Die Entwicklung des Gerichtsgedankens bei den alttestamentlichen Propheten

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Die Entwicklung des Gerichtsgedankens bei den alttestamentlichen Propheten

Table of contents :
Vorwort
Bemerkung des Verlegers
Inhalt
Einleitung
A. Analytischer Teil
1. Die Zeit vor Amos
2. Elia
3. Amos
4. Hosea
5. Jesaja
6a. Micha I (1—3)
6b. Micha II (6,1-7,6)
7. Nahum
8. Zephanja
9. Habakuk
10. Jeremia
11. Hesekiel
12. Deuterojesaja
13. Prophetische Fragmente der Exilszeit
14. Haggai
15. Protosacharja
16. Tritojesaja
17. Maleachi
18. Obadja
19. Joel
20. Jona
21. Sacharja 9—14
22. Jes 24—27
23. Nachexilische Fragmente
24. Daniel
B. Die geschichtliche Entwicklung des prophetischen Gerichtsbegriffes
25. Die Zeit vor dem Auftreten der kanonischen Schriftpropheten
26. Elia
1. Die vorexilische Zeit unserer Schriftpropheten
27. Die Gerichtsbegründung
28. Der Gerichtsumfang
29. Das Gerichtsziel
30. Gerichtszeit und -art
31. Rückblick
2. Die exilische Zeit
32. Der Sieg des Gerichtsgedankens und seine Krise
33. Sie einzelnen Gedankenkreise im Verhältnis zu den vorexilischen Ideen
34. Individualismus und Eschatologie im exilischen Gerichtsbegriff
35. Rückblick
3. Die nachexilische Zeit
Vorbemerkung
36. Das Eigenvolksgericht
37. Die Völkergerichte
38. Rückblick und Ausblick
Front Matter 2
Inhalt
Berichtigung
§ 1. Einleitung
§ 2. Der Heilsanbruch als Wunder
§ 3. Naturkatastrophen in der Eschatologie
§ 4. Der Weltbrand
§ 5. Der neue Ilimmel und die neue Erde
§ 6. Erneuerung der Schöpfung oder des Äons
§ 7. „Verwandlung der Welt."
§ 8. „Das Vergängliche" in ApkBar
§ 9. Die Bedeutung von αίὠυ (פּוֹלָס)
§ 10. Dieser Olam und der zukünftige Olam
§ 11. Das „Ende der Welt" und ähnliche Ausdrücke
§ 12. Der Himmel als Schauplatz des messianischen Heils
§ 13. Das Paradies als Schauplatz des messianischen Heils
§ 14. Das himmlische Jerusalem
§ 15. Der Chiliasmus
§ 16. „Das Leben" als ein Gut der Heilszeit
§ 17. Das ewige Leben
§ 18. Die Vernichtung des Todes
§ 19. Die Engelgleichheit
§ 20. Die Verwandlung der Gerechten
§ 21. Die Dämonen und der Satan als Feinde Gottes
§ 22. Das eschatologische Gericht
Abkürzungen

Citation preview

A l f r e d T ö p e l m a n n (vormals J. Ricker) V e r l a g in G i e ß e n

Der hebräische Pentateuch der Samaritaner herausgegeben von

August Freiherrn von Gall I. Prolegomena und Genesis VIII, L X X , 112 S. m. 4 T a f e l n : 28 Mark —

II. Exodus S. 1 1 3 bis 206: 15 Mark

Teil III (Leviticus) erscheint im Herbst

1915.

D e r A b s c h l u ß des in 5 kartonierten Teilen zum Subskriptionspreis von etwa 80 Mark vollständigen W e r k e s darf für E n d e 1916 v e r s p r o c h e n werden. Einzelne T e i l e werden nicht a b g e g e b e n .

Der Subskriptionspreis erlischt mit der Ausgabe des Schlußteils. Bei

der außerordentlichen Kostspieligkeit des Unternehmens muß sich der Verleger tatkräftige Unterstützung durch möglichst xahlreiche Subskriptionen erbitten. Auf Wunsch steht ein ausführlicher Prospekt mit Probeseiten und einer Liste der ersten Subskribenten gern zu Diensten.

Anmerkungen zu den Zwölf Propheten von

Bernh. Duhm Gr. 8°

1911



I V , 1 1 6 Seiten

M. 3 . —

Der Verf. bietet hierin die textkritische Grundlage seiner 1910 bei Mohr „in den Versmaßen der Urschrift44 veröffentlichten „Übersetzung der Zwölf Propheten 44 .

Liic Miscnna •""V*

M I J - ,

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^^s und pr0f.

herausgegeben

v o n Prof. D . Dr.

D. O. H o l t z m a n n in Gießen. Bitte, beachten Sie den hinten beigehefteten ausführlichen

Prospekt!

W. COSSMANN DIE ENTWICKLUNG DES GERICHTSGEDANKENS BEI DEN ALTTESTAMENTLICHEN PROPHETEN

DIE ENTWICKLUNG DES GERICHTSGEDANKENS BEI DEN ALTTESTAMENTLICHEN PROPHETEN

VON

LIC. THEOL. W. C O S S M A N N OBERLEHRER AM KGL. GYMNASIUM ZU SPANDAU

VERLAG VON A L F R E D TÖPELMANN (VORMALS J. RICKER) * GIESSEN * 1915

BEIHEFTE ZUR ZEITSCHRIFT FÜR DIE ALTTESTAMENTLICHE WISSENSCHAFT 29

Vorwort. Die folgenden Untersuchungen sind auf Anregung meines verehrten Lehrers, des Herrn Grafen Prof. D. BAUDISSIN - Berlin entstanden. Ich spreche ihm auch an dieser Stelle f ü r seinen trefflichen Rat meinen ergebensten Dank aus. Für wertvolle Hilfe habe ich ferner Herrn Prof. D. M A R T I - Bern zu danken. E r hat sich um die Drucklegung der Arbeit bemüht, mich auf notwendige Änderungen aufmerksam gemacht und mir sogar die Liebenswürdigkeit erwiesen, die erste Durchsicht mit mir gemeinsam zu erledigen. Herr T Ö P E L MANN hat mich zu Dank vorpflichtet durch seine Bereitwilligkeit, die Arbeit sofort in Druck und Verlag zu übernehmen. Endlich ein Wort herzlichen Dankes meinem lieben Bruder, dem stud. phil. K U B T COSSMANN, f ü r seine freudige Hilfe bei der Korrektur, und meiner treuen Mutter, der unermüdlichen Genossin in meinem Arbeiten. Spandau,

im Juli 1914.

Lic. theol. W. Coßmann.

VI

Bemerkung des Verlegers. Der Druck des Textes war Ende Juli 1914 nahezu vollendet, da brach der Krieg aus und rief auch den Herrn Verfasser sofort unter die Fahne. unterbleiben.

Die beabsichtigte Anfertigung eines Registers mußte darum

VII

Inhalt. Seite

Einleitung

1

A. Analytischer Teil. 1. Kapitel: Die Zeit vor Arnos 2. 3. 4. 5. 6a. 6b. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24.

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.•

3 17 25 38

Elia Arnos Hosea Jesaja Micha (I) 1 — 3 Micha (II) 6 , 1 - 7 , 6 Nahum Zephanja Habakuk Jeremia Hesekiel Deuterojesaja Prophetische Fragmente der Exilszeit Haggai Protosacharja (1—8) Tritojesaja Maleachi Obadja Joel Jona Sacharja 9 — 14 Jes 24 —27 Nachexilische Fragmente Daniel

49 70 74 75 77 81 83 93 102 108 112 113 115 119 121 122 125 126 134 138 144

B. Die geschichtliche Entwicklung des prophetischen Gerichtsbegriffes. 25. Kapitel: Die Zeit vor dem Auftreten der kanonischen Schriftpropheten 26. „ Elia

.

.

149 152

vm

Inhalt. 1. Die v o r e x i l i s c h e Z e i t u n s e r e r S c h r i f t p r o p h e t e n .

27. Kapitel: Die Gerichtsbegründung 28. n Der Gerichtsumfang 29. „ Das Gerichtsziel 30. „ Gerichtszeit und -art 31. „ Rückblick

Seito

154 162 170 178 181

2. Die e x i l i s c h e Zeit. 32. Kapitel: Der Sieg des Gerichtsgedankens und seine Krise 182 33. „ Die einzelnen Gedankenkreise im Verhältnis zu den vorexilischen Ideen 186 a) Das Eigenvolksgericht 186 b) Das Fremdvölkergericht 190 34. „ Individualismus und Eschatologie im exilischen Gerichtsbegriff . . 198 35. „ Rückblick • 200 3. Die n a c h e x i l i s c h e Zeit. 36. Kapitel: Das Eigenvolksgericht 202 a) Die Gerichtsintensität 203 b) Die Gerichtsbegründung 204 c) Das Parteigericht 205 d) Das Rachegericht 206 e) Das Gericht als Rechtfertigungsmittel des Frommen 207 [) Der Heilscharakter des Gerichtes 208 g) Das Zurücktreten Jahwes in den Anschauungen vom Gerichtszweck 211 h) Zusammenfassung: Die relativ geringe Wertung des Eigenvolksgerichtes 212 37. Kapitel: Die Yölkergerichte 213 a) Der Gerichtsumfang 213 b) Die Gerichtsbegründung 214 c) Das Völkergericht als Strafe und Rache 215 d) Das Völkergericht als Trost und Rechtfertigung 217 e) Das Völkergericht als notwendiger Faktor des judäischen Heilsstandes 220 f) Das universale Endgericht 223 g) Das Gericht als Heilsfaktor für die Völkerwelt 226 h) Das Verhältnis Jahwes zum Völkergericht 228 38. Kapitel: Rückblick und Ausblick 229

Einleitung.

Der Gerichtsbegriff enthält zwei Elemente, da er ein Reaktionsbegriff ist. Er setzt erstlich die Verletzung einer verpflichtenden Norm durch Menschen voraus und zu zweit die Reaktion dieser Norm resp. des Normgebers gegen die Verletzung durch ein Urteil oder Handeln. Aber nicht im allgemeinsten Sinne beschäftigt uns hier dieser Begriff, da wir z. B. vom Privatrecht und staatlichen Kriminalrecht absehen. Wir machen ihn nur in seiner Auswirkung auf religiösem Gebiete zum Objekt unserer Untersuchung, d. h. insofern als die verpflichtende Norm eine religiöse, also gottgegebene oder wenigstens gottgebilligte ist und die Reaktion von Seiten Gottes durch sein Urteil oder Handeln erfolgt. Die Entwicklung des so bestimmten Begriffes will die folgende Arbeit darstellen, d. h. die Weiterbildung der jenem Begriff eignenden Elemente durch Ausscheidung, Erweiterung und innere Umbildung auf Grund gewisser äußerer und innerer Faktoren. Die Arbeit hat es nur mit den Propheten unseres alttestamentlichen Kanons zu tun, d. h. mit der Schriftprophetie von etwa 750 v. Chr. Geb. bis zu ihrem Erlöschen im zweiten vorchristlichen Jahrhundert. Wir können indessen eine Darstellung der den ersten Schriftpropheten schon vorliegenden Gerichtselemente nicht umgehen, um die eigenartige Gerichtsprophetie des Arnos und seiner Nachfolger in ihren Voraussetzungen zu begreifen. Zwei Bemerkungen f ü r die folgende Untersuchung mögen noch vorausgeschickt sein. Unsere Resultate hängen in nicht wenigen und nicht unwichtigen Punkten von den Ergebnissen der Literarkritik ab und werden je nach ihren Lösungen verschieden ausfallen. Daher muß in aller Kürze den Untersuchungen jedesmal die Quellenangabe und bei wichtigen Fragen die Berechtigung der Quellenauswahl dargelegt werden. Sehr im Zweifel kann man weiter über die Methode der Untersuchung sein. Daß wir den durch die Historie vorgeschriebenen Weg Beihöfte 2. ZAYV. 29.

1

2

Einleitung.

gehen müssen, zeigt die Fassung des Themas. Wir können aber bei dieser historisch genetischen Methode pragmatisch oder rein chronologisch verfahren. Die pragmatische Methode, welche einzelne Momente des Begriffes (Gerichtsbegründung, Gerichtswirkung u. a.) in ihrer Entwicklung für sich verfolgt, gibt zwar ein übersichtliches Bild von der Veränderung dieser Einzelelemente; aber diese kommen dann nicht recht in der Gesamtanschauung der einzelnen Propheten zur Darstellung, entbehren also des daraus fließenden Zusammenhanges und damit des Eigentümlichen, das jede Prophetenpersönlichkeit in ihrer Gesamtbegriffswelt ausprägt. Die chronologische Methode, welche je das Gesamtgerichtsbild der zeitlich geordneten Propheten nach seinen einzelnen Momenten prüft, gestattet uns, die Gerichtsanschauung jedes Propheten mehr im Bahmen seiner gesamten religiösen Begriff swelt (wenn uns die Quellen eine solche bieten oder erraten lassen) zu betrachten und in ihrer Eigenart zu erkennen. Der durch diese Methode gebotene Vorteil scheint mir so groß, daß ich ihr zunächst folgen werde. Ich werde also jeden Propheten nach Angabe resp. Untersuchung der Quellen analytisch abhandeln. Ich lasse dann eine historisch-pragmatische Darstellung der Entwicklungsgeschichte des Gerichtsbegriffes folgen, die durch Zusammenfassung der in der Analyse gewonnenen Besultate den Fortgang der gesamten Gerichtsidee und seiner Elemente durch die ganze in Betracht kommende Periode aufweisen soll.

A. Analytischer Teil. 1. Sie Zeit vor Arnos. Um die prophetischen Gerichtsanschauungen im Zusammenhang des religiösen Lebens Israels und insbesondere ihre Weiterbildung aus schon vorhandenen Stoffen begreifen zu können, müssen wir versuchen, ein Bild von den Gerichtsvorstellungen der unseren Schriftpropheten vorausgehenden Zeit zu gewinnen. Damit soll nicht ein Gegensatz zwischen prophetischer (seit Arnos) und früherer nichtprophetischer, etwa nur volkstümlicher Gerichtsanschauung aufgestellt werden. Denn auch die unseren Schriftpropheten vorlaufende Epoche ist durch prophetische Einflüsse bestimmt (vgl. die Prophetenschulen; Elia, Micha ben Jimla u. a.). Es dürfte bei der Art des Quellenmateriales, das uns über diese Zeit altisraelitischer Geschichte vorliegt, kaum möglich sein, eine scharfe Trennung der volkstümlichen und prophetischen Gerichtsanschauungen vorzunehmen; zudem ist die Distanzierung einer prophetischen und volkstümlichen Gerichtsvorstellung wohl falsch, da in alter Zeit die Prophetie selbst durchaus volkstümlich war. Wir fassen also hier die gesamte Epoche altisraelitischer Geschichte vor dem Auftreten der Schriftpropheten als eine einheitliche zusammen, um für die Zeit unserer großen Propheten eine Grundlage zu gewinnen. Die Quellen für die Gerichtsvorstellungen vor Arnos fließen spärlich und sind mehr indirekter Natur. Die sichersten Ergebnisse dürften uns die ältesten Prophetenschriften selbst geben, sofern sie uns Rückschlüsse auf die Vergangenheit gestatten. Dazu treten dann die alten Erzählungsstücke des Pentateuches und der folgenden Geschichtsbücher, soweit sie auf alten Quellen beruhen. Man wird jedoch in der Verwertung des diesen Quellen entnommenen Materials vorsichtig verfahren müssen, da die Wiedergabe der altüberlieferten Stoffe und insbesondere ihre Redaktion schon vielfach von klassisch prophetischen Gedanken beeinflußt ist. Wir werden daher von den Quellen 1«

4

A. Analytischer Teil.

des Hexateuchs auf Dt und P im wesentlichen verzichten müssen und uns auf J E beschränken, auch hier mit vorsichtig prüfendem Urteil, weil diese Quellenschrift unseren ersten Schriftpropheten zeitlich und gedanklich vielfach nahesteht. Aus den Geschichtsbüchern, deren Redigierung in jüngere Zeit zurückgeht, werden wir im wesentlichen nur das verwenden können, was durch die Quellenuntersuchung der alttestamentlichen Literaturgeschichte als altes Gut sich erweist. Als drittes Mittel zur Ermittelung des Tatbestandes werden auch allgemeine Erwägungen religionsgeschichtlicher Natur zu nutze sein. Wo diese drei Wege zu gleichem oder ähnlichem Resultat führen, werden wir der Ergebnisse als tatsächlicher, vergewissert sein. Der Gerichtsgedanke ist so alt wie die Religion. Die Religionsgeschichte weist ihn empirisch auf in allen Religionen, die Religionspsychologie tut seine Notwendigkeit dar. Jede Religion legt ihren Anhängern zum mindesten die Verpflichtung auf, an der Gottheit und ihrem irgendwie bestimmten Wesen festzuhalten im Glauben und Handeln. Empirisch aber bleiben einzelne oder die Gesamtheit hinter diesen Forderungen zurück, und so erfolgt notwendig die Reaktion von göttlicher Seite, d. h. das Gericht. Das ist insbesondere der Fall in der Volksreligion, wo der einzelne nicht einer auf ihn zugeschnittenen, sondern f ü r eine Gesamtheit wirkenden Gottheit gegenübersteht und die Mannigfaltigkeit der Individuen mit ihren differenzierten religiösen Gefühlen und Denkrichtungen immer gewisse Mängel repräsentiert. So muß auch in Altisrael der Gerichtsgedanke Glaubensgut gewesen sein. Die ältesten Prophetenschriften setzen ihn voraus. Arnos (4, 6ff.) weist auf die Strafgerichte der Vergangenheit hin. Er hat also deutlich die Anschauung, daß in Israels Geschichte das Gottesgericht eine mächtige, Israels Geschick bestimmende Größe gewesen sei. E r setzt diese Auffassung auch bei seinen Hörern voraus, da er den Gerichtscharakter der in 4, 6—11 erwähnten Ereignisse nicht erst dotiert, sondern als selbstverständlich voraussetzt und nur die Erreichung der göttlichen Absicht leugnet. 1 Diese Anschauung spricht 1

Die Geschichtlichkeit dieser Tatsachen, welche G HESSMANN (Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie, 1905, S. 168—171) als problematisch hinstellt, scheint mir sicher zu sein, da Arnos sich doch sonst sofort dem "Widerspruch seiner Hörer (resp. Leser) ausgesetzt und damit seinen Ausführungen die Grundlage entzogen hätte. Aber auch wenn Arnos um einer Theorie willen, „der Plagentheorie", jene Ereignisse angeführt hätte — was mir allerdings die lebendige Prophetenpersönlichkeit in einen unerträglichen Schematismus zu spannen scheint —, so bleibt doch bestehen, daB er in der Vergangenheit Jahwes Strafgerichte wirksam denkt und diese Anschauung voraussetzt.

1. Die Zeit vor Arnos.

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auch Hos 6, 5 aus: „Ich habe sie zerschmettert durch die Propheten, sie erwürgt durch die Worte meines Mundes, und mein Recht ist wie das Licht aufgegangen." 1 Aller Prophetie des Arnos und seiner Nachfolger liegt ferner die Voraussetzung zugrunde, daß von jeher Jahwe in Israel sittliche Forderungen vertrat; denn sie wollten keine neuen Erkenntnisse bringen. Das Vorhandensein solcher Normen in der Vergangenheit fordert aber als Korrelat den Gerichtsbegriff, der denn auch bei unseren ältesten Schriftpropheten nirgends neu eingeführt wird. Daß in der Tat die Gerichtsgedanken in Altisraels Geschichte eine große Rolle spielen, zeigen die alten Geschichtsquellen (vgl..unten). Arnos hat mit besonderer Wucht die absolut ethische Willensbestimmtheit Jahwes ausgesprochen; die ihm zeitlich folgenden Propheten gingen im wesentlichen in seinen Spuren. Indessen fehlt es in unseren Prophetenschriften nicht an Merkmalen, die uns zeigen, wie jung diese energische Wendung ist. G E E S S M A N N hat in seiner Untersuchung des Ursprunges der Eschatologie gezeigt, wie die f ü r Jahwe verwendeten Bilder und Ausdrücke selbst noch in der prophetischen Literatur Elemente aufweisen, die dem ethisch bestimmten Gottesbegriff nicht konform sind. Das Naturhafte, das ÜbermächtigBrutale, das Willkürliche tritt hier und da stark hervor. Gewiß sind die Schilderungen mehr poetisch anschaulicher Natur und besagen nichts f ü r die positive Gottesanschauung der Propheten; aber wenn sie auch nur als Bilder möglich sind, so lassen sie doch die Nachwirkungen früherer Gottesvorstellungen durchblicken. Wenn nun erst seit Arnos im stärkeren Maße die absolut sittliche Bestimmtheit Jahwes und damit ein festes, unverrückbares Moment seines Wesens gewonnen wurde, so erhellt, daß der hebräischen Gottheit in früherer Zeit eine feste Wesensbeziehung nicht durchaus eignete. Sofern aber Jahwe nicht eine bestimmte Wesenheit mit einer f ü r jeden klar erkennbaren Willensrichtung besitzt, d. h. auf weiten Gebieten sich als willkürliche Willensmacht darstellt, steht vielfach nicht fest, welches Tun ihm gefällt oder mißfällt. Schließlich kann jedes menschliche Handeln sich als Sünde erweisen. Es erscheint als solche, indem ihm eine unheilbringende Gottesreaktion folgt. Diese stellt die Schuld 1

Die Stelle ist verderbt. 3Stl läßt sich mit menschlichem Objekt im A.T. nicht belegen; Obttli vermutet daher D , ni:n?3. Das Impf. wird im Parallelismus zum perfektischen OTi^rra als zu lesen sein (mit Syr). Der letzte Teil des Verses, der einen Erfolg für Jahwe erwarten läßt, dürfte durch andere Abteilung der Konsonanten als NSS^ "niO "'USiBMI zu lesen sein (vgl. alte Verss. Nowack, Die Meinen Propheten, 1903, s! 44/45).

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A. Analytischer Teil.

klar heraus, die, subjektiv gesehen, dem Täter völlig unbewußt sein kann; denn bei dem Mangel an fester Gotteserkenntnis ist für die Sünde nicht maßgebend das Bewußtsein des Sündhaften, sondern das objektiv der Tat anhaftende Widergöttliche. In Num 22, 22-35 ( J ) erkennt Bileam durch das hemmende Eintreten des Engels Jahwes die von ihm beabsichtigte Verfluchung Israels als Sünde, obwohl das Widergöttliche darin ihm nicht bewußt gewesen: „Ich habe gesündigt; denn ich wußte nicht, daß du mir entgegen auf dem Wege standest" (22, 34). Jonathan soll sterben, obwohl er bei seiner Tat kein Schuldbewußtsein hatte ( I Sam 14, 27. 38ff.). Abimelech hatte sich verschuldet, wiewohl er mit subjektiv reinem Gewissen die Sara in den Palast holen ließ. „Was habe ich gegen dich gesündigt, daß du über mich und mein Königreich eine so große Sünde gebracht h a s t ! " (Gen 20, 9 E ) . Dieses Sichverschulden auch bei unbeflecktem Gewissen, das Willkürliche in dem Wesen Gottes und demnach auch in seiner Erkenntnis bedingen in eigenartiger Weise die Gerichtserkenntnis der vorprophetischen Zeit. Das Gericht ist dem alten Israeliten meist eine eingetretene oder vergangene Größe, d. h. ob ein zu erwartendes Geschehnis Gerichtscharakter hat oder nicht, wird ihm erst aus dem Verlauf desselben klar. Er kennt kein allgemein geltendes Indizium, das ihm die Erkenntnismöglichkeit eines kommenden Ereignisses als Gerichtsaktes gäbe (vgl. Abimelech und Bileam). Simeons und Levis kühne Tat, die in der einen Quelle sich als Protest gegen die Schändung der Schwester darstellt und bei dem Vater nur wegen der bei den Kanaanitern dadurch erweckten Feindschaft Bedenken erregt (Gen 34, 25ff. J ) , wird im alten Jacobsegen als eine mutwillig heraufbeschworene Freveltat angesehen, als die geschichtlichen Ereignisse Simeon und Levi in den Untergang trieben (Gen 49, 5ff.). Sauls Tat an den Gibeoniten erweist ihren Charakter als Freveltat, als eine gottverhängte Teuerung ausbricht ( I I Sam 21). So zeigt die Gerichtserkenntnis in Altisrael einen postumen Charakter. Damit hängt das Prinziplose der altisraelitischen Gerichtswirkung zusammen. Es gibt keine feste Norm, nach der man stets den Gerichtseintritt erwarten könnte, und rückwärts gesehen erscheint manches Gerichtseinschreiten Jahwes als willkürlich, insofern als manche Taten wider Erwarten keinen Gerichtsgrund geben. Jahwe übersieht manche das Gericht herausfordernde Tat; deshalb muß man wohl Gott darauf aufmerksam machen (Ex 5,21 J E ) . J a , Gott erinnert sich auch erst später wieder einer ruchlosen Tat und greift dann ein. „Elohim hat die Sünde deiner Knechte gefunden", sagt J u d a zu

1. Die Zeit vor Arnos.

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dem noch nicht erkannten Bruder (Gen 44,16 J E ) . Indem Elia in das Haus der phönizischen Witwe kommt, hat er ihre Schuld bei Gott „in Erinnerung gebracht" und so als göttliche Reaktion den Tod ihres Sohnes herbeigeführt ( I Reg 17, 18). Das Gericht ist also noch kein notwendiges Korrelat zum Gottesbegriff, sondern nur eine willkürliche, partielle Willensbetätigung Jahwes. Man wird indessen ein Gebiet altisraelitischen Lebens hervorheben müssen, wo die Willkür Jahwes weniger oder gar nicht hervortritt, ja Jahwe eine immer fester werdende Bestimmtheit annahm und deshalb die Gerichtserkenntnis eine im voraus gesicherte war: das Gebiet der Volkssitte und Rechtspflege. SMEND hätte diese Annahme mehr hervorheben sollen; sein Satz (Lehrbuch der alttestamentlichen Religionsgeschichte, 1899, S. 108) : „Die Schuld des Frevlers wird erst durch seinen Untergang evident, der ihn eben zum Frevler stempelt", wird, sofern er das Prinzip der posterioren Gerichtserkenntnis darstellt, hier nicht unwesentlich in seiner Geltung durchbrochen. Gerade hier liegt ein wichtiger Ansatz zur Weiterbildung der Gerichtsidee vor. Volkssitte und bürgerliches Recht stehen unter des Volksgottes Schutz. Sitte und Recht haben aber konservativen Charakter, und so wird denn auch Jahwes Wesen mit diesen Faktoren eine immer festere Bestimmtheit angenommen haben. Die Verletzung von Sitte und Recht ist auch eine Verletzung Jahwes, und die Strafe, zu der das Herkommen nötigte, war im letzten Grunde Jahwes Forderung. Da diese Strafen und Sühnen aber geregelt waren und so jeder Frevler die Folgen seiner Tat im bürgerlichen Gerichtsverfahren kannte, war damit auch ein festes Vorauswissen von der notwendig eintretenden Jahwestrafe gesetzt, d. h. die Gerichtserkenntnis war hier eine vorauseilende, und das Gericht stellte sich, gesetzmäßig orientiert, nicht als willkürlich und partiell, sondern auf diesem engeren Gebiet als notwendig und darum immer zutreffend dar. Sofern Jahwe der Volksgott Israels ist, tritt sein Gerichtswirken ausnahmslos in den Beziehungen zu diesem Volke zutage. Alles Gericht ist orientiert an Jahwes Verhältnis zu Israel. Die richtende Tätigkeit Jahwes äußert sich im Leben Altisraels, sofern Jahwe Rechtsgott ist, oder zeigt sich nach außen hin, wenn dieses Volk die Bedeutsamkeit des eignen Volksgottes gegenüber ausländischen Einflüssen gröblich verkennt und verletzt (Num 2 5 , 1 - 5 J E ) . Fremde Völker verfallen dem Gericht, wenn sie Jahwe und sein Volk bedrohen. Damit ist die Stellung der göttlichen Gerichtstätigkeit gegen die Fremdvölker schon angedeutet. Wir haben keine anerkannt alte

8

A. Analytischer Teil.

Stelle aus jener Zeit, die uns Jahwes Tätigkeit gegen außerisraelitische Völker zweifellos als Gerichtsvorgang darstellte; immer sind Jahwes Großtaten in dieser Beziehung mehr ein Beweis seiner Macht als seines gerichtlichen Eingreifens. Man kann deshalb geneigt sein, Jahwes Gerichtstätigkeit auf diesem Gebiete überhaupt zu leugnen, da ja doch nach sicher feststehender, altisraelitischer Vorstellung Jahwe Israels Volksgott ist, andere Völker ihren besonderen Göttern unterstehen und somit Jahwes Kompetenz auf sie gar nicht geltend zu machen ist. Indessen dürfte mancherlei dagegen sprechen. Wenn Jahwe seinem Volke den Sieg gab, dann war es eben im Hecht und ganz von selbst das Fremdvolk im Unrecht sowie dessen Niederlage ein Gerichtsakt. Die Gegner Israels sind ja Jahwes Feinde (Deboralied J d c 5 ) : „So mögen alle deine Feinde verderben, Jahwe" (v. 31)! Nach alter Anschauung mußte ferner der unterlegene Gott minder mächtig sein; hielt dann Israel dessen Volk dauernd in Abhängigkeit (etwa zu Davids Zeit), und zwar mit Jahwes Willen, so war eben jener Gott mit seinem Volk zum Gehorsam verpflichtet. Bei einem Abfall mußte dann Israels Sieg über das abtrünnige Volk stets als Gericht erscheinen. Diese Erwägungen machen es wahrscheinlich, daß das Gericht auch gegen die Fremdvölker wirksam gedacht wurde. Das spricht in einer Stelle, deren Quellenzugehörigkeit nicht zweifellos ist, Pharao aus, nachdem er eine Reihe von Plagen erfahren hat. „Jahwe hat recht, ich aber und mein Volk haben unrecht (Ex 9, 27; Cornill: J ) !" Allerdings ist die Gerichtswirksamkeit gegen die Heiden kein eigenständiger Gedanke, sondern ein mehr oder minder häufiges Korrelat zum Volksgottbegriff. Nur soweit das Volksleben notwendigerweise hinausgriff über den eigenen Volksbestand, trat der Fremdvölkergerichtsgedanke hervor in einer noch naiven, durchaus nationalen Form. War nun wirklich die Gerichtstätigkeit Jahwes nur in seinem Volke und allenfalls hier und da im engen Anschluß an seines Volkes Geschichte auch gegen Fremdvölker wirksam! Können wir nicht schon für die alte Zeit der Gerichtstätigkeit ein viel weiteres Gebiet, ja vielleicht Jahwe sogar die Rolle eines Weltrichters zuweisen? Wir haben uns hier mit der These Gkessmanns über den „Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie" auseinanderzusetzen. Er setzt im Anschluß an Gunkel die Eschatologie, welche bisher als ein Produkt späterer Entwicklung betrachtet wurde, in Israels Frühzeit, ja führt sie z. T. in vorisraelitische Verhältnisse zurück. Er erreicht diese Betrachtungsweise, indem er in unseren Propheten die Elemente der Zukunftshoffnungen analysiert, welche im Zusammenhang ihrer örter

1. Die Zeit vor Arnos.

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und der Gesam tan schauung der Propheten abrupt dastehen und durch Färbung sowie ursprünglichen Sinn auf eine vorangehende Epoche weisen. Er kommt zu dem Schluß, daß die Prophetie von Anfang an auf einer „längst fertigen Eschatologie" beruhe. Die Eschatologie sei die „Klaviatur", auf der die Propheten nur Töne anzuschlagen hätten. Die Weltbatastrophe sei fertig, die Ausmalung nach gegebenen eschatologischen Zügen verfügten die Propheten nach Zeit und persönlicher Eigenart (a. a. O. S. 152). Diese Hypothese ist f ü r unsere Untersuchung nicht ohne Belang. War die Hoffnung auf eine Weltkatastrophe in der Tat eine alte und bekannte, dann d ü r f t e auch die voramo.ssche Gerichtstätigkeit in dieser ungeheuren Jahweoffenbarung eine weit über Israel hinausgreifende, weltumspannende gewesen sein, ja es müßte dann bei unseren ersten Schriftpropheten eine starke Verengerung des Gerichtsbegriffes eingetreten sein. Wir müssen daher G E E S S M A N N S Ansicht, soweit sie f ü r unsere Untersuchung in Betracht kommt, nachprüfen. Wir können nicht eine Einzelprüfung der von G B E S S M A N N angeführten Stellen hier vornehmen; aber seine Beweisführung ist nicht selten wenig überzeugend. Ich verweise z. B. auf seine Behandlung von Jes 28, 14—22, eine f ü r ihn wichtige Stelle, durch die ihm „eine eschatologische Sintflutidee nachdrücklich als populär erwiesen wird". Zunächst ist doch die von G E E S S M A N N Z. T. angezweifelte Erklärung, daß das alles überflutende Heer der Assyrer unter dem Wasserschwall gemeint sei, sicher als Jesajas Meinung anzunehmen, und das Bild — denn als solches kann man die Schilderung doch nur ansehen — verlangt zum Verständnis keiner in einer vorhandenen Eschatologie schon gegebenen Anschauung. Von einer „Sintflut" vermag ich in der Stelle („wegfegen wird Hagel die Zuflucht und das Versteck Wasser fortschwemmen" v. 17 b ; „die flutende Geißel — wenn sie herabfahren wird, verfallt ihr zur Züchtigung ihr" v. 18 b ) nichts zu entdecken. G E E S S MANN sagt: „Da die Männer, gegen die der Prophet polemisiert, fest überzeugt sind, Jerusalem werde von ihr ( = F l u t ) verschont bleiben, so folgt daraus, daß es sich um eine Weltflut, Sintflut handelt" (S. 65). Aber eine Überschwemmung, aus der Jerusalem gerettet wird, braucht noch keine Weltflut zu sein! Also f ü r eine eschatologische Flutidee beweist unsere Stelle nichts. Man vergleiche ferner G R E S S M A N N S Plagentheorie S. 168—173: Weil zum gewaltigen Ereignis die Annahme einer Reihe kleinerer, vorangehender Vorgänge traditionell sei, habe z. B. auch Arnos sich solche zusammengestellt (4, 6-11), da er ihrer zu dem ihm sicheren Untergang Israels benötigte! Ein un-

10

A . Analytischer Teil.

erträglicher Schematismus, ja fast Unwahrhaftigkeit wird hier dem Propheten aufgebürdet. — Schon rein methodisch erscheint mir G K E S S MANNS Untersuchung anfechtbar. Wenn sich gewisse Stellen aus dem Zusammenhang der örter und dem Gesamtgedankenkreis der Propheten herausheben, so liegt doch auch die Annahme nahe, daß wir Interpolationen oder Überarbeitungen einer späteren, eschatologisch fortgebildeteren Zeit vor uns haben können. Diesen literarkritischen Weg hat aber G E E S S M A N N nicht beschritten. Wenn weiter die Eschatologie so kräftig ausgebildet war, daß im Eingen nach Zukunftszeichnungen die Propheten mit ihren Farben malten, so ist es verwunderlich, daß diese Eschatologie verhältnismäßig so wenig und dann noch, oft ohne ersichtlichen Grund, so verengt zu finden ist. Warum reden denn Arnos, Hosea und Micha (nach dem literarischen Befunde siehe unten) nicht von einer Weltkatastrophe, wenn diese kraftvolle Überlieferung war! Warum haben weiter unsere geist- und sprachgewandten Propheten jene eschatologischen Stücke, die, wenn Allgemeingut, auch ihnen als Teil ihres geistigen Wesens zugehörten, so torsoartig und unvermittelt aufgenommen! Und liegen nicht anderseits oft nur Bilder vor, die spontan in der Seele der Propheten entstanden sein können! Muß man aus poetischen Wendungen immer auf feste Formen der Überlieferung schließen! Weiter scheint mir gegen G E E S S M A N N S Hypothese zu sprechen, daß die Rolle, welche Jahwe in der Weltkatastrophe spielen würde, unvereinbar ist mit der Stellung eines israelitischen Volksgottes. Wenn z. B. ein David sich scheut, zu den Philistern zu gehen, weil er dort andere Götter findet und ihnen dienen muß, so kann doch nicht in allgemein bekannter („populärer") Weise dieser Jahwe ein Welterschütterungsgott gewesen sein. Er würde nicht in Israels Geschichte passen, soweit wir sie aus alter Zeit kennen. Darum hat Israel solche Vorstellungen genuin nicht besessen. Liegen hier und da solche Ansätze vor, so kann nur Fremdes (vgl. die Sintfluterzählung Gen 6—9 J und P ) herübergenommen sein, das mit Israels Leben nur einen losen Zusammenhang hatte (man beachte nur, eine wie geringe Rolle die Sintfluterzählung bei unseren Propheten spielt!). Von der Popularität einer solchen Weltkatastrophe kann darum nichts Sicheres behauptet werden. — Endlich leidet G E E S S M A N N S Untersuchung an einem Mangel, der den ganzen Erfolg der von ihm angestellten Forschungen illusorisch macht. Wenn Jahwe in den prophetischen Zukunftsschilderungen sich so und so darstellt und — was ich mit G E E S S M A N N wohl annehmen kann — vielfach mit übernommenen Zügen geschmückt wird, so ist damit noch

1. Die Zeit vor Arnos.

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keineswegs erwiesen, daß diese Züge gerade einer schon bestehenden Eschatologie angehörten. Wenn die Propheten bei ihren Zukunftsschilderungen nun Züge Jahwes verwenden, die aus vergangenen Jahwetaten oder Naturanlässen früherer und gegenwärtiger Tage genommen waren, die also durch die Vergangenheit gegeben, aber nicht schon eschatologisch orientiert vorlagen! Jenes ist wohl möglich, ja scheint mir wahrscheinlich, da sehr oft — Gressmaün f ü h r t selbst darauf — das Ortskolorit noch durchblickt, also auf Geschehenes hingewiesen wird. Gressjiaxx hat diesen Gedanken kaum gestreift, und doch lag hier die Entscheidung. Es ist durchaus möglich, daß die Propheten erstmalig vorhandene Züge aus Jahwes früheren Offenbarungen, in die sich auch fremde Elemente gemischt haben mögen, verwendet haben. Sie haben dann ebenfalls mit vorhandenem Material hier und da gearbeitet — aber nicht mit eschatologischem. So kann ich mich nicht zu Gkesssianxs These bekennen, daß eine fest umrissene Eschatologie im Sinne des Glaubens an eine farbenprächtig geschaute Weltkatastrophe vorliege. Dazu t r i t t f ü r uns n u n noch die Frage, ob — wenn eine eschatologische Weltkatastrophe geglaubt wurde oder auch nur eine umfassendere Tätigkeit Jahwes in voramosscher Zeit f ü r die Propheten als zu verarbeitendes Material bereit lag — diese frühen Erscheinungen überhaupt unter den Gerichtscharakter fallen. Da zeigt nun Gressmanns Einzeluntersuchung, daß überall das Sinnliche, Machtvoll-Naturhafte in der Gotteswirkung hervortritt, vom Gerichtswirken aber nirgends die Rede ist in den alttradierten Stücken. Und doch wäre ein Hinweis auf solche weltrichterliche Tätigkeit Jahwes bei den Propheten ihrem Zwecke gemäß außerordentlich wirksam gewesen. Dann aber hat diese Eschatologie — wenn sie in größerem Umfange vorlag — kaum einen merklichen Gerichtscharakter im strengen Sinn getragen. Der Gedanke ans Weltgericht läßt sich also bis Arnos nicht nachweisen. Immerhin bietet Gressmaxjts Buch f ü r unsere Untersuchung doch eine positive Förderung, sofern seine Spezialforschungen zeigen, wie die Form der Gerichtsanschauung in der prophetischen Darstellung mit Farben alter Anschauungen geziert und an einigen P u n k t e n auch ihr Material dadurch bereichert worden ist. I m Anschluß an diese Erörterungen dürfte auch die sprachliche Bedeutung und der U m f a n g des amosschen oi 1 festzustellen sein. Arnos hat diesen Begriff vorgefunden. Es gab zu seiner Zeit Leute, die den "' * ^ herbeiwünschten; also lag, da der Begriff nicht erörtert wird, ein terminus technicus vor (5,18). Aus dem Gegensatz

12

A. A n a l y t i s c h e r Teil.

(v. 18c, v. 20) und dem Gedankenzusammenhang ergibt sich, daß der '"l in der Anschauung gewisser Kreise ein Tag „des Lichtes" und „hellen Scheines" 1 war, natürlich f ü r Israel. Israels Glück aber konnte — sofern es sich um ein Volk handelte, das mit den Nachbarreichen nicht selten um seine Existenz zu ringen hatte — nur durch die eigene Behauptung gegen die Feinde und die Erweisung seines Rechtes sich verwirklichen. Somit ist wohl, was unsere Stelle allerdings nicht direkt sagt, dieser mit der Gerichtsidee gegen die fremden Völker verknüpft gewesen. Daß aber der auch die Gerichtskatastrophe über die Gesamtwelt bedeutete, ist nach den oben gegebenen Erörterungen kaum anzunehmen. Weder Arnos noch Hosea knüpfen an den den Gedanken des Weltgerichtes, wiewohl ein solcher Rahmen außerordentlich eindrucksvoll gewesen wäre. Bei Jesaja (Kap. 2) ist der Weltgerichtsgedanke fast nur eine rhetorische Ausfüllung des N s ; erst Zephanja weiß von einer wirklichen Weltkatastrophe zu reden (vgl. unten). Nun hat man Arnos das Verdienst zugeschrieben, zuerst die Gerichtsbezogenheit dieses auf Israel im Gegensatz zur Beziehung auf die Völker hergestellt zu haben. 2 Ich glaube nicht, daß Arnos als erster diese Verbindung vollzogen hat. Das scheint mir aus 5, 18 deutlich hervorzugehen. Wenn der Prophet als durchaus neue Anschauung hier vorbringen wollte, daß der " < ' i m Gegensatz zur Erwartung aller gerade ein Gerichtstag f ü r Israel werden solle, warum hat er dann sprachlich sich so undeutlich ausgedrückt! Man erwartet dann in v. 18°, wenn dieser Versteil echt ist, oder in v. 20 ein esb es 3 . Denn darin liegt der Nerv des neuen Gedankens. Drückt aber Arnos diesen Sinn sprachlich nicht so deutlich aus und will er doch den Gedanken erreichen durch den allgemein gefaßten Satz (v. 18 c : er ist Finsternis und nicht Licht; v. 20: ist nicht Finsternis der Tag Jahwes und nicht Licht?), dann kann jener Gedanke nicht neu gewesen sein, sondern er ist vorauszusetzen, so daß man den Allgemeinsatz in dieser Beschränkung verstand. Das bestätigt mir auch die Form von v. 20. Wie kann Arnos der glühenden Erwartung des Glückstages eine völlig entgegengesetzte 1

Statt -EN ist wohl mit NOWACK -BN ZU lesen. * Vgl. STADE, Biblische Theologie des A. T. Bd. I, S. 220: „Folgenschwer für die Entwicklang der Religion war endlich, daß Arnos . . . die Hoffnung der Zeitgenossen auf den Tag Jahwes in ihr Gegenteil vorkehrte, indem er diesen Tag auf den Gerichtstag Jahwes über Israel deutete." * Am 5,19 halte ich wegen des Fehlens eines nach T nach dem geurteilt wird (3,16); dann werden die Frevler vertilgt, von den Frommen zertreten (3,19). Elias kündet den Tag an, indem er noch viele vorher zu retten sucht (3, 23 ff.). Jahwes Kommen wird durch einen Boten vorbereitet (der vielleicht

18. Obadja.

a) Quelle,

b) Die Gerichtsanschauungen.

121

mit Elias identisch ist); ein „Bundesbote" begleitet Jahwe auf dem Gerichtszuge (vielleicht ist Jahwe und der Bote des Bundes identisch !). Edoms Gericht hat sich in Verwüstung vollzogen. Kein Wiederaufbau soll stattfinden (1, 2ff.). Die Jombezeichnung verwendet Maleachi nur f ü r den eschatologischen Gerichtstag. Immer handelt es sich am „ J o m " um die Bestrafung der Frevler und Spötter im Eigenvolk, während er den Frommen die Heilszeit eröffnet. Er ist der N2— ai»r; (3,19 zweimal), N-i-rn Vi-isr; - i r r ET (3, 23), noy -iffiN ö r (3,17. 21), iirä Di"1 (3,2). Es fällt auf die rein eschatologische Färbung, die Beschränkung aufs Eigenvolk und die Verbindung des „ J o m " mit dem individuellen Gericht (Hesekiel). 18. Obadja. a) Q u e l l e . Von unserer Obadjaschrift kommen 1-7 und 10-14 in Betracht. 8f. ist auszuschalten, weil vom künftigen Gericht handelnd, während die anderen Verse ein geschehenes voraussetzen. Ebenso 15a—21, die von einem Völkergericht reden. Diese Verse „mit den gesuchten Benennungen und unklaren Anspielungen" stellen eine Überarbeitung des ursprünglichen Textes dar und sind später als 1—7 und 10—14 anzusetzen. Die in 1-7 und 10—14 vorausgesetzte Situation deutet vielleicht auf die arabische (idumäische) Invasion. Die Stücke fallen dann etwa in die erste Hälfte des 5. Jahrhunderte; vgl. W E L L H A U S E N , ISTOWACK, M A R T I ,

BAÜDISSIN,

CORNILL.

b) D i e G e r i c h t s a n s c h a u u n g e n . Gerichtsobjekt ist Edom. Gerichtsgrund ist der Frevel an dem Bruder Jakob (10). Die Edomiter haben bei Jerusalems Untergang Hohn und Freude gezeigt (l2f.), sie haben sich an der Plünderung beteiligt (14) und Flüchtlinge getötet (14). Dabei verraten sie im Vertrauen auf die festen Höhen und verborgenen Schluchten ihres Berglandes Trotz und siegesgewissen Hochmut (3f.). Nationalistische Begründung, zumal hier die Identifizierung Jahwes mit Israel nicht hervortritt. Edoms Gericht ist Strafe. Das empörte, nationale Gemüt verlangt Rache. Freilich tritt dieser Gedanke nicht schroff hervor, immerhin ford.ert er das gänzliche Vernichtungsgericht (5).

122

A. Analytischer Teil.

Das Gericht vollziehen „die Völker", die J a h w e sendet ( l ) . Edom wird besiegt (4), von den eigenen Freunden verlassen und betrogen (7; äquivalente Vergeltung), so daß es voller Schmach dasteht (2.10).

19. Joel. a)

Quelle.

Die Ansetzung unserer Prophetenschrift ist bei den einzelnen Vertretern der Einleitungswissenschaft eine völlig verschiedene. Man weist sie in die Zeit vor Arnos ( E W A L D , C E E D N E B , D E L I T Z S C H , H I T Z I G , O E E L L I , B A U D I S S I N ) oder in die nachexilische Periode ( V A T K E , D K I V E B , M E E X , K U E N E N , M A B T I , NOWACK, CORNILL, G U N K E L ) . 4 , 2 - 3 . 17 scheint mir aber deutlich das Exil gemeint, da doch wohl nicht von einzelnen Zerstreuungen, sondern einer großen Katastrophe über das Gottesvolk die Rede ist. Der Verkauf der Juden an die Griechen (4, 6), die Nichterwähnung des Nordreiches und des Königs, die Schätzung der Priester und des Kultus (Weinen, Fasten, Klagen 4,3; TSO vgl. Dan 8 , 1 1 ; 1 1 , 3 1 ; 1 2 , 1 1 ) , die inkonkreten Rügen, die Beziehung auf Maleachistellen, der partikularistische Standpunkt des Verfassers, die bei Arnos, Hosea und Jesaja andersartige Verwertung des „ J o m " — diese Erwägungen in ihrer Gesamtheit machen mich geneigt, die nachexilische Abfassung anzunehmen. Dazu tritt für mich die au* der folgenden Untersuchung gewonnene Überzeugung, daß bei Abfassung der Joelschrift vor Arnos die von Arnos bis ca. 400 gehende Gerichtsentwicklung allmählich zu Resultaten gekommen wäre, die schon vor Arnos Joel vorweggenommen hätte. Vgl. die eingehende Untersuchung bei P B E U S S , Die Prophetie Joels, 1 9 0 1 . Ist die Schrift nachexilischen Ursprungs, dann dürfte sie, da Jerusalem bewohnt ist, der Tempel existiert, die Mauern Jerusalems hergestellt sind (2, 9), in die Periode nach Nehemia gehören, also ans Ende des 5. Jahrhunderts. — Eine Zerlegung der Schrift in die Stücke Kap. 1 f. und 3 f., die dann verschiedenen Zeiten angehören sollen, erscheint mir mit B A U D I S S I N , B E E T H O L E T , C O B N I L L u. a. nicht ratsam: 1. Das Nichtzurückgreifen in Kap. 3 f. auf 1 f. ist erklärlich, wenn der Gedankengang in 1 f. mit seiner gegenwärtigen Situation in Kap. 2 abgeschlossen war. 2. Die verschiedene Beurteilung der Heidenwelt ist verständlich, wenn in der Schilderung 3 f. feste eschatologische Züge verarbeitet sind. 3. Die auch sonst verschiedene Darstellung in Kap. 1 f. und 3 f. erklärt sich

19. Joel,

b) Die Gerichtsanschauungen.

123

aus dem verschiedenen Betrachtungspunkt des Verfassers (Gegenwart—Zukunft) sowie aus traditionellen Einflüssen in 3 f. (vgl. NOWACK a. a. O. S. 91; MAKTI a. a. O. S. 112/113). b) D i e

Gerichtsanschauungen.

Joel kennt ein doppeltes Gericht; eines gehört der Gegenwart an (Kap. 1 f.), das andere steht bevor (3 f.). Objekt des gegenwärtigen Gerichtes ist Juda und Jerusalem (1,2; 2,1.15.18f.). Das künftige Gericht trifft alle Völker (4,2. 9. Uff.); besonders werden genannt Tyrus, Sidon, Philistäa (4,4), Ägypten und Edom (4, 19). Es gestaltet sich in der Betroffenheit aller Völker, in dem Himmel und Erde erschütternden Endakt zu einem Weltgericht. Es fehlt dem gegenwärtigen Gericht über Israel nicht die ethische Begründung. Das Gericht geht aus der Abwendung Judas von Gott hervor (2,12f.). Aber dieser Gedanke wird doch nur flüchtig berührt und verliert seinen Wert durch den Hinweis auf die durch z. T. äußerliche Buße (Fasten) erlangte, rasche Gerichtsabwendung (2,14), den äußerlichen, kultischen Charakter der darauf folgenden Segensfülle (2,14) und durch die Erwartung, daß der Spott der Heiden die Gerichtsaufhebung herbeizwinge, nicht so sehr die durch das Gericht erfolgte Bekehrung (2, 17.18 f. 27). Ja, es sickert auch die wenig fromme Überzeugung durch, daß Juda wenigstens seinen Feinden gegenüber ganz unschuldig ist (4,19). Um so größer ist die Schuld der Heidenvölker. Sie bilden bei Joel Juda gegenüber eine kompakte Masse, die schuldbeladen erscheint ( 4 , 1 ff. U f f . ) . I h r Verbrechen ist die Besiegung und Unterdrückung Judas: Das Volk wurde zerstreut, das Land aufgeteilt, die Bewohner zu Sklaven gemacht ( 4 , 2 ) , das Gottesvolk ausgesaugt ( 4 , 4 f . 1 3 ) ; unschuldig Blut wurde vergossen ( 4 , 1 9 ) , Jahwes Volk angetastet (4, 3f. 16). Völlig ist hier von dem Gedanken abstrahiert, daß diese Völker in ihrem Tun Jahwes Organe waren. Das Unrecht gegen Juda wird nicht als gegen eine allgemein sittliche Norm verstoßend dargestellt, sondern ist willkürlich gefaßt: dem Lieblingskind ist Schmerz bereitet worden. Daß dieser Schmerz dem ungezogenen Kinde sehr heilsam war und die Vollstrecker des Gerichtes ein gutes Werk getan — das wird ganz außer acht gelassen. Man beachte, daß das berechtigte Gericht, durch das Israel zur Besserung kam (Kap. l f . ) , nicht von diesen Heidenvölkern ausging, sondern ein

124

A. Analytischer Teil.

direktes, von Gott durch Naturgewalten vollzogenes war. Gericht durch Heiden soll eben nichts Berechtigtes haben. Das Heidengericht ist also eine Tat ausgleichender Gerechtigkeit vom Standpunkt engherziger Nationalität. Das Gericht, das Juda von Gott in der Heuschreckenplage gegenwärtig erleidet, ist wohl Strafe f ü r Sünde, aber dieser Gedanke tritt n u r peripherisch hervor. Es handelt sich vor allem in diesem Gericht darum, Israel in den gottgefälligen Zustand zu setzen, damit es der großen Endkatastrophe entgehe. Das gegenwärtige Gericht war also ein Vorgericht und hatte Läuterungs- und Erziehungschax-akter (2, 12). Es ermöglicht durch seinen Erfolg den Eintritt der Heilszeit f ü r Juda ( 2 , 1 4 ) und ist eine Liebestat des partikularen Gottes (2,

13).

Aber mit dieser Heilswirkung ist der Prophet noch nicht zufrieden. Zum Glück des bevorzugten Volkes gehört das Gericht über die Völker: ein Endgericht, das Israels Glück auf dem Boden des Heidenunglückes sicherstellt. Die Heiden haben an Juda bitter Unrecht getan; jetzt trifft sie das Strafgericht. Es nimmt bei Joel einen starken Rachecharakter an (4, 21) und gestaltet sich zum Dekorationsstück f ü r Israels Glück. Alle Völker müssen erscheinen, sie sind eine große massa perditionis (4, l.ilff. 14). Offizielles Gericht wird über sie gehalten im Tale Jehosaphat bei Jerusalem vor Jahwes Thron — eine hochnotpeinliche Sitzung (4,2.12). Dazu treten die Kontrastschilderungen. Kriegsgerüstet kommen die Völker (4,9-11); da brüllt sie Jahwe vom heiligen Zion an (4, 16), und nun wütet die rächende Sichel (4,13. 21). Jahwes Volk sieht es mit Genugtuung ¿n (4,16 b . 20. 21 b ). Auge um Auge! ist der Vergeltungsgrundsatz (4, 8). Der Gedanke einer Heidenbekehrung tritt hier nicht hervor, das Heidengericht ist Vernichtungsgericht. Das Endgericht ist des Juden sehnlichster Wunsch. Es ist. Gottes Ehrensache (4,17), der Heiden Strafe, der Juden Rache und Glück. Vollstrecker an Juda ist Gott, indem er die Heuschrecken schickt (2,11). Hier liegen wohl wirkliche Vorgänge zugrunde. 1 Indessen mischen sich damit Züge, die in die Heuschreckenplage nicht passen 1 Die Heuschrecken in Kap. I i . sind keine symbolisierten Kriegsscharen, sondern eine wirkliche Tierplage. 1. Sie könnten sonst nicht gerade mit Kriegern verglichen werden (2,2ff.). 2. Der Prophet nennt doch sonst die feindlichen Völker mit Namen (Kap. 4). 3. Die "Wirkung der Plage in Kap. 1 ist Verwüstung', und die Jahwehilfe bringt Fruchtbarkeit, eine durchaus auf die Heuschreckenplage passende Schilderung (vgl. Nowack a.a.O. S. 89; Marti a.a.O. S. 126).

20. J o n a ,

a) Die Quelle.

125

uiid wohl aus alter, ursprünglich mythologischer Tradition miteinfließen, ja wohl schon der Eschatologie angehören: das Jahwedonnern vor dem Heere her (2,3.11), das Beben am Himmel, die Gestirnverfinsterung (2,10), die ausdörrende Sirokkoglut (1,19; 2, 3.10), der eigentlich hier unpassende Name •'ries (2, 20). Insbesondere ist aber die Gerichtsvollst reckung an den Völkern in tradierten, eschatologisch apokalyptischen Farben gemalt und die Schilderung von dem Streben regiert, eine würdige Folie zu Israels Glück zu geben (s. o.). Alle Völker werden vor Jahwes Tribunal im Gerichtstal Jehosaphat gezogen und empfangen Urteil und Strafe im Angesicht der Geschädigten, die ewig bleiben und nun ein glückseliges Leben unter unversieglichem Natursegen führen (4, 9ff.). Der Himmel mit seinen Gestirnen wird in Mitleidenschaft gezogen (3, 3f.; 4,15). Laut brüllt Jahwe (4,16). Ungeheure Zeichen gehören zum „ J o m " (Kap. 3). Dieser bei Joel häufig gebrauchte „ J o m " erscheint stets als eschatologische Größe d. h. als universaler Abschlußakt. Er ist bei unserem Propheten stets Gerichtstag über die Heiden weit, verbunden mit der Glucksinauguration f ü r Juda. Auch 1,15; 2,1.2.11 ist nicht das vorliegende Gericht auf den „Jom" angesetzt, sondern wird nur als Vorbote und regulierende Vorbereitung f ü r jenen Endakt betrachtet. Neben dem singularen m r r e r (1, 15; 2, 1.11; 3, 4) und dem absoluten (1,17) tritt auch der Plural a u f : rraiw C B ' n (3,2; 4,1.18). Charakterisiert wird der Jom als "t"; Er riVcsj. Tjtin Ev (2,2) und E^ (3,4 vgl. 2, l l a ) . 4 , 1 wechselt mit der Jombezeichnung im gleichen Sinne die weitere i r n ~

20. Jona. a) D i e Q u e 11 e. Die Quelle ist unsere Jonaschrift. Sie gehört, wie allgemein anerkannt ist, der nachexilischen Zeit an. Sie wird mit ihrer aramäisch gefärbten Sprache, ihrem Universalismus (vgl. R u t h ) , der sich in kraftvoller Opposition zu dem durch Esra und Nehemia gegründeten jüdischen Partikularismus äußert, in das 4. Jahrhundert zu setzen sein (COKSILT,, M A R T I , B A U D I S S I X , N O W A C K , B E R T H O L E T ) . Authentiefragen kommen hier nicht in Betracht, auch die literargeschichtliche Stellung von 2, 2-10 ist f ü r uns unwesentlich.

126

A. A n a l y t i s c h e r Teil.

b) D i e

Gerichtsanschauungen.

Gerichtsobjekt ist Volk und Stadt Ninive (1, 2; 3,1. Babel gemeint?). Auch der Prophet selbst wird von Gottes Gericht getroffen (Kap. 1 f.). Der Gerichtsgrund ist ethisch. Ninive erfährt Gericht, weil es voll Bosheit steckt (1,2; 3,8). Die dichterische Voraussetzung ist, daß Jahwe überall gehört wird, überall f o r m e n gibt. Ebenso ist das individuelle Gericht an Jona ethisch begründet (1, 7.12); er war dem Befehl Jahwes ungehorsam. Der Gerichtszweck ist f ü r Ninive Strafe, weil es gesündigt hat. Aber die Gerichtsankündigung soll prophylaktisch wirken, sie soll erzieherischen Erfolg haben. Darum soll der Prophet der Stadt verkündigen, daß ihre Bosheit vor Jahwe gekommen ist (1,2), und darum verzichtet Gott angesichts der Buße auf die Gerichtsvollstreckung (4,11). Die Gerichtsidee erscheint hier universell, sie ist milde und von Israel gelöst, gänzlich auf die Welt übertragen. Wie in Israel sonst das Gericht das friedliche Verhältnis zu Jahwe herstellen sollte, so ist es hier in der Welt gedacht. Wo in der Welt Sünde ist, tritt Jahwes Gericht ein; aber es will auch in aller Welt pädagogisch wirken. Ebenso ist für den einzelnen Jona das Gericht Strafe und zugleich Läuterung. Das Fischunglück bringt ihm Strafe und» Belehrung. Der allumfassende und doch individualistische Charakter des Gerichtes tritt in diesem Buche mild und deutlich hervor. Ninives"Gericht soll-in Zerstörung sich erweisen (3,4). Jonas Gericht ist Unglück und Mißgeschick (Kap. 1 f.). Jahwe ist stets Vollstrecker.

81. Sacharía 9—14. Vorbemerkung. Sacharja 9 — 1 4 ist m. E. (mit W E L L H A U S E N , M A B T I , B A U D I S S I N , G E E S S M A N N u. a. gegen S T A D E und C O R N I L L U . a.) nicht als einheitlich anzusehen. Indessen waltet darüber kaum ein Zweifel, daß die Stücke als Ganzes oder als Fragmente spätnachexilisch sind, resp. daß bei Benutzung älterer Vorlagen eine spätnachexilische Bearbeitung stattgefunden hat ( B A U D I S S I N ) . Z U den einzelnen Stücken vgl. unten.

NOWACK,

21. Sacharja 9—14

-

1. Sach

9,1-17;

10,3-11,3.

a) Die Quelle.

1'27

1. Sach 9, i-i?! 10, 3-11, 3. a) D i e

Quelle.

Darüber, daß 11, 4 ff. besonders zu betrachten sind, vgl. unter 2. Die Zusammengehörigkeit von Kap. 9 und 10,3—11,3 ist fast allgemein anerkannt. Die Zugehörigkeit von 10,1 f. ist fraglich, aber macht f ü r unsere Untersuchung nichts aus. Kap. 12—14 mit ihren andersartigen eschatologischen Schilderungen (vgl. die verschiedene Bezeichnung Gesamtisraels; in 9—11: Juda und Ephraim, in 13 f . : Juda allein) sind mit Hecht abzutrennen ( B A U D I S S I N , N O W A C K ) . Kap. 9—11 gehören wohl in die griechische Zeit, da die (9,13 x ) als feindliche Weltmacht Juda gegenüberstehen. Dazu paßt 9 , 1 (Gerichtswort über Iiadrak und Damaskus = Syrien, mit dem wohl auch 10, lüf. """¿N gemeint ist; vgl. N O W A C K a . a . O . S. 381 f.). In die griechische Zeit setzen die genannten Stellen (meist mit 9—14 überhaupt) W E L L H A U S E N , S T A D E , C O R N I L L , M A R T I , N O W A C K , B E E T H O LET,

z. T .

BAUDISSIN.

b) D i e

Gerichtsanschauungen.

Gerichtsobjekt sind zurückblickend erwähnt den Hintergrund f ü r die Hamath, Tyrus, Sidon, die Jawansöhne (9,13) besondere aber Ägypten

nur die Heiden, J u d a dagegen nie. N u r der Autor Israels Verstoßung (10,6.9), um Begnadigung zu. geben. Hadrak, Damaskus, Gaza, Ekron, ,Asdod, Askalon (9,1—6) und werden als Gerichtsobjekte. genannt, insund Assur ( = Syrien): 10, lOf.; 11, lff.

Die Gerichtsbegründung' trägt weiiig ethischen Charakter. F ü r Israels Verstoßung läßt sich der Grund nur durch Rückschluß aus 10, 9 finden: es hat Jahwes nicht gedacht. Sonst tritt des Eigenvolkes Gericht zurück. Die gegenwärtige frohe Verheißung wird kaum durch einen im Gericht erzielten Erfolg begründet, nur 10, 9 klingt peripherisch dieser Gedanke durch. Sonst ist Juda und Ephraim jetzt Jahwes Volk, und die Heiden haben sich ein Unrecht zuschulden kommen lassen, als sie es rücksichtslos behandelten. Die Verletzung des Gottesvolkes, die Jahwe selbst gesehen ( 9 , 8 ) , und die daher seinen Zorn erregte (10, 3 2 ), fordert das Gericht. 1

Mit S T E I N E R , K U E N E N , K Ö N I G , STRACK U. a. nach, dem Targum „Jawan" in „Völker" abzuändern, liegt nach dem einmütigen Zeugnis von Mass. u. LXX kein Grund vor. 2 Die „Hirten" in 10, 3 können nach dem Gegensatz 4 ff. und dem beschriebenen Kampf gegen die Feinde nur fremde Herrscher sein.

