Die Ungeduld des Papiers: Studien zum alttestamentlichen Verständnis des Schreibens anhand des Verbums "katab" im Kontext administrativer Vorgänge [1 ed.] 3110159074, 9783110159073

In der Reihe Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft (BZAW) erscheinen Arbeiten zu sämtlichen Ge

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Die Ungeduld des Papiers: Studien zum alttestamentlichen Verständnis des Schreibens anhand des Verbums "katab" im Kontext administrativer Vorgänge [1 ed.]
 3110159074, 9783110159073

Table of contents :
Vorwort
1. Einleitung: Zwischen „Buchstadt“ und „global village“
1.1. Anstieg zum Thema
1.2. Aspekte der Forschung
1.3. Das Vorgehen in dieser Arbeit
2. II Sam 11 – Der König und die Korrumpierung der Kommunikation
2.1. Kontext, Text- und Literarkritik
2.2. Das Spiel mit den Medien
3. I Reg 21 – Die Königin und eine Lektion im Herrschen
3.1. Kontext, Text- und Literarkritik
3.2. Die Bedeutung des Schreibens für die Naboth-Intrige
3.3. Die Beziehungen zwischen II Sam 11 und I Reg 21
Exkurs I: Siegel und Schriftkultur
1. Siegel und Stempel im Argumentationsrahmen von Schrift
2. Siegel und Stempel außerhalb des Argumentationsrahmens von Schrift
4. II Reg 10 – Der Usurpator und der Mut zur Lücke
4.1. Kontext, Text- und Literarkritik
4.2. Diplomatie und „Öffentlichkeitsarbeit“ eines Usurpators
4.3. Zusammenfassung
5. II Chr 30 – Konstituierung der Gemeinde durch Schrift
5.1. Literarkritische und syntaktische Probleme
5.2. Die Strategien kultureller Reorganisation im Bericht vom hiskianischen Passah
6. Esr 1-6 – Theologie unter den Bedingungen der Provinz
6.1. Hinführung
6.2. Esr 1,1 – Das Edikt des Erweckten
6.3. Esr 2,62 – Die Liste der Heimkehrer
6.4. Esr 4,6-8 – Die Briefe der Kontrahenten
7. Esther – Theologie unter den Bedingungen der Diaspora
7.1. Hinführung
7.2. Von schlechten und guten Beamten (Kap. 3/8)
Exkurs II: Zur Deutung des Unaufhebbarkeitsgesetzes
7.3. Vom rechten Gehorsam (Kap. 9)
7.4. Auswertung und Zusammenfassung
8. Dan 6,26-28 – Ein Schreiben zum Schluß
8.1. Exegetische Eindrücke
8.2. Anmerkungen zu einer Theorie des Briefs
8.3. Der Leser zwischen Brief und Kontext
8.4. Zusammenfassung
9. Schluß
Literaturverzeichnis
I. Quellen und Hilfsmittel
II. Kommentare
III. Aufsätze und Monographien

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Thomas Schaack Die Ungeduld des Papiers

W G DE

Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft Herausgegeben von Otto Kaiser

Band 262

Walter de Gruyter · Berlin · New York 1998

Thomas Schaack

Die Ungeduld des Papiers Studien zum alttestamentlichen Verständnis des Schreibens anhand des Verbums katab im Kontext administrativer Vorgänge

Walter de Gruyter · Berlin · New York 1998

® Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt

Die Deutscht Bibliothek — CIP-Einheitsaufnahme [Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft / Beihefte] Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft Berlin ; New York : de Gruyter. Früher Schriftenreihe Reihe Beihefte zu: Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft Schaack, Thomas: Die Ungeduld des Papiers : Studien zum alttestamentlichen Verständnis des Schreibens anhand des Verbums katab im Kontext administrativer Vorgänge / Thomas Schaack. — Berlin ; New York : de Gruyter, 1998 (Beihefte zur Zeitschrift fur die alttestamentliche Wissenschaft ; N. F., Bd. 262) Zugl.: Kiel, Univ., Diss., 1996/97 ISBN 3-11-015907-4

ISSN 0934-2575 © Copyright 1998 by Walter de Gruyter GmbH & Co., D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere fur Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Druck: Werner Hildebrand, Berlin Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz & Bauer-GmbH, Berlin

Vorwort Diese Arbeit wurde im Wintersemester 1996/97 von der Theologischen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel als Inauguraldissertation angenommen. Nach ihrer Fertigstellung im Frühjahr 1996 ist neu erschienene Literatur in diese Arbeit nicht mehr eingearbeitet worden. Mit großer Dankbarkeit erwähne ich die, die mich beim Schreiben dieser Arbeit unterstützten und mich beeindruckten: Mein Doktorvater Herr Prof. Dr. Dr. Herbert Donner hat schon im Studium mein erstes Interesse am Alten Testament geweckt und dann auch das Schreiben dieser Arbeit mit der ihm eigenen Kompetenz und Liberalität gefördert. Seine Sorgfalt, alles Sprachliche betreffend, aber auch seine Warmherzigkeit und sein Humor haben mich einige Jahre auf sehr angenehme Weise begleitet. Von systematisch-theologischer Warte aus hat Herr Prof. Dr. Hans-Joachim Birkner ermunternde Worte und Hinweise bei der Planung dieser Arbeit gefunden; er konnte leider ihre Ausarbeitung und Fertigstellung nicht mehr erleben. Das Zweitgutachten hat Herr Prof. Dr. R. Bartelmus verfertigt. Herr Prof. D. Dr. Otto Kaiser hat mit freundlichen Worten die Aufnahme dieses Buches in die Reihe „Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft" unterstützt. Die Mitarbeiterinnen des Verlages de Gruyter, besonders Frau A. Aurich, haben die Arbeit auf gute Weise und mit viel Langmut verlegerisch betreut. Die „Studienstiftung des deutschen Volkes" hat für eine ganze Zeit meine materielle Wohlfahrt, ohne die nichts geht, gesichert und mich durch Kontakte mit anderen Stipendiatinnen angeregt, interdisziplinärer zu arbeiten. Mein Freund und Kollege Herr Dr. Lutz Schräder hat vieles mit mir besprochen und durch seine ruhige Art allzu üppige Spekulationen den Leserinnen dieses Buches erspart. Herr Prof. Dr. Udo Rüterswörden (Jetzt Leipzig) und Herr Dr. Johannes Renz haben mir immer wieder Bücher aus der Gesenius-Forschungsstelle ausgeliehen. Beiden sei für viele ebenso lehrreiche wie amüsante Gespräche im „Gesenius" gedankt. Dr. Renz hat darüber hinaus meinem Π am Computer zu größerer Schönheit verholfen. Zuletzt gilt mein Dank meiner Frau Kerstin und meinen Töchtern Lilly und Jette. Sie waren bei dieser Arbeit zuweilen die Musen, die mich küßten, zuweilen die sehr guten Gründe, das Schreiben zu unterbrechen, und endlich die, die den Hinweis gaben, daß ein Buch nicht nur eine erste, sondern - viel wichtiger! - auch eine letzte Seite haben muß. Kiel, Epiphanias 1998

Thomas Schaack

Inhaltsverzeichnis Vorwort

ν

1. 1.1. 1.2. 1.2.1. 1.2.2. 1.3. 1.3.1. 1.3.2.

Einleitung: Zwischen „Bachstedt" und „global village" 1 Anstieg zum Thema 1 Aspekte der Forschung 5 Schrift und Schriftlichkeit in der alttestamentlichen Wissenschaft 5 Schrift und Schriftlichkeit in der nicht-theologischen Forschung ....18 Das Vorgehen in dieser Arbeit 22 2ΓΟ als Thema 23 Administration als Thema 24

2. 2.1. 2.2. 2.2.1. 2.2.2. 2.2.3. 2.2.4.

II Sam 11 - Der König und die Korrumpierung der Kommunikation Kontext, Text- und Literarkritik Das Spiel mit den Medien Der Bote von der Front (V.6.7) Ein Brief für den Krieg (V.14.15) Ein Bote zwischen Mördern (V. 18-25) Auswertung

27 27 29 30 32 43 46

3. 3.1. 3.2. 3.2.1. 3.2.2 3.3.

I Reg 21 - Die Königin und eine Lektion im Herrschen Kontext, Text- und Literarkritik Die Bedeutung des Schreibens für die Naboth-Intrige Struktur und Thema von I Reg 21,1-16 Schrift als Instrument königlicher Macht Die Beziehungen zwischen Π Sam 11 und I Reg 21

51 51 55 55 57 60

Exkurs I: Siegel und Schriftkultur 1. Siegel und Stempel im Argumentationsrahmen von Schrift 2. Siegel und Stempel außerhalb des Argumentationsrahmens von Schrift

65 67 70

viii

Inhaltsverzeichnis

4.

II ReglO-

Der Usurpator und der Mut zur Lücke

4.1. 4.2. 4.3.

Kontext, Text- und Literarkritik Diplomatie und „Öffentlichkeitsarbeit" eines Usurpators Zusammenfassung

77 77 79 90

5. 5.1. 5.2.

II Chr 30 - Konstituierung der Gemeinde durch Schuft 92 Literarkritische und syntaktische Probleme 92 Die Strategien kultureller Reorganisation im Bericht vom hiskianischen Passah 96 5.2.1. Konstituierung der Gemeinde als Überraschung durch das Alte ... 96 5.2.2. Konstituierung der Gemeinde als Auslegungsakt 107 6. 6.1. 6.2. 6.3. 6.4.

Esr 1-6- Theologie unter den Bedingungen der Provinz Hinführung Esr 1,1 - Das Edikt des Erweckten Esr 2,62 - Die Liste der Heimkehrer Esr 4,6-8 - Die Briefe der Kontrahenten

115 115 116 126 144

7. 7.1. 7.2. 7.2.1. 7.2.2.

Esther - Theologie unter den Bedingungen der Diaspora 158 Hinführung 158 Von schlechten und guten Beamten (Kap. 3/8) 162 Kap. 3 - „Es soll geschrieben werden, sie auszurotten" 162 Kap. 8 - „Schreibt bezüglich der Juden im Namen des Königs, was euch gut zu sein scheint!" 185

Exkurs II: Zur Deutung des Unaufhehbarkeitsgesetzes 1. Joh 19,22 2. Mt 5,17-19 3. Gesetzessicherungen in Griechenland und im Orient 4. Aramäische Vertragstexte 5. Die „Textsicherungsformel"

197 199 200 203 206 211

7.2.3. Die Unaufhebbarkeit der Gesetze in Est und Dan 6 7.3. Vom rechten Gehorsam (Kap. 9) 7.4. Auswertung und Zusammenfassung

222 256 292

Inhaltsverzeichnis

ix

8. 8.1. 8.2. 8.2.1. 8.3. 8.3.1. 8.3.2. 8.3.3. 8.3.4. 8.4.

Dan 6,26-28 - Ein Schreiben zum Schiaß Exegetische Eindrücke Anmerkungen zu einer Theorie des Briefs Alttestamentliche Briefe als geschriebene Sprache Der Leser zwischen Brief und Kontext Dan 6,1-25.29 als Kontext Dan 2-5 (+7) als Kontext Die sonstige schriftliche Tradition als Kontext Die Umwelt des AT als Kontext Zusammenfassung

297 297 303 312 321 321 325 331 337 338

9.

Schluß

346

Literaturverzeichnis I. Quellen und Hilfsmittel Π. Kommentare ΙΠ. Aufsätze und Monographien

352 352 355 359

1. Einleitung: Zwischen „Buchstadt" und „global village" 1.1. Anstieg zum Thema Jos 15,15 steht dieser Satz: „Und er (gemeint ist Kaleb1) stieg von dort zu den Bewohnern von Debir (~Q~I) hinauf; der Name von Debir aber lautete vormals Kirjath-Sepher (~)ÖD~mp)". Der Vers gehört zu einer kurzen Erzählung mit ätiologischer Abzweckung, die in 15,13-19 berichtet, wie der damals noch Kirjath-Sepher genannte Ort Debir durch Othniel erobert wurde und daraufhin bestimmte Wasserquellen in der Nähe von Hebron an diesen Othniel und seine Nachkommen fielen. Der Bericht unterbricht geographische Beschreibungen des verheißenen Landes und trennt so eine Grenzfixpunktliste (15,1-12) von einer Ortsliste des Stammes Juda (15,2063)2. Unserem Vers geht die Mitteilung voraus, Kaleb, dem Hebron von Josua zum Besitz gegeben worden war (14,13f.), habe aus diesem Ort die drei Söhne eines gewissen Enak (vgl. Num 13,22) vertrieben. Von dort habe er sich sodann an den „Anstieg" nach Kirjath-Sepher/Debir gemacht. Die Lage dieses Ortes ist seit einiger Zeit bekannt: er lag einstmals auf der Hirbet er-Rabüd, einer etwa 15 km südwestlich von Hebron gelegenen Lokalität3. Die Verwendung des Verbums kann hier also nicht wörtlich genommen werden, denn von Hebron geht es in Richtung Hirbet erRabüd abwärts4, aber immerhin lag die Ortschaft selbst auf einem Hügel.

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So ausdrücklich L X X . So im Anschluß an die bahnbrechenden Arbeiten von Alt und Noth: Fritz, Jos (157). Fritz führt die Einarbeitung auf dtr. Redaktion zurück. Die Tradition selbst ist am ehesten als eine aus der Gegend von Hebron stammende lokale Uberlieferung zu verstehen (vgl. etwa Hertzberg, Jos [98]; Beltz, Kalebtraditionen [37]; Fritz, Jos [161]). Nach einem Hinweis Alts sprach sich Galling 1954 aufgrund allgemeiner Erwägungen für Hirbet er-Rabüd aus (vgl. ders., Lokalisierung); zur ersten archäologischen Verifikation vgl. Donner, Lehrkurs (24f.). Endgültige Klarheit brachte eine Grabung durch M. Kochavi 1967/68 (vgl. ders., Khirbet Rabûd [bes. 26-32]). Hebron liegt etwa 900 m hoch, das alte Kirjath-Sepher 686 m (Keel/Küchler, Orte [765]).

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Zwischen „Buchstadt" und „global village"

Interessant, wenn auch nicht außergewöhnlich5, ist die Bemerkung, die Ortschaft, die dem heutigen Leser unter dem Namen „Debir"6 bekannt sei, habe zur Zeit ihrer kanaanäischen Besiedlung den Namen „Kirjath-Sepher"7 getragen. Die These Gallings, der Name des Ortes könne - gerade im Hinblick auf die CPD Π by (Jos 15,19/Jdc 1,15)' - auf eine dort ansässige Verarbeitung von Tierfellen zu Schreibmaterial schließen lassen9, kann nach Lage der Dinge nicht mehr als eine anregende Spekulation bleiben. Womit man dort seinen übrigens gar nicht so kümmerlichen Lebensunterhalt bestritt10, scheint sich jedenfalls aus dem Ortsnamen nicht zuverlässig schließen zu lassen. Soweit das Wenige, das der Text des Alten Testaments und der Boden Palästinas der modernen historischen Forschung zu verstehen geben. Unter

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Vgl. z.B. Jos 14,15; 15,54; Jdc 1,23; s. auch I Sam 9,9: die Propheten nannte man früher Seher. Weitere ähnlich gelagerte Hinweise auf alte Zustände finden sich Dtn 2,10.12; Jos 11,10. - Die Umbenennung von Kirjath-Sepher in Debir soll man sich laut Noth, Jos (90), anläßlich der Eroberung der kanaanäischen Stadt durch Othniel denken. Die Etymologie des Namens (vgl. die Art. ~Ρ3"Πι ' n Gesenius18 [237] und "IDT a.a.O. [241]) führt zu der Ubersetzung „hinten [gelegen]", bzw. „Hinterdorf" (vgl. Noth, Jos [145]). Das Zeugnis für diesen Namen ist nicht an allen Stellen sicher: Jdc 1,11 (Vaticanus) steht die Umschrift καριαθσωφαρ, also wohl hebräisch ~Ι00~ΓΙΉρ („Schreiberstadt"), womit freilich lediglich eine andere Auffassung des Konsantenbestandes dokumentiert ist. Jos 15,49 wird überraschenderweise "ΟΠ mit einer Ortschaft namens Π30~ΓΡ"Ίρ gleichgesetzt (daher plädiert Kuschke, Debir [56], für diesen Namen; vgl. auch die Textkritik Noths, Geographie [205-207]; Jos [92], zu 15,49), doch scheint hier eine Verwechslung vorzuliegen: Π30 könnte eine Mischform aus "ISO und dem vorausgehenden Π3Τ sein (vgl. dazu auch Orlinsky, Qiryat-Sannah). - Das masoretische npQTVHp wird am besten zu übersetzen sein mit „Buchstadt" oder auch „Rollenstadt", bzw. „-dorf". „Town of the Treaty-Stele" (so Boling, Jos [293]) ist etwas übertrieben. Wahrscheinlich das Quellgebiet von Sei ed-Dilbe, zwischen Hebron und Debir gelegen; ein anderer Vorschlag bei Kochavi, Khirbet Rabûd (3 + 29). Galling, Lokalisierung (138f.). Galling hat diese These später noch etwas ausgebaut und den Ortsnamen als „Beweis für eine schon im ausgehenden 2. Jt bestehende Lederindustrie" gewertet. ΓΠ30ΓΓ33 (Esr 2,55) seien demnach „Nachkommen des mit der Leder-Bereitung Betrauten" (Tafel [219]). Nach Hermisson, Studien (116 Anm.2), könnte der Ortsname auf eine Schreiberschule hinweisen; vgl. auch die Erwägungen bei Grenshaw, Education (604 Anm.14). Niemann, Herrschaft (110), vermutet, daß der Ort aufgrund der „Spezialisierung ... auf Schreibmaterialherstellung" im 9.Jh. „für das Königtum als den wichtigsten Verbraucher interessant wurde". Der Ort beherbergte dann also Zulieferbetriebe für die staatliche Administration. Aus dem archäologischen Befund schließt Kochavi, Khirbet Rabûd (29): „Among the Cities of Judah, this City was one of the largest and most important like Hebron or Lachish".

Anstieg zum Thema

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anderen hermeneutischen Prämissen freilich kann man über die wenig mitteilsame Beiläufigkeit dieses kurzen Verses entscheidend hinausgelangen. Lesen wir, was in der Feder des Orígenes aus dem Vers wurde: „Diese drei Söhne des Enak mordete und tötete11 Kaleb und nach diesen (Geschehnissen) stieg er nach Dabir hinauf. Der Name (der Ortschaft) war ,Dabir', vorher (hieß sie) .Bücherstadt'. ,Dabir' bedeutet ,Rede\ Aber der Name ,Dabirs' war (ja) zuvor .Bücherstadt'. Also mußt du unter der .Bücherstadt' das gesamte Zeugnis des Alten Testaments begreifen; das heißt, daß wir diese Schrift, die wir gerade zu erörtern trachten, so verstehen wollen, daß sie die .Bücherstadt' sei, woraus späterhin .Dabir' wird, was .Rede' heißt. Diese nämlich, welche zuvor in den Buchstaben (befangen) war und nach dem Buchstaben aufgefaßt wurde, wurde eben in den Gemeinden Christi, durch Offenbarung des Herrn zur ,Rede', da zunächst die heiligen Apostel über diese redeten und sie erörterten und die Oberfläche der Bücher entfernten, aus dieser heraus aber eine geistliche Rede hervorbrachten. Aber es machen auch je einzelne Lehrer der Gemeinden aus dem Buchstaben des Gesetzes eine Rede und evangelische Erörterung" 12 . Das Vorgehen des Orígenes ist ganz deutlich zu erkennen 13 . Zunächst wird der Text wiederzugeben versucht, wobei das ihm Wichtige, nämlich die Umbenennung des Ortes, besonders herausgestrichen wird; schließlich führt Orígenes dem Leser eine etymologische Deutung des Namens „Dabir" vor, die wohl unter dem Einfluß von II K o r 3,6 und der Opposition zu „Sepher" den Ortsnamen von dem hebräischen Verbum Ί Π ^

(„sprechen,

reden") ableitet. N a c h dieser Bestandsaufnahme des Textes zeigt der doctor ecclesiarum - für einen solchen hält Orígenes sich zweifellos auch selbst - , was sich revelante domino

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unter der Oberfläche des Textes zu verstehen

Die Ermordung der drei Enak-Söhne nimmt Orígenes aus der Parallelfassung Jdc 1,10b. Istos ergo tres filios Enac exterminavit et interferii Chaleb et post istos ascendit in Dabir. Nomen erat Dabir prius civitas litterarum. Dabir interpretatur loquela. Sed nomen Dabir prius civitas litterarum. Igitur civitatem litterarum intellige omne Testamenti veteris instrumentum, id est banc ipsam, quam nunc disserere conamur scripturam, intelligamus esse civitatem litterarum, quae postmodum efficitur Dabir, quod est loquela. Haec etenim, quae prius in litteris erat et secundum litteram intelligebatur, modo in ecclesiis Christi, revelante Domino, loquela effecta est, loquentibus de ea et disserentibus primo sanctis Apostolis et removentibus superficiem litterae, proferentibus vero de ea spiritalem loquelam. Sed et singuli quique doctores ecclesiarum litteram legis loquelam et disputationem evangelicam faciunt-, Josua-Homilien XX,5. Die Deutung des Orígenes taucht 404 auch im Bericht des Hieronymus über Paulas Pilgerfahrt durchs Heilige Land auf: Paula habe Kirjath-Sepher gemieden, „weil sie den tötenden Buchstaben verachtete (vgl. Π Kor 3,6) und den lebenschaffenden Geist gefunden hatte"; Übersetzung Donner, Pilgerfahrt (160f.). Zur Hermeneutik das Orígenes vgl. Reventlow, Epochen I (170-193).

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Zwischen „Buchstadt" und „global village"

gibt. Die Umbenennung des Ortes bildet jetzt im voraus die Lesegeschichte des AT ab, die, nachdem sie sich einstmals allein mit der Oberfläche der Buchstaben begnügen mußte, durch Christus gewissermaßen einen hermeneutischen Sprung erlebte und jetzt erst die Schrift in ihrem ganzen Bedeutungsreichtum zutage treten ließ. Die Substanz des Geschriebenen bleibt zwar bestehen - das Bemühen um den Wortlaut und die (irrige) Etymologie von Dabir zeigen dies deutlich - , aber sie wird gewissermaßen aus den Fesseln einer nur vor Augen liegenden Lektüre befreit. Die neue Deutung bezieht sich auf ein anderes Körperorgan: sie geht ins Ohr, denn sie redet an. Ohne die Offenbarung Christi ist nur das Auge Adressat der Heiligen Schrift, mit ihr bekommt darüber hinaus das Ohr etwas zu hören. Diese Rezeptionsmodi stehen aber nicht in Opposition, sondern bauen aufeinander auf. Nur was sorgfältig gesehen wurde, kann auch zum Heil hin gehört werden14. Diese sich bei Orígenes andeutende Aufteilung anatomischer Eigentümlichkeiten des Menschen auf die heilsgeschichtliche Entwicklung spiegelt offenkundig ein hermeneutisches Problem wider, das dem Christentum, aber auch den anderen Schriftreligionen in die Wiege gelegt zu sein scheint. Die Offenbarung Gottes wird durch ein graphisches Zeichensystem zur Kenntnis gebracht, das allerlei Merkwürdigkeiten mit sich bringt: der Leser muß mit seinen Augen, vielleicht unterstützt durch den Finger, über das Papier fahren und dabei seinen übrigen Körper einigermaßen in Ruhe halten können15. Er kann andererseits aber in jedem Moment die Lektüre unterbrechen oder sich während der Lektüre so betragen, wie er es im Beisein eines Gesprächspartners wohl nicht täte16. Der Verstand muß eine ganze Reihe recht komplizierter Operationen vollziehen, um überhaupt irgendetwas begreifen zu können, und wenn sich bei diesem Geschäft Probleme auftun, hat der Leser nicht einmal die Möglichkeit der Nachfrage. Der Leser ist allein mit sich und einem Haufen Papier.

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Dem Verhältnis von „Hören und Sehen" hat für den atl. Bereich Kraus eine Studie gewidmet, die sich auch den hermeneutischen Implikationen stellt (vgl. ders., Hören und Sehen). Jaynes, Ursprung, hat die von ihm beobachtete Entwicklung vom Visuellen zum Auditiven zum wesentlichen Bestandteil einer Kulturtheorie gemacht, die das Entstehen des Bewußtseins aus einer Veränderung der Organisation des Gehirns erklärt; vgl. dazu weiter in 1.2.2., Anm.71. Vom Leser wird verlangt, „für längere Zeit mehr oder weniger regungslos zu verharren" - so Postman, Wir amüsieren uns (37f.). Lesen und Sich-Verhalten müssen keinen inneren Zusammenhang aufweisen: vgl. W . Benjamin, Tagebuch (25): „Ich lese auf meinem Zimmer Proust, fresse dazu Marzipan".

Aspekte der Forschung

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Das christliche Leser-Ideal eines Menschen, der ganz Ohr ist, hat also schon abseits der Frage nach der „Offenbarung des Herrn" seine guten, medientheoretischen Gründe: die Rede, von der Orígenes spricht, bietet die Möglichkeit, gleichzeitig zu werden mit dem Absender einer Botschaft und so in Gemeinschaft zu treten mit diesem Absender und den anderen Zuhörern. Eine christliche Hermeneutik aber wird das Ereignis der Anrede Gottes an den Menschen immer als ein audiovisuelles beschreiben. Ohrenschmaus gibt es nicht ohne Augenweide. Sie wird - um es noch einmal biblisch zu sagen - dessen eingedenk sein, daß Debir nie existiert hätte, wenn nicht zuvor Kirjath-Sepher gegründet worden wäre. Nach diesem Ort zu fragen dürfte sich also lohnen: wo ist er lokalisiert in der Medienlandschaft? Wie stark sind seine Mauern, wie weit seine Tore? Ist der Ort am Reißbrett entstanden und steht nun städtebaulich durchsichtig vor uns, oder ist er von Generationen von Bewohnern nach und nach aufgebaut worden, so daß wir mit einer Vielzahl verwinkelter Gäßchen zu rechnen haben? Warum sind zu Zeiten an einer Stelle der Ortschaft die Mauern weit vorgeschoben worden, während man vielleicht ehemals intensiv bewohnte Teile nun brachliegen ließ? Wie formte das Bewußtsein der Bewohner diesen Ort und wie der Ort das Bewußtsein seiner Bewohner?

1.2. Aspekte der Forschung 1.2.1. Schrift und Schriftlichkeit in der alttestamentlichen Wissenschaft Eine Erörterung von Schrift und Schriftlichkeit ist durch den Umstand belastet, daß mit diesem Thema zwangsläufig einige andere Dinge mitgesetzt sind: zur Produktion von Nachrichten durch Schreiben gehört notwendig die Rezeption durch Lesen. Wenn auch im Falle schriftgestützter Kommunikation Produktion und Rezeption weit auseinanderliegen, so ist doch beides in vielfältiger Weise von einander abhängig und auf einander bezogen. Zur Schriftlichkeit gehört aber auch immer die Mündlichkeit. Beide stellen zusammen die wesentlichen Kommunikationstechniken des Menschen dar. Die weitverzweigte wissenschaftliche Debatte, von der im Folgenden einige Aspekte betrachtet werden sollen, spiegelt die Einsicht in diese Doppelheit von Produktion und Rezeption einerseits und Mündlichkeit und Schriftlichkeit andererseits wieder.

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Zwischen „Buchstadt" und „global village"

Kurz nach dem Krieg erschienen zwei Arbeiten, die sich mit jeweils etwas unterschiedlicher Ausrichtung im Rahmen einer religionswissenschaftlichen Untersuchung dem Phänomen „Schrift" zuwandten. Zunächst veröffentlichte Alfred Bertholet 1949, als bewußtes Gegenstück zu einer früheren Arbeit über die Bedeutung des gesprochenen Wortes (vgl. Anm. 33), eine Darstellung über „die Macht der Schrift in Glauben und Aberglauben". Die Arbeit beschreibt, ohne den Beobachtungsgegenstand sachlich, historisch oder geographisch einzuschränken, das Vorkommen von Schrift in religiösen Zusammenhängen. Die gelehrte Untersuchung ordnet die Fülle des Materials thematisch und versucht, wenn auch meist nur in sparsamen und am Rande eingeflochtenen Bemerkungen, die beschriebenen, oftmals bizarr anmutenden Phänomene bezüglich Herkunft und Absicht zu erklären: so erfährt der Leser, daß dort, wo die Gründer einer Religion selbst nicht geschrieben haben, sich „unter ihren Anhängern naturgemäß das ewig sich erneuernde Bedürfnis" rege, die Worte und Taten „der Gründer möglichst authentisch festzuhalten"17. Freilich läßt Bertholet dieses so „naturgemäße Bedürfnis", das ja offenbar so etwas wie eine menschliche Universalie sein müßte, sonst unerörtert. Darüber hinaus meint Bertholet sagen zu können, daß der Schriftgebrauch eine grundsätzliche Wende in der Entwicklung eines Volkes mit sich bringe: die Unterscheidung zwischen schriftbesitzenden und schriftlosen Völkern sei adäquater als die zwischen Natur- und Kulturvölkern 18 . Dementsprechend erscheint ihm der Vorgang der Kanonisierung und der Gedanke heiliger Texte eine besondere Zuspitzung des Glaubens an die Wirksamkeit der Schrift 19 . Dieser Gedanke hat, so Bertholet in einem abschließenden, wertenden Abschnitt, Vorteile und Nachteile; denn nur so konnten die Schriftreligionen ihre „Wurzeln ... in das Erdreich menschlicher Herzen ... treiben" und Belehrung, Erbauung und Kräfte zum Handeln erlangen20. Aber der Schritt zu Mißbrauch und Aberglauben sei nicht weit, denn zu leicht könne der Glaube fossil werden, zu etwas „leblos Mechanischem" erstarren, so daß mit der Niederschrift religiöser Texte alles Lebendige „irgendwie" aufhöre, lebendig zu sein21.

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Macht A.a.O. A.a.O. A.a.O. A.a.O.

(32). (6). (42). (46). (47).

Aspekte der Forschung

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Trotz des Verdienstes, erste Schritte zu einer Phänomenologie des Zusammenhangs von religiösem Erleben und Schriftgebrauch getan zu haben, zeigen sich doch auch Einseitigkeiten und Mängel in der Untersuchung Bertholets: das Medium Schrift wird vorrangig unter dem Gesichtspunkt seiner im Grunde irrationalen 22 Machtgeladenheit betrachtet. Damit wird alles Gewicht auf eine bestimmte Qualität von Schrift gelegt und Schrift als Medium mit seiner Bedeutung für Kommunikation und Uberlieferung, einmal abgesehen von dem folgenlosen Verweis auf das ewig sich erneuernde Bedürfnis nach authentischer Aufbewahrung, nicht recht gewürdigt. U.E. aber scheint die Einengung des Beobachtungsraums auf den Bereich „Glauben und Aberglauben" nur dann sinnvoll zu sein, wenn eine grundsätzliche Vorstellung von Zweck und Gebrauch von Schrift im alten Israel vorhanden ist. Der Neutestamentier Johannes Leipoldt und der junge Ägyptologe und Religionswissenschaftler Siegfried Morenz ließen 1953 eine Bertholets Ansatz durchaus verwandte Arbeit über „Heilige Schriften" (Untertitel: „Betrachtungen zur Religionsgeschichte der antiken Mittelmeerwelt") erscheinen. Die Verfasser wollten ihr Werk als rein historische Arbeit verstanden wissen: „Wir haben nicht die Absicht, dogmatische Gedanken zu entwickeln. Unser letztes Ziel ist eine Phänomenologie der heiligen Schriften" - so die ersten Sätze des Vorworts. Diese Schroffheit der Eröffnung galt wohl der Abgrenzung von der zur Zeit der Veröffentlichung bereits heftig tobenden hermeneutischen Debatte23. Das Thema ist gegenüber Bertholet thematisch auf den Bereich heiliger Schriften, historisch und geographisch auf den antiken Mittelmeerraum eingegrenzt24. Entsprechend den im Vorwort gemachten Aussagen sucht man bei den Autoren weitgehend vergeb-

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Bertholet führt als Grund für diesen Glauben an die Machtgeladenheit der Schrift vor allem den „Reiz" und die „Unheimlichkeit des Unbekannten und Ungewohnten" an (Macht [7J. Der wesentliche Grund für den religiös geleiteten Umgang mit bestimmten Schriften ist also allein unter den Bedingungen des Analphabetismus plausibel. An anderer Stelle erklärt Bertholet die Machtgeladenheit der Schrift aus der Machtgeladenheit des gesprochenen Wortes, dessen „Wiedergabe schwarz auf weiß" die Schrift sei. Die Schrift sei daher „das Gesprochene oder Auszusprechende in Potenzierung" (13f.). Für den letztgenannten Gedanken bleibt Bertholet eine Erklärung schuldig. Vgl. dazu auch die Eröffnung des Kapitels „Die Deutung", das die hermeneutische Frage mit ganz distanzierten Worten grob umreißt: „Heilige Schriften zu deuten ist eine verantwortungsvolle Sache; umso schwieriger, je strenger der Begriff der Schrift genommen ist ... ." (a.a.O. [123]). Vgl. das „Vorwort".

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Zwischen „Buchstadt" und „global village"

lieh grundsätzlichere Erklärungen über das Wesen der Schrift oder gar wertende Aussagen über den Sinn des Schriftgebrauchs in religiösen Zusammenhängen, wie wir sie bei Bertholet lasen. Die Absicht des Werkes und ihr Wert liegen in der aufklärerischen Absicht: wiederholt weisen die beiden Leipziger darauf hin, daß der Leser seine modernen Vorstellungen vom Umgang mit Schrift, speziell mit heiliger Schrift, nicht auf die Antike übertragen könne25. Hatte sich Bertholet in seiner Bewertung des Materials ganz ungehemmt in die Tradition der romantischen Schriftkritik gestellt26, so wollen sich Leipoldt/Morenz jedes „Werturteils" enthalten, wenn sie auch im selben Absatz das „Urteil" wagen, daß der Segen, der von einer heiligen Schrift ausgehe, den „Unsegen" überwiege27. In ihrer Gelehrsamkeit und mit der Fülle des Materials hat diese Arbeit - soweit wir sehen - bis heute keine Nachahmung oder gar Fortführung erfahren. Freilich sind einzelne, für das Verständnis des Alten und Neuen Testaments besonders gewichtige Beobachtungen inzwischen wiederholt untersucht und so teilweise wesentlich detaillierter beschrieben worden 28 . Insbesondere ist der „Kanon" sowohl bezüglich seines historischen Werdens, aber auch besonders im Hinblick auf die Möglichkeit einer christlichen Hermeneutik des A T und des Verhältnisses von Judentum und Christentum zu einem gewichtigen Thema der alttestamentlichen Disziplin geworden29. Die

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So etwa bezüglich der Frage der öffentlichen Verlesung (a.a.O. 88) und des häuslichen Lesens (115); etwas unausgeglichen steht daneben allerdings die Behauptung, „das Verhalten der Menschen zu ihren heiligen Schriften ist weithin dasselbe, bei allen Völkern und zu allen Zeiten. ... So tritt das allgemein Menschliche in Erscheinung." (190). Er verweist auf Hölderlin (Macht [47f.]). Vgl. zu dieser Tradition besonders Kap. 8.2. A.a.O. (191). Ferner streichen die Autoren besonders die Überlieferungsfunktion heraus, da durch Bücher „eine Rückkehr zu dem Feuer der ersten Begeisterung und eine Beseitigung von Schlacken, die sich im Laufe der Zeit ansetzen", möglich werde. Und endlich: „Religionen, in denen heilige Bücher allgemein gekannt und benutzt werden, erfreuen sich einer klaren Überlegenheit". Dieses Urteil bemühen sich die Autoren dann anhand historischen Materials als schon antike Sicht der Dinge aufzuzeigen. Wir beschränken uns auf Beispiele: Zu der Formel „es steht geschrieben" bei Leipoldt/ Morenz, Schriften (37ff.): Williamson, History (25-31); Donner, Wie geschrieben steht (Passim); Fishbane, Interpretation (213-216); zur Weiterbildung im rabbinischen Judentum s. bereits Bacher, Terminologie I (90-93), und Terminologie II (91-95); für das N T mit einer Beschreibung der Vorgeschichte vgl. Liebers, Wie geschrieben steht (passim). Zur J'tahhotepformel" bei Leipoldt/Morenz, a.a.O. (56ff.) vgl. Exkurs II.5 dieser Arbeit und die dort angegebene Literatur. Eine Darstellung der Debatte und Angaben zur Literatur geben Dohmen/Oeming, Kanon (passim). Die Art und Weise, in der diese Debatte geführt wurde und wird, zeigt zugleich an, daß die von Leipoldt/Morenz programmatisch vorangestellte Abwehr „dogmatischer Gedanken" (s.o.) inzwischen weitgehend einem anderen Verantwortungs-

Aspekte der Forschung

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Aufgabe des Historikers freilich, „bunte Bilder" an seinen Zeitgenossen vorüberziehen zu lassen30, also die Fremdheit und Eigentümlichkeit des Umgangs mit dem Medium Schrift zu beschreiben, ist bisher für den Spezialfall heiliger Schriften in Ansätzen, sicher aber kaum für den allgemeinen Umgang mit Schrift für das AT aufgewiesen worden. Die weit verbreitete Selbstverständlichkeit, mit der der moderne Umgang mit Schrift auf die antiken israelitisch-jüdischen Verhältnisse übertragen wird 31 , führte daher immer wieder zu kleineren, gelegentlich sogar zu größeren Krisen der atl. Wissenschaft. So war etwa die Bedeutung der mündlichen Uberlieferung für die Entstehung des AT längst durch die Arbeiten Gunkels erkannt und durch sein Konzept einer Literaturgeschichte des AT zum Gegenstand methodischer Reflexion geworden 32 . Freilich fragte auch Gunkel nicht gründlicher, welche Folgen der Ubergang von der mündlichen zur schriftlichen Tradierung hatte und welche Eigenheiten mündliche und schriftliche Uberlieferung jeweils kennzeichnen 33 . Daß diese Fragen - wenn auch sehr zögernd - zu einem Thema wurden, ist zum wesentlichen Teil der sogenannten „traditionshistorischen" Schule, der vor allem Skandinavier zuzurechnen sind, zu verdanken. Ihre seit den 30er Jahren entwickelten Thesen34 machen mit der Einsicht in die mündlichen Uberlieferungsprozesse im alten Israel ernst und wollen ihnen nun sogar eine fundamentale Rolle bei der Entstehung des AT zuordnen:

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bewußtsein und Selbstverständnis der alttestamentlichen Disziplin gewichen ist. Leipoldt/Morenz, Schriften (190), gegen Ende der Untersuchung: „Wir lernten heilige Schriften mannigfacher A r t und auf vielen Gebieten kennen. Bunte Bilder zogen an uns vorüber". Vgl. dagegen 1989 ausdrücklich Jackson, Ideas (186), der sich mit der eigentümlichen Funktion von Schrift im orientalischen Rechtswesen befaßt: „The conclusion seems to be, that our modern modell of law, based upon the .application' of statutes in court, is not applicable to the Ancient Near East. The .codes' have a different purpose". Gunkels Arbeiten verdanken sich ihrerseits Herder und den Brüdern Grimm, scheinen aber von sonstigen volkskundlichen Forschungen bestenfalls nachträglich befördert worden zu sein; vgl. Klatt, Gunkel (bes. 106-116). Vgl. Koch, Formgeschichte (97). Mündlichkeit als Pendant zu Schriftlichkeit wird auch bei Leipoldt/Morenz aufgrund ihrer Themenstellung nicht behandelt. Bertholet thematisiert sie immerhin dadurch, daß er seine Arbeit als Gegenstück zu einer älteren über „Wortanklang und Volksetymologie in ihrer Wirkung auf religiösen Glauben und Brauch" (erschienen 1940) ansieht (s. ders., Macht [5]). Vgl. zu deren Darstellung Nielsen, Oral Tradition (7-17), Schrey, Forschung, und bes. Gunneweg, Tradition (bes. 73-51). Dort wird auch die einschlägige Literatur vorgestellt, die - etwas erweitert - auch Koch, Formgeschichte (97), aufführt.

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Zwischen „Buchstadt" und „global village"

mindestens bis zum Exil sei mit einer ausschließlich mündlichen Überlieferung zu rechnen, die erst durch „Vertrauenskrisen" in schriftliche Texte überführt worden sei35. Die mündliche Tradition war von einer derartigen Stabilität, daß über einen langen Zeitraum hin z.B. die Worte der klassischen Propheten erhalten blieben. Diese Form der Tradierung habe man sich - darin liegt die soziologische Erdung der Theorie - in Prophetenkreisen vorzustellen; deren Tätigkeit sei am besten als eine produktive Verarbeitung der Worte der „Meister" zu begreifen36. Diesen Einsichten habe eine atl. Methodologie besonders in bezug auf das textkritische und literarkritische Vorgehen Tribut zu zollen. Diese Angriffe gegen die bis dahin weitgehend selbstverständliche Sicht von der Entstehung der atl. Schriften hat nicht nur auf Seiten der Traditionshistoriker, sondern auch bei den Verfechtern des herkömmlichen Verständnisses die Reflexion über das, was man historisch zuverlässig über die Verbreitung von mündlicher und schriftlicher Uberlieferung und über die Merkmale dieser beiden Uberlieferungssysteme sagen kann, in Gang gebracht37. Gunnewegs kritische Aufarbeitung der traditionshistorischen Schule, die 1959 erschien, versuchte durch eine neue Betrachtung und Gewichtung der atl. Belege für den Schriftgeb rauch und durch die These, die klassischen Propheten seien als Kultpropheten am Tempel ansässig zu denken38, die frühzeitige Verschriftung der prophetischen Uberlieferung im Sinne des herkömmlichen Verständnisses darzutun. Damit kann er den von den Traditionshistorikern bestrittenen common sense in meist überzeugender Weise

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Dieser Vorgang wird ganz negativ gewertet: „It may seem that I tend to consider the appearance of writing in tradition as a sign of cultural degeneration" schreibt Nielsen (Oral Tradition [37]), betont aber, nachdem er sich in dieser Hinsicht als Anhänger Piatons bezeichnet hat, daß „degeneration is better than eternal obliteration". Vgl. Engneil, der die Beschreibung der Propheten als markanter Einzelgestalten als romantische Idee verwirft (Essays [152-155]) und deshalb meint, es sei falsch „to play the traditionist circle off against the master" (Essays [169]). Nachdem anfangs die Traditionshistoriker es an diesbezüglichen Aussagen mangeln ließen, hat Birkeland, Traditionswesen, Vergleiche aus dem muslimisch-arabischen Bereich herangezogen, die sich aber durch Widengrens Kritik (vgl. Aspects) als wenig stichhaltig erwiesen. Wesentlich für die Beschreibung der atl. Verhältnisse ist die Arbeit Nielsens (Oral Tradition) und die Erwiderung Gunnewegs (Tradition [bes. 20-51]). Der Tempel soll nach Gunneweg der wesentliche Ort der schriftlichen Tradition sein, während die mündliche Uberlieferung eher im Volk, besonders der Familie zu suchen ist (Tradition [77-81]). Sind aber die Propheten AWtpropheten, könne die Überlieferung der prophetischen Stoffe nicht „rein und vorwiegend" mündlich gewesen sein. Zwingende Beweiskraft hat diese Argumentation freilich nicht (vgl. auch die Kritik von Gerhardsson, Tradition [219f.]).

Aspekte der Forschung

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neu abstützen, möchte aber auch als richtigen Kern der skandinavischen Theorie den Hinweis entnehmen, daß die mündliche Uberlieferung in der Tat bedeutsamer sei als bislang gedacht3'. Die im Bereich der Uppsala-Schule entwickelte Aufgabenstellung, man müsse „in einem Kulturmilieu, wo Schrift und Schreiben eine begrenzte Rolle spielen," ... „genau festzustellen suchen, was man aufschreibt, unter welchen Umständen man schreibt, zu welchem Zweck und mit welchem Beweggrund1Sitz< im Leben und Sprachform, sondern auch das lebendige Gegenüber des Verfassers, der ihm stets neu Auskunft geben kann: An die Stelle des Sprechenden ist für den Adressaten das schriftlich objektivierte, auf sich selbst gestellte Sprachgebilde getreten mit allen Nachteilen". - Nur hat hier Jehu den vermeintlichen Nachteil zu seinem Vorteil gemacht! Über das sich hier andeutende schwierige Verhältnis von gesprochener und geschriebener Sprache vgl. in Kap. 8 die Ausführungen zum Charakter des Briefs. Elwert, Einbettung (250).

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Π Reg 10 - Der Usurpator und der Mut zur Lücke

schildert, beim zweiten freilich nicht - zum Abwägen und zum Überdenken, was der Brief eigentlich sagen will, was der Absender eigentlich von den Adressaten verlangt. Verhielte es sich tatsächlich so62, läge hier ein bemerkenswerter Reflex eines tiefen Verständnisses der Eigenart schriftlicher Texte vor, denn die allgemeinste Wirkung der Schrift ist es, „dass sie die Sprache fest heftet, und dadurch ein ganz anderes Nachdenken über dieselbe möglich macht, als wenn das verhallende Wort bloss im Gedächtnis eine bleibende Stätte findet" 63 . Daß Schreiber und Leser nicht den gleichen Raum und nicht die gleiche Zeit teilen, wäre nicht als Mangel, sondern als Gewinn begriffen. Der Autor eines Briefes kann für seine Absichten produktiv die Möglichkeit einer Bedenkzeit einsetzen und seine Leser durch den naheliegenden Vergleich mit außertextlichen Informationen zum Drehen und Wenden der Sache bringen. Die Leser müssen bei Abwesenheit Jehus den Jehu des Briefes und den Königsmörder Jehu zusammenbringen. So lassen die samarischen Leser in ihren Köpfen den dreisten und übermächtigen Jehu erstehen, gegen den sie die Schlacht verlieren müssen, noch ehe sie begonnen hat.

4.3.

Zusammenfassung

Erneut ging es - nach Π Sam 11 und I Reg 21 - in einem Text der Königszeit um Verwendung der Schrift durch einen gewalttätigen Herrscher. Schrift wird eingesetzt, um Menschen und Institutionen zu manipulieren und den eigenen Zwecken gefügig zu machen. Auch fehlt hier nicht der schon beobachtete zynische Beigeschmack (bes. in V.964) im Zusammenhang der Verwendung von Schrift und die Ansiedlung des Geschehens im Diplomaten· und Beamtenmilieu, in dem man wohl auch den Autor des Textes zu suchen hat.

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Dagegen steht das Fehlen jeder expliziten Mitteilung dazu. V.7 handeln die Samarier ohne Überlegen, V.8 reagiert Jehu mit keinem Wort auf die Nachricht vom Eintreffen der Leichenteile. Endlich bedarf das Abwälzen der Verantwortung auf die Samarier in V.9 nicht zwingend dieser Zweideutigkeit, es sei denn, Jehu wollte vermeiden, daß es einen sicheren schriftlichen Beleg für den Mordauftrag gab (Ausdrückliche Ablehnung des Mißverständnisses bei: Gray, Reg [554]; Minokami, Revolution [78f.]). V. Humboldt, Buchstabenschrift (84). So auch Greßmann, Reg (312).

Zusammenfassung

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Deutlicher aber als in den ersten beiden Fällen arbeitet der Text mit den Eigenarten schriftlicher Aufzeichnungen, insbesondere der hermeneutischen Aufgabe, die vom Absender an den Adressaten gestellt wird. Durch das gezielte Auslassen von Information und den provokanten Ton des Geschriebenen wird der Leser augenblicklich in eine Auseinandersetzung der Argumente hineingezogen, die den Entscheidungsprozeß effektvoller vorantreibt und die Angst vor dem unbekannten Gegner noch steigern muß. Die Antwort der Leser des Briefes konnte vom Erzähler nicht passender gestaltet werden: sie strecken nicht nur die Waffen, sondern verlieren überdies die Sprache. Ihre Grammatik und Syntax richtet sich nach der des Usurpators. Der Autor des kleinen Geschichtswerks von der Revolte des Jehu zeigt damit ein erstaunliches Wissen über den Umgang mit schriftlichen Texten, das er zudem in wenigen erzählerischen Andeutungen zu artikulieren weiß. Die Beherrschung von Schrift ist hier längst über das bloße Wissen um ihre materiellen Grundlagen hinausgelangt zu einem Wissen darüber, welche neuen Facetten kommunikativen Geschehens den Menschen durch den Schriftgebrauch zur Verfügung stehen.

5. Π Chr 30 - Konstituierung der Gemeinde durch Schrift 5.1. Literarkrìtische und syntaktische Probleme Anlaß zu unterschiedlichen Deutungen, ja sogar literarkritischen Operationen bietet der Ubergang von V.l zu V.2. In V.2 wird die Handlung mit einem konsekutiven Imperfekt fortgesetzt, so daß V.2ff. als nach V.l sich ereignende Handlung - eben konsekutiv - aufzufassen wären. Es ergäbe sich dann das folgende Bild: der König schickt Boten mit einer Einladung zum Passah aus (V.l). Darauf wird in einer Gemeindeversammlung der Passahtermin problematisiert und erneut ein Einladungsbeschluß gefaßt (V.2-5), welcher durch Boten - nach V.l nun zum zweiten Mal - verbreitet wird. Dieser Handlungsablauf ist nicht unmöglich, wohl aber von einer auffallenden und kaum begründbaren Umständlichkeit. Aus diesem Grund hat Galling in V.l eine sekundäre Erweiterung angenommen und für den alten Bestand lediglich eine Einladung (zur Passahdebatte) vermutet: „Und es schickte Hiskia zu den Oberen von Jerusalem und Juda, daß sie nach Jerusalem kämen"1. Wer eine literarkrìtische Lösung syntaktischer Probleme nicht will, rechnet stillschweigend2 oder explizit3 mit einem kausal-explizierenden Charakter der V.2-5. Für diese Sicht lassen sich in der Tat Gründe anführen: V.5 bringt abgesehen von denselben Briefinhalt wie V.l, so daß eine bewußte Rückführung auf die Handlungsebene nach einem begründenden Exkurs beabsichtigt zu sein scheint. V.6 berichtet - wie gleich zu klären sein wird - von einer zweigeteilten Nachrichtenübermittlung und nimmt so V.l auf. Eine einfache Einladung zum traditionellen Passahtermin ist zudem nach dem Handlungsablauf Kap.29 nicht unbedingt

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Chr (159); zu Haags These gleich unten. Diese Sicht schlägt sich in den Übersetzungen nieder; vgl. z.B. Myers, Chr (173): (V.l) „Then Hezekiah sent to all Israel ..." (V.2) „ ...for the king ... had agreed to celebrate the passover"; vgl. auch Rudolph, Chr (300): (V.2) „der König hatte sich nämlich mit seinen Oberen ...". Goettsberger, Chr (347) und Rudolph, Chr (299): V . l stehe als Überschrift am Anfang, die V.2-5 trügen dann die Einzelheiten nach.

Literarkritische und syntaktische Probleme

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zu erwarten, da Hiskia und der Leser seit 29,17 um deren Unmöglichkeit wissen4. Überdies ist auch sonst ein kausal-explizierendes imperfectum consecutivum belegt, das zu einer zusammenfassenden Bemerkung die näheren Umstände nachträgt 5 . Durch die Umkehrung der zeitlichen Abfolge erscheint also V . l als der helle Fanfarenstoß zum hiskianischen Passah, dem die kleineren Mißtöne nachgetragen werden. Dies impliziert eine zum Chronisten durchaus passende Wertung der Vorgänge. Zu Irritationen führt gelegentlich V.6, denn von seiner Auffassung hängt das Verständnis des Mediums der Predigt V.6b-9 ab. V.6a dürfte aber wohl kaum die Zitation des Briefes einleiten, wie manche vermuten 6 , sondern vielmehr eine vom König verfaßte, durch die Boten mündlich vorzutragende Ermunterung, das in dem königlichen Edikt Befohlene auch tatsächlich zu tun 7 . Dazu paßt, daß V.6b-9 als "f^Qn m 2 D 8 eingeführt wird, während zuvor V.1.6 von ΠΤΊ3Κ die Rede war und der Inhalt der Predigt 9 mit keinem Wort das erwähnt, was nach V.l.5 in ihr enthalten sein soll: die Aufforderung zum Passah (in Jerusalem). Die Strategie der Kundgabe königlicher Befehle in Mündlichkeit und

Schriftlichkeit könnte bereits in

30,1 vorbereitet sein , so daß folgende Ubersetzung Wahrscheinlichkeit be10

sitzt: „Da zogen die Boten mit Briefen aus der Hand des Königs und seiner

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Die Tempelreinigung wird erst am 16. Tag des ersten Monats abgeschlossen, so daß das Passah also am 14. Tag nicht gefeiert werden konnte; vgl. dazu weiter S.108f. Vgl. dazu GK, § l l l d und bes. Driver, Tenses (82f.), der verschiedene Fälle dieser Art erläutert und anschließt: „in neither of these cases is it implied that the event introduced by 1 is subsequent to that denoted by the previous verb" (81). Vgl. als weitere Belege Gen 27,24; 36,14; 37,6; 42,21ff.; 45,21-24; 48,17; Ex 2,10; 40,18; Jos 18,8; Jdc 5,1; 6,27. Haag, Mazzenfest (219) und Pascha (103), der dies vermuten muß, weil er sowohl V.6b9 als auch überhaupt die Erwähnung von Briefen in II Chr 30 auf die ehr. Bearbeitung einer alten Quelle zurückführen möchte. Willi, Auslegung (188), hält auch II Chr 2,2-9 für einen Brief, was freilich allein für die Antwort V.ll-15 vom Chronisten ausdrücklich gesagt ist; s. a. Slotki, Chr (304). So Galling, Chr (159); v. Rad, Predigt (256); Steck, Geschick (145 Anm. 3). Rudolph, Chr (299f.), redet von einem „ernsten Mahnwort". - Zum Charakter und Sinn der Rede vgl. unten. Der M T "I^DH ist als lectio difficilior zu belassen. Die Lesart ... ¡1122031 ma· soretischer Zeugen wird Angleichung an ΓΤΠ3Χ3 sein, die ebenfalls bezeugte Auslassung des Waw ebnet das Miteinander schriftlicher und mündlicher Mitteilungen ein. L X X liest in Π Chr 36,22 - vergleichbar mit 30,6 - die Kopula vor 3 J O D 3 nicht, wohl aber in Esr 1,1. Um eine solche handelt es sich der Diktion nach, nicht aber um ein königliches Edikt. Vgl. dazu Π Chr 36,22/Esr 1,1, wo u.E. aber keine Doppelung von Mündlichkeit und Schriftlichkeit vorliegt. Zum näheren Verständnis von Esr 1,1/11 Chr 36,22 vgl. 6.2.

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Π Chr 30 - Konstituierung der Gemeinde durch Schrift

Oberen durch ganz Israel und Juda und [sprachen dabei] entsprechend der Anordnung des Königs so: Unter Aufnahme der beiden soeben diskutierten Schwierigkeiten und einiger weiterer Beobachtungen hat H. Haag II Chr 30 einer eingehenden literarkritischen Analyse unterworfen12. Er glaubt, aus dem chr. Sondergut eine alte Quelle herausfiltern zu können, die von einem Mazzenfest des DS7 in Jerusalem unter Hiskia berichtete13, allerdings chr. bearbeitet wurde. Mit dieser Bearbeitung sei ein jüngerer Bericht von dem Passah des b n p kombiniert worden; diese Kombination sei wiederum mit dem Ziel der Harmonisierung der beiden Berichte überarbeitet worden14. Es ist hier nicht der Ort für eine eingehende Diskussion der Details. Zu dem Gesamtentwurf sei aber angemerkt: Haag setzt vor allem bei den terminologischen Unklarheiten und wechselnden Personengruppen des Textes an (Passah-Mazzot / ÜSJ-bnp / König als Subjekt - größere Gemeinde als Subjekt) und teilt so den Text auf die beiden Versionen des Festberichtes auf. Aufgrund dieses recht schematischen Verfahrens bleiben am Ende nicht

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Rudolph, Chr (300), (vgl. auch den Apparat der BHS) hat eine den kärglichen Text verdeutlichende Konjektur vorgeschlagen, die freilich an der Textüberlieferung keinen Anhalt hat. Eher wäre die Möglichkeit zu erwägen, ob "IDXb in diesem Fall nicht mit ursprünglicher verbaler Kraft als Infinitiv aufzufassen ist mit betonender Voranstellung von " [ b o n m2£D3: „ ... um gemäß einem Befehl des Königs zu verkünden: ... ". Auch die Verwendung des Begriffes ¡T12ÍD durch den Chronisten könnte die hier vorgetragene Interpretation stützen: ¡T12ÎD bezeichnet im chrG nicht allein das Gebot Gottes, sondern auch den Befehl des Königs. So bezeichnet er die Anordnung Davids (Π Chr 29,25 [mit Gad und Nathan]; 35,15 [mit Asaph, Jedutun, Heman]), Salomos (II Chr 8,15), Asas (Π Chr 17,4), Joas' ¿ I Chr 24,21), Hiskias (Π Chr 29,15; 30,12 [mit den hohen Beamten]) und schließlich Josias (Π Chr 35,10.16). m S D meint entweder den eigenmächtigen, J H W H entgegengesetzten Befehl eines Herrschers (Π Chr 17,4; 24,21) oder aber - wie meist - den auf Gottes (schriftlichem) Befehl beruhenden Entschluß des Davididen (ausdrücklich konstatiert in Π Chr 29,15.25; 30,12). (Den in dieses Raster von „Gegensatz zu J H W H s Willen" - „Konformität mit JHWHs Willen" herausfallenden Beleg II Reg 18,36 hat der Chronist bezeichnenderweise nicht; alle hier aufgeführten Belege sind rein ehr., also ohne Vorlage im dtrG). ¡T13D in dieser Verwendung ist der zwar auf Schrift beruhende, nicht aber notwendig selbst als Schrift vorliegende Wille des Königs. Genau diesen Charakter hat auch die Predigt der Boten: sie ist fest in der traditionellen Uberlieferung verankert, hat den Charakter prophetischer Verkündigung (vgl. die Autorschaft der ΓΠ2ίΟ in Π Chr 29,25; 35,15!), ist aber nicht selbst Schrift. Haag, Mazzenfest (passim); vgl. auch ders., Pascha (103-107). Angaben zum Alter der Quelle macht Haag nicht ausdrücklich, doch stellt er sie Mazzenfest (218 Anm. 13) in die sprachliche Nähe vorexilischer Texte. Zur Problematik der historischen Verifikation der Reform Hiskias vgl. Na'aman, Historicity (mit Lit.). Die komplizierte Verteilung des Textes auf die verschiedenen Schichten ist graphisch anschaulich gemacht in Haag, Mazzenfest (224f.).

Literarkritische und syntaktische Probleme

95

erklärbare Textteile, für die er unbefriedigenderweise als deus ex machina die harmonisierende Redaktion einführen muß 15 . Die zugrundeliegende Quelle ist in der von Haag angenommenen Form kaum denkbar: die Einladung an Israel und Juda zum Tempel nach Jerusalem klingt zu deutlich nach einer vom Dtn herkommenden Theologie. Das Motiv der Unreinheit des Volkes - in V.18 der Quelle zugeordnet - soll in V.17 dem zweiten Bearbeiter zukommen und in V.3 der harmonisierenden Redaktion - eine für ein so durchgängiges Motiv schwierige Annahme. Da es im übrigen auf N u m 9 - einen P s -Text" - zurückgehen dürfte, ist sein Vorkommen in diesem Text einheitlich und im Rahmen nachexilischer Theologie zu interpretieren. Mit V.20 teilt Haag die „Heilung" des Volkes der Quelle zu, die Verspottung der Boten (V.10) aber dem ehr. Bearbeiter, obwohl beides II Chr 36,16 vom Chronisten in engen Zusammenhang gesetzt ist und deshalb auch literarisch kaum getrennt werden kann. Der Text zeigt also, wie das Folgende noch näher ausführt, die Merkmale der nachexilischen, chr. Theologie und ist bis auf geringe Ausnahmen17 als ganzer und unter diesem Gesichtspunkt interpretierbar. In diesem Zusammenhang ist als wichtigster Einwand gegen Haags Entwurf vorzubringen, daß er den Charakter der Chr als Auslegung ignoriert. Nur so kann er das Problem der Verschiebung des Festes auf den zweiten Monat als „relativ unwichtig" 18 einstufen und die in V.3 angeführten Gründe für die Verschiebung für „nicht sehr überzeugend" halten". Der Einfluß von N u m 9,1-14 auf den Text wird von ihm nicht diskutiert. Indem wir im folgenden beobachten, inwieweit der Autor von II Chr 30 ihm vorgegebene schriftliche und „autoritative" Texte auslegt, hoffen

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Von Haag uneingestanden, summiert er darunter auch die von ihm nicht verstandenen Textaussagen, z.B. die Verschiebung auf den 2. Monat und den ganzen V.3. Uberhaupt ist sein Erklärungsmodell für die verschiedenen Textstufen deutlich ein Dekadenzmodell. Vgl. z.B. Noth, N u m (64); bes. Kellermann, Numeri (124-133). Später hinzugesetzt dürfte mit Willi, Auslegung (200), 30,16bß-17b.21b-22 sein. Zu weiteren literarkritischen Versuchen an Π Chr 30,13-22 mit einer Kritik Haags vgl. Dörrfuß, Mose (228-231+231-234). Kritisch zu Haag auch Steins, Chronik (142f.), dessen eigener Entwurf (vgl. a.a.O. [143-152J) die auffallendsten Schwächen des Vorschlags Haags zu vermeiden trachtet und zu einem Redaktions- oder Fortschreibungsmodell führt. Die Frage, inwieweit der Bezug auf schon vorliegende Texte den vorliegenden Text provoziert hat, bleibt bei Steins ebenfalls unerörtert: das methodische Instrumentarium ist zu einseitig literarkritisch bestimmt. Mazzenfest (220). A.a.O. (223).

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Π Chr 30 - Konstituierung der Gemeinde durch Schrift

wir, einen adäquateren Schlüssel zur Auslegung des hiskianischen Passah zu finden.

5.2. Die Strategien kultureller Reorganisation im Bericht vom hiskianischen Passah In Π Chr 30 findet sich die Wurzel 3 Γ Ο dreimal: in V . l wird erwähnt, Hiskia habe Einladungen zum Passah in Jerusalem verschickt; diese „Einladungen" werden mit den „Briefen aus der Hand des Königs etc." (V.6) wieder aufgenommen. Dazu kommen zwei Hinweise auf die vorhandene oder mangelnde Schriftgemäßheit bestimmter Vorgänge (V.5.18)20. Eine detaillierte Untersuchung des Kap.s zeigt allerdings eine weitaus tiefergehendere Bedeutung von Schrift für den Passah-Bericht des Chronisten, als es das geringe Vorkommen von 3 Γ Ο oder auch ΓΠ3Χ zunächst vermuten lassen könnte. Überdies zeigt der Text das komplexe Funktionieren und Ineinandergreifen von Strategien kultureller Reorganisation, der Belebung und Vermittlung von Erinnerung und Sinn sowie den Ablauf von Entscheidungsprozessen in diffizilen Situationen. Wir widmen dem Text daher besondere Aufmerksamkeit in der Hoffnung, so ein Idealbild der gesellschaftlichen Konstruktion des nachexilischen Israel zu gewinnen.

5.2.1. Konstituierung der Gemeinde als Überraschung durch das Alte II Chr 30,1-14 erzählt vom Edikt des Königs Hiskia an sein Volk mit dem Inhalt, „das Passah für den Gott Israels (in Jerusalem) zu feiern" (V.l.5). Das Stück kann also mit Grund unter den Texten verhandelt werden, die es mit politischen und administrativen Schriftstücken zu tun haben. Doch liegt auf der Hand, daß mit diesem etwas formalen Kriterium weder das eigentliche Gepräge des Edikts noch das der gesamten Erzählung hinreichend beschrieben werden kann. Überall steht implizit oder explizit die Macht einer ganz anderen Literatur, nämlich des 31ΓΟ (V.5.18) und des

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Diese Belege gehören also nicht direkt zu unserem Untersuchungsbereich administrativer Vorgänge, spielen aber im Kontext auch für deren Verständnis eine wichtige Rolle.

Kulturelle Reorganisation beim hiskianischen Passah

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m m - Q 1 (V.12), der formativen und normativen Überlieferungen21 des Volkes Israel, hinter dem Bericht. Die folgenden Erörterungen haben deshalb zum Ziel, die vom Chronisten hergestellten Beziehungen zwischen diesen beiden Literaturgattungen zu beschreiben. Das königliche Edikt 22 erhält zunächst seine besondere Note durch eine mündliche Kommentierung. Es scheint eine Art „Arbeitsteilung" zwischen den beiden Texten und ihrer jeweiligen Ubermittlungsart vorzuliegen: der schriftliche Befehl enthält nach den Angaben des Textes allein die Aufforderung, zum Passah nach Jerusalem zu kommen, die begleitende mündliche Rede liefert dazu motivierende Argumente. Dem Brief haftet hier also etwas Statisches und Apodiktisches an. Er bringt das in keiner Weise abzumildernde Passah-Gebot, das göttlicher Herkunft ist und deshalb als in sich ruhende Größe mit absolutem Anspruch vor die Gläubigen treten kann. Das Medium paßt zur Aussage: der einmal niedergeschriebene Text kann nichts Weiteres sagen, er schweigt sich über seinen Gegenstand aus, er sagt nichts mehr, weil es auch nichts mehr zu fragen gibt. Doch die Verhältnisse sind nicht so. Der Anspruch, den König, Führungsschicht und Jerusalemer Gemeinde aus der Schrift an das Volk weitergeben, ist nicht selbstverständlich und trifft bei seinen Lesern - wie sich später aus der Reaktion V.10 zeigt - offenbar auf Ablehnung. Nach der Rede - oder besser: Predigt - V.6b-9 bedeutet das Fest zu feiern demnach Bekehrung zu dem rettenden Gott, der in der vergangenen Geschichte die Treulosen für jeden sichtbar zugrunde gerichtet hat, der jetzigen Generation aber die Erlösung von ihrem traurigen Schicksal anbietet. Das königliche Schriftstück ist also begleitet durch ein zwar „ernstes Mahnwort", das aber eben „nicht in pharisäischem Ton ..., sondern in brüderlicher Verantwortung ins Gewissen redet"23. So wird das apodiktisch anmutende Schriftstück in einen Prozeß mündlicher Kommentierung eingebunden, der die hohe Bedeutung des Festes unterstreicht und es in einen (un-)heilsgeschichtlichen Zusammenhang einordnet. Die Leser des Ediktes und Hörer der Predigt werden gefragt, ob die solcherart gedeutete Geschichte nicht auch ihre Ge-

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Vgl. zu den Begriffen J. Assmann, Gedächtnis (142): während „normative" Texte auf die Frage „Was sollen wir tun?" antworten, wollen „formative" Texte die Frage „Wer sind wir?" beantworten. Zu dem Edikt ist der „Osterfestbrief" Darius Π. zu vergleichen, der allerdings viel stärker in die kultischen Einzelheiten geht als Hiskias Brief es zu tun scheint; vgl. Cowley, A P 21 (60); Porten/Yardeni, Textbook I (54f.). Rudolph, Chr (299f.).

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Π Chr 30 - Konstituierung der Gemeinde durch Schrift

schichte sei, ob nicht evident sei (D'Wl ΟΠΚ "UtfiO, V.7), daß ihre gesamte Existenz sich am Verhalten gegenüber dem königlichen Befehl, und damit gegenüber der „Schrift", entscheide. Normative und formative Uberlieferung sind also aufeinander bezogen und liefern in diesem Bezug die Motivation, sich dem Anspruch des 31ΓΟ zu fügen. Nun ist lange erkannt, daß der f b o n m S D V.6b-9 nicht den Stil herrscherlicher Rede, sondern vielmehr prophetischer Verkündigung trägt24. Den prophetischen Charakter des Ganzen zeigt vollends V.10 in der Verhöhnung der

welche sich dem in II Reg 17,13-17 klassisch auf den

Begriff gebrachten dtr. Modell der Verwerfung der Propheten verpflichtet erweist26. Die Propheten erscheinen mithin als diejenigen, die das Wort des Gesetzes mit einem heilsgeschichtlichen Kommentar versehen und ihm so zu seinem Recht verhelfen. Der stereotype Charakter der Predigt, die ihr sprachliches Material aus bereits vorliegender Literatur bezieht27, zeigt den Propheten dabei weniger als charismatischen und originellen Verkünder, sondern als einen, der das Vorgelegte, genauer: das Geschriebene, expliziert und auslegt28. Mündlichkeit wird dabei eingesetzt, um die notwendig werdende „Überzeugungsarbeit" zu leisten. Die Einsicht in die „Schriftgeleitetheit" so-

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Vgl. dazu v.Rad, Predigt (passim, bes. 256), der feststellt, „daß kein Unterschied besteht, ob eine solche Rede aus Prophetenmund kommt oder von einem König gehalten wird" (257f.). Vgl. auch Steck, Geschick (145): „faktisch entsprechen diese dtr geprägten Prediger in ihrem Wirken den Propheten, wie sie Dtr sieht" (146). Die Bedeutung der D ^ T ist im Vergleich zur vorexilischen Zeit verblaßt (Willi, Auslegung [118Í.J. Zur Herleitung der Propheten als Boten vgl. Willi, a.a.O. (212 Anm. 29). Das Motiv der Verspottung eines Propheten begegnet sehr ähnlich Q y b - pnt?) Jer 20,7. Die Verspottung durch Gott findet sich in Prv 1,26 in einem zu Π Chr 30 passenden Kontext: es geht um Bekehrung, Kundtun von Worten einerseits (1,23) und Nichtbefolgen der Ratschläge andererseits (1,25). - Dasselbe Motiv sprachlich etwas anders noch in Π Chr 36,16. Vgl. die Anm. 24 angegebenen Arbeiten. Vgl. dazu v.Rad, Predigt (261): „diese Zitierungen [der Chr] setzen unbedingt eine lebendige Beziehung zu den alten Schriften voraus und bezeugen den Willen, ihre Inhalte nach bestem Vermögen dem Volk mitzuteilen." - Andererseits äußert sich v.Rad auch so: „Zweifellos bezeugt das hier beobachtete Zitieren älterer Schriftworte ein Erlahmen der religiösen Sicherheit und Spontaneität. Zu einer vollmächtigen Rede von Gott her glaubt sich der Prediger nicht mehr so recht befähigt; so greift er zurück auf das alte anerkannte Schriftgut, und was ihm an Durchschlagskraft mangelt, leiht er sich von den großen Zeugnissen der Vergangenheit" (a.a.O. [260J). - Diese Alternative ist wohl mindestens schief: vollmächtige Rede bedeutet im Sinne des Chronisten eben Zurückgreifen auf anerkanntes Schriftgut. Der Prophet als Exeget (und Schriftsteller) entspricht der veränderten Bedarfslage; vgl. dazu weiter im Text.

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wohl der Predigt als auch der Darstellung des Geschicks der „Läufer" rät davon ab, Schriftlichkeit und Mündlichkeit in einen allzu starken Kontrast zu setzen. Wohl ist vom Chronisten gesehen, daß der personale und flexible Charakter mündlicher Kommunikation der gestellten Aufgabe - Werben zum Passah - entgegenkommt. Aber diese Aufgabe ist gelöst im Rahmen „textueller Kohärenz"29, die sich eng an schriftlich Vorliegendes anlehnt und es zugleich aktualisiert. Die Aspekte kultureller Organisation, die J. Assmann als „textuelle Kohärenz" bezeichnet, liegen II Chr 30 in einem noch viel entscheidenderen Sinn zugrunde: sie liefern nämlich gewissermaßen den Zündstoff für die Denkbarkeit einer derartigen Reform. Der Zündstoff liegt in der Möglichkeit der Rückerinnerung an die normativen und formativen Traditionen, obwohl im Gedächtnis des Volkes eben diese nicht mehr präsent sind. Sie fehlen dort aufgrund eines z.Z. des Chronisten bereits mehrere Generationen andauernden Rahmenwechsels, der die politischen, kulturellen, wirtschaftlichen und sogar geographischen Grunddaten des Volkes Israel betraf. Mit Hilfe der Halbwachsschen Gedächtnistheorie, die das Erinnerungsvermögen einer Gruppe vor dem Hintergrund ihrer soziologischen Gegebenheiten interpretiert30, wird die „Vergeßlichkeit" der Israeliten, die das Dtn so oft anprangert, nur allzu verständlich: der Verlust des Landes, des Königs und des Tempels ist auch der Verlust von „Mnemotopen"31, stabilisierenden Institutionen und Möglichkeiten rituell vermittelter Erinnerung. In dieser Situation will das Dtn ein „volkspädagogisches Programm"32 liefern, das die selbstbildformende Erinnerung sichern helfen soll. Ein Zentrales Element dabei ist die andauernde, intensiv betriebene und von J H W H selbst befohlene Wiederholung dieser Erinnerung33. Ein Deuterono-

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' Zur Unterscheidung von „textueller" und „ritueller Kohärenz" vgl. J. Assmann, Gedächtnis (87-103); vgl. bes. a.a.O. (101): „Textuelle Kohärenz bedeutet die Herstellung eines Beziehungshorizonts über diesen der Schriftlichkeit inhärenten Bruch hinweg, eines Horizonts, innerhalb dessen Texte über die Jahrtausende hinweg präsent, wirksam und anschlußfähig bleiben". 30 Eine zusammenfassende Darstellung der Theorie bei J.Assmann, a.a.O. (34-48). Auf die Grenzen dieser Theorie machen Canzik/Mohr, Erinnerung (309f.), aufmerksam. 31 Vgl. dazu J. Assmann, a.a.O. (59-63). 32 J. Assmann, a.a.O. (231). 33 J. Assmann, a.a.O. (218-221) führt allein 8 Methoden kollektiver Mnemotechnik im Dtn an. Vgl. auch Stellen, an denen davon gesprochen wird, sich permanent mit Schrift zu umgeben, sie zu lesen und zu bewahren: Dtn 17,18f.; 27,3.8.26; 28,58; 31,12f.; 32,46. Zu den didaktisch-katechetischen Absichten vgl. auch Preuß, Deuteronomium (86-89).

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mist formulierte dies so: „Dieses Gesetzbuch soll nicht von deinem Mund weichen und du sollst über es bei Tag und Nacht sinnen, damit du sorgfältig tust, was in ihm geschrieben steht, denn dann wirst du deine Unternehmungen zum Ziel bringen und dann wirst du Erfolg haben" (Jos 1,8). Integraler Bestandteil dieser Pädagogik zur Kultivierung von Erinnerung ist die Benutzung von Schriftlichkeit. Schriftliche Texte sind ein „Depot für ausgelagerte Kommunikate" 34 und erlauben so den permanenten Rückgriff auf das kulturelle Gedächtnis einer Gesellschaft. Sie erlauben aber auch im Grenzfall, das Schicksal der Offenbarung Gottes zu teilen: vergessen zu werden, doch nicht zu vergehen. Diese zuletzt genannte, im Katastrophenfall einer Gesellschaft sich auswirkende Eigenschaft ist die Denkgrundlage eines zweiten, anderen Erinnerungsmodells geworden: es rechnet nicht mit permanent kultivierter Erinnerung angesichts des Rahmenverlustes, sondern vielmehr mit dem Aussetzen dieser Erinnerung, so daß es zu einer „schockartigen"35 Wiedererinnerung kommen muß. Dieses Modell findet sich sehr prägnant durchgeführt in dem Bericht über die josianische Reform II Reg 22f. Das zu Erinnernde tritt als Buch in einer Situation vollständigen Vergessens plötzlich und quasi ex nihilo auf und verändert mit einem Mal alles. Die Schrift sorgt nach dieser Vorstellung für das Ende einer alten und den Anfang einer neuen Epoche. Sie ist dazu in der Lage, weil sie getreulich die Erinnerung bewahrt hat und so das Vergangene als das Neue und zugleich Fremde qualifiziert. „Das Neue wird als Rückkehr zum Ursprünglichen dargestellt"36, der retrospektive Blick in die Vergangenheit sorgt in der Prospektive für die Möglichkeit neuen Handelns 37 .

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J. Assmann, a.a.O. (91 Anm. 4). Ders., a.a.O. (225). Ders., a.a.O. (226). Auch im frühen Mittelalter gilt alles Neue als ketzerisch. Was vor den Zeitgenossen bestehen können soll, muß sich als „alt" erweisen lassen. Das Bewußtsein von „Modernität" kommt erstmals im 12. Jhd. auf (vgl. Krause, Dauer [210]). Vgl. dazu auch Max Weber, der über .Geltungsgründe der legitimen Ordnung' u.a. bemerkt: „Ohne Neuoffenbarung von Ordnungen war in Epochen der Geltung des strengen Traditionalismus die Entstehung neuer Ordnungen, d.h. solcher, die als »neu« angesehen wurden, nur so möglich, daß diese als in Wahrheit von jeher geltend und nur noch nicht richtig erkannt oder als zeitweise verdunkelt und nunmehr wiederentdeckt behandelt wurden" (Grundbegriffe [53]). Einen anderen Aspekt solcher Fundgeschichten nennt A. Assmann, Fiktion (bes. 247f.): Derjenige, der Eigenes schreibt, schreibt aus der Phantasie und gilt damit als unzuverlässig, abgesondert und gefährlich vereinzelt. Aus diesem Grunde müsse Textproduktion „im Gewand der Reproduktion" auftreten, „das Eigene mußte ent-eignet werden,

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Zur Begründung und Ausführung des Gesagten schieben wir an dieser Stelle einige Bemerkungen zum Auffindungsbericht des „Gesetz-" oder „Bundesbuches" in II Reg 22,3-11 ein. Für den Text, der im wesentlichen einheitlich zu sein scheint", sind besonders zu Beginn dieses Jh.s, aber auch noch später allerlei als Parallelen eingeschätzte Texte angeführt worden39, die wir im folgenden auf ihren Ertrag für II Reg 22 hin befragen wollen. Diebner/Nauerth führen in einem Aufsatz zur „Inventio" des Gesetzbuches als erste Parallele II Makk 1.18-2340 an; der Text handelt allerdings nicht von der Auffindung eines Buches, sondern eher von der glücklichen Bewahrung des Tempelfeuers während des Exils, scheidet also in diesem Zusammenhang aus. Ebensowenig ist der Bericht von der wundersamen Entdeckung des Buches Mormon41 hier anzuführen, weil er von II Reg 22 abgeleitet sein kann und zu spät ist, um über den Bericht des dtrG Aussagen zu machen. Schließlich ist auch die Auffindung des lignum crucis durch Helena von II Reg 22 zu trennen, da das Kreuz Jesu eigentlich nichts Neues darstellt und infolgedessen keinen Umbruch in der Gemeinschaft der Findenden provoziert, sondern lediglich das schon längst Vorhandene legitimiert und also prolongiert42. Die antik-orientalischen Analogien hat - nach einigen Vorgängern - Euringer zusammengestellt und kommentiert43. Die keilinschriftlichen Analogien44 tragen für den Vorgang des Findens kaum etwas aus; Nabonid sucht ganz bestimmte Urkunden, die „als glückverheißendes Orakel und als Orakel meiner Sendung und der Festigkeit des Königtums"45 dienen sollen. Das Suchen hat also eine spezielle Erwartung, es soll nichts erschüttern, aber das Bestehende stützen. Die keilinschriftlichen Texte belegen allerdings die Möglichkeit des Findens von Urkunden in Tempeln im Zusammenhang mit Bauarbeiten, die „archäologischer" oder renovierender Natur sind. Das Buch des Josia ist ja nach

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bevor es als verbürgt auftreten konnte". Dazu dienten neben der Inspiration auch „solche platten Autorisationsstrategien wie Fundlegende und Pseudepigraphie". Vgl. dazu die Übersicht bei Spieckermann, Juck (423), und für die Einzelheiten a.a.O. (46-58). - Andere, u.E. aber wenig einleuchtende Vorschläge z.B. bei Dietrich, Josia (1825); Würthwein, Reg (446); Levin, Joschija (354f.+369f.). Die ungeheure Menge der Bücherfunde ist dargestellt und ausgewertet von Speyer, Bücherfunde (passim, vgl. aber bes. für unseren Zusammenhang S.125-128) und ders., Fälschung (bes. 67-70). Diebner/Nauerth, Inventio (lOOf.). Vgl. Dies., a.a.O. (101-106). Erhellendes zum Fund des Joseph Smith auch bei Speyer, Bücherfunde (107-110). Vgl. Dies., a.a.O. (107-117). - Dieser Unterschied zu Π Reg 22 ist freilich, wie sich gleich zeigen wird, das Kennzeichen fast aller anderen Fundberichte und insofern von zentraler Bedeutung. Euringer, Analogien Bd.9.10 (passim). Euringer bringt auch die ihm voraufgehenden Arbeiten zum Thema. Ders., Analogien Bd.10 (13-23). So in einer Euringer, a.a.O. (14f.), zitierten Inschrift Nabonids.

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dem Textzusammenhang bei ebensolchen Arbeiten entdeckt worden46, doch handelt es sich nach dem aus Π Reg 22f. zu erschließenden zweifellos nicht um die Gründungsurkunde des Heiligtums wie in den assyrischen und babylonischen Bauten. Fruchtlos sind daher auch die auf Naville zurückgehenden Versuche Euringers, die Deponierung der Urkunde im Tempel Salomo zuzuschreiben47. Das dtrG schweigt sich über die Herkunft, das Schicksal und die exakten Fundumstände offenbar bewußt aus. Dies geschieht, um einerseits die Unnahbarkeit und die radikale Unverfügbarkeit der gefundenen Thora zu betonen, aber eben auch, um die Vergeßlichkeit des Volkes in dem Akt des Erinnerns, der als Buchfindung dargestellt ist, zu illustrieren: eine Geschichte der .Textpflege' haben die Dtr.en nicht zu erzählen, weil es wohl den Text, nicht aber eine Pflege gab. Einen anderen Charakter haben die ägyptischen Analogien. Die verschiedenen Rezensionen des 64. Kapitels des Totenbuchs bringen manche für II Reg 22 interessante Details. Wie Schaphan anläßlich eines Kassensturzes (22,4) zum Tempel kommt und das Buch erhält, so findet der Prinz Hordedef das 64. Totenbuchkapitel, „als er umherreiste, um die Tempel zu inspizieren" (gm.sw m WD.f r ir.t sip.t m rü.w pr.w) 4 '. Andererseits ist das aufgefundene Dokument im Unterschied zu II Reg 22 schon im äußeren Erscheinungsbild herausragend, da es „auf einer Platte von südlichem Gestein, geschrieben mit echtem Lapislázuli" ( hr db.t nt bRw sm'.w ss m hsbd.w m3c.w ) steht49. Im

Der Text sagt dies nicht ausdrücklich, aber die Darstellung des Ganzen legt es zwingend nahe. - Anders z.B. Würthwein, Reg (447f.), der diese Auffassung ablehnt, um den literarkritischen Entscheidungsdruck zu erhöhen. 47 Analogien Bd. 9 (235-237). 48 A.a.O. (232). 4 ' Text bei a.a.O. (233). Anders drückt in der Dendera-Inschrift (a.a.O. [238f.J die Abfassung des uralten Dokuments auf „Ziegenfell" vielleicht eher die Schlichtheit der als klassisch empfundenen Anfänge Ägyptens aus. - Die äußere Form von Schriftstücken spielt im AT eine erstaunlich geringe Rolle: am auffälligsten ist noch das goldene Priesterdiadem, das Ex 39,30 erwähnt wird, aber nicht eigentlich ein Schriftstück, sondern ein beschriebener Schmuckgegenstand ist. Jes 8,1 soll der Prophet auf eine „große Tafel" (bl-n JTÒJ) schreiben, was aber wohl kein besonders wertvolles Schreibzeug meinen will. Im Zusammenhang einer prophetischen Zeichenhandlung findet sich auch einmal ein Stück Holz (fU) als Beschreibstoff (für hölzerne Schriftträger vgl. noch die mUD Num 17,17ff.; für den Zusammenhang der Zeichenhandlung vgl. auch den mit einem |3K beschwerten "IDO Jer 51,60-64). Das Schreibutensil wird Jer 17,1 sogar in negativem Zusammenhang benutzt, um die Durabilität der ΓΠΙΓΡ ΓΙΚΟΠ drastisch auszudrücken. Die "lBO~rÒ3D Jer 36, die immerhin einen Teil der Verkündigung des Propheten enthält, scheint allein insofern erwähnenswert, als sie - in einzelnen ΓΠΓ0"! geschrieben - portionsweise zerstört werden kann (V.23). Die außergewöhnliche beidseitige Beschriftung der Buchrolle Ez 2,9 soll zeigen, daß der Prophet viel mitzuteilen haben wird (vgl. auch Ex 32,15). Schließlich sind hier noch die Stellen anführbar, die von dem Schreiben Gottes mit dem Finger berichten (Ex 31,8; Dtn 9,10), doch sagen diese Texte nichts darüber, ob die solcherart entstandenen Urkunden auch ihrem Aussehen nach außergewöhnlich waren. Die in diesen und anderen Zusammenhängen genannten Tafeln (0" , 33Κ(Π)/]3Κη ΠΓ0 [Ex 24,12; 31,18; 34,1; Dtn 4,13; 5,22; 9,10.11; 10,1.3] 46

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Gegensatz zu den ungenauen Angaben in Reg wissen die ägyptischen Fundberichte recht exakte Aussagen über den Aufbewahrungsort des lange verschollenen Schriftstücks zu machen: es lag „zu Füßen der Majestät, dieses Gottes" (hr rd.wj η hm η ntr pn)5C oder „im Grundmauerwerk51 von imj ljnnw" (m snt.t nt imj hnnw)52. Π Reg verzichtet wohl bewußt auf die Angabe einer exquisiten und daher legitimierenden Fundlage. Es reicht der Tempel als allgemeine Ortsangabe. Interessant ist in diesem Kontext die Erwähnung, der Finder hätte das Buch zum König gebracht „als ein Wunder, nachdem er gesehen hatte, was für große Geheimnisse in ihm enthalten waren, von niemandem gesehen noch erblickt (in.n.f.sw m bjS.w η stn {ift m^.f nt.t st§.w pw c 3.w η m?B η ptr)53. Auch hier taucht die Weitergabe des Buches vom Finder zum König auf, wobei - anders als bei Hilkia und Schaphan - der Finder den Wert des Buches ausdrücklich konstatiert54. Unterstrichen wird der fremde und unbekannte Charakter des Buches, der etwa in den Inschriften Nabonids keine Rolle spielt, da er ja weiß, was er sucht. Im Totenbuch wie aber wohl auch in II Reg 22 wird das Bekanntwerden mit Geheimnissen betont, selbst wenn Josia mit einem Mal bewußt wird, daß bereits seine Väter mit dem Buch zu tun

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r n s r t n r ò [Ex 31,18; EX 32,15]·, Γ Τ ΰ Π n n b [Dtn 9,11.15· vgl. Ex 34,28]; metaphorisch: a b m b \Jer 17,1; Prv 3,3; 7,3\ vgl./er 31,33\ ITÒ/ITO sonst noch Dtn 9,17; 10,2.4.5; Jes 30,8; Hab 2,2) zeigen hier und da die besondere Durabilität des auf ihnen Mitgeteilten an (vgl auch Hi 19,24), bleiben aber sonst unkonkret und farblos. Die Steine am Jordan, auf denen „diese Thora" aufgeschrieben werden soll, sind mit Kalk überzogen, um darauf „gut leserlich" schreiben zu können, sind ansonsten aber offensichtlich schmucklos („unbehauen"; Dtn 27,2f.8;Jos 8,32). Beschreibstoffe und das Aussehen von Dokumenten scheinen als selbstverständlich zu gelten und allein dann näher beschrieben zu werden, wenn dies für die Funktion und das Geschick dieser Dokumente von Bedeutung ist. Insbesondere die gründenden Dokumente scheinen nicht als besonders prachtvoll oder auffallend gestaltet zu gelten. - Vgl. dazu als Kontrast auch das 64. Kapitel des Totenbuchs: es soll auf einer Platte aus oberägyptischen Erz m ss ntr ds.f, ,in der Schrift des Gottes selbst', geschrieben gewesen sein (a.a.O. Bd.9 [23 lf.]; vgl. dazu aber Ex 32,16·. Κ1Π OTÒX a r o n a r o o m ) , das Niederschreiben des Gottes ist also mit einem besonderen Erscheinungsbild des Dokuments verbunden. - Vgl. aber die Vorstellungen der jüngeren Zeit: Arist 176 wird von einer Ausgabe des „Gesetzes" (ή νομοθεσία) gesagt, sie sei mit jüdischen Buchstaben in Goldschrift geschrieben (γεγραμμένη χρυσογραφίςι τοις Ίουδαϊκοΐς γράμμασί; vgl. dazu auch Arist 3), ihr Pergament sei in bewundernswerter Weise bearbeitet und die Nähte seien nicht wahrnehmbar zusammengefügt (θαυμασίως είργασμένου του ύμένος, και της προς άλληλα συμβολής ανεπαίσθητου κατεσκευασμένης). Analogien Bd.9 (231); vgl. auch den a.a.O. (233) zitierten Text. WÄS IV (179), führt als hier passende Bedeutungen an: 1. Grundmauerwerk 2. Grundriss 3. Fußboden. Analogien Bd.9 (235f); vgl. die Angaben der längeren Bauinschrift in Dendera [Bd.9 (238f.)] und der medizinischen Papyri [a.a.O. (343f.+346f.)]. Vgl. Analogien Bd.9 (235). Vgl. auch den Analogien Bd.9 (346), zitierten medizinischen Papyrus.

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hatten (V.13), das Buch also schon einmal bekannt war 55 . Aber wiederum ist hier die Beobachtung zu machen, daß die Geheimnisse des Totenbuchs nicht die radikale Wirkung zeigen, die das Bundesbuch des Josia freisetzt. Gerade dieser Gesichtspunkt führt zu einem letzten noch heranzuziehenden Analogietext. Das sogenannte 2. Pestgebet Mursiii II. 56 läßt den hettitischen König klagen über eine 20 Jahre währende „Pest" in seinem Land und ihn die Götter nach der Ursache dieser Katastrophe fragen. Tatsächlich werden dem Herrscher die Gründe mitgeteilt, und zwar in F o r m von zwei Tafeln, über deren Inhalt das Gebet breit Mitteilungen macht 57 . Diese schriftliche Offenbarung führt nun ebenso wie im Fall des Josia (22,11) zur Buße, Mursiii sühnt die beiden, von dem Gott benannten Vergehen (§ 7) 58 . U n d sogar die Einholung eines Orakels hat bei Mursiii ein Analogon, denn auch er befragt betreffs des Inhalts der Tafeln die Götter (§ 5.6) 59 . Betrachtet man von hier aus II Reg 22, wird der prophetische Zug der Erzählung deutlicher. Das Auffinden des Buches hat den Charakter einer Willenskundgabe Gottes durch einen Propheten, und dieser Charakter wird durch die Befragung Huldas und den Selbstminderungsritus des Kleiderzerreißens 60 noch unterstrichen. Zu den weiteren Ähnlichkeiten ist auch die Erwähnung der Schuld der Vorfahren zu zählen (vgl. II Reg 22,13), die bei Mursiii zentrale Bedeutung hat, da eben die Verfehlungen seines Vaters im besonderen die gegenwärtige Bedrückung der Hettiter durch die Götter in F o r m einer Seuche verursachten. Aber bei dem Vergleich sind auch Einschränkungen zu machen: Die Tafeln äußern sich allein zu zwei speziellen Versäumnissen, das Bundesbuch Josias aber, über dessen Bedeutung man zunächst mehr erfährt als über seinen

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Spieckermann, Juda (55-57), hat 22,13bß dem Redaktor DtrN zugeordnet, indem er einen Gegensatz zwischen der vorhergehenden Selbstbezichtigung („denn groß ist der Zorn JHWH's, der sich gegen uns entzündet hat") und der folgenden Anklage der Väter („weil unsere Väter nicht auf die Worte dieses Buches gehört haben") betont hat. Aber die Entdeckung der eigenen Schuld und der Schuld der Vorfahren gehören hier und auch sonst zusammen (Beyerlin, Textbuch [195 Anm. 70], führt in diesem Zusammenhang einige Belege .korporativer' Haftung an), ohne daß man dieses geschichtskonstruierende Prinzip für allein dtr. halten müßte. Zuerst hg. und kommentiert von Götze, Pestgebete (204-235). Zitate und Paragrapheneinteilung hier nach der Ubersetzung von C. Kühne in Beyerlin, Textbuch (191-196). Vgl. § 3-5; Beyerlin, Textbuch (193f.); Götze, Pestgebete (208-213). Beyerlin, Textbuch (194); Götze, Pestgebete (212-215). Die Anfrage an Gott ist in beiden Texten allerdings unterschiedlich akzentuiert. § 5.6 des Mursili-Gebets berichtet von einer eher intellektuell gearteten Befragung, die den Zusammenhang zwischen den väterlichen Verfehlungen und den Ereignissen unter Mursiii noch einmal klar in Erfahrung bringen möchte. Anders bedeutet E7 1 Γ II Reg 22,13 nicht nur Auskunft, sondern auch Wendung der eingetretenen Not und Fürbitte des Propheten vor Gott (vgl. bes. Jer 37,3 mit 37,7!); zu diesem Verständnis siehe Westermann, Begriffe (17-22). Der Zusammenhang Hören - Zerreißen der Kleider - Demütigung (S733, ni., vgl. Π Reg 22,19) auch noch I Reg 21,27.29 im Kontext prophetischer Ansage; vgl. Thiel, s n p (192). Zum Trauerverhalten des Volkes als Reaktion auf Gesetzesverlesung ist Neh 8,9-12 zu vergleichen! Als Gegenstück zu II Reg 22,11 siehe Jer 36,24!

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Inhalt, wird zur Grundlage eines nicht nur den König betreffenden Bundes (23,3a) und in V.4ff. offenkundig zum Anstoß radikaler religiös-politischer Reformen. Mursiii „findet" zwar die Tafeln (§ 3) 61 , doch insofern nicht unerwartet, als sie die Antwort Gottes auf seine inständigen Orakelanfragen sind 62 . Eine akute N o t aber wird von Josia und seinen Zeitgenossen nach dem Auffindungsbericht, der unverfänglich als Baubericht(l) beginnt, nicht gefühlt. Das unversehens gefundene „Buch" offenbart Josia sowohl die Notlage als auch den Weg zur Lösung der Notlage. Es ist also in einem viel umfassenderen Sinn Offenbarungsquelle als die Tafeln des Mursiii. Uns erscheinen daher Konstruktionen wie die Lohfinks 63 , die damit rechnen, daß Josia den Inhalt der Urkunde bereits flüchtig durch mündliche Tradition erfahren hatte oder aber sie an ihrer „materiellen Gestalt" erkannte, um das klassische erkenntnistheoretische Problem zu lösen, wie man etwas erkennen kann, von dem man doch gar nichts weiß 64 , wenig fruchtbar. Der Text blendet offenbar bewußt diese Vorgeschichte aus, um das plötzliche Erscheinen des Buches als unvermittelten Einbruch in die Geschichte darstellen zu können, was freilich - wie V.13 und das Gebet Mursiiis zeigen - auch neu gewonnene Erkenntnis über die Väter nicht ausschließt. Eben deshalb kann die Auffindung des Buches im Unterschied zu allen vorgestellten Parallelen als „schockartige Erinnerung" bezeichnet werden 65 . Die zu II Reg 22 analogen Auffindungsberichte enthalten zwar verschiedene Motive, die im dtrG ebenfalls realisiert sind, doch kann von einer wirkli-

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Beyerlin, Textbuch (193), Götze, Pestgebete (208f.); vgl. auch § 5. In diesem Zusammenhang scheint die Beobachtung, daß Träume, Orakel und Gottesbegeisterte (S 10 u.ö.) die üblichen Offenbarungsmedien des Mursiii sind, eine wichtige Rolle zu spielen. Mit Hilfe des extravaganten Mediums Schrift soll dann die Besonderheit und Gewichtigkeit der auf den Tafeln enthaltenen Mitteilungen unterstrichen werden. Reg macht dagegen mehr aus dem Medium Schrift: ein Buch kann gefunden und von einem zum anderen weitergegeben werden (22,8-10), das Buch hat eine eigene Bezeichnung (ΓΡ""•η/ΓΠΊΓΠ I S O ) und wird geradezu zelebrierend gelesen (22,10; 23,2). Vgl. Lohfink, Bundesurkunde (284f.). Vgl. dazu auch im Anschluß an Lohfink McCarthy, Gottesbund (43). Die erkenntnistheoretische Problematik hat Piaton im Menon (80 e) so formuliert: „Siehst du, was für einen streitsüchtigen Satz du uns herbringst? Daß nämlich ein Mensch unmöglich suchen kann, weder was er weiß, noch was er nicht weiß. Nämlich weder was er weiß, kann er suchen, denn er weiß es ja, und es bedarf dafür keines Suchens weiter; noch was er nicht weiß, denn er weiß ja dann auch nicht, was er suchen soll" (Ubersetzung nach F. Schleiermacher). Einen weiteren „Auffindungsbericht" zitiert Rengstorf, Hirbet Qumran (29f.; Text + Übersetzung Anm. 129 auf S.62f.): im tannaitischen Midrasch wird berichtet, daß einst im Vorhof des Tempels drei Bücher mit abweichenden Lesarten zu Dtn 33,27; Ex 24,5.11 gefunden worden seien ( m T s n i k s d : q - h d o ntöbtö). Diese Lesarten seien dann von „Weisen" (0"Ό3Π) ausgewertet worden. - Der Fund ereignet sich also im Tempelbereich und scheint auch etwas Zufälliges an sich zu haben, wird aber offensichtlich nicht als Überraschung empfunden und durch den Vergleich mit schon bekannten Texten einer rational zu nennenden Textkritik unterworfen: dieser Fund ist daher kein Offenbarungsvorgang.

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chen Entsprechung nicht geredet werden. II Reg 22 schafft aus einem vorliegenden Motivrepertoire von Auffindungserzählungen seinen eigenen Entwurf von Wiedererinnerung, die die Gemeinschaft der Lesenden und Hörenden in die Krise stürzt und als offenbarende und radikale Kraft auf Veränderung drängt". E s ist diese F o r m der plötzlichen, d u r c h Schrift h e r b e i g e f ü h r t e n Erinner u n g , d i e - w o h l vor-dtr. bereits in v o l l e r G e s t a l t d u r c h d a c h t u n d n a r r a t i v a u s g e f ü h r t 6 7 - v o m C h r o n i s t e n a u f g e g r i f f e n u n d a u c h seiner D a r s t e l l u n g der h i s k i a n i s c h e n R e f o r m z u g r u n d e gelegt wird 6 8 . U n t e r d i e s e m B l i c k w i n k e l erscheinen die Z u s t ä n d e in der G e m e i n d e in e i n e m etwas a n d e r e n L i c h t : die a u s d r ü c k l i c h e n E r w ä h n u n g e n ihrer D e f i z i t e 6 9 spiegeln nicht allein die P r o b l e m e der n a c h e x i l i s c h e n K u l t u s v e r s a m m l u n g , s o n d e r n b e t o n e n e b e n s o d e n Schnitt, d e n die S c h r i f t z w i s c h e n V o r h e r u n d N a c h h e r setzt. D i e Zeit v o r her ist, w i e die negativen F o r m u l i e r u n g e n m i t 3 Ί Γ 0 3 7 0 V . 5 . 1 8 zeigen, die Zeit des , O h n e ' , des M a n g e l s , des Verfalls u n d der K o n t u r l o s i g k e i t . D i e Schrift d a g e g e n k o m m t m i t e i n e m M a l u n d hat dabei e t w a s D r ä n g e n d e s

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Würthwein, Reg (448), erklärt, mit dem „Fund" werde kein historischer Vorgang beschrieben, „sondern dem Buch (-Dtn.) der Nimbus der geheimnisvollen Herkunft und des Alters gegeben". - Diesen Aspekt aber scheinen die ägyptischen Texte viel besser zum Ausdruck zu bringen, indem sie Fundumstände und Beschaffenheit der Schrift prächtig zu schildern wissen. Das Fehlen solcher Schilderung in Π Reg 22 sollte davon abraten, auf dieses Moment allzuviel Gewicht zu legen. Das A T scheint mit seinem Fundbericht mehr auf das Funktionieren der Schrift in der Gesellschaft abzuheben. Ein andere Ausprägung des Motivs vom Verlieren und Finden eines Schriftstückes begegnet im Jos-Kommentar des David Kimhi (12./13 Jhd.): die Einführung der Qere/Ketib-Methode führt er nicht allein auf den Verlust der heiligen Schriften, sondern auch den Tod aller mit ihr vertrauten Fachleute während des Exils zurück. Die Späteren konnten zwischen den Varianten keine sichere Auswahl mehr treffen und begnügten sich daher damit, diese durch Qere/Ketib aufzulisten (nach Lieberman, Hellenism [21J. Das Wiederfinden von verlorenen Texten wird also, anders als in den oben erwähnten Fällen, ganz eng im Zusammenhang mit einer Tradition der Textpflege und Auslegung gesehen, die, weil nicht schriftlich fixiert, verloren gegangen ist. Wohl wird der Text wiederentdeckt, doch es bleibt ein irreparabler Schaden, der durch den unwiederbringlichen Verlust von Authentizität verbürgenden Lesern entsteht. Diebner/Nauerth, Inventio (118), sprechen von einer „.narrativen Argumentation' mit dogmatischer Absicht". Dies läßt sich so behaupten unbeschadet der Tatsache, daß dieses Erinnerungsmodell beim chr. Hiskia nicht erzählerisch umgesetzt ist wie beim dtr. Josia. 30,5: sie hatten das Passah nicht in Masse gefeiert wie geschrieben steht; 30,17: viel Volk hatte sich nicht gereinigt; 30,18: sie aßen das Passah in nicht schriftgemäßer Weise. Zum Bezug von 3H"DD an diesen Stellen und weiteren Implikationen vgl. die in der 1.2.1. Anm. 28 zitierte Literatur.

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und Überraschendes. Sofort, im ersten Monat des ersten Jahres muß Hiskia handeln (29,3)71; und nach der ersten Etappe der Reform kann es heißen: „Und Hiskia freute sich mit dem ganzen Volk über das, was Gott dem Volk bereitet hatte, denn plötzlich war es dazu gekommen" (29,36). Vielleicht wird vor diesem Hintergrund auch das Nebeneinander von 30,26 (kein derartiges Passah seit Salomo) und 35,18 (kein derartiges Passah seit Samuel) verständlicher72: die Formulierungen, die auf II Reg 23,22 zurückgehen, boten sich an, die epochemachende Wirkung der Schrift zu beschreiben, selbst wenn es dabei zu sachlichen Widersprüchen kam. So gesehen wollen 30,26 und 35,18 weniger im strengen Sinne historiographische Aussagen machen, sondern eher doxologisch zu nennende, die mit überschwenglichen Worten der Wandel der Zeit preisen wollen73.

5.2.2. Konstituierung der Gemeinde als Auslegungsakt Ist so das Edikt des Hiskia in den größeren Rahmen eines dtr.-chr. Schriftverständnisses eingezeichnet und seine spezifische Funktion zur Wieder-holung der selbstbildformenden Uberlieferung Israels aufgezeigt, gilt es nun, den in II Chr 30 dokumentierten Umgang mit Schrift darzustellen und ihr Funktionieren in der Gemeinde zu verstehen. Die Einladung zum Passah nach Jerusalem in II Chr 30,1.5 dürfte sich in dieser Form auf die Bestimmungen in Dtn 16,1-8 beziehen74. Die dort gegebenen Anordnungen sind eindeutig, Hiskias Befehl ist es dementsprechend auch.

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Auch Π Chr 34,3-7 läßt der Chronist Josia schon vor der eigentlichen Buchauffindung im 18. Jahr sich in frommen Taten ergehen. Vgl. dazu auch Steins, Chronik (139 + Anm. 3). Doch fällt der historische Einschnitt 30,26 mit Salomo deutlich abgeschwächt gegenüber 35,18 (Samuel) aus. 35,18 wird die Vollständigkeit des Passah zudem durch die Angabe der verschiedenen Volksgruppen herausgestrichen. Willi, Auslegung (213 Anm. 30) weist in diesem Zusammenhang auf den im Vergleich mit Josia mangelhaften Charakter des hiskianischen Passah hin. Passah und Kultuszentralisation sind dort kombiniert. Auf die gleiche Formulierung n O Q n n & y und den Verweis auf Jerusalem (Dtn 16,2.5f.) macht Donner, Wie geschrieben steht (152), aufmerksam. Die genaue Formulierune lautet Dtn 16,1 ΠΚ7Ϊ7 - p r Ò K n V T Ò nOQ und Π Chr 30,1 + 5 T Ò K ΓΤΓΡ? ΠΟΕ) ΠΕ717. Auch das Nebeneinander von Passah und Mazzot ist von Dtn 16 her zu erklären und nicht - wie Haag vorschlägt - literarkritisch.

Π Chr 30 - Konstituierung der Gemeinde durch Schrift

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D o c h w i e d e r u m s i n d die V e r h ä l t n i s s e nicht s o . Bereits in 2 9 , 1 7 w a r erw ä h n t w o r d e n , d a ß die R e i n i g u n g des T e m p e l s erst a m 16. N i s a n 7 5 abgeschlossen w e r d e n k o n n t e , ein reguläres Passah also nicht m e h r m ö g l i c h war. In der T a t beschließt eine V e r s a m m l u n g , b e s t e h e n d aus d e m „ K ö n i g m i t seinen O b e r e n u n d der g e s a m t e n G e m e i n d e in J e r u s a l e m " (V.2), das F e s t auf d e n (14. T a g des) z w e i t e n M o n a t s z u verschieben 7 6 . D i e s e V e r s c h i e b u n g , f ü r die u n t e r A b s e h u n g v o n d e n i m T e x t genannten U r s a c h e n m a n c h e „ h i s t o r i s c h e " B e g r ü n d u n g n a m h a f t g e m a c h t w o r d e n ist 7 7 , ist aus N u m 9,1-14 z u erklären. 7 8 . D a f ü r s p r e c h e n die f o l g e n d e n B e o b achtungen: 1.

D i e G r ü n d e f ü r die V e r s c h i e b u n g sind in beiden F ä l l e n U n r e i n h e i t u n d A b w e s e n h e i t v o m O r t des F e s t e s (vgl. V . 3 m i t N u m 9,10 7 9 ).

2.

D e r in beiden F ä l l e n v e r h a n d e l t e K a s u s ist nicht n u r sachlich, s o n d e r n a u c h w ö r t l i c h n a h e z u identisch (vgl. V . 3 m i t N u m 9,6).

3.

B e i d e T e x t e e r w ä h n e n a u s d r ü c k l i c h die T e i l n a h m e v o n ΠΉΓΙ a m P a s s a h (vgl. V . 2 5 m i t N u m 9,14 8 0 ).

4.

In b e i d e n F ä l l e n f ü h r t eine a u t o r i t a t i v e I n s t a n z eine L ö s u n g d e r P r o b l e m a t i k d u r c h E r k u n d u n g des W i l l e n s G o t t e s herbei 8 1 .

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Der Vaticanus bietet mit dem 13. desselben Monats offenbar die Textkorrektur eines frommen Lesers, der die Pointe des Textes nicht verstanden hat. Talmon, Esra-Nehemia (350f.), sieht im chr. Gesellschaftsmodell an der Spitze den gesalbten davidischen Herrscher, „der seine Machtbefugnisse mit niemandem teilt". Für Π Chr 30 trifft das offenkundig nicht zu. Talmon, Divergences, rechnet mit einem im Nord- und Südreich verschiedenen Festkalender, dessen Synchronität Hiskia mit seiner Einladung wieder habe herstellen wollen. Segal, Passover (229), schlägt im Rückgriff auf rabbinische Exegese die Annahme eines Schaltjahres vor. - Solche Theorien stehen im Dienste einer historischen Verifizierung des in II Chr 30 Beschriebenen. Die Vertreter der Historizität rechnen deshalb auch nicht mit einem Bezug auf Num 9; ihnen ist die Verschiebung eine „illogical fantasy", die in ihrer Abweichung von der Orthodoxie ein Anzeichen von Historizität sei (Rosenbaum, Reform [39]; vgl. auch Moriarty, Reform [405]). Es wird sich dagegen gleich zeigen, daß die Abweichung mit einem Höchstmaß an „Orthodoxie", besser: Schriftgemäßheit, geschieht. Die ausführlichste Analyse des Einflusses von Num 9 auf Π Chr 30 findet sich bei Fishbane, Interpretation (154-159). Daß Num 9,6 der Kasus allein Unreinheit enthält, zeigt an, daß der Chronist in seinem Bezug auf V.10 auf die umfangreichere Angabe zurückgreift, um so möglichst viel Schrift für sich reklamieren zu können. 30,25 interpretiert dabei die D"H3 als Schutzbefohlene Flüchtlinge aus dem untergegangenen Nordreich (so z.B. Kellermann, "113 [986]; Rost, Vorgeschichte [120]; Meier, Fremdlinge [40-43]) oder auch schlicht als Wallfahrer aus dem Norden. Zu den wichtigen Unterschieden in diesem Punkt vgl. weiter unten.

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Die Darstellung der Unterschiede zwischen beiden Texten kann hier unterbleiben, da Fishbane sie bereits überzeugend geleistet hat82. Wir beschränken uns daher auf einige ergänzende Bemerkungen. Die Differenz zwischen 29,17 und 30,3 in der Begründung des Notstandes einerseits und die große Ubereinstimmung zwischen 30,3 und Num 9,10 in den Gründen für die Verlegung andererseits legt es nicht gerade nahe, der Begründung in 30,3 allzu große historische Bedeutung beizumessen. Die Motive in 30,3 sind „schriftgeleitet" und haben den anderen anführbaren Grund aus 29,17 offenbar verdrängt, weil er nicht in der Schrift zu verankern war83. An diesem Beispiel zeigt sich, daß nicht nur die Schrift der Auslegung bedurfte, sondern ebenso die eigene Situation des Exegeten durch die Schrift eine besondere Auslegung erfahren konnte. Nach diesem hermeneutischen Konzept verschwindet das Leben des Lesers mit seinen Mißlichkeiten hinter der Autorität der Schrift, oder positiver gesagt: die Schrift dient ihren Rezipienten als Deuteinstrument ihrer Existenz. Eine entscheidende Differenz zu Num 9 besteht in der das Gemeindeproblem lösenden Instanz. Zwar scheint der König in Analogie zu Mose eine wichtige Rolle zu spielen84, doch hat das gesamte Passah trotz seiner „assimilation as far as possible to general temple routine" den „character of a popular ceremony"85. Insbesondere in V.2-5 fällt dies auf. Die Versammlung aus politischer Elite und „einfachem Volk", ohne ausdrückliche Beteiligung des Kultpersonals, hat nach dieser Darstellung die schriftauslegende Autorität86. Es kann also im Bezug auf die „Sinnpflege" der kanonischen Schrift nicht von einer

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Vgl. Anm. 78. - Hinzuweisen ist noch darauf, daß Num 9,1-14 Auslegung und Anwendung besonders nahelegt. Durch die rigorose Forderung, jeder sei zu töten, der am Passah nicht teilnimmt (Num 9,13), entsteht für denjenigen, der an Dtn 16 scheitert, ein „Auslegungsdruck", der ihn geradewegs zu N u m 9,1-14 treibt. In V.10 ist IX OD1? D a T r n b (jeder ... „von Euch oder Euren Nachkommen"; so ist wohl mit Kellermann, Numeri [124f.] zu beziehen) eine Einladung an jeden Ausleger zur Ausweitung der speziellen Situation. So auch Fishbane, a.a.O. (157). Er ist alleiniges Subjekt in 30,1, die Predigt V.6bff. stammt von ihm, und er tritt V.18f. als Fürbitter auf (dazu unten). Segal, Passover (230). Die Wurzel dieser Entwicklung dürfte wiederum bereits im Dtn angelegt sein. Hossfeld, Versammlung, hat gezeigt, daß erst von den Deuteronomisten und P G an im AT von einer Ekklesiologie geredet werden kann und hat für die spät-dtr. Teile eine „Verstärkung der latent egalitären Tendenzen" (135) und eine Anlehnung an vorstaatliche und priesterlich-prophetische Modelle der Leitung konstatiert (142).

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Π Chr 30 - Konstituierung der Gemeinde durch Schrift

Hierokratie gesprochen werden, freilich auch nicht, wie V.4 nahelegen könnte („Und rechtens war der Beschluß nach Meinung des Königs wie der ganzen Gemeinde")87, von einer Demokratie. V.12b sagt ausdrücklich, was im Hintergrund aller Entscheidungen steht: „..., daß sie die Anordnung des Königs und der Oberen, welche auf Geheiß JHWHs ergangen war88, ausführten". Der ΓΤ1ΓΡ " O l aber ist nichts anderes als die HtÖD ΓΠΊΓΊ (V.16) oder schlicht der 31ΓΟ (V.5.18)89. Der Wille Gottes wird unter breiter Beteiligung des Volkes aus der Schrift erhoben90. Historisch gesehen ist dabei klar, daß mündliche wie schriftliche Kultursysteme zum Spezialistentum neigen; so ist dem Spezialisten in auf Schriftlichkeit basierenden Kulturen vor allem die Text- und Sinnpflege anvertraut91. Daß die Dinge hier deutlich anders liegen, dürfte auf das bereits im Dtn stark ausgeprägte pädagogische Konzept einer schriftgeleiteten Bildung für breite Bevölkerungsschichten zurückzuführen sein92. Dieses Konzept könnte zu verstehen sein als Reaktion auf die mangelnde Erinnerungsfähigkeit und -möglichkeit einer bedrängten oder gar entwurzelten Gesellschaft, die, will sie nicht in den sie umgebenden Gesellschaften aufgehen, dem Einzelnen Zeugenschaft ermöglichende Kompetenz im Umgang mit dem identitätssichernden Gedächtnis vermitteln muß. Das Modell einer Pädagogik für die bedrängte Gemeinde konnte zweifellos auch in der Situation des Chronisten noch plausibel und aktuell sein - und dies nicht allein, weil es das Konzept autoritativer Schrift war. Mit der Betonung des Auslegungsaktes und der Einhelligkeit der Entscheidung (V.4) stellt der Chronist den Umgang mit der Schrift als ge-

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Als enge Parallele dazu vgl. I Chr 13,4. 13,1-4 ist auch sonst mit unserem Text sehr verwandt; vgl. V.l ^ ϋ Τ Ι , die Beteiligung von König, Oberen und Gemeinde (V.lf.) und die aufgrund des Schriftverständnisses, welches sich auf das Geschichtsverständnis auswirkt, entstehende Markierung der Epoche: „... denn seit den Tagen Sauls haben wir nicht nach ihr (der Lade) gefragt" (V.3b). So übersetzen wir nach Jenni, Beth (350f. + 355). Bei ΓΠΓΡ " I 3 1 3 wird ein verbum dicendi in ein nomen actionis transformiert. Diese Gleichsetzung auch bei Grether, Wort (72). Diese Beobachtung untersucht auch Fishbane, Interpretation (157-159). Er vermutet hinter der Darstellung des Textes historische Wirklichkeit und „the traces of a royal concilium dealing with exegetical matters" gleich Neh 8; u.U. sei hier auch „the .Great Assembly' of early Jewish sources" präfiguriert. Zu den Begriffen vgl. z.B. J. Assmann, Gedächtnis (88). Zur Traditionsvermittlung in Israel vgl. überblickhaft Vetter, Lernen (passim), und bes. zum Dtn a.a.O. (225f.).

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meinschaftsbildend und konsensstiftend93 dar. Überdies erweist sich so die Konformität der Gemeinde mit der Schrift präziser als Konformität mit der ausgelegten Schrift. Schrift als solche bewirkt nichts, sondern muß immer angeeignet, d.h. ausgelegt sein. „Die normativen und formativen Impulse des kulturellen Gedächtnisses können nur durch unausgesetzte, immer erneuerte Textauslegung der identitätsfundierenden Uberlieferung abgewonnen werden. Deutung wird zum Gestus der Erinnerung, der Interpret zum Erinnerer, zum Anmahner einer vergessenen Wahrheit"94. Einseitig wäre allerdings der Eindruck, in II Chr 30 würde das kulturelle Gedächtnis lediglich durch schriftliche Texte dem Einzelnen vermittelt sein, denn mit dem Thema des Kapitels - Feier eines Passah - ist der rituellen Inszenierung kultureller Erinnerung breiter Raum gegeben. Wenn auch das Passah- und das Mazzenfest erst aufgrund von Schriftstudium gefeiert werden, haben beide doch eigenes Gewicht: sie vermitteln in ihrem Ritus die Erinnerungsfigur des Exodus und damit die Gründungsgeschichte des Volkes'5. Das Fest ist strukturierendes Element des oben beschriebenen „Nachher", der neuen Epoche, die nicht mehr konturlos oder gar leer ist, sondern durch die inszenierte Erinnerung herausgehobene Zeiten und einen von ihnen her zu verstehenden Alltag kennt. Rituelle und textuelle Kohärenz, Liturgie und Hermeneutik 96 treten demnach beim Chronisten nebeneinander auf, ohne daß das eine gegen das andere ausgespielt wäre oder auf eines von beiden verzichtet werden könnte. Auf die Schriftlichkeit kanonischer Texte konnte der Chronist nicht verzichten, wollte er sich nicht selbst von der identitätstiftenden Erinnerung losketten; auf Mündlichkeit und rituelle Wiederholung konnte er ebensowenig verzichten, weil das Volk nur mäßig alphabetisiert war97 und kultische Vergegenwärtigung folglich ein entscheidendes Instrument der Sinnvermittlung sein mußte. Das zentralisierte Passahfest macht dem ein-

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Die Konsensstiftung wird V.12a noch einmal ausdrücklich als Gott-gewirkte Tat erklärt, und nicht als schlichtes Produkt einer exegetischen Debatte. J. Assmann, Gedächtnis (96). Vgl. Otto/Schramm, Fest (17): „Ein Heilsereignis der Geschichte Jahwes mit Israel wird durch kultischen Vollzug in die Gegenwart geholt und in seiner Heilskraft erneut Wirklichkeit, um die Zukunft der Alltagswirklichkeit im Verlauf des kommenden Jahres heilvoll zu durchwirken". Vgl. dazu J. Assmann, a.a.O (18). Vgl. dazu Weippert, Palästina (694), die aufgrund der in babylonisch-persischer Zeit stark nachlassenden Beschriftung alltäglicher Gebrauchsartikel meint, für diese Zeit eine weitgehende Schriftkenntnis nicht mehr voraussetzen zu dürfen.

