krafft, Leo 186 Krag, Niels 206 Kramer, Johann Jakob 487 Kraus, Andreas 382 Kraus, Christian Jakob 45 Krause, Gerhard 85 Krebs, Karl 190 Krekler, Ingeborg 40, 41 Krenkel, Wilhelm 80 Kretzschmar, Johannes 16, 311 Kreuder, Hans-Dieter 147 Kreutz, Wilhelm 15 Kreutzfeld, Johann Gottlieb 45 Kreuzer, Georg 388 Kreytzen, Andreas von 276 Krischer, André 382 Kritopulos s. Metrophanes 

Krockow, Matthias von 167 Kroll, Frank-Lothar 22 Kronauer, Anna Barbara 484 Kronauer, Johann Heinrich d.Ä. 487 Kronauer, Johann Heinrich d.J. 488 Kronauer, Jonas 488 Krüger, Nilüfer 112 Kücherer, Heiner 55 Kühlmann, Wilhelm 2, 7, 15, 21, 51, 54, 71, 73, 87, 99, 111, 121, 122, 123, 124, 126, 141, 148, 154, 156, 158, 159, 160, 161, 196, 204, 228, 245, 264, 311, 389, 467 Kühlwein, Friedrich 300 Kühner, Raphael 75 Kümmerle, Julian 391 Kumpsthoff, Bertram Zacharias 501 Kundert, Ursula 44, 47, 48, 51, 164 Kunisch, Johannes 156, 291, 383 Kunz, Erwin W. 493 Künzli, Antonius 481 Künzli, Heinrich 488 Kurucz, Gyula 381, 389 La Faye, Abraham de 257 Laas, Ernst 389 Lactantius, Lucius Caecilius Firmianus 124f., 127 Ladislaus I., Ungarn, König 194 Lampadius, Jakob 165 Landolt, Johann Kaspar 488f. Landolt, Matthias 489 Lang, Florian 384 Lang, Joseph 48, 52, 90 Langenmantel, Anton 146 Langer, Ernst Theodor 379 Langer, Herbert 16 Langewiesche, Dieter 297 Langrötger, Arnold Georg 506 Languet, Hubert 187, 199, 240 Langwedel, Bernhard 112 Lansius, Thomas 170, 176 Lapide, Hippolithus a s. Chemnitz, Bogislaus Philipp von  Lau, Thomas 382 Lauremberg, Petrus 175 Lauterbach, Wolfgang Adam 213

Personenregister

Lauterbeck, Georg 179, 220 Lauth, Thomas 477 Lavater, Johann Kaspar 486, 493 Lavater, Ludwig 465 Le Bleu, Jakob 161 Le Cam, Jean-Luc 113 Le Minor, Jean-Marie 4, 465, 467, 468, 470, 471, 473, 475 Le Riche, Nicolas 472, 474, 475, 490 Lea, Elisabeth 516 Lebecke s. Löbbe(c)ke  Ledderhose, Karl Friedrich 219 Ledertz, Paul 38, 290, 504 Leibniz, Gottfried Wilhelm 112 Leich, Pierre 425 Leimgart, Heinrich 506 Leiningen-Westerburg, Eberhard Ludwig von 146 Leiningen-Westerburg, Johann Ludwig von 146 Leiningen-Westerburg, Philipp von 146 Leiser, Wolfgang 422 Leisibach, Moritz 481, 486, 490 Lemaire, Pierre-François 470, 473 Lenk, Leonhard 423 Lentulus, Cyriacus 161 Lentz, Johann Kaspar 230 Lenz, Jakob Michael Reinhold 25 Leonard, Amy 97 Leopold I., Heiliges Römisches Reich, Kaiser 20 Leopold V., Österreich, Erzherzog 15, 135, 219, 358 Leotychidas II., Sparta, König 206 Lepage, Jean-Denis G. G. 22 Lepidus, Manius Aemilius 204, 205, 228, 229, 231, 232, 233, 234 Lerchenfelder, Johann Friedrich 55 Lerse, Friedrich 289 Lersner, Johann Maximilian 324 Lescure, Jean 3 Leske, Nathanael Gottfried 351 Lesky, Erna 469 Letz, Kerstin 99 Leu, Johann/Hans Jakob 489 Leu, Regula 489

535

Leypold, Denis 354 Lieb, Fritz 57 Liebeherr, Matthäus 325 Liebenthal, Christian 145, 170, 200, 220, 235, 236, 246, 257 Liedert, Heinrich 322 Liedtke, Max 438 Lienhard, Marc 32 Liermann, Otto 438 Liess, Hans-Christoph 499 Lietzmann, Hans J. 138 Limnaeus, Johannes 165, 213 Lindauer, Josef 316 Lingelsheim, Georg Michael 112 Link, Christoph 173 Linné, Carl von 351, 353 Linschoten, Jan Huygen van 319 Lips, Johann Heinrich 479 Lipsius, Justus 8, 111, 112, 126, 136, 139, 141, 142, 145, 150, 151, 154, 155, 158, 162, 163, 166f., 168, 171, 176, 177, 185, 186, 190, 192, 193, 200, 204, 205, 207, 210, 211, 213, 220, 230, 231, 234, 236, 237, 239, 243, 246, 276, 289, 291, 292, 299, 306, 337, 390 Listius, Franciscus 167, 184 Listius, Johannes 167 Livet, Georges 2, 13, 15, 17, 20, 24, 49, 70, 360, 379, 380, 387, 393, 512 Livius 8, 136, 146, 157, 161, 184, 186, 190, 211, 250, 251, 252, 253, 254, 255, 259, 260, 261, 262, 265, 268, 269, 270, 272, 273, 274, 300, 302, 303, 304, 306, 308, 317, 318, 319, 320, 321, 322, 328, 329, 337 Löbbe(c)ke, Zacharias 501, 506, 507 Lobstein, Johann Friedrich 3, 474, 477, 483, 490 Locamer, Georg David 219 Loccenius, Johannes 200, 330 Locher, Anna Barbara 487 Locher, Heinrich 489 Locher, Johann Georg 489 Locher, Johann Heinrich 485 Lochner, Johann Hieronymus 150 Löffelholtz von Kohlberg, Burchard 275 Löffladt, Günter 426