128

A. Analytischer Teil.

Daher ist das Heidengericht Strafe. Indem dieses Strafgericht von Israel mit einer gewissen Freude erlebt und von den Geschädigten selbst vollzogen wird (9,15; 10, 5), gewinnt es den Charakter des Rachegerichtes (9,13.15; 10, 5). Damit ist dies Gericht f ü r Israel der Beginn einer Segenszeit. Heidengericht ist Voraussetzung der Befreiung und des Volkes Schutz (9, 8.11; 10, 3. 8.10). Es wird der Anbruch der Heilszeit (vgl. 9, 9ff.). Das Fremdgericht dient der Verherrlichung Israels.- Die mächtigen, umwohnenden Völker (9,1-6.13; 11,1—3) bilden in ihrer Gerichtserniedrigung die Folie zu Israels Sieg; daher fließen die Gedanken von Israels Sieg und Glück und die von dem Gericht der Heiden in 9.12f.; 9,15f.: 10,3-6; 10, 11 f. zusammen. Der Gedanke, daß das Heidengericht den Betroffenen selbst nützlich werden könnte, kommt kaum auf. Nur in 9,7 wird den Philistern nach dem Gericht eine Anteilnahme an dem jüdischen Gemeindeleben zugeschrieben; aber dieser Gedanke dient mehr der Verherrlichung Israels, als daß er eigenständige Bedeutung gewönne; zudem ist ein positiver Erfolg des Gerichtes, etwa durch Bekehrung, nicht angedeutet. — Natürlich ist bei der engen Verknüpfung Jahwes init seinem Volke das Gericht auch Jahwes Verherrlichung (10,12), doch tritt dieser Gedanke zurück. Vollstrecker ist Jahwe. Auch wo andere Gerichtsmächte auftreten, wird überall auf seine H i l f e reflektiert (9,3.15f.; 10,5). Israel spielt als Gerichtsorgan eine bedeutsame Bolle. Das Gericht vollzieht sich im Kriege. Tyrus' Wall stürzt ins Meer, Philistäa wird verwüstet, Juda tritt als Held auf und trinkt das Feindesblut. Altbekannte Züge fehlen nicht, namentlich wenn Jahwe selbst das Gericht vollzieht: seine Blitze, sein Stürmen im Sirokko werden erwähnt (9,14); Meereswogen teilen sich wie einst (10,11). Dabei klingen mitunter rachsüchtige Züge durch (9,15; 10, 5). — Der große "Wendepunkt, an dem Jahwe seinem Volke gegen die Feinde zum Segen verhilft, ist ni~n c r r j (9,16), der hier wie fast immer in dieser Periode als Abschluß der Weltgeschichte erscheint. 1 2. Sach 11,4—1 oder auch in der Pluralform D^a UV2~< (~:n) erscheint, häufig auch durch Epitheta charakterisiert wird, die besonders das Verschuldete wie Dunkle und Zerstörende der Katastrophe malen. Der Terminus ist ererbtes Gut. Es ist fraglich, ob er ursprünglich überhaupt Gerichtscharakter trug. Das wird man vor allem deswegen in Zweifel ziehen müssen, weil der „ J o m " überall da, wo er in unseren Prophetenschriften mit traditionellen Schilderungen verbunden ist, durchaus mit naturhaften Machtzügen ausgestattet wird. Doch hat er sicherlich vor Arnos die Gerichtsfärbung besessen und den Zeitpunkt des Jahweeingreifens gegen sein Volk und andere bezeichnet. Wir werden aber festhalten müssen, daß dieser „ J o m " wahrscheinlich ursprünglich der Terminus für Jahweoffenbarungen war, die sich namentlich auf naturhaftem Boden vollzogen und demgemäß hier einen neutralen, aufs Universale gerichteten Charakter trugen. Es scheint mir wenig wahrscheinlich, daß ursprünglich der Glaube auf einen einzigen „ J o m " ging. Es gab Jahwetage, an denen die Gottheit, namentlich auf dem Naturgebiet, aber auch im geschichtlichen Leben, sich als gewaltig erwies. In den Zeiten zwischen solchen

1. Die vorexilische Zeit uns. Schriftprophetantums. — 30. Qerichtszeit u. -ort.

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Tagen redete man von dem näfchsten als „dem Tage Jahwes" oder „jenem Tage". Unsere ältesten Schriftpropheten haben schwerlich eine reale Anschauung von einem einheitlichen Gerichtsakt am „Jom". Bei Arnos ist das Verhältnis des Eigenvolksgerichtes zu den Völkergerichten zeitlich völlig in der Schwebe gelassen, dagegen verlangt der Gerichtsvollzug durch die Assyrer geradezu mehrere, zeitlich auseinanderliegende Akte, wie ja auch bei Arnos neben dem DT1 von den D"a, "< die Kede ist. Jesaja spricht im 2. Kapitel in der Tat von einem universalen, einheitlichen Gerichtsakt, der stark naturhafte Züge trägt. Aber anderseits löst sich dieser „Jom'' bei ihm in die zeitlich oft recht weit auseinanderliegenden Einzelkatastrophen über Damaskus, Nordisrael, Ägypten, Juda und Assur auf. Die zeitliche Bezeichnung des Gerichtsaktes bekommt dadurch bei ihm etwas Zwiespältiges. Vielleicht hat der Prophet einen alten Begriff nichtrichterlicher Färbung hier aufs historische und gerichtliche Gebiet übertragen, in das er aber, streng genommen, nicht paßt. Jedenfalls hat Jesaja, wenn er das bildliche Gebiet verließ, keine einheitliche Katastrophe angenommen, wie er auch für das Assyrergericht den Terminus nicht verwendet. Er wurde ihm der überlieferte bildliche Ausdruck für den jedesmaligen Gerichtsakt. Auch bei Micha zerlegt sich der „Jom" notwendig in die zeitlich auseinanderfallenden Katastrophen über Samarien und Juda. Erst Zephanja unterstellt in Anlehnung an Jesajas Frühzeit alles Gerichtsgeschehen dem „Jom": es gibt eine große, einheitliche Katastrophe, dem sich alle Einzelgerichte einfügen. Er kann diese Betrachtung nur erreichen, indem er naturhafte Züge stärker als andere hervortreten läßt, wobei nun wunderlicherweise die trotzdem von ihm aufgenommene Schilderung der realhistorischen Feindesnot verräterisch dem einheitlichen Gerichtstag widersprechen. Jeremias Neigung zu der pluralischen Jomform paßt ebenfalls nicht zu einem gedrängten Gerichtsakt. Wir werden also zurückblickend feststellen können, daß unsere vorexilischen Popheten, wo sie auf realem Boden stehen, kein einheitliches Gericht kennen, sie aber da, wo sie stärker unter traditionellen Einflüssen stehen (Jes., Zeph.), die einzelnen Gerichtsakte zusammenfassend dem „Jom" zu unterstellen suchen. Jesaja, der Prophet der Geschichte, muß diesen Versuch aufgeben, während Zephanja mit einiger Mühe diese Zusammendrängung vollzieht, Es spiegelt sich hier der Kampf zwischen .ererbter Tradition und zeitgeschichtlichen Nötigungen wieder. Während der „Jom" in der Zeit vor Arnos in erster Linie der 12*

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Die geschichtliche Entwicklung des prophetischen Gerichtsbegriffes.

schlimme Tag der Völker war, stellt er sich nunmehr im wesentlichen in den Dienst des Eigenvolksgerichtes. Jesaja in der Friihzeit und dann später Zephanja haben den Ausdruck für die weltrichterliche Katastrophe gebraucht. Doch wird in unseren vorexilischen Prophetenschriften der Terminus nie direkt auf die Völkergerichte bezogen. Ein Blick auf die von den vorexilischen Propheten angedrohte Gerichtsart zeigt uns das schon oben erwähnte Bestreben, Traditionelles und Zeitgeschichtliches zu vereinigen. Man malt den Gerichtsakt mit naturhaften Zügen aus, die dem altisraelitischen Jahwe eigen sind. Die Schilderungen gewinnen eine extreme Tendenz. Man setzt Himmel, Erde, Meer und Seol in die Gerichtsbetroffenheit. Elemente, die der reinen Gerichtssphäre nicht konform sind, geben zwar der Gerichtsidee durch das Einströmen naturhafter Machtvorstellungen eine drängende, furchtbare Kraft, aber gefährden dadurch gleichzeitig den reinen Gerichtscharakter. Man wird allerdings für die vorexilische Zeit konstatieren müssen, daß diese heterogenen Elemente verhältnismäßig nicht zu umfangreich eingedrungen sind und vor allem völlig unter der Wucht der ethischen Entwicklung gestanden haben. Es ist ein bedeutsames Zeichen für die Kraft der ethisch orientierten Gerichtsidee, daß sie diese widerstrebenden Vorstellungen im wesentlichen sich unterworfen hat. Zu diesen überlieferten naturliaften Zügen treten zeitgeschichtliche Motive. Schon in der Zeit vor Arnos hatte man historische Mächte als Gerichtsorgane gesehen. Indem jetzt Israel und Juda in die weltgeschichtliche Sphäre gezogen v/erden, gelten die großen Weltreiche (Assyrer, Scythen, Babylonier) als Gerichtsvollstrecker, und der Gerichtsvorgang schafft sich seinen Ausdruck in realhistorischen Bildern. Man kann die genannten Stileinflüsse nicht getrennt einzelnen Propheten zuweisen. Wenn auch manche von ihnen den einen oder anderen kräftig hervortreten lassen (so z. B. Jes und Zeph die Anlehnung an gewisse alte Formen), so gehen doch die Ausmalungen meist aus beiden Gebieten nebeneinander her. So treten bei Jesaja trotz seiner Neigung, die gerichtlichen Vorgänge mit den überkommenen stark bewegten Farben des naturhaften Wirkens Jahwes zu malen, die zeitgeschichtlichen Züge mindestens ebenso bestimmend hervor. Bedeutsam ist, daß in der vorexilischen Periode die rein forensische Anschauung des Gerichtsvorganges völlig zurücktritt. Man könnte an sich meinen, daß nunmehr, nachdem die Jahwereaktion

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in der Erhebung des Sittlichen zu seinem Bestimmungsgrunde fast ein geistiges Prinzip geworden, auch das Gericht die Form rein aburteilender Entscheidung und dementsprechenden Vollzuges gewinnen müsse. Aber nirgends finden wir diese Konsequenz; in ungeheuren Geschehnissen naturhaften und geschichtlichen Lebens, in extremen, umfassenden Zerstörungen gibt die zürnende Gottheit ihren Groll kund. Deutlich zeigt sich hier die geschichtliche Kontinuität. Es ist seit Arnos nicht die sittliche Idee in unserem philosophischen Sinne zur Herrschaft gekommen, sondern das alte Jahwewesen vergangener Tage, das mächtig im Natur- und Menschenleben nach Art eines Übermenschen wirkte und nun im Lichte neuer Erkenntnis in seinem innersten Bestimmungsgrunde als ein realsittliches erscheint. Da bleiben die alten Formen und Darstellungsmittel, die so ungeheuer mächtig die Gemüter bewegen und nicht entbehrt werden können, aber in die alten Schläuche gießt sich neuer Wein. Das forensische Verfahren konnte die allgemeine Anschauung erst erobern, als das kräftige, erdverwandte Geschlecht geschwunden war und eine neue Menschenepoche das Religiöse ins Transzendente erhob (vgl. die weitere Entwicklung).

31. Bückblick. Die im 8. Jahrhundert aufblühende prophetische Entwicklung hebt die Gerichtsanschauung in straffer Konsequenz in die sittliche Sphäre. Sie richtet die Gerichtswirkung in erster Linie auf das eigene Volk und läßt das nationale Moment dabei im wesentlichen stark zurücktreten. Sie steigert den Gerichtsernst von schärferer Sichtung bis zur Vernichtung des eigenen Volksdaseins; nach außen unterstellt sie dem Eingreifen Jahwes schließlich das ganze Weltgeschehen und sieht so im Gericht eine umfassende, wirksame Verherrlichung Jahwes. Dabei durchbricht Hosea den antik furchtbaren Charakter der richtenden Gottesreaktion durch die Schöpfung seines heilbegründenden Erziehungsgerichtes. Die neu gewonnene Gerichtsanschauung unterwirft sich die alten naturhaften Machtelemente und steht wesentlich auf real zeitgeschichtlichem Boden. Ins Leben der Propheten wird das große Gericht als Trost, Rechtfertigung und Bildungsmittel des religiösen Menschen reflektiert. Seit der Mitte des 7. Jahrhunderts kündet sich eine andere Strömung an, die das Eigenvolksgericht zurücktreten läßt, dem Völkergericht eine stark nationale Begründung gibt (Rache) und dem

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umfassenden Welt- und Völkergericht den real lebensvollen Boden entzieht. Diese Entwicklung weist schon auf die folgende Zeit, in der solche Tendenzen, durch die geschichtlichen Ereignisse gefördert, zur Eeife kommen.

2. Die exilische Zeit 32. Der Sieg des Gerichtsgedankens and seine Krise. Das Exil schafft für den Gerichtsgedanken eine neue Situation. Es bringt den Sieg der Gerichtsidec. Bis zu dem Juda3 nationale Selbständigkeit vernichtenden Ereignis war der prophetische Gerichtsgedanke nur ein Gut gewisser Kreise, er war eine schwankende Größe und galt vielen nur als Phantasma von Schwärmern, ja den Erznationalisten als frevelhafte Gesinnung und Hochverrat (vgl. Jeremia). Jetzt erwies sich das Gericht als geschichtliche Realität. Seine furchtbare Konsequenz, selbst gegenüber dem eigenen Volk, war nicht mehr zu leugnen. Auf keine wirksamere Weise konnte die Gerichtsvorstellung ihr Recht dartun. Jetzt war erwiesen, daß iycht einzelne Toren auf ihren Irrwegen diesen schrecklichen Ausweg gefunden hatten: das Gericht war Gottes Wille. Was bisher schwankend war, wurde jetzt feste Norm und errang Anerkennung in allen Kreisen. Alle Exilsquellen sprechen vom Gericht: aus unmittelbarer Vergangenheit und Gegenwart redet es seine vernehmbare Sprache, es ist der Zielpunkt der näheren und weiteren Zukunft; Schmerz und Hoffnung, Freude und Klage — alles gründet sich irgendwie auf Gerichtsgedanken. Sie sind fortan der unverrückbare Pol in all den wechselnden Erscheinungen. Aber eine seltsame Tragik tritt hier zutage. Indem der Gerichtsgedanke sich durch die Wucht der Tatsachen als real erweist und in allen Kreisen anerkannt werden muß, gerät er gleichzeitig in die gefährlichste Krisis. Von doppelter Seite erfolgt der Angriff. Man muß sich vergegenwärtigen, daß in unseren vorexilischen Prophetenschriften im wesentlichen nur eine Richtung des Prophetentums zum Worte gekommen ist: die Schar derer, welchen der sittliche Gottesbegriff als bedeutsamster vorschwebte, und bei denen also das nationale Moment nur mehr oder minder leise mitklang. Aber eine andere geht nicht weniger stark neben ihnen her: die Kette der nationalen Propheten. Von Micha ben Jimlas Zeit, ja schon früher, sehen wir sie als Stütze der nationalen Hoffnungen in großem An-

2. Die exilische Zeit. — 32. Der Sieg des Gerichtsgedankens und seine Krise.

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sehen bei König und Volk. Jesaja und besonders Jeremia wissen von ihrem Widerstreben gegen die eigenen Gedanken bittere Klage zu führen. In Nahum kommt wohl einer aus ihrer Mitte zum Wort. Wir werden uns weiter erinnern, daß auch in den Propheten der anderen Kichtung die nationalen Hoffnungen vernehmlich mitklangen, so bei Hosea, Jesaja und besonders Jeremia. Diese nationale Sichtung tritt jetzt kräftig hervor. Je mehr der Gerichtsgedanke selbst gesiegt hat und außerhalb jeder Diskussion steht, um so lebhafter gibt sich die nationale Tendenz mit ihren quälenden Fragen kund. Am schlimmsten steht es bei denen, welche mit Beiseitesetzung jedes sittlichen Absehens Jahwe als rein nationalen Gott betrachtet haben. Sie sehen im Exil nur das Fiasko dieses Gottes, seine Machtlosigkeit. Gerade einer der Hauptgedanken im Gerichtszweck der vorexilischen Zeit, die Durchsetzung Jahwes auf der weiten Weltbühne und im Eigenvolk, droht hier ins Gegenteil umzuschlagen. Aber damit verbindet sich ein Angriff von anderer Seite, der noch viel schwerer trifft, weil er den Gerichtsbegriff in seinem Wesen faßt. Seit Arnos hat die Prophetie mit Kraft und Erfolg darum gerungen, das Gericht als eine sittliche Notwendigkeit, als die Feststellung der Gerechtigkeit anzusehen. Aber dieser Gedanke trug, so gewaltig er war, eine schwere Inkonsequenz in 6ich. Er faßte nämlich in echt antiker Weise als Objekt des die Gerechtigkeit feststellenden Gerichtes das Gesamtvolk auf, ohne im wesentlichen dem einzelnen eine besondere Stellung zuzuweisen. Mochte auch hier und da gegen Ende der vorexilischen Zeit der individuelle Gerichtsgedanke mehr Platz gegriffen haben (Jeremia), so umfaßt doch die Gerichtsanschauung im allgemeinen Urteil noch das Volk, und das Exil scheint diese, Anschauung als wirklich erwiesen zu haben. Darin liegt aber gerade nicht eine Gerechtigkeitsbewährung, sondern — wie es scheint — die schlimmste Ungerechtigkeit. So wenig man leugnen konnte, daß sich das Volk zum Teil verschuldet habe, so schien doch das Gericht, wie es eintrat, gegen alle Geschichte und Wirklichkeit zu verstoßen. Neben den dunklen Flecken trat in Israels Geschichte doch auch manche Glanzzeit hervor, und in der letzten Katastrophe waren doch mancherlei gute Elemente schuldlos zugrunde gegangen. Unerbittlich war das Gericht über alle hinweggeschritten. Wo blieb da die Gerechtigkeit und der innere Wert des Gerichtes! Es drohte an dem eigenen Prinzip zu sterben. Hesekiel und Deuterojesaja haben die drohende Gefahr erkannt; ja mir will scheinen, daß sie — namentlich Hesekiel — das Quälende

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des Problems in eigener Brust gespürt haben. Sie gingen beide an die Verteidigung, jeder nach Individualität und Zeitlage anders. Hesekiel lebt im Anfang des Exils. Die Unmittelbarkeit des ungeheuerlichen Ereignissee, die Verzweiflung und der Hohn der Genossen, alles klingt in ihm noch stark wieder. Die Gegner behaupten unter dem unmittelbaren Eindruck der Katastrophe, daß das Gericht nicht die Feststellung der Gerechtigkeit sein könne. Dann ist es aber ein Willkürakt wie in der Zeit vor Arnos. Man kommt in Gefahr, auf den Standpunkt vergangener Tage zu geraten. Hesekiel sucht hier nach zweifacher Richtung zu hemmen. Er breitet zunächst über die Volksgeschichte den dunkelsten Schleier. Das ist nicht nur Tendenz, er kann sich schon auf seine Vorgänger berufen. Arnos hatte auf frühere Schandtaten des Volkes hingewiesen, Hosea die dunklen Stellen geflissentlich hervorgehoben, besonders aber hatte Jeremia geklagt, wenn er in die Geschichte zurückgriff. Hesekiel zieht unter dem Zwang der Verhältnisse die scharf formulierte Konsequenz: Israel ist von Anfang an in seinem gesamten Bestände völlig sündig gewesen, denn die Geschichte beweist es. Dann aber ist das scharfe Gericht berechtigt. Kein Zeichen von Ohnmacht Jahwes liegt hier vor; gerade um seines Namens willen mußte er so handeln. Er war nicht ungerecht, denn das ganze Volk war schlecht. Wo aber dem Hesekiel die resignierte Anklage entgegentritt, daß das Gericht den einzelnen nicht berücksichtige, da setzt er ihr in freier Souveränität des Glaubens, für die Vergangenheit geschützt durch die eben gegebene Betrachtung, den Satz entgegen, daß jeder für sein Gericht verantwortlieh sei. Er beweist das nicht, er könnte es auch kaum; er ist in der theologischen Darstellung dieses Satzes rührend ungeschickt, aber es spricht sich doch darin der hohe Geist aus, der in sicherer Überzeugung seinem Gott auch im Einzelleben kein Unrecht zutraut. Es ist recht zweifelhaft, ob diese Gründe durchschlugen. Die Art der hesekielischen Darstellung mit ihrer Vergröberung und theoretischen Ungeschicklichkeit läßt nicht viel erwarten. Seiner historischen Darstellung konnte man, zum Teil sogar aus den Überlieferungen der altehrwürdigen Vorgänger, ganz andere Betrachtungen entgegenstellen. Und wußte man nicht wirklich diesen oder jenen zu nennen, der schuldlos dem Gericht verfallen war! Hesekiel hat es selbst gespürt, wie wenig seine Grundsätze dem Zweifel abhelfen konnten. Er geht einen anderen Weg, der — sehe ich recht — mehr Erfolg hatte. Er gibt im gewissen Grade zu, daß Israels Geschick

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ein unverdientes ist. Damit kommt er allen religiösen Zweifeln und nationalen Bedenken gegen das Gericht einen bedeutsamen Schritt entgegen, ja er stellt sich damit'gewissermaßen auf den Standpunkt der Gegner. Aber von hier aus zieht er ganz andere Konsequenzen. Er entbindet Jahwe von der Verantwortlichkeit für das Geschehene und lädt sie dem Übermut der Fremdvölker auf. Jahwe hat mit Recht das Volk wegen seiner Sünde geschlagen — das hält er fest von seinen Anschauungen, das müssen auch andere anerkennen. Jahwes Absicht ist aber von den Heiden in gröblicher Weise modifiziert und demgemäß betätigt worden — das ist der Kompromiß mit der national-religiösen Partei. Dazu können auch die Gegner sich bekennen, denn darin kommt ihr Unfriede zur Ruhe. Die Konsequenz ist dann das Völkergericht als Abstrafung f ü r den Frevel an Israel. Ilesekiel hat durch die Ausmalung der Zukunft mit dem Völkergericht, insbesondere durch das große Gemälde von Gogs Untergang diesen Tendenzen alle Befriedigung verschafft. Er kann dabei an die noch unerfüllten vorexilischen Weissagungen von den Völkergerichten anknüpfen. Es erhellt, wie diese Lösung in der Tat allen Bedenken empfehlenswert erscheinen mußte. In ihrem Lichte bleibt Jahwe in seinem Wesen und Tun der Gerechte, Israels Prärogative wird gewahrt, der wahre Schuldige ist gefunden, und die Bestrafung wird in Aussicht gestellt. Es war eine verzweifelte, düstere Lösung: das Todesurteil der Völkerwelt. Deuterojesaja hat unter dem Einfluß Hesekiels und der Volksstimmung sich diesen Ideen nicht ganz entziehen können. Auch für ihn hat Israel Zwiefaches gelitten und haben die Fremdvölker des Bösen zuviel getan, so daß sie, dadurch verschuldet, Gericht zu erwarten haben. Aber das steht ihm nicht im Mittelpunkte seiner Anschauungen. Er lebt am Ende des Exils. Der bei Hesekiel so frische Haß ist verflogen. Wozu auch! Gerade in Dtjes' Tagen bereitet diese von Hesekiel gehaßte Völkerwelt mit ihrem Haupte Cyrus den Israeliten die Heimkehr. Eine Frohzeit naht, Jahwe hilft seinem Volke schon in der Gegenwart. Aber wozu doch damals Israels schwere Strafe? Da fließt dem schwungvollen Manne, der sein Volk zurückkehren sieht, der die religiöse Überlegenheit Israels im Exil deutlich erlebt hat, auch ihren praktischen Einfluß wahrgenommen, der Gedanke vom Sühnleiden seines Volkes zu. Im Gericht, das Israel zum Teil unschuldig getroffen, hat dieses Volk stellvertretend der Heiden Sünde getragen und ihnen zur Vergebung verholfen.

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Hesekiels Lösung ist möglich, indem der nationale Haß befriedigt wird, Dtjesajas, indem der national-religiöse Stolz in seinem Leiden ein universales, edles Ziel bekommt.

33. Sie einzelnen Gedankenkreise im Verhältnis zn den Yorexilischen Ideen. Das grundlegende Motiv für die Umgestaltung der vorexilischen Gerichtsidee ist in dem veränderten Verhältnis des Nationalen zum Ethischen gegeben. Die großen Propheten vor der Katastrophe hatten im wesentlichen das Ethische in den Mittelpunkt gestellt, und das Nationale trat nur mehr oder minder regulierend dazu. In der Exilszeit kann sich, da das Ethische zu seinem Hecht gekommen ist, das nationale Moment mehr durchsetzen, oder vielmehr: es findet jetzt eine eigenartige Durchdringung beider Elemente statt, indem das Nationale fortan, aufs engste mit Jahwes Wesen verbunden, das Ethische darstellt. Wir betrachten getrennt die beiden Gebiete, deren Sonderung durch das Überwiegen des nationalen Prinzipes gegeben ist: das Eigenvolks- und das Völkergericht. a) D a s E i g e n v o l k s g e r i c h t . Bei der Beurteilung des Eigenvolksgerichtes werden wir die Anschauungen über die vergangene Katastrophe scheiden müssen von denen über künftiges Richten Jahwes. Die Tatsache des Gerichtes ist gegeben und als solche nicht mehr diskutierbar. Es unterliegt keinem Zweifel, daß die exilischen Gedanken über die Gerichtsbegründung nicht außer Kraft gesetzt werden konnten. Das Ereignis bekräftigte auch die früher angegebenen Ursachen. Diese lagen ja vor allem auf sittlich-religiösem Gebiet. Daß das Gericht aus des Volkes Sünde herzuleiten sei, hat Hesekiel bis zum Fall Jerusalems unermüdlich gepredigt und war auch später noch seine Meinung (Widerspenstigkeit im politischen, sozialen und kultischen Leben). Dtjes weiß ebenfalls von der Schuld des blinden und tauben Volkes zu reden, die es ins Exil getrieben. Auch die exilischen Stücke Mch 7, 7ff. und Am 9, 8ff. heben noch die Sünde des Volkes als Gerichtsmotiv hervor. Aber es ist charakteristisch, wie stark doch diese Motivierung seit dem Fall Jerusalems zurücktritt. Hesekiel .redet nunmehr von der Heiden Schuld, hebt also z. T. jene erste Begründung wieder auf. Er hat auch schon vorher die allgemein sittliche Grundlage des Gerichtes in ihrer Bedeutung er-

2. Dio exilische Zeit. — 33. Die einzelnen Gedankenkreise im Verhältnis usw.

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schüttert, indem er die physisch kultischen Vergehen in das Register der gerichtsbegründenden Momente setzte; alles Kultische ist, weil lokal, auch national gefärbt und entfernt von dem eigentlich sittlichen Gebiete. Dtjes hat bei seiner Erwähnung der Sündhaftigkeit alle konkreten Züge vermieden und nur vorübergehend und ganz allgemein des Volkes Verschulden hervorgehoben. Seine Meinung vollends, daß Israel Zwiefältiges erlitten, zeigt uns, wie auch er (wie Hesekiel) das eigene Volk z. T. unverschuldet im Gericht sieht. Was diese großen Propheten aussprechen, tritt in den exilischen Fragmenten noch deutlicher hervor. Nur in den zwei oben genannten wird überhaupt Israels Schuld erwähnt, in den übrigen gänzlich von ihr abgesehen. Israel ist den fremden Nationen gegenüber eo ipso im Recht. Charakteristisch ist das kurze Fragment Mch 7, 7 ff.: wiewohl hier Israels Schuld noch anerkannt ist, tritt doch mit starkem Bewußtsein fast gleichzeitig der israelitische Stolz, gegründet auf sein Recht, hervor. Man sieht, wie hier das nationale Moment eine starke Verschiebung bewirkt hat. Es tritt eine innere Entethisierung des Gerichtsgedankens ein, die übrigens bei Nahum (Habakuk?) in vorexilischer Zeit ihren Vorgang findet. In der Zwecksetzung des verhängten Gerichtes laufen die vorexilischen Gedanken weiter. Wo die Sünde Israels als Grund anerkannt wird, hebt sich der Strafcharakter hervor, der aber nur bei Hesekiel und bis zum Fall Jerusalems mit stärkerem Nachdruck geltend gemacht wird. Das Gericht nimmt bei dem Priesterpropheten unter starker Annäherung an den Vernichtungsgedanken einen herben Sichtungscharakter an. Pädagogische Zwecke kennt er kaum. Nur als prophylaktische Mahnung an die Übriggebliebenen kommt ihm das ergangene Gericht in Betracht (Seelsorge). Dtjes hebt den Korrektionscharakter des Gerichtes ein wenig mehr hervor: Jahwe hat Juda keinen Scheidebrief gegeben, weil er die Wiederherstellung des Verhältnisses als innerlich notwendig ansah. Der pädagogische Zweck klingt in seinem Erfolg auch Mch 7, 7ff.vorübergehend an. Am 9, 8ff. kennt das Strafgericht noch als Ausmerzungsmittel. Wir sehen hier keinen Fortschritt, ja ein unbefriedigender Gedanke der vorexilischen Zeit tritt stärker als zuvor auf. Schon früher war der Zusammenhang zwischen Heil und Gericht oft ein sehr loser. Entweder wurde in düsterer Erwartung die Heilsfolge überhaupt nicht betont (Amos, Micha) oder das Heil durch die Vertilgung der mißfälligen Elemente gewonnen (Sichtungsgericht), oder Gott schuf nach dem Gericht souverän eine neue Ära, wobei das Gericht dann teilweise nur den Zweck

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hatte, den alten Zustand zu tilgen (z. T. Jesaja, Jeremia). Der Bußruf war zwar ein ständiger Teil der Gerichtspredigt; aber der Gedanke, daß das vollzogene Gericht zur Buße und damit zur Gründung eines neuen Zustandes führen solle, trat nur spärlich hervor (Hosea, Jesaja: Sear-Jasub). Meist reihen sich Gericht und Heil nur zeitlich aneinander. Das Gericht hat hier keine Wandlung gebracht. Bei Hesekiel und D.tjes fließt das Heil nicht aus der Bekehrung des bestraften Volkes. Diese wird ignoriert. Das treibende Moment zum Heil liegt vielmehr in Jahwes Ehre d. h. in seiner gefährdeten Schätzung unter den Heiden. Die meisten Fragmente kennen ebenfalls keinen Zusammenhang zwischen Eigengericht und Heil. Auch hier tritt wieder das Zurückgehen des Ethischen hervor. In diesem Zusammenhang zeigt sich sogar ein religiös recht wenig wertvoller Gedanke. Wenn das Gericht zum Teil unverdient ist, so erwartet man von Gott um seiner Ehre willen die Restituierung. Das arme, gequälte Volk verdient um seines Leidens willen das Heil (vgl. Anklänge bei Hosea). Dieser Gedanke klingt bei Dtjes in den zahlreichen Schilderungen an, in denen Judas elender Zustand beschrieben und daraus Jahwes Hilfe begründet wird. Auch in den Ebed-Jahweliedern erwächst dem Gottesvolk aus seiner Katastrophe um seines gehorsamen Leidens willen der Lohn. Bei Hesekiel tritt dieser Gedanke nicht so deutlich hervor, aber er liegt implicite in dem Bekenntnis, daß die Fremdvölker über Jahwes Willen hinaus an Juda Gewalt geübt haben. Auch der Verfasser von Mch 7,7 ff. erwartet nach Judas Abstrafung das Heil um Jahwes Gerechtigkeit willen, d. h. der bestehende Zustand ist eine dringende Forderung an Jahwe zur Änderung. Bedeutsam ist der Zweck, der dem Eigenvolksgericht in den Ebed-Jahweliedern zugewiesen wird. Sein Erfolg kommt, abgesehen von dem Lohn, den das leidende Volk selbst davonträgt, den Heiden zugute. Die Voraussetzung ist das schuldlose Leiden Israels. Auch in dieser neuen Wendung zeigt sich der organische Zusammenhang von Gericht und Heil gelöst; ja es wird der Erfolg des im Gericht Leidenden einem völlig anderen Subjekt zugewendet. Zum ersten Male tritt hier der Gedanke der stellvertretenden Sühne auf. Vielleicht haben außerisraelitische Vorstellungen auf seine Entstehung eingewirkt, aber auch in Israel lagen Vorbedingungen für diese Entwicklung. Das Los jener Sauliden, die mehrere Jahre nach Sauls Tod sein Vergehen büßen mußten, war eine persönliche Sühne für des Ahnen Schuld. Deutlicher tritt dieser Sühnegedanke Mch 6, 6f.

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hervor: „Soll ich meinen Erstgeborenen f ü r meine Missetat, die Frucht meines Leibes f ü r die Sünde meiner Seele geben?" Vielleicht hat auch das traurige Schicksal Jeremias eingewirkt, des gerechten Mannes, der f ü r eine große Idee litt und sie dadurch aufrecht erhielt. Der Opferritus mit seinen Sühnegaben wird ebenfalls seinen Einfluß geübt haben; seit dem Exil datiert ja das Sühneritual des Versöhnungstages (Azazel!). So kann es nicht wundernehmen, wenn dem mit dem schwersten Problem seiner Zeit ringenden Propheten sich diese Betrachtung des Sühneleidens in den Dienst stellt. Wie die Vergangenheit dem Gedanken vorgearbeitet hatte, so sprach ja auch die Gegenwart f ü r ihn, da in Wirklichkeit aus Israels Leid dem Heidenvolk Erkenntnis Jahwes zuströmte. — Dieser neue Gedanke geht so schnell vorüber, wie er abrupt mit Dtjes auftaucht. Erst eine spätere Zeit hat ihn, z. T. wesentlich modifiziert, wieder aufgegriffen, und in Jesus hat er seine persönlichste Fassung mit der realsten Wirkung gewonnen. Die exilische Zeit bringt eine stärkere Betonung der göttlichen Durchsetzung im Gericht. Gewiß zeigte sich dieser Gerichtszweck recht bedeutsam auch schon früher geltend; besonders hatten Arnos und Jesaja nachdrücklich davon gesprochen. Aber dieser Gedanke lag doch damals mehr in der gesamten Gerichtsanschauung als inneres Prinzip verborgen (vgl. besonders Jeremia). Hesekiel aber ist nicht müde geworden, lehrhaft zu betonen, daß durchs Gericht die Erkenntnis geweckt werden solle, „daß ich Jahwe bin". Er läßt einmal nur wenige aus Jerusalems Untergang gerettet werden, damit die Entronnenen „alle ihre Abscheulichkeiten unter den Völkern erzählen . . . und man innewerde, daß ich Jahwe bin" (12,16). Diese starke Betonung der göttlichen Durchsetzung im Gericht ist motiviert durch den Zweifel an Jahwes Macht, der durch die Niederwerfung seines Volkes auftrat. Es kann nach der oben angeführten Beobachtung, daß in der Gerichtsmotivierung das ethische Moment stark zurücktritt, nicht befremden, daß f ü r die Zukunft ein Gericht an Juda fast ganz ausscheidet. Das ist auch aus anderen Gründen verständlich. Die vorexilischen Propheten kannten nur eine Katastrophe im eigenen Volk, die sich in einem großen Schlage mit anschließender Exilierung vollzog. Hinter diesem Gericht hatten sie kein zweites gesehen, im Gegenteil: wo die Z u k u n f t nach dem Gericht ins Auge gefaßt wurde, abstrahierte das richtende Gotteswalten von einem weiteren Vorgehen gegen das Volk. So leitet schon die vorexilische Betrachtung zu

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dieser Exemption. Wozu auch noch ein neues Gericht? In der gegenwärtigen Fortdauer des Exils fühlt man ja noch das Damoklesschwert. Machen so die Verhältnisse eine neue Gerichtserwartung kaum möglich, so ist vollends auch die innere Berechtigung zu einem erneuten Jahweeingreifen recht zweifelhaft geworden. J e mehr Juda jetzt nicht im Verhältnis zu Gott als zu den Fremdvölkern gesehen wurde, desto mehr schwand jede Berechtigung zum Eigenvolksgericht: ihnen gegenüber war Juda im Recht. Die Quellen bestätigen una diese Anschauungen. Hesekiel, der vor dem Exil fortgesetzt das Eigenvolksgericht verkündete, hat nach 586 diesen Gedanken fast völlig zurückgedrängt. Er weiß nur noch zweimal von dem richtenden Jahweeingreifen zu reden; auch geschieht das nur vorübergehend: das Gericht trifft gewisse Klassen und Kreise (Sichtungsgericht) und bewirkt, indem es kurz vor dem Eintritt ins heilige Land vollzogen wird, die zum Jahweheil passende Volksbeschaffenheit. Bei Dtjes tritt überhaupt kein künftiges Gericht am Eigenvolk hervor, und vollends schweigen davon die exilischen Fragmente. b) D a s F r e m d v ö l k e r g e r i c h t . Die völlig neue Situation, in der wir uns befinden, zeigt sich nirgends deutlicher als auf dem Gebiet der Fremdvölkergerichte. Vergangenheit und Gegenwart drängten in gleicher Weise zu ihrer Erwartung. Das Fremd Völkergericht war ein festes Element der prophetischen Verkündigung. Von Amos über Jesaja, Nahum und Zephanja bis Jeremia hatte dieser Gedanke sich geltend gemacht. Er hatte seine Realität erwiesen im Gericht über Damaskus, Assur und andere Mächte. Aber noch waren jene Weissagungen nicht alle erfüllt, und sie mußten doch in Erfüllung gehen, denn das unerbittliche Gericht an Juda selbst gab auch jenen Völkerweissagungen den Stempel der Notwendigkeit. Aber vor allem mußte die gegenwärtige trübe Lage, das unterdrückte Nationalgefühl, die Verschiebung des Gerichtsmotives im Eigenvolksgericht, der Hohn der Heiden über die dem Jahwevolk und damit Gott selbst zugefügte Beleidigung mit noch größerer Intensität den Fremdvölkergerichtsbegriff aufleben lassen. Eine Reihe von höchst bedeutsamen Veränderungen trat damit ein. Der Umfang des Völkergerichtes wird ja naturgemäß nicht über den von den früheren Propheten gegebenen Rahmen hinausführen. Hesekiel zieht Ammon, Moab, Edom, Philistäa, Tyrus, Sidon und Ägypten, Dtjes Ägypten, Kusch, Babel und die Völker schlechthin

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mit ihren Fürsten, die Fragmente Edom ( A m 1,11 f.; 9, 8ff.), Ammon und Moab (Zph 2, 7ff.), Babel ( J e s 13 f. 21; Hab 2,5ff.; Zph 3,14ff.; Mch 7,7ff.) und „alle Völker, über die mein Name genannt ist'*' (Am 9,12), in die Gerichtsspliäre. Dazu fehlt auch der Weltcharakter des Gerichtes nicht. Er liegt bei Hesekiel in der apokalyptischen Weltmacht Magog, in der sich die gesamte Heidenwelt darstellt. Dtjes zieht die ganze, sogar unbelebte Welt in Gottes richterliche Tätigkeit, wobei freilich das Eichtertum Jahwes hinter seiner Machtwesenheit bedeutend zurücktritt. Von den Fragmenten zeigen uns die Kap. Jes 13 f. das Gericht über Babel im Rahmen eines großen Weltgerichtes: Himmel, Erde und Seol werden in Mitleidenschaft gezogen. Neue Momente sind indessen hier kaum wahrzunehmen. Zu beachten ist nur, wie sich die Gerichtserwartung besonders auf die Nachbarn Judas, insbesondere Edom richtet, die Erregung sich mit besonderer Wut gegen Babel wendet, und die Völkergerichte bei Hesekiel ihren Abschluß finden in einer großen apokalyptischen Gerichtsschau. Der schon erreichte Umfang des Gerichtswirkens ist also nicht erweitert. Völlig hat sich unter den oben gezeichneten Spannungen die Gerichtsbegründung für die Heidenvölker verschoben. Die vorexilischen Propheten hatten das Fremd Völkergericht demselben ethi sehen Prinzip unterworfen wie das Eigenvolksgericht oder doch zum mindesten das Völkergericht nicht als Folge eines speziell an Israel geschehenen Frevels angesehen. Selbst Nahum hatte bei der Gerichtsbegründung gegen Assur sich doch mit allen Unterdrückten zusammengeschlossen, und Israel war nicht die allein verletzte Größe. Im Exil aber gilt das dem Gottesvolk angetane Unrecht als völlig genügendes Gerichtsmotiv. Hier schwindet fast die andere Betrachtungsweise, daß das Eigenvolksgericht verdient sei. Beide Auffassungen stehen noch beieinander bei Hesekiel und im Fragment Mch 7,7ff. Sie sind durchaus nebeneinander möglich, wie ja auch ein einzelner nach allgemein menschlicher Erfahrung sich selbst schärfer beurteilen kann, als es geraten ist, der öffentlichen Meinung zu zeigen. Der schadenfrohe Hohn der Heiden, insbesondere der nächsten Nachbarn, die Mitleidslosigkeit der Babylonier und das unerhört gehässige Eingreifen der Edomiter, die elende Grundsatzlosigkeit der Ägypter — das sind die schwerwiegenden Gründe, die Hesekiel als ein vollgerütteltes Schuldmaß den Heiden vorhält. Auch Dtjes weiiß davon zu reden in seiner Drohrede wider Babel (47,1 ff.) : „Ich gab sie in deine Hand, nicht schenktest du ihnen Mitleid, auf

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den Greisen ließest du lasten dein Joch gar sehr" (6 b ). In den Fragmenten liegt dasselbe Motiv vor. Die Bewahrung langdauernden Zornes gegen den Bruder wird Edom vorgeworfen ( A m i , 11 ff.), der Hohn der Ammoniter und Moabiter wie der Babylonier noch einmal erlebt (Zph 2, 7ff.; Mch 7, 7ff.) und die Vergewaltigungen seitens der Völker in ihrer ganzen Brutalität gesehen (Jes 13 f.; Zph 3,14ff.). Das nationale Moment ist mit dem religiösen meist aufs 'engste verknüpft. Mit der neuen Motivierung erhält der Gerichtsgedanke auch andere Zwecke oder stellt die alten in ein neues Licht. Das Gericht wird für die Fremdvölker wie früher Strafe, denn sie haben sich verschuldet. Aber diese Strafe wird hier nicht so sehr deswegen verhängt, weil allgemein menschliche Normen verletzt wurden, sondern dem erwählten Volke Unrecht geschah. Indem dieses nationale Moment sich eindrängt und des eigenen Volkes Unglück zum Teil als unberechtigt erscheint, wird das Gericht für Israel zum Rechtfertigungemittel. Mit diesem Gedanken beruhigt Hesekiel die Zweifler. Der Verfasser von Mch 7, 7 ff. spricht die feste Erwartung aus, daß Jahwe im Heidengericht „meine ( = des Volkes) Sache führt und mein Recht vertritt, mich ans Licht herausführt, daß ich seine Gerechtigkeit sehe" (v. 9). Unter der Wucht des Unglückes und dem Bewußtsein der vermeintlichen Unschuld tritt stärker als je zuvor der Rachecharakter des Gerichtes heraus. Nahums Prophetie hat hier den Weg vorgezeichnet; schon er verkündigte gegen Assur ein Rachegericht, und die weiche, empfindsame Art, mit der Jeremia die Größe des Unglückes empfand und aussprach, hatte die seelische Disposition noch mehr diesem Rachecharakter angepaßt. Er kam jetzt erschreckend zum Ausdruck. In grimmiger Rache äußert "Jahwe an Edom und Philistäa bei Hesekiel seine Wut; das beleidigte Juda darf selbst mit eigener Hand den Erbfeind vernichten (25,14). Das Endgericht an Gog ist mit diesem Rachegeiste getränkt: vor Judas Augen geht die ungeheure Völkermacht zugrunde, ohne daß Menschenhand dazu sich rührt. Juda aber erntet den Ruhm und Erfolg dieses schrecklichen Ereignisses. Auch bei dem milden Dtjes klingt der Racheton an. „Rache will ich nehmen unerbittlich, spricht unser Erlöser" (47,3). Kräftig herrscht er in den Fragmenten. Er gibt sich darin kund, daß, wie nie in vorexilischer Zeit, jetzt das beleidigte Volk zum Gerichtsvollstrecker wird (Zph 2, 7ff. vgl. Hab 2, 5ff.). Die Rache lebt in den furchtbaren Schilderungen der fremd völkischen Gericht9not,

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vgl. Jes 13 f., wo durch die ganze Darstellung der Ton des Jubels über die gefallene Stadt geht und das gestillte Rachegefühl selbst die Seol aufbringt. Mch 7, 10 wird der Feind wie Gassenkot zertreten, und des Jahwevolkes Augen weiden sich daran. Damit ist unmittelbar gegeben, daß das Heidengericht überhaupt f ü r Israel das Heil bedeutet. Das ist nach zwei Seiten durchgeführt: das Völkergericht bringt die Befreiung und reißt so die Hemmnisse des Heilszustandes fort; aber es ist auch ein Element des Glückes selbst: der Heiden .Vernichtung ist Folie zu Israels Heil. Völlig sind hier die Bande zwischen Eigengcricht und Heil zerrissen. Nicht weil das Gericht bei Israel Umkehr gewirkt, sondern weil die Heidenwelt Jahwe und sein Volk gröblich verletzt hat, muß das Heil kommen, zu dem das Völkergericht gehört. Erst Jahwes richtendes Eingreifen macht Israels ungestörtes Heil möglich. „Sie werden ungestört darauf (auf ihrem Boden, vgl. v. 25) wohnen und Häuser bauen und Weinberge pflanzen und ungestört wohnen, wenn ich Gerichte vollstreckt an allen, die sie verachten von allen Seiten" (lies 27,26). Das kommt auch in dem großen Endgericht Hesekiels zum Ausdruck. Die Völkerwelt ist hier die tendenziös zugestutzte, satanische Macht, welche auf die Störung des messianischen Reiches ausgeht, und durch deren Vernichtung dasselbe erst Bestand erhält. Auf dem blutgetränkten Boden des heiligen Landes, wo das große Abschlachten der Feinde stattfindet (vgl. 39,11), ersteht Israels Glück: ein wirksamer, aber partikular gemalter Hintergrund. Auch bei Dtjes begründet in manchen Aussagen das Heil Israels das Unglück der Heiden. Jahwe gibt (43, 3) fremde Völker um seines Volkes willen hin. Die besiegten Äthiopen und Sabäer fallen vor Israel nieder und erkennen in ihm das wahre Gottesvolk an (45, 14fr. 1 ). Die Fremd Völker bringen sogar das Volk Jahwes selbst} am Busen zurück (49, 22), Fürsten und Könige müssen das Schoßkind bedienen und den Staub seiner Füße lecken (49, 23 2 ). Die Fragmente atmen denselben Geist. Jubelnd wird dem „gedroschenen Tennenkind" (Jes 21,10) der Fall Babels verkündet, der nun die Trübsal beendet. Indem Jahwe allen Quälern Israels den Garaus bereitet, hebt des Volkes Glück an (Zph 3,19f.). Das Heidengericht ist Israels Ruhm und Preis (Zph 3, 20; Hes 39,13). Das 1

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* D U H M hat recht, wenn er erklärt, man möchte wünschen, daß dieser Vers eingeschoben sei. In der Tat widerspricht der Vers der milden altjesajanischen Denkart völlig, so daß man ernste Zweifel an seiner Echtheit nicht unterdrücken kann.

Beihefte i. ZAW. 29.

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plündernde Weltvolk muß eine Beute der Geplünderten werden ( H a b 2, 8). Juda erbt den Rest Edoms und aller Völker, über die Jahwes Name genannt ist (Am 9,12). Während J u d a floriert, sind jene Länder eine „Wüstenei f ü r immer" ( Z p h 2 , 9). Wie nie zuvor geht jetzt das Interesse Gottes mit dem 6eines Volkes zusammen. Die Ohnmacht Jahwes hatte man aus Judas Untergang hergeleitet. Gottes Ehre stand auf dem Spiel. Daraus floß die Heilsbegründung f ü r Juda, daraus erhebt nunmehr der Völkergerichtsgedanke seinen bedeutsamsten Zweck. Hesekiel, der gegen die Bestreiter der Jahweobmacht die Verteidigung führt, hat unausgesetzt das Gericht als Mittel der Jahweverherrlichung hervorgehoben. Diesem Ziele dient auch letztlich sein Goggericht. Indem am Ende der Zeit die gesamte Heidenmacht durch Jahwes Einschreiten eine vernichtende Niederlage erfährt, ist seine Ehre endgültig wiederhergestellt. Gewiß hatte sich schon den vorexilischen Propheten Jahwe im Gericht verherrlicht, und die Reaktion gegen die Völker diente der Durchsetzung seines Wesens, aber das wurde unter dem Einfluß der wachsenden Gotteserkenntnis den großen Propheten Arnos und Jesaja gewiß als Resultat ihres religiösen Lebens, es trug spontan aggressiven Charakter und wurde schlicht als natürlicher Ausdruck der religiösen Bewußtseinszustände dargestellt. Hesekiel aber hat diesen Charakter des Gerichtes nicht als eigenes Erlebnis ausgesprochen. I n seiner angegriffenen Position sucht er nach Defensivmitteln, und je gefährlichere Punkte das ergangene Gericht den Zweiflern bot, desto mehr flüchtete der Prophet in die Zukunft und stellte hier nun die gesamte erhoffte Völkerkatastrophe unter die Devise: Im Heidengericht wird Gottes Wesen kund. Was bei den älteren Propheten schlichte Wahrheit war, das wird ihm zu einem Theologumenon, das er fortgesetzt predigen muß. Dabei ist zu beachten, daß es sich in den Aussagen vom Heidengericht fast nie um die Durchsetzung einer ethischen Macht, sondern lediglich um die des jüdischen Gottes handelt. Ähnliche Gedanken hat Dtjes dargestellt, aber aus teilweise anderer Situation und andersartigen persönlichen Anregungen und Wünschen heraus. Er befindet sich in weit günstigerer Position als Hesekiel. Er lebt zur Zeit der Rückkehr. So fließt ihm der Erweis der Gottesmacht aus der Tatsache der Befreiung Judas, aber sein universaler, freudig aggressiver Gottesbegriff erweist seine Kräftigkeit in weiter Welt überall, wo Widerstände vorliegen, d. h. im Gericht. Die niedergeworfenen Ägypter, Äthiopen und Sabäer bekennen es:

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„Fürwahr, du bist ein verborgener Gott, eine rettende Gottheit" (45,14ff.) ! Die Peiniger Israels müssen das eigene Fleisch essen und wie Most ihr Blut trinken und darin erkennen, „daß ich Jahwe, dein Retter, bin" (49, 26). Aber nicht nur in den konkreten Fällen der Völkerbestrafung tritt die Verherrlichung Jahwes hervor. Das Gericht spielt bei Dtjes in den lyrischen Ergüssen auch auf weitestem Gebiete eine bedeutsame Eolle f ü r Jahwes Offenbarung. „Er, der Fürsten wandelt zu nichts, Erdenrichter gleich Wesenlosem macht, gar ehe sie gepflanzt, gar ehe sie gesät sind, gar ehe die Wurzel treibt in der Erde ihr Stamm: so bläst er in sie, daß sie verdorren, und Sturm trägt sie wie Spreu davon" ( 4 0 , 2 3 f . ) . Es gibt keinen, der von seiner Hand rettet ( 4 3 , 1 3 ) . Der Himmel- und Erdschöpfer (44, 24) ist der, „der zerbricht die Zeichen der Schwätzer und betört die Wahrsager, der die Weisen rückwärts treibt und die Wissenschaft narrt" ( 4 4 , 2 5 ) . Wir sehen hier den Fortschritt gegenüber Hesekiel. Das Gericht ist beiden die Verherrlichung Gottes, aber bei Hesekiel tritt in der Notlage der ersten Exilszeit dieser Gedanke national partikularer und düsterer, ja gequälter hervor. Dtjes, dessen Gott schon in den Ereignissen der Gegenwart seine Rechtfertigung gefunden, bringt den Gedanken des göttlichen Verherrlichungsgerichtes seltener und in milderer Fassung. Bei Hesekiel liegt ein Theologumenon vor, seine Weise ist gesucht, theologisch ungeschickt und grob partikularistisch an Juda gebunden. Dtjes, dem doch Judas Los nicht weniger als jenem mit Jahwe verknüpft ist, hat den lehrhaften Gedanken Hesekiels wohl aufgegriffen, aber mit freudig aggressiver Stimmung in ein festes lyrisches Motiv seines Jahwepreises verwandelt. Das Gerichtswirken ist ihm nicht ein historisch hier und da erlebter Zug in Jahwes Tätigkeit, sondern ein Teil seiner Weltherrschaft überhaupt. Jahwe ist als Weltgott auch ausgestattet mit richterlichen Zügen, die in der prophetisch dichterischen Anschauung immer zu seinem Wesen gehören. Dabei berührt sich Dtjes mit Hesekiel in dem Streben, nicht so sehr die ethische Obmacht zu betonen als vielmehr die bloße Kraft igkeit des göttlichen Wesens. Auch die Fragmente bringen den Gedanken zum Ausdruck, daß der Gerichtsakt Jahwes Wesen verherrliche. In dem Stück Mch 7, 7ff. wird der Gerichtseintritt unter das höhnende Heidenwort: „Wo ist Jahwe, dein Gott?" gestellt, und in der Völkerkatastrophe erweist Jahwe seine Gerechtigkeit (v. 9), die ohne Fremdvolksgericht also ernstlich erschüttert wäre. I n Zpli 2, 7-10 wird die Niederwerfung Judas als Frevel gegen „das Volk Jahwes der Heerscharen" bezeichnet (v. 10; 13*

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B. Die geschichtliche Entwicklung des prophetischen Gerichtsbegriffes.

„mein Volk" v. 8f.) : somit ist Gottes Ehre zur Bestrafung der Völker verpflichtet und verherrlicht sich in der E r f ü l l u n g dieser Hoffnung. Dieses Streben nach eindrucksvoller Verherrlichung Jahwes, ihre Projizierung in die Zukunft, wo die Gedanken schrankenlos sind, und die drängende Art des Rachegefühles haben hier dem Gericht, soweit es Jahwes Wesen offenbaren soll, häufig aufs stärkste den Charakter des Demonstrationsmittels aufgedrückt, d. h. eines Jahweeingreifens, das den Boden der Wirklichkeit verläßt und einer Idee zum Schmuck dient. Die Anfänge liegen schon bei Jesaja. Er hatte aus der volkstümlich mythologischen Welt groteske Züge auf den Gerichtsgott Jahwe übertragen (Kap. 2), und in der Ankündigung des Assyrersturzes lagen die ausschmückenden Elemente deutlich zutage. Zephanja hatte durch die Nichtbegriindung der Völkergerichte, die ihm nur den Rahmen zu Judas Gericht bildeten, und durch die in seiner Anschauung nicht begründete Einführung des Weltgerichtes, in dem Judas Abstrafung nur eine Episode war, den Demonstrationscharakter der richterlichen Jahwetätigkeit weitergebildet, den auch Nahum durch seine groteske Schilderung des Ninivegeriehtes förderte. Das Exil hat auch hier den Abschluß gebracht, insbesondere Ilesekiel in der Schilderung seines großen Endgerichtes (lies 38/39). Ob vorhandene Züge zu diesem großen Gemälde ausgestaltet wurden oder eine — mir unwahrscheinliche — rein dichterische Komposition vorliegt, jedenfalls hat die eigenartige Schilderung nur den Zweck, Jahwes und seines Volkes Verherrlichung aufs deutlichste allen zu demonstrieren. Die in ferner Zukunft angenommene Bedrohung durch geheimnisvolle Mächte, ihr von Jahwe selbst bewirktes Herannahen, die Schilderung der feindlichen Menge und Macht, die übertriebene Art ihrer Vernichtung auf Jahwes heiligem Bergland — alles das ist nur der Ausdruck einer ungebundenen Phantasie, die Jahwes Herrlichkeit und Übermacht im voraus erleben lassen will. Diese grobe Massivierung des göttlichen Verherrlichungsgerichtes tritt bei Dtjes ganz zurück. Ihm offenbart sich Jahwe überhaupt nicht in erster Linie im Gerichtsvollzug. Jahwes Herrlichkeit tritt auch nicht so sehr in einzelnen Gerichtsakten als vielmehr in seinem weltrichterlichen Walten überhaupt hervor. I n den Fragmenten klingen dann hesekielische Gedanken an. So in J e s l 3 f . , dem großen Babelgericht. Obwohl hier nur Babels Katastrophe in Frage kommt und ein Weltgericht undenkbar ist (denn andere Völker vollziehen das Gericht 13,4), geht der Bericht in die Schilderung eines Weltgerichtes über. Die Himmel und Erde umfassende Universalität des

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Gerichtes, die Schilderung des Unheils in seiner Furchtbarkeit und die Anteilnahme der Seol zeigen wieder das Streben nach demonstrierender Ausschmückung. I n düsteren Farben zeigte sich bisher in der Entwicklung das Heidengericht für die betroffenen Völker. Das war auch der Sinn der vorexilischen Anschauungen. Nirgends war bisher das Heidengericht als Ileilsmoment f ü r die Völker angesehen worden. Wir haben allerdings in unseren vorexilischen Prophetenbüchern Stellen, die auf das Heil der Heidenvölker hinweisen. Aber ihre vorexilische Abfassung ist mit starken Gründen angezweifelt worden (vgl. Jes 2,1-4), und weiter — das ist uns das Wichtigste — sind diese frohen Ausblicke nicht in die Beziehung zum Gericht gesetzt. Auch die wenigen Stellen in Jeremias Heidenorakel, die von einer Völkerbekehrung nach dem Gericht reden, können nach dem Wert, den alle diese Weissagungen im Jerbuch haben, nicht in unserem Zusammenhang angeführt werden. Das Exil hat durch Hesekiel diesen düsteren Charakter der Heidengerichte noch vertieft. Die Völker sind hier nur noch Objekte, an denen Jahwes Herrlichkeit und Macht, sowie seines Volkes Ruhm und Recht zum Ausdruck kommt. Da tritt bei Dtjes eine überraschende Wendung ein. Er hat zu den Fremdvölkern ein freundlicheres Verhältnis. Er sieht ja, wie sie Jahwes Volk zu der glücklichen Wendung seines Geschickes verhelfen; er kann sogar den Cyrus als Jahwes „Gesalbten" bezeichnen. Unter diesem Eindruck und bei der Erfahrung, daß Israels Leid den Fremdvölkern durch ihre Kenntnisnahme der israelitischen Jahweverehrung und durch die freundliche Stellung zu ihr von Nutzen war, erwächst ihm der Gedanke von dem Sühnleiden Israels f ü r die Heidenwelt. Es ist daher nicht verwunderlich, wenn er die Völkergerichte, die ihm durch die Erfahrung als wirklich (Eroberung Babels) und durch die Weissagungen seiner Vorgänger als prophetisch-religiös wertvoll bezeugt waren, nicht zu gleichen trüben Bildern ausbauen konnte wie jene, sondern den alten Anschauungen, die er bis zu den von jenen gewollten Zwecken durchaus festhielt, darüber hinaus noch zu freundlichen Zielen verhalf. Er ist nach unseren Quellen der erste, der aus dem Völkergericht f ü r die Heiden Heil erwartet. Er spricht von den Entronnenen der Völker, die nun Jahwes gütige Belehrung annehmen ( 4 5 , 2 0 f . ) , die er retten (-22ff.) und zu sich bekehren will ( 2 4 ; vgl. 4 5 , I 4 f f . ) . Freilich liegt die nationale Schranke auch hier noch vor, indem das Heil sich nur im engen Anschluß an Jahwe, den Nationalgott Judas, ermöglicht, aber der Fortschritt ist trotzdem

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B. Die geschichtliche Entwicklung des prophetischen Gerichtsbegriffes.

unverkennbar. Zum ersten Male ist hier die Universalität der Heilswirkung im Gericht hervorgehoben.

34. Individualismus undEschatologie im exilischen Gerichtsbegriff. Es liegt im Wesen der Prophetie, daß ihre religiösen Anschauungen so wenig individualistisches Gepräge haben. Sie stellt ja die Kundgebung göttlichen Willens von einer höheren Warte aus dar, sie sieht auf das Volksganze, und das Individuum kommt nur als Glied des Ganzen in Betracht.^ Von dem Wert des Gerichtes f ü r das Einzelleben ist darum kaum die Rede. Wir können aber nicht zweifeln, daß der Gerichtsgedanke auch im Dasein des Individuums eine bedeutsame Rolle gespielt hat und nicht bloß im Zusammenhang mit dem Volksleben in Betracht kam. Die Quellen vor Arnos reden davon. Und auch die Prophetenschriften zeigen uns eine solche Bedeutung. Gelten auch die prophetischen Anschauungen in erster Linie der Gesamtheit, so stellen sie sich doch in den Individualitäten der Propheten, also in Einzelpersönlichkeiten, dar und zeigen somit ihre Stellung im Leben der Individuen. Die Gerichtsgedanken, welche die Propheten aussprechen, sind ja nicht formelhafte Wahrheiten, die sie als bloße Leistungen weitergeben. Es sind die Erlebnisse ihrer Seele, in denen ihr eigener Glaube sich ausspricht. Der Gerichtsgedanke ist ihnen der persönliche Glaube, daß alles Unrecht im geschichtlichen Leben seine Strafe findet und Gottes Wesen in seiner Reaktion zur Erscheinung kommt. Arnos und Micha, die düsteren Propheten, haben den herb ethischen Gedanken am gewaltigsten dargestellt. Hosea hat, indem er das Verhältnis zwischen Jahwe und Israel als ein solches zwischen zwei Persönlichkeiten bestimmte, die schmiegsamen Formeln geschaffen, in denen der religiöse Mensch überhaupt Gottes Gerichtswirken empfindet und ausspricht. Jesaja macht dann die Gerichtsverschonung von dem Verhalten der einzelnen praktisch abhängig und kommt infolgedessen zu dem Glauben an die Rettung eines „Restes". Durch persönliche Sammlung sucht er diesen zu schaffen. I h m ist ferner der Gerichtsgedanke ein persönlicher Trost. Seine Propheten- und Patriotenehre hängt vom Gerichtseintritt ab, der seine Rechtfertigung bringt. Aber nirgends hat sich doch die Wirkung und Wertung des Gerichtes im Einzelleben tiefer und reicher dargestellt als in Jeremia (vgl. oben).

2. Die exilische Zeit. — 34. Individualismusu. Eschatologie im exil.Gerichtsbegriff.

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In Hesekiel kommt diese Entwicklung zum vorläufigen Abschluß. "Wie ihm in seinem Leben der Gerichtseintritt ein persönlicher Trost, weil Rechtfertigung, ist, so hat er nun als erster eine Theorie über die individuelle Vergeltung aufgestellt. Jeder ist verantwortlich f ü r sein Verderben resp. seine Rettung. Nicht gilt mehr der alte Grundsatz, daß die Kinder der Väter Schuld büßen müssen. Wie jeder am Gerichtstage erfunden wird, so gestaltet sich sein Schicksal. Hesekiel sieht sich durch den Zweifel seiner Zeit an Gottes Gerechtigkeit zu dieser Weiterbildung veranlaßt. Er muß, um das Wesen der Gerichtsoffenbarung zu retten, jenen Grundsatz aufstellen. Er tut es im souveränen, unbeweisbaren Glauben. Er verfährt dabei in höchster theologischer Ungeschicklichkeit und psychologisch religiöser Unklarheit, indem er die Gerichtsbetrofl'enheit nicht von dem religiösen Gesamtleben des Individuums, sondern von seiner Beschaffenheit im Augenblick des Gerichtseintrittes abhängig macht. So gewiß dieser Standpunkt religiös auf die Dauer nicht zu halten ist und die Verfeinerung religiöser Psychologie hier einen Ansatzpunkt zur Weiterbildung findet, so sehr ist doch mit Hesekiel der Wendepunkt bezeichnet. Er hat den praktisch wohl schon früher hin und her auftauchenden Gedanken der Verantwortlichkeit des einzelnen zu einer Lehre erhoben (vgl. seine Seelsorge). Der Fortschritt, der mit der Formulierung des Individualgerichtes bei Hesekiel erzielt ist, zeigt sich sofort in der zeitlichen Ansetzung des gerichtlichen Eingreifens Jahwes. Indem Hesekiel Sünde oder Rechtverhalten als Bestimmungsgrund der Gerichtswirkung feststellt, setzt er ohne Diskussion im Leben jedes einzelnen einen göttlichen Beurteilungs- und Tatakt an, an welchem nach dem angegebenen Indizium über dessen Schicksal entschieden wird, d. h. er konstituiert f ü r das Gericht einen eschatologischen Akt im Einzelleben.' Das ist gewiß eine Überspannung der Theorie, denn in Wirklichkeit hätte er schwerlich in jedem irdischen Menschenleben einen solchen Akt nachweisen können. Aber er hat damit dem Glauben an das jüngste Gericht vorgearbeitet, dessen andere Wurzel ebenfalls auf hesekielischem Boden im Gebiet des Gesamtlebens aufgegangen ist. Hesekiel hat in seinem Goggericht der Weltgeschichte einen Abschluß gegeben, der ebenfalls eine Entscheidung, hier über den Wert der Völker, gibt: die jahwe- und israelfeindlichen Heiden verfallen dem Untergang, das begnadigte Israel empfängt das selige Endheil. Also ist auch hier ein Endakt gesetzt: die Völkereschatologie. Eine reale Verbindung jener individuellen und der allgemeinen

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B. Die geschichtliche Entwicklung des prophetischen Gerichtsbegriffes.

Eschatologie liegt bei Hesekiel noch nicht vor. Sie wurde erst in der Folgezeit vollzogen (Daniel), aber Hesekiel hat die Elemente dazu geliefert.