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II Chr 30 - Konstituierung der Gemeinde durch Schrift

zelnen sinnfällig, daß er Mitglied eines DS7 und eines 1XD 3-1 b brtp 98 (V.13), einer fest konturierten , von JHWH mit erhabener Vergangenheit und daher auch Zukunft ausgestatteten Gemeinschaft ist. II Chr 30 bietet aber noch ein weiteres Mittel der Vermittlung göttlichen Willens, nämlich die V. 17-20*" geschilderte Interzession Hiskias. Wie in V.3 wird in V.17.18* ein Problem aufgeworfen - es ist erneut Unreinheit, die das Fest behindert - und es wird auch hier (nach V.5) ausdrücklich die Differenz zur Schrift konstatiert („sie hatten das Passah in nicht schriftgemäßer Weise gegessen", V.18). Daran schließt sich mit Ό beginnend ein Bericht von dem Gebet Hiskias an (V.18b)100. Die kleine Szene dürfte „schriftgeleitet" sein, indem sie das Interzessionsmotiv aus Num 9,1-14 aufnimmt und die dort vorgegebene Problemlösung an dieser Stelle nachträgt, nachdem zunächst das „hermeneutische Modell" in V.2ff. benutzt worden war101. Das Wesen der Interzession besteht nach Janowski darin, daß ein Mittler „stellvertretend in den durch moralische, religiöse oder rechtliche Verschuldung zwischen Gott und Mensch entstandenen ,Riß' tritt ..., in der Absicht, durch sein .Dazwischentreten' den Vernichtungswillen Jahwes abzuwenden ... und so ein heilvolles Gott-Mensch-Verhältnis zu ermöglichen"102. Dies läßt sich im wesentlichen auch von dem Vorgang II Chr 30,2ff. sagen: auch dort geht es um die Uberwindung eines Risses aufgrund grundlegender und irreparabler Verfehlung seitens der Menschen. Doch das „Dazwischentreten" geschieht dort durch eine größere Volksmenge. Und sie geschieht nicht in charismatischer Befragung Gottes, sondern in scheinbar rationalisierender Suche nach einem Ausweichparagraphen im Gesetz. Das Auftreten eines schriftauslegenden Gremiums anstelle eines charismatischen Einzelnen oder einer mit der Sinnpflege betrauten Elite hatten wir bereits oben aus der besonderen kulturellen Lage Israels und der Benutzung von Schrift zu erklären versucht. Gerade im Vergleich mit der in-

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Vielleicht nicht zufällig folgt auf die Konstatierung des großen Volkes mit V.14 sogleich das Vorgehen gegen diejenigen Bestandteile der eigenen Kultur, die der wiedererinnerten Identität fremd sind. S. nochmals Anm. 17. Warum mit V.18b ein „völlig neues Thema" beginnen soll, wie Dörrfuss, Mose (229), glaubt, ist uns verborgen geblieben.

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Interzession spielt im C h r G sonst kaum eine Rolle: nur Salomo trat vorher in dieser Rolle auf (vgl. Scharbert, Heilsmittler [147]). Die Außergewöhnlichkeit des Motivs spricht ebenfalls dafür, daß hier der Einfluß von N u m 9 wirksam geworden ist.

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Janowski, Sühne (150); Hervorhebungen von Janowski.

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terzessorischen Konfliktlösung zeigt sich, wie sehr Schrift eine breite Beteiligung an ihrer Auslegung ermöglicht und dem Gläubigen zu-mutet. Diese Zu-mutung, die der Chronist als wesentliches Instrument zur Rekonstruktion der Gesellschaftsidentität benötigt, wird nicht als rationalisierende Auflösung charismatischer Elemente des religiösen Systems aufgefaßt werden dürfen, da die Schriftauslegung in V.2ff. dort steht, wo die Interzession in Num 9,1-14 ihren Ort hat: als vorrangige und entscheidende Strategie zur Lösung eines Konfliktes mit dem Willen Gottes. Diese funktionelle Gleichsetzung von Schriftauslegung und Interzession erlaubt, Schriftauslegung im Horizont von Num 9 als charismatische Methodik zur Erkundung des Willens JHWHs zu verstehen103. Neben dieser Methodik steht zwar noch die Interzession, aber sie bleibt auffällig blaß. Man gewinnt fast den Eindruck, sie würde lediglich aus Gründen der dem Chronisten eigenen .exegetischen Treue' mitgeschleppt, ohne aber noch eine entscheidende Rolle in dem Geschehen zu spielen. Anders als in Num 9,1-14, aber auch parallelen Fällen wie Lev 24,10-13; Num 15,32-36; 27,1-11; 36,1-12, wird ein neuer Offenbarungsinhalt von J H W H nicht mehr mitgeteilt104. J H W H soll vergeben105, seine Errettung besteht im Erhören und Heilen (V.20), also einem „Wechsel vom Unreinen zum Reinen, vom Unvollkommenen zum Vollkommenen" 106 . Die Offenbarung Gottes ist abgeschlossen, und die Erkundung seines Willens ist Erforschung der Schrift. Die Willenskundgabe JHWHs hat dabei - wie oben gezeigt durchaus noch die Möglichkeit des plötzlichen, überraschenden und geradezu Verwirrung stiftenden Auftretens, aber der Modus dieser Willenskundgabe ist nicht mehr die mündliche Mitteilung des Unerhörten durch die Interzession, sondern die schriftvermittelte Erinnerung an das längst Gesagte und Erlebte durch die Exegese. Sinnvermittelndes Gedenken wird so für jeden einzelnen eine (notwendige) Möglichkeit. Das Transzendente wird als semper et ubique erreichbar gedacht. Oder mit dtr. Worten: „Denn dieses

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Darauf deutet auch die Einhelligkeit des exegetischen Urteils (V.4), die sonst unter den Lesern eines Textes nur selten beobachtet werden kann.

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Eine Untersuchung des „phenomenon of legal revelations supplemented by new legal revelations" anhand der eben erwähnten Texte bietet Fishbane, Interpretation (98-105).

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Vgl. ähnlich Dtn 21,8; Ps 79,9. Der Zusammenhang Ephraim - Unreinheit - Wenden des Geschicks - Heilung findet sich auch in Hos 6,11; 7,1.

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Brown, KS~1 (622); a.a.O. (621) spricht Brown in Bezug auf V.20 von einem „Unversehrt-Lassen des Volkes", doch paßt die im Text zitierte Definition besser in den priesterlich-kultischen Kontext.

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Π Chr 30 - Konstituierung der Gemeinde durch Schrift

Gebot, das ich dir heute auftrage, ist für dich nicht zu rätselhaft und fern. Nicht im Himmel ist es, daß man sagen könnte: ,Wer steigt für uns zum Himmel hinauf und holt es für uns und verkündet es, daß wir es tun?'; auch nicht jenseits des Meeres ist es, daß man sagen könnte: ,Wer überschreitet für uns das Meer und holt es für uns und verkündet es, daß wir (danach) handeln?'; denn ganz nahe ist dir das Wort, in deinem Mund und deinem Herzen, daß du es tust" (Dtn 30,11-14).

6. Esr 1-6 - Theologie unter den Bedingungen der Provinz 6.1. Hinführung In Esr 1-6, dem ersten großen Abschnitt des Textkomplexes Esr/Neh 1 , findet sich sowohl in hebräischer als auch aramäischer Sprache die Wurzel 3 Γ Ο , und zwar als Verbum und als vom Verbum abgeleitete Nomina: das Verbum steht im Grundstamm in Esr 3,2.4; 4,6.7(2x).8; 5,7.10; 6,2; ein Nomen der Form 3 Γ Ο mit der Bedeutung „Aufzeichnung/Schriftstück" ist hebräisch in 2,62 und aramäisch in 6,18 belegt, das Nomen 3DDD („Brief/Erlaß") in 1,1. Allein der bloße Konkordanzbefund könnte den Schluß zulassen, daß es mit dem Schreiben in Esr 1-6 etwas Besonderes auf sich habe. Im folgenden soll eine diesem Befund entsprechende sachliche Gewichtung des Themas „Schreiben" aufzuzeigen versucht werden. Zu Fragestellung und Vorgehen sind einige einleitende Bemerkungen zu machen. Das markante Profil, das der Autor des Textes Esr 1-6 dem Medium Schrift in seiner Erzählung vom Bau des zweiten Tempels zuschreibt, kann u.E. nur im Rahmen des Gesamtentwurfs Esr 1-6 angemessen aufgewiesen werden. Die Untersuchung muß und will daher auch ein Beitrag zum Gesamtverständnis des Berichts von der Wiedererrichtung des Jerusalemer Heiligtums sein. Dabei interessiert uns weniger die oft diskutierte Frage nach der Authentizität der zitierten Urkunden o.Ä. 2 , sondern vielmehr das in der Gesamtanlage des Textes sich artikulierende Verständnis der Gründungsphase der nachexilischen Gemeinde. In diesem Verständnis spielen offenkundig administrative Vorgänge, die auf schriftlichem Wege ablaufen, eine entscheidende Rolle 3 . Wie diese administrativen Vorgänge in Szene ge-

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Diese Untersuchung rechnet mit der gleichen Autorschaft von Ι/Π Chr einer- und Esr/Neh andererseits; vgl. dazu bes. Willi, Auslegung (176-184). Der Klassiker zu dieser Frage ist noch immer Meyer, Entstehung (8-71). Seine Verteidigung der Echtheit der Dokumente ist immer wieder kritisiert worden, und auch diese Untersuchung wird eher zu Zweifeln Anlaß gebende Beobachtungen in dieser Sache zusammentragen. Darauf soll auch der Begriff „Provinz" in der Überschrift dieses Kap.s hindeuten: die Gemeinde in Jerusalem ist integriert in die übergeordnete Administration des persischen Großreiches. Dieses Faktum legt dem Umgang der Golah-Gemeinde mit sich

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Esr 1-6 - Theologie unter den Bedingungen der Provinz

setzt und welche Position der Autor ihnen in seinem theologischen System zuweist, sind die Leitfragen der folgenden Betrachtungen4. Die Darstellung legt das Hauptgewicht auf die Texte Esr 1,1; Esr 2,62 und Esr 4,6-8, von denen aus auch die anderen Belege für 3 Γ Ο zu fassen sein werden. Die vier Belege für das passive Partizip des Grundstamms in Esr 3,2.4; 5,7; 6,2 werden zwar ebenfalls herangezogen, sind aber im Zusammenhang dieser Arbeit nicht eigens intensiv zu untersuchen.

6.2. Esr 1,1 - Das Edikt des Erweckten Die Darstellung der Ereignisse beginnt „im ersten Jahr des persischen Königs Kyros". Dieses Datum mutet unwahrscheinlich an: Kyros hatte zu Beginn seines Regierungsantritts als Herrscher Babylons drängendere Aufgaben zu bewältigen. Zudem war die Situation in Palästina zu diesem frühen Zeitpunkt kaum so unter seiner Kontrolle, wie es für das Kyros-Edikt vorausgesetzt werden müßte5. Vielmehr deutet die Datierung auf das erste Jahr wie bei Hiskia (II Chr 29,3) eine Zeitenwende an, die neue Epoche, welche mit den dann beschriebenen Geschehnissen anbricht: „das erste Jahr des Kyros ist ein theologisches Datum"', das den Leser anweisen will, das ihm nun Berichtete als Einschnitt in der Geschichte Israels zu verstehen7.

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selbst und seiner Umwelt gewisse Spielregeln auf. Staatsrechtliche und organisationspolitische Fragen, wann und in welchem Umfang Jerusalem mit Juda ΓΟΉΠ geworden ist, stehen hier nicht zur Debatte (vgl. dazu Donner, Geschichte [bes. 422]). Auch pejorative Konnotationen im Sinne von „provinziell" sind fernzuhalten. Das Abwenden von den bloß historischen, vor allem quellenkritischen Fragen hin zu einem theologischen Verständnis hat in jüngerer Zeit vor allem Gunneweg in seinem Esra-Kommentar in u.E. überzeugender Weise gefordert und durchzuführen versucht; vgl. auch bereits Gunneweg, Interpretation (passim, bes. 146f.). Solche Zweifel auch bei Gunneweg, Esr (108), bezüglich der Parallele Esr 6,3; Bach, Esra 1 (42-48), hat den Titel 0 " I D - _ ] ? D in Esr untersucht und seine Zugehörigkeit zur chr. Sprache aufgewiesen. Der Titel bezeichnet in Esr den Herrscher des achämenidischen Imperiums, der aber als solcher den Titel in Wirklichkeit nie getragen hat. Gunneweg, Interpretation (154); Esr (41). Solche theologisch motivierten Datierungen werden mit guten Gründen auch sonst gelegentlich vermutet: so bei O'Connor, Do not Trim (619); Graupner, Auftrag (50), für Jer 26,1. Die Ähnlichkeiten mit dem chr. Bericht über Hiskia erschöpfen sich nicht allein in der Datumsangabe: in beiden Fällen wird die Wende durch den jeweiligen Herrscher auf den Weg gebracht (Hiskia - Kyros), in beiden Fällen wird dies durch ein Schriftstück bewerkstelligt (Brief des Hiskia - Edikt des Kyros); beide Berichte kennen - allerdings

Esr 1,1 - Das Edikt des Erweckten

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Nach dieser historischen Verstehensvorgabe folgt unmittelbar eine inhaltliche, die die Geschehnisse über den soeben markierten Einschnitt hinweg mit der vergangenen Zeit verbinden soll: „damit das Wort JHWHs aus dem Munde Jeremias ans Ziel käme" wird vom Chronisten bemerkt, bevor dem Leser der Gegenstand des Ans-Ziel-Kommens8 überhaupt bekannt geworden wäre. Die „Aktivierung" eines Königs, die in 1,1 Thema ist, findet sich zwar in Jer 51,1.11', doch in einem ganz anderem Sinne als dem hier gemeinten. Deshalb ist die von II Chr 36, 2110 vertretene Deutung auf die 70 Jahre des Jeremía 0er 25,llf; 29,10) wohl mindestens im Hintergrund mitzudenken11; sie tritt hier auf in Kombination mit dem Gedanken Deuterojesajas von der „Erweckung" des Kyros Qes 41,2f.25; 45,13 [dort auch "11X7 hi.]; vgl. auch bes. 44,28; 45,1). Von diesen Texten her hat man dann vielleicht auch Jer 51,1.11 gelesen und verstanden. In der späten Zeit des Chronisten kann eine solche Bemerkung nur als Schriftbezug verstanden werden, den der Chronist ja auch explizit in 3.2.4; 6,18 vorführt. Hier aber stößt sich die auf den Verkündigungsvorgang abzielende Bemerkung „aus dem Munde des Jeremia" mit ihrem Charakter als Schriftverweis. Daß an dieser Stelle nicht wie an den drei anderen genannten Stellen eine For-

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für den Chronisten keineswegs untypisch - Feste als wesentliche Etappen des Neuanfangs, mit denen „Freude" einhergeht (vgl. Esr 3.6); beide Berichte kennen (wie unten noch für Esr 1-6 gezeigt wird) charismatische Mechanismen zur Konfliktlösung in einer eigentümlich abgeschwächten, der Argumentation mit „Schrift" unter- bzw. nachgeordneten Funktion. - Ein Hinweis darauf, daß der Autor das in Esr 1-6 Berichtete als epochal hat darstellen wollen, ist die erstaunliche Ähnlichkeit der Passahberichte in Esr 6,19ff.; Π Chr 30,15-26; 35,lb-19: die großen Wendepunkte der Geschichte haben die gleiche Gestalt. Diese Gleichförmigkeit der geschilderten Ereignisse beruht auf einem allgemein-kulturellen Schema mit der Tendenz, „ein bestimmtes Ereignis oder eine bestimmte Person in der Form eines anderen Ereignisses oder einer anderen Person darzustellen" (Burke, Geschichte [294J. Dabei wird die individuelle „Lebensgeschichte an ein bestimmtes Stereotyp aus jenem Stereotypenrepertoire ..., das zum sozialen Gedächtnis der jeweiligen Kultur gehört", assimiliert (a.a.O. [296]). Bach, Esra 1 (49, Anm. 31), weist auf die singulare Verwendung von in diesem Zusammenhang hin. Vielleicht soll die Formulierung bewußt das positive Gegenstück zu der häufigen Formulierung ¡ " 0 3 + «"|Κ (Ez 5,13; 6,12; 13,15; Thr 4,11) / ΠΠΠ (Ez 7,8; 20,8.21) sein, die das „Ans-Ziel-Kommen" des Zorns Gottes meint (Übersetzung nach Helfmeyer, ¡ " 0 3 [172]). Die 70 Jahre des Zornes kommen mit der Erweckung des Persers ans Ziel und an die Wende zum Heil. Auf diese Texte bezieht Williamson, Esr (9f.), den Jeremia-Verweis. Zum Zusammenhang zwischen Π Chr 36/Esr 1 vgl. Steins, Chronik (63-67); auch Knauf, Verhältnis. Unverständlicherweise hält Bach, Esra 1 (50), Jer 27,7 in II Chr 36,21 „für dominant ... in der Zitat-Montage nach Ausweis der Formulierung".

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mulierung mit 31ΓΟ benutzt wird, erklärt sich schlicht daraus, daß diese Formel - denn um eine solche handelt es sich bereits im A T - ausschließlich für Thora-Bezüge infrage kam 12 ; die Erwähnung des „Mundes Jeremias" erweist sich demnach in diesem Zusammenhang als erstarrte Formulierung, die in ihrem sprachlichen Gewand zwar von Mündlichkeit redet, aber Schriftlichkeit meint. Uber dieses Schema von Weissagung und Erfüllung hinaus werden allerdings in Esr 1-6 Propheten noch in einem anderen Sinne als „Repräsentanten Gottes in der Geschichte Israels"13 vorgeführt: nach dem Rückschlag für den Tempelbau in Kap.4 wird die Peripetie der Erzählung mit dem Auftreten der beiden zeitgenössischen Propheten Haggai und Sacharja eingeleitet. Ihre Tätigkeit (K33, hitpa.) geschieht „im Namen des Gottes Israels" (Esr 5,1) und dient vor allem dazu, das beschützende und geschichtslenkende Wirken JHWHs in dieser verfahrenen Situation herauszustellen. Immerhin scheint der Neuanfang durch Serubbabel und Jesua Folge des prophetischen Handelns zu sein, und ferner wird der Gemeinde durch ihre Propheten „Unterstützung/Stärkung" zuteil. Doch bleibt das Wirken dieser Propheten eigentümlich blaß14, so daß schon vermutet wurde, ihre „Unterstützung" hätte sich im handwerklichen Bereich bewegt15; überhaupt wird auf eine weitere Ausführung der Botschaft der Propheten verzichtet16. Dies wird so zu deuten sein, daß in diesem Kontext einerseits kein Raum für die Botschaft dieser Propheten, wie sie uns in den unter ihrem Namen überliefer-

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Jedenfalls verhält es sich so bei den Belegen mit 3 " ) Γ 0 3 o.ä.; vgl. die bei Donner, Wie geschrieben steht (passim), aufgeführten Stellen. So Willi, Auslegung (223), für das ehr. Prophetenbild. Auch 6,14 benutzt für ihre Beschreibung allein die Wurzel K3D. Batten, Esr (131), glaubt, die Propheten hätten an der „actual manual labour" teilgenommen. Dagegen spricht sich Williamson, Esr (70), ausdrücklich für ein ideelles Verständnis aus; die „Stärkung" wird in dem Auftreten als Κ Ό 3 liegen. Der Begriff "IS70, der im biblischen Aramäisch hapax legomenon ist, kommt 12 Mal im hebräischen A T vor und macht dort nach Warmuth, "IUD (890), den Eindruck, ein Wort „gehobenen Stiles" zu sein. Gleiches ist wohl auch zu sagen von KAI 214,15.21 (dort aber die Wendung "Π3Χ "TUO"^ - „mächtig werden"). Dies dürfte in Esr auf die Außeralltäglichkeit des prophetischen Wirkens hindeuten. Gunneweg, Interpretation (149), beschreibt die beiden Propheten angesichts dieser Farblosigkeit als „eine Art von geistlichen Beratern und Förderern des Tempelbaus". - Anders meint Krüger, Struktur (69), die Struktur von Esr 1-6 hebe die Bedeutung der „Institution Prophetie" hervor. Kyros-Edikt, Gesetz Moses und Ordnungen Davids allein könnten den Restitutionsprozeß nicht garantieren, sondern es müßten noch die Propheten als Sprachrohr Gottes hinzukommen. Doch: was sprechen die Propheten? Eigentlich nichts, oder doch zumindest nichts Berichtenswertes.

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ten kanonischen Büchern überliefert ist, gelassen werden soll, andererseits aber das von ihnen allenfalls zu Verkündigende schon von anderswoher bekannt ist, der hier gelassenen Lücke also eine Art Verweisfunktion eignet. Nach 4,3 und den Ausführungen zur Geschichte Israels in dem Brief Tattnais an Darius (5,11-16) geht der entscheidende Impetus zu den Entwicklungen der Restaurationszeit vom Kyros-Edikt aus. Von daher wird die Vermutung nicht fehlgehen, daß die Propheten im Sinne des Chronisten nichts anderes tun sollten, als eben auf dieses Dokument, seine besondere Herkunft und seinen besonderen Auftrag an die Gemeinde zu verweisen. Der Leser jedenfalls hat seit Kap. 1 dieses Dokument als interpretatorische Vorgabe im Kopf und weiß, daß es nach der Hemmung der Geschichte in Kap. 4 nun darum gehen muß, dem Erlaß des Kyros Leser und damit Gehör zu verschaffen. Im Anschluß an die hermeneutischen Leitlinien V.la beginnt in V . l b der Hauptsatz: „JHWH erweckte den Geist des Kyros, des Königs von Persien". Mit dieser Aussage und ihrer Entsprechung in 6,22 („ ... und er (JHWH) wandte ihnen das Herz des Königs von Assur zu") ist der Komplex Esr 1-6 wesentlich unter dem Gesichtspunkt der Leitung J H W H s gefaßt, nichts geschieht, das nicht von ihm her veranlaßt wäre. Selbst die Familienoberhäupter, Priester und Leviten sind nach 1,5 davon nicht ausgenommen: ihrer aller Sinn ist auf den Tempelbau, dessen Thema Esr 1-6 ist, ausgerichtet17. Nur eine wichtige Gruppe innerhalb der Tempelbauerzählung wird nicht als „erweckt" bezeichnet, nämlich die „Feinde Judas" (4,1), das „Landvolk" (4,4), das der Golah soviel Beschwer macht, letztlich aber doch durch gleich (siehe 6.4) zu beschreibende Mechanismen in seinem schädlichen Wirken in Grenzen gehalten werden kann. Der Zusammenhang zwischen 1,1 und 6,22 ist als interpretatorischer Rahmen für Esr 1-6 von entscheidender Bedeutung: im Kontext der Herzenswendung durch J H W H erscheint die von ihm geschenkte Freude, die bereits nach der ersten Etappe des Tempelbaus in Kap. 3 in etwas dezimierter Form, dann aber in Kap. 6 rein zur Geltung kommt, als Grundmerkmal des nun erreichten Zustands (6,22); das Heil ist mit dem Tempelbau und

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Die Konstruktion von "Ί157 (hi.) mit ΓΤΠ als Objekt begegnet außer Esr 1,1 und Π Chr 36,22 noch I Chr 5,26; Π Chr 21,16; Hag 1,14 (diese Stelle dürfte sich in Esr 1,5 niederschlagen); Jer 51,1.11. Jer 51,1.11 fallen etwas heraus, da dort Israel nicht beteiligt ist. Die Formulierung ist also abgesehen von Hag 1,14, die aber chr. rezipiert ist, so nur vom Chronisten benutzt.

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der so sichergestellten Möglichkeit zum F e s t " schon jetzt da. D u r c h die Wendung des Kyros sind den Jerusalemern nun die Hände gestärkt worden, nachdem die „Feinde" sie ihnen zwischenzeitlich geschwächt hatten (4,4). Der dies alles in die Wege leitende Herrscher, der in 1,1 noch „König v o n Persien" war, wird jetzt als „König Assurs" bezeichnet - eine merkwürdig unhistorische Betitelung des Achämeniden, die zu manchen Irritationen Anlaß gegeben h a t " , sich aber am leichtesten erklärt, wenn man die als Interpretationsleitfaden vorangestellten 70 Jahre des Jeremía bedenkt 2 0 . U n t e r dem von J H W H gewendeten persischen König ist die Unheilsgeschichte der assyrischen Herrschaft über Palästina nicht einfach abgebrochen, wohl aber in ihrer verderblichen Wirkung aufgehoben, der Heilskönig avanciert in Esr 1-6 z u m Träger des Titels der Unheilskönige, im neuen Glück wird das alte Unglück miterinnert 2 1 .

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Das Fest ist nach dem Verständnis des Chronisten nichts Geringes; Canzik, Fest (341), sieht die ehr. Feste mit Hinweis auf Dtn 12,7 als die „dramatisierte Gestaltung des deuteronomischen Gesetzes". Wie in der Chr, so seien auch hier „die besonderen Höhepunkte der Gründungsgeschichte mit dem Verweis auf besondere Festveranstaltungen gekennzeichnet" (Pohlmann, Korrespondenzen [316+Anm. 11]). Bei Reuß, Esr (146), ist Assyrien „Schreibfehler", bei Hölscher, Esr (516), ein „lapsus" und meine eigentlich Syrien; von daher ändert Rudolph, Esr (64), gar den Text in Syrien („wozu die Erinnerung an das längst entschwundene Assur?") und glaubt Galling, Esr (202), in dem „freundlichen Assyrerkönig" einen syrischen Seleukiden vor Antiochos IV., wahrscheinlich Antiochos ΠΙ, entdecken zu können. Die meisten anderen sehen hier den Perser Darius gemeint, da die Perser sich einerseits als Nachfolger der Assyrer und Babylonier gefühlt hätten, andererseits der König von Assur stehender Begriff für einen ausländischen Herrscher gewesen sei; vgl. mit unterschiedlichen Akzenten Siegfried, Esr (49); Bertholet, Esr (29); Bertheau, Esr (35); Becker, Esr (41); Williamson, Esr (85); Myers, Esr (50): „a loose use of the term, for it certainley refers to the king of Persia". Die zuletzt genannten Aspekte haben zweifellos einiges für sich, scheinen uns aber noch nicht ganz zum Kern der Sache vorzustoßen. Einen neuen Gedanken bringt Japhet, Sheshbazzar (74 mit Anm. 20), in die Debatte, wenn sie die Konstruktusverbindung im Zusammenhang mit der Geschichtslenkung JHWHs, die in Esr 1-6 eine so große Rolle spielt, interpretiert; zu Gunnewegs Beitrag vgl. die nächste Anm. Ähnlich auch Gunneweg, Esr (117): der persische König wurde als König von Assur tituliert, „nicht nur weil er ja faktisch der Rechtsnachfolger jener assyrischen Großkönige war, die das Gottesgericht über Israel einleiteten, sondern um durch diesen Rückverweis auf das schon in der assyrischen Epoche am Nordreich vollstreckte Gericht die jetzt neu angebrochene Heilszeit als Ende und Wende auch jenes Unheils zu proklamieren. Die Zuchtrute Assur wurde zum gnädigen Schirmherrn". Vgl. unabhängig von Esr 6,22 auch Bach, Esra 1 (49), der in der Abfolge von Unheil und Heil in der Geschichte einen Anklang an apokalyptisches Gedankengut vermutet (ebd. Anm. 30). Diese in der Namensgebung des persischen Königs sich äußernde Geschichtssicht vertreten die Juden auch in Kap. 5,11-16.

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Unter solchen Vorzeichen fährt die Handlung fort: „... so daß er eine Nachricht durch sein ganzes Königreich hindurchgehen ließ, und zwar indem er in einem schriftlichen Erlaß Folgendes befahl: ..." - dann folgt der Text des Edikts. Diese Zitateinleitung birgt eine Reihe sachlicher Probleme. Nicht ganz eindeutig ist, wer als Subjekt zu einzusetzen ist. Zuvor war J H W H Subjekt des „Erweckens" des Kyros, und da ein neues Subjekt nicht ausdrücklich eingeführt wird, müßte er es auch im Folgenden bleiben. Allein, bereits lbß legt diese Möglichkeit aus inhaltlichen Gründen nicht unbedingt nahe, und die Einleitung des Ediktes 1DK Π3; 1,2) stellt vollends den persischen Souverän als Handlungsträger heraus. Diese Doppeldeutigkeit ist offenbar gewollt: zwar handelt vordergründig der Perser, die Initiative aber liegt bei JHWH. Damit aber bekommt der verwaltungstechnische Akt eines Erlasses eine ganz neue Qualität 22 . In ihm geschieht das Handeln Gottes an seinem Volk, es ist Anspruch und Zuspruch für die Heimgekehrten. Es entsteht der merkwürdige Eindruck, daß mit der ehr. Inszenierung des Ediktes die Grenze zwischen Verwaltungsdokumenten und religiöser Literatur wenn nicht aufgehoben, so doch für bestimmte Fälle durchlässig gemacht wird. Die umständliche Einleitung des persischen Erlasses läßt darüber hinaus noch eine weitere Charakterisierung des Vorgangs zu. Abgesehen von der Parallele II Chr 36,22 begegnet die Kombination "13S7 (hi.) + S>1p noch vier Mal im AT 23 , und zwar nur in späten Texten24. In jedem Fall wird mit der Formulierung ein Zitat eingeleitet25, das einen an die ganze Gemeinde

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Diese Qualität ist auch dem Edikt selber anzumerken: 1,4 deutet mit der Unterstützung der Exulanten durch die fremde Umwelt die Heimkehr als zweiten Exodus (vgl. Ex 3,21f.; 11,2; 12,35). Uber das Stichwort X673 (pi.) „helfen" besteht zudem einen Verbindung zu I Reg 9,11, so daß eine Anspielung auf die Unterstützung des salomonischen Tempelbaus durch Hiram v. Tyros vorliegen könnte (so Bach, Esra 1 [52f.]). Ex 36,6; Esr 10,7; Neh 8,15; Π Chr 30,5 - Heranziehen könnte man noch Lev 25, 9 pSItÖ + 1 3 » [hi.]) und Π Chr 24,9 (]ΓΙ3 [q.] + b i p ) , die trotz der sprachlichen Abweichung insgesamt ein ähnliches Bild ergeben. - Bach, Esra 1 (51), sieht im Hintergrund der Formulierung VTQ I ?D~'?33 (Esr 1,1) prophetische Traditionen von der verheißenen Rückführung des zerstreuten Volkes wie z.B. Jes 11,1 If.; 43,5f.; 49,12; 60,4. Dieser Ausdruck universeller Kommunikation steht daher im Unterschied zu Est siehe dazu Kap. 6 - nicht im Dienste eines Entwurfes für das Uberleben in der Diaspora, sondern soll gerade den Anfang ihres Endes besiegeln. Ex 36,6 gehört zu dem Ausführungsbericht Ex 36-40, der sekundär gegenüber dem PText Ex 25-31 ist; zur Begründune und weiterer Literatur vgl. etwa Fritz, Tempel (112). Das Zitat wird direkt mit (Ex 36,6; Neh 8,15) oder indirekt mit - 7 - (Esr 10,7; Π Chr 30,5) begonnen.

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gerichteten 26 , f ü r ihr Leben als Gemeinschaft wichtigen Erlaß enthält 2 7 . A u t o r des Erlasses ist die jeweilige Führungsinstanz des Volkes 2 8 . Insbesondere die ehr. Stellen betonen, daß diese Beschlüsse nicht aus eigener Vollmacht gefaßt sind, sondern Schriftkonformität beanspruchen können 2 9 , und diese Schriftkonformität erwächst in N e h 8,15 (vgl. V . 1 3 . 1 4 ) und II C h r 30,5 (siehe den Abschnitt zu II C h r 30) direkt aus Schriftstudium. Die zuletzt genannten Texte betonen den durch "QÏ7 (hi.) + b i p bezeichneten V o r gang zudem in einer bemerkenswerten Weise: in II C h r 30,5 ist die Verkündigung der Nachricht selbst Bestandteil des Beschlusses der Volksversammlung, w o d u r c h die Schaffung der Möglichkeit zur Feier des Passah in besonderer Weise betont zu werden scheint. Einen Schritt weiter geht noch Neh 8,15 3 0 , indem dort sogar die Verbreitung des A u f r u f s zum Laubhüttenfest als „geschrieben in der Thora" bezeichnet w i r d (vgl. V.14) 3 1 ! Damit w i r d mit besonderem Nachdruck das Problem der K o m m u n i k a t i o n innerhalb einer religiösen G r u p p e angesprochen, wie dies ja auch unseren Beobachtungen zu II C h r 30 entspricht, die in verwandter Weise ein intensives Interesse an den verschiedenen Methoden der Vermittlung v o n Erinnerung

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Ex 36,6: an die Israeliten im Lager; Esr 10,7: an Juda und Jerusalem; Neh 8,IS: an alle ihre (der Juden) Städte und Jerusalem; II Chr 30,5: an alle in Israel von Beersheba bis gegen Dan. Ex 36,6: Einstellen der Abgaben für das Heiligtum. Besonders bei den chr. Texten handelt es sich um grundlegende, heilvolle Setzungen: Esr 10,7: Einladung zur Volksversammlung in Jerusalem angesichts einer Verfehlungssituation; Neh 8,15: Befehl zum Laubhüttenfest; II Chr 30,5: Befehl zum Passahfest in Jerusalem. In Ex 36,6 handelt es sich um Mose, in den chr. Texten um die jeweils anwesende Führungselite des Gemeinwesens und eine große Volksmenge. Bei Neh 8,15; II Chr 30,5 ist dies ausdrücklich vermerkt; für Esr 10,7 fehlt zwar ein direkter Hinweis, aber der Beschluß dient der Klärung des Fremdehenproblems, also dem „Tun nach dem Gesetz' (10,3). Rudolph, Neh (150), meinte den MT im Versanfang in Erzählung ändern zu sollen (vgl. den Apparat der BHS), denn sonst „wäre V.15 noch Zitat aus dem .Gesetz Moses*. Da aber unser Pentateuch keine entsprechende Vorschrift enthält, faßt man V.15 besser als Erzählung"; ebenso verfährt auch Galling, Neh (234). Gegen diese willkürliche Textänderung erklären sich zu Recht Gunneweg, Neh (115); Becker, Neh (91); Williamson, Neh (279). Nicht in dieser sprachlichen Form, wohl aber der Sache nach ist die Einladung schriftgemäß: die Einladung zum Laubhüttenfest wird sich wahrscheinlich auf Lev 23,39-43 beziehen (vgl. Donner, Wie geschrieben steht [151]); der Abschnitt wird V.37 eingeleitet mit den Worten: „Dies sind die Festzeiten JHWHs, für die ihr heilige Versammlungen ausrufen (K~lp) sollt ...", und endet V.44 mit der Bemerkung: „Und Mose teilte die Festzeiten JHWHs den Israeliten mit". Der Bezugstext thematisierte also bereits das Vermittlungsproblem! (In ähnlicher Weise erklärt Williamson, Neh [295], die Schriftgemäßheit der Festladung aus Lev 23,2.4.)

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ergaben. Das Vermittlungsproblem ist so Gegenstand der besonderen Reflexion geworden und wird mit den weiterzugebenen Inhalten als Anspruch an die Gemeinde aus der Schrift erhoben. Mit (hi.) + b i p liegt also, soweit man dies in Anbetracht der geringen Zahl der Belege sagen kann, ein scharf profilierter, in einem bestimmten Entwurf von religiöser „Pädagogik" stehender Terminus technicus für die Mitteilung schriftkonformer Aufforderungen an die Gemeinde vor. Das Gewicht der Formulierung scheint dabei ganz auf diesem inhaltlichen Aspekt zu liegen und weniger auf dem formalen einer Aussage über das eingesetzte Medium. So bemerkt Kedar-Kopfstein, daß in diesen Fällen S l p „hauptsächlich auf das von der Stimme Geäußerte, also den Nachrichteninhalt, wodurch die phonetische Bedeutungskomponente zweitrangig wird", ziele. Zwar habe man hier bei der Verbreitung an Herolde zu denken, „der Schwerpunkt liegt jedoch eindeutig bei den Anordnungen selbst" 32 . Zieht man jedoch des weiteren in Betracht, daß das Verbum "1357 ganz allgemein eine Orts- und Stellungsveränderung anzeigt33, erscheint auch die in den hier zur Debatte stehenden Fällen häufige Ubersetzung mit „erschallen lassen"34 durchaus nicht zwingend. Das mündliche Medium steht nur noch abgeblaßt hinter dieser Formulierung 35 ; insbesondere in Esr 1,1 zeigt die Zusammenstellung mit dem 3ΓΟΏ, daß es im allgemeinen Sinne um die Verbreitung einer Nachricht, um den Erlaß eines Ediktes geht. Dabei scheint übrigens bemerkenswerterweise ein wirkliches Äquivalent zu der im Aramäischen sehr häufig benutzten Wendung D"1© (meist pe.) + D57Ü36 nicht angestrebt; ein Grund dafür könnte darin liegen, daß diese Formulierung das Moment der Vermittlung nicht genügend zum Ausdruck brachte. Für Esr 1,1 nun ergibt sich etwa das folgende Bild: der persische König handelt mit seinem Edikt nicht als Besatzer, sondern als legitime, von Gott angeregte Leitungsinstanz des in der Restauration begriffenen Volkes. Die-

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b i p (1246). Fuhs, - Q I 7 (1020). Fuhs, a.a.O. (1024). Immerhin steht Neh 8,15 zusätzlich Vütí (hi.) „hören lassen", was aber auch das Vorlesen meinen könnte! Vgl. 4,19.21(lx pe. + l x hitpe.); 5,3.9.13.17 (V.13 + 17 für das Kyros-Edikt!); 6,1.3 (für das Kyros-Edikt!).8.11.12; vgl. sonst noch Esr 7,13.21; Dan 3,10.12 (in anderer Bedeut u n g ) ^ ; 4,3; 6,14 (vgl. 3,12). 27; in allen Fällen - außer Dan 3,12; 6,14 - wird mit dieser Wendung der Erlaß von Befehlen durch einen mesopotamischen König bezeichnet.

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ses Handeln berührt die Wiederherstellung des für das Volk konstitutiven Mnemotops, also den Bau des Tempels37, und kann Schriftkonformität für sich beanspruchen, wie der Verweis auf Jeremias Verkündigung bereits anzeigte. Die Übermittlung des königlichen Beschlusses ist ein theologischer Akt, da sie den Heilswillen JHWHs gegen alle Erfahrungen von Defizitärem artikuliert und somit Verkündigung ist. Damit eng zusammenhängend ist diese Übermittlung aber auch ein pädagogischer Akt, da sie die Golah zum Handeln anleitet und ihr Arbeit gibt. Diese Arbeit verleiht ihr Identität, indem sie auf diese Weise die immer wieder notwendige Möglichkeit zur Vergemeinschaftung und Volkwerdung erhält38, und indem sie als Ergebnis der Arbeit den Tempel, ihre zentrale Erinnerung und Sinn stiftende Institution, zurückgewinnt. Diese Nachricht an das Volk hat daher wie in den anderen ehr. Belegen von "OS? (hi.) + b i p eine für ihren Adressaten fundamentale, gründende Bedeutung, weil durch sie der Heilswille Gottes das Volk erreicht und es wieder neu als Volk zur Sprache kommt. Das Edikt soll also auch zur Konstitution der Adressaten als Volk beitragen. Aus diesen Gründen kommt der Mitteilung, das Edikt sei 3I"DD3 mitgeteilt worden, ein besonderes Gewicht zu39. Der Begriff selbst ist inhaltlich nicht spezifisch gefüllt, so daß von einem „technical term", wie Bickerman vorschlägt40, nicht gesprochen werden sollte. Ebensowenig ist die These Williamsons haltbar, mit dem Begriff ginge die Dualität von Mündlichkeit und Schriftlichkeit einher41. Die häufig vorgeschlagene, doch im Allgemei-

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Auch Bach, Esra 1 ( 58-60), betont, das Thema des Chronisten sei „in Esr 1, wie überhaupt in Esr 1-6, der Tempelbau. ... Daß der Tempel wieder gebaut wird, bedeutet die große Zäsur, die Wende zum Heil" (60). Das Volk kann sich so „einen Namen machen" (Gen 11,4). Ganz im Gegenteil dazu Williamson, Esr (4): Die Bemerkung sei „loosely attached. The emphasis falls on the oral proclamation with this as a parenthetical afterthought". Williamsons Erklärung legt sich von der hohen Bedeutung her, die Schriftlichkeit in Esr 1-6 eingeräumt wird, nicht nahe. Auch der Hinweis auf die Einleitung des Edikts mit der Botenformel (a.a.O. [6J) beweist in dieser Sache nichts, da es sich eben um eine F o r mel handelt (vgl. ganz ähnlich Π Chr 21,12!); - Für den Anschluß von 3 Π 3 0 3 durch •31 wäre nach unserer Deutung eine betonende Bedeutung von D3 anzusetzen, wodurch ein vorstehendes Waw-explicativum (Belege bei GK, Grammatik [507, Anm. 7]) betont wird. Vgl. zu einem ähnlichen Übersetzungsproblem - allerdings im Zusammenhang des synonymen Parallelismus - Brongers, Interpretation (passim); ferner Baker, Examples (passim); Wilton, Cases (passim). Bickerman, Edict (107). Williamson, Esr (10): 3ΓΟΟ sei „generally used elsewhere for the authoritative written form of something that the context shows was also orally proclaimed". Für Ex 39,30 stimmt dies selbst nach Williamson (a.a.O. [11]) nicht, für Π Chr 36,22/Esr 1,1 haben

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nen bleibende Übersetzung mit „schriftlich"42 ist sicher angemessen, darf aber nicht vergessen lassen, daß der Text des Ediktes nach Meinung des Chronisten in einem bestimmten Schriftstück vorlag, welches eben später bei Bedarf aus dem Archiv heraus wieder ans Licht und damit in die Geschichte treten konnte. Die Rahmenfunktion von Esr 1,1 und 6,22 hebt die Rolle des Schriftstücks für die Geschichtslenkung J H W H s ausdrücklich hervor. Die lange Zeit vom Erlaß des Befehls zum Tempelbau bis zur Vollendung des Heiligtums wird so zunächst ganz allgemein als Zeit des Umgangs mit dem schriftlich vorliegenden Dokument dargestellt. An ihm scheiden sich während der Restaurationszeit das erwählte Volk, das seine hervorragende Rolle für das nun anbrechende Heil in Esr 4,3 aus der Erlaubnis oder Beauftragung zum Tempelbau ableitet, von den „Feinden" (4,1), oder - wenn wir die Schriftlichkeit ernst nehmen wollen - die verstehenden Leser von den ignoranten Nicht-Lesern. Esr 1-6 berichtet von der Wirkungsgeschichte dieses Dokumentes, wie es auf volle Bereitschaft zum Tun stieß, dann aber fast vergessen zu werden drohte und sich erst nach einer Inhaltsangabe durch die Beschuldigten (5,13-15) und Lesen des Originals durch den König (6,3-5) in der Geschichte Israels und der Welt behaupten konnte. Auf diesem Weg der Durchsetzung des Dokuments spielen eine Reihe weiterer offizieller oder doch halb-offizieller Dokumente eine Rolle, denen wir uns jetzt zuwenden wollen, um den Charakter der Wirkungsgeschichte des Kyrosediktes näher zu verstehen.

wir oben Zweifel zu begründen versucht, daß von mündlicher Äußerung überhaupt nur die Rede sei. E x 32,15f. ist vielleicht ähnlich E x 39,30 lediglich die Schrift nach ihrem äußeren Erscheinungsbild gemeint, Π Chr 35,4 mag sich zwar auf II Chr 8,14, wie Williamson erklärt, zuriickbeziehen, doch auch dort findet sich kein Hinweis auf ein „Sprechen" und überdies scheint dem Chronisten in 35,4 gerade an der Schriftlichkeit der Anweisung gelegen zu sein. Ebenso verhält es sich mit Jes 38,9 und II Chr 21,12, wo in den Schriftstücken mit einem Gebet und einem prophetischen Drohwort zwar Gattungen aus einem mündlichen Zusammenhang stehen sollen, die aber hier doch wohl absichtlich als schriftlich bezeichnet werden, ohne daß auf Mündlichkeit noch irgendein Gewicht gelegt würde. Damit kann sich Williamsons Theorie nur noch auf Dtn 10,4 stützen, wobei zu diesem Text zu bedenken wäre, daß das Dtn sich zwar als Rede gibt, von Anfang an aber schriftlich vorlag und von Mündlichkeit nur noch als Fiktion handelt. 42

So auch Haag, 3 Γ Ο (396).

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6.3. Esr 2,62 - Die Liste der Heimkehrer In Esr 2,59-63 steht zu lesen: „Und dies sind diejenigen, die heraufzogen aus Tel-Melah, Tel-Harsa, Kerub, Addan (und) Immer; sie waren aber nicht in der Lage, über ihr Vaterhaus und über ihr Geschlecht Auskunft zu geben, ob sie aus Israel seien." V.60 zählt sodann drei solcher Gruppen auf, V.61 fügt diesen die Namen von drei Priestergeschlechtern hinzu; alsdann gehen die beiden folgenden Verse noch einmal und genauer auf das in V.59 angesprochene Problem des mangelnden Ausweises der Herkunft ein: „Diese suchten ihr Register43, die in Geschlechterlisten Eingetragenen, aber sie wurden nicht gefunden und deshalb vom Priestertum verworfen 44 . Auch befahl ihnen der Tirschata, daß sie nicht vom Hochheiligen essen sollten, bis daß ein Priester für die Urim und Tummim erstanden wäre." Die Episode gehört bekanntlich der Golahliste Esr 2,1-70/Neh 7,6-73 zu und unterbricht aus gegebenem Anlaß ihren aufzählenden Charakter durch einen narrativen Einschub. Die nahezu wörtliche Wiederholung der Liste stabilisiert und interpretiert den Erzählzusammenhang Esr/Neh: die historisch recht weit auseinanderliegenden Ereignisse vom Tempelbau bis zur Wiedererrichtung der Mauer gewinnen ihren inneren Zusammenhang und damit ihren Sinn einerseits durch das Kyros-Edikt, das zwar lediglich den Tempelbau erlaubte, für den Chronisten schlüssig aber auch schon die vollständige Wiederherstellung Jerusalems durch den Mauerbau implizierte 45 , und andererseits durch die Heimkehrerliste, die neben dem Wort Gottes, das sich im Edikt be(ur)kundete, als zweites geschichtliches Kontinuum das von J H W H erwählte und erweckte Volk schriftlich fixierte. Zunächst freilich eignet einer Liste wie der hier vorliegenden von Haus aus nicht unbedingt ein derart großes theologisches Gewicht, da sie in den Zusammenhang solcher Aufstellungen gehört, die - um es ganz allgemein zu sagen - verschiedene den Ansprüchen einer Gemeinschaft dienende 43

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Der MT ist als lectio difficilior beizubehalten (so auch Gunneweg, Esr [53]) und nicht durch die Präposition 3 zu erleichtern (so schlägt es Rudolph, Esr [20] vor). b * « ist Nebenform zu ; Köhler/Baumgartner, HAL 3 1 (162), setzen als Bedeutung von b l « (pu.) „(kultisch) unrein werden" an, doch trifft Gesenius, Lexikon18 (190), mit der Ubersetzung „als kultisch untauglich verworfen/ausgeschlossen werden" den Sinn des Zusammenhangs sicher zutreffender. Vgl. dazu Eskenazi, Structure (647): „For Ezra-Nehemiah, the house of God is not simply the Temple but rather comes to encompass the city as a whole"; „Hence, according to Ezra-Nehemiah's structure, all of these developments between Ezra 2 and Nehemiah 7 are necessary elements of the full realization of Cyrus's decree".

Esr 2,62 - Die Liste der Heimkehrer

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Aufgaben unterstützen sollen und meist eine verwaltungstechnische Funktion erfüllen 46 . Dazu gehören etwa Genealogien 10 u.ö., Stammeslisten

wie in Gen 4,18-22.25f.; 5;

(Gen 29; 35; N u m 1.2.26 u.ö), Listen mit

Beamten

und anderen wichtigen Personen (Π Sam 3,2-5; 5,13-16; 8,16-18; I Reg 4,1-19 u.ö.) oder Ortslisten und Grenzfixpunktlisten

(Jos 13-21; J d c 1,18-21.27-35

u.ö.), die aber zumeist in ihrem jetzigen Kontext eine theologische Funktion erfüllen sollen. In E s r / N e h ist dies leicht erkennbar durchweg der Fall: so bei dem Verzeichnis der Tempelgeräte (Esr 1,9-lla) 4 7 , der Liste der mit Esra Heimkehrenden (Esr 8,1-14), der Liste der am Mauerbau Beteiligten (Neh 3,1-32) oder auch einer Ortsliste (Neh l l , 2 5 - 3 6 ) 4 8 .

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Zur reichen Verwendung und vielfältigen Bedeutung von Listen im Alten Orient vgl. bes. Cavigneaux, Listen (passim). Zusammenfassend auch v. Soden, Einführung (138ff.). Für Ugarit vgl. etwa Krecher, Schreiberschulung (bes. 131-133). Vgl. in diesem Zusammenhang auch Esr 8,34, wo berichtet wird, wie bei der Heimkehr Esras nach Jerusalem die von ihm heimgeführten Tempelgeräte gewogen und deren Gesamtgewicht zu eben jener Zeit aufgeschrieben wurde. Die Anfangszeit der Restauration ist bezüglich Mensch und Material in Listenform aufgezeichnet worden und daher auch später noch exakt beschreibbbar. Die Aufzeichnung von Listen kann auch ausdrücklich durch das Verbum/Nomen 3ΓΟ zum Ausdruck gebracht werden: (I) Inventarlisten: Esr 8,34 (II) Namenslisten: Num 11,26 (?); Jdc 8,14·, Jer 22,30 (Gemeint ist der Eintrag Jojachins als kinderlos in die Bürger- (so z.B. Rudolph, Jer [143]; Schreiner, Jer [134]) und/oder Zensusliste (z.B. Bright, Jer [143]) Jerusalems. Enger spricht Weiser, Jer [195], vom „Geschlechtsregister der davidischen Könige". Freilich ist eine Liste mit den Söhnen Jojachins sogar in die kanonischen Schriften eingegangen: vgl. I Chr 3,17f.); Esr 2,62; 5,10; Neh 7,5 (-»Neh 7,6ff.); Neh 12,22.23-, I Chr 4,41 (-»4,34-37; auf diese Liste wird bereits in paralleler Weise 4,38 Bezug genommen mit ΓΠ0Ι03 Γ 0 Χ , einer Bemerkung, die gemeinhin als verderbt gilt (vgl. z.B. Rudolph, Chr [140], mit Angabe möglicher Rettungsversuche), neuerdings aber wieder in der Form des MT Akzeptanz gefunden hat (vgl. Braun, I Chr [64], Japhet, Chr [124], Letztere vermutet, die Verschriftlichung beziehe sich an dieser Stelle „to some kind of census"). I Chr 9,1 (—>2,18,40; vgl. dazu Oeming, Israel [180-187]). I Chr 24,6 (—>24,7ff.). Vgl. vielleicht auch Jes 8,1; Neh 10,1 (dort ist Objekt zu D ' O r o offenbar ¡"DDK; der Nominalsatz V.lb [vgl. auch V.2a] bringt aber mit ΠΊΠΠη und der 10,2b-28 zitierten Liste der Unterzeichner deutlich Schriftlichkeit zum Ausdruck. Für ΟΙΠΠΠ im Zusammenhang eines (Kaufvertrages vgl. Jer 32,11.14). (III) Itinerar/Landerfassung : Num 33,1.2 (->33,3ff.)-,Jos 18,4.6.8(2x)9 (zum Charakter der Listen in Jos gerade unter dem Gesichtspunkt der Administration vgl. Niemann, Herrschaft [251-272]; vgl./« 10,19 (die sekundäre (so z.B. Donner, Israel [144f.]; Kaiser, Jes [228]; Wildberger, Jes [407f.]) und wohl auch reichlich späte Stelle (vgl. z.B. Wildberger, Jes [408]: spätere Perserzeit. Aber anders Barth, Jesaja-Worte [34]: Assyrerzeit) ist im Verständnis nicht ganz klar: „und der Rest seines Waldbestandes wird von geringer Zahl sein, so daß ein Junge sie aufschreiben könnte". Offenbar sollen die Schreibkunst und die intellektuellen Fähigkeiten, die, damit der Vers Sinn macht, als

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Esr 1-6 - Theologie unter den Bedingungen der Provinz

Die Verwendung solcher schriftlich verfaßter Listen in theologischer Funktion ist bei der Vorstellung vom sogenannten „himmlischen Buch" in besonders intensiver Weise zu beobachten'". Die in den eschatologisch-apokalyptischen 50 Bereich führende theologische Reflexion mit Hilfe des Listenmotivs ist dabei nicht einlinig und in sich stimmig vonstatten gegangen, sondern hat - ganz entsprechend der Vielzahl unterschiedlicher Listentypen - zu einer Reihe verschiedener Vorstellungsrichtungen geführt, die gemeinhin in drei Kategorien unterteilt zu werden pflegen: (I.): Die sogenannten „babylonischen Schicksalstafeln" repräsentieren einen Typus von himmlischer Liste, der ein prädestinatianisches Denken voraussetzt51. Im A T freilich scheint diese Vorstellung lediglich in Ps 139,16 einigermaßen sicher belegt zu sein52. Diese Art der Buchführung rechnet damit, daß das Geschick der Menschen bereits im voraus von Gott aufgeschrieben, damit also vorherbestimmt oder doch zu-

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gering eingestuft werden müssen, für diese Aufgabe hinreichen. Wird damit auf typische Übungen der Schreib- und Beamtenausbildung angespielt? Handelt es sich dabei um bloße Schreibexerzitien, deren Gegenstände einerlei sind, oder sollte so auch Landvermessung eingeübt werden? Im letzten Fall wäre Jes 10,19 zu Recht unter die Gruppe ΠΙ zu stellen. Andererseits ist 10,19 deutlich ein literarisches Produkt: Vorbild ist zunächst Jes 11,6 gewesen. Die inhaltliche Füllung mit Thematik aus dem „entwicklungspsychologisch-pädagogischen" Bereich konnte aus Jes 7,16a; 8,4a hinzugewonnen werden; zu als Listenautor vgl. noch Jdc 8,14). Vgl. zum folgenden z.B. Volz, Eschatologie (290-292); Strack/Billerbeck, Kommentar Π (169-176); Koep, Buch (3-39); auch Ders., Buch (bes. 725-727); Hossfeld/Reuter, Ί 0 0 (942f.); Haag, 3ΓΟ (394f.); für Qumran vgl. Nötscher, Himmlische Bücher (passim). Oppenheim, Mesopotamia (231) betont sehr den ursprünglich administrativen Hintergrund der himmlischen Listen wenn er erklärt, daß mit der Vorstellung von der prädestinatorischen Liste „in Mesopotamia as well as in Egypt the acceptance of bureaucracy as a social phenomen, or rather as a technique of social integration, found a curiuos echo on the speculative level". Ob die Bücher für das Urteil im Endgericht benutzt werden oder nicht vielmehr das gegenwärtige Leben bestimmen, ist besonders für einige der atl .-kanonischen Belege zu erwägen (vgl. etwa Nötscher, Himmlische Bücher [406f.]), ist aber für die ganz überwiegende Zahl der späteren Belege eindeutig im Sinne der ersten Möglichkeit zu beurteilen. Vgl. dazu Meissner, Babylonien II (124-126). MT: „Deine Augen haben meinen Embryo (?) gesehen und in dein Buch werden sie alle hineingeschrieben, (die) Tage waren vorgebildet, als (noch) nicht einer unter ihnen da war" - Der Text ist mit allerlei Unsicherheiten belastet, die sein genaues Verständnis nicht zulassen: die angegebene Bedeutung von ist erst in viel späterer Zeit im Aramäischen belegt, das Suffix von hat kein Bezugswort usw. Die Probleme haben zu teilweise recht divergierenden Verbesserungen geführt, von denen kaum ein Wort des Verses unbetroffen blieb (vgl. z.B. die unterschiedlichen Vorschläge von Kittel, Ps [418]; Gunkel, Ps [59 If.]: G. ordnet 13ΓΠ 1 der nächsten Zeile zu; Holman, Analysis [198-201]; ohne Texteingriffe, aber mit neuer Verseinteilung löst Mannati, Psaume 139,14-16 [passim], die Probleme). - Ein weiterer Beleg könnte in Dan 10,21a vorliegen: „aber ich will dir berichten, was geschrieben steht in der Schrift der Wahrheit/a/j Wahrheit". Der Text in Dan 10,21; 11,1.2 ist aber stark gestört (vgl. bes. 10,21 mit 11,2; merkwürdige Abfolge 10,21a.b!) und in der Formulierung zu undeutlich.

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mindest vorhergewußt sei53. (Π.) Davon unterschieden ist die Vorstellung von einem Buch der Werke, in welchem die Taten der Menschen erst nachträglich von Gott (oder einer anderen Person54) verzeichnet und später im Gericht für das göttliche Urteil herangezogen werden können55. Die Grundlage dieser Idee hat Koep im „kaufmännischen Leben" sehen wollen56, aber eine sehr enge Parallele liegt sicherlich auch mit den persischen Wohltäterverzeichnissen57 vor, über deren Existenz und Funktion man im AT in Est 2,21-23; 6,1-3 unterrichtet wird. (ΙΠ.) Das „Buch des Lebens" (D^Tt Ί 2 0 , Ps 69,29; vgl. Jes 4,3) enthält lediglich die Namen aller von Gott im Gericht Eretteten58, wenn es auch

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Die Vorstellung findet sich massiv in nicht-kanonischen jüdischen Schriften: s. IV Esr 6,20; äthHen 81,2; 93,1-3; 103,2/.; 106,19+107,1; 108,7-, Jub 5,13; 23,32; TestLev 5; 1 QH 1,23/. fi)·, 1 QM 1,10 (TKD "Ò TO1 DT> Π Χ 1 Π HO; zweifelhaft, da ohne Erwähnung schriftlicher Aufzeichnungen); 1 QpHab 7,12-14 (?); vgl. auch Apk 13,8; 17,8 (deterministische Namenslisten). Zu weiteren Autoren vgl. die Zusammenstellung bei Strack/Billerbeck, Kommentar Π (171 mit Anm. b 172f.). Vgl. im AT Ps 56,9·, Mal 3,16 (?; vgl. die Zitation des Textes in CD 20,19f.; dort durch eigenständige Fortschreibung des Zitates auch die Deutung auf ein Tatenbuch); Jes 65,6 (vgl. aber anders Lau, Prophetie [190+ Anm. 242]: Jahwe verweise „gleichsam wie ein schriftgelehrter Prophet auf ältere, autoritative Schriften, die das jetzt folgende Urteil bereits angekündigt haben"; die Schriften seien aber nicht mehr erhalten. Diese Annahme ist im Vergleich zu der hier vollzogenen Einordnung die wesentlich schwierigere: -OD1? n z n r o Π Π kann sehr gut der Beginn der Urteilsankündigung sein in dem Sinne, daß die zuvor beschriebenen Missetaten bei JHWH festgestellt sind und ihm nicht entgehen können; zu einer sprachlichen Parallele im Motiv-Zusammenhang des himmlischen Buches vgl. 1 QH 1,23/.: |T1DT Γ Π Π 3 Γ Ο Ό Ώ 1 ? ρ ΐ ρ Π ^ Ό Π ; siehe weiter oben Anm. 53); Jer 17,1 (die himmlische Liste erscheint zum anthropologischen Merkmal gewendet; die „Sünde" steht den Judäern gewissermaßen „auf der Stirn geschrieben"); Dan 7,10(?); Neh 13,14-, Ps 149,9 (?). Buch (726). Vgl. zu diesen Wiesehöfer, Freunde (8-11). Vgl. auch die Eintragung Jonathans durch den Seleukiden Alexander I. Balas in eine Liste der „ersten Freunde" (και εγραψεν αϋτόν των πρώτων φίλων; I Makk 10,65); vgl. auch I Makk 13,40. Vgl. im AT Ex 32,32/.; Ps 69,29; Jes 4,3; £z 13,9; Dan 12,1; Ps 87,6 (zum Text s. Anm. 60; vgl. auch Zenger, Psalm 87,6, der die ursprüngliche Bedeutung der Tafeln vom Sinai im Zusammenhang der Tradition von den himmlischen Bürgerlisten erklärt. In Ex 32,19 kennzeichne dann das Zerbrechen der Tafeln den Stierkult als „Vergehen gegen die Eintragung Israels in die himmlische Bürgerliste Jahwes"; dazu aber kritisch mit Alternatiworschlag: Dohmen, Bilderverbot [118-120 + 132-141]). Ferner Jub 19,9; 30,20/22 (die Übertreter des Bundes werden in einem separaten Buch als Feinde aufgeschrieben); äthHen 104,1; 108,3; slHen 40,13; 1 QM 12,3 (?; Text unklar; vgl. Nötscher, Himmlische Bücher [409 mit Anm. 18]); undeutlich ist auch (mit aramaisierendem DE?~I) 1 QH 16,10: ρ · Η 2 Π Τ Ί Π Π η β Ί ΓΤΓΊΚ Ό ">ηΐΗ3Ί. Lk 10,20; Phil 4,3; Heb 12,22/.; Apk 3,5. - Unsicher ist Jer 17,13bœ. „Und die von dir abfallen (lies ^"ΗΙΟΊ) werden in den Sand geschrieben werden". Die Übersetzung von ΙΠΠΟ"1 ]*~IKD ist aber umstritten: das singulare Bild „in den Sand geschrieben werden" könnte meinen, daß den Abfallenden kein bleibendes Gedächtnis (auf himmlischen Listen?) zukommen wird. Wohl werden

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- wie Volz meint - „von Haus aus wohl ein Verzeichnis sämtlicher Israeliten ist"59. Dieses „Buch" wird auf Listen einer begrenzten Gemeinschaft, etwa Bürgerlisten, zurückzuführen sein60. Die diversen Varianten und die bemerkenswerte Verbreitung des Motivs zeigen, daß die antiken Autoren mit ihm eine hohe Eindrücklichkeit und Plausibilität verbanden. Versuchen wir deshalb kurz zu überblicken, welche Eigenschaften diese Listenführung für den „Himmel" so interessant machten und welche Bedeutungskontinuitäten und -diskontinuitäten mit dem Ubergang vom menschlichen zum göttlichen Buch einhergehen. - Die Autorschaft, die bei den irdischen Vorbildern in der Hand von Beamten lag, welche auf Geheiß des Königs arbeiteten", wechselt jetzt in die Gottes selbst oder seiner Engel62. Die Tätigkeit Gottes scheint mithin die eines Beamten zu sein, doch wird dieser Eindruck gelegentlich auch durchbrochen: warum sollte etwa der göttliche Autor die Taten eines verdienten Mannes (willkürlich?) aus den Akten tilgen (Neh 13,14; vgl. 3,37)63? Der himmlischen Buchführung Gottes entgeht kein Detail, schon gar nicht die Missetaten (vgl. äthHen 98,6-8; Ascjes 9,22f.), sie ist sogar in der Lage, Dinge festzuschreiben, die noch gar nicht geschehen sind (prädestinatorisches Buch). - Die Verwahrung des Dokumentes geschieht unter den Menschen in einer Bibliothek oder in einem Archiv; an einer derart konkreten Vorstellung für den Himmel scheint, soweit wir sehen können, kein Interesse bestanden zu haben. Wichtig, ja geradezu konstitutiv ist aber das sichere Aufbehalten der Schriftstücke für kommende Zeiten und Zwecke 64 .

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sie verzeichnet, aber bald wieder vom Winde verweht werden. Im Anschluß an diese Ubersetzung hat Weiser (doch wohl sehr spekulativ) angenommen, die Textstelle spiele auf „einen Kultbrauch bei der sakralen Achtung und Ausscheidung der Gottlosen aus dem Bundeskult" an (fer [148]). Andere (z.B. Baumgartner, Klagegedichte [40]; Dahood, Value [164-166]; Craigie u.a., Jer [230]; Gesenius" [102]) setzen an dieser Stelle für f l X die Bedeutung „Unterwelt, Scheol" an, so daß zu übersetzen wäre: „sie werden der Scheol zugeschrieben werden", d.h. sie werden in ein Verzeichnis aufgenommen, das alle Todgeweihten enthält. Eschatologie (291). Dazu vgl. etwa Jer 22,30-, Ez 13,9; auch Ps 87,6 (lies besser 3 Γ 0 3 für 311133); Neh 12,22f.; II Makk 4,9. Vgl. unter diesem Gesichtspunkt Ex 17,14. Zurückhaltung bezüglich der Angabe der Autorschaft - sicher um Anthropomorphismen zu vermeiden - drückt sich in der häufigen Verwendung des Passivs (pass. Partizip des q. und im ni.) von 3ΓΟ aus: vgl. Jes 4,3; 65,6; Ez 13,1; Mal 3,16; Ps 69,29; 139,16; Dan 12,1; vgl. aber anders Hi 13,26, wo allerdings die Zugehörigkeit zu dem zur Debatte stehenden Motivkomplex nicht sicher ist. Ex 32,33 lehnt im Gegenteil JHWH ausdrücklich willkürliche Streichungen ab und stellt dafür eine feste Regelung auf. Vgl. den Midrasch zu Est in bMeg 16a, der zum Fund des Hinweises auf Mordechais Rettungstat im Erinnerungsbuch des persischen Königs (Est 6,2) kommentiert: „Wenn schon eine irdische Schrift zugunsten Israels nicht ausradiert wird, um wieviel mehr ein Schriftstück, das droben ist" (zit. nach Börner-Klein, Auslegung [69]).

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- Der Schriftträger der göttlichen Aufzeichnungen wird meist mit den gewöhnlichen Termini " S O oder 3ΓΟ bezeichnet, welche aber, wenn sie metaphorisch extrem verändert und gebrochen werden, dem Motiv eine ganz neue Ausrichtung zu geben vermögen (vgl. Jer 17,1; dort ΓΤ0). - Außerordentlich wichtig sind selbstverständlich die Inhalte, die die Schriftstücke aufführen: bei den himmlischen Namenslisten darf die rein formale Ähnlichkeit nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Kriterien für die Aufnahme von Namen in die Liste stark verändert sind. Herangezogen werden nicht schlicht soziale Zugehörigkeit, Wohnort oder abstammungsbezogene Kategorien, die die Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe regeln", sondern solche eines ethisch-religiösen Argumentationszusammenhangs: Falschpropheten sind ausgeschlossen (Ez 13,9), aufgeschrieben aber sind die •"p'HÎÎ (Ps 69,29); der DS7 als erst eschatologisch verifizierbare Größe wird beschrieben als 1DD3 31ΓΟ (Dan 12,1), scheint also unter den Bedingungen des Hier und Jetzt noch nicht an sozialen oder nationalen Kennzeichen ausgemacht werden zu können. Einen engeren Zusammenhang wird man zwischen dem Wohltäterverzeichnis und den himmlischen Tatenbüchern erkennen können, die beide gleichermaßen Wohlverhalten und Loyalität gegenüber dem irdischen bzw. himmlischen Souverän festhalten. Die metaphorische Spannung kommt erst recht zum Vorschein, wenn wiederum in Angleichung an ein bestimmtes Gottesbild die Buchführung mit der Prädestination verbunden wird und die nachträgliche Verzeichnung zum vorausschauenden Ausblick für das Schicksal des Einzelnen oder gar zum Weltentwurf entwickelt wird. Die himmlische Liste ist dann apokalyptische Literatur geworden. - Von den Eigenschaften des Mediums Schrift ist im Zusammenhang der himmlischen Bücher die konservierende, aufbewahrende Funktion in verschiedener Hinsicht von Interesse. Die vielen Namen und Taten überschreiten, da sie „zufällig und partikular" sind6', die Speicherfähigkeit des menschlichen Gehirns und werden dem Speichermedium Schrift anvertraut. Diese Auslagerung der Gedächtnisinhalte hat dann weitere Folgen: bereits die Aufbewahrung des Buches im Archiv zu Babel (Esr 5,17; 6,1), noch mehr aber seine „Entrükkung" in den Himmel sorgt für die Beseitigung der Manipulationsgefahr, denn

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Die göttliche Verwahrung maß aber nicht zwingend Sicherheit für die Dokumente bedeuten: in Babylonien stellt man sich die „Schicksalstafeln" als unter den Göttern umkämpft vor; vgl. Meissner, Babylonien Π (125). Dazu passen Hinweise in den von Hunger (Kolophone) gesammelten assyrischen und babylonischen Kolophonen, daß man zuweilen ausgeliehene Tafeln nicht wieder zurückbekam (Nr. 234 u.ö.), daß die Ausleiher sie an Dritte weitergaben (Nr. 90 u.ö.) und Tafeln gar gestohlen wurden (Nr. 87 u.ö.). Sehr weitreichende Befürchtungen äußern sich in der folgenden Schreiberbitte an den Leser: „Be[hand]le die Tafel nicht schlecht! Löse die Bibliothek nicht auf!" (Nr. 354). S. Dtn 23,2-9; anders Jes 56,1-8. Dtn 23 begründet das Abstammungskriterium nach Maßgabe der Heilsgeschichte. Ehlich, Text (37); dort weiter: „Die Inhalte der Register und Quittungen" sind zwar „für den einzelnen wichtig, doch ihr propositionaler Gehalt verliert sich in der Beliebigkeit des Zahlenraums".

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mißliebige Dokumente können jetzt nicht mehr einfach verändert oder beseitigt werden 67 . Das „Wegwischen" (ΠΠΟ) von Namen oder Taten aus der Liste ist prinzipiell nicht ausgeschlossen, ist aber allein dem Autor und Verwahrer der Liste, also Gott selbst möglich". Das himmlische Buch kann aber nun aufgrund seiner Transzendenz nicht mehr herbeizitiert werden, um Ansprüche vor den Zeitgenossen durchzusetzen: weil das Buch erst im Gericht geöffnet wird P a n 7,10; äthHen 90,20; vgl. Apk 20,12), wird „Wahrheit" ein eschatologisch bestimmter Begriff". Der wesentliche Unterschied zu den Akten etwa des persischen Königs und der Darstellung in Esr 4-6 liegt dann in der Aufgabe der Beweisfunktion der Aufzeichnungen in der Gegenwart bzw. im Gericht. Deshalb hat der einzelne keine wirkliche Kontrolle und Sicherheit bezüglich des Inhalts der Bücher 70 ; man kann sie sogar nicht einmal - wie es noch bei den persischen Edikten der Fall war - „herbeizitieren". Das mit den himmlischen Büchern zur Schrift geronnene Leben der Menschen sichert den authentischen Zusammenhang zwischen jetzigem Tun und eschatologischem Ergehen. Bei Gott sind Erinnerungsverluste und -Umformungen ausgeschlossen, weil die Veränderung der Urkunden und ihre nachlässige oder korrumpierte Verwendung71 im Gericht ausgeschlossen sind. Der Bruch

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Vgl. bereits oben unter „Verwahrung"; Zur guten Verwahrung und Benutzung der Bücher vgl. vielleicht Jub 5,16, wo im Anschluß an die Erwähnung himmlischer Tafeln in 5,13f. von Gott im Gericht gesagt wird: „Und er ist nicht einer, der die Person beachtet. Und er ist nicht einer, der ein Bestechungsgeschenk annimmt, wenn er sagt, er werde Gericht halten über jeden einzelnen" (Ubersetzung nach Berger, Jub); Gott- so könnte man den Zusammenhang deuten - läßt sich im Gegensatz zu den unter Menschen zu machenden Erfahrungen beim Umgang mit den Gerichtsakten nicht korrumpieren. - Zur Beugung des Rechts durch Offizielle in Zusammenhang der Abfassung von Dokumenten vgl. auch Jes 10,1. Streichen von Taten: Jes 43,25; 44,22; Jer 18,23; Ps 51,3.11; 109,14; Neh 3,37; 13,14; vgl. Ex 17,14 (?; D^DÖn ΠΠΠη p b o U IDTTIK ΠΠΟΝ η π η " 0 . . . ; vgl. Dtn 25,19!; nach Schmitt, Geschichte [338], ist der den Zusammenhang V.13—>15 unterbrechende V.14 ein Zusatz nach Dtn lb,\7A9)/Streichen von Namen: Ex 32,32f.; Dtn 9,14; 29,19; Π Reg 14,27; Ps 9,6; 69,29; vgl. auch das Abwischen von Schrift in Wasser hinein Num 5,23; ohne ΠΠΟ Ez 13,19; zum Ganzen s. Alonso-Schökel, ΠΠΠ (passim). Vgl. weiter äthHen 108,3; Apk 3,5; zu Verstoßung von der Liste (?) der Freunde des persischen Königs vgl. vielleicht Diodor XV, 11.2. Anders verhält es sich freilich mit der apokalyptischen Literatur selbst, in welcher der Visionär jetzt schon antizipatorisch mitteilen kann, wie und was er auf den Tafeln des Himmels gelesen hat; vgl. äthHen 81,lf.; 93,1-3; 103,2f.; Jub 32,21f.; Ascjes 9,22. Die Aufzeichnung im Himmel ist nicht schwarz auf weiß ausweisbar, sondern trägt den Charakter eines sicheren Versprechens: „Ich schwöre euch, daß die Engel im Himmel euer zum Guten gedenken werden vor der Herrlichkeit des Großen; und eure Namen werden aufgeschrieben vor der Herrlichkeit des Großen" (äthHen 104,1; Ubersetzung nach Uhlig, äthHen). Vgl. äthHen 63,9: „Und wir werden vor seinem Angesicht wegen unserer Werke vergehen, und alle unsere Sünden sind in Gerechtigkeit gezählt" (Übersetzung nach Uhlig, äthHen); vgl. auch den bei Strack/Billerbeck, Kommentar Π (171f.), zitierten Midrasch zu Ps 1 (§22 [12b]): das Schuldverzeichnis wird im Gericht von Gott zum Beleg erst

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zwischen dem Bild des Menschen von sich selbst und dem Bild Gottes vom Menschen wird metaphorisch gefaßt als intensive Verwendung des Mediums Schrift durch Gott: das Leben der Menschen hat als Buch ein Äquivalent im Himmel, das sich aber zur menschlichen Selbstsicht zuallermeist kritisch verhält72. Dadurch aber, daß die Menschen nicht Subjekte, sondern allein Objekte des Schreibens sind, die so entstandenen Urkunden also nicht wirklich bekannt und schon gar nicht zitabel sind, werden nicht einfach nur Gedächtnisinhalte ausgelagert, sondern mit diesen auch der Zusammenhang zwischen Tun und Ergehen. Mit diesem Zusammenhang ist auch der Einblick in die Sinnhaftigkeit der Existenz dem Menschen radikal unverfügbar geworden, gleichzeitig aber bei Gott gut aufgehoben. Die Buchmetaphorik macht auf diese Weise den Sinn zu einem Gegenstand der Hoffnung73. Die Öffnung der authentischen Aufzeichnungen im Gericht macht den Menschen authentisch, führt ihn mit sich selbst zusammen und läßt so den Gerechten als Gerechten, den Frevler aber als Frevler erscheinen. Weil das Wissen um den Inhalt der Bücher unsicher und Gegenstand der Hoffnung ist, offenbaren sie, ja setzen sie geradezu Sinn und Wirklichkeit bei ihrer Öffnung: zu JHWHs „Volk" gehört nur, wer am Ende aufgeschrieben gefunden werden kann (Dan 12,1). Es drängt sich der Eindruck auf, daß die Golahliste in Esr 2 / N e h 7 mit dem „himmlischen Buch" sicher nicht identisch, aber doch in mancher Beziehung verwandt ist. Die Liste enthält den Keim des Neuanfangs, der Golah, die die Restauration leistet und sich glücklich schätzen kann, hier aufgeschrieben zu sein. Dem Verzeichnis kommt deshalb „geradezu präsentisch eschatologische Bedeutung" zu, denn „ist das göttliche Heil präsent, so müssen auch die Namen derer, die es erlangten, namhaft gemacht werden können" 7 4 . Zwischen einer etwaigen Liste Gottes und dem an dieser Stelle zitierten Text darf demnach - vorbehaltlich durchaus möglicher Korrekturen aufgrund von Fehlverhalten - ein inhaltliche Differenz nicht bestehen. Die Golahliste ist zwar ein irdisch Ding, der Umgang mit ihr läßt sich immanent aber nicht lückenlos erklären: in Esr 2 steht die Liste als Ausfüh-

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hervorgeholt, nachdem die Gottlosen sein Urteil als Willkürakt angezweifelt haben. Bezeichnend ist äthHen 104,7: die Sünder wiegen sich in dem Irrglauben, daß man ihre Taten nicht erforschen und nicht aufschreiben werde - doch werden über sie an jedem Tage Aufzeichnungen angelegt (vgl. auch äthHen 98,6-8)! Dagegen kann man denjenigen seligpreisen, über den keine Ungerechtigkeiten verzeichnet sind, denn er wird keinen Gerichtstag erleben (äthHen 81,4); radikaler als äthHen 104,7 noch Ascjes 9,22f.: aufgeschrieben werden sogar Dinge, die die Menschen gar nicht kennen. Vgl. sehr prägnat Mal 3,18 nach V.16b: 1 3 U V t í ~ b p " H 3 Γ 3 O I T î m ΟΓΙ301 n a y k S -ittfKb o v ò x „dann werdet ihr wieder den Unterschied zwischen einem Gerechten (und) einem Frevler, zwischen einem Gott Dienenden (und) einem ihm nicht Dienenden feststellen können". Gunneweg, Interpretation (156).

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rungsbericht und inhaltliche Füllung von Esr 1,3a (vgl. 1,3a mit 2,1), so daß nicht allein die Rückkehr der Exulanten als gottgewirkte Tat erscheint, sondern auch die Zitation der Liste direkte Folge des Befehls des JHWH-erweckten Kyros ist. Die erneute Zitation der Liste in Neh 7,5ff. wird auch nicht als Idee vorgeführt, auf die man von allein kommen könnte. Sie geht letztlich auf eine Eingebung durch J H W H zurück (7,5: "tòk f m 1 Ό ?), die den nicht näher erklärten Fund der Liste bewirkt. Entstehung, Herkunft und Aufbewahrung der Liste könnte man sich zur Not aus dem Kontext erklären, werden aber (vielleicht bewußt) nicht ausgeführt. Die Ungreifbarkeit der Entstehungsbedingungen der Liste scheint in einem direkten Verhältnis zur Urwngreifbarkeit seines Inhaltes zu stehen. Gerade die Episode Esr 2,59-63 zeigt, welche Autorität und unhinterfragt Gemeinde-begrenzende Macht dem Dokument beigemessen wird. Ebenso ungreifbar ist durch die unpersönliche Formulierung in Esr 2,62/Neh 7,64 diejenige Instanz, die das Prüfungs- und Ausschlußverfahren aus der Gemeinde durchführt. Die Erwähnung des „Tirschata" und dessen auffällige Fristsetzung im folgenden Vers vermögen ebenfalls das Schweben des ganzen Verfahrens zwischen Himmel und Erde nicht wirklich zu beseitigen75. Die Analogie zur Funktion des himmlischen Buches im endzeitlichen Gericht ist nur zu deutlich76. Es mußte aber mit der neuen Epoche, die ja mit Esr 1,1 angebrochen sein sollte, die Deutlichkeit und Entschiedenheit, mit der die Grenzen der Gemeinde bestimmt werden konnten, ebenfalls zunehmen. Das Eschaton ist dem Jetzt entschieden näher gekommen, wenn nicht mit ihm identisch geworden, und so kann auch - wie es in Esr 2/Neh 7 geschieht - das Buch aufgetan werden. Der Preis aber dafür ist, daß eine der wesentlichen Eigenschaften des himmlischen Buches der Golahliste verlorengehen muß: es ist nicht mehr unverfügbar. Das entrückte, aber eindeutige Buch ist nun zuhanden und damit zweideutig geworden. So teilt die Liste nach Meinung des Chronisten eine Eigenschaft aller Literatur, nämlich „falsch" verstanden werden zu können. Dieses Problem ist in Esr 5,4.10 angedeutet, indem dort bei der Inspektion des Tattnai eine Namensliste der am Tempelbau Beteiligten angefordert wird, die - so legt

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Vgl. dazu unten S.143f. Vgl. dazu die Postulierung eines Zusammenhangs zwischen den Mitglieder- und Ranglisten der „Damaskusschrift" (CD), der „Gemeinderegel" in Qumran (1QS) und der Vorstellung vom himmlischen Buch durch Nötscher, Himmlische Bücher (409f.).

Esr 2,62 - Die Liste der Heimkehrer

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es der Kontext bewußt nahe - als Grundlage einer späteren Bestrafung für den vermeintlich unerlaubten Tempelbau dienen soll, auf der zu stehen im Sinne des Chronisten aber nur die höchste Ehre sein kann 77 . Die Liste wird, ähnlich der Verkündigung der Propheten Haggai und Sacharja in 5,lf; 6,14, nicht zitiert, obschon von ihr ausführlich die Rede ist. Die an dieser Stelle gelassene Lücke wird der Leser selbsttätig auszufüllen wissen, indem er sich an Esr 2 erinnert: niemand anders als die Golah ist hier am Werke 78 . Durch diesen Rückverweis wird neben dem Mittel der Wiederholung der Liste in Neh 7 ein zweites Mal die Bedeutung des schriftlich vorliegenden Dokuments für die hier entwickelte Geschichtsdarstellung deutlich. Aus KyrosEdikt und Heimkehrerliste entwickelt sich die nachexilische Geschichte, die zur glücklichen Geschichte nur werden kann, wenn die gründenden Dokumente richtig gelesen werden. Der Wechsel vom aufzählenden zum erzählenden Stil nun wird notwendig durch Menschen, deren Herkunft dunkel ist. Bei der ersten Gruppe V.59 wird dies noch in ganz allgemeiner Weise ausgesagt, bei den Priestern aber auf das spezielle Problem hin zugespitzt, daß sie vielleicht Aussagen über ihre Herkunft machen konnten, diese aber aus den Akten nicht zu belegen waren. Der beschriebene Vorgang besteht aus einem Dreischritt: zunächst (1.) wird in einem vorliegenden Dokument nach etwas ganz Bestimmten (den Namen) gesucht pi.), dann (2.) wird das Ergebnis der Suche als „Nicht-gefunden-werden" (K2Q, ni.) bezeichnet und schließlich (3.) wird aus der erfolglosen Suche die Konsequenz gezogen (Verwerfung vom Priestertum). Dieser Zusammenhang findet sich, wenn auch nicht immer in dieser Ausführlichkeit, noch einige Male in den späten Schriften des AT. Dabei sind zunächst solche Texte auszuscheiden, die zwar den eben beschriebenen terminologischen Zusammenhang aufweisen, ihn aber in einem anderen Sinn benutzen; in Est 2,23 wird das Komplott der Schwellenhüter zunächst untersucht (tÖp3, pu.), sodann aufgedeckt (K2D, ni.) und anschließend in ein „Journal" geschrieben (3ΓΟ, ni.)7'; Koh 12,10 wird vom „Prediger" gesagt, er habe gefällige Worte zu finden (X2ÎO, q.) gesucht pi) und dann niedergeschrie-

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Die Liste ist also von Kap. 5 her als ein Märtyrer-Verzeichnis qualifiziert und rückt so in die Nähe eines „himmlischen Buches", das die Namen (und Taten) der Gerechten, die nicht selten zu leiden haben (vgl. dazu vielleicht Hi 19,23f.!), aufführt. So auch Galling, Gola-List (153). Vgl. dazu weiter 7.2.1.

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Esr 1-6 - Theologie unter den Bedingungen der Provinz

ben80. Die Verben IÖp3 und X2D bezeichnen also in diesen Fällen nicht die Untersuchung eines Textes, sondern verschiedene dem Schreiben voraufgehende Tätigkeiten81. Das „Suchen" und „Finden" ist in Koh 12,10 geradezu das Spiegelbild des in Esr 2,62 Gemeinten, weil es die Verfertigung der Gedanken vor dem Schreiben, und eben nicht das Verstehen von bereits geschriebenen Texten zum Ausdruck bringt. Nur ungefähre Ähnlichkeit mit Esr 2,62 hat auch II Reg 22,13/11 Chr 34,21, da Ε?~Π (q.) in diesem Fall weniger das Einholen von Informationen als eine Fürbitte durch die Prophetin meint82 und darüber hinaus das Verbum K2ÎD sich nur auf den Fund des Buches83, nicht aber auf spezifische Inhalte dieses Buches bezieht. Anders dagegen steht es mit Dan 12,1: in einer Zeit der Bedrängnis „wird dein Volk gerettet werden, jeder, der in dem Buch aufgeschrieben gefunden wird" ( " 1 3 0 3 31ΓΟ Χ203Π S o ) . Die Erwähnung des „Suchens" unterbleibt an dieser Stelle wohl, da das „Buch des Lebens" für den Menschen unverfügbar ist, göttliches Suchen in den himmlischen Aufzeichnungen aber zweifellos als stark anthropomorphe Aussage vermieden wurde. Der Gegenstand des Findens ist in diesem Falle nicht ein Abschnitt aus einem Schriftstück, sondern sein gesamter Inhalt, über den weiter nichts gesagt werden kann. Ferner findet sich in Neh 7,5 ein 6?ΓΡΠ "ISO, der den Menschen einsehbar ist und gar zweimal zitiert wird (Esr 2). Das Zitat wird von Nehemia mit der folgenden Bemerkung eingeleitet: Ό 31ΓΟ („ich fand in ihm geschrieben")84; wie schon in Dan 12,1 so ist auch hier das „Suchen" unangebracht, da der gesamte Inhalt des jeweiligen Dokuments gemeint ist. Neh 8,13f. berichtet von einer Versammlung zu dem Zweck, „die Worte der Thora einsichtsvoll zu betrachten hi.)"85; alsdann fährt der Text fort: „Da fanden sie in der Thora, die JHWH durch Mose befohlen hatte, geschrieben ... " (...-IttfK m i r a 31ΓΟ ΙΧ^Ο-η). Der Bezug gilt einem Text des Pentateuch86, also nicht dem ganzen Textkorpus87, und dementsprechend findet sich auch mit (hi.) ein Verbum, das eine vorausgehende Untersuchung anzeigt. Vom bloßen Suchen ist wohl auch an dieser Stelle nicht die Rede, da etwas Spezielles von den Führern und Geistlichen gar nicht vermißt

80

Zum Text vgl. den Apparat der BHS.

81

Vgl. auch Esr 10,16-18; es fehlt das Verbum 3 Γ Ο , es folgt aber eine (geschriebene) Liste. - Zum Thema „Finden als Ergebnis des Suchens" vgl. Wagner, N 2 D (1045-1048).

82

Vgl. zu diesem Verständnis 5.2.1. Vgl. so auch Π Chr 34,3; Neh 7,5. Direkte Zitateinleitung mit dem Pt. passiv, q. 3 1 Γ Ο noch in Neh 6,6; 13,1; vgl. auch I Reg 21,11 mit dem ab V.12 folgenden Zitat-ähnlichen Ausführungsbericht; vgl. aramäisch Esr 5,7; 6,2. Das Ί vor ^ O t o r Ò dürfte aufgrund einer Verwechslung mit dem voraufgehenden 1 und Dittographie in den Text geraten sein. Vgl. dazu Donner, Wie geschrieben steht (151). V.13 dokumentiert schon Γ Η Ί Γ Π " ' I S T ein Bewußtsein für die Zusammengesetztheit der Thora aus verschiedenen Einzelstücken, zwischen denen der Leser sich zurechtfinden muß.

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wird. Nach der Einweisung des Volkes Neh 8,1-12 in die rechte Lektüre der Thora und unter Berücksichtigung der Zeitangabe in Neh 8,1 kann der mit boto (hi.) bezeichnete Vorgang aber vielleicht so verstanden werden, daß die Thora daraufhin studiert werden soll, welches Fest in die gegenwärtige Zeit des Kirchenjahres fällt. Die verstehende Suche hätte dann immerhin gewisse Konturen ihres Zieles vor Augen. Bei einer Verlesung des „Buches Mose" vor den Ohren des Volkes wird in ihm geschrieben gefunden ([+Zitat] "IttfX 13 31ΓΟ K2SD31), daß Ammoniter und Moabiter nicht in die Gemeinde eintreten dürfen (Neh 13,1)". Wiederum wird nur gefunden, nicht aber gesucht. Die Lektüre ist aber, wie das weitere Kap. zeigt, durchaus nicht allgemeiner Natur, sondern sehr zielgerichtet. Ab V.4 werden verschiedene Mißstände in der Gemeinde mit ΠΤΟ also als der Lektüre des Gesetzes vorausgehend eingeleitet, unter denen ab V.23 (Ü2 ΟΠΠ • " ' Ο Ό ) auch das Mischehenproblem genannt wird. V.l-3 berichtet deshalb nicht von einem Zufallsfund frommer Leser, sondern von einer zielgerichteten Unterrichtung des Volkes über die Stellung der Thora zu Ehen mit Ausländerinnen". Ein weiterer Beleg liegt in Est 6,2 vor: der von Schlaflosigkeit geplagte persische König läßt sich aus einem Annalenwerk vorlesen und erfährt dabei ( [+Zitat' 0 ] ... "ItÖX 31ΓΟ XÜD"1"!) von der Aufdeckung des Mordkomplotts gegen seine Person durch den Juden Mordechai. Hier nun muß das Suchen fehlen, da es sich um einen Zufallsfund handelt, die Entdeckung einer interessanten Textstelle durch offenbar planlose Lektüre' 1 . Zum Schluß ist auf zwei Belege im Buch Esr selbst einzugehen, die zum Bereich des Verwaltungswesens gerechnet werden müssen. Esr 4,15 fordern Rechum und die anderen Autoren einer Eingabe an Artaxerxes den König auf, „nachzuforschen (~lp3, pa.) im Buch der Denkwürdigkeiten deines Vaters; dann wirst du finden (TOttf, ha.) im Buch der Denkwürdigkeiten und erfahren (S7~P, pe.), daß ..."' 2 . Und tatsächlich kann der Großkönig antworten (V.19): „Von mir ist Befehl gegeben worden nachzuforschen (~lp3, pa.), und man

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Der Bezug gilt Dtn 23,4-6. Vgl. auch einen verwandten Beleg zum Fund in der Thora in C D 15,8-10: es geht um eine berit, b D 3 HtÖD m i n Γ Ρ ~ α π ΓΊΚ ^ Κ Ί Ε Ρ DU HÜD ΓΠΟ ΊΕ7Κ [ y t f - n ] i»[p m t o y b « S D J n r>H tósi [ " » S I ] n b . Parallel steht offenbar die Thora des Mose mit dem, „was gefunden worden ist zu tun in der ganzen Zeit des Frevels". Das zweite Glied scheint dabei das erste in sich aufzunehmen und zu spezifizieren. Die Entwicklung von K 2 D zu einem hermeneutischen Fachterminus ist hier vielleicht noch deutlicher als bei den oben im Text beschriebenen Belegen. Zu weiteren Belegen in Q u m r a n vgl. Betz, Offenbarung (36f.). Zur Entwicklung der Fachterminologie in der rabbinischen Literatur vgl. Bacher, Terminologie I, unter den Stichworten ttf~l~! (25-27), « a n (113-115); ders., Terminologie II, unter den Stichworten Ε?~Π (41-43), N a n (117f.). Der Bezug gilt Est 2,21.22. Weiteres zu Est 6,1-3 in 7.2.1.; zu 4 Q 5 5 0 vgl. Anm. 95. Mit der Wurzel U T 1 ist hier sogar der sich aus der Lektüre des Dokuments entwickelnde Erkenntnisvorgang thematisiert.

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fand (in der Tat), daß ...". Die Anschuldigungen, die die Ankläger in dem Brief vorbrachten, ließen sich in der angekündigten Weise aufgrund der Annalen bestätigen. Ein ganz ähnlicher Vorgang wiederholt sich dann in Esr 5,17, indem die Juden den König auffordern, eine von ihnen behauptete Bauerlaubnis für den Tempel aus den offiziellen Akten zu bestätigen: „Wenn es dem König recht ist, möge im königlichen Schatzhaus zu Babel gesucht werden (~lp3, hitpa.), ob es sich so verhalte, daß ...". Und erneut haben die Antragsteller Glück, denn ihre Aufstellungen lassen sich belegen: „Da gab König Darius Befehl, daß man eine Suche durchführe (~)p3, pa.) im Bücherhaus ...und es wurde eine Buchrolle' 3 ... gefunden (ΓΌΕ7, hitpe.), und so stand in ihr geschrieben: ..." (Esr 6,lf.). In diesem letzten Fall bezieht sich die Suche allerdings nicht auf einen Text innerhalb eines Dokuments, sondern auf das gesamte Dokument, das aus dem Archiv zutage gefördert werden muß. Das sonst mit 3 ( 1 / ) η Π 3 ' 4 bezeichnete Dokument wird an diesen Stellen näher spezifiziert durch die Ausdrücke "ISO und ¡"Ò3D95.

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Über den Schriftträger, der sich hinter dem Terminus ¡"ÒaD verbirgt, ist manche Mutmaßung angestellt worden: besonders die älteren Ausleger rechneten damit, daß es sich bei dem Gegenstand nicht um eine (Papyrus-)rolle handle, sondern um eine (keilschriftliche) Tafel, das Dokument also auf persisch verfaßt gewesen sei; vgl. so Siegfried, Esr (43); Bertholet, Esr (23); Batten, Esr (141). Bedenken auch bei Gunneweg, Esr (107). Da das Reichsaramäische aber allgemeine Verwaltungssprache war, ist eine solche Annahme nicht nötig; vgl. Rudolph, Esr (53). Zu dem mit Γ Ρ 3 0 bezeichneten Schriftträger allgemein vgl. Lemaire, Ostrakon (119-122). Das Partizip kommt aber auch im Zusammenhang vor (Esr 6,2): ΓΠ33 3 T D ^Dl. Das folgende Wort („Denkwürdigkeit" oder „Memorandum") ist wahrscheinlich das erste Wort und Uberschrift des Dokuments; vgl. ausführlich Meyer, Entstehung (46.48); Bertheau, Esr (74); Siegfried, Esr (43); Bertholet, Esr (23f.). Für verweist Rudolph, Esr (54), auf Cowley, AP 32.61.62.63.68; bes. AP 32,1.2; 61,1.10; 63,8 sind vergleichbar, da dort der Terminus Uberschrift über den folgenden Bericht oder eine Liste ist. Zu Est 6,lf. und Esr 6,lf. ist die von Beyer sogenannte „Urkunde des Dareios", eine in Qumran gefundene, leider nur sehr fragmentarisch erhaltene Erzählung, zu vergleichen, die allerlei Bezüge zu Est, Esr, Dan, Achiqar und ähnlich späten und im Beamtenmilieu spielenden Schriften aufweist (4Q550; Text bei: Beyer, A T T M II [113-117]). Bes. 1,4-6 nimmt sich wie eine Mischung aus Dan 6,lf. und Est 6,1 aus: da dem persischen König langweilig ist (KD^D Ή ΠΠΊ~Ι ΓΟ~ΙΝ), läßt er sich aus den väterlichen Akten vorlesen p m m p τ η ρ η [ χ ] π ρ ρ κ - n [ D o i v r r t a y S k d S d πηκ...] ; vgl. Est 6,1). Unter den Urkunden findet sich eine Rolle mit der siebenfachen Siegelung des Darius (i"ÒaD Í F T I Ή η η ρ τ υ π n u n c ρ η η π π η ρ η π m ] n ; vergleichbar Dan 6,18). Nach der Zitation der Aufschrift (Z.6) wird berichtet, die Rolle sei geöffnet (und) verlesen worden ( m p ΠΓΡΓΒ), sodann wird das Zitat des Rolleninhalts mit dieser Bemerkung eingeleitet: „... und man fand in ihr geschrieben" (ΓΙ3 3 T D ΓΟΠϋΠ). Die Gegenüberstellung zeigt deutlich die Ähnlichkeit: Esr 6,2: m a a a T O p i ι m n n b a o |... K r m a a κ π ο γ κ ο | n a n t ö m 4Q550 1,4-6:

Π3 3 T D Π3Π0Π ... | ΓΠ]Π rÒaD | (Π)Π3Ζ7Κ | Κ"ΠΒΟ ] - l 31

Da es sich um einen Zufallsfund handelt, tritt in 4Q550 an die Stelle der Suche der Wunsch des Königs, durch Vorlesen unterhalten zu werden. Situationsbedingt wird der

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In diesem Zusammenhang ist auf einen Beleg für einen vergleichbaren, wenn auch nicht identischen Vorgang einzugehen, der im Reisebericht des W n - ' m n " beschrieben wird: in Verhandlungen zwischen Wn-'mn und dem Fürsten von Byblos bringt der Fürst das Gespräch auf den Kaufpreis, den der Ägypter für das vom Fürsten verlangte Holz bezahlen soll. Der Herrscher argumentiert gegenüber Wn-'mn mit den beträchtlichen Summen, die seinen Vorfahren von den Ägyptern für Holzlieferungen erstattet worden seien. Dann heißt es: „Er [der Fürst von Byblos] ließ die Tagebücher seiner Väter holen und ließ sie mir vorlesen. Man fand 1000 dbn an Silber für die verschiedensten Dinge, die in seinem Buche verzeichnet waren" (II, 8). Also auch in diesem Fall werden zuvor aufgestellte Behauptungen aus den Akten zu belegen versucht, es gibt eine spezielle Leseerwartung, die sich - wie in allen Fällen des A T außer Esr 2,62 - auch tatsächlich in der behaupteten Weise erfüllt 97 .

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Fund nicht im Archiv der Residenz, sondern zwischen den Akten gemacht. - 4Q550 zeigt die Beliebtheit der Hofthematik und ihre Durchführung mit einem doch eng begrenzten sprachlichen und motivischen Repertoire, das sich mit Variationen und Akzentsetzungen in einer Reihe von Texten niederschlägt. Bezüglich des Qumran-Textes ist wegen der vielen und auch wörtlichen Bezüge zu kanonischer Literatur auch literarische Abhängigkeit nicht auszuschließen. Zitation des Textes nach der Übersetzung in Galling, Textbuch (41-48). - Bertholet (Esr [18]) weist für Esr 4,15 auch noch auf Diodor, Π.32 hin. Der Text redet allerdings nur davon, daß Ktesias von Knidos für seine Darstellung der medischen Geschichte Aufzeichnungen der Perser aus den königlichen Archiven „über frühere Ereignisse" habe benutzen können. Damit ist aber nichts über den hier zur Rede stehenden spezifischen Umgang mit diesen Texten gesagt. Zu einem Vorgang des „Suchens" und „Findens" im administrativen Zusammenhang, der eine besondere Nähe zu den in Esr 4-6 berichteten Vorgängen aufweist, vgl. Porten/Yardeni A4.5 (-Cowley, AP 27) Z.8-10: nach einem längeren Bericht über Auseinandersetzungen auf Elephantine und das gewalttätige Vorgehen der Priester von Khnub wird der folgende Satz angeschlossen: Χ Ί 3ΕΠ3 Κ Τ Β Ύ Ι |D - Π ϋ Γ Ρ I T « ]Π ρ η χ Π3Π3Κ it γπτ b i p b [ m p r p c n u t ö n n r i n n · ρ η η ·η („Wenn es feststehend gemacht werden würde durch die Richter, Polizeikommandanten (und) Zuträger [zum persischen Titel "^(tfli vgl. Cowley, AP [102]; Grelot, Documents [403]; Porten, Archives [50f.]], die eingesetzt sind in der Provinz Tshetres, so würde es unserem Herrn bekannt werden, daß dies sich so verhält, wie wir es sagen"). Ausgangspunkt sind die Auseinandersetzungen zwischen Untergebenen des persischen Königs, von denen sich die eine Partei nun „à un haut fonctionnaire" wendet (Grelot, Documents [403]; der Name des Adressaten ist unbekannt), um sich ihr Recht zusprechen zu lassen. Im Unterschied zu Esr 4-6 soll aber die Überprüfung der Aufstellungen der einen Partei nicht anhand von Akten geschehen, sondern durch eine wie auch immer geartete Untersuchung verschiedener Beamter. Das Prinzip der Wahrheitsfindung ist hier eher personal zu nennen: offizielle und neutrale Personen sollen gewissermaßen als Zeugen die Sache in Augenschein nehmen und ihr Urteil fällen. Von „Suchen" und „Finden" ist jetzt nicht mehr die Rede, an diese Stellen tritt „als feststehend erweisen" (... ]D (itp.) "1317 "1TX) und „bekannt werden" (... ,L> (itp.) S7T1; vgl. ähnlich Esr 4,15!). Der Eindruck, die Terminologie des „Suchens" und „Findens" wäre besonders gern für Untersuchungen an schriftlichen Texten benutzt, verstärkt sich.

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Überblicken wir die Belege, ergibt sich das folgende Bild: Die überwiegende Zahl der Texte zeigt die als formelhaft zu bezeichnende Wendung „KSD/rOltf + 3 ( V ) " i r O + Form von/mit 3 + pttfK) + Zitat" 98 ; dem „Finden" korrespondiert gelegentlich ein „Suchen"", für dessen Fehlen in den meisten Fällen aber Gründe benannt werden können, wie die Vorgabe eines Zieles durch die Umstände oder die zur Lektüre Anleitenden oder auch die bewußt intendierte Planlosigkeit des Lesens. Gegenstand des Findens ist in allen Fällen sozusagen Literatur „höherer Wertigkeit" - Annalenwerke, die mosaische Thora, das „himmlische Buch" oder dessen - wie es uns schien - irdische Ausgabe, die Liste der ersten Golah. Die sprachliche Gestalt, die der Autor an dieser Stelle seiner Darstellung des gescheiterten Legitimationsversuchs der Priester verleiht, wirft noch einmal ein starkes Licht auf die hohe Wertschätzung des Geschlechterregisters, das so in die Nähe höchster staatlicher und religiöser, ja sogar göttlicher Aufzeichnungen gestellt wird. Die Formelhaftigkeit der Wendung führt aber nicht zum Verblasssen der Bedeutung, so daß man etwa ' 3 3H"Q K 2 D mit einfachem ' 3 3 Ί Γ Ι 0 gleichsetzen könnte 100 . Selbst in den Fällen, in denen das Suchen (aus erklärbaren Gründen) fehlt und das Finden gewissermaßen in der Luft zu hängen scheint, hat die Wendung doch auch ihre Funktion: immer geht es um etwas Neues, Vergessenes, nicht Beachtetes, das entdeckt wird oder sich offenbart. Diejenigen Belege, die von einer Suche in einem Verwaltungsdokument handeln (Est 6,2; Esr 2,62; die Nachforschung in persischen Akten Esr 4-6; Reisebericht Wn-'mn's), machen die Vermutung naheliegend, daß die Vorstellung, aus Dokumenten offizieller Natur könne man Wahrheitsansprüche begründen, im Bereich administrativer Vorgänge, die mit ökonomischen und juristischen eng verquickt sind, entstanden ist101. Bezüglich des „himmlischen

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Dan 12,1; Est 6,2; Neh 7,5; 8,14; 13,1. Esr 2,62; Neh 7,64; 8,13f. Als Gegenprobe könnte man diejenigen Textstellen heranziehen, die ein Zitat mit einfachem ' 3 31ΓΟ einleiten: Neh 6,5 wird ein Brief Sanballats eingeleitet mit Π3 31ΓΟ; im Zusammenhang geht es um diplomatischen Briefverkehr, von überraschenden oder offenbarenden Momenten kann keine Rede sein. Dasselbe gilt für Esr 5,7 ( 3 T D Π3ΠΟΤ ΓΤ03), wo es um die Wiedergabe eines Schreibens Tattnais und seiner Mitarbeiter an den König geht. Auch in den höchst zahlreichen Bezügen weiterer oder engerer Art auf den Pentateuch durch 31ΓΟ bleibt das „Suchen" und „Finden" unerwähnt, da sie lediglich in knapper Form die Schriftkonformität einer sich gerade ereignenden oder einer für die Zukunft geforderten Handlung bezeichnen wollen. Das sich hinter dieser Kürze abzeichnende Verfahren des Schriftstudiums scheint aber gerade in paradigmatisch vorgeführten Situationen wie Neh 8; 13,1 plastischer zu werden: wie die sich re-formierende Gemeinde soll man an die Dinge herangehen, indem man nämlich liest, d.h. sucht, dann geschrieben findet und zuletzt entsprechend handelt. Da alle atl. Belege dem späten Schrifttum zugehören, wäre von daher der Schluß zumindestens nicht sofort abweisbar, das Motiv entstamme griechischem Denken, einer Form frühwissenschaftlicher Geistigkeit, die die Einlösung von Wahrheitsansprüchen objektiver Verifikation unterstellen will. Die beobachtete Nähe zum administrativen Bereich vorderorientalischer Staaten macht diese Erklärung aber eher unwahrscheinlich.

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Buches" ist die Herkunft aus dem Verwaltungswesen auch ohnedies - wie oben erwähnt - recht wahrscheinlich. Beziehen wir dieses Verständnis nun auch auf jene Texte, die es mit „heiliger Schrift", der Thora, zu tun haben, ergibt sich die Einsicht, daß die im Verwaltungswesen entwickelte Handhabung schriftlicher Texte auch auf die Umgangsformen mit den gründenden Texten des Volkes Israel eingewirkt hat. I m hier vorliegenden Zusammenhang ist allerdings als wesentliche Abweichung v o m rein administrativen Vorgang festzuhalten, daß die Belege für das Suchen und Finden in der T h o r a einen merkwürdigen Begriff von der den Vorgang in die Wege leitenden Suche haben. Das Fragen an die T h o r a wird nicht als rein menschliche Frage dargestellt, auf die der Fromme von ganz allein käme, wie die Untergebenen zur Stützung ihrer Argumentation im Streitfall (Esr 4-6) und der Fürst in der Auseinandersetzung um die Geschäftsbedingungen mit seinem ägyptischen Kaufinteressenten (Wn-'mn), sondern als Frage, die die T h o r a den Leser erst stellen läßt. Die Suche nach einem Fest (Neh 8) oder die kritische Betrachtung der eigenen Gemeinde (Neh 13), die Anlaß zur Lektüre werden, sind ja selbst bereits schriftgeleitete Motive. D e r Fragende, d.h. der Lesende k o m m t also auf seinem Weg zur T h o r a hin immer schon von ihr her. Sie zieht den Leser in einen Zirkel von Suchen und Finden, der einer religiösen Existenz F o r m und Inhalt gibt, aber auch - jedenfalls nach der inneren Logik dieser Auffassung - die Lektüre der Schrift menschlicher Willkür entzieht 1 0 2 . Trotzdem also einerseits der Leser gewisse Konturen seines Fundes vor Augen hat, erfährt er doch andererseits etwas Neues, das das Leben der Gemeinde grundlegend bestimmen soll: Ein Fest wird gefeiert, fremdstämmige Ehepartner werden verstoßen. Dieser Widerspruch kann zum einen durch die Beobachtung erklärt werden, daß das Lesen ein durch Spezialisten angeleitetes Lesen ist; dies ist besonders deutlich in Neh 8 ausgemalt. Sicher ist aber auch die Möglichkeit einer Lektüre impliziert, die trotz gewisser Vorahnungen oder gar eines ausgeprägten Vorverständnisses zu neuen Perspektiven auf das Gelesene und damit auf den Leser gelangen kann' 0 3 . Die Möglichkeit vollkommen ahnungslosen Lesens ist mit Est 6 , l f . und der „Urkunde des Dareios" (4Q550) als Möglichkeit erwogen, doch bezeichnenderweise allein für Heiden, die ja außerhalb des religionspädagogischen Systems der jüdischen Gemeinde stehen. Auch sie können also durch das „Alte" überrascht werden (vgl. 5.2.1.). Unter obskuren Umständen können Heiden Entscheidendes dazulernen. Dabei scheint unter dem Deckmantel realistischer Umstände wie Schlaflosigkeit (Est 6,1) und Langeweile (4Q550 I,3f.) Gott selbst sich seine Leser zuzuführen 104 .

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Auch für Qumran hat Betz, Offenbarung (36), festgestellt, daß das Finden die „Frucht des forschenden Bemühens" sei, das Gelingen aber „nicht allein vom Können und Eifer des Menschen" abhänge. Zu solchen neuen Perspektiven auf das Gelesene will auch Jes 34,16 anleiten ("Ι!0~Π i t n p i m m i s o - b y n ) , indem es auf den Zusammenhang von V.11-15 mit der Thora hinweisen will; vgl. dazu ausführlich Donner, Schrift Jahwes. Zur Veranlassung der Schlaflosigkeit des Xerxes durch Gott vgl. Est 6,1 (LXX).

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Der in 2,62 beschriebene Vorgang deutet auf die schlechthinnige Aussagekraft der Liste und eine dieser entsprechenden Verbindlichkeit dessen, was in ihr zu finden ist105. Ein Fehler in den Registern wird nicht erwogen, und auch die im A O eigentlich besonders in Rechtsfragen wesentlichen Zeugen 106 werden nicht herangezogen oder auch nur ihr Nicht-Vorhandensein für diese Geschlechter konstatiert 107 . Dem Verzeichnis der Golah wird offenkundig höchste Zuverlässigkeit zugesprochen, aufgrund derer auch die Grenzen der Gemeinde und ihre innere Struktur sicher und hinreichend bestimmt werden können. Diese Idee, daß Ansprüche bestimmter Kreise aus gründenden und entsprechend zuverlässigen Dokumenten abgewiesen werden können, begegnet innerhalb Esr 1-6 nicht allein in Bezug auf die Heimkehrerliste, das eine wichtige Dokument innerhalb dieser Darstellung, sondern auch in Bezug auf das andere entscheidende Dokument, das Edikt des Kyros: Das Ansinnen der „Feinde Judas und Benjamins", am Tempelbau mitzuwirken (Esr 4,2), begründen diese mit ihrer Verehrung Gottes und ihrem 108 Opferdienst seit Asar-Haddon (4,3) 109 . Diesem Wunsch stellen die Jerusalemer Gründe aus der Schrift, dem Edikt des Kyros 110 , entgegen, das von den „Feinden" schweigt und damit - so die Auslegung der Jerusalemer

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Sicher nicht zu Unrecht vermutet Oeming (Israel [48]), es hätte eine „offizielle (jüdische?) Registrierstelle" existiert, „in welcher „genealogisches Material aufbewahrt wurde. Ein Personenstandsregister wird man mit hoher Wahrscheinlichkeit für das persische Jerusalem annehmen dürfen". Vgl. dazu den Exkurs I zu „Siegel und Schriftkultur". Dies ist umso erstaunlicher, als Josephus (Ap. 1,7) ausdrücklich den Aufweis priesterlicher Herkunft durch Zeugen erwähnt! Lies in Esr 4,2bcx mit den Masoreten und den Versionen ibi. Die religiöse Biographie, die die „Feinde" in 4,2 bieten, ist vielleicht bereits vom Autor des Textes als höchst zweifelhaft gemeint gewesen: sie wollen schon lange und bis in die Gegenwart geopfert haben, doch wohl im permanenten Verstoß gegen das dtr. Zentralisationsgesetz (vgl. auch Π Reg 17,34.41)! Ferner ist der König, auf den sich das „Volk des Landes" (V.4) zurückführt, nur ""IltÖX "[bo, die Geschichte dieser Leute ist also noch ganz in der Unheilsgeschichte des Volkes Israel verwurzelt, und sie gehören daher noch nicht zu denen, die in der neuen Epoche, die seit dem ersten Jahr des Kyros währt, stehen; vgl. dazu Gunneweg, Esr (79f.): „So steht nicht nur assyrisch-königliche Macht gegen persisch-königliche Macht, sondern Macht zum Unheil und zum Gericht gegen Macht zum Heil und zur Begnadigung". Für "1312S "IIÖKD (4,3bß) könnte man auch (ΕΠΏ "[bon 3 Γ 0 0 3 ) 3 T D ItÖKI) o.ä. erwarten. Der „Befehl des Königs Kyros" kann nur das Edikt aus Esr 1 meinen. Vielleicht haben Gründe der Pietät den Autor davon angehalten, eine Formulierung mit 31ΓΟ ntÖiO/airDD/DirDrrbsO zu wählen, da diese im AT allein für Bezüge auf die Thora benutzt werden (vgl. die Ubersicht bei Donner, Wie geschrieben steht [148155]; vgl. bereits oben S.117f.).

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- i h r e Beteiligung a m B a u schlicht verbietet. W i e i m ersten, so t h e m a t i s i e r t a u c h dieser z w e i t e Fall die A u s g r e n z u n g v o n G r u p p e n aus der G e m e i n d e o d e r b e s t i m m t e n P o s i t i o n e n innerhalb derselben m i t G r ü n d e n , die aus f ü r das G e m e i n d e l e b e n zentralen Schriftstücken offiziellen C h a r a k t e r s e r h o b e n werden111. V . 6 3 allerdings scheint die B e s t i m m t h e i t dieses Entschlusses aus der Schrift a b z u s c h w ä c h e n , da die endgültige E n t s c h e i d u n g in dieser Sache der L o s e n t s c h e i d u n g eines zukünftigen Priesters überlassen w e r d e n soll. Dieses E n t s c h e i d u n g s m o d e l l für gemeindliche K r i s e n s i t u a t i o n e n ist uns m i t seiner A b f o l g e v o n „ L ö s u n g m i t Hilfe v o n S c h r i f t s t u d i u m " - „ L ö s u n g m i t Hilfe c h a r i s m a t i s c h e r M e t h o d i k " aus II C h r 3 0 geläufig. D o c h die F a r b l o s i g k e i t der Interzession Hiskias w i r d hier n o c h d u r c h den n a h e z u inhaltslosen V e r weis auf die L o s e des Priesters übertroffen. D i e „ U r i m " u n d

„Tummim"

sind m i t h o h e r W a h r s c h e i n l i c h k e i t nachexilisch n i c h t m e h r g e w o r f e n w o r den, u n d die L X X k o n n t e die Begriffe nicht m e h r angemessen ü b e r s e t z e n 1 1 2 . D a s spätere J u d e n t u m m e i n t e gar, diese L o s e seien bereits u n t e r S a l o m o das letzte M a l gefallen 1 1 3 . Infolgedessen hat das rabbinische J u d e n t u m der Stelle

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Blenkinsopp, Esr (107), meint, die Ablehnung der Mitverehrer JHWHs werden in V.3 auf einen „technical point" zurückgeführt. Dieser Eindruck entsteht eben dadurch, daß die Jerusalemer eine Antwort geben, die allein in ihrer Auslegung des Ediktes besteht (Fensham, Esr [67]: „built on legal grounds"), also (nach heutigem Verständnis!) rein formaler Natur ist. Anders bricht Rudolph (Esr [33f.]) der Sache die Spitze ab, wenn er historisierend hinter die Begründung 4,3 zurückfragt und meint, die Ablehnung sei erfolgt, da die Samarier die Judäer wohl auf die Dauer an die Wand gedrückt hätten. Das Selbstverständnis des Autors ist jedenfalls dies, daß diese Separation von den anderen JHWH-Verehrern zwingende Konsequenz aus dem Schriftstück des von J H W H erweckten Großkönigs ist. Vgl. Robertson, Urim (69). Vgl. z.B. Rudolph, Esr (24f.); Gunneweg, Esr (64); Dommershausen, b l O (997). Für die Selbsteinschätzung des Frühjudentums, man entbehre charismatischer Mittlergestalten vgl. auch Ps 74,9 (davon beeinflußt I Makk 4,46); auch I Makk 9,27 und bes. 14,41: die Herrschaft des Simon soll wären, „bis ein wahrer Prophet" käme. Die Formulierung soll offenbar die allein durch menschliche Tat legitimierte Herrschaft des Simon als auch durch Gott akzeptiert erscheinen lassen (so Dancy, I Makk [186]; Goldstein, I Makk [508]; Wirgin, Simon [37], will auch wissen, die Erwartung gelte dem Kommen des „Königmachers" Samuel). Nicht ausgeschlossen ist freilich, daß I Makk 14,41 eine ganz konkrete Anspielung herstellen will, denn Simons Sohn Johannes Hyrkanos I. galt nach Josephus als prophetisch begabter Mensch (vgl. Ant XIII,3.7; Bell 1,8). Sonst gibt es in der rabbinischen Literatur allerlei Belege dafür, daß diffizile Fragen bezüglich der Einheit und Reinheit der Lehre oder auch zivilrechtlicher Art unentschieden bleiben müssen, „bis daß Elia wiederkommt" ("ΙΓΡ^Χ HI^W so BM 1,8; weitere Beispiele Strack/Billerbeck, Kommentar IV.2 [794-796]).

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eine eschatologische Bedeutung beigemessen und sie auf die Totenauferstehung gedeutet, was dann die „black sheeps"114, wie Rudolph trocken bemerkt, auf den „Nimmerleinstag" vertrösten würde115. Das zweite in Esr 1-6 eingeführte Dokument, das „Verzeichnis der wahren Gemeinde der neuen Heilszeit"116, wird also nach seiner positiven Seite hin zur Bestimmung der Mitglieder der Gemeinde, und nach seiner negativen zur Abwehr nicht gerechtfertigter Ansprüche instrumentalisiert. Nach diesem besonders krassen Fall sind Rechtfertigungen und Argumentationen innerhalb der Gemeinde allein schriftgestützt möglich, alle anderen Ansprüche, Ansprüche die sich etwa auf mündliche Tradition und persönliche Zeugenschaft berufen, sind - wenn man das diesbezügliche silentium so deuten darf - nicht durchsetzbar und schon aufgrund ihres Mediums von geringerer Verbindlichkeit. Die schriftgestützte Erinnerung ist daher nicht allein geschriebene Geschichte, sondern sie schreibt auch selbst Geschichte, indem sie die Verhältnisse unter den Lesern regelt und die Leserschaft schriftförmig macht. Weil das Dokument mit der Golah alle oder doch mindestens einen Teil der Exulanten enthält, verbürgt es auch den Zusammenhang mit der Zeit vor dem Exil und definiert den Neuanfang als eine Erscheinungsform des Alten. Die nachexilische Gemeinde kann sich also aufgrund dieses Verzeichnisses sowohl in synchroner als auch diachroner Hinsicht ihrer selbst sicher sein.

6.4. Esr 4,6-8 - Die Briefe der

Kontrahenten

Die Sicherheit, mit der die Gemeinde sich selbst in ihrem Sein und Tun betrachtet, verbürgt nach der Schilderung in Esr/Neh durchaus noch nicht eine entsprechende Stabilität der Außenbeziehungen. Diese Problematik wird zum ersten Mal im Zusammenhang von Esr/Neh in Esr 4-6 bezüglich des Tempelbaus entwickelt. Nachdem der die folgenden Ereignisse auslösende Streit um die Beteiligung am Tempelbau kurz skizziert ist (siehe dazu oben S.142f.), entwickelt sich die Auseinandersetzung in der ausführlichen

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Galling, Gola-List (152). Rudolph, Esr (25). Gunneweg, Esr (65).