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Personenregister

Londorp, Michael Kaspar 276 Longin, Émile 345, 346 Lorenz, Gottfried 247 Lossius, Lucas 112 Lotichius, Johann Peter 330 Lüder, Johannes 236 Ludescher, Ladislaus 111 Ludovicus Requesensius s. Requesens y de Zuñiga, Luis de  Ludwig IV., Schlesien-Liegnitz-Brieg, Herzog 195 Ludwig V., Hessen-Darmstadt, Landgraf 35, 36, 40, 41 Ludwig VI., Pfalz, Kurfürst 103 Ludwig XI., Frankreich, König 334 Ludwig XIV., Frankreich, König 5, 9, 17, 18, 19, 20, 22, 23, 24, 27, 123, 322, 357, 359, 360, 392, 400, 420, 422, 469 Ludwig XV., Frankreich, König 23, 25, 26, 365 Ludwig XVI., Frankreich, König 23, 26 Ludwig, Gernot 461 Ludwig, Otto 73 Ludwig, Walther 112 Luidtke, German 235 Lukow, Britta 99 Lupin, Eitel Sigismund 143 Lurz, Georg 438 Luther, Martin 33, 38, 45, 46, 56, 69, 74, 83, 201 Luther, Susanne 2 Lützow, Valentin von 236 Lykurg 250, 259, 260 Lynn, John A. 18 Lysander 203, 205, 206, 207, 209, 210, 211, 217 Lysias 149, 150 Machiavelli, Niccolò 8, 136, 142, 145, 147, 155, 160, 171, 175, 176, 185, 186, 187, 188, 189, 191, 192, 199, 200, 208, 209, 210, 214, 216, 221, 246, 260, 278, 289, 291, 293, 294, 295, 296, 319, 337 Maclier, Jakob 152, 276, 277, 278, 279, 280 Maecenas 149, 225, 226, 227, 265, 271 Mager von Schönberg, Martin 282, 283, 284 Magirus, Georg 508, 515

Magirus, Johannes 508, 515 Magno, Pietro 220 Mahlmann, Theodor 35 Mahlmann-Bauer, Barbara 99 Mährle, Wolfgang 9, 11, 14, 23, 39, 91, 379, 388, 389, 418, 425, 439, 444, 459, 460, 461, 516, 518 Maier, Hans 15, 357, 388 Maigler, Barbara 448 Malagola, Carlo 519 Maler, Balthasar 466 Maler, Josua 466 Malettke, Klaus 17, 26, 323 Mallinckrodt, Arnold 508 Malvezzi 519 Mamin, Anna Maria 484 Mandelkow, Karl Robert 379 Manderscheid, Johannes von 357 Mansfeld, Ernst von 16, 69 Mantz, Jean-Marie 4, 341, 465 Marbach, Johannes 50, 91, 102, 103, 466 Marcellius, Henricus 48, 65 Maria (Stuart), Schottland, Königin 79, 270 Maria I. (Tudor), England, Königin 330 Mariana, Juan de 192 Marie Antoinette, Frankreich, Königin 26 Marius, Gaius, Feldherr 300, 303 Marquardt, Heinrich 501 Marrer, Pius 501 Marti, Hanspeter 12, 32, 43, 44, 45, 47, 49, 61, 62, 113, 114, 135, 136, 163, 166, 388, 426, 491, 501, 519 Martin, Daniel 87 Martin, Ernst 87 Martini, Friedrich 185 Marti-Weissenbach, Karin 43, 45, 113, 114, 135, 136, 388, 426, 491 Martus, Steffen 111 Martyr s. Vermigli, Petrus Martyr  Maschke, Erich 436 Matthiae, Christian 145, 192, 220, 235 Matthias, Heiliges Römisches Reich, Kaiser 15, 192 Matthias, Markus 55, 112 Matthieu, Pierre 205 Matz, Klaus-Jürgen 359, 392

Personenregister

Maurer, Friedrich 87 Mauss, Marcel 354 Maximilian I., Bayern, Kurfürst 310 Maximilian I., Heiliges Römisches Reich, Kaiser 334 Maximilian I., Pfalz, Kurfürst 14 Maximilian II., Heiliges Römisches Reich, Kaiser 88, 388 Maximilian, Österreich, Erzherzog 219 May, Johann Christian 472f. Maybusch s. Meybusch  Mayer, Cornelius 78 Mayer, Hermann 49 Mayer-Tasch, Peter C. 265 Medinger, Johann Ludwig 41 Meier, Christian 277 Meier-Oeser, Stephan 55, 56 Meinhardi, Andreas 89 Meisner, Balthasar 56 Melanchthon, Philipp 14, 83, 114, 388 Melber, Christian-Friedrich 174 Melideus, Jonas 236 Melliet, Laurent 234 Menenius Lanatus, Agrippa 299 Menicci 345 Menk, Gerhard 14, 389, 461 Menteler, Franz Joseph 479 Mentz, Georg 54 Mentzer, Balthasar 35, 40, 41 Mertens, Hieronymus Andreas 437 Metrophanes (Kritopulos), Alexandria, Patriarch 81, 84 Metz, René 20 Metzger, Hans-Dieter 147 Metzler, Johann Wilhelm 181 Meurs, Johannes van 81, 84, 308 Meursius, Johannes s. Meurs, Johannes van  Meybusch, Gerhardt 507 Meyder, Simone 381 Meyer, Gerhard 33, 39, 40, 49, 52, 54, 190, 218, 309, 393, 465, 466, 512, 513 Meyer, Jakob 104, 105 Meyer, Johann Jakob 104 Meyer, Johann Konrad d.Ä. 472, 490 Meyer, Johann Konrad d.J. 479, 481, 490 Meyer, Matthias 33, 49, 218, 513

537

Meyer, Octave 20 Meyer-Ahrens, Konrad 471, 484 Meyer-Hofmeister, Johann Konrad 474, 482, 484, 486, 490 Meyhöfer, Max 33 Michael, Thomas 176 Micraelius, Johannes 86 Mielke, Heinz-Peter 467 Milch, Werner 487 Miltiades 225 Milton, John 146, 147, 213, 214 Missel, Ute 459 Mithridates 316, 327 Mockel, Friedrich Richard 220f. Moenning, Ulrich 81 Möllendorff, Peter von 208 Möller, Esther 386 Möller, Horst 26 Moller, Johann Nikolaus 507 Montaigne, Michel de 219 Morawe, Bodo 379 Morche, Günther 90 Mörgeli, Christoph 476, 484, 486, 494 Morisotus, Claudius Bartholomaeus 278 Moritz, Hessen-Kassel, Landgraf 40 Moritz, Sachsen, Kurfürst 300, 305 Moscherosch, Ernst Bogislav 171, 205, 207, 208, 209 Moscherosch, Johann Michael 76, 87, 111, 112, 122, 140, 141, 208, 209, 211 Moslehner, Michael Johann 291 Mout, Nicolette 162 Muckhius, Christoph 235 Mueg, Karl 104 Muhlack, Ulrich 158 Mühleisen, Hans-Otto 191 Mühlenkampf, Johann Christian 256 Mülbe, Johann Philipp 74, 224 Müller, Andreas 256, 424 Muller, Claude 23, 368 Müller, Dennemann 221 Muller, Frank 52 Müller, Gabriel 146 Müller, Gerhard 85, 390 Müller, Michael 386