35. Rückblick. Das Exil hat eine Reihe wichtiger Weiterbildungen und Abschlüsse gebracht. Es erwies die Realität des Gerichtsgedankens und machte den Besitz einzelner zum Eigentum der Masse. Die Gefährdung durch nationale und religiöse Zweifel wurde von Hesekiel und Dtjes glücklich überwunden, indem allerdings der verstärkte nationale Sinn den größten Einfluß auf die neuen Gestaltungen gewann. Die Herrschaft des absolut ethischen Gerichtsmotives in vorexilischer Zeit wird abgelöst von der Kraft des nationalen Momentes, dem das Ethische nur in gewisser Weise als Grundlage dient. Das Eigenvolksgericht, das früher völlig cthiscli begründet war, wird teilweise als unverschuldet angesehen. Die Überzeugung der Alten von der Gerichtsnotwendigkeit schlägt zum Teil stark ins Gegenteil um und findet sein Regulativ nur an dem Völkergericht. Darum wird das Eigenvolksgericht, bisher völlig motiviert durch das Volksverhalten, nicht mehr allein als Strafe angesehen, sondern gestaltet sich zum Teil für Israel zur Heilsforderung. Für die Zukunft wird Juda aus der Gerichtssphäre fast gänzlich ausgeschaltet, während doch die vorexilischen Propheten auf das Eigenvolksgericht den Nachdruck legten. Das Heidengericht verliert die ethische Fundamentierung gänzlich, das Verhalten gegen Israel und seinen Gott wird der Völker Verhängnis. Ihr Gericht, einst für Israel nie Heilsgrund, ist f ü r das Gottesvolk Rechtfertigung, befriedigender Racheakt, Heilsmöglichkeit und Folie zum eigenen Glück. Während es in vorexilischer Zeit im wesentlichen in Rücksicht auf eine Gesamtheit betrachtet wird, erfährt es durch Hesekiels Vergeltungstheorie die stärkste Individualisierung. Im Gegensatz zu den vorexilischen Propheten, die nur die Gegenwart und nahe Zukunft in den Gerichtsbereich ziehen, schafft Hesekiel f ü r das Einzel- und Gesamtleben die Gerichtseschatologie. Dtjes bringt den universalen Heilszweck des richtenden Jahweeingreifens zur höchsten Ausgestaltung, indem er Israels Gericht durch den Sühnegedanken für die Heidenvölker zum Mittel ihrer Segnung macht und auch dem Völkergericht selbst die Abzielung auf ihre Beseligung zuweist.

3. Die nachexilische Zeit. — Vorbemerkung.

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Sieht man auf die Gesamtfortbildung der Gerichtsgedanken im Exil, so könnte man, wenn man das Eindringen des national partikularen Standpunktes in den freien Spielraum altprophetischer Kreise erwägt und die dadurch benötigte Verengung der einzelnen Gedankenkreise wahrnimmt, von einem Bückschritt sprechen. Indessen hat die starke Nationalisierung des Gerichtsbegriffes dem Fortschritt gedient. Jene partikulare Fortbildung ist ein Ergebnis der Zeitumstände und als solches notwendig. Große Gedanken werden immer nur von wenigen bedeutenden Männern gewonnen und können dann nur unter gewissen Modifikationen Gemeingut werden. So konnten auch die vorexilischen Gerichtsideen in der eigentümlich prophetischen Fassung vom Volk als Eigentum nur übernommen werden, indem das nationale Moment sich verstärkte.

3. Die nachexilische Zeit Vorbemerkung. Aus den uns vorliegenden nachexilischen Quellen eine Entwicklung der prophetischen Gerichtsanschauungen geben zu wollen, bedeutet den Versuch, ein Mosaik mit einem geringen Bruchteil der nötigen Steine herzustellen. Diu Durchsetzungskraft und weite Wirkung der prophetischen Gerichtsidee wird durch alle schriftlichen Quellen der nachexilischen Zeit bewiesen. Das gesamte Leben des Judentums ist von ihr beherrscht. Indem das Volksleben unter die gesetzlichen Normen gespannt wird, gestaltet sich der Gerichtsbegriff zu einem konstitutiven Element des Nomismus, dessen notwendiges Korrelat er bildet. I n den apokalyptischen Kreisen, die trotz und neben allem Halten am Nomismus in phantasiereichen Bildern die Zukunft erwarten, ist er ein unentbehrliches Stück der Endzeit. Seine fundamentale Bedeutung f ü r den einzelnen offenbart sich im Psalter. Die religionsphilosophische Betrachtung quält sich im Hiob und in verwandten Schriften (Prediger, yj 73) mit den schweren Problemen, die die Gerichtsanschauung dem einzelnen und der Gottesidee stellt. Die Historie verrät ihren Einfluß in der Tätigkeit des Chronisten und des Deuteronomisten, die über Israels Geschichte den Wechsel von Schuld und Strafe als Schleier gebreitet haben. Das alles sind Auswirkungen jener exilischen Gerichtsidee. Aber wir gehen an ihnen vorüber, da uns hier nur der Stoff in unserem Prophetenkanon beschäftigt. Nun ist uns das nachexilisch prophetische Material nur

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spärlich gegeben. Man bedenke, daß die wenigen Schriften — wenn wir Daniel als Endpunkt nehmen — sich auf fast 400 Jahre verteilen. Die Ansetzung mancher wird stark umstritten, wenn auch bei anderen eine wesentliche Übereinstimmung erzielt ist. Dazu kommt noch das Bedenken, daß nicht alle in unserem Prophetenkanon gegebenen Schriften sich als prophetisch erweisen. Es strömen vielmehr in ihnen verschiedenartige Geistesrichtungen zusammen, die wir aber nicht alle als prophetisches Gut werten können. Und endlich wird noch zu erwägen sein, daß wir uns im Zeitalter prophetischen Nachwuchses befinden. Das Alte ist, ihm eine Schatzkammer, aus der man einzelnes nach Neigung und Bedarf entnimmt. Eine fortlaufende Linie der Entwicklung wird bei solchem Verfahren nicht immer klar zu sichten sein. Wir werden daher die nachexilische Periode als ein Ganzes ins Auge fassen und ihre Anschauungen denen der Exilszeit vergleichend gegenüberstellen. Wo es möglich ist, innerhalb kleiner Kreise einen Fortgang wahrzunehmen, wird es vermerkt werden. Wir betrachten die Periode wieder unter dem Gesichtspunkt des Eigenvolks- und Völkergerichtes, da dieser die Vergleichung mit der früheren Epoche erleichtert und durch die gesteigerte partikular nationale Entwicklung auch sachlich begründet ist.

36. Das Eigenrolksgericht. Das Eigenvolksgericht tritt nach der Rückkehr stärker hervor als im Exil. Seine kräftigere Geltung ist verständlich. Im Exil lag das Gericht als eine gegenwärtige, drückende Last allen auf. Wozu sollte da noch von einem künftigen Gerichtsakt gesprochen werden, zumal da das gefangene Volk sich jetzt reuig unter Jahwes Hand beugte! Die heißersehnte Rückkehr kam, der Idealismus, in der Ferne riesengroß, schwand auf heimatlichem Boden. Wieder treten nun die Flecken an Judas Körper hervor und damit die Gerichtsforderung. Dazu kommen die seelischen Depressionen, welche der traurige Zustand der nachexilischen Gemeinde in den Juden auslöst. Man sucht den Grund in Jahwes Unzufriedenheit und findet, daß das Volk oder einzelne Klassen ihm nicht wohlgefällig sind und so die endgültige Restituierung hindern. So ist das Gericht am Platze. Doch läßt sich nicht verkennen, daß der Gedanke des Eigenvolksgerichtes in der spätnachexilischen Zeit in jeder Beziehung auffallend zurücktritt. Namentlich am Ausgang der persischen Epoche und in der von Alexander dem Großen eingeleiteten Entwicklung, d. h. nach-

3. Die nachexilische Zeit. — 36. Das Eigenvolksgericht, a) Die Gerichtsintensität.

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dem Juda von der verhältnismäßig stillen Oberherrschaft der Perser in die unruhige Zeit jener großen politischen Umwälzungen gewiesen wird, schweigen die prophetischen Gerichtsdrohungen gegen Juda ganz (Jes 19. 23. 33. 34 f. 25,1-4; Apok. J e s 24—27; Jer 46—49. 50/51; Ob l i e h 4,11 ff.; 7,11 ff.; Na 1 , 1 - 8 ; Hab 3; Sach 12 f . ) oder weisen immer weniger den tiefen Ernst der alten Zeit auf (Sach 9 f. 14. J o ; Jes 2G, 1-19. Daniel). Schon in der frühnachexilischen Periode wird nicht mehr die Anschauung der vorexilischen Zeit erreicht. Das Exil gibt andere Betrachtungsweisen an die Hand. Überschauen wir die einzelnen Kreise! a) D i e G e r i c h t s i n t e n s i t ä t . Die vorexilischen Propheten hatten Israel den Untergang geweissagt. Es ging ihnen um die Existenz des Volkes, und sie waren bereit, deren Vernichtung im Glauben zu ertragen. Das Exil hatte dann die politische Existenz des Gottesvolkes in der Tat vernichtet. Damit war jener furchtbare Gedanke in E r f ü l l u n g gegangen, man konnte ihn nicht mehr als quälendes künftiges Problem empfinden. Wenn nun auch Juda wieder unter dem Drängen der Verhältnisse in die Gerichtssphäre fiel, so durfte doch nach allgemeinem Glauben diese Jahwereaktion nicht mehr am Volksbestand rütteln, zumal man überzeugt war, daß durch jene entsetzliche Katastrophe das alte Verhältnis zwischen Gott und Volk wiederhergestellt sei und ein Grund zu einem neuen Vernichtungsakt nicht mehr vorliege. Daher trifft denn das Gericht auch nur Volksteile oder f ü h r t , wo das ganze Volk erfaßt wird, doch nur zu einem milden und in der Folge segens^ reichen Jahweeingreifen. Bei Ilaggai ängstigen die von Jahwe verhängten Plagen wie Dürre und Hungersnot vorübergehend das Volk. Protosach. sieht nur einzelne wie Ehebrecher und Meineidige vom Gericht betroffen. Maleachi hebt ebenfalls nur wenige Klassen (Priester, Ehebrecher, Skeptiker) hervor, und seine Gerichtsdrohung treibt zur Buße mit der festen Erwartung des Erfolges (3,23). Bei Tritojes kommen auch nur einzelne Kreise in Betracht („die Gottlosen"), bei Joel zwar das ganze Volk, aber zu einem sicher erwarteten Heilszweck. Sach 12 f. spricht nur gegen die Propheten (13,2ff.). Schärfer wird die Fassung in Sach 11,4-17; 13,7-9 und Sach 14. Jenes dunkle Stück kündet ein außerordentlich herbes Sichtungsgericht über Juda an, aber es ist wahrscheinlich, daß hier vorexilische Quellen benutzt sind; auch ist der scharfe Ton wohl durch die in dem Stück hervortretende Parteileidenschaft hervorgerufen. Sach 14, 2 ist

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B . Die geschichtliche Entwicklung des prophetischen Gerichtsbegriffes.

mit Recht wegen seiner Kürze und Unmotiviertheit kritisch verdächtig. Aber auch wenn wir den Vers als echt ansehen, fällt doch auf, wie schnell der Verfasser über die herbgeschilderte Plünderung Jerusalems hinweggeht und sich der das volle Glück bringenden Völkerbesiegung zuwendet. Man gewinnt den Eindruck, daß die Bedrohung Jerusalems in der Endzeit eine feste Form der Erwartung ist; gerichtliche Momente sind in der Stelle nicht angedeutet. Auch bei Daniel unterliegen nur die Hellenenfreunde der richterlichen Jahwetätigkeit. Der Überblick zeigt uns, daß in der Tat jene furchtbare Intensität des Gerichtsgedankens am Eigenvolk nicht mehr wirksam ist. b) D i e G e r i c h t s b e g r ü n d u n g . Der Gerichtsgrund liegt in Judas oder einzelner Klassen Sünde. Die alten Gedanken wirken hier zum Teil fort. Doch zeigt sich insofern eine Entwicklung, als das sozial-sittliche Moment verhältnismäßig stark zurücktritt und das kultische in der Begründung eine größere Rolle spielt. Hesekiel war hier vorangegangen. Bei Ilaggai ergibt die Vernachlässigung des Tempelbaues, bei Maleachi eine Reihe kultischer Vergehen (Nichterfüllung der Gelübde, Umgehung der Abgaben, Darbringen schlechter Opfer, Mischheiraten) die Gerichtsnotwendigkeit. Tritojes weiß neben ethischen Anstößen insbesondere fremdkultisclie Bestrebungen zu nennen. Joel, der zwar in herzlichen Worten die Buße fordert, läßt die vom Gericht gewirkte Umkehr unter Weinen, Fasten, Versammlungen, Sopharblasen u. a. erreichen. In Sach 12 f. wird den Propheten, einem im religiösen Leben diskreditierten Jahweorgan, das Gericht angedroht. I n Jer 17,19 ff. begründet die eventuelle Verletzung einer kultischen Pflicht (des Sabbathgesetzes) die Jahwereaktion. In all diesen Zügen zeigt sich die Entethisierung des Gerichtsbegriffes, die im Exil schon begonnen hat. Das wird uns weiter bestätigt durch die Beobachtung, daß vielfach in nachexilischer Zeit erst aus vorliegenden Unglücksfällen auf eine Sünde geschlossen wird; denn Haggai, Protosach, Maleachi, Tritojes und Joel argumentieren auf Grund vorliegender Tatsachen. Die Gerichtserkenntnis bekommt hier wie in voramosscher Zeit teilweise wieder einen postumen Charakter. Es fehlt auch nicht selten, besonders in der späteren Entwicklung, die Grundangabe f ü r das Eigenvolksgericht ganz oder zum mindesten eine vertiefte, konkrete Sündenerkenntnis, ein Zeichen, wie wenig den Autoren manchmal

3. Die nachexilische Zeit. — 36. Das Eigenvolksgericht, c) Das Parteigericht.

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daran liegt (Jes 2G, 1-19; Sach 9f.; Joel). Es kommt dann gar zu dem exilischen Gedanken, daß das eigene Gericht infolge der Grausamkeit der Feinde ein zu großes und somit unverdientes sei. „Weil ein doppeltes Maß Schande und laute Beschimpfung ihr Teil war, darum werden sie Doppeltes in ihrem Lande erben, ewige Freude werden sie haben" (Jes Gl, 7). „Ich zürnte wenig, aber sie wirkten dahin, daß Verderben zustande kam" (Sach 1,15). Charakteristisch fällt weiter auf, wie die politische Richtung einzelner Volksklassen f ü r die Grichtsbegriindung herangezogen wird (Tritojes, S a c h l l , 4 f f . , Daniel; vgl. c). Diese Tendenz macht sich namentlich von der Mitte des 5. Jahrhunderts an geltend. c) D a s P a r t e i g e r i c h t . Der veränderten Zeitlage nach kann sich das Gericht nun auch zum Mittel in dem Parteikampf gestalten. I n vorexilischer Zeit waren die Propheten allein die Träger ihrer eigenartigen Gerichtsidee. N u r wenige teilten ihre herben Anschauungen, meist standen sie allein. Parteien, die f ü r ihren Gerichtsglauben Stellung nahmen, gab es kaum. Das war erst möglich nach dem Exil. Unter der Wucht dieses Ereignisses ist der Gerichtsgedanke der Propheten in abgeschwächter oder strenger Form das Gut einer Mehrheit geworden. Fortan hat durch alle Wandlungen der jüdischen Geschichte ein Teil des Volkes an den strengen Auffassungen der Propheten festgehalten. Ihnen stehen die Laxeren oder wohl oft nur die weniger Orthodoxen gegenüber. Auf dem Boden der Theokratie, wo alles Handeln sofort ins religiöse Licht gesetzt wird und alles Innerpolitische als religiöse Betätigung hervortritt, müssen diese Gegensätze ganz besonders scharfen Charakter annehmen. Die Frommen, die der strengen Observanz angehören und wohl nicht selten durch die andere Partei terrorisiert werden, erwarten dann ein Eingreifen Gottes. Seit der Mitte des 5. Jahrhunderts tritt diese Entwicklung deutlich hervor. In dieser Zeit entsteht ja in dem Kleinstaat in besonders akuter Weise das Parteitreiben und hat fortan die religiöse und politische Volksgeschiclite beherrscht. Tritojes redet von diesem Kampf der Gerechten und Gottlosen, den Jahwe richtend einst f ü r seine Frommen entscheiden wird. Bei Maleachi tritt die Gegenpartei, die über die Gericlitserwartung spottet und lustig in den Tag leben will, kräftig hervor. Aber ihre Vertreter gehen zugrunde, während die Frommen, die Jahwe ins Erinnerungsbueh schrieb (3,16)j in der Endkatastrophe verschont werden. Hab 1,1—4.12—14 wendet sich der Fromme unter

206

B. Die geschichtliche Entwicklung des prophetischen Gerichtsbegriffes.

den Vergewaltigungen des Gottlosen mit fester Hilfeerwartung an Jahwe. Auch Sach 13 f. weist dem Gericht die Bedeutung eines Parteimittels zu, indem Jahwe als Beseitiger des mißliebigen Prophetenstandes erscheint (Kap. 13). Im Danielbuch trifft das richterliche Jahweeingreifen in der Endzeit die Hellenenfreunde und Verräter der strengen väterlichen Religion. d)

DasEachegericht.

Gerade auf dem oben behandelten Gebiete verschärft sich das Gericht mehr als früher zur Bache. Von Bache hatten die Propheten auch sonst gesprochen, namentlich Hosea, Jeremia, Hesekiel und die exilischen Fragmente. Aber sie war bisher Gottes Werk, und Hosea wie Jeremia, die den Bachegedanken hin und her gegen das eigene Volk verwendeten, gebrauchten ihn nur, um die persönliche Getroffenheit ihres Gottes anthropopathisch darzustellen. Es lag darin keine Wirklichkeit (vgl. Hos 11, 8 b ff.). Zu richtiger Auswirkung kam der Bachegedanke erst in der akut heidenfeindlichen Stimmung während des Exils. In der nachexilischen Zeit, in den Kämpfen der Parteileidenschaften, ist die Stätte f ü r den Bachegedanken auch im Eigenvolksgericht bereitet. Der gottlose Volksgenosse, der verpflichtende nationale Grundsätze göttlicher Art übertritt, ist ein schlimmerer Gegner als der äußere Feind. Dazu tritt die religiöse Gereiztheit der von den Parteigegnern terrorisierten Frommen. Der Bachecharakter zeigt sich vor allem in den Gerichtsschilderungen, die in ihrer Art dem verletzten Gemüt wohltun. Wie das Parteigericht überhaupt scheint auch dieser Bachegeist seit den innerpolitischen Kämpfen Esras und Nehemias besonders zu gedeihen. Stark klingt er bei Tritojes wieder. Jahwe zieht Bachekleider an; er hat seine Lust an den Mißhandlungen der Gottlosen; er läßt die Frommen sattsam essen, trinken und fröhlich sein, während er in grellem Kontrast die Gottlosen als hungernd, durstend, in Schmach und Herzensgebrochenheit hinstellt. Besonders abstoßend wirkt das Schlußwort seines Buches: „Und geschehen wird's, jeden Monat am Neumond und jede Woche am Sabbath "Wird kommen alles Fleisch, anzubeten vor mir, spricht Jahwe: Da gehen sie hinaus und weiden sich an den Leichen der Männer, die von mir abtrünnig wurden,

3. Die nachexilische Zeit. — 36. Das Eigenvolksgericht, e) Rechtfertigungsmittel. Denn ihr "Wurm stirbt nicht, und ihr Feuer verlischt nicht, Und sie werden ein Abscheu sein für alles Fleisch." (Jes 66, 2 3 F . ; nach

207

DOHM).

Auch der mildere Maleachi läßt ähnliche Anschauungen zu. Indem an jenem Tage die Frommen „umherspringen wie Mastkälber", werden sie mit eigenen Füßen die Frevler „niedertreten; denn sie werden zu Staub unter euren Fußsohlen werden" (Mal 3, 20f.). Die einer Partei mißliebigen Propheten in Sach 13 werden von den eigenen Eltern durchbohrt (v. 3). e) D a s G e r i c h t

als E e c h t f e r t i g u n g s m i t t e l des F r o m m e n .

Positiv gesehen, erweist sich dieses Gericht, das sich unter der Gewalt religiöser Leidenschaft zum Eachemittel gestalten kann, als Eechtfertigungsakt des Frommen. Es ist ihm unter allen Nöten der Zeit Trost und Anwalt seiner Sache. Wenn auch die oberflächlichen Skeptiker spotten, der Gerechte weiß, daß Gott alles ins Erinnerungsbuch schreibt, und getröstet sich des Endtages, wo sein Recht im Gericht über die Frevler zur Darstellung kommt. „ I h r werdet den Unterschied sehen zwischen dem, der Gott dient, und dem, der ihm nicht dient, zwischen dem Gerechten und dem Frevler" (Mal 3,18). N u r in Eücksicht auf die Frommen verschiebt bei Tritojes Jahwe noch das, Gericht an den Gottlosen, um den Treuen durch deren Vernichtung nicht mitzuschaden, aber er wird dem Gerechten, der unter der Nachlässigkeit der Volksführer, der „stummen H u n d e " (Jes 60,10) mitleidslos vergewaltigt wird, zum Eecht verhelfen (57, l ) . „Ich werde ihn heilen und ihn leiten und erstatten Tröstung ihm und seinen Trauernden, Schaffend Frucht der Lippen, Frieden, Frieden dem Nahen und Fernen. Doch die Gottlosen sind wie das aufgewühlte Meer, denn zu ruhen vermag es nicht, Und seine "Wellen wühlen Schlamm und Kot auf — kein Friede, spricht mein Gott, den Gottlosen! (Jes 57, I S T — 2 0 ; nach D U H M ) .

Am entsetzlichsten kommt dieser Eechtfertigungsgedanke Jes 66, 23f. zum Ausdruck: während der Fromme seinen Gott anbetet, liegen draußen die Leichen der erschlagenen Abtrünnigen, und der Gerechte weidet sich nach frommer Andacht an ihrem Anblick. Man

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B. Die geschichtliche Entwicklung des prophetischen Gerichtsbegriffes.

sieht, zu wie unheiligen Stimmungen der überspannte Drang nach Rechtfertigung hier führt. In H a b 1,1-4.12-14 wird die Sehnsucht nach dem Recht des Frommen zu einem verzweifelten Schrei zu Gott, dessen reine Augen doch die Vergewaltigung des Gerechten nicht ansehen dürfen. Hier verankert sich das bange, religiöse Leben geradezu im Gerichtsgedanken. Mit ihm steht und fällt die Religiosität. Das Gericht am Gottlosen ist Glaubensrettung und -Stärkung. Das ganze Buch Daniel ist eine große Rechtfertigungsschrift des verfolgten Gerechten, dem auch nach dem Tode noch die Erweisung seines Rechtes in der Leistung des Lohnes und in dem aburteilenden Gericht des Gottlosen verheißen wird (12,2). Es ist lohnend, die Stellung der einzelnen vor- und nachexilischen Frommen zum Gericht miteinander zu vergleichen. Der Unterschied fällt sofort auf. In vorexilischer Zeit sprach immer eine bestimmte Persönlichkeit, die einen ganz individuell orientierten Standpunkt hatte: ein Jesaja, ein Jeremia u . a . Ihre persönliche Stellung zum Gericht kann sich nie decken mit einer allgemeinen, ihre Motive und Hoffnungen gehören in der besonderen Art nur ihnen zu. I n den nachexilischen Stücken tritt uns eine solche bestimmt umgrenzte Individualität nicht hervor. Hier erscheint keine scharf umrissene Einzelperson, die nur ihre eigene Auffassung vertritt, sondern der Typus des Gerechten. Das, was die nachexilischen Stücke wiedergeben, ist immer Ausdruck einer Mehrheit. Daher ist die Rede stets von „Gerechten", „Frommen" und andererseits von „Gottlosen", „Frevlern". So gewinnt auch das Gerichtsverhältnis hier etwas Typisches. Auch Hab 1. 1—4.12—14, wo das persönliche Gefühl so stark hervorbricht, tritt doch das allgemeine kräftig a u f : Indem der Gerechte vom Gottlosen vernichtet wird, verlacht man die Wahrheit, und das Recht kommt nimmer ans Licht (1,4). f) D e r H e i l s C h a r a k t e r d e s G e r i c h t e s . Die eben dargestellte Bedeutung des Gerichtes weist schon auf seine Stellung zum Heil überhaupt. Hier offenbart sich eine völlige Verschiebung zur vorexilischen Zeit. Arnos und Micha hatten auf die Heilsbedeutung überhaupt keinen Wert gelegt. Die übrigen vorexilischen Propheten hatten allerdings mehr oder weniger von einer Heilszukunft gesprochen, auch wohl gewisse Beziehungen derselben zum Gericht behauptet. Aber es ist charakteristisch, daß sie ihren Gerichtsbegriff durchgehends nicht an der Zukunft orientierten, d. h. sie redeten von dem Gericht nicht so sehr um einer positiven, dadurch

3. Die nachexilische Zeit. — 36. Das Eigenvolksgericht, f) Der Heilscharakter usw.

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zu schaffenden Zukunft willen. Das zeigt sich deutlich darin, daß ihnen (mit wenigen Ausnahmen) die Zukunft als ein Geschenk oder eine Neuschöpfung Jahwes erscheint und das Gericht nur eine zeitliche Verbindung mit dem Heil aufweist. Selten wird der positive Erfolg des Gerichtes in der Buße als Heilsgrund erwähnt, selten ist überhaupt von der glücklichen Zukunft die Rede. So wird das Gericht bei den vorexilischen Propheten vorherrschend an der Vergangenheit und Gegenwart orientiert, es ist als notwendige Folge der Sünde betrachtet. Hier tritt die kausale Betrachtung viel stärker als die finale hervor. Das Exil hat jenem Kausalgesetz zur Befriedigung verholfen, um so mehr macht sich nunmehr der Finalgedanke geltend. Judas Gericht gewinnt seine Hauptbedeutung jetzt in Rücksicht auf die Zukunft. Das geschieht besonders in der spätnachexilischen Zeit, in der die eschatologische Betrachtung überhaupt überwiegt. So gestaltet sich das Gericht nunmehr zu dem großen Heilsmittel. So gewiß alle Züge vorexilischer Gerichtspredigt jetzt wiederkehren, so weist doch die Verschiebung des Gesichtspunktes den einzelnen Gedanken andere Stellungen an. Wie sehr das Volksgericht dem Heilsgedanken untergeordnet ist, ergibt die Übersicht. Wenn alle Tendenzen auf die Heilsgewinnung drängen, muß im Gerichtsbilde der Strafcharakter zurücktreten. Das ist in der Tat der Fall. N u r peripherisch klingt er noch an. Stärkere Tönung gewinnt er nur, wo an das vergangene Exilsgericht erinnert wird (Hag, Protosach) oder die unfromme Gegenpartei als Gerichtsobjekt gedacht ist, welch letztere ja aber bei der Heilsgewinnung völlig ausscheidet. Naturgemäß tritt der pädagogische Zweck des Gerichtes stärker hervor, auch kräftiger als in vorexilischer Zeit. Diese hatte zwar durch die Gerichtsdrohung prophylaktisch pädagogisch zu wirken gesucht, aber das Gericht selbst erschien recht selten als dementsprechendes Mittel. Das verschiebt sich jetzt. Ist die Heilsgewinnung f ü r das Gottesvolk das unverrückbare, im Bewußtsein vorherrschende Ziel der nachexilischen Epoche, so muß eben auch das Gericht dazu helfen.; es erzieht die Nation zur Heilswürdigkeit. Bei Haggai wirkt das Gericht auf die Saumseligkeit der Juden, die den Tempelbau vernachlässigen und damit den Beginn der Heilszeit verzögern. Maleachi warnt unter den Beweisen göttlichen Zornes die schnell zur Ehescheidung Bereiten und mahnt die „Betrüger Jahwes" zur Erfüllung der kultischen Pflichten. Sach 9 f. wird des Gerichtes als Erziehungsmittels gedacht: „ I n der Ferne werden sie Beihefte z. ZAW. 29.

14

210

E. Die geschichtliche Entwicklung des prophetischen Gerichtsbegriffes.

mein gedenken" (10, 9). Bei Joel steht das ganze Volksgericht einzig unter dem Zweck der Erziehung. „Zerreißet euer Herz und nicht eure Kleider und kehret zu Jahwe, eurem Gott, zurück; denn gnädig und barmherzig ist er, langmütig und huldreich und läßt sich reuen des Übels" (2,13). Jes 26,1—19 war die Züchtigung Jahwes dein frommen Volke ein segensreicher „Zauberzwang". Ebenso betonen den Heilszweck des Gerichtes jene Stimmen, die eine Sichtung des Volksbestandes fordern. Protosach will die Meineidigen und Ehebrecher getilgt sehen, Tritojes erwartet die Vernichtung der gottlosen Partei, Maleachi stellt die Ausrottung der Skeptiker in Aussicht. Eine herbe Sichtung sehen die Verfasser von S a c h l l , 4—17; 13,7—9 und Sach 14, 2 im Anzüge (doch vgl. dazu oben). Sach 13 verwirklicht sich das Heil unter anderem durch die Vernichtung der mißliebigen Propheten, in Hab 1, 1—4.12—14 durch Vertilgung der Gottlosen. Im Endgericht Daniels vollzieht sich die Trennung sogar noch in einer Auferstehungsperiode. Überall führt das Gericht Zustände herbei, die den Eintritt des Heils ermöglichen. In diesem Zusammenhange kehrt auch der exilische Gedanke wieder, daß das im Gericht erlittene Leid zur Heilsberechtigung werde. Tritojes weiß von dem „doppelten Maß Schande" und der „lauten Beschimpfung" zu berichten, die für Gott Anlaß zu doppelter Segnung wird (61, 7). Dem Protosach haben die Heiden über Jahwes Willen hinaus dem Volke Schlimmes angetan, ein Grund, Juda nunmehr alle Güter zuzuführen. Dem Verfasser von Hab 1,1—4.12—14 ist das Leid, unter dem der Fromme seufzt, eine ernste Aufforderung an Gott zur Hilfe für den Gerechten. Die Tendenz, das Gericht zum Heilsmittel zu gestalten, hat sogar, wenn ich recht sehe, auch zu einer Erstarrung des Glaubens an ein Eigenvolksgericht geführt. Dem entscheidenden, großen Endgericht geht ein Vorgericht an Israel voraus, das eigentlich nur die Tendenz hat, das Gottesvolk jenem zu entnehmen. Die Anfänge dieser Entwicklung liegen weit zurück. Jesaja hatte das Eigenvolksgericht vor die Bestrafung der Assyrer gesetzt, ohne jedoch dieses Weltvolksgericht ausdrücklich als Heil für das Eigenvolk zu bezeichnen. Diese Verbindung hatte in gewisser Weise Hesekiel vollzogen. Er sieht, bevor das große Endgericht dem Heil Judas die endgültige Sicherung schafft, ein Eigenvolksgericht in der Wüste, welches die Exilierten durch Sichtung in den völlig gottgefälligen Zustand setzt und es ermöglicht, daß bei jenem eschatologischen Gericht Juda nicht nur nicht mitbetroffen wird, sondern ganz schuldlos

3. Die nachexilische Zeit. - 36. Das Eigenvolksgericht, g) Das Zurücktreten Jahwes. 2 1 1

erscheinen kann. Diese Gedanken haben sich in nachexilischer Zeit zu festen Formen niedergeschlagen. Bei Maleachi entzieht noch in etwas anderer Wendung das Kommen des Propheten Elia das Volk dem Endgericht. Bei Joel gilt die Heuschreckenkatastrophe als das Vorgericht, dessen wohltätig pädagogische Wirkung J u d a dem Endgericht ganz entzieht. Auch in Sach 14,2 sehe ich in der Nichtbegründung des Volksgerichtes und dem schnellen Übergang zu der Heidenkatastrophe einen Ausdruck f ü r diesen formelhaften Gebrauch des Eigenvolksgerichtes. Daniel hat gar die ganze Periode vom Exilsbeginn an bis zu dem großen eschatologischen Akt als eine Gerichtsverfallenheit des Gottesvolkes angesehen und ihren Zweck in der Läuterung erblickt, die besonders durch die Drangsal der letzten Zeit im Volk bewirkt wird (9,24). g) D a s Z u r ü c k t r e t e n J a h w e s i n d e n A n s c h a u u n g e n vom Gerichtszweck. Bei den bedeutendsten Propheten der vorexilischen Epoche war das Gericht notwendig geworden, weil das sittliche Wesen Jahwes fortgesetzt in absoluten Gegensatz zu des Volkes Zustand trat. Demgemäß war Gottes Reaktion die Durchsetzung seines Wesens. So geht in vorexilischer Zeit neben den auf das Volk gerichteten Zwecken kräftig das Jahweinteresse einher, ja ist ihnen meist übergeordnet. Das Exil brachte darin keine Wandlung. Gerade weil im Volk und in der Völkerwelt die Gerichtstatsache ernste Zweifel an Jahwes Macht und Wesen erzeugte, wurde mit größtem Nachdruck betont, daß dieses Gericht Jahwes Größe zeige. Nach der Rückkehr wurde die Situation eine wesentlich andere. Jahwes ethisches Wesen und seine Macht war eine selbstverständliche Größe, die nach dem Siege des prophetischen Gerichtsgedankens kaum noch angezweifelt wurde. Damit tritt aber auch in den Gericlitsanschauungen das Interesse f ü r Jahwes Durchsetzung wesentlich zurück. Freilich ist eine völlige Ausschaltung Jahwes naturgemäß unmöglich. Bei dem engen Zusammenhang zwischen Volk und Gott, den die Theokratie geschaffen hat, und nach der Geschichte des Gerichtsbegriffes ist natürlich auch Jahwe bei jedem Gerichtsvollzug beteiligt und erhält dadurch die Wertung seines Wesens. Aber der beherrschende Gesichtspunkt ist doch ein wesentlich anderer geworden. Wo auch immer Jahwes Zorn sich äußert, kommt im Bewußtsein nicht so sehr die Durchsetzung Jahwes zum Ausdruck als vielmehr die Empfindung, daß das Volksheil gefährdet oder gehemmt sei und nun durch ein Jahweeingreifen 14*

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B. Die geschichtliche Entwicklung des prophetischen Gerichtsbegriffes.

richterlicher Art gefördert werden müsse. Niemals sprechen jetzt die prophetischen Aussagen den Sieg göttlichen Wesens als bedeutsamstes Gerichtsziel an, sondern sie greifen sofort zu dem ihnen höheren Zweck, der auf einen irgendwie durchs Gericht ermittelten Heilszustand führt. h) Z u s a m m e n f a s s u n g : D i e r e l a t i v g e r i n g e W e r t u n g des E i g e n v o l k s g e r i c h t e s . Gewiß tritt der Wert des Eigenvolksgerichtes nach der Rückkehr stärker hervor als im Exil. Überblicken wir es aber nach Umfang und Bedeutung nur im Kähmen der nachexilischen Zeit, so ergibt sich, daß die im Exil aufstrebende Tendenz, Juda künftigen Gerichtsakten, insbesondere dem großen Endgericht zu entziehen, weiter durchgedrungen ist. Sie tritt zutage 1. in dem schon äußerlich geringen Umfange der Berichte über das Eigenvolksgericht, wenn wir die gesamte nachexilische Prophetenliteratur überschauen, vgl. oben; 2. in der Schwächung des Gerichtsernstes durch die Milderung des Straf Charakters; 3. in der Erschütterung der straffen Gerichtsbegründung durch die Einführung des kultischen Momentes, durch das hin und her vorkommende Fehlen einer inneren Motivierung, durch die Schuldbeteiligung Jahwes (der Israel verstockt hat: Jes 63, 17) und der Völker (durch ihre Übergriffe) und endlich durch die den vorexilischen Gerichtsernst erheblich gefährdende Meinung, daß Jahwe Israels Unrecht auch wohl übersehe oder einfach beseitige (vgl. die Entfernung des Bosheitsweibes Sach 5,5 ff. und die sündentilgende Quelle Sach 13, l ; das Übersehen der Sünde Mch 7,18ff.; Jes 33,14f.). In letzter Beziehung wird Jahwes Gnade ein gefährlicher Konkurrent seiner gerichtlichen Gerechtigkeit; 4. in der beherrschenden Stellung der Heidengerichte s. unten; 5. in der Betrachtung des Gerichtes als Weges zum Heil und damit in der Darstellung desselben als eines vorübergehenden Mittels; 6. in der teilweise erstarrten Form des Eigenvolksgerichtes, die sich deutlich in seiner Stellung als Vorgericht zeigt.

3. Die nachexilische Zeit. — 37. Die Völkergerichte, a) Der Gerichtsumfang.

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37. Die Völkergerichte. Schon im Eigenvolksgericht war das nationale Interesse überall durchschlagend gewesen, selbst Jahwes Interesse war zurückgetreten. Diese gesteigerte Nationalisierung des Gerichtsbegriffes beherrscht nun vollends unter dem starken Einfluß Hesekiels die gesamte Begriffssphäre des Völkergerichtes. Sie steht gänzlich unter den Dispositionen eng nationalen Denkens und Glaubens und sucht von diesem partikularistischen Standpunkt aus das Gerichtsgemälde zu Judas prätendierter Bedeutung in eine immer innigere Beziehung zu setzen. a) D e r

Gerichtsumfang.

Das Gericht greift in dieser Periode auf alle Völker über: Edom (Mal; Ob I u - 1 1 ; J o ; J e s 3 4 f . ; Jer 25. 49), Moab ( J e s l ö f . 25,9-11; J e r 2 5 . 48), Ammon (Jer 25. 49), die Philister ( J o ; S a c h 9 f . ; Jes 14, 28ff.; J e r 47), Tyrus und Sidon (Jo; S a c h 9 f . ; Jes 23; Jer 47), Araber ( J e r 25. 49), Ägypten (Sach 9 f.; Jes 19; J e r 25. 46; Sach 14), Damaskus, Hadrak, Ilamath (Sach 9 f . ; Jer 49), Assur ( = Syrien; Mch 5, 4; Sach 9 f . ) , Elam ( J e r 4 9 ) , Babel (Protosach; J e s 2 6 ( ? ) ; Jes 33 (?); Jer 50/51), Jawan (Sach 9 f.), Ninive (Jon), die Völker schlechthin (Protosach; Mch 5,6ff.; 7, llff.), viele Völker (Mch 4, llff.), alle Völker (Hag; S a c h l 2 f . 14; J e s 3 4 f . ; J o ; O b 1 1 ) , alle Königreiche des Erdbodens (Hag; Jer 25, 26), die großen Weltreiche, besonders die Seleucidenmacht (Dan), die Erde und ihre Bewohner ( H a g ; Jes 24—27; J e s 3 4 f . ; Mch 7, llff.), der Himmel und sein Heer (Jes 24. 34f.), die Engelwelt (Jes 24; Dan). Man erkennt hier die ungeheure Expansität des Gerichtsbegriffes; er hat jetzt alle bekannten und unbekannten Völker in seine Sphäre gezogen, ja er abstrahiert von politischen Gebilden überhaupt, ist eine Erscheinung f ü r Menschen und Ilimmelswesen, er umspannt jetzt Erde und Himmel im eigentlichen und weitesten Sinne. Schon in dieser äußeren Ausdehnung verrät der Gerichtsbegriff sein Hinauswachsen über die exilische Zeit. Diese ungeheure Steigerung der räumlichen Gotteswirkung tritt besonders in der spätnachexilischen Epoche hervor. Die unruhige Zeit Alexanders des Großen und die syrischen Nöte haben der seit Arnos aufstrebenden Tendenz nunmehr den schrankenlosesten Spielraum gewährt, unterstützt von dem Aufkommen der apokalyptischen Richtung.

214

B. Die geschichtliche Entwicklung des prophetischen Gerichtsbegriffes.

b) D i e

Gerichtsbegründung.

Es ist charakteristisch, wie häufig bei den Heidenorakeln der Gerichtsgrund nicht angegeben ist: H a g ; Tritojes; Sach 12 f. 14; Jes 19. 23. 25,1-4.9-11 (nur en passant die Hoffart genannt). 34 f.; meist Jer 46—49. Wir sehen, wie wenig den Autoren an diesem Grunde liegt, oder wie selbstverständlich er ihnen ist. In der Tat liegt hier dieselbe Entwicklung vor wie bei dem Eigenvolksgericht: das Zurücktreten der kausalen Betrachtung. Wie das Gericht am Gottesvolk als Durchgangspunkt zum Heil betrachtet wird, so auch die Völkerkatastrophe. Nicht da die Heidenvölker schuldig sind — das ist selbstverständlich —, tritt das Gericht ein, sondern weil ein Effekt erzielt werden soll. Darum wird sogar vielfach eigens ein Grund f ü r das Yölkergericht konstruiert, zumal in der spätnachexilischen Zeit. Hesekiel hat die Bahn gewiesen. Er ließ die gesamte Völkerwelt unter Gog den Ansturm auf das messianische Reich machen und konnte sie so im Potenzpunkt ihres widergöttlichen Strebens vernichten lassen. Er hat Nachfolger gefunden. Auch bei Joel ziehen die Völkerscharen gerüstet gegen Jahwe und Jerusalem. Sach 12 f. sammeln sich alle Völker wider Jerusalem, Sach 14 streiten alle Völker wider die heilige Stadt. Meli 4, 11 ff. wollen viele Völker Zion entweihen. Daniel sieht die ganze Geschichte der großen Weltreiche als widergöttliche Entwicklung an und findet in der schrecklichen Religionsverfolgung des Antiochus Epiphanes jene traditionelle Erwartung vom Völkersturm verwirklicht. Man gewinnt den Eindruck, daß dieses Volkergericht eine feste Form der Zukunftserwartung bildet und seine Begründung mehrfach erst in der Bedrohung Jerusalems konstruiert wird. Wir sehen hier eine Versteinerung der Gerichtsidee, hervorgerufen durch die Prinzipalität des Finalgedankens. Die innere Begründung liegt fast ausnahmslos in dem national jüdischen Interesse. Das erweisen jene oben angeführten Schuldkonstruktionen sowie die Tatsache, daß, auch wo die Schuldangabe fehlt, der Zweck auf Judas inneren oder äußeren Gewinn geht. In zahlreichen anderen Fällen wird zudem das Verhalten gegen Juda als Gerichtsgrund gekannt. Das gilt namentlich f ü r die Nachbarvölker Moab, Ammon und Edom, welch letzteres sich besonders verschuldet zu haben scheint. Bei Protosach (1,15) hat Babel Juda mehr angetan, als Jahwe willens war. Sach 9 f. will J a h w e künftig keinen Gewalthaber mehr im Volke dulden (9, 8). Jes 25, 1—4 haben die Frechen und Tyrannen der „Feste" die Niedrigen und Armen ( = Juden) bedrängt. Jes 33 klagt über die Bäuber u n d

3. Die nachexilische Zeit. — 37. Die Völkergerichte, c) Als Strafe und Rache. 2 1 5

Vergewaltigen Auch wo wie in Jes 24, 5; 26,21; Mch 7,13 von der Verschuldung der Erde und ihrer Bewohner überhaupt die Rede ist, ergibt die durch Jahwes richtende Tätigkeit hergestellte Heilssicherung Judas den speziellen Gedanken, daß jene Vergehen an Juda verübt sind, aber in der Rhetorik und schrankenlosen nationalen Phantasie als Weltfrevel erscheinen. Gesteigerte Entethisierung und Nationalisierung, Versteinerung und formaler Methodismus, das sind die teilweise neuen Faktoren der nachexilischen Gerichtsbegründung. c) D a s V ö l k e r g e r i c h t a l s S t r a f e u n d

Rache.

Je mehr vielfach die Gerichtsbegründung zurücktritt, desto bedeutsamer ist die Betrachtung am Gerichtsziel orientiert. Eine Fülle von Beziehungen wird hier deutlich. Es ist charakteristisch, wie die Beurteilung Judas in Prophetenkreisen wechselt, wenn der Gegensatz zu den Völkern vorliegt. Während man an sich geneigt ist, im Volksinnern Mängel anzuerkennen, erscheint doch die Volksgröße religiös und moralisch intakt, wenn sie den Fremdvölkern gegenübertritt. Der vorexilische Gedanke, daß jene Völker berechtigte Vollstrecker des Jahwegerichtes an Juda seien, ist gänzlich geschwunden. Schon Hesekiel hatte bei dem sichtenden Wüstengericht, das Juda zu dem Endheil würdig machte, die Völker als Organ ausgeschieden. Der Jahwezorn über Juda hatte, wie man glaubte, im Exil seine Befriedigung erfahren, das eigene Volk ist nunmehr in Ansehung der Heidenwelt dem Gericht zu entnehmen. Und doch trugen die wechselnden Verhältnisse, in die die Geschichte das Volk drängte, diesem hochgespannten Glauben keine Rechnung. Um so mehr mußte die Behandlung Judas durch jene Völker das eigenartig zarte, religiös-politische Gefühl der Juden verletzen. So nahm denn jedes wirkliche oder erhoffte Gericht an den Heiden einen kräftigen Strafcharakter an. Protosach droht mit Strafe, weil die Völker Jahwes Augapfel angetastet haben (2,12). Maleachi, Ob 11 und der Verfasser von Jes 34f. verkünden die strafende Vergeltung, weil Edom „ein Land des Frevels" ist und „Frevel am Bruder Jakob" begangen hat. Joel weiß den Strafcharakter des Völkergerichtes durch zahlreiche Hinweise auf Vergewaltigungen Judas zu stützen. Jes 25,1-4 kündet den Frechen, Jes 33 den räuberischen Tyrannen, Jer 50/51 den Drängern Judas die Strafe an. Daniels Endgericht bringt die entscheidende

216

B. Die geschichtliche Entwicklung des prophetischen Gerichtsbegriffes.

Strafe über den frechen, übermütigen Griechenkönig und die von ihm repräsentierte Weltmacht. Überall waltet das nationale Moment aufs stärkste vor. Der Frevel ist nicht Verstoß gegen eine sittliche Norm überhaupt, sondern gegen ein Volk, das diese Norm geschichtlich präsentiert. Daraus begreifen sich auch jene Straffolgerungen, die von allgemein menschlichem Unrechttun auszugehen scheinen (Mch 7,13; Jes 24, 5; 26, -21). Juda ist der ideale Mittelpunkt der Weltgeschichte. Da liegt es nahe, die an ihm verübten Vergehen als weltbefleckende darzustellen. Auch wenn hier au Frevel gedacht ist, die nicht an Juda begangen sind, wird doch ihre Heranziehung nur verwendet, um die Schuld an Juda zu verstärken. Wir sehen also, daß der Strafcharakter sich im wesentlichen an Juda orientiert. Die national enge Fassung des Strafgerichtes hat seit dem Exil eine fruchtbare Entwicklung genommen. Damit hängt der ungeheuer schroffe Charakter des Rachegerichtes zusammen. Von den vorexilischen Propheten hatte nur Nahum ernstlich diesen Zug betont. Unter der Wucht des Exilsunglückes war er erstarkt (Hesekiel). Die nachexilischen Verhältnisse waren wenig dazu angetan, ihn zu mildern. Wir hören von fortgesetzten Schmähungen gegen die Juden durch die Heiden und besonders die Nachbarvölker. So mußte eine tiefe Erbitterung entstehen. Dazu kam, daß das Jahwevolk fremden Mächten unterstand und die Behandlung nicht immer eine glimpfliche war. Der leidenschaftliche, religiös nationale Enthusiasmus sah jede geringe Verletzung als ein Verbrechen schweren Grades an, und die Erbitterung steigerte sich um so mehr, je weniger man sie bei der politischen Unfreiheit zum Ausdruck bringen durfte. Desto kräftiger legt sich die Erbitterung in das erwartete Gericht und feiert hier in unerhörten Rachebildern seine Befriedigung. Hesekiel findet gelehrige und vielleicht nicht ungeschicktere Schüler. Während in der frühnachexilischen Zeit unter der milden Perserregierung und im Andenken an die empfangenen Wohltaten die Töne noch milder klingen, setzen in der zweiten H ä l f t e des 5. Jahrhunderts die scharfen Klänge ein, und man schafft unerhörte Schreckensbilder. Jahwe hat einen Tag der Rache in seinem Herzen, er zertritt die Gegner, daß sein Gewand vom Blute trieft (Jes 63, 4). Obadja, Maleachi, Jes 34, Jer 49 kennen f ü r Edom nur völlige Vernichtung. Bei Joel rächt Jahwe das Blut des Volkes, die ganze Heidenwelt ist eine massa perditionis. S a c h 9 f . 1 2 f . ; O b 1 1 ; Mch 4, 11 ff.; Jes 26,6 dürfen die Juden selbst die Eache vollziehen. Sie

3. Die nachexilische Zeit. — 37. Die Völkergerichte. d) Als Trost usw.

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treten auf Helden wie auf Gassenkot (Sach 1 0 , 5 1 ) . „Sie treten 2 nieder die , werden ihr Blut trinken und werden voll davon wie die Opferschale" (Sach 9,15 b ). „Sie fressen links und rechts alle Völker ringsum" (Sach 1 2 , 6 b a ) . Furchtbar klingt die Schilderung Sach 14,12 b : Jahwe „wird ihr Fleisch vermodern lassen, und ihre Zunge soll in ihrem Munde vermodern". Häßlich berührt das Kachegefühl in Jes 25,9—11 dem Erbfeind Moab gegenüber: „Doch zerstampft wird Moab unter sich, wie zerstampft wird ein Strohbündel im Misttümpel" (Jes 25, 10 3 ). Jes 34 f. kommt es zu einer großen Abschlachtung der Völker, insbesondere Edoms (34,2. 6), wobei die Berge vom Blute triefen (3). Mch 7, 11 ff. müssen die Völker Staub lecken und an der Erde kriechen. J e r 48,10 stellt die schreckliche Devise a u f : „Verflucht, wer sein Schwert zurückhält vom Blute!" Auch durch J e r 46—49. 50 f. klingen diese Bachetöne, besonders in dem Babelorakel. d) D a s

V ö l k e r g e r i c h t als Trost Rechtfertigung.

und

Das f ü r uns Anstößige im Rachegericht wird gemildert durch die in der Tat nicht selten elende Lage des Staates. I n den Nöten, die das Volk im Laufe der geschichtlichen Ereignisse hinnehmen mußte, lag ein ungeheurer Widerspruch zu der eigenen Schätzung und der darin gesetzten Wertung der Theokratie. I n Zeiten, wo solche Lagen keine Besserung erhoffen ließen, löste sich jene Spannung in der Gerichtserwartung, die als bedeutsames Trostmittel empfunden wurde. Man sah über das gegenwärtige Leid hinweg, weil das Gericht den Ausgleich schaffen mußte. I n vorexilischer Zeit war der Gedanke, daß das Heidengericht Trost f ü r Israel sei, kaum aufgetaucht. Aber Ansätze lagen vor. Nahums Rachegericht barg ihn in sich, und die Verbindung des Eigenvolks- und Völkergerichtes bei Zephanja (und Jeremia?), f ü r die keine Begründung gegeben wurde, gab in der Tat dem Eigenvolksgericht einen mildernd tröstenden Zug. Hesekiels Schilderung des Endgerichtes wollte die Mutlosen aufrichten. Wir werden dabei in Bücksicht ziehen müssen, daß dieser tröstliche Charakter des Fremdvölkergerichtes bei den nationalen Propheten wie überhaupt in Volkskreisen stets eine erhebliche Bolle gespielt hat. 1

L. mit W e l l h a u s e n C ^ i a a S (statt ':ö) und t r t » (statt '£33). Die massorethisohe Lesung sbp, ist unverständlich. ' Statt Q ¡•Möna ist wohl 'mit Kittel '72 ">7:3 zu lesen. 2

218

B. Die geschichtliche Entwicklung des prophetischen Oerichtsbegriffes.

Aber die Motive dazu sind stärker geworden. Der feste Glaube an die eigene Prärogative und Jahwes Macht gibt das Recht auf Trost, und in der Gerichtserwartung kommt dieser unverrückbare Glaube zum Ausdruck. Haggai tröstet sein Volk, das unter den kümmerlichen nachexilischen Verhältnissen verzagt. Um ein weniges will Jahwe Himmel und Erde erschüttern. Es ist rührend und menschlich groß, in so elender Lage einen so grandiosen Trost zu zeigen. Protosach tröstet das Volk, das „ein Fluch unter den Heiden" ist, mit dem Heidengericht. Sach 0 f. stellt den Volksgenossen die künftige Freude vor Augen, die ihnen im Heidengericht erwächst. Dann „"wird ihr Herz fröhlich sein wie vom Wein" (10, 7). „Du warst ein Hort der Niedrigen, Hort dem Armen, als er bedrängt war", jubelt ( J e s 2 5 , 4 a ) ein unbekannter Autor, indem er sich in die Drangsalszeit versetzt. So wissen sich auch die Elenden des Volkes (Jes 14, 32) geborgen in dem von Jahwe gegründeten Zion, während über die Philister das Gericht hereinbricht. Unter der Bedrückung des Vergewaltigers ruft (Jes 33, 2) das gemißhandelte Volk Jahwe an: „Jahwe, sei uns gnädig, auf dich hoffen wir! Sei ihr Arm allmorgendlich, ja unsere Hilfe in Drangsalszeit!" Jes 26, 20 soll das Volk einen Augenblick sich bergen, während draußen Jahwes Grimm vorüberzieht. Im Hinblick auf das Heidengericht kommt dem Verfasser von Meli 7, 11 ff. die tröstende Gewißheit: „Er wird sich unser wieder erbarmen, unsere Schuld unter die Füße treten und in die Tiefe des Meeres all unsere Sünde werfen. Du wirst Jakob Treue erweisen" (19.20 a ). Das ganze Buch Daniel will eine Trostschrift sein, indem es in der Bedrängnis der Syrerzeit durch den Hinweis auf das große Endgericht die wankenden Seelen aufzurichten sucht. Der Trostgedanke spielt hier also eine bedeutsame Holle. Aber er ist nicht nur ein quietives Element, sondern wirkt aggressiv. Der Jude begnügt sich nicht damit, jetzt befriedigt zu sein; das Gericht muß auch einst sein Recht herausstellen. Es wird ihm zum Rechtfertigungsgericht. Schon in den vorexilischen Prophetenschriften spielt das Gericht als Rechtfertigungsmittel eine gewisse Rolle, wie auch in der Zeit vor Arnos naturgemäß das Völkergericht einen rechtfertigenden Charakter mit besessen haben wird. Aber vor Arnos gründete sich dieser Zug auf eine schwankende, weil willkürliche Grundlage. Bei unseren großen vorexilischen Propheten lag durchaus kein Grund vor, f ü r das sündige Israel eine Rechtfertigung zu suchen. Es kam daher das Völkergericht kaum als Rechtfertigungsmittel für die Volks-

3. Die nachexilische Zeit. — 37. Die Völkergerichte. d) Als Trost usw.

219

gemeinschaft in Betracht. N u r einzelne Propheten wie Jesaja und Jeremia hoben hervor, wie das Gericht f ü r ihre persönliche Rechtfertigung Bedeutung gewönne. Ein Umschwung tritt mit dem Exil ein. Das hat seinen besonderen Grund. Die Rechtfertigungsidee tritt da stark hervor, wo eine als hohe Aufgabe empfundene Sache unter Hemmnissen oder gar starkem Widerspruch sich durchsetzen muß. Die Propheten vertraten eine solche Aufgabe und mußten naturgemäß im Gericht ihre Anerkennung sehen. In diesem Sinne war das Exil ihre gewaltige Apologie. In der Verbannung trat nun, indem das Volk sich unter die prophetischen Gedanken stellte, die Wendung ein, daß das Gesamtvolk (wohl unter Dtjes' Einfluß) sich als Träger der prophetischen Ideen und als Organ des prophetischen Gottes ansah, das in seinem geschichtlichen Leben eine ideale Aufgabe verkörpere. In diesem Lichte mußte dem Volke alles Heidengericht als Rechtfertigung des eigenen Wesens und Wollens dienen. 1 Die erhöhte Bedeutung des Rechtfertigungscharakters kommt in den Quellen deutlich zum Ausdruck. Sie scheint besonders gegen Ende des 5. Jahrhunderts sich kräftiger geltend gemacht zu haben, seitdem also Judas Religion durch fremde Einflüsse innerer und äußerer Art bedroht wurde. Die Priester sollen nach Jo 2,17 zu Jahwe beten: „Verschone, Jahwe, dein Volk und mach' dein Erbe nicht zum Hohn^ daß nicht die Heiden über sie spotten! Warum soll man unter den Heiden sagen: Wo ist ihr Gott?" Unter der Wucht des Gerichtes verzweifeln die Feinde an aller ihrer Macht, sie legen die Hand auf den Mund, ihre Ohren werden taub. Immer wieder taucht dieser Gedanke in J e r S O f . auf. „Gar ernstlich wird er ( = Jahwe) ihre Sache verfechten, zur Ruhe bringen die Erde und Unruhe schaffen den Bewohnern Babels" (50, 34 b ) . „Ans Licht gebracht hat Jahwe unsere gerechte Sache" (51, 10). Jahwe erklärt sich selbst bereit, Judas Sache zu führen (51,36). Diese Rechtfertigungsart des Gerichtes betätigt sich in der weiten Welt. „Auf dem Weg der Gerichte harren wir dein", spricht der Verfasser von Jes 26,1 ff. aus. „Wenn deine Gerichte der Welt werden, lernen das Recht die Bewohner des Erdreiches" (9 b ). Dies Recht ist natürlich das Judas. Darum können die Gerechten ( = J u d e n ) unter dem Walten des Gerichtes den Jubelruf erheben: „Sieg dem 1

Eine ähnliche Betrachtung hatte schon die josianiache Reform geschaffen. Sollte Hab 2, l—4.12—14; 2, l—4 wirtlich der vorexilischen Zeit angehören, so könnten wir die oben erwähnte, im Exil mächtig angeregte Bewegung schon in viel früherer Zeit sich anbahnen sehen.

220

B. Die geschichtliche Entwicklung des prophetischen Gerichtsbegriffes.

Gerechten" (Jes 24,16) ! Im Habakukpsalm spricht der Sänger im Hinblick auf diese Tätigkeit Gottes, welche dem Armen zum Rechte verhilft (3,13.15), jubelnd vom Gott seines Heiles. Daniels Gericht bringt am Ende aller weltgeschichtlichen Entwicklung Judas wertvolles Volkstum und ererbte Religion wieder zur Anerkennung. Dieses Hervortreten des Rechtfertigungscharakters war erst möglich nach dem Exil und stellt nun in seiner kräftigen Auswirkung eine bedeutsame Entwicklung dar. e) D a s V ö l k e r g e r i c h t a l s n o t w e n d i g e r des j ü d i s c h e n H e i l s s t a n d e s .

Faktor

Wir sahen schon oben, daß bei der Vorstellung vom Eigenvolksgericht die Erreichung des Heiles dem Juden als höchstes Ziel galt. Dasselbe zeigt sich auch auf dem Boden des Völkergerichtes. Zur Gewinnung eines Heilszustandes f ü r das Volk Jahwes ist in konkreten oder eschatologischen, phantastischen Betrachtungen das Heidengericht ein notwendiger Durchgangspunkt, ja vielleicht mehr als das, es ist z. T. ein unverrückbares, konstitutives Element der Heilszukunft selbst. Schon Nahum und später Hesekiel hatten jubelnd das Gericht als des Volkes Befreiung begrüßt. Im nachexilischen Judentum und insbesondere während der reizbaren religiösen Stimmung der spätnachexilischen Zeit, welche die .Fremdherrschaft allmählich als eine widernatürliche Knechtung des Gottesvolkes empfand, ersehnte man wie nie zuvor die Befreiung. Das Warten auf Rettung durch ein Völkergericht kam in den Nöten der Syrerherrschaft besonders drängend zum Ausdruck. Indem Jahwe seine Hand gegen die Babylonier schwingt, gibt er .seinem befreiten Volke Gelegenheit zur Flucht in die Heimati (Sach 2, 10-13 *). Wohl bedeckt „Finsternis die Erde und Dunkel die Völker" (Jes 60, 2), aber nach Jerusalem „kommen deine Söhne von ferne, u n d . deine Töchter werden auf der H ü f t e getragen" (Jes 60,4). Im Gerichtskampf mit den Heiden (Sach 9,13) läßt Jahwe Zions Gefangene frei (v. I i ) ; er erlöst und sammelt sie, während er die Völker stürzt (10, 8ff.). Er rettet Zion im Gericht aus der Vergewaltiger Hand, versichert ein uns unbekannter Dichterprophet (Jes 33,22). F ü r Daniel ist das Endgericht die Rettung im Höhepunkt der Gefährdung. 1

Nach LXX wird in lesen sein.

V.

10

(statt ' « 3 ) und

TIRAP

(statt TTO-IE)

ZU

3. Die nachexilische Zeit. — 37. Die Völkergerichte,

e) Als Heilsfaktor usw.

221

I n glücklicheren Epochen besingt man dankbar das Gericht als den Inaugurationsakt gottgegebener Freiheit und als den ständigen Schutz des gegenwärtigen Glückes. Jer 50/51 wird die im Fremdvölkergericht gewonnene Aussicht der Befreiung in immer neuen Ansätzen gepriesen. I m Hinblick auf diese befreiende und rettende Tätigkeit Jahwes bricht der Verfasser des Habakukpsalmes in den Jubel aus: „Ich frohlocke in Jahwe, ich juble über den Gott meines Heiles" (Hab 3, 18). Das Gericht schafft positive Schätze aus der Katastrophe. Haggai sieht, wie die vom Gericht betroffenen Völker ihre Kostbarkeiten herzubringen und damit das gegenwärtig dürftige Gotteshaus geschmückt wird (2,7). Bei Protosach gewinnt Juda nach der Bestrafung der Feinde seinen Besitz völlig zurück (2,16). Tritojes wird nicht müde zu schildern, wie der Reichtum der Völker, die Jahwe in blutbespritzten Kachekleidern so grausam geschlagen, ins heilige Land strömt: des Meeres Fülle, der Völker Vermögen, ein Strom von Kamelen und Dromedaren, kedarenische Schafmengen, Gold- und Silbermassen, die kostbarsten Holzarten (Kap. 60f.). Wenn Jahwe den Vergewaltiger vernichtet, dann fließt reiche Beute dem mißhandelten Juda zu (Jes 33, 22). Tyrus muß (Jes 23,15ff.) seine übel erworbenen Schätze Juda zum Gebrauch überlassen. Zion entringt (Mch 4,13f.) den „vielen Völkern" alle Schätze f ü r Jahwe (und damit f ü r Juda selbst). Ob 15a—21 gewinnt Juda alle einst ihm gehörigen und von ihm beherrschten Gebiete zurück. Dem Jahwevolk liegt schließlich die ganze Heidenwelt huldigend zu Füßen. J e mehr der national-religiöse Stolz des Judentums mit der zunehmenden Abschließung wuchs, je weniger aber andererseits seitens der Heiden ihm Rechnung getragen wurde, um so dringender mußte der Wunsch werden, diese Fremdvölker die Wahrheit der jüdischen Prärogative fühlen zu lassen. Es ist dem Juden nicht genug, sein Glück wiederhergestellt zu sehen, er braucht auch die Anerkennung und das demütige Zugeständnis der Zweifler, das, wenn nötig, durch das Gericht erzwungen wird. „Bekannt wird unter den Völkern ihr Name und ihre Sprößlinge inmitten der Nationen. Allo, die sie sehen, erkennen sie an, daß sie der Same sind, den Jahwe gesegnet." (Jes 61, 9 nach DUHM).

Die „Erinnerer" (himmlische Wächter? D U H M ) sollen Jahwe nicht Ruhe geben, bis er aufrichte und mache Jerusalem zum Ruhm auf

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B. Die geschichtliche Entwicklung des prophetischen GerichtsbegriüFes.