Esr 4,6-8 - Die Briefe der Kontrahenten

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Dokumentation von Schreiben, die zwischen verschiedenen Instanzen der Provinzverwaltung und dem persischen König ausgetauscht werden. Zunächst folgen zwei kurze Bemerkungen zu Eingaben (an den Großkönig), auf die aber weiter nicht eingegangen wird: So hätten „sie" - gemeint sind offenbar die „Feinde" - zu Beginn der Regierungszeit des Xerxes „eine Anklage (¡T3t3Ê£7117) gegen die Bewohner Judas und Jerusalems geschrieben". Zur Zeit des Artaxerxes geschah nach dem Zusammenhang zu urteilen etwas Ahnliches118, als „Bischlam11', Mitredat, Thabel und der Rest ihrer120 Mitbürger" ein Schreiben an Artaxerxes abfaßten121, über das V.7b noch einige zusätzliche, aber schwer verständliche Angaben macht. Die meist bevorzugte Ubersetzung lautet: „und die Schrift des Briefes war in Aramäisch geschrieben und übersetzt. Aramäisch:...". Mit relativ großer Sicherheit wird das letzte Wort ΓΡΟ~ΙΚ vom Vorhergehenden abzutrennen sein; weshalb sollte ein Schriftstück in aramäischer Schrift (?) und dann wohl auch Sprache ins Aramäische übersetzt werden?122 Das Wort will dann also wahrscheinlich nur den Sprachwechsel ab V.8 anzeigen (vgl. ähnlich Dan 2,4)123. Die Deutung des verbleibenden Restes von V.7b ist nicht leichter. Insbesondere die Ubersetzung des Nomens 3ΓΟ, bzw. der Konstruktusverbindung pntEOn 3ΓΟ ist kaum eindeutig zu machen. Das Substantiv könnte

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Der Begriff ist hapax legomenon. Von „Anklage" oder einer Formulierung mit b v liest man jetzt allerdings nichts mehr. Oder handelt es sich gar nicht um einen Namen, der ohnehin im AT einmalig wäre? Galling, Esr (194), schlägt eine Konjektur zu Dbltf I T • Ö D („in der Angelegenheit von Jerusalem") vor; anders plädiert Rudolph, Esr (34), für die Abänderung zu D b t í T T S , um eine Bemerkung über den Inhalt und Charakter des Briefes herzustellen (so auch Myers, Esr [32]). Noch anders beläßt z.B. Blenkinsopp, Esr (110) den Konsonantenbestand, vokalisiert aber mit LXX (έν ειρήνη) und Peschitta (bas'lam) um zu „in Übereinstimmung mit". Gunneweg, Esr (88), meint, der Name entspräche vielleicht dem babylonischen „Bel-Sallim". Die Sache bleibt letztlich mit Unsicherheiten behaftet. Lies mit dem masoretischen Qere. Meyer, Entstehung (17f.), glaubt in V.7a nicht an ein eigenes Schreiben und zieht die dort genannten Namen als Subjekte für den Brief in V.6 heran. Oettli, Esr (159), glaubt in dieser Weise an eine Doppelaussage, die erstens die aramäische Schrift und zweitens die aramäische Sprache festhält. Meyer, Entstehung (18), kann ungezwungener mit der „Übersetzung ins Aramäische" rechnen, da er vorher die Abfassung der Eingabe in persischer Sprache in den Text hineinkonjiziert hatte (vgl. aber seine treffende Erläuterung der Probleme des vorliegenden Textes a.a.O. [18, Anm. 3]). Noch anders liest Klostermann, Esra (514), wohl für das erste ΓΡΟΠΧ ein graphisch ähnliches ΓΡΊΕ7Χ („in Keilschrift"). So z.B. Bertholet, Esr (14); Myers, Esr (33); Gunneweg, Esr (84); Williamson, Esr (54.61); Blenkinsopp, Esr (110).

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Esr 1-6 - Theologie unter den Bedingungen der Provinz

an dieser Stelle wie in Est 1,22; 3,12; 8,9 die verwendete Schrift im Unterschied zur Sprache ( p t f b ) meinen 124 . Dann wäre gemeint, daß die Eingabe an Artaxerxes in aramäischer Schrift abgefaßt gewesen sei 125 . ΠΙΠΠΟ wäre dann wohl als Hinweis auf eine Ubersetzung des ursprünglich aramäisch geschriebenen Dokumentes ins Persische 126 aufzufassen. Bertholet hat dagegen •pnttfan 3 Γ Ο als Parallele zu Κ Γ Π 3 Κ p t C n D („Abschrift des Briefes", V . l l ) verstanden. Die Bedeutung „Abschrift" freilich ist für 3 Γ Ο sonst nicht belegt 127 . Eine letzte Variante rechnet mit der vollen Gleichsinnigkeit von 3 Γ Ο und |inttf3 im Sinne von „Schriftstück", „Brief" 128 ; 3 Γ Ο könnte so als Glosse 129 oder auch als ursprüngliche Verstehenshilfe 130 verstanden werden, die das persische Lehnwort pnttfD131 für den jüdischen Leser interpretieren

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Vgl. dazu auch die Verwendung von "ISO in Dan 1,4. So Oettli, Esr (159); Siegfried, Esr (35); Rudolph, Esr (42), deutet zumindest „geschrieben in Aramäisch" so; Gunneweg, Esr (83). So Siegfried, Esr (35); Blenkinsopp, Esr (112); anders rechnet Rudolph, Esr (42), unter Verweis auf Schaeder mit einer Ubersetzung ins Aramäische eines ursprünglich hebräisch konzipierten Schreibens. Vgl. für die Bedeutung „Abschrift" außer pttfnS/pttfnB noch H3tÖD Dtn 17,18; Jos 8,32; vgl. auch ΚΤΠ 3Π3Γ1 «3B?D in 3Q15,12.11(-13); zur Interpretation s. Milik, Rouleau (298 mit 252); Mandel, Copy (passim), mit Literatur. Nach In der Smitten, Inschrift (310), ist jTlÖD im Reichsaramäischen offenbar terminus technicus für „briefliches Dokument, Niederschrift, diplomat. Note". So Meyer, Entstehung (18); Rudolph, Esr (34); Blenkinsopp, Esr (110). Williamson, Esr (54), verweist für Esr 4,7b auf Cowley, AP 17,3 (=Porten/Yardeni, Textbook I A6.1): 3 V D Κ31ΠΕ73. Dieser Beleg zeige, daß ]°1ΠΕ73 nicht notwendig ein Schriftstück bezeichnete und aus diesem Grunde das erläuternde D T D hinzugefügt wurde. Von daher müßte 3ΓΟ nicht zwingend als sekundäre Glosse aufgefaßt werden (vgl. auch Haag, 3ΓΟ [396]). - Der Satzzusammenhang in AP 17,3 lautet folgendermaßen: ... Π173 ρ 3 V P 3 T O NDinÖ3 ηΚ. Der Konsonantenbestand läßt mehrere Deutungen zu. So übersetzt Cowley, AP (53): „Also a [sic!] written document was given to us. Now ...". Ahnlich auch Grelot, Documents (60): „En outre, l'instruction nous avait été donée par écrit. Maintenaint ..."; beide deuten offenbar 3"TP als 3. prs. sing. m. des Perfekts im pe'il, 3TID dagegen als Pt. sing. m. desselben Stamms, das dann eine prädikative Funktion in Bezug auf Η31ΓΙΕ?3 hätte. Diese Deutung würde in der Tat Williamsons Ansicht stützen. Aber 3 T D könnte auch eine 3 V P entsprechende PerfektForm sein, wie es auch Porten/Yardeni, Textbook I (94), aufzufassen scheinen: „Moreover, a [sic!] RESCRIPT was written (and) given to us. Now...". Die Sache ist also mehrdeutig. Hinzu kommt, daß die atl. Belege für |1ΠΕ73 (hebräisch: Esr 4,7; 7,11; aramäisch: Esr 4,18.23; 5,5) im Kontext deutlich immer Schriftstücke meinen, die - außer in 4,7 - auch zitiert werden (so auch AP 17,3), und die man „lesen" kann (4,18.23). Für den Chronisten jedenfalls scheint |1Πϋ3 der treffende verwaltungstechnische Terminus für offizielle, amtliche Schreiben der persischen Administration zu sein. Zur Etymologie des persischen Begriffs vgl. schon Bertheau, Esr (50), der es mit neupersisch „nuwischten" (schreiben) in Verbindung bringt. Andere Ableitungen aus dem Persischen werden erwogen von Ellenbogen, Words (116), und Wagner, Aramaismen (85).

Esr 4,6-8 - Die Briefe der Kontrahenten

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will. Freilich ist auch diese Gleichsetzung der beiden Begriffe nicht sicher. Am Ende muß wohl immer noch Meyers altes Urteil gelten, die Angabe über die Sprache V.7b sei „so wie sie überliefert ist,... völlig sinnlos" - oder mindestens doch reichlich obskur. Ab V.8 liegen die Dinge noch nicht wesentlich besser, vielmehr setzt sich die „abgerissene Ausdrucksweise des ganzen Abschnitts"132 fort. Zunächst wird die Erwartung, der in V.7 eingeführte Brief würde jetzt zitiert, enttäuscht, und stattdessen bringt der Berichterstatter den nunmehr dritten „Brief" (mnX) 133 ins Spiel, den der „Kanzleivorsteher Rechum und der Schreiber Schimschai gegen Jerusalem schrieben" und der wie der zweite an Artaxerxes ging. Mit KQDD eingeleitet bringt der Text zwar nicht den Inhalt, dafür aber einen mit merkwürdigem ]ΉΚ 134 beginnenden Satz ohne Verb, der neben den schon benannten Personen noch weitere Absender des Schreibens festhält, von denen manche freilich - ohne daß dies hier näher zu untersuchen wäre - nur schwer zu identifizieren sind. V.10 erweitert schließlich den Kreis der gegen Jerusalem Schreibenden in bemerkenswerte Dimensionen: „und der Rest der Nationen, die der große und erlauchte Asnappar exiliert und in der Stadt Samaria angesiedelt hat, und der Rest der Provinz Abar Nahara"135. Nach dem das Briefkorpus einleitenden nDS7DY36 liest man sodann: „Dies ist die Abschrift jenes Schreibens137, welches sie an ihn schickten: ,An König Artaxerxes, deine Knechte, die Leute von Abar

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Bertheau, Esr (51). Welche Nuancen mit dem Wechsel von müfc? (V.6) zu |1Π03Π 3 Γ Ο (V.7b) und endlich m i X (V.8) zum Ausdruck gebracht werden sollen, scheint aus dem Zusammenhang nicht erklärbar. Vgl. dazu die Konjektur Rudolphs, Esr (36), und im Apparat der BHS. Nach Meyer, Entstehung (27), ist das Wort „ein weiteres Zeichen der Verwirrung, in der die Uberlieferung sich hier befindet". Meyer, Entstehung (28f.), setzt, um einen sinnvolleren Zusammenhang zu schaffen, V9.10 als Absender in V . l l ein; ähnlich Rudolph, Esr (42). Gunneweg, Esr (89), zählt V.9-lla ehr. Überarbeitung zu. Blenkinsopp, erwägt, ob die Angaben V.9f. nicht u.U als Rollenaufschrift in das Präskript geraten sein könnten. Das fehlstehende Wort wird meist und wohl zu Recht gestrichen; siehe z.B. Rudolph, Esr (37); Williamson, Esr (55); vgl. Gunneweg, Esr (84). ΧΓΤΊ3Κ |DtÖ~ID als Einleitung und Überschrift eines Dokumentes auch Esr 5,6; 7,11 ("pnttfOn ]3tÖ~ID; vgl. weiter auch besonders in 7.2.1. über "pttfllQ und άντίγραφον); vgl. weiter die Überschrift über die „Abschiedsrede Amrams", einer priesterlichen Apokalypse: ... "ÒD 3 Γ Ο p e n s (4Q , Amram ; Beyer, ATTM I [211]). Ebenso der lückenhaft erhaltene Anfang des zweiten Briefes Henochs aus den „Giganten", der auffällig kompliziert formuliert ist: 3 [ Π ρ 3 [... TI]·"« "Η K[:"0]n KITÒ ρ Ε Π Ώ .[...~1]DD ...ISO - [ Ό ! "I"1. (4QEnGiants*8,1-4; a.a.O. [261]).

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Nahara; und jetzt: ...'". Im Anschluß beginnt mit V.12 in der Tat das erwartete Korpus des Schriftstückes. Trotz etlicher sachlicher Probleme in dem Abschnitt 4,6-11 dürften ihm mindestens zwei für die Interpretation von Esr 4-6 wichtige Hinweise zu entnehmen sein. Zum einen wird durch die - wohl sekundär vom Chronisten aufgeblähten - Angaben zu den Absendern der dritten Anklageschrift138 das Problem der Abgrenzung und der Definition des jüdischen Volkes thematisiert. Der Eindruck eines „globalen" Angriffs gegen die Existenz der im Neuanfang begriffenen Gemeinschaft wird geschickt durch den ausufernden Charakter des Briefpräskriptes erzeugt. Gunneweg hat den theologischen Gehalt dieses Präskripts sicher zutreffend durch einen Vergleich mit dem Motiv des Völkersturms gegen Jerusalem beschrieben139, das hier wiederum in einer für den ganzen Zusammenhang typischen ent-eschatologisierten Form verwandt ist. Der Sturm der Völker markiert schon jetzt das auserwählte Volk und bestätigt einmal mehr die Grenzen, die zu überschreiten er eigentlich beabsichtigt. Nach 4,2 wird auch in V.10 die historische Dimension der „Feinde" zur Sprache gebracht („die Nationen, die der große und erlauchte Asnappar exiliert hat"), die aber eines Anknüpfungspunktes an der Heilsgeschichte, die Esr 1-6 entwickeln will, entbehrt140. Zum anderen ist das auffällige Interesse an den schriftlichen Eingaben der Gegner Judas sicher nicht allein ein belangloser Nebenzug der Erzählung, zumal die anderen Aktionen der Feinde doch nur beiläufiger Natur sind: V.4 hatte bereits von „Maßnahmen" der Bittsteller von V.2 berichtet, die aber mit der „Schwächung der Hände" einigermaßen farblos blieben. Nicht wesentlich besser steht es mit V.5, dem Mieten von Ratgebern141, das in der Darstellung des Folgenden überhaupt keine Rolle mehr spielt142. Der

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Die Qualifikation der Schreiben als Anklage wird von V.6 aus auf alle anderen Schreiben bezogen werden dürfen (siehe Anm. 118). Vgl. Gunneweg, Esr (90). Dieses Motiv der Verwerfung der Geschichte der Gegner Israels wirkt wie eine Umkehrung von A m 9,7. Das Motiv ist wohl unter dem Einfluß von Dtn 23,4-6 an dieser Stelle eingetragen. Dtn 23 wird in Neh 13,If. in geraffter Form zitiert und mit der Bestechungsmotivik auch in Neh 6,12.13 (?) aufgenommen. In Esr 4 steht es wie an den anderen Stellen im Zusammenhang mit der Abwehr von Fremden. Manche freilich trauen dieser Bemerkung mehr zu: Bertholet, Esr (18), glaubt den Umstand, daß sich am Hofe tatsächlich die Vorwürfe der Gegner belegen lassen, auf Bestechung von Hofbeamten zurückführen zu sollen; ebenso Rudolph, Esr (45).

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kurze Überblick über die zwei Schreiben, dem dann die ausführliche Dokumentation eines dritten folgt, bezeichnet das Handeln der Opponenten nach seiner historischen und seiner qualitativen Dimension. So entsteht einerseits durch die knappen Vermerke der Eindruck, solche Angriffe seien permanente Begleiter der nachexilischen Zeit gewesen und nicht etwa allein Episode. Zum anderen werden die Angriffe vorzüglich mit Hilfe schriftlicher Dokumente ausgetragen, und sie entwickeln sich unter den Spielregeln eines administrativen Systems. Der Konfliktbewältigung und Wahrheitsfindung in administrativen Kategorien entspricht zunächst die rein formale Ablehnung in 4,3, die sich ja auf ein amtliches Schreiben bezog. Es intoniert aber auch den charakteristischen Grundzug der Geschichtsdarstellung Esr 4-6, die, abgesehen von den obligatorischen Feierlichkeiten am Ende, von der Wiedergabe eines amtlichen Schriftverkehrs auf höchster Ebene bestimmt ist. Zwar ist nun das Verständnis des Kyros-Ediktes von den Gegnern nicht direkt zum Thema ihres Schreibens an den Großkönig gemacht, aber die Einleitung V. 1-3 hält den Leser an, das Ganze auch unter diesem Gesichtspunkt zu verstehen. Von daher stellt sich der Briefverkehr als Streit um die Auslegung des Ediktes in Kap.l dar. Damit wird der Chronist - oder auch schon die ihm wahrscheinlich vorliegende aramäische Quelle - der ganz allgemeinen Einsicht gerecht, daß „geschichtlich leben" heißt: „in Rivalität leben"143. Aber diese Rivalität ist nach seiner Meinung Ausfluß einer grundlegenden und als Dokument vorliegenden Setzung des Kyros und damit JHWHs. Geschichte wird damit primär zur Auslegung von Texten. Die Darstellung des Schriftverkehrs im Einzelnen bestätigt diesen Eindruck. Es entspricht zunächst der Darstellung der Anfeindung in einer (historisch) globalen Dimension, daß ab V.12 ein Dokument zitiert wird, das weder zum Thema noch in die Zeit paßt. Auf diese Weise aber gelingt es, auch den Mauerbau, das zweite große Thema in Esr/Neh, in die Debatte einzuflechten und darüber hinaus bereits jetzt den Leser darauf hinzuweisen, daß mit dem „happy end" in Kap. 6 die Geschichte noch nicht zu Ende, d.h. das Edikt des Kyros noch nicht in jeder Hinsicht ausgeschöpft

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Hempel, Geschichten (32). Man hat das Problem des deplazierten Briefes in Kap. 4 früher durch Umstellungshypothesen zu beheben versucht. Vgl. schon Meyer, Entstehung (14-16), der die Umstellung durch den Chronisten als „Verwirrung" (15) bezeichnet und das Dokument zwischen

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Die Briefschreiber stellen sich selbst als loyale Menschen dar, die selbstverständlich die „Knechte" (V.ll) des Königs sind und „das Salz das Palastes salzen"145 (V.14). Aus diesem Grunde fühlen sie sich verpflichtet, den König über den Gefahrenfaktor Jerusalem zu informieren (V.14), eine Stadt, in der immer schon Aufruhr und Revolte (vgl. V.12) herrschte, und deshalb auch bereits zerstört worden sei (V.15). Ein erneuter Aufbau der Stadt hätte und darauf nun liegt offenkundig das Gewicht der Argumentation - alsbald entstehende Empörung zur Folge und damit nachteilige Folgen für die Staatsschatulle (V.13.16). Die Argumentation läuft also einmal mehr über die Geschichte einer Gruppe. In diesem Fall wird sie von Außenstehenden und feindlich Gesinnten interpretiert - für den gerade notwendigen Zweck zweifellos passend, wenn auch für den heutigen Leser überzogen: „Fortiter calummniare galt als oberster Grundsatz"146. Im Kontext hat diese Übertreibung sicher auch einen für die Juden in Jerusalem angenehmen Beigeschmack, kokettiert sie doch deutlich mit dem Glanz vergangener Tage. Für die Interpretation der Geschichte Israels durch die Samarier finden sich freilich Belege nach einer von den Anklägern vorgeschlagenen Suche147 in den Akten. Diese Belege bestätigen teilweise wörtlich die Darstellung der Samarier, und fördern überdies zutage, daß die Angeklagten einstmals zur Großreichbildung neigten und den unterworfenen Völkern erhebliche Geldsummen abgenommen haben (V.20). Die Folgen der Suche sind entsprechend der Aktenlage folgerichtig ein Verbot der weiteren Bautätigkeit -

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Esr 10 und Neh 1 ansiedelt; Galling, Esr (197); Rudolph, Esr (40). Noch Williamson, Esr (59), interpretiert 4,6-23 als „a digression from the development of the narrative". Neuere Arbeiten versuchen mit Recht der vorliegenden Anordnung einen Sinn abzugewinnen. Vgl. Fensham, Esr (77), Kap. 4 „supplies us with a logical thought pattern wherein the most important actions of the Samaritans against the Jews are enumerated"; vgl. auch Myers, Esr (36); Blenkinsopp, Esr (106). Gunneweg, Esr (87): der Chronist denkt nicht „lineargeschichtlich-diachron", sondern „thematisch-synchron". - Weitere Belege für diese Denkweise sind der „König von Assur" (6,22; siehe oben S.120 mit Anm. 20), der Hinweis auf eine mögliche Aufhebung des Tempelbauverbots (4,21bß) und der anachronistische Artaxerxes in 6,14. Der Ausdruck spielt wohl auf den „Salzbund" (Lev 2,13; N u m 18,19; Π Chr 13,5) an. Vgl. Bertholet, Esr (17); Gunneweg, Esr (91); Kalimi, Geschichtsschreibung (299+Anm. 12). Oder ist besser mit Rudolph, Esr (40), die Verbalform i O r Ò D zu dem suffigierten Nomen Κ zu ändern? Siegfried, Ésr (38). Über den Charakter der Suche und die Parallelen zu ihr vgl. die Ausführungen des vorigen Abschnitts (oben S.137f.).

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wenn auch vorbehaltlich einer „future abrogation" 1 4 8 - , das von den Behörden in Samaria sofort mit Gewalt vollstreckt wird (V.23) und in der Tat die gewünschte W i r k u n g zeigt (V.24) 149 . Eine entscheidende Wendung in das bislang zum Nachteil der Jerusalem e r verlaufene Verfahren tritt nun durch das Handeln J H W H s selbst ein, dessen Propheten 1 5 0 z u m Tempelbau ermuntern (5,lf.) und dessen Auge auf den Verantwortlichen der Gemeinde ruht (5,5). Es k o m m t zu einer Uberprüfung des wieder aufgenommenen Tempelbaus durch den Statthalter von A b a r Nahara, die zu einer neuen Eingabe an König Darius führt, in welcher den Beschuldigten v o n Kap. 4 breiter R a u m gegeben wird, ihre eigene Deutung und Darstellung der Dinge, d.h. der Geschichte Israels gegenüber dem Souverän zu vertreten. In diesem Zusammenhang wird auch, wie oben aufgezeigt, durch den Statthalter auf die Heimkehrerliste verwiesen (5,4.10), also das eine - wie es uns schien - fundamentale D o k u m e n t der Gemeinde,

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Blenkinsopp, Esr (115). Nur am Rande wollen wir einige Bemerkungen zu 4,18, dem Vers, der die Antwort des Königs einleitet, einschieben: "ΏΠρ "Hp tÖlBn ]HTÒB7 Ή Κ3ΊΠ03; Schaeder, Beiträge (199-212) hat dem Begriff ÖHDD einen tiefsinnigen, wenn auch unhaltbaren Sinn beigelegt. Ausgehend von der These, das Reichsaramäische sei zwar allgemeine Verwaltungssprache des Achämenidenreiches gewesen, doch selbst von den führenden Beamten nicht beherrscht worden, vermutet er, daß diejenigen (niederen) Beamten, denen die Abfassung und das Vorlesen des Schriftverkehrs oblag, im engen Zusammenhang damit auch Ubersetzungsarbeit zu leisten hatten. Auf diesem Hintergrund setzt er für die Wurzel tÖ~lD die Bedeutung „erklären, interpretieren" (a.a.O. [204]) an, so daß es sich in diesem Fall also um ein erklärendes Vorlesen handeln müsse (vgl. ebenso Neh 8,8). Ist diese Deutung von β "IQ auch hinfällig (vgl. insbesondere Altheim/Stiehl, Sprache [5-9]; auch Gunneweg, Esr [92]; Weinberg, Consciousness [189]; Williamson, Esr [60]; Zustimmung jedoch bei Rudolph, Esr [44]; Fensham, Esr [75]; Blenkinsopp, Esr [115]), so ist doch der von Schaeder thematisierte Zusammenhang von Schrift und Ubersetzung in andere Sprachen von einiger Brisanz. Diese Brisanz, die Schaeder übrigens selbst nicht recht bemerkt zu haben scheint, äußert sich z.B. in einem Satz wie dem folgenden: „Die Urkunden selber waren sozusagen sprachlich amorph: sie gewannen Gestalt erst im Munde des Dolmetschers, durch die Ubersetzung in die jeweils erforderliche Sprache" (a.a.O. [211]). Ein solches Denken dürfte typisch sein für mündlich organisierte Kulturen, die zwar bereits Schrift benutzen, ihre Eigentümlichkeiten aber nicht bis ins Letzte ausnutzen. Mit der Sprache kommt auch der Wortlaut ins fließen, der Schreiber hat verdolmetschendes Schreiben, der Vorleser sinnvermittelndes Lesen zur Aufgabe. Schreiber und Leser sind also - vom Standpunkt einer Schriftkultur betrachtet - sehr viel mehr interpretatorisch als bloß reproduzierend tätig. Zur Behandlung dieses Themas in der Antike, speziell im frühen Judentum und Christentum vgl. bes. Leipoldt/Morenz, Schriften (66-78); Stauffer, Methurgeman (bes. 286ff.). Weiter auch mit einigen anschaulichen Fallbeispielen: Ulich/Sanders, Denken (64-82). Zu ihnen vgl. schon oben 6.2. (S.118f.).

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und überdies mit der Entfaltung der Geschichte durch die Jerusalemer auf das andere fundamentale Dokument verwiesen, das Edikt des Kyros. Das Schreiben, das sich wie eine Gegendarstellung zu den Ausführungen der Samarier liest151, führt den Fall Jerusalems auf ein Fehlverhalten nicht etwa gegenüber den Großmächten, sondern gegenüber dem „Gott des Himmels" zurück (5,12), bleibt aber bei diesem Datum nicht stehen, sondern schreitet voran zu der neuen Epoche seit dem ersten Jahr des Kyros, die in Form einer Paraphrase des Kyros-Dokuments beschrieben wird (V.13-15). Eine dem König nahegelegte Untersuchung soll nun nicht mehr die alte Unheilszeit belegen, sondern die neue Phase der Geschichte Israels (V.17), mit der freilich auch eine bestimmte Sicht der vorexilischen Zeit verknüpft wird. Wie die Anschuldigungen der Gegner, so lassen sich auch die Ausführungen der Jerusalemer Gemeinde aus den Akten des königlichen Archivs in der angekündigten Weise belegen. Der Erzähler läßt die Gelegenheit nicht ungenutzt, das Edikt, das im ersten Briefverkehr (Kap. 4) unerwähnt blieb und durch die feindliche Macht quasi aus der Geschichte herausgedrängt, in Kap. 5 immerhin mit einer Paraphrase von den Juden wieder auf die geschichtliche Bühne zurückgeholt wurde, nun noch einmal - nach Kap. 1 - im „Wortlaut"152 vor Augen zu stellen. Der Moment der Zitation fällt so zusammen mit dem Zeitpunkt seiner größten Wirkung. Das richtig verstandene Edikt legt im Sinne des Briefs Kap. 5 die Geschichte Israels aus und offenbart Israel als präzis bestimmbare und seiner selbst bewußte Größe, die aber auch durch ihre Geschichte geläutert ist und sich insofern als gute Untertanin dem Großkönig empfehlen kann. Darius kann sich entsprechend als wahrer Nachfolger des Kyros erweisen und dem Beschluß des Erweckten nach der Zeit seiner Verdunklung zur Umsetzung in die Tat verhelfen. Mit Vehemenz weist er die Gegner in ihre Grenzen153 und kehrt das Oberste zuunterst: ihre vorgebliche Sorge um

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Vgl. Blenkinsopp, Esr (120): »The Tattnai correspondence served to answer the charges in the Rehum letter, especially its interpretation of the history of Israel and the reason for the destruction of Jerusalem". A.a.O. (121): die Antwort der Juden ist „a carefully and subtly phrased piece of religious propaganda". Bekanntlich differiert dieser zwischen Kap. 1 und Kap. 6. Ein Interesse am exakten Wortlaut bestand genausowenig wie bei den mit ausdrücklichem 31ΓΟ eingeleiteten Thorazitaten. Die Schärfe seiner Antwort (6,6) ist im Vergleich mit der Anfrage Tattnais unbegründet (vgl. Blenkinsopp, Esr [127]). Tattnais Anfrage an die Juden (5,4f.9f.) hat keinen feindlichen Unterton, auch in der Briefeinleitung 5,6 fehlt der in Kap. 4 übliche Hinweis, es handle sich um eine „Anklage" oder ein Schreiben „gegen" jemanden (dies ist zu beto-

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die Finanzen des Königs wischt er hinweg mit seiner Sorge um die Finanzen der Juden für Tempelbau und kultischen Betrieb (6,8f.), den „Sturm der Völker" gegen Jerusalem macht er zur schweren Strafandrohung für solche, die weiterhin den Befehl des Königs übertreten (6,llf.). Das Edikt des Kyros wird auf machtvolle Weise in seine ihm zukommende geschichtliche Position wiedereingesetzt. Die Tempelbauerlaubnis, die in Kap. 3 von den Jerusalemern ins Buch der Geschichte hineingeschrieben wurde, indem sie den Bau in die Tat umzusetzen versuchten, wurde durch die Eingabe der Samarier implizit in ihrem Inhalt bestritten und in ihren praktischen Konsequenzen gehemmt. Sowohl dieser Angriff gegen den Heilswillen JHWHs als auch dessen schließliche Abwehr durch das Schreiben Tattnais geschieht im rein administrativen Milieu154. Der Konflikt, den 4,1-3 unter dem Deckmantel eines königlichen Ediktes als rein theologischen einführt, entwickelt der Erzähler in den Kategorien des Verwaltungsapparates seiner Gegenwart und versucht so auch der politischen Dimension seines Themas gerecht zu werden. Das von J H W H in die Restauration geführte Volk versteht sich als politische Größe, die sich selbst präzis hinsichtlich ihrer Geschichte (5,11-16) und ihres Umfanges (2,62f.; 4,l-3) 155 beschreiben kann. Die Gemeinde hat

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nen gegenüber der Behauptung Krügers, Struktur [68], auch nach 5,1 würde es noch Widersprüche und Widerstände gegen den Mauerbau geben). Tattnai - so gewinnt man den Eindruck - ist eine etwas farblose, wenn nicht künstliche Figur, die im Rahmen der Auseinandersetzung auf administrativer Ebene den Juden ein Podium bereitstellt, auf dem sie sich gegen die „Verleumdung" in Kap. 4 zur Wehr setzen können. Diese Einsicht sollte man nicht verwischen. Gunneweg, Erzählung (300), erklärt zu Esr 4-6, „daß die hebräische Erzählung von 4,1-5 über die Widerstände gegen den Tempelbau mit einem Briefwechsel über einen Protest gegen den Wiederaufbau der Jerusalemer Stadtmauer illustriert werden soll" (Hervorhebung vom Vf.). Auf 4,4f. liegt kein Gewicht, die dort genannten Aktionen werden auch nicht weiter verfolgt. Der Briefwechsel illustriert deshalb nicht, sondern er ist der Widerstand gegen den Mauerbau Mit gewissen Einschränkungen kann auch Neh 6 als Beleg für diese Sicht herangezogen werden: die Aktionen des Sanballat bestehen zu einem nicht geringen Teil im diplomatischen Schriftverkehr, in dem eine ΠΓΠΓ© ΓΠ3Κ (6,5) eine hervorragende Rolle spielt. Die Vorwürfe in diesem Brief bestehen ähnlich Kap. 4 aus einer Mischung von Fälschungen, bewußten Irreführungen und der Androhung der Anklage beim König. Von diesen Behauptungen sagt Nehemia dann auch, Sanballat habe sie sich in seinem Herzen selbst ausgedacht (6,8). Darüber hinaus beschreiben 6,17.19 die feindlichen Aktionen als diplomatische Fühlungnahme mit dem Ziel der Verschwörung gegen Nehemia und seiner Einschüchterung. Hierzu gehört natürlich auch das in Esr 1-6 erst mit Kap. 2 ansatzweise angedeutete Thema der Fremden in der Gemeinde (siehe bes. Esr 10; Neh 13).

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keine Expansionsgelüste15', sieht sich aber doch vom Herrscher mit aller Entschiedenheit, die eschatologische Vorstellungen vom Sturm der Völker und dessen Abwehr ahnen läßt (6,llf.), verteidigt. Innerhalb des persischen Weltreiches ist die Gemeinde Steuern zahlender, für das Königshaus betender (6,10) Untertan, der aber auch seine eigene, von den anderen Völkern des Reiches respektierte, sogar unterstützte (1,4) Position innehat. Der neue Weg JHWHs ist nicht mehr das davidische Großreich, wohl aber ein gar nicht so bescheidenes Glück in der Provinz. Die Differenzen zwischen den Untertanen des Königs tragen diese entsprechend den Bedingungen der Provinz aus, d.h. auf dem Verwaltungswege157. Selbst die Verifizierung ihrer Behauptungen gegenüber dem Herrscher erwarten beide von einer verwaltungstechnischen Einrichtung, dem Archiv158, das vertrauenswürdige, weil schriftlich festgehaltene und unter neutraler Kontrolle gelagerte Dokumente bereithält. Bemerkenswerter Weise nun wird diese Erwartungshaltung in keinem Falle enttäuscht, die geraume Zeit zurückliegenden vorexilischen Aufstände der Israeliten lassen sich aus ihnen genauso erheben wie das etwa zwei Jahrzehnte alte Edikt des Kyros. Das beweist ein bemerkenswertes Vertrauen in die persische Administration, die sich durch zuverlässige Lagerung der Dokumente und ihre in der Regel angemessene Beurteilung auszeichnet. Natürlich kommt es zu Fehlentscheidungen, die aber nicht im Wankelmut der Perser oder gar einer feindlichen Gesinnung gegenüber den Juden ihre Ursache haben15'; sie wer-

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Ein undeutliches Anzeichen für die Ausweitung der Gemeinde findet sich in diesem Zusammenhang allein in 6,21. Besonders in Kap. 5 ist der Instanzenzug des administrativen Systems herausgearbeitet: der Provinzstatthalter macht eine Inspektion, bei der er auf der Klärung bedürfende Zustände in seinem Gebiet stößt. Zur deren Erhellung wendet er sich direkt an den Hof, da er offenbar die Sache selbst zu entscheiden nicht in der Lage ist oder dazu die Kompetenz nicht besitzt. Vgl. für einen ähnlich gelagerten Fall Π Makk ll,15ff.: Der Kanzler Lysias leitet Schreiben der Juden zur Bewilligung an den König weiter, kann allerdings einiges auch selbst entscheiden (V.18). Diese Darstellung des Buches Esr ist ernst zu nehmen und nicht durch schwierige Hypothesen aufzulösen. Bezeichnend dafür ist die oben (vgl. Anm. 142) erwähnte Theorie bestochener Berater des Königs, die dem König einen den Samariern genehmen Archivfund präsentiert hätten, aber auch die These Gallings, Kronzeugen (passim), die Esr 4,9 genannten Namen seien ursprünglich als die Vorwürfe der Samarier bezeugende Verwaltungsbeamte zu verstehen gewesen. Zeugen spielen für die Wahrheitsfindung in diesem wie schon im Falle von Esr 2,62 keine Rolle. Dies ist zu betonen gegenüber Versuchen, den Persern an dieser Stelle Unberechenbarkeit unterschieben zu wollen; vgl. etwa McConville, Fulfilment, (208), der bezüglich des Tempelbauverbots durch Artaxerxes glaubt erkennen zu können, „that Persia could

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den - ganz auf der Linie der Interpretation von geschichtlichen Vorgängen als Auslegungsproblem - auf eine durch die „Feinde" der Jerusalemer fehlgeleitete Geschichtsinterpretation (4,12-16) und eine daraus resultierende unsachgemäße Benutzung des Archivs zurückgeführt 160 . Der Wahrheitsgehalt der dort aufgefundenen Belege für das Verhalten Israels in der Vergangenheit wird ja nicht bestritten, wohl aber die von den Samariern mit ihnen verknüpfte Deutung der Geschichte Israels. Der König wird zudem nur auf bestimmte Dokumente hingewiesen und erfährt nichts von dem - nach Meinung des Juden - entscheidenden Entschluß des Kyros. Die Gefährlichkeit der „Feinde" besteht demnach vor allem darin, daß sie zu falscher und unsachgemäßer Lektüre anleiten. Die Möglichkeit falscher Hodegetik (Act 8,31) wird als ernstzunehmende geschichtliche Größe eingeführt. Der Knoten, der in die sich kontinuierlich entwickelnde Geschichte Israels geraten war, wird - nicht durchschlagen, sondern - gelöst durch einen Dokumentenfund. Der Charakter dieses Fundes kann durch einen Vergleich mit dem Fund des Josia, den zu untersuchen im Zusammenhang mit der Reform Hiskias bereits Anlaß bestand161, noch schärfer gefaßt werden. Dort war mit dem Fund und der rechten Lektüre des Buches für die Judäer eine neue Epoche angebrochen, hier wird einer neuen Epoche wieder aufgeholfen, weil sie zwischendurch aufgrund einer Verdunklung des sie in die Wege leitenden Dokumentes abgebrochen zu werden drohte. Dort galt der Fund der Neuregelung der inneren Beziehungen der Gemeinde, hier mit einer apologetischen Tendenz der (Neuregelung der Beziehungen nach außen. Dort galt der Fund im Tempel als Zufallsfund, der die Unverfügbarkeit und die dunkle und deshalb edle Herkunft des Buches beschreiben helfen sollte. Hier sind sich die Juden über die Herkunft des Dokumentes, seine Autorschaft und seinen zwischenzeitlichen Verbleib vollkommen im Klaren und können jederzeit darauf verweisen. Das gründende Dokument, über das man einst gewissermaßen im Vorübergehen strauchelte und das

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take an anti-Judah line if it saw that it own interests were best served by doing so". Zwar spielt in Kap. 4 in historisch gesehen sicher zutreffender Weise das Finanzielle eine Rolle, aber dies wird von den Jerusalemern nicht als illegitim bezeichnet. Der erweckte Kyros und der aus den Archiven richtig unterrichtete Darius gestehen dem Volk J H W H s einen gegenüber dem Üblichen umgekehrten Finanzfluß zu (1,4; 6,8f.) und werden so dem Volk des Exodus gerecht. So auch im allgemeinen Sinne Galling, Kronzeugen (74): Das Mauerbauverbot der Perser kam nur „durch die Einflüsterungen von Samaria zustande". Vgl. 5.2.1.

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Esr 1-6 - Theologie unter den Bedingungen der Provinz

seine Leser zur Buße trieb, ist jetzt auch in Zeiten seiner mangelnden Rezeption noch exakt lokalisierbar. Unter den Bedingungen der Provinz muß aus dem mysteriösen Heiligtum das aufgeräumte Archiv der Großmacht werden, um Wahrheitsansprüche ausweisbar zu machen. Aus dem Archiv heraus geschieht jetzt die Veränderung, die aber den teils schon Veränderten, teils noch zu Verändernden längst bekannt ist. JHWH's Volk ist sich seines zitablen Heils gewiß. Das Archiv als Lagerstätte verfügbarer, trotzdem aber nicht korrumpierbarer Zeugnisse der Geschichte Israels erhält somit eine genuin theologische Funktion. Das Wort Gottes, das unter Einwirkung der Feinde seines auserwählten Volkes in Vergessenheit zu geraten droht, kann immer wieder aus dem Archiv heraus in die Geschichte eingreifen, vor dem Forum der Völker Israel aus den Anfeindungen erretten und seine Wiederherstellung befördern. Diese Konstruktion sichert in sehr effektiver Weise die relative Unverfügbarkeit und Selbigkeit des Heilswillens JHWHs, seine Dauerhaftigkeit und seine Fähigkeit, durch die Geschichte hindurch die Gemeinde zu begleiten. Die Prophetie Dtrjes's, die Kyros als Heilswerkzeug JHWHs verkündete, ist die eine wesentliche Voraussetzung dieses Gedankens. Sie erwartet die Grundlagen für die neue Gemeinde vom persischen Herrscherhaus, und folgerichtig wird die Providentia dei, die Erhaltung und Bewahrung des auserwählten Volkes, zum Verwaltungsakt. In diesem Entwurf nachexilischer Theologie gehen die politischen und administrativen Verhältnisse des persischen Großreichs mit den theologischen Inhalten und der Methodik theologischer Reflexion eine nahezu perfekte Symbiose ein, die freilich dem dieser Einsicht zu widersprechen scheinenden Ziel dienen soll, die eigentümliche, sich ihrer Getrenntheit von allem Fremden bewußte Identität und theokratische Verfaßtheit Israels zu sichern. Im Sinne des Chronisten war es eine unproblematische Vorstellung, daß die Aufdeckung von Wahrheit innerhalb des administrativen Systems der beherrschenden Großmacht, also auf dem Dienstweg zustande kommen konnte. Die andere wesentliche Voraussetzung ist die hohe Wertschätzung von Schrift, die bereits mit dem Verwaltungsapparat einer Großmacht wie Persien einhergehen mußte, die aber in Israel offenkundig aufgenommen und zu einem entscheidenden Faktor für das Selbstverständnis der nachexilischen Gemeinde wird - jedenfalls nach der ehr. Interpretation. Die Geschichte von den Anfängen der Golah bis zur Vollendung des Tempels kann an jedem entscheidenden Punkt auf von JHWH selbst autorisierte

Esr 4,6-8 - Die Briefe der Kontrahenten

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Dokumente zurückgeführt werden. Dies bezieht sich auf das Edikt162, aber auch auf die Heimkehrerliste, die vom Chronisten offenbar in diesem Kontext gesehen wird, und selbstverständlich besonders auf die Thora (3,2.4; 6,18)163. Indem die Gemeinde gar nichts anderes tut, als ihre gründenden Dokumente in die Geschichte hinein auszulegen, ist ihre Geschichte in einem sehr qualifizierten Sinn Wirkungsgeschichte, und sind ihre Konflikte, zu denen es unweigerlich kommen muß, Konflikte um die rechte Auslegung dieser Dokumente.

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Zu den bislang angeführten Belegen vgl. noch Esr 3,7: O I S ' I ^ D Ε Η Ό ]"PEH3 ... nrp^y. Vgl. weiter 6,9 die Lieferungen an den Tempel, die „entsprechend dem Befehl der Priester Jerusalems" zu erfolgen haben. Diese geben ihre Befehle natürlich gemäß den Ansprüchen der Thora auf.

7. Esther - Theologie unter den Bedingungen der Diaspora 7.1.

Hinführung

Der Leser muß, so meinte Heinrich Ewald, vom Himmel auf die Erde fallen, wenn er sich von den anderen Schriften des atl. Kanons her auf die Lektüre des Buches Est einläßt1. Daher kann auch die Uberschrift, die wir unserem Est-Kapitel voranstellen, nicht sofort auf Zustimmung hoffen: sicher leidet es keinen Zweifel, daß die Novelle von der Situation der Diaspora grundlegend geprägt ist. Problematisch hingegen ist die Behauptung, das Buch zeige überhaupt so etwas wie eine Theologie2. Die Anwendung des Begriffs „Theologie" auf das Estherbuch kann aber doch trotz des merkwürdigen Eindrucks, den das Buch nicht nur auf den flüchtigen Leser macht, eine Berechtigung für sich in Anspruch nehmen3. Dies ist an einigen zentralen Beispielen zu illustrieren: Das Buch kennt eine (un-)heilsgeschichtliche Perspektive4; diese äußert sich vor allem in den Darstellungskategorien der Konfrontation zwischen Juden und Nicht-Juden. So tritt der Agagiter Haman (3,1.10; 8,3.5; 9,24) gegen den Sauliden Mordechai (2,5) an. Die biographischen Angaben verankern den Konflikt in der Geschichte und Literatur Israels (I Sam 15; dazu Ex 17,14.16; Dtn 25,17-19)s

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Das ganze Zitat lautet: Das Buch bringe zwar eine recht gefällige Erzählung, „aber eine solche welche von höheren und reinen Wahrheiten nichts weiß sondern die niedere berechnung die macht des zähen glaubens und den Zufall der leidenschaft walten läßt. Wir fallen hier wie aus einem himmel auf die erde, wir blicken uns um unter den gestalten der neuen umgebung, und siehe da es sind die Juden oder vielmehr alle die kleinen menschen der gegenwart wie sie noch heute sich herumtreiben" (Geschichte IV [285]). Zum Vorwurf, Est sei ein „rein profanes Buch" (Eißfeldt, Einleitung [692]), vgl. die Zusammenstellung bei Herrmann, Streit (19-29). In diese Richtung weisende Stimmen unter besonderer Berücksichtigung der um ein ausgewogeneres Verständnis bemühten jüngeren Literatur sind zusammengestellt bei Herrmann, Streit (37-64); vgl. auch den vollmundigen Titel eines Aufsatzes von Grasham („The Theology of the Book of Esther") und den zusammenfassenden Abschnitt in Bergs Diss. Kap. VI.B. (S. 296-320) „.Theology'". Vgl. Grasham, Theology (104ff.), der sogar feststellen zu können glaubt: „the key of the theology of Esther is Heilsgeschichte" (106). Anders Gunkel, Esther (16): „Solche gelehrten Erinnerungen aus der heiligen Geschichte erwartet man nicht in diesem Zusammenhange".

Hinführung

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und bezeichnen ihn so als kontinuierlichen Begleiter des Volkes6. Dies unterstützt auch die Verwendung der Wurzel (3,10; 7,6; 8,1; 9,10.24), die den Leser etwa an Num 25,17f. (die Midianiter betreffend) oder Num 33,55 (die Bewohner des Landes betreffend) denken läßt7 und überdies das GegenPogrom der Juden als Gott-gewollte, ja von ihm geforderte Tat einordnet. Von herausragender Bedeutung ist die Rolle des zerstreut lebenden jüdischen Volkes, dessen Rettung aus unheilvoller Lage das Kernthema des Buches ist8. Absichtsvoll ist sicher auch das Datum der Purim-Feier am 14. und 15.12. (9,21; vgl. weiter 3,7 (auch LXX!); 8,12; 9,1), das an das Datum des Passah-Mazzot-Festes am 14. und 15.1. erinnert (Lev 23,5f.) und den Leser fragen läßt, ob das Volk „von neuem der Willkür des Königs und eines gewaltigen Reiches preisgegeben werden" soll9. Uberhaupt scheint die Novelle eine enge Beziehung zur Exodustradition zu haben. Darauf hat besonders Gerleman hingewiesen10. Er rechnet mit einer „unablässige(n) Rücksichtnahme auf ein vorgefundenes literarisches Vorbild", so daß also der Hintergrund des Buches ein rein literarischer sei, „ohne daß man irgendwo nötig hätte, mit einem unmittelbaren Bezug zum Raum der Geschichte zu rechnen"11. Die heilsgeschichtliche Tradition des Exodus werde konsequent entsakralisiert und enttheologisiert, der Umgang mit ihr sei „anlehnend, überbietend, kritisch"12. Zwar wird der Nachweis von Anspielungen auf die Exodustradition von den meisten als gelungen angesehen, doch hat gerade Gerlemans Beschreibung der Esther-Novelle als eines Gegenstücks zur Exoduserzählung

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Das schriftstellerische Mittel der Bezugnahme auf bereits vorliegende Literatur spielt in Esther eine große Rolle. Am auffallendsten ist bekanntlich die Vorliebe für die Josephsnovelle; vgl. dazu Rosenthal, Josephsgeschichte/Vergleich (passim). Die Frage hat unter dem Gesichtspunkt der Gattung Meinhold (Diasporanovelle II) aufgegriffen. Die Bedeutung des Bezugs auf die schriftliche Uberlieferung für ein angemessenes Verständnis von Est unterstreicht auch Herrmann, Streit (bes. 49-51+79f.); s. ebenso Rendtorff, Einführung (283ff.); zu Gerleman vgl. gleich im Text. Auf diese Stellen verweist Gerleman, Est (96). Auffallend ist die Bezeichnung Mordechais als Jude" (2,5; 3,4; 5,13; 6,10.13; 8,7); weitere Belege für die Bedeutung des Volkes finden sich bei Collins, 15th Nisan (554). Dommershausen, Estherrolle (65). Zu einem - auf uns etwas herbeigeholt wirkenden - Vorschlag zur Deutung der Daten in Est vgl. Collins, 15th Nisan. Vgl. Studien (7-28); Est (11-23). Studien (27). A.a.O. (28).

Esther - Theologie unter den Bedingungen der Diaspora

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bislang wenig Anklang gefunden 13 . In der Tat erscheint bei Gerleman manches pauschal und überspitzt; doch allein die Beobachtung, daß das Datum des Purimfestes auf das Passahfest anspielen will, Est dennoch keinesfalls einen Exodus aus dem fremden Land proklamiert, rät an, der These Gerlemans weiter nachzudenken. In 7.3. werden wir daher unter Berücksichtigung des intensiven Verhältnisses von Est zur Josephsnovelle Gerlemans Vorschlag in modifizierter Weise aufnehmen. So hoffen wir, bestimmte Beobachtungen, die wir bei unserer Untersuchung von Est machen, deuten zu können. Zu den theologisch anmutenden Elementen in Est gehören weiter das Motiv des altisraelitischen Banns 14 und des „Schreckens J H W H ' s " (vgl. 8,17; 9,2) 1 5 . Loader hat auch auf das Motiv der „Ruhe" (vgl. 3,8 mit 9,16-18) hingewiesen 16 . Der A u t o r des Buches Est arbeitet also, indem er ihm vorliegende Literatur aufnimmt, durchaus mit dem Werkzeug des damaligen Theologen, und auch inhaltlich ist sein Werk, wenn auch manches Überkommene bei ihm anthropologisiert oder vielleicht gar persifliert 17 auftaucht, von altbekannten theologischen Motiven geprägt 18 . Die Rolle nun, die das Verbum 3 Γ Ο in Est spielt, ist schon quantitativ bemerkenswert: Auf die zehn Kapitel des Buches kommen immerhin 26 Be-

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Zustimmung findet sich etwa bei Meinhold, Est (17), der ebenfalls von Überbietung des Exodus spricht. Eine Zuspitzung erfährt Gerlemans These bei Collins, 15th Nisan, der auch weitere zustimmende Literatur erwähnt (539 Anm. 24). Entschiedene Ablehnung des kritischen Elements bei Clines, Scroll (156); zur kritisch-positiven Rezeption vgl. ferner Moore, Prolegomenon (XLVIIIf.); Berg, Esther (19-25). Klaauw/Loader, Est (220f.), können bei aller Ähnlichkeit die kritische Überbietung des Exodus in Est nicht finden. Lebram, Esther (393), lehnt eine „strukturelle Abhängigkeit" ab und bevorzugt eine „sprachliche ... bei unabhängigem Stoff". Dommershausen, Estherrolle (110). A.a.O. (111); Meinhold, Erwägungen (325f.). Est (273). Ein Beispiel für „Persiflage", in der Jones, Misconceptions (passim), in wohl übertriebener Weise den Schlüssel zum Verständnis des Buches fand, könnte in 6,lf. vorliegen; siehe dazu unten S.182ff. Vergleichbar beschreibt Clines, Scroll (31-33), Est 1 als satirische Einleitung in die Novelle, die hermeneutische Vorgaben für das Buchganze macht. Eine abwägende, unkritische Theologisierung vermeidende Darstellung bietet Meinhold, Erwägungen, der die „Theologie" des Buches an dem „eminent religiösen Problem", das mit der Betonung des jüdischen Volkes in dem Buch vorliegt (328), festmacht. Versuche differenzierterer Beschreibung des Sachverhalts auch bei Meinhold, Diasporanovelle Π (91): „Der Esth-Verfasser nimmt eine Identifizierung des Überlebens des jüdischen Volkes in der Diaspora mit der Absicht Gottes vor, läßt aber Gott jenseits des Randes dieser Geschichte, außerhalb". Siehe auch Loader, Est (221): „Gott ist .beseitigt'. Die verbleibende Lücke ist Gott-gestaltig, aber sie ist eine Lücke".

Hinführung

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lege der Wurzel 3Γ0 1 '. Die Fundstellen häufen sich in Kap. 3 und 8, die von den für die Erzählung wichtigen Pogrom-Erlassen berichten, und in Kap. 9, dem Bericht vom Einschärfen des Purim-Feierns durch Mordechai und Esther. Aber auch isolierte Belege wie in 2,23 und 6,2 spielen für die Dramaturgie der gesamten Novelle eine entscheidende Rolle. Zu der recht großen Zahl der Belege für 3i"D gesellen sich etliche andere aus dem Bereich schriftlicher Aufzeichnungen, wie z.B. ~IQD, ΓΠ3Κ, ΓΠ, ΜΓ12, pttfnS, nS73ü, Dilli, in spezifischer Verwendung auftretende Begriffe wie und "10KD, aber auch Termini, die im Zusammenhang mit dem persischen Postwesen stehen20. Dabei ist zu beachten, daß Worthäufungen, besonders Häufungen synonymer Begriffe, zum stilistischen Instrumentarium des Erzählers gehören21, und seine zahlreichen Bemerkungen über persische Sitten, Bräuche und Einrichtungen sicher auch ein Wissen vorspiegeln sollen, das der Autor, wie manche grobe Irrtümer zeigen, ganz offensichtlich nur teilweise hat22. Daß es sich dabei allerdings nur um „leeres Wortgeklingel"23 handle, ist eine unbewiesene und am Ende auch nicht besonders plausible These: sicher hat das Buch ein „entertainment value", aber es will auch einen wesentlichen Beitrag zum Selbstverständnis des Volkes und den Bedingungen der Möglichkeit, überhaupt als Gemeinschaft in einer bestimmten historischen Situation existieren zu können, dem Leser anbieten24. Diesen Aspekt der Novelle hat ihr Autor in Kap. 9 deutlich unterstrichen25. Die Esthernovelle soll die Frage beantworten, ob das Volk unter den

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Der Konkordanzbefund spiegelt die Originalität des Buches wider: acht Belege entfallen auf den Grundstamm (6,2; 8,5.8.10; 9,20.23.29; 10,2), neun von überhaupt nur 17 atl. Belegen auf das ni. (1,19; 2,23; 3,9.12[2x]; 8,5.8.9; 9,32); das Nomen 3Γ13 findet sich neunmal (von 17 atl. Belegen; 1,22; 3,12.14; 4,8; 8,8.9[2x].13; 9,27). Gerleman, Est (48): der Autor von Est äußert sich in „einer allem Anschein nach sehr adäquaten Verwaltungsterminologie". Vgl. Striedl, Untersuchung (83ff.). Diesen Aspekt betont Striedl, Untersuchung (88 u.ö), mit Recht, aber auch zu einseitig. Eine Zusammenstellung der Irrtümer in Est z.B. bei Gunkel, Esther (49-52). Striedl, a.a.O. (108). So mit etwas anderer Ausrichtung auch Humphreys, Life-Style (216). Die These, 9,20ff. sei eine sekundäre Ergänzung der Novelle, erfreute sich früher (vgl. beispielhaft Eißfeldt, Einleitung [691f.]; vgl. aber in jüngerer Zeit Würthwein, Est [166]; Clines, Scroll [39-63], hält 9,1-10,3 für spätere Zusätze) großer Beliebtheit, wird hingegen in den meisten neueren Arbeiten mit guten Gründen verworfen. Das stilistische Argument z.B. ist von Striedl, Untersuchung (vgl. zusammenfassend [108]), widerlegt worden. Bardtke, Est (241), betont die Einheit des Buches bereits programmatisch im Vorwort seines Kommentars; vgl. weiter z.B. Wildeboer, Est (171). Paton, Est (57-60): 9,20-10,1 ist ursprünglich, aber aus dem in 10,2 zitierten Werk übernommen. Mein-

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Esther - Theologie unter den Bedingungen der Diaspora

Bedingungen der Diaspora überhaupt noch eine Zukunft hat, und wie diese ermöglicht werden kann. Beide Fragen werden mit der Purim-Novelle in erzählerischer Form beantwortet. Den Antworten wird durch ihre rituelle Inszenierung grundlegende und dauerhafte Bedeutung zugesprochen. Schriftliche Dokumente spielen dabei nicht allein in der Erzählung selbst, sondern auch bei der Vorbereitung und Ermöglichung des Festes eine entscheidende Rolle. Entsprechend dem autoritären Gefälle der meisten26 der administrativen Schriftstücke wirkt sich im engen Zusammenhang damit das Problemfeld „Gehorsam und Legalität" nachhaltig auf den Umgang mit autoritativen schriftlichen Dokumenten aus. Zunächst aber wird ein erster Abschnitt der Frage nachgehen, wie nach Meinung von Est das Volk angesichts einer übermächtigen und feindlichen Umwelt sein physisches und auch kulturelles Uberleben sichern und sich unter den Bedingungen der Diaspora als Volksgemeinschaft organisieren kann. Das Estherbuch propagiert die persische Verwaltung, die Einheit und Zentralgewalt in einem bunten Völkergemisch etablieren sollte, als vorbildlich und versucht, die Rettung der Juden in den Kategorien dieser Verwaltung zu beschreiben. Das Buch Esther liefert damit eine narrative Analyse sowohl der Außenbeziehungen als auch der inneren Stabilität einer religiösen Gemeinschaft als Kommunikationsproblem.

7.2. Von schlechten und guten Beamten (Kap. 3/8) 7.2.1. Kap. 3 - „Es soll geschrieben werden, sie auszurotten" Die in Kap. 3 und Kap. 8 geschilderten „Gesetzgebungsverfahren"27 spielen für die Konstruktion des Buches und seine Dramaturgie eine zentrale Rolle:

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hold, Diasporanovelle Π (87, Anm. 70): 9,20ff. ist sekundär, doch vom Verfasser von Est angefügt; vgl auch ders., Est (12 + 89+93); Talmon, Wisdom (424); Dommershausen, Estherrolle (15). Ausgenommen sind die annalistischen Werke 2,23; 6,1; 10,2. Es handelt sich nicht eigentlich um Gesetze im engeren Sinne des Wortes als „das Handeln oder einen Vorgang dauerhaft und verbindlich bestimmende und generell geltende Norm(en)" (Neumann, Gesetz [9J), sondern um „Erlasse", die in einer bestimmten Situation einem begrenzten Zweck dienen (vgl. weiter zur Frage der Dauerhaftigkeit dieser Erlasse Exkurs Π und 7.2.3.).

Von schlechten und guten Beamten (Kap. 3/8)

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Sie bezeichnen den Höhepunkt der Krise durch Hamans Ausrottungs-Erlaß und die an 4,13f. gespiegelte28 Lösung dieser Krise durch den GegenwehrErlaß Mordechais. Daher wenden wir uns zuerst diesen beiden Pfeilern der Novelle zu und erschließen von dort die anderen Belege. Kap. 9,20ff. widmen wir einen besonderen Abschnitt (7.3.), da der Schluß des Buches auf allem Vorhergehenden aufbaut, es aber noch in besonderer Weise zuspitzt. Bei einer Audienz des Königs Xerxes I. trägt dessen frisch beförderter (3,1) höchster Beamter Haman den Fall eines nicht näher bezeichneten Volkes vor, das von den anderen Völkern des persischen Reiches, also der ganzen Welt, separiert lebe, deren Gesetze von denen der anderen verschieden seien, und das überdies die vom König erlassenen nicht befolge2'. In dieser Sache - so konstatiert Haman abschließend - bestehe für den König „Handlungsbedarf" (3,8: 0 Γ Ρ 3 Γ 0 ΓΠΕΓ"ρΚ -fböbl). Der scheinbar objektive Bericht über ein staatszersetzendes, Subversion betreibendes Volk ist, wie der Leser längst weiß, nichts als eine schlimme Verallgemeinerung und eine Verleumdung, die auf der Verärgerung über einen Menschen namens Mordechai beruhte, der unter Hinweis auf sein Judentum (3,3b + 4bß) es an den nötigen Respektserweisen gegenüber Haman hatte mangeln lassen. In dem gewaltigen Zorn 30 gegenüber Mordechai beschließt Haman, nicht allein diesen, sondern das ganze Volk des Mordechai im ganzen Herrschaftsgebiet des Xerxes auszurotten ("IDIÖ hi.; 3,6)31.

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Meinhold, Aufbau (passim), hat mit guten Gründen 4,13f. als inhaltliche und formale Mitte des Buches charakterisiert. In Kap. 3 ist m offenbar bewußt sowohl als Bezeichnung für eine dauerhafte Norm (V.8) als auch für einen Erlaß, der einem begrenzten Zweck dienen soll (V.14.15), benutzt. Zum Vorwurf der Illoyalität gegenüber dem Staat vgl. auch ΠΙ Makk 3,7. Uber die D V n der Juden, die so anders sein sollen als die ihrer Umwelt, erfährt man im ganzen Buch nichts mehr. Die verweigerte Verbeugung Mordechais vor Haman ist vielleicht noch am sprechendsten: Der an dieser Stelle meist vermutete Bezug des Verbots auf die Thora oder irgendeinen Teil derselben kann als plausibel gelten, zumal in V.4 auch das Judesein Mordechais besonders erwähnt wird. Daß die verweigerte Verbeugung an der Thora in ihrer heute vorliegenden Gestalt nicht fest zu machen ist, widerlegt diese Vermutung nicht: dem Autor und seinen Lesern scheint dieser Bezug als selbstverständlich gegolten zu haben. Haman ist als weisheitliche Anti-Figur stilisiert „to violate all the basic rules of wise behavior" (Talmon, Wisdom [444]). Seine Triebkräfte sind blinder Haß und wilder Zorn. Von solchen weitreichenden Pogromen aus religiös-politischen Motiven durch die Perser ist historisch nichts bekannt. Vgl. zum Verhältnis der Perser zu den Religionen der unterworfenen Völker Kratz, Translatio (140-144), der von „der Ambivalenz von .Toleranz' und .Intoleranz'" (a.a.O. [144]) spricht.

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Esther - Theologie unter den Bedingungen der Diaspora

Dieser Vorgang erweist sich als negatives Gegenbild zur Argumentation des Weisen Memuchan l,16ff. A u c h er hatte einen privaten Zwischenfall als staatsgefährdendes Ereignis interpretiert, aber auch das negative Vorbild der Vasthi einigermaßen glaubhaft in seiner globalen Bedeutung auszumalen versucht. In Kap. 3 allerdings stimmt dieser Zusammenhang nicht mehr: der verweigerte Kniefall wird zur das Reich bedrohenden, grundsätzlichen A u t o n o m i e der Juden gesteigert - ein Vorwurf, der dem Leser auch deshalb besonders absurd v o r k o m m e n muß, da Mordechai erst wenige Verse zuvor den König v o r einem Attentat bewahrt hatte (2,21-23) 3 2 . Memuchan war überdies daran gelegen, weiteren möglichen Vergehen vorzubeugen, aber strebt die Beseitigung

Haman

aller potentiellen Täter an 33 .

F ü r das weitere Handeln des Königs hat H a m a n sogleich einen Vorschlag parat: „es soll geschrieben werden, sie auszurotten" ( D - 1 3 Ì Ò 3 Γ Ι 3 7 ; 3,9) 34 . W o h l nicht rein zufällig stoßen die F o r m der Kommunikation, das Schreiben, und der damit verbundene Zweck 3 5 , die Vernichtung der Juden, nahezu unmittelbar, allein durch die Präposition b getrennt, aufeinander.

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An dieser Stelle drängt sich bereits stark der Vergleich mit Esr 1-6 auf: der Brief der Feinde Esr 4,12ff. arbeitete ebenfalls mit starken Ubertreibungen und dem Vorwurf an die Jerusalemer, sie seien für die Ordnung im Staate gefährlich. Die Bezeichnung Hamans als „Feind der Juden" wird gern auf Jes 11,13 zurückgeführt (vgl. Siegfried, Est [154]; Bardtke, Est [323]), ist aber auch ganz ähnlich Esr 4,1 als Bezeichnung der Gegner der nachexilischen Juden belegt. Das finanzielle Argument, das Haman offenbar zur Stützung seiner Argumentation vorträgt (Est 3,9b), fanden wir - wenn auch in etwas anderer Form - bereits in Esr 4,13.20. So Meinhold, Est (45). Die Formulierung soll die bürokratische Sprachform nachahmen. Das typische „EstherNifal" will den „Eindruck eines unpersönlichen, mit fast unheimlicher Präzision sich erfüllenden Schicksals" erwecken (Gerleman, Est [97]) und einen „entmenschlichten Zug" andeuten (a.a.O. [99]), selbst wenn die Subjekte des Schreibens in V.12 ausdrücklich genannt sind ("['POH "HDD); denn ihre Tätigkeit wird darauf erneut im ni. geschildert p r o ? 1; offenbar im Kontrast zum Aktiv im Folgenden: „entsprechend allem, was Haman befahl"). Auch die abbreviatorische Ausdrucksweise ohne ein Objekt oder eine adverbiale Bestimmung zu 3ΓΟ, wie etwa 0 η "100 oder "'"IDTOID Τ Π 3 (vgl. 1,19), soll vielleicht administrative Kürzelsprache andeuten (vgl. so noch bei der Aufhebung des Erlasses in 8,5). - Man kennt das auch im Deutschen: „jemanden krank schreiben" ist die starke Verkürzung von „bestätigen, daß jemand auf Grund einer Krankheit vorübergehend arbeitsunfähig ist" (Duden [892]), und zwar durch ein schriftliches Attest. D~tDtO ist wohl nicht als (Kurz-)Zitation des Schreibens Hamans zu verstehen, da eine genauere Angabe seines Inhalts erst 3,13 erfolgt, dort von Γ0Ε? (ni.) abhängig; + Infinitiv dient in diesem Fall zur „Angabe einer Absicht" (GK §114 g), es könnte aber auch, da ΠΓΟ hier autoritäres, befehlendes Schreiben meint, + Infinitiv „von einem Begriff des Verpflichtet- oder Erlaubtseins" abhängig gedacht sein (vgl. a.a.O. § 114 1); vgl. auch Dommershausen, Estherrolle (139, Anm. 11).

Von schlechten und guten Beamten (Kap. 3/8)

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Der direkte Zusammenhang zwischen der Anfertigung eines Schriftstückes und den universellen Folgen im persischen Reich ist für Est konstitutiv. Man braucht dafür nur auf l,16ff. verweisen: Memuchan und der Autor von Est sind zuversichtlich, daß die Mund-zu-Mund-Propaganda über den r o b o m m (1>17) in ihrer verderblichen Wirkung beseitigt werden kann. Dies soll durch den in die letzten Winkel des Reiches ausgehenden (1,19) und in Form von D"HQO (1,22) geschehen. Die staatlich organisierte Kommunikation ist geographisch allumfassend3' und in ihrer Macht letztlich dem Hören-Sagen des Volkes überlegen37. Machtausübung ist also zuallererst eine Frage der Beherrschung der Kommunikationswege einer Gesellschaft38. Diese Auffassung wäre zu modifizieren oder gar zu korrigieren, w e n n die in Kap. 3 wie auch in Kap. 1.8.9 so hervorgehobene allgemeine Verbreitung des n e u e n Erlasses f ü r dessen Inkraftsetzung u n d Verbindlichkeit eine konsti-

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Vgl. die üppigen Formulierungen, die vom Verbreiten von Nachrichten erzählen, wie z.B. 1,19: „Da schickte man Briefe in alle Provinzen des Königs, in eine jede Provinz ..."; vgl. ähnlich und teils noch ausführlicher 3,12-14; 8,9.13; 9,20.30. Nach Meinung von Est wird die Rezeption von Nachrichten vom Staat erheblich erleichtert: Der Hof verbreitet seine Nachrichten in der Schrift einer jeden Provinz, von denen es „von Indien bis Äthiopien" (8,9) immerhin 127 geben soll (vgl. Dan 6,2 [LXX; MT: 120]; ΙΠ. Esr 3,2; ZusEst 3,13a; 8,12b), und in der Sprache eines jeden Volkes (vgl. 1,22; 3,12; 8,9). Zum persischen Postwesen vgl. weiter Dandamaev/Lukonin; Institutions (107-109). Zur Bevorzugung des Aramäischen - zumindest auf der hohen Ebene, um die es hier geht - vgl. dies., a.a.O. (112-116); Ubersetzungen der aramäisch abgefaßten Erlasse hat es demnach erst auf lokaler Ebene gegeben. Vgl. dazu die auf Dtn 27,8; Jos 8,32 aufbauende Meinung jüdischer Gelehrter, alle Nationen würden Kopien der dort genannten Steine anfertigen, auf denen die Thora in 70 verschiedenen Sprachen aufgeschrieben sei (vgl. Lieberman, Hellenism [201], mit Belegen). Die Ausübung von Regierungsgewalt ist allein möglich bei der Annahme, daß unter kommunikationstechnischen Gesichtspunkten eine Landkarte des persischen Reiches keine weißen Flecken besitzt. Diese von der zentralistisch organisierten Administration durchaus gewollte Tatsache hat aber auch ihre Schattenseiten: Die Ehetragödie des Königs wird „allen Frauen" des Reiches bekannt werden und zu einer allgemeinen Zerrüttung des althergebrachten Ehegefüges führen (1,17). Neben der offiziellen gibt es auch noch eine „stille Post", die aber nicht weniger effektiv zu sein scheint (s. dazu weiter in 7.3.; vgl. vielleicht ähnlich auch 9,4: das „Gerücht" [UDE7] von der Macht Mordechais macht die Runde im ganzen Reich; siehe dazu aber unten Anm. 75). Vgl. Wittfogel, Despotie (455): „Die Herren der hydraulischen Gesellschaft dulden keine starken, bürokratisch organisierten Rivalen. Im Besitze ausschließlicher Macht sind sie eine rücksichtslos und dauernd fungierende echte Monopolbürokratie". So duldet auch die schriftgestützte persische Post keine Konkurrenz. Schriftlichkeit steht in diesem Fall auf der Seite kontrollierter Kommunikation gegen Mündlichkeit als subversivem Medium von gesellschaftlich niedrig stehenden Gruppen - hier den Frauen.

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tutive Bedeutung besäße. So z.B. kennt die mittelalterliche Diplomatik den Begriff der „Landes-" oder „Offenkundigkeit"3'; ein Rechtsgeschäft wird dadurch gesichert, daß es zu allgemeiner Kenntnis gebracht wird und so „die Gesamtheit der Versammelten ... zum Garanten des Rechtsgeschäfts wird"40. Für die rechtskonstituierende Rolle der Bekanntgabe gibt es u.E. aber sonst keine eindeutigen Anzeichen in Est41: in allen Fällen dient die Bekanntgabe nicht der Herstellimg eines Publikums und einer Zeugenschaft, sondern unterrichtet die von dem Erlaß oder Gesetz jeweils Betroffenen und fordert sie zum Handeln auf. Die Veröffentlichung des Gesetzes dient also - soweit man dies überhaupt unterscheiden kann - der Vollstreckung des Gesetzes und nicht seinem juristisch exakten Zustandekommen. Das Unrecht wird nun aber noch dadurch vermehrt, daß Haman für seinen perfiden Vorschlag ein weiteres Mal eine außerordentliche Ehrung zuteil wird: „Da zog der König seinen Siegelring von seiner Hand und er gab ihn Haman, dem Sohn Hammedatas, des Agagiters, des Feindes der Juden" (3,10)42. Dieser Siegelring dient hier nicht allein als Symbol der Autorisation und der Machtfülle, sondern auch sein Charakter als Werkzeug findet Anwendung: „Und es wurde geschrieben ... im Namen des Königs Xerxes, geschrieben und gesiegelt mit dem Siegelring des Königs ..."43. Nachdem der König Haman im Anschluß an die symbolisch dargestellte Erhöhung (V.10) auch noch den zu erwartenden Gewinn aus der Verfolgung

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Vgl. dazu Johanek, Funktion (132+Anm. 8), mit weiterer Literatur. Johanek, a.a.O. (134). Die Publikation von Gesetzen als konstitutivem Akt findet sich auch im rabbinischen Judentum im Bezug auf die Thora und ist dort offenbar aus der römischen Rechtspraxis beeinflußt (Lieberman, Hellenism [200f.). Ohne irgendeine Erklärung und offenbar selbstverständlich schließt 1,20 mit konsekutivem Perfekt an V.19 an: „... und wenn der Erlaß des Königs vernommen wird, den er in seinem ganzen Reich erläßt, ...". V.20b gibt dann den von solcher Veröffentlichung des Gesetzes erhofften Erfolg an (vgl. auch V.22b). Bereits V.19 beginnt der Vorschlag Memuchans mit T o a b a r m b a r Ί 3 1 its' 1 , die Veröffentlichung ist also als wesentliches Element des Plans von vornherein ins Auge gefaßt. Die Formulierung hat sich der Autor aus der Josephsnovelle ausgeliehen (Rosenthal, Josephsgeschichte [280]), in der er ein Vorbild für die literarische Ausgestaltung des Lebens an einem ausländischen Hof fand; vgl. Gen 41,42a. Für Mordechai vgl. Est 8,2; zur Autorisation durch Siegelübergabe vgl. den Exkurs I zu „Siegel und Schriftkultur"; vgl. ferner I Makk 6,15 und besonders Tob 1,22: unter König Sacherdon schafft es der Jude Achiachar, neben anderen Amtern auch das königliche Siegel zu erhalten und zweiter Mann im Staate zu werden (vgl. Est 10,3 MT). ... und es wurden Briefe geschickt..." (V.12a*.b.l3) - Diese Formulierung könnte I Reg 21,8 zum Vorbild haben: r Ò t f m ΊΟΠΓΠ αΠΠΗΙ 3ΝΠΝ DtÖ3 D"HDO 3ΓΟΓΤ1 •"HDOIl (Dmn ist gegen das von Est bevorzugte ausgetauscht).

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überlassen und ihm in der Sache unbeschränkte Vollmachten zugebilligt hat44, beginnt die auffallend breite Darstellung der praktischen Umsetzung des Pogrom-Erlasses vom Aufsetzen des Schreibens bis hin zur Reaktion unter den Adressaten (V. 12-15). Die Schreiber45 werden gerufen und zeichnen den Befehl des Haman auf, der sich „sowohl an die Satrapen des Königs, die Statthalter einer jeden Provinz als auch die hohen Beamten eines jeden Volkes" in der jeweiligen Schrift und Sprache wendet; auf Niederschrift und Siegelung wird abschließend (noch einmal) ausdrücklich hingewiesen (V.12). Alsdann werden die Briefe, über deren Inhalt man jetzt genauer informiert wird, durch Boten „in alle Provinzen" getragen (V.13), wo das Erlaßverfahren durch eine öffentliche Proklamation zum Abschluß gebracht wird: „Die Abschrift des Erlasses sollte als Gesetz in einer jeden Provinz gegeben werden, offen für alle Völker sollte sie sein46, damit sie [gemeint ist das Volk] für diesen Tag bereit wären" (V.14). Die Umsetzung dieses Verfahrens wird am Ende ausdrücklich festgehalten: „Die Boten zogen eilends in der Angelegenheit des Königs aus, und das Gesetz wurde in der Burg Susa gegeben" (V.15)47.

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Der König, der schlecht unterrichtet weitreichende Entscheidungen trifft und sowohl im Positiven (vgl. 2,17: der König erwärmt sich schnell für Esther und macht sie zur Königin; 5,3.6; 7,2: Esther kann die Hälfte des Reiches haben) als auch im Negativen (vgl. l,12ff.: der König ist leicht erregbar, ohne selbst einen Rat zu wissen; 3,10.11: die unglaubliche Machtfülle des Haman; 7,8f.: Haman wird aufgrund eines Mißverständnisses hingerichtet) extrem reagiert, ist ebenso wie Haman eine Idealfigur weisheitlicher Kritik (vgl. Talmon, Wisdom [440ff.]). Der Bericht hat deutliche Vorstellungen von der Aufgabenverteilung und dem Zusammenwirken der persischen Hierarchie bei der Regierungsausübung: an der Spitze steht der König, der einzelne hohe Beamte (Haman, später Mordechai) zu eigenständigem Handeln (innerhalb eines bestimmten Bereichs) autorisiert. Es folgen die höheren Beamten in den Provinzen - sie sind hier allein Befehlsempfänger - und ganz unten die kleinen Kanzleibeamten, wie die „Schreiber" ( • Ή 3 0 , 3,12; 8,9) und die „Boten" (D"^""!, 3,13; 8,10). Das passive Partizip " n b j wird sich auf |ΙΙ0ΓΒ zurückbeziehen (anders Oettli, Est [242], dem p i t f n Q zu entlegen ist und daher neutrisch faßt: „offenkundig allen Völkern"); D ' O S T r 1 » 1 ? •»TOI soll wohl mit Nachdruck die an alle ergehende Nachrichtenübermittlung zum Ausdruck bringen und die Bemerkung ΓΠ |Γ0Γ"0 Π 3 Ή 0 1 ΓΙ3ΉΟ unterstreichen. Zu vergleichen ist Neb 6,5: ΠΠΊΠΟ ΓΠ3Χ. Dort aber steht der „offene Brief" in einem anderen funktionellen Zusammenhang: Die vielen Mitleser sollen dort den eigentlichen Adressaten unter Druck setzen und so helfen, das Ziel des Schreibens zu erreichen. Sehr interessant ist die Beobachtung von Meinhold, Est (45), der eine Entwicklung von den 4 Nominalsätzen 3,aßb zu den 4 Verbalsätzen in 3,15 sieht: aus der statischen Lagebeschreibung entwickelt sich die Dynamik des Handelns.

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Aufmerksamkeit verdient die Formulierung 3 Γ Ο Π p i t í n S („die Abschrift des Erlasses"). Ein Blick auf die sonstige Verwendung des Begriffes „Abschrift, Exemplar" macht die charakteristische Verwendung in Est deutlich, denn eine entsprechende Konstruktusverbindung findet sich auch in Esr 4,11; 5,6 ( χ η - η κ p e n s ; vgl. III Esr 6,7) und 4,23; 7,11 (Χ31Π03 Der Begriff erfüllt im Erzählzusammenhang eine spezifische Funktion bei der Einleitung von Dokumenten, die der Autor innerhalb seiner Erzählung zu zitieren beabsichtigt. Die Konstruktusverbindung wird daher mit einem Demonstrativpronomen eingeleitet (Π3~ΐ; 4,11/ΠΤ; 7,11; fehlt in 5,6 und 4,23) und durch einen folgenden Relativsatz bezüglich Absender und Adressat (letzterer in 5,6, 4,23) näher bezeichnet. Diese Verwendung ist in Esr 4,23 abgewandelt, läßt aber noch deutlich die Spuren des beschriebenen Schemas erkennen: die Zitation des Dokuments war hier bereits zuvor erfolgt (4,(17.) 18-22), so daß in V.23 nur noch übrig blieb, die Rezeption des königlichen Befehls durch die Adressaten zu beschreiben. Auch in diesem Fall also handelt es sich u m eine Zitateinleitung, wobei freilich der Leser für das Zitat auf das eben Gelesene verwiesen werden muß 48 . Vielfältiger ist die Benutzung, wenn man das griechische άντίγραφον in die Betrachtung hineinnimmt. Mit dem bislang Beobachteten deckt sich noch die Einleitung des apokryphen „Briefs Jeremias" durch die Worte Άντίγραφον έπιστολής, ής εγραψεν Δαρείο».... U n d auch die reichliche Verwendung für Einleitungen und Uberschriften bei den in I Makk zitierten Dokumenten (vgl. I Makk 8,22; 11,31; 12,5.19; 14,20.27 49 ) liegt auf der Linie des Bekannten. Gelegentlich wird aber über die einleitend erwähnte Abschrift im Anschluß an die Zitation des Dokumentes noch eine nähere Bemerkung hinzugefügt. So erfährt der Leser in I Makk 14,23, der zuvor zitierte Brief der Spartiaten sei einer für den Hohenpriester Simon angefertigten Abschrift entnommen (tò δέ άντίγραφον τούτων έγραψαν Σίμωνι τω άρχιερεί; vgl. auch 11,37; 15,24). Einen solchen Hinweis auf private Exemplare von Dokumenten, die eigentlich einen weiteren Leserkreis betreffen, findet sich besonders ausführlich in 14,49. Nach der Zitation einer Inschrift, die auch der Allgemeinheit am Tempel zugänglich war (vgl. 14.26.48 50 ), wird von Abschriften berichtet, die - offenbar aus (Text-)sicherheitsgründen - in der Schatzkammer hinterlegt worden seien, u m dort dem Hohenpriester und seinen Söhnen zugänglich zu sein (... τα δέ αντίγραφα αύτών θέσθαι έν τω γαζοφυλακίω, οπως ε χ η

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ΠΙ Esr 2,21 ist das „Abschrift-Motiv" bereits vor die Zitation des Erlasses gestellt: für Esr 4,17a (MT) K d S q fÒttf K D i n S steht dort τότε αντέγραψε ν ό βασιλεύς .... Weitere Belege für in einleitender Funktion sind 4Q 'Amram (Beyer, ATTM I [211]) und 4QEnGiants* 8,1-4 (a.a.O. [261]). Das einleitende Demonstrativpronomen findet sich I Makk 8,22; 12,5.19; 14,20.27. Ein erläuternder Relativsatz folgt 8,22; 11,31; 12,5.19. 14,20-27 ist das so eingeleitete Dokument bereits vorher eindeutig identifiziert. Zu diesem Vorgehen vgl. KAI Nr. 60, Z.4-6; zur Publikation solcher Beschlüsse im griechischen Bereich vgl. das von Larfeld, Epigraphik (410-416), zusammengestellte Material. Für die rechtskonstitutive Bedeutung von Archivierung einerseits und Veröffentlichung andererseits vgl. noch einmal oben Anm. 41.

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Σίμων και οί υιοί αύτοΰ). Mit diesen zuletzt genannten Belegen ist der Bereich der Rahmung von zitierten Dokumenten innerhalb eines größeren literarischen Zusammenhangs verlassen. Hier geht es um die Beschreibung der Textsicherung, die offenbar juristischen Rang hat51. Damit kann aber auch das Moment der Textpublikation verbunden sein: So wird die Herstellung einer Abschrift und ihre Publikation von Demetrius den Adressaten in 11,37 eigens befohlen; die Einfügung einer Abschrift in die Annalen der Spartiaten dient sowohl der Veröffentlichung als auch der Registrierung, ja Wahrnehmung einer Botschaft (14,23). Welche Bedeutung eine solche Registrierung später noch einmal bekommen kann, erfährt man I Makk 12,7: Jonathan erwähnt in einem Schreiben an die Spartiaten einen älteren Brief der Spartiaten an den Hohenpriester Onias. Die Anführung seines Inhaltes wird mit der Bemerkung ώς τό άντίγραφον υπόκειται ( „... wie es die beiliegende Abschrift [bestätigt]") zu belegen versucht, und der Autor des I Makk versäumt es 12,(19.)2023 nicht, auch diese Beigabe zum Brief des Jonathan zu zitieren. Kehren wir nun zu Est zurück. Zur formelhaften Einleitung eines Zitates, die ein Autor zur redaktionellen Einleitung von (mindestens vorgeblich) fremden Texten benutzt, dient pttfnS in Est nicht 52 . Est 3,14 - und fast wortgleich Est 8,13 - folgt in V.14b nur eine ungefähre Angabe des Zweckes der Briefe („...daß sie sich für diesen Tag bereit hielten"), deren eigentlichen Inhalt der Leser im übrigen längst kennt (3,9.13; 8,1 lf.). Im unmittelbaren wie auch im weiteren Kontext geht es vielmehr um die Vollständigkeit der Nachrichtenübermittlung: „in einer jeden Provinz, für alle Völker öffentlich (plastisch 8,13 (LXX): όφθαλμοφανώς)" soll sie geschehen. Dazu gehört, so impliziert die Konstruktusverbindung 3 Γ Ο Π "[3Κ7Π3, ein intaktes Kopierwesen, also die Bedingung der Möglichkeit, an einem jeden Ort ein Exemplar dieses Gesetzes schriftlich vorlegen zu können. pttfnS hat daher hier eigentlich einen stark pluralischen Akzent: es gibt zahllose Kopien des einen königlichen Befehls53. Von daher versteht sich dann auch Est 4,8. Mordechai gibt dem Boten D-TDETÒ ]cchtzn |nr-|E7X Γ Π Γ Γ 3 Γ Ο pttfnD-nK, „das Exemplar des

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Vgl. zur doppelten Verschriftlichung als Inschrift und für das Archiv bes. A./J. Assmann, Schrift (275f.): sie verstehen die Inschrift als einen „in ausgezeichneter Weise situationsgebundenen Schriftverwendungstyp", denn „die Bedeutungshaltigkeit des Ortes ... determiniert ihren Sinn und stellt in ähnlicher Weise eine Rezeptionsvorgabe dar wie die Rezeptionssituation eines Oraltextes". Über das für das Archiv bestimmte Exemplar hinaus speichert die Inschrift nicht nur, sondern stiftet einen „virtuell ad infinitum fortwährenden Kommunikationsakt". Einschränkungen sind zu machen bezüglich ZusEst B l ; E 1.19; die späteren Übersetzer wußten auch den genauen Wortlaut der in Est (MT) erwähnten Briefe zu zitieren. Dies ahnend hat L X X in 3,14; 8,13 |110na im Plural wiedergegeben (τα δέ αντίγραφα).

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Gesetzeserlasses54, das in Susa erlassen worden war, um sie auszurotten". Die Abschrift des Hamanerlasses soll dem Boten als Beleg für seine Nachricht dienen können 55 . So wird die mündliche Botschaft gewissermaßen durch einen „Schriftbeweis" gestützt56 und die Königin, die in ihrem Palast im toten Winkel des persischen Postwesens zu sitzen scheint, als wohl letzte Untertanin von dem königlichen Erlaß unterrichtet. Die „Abschriften" des Gesetzes in Kap. 3 / 8 haben also nicht die Funktion, als Rechtsdokumente an sicherer Stelle hinterlegt eines Tages einen Rechtsanspruch oder ein Rechtsverhältnis glaubhaft ausweisen zu können. Hier geht es allein um die Veröffentlichungsproblematik, und diese wird wohl auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Rechtsgültigkeit eines Gesetzes betrachtet, sondern unter dem der Information einer gewaltigen Masse von Untertanen. Insofern besteht noch die größte Nähe zu I Makk 11,37; 14,26.48. Doch auch dort geht es lediglich um ein einziges Exemplar, das an prominenter, von den Adressaten häufig frequentierter Stelle (έν τόπφ έπισήμφ, I Makk 11,37; 14,48) zugänglich gemacht wird57. Auch die Gattungen der veröffentlichten Texte sind andere: Handelt es sich in I Makk um ver-

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Die dreigliedrige Konstruktusverbindung ist eine Komprimierung der Formulierung 3,14a. Vgl. zu diesem Vorgang oben zu I Makk 12,7.19ff.! Nicht festzustellen ist, ob der Novellist sich wirklich vorgestellt hat, jeder Privatmann könne in den persönlichen Besitz eines solchen Textes gelangen. Die Determination von Γ Π Γ Γ 3 Π 3 ]3Ε/Π3 legt weiter den Schluß nahe, Mordechai sei in den Besitz des „Susa-Exemplars" des Gesetzes (nach 3,15aß) gelangt. Damit läge hier ein Beispiel für den von Canzik, Wahrheit (99-103), beschriebenen „dokumentarischen Wahrheitsbegriff" vor. Die Art der Informationsverbreitung dürfte für I Makk und Est jeweils typisch sein: die Veröffentlichung des Volksbeschlusses bezüglich Simon und seiner Söhne geschieht durch öffentlichen Aushang auf dem Berge Zion (I Makk 14,26); so kommt es zu einer Überschneidung von antikem Publikationswesen und der religiösen Aufladung einer Ortslage, denn von überall her werden das Volk Israel (und andere Völker) dorthin ziehen (vgl. Jes 49,18; 51,11; 52,llf. u.ö.), und aus Zion und Jerusalem kommt ΓΠΊΓ) und ΓΤΓΡ 131 (fes 2,3b/Mi 4,2b). Ganz gegenteilig ist die Informationsbewegung in Est dargestellt. Wohl wird die Hauptstadt Susa unter Kommunikationsgesichtspunkten besonders erwähnt (vgl. 3,15; 4,8; 8,14.15), aber von einem Zentralismus kann nicht die Rede sein. Das Gesetz kommt zu den Untertanen, nicht aber die Untertanen zu dem Gesetz. Die persische Metropole Susa nimmt nicht die Rolle des vom Novellisten verschwiegenen Jerusalem als „Informationsmarkt" wahr; das Buch Est ist in dieser Hinsicht ganz „provinziell". Damit scheint es übrigens der historischen Wirklichkeit recht nahe zu kommen: vgl. die Aufforderung in der Inschrift von Bisutun, das Gelesene nicht zu verheimlichen (§60f.) und die Mitteilungen über die Verbreitung der altpersischen Keilschrift im Zusatzparagraphen 70; zur Verbreitung der Inschrift s. die Bemerkungen von Wiesehöfer, Persien (bes. 40f.).

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tragsartige Zusicherungen, die bestimmte Machtpositionen und Privilegien auf Dauer stellen wollen, so sind es in Est einfache Dekrete des Königs an seine Untertanen, die diesen zur Ausführung übersandt werden. Gerade im Vergleich mit den anderen Quellen deutet die Verwendung von ]2t£7DS in Est auf das starke Gewicht, das der Novellist der Informations- und auch Offentlichkeitsproblematik beigelegt hat. Die Tatsache, daß der Prozeß der Veröffentlichung eines Gesetzes in einer Kurzform bereits bei dem ersten Gesetzgebungsverfahren des Estherbuches in 1,22 dargestellt worden ist, dann noch ein weiteres Mal im Zusammenhang des Gegenwehrerlasses 8,8ff. fast wörtlich wie in Kap. 3 wiederholt wird58, zeigt, daß das Funktionieren dieser staatlichen Kommunikationsabläufe für die Krise der Novelle und auch deren Lösung eine entscheidende Rolle spielt. Die auffallende Stereotypie der Darstellung in diesem Punkt erzeugt beim Leser den Eindruck, daß man es hier mit einer perfekten Maschinerie zu tun hat, die unabhängig von den beteiligten Menschen59 sicher und stetig funktioniert 60 . Das Ineinandergreifen der einzelnen Bestandteile der administrativen Kommunikation wie auch ihre breite Ausgestaltung (alle Schriftsysteme und Sprachen der 127 Provinzen werden berücksichtigt) erzeugt beim Autor von Est offenbar so etwas wie Bewunderung. Seine Darstellung verleiht dieser staatlichen Funktion etwas Ritualhaftes'1 und Bezwingendes. Dabei hat die dargestellte Kommunikation das eindeutige Gefälle eines despotischen Systems. Entschlüsse faßt der König, allenfalls noch ein von ihm bevollmächtigter Beamter am Hof1, daraufhin funktioniert die administrative Kommunikation. Die Bewohner der Provinzen können allein hören

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Zu den Unterschieden siehe 7.2.2. Die passivischen Formen (passivisches ni. und passives Partizip des q.), auf die bereits hingewiesen wurde, spielen dabei eine besondere Rolle und kommen in V.12-15 gleich sechs Mal vor: V.12: U n p - n / D n n 3 V 3 n : P V 3 r D 3 ; V.13: ITÒltfS; V.14: ]Π3Π 1 ?/·>^3; V.15: Π3Π3. Wir halten an diese Stelle eine weitere Analogie zu Esr 1-6 fest: das Vertrauen in die der Kommunikation dienenden Einrichtungen persischer Administration - dort war es das Archiv, hier sind es ebenso das Archiv (vgl. 2,21-23 + 6,Iff.) wie auch die Verbreitungswege königlicher Erlasse - ist bei Esr und Est trotz mancher negativer Erfahrungen mit politischen Gegnern ungebrochen. So schon Gerleman, Est (99): „Man bekommt fast den Eindruck einer rituellen Handlung". Das erste Beschlußverfahren in l,16ff. erwähnt noch die Möglichkeit der Beratung mit Fachleuten.

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und gehorchen (vgl. 1,20; 2,8), sind also als Adressaten vollkommen passiv, ihnen bleibt nur die Möglichkeit, „in Verwirrung zu geraten" (3,15). Unterhalb dieser Stufe der Adressaten existieren freilich noch diejenigen, die nicht einmal als Empfänger' 3 der offenen Schreiben (vgl. 3,14) in Frage kommen: die Opfer. Mordechai, der bereits vorher als gut informierter Hofbeamter vorgestellt worden war (2,21-23)M, kennt freilich die Vorgänge am Hof (ÏÏÎ7S72 Ί Β Λ γ · » - ™ * i n " 1 O - n D I ; 4,1). Auch die Provinz-Juden erfahren von der Sache (4,3), da der Erlaß ja öffentlich gemacht wurde, sie kommen in ihm aber nur als Objekte vor, leben also nicht nur zerstreut, sondern sind durch den Erlaß Menschen ohne Adresse geworden - die, so scheint es, letzte Stufe vor dem Verlust der physischen Existenz. In diesem Zusammenhang, wie um die Gefährlichkeit dieser Situation zu illustrieren, hat auch einmal ein Jude unter den Folgen von Mißverständnis und mangelnder Information, welche in dem Buch eine herausragende Rolle spielen, zu leiden: die Königin Esther im goldenen Käfig des Palastes will aufgrund völliger Verkennung der Lage den im Trauergewand einhergehenden Mordechai neu einkleiden (4,4). Wie das Schicksal der Juden im ganzen Reich, so zeigt auch der prominente Einzelfall auf der Höhe der Krise: Das Opfer wird dadurch vollends zum Opfer, daß es uninformiert ist. Indem Esther ihren Ziehvater so vor den Kopf stößt, mag vielleicht auch angedeutet sein, daß diese Uninformiertheit nicht nur die Juden innerhalb des Reiches isoliert, sondern sogar unter den Juden selbst Spaltung und Konflikt erzeugen kann. Eine Bestätigung für die These, daß im Sinne des Verfassers von Est der Informationsaustausch eine wesentliche Rolle für Wohl und Wehe der Judenschaft spielt, bietet der weitere Fortgang der Erzählung in Kap.4: Die Lösung des Konfliktes zwischen Esther und Mordechai und damit die Grundlegung der Rettung des jüdischen Volkes werden dargestellt als über

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Die Juden fehlen jedenfalls ausdrücklich in der Adressatenliste 3,12; vgl. als Kontrast 8,9. Woher Mordechai sein Wissen hatte, interessiert den Autor nicht, daß ihm aber Mordechai als Meister des Informationsaustausches in all seinen Schattierungen gilt, ist deutlich. So rät er 2,10 Esther, ihre Herkunft niemandem zu verraten - eine sehr weitblickende Empfehlung! - und unterrichtet 4,8 Esther von dem gegen die Juden beabsichtigten Pogrom. Nach seiner Erhöhung ist Mordechai nur noch mit dem Abfassen von Briefen beschäftigt. Auch Esther erweist sich später als sensibel für gelungene Kommunikation, da sie bei den Festgelagen mit Xerxes und Haman das richtige W o r t in der richtigen Situation geradezu inszeniert. 9,29-32 tritt auch sie (mit Achtergewicht!) schreibend auf.

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einen Boten vermittelter Informationsaustausch zwischen den beiden Hauptpersonen der Novelle. So wird zunächst ein Eunuch von Esther beauftragt, bei Mordechai über dieses und jenes Informationen einzuholen (nrnQ-bui nrnD 4,5), die Mordechai dann auch gibt ( ^ Η Π ... Ό "HD; 4,7). Die Realität der Bedrohung scheint Mordechai dadurch bei Esther deutlich machen zu wollen, daß er ihr sogar eine „Abschrift des Gesetzesschreibens" (ΓΠΠ~3ΓΟ pttínD) zukommen läßt, mit dem Ziel, diese Esther zu zeigen, sie also an der Kommunikationssituation ihres übrigen Volkes teilhaben zu lassen ( Γ 0 ""PUH^I - ΐ η ο κ - η κ m i r r ò ; 4,8)65. Esther erhält auf diese Weise den Informationsstand des Volkes (ausdrücklich vermerkt in 4,9: O T " ® "H3"! ΠΚ Ί Γ Ί Ο Ϊ 0 Ί Π ) . Der staatliche Mitteilungsvorgang, der in Kap. 3 ausführlich dargestellt worden war, ist nun von Mordechai - nicht minder ausführlich dargestellt - durch offenbar geheime Boten in den Palast zurückgelenkt66 und so erst im vollständigen Sinne universal geworden67. Zugleich aber ist das Erreichen der universalen Information der Anfang vom Ende dieses Erlasses, denn Esther soll und wird schließlich auch die Bedrohung durch den Haman-Erlaß von ihrem Volk abwenden. Freilich klärt nun Esther ihrerseits den Mordechai auf: alle Knechte des Königs wüßten doch ( 0 Τ Τ Γ ... " [ b a n "HaST^D ; 4,11), daß ungerufen vor dem König zu erscheinen den Tod bedeuten könne. Auch hier wird die Unterrichtung Mordechais festgehalten (4,12), und Mordechai seinerseits befiehlt dem Boten, Esther Gegeneinwände vorzutragen ("ΊΟΚ"Ί 3 " Ί 0 Γ 0 Ό ~ Π Ο ; 4,13). Dieser sehr detailliert dargestellte Kommunikationsvorgang gipfelt in 4,14. Dieser Vers, der bekanntlich die einzige Aussage des Buches mit (nahezu) ausdrücklich religiösem Charakter ist68,

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Wieder einmal tritt hier die Doppelung von schriftlicher Information und mündlicher Kommentierung auf (vgl. Π Chr 30, 6). Mordechai betätigt sich hier bereits als Verbreiter staatlicher Erlasse im Privaten wie dann in Kap. 8 im Amt (vgl. die Ähnlichkeit zwischen 4,8 und 3,14), ist also selbst im Fall eigener Betroffenheit von staatlicher Politik das, als was das Buch ihn darstellen will: ein guter Beamter. Der Novellist hat in diesem Punkt den Kontrast zwischen Esther und ihrer Vorgängerin herausgearbeitet: war Vasthi - wenn auch vielleicht ungewollt - der Ausgangspunkt des alle Frauen erreichenden ΓΟ^ΟΗ Q~l (l,17f.), so ist jetzt Esther eine der Letzten, die von dem Erlaß des Königs hört. Sie bleibt ganz in der von ihr erwarteten Rolle und geriert sich nicht als Aufrührerin. - Zu 4,8 vgl. bereits oben S.169f. Die Sache ist aber unsicher: vgl. zur Kritik etwa Bardtke, Est (333), der bei DIpD an andere hohe jüdische Hofbeamte denkt; Meinhold, Aufbau (440 Anm. 14); ders., Est (55): beabsichtigte Unklarheit, hinter der der Leser irdische Größen oder auch Gott vermuten kann.

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Esther - Theologie unter den Bedingungen der Diaspora

schließt auch den Wissensbegriff (Wurzel Ì7T 1 ) im kognitiven Sinne mit ein, mißt ihm also für das Ganze des Buches eine zentrale Bedeutung bei: „Und wer weiß, ob Du nicht gerade für eine Zeit wie diese zum Königtum gelangt bist?" 6 '. Zwischen Esther und Mordechai entwickelt sich ein kontroverser Dialog vom Dissens zum Konsens, der auf komplizierte Weise durch Boten zustande gebracht wird. Die Botensituation weist zunächst auf den bereits in der Formalität von 4,8 (vgl. 3,14) sich ausdrückenden quasi amtlichen Charakter des Gesprächs hin (ein Beamter unterrichtet seine Königin). In diesem speziellen Fall eignet dem Vorgang aber ebenso etwas Inoffizielles, Heimliches, ja Subversives (die beiden Personen sind verwandt und planen Schritte gegen einen königlichen Befehl). Das auffällige Interesse an der Verbreitung von Nachrichten im persischen Reich, das sich in Kap. 3 artikuliert, und die Darstellung privater Gespräche mit fzst-amtlichen Zügen zwischen Onkel und Nichte in Kap. 4, deuten auf das Gewicht, das der Autor administrativen Zwecken dienender medial vermittelter Kommunikation beimißt. Fragt man nach dem Interesse, das sich für den Autor von Est mit diesem in seiner Novelle so massiv eingesetzten Motiv verbinden konnte, wird man dieses am wahrscheinlichsten aus seiner besonderen Lebenssituation erklären können, der Existenz des Volkes in der Zerstreuung 70 . Der schon 1,22 scheinbar beiläufig eingeführte, sich dann refrainartig durch das Buch ziehende (3,12; 8,9) Gedanke der völkischen Diversifikation und des Pluralismus innerhalb des Reiches hat für das sich in Est artikulierende DiasporaJudentum offenbar eine fundamentale Bedeutung: Das persische Reich ist

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Die Bedeutung von Informationsgewinn und -austausch wird auch durch einen Überblick über die Begriffe S7T1 und deutlich: S7~P (q.) begegnet außer in 4,1.5.11.14 noch in 2,11 (Mordechai ergeht sich täglich am Frauenhaus, um das Schicksal Esthers zu verfolgen) und 2,22 (ni., Mordechai wird das Attentat bekannt; 1,13 scheidet in diesem Zusammenhang aus). "133 (hi.) begegnet ebenfalls am häufigsten in Kap. 4 (V.4.7.8. 9.12), aber auch 2,10 (2x¡ auf Anweisung Mordechais verrät Esther bei Hofe ihre Herkunft nicht; s. a. 2,20 und die Auflösung dieses Geheimnisses in 8,1), 2,22 (Mordechai berichtet Esther von dem geplanten Attentat) und in 6,2 (im „Erinnerungsbuch" findet man geschrieben, daß Mordechai über das Attentat berichtet hatte). Alle diese Stellen sind für die Dramatik der Geschichte von entscheidender Bedeutung, der Informationsgewinn und -austausch trägt wesentlich zum Erfolg der Juden bei. Aber auch ihr Widersacher Haman bringt (mit Hilfe seiner Zuträger) etwas in Erfahrung (3,4[2x].6) und kommt so zu seinem größten Triumph, dem Edikt gegen Mordechai und die Juden (3,8ff); dann aber beginnt mit seiner Uninformiertheit auch sein rasanter Abstieg.

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Vgl. zur rechtlichen Lage der Diasporajuden Applebaum, Status.

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demnach ein corpus permixtum in 127 Provinzen71 mit einer Fülle von Sprachen und Schriftsystemen, und das Judentum ist in diesem Gewirr nur eine Größe unter vielen. Für die Juden kommt erschwerend hinzu, daß sie innerhalb dieses komplexen Gebildes nicht geographisch begrenzt, sondern vielmehr „in jeder Stadt" (8,11) und „in jeder Provinz des Königs Xerxes" (8,12) leben (vgl. auch 8,17; 9.2.12.16.19.20.28)72. Trotzdem gehen sie nicht im Volksgemisch des Reiches auf, da sie das Bewußtsein ihrer Eigentümlichkeit unter Befolgung eigener Regeln pflegen: sie existieren - wie Haman treffend bemerkt - TTSQ1 "1TSD (3,8). Trotz dieser inneren Verschiedenheit des Reiches ist es doch ein Ganzes - Est spricht gern von ΠΌ'ρΟ - , das zusammengehalten wird von seinem machtvollen Zentrum aus, das aus dem König und einigen in seinem Namen agierenden Beamten besteht und das Reich als Ganzes, aber in seiner Verschiedenheit repräsentiert, ja überhaupt erst herstellt73. Der König tut dies in Est nicht auf militärischem Wege74, sondern ausschließlich über sein Postsystem, mit dessen Hilfe einer die Vielen zu seinen Adressaten macht. Die einzige Möglichkeit von praktisch existierender, nicht allein im Bewußtsein vorhandener Einheit also besteht in dieser Einrichtung der persischen Administration75. Diese staatlich organisierten Kommunikationsvor-

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Diese Zahl mag eine bewußte Übertreibung sein: Herodot, Historien ΙΠ(89, kennt nur 20 Provinzen (vgl dazu auch Anm. 37). Behistun ($6) redet Darius von 23 Ländern, die ihm Untertan sind (vgl. Borger/Hinz, Behistun-Inschrift [423]). Josephus, Ant X.11.4, gibt für Darius 360 Satrapien an, die aber wohl eine Verdreifachung der 120 Satrapien sind, damit jeder der in Dan 6,3 genannten Oberbeamten auf 120 Satrapien kommt. Die 120 Satrapien sind nach Dandamaev/Lukonin, Institutions (103), so erklärbar, daß auch Vorsteher kleinerer Verwaltungsbezirke den Titel „Satrap" führten. Nach Josephus beschreibt Strabo das Judentums so: „Dieses [das Volk der Juden] ist bereits in jede Stadt gelangt (αύτη δ' εις πάσαν πόλιν ήδη ... παρελήλυθεν ) und es ist nicht leicht, einen Ort auf der Erde zu finden, der dieses Volk nicht aufgenommen hätte und von ihm nicht beherrscht wäre" (Ant XTV,7.2 [115]). Die Aussage von Jones, Misconceptions (174), „The Jews do not rule over 127 provinces, but they can still laugh at those who do", entspricht nicht der Handlung des Buches. Mordechais Macht ermöglicht ja auch Rettung, und 10,1-3 erscheint die weitreichende jüdische Herrschaft über das Reich als Pointe des Buches. Das ist auffallend angesichts der historisch gesehen hohen Bedeutung des militärischen Apparats: „In spite of Darius's reforms, the Persian empire remained a military-administrative union that could exist only as long as it succeeded by force of arms in keeping various peoples within the state structure"; Dandamaev/Lukonin, Institutions (97). Man kann auf diese These geradezu die Gegenprobe machen: die einzige große Ausnahme von weitreichender, nicht staatlich vermittelter Kommunikation findet sich in Kap.l, in der sich in der Rede des Memuchan äußernden Angst vor dem Gerücht (1,17). Dieser Kommunikationsvorgang dient aber gerade nicht zum Aufbau, sondern

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gänge aber sind als Einbahnstraße dargestellt, denn sie kennen lediglich einen Sprecher und viele Hörer. Eine Umkehrung dieses Weges ist - wie sich in Kap. 4 bereits andeutet - zwar möglich, aber sie ist - entgegen der tatsächlichen Anlage des Postsystems76 - institutionell nicht vorgesehen oder wird doch zumindest nicht erzählerisch realisiert. Der Unterschied zu Esr 1-6 ist augenfällig: Dort hatte gerade die institutionalisierte Möglichkeit der Eingabe an die Zentrale sowohl im Handeln der Gegner als auch der Juden eine große Rolle gespielt. Esr 1-6 hatte aber auch die Hoffnung auf Rettung und Gerechtigkeit mit der Einrichtung des persischen Archivs gewissermaßen materialisiert und institutionalisiert vorgestellt. Est nun teilt die Idee von der Unbestechlichkeit des Archivs, der offiziellen persischen Aufzeichnungen, und arbeitet ebenfalls mit der der persischen Aktenverwahrung eigenen Möglichkeit, Teile der Wirklichkeit aus dem Bewußtsein der weiteren Öffentlichkeit verschwinden zu lassen. So können sie über einige Zeit ein Schattendasein führen und dann wieder mit bemerkenswerter Macht in die Wirklichkeit zurückkehren. Doch auch in diesem Punkt besteht bei genauerem Hinsehen auf 2,21-23; 6,Iff. nur bedingte Ähnlichkeit; bereits eine grobe Ubersicht über die Bedeutung dieses archivarischen Vorgangs für die Dramatik

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zur Destruktion der Familien und auch der Autorität des Königs, dessen Befehl (vermittelt durch 7 Eunuchen!) Vasthi nicht befolgt hatte! Privat organisiertes Versenden von schriftlicher Post, das es auch gegeben hat (vgl. z.B. die Hinweise bei Dandamaev /Lukonin, Institutions [llOf.]), wird von Est nicht als Möglichkeit zur Kommunikation erwähnt. Andere, von den Juden selbst herbeigeführte gemeinschaftliche Aktionen sind allein lokal begrenzt möglich: das Fasten, das Esther wünscht, kann nur unter den in Susa greifbaren Juden organisiert werden. Nicht ganz deutlich ist in dieser Hinsicht auch 9,4: „Denn groß war Mordechai im Palast des Königs und sein Ruf (1S7DE7) drang durch alle Provinzen" - sollte hier weitreichende Nachrichtenverbreitung abseits von staatlich gelenkter Kommunikation gemeint sein, etwa wie im Falle Vasthis (1,17)? Auszuschließen ist dies nicht sicher, doch lassen sich gewisse Gegenargumente benennen: im Zusammenhang 9,Iff. geht es um die Wirkung des Ediktes des Mordechai in den Provinzen, die Verbreitung der Kunde seiner Größe könnte also im Zusammenhang mit der Verbreitung des Ediktes gemeint sein. Weiter baut die Formulierung formalsprachlich vielleicht auf Jos 6,27 auf: „Und JHWH war mit Josua und die Kunde von ihm war im ganzen Land C p X r r b m 1UDE7 TPI)", und inhaltlich liegt mit dem Stichwort S7DÖ u.U. eine Anspielung auf Jer 6,24 vor, denn auch dort begegnet der Zusammenhang von durchdringender Kunde (vom ]1Q2î f I X D ... D17; vgl. Jer 6,22) und weitgehender Wirkung bei den „Hörern" (vgl. nur Jer 6,24 mit dem Motiv des „Schreckens (Mordechais)" Est 9,2b.3b). Selbstverständlich kamen nicht allein aus Susa Befehle, sondern dorthin gelangten auch Berichte aus den Satrapien; vgl. z.B. Dandamaev/Lukonin, Institutions (107).

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der Novelle zeigt, daß Est den Akten der Großmacht größte Bedeutung, um nicht zu sagen letztes Vertrauen wie in Esr nicht entgegenbringen kann. Die eigentliche Wende der Novelle bringt die nächtliche Entdeckung des Souveräns nicht zustande, denn zur Hinrichtung Hamans kommt es erst nach einem vermeintlichen Vergewaltigungsversuch, und seine Wirkungsgeschichte erledigt sich erst durch die „Aufhebung" seines Erlasses. Die Episode 2,21-23, die zunächst als - dem Leser aber sicherlich verheißungsvoll erscheinende - Sackgasse endet, besteht aus einer geschickten Umbildung mehrerer Erzählmotive der Josephsnovelle77, die ihren stärksten wörtlichen Anklang in dem Verbum (vgl. 2,21 mit Gen 40,2; 41,10) hat. Der Autor der Estherrolle setzt aber selbstbewußt eigene Akzente: obwohl Mordechai eine Position bei Hofe innehat { f i l S m B t ó Z 3ΕΓ; 2,21), läßt er V.22 durch Esther auf komplizierte Weise seine Informationen dem König zukommen. So erweist er sich (nach 2,10.20) als jemand, der auf subtile und vorsichtige Weise mit Informationen umgeht78, die ihm zuvor offenbar als einzigem zugänglich geworden waren79. Die von Mordechai angezeigte Verschwörung wird am Ende untersucht und bestätigt gefunden, die Übeltäter ans Holz gehängt, der Wohltäter (griechisch ευεργέτης) - in ein CTD-Tl Ή 3 Π ~1D0 eingeschrieben80. Zwar schreibt Wiesehöfer in einer Untersuchung über die Wohltäterverzeichnisse der Perser: „die wichtigste Aussage, die man über die »Wohltäter« des Königs machen kann, ist die, daß ihre Namen bei Hof verzeichnet waren", doch davon allein hat, wie das weitere Geschick Mordechais eindrücklich zeigt, niemand etwas. Die Aufnahme in ein solches Dokument war deshalb auch immer mit reicher Belohnung verbunden81, wie es ja auch mit Verspätung ab Est 6,3 prächtig ausgemalt wird.

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Vgl. die Ausführungen bei Meinhold, Est (40). Wozu die Kompliziertheit des Vorgangs in V.22 dienen soll, ist nicht recht deutlich: hält Mordechai irgendeinen Dienstweg ein? Oder will er, indem Esther so indirekt an der Aufklärung des Attentat beteiligt ist, ihre Position beim König stärken? Daß Mordechai von dem Komplott erfährt, ist bereits eine besondere, ihn auszeichnende Sache, wie es die midraschische Tradition in ihrer Art hervorgehoben hat: Mordechai soll demnach 70 Sprachen beherrscht haben und galt aufgrund von Esr 2,2; Neh 7,7 als b v 2 (vgl. Talmon, Wisdom [437 mit Anm. 1]). Andere Tradition weiß zu berichten, auch Mordechai habe sich Aufzeichnungen über den Vorgang gemacht; s. ZusEst A 15: Μαρδοχαίος εγραψεν περί των λόγων τούτων. Vgl. zu den Verzeichnissen und den in Frage kommenden Quellen: Wiesehöfer, Freunde (8-11).

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Die Gründe für das Versagen der Belohnung durch den König erfährt der Leser nicht. Gunkel glaubte feststellen zu können, daß „das Gedächtnis der Herrschenden ... zuweilen kurz" sei82. Dabei ist klar, daß die Trennung zwischen Tat und Belohnung vor allem anderen ein erzählerischer Kunstgriff ist, der mehrere für die Novelle interessante Folgen hat. Die Dramatik der sich ab Kap. 3 entwickelnden Situation hätte bei zuvor ergangener Beförderung Mordechais nie so scharf dargestellt werden können. Der interessante Kontrast zwischen 2,21-23 und Kap. 3 zeigt die ungerechtfertigte Einschätzung der Juden durch staatliche Stellen. Die Uberwindung dieses Gegensatzes zwischen dem tatsächlichen Verhalten der Juden und ihrer Einschätzung durch staatliche Stellen geschieht ab 6, Iff. Das dort geschilderte nächtliche Treiben des Königs trägt, trotz gewisser Merkwürdigkeiten, mit dem Motiv der Aktenlektüre durchaus administrative Züge. Der Novellist läßt so einmal mehr eines seiner Lieblingsmotive zum Zuge kommen. Das Aussetzen eines Erzählfadens und seine Wiederaufnahme werden erzählerisch realisiert durch die Vorgänge des Vergessens und Erinnerns. Dieses Vergessen und Erinnern wird möglich durch die Auslagerung des Erinnerungsgegenstandes in eine Akte. Die Darstellung des Erinnerns als Finden eines Buches oder eines speziellen Abschnittes innerhalb eines Buches hatten wir bereits in 6.3. untersucht. Die Verben ttfp3 und die in diesem Zusammenhang im AT Verwendung finden, stehen auch in 2,23, allerdings in unspezifischer Verwendung. K2D scheint hier eher dazu zu dienen, den stichwortmäßigen Anschluß von Kap. 2 an Kap. 6 herzustellen. In Est spielt nun das Moment der Überraschung eine starke Rolle: wenn auch nicht die Juden und mit ihm den Leser, so trifft doch den König das Gelesene unvorbereitet und als etwas vollkommen Neues. Mit dem Motiv des Findens eines Buches oder Textabschnittes verbindet sich hier also das Motiv der „Überraschung durch das Alte" (vgl. 5.2.1.). Als Hinweis auf ein gewisses Selbstbewußtsein und vielleicht auch einen Hauch von kritischer Distanz gegenüber solchen Akten kann man es werten, daß es hier nun nicht die Juden selbst sind, die etwas finden und sich überrascht zeigen, sondern die Führungsschicht der übergeordneten Fremdmacht, die offenbar nicht einmal die eigene jüngere Vergangenheit rekonstruieren kann, ohne Akten hinzuziehen. Ein Vergleich zu Esr 1-6, wo ebenfalls der persische Souverän aus den Akten die

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Esther (15f.).