538

Personenregister

Müller, Rainer A. 163, 168, 276, 370, 382, 383, 405, 448, 499, 501 Müller, Winfried 26 Müller-Koch, Uta 18 Müllnheim, Heinrich von 104 Mulsow, Martin 70 Münch, Johann Anshelm 213 Münch, Johann Matthäus 212, 213, 214, 215, 216, 259 Münkler, Herfried 155 Müntzer, Martin 196 Murad II., Osmanisches Reich, Sultan 194 Muralt, Anna Magdalena von 482 Muralt, Johannes von 490 Muralt, Margreth von 488 Murcia de la Llana, Francisco 63 Murner, Thomas 519 Nachtigal, Johann Georg 166 Näf, Hans Heinrich 490 Näf, Hans Kaspar 491 Näf, Heinrich 490, 491 Näf, Johann Jakob 491 Nagel, Georg 53 Napoleon I., Frankreich, Kaiser 24, 28 Neifen, Gottfried von 512 Neiser, Wolfgang 424 Nepos, Cornelius 146, 151, 200, 201, 202, 203, 204, 205, 206, 207, 209, 211, 212, 213, 215, 216, 225, 226, 234, 259 Nero, Römisches Reich, Kaiser 148, 157, 159, 233, 276 Nestler, Martin 423 Neubauer, Edmund 424 Neuber, Wolfgang 87 Neuburger, Andreas 17 Neugebauer, Wolfgang 385 Neuhaus, Helmut 296 Neumair von Ramsla, Johann Wilhelm 289 Neumann, Andreas 185, 186 Neumann, Florian 114 Neumüllers-Klauser, Renate 95 Nickel, Rainer 212 Nicklas, Thomas 358 Nicklaus, Jörg 99 Nicklaus, Thomas 296

Nicolai, Heinrich Albert 471, 472 Niefanger, Dirk 426 Niehl, Rüdiger 76 Nieß, Ulrich 25 Niesseler, Martin 438 Nikias 208 Nikokles, Salamis (Zypern), König 192 Nikolaou, Maretta 101 Nipho, Ferdinando 48 Nisius, Theodor 502, 508 Noey, Heinrich 510 Noga, Zdzisław 418 Nohlen, Dieter 136 Noije s. Noey  Nordanus, Friedrich 236 North, Michael 361, 386 Nuscheler, Franz 256 Nüscheler, Susanna 486 Nüßlein, Theodor 277, 278 Oberlin, Jeremias Jakob 2 Obrecht, Elias 276 Obrecht, Georg 144, 145 Obrecht, Ulrich 153 Ockel, Hans 420, 438 Oelhafen von Schöllenbach, Tobias 235 Oestreich, Gerhard 162, 163 Oeter, Stefan 325, 329 Offerhauss, Franz Heinrich 501 Ohler, Christian 383 Ohsterwick, Heinrich von 510 Olesen, Jens E. 225, 371, 386 Olivier, Eugène 488 Opitz, Martin 87 Oppenbusch, Michael von 172 Oschmann, Antje 289 Ossa, Wolf Rudolf von 97 Ostringer, Hermann 174 Otho, Römisches Reich, Kaiser 173, 299, 300 Ott, Peter 491 Ottmann, Henning 147, 172, 226, 240 Otto, Daniel 144, 176, 243, 244 Otto, Jakob 166 Otto, Johann Adam 173, 174, 206 Otto, Markus 147, 173 Otto, Sebastian 166, 173

Personenregister

Otto, Solms-Hungen, Graf 15 Ovid 7, 75, 82, 96, 105, 106, 108, 118, 209 Owen, John 209 Oxenstierna, Axel 112, 152 Oxenstierna, Erich 152 Pachtler, Georg Michael 48 Pagel, Julius Leopold 81 Pagliari dal Bosco, Giorgio 234 Palladini, Fiammetta 112 Palladius, Petrus 46 Pange, Jean de 379 Pansa, Kaspar 135, 138, 164, 181, 220, 221 Papageorgiou, C. I. 172 Pappus, Johannes 91, 102, 103, 164 Papy, Jan 158 Paracelsus 467 Pareus, Johann Philipp 179 Parker, Geoffrey 15 Pascalo, Durus de s. Weyhe, Eberhard von  Passow, Hartwich von 225 Patrizi, Francesco 189, 243, 245 Paulsen, Friedrich 31, 32 Paulus, Stefan 142 Peill, Arnold 510 Peiresc, Nicolas Claude Fabri de 203 Peisander 262 Peisistratos 230 Peltzhofer, Franz Albrecht 161 Pelzer, Erich 27 Pennington, John 332 Peres, Antonius 200 Perlowitz, Andreas 169, 187 Persijn, Alexander 387, 399 Pestalozzi, Johann Heinrich 486 Pestalozzi-Keyer, Hans 486 Peter I., Russland, Zar 505 Petillius Cerialis Caesius Rufus, Quintus 307, 313 Petrarca, Francesco 108, 189 Petry, David 388 Pettersson, Michael 94 Pfähler, Dietrich 18 Pfeiffer, Gerhard 422, 436 Pfeiffer, Michaela 212 Pflug, Heinrich Sigismund 276

539

Pflüger, Johann Peter 170, 206 Pfützer, Johann Kaspar 147 Phalaris 230 Philander von Sittewald s. Moscherosch, Johann Michael  Philipp III., Spanien, König 189 Philipp, Michael 4, 7, 21, 126, 133, 135, 136, 137, 140, 142, 144, 161, 163, 164, 168, 181, 189, 191, 219, 221, 244, 267, 390 Philippi, Johannes 300 Philo, Alexandrinus 173, 174, 206 Phokion 260 Photinus, Sirmiensis 36 Piccart, Michael 63, 135, 177, 210, 235 Pichler, Sigismund 276 Pickel, Johannes 282, 324 Pictet, Andreas 144, 180, 236, 237, 238, 239, 240, 241, 242, 243 Pictet, Jakob 236 Piechocki, Werner 488 Piepenbrink, Karen 207 Pietrzyk, Zdzisław 389, 512 Pigalle, Jean-Baptiste 26 Pinelli, Gian Vincenzo 203 Pistor, Julius 35 Pistorius, Johann Nikolaus 173, 299f. Pitsillius, Marcus Antonius 189 Pizarro, Francisco 321 Plato 52, 172, 234, 255 Plautus 106, 107 Plinius d.Ä. 77 Plinius d.J. 115, 151, 175, 188, 189 Plutarch 94, 146, 161, 169, 186, 201, 202, 203, 204, 207, 209, 210, 211, 213, 215, 216, 230, 234, 237, 255, 295, 313 Pöckh, Johann Ulrich 173 Polus, Timotheus 76 Polybius 120, 150, 171, 175, 176, 226, 248, 268, 307 Pompeius Magnus, Gnaeus 202, 289, 326 Pompeius Magnus, Sextus, Pius 289 Pontano, Giovanni Gioviano 189 Porsius, Johannes 192 Potocki de Potok, Nicolaus 235 Praetorius, Ferdinand 235 Prasutagus 321