Erden (Jes 62, 7). Barbaren müssen Zions Mauern bauen und ihre Könige ihm dienen (Jes 60,10). Fremde stehen und weiden Zions Kleinvieh, Barbaren sind seine Ackerer und Winzer (61,5). Am religiös angreifbarsten wirkt aber das Gericht, sofern es unter hartem Zwang Proselyten schafft und sie durch äußere Nötigung an Judas Religionsgemeinschaft kettet. Jes 26, 9 spricht in noch milder Weise den Grundsatz aus, daß durch die Gerichte die Bewohner des Erdreiches das Recht lernen ( = Judas Religion). „Es werden zu dir gebückt gehen die Söhne deiner Bedrücker und Verächter und werden dich nennen Stadt Jahwes, das Zion der Heiligen Israels" (Jes 60,14). Unter der Wirkung der Gerichtstätigkeit Jahwes (Sach 2, 13f.) schließen sich viele Völker Jahwe an (15). In höchst charakteristischer Weise schwärmt derselbe Verfasser (8, 22f.) : „In jenen Tagen werden zehn Männer aus allen Zungen der Völker den Zipfel eines Juden ergreifen und sprechen: Wir wollen mit euch gehen, denn wir haben gehört, die Gottheit sei mit euch!" Noch schärfer tritt der Proselytenzwang durch das Gericht in Sach 14 hervor: Die Völker, welche, wie etwa Ägypten, nicht zum Hüttenfest heraufziehen, erhalten von Jahwe keinen Regen. Ebenso wird nach Jes 19 den Ägyptern Hilfe von Jahwe zuteil, wenn sie blutige und unblutige Opfer darbringen und Jahwe Gelübde geloben; sonst plagt er sie fortgesetzt (20ff.). Hier dient das Gericht dazu, die Völker in der Proselytenzucht und damit in der jüdischen Einflußsphäre zu erhalten. . In besonderer Weise scheint mit der fortgehenden Theokratisierung und den großen Ereignissen der letzten Perserzeit und der syrischen Epoche der klaffende Widersprach zwischen dem jüdischen Ideal einer religiösen Weltherrschaft und der Wirklichkeit empfunden worden zu sein. Von der Wende des 5. Jahrhunderts an gewinnt die Theorie vom Völkersturm an Bedeutung und beherrscht die folgende Zeit (Jo; S a c h l 2 f . ; 14; Jes34f.; Mch 4, llff.; 5, 6ff.; Ob 1 1 ; Dan). Aber diese Gefährdung des Gottesvolkes endigt stets mit der Vernichtung der Gegner, und Juda beherrscht nach dem Völkergericht dann die Situation. Im Danielbuch bringt das Endgericht die Vernichtung der Weltreiche und die universale, ewige Herrschaft des Jahwevolkes. Die Gespanntheit des nationalen Wertbewußtseins, verbunden mit der ungeheuer kraftvollen, zur Entfaltung drängenden Gottesidee, treibt, je weniger meist das Ideal in der Wirklichkeit erreicht wird, die Phantasie zu schrankenloser Ausgestaltung der Zukunft und damit des Gerichtsbildes. Die Gerichtsdarstellungen wirken daher oft

3. Die Dachexilische Zeit. — 37. Die Yölkergerichte. f) Das univers. Endgericht.

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wie Dekorationen. Das beweisen die scharf gezeichneten Kontraste, in denen Heidengericht und Judas selige Z u k u n f t so eng zusammenrücken. Die Heiden werden erschüttert — ihre Kostbarkeiten zieren Jahwes Tempel (Hag 2 , 7 ) . Alle Throne der Königreiche stürzt Jahwe um und vernichtet ihre Macht — doch Zerubbabel, seinen Diener, macht er zum auserwählten Siegelring ( H a g 2,22f.). Man vergleiche dazu, wie in Sach 9 f. Heidengericht und Judas Beglückung durcheinanderfließen. Das Blut der Gegner strömt in f ü r sie erfolglosem Kampfe dahin, aber Juda trinkt ihr Blut, und am selben Tage gibt Jahwe den Jünglingen und J u n g f r a u e n des heiligen Volkes Korn und Most (9,15 ff.). Durch das Meer Ägyptens 1 ziehen die befreiten Juden (10,11 a ) — doch Assurs Herrlichkeit stürzt, und Ägyptens Stab entfernt Jahwe, seinen Namen aber rühmen die Seinen (12). Auf die Hirten ist Jahwe erzürnt und will an den Böcken Heimsuchung üben (10, 3) — aber die Seinen sind Helden (4). Die Feinde liegen wie Gassenkot (5) — das erstarkte Juda und Haus Joseph wird von Gott erhört (6) : wir sehen, wie eigenes Heil und fremdes Unglück ineinanderfließt. Dem Zwecke, eine wirksame Folie zu Judas Eigenglück zu schaffen, dienen auch jene langen Schilderungen der Fremdvölkergerichte in Jer 46—49. 50f.; Jes. 19. 23. 33. 34f. Sie sind große Dekorationsstücke. Nie wurde in vorexilischer Zeit das fremde Gericht in so ermüdender Weise geschildert. N u r Nahum hat in der Freude erfüllter Rache Ninives Unglück weit ausgemalt. Sonst sind die Ankündigungen der vorexilischen Propheten änigmatisch kurz, nie gewinnt man bei ihnen den Eindruck behaglicher, selbstgefälliger Breite, den so oft diese nachexilischen Stücke hervorrufen. Mit dieser Freude an den langen Schilderungen verbindet sich gern das Streben, Ausdruck und Bilder möglichst durchschlagend zu gestalten. Das Material liefert uns der folgende Abschnitt, s. d. f) D a s u n i v e r s a l e E n d g e r i c h t . Alle Einzeltendenzen, die den Gerichtsbegriff schufen und förderten, haben sich ihren gemeinsamen Ausdruck geschaffen in der Vorstellung von dem großen Endgericht, das in sichtbar steigender Entwicklung an Bedeutung gewinnt und gegen Schluß unserer Periode zum notwendigen Inventar der Heilszukunft gehört. Alle Zwecke kommen in ihm zur R u h e : Durchsetzung des Ethischen, Prinzipalität 1

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224

B. Die geschichtliche Entwicklung des prophetischen Gerichtsbegriffes.

Jahwes, Trost und Rechtfertigung Judas, seine Befreiung, seine Rache, sein Glück, seine Weltherrschaft und prinzipielle Erhebung in den Abschluß der Weltgeschichte. Der eschatologische Weltgerichtsgedanke hat eine lange Geschichte. Er ist n u r zum Teil aus streng richterlichen Tendenzen hervorgegangen. Viele Einflüsse anderer Art haben, sich angliedernd, zu seiner Bildung beigetragen. Arnos hat durch Aufstellung seines sittlichen Prinzipes in den Gerichtsgedanken die innere Tendenz aufs Universale gelegt. Aber indem er Jahwe in dem Gerichtsvollzuge mit rein machtartigen Zügen ausstattet (Erderschütterung, Sonnenfinsternis), beweist er, wie schon bei ihm alte naturhafte Gedanken den reinen GerichtsbegrifF extensiv verstärken. Jesaja f ü h r t die Gerichtsanschauung praktisch auf das Weltgebiet. Noch stärker als bei Arnos zeigen sich bei ihm die Einflüsse der durch naturhafte Anschauungen angeregten Erweiterungstendenz in der Gerichtssphäre, da die von ihm ausgesprochene Weltweite des Gerichtes in den realen Tatsachen seiner Zeit kaum ihren zureichenden Grund fand. Die Manassezeit hat durch Hineinwerfen babylonischer Religionselemente auch die israelitischen Anschauungen kräftigst ins Universale gedrängt. Sie gibt ihnen, wenn ich recht sehe, den Blick aufs Kosmologische. So spricht denn Zephanja den Weltgerichtsgedanken als eine in der eigenen Ideenwelt an sich unbegründete, feste Formel aus. Bei Hesekiel wirkt der Druck des von Volksgenossen und Feinden ausgesprochenen Zweifels an Jahwes Macht nur zur Festigung des Glaubens an Jahwes weltweites Richten. Er projiziert als erster das Völkergericht in die Endzeit und durchtränkt die Gerichtsideen mit apokalyptisch mythischen Elementen. Seine Vorstellungen mit ihren grotesken Ausmalungen sind das Programm der Zukunft geworden. Sie erfahren nun in nachexilischer Zeit durch die eigenartige Situation eine kräftige Verstärkung. Der universale Standpunkt wird wie nie zuvor unter den politischen Veränderungen gefördert, die namentlich seit Alexander aus den mächtigen Völkerbewegungen sich ergeben. Seit dem Exil dringen auch die Ideen anderer Religion wieder kräftig ein. Der Parsismus bringt seine Engellehre und weist damit dem Gerichtswirken das bisher verschlossene Jenseits mit seiner Geisterwelt zu (Jes 24; Daniel). Diese Anregungen müssen verarbeitet werden. Dazu erwachen kräftiger als je die altnationalen Hoffnungen, die mit ihrer Derbheit, N a h r h a f t i g keit und ihrem neutralen Drängen ins Universale ja nie ganz erloschen sind. Sie stellen auf dem Boden der Theokratie jetzt die ungeheuersten Ansprüche. Sie verdichten sich zur heißen Sehnsucht, den

3. Die nachexilische Zeit. — 37. Die Völiergerichte. f) Das univers. Endgericht.

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gegenwärtigen Zustand, der nach Judas Prärogative und Jahwes Macht nicht das wirkliche Verhältnis darstellt, mit dem Ideal auszugleichen in einem großen Endgericht, das auch im Parsismus am Abschluß alles Geschehens stand. So fließen denn alle diese Strömungen, die vielfach so wenig richterlichen Charakter trugen, zusammen und konstituieren unter der täglich sorgsameren Pflege der Apokalyptik das große Weltendgericht. Diese eschatologische Stimmung liegt dem ganzen nachexilischen Zeitalter zugrunde. Selbst wo nur lokale Erscheinungen vorliegen, gehen die Erwartungen flugs unter dem Einfluß der Zeitströmung zum Weltgericht. Die Gerichtsdrohung in Jes 3;3 gilt nur dem Vergewaltiger ( l ) , und doch tritt der Weltcharakter deutlich hervor (9). In dem Sonderstück Jes 26,1-19 handelt os sich um den Fall einer ragenden Stadt (5), und doch glaubt man in der folgenden Schilderung in einem Weltgericht mit eschatologischem Abschluß zu stehen. Der sonst nüchterne Haggai sieht unter dürftigen, lokal begrenzten jüdischen Verhältnissen das Heil in einem weltumspannenden Gericht. Maleachi weist in Fortsetzung der hesekielischen Vergeltungstheorie dem einzelnen an einem eschatologischen Tage die Entscheidung über sein Schicksal zu. Am deutlichsten tritt dieses Weltgericht im zweiten Teil unserer Periode auf. J o ; Mch 4,11 ff.; 7,11 ff.; O b 1 1 ; Sach 12f. 14; Jes 24—27. 34 f. und Dan liefern uns das Material. Das Gericht liegt am Ende der Zeiten, ist Abschluß der bisherigen Weltgeschichte (vgl. besonders Dan). Auf heiliger Stätte fällt die große Entscheidung: Mch 4,11; 7,11; Ob 17f.; Sach 12, 2; 14, 2; Jo 4,12; Dan. I n den großen Schilderungen Jes 24 und 34 liegt die Endkatastrophe auf weitem Weltgebiet. Jahwe sammelt alle Völker (Jo 4, 2 wie H e s 3 8 f . ) , oder sie kommen selbst zum Kampfe gegen die Gottesstadt: Mch 4, 11; Sach 12, 2ff.; 14, 2ff.; Dan 10 (auch bei Jo spiegelt sich in dem Mitbringen der Waffen und in dem durchs Gericht gegebenen Schutz für Juda die Gefährdung Jerusalems wieder). Diese Bedrohung durch die Weltvölker vor dem Endheil erscheint als fester Zug. Die Völkermenge ist fast als Einheit gedacht und wird als massa perditionis zermalmt. Mit ungeheuren Zügen wird die Vernichtung gezeichnet, die in kriegerischer Weise Jahwe allein (Sach 14,12ff.; Jes 33) oder mit I l i l f e Judas (Sach 12, 6; Mch 4,13) vollzieht. Bei Daniel ist das Gericht völlig, bei Joel zur Hälfte ein forensischer Akt. Nach dem Niederwerfen der Feinde geht Judas Endglück an (Jo 4, 1 7 - 2 1 ; Sach 12, 8-14; 13; 14, 6ff.; Mch 4,13 b ; 7,18ff.; Dan). Am umfassendsten kommt die Universalität des Gericlitserfolges Beihefte z. ZAW. 29.

i r.

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B. Die geschichtliche Entwicklung des prophetischen Gerichtsbegriffes.

in den apokalyptischen Stücken unserer prophetischen Literatur zum Ausdruck (Jes 24—27. 34 f.; D a n ) . Die ganze Welt ist Objekt des Gerichtes (Jes 34,1). Der Himmel mit seiner Sternenwelt wird in Mitleidenschaft gezogen (34, 4). Selbst die himmlischen Geisterwesen unterstehen als Gerichtsobjekte oder -Vollstrecker der allumfassenden Gerichtswirkung (Jes 24; D a n ) . Sogar „viele" Tote erstehen zur Teilnahme am Gericht (Dan 12, 2) — ein hochbedeutsamer Fortschritt f ü r den individuellen Gerichtsbegriff. Zum ersten Male wird hier der eschatologische Gerichtstag f ü r Völker und einzelne, f ü r Lebendige und Tote unter Verwendung der Auferstehung zu einem einzigen großen Akt zusammengeschweißt. Hier strömen alle Bestrebungen in der Potenz zusammen und kommen zur Ruhe. Die Rache wird still in der Vernichtung der Völker. Die Rechtfertigung ist gegeben im reichen Lohn und in der Vertilgung der Gegner. Der Trost erfährt seine innere Berechtigung, die Hoffnungen ihre Erfüllung. Die wahre Religion, die der Jude mit Recht zu vertreten glaubt, kommt hier zum Siege, sein Jahwe zu allgemeiner Anerkennung. Judas Glück in äußeren Gütern und in Jahwegemeinschaft erwächst auf dem Boden der niedergeschlagenen Gegner. Und über all diese Tatsachen breitet das Eschatologische seinen verklärenden Schein: Vor aller Öffentlichkeit erreicht hier das Endgericht alle heiß ersehnten Ziele, und ihre Durchsetzung empfängt seine ewige Sicherheit. g) D a s G e r i c h t a l s H e i l s f a k t o r f ü r d i e V ö l k e r w e i t . Die bisher dargelegten Gerichtsgedanken bieten im wesentlichen keine frohe Aussicht f ü r die Völker. Ihnen bedeutet das Gericht jähes Verderben, sie erscheinen fast nur als die Objekte, an denen die Zwecke anderer sich auswirken. Als massa perditionis gelten sie in den großen Endgerichten. Noch dem Daniel am Ende unserer Periode ist das ganze Weltvölkertum mit seiner Geschichte eine widergöttliche Macht, er kennt f ü r die Nationen keine Heilsfolge des Gerichtes. Doch ist die Stellung unserer nachexilischen Propheten nicht überall die gleiche. Es fehlt auch nicht an freundlicheren Bildern, in denen Dtjes' Wärme wieder durchklingt. Allerdings ist das nationale Moment auch hier vorherrschend. Bei Tritojes kommen die Barbaren und ihre Könige in Judas Land, aber sie spielen dort nur die Rolle der Diener und Pfleger des Gottesvolkes. Protosach, Sach 14 und Jes 19 sehen eine Proselytenschaft in der Heidenwelt oder einzelnen Völkern, aber ein Heilsgedanke bricht kaum durch; vielmehr dient

3. Dia nachexilische Zeit. — 37. Die Völkergerichte,

g) Als Heil d. Völker.

227

das durch Gerichte erzwungene Proselvtentum dem Ruhme Jahwes und seines Volkes. Heilsweissagungcn nach dem Gericht empfangen Heiden in dem kleinen Stück Sach 9, 7 f., wo aus einem uns unbekannten Grunde den Philistern Jahwes Schutz zugebilligt wird, allerdings nur, wenn sie sich Juda völlig einordnen. Auch die späteren Zusätze in den Völkerorakeln Jer 40—49 verraten uns einen günstigeren Standpunkt. Eine herbe, aber subjektiv gerechte Anschauung stellt sich in dem Stück Jes 26,1-19 dar. Die Gerichte dienen dazu, die Welt das Recht zu lehren. Freilich ist mit diesem Recht die Religion des Einzelvolkes Juda gemeint, aber die bewußte Hervorhebung des wirklich Bedeutsamen an diesem Volke verleiht auch dem Gerichtszweck etwas erhaben Universales. Wichtig ist hier weiter das große Gerichtsgemälde Jes 24 ff. (vgl. bes. 25,6f.). Das Gericht über die ganze Erde hat nicht alle Völker vernichtet, die Geretteten empfangen nach der großen, von Jahwe vollzogenen Sühne mit Juda zusammen das Heil. Der Gedanke, daß das Gericht auch zu ihrem Heile beiträgt, hat etwas Selbständiges in der zarten und doch kraftvollen Darstellung (25, 6-8), die durchaus nicht eine Verherrlichung Judas in unangenehm hervortretender Weise betont. Noch weiter geht das kleine Buch Jona. Hier wird uns die Gerichtspredigt an eine Weltstadt dargeboten, ohne daß Juda auch nur irgendwie mit seinem Interesse in Betracht käme. N u r der Jahwegott und sein aus Palästina kommender Prophet erinnern an Juda. Nirgends trägt dieses Gericht heidenfeindliche Züge. Es will läuternd auf das fremde Volk wirken lind wird sofort in seiner Verwirklichung gehemmt, als die Niniviten Buße tun. Hier stellt sich das Gericht als eine internationale Größe dar, die in der Welt nur die Gerechtigkeit herstellen will. Wie ein kräftiger Protest gegen jene höchst partikularen Tendenzen der anderen nachexilischen Gerichtsanschauungen regt sich hier die von Dtjes angebahnte Richtung. Freilich werden wir im Jonabuch kaum eine volkstümliche Anschauung haben, sondern nur das Gut eines einzelnen oder kleiner Kreise (vgl. R u t h ) . Jedenfalls kündet sich auch hier eine wichtige Entwicklung an. Weder in vorexilischer noch exilischer Zeit hat man an das Völkergericht diese segensreichen Wirkungen geknüpft, 1 die uns jetzt noch, in einigen Quellen verhalten, aber in Jes 24 ff. und bei 1

Die Völkerweissagung Jes 2,1—4 (Mich 4, lff.) — welcher Zeit sie auch angehören mag — läßt den Gerichtszusammenhang vermissen.

15*

228

B. Die geschichtliche Entwicklung des prophetischen Gerichtsbegriffes.

Jona immer heller anklingen. I n noch späterer Zeit haben diese universalen Tendenzen einen weiteren Spielraum gewonnen. h) D a s V e r h ä l t n i s J a h w e s z u m V o l k e r g o r i c l i t . Wir haben oben gesehen, daß beim Eigenvolksgericht Jahwes Interesse verhältnismäßig stark zurücktritt. Wir können in Beziehung auf die Völkergerichte feststellen, daß Jahwe hier stärker am Gewinnkonto beteiligt ist. Zwar gibt es Stücke, in denen sein Interesse gar nicht betont wird (Ob 1—14; Sach 12 f.), aber sie sind nicht zahlreich. Jahwe tritt überall als Gerichtsvollstrecker hervor, die Verwendung historischer Mächte (wie in vorexilischer Zeit) hat merklich nachgelassen, zumal in den eschatologisch apokalyptischen Stücken, in denen nur Jahwe oder Engel als Strafvollzieher erscheinen. Es handelt sich ja auch in den Nöten seines Volkes um die eigene Ehre, an die man deshalb appelliert. Jahwe jdarf sich nicht gefallen lassen, daß die trotzigen Heiden seine Pläne durchkreuzen (Sach 1,15; Mch 4 , 1 2 ) . Seine heiligen Stätten sind geschändet (Jes 6 4 , 9 f . ) , seine Ehre ist gefährdet (Jcs 6 3 , 1 6 ) , darum muß er seinen Namen kundtun (Jes 64, l ) . Das Gericht bringt seine Anerkennung zuwege (Jo 4,17; Sach 14, 9). Menschenwelt und Natur beugen sicli vor seiner Majestät (Jes 24, 23 ; 26, 9f.; Jes 33. 34 f.). So bringen auch jene langen Schilderungen Jcs 1 9 . 2 3 ; Jer 4 0 — 4 ! ) Jahwes Macht im Gericht zum Erweis. Ja, die Psalmen N a 1 , 1 - 8 und Ilab 3 besingen ihn in dtjesajanischer Nachfolge als den Welt.richter. O b 1 1 faßt den Gesamterfolg des Gerichtes in die Worte: „Und Jahwes wird das Eeich sein" (21) ! Indessen würde man sich täuschen, wenn man in diesem Hervortreten Jahwes einen Fortschritt sähe. Im Gegenteil! In der vorexilischen Epoche erschien Jahwe kräftig als Vertreter des Hechtes, auch gegen sein Volk. Das Exil hatte, wiewohl es den Standpunkt durch die stärkere Betonung der Machtidee etwas verschob, Jahwes Interesse aufs stärkste gewahrt. Demgegenüber ist die Eichtertätigkeit Jahwes in der nachexilischen Zeit nicht immer religiös begründet. Sein Interesse fällt mit dem des Volkes zusammen. Das unmittelbar Bewegende — das zeigt die ungeheure, nationale Triebkraft der nachexilischen Gerichtsanschauung — ist oft der partikularvölkische Vorteil. Jahwe wird das Sibboleth, hinter dem sich das Volksstreben birgt, wobei natürlich nicht geleugnet werden darf, daß hier wirklich das religiöse Leben stark mitklingt. So wird nun in allen Schilderungen, die uns Jahwe in der Gerichtssphäre zeigen, der richterlichen.

3. Die nachexilische Zeit. — 38. Rückblick und Ausblick.

229

Tätigkeit Gottes das Lob gespendet, daß sie stets im Dienste seines Volkes stehe. Jahwe ist gewissermaßen der erste Diener seiner Theokratie. Selbst in dem Habakukpsalm, der den Weltgerichtsgott darstellt, drängt der Verfasser am Schluß seinen Gerichtsjubel auf das Bekenntnis hinaus: „Ich juble über den Gott meines Heiles!" Wir können also hier konstatieren, daß im Verhältnis zur vorexilischen und z. T. exilischen Zeit das nationale Interesse jetzt dem göttlichen mindestens das Gleichgewicht hält und die extensive Tätigkeit, die Jahwe innerhalb der Gerichtssphäre entfaltet, vielfach nur bedingt ist durch die eigentümliche Interessenidentifizierung von Jahwe und Volk. Im letzten Grunde war Jahwe mit geförderter reiner Wescnsdurchsetzung in vorexilischer Zeit mehr an dem Gericht beteiligt als am Ausgang des 2. Jahrhunderts.

38. Rückblick und Ausblick. Wenn wir auf die nachexilische Entwicklung zurückschauen, so treten die .Fortwirkungen der im Exil, besonders von Hesekiel angeregten Gedankenreihen deutlich hervor. Eine Reihe von Weiterbildungen hat. sich angebahnt. Der Gerichtsgedanke hat an Expansität die größte Wirkung erreicht, indem er alles Weltgeschehen, auch vergangener Tage, und selbst die himmlischen Mächte in seine Sphäre zog. Er schuf sich in der Anschauung vom universalen Endgericht ein Triebmittel von ungeheurer Bedeutung und beherrschte damit alle Beziehungen des Lebens. Er hat sogar die Auferstehung in seinen Dienst genommen und weist nun einzelnen auch nach dem Tode noch das Gericht zu. Eine gesteigerte Transzendenz macht sich spürbar. Dabei sind die Gedanken vergröbert und massiger geworden. Die Nationalisierung der Gerichtsanschauung hat, indem sie die Beglückung Judas als höchstes Ziel setzte, eine beherrschende Holle gespielt. Die ethische Grundlage des Gerichtes ist dadurch sowie durch den erhöhten Kachecharakter und das Eindringen fremder, dem Gericht nicht konformer Elemente stark getrübt. Die nationale Tendenz hat unter dem Druck der Verhältnisse eine Versteinerung und Undisziplinierung der Gerichtsanschauungen gefördert. Die Gesamtentwicklung scheint auf einen toten Strang gelaufen zu sein. Bei Arnos hatte die Gerichtsidee mit ungeheurer Konsequenz sich gegen das Eigenvolk gewendet und war geneigt, ihr innerstes Wesen mit der Vernichtung des Gottesvolkes durchzusetzen. Der Ausgang zeigt, daß das Gericht der Welt den Untergang schafft und dem

230

B. Die geschichtliche Entwicklung des prophetischen Gerichtsbegriffes.

Eigenvolk die Rettung. Eine ethisch notwendige Wcltidce war bei Arnos geboren, jetzt hat sie ein einziges, dürftiges Volk als Maß aller Dinge in den Weltmittelpunkt gerückt! Man wird in der Tat nicht leugnen können, daß eine solche Entwicklung stattgefunden hat. Indessen wird das historische Werturteil in Rücksicht ziehen müssen, daß wir mit Daniel nicht am Ende der Entwicklung stehen. Eine Eiille von lebensvoll weiterwirkenden Kräften strömt aus der danielischen Zeit in die folgende Periode hinüber. Ja, wir können konstatieren, daß gerade bei Daniel und einigen verwandten Stücken des A. T. (z. B. Jes 24 ff.) eine neue Entwicklung sich mächtig aiikiindet. Eine neue Pflegemutter, die Apokalyptik, übernimmt den kräftigen Sprößling und fördert ihn zu neuem Gedeihen. Der Endgerichtsakt wird immer universaler und transzendenter. Die Ausmalungen verraten die aufstrebende Kräftigkeit der schon in unserem Kanon regsamen Phantasie. Das Gericht wird die unverrückbare Scheidewand zwischen dem rrrfi und Diirrr, die alte Welt wird im Gericht vernichtet, der Messias übernimmt allmählich die Rolle, die bisher Gott im Gericht vertrat. Bei alledem entbinden sich allmählich Tendenzen, die deutlich andersgerichtete innere Triebkräfte erkennen lassen. Es ist unverkennbar, daß in' der Zeit Jesu die nationalen Tendenzen vielfach stark zurückgetreten sind — sehr im Gegensatz zu der Entwicklung in der Zeit bis Daniel. Das Gericht bringt jetzt öfter als sonst den Völkern das Endheil; mehr und mehr treten die Menschen als solche dem Gcriclitswirken gegenüber. Man glaubt an die Auferstehung aller Menschen zum Gericht, man forscht kasuistisch nach dem Wie und den Maßstäben dieses individuellen Auferstehungsgcrichtes. Im Gegensatz zu der nachexilischen Epoche bis Daniel, die rettungssicher auf das Endgericht sah, schleicht sich jetzt in die fromme Seele die bange Furcht, ob sie vor dem Weltrichter bestehen könne, der ja jedes Einzelwesen nach individuellen Grundsätzen beurteilt. Erst hier kommt die Entwicklung zu einem gewissen Ende. Bei aller Fortwirkung der die Allgemeinheit erfassenden Gedanken treten stärker als je die individuellen Fragen und Wünsche an den göttlichen Gerichtswillen heran. Der Glaube wird ein Gut jeder religiösen Seele. Von hier aus werden wir die nachexilische Epoche bis Daniel beurteilen müssen. Sic hat, das zeigen alle ihre Prophetenschriften, das Gericht zum Fundament aller Lebensbeziehungen gestaltet, auch im Bewußtsein des Volkes. Das Gericht wird ein Volksgut. Rache,

3. Die nachexilische Zeit. — 38. Rückblick und Ausblick.

231

Kechtfertigung, Trost, Jubel, Klage, Hoffnung, reales Glück, Dank — alles gründet sich auf den Gerichtsgedanken. Unsere prophetischen Autoren haben in diesem Sinne auf ihre Zeit gewirkt, diese hat rückwirkend oder selbständig sie wieder beeinflußt. I n dieser Verbreitung des Gerichtsgedankens ist dem Volke ein ungeheures Bildungsmittel zugeführt. Dabei mußten aber die prophetischen Gedanken, wenn sie Gemeingut werden und fortwirken sollten, die Formen annehmen, unter denen sie ein Volk tragen kann. So ist die Verbindung der volkstümlich nationalen Motive mit der Gerichtsidee zweckmäßig zur Weiterbildung gewesen. Notwendig war auch die Aufnahme fremder (wie persischer) Einflüsse, denn der aufs Weltgebiet tretende Gerichtsbegriif mußte um seiner Durchsetzung willen sich mit ihnen abfinden. E s ist ein nicht gerade geringes Zeichen seiner K r a f t , daß er es verstanden hat, alle diese Momente in seinen Dienst zu ziehen. Das Werturteil könnte nur dann ein abfälliges sein, wenn durch das Eindringen nichtkonformer Elemente das Wesen der Gerichtsidee völlig verdeckt und jede weitere höhere Gestaltung dadurch ausgeschlossen worden wäre. Aber gerade diese Entwicklung hat sich nicht gezeigt. Mag auch der Gerichtsbegriff in seinem Wesen manche Trübungen erfahren haben, so hat doch kaum je der Gedanke gefehlt, daß J a h w e in seinem Gerichts wirken auch als der weltsittliche Gott erscheine. Auch in oft unheiligen Formen glimmte dieser Glaube fort. E r hat überhaupt erst dem jüdischen Nationalismus die innere K r a f t gegeben. J a h w e als reiner Nationalgott hätte mit dem E x i l begraben werden müssen — aber er war der Sittliche, und das hob ihn über alle anderen sittlichen Mächte. Das hat trotz aller Irrungen den Gcriclitsglauben so wuchtig gemacht. Der Nationalismus war die Brücke, auf der die Juden jenen in die Welt zu imbeschränkter Herrschaft führten. Noch war ihnen nationale Führung und der Gott, der die Welt als Kichter regiert, eine Macht. Nur indem sie beides miteinander verknüpften, haben sie mit solcher Zähigkeit den Gerichtsbegriff halten können, bis ein Großer mit seinen Jüngern kam, der die begleitende F o r m zerschlug und den Gerichtsbcgriff ganz auf das Verhältnis von Gott zu Mensch setzte.

Buchdruck erei des W a i s e n h a u s e s in Halle a. d. S.

A l f r e d T ö p e l m a n n (vormals J . Ricker) V e r l a g in G i e ß e n

B e i h e f t e z u r Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft 1. Frankenberg, Psalmen Salomos.

Wilhelm, Lic. Dr., Pfarrer in Kassel, (IV u. 97 S.) 1896

Die

Datierung der M. 3.20

2.

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3.

Gall, August Frhr. von, Lic. Dr., a. o. Professor an der Universität zu Gießen, Altisraelitische Kultslätten. (VIII u. 156 S.) 1898 M. 5.—

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LÖhr, Max, D. Dr., o. Prof. an der Universität zu Königsberg, Untersuchungen zum Buch Arnos. (VIII u. 67 S.) 1901 M. 2.50

5.

Diettrlch, Gustav, Lic. Dr., Pastor in Berlin, Eine jakobltische Einleitung in den Psalter in Verbindung mit zwei Homilien aus dem großen Psalmenkomm. des Daniel von Salah, zum 1. Male herausgegeben, übers, und bearb. ( X L V 1 I u. 167 S.) 1901 M. 6.50

6.

Diettrlch, Gustav, Lic. Dr., Pastor in Berlin, Isö'dädh's Stellung in der Auslegungsgeschichte des Alten Testamentes, an seinen Kommentaren zu Hosea, Joel, Jona, Sacharja 9 —14 usw. veranschaulicht. ( L X V I I u. 163 S.) 1902 . M. 7.50

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Baumann,

Charles C., Dr., o. Prof. an der Yale University zu New Häven, The Composition and Historical Value of Ezra-Nehemia. (VI u. 65 S.) 1896 M. 2.40

Eberhard, Lic. theol., Pastor in Halle, Der Aufbau der Amosreden. 1903 M. 2.40

(X u. 69 S.) 8. 9.

Diettrlch, Gustav, Lic. Dr., Pastor in Berlin, Ein Apparatus criticus zur Pesitto zum Propheten J e s a i a . ( X X X I I u. 223 S.) 1905 M. 10.— Brederek, (XI u. 195 S.)

10.

Emil, Pastor in Wankendorf, Konkordanz zum Targum Onkelos. 1906 M. 6.50

LÖhr, Max, D. Dr., o. Prof. an der Universität zu Königsberg, Sozialismus und Individualismus im Alten Testament. (IV u. 36 S.) 1906 M. 0.80

11. Schliebitz,

Johannes, Dr. phil., Oberlehrer in Greifswald, Isö'dädh's Kommentar zum Buche Hiob. 1. Teil: Text und Übersetzung. (VII u. 88 S.) 1907 M. 4.—

12.

PeiSker, Martin, Lic. Dr., Pastor in Wiederau, Die Beziehungen der Nichtisraeliten zu J a h v e nach der Anschauung der altisraelitischen Quellenschriften. (IV u. 95 S.) 1907 M. 2.50

13.

Müller,

Johannes, Dr., Beiträge zur Erklärung und Kritik des Buches Tobit.

— S m e n d , Rud., D., weil. Prof. an der Universität zu Göttingen, Alter und Herkunft des A c h i k a r - R o m a n s und sein Verhältnis zu Äsop. (VII u. 125 S.) 1908 M. 4.40 14.

Lundgreen,

Friedr., Prof. Lic., Oberlehrer in Rudolstadt, Die Benutzung der Pflanzenwelt in der alttestamentlichen Religion. (XXIII u. 191 S.) 1908 M. 5.—

15. Westphal,

Gustav, Lic. Dr., weil. Professor an der Universität zu Marburg, J a h w e s Wohnstätten nach den Anschauungen der alten Hebräer. (XVI u. 280 S.) 1908 M.n.—

A l l r e d T ö p e l m a n t i (vormals J . Ricker) V e r l a g In Gießen B e i h e f t e zur Z e i t s c h r i f t f ü r die alttestamentliche Wissenschaft 16.

Kropat, Arno, Dr. phil. in Königsberg, Die Syntax des Autors der Chronik, verglichen mit der seiner Quellen. Ein Beitrag zur historischen Syntax des Hebräischen. (VIII u. 94 S.) 1909 M. 4.—

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Merx,

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Brandt, W., Dr., Prof. in Basel, Die jüdischen Baptismen oder das religiöse Waschen und Baden im Judentum mit Einschluß d e s Judenchristentums. (VI u. 148 S.) 1910 M. 6.—

19.

Brandt,

20.

Hanel, Johs., Lic. theol., Privatdozent an der Universität zu Greifswald, Die aufiermasoretischen Obereinstimmungen zwischen der Septuaginta und der Peschittha in der Genesis. (IV u. 88 S.) 1911 M. 3.60

21.

Frankenberg,

Adalbert, weil. Professor in Heidelberg, Der Messias oder Ta'eb der Samaritaner. Nach bisher unbekannten Quellen. (VIII u. 92 S.) 1909 M. 5.—

W., Dr., Prof. in Basel, Jüdische Reinheitslehre und ihre Beschreibung in den Evangelien. (VII u. 64 S.) 1910 M. 2.70

Oden Salomos.

Wilhelm, Lic. Dr., Pfarrer in Kassel, (VII u. 103 S.) 1911

Das Verständnis der M. 5.—

22.

Meinhold,

23.

Holtzmann, Oscar, D., a. o. Prof. an der Universität zu Gießen, Der Tosephtatraktat Berakot. Text, Übersetzung und Erklärung. ( X V I u. 99 S.) 1912 M. 7.—

24.

Eißfeldt, Otto, Lic. theol., Privatdozent an der Universität zu Berlin, Der Maschal im Alten Testament. Eine wortgeschichtliche Untersuchung nebst einer literargeschichtlichen Untersuchung der V a u genannten Gattungen „Volkssprichwort" und „Spottlied". (III u. 72 S.) 1913 M. 3.—

25.

Naumann,

26.

Frankenberg, Wilhelm, Lic. Dr., Pfarrer in Kassel, Der Organismus der semitischen Wortbildung. (IV u. 134 S.) 1913 M. 6.50

Joh., D., o. Prof. an der Universität zu Bonn, 1. Mose 14. Eine historisch-kritische Untersuchung. (V u. 50 S.) 1 9 1 1 M. 1.50

Weigand, Dr. phil. in Gießen, Untersuchungen über den apokryphen Jeremiasbrief. (VI u. 53 S.) 1913 M. 2.20

27. „Studien zur semitischen Philologie und Religionsgeschichte." Julius Wellhausen zum siebzigsten Geburtstag »am 1 7 . Mai 1914 gewidmet von Freunden und Schülern und in ihrem Aufträg herausgegeben von K a r l M a r t i . Mit dem Bildnis von J. Wellhausen. (XI u. 388 S.) 1914 M. 18.— 30.

Messel,

N., Adjunkt-Stipendiat an der Universität Kristiania, Die Einheitlichkeit der jüdischen Eschatologie. (IV u. 188 S.) 1915 C.50

Unter der Presse: 28. 3t.

Klein, Otto, Dr. phil. in Frankfurt, S y r i s c h - g r i e c h i s c h e s Wörterbuch zu den vier kanonischen Evangelien nebst einleitenden Untersuchungen. (Etwa 120S.) Elchrodt, sucht.

Walther, Lic. theol., Die Quellen der Genesis von neuem unter(Etwa 10—11 Bogen.) Huchdruckerei des Waisenhauses in Halle a . d. S .

BEIHEFTE ZUR ZEITSCHRIFT FÜR DIE ALTTESTAMENTLICHE WISSENSCHAFT 30

DIE EINHEITLICHKEIT DER

JÜDISCHEN ESCHATOLOGIF

VON

N. MESSEL ADJUNKT-STIPENDIAT AN D E R U N I V E R S I T Ä T K R I S T I A N I A

V E R L A G VON A L F R E D T Ö P E L M A N N (VORMALS J. RICKER) * GIESSEN * 1915

Alfred Töpelmann (vormals J. Ricker) Verlag in Gießen

DIE MISCHNA T E X T , ÜBERSETZUNG UND AUSFÜHRLICHE ERKLÄRUNG Mit eingehenden geschichtlichen und sprachlichen Einleitungen und textkritischen Anhängen unter Mitwirkung von Prof. Dr. Albrecht-Oldenburg — Prof. Lic. Bauer-Breslau — Prof. Lic. Dr. BenzingerToronto — Oberlehrer Lic. Fiebig-Gotha — Pfarrer Lic. Dr. Prankenberg-Kassel — Prof. Lic. Dr. Frhr. v. Gall-Gießen — Prof. Dr. L. Köhler-Zütich — Pfarrer Lic. Dr. Krämer-Gerichshain — Prof. D. Marti-Bern — Prof. D. Meinhold-Bonn — Prof. D. Dr. Nowack-Straßburg — Prof. D. Dr. Rothstein - Münster i. W. — Pastor Windfuhr-Hamburg u. A. H E R A U S G E G E B E N VON PROF. D. DR. B E E R - H E 1 D E L B E R G UND PROF. D. H O L T Z M A N N - G I E S S E N Bisher liegen fertig vor: I. Seder. i. Traktat: Berakot (Gebete) bearbeitet von Prof. D. O. Holtzm a n n . VIII, 1 0 6 S . M. 5.—, in der Subskription M. 4.40 I.Seder. 4. Traktat: KÜ'ajim (Verbotene Mischgattungen) bearb. von Prof. Dr. K. Albrecht. VI, 87 S. M. 4.80, in der Subskription M. 4-2°

I. Seder.

9. Traktat:

IV, 48 S.

Challa

(Teighebe) bearb. von Prof. Dr. K. Albrecht. M. 2.40, in der Subskription M. 2.10

II.Seder. 3. Traktat: Pesachim (Passahfest) bearbeitet von Prof. D. Dr. 0 . Beer. X X I V , 212 S. M. 10.—, in der Subskription M. 9.— II.Seder. 5. Traktat:

Johs. Meinhold. II. Seder. 8. Traktat:

Joma

(Der Versöhnungstag) bearb. von Prof. D.

VIII, 83 S.

M. 4.30, in der Subskription M. 3.80

Rosch ha-SChana

lehrer Lic. P . F i e b i g .

VII, 127 S.

(Neujahr) bearb. von

Ober-

M. 6.75, in der Subskription M. 5.90

Baba qamma („ErstePforte"desCivilrechts) bearb. W. Windfuhr. VIII, 96 S. M. 4.80, in der Subskription M. 4.20 I V . S e d e r . 1 0 . T r a k t a t : Hofajot (Entscheidungen) bearbeitet von Pastor W. Windfuhr. V, 3S S. M. 2.15, in der Subskription M. 1.90 V . Seder. 10. Traktat: Middot (Von den Maßen des Tempels) bearb. von Prof. D. O. Holtzmann. VIII, 112 S. M. 6.—, in der Subskription M. 5.25 I V . Seder. 1. Traktat: von Pastor

Als weitere Traktate werden xunächst erscheinen: P e a (Vom Ackerwinkel) von Prof. Lic. Bauer — M e n a c h o t (Von den Abend- und Speiseopfern) von Pfarrer Lic. Dr. Frankenberg — S c h a b b a t (Sabbat) von Prof. D. Dr. Nowack — S c h e q a l i m (Von den Sekeln) von Pfarrer Lic. Dr. Krämer — T a a n 1 1 (Vom Fasten) von Oberlehrer Lic. Fiebig — B a b a m e s s i a („Mittlere Pforte" des Civilrechts) von Pastor Windfuhr — A b o d a z a r a (Götzendienst) von Prof. D. Dr. Beer — T a m i d (Vom täglichen Opfer) von Prof. D. Holtzmann. Alle 63 Traktate sollen

in 4 — 5 Jahren veröffentlicht werden.

In der

Subskription auf das Gesamtwerk beträgt der Bogenpreis 6 0 — 7 0 Pf. gegen 7 0 — 8 0 Pf. beim Einzelkauf, immerhin eine ganz wesentliche Ermäßigung. Ausfuhrlicher Prospekt mit Probeseiten gern an jeden Interessenten.

DIE EINHEITLICHKEIT DER

JÜDISCHEN ESCHATOLOGIE

VON

N. MESSEL ADJUNKT - STIPENDIAT AN DER UNIVERSITÄT KRISTIANIA

V E R L A G VON A L F R E D

TÖPELMANN

(VORMALS J. RICKER) * GIESSEN * 1915

BEIHEFTE ZUR ZEITSCHRIFT FÜR DIE ALTTESTAMENTLICHE WISSENSCHAFT 30

III

Herr Professor D.

KARL MARTI

erste Korrektur zu lesen, um meines Deutsch zu beseitigen.

hat die Güte gehabt, die

etwaige

sprachliche Anstände

Dafür möchte ich ihm auch hier

meinen ergebenen Dank aussprechen. Aus einem hiesigen Uni versitäts- Fond („Universitetets Jubilaeumsfond av 1 9 1 1 " ) ist mir zur Deckung besonderer Kosten bei der Veröffentlichung dieser Abhandlung ein Beitrag gewährt worden, wofür ich zu vielem Dank verpflichtet bin. K r i s t i a n i a , März 1915. N . MESSEL.

IV

Inhalt .Seite

§ 1. § 2. § 3. § 4. § 5. § 6. § 7. § 8. § 9. §30. § 11. § 12. § 13. § 14. § 15. § 1(5. §17. § 18. § 19. § 20. § 21. § 22.

Einleitung Der Heilsanbruch als AVunder Naturkatastrophen in der Eschatologie Der AVeltbrand Der neue Himmel und die neue Erde Erneuerung der Schöpfung oder des Äons „Verwandlung der AVelt" „Das Vergängliche" in ApkBar Die Bedeutung von altav (öVi") Dieser Olam und der zukünftige Olam Das „Ende der AAreltu und ähnliche Ausdrücke Der Himmel als Schauplatz des messianischon Heils Das Paradies als Schauplatz des messianischen Heils Das himmlische Jerusalem Der Chiliasmus „Das Leben" als ein Gut der Heilszeit Das ewige Leben Die Vernichtung des Todes Die Engelgleichheit Die Verwandlung der Gerechten Die Dämonen und der Satan als Feinde Gottes Das eschatologische Gericht

• . . . .

I 7 9 15 22 28 34 37 44 54 60 72 85 89 101 120 130 142 151 156 163 180

B erichtigung Zu S. 49 Z. 8 v. o.: Die neue Bedeutung von Dbl» findet sich Tob 14 5; s. S. 68.

Das Verzeichnis

der Abkürzungen

s. am Schlüsse (S.

187f.).

§ 1.

Einleitung.

E s gilt heute als eine ausgemachte Sache, daß die Eschatologie des Spätjudentums eine tiefgehende Doppelheit aufweise. Auf der einen Seite steht — bei der großen Masse des Volkes sicherlich noch in voller Kraft — die alte, nie erloschene Erwartung einer politischen Wiederherstellung des jüdischen Volkes zu neuer Freiheit und ungeahnter Machtentfaltung. Daneben aber sollen nun, so meint man, neue Gedanken höherer Ordnung sich vordrängen, die jene politische Erwartung zersetzen und die Idee der Heilszukunft sublimieren. E s handelt sich dabei hauptsächlich um eine Erweiterung des religiösen Gesichtskreises in übernational-transzendenter Richtung. Man hofft nicht mehr, oder nicht mehr ausschließlich, auf einen beschränkten Sieg Israels über seine politischen Feinde und auf eine danach anbrechende neue Zeit des nationalen Glückes; sondern man hofft darauf, daß die ganze irdische, im tiefsten Grunde böse und gottfeindliche Welt ein Ende nehmen und von einer prinzipiell neuen, auf höherer Stufe liegenden Welt abgelöst werden soll. Damit hangen weitere Verschiebungen des religiösen Interesses zusammen. Zunächst wird die Hoffnung in geistig-ethischer Richtung umgebildet: an die Stelle des alten politischen Gegensatzes zwischen Israel und „den Völkern" treten Gegensätze umfassenderer und anderer Art, nämlich einerseits der zwischen Gott und bösen Geistermächten, andererseits der zwischen frommen und gottlosen Menschen. Damit ist zugleich eine Entwickelung in individualistischer Richtung gegeben 1 . Über die Stärke und Klarheit, in der die „moderne" Eschatologie auftritt, hören wir verschiedene Urteile. E s wird besonders von BOUSSET, der aber allgemeine Anerkennung gefunden hat, stark hervorgehoben, daß die Ansätze zu einer neuen übernationalen und überirdischen Eschatologie „überall in ihrer vollen Entwickelung gehemmt werden und nie rein und frei hervortreten". Das was sie hemmt, ist die nationale Gebundenheit der jüdischen Religion. Deshalb „schlägt die überweltliche Stimmung ständig in eine sehr diesseitige voll leidenschaftlichen Hasses 1

Vgl. besonders SCHÜRER. Gesch. d. jüd. Volkes I I 4 . S. 4 9 9 ff. BOUSSET, Religion

des Judentums

S. 237 ff.

Ileihefte z. ZAW. 30.

1

2

§ 1.

Einleitung.

und Ehrgeizes um". „Die jüdische Phantasie läßt eine Welt zugrundegehen und eine neue entstehen . . . um letztlich doch mit ihrem Interesse am Lande Palästina und dem Glück der Frommen in Palästina hängen zu bleiben 1 ." Freilich, „die ersten Ansätze von etwas Neuem werden doch lebendig". Die ersten Ansätze — nicht mehr. Nur „hier und da weht ein Luftzug aus jener höheren, reinen Welt"; nur „eine Ahnung höheren Seins dämmert auf"2. Wie stimmt aber mit diesen zurückhaltenden Urteilen, daß BOUSSET von der fortgeschrittenen Eschatologie sagt, daß sie sich „zu einer beinahe einheitlichen, systematischen, den Weltlauf umspannenden Gesamtanschauung" auswachse? 3 Oder daß nach ihm in den vier ersten Visionen der Esra-Apokalypse „eine geistige, von Irdischem und Nationalem losgelöste, persönlich innige Frömmigkeit" sich ausspreche? 4 Oder wie kann man da bei einer aufdämmernden Ahnung eines höheren Seins stehen bleiben, wo von einem Untergang der materiellen Welt die Rede ist, oder wo sogar die irdische Messiaszeit zu einer bloßen Vorperiode der neuen Welt des ewigen Lebens herabgedrückt wird? Wer solche Scheidung vornimmt, muß mit vollem Bewußtsein die Idee eines höheren Daseins ergriffen haben. Wie man zu solchen widerspruchsvollen Urteilen über die Art der apokalyptischen Eschatologie kommt, ist verständlich genug. Die Annahme einer über die nationalen Ziele hinausstrebenden Eschatologie beruht auf einer Anzahl von Ausdrücken, Vorstellungen und Bildern, die man von der national-politischen Eschatologie aus nicht verstehen zu können meint; als solche sind zu nennen: der Gegensatz dieses und jenes Äons, das Vergehen des Äons, der neue Himmel und die neue Erde, das vermeintlich universelle und individuelle Gericht, die Auferstehung, das ewige Leben, das Aufhören des Todes, das Paradies als Schauplatz des Heils, die Umwandlung der Menschen zu engelgleicher Gestalt, der Satan und die Dämonen als Feinde Gottes, die Zweiteilung der Heilszeit. — Wenn diese Vorstellungen und Ausdrücke wirklich so aufzufassen wären, wie es die Forscher wollen, dann würde in ihnen ein vollständiges Inventar einer transzendenten Eschatologie gegeben sein, und man müßte mit BOUSSET von dieser Eschatologie urteilen, daß sie eine beinahe einheitliche, systematische, den Weltlauf umspannende Gesamtanschauung darstelle. Aber eben diese Ausbildung einer einheitlichen Gesamtanschauung, die Häufigkeit, womit die genannten Vorstellungen auftreten, und die bestimmte Ausprägung, die die vermeintliche neue Eschatologie in denselben erreicht hätte, würden zugleich klarmachen, 1

BOUSSET aaO., S. 240. — ' Ebenda S. 241 f. — 3 Ebenda S. 237. — * Ebenda S. 39.

§ 1.

3

Einleitung.

daß es sich um mehr als bloße Ansätze, daß es sich um eine voll ausgereifte und bewußt gewordene Neuerscheinung handeln würde. Was aber andererseits die Forscher hindert, die Entwickelung der neuen Eschatologie so einzuschätzen, wie sie eigentlich tun müßten, das ist die Tatsache, daß die genannten Vorstellungen und Ausdrücke in der apokalyptischen Literatur immer mit Elementen der alten nationalen Eschatologie verbunden erscheinen. Die Apokalypsen haben alle die künftige Wiederherstellung Israels zum eigentlichen Thema, den Glauben daran wollen sie stärken; von der Zeit, die bis dahin nach göttlichem Ratschluß verstreichen muß, reden sie; den künftigen glänzenden Sieg Israels, die furchtbare Niederlage der Feinde, das unerhörte Glück, den großartigen Wohlstand und die ewige Friedenszeit, die dann für Israel erstehen werden, verheißen sie, oft in maßloser Übertreibung. Mitten in solchen Zusammenhängen treten dann die genannten „übernationalen", „transzendenten" Ausdrücke und Vorstellungen auf, die die Forscher aus ihren Umgebungen herausnehmen und zu einer „modernen Eschatologie" zusammenstellen. Bei dieser Sachlage erhält man natürlich den Eindruck, daß die Apokalyptiker selbst einen Unterschied zwischen den alten und den vermeintlich neuen Gedanken nicht empfunden haben können. Die Verbindung verschiedenartiger Elemente, die man feststellen zu müssen glaubt, ist nämlich durch Quellenscheidung nicht zu lösen ; von der Aussichtslosigkeit solchen Verfahrens hat man sich überzeugt, auch hat die „traditionsgeschichtliche" Erklärung der Apokalypsen dazu beigetragen, daß man bei einem Apokalyptiker selbst starke Widersprüche zu vertragen bereit ist. Doch besteht natürlich immer noch die Versuchung, die auffallende Vermischung der beiden eschatologischen Gedankenkreise, wo es irgendwie angeht, durch Interpolationen und Überarbeitung zu erklären. Das ist hier und da ein Ausweg aus der Verwirrung 1 . Den gleichen Grund hat die Neigung BOUSSETS und anderer, die drei letzten Visionen des 4. Esra dem Verfasser der vier ersten abzusprechen 2 . In der Hauptsache aber urteilt man, daß die Verfasser selbst es sind, die Altes und Neues regellos verbinden und sogar in einem und demselben Abschnitt bald einen national-politischen, bald einen allgemein-menschlichen transzendenten Gesichtspunkt hervortreten lassen — natürlich ohne Bewußtsein des sachlichen Unterschiedes 3 . Die Quellen selbst führen also, wenn sie so verstanden werden, wie gegenwärtig geschieht, zu einem offenbaren Widerspruch: gewichtige 1

Vgl. z. B. VOLZ, Jüdische Eschatologie, S. 36 (betrifft Bar 4 2 - 6 ) ; BOUSSET S. 40,

A n m . 2 (Esr 7 27-30). — * Vgl.

1

Y g l . BOUSSET S . 4 0 .

z . B . GDNKEL ZU E s r 9 s ( b e i KAUTZSCH I I ) . 1*

4

§ 1.

Einleitung.

Instanzen machen die Annahme unmöglich, daß es sich nur um Ansätze einer universalistischen und transzendenten Eschatologie, um bloße Ahnungen eines höheren Daseins handele; andererseits wird diese Annahme geradezu gefordert durch die Art, in der die zur „neuen Eschatologie" gerechneten Elemente mit der alten verschmolzen sind. Auf diese Verschmelzung vermeintlich verschiedenartiger Elemente wollen wir noch einen Blick werfen. Daß im Judentum neue Gedanken universalistischer oder tranzendentaler Art lebendig geworden wären — sei es durch Anregung von außen, sei es kraft originaler Entwickelung, sei es endlich infolge eines Zusammenwirkens beider Faktoren —, das wäre nichts Wunderliches, sondern vielmehr sehr zu erwarten, und ist zum Teil auch geschehen. Das, worum es sich hier handelt, ist aber nicht die allgemeine Tatsache, sondern die Entstehung solcher Gedanken im A n s c h l u ß an die n a t i o n a l e , durchaus politische und diesseitige Z u k u n f t s h o f f n u n g . Nach der herrschenden Auffassung der Apokalyptik wären sie aus dieser Hoffnung heraus geboren, und die nationale Hoffnung wäre im Begriff, sich zu zersetzen und sich in eine transzendente, rein individualistische Eschatologie umzuwandeln. Aber von beiden Seiten gesehen, sowohl in betreff dieser Auflösung der nationalen Hoffnung als in betreff jenes Anschlusses der neuen Gedanken an dieselbe, ist die Sache gleich unwahrscheinlich. Die Zeit des Spätjudentums1 zeichnet sich dadurch aus, daß die Juden wieder eine eigene politische Geschichte erleben. Neben der Zeit des alten Reiches ist diese Zeit eine zweite Periode nationaler Kraftentfaltung. Man könnte sie treffend die Zeit der F r e i h e i t s k ä m p f e nennen. Durch den großartigen Erfolg des makkabäischen Aufstandes ist das nationale Selbstbewußtsein der Juden außerordentlich gestiegen. Sie können nicht wieder vergessen, daß sie durch Waffenmacht die Selbständigkeit sowie eine bedeutende Grenzerweiterung errungen haben, und zwar im Kampfe mit der Weltmacht. In der darauf folgenden Zeit besitzen sie den entschlossenen Willen, wieder frei zu werden, und beben vor einem Kriege selbst mit Rom nicht zurück; die maßvolle Haltung der meisten Pharisäer und der Einsichtigen überhaupt ist nur Opportunismus, sie wollen günstigere Zeiten abwarten. Daß die Zukunftshoffnung in dieser Zeit aufs höchste gesteigert ist und eine ausgeprägt politische Färbung hat, ist selbstverständlich. Sollte dann die ganze erhaltene Literatur dieses Zeitraums von einer beginnenden und vorwärtsschreitenden Auflösung der politischen Hoffnung zeugen? 1

Diese Bezeichnung wird im Folgenden für den Zeitraum von ca. 165 vor Chr. bis ca. 100 nach Chr. gebraucht.

§ 1.

Einleitung.

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Ebenso unwahrscheinlich ist die enge Anknüpfung neuer übernationaler Gedanken an die alte politische Zukunftserwartung. Das allerdings ist selbstverständlich unleugbar, daß im Spätjudentum ein gewisser Individualismus sehr stark hervortritt, und zwar gerade im Anschluß an die nationale Hoffnung, nämlich der Individualismus, der die Auferstehungshoffnung zu schaffen und durchzusetzen vermocht hat 1 . An der Auferstehung haben aber nur die gerechten Juden teil — die Auferstehung der Gottlosen, von der übrigens selten die Rede ist, hat mit derjenigen der Frommen nur den Namen gemeinsam — ; dieser Individualismus steht deshalb in keinerlei Gegensatz zur nationalen Hoffnung, er ist kein Universalismus; er steht auch in keiner Beziehung zur Transzendenz, denn er führt zum Erdenleben und Yolkstum zurück. Daß ein solcher Individualismus sich an die nationale Hoffnung anschließt, ist nur in der Ordnung; aber wie wäre das für den angeblichen Zug nach Universalismus und Transzendenz denkbar? Der Universalismus ist ja das absolute Gegenteil der national-politischen Zukunftserwartung; wie könnte ein Apokalyptiker, der eingestandenermaßen den Triumph des eignen Volkes über seine Feinde verkünden will, zugleich dem Universalismus huldigen? — außer etwa in der Form, in der er dem Nationalismus nicht mehr gefährlich ist, nämlich als Verkündigung des Heils, das allen Völkern sprießen werde, wenn sie sich — unter jüdische Herrschaft beugen wollen. — Hauptsächlich kommt es aber auf die Transzendenz an. Da ist es ja sehr denkbar, daß dem frommen Juden die Hoffnung auf eine politische Wiederherstellung des jüdischen Staates nicht genügte; sondern daß er — mochte er nun diese Hoffnung festhalten oder nicht — das eigentliche Heil in etwas Höherem suchte, sich im Grunde von diesem Erdenleben wegsehnte und von einem seligen, über alles irdische Maß hinausgehenden, not- und todlosen, kurz gesagt, im letzten Grunde transzendenten Dasein träumte. Tatsächlich ist das nach meiner in diesem Buche zu begründenden Meinung nicht geschehen, und das erklärt sich daraus, daß das Verlangen der einzelnen nach eigenem persönlichem Glück, nach Entschädigung für die Mühsale dieses Lebens, in der Teilnahme am allgemeinen Volksglück der Messiaszeit ihre Befriedigung fand, zu welchem Glück die Auferstehung den schon gestorbenen Frommen den Zugang eröffnete. Die allgemeine Meinung der Forscher geht aber in die entgegengesetzte Richtung, daß die Apokalyptiker die alte im Irdischen befangene Denkweise durchbrochen hätten, 1

Es findet sich im Judentum auch die ebenfalls individualistische Aussicht auf ein glückliches Los im Jenseits gleich nach dem Tode; aber dieses Lehen im Jenseits tritt nicht in Konkurrenz mit dem Auferstehungslobcn, sondern ist nur eine Vorstufe dazu.

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§ 1.

Einleitung.

und daß die Idee eines höheren, wohl zumeist auf der Erde, aber aul der verklärten Erde sich abspielenden Daseins wenigstens ahnungsweise in ihrem Herzen aufgestiegen sei. Wie ist es aber möglich, daß solche Gedanken an die Hoffnung auf eine neue nationale Glücksperiode anknüpfen könnten? Wie konnte man darauf verfallen, das ersehnte höhere Dasein mit dieser Zukunft in Verbindung zu setzen, deren wesentliche Kennzeichen der Sturz der heidnischen Weltmacht und die Bildung eines neuen starken und glücklichen jüdischen Staates sein sollten? Wie konnte man im Ernst von dieser Zeit hoffen, daß dann die Erde umgewandelt und die Menschen den Engeln gleich werden sollten, daß die Sünde abgetan und der Tod aufgehoben, alle Krankheit geheilt und jede Träne abgetrocknet werden würde? Gewiß konnte man von Gottes Wundermacht alles mögliche erwarten, und so auch die Verwandlung des eignen Landes zum überirdischen Paradies und der vorhandenen Einwohner zu engelgleichen Wesen; aber auch die Phantasie hat ihre Logik, es kommen für sie nicht alle denkbaren Möglichkeiten in Betracht, und welches Motiv konnte sie haben, die Stätte des höheren seligen Lebens mit Palästina, dem Lande der Trübsal und des Unglücks, gleichzusetzen? Das Land der überirdischen Seligkeit muß für das Gefühl notwendig im Gegensatz zum Schauplatz der irdischen Geschichte stehen, und die Phantasie wird unwillkürlich durch räumliche Trennung der beiden Stätten diesem Gegensatz Ausdruck geben. Das bestätigt alle religionsgeschichtliche Analogie. — Gewiß reden die Apokalyptiker auch wirklich von allen jenen schönen Dingen, die ich vorhin nannte, und die buchstäbliche Auffassung solcher Redeweise ist hauptsächlich das, was zur Annahme einer modernen Eschatologie geführt hat. In der Tat gehören aber alle diese und ähnliche Züge zur poetischen Veranschaulichung des unermeßlichen Glückes, das die neue Zeit der nationalen Freiheit und Machtentfaltung auszeichnen wird. Die Möglichkeit einer nichtbuchstäblichen Auffassung kann man nicht leugnen; denn das Bestreben der Apokalyptiker, die Zustände der Heilszeit in hellstem Hellrot zu malen, ist offenbar, und ebenso daß ihnen keine Übertreibung zu ungeheuerlich ist; man vergleiche nur die Fruchtbarkeit des Weinstocks B a r 29, oder die Mühelosigkeit des Lebens Bar 73 f., oder das neue Jerusalem aus lauter Diamant und Edelstein gebaut OffbJoh 21. Neue Ausdrucksformen, variierte Darstellungsmittel der alten nationalen Zukunftshoffnung, das und nichts anderes sind die Vorstellungen, in denen man Glieder einer neuen übernationalen und überirdischen Eschatologie erkennen zu dürfen meint. Zum Teil handelt es sich um Bilder, die unsere Forschung wörtlich genommen hat, zum Teil um

§ 2.

Der Heilsanbruch als Wunder.

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Überschwenglichkeiten und Übertreibungen des Ausdrucks, durch die man sich hat blenden lassen, zum Teil auch um neue Vorstellungen, deren national-politischen Charakter man verkannt hat Die gemeinsame Wurzel dieser Mißverständnisse ist aber unsere christliche Eschatologie. In dieser finden sich nämlich die Ausdrücke und Vorstellungen, die man zur „neuen Eschatologie" zusammenstellt, fast ohne Ausnahme wieder und sind hier -wirklich zu einem transzendenten Gesamtbilde vereinigt. Die christliche Eschatologie baute sich durch jüdische Steine auf. Aber auch ihr Bau stand zunächst auf der Erde, und zwar auf der palästinischen. Nach einiger Zeit erst ist es dann anders geworden, und der Bau in die Transzendenz, in den Himmel emporgehoben 1 . Dem frühen Christentum, nicht dem Judentum, gehört diese bedeutungsvolle Tat; den Antrieb dazu hat der Hellenismus gegeben. Über meine Stellung zu den Q u e l l e n möchte ich hier nur ein paar wichtigere Abweichungen vom durchschnittlichen Urteil der Forscher anmerken. Erstens halte ich wenigstens die eschatologischen Stücke der T e s t a m e n t e für sicher christlich. Zweitens vermag ich nicht, den s l a w i s c h e n H e n o c h als selbständige Quelle für das Spätjudentum zu gebrauchen; die Schrift ist wenigstens christlich überarbeitet, auch weichen die Rezensionen erheblich voneinander ab.

§ 2. Der Heilsanbruch als Wunder. Die großen geschichtlichen Ereignisse, die in das Leben des jüdischen Volkes eingriffen, wurden immer religiös aufgefaßt und demgemäß in Lied und Sage als Wundertat Jahwes gepriesen. Besonders lebhaft kommt diese religiöse Auffassung zu Worte, wo es gilt, den k ü n f t i g e n großen Umschlag zu zeichnen, in den prophetischen Weissagungen und in den Zukunftsschilderungen der Apokalypsen. Die künftige Erlösung Israels von seinen Feinden wird ohne Ausnahme als eine unmittelbare Tat Gottes dargestellt. Der Grund dazu ist nicht, wie man immer wieder hört 2 , darin zu suchen, daß. die neue Zeit einen absoluten Neuanfang bilde, wozu keine irdische Entwickelung hinüberführe. Der Gesichtspunkt der göttlichen Kausalität schließt den anderen, den des geschichtlichen Werdens, nicht aus — in eschatologischer Schilderung doch wohl nicht mehr als in der Darstellung schon eingetretener Gottestaten. In 1 Die Doppelheit der alten christlichen Eschatologie bezeugt Justin, Dia), c. Tryph. 80 f. * Bousskt S. 238. 249. 275. Volz S. 56. Holtzmaxx, Neutestl. Theol.», 1100.

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§ 2.