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für die jüdische Gemeinde entscheidenden Dinge erfährt, zeigt deutlich den Unterschied: Einerseits handelt es sich bei dem Kyros-Edikt um einen lange zurückliegenden Vorgang in einer unbedeutenden Provinz während der Regierungszeit eines Vorgängers. Andererseits nimmt das Edikt in Esr eine zentrale Position für die Juden ein, die es zweimal zitieren (5,13-15; 6,3-5; dazu auch 1,2-4) und ihm eine gründende Bedeutung zumessen. Von solcher Wertung des Wohltäterverzeichnisses ist Est weit entfernt. Mordechai und Esther setzen ihr Heil auf das richtige und geschickte Vorgehen in der Situation persönlichen Begegnens, wofür die das Buch strukturierenden Festbankette ein sprechender Beweis sind. Das Wohltäterverzeichnis und der Umgang mit ihm bleiben Motiv und Nebenzug der Novelle. Das Verzeichnis ist ein Instrument, auf das die Juden ihr Heil letztlich nicht zu gründen wagen. Die Aufzeichnung der Benachrichtigung über das geplante Attentat durch Mordechai geschieht nach 2,23 "j^DlT "OD1?. Die Bedeutung dieser kurzen Bemerkung ist nicht ohne weiteres zu erkennen. Wohl um die unterbliebene Belohnung Mordechais durch den König erklären zu können hat man oft gemeint, "[SlDH "OSS wolle nicht die Niederschrift in Gegenwart des Königs aussagen, sondern die permanente Verfügbarkeit dieses Journals für den König 83 . Das aber dürfte doch eigentlich selbstverständlich sein. Ein Blick auf die weiteren Belege für 3 Γ Ο + ' 2 OD1? im AT liefert u.E. keine klaren Hinweise: Jos 8,32 liest man von einem "lltf Κ HtÖQ ΓΠΙΠ H31ÖD Sx-ifcp "OD ODS 3Π3 8 \ Auf welchen Vorgang damit angespielt werden soll, ist nicht leicht zu sagen. In der offenkundigen Vorlage für Jos 8,30-32, nämlich Dtn 27,5-8, fehlt ein entsprechender Relativsatz (vgl. bes. Dtn 27,8). Eher fühlt man sich an Dtn 17,18 erinnert: ΠΝΤΓΤ ΠΊΊΠΠ Π3Ε?0"ΠΧ "lb 3ΓΟΊ •"•"ten d - o r o n •OS'pD Ί 3 0 . Dort aber meint "OEÒQ doch wohl nicht die bloße Gegenwart, sondern das Ausgerichtetsein der königlichen Abschrift an der priesterlichen Vorgabe'5. Das kann so für Jos 8,32 nicht infrage kommen;

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Wildeboer, Est (183); Siegfried, Est (152); Oettli, Est (240); vgl. auch Moore, Est (31), der verschiedene in der Literatur erwähnte Lösungen vorstellt und erklärt, die Angelegenheit sei „beside the point", da das Gewicht auf der unterbliebenen Belohnung des Mordechai liege. Der Text ist leider nicht ganz sicher: der Vaticanus liest δν εγραψεν - 3 Γ Ο IttfX nicht; wäre aber in jedem Fall von einer Form von 3 Γ Ο abhängig. Vgl. so auch bereits Tosefta San 4,7, einem Midrasch zu Dtn 17,14ff.: Wohl als Erläuterung zu Dtn 17,18 ... "OD^D wird erklärt, das Exemplar des Königs solle korrigiert werden (ΙΓΊΙΚ yiTODI) durch eine Kommission ("pT Γ Ρ 3 3 ) von Priestern, eine von Leviten und eine von Israeliten mit reiner Abstammung. Nach dieser Auslegung fordert

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Esther - Theologie unter den Bedingungen der Diaspora da es 8,32 um die Veröffentlichung der Thora, ihre Plakatierung (V.32) und öffentliche Verlesung b l 7 p " b o "733 (V.35) geht, mag gemeint sein, daß bereits die Niederschrift im größeren Rahmen erfolgte. Zwei weitere Belege stehen im Zusammenhang des Motivs vom „himmlischen Buch": Die Werke der Menschen können demnach „vor JHWH" geschrieben stehen/werden {Jes 65,6; Mal 3,lé). Besonders Mal 3,16 zeigt eine große Nähe zu Est 2,23 (3ΓΟ ni. + 'S "'3D1?): JHWH hört die Rede der Gottesfiirchtigen (3,16a) und veranlaßt daraufhin einen Eintrag in das „Gedenkbuch". Die Kontrolle Gottes über die Verzeichnung scheint hier betont zu sein86. Anders geht es Jes 65,6 um die alleinige Verfügungsgewalt Gottes über sein Buch. Dazu ist auch 1 QH l,23f. zu vergleichen: γ ο ό β 1 ? ρ ι ρ π " τ ο π Π23 •'ap l TD l ? ] TOT m m . Ebenso wie in Jes 65,6 liegt das Verbum - es handelt sich um aas 3 Γ Ο verwandte Verbum ppü 8 7 - in Form des pass. Part, q. vor, das „zur Beschreibung des Zustandes, der aus einer Handlung folgt"88 dient; gleichfalls ist das Motiv vom himmlischen Buch intoniert. Angemessen zu übersetzen wäre demnach mit „schriftlich vorliegen". Ganz anders als die bislang gebrachten Belege sind wohl die Stellen in 1 QS 6 zu verstehen: 2.1 Of. liest man, niemand solle in der Gemeindeversammlung reden „vor der Rangstufe desjenigen, der vor ihm eingetragen ist" ("Π3Β1? 3"ΙΓΟη 13Ί3Π "OD1?). Ganz ähnlich geht es 2.26 um jemanden, der dem Befehl seines Nächsten widerstrebt, „der vor ihm aufgeschrieben ist" (TTIDSb 31Π2Π). An diesen Stellen wird offenbar auf den Eintrag der Gemeindeglieder in eine Liste der Gemeinschaft angespielt, in der die Reihenfolge des Eintrags zugleich eine Rangfolge innerhalb der Gemeinde bezeichnet (vgl. 1 QS 6,22; 7,21). I Chr 24,6 dagegen scheint die Niederschrift von Geschlechtereinteilungen vor dem König und anderen Offiziellen, die ausführlich genannt sind, eine Zeugenfunktion zu implizieren; dann wäre die Gegenwart der aufgeführten Personen bei der Niederschrift gemeint89. Als verwandte Ausdrücke sind zu nennen „das Niederschreiben vor ihren Augen" (ΟΓΤΟΤ1? 3ΓΟ; Ez 43,11; vgl. 37,20). Ez 43,11 deutet die Fortsetzung

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die Thora selbst also Textkritik oder Textpflege (Text mit Übersetzung bei Rengstorf, Hirbet Qumran [S.30f. Anm. 133]). Merkwürdigerweise liest das Zitat von Mal 3,16 in CD XX,19f. TOB1? nicht. Sollte dort die suffigierte Präposition als überflüssig oder unverständlich empfunden worden sein? Allerdings ist auch ein Textfehler durch Homoioteleuton (vgl. voraufgehendes p-OT) möglich. P P n könnte auch im übertragenen Sinne „feststellen, anordnen" heißen; auch die metaphorisch gebrochene Angabe des Schreibutensils ]"Ι~ΟΤ ΓΠΠ(3) läßt eine sichere Festlegung auf die Ubersetzung „schreiben, eingravieren" nicht zu, doch erlaubt die Erwähnung von ΓΠΠ den Schluß, daß hier in der übertragenen Bedeutung die konkrete mitgedacht ist. Meyer, Grammatik (407f.). Vgl. auch I Sam 10,25: ΓΠΓΡ "OB1? Π:ΡΊ 1 3 0 3 DrCPI. Die Deponierung des „Königsrechts" aus Kap.8 im Tempel soll wohl die Sicherheit des Textes verbürgen. Zur Kombination von 3ΓΌ (q.) und ΠΌ (hi./ho.) als Publikationsterminologie in der rabbinischen Literatur vgl. Liebermann, Hellenism (86).

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p r m 1&S71... nDtcfn... "ΓΊΚ ) darauf, daß mindestens auch ein dauerhafter Effekt, eine fortwährende Präsenz der Aufzeichnungen beabsichtigt ist. In gewisser Weise hierhin gehörig ist auch der Ausdruck des Schreibens " ' S " ? ! ; (Num 33,2) und "ΏΟ {fer 36,4.6.17.27.32-, 45,íf\der die Verschriftlichung auf jemandes Geheiß, bzw. das direkte Diktat durch eine Person bezeichnet. Die Belegstellen weisen eher in Richtung der permanenten Verfügbarkeit eines Schriftstücks, was freilich die Anwesenheit bei der Niederschrift desselben nicht ausschließt. Für das Verständnis von Est 2,23 ist noch die Wiederaufnahme des dort abreißenden Erzählfadens in Kap.6 auszuwerten. 6,2 nimmt einzelne Stichwörter in neuer syntaktischer Konstruktion wieder auf (K2ÎQ; 3 Γ Ο ) , wiederholt aber auch wörtlich die entscheidende Stelle ( t f m t f r r K - [ b n n - p r ò t t f b ItípSCn); vgl. 2,21 mit 6,2), um so nicht allein den Erzählzusammenhang herzustellen, sondern auch die unbestechliche Authentizität des Geehrten-Journals zu betonen. 6,1 findet sich die Wendung "j^Dìl "OSb wieder, bezogen auf die nächtliche Verlesung. Das Aufnehmen solcher Stichworte und ihre Neukonstruktion zu einem teils recht abweichenden Zusammenhang könnte bereits andeuten, daß das vorrangige Interesse des Autors nicht darin bestand, feine Begriffsdistinktionen herauszuarbeiten. 6,1 jedenfalls ist das Verlesen vor dem König selbstverständlich mit seiner persönlichen Anwesenheit verbunden91. Der merkwürdige Wechsel in der Bezeichnung des persischen Dokuments von CTDTI " H m I S O (2,23) zu •"ΌΤΙ Ή 3 Ί Π1313ΤΠ I D O (6,1) könnte u.U. für die Erhellung des Problems einen weiteren Beitrag leisten. Der Titel •">0",Π Ή Π Τ "ISO steht auch für das staatliche Annalenwerk, das in 10,2 bemüht wird. Die Frage, welchen Charakter das zuletzt genannte historiographische Werk hatte92, und ob es wirklich mit dem in 2,23; 6,1 genannten Opus zu identifizieren sei, erscheint angesichts des deutlichen Zitat-Charakters von 10,2 einigermaßen müßig93. Der Novellist hat demnach in 10,2 seinem Werk einen Abschluß nach einem klassischen Vorbild gege-

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Vgl. aramäisch „'S DB b v ... 3ΓΟ" (Porten/Yardeni, Textbook II, Β 1.1. Z.18), „'3ΓΟ Β DBD ..." (Β 2.1. Ζ. 15) oder „... 3ΓΙΒ 'Β DBB" (Β 2.2. Z.16f.; Β 2.4. Ζ.16; Β 2.7. Ζ.17; U.Ö.).

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Vgl. aber einen anderen Ausdruck für dieselbe Sache: DÎTOma Xlp" 1 ! (II Reg 23,2). Vgl. zum Beispiel Moore, Est (99): „a popular historical account of the persian kings, possibly written from a Jewish point of view"; ähnlich Bardtke, Est (403 Anm. 6). 10,2 ist der dtr. - und davon abgeleitet: ehr. - Rahmung der Berichte über die Könige Israels und Judas nachempfunden; vgl. I Reg 14,19 u.ö. C o b o b CPDTI Ή 3 " 1 ~IBO bK-lfcP) und I Reg 14,29 u.ö. (ΓΠΙΓΡ ^ b o b CPDVI ~IBD).

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ben. Für die ihm bekannten Wohltäterverzeichnisse hat er dann diesen Titel ebenfalls herangezogen. Die Ergänzung von ΓΠ313ΤΠ in 6,1 nun ist vielleicht ebenfalls auf ein literarisches Vorbild zurückführbar: in dem bereits oben erwähnten Text Mal 3,16bß liest man: v x h p - D T Ί 3 0 3 Π Ι Ρ 1 . Die einzelnen Bestandteile dieses Kurzsatzes sind vollständig in Est 2,23 und 6,1 eingegangen94, und die Betitelung des Wohltäterverzeichnisses in 6,1 erklärt sich als Mischung zwischen der dtr. Quellenangabe und dem „himmlischen Buch" Maleachis 95 . Die Phrase "j^DH OD 1 ? wäre demnach als primär vorlagenabhängig aufzufassen, ohne daß ihr der Est-Autor einen speziellen Sinn oder gar einen besonderen Nachdruck beigelegt haben muß. Die Entdeckung der Aktennotiz über das von Mordechai enthüllte Attentat geschieht des Nachts unter kuriosen Umständen. Der Vergleich mit Esr 4-6 macht auch in diesem Fall das besondere Profil deutlich. Dort war der Rückgriff auf die Staatsunterlagen aus einer klassischen, im System vorgesehenen Situation entstanden: Gruppen innerhalb des Reiches versuchen, Vorwürfe von politischer Relevanz gegenüber anderen Gruppen oder eigene Ansprüche aus den Akten zu verifizieren. In Est 6,1 nun geschieht der die Rettung der Juden einleitende Aktenfund aus reinem Zufall, ohne daß zuvor ein „historischer", aus den Akten belegbarer Anspruch durch die Juden geäußert worden wäre' 6 . Auch der Kontext des Fundes ist „sachfremd": Der König versucht, sich eine schlaflose Nacht durch Lektüre angenehm zu machen. Ein typischer Vorgang der Reichsverwaltung erscheint so in merkwürdiger Brechung, an den Rand der Persiflage gerückt wiedergegeben. Was in Esr 1-6 bestimmten Regeln des Systems gehorcht und insofern bis ins Letzte rational aufklärbar ist, erscheint in Est als purer Zufall, den das Buch ja auch sonst sehr schätzt. Gerade aber diese Zufälle zeigen eine „.implicit theology' despite the absence of any clear references to Yahweh"' 7 . Man

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Der Plur. ΓΠ3~ΟΤ in Est 6,1 ist wohl Angleichung wegen D"lD"in "Η3~1. Als weitere, bedingt sachliche und kaum wörtliche Parallele ist auf Ex 17,14 hinzuwei-

sen: sjEhrr o t í o ••'toi - i s o a i n a r ηχτ ana. 96

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Die Wunderhaftigkeit des Schriftrundes wird im Midrasch zum Buch Est Meg 15b/16a im babylonischen Talmud noch durch die Annahme gesteigert, der den Juden feindlich gesonnene Schreiber Schimschai (vgl. Esr 4,8f.l7.23) habe die Rettung des Königs durch Mordechai aus den Akten radiert, so daß diese erst von dem Engel Gabriel als Gottes Schreiber wieder neu in die Akten geschrieben werden mußte (s. Börner-Klein, Auslegung [68+228Í.J. Berg, Esther (186); vgl. auch a.a.O. (182): „Their [der Zufälle, d. Vf.] very improbability itself underscores the fact that the Jewish people cannot be destroyed", wie es Hamans Frau und Freunde 6,13 ebenfalls sagen.

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möchte meinen, daß die Aktenlektüre zum Orakel wird, und das Orakel zur Aktenlektüre. Wie ist das näher zu verstehen? D a ß jemanden der Schlaf flieht, ist außer Gen 31,40" noch in dem auch sonst Est sehr nahestehenden 6. Kap. des Dan-Buches belegt". Der persische Großkönig hat es nicht vermocht, sich gegen die Macht der unaufhebbaren Gesetze durchzusetzen und Daniel zu retten. Als Folge plagt ihn in der nächsten Nacht Schlaflosigkeit (TTI^y ΓΠ3 ΠΠ3Ε71, V.19), denn „schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt"100. Das Motiv der Schlaflosigkeit in Est und Dan zeigt w o h l eine enge sprachliche Verwandtschaft, ist aber im Kontext jeweils anders benutzt, denn in Dan erfährt der König nichts in der durchwachten Nacht, die Gründe für die Schlaflosigkeit sind nervöser Natur und also erklärlich 101 . In Est 6,1 dagegen ist zwar die Lage für die Juden und Mordechai - besonders nach 5,14 - höchst prekär, doch weiß der König davon nichts. Seine Schlaflosigkeit ist unbegründet und k o m m t ihm „von einem anderen Ort" her zu. A n die Stelle des T I D ^ n T I D ^ n tritt die unausgesprochene Aufforderung tolle, lege. Die besondere Art des Lesens in Est 6,1 verdient Aufmerksamkeit: warum läßt sich der König vorlesen (V.lbß) anstatt selbst zu lesen? Mehrere Antworten bieten sich an102, a) Auf der Erzählebene könnte gemeint sein, daß der König so seine Schlaflosigkeit besser therapieren zu können glaubte. Beweisen läßt sich das freilich nicht, b) Der Autor der Novelle hat vielleicht einmal mehr das höfische Zeremoniell mit seinen auffallenden Formen beschreiben wollen. Damit läge immerhin ein auch sonst zu beobachtendes Motiv der Novelle vor. c) Der Autor spiegelt damit eine in seinen „Kreisen" verbreitete Praxis oder spielt auf ihm vorliegende Literatur an; vgl. zum Vorlesen: Jos 8,34; II Reg 22,10/11 Chr 34,18 (dort auch die Kombination „Finden eines Buches/einer Textstelle - Vorgelesen werden - Reaktion des Königs"); II Reg 23,2/Π Chr 34,30; Neh 8,2ff.; 13,Iff. (vgl. dort auch 31ΓΟ X2D3!). Sollten diese Texte hier als Vorbilder genommen sein, wäre damit die implizite "Offenbarungsqualität" des Wohltäterverzeichnisses angedeutet, die aber nicht die

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•'ryo TÜtÖ Vgl. aber den in BHS dokumentierten Konjekturvorschlag zu Dan 2,1b; vgl. auch das Motiv der „Langeweile" in 4 Q550 1,4 (Beyer, ATTM Π [113]; s. ausführlich in 6.3. Anm. 95); ferner zu Dan 6 in 7.2.3. Das Shakespeare-Zitat bezieht Gunkel (Esther [32J, auf Est 6,1, paßt aber dort viel weniger. Zu den Abhängigkeiten zwischen Dan 6 und Est vgl. weiter ausführlich in 7.2.3. Wir erwähnen die Möglichkeit, die im Midrasch zu Est Meg 15b im babylonischen Talmud (s. Börner-Klein, Auslegung [68+228]) geäußert ist, nur am Rande: Die jüdischen Gelehrten schließen aus der Wendung D^KIpJ "ΡΓΡ"!, daß die Schriften sich selbst vorgelesen hätten.

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„Bekehrung" der Juden, sondern die des herrschenden Königs bewirkte, d) Eine weitere, am Text selbst nicht festzumachende Deutung erwächst aus der Einschätzung der vorderorientalischen Kulturen nach dem Exil als durchaus noch nicht voll literalisierter. Unter solchen Vorzeichen ist für das frühe Mittelalter die breite Aneignung von klassischen Bildungsgütern belegt, doch mußte dabei der sich Bildende selbst des Lesens oder Schreibens durchaus nicht mächtig gewesen sein. So berichtet der Biograph des angelsächsischen Königs Alfred: „Nam die noctuque, quandocunque aliquam licentiam haberet, libros ante se recitare talibus imperabat... quapropter pene omnium librorum notitiam habebat, quamvis per se ipsum aliquid adhuc de libris intelligere non posset. Non enim adhuc aliquid legere inceperat"103. Est 6,lf. könnte also der Reflex einer Bildungspraxis für Leute sein, die nicht lesen konnten oder wollten oder deren Kenntnisse für Kompliziertes nicht ausreichten. Diese Art der nächtlichen Offenbarung steht im krassen Gegensatz zu dem, was der Autor von Est in seinem großen literarischen Vorbild, der Josephsnovelle, zu solchen Dingen erfahren konnte. Dort wird bekanntlich der Traum als häufiges und offenbar hoch geschätztes Mittel zum Erkenntnisgewinn eingesetzt104. Auf diesem Hintergrund könnte Est 6,1 als bewußte Distanzierung von diesem in gewisser Weise unpräzisen und jedenfalls der Erklärung bedürfenden „Offenbarungsmittel" eingeschätzt werden. Die Gründe für dieses Abrücken von der Vorlage könnten Motive prophetischer Kritik im Hintergrund haben105. Indem jetzt die Akte an die Stelle des Traums getreten ist, hat der Autor jedenfalls auch in diesem Detail eine vollständige Akkulturation der Josephsnovelle an das persische Büro-Milieu vollzogen. Dabei ist aber die Akte selbst im Sinne des Buches Est keine von J H W H veranstaltete Mitteilung. Sie wird lediglich - und dies auch nur unter größter Wahrung der impliziten Ausprägung der estherschen Theologie - von J H W H in den Dienst genommen, um auf das menschliche Verdienst Mordechais, das in der Vergangenheit angesiedelt ist, hinzuweisen, und mitnichten, um einen gewagten Ausblick in die Zukunft zu tun.

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Zit. nach: Vollrath, Gesetzgebung (48 Anm. 60). Dort auch der Hinweis auf ähnliche Verhältnisse bei Karl d. Großen. Das Zitat selbst scheint dem jüdisch-christlichen Frömmigkeits- und Bildungsideal nachempfunden, das die Lektüre DDT1 anempfiehlt Oos 1,8).

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Vgl. Gen 37; 40f.; auch 46,2-5. Vgl. Dtn 13,2-6; Jer 23,25-32; 27,9f.; 29,8f.; Sach 10,2; Koh 5,2.6; vgl. ferner Sir 31,1-8: Orakel, Wahrsagungen und Träume sind eitel, leer und führen in die Irre; Arist 213216: Die Inhalte des Traums sind unberechenbar.

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7.2.2. Kap. 8 - „Schreibt bezüglich der Juden im Namen des Königs, was euch gut zu sein scheint!" Das in 3,11-15 geschilderte Gesetzgebungsverfahren, das seinerseits eine ausgeweitete Fassung des ersten Verfahrens in l,19ff. darstellt, hat eine sehr enge Parallele in der Schilderung des Erlaßverfahrens für das Gegenwehredikt der Juden (8,8-17). Doch hat sich der Autor nicht einfach wiederholt, sondern durch kleine Änderungen sein Thema zugespitzt. 3,11 und 8,8 bringen jeweils die Erlaubnis des Königs für die Bittsteller, das von ihnen Erbetene mit Hilfe von Erlassen zu tun. Die beiden Ermächtigungen haben aber einen sehr verschiedenen Charakter: 3,11 ist Haman - neben einer Menge Geldes - auch das ganze Volk gegeben, daß er nach seinem Gutdünken mit ihm verfahre - eine sehr freie Formulierung, die das eigentliche Ziel der Bitte Hamans ( Ο Ι Π ί ό ΠΓΟ"1; 3,9) nicht mehr erwähnt und so das Ausmaß der königlichen Erlaubnis unterstreicht. 8,8 dagegen bleibt die Erlaubnis trotz ihrer Weite aufgrund der Aufnahme des Stichwortes UFO (vgl. die Bitte 8,5: ΕΡ^ΒΟΓΓΠΚ a t t i r ò ΠΓΟ"1) und dem Wechsel vom anonymen DX7 (3,11) zu den konkreten •Ή1ΓΡ enger an der Sache: „Schreibt bezüglich der Juden, was euch gut zu sein scheint!". 8,8 gibt die entscheidenden Stichworte für die nun folgenden Kap. 8.9 und nimmt eine Art Uberschriftfunktion ein. Die Autorisation der Juden durch den König, nach eigenem Dafürhalten •ΉΤΓΓ S i ? zu schreiben, wird so zur Voraussetzung nicht nur für die Rettung der Juden (9,1-19), sondern bietet auch die Möglichkeit umfassender Kommunikation innerhalb einer religiösen Gemeinschaft, die unter den Bedingungen der Diaspora existieren muß (9,2032). Freilich verdankt sich der Imperativ Ό Γ Ο in der Rede des Königs auch einer im Vergleich zu 3,8f. veränderten Problemstellung. Die Bitte Esthers in 8,5 hatte zwar auch ein Schreiben zum Inhalt, das aber sollte nur das voraufgegangene des Haman „aufheben"104 (D"HDOn~nX z r t t f r ò ΠΙΌ"·; in 8,5bß geraffte Zitation des Befehls Hamans). V.7 muß der König zunächst

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(hi.) muß hier und (deutlicher) in 8,8 „aufheben, widerrufen" - oder wenn man den in solchen Fällen gebräuchlichen Fachbegriff benutzen möchte - „abrogieren" heißen. Holladay, S U B H (lOlf.), führt als ähnliche Belege N u m 23,20; A m 1,3.6.9.11; Jes 43,13 an; davon allerdings ist N u m 23,20 textlich undeutlich erhalten und die anderen Stellen haben nicht ein Gesetz als Objekt. Zur Beziehung von 8,(2.3.)5.8 zu 9,25 und dem gesamten Problem der Unaufhebbarkeit der persischen Gesetze siehe unten 7.2.3.

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auf seinen bisherigen Einsatz für die Sache Esthers verweisen, um davon V.8 die Ermächtigung zum Erlaß für Esther und Mordechai mit einem vorangestellten ΟΠΚΊ betont absetzen zu können. Dabei wird die formal-rechtliche Absicherung dieses Erlasses im Vergleich mit 3,11 besonders herausgestrichen: geschrieben werden soll im Namen des Königs und gesiegelt werden soll mit dem Siegelring des Königs. Der Sinn dieses komplizierten Aufbaus der königlichen Rede wird erst an deren Ende klar. V.8b begründet V.8a in dieser Weise: „... denn107 ein schriftlicher Befehl, der im Namen des Königs geschrieben worden ist und der gesiegelt worden ist mit dem Siegelring des Königs, ist nicht aufhebbar!" "pX signalisiert den Rückbezug auf die Bitte Esthers V.5b und markiert so V.8b als die juristisch und staatsrechtlich korrekte Antwort auf die Bitte Esthers. Der König also kann in dieser Sache von Rechts wegen nicht tätig werden108. Bekanntlich existieren sowohl für die Unaufhebbarkeit der persischen Gesetze als auch für das hier beschriebene „Abrogationsverfahren" mit Hilfe höchster Beamter keine außerbiblischen Belege. Diodor XVII, 30; Herodot IX, 109; Plutarch, Artaxerxes 27 sind, obwohl auf sie gelegentlich verwiesen wird109, dafür nicht anführbar110. Eher schon ließe sich das Gegenteil dessen, was Est 8,8b behauptet, aus Herodot, III.31 wahrscheinlich machen: Der Perser Kambyses will eine seiner Schwestern heiraten und trägt den obersten Richtern des Reiches die Frage vor, ob dieses Vorhaben rechtlich möglich wä-

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Die Übersetzung von Ό mit „denn/weil" ist im Zusammenhang trotz der sachlichen Probleme des königlichen Befehls nicht schwierig. Als Variante wäre die - sachlich kaum abweichende - konzessive Ubersetzung mit „wenn auch/selbst wenn/doch" denkbar (so Crüsemann, Tora [406, Anm. 125]. Anstoß an der kausalen Verbindung und der Stellung von V.8b nimmt auch Frei, Zentralgewalt [24, Anm. 68] im Anschluß an Moore, Est [79], der V.8b für eine Glosse hält, da der König kaum eine Mitteilung gemacht haben wird, die Esther geläufig gewesen sein muß!); allerdings deutet das V.8a vorangestellte ΟΠίΟ darauf, daß das außergewöhnliche Überlassen der Befehlsgewalt in dieser Sache an die beiden Juden (im Kontrast zum Handeln des Königs V.7) mit dem V.8b zitierten Rechtssatz begründet werden soll. Bei den Gesenius17 (342f.); HAL (449), angeführten Belegen für die konzessive Bedeutung 0es 16,12; 54,10; Hos 13,15; Ps 21,12; 37,24; Prv 6,35) steht nur in Prv 6,35 wie in Est 8,8 der Ό-Satz nach, sonst immer vor der Kontrastaussage. Wegen des Bezugs zu V.5 und weil V.8b deutlich eine allgemeingültige Aussage formuliert (3ΓΟ ohne Artikel!), ist Freis Meinung unverständlich, V.8b begründe in seiner jetzigen Form und Stellung „lediglich die unabänderliche Gültigkeit des neu zu erlassenden Dekrets" (Zentralgewalt [24, Anm. 68J). Freis Deutung würde wohl eher eine Formulierung wie ΙΡΕίΓτ? "ρκ ΠΤΠ 3ΓΟΤ verlangen. Vgl. Gunkel, Esther (94 Anm. 42); Montgomery, Dan (270); Porteous, Dan (72); Plöger, Dan (97). Vgl. Crüsemann, Tora (406, Anm. 127); Moore, Est (11); Frei, Zentralgewalt (36 Anm. 64).

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re. Diese antworten, daß kein Gesetz dies ausdrücklich gutheiße, aber sie hätten ein anderes Gesetz gefunden, daß es nämlich dem König der Perser erlaubt sei, zu tun, was er wolle (...άλλον ... έξευρηκέναι νόμον, τφ β α σ ι λ ε ύ ο ν τ ι Περσέων έ ξ ε ί ν α ι ποιέειν τό αν βούληται). D e r Erzähler kommentiert, die

Richter hätten zugunsten des Königs dies Gesetz „ausfindig gemacht" (παρεξευρίσκω). Wenn es den von Herodot zitierten Rechtssatz wirklich gegeben haben sollte, müßte man aus ihm auch die königliche Gesetzesabrogation ableiten können; doch wie sicher ist dieser Schluß? Im Zusammenhang könnte παρεξευρνσκω auch „erdenken" heißen111. Das Gesetz wäre dann also selbst Herodot fiktiv erschienen112.

Dem logischen Aufbau von V.8 zufolge aber scheint die Lösung dieses Dilemmas in der Übertragung aller Rechte zur Gesetzgebung an die beiden Juden zu liegen. Dies wäre freilich klarer ausgedrückt, wenn V.8b explizit sagte, ein solches Schreiben sei nur durch den König nicht aufhebbar, wohl aber durch eine andere Person. Wie es aber in die staatsrechtliche Verfaßtheit des Perserreiches paßt, daß in Fällen notwendig werdender Gesetzesabrogation die legislative Gewalt vom König an andere Personen delegiert werden kann, etwa um den Eindruck zu vermeiden, daß der König sich selbst widerspreche, die so beauftragten Personen aber wiederum im Namen des Königs und mit seinem Siegel arbeiten (V.8a)113, muß wohl nach Lage der Quellen ganz ungewiß bleiben. Allenfalls könnte man noch erwägen, ob nicht die Ablehnung der Abrogation durch den König auf ein technisches Problem, nämlich die Schwerfälligkeit des antiken Publikationswesens zurückgeführt werden muß. So ist in späterer Zeit durch rabbinische und römische Belege die nachträgliche Korrektur einmal etablierter Texte als schwieriges Problem thematisiert114. Dagegen spricht aber, daß V.8b das Gewicht nicht auf die Veröffentlichung des Ediktes, sondern auf seine formal richtige Abfassung legt. Darüber hinaus ist mit Kap. 1 und 3 die persische Gesetzgebung als eine durchaus konservative bezeichnet115, so daß das Stillstellungs - oder Arretierungsgebot aus V.8b sehr gut zu dem von Est beschriebenen persischen Gesetzgebungssystem paßt. Das in 8,8 erwähnte Problem scheint auf jeden Fall grundsätzlicherer Natur zu sein.

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So jedenfalls Menge, Grosswörterbuch (528); Liddell/Scott, Lexicon (1336), geben allein „find out besides" an. Zu den innerbiblischen Belegen vgl. 7.2.3. Vgl dazu auch V.lOa: Name und Siegelring des Königs werden erneut erwähnt; V.lla: der Befehl an die Juden stammt vom König (|Π3 ist dort wohl verkürzend für ΓΠ |Π3; vgl. 3,14; 8,13; 9,14). Vgl. Lieberman, Hellenism (88f.). Zu dieser konservativen Haltung findet sich Näheres in 7.3.

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Das vom König initiierte Verfahren, das also in V.7.8 vom Est-Autor nur nebulös begründet wird, gewinnt erst im nachhinein durch die Beschreibung der Aktion Mordechais etwas an Klarheit. Der König erlaubt den Juden, sich zu „versammeln und für ihr Leben einzustehen", die „gesamte Heeresmacht eines Volkes oder einer Provinz, [alle] die sie anfeinden", zu vernichten und „Beute zu machen"116 (V.ll). Die große Ähnlichkeit dieses Verses mit 3,13 weist diesen Befehl des Königs als Umkehrung des Haman-Erlasses aus. Der alte Erlaß wird also entsprechend den rechtlichen Bedenken des Königs nicht aufgehoben, sondern soll durch einen nahezu gleichlautenden Befehl an die Opfer des ersten Erlasses gewissermaßen neutralisiert werden117. Das würde bedeuten, daß der Wunsch der Esther (8,5), den Befehl des Haman wiedereinzuziehen oder rückgängig zu machen (D"HDOrrnX mttf [hi.]), in der ursprünglich beabsichtigten Form nicht durchgeführt werden konnte. Auffällig ist nun aber, daß das geschilderte Verfahren sich in diesen rein rechtlich-formalen Kategorien durchaus nicht vollständig aufrechnen läßt. V.13 teilt mit, die Veröffentlichung des Erlasses hätte zum Ziel, daß die Juden „bereit seien, sich an ihren Feinden zu rächen". Von (ΰΉΓΡΓΓ) Ό ' Ή spricht auch 9,1.5.16.22, und ebenfalls ist von Leuten die Rede, die die Juden „hassen" (K3È7, 9,1.5.16). Zwar wird schon 7,6 Haman als D^K bezeichnet, aber bis zum Erlaß in Kap. 8 verlautet nichts über mehrere Personen seiner Gesinnung, einen allgemein verbreiteten „Antijudaismus". Diejenigen, gegen die sich die „Wehrversammlungen" der Juden richten müßten, 116

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ra 1 ? drbtí

ist zunächst Rückbezug auf 3,9.13, doch wird die Erlaubnis zum BeuteMachen 9,10.15 offenbar wiederum in Erinnerung an I Sam 15 (vgl. zum Bezug auf I Sam 15 oben 6.1.) nicht in Anspruch genommen. Für die Neutralisierungs-Theorie spricht insbesondere das gleiche Datum für die anbefohlenen Aktionen in den Erlassen (vgl. 3,13 mit 8,12; s. auch 9,1). Die Neutralisierungsthese, verstanden als Neutralisierung der Auswirkungen des Ediktes des Haman, wird auf die eine oder andere Weise meistens für die Erklärung des beschriebenen Vorgangs angenommen: vgl. Wildeboer, Est (192), der von der „Paralyse" der schlechten Wirkung des früher gegebenen Erlasses spricht. Gunkel, Esther (40), vgl. auch a.a.O. (51): Königserlasse könne man zwar nicht verändern, aber es würden „zuweilen eine Auslegung oder ein Zusatz bekannt gemacht, die alles Vorhergehende auf den Kopf stellen". Oettli, Est (249f.): 3",E7!"Ò bedeute „unwirksam" oder „unschädlich" machen. Steuernagel, Est (453); auch Dommershausen, Estherrolle (106): Die Juden dürfen „einen kleinen Verteidigungskrieg führen". Meinhold, Est (74): der erste Erlaß soll „de iure nicht beeinträchtigt", sondern lediglich „de facto ... unwirksam" gemacht werden. Crüsemann, Tora (406f.), interpretiert das Ganze im Hinblick auf die Entstehung des Pentateuchs als literarischen Kompositionsprozeß, innerhalb dessen altes Recht „unausgeglichen" neben neues gestellt werde (weiter zu Crüsemann in 7.3.).

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sind nicht notwendig „Hasser" und „Feinde" der Juden, befolgen sie doch mit ihren Anschlägen gegen sie nur einen (königlichen) Befehl des Haman. Auch der zweite Tag des Mordens, den sich Esther 9,13 erbittet, ist aus dem in 8,7f. entwickelten rechtlichen Rahmen nicht einsichtig zu machen. Ebenso deutet die Mithilfe des „Schreckens" (vor Mordechai, vgl. 8,17; 9,2.3) 118 die Ergänzungsbedürftigkeit des Neutralisierungsverfahrens durch andere Kräfte an; daß es in diesem Zusammenhang sogar zu Konversionen zum Judentum gekommen sein soll (8,17: ""ΓΓΡ, hitp.), durchbricht endgültig den ursprünglichen Anlaß und stellt den Erlaß Mordechais hinsichtlich seiner Wirkungen eher in die Nähe des schriftlich ausgestellten staatlichen Bekenntnisses und Verehrungsgebots Dan 6,26-28. Endlich zeigt 9,1, die thesenartig formulierte „x-Muster"-Vorstellung119, daß in diesem rechtlichen Verfahren ein übergreifendes, letztlich den Gottesgedanken ins Spiel bringendes Geschichtsbild wirksam wird. Die Uberprüfung unseres Verständnisses von 8,7f. an der Durchführung der „Gesetzesabrogation" ergibt also ein Doppeltes: Zum einen bekommen die versprengt lebenden und ihrer Umwelt ein exotisches Bild darbietenden Juden durch den Mordechai-Erlaß die Möglichkeit, sich sie bedrängender Übeltäter vom „Typ Haman" zu entledigen. Zum anderen läuft das ganze Verfahren streng nach den Regeln von Recht und Ordnung ab und ist vom Großkönig sanktioniert. Dabei ist die rechtliche Tücke, die das einfache Aufheben des Haman-Erlasses verbietet, nicht nur ein spannungsförderndes, weil retardierendes Element am Ende Novelle 120 . Dagegen spricht, daß die rechtlichen Bedenken mit V.8,8b zu einem Zeitpunkt nachklappen, an dem mit V.8a die Juden das Erstrebte bereits erreicht haben. Die rechtliche Komplikation, die der Autor mit der Königs-Rede einbringt, begründet also die Übertragung aller Vollmachten an Mordechai und Esther, ihr Handeln an Königs Statt (V.8a: ΟΠΗ"!)121. Es begründet aber

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Zum theologisch befrachteten Motiv des „Schreckens" vgl. schon oben 7.1.

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Zum „X-pattern" vgl. vor allem Loader, Levels (passim); zu 9,1 vgl. ders., Est (222). Nicht stichhaltig ist auch die Behauptung Würthweins, Est (192), in der Quasi-Aufhebung des ersten Erlasses durch den zweiten müsse man einen „märchenhaften, übertreibenden Zug" sehen. Zu Recht lehnt dies Bardtke, Est (368), ab. Selbst wenn es das 8,8 zitierte Gesetz nie gegeben haben sollte - wofür im übrigen das meiste spricht - , ist doch der Umstand, daß das Buch es sich so vorstellt und dem Gesetz in seiner Novelle eine so exponierte Rolle zuweist, von Gewicht (so auch Crüsemann, Tora [406]).

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Die Übertragung der Regierungsvollmachten an die Juden ist, wie der Vergleich mit Kap. 3 zeigt, besonders herausgehoben: Die Übergabe des königlichen Siegels findet in Hamans Fall erst im Zusammenhang mit der Bitte um Vernichtung der Juden statt

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auch das politische Handeln Mordechais und Esthers durch Erlasse. Der Tag des Unglücks, der zum Glückstag gewendet wurde ( " ] 3 Π ni.; 9 , 1 . 2 2 ) , ist auf diese Weise beschreibbar als ein Tag, an dem ΊΓΠ1 -[^DÏTΊ 3 1 bei den Adressaten ankommen, um ausgeführt zu werden (9,1), als ein Tag, an dem der Erlaß des „bösen Haman" (7,6) abrogiert wird hi.; vgl. 8 , 5 . 8 ) , und der deshalb ein „guter Tag", ein Feiertag wird ( 3 1 Ü D V ; 8 , 1 7 ; 9 , 1 9 . 2 2 ) . Wende des Geschicks, ja Lebensrettung geschieht wie in Esr 1-6 durch einen administrativ-juristischen Akt der persischen Behörden, der aber jetzt nicht mehr persische Gesetzgebung in ihr Recht einsetzt, indem sie sie ans Licht bringt, sondern aufhebt - oder zumindest beiseite läßt - und durch neue, von Juden erdachte122 Bestimmungen neutralisiert oder ersetzt. Gerade in diesem Kontrast wird eine andere Bewertung von Schriftlichkeit sichtbar: Sie dient nun nicht mehr der Aufbewahrung des Heils, sie garantiert nun nicht mehr in jedem Fall Wahrheit. Persische Gesetze sind in Est nicht aus sich selbst gut, da ihre Autoren - anders als in Esr - nicht als erweckt bezeichnet werden können. Diese unterliegen dem Irrtum (Xerxes) oder charakterlicher Schlechtigkeit (Haman) und produzieren daher entsprechende Erlasse123. Die persische Administration ist entzaubert, da die für diese Administration verantwortlichen Menschen von Est auf die Erde zurückgeholt worden sind124. Einen 31D D"P kann es aus diesen Gründen für die Juden nur geben, wenn sie die Geschicke des Staates selbst in die Hand nehmen, ihn sich selbst mit Hilfe der persischen Verwaltung organisieren.

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(3,10), ist aber in Mordechais Fall bereits vor der Bitte erfolgt (8,2). Obwohl also die Handlungsvollmacht prinzipiell bereits vorliegt, wird sie noch ein weiteres Mal von den Juden erbeten (V.5) und vom König erteilt (V.8). Daß nun die Juden selbst das Ruder des Staates in die Hand nehmen, ist bei der Einschätzung von Est nicht zu unterschlagen. Vgl. anders Gunkel, Esther (72): „In dieser verzweifelten Lage ist die einzige menschliche Hoffnung des Juden, daß das Reich mit seinen gewaltigen Machtmitteln ihn nicht im Stiche läßt". Esther betont aber besonders die glänzende Handhabung der administrativen Institutionen durch die Juden. Die pessimistische Einschätzung der Umwelt (siehe die Figur des Königs und Hamans) läßt es den Juden geraten erscheinen, ihr Schicksal nicht dauerhaft in fremde Hände zu legen. Hierin liegt auch ein wesentlicher Unterschied zu Esr 1-6, denn der Chronist setzt dort seine Hoffnung auf die Einsicht und Lernbereitschaft des persischen Königs aufgrund der Aktenlage. Esr kann dies so positiv sehen, da der persische Herrscher dort als theologisch aufgeladene Retterfigur gezeichnet wird. Est ist aber bemüht, den Großkönig nicht direkt der Kritik auszusetzen: 8,5 wird der Pogrom-Erlaß der Juden ausdrücklich - so der M T nicht glossiert ist (doch vgl. 8,3; 9,25!) - als ]ΠΠ ΓΙΠΕίΠΟ bezeichnet. Statt des theologischen Überbaus in Form der Kyros-Ideologie kennt Est andere Deutekategorien für menschliches Handeln - wie etwa die weisheitlichen Motive (s.o.).

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Der Autor von Est ist sich dabei wohl bewußt gewesen, daß er sich mit dieser Bewertung autoritativer, schriftlicher Satzungen (und der ganzen Regierungsarbeit des Perser-Reiches) in Gegensatz zu bestimmten Vorstellungen seiner Zeit wie überhaupt der Möglichkeit der Machtausübung in einem Großreich wie dem der Perser setzt. Dies wird klarer, wenn wir uns noch einmal genauer dem mit dem Ausdruck ΕΓηΟΟΓΓΓΙΚ ^ I t f r Ò 3ΓΟ·> (8,5) bzw. 3"Ί0Γ0 (8,8) Gemeinten zuwenden. Das in 8,5ff. entwickelte rechtliche Problem arbeitet mit bestimmten Eigenheiten schriftlicher Texte, nämlich ihrer Loslösung von ihrem Autor, und der schriftlichen Texten im Vergleich zu mündlichen innewohnenden besonderen Form von Durabilität, die unter bestimmten kulturellen Bedingungen und aufgrund von Ansprüchen des wirtschaftlichen und politischen Lebens zu einer „Stillstellung" dieser Texte führen kann125; d.h. die Uberlieferung, in diesem Fall die der Gesetze, ist fest und unbeweglich und paßt sich nicht ohne Weiteres, in manchen Fällen sogar überhaupt nicht, den veränderten Rahmenbedingungen an. Dieser Charakter der persischen Gesetze als „Immobilien" gehört nun laut der Aussage des estherschen Xerxes (8,8) gewissermaßen in ihre Prolegomena, ist sicherer Bestandteil des Umgangs mit ihnen. Dies führt innerhalb der Handlung der Novelle zu der überraschenden Pointe, daß Haman, obwohl entlarvt und hingerichtet (7,10), über sein physisches Ende hinaus sein böses Treiben fortsetzen kann. Esther und Mordechai kämpfen „gegen das Werk eines Toten, das diesen überlebte, weil es durch die Reichsgesetzlichkeit geschützt war"126. Haman an den Galgen zu bringen,

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Vgl. J. Assmann, Gedächtnis (271f.), der z.B. von „Stillstellung und Monolithisierung der Uberlieferung" spricht. Bardtke, Est (365). Problematisch erscheint aber Bardtkes Fortsetzung: „Hier trat Esther also gegen den Verwaltungsapparat, gegen die Gesetzlichkeit, gegen die Organisation des Reiches an ...". Ein simples Aufbegehren gegen Institutionen kann nicht gemeint sein, tritt doch die Rettung der Juden durch eben diese Mittel des Reiches ein. Mit dem Motiv der Wirkung eines Textes über den Tod seines Autors hinaus hat die Novelle eine wesentliche Eigentümlichkeit von Schrift erfaßt und in dramatische Handlung umgesetzt. Vgl. dazu - wenn auch aus dem Zusammenhang einer Untersuchung über ägyptische Grabinschriften stammend - folgende Äußerung J. Assmanns: „Die Schrift ist die Rede eines abwesenden Sprechers und der .Autor' ... ist der abwesende Sprecher eines aufgezeichneten Textes. Der Tod ist die paradigmatische Form solcher Abwesenheit. Der Sprecher, der zur Feder (oder welchem Schreibgerät immer) greift, stirbt gleichsam als Sprecher, um als .Autor' zu leben; indem er seiner Rede die materielle Präsenz der Schrift verleiht, tritt er selbst in die Distanz der Abwesenheit, aus der die Schrift ihn ver-gegenwärtigen und der Text ihm zum Denkmal werden kann." (Schrift [70]).

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war für den König im Handumdrehen möglich (7,8-10), hingegen sein Nachleben als Text zu beenden, unterliegt gesetzlichen Beschränkungen, die nur durch - uns im Detail allerdings unklare - juristische Winkelzüge zu umgehen sind. Das am Beispiel des Haman dargestellte Problem hat die Rolle des Privaten für das öffentliche Handeln zum Inhalt127. Haman hatte mit dem Edikt gegen die Juden seine Privatangelegenheit als Reichsangelegenheit interpretiert, so aber dem Reich geschadet, weil er einen Anschlag plante gegen den Lebensretter und die Frau des Königs. Das Handeln der Juden vom Schlage Mordechais hingegen kennt das individuelle, private Handeln nicht128, wohl aber einen Ausgleich zwischen den beiden Polen „Einsatz für die Volksgemeinschaft" und „Einsatz für das persische Reich" 129 . Esther und Mordechai werden von der Novelle als glücklich agierende Jongleure zwischen diesen beiden Polen beschrieben. Haman schafft es nicht, zwischen diesen Gehorsam fordernden Instanzen zu vermitteln und wird so beiden nicht gerecht: er scheitert in seinen privaten und politischen Zielen. In die Bewertung seines Judengesetzes wird auf diese Weise eine ethische Komponente eingetragen. Der Text wird an den Autor rückgebunden und dem Leser deutlich gemacht, daß das Gesetz nur so gut sein kann wie sein Autor 130 . Im Gegensatz dazu steht das vom Verfasser der Novelle ins Spiel gebrachte Unaufhebbarkeitsgesetz: dieses sollte doch wohl bewirken, das Band zwischen Text und Autor endgültig zu zerschneiden und das Gesetz als

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Die Entgegensetzung des privaten Handelns Hamans und des Privates und Gemeinnütziges ausgleichenden Handelns Esthers und Mordechais auch bei Berg, Esther (179), mit Verweis auf eine Arbeit Humphreys'. Das allein auf den privaten Lebenszweck abgestimmte Handeln wird in der Diskussion Kap. 4 für die Juden ausdrücklich verworfen. Diese Form der ausgeglichenen Doppelloyalität stellt Berg, Esther, besonders heraus; vgl. z.B. a.a.O. (180): „Esther and Mordecai are loyal and responsible citizens of the empire. They demonstrate both a concern for their co-religionists and, unlike Haman, a genuine regard for the king's wellbeing"; vgl. dazu auch Humphreys, Life-Style (bes. 216). Est 10,1-3 konstatiert die beiden für das Handeln Mordechais bestimmenden Pole abschließend: Mordechai kommt nach dtr. Manier in die Annalen Mediens und Persiens, ist zweiter hinter dem König, aber auch auf das Wohl seines eigenen Volkes bedacht und bei diesem beliebt. Auf diese Weise werden Gesetze gewissermaßen historisiert, die Gattung „Rechtssatz" wird durch die Gattung „Novelle" oder „Geschichtserzählung" verumständet und kommentiert (so beim Vasthi-Erlaß, dem Pogrom-Erlaß und dem Gegenwehrerlaß). Dadurch aber werden die Gesetze als Gesetze von Interessengruppen beschrieben (der Ehemänner, der Judenfeinde, der Juden) und in gewisser Weise relativiert.

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über Zeit und Raum schwebende Größe zu installieren, über die nicht einmal mehr sein formeller Autor, der König, verfügen kann. Gegen dieses Gesetz, das das Schriftliche derart festschreibt, wenden sich Mordechai und Esther nicht, denn sie sind - jedenfalls im Prinzip dem Gesetz der Perser unbedingt gehorsam131. Praktisch jedoch setzen sie es mit Hilfe des Königs außer Kraft und zeigen auch darin ihre Doppelloyalität, die ihrem eigenen Volk Gutes will, dem persischen Reich aber ebenso Genüge tun möchte. Die Schriftlichkeit von Gesetzestexten, deren Stabilität das 8,8 genannte Gesetz auf die Spitze treibt, wird von Est einer für Minderheitsgruppen typischen Kritik unterworfen: die Juden können als die Verlierer der Geschichte kein Interesse an einer Unumkehrbarkeit der Verhältnisse haben, die Dinge müssen zumindest in einem gewissen Maß im Fluß bleiben können132. Die Auffassung von Schriftlichkeit entwickelt sich also am politisch und sozial instabilen Status der in der Diaspora lebenden Gruppe, spiegelt aber ebenso das Denken von Menschen, die gleich Esther und Mordechai den politischen Aufstieg wollen: Die bestehenden Ordnungen müssen akzeptiert werden, doch wo sie behindern, können sie mit einer ganzen Palette von Mitteln - angefangen von körperlichem Reiz bis hin zu informierter Wachsamkeit und politischem Können - unter Wahrung der Form über- oder umgangen werden. Das schriftliche Gesetz ist also nicht nur so gut wie sein Autor, es muß auch wirklichkeitsadäquat sein, den Erfordernissen des Hier und Jetzt, für die eine auf Veränderung drängende Gruppe ein besonderes Gespür haben muß, entsprechen133. Innerhalb des von Est beschriebenen persischen Staatswesens bedeutet dies nichts Geringeres als eine „sanfte Revolution", eine Revolution, die law and order einer kritischen Sichtung zu unterziehen wagt, doch nie den Staat

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Zum wichtigen Problem des Gehorsams in Est vgl. vor allem Berg, Esther (131159+167-180) und 7.3. dieser Arbeit. Der unbedingte Gehorsam zeigt sich etwa 4,11: Esther will sich in der größten Gefahr für ihr Volk und sich selbst an das Hofritual halten; 4,2: der Haman den Kniefall verweigernde und sich in Trauer befindende Mordechai hält sich an die Vorschrift, im Trauergewand nicht im Königstor zu erscheinen. Vgl. z.B. Burke, Geschichte (297): „Die Sieger haben die Geschichte vergessen. Sie können sich's leisten, während es den Verlierern unmöglich ist, das Geschehene hinzunehmen; diese sind dazu verdammt, über das Geschehene nachzugrübeln, es wiederzubeleben und Alternativen zu reflektieren". Vgl. auch J. Assmann, Gedächtnis (66-86), der mit Hilfe des Modells von „heißer" und „kalter" Erinnerung (Lévi-Strauss) dieses politisch-soziologische Problem im Hinblick auf die kulturellen Konsequenzen beschreibt. Vgl. 4,11 mit 4,13f.: Das Hofzeremoniell ist nicht zu achten angesichts der jetzt entstandenen Notlage.

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erschüttert, sondern im Gegenteil nach der idealen Darstellung des Buches eine Stärkung seiner Position mit dem Schutz von Minderheiten zu verbinden in der Lage ist. Diese Revolution bezieht auch die schriftlichen Aufzeichnungen inhärente Qualität der Verfestigung und Zeitenthobenheit mit ein; die autoritativ-zentralistische Struktur des Staates wird zum Charakter des Mediums Schrift in Beziehung gesetzt und beides den sich aus der Spannung der Doppelloyalität ergebenen Erfordernissen angepaßt. Daß dies ein durchaus konfliktträchtiges, sich teilweise selbst widersprechendes Konzept sein muß, hat die Novelle zwar zu verdecken versucht, aber doch nicht ganz unterschlagen können. Davon wird in Bezug auf Kap. 9 die Rede sein. Der weitere Vergleich zwischen Kap. 3 und Kap. 8 vermag das bereits Gesagte zu illustrieren. 8,9.10a nimmt 3,12 auf, nuanciert jetzt aber in wichtigen Punkten. Adressaten sind in Kap.8 primär die „Juden", was vor allem mit der neutralisierenden Funktion des Befehls zu tun haben dürfte. Aber nun sind auch die Juden Menschen, an die der Staat sich wendet, sozusagen Menschen mit guter Adresse134; Gesprächspartner sind sie keine, denn solche kennt das Reich nach wie vor nicht, die Kommunikationsstruktur ist wie beim Edikt des Haman als Einbahnstraße angelegt135. Die Verbreitung des Erlasses wird durch eine im Vergleich zum Haman-Erlaß verbesserte Ausstattung der königlichen Post erleichtert (vgl. neben 8,10 auch V.14)136, die wohl aufgrund der drängenden Zeit nötig ist, aber auch die Bedeutung dieses Kommunikationsweges für die Rettung der Juden unterstreicht.

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Bardtke, Est (369), meint, die Juden gelten nun als „reichsrechtliche" Größe. Auch Gunkel, Esther (64), verweist darauf, daß nach Est das ganze Reich vom Zentrum aus durch Erlasse regiert wird und die Provinzen als rechtlos und bloß gehorchend dargestellt werden. Daraus darf man aber nicht schließen, in einem nachexilischen Buch wie Est seien die Juden „aus einem stolzen Volke ... zu einer Herde unterdrückter Provinzialen geworden, die aus sich selber nichts vermögen". So seien etwa auch die Samaritaner in Palästina nicht mit „selbstständigem Tun", sondern mit „königlichen Erlassen" besiegt worden. (a.a.O. [66]; man spürt in dieser Aussage eine problematische Entgegensetzung von heldenhaftem, „mannhaftem" Handeln und dem Tun blasser Schreibtischtäter). Esr und Est interpretieren wir dagegen als zwei (unterschiedliche) Versuche, unter den Bedingungen einer übermächtigen Herrschaft und dem (notwendigen) Akzeptieren ihrer administrativen „Spielregeln" Identität zu wahren und ein größtmögliches Selbstbewußtsein sich selbst wie der Umwelt gegenüber zeigen zu können. Die genaue Bedeutung von ΟΌΟΊΠ "03 ΟΌΙΠβΠΚΠ Β 3 Ί Π "GDI (8,10) entzieht sich bislang der Erkenntnis. Moore, Est (80), vermutet, daß trotz der Unklarheit der Begriffe klar sei: „these were fast, strong horses which could carry the important message throughout the far-flung empire in good time"; vgl. zu tÖD~l auch Klingbeil, Note.

Von schlechten und guten Beamten (Kap. 3/8)

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Die Betonung der sich aus der Diaspora-Situation ergebenden Probleme setzt Est im Folgenden fort. Der Befehl des Mordechai, der weitgehende Ähnlichkeit mit dem des Haman aufweist, beginnt mit dem für Est obligatorischen Verweis auf die Zerstreuung der Juden "ΊΚ7Κ ΕΓΎΒΤ0 137 ""PX7Ì PI?) . Der Befehl will zunächst den Grundmangel beheben: „Die Juden in einer jeden Stadt sollten sich versammeln und für ihr Leben einstehen" (8,11)· Beachtenswert ist die Verwendung der Wurzel b l i p (ni., vgl. auch 9,2.15.16.18) in einem Buch, das sonst ekklesiologische Begriffe wie die Substantive ΓΠ57 oder biljp nicht kennt. Dies bestätigt zunächst die allgemeine Einsicht, daß (Minderheits-) Gruppen besonders in der Situation äußerer Anfeindung (betont 8,13bß: DiTQ",KQ Dp^rÒ) zusammenwachsen. Dieses Zusammenwachsen aber ist nach der Darstellung des Est-Buches kein natürlicher Vorgang, sondern wird durch die administrative Maschinerie des Staates, insbesondere sein Kommunikationssystem organisiert, und ist daher eine kulturelle und politische Leistung. Die sich zur Wehr setzende und gerettete Gemeinde entsteht aus den Zerstreuten, die Adressat geworden sind138. Die jüdische Gemeinde unter den Bedingungen der Diaspora ist aber selbstverständlich noch lange kein Produkt des persischen Staates139, denn die Juden instrumentalisieren das vorhandene System für ihre Zwecke, glauben allerdings auch, damit dem Staat Genüge zu tun. V. 15-17 sind eine kunstvolle Verquickung mehrerer bereits bekannter Motive der Erzählung und eine wichtige Uberleitung des beschriebenen Vorgangs zum krönenden Abschluß des ganzen Buches. Die königliche Bekleidung Mordechais V.15a markiert durch den Gegensatz zu seinen Trauergewändern (4,1) die Wendung der Geschichte wie auch seine für das Volk der Juden erlangte Machtfülle. Die Reaktion der Juden V.16 ist die Reak-

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Die Einleitung eines zitierten Textes erfolgt in Est regelmäßig mit ""IltfX (vgl. 1,19; 2,10; 3,4; 4,11; 6,2). Der eigentliche Inhalt des Befehls ist V.ll noch einmal mit b abgesetzt. Bezeichnenderweise ist die Gabe des Befehls an die Juden, also ihre Adressatenwerdung selbst Gegenstand der öffentlichen Verlautbarung (V.lla bis ""PÖT ...). Es entsteht nur die im Moment handelnde und zu neuen Perspektiven gelangende Gemeinde. Das jüdische Volk als bestimmte und abgegrenzte Größe zählt ja zu den fundamentalen und unhinterfragten Voraussetzungen des Buches. Dieses Volk hat es freilich nach Meinung des Novellisten zu seinem dauerhaften Überleben nötig, gesammelt, aktiviert und auf „neue" Sinnhorizonte hingewiesen zu werden. Dies ist zu betonen gegenüber der Theorie von der sogenannten „Reichsautorisation" (vgl. vor allem Frei, Zentralgewalt [passim]; auch Blum, Studien [345-360]; Crüsemann, Tora [bes. 405407]; Kratz, Translatio [246ff.]), die die Kanonbildung, also ein wesentliches gemeinschaftsstiftendes Instrument, als Produkt persischer Innenpolitik zu beschreiben versucht.

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Esther - Theologie unter den Bedingungen der Diaspora

tion der Adressaten, wie sie negativ bereits aus 3,15bß bekannt ist. Das Stichwort nnDfc? läßt bereits das Thema des nächsten Erlasses anklingen (vgl. 9,22; auch 9,17-19), das Stichwort "Ip"1 deutet noch einmal an, was mit dem ersten Edikt des Mordechai eigentlich geschehen ist: die „Ehre" war bereits im Gespräch zwischen Haman und dem König in für Haman verhängnisvoller Weise Thema gewesen (6,3.6[2x].7.9[2x].ll), dann Mordechai zuteil geworden und wurde jetzt durch sein Edikt an alle Juden weitergereicht! Der Zusammenhang zwischen dem Glückszustand des Volkes und dem Erlaß wird abschließend 8,17 ausdrücklich festgehalten, denn der Ort, an dem der Erlaß des Königs ankommt, ist ein Ort der Freude. Der DT1 der so entsteht, präfiguriert bereits den kommenden Feiertag der Juden, der allerdings durch weitere Erlasse in seiner Fortdauer und in seinem Gehalt stabilisiert werden mußte.

Exkurs Π: Zur Deutung des Unaufhebbarkeitsgesetzes Mit der Frage nach der Aufhebbarkeit von Gesetzen, die sich mit den entsprechenden Belegen in Est und Dan 6 stellt, ist ein Thema von universaler Bedeutung angeschnitten, denn „das von Menschen gesetzte Recht leidet an einer inneren Schwäche. Es leidet an dem Zweifel an seiner transpersonalen Dauer, an dem Zweifel, ob ein Recht, das ein Mensch kraft seiner Herrschermacht geschaffen hat, eben diesen Menschen ... zu überdauern vermag"1. Unsicher also ist es, inwieweit es einem Sprecher gelingt, das Gesprochene über die unmittelbare Sprechsituation, ja sogar über die eigene biographische Grenze hinaus als Text mit autoritativem Anspruch in einem Rezeptionsprozeß zu halten. Die Auflösung des Zusammenhangs zwischen Sprecher und Text, die durch die Verschriftlichung eintritt, erfordert offenbar Konservierungsmechanismen, die, um wirklich effektiv sein zu können, transpersonaler Art sein müssen. Solche „Konservierungsmechanismen" sind im ganzen schreibenden alten Orient zu finden und fehlen selbstverständlich auch im A T nicht. Wir brauchen hierfür nur auf die Fluchreihen am Ende der pentateuchischen Gesetzeskorpora zu verweisen (Lev 26; Dtn 27f.) 2 . Ein prägnantes Beispiel findet sich in Esr 6,llf. Die Verse dienen der Sicherung der zuvor genannten Befehle und somit auch des Kyrosediktes. Darius hebt vor allem das personale Prinzip hervor, indem er betont den Zusammenhang zwischen seiner Person und dem zuvor genannten Text herstellt (V.lla: ... Ή DS7B D"lt£? ""DDI; V.12b: ... 0S7U DütD t t f r m Π3Κ), sich aber gleichzeitig so auch mit dem ursprünglichen Sprecher des zitierten Textes, nämlich Kyros, in eine Reihe stellt. In der sicheren Einsicht und

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Krause, Dauer (217). Vgl. dazu allgemeiner Luhmann, Systeme (217): „Gesehen im Kontext evolutionärer Errungenschaften muß kommunikativer Erfolg als zunächst äußerst unwahrscheinlich gelten". Als Gründe dafür nennt Luhmann zum einen, daß selbst bei Vorhandensein transportabler Sinnträger (etwa Schrift) die Aufmerksamkeit für die Botschaft nicht gegeben ist, denn „anderswo haben die Leute etwas anderes zu tun" (a.a.O. [218]). Darüber hinaus ist auch der Erfolg der Botschaft nicht sicher, selbst wenn die Information verstanden wird: Jedes ausgesprochene Wort erregt den Gegensinn" (ebd.). Für die Bedeutimg von Flüchen zur Textsicherung vgl. Mühl, Gesetzgebung (91-94).

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Zur Deutung des Unaufhebbarkeitsgesetzes

wohl auch aus der Erfahrung, daß solche Selbstverweise nicht weit tragen3, bemüht der Herrscher ein zweites, diesmal iranspersonales Instrument der Textsicherung: ... ΠΏΠ ΠΏΕ7 p t f Ή ΚΓ0Κ1 (V.12a). Die Dauer des Gesetzes wird gewährleistet durch die räumlich und zeitlich unbegrenzte Möglichkeit, einen Verstoß gegen das Gesetz des Darius zu sanktionieren. Alle Nachfolger des Darius und alle Untertanen vermag dieser Gott für ihre Frevel an seinem Haus zur Rechenschaft zu ziehen. Auf diese Weise wird die Verstetigung des Textes unabhängig von seinem Autor als Aufgabe beschrieben, die in theologischen Kategorien besonders gut zu leisten ist4. Es bedarf nun nicht des ausführlichen Beweises, daß diese Sicherstellung von Texten im Argumentationsrahmen religiöser Kategorien dem Buch Est fremd ist. Dessen Bedeutung liegt gerade darin, daß es diese Aufgabe konsequent remoto deo angeht. Dieser Abschnitt wird einigen im alten Orient und im antiken Griechenland belegten Versuchen, schriftliche Texte in besonderer Weise „sicher" zu machen und stillzustellen, nachgehen. Dabei kann und soll es uns nicht um eine vollständige Ubersicht gehen, sondern vielmehr gezeigt werden, daß die besonders rigoros formulierte und singuläre Unaufhebbarkeit der persischen Gesetze nicht völlig ohne Zusammenhang in der Umwelt des Estherbuches steht. Es wird weiter auch darum gehen zu zeigen, daß solche Verstetigungsversuche, wenn sie auch alle das eben beschriebene Grundproblem teilen, doch nicht einfach in eins gesetzt werden können, sondern in je verschiedenen Kontexten ein je eigenes Profil entwickelt haben. Ihre Untersuchung kann so das Bewußtsein für die Problematik schärfen und als Hinführung zur Betrachtung der eigentlichen Belege in 7.2.3. nützlich sein.

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Vgl. nochmals Krause, Dauer (223): „Was immer man versucht, alle Formeln teilen die Geltungsschwäche des Rechtsaktes, dem sie Dauer verleihen sollen, weil sie ein Teil seiner selbst sind; mit keiner wird der archimedische Punkt außerhalb der Urkunde, richtiger: außerhalb der Person des Rechtsschöpfers gewonnen." Für die Verbreitung von Flüchen auch im griechischen Kulturbereich vgl. Mühl, Gesetzgebung (89f.), der auch davon spricht, daß „die Religion ... von einer großen praktischen Bedeutung für den Rechtsschutz" war. Gefruchtet hat freilich auch diese Methode nicht viel. Sommerfeld, Flüche (462f.), verweist etwa auf Kodex Hammurapi XLIX 23ff.: die Wirkung der Flüche soll denjenigen treffen, der „die Flüche (des Königs) mißachtet, die der Götter nicht fürchtet", wodurch, wie Sommerfeld sicher zu recht schließt, die Existenz eben solcher Leute erwiesen ist und sich zeigt, „daß bis zu einem gewissen Maße die Flüche als wirkungslos erfahren" wurden.

Joh 19,22

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1. Joh 19,22 Die Antwort des Pilatus auf die Beschwerde der Juden, das, was geschrieben sei, bliebe geschrieben, scheint die Unverrückbarkeit, ja Unaufhebbarkeit schriftlicher Texte - im juristischen Milieu - zu behaupten und gleichzeitig auf eine griffige Formel zu bringen. Ist also mit dieser Bemerkung Pilatus auch unter den Persern? Dieser erste Eindruck freilich trügt. Die ihm vom vierten Evangelisten in den Mund gelegte Antwort auf die Bitte der Hohenpriester 0oh 19,21.22) ist sowohl hinsichtlich ihrer sprachlichen Gestaltung als auch hinsichtlich der so zum Ausdruck gebrachten Rechtsansicht aus jüdischen Schriften hinlänglich bekannt5. Ein Vorgang, der nicht gemäß einer bestehenden Regel oder Anordnung erfolgt, kann trotzdem akzeptiert und für Recht erklärt werden. Die Gültigkeit des Vorgangs wird also anerkannt, wenngleich seine Unzulänglichkeit gemessen an den ursprünglichen Maßstäben durchaus gesehen wird. Ebenso verhält es sich mit dem titulus am Kreuz Jesu: Die Hohenpriester machen auf eine Formulierungsschwäche aufmerksam, die Mißverständnisse erzeugen kann. Pilatus akzeptiert ihren Einwand mit seiner kurzen Antwort, erklärt aber gleichzeitig unter Hinweis auf eine bestimmte unter den Juden der Zeit bekannte Rechtsauffassung, daß die Sache, da sie nun einmal geschrieben, so zu hinzunehmen sei. Hinsichtlich des uns interessierenden Aspektes der Unverrückbarkeit schriftlicher Rechtstexte sind daher mehrere Unterschiede zwischen dem Votum des Pilatus und dem von Xerxes ins Spiel gebrachten Rechtssatz (Est 8,8) festzustellen: Nach Ausweis der jüdischen Parallelen hat die Rechtshaltung des Prokurators ihre Wurzeln nicht in einem bestimmten Verständnis des Mediums „Schrift", daß es nämlich Dinge unter gewissen Umständen unkorrigierbar festschreibe, sondern entspringt vielmehr einer allgemeinen Rechtsauffasung, die hier nur sekundär auf einen (fehlerhaften) schriftlichen Text angewendet wird. Bei diesem Text handelt es sich ferner nicht um ein Gesetz, sondern um einen Anklagegrund, eine kurz gefaßte Anklageschrift. Wichtiger noch ist die Argumentationsstruktur, die hinter dem Pilatussatz sichtbar wird: Zwar wird nach dieser Rechtsauffassung die Fehlerhaftigkeit eines Vorgangs zunächst gesehen, doch wird alsdann der Unterschied zwischen Anspruch und Wirklichkeit verwischt, der Blick auf die Illegitimität

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Vgl. Strack/Billerbeck, Kommentar Π (573); Schlatter, Joh (349).

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Zur Deutung des Unaufhebbarkeitsgesetzes

eines Vorgangs durch seine nachträgliche Recht-Sprechung kaschiert. Das Ganze geschieht offenbar in der Meinung, auch das Falsche könne zuweilen den richtigen Zweck erfüllen. Es stellt aber wohl auch ein Zugeständnis an die Erfahrung dar, daß das Ideal des gesetzlichen Anspruchs zu häufig keine Umsetzung in die Tat findet oder finden kann6. Deutlich davon zu unterscheiden ist das Verständnis der Sache, das König und Juden in Est zeigen: die Unantastbarkeit einmal gemachter Rechtssätze wird als unerträgliches Manko empfunden. Unter keinen Umständen ist es denkbar, daß das Gesetz, wenn es denn ausgeführt werden sollte, zu einem guten Zweck dienen und so nachträglich eine ihm ansonsten mangelnde Legitimation erhalten könnte. Dabei ist das Problem durch Est noch differenzierter geschildert: Das Edikt des Haman ist ja formal richtig zustande gekommen (vgl. 8,8b!), stellt aber trotzdem einen Befehl dar, der gegen die eigentlichen Intentionen des Königs verstößt. Die Abrogationsklausel der Perser vermag demnach dem Auseinanderklaffen von formalen und inhaltlichen Aspekten des Ediktes nicht gerecht zu werden. Der vielleicht hinter dieser Klausel stehende Gedanke, um der Stabilität des Rechtslebens und der Kontinuität der persischen Herrscher willen sei das Verbot der Gesetzesabrogation sinnvoll und geboten, wird von der Novelle gründlich als Irrtum desavouiert. Aufgrund des Gesetzes hätte der König beinahe seine Frau verloren, einen guten Beamten und eine zuverlässige Volksgruppe. Gerade also diese kritische Haltung und der Versuch, der Komplexität und Uneindeutigkeit von Recht und Unrecht flexibel zu begegnen, unterscheidet Joh 19,22 von Est.

2. Mt 5,17-19 Mt 5,17f. liest man: „Glaubt nicht, ich sei gekommen, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen (καταλΰσαι); ich bin nicht gekommen, aufzulösen (καταλΰσαι), sondern zu erfüllen (πλήρωσαν). Amen, ich sage euch nämlich: bis daß vergeht (παρέλθη) der Himmel und die Erde, wird weder ein Jota noch ein Häkchen vergehen (παρέλθη) von dem Gesetz, bis alles ge-

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Vgl. dazu den Abschnitt über Π Chr 30 bezüglich des Problems der zum Passah noch Unreinen.

Mt 5,17-19

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schieht". Der Abschnitt, mit dem der Evangelist die Antithesen der Bergpredigt einleitet, spielt auf Elemente jüdischen Kanonverständnisses an: 1) Hinter V.17 steht offenbar der Vorwurf an die christliche Adresse, sie wollte das Gesetz (oder die Propheten), den Kanon der heiligen Schriften der jüdischen Gemeinde aufheben, also seiner Gültigkeit nach für hinfällig erklären7. Eine solche Absicht wäre jüdischerseits nicht erträglich8. 2) V.18 (vgl. Lk 16,17) redet vom Vergehen von J o t a und Häkchen", also dem kleinsten Buchstaben der Quadratschrift und den kleinen Verzierungen an einzelnen Buchstaben'. Damit aber ist die Debatte aus V.17 genau genommen auf eine andere Ebene gestellt: jetzt geht es eindeutig um „Textpflege", die möglichst detailgetreue, auch Einzelheiten des Schriftbildes bewahrende Uberlieferung des schriftlichen Textes von Gesetz und Propheten. Die Dauer dieser Textpflege wird in eschatologischen Kategorien beschrieben10. In den Versen hat man wohl die „Parole strenger Judenchristen gegen die .Hellenisten'" 11 zu erblicken, die die Frage nach „Übertretung oder Abschaffung irgendeines alttestamentlichen Gebots" „fast kategorisch" negativ beantworten12. Die nähere Betrachtung der Begrifflichkeiten der beiden Verse sowie ihres inneren Zusammenhangs wirft auf die Verhältnisse in Est u.U. ein wenig Licht. Die Begriffe für „vergehen", nämlich καταλύω (V.17) und λύω (V.19), können sowohl „abschaffen" wie auch „übertreten" bedeuten13 Selbst παρέρχομαι hat diese Bedeutungsbreite, dürfte aber wohl sicher unter Berücksichtigung des ersten εως-Satzes in V.18 im Sinne von „aufheben, vergehen" zu begreifen sein. Dieses Verständnis legt sich für V.18 nicht allein dadurch

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Zu dieser Bedeutung von καταλύω vgl. z.B. Barth, Gesetzesverständnis (62, Anm. 1); Banks, Understanding (229). Vgl. nur die Belege, die bei Strack/Billerbeck I (245-247), zusammengetragen sind. Zur weitreichenden Interpretation einzelner Buchstaben, insbesondere von Jota und Häkchen vgl. Strack/Billerbeck I (247-249). Mit V.19 wird ferner - für unsere Fragestellung aber vernachlässigbar - auf die Unterscheidung zwischen größeren und kleineren Geboten angespielt. Dazu vgl. ebenfalls Strack/Billerbeck I (900-905). Schenke, Urgemeinde (255). Luz, Erfüllung (409). Für καταλύω vgl. Luz, Erfüllung (415 mit Anm. 82 + 83), für λύω vgl. a.a.O. (419). Als oppositionellen Begriff zu D i p (pi.) benutzt die rabbinische Literatur die Wurzel (vel. die Texte bei Dalman, Jesus [54-57]). Vgl. dazu auch die Belege für das Adjektiv p D 3 aus in Murabba'at gefundenen Privaturkunden (Beyer, A T T M I [M 25,7; 26,5; S. 312-314]); vgl. dazu noch oben Anm. 26.

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Zur Deutung des Unaufhebbarkeitsgesetzes

nahe, daß die eschatologische Frist mit der Bewahrung des Gesetzes über das Stichwort παρέρχομαι verbunden wird, sondern auch schon deshalb, weil es hier um Textpflege geht, also Schreiben oder Nicht-Schreiben von kanonischer Schrift. In V.17 war es in einem allgemeineren Sinne um die Geltung des materialen Gehaltes des Gesetzes gegangen, ob das Gesetz also für seine Adressaten, das Volk Israel und alle, die sich ihm zuzählten, noch Verbindlichkeit habe. Die Kombination der Fragen nach der Dauer der Geltung des Gesetzes und der nach der rechten Uberlieferung des Gesetzestextes läßt sich bereits, wie unten dargetan werden soll, anhand der „Textsicherungsformel'' und ihrer spezifischen Verwendung im Dtn aufzeigen14. Der vom matthäischen Jesus genannte positive Gegenentwurf zum „Auflösen" und „Übertreten", nämlich das „Erfüllen" (πληρόω), ist weitaus schwieriger zu fassen als die abgelehnte These und bringt die modernen Forscher in Erklärungsnot15. Mit Rücksicht auf Est reicht es, an dieser Stelle die Schwierigkeiten festzustellen, im jüdischen oder judenchristlichen Kontext die Aufgabe von Altem oder die Einführung von Neuem zu erreichen. Auch Matthäus stellt in seiner Redekomposition den kaum für Zugeständnisse Raum lassenden Anspruch 5,17-19 mit den Antithesen zusammen (V.21ff.), die de facto eine Gesetzesabrogation aus der Vollmacht Jesu heraus zulassen. Das Problem einer sachlichen wie sprachlichen Verarbeitung des Versuches zur Innovation innerhalb eines durch den Kanonbegriff bestimmten Uberlieferungssystems ist u.E. dem Judenchristentum in Mt und der Diasporanovelle Est gemeinsam (vgl. 7.3.). Wenn auch die mit dem Christentum auftauchende Anfrage weitreichender und grundsätzlicher ist und Est

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Diese Zusammenordnung der Themen durch die Abfolge V.17-V.18 geschieht übrigens wohl erst redaktionell (dazu Barth, Gesetzesverständnis [61f.]; Schenke, Urgemeinde [255]), doch entspricht sie durchaus der jüdischen Kanonreflexion. Vgl. nur die Zusammenstellung der Deutungsmöglichkeiten bei Luz, Erfüllung (413f.); jedenfalls scheint aufgrund des matthäischen Gesetzesverständnisses sicher, daß das „Erfüllen" des Gesetzes auch etwas mit seinem Tun zu tun hat, also ein starker ethischer Anspruch vom Evangelisten formuliert wird (dies betont besonders Overman, Gospel [86-90]; s. auch Barth, Gesetzesverständnis [54-58 + 62-65]). Dazu ist in Punkt 5. dieses Exkurses das über „Kopistenformel" und „Vertragsformel" Ausgeführte zu vergleichen, das ebenfalls auf die innere Beziehung zwischen „Textpflege" und einem Handlungsideal führt. Dalman, Jesus (53), hat das jesuanische πληρόω auf aramäisches Dip im Intensivstamm zurückführen wollen, womit dann ein weiterer Vergleichspunkt zu Est gegeben wäre - tatsächlich aber ist πληρόω in L X X Übersetzung von K*?D (vgl. Barth, Gesetzesverständnis [63]; Luz, a.a.O. [405, Anm. 31]).

Gesetzessicherungen in Griechenland und im Orient

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sich sehr viel verhaltener zu dieser Konfrontation äußert, so ist doch auch bei beiden gleichermaßen das Bestreben zu erkennen, innerhalb der Grenzen des alten Anspruchs zu Neuem zu gelangen.

3. Gesetzessicherungen in Griechenland und im Orient Für die „Unabänderlichkeit der Gesetze" im griechischen und altorientalischen Kulturbereich - freilich unter Ausschluß der Perser - hat Mühl in einer 1933 erschienenen Arbeit einige Beispiele zusammengestellt16. Prägnant ist z.B. die Mitteilung Plutarchs (Lykurg-Biographie, Kap. 29), Lykurg hätte es unternommen, „soweit es aus menschlichem Vermögen möglich wäre, [die Gesetzgebung] als eine unsterbliche und unbewegliche für die Zukunft zurückzulassen" (έπεθύμεσεν ... άθάνατον αύτήν (sc. νομοθεσίαν) άπολιπειν και άκίνητον εις τό μέλλον)17. Doch muß Lykurg, um seine Gesetze zu sichern, dem Volk ein Versprechen abringen, dessen in Aussicht gestellte Aufhebung durch Lykurg selbst dieser nur durch seinen Selbstmord verhindern kann. Diese „Taktik" zur Sicherung der Gesetze scheint daher kaum ein Beleg für ihre Unaufhebbarkeit zu sein. Sie bestätigt eher indirekt, daß nicht die andauernde Selbigkeit, sondern die häufige Veränderung oder Aufhebung von Gesetzen die gängige Praxis war. Wirklich dauerhafte Sicherung der Gesetze zeigt sich in der Lykurg-Biographie eher als eine Art Traum, als nie erreichte Utopie, für deren Realisierung das Vorbild des Lykurg wohl kaum praktikable Vorschläge machen konnte. Die historische Zuverlässigkeit des Berichts ist übrigens angesichts der Sagenhaftigkeit der Lykurg-Uberlieferungen nicht besonders hoch zu veranschlagen. Für unser Problem der Sicherung schriftlicher Texte trägt der Bericht Plutarchs ohnedies nicht viel aus; denn die Staatsverfassung Lykurgs war nicht schriftlich abgefaßt. Im Gegenteil hat Lykurg nach dem Zeugnis Plutarchs ihre schriftliche Niederlegung ausdrücklich abgelehnt hat (13,1: νόμους δέ γεγραμμένους ό Λυκοΰργος ούκ εθηκεν)18.

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Gesetzgebung (88-95). Text nach Mühl, a.a.O. (88 + Anm. 6). Der Fall der Sicherung einer „Staatsverfassung" findet sich auch in I Makk 14,44f. in einer recht differenzierten Formulierung: am Schluß einer Zusammenstellung von Rechten, die Simon und seiner Familie eingeräumt werden, wird erklärt, „niemandem

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Zur Deutung des Unaufhebbarkeitsgesetzes

Eher von Belang könnten in diesem Zusammenhang die von Mühl angeführten Texte sein, die die Befolgung von Gesetzen belegen, selbst wenn sie schlecht abgefaßt sein sollten (παντελώς κακώς γεγραμμένος; so Diodor XII 16,319). Aber etwa die Diskussion, die sich in dem von Mühl angeführten Kriton (Kap. 1 Iff.) spiegelt, zeigt doch eher das Außergewöhnliche dieser Haltung und ist darüber hinaus so sehr in griechische (Staats-)Philosophie verwoben, daß der bei Mühl alsbald folgende Vergleich mit orientalischen Quellen, insbesondere dem Kodex Hammurapi, etwas kurzgeschlossen erscheint. Freilich belegen auch diese Stellen ähnlich Est ein ethisches Problembewußtsein in dem Fall, daß die Untüchtigkeit von Gesetzen entdeckt wird und die Frage nach der Norm des Handelns bei den Untertanen aufbricht. Aber Est beantwortet diese Frage offenkundig in einer der griechischen Tradition entgegengesetzten Weise: die Novelle will ja gerade die Beseitigung des betreffenden Gesetzes (vgl. dazu weiter 7.3.). Das von Mühl gezogene Fazit, daß „das Gesetz prinzipiell ewige Gültigkeit haben sollte"20, erscheint aufgrund seiner Pauschalität und der Zusammenstellung recht unterschiedlicher Texte nicht als sicher. Die besondere weltanschauliche Einbettung der Aussagen verbietet es zudem, den griechischen Befund auf die orientalischen Verhältnisse zu übertragen. Solche Mitteilungen, die - wie im Falle Lykurgs - von „unsterblichen" Gesetzen, oder - andernorts - von einem ψήφισμα, das εις τον άεί χρόνον gilt21, reden,

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von dem Volk oder von den Priestern ist es erlaubt, irgendetwas von diesen [Dingen] für ungültig zu erklären (καί οΰκ έξέσται οϋθενί του λαοΰ και των ιερέων άθετήσαι τι τούτων) oder gegen irgendetwas des von ihm (Simon) Verkündeten Widerspruch einzulegen (καί άντειπείν τοις ύπ' αυτοί) ρηθησομένοις)". Ferner dürfen Versammlungen - offenbar solche zur Gesetzgebung - nicht ohne ihn stattfinden und auch das Anlegen der Machtinsignien Simons (vgl. V.43) soll dessen alleiniges Vorrecht sein; die Aufzählung endet mit einer Schlußermahnung: „wer diesen Dingen entgegenhandelt oder irgendetwas davon für ungültig erklärt (αθέτηση τι τούτων), der sei schuldig". - Die anschließend in V.48f. berichtete Veröffentlichung und sichere Aufbewahrung des Textes korrespondiert mit der befohlenen Durabilität des Volksbeschlusses: der Text kommt auf „eherne Tafeln" zu stehen und wird in der „Schatzkammer" niedergelegt. Freilich ist hier von Unaufhebbarkeit nicht die Rede, denn es geht einzig um die Machtkonzentration bei Simon und seinen Söhnen. Das Verbot, seine Gesetze aufzuheben, sie zu kritisieren und eigene Gesetze auf den Weg zu bringen, will gerade all dies Simon als Monopolrecht zugestehen. Siehe weitere Belege bei Mühl, a.a.O. (89). A.a.O. (90). Nach Mühl, a.a.O. (90).

Gesetzessicherungen in Griechenland und im Orient

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aber auch die von Mühl angeführten orientalischen Belege22, scheinen zudem eher die Wirkmächtigkeit und Verbindlichkeit eines Textes unabhängig von seinem Autor beschwören zu wollen, ohne sie aber mit hinreichender Sicherheit erzeugen zu können23. Ein weiterer auffälliger Unterschied zu dem in Est behaupteten Gesetz besteht in der unterschiedlichen Beschreibung des zu sichernden Gegenstandes: Die Sicherungsklauseln finden sich alle, oft im Epilog, im Zusammenhang mit ganz bestimmten Einzelgesetzen oder Gesetzeskorpora, für die sie jeweils Geltung haben sollen. Est 8,8b dagegen ist ganz allgemein formuliert und bezeichnet grundsätzlich jedes Gesetz, das in der bezeichneten Weise formal richtig abgefaßt ist, als nicht aufhebbar. Das Sicherungsproblem ist hier also vom Einzelfall abstrahiert und auf eine allgemeine, ja theoretische Ebene gestellt. Das Problem der Gesetzesabrogation in Kap. 8 ist auch insofern im Vergleich mit den anderen von Mühl beigebrachten Texten stark verschärft, als diese Texte ja immer andere Personen - Untertanen, Amtsnachfolger oder auch Vertragspartner - vor Texteingriff oder Aufhebung warnen; in Est ist es der Legislator selbst, der sein kurz zuvor erlassenes Gesetz aufgrund der prinzipiellen Unmöglichkeit einer Abrogation nicht aufheben darf - selbst wenn

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Z.B. Codex Hammurapi XLVm,59ff.: „In der Zukunft, auf immer möge ein König, der im Lande erstehen wird, die Worte der Gerechtigkeit, die ich auf meiner Stele geschrieben habe, beachten, das Recht, das ich im Lande geschafft habe, die Entscheidung für das Land, die ich gefällt habe, nicht ändern, meine Aufzeichnungen nicht beseitigen (etc.)" (Zit. nach Borger, Rechtsbücher [77]). Weitere von Mühl angeführte Texte sind die Geierstele des Eannatum von Lagasch (18,10ff.; 19,Iff.; u.ö.; Ubersetzung der Stele bei Römer, Texte [297-308]) und die Inschrift des Gudeas von Lagasch, Stele Β (Text bei Thureau-Dangin, Königsinschriften [67-74]) - dort allerdings ist von immerwährender Dauer nicht die Rede, sondern allein von der Sicherung des Textes (mit Hilfe einer ausgeweiteten „Textsicherungsformel"), der Aufbewahrung der Statue in ihrem Heiligtum und der Bewahrung der für sie bestimmten Opfer. Ferner handelt es sich bei der Statue nicht um ein Gesetzeswerk, sondern eher um eine Weih- und Bauinschrift. So ist zum Beispiel die faktische Wirksamkeit des Codex Hammurapi für die Rechtspraxis unsicher oder doch mindestens umstritten; vgl. dazu z.B. Petschow, Gesetze (257); Klengel, Hammurapi (162f.); v. Soden, Einführung (128f.); auch Donner, Adoption (38 mit Anm. 14). Interessant sind in diesem Zusammenhang auch die Inschriften auf dem Darius-Monument von Bisutum die späteren „Ubersetzungen" der Inschrift ändern die erste elamische Fassung ab, etwa indem sie nun für Darius Unerfreuliches auslassen (vgl. Hinz, Quellen [9]; Wiesehöfer, Persien [39]). Dies kann geschehen, obwohl der sprach- und lesekundige Leser, von denen es freilich nicht so sehr viele gegeben haben wird, nun durch synoptischen Vergleich die Unterschiede feststellen kann, und ferner gegen Ende der Inschriften gemahnt wird, alles zu glauben, was man dort lese ($ 56.60), und das Denkmal unverändert zu erhalten (§ 65-67).

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Zur Deutung des Unaufhebbarkeitsgesetzes

das Leben seiner Frau auf dem Spiel steht! Dies muß voraussetzen, daß die Unaufhebbarkeit der Gesetze zu einer allgemein akzeptierten Norm geworden ist und losgelöst von einem bestimmten Text und einem bestimmten Autor24 Plausibilität für sich in Anspruch nehmen konnte. Worin diese Plausibilität begründet war, erfährt der Leser aus dem Buch u.E. nicht. Doch vielleicht mußte sich die Novelle dazu auch nicht äußern, weil der Autor bei seiner Einführung eines Unaufhebbarkeitsgesetzes in die Erzählung auf Verständnis bei seinen Lesern hoffen konnte. Daß sich diese These recht gut zu anderen Beobachtungen im Estherbuch fügt, wird Abschnitt 7.3. zeigen.

4. Aramäische Vertragstexte In den jüngeren aramäisch-sprachigen Kontrakten kann das jeweilige Dokument dadurch gesichert und aufgewertet werden, daß andere Exemplare oder diesem irgendwie widersprechende Dokumente bereits im Vorfeld für nichtig (p"H25) und ungültig (]bD3 26 ) erklärt werden. Das vorliegende Dokument soll also authentisch sein, während andere Dokumente als ungültig - weil fiktiv - verworfen werden. Positiv wird die andauernde Geltung des Rechtsgeschäftes durch den Begriff Dbsyfc) zum Ausdruck gebracht27. Die Formel „von diesem Tag an

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Dies unterstreicht auch die Formulierung in 8,8b: bei der Abfassung eines Gesetzes ist die Beteiligung des Königs nur indirekt notwendig, weil es vor allem auf seinen Siegelring und die Abfassung in seinem Namen ankommt. M 25,7 (Beyer, ATTMI [313]). Alle Texte werden der Einfachheit halber im Folgenden mit dem jeweils von Beyer gebrauchten Kürzel aufgeführt. M 25,7 (Beyer, ATTM I [313]); V 48,9f. (ATTM Π [189f.]). Eine interessante Verstärkung der Aussage - wenn Beyers Textrekonstruktion das Richtige trifft - liegt vor in M 26,5f. (ATTM I [314]): Die Ungültigkeit anderer, das in Rede stehende Rechtsgeschäft betreffender Dokumente besteht „[von heute an] für immer". - Übrigens gibt der 1. Targum zu Est in Est 1,19 das Verb "QU mit aramäisch b ü 3 wieder; vgl. die Ausgabe von Grossfeld (9). M 20,3f. (Beyer, ATTM I [309]); V 45,5f.+10f.+llf.+13 (ATTM I [320f.]); V 46,10 (ATTM I [322f.]); V 49,4f. (ATTM Π [191]) u.ö. Dazu vgl. I Makk 11,36: am Schluß eines Dokumentes, mit dem Demetrius dem Führer der Juden Jonathan allerlei Rechte einräumt, heißt es: „und nicht einer dieser [Beschlüsse] soll aufgehoben werden von nun an bis in alle Zeit" (και οΰκ άθετηθήσεται ούδέ έν τούτων από του νυν και εις τον απαντα χρόνον).

Aramäische Vertragstexte

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für immer" spricht dabei in der überwiegenden Zahl der Fälle nicht der Urkunde, sondern der beurkundeten Sache - einem Nutzungsrecht oder einem Kauf usw. - lange Dauer zu. Daß die Urkunde für diese andauernde Geltung des Geschäftes eine wichtige Rolle einnimmt, wird nur in wenigen Fällen ausdrücklich erklärt. So heißt es gelegentlich in einem ausführlichen Dokument aus dem Babata-Archiv im Anschluß an den Hinweis, bestimmte Gegenstände seien in dem Dokument verzeichnet, dies alles sei der Empfängerin „als Geschenk (für) immer gegeben" (Π3ΠΏ Ό 1 ? Π3ΓΡ i Ò D •by 2 8 ). Der Zusammenhang zwischen dem Dokument und der Dauerhaftigkeit der Besitzübertragung des Ehemannes an seine Frau wird in diesem Vertrag bereits zum Eingang betont und mit einer Fülle von Begriffen herausgestellt: „(ich) schenke und bestätige durch eine gültige Äußerung als Geschenk für immer, das nicht für eine beschränkte Zeit gelten wird, ..." (Ί3Χ7Π

Ή 0bS7 ΓΊ3ΠΟ HD^p r Ò D 3 D^pDI 3ΓΡ 29 ). Die Wendung

ìlD^p i l b o kann sehr gut das Rechtsdokument selbst meinen, das zwar nach Art einer mündlichen Rede (PÒD) fast durchgängig im Ich-Stil gehalten ist, aber doch immer wieder - wie die meisten aramäischen Vertragstexte - auf in ihm bereits Geschriebenes verweist. Schon erwähnt ist die häufigere Bezeichnung des Rechtsgeschäftes als „verbindlich" (D"lp)30. Auch hier läßt sich der Zusammenhang zwischen „Verbindlichkeit" und „Schriftlichkeit" in einigen Fällen sicher aufzeigen: „[Und] verbindlich ist, was < i n > in dieser Urkunde (steht)" ( Ή •"'pp] r r a p ] K1DIÖ < 3 > ) , heißt es in M 28,IO31. Andernorts wird mit den Worten „Diese Quittung ist angemessen (und) gültig" auf die rechtliche Kraft dieses Schriftstückes verwiesen32. Für das Einhalten und Erfüllen der Verträge wird eine ganze Reihe von Begriffen benutzt. Eine Häufung dieser Termini findet sich in dem leider nur fragmentarisch erhaltenen Text M 26,4: „... bürge und garantiere, ein-

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nV 7 , 3 6 + 3 7 + 5 (Beyer, A T T M Π [167.169]); vgl. weiter nV 7 , 5 1 + 5 2 + 1 4 + 5 3 (a.a.O. [168+170]). nV 7,33 (ATTM Π [167+169]). Vgl. ferner den Schlußsatz Z.29: „Und gültig ist alles, was oben geschrieben ist, nur für [dich]" ("IpnbD Ό ] 1 ? 3 T D k S u Ή ΕΡρΐ; a.a.O. [169 + 173]). Bes. auch nV 7,67f.: die Geschenke und Freistellungen sind „für immer aufgeschrieben, damit es nur gültig sei für unsere Tochter Babata" (ρ3ΓΟΓΙΟ Ή

n a r r o x m i i b torn O P ή -nnba o b y b ...¡ ΑΤΤΜ Π [169.172]).

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Vgl. M 19,9 (Beyer, A T T M I [308]); 20,6 (a.a.O. [309]); V 50,9 (ATTM Π [192]) u.ö. Beyer, A T T M I (315). V 37,7 (ATTM Π [184f.J: CTp ΚΤΠ ΚΙΠρ.

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Zur Deutung des Unaufhebbarkeitsgesetzes

zuhalten und zu erfüllen ..." (... K E P p ^ l K p n n f c ] Γ Π Ί » 1 ΚΉΠΚ ...)33. Der das Dokument jeweils Ausstellende bindet sich durch solche Versicherungen selbst und verspricht, eine bestimmte Handlung - Schenkung oder Verkauf etc. - auf Dauer zu stellen. Der Dauerhaftigkeit der verbürgten Handlung korrespondiert das Versprechen, auch der Urkunde solche Durabilität zu kommen lassen zu wollen. Zu diesem Zweck erscheint am Ende der Dokumente des öfteren die sogenannte „Restitutionsklausel", eine Versicherung, das Dokument, so es unleserlich geworden sein oder sonst gelitten haben sollte, durch eine (authentische) Kopie zu „ersetzen" ( ^ Π , pa.)34. Trotz dieser Versicherungen von Beständigkeit und Dauerhaftigkeit haben die Dokumente freilich nicht die Ewigkeit als Horizont. Die Endlichkeit der Regelung hängt jeweils mit ihrem Gegenstand zusammen35. So wird ein Schuldschein hinfällig, wenn die Schuld bezahlt wird oder der Verleiher seine Forderungen aus dem Immobilienbesitz des Schuldners befriedigt hat36. In einem Ehevertrag verspricht der Ehemann, Db>vb> für seine Frau zu sorgen 37 , doch dürfte die mit dS>S7 bezeichnete Grenze bereits mit der Scheidung oder dem Ableben der Gattin erreicht sein. Auch die Verfügungsgewalt über ein Grundstück, die • b u ' ? ! HD"! X D T gelten soll, endet naturgemäß im Falle des Weiterverkaufs an einen Dritten, und somit wird auch das beurkundende Dokument zu diesem Zeitpunkt gegenstandslos werden38. Diese Beispiele können genügen, um zu zeigen, daß der termi-

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Beyer, A T T M I (313f.); vgl. ganz ähnlich V 46,llf. (a.a.O. [322f.]); V 81,6f. ( A T T M Π [194f.j; fragmentarisch M 20,12 ( A T T M I [309Í.J; ·ΠΠΚ („bürgend") und 3 * 1 » q. („bürgen") zusammen noch M 28,10 ( A T T M I [315]); M 32,4 (umgekehrte Reihenfolge; a.a.O. [316]); V 45,11 (a.a.O. [320f.]); V 48,8 ( A T T M Π [189f.]). Zu D i p (pa.) in der Bedeutung „bestätigen" vgl. nV 7,33 oben S.207 mit Anm. 29. Vgl. M 19,10f. (Beyer, A T T M I [308]); M 21,19 (a.a.O. [311]); M 26,7 (a.a.O. [314]); M 27,5f. (a.a.O. [314f.]); V 81,7 ( A T T M Π [194f.]). Vgl. für die Endlichkeit von o S l S ? im A T I Sam 2,30f. hV 82, bes. Z.10 (Beyer, A T T M Π [196]): D-ρΓΡ vb » 0 D[tO]; „Wenn (ich) [aber] (das Darlehen) nicht (rechtzeitig zurückzahlen werde), wird es für mich nicht (mehr) gültig sein". M 20,4 (der Kontext ist aber ergänzt; A T T M I [309]). In einem Schuldschein wird einmal die Möglichkeit erwähnt, daß die Verleihende die Rückzahlung des Darlehens dem Schuldner erlassen kann: der erklärende Schuldner wird die Summe zurückerstatten DS713D b " D 33Ϊ7Γ1 < Ή > jD - „....außer < w e n n > sie irgendetwas annulliert" (nV 17,42 in: Beyer, A T T M II [177]). 3DS7 („aufhalten, hindern") kommt allerdings sonst in juristischem Zusammenhang nicht vor. Daß der Schuldner, der den Text schrieb, sich hier mehr in Hoffnungen erging als eine tatsächliche juristische Abmachung bezeugt, zeigt das Fehlen dieser Bemerkung im griechischen Original des Schuldscheins.

Aramäische Vertragstexte

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nologische Aufwand für Bekräftigungen der Zuverlässigkeit und Dauer in den Verträgen nicht bedeutet, die Rechtsübereinkünfte und die Urkunden hätten quasi unendliche oder auch nur unabsehbare Geltung. Solche Versicherungen sind wohl mehr der Reflex der immer drohenden Gefahr, daß Abänderungen oder Fälschungen von Dokumenten oder auch nicht schriftliches Erheben anderer Ein- oder Ansprüche eine einmal getroffene Abmachung nachträglich manipulieren oder gar ganz dahinfallen lassen können. Die Problematik ist dieselbe in den sehr viel älteren Verträgen unter den ägyptisch-aramäischen Papyri, die Begrifflichkeiten sind jedoch teilweise andere. Zur Stereotypie der Briefe gehört auch hier die Mitteilung, die Sache würde „von heute an für immer" in Geltung stehen39. Anders und ausführlicher als in den bislang erwähnten Fällen wird die Ungültigkeit anderer in dieser Sache angeführter Dokumente thematisiert. In einem Dokument, das die Übertragung einer Immobilie regeln soll, liest man: „Nicht sollen sie eine neue oder alte Urkunde in meinem Namen (ΓΠΠ "ISO " O t 0 3 pVISn) bezüglich dieses Landes gegen dich hervorbringen ( p S 3 , ha.) können, um es einem anderen Menschen zu geben; dieses Dokument, das sie gegen dich hervorbringen, wird falsch p ~ Q ) sein! Ich habe es nicht geschrieben40 und in einem Prozeß soll es nicht herangezogen werden, denn diese Urkunde ist in deiner Hand ( O T O Í1DT Κ "IDDI)"41. Der Fall, für den hier Vorsorge getroffen werden soll, ist die Konfrontation sich widersprechender schriftlicher Texte. Nachdem bereits Z.ll-15 die Einlegung von Rechtsmitteln gegen die Abmachung mit einer Strafe belegt worden war, ist

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Β 2.3,9 (-Cowley, AP 8 / Porten/Yardeni, Textbook Π [22]); Β 2.10,16 (-Cowley, AP 25 / Porten/Yardeni, a.a.O. [44]); Β 2.11,6f. (-Cowley, AP 28 / Porten/Yardeni, а.a.O. [48]); Β 3.4,lOf. (-Kraeling, Papyri 3 / Porten/Yardeni, a.a.O. [64]). Β 3.8,4 (-Kraeling, a.a.O. 7 + 15 + 18 / Porten/Yardeni, a.a.O. [78]) ist interessant für das Verständnis von „sie ist meine Frau und ich ihr Ehemann von diesem Tag für immer".

nraro



(Z.17) - Ein der Sache nach positives Äquivalent dazu ist Esr б,12ba: OS7Ü ΠΟ& 2?"Ρ""Π Π3Ν. Sonst ist in aramäischen Briefen häufiger am Schluß eine Bemerkung belegt, die den verantwortlichen Beamten und den Schreiber nennt: K-ISO ·*Β3ΠΚ Π3Τ HüVO STP 1 1 0 3 3 „Bagasrava kennt diesen Befehl. Ahpepi war der Schreiber" (A 6.8,4 bei Porten/Yardeni, Textbook I [112]). Weitere Beispiele und Belege bei Fitzmeyer, Epistolography (217); Alexander, Remarks (166). Β 2.3,15-18 (-Cowley, AP 8 / Porten/Yardeni, Textbook Π [22]). Diese Aussage über den Wert des Dokumentes und die Verwerfung anderer Dokumente ist ähnlich noch belegt in: Β 2.7,llf. (-Cowley, AP 13 / Porten/Yardeni, a.a.O. [34]); Β 3.10,21f. (-Kraeling, Documents 9 / a.a.O. [86]); Β 3.11,15-17 (-Kraeling, Documents 10 / Porten/Yardeni, a.a.O. [90]).

Zur Deutung des Unaufhebbarkeitsgesetzes

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dieser Fall hier n o c h einmal daraufhin spezifiziert, „falsche" 42 , d.h. fiktive, nicht authentische Urkunden könnten v o n irgendeiner Seite zutage gefördert werden. Die Fiktivität beruht dabei auf der unrichtigen Zuordnung von A u t o r und Text: „Ich habe es nicht geschrieben" 43 . Damit aber ist das Problem an seinen Wurzeln gepackt: Nicht der Inhalt der anderen D o k u mente wird kritisiert, sondern diese für schriftliche T e x t e besonders wichtige Zuordnung

v o n Sprecher und Gesprochenem oder Schreiber und Ge-

schriebenem. Die Ausweisbarkeit und damit Gültigkeit eines Rechtsgeschäftes beruht demnach ganz wesentlich auf dem Besitz eines dieses dokumentierenden Schriftstückes. Daher kann betont werden, daß man ein „Dokument in seiner H a n d hat" 4 4 , so daß also derjenige das Recht auf seiner Seite hat, welcher ein Schriftstück besitzt 45 . D a aber die entsprechenden Formulierungen längst nicht in jedem uns überkommenen D o k u m e n t zu finden sind, ist eine ausschließliche Geltung dieses Rechtsprinzips - gerade auch in der Praxis - nicht sicher zu erweisen. Die Sicherungsklauseln der Vertragstexte zei-

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Das Verb 3~Q heißt „lügen, verleugnen"; vgl. als einzigen weiteren Beleg noch Β 3.11,16. Als Gegenbegriff zu kann 3 2 Γ gelten: Ό 1 ? ΓΠ3Ι7 Π3Κ ""Τ Π3Τ NIDO 32"Ό 1Π (Β 3.10,22 (-Kraeling, Documents 9 / Porten/Yardeni, Textbook Π [86]); 32"· i n " W Π3ΓΟ -Ojy TOK Τ ΧΊΏΟ n3T (Β 3.11,16f. (-Kraeling, a.a.O. 10 / Porten/Yardeni, a.a.O. [90J). Die anderen, die Stabilität des neuen Rechtsgeschäftes gefährdenden Dokumente müssen aber nicht fiktiv sein. Sie können auch alte Abmachungen in rechtlich zulässiger Weise dokumentieren, inzwischen jedoch hinfällig geworden sein. Dazu vgl. Β 2.7 (-Cowley, AP 13 / Porten/Yardeni, Textbook Π [34]): Mahseiah überläßt seiner Tochter Miptahiah ein Haus, das er selbst einst von einem Menschen namens Mesullam erworben hat, und darüber auch ein von Mesullam ausgestelltes Dokument besitzt (Z.3). Zur rechtlich einwandfreien Ubergabe des Hauses an die Tochter gehört deshalb die Ubergabe dieses „alten Dokumentes" (KpTIV Κ "IDO; Z.6f.), so daß der Vater später keine Möglichkeit mehr hat, Besitzansprüche geltend zu machen. Derselbe Vorgang mit ausführlich dargestelltem historischen Hintergrund auch B. 2.3,23-27 (-Cowley, AP 8 / Porten/Yardeni, a.a.O. [22J; Β 3.12,3f. + 31f. (-Kraeling, Documents 12 / Porten/Yardeni, a.a.O. [94]). Diese Texte beweisen überdies eindeutig die Endlichkeit der Dokumente. Zur begrenzten Gültigkeit solcher Dokumente vgl. noch die (schlecht erhaltene) Stelle Β 4.7,5 (-Segal, Papyri 35 / Porten/Yardeni, a.a.O. [116]): „Und die/meine Schuld wird er ruhen lassen/aufsparen für die Dauer dieses Dokuments" (K~IQO •"nb patì· 1 " V i o i m nur). - J - P 3 Π3Τ K-1Q01 o.a.; vgl. die bes. Häufung in 3.1,12 +13f. +19 + 20 (-Cowley, AP 10 / Porten/Yardeni, Textbook Π [54]); auch Β 2.3,18+22 (-Cowley, AP 8 / Porten/Yardeni, a.a.O. [22]). Vgl. Β 2.3,22 (-Cowley, AP 8 / Porten/Yardeni, Textbook Π [22]): „Strenge ich einen Prozeß an, so werde ich nicht im Recht sein, denn dieses Dokument ist in deiner Hand".

Die „Textsicherungsformel"

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gen aber doch ein reflektiertes Problembewußtsein für den G e w i n n , der durch schriftliche Texte zu erzielen ist, wie auch die Gefahren u n d Gefährdungen, die mit solchen D o k u m e n t e n einhergehen müssen. D e n Gefährdungen des Textes liegt die Trennung v o n Text u n d A u t o r zugrunde, die aber - soll der Vertrag irgendeine Verbindlichkeit haben - sicher u n d plausibel überwunden werden muß. D i e terminologisch ausführlich gestalteten Beteuerungen über die Authentizität des Textes und die „Falschheit" anderer Texte beweisen erneut den h o h e n Aufwand, der für einen sinnvollen Gebrauch v o n Schrift notwendig ist u n d v o n den vertragschließenden Parteien deutlich erkannt wurde.

5. Die „

Textsicherungsformel"

Unser fünfter Versuch einer Annäherung an die Unaufhebbarkeit der persischen Gesetze wendet sich einer i m ganzen Alten Orient (und darüber hinaus) belegten regelmäßig gestalteten Wendung 4 6 zu, die herkömmlich als „ K a n o n f o r m e r - oder früher auch „Ptahhotepformel" 47 - bezeichnet wird.

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Die Erweiterung wird mit dem Verbum r |0' 1 (hi.; hinzufügen; vgl. noch Sir 42,21 r p i O x b ) + b y , die Kürzung mit (q.; abschneiden) +|D (vgl. aber Jer 26, 2 stattdessen mit direktem Objekt) zum Ausdruck gebracht. Das Griechische benutzt die Verben προστίθημι (vgl. auch Josephus, Ant 1,3.17; IV, 4.196; X,6.218) und άφαιρέω (vgl. auch Ant X,6.218); für άφαιρέω kennt der griechische Sir in 18,6; 42,21 έλαττόω. Die vollständige Formel ist dreigliedrig und verbietet dann auch Textumstellungen (μετατίθημι; Josephus, Ap 1,8; vgl. μεταφέρω Arist § 311). Verstösse gegen das Umstellungsverbot können ausdrücklich festgehalten werden: vgl. Josephus, Ant IV,196f.: nachdem Josephus vorausgeschickt hat, er wolle die Staatsverfassung Israels getreu den Aufzeichnungen des Mose dem Leser vorstellen, schränkt er ein: νενεωτέρισται δ ημίν τό κατά γένος Ικαστα τάξαι; „was wir aber geändert haben ist die Anordnung der einzelnen Dinge je nach (ihrer) Art". Im folgenden begründet Josephus sein Vorgehen mit der Unordnung des mosaischen Textes, die wiederum aus dem Offenbarungsvorgang herrühre. Auch Ant 1,3.17 bemerkt Josephus unmittelbar vor der „Textsicherungsformel", die Darstellung solle κατά την οίκείαν τάξιν erfolgen). - Darüber hinaus werden gelegentlich noch andere Verben benutzt: έπιτίθημι (Apk 22,18); άποκρύπτω (Josephus, Bell 1,10.26), παραλείπω (Ant 1,3.17). - Für die Terminologie des Akkadischen vgl. gleich unten Anm. 55. Der Begriff aber in jüngerer Zeit noch bei Donner, Geschichte (355). Zur Problematik der Übersetzung des entsprechenden Abschnitts aus der Lehre des Ptahhotep vgl. z.B. Morenz, Gott (24f. mit Anm. 35); Weinfeld, School (261f. mit Anm. 4). m itj md.t m inj.sj m rdj k.t m s.t k.t ist wohl zu übersetzen mit „Sage nicht einmal hü und einmal hott, bringe nicht alles durcheinander" (Brunner, Weisheit [131]).

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Zur Deutung des Unaufhebbarkeitsgesetzes

Aber selbst die Bezeichnung „Kanonformel" ist irreführend, da sie die verschiedenen Verwendungsweisen der Formel bereits im voraus mit einer bestimmten Interpretation belegt und u.E. den Blick für ihre differenzierte und divergierende Verwendung in je verschiedenen Kontexten verstellt48. Wir benutzen aus diesem Grunde im folgenden stattdessen den Begriff „ Textsicberungsformel", und wollen darunter ganz allgemein die festgestellte oder eingeforderte Entsprechung zweier Texte, die in einem Urbild-Abbild-Verhältnis stehen, begreifen. Der Terminus „Text" bezieht sich dabei sowohl auf geschriebene wie auf gesprochene Sprache. Der Terminus „Entsprechung" meint dabei nicht notwendig die Identität zweier Texte bis auf den „kleinsten Buchstaben und Tüttelchen" (Mt 5,18), sondern vielmehr, daß das Abbild in seinem Verhältnis zum Urbild eine Transformation oder Ubersetzung durchgemacht hat oder durchmachen soll, die freilich - das ist der minimale Anspruch der Formel - „sachgemäß" geschehen sein muß49. Von daher kann man weiter differenzieren50: die „Gesandtenformel'61 meint die „sach- und sinngetreue Wiedergabe einer Botschaft"52, gehört also

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So auch Dohmen/Oeming, Kanon (80). Deutliche Kritik an der undifferenzierten Behandlung der Belege für die Formel - insbesondere durch Speyer, Bücherfunde, und Leipoldt/Morenz, Schriften - bei Quecke, Wahrheitsbeteuerung (408-410). Wegen dieser letzten, wichtigen Bestimmung greifen wir nicht den von Dohmen/Oeming, Kanon (80), vorgeschlagenen Begriff „Wortlautsicherungsformel" auf, da er das Mißverständnis erzeugen kann, es sei eine in jeder Hinsicht vollständige Identität der Texte gemeint. Problematisch ist die Gültigkeit des „Urbild-Abbild-Modells" für die mündliche Übermittlung traditioneller Stoffe angesichts der Theorien von Parry und seines Schülers Lord: ihre Untersuchung jugoslawischer Barden in den 30iger Jahren hat die Gesetzmäßigkeiten und Techniken der Traditionsübermittlung in oralen Kulturen beschrieben, um sie für die Homer-Exegese fruchtbar zu machen. Dabei hatte sich u.a. gezeigt, daß das aus schriftlichen Kulturen stammende Schema eines „Originals" und authentischen, also maßgeblichen Exemplars eines Textes und davon abgeleiteter „Abschriften" auf mündliche Tradition nur bedingt anwendbar ist: der Text existiert überhaupt nur als „Variante", die je neu in der Situation des Vortrags entsteht. Trotz dieser objektiv nachweisbaren permanenten Variation als Normalzustand aber glaubt der Sänger selbst, „daß er seinen Text ganz traditionell wiederholt" (Dobberahn, Verkündigung [85f.]. Vgl. zum Folgenden vor allem A. Assmann, Fiktion (243f.); J . Assmann, Gedächtnis (103f.); aber auch: Reuter, Nimm nichts (114); Dohmen/Oeming, Kanon (80). Assmanns reden von „Botenformel". Der Begriff ist aber in der atl. Wissenschaft anders beleg^. J . Assmann, a.a.O. (103). Als Beispiel kann die folgende bei Dohmen/Oeming, Kanon (71), zitierte Ermahnung aus der Lehre des Cheti dienen: „Wenn dich ein Beamter sendet mit einer Botschaft, dann richte sie so aus, wie er sie dir aufgetragen hat, lasse nichts aus und füge nichts hinzu".

Die „Textsicherungsformel"

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zur Berufsethik eines im mündlichen Medium agierenden Übermittlers. Anders geht es bei der MZeugenformel" um „die wahrheitsgetreue Wiedergabe eines Ereignisses"53, das Urbild wäre in diesem Falle ein Geschehen, das Abbild kann in einem Bericht mündlicher oder auch schriftlicher Art Form gewinnen. Geht es um die „wortlautgetreue Wiedergabe einer Textvorlage", ist von einer JKopistenformel" zu sprechen54. Durch sie versichert der Abschreiber eines Textes, sein Urbild, seine Vorlage oder Original exakt wiederzugeben55. Damit eng zusammenhängend ist die „ Vertragsformel", die den

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J. Assmann, ebd. Für Beispiele verweist A. Assmann, Fiktion (244, Anm. 8), auf Quecke, Wahrheitsbeteuerung, der Beispiele aus koptischen Märtyrererzählungen anführt. Dort wollen mit Hilfe einer „Beteuerungsformel" die „vorgeblichen Autoren die Zuverlässigkeit ihrer Berichte beteuern" (Wahrheitsbeteuerung [400]), so daß also schriftliche Vorlagen keine Rolle spielen (so ausdrücklich Quecke, a.a.O. [410]). Hierher gehört vielleicht auch die Versicherung Suppiluliamas Π. bezüglich seines Berichts über seinen Vater, die Cancik, Wahrheit (87), zitiert: „Weil ich nichts fehlen ließ, habe ich aber nicht(s) unterdrückt". J. Assmann, ebd. Josephus, Ant IV, 4.196f., zeigen sich deutliche Anspielungen auf die Terminologie der Formel, ohne daß sich der Beleg in die von uns vorgeschlagenen Abteilungen einordnen ließe. Josephus will eine Darstellung anhand von schriftlichem Material (dem Pentateuch) vorlegen, die auch eine sachgerechte Neuordnung des Stoffes enthalten soll. Seine Aufgabe bezeichnet Josephus an anderer Stelle auch als „Ubertragen" (μεταφράζειν) der hebräischen Bücher in das Griechische (Ant X, 6.218). Der Beleg liegt u.E. im Grenzbereich von „Zeugenformel" und „Kopistenformel". Vgl. das von Fishbane, Varia (350), übersetzte Lob des Schreibers im Erra-Epos: „He did not leave out a single line, nor did he add to it". - Die eindrücklichsten Belege für diese Ausprägung der Textsicherungsformel finden sich bei Hunger, Kolophone: In Wunschform können die babylonischen und assyrischen Kolophone den Leser auffordern, die Tafeln nicht schlecht zu behandeln (tapälu, vgl. heb. - anschmieren; Nr. 299 u.ö.) oder zu beschädigen (Nr. 354.557). Schriftzeichen sollen nicht getilgt (pasätu, vgl. heb. OIÖQ (hi.) - ausziehen, abhäuten; Nr. 43 u.ö.) oder ausradiert (Nr. 235 u.ö.) werden. Aber auch Hinzufügungen, etwa des eigenen Namens (Nr. 319 u.ö.) verbietet sich der Schreiber. Vielmehr wünscht er sich von seinen Lesern, daß sie den eventuell lädierten Text wieder reparieren, also intensive und aktive Textpflege betreiben (Nr. 498). Ohne das Motiv des Hinzufügens und Streichens von Text ausdrücklich zu erwähnen, kann der Schreiber Angaben über die Zuverlässigkeit seines eigenen Textes - es handelt sich zuallermeist um Kopien - machen: dann heißt es kima labiri-su satir-ma bari („gemäß seinem Original geschrieben und kollationiert"; Nr. 84 u.ö.) oder satir saniq ban („geschrieben, geprüft, kollationiert"; z.B. Nr. 318 u.ö.), d.h. die Identität zwischen Urbild (labiru) und Abbild wurde noch einmal überprüft, gelegentlich auch durch eine weitere Person („Prüfer"; Nr. 43.44). War die Vorlage nicht kollationiert, wurde auch dies ausdrücklich erwähnt (z.B. 444 u.ö.). Die Angaben über die zugrunde liegenden Originale konnten recht ausführlich werden: „Nach dem Wortlaut einer Tafel, die Nabû-ahljê-bullit, der Nachkomme des Paharu, nach dem Wortlaut von zwei Tafeln, Exemplaren aus Borsippa, geschrieben und kollationiert hatte" (Nr. 412). Dem Leser werden mit solchen Angaben Einblicke in die Textgeschichte gewährt, da-

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Zur Deutung des Unaufhebbarkeitsgesetzes

Leser auf die „buchstäbliche Befolgung eines Gesetzes- oder Vertragswer56 kes" drängt. Mit Recht weist J. Assmann darauf hin, daß die „Kopistenformel'' und „Vertragsformel" wohl unterscheidbar, im strengen Sinne aber nicht zu trennen sind57. Die „Orthopraxie" hängt innerhalb dieses Vorstellungsrahmens eng an der - wenn man so will - „Orthographie"5*. Endlich ist die JCanonformel" im eigentlichen und engeren Sinne des Wortes anzuführen. Sie fordert die umfassende Sicherung und Stillstellung einer autoritativen Sammlung zumeist schriftlicher Texte vom Leser ein59. Für unsere Fragestellung wollen wir das Folgende festhalten: Die Formel macht eine Aussage über die Herstellung zerdehnter Kommunikation60. Zwischen dem Urbild und dem Abbild des Textes behauptet oder befiehlt sie - als Erklärung des Schreibers oder Forderung an zukünftige Tradenten - eine Invarianz im Ubermittlungsprozeß, die im Grenzfall den Maßstab (griechisch: κανών) 1:1 erreichen soll. Insofern ist sie ein hermeneutisches Ideal. Zusätzlich soll sich in der Ausprägung der „Textsicherungsformel" als „Vertragsformel'' das Urbild nicht in einer sprachlichen Äußerung, sondern im Handeln des Rezipienten abbilden. Insofern ist sie ein ethisches Ideal.

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mit er sich so über die Zuverlässigkeit des vorliegenden Exemplars eine Meinung bilden kann. Wird derart in vielen Fällen die Wort-identische Übertragung dem Leser versichert und von ihm aber auch für die weitere Tradierung verlangt, wird mit dem Verbum nasähu (wörtlich: „ausreißen") die Herstellung von Textauszügen bezeichnet (s. Hunger, a.a.O. [4]), so daß der Schreiber anzeigt, daß eine wörtliche Übereinstimmung mit seiner Vorlage weder besteht noch beabsichtigt ist. J. Assmann, a.a.O. (104). Den Zusammenhang zwischen der Bewahrung des Textes und dem ethischen Aspekt betonen auch Dohmen/Oeming, Kanon (85.88). Falsches Tun kann in der jüdischen Tradition sogar als direkter Eingriff in den Textbestand der Thora aufgefaßt werden: vgl. ySan 2,20c,47-52: Das Dtn beschwert sich vor Gott, daß Salomo danach trachte, ein Jod aus dem Dtn herauszureißen. Dtn 17,17 stehe nämlich i"Q~P " Λ . doch Salomo mache daraus (angespielt wird auf I Reg 11,1-3) n a i K " 1 1 ? (vgl. die Übersetzung bei Wevers, Sanhédrin [75]). Fehlen am Worte Gottes ist also ganz wörtlich Textkorrumpierung (Buchstabenvertauschung). Eindeutige Belege dafür liegen z.B. vor in Josephus, Ap 1,7; Arist S 311; wohl auch Apk 22,18f. Die von Dohmen/Oeming, Kanon (80), festgestellten unterschiedlichen „Sitze im Leben" der „Textsicherungsformel" lassen sich u.E. auf die im Text vorgeschlagenen Differenzierungen aufteilen; überschießend jedoch ist die Anwendung der Formel im Zusammenhang von Kunsttheorie, aber wohl auch Literaturtheorie (Punkt 6.8), die erst unter griechischem Einfluß nachweisbar sind. Im AT ist dafür Koh 3,14 (vgl. auch Prv 30,6) anführbar: die perfectio des Werkes Gottes bedarf keiner Korrekturen mehr. Ehlich, Text (32) nennt „zerdehnte Sprechsituationen" solche Situationen, in denen Sprechhandlungen aus ihrer „primären unmittelbaren Sprechsituation herausgelöst" werden.

Die „Textsicherungsformel"

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Auf dem Hintergrund dieses Zusammenhangs zwischen dem hermeneutischen und ethischen Aspekt der Formel wollen wir nun ihre atl. Belege betrachten. Als relevante Texte pflegen dafür Dtn 4,2; 13,1; Jer 26,2; (36,32;) Prv 30,6; Koh 3,14 angeführt zu werden. Bereits im Vorfeld können wir Koh 3,14 ausscheiden, da der Umgang mit schriftlichen Texten sich hier bestenfalls in metaphorischer Brechung zeigt61. Leitend soll dabei unsere Ausgangsfrage sein, ob die Formel, die zunächst nur die feste Abbildung eines Textes auf einer bestimmten Stufe seiner Entwicklung verlangt, damit auch den Text als ganzen für prinzipiell unaufhebbar erklärt62.