540

Personenregister

Preen, Lorenz von 325 Preibis, Christoph 235 Preining, Johann Andreas 246 Press, Volker 14, 15, 16, 357, 360, 383, 388 Pronk, Theo 423 Pröve, Ralf 303 Pseudo-Xenophon 259, 266, 269 Publicola, Publius Valerius 260, 273 Pufendorf, Samuel 21, 112, 257 Puiadius, Joseph 236 Quinctius Capitolinus Barbatus, Titus 250, 254 Quintilian 85 Raeff, Marc 175 Rahmacker, Arnold 509 Rahn, David 489 Rahn, Johann Heinrich 477f., 491, 492 Rahn, Johann Konrad 481, 492 Ramdohr, Augusta Anna Luise 512 Ramel, Henrik 225, 301 Ramon, Gabriel G. 27 Ramsauer, Johannes 38 Ramus, Petrus 62 Ranieri, Filippo 500, 502, 503, 508 Rantzow, Daniel von 272f. Rapp, Francis 13, 15, 24, 70, 135, 369, 377, 380, 387, 392 Rapp, Philipp Adam 201 Rappoltstein, Eberhard von 219 Rasche, Ulrich 89, 363, 384, 405f., 513 Rasfeldt, Richard von 510 Rassem, Mohammed 256 Raue, Johannes 225 Raumer, Kurt von 192 Rauscher, Johann Christoph 246 Rayger, Wilhelm 146, 204 Rebhan, Johannes 146, 206, 228, 301, 503 Rebitsch, Robert 322, 332 Rechenberg, Adam 276, 322 Rechlingen, Markus von 180, 186, 187, 188, 291, 309, 310f., 312, 313, 314, 315, 316, 317, 318, 319, 320, 321, 322, 323 Reck, Mordius von der 507 Recknagel, Hans 425

Recktenwald, Horst Claus 425 Redies, Rainer 382 Reese, Annette 386 Rehlinger, Marx Konrad 309, 310 Rehm, Johann Joachim 147, 188 Reichard, Paul 171, 205, 289 Reichelt, Silvio 358 Reifferscheid, Alexander 112 Reinhard, Eugen 360 Reinhard, Johann Friedrich 279 Reinhardt, Volker 157 Reinking, Dietrich s. Reinkingk, Theodor von  Reinkingk, Theodor von 41, 176, 213, 276, 293 Reiseisen, Franz 257 Reißeissen, Franz 180, 257, 258, 259, 260, 261, 262, 263, 264, 275 Reneccius, Jacobus 36 Repgen, Konrad 296, 307, 308, 312 Repp, Johannes 194 Requesens y de Zuñiga, Luis de 308 Reusner, Johann Jeremias 189 Reusner, Nikolaus 134, 153, 189 Reuss, Rudolf 70, 71, 73, 93, 103, 106, 380, 387 Reutter, Georg Ulrich 291 Reutter, Paul 235 Revel, Dominique Julia 342, 395 Revel, Jacques 342, 395 Rey, Andreas 220 Ribbe, Wolfgang 384, 511 Richelieu, Armand Jean du Plessis de 16, 17 Richter, Georg 145 Richter, Gregor 167 Ridderikhoff, Cornelia M. 519 Riebel, Michael 171, 205, 206, 207, 289 Rieger, Urban 189 Riegg, Ernst 382, 418, 444 Riescher, Gisela 137 Riklin, Alois 246, 248, 252 Risse, Wilhelm 43, 48, 50 Rist, Johannes 87, 112 Ristelhuber, Paul 519 Rittershausen, Konrad 145 Rivinus, Andreas 225 Rivius, Thomas 278 Rixinger, Daniel 6, 52, 53, 54

Personenregister

Rizzio, David 270 Rodenberg, Justin von 510 Roeck, Bernd 127, 382, 423 Roehrich, Timotheus Wilhelm 20 Rohan, Herzog von 278 Rohan-Guéméné, Louis César Constantin de 23f. Rohan-Guéméné, Louis René Édouard de 23f., 27 Rohan-Soubise, Armand I. Gaston Maximilien de 23f. Rohan-Soubise, Armand II. François Auguste de 23f. Röhrich, Timotheus Wilhelm 358 Rollenhagen, Georg 87 Romanus, Aegidius 197 Rompler von Löwenhalt, Jesaias 112, 381 Rordorf, Christoph 492 Rosenstock, Johann Jakob 482 Rosenthal, Heinrich von 144 Röslin, Johann Jakob 190, 191 Rosseaux, Ulrich 382 Roth, Leo 186 Roth, Leo Eberhard 185, 186 Rother, Ulrike 3, 517 Rott, Hans-Georg 33, 49, 218, 512, 513 Rott, Jean 465, 512 Rübel, Eduard 485, 489 Rudersdorf, Manfred 13 Rudolf, Schlesien-Liegnitz-Brieg, Herzog 195 Rüegg, Walter 391, 394, 405, 459 Ruest, Balthasar vom 219 Ruff, Anna Maria 484 Ruffer, Erasmus 178 Rulant, Rudger 220 Rülich, Valentin 291 Rummel, Peter 422 Runeby, Nils 152 Rungius, Friedrich 235 Ruoff, Wilhelm Heinrich 486 Rupp, Heinz 87 Rupp, Horst F. 85 Rusque, Dorothée 8, 339, 346 Rutz, Andreas 15, 359, 361, 386, 387, 460, 461, 516

541

Saalmann, Jakob 501, 507 Saavedra Fajardo, Diego de 200, 265 Sachs, Johann Jakob 475 Sachs, Johann Melchior 211, 276 Sachsen, Moritz von 26 Safranski, Rüdiger 379 Sallust 115, 121, 154, 166, 171, 186, 200, 201, 203, 211, 226, 255, 300, 308, 315, 316, 327 Salmasius, Claudius s. Saumaise, Claude  Saltzmann, Johann Rudolph 183 Salzhuber, Georg 49, 65 Salzmann, Johann Rudolf 467, 468 Salzmann, Johannes d.J. 470, 471, 472 Samson, Hermann d.Ä. 126 Samson, Hermann d.J. 126, 130 Sandstede, Jutta 114 Santenus, Johannes 46, 47, 61 Sapidus, Johannes 82, 105 Sardenus, Johannes 465 Sas-Zaloziecky, Wladimir 334 Sattler, Johann Ludwig 188 Saumaise, Claude 112, 146f., 265 Saurma, Sebald von 196 Savorgnano, Mario 289 Scaliger, Julius Caesar 128, 145 Scattola, Merio 137, 257 Schaab, Meinrad 14, 382 Schachten, Georg Friedrich von 236 Schad, Daniel 186 Schäfer, Christoph 20 Schäfer, Walter Ernst 98, 111, 122, 141, 208, 209, 211, 264 Schaff, Georges 393 Schaffalitzky von Mukadel, Bernhard 73 Schaller, Jakob 7, 54, 133, 135, 137, 138, 139, 141f., 145, 146, 147, 148, 163, 164, 168, 169, 170, 172, 175, 177, 178, 179, 185, 188, 199, 200, 201, 203, 204, 205, 208, 209, 210, 211, 212, 213, 214, 215f., 228, 229, 230, 231, 233, 234, 246, 248, 251, 256, 257, 258, 259, 261, 262, 263, 264, 265, 266, 267, 268, 270, 271, 272, 273, 274, 275, 276, 289, 337 Schang, Pierre 49, 387, 512 Scharf, Johannes 44, 47, 60 Schattmann, Johann Jakob 205