Der Heilsanbruch als Wunder.

dieser letzteren konnten die geschichtlichen Begebenheiten leicht irgendwie angedeutet werden, weil sie eben bekannt waren. Die künftige Wendung der Weltgeschichte war dagegen nur im Glauben vorhanden und hatte nur für Gott eine Realität. Deshalb ergab es sich von selbst, daß die Zukunftsschilderung zum großen Teile nur die göttliche Kausalität betonen und in immer neuer Weise nur sie zur Darstellung bringen mußte. Wer wollte sich denn auch vermessen, die Entwickelung, die die Juden aus der Knechtschaft zur Herrschaft führen sollte, in ihren einzelnen Stufen vorherzuzeichüen? Die Apokalyptiker haben sich darauf nicht eingelassen, und für ihren erbaulichen Zweck haben sie durch diesen Yerzicht gewiß nichts verloren. Was sie geben, ist nicht ein eingebildetes W i s s e n um die Zukunft, d. h. um die irdisch-geschichtliche Weise der Heraufführung der Heilszeit, sondern in allen ihren wunderlichen Bildern wollen sie nur ihren G l a u b e n an die die Zukunft gestaltende Macht Gottes ausdrücken. Deshalb sind ihre Schilderungen im letzten Grunde keine Fabeleien, mögen sie auch noch so sehr uns, die wir eine andersartige religiöse Vorstellungswelt haben, so vorkommen. Nur das letzte Ziel, die Freiheit und Macht Israels, nicht die verborgenen Wege, die dahin führen, können und wollen sie ihren Glaubensbrüdern vorhalten, und zwar als Ziel Gottes. Daneben berücksichtigen sie freilich hin und wieder auch die allgemeinsten Faktoren, aus denen die Befreiung Israels hervorgehen könnte, wie z. B. den Zusammenbruch der feindlichen Macht durch inneren Zwiespalt 1 oder durch äußere Angriffe 2 , besonders häufig aber die eigene Wehrkraft der J u d e n 3 ; aber auch dann wird es betont, daß der eigentlich Wirkende Gott ist. Der Anbruch der neuen Zeit ist gewiß ein Wunder, aber im religiösen Sinn, nicht in dem Sinn, daß das Gewebe der bisherigen Geschichte plötzlich durchgeschnitten würde und keine Fäden weiter liefen. — Dieses Urteil wird nicht dadurch ange fochten, daß die Juden nicht nur in dichterischer Schilderung, sondern auch in der realen Erwartung, den großen Umschlag durch eine übernatürliche Tat Gottes, durch ein eigentliches Naturwunder bewirkt denken konnten. Nach Josephus, Bell. Jud. Y I 5 2, erwarteten die auf dem Tempelberg eingeschlossenen Juden noch in letzter Stunde, als alle irdischen Möglichkeiten nichts mehr bedeuteten, „das Heil Gottes zu schauen", also durch ein offenbares Wunder, etwa durch ein vom Himmel fallendes Feuer. Muß man aber deshalb meinen, daß für die Belagerten 1

Das ist die Selbstzerfleischung der Feinde, z. B. Hen 56 7.

B a r 7 0 7 ; vgl. auch den talmudischen Spruch b. J o m a 1 0 a (Volz 279). ' Die Feinde werden in die Hände der Gerechten übergeben; z . B . Hen 38 5

1

48 9 9019 9 1 1 2 .

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Naturkatastrophen in der Eschatologie.

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die Zukunft, für die sie kämpften, nicht mehr der alten Erde angehören würde? Oder ist es nicht vielmehr so, daß das Wunder einfach neben das Schwert tritt, als die besondere Waffe Gottes, die aber genau dasselbe erreicht, was auch das Schwert hätte erreichen können? Wie sich die Apokalyptiker in ihren Herzen die Mittel Gottes zur Heraufführung der Heilszeit vorgestellt haben, ob sie eine „natürliche" Vermittelung oder ein Wunder vom Himmel erwarteten, diese Frage läßt sich gewiß so beantworten, daß sie es eben Gott überlassen und keine der beiden Möglichkeiten ausgeschlossen haben. Ob aber so oder so, in jedem Fall haben sie die neue Heilszeit als ein Werk Gottes beurteilt und dargestellt.

§ 3. Naturkatastrophen in der Eschatologie. Eine wirkungsvolle Form, das göttliche Eingreifen anschaulich darzustellen, lieferten die althergebrachten Anschauungen von Jahwes Offenbarung in allerlei Naturerscheinungen. Im Sturme, speziell im versengenden Südostwind, im Erdbeben, im Gewitter, in der Flut, auch in vulkanischen Erscheinungen, erlebte das alte Israel die Offenbarung Jahwes, und obgleich man später solcher Anschauung entwuchs, blieb sie in der poetischen Darstellungsform der Theophanie bestehen. In dieser hatte man ein Mittel, die unwiderstehliche, alles bezwingende Macht des Gottes Israels in lebhaften Farben zu schildern. — Fast mit Notwendigkeit lief die Theophanie in eine Schilderung der zerstörenden Wirkungen der göttlichen Offenbarung aus. Das Erdbeben ließ Felsen sich zerspalten und Berge einstürzen, der Sturm zerbrach starke Bäume, der Glutwind verbrannte Wiesen und Weiden. Auf die Wirkungen des göttlichen Eingreifens kam es ja zuletzt immer an. Deshalb ist es verständlich, daß die eigentliche Theophanie zurücktreten, und der Hauptnachdruck auf die von Gott hervorgerufenen Zerstörungen verlegt werden kann. Durch die poetische Form der Theophanie wurde es eine schriftstellerische Tradition, die Darstellung der eschatologischen Zeitwende mit grausigen Naturrevolutionen zu schmücken. Und zwar nicht nur solchen, die von Haus aus zur Offenbarung Gottes in der Natur gehörten; sondern nachdem der ursprüngliche Zusammenhang vergessen worden war, konnte die Analogie bewirken, daß alles Furchtbare und Schreckenerregende, das man sich in der Natur denken konnte, die Farben für das eschatologische Gemälde hergeben mußte, z. B. Sonnen- und Mondfinsternisse. Das ist der in sich klare und einfache Zusammenhang, aus dem die eschatologischen Naturkatastrophen zu verstehen sind: Das eschatologische Ereignis, die Heraufführung des Heils, war eine göttliche Tat. Diese Tat Gottes aber wurde dichterisch mittels der Bilder der Theophanie

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§ 3.

Naturkatastrophen in der Eschatologie.

beschrieben. Von den dazu gehörenden Zügen betonte man besonders die zerstörenden Wirkungen, die das Erscheinen Gottes in der Natur (sowie im Menschenleben) hervorrief. — Im Gegensatz zu dieser Erklärung setzt man die eschatologischen Naturkatastrophen mit einer Anschauung vom Weltuntergang in Verbindung. Das ist zunächst für das spätere Judentum die althergebrachte Auffassung, und neuerdings will man sie auch für das alte Israel geltend machen (besonders GEESSMANN). Auf diese letztere Behauptung einzugehen, dürfte hier nicht am Platze sein. Denn einmal wird es unsere Aufgabe sein, zu zeigen, daß die Eschatologie des Spätjudentums keine Lehre vom Weltuntergang enthält, und diese Frage muß selbständig betrachtet werden können, ohne Rücksicht darauf, ob das alte Israel die Idee des Weltunterganges gekannt hat oder nicht. Sodann soll nach GRESSMANN die Weltuntergangslehre der Apokalyptiker und überhaupt der späteren Zeit nicht direkt mit der alten vorprophetischen Lehre zusammenhangen. Der Vorstellung, daß das Gericht Gottes über seine Feinde mit gewaltigen Naturzerstörungen verbunden sein soll, ist, wie schon bemerkt, jedenfalls zunächst nur ein poetischer Wert beizumessen. Sie soll die Furchtbarkeit und Erhabenheit des Gerichtstages ausdrücken, entsprechend der Bedeutung, die diesem „Tag" als Tag der endgültigen Abrechnung Gottes mit den Heiden und Ungläubigen, als Tag der Wende der gesamten Weltgeschichte zukommt. Denkbar wäre es, daß dann im Laufe der Zeit das, was von Hause aus poetisch gemeint war, buchstäblich verstanden und zum Dogma erhoben worden sei. Eine Lehre vom Welt untergange konnte aber bloß durch prosaisches Mißverständnis poetischer Formeln nicht entstehen; wenn aber eine solche Lehre in a n d e r e r Weise im Judentum aufgekommen war, dann konnte sie allerdings an jene alten poetischen Formen anknüpfen und sie in ihrem Sinne umbiegen oder erweitern. In diesem Fall hätte man aber eine reichere Ausformung und Verwendung der Schilderungen von Naturkatastrophen erwarten dürfen, als die Apokalyptiker tatsächlich bieten. Man hat vielmehr den Eindruck, daß diese Bilder im Absterben begriffen sind, so selten werden sie in der jüdischen apokalyptischen Literatur zur Schilderung der eschatologischen Aktion Gottes verwendet, und so knapp ist ihre Form. Dafür erscheinen die Naturkatastrophen allerdings bisweilen als V o r z e i c h e n des Heilsanbruchs. Zum Kern der eschatologischen Ereignisse haben sie aber dann offenbar nur ein äußerliches Verhältnis. — Man darf wohl vermuten, daß diese Erscheinung, die seltene Anwendung der Theophanie (und der Naturzerstörungen) zur Darstellung des Handelns Gottes, mit der größeren Erhabenheit des spätjüdischen

§ 3.

Naturkatastrophen in der Eschatologie.

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Gottesbegriffes zusammenhängt: Gott zieht nicht selbst zu Felde gegen seine Feinde, sondern schickt seine Engel. Für das unmittelbare Handeln Gottes zieht man jetzt das erhabene Bild des himmlischen Gerichtsaktes vor. Theophanien finden sich in den Apokalypsen nur Hen 1 3ff. AssMos 10 3-7 und Hen 9018 (letztere sehr dürftig). Baruch und Esra machen in der Eschatologie keinen Gebrauch von dieser Form (vgl. jedoch S. 36), dagegen wird Esr 3 isff. das Erscheinen Gottes zur Gesetzgebung auf Sinai in einer Theophanie beschrieben. — In H e n 13-7 findet VOLZ (S. 13) eine „gewaltige Schilderung des Weltgerichts" und des Weltunterganges. Die Fortsetzung v. 8ff. will aber zum Weltuntergang gar nicht passen; denn die Gerechten bleiben auf der Erde, unter Gottes Schutz und Segen; daß sie durch einen Weltuntergang hindurchmüssen, ist durch die Art der Schilderung 18i. und 5 4—9 ausgeschlossen. Das sieht auch TÖLZ ein, und deutet deshalb an, daß die Verse 3-7 späterer Einschub seien — eine unnötige Annahme, denn v. 3-7 ist eine ganz regelrechte Theophanie, und weshalb die damit verbundenen Naturzerstörungen (v. 6f.) einen mehr als poetischen Wert haben sollten, ist nicht einzusehen, v . 6 xal

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„Alles" in 7b ist eine sehr gewöhnliche Übertreibung (vgl. z. B. Jubil 5 4 E s r 3 9f.), die schon 7 c wieder begegnet (denn die Gerechten kommen nicht ins Gericht). V. 7a bedeutet nicht, wie BEER (bei KAUTZSCH II) übersetzt, das „gänzliche Zerschellen der Erde", d. h. des Erdballs, sondern das Zerbersten der Erdoberfläche, wie es etwa beim Erdbeben geschehen kann. — Etwas ausführlicher sind die Schrecken in der Natur Ass Mos 10 4 - 6 beschrieben, eine Stelle, die BERTHOLET (S. 456) zum Kapitel über den Weltuntergang schlägt. Es sind jedoch lauter Züge, die von den älteren Theophanien bekannt sind: Erbeben der Erde und Einstürzen der Berge, Verfinsterung der Sonne und des Mondes und Verwirrung 1

Es ist von vorneherein eine metrische Form zu erwarten, und Yerszeilen zu drei Hebungen sind auch zu erkennen, wenn man, wie oben geschehen ist, in 6abc das vom Aeth. nicht Gebotene als Zusätze streicht. Ob in 7a n%ia,ua Qttyiiäi. (ebenfalls nicht im Aeth.) unecht ist, ist zweifelhaft. — Ebenso ist v. 5cd mit Aeth. auszulassen; 5d (die Erschütterung der Enden der'Erde) ist offenbar verfrüht, und 5c beruht auf dem korrupten niOTtvctovaiv in 5b. — Auch in den übrigen Versen der Theophanie lassen sich drei Hebungen meistens leicht herstellen, oder sie sind schon vorhanden.

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§ 3.

Naturkatastrophen in der Eschatologie.

unter den Sternen, Austrocknen des Meeres 1 und der Flüsse. Vom Weltende zu reden ist hier keine Gelegenheit. — Eine verkrüppelte Theophanie gibt H e n 90 is: „Und ich sah, bis der Herr der Schafe zu ihnen kam und den Stab seines Zornes in seine Hand nahm und die Erde schlug, daß sie auseinanderklaffte, und alle die wilden Tiere . . . . versanken in die Erde, und sie deckte sich über dieselben." Das alte Motiv des Zerberstens der Erde hat nach dieser Stelle auch in späterer Zeit seine ursprüngliche, räumlich und zeitlich beschränkte Bedeutung bewahrt und ist nicht etwa zum Ausdruck der später angeblich aufgekommenen Lehre vom Weltuntergang umgebogen. An ein paar Stellen ist di9 eigentliche Theophanie, die Schilderung des „Kommens" Gottes, aufgegeben und nur die Vorstellung von erschütternden Naturphänomenen am Tage des „Gerichts" beibehalten: H e n 1 0 2 2 und S i b 5 477. An der ersten Stelle ist der symbolische Wert der Vorstellung offenbar. Denn die Erschütterung der (Himmel-)Lichter und das Zittern der Erde werden hier als Zeichen ihrer Furcht dargestellt und in Parallele zur Furcht der Sünder gesetzt: der Zorn Gottes ist so gewaltig, daß auch die Natur von Furcht ergriffen wird; aber der Gedanke, der zugrunde liegt, daß Gott, gleichsam in blinder Wut um sich herumschlagend, vielleicht auch einmal die Gestirne oder die Erde treffen könnte, ist rein poetisch. Auch die Vorstellung S i b 5 «7fr. von der sonnen- und mondlosen Finsternis am Tage des Gerichts wird symbolisch gemeint sein: die Finsternis ist das Unglück 2 . — Möglicherweise ist auch T e s t L e v i 4 i das Bersten der Felsen usw. vom Verf. als Beschreibung des Gerichtstages gemeint (so BERTHOLET 456). Nach dem gegenwärtigen Text aber muß man die Naturerscheinungen als Zeichen (oder Plagen), die zugleich zur Buße rufen, auffassen (wie OffbJoh 16) s . Bisweilen wird das kommende Strafgericht über die Heiden mit der noachischen Sintflut in Parallele gestellt, so Hen 91 5-io, und auch Hen 93 4, insofern die Sintflut hier „das erste Ende der Welt" genannt wird. Für einen Glauben an den Weltuntergang beweist dies freilich nichts. An der Gestalt der Erde selbst macht die Sintflut ja keine wesent1

Über diesen Zug vgl. GRESSMAN* S. 28, der hierin eine „groteske Vergröberung" des Versiegens von Bächen und Flüssen beim Schirokko erblickt. * Vgl. SapSal 17 20: Beim Auszug Israels aus Ägypten war über die Ägypter „eine schwere Nacht ausgebreitet, ein B i l d der Finsternis, die sie aufnehmen sollte". Vgl. umgekehrt das verstärkte Sonnenlicht als Symbol des Glückes der Heilszeit (S. 24). 5 Dagegen ist das Hüpfen der Berge Hen 51 4 ein Zeichen der Freude über das eingetretene Heil, noch ein Beispiel symbolischer Verwendung der Naturphänomene. In Hen 521—6 sind die im Endgericht schmelzenden Berge (ebenfalls ein Motiv aus der Theophanie) geradezu allegorische Bilder der Weltreiche geworden.

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liehe Änderung. Nicht einmal von einer Erneuerung oder Verwandlung der Erde zu reden, gibt jene Parallelisierung das Becht; die Stellen deuten nichts Derartiges an. Die Sintflut ist das große Beispiel eines normal verlaufenden, weit umfassenden Gottesgerichts, das ist der Grund der Parallelisierung. Ein ideales Gottesgericht soll zwischen Gottlosen und Gläubigen möglichst reinlich scheiden, die ersten womöglich ohne Rest vertilgen, die letzten dagegen am Leben lassen. Es wäre den Frommen recht, wenn das Gericht, von dem ihr Heil abhängt, mit den Sündern reinen Tisch machen würde — dann konnte Israel die weite Erde für sich haben. Man darf aber nicht glauben, daß die wirkliche Erwartung eine so universelle Vernichtung der Heiden in Aussicht genommen habe (s. § 22). In diesem Zusammenhang ist auch das „ U n t e r g e h e n der E r d e " J u b i l 2318 zu besprechen. Es heißt hier: „Siehe, die Erde wird wegen all ihres (d. h. des zweitletzten 1 Geschlechts vor dem Anbruch der Heilszeit) Tuns untergehen, und es wird kein Same von Wein und kein ö l sein; denn lauter Untreue ist ihr Tun, und sie alle werden miteinander umkommen, Tiere und Vieh und Vögel und alle Fische des Meeres wegen (der Bosheit [Lat.]) der Menschenkinder." Es ist zunächst nicht ohne Bedeutung, daß die Schrift sonst (426) nur von einer Reinigung der Erde von Sünde (d. h. von Sündern) redet; ein Weltuntergang oder auch nur große Naturkatastrophen werden nie angedeutet. — Die zitierten Worte gehören zu einem eschatologischen Ausblick über die letzten Geschicke des jüdischen Volkes, d. h. über die Zeit des Verfassers und die demnächst anbrechende Heilszeit (23 11-31). Für den Verfasser dieses Ausblicks gehen die Zeiten der Not unmittelbar in die Heilszeit über, ohne daß ein Weltuntergang den inneren Zusammenhang der Geschichte aufhöbe (vgl. v. 26tr.)2. Schon dadurch wird es ausgeschlossen, das Untergehen der Erde in dem uns geläufigen Sinn zu verstehen. — Entscheidend ist endlich, daß das Untergehen der Erde für den Verfasser nicht der Zukunft, sondern der eignen Gegenwart oder genauer der jüngsten Vergangenheit gehört. Das ist schon bei der gegenwärtig von den meisten angenommenen Ansetzung der Schrift in die Zeit des Johannes Hyrkanus ( 1 3 5 — 1 0 4 v. Chr.) eine notwendige Annahme. Denn bei dieser Datierung muß sich das ganze Stück v. 16-26 auf die Verhältnisse vor der Regie1 Denn es sind (v. 16 26) die Kinder des gottlosen Geschlechts, die die Heilszeit erleben. • Zwischen v. 26 und 27 fehlt sicher etwas. Das Fehlende könnte man sehr treffeud in v. 3(i finden, der an seinem gegenwärtigen Platz auch wenig paßt.

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rung des Hyrkan, auf die von inneren und äußeren Kämpfen erfüllten Zeiten der ersten Makkabäer beziehen (vgl. CHARLES, Book of Jubilees, 1902, p. LXII1). Auf die jüngste Vergangenheit muß sich dann auch v. 18 beziehen, auch wenn man mit CHARLES (S. die Anm. zu 2319) diesen Vers als a general description of the Messianic woes auffaßt, d. h. als eine Beschreibung in herkömmlichen, feststehenden Wendungen, die im einzelnen nicht zeitgeschichtlich zu deuten wären. Ich bin mit dieser Datierung nicht einverstanden. Nach meiner Meinung, die ich an dieser Stelle nicht näher begründen kann, hat 1 BALDENSPERGER das Richtige getroffen, wenu er die Schrift in die Zeit nach dem V e r l u s t der F r e i h e i t (63 v. Chr.) ansetzt. Mit der „großen Züchtigung" v. 22 kann der Verfasser nämlich nur dieses Ereignis meinen, und sie wird nicht geweissagt, sondern ist schon erlebt. In der Auffassung des v. 18 als Vergangenheit macht diese Datierung keinen Unterschied, auch für die Frage nach traditionsgeschichtlicher oder zeitgeschichtlicher Erklärung der einzelnen Züge spielt sie prinzipiell keine Rolle, dagegen kann man bei ihr bekannte Ereignisse, auf die v. IS anspielen könnte, nennen. Nach dieser späteren Datierung ist anzunehmen, daß das ganze Stück v. 12-21 die Zeit der letzten Makkabäer schildert (Das „böse Geschlecht" v. 14 ist identisch mit „diesem Geschlecht" v. 16 und 22.) Der Verfasser spielt v. 16 und 19 auf die pharisäische Opposition gegen Alexander Jannäus an, die bis zum Bürgerkrieg sich zuspitzte (v. 20). Besonders gedenkt er der S ü n d e n „dieses Geschlechts", d. h. der herrschenden Kreise. Die Anklagen, die er wider sie erhebt, kehren in den gleicher Zeit entstammenden Psalmen Salomos fast alle wieder. Wegen dieser Sünden ist die „große Züchtigung" (v. 22) gekommen — dieselbe Erklärung des Verlustes der Selbständigkeit wie in den Psalmen Salomos. Das ist jedoch nicht die einzige Strafe; auch mit anderen Plagen hat Gott das Volk gezüchtigt, die gewissermaßen die Vorläufer der endlichen Katastrophe gewesen sind. V. 13 zählt sie auf. Dahin gehört nun auch das „Untergehen der Erde" v. 18. Der Verfasser wird damit einfach auf eine eingetretene Dürre mit Mißwachs und Hungersnot anspielen. Die „Erde" ist die nahrunggebende Erde, das Ackerland, der Fruchtboden. Deshalb nennt der Verfasser in erster Reihe das Mißraten von ö l und Wein, aber weiter erstrecken sich die Wirkungen der Trockenheit und Dürre auch auf die gesamte Tierwelt und auf die Menschen selbst; daß sie aber alle untergehen, ist eine Übertreibung und braucht nicht traditionsgeschichtlich erklärt zu werden. Der Grund, weshalb der Ver1

Messianisch-apokalypt. Hoffnungen (1903) S. 31 f.

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Der "Weltbrand.

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fasser vor den anderen v. 13 genannten Plagen besonders diese hervorgehoben, ist der Umstand, daß sie sich wirklich besonders bemerkbar gemacht hatte. Auch für diesen Zug bieten die Psalmen Salomos eine Parallele. Ps 1715-20 beschreibt, wie die Frommen von ihren eigenen Volksgenossen verfolgt und von den Herrschenden (s. v. 20) bedrückt worden sind — die Schilderung geht auf die Zeit v o r dem Jahr 63 —, und dabei wird nun in v. 18b einer Dürre gedacht, die zur Strafe der Sünden der Herrschenden und des Volkes eingetreten sei. Eine in die letzte Zeit vor Jahr 65 fallende „große Dürre" bezeugt auch die Geschichte von dem Beter Onias (Josephus Antt 14 22).

§ 4. Der Weltbrand. Im palästinensischen Judentum spielt die Lehre vom Weltbrand keine Eolle. Sie wird zwar erwähnt, aber auch nicht mehr als dies. Der Rabbi Eleazar aus Modiim führt sie an, nur um sie mit Hinweis auf Gen 8211. zu verwerfen (VOLZ S. 1 0 5 ) . Nach Josephus Antt I70 = Vit Ad 49f. hat auch ein jüdisches „Leben Adams" die Lehre in positivem Sinne vorgetragen, indessen o h n e s i e m i t d e r j ü d i s c h e n Z u k u n f t s h o f f n u n g zu v e r b i n d e n . Sie hat also keine praktische Bedeutung gehabt, ist lediglich eine von außen aufgenommene philosophische Theorie gewesen. Übrigens hat auch der Verfasser des ursprünglichen Adambuches sie nicht im Sinne eines wirklichen Weltuntergangs aufgefaßt, sondern in Analogie mit der Sintflut als eine gewaltige Feuersbrunst, die die Oberfläche der Erde verheert und nicht einmal alles Leben auslöscht. Denn Adam rechnet damit, daß die Tafeln mit seiner Lebensbeschreibung, die seine Söhne verfertigen sollen, den Weltbrand überdauern und also neue Leser finden werden. Anders steht die Sache in den S i b y l l i n e n (Buch III—V). Denn hier ist die Lehre vom Weltbrand in die lebendige Zukunftserwartung aufgenommen: der Weltbrand führt das Heil herbei. Aber auch hier ist die Theorie eigentümlich umgebogen. Es ist die griechische oder persische Lehre nicht unverändert aufgenommen, sondern dem Geist der jüdischen Eschatologie angepaßt worden. Insofern diese die Erde und die irdische Geschichte betrifft und nicht über den Zustand der Abgeschiedenen in der Unterwelt nachdenkt, läuft sie immer auf dies Eine hinaus: den Zusammenbruch der heidnischen Weltmacht und die glorreiche Zukunft des jüdischen Volkes zu verkünden. Das bewährt sich auch in der Behandlung der Lehre vom Weltbrand. E r ist zu einem Mittel, jenes Ziel zu erreichen, herabgedrückt worden. Zunächst wird nämlich Palästina vom Brande unberührt bleiben. Andere Länder werden

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§ 4.

Der "Weltbrand.

nun zwar nicht ausdrücklich ausgenommen — welches andere Land gäbe es auch, an dessen Verschonung die Juden ein Interesse hätten? — andererseits werden in der Hauptsache gerade die Länder mit dem Weltbrand bedroht, die den Juden feindlich waren. Es mag noch erwähnt werden, daß das Eintreten der angedrohten Verbrennung bisweilen Ton der Nicht-Bekehrung abhängig erklärt wird (4 itiit.). Wichtiger ist, daß das Feuer neben anderen Plagen stehen kann (3 542), also wie diese nur eine beschränkte Wirkung haben wild. Deshalb wird man schließen können, daß der Weltbrand auch für die Sibylle kein wirklicher Glaube gewesen ist; sie hat das Theorem aufgenommen, weil es in der hellenistischen Welt eine bekannte Anschauung war, die sie für ihre Zwecke gebrauchen konnte. Die Sibylle redet zu Heiden und will sie für das Judentum gewinnen oder wenigstens sie dem Judentume günstig stimmen; als Mittel dazu gebraucht sie hauptsächlich Verherrlichung des Judentums und Drohweissagungen gegen die Heiden. Deshalb fließt sie so von Drohungen über. Unter den himmelgesandten Strafen, die sie verkündet, nimmt nun das Feuer aus dem genannten Grunde eine bevorzugte Stellung ein, ist aber keineswegs alleinherrschend. — Wie die Palästinenser wird auch die Sibylle an eine gänzliche Ausrottung der Heiden, oder auch nur der damaligen Feinde der Juden, nicht geglaubt haben; das Eintreten dieser Möglichkeit wäre ihnen vielleicht nicht unerwünscht, aber eine wirkliche Erwartung ist es nicht gewesen, eben weil es alle Wahrscheinlichkeit gegen sich hatte und für das Glück Israels auch nicht nötig war. Dennoch malt die Sibylte den Feuerbrand manchmal so aus, als ob er den davon betroffenen Völkern eine vollständige Vernichtung bringen würde. Das ist aber natürlich genug, denn teils liegt ja die Idee der universellen Verbrennung zugrunde, teils hat die apokalyptische Schilderung immer die Tendenz, die Farben dicker aufzutragen, als es der wirklichen Erwartung entsprach. Die älteste jüdische Sibylle faßt 3 809f. ihre Aufgabe darin zusammen, „das gegen Hellas (d. h. die hellenistische Weltmacht) geschickte F e u e r " zu weissagen. Von einem Weltbrande verlautet also nichts. Dies „ F e u e r " nun ist identisch mit dem „großen Zorn" Gottes, womit 3 646-568 Hellas bedroht wird, falls es nicht dem Gott der Juden huldige. Nach v. 566f. wird der Zorn sich in Krieg, Pest und Knechtschaft äußern, und dazu gesellt sich noch v. 537 fr. neben dem Feuer auch ßegenlosigkeit. Alle diese Plagen zusammen und vielleicht noch mehr bilden „das gegen Hellas geschickte F e u e r " v. 809; das Feuer ist somit ein Bild des vernichtenden Unglücks und kein adäquater Ausdruck der erwarteten Wirklichkeit. Man vergleiche weiter v. 689«., wo neben dem Feuer vom Himmel

§ 4.

17

Der Weltbrand.

auch Krieg und Sintflut die Waffen sind, womit Gott die gegen Jerusalem heranstürmenden

Heiden vernichtet.

Andererseits schildert

Sibylle 3 741—V6i eine allgemeine Glückszeit auf Erden, die n a c h

die dem

B r a n d e (v. 76i) eintreten werde, und an der nicht Israel allein, sondern auch andere Völker teilnehmen werden (v.

756) l .

Ebenso ist die Haltung des f ü n f t e n B u c h e s . Es wird hier manchen Städten und sogar ganzen Gegenden der Untergang in Feuer verkündet (v. 118124 315 325), aber daneben steht auf gleicher Stufe die Bedrohung anderer Orte mit andersartiger Vernichtung (z. B. v. 121 f. 126—136 225 290t. 293ff. 419 usw.). Von einem allgemeinen Untergange durch Feuer kann keine Rede sein. Zwar mag man geltend machen, daß die Sibylle, wenn sie die Einäscherung einzelner Städte oder auch Landschaften weissagt, nicht von der Idee des Weltbrandes inspiriert zu sein brauche, sondern an natürliche Vermittelungen, wie Verheerung durch Feinde (das würde die Verbrennung ganzer Landschaften erklären), Blitzschlag, verbrecherische Brandstiftung oder gewöhnliche Feuersbrunst, gedacht habe. In mehreren, vielleicht in den meisten Fällen mag das zutreffen — es wird z. B. v. 324f. der Untergang Milets durch einen Blitzschlag geweissagt — ; aber diese Annahme dient nur dazu, die Bedeutung des Weltbrandes noch mehr herabzusetzen. Denn jene gehäuften Katastrophen und Unglücksschläge, die nach der Sibylle die hellenistische Welt treffen werden — sei es durch Feuer, sei es in anderer Weise — , stehen gewiß in Beziehung zum Heil Israels. Nicht nur sind sie Zeichen des göttlichen Zornes, die die Heiden von ihrer törichten und gottverhaßten Religion abbringen sollen; sondern sie dienen zugleich der Absicht Gottes, die Macht der Heiden zu brechen, ihre Herrschaft zu vernichten und so das Heil Israels in die Wege zu leiten. Die allgemeine Katastrophe, in der nach palästinensischer Darstellung die Heidenreiche untergehen werden, ist hier in eine Reihe partieller Katastrophen zerlegt, eine Spezialisierung, die sich wohl dadurch erklärt, daß die jüdische Sibylle die literarische Art der alten echten Sibyllen nachgeahmt hat; die Vorhersagung eines bestimmten, einzelnen Unglücks macht auch größeren Eindruck als das Phantasieren ins Blaue hinein von einem allgemeinen Weltende. In der Tat umspannen die vielen Teilkatastrophen die ganze feindliche Welt. Deshalb ersetzen sie den allgemeinen Weltuntergang in Feuer und machen ihn überflüssig. — An einzelnen Stellen liegt nun sicher die Idee des Weltbrandes zugrunde, nämlich da, wo die Sibylle entweder eine allge-

1

Das „Ende der Zeiten" ist hier nicht eschatologischer Termin,

wie so oft in

den palästinensischen Apokalypsen, sondern „bis zum Ende der Zeiten" ist = llelhefte z. ZATK". 30.

2

für immer,

18

§ 4.

Der "Weltbrand.

meine oder auch eine durch ein außerordentliches „himmlisches Feuer" verursachte Verbrennung weissagt. Aber auch wo die Verbrennung allgemein ist, wird, wie in dem dritten Buch, das jüdische Land und Volk ausdrücklich ausgenommen (v. 377ff.; vgl. v. 225t. 230), und wo die Sibylle ein „himmlisches Feuer", z. B. einen vom Himmel herunterfallenden Stern, aufbietet, wird die Katastrophe auf ein bestimmtes Land beschränkt, z. B. v. 155-161 (Rom und Italien). Das ist in der Tat auch v. 260-2S0 der Fall: der Regen himmlischen Feuers soll bewirken, daß der „unreine Fuß der Hellenen" nicht mehr in Palästina umherschwärmen werde; es ist also die hellenische Weltmacht, die der Weltbrand vernichten soll (vgl. auch v. 206-213-. Inder und Äthioper). Unter diesen Umständen ist der Weltbrand eben kein Weltbrand mehr, sondern es ist die philosophische Lehre in ein poetisches Motiv umgesetzt worden; von der Idee einer universellen Verbrennung hat die Sibylle nichts behalten als die phantastische Anschauung von einem wunderbaren himmlischen Feuer, das Gott auf die Erde schicke, um größere oder kleinere Teile der Welt zu verderben. Das fünfte Buch der Sibyllinen geht über die hier besprochenen Gedanken nirgend hinaus. Das tut auch das dritte Buch nicht, insofern es jüdisch ist. Das Stück 3 63—«2 bietet dagegen eine wirkliche, allgemeine Weltverbrennung. Wenigstens hat es diesen Anschein, besonders weil von einer Ausnahme der Frommen oder des heiligen Landes nichts verlautet. Freilich ist die Schilderung sehr kurz, das ganze Stück nur ein Bruchstück; andererseits ist das Stück, das auch eigentlich dem zweiten Buch angehört, sicher christlich, wie jetzt immer allgemeiner anerkannt wird ( J Ü L I C H E R , S C H Ü R E R , G E F F C K E N ) , und das Christentum hat ziemlich bald mit einem transzendenten Heilszustand auch die wirkliche Weltverbrennung aufgenommen (Sib 2zoss.; 2 Fetr 3 1 0 c ) ; als christlich scheidet das Stück übrigens f ü r unsere Betrachtung hier aus. Das v i e r t e B u c h der Sibyllinen 1 , das früher als christlich galt, halten jetzt alle für jüdisch. Seit D E C H E X T S Abhandlung von 1 8 7 8 2 hat die christliche Abfassung keinen Verteidiger gefunden. W i r müssen deshalb auch die Haltung dieses Buches berücksichtigen, obgleich die jüdische Herkunft mir nicht feststeht. — Auch dieses Buch erhebt sich (in v. 152-191) nicht zur Idee einer wirklichen Vernichtung der Erde. Es wird zwar gesagt, daß die Erde selbst nebst den Städten, den Flüssen und dem Meer zur Asche verbrennen wird, aber nachher werden dennoch die 1

Verszählung nach GEFFCKEN, der, mit BLASS (bei KAUTZSCH II) verglichen, v. 164 und v. 188 als neue Verse einschiebt. 2 In Zeitschr. f. Kirchengeschichte Bd. II 4 8 1 ff.

§ 4.

19

Der "Weltbrand.

(auferstandenen) Frommen „auf der Erde leben", „das liebliche erfreuende Licht der Sonne schauend" (v. ist 191). Das neue Leben auf der Erde wird durch Stillung des Feuers (v. iso), nicht durch Neuschöpfung eingeleitet. Ist die Erde Schauplatz des Heils, dann wäre die wirkliche Vernichtung der alten Erde mit darauffolgender Erschaffung einer neuen eine zwecklose Umständlichkeit, die wir kein Recht haben dem Verfasser zuzutrauen, wenn er die Neuschöpfung nicht einmal erwähnt. Wie die dritte und fünfte Sibylle wird auch diese beim Weltbrand nur an große Verheerungen der Erdoberfläche denken. In anderer Weise tut aber diese Schilderung einen wichtigen Schritt über die früher erwähnten hinaus. Sie läßt nicht n u r alle Heiden, sondern auch die Frommen alle im Brande umkommen. Nach dem Aufhören des Feuers erfolgt die Auferstehung aller, der Gottlosen wie der Frommen, dann das Gericht, wobei die Gottlosen noch einmal vom Tod ereilt werden. — Das Gericht ist hier eigentlich verdoppelt; denn neben die gewaltsame Vernichtung (hier durch Feuer), in der nach jüdischer Anschauung fast ausnahmslos das Gericht besteht (deshalb werden auch nur die Gottlosen „gerichtet"), tritt hier noch ein zweiter Akt, der die eigentliche, weil ewige, Entscheidung Gottes über das Schicksal der Menschen ist und deshalb hier allein den Namen des Gerichtes trägt. Indessen gibt dasselbe vierte Buch in v. 40-46 eine ganz andere Darstellung. Hier gibt es nur ein Gericht. Dem Gericht der vv. i83ff. ist dieses insofern ähnlich, als es sowohl über Fromme als über Gottlose ergeht — was für uns hier keine weitere Bedeutung hat 1 —, dagegen unterscheidet es sich von jenem darin, daß seine Objekte nicht Auferstandene sind, also nur ein Tod der Gottlosen, für die Frommen keiner. Diese Darstellung steht den Anschauungen des dritten und fünften Buches ganz nahe, indem die Frommen vom Feuer nicht getroffen werden. Dann ist es aber auch denkbar, daß der Verfasser nicht im Ernst an eine Vertilgung a l l e r Gottlosen denkt, sondern nur in summarischer Weise ihr Geschick als Vernichtung bezeichnet; das konnte er, besonders wenn er beim Ausdruck „die Gottlosen - ' nicht an eine Reihe Individuen, sondern an die Heiden oder Sünder als einheitliche Größe dachte. — An dieser Stelle liegt also möglicherweise die Anschauung der anderen jüdischen Sibyllinen vor, nach welcher auch nach dem Weltbrand Fromme und Gottlose zusammen auf der Erde leben werden — die letzteren freilich sehr dezimiert und ganz machtlos —, eine Anschauung, die mit dem 1

Der Zug ist aber unjüdisch. 2*

20

§ 4.

Der Weltbrand.

gewöhnlichen jüdischen Zukunftsbilde übereinstimmt und eine transzendente Auffassung des Heilszustandes ausschließt. Bisher ist vorausgesetzt, daß die jetzt v. 40-46 zu lesende Darstellung der ursprünglichen Intention des Verfassers entspricht, daß der Zusammenhang nicht durch Textverderbnis entstellt ist. W e n n aber das i'firtah v. 43 (/.al TOTE — beim Gericht — Svaaeßiag /uev vno tögiov EfxnaXi ne^rpei) echt wäre — Laktajsz bietet dafür iv nvqi, und das zieht Geffcken vor — , dann freilich müßte wie in den Schlußversen so auch hier ursprünglich ein doppelter Untergang der Gottlosen gelehrt sein, einmal im Feuer, sodann im „Gericht", und man möchte demnach an einen Ausfall einiger Verse denken. Um eine wesentliche Übereinstimmung der v. 40ir. mit den v. 173ff. zu erzielen, müßte man den Ausfall vor der Erwähnung des Gerichts, also mitten in v. 40 vermuten. In jedem anderen Falle bliebe- die Schwierigkeit bestehen, daß der Weltbrand als Gericht bezeichnet ist, und das entspricht nicht der Anschauung des Verfassers der Schlußverse, der sehr gut weiß, was ihm das Gericht bedeutet. An jener Stelle herrscht aber jetzt der engste Zusammenbang; einen Ausfall hier zu vermuten, wird kaum jemand wahrscheinlich finden. Man müßte eine durchgreifende Umgestaltung annehmen, und das hieße zuviel auf das tfinaXi bauen, um so mehr, als Laktanz das ganz sinngemäße iv nvqi liest; sfiriaXi wird eine im Hinblick auf die Schlußverse vorgenommene Korrektur sein. Da man nun nicht die Schilderung von v. 40ff. als eine nur mehr summarische Darstellung der am Schluß vollständiger ausgedrückten A n schauung begreifen darf, muß man die Einheit des Verfassers aufgeben. Entweder müssen v. 4ot>-46 (und damit das ganze Stück v. 24-48) eingeschoben sein, oder es muß der Schlußabschnitt, der nicht ganz hat fehlen können, eine starke Überarbeitung erfahren haben. E i n e sichere Entscheidung ist kaum möglich. Die erstere Möglichkeit könnte deswegen naheliegen, weil das Stück v. 40ff. der Schilderung des letzten Aktes des Weltdramas vorzugreifen scheint und deshalb an dieser Stelle als Digression aussehen kann; an die Ankündigung v. lstf. schließt sich die Ausführung v. 49ir. in bester Weise an. Dennoch ist es sehr verständlich, daß der Verfasser gerade hier, am Eingang seiner Weissagung, das Bedürfnis gefühlt hat, die Zielausgänge des gesamten Geschichtsstromes zu betrachten, das was ihm von der ganzen Geschichte zumeist am Herzen lag, auszusprechen, den eigentlichen Gegenstand seiner Predigt zu verkünden; das tut er, indem er die Gemeinde der Frommen preist und ihre Widersacher mit Untergang bedroht. Und nicht nur ist das verständlich, sondern man darf vielleicht auch sagen, daß ohne diesen Ab-

§ 4.

Der Weltbrand.

21

schnitt das Thema seiner Verkündigung auffallend wenig betont sein würde. Außerdem kann man für die Annahme einer Überarbeitung des Schlusses auf den Widerspruch hinweisen, daß der Verfasser zuerst (v. 162—173) den Gottlosen nur für den Fall ihrer Nichtbekehrung die Weltverbrennung verkündet, dann aber v. 179ff. die Bekehrung doch nicht vor dem Untergang im Weltbrande schützen läßt. Man kann jedoch daraus kaum mit Sicherheit auf eine Bearbeitung schließen. W e n n die Anschauung der Schlußverse, daß der Weltbrand auch die Frommen vernichten werde, wirklich auf dem Boden des Judentums entstanden ist, dann hat diese Stelle auf besondere Aufmerksamkeit Anspruch, obgleich man natürlich davon nicht absehen darf, daß die Sibyllinen überhaupt, und zumal eine in der Hauptmasse der jüdischen Sibyllinen nicht durchgedrungene Anschauung, nur für die Peripherie des Judentums in Betracht k o m m e n können. Solange auf jüdisch-sibyllinischem B o d e n der Weltbrand nur als eine die Heiden zur Strafe treffende Kalamität uns begegnet, solange dürfen wir kraft der Analogie der oben vorgeführten sibylünischen und anderen Parallelen es als wahrscheinlich behaupten, daß es sich für die nüchterne Erwartung des Verfassers nicht um eine ausnahmslose Vertilgung aller Heiden handelt, mag er sich in der Dichtung seiner Phantasie die Katastrophe auch noch so sehr universell ausmalen; daraus folgt weiter, daß jede Neigung zu transzendenter Auffassung des H e i l s ihm fremd ist. W o wir dagegen wie hier in den Schlußversen des 4. Buches auf die Anschauung stoßen, daß wirklich nur die Frommen auf der Erde überbleiben werden, und zwar sogar als Gestorbene und wieder Auferstandene, dann ist es wenigstens möglich, daß sich hier etwas mehr regt als das alte Verlangen nach Macht, Freiheit, Herrschaft und Rache, nämlich eine Sehnsucht nach einem höheren Leben, die die vollständige Trennung von den Gottlosen als notwendige Vorbedingung ihrer Befriedigung richtig empfunden habe. Von entscheidender B e d e u t u n g wäre es, wenn man annehmen dürfte, daß dem Verfasser der Tod die enge Pforte g e w e s e n sei, die zum höheren Leben führe. Das deutet der Verfasser jedoch mit keinem Worte an. Daß durch Tod und Auferstehung am Wesen des Menschen irgendeine die Notwendigkeit des Sterbens begründende Änderung eintrete, sagt er auch nicht; vielmehr ist ihm das Gegenteil wichtig (u/g 7täqog rjoav v. 1S2). Ebenso fällt kein Wort, das eine Anschauung des neuen Daseins als eines höheren und verklärten verriete. Vielmehr hören wir nur einen Ausdruck der gewöhnlichen irdischen Lebensfreude („das liebliche Licht der Sonne genießen' 1 v. 101). E i n n u r u n b e w u ß t e r Zug nach Transzendenz läßt sich unter diesen Umständen kaum annehmen, da gerade ein solcher

22

§ 5.

Der neue Himmel und die neue Erde.

seine Ziele und Motive irgendwie würde verraten haben. Ein transzendentes Heilsbild kann dennoch in der Seele des Verfassers gelebt haben, aber dann als sicherer Besitz, als selbstverständliche Sache. Ich will nicht behaupten, daß die Erde als transzendenter Heilsschauplatz unmöglich ist. — Indessen, die Bahn ist für andere Auffassungen frei. Es laßt sich vermuten, daß einfach das Streben nach Konsequenz, nämlich in der Durchführung der Idee des Weltbrandes, das ist, was den Verfasser bewogen hat, auch die Frommen sterben zu lassen. Die dritte und die fünfte Sibylle haben dies Streben überwinden müssen, weil es ihnen undenkbar erschien und gegen die lebendige Zukunftserwartimg verstieß, daß das Volk Gottes das Vernichtungsgericht der Heiden und Sünder teilen sollte; der Weltbrand war ihnen ein Gottesgericht, das selbstverständlich nur die vor Gott Schuldigen treffen konnte. Dazu kommt für die früheste Sibylle noch das in Betracht, daß die Auferstehungshoffnung zu ihrer Zeit noch ziemlich neu war und erst nach langer Zeit sich zur allgemeinen Anerkennung durchrang. Zur Zeit der vierten Sibylle dagegen stand die Auferstehung unbedingt fest; das hat es ihr möglich gemacht, die Idee des Weltbrandes konsequent festzuhalten; die Frommen können getrost alle sterben, sie sind dennoch des Lebens sicher. Dann konnte aber das Gottesgericht nicht mehr im Weltbrand gesehen werden, sondern mußte als besonderer Akt hinzukommen. Diese Konstruktion des „Endes" bot dem Verfasser zugleich den Vorteil, daß sie das Maximum der jüdischen Hoffnung auf einen Sieg über die Heiden, ihre gänzliche Ausrottung, sicherstellte. Unsere Erörterungen über das 4. Buch der Sibyllinen können wir in folgende zwei Sätze zusammenfassen: 1. Es ist nicht sicher, daß die Eigentümlichkeit der am Schluß gegebenen Darstellung des Weltendes — Tod und Auferstehung aller Frommen — auf einer transzendenten Auffassung des Heilszustandes beruht. 2. Es ist nicht sicher, ob diese Darstellung des Endes, die von der der früheren Sibyllen abwcicht, wirklich zum ursprünglichen Bestand des 4. Buches gehört.

§ 5. Der neue Ilimmel und die neue Erde. Schon Jes 65 verheißt für die Heilszeit die Schöpfung eines neuen Himmels und einer neuen Erde. Das Wort geht auf jeden Fall über die wirkliche Vorstellung des Tritojesaja weit hinaus; denn die Neuschöpfung wird mit keinem Worte näher ausgeführt, und die im folgenden geschilderte Heilszeit — die mit einer irgendwie transzendenten An-

§ 5.

Der neue Himmel und die neue Erde.

23

schaumig nichts zu schaffen hat — ist derart, daß sie die Notwendigkeit einer so ungeheuren Umwälzung, wie es eine wirkliche Neuschöpfung sein würde, nicht begründen kann. Die wirkliche Vorstellung des Verfassers ist jedenfalls zunächst ganz allgemein so zu umschreiben, daß er die Erschaffung vollständig neuer Verhältnisse erwartet; in der Heilszeit „wird alles anders" in Israel, als es jetzt ist. Um den umfassenden und großartigen Charakter dieser Neugestaltung möglichst kräftig zu betonen, greift er gleich so hoch hinauf, wie es überhaupt möglich ist: die ganze Welt wird neu. Es ist ein Beispiel unter vielen davon, wie die jüdische Phantasie ihre Bilder in paradoxaler Weise übertreibt. Die Wahl gerade dieses Bildes mag durch Einfluß des Deuterojesaja verursacht sein. Dieser gebraucht für das Erscheinen des Heils den Ausdruck, daß Gott „Neues schafft" 1 ; das Verbum hat dem dritten Jesaja die Objekte eingegeben, die er hier nennt. — Es ist wahrscheinlich nur jener allgemeine Gedanke, den der Verfasser mit der Neuschöpfung hat ausdrücken wollen, obgleich er natürlich seine Erwartungen spezialisieren kann und es im folgenden auch tut. Schon die Art des Bildes läßt weniger an eine Einzelheit als an das Ganze denken, und wenn der Verfasser bei der Neuschöpfung wirklich eine bestimmte Einzelheit im Auge hätte, so müßte diese ihm besonders wichtig sein, und man könnte ein näheres Eingehen darauf erwarten; allein von den nachher erwähnten Einzelpunkten kann keiner in Betracht kommen. — Daß die Neuschöpfung Veränderungen der materiellen Welt mit einbefasse, ist eine unnötige und wenigstens unbeweisbare Annahme; durch Jes 60 io, worauf u. a. D U H M hinweist, läßt sie sich nicht stützen; denn daß diese Stelle wörtlich zu verstehen wäre, wie D U H M will, ist nicht glaublich 2 . 1

Jes 4310;

vgl. daß diese Stelle in ITen 10613 von der Heraufführung der

noachisclien Sintflut gebraucht wird. * Diese hochpoetische Stelle beruht auf dem gewöhnlichen Bilde, daß „Gott das Licht Israels" ist, führt aber dasselbe weiter aus, als es uns natürlich wäre. „Gott ist unsere Sonne", würden wir sagen. U m aber eine recht lebendige Anschauung der göttlichen Sonne hervorzurufen, setzt der Verfasser sie ans Firmament, wo er sie dann die natürliche Sonne ersetzen und verdrängen läßt: Sonne und Mond brauchen wir nicht, Gott ist unser Licht. — Die Bildlichkeit des v. 19 wird durch v. 20 außer Zweifel gesetzt. D e n n hier kann ja unmöglich vom physischen Licht die Rede sein. Bei wörtlicher Auffassung könnte man sich den Gedanken noch gefallen lassen, daß es in der Heilszeit keine N a c h t mehr geben solle (v. 20aa); aber die Verheißung (v. 20a/S), daß der im Abnehmen des Mondes liegenden Unvollkommenheit abgeholfen werden solle, wäre eine fade Trivialität. Offenbar sollen beide Aussagen des v. 20 a die Vollkommenheit und Beständigkeit des göttlichen Lichtes malen. Zum Überfluß beweist nun v. 20b, daß Gottes Licht eben ein Bild des gottgeschenkten Glückes ist.

24

§ 5.

Der neue Himmel und die neue Erde.

In den jüdischen Apokalypsen hat Jes 65 n einen sehr unbedeutenden Nachhall gefunden, trotzdem die Kühnheit der Vorstellung doch die Phantasie in besonderem Grad hätte reizen müssen: doch wohl ein Zeugnis dafür, daß in der Apokalyptik keine neuen transzendenten Ahnungen und Stimmungen emportauchen; denn diese hätten in dem Bilde einen besonders bezeichnenden Ausdruck ihrer selbst finden müssen. Ein Nachhall der Stelle ist Hen 9116: „ D e r erste Himmel wird verschwinden und vergehen, und ein neuer Himmel wird erscheinen, und alle Kräfte der Himmel

werden siebenfach leuchten

bis in Ewigkeit."

Der letzte Satz ist eine verkürzte Umschreibung von Jes 30 26 und ist an unserer Stelle wahrscheinlich als Erklärung des neuen Himmels gemeint.

Weshalb die Verstärkung des Lichtes der Sonne und des Mondes

dem Verfasser am Herzen liegt, ist nicht klar.

Er kann den Zug nicht

einfach deshalb aufgenommen haben, weil die Tradition es ihm darbot; irgend etwas muß er sich dabei gedacht haben.

Hat er ihn buchstäblich

gemeint, dann muß er sich vom stärkeren Licht einen praktischen Nutzen versprochen haben, etwa für die Fruchtbarkeit des Landes, von deren ungeheurer Steigerung die Apokalyptiker gern reden. halb vielleicht nicht gerade von der W ä r m e

Er braucht des-

der Sonne zu reden und

könnte in seiner naiven Naturkenntnis auch dem Monde und den Sternen eine Wirkung auf das Pflanzenleben zuschreiben.

Aber für die Frucht-

barkeit Palästinas wäre freilich eine Regulierung des Regens doch von noch größerer Bedeutung; des Sonnenscheins hatte man immer genug, und mehr als genug.

Verwirft man daraufhin diese Erklärung,

wird man in der Verstärkung des Lichts ein p h a n t a s t i s c h e s des

neuen

Licht sollen

Glückes

sehen

die Frommen

ganz realistischer Weise

können.

wandeln:

In

einem

neuen

dies bekannte

ausgeführt worden.

Vgl.

dann

Symbol

wunderbaren

Bild ist hier

in

die Erklärung von

Jes 6 0 i 9 . Eine besondere Erklärung der Erneuerung des Himmels ist nicht notwendig.

Natürlich b r a u c h t e der Verfasser, um die Verstärkung des

Lichtes der Gestirne sicherzustellen, nicht den ersten Himmel vergehen und einen neuen erscheinen zu lassen.

Aber diese Vorstellung war ihm

in der heiligen Literatur begegnet, er hat sie eben in seiner Weise verstanden, wie die Kombination mit Jes 30 26 nahelegt 1 , und hat dadurch erreicht, daß er sein Bild des neuen Lichtes in recht großartiger pathe1

Sonst könnte man das Verschwinden des ersten Himmels mit der im vorher-

gehenden Satze erwähnten Bestrafung der Engel verbinden.

Diese Engel sind nämlici

einerseits Götter der Heiden (s. § 21), andererseits werden sie mit den Sternen v e r bunden (vgl. BorssET 3 7 0 f f . , VOLZ 263. 294).

§ 5.

Der neue Himmel und die neue Erde.

25

tischer Weise ausführen konnte. Eine transzendente Anschauung vom Heil soll der neue Himmel auf keinen Fall ausdrücken; denn dann hätte er die viel •wichtigere Erneuerung der E r d e doch unmöglich übergehen können. Der Heilsschauplatz ist vielmehr die alte Erde, die nicht untergegangen ist; über die richtige Lesart und Übersetzung von v. i4c vgl. S. 71. Bei unserer Erklärung von v. i4c fällt auch der einzige Grund weg, den VOLZ (S. 2 9 5 . 2 9 8 . 3 7 8 ) für seine Annahme, daß die "Wohnung der Seligen hier der Himmel sein soll, anführen könnte. Er weiß aber auch nicht zu erklären, „wozu die Gestirne siebenfach leuchten sollen, wenn doch die Seligen im Himmel sind" (S. 298). Neben Hen 91 IG ist Jub 1 29 zu nennen. Nach dieser Stelle sollen „Himmel und Erde und all ihre (Plur.) Kreatur erneut werden, wie die Mächte des Himmels und die ganze Kreatur der Erde." Die letzten Worte („wie . . . . Erde1'), die den Satz überfüllen, scheinen eine (schlechtere) Variante des Vorhergehenden zu sein 1 . Wären sie echt, müßte man von ihnen aus die Erneuerung des Himmels verstehen. Die Möglichkeit der Echtheit scheint mir aber so gering, daß es sich nicht verlohnt, länger dabei zu verweilen. Weder hier noch sonstwo in seiner Schrift sagt der Verfasser, was ihm die Erneuerung des Himmels und der Erde bedeutet. Die „neue Schöpfung" 4 26 hilft uns nichts. Beide Ausdrücke, Erneuerung und neue Schöpfung, sind offenbar identisch und gehen auf Jes 65 17 zurück. Nach 1.29 ist die Erneuerung mit dem Anbruch der Heilszeit eng verbunden und muß ein wesentliches Stück desselben bilden. Der eschatologische Ausblick, den der Verfasser 2311-31 gibt, schließt eine gewaltsame Unterbrechung der Geschichte aus (vgl. S. 13). Das meint auch CHARLES2; die Erneuerung geschehe nicht „augenblicklich und durch eine Katastrophe", sondern stufenweise fortschreitend („gradual"). Jedoch gibt er die Beziehung der „Erneuerung" auf das Leben der Natur nicht auf. Das hängt mit einer verkehrten Auffassung der Eschatologie der Jubiläen zusammen, und diese wieder folgt zum Teil aus seiner unrichtigen Datierung der Schrift in die Zeit des Johannes Hyrkanus; denn demnach muß CHABLES annehmen, daß der Verfasser sich schon in der Messiaszeit stehend fühle. Das Z u k u n f t s b i l d des V e r f a s s e r s sieht nach CHARLES SO aus: 1. Er hoffe zuerst auf eine gradual spiritual transformation of Israel (of man, sagt CHARLES ZU 2 3 3Ü). 1 2

Der Text des V e r s e s ist überhaupt mehrfach in Unordnung. Book of Jubilees, Introduction § 2 4 und Bemerkungen zu 129 und 2 3 26 - 30.

26

§ o.

D e r neue H i m m e l und die neue Erde.

2. Diese sei begleitet von einem gradual approach to Messianic blessedness; das messianische Reich werde pari passu with the spiritual transformation of man eintreten. 3. Damit zugleich werde eine corresponding (d.h. gradual) transformation des Himmels und der Erde stattfinden. Darin bestehe die Erneuerung 129. 4. Das in dieser Weise gradually and progressive eingeleitete messianische Reich sei nur von temporärer Dauer und werde durch das Gericht abgeschlossen. P u n k t 1 ist eine Umschreibung von 23 26 (und 50 5), wo der Gesetzeseifer der Partei des Verfassers als das, woran sich die Hoffnung auf eine bessere Zukunft anschließen kann, hervortritt. Daß der Verfasser ein allmähliches Zunehmen des Gesetzeseifers im Volke erwartet habe, ist richtig; dies eine spiritual transformation of man zu nennen, ist dagegen weniger gut. — P u n k t 2 hat an der gegenwärtigen Reihenfolge von 23 27—30 eine scheinbare Stütze. Denn hier wird zunächst (v. 27) eine Steigerung des Lebensalters bis an 1000 Jahre verheißen — und zwar ist es nicht unwahrscheinlich, daß diese Steigerung allmählich („von Geschlecht zu Geschlecht") eintreten UDd erst nach einer Reihe von Generationen ihren Gipfel erreichen werde. Danach folgt in v. 28f. eine Schilderung der ewigen Jugend der Gerechten und ihres ungestörten Glückes. Dann erst berichtet der Verfasser in v. so von der (politischen) Erstarkung Israels und seiner Vertreibung der Feinde. Eine „stufenweise Annäherung an das messianische Glück" kann diese Schilderung nur dann beweisen, wenn das v.30 Erwähnte erst gewisse Zeit n a c h dem beginnenden Zunehmen des Lebensalters eintreten wird. In diesem Falle müßte man aber weiter annehmen, daß die Vertreibung der Feinde (v.30) ebenfalls erst nach dem Eintritt des ungestörten Glückes (v. 20) stattfinden werde. Das ist aber selbstverständlich unmöglich. Gehört die Vertreibung der Feinde überhaupt mit zum Heil, dann muß dieser Zug die Einleitung der Heilszeit bilden. Unter diesen Umständen hat man kein Recht, die v. 27 berührte E n t w i c k l u n g zeitlich v o r die Ereignisse von v. 30 fallen zulassen. Wahrscheinlich ist auch der Text in Unordnung geraten; v.30 muß zwischen v. 20 und v.27 stehen. Es ist aber auf jeden Fall klar, daß auch unser Verfasser eine zu einer bestimmten Zeit eintretende entscheidende Wendung des Geschickes Israels, eben die Vertreibung der Feinde, annimmt. — Daß die Befreiung Israels nicht an einem einzigen Tage erfolgen kann, ist eine andere Sache, und daß der Verfasser von J u b 2 3 wie andere Apokalyptiker 1 ein Zunehmen des Glückes w ä h r e n d d e r 1

Vgl. einen rabbinischen Ausspruch unten S. 110 Anm. 2.

§ 5.

Der neue H i m m e l und die neue Eide.

27

M e s s i a s z e i t angenommen haben kann, ist nur natürlich, aber von ganz nebensächlicher Bedeutung, ist auch nicht das, was CHARLES meint. — P u n k t 3, auf den es in unserem Zusammenhang besonders ankommt, beruht auf nichts als der Analogie des Punktes 2 und fällt mit diesem dahin. — P u n k t 4 hängt ebenfalls von 2 ab. Wäre nämlich die Messiaszeit eine von dem erwachenden Gesetzeseifer in Gang gesetzte Evolution, und durch keine Revolution eingeleitet, dann könnte das Gericht an keinem einzelnen Punkte dieser Evolution, auch nicht an deren Anfang, eingeschoben werden (vgl. die Bemerkung von CHARLES zu v. 30), d. h. man müßte ein Aufhören der Messiaszeit annehmen und das Gericht ans Ende derselben setzen. Aber nichts deutet im Text selbst auf eine begrenzte Dauer der Messiaszeit hin, vielmehr wird das Gegenteil betont (23 30 Freude bis in alle Ewigkeit; 50 s). Das Gericht v. 3i besteht, wie aus der ganzen Darstellung v. so f. klar genug hervorgeht, in der Yertreibung der Feinde (v. 30c) und in dem Unglück, das sie trifft (v. 30 letzter Satz). Auch 2311 setzt das Gericht vor das beginnende Zunehmen des Lebensalters, d. h. vor die Messiaszeit. Unter diesen Umständen kann die Erneuerang des Himmels und der Erde usw. nur mit dem die Messiaszeit herbeiführenden Gericht gleichzeitig sein. Da nun die Darstellung des eschatologischen Kapitels, Kap. 23, eine wirkliche Neuschöpfung der physischen "Welt nicht hätte übergehen können, wenn der Verfasser die Messiaszeit erst jenseits derselben verlegte, sondern in diesem Falle überhaupt ganz anders hätte ausfallen müssen, so kann auch die Erneuerung von Himmel und Erde 129 nicht in einer äußeren kosmischen Umwälzung bestehen. Andererseits soll diese Begebenheit den Heilsanbruch bezeichnen, unmöglich kann aber der Heilsanbruch durch ein ganz unbedeutendes, in Kap. 23 nicht einmal erwähntes Einzelereignis bezeichnet sein. Die Erneuerung des Himmels und der Erde muß wenigstens ein hervorstechendes Merkmal oder noch besser eine zusammenfassende Bezeichnung des Heilsanbruches sein; in jedem Fall ist sie bildlich zu verstehen. Die letztere Möglichkeit wird zu wählen sein. Es ist also hier einmal d e r Fall eingetreten, daß eine Stelle von einem späteren "Verfasser in ihrem ursprünglichen Sinn verstanden wurde. Wie H e n 9 1 i 6 mit dem aus Jes 65 n stammenden „neuen Himmel" ein Wort von der Verstärkung des Scheines der großen Himmellichter verband, so erwähnt auch Jub 129 eine E r n e u e r u n g d e r L i c h t e r . Diese Übereinstimmung mit Hen 91 i« ist vielleicht nicht zufällig. Der Verfasser der Jubiläen hat mehrere Teile unseres Henochbuches gekannt 1 . — 1

Vgl. SCHÜREH U l i , S. 380.

28

§ 6.

Erneuerung des Schöpfung oder des Äons.

Während aber Hen 9116 die Verstärkung des Lichtes wahrscheinlich nur ein Biid ist, kommen die Lichter hier in eigentlichem Sinne als Spender des Heils und Segens in Betracht, mag der Verfasser dabei an ihre natürliche Bedeutung für die Fruchtbarkeit denken oder einen astrologisch orientierten Zusammenhang zwischen den Gestirnen und dem gesamten Erdenleben im Auge haben. Über den Gedanken an ein erhöhtes irdisches Glück geht auch dieser Zug nicht hinaus. — Über die verwandte Stelle Hen 4 5 4 s. S. 34.

§ 6. Erneuerung der Schöpfung oder des Äons. Wir stellen hier die Stellen zusammen, die von der Neuheit oder der Erneuerung nicht des Himmels und der Erde, sondern der „Schöpfung" oder des „Äons" reden. Über die „neue Schöpfung" Jubl'29 4 26 ist eben schon Genügendes gesagt 1 . Gott „erneuert die (oder: seine) Schöpfung" Bar 32 6 Esr7?5f. Die „Erneuerung des Äons" findet sich Bar 57 2 (in der rabbinischen Literatur: Eaddisch d. rabb., Anf.), etwas anders ist A p o k A b r l 7 : Erneuerung des Äons der Gerechten. Dazu noch „der neue Äon" Bar 4 4 1 2 (auch in der rabbinischen Literatur). Sowohl Esra als Baruch gebrauchen den Ausdruck, daß Gott die „Schöpfung erneuert", als ganz allgemeine Bezeichnung für das Eintreten der Heilszeit, in reiner Nominationsabsicht. So verkündet Bar 32 die wechselnden Schicksale des Tempels und erklärt, daß Israel noch größere Trübsale wird durchmachen müssen, als die es jetzt (586 v. Chr.) erfahren hat. Hier heißt es v. 6: züv de övo dXiipewv2 f.ielCwv (sc. torai) ó áyúv, ötav ó -/.(taziaiog fitklet, dvaAoivoüv rfjv -/.rioiv avroC. Esr 7 75 fragt Esra, „ob wir nach unserem Tode

einstweilen in Frieden

bewahrt werden, bis jene Zeiten kommen, in quibus incipies creaturam renovare, oder ob wir s o g l e i c h gepeinigt werden sollen." — A n beiden 1

Außerdem findet sich der Ausdruck „neue Schöpfung" nur noch Hen 7 2 1 in einer Interpolation. Denn wenn hier Uriel dem Henoch zeigt, wie es sich „mit den Gesetzen (der Himmellichter) in alle Jahre der Ewigkeit („in" ist meine Korrektur des offenbar korrupten „mit") u n d b i s in E w i g k e i t , " verhalten wird, dann kann nicht gleich daran angefügt werden: „bis die neue, ewig dauernde Schöpfung geschaffen wird". Die Schrift, deren Überschrift 72 1 ist, beschreibt wirklich die ewig gültige Ordnung; von einer künftigen Änderung derselben seitens Gottes weiß die Schrift nichts (dagegen wohl von einer Verkehrung derselben durch die Sünder Kap. 80). Die „neue, ewig dauernde Schöpfung" 7 2 1 hätte jedenfalls mit der jüdischen Heilserwartung nichts zu tun; denn für sie verstreicht keine Ewigkeit, bis das Heil eintritt. Nichtdestoweniger wird die Stelle sehr häufig für die jüdische Heilsei Wartung verwertet. 7 Die vom Jahre 586 v. Chr. und 70 n. Chr. sind gemeint.