A) Dtn 4,2; 13,1: Nach weit verbreitetem Urteil stammen die beiden Belege aus der Spätphase der Entstehung des Dtn63. Im Gewand der Ansprache des Mose an die Wüstengeneration machen also späte Leser des Dtn, das wohl bereits annähernd seine heutige Form erlangt hat, für die weitere Textrezeption Vorgaben, die auf die Metaebene des Textes gehören und den Umgang der nachfolgenden Lesergenerationen mit dem vorliegenden Textkorpus regeln sollen. Doch welcher Art ist diese Regelung? Handelte es sich bei der Formel um eine reine Schreiberbemerkung, die die Integrität des Textes nach Art eines Vertrages für die Zukunft sichern will, so würde sie im Segen-Fluch-Abschnitt des Dtn erwartet werden müssen64. Doch hat die Stellung in Kap. 4 als Eröffnung und in Kap. 13 als Hin-

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Vgl. dazu bes. Herrmann, Koh 3,14 (passim); Dohmen/Oeming, Kanon (86f.). Vor allem Herrmann, aber auch Dohmen/Oeming plädieren dafür, die Verwendung der Formel in Koh 3,14 von der Verwendung im Bezug auf schriftliche Texte herzuleiten, also im Sinne einer „metaphorischen Übertragung" (Dohmen/Oeming, a.a.O. [86]) aufzufassen. Vgl. auch bei Reuter, Nimm nichts (113f.), den Abschnitt „Weisheit als .unveränderlicher Text'". Ganz ähnlich will auch A. Assmann, Fiktion, (241f.), an Koh 3,11.14f. die „textuelle" Dimension des von ihr ins Auge gefaßten „Fiktionsproblems" festmachen. Aber schon im A O ist die Verwendung der Formel so vielfältig, daß eine monokausale Ableitung schwierig sein dürfte und die Vermutung, der Prediger habe D T l b x n n t o y "IlÖK'bD (3,14) in Analogie zu einem schriftlichen Text aufgefaßt, Hypothese bleiben muß. - Zu einer Verwendung der Formel in einem ähnlichen theologischen Kontext vgl. Sir 18,6; 42,21.

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Zunächst bleibt festzuhalten, daß Textsicherung und Unaufhebbarkeit des Textes nicht zwingend etwas miteinander zu tun haben und erst durch geeignete „Konstruktionen" zueinander in Beziehung gesetzt werden müssen. Vgl. z.B. zur redaktionellen Einordnung Knapp, Dtn 4 (32f.45). Zu 13,1 vgl. Seitz, Studien (105-108); Dohmen/Oeming, Kanon (82), mit Literatur. Darauf weisen Reuter, Nimm nichts (112), Dohmen/Oeming, Kanon (83), hin. Bereits Weinfeld, School (262), Schloß aus diesem Grunde aus, daß die Formel im Dtn „as a juristic formular" zu betrachten sei.

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Zur Deutung des Unaufhebbarkeitsgesetzes

216

weis auf die Wichtigkeit v o n Kap. 12 ebenso durchaus ihre wohlüberlegte Bewandtnis 65 . Vordergründig drängt die Formel auf die Befolgung der D^pPI und •"»ÜSÜD (4,1) und auf ein rechtes Verhalten (vgl. 4,1: DDIIK "TDbo n K & ü S ; V.2: m m

m a n - n « n a t ì - , 13,i: n n t f n m a ... - α - i r r

1

»

nx

m f e » 1 ? ) . Die Aussage in V.2 knüpft an die Aufforderung ^ Κ Π Κ Ρ ΠΠΪ7Ί , . . - S k m y û ( v . i ) an, so daß nun ihrerseits die F o r m e l in V . 2 in Richtung ethischen Wohlverhaltens interpretiert und mit der Bewahrung mündlichen Vortrags identifiziert wird (X7QE7: gehorchen/hören). Im näheren K o n t e x t wird die Bewahrung der Rede des Mose folgerichtig v o r allem als Memorierungsproblem begriffen (V.9: - [ T S ?

"HÖH α ^ Ί Π Ί Π Τ ί Χ Γ Ώ ^ Γ Γ ρ ) " .

D o c h das D t n durchbricht auch die Fiktion der Rede: bei der Offenbarung am H o r e b gab es etwas zu hören (4,12: D - w a t f a m

t m m

bip'7),

aber auch etwas zu lesen (V.13b: •''DDK ΓΪ1Γ0 "OET^S? 0 3 Γ Ο " η ) . A m En68

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Vgl. Dohmen/Oeming, ebd. Im Zusammenhang der Fluchreihen des Dtn kann das Buch dem Leser seine eigenen Flüche, die „in diesem Buch geschrieben stehen", androhen (28,61; 29,lf.26). Eine interessante Sonderstellung nimmt dabei 28,61 ein, da dort allerlei Übel angedroht ist, „das nicht geschrieben steht im Buch dieser Thora". Der Referenzrahmen wird über das Buch hinaus ins Unbestimmte geweitet. Gleich den dtr. Verweisen auf die „Bücher der Könige von Israel und Juda" und dem „Buch des Redlichen" (Jos 10,13; II Sam 1,18; vgl. aber auch I Reg 8,53a [LXX]) zeigen hier die Deuteronomisten keine Bedenken, aus ihrem eigenen Schrifttum herauszuzeigen und gewissermaßen ein „Loch" im Kanon zu erzeugen. Die dtr. Literaturverweise sind aufgenommen und gleichzeitig ausgehöhlt in I Makk 9,22: Als Abschlußbemerkung der Schilderung des Judas liest man dort: „Das übrige der Geschichte des Judas, der Kämpfe und der Heldentaten, die er vollbrachte, sowie sein Großmut ist nicht aufgeschrieben worden" (ού κατεγράφη). Ein Grund für diese Lücke in der Geschichtsschreibung weiß der Autor ebenfalls anzugeben: „es war nämlich gewaltig viel" (πολλά γαρ ήν σφόδρα). Diese Technik begegnet noch ausführlicher formuliert in Joh 20,30 und dann besonders Joh 21,2h „Es gibt noch viele andere Dinge, die Jesus getan hat, (doch) würde - wie ich glaube - , wenn man sie eins nach dem anderen aufschreiben wollte, die Welt die zu schreibenden Bücher nicht fassen können". Hier dient das Eingestehen der mangelnden Kapazität, also der Unzulänglichkeit des Mediums der Charakterisierung des beschriebenen Gegenstandes. - Vgl. dazu auch den späten Text nV 7,36f. (Beyer, ATTM Π [167.169]): "ΤΡΚ Ή niHDD "INtÖl Π3Ί Κ "IDEO T l f Ò n ΧΉΠΚ ρ 3 Π Ο > Ή 3 PpS-l ì Ò Ή " b ( wobei nur die Immobilien in dieser Urkunde aufgeschrieben sind, und allerhand weiteres mir Gehörendes, das nicht aufgezählt ist, ...") heißt es bei der Aufzählung von Gütern, die ein Ehemann seiner Frau überläßt. Canzik, Wahrheit (99), hält die Kombination der Textsicherungsformel mit der (von ihm sogenannten) „Tradierungsformel" in 4,9f. für das typische Merkmal der dtr. Rezeption der Textsicherungsformel. Zum Motiv des Vergessens durch den Rahmenwechsel, der mir dem Einzug ins Land gegeben ist, vgl. J. Assmann, Gedächtnis (222-228). VOtí meint hier bloße akustische Wahrnehmung; vgl. Rüterswörden, S7DE7 (261). Auch Donner, Abrogationsfall (86)/Geschichte (355), macht auf die gelegentliche Durchbrechung der Redefiktion aufmerksam.

Die „Textsicherungsformel"

217

de wird sogar offen v o n der Verschriftlichung des D t n durch Mose berichtet (Dtn 31,9.24; vgl. aber auch 17,18ff.), so daß die These, 4 , 2 und 13,1 wollten auch die schriftliche Niederlegung des Buches sichern, einige Wahrscheinlichkeit für sich hat 6 '. In der F o r m , in der die Textsicherungsformel in 4 , 2 und 13,1 erscheint, leistet sie also im oben beschriebenen Sinne die Aufgaben v o n Kopistenformel

und Vertragsformel

zugleich 70 und interpretiert

das ethische Problem als hermeneutisches Problem: D a JHWH-entsprechendes Verhalten Schrift-entsprechendes Verhalten ist, ist der Mensch dann die rechte Abschrift der Urschrift, wenn er von sich aus (vgl. D t n 12,8b) nichts hinzutut n o c h hinwegstreicht. Die Veränderung der Urschrift und damit des Lebensentwurfes für das Volk Israel interpretiert das Buch als „hinter anderen Göttern herlaufen". Dieser Zusammenhang folgt 4,3f. der F o r m e l auf den Fuß. Die dem "ΠΧ7Β nachliefen, hat J H W H selbst niedergemacht (V.3), die H ö r e r der Rede aber (ΠΠίΟ) leben n o c h heute, da sie weiter an J H W H kleben blieben (V.4). Die Beziehung zu J H W H ist mithin nur u m den Preis des Lebens gegen andere Beziehungen austauschbar 71 . Damit aber erweist sich die enge Einflechtung

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der spätdtr.

Rezeption

der Textsicherungsformel

in die

Den Schriftbeweis für die Unantastbarkeit des Textes finden die Rabbinen freilich in Prv 30,6 (vgl. Leipoldt/Morenz, Schriften [57], mit Verweis auf bMeg 7a). In dieser Tradition wird die Textsicherungsformel als Aufforderung zu akribischer Textpflege verstanden: So z.B. spricht Rabbi Ismael zu Rabbi Meir, der gerade Thorarollen abschreibt: „Sei vorsichtig in deiner Arbeit ... du würdest die Weltordnung zerstören, wenn du Einen Buchstaben hinzufügtest oder hinwegließest" (Er 13a; zit. nach Stauffer, Methurgeman [289]). Dies illustriert auch die Hochschätzung des Jods als kleinsten Buchstaben der Quadratschrift (Belege bei Strack/Billerbeck I [244]). Vgl. auch den Strack/Billerbeck I (247f.), zitierten Abschnitt Men 29b, wo sich eine (anregende!) Darstellung der Soteriologie anhand der äußeren Form der Buchstaben Jod und He findet. Auch Dohmen/Oeming, Kanon (84f.), stellen eine breite Bedeutungspalette für die Formel im Dtn fest und betonen insbesondere auch ihre ethische Komponente. Anders will Quecke, Wahrheitsbeteuerung (409f.), die Dtn-Belege zu einseitig auf die „genaue Beachtung des religiösen Gesetzes" festlegen; ebenso Canzik, Wahrheit (100). Dasselbe gilt für 13,1: Der Vers umklammert mit 12,1 das Kap. 12. Die Begründung der Kultuszentralisation läuft über die Unterscheidung des Volkes Israel von anderen Völkern, die allüberall ihren Göttern zu dienen pflegen; diese Argumentation bildet einen zweiten Rahmen um das 12. Kap (V.2-4+V.29-31). Monolatrie, Kultuszentralisation und Textsicherungsformel stehen zweifellos nicht zufällig in diesem eng komponierten Zusammenhang nebeneinander. - Den Zusammenhang mit der Warnung vor Götzendienst betont auch sehr André, ^O"1 (683). Der Bezug von 13,1 auf 13,2ff. ist aber wohl nicht der primäre Bezugspunkt der Formel, da die Klammerfunktion mit 12,1 deutlich ist. Aber im Sinne der spät-dtr. Redaktion von 13,1 ist ein allgemeiner Bezug auf das ganze Gesetzeskorpus sicher auch anzunehmen (so Fishbane, Interpretation [263]).

218

Zur Deutung des Unaufhebbarkeitsgesetzes

JHWH-Monolatrie oder gar den Monotheismus72. Die durch die Formel gesicherte Offenbarung ist eine Größe für sich von schlechthinniger Bedeutung für das Volk Israel und daher sind andere Offenbarungen und Verträge nicht konkurrenzfähig. Die enge und ausschließliche Bindung, die J H W H zwischen sich und seinem Volk hergestellt hat, spiegelt sich also in der engen und Varianten ausschließenden Übertragung des Urbildes in die vielen Abbilder. Die aus der besonderen Bindung zwischen J H W H und Israel resultierende grenzenlose Gültigkeit der Offenbarung, die „du deinen Söhnen und den Söhnen deiner Söhne beibringen sollst" (4,9b), ist hier der spezifische Interpretationsrahmen der Textsicherungsformel73. B) Prv 30,6: In Prv 30,6 findet sich nur das Erweiterungsverbot der Textsicherungsformel: „Zu seinen Worten sollst du nichts hinzufügen, damit er dich nicht zurechtweist und du der Lüge überführt wirst." - Aus dem Zusammenhang 30,1-10 ergibt sich, daß der Mensch unfähig ist, weitere Einsicht zu erlangen, und dies ist auch gar nicht nötig hat, denn die Rede Gottes ist bewährt (η2"Π2Ϊ, 30,5). Besonders unter Berücksichtigung der von Gunneweg herausgearbeiteten Abhängigkeit des ganzen Abschnitts von kanonischer Schrift74 ist die These, hier gehe es dem Autor um den Schutz kanonischer Schriften, sicher nicht ohne Plausibilität. Näher zu beschreiben freilich ist dies nicht75. Die mit n~IDK (V.5) und ~OT (V.6) bezeichnete Selbstmitteilung Gottes bleibt im Dunklen. Herrmann hat eine von Dtn 4,2; 13,1 über

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Vgl. Braulik, Geburt (138-149), der die Bedeutung des Monotheismus in Kap. 4 herausgearbeitet hat und darüber hinaus meint, der Leser des Dtn solle das gesamte Buch durch die „monotheistische Brille von Kap. 4 sehen" (a.a.O. 138). Der Zusammenhang zwischen Textsicherungsformel und ewiger Geltung des gesicherten Gegenstandes ist - bei aller Unterschiedlichkeit - ganz deutlich ebenso in Koh 3,14 vorhanden: • ' p i u b ΓΡΓΡ ΧΊΠ ΠΡΓ0ΧΠ Π&Ϊ71 Ό geht der Formel unmittelbar voraus (vgl. auch 3,llboc.l5a). Wie Prv 30,1-9, so versucht auch Koh 3,9-15 die Geltung der Formel argumentativ zu stützen: Das Werk Gottes und seine Offenbarung ist abgeschlossen, in sich immer gleich und sogar „schön" (Koh 3,11a). Der Mensch hat nicht die Fähigkeiten, etwas Gleichwertiges zu schaffen oder auch nur Korrekturen an Gottes Werk vorzunehmen und soll deshalb auch die Hände davon lassen. Ähnlich denkt mit der Betonung der ewigen Dauer der Thora z.B. Bar 4,1: ό νόμος ό υπάρχων εις τον αιώνα. Weitere apokryphe und rabbinische Belege bei Strack/Billerbeck I (245-247) und Luz, Erfüllung (407, Anm. 46). Ferner vgl. die wohl recht alte Grundvoraussetzung der rabbinischen Hermeneutik, die Theorie von Vollständigkeit der Thora: „Wende und wende sie (die Tora), denn alles ist in ihr" ( m N^D [Αν V 22]; s. Maas, Schriftauslegung [137], Stemberger, Einleitung [236]). Gunneweg, Weisheit (257). Vgl. die Forschungsübersicht bei Dohmen/Oeming, Kanon (87f.).

Die „Textsicherungsformel"

219

Prv 30,6 zu Koh 3,14 verlaufende Entwicklungslinie aufzuzeigen versucht76, so daß von daher Prv 30,6 eigentümlich schwankt zwischen der Sicherung eines Wortlauts und der ganz allgemein gehaltenen Feststellung der Hinlänglichkeit der göttlichen Offenbarung und Regierung. Der Kontext des Belegs setzt zwar einen hohen Wert des von Gott Mitgeteilten voraus, der auch dessen Aufhebung oder Ignorierung sicher verbietet, aber ob eben dies auch auf den Umgang mit schriftlichen Texten übertragen wird, ist u.E. mit ausreichender Deutlichkeit nicht zu erkennen. C) Jer 26,2: Jer 26,2 bringt mit dem „Kürzungsverbot" ( " O " ! U l U r r b X ) lediglich die halbe „Textsicherungsformel". Dem Wortlaut nach geht es um das Einschärfen des Botenethos beim Propheten, das ihm Aufgetragene anderenorts unverkürzt wiederzugeben. Näheres Zusehen aber macht die These wahrscheinlich, daß Mündlichkeit an dieser Stelle eine bewußt eingesetzte Fiktion ist. Die redaktionell herbeigeführten Parallelisierungen zwischen Kap. 26 und Kap. 3677 lassen im Sinne dieser Redaktion den Unterschied zwischen der Verkündigung des Propheten im mündlichen oder schriftlichen Medium als unerheblich erscheinen. Die einmal mündliche, das andere Mal schriftliche Verkündigung wird auf diese Weise derart zusammengerückt, daß die jeweiligen Spezifika nicht mehr recht zu unterscheiden sind. Die literarkritische Analyse von Kap. 26 legt nahe, V.2aßb und den dazugehörigen Ausführungsbericht V.8a als Zusatz, wohl dtr. Herkunft, aufzufassen78. Für die dtr. Einordnung des Zusatzes spricht auch der Anklang des Relativsatzes in 26,2aß ( " p m s ΊΚ7Κ D~Q~in ΟΓΡ^Κ 1 3 1 1 ? ) an den zum Erweiterungsverbot gehörenden Relativsatz in Dtn 4,2 (ΠΕ7Κ "131Π DDnK ÎT13D ·Ό3Κ). Die eigentliche Funktion des Kürzungsverbots in Jer 26,2b ergibt sich allerdings erst aus dem Zusammenhang zwischen Kap. 26 und Kap. 7, der sogenannten Tempelrede. Allerlei Bezüge zwischen den beiden Kapiteln zeigen bekanntlich, daß der Leser an das dort Berichtete zurückzudenken hat und mit der Erzählung von den der Rede folgenden Ereignissen die Fortsetzung des weitabliegenden Kap. 7 erfährt. Die Herstellung des Zusammen-

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Herrmann, Koh 3,14 (passim). Dazu kritisch Weinfeld, School (263f.), der nicht mit einer Wirkung der Dtn-Texte auf die weisheitlichen Belege, sondern mit dem umgekehrten Abhängigkeitsverhältnis rechnet. Vgl. O'Connor, Do not Trim (625f.)¡ Graupner, Auftrag (49f.). So Graupner, Auftrag (42f.); Reuter, Nimm nichts (108). Vgl. auch die Erwägung bei Thiel, Redaktion Π (4, Anm. 5).

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Zur Deutung des Unaufhebbarkeitsgesetzes

hangs zwischen Kap. 26 und Kap. 7 als redaktionelles Problem scheint uns daher der naheliegendste Problemhorizont zu sein, in den die Verwendung der halben „Textsicherungsformel" einzuzeichnen ist. Kap. 26 wiederholt ja nicht noch einmal Kap. 7, sondern bringt mit V.4-6 bestenfalls einige Stichworte zur Erinnerung79. So gesehen erscheinen V.2aßb.8a auf redaktioneller Ebene als Ermahnung an den Leser, sich Kap. 7, wenn nicht auch das sonst noch Gelesene, zu vergegenwärtigen, um die nun anhebenden Berichte über die Folgen der Verkündigung für den Propheten recht verstehen zu können. An alles soll der Leser sich erinnern und nichts weglassen. Aus diesem Grunde hat an dieser Stelle auch das Erweiterungsverbot nichts zu suchen, da in der versteckten Anrede an den Leser der Redaktor nicht neue Texte abwehren, sondern nur das schon Geschriebene an dieser Stelle präsent machen und den inneren Zusammenhalt des Prophetenbuches herstellen will80. Trotz des terminologischen Zusammenhangs also fällt auch Jer 26,2 als Beleg für die im strengen Sinne verstandene „Kanonformel" aus. Das sprachliche und sachliche Motiv finden wir hier in der Werkstatt eines Redaktors, der angesichts der Textmenge des Prophetenbuches und der Disparität des Stoffes gelegentlich für den Leser Klammern setzt, um die Einheit und den Zusammenhalt des Buches herauszustreichen81. Solche redaktionellen Bemerkungen für den Leser kennt das Jer-Buch auch sonst: 51,60b wird das Böse, das Jeremía bezüglich Babel aufschreibt, durch einen Verweis des Buches auf sich selbst ganz offensichtlich mit den auf Babel abzielenden Worten, die zuvor in 50,1-51,58 zu lesen waren, identifiziert. Auf diese Weise kann der Redaktor die Sprüche JHWHs durch Je-

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O'Connor, D o not Trim, betont sogar eine thematische Neuorientierung von Kap. 7 zu Kap. 26 hin auf das, was für die neuen Umstände der Gemeinde wichtig sei. Aus diesem Grunde fehle hier auch das Erweiterungsverbot, da eben die Erweiterung der jeremianischen Prophetie ab Kap. 26 bis Kap. 45 durchgeführt werde. Aus diesem Grunde ist die von Dohmen/Oeming, Kanon (86), zustimmend zitierte Äußerung Graupners, Auftrag (49, Anm. 39), das Hinzufügungsverbot in 2,b fehle „wohl aus Rücksicht auf 36,32 und im Bewußtsein ihrer [der Redaktoren; der Vf.] eigenen Tätigkeit" verfehlt: Die Rücksicht auf 36,32 spielt keine Rolle, da es in 26,2b um etwas anderes geht, und ob die Redaktoren im Hinblick auf ihre eigene Tätigkeit aufgrund der „Kanonformel" Bedenken trugen, ist eine kaum beweisbare und unter Berücksichtigung der breiten Fortschreibungstätigkeit am AT auch nicht besonders wahrscheinliche These. Reuter, N i m m nichts (108f.), dagegen interpretiert Jer 26,2 u.E. allein im Rahmen des für den Propheten geltenden Berufsethos für Boten. Dohmen/Oeming, Kanon (85f.), glauben hier zwar „an tiefere Motive ... als die bloße Ermahnung zur Botenpflicht", kommen aber nicht zu der hier vorgetragenen redaktionstechnischen Deutung.

Die „Textsicherungsformer

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remia (50,1) mit dem Bericht über die Zeichenhandlung des Seraja in Babel in einen Zusammenhang stellen, ohne noch einmal die Sprüche Jeremias gegen Babel zitieren zu müssen. Ganz andere Funktion hingegen hat der vermeintlich zweite Teil der „Kanonformel" in Jer 36,32b: dort wird genau das konstatiert, was das sogenannte „Erweiterungsverbot " der Textsicherungsformel verbieten will, nämlich die Vermehrung eines vorliegenden Textkorpus. Die unpersönliche Formulierung wirkt geradezu wie eine Einladung zur redaktionellen Fortschreibung prophetischer Texte. Sollte der Autor des Halbverses hier die Textsicherungsformel als Kanonformel vor Augen gehabt haben, könnte man die Formulierung als ihre bewußte, kritisch gemeinte Umkehrung verstehen. Aber u.E. gibt es dafür sonst keine Anzeichen, und dieses Verständnis ist wohl eher eine Eintragung in den Text aufgrund der späteren, strengen Auffassung der Formel. Vielmehr dürfte sich hier ein sozusagen prä-kanonisches Textverständnis artikulieren, das prophetische Textsammlungen wie die Baruchrolle für prinzipiell unabgeschlossen hielt und mit allerlei Fortschreibungen rechnete82. Aus dem allem erhellt also, daß in 26,2b die „halbe Textsicherungsformel" mit dem Kanonbegriff nichts zu tun hat, und in 36,32b gerade durch die Umkehrung der anderen Hälfte dieser Formel die Unangemessenheit des Stillstellungsgebots für prophetische Texte im Sinne der Redaktoren zum Ausdruck kommt. Sollte 26,2aßb dtr. geprägt sein, bliebe ferner festzuhalten, daß innerhalb des Kreises dtr. beeinflußter Theologen die Textsicherungsformel durchaus nicht auf einen bestimmten Verwendungszweck festgelegt war, sondern auch für ganz andere Probleme im Umgang mit Texten fruchtbar gemacht werden konnte83.

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Als weiteres, allerdings etwas anders gelagertes Beispiel für diese „umgedrehte" Benutzung der Textsicherungsformel vgl. I Makk 8,29f. Dort heißt es am Ende eines Vertrages zwischen den Römern und den Juden: „(29) Auf Grund dieser Bestimmungen also schlossen die Römer mit dem Volk der Juden einen Vertrag. (30) Falls aber nach (der Annahme) dieser Bestimmungen die einen oder die anderen wünschen sollten, (etwas) hinzuzufügen oder zu streichen (βουλεύσωνται οΰτοι και οΰτοι προσθειναι ή άφελεΐν), sollen sie es nach ihrem Belieben tun, und was sie hinzufügen oder streichen, soll gültig sein (δ έάν προσθώσιν ή άφέλωσιν, εσται κύρια)" (Ubersetzung nach Schunck, I Makk [332]).

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Als bemerkenswerte Ähnlichkeit in der Verwendung der Formel zwischen Dtn 4,2; 13,1 einerseits und Jer 26,2 andererseits ist die typisch dtr. Doppelbödigkeit zu nennen, mit der schriftliche Kommunikation unter dem Deckmantel von mündlicher dargestellt wird. Dabei wird die Textsicherungsformel Dtn 4,2; 13,1; Jer 26,2 in die Rede einge-

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Esther - Theologie unter den Bedingungen der Diaspora

Nach dieser Übersicht ist ein Fazit zu ziehen: Ein Überblick über die Textsicherungsformel im AT ergab, daß der Zusammenhang mit der Bewahrung schriftlicher Texte in manchen Fällen nicht sicher zu erweisen ist (vgl. Prv 30,6; Koh 3,14). In anderen Fällen soll die Formel redaktionell Zusammenhang stiften und steht dann mit dem Problem der Bewahrung göttlicher Offenbarung in keinem erkennbaren Zusammenhang (Jer 26,2; vgl. auch Jer 36,32). Allein in Dtn 4,2; 13,1 scheint uns ein deutlicher Schritt in Richtung Kanon getan zu sein84. Die Unaufhebbarkeit ergibt sich allerdings auch dort nicht aus der Formel selbst. Diese Zuspitzung der Arretierung des Textes entsteht im Dtn durch den theologischen Kontext, in dem die Formel auftritt. Monolatrie und Monotheismus und das Insistieren des Dtn auf sich selbst bringen die 7e%rsicherung auf den Weg zur Ämorasicherung.

7.2.3. Die Unaufhebbarkeit der Gesetze in Est und Dan 6 Als Belege für die Vorstellung, die persischen Gesetze seien unaufhebbar gewesen, wird neben Est 8,8 auch Est 1,19 (häufig mit einem Verweis auf 9,27f.) angeführt. In aramäischer Sprache taucht das Motiv in Dan 6 auf. Diese außergewöhnliche und sonst für das Perserreich nicht belegte Vorschrift zur Stabilisierung, ja Konservierung aller Rechtssatzungen auf unabsehbare Zeit hin steht in der Esthernovelle und der Erzählung von Daniel in der Löwengrube an prägnanten, handlungsentscheidenden Positionen. Wenn die Texte vielleicht nicht unbedingt einen sicheren Schluß auf die Verfassungs- und Rechtswirklichkeit des persischen Reiches zulassen, sagen sie aber doch sicher etwas über die Auffassung bestimmter jüdischer Kreise von den persischen Gesetzen aus. Dahinter wiederum könnte das Verständnis dieser Kreise bezüglich des Umgangs mit der eigenen schriftlichen Tradition zum Vorschein kommen. Dies macht es lohnend und notwendig, die

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baut, obwohl sie in allen Fällen ganz eindeutig der Sache nach auf die Metaebene des Textes gehört. Als Metabemerkung des Erzählers und Textverfassers wird sie aber sprachlich nur Jer 36,32 kenntlich. Die umgedrehte Textsicherungsformel hat hier Kolophon-Status. Zum Charakter des Dtn als Schrift mit kanonischem Anspruch vgl. die Zusammenstellung bei Donner, Abrogationsfall (86f.)/Geschichte (355). Bei der dort vorgenommenen Wertung von Dtn 4,2; 13,1 als „kanonische^j Formel zur Sicherung der Textintegrität" (Hervorhebung vom Vf.) sind wir nicht so zuversichtlich und differenzieren im oben beschriebenen Sinne.

Von schlechten und guten Beamten (Kap. 3/8)

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sprachliche Gestaltung der Unaufhebbarkeitsvorstellung in den genannten Texten genau zu betrachten. Dadurch - so will uns scheinen - werden sich manche in der Literatur verbreitete Meinungen zu dem Thema als unpräzise oder gar der Revision bedürfend erweisen. Est 1,19 macht der Weise Memuchan diesen Vorschlag: „Wenn es dem König gut zu sein scheint, möge ein königlicher Erlaß von ihm ausgehen, und [es] soll geschrieben werden unter die Gesetze Persiens und Mediens, und man soll [es] nicht übertreten"0, daß Bereits 3 Γ Ο Ή hat kein explizites Subjekt bei sich, doch kommt nur der vorstehende r r a b i m a - r , bzw. der in V.19b vorgeschlagene Gesetzestext in Frage. Beim dem dann folgenden „seltsamen"141 T D i T auf das es uns hier ankommen soll, liegen die Dinge komplizierter: Das Verbum "1317 kann im Grundstamm die transitive Bedeutung „etwas übertreten, überschreiten" haben. Ebenso möglich ist aber auch die intransitive Ubersetzung mit „verrinnen, versiegen, erlöschen"142. Der Unterschied zwischen beiden Bedeutungsrichtungen, der oft minimal sein mag, muß in dem vorliegenden Zusammenhang doch eine große Rolle spielen; denn ob ein Übertreten eines persischen Gesetzes verboten oder vielmehr seine Unverlöschlichkeit festgestellt wird, ist zweifellos keine vernachlässigbare Nuance. Mit dem Verbot des Übertretens eines Gesetzes wäre die Frage seiner Unaufhebbarkeit ja gar nicht berührt. Ein Gesetz dagegen, daß nicht erlischt, wäre in der Tat als ein nicht aufhebbares Gesetz interpretierbar. Die Syntax von 1,19 nun läßt beide Möglichkeiten zu: ι . τ η χ τ x b könnte der anschließende, mit "ItÖK eingeleitete Gesetzestext, der zuvor als Subjekt des passiven Verbums 3ΓΟ"Η fungierte, als Objektsatz zugeordnet werden143. Zu übersetzen wäre dann in der oben vorgeschlagenen Weise144.

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Da es sich um eine Gesetzesbestimmung handelt, ist ein Imperfekt in auffordernder Bedeutung anzunehmen; vgl. Meyer, Grammatik (§ 100,4f.). Ewald, Geschichte IV (301, Anm. 1). Jes 29,5; Jer 13,24; Zeph 2,2; Ps 144,4; Hi 11,16; 30,15 u.ö. Vgl. dazu allgemein und mit Beispielen für von "IDttf abhängigen Objektsätzen: Meyer, Grammatik (§ 114,2a+b); auch G/K, Grammatik (§157). Die Formulierung "ODS?"1 ist auch sonst belegt: Hi 14,5 wird in Anrede an Gott über den Menschen gesagt: „Du hast seine Tage bestimmt, die Zahl seiner Neumonde ist bei dir, seine Grenze hast du gesetzt - und er kann („sie" oder „dies alles") nicht überschreiten ("ΙΌ!?"1 Xbl)"; hier ist transitiv mit „überschreiten" zu übersetzen, da bereits V.2 ( I T O 1 Xbl) und V.4 ("ΙΠΧ *Ò) vom Unvermögen des Menschen die Rede war, ρΠ also kaum Subjekt zu intransitivem "IDS7 sein kann. Doch gerade diese Stelle zeigt die Schwierigkeit, die beiden Übersetzungsmöglichkeiten zu unterscheiden; denn

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Esther - Theologie unter den Bedingungen der Diaspora

2. Meist aber werden als Subjekt zu Π3Χ7 1 i Ò die davor stehenden •ΠΟΤΌΊΒ Τ Π , aber auch der ITD^D 131 oder das mit einleitendem "ItÖK Zitierte als Subjektsatz eingesetzt und auf die eine oder andere Weise damit gerechnet, hier werde eine (grundsätzliche)145 Aussage gemacht über die Unaufhebbarkeit der persischen Gesetze wie in 8,8146. Dieses Verständ-

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ein Überschreiten dieser „Grenze" würde faktisch ihrer Außerkraftsetzung gleichkommen. Ein weiterer Beleg findet sich in Ps 148,6: „Du hast sie (verschiedene Himmelserscheinuneen) aufgestellt auf immer und ewig, eine Ordnung (pn) hast Du gegeben T O y l o r . Entschließt man sich zur Lesung des Plurals f l ~ O y ) , würden die Himmelskörper als Subjekte eintreten: „und sie überschreiten sie [die Ordnung] nicht"; doch der MT ist lectio difficilior und hat eine sachliche Berechtigung: aus Parallelität zu der Beständigkeitsfeststellung V.6a paßt gut die Ubersetzung: „und sie (die Ordnung) vergeht nicht" (vgl. auch LXX: και οΰ παρελεύσεται). Auf die Bemerkung der Annahme bzw. Festsetzung einer göttlichen Satzung (pn) folgt in jedem Fall nachklappend die (modal gefärbte) Bemerkung k S i in syntaktisch jeweils etwas unklarem Bezug. Der Ertrag für das Verständnis der Belege in Est ist trotz des Gesetzeskontextes wegen der Ps 148,6; Hi 14,5 nicht möglichen sachlichen Unterscheidbarkeit von „Ubertreten" und „Verlöschen" u.E. von geringerer Bedeutung. Zur sehr beliebten passiven Ubersetzung vgl. auch Anm. 146; das Passiv dürfte an dieser Stelle seinen Grund in einem am Lateinischen geschulten Sprachempfinden haben (vgl. Bauer/Leander, Grammatik [§ 85g, S. 302], und die Übersetzung des Hieronymus zu Dan 6,9.13.16; Est 1,19). Die Grundsätzlichkeit der Aussage entsteht, wenn die „Gesetze der Perser und Meder" als Subjekte eingesetzt werden, wobei allerdings die (mögliche) Inkongruenz zwischen Subjekt und Verbum bezüglich des Numerus hingenommen werden müßte. Ist nur der zitierte Rechtssatz Subjekt, so gilt die Bestimmung auch nur für diesen. Trotz einer weit verbreiteten Interpretation auf die Unaufhebbarkeit der Gesetze schwanken die Bezüge und die Übersetzung von τ η » · · x b in einer Weise, die auf eine gewisse Unsicherheit schließen lassen könnte: Siegfried, Est (147), sieht das Edikt zwar als Objekt, übersetzt aber "13S7 mit „aufheben" und faßt " O y [sie!] mit Verweis auf 9,27f. als Passiv auf [„und nicht möge (das Edict) aufgehoben werden"]. Wildeboer, Est (179f.): ""QU habe hier die Bedeutung von aramäisch ΓΠΪ7 (hinschwinden, vergehen) und bezeichne das Gesetz als unwiderruflich (mit Verweis auf Est 8,8; Dan 6,9); Steuernagel, Est (447): Ein Erlaß möge ausgehen „und ... aufgezeichnet werden, so daß er nicht aufgehoben werden kann [passiv!]: daß ...". Gunkel, Esther (6f.), spricht ebenso von „Unwiderruflichkeit" der persischen Gesetze. Die Übersetzung von Ί Ώ Β 1 Κ1? mit „unwiderruflich" findet sich fast durchgängig: Oettli, Est (23): ein Wort gehe aus „und werde ... aufgeschrieben - unverrückbar: daß ...", mit Verweis auf Dan 6,6 und Est 8,8; Bardtke, Est (284): „unübertretbar", aber (289+Anm. 21) als „unwiderruflich" interpretiert, da " T O y x b die Unwiderruflichkeit mit einschließe, die freilich Est 8,8; Dan 6 deutlicher ausgedrückt sei [!]; Würthwein, Est (177): „unveränderlich". Moore, Est (3+10f.) übersetzt mit „cannot be revoked" [passiv!] und verweist darauf, daß bereits der 2. Targum die Sache so auffaßt; Dommershausen, Estherrolle (33). Ringgren, Est (394+397 mit Anm. 12) übersetzt mit „unwiderruflich" und verweist auf Est 8,8; Dan 6,8 [richtig 6,9!]; Dan 12,5 [?]. Loader, Est (228): ein Erlaß gehe aus „und werde, damit es nicht verändert werden kann [passiv!], in die Gesetze ... geschrieben, daß ...". Mein-

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nis beruht, wie oben erwähnt, auf der Übersetzung v o n "QS7 als intransitivem Verb im Sinne einer vollständigen Beseitigung 147 . D a ß die zweite Möglichkeit in 1,19 die zutreffende ist, erscheint uns aus mehreren Gründen unwahrscheinlich: Im Zusammenhang von Kap. 1 erwartet man eigentlich keine Information über den grundsätzlichen U m g a n g mit persischen Gesetzen und deren Unaufhebbarkeit, wohl aber -

nach

dem Vasthi-Desaster - eine Vermahnung an die Untertanen, daß gegen dieses königliche Gesetz nicht zu verstoßen sei 148 ; denn Vasthi hatte ja den Befehl des Königs nicht aufgehoben, sondern ihn „nur" nicht befolgt. Uber-

147

148

hold, Est (22): Ein Reichswort gehe aus „und werde ... aufgezeichnet, so daß es nicht vergeht, daß ..."; Crüsemann, Tora (406), faßt Est 1,19; Dan 6,9.13.16 zusammen und meint, diese Stellen sprächen „den schriftlichen Gesetzen der Meder und Perser auf unabsehbare Dauer Geltung" zu; für sich allein genommen bezögen sie sich zwar nur auf die jeweilige Anordnung, sie könnten aber auch im Lichte von Est 8,8 zu verstehen sein. Eine Unsicherheit in der Auslegung der Stelle zeigt auch Albertz, Religionsgeschichte (499, Anm. 12): Est 1,19; Dan 6,9 [Est 8,8 fehlt!] seien „Reflexe der sprichwörtlichen [?] Dauerhaftigkeit des kodifizierten persischen Rechts", welche in Dan 6,15f. „allerdings schon karikierend als Unveränderlichkeit" überzeichnet sei; in Gott (138, Anm. 251) erwähnt Albertz als Belege für die Unaufhebbarkeit der Gesetze in Est die Verse 1,19; 8,8; 9,28: Nach 1,19 bekäme eine Verordnung durch die Aufnahme in das Gesetz [Singular!?; wohl Verwechslung mit Dan] der Meder und Perser „bes. Dignität, die sie vor schneller und willkürlicher Veränderung schützt". Die Bemerkungen Bardtkes, Crüsemanns und Albertz' zeigen ausdrücklich die starke Interpretation von Est 8,8 und Dan 6 her, mit deren Hilfe die Verständnisschwierigkeiten, die aber in ihrer Schärfe gar nicht entwickelt werden, in 1,19 beseitigt werden sollen. So z.B. Fuhs, "OS? (1023); dort auch der Verweis auf ein (so nicht existierendes) Zitat in 9,20 (gemeint ist wohl 9,27 oder 9,28), mit dem 1,19 zusammenzustellen sei. Die Herleitung aus dem Zusammenhang „versiegen, erlöschen" auch bei Gesenius, Lexikon17 (559); Wildeboer, Est (179f.; siehe die vorherige Anm.). Koehler/Baumgartner, HAL (736), führen unter der Bedeutungsrichtung „vorübergehen, vergehen" Est 1,19; 9,28 als „aufgehoben werden" [passiv!]; Gerleman, Est (47), übersetzt: Der Befehl soll „in die Verfügungen der Perser und Meder eingeschrieben werden, damit er nicht außer Kraft trete, ...", und erklärt (69), daß der königliche Befehl „mit präjudizierender Gültigkeit" in die Gesetzessammlung „eingereiht werden soll". "TQU"1 X 7 besage demnach, daß der Fall „als Präjudiz mit hinfort verpflichtendem Charakter anerkannt werden solle". Dieser Interpretation folgt Frei, Zentralgewalt (24): lege das Gewicht nicht auf die Unabänderlichkeit (!), sondern auf die Dauer der Rechtsverfügung. - Mit der Auslegung Freis ist ein neuer Akzent in das Verständnis der „Unaufhebbarkeit" eingebracht. So verstanden ist 1,19 aber erheblich von 8,8 und auch Dan 6 abgerückt, denn dort ist jeweils wirklich durch den Kontext gesichert „Unaufhebbarkeit" gemeint. Freilich richtet sich die Bestimmung in V.19 allein gegen Vasthi. Aber mit V.20 wird das Gesetz fortgesetzt (vgl. das konsekutive Perfekt) und erweist sich so als vorrangig auf die Allgemeinheit bezogen, wenn auch anhand eines konkreten Einzelfalls. Vgl. dazu auch Gerleman in der vorherigen Anm.

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haupt sind die Konflikte, die sich aus der Nichtbeachtung bestehender Gesetze ergeben, für das Buch von außerordentlicher Bedeutung149. Die daraus resultierenden ethischen Problemsituationen - besonders für die jüdische Gemeinde - sind 3,3 thematisiert durch eine Frage königlicher Beamter an Mordechai: „Warum übertrittst du beständig150 das Gebot des Königs? •[bon JTßSD n « -OTO π η κ ¡ r n o " . Die Nichtachtung persischer Gesetze, die aber weiterhin bestehen bleiben, und nach denen sich andere auch weiterhin richten, hat also in Est einen wichtigen Ort und ist schon als Auftakt der Novelle am Beispiel der Vasthi erzählerisch entwickelt. Im Vergleich zu Est 8,8, der weitaus deutlicheren und im Kontext klareren Erwähnung der Unaufhebbarkeit, fallen zwei Dinge auf: Bezieht sich T O y hier doch wohl nur auf ein einzelnes Gesetz, wird dort grundsätzlich formuliert. Allein dies verbietet eine kurzgeschlossene Gleichsetzung der beiden Stellen als Belege für die Unaufhebbarkeit. Als Zweites wäre die unterschiedliche Formulierung mit den beiden Verben ""QX7 und 3110 zu erklären. Warum sollte der Erzähler, der sonst für seine Erzähltechnik Motivwiederholungen und Stichwortanschlüsse reichlich verwendet, in dieser für seine Novelle doch so wichtigen Sache darauf verzichtet haben? Als naheliegende Erklärung bietet sich an, der Novellist habe 1,19 in der Tat nicht als Präfigurierung von 8,8 auffassen wollen, sondern als Einführung in das Thema der Gebotsbefolgung nach Art von 3,3. Die Betrachtung der literarischen Abhängigkeiten der Novelle kann diese These stützen. I Sam 15,24 bekennt Saul seine Schuld folgendermaßen: „Ich habe gesündigt, denn ich habe den Befehl JHWHs und seine Worte übertreten ..." ( * ρ - η Τ Π ΐ η ΓηΤΡ-ΈΓΓΙΚ T r a S T O ) . Die Stelle dürfte vor allem auf Kap. 3 (bes. 3,3), der sich auch sonst auf I Sam 15 beziehenden Auseinandersetzung zwischen dem Sauliden Mordechai und dem Agagiter Haman, gewirkt haben. In für Est typischer Weise wird der theologische Konflikt sachlich und sprachlich leicht modifiziert in das eigene Werk übernommen und ihm sogar eine zentrale handlungsbefördernde Rolle eingeräumt. Hier liegt ein wesentliches Interesse der Novelle, das ihr Autor sogar noch in einem für ihn offenkundig wichtigen Bezugstext finden konnte und das sprachlich vielleicht auch auf die Formulierung 1,19 ausgestrahlt hat.

149 150

Vgl. dazu weiter 7.3. Das Partizip ""Q117 bezeichnet das Handeln des Mordechai als fortwährendes.

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Die weiteren Belege für machen die Angelegenheit erst recht kompliziert, scheinen aber auch eine interessante Wende in das Thema zu bringen151. In 9,27 finden sich zunächst ähnliche Probleme wie 1,19. „Und die Juden bekräftigten und nahmen an152 für sich und ihre Nachkommen und für alle, die sich ihnen anschlössen, und man sollte es nicht übertreten, daß ..." - unmittelbar folgt also auch in diesem Fall der Inhalt des in Rede stehenden Gebotes153, welches "Π3ΧΡ ü b als Objekt haben könnte. Die Bedeutung „verlöschen" ist immerhin möglich, doch nicht zwingend. Die Ähnlichkeit des Satzbaus, besonders bezüglich des folgenden Objekt- oder Subjektsatzes zwischen 9,27 und 1,19 ist deutlich zu erkennen, eine Anspielung auf 8,5.8 dagegen findet man nicht. Einzig 9,28 scheint einigermaßen sicher die Ubersetzung mit „Verlöschen/Verrinnen" zu erfordern: „Und diese Purimtage sollten nicht verrinnen aus dem Kreis der Juden heraus und ihr Gedächtnis sollte unter ihrer Nachkommenschaft nicht aufhören". ""QS7 hat hier eine intransitive Bedeutung und ist auch durch die Parallelität zu recht klar interpretiert154. Deutlich ist aber auch der Unterschied zu den anderen Belegen: Es geht hier nicht um das Gesetz, sondern um die „Tage". Ferner ist "OS7 hier mit der Präposition ]D konstruiert155, steht also in einem anderen syntaktischen Zusammenhang. Die Übereinstimmungen und die Abweichungen in 9,27f. von dem aus 1,19; 3,3 Bekannten erklären sich wesentlich aus dem Charakter des Abschnitts 9,20-32, der sachlich und sprachlich die Novelle zusammenfaßt. Auf den Anklang von 9,27 an 1,19 war eben hingewiesen worden. Die Konstruktion von ""Q17 mit ]D in 9,28 nimmt 8,2 auf. 8,2 berichtet der Novellist von der Entmachtung Hamans und der Bevollmächtigung Mordechais das Folgende: „Da zog der König seinen Siegelring ab, den er Haman weggenommen hatte (jDHQ T 3 S 7 n "IttíX)156, und gab ihn Mordechai...". Der Beleg, der zunächst in unserem Kontext unver151

Nicht eingehen müssen wir auf Est 4,17, wo ~DW „weggehen" bedeutet. Lies den Plural oder besser einen inf. abs. 153 Allerdings hier anders als in 1,19 ("ItÖX) mit der Präposition b eingeleitet. 154 Vgl. die deutlichen Belege für *Ï10 (q.) in Jes 66,17; Am 3,15; Ps 73,19. 155 Diese Konstruktion ist häufiger belegt und hat jeweils die „starke" Bedeutung des „Weichens" und „Verschwindens": vgl. Jes 40,27; Ps 81,7; Π Sam 16,1; Ruth 2,8; I Reg 22,24; Jdc 19,18 etc. 156 Die Bedeutung des hi. an dieser Stelle leitet sich ab von der Bedeutung „verrinnen/weggehen/weichen" des Grundstamms; vgl. z.B. I Reg 15,12; Sach 3,4; 13,2; Π Chr 15,8; 35,23f.; Π Sam 3,10; Jon 3,6. 152

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dächtig erscheint, da das Verb im Kausativstamm hier nicht im Zusammenhang des Ubertretens oder Aufhebens von Gesetzen steht, bekommt seine Bedeutung aus dem folgenden Vers. Dort (3b) liest man: „... und sie flehte ihn [den König] um Erbarmen an, daß man hinwegnehme die böse Tat des Agagiters Haman f m K n ]0Π ΓΜ-ΓΓΙΚ -Ρ3Ϊ7Γ0) und seinen Plan, den er gegen die Juden geplant hatte". Die V.8,2.3 berichten von der oben (7.2.2.) bereits erwähnten zweistufigen Entmachtung Hamans, nämlich der Entlassung aus dem Amt (samt Hinrichtung) und seinem dann noch folgenden und seine Entmachtung erst vollständig machenden Ende als Text. Die Verbindung dieser beiden Komponenten der Entmachtung Hamans stellt der Autor geschickt durch das Stichwort "13X7 (hi.) her. V.3 nimmt dabei den Wunsch Esthers aus V.5 (D-nsorrnK mttfrò), der seinerseits den vom König zitierten Rechtssatz V.8b vorbereitet, vorweg. V.5 kann - im Sinne der Est-Novelle - als rechtlich exakte Spezifizierung von V.3 gelten, da das „Rückkehrenlassen/Widerrufen" der Briefe erklärt, wie denn genau die Bostat Hamans „hinweggenommen" werden könnte. So gesehen erscheinen 8,2.3 als Bindeglieder und Uberleitung zwischen der von dem Autor eingeführten Verwendung von (q.) in 1,19; 3,3 und der Verwendung von (hi.) in 8,5.8. Die Verse 9,27.28 versuchen die verschiedenen Formulierungen aufzunehmen und bieten deshalb ein zunächst etwas buntes und verwirrendes Bild. Eine Mischformulierung mit mttf findet sich in 9,25, wo das „Wendemotiv" (vgl. z.B. 9,1) mit (q.) ausgedrückt und das Objekt dazu („sein böser Plan, den er gegen die Juden geplant hatte") als Anspielung auf 8,3 + 5 gestaltet ist. 3HÖ (q.!) meint jetzt nicht mehr die Beseitigung eines Plans, sondern seine Ausrichtung auf ein neues Ziel. Ziehen wir nach der Betrachtung der in Est in Frage kommenden Belege ein vorläufiges Fazit: Die Dinge liegen komplizierter und uneindeutiger als es die in der Literatur zum Thema mitgeteilten Beobachtungen vermuten lassen. Ein Verständnis der Aussagen scheint uns nur möglich zu sein, wenn die Novelle nicht quasi als Steinbruch zur Gewinnung gerade interessierender Einzelphänomene benutzt und damit verbunden die Texte aus dem Buch isoliert werden, sondern ihre Verbindung zur Aussage des gesamten Buches herzustellen versucht wird. Unter dieser methodischen Vorgabe schien uns eine Entwicklung des Verbums "OS? auszumachen zu sein, die mit der gerade im Zusammenhang der Gesetzesproblematik schillernden Doppeldeutigkeit des Verbums arbeitet. Dabei wird die von uns angenommene Grenze zwischen „Ubertreten" und „Aufheben" gestützt durch die

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Beobachtung, daß der Novellist in Kap.8 versucht, die beiden Verben aneinander heranzuführen. Der für das Buch wichtige, durch das Verbum ""QS7 (q.) ausgedrückte Vorgang wird im Rahmen der Bedeutungsbreite des Begriffs zu mttf (hi.) hinübergespielt. Unsere These soll nun lauten, daß der auf diese Weise wahrscheinlich bereits eingeführte Begriff 31IÖ (hi.) mit einer bestimmten Interpretation versehen wird. Nach dem interessanten Vorgang der Annäherung von "I3Ì7 an 31tÖ in dem Abschnitt 8,2-5 muß der Leser ab 8,8 erfahren, daß das von Esther Erbetene so nicht gewährt werden kann. Die gegenseitige Interpretation von ~OS7 und 31IÖ scheint da eine Lösung für den verweigerten Wunsch der Esther vorzubereiten: Das Dokument, das man nicht aufheben kann, kann man immerhin passieren, an sich vorbeigehen lassen. Dies scheint ja auch ein wesentlicher Bestandteil der von Mordechai ab 8,9 eingeschlagenen Taktik zu sein. Diese Möglichkeit der Konfliktlösung mit schriftlich vorliegenden und „anspruchs-vollen" Texten erwächst auf dem Boden eines „Life-styles" für die Diaspora, einer Ethik der Doppelloyalität unter den Bedingungen der Zerstreuung157. Der Blick ist nun auf Dan 6 zu richten. Die Erzählung schildert einen Fall von „Mobing" im Beamtenapparat des persischen Reiches. Hohe Beamte wollen dem Juden Daniel, der zu den drei obersten Beamten des Reiches zählt (6,3) und dabei so erfolgreich agiert, daß eine weitere Beförderung zu erwarten steht (6,4), eine Falle stellen. Diese Falle soll Daniel in einen „Loyalitätskonflikt" 158 zwischen seinem jüdischem Gesetz (Hilbtt ΓΠ; 6,6b) und dem ΉΟ"ΓΠ führen. Die Verschwörer beraten sich und schlagen dem König vor, daß er „einen Beschluß beschließe159 und ein Verbot fest einrichte" (~ΙΟΚ n a p n b l t o S o 0">p n n p b 1 6 0 ) , innerhalb von 30 Ta-

157 158 159

160

Zu diesem zuletzt genannten Zusammenhang vgl. 7.3. über Kap. 9 . So Willi-Plein, Daniel 6 (15). Wahrscheinlich ist lO*?D Subjekt zu HD'p 1 ?, weil die Pointe der Intrige zu einem nicht geringen Teil darauf beruht, daß der König dieses Recht setzt. • " p ist also keine Konstruktusverbindung und die Wortstellung ist so gewählt, um die figura etymologica nicht auseinanderreißen zu müssen; vgl. Hitzig, Dan (92f.); Marti, Dan (43); Meinhold, Dan (292); Bentzen, Dan (44); Albertz, Gott (232); anders Bauer/Leander, Grammatik (§ 89 g auf S. 311f.), die auch mit der Verwendung des Intensivstamms (V.8) gegenüber der des Kausativstamms in V.9 argumentieren; auch Behrmann, Dan (39)· Nach Paul, Reflex (108-110), muß man "10X H Q p r D mit „to make a document legally binding and valid" übersetzen, da dies die Bedeutung der im Hintergrund stehenden assyrischen Wendung riksa dunnunu sei. Diese Formulierung solle darüber hinaus auch

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gen ausschließlich die Anbetung des Herrschers zu erlauben, jeden aber, der es anders halte, zu den Löwen in die Grube fahren zu lassen (V.8). Der Plan rechnet also mit dem standhaften Bekennermut des Daniel. Die Beamten fordern den König abschließend noch einmal auf, „das Verbot einzurichten und das schriftliche Dokument aufzusetzen161, welches nicht abzuändern ist, entsprechend dem Gesetz der Meder und Perser, das nicht vergeht" ( D i s i ^ η τ π η

r r o t t f r ò vh> ή

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otí-im * η ο κ

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Η1Ϊ7Π I Ò - H ; V.9). Der Relativsatz162 MATÖNB Ì Ò Ή läßt sich noch recht zwanglos dem vorausgehenden Begriff Κ3ΓΟ, bzw. zuordnen. „7 mit Infinitiv drückt aus, daß etwas nicht geschehen darf", so daß auch attributiv mit „unabänderlich" übersetzt werden kann163. Große Ähnlichkeit damit weist die Aufschrift auf dem Sargdeckel eines gewissen "DO 164 auf, die den letzten Willen

161

162

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das Moment der Ratifizierung enthalten. Wenn auch das juristische Verständnis in den Zusammenhang paßt, so wird hier doch kaum impliziert sein, daß der König in diesem Gesetzesverfahren bloß zustimmende Funktion hat und das Gesetzesverfahren im Grunde durch die Beamten allein zustande gebracht wird. Paul übersetzt rtD"pb •"'p mit „to establish ... a royal edict" (a.a.O. [109J), also mit u.E. falschem Bezug von î o b o . Daß der König hier nur sein Placet zu einem Beamtengesetz geben soll, will auch angesichts der Formulierung von V.9.10 nicht recht einleuchten. - Weiter zu η ρ η in 7.3. bezüglich Est 9,29. Wiederum betonendes Hendiadyoin mit Variation der Terminologie; dafür, daß ÜÖ~1 3 Γ Ο „ein Dokument unterzeichnen" heißen soll (so z.B. Slotki, Dan [49]; Schneider, Dan 840]; Hartman/Di Leila, Dan [192J, gibt es sonst keine Anzeichen, vielmehr wird meist vom „Siegeln" des Königs gesprochen, während die eigentliche Schreibarbeit den dafür zuständigen Beamten oblag (so schon vehement Hitzig, Dan [(93]; Behrmann, Dan [39f.]; vgl. I Reg 21,8; Est 3,12; 8,8.10). Wohl aber kann aramäisch das Verbum 3 Γ Ο das Unterschreiben eines Dokuments bezeichnen: vgl. in Beyer, A T T M I, die Murabba'at-Urkunden M 18.[10]; M 21,[21.]23f.; M 33,4; ferner die Urkunden V 45,16f.; V 46,[15f], in denen jemandes Unterschrift für einen Schreibunkundigen mit dem Verbum 3 Γ Ο ausgedrückt wird, doch fehlt jeweils ein direktes Objekt; vgl. aber in A T T M Π: nV 7,74; auch wohl nV 18,74; 21,32 mit Suffix. Die von Marti, Dan (44); Goettsberger, Dan (50); Albertz, Gott (137.232), vorgeschlagene finale Übersetzung von Ή („daß/damit es unabänderlich werde"), hat zwar insofern ihre Berechtigung, als der Infinitiv mit b meist zur Bezeichnung des Zieles oder Zweckes dient und im Biblisch-Aramäischen „zu der gewöhnlichen und ... fast ausschließlich geltenden Ausdrucksform des Infinitivs" wird (Segert, Grammatik [6.6.5.1.3. auf S.389J. Doch trägt diese Übersetzung in den Text eine Nuance ein, die an ihm sonst keinen Anhalt hat: dieses Erlaßverfahren diente dann allein der Verfestigung des Gesetzes. Das aber müßte implizieren, daß persische Gesetze auch anders auf den Weg gebracht werden konnten, etwa als allgemeines, mündlich umlaufendes Brauchtum o.ä., das dann aber eben nicht den von den Beamten gewünschten Grad an Festigkeit hätte. Bauer/Leander, Grammatik ($ 85 g auf S. 302). Nach Puech, Inscription (162*), ist "IDO nicht Eigenname, sondern ein Perfekt des q. oder pa. von der Wurzel ""DO: „il a fermé".

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des Verstorbenen so zitiert: HDS7 Ί 3 Ρ Γ Ρ Γ 0 ΐ Γ Ρ 3 0 Γ 0 t t b Ή "IDK 1 3 0 0 3 K b l D ΓΤΠ Π 3 Ί Ν 3 („Sakar hat befohlen - was man nicht übertreten darf - zusammen mit ihm dürfe in diesem Sarg kein (anderer) Mensch begraben werden") 165 . """I ist Objekt zu und steht für den dann folgenden Inhalt des Befehls 166 . Der Ή-Satz ist hier also syntaktisch anders eingebunden und steht in Verbindung mit dem Zitat der nicht zu übertretenden Verfügung. Eine bemerkenswerte Nähe zu dieser Sargaufschrift zeigt Est 1,19: Dort folgt zwei einleitenden Verben (Κ2Ρ/3ΓΟ) das Ubertretungsverbot ( T n y i Ò t ) und mit "110X eingeleitet das Zitat des in Rede stehenden Gesetzes. Mehr aber als eine allgemein-sprachliche Abhängigkeit kann man in dieser Beobachtung wohl kaum finden. Ein anderer ähnlich junger Beleg, der zum Vergleich dienen kann, findet sich in einem nabatäischen Dokument aus dem Jahr 120 n. Chr. 167 : die Ubertragung des gesamten Besitzes eines Mannes an seine Frau soll ein o b i ? r o ñ o - o y n K b "»η, ein „Geschenk für immer, das nicht vergeht" sein168. Der Attributivsatz ""QUII K b Ή ist aufzufassen als die negativ formulierte Entsprechung zu dem mit Bezeichneten; insofern hat der Satz offenbar explikative und verstärkende Funktion. Der Formulierung nach erinnert der Satz natürlich an das aramäische ΓΡ3Ι0Γ0 t t S "'T in Dan 6,9.16, mit dem Verbum "13X7 aber an Est 1,19. Der Gebrauch von 13S7 in dem nabatäischen Dokument verlangt in seinem Gegenüber zu O1?!? und der Abhängigkeit von ΓΓ3ΓΊ0 die von uns oben für Est 1,19 verworfene intransitive Ubersetzung mit „vergehen". Mit diesem Gebrauch von ""QS7 und der jedenfalls grammatischen Bezeichnung nur des „Geschenkes" als „ewig (und) unvergänglich", ergibt sich eine gewisse Analogie zu Est 9,28b ( ΰ Ή Ι Γ Ρ η "priD Π 3 Γ ü b Γ 0 Κ Π C T I D i l "ΌΉ). Hinsichtlich des Sprachgebrauchs fällt auf, daß intransitives "13S7 auch aramäisch im Kontext der Gesetzessicherung möglich ist, von Dan 6 aber nicht, etwa anstelle von "HÎ7, benutzt wird 16 '. Auf die komplexeren Gründe für das Zustandekommen der Formulierungen in Dan 6 wird unten noch zurückzukommen sein.

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Beyer, ATTM Π (207); (hier wie auch im Folgenden richten sich die Übersetzungen der von Beyer zusammengestellten aramäischen Dokumente in der Regel nach Beyers eigener Übertragung); Puech, Inscription (163*), hat aufgrund des Schrifttypus die Inschrift in das 1. Jhd. datiert. Die Formulierung des Satzes mit + Infinitiv dient nach Puech, Inscription (162*), häufig zum Ausdruck eines Verbotes bei Grabinschriften: dort finden sich die Formulierungen wl' Impth, aber auch Ί/1'ypth. Aufgeführt unter nV 7,33 in Beyer, ATTM Π (167). Vgl. die Übersetzung bei Beyer, a.a.O. (169): „Geschenk für immer, das nicht für eine beschränkte Zeit gelten wird". Vgl. auch 4 Q213, Fragment 4,2.18 aus TestLev (Beyer, ATTM Π [75f.]; vgl. zum Text auch Eisenman/Wise, Scrolls [139+141]: S d 117 |33D -|3ΒΠ [ΙΟ ΚΓΪΟ^ηΐ] ... ],n'?]S719„[Und die Königsherrschaft] wird von euch [nicht] verschwinden bis in alle [Ewigkeit ...". Vgl. ganz ähnlich "|3D Γ Π » ΠΠΏ^Ο p a n 4,28bß. Vgl. noch 5,20b; 7,[12].14b[.26]). Intransitives Ί 3 ϋ noch 4 QEng (4 Q207) (¿äthHen 91,16; Beyer, ATTM I [248f.]).

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Schwieriger ist es mit dem in Dan 6,9 noch Folgenden: die mit 3 angeschlossene Fortführung des Satzes170 könnte sich ebenfalls auf Χ3ΓΟ/Χ"ΊΟΧ beziehen, würde dann also meinen, daß der Erlaß des Gesetzes entsprechend den Vorschriften der persischen Gesetze zu geschehen habe. Doch näher steht der eben erwähnte Relativsatz; das Abänderungsverbot - um es zunächst ganz allgemein zu sagen - „entspricht" also dem persischen Gesetz in irgendeiner Hinsicht. Der letzte Relativsatz Ν"ΤΪ7Π muß sich auf die vorstehende m beziehen, denn er ist nicht nur das nahestehendste Bezugswort, sondern auch das feminine Nomen, das der femininen Form Χ"ΤΪ7Π zugeordnet werden muß. In der Fügung 0~1Q1 ΉΏ~ΓΠ ist aufgrund der Konstruktusverbindung mit zwei Eigennamen ΓΠ determiniert: „das Gesetz der Meder und Perser"171. Schon dies macht es eher unwahrscheinlich, daß diese ΓΠ als Einzelgesetz, das eben zum Inhalt hätte, daß die Gesetze der Perser und Meder nicht aufhebbar seien, an dieser Stelle neu eingeführt wird. Dieses Verständnis ist auch deshalb schwierig, weil man in diesem Fall erwarten würde, daß der Ή-Satz den Inhalt des Gesetzes zitiert, was aber mit der Formulierung Κ1Ϊ7Π KS - " 1 "! nicht geschieht172. Worum handelt es sich aber bei dieser ΓΠ173? Der Befund im aramäischen kanonischen Schrifttum ist recht eindeutig: Das persische Lehnwort kommt

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Dieser letzte Teil des Satzes wird gelegentlich für sekundär gehalten; vgl. Baumgartner im Apparat der BHS und Haag, Errettung (38): „Der Hinweis auf die Unumstößlichkeit der medischen und persischen Gesetze greift auf 6,16 vor und kommt vom Inhalt her gesehen hier zu früh." - Wesentliches Moment der Intrige ist aber diese „Unumstößlichkeit", von der zu erfahren für den Leser an dieser Stelle keineswegs verfrüht ist. Merkwürdig ist die Bezeichnung dieses Gesetzes in 6,16 als D~)D1 "HD1? ΓΠ. Die Präposition b löst die Konstruktusverbindung und sorgt für die Indétermination von ΓΠ (vgl. Esr 5,11: 3 T bmfcP 1 ? dazu Bauer/Leander, Grammatik (§ 89 f auf S. 311); Segert, Grammatik [7.2.7.5.2. auf S. 417f.J). Nach V.9.13 sollte man eigentlich auch in V.16 eine Determination erwarten können. Die Annahme eines Textfehlers legt sich in diesem Fall nicht nahe (auch LXX (Θ') spricht V.9.13 von tò δόγμα Περσών καί Μήδων und läßt den Artikel in V.16 weg). Die Erklärung ist in dem jeweils unterschiedlichen Charakter von ΓΠ zu finden: In V. 9.13 handelt es sich bei ΓΠ um einen Kollektivbegriff, V.16 hingegen wird ein sogleich zitiertes Einzelgesetz neu eingeführt. Dieses hat dann die Bestimmung, daß die persischen Gesetze unabänderlich seien, zum Inhalt (vgl. Hartmann/Di Leila, Dan [195]; Lebram, Dan [80]). Die etwas verwirrende Bezeichnung sowohl des Gesetzeskorpus als auch des Einzelgesetzes als •nnfc) r n D~1D1 könnte sich als bloße Begleiterscheinung der Absicht erklären, eine deutliche Unterscheidung von den jeweils im Kontext begegnenden Begriffen DIO/ION/rÒD/D^p zu treffen. Ή leitete bei Zitation des Gesetzestextes einen „subordinierten Aussagesatz" ein; vgl. Segert, Grammatik (7.5.6.; S. 436), wo die untergeordneten Sätze freilich immer von einem Verb abhängig sind. Ein solcher Satz scheint in 6,16bß vorzuliegen. - Handelt es sich hier um einen solchen untergeordneten Satz, müßte V.9 mit einer Formulierung wie „ m s r t Ò XrÒD " a r o oder "ΠΟΚ oder "Ώ^ρ Ή ..." oder wie in 6,16bß enden. Vgl. dazu auch Kratz, Translatio (225-230), der aber ein anderes Frageinteresse hat und eine Unterscheidung zwischen Esr/Neh einerseits und Est andererseits nicht trifft.

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fast immer im Singular vor und ist dann ein Kollektivbegriff, der das Ganze eines Gesetzeskorpus bezeichnet (Dan 6,6; 7,25 174 ; Esr 7,12.14.21.25 175 handelt es sich um ein jüdisches Gesetzeswerk176); lediglich in Dan 2,9.13.15 ist eine einzelne Bestimmung gemeint177. Anders stellt sich der Sachverhalt im hebräischen Kontext dar178: In Est meint der Begriff zumeist ein einzelnes Gesetz, wenn er im Singular gebraucht wird (Est 1,8; 2,8.12; 3,14.15; 4,3.8.11.16; 8,13.14.17; 9,1.13.14). Steht der Begriff im Plural, zielt er auf eine allgemeine, umfassende Größe (1,13.15.19; 3,8[2xJ. Ganz auf der Linie dieser unterschiedlichen Verwendung des Begriffs in Est einerseits und Dan andererseits liegt es, daß das Gesetzeswerk der Perser in Est Ή Β Τ 0 Ί 3 Τ Π (Plural!; 1,19 17 '; vgl. auch Est 3,8 mit Dan 6,6) heißt, aber eine Sammlung mehrerer königlicher Anordnungen, jedoch nicht eines gesamten Gesetzeswerkes in Esr als "ρΩΓΙ Ύ Π (Plural!; 8,36) bezeichnet werden kann. Im Hinblick auf die Verwendung des Begriffes ΓΠ (sing.) in den aramäischen Teilen von Esr und Dan ist also die Annahme wahrscheinlich, daß auch mit der D~1D1 Ή Ο ' Γ Π in Dan 6,9.13 ein kollektiver Begriff vorliegt, der die gesamte Gesetzgebung der Perser bezeichnet180.

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Die Zusammenstellung ΓΠ1 "p3DT zeugt von einer bewußten Setzung des Singular. Esr 7,25 lesen wir den Plural; vgl. LXX; Vulgata. Zur Diskussion um die Identität dieses Gesetzeswerks in Esr 7 vgl. Donner, Geschichte (428-430). Rendtorff, Esra (passim), hat die Möglichkeit, daß ΓΠ und ΠΠΠ in einigen Fällen identisch sind, vehement bestritten, ohne dabei allerdings überzeugen zu können. So kann etwa die Erklärung zu Dan 6,6, daß sich dort ΓΠ im Kontext anbiete, „ohne daß man eine spezifische Bedeutung dafür annehmen müßte"(a.a.O. [168]), kaum der scharfen Entgegensetzung der beiden ΓΠ-Korpora, die die Erzählung vornimmt, gerecht werden. Vgl. dazu Blum, Studien (350, Anm. 64); Kratz, Translatio (228f.). Hier geht der Begriff in die Bedeutungsrichtung „Befehl, Urteil"; zu Dan 6,16 vgl. oben Anm. 171. Rendtorff, Esra (167), will dagegen zwischen der aramäischen und hebräischen Verwendung von ΓΠ „keine spezifischen Unterschiede erkennen". Tatsächlich liegt der Unterschied nicht in der Sprache, sondern in den unterschiedlichen literarischen Kontexten begründet. Albertz, Gott (138), meint, daß die Bezeichnung des persischen wie des jüdischen Gesetzes als ΓΠ die „Widergöttlichkeit dieses [des persischen, der Vf.] Systems" zum Ausdruck bringen soll. Anders sieht es Est 3,8, wo die Gesetzeswerkes der Juden und Perser gleichermaßen als DTH bezeichnet werden können, ohne daß im Zusammenhang des Buches damit eine Anmaßung der Perser zum Ausdruck gebracht ist. Anders verstand es Hitzig, Dan (93): die ΓΠ meint ein Einzelgesetz, das die Rücknahme eines Gesetzes untersage. Dieses Gesetz seinerseits sei unverlöschlich gewesen, damit nicht ein Herrscher durch dessen Aufhebung die Möglichkeit erhalte, andere Gesetze aufzuheben. In Anspielung auf die Terminologie in Est meint Hitzig, alles käme eben darauf an, daß jenes besondere Gesetz ~1357Π i Ò . Auch Meinhold, Dan (292), sieht in ΓΠ allein ein Gesetz (bereits in V.9.13 übersetzt er indeterminiert!): „Dasselbe bestimmte dann die Unumstößlichkeit gewisser als unveränderlich bezeichneter königl. Erlasse". Dan 6 scheint uns aus den im Text genannten Gründen eine so komplizierte Rechtsregelung nicht abbilden zu wollen.

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Dan 6,9 führt zur Bezeichnung des Verbotes, die persischen Gesetze zu verändern oder zu übertreten, zwei Verben ein: "'SE? und Ή 1 7 . F ü r den Kausativstamm des Verbs finden sich in Dan weitere Belege in 2,21 und 7,25. Dan 2,21 steht als O b j e k t K^OTT K"0~rS7, „Stunden und Zeiten". D e r Fortgang von V.21a, der in radikaler Weise das Handeln an den Königen beschreibt, legt nahe, bei "Ottf (ha.) eher an einen verändernden Eingriff als an ein bloßes Ubertreten zu denken. Ganz ähnlich redet Dan 7,25 von "píDT m i , „Zeiten und Gesetz", als O b j e k t zu "Oltf (ha.). Auch hier liegt im Kontext ein Verbum vor, das das Handeln des Horns als ein starkes, radikal wirkendes bezeichnet „aufreiben"); und auch im Hinblick auf die Kultschändungen und die Religionspolitik Antiochos IV., von denen hier die Rede ist 181 , ist die drastischere Bedeutungsrichtung „verändern" sicher am Platz. Nicht so deutlich sind in dieser Hinsicht die beiden Belege in Esr 6,11.12 1 8 2 : Die in V . l l angesprochenen Untertanen hätten wohl kaum die Möglichkeit zur Änderung des Gesetzes, wohl aber „jeder König und (jedes) V o l k , das sich anschickt, (das Gesetz) zu verändern/zu übertreten, um das Haus dieses Gottes in Jerusalem zu vernichten". Die V . l l . 1 2 sollen offenbar - ausgedrückt mit demselben Verbum - Gesetzes Übertretungen als auch spätere Gesetzes novelliemngen verhindern 183 .

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Vgl. Plöger, Dan (117); Kratz, Translatio (259); vgl. umfassend Koch, Daniel (184-194); zur theologischen Motivik in 7,25 vgl. Lebram, Antiochus (745-750). Siehe zu den Versen auch bereits oben zu Beginn von Exkurs Π. Ein weiterer ha.-Beleg findet sich in 4 QEnasti* (Henoch 77,3; Beyer, A T T M I [255f.]): l"l]"0tÖi"Q soll nach Beyer (ebd.) mit „im Wechsel" zu übersetzen sein; zur Sachar-Inschrift vgl. bereits oben S. 230f. L X X gibt K3ttf (ha.) 2,21; 6,9(θ') mit άλλοιόω wieder („verändern"). In 6,16 (Θ) jedoch mit παραλάττω, das genauso „verändern" wie „übertreten" heißen kann; in Esr 6,1 lf. findet sich bloßes und deutlicheres άλλάττω („verändern"). In Dan 6 schwankt Theodotion also im Spielraum des aramäischen "OtÖ (ha.) und deutet so vielleicht auf eine leichte Unsicherheit, die wohl schon die alten Übersetzer hatten. Die hebräischen Belege für Π3Ι0 I bedeuten „verschieden sein, (sich) verändern", nicht aber „übertreten" (vgl. Kronholm, HDtÖ [320.322]; er zählt 6 Belege im q., 11 im pi. und einen im hitp.). Für unseren Zusammenhang sind diejenigen Belege von Interesse, die dauernde Selbigkeit als Eigenschaft oder Tun Gottes bezeichnen; vgl. Mal 3,6; Sir 47,22; zur Problematik von Ps 77,11 vgl. Kronholm, a.a.O. (321). So kann Gott anderen Änderung ihres Weges vorwerfen (fer 2,36a) und für sich selbst konstantes Tun und Reden reklamieren (Ps 89,35). Prv 31,5 (pi.) findet sich das zweite wesentliche Element der Verwendung von Π3Ε7 in Dan 6, nämlich die Anwendung auf Rechtssätze: Der König soll sich von allerlei Rauschmitteln fernhalten, damit er nicht „das fest Eingerichtete vergißt und das Recht aller Elenden verändert/beugt" (ppnD Ί"Η ΠΐϊΜ). Das Verb bezeichnet hier also die Korrumpierung bestehenden Rechts oder des Rechtssystems zuungunsten gesellschaftlich schwach gestellter Gruppen (vgl. dazu für ΠΓΟ Jes 10,1). Auf eine grundsätzliche Unaufhebbarkeit der Gesetze wird man hier nicht schließen können (in den Zusammenhang mesopotamischer Rechtsterminologie gestellt ist Prv 31,5 bei Paul, Idioms [233-235]). Von Interesse sind die hebräischen Qumran-Belege, die meist eine Setzung Gottes als Objekt zu ΓΤ3Ε> haben (Ausnahme ist I QM 9,10). 1 QS 3,(15.)16 wird erklärt, Gott

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Das Bild ist auch für die anderen Stämme vieldeutig: Mit dem Grundstamm wird in Dan 7 die Verschiedenheit der dort erwähnten „Tiere" zum Ausdruck gebracht (V.3 1 8 \19.23.24). An anderen Stellen geht es um die Verschiedenheit von Zuständen (3,27: die Kleider der drei Männer bleiben trotz des Feuers unverändert 1 ' 5 ; 5,6.9: Veränderung von Gesichtszügen18'; 6,18: am Daniel zugedachten Los soll nichts verändert werden)187. Der Intensivstamm findet wieder Verwendung bei der Bezeichnung von (grundlegender) Unterschiedlichkeit (7,7), und soll auch in 4,13 - als Oppositionsbegriff zu 3 Γ Ρ eine grundsätzliche Veränderung, ja Beseitigung zum Ausdruck bringen. Genauso kann das Verb in diesem Stamm aber auch ein „Übertreten" meinen:

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habe bereits bevor alle Dinge waren ihren Plan festgesetzt, treten sie dann ins Sein, „erfüllen sie ihr Werk, und zwar ohne irgendeine Abweichung" ("pNI DnSlUD IX^D 1 bezüglich der sprachlichen Gestalt liegt eine große Nähe zu Dan 6,9.13.19; Est 8,8 vor!), also - positiv gesprochen - ganz nach dem, was Gottes Plan war. 1 QH 5,36 klagt der Beter, daß der Geist strauchelt und die Kraft zugrunde geht, „entsprechend den frevlerischen Geheimnissen derer, die die Werke Gottes aufgrund ihrer Verfehlungen verändern/übertreten" (DnDlÖKD bx t W D DOItfD I7ÖQ T I 3 ) . 1 QH 14,14'f. erfährt man aus einer Lobpreisung Gottes, daß „alle, die dir nahe sind, deinem Befehl nicht widerspenstig sind, und alle, die dich kennen, deine Worte nicht ändern/übertreten" c r n a - t -diöi i ò - p y - r n biDi - p a π η - · x b - p a n p die Parallelität mit HID (q. oder besser hi.) legt für Π3ϋ eher die Bedeutung „übertreten" nahe). 1 QH 15,14 stellt der Beter - wiederum im Kontext der göttlichen Vorherbestimmung (erhalten ist nur in Z.13f. 1ΠΧ13 D~1D3 ΠΓΤΰΌη ")[...]) - die offenbar rhetorische Frage: „Wie sollte irgendjemand in der Lage sein, deine Worte zu verändern?" ( m - n m n « rmttfrò na· 1 «!). Daß Menschen die Gebote Gottes übertreten können, ist eine alltägliche Erfahrung, über die der Beter auch verfügt (15,18.19): das Werk der Frevler ist es, sich das zu erwählen, was Gott haßt ("110X3 "ΠΠ3"Π nn«3to), zur Abänderung sind sie aber eben nicht fähig. Sollte dieser Entwurf einer Theorie des menschlichen, speziell des frevlerischen Handelns für Qumran verallgemeinerungsfähig sein, wären die anderen aufgeführten Stellen im Sinne von „übertreten" zu übersetzen. Andererseits zeigt die mangelnde terminologische Schärfe und Differenzierung, daß an einer gründlichen Unterscheidung zwischen übertreten und verändern kein Interesse bestand. Vgl. ganz ähnlich 4 QMess 1,3: ] 1 |1 Beyer, ATTM I (269f.). Vgl. dazu auch Π Reg 25,29; Jer 52,33 und Anm. 184. So auch 1 QGenAp 2,17: ΠΠϋΊ N3Ö " p S y W O "pS3X „[Warum] ist dein Gesicht auf dir so verändert und entstellt worden ..."; nach Beyer, ATTM I (167f.). Weitere Belege für den Grundstamm sind: 11 Qtgjob zu Hi 31,9 (Beyer, ATTM I [290J, steht aramäisch "Ottf für hebräisches ΠΠ3 (ni.) „sich verführen, verlocken lassen", also ein Sichverändern mit besonderer Färbung. 4 QEn', Henoch 32,3 (Beyer, a.a.O. [242f.J, ist fragmentarisch; 4 Q213 (TestLev 46,22; Beyer, ATTM Π [77]). Fragment aus 4 Q (Beyer, a.a.O. [Nr. 435 auf S. 123J: „verschieden sein (von)"; auf einem sehr späten Amulett ist die Bedeutung „entstellen" anzusetzen (vgl. Beyer, a.a.O. [265 Nr. 11]). Den Grundstamm gibt die griechische Überlieferung in Dan 7,3.19.23(o').24{o') mit διαφέρω („verschieden sein, sich unterscheiden") wieder; in 7,23(0') und 7,24(9') steht stattdessen υπερέχω („übertreffen") bzw. ΰπερφέρω („übertreffen, überlegen sein"). Dan 3,27; 5,6.9; 6,18(0') findet sich das auch für den Kausativ benutzte Verbum άλλοιόω (vgl. Anm. 183).

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Nebukadnezar lobt die drei Juden für ihr Vertrauen auf Gott, aufgrund dessen sie den Befehl des Königs übertreten konnten ("P3IÖ KD^D H^DI; 3,28ba). Die Bedeutung „verändern" kann hier sicher ausscheiden, weil die drei Männer den Befehl des Königs in der Tat übertreten oder nicht beachtet haben 188 . Der Reflexiv des Intensivstamms bedeutet durchweg „sich verändern". Die Traumdeuter hoffen darauf, daß die Umstände sich zu ihren Gunsten verändern mögen (Dan 2,9). Auch die sich verändernde Gesichtsmimik als Ausdruck innerer Bewegung wird mit "OÜ (itpa.) zum Ausdruck gebracht 189 . Zusammenfassend können wir für die Bedeutung von "OtÖ im Hinblick auf Dan 6 festhalten: Es überwiegt in allen Stämmen die Bedeutung „verändern", wobei freilich in manchen Fällen die Unterscheidung vom „Ubertreten" nicht sicher sein kann. Der Sinngehalt des Begriffes bezieht sich auf die Abweichung vom Original, auf eine davon unterscheidbare Form, die einfach

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Auch 4 QEn< (Henoch 106,14) ist nach Beyers Ergänzung (ATTM I [250f.]) mit der Bedeutung „übertreten" zu rechnen: „DDJtÖD1? TOttf ...". Anders dürfte 4 QEn' (Henoch 5,4) nur die Bedeutung „verändern" sinnvoll sein: "ρ~ΏΙ7 ^ΓΡίΕί |Π3Χ1 „Aber ihr habt euer Tun verändert" (Beyer, a.a.O. [233f.]). Unklar ist im Targum zu Hi 34,9 (11 Qtgjob; Beyer, a.a.O. [292J die Bedeutung von "'iE? (pa.), das das dem Übersetzer wohl unbekannte hebräische ]DD (q.; nützlich sein, Nutzen haben) ersetzen soll. Vgl. ferner den unklaren Beleg Donner/Röllig, KAI 266.9. Der von Segal, Texts (Nr. 8; S.23), angegebene Beleg ist nach Ausweis von Porten/Yardeni, Textbook Π (Β 5.6,12; S.128f.), nicht existent. Die Wiedergabe der Belege für den Intensivstamm erfolgt in der griechischen Ubersetzung in Dan 3,28(0'); 4,13; 7,7 mit dem schon bekannten άλλοιόω; in Dan 3,28(o') ist interessanterweise der Konflikt mit dem Königsgesetz noch etwas verschärft: άθετέω heißt „beseitigen, zunichte machen, verwerfen" (vgl. Liddell/Scott, Lexicon [31j, nicht aber „übertreten" (vgl. für dieses Verbum im juristischen Zusammenhang des Brechens/Aufhebens von Abmachungen schriftlicher oder mündlicher Art auch I Makk 6,62; 11,36; 14,44f.; 15,27; Π Makk 13,25; 14,28: in all diesen Fällen geht es um das Aufheben von „profanen" Abmachungen, nicht um die Thora. Geht es in Ι/Π Makk um sie, wird vom „Nicht-hören" (άκοΰω; I Makk 2,22), vom „Verlassen" (καταλείπω; I Makk 10,14) oder vom „Abwenden des Gesetzes von seinem Herzen" (άφίστημι; II Makk 2,3) gesprochen. Man kann auch gegen das Gesetz „freveln" (άσεβέω; Π Makk 4,17), „abgehen" (μεταβαίνω) von den väterlichen Gesetzen und sein Leben nicht ihnen entsprechend führen (πολιτεύομαι; Π Makk 6,1) oder die Gesetze schlicht „übertreten" (παραβαίνω; Π Makk 7,2), das Gesetz selbst aber offenbar nicht aus der Welt schaffen. Nur einmal scheint auch diese Möglicheit vom Epitomator des Jason angedeutet zu sein, um das Wirken der jüdischen Aufständler umso strahlender erscheinen zu lassen: sie hätten „die in Auflösung begriffenen Gesetze wiederhergestellt" (... τους μέλλοντας καταλύεσθαι νόμους έπανορθώσαι...). Insgesamt scheint hier bezüglich der Thora der Unterschied zwischen Beseitigung und bloßem Übertreten ganz bewußt gewahrt zu sein. Zum Reflexiv vgl. auch Sprüche Achiqars, Z.201 (Cowley, AP [219J), wo Cowley, a.a.O. (226), die Ubersetzung „to change" ansetzt, Kottsieper, Geschichte (341), aber „vergehen", offenbar in Analogie zu hebräisch "QS7 (s.o.). Weitere Belege liegen vor in 1 QGenAp 2,2.11, wo es um die Veränderung des Herzens geht, während sich 2,12 wiederum die Gesichtsmimik verändert (Beyer, ATTM I [167f.J). - Die weiteren aramäischen Belege für "Otf bei Jean/Hoftijzer, DISO (313), geben kein anderes Bild.

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nur neutral konstatiert sein (Kleider, Gesichtsmimik), aber auch einen negativen Beigeschmack haben kann, etwa nach Art einer Fälschung oder Fiktion (Gesetze, Festzeiten)1,0. Innerhalb dieses allgemein beschriebenen Sinnrahmens bewegen sich die beiden Bedeutungen „verändern" und „übertreten, es anders halten". Wird der Begriff benutzt, liegt offenbar nicht immer ein bestimmtes Interesse vor, die beiden Tätigkeiten sicher zu unterscheiden. Für die Erhellung des Sinngehaltes von "HS7 in 6,9.13 sind in den kanonischen Schriften nur wenige Belege zu finden: die Grundbedeutung dürfte in Dan 3,27 vorliegen" 1 , wo es heißt, an die drei Männer sei keine Spur des Feuers „gekommen" (}"Π3 ΓΠΧ7 Κ1? Π Ή ) . Für Dan 6 erhellender ist Dan 4,28 und 7,14192. Mit „das Königtum ist von dir gewichen" (ΓΠΪ7 Π Π Ώ ^ Ο "|3D; 4,28) zeigt sich die starke Bedeutung des Verbums in Richtung eines vollständigen „Auflösens" der „Weichens". Daß es tatsächlich um eine grundstürzende Handlung geht, zeigt sich deutlicher noch in Dan 7,14 („Seine Herrschaft ist eine ewige Herrschaft, die nicht ver geht ( m i r ü b '"Ή), und seine Königsmacht geht nicht zugrunde (*?3ΠΠΠ ìÒ~"H)"" 3 . Das Kausativ bedeutet ganz entsprechend „wegnehmen": Dan 2,21 steht als Gegenbegriff Dip (ha.) und in der Fortführung 3ΓΡ (q.). Dan 5,20 ist die „Fortnahme der Ehre" ein Äquivalent zum Herabgestürzt-Werden (ΠΠ3 ho.) vom „Thron seiner Herrschaft". Ebenso wird 7,12 „den anderen Tieren die Herrschaft genommen", wozu wiederum als positiver Gegenbegriff 3ΓΡ steht. Um das Wegnehmen der Macht geht es auch Dan 7,26, dort weiter interpretiert durch "TDtÖ (ha.; vernichten) und 1 3 K (ha.; niedermachen, töten)" 4 . Andere außerbiblische Belege bezeugen, daß die Wurzel eine bestimmte Behandlung des Gesetzes zum Ausdruck bringen konnte: MegTaan 351'5 berichtet von einer guten Nachricht an die Juden, „daß sie vom Gesetz nicht abzugehen brauchten" (ΚΓΡΠΧ ]D |ΠΧ7ΓΙ x b Ή wovon freilich im strengen Sinne das Gesetz selbst noch nicht betroffen ist. Daß damit aber eine Gesetzesaufhebung gemeint sein muß, zeigt MegTaan 10: „Am 4. Tammus wurde das Buch der Verordnungen ungültig" ("ISO K~fJ7 Τ10Π3 ΠΪ73~ΙΚ3

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Dieser „negative Beigeschmack" ist enthalten in Esr 6,1 lf.; Dan 7,25 und sicher auch Dan 6,9.16. Die negative Wertung ist in Dan 7,25 allein verständlich auf dem Hintergrund von 2,21. 2,21 beschreibt, wer allein das Recht auf grundlegende Veränderung besitzt. Vgl. auch hebräisch Hi 28,8 (parallel zu "|~Π hi.). Nach Kratz, Translatio (46f.+Anm. 138), ist 7,14ba eine bewußte Aufnahme von und Anspielung auf Dan 6,9.13 einerseits und 4,28 andererseits. Die griechische Überlieferung setzt entsprechende Verben ein: in Dan 3,27 reicht bloßes ειμί. 4,28: (θ') παρέρχομαι (vergehen; entgehen) und (ο') άφαιρέω (wegnehmen, entreißen); 7,14: (θ') παρέρχομαι; (ο') αιρω (wegnehmen; entfernen). In Dan 6,9 (Θ') fehlt der letzte Relativsatz des M T (..., όπως μή άλλοιωθη τό δόγμα Περσών και Μήδων), in 6,13 (θ') steht παρέρχομαι (wie 4,28; 7,14 θ'). Griechisch steht μεθίστημι (entfernen) in Dan 2,21; 7,12(θ').26(θ'); άφαιρέω (wegnehmen) in 5,20 (θ1); άφίστημι (entfernen, abbringen) in Dan 7,12(o'); άπόλλυμι (zugrunde richten) in Dan 7,26(o'). Beyer, ATTM I (358).

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ttDT'TS 1 "), also aufgehoben oder abrogiert197. Ein weiterer Qumrantext scheint, soweit sich dies aus seinem fragmentarischen Zustand erkennen läßt, auf die Dauerhaftigkeit schriftlicher Aufzeichnungen der Worte eines apokalyptischen Redners (Henoch?) abheben zu wollen: „Wer wird diese meine Worte in ein Buch schreiben, das nicht zerfällt, und diese meine Rede bewahren [in einer Rolle, die nicht] vergeht?" - Ή 3 Γ 0 3 Γ 0 Κ "ÒD m r C ]D ΓΠΪ7ΓΙ [XS Ή r ò n n n ] - n o r p ">-|DKD1 1,8 ÌÒ3"> Κ 1 ?. 1 " Der Niederschrift der apokalyptischen Reden wünscht der Sprecher unvergängliche Dauer. Dies geschieht in einer Art, die der Formulierung nach sehr an Dan 6,9.13 erinnert. Die unbegrenzte Haltbarkeit des niedergeschriebenen Wortes ist noch ausstehendes, gleichwohl aber doch als erfüllbar gedachtes Ziel. Unabhängig von wohl kaum sicher nachzuweisenden literarischen Abhängigkeiten zwischen diesem Text und Dan 6 zeigt sich, daß die Unaufhebbarkeitsterminologie gleichermaßen auf die persischen Gesetze und auf die religiöse Literatur der Juden bezogen werden konnte. "HS7 bezeichnet mithin das Weg- und Vergehen, das Verschwinden oder Hinfällig-, bzw. Ungültig-werden von Dingen. Es scheint damit einen grundsätzlicheren und weitreichenderen Vorgang als das Verbum "Ottf zum Ausdruck zu bringen. Betrachten wir unter Berücksichtigung dieser Ergebnisse Dan 6,9, würde die Argumentation des Satzes etwa wie folgt wiedergegeben werden müssen: das Verbot, die persischen Gesetzesbestimmungen zu verändern, entspricht dem Charakter der medisch-persischen Gesetzgebung, denn diese vergeht grundsätzlich nicht. Unveränderbarkeit

wäre damit in Unvergäng-

lichkeit begründet, so daß, genau genommen, nicht allein die Abschaffung bestehender Gesetze, sondern auch ihre Bearbeitung, eine Gesetzesnovellierung verboten ist. Damit sind partielles Uberarbeiten und vollständiges Be-

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Beyer, a.a.O. (356). Andere Belege ohne das Gesetzesthema sind I QGenAp 20,27 (Beyer, A T T M I [176f.]); 4 QEn' {Hen 107,2; in 1 Q19,8 (s. ebd.) steht dafür hebräisch "QS7 für die Bedeutung „weg, -hingehen"; Beyer, a.a.O. [250f.]); 4 Q541 (TestLev 1,4; Beyer, A T T M Π [79]); 4 Q542,2,8 (Beyer, A T T M Π [83]): „weggehen"; 11 Qtgjob zu Hi 20,5 (Beyer, a.a.O. [285]): „vergehen"; Porten/Yardeni, Textbook I ( - C o w l e y 30/31 / A 4.7,6/4.8,6); Porten/Yardeni, Textbook Π (-Cowley, AP 15 / Β 2.6,35); Porten/Yardeni, a.a.O. (-Kraeling, Documents 10 / Β 3.11,13): ha. „wegnehmen, entfernen". Dan 7,25 erscheint wohl nicht in echter Parallelität, aber doch enger Bezogenheit zu "OIÖ, indem beides das vernichtende Wirken Antiochos IV. bezeichnet. 4 Q535; 7,12f. bei Beyer, A T T M Π (126), mit Übersetzung; ganz anders fassen Eisenman/Wise, Scrolls (35.36), die Stelle auf: „One [?] will write the words of God in a book that does not wear out, but my words you will adorn" für aramäisch 31ΓΏ Ί |D ΓΠ»ΓΊ "HDKD1 Κ 1 ? "Η 2 r o n r Ò K - 6 η . Γ Π » Π wird hier wohl von einer im Hebräischen belegten Wurzel "HU Π - „schmücken" abgeleitet. - Die starken Abweichungen zwischen den verschiedenen Herausgebern bezüglich der Textüberlieferung lassen den Leser ratlos zurück.

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seitigen sehr eng zusammengerückt200. Der Grund für diese etwas kompliziert wirkende Formulierung und Argumentation könnte vielleicht in dem Gegenstand des Gesetzes zu finden sein. Das Gesetz erklärt sich ja selbst für vergänglich, indem es den Zeitpunkt seines Endes exakt festlegt: für eine Frist von 30 Tagen soll die Verehrung ausschließlich des Königs erlaubt sein. Die Unvergänglichkeit dieses Gesetzes in der Weise zu behaupten, wie es offenbar von jedem anderen persischen Gesetz möglich gewesen sein soll, wäre also sinnlos gewesen201. Für das Vorhaben der Intriganten war es dagegen notwendig, den Gesetzestext in unveränderter Form über die 30 Tage zu retten. Der König sollte nicht nachträglich die Frist verkürzen, bestimmte Personen von dem Gesetz befreien oder andere Änderungen zugunsten seines Favoriten Daniel in das Gesetz eintragen dürfen. "•3CÖ könnte so gesehen als Versuch der Interpretation von ""lì? für diesen speziellen Fall verstanden werden. Daher aber wird man auch die logische Beziehung der beiden Verben in diesem Satz nicht überfragen dürfen. Wie weiter dann überhaupt eine genaue Verhältnisbestimmung von „Aufheben" und „Abändern" ausgesehen haben könnte, scheint man aus der Untersuchung der Begriffe sowie der Analyse von Dan 6 nicht mit Genauigkeit erfahren zu können. Das Vorkommen der beiden Verben in Dan 2,21 und 3,27 weist überdies darauf hin, daß sie in verschiedenen thematischen Zusammenhängen auftauchen können, also keinen spezifischen Ort bei der Beschreibung der Eigenart von und des Umgangs mit Gesetzen haben. Zieht man des weiteren in Betracht, daß die Unaufhebbarkeitsklausel der medisch-persischen Gesetzgebung sich historisch aus anderen Quellen als Est und Dan nicht verifizieren läßt, gewinnt die Annahme an Wahrscheinlichkeit, daß wir es hier mit einer jüdischen Formulierung zu tun haben, die nicht die persische Verfassungswirklichkeit wiedergibt, sondern eine Spiegelung jüdischen Umgangs mit der eigenen religiösen Literatur darstellt. Ein merkwürdiges Licht fällt auch von den in Exkurs II.4 untersuchten jüdisch-aramäischen Kontrakten auf die Zeiten und Fristen, die Dan 6 in Bezug auf die Gesetzesthematik angibt. Im starken Kontrast zur inhaltlich ausgesprochen rigorosen Anordnung Dan 6,8.12 steht die kurze Geltungs-

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Die überladen erscheinende Formulierung hat die im Θ'-Text bezeugte Textüberlieferung mit Entschlossenheit in eine schlichtere Form gebracht: στήσον τόν όρισμόν καί έκθες γραφήν όπως μή άλλοιθη το δόγμα Περσών και Μήδων. Über die „Vergänglichkeit" außerbiblisch bezeugter Verträge vgl. unten Exkurs Π.4.

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dauer dieses Gesetzes von nur 30 Tagen. Ist die Würde des Königs eine längere Frist nicht wert? Wenn banale Immobiliengeschäfte O1?!?1? galten, wird man in dem Gesetzesvorschlag der Intriganten eine ironische Persiflierung der heidnischen Götter- und Herrscherverehrung entdecken können. Der jüdische Autor stellt die Verantwortlichen des persischen Reiches selbst in ihrem boshaften und durchtriebenen Plan bloß 202 . Die kurzzeitige Verehrung des Königs steht in einem starken Kontrast zur Unvergänglichkeit der sonstigen Gesetze - und sicher auch mit Blick auf Dan 2,21a zum Handeln Gottes. Im weiteren Fortgang der Erzählung kommt das Motiv der Unaufhebbarkeit der persischen Gesetze in ihren praktischen Konsequenzen zum Tragen. Der König setzt in Unkenntnis der eigentlichen Absichten der Gesetzesinitiative das Gesetzesvorhaben der Beamten in die Tat um (V.ll). Daniel aber kümmert sich, ganz entsprechend der Erwartung der hohen Beamten, nicht um das neue Gesetz, obwohl er von dessen Erlaß durchaus gehört hat203. Die Dinge nehmen den erwarteten Lauf, und die Beamten eilen zum König: ob es denn nicht so sei, daß der König für eine Frist von 30 Tagen allein die Verehrung seiner Person gestattet habe? Der Monarch erwidert, daß die Sache „feststehe" ( K n b o iO^S" 1 ). Darüber hinaus bestätigt er mit einer Wiederholung von V.9b (Ende) die zweite Säule, auf der die Intrige ruht: entsprechend dem Gesetz der Meder und Perser, das nicht vergeht, sei die Sache sicher (V.13). Die Antwort bestätigt und überbietet die Frage, der Antwortende erweist sich als gelehriger Schüler seiner Beamten. Zu-

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Nach Hitzig, Dan (89), sei mit diesem Gesetz das Epiphanes-Gesetz I Makk 1,41-50 „absichtlich bis zur Carricatur" übertrieben, „um das Gehässige solcher Tyrannei recht ins Licht zu setzen". Abgesehen von dem nicht nachweisbaren Bezug zu I Makk und der Makkabäerzeit ist dieser karikierende Charakter des Gesetzes sicher zu Recht hervorgehoben. Albertz, Gott (120): „Die Beschränkung aller Bitten und Gebete allein auf den König für eine 30tägige Periode ist natürlich eine parodistische Überzeichnung des altorientalischen Staatskultes aus jüdischer Sicht". Fewell, Circle (147), zeigt, daß die Ironie der Situation darin besteht, daß der Leser mehr weiß als der König. Das Edikt diene nicht dem König, sondern den Beamten, der König gewinne durch das Edikt nicht letzte Macht, sondern gerate unter den Einfluß derer, die ihm das Gesetz anraten. Κ 3 Γ Ο Π Ί Ε / Τ Ή y ~ P "HD - der temporale Nebensatz unterstreicht durch Stichwortanschluß den direkten Zusammenhang mit V.10 und V.9. Ferner dürfte durch die Wiederaufnahme der Begriffe die Abfassung des Gesetzes und seine formal-rechtliche Legitimation noch einmal unterstrichen sein. Der Vers, der in seinem krassen Aufeinandertreffen von persischem Gesetz und „Gottesgesetz" (6,6) die Konfrontation auf die Spitze treibt, erscheint auch im Hinblick auf die Konstruktion mit temporalem Nebensatz als Überbietung, ja Aufhebung von Dan 3,7.

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gleich verbaut sich der König den einzig möglichen Weg zur Rettung seines angesehenen Beamten. Die Bedeutung der königlichen Antwort als endgültige Besiegelung des Schicksals Daniels ist durch die Einführung einer neuen Vokabel in die nun schon reichlich be- und abgenutzte Begrifflichkeit für das Erlassen unaufhebbarer Gesetze kenntlich gemacht. Das Verbum (q.) ist im MT allein Dan 7,19 belegt und hat dort die Bedeutung „Gewißheit erlangen über, sich sicher sein bezüglich" (+ bl7). Häufiger belegt ist ein Adjektiv der Form Auch hier spielt die Gewißheit des Erkennens einen gewichtige Rolle. Der König erkennt „gewißlich" (]D D"^"'), daß die Gelehrten des Reiches allein einen Zeitaufschub erreichen wollen (Dan 2,8204). Daniel erklärt, nachdem er dem König seinen Traum erzählen konnte und ihn auch gedeutet hat, daß dieser „Traum wahr sei und seine Deutung zuverlässig" ( m t t f S

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X o S n rPST, Dan 2,45). Ebenfalls auf

einen Traum bezogen heißt es Dan 7,16 von Daniel, er wolle über das Geträumte sichere Auskunft erhalten. Aus diesen Belegen zeigt sich bereits, daß das, was ist, das nicht Schwankende, das Sichere bezeichnet, und deshalb auch in Dan 6 gut in den Zusammenhang der Unaufhebbarkeit des Gesetzes paßt. Von daher kann dann das Wort auch einfach die zustimmende Antwort sein, ein (emphatisches) „Ja": auf eine Frage des Königs an seine Räte antworten diese mit Κ3'12ί'1, „ganz bestimmt, König!" (Dan 3,27). Dieser Beleg erinnert an Dan 6,13 insofern, als auch dort ein Frage-Antwort-Schema vorliegt und die Frage auch in jenem Fall einen rhetorischen Zug hat und nur die Bestätigung für ohnehin Klares einholen will206. Die Verwendung von 32"' in Dan 6,13 freilich scheint ihre engste Analogie in zwei Rechtsdokumenten des endenden 5. Jhds. aus Ägypten zu haben; dieser Begriff ist damit der einzige in unserem Untersuchungsbereich, dessen Herkunft aus dem juristischen Kontext sich erweisen läßt207. In beiden Fällen ist der als „sicher, gültig, authentisch" bezeichnete Gegenstand das Dokument ("12D), in dem der Beleg zu finden ist. Der Dan 6,13 mit n b o gemeinte Rechtssatz ist der zuvor von den Beamten erfragte, also derjenige, der bereits als "IDX und 3ΓΟ eingeführt war. Diese Begriffe können zweifellos als Äquivalente zu "IDO gelten. Und scheint sich nicht wie in den Verträgen so auch

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Vgl. ähnlich die Verbindung mit einer Form von Ut" 1 in 1 QGenAp 20 (Beyer, ATTM I [168f.J: Κ32Γ3 Π3Π ΪΠ3"> „... um von ihm alles mit Bestimmtheit zu erfahren ..."; ferner ein fragmentarischer Qumran-Text, zitiert bei Beyer, a.a.O. (213) unter R 5,9: "[Ό]1? s m n m x ΚΓΊ3ΪΡ [ • • • ] Π3Κ „ich [...], ich tue [euch den ...] der Gewißheit kund". Auch Dan 6,5 wird Daniel selbst als "[DVID und makellos bezeichnet. Ganz unsicher noch 4 Q547,4 (Beyer ATTM Π [90]). Ferner ist ein Nomen ΓΠ2 -1 belegt: 4 QEn8 (Hen 93,2; Beyer, ATTM I [248Í.J: ΚΓΟ!Τ Γ 0 2 3 „Pflanzung der Gewißheit". Vgl. noch oben Anm. 204. Auf die Belege (vgl. Porten/Yardeni, Textbook Π [86] Β 3.10,22; a.a.O. [90] Β 3.11,16f.) wurde bereits in Exkurs Π. eingegangen.

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hier mit der Wurzel D2Î1 ein Autor zu seinem Werk zu bekennen, denn die Frage der Beamten lautet ja (...Ή) HDttfl ~IDK k S h KdSq - „König201, hast du nicht ein Verbot erlassen, (daß)..."? Die Sache aber, zu der sich der Autor bekennt, ist in Dan 6 eine andere. Die Antwort des Königs, „die Verordnung steht sicher, entsprechend dem Gesetz der Meder und Perser, das nicht vergeht", ist ja nicht die persönliche Versicherung von Autorschaft209. Diese steht offenbar ganz außer Frage und kann nach dem in 6,10 Beschriebenen wohl auch kaum abgestritten werden. Es handelt sich vielmehr um die Bestätigung, der König wolle das Gesetz nach wie vor und werde weder Ausnahmen zulassen noch es abrogieren. Diese Haltung erklärt der König mit einer grundsätzlichen Regelung des persischen Rechtswesens, die es ihm nicht erlaube, ein beschlossenes Gesetz fallen zu lassen. Dann aber geht es nicht mehr um die Problematik des Nebeneinanders von authentischen und nicht-authentischen Dokumenten, sondern um den Willen, einen gesetzgeberischen Akt auf Dauer zu stellen. Der juristische Gebrauch von hat sich von dem Problembereich „Original und Fälschung" in den von „Dauer und Vergänglichkeit" verschoben. Darin liegt die spezifische Differenz im Gebrauch des Begriffs in Dan einerseits und den Elephantine-Texten andererseits. Auffällig ist in V.13 die weitgehende Ubereinstimmung mit den Formulierungen in V.8f. Der Gesetzestext wird bis auf kleine Umstellungen wörtlich von den Würdenträgern des Reiches wiederholt. Dadurch wird die Dauerhaftigkeit des Gesetzes bis in den Wortlaut hinein unterstrichen. Umso mehr fällt das Fehlen der ΓΡ3Ι0Γ0 iÒ-Bemerkung aus V.9ba auf. In V.13 ist an die Stelle der negativen Aussage die positive getreten. Die unveränderte Übernahme von V.9bß (Κ1Ϊ7Π ... "ΓΠ3) erhärtet die durch die Formulierung von V.9 und V.13 naheliegende Vermutung, daß eben diese Aussage nach Meinung des Autors die grundsätzlichere Rechtsregelung des ganzen Verfahrens darstellt. Daß die Gesetzestexte als „unabänderlich" (Κ1? ΓΡ3Ι0Γ0) und „feststehend" (ΚΓ00 ΪΟ"^"1) bezeichnet werden, ließe sich dann als Auslegung dieses Rechtsgrundsatzes verstehen210.

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Zuvor ist wohl zu streichen und lo'PD als Vokativ zu verstehen. Vgl. Bentzen, Dan (46); Porteous, Dan (68, Anm. 2); Plöger, Dan (94); Goldingay, Dan (129). Entsprechend fehlt auch in den ägyptischen Belegen nicht die mit der Formulierung verbundene Beteuerung, man habe dieses Dokument verfaßt: Ό 1 ? Γ Π 3 ϋ Π3Κ (Β 3.10,22); " o b r a r o O3S7 Π3Ν (Β 3.11,16). So bereits oben S. 239.

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Dan 6 wartet aber noch mit einer dritten Ausgabe des Unaufhebbarkeitsgesetzes auf (V.16). Nachdem in der eben beschriebenen Weise die Rechtsgrundlage der Intrige vom König noch einmal bestätigt worden ist, erheben die Beamten offiziell Anklage: der judäische Exulant Daniel habe weder auf den König noch auf das dessen Verbot irgendwelche Rücksicht genommen (vgl. Dan 3,12!). Wiederum ist die formal-juristische Intrige stark herausgearbeitet: das zweite Glied der Kette, nämlich der Verstoß gegen das Verbot, wird in nun schon stereotyper Weise ergänzt. Der Relativsatz ΠΟΙ0"Ί Ή nimmt die Frageeinleitung aus V.13 auf (ηηιζη - ι ο κ * ò n ) und erinnert auch an V.lOb ( ί η ο κ ί Κ3ΓΟ Oten tÖV-Π). V.14b nennt sodann das Vergehen Daniels, natürlich auch dies in enger Anlehung an V.8.13. Der König, der die Falle, in die er getappt ist, in diesem Moment erkennen muß, unternimmt nun Befreiungs- und Rettungsversuche, über deren Eigenart der Leser allerdings nichts erfährt. Die Beamten sehen angesichts der Bemühungen des Königs die Notwendigkeit, ein drittes und letztes Mal den ausschlaggebenden Rechtsgrundsatz zur Sprache zu bringen: „Wisse, König, daß es ein211 Gesetz der Meder und Perser gibt, daß jedes Verbot und (jeder) Beschluß, den der König beschlossen hat, unabänderlich ist". Die Formulierung besteht in ihren einzelnen Elementen ausschließlich aus schon eingeführten Material212. Als sicher darf gelten, daß V.16, trotz der Neuformulierung, nichts anderes als den schon aus V.9.13 bekannten Charakter der persischen Gesetze wiedergeben will. Schien aber dort lediglich der allgemeine Rechtsgrundsatz angeführt zu werden, daß das Gesetz der Meder und Perser nicht vergehen kann, so soll hier nun offenbar - mit Ή eingeleitet213 - ein regelrechter Gesetzestext zitiert sein: Jedes Verbot und (jeder) Beschluß, den der König beschlossen hat, ist unabänderlich". Dieser Text nun ist von V.9bß, dem bislang zweimal wiederholten Grundsatz, nicht sonderlich beeinflußt; eine wesentlich engere Beziehung besteht vielmehr zwischen V.16bß und 9aß.ba. Abgesehen von 3ΓΟ, das Zur Indétermination von ΓΠ vgl. bereits oben Anm. 171. DISI -HD(b) ΓΠ (V.9bß.l3bß) // •"•pi lOXf^D) (vgl. HDprÒl «obo 0"p ΠΟρ1? IOS V.8aß; auch D f ü V.9a) // D-ipn"> tO^Df"!) (vgl. KO^D CPp H^p 1 ? V.8aß; ferner, allerdings mit Dip [pa.]: [«ΊΟ«] D"pn XOSD V.9a) // ΓΡ30Γ0 K1? V.9ba. Wirklich neu ist allein die Redeeinleitung KDSD S71, die aber kontextbedingt ist und mit dem Gesetz nichts zu tun hat. 213 Vgl. oben Anm. 172.

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gegen I O N ausgetauscht worden ist, finden sich alle Bestandteile des Abschnittes aus V.9 auch in V.16 wieder. Was dort als Vorschlag an den König formuliert worden war, erscheint nun im Ablauf der Erzählung in einen Rechtssatz umgegossen214. Es entsteht zunächst der Eindruck, die Verben "·310 und ΉΧ7 seien vor allen Dingen mit Rücksicht auf ihren Bezugspunkt gewählt: "Ottf bezieht sich immer auf ein Einzelgesetz, "HS7 auf ein Gesetzeskorpus. Für die Wahl der Formulierung in V.16 scheint es aber noch einen weiteren, wichtigeren Grund zu geben. Im Gegenüber mit V.16 vergegenwärtigen wir uns noch einmal Est 8,8: Est: : n t f r ò ρ κ - [ b o n r r o a o a Dirimi i b o m a t í a a r a a - n a t o t a n a Dan: ITOttfnb xb CPprr Trotz des Sprachunterschiedes sind deutliche Parallelen erkennbar215: Beide Formulierungen sind im Kontext so eingeleitet, daß sie als Zitation oder doch mindestens sachgemäße Wiedergabe einer grundsätzlichen Rechtsregelung erkennbar sind. Diese Regelung besteht aus 3 Elementen: (1) Bezeichnung des Gesetzes: 3ΓΟ bzw. grundsätzlicher •"'pi meinen den Gegenstand, über den eine juristisch verbindliche Aussage gemacht werden soll. (2) Attributiver Verbalsatz: Die allgemeine Angabe eines Gesetzes oder Verbotes wird dahingehend eingeschränkt, daß es sich - so die Mindestanforderung in Dan 6,16 - um einen königlichen Erlaß handeln muß. Est nennt darüber hinaus die formalen Kriterien, die einen solchen königlichen Erlaß charakterisieren. (3) Inifinitiv als Prädikat·. Das Prädikat des nominalen Hauptsatzes besteht aus einer Infinitivkonstruktion mit attributivem Charakter. Diese Infinitivkonstruktion ist verneint durch eine Negationspartikel (| Ί Κ/ /Kb), der ein Infinitiv im Kausativstamm mit der Präposition b folgt p-tfnV/rnatfrò2").

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Überlieferungsgeschichtlich verhält es sich genau umgekehrt; vgl. gleich unten. Es sind für die Untersuchung der Abhängigkeit zwischen Est und Dan 6 in diesem Punkt auch schon andere Texte miteinander verglichen worden: zu Frei vgl. unten Anm. 247; ferner Albertz, Gott (166, Anm. 306), der den „engste(n) Berührungspunkt ... in der bes. Dignität der .Gesetze der Meder und Perser'" sieht - so erschließt es sich ihm aus Est 1,19 und Dan 6,13A (LXX). Der oben im Text angestellte Vergleich scheint uns demgegenüber weitaus instruktiver. Zu Parallelen vgl. die Sacharinschrift (oben S. 230f.) und - mit Abstrichen - 1 QS 3,16.

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Die weitreichende Ähnlichkeit in der Formulierung des Gesetzes legt die Vermutung nahe, zwischen Est 8,8 und Dan 6,16 bestehe eine wie auch immer geartete Abhängigkeit. Man könnte geneigt sein, in der Ähnlichkeit der Formulierungen einen Beweis für die Historizität dieses Gesetzes zu finden: Wenn zwei Texte in weitgehender Ubereinstimmung die Unaufhebbarkeit bezeugen, muß dann nicht die Möglichkeit, daß diese auf historisch zuverlässiger Information beruht und die persische Verfassungswirklichkeit widerspiegelt, ernsthafter erwogen werden? Diesem Gedanken freilich könnte man allein dann den Rang eines zwingenden Argumentes zusprechen, wenn sich zeigen ließe, daß das Buch Esther und Dan 6 ansonsten ganz unabhängig sind; dem getrennten Zeugnis der beiden Schriften wäre dann in der Tat ein größeres Gewicht beizumessen. Aber von Unabhängigkeit der beiden Texte kann - wie längst erkannt und häufig beschrieben217 - überhaupt keine Rede sein. Die wesentlichen Motive, die Est und Dan 6 teilen, sind diese: Zunächst haben Est und die aramäischen Danielerzählungen den gleichen Handlungsrahmen. Juden in hoher Stellung befinden sich am persischen Hof und erleben dort allerlei Anfeindung, die sie aber erfolgreich überstehen. Die Anfeindung für den jüdischen Protagonisten entsteht durch einen (oder mehrere) hohe(n) Beamte(n). Der Anklagepunkt vor dem König entwickelt sich jeweils in der Spannung der Doppelloyalität 218 durch einen Verstoß gegen ein königliches Gesetz 21 '. Die beiden Pole der Doppelloyalität sind jeweils die mit dem Begriff ΓΠ bezeichneten Gesetze der Juden einerseits und der Meder/Perser andererseits220. Die Nennung der „Gesetze der Meder und Perser (Dan)" bzw. „der Perser und Meder (Est 1,19221) begegnet

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Die Beziehungen werden im allgemeinen im Rahmen der Beziehung zwischen Est und Dan 1-6 aufgewiesen. Darauf, daß schon in frühester Zeit die Ähnlichkeit zwischen der Josephsnovelle, Est und Dan „wenn nicht mit Bewußtsein erkundet, so doch unbewußt empfunden worden", weist bereits Rosenthal, Josephsgeschichte (284), mit Beispielen aus L X X und der rabbinischen Literatur hin. Vgl. dazu auch einen Hinweis bei Humphreys, Life-Style (217). Konsequenzen aus der Nähe der Bücher zieht Spinoza, Tractatus theologico-Politicus Kap. X (356): „Quatuor igitur hos libros, nempe Daniëlis, Hezrae, Esteris et Nehemiae, ab uno eodemque historico scriptos esse affirmamus". Vgl. weiter Kratz, Translatio (79). Albertz, Gott (166f.), sieht eine besondere Nähe zwischen Est und Dan 6 (LXX). Ferner Collins, Court-Tales, allgemein (219f.) und speziell zu Dan 3.6, Josephsnovelle, Achiqar und besonders Esther (224-226).

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Dabei sind aber weder der verweigerte Kniefall des Mordechai (Est 3,2) noch das QiblaMotiv in Dan 6,11 (vgl. z.B. Kratz, Translatio [144f.]) auf Thora-Texte zurückführbar. Dan 6 überspitzt dieses Element noch zusätzlich dadurch, daß die Beamten aufgrund der Untadeligkeit Daniels den Konflikt erst konstruieren müssen. Vgl. Est 3,8 mit Dan 6,6b ( Π Γ 0 Χ ΓΠ)//6,9.13.16 (D1DT "HD(S) ΓΠ). Zu Est 1,19 vgl. noch Est 3,8, wo sich der offenbar synonym gemeinte Begriff Τ Π - | b n n findet. Auffällig ist die umgedrehte Nennung der „Meder und Perser" (Dan 5,28; 6,9.13.16) als „Perser und Meder" in Est 1,19. Est 10,2 aber kann das staatliche Tage-

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jedesmal im Kontext der untersagten Gesetzesaufhebung oder -Übertretung. Die Erzählung endet mit dem Tod des/der anklagenden Beamten (und der Familie) und mit einem Brief enzyklischen Charakters222. Beide Erzählungen schildern das Bild des fremden Herrschers wie auch die Beziehungen zwischen diesem Herrscher und den Juden freundlich223. Wie in Est, so fehlt auch in Dan 6,2 nicht der Hinweis auf die „120 Satrapien" des Reiches224. In der Nacht vor der anstehenden Hinrichtung des jüdischen Helden flieht dem König regelmäßig der Schlaf (Est 6,1: "['ΡΟΓΓ ΓΟ0 ΓΠΠ3 Χ1ΠΠ Π ^ ^ Π ; Dan 6,19: nn:t£h t t d » m a ) . Dan (l-)6 und Est teilen offenbar den typischen Rahmen einer „Hofgeschichte"225. Uber den allgemeinen Handlungsrahmen am Hof hinaus aber sind sie sich auch über Einzelheiten des dramatischen Geschehens einig: Die falsche oder doch mindestens überzogene Anklage, die schlaflose Nacht und eben auch die Unmöglichkeit, der Intrige, selbst als sie vom König durchschaut ist, ein Ende zu bereiten. Auch der Hinweis auf die 120/7 Satrapien und die „Gesetze der Perser und Meder/Meder und Perser" ist auffällig. An dieser Stelle ist in der gebotenen Kürze auf neuere Versuche einzugehen, die die Vorgeschichte der aramäischen Erzählung in Dan 6 aufzuhellen beabsichtigen. Der erste dieser Versuche, den E. Haag vorgelegt hat226, will den Bruch mit einer communis opinio der bisherigen Forschung herbeiführen, die von der literarischen Einheitlichkeit des Kapitels ausgegangen war. Doch seine komplizierte Analyse, die zweifellos manches Scharfsinnige über den Text zu berichten weiß, leidet insbesondere unter Argumentationen, die die literarkritische Methodik zuweilen überstrapazieren227. Die Arbeit bietet daher gegen ihre eigentliche Intention eher den Beweis dafür, daß die literarkritische

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buch als das der „Könige der Meder und Perser" bezeichnet werden (vgl. dazu Clines, Scroll [59], der damit den sekundären Charakter von 10,1-3 beweisen möchte). Hier liegen aber gewisse Unterschiede: Der Brief des Königs Dan 6,26-28 befiehlt - mit einer hymnusartigen Begründung - die Furcht vor dem Gott Daniels. Est kennt stattdessen als Schlußbrief den Brief Mordechais Kap. 8, der aber noch im Aufbau der Erzählung zur Lösung der Krise gehört, und die Briefe Kap. 9, die nur den Juden das Purimfest ans Herz legen wollen. Dieser Verzicht, der Allgemeinheit jüdische Frömmigkeit aufzuerlegen, fügt sich aber ganz in die Gesamtaussage des Buches Est ein. Das „Bekehrungs"motiv als Ergebnis der Krise kennt Est ebensowenig im Zusammenhang mit dem Schlußbrief, sondern nur angedeutet in 8,17. Für das Dan 6 (MT) wird dies von Albertz, Gott (139), bestritten. Dies geschieht in doch wohl übertriebener Weise, um einen markanten Unterschied zur LXX-Fassung herausarbeiten zu können; o' hat in der Tat diesen Aspekt stärker betont: εΰρομεν Δανιήλ τον φίλο ν σου sprechen die Ankläger 6,14 zum König. In Est 1,1; 8,9 liest man genauer von 127 Provinzen; diese Zahl auch Dan 6,2 (o'). Ähnlich auch die Josephsgeschichte, die Achiqarerzählung und das Tobitbuch. Errettung (bes. 34-45). Einzelne Beobachtungen führen bei Haag zu weitreichenden Schlüssen, die aber mehrere in dieselbe Richtung weisende Argumente benötigten. Die Zerstückelung des Textes ignoriert zudem den Charakter von Dan 6 als „kunstvoll gegliederter Erzählung" (WilliPlein, Daniel 6 [17]). Zur Kritik an Haag vgl. Albertz, Gott (17, Anm. 44; 130-132); Kratz, Translatio (81 mit Anm. 21 und in den Einzelanalysen 111 ff.).