542

Personenregister

Schatz, Johann Heinrich 124 Schätzel, Walter 304 Scheffer, Johannes 151, 152 Scheibler, Christoph 235, 503 Scheibler, Johannes 507 Scheid, Johann Valentin 468, 472 Scheidegger, Christian 10, 11, 463, 518 Scheidt, Balthasar 173, 251, 507 Schellenberg, Anna Barbara 485 Schellius, Johannes Jodocus 125, 129 Scherer, Michael 379 Scherer, Samson 185 Scherlen, August 16 Scheuchzer, Johann Jakob (1672‒1733) 473, 484, 485 Scheuchzer, Johann Jakob (1752) 482 Scheurl, Heinrich Julius 236 Schickard, Wilhelm 141, 142 Schieber, Hans 48 Schiele, Patrick 9, 24, 357, 359, 372, 373, 374, 387, 399, 516, 519 Schierhorn, Helmke 473 Schiffmann, Adam 202 Schild, Georg 20 Schile, Adam 144, 171, 191f., 193, 194, 195, 199 Schile, Georg 192 Schilling, Andreas 53 Schilling, Heinz 14, 40, 309, 311, 325, 382, 385, 461 Schilling, Johannes 211 Schillinger, Jean 358 Schilter, Johannes 2 Schindling, Anton 1, 4, 5, 13, 14, 15, 17, 18, 19, 20, 22, 23, 24, 26, 31, 32, 33, 35, 36, 51, 52, 70, 82, 83, 85, 88, 90, 91, 94, 98, 101, 102, 133, 135, 138, 142, 143, 190, 296, 297, 298, 357, 358, 369, 380, 381, 383, 385f., 388, 389, 390, 391, 392, 422, 424, 438, 461, 465, 467, 512, 517, 518 Schinz, Salomon 481 Schlaefli, Louis 362 Schlegelmilch, Sabine 178 Schlegelmilch, Ulrich 45 Schleicher, Gottfried 188 Schmauder, Andreas 14, 383, 423 Schmid, Alois 14, 382, 424, 438

Schmid, Georg 383, 389f. Schmid, Karl Adolf 390 Schmid, Peter 383, 424 Schmidius, Antonius 124 Schmidius, Johannes 122 Schmidlin, Joseph 15, 358 Schmidt, Charles 389 Schmidt, Cornelius d.Ä. 174 Schmidt, Cornelius d.J. 174, 175, 179, 185 Schmidt, Johann Ulrich 147 Schmidt, Johannes 4, 16, 38, 70, 71, 72, 73, 74, 81, 83, 84, 85, 93, 94, 98, 99, 100, 103, 108, 183, 300 Schmidt, Martin, 17. Jh. 196 Schmidt, Martin, 20. Jh. 42 Schmidt, Peer 312, 317, 323 Schmidt, Peter L.  225 Schmidt, Richard 382 Schmidt, Sebastian 2 Schmidt-Biggemann, Wilhelm 142, 154, 201 Schmied, Johann Kaspar 179 Schnabel, Werner Wilhelm 426 Schneider, Daniel 387 Schneider, Eulogius 27 Schneider, Hans-Peter 201 Schneider, Helmut 211, 225 Schnettler, Otto 500, 517 Schneuber, Johann Matthias 72, 73, 381 Schnyder, Werner 496 Schödel, Johannes 179 Schödel, Martin 144, 170, 179 Schoelhammer, Jean-Adam 341 Schönborner, Georg 144, 176, 177, 179, 192, 193, 200, 205, 213, 220, 243, 246, 291 Schöningh, Franz Josef 309 Schönstädt, Hans-Jürgen 69 Schoock, Martin 278 Schöpflin, Johann Daniel 2, 5, 25, 360, 380, 387, 393, 395, 403, 412, 421, 456 Schoppe, Kaspar 311, 317, 323 Schopper, Andreas Ludwig 235 Schormann, Gerhard 41 Schott, Andreas 220 Schrader, Christoph (1601‒1680) 113 Schragius, Johann Adam 211

Personenregister

Schreiber, Blasius 144, 236, 242, 243, 244, 245 Schricker, August 387, 390, 391 Schröder, Bernd 1, 32, 390 Schroeder, Klaus-Peter 383 Schröter, Hans-Christoph 390 Schröter, Wilhelm von 163 Schubart-Fikentscher, Gertrud 3 Schubert, Friedrich Hermann 14, 21, 178 Schulin, Ernst 27 Schüling, Hermann 56, 58 Schuller, Wolfgang 207, 226 Schulte, Aloys 520 Schulthess, Salomon 492 Schultz, Uwe 16 Schultze, Heinrich 509 Schultze, Rainer-Olaf 136 Schulze, Arthur 384, 387f., 395, 396, 421, 456, 512, 515, 517 Schupp, Johann Balthasar 205 Schütte, Jana Madlen 113 Schutte, William M. 34 Schütz s. Sinold, Johann Helwig  Schwager, Therese 158 Schwarte, Karl-Heinz 125 Schwarz, Hans 423 Schwarzmaier, Hansmartin 360, 382 Schwebel, Johannes 82, 96 Schweinitz, David von 196 Schweizer, Johann Jakob 469, 492 Schwem, Hermann 510 Schwenckfeld, Kaspar 466, 467 Schwendendörffer, Georg Tobias 235 Schwendi, Lazarus von 289 Schwind, Johannes 192 Schwinges, Rainer Christoph 43, 166, 360, 361, 366, 368, 370, 499, 501 Schwopius, Johann Baptist 144, 171, 194, 195, 196, 197, 198, 199 Scioppius s. Schoppe, Kaspar  Scipio Africanus 170, 206, 273, 319 Scribanius, Carolus 200 Sdzuj, Reimund B. 6, 32, 43, 44, 45, 51, 61, 111, 113, 114, 163, 501, 519 Sebitz, Johann Albert 468, 473 Sebitz, Melchior d.Ä. 73

543

Sebitz, Melchior d.J. 48, 49, 71, 73, 74, 77, 78, 79, 80, 81, 91, 93, 301, 467, 468 Sebizius, Georg 169 Seck, Friedrich 141, 143 Seckendorff, Veit Ludwig von 7, 126f., 130 Seianus, Lucius Aelius 131, 159, 217, 220, 228, 232, 233 Seidel, Robert 4, 11, 32, 43, 44, 45, 113, 114, 136, 163, 220, 251, 501, 519 Seidel, Wolfgang 189 Seifert, Arno 256, 399, 437 Seiffart, Johann Erasmus 205, 213 Seneca d.J. 106, 115, 148, 169, 171, 188, 227, 229, 234, 315, 318 Servilius Priscus, Publius 273 Setzer, Jeremias 220 Severus, Alexander 231 Sibrand, Anna 325 Sibrand, Johannes 173, 324, 325, 326, 327, 328, 329, 330, 331, 332, 333, 334, 335 Siebe, Daniela 361, 386, 391 Sieber, Marc 134 Siebers, Winfried 380 Sigismund August II., Polen, König 269 Sigonius, Carolus 211 Sigwart, Georg Friedrich 486 Silberrad, Elias 4 Silius Italicus 77, 108 Simanca, Jacobus 243 Simerlin, Johannes 140 Simon VI., Zur Lippe, Graf 40 Simonis, Annette 208 Simonis, Linda 208 Singer, Bruno 189, 197 Singer, Samuel 95 Sinnitz, Martin 91, 96 Sinold, Johann Helwig 112 Sittig, Claudius 380 Sixtus V., Papst 98 Skinner, Quentin 147 Skytte, Johan 188 Sleidanus, Johannes 77, 144, 200 Slevogt, Paul 172 Smirziz, Jaroslaus a 220 Sokrates 205, 208 Solms-Hohensolms, Hermann Adolph zu 236