§ 6.

Erneuerung der Schöpfung oder des Äons.

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Stellen soll der Ausdruck einfach die bekannte Sache n e n n e n . Daraus folgt, daß die Erneuerung der Schöpfung entweder ein das gesamte Heilswerk umfassender Ausdruck oder eine Bezeichnung einer wesentlichen Seite desselben sein muß. Im ersteren Fall steht selbstverständlich die Umgestaltung des Geschicks der Frommen als erster Punkt der Erneuerung; Ereignisse der physischen "Welt k a n n der Ausdruck mit einbefassen, aber nicht geradezu bezeichnen. Im letzteren Fall ist jede Beziehung auf die physische Welt ausgeschlossen; denn weder Baruch noch E s r a reden, wie wir sehen werden, sonst von einer Erneuerung der Naturwelt, abgesehen von der Idee der gesteigerten Fruchtbarkeit Palästinas, ein Punkt, der jedoch kaum so wichtig ist, daß das ganze Heilswerk durch ihn könnte b e zeichnet werden. — Schon jetzt ist es klar, daß in der hier untersuchten Verbindung „die Schöpfung" in erster Linie oder vielleicht allein die Menschenwelt bedeuten muß. Das wird durch den sonstigen Gebrauch des Wortes bei E s r a und Baruch bestätigt: 1. Als nomen actionis ( = creatio) kommt das Wort nicht vor; denn Bar 29 4 „am 5. Tage der Schöpfung" wird die Schöpfung = die Welt sein, und ebenso E s r 6 3 s „ab initio creaturae in primo die sprachst d u : fiat l u x " , wie B a r 56 2 AN' äo%F]g zfjg Y.iioecog Y.ai f'ug TO% xtXovg avzfjq beweist. 2. In individuellem Sinne ( = Einzelgeschöpf) findet sich der Singular bei E s r a 7 62 8 s 13, und zwar vom Menschen im allgemeinen. Den Plural „die Geschöpfe" hat er nicht; die Pluralpunkte, mit denen versio syra an drei Stellen (7 62 845 116) ar-p-a versieht, können gegenüber dem konstanten Sing, der Lat. nicht als richtig gelten; 7 62 wäre der Plural auch sinnlos. F ü r „die Geschöpfe" sagt er ta tqya ( z . B . 6M 7134) oder ot xTia&evTeg (z.B. 860). — B a r u c h hat an mehreren Stellen (141" 489 54 is 56 2) N i r - a mit Pluralpunkten; 1417 ist der Plural sogar für das Ketibh durch ein Suffix gesichert, aber gerade hier ist der Plural wenig passend: das im Hexaemeron Geschaffene heißt hier va Iqya twv /.Tio/Aazcov; natürlicher wäre ta loya zfjg -/.zioewg. Das griechische Fragment der Apk B a r (Oxyrh. Pap. Nr. 4 0 3 . Bd. I I I , 1903) hat in 13 11 toig iv avzfj v.zia . . . Der Herausgeber ergänzt xzlopaoi, ebenso möglich ist xria&eiai. Syr. hat hier keine Pluralpunkte, ein Beweis der Unsicherheit dieser Punkte. — E s ist also möglich, daß auch Baruch vom Wort Nrpia ursprünglich nur den Singular hatte. Abgesehen von den genannten Stellen herrscht nämlich sonst der kollektive Gebrauch des Singulars. 3. Woran denken nun die Verfasser bei dem Wort „die Schöpfung" (oder „die Geschöpfe")? An die gesamte materielle Welt mit Einschluß

30

§ 6.

Erneuerung der Schöpfung oder des Aons.

der Menschen oder nur an die letzteren? Bei Baruck gibt es nun unzweifelhaft mehrere Stellen, wo es das Natürlichere ist, nicht nur an die Menschen zu denken; so besonders 1 4 n (xä l'gya rtöv KriopaTiov) und 5418 (die kunstvolle Einrichtung seiner Schöpfung); ebenso wird man 4 8 9 5413 (durch seine Vernunft leitet und lehrt Gott die Geschöpfe) außer an die Menschen auch an die Himmelskörper, die Tiere und wohl auch an Naturerscheinungen wie Regen, Blitze usw. denken müssen. Aber sonst denkt Baruch, und Esra immer, bei dem Ausdruck nur an die Menschen. An den meisten Stellen ist das offenbar. So kann E s r a bisweilen unter creatura dei Israel allein verstehen, das ist 84547 deutlich und 5 66 1 3 26 möglich (Baruch hat nie so). Sonst ist creatura bei Esra Bezeichnung der Menschheit oder des gesamten Menschenlebens. Ygl. 11 6: nemo Uli (dem römischen Adler) contradicebat, neque unus de creatura quae est super terram. Viermal kommt creatura in diesem Sinne vor im Abschnitt 5 43-55, eigentlich zwei kleine Stücke, die aber ein gemeinsames Bild verbindet. Im ersten Stück v. 43-49 fragt Esra, ob nicht die verschiedenen Generationen, statt aufeinanderzufolgen, gleichzeitig miteinander zusammenleben könnten, damit das Gericht schneller käme 1 . Er erhält die Antwort: non potest festinare creatura super creatorem (v. 44). Das Eilen bezieht sich eben auf das von Esra gewünschte gleichzeitige Zusammenleben der Generationen. Es ist nur von der Menschenwelt die Rede, denn nur auf diese hat die zugrunde liegende Idee der bestimmten Zahl der Generationen Rücksicht. — Diese Bedeutung der „Schöpfung" ist weiter v. 45a an sich klar: vivificabis a te creatam creaturam in unum, obgleich diese Stelle als Parallele zur Erneuerung der materiellen Schöpfung, die man 7 75 findet, angeführt wird. Der Satz bezieht sich auf die Auferstehung, vivificare ist der gewöhnliche rabbinische terminus technicus für die Auferweckung der Toten (n«n, vgl. das Subst. E\-in rrnn); creatura ist die Menschheit, auch wenn wir den Umfang der Objekte der vivificatio nach 7 28ff. verstehen; eigentlich wird die Aussage freilich nur den Frommen gelten. — Durch v. 44 und 45a wird die Beziehung auf die Menschheit auch für v. 45b und v. 55 im voraus sichergestellt. In v. 45b argumentiert Esra für die Möglichkeit seines vorhin ausgesprochenen 1 Mit der wunderlichen Frage will Esra nur eine Gelegenheit d e s Gedankens erhalten, die Menschheit habe ihre bestimmte Zahl (nl. ehe der neue Äon erscheinen kann), und diese Zahl sei noch Geduld und Hoffnung! — Der fragende Esra ist nicht Esra selbst, geduld seiner Landsleute. Die höchste Weisheit des Buches ist das, und die ist es eben, die Esra verkünden will.

zur Einschärfung von Generationen nicht voll. Also sondern die Unwas Gott spricht,

§ 6.

Erneuerung der Schöpfung oder des Äons.

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Wunsches: „Wenn sie — die Generationen — zusammen leben werden (nl. bei der Auferstehung), und die Schöpfung das ertragen wird, dann kann sie auch jetzt sie auf einmal tragen." Creatura ist hier etwas anders gebraucht als in v. 45»; sie ist der personifizierte Begriff der Menschheit, der den Menschen in concreto, die v. 45 a creatura heißen, entgegengestellt wird, genau wie im Alten Testament und auch in spätjüdischen Schriften (z. B. ApkBar 3 i 1016 PsSal 1) die Stadt Jerusalem, d. h. der Begriff des Volkes, ihren „Kindern" gegenübersteht. Dagegen ist creatura hier in keiner Weise die fruchttragende Erde, die für die vielen Generationen nicht auf einmal Platz und Nahrung genug hätte; die Bevölkerungsfrage in nationalökonomischem Sinn wird überhaupt nicht aufgeworfen. Wie Gott v. 44 das non posse nur durch Hinweis auf sich selbst (super creatorem), d. h. auf seinen souveränen Beschluß, begründet, so auch hier: er habe nun einmal die Aufeinanderfolge der Generationen festgesetzt (v. 48f.), er habe die Menschheit (das ist v. 48 die Erde -= der Äon v. 44 = die Schöpfung v. 45 b) „zum Mutterschoß gemacht" 1 , d. h. sie wie den Mutterschoß, der seine Kinder nacheinander gebiert, eingerichtet. — In dem folgenden kleinen Stück v. 50—55 wird das Bild von der Mutter festgehalten: „Ist unsere Mutter, von der du sprachst, jung oder schon dem Alter nahe?" Das „Alter" entspricht dem sog. „Ende der Welt". Wenn nun das Bild des Alterns v. 55 auf die creatura übertragen wird (quasi jam senescentis creaturae), dann ist die Bedeutung „Menschheit" — wie in v. 45b gebraucht — gegeben. Dieselbe Vergleichung der Menschheit (oder — wenn man will — der „Geschichte") mit einer Person kehrt Esr 1410 und Bar 8510 wieder; an der letzten Stelle begegnet wieder der Ausdruck »ryna: Die Jugendzeit des Äons ist vergangen, und die Vollkraft der Schöpfung schon längst zu Ende gekommen. Daß Äon und Schöpfung nicht die Naturwelt bedeuten, beweist Esr 1410, wo als dritter Wechselbegriff tempora auftritt: Saeculum perdidit juventutem suam, et tempora adpropinquant senescere. Andere Stellen bei B a r u c h , wo „Schöpfung" die Menschheit bezeichnet, sind 1311: „Ihr Heiden . . . . seid strafbar, weil ihr . . . die Erde zertreten 1

Lat. hat dedi terrae matricem. Als Lesart der Syr. kann man weder mit (in d. Anm. z. St.) ohne weiteres „terram" — also zwei Akkusative — angeben, noch mit VIOLET ohne Vorbehalt Dat. und Akt. übersetzen; der syrische Ausdruck gestattet eben beide Auffassungen (vgl. N Ü L D E K K , Syr. Gramm. § 290). Demnach wird die griechische Vorlage iSoixa if/ yrj urjTnuv gehabt haben, das wird aber falsche Übersetzung des semitischen Urtextes sein. GUNKEL

32

§ 6.

Erneuerung der Schöpfung oder des Äons.

und die Schöpfung 1 gebraucht 2 habt" — und 48*5: av XVQU olSag TI iv tfj /.tiaei aov3 (mit diesem Satze beginnen einige Bemerkungen über die M e n s c h e n ) . Bar 321 wird die eschatologische Zeitwende als „jene Zeit, wo der Allmächtige die ganze Schöpfung erschüttern wird" bezeichnet. Auch hier liegt reine Nominationsabsicht vor, schon deshalb ist die Beziehung des Ausdrucks auf Naturereignisse abzuweisen. Der Ausdruck „Erschütterung" stammt freilich vielleicht aus den Erdbeben der Theophanien, aber die Übertragung auf die Menschenwelt lag von Haus aus sehr nahe (vgl. Hab 2 6f. 21). — Weiter sind zu nennen ein paar Stellen aus Esra; 13 26: durch den Messias wird Gott „seine Schöpfung befreien", nämlich von der Knechtschaft unter Rom; die Schöpfung ist entweder speziell Israel oder vielleicht die Menschheit überhaupt, der es eine Befreiung sein wird, von Rom loszukommen, auch wenn sie dafür unter die (gerechte und milde) Herrschaft Israels geraten würde. Dieselbe Alternative liegt vor Esr 5 se: demonstra per quem visitas creaturam tuam. Endlich gehören hierher die oben unter Nr. 1 genannten Stellen Bar 29 4 56 2 Esr 6 38: Anfang oder Ende der Schöpfung, d. h. der Menschenwelt, der Geschichte. Somit steht das Wort bei Esra an allen (15) Stellen nur von dem Menschen oder der Menschheit, bei Baruch ist diese Bedeutung an der Hälfte der (12) Stellen sicher. Demnach wird auch die Erneuerung der Schöpfung Bar 32 6 Esr 7 75 nicht anders zu verstehen sein; sie bezieht sich auf den Neuanfang der Menschengeschichte, den Gott herbeiführen wird. Denselben Sinn behaupten wir nun auch getrost für den anderen bei Baruch (57 2) vorkommenden Ausdruck „ E r n e u e r u n g d e s Ä o n s " . Die gottgefällige Alt der Patriarchenzeit wird hier so begründet: „Zu jener Zeit war das Gesetz ungeschrieben bei ihnen bekannt, und die Werke der Gebote wurden damals vollbracht; der Glaube an das künftige Gericht wurde damals geboren; die Hoffnung, daß die Welt erneuert werden wird, wurde damals auferbaut, und die Verheißung des Lebens, das nachher kommt, wurde damals gepflanzt." Der Sinn ist: in der Patriarchenzeit entstand die Religion Israels, die eine Religion der Werke und der Hoffnung ist. Die drei letzten Sätze wollen die Hoffnung nennen, aber freilich nicht drei einzelne Stücke derselben; sie alle drei haben den einen Hauptpunkt im Auge 4 und könnten jeder für sich genügen. Schon 1

' ' * unserer

Das griechische Fragment hat einen Plural: rol; xTio[$uai]; vgl. S. 29. Offenbar korrupt. Auch dieser Satz ist nicht in Ordnung. Das läßt sich festhalten, auch wenn der dritte Satz, übereinstimmend mit christlichen Ausdrucksweise, die Zukunft von individualistischem Standpunkt

§ 6.

33

E r n e u e r u n g der Schöpfung oder des Äons.

deshalb empfiehlt es sich, den mittleren Satz in Übereinstimmung mit den beiden ihn umgebenden Sätzen zu verstehen, ihn also auf das geschichtliche Leben der Menschen sich beziehen zu lassen. Die Erneuerung des Äons bedeutet genau dasselbe wie die Erneuerung der Schöpfung, nl. daß Gott einen Neuanfang des Menschenlebens, eine neue Periode der Geschichte schafft. Daß auch „der Äon", ebenso wie „die Schöpfung", die Menschenwelt und die Geschichte bedeuten kann und es in Baruch und Esra gewöhnlich tut, werden wir später sehen (s. § 9). Hier sei daran erinnert, daß wir schon ein paarmal (Esr 5 « f . Bar 85 io, s. S. 30 f.) Äon und Schöpfung als Wechselbegriffe gefunden haben. In einer Lobpreisung Gottes A p k A b r 17 wird Gott so angeredet: „Du bist es . . . . der auflöst die Mischungen der Welt, welche sind von Gottlosen und Gerechten in dem verweslichen Äon, erneuernd den Äon der Gerechten." Sonst in der Schrift, besonders in den Schilderungen des Überganges vom Äon der Gottlosen zum Äon der Gerechten (Kap. 29. 31), begegnet keine Spur von der Hereinziehung der Naturwelt in die eschatologischen Vorgänge. Der Äon der Gerechten ist Produkt der Erneuerung; der ganze Ausdruck heißt also: den neuen Äon der Gerechten heraufführen. Derjenige Unterschied zwischen den beiden Äonen, der hier am meisten betont wird, ist der, daß der neue Äon den Gerechten gehört, also umgekehrt der alte den Gottlosen. Dieser Unterschied wird von Gott hervorgebracht, indem er „die Mischungen von Gottlosen und Gerechten auflöst". Bei „den Mischungen" kann man entweder geradezu an das Zusammenleben beider denken, oder an die Gleichheit des Geschickes 1 — denn die Frommen klagen nicht immer darüber, daß es den Gottlosen b e s s e r ergeht als ihnen selbst; sondern schon das ist ihnen ein Ärgernis, daß in dieser Welt der eine wie der andere ungefähr gleiches Los erhält, daß Gott nicht durch besondere Belohnung der Frömmigkeit vor aller Welt den Unterschied zwischen fromm und gottlos konstatiert, und dies wäre schon Grund genug, die Gottlosen als die Herren dieses Äons zu betrachten. Was nun auch mit den „Mischungen" gemeint sein mag, die Neuheit des Äons der Gerechten liegt etwa darin, daß er den Gerechten gehören wird. Weniger hervortretend ist der a u s bezeichnen will, d. h. wenn „ d a s L e b e n ,

das nachher k o m m t " , soviel ist a l s : „die

neue E x i s t e n z , die der einzelne nach Tod und Auferstehung erhält". könnte wohl auch b e d e u t e n :

Der A u s d r u c k

„ d a s Glück (s. § 1 6 ) , das dem Volk der F r o m m e n

nach

dem E l e n d dieses Äons sprießen wird". 1

VOLZ S . 297 erklärt:

„die innerliche Auflösung der bösen Menschheit".

das eigentlich heißt, v e r s t e h e ich nicht.

die b ö s e Menschheit g e g e n den "Wortlaut. Heihefto z. Z A W . 30.

Was

Außerdem ist „ i n n e r l i c h " nur eingelegt, und 3

34

§ 7.

„Verwandlung der "Welt."

andere Unterschied, daß der alte Äon verweslich, d. h. vergänglich ist, während der neue ewig dauert. Das ist auch keine Inhaltsbestimmung. Über die Bedeutung von „Äon" vgl. unten § 9.

§ 7. „Verwandlung der Welt." Einige Stellen reden von einer Verwandlung, die den Anbruch der Heilszeit kennzeichnen soll; als Objekt derselben wird verschiedenes genannt. Es ist vielleicht nicht ganz überflüssig, zunächst daran zu erinnern, daß man statt „verwandeln" ebensogut oder gar besser „verändern" übersetzen kann. Die modernen Übersetzer bevorzugen überall, weil sie an den betreffenden Stellen eine transzendente Auffassung des Heils annehmen, das erstere Wort, das die Bedeutung der durchgreifenden Änderung und außerdem noch in unserem eschatologischen Sprachgebrauch eine transzendente Färbuüg angenommen hat. Die Ausdrücke der alten Versionen, die hier in Frage kommen — commutare, allaaaeiv, qVn (syr.) und wallata (äth.) — bedeuten einfach „verändern". Unter den Stellen ist zunächst H e n B R 45 4f. zu nennen: (v. 4 b) „Ich werde den Himmel umwandeln und zum Segen uud Licht auf ewig machen, (v. 5a) ich werde die Erde umwandeln und zum Segen machen." Bei der tiefgehenden Textverderbnis des äthiopischen Henoch würde die Annahme sehr nahe liegen, daß die beiden fast identischen Sätze nur Varianten seien, und daß ursprünglich nur von der Verwandlung der Erde die Rede gewesen wäre. Doch muß das auf sich beruhen. — Auf diese Stelle hin nimmt V O L Z S. 297 für die Bilderreden eine „verklärende Umwandlung" des Himmels und der Erde an. Die „Veränderung" ist hier zu dem ausgeprägt transzendenten Begriff der Verklärung, d. h. einer mehr oder weniger tiefgehenden Vergeistigung, gesteigert worden. Ein solches Interesse ist im Zusammenhang der Stelle nicht einmal angedeutet, und was V O L Z sonst dafür anführen kann, nämlich daß nach seiner Meinung die Bilderreden bisweilen den Himmel als Heilsschauplatz (vielleicht sogar neben der Erde) anzunehmen scheinen, ist, wie er selbst (S. 370) zugibt, zweifelhaft genug oder vielmehr unhaltbar. Vgl. unten S. 79ff. Warum brauchte übrigens der Himmel v e r k l ä r t zu werden? Er war doch gewiß für die Juden transzendent genug. Was sie am Himmel verändert wünschten, das war besonders die Macht der im Himmel wohnenden, bisweilen speziell mit den Sternen verknüpften, heidnischen Götter, oder man kann an die Einwirkung des Himmels und der himmlischen Dinge auf die irdischen Verhältnisse, z. B. auf die

§ 7.

„Verwandlung der

"Welt."

35

Fruchtbarkeit der Erde denken. Der Sturz der heidnischen Himmelsgötter wird in den Bilderreden sonst nicht erwähnt; dagegen findet sich 41 8 die Bemerkung, daß die Sonne „viele Umläufe zum Segen oder zum Fluch" mache, ebenso haben nach 59 if. auch Blitz und Donner eine Wirkung zum Segen oder zum Fluch. Der "Wortlaut von 45 4 f. läßt einen Zusammenhang mit 4 1 s und 59 if. wahrscheinlich erscheinen: die Kräfte des Himmels sollen in der Messiaszeit nicht mehr zum Fluch, d. h. zum Schaden wirken, eine Erwartung, die nur mit der gewöhnlichen Phantastik der Apokalypsen, nicht mit Transzendenz zu tun hat. Diese Erklärung bleibt auch dann wenigstens möglich, wenn 4 1 3 - 8 und 59 interpoliert sein sollten, was manche annehmen ( L . G R Y , MARTIN, für 4 1 3 - 8 auch BEER)1, was ich aber meinesteils nicht für ausgemacht halten kann. Hat der Himmel keine „Verklärung" in transzendentem Sinne nötig, so wird durch den Parallelismus ein solcher Sinn auch für die Umwandlung der E r d e ausgeschlossen. Und wenn der Himmel, wie vorhin angedeutet, hier nicht ursprünglich sein sollte, so steht dennoch nach der eignen Aussage des v. 6 fest, daß der Zweck der Umwandlung Beglückung der Menschen, nicht Vergeistigung des Stoffes ist. Fragt man, was für eine Segen und Glück bringende Umwandlung der Erde dem Verfasser wohl am meisten am Herzen gelegen hat, dann kann die Antwort nicht zweifelhaft sein: bisher hat die Erde den Frommen kein Glück und keinen Frieden sprießen lassen, weil sie eine Stätte der Ungerechtigkeit und Bedrückung war — auf jeder Seite klagen die Bilderreden darüber, vgl. 4 6 T 4 8 ? I O 5 3 7 6 2 N 1 3 —; wenn sie dereinst anders, „umgewandelt", werden soll, dann müssen zu allererst die Hindernisse. die dem Glück im "Wege stehen, weggeräumt werden: die Könige und Mächtigen der Erde müssen gestürzt werden, das ist das Praeterea censeo der Bilderreden. — Diese Erklärung des v. 5 stimmt am besten mit dem übrigen Inhalt der Schrift überein; ist aber v. 4b echt, und meint man, 4b und 5a übereinstimmend erklären zu müssen, dann steht der Ausweg offen, die Verwandlung der Erde von einer erhöhten Fruchtbarkeit usw. zu verstehen — freilich begegnet diese Phantasie in den Bilderreden nicht. Neben Hen 45 41. stellt V o l z (S. 297) S i b 5 273. Der Abschnitt 5 2bo-28.-> preist Jerusalem und weissagt der Stadt ein künftiges Glück, da die Gerechten nach bisheriger kleiner Bedrängnis „mehr angenehmes Gute ge1 L. G R Y , La composition littéraire des paraboles d'Henoeh, Muséon 1 9 0 8 p. 2 7 — 7 1 (zitiert nach L A G R A N G E , Messianisme juif, p. 8 7 n. 1 ) ; M A R T I N Z. St.; B E E R ZU 4 1 9 . Es war früher auch die Meinung von C H A R L E S , jetzt aber nicht mehr (s. seine Übersetzung 1 9 1 2 ) .

3*

36

§ 7.

„Verwandlung der Welt."

nießen werden; die Bösen aber werden . . . sich verbergen, tog mg/uos áXXáytj". Danach folgt: „es wird aber kommen aus den "Wolken ein Regen brennenden Feuers", das die Äcker verwüstet; „die heilige Erde der Frommen" bleibt allein davon unberührt und bringt Korn usw. hervor, „als Naß HoDig träufelnd vom Felsen . . ., und ambrosische Milch wird fließen allen Gerechten". Y O L Z konstatiert hier „keinen Weltuntergang, sondern eine äußerliche und innerliche Umwandlung des Heilsschauplatzes", und als Zweck oder Folge der Umwandlung Aufhebung de^s bisherigen Nebeneinanderseins von Guten und Bösen. Der letzte Punkt scheint mir ganz aus der Luft gegriffen, ebenso hat die i n n e r l i c h e Umwandlung im Texte selbst keinen Anhalt, es sei denn, daß darunter die Bekehrung der Menschen vom Götzendienst (v. 277ff.) verstanden werden soll. (Allein Y O L Z wird seine Erklärung des Ausdrucks dem Texte kaum entnommen haben, sondern einen anderswo gewonnenen Begriff der Umwandlung auf diese Stelle appliziert haben.) Indessen laden Kontext und Sprachgebrauch zu einer anderen Auffassung ein. Die jüdischen Sibyllen bieten an zwei anderen Stellen das Passivum des áXXáaaeiv, das eine Mal (3,638) ist yala ßgoriOv, das andere Mal (5 235) xotj/uoto /.alai ¡rríy/.g Subjekt. An beiden Stellen ist „verändern" soviel als „zerstören", „verwüsten", und dieser Sinn liegt auch an unserer Stelle 5 273 sehr nahe, weil dem r¡XXáyr¡ zóa/iog eine Schilderung der Verwüstung der Äcker und Gefilde unmittelbar nachfolgt. Wenn es sich um eine solche vorübergehende Kalamität handelt, hat außerdem auch das Sichverbergen der Gottlosen — etwa in Felsenhöhlen, um dem Feuerregen zu entgehen — einen guten Sinn. Eine dritte Stelle, die für die Idee der WeltverWandlung herangezogen wird, ist E s r 610. Auf seine Bitte, Gott möge ihm „die letzten seiner Zeichen" zeigen, erhält Esra den Befehl aufzustehen; er werde dann eine gewaltige Stimme vernehmen, die den Ort erbeben machen und „vom Ende reden" werde; die fundamenta terrae werden verstehen, daß von ihnen selber die Rede sei, und werden deshalb zittern und schwanken; denn sie wissen, quoniam finem eorum oportet commutari (syr: ort ziXog avziüv aXXayßrjoETai). Der Satz ist verderbt; Subjekt des commutari können nur die fundamenta sein. Die nächstliegende Änderung dürfte sein: bri xtXog avzßv TOE áXXay9T¡vai, daß es ihr Ende ist verwandelt zu werden; statt zod hätte dann Lat del übersetzt. Weshalb brauchen aber die fundamenta eine Verwandlung, im Sinne einer Verklärung, zu fürchten? Was sie fürchten, kann nur Verwüstung oder völliger Untergang sein. Deshalb muß man entweder auch hier wie in den sibyllinischen Stellen aXXax&fjvai in der Bedeutung „zerstört werden"

§ S.

„Das Vergängliche- iu ApkBar.

37

nehmen, oder mit V I O L K T ein Mißverständnis etwa eines j p - des Urtextes, das eigentlich „verschwinden" bedeutete, vermuten. Nun redet aber Esra sonst nie vom Verschwinden der materiellen "Welt; man darf ihm einen so wichtigen Gedanken nicht auf eine bloße Konjektur hin beilegen. Obgleich nun auch die Zerstörung der fundamenta, wie der Naturwelt überhaupt, der übrigen Schrift fremd ist, so steht es um diesen Gedanken doch wesentlich anders, weil man ihn als eine aus der Theophanie stammende poetische Fiktion begreifen kann. Die „Stimme" redet nämlich (v. 20) gerade von dem K o m m e n Gottes, um die Weltbewohner heimzusuchen und die Bosheit der Frevler zu rächen. Daß in diesem Zusammenhang ein Motiv aus der Theophanie hervorträte, wäre nur natürlich. Nach dieser Erklärung haben also die fundamenta terrae bei der vom Ende redenden gewaltigen Stimme vor Furcht angefangen zu zittern, im Vorgefühl jener „Zerstörung", die Gott bei seinem Kommen in der Naturwelt bewirken werde, und die in der Form des Erdbebens auch die fundamenta terrae treffen werde. Über diesen poetischen Wert der Vorstellung hinauszugehen, ist auch aus dem Grunde nicht geraten, daß der folgende Bericht über die Audition, der sehr breit ausführt, was die Stimme sagt, kein einziges Wort enthält, das man auf eine wirkliche, die fundamenta treffende Katastrophe beziehen könnte. Die letzte Stelle, die hierher gehört, ist B a r 493: „Verwandelst (veränderst) du die, die in dem Äon gewesen sind, gleichwie auch den Äon?" Die Redensart „den Äon verändern" kommt bei Baruch sonst nicht vor, hat aber eine offenbare Parallele in dem Ausdruck „den Äon erneuern" (57 2 s. S. 32). Die Begriffe des Veränderns und des Erneuerns sind nahe verwandt und können unter Umständen einander ersetzen. Andererseits bietet auch 441 eine Parallele: „wenn ihr geduldig ausharrt, . . . . so wandeln sich für euch die Z e i t e n zum Heil, und ihr sollt die Tröstung Zions schauen.' 1 (Vgl. auch den Ausdruck „Wechsel der Zeiten" 48 38 59 11.) Der Äon und die Zeiten sind gleichbedeutende Begriffe (s. § 9); der Sinn ist an beiden Stellen, daß die Geschichte oder die geschichtliche Welt umgestaltet werden soll. Die Bedeutung „metaphysische Weltverwandlung" ließe sich durch nichts begründen. — Uber die Idee der Veränderung derer, „die im Äon gewesen sind", d. h. der Auferstandenen, s. § 20 (über den Ausdruck „im Äon sein" s. S. 52). § 8.

„Das Vergängliche" in ApkBar.

Die Zwillingsapokalypsen Baruch und Esra bieten eine Reihe Ausdrücke und Aussagen, in denen man den Gedanken der Vergänglichkeit

38

§ 8.

„Das Vergängliche" in ApkBar.

und des Aufhörens der gegenwärtigen Welt findet. Im Hinblick auf diese Aussagen sagt VOLZ ( S . 1 0 4 ) : „Die spätere Zeit behauptet nicht bloß eine Weltverwandlung, sondern einen wirklichen "Weltuntergang und leitet diesen geradezu aus dem Wesen der Welt ab. Die Welt ist ihrer Natur nach vergänglich, sterblich, wie der Mensch, daher muß sie einmal vergehen und sterben. Zahlreich sind vor allem in Esra und Baruch die Aussagen, wonach der jetzige Äon sterblich, also für den Untergang bestimmt sei." Andere Forscher mögen den Inhalt der Stellen nicht so bestimmt umschreiben, ihr transzendenter Gehalt steht ihnen doch gleich fest (vgl. BOUSSET S. 2 8 0 f. BERTHOLET S. 4 5 6 f.). Unter diesen Aussagen befinden sich einige, die die Vergänglichkeit oder Sterblichkeit von dem Äon aussagen; diese wollen wir erst im § 1 1 behandeln. Andere Stellen reden nicht von dem Äon, sondern nur von „dem Vergänglichen" (neutr.) oder „der Vergänglichkeit". Solche finden sich sowohl in Baruch als in Esra. Die Esra-Stellen werden nun gewöhnlich nicht auf die Naturwelt bezogen, sondern auf die Menschen, und tatsächlich meint auch Esra etwas anderes als Baruch. Wir werden seine Aussagen in § 18 erörtern und nehmen hier nur die BaruchStellen vor. Der syrische Ausdruck, der mit „das Vergängliche" wiedergegeben wird, ist bannen cto (oder 'izn oder im Plural franrurn f?-). Er kann auf griechisches TO v fiiyag ist sicher korrupt (vgl. D A L M A N S. 134 und B E E R Z. St.); er findet sich nie auf echt jüdischem Boden (roajus saeculum Esr 7 13 hat nur Lat.), dagegen sl. Hen 65 8 vom künftigen Äon und Sib 3 92 von der gesamten "Weltzeit (vgl. o f.laxQog Kiiov Dionys Hai 7 65). 5 In Hen 1—36 begegnet außerdem an sieben bis acht Stellen (s. DALMAN 133) der Ausdruck 9-eöi (xvoiog, ßaaUtvg) IOB ulBvog oder TOV nlwvoiv. In diesem wie in dem anderen Ausdruck yevetd zoü «Ißvog (iQv aiioinov), der sich an verschiedenen Stellen findet, kann man zwischen „"Weltzeit" und „Ewigkeit" schwanken. F ü r Hen 1—36 ist jedoch die letztere (ältere) Bedeutung festzuhalten (gegen DALMAN 134), da die neue Bedeutung in diesen Kapiteln sonst nie begegnet, außer an der verworrenen Stelle 161. — Es ist noch der ganz singulare Ausdruck in' ia^iiroig aiaat Hen 27 l (griechischer Text) zu notieren; aidv müßte hier den Begriff einer begrenzten Zeit haben; aber lies mit Ath. in' io/üxmg rja^aig. 6

Diese Stelle ist jedoch nicht sicher, da irgendein Textfehler vorliegen wird. Denn TIQ\V xiia&rjvcti xov «iGivci xai io>g uitavog ist unwahrscheinlich („vor ihm" unecht; vgl. Hss.). Vielleicht ist nolv xxiafUjvai irgendwann aus anb xxiactog entstanden (rbv al&va wäre dann sekundär). 7 D A L M A N S Gründe gegen die Echtheit von 48 6 7 (S. 135) sind kaum stichhaltig.

48

§ 9.

Die Bedeutung von aiwv

(abv).

seltsamer Ausdruck. — H e n n o a c h 691« nqiv yLTia&ftvai xov alwva; 69i7i8 and -/aiaecog aicövog. — Sicher aus den ersten Dezennien des 1. Jahrh. nach Chr. stammt A s s M o s ; 11 IB nennt Moses divinum per orbem terrarum prophetam, consummatum in saeculo doctorem; 124 ab initio creaturae orbis terrarum 1 ad exitum saeculi. — Aus H e n a s t r o n (Hen 7 2 — 8 2 ) führt D A L M A X S. 139 für die Gleichung Ö B I ? = -/.¿ofiog eine ganze Reihe von Stellen an: 721 753 8 82 I 6 7; es wären noch 75 2 9 81 s mitzuzählen. Indessen ist die Reihe auf jeden Fall beträchtlich zu reduzieren; einige Stellen sind offenbar verderbt 2 , andere mit Unrecht herangezogen 3 . Nach Abzug derselben bleiben ein paar Stellen, wo 1

Entweder creaturae oder wahrscheinlicher orbis terrarum ist zu streichen. ist 'älam schon von BF.F.R und CHARLES ( 1 9 0 6 ) in 'ämat („Jahr"; heißt auch 'am) korrigiert worden. DILLMANN (und noch FLEMMING) übersetzen „Berechnung des Weltlaufs"; „"Weltlauf" ist ihnen aber dann nicht die zeitliche Ausdehnung ( = „"Weltzeit") — um die Berechnung der Weltzeit handelt Hen astron ja nicht — , sondern die Bewegung, das Vorschreiten der Zeit, und das kann cb")" nicht bedeuten. — Auch 75 2 im Ausdruck tenqäqö 'älam ( = Genauigkeit oder Harmonie des Weltlaufs) nimmt DILLMANN dieselbe (in den Zusammenhang freilich passende) Bedeutung an. Es ist inkonsequent, 8 2 5 zu korrigieren und 75 2 das 'älam stehen zu lassen; vielmehr ist hier mit Q 'am zu lesen — öfter als die übrigen Handschriften hat Q das Richtige allein ( C H A R L E S , 1 9 0 6 , p. XXIII). Außerdem ist mit der besten Iis. G allein batenqäqe zu lesen. Der Satz lautet dann: „Voll gemacht wird in Genauigkeit das Jahr durch 364 Weltstationen", ein Text, der sich, vom letzten "Worte abgesehen, von selbst empfiehlt und durch die Parallele oder vielmehr Variante in 7417 bestätigt wird. Die „Weltstationen" sind aber kaum richtig. Der Ausdruck findet sich freilich schon einmal vorher im selben Vers, im zweiten Satz, wo er indessen offenbar nichts zu tun hat, weder als Objekt ( M A R T I N ) , noch als Acc. loci ( D I L L M A N N , B E E R , C H A R L E S , FLEMMING); er ist vom letzten Satz fälschlich hier eingedrungen. Auch in dem mit 75 2d bedenklich verwandten 74 17 erscheint der Ausdruck: „voll gemacht wird das Jahr in Richtigkeit gemäß ihren (der Mondphasen) "Weltstationen und den Stationen der Sonne"; doch lassen M und Gruppe II „"Welt" aus. Der Widerspruch zwischen den 364 Weltstationen 75 2 und den Stationen des Mondes und der Sonne 74 17 macht den ganzen Ausdruck hoffnungslos. — Verderbt ist weiter das auch 75 3: (der Engel) ov x«Tioz>)otv o XVQIOS . . ITII nuviaq xov; (FMAXFJQAG ROÜ ovgavoO iv OVQAVUI xiu iv «IISvi. Die Worte iv ovo. x. iv cd. sind offenbar überflüssig. — Ebenso 75 8: elSov uQfiaxa iv rc5 ovgavä « fTQ(%ov iv aißvi vnegüvto xßv nvlmv ixet'viov. Nach der allgemeinen Ortsbestimmung „am Himmel" ist die noch allgemeinere „in der Welt" („Weltraum", wie FLEMMING übersetzt, bedeutet Obw nicht) überflüssig und unmöglich. Da die icQ/xara die „nie untergehenden", d . h . die nördlichsten, immer über dem Horizont bleibenden, Sterne sind, wird ba'älam aus la'älam (TIG alßva) verderbt sein. 2

a

82 5

So 75 9, wo es von einem der nie untergehenden Sterne (s. vor. Anm.), d. h. vom großen Bären, wie schon DILLMANN vermutete, gesagt wird, daß er ja'awed lakuellu 'älam, d. h. nicht: er umkreist die ganze Welt, sondern: er bewegt sich immer im Kreise (geht nie unter den Horizont). — 82 1 eis ytviug alßvog wird wie gewöhnlich zu verstehen sein; der Dativ zu dem „übergib" ist ausgefallen, der Satz überhaupt nur

§ 9.

49

Die Bedeutung ron a t ä v (Dbi?).

a b v im Sinne von "Weltzeit (Welt?) ursprünglich sein mag, nämlich 81s: Gott hat näv i'qyov TO€ aiüvog gemacht — und 82 7: -/.vgiog NAVTOQ •/aiouaros aliovog = Herr jedes Geschöpfes der Welt, eine Gottesbezeichnung, die ganz ungewöhnlich und im Zusammenhang auch nicht besonders begründet ist. Deshalb verdient es Beachtung, daß zwei Hss. der besseren Gruppe (M, U) und einige der Gr. II /.tia/xarog auslassen 1 . — In der Tiervision des Henoch 2 , den Paränesen des Henoch, der Wochenapokalypse3, den Salomopsalmen, dem 1. Makkabäerbuch, Tobit, Judit usw. findet sich keine Spur der neuen Bedeutung des abr?. Erst den Apokalypsen Esras und Baruchs ist der neue Gebrauch von abw recht geläufig*. Es wird nun aber gewöhnlich angenommen, daß das Wort in diesen Schriften auch die Welt, d. h. die Welt der Geschichte mit ihrem Schauplatz der Erde, bedeuten kann. Nach DALMAN (S. 140) ist diese Bedeutung seit dem Ende des 1. Jahrhunderts nach Christus üblich gewesen, und er zählt als Belege dafür eine ganze Reihe von Stellen aus Esra und Baruch auf. Für seine Aufstellung der Liste gibt er keine Begründung. Das kommt daher, daß er hier im wesentlichen die herkömmliche Auffassung des Wortes gutheißt; nur in dem einen Punkt protestiert er gegen sie, daß er für die Ausdrücke „dieser eine Variante des v. 2b. — 72 l ncivxeg ol iviuvrol TOO aidvog wird die „Jahre der Ewigkeit" (oder auch: Weltzeit) bedeuten; der ganze Satz, dem es gehört, ist aber schwerfällig u n d nachschleppend und der Text wohl mehrfach beschädigt (vgl. oben S. 28 Anra. 1 ) . Er lautet: xal n&v xö ßißkiov (oder näaav irjv yga einsetzt, ist unbegründet. 5

§ 9.

Die Bedeutung von «law

51

(cbi3>).

die einzelnen Menschen gebiert, und die bald „die Schöpfung" (v.45b), bald „die E r d e " (v. 48), bald wieder „der Olam" (v.4449) heißt, nichts als der personifizierte Begriff der Menschheit ist.

Ebenso haben wir gesehen

(S. 4 6 Anm. 4), daß E'nr in B a r 5 6 3 (rö ¡.iTf/.oq ro£> alwvog die Weltgeschichte bedeutet.

Weiter E s r 9 2 :

saeculum qui (falsch für quod) ab suchung sind sagt Gott:

die Menschen.

eo factum e s t " :

Endlich

ov

l'/.ziaev)

„incipiet Altissimus visitare Objekt der Heim-

vergleiche man E s r 7 11 f.

Hier

propter eos ( = Israel v. 10) feci saeculum, et quando trans-

gressus est Adam

constitutiones meas, judicatum

est quod factum

est,

(v. 12) et facti sunt introitus hujus saeculi augusti et dolentes et laboriosi etc.

Saeculum wird hier mit „quod factum est" aufgenommen; das

hier erwähnte „Gericht des Geschaffenen" besteht aber nicht in der Verfluchung

des Erdbodens (wie Gen 3), sondern in den v. 12 beschriebenen

Übeln des M e n s c h e n l e b e n s . b) Häufig sind auch die Ausdrücke i n den O l a m k o m m e n ( = g e boren werden) E s r 7132 (920 Lat.) B a r 3 i bringen,

4815 5116 —

von den Weibern, B a r 7 3 7 — v o n d e m

in den

Olam

Olam

weggehen

( = sterben) E s r 4 2 4 B a r 142, auch: d i e s e n Olam verlassen Bar 1413. Auch die Bildung dieser Ausdrücke setzt nicht notwendig voraus, daß Dbi5> die E r d e bezeichnet.

W i r denken j a in unseren entsprechenden Verbindungen

bei der „ W e l t " ebenso leicht an die Menschenwelt oder an das Dasein überhaupt, als an die Erde.

Daß das auch für den jüdischen Sprach-

gebrauch der Fall sein k a n n ,

ergibt sich aus B a r l 4 i 2 f . : v. 13 wird das

Sterben als ein „Verlassen dieses Olam" bezeichnet, v. 12 als ein „Weggehen aus diesem s ^ a w " .

Das W o r t s i a - y bedeutet eigentlich das Wohnen,

aber wie das Stammverb -72;' zu dem Sinn von „leben", „existieren" abgeschwächt wird (z. B. E s r S 2 0 : 0 Gott, der du ewig wohnst d . h . lebst), so erhält auch das Subst. die Bedeutung Dasein, Existenz (z. B. B a r 73 s ) — Ein Beweis für die Bedeutung „Menschenwelt" oder „Dasein" läßt sich jedoch keiner der unter diesem Punkt aufgeführten Stellen

entnehmen.

c) E i n e 3. Gruppe von Stellen enthalten die Ausdrücke „ot tv x(i> ulüvi 832

(avzoLi

d. Ii. xov

E s r 5 44 9 19 2 ; 1

Andererseits

9-eov)

dazu N&v

ovreg TÖ

sagt Bar 76 2 „von

(yeivtiet'Oi) LV

TOI

oder zrtff^iVreg" B a r 4 9 3

AHORI

(Y£v6f.ievov) B a r 7 3 1 8 5 u

dieser Erde weggehen".

Wenn

hier

nicht

iC'^N aus s i ü i J korrumpiert ist, so gilt dies Weggehen doch nur Baruch, dem hier das ausnehmende Los verheißen wird, ohne Tod von der Erde (an einen himmlischen Ort) entrückt zu werden.

»Von dieser Erde weggehen" ist hier also kein Ausdruck

für das Sterben. * Lat. hat hier ein einziges Mal mundus (Syr. s n b y ) , sicher unrichtig. das ist unrichtig, daß Lat. mundo h o c sagt (gegen Syr.). 4*

Auch

52

§ 9. Die Bedeutung von aiiiv (ebiy).

Esr 9 5 14 22 und der bildliche Ausdruck qui in saeculo seminati sunt Esr 8 4i. Natürlich sagt man auch oi ¿v xf¡ yf¡ oder oí ¿v Tf¡ yf¡ xrio&¿vveg (letzteres Bar 13 n griech. Fragm., s. S. 29), und die lokale Bedeutung des abia» mag hier um so einleuchtender vorkommen, als der abiy eben als ein Raum (ev) vorgestellt ist. Aber die Vorstellungen des Raumes werden ja überhaupt auf die Zeit übertragen. Daß Dbir in diesen Ausdrücken nicht die Erde, sondern den geschichtlichen Weltinhalt, die Menschenwelt, bedeutet, ergibt sich aus der Stelle Esr 5 44: nec (potest) sustinere saeculum qui in eo creati sunt(Syr.: geworden sind) in unum; daß saeculum an dieser Stelle nicht die Erde bedeutet, haben wir oben S. 30 f. dargelegt. d) Nur eine Variation der vorhergehenden Ausdrücke ist in der Tat die häufige Wendung „ d i e i m O l a m W o h n e n d e n " oder „ d i e d e n Olam Bewohnenden". Es fragt sich zunächst, welche Konstruktion die ursprüngliche ist, die mit oder die ohne Präposition. Versio latina des Esra hat qui (in)habitant saeculum oder habitantes saeculum 3» 7 74 8 60, dagegen qui (in)habitant in saeculo 3 34 7 137 14 20. Es gibt nur eine Stelle (Esr 918), wo die Form des Relativsatzes oder des Partizipiums nicht vorkommt, und hier lautet der Ausdruck: inhabitare i n saeculo. — Versio syra hat überall (auch an der, soviel ich sehe, einzigen Stelle, wo der Ausdruck bei Baruch vorkommt: 1417) das Nomen „die Bewohner" mit folgendem Genitiv, jedoch natürlich ausgenommen E s r 9 i s , wo das Verbum in finiter Form gesetzt werden mußte; hier erscheint nun (wie in Lat.) der präpositionale Ausdruck (snbya). Äth. hat überall ba'älam 1 . E s r 9 i s ist nun die einzige Stelle, an der man im Urtext eine finite Form des Verbums voraussetzen muß. Besonders nach dieser Stelle läßt sich vermuten, daß d e r A u s d r u c k e i g e n t l i c h „ i m O l a m w o h n e n " l a u t e t e , und daß, wenn im Urtext die Präposition irgendwo wegfiel, dies nur in der Status constructus-Verbindung des Partizipiums oder eines dem Partizipium äquivalenten Nomens der Fall gewesen ist 2 . „Im Olam wohnen" ist aber soviel als „im Olam dasein" (worüber s. vorigen Punkt); denn sowohl im Hebräischen als im Syrischen (s.S. 51) und dann vermutlich auch im Dialekt Esras und Baruchs heißt „wohnen" vielfach nur „leben", „existieren". e) Fünftens sind zu nennen die Ausdrücke „Anfang des Olam" Bar 2 1 4 , „Ende des Olam" Bar 5421 6 9 4 8 3 7 Esr 626 7 113, die verbalen 1

Arab.Ew. sagt 7 74 137 14 20 ,die in dieser Welt sind", 3 9 „die Leute jenes Zeitalters"; 3 34 ist der Ausdruck umschrieben, 8 60 fehlt. 5

Nach bekanntem hebräischen Sprachgebrauch (EWALD 7 § 288, 1).

§ 9.

Wendungen

Die Bedeutung von «tmv

des letzteren Ausdrucks:

53

(nbiy).

der Olam geht vorüber Esr 4 26,

die Olamim werden voll Esr 1 1 « , bildlich: der Olam hat seine Jugend verloren Esr 14 io Bar 85 io, wird alt Esr 1416 5 49f., Gott hat den Olam gewogen Esr 4 36. —

Auch der Kosmos kann nun zwar als eine zeitliche

Größe, die zeitlichen Anfang und Schluß besitzt, vorgestellt werden.

Daß

aber dsw in diesen Ausdrücken und Wendungen ein Zeitbegriff ist, zeigt sich in jeder Weise : a) das Ende des Olam heißt auch Ende der Zeiten oder der Tage (s. S. 61); ß) das Vollwerden, Esr I I a

von den Olamim

( = der Olam, über den intensiven Plural s. S. 56) ausgesagt, wird gerade von dem Ende einer Zeit gebraucht; y) in den verbalen Wendungen begegnet immer wieder Parallelisierung

von Olam mit „die Zeiten", vgl.

Esr 436f. 149; die „Schöpfung", die in dem Bilde vom Altwerden

des

Olam ebenfalls als Parallelausdruck auftritt (Esr 5 55 Bar 85 io), bedeutet auch nicht die Naturwelt,

sondern die Menschenwelt

Über Sinn und Entstehung von „Ende des Olam"

(vgl. S. 30 f.). —

und den damit zu-

sammenhangenden Ausdrücken vgl. § 11 A . f ) Andere Verbindungen, in denen obir (ohne i i i n oder t o n ) vorkommt, finden sich an folgenden Stellen (möglichst vollständig aufgezählt): Bar 3 7 4 i

20 2 40 3 49 3 541 56 2i. 57 3 691 70 2 E s r 3 i s

4 i i 26 5 « 4 9

6120 7 30 31 137 9 2 3 13 20 1 0 45 11 39 40 1 4 11 20. Die Beziehung auf die Menschenwelt oder ihre Geschichte ist an den meisten Stellen offenbar: Esr I I 4 0 :

der

(römische) Adler hat den

Olam beherrscht (ebenso v. 39); Bar 56 2: die Zeiten, die in Gottes Olam vorübergehen werden, 56 3: die Ausdehnung des von Gott erschaffenen Olam (s. S. 46 Anm. 4);

Esr 92 Bar 20 2:

visitare saeculum;

Esr 14 20:

positum est saeculum in tenebris; Esr 9 3: quando videbitur in saeculo motio locorum, populorum turbatio etc. (die Erdbeben werden als Teile der Geschichte

neben

Aufruhr,

Esr 7 30 die Menschenwelt ist

Krieg usw.

s. S. 69f.

gestellt).

Daß

der

Olam

Zu Bar 37 4 i s. S. 71 Anm. 1.

Zu Bar 49 3 den Olam „verwandeln" s. S. 37; zu Bar 57 2 den Olam erneuern s. S. 32; zu Esr 5 « 49 s. S. 30f.; zu der unechten Stelle Esr 1 4 1 1 s. S. 46 Anm. 4. —

Der Esr 913 begegnende Ausdruck:

(justi) quorum

saeculum et propter quos saeculum (sc. est), ist zusammenzustellen mit der häufigeren Wendung, daß der Olam um der Menschen (der Gerechten) willen geschaffen ist 1 ; bedeutet Olam im Ausdruck „den Olam schaffen" die geschichtliche W e l t (s. S. 50 f.), dann auch in dem Ausdruck Esr 913. — Der vergängliche, vorübergehende Olam E s r 4 n 620 (Bar 403?) ist der Olam hazze (s. S. 71. 65 Anm. 3). — Zu Esr 426 s. S. 65 Anm. 3. 1

Esr 6 B5 59 7 1 1 Bar 14 18 f. 15 7 21 24.

54

§ 10.

Dieser Olam und der zukünftige Olam.

An den meisten der genannten Stellen würde nun zwar auch die Übersetzung „Erde" passen. Das kommt aber daher, daß die Erde sich vorzüglich eignet als zusammenfassende Bezeichnung der von ihr getragenen Mannigfaltigkeit des Lebens, speziell auch des Menschenlebens. Dieselbe Metonymie findet aber auch beim Zeitbegriff statt. Daher können unter Umständen Zeitbegriff und Ortsbegriff einander ersetzen. Es gibt aber in Esra und Baruch keine Stelle, wo man nbiy als Ortsbegriff fassen m u ß ; dagegen gibt es wohl solche, wo das zur Bezeichnung des Menschenlebens verwandte o b v nur Zeitbegriff sein kann, nämlich diejenigen Stellen, wo Dbw die Geschichte bedeutet. Unverständlich und wohl korrupt sind die Ausdrücke „Höhen des Olam" Bar 541 und exitus saeculi Esr 6 i . Korrupt ist endlich auch Esr 318, wo das Erscheinen Gottes zur Gesetzgebung auf Sinai mittels der üblichen Naturphänomene der Theophanie beschrieben wird, und es dann im letzten Satz heißt: et conturbasti saeculum; Syr. Äth. Arab. haben Verben, die „erschüttern" bedeuten. Ich vermute, daß hier ursprünglich vom Erschüttern der abi? ""H¡-¡ die Rede war, wie z. B. in der Theophanie Hab 3?.

§ 10.

Dieser Olam und der zukünftige Olam.

Es wurde oben (S. 45) bemerkt, daß obw in den beiden in der Überschrift genannten Ausdrücken zwar gewöhnlich mit Welt übersetzt, von einigen aber als Zeitbegriff festgehalten und auch so wiedergegeben wird. Daß letztere Auffassung noch für Esra und Baruch das Richtige trifft, kann nach dem im vorigen Paragraphen Entwickelten und angesichts des Sprachgebrauches dieser Verfasser nicht zweifelhaft sein. Denn sie sagen auch „diese Z e i t " , „die zukünftige Z e i t " , z . B . Esr 802: vobis apertus est paradisus, . . . ., praeparatum est futurum tempus etc. Vgl. auch Bar l ö s 44 9: ó vvv v.aiQÓg. „Olam" und „Zeit" stehen parallel Bar 518: „sie sehen die Welt, die ihnen jetzt unsichtbar ist, und schauen die Zeit, die jetzt vor ihnen verborgen ist". Vgl. weiter Esr 6T: quae erit separatio t e m p o r u m , aut quando prioris (sc. temporis) 1 finis aut sequentis initium? In der Antwort v. 9 tritt nun saeculum ein: finis huius saeculi Esau et principium sequentis Jacob. Für die Gleichung Olam habba = Jenseits führt V O L Z (S. 149) Esr 14 14 an, wo die Aufforderung an Esra, das irdische Leben zu verlassen (er soll nach 14« entrückt werden), unter vielen anderen Umschreibungen auch so ausgedrückt wird: festina transmigrare ex temporibus his! Nun 1

Syr. Äth. drücken ein saeculi aus.

§ 10.

Dieser Olam und der zukünftige Olam.

55

ist allerdings tempora haec ein Parallelausdruck des Olam hazze 1 . Es ist aber keineswegs zu schließen, daß Esra den Zustand, in den er bei seiner Entrückung, und die übrigen Menschen bei ihrem Tode eintreten, als Olam habba bezeichnen könnte, so daß Olam habba = das Jenseits wäre. Dieser Sprachgebrauch, der allerdings im mittelalterlichen Judentum sich belegen läßt 2 , findet sich bei Esra nirgendwo und wird durch 1414 nicht gefordert. Barach nämlich sagt für „sterben": „diesen Olam verlassen" (1413), meint aber mitnichten, daß der Mensch beim Tode in den Olam habba eingehe; denn er sagt: „(die Gerechten) verlassen furchtlos diese Welt, und . . . harren (nämlich im Zwischenzustand) darauf, daß sie d i e Welt empfangen, die du ihnen verheißen hast". In den Olam habba kommen sie erst bei der Auferstehung. Diejenigen Forscher, die die zeitliche Bedeutung von abir in unseren beiden Ausdrücken anerkennen, nehmen als selbstverständlich an, daß das Wort den Begriff „Zeitalter" (hier speziell Weltalter) vertritt. So tun auch v. O K E L L I 3 und DALMAN 4 , welche wir hier deshalb besonders nennen, weil sie versucht haben, die Entstehung des Gebrauchs der beiden Ausdrücke „dieser Olam", „der künftige Olam" zu erklären. Weil sie die genannte Bedeutung ohne weiteres voraussetzen, bleibt ihnen nur die Aufgabe, zu erklären, wie das Wort, das ja von Haus aus die unendliche Zeit bezeichnete, die entgegengesetzte Bedeutung der begrenzten Zeit hat annehmen können. Nach v. O R E L L I entstand diese Bedeutung aus dem Gebrauch des Plurals s^abi», der, eigentlich begriffssteigernd gemeint, in der späteren Zeit fälschlich als Bezeichnung einer Mehrheit verstanden worden sei. Nach D A L M A N dagegen hätten die Juden, da sie gewohnt waren, cbi;'b mit elg alwva wiederzugeben, den griechischen Begriff des aiwv — in den Bedeutungen „Lebenszeit", „Zeitalter", „Zeitlichkeit" — auf ihr o b v übertragen, und zwar sei das geschehen aus dem Bedürfnis der Schriftgelehrten, für die Unterweisung in den messianischen Verheißungen der Schrift kurze, zusammenfassende Bezeichnungen für Gegenwart und Zukunft zu prägen. Nach meiner Meinung ist aber die Voraussetzung, daß D5i3> in den beiden Ausdrücken Zeitalter bedeuten soll, sicher falsch. Das Wort wird 1

W i e Äth. Arab. hier auch l e s e n , aber gegenüber Lat. ttyr. mit Unrecht. LIGHTFOOT ad Mt 12 32 zitiert dafür eine Stelle aus Tanchuma fol. 52: mundus

futurus est cum jam exiit homo ex hoc mundo.

W i e alt ist dieser Sprachgebrauch?

3

Die hebräischen Synonyma der Zeit und Ewigkeit, S. 8 0 f f .

1

Worte J e s u , S. 124.

56

§ 10.

Dieser Olam und der zukünftige Olam.

vielmehr auch hier den Begriff der unbegrenzten Zeit haben und die (gesamte) Weltzeit bedeuten. Für den Begriff „Zeitalter" — den doch nicht, wie Dalman S. 124 sagt, erst „die Berührung mit griechischer Denkweise in das jüdische Denken eingeführt hat" — hatten die Juden das alte gute Wort i t i (aram. T i ) , das die dehnbare Größe der Generation bezeichnete. Von längeren Perioden der Geschichte konnte man „die Tage z. B . der Makkabäer, der Perser" sagen. Ein neues Wort für diesen Begriff war für die gewöhnlichen Bedürfnisse nicht nötig. — Dazu kommt noch, daß man doch erwarten würde, daß abiy auch sonst, und nicht nur in unseren beiden Ausdrücken, von einem begrenzten Zeitraum gebraucht wäre. In Esra und Baruch bot sich dazu reichliche Gelegenheit dar, sie ist aber nie benutzt worden. In der achten Vision des Baruch (Kap. 53ff.), wo die Weltgeschichte in zwölf Teile geteilt wird, heißen diese Perioden vielmehr t n a n (69 3 4), vollständiger ¡ « a n i n a n (56 2), „Zeitläufe"; dafür hat das griechische Fragment (s. oben S. 29) in 141 VMIQÜV ZÄ^EIG, der semitische Urtext kann offenbar nicht cb-y gehabt haben. Bisweilen wird die Weltzeit durch den Plural E^sbw ausgedrückt 1 ; dieser ist aber nicht von den verschiedenen Zeitaltern, deren Summe die Weltzeit ist, zu erklären, sondern ist derselbe Plural der Begriffssteigerung, der im A . T. so oft v o r k o m m t (vgl. O e e l l i S. 81).

W a s endlich die von D a l m a n

S. 124f. angeführten Stellen angeht, wo cbw wirklich von einer begrenzten Zeit in verschiedener Weise gebraucht wird, so wurde schon oben (S. 46) bemerkt, daß sie alle aus viel späterer Zeit stammen. — Das Gesagte gilt nur in bezug auf den dem gewöhnlichen Leben angehörenden Begriff Zeitalter. Dagegen kann man allerdings sagen, daß der spekulative Begriff W e l t a l t e r den Juden bisher fremd gewesen war. Wenn man aber für cbir speziell diesen Begriff behaupten will — für die sogenannte Zweiäonenlehre würde er ja sehr gut passen — , dann ist daran zu erinnern, daß die Griechen für den Begriff Weltalter ebensogut yeveä als alwv verwandten; und den Juden dürfte es näher gelegen haben, das Wort i n analog dem griechischen yevsä weiterzuentwickeln, als abiy einen neuen, dem bisherigen Begriff des Wortes ganz entgegengesetzten Sinn beizulegen. Endlich dürfte auch folgendes Erwähnung verdienen. Es gibt mehrere Ausdrücke, wo bald das bloße „der Olam", bald aber auch „dieser (oder der zukünftige) Olam" in Verbindung mit demselben Verbum auftritt. So sagt man: 1

Soviel ich sehe, nur Esr 11 44 Bar 48 2 54 3 59 8.

§ 10.

Dieser Olam und der zukünftige Olam.

57

a) Gott hat den Olam geschaffen — das ist der gewöhnliche Ausdruck. E s heißt aber auch: diesen (den kommenden) Olam schaffen Esr 7 50. b) Gott hat den Olam geschaffen um Israels (oder der Gerechten) willen Esr 6 59 7 n Bar 1419 2124. Aber Bar 15 7 heißt es: dieser Olam ist gekommen um der Gerechten willen; auch der zukünftige wird um ihretwillen kommen. Und Esr 6 55: propter nos creasti primogenitum 1 saeculum, worauf dann v. 6i> si propter nos creatum est saeculum zurückweist. c) „Geboren werden" heißt oft: „in d e n Olam kommen"; aber wenn von dem künftigen Olam die Rede ist, dann kann man die, die in ihm geboren werden, als solche, die „in den künftigen Olam kommen", bezeichnen: B a r ö l i e „sie hatten abgelehnt den Olam, der die in ihn Kommenden nicht altern läßt". d) Ebenso ist im entsprechenden Ausdruck für „ s t e r b e n " das bloße obisn das gewöhnliche; wenn aber der Gegensatz dieser Olam — der zukünftige Olam hereinspielt, dann kann man auch sagen: „diesen Olam verlassen" Bar 1413. e) Einerseits sagt man von d i e s e m Olam, daß er vorübergeht ( i a ? ) Bar 48 50, und vom künftigen, daß er nicht stirbt B a r 513 Esr 7 ns und ohne Ende ist Bar 48 so. Andererseits heißt es von d e m Olam, daß er festinat (incipiet) pertransire Esr 4 26 (6 20). — Über die verschiedene Bedeutung der Ausdrücke s. S. 65 Anm. 3 u. S. 69 ff. Freilich ist der Olam nicht soviel wie dieser Olam, es ist für den Sinn der zitierten Ausdrücke nicht gleichgültig, ob der Artikel oder das Pron. demonstr. dabeisteht. Aber offenbar sind die Ausdrücke mit und die ohne Demonstrativum, wenigstens in mehreren Fällen, so verwandt, daß man von vornherein die gleiche Bedeutung des Wortes Olam für wahrscheinlich halten wird: besonders gilt das für die unter c und d genannten Ausdrücke. — Man sagt nun — so z. B . D A L M A X — , daß Olam Zeitalter bedeutet, wenn „ d i e s e r " oder „der zukünftige" dabeisteht; wenn es aber bloß „der Olam" heißt, dann sei Olam soviel als „Welt". Statt dessen ist meine Meinung, daß Olam in beiden Fällen die (gesamte) Weltzeit oder den Inhalt derselben bedeutet. Wie ist das aber in unseren beiden Ausdrücken möglich, da j a die Weltzeit oder die Weltgeschichte nur e i n e ist? Es erklärt sich dies dadurch, daß die Ausdrücke auf Primogenitum ist im Lat. unsicher. Syr. hat dieser Olam, Äth. der Olam, Arab. (Ew.) der erste Olam (so nie sonst in Ar. Ew.). Demnach werden wohl einige griech. Hss. nnßioi gehabt haben; echt wird es aber nicht sein. — Sonst heißt es immer im Lat. hoc oder praesens saeculum. 1

58

§ 10.