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Methode nicht dazu geeignet ist, über die Entstehungsgeschichte von Dan 6 begründete Aussagen zu machen. Ebensowenig kann man literarkritisch die Beobachtung von engen Beziehungen zwischen Dan und Est erklären. Den Bruch mit einer anderen communis opinio unternimmt Albertz, indem er sich zum Ziel setzt, dem „jahrhundertelang kirchlich geächteten und wissenschaftlich ins Abseits gedrängten Daniel-Text der griechischen Bibel Gerechtigkeit widerfahren zu lassen"221. Aus weniger heroisch formulierten Stellen ergibt sich als Programm, die LXX-Uberlieferung daraufhin zu überprüfen, ob sie nicht auch neben der MT-Fassung als eigenständige, parallele oder gar voraufgehende Version aufgefaßt werden kann. Für die Methodik der Analyse von Dan (4-)6 (MT) entsteht aufgrund des Frageinteresses eine Ablehnung der literarkritischen Methode zur Erklärung von Ungereimtheiten, deren Existenz Albertz Haag - in reduziertem Umfang - zugesteht22', und eine Zuwendung zur überlieferungsgeschichtlichen, die die Abhängigkeit des masoretischen Textes von der griechischen oder einer dieser sehr ähnlichen Uberlieferung aufzeigen soll. Uber das Gesamtsystem müssen wir an dieser Stelle kein ausführliches und endgültiges Urteil fällen230. Im Hinblick auf Dan 6 hat Albertz darauf hingewiesen, daß die aramäische Fassung zwischen Hofintrigen-Erzählung und einer Märtyrerlegende schwankt. Albertz versucht dies im Rahmen seines Modells mit der Überarbeitung einer LXX nahestehenden Fassung zur von den Masoreten bezeugten zu erklären231. In der Tat könnte die nicht mit Eindeutigkeit zu treffende Gattungsbestimmung der Erzählung ganz allgemein als Indiz gewertet werden, daß Dan 6 eine überlieferungsgeschichtlich zu beschreibende Vorgeschichte durchgemacht hat. Dies könnte auch helfen zu erklären, weshalb Est und Dan 6 verschiedene Motive gemeinsam haben, sich aber gerade auch in der Verwendung dieser Motive deutlich unterscheiden (verschiedene Bedeutung des fliehenden Schlafs; andere Rolle der Unaufhebbarkeit innerhalb der Dramatik der Erzählungen etc.). Ein gewisser Fundus an gattungsspezifischen Merkmalen erscheint in Est einerseits und in Dan 6 andererseits in unterschiedlicher Verquickung mit Elementen anderer Gattungen; darüber hinaus ist die spezifische Ausformung des Umgangs mit diesen Gattungslementen abhängig von der intendierten theologischen Aussage, die zwischen Dan 6 und Est, obwohl beide als Thema die Existenz der Juden in fremder und unterdrückender Umgebung haben, größer nicht sein könnte. Die Intention und theologische Aussage von Dan 6 (MT) versucht Albertz im Gegenüber zur griechischen Fassung sehr konturiert so zu beschreiben: bei der Entstehung von Dan 6 - im Sinne Albertz': bei der Überarbeitung einer dem griechischen Text nahestehenden Fassimg - war es wichtig, das „absolutistische Gebaren des gesamten Staatswesens" zu betonen232 und so „das Gene-

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Gott (17). Gott (130-132). Zur Würdigung und Kritik an Albertz vgl. Kratz, Translatio (82f.). Gott (133 + 144). A.a.O. (148).

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ralthema des aramäischen Danielbuchs, die Konfrontation von göttlichem Königtum und irdisch-politischer Macht herauszuarbeiten"233. Wenn Albertz auch das eine oder andere etwas übertrieben haben mag, um eine größere Unterschiedenheit von der griechischen Fassung behaupten zu können 234 , ist doch sicher der schließliche Sieg Gottes über alle Methoden der Bedrückung von Juden, die die Juristerei und Bürokratie der heidnischen Großreiche aufzubieten vermag, von zentraler Bedeutung. Interessant ist gerade an diesem Punkt die Einordnung des Unaufhebbarkeitsgesetzes durch Albertz. Für ihn ist diese Bestimmung durch den (aramäischen?) Verfasser erfunden und soll dazu dienen, „das Bild eines hybriden totalitären Staates von geradezu unmenschlicher Starrheit" zu zeichnen235. Sieht man den MT als Überarbeitung der LXX-Fassung, erscheint das Gesetz tatsächlich in dieser Form neu236. Aber gerade die komplexen Beziehungen zu Est raten davon ab, den MT allein als eine Überarbeitung von L X X zu bewerten. Die Entwicklung des Textes vor seiner Verschriftlichung zu Dan 6 dürfte um einiges komplizierter abgelaufen sein, als es der einfache Vergleich von Dan 6 (MT) mit der griechischen Fassung denken läßt. Eine überlieferungsgeschichtliche Rekonstruktion von Dan 6 enthält auch die Arbeit von Kratz zu den aramäischen Danielerzählungen, zieht aber für die Analyse nicht Dan 6 (LXX) heran, sondern die Drachenerzählung „Bei et Draco" 237 . Eine Betrachtung dieser griechischen Erzählung ergibt, daß von ihr allein V.*23-32 (.*38f.?).40-42 für einen Vergleich genutzt werden können238. Der Stoff dieser Erzählung nun scheint sich im Wesentlichen in Dan 6,11-18 niedergeschlagen zu haben23'. Die Abschnitte V.2-10 und V.26-29 sind dann als

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A.a.O. (133f.). Daß etwa ttf"P~n D i p ~ΊΏΏ („Es gefiel Darius ..."; 6,2) zeigen soll, daß die Mächtigen „nach eigenem Gutdünken aus ihrer Machtwillkür heraus Menschen ... ein- oder auch absetzen können" (a.a.O. [135f.J, erscheint uns überinterpretiert. Auch ist es doch etwas übertrieben, durch Daniels dreimaliges Gebet das „totalitäre Selbstverständnis des Staates" in Frage gestellt zu sehen (a.a.O. [139J. Der König jedenfalls beurteilt dies nach Ausweis von V.15 anders. A.a.O. (137f.). (o') bitten V.9 die drei Beamten den König, „das Gesetz in Kraft zu setzen und nicht abzuändern" (ίνα στήση τον όρισμόν και μή άλλοιώσή). V.13 fehlt bei der Bestätigung des Königs der Hinweis auf das unvergängliche Gesetz. Erst die dann redenden Beamten beschwören den König „bei den Gesetzen der Meder und Perser, daß er die Sache nicht abändere (Όρκίζομέν σε τοις Μήδων και Περσών δόγμασιν ϊνα μή αλλοίωσης τό πράγμα ...), die Person nicht achte und auch nichts von dem Gesagten abschwäche/vermindere (ίνα μή έλαττώσης τι των είρημένων. Das Verbum έλαττόω auch Sir 18,6; 42,21 in der Formulierung der Textsicherungsformel!). Auch die dann vom König gegebene Bestätigung erwähnt die Unaufhebbarkeit nicht. Kratz, Translatio (111-119). A.a.O. (112f.). Die dafür notwendige, von Koch, Zusätze Π (194-200), entwickelte Hypothese, daß die Drachenerzählung, jedenfalls in den größeren Partien, überlieferungsgeschichtlich älter sei als Dan 6, wird allerdings kritisiert bei Willi-Plein, Daniel 6 (Anm. 28). Eine Unter-

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überlieferungsgeschichtliche Fortentwicklungen zu betrachten, die sich aber besonders mit der Exposition V.2-10 auf die Gestaltung von V . l l - 1 8 ausgewirkt haben. Damit wäre - übrigens ähnlich wie bei Albertz, wenn auch aus ganz anderen Gründen - das Motiv der Unaufhebbarkeit in einem späteren Stadium der Uberlieferung mit der Exposition zu der Kernerzählung hinzugetreten 2 4 0 . So sei dann die „dominierende Thematik der persönlichen Bekenntnisbewährung" aus der Drachenerzählung „überlagert... durch das T h e m a von Gesetz und Loyalität ..," 2 4 1 . Nach Kratz ist für diese Entwicklung des Stoffes bereits der Kontext Dan *l-6, insbesondere 2;4f. ausschlaggebend gewesen 242 , so daß jetzt Dan 6 „den Abschluß und Höhepunkt der Sammlung bildet" 243 . In A n b e t r a c h t der v o n uns o b e n herausgestellten Ä h n l i c h k e i t e n zwischen E s t u n d D a n 6 w ä r e u . E . zu fragen, o b ü b e r d e n v o n K r a t z beschrieb e n e n plausiblen Z u s a m m e n h a n g des Kapitels m i t der „ D r a c h e n e r z ä h l u n g " die W e i t e r e n t w i c k l u n g des Stoffes zu der jetzt vorliegenden F a s s u n g n i c h t u n t e r d e m E i n f l u ß des a u c h in E s t zu greifenden M o t i v k o m p l e x e s gescheh e n sein k ö n n t e 2 4 4 . E i n e detaillierte A u s f ü h r u n g dieser T h e s e m ü s s e n w i r nicht v o r l e g e n , s o n d e r n k ö n n e n uns für unseren Z w e c k auf F o l g e n d e s be-

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suchung der textstrukturierenden Elemente in Dan 6 führt aber auch Willi-Plein zur Unterscheidung von V.2-10 - V.llff. und zur Bezeichnung von V.lOf. als „Scharnier der Erzählung" (a.a.O. [14f.J. Kratz, a.a.O. (118f.), glaubt, daß bereits die Grundfassung einen dem jetzigen Anklagegrund ähnlichen Erlaß enthalten haben muß und macht dies am unterschiedlichen Gebrauch von O "IDI ΉΟ~ΓΠ in V.9.13 und V.16 fest: V.9.13 sei der „Gesetzesentwurf selbst" gemeint, in V.16 ginge es dagegen - durchaus zur Grundfassung passend - um „einen bestimmten Rechtsgrundsatz, nach dem die in 6,7ff. erreichte Verordnung anzuwenden sei". Dann allerdings wäre wohl bereits in der Grundfassung die Unaufhebbarkeit enthalten gewesen, und überdies könnte man so den unterschiedlichen Gebrauch von m in Dan 6 erklären. Freilich können wir nach dem eingangs Ausgeführten (S.232f.) in V.9.13 nicht den „Gesetzesentwurf selbst", sondern allein das Gesamt der persischen Gesetze erblicken. A.a.O. (117). A.a.O. (118); die redaktionelle Herstellung eines Zusammenhangs in Dan 2-6 durch immer wiederkehrende und im außerkanonischen Aramäisch selten gebrauchte Wendungen hebt auch Wesselius, Language, hervor. A.a.O. (153). Zustimmend und unter Angabe von Literatur geht auch Baumgartner, Danielforschung (13 lf.), auf den Einfluß der „Hofgeschichten" auf Dan ein. - Die Bedeutung der anderen - allgemein gesprochen - „Hoferzählungen", speziell des Buches Esther für die Erhellung der Überlieferungsgeschichte der Danielerzählungen sieht auch Kratz (132f.), doch widmet er ihnen nur beiläufig Aufmerksamkeit. In vielleicht etwas zu vorsichtiger Betonung von zweifellos bestehenden Unterschieden zwischen Est und Dan 1-6 will Kratz aus dem Vergleich nur den Hinweis auf „interne Schichtung oder Überlagerung von Themen und Aspekten innerhalb der gesammelten ... Danielerzählungen" entnehmen (79); zurückhaltend auch Koch, Daniel (90).

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schränken: Insbesondere die Zahl der Satrapien, die „Gesetze der Meder und Perser", der in der Nacht vor der Entscheidung dem König mangelnde Schlaf und die für die Dramatik der Erzählungen jeweils wichtige Einführung des Motivs der Unaufhebbarkeit in Est und Dan 6 machen eine besondere Form der Abhängigkeit wahrscheinlich. Diese Abhängigkeit geht bis in wörtliche Ubereinstimmungen hinein245. Andererseits aber spricht die unterschiedliche Verwendung dieser Motive nicht für die These einer direkten, literarischen Abhängigkeit246.

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Zu der Zahl der Provinzen vgl. bereits oben 7.2.1. Anm. 37+71; hier fällt besonders der Beleg in ΙΠ. Esr 3,2 für die 127 Satrapien auf: die „Pagenerzählung" kennt ebenfalls die Schlaflosigkeit des Königs (3,3: Δαρείος ... έκοιμήθη καί έξυπνος έγένετο), und sogar das Gesetzesmotiv klingt einmal an (4,5 heißt es von den Untertanen: „sie morden und lassen sich morden, und den Befehl des Königs übertreten sie nicht" - καί τον λόγο ν του βασιλέως ού παραβαίνουσιν), doch hat die Stelle nichts mit Unaufhebbarkeit zu tun. Das Schlaflosigkeitsmotiv erscheint ein weiteres Mal anders verwendet, nämlich offenbar als Folge ausschweifenden Feierns. Allerdings kann die Pagenerzählung kaum als eigenständiger Beleg neben Est und Dan gelten, denn schon lange ist die Abhängigkeit dieses Einschubs in ΠΙ. Esr von Dan und Est aufgezeigt (vgl. Bayer, Verhältnis [llOff.]; dazu mit einschränkender Kritik Rudolph, Wettstreit [178]; zurückhaltend auch Pohlmann, Studien [47], der allgemeiner vorschlägt, die Pagenerzählung „dem gleichen Erzählbereich zuzuordnen, aus dem auch die apokryphen Erzählungen zu Chr, Dan und Esther stammen"). Willi-Plein, Daniel 6 (16+Anm. 21; 17), will in der Satrapiezahl den historischen Haftpunkt der Erzählung an der Person des Reichneuorganisators Darius I. erblicken. Uns scheint aber aufgrund der Nähe der Zahl zur Angabe in Est damit weniger eine vertrauenswürdige politisch-historische Aussage gemacht zu werden, als vielmehr Belesenheit zum Ausdruck zu kommen. Zum „fliehenden Schlaf" vgl. oben S. 246; zu Est 8,8/Dan 6,16 vgl. oben S. 244ff.; darüber hinaus sind die drei Motive nicht sehr weit verbreitet: der „fliehende Schlaf" begegnet noch einmal Gen 31,40; unsicher ist Dan 2,1 ΠΓΡΠ3 "ΙΓΙ3ΕΠ, wo vielleicht als Verbum Ϊ Τ Π 3 zu lesen ist (z.B. Hartman/Di Leila, Dan [134]; BHS; vgl. aber die diversen anderen Möglichkeiten, die Montgomery, Dan [141f.], aufführt); zum Krankheitsbild eines psychosomatischen Leidens, das Antiochos IV. infolge andauernden politischen Mißerfolgs heimsucht, zählt auch Schlaflosigkeit (I Makk 6,10 'Αφίσταται ό ΰπνος άπό των οφθαλμών μου). Diese überfällt aber auch den Vater aus Sorge um seine Tochter (Sir 42,9: καί ή μέριμνα αυτής άφιστά υπνον). Wieder anders gelagert ist die Klage des Epitomators des Jason, daß sein Vorhaben eine „Angelegenheit von Schweiß und Schlaflosigkeit" (ίδρωτος δε καί αγρυπνίας τό πράγμα; Π Makk 2,26) sei. Ζahi der Satrapien: In Dan 6,2 in der Exposition als Bestandteil der Verwaltungsreform / / In Est als Ausdruck der bunten Vielfalt, in die die Diaspora-Juden eingebettet sind. Fliehender Schlaf·. In Dan 6,19 Zeichen innerer Unruhe / / In Est 6,lf. unmotivierter „Zufall", der den König zu rettender Lektüre führt. Unaußebharkeit: In Dan 6,9.13.16 ein wichtiges Instrument beim Erwirken einer Tötungserlaubnis für den Aufsteiger Daniel / / I n Est 8 schon am Ende des Spannungsbogens der Novelle, dient vor allem dazu, die Handlungsführung an die Juden (Mordechai) zu übergeben.

Von schlechten und guten Beamten (Kap. 3/8)

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Daher entspricht es den gesammelten Beobachtungen wohl am besten, wenn man mit einem „Motivrepertoire" rechnet, das in Est und in Dan 6 gleichermaßen Anwendung gefunden hat. Dieses „Motivrepertoire" war in den Kontext solcher jüdischen Hoferzählungen eingebunden und diente offenkundig dazu, das Kolorit eines fremden Reiches zu zeichnen, aber auch bestimmte dramatische Elemente innerhalb der Hoferzählung zu umreißen, die aber, wie die uns bekannten Beispiele Est und Dan 6 zeigen, ganz unterschiedlich realisiert werden konnten247. Dem stark unterschiedlichen Gebrauch, den die beiden Erzählungen in funktionaler Hinsicht von den Motiven machen, steht die Beobachtung deutlicher sprachlicher Abhängigkeit in gewisser Weise entgegen. Die beiden Erzählungen werden sich daher, wenn nicht auf denselben, so doch auf sehr verwandte Texte beziehen, die, wie der Grad der sprachlichen Verfestigung zeigt, ihnen bereits schriftlich vorgelegen haben können. Uber den Inhalt dieser Texte, von denen uns nichts mehr erhalten ist, können wir folgende Aussagen machen: sie enthalten Angaben über die Zahl der Satrapien des medisch-persischen Reiches, die in der Exposition dieser Erzählungen ihre Funktion haben. Die Erzählungen handeln von einem Konflikt, in dem in perfider Weise die Unaufhebbarkeit von Rechtssätzen (medisch-persische

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Über die Abhängigkeit zwischen Est und Dan 6 bezüglich des Unaufhebbarkeitsgesetzes hat Frei, Zentralgewalt (23f.), eine Analyse gegeben, die eine als historisch einzuschätzende ursprünglich aramäische Formulierung als Kern zum Ergebnis hatte. Dabei geht Frei aus von den „beiden wichtigsten Stellen" Est 1,19 und Dan 6,9 [warum diese?] und erklärt zu ihnen, es sei „klar, dass beide Stellen eng zusammengehören und letztlich dieselben Formeln widerspiegeln, auch wenn Abweichungen im Wortlaut nicht zu verkennen sind". Näheres über diese etwas überraschende Klarheit erfährt der Leser nicht. Dann zeigt Frei, daß Est 1,19 „einen aramäischen Text voraussetzt": Bei dem einleitenden 3 1 0 - p o n - S y - D N sei btf ein Aramaismus für hebräisch b . O b hier tatsächlich ein Aramaismus vorliegt, kann aber angesichts vergleichbarer Stellen wie Prv 24,13; 29,5; Ps 16,6; 104,34 durchaus nicht als sicher gelten. Überdies muß ein Aramaismus nicht immer ein Übersetzungsaramaismus sein, also zwingend eine aramäische Textvorlage implizieren. Und auch sonst ist das Argument nicht stichhaltig: Die Höflichkeitsfloskel wird vom Novellisten als stereotype Redeeinleitung verwendet (3,9; 5,4.8; 7,3; 8,5; 9,13), hat also zu dem in Rede stehenden Unaufhebbarkeitsgesetz gar keine feste Beziehung. Richtig stellt Frei dann zwar die Geltung der „Unaufhebbarkeit" in Est 1,19 für den „konkreten Fall" fest, unterläßt aber den Hinweis darauf, daß sich in Dan 6,9 die Geltung auf die gesamte Gesetzgebung der Perser bezieht. Nach einer Übersetzung des aramäischen "HSJ und des hebräischen "1317 wird festgestellt, daß das hebräische ""QU „offensichtlich ... die Übersetzung des aramäischen Terminus ins Hebräische sei". Die Übersetzungen der Verben, insbesondere von "1317, werden nicht weiter problematisiert oder erhärtet; was es mit dem Verbum "Ottf in Dan 6,9 auf sich hat, bleibt ununtersucht.

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Esther - Theologie unter den Bedingungen der Diaspora

Gesetze) eine verhängnisvolle Rolle spielt. Diese Unaufhebbarkeit erscheint immer - auf die eine oder andere Weise - als ein Zustand, den es zu überwinden gilt, denn er ist ein Instrument in den Händen von (anmaßenden) Übeltätern. Weiter kommt es in der Nacht vor dem sicher drohenden Ende des Helden zu Schlaflosigkeit im königlichen Gemach. Der Herrscher scheint dem Verurteilten mit Sympathie zu begegnen. Dies ist der kleinste gemeinsame Nenner und das kritische Minimum, daß sich u.E. aus diesem Zusammenhang der drei Motive aussagen läßt. Darüber hinaus wird die Annahme nicht vermessen sein, daß auch die von uns postulierte Fassung der Erzählung vor Est und Dan 6 von einer Auseinandersetzung zwischen Hofbeamten zu berichten wußte. Der Held der Erzählung mag auch dort bereits ein Jude gewesen sein, der nicht zuletzt wegen seines Judeseins in die Verstrickungen höfischer Neider geriet - auch in diesem Punkt sind sich ja Est und Dan 6 einig248. Was die Variationen bezüglich des funktionalen Gebrauchs der Motive anlangt, scheint uns die These wahrscheinlicher, die größeren Abweichungen vom ursprünglichen Gebrauch der Motive seien durch den Autor der Est-Novelle entstanden. Seine Hofgeschichte ist die originellere, insofern als sie abseits der üblichen und sonst zu beobachtenden (theologischen) Strömungen verläuft. Das Satrapie-Motiv macht Est für die zentrale DiasporaProblematik fruchtbar. Das Unaufhebbarkeitsmotiv rückt aus dem Kern des dramatischen Geschehens etwas an den Rand, um Platz zu bekommen für die Auseinandersetzung zwischen den jüdischen Helden und ihrem Antipoden Haman in der persönlichen Begegnung, vielleicht auch, um das Thema des Aufhebens und Setzens von Rechtsbestimmungen mit den Kap. 8-9 am Ende des Buches zusammenzuhalten. Der fliehende Schlaf wird in Est entsprechend dem Duktus des gesamten Buches zur Möglichkeit menschlich-

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Vermuten kann man vielleicht noch, daß der postulierte Dan 6 wie Est zugrunde liegende Text in Diasporakreisen zirkulierte: Für Est dürfte die Herkunft aus Diasporakreisen sicher sein, für die aramäischen Danielerzählungen ist sie aus ihrer ganzen Anlage ebenfalls zu vermuten. Vgl. zu Dan z.B. Baumgartner, Danielforschung (126); Müller, Märchen (341); vorsichtig Kratz, Translatio (146f.); Willi-Plein, Daniel 6 (13 + 17), die dafür sprachliche und geistesgeschichtliche Gründe geltend macht. Die ohnedies nicht überspannte Annahme, es habe weitere solcher Hoferzählungen gegeben, wird nun durch die Veröffentlichung von 4Q550 gestützt, einem leider nur fragmentarisch erhaltenen Text, der aber eine Reihe von Berührungen mit Dan 1-6 aufweist und insbesondere in der ersten Kolumne (nach der Zählung Miliks und Beyers) eine starke Ähnlichkeit zu Est 6 hat (vgl. die Textausgaben bei Beyer, ATTM II [113ff.]; Eisenman/Wise, Scrolls [99ff.]; s. ausführlich in 6.3. Anm. 95).

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allzumenschlicher Rettung für den Helden ausgebaut, wenn auch ein unerhörter Zufall dem Leser die Möglichkeit gibt, hier Gottes Wirken zu sehen. Der fliehende Schlaf ist in Dan 6 ganz im Gegensatz dazu ein Symbol für das menschliche Unvermögen, sich selbst zu helfen. Könnte also in dieser Weise die Abhängigkeit zwischen Dan 6 und Est erklärt werden, wäre noch einmal der Blick auf den Text der beiden untersuchten Verse (Est 8,8; Dan 6,16) selbst zu richten. Die weitgehend parallele Konstruktion der beiden Sätze würde implizieren, daß die verneinten Verben ΌΕ7 (ha.) und 31ttf (hi.) hier dasselbe aussagen sollen: die Unmöglichkeit von Gesetzesrevisionen. Ob im einen Fall der Blick mehr auf das Verbot der Veränderung ("l3t£7), im anderen mehr auf das des Aufhebens (31CÖ) gelenkt werden soll, wird wohl allein schon wegen des Sprachwechsels, der manche Unschärfe provozieren dürfte, nicht sicher zu entscheiden sein. Für die Wahl des Verbums 311Ö (hi.) in Est 8,8 scheinen sich uns redaktionskritische Gründe, aus denen der Novellist dieses Verbum hat wählen wollen, nicht anführen zu lassen. Allenfalls könnte man dies für die beiden Verben "^ttf und "HS7 in Dan 6 annehmen: in dem bereits oben erwähnten Vers 2,21a finden sich gleichfalls die drei Verben, die die Gesetzesproblematik in Dan 6 bestimmen ("OtÖ ha.; "HS? ha.; Dip ha.)24'. 2,21a ist im Zusammenhang von Dan l-6(.7) von hervorgehobener Bedeutung, denn mit ihm ist die Geschichtslenkung Gottes in der Abfolge der Könige und der Sukzession der Reiche ausgesagt. Er ist es letztlich, der die Grundlagen der menschlichen Ordnung gründet und einreißt. Nun geht es in 2,21a nicht um die Gesetzesproblematik, doch daß die Verbindung zwischen Dan 6 und 2,21 allein zufälliger Natur sein sollte, darf als ausgesprochen unwahrscheinlich gelten. Dan 6 exemplifiziert in seiner jetzigen Form geradezu 2,21. Das Bemühen der heidnischen Könige, feste und irreduzible Ordnungen gegen einen Juden zu errichten, scheitert kläglich: Gott ist es, der letztlich die Regeln macht und auch gegen sie verstoßen kann250. So betrachtet sind die Formulierungen in Dan 6,9.13.16

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Nach Kratz, Translatio (91-95+156-160) sind die hymnischen Stücke 2,20-23.47; 3,28f.; 3,31-33; 4,31-34 und auch 6,26-28 Elemente im Sammlungsprozeß der Danielerzählungen, in denen „die redaktionelle Perspektive ... ihren dichtesten Ausdruck gefunden hat" (156f.). Insbesondere 2,20-23 weist Kratz eine „zentrale Funktion ... innerhalb ... der Sammlung Dan 1-6*" zu (94f.). Anzuführen sind auch 7,14.25, die aber spätere redaktionelle Reaktion auf Dan 2,21 und Dan 6 sein können. Das Streben der Großreiche, Ordnungssysteme gewaltigen Umfangs einzurichten, ist wohl nicht zufällig in Kap.6 bereits mit V.2 intoniert; so Coxon, 'List' Genre (111).

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Esther - Theologie unter den Bedingungen der Diaspora

nichts anderes als eine Abirrung von der geschichtstheologischen Prämisse 2,21a, und die Pointe von Dan 6, die Rettung Daniels durch den Boten Gottes (6,23), die schließliche Bestätigung und Einlösung dieser Prämisse. Das Motiv der Unaufhebbarkeit stammt also in Dan 6, wie wir oben vermuteten, aus einer jüdischen, nicht mehr erhaltenen „Hoferzählung", von der wir eine weitere Spur in Est finden. Dieses Motiv, das auch bis in die Syntax der Formulierung vorgegeben war (6,16/Est 8,8), ist in Dan 6 unter dem Einfluß der geschichtstheologischen Prämisse 2,21a in der Terminologie überarbeitet worden251. Nicht auszuschließen ist aber, daß das etwas verwirrende Nebeneinander der beiden Verben "^ttf und ΉΧ7 in Dan 6, das auch durch den Befund in Est nicht erklärlich wird, auf das Bestreben zurückzuführen ist, den Bezug zu Dan 2,21a deutlich herauszustellen. Jedenfalls aber hat der Autor bei der Überarbeitung des überlieferungsgeschichtlich alten Kerns, der anhand der Draco-Erzählung noch hinreichend beschrieben werden kann, die Akzente neu verteilt: Wie wir oben (S.242f.) bei der Untersuchung von V.9.13 feststellten, ist für ihn D~ID1 Ή 0 Τ Π 3 irron die grundlegende (und deshalb auch zwei Mal wiederholte) Formulierung. Soweit wir dies aufgrund der Uberlieferungslage beurteilen können, geht dieser Ausdruck für die Unaufhebbarkeit der Gesetze nicht wie 6,16 auf eine bereits vorliegende Tradition, sondern auf den Autor von Dan 6 selbst zurück252. So kann er das zweite Verbum aus 2,21a ("HU) in zentrale Position stellen und zugleich seinem sachlichem Gestaltungsinteresse Nachdruck verleihen: Sowohl das Verbum Ή17 als auch die Erwähnung nicht eines einzelnen Gesetzes, sondern gleich der gesamten Gesetzgebung der Meder und Perser (OIDI ΉΏ~ΓΠ) machen die Aussage grundsätzlicher und verschärfen sie damit. Der absolute Anspruch der menschlichen Herrscher, endlose Dauerhaftigkeit gewährleisten zu können, produziert am Ende doch nur Blasphemie, die immer zum Scheitern verurteilt ist253.

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Recht unwahrscheinlich dürfte sein, daß umgekehrt Dan 6,9.13.16 auf Dan 2,21a gewirkt haben sollte: Sachlich erscheint 2,21a als bestimmende Aussage in Dan (l.)2-6(.7) und Dan 6 lediglich als abgeleitetes und weniger grundsätzliches Exempel. Der Verlust von Macht ist überdies auch verankert in Dan 4,(13.)28; 5,20; (7,12.14.25.26). Dabei formuliert er unter Berücksichtigung der überkommenen Aussage, die 6,16/Est 8,8 erhalten ist, und findet weiteres sprachliches Material in 2,21a und der Rede von den „Gesetz(en) der Meder und Perser", die vielleicht auch in der ihm vorliegenden „Hofgeschichte" enthalten gewesen sein mag. Willi-Plein, Dan 6 (16f.), hat darauf hingewiesen, daß „das Gesetz der Meder und Perser" die beiden Hauptabschnitte von Dan 6, nämlich V.2-11+V.12-28, durch dreimalige Nennung miteinander verknüpft, der zweite Abschnitt wieder dreimal von dem Motiv

Von schlechten und guten Beamten (K.ap. 3/8)

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Als Fazit können wir also festhalten: Das Motiv der Unaufhebbarkeit der Gesetze des medisch-persischen Großreiches läßt sich zurückverfolgen bis in eine in Umrissen zu erkennende Erzählung vom Geschick eines jüdischen Helden am H o f einer fremden Großmacht. Diese Erzählung trägt volkstümliche Züge und atmet in Anlage und Ort des Geschehens den Duft des Exotischen. Auch Ubertreibungen fehlen nicht: Ein Jude wird einer der bedeutendsten Männer des Großreiches und gewinnt darüber hinaus eine persönliche Beziehung (Verwandtschaft; Gunst) zum Herrscher. Innerhalb dieses Rahmens werden die Probleme der jüdischen Minorität gewissermaßen in nuce, nämlich anhand der höfischen Kleingesellschaft durchgespielt. Komprimiert und eingedampft wird aber dann auch die Entschiedenheit des administrativ-juristischen Handelns des Großreiches. Was die Untertanen vielleicht als Verläßlichkeit oder auch unnachgiebige Härte seitens der Administration empfinden konnten, erscheint hier als prinzipielle Unmöglichkeit der Veränderung

- und zwar durch niemanden 254 . Der Gesetzestext

soll den Ansprüchen von Zeit und Raum enthoben sein. Auf der Ebene der Redaktion der aramäischen Danielerzählungen wird vermittels eines deutlich gezeichneten Stichwortzusammenhangs der Versuch, die grundlegenden Ordnungen menschlichen Zusammenlebens (die (Fest-)„Zeit", die Herrschaftsverhältnisse, die Gesetzgebung) ohne oder gar gegen die Juden und ihren Gott zu gestalten, als blasphemische, im Ansatz verfehlte Unternehmung beschrieben. Insbesondere die Kategorie der Festigkeit und Dauerhaftigkeit kommt dabei nur als Eigenschaft des Handelns Gottes in Frage. Dies scheint auch, auf die Gefahr der Uberinterpretation hin, der medische Herrscher aus Dan 6 gelernt zu haben: Sein Erlaß 6,26ff. müßte nach dem Duktus der Erzählung ebenfalls als unaufhebbar gelten können, was im Sinne der Juden diesmal inhaltlich sicher nicht zu kritisieren gewesen wäre. Ein solcher Hinweis fehlt jedoch. Die medisch-persische Religionsgesetzgebung trägt fortan, auch wenn sie judenfreundlich ist, den Charakter des Endlichen und Vorläufigen und ist von anmaßenden Ansprüchen befreit.

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„dein/Daniels Gott" (V.17.21.27) durchzogen ist und beides zusammen in dem Unterabschnitt V.15-18 auftaucht: Aus dieser formalen Beobachtung hat sie den Schluß gezogen, „dass das in v. 10-11 von menschlicher Sicht her als Loyalitätskonflikt beschriebene Problem der ganzen Erzählung auf einer höheren Ebene als das Problem des Verhältnisses zwischen Gott und (nichtisraelitischer) Staatshoheit beschrieben werden kann". Vgl. nochmals Hitzig oben Anm. 202.

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Esther - Theologie unter den Bedingungen der Diaspora

Diese theologische Ausdeutung der Unaufhebbarkeit der medisch-persischen Gesetze ist - das bedarf keiner näheren Ausführung - für Est nicht zutreffend. In welchem Zusammenhang Est diese Bestimmung sieht, will der abschließende Abschnitt zeigen.

7.3. Vom rechten Gehorsam (Kap. 9) Der Befehl des Mordechai und insbesondere der Esthers, zwei Tage im Jahr als Feiertage zum Gedenken der in der Novelle beschriebenen Ereignisse zu begehen (9,20-28.29-32), ist mit zahlreichen sachlichen Problemen behaftet, die eine vollständige und detaillierte Beschreibung des Vorgangs und seiner näheren Umstände nicht zulassen255. Es sind bedauerlicherweise gerade die Angaben, die von Verschriftlichungsvorgängen berichten, mit denen aufgrund ihrer unpräzisen Formulierung nahezu nichts anzufangen ist. Andererseits sind der auffällig gewundene Stil des Ganzen, seine Wiederholungen und Worthäufungen (vgl. nur V.27.28), aber auch die freie Uberlieferung des Textes in den Versionen ein starkes Indiz dafür, daß für den Autor wie auch seine frühen Abschreiber und Leser an dieser Stelle etwas auf dem Spiel stand256. Worum sie spielten und wie Schriftliches die Spielregeln beherrscht, soll dieser letzte Abschnitt zu zeigen versuchen. Bereits V.20a bietet dem Leser „a most ambiguous phrase"257: „Darauf schrieb Mordechai diese Ereignisse/Worte auf". Möglich wäre, daß Mordechai hier zum Verfasser der ganzen Novelle (in der vorliegenden Form) gemacht werden soll, also neben Erlassen auch noch eine Art Geschichts-

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Clines, Scroll (50): der ganze Abschnitt sei „banal and crudely written". Striedl, Untersuchung (93), analysiert den Stil des Buches sicher zutreffend, wenn er ihn „wegen unförmiger Satzkonstruktionen, seltener und unpersönlicher Ausdrucksweisen, abrupter Kürze und Knappheit" für „oft undeutlich" hält. Besonders dem Abschnitt 9,26b-28 hat seine wiederholende und penibel anmutende Art das Urteil eingetragen, „umständlicher Urkundenstil" (Dommershausen, Estherrolle [126]) oder „umständlicher Kanzleistil" (Meinhold, Est [92]) zu sein. Andererseits kann man dem Autor von Est nicht vorwerfen, er wolle „mit seiner formalen Technik geradezu einen Mangel an inhaltlicher Ausdrucksmöglichkeit" ersetzen (Striedl, a.a.O. [96]). Dem Charakter des Buches als einer im Beamtenmilieu spielenden Novelle entsprechen formaler Aufbau und Sprache eigentlich recht gut. Von daher scheint uns das Buch im Gegenteil „nicht ohne Talent geschrieben" (Wildeboer, Est [169]). Moore, Est (93).

Vom rechten Gehorsam (Kap. 9)

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Schreibung p r o d u z i e r t hätte 2 5 8 . D i e s e n G e d a n k e n w ü r d e m a n freilich deutlicher f o r m u l i e r t e r w a r t e n . D a s D e m o n s t r a t i v p r o n o m e n k ö n n t e a u c h auf die u n m i t t e l b a r v o r h e r gemachten Mitteilungen (bes. V.18f.) verweisen, da diese in der T a t i m F o l g e n d e n eine g e w i c h t i g e R o l l e e i n n e h m e n 2 5 9 . E i n e A r t U b e r s c h r i f t f u n k t i o n n ä h m e V . 2 0 a ein, w e n n m a n m i t e i n e m V o r a u s v e r w e i s auf das F o l g e n d e rechnete 2 6 0 . S t ö r e n d ist dabei sicher die U n t e r b r e c h u n g z w i s c h e n d e m V e r w e i s V . 2 0 a u n d d e m g e m e i n t e n Zitat 21f. d u r c h V . 2 0 b . D a es bei d e m F e s t d a r u m geht, b e s t i m m t e historische E r e i g n i s s e in einer bestimmten

D e u t u n g in das G e d ä c h t n i s des V o l k e s e i n z u p r ä g e n

(vgl.

V . 2 2 . 2 4 - 2 6 a a ; "IDT in 9,28!), paßt die A n n a h m e , M o r d e c h a i h a b e einen A b riß der E r e i g n i s s e , e t w a i m Stil des „ k a t e c h i s m u s a r t i g e n B e r i c h t s " 2 6 1 V.242 6 a a , in s e i n e m Brief gegeben, sehr gut in das G e s a m t b i l d . V . 2 6 teilt d a z u d u r c h a u s p a s s e n d m i t , d a ß die B e n e n n u n g des F e s t e s d u r c h die J u d e n nicht allein a u f g r u n d eigenen, „ p r i v a t " erlangten W i s s e n s e r f o l g t sei, s o n d e r n sich a u c h auf d e n Brief des M o r d e c h a i stützte, der also n a c h der V o r s t e l l u n g des A u t o r s d a r ü b e r ebenfalls A u s k u n f t gegeben h a b e n m ü ß t e . A h n l i c h u n b e s t i m m t ist a u c h V . 3 2 : „ U n d der B e f e h l der E s t h e r erlegte als v e r p f l i c h t e n d diese P u r i m a n g e l e g e n h e i t e n auf, u n d er w u r d e i n ein 2 6 2

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Immerhin spielt mit den historische Nachrichten bietenden „Wohltäterverzeichnissen" (6,lf.) und den Annalen im dtr. Stil (10,2) „Geschichtsschreibung" in Est eine Rolle. Es würde zu dem Bild von Mordechai als guten Beamten und guten Juden passen, wenn er in der Funktion des persischen Annalisten die Staatsgeschichte und zugleich die Rettungsgeschichte der Juden verfaßte. Vgl. dazu Gordis, Religion (375-378), der sogar annimmt, der jüdische Autor von Est „undertook to write his book in the form of a chronicle of the Persian court, written by a Gentile scribe". In der rabbinischen Exegese gilt das Estherbuch aufgrund von 10,2 als Bestandteil der persischen Annalen (yMeg 70d,39-46; Texte und Übersetzung bei Jampel, Esther [418-420]; s. Anm. 296). Nach Abraham Ibn Esra soll der Charakter des Buches als eines persischen Geschichtswerkes auch die Nichterwähnung des Gottesnamens erklären können (Jampel, a.a.O. [517]). Als Analogie mag vielleicht das ehr. Prophetenverständnis dienen, das in den Zeiten des Verlustes der Eigenstaatlichkeit nach Autoren der „Heiligen Geschichte" sucht und sie - vermittelt über das Mosebild - in den Propheten Israels findet (s. Willi, Auslegung [229-24lj. Sollte Mordechai durch die Stilisierung als „Mose" (vgl. Daube, Pattern [59]; dazu aber kritisch Bardtke, Arbeiten [528]) an den Eigenschaften der Propheten als heiliger Historiographen partizipiert haben? So Moore, Est (93); Loader, Est (276). So Dommershausen, Estherrolle (123). Gerleman, Est (137). Vgl. Berg, Esther (82f.): Die Verse bringen „in a catechetical fashion" eine Kurzfassung von Est 3-9,13. Die masoretische Tradition liest den Artikel, mit dem im Zusammenhang aber kaum etwas Sinnvolles anzufangen ist; so auch Moore, Est (93). Vielleicht liegt " 1 3 0 3 in abgeblaßter Bedeutung vor („schriftlich") - so Gunkel, Esther (48 Anm. 284).

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Schriftstück/Buch geschrieben". Wiederum könnte es sich um ein offizielles, derartige Erlasse archivierendes Annalenwerk handeln263, wofür immerhin das ni. spricht, das in Est ja gern eine offizielle Beamtentätigkeit markiert. Spekulativ ist die Annahme, das Est-Buch selbst sei gemeint264. Ebenso möglich, aber nicht beweisbar ist die Vermutung Bardtkes, es würde hier schlicht von einer Kopie des Esther-Briefes die Rede sein, um die Wichtigkeit und Dringlichkeit der Sache zum Ausdruck zu bringen265. 9,20.32 wird man trotz der Unbestimmtheit insbesondere von V.32 eine Klammerfunktion um den Abschnitt 9,20-32 zusprechen können, die das Niederschreiben in seinen verschiedenen Funktionen und Schattierungen als wesentliche Funktion innerhalb des Gemeinde-organisierenden Handelns der führenden Juden bezeichnet. Diese Klammer bringt verschiedene Aspekte von Schriftlichkeit zum tragen: Schrift wird benutzt, um Distanz zu überbrücken. Sie archiviert in gewisser Hinsicht und stellt still, indem die Erlasse Mordechais und Esthers die Ereignisse, die die Novelle beschrieb, fokussierend zusammenfassen und in das Gedächtnis der gegenwärtigen wie aller zukünftigen Generationen einschreiben wollen. Das Verbum 3 Γ Ο umrahmt aber nicht allein den Abschnitt 9,20-32, sondern überzieht ihn auch wie ein Netz. Nach der Zitation des Briefes V.21f. erfährt man die Reaktion der Juden auf das Edikt: „Da nahmen die Juden an266, was sie angefangen hatten zu tun und was Mordechai an sie geschrieben hatte" 267 (V.23). Dieser Verweis auf die Schriftkonformität des Handelns der jüdischen Gemeinde erinnert der Sache nach an ähnliche im

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In Frage kämen das Werk aus 10,2 oder ein Gesetzeskorpus wie die „Gesetze der Perser und Meder" (1,19). Meinhold, Est (95): Der Brief solle auch als persische Reichsverordnung betrachtet werden. Loewenstamm, Genesis (124), meint, hier ginge es um „the confirmation of the new law by an act of Esther alone, and its perpetuation in a memorial scroll". Diese Sicht ist von Est 9,31 (LXX) bestimmt: ... και Εσθηρ λόγω εστησεν εις τον αιώνα, και έγράφη εις μνημόσυνον. Wildeboer, Est (196). Dagegen schon Siegfried, Est (174); Gunkel, Esther (48, Anm. 284). Est (400). Vgl. schon Gunkel, Esther (48, Anm. 284): „ein ... fingiertes Aktenstück, eine Abschrift der Schreiben der Esther, deren Inhalt er V.31 angegeben hat". b a p i ist nach der masoretischen Punktation singularisches Verb bei pluralischem Subjekt, was nach Bardtke, Est (390), auch sonst möglich und in V.27 ein zweites Mal belegt ist, dort aber in noch problematischerem Zusammenhang wegen des vorstehenden Plurals, der auch die Masoreten zur Korrektur veranlaßt hat. Behielte man den Konsonantenbestand bei, wäre der auch sonst in Est beliebte inf. abs. zu lesen ( ^ 3 p ) , der dann als Platzhalter für ein verbum finitum stünde. Die Konstatierung einer solchen Reaktion auf einen Erlaß hin ist typisch für Est; vgl. 3,15bß; 4,1; 8,15b-17.

Vom rechten Gehorsam (Kap. 9)

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dtr. und ehr. Sprachbereich geläufige Bemerkungen, die sich allerdings immer auf die Thora beziehen und mit dem passiven Partizip des Grundstammes von 3ΓΟ gebildet zu werden pflegen. So ein Verweis auf die Thora war hier fehl am Platze, da diese vom Purim-Fest nichts weiß. Aber die Analogie ist doch recht deutlich: Der religionspolitische Fragen betreffende Erlaß des Mordechai tritt mit einem ähnlich autoritativen Anspruch wie die Thora vor das Volk. Diese Ähnlichkeit zwischen dem Gehorsam gegenüber der Thora und dem gegenüber den persischen Gesetzen deutete sich ja bereits in der Haman-Rede 3,8 an, die die Thora als DITTI"! (plur.!) bezeichnete und so den ""[bon Τ Π kategorial gleichstellte268. Die Entwicklung der Novelle seit Kap. 3 hatte zudem bewiesen, daß die Juden - jedenfalls in einem gewissen Rahmen - auch den Satzungen des Königs gegenüber Gehorsam aufbringen konnten. Zu der oben gemachten Beobachtung, daß die Benutzung der persischen Post durch die Juden die organisatorische Bedingung der Möglichkeit lieferte, sich als Gemeinschaft zu organisieren und so zu retten, ist nun also noch eine zweite, ähnlich geartete hinzuzufügen: Der Gehorsamsanspruch, mit dessen Hilfe jüdische Autoritäten dieses Gemeinschaftsleben mit neuem Inhalt füllen wollen, besitzt eine Analogie in dem Anspruch der persischen Zentrale an seine Untertanen. Ob allerdings Schriftlichkeit hier ausschließlich in den Kategorien eines administrativen Rechtsaktes mit autoritärem Gefälle begriffen wird, der Anspruch Mordechais sich vollständig in den der persischen Administration aufrechnen läßt, werden wir unten noch genauer untersuchen müssen. Die Konstatierung von Schriftgemäßheit erfolgt ein zweites Mal in V.27: „ Die Juden verpflichteten sich und nahmen an ..., diese beiden Tage zu begehen269 entsprechend ihrem Dokument und ihrer Zeit (D3J1D3 D3DTD1), Jahr für Jahr". Die Präposition D erinnert wieder deutlich an Formulierungen wie 3 1 Γ 0 3 oder 31ΓΟ "IttfiO, und in der Tat geht es auch hier darum, Handlungen der Gemeinde an ein schriftlich vorliegendes, mit verbindlichem Anspruch auftretendes Dokument rückzubinden. Das genaue

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Hamans Gleichstellung der beiden Gesetzeskorpora wird, wenn wir recht sehen - vom Novellisten nicht bestritten; im Zweifelsfall scheint den Gesetzen der Juden mehr Gehorsam entgegengebracht werden müssen, aber daß sie eben einer anderen Kategorie von Gesetz angehören - dies hätte durch ihren Offenbarungscharakter begründet werden können - wird von Est nicht gesagt. Die Verbformen sind passend gewählt: ΓΡΓΙ + Partizip drückt hier eine „(in der Vergangenheit andauernde oder) sich wiederholende Handlung" aus; vgl. Meyer, Grammatik (§ 101, 7b), für das nachklassische Hebräisch.

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Esther - Theologie unter den Bedingungen der Diaspora

Verständnis von V.27aß.b ist wieder mit Unsicherheiten belastet: Die pluralischen Suffixe dürften sich auf die unmittelbar vorstehenden „zwei Tage" beziehen270, doch problematischer ist bereits der Bezug von 3 Γ Ο und die genaue Ubersetzung des Begriffs271. Zunächst ist der Bezug auf das Purimschreiben, das V.21f. mit groben Strichen zitiert wird und im Zentrum von V.20ff. steht, die wahrscheinlichste Annahme272. Merkwürdig ist freilich die schwankende Bezeichnung dieses Dokuments, das 9,20 als •ΉΏΟ erscheint und 9,26 als ΓΠ3» (vgl. auch V.29)273. Hinzu kommt, daß die V.27f. als eine Art Abschluß des Erlaßverfahrens allgemeine Aussagen zum Purim-Gesetz machen, und das Schreiben Mordechais V.23 auch ausdrücklich als Schreiben Mordechais bezeichnet wird. Dies macht für V.27 einen breiteren Bezug von 2 Γ Ω immerhin möglich: Gemeint sein könnte das ominöse Schriftstück aus V.20a oder eine Vorform der Novelle oder gar diese selbst. Dann wäre die plausible, aber auch einengende Übersetzung mit „Vorschrift" nicht zwingend, sondern 0 3 Γ Ό 3 wäre etwa mit „unter Berücksichtigung ihrer Beschreibung" paraphrasierbar274 und so das erzählende und verpflichtende Element gleichermaßen berücksichtigt. Die Verpflichtung, das Fest zu feiern, wird in V.27 auf drei Dinge hin spezifiziert. Es geht (1.) um die „Schriftgemäßheit" der Feier, dann (2.) um ihre rechte Einordnung in das Kirchenjahr und zuletzt (3.) um die Stabilisierung der Feier für die kommenden Generationen (Π3ϋΊ Die formale Gleichgestaltung von D3DTDT darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß sich beide Begriffe auf sachlich verschiedenen Ebenen befinden: Ü3DD3 gibt allgemein die Quelle an, aus der heraus sich die Begründung und Gestaltung des Festes speisen soll, innerhalb derer aber die Festsetzung des Feiertages im Festkalender wie im weiteren Leben der Gemeinde ja nur ein Punkt sein kann. Das Gleichgewicht wäre hergestellt, wenn man unter 3 Γ Ο ausschließlich die Sitten und Bräuche des Festes, z.B. das

270 271 272

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274

So Oettli, Est (253), gegen einen Bezug auf die Juden". Vgl. zum Folgenden ähnlich auch Bardtke, Est (395). Z.B. Dommershausen, Estherrolle (127). Auch Moore, Est (95): gemeint sind die V.20.23 genannten Briefe. Esthers Befehl wird als ΟΉΒΟ (9,30) und "1DXD (9,32; vgl. auch das allgemeine " O l " ! Γ0ΝΠ •^"lDn in demselben Vers) bezeichnet. Das Nomen 3 Γ Ο bedeutet 1,22; 3,12; 8,9(2x) die „Schriftart", in der ein Dokument gehalten ist. 3,14; 4,8; 8,8.13 meint es immer einen Erlaß des persischen Königs (allerdings kompliziert mit dem Begriff ΓΠ ins Verhältnis gesetzt: „eine Abschrift des Schreibens, das als Gesetz (ΓΠ) gegeben werden sollte ..."; 3,14; 8,13; vgl. damit verwandt 4,8: ΓΠΓΓ3ΓΟ).

V o m rechten Gehorsam (Kap. 9)

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Verschicken von Portionen (vgl. 9,22) verstehen könnte, so daß die Aufzählung einerseits die Ausgestaltung des Ritus, andererseits die zeitliche Ansetzung meinte. Für ein solches Verständnis von 3 Γ Ο gibt es aber sonst keine Anhaltspunkte. Es bleibt als Ausweg allein die Annahme übrig, 0 3 Γ 0 3 sei als Überschrift zu verstehen, unter welcher der zeitliche Aspekt des Festes in seinen beiden Dimensionen (Festsetzung im Jahr - Festsetzung in der weiteren Geschichte der Juden gemäß 9,21) besonders herausgestrichen wird. Dadurch wird erneut betont, daß sich die Begründung, Ausgestaltung und dauerhafte Durchführung des Festes zuallererst auf ein schriftliches Dokument gründet275, das Fest sich also unter dem Gesichtspunkt seiner Begründungsstruktur aus demselben Medium speist, aus dem sich alle anderen, bereits etablierten Feste der Juden speisen. Aber dieser Verweis auf ein gründendes Dokument fällt merkwürdig unkonkret aus, so daß der genaue Bezug des Hinweises dem Leser unklar bleiben muß. Man gewinnt den Eindruck, als hätte der Autor kein weitergehendes Interesse daran gehabt, eine bestimmte Urkunde dem Leser ans Herz zu legen. Selbst bei der Annahme, die Verwirrung der Bezüge in 9,20-32 sei durch Überarbeitung und Glossierung entstanden, ergibt sich doch kein wesentlich anderes Bild: Auch dies würde doch nur zeigen, daß unter den Bearbeiten des Textes Einigkeit über das das Fest begründende Dokument nicht geherrscht hat. Gleichwohl ist später die Verbindung des Festes mit dem Buch Est dadurch gewürdigt worden, daß man die Novelle, wenn auch nicht der Thora, so doch dem weiteren Kreis der heiligen Schriften zuordnete. Freilich konnte und wollte auch das Buch das Fest nicht als eine göttliche Setzung 276

erweisen . Der Abschnitt 9,29-32, der in V.29 den letzten zu erwähnenden Beleg für das Verbum 3 Γ Ο bietet, ist von zahlreichen textlichen, syntaktischen und inhaltlichen Problemen durchsetzt, die ein sicheres Verständnis dieses - nach dem Schreiben des Mordechai offenbar - zweiten Briefes unmöglich machen. Der Text, der in L X X andere Wege geht, ergibt in der vorliegen275

276

Dieser Sachverhalt kann auch ohne ausdrücklichen Verweis auf ein Schriftstück ausgesagt werden: Vgl. V.31 ... D^p "UfftO, was doch wohl auf den Erlaß des Mordechai hindeuten soll. Bereits zuvor steht bloßes DrPDDT3, es fehlt also im Vergleich zu V.27 der Hinweis auf ein Dokument. Die Ähnlichkeit mit dem Passahfest und die angedeutete Verbindung zwischen Mose und Mordechai deutet in dieser Hinsicht etwas an, das das Buch aber nicht auszusprechen wagt.

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Esther - Theologie unter den Bedingungen der Diaspora

den Form wenig Sinn: Sind Esther und Mordechai offenbar Subjekte zu einem Verb der 3. Pers. sing. fem. (V.29), so steht V.30 ein Verb in der 3. pers. sing, mask., für das Mordechai Subjekt sein müßte. V.31a wird auf eine zuvor ergangene Verpflichtung Mordechais und Esthers rekurriert, von der man aber in dem Buch bis dahin noch nichts lesen konnte. V.32 schließlich spricht allein von einem „Befehl" ("IQXQ) Esthers, stützt also die feminine Form 3ΓΟΓΠ in V.29. Der Wille, Mordechai auch in diesem zweiten Brief zum Zuge kommen zu lassen und daraus resultierende Irritationen in der Textüberlieferung werden den M T zustande gebracht haben. Die meist vorgenommenen und auch plausiblen Änderungen sind die Streichung von "ΗΊΓΡη O ~ H D 1 (V.29) und von ΓΟ^ΟΠ ΊΠΟΪΟ (V.31), weiter die Änderung von nbtf-n (V.30) in eine fem. Form oder in passives ni.277. Ist so im Groben ein sinnvoller Handlungsverlauf hergestellt, bleiben die Probleme im Detail: Zu "1ΠΟΚ 3ΓΟΓΠ steht als Objekt oder als präpositionale Ergänzung ^ p r r b S T I K , herkömmlich übersetzt als „mit allem Nachdruck" 278 oder auch „mit ganzer Autorität", weil Esther so ihren eigenen Brief habe legitimieren wollen 27 '. Die älteren Exegeten haben der Sache mit Textumstellungen beizukommen versucht280, und man hat in diesem Zusammenhang die Bedeutung von ^ p D von dem deutlicheren Beleg in 10,2 her erschlossen281. Eine andere Deutung könnte sich aus dem Vergleich mit Dan 6,8 ergeben: „Alle Minister ... haben sich beraten, daß der König ein Edikt erlassen und ein Verbot in Kraft setzen solle, daß ... (D^p HD^pS

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Auch möglich ist die Beibehaltung von ròttf-n V.30, wenn man das Subjekt unpersönlich auffaßt; so Meinhold, Est (94); Loader, Est (275). Rudolph, Textkritisches (90), versteht als falsche Auflösung des ursprünglichen absoluten Infinitivs Γ0Ι01. Z.B. bei Siegfried, Est (174); Oettli, (253); Bardtke, Est (397). Gerleman, Est (137), faßt ΓΙΧ als Akkusativzeichen bei insgesamt aber ähnlicher Ubersetzung: „allerlei Nachdrückliches". Vgl. aber dafür die andere Formulierung im Gen-Apokryphon 2,8 (Beyer, A T T M I [167]): r Ò b D I Q » ^ p n f ^ m ΤΊΓΟΚ β - ϋ Κ Γ Ο j"HX - „Darauf sprach meine Frau Bettenosch mit mir mit starkem Nachdruck" (Beyer, a.a.O. [168]). Meinhold, Est (93f.). - Daß Esther hier mit von ihr selbst betonter Vollmacht schriebe, um ihren „zweiten" Brief von Mordechais ersten Brief abzusetzen und zu legitimieren, muß auch deshalb eine hypothetische Annahme bleiben, da ΓΡ3ϋίΊ am Versende nicht sicher zum Text gerechnet werden kann; vgl. L X X (siehe Anm. 280) und Peschitta; das Wort wird deshalb oft gestrichen: Rudolph, Textkritisches (90); Würthwein, Est (196); Gerleman, Est (137). Vgl. dazu den Apparat der BHS; Steuernagel, Est (456), setzt η Ρ Γ Γ ^ Τ Ι Κ hinter ••pb (die ganze Bedeutung dieses Purimerlasses zu bekräftigen). Vgl. L X X : οσα έποίησεν τό τε της στερέωμα της επιστολής των Φρουραι. Würthwein, Est (196), setzt Ή Τ Ρ Π Ό ~ Π Ο hinter " ρ Π : Esther schrieb über die ganze Macht des Juden Mordechai.

Vom rechten Gehorsam (Kap. 9)

...Ή

no» aspnbi

I O ^ D ) " - auch in Est

9,29

263

folgt unmittelbar mit

7

(vgl. das aramäische Ή ) eingeleitet der Inhalt eines Erlasses, und im Zusammenhang, wenn auch in syntaktisch anderer Zuordnung, steht ebenfalls • 1 p im Intensivstamm. Der Schluß liegt nahe, p | p r r ' ? 3 ~ n K etwa als „mit aller legislatorischen Vollmacht" aufzufassen oder aber ΠΚ als nota accusativi zu deuten und unter Berücksichtigung assyrischer und vor allem nabatäischer Parallelen ^ ρ Π mit „(gültiges) Rechtsdokument" zu übersetzen 282 . Als sicher ist dem Brief lediglich zu entnehmen, Esther habe diesen an die Juden gerichtet zu dem Zweck, „diesen Purimbrief verpflichtend zu machen". U m welchen es sich handelt, erfährt man nicht; doch ob der Brief Mordechais ( - auf den immerhin in V.26 ganz ähnlich mit ΓΤΊ3ΧΠ Ή 3 Τ ΠΚΤΠ Bezug genommen wird - ) oder der eigene Esthers gemeint ist, dürfte letztlich keinen Unterschied machen. Viel mehr, als daß dieser Brief - nicht anders als der des Mordechai - das Purimfest bei allen Juden zu allen Zeiten obligatorisch machen soll, erfährt man ohnedies nicht aus den V.29-32 2 8 3 . Mit der Konzentration auf dieses Thema liegt der Brief aber durchaus auf der Linie des aus 9,20ff. Bekannten, denn auch vorher hatte bereits die

282

283

Das Nabatäische kennt ebenfalls eine Wurzel '"pH: Das Adjektiv hat die Bedeutung „valable, légitime" (belegt ist auch die Verbindung ktb tqp), das Substantiv bedeutet „acte authentique, titre valide, disposition ferme" (DISO [333]). Als sachliche Parallele und Vorbild für das aramäische ρ|ρΓΙ wird gelegentlich das assyrische dannatu abgeführt. Vgl. dazu vor allem Loewenstamm, Genesis (118-120), der überdies eine sehr hypothetische Textrekonstruktion unternimmt. Auch Paul, Reflex (106-108), schließt sich Loewenstamm weitgehend an, unterläßt aber die textkritischen Operationen. Paul zeigt ferner auf, daß ^ p n und das folgende ΓΠ3Κ vielleicht als „variants of one another" (108) verstanden wurden, so daß sich auch das merkwürdige ¡TOttfn am Versende zwanglos als redaktioneller Klärungsversuch verstehen ließe. Der plur. von 1 3 T (Worte/Sachen) ist - dem Charakter des Abschnitts entsprechend — ein zusammenfassender Begriff, dem es - abgesehen von V.26 (Bezug auf den Brief Mordechais) - an Schärfe und Aussagekraft mangelt. Daher konnte man in ΉΠΤ ΠΜΟ •'Ótí finden, daß der Brief Esthers das Schreiben Mordechais durch freundliche Worte unterstützen soll, während Bardtke darin einen Teil des Briefpräskriptes gesehen hat (Est [400]). Das alles ist nicht sicher. Am Ende ist mit einer schriftgelehrten Anspielung auf Sach 8,19 rechnen: dort finden sich ebenfalls die im Kontext der Est-Stelle belegten Stichwörter D12£, ΓΙΠΟϋ, DOIÜ 0Ή170 (Est hat für diesen Ausdruck einerseits ]DT, andererseits 31Ü DT>) und abschließend 13ΠΝ D l S ö m ΠΟΝΓΠ! (vgl. so auch Berg, Esther [90], und vor allem Fishbane, Interpretation [503-505]. - Bezüglich der Präzision der Aussage steht es nicht anders mit OnpS7TT ΓΠ02Π das sicher auf Est 4,1.16 anspielen soll und aus Sach 8,19 beeinflußt sein kann (so schon Ibn Ezra; vgl. Loewenstamm, Genesis [123J. Warum aber 012 im plur. steht, wie die Konstruktusverbindung überhaupt syntaktisch in den Satz gehört und ob damit der Festordnung ein Fasten hinzugefügt werden soll (so z.B. Clines, Scroll [57]), ist nicht mit Sicherheit zu bestimmen.

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Esther - Theologie unter den Bedingungen der Diaspora

Frage des Gehorsams, die Esther nun so stark betont, eine zentrale Rolle gespielt. Nachdem wir also nun die Belege für das Verbum 3 Γ Ο in ihrem engeren Kontext betrachtet haben, ist es sinnvoll, das Gehorsamsthema, das eng mit dem Aussenden der Dokumente in 9,20ff. verschränkt ist, näher zu betrachten. Das Ziel soll sein, den Charakter dieser Verschränkung genauer zu verstehen, inwieweit also der Anspruch eines persischen Erlasses und der jüdischer Religionsgesetzgebung - denn damit haben wir es ja in 9,20ff. zu tun - ineinander gehen oder zu differenzieren sind. Diese Erwägungen führen - wie sich zeigen wird - recht schnell in den Problembereich der Entstehung des atl. Kanons. Zu den vorrangig von dem Buch gebrauchten Begriffen, die nicht nur das Handeln Mordechais und Esthers bezeichnen, sondern auch das von den Juden verlangte Verhalten gegenüber dem Erlaß des Mordechai ausdrücken, gehören neben dem schon erwähnten Verbum "Ώ17 (s.o. 7.2.3.) in 9,20ff. besonders die Verben Dip (pi.) und (pi·)· b n p (pi.), ein selten und nur in späten Schriften innerhalb des AT belegter Begriff (Hi 2,10 [2X]; Prv 19,20; Est 4,4; 9,23.27; Esr 8,30; I Chr 12,19; 21,11; II Chr 29,16.22; vgl. auch aramäisch Dan 2,6; 6,1; 7,18), meint im allgemeinen Sinne das „(An)nehmen, in Empfang nehmen" oder auch „Wählen" einer Sache. Man kann etwas in die Hand nehmen (gern von Priestern bezüglich kultischer Gegenstände gesagt: Esr 8,30; Π Chr 29,16.22; [Sir 50,12]; vgl. auch Est 4,4) und Personen in eine Gruppe aufnehmen (I Chr 12,19). Den Übergang in die Bedeutung zum „verpflichtenden Annehmen eines Dokumentes" wie in Est 9,23.27 könnte man in den Belegen sehen, die vom Annehmen göttlicher Weisung oder schicksalshafter Größen sprechen: der Weise soll ¡12X7 und ""1010 annehmen (Prv 19,20), wobei an dieser Stelle die Parallelität zu I7QE? (gehorchen) die Färbung von (pi.) ins gehorsame Annehmen belegt. begegnet des weiteren als ein Reagieren des Menschen auf von Gott erzeugte Entscheidungssituationen, wobei einmal zwei Möglichkeiten (Hi 2,10) zur Wahl stehen, das andere Mal nur eine aus dreien (I Chr 21,II) 284 . Obwohl aber diese zuletzt genannten Belege (vgl. auch I Chr 12,19) eine Entscheidungssituation im Hintergrund haben, legen sie das Gewicht doch auf das Akzeptieren des jeweils genannten Gegenstandes, das eine geradezu existentiale Dimension besitzt und über das Leben als

284

Prv 19,20 hat die Entscheidungssituation ebenfalls im Hintergrund, da in V.21 die η Ό ϋ Π Π m m der einen ΓΠΓΡ Π2ί57 gegenübergestellt werden.

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Ganzes entscheidet285. Dabei wird auf das Annehmen drängend insistiert, andererseits aber soll der so Bedrängte die Entscheidung bewußt treffen und so wirklich annehmen. Auf dem Hintergrund dieser Klärung des Begriffes b n p (pi.) ist nun das Vorkommen des Verbums Dip (pi.) in Est 9,20ff. näher zu betrachten. Außer in Est 9,21.27.29.31(3x). 32 ist der Intensivstamm von Dip, der allgemein als aramaisierende Bildung eingeschätzt wird286, lediglich in Ez 13,6; Ps 119,28.106; Ruth 4,7 belegt. Ps 119,28 dürfte für die Klärung der in Est bestimmenden Bedeutungsrichtung des Verbs ausfallen, da dort eher die Bedeutung „aufrichten, stärken" anzusetzen ist287. Die übrigen Belege stehen, dem Befund von wie Dip in Est entsprechend, in einem Zusammenhang, der juristische Züge aufweist288. Ausdrücklich ist dies in Ruth 4,7 der Fall: Es wird an einen alten israelitischen Rechtsbrauch erinnert, der bei Lösungspflicht und Tausch dazu diente, ""OT'pD D'pb, irgendeine Angelegenheit verpflichtend zu machen/zu bekräftigen289. Der genaue Zusammenhang des mit Dip (pi.) bezeichneten Vorgangs wird in Ez 13,6 noch plastischer: „Sie schauen Lüge und trügerische Wahrsagung, die sprechen: .Spruch JHWHs!', JHWH aber hat sie gar nicht geschickt, und so warten sie, daß er es bestätigt" (-Q-Í CPpb). Dip (pi.) meint also wie in Ruth 4,7 die Bestätigung, das feste Bekenntnis zu einer bereits erfolgten Setzung290. Dieser Setzung würde aber bei Ausbleiben der Bestätigung etwas Wesentliches fehlen, die Angelegenheit würde gar ganz dahinfallen. Der Vorgang bekräftigt dabei ein selbst gegebenes Versprechen oder auch die Zustimmung zu von anderen gemachten Feststellungen. Der den Vorgang Vollziehende macht dabei den in Rede stehenden Gegenstand für sich selbst authentisch und erkennt ihn öffentlich als Eigenes an. Den Fall der Zustimmung zu fremden Setzungen, die man zu seinen eigenen macht, findet sich auch in

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286 287 288 289

290

Reiterer, ^ p (1142), redet bei diesen Belegen von einer Wende vom „allgemeinen zum engagierten Annehmen, damit das Leben recht bewältigt werde". GK § 72 m; Wagner, Aramaismen (138); Jenni, Piel (36). So H A L ΠΙ (1016f.); Gesenius17 (708): „am Leben erhalten". Vgl. Gamberoni, Dip (1266). Die Bedeutung des pi. ist von der Sonderbedeutung des q. „gültig/beständig sein" (mit verschiedenen Subjekten vgl. Num 30,5ff.; I Sam 24,21; Jes 40,8; Jer 44,28f. u.ö.) abzuleiten; vgl. Jenni, Piel (36). Vgl. Jenni, Piel (36): „Es wird nicht ein Vorgang veranlaßt, sondern ein von jemandes Urteil abhängiger Zustand bewirkt." Die Übersetzung mit „anordnen" in Est (so Oettli, Est [252]), unterstellt dem Begriff einen rein autoritären Zug, den er in dieser Weise sicher nicht hat.

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Esther - Theologie unter den Bedingungen der Diaspora

Ps 119,106: der Beter hat die gerechten Ordnungen JHWHs zu halten „geschworen und bestätigta2'1. Auf dieser Linie liegen auch die Belege in Est 9. Das Purim-Fest ist demnach zunächst nichts anderes als Mordechais einsamer Beschluß, der aus sich selbst heraus nicht bestehen kann. Daher ist es notwendig, daß die Gemeinde eine Annahme oder Bestätigung des Ediktes vollzieht Est 9,27.3laß). bezeichnet jetzt aber auch die Einholung einer Bestätigung von anderen mit einer durchaus autoritären Färbung, so daß man von einer „Verpflichtung" reden kann (+·?Χ7; Est 9,21.27.31; vgl. ohne V.32), ohne daß man freilich wird vergessen dürfen, daß die Bestätigung durch die so Angesprochenen wesentlich dazugehört. Bereits das Schreiben Mordechais hat als Ziel die Verpflichtung der Juden auf das Fest (V.21), und der Brief Esthers scheint sich dieser Aufgabe vollends verschrieben zu haben (V.29.31.32). Wie bei b ^ p (pi.) ist auf Seiten der Adressaten das Moment des Auswählens und Verwerfens von Alternativen nachrangig; stattdessen ist das Moment der persönlichen Aneignung stark betont. Und auch der schon bei (pi.) beobachtete drängende und insistierende Ton fehlt bei Dip (pi.) nicht. So gesehen sind die Briefe der beiden Helden des Buches, obwohl sie doch kraft der Autorität des frisch erworbenen Amtes geschrieben sind, im eigentlichen Sinne keine Verfügungen mehr, sondern eher werbende Schreiben, die ihren Gegenstand nicht einfach anbefehlen, sondern um ihn noch ringen müssen und damit indirekt seine Fraglichkeit bestätigen.

2,1

Interessant, doch leider in einem recht zerstörten Kontext erhalten, ist ein aus dem 7. Jh. stammender aramäischer Beleg für den Intensivstamm von Dip in Kombination mit einer Grundstamm-Form von 3ΓΟ:... ipHp _2p i m p ΠΟ^ρΐ ΓΟΓΟ ΟΓΡ-Ρ ... (KAI I, Nr. 233,9), was zu übersetzen ist mit: „Ihre Hände haben es niedergeschrieben und vor mir bestätigt ... sie haben verleumdet" (KAI Π [283]). Die Besitzer der Hände sind „vier verdächtige Individuen" (KAI Π [287]), die von zwei Beamten festgenommen worden waren und diesen gegenüber offenbar „ein schriftliches Schuldeingeständnis" (KAI Π [285]) abgegeben haben. Auch dieser Beleg unterstreicht die juristische Verwendungsweise von Dip (pi.). Das Waw bei ΠΠ^ρΐ dürfte in diesem Fall konstatierend-folgernd oder aber mit einem finalen Sinn (vgl. Dan 5,2; Bauer/Leander, Grammatik [§70 d' S.265]) aufzufassen sein. Die Bestätigung geschähe dann dadurch, daß das Geständnis schriftlich niedergelegt wird. Anders beschreibt in Est Dip (pi.) sowohl die Aktion der Absender (Mordechai und Esther) als auch die Reaktion der Adressaten. Die Reaktion aber gewinnt - zumindest auf der Erzählebene - nicht Form in einem schriftlichen Dokument wie in KAI 233. Indem freilich der Erzähler von der Zustimmung der Juden berichtet, liegt dem Leser des Buches an seinem Ende das Einverständnis der Juden wie eine Unterschrift unter die Novelle vor (9,23.27f.31.32). - Zu weiteren aramäischen pi.Belegen von Dip in der Bedeutung „bestätigen" aus der rabbinischen Literatur vgl. auch Dalman, Jesus (54-56).

Vom rechten Gehorsam (Kap. 9)

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Diesen Eindruck macht 9,20ff. auch sonst. Beachtung verdient in diesem Zusammenhang V.26, dessen etwas holprige Formulierung man bereits als Indiz dafür werten möchte, welche Probleme der Autor an dieser Stelle hatte. Während V.26aß die Benennung des Festes auf alle Worte des Mordechai-Schreibens zurückführt, wird als weitere Informationsquelle in V.26b das angegeben, „was sie in dieser Beziehung gesehen hatten und was zu ihnen gelangt war"292. Damit ist dem Mordechai-Brief, also dem „Zeugnis der persönlich Beteiligten"293, noch - allgemein gesagt - „eigene Erfahrung und Vermitteltes"294 hinzugefügt. Die Wurzel Π Χ 1 (q.) muß dabei nicht bloßes Erleben meinen, da das Verbum in Est auch einen prüfenden, ja beurteilenden Nebenton hat (vgl. 3,4; 4,8 [hi.]). Die Nachricht, die an einen Ort gelangt (X733; hi.), ist in Est zweimal „der Befehl des Königs und sein Gesetz" (ΊΠΠ - | ^ Ο Γ Γ ~ α ΐ : 4,3; 8,17; vgl. auch 9,1). Ob freilich die allemeine Formulierung in V.26b darauf anspielen will, ist wohl möglich, aber nicht sicher. Ebenso gut könnte etwas in der Art der schon erwähnten „Gerüchte" gemeint sein, deren eigenständige und unkontrollierbare Macht der Rechtsgelehrte Memuchan so hoch veranschlagt (l,17f.). Die Brisanz der Aussage in V.26b liegt somit im Zulassen von anderen als den offiziellen schriftlichen Befehlen und Mitteilungen für die Beschlußfassung der Gemeinde295. Die Juden stimmen also nicht allein dem „Befehl" zur Feier durch Mordechai zu und setzen ihn so in Kraft, sondern sie haben auch eigene Erfahrungen, aufgrund derer sie den Erlaß des Mordechai unterstützen können296.

292

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296

Der Anschluß von V.26b an V.26a ist nicht ganz ohne Probleme (Siegfried, Est [173], spricht von einem „eingeschobenen Zwischensatz"), da das vorher so verschwenderisch benutzte jetzt fehlt (daher will es Oettli, Est [253], sogar ergänzen). Doch kann V.26b wohl kaum anders verstanden werden, als daß seine beiden Elemente parallel zu V.26aß stehen. Bardtke, Est (395). Meinhold, Est (92). Oettli, Est (253), meint, das „eigene Erleben dieser Ereignisse" sei „als Motiv der zweitägigen Purimfeier" hinzugesetzt. Zu Recht sieht Dommershausen, Estherrolle (127), in V.26aß (ab p _ t ?U).b eine Parenthese, in die „der Autor gleichsam die Legalisierung des leid- und freudvollen persönlichen Erlebens der Juden" hat „hineinpacken wollen". Eine vergleichbare Aussage dürfte auch in V.23 stecken: „Die Juden nahmen an, was sie angefangen hatten zu tun, und was Mordechai an sie geschrieben hatte". Die Bemerkung, die in der LXX-Tradition fehlt, ist aber nicht deutlich: Spielt sie auf das Bestehen eines „Purimfestes" an, das noch nichts mit dem in Est gebrachten Inhalt zu tun hatte? Oder bezieht sie sich auf die in 9,1-19 geschehenen Ereignisse, die sozusagen das erste Purimfest darstellen? Daß es um beides geht, glaubt Berg, Esther (82).

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Der Vehemenz nach zu urteilen, mit der der Autor des Est-Buches die Verpflichtung auf das Feiern des Festes betreibt, zeigt, daß ihm das Purimfest keine Marginalie war. Das Fest ist (vergleichbar dem Rat JHWHs; Prv 19,20) eine lebensentscheidende Sache, da es die Diasporajuden in eine paradigmatisch vorgeführte Lebensstrategie für die Diaspora einüben soll. Zu der juridischen Komponente, die das Erlaßverfahren in Est hat297, ist also noch ein persönlicherer Begriff des Akzeptierens hinzuzunehmen, wie er sich aus der Analyse von S o p (pi.) und Dip (pi.) ergibt und die Darstellung in Est 9 bestimmt. Das Moment des wählenden Ergreifens einer Möglichkeit, das sich nach dem Dargestellten besonders mit dem Verbum b ^ p verbinden kann, ist der Sache nach auch sonst im Buch Est anzutreffen: in dem wichtigen Kap. 4 wird Esther vor eine Entscheidung gestellt und muß aus zwei Möglichkeiten auswählen. Damit gibt das Buch der Entscheidungsproblematik mit Kap. 4 einen bedeutsamen Raum und Rahmen. Mit dem Motiv des fröhlichen Wechsels und Tausches von Kummer zu Freude (V.22; ni.!) wird dann im Zusammenhang der Puriminstallation betont, daß der Weg Mordechais und Esthers sich als der richtige erwiesen hat und das Ruder der verloren geglaubten Geschichte noch einmal herumgerissen werden konnte. An dieser Stelle ist auf die Thesen Gerlemans zurückzukommen. Er hatte, wenn auch ohne den eben aufgezeigten Zusammenhang dafür heran-

2,7

Unsere Auffassung von 9,20ff. zeigt sich bereits in der rabbinische Exegese, die in dem Text geradezu eine Art „Schuldiskussion" gefunden hat. Vgl. yMeg 70d,39-45. „Was taten Mordechai und Esther? Sie schrieben einen Brief und sandten ihn an unsere Lehrer [!]; denn so sagten sie: nehmet auf euch diese beiden Tage in jedem Jahre, da antworteten diese: genügen uns denn nicht die Leiden, die über uns gekommen sind und ihr wollt uns noch die Leiden Hamans hinzufügen [ O ' Ò y ""pDVÒ]? Nachher schrieben sie (Mordechai und Esther) einen zweiten Brief, wie es geschrieben steht (Esther IX,29), dass man diesen zweiten Purimbrief als Ordnung feststelle. Was stand darin geschrieben? Wenn ihr davor fürchtet, so ist dies schon beschrieben und enthalten in den Archiven. Steht es denn nicht geschrieben in dem Buche der Zeitgeschichte der Könige Mediens und Persiens?" (Übersetzung nach Jampel, Esther [419]). - Die Abfolge der beiden Briefe in 9,20ff. wird als Diskussionsfortschritt interpretiert. Die zunächst ablehnende Haltung beruht offenbar auf der Angst der „Lehrer", ein Fest, das den Sieg über die Heiden feiere, könne den Zorn der Umwelt erregen. Der zweite Brief will diese Bedenken durch den Hinweis zerstreuen, daß die Angelegenheit Bestandteil der persischen Annalen und damit staatlicherseits längst akzeptiert sei. Der Eindruck administrativ-juristischer Sprache wird auch durch abbreviatorische Ausdrucksweise erzeugt: (pi.) steht jetzt ohne Objekt und ist offensichtlich für sich allein genommmen bereits mit „als Anordnung annehmen" zu übersetzen (Reiterer, S a p [1142]).

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zuziehen, die These geäußert, das Buch Est und das Purimfest richteten sich kritisch gegen das Passahfest. Das Buch wolle das Passah durch ein besser in die Situation der Diaspora-Juden passendes Fest ablösen298. Sollte also mit der Entscheidung für das Purimfest im Sinne der Novelle eine Entscheidung gegen das Passahfest verbunden sein? Zunächst ist festzustellen, daß in dem Schlußabschnitt 9,20ff., in welchem dieses Thema einen guten Ort hätte finden können, davon nichts zu lesen ist. Vielmehr scheinen für den Autor entsprechend 3,8 und dem Charakter des Buches im ganzen die überkommenen „Gesetze" zum selbstverständlichen und unhinterfragbaren Bestand des Diaspora-Judentums zu zählen. Von daher könnte für ihn eine ausdrückliche Konfrontation mit der Thora nicht in Frage gekommen sein. Die Esthernovelle dürfte überdies in einer fortgerückten Phase des atl. Kanonisierungsprozesses entstanden sein, so daß eine solche Konfrontation wohl auch kaum Aussicht auf Erfolg haben konnte. Die Verpflichtung auf das Purimfest führte aber doch vielleicht insofern zum Konfliktfall mit der Thora, als diese das Purimfest nicht erwähnt und sich Mordechai und Esther so des Vergebens schuldig machen, das die Textsicherungsformel in ihrer Ausprägung als Kanonformel (vgl. Exkurs Π.5) verbietet: Sie fügten in gewisser Weise dem ΜΓΙΚ ΓΠ2ΪΏ Ό 3 Κ "1IÖK etwas hinzu (vgl. Dtn 4,2; 13,1). Sie griffen dabei selbstverständlich nicht durch Hinzusetzen in den Text der Thora ein, vermehrten diese aber doch der Sache nach 2 " und ließen die neu gemachte Erfahrung der Juden, die

Est (27): „Zu erwägen wäre, ob hinter dem absichtlichen Bezug auf die Exoduserzählung ein bewußter Versuch steckt, Purim anstelle des alten Passah als zentrale kultische Feier der persischen Diaspora treten zu lassen"; zu Gerleman vgl. bereits oben 7.1. 2 " Das Empfinden, daß mit der Estherrolle der Anspruch auf Ausweitung eines kanonischen Bestandes verbunden ist, artikuliert sich bereits in der rabbinischen Literatur scharf; vgl. die Belege bei Strack/Billerbeck, Mt (601). Besonders instruktiv ist yMeg 70d,46ff.: „85 Älteste, und von ihnen 30 und etliche Propheten, kränkten sich über diese Sache: sie sagten: es stehe geschrieben, diese sind die Gebote usw. (Lev. 27,31), diese sind die Gebote, die uns anbefohlen sind, von Mose. So hat uns Moses gesagt: es darf kein anderer Prophet euch von jetzt an etwas Neues hinzufügen (Ε?~ΙΠ), Mordechai und Esther aber wollen uns ja Neues hinzutun ("üb ttfirÒ •"'ÜpDD "ΊΠΟΧΊ Ό~ΠΟΤ 1 3 1 ) . " Der Text berichtet weiter, daß nach intensiver Verhandlung der Sache durch eine Erleuchtung Gottes folgende Lösung gefunden wurde: In Ex 17,14 (ΠΚΤ 3 Γ Ο " 1 2 0 3 ·ρ~ΟΤ) wird die Dreiteilung des hebräischen Kanons entdeckt, wobei die Verbindung zu den Ketubim über Est 9,32 läuft ("1D03 Γ0331; der rabbinische Text mit Übersetzung und Paralleltexten bei Jampel, Esther [418-420]; in bMeg 7a allerdings wird Est die Kanonizität abgesprochen und Ex 17,14 anders gedeutet; s. ders., a.a.O. 2,8

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gleichwohl mit ihrer Verwurzelung hauptsächlich in der Josephsnovelle und der Exodustradition auf dem Boden von Thora-Uberlieferung stand, in einem jeden Jahr sichtbar inszenieren. Aus diesem Grunde scheint es uns plausibel zu sein, für das Estherbuch eine Spannung zwischen (1.) dem traditionsinnovatorischen Versuch der Neuinstallation eines Festes im Kirchenjahr und (2.) dem stillgestellten Charakter des bereits in Form eines Kanons (welchen Umfanges auch immer, doch auf jeden Fall unter Einschluß der Thora) vorliegenden Erinnerungsschatzes anzunehmen. Das Problem des Est-Buches in seinem 9. Kapitel ist das - von uns auch schon z.B. bei der Untersuchung von II Chr 30 intensiv beobachtete - Problem des Sich-Verhaltens der Nachgeborenen zu einem überlieferten, im Fall der (Diaspora)Juden der anbrechenden Griechenzeit sogar schriftlich fixierten Bestandes an Texten, die mit dem Anspruch an ihre Leser herangebracht werden, ihnen ein Selbstbild liefern zu können, ihnen Geschichte zu geben, ihnen durch anbefohlene Feste als Freudenund Sinngipfel die Zeit zu sortieren u.a.m. Der Autor von Est nun und mit ihm diejenigen Kreise der östlichen Diaspora, die sich die Dinge ähnlich wie er zurechtlegten, fanden sich selbst wohl nur bedingt in den heiligen Schriften wieder. So z.B. erwies sich das in den Texten so weit verbreitete Modell des Exodus offenbar als unbrauchbar und unpassend für die eigene Situation300. Gleichzeitig aber konnte die Ausgangslage in Ägypten, nämlich die Bedrückung durch ein Fremdvolk, nicht nur nachvollzogen, sondern sogar ins Extreme ausgezogen am eigenen Leibe erlebt werden. Die Lösung des Problems lieh man sich nicht aus der Exoduserzählung, sondern aus der auch sonst als Vorbild dienenden Josephsnovelle, die Est einen Grundgedanken an die Hand gab, den man mit Jer so formulieren kann: Τ ^ Π DlSlÖTlX "ΙΕ?~Π (29,7). Gleichzeitig aber wollte man die eigene Art und das spezifische Profil nicht verleugnen müs-

300

[513]). Das Buch Est muß daher Bestandteil des Kanons sein. Darüber hinaus hat Jampel vermutet, daß die Rabbinen aus Ex 17,14 das grundsätzliche Anrecht ableiteten, „jedes Freudenereignis zur dauernden Erinnerung für die Zukunft niederzuschreiben" (a.a.O. [425J; dafür aber scheinen uns deutliche Hinweise zu fehlen. Die Hinzufügung des Gebotes, die Estherrolle zu lesen, wird in bMeg 14ba durch eine Parallelisierung mit dem Passahfest legitimiert: „Wenn wir schon aus der Knechtschaft zur Freiheit [gelangt,] einen Hymnus sprechen, aus dem Tod zum Leben - nicht ebenso?" (zit. nach Börner-Klein, Auslegung [48]). Gerleman, Est (28): „Die Botschaft des Exodus von einer Befreiung aus dem .Sklavenhaus' wäre in diesen Verhältnissen als aktuelles Heilsversprechen kaum recht begreiflich"; zu Gerlemans Schluß aus dieser Beobachtung vgl. Anm. 298.

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sen301. Aus dieser Situation heraus entwickelt sich das Purimfest als „diaspora equivalent to Passover" 302 . So betrachtet darf das Buch Est wie insbesondere das Purimfest als durchaus „kanonische" Lösung des durch die Lebensumstände gestellten Problems gelten. Nicht also nur in vielen kleinen textlichen Einzelheiten und musivischen Anspielungen nimmt das Buch das Vorgegebene auf (vgl. dazu die „Hinführung"), sondern auch die Gesamtaussage des Buches konnte als legitime Konstruktion aus den heiligen Schriften interpretiert werden. Die Legitimität der Konstruktion basierte dabei auf einer Hermeneutik, die aufgrund der Idee des Kanons die prinzipielle Austauschbarkeit einzelner Elemente durchaus verschiedener Textzusammenhänge postulierte. Aufgrund dieser Einsicht relativiert sich die von Gerleman angenommene Konflikthaltung des Buches gegenüber der Exoduserzählung, denn unter den Bedingungen dieses (im Entstehen befindlichen) Kanonbegriffs konnte eine Dissonanz zwischen eigener Lebenswirklichkeit und überkommenem Gut vielleicht von ihren Verfechtern wahrgenommen, sicher aber nicht zu einer bewußten und offenen Auseinandersetzung geführt werden. Die zum eigenen Lebensumfeld querstehenden Aussagen des Kanons wurden nicht bestritten oder gar beseitigt, wohl aber wurden statt ihrer adäquatere Aussagen desselben Kanons herangezogen und so das Sperrige ignoriert, auf ein Abstellgleis rangiert303. Faktisch aber kam dies einer „kalten Exkanonisierung" gleich304. Diesem Vorgang nähert sich der Autor sprachlich nach

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Dabei hat man allerdings weitgehende Zugeständnisse gemacht, die - wie die ZusEst und das thematisch ähnlich gelagerte Dan zeigen - von manchen als der Korrektur bedürfend empfunden wurden. Berg, Esther (315). Dort auch: „Purim anticipates Passover and parallels the formulative heilsgeschichtliche event". Dies wird besonders durch das analog gebildete Datum bewirkt (vgl. oben 7.1.). Daß Gesetzestexte faktisch, nicht aber erklärtermaßen außer Wirkung geraten, könnte man für ein Anzeichen nicht-reflektierten, ja vorkritischen Umgangs mit Texten halten. Doch das ist falsch: Eine im Jahre 1956 unternommene Durchsicht des bayrischen Landesrechts ergab, daß von den seit 1802 erlassenen Vorschriften 19000 ungültig geworden waren, tatsächlich aber nur 2000 bis 3000 ausdrücklich aufgehoben worden sind (nach Krause, Dauer [247]). Wichtige Gesetzestexte aber fordern spätere Gesetzgeber auf, ihr Handeln explizit zu machen : „Das Grundgesetz kann nur durch ein Gesetz geändert werden, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt" (Grundgesetz Art. 79, Absatz 1). Einen in mancher Hinsicht ähnlich gelagerten Vorgang stellt Fishbane, Interpretation (98f.+ 104f.), dar: N u m 27,1-11 wird die Bitte der Töchter Zelofhads auf Erbnachfolge durch eine Orakelanfrage positiv entschieden. Diese Rechtsregelung wird nun in N u m 36,Iff. durch eine weitere Regelung, die sich vorderhand als Spezifizierung ausgibt, auf-

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den oben 7.2.3. gemachten Beobachtungen durch die gegenseitige Interpretation von 3 1 0 (hi.) und 13X7 (q./hi.) 305 . Schon länger nun ist die Vermutung geäußert worden, das Buch Est würde zu seiner Hermeneutik der heiligen Schriften eine recht deutliche Aussage machen. In Frage kommt hierfür der von uns oben schon hinlänglich debattierte Abschnitt 8,5ff. (insbesondere V.8). Bardtke äußerte dazu, daß an diesem Motiv nichts Märchenhaftes sei: „Den Zwang der Gesetze ge-

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gehoben, da durch das Gebot zur Heirat der Töchter in der Sippe die Erbfolge wie im Falle völliger Kinderlosigkeit geregelt wird, „...the ruling in favour of female inheritance provided by the first adjudication (Num. 27:8) is functionally subverted by the responsum in Num. 36:6-9 - even though its specific provisions remain valid (27:9-10)". Num 27 „remains in force", ist aber „operationally transformed by the new decision of Num. 36:6-9 as to be of little if any practical significance." (a.a.O. [105]). Es handelt sich hier also auch um eine faktische Abrogation, über deren juristische oder theologische Begründbarkeit ihr Autor dem Leser - sicher wohlweislich - nichts mitteilt. Über einen anderen Fall von Gesetzesabrogation vgl. Donner, Abrogationsfall (passim); dazu kritisch Lau, Prophetie (268-271); (Donner gibt auch eine kurze Beschreibung der koranisch-muslimischen Sicht von Gesetzesabrogation unter den Bedingungen kanonischer Geltung). Die beiden von Dpnner herausgestellten Bedingungen für eine Abrogation, nämlich daß allein Gott selbst seinen eigenen Willen abrogieren kann und der abrogierte Text nicht zitiert, auf ihn aber angespielt wird (a.a.O. [92]), lassen sich auf das Verhältnis von Purim zum Passah in Est nur bedingt übertragen: Die Einsetzung des Purim geschieht ganz ohne göttliche Mitwirkung, das „abrogierte" Fest wird mit keinem Wort erwähnt, wohl aber wird auf es angespielt, indem die Exodus-PassahTradition in der ganzen Novelle durchschimmert und besonders das Datum des Festes eine Parallelität impliziert. Die Form der Abrogation mit Hilfe der „klassischen prophetischen Wortoffenbarung" (a.a.O. [95]), die auch in Num 36 zum Zuge kommt (mrp " Î r b y b m f c r ·03"ηκ niön Ί2Π; V.5), ist nicht nur wegen der eigentümlichen impliziten Theologie in Est, sondern sicher auch wegen des weitgehend verfestigten Kanonbestandes und der damit zusammenhängenden Theorie vom Erlöschen der Prophetie für Est kein gangbarer Weg mehr gewesen. Für diesen positiven Entwurf, die von Est propagierte Lösung des Problems, meint man ein negatives Gegenbeispiel finden zu können, das - wie kann es anders sein dem Leser durch Haman dargeboten wird. Der Agagiter beschreibt den Konflikt zwischen Juden und persischem Staat als Loyalitätskonflikt aufgrund der jüdischen Autonomie: crtoy W K -|bnn "ΤΓΠΊΚΙ DST^DD maß o m n - n (3,8). Bezeichnenderweise geht Haman nicht gegen das seiner Meinung nach für den persischen Staat inakzeptable Gesetz der Juden vor, sondern gegen seine Leser und Befolger, und trifft damit das Gesetz nur indirekt. Die Beseitigung des (dauerhaften) jüdischen Gesetzes (3,8 im plur.!) soll auf dem beschriebenen Umweg durch den nur für kurze Zeit relevanten PogromErlaß (ΓΠ; 3,14.15 im sing.!) geschehen. Esther und Mordechai dagegen streben zunächst allein die Aufhebung des Gesetzes Hamans an, und erst als dies scheitert, wird der Kampf zwischen altem und neuem Gesetz mit dem Schwert ausgetragen. Selbst dann aber ist das neue Gesetz an das alte - wie in 7.2.2. gezeigt - literarisch streng zurückgebunden. Mordechais Verfahren arbeitet - trotz des Gegenpogroms - den Konflikt viel subtiler als Konfrontation von Texten heraus.

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spürt zu haben gegen alles persönliche Empfinden, ist ein oft in der Weltgeschichte erlebtes und in der Weltliteratur geschildertes Ereignis"306. Anmerkungsweise vermutet Bardtke sodann, daß wohl absichtsvoll die Unumkehrbarkeit der Gesetze nicht kritisiert werde; denn „das nachesranische Judentum mußte für die Starrheit und Unwandelbarkeit eines Gesetzes größtes Verständnis haben, auch wenn das Gesetz gegenüber der Umwelt isolieren konnte ...". Im Unterschied zur persischen Rechtsordnung beruhten die jüdischen Gesetze allerdings auf einer göttlichen Offenbarung307. Bardtke erklärt also die Unaufhebbarkeit der Gesetze gewissermaßen als kulturelle Universalie und streicht in diesem Rahmen die Ähnlichkeit zwischen dem vermeintlich persischen Gesetz und der jüdischen Gesetzesreflexion heraus. Ausgehend von der Prämisse, daß die bloß addierende und nicht ausgleichende Komposition des Pentateuch innerjüdisch nicht zu erklären sei, hat auch Crüsemann die Unaufhebbarkeitsvorstellung einer Deutung unterzogen308. Für Israel habe es nahegelegen, das Handeln J H W H s analog dem Handeln der Großkönige durch die „Reichsautorisation" zu sehen. Älteres Recht, soweit es schriftlich vorlag, sei nicht rückgängig zu machen gewesen, woraus das Nebeneinanderstellen einander eigentlich widersprechender Texte resultiert sei. Das daraus erwachsene Problem der zahlreichen innerkanonischen Widersprüche sei an die Ausleger weitergereicht worden, das Prinzip des Umfassens von sich gegenseitig Ausschließendem durch fortwährendes Hinzufügen wäre dann also ein aus dem persischen Rechtswesen herrührendes Merkmal der Thora-Kompilation. Diese Eigentümlichkeit sorge aber dafür, daß die Thora „immer wieder verschiedenste Situationen und Herausforderungen erschließt und deuten hilft"309. Wie wir in 7.2.3. sahen, ist die textliche Grundlage und die Möglichkeit der historischen Verifikation der Unaufhebbarkeitsvorstellung nicht so stark, als daß man die Unaufhebbarkeit der persischen Gesetze für ein sicheres Faktum halten sollte, auf das weitere Theorien solide aufgerichtet werden könnten. In dieser Gefahr freilich steht Crüsemann, wenn er an-

306 307 308 309

Est (368). A.a.O. (368, Anm. 3). Vgl. zum Folgenden Ders., Tora (404-407). Auf der These der „Reichsautorisation" aufbauend hat auch Blum, Studien (bes. 358), die diskontinuierliche Fügung ohne eingreifende Transformationen der nicht selten ,widerständigen' vorgegebenen Uberlieferung" zu erklären unternommen und aufgrund der Reichsautorisation „eine Art .Zwang' zur Konsensbildung" bei den Redaktoren der Überlieferung vermutet.

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nimmt, mit der Reichsautorisation sei auch die Unaufhebbarkeitsvorstellung auf das Judentum übergegangen. Auch seine Argumentation, die Entstehung eines Wortlaut sichernden, Différentes nebeneinander stellenden Textumgangs sei anders als durch die Übernahme dieses persischen Rechtsgrundsatzes gar nicht zu verstehen310, will etwa im Hinblick auf die in Exkurs II.5 gemachten Ausführungen zur Kanonformel (besonders im Dtn) nicht recht einleuchten. Die mäßige Handhabbarkeit und staatsrechtliche Undurchschaubarkeit des in Kap. 8 geschilderten Verfahrens, ferner die genauere Untersuchung der Beziehungen zwischen Est und Dan (l-)6311 raten es u.E. an, die „Unaufhebbarkeit der Gesetze" für ein Element der jüdischen Kanonreflexion zu halten. Dann hätte der Novellist die persische Wirklichkeit mit Anleihen aus dem jüdischen Kulturbereich ausstaffiert und so für seine Leserschaft an-, wenn nicht erregend gemacht. So entsteht etwa das folgende Bild: Bereits das merkwürdige Nebeneinander der legislativen Kompetenzen von König und hohen Beamten könnte als Nebeneinander verschiedener Ausleger verstanden werden: Wird der eine der Sache nicht Herr, erproben andere ihr exegetisches Geschick312.

310 311 312

Tora (405). Zur Problematik des Verfahrens vgl. oben 7.2.2.; zum Vergleich Est-Dan vgl. 7.2.3. Die legislative Kompetenz nimmt der König in Est durchaus nicht allein wahr. Gesetze entstehen auch auf Vorschlag eines gelehrten Kollegiums (vgl. schon Kap. 1!). - Nebenbei scheint sich mit dem Gedanken des exegetischen Beraters, der die Fähigkeiten des „Königs" weit überragt (dies gilt nicht nur für Mordechai, sondern auch für die Fachleute aus Kap. 1 und im Grunde sogar für Haman), der Gedanke auszudrücken, daß die Auslegung der autoritativen Texte mindestens die Angelegenheit einer „oligarchischen Elite" sein sollte, und der Primat eines Einzelnen der Sache nicht gerecht zu werden vermag ( - bereits in Π Chr 30 meinten wir einen modellhaften Entwurf für die Beteiligung vieler an der Auslegung von Texten zu finden (vgl. 5.2.2.); vgl. weiter auch Neh 8,1-8, bes. V.4.7f., und dazu Fishbane, Interpretation [108f.]: Für die Aktionen in Neh 8,8 ist es kaum zweifelhaft, „that they express developed and well-known exegetical procedures"). Für die persische Wirklichkeit läßt sich in der Tat aufweisen, daß der König „had to seek the counsel of the representatives of the seven leading noble clans who played a major role in the legal life of the country. In particulary important cases the king assembled a counsel which consisted of representatives of the nobility" (so Dandamaev/Lukonin, Institutions [117]). Aber auf die edle Abkunft der Berater des Königs rekurriert Est - bewußt oder vielleicht doch nur unbewußt? - nicht. Er ersetzt die alteingessenen Familienhäupter durch ein Spezialistentum, da sich vorrangig durch sein Wissen legitimiert (sie heißen daher ΕΡΠίΠ 1 Γ Τ 1 0"Ό3Π [Text?] oder Π Ι •ρΎΙ vgl. 1,13). Hatte das historisch belegte Verfahren noch die Aufgabe, die traditionellen Führer an der Machtausübung des Potentaten zu beteiligen und so seiner Regierung Rückhalt zu verschaffen, dient das Modell der Esthernovelle dem Idealbild einer

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Entsprechend dem beharrlichen Charakter der Gesetzessammlung bleiben die einmal kanonisierten Texte stehen, auch wenn sich später deren Untiichtigkeit erweist. Als Lösung bietet sich in einem solchen Fall die Suche nach einem Ausweichparagraphen an. Dies freilich macht schon bezüglich des Haman-Erlasses wenig Sinn. Beim Passah, dem eingebürgerten „Hauptfest der nachexilischen Gemeinde"313, und der damit zusammenhängenden Exodustradition dürfte dies weder sachlich möglich noch überhaupt durchsetzbar gewesen sein. So wird die Möglichkeit des Hinzufügens (als ultima ratio?) in einer drastisch ausgemalten Situation angewendet, um einen neutralisierenden Effekt zu erzeugen. Diese Hinzufügung freilich könnte auch als Konstruktion eines Ausweichparagraphens aufgrund von traditionellem Material verstanden werden: Auf seiner Suche nach einem „lifestyle" weicht das Buch vom Exodusmodell ab und auf das Verhalten des Joseph in Ägypten aus. Das neugewonnene Handlungsmodell wird allerdings in einer Neusetzung, dem Purimfest, schriftlos und rituell vermittelt „festgeschrieben"314. Gleich der Behandlung des Exodus-Motivs in Est erfährt auch der Haman-Erlaß konsequent nicht eine wirkliche Widerlegung und Außerkraftsetzung, sondern er verschwindet einfach in der Geschichte und verliert seine Relevanz. Von ihm läßt sich niemand mehr betreffen, und als Folge muß die Widersprüchlichkeit zwischen beiden Erlassen nicht mehr ausgekämpft werden.315 Das Hinzugefügte ist also recht verstanden nichts Neues, sondern das vom Gesetzgeber eigentlich Gewollte. Diese Kritik und der daraus folgende Versuch, das scheinbar Unabänderliche zu verändern, hängt im Kontext des persischen Reiches mit dem Minoritätenstatus des Diasporajudentums zusammen. Eine Gruppe, die Repressalien und Willkür ihrer Umwelt ausgesetzt ist, kann an der grenzenlosen Fixierung der Verhältnisse kein Interesse haben. Im Kontext des Judentums ist die sich in Est artikulierende Diasporagemeinde ebenfalls nicht in-

313 314

315

sachlich orientierten Beschlußfassung mit dem Ziel, das bestmöglichte Gesetz zu finden. Auch hier also scheinen sich im persischen Gewände jüdische Verhältnisse zu spiegeln. Preuß, Theologie Π (247). Der griechische Übersetzer oder Bearbeiter des hebräischen Estherbuches hat dies auf seine Art beschrieben: και Εσθηρ λόγφ Ιστησεν εις τον αιώνα, και έγράφη εις μνημόσυνον - „und Esther richtete es dauerhaft durch einen Erlaß ein und es wurde zum Gedächtnis aufgeschrieben" (9,31). Die von uns vermutete Parallelität zwischen Exoduserzählung und Haman-Erlaß darf nicht so verstanden werden, daß die eindeutig negative Sicht des Hamanschen Machwerks auf die Exodus-Passah-Tradition übertragen werden sollte. Der Vergleich liegt zunächst in dem Verlust von Relevanz eines autoritativen Textes.

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teressiert an der grenzenlosen Gültigkeit von theologischen Modellen, die auf den Auszug aus dem fremden Land und die Gabe eines - wenn auch verheißenen - Landes ausgerichtet sind. Repressalien und der angefochtene gesellschaftliche Status einerseits, der völlige Rahmenwechsel gegenüber dem palästinischen Judentum andererseits müssen zu einem Verhalten führen, das wesentlich auf Bewegung und Veränderung ausgerichtet ist. Dieses Verständnis von Est 8/9 kann vertieft und erhärtet werden durch einen Blick auf die Konfrontationen zwischen Gesetzen, die das Buch schon in Kap. 1 und 3 dem Leser geboten hatte. Daß der erste Fall bereits in Kap. 1, der Exposition der Novelle, begegnet, unterstreicht bereits die Wichtigkeit dieses Motivs für das Folgende: Dort kommt es, wie oben in 7.2.1. bereits aufgezeigt, zu einer Konfrontation zwischen dem

131

r o S n n (1,17.18) und dem Γ ΐ Ο ^ Ο - Π Ί (1,19). In beiden Fällen handelt es sich um einen " 1 3 1 , der als Subjekt dem Verbum

(q.) zugeordnet

wird316. Der r D ^ B m a n könnte zwar schlicht als „die Sache mit der Königin" (Genetivus epexegeticus) übersetzt werden, doch ist der Nebenton eines Gesetzeserlasses durch die Parallelität zu V.19aa ganz deutlich vorhanden. Das sich unter der Hand verbreitende Beispiel königlichen Ungehorsams scheint so etwas wie Gesetzesrang zu haben, was ja auch der Wirkkraft entspricht, die Memuchan dem r o b o i l

131 zuspricht (V.18).

Um uns der Art der Auseinandersetzung, in der die beiden „Gesetze" stehen, zu nähern, erörtern wir mehrere typische Konfliktsituationen, in die Gesetze untereinander geraten können. Diese Fälle erwachsen nicht aus der Exegese des Buches Est, sondern sollen zu ihr hinführen und dienen daher allein heuristischen Zwecken: a) Ein neues Gesetz löst ein altes ab: Dieser Fall, der recht gut auf die Konfrontation zwischen Haman- und Mordechai-Erlaß anwendbar ist, will hier nicht passen. V.18.20b.22b interpretiert den r o b o r r " 1 3 1 als Versuch, das herkömmliche Familien- und Gesellschaftsgefüge zugunsten der Frauen, speziell der m i t » (V.18), zu verändern. Der ÍTOSq 137 will also die alte Ordnung wiederherstellen und ihre Fortdauer bekräftigen. Diese alte Ordnung muß man sich als das selbstverständliche Wert- und Herrschaftsgefüge der Gesellschaft (Patriarchat) vorstellen, das explizit und schriftlich artikuliert kaum existiert haben wird. Der "piDD 1 3 1 muß also aufrund einer Infragestellung des Uberlieferten und Unhinterfragten ein ungeschriebenes Gesetz explizit ma-

316

K2P (q.) + 1 3 1 sonst in Est noch in 7,8. Dort geht es um eine momentane mündliche Äußerung. - Sonst bezeichnet K S 1 das Ausziehen von Boten (4,6 wie in 1,17 in eher inoffizieller Mission; 3,15; 8,14 geschieht das Ausziehen "[SdH 1 3 1 3 , ist dort also mit 1,17.19 durchaus zu vergleichen).

Vom rechten Gehorsam (Kap. 9)

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chen, d.h. niederschreiben. Der klassische Fall, von dem wir oben ausgingen, ist hier also umgedreht: Jetzt soll ein altes Gesetz ein neues beseitigen. b) Ein authentisches Gesetzesexemplar soll gegen nicht-authentische Exemplare geschützt werden: Ist die Vervielfältigung von Texten ausschließlich über den Weg der Abschrift möglich, treten notwendig Fehlerquellen auf, die für das Funktionieren eines Gesetzessystems, das auf Schrift gestellt ist, nicht akzeptabel sind. Durch einen staatlich organisierten Apparat von Kopisten, die Hinterlegung eines authentischen und daher maßgeblichen Originals in einem Archiv und andere geeignete Mittel kann die fahrlässige oder mutwillige Korrumpierung von Texten erkannt und beseitigt werden317. Auch dies ist so für Est 1 nicht zutreffend. Freilich ist auffällig, daß der • ~ m den Vasthi-2wischenfall nicht leugnet, sondern allein dessen Interpretation durch die Frauen verhindern will. Das memuchansche Gesetz erklärt, daß der Vasthi-Vorfall - entgegen V.16 - nicht zum Präzedenzfall werden soll, vielmehr die Königin ihr Urteil nehmen muß (V.19b) und die Männer weiterhin in ihrem Haushalt das Sagen haben sollen (V.22b). Das königliche Gesetz gibt sich also als authentische Auslegung des Vasthi-Eklats, die die nicht-authentische, unautorisierte und subversive Auslegung durch die Frauen verhindern und unterdrücken möchte. Die Frage nach der Authentizität wäre demnach nicht im Bereich der Textpflege, sondern in dem der Sinnpflege angesiedelt. Der Staat dokumentiert sein Monopol auf die Deutung historischer Vorgänge wie den Ungehorsam der Vasthi. c) Staatlich gesetztes Recht setzt sich gegen überkommenes Gewohnheitsrecht durch: Die spätantike und mittelalterliche Rechtswissenschaft trifft eine Unterscheidung zwischen lex und consuetude. Besonders in den Nachfolgestaaten des römischen Reiches wurde so das überkommene Gewohnheitsrecht der Stämme, das zumeist mündlich tradiert wurde, von den schriftlich vorliegenden Rechtskorpora der in römischer Tradition stehenden Reiche getrennt318. Dieses Modell läßt sich ebenfalls nicht ohne Weiteres auf Est 1 beziehen. Zwischen lex und consuetude besteht keineswegs zwingend eine Frontstellung; diese ergibt sich erst dann, wenn der Staat seine lex zuungunsten der consuetude als alleinige Grundlage der Rechtsprechung einsetzen will31'. In Est 1 aber geht es, wie unter a) gezeigt, um den Schutz der offenkundig ungeschriebenen

317 318

Vgl. dazu auch Exkurs Π.5 zur „Textsicherungsformel". Die klassischen Defintionen gehen auf Isidor von Sevilla zurück: „Lex est constitutio scripta. Mos est vetustate probata consuetudo, sive lex non scripta. Nam lex a legendo vocata, quia scripta est", und: „Consuetudo autem est ius quoddam moribus institutum, quod pro lege suscipitur, cum deficit lex" (zit. nach Kroeschell, Rechtsaufzeichnung [365]; und Nehlsen, Aktualität [456]). Doch ist, wie Nehlsen, Aktualität (455-483), gezeigt hat, die exklusive Identifikation von lex mit schriftlichen Dokumenten nicht in jedem Falle zutreffend. - Das Gewohnheitsrecht enthält den Rechtszustand, „wie er immer war", „ist im Grunde nicht Gegenstand rationaler Schöpfung", und somit „das schlechthin dauernde". Daher ist es wohl zur Besserung fähig, aber ist - anders als die rationale Rechtssetzung, das ,neue Gesetz' - als Ganzes nicht aufhebbar (Krause, Dauer

[228]). 319

Nehlsen, Aktualität (483ff.), hat diesen Versuch am Beispiel der Westgoten dargestellt.

278

Esther - Theologie unter den Bedingungen der Diaspora Fundamente der Gesellschaftsordnung, um die pointierte Sicherstellung eines Zustands, der nicht mehr selbstverständlich ist. Die Schriftlichkeit des Gesetzes sorgt dann vor allem dafür, daß der Wille des Königs authentisch in jeden Winkel des Reiches gelangen kann (V.20aa.22aa), in dem Männer vom drohenden Aufstand der Frauen betroffen sind (V.16b). Est 1 beschreibt also, wenn man bei der Terminologie bleiben möchte, die Transformation von consuetudo in lex und die Umstände, unter denen diese Transformation notwendig wird. Die Frontstellung zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit besteht unter diesem Blickwinkel nur zum Teil: Wohl tritt das schriftliche Gesetz des Staates gegen das offenbar mündliche Umlaufen des ΓΟ^ΟΓΠΠΤ unter den Frauen des Reiches an, doch dieses Gesetz ist andererseits nur die emphatische Wiederholung eines gewohnheitsmäßigen und bislang nicht schriftlich dokumentierten Rechtszustandes. Die Grenze, die der König mit seinem Gesetz zieht, verläuft also nur zum Teil zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit, wohl aber zwischen Legalität und Illegalität, und unterscheidet diejenigen, die Recht setzen dürfen, von solchen, die dies zu Unrecht tun. Etwas verändert ist die Lage in Kap. 3. Dort besteht die Konfliktstel-

lung zwischen den •"'ΓΠ der Juden und denen des Königs (3,8). Der Konflikt soll darin begründet sein, daß die Gesetze der Juden

niDtÖ

sind und die Juden sich nach den "[SdH Τ Π nicht richten. Anlaß zu dieser Auffassung Hamans war der verweigerte Kniefall Mordechais, der - so erfährt man indirekt - etwas mit dessen Judentum zu tun hat (3,4bß), also in einer grundsätzlichen Haltung wurzelt320. Und eine derart grundsätzliche Autonomie ist für den König nicht tolerabel (V.8bß). Der Begriff ΓΠ ist in Est in den meisten Fällen als schriftliches Dokument gedacht321, kann aber auch im Hinblick auf die Tradierungsform unspezifisch gebraucht werden und die allgemeinere Bedeutung „Sitte, Brauch" annehmen322. Genaue Auskunft über die Identität der ΟΓΡΓΠ, der Gesetze jenes gegenüber dem König anonym bleibenden Volkes, erhält der Leser zwar nicht, doch daß es sich um die den Juden eigentümliche Thora oder wesentliche Teile derselben handelt, darf als recht wahrscheinlich gelten323.

320

321 322

323

Weshalb Mordechai so handelt, ist aus dem Text nicht recht deutlich. Allerlei Deutungsmöglichkeiten seit der rabbinischen Literatur (Haman habe Götzendienstembleme an sich getragen, sich selbst als einen Gott betrachtet u.a.) führt schon Jampel, Esther (522-524), an und zeigt so die Unerklärlichkeit des Verhaltens. Ausdrücklich so in 1,19; 3,14.15; 4,3.8; 8,13.14.17; 9,1.13.14. Um Hof„gesetze" des Königs geht es 1,8; 2,12; 4,11.16. - 1,13 taucht der Terminus im Titel der Rechtsgelehrten auf, und 1,15 ruft der König diese Gelehrsamkeit ab. Aus dem Vortrag des Memuchan ist zu erschließen, daß auch die ungeschriebene und selbstverständliche Gesellschaftsordnung zum Zuständigkeitsbereich dieser Gelehrten gehört. Z.B. Dommershausen, Estherrolle (64); Loader, Levels (418)/Est (243); Crüsemann, Tora (392).

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Das Aufeinandertreffen der beiden Gesetzeskorpora könnte daher eine Konfrontation schriftlicher Texte meinen. Doch sicher ist dies nicht, und 3,8 scheint an dieser Frage wohl auch nicht besonders interessiert zu sein. Der Skopus der Argumentation des Haman liegt hier ähnlich wie in Kap. 1 auf der legislatorischen Vollmacht: Wer darf eigentlich Gesetze erlassen? Eigenmächtige Gesetzgebung unterworfener Völker darf es demnach nicht geben, und wenn es sie gibt, dann muß sie sich an das unter den Völkern Übliche anpassen und darf der Befolgung königlichen Rechts nicht im Wege stehen. Hamans Gesetz wendet sich aber nicht wie dasjenige Memuchans direkt gegen die abzuschaffenden Gesetze, sondern will den Zuständigkeitsbereich des jüdischen Gesetzes beseitigen, also das jüdische Volk 324 . Wenn wir die auf Est 1 angewendeten Kategorien noch einmal bemühen wollen, stellt sich die Lage wie folgt dar: Die Gesetze der Juden sind nicht veraltet, so daß sie durch neue Gesetze zu ersetzen wären (a). Es geht auch nicht um ein Nebeneinander von staatlich gesetztem und traditionell überkommenem Recht (c). Ebenso wenig ist die Unterscheidung zwischen einem authentischem und einem nicht-authentischen Gesetzesexemplar zutreffend (b), denn vielmehr stellt das jüdische Gesetz den Worten Hamans zufolge eine vollkommene Alternative zum persischen Gesetz dar. Ein solches zu den Rechtsstrukturen des Großreichs inkompatibles Gesetzeswerk muß nach der Logik von 3,8 zu Aufstand und Separation325 führen. Blieben die Frauen in Est 1 immerhin noch in demselben Referenzrahmen, da auch sie sich auf das unbestrittene Faktum des ΓΌ^ΏΓΐ D~I bezogen, so ist das Vergehen der Juden nach Hamans Darstellung viel ungeheuerlicher, da sie sich in ihrem Siedlungsverhalten und ihrer Rechtsauffassung geradezu asozial aufführen und offenbar im Begriffe stehen, das Großreich zu verlassen.

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3,8b bezieht sich das Suffix von D r P i r Ò auf die Angehörigen des Volkes, die vorher bereits (als Subjekt zu angeklagt worden sind. Daß die Juden im ersten Anklagepunkt O S r b S D rïûtf ΟΓΡΓΠ lediglich im Suffix auftauchen, wird auf das deutliche Bestreben Hamans zurückzuführen sein, den Namen des Volkes nicht zu nennen. In der Formulierung könnte sich aber auch ein religiöser Vorbehalt spiegeln: In Parallelität zum zweiten Anklagepunkt in V.8b müßte der erste eigentlich heißen: „sie erlassen Gesetze, die von denen eines jeden anderen Volkes verschieden sind". Freilich lebt Israel nicht in dem Bewußtsein, sich seine Gesetze selbst gegeben zu haben. Als Alternative bliebe noch, J H W H als Subjekt der Gesetzgebung zu nennen, doch das paßt nicht nur schlecht in eine Rede Hamans, sondern verstößt auch gegen die theologische Sprachregelung des Buches.