544

Personenregister

Solon 250 Sommer, Hans 46 Sonkajärvi, Hanna 360 Sonnabend, Holger 307 Sophie Luise, Sachsen-Weimar-Eisenach, Großherzogin 379 Sötern, Philipp Christoph von 287, 288 Soto, Domingo de 319 Spachius, Israel 125, 129 Spalthius, Johannes 119 Spang, Kurt 75 Spanheim, Friedrich 236 Sparn, Walter 2, 55 Speccius, Christoph 70 Specker, Hans Eugen 423, 436, 461 Specklin, Daniel 175 Spener, Philipp Jakob 16, 112, 324 Spicker, Manfred 17 Spiekermann, Björn 111 Spielmann, Jakob Reinhold 489 Spiller, Andreas 235 Spinola, Ambrogio 297, 312 Spölin, Johann Georg 177, 256 Spölin, Johann Konrad 177 Spöndli, Anna 496 Spoor, Friedrich 210, 502, 505 Spörlein, Bernhard 365 Spörri, Johann Rudolf 492 Sprenger, Johann Theodor 161, 200, 213 Sproll, Heinz 2 Spurinna, Titus Vestricius 326 Stada, Famiano 308 Stadler, Ulrich 87 Staemler, Johann Michael 257 Stagl, Justin 112, 256 Stalljohann, Marina 422 Stammen, Theo 137, 191 Stange, Adam von 190 Steegmann, Robert 393, 469 Stegmann, Carl 75 Steiger, Heinhard 323, 331, 336 Steiger, Hugo 388 Steiger, Johann Anselm 70 Stein, Karl vom 228 Stein, Wolfgang Hans 16 Steinbach, Peter 18

Steinbrüchel, Johann Heinrich 493 Steiner, Anna Katrina 482 Steiner, Jakob 493 Steiner, Johann Georg 482, 493 Stein-Hölkeskamp, Elke 211 Steiniger, Judith 465 Steinmeyer, Elias von 54, 143, 511, 520 Stemmler, Maria Eva 264 Stephanus, Matthias 144 Sternenbeke, Kaspar 235 Stettner, Paul 143 Steudner, Esaias 118 Stichweh, Rudolf 138, 139 Stiening, Gideon 263 Stievermann, Dieter 16 Stirn, Georg Christoph 201 Stocker, Johann Friedrich s. Stokar, Johann Friedrich  Stokar, Johann Friedrich d.Ä. 203 Stokar, Johann Friedrich d.J. 119, 203 Stökken, Gerhard von 199 Stolleis, Michael 21, 112, 127, 155, 156, 160, 161, 162, 211, 222, 223, 256, 263 Stoob, Heinz 382 Storck, Peter 73, 104 Sträter, Udo 112 Strauch, Johannes 189, 503 Strauß, Benedikt 189 Strein, Jonas von 57 Streitberger, Ingeborg 19, 381 Streüff von Lawenstein, Philippus 219 Strobel, Adam Gualther 70 Strohecker, Johannes 171 Strohl, Henri 28 Strohm, Christoph 238 Stuber, Martin 491 Stuiber, Alfred 125 Stupperich, Robert 42 Sture, Sten 330 Sturm von Sturmeck, Jakob 31, 88, 104 Sturm, Johann Christoph 425 Sturm, Johannes 1, 6, 7, 11, 13, 23, 24, 28, 32, 33, 44, 49, 50, 51, 52, 53, 76, 77, 78, 79, 82, 90, 91, 100, 101, 102, 103, 104, 106, 107, 108, 118, 120, 121, 133, 189, 190,

Personenregister

357, 387, 388, 389, 390, 439, 461, 465, 512, 518 Styra, Peter 424 Sueton 119, 122, 142, 143, 151, 162, 165, 186, 187, 189, 190, 202, 203, 206, 211, 230, 234, 252 Sulla, Lucius Cornelius 300, 327 Sulzer, Anna Maria 487 Sulzer, Elisabetha 485 Sulzer, Hans Heinrich 493 Sulzer, Johann Georg 493 Sulzer, Johann Kaspar 493, 494 Sulzer, Johann Rudolph 494 Sulzer, Johanna Helena 483 Sulzer, Johannes 482 Sulzer, Susann 494 Süßmann, Johannes 319 Suter, Meinrad 485 Sutter, Hans 134 Sutton, Robert B. 120 Sydow, Jürgen 83, 436 Syndikus, Anette 137 Synzius, Jakob 515f. Szelecki, Jakob 170 Tabor, Johann Otto 185, 203, 206 Tacitus 2, 7, 8, 75, 111, 115, 117, 122, 126, 129, 130, 131f., 136, 141, 142, 144, 146, 148, 151, 152, 153, 154, 155, 156, 157, 158, 159, 160, 161, 162, 166, 167, 171, 173, 176, 184, 186, 187, 190, 191, 201, 204, 205, 211, 220, 225, 226, 227, 228, 229, 230, 231, 232, 233, 234, 236, 242, 246, 247, 248, 249, 250, 251, 254, 259, 260, 261, 262, 276, 278, 288, 292, 298, 299, 300, 304, 307, 308, 309, 313, 316, 320, 321, 326, 337 Taddey, Gerhard 382 Tammann, Andreas 134 Tanck, Claudia 99 Tanner, Klaus 358 Tapié, Victor-Lucien 24 Taubmann, Friedrich 210 Taufrer, Johannes 35, 37, 39 Tavel, Johann Luise 493 Terentilius 262

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Terenz 106, 283 Termineus, Petrus 145 Textor, Johann F. R. 185 Thaler, Johann Melchior 190 Theiler, Willy 174 Themistokles 203, 204, 205, 211, 263, 299 Theodoricus s. Dieterich, Konrad  Theurer, Johann Reinhard 221 Thevenot, Jakob 183 Thevenot, Johannes 183 Thevenot, Julius Friedrich 183, 184 Thilo, Valentin 121 Tholosanus, Petrus Gregorius 175, 177, 220, 237, 241 Thomann, Johann Heinrich 471, 472, 494 Thomann, Marcel 387, 514 Thomasius, Christian 304 Thomasius, Jakob 189 Thomke, Hellmut 71, 72 Thou, Jacques-Auguste de 144, 184, 192, 203, 205, 265, 278, 317 Thrasybulos 203, 204 Thuanus s. Thou, Jacques-Auguste de  Thukydides 115, 255, 262, 299, 303, 307, 319 Tiberius, Römisches Reich, Kaiser 126, 130, 131, 132, 148, 157, 159, 171, 186, 229, 230, 231, 232, 234, 252, 276 Tilemann, Schleswig, Bischof 46 Till, Dietmar 112, 149 Till, Rudolf 233, 316 Tilly, Jean T’Serclaes de 312 Timoleon 147, 206, 211, 212, 213, 214, 215, 216, 217, 259 Timophanes 212, 214f. Timpler, Clemens 46, 59, 237, 238 Tischer, Anuschka 301, 305 Tissaphernes 207 Titius, Martin 235 Titus, Römisches Reich, Kaiser 206, 232 Tobler, Johann Heinrich 482 Toellner, Richard 389 Toepke, Gustav 46, 511 Töpfer, Thomas 361, 385, 386, 461 Tossanus, Daniel 236 Tournefort, Josef Pitton de 341