Dieser Olam und der zukünftige Olam.

einer verkürzenden Redeweise, die wohl in allen Sprachen ganz gewöhnlich ist, beruhen. W i r reden z. B. von der gegenwärtigen Gesellschaft und meinen die gegenwärtige Gesellschaftsordnung, von dem heutigen Europa als Gegensatz etwa zu dem Europa vor h u n d e r t Jahren. Auch „die gegenwärtige Welt' - bildet f ü r uns nicht notwendig den Gegensatz zu der der religiösen Sprache angehörenden kommenden Welt, die uns ja wirklich eine zweite Welt ist, sondern bedeutet unter Umständen so viel als die gegenwärtigen Verhältnisse in der Welt. In derselben Weise haben n u n die J u d e n „dieser Olam" gesagt, statt: der Olam wie er gegenwärtig beschaffen ist. Der zukünftige Olam ist also kein zweiter Olam, dagegen wohl ein anderer, d. h. anders gearteter. — Nachdem n u n diese Redeweise sich gefestigt oder vielleicht geradezu versteinert hatte, konnte man den gewiß etwas harten Ausdruck „zwei Olamim" wagen; er ist aber ganz selten: Esr 7 so Bar 83 s. Zufälligerweise haben uns die Rabbinen ein sehr beweiskräftiges Zeugnis für die Richtigkeit unserer Auffassung hinterlassen. Ich denke an die bekannte Notiz M. BERAKIIOTII 9 & : „Alle, die im Tempel den Segen zu beendigen pflegten, sagten: „Bis in Ewigkeit"; als aber die Minäer ausarteten und sagten, es gäbe nur e i n e Welt 1 , ordnete man an zu sagen: „von Ewigkeit zu E w i g k e i t " " - . In dem minäischen Satze, es gäbe nur e i n e n Olam, ist es zunächst offenbar, daß f ü r abiy die Bedeutung Zeitalter (und ebenso die spezielle Nuance „Weltalter") unmögich ist; denn daß es nur ein Zeitalter oder ein Weltalter gäbe, wer würde solches behaupten oder von solchem Unsinn Notiz nehmen? Aber auch die Bedeutung „Welt" ist hier offenbar ausgeschlossen. Denn wie konnte man den minäischen Satz mit der Schlußformel der Benediktion in Zusammenhang bringen, wenn nbi? dort Welt, hier Ewigkeit bedeuten soll? In der Formel abi? i:.' ist die Bedeutung gegeben, für den Satz der Minäer kann deshalb n u r die Bedeutung „ E w i g k e i t " oder die damit so gut wie identische „Weltzeit" in Betracht kommen. - F ü r uns ist diese Stelle dadurch so wichtig, weil der Satz, es gäbe n u r einen Olam, polemisch sein m u ß und sich nur gegen die Rede von den beiden Olamim richten kann 3 . In früheren Zeiten sahen sowohl christliche als jüdische Gelehrte im Olam habba einfach eine Bezeichnung des Jenseits, der transzendenten 1

3

"INS

NVN

C3W

Y«.



2

GOLDSCHMIDTS Ü b e r s e t z u n g

(1897).

VOLZ S. 57 liest aus der Stelle heraus, daß die Lehre von den zwei Welten im Gegensatz zu dein Satz der Minäer e n t s t a n d e n sei. Wie kann man aber die Worte so verstehen?

§ 10.

Dieser Olam und der zukünftige Olam.

59

Ewigkeit, die dereinst „kommen", d. h. die Zeitlichkeit verschlingen sollte. In diesem Urteil waren sie von ihren eigenen Vorstellungen beherrscht; sie konnten sich nicht denken, daß das Judentum (und noch weniger das Christentum) den Gedanken eines transzendenten Abschlusses der "Weltgeschichte jemals nicht besessen hätte. Diese falsche Auffassung ist wohl noch die gewöhnliche, trotzdem daß man gelernt hat, daß abi» auch in diesem Ausdruck ein Zeitbegriff ist. Sie hat an der unausrottbaren Übersetzung „kommende W e l t " einen mächtigen Rückhalt. Nur als Nachwirkung davon kann ich es begreifen, daß man immer wieder die sogenannte Lehre von den beiden Äonen als F u n d a m e n t a l l e h r e der neuen transzendenten Eschatologie bezeichnet. Das müßte doch heißen, daß das Wesen der neuen Eschatologie in dieser Lehre in besonders greifbarer Weise vorhanden sei. Aber die bloße Gegenüberstellung zweier Z e i t e n wäre für die vermeintliche neue Eschatologie nicht charakteristischer als für die alte. Eine Begründung jenes Satzes sucht man vergebens; auch die Darstellung BOUSSETS (S. 278ff.) betrifft nur den inhaltlichen Gegensatz zwischen den beiden Äonen, nicht die formale Anschauung selbst. Nur ein einziger Punkt der Anschauung von den beiden einander entgegenstehenden Äonen könnte f ü r die Frage nach dem Inhalt des Gegensatzes von Bedeutung sein. Es ist der Umstand, daß der Olam hazze bisweilen 1 die ganze Zeit seit der Schöpfung einbefaßt; wenn nun der Olam habba der ganzen bisherigen Geschichte gegenübertritt, dann erweckt das allerdings leicht den Eindruck, daß der Grund der Unterscheidung nicht allein in den nationalen Geschicken Israels liegen kann. Das ist aber nur ein Schein. Man muß bedenken, daß sowohl Esra als Baruch die felsenfeste Überzeugung haben — und sie auch mit reinen Worten aussprechen —, daß Israel der eigentliche Inhalt der ganzen Weltgeschichte ist. Die Weltgeschichte fängt eigentlich erst mit Abraham an; was vor ihm liegt, mußte für diese Betrachtung als ein unselbständiges Vorspiel erscheinen. Gott hat den Olam, d. h. die Menschengeschichte, geschaffen um Israels willen (Esr 6 55 59 7 11. Bar 2124 14i8f. 15 7); die Herrschaft und das Glück Israels, das ist das Endziel seines Weltplans. Aber dieser Weltplan ist bis jetzt noch nicht verwirklicht worden; eben darüber klagen Esra und Baruch an den zitierten Stellen. Von Abraham an konnte die ganze Geschichte des erwählten Volkes und 1 Bisher hat es wohl immer als selbstverständlich gegolten. Das war es auch, solange man ö b i y = x i o p o s setzte. Dagegen kann schon bei der Bedeutung „Zeitalter" und ebensosehr bei unserer Auffassung der Wortbedeutung von dieser Selbstverständlichkeit keine Rede mehr sein.

60

§ 11. Das „Ende der Welt" und ähnliche Ausdrücke.

besonders der Frommen im Volke als eine Zeit der Bedrückung und des Unglücks angesehen -werden; einzelne hellere Perioden hatte es gegeben, aber die Unvollkommenheit des Glückes -war schon durch seine Unbeständigkeit offenbar. — Yon dieser Betrachtung aus ist die Ausdehnung des Olam hazze bis zurück auf Adam auch auf dem Boden der nationalen Eschatologie wohl begreiflich. Wie wenig die Hoffnung auf einen neuen andersartigen Olam mit übernationalen, transzendenten Interessen zusammenhängt, tritt ganz deutlich darin zutage, daß Esra 69t. gerade heraus sagt, der Olam habba werde Israel die Stelle Roms einnehmen lassen. Diese Stelle steht mit den übrigen Stellen bei Esra und Baruch in keinem Widerspruch: sie ist nur deutlicher; sonst wird der Olam habba den Gerechten (z. B. Bar 1413 15 7), den Einsichtigen und Gesetzesbeobachtern (Bar 441&), Esra und den ihm Ähnlichen (Esr 802) zugesprochen; wie die Frommen aber auch bezeichnet werden, sie sind jedenfalls als Volksgemeinschaft gedacht.

§ 11. Das „Ende der Welt" und ähnliche Ausdrücke. A. D a s E n d e d e s Olam. Die Idee des Weltendes hat für uns in besonderem Grade einen transzendenten Gehalt; wir denken dabei an den plötzlichen Zusammenbruch des xoo/iog. Aber die eschatologischen Naturkatastrophen gehören, wie wir gesehen haben, auch im Spätjudentum noch zur Theophanie (oder auch zu den Vorzeichen des großen Umschlags), und auch für den Ausdruck „Ende des Olam" ist kein Grund, die zeitliche Bedeutung von abiy aufzugeben; auch hier müssen wir die Bedeutung (gesamte) Weltzeit oder Weltgeschichte festhalten. Die Idee vom Aufhören der gesamten Weltbewegung, die der Ausdruck demnach enthält, scheint jedoch nicht weniger transzendent zu sein als die Anschauung vom Zusammenbruch des xda//og. Nach unserer Auffassung der jüdischen Eschatologie soll mit dem Eintritt des Heils die Geschichte gar nicht endigen, sondern einfach weiterlaufen oder gar nach der Meinung der Juden dann erst recht angehen. Auch bei einer transzendenten Auffassung der Heilszeit wäre aber der Ausdruck „Ende der Weltzeit" auffallend, da er die Heilszeit außerhalb der Zeit setzt; die Ausbildung des Zeitbegriffes zur Bezeichnung der irdischen Weltbewegung ist nämlich hier undenkbar; das was wir Ewigkeit nennen, wäre ja immer durch Zeitbegriffe bezeichnet. — Verständlicher und mit unserer Gesamtauffassung leichter vereinbar wäre der Ausdruck, wenn man nbi» die Bedeutung Zeitalter, Periode geben dürfte. Dann könnte man nämlich den Ausdruck leicht im Sinne

§ 11.

Das „Ende der "Welt" und ähnliche Ausdrücke.

61

von „Ende d i e s e s Olam" verstehen; denn beim Hinweis auf die eigene Zeit genügt dem Redenden manchmal der bloße Artikel statt des Demonstrativpronomens. Es findet sich ein paarmal der Ausdruck „Ende dieses Olam" (Esr 6 9 7 113); aber das „Ende des Olam" ist keine Abkürzung davon. Denn neben „Ende des Olam" finden sich, und zwar viel häufiger, ,,Ende der Zeiten 1 ', „Ende der Tage" 1 , und in diesen Parallelausdrücken kann man natürlich den Artikel nicht als Ersatz des Pron. demonstr. annehmen. Denn diese Ausdrücke enthalten, anders als der Begriff des Zeitalters, die Idee eines Gegensatzes verschiedener Zeitläufte nicht; wenn der Zusammenhang keine bestimmte Beziehung an die Hand gibt — und bei dem bekannten eschatologischen Begriff ist das ja nie der Fall —, bedeutet „die Tage" oder „die Zeiten" die ganze Zeit der Weltbewegung. Durch diese Parallelen bewährt sich somit auch hier, daß abiy Weltzeit, nicht Periode bedeutet. In der Tat lassen sich die auffallenden Ausdrücke „Ende des Olam, der Zeiten, der Tage" ( = Ende der Weltzeit oder der Weltgeschichte) nur dadurch erklären, daß sie im Spätjudentum nicht original gebildet sind, sondern auf die alte prophetische Formel n ^ n s a Dra»:-! zurückgehen. Diese Formel geben sie mit mißverstandener und mißverständlicher Wörtlichkeit wieder. Der wirkliche Sinn der Formel scheint mir noch nicht herausgestellt zu sein; deshalb werden wir gut tun, kurz darauf einzugehen. Die erste Frage ist die nach der Bedeutung von rp*in«. Bezeichnet das Wort das vom Standpunkt des R e d e n d e n „hinten" liegende, also mit dem Genitiv a - 1 » ^ eine beliebige Zukunft, „die Zukunft", oder bezeichnet es das Hintere (d. h. das Hinterste) der betreffenden S a c h e ? Im ersteren Fall erhalten wir für den Ausdruck n ^ - n r m m a die Bedeutung „in Zukunft", die ja so blaß ist, daß man überall mit ihr durchkommt. Jedoch ist diese Auffassung abzuweisen. Sowohl LXX als Targ. haben in dem Wort den Begriff „Ende" gefunden, und es ist wohl richtig, daß das Wort „durchgängig mit der besonderen Bedeutung des Ausganges, Endes einer bestimmten Zeit . . . . oder des Endergebnisses einer Entwickelung" 2 gebraucht wird. Danach sollte DraTt rrnriN das Ende der 1 E n d e d e s 0 1 a m: Esr 6 25 (fi nis saeculi mei), Bar 54 21 69 4 83 7, Ass. Mos. 12 4, T. Eenj. 11 3 Eez. B (christl.); E n d e d e r O l a m i m Bar 5 9 8 ; T. Levi 1 0 2 (christl.); t ä i j Tffiv altivtov 1. Kor 1011, T. Levi 14 1 Rez. A (christl.). — E n d e d e r Z e i t e D Esr 3 14 11 39 12 9 14 5; Bar 13 3 21 8 27 15 3 0 3 83 6 [762], — E n d e d e r Z e i t Bar 19 5 29 8 59 4. Ende der Zeiten des Höchsten Esr 9 6. — E n d e d e r T a g e Esr 12 32 (syr.äth.); Bar 1 0 3 25 1; Ass. Mos. 118 (streiche hier consummatio oder exitus). 2

Gesenius-Buhl: Lexicon s. v.

62

§ 11.

Das „Ende der Welt" und ähnliche Aasdrücke.

Weltentwickelung 1 bezeichnen. Das ist aber sachlich unannehmbar. Es ist an keiner Stelle denkbar, daß das, was für die als C i r n m i n « bezeichnete Zeit geweissagt wird, nach dem Sinne des Redenden erst am Ende der Weltentwickelung eintreten sollte. An das Weltende eine Entfaltung von positivem neuem Geschichtsstoffe zu verlegen, ist überhaupt ein Unsinn, außer in dem Falle, daß das Weltende zu einer neuen überzeitlichen Entwickelungsstufe überleitet. Das ist aber im A. T. nicht der Fall. Wenn es nun nicht gemeint sein kann, daß das Heil Israels n a c h dem Weltende, also in der himmlischen Ewigkeit, stattfinden werde, dann können die Propheten dies Heil selbstverständlich nicht ans „Ende der Tage", d. h. bestenfalls in die blaue Ferne 2 , aufschieben wollen. Ein Ausweg wäre freilich gefunden, wenn man den Ausdruck nicht vom „äußersten Zeitpunkt am Ende der Zeitenlinie" faßte, sondern vom „ganzen hinter dem gegenwärtigen Zeitlauf des Werdens liegenden Zeitlauf der Vollendung" (so DELITZSCH ZU Gen 49 I). Der Ausdruck würde dann auf der Anschauung beruhen, daß die gesamte Weltzeit in zwei Weltalter zerfalle. Tatsächlich werden wir für den spätjüdischen Ausdruck „Ende des Olam", den wir hier behandeln, diese Auffassung geltend machen. Für den alttestamentlichen Ausdruck m n t ? dagegen ist sie unannehmbar, und zwar schon deshalb, weil eine Einteilung der Weltzeit in zwei große Perioden im A. T. sonst niemals begegnet. Außerdem hätte man unmöglich der zweiten dieser Perioden einen solchen Namen gegeben; man wäre nicht auf die Idee verfallen, sie von dem Gesichtspunkt aus zu benennen, daß mit ihr die Weltzeit zu Ende gehen würde; denn dieser Gesichtspunkt — wenn er dem alten Israel überhaupt möglich war — war ganz irrelevant, drückte keine lebendige Idee, keinen positiven Wert aus. — Diese Einwände treffen nicht unsere Auffassung des spätjüdischen Ausdrucks; denn für die Juden handelte es sich darum, einen überlieferten Ausdruck wohl oder übel zu verstehen. — Dazu kommt nun noch, daß die als avz^Ti m r t N bezeichnete Zeit keineswegs immer die messianische Heilszeit ist 3 . Gen 491 und Num 24 H bezieht sich der Ausdruck auf eine Zukunft, die für den Erzähler, dem der Ausdruck sicher gehört, Gegenwart ist. Der Verfasser von D t n 3 l 2 9 (vgl. auch 4so) läßt „am Ende der Tage" das Unglück, die Strafe, über Israel hereinbrechen; auch er schreibt vermutlich post 1 Die Bedeutung „Ende einer gegenwärtigen Periode", die G e s e n i u s - B u h l daneben aufstellt, ist an keiner Stelle möglich, da die notwendige Beziehung fehlt. - Man darf wohl übrigens billig bezweifeln, daß die Idee eines Aufhörens der Zeit, d . h . des ganzen Daseins, in der Seele des alten Israel jemals aufgestiegen ist. ' Vgl. S T A E R K , ZAW 11 (1891) S. 247 ff.

§11.

63

Das „Ende der Welt" und ähnliche Ausdrücke.

e v e n t u m , n e n n t also s e i n e e i g e n e G e g e n w a r t v o m S t a n d p u n k t d e s Moses „das Ende man

der Tage";

wenn

verwundert fragen,

schiebt.

er

die

Strafe

bis a n s "Weitende

auf-

F e r n e r ist es m e r k w ü r d i g , d a ß d i e W e i s s a g u n g e n v o n d e r V e r -

nichtung tution

a b e r dies n i c h t d e r F a l l sein sollte, w i r d

warum

Moabs u n d

„am

vielleicht

Ende

Hohn?

„am Ende

E l a m s J e r 48 49 den

der

Tage"

Das

ist doch k a u m

der Tage"

in Aussicht

beiden Völkern eine Restistellen

(4847 4 9 39).

glaublich.

Wenig

a u c h J e r 2 3 20 = 3 0 2j; d e m

Sinn

Ist

es

natürlich

ist

nach

übersetzt

(bei KAUTZSCH) „ h i n t e r d r e i n " .

ROTHSTEIN

E s kann unser Ausdruck deuten.

offenbar nicht „das E n d e der T a g e " be-

D a w i r m i t zweifellosem R e c h t d e m W o r t m i n »

den

Begriff

d e s E n d e s , A u s g a n g e s e i n e r zeitlich v e r l a u f e n d e n S a c h e b e i g e l e g t so m u ß d e r F e h l e r nisses stecken.

haben,

in d e r g e w ö h n l i c h e n A u f f a s s u n g d e s G e n i t i v v e r h ä l t -

Freilich bezeichnet überall sonst der zu r r i f i N

stehende

G e n i t i v d i e S a c h e , v o n deren E n d e o d e r A u s g a n g die R e d e ist.

Die Be-

d e u t u n g , die ich u n s e r e m A u s d r u c k b e i l e g e n will, setzt v o r a u s , d a ß d i e alte Zeit, die den Ausdruck nicht besaß. dem

Wort

sind,

s c h u f , die I d e e e i n e r b e g r e n z t e n

Weltzeit

In d i e s e m Fall n i m m t n u n a ' w n g e g e n ü b e r a l l e n

anderen

rr-ins

beigefügten

Genitiven,

die

immer

endliche

Größen

e i n e b e s o n d e r e S t e l l u n g e i n , bei d e r e i n e a n d e r e A u f f a s s u n g d e s

Genitivs

zulässig,

D^rin m n s a

ja

notwendig

ist.

Ich

meine

nun,

der

Ausdruck

b e d e u t e t soviel als u n s e r „ s c h l i e ß l i c h " , „ a m E n d e " ,

lich

der

betreffenden geschichtlichen

ist.

Dieses „am

Ende"

heißt

Entwickelung,

eigentlich

-ry-inso

von „am

näm-

der die Ende

Rede

davon";

n— h a t n e u t r a l e B e d e u t u n g u n d g a n z a l l g e m e i n e B e z i e h u n g (vgl. J e r 5 31 P r o v 2 5 s).

Dies

Suffix wird

nun

hier vom

Genitiv

^-""n

verdrängt,

w e l c h e r e i n e feierliche F ü l l e des A u s d r u c k s b e a b s i c h t i g e n w i r d u n d d e m gemäß

sich

nur

in

gehobener Rede

findet.

„An

dem

den Zeiten

an-

g e h ö r e n d e n , d. h. m i t der Z e i t sich e i n s t e l l e n d e n , S c h l u ß (der S a c h e ) " — d a s i s t , w i e ich v e r m u t e , die e i g e n t l i c h e B e d e u t u n g d e s A u s d r u c k s . In

s p ä t e r e r Zeit h a t m a n

aufgenommen,

ihn

( u n d Griech.) n u r

aber

den A u s d r u c k v o n d e n a l t e n

nicht mehr verstanden

sklavisch

übersetzt.

Neben

m a n a u c h „ E n d e der Zeiten", „ E n d e des Olam". „ d i e l e t z t e n Z e i t e n " , „ d i e letzte Z e i t " , „ d i e „ d a s E n d e " (finis, n o v i s s i m a ; s y r . TCC

taxara). 1

Da

es d u r c h

A*7:-N

N—HN

und

Propheten

deshalb im

Aram.

„ E n d e der T a g e "

sagte

Variationen sind ferner

letzten T a g e "

( E s r l . 0 59)1,

g r i e c h . Tthog,

avvxtkua,

a p o k a l y p t i s c h e r Stil

geworden

„Der jüngste Tag" kommt dagegen nicht vor, außer in GUNKELS Übersetzung von Esr 7 73 77 87.

64

§11.

Das „Ende der Welt" und ähnliche Ausdrücke.

sein mag, von der großen Geschichtswendung als dem scheinbar absoluten Ende zu sprechen, so ist „das Ende" (yprt), wenn von der messianischen Heilszukunft gebraucht 1 , vielleicht eine Abkürzung des Ausdrucks „Ende der Tage". (Vielleicht hat man doch auch „das Ende" willkürlich vom Ende der unglücklichen Gegenwart verstanden.) Die Apokalyptiker werden den Ausdruck „Ende der Tage' - etwas befremdend empfunden haben; das verrät sich vielleicht in der Umständlichkeit der Aussage Bar 303: „Es weiß ein jeder, daß die Zeit herbeigekommen ist, von der es heißt, daß sie das Ende der Zeiten ist". Irgendwie mußten sie sich aber den Ausdruck verständlich machen, und das haben sie dadurch getan, daß sie ihn v o n der H e i l s z e i t s e l b s t v e r s t a n d e n . Die Heilszeit war ihnen das Ende der Zeiten (des Olam) im Sinne von dem die ganze Weltgeschichte abschließenden (in der Tat selbst nie endigenden) Zeitraum; es liegt nicht weit weg, das „Ende der Zeiten" im Sinne von dem E n d z i e l der G e s c h i c h t e zu fassen. Deutlich liegt diese Auffassung des Ausdrucks an mehreren Stellen vor, z . B . Bar 298 3 0 s (eben zitiert): denn hier mündet die Schilderung des Glückes der Heilsgenossen in die Bemerkung aus, daß sie das Ende der Zeiten erlebt haben; ferner Hen 27 3; „in den letzten Tagen 2 werden die Sünder den Gerechten zum Schauspiel . . . dienen in alle Ewigkeit"; Esr 625: „wer überbleibt (aus der letzten Drangsal), der wird leben und mein Heil und das Ende meines Olam sehen". Es ist weiter selbstverständlich, daß die Heilszeit mit einbegriffen sein muß in den die eschatologische Offenbarung bezeichnenden Ausdrücken, daß Gott verschiedenen Menschen (Abraham E s r 3 u , Moses Esr 14 6 Bar 59 4, Esra Esr 10 69 12 9, Baruch Bar 10 3) das Ende der Zeiten zeige oder offenbare od. ähnl. Es liegt nahe, hier wie an anderen Stellen die Zeitwende selbst zum „Ende der Zeiten" mitzurechnen; natürlich war ja diese Zeit mit der Heilszeit unauflöslich verbunden; aber das „Ende der Zeiten" kann n i c h t die Z e i t w e n d e a l l e i n bezeichnen sollen (wie die gewöhnliche Auffassung will). Unter dem „Ende der Zeiten" die Heilszeit, nicht das Ende der Unheilszeit zu verstehen, ist weiter auch dann das Natürliche, wenn es heißt, daß der Messias (Esr 12 »2) oder Baruch (Bar 133 .-= 762 nach Konjektur) bis auf (oder für) das Ende der Zeiten aufbewahrt wird. — Von den sechs Stellen Esras und den vierzehn Baruchs, wo der Ausdruck Ende der Zeiten (der Tage, des Olam) vorkommt, sind es folglich bei Esra fünf, bei Baruch sechs Stellen, an denen man erkennen kann, daß der Ausdruck die

1

So zuerst Hab 2 3 und häufig in Dan (817.19 9 26 usw.).

' So zu lesen; s. S. 47 Anm. 5.

§ 11.

D a s „Ende d e r W e l t " und ähnliche Ausdrücke.

65

HeiLszeit bezeichnet oder einschließt. An den übrigen Stellen gibt der Zusammenhang keinen Aufschluß; die Analogie der ersten Stellen entscheidet aber für die gleiche Deutung. Außer der Zeitwende muß aber (nach Bar 25 i 27 is Esr 8 63) auch die letzte dem Heilsanbruch unmittelbar voraufgehende Zeit der Not zum „Ende der Zeiten" gerechnet werden können 1 . Wenn man also die Heilszeit „Ende der Zeiten" nannte, dann war darin freilich die Idee eines schließlichen Aufhörens der Weltgeschichte und jedes Menschendaseins gegeben, aber nur als abstrakte oder fingierte Möglichkeit, als eine Theorie, die man bei der Deutung jener alten Phrase mit in den Kauf nehmen mußte. Wirklich geglaubt wird sie nicht, vielmehr wird die Heilszeit als eine unsterbliche ( E s r 7 i i 3 U 9 Bar 513), nie endigende (Bar 48 so 85 12) Zeit bezeichnet. — In einer für unsere Empfindung noch stärkeren Weise kommt die genannte Idee zum Ausdruck, wenn es einigemal, besonders bei Esra, heißt: „die Zeiten endigen" Esr 1 1 « 149, „die Olamim werden voll" Esr 11 44 (über den Plural s. S. 56), „der Olam eilt vorüberzugehn" Esr 426, oder wenn der Olam mit einem dem Alter sich nähernden Weibe verglichen wird Esr 5 «-55 14 10 IG Bar 8510 2 . Man darf sich die Ausdrücke nicht in der Weise leichter machen, daß man etwa „die Zeiten" = die vorherbestimmten Zeiten und das bloße „der Olam" = Olam hazze 3 setzt; beides bedeutet 1

W e i l D a n 10 14 mit den "Worten „was deinem Volke begegnen wird r P I H N S eine Vision einleitet, die den ganzen G eschichts verlauf von der eigenen Zeit Daniels bis zur A u f r i c h t u n g der messianischen H e r r s c h a f t beschreibt, so meint STÄRK a . a . O . . der A u s d r u c k B"^"1!"! m n N u m f a s s e diesen ganzen Zeitraum. E n t s p r e c h e n d e r weise m ü ß t e „das E n d e der Zeiten" Esr 12 9, die letzten Tage" E s r 10 59 die ganze G e schichte vom E m p o r k o m m e n R o m s an einbegreifen. Dieser S c h l u ß ist a b e r falsch. Die I n h a l t s a n g a b e , daß die Vision ü b e r das „Ende der Tage" berichten will, ist a p a r t e potiori g e n o m m e n . - Ob H e n 16 1 („am Tage des Gerichts, da à uiùiv n gleichsetzen, nicht nur weil es in v. 27b saeculum hoc heißt, sondern noch mehr wegen v. 27a, das j a offenbar den Olam hazze betrifft. Dennoch ist diese Gleichsetzung hier wie sonst abzuweisen; vielmehr ist b e i m Verb um in v. 27a ein „jetzt" hinzuzudenken. Sinn: die Weltzeit (oder die Weltgeschichte) eilt ihrer Schlußperiode entgegen, weil sie — nicht an sich, sondern jetzt — außerstande ist, das verheißene Glück der Gerechten zu produzieren. 1 Es scheint deshalb ein Schreibfehler zu sein, wenn Günkkl aaO. als das von Esra gemeinte Maß 7000 (für 6000) Jahre angibt. ' Excitabit bedeutet wohl wie commovebit: die Zeiten zu neuer Bewegung antreiben; vielleicht ist die Bildlichkeit komplizierter: die Zeiten schlafen in der Nacht des Unglücks und werden aufgeweckt, damit der neue Morgen anbreche.

§11.

Das „Ende der Welt" und ähnliche Ausdrücke.

67

die Weltzeit gewiß unendlich x, f ü r Gott konnte das aber unmöglich gelten, er mußte das Unendliche gezählt haben. Die Macht Gottes über die Weltzeit zeigt sich praktisch darin, daß er die einzelnen Perioden derselben zu einer von ihm bestimmten Zeit heraufführt; das göttliche Wägen und Zählen des saeculum sieht es deshalb nicht so sehr auf die Gesamtsumme als auf die Zahlen der Unterabschnitte ab. Mit dem „ E n d e der Zeit(en)" ist aufs nächste verwandt die „ F ü l l e d e r Z e i t ( e n ) " . Daß eine Zeit voll geworden, ist im Hebräischen der gewöhnliche Ausdruck dafür, daß sie zu E n d e ist. Es versteht sich von selbst, daß von einem begrenzten Zeitraum die Rede ist; welches dieser ist, muß aus einer H i n z u f ü g u n g oder aus dem Zusammenhang hervorgehen. Bei der esehatologischen Verwendung ist das aber gewöhnlich nicht der Fall, sowohl Mk 1 is als Gal 4 i steht der Ausdruck ganz beziehungslos. Da handelt es sich aber um einen festgeprägten Ausdruck, der damals jedem bekannt war, den wir aber aus seiner Geschichte erläutern müssen. Fragt man n u n , welche Zeit nach der Anschauung des J u d e n tums verlaufen sein m u ß , ehe die Gottesherrschaft oder im besonderen der Messias erscheinen kann, dann ist n u r eine Antwort möglich: es ist die Zeit der Herrschaft der Heiden. Daß dies ein von Gott festgesetzter Zeitraum sei, ist Grundanschauung der Apokalypsen, die durch diesen Gedanken den Glauben und die Geduld stärken wollen. Wirklich treffen wir auch diese Idee in Verbindung mit dem Ausdruck Vollwerden der Zeiten: Lk 21 2-1: „Jerusalem soll von den Heiden niedergetreten werden, Vtug TckrjQtod-üai. y.aiQoi e&vwv." Ohne Zweifel ist die Befreiung Jerusalems ( = die Fülle der Zeiten der Heiden) mit dem Anbruch der Heilszeit identisch. Man könnte demnach vermuten, daß die „Fülle der Zeiten der H e i d e n " auf dem Ausdruck „Ende (— Fülle) der Zeiten" beruhe, daß also die Hinzufiigung von t&vu>v eine andere Auffassung dieses Ausdrucks wiedergibt, als die wir im vorhergehenden erörtert haben. Einige Juden haben, wie wir sahen, das Ende der Zeiten im Sinne vom Ende der W e l t z e i t , und diesen Ausdruck dann von der Heilszeit selbst verstanden; aber vielleicht haben daneben andere den Ausdruck sprachlich als den Endpunkt b e s t i m m t e r Z e i t e n , eines bestimmten Z e i t a b s c h n i t t e s gedeutet, was sie dann selbstverständlich vom Aufhören der vormessianischen Zeiten, d. h. der Zeiten der Heidenherrschaft, auffassen mußten. — W a s diese Möglichkeit betrifft, so darf man nicht bezweifeln, daß das beziehungslose „Fülle der Zeit(en) u als Variante von dem „ E n d e der

' Die Behauptung

GÜNSELS,

Esra wisse sehr gut sowohl die Zahl der Gerechten

v. 3Gi> (nämlich 1 4 4 0 0 0 ) als die des Saeculum (nämlich 7 0 0 0 Jahre), ist unberechtigt. 5*

68

§11.

Das „Ende der Welt" und ähnliche Ausdrücke.

Zeit(en)" entstanden ist. Keineswegs hat aber die „Fülle der Zeiten" immer die Beziehung auf die Zeit der Heidenreiche gehabt; ob der Ausdruck ohne weiteren Zusatz jemals so verstanden wurde, ist überhaupt n u r eine Möglichkeit; f ü r die meisten Stellen ist sie abzulehnen. In der jüdischen Literatur ist zwar der substantivische Ausdruck „ E n d e der Zeiten" an keiner Stelle durch „Fülle der Zeiten" ersetzt 1 . Dagegen taucht dieser Begriff ein paarmal in verbaler W e n d u n g auf, Esr 1144 Tob 145. — E s r 1144 heißt es: respexit altissimus super sua tempora et ecce finita sunt, et saecula sua: completa sunt. Auch die substantivische Form ist deshalb f ü r Esra nicht unmöglich. — Der Sinn des Vollgewordenseins der Olamim Gottes ist nun nicht, wie G U N K E L die Stelle erläutert, daß „die vorher festgestellte Zeit (also die Zeit der Heiden) verflossen" sei. Das ergibt sich sowohl aus dem Parallelausdruck „tempora finita sunt", den wir eben als Entfaltung von „ E n d e der (Welt-)Zeit" verstanden haben, als auch aus dem Wort Olam ( = die gesamte Weltzeit). Die Anwendung des Begriffs des Vollwerdens, den man zunächst nur bei der E r w ä h n u n g bestimmter Z e i t a b s c h n i t t e erwarten möchte, erklärt sich daraus, daß die Weltzeit, wie wir eben sahen, in dieser Redeweise theoretisch als b e g r e n z t e Zeit betrachtet wird. Ich bestreite hiermit nicht, daß unser Vers (Esr 1144) auf der Idee der vorherbestimmten Zeit beruht; diese Idee ist aber nicht in den einzelnen Ausdrücken „Fülle der Olamim" oder „ E n d e der Zeiten" enthalten, sondern in der Darstellung, daß Gott durch einen Blick auf seine Zeiten das Eintreten des Endes feststellt. Gott kennt die Zeiten, ehe sie kommen; ihm liegt die ganze Weltzeit ausgebreitet vor den Augen, wie ein Dokument oder wie eine Uhr; da ist jede Zeitepoche, jede Stunde des Welttages nach ihrem Inhalt bezeichnet; die letzte davon trägt die Aufschrift „ E n d e der Zeiten" und daneben auch „Herrschaft Israels". Den gleichen Sinn wie das „Vollwerden der Olamim" Esr 1144 hat das „Vollwerden der Zeiten des Olam" Tob 14s. Es wird hier die Rückkehr aus dem babylonischen Exil geweissagt: „Gott . . wird sie in das Land zurückbringen, u n d sie werden das Haus bauen, ov% olog o 7CQÖTeqos, tojg nXtjqiod-üai •/.aigol TOV alüvogu (cod. Sin. xqovog ZCJV *aiQwv, kaum richtiger). Da ov% oiog 6 TIQOTEQOS offenbar n u r nach dem kanonischen Esr 3 12 zu verstehen ist, so weist der ¿w^-Satz auf den Eintritt 1

(gegen

avviiXcia, consummatio, rileicoai; (ißv ^fiegdv etc.) gehören nicht hierher S. 166); sie bedeuten „Ende", nicht „Fülle" (der Tage usw.).

VOLZ

§11.

Das „Ende der Welt" und ähnliche Ausdrücke.

69

der messianischen Restitution hin. Die Heilszeit ist das Ende (oder die Fülle) der Zeiten; mit ihrem Eintritt erreichen sie ihr Ende, d. h. ihre Endepoche. Yom Ende der Weltzeit wird weiter auch P a u l u s TO NXYQWUA Gal 4 4 gemeint haben. Denn l K o r l O n sagt er, daß das Ende der Äonen (zä r¿Xrj TMV alwnov)1 „zu uns", d. h. der gegenwärtigen Generation, gekommen sei, eine Aussage, die ohne weiteres verständlich ist, wenn mit dem „Ende der Olamim" die abschließende Epoche der "Weltentwickelung, nämlich die Heilszeit selbst und ihre unmittelbare Vorbereitung, gemeint ist. Paulus kennt also diese Auffassung des Ausdrucks „Ende der Zeiten (des Olam)", und es ist kein Grund denkbar, weshalb TO iclr^oj/.ta roß yoövov von xä XTXTJ TWV aiävwv verschieden sein sollte. Freilich liegt die Vermutung nahe, daß der Ausdruck Gal44 durch eine Ideenassoziation mit der Idee von den Zeiten der Unmündigkeit und der Knechtschaft unter den Weltelementen (v.3) zusammenhängt; es geht aber doch nicht an, den Ausdruck nach dem speziell an dieser Stelle vorliegenden Zusammenhang zu verstehen 2 . Hätte Paulus einfach an das „Ende der Zeit der Unmündigkeit" gedacht, dann hätte er weder das beziehungslose TOV %QOVOV gesetzt, noch den umständlichen Ausdruck gewählt. TOV ZQOVOV

Wie Markus iVrArjgw^ ö xoupoc (115) und der Verfasser von Eph TO nlrjQtü/na rwv V.aiQiüv (110) verstanden haben, läßt sich nicht feststellen. B. Die im folgenden zu besprechenden Ausdrücke sind den unter A behandelten äußerlich ähnlich, insofern sie von einem Vergehen oder Vorübergehen des Olam reden; deshalb werden sie auch als Belege der Lehre vom Weltuntergang angeführt. Die Bedeutung ist aber ganz verschieden; sie beruhen nicht, wie jene, auf der Gleichsetzung des „Endes des Olam" mit der Heilszeit (Ende des Olam = letzte E p o c h e der Weltzeit, oder gar Endziel der Weltgeschichte), sondern sie reden von einem vor der Heilszeit (oder vor der zweiten Heilsperiode) eintretenden Vergehen des Olam oder des Olam hazze. Vor allem sei die bekannte Stelle E s r 7 29f. erwähnt: Et erit post annos hos et niorietur filius mens Christus et omnes qui spiramentum habent 1

Derselbe Ausdruck Test. Levi 14 i Rez. A. — Bar 21 8: „Du kennst allein die

Enden (so wahrscheinlich statt Sing, za lesen) der Zeiten, ehe sie kommen". 2

W i e Bousskt (Schriften des NT herausgegeben von J. "VVkiss II 5 , S. 60) zu tun scheint.

70

§11.

Das .Ende der Welt" und ähnliche Ausdrücke.

hominis, (v. 30) E t convertetur saeculum in antiquum silentium , ita u t n e m o derelinquatur. N a c h Ablauf der 3 0 - oder 4 0 0 j ä h r i g e n Messiasherrschaft (s. S. 108 Anm. 4) soll die ganze Menschenwelt sterben. Aber a u c h n u r diese; ein U n t e r g a n g der übrigen W e l t ist nicht angedeutet, u n d es ist unzulässig, ohne besonderen G r u n d den Begriff des Olam gegen den durchgehenden Gebrauch E s r a s auf die übrige W e l t auszudehnen. W e n n aber E s r a den Untergang der ganzen Menschenwelt ann i m m t , d a n n geschieht das nicht deswegen, weil ihm die zweite Heilsperiode transzendenter Art wäre (das w ü r d e übrigens solche Konsequenzen k a u m erfordern können). Ü b e r seine wirklichen Motive vgl. S. 116ff. Auf einer analogen Konstruktion der Heilszeit beruhen die B a r 36 ub 40 3i>c gegebenen A n d e u t u n g e n . Es leidet k a u m einen Zweifel, daß sie interpoliert sind, u n d zwar vermutlich auf G r u n d der E s r a - S t e l l e . Bar40:i ist hier von Interesse: äqyj) auToti (des Messias) ¡xtvei eig TÖV aiiova, Hijq TeXeod-fj ö auov zfjg g>9-ogäg, vmi 'Aug jcXtjQUj&Cjaiv 01 xaiqoi 01 Jtqoeiqra.ii.voi. Wie E s r 7 291. wird hier ein Untergang des Olam am E n d e der ersten, messianischen Heilsperiode a n g e n o m m e n (nach 36 u b erfolgt an diesem Zeitpunkt auch eine Auferstehung und ein Gericht, wie E s r 7). Der Olam des Verderbens (d.h. der dem Verderben verfallende Olam; vgl. Leib des Todes Rom 7 24, Mann des Todes l K ö n ' 2 28 2 S a m l 9 29) ist entweder wie Esr 7 30 die Menschenwelt, oder Olam ist hier reiner Zeitbegriff, und der Olam des Verderbens eine Bezeichnung des Olam hazze (so C H A R L E S ) , zu dem dann hier die Messiaszeit ausdrücklich gerechnet wäre (das ginge über E s r 7 291. hinaus, vgl. S. 118 f.). I n keinem Falle ist vom W e l t u n t e r g a n g in unserem Sinn die R e d e ; die Motive des u n b e k a n n t e n Interpolators sind aber nicht zu ermitteln. Die auch von D A U I A N S. 294 A n m . 8 und V O L Z S.35. 65 angenommene Interpolation der beiden Stellen b e r u h t auf folgenden G r ü n d e n : Die Bem e r k u n g e n werden ganz beiläufig (in leicht abzutrennenden Nebensätzen) e i n g e f ü h r t , und sind so k n a p p gehalten, daß man sie erst durch Stellen aus a n d e r e n Schriften — m . W . k a n n n u r Esr 7 29f. in Betracht kommen — aufhellen kann. Sie stehen in der A p k B a r ganz isoliert; das Interesse k n ü p f t sich sonst überall — und auch in dieser Vision Kap. 36 ff. — an das A u f h ö r e n der unglücklichen Gegenwart und den Eintritt der Messiaszeit; diese bringt das Heil, und mit ihr fängt der Olam habba an. So auch Kap. 29f., wo erst der christliche E i n s c h u b von 30 1 (s. S. 102) d e n Schein einer Zweiteilung der Heilszeit hervorgebracht hat. I n 403a ist

§ 11.

Das „Ende der W e l t " und ähnliche Ausdrücke.

71

(.isvet eig TÖV auova neben der in v. 3bc sofort folgenden Beschränkung sinnlos. Die y.aiQoi 7tQoeiQt]fj.evoi in v. 3 c sind in Baruch gar nicht erwähnt; denn Baruch sagt nichts über die Dauer der messianischen Heilszeit, außer daß sie ewig ist ( 4 0 s 73i). Die Messiaszeit ist „das Ende des Vergänglichen und der Anfang des Unvergänglichen" (742), d.h. selbverständlich: mit ihrem Eintritt endet das Yergängliche ( = die Herrschaft der Heiden) und fängt etwas Unvergängliches (die Macht und das Glück Israels) an. In demselben Sinn werden auch 28 5 das Vergängliche und das Unvergängliche einander entgegengestellt, und das Unvergängliche dann in Kap. 29 als die Messiaszeit vorgeführt. Das Vergängliche ist das Glück der Sünder 2119 (vgl. überhaupt § 8) K Endlich finden sich die Ausdrücke saeculum corruptum Esr 4 n, oirog 6 ctiajv o 7taQSQxöfievog (opp. „jener Olam ohne Ende") Bar 4 8 60, cum supersignabitur saeculum quod incipiet pertransire (Umschreibung des Futurs) Esr 6 20 s. Es ist hier überall vom Olam hazze die Rede (das Pronomen wird durch Relativsatz oder Partizip ersetzt). Daß der Olam hazze vorübergeht oder zugrunde geht, heißt, daß die gegenwärtigen geschichtlichen Verhältnisse aufhören. Auf einem fehlerhaften Text beruht die bisherige Übersetzung von Hen 91 ue: „die Welt wird [in der neunten, vorletzten Woche] für den Untergang aufgeschrieben werden". Schon aus inneren Gründen ist dieser Text wenig wahrscheinlich 3 . Mag man „die Welt" von der Menschenwelt oder, wie gewöhnlich, von der ganzen Erde verstehen, in keinem Falle wird in der 10. Woche die Ausführung des Beschlusses erwähnt — das Vergehen der Himmel, das in der 10. Woche stattfinden wird, ist kein Weltuntergang. In der Tat zeigt auch der handschriftliche Befund, daß abi? hier (wie in v. Ha, s. S. 49 Anm. 3) die alte Bedeutung „Ewigkeit" hat. Denn die bisher immer vorgezogene Lesart, die griechisch lauten würde: nai avayQCKprjoetai eig wcibXeiav aiiltv, beruht offenbar auf einer ganz leichten Änderung der von der besten Handschrift (g) 4 gebotenen und 1

Es sei hier daran erinnert, daß Baruch (3/ff. 4 l) ausdrücklich bestreitet, daß

der Olam zum anfänglichen Schweigen zurückkehren werde. die Menschenwelt; R Y S S E L übersetzt 3 7a N r r n ü n =

(Der Olam ist auch hier

xöauoe mit „ Weltgebäude u ; aber

xoo/xos wird hier wie sonst oft die Menschen bezeichnen). 2

Vgl. auch ApkAbr 1 7 ; s. o. S. 33.

3

DALMAN (S. 139) streicht die ganze Aussage.

4

Noch eine Handschrift dor besseren Gruppe (t) liest mit demselben Sinn:

antliluuv

fI;

nlwvag

ilg

(lahaguel la'äläm, während g : lahagueU 'älam, und der gewöhn-

liche Text: lahaguel 'älam bietet).

72

§ 12.

Der Himmel als Schauplatz des messianischen Heils.

von C H A R L E S in seiner Ausgabe ( 1 9 0 6 ) aufgenommenen 1 Lesart: X A I ygaipei eis ämökeiav alätvog (doch ist die aktive Form des Verbums richtig). Daß dies den e w i g e n Untergang, nämlich (nach v. i>) der losen oder ihrer „Werke", aussagen will, dürfte selbstverständlich

avakaum Gottsein.

§ 12. Der Himmel als Schauplatz des messianischen Heils. Die Frage, ob der Himmel jemals als vorläufiger oder definitiver Aufenthaltsort der A b g e s c h i e d e n e n betrachtet wird, geht uns nichts an. Wir untersuchen ja überhaupt nur die Vorstellungen über die Heilszukunft der Lebenden. Ihr Schauplatz war von Anfang an die Erde; es wird aber behauptet, daß die „moderne" Eschatologie denselben wohl nicht immer, aber sehr häufig in den Himmel verlege. Die Forderungen, die man an eine Stelle macht, ehe man eine Deutung nach dieser Richtung hin gutheißt, sind aber oft bescheiden und niemals streng. In der Tat beruht die Behauptung überall auf einem Schein. a) Am meisten muß es wundern, daß man das harmlose Bild A s s Mos 109f. nicht als Bild belassen will: Altabit te (Israel) Deus et faciet te haerere caelo stellarum, loco habitationis eorum, (v. 10) et conspicies a summo et vide[bi]s inimicos tuos in terram 2 et cognosces eos et gaudebis etc. Die Erhöhung an den Himmel, ein recht gewöhnliches Bild der Macht und Herrlichkeit (Jes 14 IS Obad 4 Jer 49 IE 5153 PsSal LS Luk 10 vgl. die Bezeichnung der Juden als „Sterne des Himmels" Dan 810 Hen 4 6 7 ) , wollen C H A R L E S Z. St., V O L Z S . 2 9 . 3 8 0 , BERTHOLET S. 4 6 2 buchstäblich verstanden wissen. Aber selbst der Kommentator, C H A R L E S , gibt keine Gründe dafür an. b) H e n 91 Iß (aus der Wochenapokalypse) nehmen C H A R L E S , V O L Z S. 295. 298. 378 u. ö. den Himmel als Heilsschauplatz an. Diese Annahme beruht hier auf einem Schluß e silentio, nämlich darauf, daß nach 1

Dagegen kehrt er in seiner Übersetzung von 1912 zum gewöhnlichen Text zurück. Hier (s. Note zu v. 14) hält er übrigens unbegreiflicherweise auch für g und t die Übersetzung „"Welt" hartnäckig fest. Das ist formell möglich, da die Präposition Ja auch im Äth., hier freilich „im ganzen selten" (DILLMANN Gr. § 179), das Objekt einführen kann. * Für „Erde" vermutet CHARLES für den Urtext „Gehenna". Er geht dabei von der falschen Voraussetzung (s. S. 185) aus, daß die Heiden beim messianischen Gericht sämtlich getötet werden und deshalb nachher nicht mehr auf der Erde zu sehen sind.

§ 12.

D e r H i m m e l als S c h a u p l a t z des m e s s i a n i s c h e n

Heils.

73

der vermeintlichen „Aufschreibung d e r W e l t für Untergang" v. u im folgenden wohl ein neuer Himmel, aber keine neue Erde verheißen wird. Indessen ist v. u vielmehr von einer Aufschreibung (der Sünder oder ihrer Werke) für e w i g e n

Untergang

die Rede

(s. oben S. 71 f.), und

was vom neuen Himmel zu halten ist, darüber haben wir S. 2 4 f. geredet. c) D i e E s c h a t o l o g i e d e r P a r ä n e s e n d e s H e n o e h (Hen 91 — 9 3 ? — 1 0 5 ) . Nach C H A R L E S , Y O L Z . BERTHOLKT sollen auch die Paränesen des Henoch als Schauplatz der die Geschichte abschließenden Heilszeit den Himmel annehmen. VOLZ (S. 15f.) läßt dies Urteil nur für die Kap. 1 0 2 — 1 0 4 gelten, während in den früheren Kapiteln „Gericht und Heil auf der Erde spielen". Diese angebliche Differenz zwischen Kap. 94 bis 101 und Kap. 1 0 2 - 1 0 4 erscheint bei C H A R L E S (1912, S. 218fr.) 1 dadurch ausgeglichen, daß er den Paränesen eine c h i l i a s t i s c h e E s c h a t o l o g i e zuschreibt: das transitorische irdische Messiasreich werde durch das Endgericht abgeschlossen, bei dem die lebenden Gerechten in den (neuen) Himmel erhoben werden; die gestorbenen Frommen, die bis dahin in der Scheol ein glückliches Leben führten, siedeln dann ebenfalls in den Himmel über, was CHARLES eine Auferstehung, nämlich im Geiste, nennt. Nach VOLZ dagegen kommen in Hen 102ff. die gestorbenen Frommen gleich mit dem Tode in die volle himmlische Seligkeit, wohin dann beim (einzigen) Gericht die noch lebenden Frommen ihnen nachfolgen. 94

Die Konstruktion von CHARLKS beruht auf drei Stellen, a) Zunächst auf 91 f. Das ist nun eine Stelle aus der Wochenapokalypse, deren Anschauungen CHARLES mit denen der Paränesen in e i n e r Darstellung verbindet, obgleich er die Wochenapokalypse als ein Fragment ansieht, das der Verfasser der Paränesen oder der Herausgeber des ganzen Henoch in die Paränesen eingegliedert habe. In Hen 9112-17 nimmt nun CHARLES (mit vielen anderen) chiliastische Anschauung wahr. Das ist aber nur Schein (vgl. S. 102). — b) Die zweite Stelle ist 100 5. Die hier im letzten Satz angedeutete Änderung des Zustandes der gestorbenen Gerechten kann nach CHARLKS nicht beim Anbruch der irdischen Messiaszeit stattfinden, muß es also bei dem zu postulierenden nachmessianischen Endgericht tun. Weshalb? Weil der Verfasser einen l a n g e n [Todes-] Schlaf der Gerechten voraussetzt. Da er das Messiasreich recht bald erwarte — so wird wieder auf Grund der Wochenapokalypse angegeben — , werde es bis dahin keinen l a n g e n Schlaf geben können. Das ist offenbar schon an sich eine recht anfechtbare Begründung. Dazu kommt nun ' Sielio a u c h die A n m e r k u n g e n zu K a p . 1 0 4 ff. u n d E s c h a t o l o g y S. 2 0 3 f f .

74

§ 12.

Der Himmel als Schauplatz des raessiauischen Heils.

noch, daß der Satz, der hier in Frage steht (100 6d), entweder völlig korrupt oder auch unecht sein muß. Erstens ist Dämlich im Zusammenhang (v. i - 6 ) nur von dem Geschick der l e b e n d e n Frommen die Rede; der Schlaf der Gerechten in v. 54 kann aber nur der Todesschlaf sein 1 . Zweitens stimmt dieser Ausdruck nicht mit der sonstigen Anschauung der Paränesen vom Zustand der gestorbenen Frommen. Denn die 103 3f. erwähnte F r e u d e der Geister findet wahrscheinlich (s. S. 76) schon gleich nach dem Tode statt; dieser Zustand der Freude kann aber unmöglich ein Schlaf heißen. Denn dieser Ausdruck, von den Toten gebraucht, war damals ein ganz neues lebendiges Bild, kein versteinerter Terminus wie bei uns. — c) Am wichtigsten ist die Stelle 1 0 4 I - 6 . Hier begegnet eine Reihe von Aussagen, deren Art es nach CHARLES unmöglich macht, das hier beschriebene Glück der Gerechten auf die Messiaszeit zu beziehen; es könne erst im Himmel eintreten. Diese Aussagen sind: „ihr werdet leuchten wie das Licht des Himmels" (v. 2); „die Pforten des Himmels werden euch aufgetan werden" (ib.); „ihr sollt Genossen der Heerscharen des Himmels werden" (v. 6). Jedoch muß die letzte Aussage nach der Lesart der besseren Handschriften vielmehr lauten: „ihr werdet der Güter 2 des Himmels teilhaft werden". Von diesen Aussagen auf einen himmlischen Schauplatz des Heiles der Gemeinde 3 zu schließen, ist aber unbedingt ausgeschlossen. Es scheint, daß CHARLES sich die Schwierigkeiten, die seiner Auffassung entgegenstehen, nicht klargemacht hat. Das Heil, das 1041—6 den Gerechten verheißen wird — und zwar den lebenden, von den Toten ist nicht die Rede —, kann kein anderes sein als eben dasselbe, das die früheren Kapitel der Paränesen im Auge haben, und dessen irdische Art von diesen her genügend feststeht. Das besteht einfach darin, daß die Sünder, die in der Gegenwart die Macht haben, 1

Die Auffassung B O U S S E T S (S. 3 1 1 ) , es sei ein wirklicher Schlaf gemeint, durch den die (noch lebenden) Gerechten derZeit der letzten Not entzogen werden, ist wenig glaublich. — Gegen die bisherigen Erklärer will C H A R L E S V . 4 und 5 auf die Toten beziehen, aber mit Unrecht, da v. 1 — 3 (4b) und v. 6 von den Lebenden handeln müsseD. * heräna (msc. plur.) = die Guten; wenn aber das Wort überhaupt richtig ist, muß es neutral gemeint sein. C H A R L E S zieht noch die Lesart der schlechteren Handschriften (haril = Heerscharen) vor. F L E M M I N O dagegen folgt zwar der anderen, vermutet aber, daß das griech. TOJV «J/«£NDV aus jffiv ayyiXiav korrumpiert sei. ' Die erste Voraussetzung dafür, daß der Abschnitt hier überhaupt in Betracht kommen kann, ist, daß er nicht speziell vom Geschick der g e s t o r b e n e n Frommen, sondern von dem der Lebenden, der Gemeinde (die natürlich auch Auferstandene umfassen kann), handelt. Daß er das wirklich tut, ist meine Meinung. Ob auch C H A R L E S so denkt, ist mir nicht möglich herauszufinden. Im folgenden wird nur die (an sich nächstliegend«) Möglichkeit berücksichtigt, daß er in diesem Punkt mit mir einverstanden ist.

§ 12. von

einem

Der Himmel als Schauplatz des messianischen Heils.

vernichtenden

Schlage,

einem

„großen

Gericht",

75 getroffen

w e r d e n , w o d u r c h die F r o m m e n o b e n a n k o m m e n u n d „ ü b e r ihre F e i n d e nach B e l i e b e n h e r r s c h e n " (95 3 9 6 1 ) . V e r g e g e n w ä r t i g e n w i r u n s z u n ä c h s t d e n I n h a l t der k l e i n e n Schrift. I. D a s G e r i c h t ü b e r d i e S ü n d e r ist ihr H a u p t t h e m a ; g l e i c h nach den einleitenden

Worten

wendet

der V e r f a s s e r s i c h

9 4 6b den

Sündern

zu,

beschreibt ihr T u n u n d T r e i b e n u n d m i t b e s o n d e r e r V o r l i e b e i h r e n k ü n f tigen Untergang. rede g e g e n 9 6 8b

V o n 9 4 6 bis 1 0 2 3 setzt sich s e i n e D r o h - u n d

sie fast o h n e U n t e r b r e c h u n g fort.

9 9 io 1 0 0 s) g l e i t e t

der B l i c k

des Redenden

ganz

kurz und

läufig auf das m i t d e m U n t e r g a n g der S ü n d e r g e g e b e n e G l ü c k rechten ü b e r ; a u ß e r d e m taucht

Schelt-

N u r e i n paarmal ( 9 4 n ; bei-

der Ge-

9 5 3 9 6 i—3 97 i 9 9 a 1 g a n z abrupt e i n e

A n r e d e an die G e r e c h t e n a u f , d i e m a n , j e d o c h m i t A u s n a h m e v o n 9 6 i—3, k a u m für u r s p r ü n g l i c h

halten kann. —

fasser sich a n die G e r e c h t e n ,

und

II. Erst 1 0 2 1 w e n d e t

diese Adresse

der V e r -

b e h a u p t e t sich i m fol-

g e n d e n , a l l e r d i n g s m i t e i n paar U n t e r b r e c h u n g e n 1 0 2 9f. 1 0 3 5 - 8 2 1 0 4 7—9, die j e d o c h sehr erklärlich sind.

Mit der A d r e s s e w e c h s e l t a u c h das T h e m a ;

das H e i l der Gerechten w i r d j e t z t verhandelt.

A . Z u n ä c h s t k o m m t das

alte P r o b l e m , ü b e r das d i e J u d e n n i e z u r R u h e k a m e n , n ä m l i c h das b i s 1

Dagegen nicht 101 l. Denn da schon in v. 2 „ihr" die Sünder meint (vgl. 100 11f.), so ist in v. l statt „Kinder des Himmels", was eine singulare Bezeichnung der Gerechten wäre, ohne Zweifel „Kinder der Erde" (vgl. 1006 102 3 105 l) zu lesen, eine Korrektur, die man schon längst hätte vornehmen sollen. Durch diese Änderung fällt jeder Grund weg, die „Kinder der Erde" als Qualitätsbezeichnung für die Sünder aufzufassen. Die „Kinder der Erde" ist eine vox media ( = Menschen); man vergleiche, daß z. 15. in der Apk Esr bald die Frommen, bald die Gottlosen als „Erdenbewohner" bezeichnet werden. - Dagegen können 103an nicht die Sünder angeredet sein. D i e R e d e v. 9b —15 i s t a u f j e d e n F a l l e i n e R e d e d e r G e r e c h t e n ; statt der von CHARLES 1893, B E E R , MARTIN vorgezogenen 3. Person der Y erben ist nach dem überwiegenden Zeugnis der MSS mit D I L L M A N N , FLRMMING , CHARLES 1906 und 1912 die 1. Person als die ursprüngliche zu betrachten. Nun steht aber v. 9a: „saget nicht zu (la) den Gerechten usw." (dem la geben B E E R , MARTIN die Bedeutung „von", FLEMMING : „im Sinne von", CHARLES: „in regard to"). Deshalb sagt CHARLES 1912, es seien die Sünder, die hier sprechen, aber sie „nehmen die Rolle der Gerechten an und reden aus deren Person heraus". Aber das ist künstlich, u n d , was entscheidend ist, wir hätten in diesem Fall aus der Rede den S p o t t der Sünder gehört. Der Ton der Rede ist aber einfach klagend; wie CHARLES ihn höhnisch finden kann, vorstehe ich nicht. Auch die Auffassung D I L L MANNS, es sprächen hier die gestorbenen Gerechten zu ihren noch lebenden Glaubensbrüdern, finde ich unbrauchbar (vgl. unten S. 76 Anm. 2). Das la v. 9a ist also zu beseitigen; man lese: „Saget nicht, i h r Gerechten!" [Statt „die gelebt haben" ( B E E R ) kann man ebensoirut und muß man hier präsentisch übersetzen]. Jetzt schließt sich 1041 — 6, das die tröstende Erwiderung auf die Klage ist, natürlich an.

7 6

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Der Himmel als Schauplatz des messianischen Heils.

zum Tode sich erstreckende und zum Tode führende Unglück des einzelnen Frommen, zur Sprache (102 4 — 103 4). Der Verfasser löst es durch die Verheißung eines glücklichen Lebens der G e i s t e r ; die Auferstehung könnte im Verbum „leben" (103 4), das „Wiederaufleben" bedeuten kann, ausgesprochen sein, ist aber doch kaum gemeint, weil der Verfasser so beharrlich von den „Geistern" redet Es handelt sich also nur um eine Belohnung der gestorbenen Frommen im Jenseits. Das ist nun dem Verfasser eine Gelegenheit, auch an die Strafen zu erinnern, die im Jenseits der Sünder, wenigstens derer, „an denen zu ihren Lebzeiten kein Gericht vollzogen wurde" (v. 6)i, harren 103 s - s . — B. D a n n geht der Verfasser in derselben abrupten Weise, in der auch 1024 die Wendung der Rede erfolgte, dazu über, d e n auf der E r d e b l e i b e n d e n G e r e c h t e n die künftige Wendung ihres irdischen Geschickes zu verkündigen; das ist ja die positive Wendung des Hauptthemas, der Vernichtung der Sünder. Der eigentlichen Verkündigung (104 i - 6 ) schickt er eine Klage der Gerechten über ihre elende Lage voraus (103 9-15, vgl. vorletzte Anm.) und auf diesem düsteren Hintergrund tritt dann 104 itr. das künftige Glück um so heller hervor und wird auch mit besonders leuchtenden Farben gemalt. — Von 103 9 an ist also nicht mehr die Rede von den gestorbenen Frommen, sondern von der alle Zeit lebenden Gesamtheit. Es wird freilich auch hier noch auf den unglücklichen Tod der Frommen hingedeutet (z. B. v. IÖ) 2 ; das ist aber eben ein Zug an der Gesamtlage der Gemeinde, daß ihre Bedrückung sich bis zur Hinmordung einzelner Glieder steigern kann. Es sind die l e b e n d e n Gerechten, die v. 9-15 über ihr Los klagen. Das geht besonders aus 1 0 4 1 - 6 , der Erwiderung auf die Klage, hervor. Diese handelt deutlich, wie wohl keiner bezweifelt, von der Gesamtheit der l e b e n d e n Frommen. will nun, daß das hier 1 0 4 1 - 6 beschriebene Heil erst in einer nach der Messiaszeit eintretenden zweiten Heilsperiode verwirklicht werde. Auch er scheint aber doch zu meinen, daß der Abschnitt Antwort gibt, nur nicht direkt 3 , auf die vorhergehende Schilderung des Elendes der Frommen ( 1 0 3 9 - 1 5 ) . Wie ist aber dann seine ersterwähnte Auffassung möglich? Denn die 103 9-15 geschilderte Notlage wird doch CHARLES

1 Das war die ältere Anschauung (vgl. Hen 22), deren Vorhandensein für diesen Punkt die (relative) Selbständigkeit der jüdischen Entwickelung beweist. 2 Das ist offenbar der Grund, weshalb D I L L M A N N in den v. 9—15 redenden Gerechten die g e s t o r b e n e n Frommen findet. 8 Das bezieht sich aber nur darauf, daß 104 1 ff. sich an die Gerechten wendet, wälirend 1 0 3 9FF. nach der (falschen) Meinung von C H A R L E S von den Gottlosen gesprochen wird.

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Der Himmel als Schauplatz des messianischen Heils.

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scholl durch die Messiaszeit völlig geändert; schon dann werden die hier laut gewordenen Klagen alle verstummen. Weshalb sollte der Verfasser diese Messiaszeit überschlagen? und wie könnte er es, ohne durch eine einzige Bemerkung es anzudeuten? Die Sache CHARLES' steht aber um kein Haar besser, wenn er den Zusammenhang mit 103 9—ib leugnen will. Denn wenn der Verfasser die ganze Schrift hindurch (mit Ausnahme des Abschnittes vom Geschick der G e s t o r b e n e n 1024 — 103 s) das Heil der Gerechten an die Vernichtung der Sünder geknüpft hat, wie könnte er dann ohne jede Andeutung plötzlich von einem ganz anderen Heil reden? Und sieht man näher zu, wird man bald gewahr, daß auch in unserem Abschnitt 104i—6 das Heil u n m i t t e l b a r auf die Zeiten des Unglücks folgt und nicht durch eine messianische Zwischenperiode, die ja auch eine Heilszeit ist, von jenen getrennt sein kann. Vgl. v. 2: Zuerst seid ihr beschämt worden durch Unglück und Not; Jetzt aber werdet ihr scheinen wie das Licht der Sonne. Womöglich noch deutlicher zeigt v. 3, daß die Lage der Frommen bis zum Erscheinen des hier verheißenen Heils eine gedrückte, und das Heil an das Gericht über die Sünder geknüpft ist: Mit eurem Geschrei schreiet nach dem Gericht 1 , und es wird euch erscheinen. Es hat keine Aussicht, das hier erwähnte Gericht für ein nachmessianisches ausgeben zu wollen; denn das Schreien nach dem Gericht entspricht zu deutlich der Lage und Stimmung der Gerechten, wie die früheren Kapitel sie uns zeichnen. Die Gerechten schreien, weil sie in Not sind. Dann aber ist (las „Gericht" dasselbe wie sonst in der Schrift, die Vernichtung der Gottlosen. — Der Weg, den CHARLES geht, um f ü r Kap. 1 0 4 den Himmel als Heilsschauplatz behaupten zu können, ist gewiß nicht gangbar. Einen anderen Weg schlägt VOLZ ein. Er will den Abschnitt von den früheren Kapiteln abtrennen und als selbständiges Stück fassen. Der Grund ist aber nur der, daß die eschatologische Anschauung eine andere sein soll als in Kap. 94 —102 3, und der Unterschied besteht wesentlich darin, daß hier der Himmel, dort die Erde den Schauplatz des Heils abgeben soll. Von diesem Punkte aber abgesehen, steht alles andere der Meinung von VOLZ entgegen. In formeller Hinsicht deutet nichts darauf hin, daß mit 102 4 eine neue Schrift anfange. Der abrupte Übergang von einem Thema zum anderen 102 4 ist überhaupt eine 102 4 — 1 0 4

1

So wörtlich; „mit eurem Geschrei" wird doch wohl einen Infin. absol. des

Urtextes vertreten.