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Die Separation ist nach 3,8aa durch die exotische Existenzweise dieses Volkes zum Teil schon vollzogen. Haman schürt die dumpfe Angst vor einem „Zigeunervolk" (Oettli, Est [241]).

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Die in Est 1 und in Est 3 beschriebenen Gesetzgebungsverfahren sind daher - bei aller Unterschiedlichkeit der Ausgangssituationen - konservativer Natur. Sie sind nicht das Produkt einer neuen politischen Zielvorgabe des Herrschers, der aus eigener Initiative eine neue Rechtswirklichkeit setzen will. Sie reagieren allein auf Innovationsdruck von Gruppen, die die ihnen ungünstigen Verhältnisse abändern und auf den Kopf stellen wollen. Dies aber hatten wir ebenso für die Verdrängung des Passahfestes durch das Purimfest und die Ablösung des Hamanerlasses durch den Mordechaierlaß angenommen. Diese beiden Fälle gehen allerdings über die in Est 1.3 vorgeführten um einen entscheidenden Schritt hinaus: Sie wollen nämlich mit dem Hamanerlaß und dem Passahfest bestehendes, ja sogar auch schriftlich vorliegendes Recht (aus den Gesetzen Persiens und Mediens bzw. der Thora) aufheben oder neutralisieren, wollen also gerade das tun, was zuvor den Frauen und den Juden vom König und seinen Beratern zum Vorwurf gemacht worden war. Diese Aufhebung geschieht aber unter Berücksichtigung dessen, was aus Kap. 1 und 3 zu lernen war. Denn Mordechai hebt das bestehende Recht erst dann auf, als er sich die Zustimmung und die Vollmacht des Königs verschafft hat. Für den Autor von Est ist aufgrund seines Konzeptes der Doppelloyalität326 Aufruhr und Empörung gegen die Obrigkeit gar nicht denkbar gewesen; Est 1 ist insofern ein Exempel für den Leser, daß solche Versuche zum Scheitern verurteilt sein müssen. In Est 3 aber bekommt Haman die legale Macht, gegen die Juden und ihre eigenwilligen Gesetze vorzugehen, doch er ist ein Mann des Zorns (3,5; 5,9), also wahrlich kein vorbildlicher Beamter, und darüber hinaus nur an seinen privaten Zielen, nicht aber am Gemeinwohl interessiert. Auch diese Fehler begeht Mordechai nicht. Von Est 1 über Kap. 3 zu Kap. 8 und 9 will das Buch offenkundig eine Entwicklungslinie aufzeigen, aus der der Leser lernen und an der er sich erbauen soll. Bestimmend sind einerseits der konservative Zug der Gesetzgebung und andererseits das Bestreben bestimmter Gruppen (Frauen/Juden), zu einer Gesetzesinnovation zu gelangen. Als neues Element kommt in Kap. 8 und Kap. 9 der Versuch hinzu, eine Innovation von Überkommenem, die zuvor immer verurteilt worden war, zustande zu bringen. Diese Innovation will der Novellist als notwendig, sinnvoll und vor allem: legitim darstellen. Der Autor nimmt den Leser an die Hand und läßt ihn durch

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Vgl. zur Ethik des Buches gleich unten S. 283ff.

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Fallbeispiele und eine Art trial-and-error-Methode die Legitimität des Verfahrens erkennen, mit dem das Purimfest eingeführt werden soll. Der Novellist sichert sich gewissermaßen bereits im Vorfeld der Purimbriefe juristisch und ethisch gegen mögliche Gegeneinwände ab und demonstriert, welche Art von Innovation er nicht gutheißen kann und mit den Purimbriefen auch nicht beabsichtigt. Kehren wir zu den Äußerungen Bardtkes und Crüsemanns zurück. Wenn sie auch eine interessante Anregung geben, so sind sie doch zu modifizieren. Die von Bardtke für den jüdischen Kanon angenommene „Starrheit" und „Unwandelbarkeit" existiert nach Ausweis von Est bestenfalls in der Theorie327. Das Buch zeigt deutlich, daß die Möglichkeit oder doch mindestens der Wille vorhanden war, einen Text kanonischer Würde bei formaler Wahrung seiner Unantastbarkeit beiseite zu schieben und einem scheinbar sicheren Bestand von Ritualen, die sich ebenfalls aus kanonischen Texten legitimierten, eine - auf dem Alten basierende - neue Erfahrung in Form eines Festes hinzuzufügen328. Crüsemanns Ausführungen leiden an dem Versuch, gleich der „Reichsautorisationsthese" auch das Abrogationsverbot als persische Institution zu interpretieren, die eine starke Wirkungsgeschichte im Judentum entfaltet hat. Aber ebensowenig wie das Abrogationsverbot ist die „Reichsautorisation" historisch verifizierbar329. In engem Zusammenhang damit steht auch die Neigung, der Schriftlichkeit der Texte - einer These Freis folgend - die Bürde aufzutragen, ihre Geltung „auf unabsehbare Dauer"330 zu verursa-

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Auch Criisemann, Tora (407, Anm. 131), kritisiert diese Aussagen Bardtkes. Dies gilt unbeschadet der Tatsache, daß sich das Fest nur schwer durchsetzen konnte; der (letztlich geglückte) Versuch allein spricht für sich. Die Problematik der schleppenden gemeinjüdischen Akzeptanz des Festes muß nicht ausschließlich auf die Abgeschlossenheit des Kanons zurückgeführt werden, sondern vielmehr auf die „Palästina-Ferne" des ganzen Buches. Das Fest selbst liefert Identifizierungsanreize für das Diasporajudentum, nicht aber für das palästinische, das sich bei ähnlicher Problemlage viel besser etwa an Esr 1-6 halten konnte. Zu einer kritischen Haltung zur „Reichsautorisation" aufgrund der Untersuchung des Quellenmaterials gelangt U. Rüterswörden, Reichsautorisation (passim); vgl. auch Dohmen/Oeming, Kanon (91.93); Lohfink, Bewegung (129f.). Criisemann, Tora (406); besonders Frei, auf den sich Criisemann in diesem Zusammenhang stützt, neigt dazu, die Bedeutung der Verschriftlichung falsch zu veranschlagen. So erklärt er zu dem in Kap. 1 geschilderten Gesetzgebungsverfahren: „Die auf den Einzelfall ausgerichtete Verfügung des Königs wird also durch die schriftliche Fixierung zum Präzedenzfall gemacht, sie erhält die Qualität einer generell-abstrakten Norm"; in Kap. 1 gehe es vor allem um die Dauer der Gesetze und diese sei „die Wirkung der

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chen. Der entsprechende Textabschnitt in der Trilingue von Letoon ist zu verstümmelt, als daß man auf ihn eine derartige Beweislast türmen könnte331. Vollends scheint der Zusammenhang von schriftlicher Gesetzesausfertigung, Unaufhebbarkeit der Gesetze und „Reichsautorisation", wie ihn Frei aufgrund von Est und Dan 6 herstellen möchte332, weniger Interpretation als vielmehr die Anwendung eines von außen an die Texte herangetragenen Konstruktes zu sein.333 In den Zusammenhang des Buches gestellt, in dem sich die politischen, sozialen und nicht zuletzt auch theologischen Probleme des Diasporajudentums spiegeln, erweisen sich die vermeintlichen loci classici für die Reichsautorisationsthese als Elemente frühjüdischer Kanonreflexion. Das Buch schildert demnach recht deutlich, wie die Entstehung des Kanons und der Umgang mit ihm in eigentümlicher Weise ineinander verschwimmen: die Entdeckung mangelnder Identifikationsangebote für die Diaspora in der Schrift führt zu einem an das Vorhandene angelehnten Neuentwurf, der am Ende selbst kanonisch wird. Wenn wir feststellen, daß in Kap. 9 die Religionsgesetzgebung der Juden, die formal einem persischen Gesetzgebungsakt ähnlich sieht, wesentlich auf die Zustimmung der Adressaten angewiesen ist, und die Adressaten dabei auch andere Quellen als den bloßen Erlaß zur Begründung ihres zu-

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schriftlichen Fixierung" (Zentralgewalt [24]; Hervorhebung vom Vf.). Bei Frei ahnt man im Hintergrund das Mißverständnis, allein schriftliche, nicht aber mündliche Tradierung könne Nachrichten dauerhaft sichern. Aber schon der mündliche Verbreitung findende Vasthi-Vorfall, der n ^ D m ^ l , wird zum „Präzedenzfall" und zur „generell-abstrakten Norm", wenn auch im, wie Memuchan glaubt, destruktivem Sinne (1,17.18). Zum Präzedenzfall im Sinne des Königs wird die Sache dann durch die Interpretation des Vorgefallenen und seiner Folgen durch die Juristen. Frei leitet also aus der Schriftlichkeit des Befehls das her, was das Buch selbst aus der Interpretation des königlichen Ehezwistes durch die Frauen des Reiches und die Juristen entwickelt. Vgl. Crüsemann, Tora (406, Anm. 129), der trotz der Unsicherheit des Textes meint, zuversichtlich sein zu können. Vgl. Zentralgewalt (18Í.+23-26). Frei bemerkt die Schwächen seiner Interpretation selbst: Nachdem er den Estherbrief 9,29-32 als Reichsautorisationsvorgang interpretiert hat und im Anschluß daran selbst einige Gegeneinwände gegen diese Auffassung zusammenträgt, erklärt er, die ganze Schilderung könne auch fiktiv sein; hier zeige sich aber „das Bild, das man sich in jüdischen Kreisen von der persischen Regierung und von persischen Rechtsformen machte" (Zentralgewalt [18f.], positiv rezipiert bei Crüsemann, Tora [406]). Aber wenn die Darstellung in Est und Dan allein eine jüdische Vorstellung wiedergibt, dann sagen die Texte nichts über die persische Wirklichkeit, was aber doch wohl Freis Ziel war. Spiegeln sich aber in dem Text jüdische Vorstellungen, ist es am sinnvollsten, diese Einsicht konsequent für die Interpretation fruchtbar zu machen.

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stimmenden Urteiles heranziehen können, dann widerspricht das den Feststellungen, die sich uns oben (bes. in 7.2.1. und S.276ff.) aufdrängten: Dort beobachteten wir, daß dem inoffiziellen Umlauf von Meinungen durch die offizielle, also machtvoll wirkende Gesetzgebung entgegengetreten werden soll (vgl. Est 1). Und auch sonst zeigte sich in der Darstellung der Kommunikationsstruktur der persischen Gesetzgebung und Administration ein einseitiger, autoritärer Zug, da die staatliche Kommunikation allein (wenige) Schreiber und (viele) Leser kennt. Die Leser können aber nie zu Schreibern und Antwortenden werden, und insbesondere die Juden des Reiches stehen (teilweise) außerhalb dieses Kommunikationsgeschehens. Man könnte es sich nun leicht machen und diese Differenz innerhalb des Buches als weiteren Beleg für den literarisch sekundären Charakter von 9,20-32 interpretieren. Aber oben hatten wir bereits eine deutliche Entwicklungslinie in der Gesetzesthematik des Buches von Kap. 1 zu Kap. 9 zu zeigen versucht (S. 276ff.); und auch unter dem jetzt zur Debatte stehenden Gesichtspunkt scheint uns näheres Zusehen die These zuzulassen, daß 9,20-32 als durch das ganze Buch hindurch langsam entwickelter Höhepunkt und als positiver Gegen- oder mindestens Parallelentwurf zu dem persischen Kommunikationsmodell verstanden werden kann. Diese Entwicklung läßt sich am einprägsamsten anhand des Themenkomplexes Gehorsam/Legalität, das in dem Buch allgegenwärtig ist, aufzeigen334. Um den Charakter der Behandlung des Themas durch das Buch zu verdeutlichen, teilen wir die entsprechenden Belege in drei Kategorien: 1. Der geforderte, aber verweigerte Gehorsam. 2. Der von sich selbst oder anderen geforderte und ins Unglück führende Gehorsam. 3. Der geforderte, aber verweigerte Gehorsam als der wahre und höhere Gehorsam. 1. Kategorie: Der geforderte, aber verweigerte Gehorsam Mit der Weigerung der Königin, vor dem König zu erscheinen (1,12), wird die Gehorsamsproblematik gleich in der Exposition thematisiert. Die Argumentation des Juristen (l,17f.) erklärt, daß so etwas geradezu staatsstürzende Dimensionen annehmen kann. Eine Störung der vom Gesetz geforderten Ordnung ist auch die Unterlassung einer Belohnung für den Lebensretter Mordechai (vgl. 2,23 mit 6,3). Hier hält sich einmal - selbstverständlich dezent ausgedrückt - der König selbst nicht an die Ordnung des Staates; die schwerwiegenden Folgen treten mit Kap. 3 sogleich zu Tage! Die Verweigerung des

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Vgl. zum Folgenden auch Berg, Esther (131-159+167-180), die allerdings nicht die hier vorgeschlagene Einteilung des Themas bietet. - Hintergrund für das Gehorsams-Motiv sind die in Est sehr häufigen Hinweise auf Gesetze, Sitten und Bräuche, die wir aufzuzählen hier unterlassen können, da das Phänomen allerorten mit Händen zu greifen ist.

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Kniefalls durch Mordechai leitet Haman aus der Behauptung ab, daß alle Juden sich in jeder Angelegenheit nach ihren eigenen Gesetzen richten (3,8).

2. Kategorie: Der von sich selbst oder anderen geforderte und ins Unglück führende Gehorsam Hier ist vor allem die von Haman sich selbst zugedachte Erhöhung ins Unermeßliche (6,6-9), die er aber als ausführender Beamter seinem ärgsten Widersacher zuteil werden lassen muß (6,10)335, zu nennen. Der eigenem Nutzen dienende, gesetzhaften Charakter tragende Vorschlag des Haman bringt ihm die größte Erniedrigung ein. In diesen Zusammenhang gehört auch der Mordechai zugedachte Galgen, der am Ende Haman zu Tode bringt (5,14; 7,9f.). Und auch der König wäre um ein Haar Opfer einer solchen Selbstverstrickung geworden, wenn nicht die Juden ihn im letzten Moment davor bewahrt hätten: Der in Kap. 8,5ff. erwähnte (eigentlich) unmögliche Versuch, ein persisches Gesetz aufzuheben, führt den Souverän an eine Grenze, die der Gesetzgeber, der er ja auch selbst ist, aufgerichtet hat 33 '. Es sind also die Nicht-Juden im Buch, die entweder schlicht ungehorsam sind, so Schaden anrichten und ihr entsprechendes Schicksal nehmen müssen (Kategorie I), oder die in geradezu perfider Weise an selbst gemachten Setzungen scheitern, und deren Pläne auf ihren eigenen Kopf zurückgewendet werden (vgl. 9,25; Kategorie II). Die Selbstverstrickungs-Vorstellung dient also einerseits der weisheitlichen Tun-Ergehensvorstellung, daß die Taten des Bösen einst auf ihn zurückfallen werden337, weist indirekt aber auch auf die hohe Bedeutung der Tugenden des Beamten: Einem Mordechai hätte es nicht passieren können, daß er schlecht informiert - wie Haman in Kap. 6 - vor dem König erscheint und sich selbst unbewußt schadet. Ebensowenig scheitert Mordechai an der Durabilität der persischen Gesetze, sondern findet einen Ausweg aus der verfahrenen Situation.

3. Kategorie: Der geforderte, aber verweigerte Gehorsam als der wahre und höhere Gehorsam Aber Ungehorsam ist nach der Darstellung der Novelle nicht allein ein Zeichen der Nichtjuden, sondern kommt auch bei den jüdischen Figuren des Buches vor: Bereits die besondere Gunst, die Esther bei der Brautschauvorbereitung genießt und die ihr von Seiten des „Frauenwächters" Hegai manchen Vorteil einträgt (vgl. noch 2,15), ist mindestens mit dem Makel des verzerrten Wettbewerbs behaftet. Die Inkorrektheit hat aber letztlich doch die für den König angenehme Folge, eine neue Frau zu bekommen. Esther gehorcht zu einem Zeitpunkt, zu dem sie bereits mit dem persischen Souverän verheiratet ist, noch immer Mordechai und verheimlicht dem König auf Geheiß ihres

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6,10 bringt das Dilemma, in das Haman gerät, auf den Punkt:

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m a n itíK. 336

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Das Verfangen in von einem selbst aufgestellten Sätzen mit (quasi) rechtsverbindlichen Charakter, die eigentlich aber anderen zum Schaden dienen sollen, erinnert an die Gattung der „Gerichtsparabeln", die sonst in prophetischem Kontext belegt ist: Π Sam 12,1-14; 14,1-20; I Reg 20,35-43; Jes 5,1-7; Jer 3,1-5 (vgl. dazu Simon, Ewe-Lamb [220ff.]; auch Schottroff, Weinberglied). Vgl. z.B. Prv 11,31; 12,2; 12,21; 22,5.

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Onkels ihre Identität (2,20). Auf diese Weise gelingt es ihr aber, sich und ihr Volk zu retten. Mordechai handelt dem königlichen Gesetz durch die Verweigerung des Kniefalls zuwider (3,2ff.), was ihm den vernichtenden Zorn des Haman einträgt. Die ethisch Problemsituation scheint mit der Unterbreitung des Falls vor Haman betont zu sein, die wie die verkappte Frage eines besorgten Lesers anmutet: „Werden die Worte Mordechais Bestand haben?" (3,4). Sie haben zunächst einmal keinen Bestand vor Haman, der 3,8 das Verhalten der Juden (nach der Art der Kategorie I) als schlichte Verweigerung des Gehorsams interpretiert, die sich dem persischen Staat entziehen will. Die innerjüdische Diskussion, die sich an dem ethischen Problem der Loyalität gegenüber der eigenen Volksgemeinschaft und gegenüber dem Staat aufgetan hatte, spiegelt sich in Kap. 4, besonders ab V . l l , wider: soll man unter Lebensgefahr gegen das allen bekannte Hofzeremoniell verstoßen? Esther bejaht das für sich und damit beispielhaft für alle Juden (V.16b), nachdem die Situation, in der Esther sich befindet, als Zerreißprobe in ihrem Für und Wider zur Sprache gebracht worden ist. Aufgrund solcher Diskussion kann wiederum Mordechai dem Befehl der Esther vollständig folgen (4,17). Solche ethischen Konflikte können auch in einen weit abgesteckten zeitlichen Rahmen eingeordnet werden (V.14b): Die Bedeutung von Vorgängen erschließt sich erst nach längerer Zeit, und damit ist auch die Entscheidung, ob etwas Ungehorsam oder Gehorsam sei, der Sache selbst nicht auf der Stelle anzusehen338. Eine letzte Verletzung mindestens der Gesetze der Ehrlichkeit findet sich in dem Ereignis, das Haman endgültig zu Fall bringt. Ein Mißverständnis von Seiten des Königs wird von Esther nicht aufgeklärt, um den Bedränger ihres Volkes endgültig aus dem Weg räumen zu können (7,7f.). Das Problem der Doppelloyalität wird mithin gelöst durch die abwägende Suche nach einem Weg zwischen beiden Größen, denen man sich verpflichtet fühlt. Dabei wird allerdings der Pflicht gegenüber dem eigenen Volk der Vorrang eingeräumt. Trotz einiger schwerwiegender Verstöße der Juden gegen persisches Recht wird am Ende dem persischen Staat nicht nur Genüge getan, ihm wird sogar weitergeholfen; denn mit der Beseitigung Hamans scheidet im Grunde nur ein zweitklassiger Beamter aus dem Dienst, während der König in Mordechai einen neuen, geschickten339 und eben in einem tiefen Sinne loyalen Beamten gewonnen hat. Der ist im Grenzfall (und nur dann, vgl. die Negativ-Beispiele der Kategorie 1) bereit, die in der jeweiligen Situation zu starr anmutenden Grenzen von Gehorsam und Legalität zu überschreiten zugunsten der eigentlich erstrebenswerten und allen zugute kommenden Ziele340.

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Die Vorstellung von Wahrheit und damit Legitimität des Handelns in einem weiter gesteckten zeitlichen Rahmen, also mit einem fast eschatologischen Aspekt versehen, könnte auch einen theologischen Aspekt enthalten; vgl. Grasham, Theology (107f.). Der Frondienst, den der König auferlegt (10,1), dürfte nach 10,2 auf eine Anregung Mordechais zurückgehen. Nach dem Vorbild der Josephsnovelle erlangt ein Jude im Ausland staatstragende Bedeutung; vgl. Meinhold, Est (95f.); Loader, Est (279f.). Dieser schematische Entwurf des Buches wird - wie alles Schematische - nur bedingt der Komplexität von Wirklichkeit gerecht; vgl. zutreffend Meinhold, Est (106): „Das Estherbuch bietet eine künstlerische Sicht der Wirklichkeit. Das Bild des jüdischen

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Betrachtet man auf dem Hintergrund dieses ethischen Modells den Abschnitt 9,20-32, kann man den oben (S.282) aufgewiesenen Widerspruch als ein Nebeneinander von Kontinuität und Diskontinuität zwischen 9,20ff. und dem Rest des Buches zu beschreiben versuchen. Die Kommunikationsvorgänge in den Kap. 1.3.8. sind klar, einfach und von den Auswirkungen menschlichen Ungehorsams unbelastet. Wir stellten fest, daß der Autor der gut geölten Maschinerie der persischen Administration mit ihren Kommunikationswegen Bewunderung entgegenbrachte und diese Kommunikationswege als Integrationsinstrument für die zerstreute Gemeinde schätzte. Diese Sicht wird auch in 9,20ff. durchgehalten, denn auch dort wird die persische Post als Zugpferd vor den eigenen Gemeindewagen gespannt. Für die Regelung der Purim-Angelegenheiten wird dann wohl auch das autoritäre Gefälle dieser Befehlsübermittlung, die Mordechai als hoher persischer Beamter für seine Zwecke in Gebrauch nehmen kann, fruchtbar gemacht341. Dieses autoritäre Gefälle aber konnte, wie wir sahen, nur zu einem gewissen Grade unter den Juden verfangen. Denn in Kap. 9 erscheint die Einlinigkeit des administrativen Kommunikationsgeschehens aufgrund des Est eigenen Begriffs von Gehorsam und Legalität aufgebrochen. Danach reicht die starre Form des Gegebenen nicht immer zu. Die Gemeinde steht in Konflikten, die dem Einzelnen hohe Opfer, aber auch - damit eng verbunden - Einsicht und Entschlußfähigkeit abverlangen müssen (vgl. die Diskussion Kap.4!). Den Juden als Gemeinde kann man nicht ohne weiteres in der Art Befehle geben, wie man dem sonstigen Staatsvolk Erlasse auferlegt; denn - so zeigen die Beobachtungen zum Thema Gehorsam deutlich - die Juden sind im Unterschied zu den sonstigen Bewohnern des Weltreiches aufgrund ihrer Lebenssituation in einen „höheren Gehorsam" eingeübt, der mehreren Herren gerecht zu werden weiß. Der Einzelne muß sein Ge-

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Menschen ist letztlich ein Postulat, das Bild der Judenfeinde Realität, das der anderen Nichtjuden mehr Hoffnung als Realität und leicht in der Nähe der Illusion"; Müller, Lehrerzählung (97), hält „die pseudorationale Schematik, mit der Ordnungspostulat und Realität versöhnt werden sollen", für „volkhaft"; übertrieben und abwertend meint Gunkel, Esther (52), das Buch sehe sich selbst und alle anderen „grell" und „grotesk verzerrt"; „An den Ketten eines jammervollen Schicksals sich wund reibend, von phantastischen Träumen erfüllt, eigenen politischen Handelns längst entwöhnt, konnte es [das Judentum; der Vf.] sich in der Wirklichkeit nicht mehr zurecht finden". Dies geschieht aber mit Einschränkungen: Das Buch erwähnt zwar die Erhöhung Mordechais (schon 6,11; dann vor allem 8,2.15; 10,2f.), aber in 9,20-32 wird auf seine staatliche Position nicht rekurriert: Er ist einfach Ό "HD oder ΤΙΓΡΗ Ό Τ Ί Ο . Auch in dem Geschichtsabriß V.24f. spielt die Erhöhung keine Rolle.

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schick, ja geradezu seine Phantasie auf die Ziele hinter den starren Erscheinungsformen politischen und administrativen Handelns richten342. Was vom Standpunkt des absoluten Herrschers als höchst gefährlich und bedrohlich erscheinen muß343, bringt Mordechai und die Juden an das Ziel ihrer Wünsche. Denn weil es sich wie beschrieben verhält, kann die sich in Mordechais „epistula encyclica"344 artikulierende Religionspolitik es wagen, Innovation zu treiben, die freilich innerhalb eng gesteckter und Altes aufnehmender Grenzen geschieht. Das Gewicht, das 9,20-32 auf das Einschärfen und die Zustimmung der Gemeinde legt, zeigt, wie sehr die Annahme dieser Innovation innerhalb des ethischen Entwurfs des Buches Est, das auf Verantwortung und Beurteilungsvermögen des Einzelnen ausgerichtet ist, geschehen soll. Nicht nur mit der Beschreibung der Gesetzgebungsverfahren in Est 1.3.8, sondern auch mit der ausführlichen Beschreibung der positiven Aufnahme des Festes unter den Zeitgenossen Mordechais nimmt das Buch bereits selbst die Diskussion vorweg, die das Feiern des neuen Festes und damit verbunden die Geltung der Novelle auslösen mußte345. Der Novellist

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Von dieser These sind romantisierende Vorstellungen über eine diskussionsfreudige und antiautoritär strukturierte Gemeinde fernzuhalten. Mordechai hat deutlich den Vorrang gegenüber Esther, die staatliche Autorität beider und ihr vorbildliches Verhalten soll dem Purimfest eine Begründung geben, an der es ihm sonst mangelt. Die angeschriebenen Juden reagieren zwar zustimmend, und das Buch ordnet dem eine hohe Bedeutung bei, aber sie schreiben selbst nichts, treten also nicht auf derselben Ebene wie Mordechai und Esther in einen Dialog ein. Hamans Argument in 3,8, das die Angst vor Eigengesetzlichkeiten schürt, akzeptiert der König sofort. Dem König schiebt der Autor 8,8 auch die Unaufhebbarkeitsformulierung in den Mund. Aber die vollständige Umkehrung der bestehenden Verhältnisse, die der Mordechai-Erlaß jedenfalls in der Judenthematik erzeugt, delegiert er an jemand anderen. Für den König beginnt an dieser Stelle Neuland, das er Mordechai als dem Fachmann für kontrollierte Abrogation und Innovation überläßt. So bezeichnet Beer, Briefliteratur (28), den Brief aus Jèr 29,Iff. Als Kontrast zu der ausführlichen Darstellung der Einführung des Purimfestes können die Einsetzung des Chanukkafestes (I Makk 4,59: immerhin aufgrund eines gemeinsamen Beschlusses des Judas, seiner Brüder und der gesamten Gemeinde), des Nikanortages (I Makk 7,48f.: ό λαός als beschlußfassendes Organ) und des Freudentages anläßlich der Erstürmung der Burg (I Makk 13,52: auf Beschluß des Simon) dienen. Die kurzen und bündigen Berichte über die Installation dieser Feste sind sicher auch als Indiz zu werten, daß sie von allem Anfang unstrittig waren und sich nicht gegen Überkommenes durchsetzen mußten. Etwas ausführlicher ist die Darstellung der Einsetzung des Chanukkafestes II Makk 10,8: „Sie beschlossen aber mit einer allgemeinen Anordnung und einem Beschluß für das gesamte Volk der Juden (έδογμάτισαν δέ μετά κοινοΰ προστάγματος καί ψηφίσματος παντί τω των 'Ιουδαίων εθνει), diese Tage jährlich zu begehen". Ganz ähnlich

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begab sich mit diesem Reflex einer Diskussion um die Annahme des Festes aber nur auf den ersten Blick in die Gefahr, Stimmen zu wecken, die ihm nicht angenehm sein konnten. Das Modell eines „ungehorsamen Gehorsams" als des rechten Gehorsams bedeutete doch auch, daß sich der Einzelne dem Beispiel Esthers folgend letztlich trotz aller Einwände der Argumentation und Autorität des Protagonisten Mordechai, der „paradigmatischen Verkörperung der Tugend"346, fügte. Das, worein sich die Provinz-Juden fügen, ist ein bedeutungsvoller und zugleich aufwendiger Vorgang innerhalb eines kulturellen Systems: Die Umwandlung erlebter Zeitgeschichte in grenzenlose Erinnerung (vgl. 9,21.27.28.31) stellt eine besondere kulturelle Leistung dar und bedarf gewisser Mechanismen, um wirklich beständig sein zu können. Auf der Grundlage bestimmter Einsichten in die Regelhaftigkeit und die Bedingungen, unter denen die Umwandlung „frischer", aber doch auch gefährdeter Erinnerung in anhaltend Erinnertes gelingt, kann man diesen Vorgang als Transformation von kommunikativer in kulturelle Erinnerung bezeichnen347. Das wesentliche Instrument zur Erhaltung und Sublimierung der Erinnerung an die Vorfälle um Mordechai, Esther und Haman ist das Purim-Fest, also eine rituelle Handlung. Diese besteht aus einem Festmahl und dem Versenden von Portionen, das dem wirtschaftlichen Ausgleich und damit der Stabilisierung des Sozialgefüges der Gruppe dient (9,22). Die Grundlage der Prolongation der Erinnerung ist die regelmäßig wiederkehrende, persönliche Begegnung der Mitglieder der Gruppe348.

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wird auch über die Einsetzung des Nikanortages berichtet: έδογμάτισαν δε πάντες μετά κοινοΰ ψηφίσματος ...; Π Makk 15,36). Π Makk 10,8: 15,36 betonen gleich Est die allgemeine Geltung des Festes für alle (Juden). Die Beschlußfassung auf breiter Basis wird ebenfalls ausdrücklich erwähnt. Dahinter wird ein Legitimationsproblem zu vermuten sein, das aber wohl anders gelagert sein dürfte als das von uns in Est vermutete. Fraglich ist vielleicht die Verbindlichkeit von Beschlüssen der Juden in Palästina für die Diaspora, nicht aber die Konformität der Feste mit der überkommenen Glaubenstradition. So jedenfalls scheint es die Formulierung in II Makk 2,17 anzudeuten (ό δε θεός σώσας τον πάντα λαόν αϋτοΰ και άποδούς κληρονομίαν πάσι ...), die offenkundig die allgemeine Verbindlichkeit der in Palästina abgefaßten Beschlüsse theologisch absichern will, und deshalb auf 10,8; 15,36 bezogen werden kann, selbst wenn 2,17 einer anderen literarischen Schicht angehört. Insofern ist Π Makk vielleicht als „Agitationsschrift bestimmt ..., um für die Feste und den Tempel ... Stimmung zu machen" (Bickerman, Makkabäerbücher [794]). Müller, Lehrerzählung (86). v gl· J· Assmann, Gedächtnis (44-66). Vgl. J. Assmann, Gedächtnis (57).

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Damit aber nicht genug: Grundlage dieses Festes wiederum sind verschiedene Schriftstücke, wenn auch, wie wir sahen, nicht allein diese. Für sich angenommen, man möchte fast sagen: kanonisiert, haben die Juden ausdrücklich, „was Mordechai an sie geschrieben hatte" (9,23). Die Feier der beiden Festtage geschieht „entsprechend ihrer Vorschrift'' (9,27), das Schreiben der Esther erfolgt zu dem Zweck, eine Verpflichtung der Juden auf „diesen Purimbrief" zu erreichen (9,29). Oben aber hatten wir bereits gezeigt, wie teils undeutlich, teils schwankend die Bezeichnung der Dokumente erfolgt ist. Hinzu kommt, daß einige Formulierungen die Bedeutung der Schriftstücke eher anders anzusetzen scheinen: 9,20.21 ist das Objekt der Verpflichtung die Durchführung des Festes, und dabei scheinen die Briefe Mordechais allein eine instrumenteile Bedeutung zu besitzen; V.23.26 werden - wie oben bereits angeführt - noch andere Kriterien als der Mordechai-Erlaß für die Feier des Festes maßgeblich. V.28 redet von dem Erlaß überhaupt nicht mehr und legt alles Gewicht auf die beiden Feiertage. Dasselbe gilt für V.31, wenn auch dort immerhin mit Ή Τ Τ η Ό " Π Ο D m 1 ? ! ; D^p "ltÖKD ein Rückbezug auf den Mordechai-Erlaß vorliegt. Nun ist in der weiteren historischen Entwicklung die Estherrolle unter die kanonischen Schriften gezählt worden, aber dies geschah doch wohl hauptsächlich über die Vermittlung des Festes, für das die Rolle die Ätiologie liefert, und nicht, weil diese selbst von allem Anfang an mit dem Anspruch auf Kanonizität an seine Leser herangetreten wäre349. Die Novelle klinkt sich zwar mit Hilfe von Zitationen und Anspielungen in die Reihe schon kanonisierter Literatur ein, läßt es aber insbesondere am Schluß des Buches an eindeutigen Hinweisen und Bezugnahmen verpflichtenden

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Ein Element von Kanonizität, nämlich die dauerhafte Geltung, spielt allerdings in 9,2032 eine durchaus wichtige Rolle. Diese Geltung hat ein zeitliches Moment: Das Feiern der beiden Tage soll geschehen ¡13Eh (9,21.27), ihrer soll man gedenken nnDtÖDI Π Π Ε ΰ η " i m - l l - r b m (9,28). Die Tage sollen nicht vergehen und ihr Gedenken soll nicht aufhören (9,28). Die Geltung hat aber auch einen räumlichen Aspekt (die Briefe erreichen jede Provinz [9.20.28aß.30]) und einen personellen (die Verpflichtung gilt allen Juden [ • Ή Ι Γ Ρ Γ Γ ^ Ο " ? « ...; 9,20.30; vgl. V.27aa.28aa.31aß], auch denen, die sich ihnen anschließen [ D r P b u • v Ò 3 i " r b 3 ] ) . Den Zusammenhang zwischen diesen Stellen und der Frage der Kanonizität stellt schon die rabbinische Literatur her: Laut yMeg 70d,60-64 hat Schim'on b. Laqisch die - auch für die Thora angenommene ewige Geltung der Estherrolle aus Est 9,28bß abgeleitet (Zitat bei Strack/Billerbeck, Mt [246]; Hüttenmeister, Megilla [27f.]).

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Esther - Theologie unter den Bedingungen der Diaspora

Charakters auf sich selbst mangeln, wie sie z.B. als Vorbild aus dem Dtn hätten entliehen werden können350. Der Vergleich mit dem Dtn legt sich bei der Untersuchung des Selbstverständnisses der Estherrolle auch von daher besonders nahe, als auch das Dtn als Ganzes nichts anderes als der großangelegte Versuch ist, kommunikative in kulturelle Erinnerung umzuwandeln351: Nach 40 Jahren Wüste steht das Volk nun auf der Grenze zu etwas Neuem, das einen vollständigen Rahmenwechsel und damit Erinnerungsverlust provoziert. Die Erinnerung an das Erlebte und an die Abschlußrede des großen Führers aus der Knechtschaft durch die Wüste will das Dtn aber nicht durch ein Fest sichern, sondern durch die Lektüre seiner selbst. Bei der Uberquerung des Jordans, also dem Vollzug des Rahmenwechsels, sind auf große Steine • n a - r b a T M ηκτη m i m zu schreiben (Dtn 27,2f.8) und ohne ein Wort auszulassen vor der Gemeinde, einschließlich Frauen, Kindern und Fremdling zu verlesen (Jos 8,34f.)352. Das Beispiel zeigt sehr deutlich: anders als Est empfiehlt sich das Dtn immer wieder selbst als Versammlungsort der Gemeinde, an dem sie sich regelmäßig des Handelns Gottes und der eigenen Identität vergewissern, weil erinnern kann. Von solchem Selbstverweis einer Schrift zur Begründung einer heilvollen Zukunft ihrer Leser hält sich Est fern. Leichte Ansätze dazu finden sich wohl in 9,20ff., aber sie sind zu uneindeutig und leisten nicht annähernd das, was die Bezugnahme des Dtn auf sich selbst zustande bringt353. Sicher

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351

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Unter Verwendung des Part. pass. q. kann das Dtn nach Art eines orientalischen Vertrages auf seine eigenen Flüche verweisen (Dtn 28,61; 29,19.20.26; vgl. Dan 9,11.13) oder in summarischer Weise auf das Gesetzeskorpus Bezug nehmen (Dtn 28,58; 30,10: immer mit Demonstrativpronomen!); weitere Belege für „diese Thora", „das (dieses) Buch dieser (oder der) Thora" und „die Worte dieser Thora" bei Preuß, Deuteronomium (195); als ähnliches Beispiel s. z.B. I Q M 8,14: D ^ n f O p l U p r P ΠΤΠ " [ 1 0 3 vgl. auch allgemein zu diesem Problembereich Preuß, a.a.O. (194-201). So auch J. Assmann, Gedächtnis (222). Positive Aufnahme findet die Anwendung dieses Erinnerungsmodells auf das Dtn bei Braulik, Gedächtniskultur (9f. u.ö.). Zum Zusammenhang zwischen Vorlesen und Bund vgl. Baltzer, Bundesformular (91-

95).

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Diese Distanzierung des Buches von seinem Buchcharakter hat einen eigentümlichen Reflex in der rabbinischen Literatur: Dort liest man, „das Buch sei gesagt worden zum Erzählen und nicht zum Schreiben" pirob moto kSi nnpb m D i O ; zitiert nach Jampel, Esther [515], aus Yad 4,6). „Das heisst: wohl ist das Estherbuch von einem Manne oder von Männern inspirierten Geistes abgefasst worden, aber ihrer Absicht entgegengehandelt ist es, wenn man die Esthergeschichte schriftlich fixiert in die Öffentlichkeit schickt" (fampel, ebd.). Nach Wildeboer, Entstehung (61), ist der Satz im Hinblick auf die im Text zuvor genannte Meinung, daß Est „die Hände nicht verunreini-

Vom rechten Gehorsam (Kap. 9)

291

lassen sich Gründe für die Bescheidenheit des Buches im Umgang mit sich selbst benennen: Der Autor könnte von dem Gedanken der Abgeschlossenheit des Kanons der fundamentalen schriftlichen Texte der jüdischen Gemeinde so überzeugt gewesen sein, daß er in dieser Hinsicht keinen Vorstoß mehr zu machen wagte354. Die argumentative Mühe, die der Autor bei der Aufhebung des Haman-Erlasses einerseits und der Einsetzung eines neuen Festes andererseits aufwendet, deutet in diese Richtung. Gerade aber an dem Schicksal des Hamanerlasses und der Einsetzung des neuen Festes zeigt sich die eigentümliche Nuance, die das Buch in die Kanondebatte einbringt. Die Unantastbarkeit bestimmter schriftlicher Texte wird gewahrt, aber es werden sozusagen Umgehungsstraßen um den Kanon gesucht, damit fundierende Neusetzungen möglich werden können. Der Erlaß Hamans weist auf die Bewältigung der Unaufhebbarkeit durch die Einführung eines neutralisierenden Gegentextes. Bei der Suche nach einem neuen, wohl in Konkurrenz zum Passah stehenden Verhaltensmodell für die bedrängte Diasporagemeinde versucht man anders die Gemeinde nicht primär auf einen neuen Text einzuschwören. Die Kanonisierung jetzt findet in einem anderen Bereich statt: dem Festkalender der Gemeinde. Damit wird ein anderes Instrument kultureller Organisation wichtig; denn was die Purim-Erfahrung zu sagen hat, soll sich über ein rituelles, zyklisch wiederkehrendes Beisammensein und sich Verhalten der Gruppenmitglieder zueinander vermitteln. Die Vermeidung der Konfrontation mit dem Kanon schriftlicher Texte erlaubt es also, daß das Buch Est sich nicht selbst als verbindlichen und dauernd zu erinnernden Gegenstand ins Gespräch bringen muß 355 .

354

355

ge", so zu verstehen, daß die derart zum Ausdruck gebrachte Ablehnung der Kanonizität lediglich das geschriebene Buch, nicht aber den Inhalt desselben betreffe. Est nähme demnach einen eigentümlichen, offenbar minderen (?) Status von Kanonizität ein (so Fürst, Kanon [109-112J, der zum Spezifikum hat, den Zusammenhang zwischen Inspiriertheit und Verschriftlichung nicht zu enthalten. Vgl. schon Ewald, Geschichte IV (299), mit einer ähnlichen Vermutung: „und wenn zwar das alte erlösungsfest des frühlings ganz in seiner würde gelassen werden mußte als durch die alte religion und das h. gesezbuch geboten, so schien es doch passend jetzt ein ähnliches mit beziehung auf die heimischeren dinge der neuzeit und mehr ganz im sinne und im gemüthe der gegenwart zu begehen. So wurde aus dem Pûrim eine Vorfeier des Pascha". Ohne Bezug zu Est, aber mit Hinweisen auf den Aristeasbrief und die Makkabäergeschichte haben A. und J. Assmann bei der Betrachtung von Abgrenzungsprozessen, die Minderheiten von Hegemonialmächten vollziehen, Schrift als besonders effektives Distinktionsinstrument beschrieben. Demnach vermag Schrift „in Uberwindung des politi-

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Esther - Theologie unter den Bedingungen der Diaspora

Diese auffällige Selbstrücknahme des Buches liegt aber auch ganz auf der Linie dessen, was wir sonst in dem Buch bezüglich des Umgangs mit schriftlichen Texten feststellen zu können meinten. Einmal abgesehen von der positiven Wertung der persischen Post fällt ansonsten eine gewisse Distanz gegenüber und Relativierung von schriftlichen Texten auf: Der Haman-Erlaß ist ein Beispiel, wie die so bewunderungswürdige Post zum Schlechten wirken kann, das Wohltäterverzeichnis bliebe totes Papier, wenn nicht der Zufall wäre, und handlungsentscheidende Bedeutung wird ihm auch nicht mehr beigemessen. Alles Wichtige möchte das Buch dagegen in der persönlichen oder durch Boten vermittelten Begegnung (Kap. 4!) geregelt sehen, beim Gelage des Königs, bei der Audienz - und am Ende eben auch beim alljährlichen Fest der Gemeinde.

7.4. Auswertung und Zusammenfassung Damit zeigt das Buch Est einen originellen Entwurf einer Uberlebensstrategie für die Gemeinde. Das Verständnis von schriftlichen Texten bindet Est in ein eng aufeinander abgestimmtes Verhältnis von Analyse der eigenen Situation, Sicht der eigenen Gemeinde und des persischen Staates und einer aus dem Konflikt der Doppelloyalität entwickelten Ethik ein. In diesem Zusammenhang kommt es zu einem von dem etwa in Esr 1-6 zu beobachtenden Verständnis durchaus differierenden Umgang mit schriftlichen Texten der persischen Administration. Die Verehrung gegenüber und der Glaube an die Richtigkeit der persischen Erlasse, die sogar theologisch auf dem Wege der Kyros-Theologie begründet werden kann, findet in dieser Schärfe keine Entsprechung in Est. Auch hatte das Kyros-Edikt und selbst die Eingabe an die persische Zentrale (Esr 5) noch die Funktion, die Gemeinde nach innen und nach außen zu stabilisieren. Auf diesem Wege konnte die subjektive Glaubensüberzeugung der Gemeinde und die objektive Ausweisbarkeit vor der Umwelt miteinander verbunden werden. Diese doppelte Be-

sehen Territorialitätsprinzips geistige Räume abzustecken" (Aspekte [29]). Nach Assmann ist aber nicht Schrift, sondern die Kanonisierung bei dem kulturellen Scheidungsprozeß das ausschlaggebende Moment (a.a.O. [30]). Entsprechend drängt Est auf die Annahme des Festes und kann dahinter seinen Charakter als Buch zurücktreten lassen.

Auswertung und Zusammenfassung

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deutung hat vielleicht noch der Erlaß des Mordechai Kap. 8356, sicher aber nicht mehr die Purimbriefe in 9,20ff.357. Anders als in Esr 1-6 erscheint auch die Aufdeckung den Juden günstiger und in Aktenform verwahrter Erinnerung in einer Weise, die den Rahmen eines administrativen Vorgangs durchbricht (vgl. 7.2.1. zu 2,21ff.; 6,Iff·)· Den Akten wird innerhalb der Rettungsgeschichte der Juden eine zentrale Position nicht mehr eingeräumt. An diese Stelle tritt die „face-toface"-Situation des Festbanketts mit taktischen Redemanövern, wohlgesetzten Worten und der erotischen Aussicht, der ΓΠΊΟΤ "ΊΧΓΓΓβ"1 ΓΠΧ73 (2,7) ansichtig zu werden. Man kann diese Beobachtung auch von einer anderen Seite her beleuchten: Mit dem Schriftgebrauch geht das Auseinandertreten von Kommunikation und Interaktion einher358. Weil die Kopräsenz von Sprecher und Hörer beim Schriftgebrauch nicht mehr gegeben ist, leistet sie also vorrangig Kommunikation, nicht mehr aber Interaktion. Die so erfolgte Trennung setzt Est ganz folgerichtig für seine Zwecke ein: Schrift dient in Est im Zusammenhang von Postwesen, Annalistik und Gesetzesniederschrift der Kommunikation, die sich in räumliche und zeitliche Dimensionen erstreckt. 9,20ff. liegen die Dinge nicht wesentlich anders: Die Briefe schärfen ein und liefern einen Geschichtsabriß (V.24ff.). Das Instrumentarium zur Verankerung des

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357

358

8,9 wird der Mordechai-Erlaß immerhin an die exekutiven Organe des Reiches adressiert, doch tauchen die Nicht-Juden in dem Befehl vor allem als Opfer auf. Zur Wirkung des Erlasses scheint allerdings auch die Bekehrung zahlreicher Völkerschaften des Reiches zu gehören (8,17ba), die freilich ihre unmittelbare Ursache nicht in dem Brief, sondern in dem Π Ή Ι Γ Ρ Γ Π Π Β haben soll (8,17bß). Daß Mordechai in einem persischen Wohltäterverzeichnis aufgeschrieben gewesen ist (2,23; 6,2), deutet schon eher darauf hin, daß ein offizielles Schriftstück im Sinne von Est auch zur Erbauung der Gemeinde dienen kann. Die Erwähnung des persischen Journals in 10,2 zeigt an, daß aus einem Dokument der Administration auch für die jüdische Gemeinde Bestätigung und Stolz zu ziehen ist. Wohl eher unbewußt hat Gunkel, Esther (88), einen Zusammenhang zwischen Esr und Est gesehen: Gunkel erklärt, die Hoffnung der Juden in Est sei es, „der Staat selber möge ihnen gegen diese ihre Feinde seine starke Hilfe leihen. Die Schafe stoßen sich untereinander und schauen zu dem Hirten empor, der mit seinem Stabe eingreifen möge." Das ist, wenn man den abwertenden Ton herausnimmt, eine treffende Charakterisierung der Verhältnisse in Esr 1-6, doch paßt sie nur bedingt auf Est. Hier wird der Konflikt zwischen Juden und Judenfeinden auf zwei (bzw. drei) Personen übertragen (Mordechai + Esther contra Haman), die sich aber als hohe und sehr selbstbewußte Beamte mit weitgehenden Vollmachten befehden (als Parallele kann in dieser Hinsicht Dan 6 und auch der Achiqar-Stoff gelten). Vgl. dazu bes. Laermann, Schrift (121-128).

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Esther - Theologie unter den Bedingungen der Diaspora

Lebensentwurfs für die Diasporagemeinde aber setzt auf geformte und angeleitete Interaktion, auf rituelle Begegnung. In der Esthernovelle kommt Schrift daher vorrangig in kommunikativer Hinsicht zum Zuge 35 '. Selbst die kulturorganisatorischen Aspekte, die sich mit dem Gedanken der Kanonisierung von Schrift verbinden, kommen wohl vor, auf ihnen liegt aber nicht das Gewicht. Bei der praktischen Einübung des (Uber-)Lebensentwurfes setzt Est alles auf das interaktive Medium „Fest". Der Umgang mit den Medien erweist sich mithin als außerordentlich sicher und differenziert. Trotz der deutlichen Hinweise also, daß die Purimrolle schriftlichen Texten eine schlechthinnige und exklusive Bedeutung nicht zusprechen möchte, weist sie aber doch andererseits in bestimmten Bereichen eine besondere Wertschätzung von Schrift auf. So zeigt gerade das Motiv des Aktenfundes (6,Iff.), wie selbstverständlich und zugleich erzählerisch virtuos Motive aus dem Umgang mit Schrift eingesetzt werden können. Im hellsten Glänze erscheint Schrift mitsamt des mit ihr verbundenen Verwaltungsapparates dort, wo Perserreich und jüdische Gemeinde ein zentrales Problem teilen: bei der Bewältigung der universalen Ausdehnung und Zerstreuung. Auf dem Hintergrund der Ansicht, daß die Wohlfahrt von Staat und Gemeinde gleichermaßen am ehesten dadurch gesichert sein würde, wenn Juden entscheidende Positionen des Staatswesens einnehmen, kann die persische Post eine ekklesiologische Bedeutung erhalten. Gelungene, d.h. in Est: schnell ablaufende und Authentizität verbürgende Kommunikation, wird zur Uberlebensfrage der Gemeinde. Diese Uberlebensfrage stellt die Umwelt an das jüdische Volk, wenn sie es mit schrecklichen Anschlägen bedroht. Das staatlich organisierte Nachrichtensystem gibt in solcher Lage den Juden die Möglichkeit vereinten und geregelten Handelns gegen ihre Widersacher (Kap. 8.9). Eine Frage nach dem Uberleben in der Zukunft stellt die Gemeinde aber auch an sich selbst, wenn sie im Kanon der dauernd vermittelten Erinnerung Defizite oder doch Interpretationsbedarf verspürt. Die Reichspost erlaubt unter solchen Umständen, mit einem Mal etwas Neues unter die Zerstreuten zu streuen (Kap. 9,20ff.).

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Ein schönes Beispiel für die differenzierte Anwendung schriftlicher Dokumente dürfte mit Kap. 4 vorliegen: Die Auseinandersetzung zwischen Mordechai und Esther ist aufgrund der geschilderten Ausgangssituation (Mordechai im Tor des Königs - Esther im Palast) eine vermittelte. Diese Vermittlung geschieht, wohl um die situative Lebendigkeit des Uberzeugungsprozesses anschaulich werden zu lassen, über einen mündlich vortragenden Boten. Bezeichnenderweise ist nur das von Mordechai übersandte Beweismittel für seinen Bericht an Esther, der Γ Π Γ Γ 3 Γ Ο ptÖÜD, ein schriftliches Dokument.

Auswertung und Zusammenfassung

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Mit der Hilfe des Postsystems wird einmal der Widerspruch zu einem bestehenden Reichsgesetz zu den Untertanen, ein anderes Mal der Befehl zu einem Fest, das implizit in Widerspruch oder doch Kontrast zu einem alten, dem Passah, steht, transportiert. Insofern scheint die Post ein wirkungsvolles Instrument im Dienste einer „heißen" Kulturorganisation von Perserreich und jüdischer Gemeinde zu sein360. Dieses „heiße" Element aber steht, wie besonders die Ethik des ungehorsamen Gehorsams zeigt, im Dienste einer im Grunde „kalten" Kulturorganisation. Schon das Memuchansche Gesetz sucht zwar den Konflikt mit dem Vasthi-Fall, wie ihn die Frauen des Reiches interpretieren, steht aber im Dienste einer Absicherung des Vorhandenen gegen Neues und Unerhörtes. So will auch die Innovation Mordechais Bestandssicherung, und zwar des Volkes, gerät dabei aber mit dem Prinzip der Bestandssicherung des Kanons aneinander. In der Gewißheit, daß dieses Volk sich ohne seine Erinnerung nicht mehr ähnlich sähe, kann Est beides nicht gegeneinander ausspielen, sondern begibt sich nach der politischen - nun auch auf gemeindeinterner Ebene in die Spannung einer Doppelloyalität. Eine Lösungsmöglichkeit für dieses Dilemma deutet sich bereits in Kap. 8 an, als Mordechai Schrift gegen Schrift antreten läßt. Die Doppelloyalität wird zum Spagat: Das alte Gesetz ist abgetan und vom neuen überholt, aber nicht wirklich aufgehoben. Das neue Gesetz ist dem Wortlaut nach mit dem alten weitgehend identisch, befiehlt aber doch das gerade Gegenteil. Das zweite Gesetz des Königs die Juden betreffend wird gleich dem ersten vermittelt und hat denselben Anspruch auf Verbindlichkeit; indem es aber etwas Voraufgehendes relativiert, relativiert es doch auch sich selbst, weil der Leser nun dramatisch vorgeführt bekam, daß nichts so alt ist wie das Gesetz von gestern. Diese Einschränkung des „festschreibenden" Charakters von Schrift wirkt sich gemeindeintern auf die Diskussion um die Neuerung aus: Trotz des Eindrucks, den das Buchende vermitteln will, daß nämlich ein neues Fest gleich der Autorität des persischen Souveräns der Gemeinde anbefohlen werden könne, müssen Mordechai und Esther anders als zuvor Haman (Kap. 3) und der jüdische Held (Kap. 8) nachdrücklich Gehorsam einfordern und auf Zustimmung hoffen. Auch die eigene Erfah-

360

Zu den Möglichkeiten einer .kalten" und „heißen" Option innerhalb des kulturellen Aufbaus einer Gesellschaft, einer auf C. Lévi-Strauss zurückgehenden Kategorisierung, vgl. bes. J. Assmann, Gedächtnis (66-86; speziell 68-70).

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Esther - Theologie unter den Bedingungen der Diaspora

rung der Gemeinde bekommt in diesem jüdischen Gesetzgebungsverfahren einen Ort (9,26; vielleicht auch V.23). So gesehen also besteht der dem Buch oft gemachte Vorwurf, es male zu grell, grob und grausam, nicht wirklich zu Recht. Im Gegenteil läßt sich das Buch auf diffizile Diskussionen ein, wägt ab und stellt sich den Schwierigkeiten und Uneindeutigkeiten der Erfahrungen der bedrängten Gemeinde. Es hat den Mut, Innovation zuzulassen und die Umstände zu beschreiben, unter denen sie notwendig wird und legitimierbar sein kann. Das Buch hat damit eine damals (wie auch heute) für viele verriegelte Tür aufgestoßen und sich um der Existenz der Diasporajuden willen einem sicher nicht immer kalkulierbaren frischen Wind ausgesetzt. Die Novelle ist geschrieben, um eine Möglichkeit von Zukunft aufzuzeigen, die Rettung verspricht, sicher aber keine Erleichterung: Das Leben der Gemeinde mußte durch die Estherrolle komplizierter werden.

8. Dan 6,26-28 - Ein Schreiben zum Schluß 8.1. Exegetische Eindrücke Gegen Ende der aramäischen Danielerzählungen erfährt der Leser von einem Brief, den der „Meder" Darius geschrieben haben soll: „(26) Danach schrieb König Darius an alle Völker, Nationen und Zungen, die auf der ganzen Erde wohnen: ,Euer Wohlergehen sei groß! (27) Von mir ist (hiermit) der Befehl gegeben, daß man im gesamten Herrschaftsgebiet meines Reiches zittern und sich fürchten soll vor dem Gott Daniels; denn er ist der lebendige Gott und besteht für immer, und sein Reich ist eines, das nicht zugrunde geht, und seine Herrschaft (dauert) bis ans Ende. (28) Er ist einer, der befreit und rettet und Zeichen und Wunder tut wie im Himmel so auf Erden; denn er hat Daniel aus der Pranke des Löwen gerettet'". Der Bericht über den Brief ist mit f H X 3 deutlich von dem vorhergehenden Bericht über die Hinrichtung der Widersacher Daniels abgegrenzt. V.29 setzt im Anschluß eindeutig den Bericht über das Ergehen des Daniel am medischen Hofe fort und schließt damit an den Beginn der Erzählung in V.2-4 und darüber hinaus über das Stichwort Γ 0 2 auch an 3,30 an1. Der Bericht ist aber kein Fremdkörper innerhalb der Erzählung von Daniel in der Löwengrube: Er folgt logisch V.25, der mit der Hinrichtung der Verleumder Daniels den ersten Befehl des Darius bringt, der für den Bruch mit dem Alten steht; demgegenüber erscheint der Brief als zweite, in die Zukunft weisende Setzung. Ein solcher großköniglicher Erlaß ist auch bereits in Dan 3,31-4,34 belegt, und innerhalb von Kap. 6 bildet der Brief des Darius offenkundig das positive Gegenstück zu seinem ersten Erlaß, die ausschließliche Verehrung seiner Person für den Zeitraum von 30 Tagen betreffend (6,8.13). Dazu bestehen besonders enge formale und inhaltliche Bezüge zu anderen hymnischen Stücken in Dan 2-6, die den Erzählzusammenhang stabilisieren und offenbar auch ein Mittel sind, die Theologie der aramäischen Erzählungen an herausragenden Punkten zu formulieren2. Die grobe Übersicht zeigt also bereits: der Brief ist als integraler Bestandteil der

1 2

Kratz, Translatio (87f.); Γ 0 2 Ι (ha.) in Dan 2-6 nur an diesen Stellen. Vgl. dazu zusammenfassend Kratz, Translatio (91-95 + 156-160).

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Dan 6,26-28 - Ein Schreiben zum Schluß

aramäischen Danielerzählungen zu verstehen, er ist von den Erzählungen abhängig und die Erzählungen von ihm3. Die soeben angedeutete zusammenfassende Funktion, die unter 8.3. ausführlich beschrieben wird, deutet darauf hin, daß zumindest in dieser Form der Brief nicht Bestandteil einer ursprünglich wohl einzeln umlaufenden Erzählung gewesen ist, sondern vielmehr erst bei einer späteren redaktionellen Arbeit, die einen größeren Erzählkomplex bilden wollte, der Erzählung beigegeben worden ist. Entsprechend hat Kratz den Brief als redaktionelles Mittel der Sammlung der aramäischen Erzählungen Dan 1-6* begriffen. Diese Sammlung setzt - wie auch an unserem Brief zu zeigen ist (dazu 8.3.) neben der Theologie Dtjes's Aspekte der jeremianischen und vor allem der ehr. Theologie voraus, so daß sich eine allzu frühe Datierung verbietet4. Diese ganz grobe redaktionskritische Einordnung soll für die Zwecke dieser Untersuchung reichen. Eine genauere Analyse aber lohnt die Beschreibung der gattungsspezifischen Elemente dieses fiktiven administrativen Dokumentes, die in direkter Beziehung zu der Aussageabsicht des Briefes und seiner - nennen wir es vorläufig einmal so - kommunikativen Kraft stehen. Ein erster Uberblick erlaubt, mit einer Gattung ,Großkönigliches Edikt' zu rechnen, die als Rahmengattung für die Gattung .Hymnus' oder

3

4

Anders möchte Haag, Errettung (45), V.26.27a dem Grundtext, V.27b.28 aber einem Zweitredaktor zuschlagen. Neben den eben im Text angeführten Gründen spricht gegen eine solche Aufteilung die u. E. wahrscheinliche Annahme, daß V.27a gattungsmäßig bereits zum hymnischen Abschnitt gehört; dazu gleich unten. Kratz, Translatio (274), schlägt das späte 5. oder das frühe 4. Jhd. vor und rückt damit Dan 1-6* sowohl sachlich wie zeitlich sehr eng an die frühesten ehr. Schichten heran. Aufgrund seines Verständnisses des jüdisch-persischen Verhältnisses in Dan 1-6* (Stichwort: Reichsautorisation) sieht er die Welt hinter den Erzählungen als „außerordentlich stabil und geordnet", hier soll das Judentum „seinen festen, zur Festigung geeigneten Platz" haben. O b das freilich etwa durch Daniel 6 zum Ausdruck kommt, können wir nicht sehen, denn die Festigkeit der jüdischen Stellung wird dort ja erst durch das extraordinäre Eingreifen des Gottes Daniels hergestellt. O b weiter Dan 1-6* „zum Gebrauch im Verkehr mit persischen Behörden verfaßt" wurde und die eingelegten Dokumente den Behörden zeigen sollten, „wie frühere Könige in der Judenfrage verfahren sind" (a.a.O. [277]), scheint uns ganz unsicher. Ein persischer Beamter dürfte bei der Lektüre des Darius-Briefes kaum Freude empfunden haben. Uns scheint seine formale und inhaltliche Gestaltung eher subversiv und schon im apokalyptischen Strom schwimmend. Der Komplex will nicht versöhnen oder Konsens stiften, sondern den Bruch herbeiführen (vgl. 8.3. und 4; auch Albertz, Gott [143].). Esr 1-6 stellt demgegenüber mit seinen argumentierenden Eingaben ein viel pragmatisch-realistischeres Konzept dar: Dan 1-6* ist davon sachlich und daher wohl auch zeitlich bereits ein ganzes Stück entfernt. Eine eher zutreffende Beschreibung des utopisch-apokalyptischen Charakters schon der aramäischen Danielerzählungen liefert Albertz, a.a.O. (185ff.).

Exegetische Eindrücke

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doch zumindest hymnischer Elemente dient. Die formale Gestaltung des Briefes stellt sich wie folgt dar: a) Adresse·.

· ρ - | ί Π " Η K^ttfbl

ÍTDDSrb:) 1 ?. Die ange-

schriebene Person wird sonst fast nie mit der Präposition - 1 ? - eingeleitet, sondern mit , seltener mit als einführende Präposition begegnet allein noch Esr 7,12; Dan 3,31, in Briefen aus Nahal Hever6 und in Qumran7, wobei bei letzteren ein biblischer Einfluß vorliegen kann, das Vorkommen dieses Formulars über die kanonischen Schriften hinaus also nicht sicher ist. Ferner fällt die Einführung des Absenders auf, die neben dem Namen selbst in ganz untypischer Weise noch die Tätigkeit des Absenders erwähnt (3ΓΟ i O ^ D tìVII)". Die Briefgestaltung der biblischen Schriften hat also nur bedingte Ähnlichkeit mit dem außerbiblischen Material. Daraus könnte man den Schluß ziehen, der Beginn des eigentlichen Brieftextes liege erst mit dem Gruß i O f c P "["DD^ttf

vor', da die Formulierung von Absender und Adresse nicht die klassische Typik zeigt, also nicht als eigentlicher Briefbeginn gemeint ist10. Der Erzähler hätte dann in eigenen Worten, aber auch unter deutlicher Anlehnung an das übliche Präskript eine Einleitung zu dem dann zitierten Dokument verfaßt, das ansonsten ja dem Leser völlig unvermittelt mitgeteilt wäre11. Die Erwähnung des Verbums 3ΓΟ, auf die beim Brief 5 4 7

8

'

10

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Fitzmeyer, Epistolography (21 lf.); Alexander, Remarks (161f.). Vgl. Fitzmeyer, a.a.O. (212; auch 213). 4 Q550 l,6f. (Beyer, A T T M Π [114]): " H S y 1 ? ! ... J O ^ D 0 Τ Π Τ Beyer, a.a.O. (113), datiert die Handschriften in die 2. Hälfte des 1. Jahrhunderts v. Chr., die Entstehung des Werks vermutet er um 200 v. Chr.. Vgl. Esr 7,12; zu Dan 3,31 vgl. Anm. 11. Außerbiblisch ist in aramäischen Briefen, wenn wir recht sehen, ein Verb beim Absender nicht belegt. So wird es fast immer gesehen. Allerdings lassen Behrmann, Dan (43), und Porten/Yardeni, Textbook I (143), den Brief bereits mit x - v a n y - b D b beg innen. Noch anders hält Bentzen, Dan (46), nur und 3 Γ Ο für nicht zum Brief gehörig, wobei 3 Γ Ο „vom Verfasser in den Anfang des Briefes eingefügt" worden sei. Zu den bedingt typischen Formelementen kann man allenfalls noch den Bestimmungsort zählen, den auch 6,27 kennt ρ - Ι Κ - Γ Ή ) . Vgl. dazu bei Schlußbemerkungen (!) die Mitteilung, die Adressaten befänden sich „in Ägypten" (|Ή2Ϊ03 ""Τ; Porten/Yardeni, Textbook I A.6.11., Z.7 [S. 118]; A.6.12., Z.4 [S. 120]; A.6.13., Z.6 [S. 122J. Eine andere Form teilt kurz mit: „nach Elephantine zu bringen" ( S a i |10; a.a.O. A.2.2., Z.18 [S. 12]; A.2.3., Z.14 [S. 14]; A.2.4., Z.14 [S. 16]; vgl. noch A.2.5., Z.10 [S. 18]; A.2.6., Z . l l [S. 20]; A.2.7., Z.5 [S. 22]). Vgl. aber Dan 3,31, wo allerdings einige Textzeugen „schicken" oder „schreiben" ergänzen, wohl um eine fehlende Einleitung des beginnenden Briefs zu formulieren. Eine erzählende Einleitung mit folgendem „richtigen" Präskript findet sich in Esr 7,11.12.

300

Dan 6,26-28 - Ein Schreiben zum Schluß

Nebukadnezars offenbar verzichtet werden konnte, kann auch sehr gut im Kontext der Erzählung von Kap. 6 verstanden werden: Das Schreiben des Königs, sein das Beten betreffender Gesetzeserlaß, war wesentliches Motiv der Erzählung gewesen. Darüber hinaus war dieses Schreiben bislang allein negativ in Erscheinung getreten, denn es hatte den König gegen sein - später - besseres Wissen unter Zugzwang gesetzt und so den Bekenner in die Löwengrube gebracht. Das Stichwort 3 Γ Ο mag von daher nun beim Leser die gespannte Frage aufkommen lassen, wie heidnische Gesetzgebung nach dem Erleben der Wunder wirkenden Kraft Gottes aussehen kann12, b) Gruß: K2ÍP ]"DDbttf. Dieser Gruß ist so nur noch in Dan 3,31 belegt13. In den häufigen D^ttf-Grüßen steht D^ttf in der Regel ohne14, selten auch einmal mit Suffix15. Die Wurzel "OÈ? ist - wenn auch nicht in dieser Form - in brieflichen Grüßen belegt: So wünscht man dem Adressaten, daß sich immer alle Götter „intensiv" um ihn kümmern möchten ("ÔXEP OÉ?16) oder aber es wird reichlich Wohlergehen und Festigkeit geschickt (Π0ϋ -J]1? mttfm irato rmtö17). Spätere Briefe kennen - wohl unter der Einwirkung der biblischen Belege - die Formel

D^tÖ •»no

abtí

abü o.ä.18.

Vor oder neben dem Buch Daniel kann der Gruß also nicht nachgewiesen werden, doch scheint er an den sonst zu beobachtenden Usus angelehnt.

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Zur Bedeutung solcher Assoziationen für den ganzen Brief vgl. 7.3. Vgl. aber noch Beyer, A T T M I (359), x y N G 1.2.3 (Sendschreiben Rabban Gamaliels Π.): K^CP Ι Ό η ^ ϋ . Es besteht freilich der Verdacht biblischer Beeinflußung, so daß diesen Briefen eigenständige Bedeutung nicht zukommt (so auch Fitzmeyer, Epistolography [215]). Dasselbe gilt für die Schluß(!)grüße, die in späten aramäischen Briefen überliefert sind (Beyer, A T T M Π (243), yyZZ 30, Z.7 ([D]Ss?b "»JO"1 pDD^IÖI; ähnlich a.a.O. (243) yyZZ 32, Z.3f.). Obi11 steht sonst absolut (vgl. Porten/Yardeni, Textbook I (A.2.I., Z . l [S. 10]; A.2.2., Z . l [S. 12]; A.3.8., Z . l [S. 42]; 4Q550 1,7 in Beyer, A T T M Π [114]), oder als nomen regens einer Konstruktusverbindung, dessen nomen rectum ein Eigenname oder Titel ist (vgl. a.a.O., A.3.9., Z . l [S. 46]: "HKD o b t í ; A.3.10, Z . l [S. 48]: T t K EÒE? u.ö.). Für suffigiertes D v g l . Porten/Yardeni, Textbook I (A.3.6., Z . l [S. 38]) - ergänzt; A.3.7., Z . l [S. 40]: ] 1 ! 7 "On^tf S d X T ! 1 ? « („Mögen alle Götter zu aller Zeit sich um dein Wohlergehen kümmern!"); A.4.4., Z . l [S. 60]: S m "[Obttf... . Ferner taucht in den Papyri aus Hermopolis der folgende Schlußgruß auf: ' p o b t ö b Π3Τ Γ Π Β Ο [.] . Γ Ί Γ 0 0 ; a.a.O., A.2.4., Z.13 (S. 16); vgl. A.2.5., Z.9 (S. 18), u.ö.; dazu vgl. Fitzmeyer, Epistolography (217); Alexander, Remarks (166). Vgl. Porten/Yardeni, Textbook I A.3.5., Z . l (S. 36); A.3.9., Z . l (S. 46); A.4.3.; Z.2 (S. 58); A.4.7., Z.2 (S. 68), u.ö. Porten/Yardeni, Textbook I A.3.8.; Z . l (42); vgl. A.6.3., Z . l (S. 102); A.6.4., Z . l (S. 104); A.6.5., Z . l (S. 106), u.ö. Beyer, A T T M Π yyZZ 6, Z.l.3.4.5 (S. 242); yyZZ 30, Z.1.5 (S. 243), u.ö.

Exegetische Eindrücke

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An anderen typischen Gattungsmerkmalen mangelt es dem Brief. Weder findet sich ein „transition-marker"19 (H3S7DI o.ä.; vgl. Esr 4,10.11), noch Schlußgrüße oder Hinweise auf Datum und Schreiber. Solche Angaben sind allerdings bei „eingelegten Urkunden" wie der vorliegenden20 ebensowenig wie sonst im AT zu erwarten. Allein die alttestamentlich wie außeralttestamentlich belegte Formulierung ... ( Ή ) DS7Ü •"·{Ό wird auch an anderen Stellen zur Einleitung von Befehlen benutzt. In Dan 6,27 dient sie zu Beginn des Briefes zur Einleitung des Befehls, den der Absender (in der 1. Pers. sg.) seinen Adressaten auferlegen will. In genau dieser Funktion und Stellung findet sich die Formel in Esr 7,13. In ähnlicher Weise benutzt findet sie sich in Esr 4,21 wohl nicht zu Beginn des Briefes, aber nach einem durch ]S7D markierten Einschnitt, vor dem wiederum die zu diesem Befehl führende Vorgeschichte erläutert worden war. Ein ähnlicher Absatz innerhalb eines solchen Dokuments liegt Esr 6,8.11; 7,21 vor21. Dem so eingeleiteten Befehl entspricht die Mitteilung, eine Sache solle oder werde „so wie der Befehl erlassen wurde" (•"1t£7 "'TD DX7Ö) durchgeführt 22 . Darüber hinaus kann eine untergeordnete Stelle eine übergeordnete auffordern, einen Befehl zu erlassen23. Die nächsten Analogien finden sich also auch in diesem Fall in den anderen aramäischen Teilen des AT, während die Beziehungen zu den außer-atl. Texten in den Formulierungen und der Stellung innerhalb des Briefes stärkere Abweichungen zeigen. Die Autoren von Dan und Esr jedenfalls waren offenbar der Ansicht, die Korrespondenz der persischen Administration sei in der von ihnen gewählten Form erfolgt.

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Alexander, Remarks (164). Als Übergang zum Korpus steht stattdessen "Ώ~ΐρ _ |0 DS7Ü. Im Korpus selbst kann die briefliche Übergangsfloskel nicht vorkommen, aa das Korpus aus einem Psalm besteht. Towner, Passages (320): „a royal pronouncement in its narrative setting". Für das Vorkommen innerhalb einer Rede vgl. Dan 3,29. Dazu vgl. noch zu Beginn (nach dem Präskript) eines sehr fragmentarischen Briefes den Verweis auf einen bereits ergangenen Befehl: ... OS7Ü Df]Ö HUDI (Porten/Yardeni, Textbook I A 6.1., Z.2 (S. 94). Die Bemerkung in Z.3 p 3 T P 3 T D Κ31ΓΙ03 η « bezieht sich vielleicht auf denselben Vorgang. Porten/Yardeni, Textbook I A 6.2., Z.22.23.25 (S. 96). Porten/Yardeni, Textbook I A 6.7., Z.8f. (S. 110); wohl auch A .4.5., Z.21 (S. 64). Häufiger taucht in der Arsäma-Korrespondenz gegen Ende - vor der Angabe des Schreibers - die Bemerkung auf, eine bestimmte Person habe Kenntnis von diesem Befehl ("Π033 Π3Τ n a v a U T ; a.a.O. A 6.8., Z.4 (S. 112); A 6.9., Z.6 (S. 114); A 6.10, Z.IO (S. 116); A 6.11., Z.6 (S. 118) u.ö.

302

Dan 6,26-28 - Ein Schreiben zum Schluß

Das Korpus des Briefs wird von einem hymnischen Text beherrscht, der sich nach landläufiger Meinung über die V.27b.28 erstreckt24. Er formuliert in Hymnen-typischer Weise mit „lauter kurze(n) Sätze(n), die von dem Gott etwas besonders Ruhmvolles aussagen"25. Eingeleitet mit Ή folgt zunächst eine zweigliedrige Aussage über den zuvor genannten Gott Daniels im Nominalstil (V.27ba). In der Fortsetzung V.27bß wird die direkte Beschreibung JHWHs abgelöst durch die seiner „Werke, Stiftungen"26 (mit Suffix). Dabei ist das erste Glied negativ, das zweite positiv formuliert. V.28 folgt eine typische (dreigliedrige) Partizipialaussage (S>2îm amtfa "13171), die J H W H zum Subjekt hat. Beschreiben diese Partizipien in V.28a das regelmäßige Handeln des Gottes Daniels, so berichtet die mit Ή eingeleitete Fortsetzung, dessen Verb (UTE?) im Perfekt steht, von JHWHs Tun in der (gerade verflossenen) Vergangenheit27. An diesem Tun war dem betenden Darius das grundsätzliche Handeln aus V.28a klar geworden. So weit also haben wir es mit einem hymnischen Text zu tun, wie er auch in den hebräischen Partien des AT zahlreich belegt ist28. Man vermißt eine herkömmliche Einleitung, die durch eine Imperativische, jussivische oder kohortativische Aufforderung zum Jubeln und Preisen o.ä. gebildet zu werden pflegt. Zu überlegen wäre aber, ob nicht V.27a, der sich, wie wir oben sahen, aufgrund seiner Formulierung als Befehls- oder Rechtssatz gibt, hier nicht an eben diese Stelle treten soll. Zwar lassen sich u.W. die Verben und χητ sonst nicht als Hymneneinleitung nachweisen, funktional aber handelt sich bei der Aufforderung an das Publikum29, diesem Verehrung zu erweisen, um eine Entsprechung zu dem Lobaufruf. Die Wahl der Verben *?ΓΠ und Χ7ΊΤ kann darüber hinaus unter dem Einfluß von und als Gegenstück zu 5,19 geschehen sein. Das hebräischem Ό entsprechende Ή am Beginn von V.27b dient dann wie auch sonst an dieser Stelle als Uberleitung vom Lobaufruf zum Hauptstück des Psalms30.

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Marti, Dan (47); Haag, Errettung (45). Die formale Gestaltung des Briefs ist in den meisten Arbeiten stark vernachlässigt. Eine Beschreibung der poetischen Formung unternimmt Di Leila, Analysis (94f.). Gunkel, Einleitung (48); auch Mowinckel, Psalms I (83). Gunkel, Einleitung (49); auch Mowinckel, Psalms I (84). Vgl. dazu Gunkel, Einleitung (51f.). Hartman/Di Leila, Dan (200): „a typical Jewish hymn in praise of the God of Israel". Zum Motiv des globalen Publikums in Hymnen vgl. Gunkel, Einleitung (36). Im Hinblick auf die in V.27a benutzten Verben wird sich in diesem Fall nicht als Einleitung der Durchführung (Crüsemann, Studien [32-35]), sondern wirklich als Einleitung der Begründung verstehen lassen müssen.

Anmerkungen zu einer Theorie des Briefs

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Faßt man es so auf, hätte man es also mit einer Transformation eines hymnischen Elements zu einem Rechtssatz zu tun, oder umgekehrt damit, daß „mir deine Anordnungen (zu) Jubelliedern geworden sind" (Ps 119,54)31. Dann aber besteht der Brief, einmal abgesehen von dem Präskript, lediglich aus einem nahezu vollständigen Hymnus, der in seinem Anfangsteil geschickt zum großköniglichen Befehl hin oszilliert. Persische Gesetzgebung und israelitische Hymnik sind eine geradezu perfekte Symbiose eingegangen. Towner hat aus dem narrativen Kontext, in dem der Brief steht, zu Recht geschlossen, daß der übliche „Sitz im Leben" solcher Hymnen, nämlich liturgische Zusammenhänge und der Kult, hier nicht der richtige ist32. Die Verquickung der Gattung des großköniglichen Edikts mit der Gattung Hymnus an der Nahtstelle V.27a bestätigt diese Einsicht. Die weitere Untersuchung in 8.3. wird freilich zeigen, daß der Hymnus hier nicht einfach in den „Sitz im Leben" eines solchen Ediktes übergegangen ist, da auch der Befehl des Königs seinen Sitz im Leben verloren hat.

8.2. Anmerkungen zu einer Theorie des Briefs Bevor wir die Beobachtungen vermehren und die bereits gemachten deuten, wird es sich als nützlich erweisen, eine grundsätzliche Reflexion über das Wesen des Briefs vorzunehmen, um nicht unkontrolliert Prämissen in unsere Erörterungen einfließen zu lassen, die das Erwägen anderer Deutungen verhindern und sich darüber hinaus womöglich bei näherem Zusehen selbst als unsachgemäß erweisen könnten. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung wird eine solche Erörterung, die, wie sich sogleich zeigen wird, sehr schnell in grundsätzliche Probleme einer Zeichen-, Sprach- und Kommunikationstheorie führen kann, nur in Ansätzen durchzuführen sein. Wir wollen sie trotzdem nicht völlig wegfallen lassen, da sich auch mit bescheidenerem Aufwand zumindest eine Schärfung des Problembewußtseins erreichen läßt und sich darüber hinaus Implikationen für die gesamte Untersuchung ergeben können.

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Die Formulierung, die nach Deißler, Psalm 119 (155), einen „ganz singulären Gedanken" enthält, findet mit Dan 6 ein anschauliches Exempel für ihre praktische Bedeutung. Passages (323f.).

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Dan 6,26-28 - Ein Schreiben zum Schluß

W i r wählen als Ausgangspunkt eine „Brieftheorie", die bereits etwas älter ist und sich zudem vor allem mit der Problematik der ntl. Briefe beschäftigt hat. Freilich ist sie wohl bis heute von bedeutsamer Wirkung 33 und erhebt selbst über ihren eigentlichen Forschungsgegenstand - das Korpus der paulinischen Briefe - hinaus den Anspruch, von allgemeiner Gültigkeit zu sein. Dieses Briefverständnis hat darüber hinaus den Vorzug, nicht eigentlich originell, sondern eher ein Sammelbecken von allerlei damals (wie auch heute) im Schwange befindlichen Vorstellungen zu sein. Adolf Deissmann hat zunächst in seinen „Bibelstudien" (1895), dann auch in „Licht vom Osten" (1908 1 u.ö.) seine Brieftheorie zunächst in allgemeiner Hinsicht, dann in ihrer Bedeutung für das Verständnis der ntl. Briefe erläutert 34 . Seine Vorstellung ist bestimmt durch eine Herleitung des Briefes aus seiner vermuteten Wurzel: dem unmittelbaren Gespräch zwischen zwei Personen, die aus dem Augenblick heraus etwas Privates zu besprechen haben. Fundamental ist also die These, daß der Brief „sich in seinem Wesen nach in nichts von der mündlichen Zwieprache" unterscheidet35, daher also als „die vertraute, individuelle Zwiesprache räumlich getrennter Personen" zu gelten hat36.

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Immerhin noch 1966 schreibt Doty, Epistle (11), trotz Zweifel an der Richtigkeit der Unterscheidung von „Brief" und „Epistel": „No modern student of the NT epistolary writings can fail to take these distinctions into account". Die folgende Darstellung wird sich auf das Notwendigste beschränken. S. für neuere Darstellungen bes. Doty, Classification (passim); Stowers, Letter Writing (bes. 17-20); für Franz Overbeck, auf den Deissmann sich bezieht (vgl. Bibelstudien [228, Anm. 2]), s. Güttgemanns, Fragen (106ff.). Bibelstudien, (189). Ders., Licht (194): Man könnte den Brief „als eine Weissagung auf das mündliche Ferngespräch bezeichnen". Vgl. auch Dziatzko, Brief (838): „Der Inhalt der eigentlichen B. entsprach wie noch heute dem, was räumlich nahe Personen sich mündlich zu sagen haben". Die eigentlichen Briefe seien daher die ursprüngliche Form des Briefs, sie dienten „irgendeinem Bedürfnis des wirklichen Lebens". Bibelstudien, (191). Daher stimmt Deissmann Overbeck zu, der meinte, daß das geschriebene Wort des Briefes als das „durchaus kunstlose und zufällige Surrogat des gesprochenen" anzusehen sei (a.a.O. [229]. Das Zitat Overbecks findet sich Anfänge [19J. Zu Overbecks formgeschichtlichem Ansatz und seinen Aussagen zum Thema Mündlichkeit-Schriftlichkeit, die in mancher Hinsicht präziser als die Deissmanns sind, vgl. bes. Güttgemanns, Fragen (106-118). - Von „Surrogat" spricht schon Goethe in „Dichtung und Wahrheit" (Ende von Buch X; S. 446f.): „Wir begaben uns in eine geräumige Laube, und ich trug ein Märchen vor, das ich hernach unter dem Titel ,Die neue Melusine' aufgeschrieben habe [...] Sollte jemand künftig dieses Märchen gedruckt lesen und zweifeln, ob es eine solche Wirkung habe hervorbringen können; so bedenke derselbe, daß der Mensch eigentlich nur berufen ist, in der Gegenwart zu wirken. Schreiben ist ein Mißbrauch der Sprache, stille für sich lesen ein trauriges Surrogat der Rede".

Anmerkungen zu einer Theorie des Briefs

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Alles Weitere ist die konsequente Umsetzung dieser Ausgangsthese. Der Brief ist immer „ein Stück schöner oder trivialer, jedenfalls aber wahrer menschlicher Naivität", also Bestandteil des „goldene(n) Zeitalter(s), in dem es weder Schriftsteller noch Verleger gab und auch keine Recensenten" 37 . Davon ist zu unterscheiden, was Deissmann als „Litteratur" bezeichnet: für die Öffentlichkeit bestimmtes Schrifttum, das von vornherein gelesen sein will, das sich an die „grosse törichte Öffentlichkeit" wendet, nicht mehr Gespräch, sondern „Buch" ist38. „Litteratur" in diesem Sinne ist bar eines spezifischen Publikums und unmittelbaren Anlasses. Sie ist gewissermaßen Zeit und Raum enthoben und entbehrt somit des dialogischen Charakters, der die Ursprungssituation menschlicher Kommunikation gekennzeichnet hatte. Der Autor eines solchen „Buches" ist daher auch „mehr litterarisches Wesen als Mensch", ein „Paragraphenmensch, ein Schablonenarbeiter" 39 , seine Versuche, einen Brief zu schreiben, sind gattungsmäßig nicht als „echter, wirklicher Brief", sondern als „Epistel" zu qualifizieren40. Solche „Episteln" sind von dem „wirklichen" Brief vor allem darin unterschieden, daß sie „Marktware" sind, allgemein gehaltene und jedermann verständliche und darum auch an jedermann gerichtete Texte. Allerdings muß auch der „wirkliche Brief" nicht notwendig lediglich einen Adressaten haben, sondern kann sich - hier scheint Deissmann sein ideales Zwiesprache41-Modell zu verlassen, um die Brücke zu den paulinischen Gemeindebriefen schlagen zu

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A.a.O. (192). Weitere Bezeichnungen für dieses Zeitalter sind „die heilige Einsamkeit des schlichten unbefangenen Menschentums" und „die durch kein Buch beunruhigten Kindheitsjahre des vorlitterarischen Menschen" (194). A.a.O. (193). S. 192 werden die potentiellen Buchleser als „Unbekannte und Unverschämte" bezeichnet. Die Bestimmung für die Öffentlichkeit als Kriterium der Briefexegese kritisiert Doty, Epistle (21f.). Vgl. durchaus verwandt mit dieser Einschätzung bereits Herder im 95. Humanitätsbrief: Herder verweist auf die rasche und allen zugängliche Verbreitung von Gedanken durch den Buchdruck, die freilich nur wenigen zum Nutzen gereichte: „Andere ergriff die Bücherwuth, sie wurden verwirrte Buchstabenmänner und zuletzt selbst in Person gedruckte Buchstaben" (433). Was freilich bei Herder als Folge der Schriftbenutzung beschrieben wird, ist bei Deissmann eher deren Voraussetzung. A.a.O. (196f.). Die Epistel wird a.a.O. (203) als „Nachäffung" des „wirklichen" Briefs bezeichnet. Man könne, so Deissmann, Licht (195), den „paradoxen Satz wagen ..., die Epistel sei das Gegenteil des wirklichen Briefes". Angesichts dieser und vieler anderer ähnlicher Äußerungen klingt die a.a.O. (247) zu lesende Beteuerung, die Unterscheidung zwischen „Briefen" und „Episteln" komme nicht auf Werturteile hinaus, nicht überzeugend. Den Brief vergleicht Deissmann mit der „Zwiesprache", die Epistel mit dem „Dialog" als gekünstelteren Form (Licht [195]).

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Dan 6,26-28 - Ein Schreiben zum Schluß

können - auch an eine ganze Reihe von Personen wenden, wenn er nur eine „persönliche, vertrauliche Angelegenheit" zum Gegenstand hat42. Der Gedankengang und die Terminologie Deissmanns zeigen, daß es sich bei seinem Entwurf um ein Konstrukt auf der Grundlage eines romantischen Geschichtsbildes43 handelt, das als eigentümliche Mischung aus sozialem Engagement44 und einem sich linear entwickelnden Dekadenzmodell erscheint45. Verschiedene Aspekte des Entwurfes Deissmanns sind deshalb auch bald der Kritik anheimgefallen und haben sich in der Forschung nicht durchsetzen können44. Gleichwohl hält sich bis heute von allen Thesen Deissmanns die Unterscheidung zwischen „wirklichen Briefen" und „unwirklichen, literarischen Briefen", d.h. Episteln, am nachhaltigsten47.

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A.a.O. (204-206). Die Möglichkeit, daß ein Brief sich auch an „einen dem Briefschreiber durchaus übersehbaren und vom ihm allein ins Auge gefaßten Kreis von Lesern" richten kann, hatte bereits Overbeck, Anfänge (19f.), hervorgehoben. Zum Romantizismus Deissmanns vgl. auch Stowers, Letter Writing (19). Zu diesem gehört wesentlich die Entgegensetzung zwischen Kunst und Natur. „Der Brief ist ein Stück Leben, die Epistel ist ein Erzeugnis literarischer Kunst" heißt es Licht (195), woraus zu schließen ist, daß „literarische Kunst" sich vom Leben schon recht weit entfernt haben muß. Zu diesem Problem vgl. auch Doty, Epistle (20f.); Classification (191). Die Entgegensetzung von „Schrift" und „Sprache" findet sich bereits bei Rousseau, Essai sur l'origine des langues (108): Die Schrift „ändert nicht die Wörter, aber den Geist; sie ersetzt den Ausdruck durch Exaktheit. Man gibt seine Gefühle wieder, wenn man spricht, und seine Ideen, wenn man schreibt", (zitiert nach Schlaffer, Einleitung [12]). Zur Vorgeschichte dieses Motivs vgl. auch Schlaffer, a.a.O. (Anm. 8). Kurze Anmerkungen über das Weiterwirken dieser Gedanken über die Romantik bis in das 20. Jhd. finden sich ebd. (12f.). Die Autoren der Briefe sind bei Deissmann „kleine glückliche Leute" (a.a.O. [201]). Den sozialgeschichtlichen, nahezu sozialromantischen Aspekt als wesentlichen Impetus zur Erforschung der griechischen Papyri streicht auch Lietzmann, Gedächtnis (301), heraus. Vgl. auch Stowers, Letter Writing (18): „Deissmann painted a romantic picture of Paul, a champion of the lower classes and the uneducated, pouring forth his passionate responses to church crises in a way unaffected by literary or rhetorical convention"; vgl. ferner Malherbe, Ebene (196ff.). Der Wert der Thesen Deissmanns liegt dabei in ihrer aufklärerischen Absicht: Die Briefe des Paulus sollen aus ihrer dogmatischen und kanonischen Umklammerung (vgl. dazu ausdrücklich a.a.O. [236]) gelöst werden, um sie historisch angemessen als Zeugnisse eines bewegten Gemeindelebens interpretieren zu können; vgl. dazu auch Doty, Epistle (11-13). Zur Kritik an Deissmann vgl. z.B. Roller, Formular (23ff.); Stowers, Letter Writing (1820); Doty, Classification (passim); die Unterscheidung zwischen Brief und Epistel hält Berger, Gattungen (1338), für „willkürlich". So Stowers, Letter Writing (18). Typisch etwa ist Sykutris, Epistolographie (187), der 1931 im Rückblick auf die durch Overbeck und Deissmann entfachte Debatte feststellt, die Unterscheidung zwischen Privatbrief und literarischem Brief sei durchaus nicht so eindeutig zu treffen, wie Deissmann dies getan habe. Er geht aber dann über Over-

Anmerkungen zu einer Theorie des Briefs

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Diese Unterscheidung geht u. E. im Letzten auf ein nicht nur bei Deissmann, sondern auch bei den meisten Forschern vor und nach ihm stets impliziertes, jedoch selten ernsthaft befragtes Axiom zurück. Deissmann geht, wie wir oben sahen, bei seinen Überlegungen von der „Zwiesprache" oder dem „Dialog", sofern dieser nicht als literarische Gattung verstanden wird, aus. Als grundlegendes, überdies auch noch als „natürlich" und „wirklich" bezeichnetes Kommunikationsmodell gilt ihm die face-to-face-Situation, die mündliche Rede zwischen zwei oder auch mehreren Menschen, die sich zur selben Zeit am selben Ort befinden48. Alles Weitere läßt sich aus dieser Situation erklären und ableiten, und je weiter andere Kommunikationssituationen von dieser ursprünglichen entfernt erscheinen, desto „unnatürlicher", „künstlicher" und „unwirklicher" sind sie49.

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beck/Deissmann nur insofern hinaus, als er die sekundär, also nicht vom Autor publizierten Briefe zu den literarischen mit hinzunimmt. Als neueres Beispiel mag Vielhauer, Geschichte (58-64), dienen: Er relativiert die „suggestive" Unterscheidung (59) zwischen dem Privatbrief und dem literarischen Kunstbrief und rechnet stattdessen mit einer ganzen Skala von Brieftypen, wobei er die von Deissmann aufgestellten Kriterien (etwa der literarische Charakter und die Veröffentlichung) immerhin im Einzelfall als durchaus problematisch ansieht (bes. 64). Aber auch ihm erscheint die Unterscheidung zwischen „Brief" und „Epistel" als mindestens „heuristisch brauchbar" (59). Vgl. weiter Eißfeldt, Einleitung (25), der die klassische Deissmannsche Definition ungebrochen aufrechterhält. Deissmann stellt sich mit dieser Sicht in eine lange Geschichte hinein: Die erste und wohl auch bekannteste Schriftkritik der Geschichte, nämlich die Piatons, kritisiert Schrift ebenfalls vor dem Hintergrund eines Interaktionsmodells, das die Dialogsituation als Ideal ansieht. Von diesem Maßstab aus betrachtet erscheinen Piaton die Eigentümlichkeiten von Schrift, von denen er immerhin eine ganze Reihe wahrnimmt, als gefährliche Mängel. In die Wirkungsgeschichte dieser Ansicht gehört u.E. das Zitat aus „Dichtung und Wahrheit" unten Anm. 36. - Vgl. als Gegenentwurf dazu Gadamer, Wahrheit (bes. 372f.): die mangelnde situative Verbundenheit von Schrift ist gerade als Gewinn zu betrachten, die hermeneutische Jagd nach dem „ursprünglichen Leser steckt voller undurchschauter Idealisierung". Vgl. auch schon Herder im 95. Humanitätsbrief: „Mit Einführung der Schrift ging der größte Teil dieses alten Worts zu Grabe; nur Weniges von ihm ward aufbehalten und allmählig geregelt. Mit Einführung der Schrift kam Prose auf, Geschichte und Beredsamkeit wurden ausgebildet; und wenn sich jetzt die Poesie neben ihnen hervorthun wollte, so lief sie Gefahr, stolz, aufgeblasen und, wo sie vom lebendigen Vortrage ganz entfernt war, unverständlich und schwindelnd zu werden. Eben nur der lebendige Vortrag hatte sie ehemals im Kreise einer schönen Anschaulichkeit erhalten". - Der von Herder geahnte Übergang von Poesie zu Prosa mit dem Wechsel der beherrschenden Medien hat sich - wenn auch unter anderen Gesichtspunkten und ohne die Bewertung, die Herder vollzieht - in der neueren Forschung als zutreffend erwiesen: vgl. z.B. für die Verhältnisse in Griechenland Rosier, Entdeckung. Über die Verhältnisbestimmung von Mündlichkeit und Schriftlichkeit bei Herder unterrichtet detailliert Güttgemanns,

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Dan 6,26-28 - Ein Schreiben zum Schluß

Für das Verständnis des Schreibens bedeutet das: Schrift kann nur noch in Abhängigkeit von mündlicher Kommunikation gedacht werden50. Geschriebene Sprache erscheint auf all ihren Ebenen als Abbild der gesprochenen Sprache51. Sie läßt sich daher vollständig in den Kategorien gesprochener Sprache interpretieren, so daß Schrift als „Ersatz" für eine mündliche Mitteilung begriffen werden kann52, ein Ersatz, der freilich mit einer Reihe

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Fragen (120-123). Zur Übernahme des Konzepts Herders durch Gunkel und dem auch bei diesem zu findenden Gegensatz zwischen „Leben" und „Kultur" vgl. Güttgemanns, Fragen (156+Anm. 18). Als klassischer Beleg dafür wird immer wieder ein Satz des Aristoteles bemüht: Έ σ τ ι μέν οΰν τα έν τη φωνη των έν τη ψ υ χ η παθημάτων σύμβολα, καί τα γραφόμενα των έν τη φωνη (De interpretatione I, 16a 4ff.). Daß damit allerdings eine einfache Abbildund Substitutionstheorie der Schrift gemeint sei, ist ein Irrtum. Vgl. bereits den andeutenden Hinweis bei Güttgemanns, Fragen (42), vor allem aber Maas, Schrift (bes. 254ff.): Maas möchte anhand zahlreicher Belege aus der Geschichte dieses Problems ein grammatisches Schriftverständnis von einem phonographischen unterscheiden. Das grammatische, das er in dem zitierten Satz des Aristoteles findet, basiert auf der aristotelischen Unterscheidung zwischen Materie und Form, so daß die Entsprechung nicht zwischen dem Naturlaut („Stimme") und der Schrift, sondern vielmehr zwischen der grammatischen Form („dem in der Stimme") und der Schrift besteht. Die phonographische Deutung, die Maas seit der Renaissance nachweisen kann, behauptet dagegen die direkte Entsprechung zwischen Laut und Schrift; diese Sicht bezeichnet Maas als „illusorisch" (a.a.O. [283]), weil nicht praktikabel. Sie ist - so zu zeigen schon bei Rousseau und Herder - mit einer romantisierenden Verklärung der „unvermittelten, also naiv mündlichen Lebensform verbunden" (a.a.O. [271J, sie interpretiert Schrift lediglich „als kommunikatives Hilfsmittel, ohne Eigenwert" und kann die Aussagen geschriebener Sprache etwa über etymologische Bezüge und grammatische Strukturen (a.a.O. [275J nicht wahrnehmen. Schrift fixiert aber immer auch „ein analytisches Verhältnis des Schreibers/Lesers zur Sprache" (so betonte es Humboldt; a.a.O. [280]). Vgl. nochmals Herder, 95. Humanitätsbrief (430): Bei den Griechen habe sich „noch lange Zeit jene alte ... poetische Weise erhalten, zu schreiben, als ob man spräche. Schreibend trug man vor; man schrieb gleichsam laut und öffentlich, als ob zu jedem Buch sein Vorleser wie sein Genius gehörte". Die Sache ist mit einer Fülle von Belegmaterial dargestellt bei Feldbusch, Sprache (1-64). Feldbusch macht insbesondere auf die zahlreichen inneren Widersprüche der Theorie vom gegenüber gesprochener Sprache sekundären Charakter der geschriebenen aufmerksam. Vgl. weiter Maas, Schrift (passim). Vgl. noch einmal beispielhaft Vielhauer, Geschichte (59): „Der wirkliche Brief ist Ersatz für mündliche Aussprache, ein durch räumliche Trennung der Korrespondenten bedingter Ersatz". Auch White, Epistolary Literature (1731), schreibt 1984: „The letter arises because of the inability of two or more parties to communicate face to face. Thus, the letter becomes the written means of keeping oral conversation in motion"; s. auch noch einmal Dziatzko oben Anm. 35, und Schneider, Brief (564). Diese „Substitutionsthese", die für den wirklichen Brief gelten soll, ist freilich im Einzelfall schwierig nachzuweisen und auch für die paulinischen Briefe nicht unbestritten geblieben: Güttgemanns, Fragen (111-115), hat im Zusammenhang einer Beschreibung der Overbeck-

Anmerkungen zu einer Theorie des Briefs

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von Defiziten behaftet ist. Diese Austauschbarkeit bedeutet daher nicht, daß beide Mittel der Kommunikation als gleichwertig betrachtet werden: die Anschauung der Schrift als „sekundärem" Medium impliziert durchaus auch eine qualitative Bewertung, die die mündliche Kommunikation als „natürlich", „echt" und eben „primär" von der Schrift positiv abheben will53. Zahlreiche außergewöhnlich abschätzige Beschreibungen des Charakters von Schrift sind letztlich überhaupt nur unter dieser Voraussetzung verständlich54. Zur historischen Verwurzelung dieser Brieftheorie seien einige Bemerkungen gemacht. Ganz wesentlich scheint sich hier die gerade für die Romantik konstitutive Unterscheidung zwischen Individuum und Gesellschaft auszuwirken55: Der einzelne zieht sich angesichts einer immer komplexer werdenden

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sehen Formkritik, von der auch Deissmann abhängig ist (vgl. oben Anm. 36), die Frage aufgeworfen, ob das corpus paulinum wirklich befriedigend als Ersatz für persönliche Begegnung interpretiert werden könne. Diesen Einwand freilich hat Vielhauer, a.a.O. (63), mit u.E. wenig überzeugenden Argumenten zu entkräften versucht. Vgl. Feldbusch, Sprache (bes. 15-17). In neueren Versuchen, das Verhältnis von gesprochener zu geschriebener Sprache zu erhellen, wird ebenfalls das „genetische, historische und kommunikative Primat der gesprochenen Sprache" gegenüber der geschriebenen im Rahmen einer „phylo- bzw. ontogenetischen Gesamtperspektive" herausgearbeitet, doch will man dabei eine Abwertung der geschriebenen Sprache gegenüber der gesprochenen unter allen Umständen vermeiden (so Koch/Oesterreicher, Sprache [26]). Auf den „dekonstruktivistischen" Ansatz zur Uberwindung des Abhängigkeitsaxioms der geschriebenen von der gesprochenen Sprache, den Jacques Derrida in seiner Grammatologie vorgelegt hat, können wir kurz hinweisen: Derrida kehrt das herkömmlich angenommene Abhängigkeitsverhältnis zwischen Schrift und Sprache um; Schrift und Sprache sind sich aber insofern gleich, als sie beide nur wieder auf andere sprachliche und schriftliche Äußerungen, nicht aber auf Außersprachliches und Vorschriftliches zu verweisen in der Lage sind. Aus dieser Position ergibt sich eine grundsätzliche Kritik aller Metaphysik. Aus der Fülle der Beispiele, für die nochmals auf Feldbusch verwiesen sei, greifen wir willkürlich diese heraus: Bertholet, Macht (47): „... und ganz allgemein dürfte gelten, so hart ein solches Urteil lauten mag, daß mit der Niederschrift dessen, was als Gesprochenes einmal Anteil am schöpferischen einer Religion hatte, ein Prozeß ihrer geistigen Einsargung beginnt; denn alles Lebendige hört irgendwie auf lebendig zu sein, sobald es geschrieben schwarz auf weiß zu stehen kommt". (Zu Bertholets Sicht des Judentums, der man solche Aussagen zuordnen muß, vgl. Kusche, Religion [92-96]). Die Anwendung von Todesmetaphorik auf Schrift ist überhaupt sehr beliebt. Bezeichnend ist die Umformung von Π Kor 3,6 τό γαρ γράμμα άποκτέννει („der Buchstabe nämlich tötet") zu der sprichwörtlich gewordenen Rede vom „toten Buchstaben", die den ursprünglichen Sinn verdreht und jetzt die Beurteilung von Schrift als sekundärem Medium widerspiegelt. Vgl. dazu besonders A. Assmann, Domestikation (106-109); auch Nipperdey, Geschichte (264ff.).

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Welt auf sich selbst zurück oder doch wenigstens auf einen überschaubaren Kreis an Mitmenschen54. Alle großen, globalen Strukturen werden, auch im politischen Sinne, verdächtig. Damit gerät aber auch das Schriftstück, das sich allgemein gibt und jedem etwas sagen will, in die Kritik: Beliebt etwa sind Anwürfe gegen das ins Kraut schießende Zeitungs(un)wesen, dem man Unverbindlichkeit, schlechten Stil auf der Seite des Autors, nachlässiges, eben extensiv-wildes Leseverhalten und Trivialisierung des Geistes als Folgen auf der Seite des Lesers nachsagt57. Hinzu kommt der enorme Anstieg der Zeitungs- und Bücherflut51. Der einzelne wird von der ihm angebotenen Fülle der Literatur überwältigt, alles zu lesen wird immer anstrengender und schnell gar unmöglich. So entwickelt sich der Typus des „defensiven Lesers"5', des Lesers also, der gegen die auf ihn zurollende Bücherflut Dämme errichten muß und sich dem Stil der Zeit gemäß eher den „intimen", „situativen" und „natürlichen" Schriften als solchen scheinbar unverbindlicher Allgemeinheit anvertrauen zu können glaubt. Daß es sich dabei um ein idealisierendes Konstrukt handelt, liegt auf der Hand. Gerade die großen Kritiker von Schrift oder doch mindestens von Zeitungen und Fortsetzungsromanen sind nicht selten ausgesprochene Vielschreiber, die sich mit diesem Medium artikulieren und von ihm leben w . Mit ihrer Sehnsucht nach den natürlichen und eigentlich oralen Texten tragen sie „eine intellektuelle, also literate Maske: Die Romantiker fabrizieren die .wirklich oralen Texte' selbst"'1. Bemerkenswerterweise aber hält sich ganz im Gegensatz zum bisher Beschriebenen „nicht nur bei gebildeten Laien ... hartnäckig die Ansicht, die gesprochene Sprache sei als defizienter Modus der .eigentlichen' Sprache,

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So gewinnt auch die Familie entscheidend an Bedeutung: Die Familie wird gesellschaftlich aufgewertet, der Ton innerhalb der Familie inniger und persönlicher (Nipperdey, Geschichte [114ff.]). Vgl. zur Zeitungskritik z.B. Herders 95. Humanitätsbrief. Weitere Beispiele auch bei A. Assmann, Domestikation (104f.). Zum Zeitungswesen und der „Kommerzialisierung des literarischen Lebens" vgl. Wittmann, Buchmarkt (149-165; Zitat 161). Hinweise zu so prominenten Kritikern am Zeitungsdeutsch wie Schopenhauer („Verhunzung der deutschen Sprache"), Nietzsche („Schweinedeutsch") bis hin zu Karl Kraus finden sich in Bach, Geschichte (423-425.435f.). Nipperdey, Geschichte (594), weist zum Abschluß der Darstellung dieses Sachverhalts darauf hin, daß „solche Art Medienkritik" den Gang der Dinge nicht beeinflußt habe. Vgl. Nipperdey, Geschichte (587ff.). Weinrich, Leser (54). Eines der bemerkenswertesten Beispiele für diesen Umstand liefert Rousseau; vgl. dazu Jurt, Lesen. Maas, Schrift (271). Vgl. dazu Knoop, Verschriftlichung, der auf die Verklärung der mündlichen Volksüberlieferung durch die Romantiker (Grimm, Brentano, v. Arnim) aufmerksam macht (Reinheit, Echtheit der Märchen etc.). Tatsächlich aber lagen die meisten vermeintlich mündlichen Texte den Sammlern schon schriftlich vor und sind in ihrer sprachlichen Fassung und den Gattungsmerkmalen durchweg am Schreibtisch entstanden; vgl. zur „Krise der Folkloristik" auch Güttgemanns, Fragen (126-136).

Anmerkungen zu einer Theorie des Briefs

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sprich: der geschriebenen Sprache, zu betrachten"62. Der Bewertungsmaßstab, auf dessen Grundlage es zu dieser Einschätzung kommen kann, ist dann aber nicht die „Natürlichkeit" oder eben „Unnatürlichkeit" des jeweiligen Mediums, sondern wohl eher das sprachliche „Niveau" in grammatischer, syntaktischer und stilistischer Hinsicht. Die unterschiedlichen Positionen in der Bewertung von Mündlichkeit und Schriftlichkeit - einmal die Natürlichkeit des Mündlichen63, ein anderes Mal die Normativität des Schriftlichen - stehen im Grunde unvermittelt nebeneinander. Eine Lösung dieses Dilemmas kann im Rahmen dieser Arbeit nicht unsere Aufgabe sein. Doch vermag der Aufweis der unausgeglichenen Positionen in dieser Sache den Blick dafür zu schärfen, welche Voraussetzungen innerhalb der herkömmlich geführten Debatte etwa nur bei der Beurteilung des Charakters antiker Briefe gemacht werden. Unter Berücksichtigung der Schwierigkeit dieser Voraussetzungen könnte ein Blick auf die in dieser Arbeit bislang untersuchten Briefe dazu dienen, aus den Texten selbst Kriterien zur Beurteilung der mit solchen Dokumenten inszenierten Kommunikationsstruktur zu gewinnen. Auch Aspekte einer diesen Briefen angemessenen Medientheorie könnten benannt werden. Besonders zu berücksichtigen sind dabei die narrativen Kontexte, in denen - anders als bei den von Deissmann untersuchten Papyri und ntl. Briefen - diese Schreiben überliefert sind: Sie lassen oft deutlicher als die Briefe selbst detaillierte Aussagen über

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So Koch/Oesterreicher, Sprache (25). Bes. auch Klein, Sprache, macht darauf aufmerksam, daß „den meisten Sprachwissenschaftlern überhaupt nicht bewußt" sei, „wie sehr ihr Bild von der Sprache durch ihren Niederschlag in schriftlichen Texten geprägt ist" (13). Aus bestimmten historischen und praktischen Gründen werden oft zur Beschreibung sprachwissenschaftlicher Phänomene schriftliche Texte untersucht, um auf der Grundlage der „Substitutionsthese" so auch ohne Probleme für die gesprochene Sprache gültige Aussagen zu machen. Als Textgrundlage für Untersuchungen etwa über die Grammatik und Syntax einer Sprache dient oft die Sprache der „besten Autoren" (25), so daß die Ergebnisse der Grammatiker und die tatsächliche gesprochene Sprache zunehmend stärker auseinanderzuklaffen drohen; vgl. dazu auch Coulmas, Reden (105107). Die paradoxe Einstellung zum Medium Schrift kann man sehr schön an einem Beispiel illustrieren, das Maas, Schrift (278), beibringt: im 18. Jhd. kann J.C. Adelung, nach Maas ein typischer Vertreter des von Maas so genannten „phonographischen" Prinzips, denjenigen, die die deutsche Hochsprache sprechen, sagen: „Schreib, wie du sprichst"; denen, die die Hochsprache nicht beherrschen, rät er hingegen: „Sprich so, wie man richtig schreibt". Schrift ist dann auf je andere Sprecherkreise bezogen das eine Mal norma normata, das andere Mal norma normans. Zur Kritik an der vermeintlichen „Natürlichkeit" der „eigentlichen Briefe" und der Folgerung, Briefe böten dem Historiker relativ unmittelbaren Zugang zu historischen .Autoren', vgl. Malherbe, Ebene (220).

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den Ablauf schriftgestützter Kommunikation in einer überindividuellen, immer wiederkehrenden Situation, die aber doch auch je spezifisch ausgeprägt ist („Sitz im Leben" 64 ), erkennen.

8.2.1. Alttestamentliche Briefe als geschriebene Sprache Die folgenden Hinweise liefern keine vollständige Erfassung des Phänomens „Brief", sondern sind vor allem anhand der in dieser Arbeit vorgestellten Briefe und besonders Dan 6 entwickelte Gedanken, die freilich für das Verständnis des antiken, orientalischen Briefs im allgemeinen gewinnbringend sein können:

1) Die Brìefe lassen sich nicht auf Privatheit oder Öffentlichkeit hin festlegen: Bei der Analyse von Briefen wäre jeweils die kulturgeschichtliche Stimmigkeit der Unterscheidung von „privat" und „öffentlich" aufzuzeigen. Für das alte Israel dürfte dies schwierig sein65, und auch gerade II Sam 11 und I Reg 21 zeigen, daß die in dem israelitischen Herrschaftssystem angelegte Verschränkung des Persönlichen mit dem Öffentlichen sehr komplex ausfallen kann, so daß der Sache hier mit einem einfachen „entweder-oder" kaum beizukommen sein dürfte66. Ein anderer Ansatz kann u.E. die unterschiedlichen Charaktere von Briefen, die Deissmann in das Schema von „privat-öffentlich" pressen wollte, zuverlässiger und adäquater beschreiben: Der Autor eines Textes erwartet bei seinen Empfängern eine bestimmte „(enzyklopädische) Kompetenz" 67 . So muß nicht allein die Sprache verstanden werden, auch der spezifische „Slang". Konventionalisierte formale Gestaltungen können unerklärt dem Leser bestimmte Signale geben. Auf das Wissen um gewisse Fakten

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Zum hier verwendeten Begriff „Sitz im Leben", der nicht im kultisch-institutionellen Sinne enggeführt werden sollte, vgl. Müller, Formgeschichte (279-282)

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Vgl. z.B. Albertz, Frömmigkeit (4ff.). Die Debatte um „Individualismus" und „Kollektivismus" in Israel hat einerseits die Komplexität der Beziehungen zwischen beiden Größen aufgewiesen und andererseits gezeigt, „daß es einen Individualismus im modernen Sinne im alten Israel nicht gegeben hat, und zwar zu keinem Zeitpunkt seiner Geschichte" (a.a.O. [ 1 0 J - damit hat es auch einen abgegrenzten Privatbereich nicht geben können.

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Kritik an der Unterscheidung zwischen privaten Briefen und öffentlichen Episteln auch bei Doty, Epistle (25); Stowers, Letter Writing (19).

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Zum Begriff der „Kompetenz" vgl. Eco, Lector (67f.).

Anmerkungen zu einer Theorie des Briefs

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k a n n angespielt w e r d e n , w e n n die b e g r ü n d e t e H o f f n u n g besteht, d a ß die L e s e r d a r ü b e r v e r f ü g e n usw. 6 ®. D i e u n e r w ü n s c h t e n K o n n o t a t i o n e n n u n , die an d e n B e g r i f f e n „ p r i v a t " u n d „öffentlich" hängen, können u . E dadurch vermieden werden, daß m a n v o n u n t e r s c h i e d l i c h e n G r a d e n s p r i c h t , in d e n e n s o l c h e K o m p e t e n z n a c h der Strategie des A u t o r s v o m L e s e r verlangt w i r d 6 ' . D e r S o h n , der an seinen V a t e r s c h r e i b t , k a n n in der T a t viel m e h r u n d a n d e r e s v o r a u s s e t z e n als der G r o ß k ö n i g , der sich an alle U n t e r t a n e n richtet, die g a n z u n t e r s c h i e d l i c h e n k u l t u r e l l e n Z u s a m m e n h ä n g e n e n t s t a m m e n . Der K ö n i g , der an seinen lang gedienten F r o n t k o m m a n d a n t e n schreibt, k a n n m e h r L e s e r - „ K o m p e t e n z " erw a r t e n als d e r L i t e r a t , der u m eine g e r a d e z u a m o r p h e L e s e r s c h a f t ringt. D i e s e Beispiele zeigen, d a ß die meist sehr k o m p l e x e A r t , in d e r ein A u t o r K o m p e t e n z voraussetzen kann, w o h l stark s c h w a n k t , d e n n o c h aber eine grundsätzliche kategoriale Scheidung unter den Briefen weder erlaubt noch ü b e r h a u p t n o t w e n d i g m a c h t . M i t der „ K o m p e t e n z - A n a l y s e " , die freilich i m Einzelfall sehr u m f a n g r e i c h u n d k o m p l e x sein dürfte 7 0 , ist ein o b j e k t i v e r e s K r i t e r i u m gegeben, ü b e r die Intensität u n d Q u a l i t ä t des S e n d e r u n d E m pfänger gemeinsamen Sinnzusammenhangs Aussagen zu machen71.

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Über die verschiedenen Aspekte solcher enzyklopädischer Kompetenz und ihr Funktionieren in Texten vgl. Eco, Lector (94-106). Auch Doty, Epistle (30), spricht von graduellen Abstufungen der Briefe, mit denen er die Unterscheidung zwischen „Brief" und „Epistel" aufheben will, bleibt dabei aber im Grunde im System Deissmanns gefangen: Die falsche Unterscheidung zwischen Brief und Epistel soll ersetzt werden durch „a rating in terms of position between strictly private, intimate letters, and public, open letters". Eine solche Analyse muß sich daher notwendig auf die Untersuchung besonders signifikanter Phänomene beschränken. Wenig ergiebig scheint es uns für unsere Zwecke, solche Phänomene zu benennen, die für (schriftsprachliche Kommunikation grundsätzlich gelten (Verweischarakter von Personalpronomina etc.; vgl. Eco, Lector [96] zu „Koreferenzregeln") und sich auf der Satz- und Textebene selbst auflösen lassen. Interessanter sind u.E. solche „Leerstellen" im Text, die mit dem Vorhandensein von Kompetenz über bereits vorliegende und in irgendeinem Sinne als „klassisch" - und daher zitierfähig - beim vom Autor veranschlagten Leser rechnen und von ihm „Ubercodierungen" erwarten (vgl. Eco, Lector [97ff.]). Es bleiben freilich auch hier Faktoren, die Unschärfen in der Analyse erzeugen: Der Autor kann die Kompetenz seiner Leser über- oder unterfordern. Ein solcher Vorgang ließe sich nur bei Briefen, die in einem narrativen Kontext erhalten sind (Bericht von Unverständnis oder das Empfinden von Banalität etc.) oder aber bei einem Briefwechsel (Antwort auf einen Brief mit Bitte um Klarstellung etc.) belegen. Die Untersuchung der Kompetenz wird sich nach dem oben Gesagten und im Rahmen einer historischen Untersuchung wie der vorliegenden sinnvollerweise nur auf diejenige Kompetenz beziehen, die der Autor nach Ausweis seines Briefes offenbar von

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Weil wir mit dem, was wir hier als „Kompetenz-Analyse" bezeichnen, bestimmte Aspekte der rezeptionsästhetischen und intertextuellen Betrachtung von Literatur aufnehmen, sind an dieser Stelle einige erklärende Bemerkungen notwendig. Die Anwendung rezeptionsästhetischer Einsichten auf antike Texte ist zunächst nicht ohne weiteres möglich: Die Forschung auf diesem Gebiet hat ihre wesentlichen Einsichten aus dem Studium modemer Literatur gewonnen und basiert grundsätzlich auf einer neuzeitlichen Erkenntnistheorie und einem neuzeitlichen Menschenbild: An Literatur (vor allen der letzten 200 Jahre; besonders beliebt ist James Joyce) wird gezeigt, wie der Leser aufgrund einer vom Autor angelegten Textstrategie einen weiten „Auslegungsspielraum"72 erhält. Solche „Leerstellen" tragen wesentlich zur „Sinnkonstitution des Geschehens"73 bei, so daß also die „Bedeutungen literarischer Texte ... überhaupt erst im Lesevorgang generiert" werden74. Damit ist nach der negativen Seite hin der werkästhetische (produktions- oder auch darstellungsästhetische) Ansatz aufgegeben, der glaubte, objektiv vorfindlicher Sinn sei in einem Text aufbewahrt und daher mit geeigneter Methodik aus demselben herauszuheben. Damit ist andererseits positiv das erkennende und damit aktive Subjekt für den Erkenntnisvorgang thematisiert, ein neuzeitlicher Freiheitsbegriff für das Verhältnis von Text und Leser bestimmend geworden und die Erkenntnis historischer Bedingtheit nicht allein auf die untersuchten Gegenstände, sondern auch konsequent auf die untersuchenden Subjekte, die Leser oder Forscher75, bezogen.