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Personenregister

Toxites, Michael 467 Trajan, Römisches Reich, Kaiser 151, 188 Traumann, Ernst 360, 379 Traxdorf, Johann Christoph von 104 Treffer, Gerd 26 Trent, Adolph 507 Trentsch, Christian 169 Treu, Martin 89 Treutler, Hieronymus 145 Triet, Max 501 Trogus 143 Troll, Johannes 494 Tromp, Maarten 332 Tscherning, Andreas 112 Tschopp, Silvia Serena 423 Tüncel, Friedrich 289 Ubelgun, Johann Gerhard 509 Ueding, Gert 75, 107, 113, 149, 191 Uffenbach, Zacharias Konrad von 112 Uhland, Robert 459 Uhlen, Michael 202 Ulbrich, Claudia 303, 335 Ulloa, Alfonso de 203 Ulmer, Anna Margaretha 213 Ulmer, Hieronymus 213 Ulmer, Johann Konrad 466 Ulrich, Conrad 494 Ulrich, Heinrich 469, 494 Ungepaur, Erasmus 166 Unger, Klemens 424 Urne, Christian 201 Urner, Christiana 232 Usteri, Paul 490 Valerius, Maximus 186, 211, 226, 261, 297, 300, 315 Vallambert, Simon de 48 Van Houdt, Toon 158 Varenbüler, Constantin 186 Varro, C. Terentius 259 Vauban, Sébastien Le Prestre de 22 Vauthier, Martin 52 Vázques, Fernando 319 Veh, Otto 271 Veiel, Elias 150, 173, 325

Velleius Paterculus 154, 162, 200, 202, 216, 217, 232, 234, 251, 300, 327 Velsten, Heinrich 170, 235 Venator, Balthasar 183 Ventenat, Étienne-Pierre 351 Vergil 75, 77, 78, 97, 101, 106 Vermeil, Edmond 379 Vermigli, Petrus Martyr 105 Vernulaeus, Nicolaus 177 Verweyen, Theodor 107 Vesal, Andreas 467 Vespasian, Römisches Reich, Kaiser 117, 142, 143, 190, 206, 232, 288 Vetter, Théodore 468, 473, 475 Vielfeld, Jakob 2 Vinckher, Karl 143 Vinther, Johann Jakob d.Ä. 219 Vinther, Johann Jakob d.J. 218, 219, 220, 221, 222, 223, 224, 231, 235, 242 Viperani, Giovanni A. 192 Virgilius, Polydorus 184 Virginus, Andreas 236 Vitellius, Römisches Reich, Kaiser 117, 173, 262, 299, 300 Vivian, Jeanne-Adriane 488 Voege, Johannes 236 Voelcker, Heinrich 422, 438 Vogel, Manuel 313 Vögeli, Konrad 477, 495 Vogler, Bernard 1, 2, 15, 20f., 25, 379, 380, 383, 387, 392 Volkert, Wilhelm 14 Voltarenus, Raphael 189 Vom Bruch, Rüdiger 499 Vontzendt, Joachim 235 Vörös, Lorenz 245f. Voss, Jürgen 2, 25, 27, 360, 380, 387, 393, 395, 403, 412, 456 Voß, Wulf Eckart 17 Vossius, Gerhard Johann 125, 128 Vretska, Helmuth 262 Vulcan, Ruxandra I. 389 Vulteius, Hermann 144, 243 Wackernagel, Hans Georg 59, 134, 463, 501 Wagner, Bernhard Jakob 170

Personenregister

Wagner, Johannes 184f. Wais, André 382 Walch, Christian Wilhelm Franz 36 Wallenstein, Albrecht von 203 Wallenta, Wolfgang 422 Walliser, Christoph Thomas 70, 71, 90, 91 Walliser, Laurentius Thomas 37, 138, 144, 145, 181, 236 Wallmann, Johannes 16, 55, 60, 112, 196 Walter, Axel E. 70 Walter, Johann Gottlieb 482 Walther, Gerrit 158 Walther, Johann Jakob 70, 97 Wankmüller, Armin 487 Warlich, Bernd 97 Warmbrunn, Paul 422 Waschkuhn, Arno 137 Waser, Johann Jakob 495 Waser, Katharina 495 Weber, Bruno 476, 484, 494 Weber, Emil 52 Weber, Gregor 142, 266 Weber, Hermann 16 Weber, Johann Philipp 118 Weber, Max 277 Weber, Philipp Heinrich 118 Weber, Reinhold 18 Weber, Wolfgang E. J. 112, 139, 140, 142, 154, 218, 221, 226, 244, 258, 265, 276, 288, 336 Wedel, Georg Wolfgang 494 Wegner, Bernd 296 Wehling, Hans-Georg 18 Wehner, Johann Bernhard 251, 252, 253, 254 Wehner, Paul Matthias 145 Wehrli, Gustav Adolf 478 Weig, Gebhard 383 Weigel, Erhard 49 Weigel, Valentin 57 Weigend, Wilhelm 264 Weijers, Olga 51 Weimann, Karl-Heinz 467 Weinmann, Simon 190 Weinrich, Melchior 86 Weise, Christian  313 Weise, Christian (1642‒1708) 149 Weißlandt, Ulrich 183

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Weitnauer, Alfred 381 Weixelberger, Hieronymus 52 Weizsäcker, Karl von 41 Welper, Eberhard 263, 506 Welser, Wilhelm 178 Welser, Wolfgang Leonhard 178 Welti, Johann Heinrich 495 Weltz, Franz von 246 Wencker, Jakob 180, 258, 263, 264, 265, 266, 267, 268, 269, 270, 271, 272, 273, 274, 275, 276 Wencker, Johannes 264, 265 Wendehorst, Alfred 459 Wendeler, Michael 188 Wendt, Peter 228 Wenger, Michael 291 Wenneker, Erich 31 Wentzcke, Paul 49, 190, 387, 390, 391, 411, 412, 460 Werdermann, Peter 178 Werdmüller, Anton 477, 495 Wernegk und Wartenberg, Johann Friedrich von 76 Werner, Franz 251 Wesenbeck, Matthäus 64 Westhoff, Rudger 507 Westphal, Siegrid 1, 380, 422, 423 Westphal, Werner 54, 518 Westphal, Wilfried 465 Wettengel, Michael 383 Wetter, Josua 72 Wetzel, Johann Georg 54 Weyhe, Eberhard von 167, 220 Weyrauch, Erdmann 19 Wibe, Peter 235 Wibel, Johann Friedrich 188, 199, 200, 201 Wibel, Johann Georg 200 Wickh, David 144 Wickh, Johann Rudolf 144 Widmer, Berthe 108 Wiebers, Peter 142, 190, 191 Wiedeburg, Basilius Christian Bernhard 251 Wieder, Michael 235 Wiegand, Hermann 15, 25, 99 Wiegandt, Herbert 423 Wieger, Friedrich 463, 464, 465, 468, 474, 476