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stilistische Eigentümlichkeit des Verfassers, die wir auch sonst beobachten (96 i 4 103 6 9 104 7). Eine andere formelle Übereinstimmung zwischen den beiden angeblich selbständigen Teilen liegt vor im Gebrauch der Einleitungsformeln „ich sage euch", „ich schwöre euch", die sich auch n a c h 1024 finden. Noch mehr wiegt es, daß die beiden Teile im Stil und im Ton einander gleich sind. Auch Ausdrücke und Gedanken haben sie gemeinsam. Besonders bedeutsam ist in dieser Hinsicht, daß die sonst so seltene Hindeutung auf literarische Wirksamkeit der Gottlosen sich hier in beiden Teilen der Schrift findet (98 i» und 104 io). Beidemal findet sich ganz in der Nähe die Klage darüber, daß die Gottlosen „die Worte der Wahrheit ändern, oder fälschen" (99 2 und 104 9). Sowohl vor als nach 102 4 begegnet die Anschauung, daß das Gebet der Gerechten das Gericht gleichsam herbeiruft (97 3 5 9 9 3 104 3), oder der Gedanke, daß die Naturmächte und die Elemente die Taten der Sünder sehen und deshalb auch beim Gericht von Gott als Zeugen gegen sie vorgeladen werden (100 io 104 8 ; nach C H A R L E S auch 9 7 7), oder der Wunsch des gottlosen Menschen, sich vor der richterlichen Offenbarung Gottes zu verbergen (104 s 102 3). Dies mag genügen, um die enge Verwandtschaft, die zwischen den beiden Teilen besteht, darzulegen. Zwischen den Kapiteln 91 92 und Kap. 1 0 3 i - 4 gibt es allerdings eine gewichtige Differenz: nach 91 io = 92 3 werden „die Gerechten aus dem Schlaf auferstehen"; dagegen ist 103 1 - 4 eine Auferstehung wohl sicher nicht gelehrt, und auch wenn sie es wäre, würde dennoch die eben zitierte Stelle 91io = 92 3 unmöglich zu derselben Schrift gehören wie 103 i—4. Denn gehörten sie zusammen, würden die charakteristischen Termini „Schlaf" und „auferstehen" an der Hauptstelle 103 iff. unmöglich beide fehlen können. Diese Differenz gibt aber kein Recht, das Stück 102 4—104 von dem Vorhergehenden abzutrennen. Denn die Kapitel 9 1 — 9 3 sind uns ja in schlechter Ordnung überliefert; auch werden hier Interpolationen angenommen; was hier überhaupt den Paränesen angehört, ist noch zweifelhaft; die zitierten Stellen, wo auch die Wiederholung des identischen Ausdrucks verdächtig ist, tun es jedenfalls nicht. Sind also 1 0 2 4 — 1 0 4 kein selbständiges Stück, dann ist zu behaupten, daß die Ausdrücke, die f ü r C H A R L E S , V O L Z , BERTHOLET U. a. als Zeugnisse f ü r einen himmlischen Schauplatz der messianischen oder nachmessianischen Heilszeit gelten, einfach symbolische oder hyperbolische Beschreibungen eines rein irdischen Glückes sein müssen, sofern sie dann nicht auf Textkorruption oder - ä n d e r u n g beruhen. Über den symbolischen Wert des „Leuchtens wie das Licht des H i m m e l s " sehe man

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S. 152ff. „Güter des Himmels", deren Genuß 104 6 verheißt, gibt es doch auch auf der Erde; der Ausdruck ist übrigens singulär, seine Bedeutung ungewiß. "Was endlich die letzte Verheißung angeht, „die Pforten des Himmels werden euch aufgetan", so liegt ja die Ergänzung „damit ihr eingehet" für unsere Empfindung und Bildgebrauch sehr nahe. Aber andererseits ist das Bild doch nicht derart, daß es solches Verständnis schlechthin fordert. Denn das Auftun der Pforten kann auch mit dem Zweck geschehen, daß etwas hinausgelassen werde, in casu der Segen des Himmels, die in v. 6 erwähnten Güter des Himmels. Durch die Pforten des Himmels kommen Hen 3 4 — 3 6 Wind, Tau, Regen, Schnee, Hagel, also freilich nicht lauter gute Dinge. Aber hauptsächlich kommt doch der Regen vom Himmel; wenn Gott den Regen und Tau zurückhält, dann schließt er die Fenster des Himmels (1012). "Wie dies dort (1012) Strafe und Ausdruck des göttlichen Zornes über die Gottlosen ist, so könnte hier das Eröffnen der himmlischen Fenster oder Pforten die Gnade und das Wohlwollen Gottes gegen die Gerechten bezeichnen sollen. Zweifelhafter ist dagegen, ob das Bild die Gewährung geistiger Güter, etwa die Gewißheit der Gebetserhörung, ausdrücken soll, oder ob es vielleicht in allegorischer Weise die offene Verbindung zwischen Himmel und Erde, die aktive Betätigung des göttlichen Weltregimentes statt der bisherigen Zurückgezogenheit Gottes vom Weltgeschehen darstellen will. d) D i e B i l d e r r e d e n des H e n o c h . Durch diese ganze Schrift hindurch geht die Anschauung, daß das Heil der Frommen vom Unheil der Gottlosen abhängig sei. Oft wird dies Unheil als eine Vertreibung von der Erde angeschaut (38 1 45 6 53 2 69 2 7 f . ) ; niemals kommt das Heil umgekehrt zustande, nämlich dadurch, daß die Frommen von der Erde und den Sündern weggerückt würden. Ausdrücklich wird auch an mehreren Stellen die Erde als Heilsschauplatz erwähnt (38 2 45 5 51 B) 1. Dennoch haben die Forscher sich schwer darein finden können, daß die Bilderreden mit ihrer angeblich so fortgeschrittenen und einzigartigen Eschatologie an diesem Punkte eine rückständige Denkweise verrieten. Deshalb haben sie nur zu willig einige Stellen, die mehr oder weniger deutlich einen himmlischen Heilsschauplatz anzunehmen scheinen, ohne kritische Bedenken aufgenommen. Unter diesen Stellen gibt es eine (514c), die besonders in dem Wortlaut der jüngeren Handschriften gerade heraus sagt: „alle werden Engel im Himmel werden" 2 ; die anderen an1

V g l . VOLZ S . 3 7 0 .

- Auch der Text der älteren Handschriften ( = CHARLES 1906) kann so übersetzt werden; vgl. überhaupt S. 151 f.

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geführten Stellen sind wenigstens zweifelhaft. Den Ausgleich mit der zuerst erwähnten Anschauung, daß das Heil auf der Erde erlebt werde, suchen z. B . TÖLZ (S. 3 7 1 ) und BERTHOLET (S. 4 6 0 ) darin, daß Himmel und Erde zusammen den Heilsschauplatz abgeben sollen; die Erde sei eben die verklärte Erde, Himmel und Erde fließen für den Verfasser ineinander über, der Himmel auf Erden, die Erde im Himmel — das sei seine Lehre1. Es wäre 'wahrlich recht erstaunlich, solche modernpoetischen Phrasen vom Munde des alten Apokalyptikers zu vernehmen, und in der Tat hat erst die exegetische Harmonistik ihm sie eingegeben. Auch wenn die alte Übersetzung von 51 4C das Ursprüngliche träfe, würde man nur sagen können, daß der Verfasser zwei verschiedene Heilsschauplätze kenne, die er unvermittelt nebeneinander stehen lasse. Zu jenem anderen Satze, die zum Himmel verklärte Erde oder der auf die Erde sich herablassende Himmel sei der Schauplatz des Heils, fehlt jedes Recht, außer das der (vermeintlich) notwendigen Kombination; denn freilich erst bei solcher Kombination würde die Doppelheit sich in eine höhere Einheit auflösen. Der Verfasser selbst hat aber diese Kombination nicht gemacht; denn hätte er die gewaltige Idee erzeugt, dann hätte er sie in der kräftigsten und mannigfaltigsten Weise zu Worte kommen lassen. So wie es jetzt ist, gibt es aber nur jene unaufgelöste Doppelheit, die unerträglich ist. Die Auflösung kann aber nur die sein, daß man die ganze Rede von einem himmlischen Heilsschauplatz fallen läßt2. Sie ist zum Verständnis der angeführten Stellen auch nicht notwendig. Letzteres ist eine Erkenntnis, die auch VOLZ besitzt; denn zu der einzigen Belegstelle, die er für die Annahme eines himmlischen Heilsortes anführt ( 4 1 2 ) , bemerkt er S. 3 7 0 : „das Reich ist ein himmlisches Reich, aber es ist möglicherweise mit der Erde gleichgesetzt". Unter diesen Umständen ist die Rede vom „himmlischen Reich" in diesem Zusammenhang eine leere Redensart. — BERTHOLET dagegen nennt S. 4 6 2 ohne jede Reservation Hen 39 4 8 412 45 3 als Belege für die genannte Anschauung. CHARLES ( 1 9 1 2 ) in der Bemerkung zu 454T. führt dafür 4 5 4 und 5 1 4 an; die letztere Stelle muß aber durch eine Sorglosigkeit von der 1. Auflage des Kommentars wiederholt sein, da CHARLES sie jetzt ganz anders auffaßt (vgl. S. 1 5 2 ) . Die Stelle 4 1 2, die BERTHOLET und VOLZ für die AnV O L Z S. 3 7 1 (vgl. auch B E M H O L F . T aaO.) führt solche Anschauung auf eine „gewisse Verschwommenheit des Denkens" zurück. * Die Möglichkeit, die angenommene Doppelheit des Heilsortes zum Ausgangspunkt einer Quellenscheidung zu machen, wird wohl allgemein abgewiesen (vgl. V O L Z S. 371). 1

§ 12.

Der Himmel als Schauplatz des messianischen Heils.

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schauung vom Himmel als Heilsort anführen, verwertet CHARLES (S. ZU 45 4f.) im entgegenstehenden Sinne, und offenbar mit Recht; denn die „Stätte, von wo die Sünder vertrieben werden" — der Heilsort ist gemeint —, kann doch unmöglich der Himmel sein. BKETHOLET und YOLZ haben sich offenbar dadurch bestimmen lassen, daß Henoch sagt, er habe d o r t — d. h. nach 39 a am Ende des Himmels,- oder meinetwegen im Himmel selbst — die Wohnungen der Frommen, nämlich ihre "Wohnungen in der Heilszeit, geschaut. Aber daß Henoch gerade im Himmel seine Gesichte schaut, beweist nicht, daß das Geschaute dort seinen wirklichen Ort habe. Besonders für die e s c h a t o l o g i s c h e n Geheimnisse, die er schaut, kommt anderes in Betracht. Das S c h a u e n der zukünftigen Geschicke des Gottesvolkes war eine Sache fast sämtlicher Apokaljptiker von Daniel an. In der Verzückung haben sie ihre Gesichte geschaut, aber es war ganz gleichgültig, an welchem Orte sie sich befanden. Wenn z. B. Esra, als er sein Gesicht von dem verherrlichten Zion hat (Esr9 26ir.), auf einem Felde in der Nähe Babylons 1 sich aufhält und das neue Zion auf diesem Felde erbaut sieht, so heißt das nicht, daß das Jerusalem der Heilszeit in der Nähe Babylons errichtet werden soll. Die älteren Apokalyptiker erleben ihre Visionen immer auf der Erde; so Daniel, Esra, Baruch, Johannes, Hermas und auch Henoch selbst in Kap. 83 — 90. Aber bei Henoch mußte es nahe liegen, die bekannte Eigentümlichkeit seines Lebenslaufes für seine Rolle als Apokalyptiker zu verwerten, und das, was er über die Zukunft Israels schaute, in die Zeit seiner Entrückung von den Menschen, seiner Wanderungen mit den Engeln 2 zu verlegen. Das tut eben der Verfasser der Bilderreden; nach den einleitenden Kapiteln 37f. läßt er sofort 39 3 den Henoch durch einen Sturm von der Erde weg ans Ende des Himmels entrückt werden. Von da an befindet er sich die ganze Schrift hindurch in der Begleitung von Engeln, ganz wie in den Reiseberichten Kap. 17 — 36. Freilich hat der Verfasser kein Interesse, die formelle Seite der Fiktion weiter auszuspinnen; nachdem er Henoch ans Ende des Himmels gebracht hat, überläßt er ihn dort den Engeln und gibt etwaige weitere Ortsveränderungen nicht an (vgl. 52 i); was Henoch schaut, 1 An dieser Ortsbestimmung muß man festhalten, auch wenn es bei Babylon kein Tal Arpad oder Ardap gegeben hat. • Nach Gen 5 22 24 wanderte er mit Gott; im äth. Henoch wandert er nur mit den Engeln und bekommt höchstens von der Ferne Gott selbst zu schauen (so Kap. 40; Hen 14 ist nur eine Vision). Dagegen im slavischen Henoch gipfelt die ganze Himmelreise des Henoch in seiner Vorführung vor Gott, der sich weitläufig (Kap. 23 — 37) mit ihm unterhält. Auch hierin verrät sich der spätere Standpunkt des slavischen Henoch.

Beihefte / . Z A W . au.

6

82

§ 12.

Der Himmel als Schauplatz des messianischen Heils.

schaut er alles „dort", „an jenem Orte"; nur muß er bisweilen (561) seinen Blick nach einer anderen Seite wenden.— Dadurch nun, daß man die Zukunftsschau des Henoch mit seinem bekannten Aufenthalt bei den Engeln kombinierte, wurde es veranlaßt, daß die visionäre Form des Schauens, die sonst die gewöhnliche ist, wegfiel. Die Dinge und Örtlichkeiten, die der Henoch der Reiseberichte zu sehen bekommt, sieht er nicht im Schlaf, sondern mit seinen leiblichen Augen, und diese Form der Offenbarung ist es eben, die der Verfasser der Bilderreden für seine apokalyptischen Zwecke benutzen will. Deshalb läßt er seinen Helden einerseits Dinge der gleichen Art wie in den Reiseberichten sehen — diese alten Stoffe behält er bei, teils aus Rücksicht auf die Tradition, teils um der Illusion willen; einiges davon kann er auch für seine eschatologische Tendenz verwerten—; außer diesen der G e g e n w a r t Henochs angehörenden Dingen läßt er ihn sodann auch z u k ü n f t i g e Ereignisse, Zustände und Personen sehen, und zwar, wie jenes, mit seinen leiblichen Augen. Den visionären Schlaf brauchte er auch nicht; denn dieser ist ja nur ein Mittel, die Seele über die Sinnlichkeit und die alltäglichen Umgebungen herauszuheben. Aber sachlich ist das Zukunftschauen des Henoch von dem eines Daniel nicht verschieden. Beide sehen sie nur gottgewirkte A b b i l d u n g e n der künftigen Wirklichkeit, seien es unmittelbare, seien es allegorische, symbolische. Der Unterschied zwischen Henoch und Daniel besteht nur darin, daß Daniel die Bilder im S c h l a f sieht, wodurch der Bildcharakter des Geschauten mehr unmittelbar einleuchtend wird; Henoch dagegen sieht sie im wachen Zustand, und dadurch kann es den Anschein erhalten, als wären die Dinge, die er sieht, in ihrer Wirklichkeit und nicht nur im Bilde an seinem Aufenthaltsorte, also etwa im Himmel, vorhanden. Was Henoch im Himmel sieht, ist also zum Teil wirklich da vorhanden, zum Teil nur ein Bild, und es wird nicht immer gleich klar, zu welcher Kategorie dies oder jenes gehört; der Verfasser stellt alles in derselben Weise dar. Die „Wohnungen der Gerechten", die er 39 4 1 2 sieht, und die man mit Recht als die Wohnungen der messianischen Gemeinde, nicht der Seelen gestorbener Frommer auffaßt, können deshalb entweder etwas wirklich Vorhandenes sein oder auch ein Bild einer erst zukünftigen Sache. Da der Heilsschauplatz sonst die Erde ist, muß man die letztere Möglichkeit wählen. In der Tat ist 41 2 so zu verstehen, daß Henoch hier in einem Bilde P a l ä s t i n a u n d J e r u s a l e m sieht, und zwar in dem Augenblick, da die Sünder daraus vertrieben werden, d. h. er sieht den Eintritt der Heilszeit. — Hiermit lassen sich die v. i genannten Züge, die Verteilung des Reiches oder vielmehr der Herrschaft,

§ 12.

D e r Himmel als Schauplatz des messianischen Heils.

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und das Wägen der menschlichen Taten, aufs beste vereinigen. Freilich kann man von ihnen sagen, daß sie ihren Ort im Himmel haben; andererseits gehören sie doch nicht zu den sachlichen Teilen der himmlischen W e l t , wie die Wohnungen der Gerechten tun -würden. Sie sind Bilder, die die göttliche Vorherbestimmung und Strafgerechtigkeit konkret veranschaulichen wollen; Henoch „sieht" die Betätigung der beiden Eigenschaften, gleichsam als wären sie in gewissen im Himmel vorgehenden äußeren Handlungen wahrnehmbar. F ü r die Gerechtigkeit Gottes bringt er dies Sehen zustande durch Verkörperlichung des bekannten Bildes, daß Gott, entweder selbst oder durch die Engel, die guten und die schlechten Taten der Menschen gegeneinander wägt. In einer ähnlichen Handlung will er auch die „Verteilung der Herrschaft", nämlich der Weltherrschaft, der n-oVu des Daniel, die eben nach Gottes Verteilung von dem einen Volk zum andern übergeht und schließlich auch zum Volke Israel gelangen und bei ihm dauernd bleiben wird 1 , verkörpert gesehen haben; freilich hat er seine Phantasie nicht bemüht, dafür ein passendes Bild aufzufinden. Obgleich die Handlangen des Verteilens und Wägens nicht erst der Zeit des Heilsanbruches gehören, haben die beiden Bilder dennoch eschatologische Bedeutung; sie ersetzen eine Heilsverkündigung und wollen den bekannten Anfechtungen entgegentreten, daß nämlich die Herrschaft der Heiden und die gegenwärtige Straflosigkeit der Sünder die Ohnmacht oder wenigstens die Gleichgültigkeit Gottes am irdischen Geschehen zu beweisen scheinen. Dem ist nicht so, will Henoch sagen; in seinem Himmel nimmt Gott von den Sünden Notiz, bereitet also Strafe vor, und was den anderen Punkt betrifft, dann beruht die Herrschaft der Heiden auf einer Bestimmung Gottes, kann also nur zeitweilig sein. Zu H e n 3 9 , wo Henoch ebenfalls (v. 4f.) die Wohnungen der Gerechten schaut, bemerkt CHARLES (1912) richtig, daß von diesem Kapitel aus sich über die wirkliche Lage des Heilsortes nichts entscheiden läßt. Dagegen nimmt er als sicher an, daß nach diesem Kapitel die messia1

Diese Auffassung des knappen Ausdrucks scheint mir besser als die DILLMANNS,

der ihn von

der Z u e r t e i l u n g

steht (so a u c h bedenklich,

BEEK).

Von

des m e s s i a n i s c h e n

a n d e r e m abgesehen,

daß das bloße m s b n

das messianische

R e i c h e s an

ist an dieser Reich

die Gerechten

Auffassung

bezeichnen soll.

ver-

besonders Eine

Ab-

stoßung der notwendigen Genitivbestimniung würde aber einen lebhaften Gebrauch des Ausdrucks » R e i c h G o t t e s " im Spätjudentum v o r a u s s e t z e n , welchen m a n nicht annehmen kann.

Selbst in den synoptischen Evangelien k o m m t die Abkürzung ßaaileiu

nur ganz

selten vor ( M t 4 23 9 35; dagegen liegt in Stellen wie L k l 2 32 keine A b k ü r z u n g vor). CHABLES f r a g t ,

ob die

Stelle sich auf die Teilung

des H i m m e l s

in sieben Teile

ziehen kann. 6*

— be-

84

§12.

Der Himmel als Schauplatz des messianischen Heils.

nische Gemeinde sich aus Engeln und Menscheu zusammensetzen werde. Aber auch diese Anschauung können wir dem Verfasser und dem ursprünglichen Texte nicht zutrauen. Weiter nennt C H A R L E S 4 5 4, BERTHOLET 4 5 3 als Belege der Annahme eines himmlischen Heilsortes; 45 3 dürfte jedoch Druckfehler sein für 454 oder 452. Von diesen beiden Stellen gilt aber, daß sie die in Frage stehende Annahme weder direkt ausdrücken noch deutlich voraussetzen. Für 45 2 ist zwar zuzugestehen, daß die Aussage hier sich gut erklären ließe, wenn die Heilsgemeinde sowohl den Himmel als die Erde bewohnen sollte. Auf diesem Sande ist aber kein Haus zu bauen, am wenigsten ein so großes, wie es BERTHOLET und V O L Z bauen wollen. Die Stelle 45 2 muß, wenn der Text richtig ist, anders erklärt werden. e) B a r ö l i O a : tv xoig iiprjlotg

xov alwvoq txeivov

YMXOr/jj00vai.

xu

vifiykcc erläutert man als „Himmelshöhen", und daß auch bei Baruch wie anderswo „die Höhe" („die Höhen") wenigstens in gewissen Ausdrücken die himmlische Gegend bezeichnen kann, ist sicher (z.B. 131 22 i). Aber diese Bedeutung ist hier nicht selbstverständlich, und eine andere Erklärung läßt sich finden. Zunächst ist zu bemerken, daß der Genitiv zod alutvog tv.eivov fehlerhaft sein muß. Die ,,[Himmels-]Höhen jenes Olam" ( = jener Zeit) ist gewiß ein unmöglicher Ausdruck, und wenn man, gegen den Sprachgebrauch Baruchs, „[Himmels-jHöhen jener Welt" (=zdff(UOg) übersetzt, dann ist auch dieser Ausdruck unannehmbar, da der Genitiv mit dem Nomen regens identisch wäre. Außerdem tritt bei Baruch für den Olam habba das bloße „ j e n e r Olam" (ohne Beifügung einer näheren Charakteristik, wie 48 so) niemals ein. Eine kleine Änderung wäre es, im Genitiv eine Korruption von n'iiyb zu sehen: „in den Höhen (d.h. hoch) werden sie wohnen auf ewig"; vgl. J e s 2 6 ö 3316, wonach man auch auf der Erde „hoch wohnen" (LXX tv vtytjXolq, tv vipr^kü) kann 1 . Mit diesem Sinne streitet nicht die Zusammenstellung mit den in v.iouc folgenden Sätzen („sie werden den Engeln gleichen, den Sternen vergleichbar sein"); denn das „Wohnen in der Höhe" ist Ausdruck der Sicherheit und Unerreichbarkeit, der machtvollen Überlegenheit über die Feinde, und bei der Vergleichung mit den Engeln oder Sternen kann (s. unten S. 155) neben der Freude auch, und vielleicht in erster Reihe, das Majestätische, Ehrfurchtgebietende das tertium comparationis sein. — So aufgefaßt ist unsere Stelle mit den Aussagen Ass Mos 10 9 Ps Sal 15 usw. (s. oben S. 72) zusammenzustellen. 1

Der Ausdruck TU iipr/LA TOB niavog aber auch hier offenbar korrupt.

(ohne ixa'vov)

kommt Bar ,r)4 l vor, ist

§ 13.

§ 13.

Das Paradies als Schauplatz des messianischen Heils.

85

Das Paradies als Schauplatz des messianischen Heils.

Das Paradies als der Ort, wo die Seelen der Gerechten nach dem Tode hinkommen, ist eine Vorstellung, die uns hier nicht angeht, da sie der eigentlichen Eschatologie nicht gehört. Das Paradies, das in dieser eine Rolle spielt, ist nicht das Paradies der Toten, sondern das ursprüngliche Paradies, das für ein irdisches Leben in voller Leibhaftigkeit geschaffen war — nämlich nach dem Bericht der Genesis, der auf die volkstümliche Anschauung einen bestimmenden Einfluß geübt haben muß —, dessen Glück und Wonnen die Menschen sich verscherzt hatten, die Gerechten aber dereinst wiedergewinnen werden. Der Idee nach ist das Paradies natürlich hier wie dort das gleiche, der Ort des vollkommenen Glückes; aber die Verwendung ist verschieden. Von den Gestorbenen gilt, daß sie beim Tode ins Paradies übersiedeln; es ist aber nicht die Vorstellung, daß die Gemeinde der Lebenden beim Anbruch der Heilszeit aus ihrem geschichtlichen Boden entwurzelt und ins Paradies entrückt werden soll. Von einer solchen Übersiedelung verlautet nichts; hätte man aber an sie geglaubt, dann wäre dies das zentrale Ereignis des Heilsanbruchs gewesen, hätte folglich in den apokalyptischen Schilderungen einen entsprechenden Platz finden müssen, und welche lockende Aufgaben wären der apokalyptischen Phantasie nicht dadurch gestellt! Es ist vielmehr der Sinn, daß das Paradies zu den Gerechten kommt, auf der wirklichen Erde, nämlich in P a l ä s t i n a , errichtet und so den Menschen wiedergegeben wird. Im Hinblick auf die biblische Erzählung vom S c h l i e ß e n des für die Menschen bestimmten Paradieses konnte man es natürlich so darstellen, daß die Tore des Paradieses dereinst den Menschen aufgeschlagen (Esr 8 62 TestLev 18io), und die Frommen also in dasselbe eingehen (Esr 7 124) werden; aber das Eingehen ist rein bildlich gemeint. Das ist überhaupt die ganze Anschauung. Das Paradies ist, wie V O L Z S. 377 zu Esr 8 5 2 bemerkt und auch zu den übrigen Stellen hätte bemerken können, nicht Heilsort, sondern Heilsgut; es kommt nicht als Örtlichkeit, sondern als Summe des für Menschen erreichbaren und für die Gerechten bestimmten Glückes in Betracht. Die Wiederkehr des paradiesischen Zustandes, des goldenen Zeitalters, verkünden die Apokalyptiker. Dann erwächst uns die Frage: Hat diese Vorstellung der Apokalyptiker mit der irdisch-politischen Eschatologie nichts zu schaffen? Ist sie eines anderen Geistes Kind als die Hoffnung auf die Wiederherstellung Israels zu politischer Freiheit und zu neuer Macht? Spricht sich in ihr eine Sehnsucht aus, die von dem Patriotismus und dem gemeinen Wunsch

86

§ 13.

Das Paradies als Schauplatz des messianischen Heils.

nach irdischem Glück verschieden wäre? Zeugt sie also für eine transzendente Richtung der eschatologischen Vorstellungen? Wenn sich wirklich in der jüdischen Apokalyptik eine Sehnsucht nach höherem Leben regt, dann knüpft diese nicht an die Vorstellungen über das fortgesetzte Leben des Individuums nach dem Tode an, sondern das höhere Leben wird als Erhöhung des Standes der auf der Erde Lebenden gedacht sein. Einer solchen Anschauung würde die Paradiesesgeschichte wertvoll sein. Denn in dieser war eine Form menschlichen Lebens gezeichnet, die im Verhältnis zum gewöhnlichen irdischen Leben sowohl die notwendige Analogie als auch eine gewisse, ebenso notwendige Differenz aufzeigte. Hier gab es ein volles menschliches Leben, aber ein Leben in vollkommenem Frieden, denn selbst die Tiere waren dem Menschen nicht feind — ohne Schmerzen, selbst die Geburtswehen wurden dem Weibe später auferlegt, — ohne Krankheit, denn der Baum des Lebens hatte heilende Kraft, — ohne harte Arbeit, ohne Tod: so konnte man die Worte wenigstens leicht auffassen, ja man kann hinzufügen — aber diese Punkte sind nicht 1 betont worden: in unmittelbarer Gemeinschaft mit Gott und in Unschuld des Herzens. — Man kann es also zugeben: eine aufdämmernde Idee eines höheren Menschendaseins mochte sich von der Paradieseserzählung angezogen fühlen, mochte an ihr vielleicht seiner selbst bewußter werden, und sich selbst in der Hoffnung auf die Wiederkehr der paradiesischen Zeit Ausdruck verschaffen. Aber wer will behaupten, daß dieser Zusammenhang der selbstverständliche und notwendige sei? Wer sieht nicht, daß die andere Möglichkeit, daß das Paradies gerade das i r d i s c h e Glück, nämlich das denkbar größte Maß davon, symbolisiere, an sich ebenso naheliegt? Das paradiesische Leben war eben fähig, beiden Interessen zu dienen; denn es war irdisch, und doch mehr als das gegenwärtige, und der Charakter dieses Mehr war zwitterhaft, es konnte als irdisch und als überirdisch angesprochen werden; die Entscheidung dazwischen war Sache des unbewußten Gefühls. Welche Wünsche des Herzens sind es nun, die sich für die Apokalvptiker mit dem Namen des Paradieses verknüpfen? Sie drücken sich aus in den Worten requietio und jocunditas (Esr 7 36), saturitas et medela (7 123). Esr 8 62 TestLev 18 io heben nur den Besitz des Lebensbaumes hervor, ohne die Wirkung desselben zu charakterisieren. Hen 2 5 4f. nennt von dem ganzen Bestände des Paradieses nur diesen Lebensbaum; dem 1

Auf TestDan 5 13c darf man nicht hinweisen.

Denn der hier genannte Zug

hat mit dem Paradies (das übrigens hier hinter das „himmlische" Jerusalem ganz zurücktritt) keinen Zusammenhang, sondern ist die christliche Hoffnung auf die Parusie des Herrn.

§13.

Das Paradies als Schauplatz des messianischen Heils.

87

Verfasser genügt es, wenn nur dieser — wie er mitteilt — „an den heiligen Ort beim Hause Gottes verpflanzt wird", damit „seine Frucht den Auserwählten zum Leben" diene, d. h. ihnen ein langes Leben ermögliche. Die Schilderungen Bar 29 u. 73, denen nach BOUSSET (S. 298 f.) die Hoffnung auf die Wiederkehr des Paradieses zugrunde liegt, interessieren sich bekanntlich in sehr hohem Grade für das leibliche Wohlergehen der Heilsgenossen. Wie soll man nun erkennen, daß der in diesen Hoffnungen sich bekundende Lebensdrang einen höheren Flug angenommen habe oder wenigstens mit der Zeit annehmen werde? Mag das Herz, das hier sich ausspricht, wirklich von dem gewöhnlichen Erdenleben losgekommen sein, mag es wenigstens ringen, davon loszukommen: für uns wäre dies nicht erkennbar; der etwa vorhandene Zug nach Transzendenz wäre schlechthin nicht zu greifen. Freilich liegt die erste Entstehung neuer geistiger Lebensinteressen immer im Dunkeln. — Hier handelt es sich doch nicht um solches. Denn es kann kein Zweifel sein, daß Esra und Baruch, und ebenso der Verfasser von Hen 25, sich aufs lebhafteste für die politische Wiederherstellung des Volkes interessieren, und daß sie sich von der Verwirklichung dieser Hoffnung — und nur davon — für ihr Volk eine neue Zeit versprechen, da die bisher solange Verfolgten und Gequälten wieder einmal aufatmen und sich des Lebens freuen, seine Güter in ruhigem und sicherem Besitz genießen können werden. Daß sie ihren verzagenden Glaubensgenossen ein Bild der künftigen Herrlichkeit vorhalten, ist nur natürlich, und daß sie dies Bild ihrer Phantasie mit frischeren und kräftigeren Farben malen, als selbst die bestmögliche Wirklichkeit jemals einem nüchternen Blick erscheinen würde, wer wird ihnen das verübeln? Daß das Bild dann mit dem Bild des Paradieses oder des goldenen Zeitalters eine nicht geringe Ähnlichkeit 1 erhalten hat, ja geradezu in gewissen Zügen nach diesem Modell gezeichnet sein mag, und daß den Dichtern dabei auch das Wort Paradies hat entschlüpfen können, darin sehe ich nichts Wunderliches. Wunderlich könnte einem vielmehr das vorkommen, wie man den Mut gewinnt, in Schilderungen wie Bar 29 73 transzendente Neigungen zu spüren. Mit Bezug auf diese Stellen sagt BOUSSET (S. 299): „Es ist ganz klar, der Messias ist in allen diesen Stellen nicht der nationale Heros, der Errichter des jüdischen herrlichen Staatswesens am Ende der Zeit. Er ist der Erneuerer oder Bringer des Paradieses oder des goldenen Zeitalters." Letzteres mag richtig sein; aber mit welchem Recht wird hier ein Gegensatz aufgestellt? Mit welchem Recht darf man die kleinen 1 Das Idyll bleibt sich immer gleich. Es braucht deshalb nicht überall die Idee von der Wiederkehr des Paradieses zugrunde zu liegen (übrigens eine ganz irrelevante Frage).

88

§ 13.

Das Paradies als Schauplatz des messianischen Heils.

Stücke, die BOÜSSET zitiert, aus dem Schriftganzen, dem sie gehören, heraussondern? Man braucht, was die Baruch-Stellen angeht, nur das unmittelbar Vorhergehende zu lesen (Bar 292 72), um den nationalen Gesichtspunkt in voller Kraft und Deutlichkeit zu treffen 1 . — BOUSSET bemerkt weiter (S. 299f.): „Seine (des Messias) Wirksamkeit beschränkt sich nicht auf Palästina. Wenn es hier und da so scheint, dann liegt nur eine sichtliche Umdeutung von Seiten des nationalen Glaubens vor . . . . wir haben es hier im Grunde nicht mit nationalen Hoffnungen, sondern mit . . . dem Mythus vom wiederkehrenden Paradies zu tun." Inwieweit die Stellen mit einem derartigen Mythus zusammenhangen, mag auf sich beruhen; wenn aber die genannte „Umdeutung" vorliegt, dann ist sie die Wirklichkeit, mit der zu rechnen ist, und auf die es wesentlich ankommt; den eigenen Sinn des Verfassers darf man nicht als „nur eine Umdeutung" zum alten Eisen werfen und dafür den allerdings viel interessanteren Originalsinn des Mythus einsetzen. Es könnte auch die Darstellung, daß es „hier und da so scheint", objektiver gehalten sein. Denn die Beschränkung auf Palästina findet sich an den beiden einzigen Stellen, wo die Reproduktion des vermuteten Mythus vom wiederkehrenden Paradiese sich zu wirklicher Schilderung erweitert (Bar 29 73); Esr 7 36 muß der paradisus jocunditatis für die Juden (d. h. für die Gerechten unter ihnen) bestimmt sein, da nach v. 37 der clibanus gehennae den Völkern zugedacht ist; Esr 8 52 wird das Paradies nur dem Esra und seinen „Brüdern", d. h. den frommen Juden, eröffnet werden; Hen 25 4 wird der Lebensbaum nach Jerusalem verpflanzt. Auch wenn man etwa an den beiden letzten Stellen die Beschränkung des Gesichtskreises auf Palästina nicht im Ausdruck enthalten finden will: eine Bestimmung der Paradiesesgüter für Griechen so gut wie für Juden wird auf jeden Fall nicht verkündet 2 , und Palästina steht Hen 25 4 im Mittelpunkt des Interesses. Die deutliche Beschränkung des Interesses auf Palästina ist die Regel; die Aufhebung der nationalen Schranke kann hier und da, z . B . Sib 3 652ir., vorzuliegen scheinen, ist aber dann auch nur Schein. Wenn Sib 3(i52fr. der Messias „ a u f d e r g a n z e n E r d e dem bösen Krieg ein Ende machen wird", so ist das auch vom Standpunkt der nationalen Eschatologie wohl verständlich, und zur Erklärung dieses Zuges hat man nicht auf einen universalistischen Mythus von der Wiederkehr des Paradieses, sondern auf das Interesse der Propaganda zu rekurrieren. 1 Dagegen fehlt er an der dritten großen Stelle, die Dies Kapitel ist aber durchaus christlich. 2

BOUSSET

anfuhrt, TestLev

Nach v . 3 wird Gott „ d i e E r d e mit Gutem heimsuchen". Ausdrücke bei partikuLaristischet- Denkweise sind häuiig.

18.

Solche allgemeine

§ 14.

Das himmlische Jerusalem.

89

§ 14. Das himmlische Jerusalem. Wie die Wohnung eines Mensehen einen Begriff von seinem Wohlstand gibt, so konnte das erhoffte Glück Israels in der Weise anschaulich vor Augen geführt werden, daß man ein Bild der künftigen Herrlichkeit Jerusalems entwarf. Besonders nach zwei Seiten hin hat man sich dies Bild ausgemalt, in betreff der Ausdehnung und in betreff der äußeren Pracht, entsprechend den beiden großen nationalen Wünschen: Völkerreichtum und ökonomischem Wohlstand. Die apokryphe und pseudepigraphe Literatur hat besonders die zweite Seite, die Beschreibung der künftigen Herrlichkeit Jerusalems, gepflegt und hier an den Farben nicht gespart. Schon Tobit (1816) läßt Jerusalem aus Gold und edeln Steinen gebaut werden. Glänzender als die Sterne wird die Stadt nach Sib 5 420 ff. neu erstehen 1 . Auf dieses Bild des strahlenden Aussehens führte übrigens nicht nur der Gedanke an den künftigen Reichtum, sondern auch die Aussicht auf die Freude über das erlebte Heil, die in der neuen Zeit herrschen wird; die Freude spiegelt sich ja im erheiterten Gesicht ab (vgl. unten S. 153). Auf diese doppelte Bedeutung des Bildes reduziert sich, was VOLZ S. 3 3 5 von der äußerlichen und innerlichen Seite des Glanzes sagt. — Am ersten Punkt, an der Ausdehnung Jerusalems, verweilt die genannte Literatur weniger; nur Hen 90 29 36 und Sib 5 25if. wären zu nennen. Dagegen finden sich im Talmud mehrere Aussagen über die ungeheure Ausdehnung und Mauernhöhe des künftigen Jerusalem (s. YOLZ 3 3 6 , BACHER Tann. I 2 1 9 4 . 3 9 1 . I I 291. Pal. Amor. I 32, 334). Wenngleich nun nach diesen Aussagen Jerusalem bis nach Joppe oder Damaskus reichen und seine Zinnen in den Himmel ragen werden, so ist doch die Bemerkung von YOLZ (S. 3 3 6 ) , daß „ in solchen Aussagen der Begriff der Stadt fallen gelassen und J e r u salem allgemeiner im Sinne von „Stätte der Heilszeit" gefaßt ist", nicht zutreffend. Auf die offenbare Hyperbolik einen so weitreichenden Satz zu bauen, ist mehr als kühn. Die Babbinen wollen gerade von der Stadt reden; der Gedanke der künftigen Vergrößerung war ihnen gegeben, aber was Sache der poetischen Anschauung sein und bleiben sollte, das machen sie zum Gegenstand „wissenschaftlicher" Forschung und können dabei doch den Ernst bewahren. Nicht weil ihnen Jerusalem mit Kanaan zusammenfiele, wie YOLZ sagt, sondern weil es der Zufall des Schriftbeweises so mit sich brachte, hat einer die Ausdehnung bis nach Damaskus konstatiert. Vollends die Behauptung, daß Jerusalem hier ein sublimierter, seiner irdischen Bestimmtheit entkleideter Begriff sei und nur soviel wie 1

Andere Stellen sind: Ps Sal 17 31 Bar L X X 5 lff. 4 Esr 1060.

90

§ 14.

Das himmlische Jerusalem.

„Heilsstätte" bedeute, ist eben nur eine Behauptung, deren Berechtigung in dem Bedürfnis nach einem Mittelglied, das zu einer vermeintlichen neuen Entwickelungsstufe hinüberleiten könnte, allein zu suchen ist. An einigen Stellen hören wir Aussagen über das künftige Jerusalem, die wir darin zusammenfassen können, daß es als eine h i m m l i s c h e S t a d t vorgestellt wird. Die erste Stelle, an der diese Anschauung wenigstens andeutungsweise 1 vorliegen soll, ist H e n 9 0 28 f. (aus der Siebzig-Hirten-Vision). Der Visionär sieht hier, wie nach dem Gericht, d. h. beim Anbruch der messianischen Zeit, das „alte Haus" eingepackt und weggeschafft wird, und wie Gott ein „neues Haus" bringt, das er an dem Orte des alten aufstellt 2 . Es wird also hier e r s t e n s das zukünftige Jerusalem dem gegenwärtigen entgegengesetzt und geradezu als eine andere Stadt dargestellt; z w e i t e n s : Gott bringt es und errichtet es. Das d r i t t e und eigentlich charakteristische Moment, nämlich daß Jerusalem, das künftige, schon jetzt im Himmel existiere, zeigt sich hier noch nicht, sondern (vom NT abgesehen) erst B a r 4 2«r., und zwar allein hier deutlich 8 ; an den übrigen jüdischen Stellen, die man hierherzieht, Esr 7 26 802 13 36 1 0 Bar 32 4 Hen BR 53« Test Dan 5 12 (m. E. christlich), wird der himmlische Ursprung nirgend ausgesagt, dagegen wohl im NT Gal 4 26 Hebr 12 22 Apk Joh 3 1 2 21 2 IÜ. BERTIIOLET (S. 460f.) und VOLZ (S. 338) sehen in der Vorstellung vom himmlischen Ursprung des künftigen Jerusalem eine Übergangsstufe von der nationalen zur transzendenten Eschatologie. Die anderen Forscher werden vielleicht damit einverstanden sein, verwerten die Vorstellung auf jeden Fall als Zeugnis der modernen Eschatologie, und zwar ohne nähere Begründung. — BOUSSET4 meint auch für diese Vorstellung eine mythische Grundlage annehmen zu müssen: die himmlische Stadt sei ursprünglich das Himmelsgewölbe. Auf den Ursprung des vermuteten Mythus kommt es jedoch nicht an; der von BOOSSET angenommene Ursprung wäre sicher schon längst vergessen und den Apokalyptikern jedenfalls ganz unbekannt. Was BOUSSET meint, ist dies, daß die Apokalyptiker einen Mythus, der von einer im Himmel existierenden Stadt sprach, gekannt und daraufhin ihre Idee vom himmlischen Jerusalem empfangen 1

So

BOUSSKT S .

328.

2

Es ist von der Stadt, nicht vom Tempel die Rede; doQn das . n e u e Haus" soll womöglich alle Heilsgenossen aufnehmen, ist somit offenbar als ihre Wohnung gedacht. ' sl. Hen 5 5 2 Rez. A : „das oberste Jerusalem"; aber Rez. ß hat „den obersten Himmel". 4 Vgl. auch VOLZ S . 3 3 8 unten.

§ 14.

haben.

Nach

der

hier

D a s himmlische

91

Jerusalem.

befolgten Methode

sollte

man

wohl

eigentlich

sagen, es habe sich außerdem ein weiterer Mythus gebildet, des Inhalts, daß die himmlische Stadt sich dereinst auf die Erde niederlassen werde. Entweder auf Grund des letzteren Mythus oder einfach auf eigene Faust haben

nun die Apokalyptiker —

nach der Annahme

BOUSSETS



ver-

heißen: die himmlische Stadt soll herunterkommen, uns Juden geschenkt werden und die Stätte Jerusalems einnehmen.

Es wäre dann zu fragen:

was ist von dieser Stadt zu halten, ist sie irdisch oder himmlisch? "Was haben die Apokalyptiker in diesem Punkte gemeint, was war nach ihrer Meinung Zweck und Erfolg der Herabkunft der Himmelstadt?

Ist die

selbstverständliche Antwort die: daß die Gerechten himmlischen Lebens teilhaft würden? poetisches Motiv

Es

dürfte

doch für ihre Anschauung auch ein rein

denkbar sein, nämlich daß sie den vermuteten Mythus

wohl gekannt, ihn aber als Dichtung erkannt und als Mittel zur Verherrlichung

des (rein

irdisch

gedachten)

Jerusalem

verwendet

hätten.

Daß das neue Glück sich im Niederreißen von alten ärmlicheren Häusern und in der Wiederaufführung von Prachtbauten kundtun würde,

darf

man als einen den Apolyptikern geläufigen Gedanken voraussetzen.

Die

Pracht

der

ausdrücken

neuen Gebäude wollen. —

haben

sie vermittelst des Mythus

Eine Frage

für sich

können

ist es, ob die Idee

vom

himmlischen Jerusalem überhaupt mythischen Ursprungs ist; m. E. ist sie in ganz anderer Weise zu erklären (vgl. unten S. 99 f.). Es dürfte sich nun unschwer nachweisen lassen, daß die transzendente Deutung des himmlischen Jerusalem unhaltbar ist; die uns vorliegenden jüdischen 1 Apokalypsen Stimmungen

und Interessen,

die

haben

sie

nicht

gehabt.

Denn die

in Verbindung mit dieser Idee

zum

Ausdruck gelangen, sind nirgend transzendenter A r t ; sie tritt vielmehr in Zusammenhängen auf, die von einer rein diesseitigen, irdisch-nationalen Eschatologie beherrscht werden.

Es steht dann nur der Ausweg

offen, die Verse, die die himmlische Stadt erwähnen, als Interpolationen zu erklären.

Das ist auch getan worden 2 , es lassen sich aber für die

Ausschaltung keine anderen Gründe geltend machen, als eben die angebliche Nichtübereinstimmung der Vorstellung von dem himmlischen Jerusalem mit den Umgebungen, in denen sie auftritt. Anerkanntermaßen gefärbtes Zukunftsbild. 1

bietet H e n 90

ein

durchaus

irdisch-politisch

Ein Zug dieses Bildes ist nun das Wegschaffen

In der A p k . Joh. ist es nicht anders

(s. unten S. 113 ff.).

Ü b e r Paulus

und

den V e r f a s s e r v o n H e b r . w i l l ich nichts gesagt haben. 2

CHARLKS erklärt B a r 4 2 — 7 Esr 7 26 1 3 36 f ü r Interpolationen (s.

zu B a r 4 2FF.); VOLZ ( 8 . 3 6 ) ebenso Bar 4 2FF.

Bemerkungen

92

§ 14.

Das himmlische Jerusalem.

des alten und Herbeischaffen eines neuen Jerusalem (v. 28 f.). Was unterscheidet aber das von Gott gebrachte „ H a u s " von dem alten? Es wird am neuen Haus gerühmt, 1. daß es „größer und höher" ist als das alte, 2. daß alles daran n e u ist 1 . Darüber hinaus nichts! Der erste Punkt redet selbst für sich. Der zweite soll m. E. die R e i n h e i t des künftigen Jerusalem ausdrücken, nämlich die kultische Reinheit, die durch die heidnische Berührung 2 oder vielleicht wahrscheinlicher durch die Sünden der Gottlosen (der „blinden Schafe") verloren gegangen war. Wo wäre aber ein Verlangen nach überirdischem Leben angedeutet? — Es ist jedoch hinzuzufügen, daß es zweifelhaft ist, ob dieser Verfasser die Idee des himmlischen Jerusalem im Auge gehabt hat. V O L Z konstatiert allerdings hier einen „unmittelbaren göttlichen Ursprung" der neuen Stadt; aber gerade das Entscheidende, die Unmittelbarkeit, ist von V O L Z ohne jedes Recht hinzugefügt. Daß Gott das Haus bringt, drückt einen rein religiösen Gesichtspunkt aus; eine menschliche Vermittlung ist damit wohl vereinbar. Von den Stellen bei E s r a gehören 7 26 1 3 36 und 8&2 zusammen. Sie lauten: 7 20: apparebit T) VDV FIFJ (FAIVOUTVRJ JCÖXIC, et ostendetur quae nunc subducitur terra. 13 au: Sion veniet et ostendetur omnibus parata et aediticata. 8 ")2: Vobis . . . . aediticata est civitas. Die erste Stelle macht auf unser Interesse besonderen Anspruch. Deun die mit 7 26 anhebende Schilderung scheidet schärfer als jede andere Stelle die Heilszeit in zwei Teile. Diese Zweiteilung (der „Chiliasmus - ') bildet bekanntlich für die Darsteller der spätjüdischen Eschatologie den abschließenden und eklatanten Beweis der Doppelheit der eschatologischen Tendenzen (vgl. B O U S S E T S. 331), und wenn im Judentum wirklich eine Vergeistigung der Zukunftshoffnung vorläge, würde man die Zweiteilung der Heilszeit darauf zurückführen müssen. Nun läßt aber Esra in 7 26 das Erscheinen des himmlischen Jerusalem in der ersten, irdischen Periode, der sogenannten messianischen Vorperiode, stattfinden! Durch Streichung oder Umstellung darf man diesen Knoten nicht zerhauen; denn auch nach 13 36 soll zur Zeit des Messias Sion vollkommen erbaut 1 Es ist zweifelhaft, ob der ursprüDgliche Text von v. 29 besagte, daß Gott darinnen wohnen sollte (vgl. C H A R L E S 1912 z. St.), ein Zug, der übrigens am Charakter der Stelle nichts ändern würde.

* Der Verfasser denkt vielleicht daran, daß die Syrer Jerusalem innegehabt und sogar den Tempel aufs greulichste entweiht haben. Aber schon vorher, in der ganzen nachexilischen Zeit, war der Kultus unrein (vgl. 89 73).

§ 14.

Das himmlische J e r u s a l e m .

93

erscheinen. Wie man aber ohne solche Mittel auszukommen gedenkt, darüber wäre näherer Aufschluß sehr erwünscht; man erhält aber keinen. Ich kann mir nur denken, man will auf den Mischcharakter der Idee des himmlischen Jerusalem rekurrieren: diese Idee sei kein reiner Ausdruck der transzendenten Eschatologie und könne deshalb auch in der Beschreibung der irdischen Vorperiode erscheinen; es zeuge nur für die Stärke der transzendenten Strömung, daß diese Idee auch die Vorstellungen von dem rein diesseitigen Heil beeinflusse. Ich glaube kaum, daß diese Bemerkung, wenn man sie machen wollte, für mehr als eine Phrase gelten könnte; denn es handelt sich j a immer nur darum, welche Bedeutung die Verfasser selbst den Vorstellungen und Bildern, die sie gebrauchen, beimessen; wenn nun E s r a so schroff die beiden Perioden einander gegenüberstellt, muß er den Unterschied, der für sein Bewußtsein zwischen ihnen besteht, klar vor sich haben; daß bei der herkömmlichen Deutung dieses Unterscheidens das, was der ersten Periode gehört, die gewöhnliche irdische vergängliche Art tragen muß, dürfte doch das durchaus Nächstliegende, wenn nicht gar das einzig Denkbare sein. E s kommt aber noch etwas hinzu. Ist 7 26 die „jetzt unsichtbare S t a d t " das himmlische Jerusalem, dann bezieht sich die Unsichtbarkeit auf den transzendenten Aufenthaltsort; dann muß aber folglich auch das „jetzt verborgene L a n d " ein in der Transzendenz befindliches Land, d. h. das Paradies, sein, wie GUNKEL und nach ihm BERTHOLET (S. 4 6 1 ) annehmen. Die Meinung von VOLZ, der (S. 337) in v. 26B die himmlische Herkunft der Stadt ausgesprochen findet, dennoch aber (S. 34 oben) v. 26c auf Palästina beziehen will, ist die offenbarste Inkonsequenz. Aber freilich eine sehr verständliche Inkonsequenz: das Paradies soll ja nach v. 36 in der z w e i t e n Heilsperiode die Wohnung der Seligen sein, wie kann es da in der ersten, irdischen, Periode erscheinen? — wo es übrigens in den vermeintlichen Weltuntergang v. sot. mit Jerusalem (s. VOLZ 373 oben) verschlungen werden mußte, um dann wieder allein aufzuerstehen aus dem Chaos. Hier dürfte ganz deutlich die Rede von dem Ineinander der beiden eschatologischen Vorstellungskreise ihre Hilfe versagen. Ich wenigstens bin außerstande zu verstehen, wie GUNKEL und BERTHOLET bei ihrer Auffassung von v. au-, den Schluß umgehen können, daß hier, an der entscheidendsten Stelle der ganzen Apokalyptik, sowohl das Paradies als damit auch das himmlische Jerusalem zu der Transzendenzfrage keine Beziehung haben. Aber vielleicht ist hier weder vom Paradies noch vom himmlischen Jerusalem die Rede, sondern einfach von der irdischen Stadt und von Palästina. Die Verben „unsichtbar sein'*, „verborgen sein" müssen dann

94

§ 14.

Das himmlische Jerusalem.

etwa die Bedeutung „unbekannt, d. h. unbeachtet, bedeutungslos sein", die Verben „erscheinen", „offenbar werden" eine entsprechende prägnante Bedeutung haben. Dieser Sprachgebrauch ist nicht ohne andere Belege. Nach HenBR 53 6 wird in der Endzeit „der Gerechte und Auserwählte das Haus seiner Versammlung erscheinen lassen; von nun an werden sie nicht mehr gehindert werden"1. H e n B R 3 8 i beschreibt die eschatologische Wendung als ein „Erscheinen" der Gemeinde der Gerechten2. Hen 1016 avcupavTjTb) TÖ (pvxov zfjg Sr/.aioatvtjg V.al aXrj&EIAG (Bezeichnung Israels) kann vom Standpunkt Noahs gesagt sein und folglich das g e s c h i c h t l i c h e Hervortreten Israels bezeichnen, kann sich aber dem folgenden entsprechend auch auf die eschatologische Gemeinde beziehen; im letzteren Falle gehört die Stelle hierher. Auch in Esra selbst ist dieser Sprachgebrauch belegt (62s ostendebitur veritas, d. h. die jüdische 1 Diese Stelle wird von einzelnen, eben wegen des Ausdrucks „erscheinen", vom himmlischen Jerusalem verstanden, indem man im „Haus seiner Versammlung" eine Bezeichnung, sei es der Synagogen des himmlischen Jerusalem (BKRTHOLKT S. 461), sei es des Tempels desselben (MARTIN Z. St.), sei es der Stadt selbst oder der Heilsstätte im allgemeinen (MARTIN Z. St.) erblickt. So auch BOUSSET 3 2 8 , während YOLZ 3 3 8 zweifelhaft ist. Aber nach 46 8 werden die „Häuser seiner (Gottes) Versammlungen" in der Gegenwart von den Sündern verfolgt (der Text B E E R S ist hier der der jüngeren Handschriften), sind also schon jetzt auf der Erde. Darauf weist auch „gehindert werden" in 53 6b. Das , H a u s seiner Versammlung" muß deshalb identisch sein mit den „Häusern seiner Versammlungen" in 46 s. Der Unterschied des Numerus beruht wohl auf Textverderbnis: in 53 6b tritt ja ein relationsloser Plural auf. — Wegen des Ausdrucks „verfolgen" in 4 6 8 können, wie es scheint, weder die Synagogen noch Jerusalem gemeint sein. Aber „die Häuser" sind doch auch kaum = die Familien.

' Auch hier hat das W o r t „erscheinen" Misverständnisse verschuldet. Wegen dieses Prädikates hat man es notwendig gefunden, die gewöhnliche Bedeutung des Ausdrucks „Gemeinde der Gerechten" ( = Gesamtheit der lebenden Frommen, das fromme Israel) zu verwerfen. Teils hat man ihn von der e s c h a t o l o g i s c h e n G e m e i n d e verstanden, die angeblich erst beim Heilsanbruch konstituiert werde und doshalb noch nicht vorhanden sei (DILLMANN, J . W E I S S S. 2 2 f . , subsidiär VOLZ S. 1 7 ) . Daß aber die Gemeinde der Heilszeit und die der Gegenwart für die Betrachtung der Frommen als zwei verschiedene Größen hervorgetreten seien, ist an sich unwahrscheinlich u n d nur mit zweifelhaften Stellen (628) zu belegen. Dazu kommt noch die Unwahrscheinlichkeit der identischen Bezeichnung. Gewöhnlich erklärt man jetzt die „Gemeinde der Gerechten" f ü r d i e h i m m l i s c h e G e m e i n d e d e r a b g e s c h i e d e n e n G e r e c h t e n (BRKR, J . W K I S S S. 1 1 4 , BOUSSET S. 340, VOLZ principaliter S. 1 7 , M A R T I N , BKRTHOLET S. 461). Aber nach den Bilderreden kommen die Gerechten bei ihrem Tode nicht in den Himmel. Die dafür geltend gemachte Hauptstelle ( 3 9 4) wird falsch verstanden (s. CHARLES Z. St., und vgl. oben S. 8 1 ff.); andere Stellen (s. VOLZ S. 1 3 7 ) werden mit Unrecht herangezogen und zeigen bestenfalls (so 7 0 4 ) , daß einige besonders begnadete Gerechte sich im Paradies befinden; 4 0 6 handelt von den lebenden Gerechten, und die in 6112 angedeuteten Verhältnisse gehören erst der Heilszeit an.

§ 14.

95

Das himmlische Jerusalem.

Religion, vgl. unten S. 1 4 6 D i e hier angedeutete Auffassung von Ers 7 20 dürfte die richtige sein, muß aber dann auch 13 36 und 852 gelten. Nun ist es aber das Fatale, daß 802 die „Erbauung der Stadt", d. h. also nach dieser Erklärung: der Wiederaufbau des irdischen Jerusalem, als Parallelglied zum öffnen des Paradieses steht und überhaupt von Aussagen umgeben ist, die nach der herrschenden Meinung einem transzendenten Vorstellungskreise gehören! Der künftige Wiederaufbau Jerusalems ist E s r 10 Gegenstand einer sehr ausführlich beschriebenen allegorischen Vision. Auf offenem Gefilde sieht Esra ein Weib, das über seinen verstorbenen Sohn trauert. Plötzlich erhellt sich aber ihr Gesicht, und sie verwandelt sich in eine prächtig erbaute Stadt. Der Engel erklärt, das Weib sei Zion, und deutet Einzelheiten der Vision. Das Ganze ist eine in ein sehr einfaches Bild gekleidete Verheißung der Umwandlung von Zions Trauer in Herrlichkeit. Die Betonung dieser wundervollen Herrlichkeit der Zukunft hat GUNKEL ZU der ganz in der Luft schwebenden Behauptung (s. Anm. zu lOso) veranlaßt, die Hauptsache der Vision sei, die wahre Natur Zions als einer himmlischen Stadt zu offenbaren. Das ist hier weder Hauptnoch Nebensache. Hauptsache kann nur die Verheißung der U m w a n d l u n g sein, und daß die Herrlichkeit eine himmlische sei, ist weder mit einer Silbe angedeutet, noch für Esra (oder sonst für jemand) selbstverständlich. — Das himmlische Jerusalem steht, so wie es die Forscher gegenwärtig auffassen, im ausgesprochenen Gegensatz zum irdischen; nur den Namen, in Zukunft auch den Ort, hat das himmlische mit dem irdischen gemeinsam; sonst sind es zwei Städte. Es deutet aber gar nichts darauf, daß ein solcher Gegensatz im Bewußtsein des Esra vorhanden gewesen wäre; vielmehr weist die Zusammenfassung der alten und der neuen Stadt in eine einzige symbolische Figur darauf, daß er sich ein Verhältnis der Kontinuität vorstellt. Ein Zug, der beim ersten Anblick befremdlich erscheinen mag, ist, daß der Verfasser darauf Gewicht legt, daß die Vision auf offenem Felde stattfindet; „denn", heißt es 10 54, „es darf kein menschliches Bauwerk da bestehen, wo die Stadt des Höchsten sich offenbaren soll". Man ist hier sofort bei der Hand mit der Versicherung, daß „der Heilsort ganz vom alten nationalen Schauplatz abgelöst" sei ( V O L Z S. 337), merkt aber nicht, daß diese Deutung dem Umstand ins Gesicht schlägt, daß das trauernde Weib, das alte Zion, doch auf demselben offenen Felde erscheint. Der örtliche Zusammenhang zwischen Altem und Neuem soll also nicht aufgehoben werden. Die 1

Vgl. noch 2 Kor 4 3: ei Das erste "Wort (B"D) ist korrupt. — Die Behandlung des Satzes von RYSSEL (bei KAUTZSCH II) ist abzuweisen. Denn die Änderung von TRAFT ya ( = v o n jetzt an) in N2M ]73 = von dieser (sterbliehen Natur) empfiehlt sich nicht, da N C n "¡73 durch „von jetzt an" in v. 23a und b gestützt wird. Damit fällt auch die Ergänzung von „Sterblichkeit" in v. 22 als Objekt des Satzes. 2 E s werden hier zwei Sätze (23bc) überschlagen; sie sind dem Zusammenhange des v. 23 offenbar fremd und gehören mit v. 25 zusammen (vgl. VOLZ S. 36).

§ 18.

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Die Vernichtung des Todes.

den frühen Tod, die verkürzte Lebenszeit, die den gegenwärtigen Menschen im Vergleich mit den Urpatriarchen eignet, von dem Falle Adams ableitet; vgl. 17 3: Adam „brachte den Tod und verkürzte die Jahre derer, die von ihm abstammen"; 5415: Adam „hat zuerst gesündigt und über alle den vorzeitigen Tod (6 &avatos 6 ny h> -Aaiqif) gebracht"; ebenso 56e. Hätte Baruch für die Heilszeit eine wirkliche Aufhebung des allgemeinen Todesgeschicks erhofft, dann würde er doch sicher den Lebensbaum des Paradieses und die Worte Gottes Gen 2 n als Zeugnisse der ursprünglichen Bestimmung des Menschen für ein ewiges, todloses Leben gedeutet haben. Der Verfasser der drei Stellen 17 3 5415 56 6 wird höchstens nur auf eine Verlängerung des Menschenlebens gehofft haben. E s würde deshalb nichts helfen, wenn man — wozu man immer noch geneigt ist — den ganzen Abschnitt Kap. 5 3 — 7 4 für eine ursprünglich selbständige Apokalypse erklären 1 und demgemäß die Stelle 73 3 für die Feststellung der Meinung Baruchs verwerfen wollte; 17 3 kann man Baruch nicht rauben. Es ist höchst bedeutsam, daß der eine der großen späteren Apokalyptiker es uns schwarz auf weiß bezeugt, daß er ein individuelles ewiges Leben in der Heilszeit nicht erwartet. Wir erhalten dadurch eine gewichtige Bestätigung unserer Auffassung von dem Ausdruck „ewiges Leben", wenigstens soweit es die palästinensische jüdische Literatur angeht. Denn wenn nicht nur die (wenigstens drei verschiedenen) Verfasser von Hen 5 9 10 n 25 6 Jub 23 27fr. (vgl. noch Hen 7 1 1 7 ) , sondern auch noch der am Ende unseres Zeitalters lebende Baruch nur ein begrenztes Lebensalter der Frommen in der Heilszeit annimmt, dann ist klar, daß man nicht ohne ernste Bedenken jenen Begriff des ewigen Lebens, den wir für den Salomopsalter mit voller Bestimmtheit behaupten dürfen, als eine Spezialität dieser Schrift hinstellen und für die spätere Zeit eine Beziehung des Ausdrucks auf das Individuum annehmen kann. Wir wenden uns nun der E s r a - S t e l l e (853) zu. Die Stelle preist das künftige Glück der Frommen, indem sie eine ganze Reihe teils eigentlich, teils bildlich gemeinte Güter aufzählt. Zum Schluß heißt es: mors 2 absconsa est, infernum fugit et corruptio in oblivionem 3 , 1 2

Die Übereinstimmung von 5417 56 6 mit 17:? zeugt gegen diese Abtrennung. Mors ist in Lat. ausgefallen.

3 Syr. Äth.: ist vergessen, iniXtXijoicu. Auf diese Form g e h t auch Lat. in oblivionem (entweder = in oblivione oder sc. data) zurück (gegen YIOLET, nach dem Lat. f v /lijftfj st. XtXrj&e gelesen hätte).

noihofte 7 ZA\V. 30.

10

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§ 18.

Die Vernichtung des Todes.

transierunt dolores, et ostensus est in finem thesaurus vitae1. Das dritte Parallelglied ( G U N K E L : „die Vergänglichkeit vergessen") kehrt in leichter Variation an drei anderen Stellen wieder, die in der Tat mit 863 zusammengehören und, wie diese, das zukünftige Glück schildern. Es sind 6 27 f. 1 sie. 1 uzt. 627 delebitur malum et exstinguetur dolus, 28 florebit autem fides, et vincetur corruptela, et ostendebitur veritas quae sine fructu fuit tantis temporibus. 7 31 excitabitur quod 2 nondum vigilat saeculum, et morietur corruptum (oder corruptio) 3 ; (danach v. 32f. Auferstehung und Gericht); 31 judicium autem solum remanebit, et veritas stabit, et fides convalescet etc. 7 113 pertransivit corruptela, 114 soluta est intemperantia, abscisa est incredulitas, crevit autem justitia, orta est veritas. Die vier Stellen feiern den künftigen Triumph der wahren Religion und ihrer Anhänger über die Gottlosigkeit und den Unglauben. Denn veritas, fides, justitia (dazu nach 7125 continentia) sind keineswegs „ethische Glücksgüter", die die Frommen in der Heilszeit erhalten werden (so BERTHOLET S. 4 6 4 ) , sondern sie sind verschiedene Bezeichnungen der 1

So nach Syr. Äth. — Dagegen hat Lat. immortalitatis, vgl. aber oben S. 120 f.

* Lat.

qui

(vgl.

VIOLET).

• Diese "Worte sind schwierig. Zu corruptum des Lat. möchte man subintelligieren saeculum. So liest Arab,, nur daß er die Verben umtauscht: mortale saeculum corrumpetur; Syr. und Äth. dagegen haben corruptio. Schon die griechischen Handschriften werden also vielleicht zwischen