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seinem (historischen) Leser verlangt. Assoziationen der Nachgeborenen, die sich aus Beziehungen zu Wissen ergibt, das der Autor selbst wahrscheinlich oder sicher nicht hatte, scheiden wir aus. Dann bleibt das Problem der historischen Erkennbarkeit solcher Kompetenz: Die Analyse setzt die recht gute Kenntnis der Sprache und des gesamten kulturellen Hintergrundes voraus. Bei Briefen tritt als besondere Problematik hinzu, daß sie häufig isoliert ohne einen narrativen Kontext überliefert sind. Ein Brief wie etwa der erne Jehus an die Samarier wäre allein überliefert für uns von ganz anderer Bedeutung, da wir dann nicht die den Brief bestimmende Korrelation mit der außertextlichen Wirklichkeit (der historischen Verortung) zu vollziehen in der Lage wären. Bei der Analyse isoliert überlieferter Briefe bleiben neben den Briefen selbst nur der Fundort und die Fundumstände sowie die Altersbestimmung, um eine (dann teils hypothetische) Rekonstruktion der vom Autor in seinem Brief angelegten Lesestrategie und erwarteten Leser-Kompetenz zu ermitteln. Die so beschriebene Schwierigkeit des Unternehmens dispensiert aber u.E. nicht von der Aufgabe. Iser, Appellstruktur (235). A.a.O. (236). A.a.O. (229). Vgl. z.B. Gadamer, Wahrheit (284f.): „Der historische Objektivismus, indem er sich auf seine kritische Methodik beruft, verdeckt die wirkungsgeschichtliche Verflechtung, in der das historische Bewußtsein selber steht. Er entzieht zwar der Willkür und Beliebigkeit aktualisierender Anbiederungen mit der Vergangenheit durch die Methode seiner Kritik den Boden, aber schafft sich selbst damit das gute Gewissen, die unwillkürlichen und nicht beliebigen, sondern alles tragenden Voraussetzungen, die sein eigenes Verstehen leiten, zu verleugnen und damit die Wahrheit zu verfehlen, die bei aller Endlichkeit unseres Verstehens erreichbar wäre". - Uber die neuere literaturwissenschaftliche

Anmerkungen zu einer Theorie des Briefs

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Die rezeptionsästhetische Betrachtung von Texten will demnach den Leser nicht mehr als quasi willenloses Objekt des Textes auffassen. Zur Beobachtung der künstlerischen Gestaltung eines Textes tritt als zweiter Pol die Beobachtung der „vom Leser geleisteten Konkretisation" hinzu7', so daß das Werk nun als „das Konstituiertsein des Textes im Bewußtsein des Lesers"77 beschrieben werden kann. Der Text, den der Autor konzipiert, kann also nur, wenn er denn Interesse wecken und Vergnügen bereiten soll, die Regeln für das Spiel der Phantasie angeben, und so dem Leser „eine Chance bieten", dessen „Vermögen zu betätigen"7'. Besonders Iser hat dann den Erkenntnisvorgang beim Lesen genauer als eine Art Konfliktgeschehen auf zwei Ebenen innerhalb des Lesers beschrieben: Der Leser bringt immer schon ein bestimmtes Vorwissen mit, ihn „beherrschende Ansichten zur Vergangenheit"79. Der Leser könne ein gewisses „Repertoire des Textes"80 als ihm geläufig erkennen. Das alles aber wird in einen „ihm ursprünglich fremden Kontext eingerückt"'1, so daß der Leser sich also auf etwas Fremdes einlassen muß und jedenfalls für den Moment der Lektüre die eigenen Ansichten zur Vergangenheit werden. Genau genommen aber kommt es zu einer permanenten Interaktion der vorhandenen Erfahhing des Lesers „mit der noch unvertrauten Gegenwart des Textes". Daher ist der Erfahrungserwerb nicht ein bloßer Additionsvorgang, sondern „ein Umstrukturieren dessen, worüber wir verfügen"'2. Erfahrung über die uns unvertraute literarische Welt wird also erst durch „die suspendierte Geltung der uns beherrschenden Ansichten" möglich". Die so verstandene Betrachtung der Texte und ihrer Rezeption kann für unseren Zusammenhang nur bedingt brauchbar sein. Unsere Untersuchung hat es mit antiken Briefen eines ganz anderen Kulturbereichs zu tun. Diese Briefe sind, folgt man jedenfalls bestimmten formalen Kennzeichen, nicht Literatur, sondern administrative Texte. Solche administrativen Texte wollen zunächst einmal - dies gilt für die Antike wie für die Gegenwart - ihren Adressaten mitnichten ein Spiel der Phantasie ermöglichen, sondern knappe und präzise Anfragen stellen oder Befehle geben. Solche Texte wollen massiv zur Sinnfindung anleiten und durch diese Anleitung die Menge und Art der möglichen Assoziationen sehr restriktiv beschränken'4. Entsprechend sahen wir be-

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Debatte informiert kurz Müller, Verstehst du auch (120ff.). Iser, Lesevorgang (253). Ebd. Iser, Lesevorgang (254). Iser, Lesevorgang (270). Iser, Lesevorgang (268). Iser, ebd. Iser, Lesevorgang (270). Damit ist das aufgenommen, was Gadamer, Wahrheit (289), als „Verschmelzung ... vermeintlich für sich seiender Horizonte" bezeichnete. Iser, Lesevorgang (271). Zu ähnlicher Kritik bezüglich der Anwendung von Rezeptionsästhetik auf ntl. Texte vgl. Müller, Verstehst du auch (143-145), der zu Recht fordert, „antike Texte zunächst im Rahmen ihrer eigenen Kontexte zu betrachten" (Zitat S. 144). Bereits Iser erwähnt,

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reits bei der Untersuchung von Π Reg 10, daß eine rezeptionsästhetische Betrachtung der Korrespondenz des Jehu recht gut geeignet ist, das Funktionieren der literarischen Strategie mit ihren Leerstellen und Mehrdeutigkeiten zu beschreiben. Dabei zeigte sich einerseits die intensive Beteiligung, die der Leser bei der Herstellung des brieflichen Sinns ausüben muß. Andererseits aber wurde auch deutlich, daß dort keinesfalls der Leser als erkennendes Subjekt die spielerische Möglichkeit des Erzeugens und Verwerfens von Bedeutungsgehalten erhält: Die von Jehu entworfene Textstrategie steht im Dienst eines außerordentlich repressiven Umgangs mit dem Leser. Für unseren Untersuchungsgegenstand werden wir also die Beteiligung des Lesers am Zustandekommen des Sinns auf stark geleitete Vorgänge zu beschränken haben. Das Markieren „soziale(r), historische(r) und zeitgenössische^) Normen sowie eine entsprechende Anspielungsvielfalt aus der literarischen Tradition"85 wird viel deutlicher ausfallen als es für den auf ganz anderen weltanschaulichen Grundlagen aufgebauten modernen Roman veranschlagt werden muß.

2) Die Briefe lassen sich nicht auf Natürlichkeit oder Künstlichkeit hin festlegen86: Die Unterscheidung zwischen „natürlichen" Inhalten, die den Brief kennzeichnen sollen, und „künstlichen", die den Brief zur „Epistel" werden lassen, droht zu einer Geschmacksentscheidung des Exegeten zu werden, wenn keine sicheren, methodisch abgeklärten Kriterien dafür entwickelt sind. Die Angemessenheit dieser Unterscheidung wird unter Berücksichtigung der folgenden zwei Aspekte noch problematischer. a) Gesprochene

Sprache ist nicht geschriebene Sprache: Auch einfachste Briefe

müssen notwendig bestimmte Anzeichen von „Schriftsprache" aufweisen. Z.B. werden deiktische Elemente schwierig, da „Sprecher" und „Hörer" bei Schriftverkehr kein gemeinsames Zeigefeld teilen. Die Nachricht muß sprachlich so gestaltet sein, daß Nachfragen nicht notwendig werden. Denn die Trägheit des schriftlichen Kommunikationsprozesses läßt Nachfragen entweder umständlich oder gar unmöglich werden87.

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daß es Texte gibt, die „etwas hervorbringen, ohne dadurch schon literarisch zu sein. So schaffen beispielsweise alle Texte, die Forderungen stellen, Ziele angeben oder Zwecke formulieren, ebenfalls neue Gegenstände, die jedoch erst durch das vom Text entwickelte Maß an Bestimmtheit ihren Gegenstandscharakter gewinnen". Als Beispiel werden sodann Gesetzestexte genannt (Appellstruktur [23 l j . Iser, Lesevorgang (267f.). Darstellung und Kritik der sehr beliebten Entgegensetzung von Natur und Kultur im Zusammenhang mit gesprochener und geschriebener Sprache bei Feldbusch, Sprache (3 Iff.). Iser, Akt (114f.), weist auf die starke „Strukturiertheit der Rede" dort hin, „wo ihre Wirkung auf den Adressaten nicht mehr voll kontrollierbar ist" - und benennt als Beispiel die „gesteigerte Grammatikalität der am Telefon miteinander Sprechenden". Den

Anmerkungen zu einer Theorie des Briefs

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b) Jede sprachliche Äußerung ist immer normierte Äußerung: Sprache stellt nicht das Ding an sich als individuelle Erscheinung dar, weil sie ihrer Natur nach nur im Allgemeinen bleiben kann. Daher muß jede sprachliche Äußerung, auch wenn ihr Gegenstand noch so originell oder außergewöhnlich, privat oder situativ gebunden ist, in vorgeprägten sprachlichen Mustern erfolgen und bedient sich darüber hinaus auch bestimmter jeweils kulturell bedingter und vorgegebener Werte- und Deutemuster88. In dieser Hinsicht ist die vorgebliche Natürlichkeit mündlicher Äußerungen oder - im Deissmannschen Sinne - „brieflicher Korrespondenz ohnehin sehr zu relativie89

ren . Auch in diesem Fall kann u. E. das von Deissmann Gemeinte am ehesten mit Hilfe des rezeptionsästhetischen Zugangs beschrieben werden. An die Stelle der sprachtheoretisch unbedarften und stark ab- oder aufwertenden Einteilung von Briefen träte dann eine Beschreibung, wie der Autor seinem Leser einen Horizont entwirft, auf andere Horizonte verweist, mit der „Kompetenz" seines Lesers arbeitet u.a.m. Der Brief wäre dann für die Exegese als Kommunikationsgeschehen, das er ja per definitionem sein will, zwischen Text, Leser und Kontext zurückgewonnen. Die Gemachtheit von Sprache, bei der sich die hier kritisierten Kategorien aufhalten, wäre dann als Initialzündung eines Prozesses von Lesen, Erinnern an Altes und Bekanntes, aber gleichzeitig auch Aufbauen einer neuen Welt, Weiterlesen oder Wiederlesen zu begreifen90.

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„Prozeß direkter .semantischer Ratifizierung'" haben Goody und Watt, Konsequenzen (66), sogar als Grundmerkmal oraler Kultur zu beschreiben versucht. Unter den Bedingungen mündlicher Kommunikation ergebe sich die inhaltliche Füllung von Begriffen aus „einer Folge konkreter Situationen", „mit denen stimmliche Veränderungen und körperliche Gesten einhergehen, die alle darauf zielen, seine spezifische Bedeutung und seine Nebenbedeutungen festzulegen". Diesen Umstand hat bereits Piaton beschrieben und als Vorteil von Mündlichkeit angesehen (Phaidros, 275d). Klein, Sprache (20), nennt ferner als stark kontextabhängige, daher in der Schriftsprache für Mißverständnisse anfällige Ausdrucksformen anaphorische Ausdrücke, die „vorher Genanntes wieder aufnehmen", und die Ellipse. Es verhält sich also so, „daß individuell artikulierte Inhalte auf kollektiven Voraussetzungen beruhen, ja daß das Individuum weithin die Wahrnehmungsinhalte vieler und generationenweise verketteter Kollektive zur Sprache bringt" (Müller, Wechselbeziehung [265]). Eine kurze Darstellung des Problems findet sich auch bei Güttgemanns, Fragen (4143). S. auch Stowers, Letter Writing (19f.). In der immer wieder neu sich entfaltenden Wirkung dieser Initialzündung darf sich auch der Exeget als Adressat entdecken. Eine Arbeit wie die vorliegende kann sich dann als „feed-back"-Geschehen innerhalb von Kommunikation begreifen, das etwa von

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3) Geschriebene

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Sprache ist nicht situationslose Sprache. Die untersuchten Tex-

te nehmen dadurch für eine angestrebte Brieftheorie eine herausragende Stellung ein, daß sie den situativen Kontext der Briefe überliefern, der bei den Papyri (, die besonders Deissmann als Auslegungsparameter dienten,) verloren ist. Dadurch zeigt sich die enge Verwobenheit des Briefes in die Rezeptionssituation, die u . U . v o m A u t o r des Schreibens bewußt gesteuert sein kann. Selbst aber wenn der A u t o r die Rezeptionssituation nicht steuert, spielt sie doch für das Verstehen des Dokumentes eine bedeutende Rolle und ist als ihr wesentlicher Bestandteil bei der Analyse miteinzubeziehen. D e r Eindruck v o n Mangel an Gestik, Mimik („paraverbale Information"' 1 ), Intonation („Prosodie") und Situationsbezogenheit, der Schrift ohne jeden Ersatz gegenüber Mündlichkeit anhaften soll' 2 , beruht auf der methodisch

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der Fortschreibungstätigkeit atl. Redaktoren oder dem Verbrennen der Baruchrolle durch Jojakim Qer 36,23) kategorial nicht unterschieden werden kann. Klein, Sprache (21). Vgl. schon Plinius Π,3: „Zum Lesen hast du stets Gelegenheit, zum Hören nicht immer, überdies packt, wie man gemeinhin sagt, das lebendige Wort viel mehr. Denn mag treffender sein, was man liest, tiefer in der Seele haftet doch, was Vortrag, Mienenspiel, Haltung und Gebärde des Redenden in sie senkt". (Zitat nach Müller, Verstehst du auch [23f.J. - In diesem Zusammenhang ist auch der Hang zu sehen, der Schrift im Vergleich mit dem mündlichen Vortrag eine geringere „Identifikationskapazität" (A./J. Assmann, Schrift [275]) zuzusprechen: Wohl ist richtig, daß Schrift durch die besondere Rezeptionssituation und die Abwesenheit eines (fordernden) Autors eher die Möglichkeit von Distanz zu dem Text zuläßt. Damit ist sie eine wesentliche Bedingung der Möglichkeit des modernen kritischen Bewußtseins. Aber das scheint nur die eine Seite der Medaille zu sein: Das Medium erfordert auch eine vielleicht sogar gesteigerte Konzentration, ein Ausblenden der unmittelbaren Umgebung, ein Versinken ins Lesen. Eine schöne Illustration für dieses „Versinken" findet sich als Hauptmotiv in Cervantes Don Quijote·. Die Hauptfigur des Romans vertieft sich in pathologischer Weise in die Lektüre zahlloser Ritterromane. Ihm „trocknet das Hirn aus ... und so fest setzte es sich ihm in den Kopf, jener Wust hirnverrückter Erdichtungen, die er las, sei volle Wahrheit, daß es für ihn keine zweifellosere Geschichte auf Erden gab" (Zitat nach Weinrich, Leser [55]). Nach Weinrichs Analyse ist Don Quijote ein intensiver Leser dort, wo er ein extensiver hätte sein müssen, ihm fehlt die ironische Distanz zum Gelesenen (vgl. a.a.O. [bes. 54-59]. A. Assmann, Domestikation des Lesens, [96f. u.ö.], spricht anstelle des „intensiven" vom „wilden Leser": vor-reflexive Identifikation schlägt die Brücke zwischen Buch und Welt). Ein weiteres Beispiel findet sich bei Siegfried Lenz in seiner kurzen Erzählung JDer Leseteufel": Die Hauptfigur Hamilkar Schaß ist in die Lektüre eines Buches derart vertieft, daß er vom Uberfall einer Räuberbande nichts mitbekommt und die Unholde - die die Nichtachtung durch Schaß in tiefe Verwirrung stürzt - von allein die Flucht ergreifen. Vgl. ferner den Hinweis von Schlieben-Lange, Einleitung (10), daß seit dem Mittelalter, insbesondere aber im 18./19. Jhd., die „lesende Frau ein Gegenstand der Faszination und der Phantasie" wird. „Ihr wird nachgesagt, daß sie in besonderem Maße identifikatorisch-träumerisch lese und im Lese-

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angelegten Ignorierung der Rezeptionssituationn. Die isolierte Überlieferung von Briefen erlaubt nicht den Schluß, die Situation beim Schreiben und Lesen sei für den Kommunikationsakt unbedeutsam. Sie erlaubt auch nicht den Schluß, Schrift sei ein gegenüber Mündlichkeit sekundäres, weil eben situationsabstrahierendes Medium94. 4) Geschriebene Sprache ist nicht (nur) entgrenzendes Substitut für gesprochene Sprache. Die Annahme, ein Brief sei grundsätzlich etwa durch einen mündlich vortragenden Boten substituierbar, ist irreführend. Die Tatsache, daß im Alten Orient viele Texte schriftlich gefaßt wurden, (wenn auch vielleicht oft nur als Gedächtnisstütze), ist in ihre Interpretation einzubeziehen. Neben der Frage, inwieweit Schriftsprache nicht bereits ein gegenüber gesprochener Sprache selbstständiges sprachliches System konstituiert, wäre zu überlegen, inwieweit der schriftliche Charakter eine sachliche, aus der Kommunikationsintention und -situation sich (zwingend) ergebende Notwendigkeit ist (neben der zeitlichen Dauer und räumlichen Weite: magische Wirkung von Schrift etc.; Geheimhaltung; Ausweisbarkeit; Genauigkeit der Angabe u.a.m.). Solche sachlichen Notwendigkeiten können Anzeichen eines gegenüber mündlichem Milieu veränderten Denkens sein - oder aber auch selbst dieses Denken weiterbilden und kultivieren95. Auf jeden Fall sind sie

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Vorgang aus der Wirklichkeit entfliehe"; zur bildlichen Darstellung dieses Motivs vgl. Chartier, Geschichte (260f.). Freilich versucht der Schreibende bei der Abfassung seines Textes auch sprachlich den Verlust der eben erwähnten „prosodischen" Elemente wettzumachen: Klein, Sprache (17f.), benennt insofern die „Wortstellung oder bestimmte Partikel", die die Satzmodalität in der geschriebenen Sprache ausdrücken sollen. Die Wortstellung kann auch die intonatorische Hervorhebung ersetzen, und Nuancierungen in der Einstellung des Sprechers zu seinem Text sind durch differenzierten Wortschatz in geschriebener Sprache ausdrückbar. Durch diese Änderungen gerät „das gesamte subtile Zusammenspiel der Ausdrucksmittel, wie es in der gesprochenen Sprache vorliegt, aus dem Gleichgewicht und kann somit zu einer Reorganisation des gesamten Systems führen". Zu den teils erheblichen Unterschieden in grammatischer und syntaktischer Hinsicht zwischen gesprochener und geschriebener Sprache vgl. auch Coulmas, Reden (105f.). Das soll ein einfaches Beispiel illustrieren: Wenn in einem Gottesdienst ein Abschnitt aus dem Hohenlied verlesen wird, entsteht bei den Gottesdienstteilnehmern mit ziemlicher Sicherheit das durch die Rezeptionssituation nahegelegte Vorurteil, der Text stehe in irgendeiner Beziehung zu ihrem religiösen Erleben. In einem ethnologischen Seminar an der Universität über die Sexualität antiker Kulturvölker wird dasselbe Dokument unter dem Vorurteil betrachtet, es sage etwas aus zu dem angekündigten Thema der Veranstaltung. Der so je entstehende Sinn ist also situativ geleitet und „neu". Der Gedanke etwa, daß es von einem Text ein originales Exemplar gibt, an dessen Wortlaut zu manipulieren keiner, u. U. nicht einmal der Verfasser das Recht hat, ist wohl unter den Bedingungen einer mündlichen Kultur nicht völlig unbekannt (sie mag

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in einer Weise schriftspezifisch, die es nicht mehr sinnvoll erscheinen läßt, als Interpretationsmuster schriftlicher Kommunikationsvorgänge solche mündlicher Art heranzuziehen. 5) Durch die Entgrenzung des Adressatenkreises kann der Schriftsteller einen Komplex sich überlagernder Kommunikationsebenen inszenieren. Der zitierte Brief richtet sich in aller Regel von einem bestimmten Autor (oder mehreren Autoren) an eine bestimmt bezeichnete Person oder Personengruppe. Der Autor der Erzählung bringt so seinen Lesern Dokumente zur Kenntnis, die für diese Leser eigentlich gar nicht gedacht sind und mit denen diese Leser auch nichts anfangen können: Der Autor unterrichtet über einen Vorgang der Vergangenheit, mehr geschieht nicht (vgl. dazu II Sam 11; I Reg 21; II Reg 10). In anderen Fällen freilich sind über den im Text selbst genannten Adressatenkreis hinaus als weitere Zielgruppe die Leser des Textes angepeilt. Sie, die im ersten Fall uneigentliche Leser, fast Voyeure eines auf einen engen Personenkreis begrenzten Geschehens waren, sind jetzt offizielle Mit-Leser. Als solche werden sie zwar im Text nicht genannt, die Allgemeinheit, oder besser: der klassische Charakter des Inhalts aber macht alle nachgeborenen Leser automatisch zu Angeschriebenen96. Auf der Metaebene der Erzählung wird der vergangene Kommunikationsvorgang über die zeitlichen Grenzen hinaus in die Länge gezogen und zu einem sich immer wieder neu ereignenden Geschehen gemacht. Die ursprüngliche historische Verwurzelung, sozusagen der erste in einer langen Reihe von Kommunikationsvorgängen, wird aber nicht zur bloßen Staffage: Daß die Ahnen der Gründerzeit einst so lasen, bleibt wesentlicher Grund, nun auch so zu lesen.

96

sich dort vor allem auf religiöse und Zaubertexte beziehen, vielleicht auch auf Rechtstexte), wird aber in „Schriftkulturen" ganz wesentlich in quantitativer und qualitativer Hinsicht gesteigert; vgl. z.B. den Exkurs Π dieser Arbeit. Die Einladung zum Passah gilt für alle Juden (Π Chr 30), das Edikt des Erweckten will allen Juden den Heilswillen JHWHs nach der Katastrophe des Exils verkünden (Esr Ιό), und die Purimbriefe Mordechais und Esthers wollen auch den nachfolgenden Generationen das Fest ans Herz legen sowie mit ihrem narrativen Kontext ein ideales Rezeptionsverhalten vorführen (Est 9,20ff.). Die „Klassizität" der Texte beruht in den eben genannten Fällen auf der Benutzung bereits eingeführter Literatur, deren Sprachregelungen übernommen werden, wenn auch unter veränderten Bedingungen und in neuen Situationen.

Der Leser zwischen Brief und Kontext

321

8.3. Der Leser zwischen Brief und Kontext Was läßt sich nun unter den soeben entwickelten theoretischen und methodischen Erwägungen über das Schreiben des Königs Darius an seine Untertanen sagen? Für diese Untersuchung leitend soll dabei die Frage nach derjenigen „Kompetenz" sein, die der Autor bei seinem von ihm entworfenen Leser voraussetzt. Welches außertextliche, gleichwohl literarische Wissen muß der Leser haben, um den Brief verstehen zu können?97 Welches Wissen wird durch den Text des Briefes beim Leser aktualisiert, welche Assoziationen sollen sich offenbar einstellen? Durch welche Mechanismen leitet der Text zu diesen Assoziationen an und was bedeuten diese Mechanismen für den Sinn des Textes, der im Leser entstehen soll? Welche Interpretationsmuster werden vom idealen Leser des Textes verlangt? Antworten auf diese Fragen wollen wir in den folgenden Abschnitten zu geben versuchen: 1.) Der Zusammenhang des Briefes mit Dan 6,1-25.29. 2.) Der Zusammenhang des Briefes mit Dan 2-5 (+7). 3.) Der Zusammenhang des Briefes mit der sonstigen schriftlichen Tradition. 4.) Der Zusammenhang des Briefes mit allgemein-kulturellen Daten.

8.3.1. Dan 6,1-25.29 als Kontext Daß Dan 6,1-25 als notwendiger Kontext des Briefes verstanden ist, wird wohl in V.28b am deutlichsten: „denn er hat den Daniel vor der Pranke98 der Löwen bewahrt". Zunächst ist auffällig, daß „Daniel" ohne jede nähere Bezeichnung - etwa durch einen Titel - eingeführt wird. Die Kenntnis von Dan 6,1-4 wird also beim Leser abgerufen99. Diese geradezu abbreviatorische Ausdrucksweise wird gegen Ende des Halbverses noch deutlicher, denn was es nun genauer mit der Rettung Daniels vor „den Löwen" (status em97

98 99

Der Anspielungsreichtum des Edikts ist in den meisten Kommentaren und anderen Arbeiten zu Dan (vgl. z.B. Hölscher, Entstehung [115]; Di Leila, Analysis [95f.]; Mason, Treatment; Mathys, Dichter) oft erwähnt und in manchen Details beschrieben, geht aber u.W. nicht über schwach kommentierte und unvollständige Auflistungen hinaus. Zu der mit ~P gegebenen Homonymie vgl. gleich unten. Freilich kann innerhalb des erzählten Szenarios Daniel als bei allen Untertanen bekannter Beamter vorausgesetzt werden. Aber auch dann fällt das Fehlen jedes Titels auf. Innerhalb des Briefes selbst erscheint Daniel lediglich in der Genitiwerbindung b i r a - m n n S x . Der jüdische Held wird also nur durch seine Gottesbeziehung definiert.

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Dan 6,26-28 - Ein Schreiben zum Schluß

phaticus) auf sich habe, erklärt der Brief ja nicht. Beim Leser müssen Nachfragen entstehen, die er sich nur aufgrund der vorangegangenen Lektüre von Dan 6 wird beantworten können100. Gerade aber für den Leser von Daniel 6 stellt sich eine kleine Irritation ein. Die Konstruktusverbindung ΚΓΠΉΧ ~P nämlich ist an dieser Stelle - aus später zu erörternden Gründen - neu eingefügt und kam in Dan 6 bislang noch nicht vor. Diese kleine „Enttäuschung" in den Anspielungen auf den Kontext Dan 6 mag zur Erinnerung an die mehrfach belegte „richtige" Genitiwerbindung ΚΓΠΉΧ 2 3 / κ η τ η κ Ή K33 (V.8.13.17.20) oder die Formulierung ΚΠΤΠΚ OS (V.23) führen. Damit aber muß auch die Erinnerung an das Ergehen des jüdischen Bekenners im Leser wieder präsent werden. Ebenso unterstützt auch das Verbum 2PIÖ, das in V.28 zweimal gebraucht ist, den Stichwortanschluß an die eben gelesene Erzählung (vgl. V. 15.17.21) und führt überdies in die Kernaussage der ganzen Erzählung. Hatte noch der mächtige König eines Weltreiches „bis zum Sonnenuntergang" versucht, seinen Günstling zu retten (V.15), so konnte doch seine einzige und sich auch am Ende als solide erweisende Hoffnung nur darin bestehen, alle Rettung allein von dem Gott, den Daniel verehrt (V.17; V.21 auch die Konstruktion mit ]ö), zu erwarten. In dieselbe Richtung wird der Leser auch gewiesen durch die Bemerkung, das Königreich Gottes sei eines, „das nicht vergeht" ( b a n n n V.28bß). Das war für den Leser bereits am körperlichen Zustand dieses Knechtes Gottes abzulesen, den die Löwen nach seiner Aussage nicht zerreißen konnten ("0"03Π Κ1?; 6,23) und an dem man tatsächlich keinerlei Blessur nach dem Heraufholen aus der Grube entdecken konnte r r a n t f m ò ; 6,24). Einen zweiten, ebenfalls sachlich sehr gewichtigen Anschluß stellt die Bezeichnung des Gottes Daniels als Κ TI ΚΓ0Χ her. Sie nimmt auf, was der König in der Erzählung von diesem Gott gesagt hatte (V.21: Ί 3 Γ ^ ί Γ Π KTF ΚΓ0Κ) und erinnert ebenso an Daniels Gruß aus der Grube: "»TI "pD^ttS (V.22; vgl. V.27ba: "pD*?!?1? D">pi!), der in einem eigentümlichen Kontrast zu der Aussage über den Gott Daniels steht und noch einmal das Thema des Kapitels, nämlich die Frage nach dem, der letztlich Macht auf der Erde wie im Himmel hat und wirklich Beständigkeit garantieren m

100 pigg er> £) a n (100), glaubt, mit V.26-28 werde die Begebenheit von Kap. 6 „ähnlich wie in Kap. 3 durch eine Proklamation des Königs an seine Untertanen bekanntgegeben". Mit der kurzen Bemerkung V.28b kann aber wohl kaum eine Unterrichtung der Untertanen über das Vorgefallene zustande gebracht werden.

Der Leser zwischen Brief und Kontext

323

kann, dem Leser zu bedenken aufgibt. Der Gruß aus dem Munde des jüdischen Bekenners steht überdies in einem Gegensatz zu dem Gruß der intriganten Beamten 6,7, die in ihren Vorschlägen zwar mit Dauerhaftigkeit argumentierten, aber doch scheitern mußten und dem König mehr schadeten als dienten. Aber auch der scheinbar unverfängliche Beginn des Berichts über das Schreiben des Darius (V.26) ist für den Leser, der von V.l-25 herkommt, bezugsreich. „König Darius schreibt" an alle seine Untertanen und erinnert damit an eine seiner Haupttätigkeiten in dçr Erzählung, die bislang allerdings wenig Gutes verhieß (V.10.11.13.14 mit dem Verbum DtÖ~l). Der erste Schreibversuch des Herrschers hing über das Unaufhebbarkeitsgesetz direkt mit seinen Versuchen zusammen, so etwas wie dauernde Stabilität, ja „Ewigkeit" aus sich selbst heraus zu erzeugen. Zu diesen Versuchen war der König verleitet worden durch den intriganten Vorschlag der hohen Reichsbeamten (V.8.9). V.26 aber tritt das nun zweite königliche Schreibvorhaben unvermittelt und ohne Anstiftung auf, der König, so kann der Leser assoziieren, ist zum befreiten und geläuterten Schreiber geworden, die Handlungsinitiative liegt jetzt wieder bei ihm. Das erste Religionsedikt war nicht nur schlecht wegen seines Inhalts, das einem Verbot des Judentums gleichkam, sondern auch wegen seines grundsätzlichen, anmaßenden Anspruchs, eine wirklich dauerhafte Ordnung unter den Menschen herstellen zu können. Geschrieben wird jetzt nur noch zum Lobe Gottes, von der Dauerhaftigkeit der neuen Gesetzgebung wird nicht mehr gesprochen, sondern alle unbegrenzte Beständigkeit allein von dem Gott Daniels behauptet. Das zweite Schreiben ist also auf dem Hintergrund des ersten zu verstehen und will als Alternative zu den verderblichen Konservierungsversuchen der Heiden verstanden werden101. Eine weitere Anschlußmöglichkeit des Lesers an die voraufgehende Erzählung kann durch den Gruß idfcP "pDobltf möglich werden: Die Wurzel K3È7 wird von dem Erzähler benutzt, um den Umbruch im emotionalen Erleben des Königs und damit in der Erzählung zwischen V.15 („es mißfiel ihm sehr") und V.24 („es schien ihm sehr gut zu sein") zum Ausdruck zu

101

Diese Deutung unterstützt für den Leser wohl auch die Befehlsfloskel D">E> "O"lp"]D ... Ή DS7Ü (6,27aa), die nach den gelesenen Ereignissen von der Errettung Daniels und dem Sturz der Beamten impliziert, nun werde vom König ein Befehl erlassen, den der jüdische Bekenner befolgen kann (anders als 6,14: KS^D "pbs? DfcrX1? ... biODI DVD!) und der damit auch dessen Gott angemessen ist.

324

Dan 6,26-28 - Ein Schreiben zum Schluß

bringen. Dieses „Gefallen", von dem der König durch seine Erlebnisse eingenommen ist, will er jetzt an seine Untertanen durch ein neues Religionsedikt und ein bislang unerhörtes Bekenntnis an seine Leser weitergeben. Die eigentlich stereotype Eingangsformel102 solcher Briefe wurde so mit spezifischem Sinn gefüllt und mit dem literarischen Kontext, in dem uns der Brief überliefert ist, verbunden103. Der hymnische Charakter des zweiten Teils des Briefkorpus 6,27b.28 bietet wohl nicht durch Stichwortanschluß, wohl aber durch die Gattung mit ihrem Sitz im Leben eine Korrelationsmöglichkeit mit der voraufgegangenen Erzählung: Der hymnische Abschnitt impliziert die Situation des Gebets, welche wiederum den Leser direkt in die Mitte der voraufgegangenen Erzählung führen wird. Dort ging es um „das Bitten und Flehen" (ΠΓ0Κ D i p ·|3ΠΠ01 KS73; 6,12b; vgl. V.14b), das Daniel fast des Leben gekostet hätte, da es ihm durch das Edikt des Königs verboten worden war (6,8b. 13). Der Hymnus ist nun einerseits die Antwort des Menschen auf die von ihm erbetene Rettung durch Gott, sie ist aber andererseits auch, da Darius pikanterweise der Sprecher des Hymnus sein soll, die Übertretung des Gebetsverbots durch den Legislator selbst. Die Aufhebung des Gesetzes geschieht also durch seine Übertretung vor den Augen der ganzen Welt. Als Ergebnis können wir zunächst festhalten: Die Beobachtung einiger StichWortanschlüsse zwischen 6,26-28 und 6,1-25 zeigt die Verwurzelung des Dokuments in dem Text der Erzählung von Daniel in der Löwengrube. Die zitathaften Wortanspielungen auf 6,1-25 können nicht zufällig sein, denn an V.28b zeigte sich, daß das Wissen um die Erzählung bei den Lesern vorausgesetzt wird104. Der Rückgriff auf die Erzählung geschieht dabei nicht willkürlich, sondern der Erzähler nimmt nur solche Begriffe auf, mit denen sich Grundlegendes aus der Erzählung assoziieren und so wiedererinnern läßt. Damit bekommt der Brief aber auch einen anderen Charakter: Er er-

102 103

104

Dazu bereits oben unter 8.1. S. 300. Ferner findet sich das Stichwort j u b t í , das für die Erzählungen insgesamt von hoher Bedeutung ist, mit V.27 in der Exposition von Kap. 6 mit 5,29 durch den Hinweis, Daniel sei als einer der drei Mächtigen des Reiches öffentlich proklamiert worden. Nach 6,25+29 erweist sich diese Herrschaft des Bekenners trotz der Intrige gegen ihn als eine, die dauerhafter ist als die seiner heidnischen Kollegen. Daniel also hat ein Stück weit an der „Ewigkeit" der göttlichen Herrschaft von 6,27 teil; zu j o b ü vgl. weiter unten Anm. 111. Zu solcher Art der Zitation vgl. auch Lau, Prophetie (316f.), der in Tritojesaja Zitate nachweisen kann, bei denen „mit dem Zitat verbundene Inhalte der Vorlage von dem zitierenden Verfasser vorausgesetzt werden".

Der Leser zwischen Brief und Kontext

325

scheint so betrachtet als eine Art Zusammenfassung, ein „Konzentrat" des Kapitels und damit als „the climax of the story" 105 . Diese Zusammenfassung aus der Erzählung zeigt auch, wo der Verfasser des Briefes die Schwerpunkte der Erzählung sieht. Er möchte das Gewicht auf den Wandel des Herrschers legen, der zu der Einsicht gelangt, wie endlich seine, wie unendlich aber die Macht und Gewalt des Gottes Daniels ist. Die V.26-28 sind also, isoliert betrachtet, als durch einen kurzen Vorspann eingeführter Brief kenntlich, übernehmen aber im Kontext des Kapitels die ganz andere Funktion eines „Auszugs" aus der Erzählung106, der noch einmal durch geschickte Mittel zu einer geleiteten und fokussierenden Wiedererinnerung der Erzählung anregen will.

8.3.2. Dan 2-5 (+7) als Kontext Für den Leser, der das Buch von Anfang an liest, ergeben sich noch eine ganze Reihe anderer Anspielungen und Kontexte, die noch einmal neue Sinnzusammenhänge in die Schlußverse des 6. Kapitels eintragen. V.26 soll den Leser in den Brief einführen. Damit ist ein motivischer Zusammenhang zu 3,31-4,34 hergestellt, denn auch dieser gesamte Abschnitt ist als Brief gestaltet. Uber die allgemeine Klassifizierung als Brief hinaus lassen sich weitere Zusammenhänge aufzeigen. Auch Nebukadnezar schreibt107 K S n i r t a n

KOtf 1 ?! ΪΓΟΚ W U Ù V - b z b (3,31) und

beginnt mit dem Dan eigentümlichen Gruß K3ÉP ]"D0bttf'°\ Weitere Ähn-

105 106 107

108

Prinsloo, Poems (104). Mathys, Dichter (121): der Hymnus ist ein „Kommentar zum Kapitel, in dem er steht". Das Verb 3ΓΟ/ΟΕ?Τ ist hier fortgelassen, ergibt sich jedoch sachlich zwingend. - Die Erzählung über Nebukadnezar ist erkennbar erst sekundär in die Form eines Briefes gebracht worden: hält sich der Redaktor zu Beginn noch an die formalen Konventionen (Angabe einer Adresse; Gruß; Beginn mit einem hymnischen Anschnitt (dazu vgl. Bentzen, Dan [41]; Berger, Gattungen [1359-1361]), setzt er die Schilderung der Ereignisse in V. 16-30 in der dritten Person fort und kehrt erst wieder ab V.31 aus Anlaß der Rettung und des Bekenntnisses des Herrschers zur ersten Person zurück. Mit diesem Bekenntnis, zu dessen Gunsten offenbar ein eigentlicher Briefschluß fortgelassen ist, endet der Brief sehr pointiert. Zum sekundären Charakter der Rahmung und des Ich-Stils vgl. Kratz, Translatio (91-94). Über die Entwicklung des Stoffes in Dan 4 gibt Kratz, a.a.O. (99ff.), Auskunft. Die Eingangsfloskel... "H DVU •">& · ® η ρ " | 0 (6,27aa) findet sich freilich in dem Brief Kap. 3/4 nicht, weil kein Befehl ergeht (vgl. dagegen den „erzählten" Befehl 4,3, der aber nicht in die Rahmenhandlung des Briefes gehört). 6,27 schafft deutlicher den An-

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Dan 6,26-28 - Ein Schreiben zum Schluß

lichkeiten sollen dem Leser auf die Sprünge helfen: Nebukadnezar schreibt in seinem umfänglichen Brief an alle Welt einen hymnischen Abschnitt gleichwie 6,27b.28 hinein. In diesem Hymnus wußte auch Nebukadnezar von ΚΟΠΩΣΗ XTIX (3,32.33a) zu berichten, die ihm im Zusammenhang mit jüdischen Bekennern sichtbar geworden waren109. Diese Zeichen waren ihm wie später Darius (V.6,27b) Anlaß gewesen, die unerschütterliche Dauerhaftigkeit der Herrschaft des Gottes dieser Bekenner zu preisen ( n m a ^ D TTl ~n~D57 mü'PEh ü b y m n b n (3,33); vgl. fast gleichlautend 4,31b). Gegen Ende des babylonischen Briefes taucht ferner das gewichtige Stichwort und Thema ~P aus 6,28 auf, das wir oben unter 8.3.1. wohl der Sache, nicht aber dem Begriff nach aus dem Kontext Kap. 6 erklären konnten. Aus 4,32b wird die Sache - wieder einmal in ihrem doppelten Charakter - deutlich: „Niemand existiert, der seiner Gewalt (l"R"Q) wehren könnte und zu ihm sagen könnte: ,Was tust du da?'". Dieser überzeugte Satz war das Ergebnis der persönlichen Erfahrung des Babyloniers gewesen und stellt am Ende der Erzählungen über ihn die Antwort auf die Frage dar, die er am Anfang den Juden stellte: „Wer ist der Gott, der euch aus meiner Gewalt Ρ " Ρ - ρ ) befreien könnte C p a a r B f ; 3,15)?"110. ~P bezeich-

109

110

schluß an das „Mißachtungsverbot" Nebukadnezars, das im nachhinein als überbotene Vorstufe von 6,26ff. erscheint. 3,29 seinerseits bezieht sich auf 3,10.12, so daß also Dan 3 genau wie Dan 6 die Kontrastierung eines schlechten mit einem guten Befehl zeigt und damit dem oben beschriebenen Verhältnis von 6,27aoc zu 6,14a entspricht (vgl. Anm. 101). Zu N s n x m Xinttfn p n n m p n x n a n („er tut Zeichen und Wunder wie im Himmel so auf Erden"; 6,28a) vgl. vor allem 3,32 (ΚΓ0Κ "Oy "DS7 Ή KVTOm KT1K t o b y ; „die Zeichen und Wunder, die an mir der höchste Gott getan hat"); vgl. ferner den Parallelismus 3,33a. „Im Himmel und auf der Erde" kann der Leser aus Dan 2-6 weiter spezifizieren: Der Gott Daniels ist der „Herr der Könige" (2,47), der die Herrscher nach seinem Belieben ab- und wieder einsetzen kann (2,21aß) - die Erzählungen tun nichts anderes, als diese Botschaft zu bebildern. Darüber hinaus ist dieser Gott aber auch der „König des Himmels" (4,34), „Gott des Himmels" (2,18.19.28.37.44), „Herr des Himmels" (5,23) oder schlicht „der Himmel" (4,23). Rettung kommt dem ruinierten König vom Himmel her zu (4,31), so daß er erkennt, daß Gott nach seinem Belieben nicht nur mit den Erdbewohnern, sondern auch mit dem „Heer des Himmels" verfahren kann (4,32a; vgl. auch den von Gott geschickten „Boten" in 3,28; 6,23, den „Engel und Heiligen vom Himmel" 4,10 und den feurigen j T Ò X "13 3,25). „Himmel" und „Erde" sind besonders in Kap. 4 dauernd wiederholtes Stichwort, das mit seiner metaphorischen Dynamik auch auf den dort wohnenden und herrschenden Gott hinweist. Die direkte Antwort der Juden erfolgt 3,17. Für das wichtige Stichwort „retten" (3PI0) vgl. weiter 3,28 („Gepriesen sei der Gott ..., der seinen Boten schickte und der seine Knechte befreite (TTnSSJ 1 ? DPIÖ), die sich auf ihn verließen ..."); für das zweite Ver-

Der Leser zwischen Brief und Kontext

327

net also z u s a m m e n mit den Stichworten ]t3T?LTF/t3",L?TTF u n d " d S d 1 1 1 die Grundthematik der Erzählungen in ihrer jetzigen F o r m u n d Zusammenstellung. D e r Leser v o n 6,28 erhält über die Anspielung auf die gerade gelesene Erzählung hinaus mit der „Pranke der L ö w e n " vermittels einer H o m o n y m i e einen H i n w e i s auf die voraufgegangenen Erzählungen u n d das mit ihnen verbundene welthistorische T h e m a der wirklichen u n d dauerhaften Macht Gottes. D e r Leser m u ß selbsttätig mit d e m Stichwort Τ

spielen u n d

so aus der L ö w e n g r u b e h e r a u s k o m m e n in die G r u n d z ü g e der Geschichte G o t t e s mit den Menschen. D i e gescheiterte.Hinrichtung Daniels w i r d auf diese Weise zu e i n e m weiteren Indiz für die Vorläufigkeit u n d Unzulänglichkeit der staatlichen Versuche, gegen den W i l l e n Gottes nach eigenem G u t d ü n k e n Macht auszuüben 1 1 2 . A u c h das Stichwort

(6,27bß), das w i r o b e n unter 8.3.1. bereits

durch den Kontext D a n 6 mit Hintergrund versehen k o n n t e n , ist aus den vorangegangenen Erzählungen geläufig: Insbesondere die Ä h n l i c h k e i t z u 2,44 ist auffällig (^3ΠΠΓ1 i Ò f O b y 1 ? Ή "O^D

111

112

113

Γ 0 Κ CPp 1 ) 1 1 3 . D e n

bum in 6,28 fcö), vgl. den folgenden Vers 3,29: „Es gibt keinen anderen Gott, der so zu retten vermag", wodurch in Kombination mit 6,15 klar ist, daß weder auf der Erde noch im Himmel irgend jemand anders die Kraft zu wirklicher Rettung hat. Zu "pblÖ: Besondere Nähe zu 6,27bß hat 4,19b, wo es vom König heißt, seine Herrschaft reiche bis an das Ende der Erde (Κ17ΊΚ ηΊΟ1? "pubttf), doch erweist sich diese Herrschaft als morsch und ist auch nur räumlich gedacht - die Beziehung zwischen 6,27 und 4,19 ist also eine kritische. Weitere für 6,27bß wichtige Texte sind 3,33b; 4,31b; (7,14b); vgl. dazu die „Erkenntnisformulierungen" 4,14.22.23.29; 5,21, die den pädagogischen Charakter des Handelns Gottes explizit formulieren. In Zusammenhang mit der Hybris der Menschen und der Unfähigkeit der heidnischen Weisen begegnet der Begriff Dan 2,10; die Konstruktusverbindung TTDSd jü^ttf in 6,27aa ist innerhalb des Buches nicht noch einmal belegt, aber vgl. die enge Verbindung zwischen "DSD und dem Adjektiv Q ' b t í in 4,22.29; 5,21. Zu O S D : vgl. grundsätzlich zu dem häufigen und sachlich gewichtigen Begriff Kratz, Translatio (161ff.V b a n n n t Ò " H n n w o stellt sich als Aufnahme von 2,44 ( D f 1 •?3Πηη I O "poSu1? "Η "D^D îODtf π 1 ?«) dar, welcher Vers auch sonst mit den Stichworten (ha.; Gott beendet die Herrschaft der Reiche, während sein eigenes ohne Ende ist [6,27bß] - also wiederum eine kritische Beziehung!) und O i p n XTt « • ό ^ ϊ Λ (vgl. y a b x n D^pi 6,27ba) für den Hymnus des Darius grundlegend ist. Für suffigiertes "O^D mit Bezug auf Gott vgl. 3,33ba; 4,31bß. Ob über ,Löwe' ein auch nur „sehr äußerlich anmutender Stichwortzusammenhang" mit Dan 7,4 besteht, wie Plöger, Dan (98), erwägt, darf aufgrund des sehr unterschiedlichen Gebrauchs des Motivs als eher unwahrscheinlich gelten. Vgl. auch oben Anm. 111. Das Spiel mit der hier belegten Wurzel Dip und ihrer Derivate im Sinne des Aufkommens und Einsetzens von Königen und Reichen zieht sich - entsprechend dem Thema des Ganzen - durch den gesamten Abschnitt Dan 2-6(.7) mit zahlreichen Belegen. Instruktiv ist besonders die Verwendung in Kap. 3: Wieder-

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Dan 6,26-28 - Ein Schreiben zum Schluß

dort in den Deuteversen des königlichen Traums proklamierten geschichtstheologischen Entwurf wiederholt ein Nachfolger dieses Königs in Kap.6 und trägt auf diese Weise das Reicheschema ein, obgleich von diesem expressis verbis gar nicht die Rede ist114. Ferner bietet das insgesamt Kap. 6 sehr verwandte Kap. 3 in V.25 einen uns schon aus 6,23f. bekannten Hinweis darauf, daß die Bekenner durch das Einschreiten eines Engels Gottes die Torturen der Hinrichtung ohne Schaden überstehen und so lebendige Zeichen des machtvollen Eingreifens Gottes sind. Die andere Seite dieses Glaubens ist, daß der König, der einem gewaltigen Baum gleicht, umgehauen und zerstört werden kann (vgl. 4,20 mit V.22), damit er erkennt, daß allein der höchste Gott über alle Dinge Macht hat. Anhand von Kap 3/4 hatten wir bereits auf die Verschränkung der Gattungen „Brief" und „Hymnus" aufmerksam gemacht. Den „Hymnus" benutzt der Redaktor der aramäischen Erzählungen auch sonst noch, um den Erzählzusammenhang zu stabilisieren und refrainartig seine Anliegen zu formulieren (2,20-23; 2,47; 3,(28-29.)31-33; 4,31-34; vgl. 5,18ff.) 115 . In diesen Texten konzentrieren sich eine Reihe von Aussagen, die für Dan 1-6 entscheidend sind: Die Grundlage bildet die alleinige Herrschermacht des „Gottes der Götter und Herrn der Könige" (2,47), dessen, der „ewig lebt" (Köbx? TI; 4,31 aß)116. Diese Herrschermacht zeichnet sich für die jeweili-

114 115

116

holt (3,1.2.3.5.7.12.14.18) wird erwähnt, der König habe ein goldenes Standbild zur Verehrung durch seine Untertanen „aufrichten" lassen. Diese Verehrung aber kann er bei den Anhängern des mächtigen Gottes nicht durchsetzen und scheitert sogar mit seinen staatlichen Machtmitteln an ihnen. Ebenso - wiederum in einer Art metaphorischer Übertragung - läßt sich das Verehrungsverbot anderer Götter (6,8.9.16) bei den Juden nicht durchsetzen. So sind terminologisch das Einrichten von Reichen und Königen wie auch das Handeln dieser Reiche (Aufstellen von Götterbildern; Erlassen von Verboten) mit einer negativen Wertung zusammengebunden und gleichzeitig ins Positive gewendet mit der Anwendung der Wurzel Dip auf Gott, der „für immer besteht" (•pnbyb crp). Vgl. noch die erneute Aufnahme dieses Motivs in 7,14. Die Sache ist untersucht z.B. bei Towner, Passages; Kratz, Translatio (156-160); Prinsloo, Poems. Vgl. KTt ΝΓ0Κ Κ1Π 6,27ba + 6,21boc. Weiter kommt der uns schon aus 6,7.22b bekannte Gruß an den König öfter vor (2,4; 3,9; 5,10; dazu Goldingay, Stories [103]: „Darius's own confession also relativizes the courtly homage"). Die Lebendigkeit des Gottes Daniels erschließt sich für den Leser aus 5,19 dahingehend, daß Nebukadnezar auf der Höhe seiner von Gott verliehenen Macht töten oder am Leben lassen kann (XTI ha.), wen er will. Der Gedanke an 5,19 mag dem Leser auch deshalb kommen, weil das Leben und Sterben-Lassen sich ja gerade in Dan 6 zeigte und ferner 5,19a deutliche Ähnlichkeit mit 6,26.27aa aufweist (vgl. dazu gleich im Text).

Der Leser zwischen Brief und Kontext

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gen Könige an besonderen Machterweisen ab, etwa dem Aufdecken von Dingen, die sonst verborgen sind (Kap. 2), oder dem schon erwähnten Tun von „Zeichen und Wundern", die auf der Erde und im Himmel geschehen. Der Befehl des Darius, alle Welt solle „Furcht und Zittern" vor dem Gott Daniels erzeigen, ist bereits - allerdings wieder in negativer Weise antizipiert mit der „historischen" Einleitung der Rede, die Daniel vor Beltsazzar hielt (5,18.19) und über Kap. 5 hinaus auf Kap. 4 zurückweist: Aufgrund der Nebukadnezar von Gott verliehenen Größe hätten „alle Völker, Nationen und Zungen" (*·>3Β6ί ΪΟΏΚ iODOU ^D; vgl. 6,26) vor diesem Herrscher „Furcht und Zittern" gezeigt ( v n m p - p " p b r m ]">S7KT; die beiden Verben in Dan 2-6 zusammen außer 5,19 nur noch 6,27a)117. Der Herrscher freilich war hochmütig geworden (V.20), hatte also die Gabe nicht mehr als Gabe Gottes verstehen wollen. Dieser historische Irrtum mit seinen für Nebukadnezar schrecklichen Folgen wird nun in 6,27 wieder aufgenommen, korrigiert und ins Positive gewendet. Denn die Verehrung wird nun unmittelbar dem Gott Daniels zuteil, der von Gott Begabte verliert seine Mittlerrolle, der Blick auf das Reich Gottes wird unverstellt frei zugunsten der Visionen, die nun ab Kap.7 dem Leser bekannt werden sollen. Das Ergebnis der Untersuchung des weiteren Kontextes bestätigt und bereichert das schon unter 8.3.1. Beobachtete. Wieder sahen wir deutlich, wie die Stichwortaufnahmen bewußt solche Begriffe ins Spiel bringen, mit denen sich die zentralen Aussagen der aramäischen Erzählungen leicht assoziieren lassen. Dabei spielt die Technik der Kontrastierung eine große Rolle. Sie formuliert zwei entgegengesetzte Möglichkeiten, die „menschlichhybride" und die „göttlich-bekennende", die „gute" und die „schlechte". Eine zweite Technik ist die Überbietung. Trotz aller Ähnlichkeit der historischen Erfahrung zeichnet sich eine Entwicklung ab, etwa im zunehmenden Offentlichkeitscharakter der hymnischen Stücke118 und der immer ri-

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Den Bezug zu 5,19 hebt auch Goldingay, Stories (103), hervor. *ΧΠ allein auch 4,2: Der von Gott kommende Traum erschreckt den König. Die Adressierung an „alle Völker, Nationen und Zungen" läßt wieder an Nebukadnezar denken. Sein Standbildgesetz richtet sich an diese Adressaten (3,4), ebenso das Verehrungsgebot (3,29) und seine autobiographische Skizze (3,31). Die Dreierreihe ist 7,14 bei der Beschreibung des Reiches Gottes aufgenommen. Der Hymnus 2,20-23 wird ohne Öffentlichkeit nur von Daniel gesprochen. 2,47 wird dann der Herrscher zum Autor des Hymnus. Die Hymnen 3,31-33; 4,31-34 und 6,27f. finden darüber hinaus noch globale Verbreitung.

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goroser werdenden Gesetzgebung der heidnischen Potentaten, die sich vom Verbot der Schmähung des jüdischen Gottes (Kap.3) zum Gebot seiner Verehrung steigert. Dan 6,26ff. erscheint so als Abschluß, aber auch Höhepunkt der Geschichtsdarstellung1". Die Herstellung eines assoziierbaren Zusammenhangs geschieht freilich nicht allein auf der Ebene der Terminologie, sondern auch durch die Wiederverwendung von Gattungen. Der großkönigliche, enzyklische „Brief" und der refrainartig über Dan 2-6 ausgestreute „Hymnus" fokussieren die redaktionelle Theologie und schaffen den erzählerischen sowie historischen Zusammenhang. Damit ist auf der formalen und terminologischen Ebene so gut wie alles für den Leser anschlußfähig120. Nichts ist belanglos, alles kann und soll der Leser mit Hintergrund versehen und als Kondensat einer langen historischen Abfolge von Reichen auffassen. Die Gleichförmigkeit der Erfahrungen verschiedener Großreiche mit diesem Gott der Bekenner und die Gleichförmigkeit der Reaktionen der Herrscher auf diese Erfahrungen wird zum hermeneutischen Schlüssel, der den Juden als den Lesern des Buches Dan die Abfolge der Epochen erschließen soll. Die Lösung der dramatischen Konflikte geschieht in der Form der alle angehenden Kommunikation durch den Herrscher. Dieser Herrscher ist nicht Einzel- oder Privatperson. Er leiht dem Himmel seine Feder und stellt sich und seine Leser in einen Kontext, der seine individuelle Erfahrung aufnimmt, aber doch die Grenzen des einzelnen sprengt. Die chaotische und zufällig erscheinende Abfolge der Großreiche ist nun durch-sichtig geworden. Alles ist Zeichen, alles hat Kontext, alles weist auf den „Gott der Götter und Herrn der Könige".

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Plöger, Dan (100): „Die Königsproklamation scheint in dieser letzten Erzählung eine Art Fazit aller ähnlichen Aussagen in den bisherigen Erzählungen bieten zu wollen"; Lebram, Dan (83), versteht das Edikt als „Fortsetzung und Überhöhung der Bekenntnisse Nebukadnezzars". Vgl. Towner, Passages (323): „Instead of emerging from the oral process of hymning in the midst of the worshipping community, they [die Dan-Psalmen] have been created with eclectic skill out of bits and pieces of the language of prayer, cast in the forms of hymns and thanksgivings familiar to the community so that they can communicate more effectively the point of the narratives in which they stand and for which they were written".

Der Leser zwischen Brief und Kontext

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8.3.3. Die sonstige schriftliche Tradition als Kontext Die Anschlußfähigkeit des Darius-Briefes ist bei weitem nicht mit dem Kontext Dan 1-6(.7) erschöpft. Zahlreiche Verbindungen sprachlicher wie sachlicher Art zum übrigen kanonischen Schrifttum liegen vor, wenn auch nicht mit gleichmäßiger Verteilung und Intensität. Im Rahmen unserer Untersuchung können wir uns, zumal einige Arbeiten dazu vorliegen, auf allgemeinere Hinweise beschränken, denn es ging uns ja vorrangig um den Aufweis solcher Anschlußfähigkeit, damit das „Funktionieren" des Briefes, seine kommunikative Kraft besonders im Hinblick auf das in ihm angelegte ideale Rezeptionsverhalten beschreibbar werden kann. Zwei methodische Probleme seien vorab genannt: Zum einen ist der Bezug zu den hebräischen Teilen des AT bei Stichwortanschlüssen naturgemäß nicht immer ohne Unschärfen aufweisbar. Zum anderen ist die Frage der Art der Abhängigkeit nicht in jedem Fall sicher zu entscheiden. Handelt es sich um allgemeinere traditionsgeschichtliche Entwicklungen, an denen Dan teilhat, oder aber hat man es mit Anspielungen auf einen bestimmten schriftlichen Text, also entsprechend dem Verhältnis von Dan 6,26ff. zu Dan 1-6*, zu tun?121. Diese Frage läßt sich wohl nur in wenigen Fällen wirklich sicher entscheiden, zumal Anspielungen auf schriftliche Texte aus dem Gedächtnis zu „Zitationsfehlern" führen können oder der Text ein anderer gewesen sein kann. Anspielungen auf allgemein umlaufende Topoi sind uns heute nur greifbar, wenn sie auch irgendwann einmal schriftlich fixiert worden sind. Solche noch mündlich umlaufenden Motive, Traditionen und Vorstellungen sind aber von „Schriftzitaten" nicht unbedingt kategorial verschieden, da auch

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Vgl. zu diesem Problem Kratz, Translatio (195). Nicht ohne Recht warnt Lau, Prophétie (bes. 15f.), vor dem übereifrigen Aufspüren von Anspielungen auf schriftliche Texte und der ungesichterten Annahme von „Gedankenassoziationen" (16). Freilich beschränken sich Aufnahmen bereits vorliegender Literatur wohl damals genausowenig wie heute auf exakte Zitate: Ein markantes Stichwort mag reichen, um die Konnotation einer ganzen Erzählung, eines Psalms oder auch nur eines Vorstellungskomplexes (z.B. Exodus), der sich in verschiedenen Texten niedergeschlagen haben kann, zu veranlassen u.a.m. Diesem Umstand kann man - selbst auf die Gefahr hin, zuviele Bezüge zu benennen - nachgehen. Wir beschränken uns dabei auf Bezüge zu häufig belegten und sachlich gewichtigen Motiven und Traditionen des vorliegenden Kanons, deren Assoziierbarkeit u.E. für den „gebildeten" Leser eine gewisse Evidenz besitzt. Laus Vorsicht bezüglich der intellektuellen Fähigkeiten der „Autoren" und „Redaktoren" (a.a.O. [16f.; auch 18]) ist genausowenig begründbar wie die von ihm kritisierte Position Stecks, die ihrerseits immerhin zu diesbezüglichen Beobachtungen am chrG, Daniel und den Qumranschriften paßt.

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Dan 6,26-28 - Ein Schreiben zum Schluß

sie offenkundig als bedeutsam und daher anspielungsfähig eingeschätzt wurden. Die Adressierung eines solchen Schreibens an „alle Völker, Nationen und Zungen" (Dan 6,26) ist uns bereits in ähnlicher Weise im Kontext großköniglicher Edikte aus Est bekannt (vgl. Est 1,22: „an jede Provinz des Königs ... in ihrer (jeweiligen) Schrift und an ein jedes Volk in seiner jeweiligen Sprache"; vgl. auch 3,12.14 (+8,13); 8,9 und noch 8,17aa) 122 . Und auch das Kyros-Edikt soll

umgegangen sein (Esr 1,1). Auf der

Ebene des atl. Kanons betrachtet erscheint eine solche allgemeine Adressierung also als typische Artikulationsweise der persischen Könige. Neben der Gattung ,Brief' hatten wir bereits oben für den Kontext Dan 2-6 die hohe Bedeutung der Gattung ,Hymnus' beobachtet. Solche Hymnen sind nun natürlich auch aus dem Psalter hinlänglich bekannt123. Eine besondere Nähe besteht zu dem Hymnus Ps 145: Der Psalm des Persers erfüllt geradezu die Aufforderung Ps 145,5 „Von der herrlichen Pracht deiner Hoheit sollen sie reden (lies " n S T ^ , von deinen Wundern sollen sie singen (lies ΙΓΡίΡ)" 1 2 4 . Die Ähnlichkeit von Dan 6 mit Ps 145 zeigt sich aber am deutlichsten in V.13: i m

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"|rÒE?Dm D ^ b i T ^ D ITD^D - [ Π Ό ^ η

- n - r S o a 1 2 5 . Die Untersuchung, die Kratz über die traditionsge-

Für solche globalen Adressierungen gibt es unter den sonst im A T aufbehaltenen Briefen keine weiteren Parallelen; vgl. immerhin noch den Brief Jeremias, der sich Γ 0 3 3 D b ö l - P D (?) T P ^ m t t f K r ò u n richten soll (fer 29,4; s. noch V.25). Ferner vgl. den 5. Brief Sanballats an Nehemia Neh 6,5-7, der offen in der Hand des Boten gewesen sein soll, woraus sich in Verbindung mit dem Briefinhalt ergibt, daß Sanballat die wohl diffuse Leserschaft des „offenen" Briefes und gezielte Indiskretionen beim König dazu nutzen will, durch die Umgebung Nehemias und die Obrigkeit Druck auf Nehemia auszuüben. Recht großzügig dimensioniert ist auch die Adressierung Esr 4,17, wo neben den namentlich genannten Beamten und ihren Kollegen die etwas unbestimmte Größe „und der Rest von Abar Nahara" auftaucht (Rückbezug auf 4,9.10). Zum Charakter des Hymnus vgl. oben. Eine Brechung mit einer vom Psalter herkommenden Leseerwartung könnte durch den narrativen Kontext dieses Hymnus gegeben sein: Nicht der Kultus ist hier der Sitz im Leben, sondern das persönliche Bekenntnis des einzelnen angesichts wunderhafter Erlebnisse; vgl. dazu Towner, Passages (323f.). Vgl. weiter V.ll.12: „Von der Herrlichkeit deiner Königsherrschaft ("|mDT>D!) sollen sie erzählen, von deiner Stärke sollen sie reden, um den Menschen deine Kraft (wohl "|ΓΠ133) und den herrlichen Glanz deiner Königsherrschaft ( " ( P o S d ! ) ZU verkünden". Solche Texte, die mit Dan 3/4.6 offenbar ihre Erfüllung durch den Fremdherrscher finden sollen, können nach Plöger, Dan (73), Ps 77,15; 78,4 sein. Neben der vor allem sachlichen Ähnlichkeit zu Dan 6,27b besteht die größte sprachliche zu Dan 3,33b. Der paradigmatische Beter, dem Gott beisteht (vgl. V.l.2.18-21), erinnert an Dan 6,12. Das in Ps 145 vorkommende Motiv der Vernichtung der Gottlosen (V.14a; 20b) kennt der Hymnus selbst nicht; vgl. aber zum Tod der Frevler Dan 6,25.

Der Leser zwischen Brief und Kontext

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schichtliche Herleitung von r r o b o in Dan angestellt hat, ergab u.a., daß Ps 145 „offenbar den geistigen Rückraum" der Vorstellung dokumentiert und Dan „in allernächster - geistiger - Nähe" zu Ps 145 entstanden ist126. Darüber hinaus liegt, wie über das Stichwort ΓΓΌ^Ο zu erschließen ist, eine weitere enge Beziehung zum ehr. Geschichtsbild vor. Dort war das n'O'PD-Modell auf die Herrschaft der Perser übertragen worden 127 , so daß die Annahme wahrscheinlich wird, die ehr. Darstellung und Deutung der persischen Herrschaft diene auch in Dan 6, speziell in dem uns interessierenden Brief des Darius als interpretierender Hintergrund. Ferner dürfte das Geschehen dieses Briefes selbst - ein ausländischer Herrscher gibt sich schriftlich als Bewahrer des Glaubens und geradezu Statthalter Gottes - zunächst in engem Zusammenhang mit den Königspsalmen128, dann aber vor allem mit bestimmten Aussagen Dtjes's über die historische Rolle des Kyros stehen. Der Perser, den der unbekannte Prophet als bekehrt bezeichnet (Jes 41,25; 45,3), ist nicht nur der Retter des Volkes, sondern auch der, der „den Entscheid an die Völker herausbringt" 0es 42,lbß), der „das Licht für die Völker" ist (Jes 42,6bß), aber auch „den Häftling aus dem Gefängnis herausholt, aus dem Kerkerhaus die, die in Finsternis einsitzen" Qes 42,7b129; vgl. die Rettung Daniels „aus der Macht der Löwen"130). Die Aufforderung zum Loben, zum Erzählen der wunderbaren

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Vgl. Translatio (163-169); Zitate S. 167. Vgl. zur Sache Kratz, Translatio (169-179). Zum Gedanken der Statthalterschaft, der auf der Kyros-Theologie Dtjes's aufbaut, vgl. a.a.O. (183-189). 128 Vgl. Kratz, Translatio (179-181). 12 ' Der Zusammenhang mit Kyros kann sich für den Leser von 41,25 her ergeben; vgl. Kratz, Translatio (181-183). Ferner läßt sich eine Einwirkung von Jer 27-29 auf Dan 6 zeigen (a.a.O. [190-195], für die Kratz sogar direkte Textkenntnis annimmt [195], Zur Beziehung von Dan 2 zu Dtjes vgl. von der Osten-Sacken, Apokalyptik (23ff.). Vgl. zum Grundsätzlichen weiter Koch, Bedeutung (207f.): Die Prophetensprüche werden in Dan „als Sammlung verstreuter Äusserungen über das Geschehen der Endzeit, aber auch der dahin führenden Entwicklungen der Menschheitsgeschichte verstanden. Die Profeten bieten ein grosses Puzzlespiel, dessen Bildprogramm noch entdeckt werden will, was nun erstmals durch Gottes Hilfe geschieht". 130 Das Löwenmotiv hat ebenfalls einen Bezug zum Psalter: vgl. Ps 22,14 ("Sie sperren gegen mich ihren Mund auf - ein reißender und brüllender Löwe"); Ps 57,4 („Inmitten von Löwen muß ich mich lagern"); Ps 91,13 („Über Löwe und Otter wirst du dahinschreiten"). Bentzens Meinung, der Leser könne beim Abstieg des Helden in die „Grube" die Assoziation einer Hadesfahrt entwickeln, ist unsicher (vgl. ders., Versuch). Die Stellen I Reg 13 und Hos 5,14, die Plöger (Dan [98J anführt, scheinen uns nicht zur Sache zu gehören. Bezüglich der „Grube" ist vielleicht noch an Gen 37,24ff. und Jer 38,6ff. zu denken (Mason, Treatment [86J. 127

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Taten Gottes aus den Psalmen131, scheint in Dan 3/4.6 verquickt zu sein mit diesen (oder ähnlichen) Beschreibungen und Auffassungen vom „Amt" des erweckten persischen Herrschers. Die Vorstellung, der Perser habe diese Aufgabe in Briefform wahrgenommen, konnte vielleicht einfach aus dem täglichen Erleben der persischen Administrationspraxis gewonnen sein. Wahrscheinlich aber konnte und sollte sie zugleich vom Leser mit ihm vorliegender Literatur in einen tiefsinnigen Zusammenhang gestellt werden: Kyros, der von den Propheten angekündigte und beschriebene Herrscher der Zukunft J H W H s hatte die zentrale sprachliche Äußerung der persischen Administration in Form eines solchen Ediktes allen Menschen zu Augen und Ohren kommen lassen (Esr 1-6)132. Die nachexilische Zeit der Leser des Dariusbriefes sieht also mit diesem Brief inhaltlich wie formal Prophetie zur Erfüllung kommen. Die nachexilische Zeit kennt jetzt eine kommunikationstechnische Kontinuität, die J H W H selbst über seine erweckten Herrscher ins Werk gesetzt hat. Die Anrede Gottes und das Heil für das Volk und die Völker hat eine spezifische, unverwechselbare Form erhalten. Der Inhalt des Hymnus läßt sich selbstverständlich ebenfalls mit der religiösen Tradition Israels in Verbindung bringen: Die „Zeichen und Wunder" f p n o m "pntf) entsprechen den hebräischen DTIDIDI ΓΠΓΙΧ. Speziell zu denken wäre hier etwa an Ps 65,9 („es fürchten sich vor deinen Wundern, die die Enden bewohnen"; vgl. den Zusammenhang Wunder - Universalismus - Furcht) oder auch Ps 86,17 („Tu an mir ein Zeichen zum Guten; da sehen meine Hasser und fallen in Beschämung, daß du, J H W H , es bist, der mir geholfen und mich getröstet hat"). Besonders häufig werden die Exodusereignisse als wunderhafte Zeichen bewertet (vgl. Ex 6,7; 7,3; 14,4.18.28; 16,6f.; Dtn 6,22; 7,19; 29,2; Jer 32,20; Ps 78,43; 105,27; 135,9f. Neh 9,10 u.ö.). Dabei wird Wert gelegt auf den Charakter dieser Zeichen als „Erkenntniszeichen", solcher Zeichen also, die Erkenntnis oder Offenbarung unter den Menschen bewirken sollen (vgl. Ex 7,3 und V.5; Ex 8,18; 10,2; Dtn 4,32ff.; vgl. Ex 7,17; 9,29; 11,7; zum Sabbat vgl. Ex 31,13; Ez 20,12; andere Erkenntnis bewirkende zeichenhafte Ereignisse sind: I Reg 20,13: Sieg über die Feinde; Ez 14,8: Tod des Götzendieners; I Reg 18,37: das durch J H W H entzündete Opferfeuer). Das Erkennen nun ist zwar in

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S. bes. Ps 138,4f.: „Dich loben, JHWH, sollen alle Könige der Erde, denn sie haben die Aussagen deines Mundes gehört; und sie sollen singen von den Wegen JHWHs, denn groß ist die Majestät JHWHs" - nichts anderes tut Darius mit seinem Brief. Vgl. zu diesem Thema bereits Kap. 6.2. anläßlich der Untersuchung von Esr 1,1.

Der Leser zwischen Brief und Kontext

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Dan 6,26ff. nicht explizit erwähnt, kann aber angesichts der aus der Tradition bekannten häufigen Verbindung von Wunder und Erkenntnis vom Leser leicht assoziiert werden. Die Vorstellung, daß durch die mit den Bekennern verbundenen Ereignisse und ihre außerordentlichen Fähigkeiten „Erkenntnis" bei den Heiden, speziell dem König geweckt wird, ist in Dan 2-6 auch sonst vorhanden (vgl. 2,28.30.45; 4,14.22.23.29; 5,21; auch 4,4.15; 5,15 zeigt sich der Mangel an solchen außerordentlichen Fähigkeiten bei den heidnischen Gelehrten; vgl. als Kontrast 5,16f.)133. An dieser Stelle läge dann abermals ein Beleg dafür vor, daß der Leser durch die Nennung eines Stichworts, vielleicht durch den Zusammenhang Dan 2-6 unterstützt (Erkenntnisaussagen), zur aktiven Rekonstruktion eines Traditionskomplexes angehalten werden soll. Beziehungsreich ist auch die Bemerkung, Gott tue Wunder und Zeichen im Himmel und auf der Erde. Der Leser mag daran denken, daß Gott auch sonst - vorzüglich in späteren Texten - als „der Gott des Himmels" bezeichnet wird (vgl. Ps 136,26a; Jon 1,9; Π Chr 36,23/Esr 1,2 u.ö) oder sogar als der Gott, dessen Einflußbereich sich über Himmel wie Erde erstreckt (vgl. Gen 14,19.22; 24,3; Jer 23,24; Ps 89,12; 121,2). Vielleicht mag der Leser auch einen Zusammenhang mit dem Verehrungsgebot 6,27a herstellen, denn auch sonst ist öfters davon die Rede, Himmel und Erde reagierten als Folge einer Theophanie mit Furcht und Zittern 134 . Die mit Dan 6,28a zum Ausdruck gebrachte Vorstellung, alle Völker würden zum Heil finden, mag an Texte wie I Reg 8,41ff.; Jes 11,10; 49,6f.; 55,5; Jer 16,19-21; Zeph 2,11; Sach 2,15 anknüpfen. Näher freilich stehen aufgrund der Nähe des Briefes in inhaltlicher und formaler Hinsicht zur Psalmentradition der „Lobwunsch"135 der Psalmen, der die Völker zum Lob Gottes auffordert oder ein solches Lob der Völker für die Zukunft erwartet (vgl. bes. Ps 22,28f.; 47,8-10; 97,8; 99,lf. [verbunden mit dem Gedanken der Königsherrschaft JHWHs!]; auch Ps 66,4; 33,8; 102,22; 145,10; 148,llff. u.ö.)136. Dieses hymnische Element soll offenbar vom Leser als Verheißung verstanden werden, die nun unter den Medern als Staatsgesetz erfüllt worden ist.

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Den Zusammenhang speziell mit der Exodustradition hält mit unnötiger Vorsicht Kratz, Translatio (168), für eine „feine, wahrscheinlich jedoch eher ferne Anspielung". 134 Jes 13,13; 41,5; Jer 10,10; 49,21; Joel 2,10; Ps 18,8; 68,9; 99,1 u.ö.; vgl. dazu weiter Ottoson, f i x (427). 135 Vgl. Crüsemann, Studien (184ff.). 136 Zur Funktion des Befehls als hymnisches Element vgl. bereits oben S. 302.

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Die Bezeichnung des so gepriesenen Gottes als „lebendig" ist im AT ebenfalls weit verbreitet und wird auch im Danielbuch selbst noch einmal aufgenommen (12,7). Als besonders relevant für 6,27ba kann jedoch Jer 10,10 gelten: D^ltf "[^Dl •"'"'Π O T Ò K T m ΓΙΟΚ DVÒK ΓΤΓΓΥ37. Dort stehen die Lebendigkeit und Ewigkeit Gottes im Zusammenhang des Verwerfens der falschen Götter - einem wesentlichen Aspekt in Dan 3 und 6. Dieser Vers wird sicher zusammen mit Ps 145,13/Dan 3,33b bei der Formulierung 6,27ba Pate gestanden haben und soll wohl entsprechende Assoziationen beim Leser erzeugen. Der Brief des Darius zeigt also insgesamt sehr weitreichende Beziehungen zu den anderen atl. Schriften. Die Schwerpunkte dieser Bezüge liegen bei den Psalmen in ihrer sprachlichen Motivik und Theologie, aber auch die Theologien Dtjes's und des ehr. Geschichtswerkes sind von wesentlicher Bedeutung. Der Rückbezug zu diesen Texten konstituiert nicht selten ein Verhältnis von Verheißung und Erfüllung. Der Brief kann sich aber auch als Verlängerung einer schon vorhandenen heilsgeschichtlichen Linie zu verstehen geben: Auch die Exodusereignisse hatten schon etwas Zeichenund Wunderhaftes, auch Kyros hatte schon ein wichtiges Dokument an alle Menschen geschickt und damit seinerseits Prophetie zur Erfüllung gebracht. Der zentrale Aspekt der Aufnahme der „Kyrostheologie" zeigt freilich auch, daß das „Zitat" oder besser: die Anspielung auf dieses Theologumenon nicht allein eine sozusagen wertungsfreie Wiederholung bedeutet, sondern eine spezifische Weiterentwicklung dieses Motivs mit sich bringt. Kyros behauptete zwar ebenfalls, sein Reich ( ρ Κ Π Π Ώ ^ η η S o ) sei ihm von JHWH gegeben (Esr 1,2), aber der Meder befiehlt in seinem ganzen Herrschaftsgebiet CmrÒD die Ehrfurcht vor dem Gotte Daniels, was insbesondere mit Rücksicht auf Dan 5,19 eine entscheidende Relativierung der eigenen Regierung bedeutet13*. Der Erlaß des Kyros beschränkte sich noch darauf, den Juden als Adressaten bestimmte Rechte einzuräumen, wobei sie freilich von den jeweiligen Mitbewohnern Unterstützung erfahren sollten (Esr 1,4). Das Handeln des Darius aber wendet sich an alle Men-

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10,10b liegt überdies das für Dan auch wichtige Motiv der universalen Erschütterung vor. Kreuzer, Gott (296), glaubt im Hinblick auf die Verquickung der Rede vom „lebendigen Gott" mit dem Rettungsmotiv speziell die Kenntnis der Goliathgeschichte (vgl. I Sam 17,26) und der Jesajaerzählungen (vgl. Π Reg 19,4/Jes 37,4; Π Reg 19,16/Jes 37,17) bei dem Verfasser des Dariusbriefes voraussetzen zu können. Albertz, Gott (143), spricht von „eine(r) freiwillige(n) Depotenzierung des Staates".

Der Leser zwischen Brief und Kontext

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sehen, und treibt darüber hinaus im hymnischen Abschnitt jüdische Theologie. Der apokalyptischen Tendenz des Buches entsprechend wird die in der exilischen Prophetie eingeführte Kyrosvorstellung, die dann in der chronistischen Theologie ihre historisch-narrative Ausgestaltung am Beispiel des Tempelbaus gefunden hatte, räumlich und zeitlich entgrenzt. Der Leser wird durch den Text des Dariusediktes aufgefordert, das Bekannte auf den Lauf der Weltgeschichte zu applizieren, so zum Zeitpunkt des Lesens zu begreifen und als für ihn wesentliche Botschaft in sein Leben zu ziehen139.

8.3.4. Die Umwelt des AT als Kontext Den Zusammenhang einzelner Vorstellungen und Begriffe mit nicht-israelitisch/ -jüdischer Literatur halten wir für nur vage aufweisbar. Wir beschränken uns daher auf zwei uns allerdings wichtige Einzelprobleme. Man könnte erwägen, ob nicht die mit dem Brief verwendeten Gattungen - Hymnus und Brief (administrativen Inhalts) - auf ein Wissen über die Israel umgebenden, speziell die sie beherrschenden Kulturen und Staaten anspielen. So konnte der antike Leser von Dan wissen, daß auch die anderen Völker des Orients Psalmen, speziell Hymnen dichteten und benutzten140. Doch fraglich ist, ob dieses Wissen für die Leser zum Verständnis wichtig werden konnte. Naheliegender scheint die oben gewonnene Einsicht in die Abhängigkeit dieses Handelns des Großkönigs von der atl. Psalmendichtung mit ihren „Lobwünschen" zu sein, die die Gattung des Briefs in einem Schema von Verheißung und Erfüllung erscheinen läßt. Die Aufforderung zum JHWH-Lob, verschmolzen mit dem Gedanken, auch die Völker würden sich dereinst J H W H zuwenden, scheint dafür verantwortlich zu sein, daß Darius zum Hymnendichter werden mußte. Das allgemeine Wissen, daß auch Nichtjuden Hymnen dichten, mag da nur in einem unspezifischen Sinne im Hintergrund gestanden haben.

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Die Applikation hat Gadamer als integralen Bestandteil der hermeneutischen Aufgabe aufgefaßt, da Hermeneutik nicht so sehr Methode sein und objektive Erkenntnis vermitteln soll, sondern „vielmehr das Darinstehen in einem Uberlieferungsgeschehen zur Vorausetzung hat"; vgl. Wahrheit (Zitat S. 293; insgesamt S. 290-295). Vgl. nur die Sammlungen von Falkenstein/v.Soden, Hymnen (kurze Übersicht mit Lit. auch bei v. Soden, Einführung [215-220]), J. Assmann, Hymnen, und die Texte, die in TUAT Π (645ff.), gesammelt sind. Zur Problematik des Vergleichs zwischen den altorientalischen Psalmen und den atl.en vgl. Seybold, Psalmen (154-156).

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Ähnlich verhält es sich mit der Abfassung des Briefs. Selbstverständlich konnte der Autor des Briefs auf das Wissen anspielen, daß die Leser von der schriftgestützten Verwaltungspraxis der Perser (oder ihrer Nachfolgestaaten) haben mußten141. Dient der real erlebte Verwaltungsablauf der persischen Administration als Informationshintergrund und als Erwartungshaltung, die mit dem Stichwort 3ΓΟ Dan 6,26a erzeugt wird, ergibt sich bei der Lektüre des Briefs mit dem rigorosen Religionsgesetz 6,27a, das das ebenso rigorose aus 6,8.13 umkehrt, und dem hymnusartigen Hauptteil des Briefs eine Überraschung: Der König erweist sich als frommer Mann, der klassische Theologumena nicht allein aus Dan 2-6, sondern auch aus großen Teilen der religiösen Uberlieferung der Juden aufnimmt, verarbeitet und bestätigt. Diese überraschende „Dissonanz" konnte aber im Hinblick auf die oben beschriebenen Traditionen der Kyrostheologie und ihrer ehr. Historisierung durch die Tempelbaugeschichte, die die schreibende Mitwirkung der Achämeniden bei diesem Epocheneinschnitt hervorhob, nicht wirklich als Überraschung oder Dissonanz empfunden werden. Hier wiederholte sich nur etwas, was man schon kannte, wieder einmal wirkte sich heilvolle Überwindung des großmächtigen Despoten durch Gottes wunderhaftes Eingreifen zugunsten des Volkes schriftlich aus und war literaturbildend. Wie bei den Hymnen, so ist also auch in diesem Fall der weitere Informationshintergrund nur bedingt von Bedeutung und führt zu Dan 6 erst durch Vermittlung mit der biblischen Tradition.

8.4. Zusammenfassung Unsere Beobachtungen zur Stellung der Dariusbriefes in verschiedenen literarischen Kontexten erweisen das Schriftstück als sehr bewußt gestaltetes und anspielungsreiches142 literarisches Produkt. Diese Feststellung könnte

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Vgl. neben den Ausführungen über Esr und Est zu diesem Thema auch Wiesehöfer, Persien (115-119), der die informationstechnische Infrastruktur des Reiches beschreibt. Uber die Beziehung des Formulars des Dariusbriefs zu anderen aramäischen Briefen vgl. oben unter 8.1. Man könnte einwenden, der Leser habe längst nicht alle der eben aufgeführten Zusammenhänge herstellen können. Doch das muß er auch nicht: Jeder einzelne Leser wird notwendig den Text auf der Basis seiner Vorurteile und seines Vorwissens anders verstehen oder verschiedene Aspekte anders gewichten. Im Lesen entsteht „eine Mannigfal-

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Anlaß sein, in dem Schreiben eine „Epistel" zu sehen, die eines persönlichen Charakters entbehrt und dem Leser nichts anderes als Sprachschablonen zu bieten scheint. Dieser Eindruck aber hängt eben mit der mehrfachen literarischen Funktion zusammen, die der Autor diesem Dokument zugeordnet hat. Es dient als Pointe der Erzählung von der glücklichen Rettung Daniels aus der Grube, es ist eine das Wesentliche enthaltende Zusammenfassung der aramäischen Danielgeschichten, und es ist eine bewußt akzentuierende Epitome aus der Literatur und damit Geschichte Israels143. Unter Berücksichtigung dieser Einsichten ist noch einmal auf die oben in 8.2 aufgeworfene Frage einzugehen, ob und inwiefern der Leser in dem Brief mit Neuem oder Fremdem konfrontiert wird. Die Antwort darauf fällt durchaus nicht leicht: Die Beobachtungen, die wir eben zur vom impliziten Leser verlangten Kompetenz, zu den Ansprüchen an sein Assoziationsvermögen zusammenstellten, zeigten deutlich den sehr intensiven Verweischarakter des Briefes, der mit jeder Formulierung einen Anschluß an Dan 2-6 und bestimmte dahinter stehende atl. Traditionen möglich macht. Insofern also konfrontiert der Brief den Leser nicht eigentlich mit einer ihm fremden Welt. Der Leser, genauerhin der jüdische Leser von Dan und weiteren atl. Schriften, wird nicht überrascht, der ihm begegnende Horizont läßt sich in den alten, bekannten Horizont einschreiben. Dies will freilich weder zu den aramäischen Danielgeschichten noch zum Charakter des Danielbuches im ganzen stimmen. Dieser apokalyptischen Schrift geht es ja gerade um den radikalen Umbruch des bisher bekannten Herrschaftsgefüges im Sinne der heißen Option kultureller Organisation144. Wie nun dieser Umbruchgedanke einerseits und der permanente Rekurs auf den längst bekannten literarischen Horizont andererseits miteinander vermittelt werden sollen, zeigt gerade der Brief des Darius: Das Edikt des Großkönigs bringt in seinem Recht setzenden Teil das Gebot, der Gott Daniels solle allgemein verehrt werden, und setzt sich dann in der Begründung mit einem hymnischen Text aus jüdischer Uberlieferung fort, der im nachhinein den Rechtssatz als juristisch formulierten Lobaufruf lesbar

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tigkeit von Zuwendungen zum Text, die jeweils perspektivischer Natur sind. Denn das Ganze des Textes ist mit einem Schlage nicht zu realisieren" (Iser, Akt [113]). Towner, Passages (322), etwas eingeschränkter: die hymnischen Stücke in Dan 2-6 „function as theological epitomes of the significance of that experience of the speaker which is recounted in the narrative context". J. Assmann, Gedächtnis (80), bezeichnet das Buch daher als „das älteste Zeugnis einer millenaristischen Form kontrapräsentischer Mythomotorik".

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macht. Die fremden, ja bedrohlichen administrativen Dokumente der beherrschenden Großmächte sind jetzt ausgehöhlt und in ihr Gegenteil verkehrt145. Eine klassische Gattung der fremden und Schrecken erregenden Umwelt ist - auf dem Hintergrund der Kyrostheologie und des Kyrosediktes - in die jüdische Literatur hineingeholt. An einem Beispiel der Vergangenheit wird eine kritische Utopie durchgespielt. Das verheißene Heil wird gewissermaßen in die Zukunft hinein vor-erinnert146. Die in der rezeptionsästhetischen Forschung vertretene Annahme, daß bei der Lektüre der eigene Horizont in den Hintergrund gerate und der fremde des Textes bestimmend werde, also das lesende Subjekt „ein anderes zu werden vermag" 147 , kann nach unserer Analyse von dem Brief des Darius nicht uneingeschränkt behauptet werden. Der jüdische Leser erlebt beides: Die Gattung „großkönigliches Edikt" „enttäuscht" bei der Lektüre dieses speziellen Exemplars den jüdischen Leser, der von den Befehlen der beherrschenden Großmacht sonst - sieht man einmal vom Kyrosedikt ab Repression und Bevormundung zu erwarten hatte. Die Enttäuschung geschieht durch den geradezu fromm zu nennenden Inhalt dieses Schreibens, der den Leser von Daniel 6 und anderer jüdischer Texte in dem bestätigt, was er immer schon wußte. War mindestens seit dem Beginn des Exils die grundlegende historische Erfahrung die des Umbruchs, der wechselhaften und willkürlichen Schicksale gewesen148, so kam dem Leser nun mit diesem

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Dan 6 gibt mit dem Verehrungsgesetz selbst ein Beispiel, wie die „Literatur" und Gesetzgebung der Großmächte im Regelfall empfunden wurde. Vgl. besonders auch I Makk 1,4Iff. (die Religionsgesetzgebung des Antiochos Epiphanes, die sich anders als in Dan 6 wohl nur auf die Ausübung des Kultes bezieht; s. Koch, Daniel [128f.]). Die jüdische Erhebung wird nach der Darstellung des Buches durch ein zitierbares Dokument ausgelöst. In Aufnahme einer Formulierung von Ebach (Ursprung [90]: „utopische Erinnerung"), könnte man auch von einer „erinnerten Utopie" sprechen. Allein bei isolierter Betrachtung des Hymnus hat Müller, Märchen (346), sicher Recht, wenn er in ihm „im Gegensatz zur Theologie der Kapitel vii-xii etwas DiesseitigGegenwärtiges, durchaus Uneschatologisches" findet. Das durch den jüdischen Hymnus gebrochene Edikt, die kritische Beziehung zu dem Unaufhebbarkeitsgesetz u.a.m. führen aber dem Leser etwas seiner eigenen Gegenwart Entgegengesetztes, etwas Kontrafaktisches vor Augen, das ihm neue Erfahrungen und Möglichkeiten bietet. Die oben als .symbiotisch' beschriebene Beziehung (vgl. S. 303) zwischen dem Edikt und dem Hymnus ist also so verstanden als kritisch gespannte Einheit mit zwei Polen zu verstehen. Iser, Kritik (339). Der Wechsel der Reiche in Dan 1-6 und die Krisen, in die die jüdischen Protagonisten immer wieder geraten, illustrieren diese grundlegende Geschichtserfahrung.

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Brief Vertrautes entgegen149. Der Jude, der sich aufgrund seiner äußeren Lage als sich seiner selbst entfremdet empfindet, kann durch das fremde Schreiben zu sich selbst, d.h. zu seiner eigenen kulturell-religiösen Sozialisation kommen. Der Aufweis von Kohärenz im Leben des jüdischen Lesers geschieht dabei durch den Aufweis von Kohärenz der Literatur. Sinn entsteht da, wo überraschend Zusammenhang und Stichwortanschluß möglich ist. Heil ist das, was aus dem eigenen Erfahrungsschatz heraus in eine neue heilvolle Zeit (die hier als Vergangenheit zurechtgemacht ist) hinein zitiert werden kann. Für das Edikt das Darius bedeutet dies, daß es unbedingt als Fiktion betrachtet werden muß150. Dies nicht allein in dem banalen Sinne seines „unhistorischen" Charakters, sondern vor allem deshalb, weil es die Gattung „großkönigliches Edikt" ironisiert: Gerade im Kontrast zum ersten Gesetzeserlaß des Darius in Dan 6, der wohl - wenn er auch seinerseits schon überzogen beschrieben ist - das normale Erleben „medischer" Administration reflektiert, bricht das enzyklische Schreiben mit seinen Gattungsgesetzen, indem sich jetzt der Erlaß wie ein Lobaufruf der Psalmen ausnimmt (vgl. 8.1), und indem im anschließenden Begründungsteil dann unverblümt ein Hymnus intoniert wird. Das fiktive Umstülpen der Gattung geht dabei einher mit einem fiktiven Umstülpen der Herrschaftsverhältnisse. Wie die Gattung, so bleibt auch die medische Herrschaft durchaus erhalten, in 6,29 wird gar die sich anschließende Herrschaft des Persers Kyros erwähnt, die freilich der Leser mit Rücksicht auf Dtjes und II Chr 36,22/Esr 1,1 verstehen wird. So erweist sich deutlich Sprache als ein „Akt der Freiheit gegenüber der vorfindlichen Realität"151. Gab es vorher allein die gewalttätige Fassade der Faktizität, so beginnt diese durch den Brief zu bröckeln. Alles

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Towner, Passages (322), zu den hymnischen Stücken in Dan 2-6: „With great effect, demonstrably traditional language is put in the mouths of untraditional speakers"; ähnlich Goldingay, Stories (103): „The familiar affirmations of Israel's hymns issue from unexpected lips and express a new message". Zum Begriff der „Fiktion" vgl. Iser, Akt (87ff.). Als Zusammenfassung des Systems Isers können die folgenden Aussagen dienen: „Fiktional sind ... Texte deshalb, weil sie weder das entsprechende Sinnsystem noch dessen Geltung denotieren, sondern viel eher dessen Abschattungshorizont bzw. dessen Grenze als Zielpunkt haben. Sie beziehen sich auf etwas, das in der Struktur des Systems nicht enthalten, zugleich aber als dessen Grenze aktualisierbar ist" (Akt [120]). Der Fiktionsbegriff ist in der neueren Literaturwissenschaft zu einiger Bedeutung gelangt: vgl. für weitere Literatur Rosier, Entdeckung (283; Anm. 1+2). Müller, Wechselbeziehung (265).

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Dan 6,26-28 - Ein Schreiben zum Schluß

ist nun auf einen neuen Bezugspunkt, den Gott des Bekenners, ausgerichtet. Das letzte, unaufhebbare Wort des Meders aus Dan 6 hat sich bereits nach einigen Versen in sein Gegenteil verkehrt, die scheinbar unaufhebbare Tatsächlichkeit der welthistorischen Machtkonstellationen ist durch den Gott Daniels als kraftlos und schwankend entlarvt worden, die Geschichte hat ihre Offenheit, ihre Möglichkeit auf den Gott der Bekenner hin wiedergewonnen152. Ein Vergleich mit dem Bild, das Esr 1-6 vom Handeln der persischen Administration mit ihren Dokumenten zeichnete, kann dies näher beschreiben: Wo einst den Juden der Bau des Tempels, wenn auch unter Mithilfe der heidnischen Umwelt erlaubt wurde, richtet sich das Schreiben nun gleich an alle Menschen mit dem Befehl, den Gott Daniels zu verehren. Wo das Schreiben einst am Anfang einer historischen Auseinandersetzung stand, bezeichnet es nun deren glückliches Ende. Das hat Auswirkungen auf die Darstellung der Geschichte: In Esr 1-6 spielt sich der Konflikt mit den Gegnern und die Lösung dieses Konfliktes auf der administrativen Ebene ab. Anschuldigungen werden erhoben, Beschlüsse gefaßt, Eingaben zur Entkräftung der Anschuldigungen gemacht, um die Beschlüsse revidieren zu können usw. Das alles geschieht auf der Grundlage einer festen Zuversicht in die Funktionsfähigkeit der persischen Administration sowie der Gewißheit, die Wahrheit sei in Form eines amtlichen Dokuments, des Kyrosedikts, in einem persischen Archiv enthalten. Davon weiß Dan 6 nichts. Der Konflikt beginnt anfänglich im administrativen Milieu, wird aber nicht auf dem Amtswege, sondern durch die Providentia extraordinaria des Gottes Daniels gelöst153. Das Vertrauen in den erweckten König hat Dan nicht, demnach kann auch die Hoffnung auf eine Konfliktlösung mit den Mitteln der Administration nicht mehr existieren. Das Edikt, das nun hinsichtlich der Gattung in die jüdische Literatur (Hymnus) hineingezogen ist, beurkundet folglich nur noch die Kapitulation

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Vgl. noch einmal Iser, Akt (124): „Indem der Text einen defizitären Aspekt des Systems verdeutlicht, stellt er mögliche Einsicht in das Funktionieren des Systems bereit. Das heißt, er deckt auf, worin wir befangen sind". Iser will den Fiktionsbegriff aus der Opposition zu „Wirklichkeit" herausrücken und ihn als Kommunikation von Wirklichkeit verstehen (122). Der fiktive Brief formuliert also dann das, „was die herrschenden Systeme ausklammern und folglich nicht in die von ihnen organisierte Lebenswelt einzubringen vermögen". In Esr beschränkt sich das Handeln Gottes auf die Erweckung des Kyros (Esr 1,1) und das Wirken der Propheten, bleibt also im Vergleich mit Dan recht dezent.

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der staatlichen Machtmittel - der Staat kann gegen den Gott Daniels keine Gesetze erlassen, er kann nicht einmal mehr eine Hinrichtung vollziehen. Er hebt sich damit sozusagen selbst auf. Wurde in Esr 6 durch die Entdeckung der Kyrosedikts die persische Administration mit ihren eigenen Mitteln (Uberprüfung durch archivierte Akten) auf ihr eigenes Handeln (Edikt des Kyros) gestoßen, so erklärt sich in Dan 6 die medische Administration mit ihren eigenen Mitteln für gescheitert154. Der Ediktverfasser entwickelt sich Vers für Vers, Wort für Wort zum Hymnendichter. Am Schluß von Dan 6 macht der Herrscher Schluß mit einer Gattung, die dem Hymnus als der adäquateren Form für das, was alle Welt angeht, Platz machen muß. Die Einstellung zur Administration und dem Handeln der beherrschenden Großmacht ist gegenüber Esr viel kritischer geworden. Das enzyklische Schreiben stellt die medische Welt auf den Kopf oder - im Sinne von Dan wohl besser - vom Kopf auf die Füße155. Bis jetzt haben wir allein die Gattung des großköniglichen Edikts als „gebrochen" und im Kontext fiktionaler Wirklichkeitsaneignung interpretiert. Zu fragen ist aber auch, ob nicht für den Hymnus und die mit dem Brief aufscheinende Tradition dasselbe ausgesagt werden müßte. Werden nicht durch die Zusammenstellung von, jedenfalls für den historisch-kritischen Forscher, sehr disparatem Material auf eben dieses Material neue Perspektiven möglich? Ist also neben dem Aspekt des Aushöhlens von Fremdem durch Vertrautes nicht auch das Vertraute selbst neu interpretiert und auf seine Grenzen hin befragt? Schon im Hinblick auf die komplizierte literarische Komposition des Briefes wird dies zu bejahen sein: Eine wortgetreue Wiederholung eines Textes ist bereits eine Veränderung, da sich der Kontext geändert hat. Eine Neukonstruktion aus Altem, wie in diesem Fall, ist es dann erst recht156.

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Vgl. Boogaart, Daniel 6 (llOf.): Darius habe versucht, sein Königreich durch die Ernennung von Satrapen und Präsidenten zu stabilisieren; „at the end of the story, his plan literally has been broken in pieces". Auch das Gesetz, das Darius' Herrschaft stützen sollte, wird am Ende durch eines, das die Herrschaft Gottes stützt, ersetzt: „The Tale of two empires has come to an end. God is sovereign, and Darius is his vassal". Dan 6 zeigt also beides: Schrift kann „die Herrschaftsverhältnisse zementieren helfen, aber sie kann auch der legitimierenden Tradition der Herrschaftsverhältnisse einen Horizont der Neuerung entgegensetzen, der im Stande ist, die .hinter dem Rücken' verlaufenden Innovationen zu artikulieren" (Maas, Lesen [60]). Anmerkungen über das Vorkommen literarischer Anspielungen finden sich bei Iser, Akt (136-143). Am Beispiel von Joyce' Ulysses untersucht Iser die Anwendung von Homer- und Shakespearezitaten auf den Dubliner Alltag: Dadurch verändere sich nicht

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Dan 6,26-28 - Ein Schreiben zum Schluß

Zunächst wird man sich hier vom Sitz im Leben des Hymnus einen Begriff machen müssen: Der Kult kommt hier nicht mehr vor, und selbst der Bereich privater Frömmigkeit, den Dan 6,11 beschreibt, ist überschritten, da Darius wohl ein persönliches Bekenntnis liefert, es aber global verbreitet und der Allgemeinheit auferlegen will. Hier liegt wohl auch die entscheidend neue Funktion des Hymnus, der gerade über das Scharnier zwischen den Gattungen „Edikt" und „Hymnus" in Dan 6,27a zu einem administrativ-juristischen Text wird. Hatten wir im Falle des Kyrosediktes beobachtet, wie ein administrativer Text als religiöse Literatur interpretiert wird, so haben wir nun den umgekehrten Fall vor uns: Ein Text der persönlichen Frömmigkeit erhält den Charakter einer administrativen Urkunde, welche ihrerseits durch diesen Text neu definiert wird. Der als Befehl der persischen Regierung gestaltete Lobwunsch erscheint nach prophetischen Kategorien interpretiert als „Erfüllung" des in den Psalmen Israels Verheißenen. Die Umsetzung des Edikts zu berichten wie es Esr 6,13 nach dem Befehl des Darius geschieht, vermeidet der Autor allerdings und beschränkt sich in 6,29 allein auf das Schicksal des Helden Daniel. Das hymnische Edikt erhält so einen eschatologischen Charakter. Das Versenden und Lesen des Edikts ist als bleibende Aufgabe oder permanentes Geschehen zu begreifen. Im Zusammenhang damit ist auch die Beobachtung interessant, daß die Formulierung dessen, was alle angehen soll, „in-group"-Charakter trägt. Der implizite Leser des Briefes, der über gruppenspezifische Kompetenz verfügen muß, steht nach unseren Beobachtungen im Gegensatz zu der in Dan 6,26 angegebenen globalen Adressierung. Befragt man den Text danach, wie der Autor sich wohl die globale Rezeption dieses Dokumentes in ganz verschiedenen Kulturkreisen gedacht hat157, stellt man wahrscheinlich eine unsachgemäße Frage an den Text: Dieser Brief kann und soll nur als eingeleg-

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nur das Verständnis des Dubliner Alltags, sondern auch das der klassischen Literatur, mit denen er korreliert ist. „Durch die wechselseitige Projektion entstehen Deformationen des Repertoires. ... Beide Elementbereiche irritieren sich gegenseitig" (137). Der Gedanke der globalen Rezeption war in Esr schon angelegt (Esr 1,1), doch galt das Dokument vorrangig den Juden, denen es den Tempelbau ermöglichen sollte. Die Adressierung an die Untertanen spielte dann zunächst nur insofern eine Rolle, als sie aufgefordert wurden, den Juden bei der Umsetzung des Edikts dienstbar zu sein (Esr 1,4). In Est sind allein die allgemeinen Gesetze an alle Menschen gerichtet, das Festgesetz Kap. 9 richtet sich nur noch an die es betreffenden Juden. Gegenüber Esr und Est nimmt sich also Dan 6,26-28 als Verschärfung aus, die sicher im Zusammenhang mit dem universalistisch-apokalyptischen Grundzug des ganzen Buches zu sehen ist.

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te Urkunde verstanden werden. Ohne seinen spezifischen Kontext will er nicht gelesen sein. Diesen Gott gleich Darius anzubeten, bedeutet nachzusprechen, was man gelesen hat. Daher ist der „Sitz im Leben" des Briefs hier genauer als sein „Sitz in der Literatur"158 zu beschreiben, der aber nie als solcher schon da ist, sondern nur von den Lesern je neu realisiert werden kann. Das Fehlen der Umsetzung der Befehls und das abrupte Umlenken in 6,29 von dem Thema der globalen Gottesverehrung auf das individuelle Ergehen des Daniel hinterläßt im Text eine Lücke, die der Leser ausfüllen muß. Der individuelle Erfolg des Bekenners ist schon als Angeld da, die globale Verehrung des Gottes Daniels aber steht noch aus. Sie ist schon als frommer Befehl vorhanden und zitabel, aber das Edikt harrt noch seiner Versendung und der annehmenden Lektüre unter allen Völkern. Die Zerdehnung der Kommunikationssituation, die mit dem Medium Schrift gegeben ist, wird auf die eschatologische Spannung innerhalb der Weltgeschichte zwischen Verheißung und endgültiger Erfüllung übertragen. Damit zeigt sich auch die kommunikative Vielschichtigkeit des Briefs, die wir oben bereits als einen Komplex sich überlagernder Kommunikationsebenen bezeichneten159: Nicht allein die historischen Bewohner des Perserreiches sind Adressaten dieses Edikts. Der Leser des Buches selbst, der Bewohner des V.26 genannten Weltkreises - befindet er sich nun unter persischer, griechischer oder römischer Herrschaft - , wird am Ende der aramäischen Danielerzählungen angeschrieben. Er ist nicht mehr nur uneigentlicher Betrachter eines anderen zugedachten Dokuments, sondern erhält zum triumphalen Finale etwas zum Lesen für sich selbst in die Hand. Unter kommunikativem Gesichtspunkt ragt der Brief aus der ebenen, nur durch den Brief Kap. 3/4 schon einmal unterbrochenen Fläche der Erzählungen heraus und wendet sich direkt an seine Leser. Der Leser aber ist als Adressat in soziale Bezüge gestellt: Er ist als Adressat des Darius ein Untertan des globalen Reiches, in dem - wie der Brief sagt - der Gott Daniels seine nicht endende Macht ausübt. Er ist darüber hinaus als Adressat des Buches das Mitglied einer Lesegemeinschaft, die sich an ihrer Sprache erkennt und sich mit dieser Sprache die Welt aneignet.

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Der Begriff bei Richter, Exegese (117), bezogen auf geprägte Wendungen, Formeln usw. Vgl. S. 320.

9. Schluß „Bunte Bilder zogen an uns vorüber" - so schlossen seinerzeit Leipoldt und Morenz1, und so könnte man auch das Fazit der vorliegenden Studien formulieren. Das „Bunte" des beobachteten Gegenstandes liegt dabei weniger in seinem exotischen oder gar skurrilen Charakter als vielmehr darin, daß das, was bislang oft als unproblematisch galt und daher wenig differenziert beschrieben wurde, nun mit seiner inneren Vielschichtigkeit und seinem Facettenreichtum deutlicher ins Licht treten konnte. Bereits die drei vorexilischen Texte (Π Sam 11; I Reg 21; II Reg 10) fallen durch einen erstaunlich subtilen und sicheren Umgang mit dem Medium Schrift auf: Schriftlichkeit kommt dann im Gegensatz zu Mündlichkeit vor, wenn sie Funktionen übernimmt, die Mündlichkeit so nicht abdeckt. Dabei werden Eigenschaften von Schrift deutlich, die über die bloße Uberbrückung von Raum und Zeit hinausgehen: Der Ausschluß anderer Personen von dieser Kommunikation wird instrumentalisiert (II Sam 11), die Unterbrechung des situativen Zusammenhangs zwischen Sprecher und Hörer ist, wie uns mit Hilfe der rezeptionsästhetischen Methodik deutlicher wurde, gekonnt ausgenutzt, um Angst zu schüren ohne expressis verbis drohen zu müssen (Π Reg 10). Schriftlichkeit kann auch dazu dienen, einen auf Distanzierung und autoritäres Gefälle angelegten Herrschaftsstil zu inszenieren (I Reg 21). Wir glaubten dabei Anzeichen dafür zu finden, daß eine gründliche, wenn auch nicht radikal verwerfende Schriftkritik auf dem Boden des gebildeten Beamtentums sich in diesen narrativen Texten über den Zusammenhang zwischen Herrschaft und Mediengebrauch ausgelassen hat. Den nachexilischen Texten geht es um andere Aspekte von Schriftlichkeit. Wir beobachteten die hohe Bedeutung, die Schrift bei der Konstituierung der Gemeinde zugeordnet wird. „Sich-Erinnern" kann als „Finden" eines Buches verstanden werden, wodurch dem Begriff des Erinnerns der Akzent des unverfälschten Rückgriffs auf Originäres und Wahres zugesprochen wird. Gleichzeitig bekommt Mündlichkeit einen eigenen Ort in der Kommentierung dieser Texte, der Predigt, zugesprochen (Π Chr 30). Uberhaupt wird nun die Auslegung, das Verstehen eines Textes, der u.U. quer

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S. 1.2.1. Anm. 30.

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steht zum Denken des Lesers und auch nicht recht zu seinen Lebensumständen passen will, zum Thema: Wer sich erinnert, muß nun auch Probleme lösen und Hermeneutik treiben 2 . Dies alles dient dem als gesamtgesellschaftlich beschriebenen Prozeß von Sinn- und Identitätsfindung. Die Suche nach Identität und Konturen wird nun fündig in voraufgegangenen Setzungen, so daß die Identitätsbildung als Applikation gestifteter Identität, d.h. als Auslegung erscheint. Aktuelle Neusetzungen (Interzession in Π Chr 30, Lose-werfen in Esr 2; vgl. auch das Auftreten der Propheten in Esr 5) kommen noch vor, beziehen sich aber immer auf einen vorgängigen Text und sind bestenfalls noch ultima ratio im Falle des Versagens der hermeneutischen Kunst. Dieses so beschriebene Konzept beobachteten wir am umfassendsten und konsequentesten ausgeführt in Esr 1-6. Das Edikt des erweckten Herrschers, dessen Erlaß sich seinerseits an den verehrten Schriften festmachen ließ (Esr 1,1), ist permanenter Begleiter der Restaurationsepoche. Geschichte erzählt nun vom Geschick eines Textes, und die Konflikte der Menschen lassen sich jetzt als Geschichte der Auslegung dieses Textes beschreiben. Die Geschicke des Textes aber ereignen sich in typischen politischen und administrativen Abläufen des persischen Staates. Aufgrund des Konzepts des erweckten Herrschers (Kyros) kann daher auch der Wahrheitsanspruch der Restaurationsgemeinde in eben diesen Bahnen des politisch-administrativen Geschehens einlösbar sein. In der Situation der Anfeindung der bedrängten Gemeinde durch Außenstehende wird das Regelsystem der beherrschenden Großmacht, hinter dem freilich der eigene Gott stehen soll, bemüht, um die richtigen Texte in ihrem richtigen Verständnis zur Sprache kommen zu lassen und sie so geschichtswirksam zu machen. Trotz gewisser Ähnlichkeiten - Bedrohung der Juden durch andere Untertanen, Rettung durch staatliche Hilfe u.a.m. - zeigt das Buch Esther doch einen ganz anderen Umgang mit dem administrativen Handeln des persischen Staates. Zwar setzt man Hoffnung auf die Schnelligkeit und Zuverlässigkeit der persischen Post, die zusammenhält, was sonst auseinanderzudriften droht (von den Persern unterjochte Völker/Diasporajuden), aber insgesamt erscheint das Vertrauen in die administrativen Dokumente stark

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Vgl. dazu z.B. Goody/Watt, Konsequenzen (64-73): In nicht literalen Gesellschaften werde die Vergangenheit hauptsächlich unter dem Gesichtspunkt der Gegenwart gesehen, während die historischen Berichte literaler Gesellschaften zum Aufweis des Unterschieds zwischen dem Vergangenen und dem Gegenwärtigen führten (bes. 72f.).

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relativiert. Entsprechend dem setting der Novelle als Hofgeschichte wird es möglich, die Auseinandersetzung mit den persischen Behörden auf der personalen Ebene zu beschreiben. Ein schriftlich organisierter Dienstweg ist nun nicht mehr die Bedingung der Möglichkeit für die Rettung der Juden. Das Motiv des Aktenfundes (Est 6), auf das auch der Novellist nicht verzichten wollte, zeigt symptomatisch, wie sehr in Est der Glaube an reguläre administrative Abläufe geschwunden ist. Im Zusammenhang der Vorstellung von der Unaufhebbarkeit der persischen Gesetze, die von uns aus mancherlei Perspektive in den Blick genommen wurde, zeigte sich ein sehr problembewußter ethischer Horizont des Buches. Das Buch führt vor, daß auch geschriebene Texte höchster Verbindlichkeit „falsch" sein können und daher korrigiert werden müssen. In der eigenen Gemeinde zeigen sich ebenfalls in dieser Hinsicht Vorbehalte, denn der Held Mordechai kann der Gemeinde nicht einfach wie ein persischer Beamter ein Fest anbefehlen. Wir glaubten darüber hinaus Anzeichen dafür zu finden, daß auch vor schriftlichen Texten von hoher Dignität aus der eigenen Tradition (Exodus-Passahüberlieferung) nicht halt gemacht wurde. Ihr massiver Relevanzverlust unter den Bedingungen der Diaspora führte zu ihrer Korrektur durch die Erinnerungsfigur des Purimfestes, die zwar das Passah nicht ausdrücklich aufhob, wohl aber einen markanten Kontrapunkt setzte. Dan 6 schließlich kann der unumschränkten Geltung, die die Perser angeblich manchen ihrer schriftlichen Erzeugnisse zusprachen, nicht mehr gleich Est mit den Mitteln innerweltlicher Praktikabilität begegnen. Gott als der wahre Inhaber aller Macht auf Erden und im Himmel zerschlägt durch sein außerordentliches Eingreifen die Möglichkeiten staatlicher Machtausübung und zeigt dem irdischen Herrscher, daß das, was er schreibt, nicht das Papier wert ist, auf dem es steht - wenn es sich nicht dem wahren Herrscher unterordnet. So muß der mächtige Perser zum Dichter eines Hymnus werden, der, wie wir sahen, nicht allein die Danielerzählungen rekapituliert, sondern auch die israelitisch-jüdische Heilsgeschichte mit seiner anspielungsreichen Enzyklika unter die Leute bringt. Was der Perser also allenfalls an Dauerhaftem zu schreiben hat, findet er in dem schon längst Geschriebenem. Was Bestand haben soll, muß Zitat sein. Nach diesem groben Durchgang durch die Ergebnisse der vorliegenden Studien kann man die Frage nach dem roten Faden oder nach der Entwicklung des Umgangs mit Schrift und Schriftlichkeit stellen. Eine Antwort auf diese Frage läßt sich u.E. freilich kaum erreichen: Unser Beobachtungsge-

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biet ist zu begrenzt, das Material trotz aller Bezüge oder Abhängigkeiten gerade der nachexilischen Texte untereinander zu splitterhaft, als daß man sich auf gewagt konstruierte Systematisierungs- und Linearisierungsversuche einlassen könnte. Ein Aspekt des im Alten Testament dokumentierten Schriftverständnisses, der auch in der westlichen Schrifttradition von einem frühen Zeitpunkt an bis auf den heutigen Tag begegnet, mag dennoch hervorgehoben sein: die „Kritik" der Schrift, wobei der Genitiv sowohl als objectivus wie auch als subjectivus verstanden werden muß. In den vorexilischen Texten illustriert der fast virtuose Mediengebrauch jeweils einen bestimmten Herrschaftsstil, den Rücksichtslosigkeit, Despotie und Gewalttätigkeit kennzeichnet. Schrift kommt hier als Medium der Obrigkeit in den Blick, das dazu dient, den Untertanen oder politischen Gegner unter die Knute zu zwingen oder gar zu Tode kommen zu lassen. Medienkritik steht dann im Dienste einer schonungslosen Beschreibung des Königtums und trägt den Charakter eines ethischen Problems. Ganz anders verhält es sich mit den weiteren Texten. Als großes Thema in Π Chr 30 war die intensive Beziehung zwischen der Gemeinde und ihrer maßgeblichen schriftlichen Tradition zu beobachten. In dieser Konstellation konstituiert die Schrift die Gemeinde, indem sie sie in die Krise führt. Der Dissens zwischen Gelesenem und eigenem Erleben führt nicht zu einem Eingriff in den Text, sondern zu seiner interpretativen Aneignung (hier: Suche nach einer passenderen Textstelle), und schließlich beim Versagen auch dieser Methode zur Lösung durch Interzession, die sich freilich ebenfalls durch Text (Num 9) nahelegte. In Esr 1-6 liegen die Dinge nicht grundsätzlich anders, wenn auch dort dieses Modell der Formung von Wirklichkeit durch schriftlichen Text vorrangig auf das Problem der Außenbeziehungen der Gemeinde bezogen ist und nun der formende Text nicht mehr aus grauer Vorzeit stammt, sondern seine Entstehung in der rezenten Vergangenheit genau lokalisiert werden kann. Das Kyrosedikt scheidet ein „richtiges" Verständnis der Heilsgeschichte Gottes mit seinem Volk von einem „falschen", das die Samarier in ihrer Eingabe an den persischen König vortragen. Es erlaubt, die Beschreibung der Juden als Aufwiegler zu verwerfen und damit die dies belegenden persischen Akten als alt und abgetan zu beschreiben. Die Perser erhalten so ein Instrument zur kritischen Sichtung ihrer eigenen Akten, und die Juden können bestimmte Passagen ihrer eigenen (Un-)heilsgeschichtsschreibung, die die Anwürfe der Samarier ebenfalls belegen konnte, als überwundene Etappe verstehen. Insofern ließe sich das Kyrosedikt, obwohl es einen Neu-

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beginn zum Inhalt hat, als Sekundärliteratur auffassen, die schon vorhandene Literatur gewichtet und relativiert. Das Buch Est zeigt an einem extremen Beispiel, dem Edikt des Judenhassers Haman, wie schriftliche Texte hoher Dignität kritisiert und - wenn schon nicht verändert - so doch neutralisiert werden können. Der verwerfliche Text wird ebenso wie in Dan 6 an schlechte Beamte rückgebunden, so daß Kritik von Texten anhand der Aufhellung ihrer Produktionsumstànât geübt wird. Ferner werden am Ende der Novelle im Zusammenhang des Purimerlasses die Schwierigkeiten der Rezeption schriftlicher Texte deutlich. Das Schriftstück ist also nicht eine über allem schwebende Größe, sondern gewissermaßen durch seine Beschreibung als Bestandteil eines kommunikativen Aktes geerdet. Nach unserer Uberzeugung blieb in Est auch die Exodus-Passah-Tradition von der kritischen Hinterfragung nicht verschont, nur lief in diesem Fall die Argumentation nicht über die Produktionsumstände der entsprechenden Texte, sondern über die Rezeption: Die Schwierigkeit der Diasporajuden, in diesen Texten ein dienliches Identifikationsangebot oder ein überzeugendes Verhaltensmodell zu finden, hat zu dem Alternatiworschlag „Purim" geführt. Obwohl Dan 6 ebenfalls die verwerflichen Gründe dartut, die zum Erlaß des Anbetungsedikts führten, scheint hier doch deutlicher die Kategorie der Unaufhebbarkeit bestimmter Texte in den Blick genommen zu sein. Der staatlich organisierte Versuch, nicht korrigierbare Ordnungen aufzurichten, scheitert nun nicht an einem anderen Text wie in Est, sondern am Eingreifen Gottes, das dem Staat im Falle Daniels seine Machtmittel nimmt. Gott selbst rechnet mit dem (Schrift-)System staatlicher Administration ab und läßt Kyros mit dem Schreiben an alle Welt schließlich die Herrschaft des Reiches auf ein neues Fundament stellen. Das neue Schreiben des persischen Souveräns bricht daher konsequent die alte Gattung des Edikts: Eine neue Zeit braucht auch eine neue Literatur. Dient das Schicksal des Ediktes in Dan 6 also eher dazu, die Unterordnung staatlicher Macht unter den Gott der Juden zu demonstrieren, ohne aber damit Grundsätzliches gegen schriftlich verfaßte Texte vorzubringen, sind andere jüdische Kreise an dieser Stelle sehr viel rigoroser gewesen. In den Bilderreden des äthHen schildert Kap. 69, verschiedene Engel hätten unter die Menschen ein Wissen gebracht, an dem diese zugrunde gingen. So heißt es von einem Engel namens Penemu'e: „Dieser hat den Menschenkindern das Bittere und Honigsüße gezeigt, und er hat ihnen alle Geheimnisse ihrer Weisheit gezeigt. Er lehrte die Menschen das Schreiben mit Tu-

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sehe und (Leder)Blatt, und dadurch versündigen sich viele von Ewigkeit und bis in Ewigkeit und bis auf diesen Tag. Denn die Menschen sind nicht dazu geschaffen, daß sie mit Feder und Tusche ihren Glauben bekräftigen"3. Bezog sich die Kritik der von uns untersuchten kanonischen Texte allein auf verschiedene Aspekte von Schriftlichkeit, wie sie sich unter bestimmten historischen Bedingungen und in speziellen Situationen darboten, so wird der äthHen fundamental in seiner Kritik: Der Schriftgebrauch ist Sünde und Anzeichen des Gefallenseins der Schöpfung, insbesondere die „Bekräftigung des Glaubens" durch Schrift steht der von Gott vorgesehenen Heilsordnung entgegen4. Die von uns in dieser Arbeit untersuchten Texte konnten sich demgegenüber an keiner Stelle dazu entschließen, gleich dem äthHen das Kind mit dem Bade auszugießen. Sie zeigen weitgehend den Versuch eines differenzierenden und bewußten Umgangs mit den Eigenschaften des Mediums schon von der Königszeit an bis hin zu den jungen Teilen des Alten Testaments. Der Wert dieser narrativen Texte liegt gerade darin, daß sie Schriftstücke sehr genau als Teil eines Kommunikationsgeschehens in ihrer soziale Systeme konstruierenden oder auch destruierenden Dimension beleuchten. Dann lassen sich schriftliche Texte nicht mehr einfach als tote Buchstaben fassen, sondern sie sind dynamische Objekte, die sich im Spannungsfeld von Produktion, Rezeption und vielleicht erneuter Produktion („Fortschreibung", Abrogation usw.) zwischen Schreibern und Lesern ereignen. In dieser Dynamik liegt die Ungeduld des Papiers.

3 4

ÄthHen 69,8-10; Übersetzung Uhlig, äthHen (626). In äthHen mag vielleicht der von Sokrates in Phaidros 274 erzählte Theuth-Mythos in modifizierter Form aufgenommen sein: Demnach habe der ägyptische Gott Theuth neben anderen Künsten auch die Schrift dem ägyptischen König Thamus zur Einführung bei den Menschen empfohlen; Thamus freilich rät im Sinne der platonischen Schriftkritik dem Theuth davon ab, den Menschen die Schrift zu geben.

Literaturverzeichnis Die Literatur wird jeweils mit Verfassernamen, Kurztitel und der Seitenbzw. Spaltenzahl in K l a m m e r n zitiert. K o m m e n t a r e führen als Kurztitel das Kürzel des kommentierten biblischen Buches. Alle Abkürzungen richten sich - sofern nicht gesondert angegeben - nach: Schwertner, Siegfried: Theologische Realenzyklopädie. Abkürzungsverzeichnis, B e r l i n / N e w Y o r k 1994 2 .

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