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Personenregister

Wiemers, Gerald 516 Wiesflecker, Hermann 334 Wigster, Stephan 242 Wijn, J. J. A. 332 Wild, Johann Bernhard 185, 187 Wild, Kurt 486 Wilhelm I., Deutsches Reich, Kaiser 54 Wilhelm, Hessen, Landgraf 201 Wilhelm, Matthias 146, 164 Wilhelm, von Oranien (1533‒1584) 80, 308 Will, Joachim 146 Wille, Wilhelm 218 Willebrand, Nicolaus 153 Willer, Jakob 32 Willius, Johann Heinrich 148 Wilstach, Bertram Kaspar 507 Wilstius s. Wilstach  Wimmer, Bernd 265 Wimpfeling, Jakob 189 Winckelmann, Johannes 35 Winckelmann, Otto 381 Winn, Colette H. 48 Winter, Johannes (aus Andernach) 73, 466, 467 Winther, Georg Valentin 145 Winther, Regner Sixtin 145 Wirth, Joseph Martin 495 Wischmeyer, Johannes 386 Wiser, Johann Ludwig 495 Witgenstein, Wirich Wilhelm 508 Witte, Henning 33 Witting, Gunther 107 Wittmann, Helge 382 Witz, Johannes s. Sapidus, Johannes  Wolf, Friedrich 118 Wolf, Johann Christian 112 Wolf, Johann Christoph 112 Wolf, Johann Jakob 495 Wolf, Johann Kaspar 469, 496 Wolf, Johann Rudolf 495 Wolfersdorf, Gottfried von 220 Wolff von Todtenwarth, Johann Ulrich 235, 236 Wolff, Christian (*1931) 81, 93 Wolff, Gerhard 256 Wölfflin, Bernhard 290

Wolffskeel, Johann Christoph 235 Wolfgang, Zweibrücken, Pfalzgraf 461 Wolgast, Eike 83 Wölker, Georg 275 Wollenberg, Jörg 17 Wrede, Martin 17 Wurzbach, Constant von 247 Wüst, Wolfgang 336, 383, 388 Wynants, Theodor 468 Xenophon 207, 231, 234, 266 Xylander, Wilhelm 94 Young, Patrick s. Junius, Patricius  Zanchi, Hieronymus 91, 102, 103 Zech, Johannes 173, 190 Zedler, Gottfried 46 Zedler, Johann Heinrich 33, 35, 37, 81, 282 Zegowitz, Bernd 32, 44, 114, 163, 501, 519 Zeiller, Chirurg 482 Zell, Matthäus 82 Zenker, Kay 120 Zenocarus, Wilhelm 192 Zentgraf, Johann Joachim 188, 201 Zetzner, Eberhard 74 Zetzner, Lazarus 133, 189 Zevecotius, Jacobus 213 Ziegler, Anna Elise 486 Ziegler, Dorothea 494 Ziegler, [Hans?] Jakob 496 Ziegler, Johann Heinrich 496 Ziegler, Johann Jakob 496 Ziegler, Johann Rudolf 496 Ziegler, Karl-Heinz 301 Ziegler, Konrat 216 Ziegler, Veronika 494 Ziegler, Walter 13, 14, 23, 135, 369, 383, 392 Zillinger, Johannes 182 Zimmermann, Andreas 482 Zimmermann, Hans Konrad 497 Zimmermann, Johann Georg 486 Zimmermann, Konrad 497 Zimmermann, Paul 62 Zimmermann, Ruben 2 Zincgref, Johannes 169

Personenregister

Zincgref, Julius Wilhelm 186 Zinninger, Anna Elisabetha 488 Zoepffel, Richard 145 Zonta, Claudia 518 Zorn, Adam 104 Zorn, Rudolf 260 Zsindely, Endre 466 Zuckwolf, Daniel 177

Zückwolf, Jakob 185 Zum Broich, Balthasar Konrad 508 Zwick, Johann Hermann 213 Zwiedineck-Südenhorst, Hans von 17 Zwingli, Johann Ulrich 497 Zwingli, Nikolaus 465 Zwingli, Ulrich 6 Zythopoeus, Bernhard Theodor 501, 509

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Autoren und Herausgeber Dr. Michael Hanstein, Gymnasium in der Glemsaue, Gröninger Str. 29, D-71254 Ditzingen, E-Mail: [email protected] Prof. Dr. Bernhart Jähnig, Karolinenstr. 1, D-14165 Berlin, Zehlendorf, E-Mail: [email protected] Dr. Manfred Komorowski, Hesternstr. 49, D-44869 Bochum, E-Mail: [email protected] Prof. Dr. Wilhelm Kühlmann, Am Waldrand 42, D-68210 Mannheim, E-Mail: [email protected] Dr. Wolfgang Mährle, Oberarchivrat, Landesarchiv Baden-Württemberg, Hauptstaatsarchiv Stuttgart, Konrad-Adenauer-Straße 4, D-70173 Stuttgart, E-mail: [email protected] Dr. Hanspeter Marti und Lic. phil. Karin Marti-Weissenbach, Arbeitsstelle für kulturwissenschaftliche Forschungen, Alte Post, Sernftalstr. 77, CH-8765 Engi, E-Mail: [email protected] PD Dr. Michael Philipp, Universität Augsburg, Philologisch-Historische Fakultät, Lehrstuhl für Geschichte der Frühen Neuzeit, Universitätsstraße 10, D-86159 Augsburg, E-Mail: [email protected] Dorothée Rusque, 55 rue de la Charmille, F-67200 Strasbourg, E-Mail: [email protected] Lic. phil. Christian Scheidegger, Zentralbibliothek Zürich, Alte Drucke und Rara, Zähringerplatz 6, CH-8001 Zürich, E-Mail: [email protected] M.A. Patrick Schiele, Marbachweg 341, D-60320 Frankfurt am Main, E-Mail: [email protected] Prof. Dr. Anton Schindling, Fachbereich Geschichtswissenschaft der Universität Tübingen, Seminar für Neuere Geschichte, Wilhelmstraße 36, D-72074 Tübingen, E-Mail: [email protected] PD Dr. Reimund Sdzuj, Birkenweg 1, D-17498 Neuenkirchen, E-Mail: [email protected] Prof. Dr. Robert Seidel, Institut für deutsche Literatur und ihre Didaktik, Johann Wolfgang Goethe-Universität, Norbert-Wollheim-Platz 1, D-60629 Frankfurt am Main, E-Mail: [email protected]